Yu-Gi-Oh! The Last Asylum von -Aska- ================================================================================ Kapitel 1: Turn 01 - A New Approach ----------------------------------- Turn 01 – A New Approach     Eine Welt, die nicht länger existiert. Und eine Welt, die mich abstößt. In der ich nicht existiere. So sehne ich herbei, was uns einst gegeben. Auch wenn ich dafür einen Preis zu zahlen habe. Eden.     Unendliche Finsternis umgriff Anya. Wohin sie auch blickte, das lückenlose Schwarz schien sie regelrecht zu verschlingen. Oder nein, es hatte sie bereits verschlungen. Sie wusste genau, dass das ein Traum sein musste. Niemand, der noch alle Tassen im Schrank hatte, würde ernsthaft daran zweifeln, dass dieser Ort nicht echt war. Missmutig schüttelte die Blondine den Kopf und bemerkte dabei, dass nicht alles in dieser Welt dunkel war. Sie stand auf einem Mosaik, das in vielen kleinen Puzzleteilen die Erde als Scheibe darstellte. Jene leuchtete unheimlich in ihren blauen, braunen und grünen Farben. Und sie drehte sich. Aber Anya, obwohl sie auf dem Bildnis stand, drehte sich nicht mit.   Was für ein verrückter Traum, dachte sie ärgerlich. Gehörte sie jetzt auch schon zur einsamen Spinnerriege, die sonst nur ihrem Freund Nick vorbehalten war? Allein der Gedanke ließ sie erschaudern. Nein, mit dem Hohlkopf wollte sie sich nicht gleichstellen. Selbst auf Drogen würde sie niemals so durchgedreht und dumm sein, wie er es ohne Hilfsmittel war. Sie seufzte. Es wäre schön, wenn er wenigstens hier wäre. Andererseits, eher würde er sich hinter ihr verstecken, als umgedreht. Aus gutem Grund. Sie ließ ihre Handgelenke knacken und trat einen Schritt nach vorn, inmitten des Mosaiks. Sollte doch das obligatorische Traummonster auftauchen, sie würde es direkt zurück zu Frau Holle schicken!   Ein einsamer Ort, nicht wahr?   „Was?“ Anya wirbelte ruckartig herum, ihr Pferdeschwanz peitschte ihr dabei ins Gesicht. Diese tiefe, düstere Stimme war aus dem Nichts erschienen. Doch wohin sie auch sah, ihren Ursprung konnte sie nicht ausmachen.   Such nicht nach mir. Schließlich habe ich dich gesucht. Und gefunden.   „Wer zur Hölle ist da?“, fauchte sie aufgebracht. Dieser Mistkerl sollte ihr gefälligst gegenübertreten und nicht mit solchen Billigeffekten versuchen, ihr Angst einzujagen. Immerhin war das -ihr- Traum, -sie- bestimmte die Regeln! „Komm raus, du Feigling!“   Eine Bitte, der ich nicht nachkommen kann.   „Warum?“ Langsam wurde es langweilig. Und Anya kam sich dumm dabei vor, mit einer gestaltlosen Stimme zu sprechen. Außenstehende würden sie vermutlich für verrückt halten. Aber es war zum Glück nur ein Traum.   Bedauerlicherweise verfüge ich nicht über einen Körper.   „Soll das ein Witz sein?“ Egal wie sehr sich Anya auch um die eigene Achse drehte, in der endlosen Finsternis konnte sie niemanden entdecken.   Leider ist dies die Wahrheit. Ich, Levrier, bin hier nichts weiter als ein Schatten. Und deswegen brauche ich dich, Anya Bauer.   Anya musste auflachen. Langsam wurde das richtig lächerlich. Konnte sie nicht endlich aufwachen? Da war ihr ja noch ein siebenköpfiger Drache lieber. Der war wenigstens cool, wenn er einen auffraß. Die Stirn runzelnd, verschränkte sie die Arme und atmete tief durch. Vielleicht ging das hier schneller vorbei, wenn sie sich auf den Traum einließ. „Und wofür, Levirgendwas?“   In deiner Welt gibt es nur eine Handvoll geeigneter Gefäße, die meinen Geist in sich tragen können. Und du, Anya Bauer, bist so ein Gefäß. In dir klafft ein Loch, groß genug um mich zu tragen. Doch dein Wille ist stark genug, um nicht unter der Last meiner Existenz zusammenzubrechen. Dein Körper ist gesund, jung, kräftig und wird nicht verglühen, wenn ich ihn betrete.   „Ja, ja, ja, was auch immer. Klar bin ich toll.“ Sie fasste sich an die Stirn. Eine Woge des Unwohlseins ging durch ihren Leib. Irgendetwas stimmte hier nicht. Einen derart verrückten Traum hatte sie noch nie gehabt. Warum interessierte sich dieses Hirngespinst für ihren Körper?   Öffne mir das Tor zu deiner Seele und lass mich herein. Zusammen werden wir etwas Großes schaffen.   Anya winkte mit einem verächtlichen Zischen ab. „Kein Interesse. Wärst du jetzt so freundlich und ziehst Leine? Ich möchte ungern verschlafen.“ Dass sie das einmal sagen würde! Aber Schule war allemal besser, als mit diesem gesichtslosen Freak zu quatschen. „Such dir einen anderen für dein großes Etwas!“ Sie wandte der Dunkelheit den Rücken zu, auch wenn sie wusste, dass es eine sinnlose Geste war. Dieses Ding schien ohnehin überall zu sein.   Ich fürchte, das ist nicht möglich. Du bist das beste Gefäß. Lass mich herein, damit wir „Eden“ werden können.   „Was zum Geier ist denn Eden? Ich bin nicht gläubig, wenn du das meinst!“ Allmählich war Anya es leid, immer wieder auf die Versuche dieses Levidingens zu reagieren, das Gespräch am Leben zu erhalten. Sollte es doch sonstwen anbetteln, aber nicht sie! Und überhaupt: wie kam diese Pfeife eigentlich auf die grenzdebile Idee, ausgerechnet -sie- um so etwas zu bitten? Wusste der denn nicht, dass es in Livington, ihrer Heimatstadt, nur zwei Dinge gab, um die man einen großen Bogen machen sollte? Johnnys Pizzaladen und sie, Anya Bauer! Eden. Das größere Wohl.   „Verstehe“, log Anya. „Kann ich jetzt gehen?“ Schwöre mir deine Treue.   Anya pfiff spöttisch. „Nein. Wäre ja noch schöner, wenn ich jedem Dahergelaufenen in den Allerwertesten kriechen würde.“ Ihre Gedanken drehten sich eher darum, wie sie sich selbst erklären konnte, so einen ausgemachten Schwachsinn zu träumen. Hatte Nick ihr gestern in der Kantine etwas ins Essen gemischt? Oh, den würde sie-   Wohlan. Du bist noch nicht bereit, wie mir scheint. Wir werden uns wiedersehen, Anya Bauer. Und dann wirst du mein Gefäß werden.   „Als ob!“ Doch ihre Worte hallten nicht durch die Finsternis, sondern die vier Wände ihres kleinen Zimmers. Schweißnass saß Anya kerzengerade aufgerichtet in ihrem Bett und starrte auf den Bildschirm ihres uralten Röhrenfernsehers am anderen Ende des Zimmers. Es dauerte einen Moment, bis sie realisierte, wo sie war. Stöhnend wischte sie sich einige blonde Strähnen von der Stirn und versuchte klare Gedanken zu fassen. Doch es ging nicht. Der Traum schwirrte in ihrem Kopf, jedes kleine Detail davon. Obwohl Anya den klischeebehafteten Spruch „Es hat sich so real angefühlt!“ abgrundtief hasste, musste sie zugeben, dass er gewissermaßen zutraf. Den Klang von Leviwasauchimmers Stimme würde sie wohl so schnell nicht vergessen. Genau wie den Rest dieses ganzen Mists.   Anya beschloss, dass sie erst einmal duschen und dann frühstücken sollte. Dann musste sie auch schon in die Schule. Wer weiß, vielleicht würde sie dort einem Unterstufler das Essensgeld wegnehmen können? Dann hätte dieser bereits absolut bescheidene Tag wenigstens ein Gutes.   ~-~-~   „Ohhhh, ich schraube ihr den Kopf ab und stecke ihn ihr an einen Ort, den sie so noch nie gesehen hat!“, fauchte Anya gut fünf Stunden später außer sich vor Wut. Sie knirschte mit den Zähnen, ballte die Hände auf ihrem Schoß zu Fäusten, sodass die Knöchel deutlich hervortraten und doch konnte sie ihren Zorn nicht bändigen. Hier saß sie. Auf der Ersatzbank. Sie, die die Hälfte aller Jungen vom Eis fegen konnte! Und wen hatte der Coach stattdessen für das Freundschaftsspiel gegen die „Virtues of Dice“, die ewige Rivalenmannschaft der „Livington Lions“ eingesetzt? Diese zerbrechliche, ahnungslose, dummschwatzende, hirnverbrannte, einfach nur lächerliche Valerie Redfield. Gab es überhaupt irgendetwas, wo diese dumme Schnalle nicht die erste Geige spielte? Die war doch erst seit einem halben Jahr im Eishockeyteam ihrer Schule! Sie, Anya, schon seit ihrer Kindheit!   Wütend krallte Anya ihre Finger in den Schläger und suchte nach einem Objekt oder einer Person, die feige genug war, sie nicht wegen zukünftiger Taten anzuzeigen. Aber neben dem Coach und ein paar Ersatzspielern am Ende der Bank war da nur Abby, ihre beste Freundin. Und die war zu nützlich, um sie zu Brei zu verarbeiten.   Abby war ein hageres Mädchen mit langem, braunen Haar, das nur mäßig gebändigt wirkte. Ein grünes Stirnband zierte ihr Haupt, was zu ihren langen, geblümten Kleid farblich hervorragend passte. Wie immer trug Abby ihre Brille mit den kreisrunden, getönten Gläsern. Anya seufzte. Abby war immer noch ein Hippie. Und das jetzt seit über einem Jahr. Konnte sie nicht wieder Punk sein? Da war sie wenigstens nicht so langweilig wie jetzt. Beleidigt stellte Anya an Abbys verträumten Blick fest, dass jene die letzten fünfzehn Minuten ihres Fluchens nicht bemerkt hatte und in einer anderen Sphäre zu schweben schien. Warum war sie überhaupt hier, wenn sie dem Spiel – Korrektur: ihr – keine Beachtung schenkte?   „Abby?“, fragte Anya mürrisch. „Hmm?“, gab die in einem melodischen Singsang von sich. „Hast du mir überhaupt zugehört?“ Abby nickte. „Natürlich. Aber ich finde, Gewalt ist keine Lösung. Der Coach hat Valerie ausgesucht, weil sie Erfahrung sammeln soll. Anstatt dich aufzuregen, solltest du lieber mit den beiden reden.“ „Geht nicht“, brummte Anya sauer. „Ich wüsste dann nämlich nicht, wem ich zuerst die Augen auskratzen sollte.“ „Du sollst sprechen Anya. Über die Dinge, die dich bewegen, dich berühren, dich verletzen.“ „Verletzen?“ Ein fieses Grinsen spielte um die Mundwinkel der Blondine. „Oh ja, das würde ich nur zu gerne.“   Abby zuckte mit den Schultern. Sie wusste, dass Anya ein hoffnungsloser Fall war. Ebenso wusste sie aber auch, dass diese Phasen nie lange anhielten. Es brauchte nur einen neuen Grund, damit ihre Freundin aus der Haut fuhr und schon war alles Schnee von gestern.   Neidisch beobachtete Anya das Eisfeld und wie sich die Mannschaften in Blau und Violett gegenseitig drangsalierten, nur um den Puck ins Feindgebiet zu rücken. Dabei ließ sie eine Gestalt in Blau nicht aus den Augen. Die Nummer 10. Marc Butcher. Ihr Marc. Ihr zukünftiger Marc. Der Marc, der jetzt Valerie einen Pass zuspielte. Valerie! Die Valerie, die eigentlich hier oben sitzen sollte! „Los Dices, brecht diesem Miststück alle Knochen!“, feuerte Anya kurzerhand die gegnerische Mannschaft an. „Wie kann man nur so neidisch sein …“, murmelte Abby vor sich hin und schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht neidisch!“ „Du hast ja auch keinen Grund dazu. Du bist … stark? Und … blond?“ Anya warf Abby einen vernichtenden Blick zu. „Danke! Ich weiß selbst, dass viele Kerle ein Problem mit meiner Art haben und einen Bogen um mich machen!“ „Du machst ihnen eben Angst. Starke Frauen sind eine Sache für sich. Viele trauen sich bestimmt nur nicht, dich nach einem Treffen zu fragen, weil sie Angst haben, im Krankenhaus aufzuwachen.“ Das Kinn an die Brust ihrer ausgepolsterten Uniform legend, dachte Anya nach. Vielleicht hätte sie sich nicht mit diesem Clown aus der damaligen Abschlussklasse prügeln sollen? Ob ihr Ruf dann besser wäre? Andererseits war diese Memme ihr frech gekommen und es war gut gewesen, die Fronten zu klären. Was konnte sie dafür, dass er jetzt regelmäßig zum Psychologen gehen musste, weil sie ihn tagtäglich in seinen Albträumen heimsuchte? Sofort dachte sie wieder an ihren eigenen Traum von heute Nacht. Wodurch der arme Kerl ihr sogar ein wenig leid tat, denn solchen Mist würde wohl niemand freiwillig träumen wollen. Angst zu haben war scheiße und so hatte Anya schon vor langer Zeit beschlossen, einfach keine zu haben. Was für andere unmöglich klang, war für sie eigentlich ziemlich einfach. Wer nachdachte, konnte Angst haben. Also lautete ihre Lösung: über nichts länger als bis zur nächsten Mahlzeit nachzudenken. Dann würde schon alles gut werden. Anya war stolz auf ihr Motto, es hatte sich bisher selten als unwahr erwiesen. Enttäuschte Rufe klangen von den Zuschauertribünen. Anya bemerkte es sofort, Nummer 21 lag auf dem Boden. Unter grellem Jubel sprang sie auf. Diese dumme Valerie hatte sich der Länge nach hingelegt! Was für ein Ereignis! Hätte sie doch nur ihre Kamera dabei! Aber nein, dachte sie kurz darauf verbittert. Nämlich als die Nummer 10 seiner Kollegin aufhalf. DAS wollte sie sich nicht hundert Mal am Tag reinziehen. „Ich verschwinde“, brummte Anya verstimmt. „Die kommen auch ohne mich klar.“ „Und der Coach? Du kannst nicht einfach gehen“, warf Abby vorwurfsvoll ein. „Eine Mannschaft muss zusammenhalten!“ „Ach, Redfield hat doch alles im Griff, die brauchen mich nicht.“ Abby stand plötzlich auf. „Da wäre ich mir nicht so sicher. Sieh mal!“ Erst wusste Anya nicht, wovon ihre Freundin redete und suchte nach der Stelle, auf die jene deutete. Schließlich bemerkte sie es auch. Einer der Spieler der Dices schlug mit seinem Schläger um sich. Wie wild geworden fiel er plötzlich seine Kameraden an, die ihrerseits Mühe hatten, die Angriffe mit ihren Schlägern zu parieren. Und der Kerl war nicht der Einzige. Auch zwei Lions fingen plötzlich an, wie Berserker auf diejenigen loszugehen, die ihnen am nächsten waren. „Na, das ist mal 'ne Show nach meinem Geschmack“, strahlte Anya und sprang nun auch auf, „'ne Massenschlägerei! Gott, das gab es hier ja schon ewig nicht mehr!“ Und während der Coach auf die Eisfläche eilte und wütend brüllte, erfreute sich die Blondine am immer schlimmer werdenden Chaos. Abby hingegen schlug fassungslos die Hände vor den Mund. „Die müssen aufhören! Sonst wird noch jemand verletzt!“ Plötzlich streckte sie den Arm aus und zeigte auf die Masse. „Der Coach! Die greifen tatsächlich Coach Bergmann an!“ Anya verging die Freunde, als sie sah, wie drei Spieler der Dices den Coach beharkten. Dieser ging in die Knie und krabbelte über das Eis, doch musste er harte Schläge einstecken. Ihr Blick wanderte automatisch zu der Stelle herüber, wo eben noch Valerie am Boden gelegen hatte. Sie sah die Nummern 10 und 21, wie sie sich vom Eisfeld entfernten und durch die Tür zu den Tribünen gelangten. Dort war mittlerweile alles in Wallung geraten und einige versuchten offensichtlich, sich einen Weg aufs Eis zu bahnen, um den Kampf zu beenden. Plötzlich traf ein geworfener Schläger die Nummer 10 am Hinterkopf, woraufhin jene der Länge zusammenbrach. „Marc!“, kreischte Anya erschrocken. Doch jener rappelte sich, gestützt von Valerie, wieder auf und suchte mit ihr zusammen das Weite – Helm sei Dank. Immer mehr Leute stürmten aufs Eis und versuchten, die Hockeyspieler zu bändigen. Diese wüteten noch immer durch die Reihen, ob mit oder ohne Waffen. „Das ist verrückt“, kommentierte Abby den schrecklichen Anblick leise. „Was ist plötzlich in die gefahren?“ Als sie zur Seite blickte, war Anya verschwunden. Erst nach ein paar Herzschlägen erkannte Abby, dass ihre Freundin am Boden lag und sich nicht rührte. „Hilfe!“, schrie sie gegen die Unruhen an und kniete neben Anya nieder. „Ich brauche einen Arzt, schnell!“   ~-~-~   Anya erkannte diesen Ort sofort wieder. Die Dunkelheit, das Mosaik. Sie war zurück, sie träumte wieder. Doch anders als beim letzten Mal blieb sie nicht ruhig. Eine ungekannte Furcht machte sich in ihr breit. Nicht darüber nachdenken, mahnte sie sich. Wieso war sie hier? Eben noch war sie in der Halle gewesen, hatte zugesehen, wie gute Freunde sich gegenseitig die Helme einschlugen.   Erinnerst du dich? Ich sagte, wir werden uns wiedersehen.   Das Mädchen zuckte zusammen. Da war es wieder, dieses Ding. Überall und nirgendwo. „Leviere?“ Levrier. Und? Hat dir gefallen, was ich dir gezeigt habe? Hat es deiner wütenden Seele Nahrung gegeben?   Was meinte er? Doch nicht etwa die Schlacht auf dem Eis? „Das warst du?“, fragte Anya ungläubig. Nein, das konnte unmöglich sein. Das Ding war ein Produkt ihrer hyperaktiven Fantasie. Nicht real. Vermutlich hatte irgendein Schwein ihr hinterrücks eins verpasst, sodass sie wieder diesen Traum hatte!   Gewiss. Ich habe gehofft, dass du ein wenig kooperativer wirst, wenn du siehst, wozu ich imstande bin. Dir liegt doch etwas an dieser Kleinen. Abby, nicht wahr?   „Was willst du?“, schoss es aus Anya heraus. Das habe ich dir bereits bei unserer letzten Begegnung gesagt. Entsinne dich.   Anya schnaufte. „Die Antwort bleibt nein!“ Womit zum Teufel hatte sie es bloß zu tun? Esoterik und dieser ganze Quatsch war zwar nicht ihr Ding, doch irgendetwas ging hier vor sich. Und da sie sich weigerte zu glauben, einfach nur verrückt zu werden, musste doch dieses Levrier-Wesen dahinterstecken. „Ich werde nicht zu deinem Gefäß! Ich weiß ja nicht einmal, wer oder was du bist und was du damit bezwecken willst.“   „Man könnte sagen, ich möchte die Welt verändern.“ Anya wirbelte um, denn die Stimme war dieses Mal direkt hinter ihr gewesen. Und sie hatte anders geklungen, nicht so fern. Doch als sie deren Ursprung erblickte, glaubte sie, ihren eigenen Augen nicht trauen zu können. Da stand sie, Anya. Nein, das war nicht sie, das war dieser Levrier, der nur so aussah. Und doch. Die blauen Augen, das blonde, zu einem Pferdeschwanz gebundene Haar, die Jeans und das schwarze Totenkopfshirt. Es war das perfekte Abbild von ihrem alltäglichen Ich. „Man bin ich hübsch“, stellte Anya anerkennend fest, was sie aber nur tat, um sich Mut zu machen. Dabei bemerkte sie, dass sie selbst nicht mehr ihre Hockeyausrüstung trug, sondern dieselben Sachen wie ihr Gegenüber. Und eine Duel Disk. Wie Levrier auch. Als könne jener ihre Gedanken lesen, nickte er. Dabei imitierte das geheimnisvolle Wesen jetzt sogar Anyas Stimme. „Du siehst richtig. Ich dachte mir, wenn Worte dich nicht überzeugen können, dann vielleicht etwas, was deinen Stolz verletzt. Damit du weißt, wo dein Platz ist.“ „Ach ja?“, warf Anya ihm herausfordernd entgegen und ließ ihre Fingerknöchel dabei knacken. „Na warum kommst du dann nicht her, damit wir das auf traditionelle Art und Weise lösen können? Ich hätte nicht schlecht Lust, dir ein paar Rippen zu brechen!“ „Dein Gedächtnis scheint minderwertig zu sein. Ich sagte bereits, dass ich keinen Körper besitze. Was du siehst, ist nur mein Wille. Und diesem wirst du dich jetzt beugen.“ Mit diesen Worten klappte die schwarze, mit Dornen behaftete Duel Disk Levriers klangvoll aus. Derweil knirschte Anya mit den Zähnen. Wenn sie diesen Plagegeist loswerden wollte, hatte sie wohl keine andere Wahl, als hier mitzumachen. „Glaubst du.“ Nebenbei bemerkte sie, dass auch sie so eine merkwürdige Duel Disk am linken Arm trug. Jene sah einfach schrecklich aus im Vergleich zu ihrer uralten Battle City Disk. Ein Originalstück, das ihr Vater ihr einst geschenkt hatte. Dieses hässliche Ding an ihrem Arm hingegen wäre höchstens etwas für Abby gewesen, als sie noch die Gothic Lolita gemimt hatte. Widerwillig aktivierte sie das Gerät durch das Ausschwingen ihres Arms.   „Ich sehe, du lernst dazu“, kommentierte Levrier das Ganze mit einer Spur Hohn in der Stimme. „Pass mal auf, was du alles so lernen wirst, wenn ich erstmal mit dir fertig bin“, schnaubte Anya. Jetzt kam dieses Ding ihr auch noch frech. Den würde sie bluten lassen. „Du redest viel. Aber ob du die Dinge auch in die Tat umsetzen kannst? Lass es uns herausfinden.“ Beide schrien regelrecht synchron: „Duell!“   [Anya: 4000LP / Levrier: 4000LP]   Beide Spieler zogen augenblicklich ihr Startblatt von fünf Karten. „Der Herausforderer begi-“ Doch die echte Anya unterbrach ihr Spiegelbild schroff. „Ich fange an!“ Schon hatte sie die nächste Karte nachgezogen und studierte missmutig ihr Blatt. Ihre Schlüsselkarte war nicht darunter. Aber das machte nichts, denn sie hatte die perfekte Möglichkeit, an sie heran zu kommen. Mit einem zufriedenem Grinsen fischte sie eine Zauberkarte aus ihrem Blatt und verkündete: „Ich aktiviere [Gold Sarcophagus]! Damit entferne ich eine Karte von meinem Deck und füge sie zwei Runden später meiner Hand hinzu.“ Eine goldene Truhe mit ägyptischen Symbolen, darunter ein unheimliches Auge inmitten der Front, erschien. Während Anya ihr Deck aus der Duel Disk nahm und auffächerte, schob sich wie von Geisterhand der Deckel beiseite. Als Anya schließlich ihre Wahl getroffen und das Deck an seinen rechtmäßigen Platz zurückgesteckt hatte, hielt sie die gewünschte Karte in die Höhe. „Ich nehme [Gem-Knight Fusion]!“ Der Zauber flog ihr aus der Hand und verschwand im Inneren der Truhe, die sich selbst verschloss und augenblicklich im Nichts verschwand. Anya überlegte weiter. Solange sie ihre besten Monster nicht spielen konnte, wäre es zumindest gut, deren Ankunft vorzubereiten. Deswegen entschied sie sich für [Gem-Armadillo], den sie auf die Duel Disk legte. Kurz darauf erschien ein braunes, schwebendes Gürteltier vor ihr, welches mit hellbraunen Edelsteinen und zwei Düsentriebwerken bestückt war. Gem-Armadillo [ATK/1700 DEF/500 (4)]   „Wenn [Gem-Armadillo] beschworen wird, füge ich einen beliebigen Gem-Knight von meinem Deck meiner Hand hinzu!“, erklärte Anya und hielt das ausgewählte Monster bereits zwischen Mittel- und Zeigefinger. Es war das normale Monster [Gem-Knight Garnet]. Sie atmete tief durch. Das Gefühl, sich selbst gegenüber zu stehen, war alles andere als angenehm. Dazu noch inmitten einer so unheimlichen Umgebung. Sie mochte die Dunkelheit, die Nacht, aber das hier war nichts für Anya. Aber sie war keine Memme, redete sich das Mädchen resolut ein. So leicht würde dieser Mistkerl von Levrier sie nicht einschüchtern können! „Ich setze eine Karte verdeckt“, rief sie und schob die Fallenkarte in einem der dafür zugehörigen Schlitze. „Das wär's dann.“   Die andere, falsche Anya lächelte süffisant. „Fürchtest du dich?“ „Nö“, antwortete das Original desinteressiert. „Und warum zittert deine Hand?“ Zu ihrem Schrecken musste Anya feststellen, dass Levrier recht hatte. Die Hand, in der sie ihr Blatt hielt, bebte regelrecht. Mit der anderen hielt sie sofort ihren Arm fest, damit ihr Gegner nicht weiter darauf eingehen konnte. „Du kannst mir nichts vormachen. So sehr du dich auch sträubst, Anya Bauer, meine Worte sind zu dir durchgedrungen. Du hast erkannt, zu was ich imstande bin und du fürchtest dich vor dem, was noch kommen könnte. Und es wird kommen, solltest du dich weiterhin weigern, dich mit mir zu vereinen.“ „Blablabla“, zischte Anya, doch ihre Stimme klang eine Spur zu heiser, um überzeugend zu wirken. Nein, sagte sie sich, dieser Kerl log nach Strich und Faden. Was da unten in der Halle passiert war, lag lediglich an ein paar übermütigen Jungs. Daran war absolut nichts Mysteriöses, so wie Levrier es ihr einreden wollte! Und doch … ob es Marc gut ging? Und Abby, wo war die gerade? Und sie selbst, fragte Anya sich voller Unwohlsein? Was war überhaupt mit ihr, war sie noch in der Halle und nur eingenickt? Vielleicht war die Schlägerei auch nur Teil des Traumes? So musste es sein! Sie war noch gar nicht aufgewacht!   „Ich werde nun meinen Zug durchführen“, erklärte Levrier und riss sein Gegenüber dabei aus den Gedanken. Er nahm behände eine Karte und legte sie auf die Duel Disk. „[Purgatory Hellhound]!“ Ein feuriges Loch tat sich inmitten des Spielfelds auf. Daraus hervor sprang eine mannshohe Bestie, die entfernt an einen Hund erinnerte. Schreckliche Fangzähne ragten aus seinem Maul und überall aus dem roten Fell des Biestes stachen schwarze Klingen hervor. Es brüllte ohrenbetäubend.   Purgatory Hellhound [ATK/1800 DEF/1000 (4)]   Die falsche Anya streckte den Arm aus. „Vernichte [Gem-Armadillo]!“ Kurzerhand sprintete das Ungetüm auf das schwebende Gürteltier zu und riss es mit nur einem Schlag seiner wuchtigen Pranke entzwei. Dabei wurde Anya von einem sengenden Wind aus Glut und Asche erfasst, was sie zum Husten brachte. Sie hielt sich schützend die Arme vor den Kopf, bis das Inferno vorbei war.   [Anya: 4000LP → 3900LP / Levrier: 4000LP]   „Das war ...“, murmelte sie und betrachtete die Asche und die vereinzelten Brandblasen an ihren Händen und Armen, die unangenehmerweise auch noch weh taten. „Real? Gewiss, mein Kind. In einem Kampf um das Vorrecht eines Gefäßes wird – Wie sagen die Menschen? – mit harten Bandagen gekämpft. Es ist deine Seele, die hier Schaden nimmt.“ Levrier lächelte zufrieden. „Wie lange wohl wirst du den Qualen standhalten, ehe du dich ergibst? Jemand der so stur ist, stellt einen würdigen Gegner dar. Aber selbst die stärkste Seele kann auf Dauer nicht gegen mich bestehen.“ „Du laberst Bullshit“, fauchte Anya. Wollte dieser Kerl sie mit ein bisschen Hokuspokus beeindrucken? Wenn ja, lag er da aber so was von falsch! „Wie du meinst. Vielleicht sprichst du eher diese Sprache?“ Er deutete auf seinen Höllenhund. Die Klingen auf seinem Rücken begannen rötlich zu leuchten. „Immer wenn [Purgatory Hellhound] angreift, erhöht sich sein Angriffswert anschließend um 400.“   Purgatory Hellhound [ATK/1800 → 2200 DEF/1000 (4)]   „Mist“, murmelte Anya und biss sich auf die Lippe. Das war gar nicht gut. „Damit dieses Spiel auch nicht zu langweilig wird, setze ich eine Karte verdeckt. Nun denn, Anya Bauer, durchdenke deinen nächsten Zug gut.“ Wieder war da dieses wissende Lächeln von Levrier. Wie Anya es hasste, dass dieses Wesen ihren Körper für das Duell benutzte. Wäre er in Gestalt von Valerie Redfield gegen sie angetreten, wäre das alles viel amüsanter.   Es half aber nichts, sagte sie sich. Sie würde ihn auch so in der Pfeife rauchen. Mit neuem Mut zog sie eine Karte von ihrem Deck und war positiv überrascht. Mit der würde sie sich zu verteidigen wissen. Und einen Weg, diese dumme Töle zurück ins Jenseits zu schicken, hatte sie auch schon gefunden. „Ich beschwöre [Gem-Knight Garnet]!“, rief Anya und knallte das gelb-umrandete Monster auf ihre Duel Disk. Aus einer Flamme vor ihr entstieg ein Ritter in bronzener Rüstung, der zwischen seinen Händen eine Feuerkugel entstehen ließ. Wie sein Name es gebot, strahle inmitten seiner Brust ein brauner Granat.   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   Schwungvoll streckte Anya den Arm aus. „Los [Garnet], einmal Drecksköter zum Mitnehmen!“ Sofort schoss der Ritter seine Flamme auf das Ungetüm. Levrier schwieg nur. Anya hatte eigentlich damit gerechnet, dass er einen dummen Spruch ablässt, warum sie denn ein stärkeres Monster angreife. Doch scheinbar war er einer der wenigen intelligenten Duellanten, die wussten, dass dahinter ein Plan steckte. Und ebenjenen zückte sie nun von ihrem Blatt. „Wenn eines meiner normalen Monster mit dem Element Erde kämpft, kann ich die besondere Magie meines [Gem-Merchants] wirken lassen!“ Ein kleines Wesen mit Zauberhut und kegelförmigen Unterleib erschien hinter Anyas Ritter und verschwand in ihm. „Damit steigen Angriff und Verteidigung jenes Monsters für einen Zug lang um 1000!“   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 → 2900 DEF/0 → 1000 (4)]   Schlagartig wuchs die Flamme an und versengte den Höllenhund in einem gewaltigen Inferno. Nun war es an Levrier, einem feurigen Wind entgegen zu stehen. Dieser jedoch war sichtlich unbeeindruckt und schützte sich nicht einmal.   [Anya: 3900LP / Levrier: 4000LP → 3300LP]   Das hat gesessen, dachte Anya stolz. So stark, wie er, sie oder es sich gab, war Levrier auch wieder nicht. Noch ein, zwei Züge und sie hatte ihn zu Hackfleisch verarbeitet! Mit siegesgewissem Lächeln nahm Anya die Karte, die sie diese Runde gezogen hatte und setze sie zu ihrer anderen Falle. Nun lagen vor ihr zwei verdeckte Karten. Daran würde dieser Kerl nie vorbeikommen! „Ich aktiviere meine Fallenkarte“, hörte sie da Levrier plötzlich rufen. Er schwang seinen Arm über die vor ihm schwebende Karte, sodass sie aufsprang. „[Dominance]. Der Zug, in dem du eines meiner Monster zerstört hast, wird dir zum Verhängnis werden. So kann ich fortan eine deiner gesetzten Karten blockieren, bis ich sie in zwei Runden für meine Zwecke einsetzen kann. Und meine Wahl fällt auf die eben von dir ausgespielte Karte!“ Anya schreckte zurück, als glühend rote Ketten sich um die verdeckte Karte rechts von ihr schlangen. Das konnte nicht wahr sein, dachte sie fassungslos. Die dort liegende Karte war [Negate Attack] und war eigentlich dazu gedacht gewesen, feindliche Angriffe abzufangen. Nun war sie nutzlos. Schlimmer noch: Levrier würde sie schon bald selbst einsetzen können. „Pfff“, zischte sie. Dann würde sie ihn eben vernichten, bevor er sich an ihrer Falle vergreifen konnte! „Mein Zug ist beendet!“   Gem-Knight Garnet [ATK/2900 → 1900 DEF/1000 → 0 (4)]   Levrier zog, doch schenkte seiner neuen Karte keine Beachtung. Stattdessen sah er durch kalten, blauen Augen Anya in die ihren. „Du hast mich nach Eden gefragt, Anya Bauer. Was es ist.“ „Eigentlich interessiert es mich nicht die Bohne“, reagierte Anya schnippisch. „Um die Wahrheit zu sagen, weiß ich es nicht. Was ich aber weiß ist, dass Eden zu werden meine Bestimmung ist. Und wenn ich dazu deinen Geist brechen muss, werde ich das auch tun. Du tätest also besser daran, mir zu dienen. Tu es, bevor es zu spät ist!“ Plötzlich klang er sehr eindringlich. „Ich würde deiner Seele ungern irreparablen Schaden zufügen.“ Das Mädchen zuckte gelangweilt mit den Schultern. „ Ach wirklich … ? Du wiederholst dich. Das nervt.“ „Etwas anderes habe ich ehrlich gesagt auch nicht erwartet. Aber gerade deshalb bist du das ideale Gefäß. Nun lass mich dir einen Grund liefern, mich wahrhaft zu fürchten.“ Das geheimnisvolle Wesen nahm eine Karte aus seinem Blatt und zeigte sie vor. „Komm herbei, [Life Devouring Succubus]!“ Grelles Gekicher erklang. Aus einer schwarzen Wolke über Levrier tauchte eine geflügelte Gestalt mit sechs Armen auf. Sie hatte das Haupt einer schönen, rothaarigen Frau, doch ihr Körper war der einer Schlange. Am Ende ihres Schweifs lauerte der Kopf einer riesigen Königskobra. Dieser schoss plötzlich in den Boden, mitten in das Mosaik und zertrümmerte halb Afrika, welches sich gerade zufällig auf Levriers Spielfeldseite befand. „[Life Devouring Succubus] hat die Fähigkeit, sich einen gefallen Kameraden einzuverleiben. Dabei nährt sie sich von seiner Lebenskraft und gewinnt so an Stärke.“ Aus dem Loch zog die Kobra mit ihren starken Kiefer die Gebeine des Höllenhundes und verschluckte sie.   Life Devouring Succubus [ATK/500 → 2300 DEF/500 → 1500 (4)]   Anya verzog angeekelt das Gesicht. Dieses groteske Monster war ihr zuwider, zumal es stärker war als ihr eigenes. „Vernichte [Gem-Knight Garnet]!“, befahl Levrier harsch. Dessen Besitzerin musste einen Herzschlag später mitansehen, wie sich der Succubus hinter ihren Ritter teleportiert hatte und ihn mit ihren sechs Armen in Stücke riss. Dabei holte sie gleichzeitig mit ihrem Schweif weit aus und schlug Anya zu Boden.   [Anya: 3900LP → 3500LP / Levrier: 3300LP]   Stöhnend wollte sich das Mädchen gerade aufrichten, da erschien der Dämon plötzlich über ihr und leckte sich die vollen Lippen. „Wenn [Life Devouring Succubus] einen Feind besiegt, fügt sie seinem Besitzer zusätzlichen Schaden von insgesamt 500 Lebenspunkten zu“, erklärte Levrier ungerührt. Die Kobra schnappte zu und biss Anya in den Arm, welchen sie reflexartig zum Schutz erhoben hatte. Sofort brannte er fürchterlich und Blut tropfte auf das farbenfrohe Mosaik der Erde.   [Anya: 3500LP → 3000LP / Levrier: 3300LP]   Völlig irritiert betrachtete Anya die Wunde, ehe sie realisierte, was geschehen war. Dieser Mistkerl hatte soeben sein Todesurteil unterschrieben! Wütend sprang sie auf und zeigte aufgebracht auf ihn: „Okay Freundchen, jetzt reicht's! Du willst Krieg? Den kannst du haben! Niemand, der auch nur eine winzige Hirnzelle hat, wagt es mich zu verletzten! Jetzt bist du fällig!“ Levrier zeigte sich von den Gebärden seiner Gegnerin jedoch nicht im Geringsten beeindruckt. Stattdessen zeigte er eine Schnellzauberkarte von seiner Hand vor, die er kurzerhand in seine Duel Disk schob. „Ich aktiviere jetzt [Order of H.I.M.]. Ein Unterweltler-Monster, das in diesem Zug bereits angegriffen hat und dabei über einen Angriffswert verfügt, der über seinem Ursprungswert liegt, kann erneut angreifen und verdoppelt dabei noch besagten Grundwert.“   Life Devouring Succubus [ATK/2300 → 2800 DEF/1500 (4)]   Der Blondine klappte die Kinnlade herab. Noch ehe sie etwas erwidern konnte, umklammerte der Succubus das Mädchen mit seinem Schweif und zog sie zu sich hinauf. Anya wehrte sich nach Leibeskräften, doch dem eisernen Griff entkam sie nicht. Ihr ganzer Körper schmerzte. Plötzlich sah sie in das Gesicht des Dämons, welcher zufrieden lächelte. Und dann gab er Anya mit einem seiner Arme eine Ohrfeige. Ein unangenehmes Rauschen schien ihren Kopf auszufüllen und einen Moment später wurde sie mit aller Kraft nach unten geworfen. Hart prallte Anya auf der rechten Körperhälfte auf und hörte es knacken. Ein schrecklicher Schmerz machte sich in ihrer Schulter breit, so stark, dass sie Sterne tanzen sah. Auch bekam sie keine Luft mehr und hechelte wie ein sterbender Hund.   [Anya: 3000LP → 200LP / Levrier: 3300LP]   „Erkennst du nun, wie sinnlos dein Kampf ist, Anya Bauer?“, fragte Levrier kaltherzig. Das Mädchen rappelte sich unter Schmerzen auf und presste eine Hand auf den Unterleib. Scheinbar hatte sie sich bei dem Fall ein paar Rippen gebrochen. Dem Schmerz nach zu urteilen womöglich auch das Schlüsselbein. „... leck mich“, zischte sie. „Immer noch so stur? Ich bin beeindruckt. Ist dieser Schmerz denn nicht genug, um dich zu brechen?“ „Nicht mal ansatzweise!“ Anya biss die Zähne zusammen. Vor lauter Schmerz konnte sie kaum denken. Aber das wäre ohnehin schlecht. „Bedauerlich. Doch glücklicherweise habe ich meine Reserven noch nicht ausgeschöpft.“ Noch mehr, fragte sich das Mädchen erschrocken. Ihr Gegner hatte noch drei Karten auf der Hand. Mehr als genug, um ihr die letzten Lebenspunkte zu rauben. Würde ein weiterer Angriff folgen? „[Life Devouring Succubus] hat einen letzten Effekt, den ich dir nicht vorenthalten möchte“, verkündete Levrier gebieterisch. „Ich kann eine Xyz-Beschwörung mit dem Monster durchführen, das als Kraftquelle für meine Kreatur dient. Da beide der Stufe 4 angehören, kann ich nun ein Rang 4 Xyz-Monster rufen. Ich erschaffe das Overlay Network!“ Aus dem Succubus schossen zwei violette Strahlen, die von einem bunten Wirbel innerhalb des Bodens verschluckt wurden. Daraus empor stieg ein Wesen, wie Anya es noch nie zuvor gesehen hatte. Sechs verdorrte, knochige Flügel ließen es unendlich groß erscheinen. Der Schädel eines Ziegenbocks diente als Maske für jenes dämonische Wesen, das einen Stab in seinen Händen hielt, welcher aussah wie eine gewundene Schlange. Um ihn schwirrten zwei Lichtkugeln, die Xyz-Materialien. „Dies ist [Six Winged Archfiend – Se'rim]“, erklärte Levrier.   Six Winged Archfiend – Se'rim [ATK/2600 DEF/1300 {4}]   „Was ist dieses Ding?“, schoss es Anya hervor. Dieses Monster erschien ihr wie eine Verkörperung des Leibhaftigen. Nein! Es war nur eine Karte, ein Hologramm. Wahrscheinlich ein sehr lebendiges Hologramm, musste sie sich insgeheim eingestehen. „[Six Winged Archfiend – Se'rim] hat einen Effekt, der nur eingesetzt werden kann, wenn er nicht am Kampfgeschehen teilgenommen hat. Ich hänge ein Xyz-Material ab und ziehe eine Karte“, erklärte Levrier. Er entfernte den Succubus, welcher unter der schwarz-umrandeten Karte des Dämons lag und steckte ihn in den Friedhofsschacht. Eine der Kugeln verschwand hinter der Maske, aus welcher nun rote Augen aufleuchteten. Dann zog Levrier und hielt die Karte flach gen Boden, ohne sie anzusehen. „Wenn es sich hierbei um ein Monster handelt, erleidest du nun Schaden anhand seines Angriffswertes.“ Anya zuckte zusammen und sah auf ihre Duel Disk. Sie hatte nur 200 Lebenspunkte. Sollte er dort tatsächlich ein Monster haben, war das Spiel gelaufen! Langsam, nahezu in Zeitlupe, hob Levrier seinen Arm und zeigte die Karte zwischen seinen Fingern hervor. Es war eine grüne Karte – ein Zauber. Anya atmete tief durch. Noch einmal Glück gehabt. „Ich aktiviere den Effekt von [Six Winged Archfiend – Se'rim] erneut!“, rief die Anya-Kopie entschlossen. „Was? Das geht zweimal in einem Zug!?“ Auch die zweite Lichtkugel verschwand nun hinter der Maske des Dämons. Wieder zog Levrier und betrachtete die Karte. Ein finsteres Lächeln umspielte plötzlich seine Lippen. Anya ahnte Böses. Dabei fragte sie sich, ob sie wohl auch so bösartig aussah, wenn sie andere fertig machte. Der Gedanke behagte ihr nicht. Mit einem Ruck zeigte Levrier die Karte. Es war ein Effektmonster. „Aber-!“ „Du siehst richtig. Ein Monster ohne Angriffspunkte. Es scheint, als wäre das Schicksal auf deiner Seite, Anya Bauer.“ Levrier sprach diese Worte mit einer Spur Anerkennung. „Ich fürchte, du hast deine Existenz um einen weiteren Zug verlängert. Doch sei dir im Klaren: dein Moment des Glücks ist nur von kurzer Dauer und wird bald vergehen.“   Doch das Mädchen betrachtete nur ihre zitternden Hände. Glück. Nur Glück hatte sie soeben vor der Niederlage bewahrt. Das war … unakzeptabel. So sollten Duelle nicht entschieden werden, auch wenn es diesmal zu ihrem Vorteil war. Sie ballte die Fäuste so fest zusammen, dass es schmerzte.   „Einen Zug!“, schrie sie plötzlich. „Mehr werde ich auch nicht brauchen! Draw!“ Das war ihre Chance, sagte sie sich. Levrier konnte ihre [Negate Attack] erst im nächsten Zug einsetzen, dann wäre sowieso alles verloren. Sie musste jetzt mit aller Härte zuschlagen und ihn vernichten, bevor er sie vernichtete. Schwungvoll zog sie die alles entscheidende Karte und strahlte, als sie sie erblickte. Der Boden erbebte, als der goldene Sarkophag daraus emporstieg und seinen Inhalt preisgab. Anya, die zwischenzeitlich ganz um ihren Zauber vergessen hatte, hielt nun [Gem-Knight Fusion] in den Händen, zusammen mit drei anderen Karten. „Okay Freundchen, mach dich auf was gefasst!“, verkündete sie aufgebracht und zückte eine andere Zauberkarte aus ihrem Blatt. „[Silent Doom] beschwört ein normales Monster von meinem Friedhof in Verteidigungsposition!“   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   Ihr Ritter erschien neben Anya und kniete nieder. Sie nahm jedoch schon die nächste Zauberkarte von ihrer Hand. „Und jetzt zeige ich dir mal, wie man das richtig macht! [Gem-Knight Fusion]! Damit verschmelze ich zwei meiner Ritter zu einem völlig neuen! [Gem-Knight Garnet], du bist das Herz, [Gem-Knight Sapphire], du die Rüstung! Vereint euch!“ Ein strahlender Wirbel entstand über Anya, etliche Juwelen verschiedenster Beschaffenheit und Farben tanzten im Einklang mit dem Strom, in den erst Garnet, dann der in einer blauen Rüstung gekleidete Sapphire gezogen wurden. Aus dem Wirbel trat schließlich ein Ritter in bronzener Rüstung, der stark an Garnet erinnerte. Ein blauer Umhang wehte von seinen Schultern und er hielt nun eine Lanze in den Händen, die er bedrohlich auf Levrier richtete. „Das ist es, [Gem-Knight Ruby]!“   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)]   „Bedauernswerte Kreatur“, kommentierte Levrier das Ganze unbeeindruckt. „Was wirst du tun, um ihr die nötige Stärke zu verleihen, die sie braucht, um die meine zu bezwingen?“ „Schau genau her, Mistkerl! Ich beschwöre jetzt [Gem-Knight Alexandrite] als meine reguläre Beschwörung!“ Ein Ritter in silberner Rüstung, geschmückt mit vielen verschiedenen Edelsteinen an den Gelenken, tauchte neben Ruby auf.   Gem-Knight Alexandrite [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   „Aber er ist nicht hier um zu bleiben! Ich opfere ihn für seinen eigenen Effekt und beschwöre einen seiner effektlosen Kameraden vom Deck! So wie [Gem-Knight Crystal]!“ Alexandrite verschwand in einer Lichtsäule. Aus dieser trat ein noch viel anmutigerer Ritter in weißer Rüstung. Viele farblose Kristalle schmückten sein Erscheinungsbild. Stolz stemmte er die Hände in die Hüften und stellte sich neben Ruby.   Gem-Knight Crystal [ATK/2450 DEF/1950 (7)]   „Ein weiterer Schwächling. Ist das deine Antwort, Anya Bauer? Willst du auf diese Weise überleben?“ Dieser Levrier hatte keine Ahnung, dachte die Blondine zufrieden. Zwar hatte sie all ihre Handkarten aufgebraucht, aber der Weg war geebnet. Der Trottel hatte nicht einmal verdeckte Fallen auf seiner Spielfeldseite liegen, sodass sie sich keine Gedanken machen musste, einen Angriff zu starten. Und das würde sie jetzt! „Ich benutze Rubys einzigartigen Effekt und biete Crystal als Opfer an. Dadurch erhält Ruby jeden Angriffspunkt, den Crystal besitzt! Du denkst, dein Monster ist stark? Sieh dir mal meins an!“ Der weiße Ritter vor Anya löste sich in strahlenden Lichtfunken auf, die von Rubys Lanze absorbiert wurden. Plötzlich erstrahlte um jene eine weiße, glühende Aura, die selbst die Dunkelheit um sie herum zu erhellen vermochte.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 → 4950 DEF/1300 (6)]   „Das ist genug, um deinem Mistvieh ordentlich einzuheizen! Los, Ruby, zeig es ihm! Sparkling Lance Thrust! Vernichte diesen Dreckskerl!“ Ihr Ritter wirbelte die Lanze über seinem Kopf und schoss anschließend wie ein Pfeil durch die Luft auf den geflügelten Dämon zu. Mit einem gezielten Stich schaffte er ein gewaltiges Loch in der Brust des Ungetüms. Es begann, sich von innen heraus aufzulösen. Levrier jedoch zog nur eine von Anyas Augenbrauen hoch, ehe er von einer Schockwelle erfasst wurde. Trotz der gewaltigen Kraft der Explosion seines Monsters blieb er standhaft, rührte sich nicht einen Millimeter vom Fleck.   [Anya: 200LP / Levrier: 3300LP → 950LP]   „Wie es scheint, war dein Angriff nicht ausreichend, um mich – wie sagtest du? – zu vernichten.“ Anya biss die Zähne zusammen. Sie hatte sich tatsächlich verrechnet! Wie hatte ihr so ein Fehler unterlaufen können!? Wenn sie doch nur- In diesem Moment jedoch hatte sie einen Geistesblitz. Sie starrte auf ihre Duel Disk und erkannte, dass neben [Negate Attack] noch die Falle steckte, die sie in ihrem ersten Zug ausgespielt hatte. Ihr Ticket zum Sieg! „Verdeckte Falle!“, rief sie voller Inbrunst. „[Gem-Enhancement]!“ Die vor Anya liegende, linke Karte sprang auf. Sie zeigte Ruby in einer Pose, wobei aus den Rubinen an seiner Rüstung grelles Licht strahlte. Und genau das geschah jetzt auch mit dem Ritter, der für Anya einstand. „Ich biete einen meiner Gem-Knights als Opfer an, damit einer seiner Freunde vom Friedhof wiederauferstehen kann! Ruby, überlass jetzt Crystal das Feld!“ Die Rüstung von Anyas Monster platzte auf und gab den weißen Ritter zum Vorschein, der sich zuvor für seinen Kameraden geopfert hatte.   Gem-Knight Crystal [ATK/2450 DEF/1950 (7)]   Levrier lächelte nun geheimnisvoll. „Ich verstehe. Dein Deck ist wahrhaft ein besonderes. Deine Krieger gehen Bündnisse ein, sind bereit, für ihre Freunde ihr Leben zu geben. Sie gehen Hand in Hand miteinander. Warum besitzt jemand wie du solch mächtige Karten?“ Seine Worte trafen Anya wie ein Schlag. Es klang, als hätte sie die Gem-Knights nicht verdient. „Seit wann bestimmst du, wer welches Deck spielen darf?“, rief sie wütend. „Du hast genug Unsinn gelabert, ich habe die Schnauze voll! Los Crystal, beende diesen Dreck! Clear Punishment!“ Ihr Ritter rammte seine Faust daraufhin in den Boden und spaltete damit das Mosaik. Wie eine Schlange schnellte eine Schneise der Zerstörung auf Levrier zu. Dutzende Kristallspitzen ragten dabei aus dem Boden und als sie Levrier erreichten, sagte jener: „Du bleibst also dabei, Anya Bauer? Doch sei dir gewiss, auch wenn du mich heute geschlagen hast, ist Edens Ankunft unausweichlich.“ Mit diesen Worten schossen die Spitzen unter ihm hervor. Es zersplitterte dabei wie ein Spiegelbild, dessen Scherben in alle Winde verstreut wurden.   [Anya: 200LP / Levrier: 950LP → 0LP]   Anya atmete tief durch, ihre Brust schmerzte. Die Hologramme verschwanden, genau wie die Duel Disk an ihrem Arm. Der Albtraum war endlich vorüber. Und kaum hatte Anya diesen Gedanken gefasst, zersplitterte ohne Vorwarnung das Mosaik unter ihren Füßen. Sie fing an zu fallen. Die Schreie in ihrer Kehle gingen in der endlosen Finsternis unter. So schloss sie die Augen und hoffte, dass sie den Fall überleben würde.   ~-~-~   „Sie kommt zu sich“, hörte Anya eine ferne Stimme sagen. Ihre Lider waren schwer, doch langsam konnte sie sie anheben. Sie starrte in grelles Licht, alles war ein wenig verschwommen. „Lass das!“, war da wieder diese Stimme. Anya kannte sie gut. Abby! Und sie fühlte etwas. Es kam von ihrem rechten Ohr. Als würde … Anya neigte den Kopf leicht zur Seite und sah einen Arm. Die dazugehörige Hand hatte schon fast unheimlich lange Finger, von denen einer direkt in ihrem Ohr steckte und sich drehte. Sofort schreckte sie auf. „Nick?“, murmelte sie und langte anschließend voller Entsetzen zu. Die Backpfeife saß und der hochgewachsene junge Mann hielt sich mit jammernder Mimik die Wange. „Hi Anya“, gluckste er. „Was soll das!?“, fauchte sie ihn an. „Wieso steckst du mir deinen ekligen Finger ins Ohr, du Idiot?“ „Dachte, du wachst dadurch schneller auf.“ Er kratzte sich am Kopf, dessen braunes Haar zerzauster nicht hätte sein können. Dann steckte er die Hände in die Hosentasche und grinste verschlagen. „Na, hast wohl von mir geträumt?“ „Nie im Leben, als ob! Wo bin ich überhaupt?“, fragte Anya mürrisch und sah sich um.   Neben ihr auf beiden Seiten stand eine Art tragbarer Vorhang aus kraftlosem Grün. Anya musste nicht mehr sehen, um zu wissen, wo sie war. Auf der Krankenstation der Livington High. Ihr Brustschutz und der andere Kram lagen in einer Ecke, sie trug nur das Trikot ihrer Mannschaft und eine weiße Hose. Abby trat zwischen die beiden Zankenden. Sie machte einen sehr mitgenommenen Eindruck, denn ihre Haare wirken noch zerzauster als sonst, sie war blass wie eine Kalkwand und das Stirnband war verrutscht. „Wir haben uns echt Sorgen um dich gemacht. Du bist einfach umgekippt und es war gar nicht so leicht, dich hierher zu bringen.“ „Wieso, was ist passiert?“ Ihre Freundin seufzte. „Auch auf der Zuschauertribüne haben die angefangen, sich zu schlagen. Egal was ich gesagt habe, ich konnte sie nicht besänftigen. Es war … schrecklich.“ „Abby und ich haben dich hierher gebracht“, sagte Nick und grinste, „dabei durfte ich sogar gegen ein paar Knirpse antreten, die aufmüpfig wurden.“ Anya verzog skeptisch das Gesicht. „Und, was hast du gemacht? Sie unangespitzt in den Boden gerammt?“ „Bin weggelaufen. Waren zu viele. Drei um genau zu sein.“ Er hielt ihr seine Hand vors Gesicht, doch statt dreien, zeigte er vier Finger. Sofort erntete er lautes Gestöhne von der Blondine, die sich die Hand vor den Kopf schlug. „Das ist nicht witzig, Nick“, beschwerte sich Abby und deutete zu einem der Vorhänge. „Wir können froh sein, für Anya noch ein Bett bekommen zu haben. Die Krankenstation ist hoffnungslos überfüllt. Es gibt mindestens zwanzig Verletzte. Coach Bergmann und ein paar andere mussten sogar umgehend ins Krankenhaus eingeliefert werden.“   Anya sprang von ihrer Liege auf und musste von Nick gehalten werden, da sie sonst umgekippt wäre. Eine starke Benommenheit ergriff Besitz von ihr, doch sie drängte sich an ihm vorbei und verließ ihre Nische. Und was sie sah, traf sogar sie schwer. Überall waren verletzte Schüler. Manche lehnten an den Wänden und hielten sich bestimmte Körperteile und -regionen, andere lagen auf Tragen auf dem Boden und wurden von den Krankenschwestern behandelt. Es war kaum Platz zum Gehen, so viele Leute teilten sich hier den begrenzten Raum. Die Ärztin, Doctor Warren, huschte von einer Person zur nächsten und schien gar nicht zu wissen, wo sie anfangen sollte, die Wunden zu behandeln. „Also das ist selbst mir eine Spur zu krass“, kommentierte Anya das 'Schlachtfeld' beeindruckt. „Alter Falter.“ Abby gesellte sich neben sie und legte ihre Hand auf Anyas Schulter. „Wenn es nur das wäre. Aber du hast geschrien, als du bewusstlos warst. Selbst Doctor Warren hat es nicht geschafft, dich zu wecken und wollte dich schon von den Sanitätern abholen lassen. Was war los mit dir, hattest du einen Albtraum?“ Nick stellte sich ebenfalls zu ihnen. „Ich sag doch, sie hat von mir geträumt, hehe.“ „Wenn ich wirklich geschrien habe, dann kann das durchaus sein“, brummte Anya und warf ihrem Freund einen giftigen Blick zu. Doch ihr ging der Albtraum nicht aus dem Kopf. Levrier … gab es ihn wirklich? Hatte er die Massenschlägerei ausgelöst? Nein, das konnte nicht sein! Es gab keine übernatürlichen Lebewesen, das war ausgemachter Schwachsinn! „Was hast du denn nun geträumt?“, fragte Abby neugierig. „Wie ich diesem Miststück Valerie Redfield die eigenen Gedärme in den Hals stecke.“ Mit diesen Worten stampfte sie ziellos von dannen. „Ich mag es nicht, wenn du so redest“, rief ihre Freundin ihr noch hinterher, daran zweifelnd, dass Anya ihr die Wahrheit gesagt hatte. Doch jene war längst außer Hörweite. Zumindest innerlich.     Turn 02 – Wicked Games Nach der Schlägerei in der Eissporthalle ist wieder Ruhe an der Livington High eingekehrt. Zumindest fast, denn seit jenen Vorfällen scheint Marc Butcher, Anyas Schwarm, ihre Erzrivalin Valerie auf Schritt und Tritt zu begleiten. Anya, die vor Eifersucht kurz davor steht, gewalttätig zu werden, fordert Valerie in ihrem Wahn schließlich zu einem Duell heraus. Mit Leichtigkeit schafft Valerie es, Anya dank [Evigishki Soul Ogre] an die Wand zu spielen. Doch mitten im Duell geschieht etwas Seltsames … Kapitel 2: Turn 02 - Wicked Games --------------------------------- Turn 02 – Wicked Games     Sohn von William Ford - Noch immer vermisst Weiterhin gibt es keine Hinweise um den Verbleib von Benjamin Ford, dem jüngsten Sohn des Vorsitzenden der Abraham Ford Company, William Ford. Ein Sprecher der Abraham Ford Company, die für den Vertrieb der Duel Monsters-Karten in den Vereinigten Staaten verantwortlich ist, hat am gestrigen Nachmittag bei einer Pressemitteilung verlauten lassen, dass alle bisherigen Ermittlungen rund um den mittlerweile seit über einem Monat vermissten Benjamin Ford ergebnislos waren. Experten gehen nun davon aus, dass der junge Mann nicht mehr am Leben ist. Eine Entführung ist unwahrscheinlich, da sich seit seinem Verschwinden kein Erpresser bei der Familie gemeldet hat. Ferner …   „Was für 'ne Scheiße“, schnaubte Anya und warf die Zeitung auf den Tisch. Demonstrativ biss sie in ihr Toastbrot und runzelte die Stirn. Wen zur Hölle interessierte es, wenn irgendeine reiche Rotzgöre verschwunden war? Deshalb las sie sonst nie Zeitung.   „Stimmt etwas nicht, Liebes?“, fragte ihre Mutter mit einem Hauch von Sorge. Sie hatte ihre Tochter bis vor ein paar Tagen noch nie dabei beobachtet, wie sich aus freien Stücken für das Weltgeschehen interessierte. Seit Tagen verhielt das Mädchen sich nun schon äußerst ungewöhnlich. Wer Anya nicht gut kannte, würde es nie bemerken, doch als Mutter wusste Sheryl, dass etwas vorgefallen sein musste. Anya hatte sich noch weiter zurückgezogen als sonst und schien krampfhaft nach etwas zu suchen. Sie hing dauernd vor dem Computer und las regelmäßig Zeitung. Ob das mit dem Vorfall an ihrer Schule in Verbindung stand? Sheryl seufzte. Eine Antwort ihrer Tochter blieb aus. Stattdessen wischte die sich mit dem Handrücken über den Mund und schulterte ihren Rucksack, der an einem der Beine des runden Esstisches lehnte. „Ich gehe jetzt. Bis später, Mum“, grunzte sie schlecht gelaunt. „Bis später.“ Sie sah dem blonden Mädchen hinterher, als es durch die Küche schritt. Nachdem die Tür lautstark ins Schloss gefallen war, wusste Sheryl, dass Anyas Suche weiterhin keine Erfolge vorzuweisen hatte.   Anya indes stampfte wütend über den Rasen ihres Grundstücks, öffnete das Gartentor und pfefferte es mit einem gezielten Tritt ihrer Schuhsohle im Weggehen wieder zu. Sie passierte viele solcher beschaulichen Grundstücke. Kitschig, das waren sie. Der typische amerikanische Vorort, perfekt, gepflegt, grässlich anzusehen. Wo waren der Schmutz, die Ecken, die Kanten? Hier standen gelbe, grüne, rote und rosafarbene Gebäude, die eher an Puppenhäuser denn echte Häuser mit lebenden Menschen erinnerten. Anya hasste Livington, sein Spießertum. Und sie hasste es, wenn ihre Anstrengungen vergebens waren. In der beknackten Stadtzeitung verloren sie kein Wort über gewisse unheimliche Vorfälle. Die Massenprügelei in der Eissporthalle war zwar am Folgetag die Schlagzeile schlechthin gewesen, doch über irgendwelche Geisterwesen, die Schwachsinn laberten, verloren die Medien kein Wort. Im Grunde war das nicht weiter verwunderlich, aber Anya wollte sich nicht so recht damit anfreunden. Natürlich war es ein Indiz dafür, dass sie alles nur geträumt hatte, was mit Levrier zusammenhing. Doch andererseits würde es auch bedeuten, dass in ihrem Oberstübchen ein paar Zahnräder nicht geölt waren. DAS war noch viel schlimmer. Und das Internet war auch keine Hilfe gewesen, es gab keine hilfreichen Einträge unter „Levrier“ bei allen gängigen Suchmaschinen. Alles war scheiße!   Sie hielt schließlich frustriert vor einem zweistöckigen, gelben Haus. Am Briefkasten stand der Name Harper – Nicks Familienname. Wie üblich war von ihrem Freund weit und breit keine Spur. Als ob er jemals schon fertig gewesen wäre, wenn sie ihn abholen kam. Wahrscheinlich schlief er noch, wie immer. Anya schritt über das zaunlose Grundstück und klingelte an der Tür. Keine zwei Sekunden später öffnete Nicks schrullige Mutter die Tür, als hätte sie bereits sehnsüchtig auf das Mädchen gewartet. „Anya“, strahlte sie mit schiefem Grinsen. „Guten Morgen. Komm doch rein. Nick schläft noch.“ Sie machte eine einladende Geste. „Morgen, Mrs. H“, antwortete Anya und trat in den Flur ein. Sie wollte bloß schnell weg von dieser Frau, die sich seither in den Kopf gesetzt hatte, ihren Sohn Nick um jeden Preis unter die Haube zu bringen. Und Anya hatte sie als Braut – sprich: Opfer – auserkoren.   So begleitete Mrs. Harper Anya, als sie die Treppen hinauf stieg und hielt sich dabei so dicht hinter dem Mädchen, dass dieses ihren Atem im Nacken spürte. „Sie … können ruhig gehen, Mrs. H. Ich finde den Weg zu Nicks Zimmer schon … seit Jahren“, kommentierte Anya das in einer Mischung aus Trotz und Misstrauen. „Oh? Natürlich“, antwortete die kleine, hagere Frau mit den kurzen, braunen Locken enttäuscht. Ihr Gesicht erinnerte mit der spitzen Nase entfernt an einen Adler und Anya wusste, dass sich hinter der netten Fassade ein Raubtier schlimmster Sorte versteckte. „Möchtest du vielleicht einen Muffin? Ich habe vorhin welche gebacken. Du könntest sie mit Nick essen.“ „Nein danke, ich habe schon gefrühstückt.“ Auch wenn es sicherlich interessant gewesen wäre zu sehen, wie viele Muffins man auf einmal in Nicks Mund gezwängt werden konnten. „Schade. Na dann, wecke doch bitte Nick. Und sei sanft.“ Sie zwinkerte verschwörerisch und machte auf den Stufen Kehrt.   Anya schüttelte den Kopf. Die alte Krähe wollte sie doch nur mit Nick zusammenbringen, damit der endlich auszog. Mrs. Harper wollte aus seinem Zimmer nämlich eine Nähstube machen. Obwohl man sie nie nähen sah! Nicks Familie war einfach verrückt, denn irgendwoher musste er seine Macken schließlich haben. Die einzige normale Person in diesem Haushalt war sein Vater, der Allgemeinmediziner war. Aber den bekam man selten zu Gesicht. Auch egal, sagte sie sich. Wenn die Alte es übertreiben sollte, würde sie Anya von ihrer Schokoladenseite kennenlernen. Und die hieß nicht umsonst Mord und Totschlag.   Die Blondine nahm die letzten Stufen und trat vor Nicks Schlafzimmertür. Sie sollte sanft sein? Kein Problem! Mit einem Tritt stand die Tür offen. „Nick“, brüllte Anya, dass man sie noch bis draußen hören konnte. Ihr Freund, welcher in seinem Bett mit Bugs Bunny-Bettwäsche auf dem Bauch lag und schnarche, rührte sich nicht. „Aufstehen! Wir müssen los!“ „W-was?“, murmelte Nick verschlafen und hob den Kopf an. „Oh? Xena kommt mich in meinem Traum besuchen …“ „Nix mit Xena“, erwiderte Anya aufgebracht und bahnte sich ihren Weg durch die Klamottenberge, die überall im Zimmer verteilt lagen. Bei Nick angelangt, packte sie ihm am Schopf und riss seinen Kopf hoch, damit er ihr direkt in die Augen sehen konnte. „Hi Anya“, grinste er. „Du Schwachkopf, wir kommen zu spät! Mach dich fertig, damit wir los können!“ „Noch fünf Minuten, Mutti …“ Er sackte weg. Schon drückte eine erzürnte Anya seinen Kopf so tief ins Kissen, dass er zu zappeln begann. „Ich krieg' keine Luft mehr!“, kam es dumpf unter dem Kissen hervor. „Ich will nicht durch ersticken sterben, das tut doch weh!“ Anya verzog mürrisch das Gesicht. „Mir doch egal. Als ob bei dir viel kaputt gehen kann.“ Schließlich ließ sie ihn los, da ihr die Lust vergangen war, Nick zu quälen. Selbst das konnte ihre Laune nicht heben.   ~-~-~   Abby und Nick unterhielten sich, während Anya lustlos hinter ihnen her schlenderte. Sie hatten den großen Campus ihrer Schule erreicht und steuerten direkt auf ein mehrstöckiges Gebäude aus Backstein zu. Gleich würde der Horror beginnen, wenn Mr. Stantler sie wieder mit seinen Vorträgen über den Ersten Weltkrieg nervte. Wen interessierte schon Geschichte? „Ich bin ja schon so gespannt, wie es weitergeht. Die Lage in Deutschland ist ja nun aussichtslos und der Versailler Vertrag klingt nicht gerade aufbauend …“ Anya stöhnte genervt. Abby interessierte es. „Deutschland? Ist das nicht einer unserer Bundesstaaten?“, fragte Nick glucksend. Und Nick war zu doof, um den Unterricht folgen zu können. Anya biss sich auf die Lippe. Warum hatte ausgerechnet sie solche uncoolen Langweiler als Freunde? Eine fiese Stimme namens Gewissen flüsterte leise zu ihr: weil sie die einzigen Leute sind, die sich freiwillig mit dir abgeben. Anya verzog das Gesicht. Deshalb dachte sie nie über irgendetwas nach. Es war einfach nur frustrierend!   Ihr Blick streifte über den Schulhof. Rechts von ihr ragte das vierstöckige, weiße Gebäude der Unterstufe aus dem Boden. Vor dem großen Haupteingang tummelten sich verschiedene Cliquen, die ausgelassen miteinander tratschten und lachten. Anya rümpfte die Nase. Sie hatte nie bei irgendwelchen Leuten gestanden und über alles Mögliche palavert. So etwas hatte sie nie nötig gehabt! Trotzig schweifte sie nach links ab, wo die Turnhalle stand. Dahinter lag die Eissporthalle, die seit dem schrecklichen Vorfall geschlossen war. „Unheimlich, oder?“ Abby hatte sich neben sie gesellt und spielte nervös mit einer Strähne ihres braunen Haares. Heute trug sie ein rotes Stirnband und ein graues Kleid – vom Nahen sah es noch schrecklicher aus als sowieso schon, besonders weil es an einigen Stellen geflickt war. „Weiß nicht, was du meinst“, brummte Anya. „Sie sagen, dass Coach Bergmann im Koma liegt, schweres SHT.“ „Red gefälligst in einer Sprache, die ich auch verstehe!“ Abby entschuldigte sich, denn sie hätte wissen müssen, dass Anya selbst mit den gängigsten Abkürzungen nicht zurecht kam. „Schweres Schädel-Hirn-Trauma. Aber niemand weiß etwas Genaues. Fast alle, die aktiv an der Schlägerei beteiligt waren, sind von den jeweiligen Schulen vorübergehend suspendiert worden und werden womöglich bald vor Gericht stehen. Einige von denen sind allerdings in der Irrenanstalt, weil sie Dinge sehen.“ „Irrenanstalt?“, fragte Anya verwirrt und drehte sich zu Abby. „Doch nicht etwa Victim's Sanctuary?“ Das war der Name, den die Bewohner von Livington der psychiatrischen Anstalt auf dem Hügel am Waldrand gegeben hatten. Viele fanden diesen Ort sehr unheimlich, doch nicht so Anya. Sie hatte schon zweimal vor dem hohen Stacheldrahtzaun gecampt und nie war etwas Aufregendes geschehen. „Genau dort. Erinnerst du dich an Jonathan?“ „Dieser Depp aus dem Englisch-Kurs?“   Anya hatte ihn nie leiden können – gut, sie konnte 99,9% der Weltbevölkerung nicht leiden – doch Jonathan war ein besonders fieses Ekelpakt. Er verprügelte die Unterstufler ohne Grund. Anya hingegen tat das nur, sobald sie frech wurden oder ihre Kohle nicht herausrücken wollten, wenn sie selbst wieder einmal pleite war. Als Jonathan eines Tages aber Abby gegenüber einen Tick zu aufdringlich geworden war, war es bei Anya vorbei gewesen. Sie wäre damals fast der Schule verwiesen worden, weil sie ihn krankenhausreif geprügelt hatte. Dabei hatte er noch Freunde um sich gehabt, die sie erst aus dem Weg räumen musste! Alles Memmen waren das gewesen, sagte sie sich mit grimmiger Zufriedenheit, während sie deren wohlklingende Schmerzensschreie noch genau im Ohr hatte.   „Was ist mit dem?“, fragte die Blondine scharf. „Ist er krepiert? Hab ich'n Grund zum Feiern?“ „Nein. Red' nicht so schlecht über andere Menschen. Man wünscht niemandem den Tod.“ Abby verzog schmollend den Mund. „Es gehen Gerüchte um, in denen er behauptet, immer wieder Stimmen zu hören, die ihm sagen, dass er irgendjemand Bestimmtes töten soll. Wer das sein soll sagt er niemandem. Aber Jonathan ist nicht der Einzige, der solche Dinge hört. Allein aus unserer Stufe sind acht Leute in Victim's Sanctuary untergebracht. Und es werden mehr. Auch Leute, die neulich nicht einmal in der Halle waren, hören oder sehen plötzlich etwas, was nicht da ist.“ „Hehe, ich sehe auch manchmal Dinge, die nicht da sind. Wenn ich Fernsehen gucke zum Beispiel.“ Nick grinste die beiden Mädchen schief an. „Pfff, was auch immer. Mir doch egal, was mit diesen Napfsülzen ist.“ Anya verschränkte demonstrativ die Arme. „Geht mich gar nix an.“ „Was Nick wohl sagen möchte ist, dass es dafür bestimmt eine logische Erklärung gibt.“ „Möchte ich das sagen?“, fragte Nick aufrichtig verwirrt und kratzte sich an seinem strubbeligen Kopf. „Trotzdem ist es unheimlich“, meinte Abby und legte ihre Hände auf die Oberarme, als würde sie frieren. „Fast so, als wären Dämonen unter uns. Ich hab viel über sie gele-“ „Wenn du meinst …“, erwiderte Anya gelangweilt und wandte sich von den Sporthallen wieder dem Backsteingebäude zu. Und vor dessen Türen entdeckte sie kurz darauf genau die zwei Personen, die sie niemals im Leben in einem Abstand von unter hundert Metern zusammen sehen wollte. Valerie und Marc. Die redeten. Lachten. Sich in die Augen sahen. Und umarmten.   „Oh oh.“ Abby ahnte, dass eine Katastrophe im Anmarsch war. Anya blies Luft durch ihre Nase wie ein wütender Stier. Dann stampfte sie auf die beiden zu. Abby hatte Probleme, ihrer Freundin bei dem immer schneller werdenden Tempo zu folgen und musste ausweichen, als Anya eine Mitschülerin in ihren Weg schubste, weil die nicht rechtzeitig ausgewichen war. „Muss … töten …“, brachte sie dabei mit unmenschlicher Stimme hervor. „Anya, wir leben in Zeiten von Verständnis und Fürsorge. Alles kann mit einem guten Gespräch gelöst werden“, rief Abby ihr unbeholfen hinterher.   Doch bevor Anya die beiden erreicht hatte, verabschiedeten sich Marc und Valerie und gingen getrennte Wege. Marc hatte nämlich Football-Training, eines der Privilegien der Spieler, die dadurch den ach so wichtigen Geschichtsunterricht verpassten. Valerie hingegen nahm ebenfalls am Geschichtskurs teil und wollte gerade ins Gebäude eintreten, als sie Anya, Nick und Abby entdeckte. Strahlend winkte sie die Drei zu sich herüber. „Hey!“, trällerte sie mit langgezogener Stimme. „Schnauze, Redfield!“, herrschte Anya das Mädchen an, als sie ihm schließlich gegenüber stand.   Valerie war eine ausgemachte Schönheit. Ihr seidiges, schwarzes Haar hing ihr bis zur Hüfte hinab. Braune Rehaugen schmückten das zierliche, kantenlose Gesicht. Unnötig zu erwähnen, dass ihre Figur jedem Mann feuchte Träume bescherte, denn alles saß genau da, wo es hingehörte. In den richtigen Mengen selbstverständlich. Dazu trug sie noch sündhaft teure Markenkleidung, heute zum Beispiel eine weiße Bluse und Hose, alles finanziert von ihrem Vater, dem Bürgermeister von Livington. Kurz: sie war Anyas Version des Teufels. „Sei doch nicht immer so unfreundlich“, beschwerte sich Valerie, „ich habe dir doch gar nichts getan.“ „Sie ist heute etwas schlecht gelaunt“, entschuldigte Abby ein sich wenig heiser sich im Vorbeigehen. Es war kein Geheimnis, dass sie Valerie bewunderte – was nur noch ein Grund für Anya war, dieses Mädchen abgrundtief zu hassen. „Aber sie ist immer schlecht gelaunt“, klang Valerie aufrichtig besorgt. „Vielleicht sollte sie mal eine Stresstherapie anfangen? Nicht, dass sie unter dem ganzen Druck noch zusammenbricht. Die Schule ist hart geworden, wir sind schließlich der Abschlussjahrgang.“ Anya wirbelte herum. „Du brauchst gleich 'ne Therapie, Redfield! Ne Schmerztherapie!“ Die zuckte verwirrt mit den Schultern. „Ich meine es doch nur gut. Du bist manchmal wirklich unausstehlich, weißt du das?“ Mit diesen Worten stolzierte sie an den Dreien vorbei und war kurz darauf in einem der Gänge des Schulgebäudes verschwunden. Insgeheim dachte Abby, dass Anya vermutlich gar nicht mitbekam, wie sie auf die Menschen um sie herum wirkte. Sie seufzte und folgte ihren Freunden schließlich, als diese zum Klassenraum wollten.   ~-~-~   Anyas Laune hatte sich nicht gebessert. Im Gegenteil, sie war eine tickende Zeitbombe die nur darauf wartete, hochgehen zu dürfen. Sie, Nick und Abby saßen an ihrem Stammtisch draußen vor der Kantine und aßen ihr Mittagessen unter dem klaren, blauen Himmel. Nur hatte Anya keine Augen für die Schönheit des Spätsommers, sondern für die zwei Personen, die zusammen derart gemischte Gefühle in ihr verursachten, dass sie davon Magenkrämpfe bekam. Valerie und Marc aßen zusammen am selben Tisch, keine zehn Meter von ihnen entfernt. „Das hat er noch nie gemacht“, wiederholte Anya sich zum vermutlich fünfzigsten Mal. „Der hat noch nie mit ihr zu Mittag gegessen. Und wie er sie ansieht! Er ist so umwerfend …“ Marc war ein hochgewachsener, junger Mann mit kurzem, dunklem Haar und einem Kinnbart. Sein Gesicht hatte etwas natürlich Freundliches, was teilweise am noch leicht vorhandenen Babyspeck lag. Dennoch war er sehr durchtrainiert, wenn auch nicht so breit gebaut wie die anderen Footballspieler seines Teams. Zudem hatte er wunderschöne braune Augen und ein Lächeln, für das Anya im wahrsten Sinne des Wortes töten würde.   „Das ist nicht fair! Wieso die und nicht ich!?“ Abby seufzte. Seit Marc vor etwa einem Jahr nach Livington gezogen war, kannte Anya kaum noch ein anderes Thema. Vor ihm hatte sie vermutlich nicht einmal um Valeries Existenz gewusst und nun tat sie so, als wäre sie der Ursprung alles Bösen. Aber dass Anya sich in Marc verguckt hatte, stimmte Abby zumindest positiv in der Hinsicht, dass ihre Freundin tatsächlich zu Emotionen imstande war, die nicht Wut, Hass oder Neid hießen. Das brünette Mädchen zuckte mit den Schultern. „Vielleicht weil du noch nie mit ihm geredet hast?“ „Doch, einmal. Am 8. März diesen Jahres gegen elf, da hat er mich gefragt, ob er bei mir Mathe abschreiben kann.“ „Kein Wunder, dass er seitdem nicht mehr mit dir redet“, gluckste Nick. Anya musste nur die Faust hochheben, da schreckte der junge Mann so zurück, dass er samt seinem Stuhl umkippte. Doch keiner der Schüler um sie herum lachte, denn sie wussten, dass sie auch dort liegen würden, wenn sie Anyas Freunde verspotteten. „Ha-da-haaa-da da da da!“ Anya zeigte plötzlich mit zitterndem Arm auf Marc und Valerie. Letztere beugte sich plötzlich in eindeutiger Pose über den Tisch und kam mit ihrem Gesicht dem von Marc näher. Anya schrie: „Die will ihn küssen! Was soll ich tun, was soll ich tun!?“ Hilflos wandte sie sich an ihre Freunde. „Mach mit“, riet Nick ihr und zwinkerte mit beiden Augenbrauen, dreckig grinsend. „Tu, was du immer tust“, meinte Abby mit resignierendem Tonfall. Das Unglück war ja doch nicht aufzuhalten. Aber es war schon zu spät. Valerie hatte … Marc einen Krümel aus dem Bart gezogen. „Das wird sie mir büßen!“, fauchte Anya aufgebracht und sprang von ihrem Stuhl auf.   Mit angespannten Oberkörper stampfte sie in bester Rambo-Manier auf den Tisch der beiden zu und baute sich bedrohlich vor Valerie auf. Die bemerkte Anya erst, als Marc sie mit einer Handbewegung auf die Blondine hinwies. Neugierig drehte Valerie sich um und lächelte erfreut. „Oh, Anya, schön dich zu sehen. Wir haben gerade über dich gesprochen. Willst-“ „Du lästerst also über mich, was Redfield?“ „Ne-nein.“ Valerie hob entschuldigend die Hände. „Ich wollte nur-“ „Du und ich, Frau gegen Frau, keine Messer, Baseballschläger oder anderen Gegenstände, die sich als Waffen qualifizieren. Nur unsere Fäuste!“ Valerie stand nun vorsichtig auf. „Anya, bitte, ich wollte dich nicht verärgern. Wir haben nur gerade darüber geredet, dass du nicht mehr Reservespielerin sein musst – falls wir dieses Jahr noch spielen. Eishockey, verstehst du?“ „Mir doch egal!“, fauchte Anya und spuckte ihr Gegenüber dabei mehr oder weniger versehentlich an. „Wir klären das jetzt auf ganz traditionelle Art und Weise!“ „Aber es gibt doch gar nichts zu klären!“ Völlig aufgelöst wandte Valerie sich an Marc, doch der zuckte nur ebenso verwirrt wie sie es war mit den Schultern. „Klar gibt es das! Du hast … hi Marc.“ Der Wechsel ihrer Stimmlage von zornig-raunend zu friedlich-verträumt kam so plötzlich, dass er Anya selbst ein wenig erschrak. Nicht, dass es sie störte. „Hi.“ Gab der nur tonlos von sich, was aber reichte, um das Mädchen innerlich Freudensprünge vollführen zu lassen. Sie sah auf ihre Armbanduhr: 12:49 und es war Donnerstag, der 5. September – ein denkwürdiges Datum!   Schließlich wandte sie sich wieder an Valerie. „Also? Bist du ne Memme oder hast du den Mut, dich mit mir zu messen? Ach was frag ich überhaupt!“ Mit ausgestreckten Armen wollte sie über ihre verhasste Erzrivalin herfallen, doch die trat einen Schritt zurück und hob die rechte Hand. „Stopp!“ Ihr Ton hatte sich verändert und war nun ebenso wütend wie der Anyas. „Keine Ahnung, welche Laus dir heute über die Leber gelaufen ist, aber es reicht! Ich weiß ja nicht, woher deine Abneigung mir gegenüber herkommt, aber wenn du dich wirklich mit mir anlegen willst, bitteschön. Aber nicht so!“ Anya zwinkerte verwirrt. „Wie denn dann?“ „Ein Duell“, antwortete Valerie bestimmend. „Du wirst wohl einsehen, dass ich dir körperlich nicht das Wasser reichen kann. Es wäre nicht fair und ich erwarte von dir zumindest so viel Charakter, dass du das einsiehst. Im Duell hingegen sind die Chancen gleichmäßig verteilt. Also, was sagst du?“   Was bildete sich diese Ziege ein, fragte Anya sich wütend. Als ob es sie scherte, ob irgendein Kampf fair war oder nicht. Es gab nur Gewinner und Verlierer, mehr nicht. Und sie hatte nicht vor, zu Letzterem zu gehören. Andererseits … sie sah Marc an, dessen Blick erwartungsvoll an ihr haftete. Vermutlich wäre es nicht die beste Idee, vor seinen Augen jemanden zu verdreschen, der ihm etwas zu bedeuten schien. So ein Mist aber auch! Obwohl … eigentlich war das Duell gar kein so schlechter Einfall von Valerie. So konnte sie Marc zeigen, dass mehr in ihr steckte, als nur rohe Gewalt. Vielleicht würde er dann endlich Notiz von ihr nehmen?   „'kay“, brummte sie schließlich gönnerhaft. „Bin ja kein Unmensch.“ „Dann schlage ich vor, dass wir unsere Duel Disks holen. Meine ist im Spind.“ „Meine auch. In zehn Minuten, genau hier. Und wehe, du bist dann nicht da, wenn ich zurück bin.“ Valerie rollte genervt mit den Augen. „Glaub mir, du wirst dir noch wünschen, dass ich nicht gekommen wäre.“   ~-~-~   Die beiden jungen Frauen standen sich mit voller Entschlossenheit in ihren Mienen gegenüber. Valerie, die sich Anyas Frechheiten nicht länger gefallen ließ und natürlich Anya selbst, die nur darauf wartete, ihrer Erzfeindin eine saftige Abreibung zu verpassen. Sie befanden sich nahe der großen Eiche bei den Sporthallen, auf der großen Wiese des Campus, umringt von einer Traube neugieriger Schüler. Ausnahmslos alle feuerten Valerie an, doch das störte Anya nicht im Geringsten. Sie hat nur ein Ziel vor Augen: das andere Mädchen nach allen Regeln der Kunst zu demütigen. „Können wir anfangen?“, fragte die ungeduldig. „Klar doch.“ Anya grinste, doch als plötzlich das Bild der falschen, bösartig wirkenden Anya vor ihrem inneren Auge erschien, hörte sie sofort damit auf. Warum fing das gerade jetzt an!? Sie wollte sich nicht daran erinnern! Albträume waren scheiße! Es war gerade einmal genug Platz für die beiden, um sich vernünftig duellieren zu können. Aus dem immer größer werdenden Kreis der Schülerschaft gab es kein Entkommen. Ganz vorne in der ersten Reihe, hinter Anya, standen Nick und Abby. Selbst sie feuerten ihre Freundin nicht an, denn gerade Abby empfand das Verhalten der Blondine als fürchterlich übertrieben. Sie wollte sie darin nicht noch bestärken. „Duell!“, riefen die beiden Frauen schließlich voller Eifer.   [Anya: 4000LP / Valerie: 4000LP]   „Die Herausforderin fängt an!“, entschied Anya unwirsch und zog zu ihrem Startblatt eine sechste Karte, ehe Valerie widersprechen konnte. Pah, dachte sie sich dabei schadenfroh, das funktionierte wirklich jedes Mal! Ihre Hand musternd, überlegte Anya, wie sie am besten vorgehen sollte. Wieder kamen die Erinnerungen an das Duell mit Levrier. Wie sein Höllenhund ihr so real erschienen war, wie er ihr durch die Zerstörung ihres Monsters Schmerzen zugefügt hatte. Sie schüttelte widerwillig den Kopf. Nein, dieses Mal würde sie sich nicht überrumpeln lassen. Es war ohnehin alles nur ein Traum gewesen! Dennoch entschied Anya sich letztlich, dieses Mal einen defensiven Eröffnungszug zu spielen. Mit den Karten in ihrer Hand war das auch nicht weiter schwer. „Ich aktiviere [Gem-Knight Fusion]! Damit verschmelze ich [Gem-Knight Sapphire] und [Gem-Knight Emerald] von meiner Hand! Sapphire, du bist das Herz, Emerald, du die Rüstung! Los!“ Ein bunter Wirbel bestehend aus etlichen, tanzenden Edelsteinen erschien über ihr. Sapphire, der Ritter des Saphirs in seiner blauen Rüstung und Emerald, der Krieger in blassgrüner Rüstung und Herr der Smaragde, wurden in den Strom hineingezogen und schufen aus ihrer Lebensessenz ein neues Monster. Dieses ging vor Anya in die Knie. Er war ein Krieger in dunkelblauer Rüstung und gleichfarbigem Umhang, welcher einen Schild am rechten Arm trug, in dem ein wunderschöner Aquamarin steckte. Eine Klinge, aus ebenjenem Edelstein geschmiedet, ragte aus dem Schild hervor. „Beschütze mich, [Gem-Knight Aquamarine]!“   Gem-Knight Aquamarine [ATK/1400 DEF/2600 (6)]   „Dazu setze ich noch zwei Karten verdeckt“, donnerte Anya ehrgeizig und schob die Fallen in die Schlitze ihrer guten, alten Battle City-Dueldisk. Ihr Vater, dem sie einst gehört hatte, war einer der Teilnehmer des mittlerweile legendären Duellturniers gewesen. Und auch wenn er es nicht in die Finalrunden geschafft hatte, war Anya mächtig stolz auf diese Tatsache – und wurde in diesem Zuge auch nie müde, es jedem zu erzählen, der nicht imstande war wegzurennen. Die beiden Karten erschienen mit dem Bild nach unten gerichtet vor ihren Füßen. „Das war's erstmal von mir. Na dann zeig mal, was du so kannst, Redfield!“   Valerie strich sich durch das lange, schwarze Haar und legte den Kopf in den Nacken. Die Geste hatte etwas Abfälliges an sich, was Anya augenblicklich zur Weißglut trieb. Aber sie beherrschte sich, solange Marc zusah. Warum stand der bloß auf Valeries Teil des Spielfelds? Was hatte die, was sie nicht hatte!? „Du wolltest es nicht anders, Anya. Sag nicht, ich hätte nicht versucht, dich davon abzuhalten. Aber manche lernen es nie“, sprach Valerie siegessicher. Dann zog sie so schwungvoll und zugleich elegant, dass ihre Gegnerin schon überlegte, nicht vielleicht doch mit der Duel Disk, statt den Karten darauf, zuzuschlagen. Ihre Rivalin hielt eine Monsterkarte zwischen Mittel- und Zeigefinger, ganz nah an ihrem Gesicht. Die braunen Augen funkelten vor Entschlossenheit. „Ich rufe [Gishki Chain]!“ Aus einer großen Wasserlache, die plötzlich entstand, schoss eine grüne Amphibie mit dem Körperbau eines Menschen. Um seinen Körper herum hatte das Wesen eine lange Kette gewickelt, die es jetzt schwang – doch völlig unerwartet in Valeries Richtung.   Gishki Chain [ATK/1800 DEF/1000 (4)]   Die Kette verschwand mitten in Valeries marineblauer Duel Disk, die sie nun in die Höhe hielt. „Wenn [Gishki Chain] als Normalbeschwörung gerufen wird, sehe ich mir die obersten drei Deckkarten an. Sollten darunter Ritualmonster- oder Zauberkarten sein, kann ich eine davon meinem Blatt hinzufügen.“ Als digitales Abbild erschienen vor Valerie drei Karten. Auch Anya konnte ihre Vorderseite sehen, da die Karten jene beidseitig zeigten. Einmal war da das Effektmonster [Gishki Ariel], dann die Falle [Torrential Tribute] und … ein blau-umrandetes Monster, [Evigishki Soul Ogre]. Ein Ritualmonster! Valerie, die die drei Karten in der Hand hielt, behielt die unheimliche Kreatur und legte die anderen beiden Karten auf ihr Deck zurück. „Ich werfe jetzt [Gishki Vanity] von meiner Hand ab, um seinen Effekt zu aktivieren“, sagte Valerie. Hinter ihr erschien ein Mann mit schwarzem Haar, gekleidet in ein Priestergewand. Er flimmerte jedoch nur kurz auf und war dann verschwunden. „Und was sollte das jetzt?“, herrschte Anya ihre Gegnerin an. „Wart ab, du wirst es schon sehen.“ Lautete die unbefriedigende Antwort. „Bis dahin aktiviere ich die Ritualzauberkarte [Gishki Aquamirror]. Hast du Einwände?“ „Ja, aber dagegen unternehmen kann ich nichts“, maulte Anya widerwillig. Valerie lächelte zufrieden. Sie schien Spaß an dem Spiel zu haben, was der Blondine überhaupt nicht gefiel. „Mit diesem Spiegel kann ich [Evigishki Soul Ogre] beschwören, wenn ich genug Opfer darbiete, um seiner Stufe gleichzukommen. Oh, und sie ist 8.“ Ein goldener Spiegel erhob sich vor Valerie. In ihrem spiegelte sich die Karte, die Valerie als Tribut anbieten wollte. Es war ein Effektmonster, Anya konnte es nicht genau erkennen … aber es gehörte eindeutig der Stufe 4 an, wie sie anhand der orangefarbenen Sterne am oberen, rechten Kartenrand erkennen konnte! „Hey, das ist zu wenig! Du musst mehr-“ „Bist du immer so vorlaut, Anya?“, unterbrach Valerie sie spitz. „Natürlich reicht es nicht, aber das spielt gar keine Rolle, weil [Gishki Shadow] ohnehin alle Kosten für die Ritualbeschwörung eines Wasser-Monsters übernimmt. Und nun sieh her, denn aus endlosen Kristallfontänen erscheint [Evigishki Soul Ogre]!“ Und es war genau so, wie Valerie es beschrieben hatte. Mehrere Wassersäulen schossen aus dem Boden empor, sie alle waren glasklar und bildeten nach und nach einen großen Kreis inmitten von Valeries Spielfeldseite, welcher sie vor Anyas Blicken abschirmte. Als die Säulen nahtlos ineinander übergingen, tauchte hinter ihnen ein riesiger Schatten auf. Die Fontänen verebbten und ließen etwas zurück, von dem Anya nie geglaubt hätte, dass ein so damenhaftes Wesen wie Valerie es je ausspielen würde. Es war wie eine Mischung aus Mensch, Amphibie und Dinosaurier. Das Ungetüm stand auf zwei Beinen, hatte dunkelblaue, schuppige Haut und eine feinen Kamm aus Schwimmhäuten, der von seinem Haupt hin zu seiner massiven Schwanzflosse reichte. Das eigentümlichste Merkmal war aber der Kopf, der eher zu einem Dinosaurier passte, als zu einem Meeresbewohner. Das über drei Meter große Ungeheuer gesellte sich zu seinem Kameraden.   Evigishki Soul Ogre [ATK/2800 DEF/2800 (8)]   Anya war beeindruckt. Das Ding vermochte es sogar, die ohnehin schon ziemlich hohe Verteidigung ihres Ritters zu durchbrechen. Aber dazu würde es gar nicht erst kommen! „Verdeckte Falle aktivieren! [Bottomless Trap Hole]!“ Sie drückte hitzig den Knopf, der die Aktivierung auslösen sollte. Einmal, zweimal, aber egal wie oft sie es versuchte, nichts geschah. „Das brauchst du gar nicht zu versuchen“, rief Valerie. „Erinnerst du dich an [Gishki Vanity]? Er verhindert, dass du auf die Beschwörung von meinem Soul Ogre reagieren kannst. Deine Falle ist blockiert und wird dir nichts mehr nützen, denn sie kann nur aktiviert werden, wenn ein Monster mit 1500 oder mehr Angriffspunkten gerufen wird. Diesen Zeitpunkt hast du jetzt aber verpasst!“ Vor Wut knirschte Anya mit den Zähnen. „Schön, diese Runde geht an dich.“ Aber du wirst dich noch wundern, dachte sie mit grimmiger Zufriedenheit. Denn Aquamarine hatte noch eine böse Überraschung parat. „Ich nutze jetzt den Effekt von Soul Ogre und lege [Gishki Marker] ab, damit ich eine deiner offenen Karten auf dein Deck zurückschicken kann!“ „Oh fu-!“ Valerie hielt die Karte hoch in die Luft, bis sie zu Wasser wurde und von ihrem Ungetüm eingesaugt wurde. Dieses schoss dann einen gewaltigen Wasserstrahl auf Aquamarine.   Anya konnte es nicht fassen. Nicht nur, dass diese hinterhältige Sumpfkuh ihren Ritter so einfach beseitigt hatte, nein, er wurde auch ins Extradeck geschickt. Um seinen Effekt aber einzusetzen und den Seelenoger auf Valeries Hand zu geben, hätte Aquamarine den Friedhof betreten müssen. So ein Mist! Plötzlich stand Anya völlig ungeschützt da, sie hatte nur noch ihre verbliebene Falle.   „Ich hoffe du verstehst jetzt, wovon ich gesprochen habe“, sagte Valerie stolz. „Ich bin vielleicht keine Sportskanone, so wie du, aber dafür in anderen Dingen wesentlich geschickter. Es wäre nett, wenn du mich in Zukunft in Ruhe lassen würdest, okay?“ Anya gab nur einen genervten Zischlaut von sich. Diese dumme Schnepfe wurde langsam unerträglich. Ebenjene strecke den Arm aus und zeigte direkt auf ihre Gegnerin. „[Gishki Chain], [Evigishki Soul Ogre], eure vereinte Angriffskraft reicht aus, um sie mit einem Schlag zu besiegen. Also tut eure Pflicht!“ Die Blondine schreckte zurück. Valerie hatte vollkommen recht, sie würde diesen Angriff nicht überstehen. Und verhindern konnte sie ihn auch nicht. Sie sah panisch auf ihre Duel Disk. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie die Kette von der einen und ein gewaltiger Wasserstrahl von der anderen Seite auf sie zugeschossen kamen. Sie konnte die Attacke nicht aufhalten … aber den Schaden eindämmen! „Verdeckte Falle! [Inverse Universe]!“ Die vor ihr liegende Karte sprang auf. Plötzlich wurden Valeries Monster in die Knie gezwungen. Die Angriffe von beiden Seiten blieben mitten in der Luft stehen, als hätte jemand die Zeit angehalten. Valerie kniff skeptisch die Augen zusammen. „Was wird das, wenn es fertig ist?“ „Damit verdrehe ich die Angriffs- und Verteidigungswerte aller Effektmonster auf dem Feld dauerhaft.“ „Mehr nicht?“ Anya biss sich auf die Lippe. Mehr nicht? Verdammter Mist, dadurch würde sie den Zug überstehen! Diese arrogante Ziege ging ihr so was von auf den Keks!   Gishki Chain [ATK/1800 → 1000 DEF/1000 → 1800 (4)] Evigishki Soul Ogre [ATK/2800 → 2800 DEF/2800 → 2800 (8)]   Die Zeit hatte zu ihren Wurzeln zurückgefunden. Die Angriffe trafen Anya, doch gingen durch sie hindurch wie ein Hauch von nichts. Dennoch schützte sie sich mit ihren Armen, denn sie rechnete mit Schmerzen. Eine Angewohnheit, die sie offenbar durch die Begegnung mit Levrier, dem Nicht-Existierenden, angenommen hatte. Und sie hasste es.   [Anya: 4000LP → 200LP / Valerie: 4000LP]   Laute Jubelrufe erklangen von den Schülern, sie alle galten Valerie. „Verliert Anya gerade?“, fragte Nick heiter. Abby seufzte. „Ja. Hast du was anderes erwartet?“ „Klar! Schlammcatchen!“ Das Hippie-Mädchen verdrehte die Augen. Warum hatte sie überhaupt gefragt?   Anya indes hatte sich gefangen. Noch war sie nicht aus dem Rennen und würde schon einen Ausweg aus dieser Misere finden. „Ich setze meine letzte Handkarte verdeckt“, verlautete Valerie. „Du bist dran.“   Ihre Gegnerin ballte eine Faust. Anya musste jetzt ein glückliches Händchen beweisen, sonst würde sie auf ewig die Lachnummer der ganzen Schule sein. Es war zwar selbstverständlich, dass sie jedem den Hals umdrehen würde, der es wagte über sie laut zu lachen. Ihren Ruf hingegen würde sie dadurch nicht retten können. Sie durfte nicht gegen Valerie verlieren! „Draw!“, fauchte sie wie ein wild gewordener Löwe. Und was sie in den Händen hielt, gefiel ihr – das normale Monster [Gem-Knight Tourmaline]. „Effekt von [Gem-Knight Fusion] aktivieren. Ich verbanne einen Gem-Knight aus meinem Friedhof und bekomme meine Zauberkarte dafür von ebenjenem zurück!“ Sie nahm Sapphire und steckte ihn in ihre Hosentasche, während der Zauber in ihr Blatt wanderte. „Und jetzt mit Schmackes! [Gem-Knight Fusion]! Dieses Mal aber auf eine etwas andere Art und Weise! [Gem-Knight Tourmaline], du bist das Element, [Gem-Knight Garnet], du der Ursprung! Vereinigt eure Kräfte und werdet zu [Gem-Knight Prismaura]!“ Aus dem Wirbel aus Edelsteinen, der entstanden war und die Ritter in jeweils goldener und bronzener Rüstung absorbiert hatte, trat ein völlig neues Geschöpf hervor. Er hatte keine Ähnlichkeit mit seinen Vorgängern. Der Ritter trug eine Lanze ganz aus Kristall sowie einen runden Schild. Aus den Schulterplatten des Kriegers ragten ebenfalls große Kristalle und sein Helm war mit Hörnern verziert, was ihm eine eigentümliche Note verlieh.   Gem-Knight Prismaura [ATK/2450 DEF/1400 (7)]   „Und weil's so lustig war, gleich nochmal. Ich verbanne Garnet und erhalte meine [Gem-Knight Fusion] zurück.“ Anya hielt die Karte in die Höhe, als würde sie dadurch den Himmel berühren können. „Prismaura, Effekt aktivieren! Nur einmal pro Zug kann ich eine Gem-Knight-Karte abwerfen, um eine offene Karte meines Gegners zu zerstören!“ Sie schickte ihre eben erst zurück erhaltene [Gem-Knight Fusion] dorthin, wo sie hergekommen war – auf den Friedhof. Anya zeigte auf den Seelenoger. „Rest in Pieces, Miststück!“ Ihr Ritter richtete seine Lanze auf das Ungetüm und schoss aus dem Kristall einen gleißenden Lichtstrahl, der [Evigishki Soul Ogre] in einer grellen Explosion vernichtete. Valerie, ernsthaft erschrocken, wich einen Schritt zurück. Doch sie fasste sich schnell wieder. „Gut gemacht. Aber das allein reicht nicht, um mich unterzukriegen. Komm ruhig her und greif mich an – wenn du dich traust, natürlich!“ Das ließ Anya sich nicht zweimal sagen. „Worauf du Gift nehmen kannst, Redfield! Los Prismaura, Divine Lance Strike auf [Gishki Chain]!“ Der Krieger warf seine Lanze in die Luft und packte sie am Griff, zum Wurf bereit. Mit aller Kraft schleuderte er sie in Richtung Valerie, die aber nur darauf gewartet zu haben schien. „Falle! [Poseidon Wave]! Damit stoppe ich den Angriff und-“   Die Hologramme verschwanden ohne Vorwarnung. Einen Moment lang ging verwirrtes Gemurmel durch die Schülerschaft. Anya, die erst nicht wusste, was geschehen war, schaute auf ihre Duel Disk. Die Lebenspunkteanzeige war schwarz und ein Blick auf Valerie verriet, dass es ihr nicht anders erging. Das Duell war kurz vor dem Höhepunkt unterbrochen worden. „Was für ein verdammter Kackmist ist das denn!?“, fauchte Anya. Plötzlich streifte etwas ihre Wange. Regen. Sie sah nach oben und bemerkte erst jetzt, dass der Himmel in tiefem Grau über ihnen stand. Es blitzte und donnerte.   Die enttäuschte Traube löste sich langsam auf. Abby und Nick eilten zu Anya, die schimpfte wie ein Rohrspatz. „Anscheinend haben die hiesigen Server der AFC schlapp gemacht“, meinte ihre Freundin, doch das war keine Entschuldigung für Anya. Wenn sie den Kampf nicht so entscheiden konnten, mussten sie sich eben doch prügeln! Sie suchte nach Valerie, doch die war nirgendwo mehr zu sehen. Und Marc auch nicht, wie Anya enttäuscht feststellen musste. Schwere Regentropfen prasselten auf sie nieder. „Wir sollten reingehen“, meinte Abby, „sonst erkälten wir uns noch. Mutter Natur ist zwar gütig, aber auch etwas launisch und ich möchte mich eigentlich nicht mit ihr anlegen.“ „Von mir aus.“ Anya rümpfte die Nase. War dieses Miststück doch tatsächlich davongekommen! Aber was war diese Fallenkarte, die sie zum Schluss aktiviert hatte? Valerie schien so selbstsicher, als sie sie ausgespielt hatte. Was Anya nur umso wütender machte. Die Drei eilten auf das Backsteingebäude zu, um ins Trockene zu gelangen. „Schon komisch“, meinte Abby dabei nachdenklich. „Wo kommt auf einmal dieses Gewitter her? Vor fünf Minuten war der Himmel noch völlig wolkenfrei.“ „Zauberei!“, gluckste Nick und erntete natürlich nur Gestöhne. Anya Bauer!   Das Mädchen wirbelte erschrocken um. Diese Stimme, das war- Unter schrecklich lautem Getose schlug ein Blitz gar nicht weit von der Schule ein. Anya war geblendet von seiner Intensität, doch sie hatte ihn genau gesehen. Und er hatte so seltsam ausgesehen, irgendwie viel zu rot und massig für einen normalen Blitz. Und diese Stimme … „Boah, das war cool“, gluckste Nick begeistert. Mittlerweile waren sie alle klitschnass, doch Anya fühlte sich plötzlich so unwohl, dass sie sich nicht vom Fleck rühren konnte. Dieser Blitz, die Stimme, das abgebrochene Duell. Was ging hier vor sich? „Leute“, sagte sie langsam. „Ich … geh mir das anschauen.“ „Was anschauen?“, wollte Abby verwirrt wissen. „Den Blitz … die Einschlagstelle …“ Sie fing sich wieder. Ihre Freunde sollten bloß nicht ahnen, dass ihr das alles ein wenig unheimlich war. Betont lässig meinte sie: „Ist bestimmt cool, vielleicht brennt es sogar irgendwo. Kommt ihr mit?“ „Anya, bist du verrückt? Der Unterricht fängt in ein paar Minuten wieder an! Wir können jetzt nicht dorthin.“ Abby sah sie fordernd an. Aber sie musste, dachte Anya sauer. Da war irgendetwas, sie spürte es im linken, großen Zeh – und der hatte sich noch nie getäuscht. Und sollte es ausnahmsweise doch so sein, umso besser. Bloß würde sie das nie erfahren, wenn sie hier Wurzeln schlug. „Mir doch egal“, schnaubte sie und rannte auf das Ausgangstor des Campus zu. Abby streckte ihre Hand nach Anya aus, seufzte dann. „Die bringt mich noch irgendwann ins Grab mit ihren Ideen. Kommst du auch mit, Nick?“ „Wohin?“, fragte der aufrichtig ahnungslos. Doch Abby hatte ihn längst stehen lassen und war Anya gefolgt.   ~-~-~   Keuchend blieb Anya mitten auf der Straße stehen, die sie als Einschlagstelle vermutete. Mindestens zehn Minuten war sie gerannt, aber die Anstrengungen wurden belohnt. Ihre Ahnung hatte sich als richtig erwiesen, hier war es geschehen. Ein gewaltiger, mehrere Meter breiter Brandfleck prangerte mitten auf dem Asphalt. Er sah seltsam aus, unnatürlich rund und in seiner Mitte war die Straße völlig unbeschädigt und sauber. Tatsächlich war nur der dünne Rand des Kreises verkohlt.   „Hab … ich dich ...“ Anya erschrak. Abby stand hinter ihr und stützte sich von den Knien ab. Sie war völlig außer Atem und genauso pitschnass wie Anya. Nick hingegen war nirgendwo zu sehen. „Du hättest ruhig … etwas langsamer …“ „Stell dich nicht so an“, raunte die Blondine und trat näher an den Kreis heran. Abgesehen von der merkwürdigen Form war nichts Ungewöhnliches an ihm festzustellen. Ihr Blick wanderte weiter über die Straße und blieb an etwas in der Ferne haften, das am Boden lag. „Hey, Abby, was ist das denn?“ Die sah auf und schielte durch ihre getönte Brille. „Sieht aus wie 'ne tote Katze. Oh, das arme Tier.“ „Das ist keine Katze, dafür ist es zu groß.“ Skeptisch näherte sich Anya dem grauen Objekt. Dann blieb sie wie gelähmt stehen. Das war kein Tier, sondern ein Mensch! Das graue Ding war eine Jacke. „Abby … ruf 'nen Krankenwagen“, forderte Anya tonlos und rannte zu dem Verletzten. „Was, aber-“ „Mach schon, der Kerl ist fix und alle!“ „O-okay!“ Das Mädchen eilte auf die liegende Gestalt zu, vielleicht konnte sie noch etwas für sie tun. Doch vor ihr angekommen wusste Anya, dass es für einen Arzt längst zu spät war. Dort lag nur noch ein Gerippe, bedeckt von schlaffer Haut. Das Fleisch, die Muskeln, die Organe … alles schien fort. Selbst die Augen waren nur noch leere Hüllen, die Haut verschrumpelt und aufgesprungen, verkohlt und stinkend. Anya wollte schreien, doch kein Laut drang aus ihrer Kehle. Sie stand vor einer verdammten Leiche und konnte nicht einmal schreien!   Sie bemerkte nicht, dass jemand sie beobachtete. Im Gebüsch am gegenüberliegenden Straßenrand stand eine durch Schatten verhüllte Person und verfolgte voller Schadenfreude, wie Anya in die Knie ging. „Anya Bauer heißt sie? Ist sie eine von denen?“ Er machte ein Geräusch, das Verständnis ausdrücken sollte und nickte. „Dann werde ich sie vernichten, wie diesen Trottel dort. Was sagst du, nicht 'Another'? Schade. Wie? Ich soll noch etwas warten? … verstehe. Also schön, eine andere Wahl bleibt uns wohl nicht. Ich hoffe, sie genießt ihre letzten Atemzüge … dämonische Brut!“   ~-~-~   Anya blickte unentwegt in den Spiegel, sah ihr immer noch nasses Antlitz und war doch an einem fernen, gedankenlosen Ort. Sie und Abby hatten der Polizei alles geschildert, alles genau beschrieben und waren schließlich von ihren Müttern abgeholt worden. Jetzt stand sie im Flur, die Hände von Sheryl auf den Schultern und blickte in die Leere. Ihre Mutter war leichenblass, die dunkelblonde Dauerwelle durch den Regen außer Form geraten. Leichen … Anya hatte noch nie zuvor eine gesehen. Es war ganz anders, als wenn man sich ausmalte, wie man Valerie um die Ecke brachte. Das waren nur Fantasien, aber der Tote dort war real gewesen. Und die Stimme hatte sie erst dort hingeführt. Levriers Stimme. „Liebling, kannst du … soll ich dir helfen?“ „Nein, Mum“, antwortete Anya mechanisch. Sie öffnete den Reißverschluss ihrer etwas zu großen Lederjacke, während ihre Mutter resignierend von dannen schritt. Anyas Blick lag gebannt auf ihrem Ebenbild. An den blauen Augen, dem durchnässten, blonden Pferdeschwanz und den harten Gesichtszügen war nichts Ungewöhnliches auszumachen. Und doch! Es war, als würde sie nicht sich selbst ansehen, sondern eine völlig fremde Person. Jemanden wie Levrier. War er zurück? Hatte er das etwa getan? Aber sie hatte ihn doch vernichtet! Nein, das konnte nicht sein, das war ein Hirngespinst! Es gab keine übernatürlichen Wesen, der Tote war vermutlich vom Blitz getroffen und weg geschleudert worden. Aber seine Kleidung … sie war völlig unbeschädigt gewesen. Nein, sagte Anya sich, das war Quatsch, Levrier gab es schließlich nicht! Stöhnend schüttelte sie den Kopf, um die wirren Gedanken zu vertreiben und hängte ihre Jacke an die Garderobe. Dabei konnte sie nicht sehen, wie ihr Spiegelbild verweilte, obwohl sie außer Reichweite war. Es drehte seinen Kopf in Anyas Richtung und machte ein mitleidiges Gesicht. Dann verschwand es.     Turn 03 – Hunter Obwohl Anya Levrier besiegt hat, reißen die seltsamen Vorkommnisse nicht ab. Einige Schüler werden sogar mitten im Unterricht krank und fallen in Ohnmacht. Obwohl Schulärztin Doctor Warren eine Lebensmittelvergiftung als Ursache benennt, ist Anya sich da nicht so sicher. Spätestens als der geheimnisvolle Alastair auftaucht, welcher sich als Dämonenjäger bezeichnet, erweisen sich Anyas Zweifel als berechtigt. Nachdem Alastair Anya dann noch als Dämon und somit als seine Beute deklariert und sich mit ihr duellieren will, schweben Anya und ihre Freunde in ungeahnter Gefahr. Kapitel 3: Turn 03 - Hunter --------------------------- Turn 03 – Hunter     „Du bist schuld! Warum hast du nichts getan, um mir helfen? Du hast mich im Stich gelassen!“ Anya schüttelte aufgeregt den Kopf. „Nein, ich habe versucht-“ „Du hast zugesehen, wie ich sterbe! Du wolltest es so!“, schrie die schrumpelige Leiche und legte ihre Hände um Anyas Hals. Die kämpfte gegen das Gerippe, von dem schlaff die verkohlte Haut herunterhing, doch dem Würgegriff hatte sie nichts entgegenzusetzen. Sie war zu schwach! „Jetzt sollst du sterben!“, tönte die bis zur Unkenntlichkeit vertrocknete Kreatur. „Es tut mir leid“, beteuerte Anya röchelnd. Es waren aufrichtige Worte, doch sie wusste, dass sie den Toten niemals besänftigen konnten. Plötzlich packte der ihren Kopf und brach ihr mit einem Ruck das Genick.   Anya schreckte aus ihrem Traum auf. Sie war schweißnass. Wieder hatte sie davon geträumt, dass dieses Ding sie aus grundloser Rachlust umbrachte. Was für ein Bullshit! Das Mädchen fühlte sich nicht im Geringsten für das verantwortlich, was dem Kerl widerfahren war. Im Gegenteil, sie hatte ihn entdeckt, als er schon tot war. Wie hätte sie da noch helfen können!? Müde schlug sie die Decke beiseite und setzte sich an den Rand ihres Betts. Sich den Schlaf aus den Augen reibend, hatte sie das Bild der Leiche auf der Straße vor ihrem inneren Auge. Mittlerweile wusste die Polizei, wen man dort gefunden hatte: Jonathan. Er war aus Victim's Sanctuary ausgebrochen und hatte letztlich sein Leben verloren. Todesursache unbekannt. Ein schlechtes Gewissen keimte in Anya auf, hatte sie noch kurz vor seinem Tod sich ebenjenen gewünscht. Doch sie verdrängte den Gedanken mit aller Kraft. Es war nicht ihre Schuld gewesen! Der Idiot hätte eben besser auf sich aufpassen müssen.   Verschlafen stand sie auf, gähnte und streckte sich dabei in ihrem weißen Pyjama. Wie sie es hasste, wenn ihre Laune schon vor dem Frühstück so schlecht war, dass nicht einmal ein Unfall, in den Valerie Redfield involviert war, sie aufheitern konnte. Vielleicht sollte sie heute einfach nicht zur Schule gehen? Aber bevor sie das entschied, würde sie erst einmal ausgiebig duschen.   ~-~-~   Besorgt betrachtete Sheryl ihre Tochter und nahm einen Schluck aus dem Kaffeebecher in ihrer Hand. Das Mädchen saß mit verschränkten Armen vor ihr am Frühstückstisch und behauptete allen Ernstes, dass sie Fieber hatte und im Bett bleiben musste – obwohl sie kerngesund aussah und sich auch dementsprechend verhielt. „Ich verstehe ja, dass dich die Sache mitgenommen hat. Aber die Schule zu schwänzen wird dir nur schaden. Du solltest wirklich einmal mit der Polizeipsychologin sprechen, vielleicht-“ „Gar nichts verstehst du! Ich bin krank, okay? Körperlich. Sonst geht’s mir gut. Ich muss nicht zu irgendeiner Schnepfe, die mir weismachen will, dass es in meinem Kopf nicht ganz rund läuft!“ „Anya, solche Redensarten verbitte ich mir!“ Sheryl sah ihre Tochter finster an. „Du wirst in anderthalb Jahren 21, dann bist du erwachsen und kannst tun, was immer du willst. Aber solange du minderjährig bist und deine-“ „... Füße unter meinem Tisch steckst, bin ich der Boss“, beendete sie die Predigt ihrer Mutter vorschnell. „Ja, ja, ich weiß.“ „Ganz genau!“ Die dunkelblonde Frau mit der Dauerwelle nickte. „Und jetzt reiß dich zusammen, es ist nur Schule. Wenn du hier bleibst, wirst du nur immer wieder darüber nachdenken. Du brauchst Abwechslung. Also geh schon.“ Sie stellte ihre geleerte Tasse auf dem Tisch ab und erhob sich. „Ich muss jetzt ins Büro. Höre ich auch nur ein Wort davon, dass du heute nicht zum Unterricht erschienen bist, kannst du mit Stromentzug rechnen!“ Stromentzug, Sheryls Alternative zum Hausarrest. Da der sich in der Vergangenheit als ineffektiv erwiesen hatte, musste sich Anyas Mutter etwas anderes einfallen lassen, um ihre Tochter unter Kontrolle zu halten. Und da war ihr die Idee gekommen, sämtliche für Anya relevanten Sicherungen zu verstecken, wenn jene etwas ausgefressen hatte. Da sie in ihrer Freizeit sowieso fast den ganzen Tag vor Fernseher, PC oder Spielkonsolen hing, traf sie das viel härter als es Hausarrest je könnte. „Okay“, brummte Anya. „Dann viel Spaß bei der Arbeit.“ Die beiden verabschiedeten sich wortkarg voneinander, ehe Sheryl sich ihre Jacke überwarf. Sie ahnte bereits, dass sie heute Abend einen Anruf von der Schule erhalten würde, als sie das Haus verließ.   ~-~-~   „Verdammter Kackmist!“, zischte Anya und bemühte sich, dabei leise zu sein. Natürlich gelang ihr dies nur unwesentlich, sodass sich ihr Chemielehrer, Mr. Maverick, laut räusperte. „Sorry“, brummte die Blondine widerwillig. Sie saß zusammen mit Abby und Nick an einem der langen weißen Arbeitstische, achtete aber kaum auf ihren Lehrer, der das Experiment für die nächste Stunde bereits beschrieb. „Bist du dir sicher?“, hakte Anya bei Abby nach, die gebannt ihren Lehrer anstarrte. Die nickte nur und gab in ihrem gewohnten Singsang nur „Mhhhmmm“ von sich. Vor Wut schlug Anya die Faust auf den Tisch. Hätte sie doch bloß nicht Abby darum gebeten, sich wegen der letzten Fallenkarte von Valerie zu erkundigen, [Poseidon Wave]. Nun wusste Anya, dass diese Karte das Duell zugunsten von diesem Miststück entschieden hätte. Und das nur, weil sie auf den billigen Provokationsversuch von Valerie hereingefallen war und angegriffen hatte!   „Anyaaaaa, Abbyyyyy“, tönte Nick plötzlich und deutete auf die Tafel. „Ich versteh das nicht.“ Anya klatschte die Hand vor den Kopf. „Idiot! Da steht doch auch gar nichts!“ „Doch nicht die Tafel. Der da.“ Verstohlen linste die Blondine in die Richtung, die Nick ihnen zeigte. Direkt vor der Tafel. Mr. Maverick konnte er nicht meinen, denn der palaverte fröhlich über diverse Ethanochwas und stand mindestens fünf Meter von der Tafel entfernt vor seinem Lehrertisch. „Was siehst du denn da, Nick?“, wollte Abby verwirrt wissen. „... ach nichts. Hab mich geirrt.“ Nick ließ den Kopf hängen und starrte auf seine Aufzeichnungen des Unterrichts, beziehungsweise die leeren Blätter, die es hätten sein müssen. „Das war komisch, selbst für seine Verhältnisse“, flüsterte Abby in Anyas Ohr, die zustimmend brummte. Andererseits war ihr Freund so intelligent wie eine Klobürste – sah jener nebenbei auch noch erschreckend ähnlich – weshalb seine Ausbrüche nicht weiter bedenklich waren.   „Mr. Maverick?“ Die Hand einer blondgelockten Mitschülerin zwei Bänke hinter Anyas Gruppe schnellte hoch. „Ja bitte, Willow?“ „Mir ist schlecht. Ich glaub, irgendwas von dem Mittagessen ist mir nicht bekommen …“ Der Chemielehrer blinzelte nachdenklich. Dann sagte er: „Dann gehen Sie in den-“ Doch Willow kippte ohne Vorwarnung von ihrem Stuhl und blieb regungslos liegen. Sofort sprangen ihre Nachbarn auf. Einer legte seine Hand auf ihre Stirn und rief: „Sie hat ja hohes Fieber!“ Da polterte es und ein Schüler in der ersten Reihe war ebenfalls kollabiert. Und während die halbe Klasse versuchte, sich um die zwei Kranken zu kümmern, stemmte Anya ihre rechte Faust gegen die Wange und stöhnte. „Man, ich hätte heute echt zuhause bleiben sollen.“ „Anya, der Staat hat uns die Möglichkeit der Bildung gegeben. Dafür sollte man dankbar sein und nicht die Schule schwänzen!“, beklagte sich Abby. „Stimmt's Nick?“ Der brünette junge Mann aber gab keinen Ton von sich, sondern schlummerte mit auf den Armen liegendem Kopf am Arbeitstisch. Abby seufzte schwer. „Weiß denn niemand die Dinge zu schätzen, die uns gegeben sind?“ „Typisch Nick“, meinte Anya dazu nur. Wenn der Trottel nicht mindestens einmal pro Tag im Unterricht einschlief, stimmte etwas nicht. Und es war ihr immer ein diebisches Vergnügen, ihn unsanft aus seinen Träumen zu wecken. So versetzte sie ihm einen Schlag gegen den Hinterkopf. „Hey aufwachen, du Napfsülze!“ Nick rührte sich nicht. Anya blinzelte verdutzt. „Hab ich nicht doll genug zugeschlagen? Das funktioniert doch sonst immer.“ Also probierte sie es noch einmal, kräftiger. Abby indes beschlich ein besorgniserregender Verdacht. Und kaum hatte sie seine Stirn berührt, wurde dieser bestätigt. „Anya! Der ist ja kochend heiß!“ Die Blondine klatschte sich die Hand gegen die Stirn. „Das wird ja immer besser …“   ~-~-~   Mit verschränkten Armen stand Anya vor Nicks Krankenbett. Sie beneidete den Trottel. Der konnte den Unterricht verpennen, während sie sich noch ganze zwei Stunden langweilen durfte. „Schon wieder einer“, sagte Abby bedrückt und deutete zur Tür. „Der Neunte innerhalb von einer halben Stunde.“ Zwei Lehrkräfte schulterten einen bewusstlosen Jungen und legten ihn auf dem Bett ab, das direkt neben dem von Nick stand. Die Ärztin, Doctor Warren, zog mit besorgter Mimik die Vorhänge zwischen den Betten zu, damit man nicht sah, was mit dem Jungen geschah. Anya grinste plötzlich schadenfroh. „Hey, wenn das so weitergeht, können wir den Unterricht knicken! Wegen Epidemie oder wie der Mist heißt!“ „Nick ist schwer krank und du denkst an so was?“ Wie Anya diesen vorwurfsvollen Tonfall ihrer Freundin hasste. „Was denn? Der kommt schon wieder auf die Beine. Wieso sich nicht über die kleinen Dinge im Leben freuen? Sagst du doch selbst andauernd!“ „SO hatte ich das aber nicht gemeint!“ Plötzlich tauchte Doctor Warren in ihrer Nische auf, sodass die beiden Mädchen sich zu ihr umdrehten. „Habt ihr heute etwas aus der Kantine zu euch genommen?“ Beide schüttelten die Köpfe. Anya meinte patzig: „Ich esse so gut wie nie den Fraß, der hier angeboten wird! Ich hänge schließlich an meiner Gesundheit!“ „Ich nehme nur Bioprodukte zu mir“, beteuerte Abby abweisend. „Eier von glücklichen Hennen, Milch von glücklichen Kü-“ „Sieht ganz nach einer Lebensmittelvergiftung aus“, unterbrach die Ärztin sie barsch. „Es ist zwar ungewöhnlich, dass die Betroffenen ohnmächtig werden, aber anscheinend war eine Lieferung von Pilzen aus Europa nicht mehr frisch. Falls ihr Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen oder Magenkrämpfe habt, kommt sofort zu mir.“ Schon war sie wieder verschwunden, um sich anderen Patienten zu widmen. „Jaaaaa“, höhnte Anya lauter, als nötig gewesen wäre. „Wenn ich ohnmächtig werde, mache ich mich sofort auf den Weg hierher. Was für'n Scheiß!“ „Und was machen wir jetzt?“ Abby warf einen besorgten Blick auf Nick. „Na was wohl? Ich haue ab. Keine Lust, mir irgendwelche Bazillen einzufangen. Schönen Tag noch.“ Voller Unmut verließ Anya mit geschultertem Rucksack die Krankenstation und durchschritt den anliegenden Gang. Durch seinen orangefarbenen Anstrich wirkte er freundlich, was in Anya regelrecht Übelkeit hervorrief, wann immer sie ihn durchquerte. Verschiedene Türen zu Lagerkammern und Aufenthaltsräumen gingen von beiden Seiten des Ganges ab, doch Anyas Blick war stur geradeaus gerichtet. So blieb die Gestalt eines großen Mannes mit rabenschwarzem, langem Haar unbemerkt, welcher das Mädchen aus dem Türspalt eines leeren Büros heraus beobachtete. Indes eilte Abby Anya hinterher und packte sie an der Schulter. Die Blondine drehte sich reflexartig um und verdrehte Abby dabei regelrecht den Arm. „Man Masters, was soll der Scheiß? Fass-mich-nie-von-hinten-an, wenn dir dein Leben lieb ist!“ Abby, froh dass Anya sie sofort wieder losließ, antwortete verärgert: „Du sollst mich nicht beim Nachnamen nennen, das weißt du!“ „Ja, ja, ja, sorry. Was willst du denn noch?“ „Du kannst doch Nick nicht einfach dort liegen lassen!“ Anya runzelte die Stirn. „Wieso nicht?“ Empört stemmte Abby die Hände in die Hüften. „Weil er auch an deinem Bett gestanden hat, als du bewusstlos warst. So etwas machen Freunde füreinander.“ „Na dann geh und wache über seine idiotischen Träume!“ Sie machte mit den Händen eine verscheuchende Geste. „Gusch! Ich hab nämlich Besseres zu tun! Meine Gilde bereitet nämlich zur Zeit einen Raid vor und das will ich nicht verpassen.“ „Ohhhh, Anya, manchmal bist du wirklich ein Ekel!“ So wütend erlebte man Abby selten. Sie machte auf der Stelle Kehrt und ließ ihre Freundin ohne ein weiteres Wort zurück. Zu schade, dass ihr das völlig schnuppe war, dachte Anya sich grimmig. Stattdessen setzte sie ihren Weg fort und gelangte schließlich zum Hauptausgang des Gebäudes. Und kaum hatte Anya ihren Fuß über die Schwelle gesetzt, geschah etwas Unvorstellbares. Ein rosafarbenes Licht breitete sich rund um sie herum aus und umfasste das ganze, weite Campusgelände. Anya zwinkerte ungläubig und schritt planlos vorwärts. Eben noch hatte eine Schar Schüler unweit von ihr gestanden, nun waren sie fort. Verwirrt blickte sie zum großen Torbogen. Dahinter lag keine Straße mehr, sondern … Nichts. Rosafarbenes Nichts. Sie blickte nach oben. Der Himmel sah genauso aus. Als gäbe es nur noch die Schule samt Gelände in einer ansonsten leeren Welt. Und sie hasste die Farbe rosa mehr als alle anderen. War sie durch ein geheimes Tor in die Hölle geschritten, oder was war hier los!? „Okay, was soll der Scheiß?“, rief sie in ihrer Aufregung lautstark. „Ist das hier ein Scherz oder so was? Wenn ja, kommt ruhig raus, ich krieg' euch ja doch! Macht es kurz, dann dürft ihr wenigstens eure Särge aussuchen, bevor ich eure Lebern auf dem Schwarzmarkt verkaufe!“ Keine Antwort. Anya begab sich zu der großen Eiche nahe der Sporthallen, wo Valerie vor ein paar Tagen den Boden mit ihr gewischt hatte. Wenn sie nur daran dachte, kam ihr die Galle hoch. Sie sah sich um. Vor dem Gebäude der Unterstufe war niemand, auf dem Gelände auch nicht – nirgendwo. Die Welt war wie ausgestorben. Na toll! Jetzt hatte sie schon Halluzinationen, obwohl sie diese doofen Pilze gar nicht angerührt hatte!   Die Aula!   „Häh?“ Das konnte nicht sein! Nicht schon wieder!   Er ist in der Aula! Beeile dich, Anya Bauer!   Sie wollte fragen, ob Levrier zu ihr sprach, aber ließ es letztlich bleiben. Denn falls doch jemand hier war und hörte, wie sie zu ihren Hirngespinsten sprach, würde sie diese Person leider töten müssen. Sie hatte einen schlechten Ruf – auf den sie übrigens sehr stolz war – zu verlieren! Dennoch. Diese Stimme hätte sie unter hunderten wiedererkannt. Es war eindeutig Levrier … aber was wollte er ihr sagen? Und wieso war er noch da? Und warum zur Hölle hatte er die Nerven, ausgerechnet -ihr- auf den Leim zu gehen!? „Ach scheiß drauf!“ Es war ja doch nur ihre Fantasie, die sich einen Scherz mit ihr erlaubte. Trotzdem war ihre Neugier geweckt. Wenn hier sowieso nichts los war, konnte sie genauso gut in die Aula gehen. Also steuerte sie auf das Backsteingebäude zu, welches sie soeben erst verlassen hatte.   ~-~-~   Anya drückte eine der Doppeltüren auf und trat in den riesigen, rechteckigen Saal ein. Über ihr lag ein Balkon mit einer Loge, welcher vom zweiten Stock aus erreichbar war. Die längliche Aula war wie eine Galerie angelegt, zu beiden Seiten ragte je ein halbes dutzend großer Fensterbögen fast bis zur Decke. Während Anya an den Reihen der aufgestellten Stühle vorbeizog, fiel ihr Blick auf die angehobene Bühne, die für Aufführungen oder Reden verwendet wurde. Dort stand ein Mann, den sie nicht kannte, und schien bereits auf sie zu warten. Und er war nicht allein. Abby und Nick, sie … hingen aus Kreuzen aus purem Licht, waren wie festgenagelt? Und schwebten dabei über dem Boden? „Alter Falter“, schoss es ehrfürchtig aus Anya heraus. „Geiler Effekt!“ „Danke“, hallte die schneidende, tiefe Stimme des Fremden durch die Halle.   Als Anya die Hälfte des Saals durchquert hatte, konnte sie ihn auch endlich besser erkennen. Sein Haar war ziemlich lang, schwarz und einige Strähnen waren zu einem komplizierten Zopf gebunden, den er über der rechten Schulter trug. Stechend grüne Augen starrten sie an, und wäre sein Gesicht nicht von etlichen Brandnarben gezeichnet, wäre er vielleicht sogar ganz attraktiv, überlegte Anya. „Okay Kumpel, was ist das hier?“, fragte sie lässig und deutete auf ihre bewusstlosen Freunde. „Oh, die? Wäre es vermessen zu sagen, dass sie als Dekoration fungieren?“ Er lachte beißend und trat einen Schritt nach vorn. Sein roter Ledermantel und die darunter liegende, schwarze Kleidung ließen ihn ein wenig wie Vincent Valentine aus Final Fantasy VII aussehen – aber Anya hasste dieses Spiel. Also hasste sie auch diesen Kerl. „Darf ich mich zunächst vorstellen?“, fragte er höflich und verneigte sich. „Mein Name ist Alastair. Dämonenjäger von Beruf.“ „Du bist nicht zufällig aus Victim's Sanctuary ausgebrochen, oder?“ Anya kratzte sich am Kopf. Was für ein Spinner war das denn? „Oh? Mitnichten. Aber ich habe ein schwarzes Schaf von seinem Leiden erlöst. Ich glaube, er war von dort entflohen. Wie war sein Name doch gleich? Jonathan?“ Anya traute ihren Ohren kaum. „Was willst du damit sagen, Fusselbirne? Jonathan ist tot!“ Ein widerliches Lächeln huschte über seine schiefen Lippen. „Und was glaubst du, wer ihn umgebracht hat? Sein Mörder? Nein, das wäre der falsche Begriff. Sein Erlöser, er steht direkt vor dir.“ „Ha ha, der war gut. Mal im Ernst, Narbengesicht, was soll der Scheiß? Wieso hängen meine Freunde dort?“ Sie zeigte auf Abby und Nick, die regungslos an ihren Lichtkreuzen in der Luft schwebten. Die Augen des selbsternannten Dämonenjägers blitzten gefährlich auf. „Sie sind der Einsatz. Dein Einsatz, wie ich hinzufügen möchte.“ „Für was?“ Was laberte der Kerl da bloß, fragte Anya sich. „Halt mich nicht zum Narren, dämonische Brut!“, donnerte er plötzlich mit solcher Inbrunst, dass das Mädchen ungewollt zusammenzuckte. „Solange noch ein Fünkchen Menschlichkeit in dir steckt, wirst du nicht zulassen, dass ich deine Freunde töte. Und genau darum geht es: wenn du nicht in ein Duell mit mir einwilligst, werden diese beiden sterben, und zwar auf der Stelle!“   Ohne Vorwarnung zückte er demonstrativ ein Messer, welches er hinter seinem Rücken im Gürtel versteckt hatte und rammte es Nick in den Oberschenkel. Blut tropfte seine Jeans hinab auf den Holzboden der Bühne. Anya wollte nicht glauben, was sie soeben gehört und gesehen hatte. „Wie du siehst, ist das kein Scherz“, sagte Alastair mit drohendem Tonfall und zog das Messer aus der Wunde. Noch mehr Blut rann über Nicks Hose, auch wenn der Einstich nicht sehr tief sein konnte, da die Klinge nicht einmal zu einem Viertel rot verfärbt war. „Die heilige Stimme des Engels Refiel bittet mich, dich in einem Duell zu vernichten, Anya Bauer, denn du bist besessen vom Bösen!“ „Hast du gerade meinem Freund 'n Messer ins Bein gejagt?“ Sie ballte die Fäuste und sah auf den laminierten Boden der Aula. „Vollkommen richtig, Dämonenkind. Er bedeutet dir noch etwas, deswegen wirst du nicht zögern und ihn beschützen wollen. Das ehrt die unbefleckte Seele, die einst in dir gesteckt hat. Aber ich muss den Dämon in dir austreiben! Das ist meine Aufgabe als Jäger!“ Plötzlich blickte Anya mit hasserfüllten Augen auf und zeigte mit dem Finger auf ihn. „Du bist so was von tot, Drecksack! Wenn ich mit dir fertig bin, wird man diesen Raum renovieren müssen, weil sich die Überreste deiner Gedärme nicht von den Wänden kratzen lassen! Niemand, absolut niemand vergreift sich an meinen Freunden, Scheißkerl!“ „So redet nur ein Dämon“, stellte Alastair ruhig fest und zog plötzlich eine Karte aus seiner Hosentasche. Es war keine Duel Monsters-Karte, denn sie war von beiden Seiten her weiß. Auf ihr abgebildet war nur ein Kreuz aus schwarzem Feuer, das von einem silbernen Ring umfasst war. Ein gleißender Blitz ging schlagartig vor der Karte durch den Saal. Anya musste die Augen schließen, um nicht geblendet zu werden. Und als sie sie wieder öffnete, schwebte vor ihr eine Art seidenes, schwarzes Tuch, das unstet vor sich her flatterte. Darin eingenäht waren Duel Monsters-Kartenzonen, wie man sie benutze, wenn man am Tisch spielte. Dasselbe Objekt war auch bei Alastair vorzufinden. Aber nicht nur das! Anya stieg der Geruch von verbranntem Holz in die Nase. Feuer! Pechschwarz und dem Kreuz von der Karte gleich, umschloss es sie und einen Teil der Bühne, verbrannte die Stühle, die dabei im Weg standen. Sie und der Dämonenjäger waren gefangen! Nicht der Blitz damals hatte die Straße mit Jonathans Leiche verbrannt, es war dieser Feuerkreis gewesen! Da war sich Anya sicher, jetzt, da sie es mit eigenen Augen sah. Dieser Mistkerl hatte ihren Mitschüler tatsächlich auf dem Gewissen und nun hatte er in seinem Wahn das Gleiche mit ihr vor! „Kumpel, bei dir läuft's wohl nicht mehr richtig im Oberstübchen!? Ich bin kein Dämon! Und wenn wir schon dabei sind, lässt du jetzt erstmal schön meine Freunde frei, 'kay?“ „Und ob du einer bist! Der Engel Refiel hat dich entlarvt!“ Richterlich zeigte er mit dem Finger auf sie. „Du wirst durch meine Hand fallen!“ Anya konnte es nicht fassen. Dieser Kerl war völlig durchgeknallt. Was auch immer er hier für einen Hokuspokus abzog, dafür, dass er Nick verletzt hatte, würde er mit Blut zahlen müssen!   „Du willst ein Duell? Von mir aus! Dir werde ich erstmal ein bisschen Verstand einprügeln!“, zischte Anya voller Verachtung. Sie zog ihr Deck aus der hinteren Tasche ihrer an vielen Stellen löchrigen Jeans und legte es auf das schwarze Gebilde. Der Stoff glättete sich bei der Berührung und wirkte auf einmal wie eine Marmorplatte, so sehr glänzte er plötzlich. „Deine Worte bedeuten mir nichts, dämonischer Abschaum!“, erwiderte Alastair und tat es ihr gleich. Ein letztes Mal sahen die beiden sich voller Abscheu in die Augen, ehe sie schrien: „Duell!“   [Anya: 4000LP / Alastair: 4000LP]   „Ich werde den ersten Zug machen“, kündigte Alastair an und zog sofort sechs Karten von dem Stapel, der sich rechts vor ihm erstreckte. Anya biss sich vor Wut auf die Lippe. Hatte diese Pfeife doch tatsächlich ihren Trick gegen sie verwendet! Sie tat es ihm gleich und nahm fünf Karten auf die Hand. Es war merkwürdig, keine Duel Disk zu benutzen. Schon lange hatte sie das Spiel nicht mehr an einem Tisch gespielt, geschweige denn auf einem fliegenden Marmording. Alastair legte indes eine Karte auf seinen Spielplan. „Ich beschwöre [Vylon Vanguard]!“ Ungläubig sah Ayna, wie aus einem goldenen Runenzirkel eine metallene Gestalt erschien. Der Unterleib wirkte wie ein stilisierter Blitz, während das Wesen dafür überdurchschnittlich lange Arme samt goldener Schulterpanzerung besaß. Sein Kopf war vergleichsweise klein und bestand nur aus einem grünen Auge.   Vylon Vanguard [ATK/1400 DEF/1000 (4)] „Aber das war noch nicht alles. Dazu aktiviere ich die Magie [Double Summon]! Damit kann ich in diesem Zug eine zweite Normalbeschwörung durchführen! Erscheine, [Vylon Stella]!“ Wieder erschien ein Runenzirkel, dieses Mal trat jedoch ein metallischer Stern hervor. Um jeder zweiten der insgesamt sechs Spitzen schwebte ein goldener Ring und wie sein Artgenosse besaß es lange Arme am unteren Teil seines Körpers.   Vylon Stella [ATK/1400 DEF/200 (3)] Anya wusste nicht, was sie von diesen seltsamen Kreaturen halten sollte. Sie wirkten unnatürlich, aber wenn man sich ihren Besitzer ansah, war das nicht weiter verwunderlich. Trotzdem, diese komische schwarze Platte musste über außergewöhnliche Technologie verfügen, wenn sie schweben und Hologramme darstellen konnte. So etwas wie Magie schloss Anya natürlich kategorisch aus, das war was für Tagträumer und Schwachköpfe! Vielleicht konnte sie eines dieser Dinger ja behalten und für teures Geld irgendwo verkaufen? „Wie ich sehe, ist dir meine Technik völlig unbekannt“, stellte Alastair mit einem hässlichen Lächeln fest. Also -war- das eine Maschine! „Es ist schwer, all das in eine Karte zu bannen. Aber die Mühe hat sich bisher jedes Mal gelohnt.“ Und er -war- ein Schwachkopf! „Häh?“ Alastair winkte ab. „Du wirst es noch verstehen. Auch wenn ich zugeben muss, dass deine intellektuellen Fähigkeiten nicht sehr ausgeprägt zu sein scheinen.“ Anya war sich nicht ganz sicher, wie er das meinte. Hatte er sie gerade als dumm bezeichnet? „Wie dem auch sei, ich bin noch nicht fertig! Denn [Vylon Stella] ist ein Empfänger-Monster und ich werde es jetzt auf [Vylon Vanguard] abstimmen!“ Er streckte die Hand in die Höhe, seine Monster begannen in die Luft aufzusteigen. „Level 3, [Vylon Stella] und Level 4, [Vylon Vanguard]! Infinite potential lies within the heart of steel. Cover this infected world with your sacred wings! Synchro Summon! [Vylon Delta]!“ Sein Empfänger zersprang in der Luft zu drei grünen Kreisen, die der Vanguard passierte. Kurz darauf wurde er zu Licht und aus den sich auflösenden Kreisen schwebte eine riesige Gestalt, die fast den ganzen Platz auf Alastairs, durch den Feuerkreis sehr eingeschränkten Spielfeldseite für sich beanspruchte.   Vylon Delta [ATK/1700 DEF/2800 (7)] Viel konnte Anya von dem Wesen nicht erkennen, doch es folgte demselben Prinzip wie seine Vorgänger. Hinter den gewaltigen Stahlschwingen, die der abstrakte Maschinenengel schützend um den Körper hielt, konnte man große Fäuste erkennen. Sein Leib endete in einer rot glühenden Spitze, um die drei goldene Ringe schwebten. „Ich aktiviere nun den Effekt von [Vylon Stella], da es auf den Friedhof gelegt wurde. Für 500 Lebenspunkte wird es nun zu einer Ausrüstungsmagie für [Vylon Delta]!“ Die Schwingen des abstrakten Wesens leuchteten kurz golden auf, jeweils drei Sterne zeichneten sich nun auf ihnen ab.   [Anya: 4000LP / Alastair: 4000LP → 3500LP]   „Ich beende meinen Zug mit einer verdeckten Karte“, sagte Alastair und legte sie neben die neuentstandene Ausrüstungskarte ab, die Stella jetzt war. Anya hatte keine Ahnung, was ihm das bringen sollte. Egal, nachdenken war was für Streber und Leute, die nichts Besseres zu tun hatten! Und sie hatte etwas zu tun: diesen Kerl in seine Einzelteile zu zerlegen. „Nun aktiviert sich der Effekt von [Vylon Delta]“, erklärte Alastair. „Wenn es in Verteidigungsposition liegt, kann ich während meiner End Phase eine Ausrüstungsmagie auf mein Blatt nehmen. So wie [Vylon Material] zum Beispiel.“ Er durchsuchte sein Deck und zeigte die grün-umrandete Karte vor. „Also?“ „Was, also? Mein Zug! Draw!“, rief sie voller Ehrgeiz und zog schwungvoll von ihrem Deck. „[Gem-Knight Garnet], dein Auftritt!“ Schon stand der Bronzeritter mit dem eingefassten Granat auf der Brustplatte vor ihr und ließ eine Flamme zwischen seinen Händen erscheinen.   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   „Los, Attacke!“ Alastair schien nicht die Sorte von Duellant zu sein, der das Offensichtliche nicht wahrnahm, dachte Anya. Er stellte ihre Aktion nicht infrage. Solche Kerle waren gefährlich … Levrier, ihr Hirngespinst, war genauso gewesen. Da er nicht zu reagieren schien, zückte Anya bereits ihren Schlüssel zum Knacken der absurd hohen Verteidigung von Alastairs Kreatur. „[Gem-Merchant]! Verkaufe Garnet eine Extraportion Angriffspunkte! Heute gibt es 1000 zum Nulltarif!“ Sie legte das kleine, aber sehr hilfreiche Monster auf den Friedhof und genoss die Show. Hinter ihrem Ritter tauchte das kleine Zauberwesen mit Hut auf, flüsterte einen unverständlichen Spruch und verschwand dann in Garnet.   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 → 2900 DEF/0 → 1000 (4)]   Diesem Angriff würde nichts und niemand standhalten können, dachte Anya zufrieden, während die Flamme in Garnets Händen schlagartig anwuchs. Doch anscheinend hatte Alastair nur darauf gelauert, dass sie [Vylon Delta] attackieren würde. Er drehte die von ihm liegende Fallenkarte um und lachte laut. „Du Närrin! Du bist noch berechenbarer, als ich es erwartet hatte! Nun zahle den Preis für deine Torheit! [D2 Shield]!“ „Was'n das?“ Anya ahnte, dass das nicht gut für sie war. „Mit dieser Karte kann ich die Defensive eines meiner Monster dauerhaft verdoppeln! Sieh her, wie [Vylon Delta] zu einer uneinnehmbaren Festung wird!“ Strahlend weißes Licht breitete sich wie eine Aura um den mechanischen Engel aus und verlieh ihm in seiner Größe eine noch bedrohlichere Note.   Vylon Delta [ATK/1700 DEF/2800 → 5600 (7)]   „Oh shit! Was zum-!“ Die Flamme, welche Garnet auf Delta abfeuerte, verpuffte an seinen Schwingen wie ein laues Lüftchen. Plötzlich spannte die Kreatur seine Flügel und schoss aus beiden Händen Laserstrahlen. „[Vylon Stellas] Effekt!“, donnerte Alastair. „Wenn das mit ihm ausgerüstete Monster kämpft, wird jeder Feind nach dem Angriff zerstört werden, selbst wenn mein Monster dabei in der Defensive ist!“ Auch das noch, dachte Anya erschrocken. Ihr Ritter, der von den Strahlen getroffen wurde, explodierte und erzeugte eine Schockwelle, die sie glatt von den Beinen riss. Sie schlug hart auf dem Boden auf und rollte bis ganz an den Rand des schwarzen Feuerkreises. Die sengende Hitze auf ihrer Haut spürend, wich sie sofort zurück. Und dann war da noch dieser merkwürdige Geruch von … Verwesung? Die Flammen stanken nach Tod. Schwankend kam Anya auf die Beine und eilte zu dem schwebenden Spielplan zurück. Ihr war übel von diesem widerlichen Gestank. Der Kerl musste ein echter Zauberkünstler sein, um so etwas zu schaffen! „Warum trittst du nicht in Las Vegas auf, statt mir auf die Eierstöcke zu gehen?“, herrschte sie ihn wütend an.   [Anya: 4000LP → 1300LP / Alastair: 3500LP]   Als Anya schließlich die Lebenspunkte nachzählte – sie hasste Kopfrechnen – traf sie der Schlag. Diese eine Attacke hatte sie über die Hälfte ihrer Lebenspunkte gekostet! Dabei hatte Alastair noch nicht einmal angriffen! Das war … Sie sah auf ihren Spielplan. Und ihre Lebenspunkte waren ohne Garnet auch noch völlig ungeschützt. Nächste Runde brauchte dieser Spinner nur anzugreifen und hatte damit mühelos gewonnen. Nein, so leicht würde sie es ihm nicht machen! „Zauberkarte!“, brüllte sie regelrecht und hielt ebenjene hoch. „[Silent Doom]! Damit reanimiere ich Garnet vom Friedhof, aber in Verteidigungsposition!“ Ihr Krieger tauchte kniend aus einem Loch im Boden wieder vor ihr auf.   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)] „Da hättest du auch genauso gut ohne Monster verbleiben können. Dir ist bewusst, dass ein Monster ohne Verteidigungspunkte kein Hindernis für mich sein wird?“ Anya knurrte bloß. Natürlich wusste sie das, hielt der sie denn für vollkommen verblödet? Aber es war immer noch besser als nichts, was sie da mit ihm vor hatte. „Ich setze eine Karte verdeckt und beende den Zug.“ Sie legte die Falle in die entsprechende Zone. Mit den übrigen zwei Karten in ihrer Hand konnte sie momentan nichts anfangen. So ein Kackmist!   Alastair zog und lächelte finster, was sein entstelltes Gesicht völlig aus den üblichen Proportionen warf. „Das war einfacher als ich gedacht hatte. Sieh es von der positiven Seite, denn je eher ich den Dämon in dir ausgetrieben habe, desto schneller ist dein Leiden vorüber.“ Der Kerl klang tatsächlich so, als täte er ihr damit einen Gefallen! „Pfff! Dir müssen sie ja echt ins Gehirn geschissen haben! Wenn du denkst, ich beiße so leicht ins Gras wie Jonathan, hast du dich aber schwer getäuscht!“ Auch wenn sie ihren Mitschüler wie die Pest gehasst hatte, seinen gewaltsamen Tod würde sie rächen. Und anschließend würde nichts mehr von dem Kerl übrig bleiben, was man dem Haftrichter noch vorführen könnte! Irre wie der hatten keine Gnade verdient! Sie sah zu ihren Freunden, die leblos an den Kreuzen hingen. Abby und Nick als Schutzschild zu verwenden war das Niederträchtigste, was sie je gesehen hatte. Und wenn sie etwas noch mehr hasste als Kopfrechnen und Jonathan, dann war es Feigheit! Die stand gleich unter Valerie Redfield. „Diese beiden …“, murmelte Alastair, welcher Anyas Blick bemerkt hatte. Nun sah auch er sich Nick und Abby an. „Ich fürchte, sie muss ich nach unserer kleinen Auseinandersetzung auch vernichten. Zu groß ist die Gefahr, dass der Dämon sie als Möglichkeit zur Flucht missbraucht. Vermutlich hat er sie schon durch den bloßen Kontakt mit dir infiziert.“ „Du wirst schön die Finger von ihnen lassen!“ „Sonst?“ Er zückte wieder sein Messer und hielt es direkt unter Abbys Kehle. „Werde ich dich zwingen, deine eigenen Eingeweide zu fressen, Scheißkerl! Nimm das Messer weg, du-“ Er steckte es wieder hinter seinen roten Mantel und schnalzte mit der Zunge. „Du bist wirklich nicht sehr klug, oder? Ist dir klar, dass du mit dem Mann sprichst, der jederzeit deine Freunde töten könnte? Zügle deine Zunge, Dämon!“ „Und? Wie soll ich denn sonst mit dir reden?“ Anya hatte keine Ahnung, was der von ihr wollte. Generell blieb ihr schleierhaft, wieso dieser Typ auf die Idee kam, dass ausgerechnet sie ein Dämon sein sollte. Andererseits war das wohl so bei Verrückten. Alastair atmete tief durch. „Ich sehe schon, bei dir ist Hopfen und Malz verloren. Wir sollten das zu einem schnellen Ende bringen.“ Ohne weiter Zeit zu verlieren, zog er seine Karte und legte sofort eine andere von seinem Blatt auf den schwarzen Spielplan. „[Vylon Cube]!“ Ein Würfel aus Metall tauchte aus einem Runenzirkel vor seinem anderen Monster auf. Genau wie alle anderen Vylons, hatte auch dieser Arme, bestehend aus Gold.   Vylon Cube [ATK/800 DEF/800 (3)]   Anschließend legte Alastair seine Finger auf die weiße Karte von [Vylon Delta] und drehte es von waagerechter in die senkrechte Lage. Er hatte es in Angriffsposition gewechselt.   Vylon Delta [ATK/1700 DEF/5600 (7)]   Das war ihre Chance, dachte Anya. Jetzt, wo dieses überdimensionale Vieh nicht länger seine astronomisch hohe Verteidigung als Schutz vorweisen konnte, würde sie es ausradieren können. Dieser kranke Mistkerl sollte nur aufpassen! Jener sagte: „Das wird genügen, um den Rest deiner Lebenspunkte auszulöschen. [Vylon Cube], zerstöre [Gem-Knight Garnet]. [Vylon Delta], sorge dafür, dass ihr Antlitz dem Erdboden gleichgemacht wird!“ Aus der Mitte seines Körpers schoss der Würfel einen schmalen, gelben Laserstrahl, der über den Boden der Aula direkt auf Garnet zusteuerte. Aber Anya hatte vorgesorgt. „Verdeckte Falle aktivieren! [Pyroxene Fusion]! Sie lässt mich Gem-Knights von Hand und Spielfeld verschmelzen, genau wie [Gem-Knight Fusion] es tun würde!“ Sie nahm Garnet, als auch ihre Falle, vom Spielplan und hielt sie zusammen mit einem weiteren Ritter in die Höhe. „[Gem-Knight Garnet], du bist das Herz, [Gem-Knight Crystal], du bist die Rüstung! Vereinigt euch!“ Ein unglaublich schneller Wirbel aus Edelsteinen sog die beiden Ritter ein, welche aus ihren Karten erschienen. Dann gab es einen Lichtblitz und das neue Monster stand vor Anya. „[Gem-Knight Ruby]!“   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)]   Stolz hob der Ritter in seiner Bronzerüstung die Lanze in seinen Händen. Mit wehendem, blauem Umhang verneigte er sich vor Anya und ging dann in Kampfposition. „Sieht so aus, als wäre dein Angriff fehlgeschlagen, was? An dem hier kommst du nicht so leicht vorbei“, grinste die verstohlen. Das kam davon, wenn man sie unterschätzte! Nun würde sie mit aller Macht zurückschlagen! „Offensichtlich“, erwiderte Alastair kühl. „Aber das ist nur eine kurzfristige Lösung.“ „Häh? Lösung? Wofür?“ Wollte der sie für dumm verkaufen? „Für das, was dich jetzt erwartet, Dämon“, zischte er derart hasserfüllt, dass Anya regelrecht beeindruckt war. Warum klang sie nicht so cool? Alastair streckte beide Arme in die Höhe. „Ich beende meine Battle Phase, doch höre meine Worte, Dämon. Du hast den Weg des Leidens gewählt und nun wirst du ihn bis zu deinem letzten Herzschlag beschreiten. Mach dich gefasst!“ Wie Anya solche pathetischen Reden hasste. Die holten doch nicht mal ihre tote Großmutter unterm Sofa hervor. Eher- Die Erde begann zu beben. Immer stärkere Erschütterungen suchten die Schule heim, sodass Anya glatt ins Schwanken geriet. „Was zum-!?“ „Level 3, [Vylon Cube] und Level 7-Synchromonster, [Vylon Delta]!“, rief Alastair regelrecht besessen. „Infinite evil, waiting for the purge! Be the voice of his justice! Synchro Summon! Purify this twisted world! [Vylon Ultima]!“   Gleißendes Licht blendete Anya derart, dass sie die Augen zukneifen musste. Das Beben wurde zunehmend stärker und dazu ertönte plötzlich ein unheimlich lautes Geräusch. Ein Quietschen, so schrill, als würde man mit Metall über eine Tafel kratzen. Dazu kam noch ein dröhnendes Summen, sodass sie sich zusätzlich die Ohren zuhielt. Darauf folgte fürchterliches Poltern und Krachen, als würde die Welt auseinanderbrechen. Was zum Geier hatte dieser Spinner da beschworen? Als der Lärm und das Beben nachließen, öffnete Anya langsam die Augen. Und bereute dies sofort. „Dies soll dein Henker sein, Anya Bauer!“, sprach Alastair feierlich, auch wenn er hinter diesen Monstrum längst nicht mehr zu sehen war.     Turn 04 – Path To Decay Alastair gelingt es problemlos, Anyas [Gem-Knight]-Fusionen durch [Vylon Ultima] zu versiegeln. Obwohl Anya versucht, sich mit anderen Mitteln wie [Gem-Knight Crystal] zu wehren, prallen ihre Attacken an Alastair wirkungslos ab. Doch inmitten des Kampfes erscheint plötzlich Levrier und bietet seine Hilfe an. Anya, die keine Wahl hat, muss den sprichwörtlichen Pakt mit dem Teufel eingehen und erhält im Gegenzug für ihr Versprechen, zusammen mit Levrier „Eden“ zu werden, eine neue Kraft … Kapitel 4: Turn 04 - Path To Decay ---------------------------------- Turn 04 – Path To Decay     Erschrocken wich Anya zurück. Sie hatte ja mit etwas Großem gerechnet, aber das hier übertraf ihre kühnsten Vorstellungen. [Vylon Ultima] machte seinem Namen alle Ehre. Denn aufgrund seines gigantischen Körpers war die ohnehin schon hohe Decke der Aula einfach eingestürzt. Überall um den schwarzen Feuerzirkel lagen Trümmer, in seinem Innersten hingegen nicht ein Krümel, ganz als hätte er die beiden Duellanten sowie Nick und Abby geschützt. Anya musste den Kopf in den Nacken legen, um die ganze Größe dieses Monsters zu erfassen. Sechs mechanische Schwingen aus Gold besaß es. Sie gingen aus einem riesigen Kreuz hervor, dem Körper des Wesens, von dem zwei riesige Arme herunter hingen. An der Spitze jenes Kreuzes prangerte der kugelrunde Kopf mit einem roten Auge. Ein goldenes Geflecht aus Stangen um sein Haupt bildete eine Art Kragen, der ihn wie einen Richter aussehen ließ.   Vylon Ultima [ATK/3900 DEF/3500 (10)] „Alter Falter …“, murmelte Anya. Der schwarzhaarige Alastair, welcher samt Anyas Freunden nun von seinem Monster verdeckt wurde, lachte selbstherrlich. „Siehst du jetzt, mit wem du dich hier angelegt hast, Dämon? Du bist nur einer von vielen, die ich in den letzten Jahren vernichtet habe! Ich habe mir geschworen, jeden einzelnen von euch dem Erdboden gleichzumachen!“ Das Mädchen hörte jedoch gar nicht hin. Eher beschäftigte sie, wie sie dieses Unding aus dem Weg räumen konnte. Ihr [Gem-Knight Ruby] war kein Gegner für dieses Monstrum.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)]   Ganz zu schweigen davon, dass ihre Lebenspunkte knapp bemessen waren.   [Anya: 1300LP / Alastair: 3500LP]   „Die Euren sind vernichtungswürdig! Ihr existiert nur, um andere ins Unglück zu ziehen“, zischte Alastair voller Verachtung. „Euch ist der Weg ins Paradies Gottes auf ewig verschlossen. Selbst der Engel Refiel kennt für euch keine Gnade. Das Mädchen werde ich retten, doch du wirst in der Hölle schmoren!“ Anya verschränkte missmutig die Arme. „Wieso kommt neuerdings jeder dahergelaufene Spinner auf die Idee, dass mich das interessiert? Alter, du hast meine Freunde gefangen genommen! Wenn hier jemand 'n bisschen Gnade nötig hat, dann wohl eher du!“ Nicht, dass sie ihm die gewähren würde. „Tch. Rede mit falschen Zungen, solange du noch kannst!“ Er lachte. „Führen wir das hier fort! Ich aktiviere den Effekt von [Vylon Cube], da es für die Synchrobeschwörung eines Licht-Monsters eingesetzt wurde. So kann ich eine Ausrüstungsmagie von meinem Deck meinem Blatt hinzufügen. Wählen tue ich [Vylon Component]!“ Anya konnte zwar nicht sehen, was er da tat, aber wenn er auch nur daran dachte, sie zu betrügen, würde das mit gebrochenen Rippen vergolten werden. „Und jetzt wirst du deinen schlimmsten Albtraum erleben, dämonische Brut“, tönte Alastair plötzlich majestätisch. „Ich aktiviere drei Ausrüstungsmagien, welche [Vylon Ultima] noch mächtiger machen werden! [Vylon Material], [Vylon Component] und [Vylon Filament]!“ Dreimal leuchtete das riesige Ungetüm in gleißend hellem Licht auf. Anya hatte keine Ahnung, wie sich diese Karten auf das ohnehin schon viel zu starke Wesen auswirken würden. Aber dass auf einmal der oberste rechte, der mittlere rechte und der unterste linke Flügel rot strahlte, konnte kaum etwas Gutes bedeuten.   Vylon Ultima [ATK/3900 → 4500 DEF/3500 (10)]   „Na toll“, brummte Anya genervt. Jetzt war es noch stärker. „Ist es die hohe Offensive, die dir Furcht bereitet?“, fragte Alastair höhnisch. „Das sollte sie, aber noch viel mehr solltest du dich vor dem fürchten, was durch das Ausrüsten von Magiekarten an [Vylon Ultima] ausgelöst wurde! Denn für jede von ihnen kann ich eine Beschwörungsart versiegeln, die fortan von keinem Spieler mehr angewendet werden kann.“ Das klang überhaupt nicht gut, dachte Anya. „Und überlegen wir mal, was dich am härtesten treffen würde? Ich weiß … Fusionsbeschwörung für [Vylon Material]. Damit du nicht trotzdem auf die Idee kommst, starke Monster zu rufen, wähle ich dazu noch für [Vylon Component] Tributbeschwörung und für den unwahrscheinlichen Fall, dass du sie besitzt, dank [Vylon Filament] die Beschwörung von Synchromonstern.“ Anya glaubte sich verhört zu haben. Hatte dieser Spinner gerade alle Beschwörungsarten versiegelt, die für sie relevant waren? Wie sollte sie unter diesen Umständen etwas beschwören, das stark genug war, um [Vylon Ultima] zu besiegen!? „Es ist ausweglos, Dämon. Und selbst wenn es dir gelänge, [Vylon Ultima] zu zerstören, würden beim ersten Versuch nur sämtliche Ausrüstungsmagien verloren gehen. Damit du aber gar nicht auf diesen Gedanken kommst, spiele ich meine letzte Karte aus, die dauerhafte Magie [Vylon Element]. Sollten Vylon-Ausrüstungsmagien zerstört werden, kann ich für jede von ihnen ein Vylon-Empfänger-Monster von meinem Deck rufen. Du hast dein Leben in dem Moment verwirkt, als du dich auf den Dämon in dir eingelassen hast! Da ich meine Battle Phase bereits durchgeführt habe, ist mein Zug jetzt beendet!“   Großartig, dachte Anya grimmig. Dieser Kerl war nicht nur vollkommen durchgedreht, sondern auch noch stark. Ein wenig zu stark für ihren Geschmack. Sie sah ihre verbliebene Handkarte an, dann [Vylon Ultima]. Selbst wenn sie [Gem-Knight Rubys] Angriffspunkte erhöhen und diesen seltsamen Maschinenengel zerstören könnte, wäre im Grunde nichts gewonnen. Erstens wäre er nicht endgültig besiegt und zweitens hätte sie dann durch [Vylon Element] nur noch mehr Probleme an der Backe. Ihre Situation war aussichtslos. Aber das musste der ja nicht wissen! „So, Narbengesicht, mach dich auf was gefasst! Draw!“ Doch entgegen ihrer Hoffnung hatte sie nichts gezogen, was ihr in ihrer Lage wirklich weiterhalf. Es blieb ihr keine andere Wahl. „Ich wechsle Ruby in die Verteidigung“, rief sie und drehte ihr Fusionsmonster auf der schwarzen Marmorplatte in die Horizontale. „Dann setzte ich sowohl ein Monster, als auch eine weitere Karte verdeckt. Zug beendet!“   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)] Sie hörte Alastair lachen. „Mehr habe ich auch nicht erwartet. Mein Zug! Und ich beschwöre [Vylon Soldier]!“ Vor der riesigen Gestalt Ultimas erschien eine geradezu mickrige im Vergleich. Neben einem Körper aus Stahl besaß das Wesen zwei kräftige Arme aus purem Gold.   Vylon Soldier [ATK/1700 DEF/1000 (4)] „Und jetzt … vergehe, Dämonenbrut!“, donnerte Alastair aufgebracht. „[Vylon Ultima], werde das Schwert des Herren und vernichte dieses Ausgeburt der Hölle! Angriff auf [Gem-Knight Ruby] … “ Anya Bauer!   „Was?“ Anya horchte auf. Das war doch-! Aktiviere deine Falle! Schnell, bevor der Angriff stattfindet! „Nen Teufel werd' ich-“ Tu es, oder du wirst dein Leben verlieren!   Was für ein Schwachsinn! Anya starrte auf ihren Spielplan. Warum konnte dieses Hirngespinst sie nicht einfach in Ruhe lassen!? Dennoch waren da gewisse Zweifel. Hatte Levrier recht? Vielleicht war es wirklich besser, ihre gesetzte Karte zu aktivieren? Levrier war ein Produkt ihrer Fantasie, also praktisch so etwas wie eine innere Stimme – eine lästige wohlgemerkt – aber sie würde sich wohl kaum selbst schaden wollen, dachte Anya. Trotzdem war es merkwürdig. Aber was hatte sie schon zu verlieren? „Verdeckte Falle! [Inverse Universe]! Sie vertauscht die Angriffs- und Verteidigungswerte aller Effektmonster auf dem Spielfeld!“ Vylon Ultima [ATK/4500 → 3500 DEF/3500 → 4500 (10)] Vylon Soldier [ATK/1700 → 1000 DEF/1000 → 1700 (4)] Gem-Knight Ruby [ATK/2500 → 1300 DEF/1300 → 2500 (6)]   „Holy Extermination Beam!“, brüllte Alastair. Inmitten des Kreuzes von [Vylon Ultima] strahlte ein rotes Licht, welches augenblicklich einen gewaltigen Laserstrahl auf Anyas Monster abfeuerte. Dieses ging in einer so schweren Explosion unter, wodurch Anya nun schon zum zweiten Mal während des Duells von den Füßen gerissen und weg geschleudert wurde. Und dieses Mal war der Aufprall so hart, dass sie aufschrie.   [Anya: 1300LP → 300LP / Alastair: 3500LP]   Unter Schmerz erhob sich Anya und wieder stieg ihr der Geruch von Verwesung in die Nase, welcher von den Flammen um sie herum ausging. Sie humpelte zur schwebenden Marmorplatte zurück, hielt sich dabei den rechten Oberarm, der am meisten abbekommen hatte. „Verdammter Kackmist, was war das denn!?“ „Ein fehlgeschlagener Versuch, dich zu vernichten“, zischte Alastair wütend. „Woher wusstest du, dass [Vylon Filament] die Aktivierung von Zauber- und Fallenkarten verhindert, sobald [Vylon Ultima] angreift? Das hat dir das Leben gerettet, denn andernfalls hätte der Durchschlagschaden von [Vylon Component] deine restlichen Lebenspunkte ausgelöscht!“ „Ich bin eben gut“, tönte Anya und grinste. Nur fühlte sie sich eher wie jemand, der gerade von einem Laster überrollt worden war. Und dann war da noch Levrier. Hätte er sie nicht darauf hingewiesen, wäre sie jetzt vielleicht schon tot! Aber woher hatte er, sprich sie, das gewusst? … sie war eben wirklich verdammt gut! „Aber ich bin noch nicht fertig“, rief Alastair, „denn [Vylon Soldier] greift dein verdecktes Monster an!“ Der mechanische Engel kam wie ein Pfeil auf Anyas unbekanntes Monster zugeschossen, welches jetzt aus seiner Karte sprang. Es war ein grauer Tonkrug mit einem einäugigen, grinsenden Gesicht im Inneren.   Morphing Jar [ATK/700 DEF/600 (2)]   Von der gewaltigen Faust des Soldaten wurde er in tausend Stücke geschlagen. „Flipp-Effekt!“, rief Anya. „Wenn [Morphing Jar] aufgedeckt wird, werfen wir unsere Hand ab und ziehen fünf neue Karten!“ „Ich habe keine Karten auf meiner Hand.“ „Ich ebenfalls nicht.“ Und so zog Anya ein brandneues Blatt, in der Hoffnung, einen Ausweg aus ihrer misslichen Lage zu finden. Doch was sie sah, überzeugte sie nur bedingt. „Bevor ich meinen Zug beende, setze ich noch eine Karte“, rief Alastair. „Dabei belasse ich es vorerst.“   Wortlos zog Anya ihre Karte und erstarrte. [Gem-Knight Fusion]! Aber die war nutzlos, solange [Vylon Ultima] sämtliche Fusionsbeschwörungen versiegelte. Was für ein Scheißdreck! Dennoch würde sie nicht kuschen, sondern in die Vollen gehen. Irgendwie würde sie dieses Mistvieh schon kleinkriegen! „Zauberkarte aktivieren! [Monster Reborn]! Damit kann ich ein x-beliebiges Monster von unseren Friedhöfen reanimieren und ich entscheide mich für [Gem-Knight Crystal]! Und damit das Ganze umso cooler wirkt, rüste ich ihn noch mit [Megamorph] aus, was seine ATK verdoppelt, da ich weniger Lebenspunkte besitze als du, Frankenstein!“ In weißer Rüstung erhob sich der Kristallritter vor Anya und stemmte stolz seine Hände in die Hüften. Die durchsichtigen Kristalle an seinen Schulterplatten wuchsen dank Anyas Zauberkarte so stark an, dass sie wie endlos lange Dornen wirkten.   Gem-Knight Crystal [ATK/2450 → 4900 DEF/1950 (7)]   „So macht man das richtig! Und jetzt zermalme [Vylon Ultima]! Clear Punishment!“ Mit erhobener Faust flog ihr Krieger auf die riesige Maschine zu und holte aus. „Nicht so hastig, denn du hast meine Falle ausgelöst! [Mirror Force]! Damit werden bei einem Angriff all deine Monster in der Offensive zerstört!“ Crystal schlug zu, doch traf nur auf eine spiegelnde Mauer und zerstörte seine Reflexion. Als diese zersprang, explodierte auch Anyas Ritter. „Oh verdammter Mist!“ „Du musst dir schon etwas Besseres einfallen lassen als das“, höhnte Alastair verächtlich. Anyas Kiefer mahlten. Dieser Kerl war ja fast noch krasser drauf als Valerie Redfield. Allein wenn sie an die dachte, kochte die Wut in ihr umso schlimmer, was ihr neuen Auftrieb gab. Egal, sagte sie sich sauer. Dann würde sie eben nächste Runde zuschlagen. Und bis dahin … „Ich aktiviere [Swords Of Revealing Light]! Damit kannst du drei Runden nicht angreifen, Drecksack! Und da ich noch kein Monster als Normalbeschwörung beschworen habe, setze ich jetzt eines in Verteidigungsposition! Dein Zug!“ Drei grüne Lichtschwerter schossen aus dem Himmel um die beiden Vylons von Alastair. Die traurige Wahrheit jedoch war, dass Anya momentan keine Ahnung hatte -wie- sie zuschlagen sollte. Ihre letzten beiden Handkarten waren keine große Hilfe. „Versteck dich nur, das wird dir auch nichts nützen. Ich setze ebenfalls ein Monster und wechsle [Vylon Soldier] in die Defensive. Mehr kann ich momentan nicht tun, also passe ich!“ Seine Kreatur hob die Arme über Kreuz, um sich zu schützen.   Vylon Soldier [ATK/1000 DEF/1700 (4)]   Anya Bauer!   Wieder Levriers Stimme. Anya sah sich um, doch innerhalb der Aula waren nur sie und Alastairs Monster. Was hinter denen gerade vor sich ging, konnte sie aufgrund von [Vylon Ultimas] massiven Leib nicht sehen. „Was ist denn? Sei endlich still, du gehst mir auf die Eierstöcke“, flüsterte sie. Hoffentlich hörte es keiner, denn sonst konnte sie sich gleich den nächsten Vortrag über Dämonen und Engel und den ganzen Bockmist anhören!   Etwas geht vor sich mit deinem Gegner! In seinem Körper sammelt sich eine mächtige Präsenz! Stark genug, um dem Schicksal eine neue Wendung, einen neuen Pfad zu verleihen!   Anya blinzelte verwirrt. „Und jetzt nochmal so, dass ich es auch verstehe!“, zischte sie.   Verzeih. Ich habe deine unterentwickelten geistigen Fähigkeiten vergessen. Was ich mit meinen Worten ausdrücken wollte ist, dass er nächste Runde sein Deck ganz nach Belieben manipulieren kann. Sprich: er wird eine Karte ziehen, die deinen Untergang besiegeln wird.   „Heißt das, er schummelt?“ Wenn du es so nennen willst? Ja. Aber es ist mehr als das. Es ist eine Gabe, vermutlich verliehen von diesem Engel Refiel, den er mehrmals erwähnt hat. Zumindest wirkt es auf mich so.   „Ihr seid doch alle durchgeknallt hoch zehn!“ Aber im Grunde hatte Levrier gar nicht so unrecht. Jetzt, da sie seine Bewegungen nicht sehen konnte, war es für Alastair ein Leichtes, sie nach Strich und Faden zu verarschen. „Dem werd' ich-!“ Aber solange sie nicht an den Vylons vorbeikam, konnte sie ihm nicht sämtliche Knochen brechen. Sie gab einen Wutschrei von sich, ehe sie „Draw!“ rief. Sie starrte ihre Hand an. Neben [Gem-Knight Fusion] und [Gem-Knight Emerald] hatte sie nun auch [Pot of Avarice] gezogen. Genau was sie brauchte! Anya überlegte. Wenn sie Emerald beschwor, konnte sie ihn und ihren verdeckten [Gem-Knight Tourmaline] aus dem Spiel verbannen, um Ruby zurückzuholen. Aber dann hätte sie nur noch vier Monster auf ihrem Friedhof und könnte ihre Zauberkarte nicht mehr ausspielen. Und Ruby allein brachte ihr gar nichts. „Zauberkarte!“, rief sie schweren Herzens. „[Pot of Avarice]! Damit mische ich [Gem-Merchant], Garnet, Ruby, Crystal und [Morphing Jar] in mein Deck zurück und ziehe zwei Karten!“ Sie legte besagte Monster auf ihr Deck zurück und mischte es. Wenn Levrier – ihre weibliche Intuition – wirklich recht hatte, war das womöglich ihre letzte Chance. Mit zitternder Hand – was natürlich ausschließlich an der Vorfreude auf Alastairs Verderben lag – legte sie das Deck zurück auf die schwarze Marmorplatte und begann zu ziehen. Was würde mit ihr geschehen, wenn sie jetzt verlor? Würde sie wie Jonathan enden? Zu sterben wäre scheiße, deswegen entschied Anya sich kurzerhand, dass das noch Zeit haben musste, bis mindestens ein Bundesstaat nach ihr umbenannt wurde. Hastig zog sie die zwei Karten und war überrascht und gleichzeitig enttäuscht von dem Ergebnis. Sie hatte versagt … es war vorbei!   Noch nicht ganz.   Anya wurde ohne Vorwarnung schwarz vor Augen. Sie spürte, wie ihr Körper schlapp machte und sie umkippte. Doch den Aufschlag fühlte sie schon gar nicht mehr.   Sie stand hier, inmitten der Finsternis, auf dem Mosaik der Erde. Es war nicht mehr beschädigt von dem Duell mit Levrier und Anya sah, dass aus dem Nichts eine Gestalt auf sie zukam. Es war ihr Ebenbild … nein, Levrier! Also doch sie! „Argh!“ „Ich biete dir eine Möglichkeit, deinem Tod zu entkommen“, kam dieser sogleich mit seiner unmenschlichen Stimme auf den Punkt. Aus Anyas blauen Augen sah er das Mädchen fordernd an. „Die wäre?“, hakte die trotzig nach. Sie war geneigt, darüber nach zu grübeln, warum sie jetzt schon wieder träumte, aber nachdenken war scheiße, deswegen ließ sie es bleiben. Ihr Kopf rauchte ohnehin schon genug. „Ich gebe dir eine Karte, die dich vielleicht retten könnte. Doch sei gewarnt, selbst mit ihr wirst du deinen übermächtigen Feind nicht in die Knie zwingen können. Dazu braucht es mehr als das und ich bin mir nicht sicher, ob du über die nötigen Geschicke verfügst. Deine Chance ist schwindend gering, aus dieser Sache herauszukommen.“ Anya rümpfte die Nase. „Und was muss ich dafür tun?“ Dass Levrier ganz ruhig blieb und man seine Gefühle anhand der Stimme nicht abschätzen konnte, machte die Blondine nervös. „Du musst einen Pakt mit mir eingehen. Das Versprechen, dass wir zusammen Eden werden.“ „Du spinnst wohl! Ich hatte schon mal gesagt, dass-“ „Bedenke deine Worte“, mahnte Levrier sie streng und hob zur Verdeutlichung den Zeigefinger. „Du bist nicht in einer Position, in der du dir Fehler erlauben kannst. Dein Gegner kämpft mit sagenhaften Kräften und hat einen Engel an seiner Seite. Dein Tod ist unausweichlich, solltest du mein Angebot jetzt ausschlagen.“ Anya ballte die Fäuste und biss sich auf die Lippen. Sie sprach hier mit ihrem Hirngespinst über Engel und Zauberkräfte! Jetzt war es offiziell, sie lief nicht mehr ganz rund im Oberstübchen! Vielleicht hätte sie doch zu dieser Polizeipsychologin gehen sollen? … nah, eher würde sie eine Woche lang n-e-t-t sein! „Ich warte auf deine Antwort.“ Levrier starrte sie aus kalten, blauen Augen an. „Ein Wort von dir und ich verschwinde auf ewig aus deinem Geist. Doch dann bist du verloren.“ „Und was passiert, wenn ich zustimme?“ „Dann werde ich dir einen Weg aus deiner Lage weisen. Dazu musst du genau tun, was ich dir sage. Aber selbst dann ist die Aussicht auf Erfolg schwindend gering.“ Anya legte ihre Hand an die Wange und überlegte. Es stimmte schon, sie saß ganz schön in der Patsche. Jede Hilfe wäre ihr im Grunde recht. Aber Levrier erschien ihr alles andere als vertrauenerweckend und außerdem war er nur ihrer grenzenlosen, durchgeknallten Fantasie entsprungen. Was konnte er da schon ausrichten? Aber hatte sie überhaupt eine andere Wahl? Jeder kleine Hoffnungsschimmer war besser als nichts und schlimmstenfalls geschah auch 'nichts'. Levrier war sowieso nicht real. Also was hatte sie schon zu verlieren? Ohne weiter darüber nachdenken zu wollen, streckte Anya gönnerhaft ihren Arm aus. „Deal.“ „So sei es.“ Die falsche Anya nahm die Hand des Originals und lächelte geheimnisvoll. Plötzlich schien es dem Mädchen, als würde ihr Arm verbrennen. Sie ging ächzend in die Knie, hielt dabei noch immer Levriers Hand, welcher sie nicht losließ. „Was soll das jetzt?“, stöhnte sie, wollte sich losreißen. Aber sein Griff um ihre Hand war eisern. „Das ist die Erinnerung an unser Versprechen, Anya Bauer. Es wird dir große Kraft verleihen, aber sei gewarnt. Wenn du unser Bündnis brichst, wird dir ein schlimmeres Schicksal als der Tod zuteil.“ Mit diesen Worten ließ Levrier sie los. Anya starrte ungläubig auf ihren rechten Unterarm. Auf dem prangerte ein pechschwarzes Zeichen. Ein schwarzes Kreuz mit einem stacheligen Kreis, welcher durch die vier Seiten des Kreuzes verlief. Ein leichter bräunlicher Schimmer lag unter ihrer Haut, doch er verging. Sprachlos starrte sie das Bildnis an, welches sie an ein Brandmal erinnerte. Dann brach das Mosaik unter ihren Füßen auseinander und sie begann wieder zu fallen. Und während die Splitter um sie herum in den verschiedensten Farben tanzten, glaubte Anya, in der Ferne einen Lichtschimmer inmitten der Finsternis zu sehen. Im Zentrum dieses Lichts meinte sie, kurz die Silhouette eines riesigen, hohen Gebildes erkannt zu haben. Aber bevor sie nur mit den Augen blinzeln und sie näher erfassen konnte, verlor sie das Bewusstsein und wurde ins Nichts davon getrieben.   Nur um gleich darauf wieder aufzuwachen. In der Aula, gefangen im Kreis des schwarzen Feuers. Sie lag da und hielt etwas in ihrer Hand … eine Karte! Anya erhob sich erschrocken und sah sie an. Bild und Text waren auf befremdliche Art verschwommen, doch schienen mit der Zeit immer klarer zu werden. Das konnte unmöglich sein, die gehörte ihr nicht! Und … das Mal, es war auf ihrem Arm! „Was zum Geier?“, fluchte Anya und sprang auf. Sie legte ihre neue Errungenschaft abgelenkt auf ihr Extradeck und rubbelte dann mit dem Daumennagel über das Kreuz. Aber egal wie sehr sie es versuchte, sie kratzte sich nur die Haut wund. Das Mal hingegen blieb. „Oh kacke! Meine Mutter wird mich umbringen, wenn sie das sieht!“ „Was hast du getan ...“, hörte sie plötzlich Alastairs Stimme murmeln. „Du dummes Kind, bist du dir im Klaren, was du gerade angerichtet hast!? Du hast deine Seele verkauft! Jetzt kann selbst ich sie nicht mehr retten!“ „Ach, halt die Klappe!“, herrschte Anya ihn an und starrte weiter auf ihren neuen Körperschmuck. „Nun steckt er wahrhaft in dir, Mädchen“, raunte Alastair. „Wie lautet sein Name?“ „Was geht-“ „Wie lautet er!?“, donnerte der Mann aufgebracht. „Ist er es? Ist er es!? Der, den ich so lange gesucht habe!? Ist es 'Another'!?“ Plötzlich war er wieder ruhig und murmelte. „Was sagst du, Refiel? Er ist es nicht? … verdammt! Aber er muss dennoch vernichtet werden!“ Anya indes kratzte sich am Kopf. Hörte es sich auch so an, wenn sie solche Selbstgespräche führte? Wenn ja, sollte sie wirklich mal zum Arzt gehen. So krass wie der wollte sie nicht drauf sein.   Er spricht zu dem Engel. Sei vorsichtig Anya Bauer, ich weiß nichts über dieses Wesen an seiner Seite. Ich kann seine Präsenz fühlen, doch sie entzieht sich meinem Verständnis. Aber sie ist gefährlich und ich möchte sagen, stärker als ich. Du musst die Karte benutzen, die ich dir gegeben habe!   Da war er wieder, dachte das Mädchen verärgert. Konnte sie endlich aus diesem beschissenen Traum aufwachen? Etwas anderes konnte dieser ganze Quatsch gar nicht sein! Rosafarbene Himmelbarrierendinger, die das Schulgelände von der Außenwelt abschnitten, ein irrer Dämonenjäger, der ihre Freunde und sie umbringen wollte und ein Geisterwesen, welches ihr Karten schenkte. Noch beknackter konnte dieser Traum wirklich nur werden, wenn Valerie Redfield in einem rosa Tutu hereingeplatzt käme und dabei „We Are The Champions“ sang. Anya warf einen verstohlenen Blick über die Schulter, darauf wartend, dass sie durch das pechschwarze Feuer die Tür aufspringen sah. Aber das blieb zum Glück aus.   Konzentriere dich! Wir haben keine Zeit für Tagträumereien!   „Halt endlich die Klappe, du gehst mir so was von auf den Keks mit deinem ständigen Rumgelaber! Ich komm auch alleine klar, kapiert!?“ Sie hatte sich nicht länger beherrschen können und schimpfte so laut, dass Alastair es gewiss hörte. „Anstatt deine beschissene Nase in meine Angelegenheiten zu stecken, geh lieber sterben oder tu was für den Weltfrieden oder so! Nervensäge!“ Aber in einem hatte Levrier trotz allem recht: sie sollten endlich mit dem Spiel weitermachen. Sie checkte ihr Spielfeld, aber an der Situation hatte sich nichts verändert. Sollte sie es wagen und -die- Karte ausspielen? Aber selbst sie wäre nicht stark genug, um [Vylon Ultima] entgegen zu treten, so hatte Levrier gesagt. Benutze deine Zauberkarte und stärke dein Monster. Dann hast du den ersten Schritt getan.   „Bist du bekloppt? Wenn ich das mache, krepiere ich nächste Runde, selbst wenn mein Monster stärker ist als seines!“   Du wirst keinen nächsten Zug mehr erleben. Es geht mir nicht darum, das stärkste Monster zu besitzen, Anya Bauer. Es geht darum, den Gegner so zu manipulieren, dass er genau das tut, was wir wollen. Aber dafür müssen wir zunächst die Ausrüstungszauberkarten zerstören, die Alastair aktiviert hat. Und das geht nur, wenn du tust, was ich dir vorgeschlagen habe!   Anya verzog den Mund so schief, dass ihre Lippen richtig spannten. Niemand sagte ihr, wie sie zu spielen hatte … aber wenn sie sowieso keinen Plan hatte, was sie machen sollte, konnte sie genauso gut ausprobieren, was Levrier ihr geraten hatte. Natürlich wäre sie irgendwann sowieso selbst darauf gekommen! Nein, sie war sogar schon darauf gekommen, war -sie- schließlich Levrier. … Gott, war das kompliziert! „Ich beschwöre [Gem-Knight Emerald] von meiner Hand und switche mein verdecktes Monster, [Gem-Knight Tourmaline], in den Angriffsmodus!“ Aus ihrer gesetzten Karte sprang der Ritter in goldener Rüstung, welcher zwischen seinen Handflächen einen Blitz erzeugte. Seine Rüstung war mit gelben Edelsteinen, dem Turmalin, besetzt. Neben ihm erschien Emerald, an dessen Arm ein Schild angebracht war. In seine blassgrüne Rüstung war auf Brusthöhe ein Smaragd eingesetzt.   Gem-Knight Emerald [ATK/1800 DEF/800 (4)] Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)]   Sollte sie das wirklich tun, fragte Anya sich? Sich auf ihre innere Stimme einlassen? Zu ihrer Schande musste sie sich eingestehen, keinen eigenen Ausweg aus ihrer Lage gefunden zu haben. Ihr imaginärer Helfer hingegen schien einen Plan zu haben, auch wenn sie diesem nicht folgen konnte. Aber wenn sie dadurch wirklich gewinnen würde, war ihr das nur recht. Lieber mit Unterstützung gewinnen, als ohne zu scheitern. Alles war besser als verlieren, sie hasste es, zu verlieren! Und da dies in dem Fall sogar den Tod bedeutete, gab es keine zwei Meinungen dazu! „Okay, ich mach's!“, beschloss sie laut und nahm ihre beiden Ritter, legte sie übereinander auf das Spielfeld. Dann griff sie zu ihrem Extradeck. „Jetzt gilt's! Aus meinen zwei Stufe 4 Monstern wird ein Rang 4 Xyz-Monster! Ich erschaffe das Overlay Network!“ Dann legte sie ihre neue Karte auf die beiden Karten der Ritter. „Komm herbei, [Gem-Knight Pearl]!“ Ein dunkler Sternenwirbel öffnete sich inmitten des Spielfelds. Ihre Ritter wurden als braune Lichter in ihn hineingezogen, bis schließlich ein neuer Krieger aus der Mitte des schwarzen Lochs empor stieg. Stolz verschränkte er die Arme voreinander, während ein Ring aus großen, rosafarbenen Perlen um seinen Körper tanzte. Dabei wirkte sein Erscheinungsbild eher schlicht, waren weder Helm noch die weiße Rüstung aufwendig verziert. Nicht einmal einen Umhang trug dieses ehrwürdige Monster.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4}]   „Was zum Geier!?“, polterte Anya, als sie sich ihr neues Monster genauer ansah. Auf seiner Karte war „Kein Effekt!?“ abgedruckt. „Unter allen Karten, die du mir hättest schenken können, musste es ausgerechnet so eine sein!?“, beklagte sich Anya lauthals.   Verstehe. Du hast mich nicht darum gebeten, eine Karte nach deinen Wünschen zu formen.   „Dann mach 'ne neue, verdammt!“   Unmöglich. Unser Pakt ist bereits besiegelt.   „Willst du mich verarschen!?“, brüllte Anya und es war ihr mittlerweile völlig egal, ob irgendjemand hörte, wie sie mit ihren Hirngespinsten sprach. „Mach gefälligst 'ne neue, klar!?“ Ich sagte bereits, das geht nicht. Aber das ist auch nicht weiter von Belang, denn dieses neue Monster reicht aus, um den Plan voran zu treiben. Benutze deine Zauberkarte.   Wutentbrannt starrte das Mädchen auf ihr Blatt. [Gem-Knight Fusion] konnte er nicht meinen, die war völlig nutzlos. Also doch -diese-. Was soll's, dachte sich Anya ärgerlich. Schlimmer konnte es sowieso nicht mehr kommen! Also zückte sie den Zauber. „Ich aktiviere [Axe of Fools]! Damit erhöht sie die ATK meines Monsters um 1000 Punkte, auch wenn sein 'nicht existierender' Effekt dadurch verloren geht.“ Sag ihm nichts über den zweiten Nachteil deiner Karte, sonst bist du verloren.   Hatte sie sowieso nicht vor, dachte Anya sauer. Sie musste Alastair nicht unter die Nase reiben, dass die Axt während jeder ihrer Standby Phasen demjenigen 500 Lebenspunkte Schaden zufügte, welcher über das ausgerüstete Monster verfügte. Und sie hatte nur noch 300 übrig. In Pearls Hand erschien eine große, silberne Axt. Auf dem Axtblatt war ein grinsendes Gesicht in einer Goldfassung zu sehen, welches dumm vor sich hin gackerte.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 → 3600 DEF/1900 {4}]   „Dein Dämon scheint ja wirklich schwach zu sein, wenn er dir nicht besser dienen kann“, zischte Alastair spöttisch. „Verzeih, mein Irrtum, du dienst ja ihm. Ihr passt wahrlich gut zueinander.“ Der sollte die Klappe halten und sich vorsehen, dachte Anya gereizt. Greife nun [Vylon Ultima] an, Anya Bauer. Was danach geschieht, gehört zu meinen Absichten, deswegen erschrecke dich nicht. Es wird eine Zeit kommen, in der nur du noch dein Unheil abwenden kannst.   „Ja, ja, ja, ist ja gut! Was anderes hatte ich sowieso nicht vor! Los Pearl, Attacke! Funny Axe Strike!“ Sie hasste den Namen von Angriffen, die durch diese verrückte Axt durchgeführt wurden. Wieso hatte sie die doch gleich im Deck? Ach ja, weil sie funkelte und zu Edelsteinen passte. Pearl flog hoch in die Luft, gefolgt von seinen Perlen und hob die Axt über seinen Kopf. Weit über seinem Gegner ließ er sich plötzlich fallen und zerteilte das Engelswesen mit einem Schlag seiner Axt, welche dabei hysterisch lachte.   [Anya: 300LP / Alastair: 3500LP → 3400LP]   Doch [Vylon Ultima] wuchs an den Stellen, die durch den Hieb auseinander geschlagen worden waren, einfach wieder zusammen. „Habe ich es dir nicht gesagt?“, tönte Alastairs Stimme selbstverliebt. „Ehe du meiner Kreatur Schaden zufügen kannst, gehen zunächst alle verwendeten Ausrüstungsmagien verloren! Und weißt du was passiert, wenn die auf dem Friedhof landen? Nicht nur kann ich mir für jede von ihnen durch ihre eigenen Effekte Vylon-Magiekarten vom Deck aufs Blatt nehmen, nein, durch [Vylon Element] kann ich auch für jede verlorene Ausrüstungsmagie einen Vylon-Empfänger beschwören!“ Anya schluckte. Was hatte Levrier doch gleich gesagt? Das gehöre zu seinem Plan? „Und ich wähle zweimal [Vylon Material] als Ausrüstung und beschwöre ein Empfängermonster, [Vylon Prism]! Mehr werde ich gar nicht brauchen!“ Zwischen Alastairs gesetztem Monster und [Vylon Soldier] tauchte nun ein großer, langer Schild auf, ähnlich einem Prisma. Wie alle Vylons hatte auch er Arme und ein abstraktes Gesicht, was direkt aus der Platte herausragte.   Vylon Prism [ATK/1500 DEF/1500 (4)]   „Das ist wie 'ne Medusa. Du schlägst einen Kopf ab und zwei neue tauchen auf“, ärgerte sich Anya. Was du meinst ist eine Hydra. Die Medusa gibt es nicht.   „Oder so, was auch immer.“ Sie nahm ihre letzten beiden Handkarten und wollte sie auf den Spielplan legen. [Gem-Knight Fusion] würde zumindest als Bluff dienen können. „Egal, ich setze jetzt zwei-“ Nein, nur eine! Setze nur die Falle, denn wenn du beide Karten setzt, ist die Gefahr zu groß, dass du seiner Fähigkeit Nährboden gibst und sie noch verstärkst! Und dann- „Bin ich verloren? Mal was ganz Neues. Ich setze eine Karte verdeckt und beende.“ Dann flüsterte sie missmutig: „Und wehe das klappt nicht! Normalerweise habe ich es gar nicht nötig, mir von irgendwem helfen zu lassen.“ Wäre dem so, wärst du jetzt nicht in dieser Lage. „Schnauze!“ Traurigerweise hatte Levrier nicht ganz Unrecht damit.   Jetzt kommt der komplizierte Teil, Anya Bauer. Ab hier bist du auf dich gestellt. Wenn ich richtig liege und du genug Geschick beweist, wirst du nicht durch deine [Axe of Fool] oder Alastairs Angriffen verlieren. Aber höre jetzt gut zu …   Als Levrier seine Ausführungen beendet hatte, musste sogar eine Anya Bauer anerkennend pfeifen. DAS war so genial, dass es gar nicht funktionieren konnte! Zumal sich alles um Alastairs Denkweise drehte. Und um diesen geheimnisvollen Engel Refiel, von dem diese ominöse Kraft ausging. Aber es war einen Versuch wert.   „Jetzt werde ich dich vernichten, Dämon!“, brüllte Alastair aufgebracht. Der wiederholte sich zu oft für Anyas Geschmack. Aber solle er nur in dem Glauben bleiben. „Draw!“ Plötzlich spürte sie etwas. Es war wie ein innerer Druck, der nur für einen kurzen Moment die Zeit hatte stehen lassen. Irgendetwas war geschehen. Er hat es getan, wie ich es vorhergesehen hatte.   „Sieh an“, lachte Alastair bitterböse. „Das Glück scheint auf meiner Seite zu stehen. Ich aktiviere die Schnellmagie [Mystical Space Typhoon] und zerstöre deine Lichtschwerter. Damit kannst du dich nicht länger hinter ihnen verstecken!“ Die grünen Schwerter rund um seine Monster zersprangen, als ein wilder Wirbelsturm um das Spielfeld fegte. Das war nicht die Karte, die er hätte ziehen müssen. Dahinter steckt das Einwirken von Refiels Kräften!   „Wer oder was ist dieses Refielding überhaupt? Es gibt keine Engel, oder?“ Ich weiß es nicht, ich bin noch nie einem begegnet. Was auch immer es ist, es ist mächtiger als ich es bin. Sei vorsichtig. Und nun tue, was ich dir gesagt habe!   Anya schluckte. Eigentlich sollte ihr das sehr leicht fallen, tat sie es doch andauernd. Aber auf Kommando war es etwas völlig anderes. So was musste Spaß machen, wenn man es tat. Sie schüttelte den Kopf. Nicht nachdenken, einfach machen! „Nun rüste ich [Vylon Material] an-“   Beeile dich!   „Hey Alastair“, rief sie dem Dämonenjäger verschwörerisch zu. „Soll es das etwa gewesen sein? Willst du mich jetzt mit [Vylon Ultima] zur Strecke bringen?“ „Genau das!“ Sie lachte laut, klang dabei aber ungewollt heiser. „Ich geb's zu, ich habe es verkackt. Aber das Tattoo an meinem Arm war es allemal wert. So etwas wirst du nie haben!“ Er schwieg einen Augenblick. „... nein. Allerdings nicht.“ „Mir hat der Dämon ein schönes Geschenk gemacht, weißt du? Schade, dass es letztlich so nutzlos war, aber hey, man kann eben nicht alles haben! Ich wette, dein Engel hat dir nicht so etwas Tolles gegeben!“ „Rede nicht so über den heiligen Refiel!“ „Heilig?“ Anya lachte spitz. „Guter Witz, Kumpel! Dein [Vylon Ultima] ist ja ganz nett und so, aber nichts Besonderes. Das Ding kriegt man doch an jeder Straßenecke hinterher geworfen! Du tust mir echt leid, weißt du? Hast 'nen Engel an deiner Seite, der dir nicht mal etwas zur Seite stellt, um uns bööööse böse Dämonen kalt zu machen.“ „Ich sagte, du sollst nicht so über Refiel reden!“, polterte Alastair außer sich vor Wut. „Ach? Was willst du schon dagegen tun, du armseliger Speichellecker? Woher soll ich wissen, dass es deinen Engel überhaupt gibt? Am Ende bist du doch nur ein Hochstapler mit ein paar Zaubertricks im Ärmel! Ich aber bin ein echter Dämon! Wenn dein toller Refiel existiert, dann beweise es!“ „… ungläubige Seele. Du willst einen Beweis? Den sollst du haben!“   Anya lachte innerlich in sich hinein. Himmel, war dieser Trottel doof! Levrier hatte tatsächlich recht mit seiner Annahme behalten. Dennoch wusste das Mädchen nicht, was sie jetzt erwarten würde. Es konnte immer noch genug schief gehen. Aber nein, das würde es nicht! Jemand wie sie verlor nicht einfach gegen so eine Knalltüte von Dämonenjäger!   „Ich flippe mein verdecktes Monster!“, sprach Alastair ungewöhnlich leise. „[Vylon Charger].“ Eine lange, metallische Säule mit Armen und goldenen Ringen entstieg der gesetzten Karte von Alastair und gestellte sich zu den zwei kleineren Vylons. Vylon Charger [ATK/1000 DEF/1000 (4)]   „Du willst einen Beweis für Refiels Existenz? Dann sollst du ihn haben! Spüre Gottes Zorn! Die Level 4 [Vylon Soldier], [Vylon Prism] und [Vylon Charger] werden zu einem Rang 4 Xyz-Monster! Ich erschaffe das Overlay Network!“ „Gleich drei!?“, sprudelte es aus Anya heraus, als drei goldgelbe Strahlen von demselben schwarzen Wirbel absorbiert wurden, der zuvor schon ihren Pearl hervor gebracht hatte. „Werde Zeuge der göttlichen Kraft, die Refiel mir verliehen hat! Steige empor, [Vylon Disigma]!“ Und was nun aus der Raumverzerrung trat, konnte Anya nur als das hässlichste aller Vylon-Monster bezeichnen. Obwohl es von selber Struktur war, wirkte vollkommen anders als die anderen. Eine abscheuliche, grimmige Fratze zierte den schwarzen Körper des Wesens. Lange goldene Arme mit immer länger werdenden, schwarzen Klingen erstreckten sich von beiden Seiten bis zu den schwarzen Flammen. Drei weiße Sphären kreisten um die morbide Kreatur.   Vylon Disigma [ATK/2500 DEF/2100 {4}]   „Ewwww“, tönte Anya angewidert. „Das ist das Geschenk deines Engels? Alter, den würd' ich auf Schadensersatz verklagen! Da wird man ja blind!“ „Spotte nur, heuchlerische Kreatur! Sieh her, wie [Vylon Disigma] das diabolische Geschenk deines Dämons vertilgt! Ich hänge ein Xyz-Material ab und aktiviere Disigmas Effekt! Absorbiere [Gem-Knight Pearl]!“ „Oh verdammte-!“ Das Maul der schwarzen Engelsmaschine öffnete sich und sog Anyas Ritter ein, als wäre er nichts weiter als Luft. Kaum war er verschwunden, leuchtete eine der Sphären um Disigma schwarz auf. „Nun stehst du völlig schutzlos da, niedere Kreatur des Bösen!“, feixte Alastair hysterisch. „Das geschieht, wenn man Gott und seine Diener verspottet!“ Der hat sie doch nicht mehr alle, dachte Anya. Aber ohne Monster sah es schlecht für sie aus. Zwar war die blöde Axt nun fort, doch ein einziger direkter Angriff würde genügen, um sie außer Gefecht zu setzen. Und dieser durfte nicht durch Disigma erfolgen, nicht in seiner jetzigen Form! „Wie ich sehe kann dieses hässliche Mistvieh doch was! Aber ehrlich gesagt ist es einfach nur schwach! [Vylon Ultima] hatte wenigstens hohe Angriffspunkte, aber dieses Ding? Ne, sorry, ich weigere mich, gegen so etwas zu verlieren! Wart nur ab!“ „Spottest du immer noch, Dämon? Bist du plötzlich so versessen darauf, vernichtet zu werden?“ „Na logo, die ganze Zeit schon!“ Sie stimmte nun einen ruhigen, versöhnlichen Tonfall an. Alles so, wie Levrier es wollte. „Im Ernst, ich weiß nicht, wie lange ich noch ich selbst bin. Mach dem ein Ende, okay? Der Dämon hat mich hereingelegt und in einen Vertrag gelockt! Bitte, du musst ihn vernichten!“ Sie flehte jetzt regelrecht. „Mit aller Kraft! Ich bitte dich, zerstöre uns beide! Aber lass zumindest meine Freunde gehen, die sind unschuldig! Der Dämon wollte nur mich!“ „Was sagst du da?“ Alastair klang skeptisch. „Willst du mich reinlegen, Dämon? Vergiss es!“ „Bitte! Ich … ich kann ihn nicht mehr lange zurückhalten! Meine letzteren Erinnerung ans Leben sollen die eines Menschen sein! Vernichte mich, schnell!“ „Bist du … wirklich du selbst?“ Immer noch hörte man seine Zweifel deutlich. „Nein, ich glaube dir nicht!“ „Du irrst dich! Ich bin ich, Anya Bauer! Aber … aber er wird stärker! Hilf mir! Rette mich … rette mich vor 'Another'!“ Plötzlich donnerte Alastairs Stimme aufgebracht: „Another? Ist- Ist er dort in dir?“ „Ja!“ Alastair atmete tief durch. „… Refiel hat sich geirrt. Er ist in dir … der, der meine Familie ausgelöscht und mich zu dieser grässlichen Abscheulichkeit gemacht hat! Ich werde ihn …“ „Hilf mir! Er spricht zu mir! Er will, dass ich dich töte! Du bist sein geschworener Erzfeind!“ „Ich werde ihn töten!“, schrie Alastair voller Inbrunst. „Er wird dafür bezahlen, was er uns angetan hat! Mit aller Kraft werde ich dich aus diesem Mädchen treiben und vernichten! Hörst du, Another? Du wirst sterben, nichts soll von dir übrig bleiben! Ich aktiviere meine beiden Ausrüstungsmagien, [Vylon Material]. Sie stärken Disigma um je 600 Angriffspunkte!“   Vylon Disigma [ATK/2500 → 3700 DEF/2100 {4}]   Aus den Armen des schwarzen Engels wuchsen zwei weitere Klingen, jedoch in goldener Fassung, aus weißem Metall. „Endlich ist der Augenblick gekommen, von dem ich so lange geträumt habe! Another … ich hasse dich! Spüre den ganzen Zorn der Engel und des allmächtigen Herren! [Vylon Disigma], rette dieses Mädchen und vernichte den Teufel in ihr! Sacred Black Obliteration!“ Das war es, dachte Anya erschrocken, als das unheimliche Wesen die Hände aufeinanderlegte und dann einen schwarzen Energiespeer aus der Fläche seiner linken zog. Wie in Zeitlupe beobachtete die Blondine, wie Disigma den Speer anhob und auf sie warf. In ihren blauen Augen spiegelte er sich, wie er immer näher kam. Dann folgte eine düstere Explosion, die Anyas gesamte Spielfeldseite erschütterte.   Aus genau dieser Explosion schoss wenige Augenblicke später ebenjener schwarze Pfeil, durchdrang erst Disigma und dann Ultima, ehe er hinter ihnen eine noch gewaltigere Explosion auslöste. Alastair schrie vor Schmerz auf. Die Rauchwolke um Anya verging, welche unversehrt da stand und eine Fallenkarte zwischen ihren Fingern hielt. „Trottel! Jeder Idiot hätte dieses Schmierentheater durchschaut. Blöd wie du warst, bist du genau in meine Falle gelaufen: [Dimension Wall]! Damit konnte ich deinen Angriff auf dich zurückwerfen. Und hättest du [Vylon Disigma] nicht vorher noch gestärkt und dazu Pearl aus dem Weg geräumt, hätte die Falle mich niemals retten können. Ich würde sagen: ausgelacht, Kumpel!“   [Anya: 300LP / Alastair: 3400LP → 0LP]   Die Trugbilder der Monster verschwanden. Doch während Ultima einfach nur weg war, löste Disigma sich in schwarzen Partikeln auf. Anya schenkte dem aber keine Beachtung. Sie nahm ihre Karten von der schwebenden Marmorplatte, die einen Moment später krachend auf den Boden fiel und dort zerschellte.   Die Kraft, die darin steckte, ist aufgebraucht. Anscheinend besteht zwischen diesen Apparaturen und Alastair eine Verbindung. Ich lag also richtig. Er war es, den ich an dem Tag gesehen habe, als ich dich zur Leiche dieses Jungen geführt habe.   Anya runzelte die Stirn. Sie hatte jetzt keinen Nerv für Levriers Gelaber. Noch immer brannte das schwarze Feuer um sie herum. Langsam durchschritt sie den Zirkel und hielt auf die Bühne zu. Dort lag Alastair am Boden, sein roter Ledermantel war an einigen Stellen zerfetzt und generell schien der Dämonenjäger nicht gerade in bester Verfassung zu sein. Anders als Abby und Nick, die noch immer bewusstlos an den Kreuzen hingen. Sie hatten alles scheinbar unbeschadet überstanden, abgesehen von Nicks Stichwunde am Oberschenkel. „Du verachtenswerte Kreatur“, presste er hustend hervor, als Anya vor ihm stand. Mit voller Wucht rammte sie ihm ihren Schuh in den Nacken. „Sagt genau der Richtige, du miese Made.“ Sie drückte fester zu, sodass er aufschrie. Dabei huschte ein bösartiges Grinsen über ihre Züge. „Und jetzt werden wir beide ganz viel Spaß haben. Es gibt da noch ein paar Dinge, die wir -ausdiskutieren- müssen, Freundchen.“ „Bedaure“, krächzte er. „Du hast Glück, dass ich nach einem Exorzismus, ob nun gelungen oder nicht, nicht mehr genug Kraft habe, um weiterzukämpfen. Aber ich schwöre dir, wir sehen uns wieder und dann wirst du teuer für das bezahlen, was du heute gesagt hast, Schlangenzunge.“ Unter seiner Handfläche schob er eine weiße Karte hervor, auf der nur ein sechskantiger, goldener Stern abgebildet war. Von diesem ging ein greller Lichtblitz aus, welcher Anya dazu brachte, sich abzuwenden. Und ehe sie sich versah, fiel ihr Fuß ins Leere. Alastair war verschwunden.   Er hat eine Teleportationstechnik angewandt. Mir scheint, als würde er seine Kräfte in Karten einschließen, die er je nach Bedarf abrufen kann. Vermutlich, weil er sie sonst nicht kontrollieren könnte.   „Das ist mir so was von Schnuppe! Wo ist der Kerl? Den-“ Abbys und Nicks Körper fielen dumpf polternd auf den Boden. Die Kreuze, die sie die ganze Zeit über festgehalten hatten, waren verschwunden. Und der Himmel, welchen man von dem riesigen, klaffenden Loch in der Decke sehen konnte, war wieder blau.   Sein Bannkreis hat sich aufgelöst. Aber wie es aussieht, sind alle äußeren Schäden, die innerhalb seines Gebietes zugefügt worden sind, nicht verschwunden. Wie ungewöhnlich, sind Bannkreise doch dazu gedacht, genau dies zu verhindern …   Anya hingegen interessierte sich nicht im Geringsten dafür, dass die halbe Aula in Trümmern lag. Sie kniete vor Abby und schüttelte sie unsanft. „Aufwachen, Masters! Penn hier nicht 'rum!“ Blinzelnd öffnete das Hippiemädchen die Augen. Ihre getönte Brille war verrutscht, sodass man in schöne, graue Augen sehen konnte. „Anya?“ „Na wer denn sonst? George W. Bush vielleicht?“ Immerhin verwechselte Abby sie nicht mit Xena. „Wo bin ich?“ Langsam rappelte sich die Brünette auf. „In der Aula? Oh, ohhhh! Was ist hier geschehen!? Das ist ja ein richtiges Schlachtfeld!“ „Lange Geschichte! Beknackter Dämonenjäger will mich umbringen, Geisterwesen hilft mir, Dämonenjäger scheitert und haut ab.“ „Dä- Dämonenjäger?“ Anya hielt sich vor Schreck die Hand vor den Mund. Was zur Hölle erzählte sie da überhaupt? Sie konnte Abby doch nichts von allem erzählen! Die würde sie glatt für verrückt halten … auch wenn es nur ein Traum war. Aber es ging ums Prinzip! „I-ich weiß nicht, wovon du sprichst, Anya?“ „Ich … auch nicht. Mein Fehler.“ „Erinnern tu ich mich nur noch daran, dass Nick weg war, als ich zurück zur Krankenstation gegangen bin. Und dann war da dieser Mann mit schwarzem Haar, der wollte mir suchen helfen. Danach … war ich hier.“ Anya klatschte sich die Hand gegen die Stirn. „Man Masters, bist du blöd? Jedes Kind weiß, dass man nicht mit vernarbten Fusselbirnen mitgeht!“ „Aber er hatte doch gar keine Narben?“ „Dann putze mal deine Brille! Der sah aus wie durchgekaut, ausgespuckt und liegen gelassen! … ist ja auch egal. Was ist mit dem hier?“ Sie deutete auf Nick, der bewusstlos neben ihnen lag. „Er blutet ja!“ „Das war Alastair. Hat ihm ein Messer in den Oberschenkel gerammt.“ Ungläubig runzelte Abby die Stirn. Dann sagte sie in aller Strenge: „Anya Bauer, du wirst mir jetzt genau erklären, was hier überhaupt los ist! Und wehe, du redest dich raus! Was ist mit dieser Dämonenjägergeschichte!?“ Anya schluckte. DAS würde übel für sie ausgehen …   ~-~-~   „Oooooooooh, icccccccch wusste es! Ich wusste, dass hier irgendwas faul ist. Die ganzen Vorfälle, dass Nick krank ist … Das ist das Werk von Dämonen!“ „Uh-huh“, gab Anya mechanisch von sich. Sie beide saßen am runden Esstisch der Familie Bauer. Anya hatte Abby nach und nach alles erzählt, nachdem diese sie aufs Schärfste genötigt und damit gedroht hatte, sie nie wieder die Hausaufgaben abschreiben zu lassen. „Und wie sieht dein Retter wirklich aus? Levrier?“ Dieser schwärmende Unterton missfiel Anya aufs Äußerste. „Keine Ahnung“, brummte sie. Konnte sie dann bitte auch mal aufwachen? Das war einfach zu demütigend. „Nenn ihn nicht Retter, klar? Er hat ein paar gute Tipps gegeben, mehr nicht. Ich hätte mich da auch so irgendwie herausgewunden!“ „Für mich klang das eher so, als ob du keine Ahnung hattest, was du da überhaupt getan hast“, erwiderte Abby spitz. „Aber … danke. Der hätte uns wirklich umgebracht, wenn du nicht gewesen wärst. Allein der Gedanke, dass sich jemand wie der in Livington herumtreibt … beängstigend … Wir sollten alles der Polizei schildern, allein wegen dem Mord an Jonathan!“ „Ja ja ja, mach was du willst. War sowieso ein Kinderspiel … Schade, dass er entkommen ist! Dem-“ Abby hielt ihr die flache Hand vors Gesicht. „Stopp! Du hast mir schon lang und breit erklärt, was du alles mit ihm gemacht hättest! Aber diese Karte …“ Sie deutete auf [Gem-Knight Pearl], welcher vor ihnen auf dem Tisch lag. „Bist du wirklich sicher, dass du die vorher nicht gehabt hast?“ Anya schüttelte vehement den Kopf. „Es gibt keinen [Gem-Knight Pearl], Masters! Das hätte ich gewusst!“ „Also ist das der Beweis, dass alles was Levrier gesagt hat stimmt. Unheimlich …“ „Ach so'n Quatsch! Bestimmt hat sich da nur jemand 'nen Scherz mit mir erlaubt.“ Wütend haute Abby auf den Tisch. „Sei doch nicht immer so ignorant, Anya! Hier gehen Dinge vor sich, die unseren Verstand überschreiten! Das muss doch selbst dir aufgefallen sein!“ Doch die Blondine zuckte nur desinteressiert mit den Schultern. „Wenn du meinst …“ „Ich finde, wir sollten versuchen, mehr über das alles herauszufinden.“ „Ohne mich!“, polterte Anya. Abby erwiderte genauso hitzig: „Wieso denn nicht?“ „Alter, Masters, wir wären beinahe krepiert. Und sterben ist scheiße, ich bin doch nicht lebensmüde! Am Ende haben wir es mit noch mehr Bekloppten zu tun!“ „Das kann genauso gut passieren, wenn wir nichts tun. Du hast doch selbst gesagt, dass dieser Alastair hinter dir her war! Und was, wenn er wiederkommt? Ich wäre an deiner Stelle gerne vorbereitet!“ Anya knirschte mit den Zähnen. Wie sie es hasste, wenn die beiden zu diskutieren anfingen. Immer zog sie dabei den Kürzeren. Deshalb schlug sie wütend mit den Fäusten auf den Tisch. „Nein, Schluss, Aus!“ „Warum!?“ „Weil ich das so sage, deshalb! Wenn du Nachforschungen anstellen willst, von mir aus! Aber ich halte mich da schön raus!“ Abby sprang auf. „Also manchmal bist du so … so … so! Argh! Schönen Tag noch, Anya!“ Wie ein Sommergewitter zog das sonst so ruhige Mädchen durch die Küche und schlug schließlich die Haustür hinter sich zu. Anya starrte ihr mindestens genauso wütend hinterher. Deine sozialen Fähigkeiten lassen zu wünschen übrig. Das Mädchen hat wahre Worte gesprochen und du verschließt dich vor ihnen.   „Ach halt doch den Mund, du … Geisterspacko!“ Anya stampfte durch die Küche zum Flur, nahm die Treppe und schloss sich anschließend in ihrem Zimmer ein. Frustriert von all den Vorkommnissen warf sie sich aufs Bett und wartete darauf, endlich aus diesem Albtraum zu erwachen. Und wartete … und wartete …     Turn 05 – Lessons Anya, Abby und Nick, welcher wieder völlig genesen ist, besuchen zusammen die Stadtbibliothek Livingtons. Doch ihre Nachforschungen bezüglich „Eden“ und Levrier bleiben ergebnislos. Als die Drei die Bibliothek verlassen, stellt sich ihnen ein junger Mann namens Henry in den Weg. Er provoziert die ohnehin schlecht gelaunte Anya so sehr, dass sie sich schließlich mit ihm duelliert. Umso hämischer geht sie mit ihm um, als er Karten einsetzt, die von der Allgemeinheit für gewöhnlich verspottet werden. Doch sie soll sich schnell irren, als er bereits in seinem zweiten Zug zwei mächtige Xyz-Monster beschwört … Kapitel 5: Turn 05 - Lessons ---------------------------- Turn 05 – Lessons     „Junge Dame, du wirst mir das jetzt auf der Stelle erklären“, verlangte Sheryl aufgebracht und hielt den Arm ihrer Tochter fest. „Was ist das?“ „Ein Tattoo, sieht man doch“, brummte Anya und überlegte schon, ihre Mutter aus ihrem Zimmer zu werfen. Was wohl aber nicht die beste Idee war, wenn man deren Gemütszustand recht betrachtete. „Und woher hast du diese Schmiererei?“ „Na aus'm Tattoo-Studio, woher sonst?“ Anya konnte ja schlecht behaupten, dass sie das Mal trug, weil sie mit einem unbekannten Wesen einen Pakt geschlossen hatte. Am Ende würde ihre Mutter sie noch in Victim's Sanctuary einliefern lassen.   Sheryl ließ den Arm des Mädchens los und betrachtete das schwarze Kreuz, durch welches ein dorniger Kreis ging. Von derartiger Körperkultur hielt sie ohnehin wenig, aber eine solche Geschmacksverirrung hätte sie selbst Anya nicht zugetraut. „Du wirst das entfernen lassen“, forderte Sheryl streng. „Und wer soll das bezahlen? Das ist teuer, Mum.“ „Dein Vater und ich! Und du wirst uns jeden Cent zurückzahlen, sobald du kannst. Haben wir uns verstanden?“ Doch ihre Tochter schüttelte abweisend den Kopf. „Nein Mum. Ich behalte das Teil. Is' cool.“ Fassungslos fasste sich Sheryl an die Stirn. Was hatte Anya sich bloß dabei gedacht? Hätte sie nicht wenigstens vorher Bescheid sagen können? Zwar war sie alt genug, selbst solche Entscheidungen zu treffen, aber dennoch! Es sah furchtbar aus! „Das Tattoo muss weg! Wenn dein späterer Arbeitgeber das sieht, schmeißt er dich achtkantig raus!“, beharrte sie auf ihrer Meinung. Anya verzog trotzig das Gesicht und rutschte auf ihrer Couch hin und her. „Dann suche ich mir 'nen Arbeitgeber, dem das nichts ausmacht!“ Es war aussichtslos. Ihre Tochter würde ohnehin nicht nachgeben, dachte Sheryl sich frustriert. Sie selbst musste erst einmal darüber nachdenken, wie man das Kind dazu bringen konnte, ein wenig Einsicht zu zeigen. Was bei jemandem wie Anya ein Kampf gegen Windmühlen war. „Wir reden später darüber. Ich muss gleich los. Was hast du vor, während ich weg bin? Doch sicherlich nicht noch so eine Dummheit, oder?“ „Mum, es ist Wochenende. Was soll ich denn groß anstellen?“ Sheryl verzog verbittert den Mund. „Ich bin gespannt, was dein Vater dazu sagen wird. Und die Sache mit der Schulaula ist auch noch nicht vom Tisch.“ „Ich hab doch schon gesagt, dass wir das nicht waren!“, begehrte Anya auf und sah sie vorwurfsvoll an. In ihren Augen konnte Sheryl erkennen, dass das Mädchen dieses Mal die Wahrheit sprach, aber es konnte nicht schaden, sie noch ein wenig im Dunklen tappen zu lassen. Was das anging, hatte sie mit ihrer Vermutung vor einigen Tagen tatsächlich recht behalten. Sie hatte einen Anruf von der Schule bekommen, nachdem Anya die letzten beiden Unterrichtsstunden ebenjener geschwänzt hatte. Schlimmer noch, sie hatte die arme Abby noch dazu animiert mitzumachen. Der richtige Schrecken kam aber erst, als der Direktor ihr erzählte, dass Anya, Abby und Nick gesehen wurden, wie sie die in Trümmern liegende Schulaula unbekümmert verlassen hätten. Ganz zu schweigen davon, dass Nick zu diesem Zeitpunkt ziemlich krank und dazu noch verletzt war. Zwar ging niemand – zumindest offiziell – davon aus, dass Anya etwas Derartiges wagen würde, denn das war selbst für ihre Verhältnisse zu extrem, aber von irgendwoher musste der Schaden schließlich stammen. Es wäre jedenfalls nicht das erste Mal, dass Anyas Fehler sie teuer zu stehen kamen. „Was die finanziellen Schäden der Schule angeht, müssen wir weitersehen. Ich hoffe für dich, dass du die Wahrheit sagst, junge Dame. Und sei in Zukunft vorsichtig, du kannst dir keine Fehler mehr erlauben!“, mahnte sie ihre Tochter eindringlich, die nur trotzig das Gesicht verzog. Anya sprang schließlich auf. „Geh jetzt, Mum, bevor du noch zu spät kommst.“ Daraufhin umarmten die beiden einander, ehe Sheryl sich verabschiedete. „Versprich mir, dass du in Zukunft vernünftiger handelst, okay?“ Ihre Tochter gab ein Brummen von sich, das Zustimmung ausdrücken sollte. Schließlich verließ ihre Mutter das Zimmer.   Und kaum war jene aus dem Haus, schnappte Anya sich das Schnurlostelefon von ihrer Bettdecke und warf sich wieder auf die Couch gegenüber. Immer das Gleiche, dachte sie dabei. Wenn etwas passierte, war automatisch sie daran schuld! Und wie stellte sich ihre Mutter die Sache mit dem Mal vor? Gerne würde Anya es entfernen lassen, aber das war in dem Fall nicht drin. Nicht, seit sie mit Sicherheit wusste, dass das Ganze -kein- Traum war! Die gute Nachricht dabei war, dass sie doch noch alle Tassen im Schrank hatte. Die schlechte hingegen, dass sie trotzdem so gut wie verloren war … Die Blondine wählte Abbys Nummer und wartete, bis diese abhob. „Bei Masters. Abby am Apparat.“ Noch gelangweilter konnte ihre Freundin nicht klingen. „Ich“, brummte Anya, um auszudrücken, wer da am anderen Ende der Leitung war. „Ist Nick schon da?“ „Ja. Er spielt gerade mit Michael. Und … sie verstehen sich prima. Intellektuell meine ich.“ Anya stöhnte. Michael war Abbys erst acht Jahre alte Stiefbruder und in der Regel ziemlich anstrengend. Aber gut für Nick, so hatte er jetzt genau einen Freund mehr als sie selbst. Was, wenn sie es recht betrachtete, nicht geduldet werden konnte. Niemand war einer Anya Bauer in etwas voraus, es sei denn, sie wollte es so! „Treffen wir uns dann gleich?“ „Ja. Ich habe vorab schon ein bisschen im Internet geschaut und mir ein paar Titel notiert. Vielleicht steht in den Büchern irgendetwas Brauchbares drin. Wenn die Bibliothek sie hat, heißt es.“ Abby klang dabei nicht sehr optimistisch. Was vor allem daran lag, dass die Stadtbibliothek von Livington ziemlich klein war. Zumindest behauptete Abby das immer. „'kay. Dann bis nachher.“ „Bye.“ Anya drückte ihre rote Lieblingstaste und starrte das Telefon an. Warum hatte sie sich nochmal dazu breitschlagen lassen, bei der Suche nach Informationen rund um Levrier und Eden mitzumachen? Ach ja … weil sie sterben würde, wenn sie nicht bald einen Weg fanden, den Pakt aufzuheben!   Verwirrt blickte Anya sich um. Wieder befand sie sich in der tiefen Finsternis, stand dabei auf dem großen Mosaik der Erde, welches sich langsam drehte. Levrier verharrte, wie schon bei den Treffen zuvor, in Anyas Gestalt vor dieser und sah sie mit tiefer Besorgnis in den blauen Augen an. „Was willst du?“, zischte Anya. „Wir müssen reden. Es geht um unseren Pakt.“ Die Blondine zuckte mit den Schultern. „Und was soll damit sein?“ „Es gibt ein paar Dinge, die du wissen solltest. Allen voran: wir haben nicht viel Zeit.“ Verwundert zog Anya das Kinn an. „Soll heißen?“ „Die Ankunft Edens ist für den 11. November diesen Jahres vorgesehen. Wenn wir bis zu diesem Tag keinen Weg gefunden haben, Eden zu werden, ist unsere Chance für sehr lange Zeit verstrichen.“ „11. November? Das ist ja schon in zwei Monaten!“, erwiderte Anya aufgebracht. „Und verstehe ich das richtig? Du weißt gar nicht, wie man Eden 'wird'? Hattest du nicht sogar mal behauptet, du wüsstest nicht einmal, was Eden überhaupt ist?“ Levrier wich ihrem Blick aus. „Das ist korrekt. Ich kenne meine Bestimmung, doch nicht, wie ich sie erfüllen kann oder warum ich das muss. Aber ich weiß, dass wenn wir bis zu besagtem Tag keine Lösung gefunden haben, die Konsequenzen schrecklich sein werden. Zumindest für dich.“ Anya verschränkte die Arme und mahlte vor Wut regelrecht mit dem Kiefer. Herausfordernd erwiderte sie: „Alter, was soll das heißen?“ „Du wirst an diesem Tag den Tod finden, wenn wir nicht zu Eden werden. Ich hingegen werde weiterexistieren und mir ein neues Gefäß suchen müssen.“ „Und das sagst du mir erst jetzt!?“ Anya wollte auf Levrier zu stürmen und ihn packen, doch fiel in ihrem Lauf einfach durch ihn hindurch. Stolpernd kam sie hinter ihm zum Stehen. „Du hast nicht nach den Bedingungen unseres Pakts gefragt, als du ihn abgeschlossen hast“, reagierte Levrier gleichgültig und drehte sich zu ihr um. Anya schnaubte regelrecht vor Wut. „Und woher willst du überhaupt wissen, ob ich krepieren werde?“ „Weil ich in der Vergangenheit schon einmal versagt habe. Sei dir im Klaren darüber, dass ich ein uraltes Wesen bin, dass bereits seit mehreren hundert Jahren auf diesem Planeten wandelt. Wir dürfen dieses Mal nicht versagen, denn ich bezweifele, dass die Erde noch existieren wird, wenn die nächste Gelegenheit für Edens Ankunft herangerückt ist. Und Edens Ankunft ist an diesen Planeten gebunden.“ „Was ist überhaupt so toll an Eden?“, brauste Anya auf. „Du kannst mir doch nicht erzählen, dass du etwas werden willst, von dem du gar nicht weißt, was es überhaupt sein soll!“ Levrier schloss die Augen. „Es fühlt sich an, als gab es eine Zeit, in der ich wusste, warum ich Eden werden muss. Aber sie scheint so fern, dass ich mir nicht sicher bin, ob sie je existiert hat. Ich kann mich nicht entsinnen, jemals ein anderes Ziel gehabt zu haben, als Eden zu werden. Und deswegen werde ich diese Chance nutzen!“ Die illusionäre Anya sah das Original entschlossen an. Dieses jedoch kratzte sich am Kopf und schüttelte ebendiesen. „Kumpel, ich hab keine Peilung, ob ich dir da helfen kann. Abzunippeln klingt scheiße, aber dass ich mit dir zusammen zu irgendsonem Ding werden soll, hört sich auch nicht gerade besser an.“ „Das hättest du wissen müssen, als du den Pakt mit mir eingegangen bist. Nun ist es zu spät, denn wer einmal mit mir einen Pakt schließt und sich bereiterklärt, mein Gefäß zu werden, kann nie wieder zurück. Solche Verträge sind nicht so leicht aufzulösen und hätten in einem solchen Fall schwere Konsequenzen für beide Parteien.“ Anya stöhnte. „Alter, mir platzt gleich der Schädel! Heißt das, ich bin verloren?“ „Wenn du es so ausdrücken möchtest? Ja. Gewissermaßen. Aber wer weiß, vielleicht stellt es sich heraus, dass Eden zu werden auch für dich von Vorteil ist?“ „Wohl kaum …“ Plötzlich schwiegen die beiden sich an. Jeder war mit seinen Gedanken beschäftigt. Schließlich sagte Levrier: „Ich muss mich noch bei dir entschuldigen, Anya Bauer.“ Das Mädchen sah auf. „Häh? Wofür denn? Dass du mich um die Ecke bringen willst mit deiner irren Paktkacke?“ „Dafür auch. Doch ebenso für meine Täuschungen.“ „Wovon redest du jetzt schon wieder!?“ „Ich habe behauptet, verantwortlich für die Gewaltausbrüche deiner Teammitglieder zu sein. Doch in der Tat weiß ich nicht, ob wirklich mein Einwirken dafür verantwortlich gewesen ist. Ich habe meine Präsenz auf deine Kameraden wirken lassen, doch sie haben nicht getan, was ich ursprünglich beabsichtigt hatte.“ Anya verzog angewidert das Gesicht. „Ich will gar nicht wissen, -was- du beabsichtigt hast!“ „Es ist in der Tat ein seltsames Phänomen gewesen, welches mir noch nie begegnet ist. Allerdings ist das auch nicht weiter von Belang, denn da ich keine andere übernatürliche Präsenz bemerkt habe, ist das Wirken fremder Mächte auszuschließen. Und da wäre noch etwas.“ „Jetzt kommt's …“ Levrier schüttelte den Kopf. „Ich habe dich getäuscht. Unser Duell … es war meine Absicht gewesen, zu verlieren. Nur so konnte ich mich in dir verankern, denn hättest du verloren, wäre unsere Verbindung zueinander abgerissen, weil meine Kraft sie ausgelöscht hätte.“ Tonlos fügte er hinzu: „Ich entschuldige mich dafür.“ Anya biss sich auf die Lippen und ballte eine Faust. Dann schrie sie: „Du bist doch vollkommen kacke im Hirn, kann das sein? Was bildest ...“   Anya runzelte die Stirn. Dieser Drecksack hatte sie von Anfang an nach Strich und Faden verarscht. Und das Schlimmste dabei war noch, dass er nicht ein einziges Mal wirklich gelogen hatte. Stattdessen hatte er sie wie eine Marionette das tun lassen, was er wollte. Wie sie es hasste, wenn man sie manipulierte! Und jetzt waren ihre Tage im wahrsten Sinne des Wortes gezählt! Wenn Levrier jemals eine greifbare Form haben würde, dann, so schwor sich Anya, würde sie diese zu Brei verarbeiten. Pakt hin oder her! Sie stöhnte genervt und entschloss sich, dass es an der Zeit war, die Bibliothek aufzusuchen.   ~-~-~   Ihre Freunde warteten bereits vor dem Eingang auf sie. Die Bibliothek von Livington befand sich an einer Ecke der Hauptstraße, mitten an der großen Kreuzung. Wüsste man nicht genau, wovor man steht, würde man sie vermutlich gar nicht als Bibliothek erkennen. Das orange gestrichene Gebäude hatte lediglich ein kleines Schild über der massiven Holztür hängen, auf dem in abgeblätterten schwarzen Lettern „Library“ stand. Ein Indiz, wie wichtig der Stadtleitung das zunehmend verfallende Gebäude war. „Anya, hier bin ich!“, strahlte Nick und winkte. Dabei stand das Mädchen bereits direkt vor den beiden. Mittlerweile hatte er sich von der mysteriösen Lebensmittelvergiftung sowie der Stichwunde an seinem Bein weitestgehend erholt und war wieder bei bester Gesundheit – körperlich zumindest. „Ich seh's“, kommentierte Anya die Idiotie ihres Freundes trocken. „Gehen wir rein?“, fragte Abby voller Vorfreude. „Ich kann's kaum erwarten, etwas über Eden herauszufinden!“ „Und ich erst“, erwiderte Anya sarkastisch.   Dazu musste man wissen, dass sie ihren Freunden nicht alles über die Konsequenzen ihres Paktes mit Levrier erzählt. Sie wussten, dass Anya bis zum 11. November dieses Jahres zu Eden werden musste, aber nicht, was geschah, wenn sie dabei scheiterte. Sie wollte kein Mitleid von den beiden, denn sie hasste Mitleid wie die Pest. In neun von zehn Fällen war es sowieso nur geheuchelt. Außerdem war alles halb so wild, ihr würde beizeiten schon etwas einfallen. „Ich habe, bevor ich losgegangen bin, hier angerufen und gefragt, ob sie die Bücher haben, die ich mir vermerkt hatte.“ Abby war jetzt so gut gelaunt, dass Anya glaubte, von ihrem Lächeln Karies zu bekommen. „Haben die hier auch Comics?“, fragte Nick begeistert. Abby verdrehte die Augen, Anya stöhnte genervt. Letztere fragte: „Und?“ „Die meisten Bücher haben sie nicht. Aber eines mit dem Titel 'Thirty Legends – The Whole Truth'.“ „Das soll wohl'n Scherz sein, oder?“ Anya wusste nicht, ob Abby jetzt genauso durchgeknallt war wie Nick, oder es tatsächlich ernst meinte. Es sah jedoch ganz nach Letzterem aus. „Ich weiß, der Titel ist bescheuert, aber-“ Anya schüttelte verärgert den Kopf. „Abby, der Titel ist nicht nur bescheuert, der ist absolut durchgeknallt! Das hört sich an, als hätte das irgend'n Übernerd mit Hirnabstinenz geschrieben!“ Die Widersprüchlichkeit ihrer Aussage bemerkte das Mädchen dabei natürlich nicht. „Hey, in den Auszügen, die ich einsehen konnte, schien mir der Autor sehr kompetent zu sein!“ „Und wie heißt er?“, fragte Anya bissig. „H.P. Craftlove?“ Abby zog einen Schmollmund. „Lovecraft, er heißt Lovecraft, Anya! Und nein. Aber sieh es dir doch erstmal an, bevor du darüber urteilst!“ „Das kann ja heiter werden“, stöhnte die Blondine. Ihre Laune war bereits so tief im Keller, dass sie die Totenruhe störte. Sollte ihr Schicksal am Ende in den Händen von irgendwelchen Spinnern liegen, die so taten, als wären sie allwissend? Nein danke, ging es ihr da durch den Kopf. „Und was ist jetzt mit den Comics?“, quengelte Nick.   Den hoch gewachsenen Quälgeist ignorierend, betrat Abby, gefolgt von Anya und Nick, die Bibliothek. Gleich rechts von der Tür stand ein alter Holztresen, auf dem ein PC Marke Asbach Uralt stand. Hinter ihm schlief auf einem antik anmutenden Schaukelstuhl eine ältere Frau, deren braunes, zu einem Dutt geschnürtes Haar schon an manchen Stellen ergraute. Abby räusperte sich vorsichtig, doch die Dame reagierte nicht. Also klopfte Anya mit der flachen Hand auf den Tresen. „Aufwachen, Kundschaft!“ Augenblicklich schreckte das alte Fossil auf, was Anya diebisches Vergnügen bereitete. Die Frau schenkte der Gruppe aus dicken Brillengläsern einen finsteren Blick. Dann hellte sich ihre Miene plötzlich auf. „Abby! Ich hab schon auf dich gewartet!“ „Hallo, Mrs. Wilson! Haben Sie es gefunden?“ „Oh? Ja, natürlich.“ Sie holte etwas unter dem Tresen hervor und drückte es Abby in Hände. Es war ein alter Wälzer mit braunem Ledereinband. „So wie das Teil aussieht, wurde es bestimmt seit hundert Jahren nicht mehr angerührt“, sagte Anya abfällig. Im Gedanken fügte sie hinzu: so, wie seit hundert Jahren außer Abby keiner mehr diese beschissene Bibliothek besucht hat. Wieder erntete sie dafür einen bösen Blick von Mrs. Wilson und reagierte darauf mit dem Stinkefinger, was der Frau einen entrüsteten Seufzer entlockte.   Schließlich begaben die Drei sich nach einer kurzen Unterhaltung über Mythen und Sagen an einen der Tische zwischen den Regalreihen. Unnötig zu erwähnen, dass Anya und Nick sich nicht an dem Gespräch beteiligt hatten. Letzterer war zu enttäuscht, dass es hier weder Comics noch Mangas gab. „Ich geh' mal nach schmutzigen Heftchen suchen, vielleicht gibt’s wenigstens die hier“, meinte er frustriert und ließ die beiden Mädchen allein zurück. „Wenn er nicht gerade irgendwelche Erotikschinken findet, wird das heute wohl kein sehr angenehmer Tag für ihn werden“, meinte Abby mitleidig und setzte sich in einen der gemütlichen, wenn auch leicht verstaubten Sessel. Anya nahm neben ihr Platz. „Du glaubst doch nicht im Ernst, dass er die überhaupt als solche identifizieren würde. Ich meine, das ist Nick! Kann der überhaupt lesen?“ „Auch wieder wahr“, seufzte Abby. „Wenigstens haben wir jetzt erstmal unsere Ruhe.“ Denn wenn sich Anya konzentrieren wollte, was selten genug vorkam, brauchte sie keinen Trottel, der dauernd dazwischen quatschte. Abby knipste die alte Bankerleuchte direkt vor ihnen an. „Immerhin haben die hier schon Strom“, meinte Anya abfällig, „ich hatte ja fast damit gerechnet, dass die hier noch Öllampen benutzen.“ „Wenn man noch nie in der Bibliothek war, kann das einen ganz schön überraschen, oder?“ Anya nickte nur und bemerkte den Spott gar nicht, den Abby ihr entgegen warf. „So, dann lass uns mal sehen.“ Abby legte das Buch zwischen den beiden Mädchen auf den Tisch und öffnete es derart ehrfürchtig, dass Anya die Galle hochkam. Wem machte es denn Spaß, solche alten Schinken zu lesen? Vor dem Fernseher zu sitzen war doch viel bequemer! „Hmm, Eden, Eden, Eden …“, murmelte der brünette Pseudohippie vor sich hin und blätterte im Inhaltsverzeichnis. „Ich hab auf der Homepages des Autors einen Auszug gelesen, in dem auch Eden vorkam. Dort wurde es, anders als sonst, nicht als Paradies Gottes bezeichnet, sondern als heilige Stadt. Bewohnt von mystischen Wesen. Ich dachte, vielleicht finden wir hier auch etwas zu Levrier.“ Anya sah auf und guckte Abby ungläubig an, die dies erst gar nicht bemerkte, so versunken war sie in dem Schmöker. Als sie schließlich nichtsahnend aufblickte, meinte Anya barsch: „Masters, hast du dir gerade selbst zugehört? Ich meine, eine Stadt? Ich soll zu einer Stadt werden?“ Verlegen lachte ihre Freundin und rückte die getönte Brille auf ihrer Nase zurecht. „Ja, das klingt etwas weit hergeholt, aber es ist momentan alles, was wir haben. Und nenn' mich nicht immer beim Nachnamen, ich mag das nicht!“ Anya stellte sich bildlich vor, wie aus ihr Häuser und Türme wuchsen. Und genau deshalb dachte sie so ungern nach, denn immer wenn sie es tat, entstanden unschöne Szenarien in ihrem Kopf. „Da haben wir es“, rief Abby schließlich. Anya beugte sich über das Kapitel zur 'Verborgenen Stadt der Allerheiligsten – Eden' und musste wiehernd auflachen. „Ich werd' ne Heilige, geil!“ „Sei leise, man schreit nicht in einer Bibliothek!“ „Wen juckt's, ist doch außer uns eh niemand hier?“ Anya zog eine Grimasse und verschränkte beleidigt die Arme. Abby konnte man es aber auch nie recht machen. „Also, hier steht, dass irgendwo in unserer Welt eine Stadt existiert, die Heimat von Wesen ist, die Allerheiligste genannt werden. Das sind im Grunde … unsterbliche Menschen, so wie ich das sehe. Sie haben irgendwann abseits vom Rest der Zivilisation einen Ort geschaffen, der weder per Land, Luft noch Meer zu erreichen sein soll.“ Nachdenklich sah Abby auf. „Klingt zwar ganz nett, aber die Stadt müsste ja dann schon existieren.“ „Sag ich doch“, brummte Anya. Und wieso sollte sie zu etwas werden, das es ohnehin schon gab? „Dieses Buch ist scheiße! Woher will der Kerl das überhaupt wissen?“ „Weil er einst jemanden getroffen hat, der ihm davon berichtete. Wohl ein Verbannter aus Eden. Aber da steht nichts von Dämonen oder Engeln, die Menschen als Wirt benutzen. Auch nichts Weiteres über die Entstehungsgeschichte von Eden.“ „Ich glaube, das war ein Schuss in den Ofen. Leg den Dreck weg und lass uns gehen, ehe ich noch 'ne Stauballergie bekomme!“ Abby nickte. Sie musste selbst zugeben, dass der Inhalt dieses Buches fragwürdig war. Dennoch wollte sie es nicht so schnell dabei belassen. Sie blätterte zurück zum Inhaltsverzeichnis. „Was suchst du jetzt?“, fragte Anya skeptisch. „Dämonen, Engel und Pakte … vielleicht steht da etwas, was man mit Levrier in Verbindung bringen könnte.“   Warum ist dieses Kind so versessen darauf, mehr über meine Ursprünge zu erfahren? Anya hatte schon befürchtet, dass -der- sich irgendwann melden würde. „Weil du es uns nicht sagst, du Knallkopf“, zischte sie zwischen ihren Zähnen. Sofort schreckte Abby auf. „Spricht er zu dir? Sag ihm hi von mir!“ „Er kann dich auch so hören …“ „Oh? Oh! Hi, Levrier!“ Bedauerlich, dass sie als Gefäß ungeeignet ist. Sie wirkt viel intelligenter und aufgeschlossener als du.   „Halt den Rand“, fauchte Anya. Als sie den entsetzten Blick ihrer Freundin bemerkte, fügte sie verstimmt hinzu: „Nicht du, er!“ „O-oh. Klar. Also, wo war ich gerade …“ „Du warst dabei zuzusehen, wie ich hier elendig verrotte.“ „Anya, Recherchen erfordern Geduld! Du kannst nicht erwarten, dass dir alles sofort in die Hände fällt! Hier ist es anders, als wenn man einfach ins Internet geht und sich mit Wikipedia-Artikeln zudröhnt!“ Anya gähnte demonstrativ. Die stickige Luft und das spärliche Licht machten sie irgendwie müde. „Wir machen weiter!“, entschied Abby.   ~-~-~   „Wachsen Anya jetzt Hörner?“ „Nein, du Idiot!“ Die Noch-Hornlose verpasste Nick eine deftige Kopfnuss. Verdammt nochmal, sie war weder die Inkarnation eines gefallenen Engels, eine beknackte Wunderstadt noch das verflixte Paradies! Sie war … planlos. „Zugegeben“, meinte Abby kleinlaut, als sie zusammen die Bibliothek verließen, „die Mehrzahl unserer Treffer war … ein wenig lächerlich, ja. Aber was wir über Pakte mit Dämonen herausgefunden haben, klingt sehr interessant. Gerade weil die verschiedenen Beschreibungen sich bis auf einige Details decken.“ Anya blieb am Straßenrand stehen und runzelte die Stirn. „So wie dieser eine Schinken, in dem stand, dass ich meinen erstgeborenen Jungen an den Dämon abtreten muss?“ „Kann Anya denn überhaupt Kinder kriegen? Ist sie eigentlich ein Mann oder eine Frau?“, fragte Nick, wurde am Kragen gepackt und wäre mitten in den belebten Verkehr geworfen worden, hätte Abby ihn nicht rechtzeitig festgehalten. Wobei diese zugeben musste, dass Nick im Prinzip recht hatte, Anya gab sich nicht gerade weiblich. Allein ihre Kleidung, die sämtliche Kurven versteckte und immer irgendwelche Totenköpfe und feindseligen Sprüche enthielt, war genug um so manchen schon bei ihrem bloßen Anblick abzuschrecken. „Hast du Todessehnsucht!?“, herrschte Anya Nick wutentbrannt an.   Da tippte plötzlich jemand auf ihre Schulter. Die Blondine wirbelte um und sah in das Antlitz eines hübschen jungen Mannes, den sie noch nie gesehen hatte. „Was willst du denn, Milchbubi?“, fragte sie barsch. Der brünette Kerl trug ein schlichtes, babyblaues Poloshirt und Jeans, die eindeutig zu lange getragen waren, denn besonders an ihrem Saum wurden sie deutlich von Schmutz heimgesucht. Dafür hatte sein stoppeliges Gesicht ein freundliches Lächeln, das von kleinen Grübchen in den Wangen verziert wurde. Die eisblauen Pupillen stellten sogar die Schönheit von Anyas Augen in den Schatten. Der Fremde reichte ihr einen Zettel. Anya riss ihm diesen nach kurzem Zögern unwirsch aus der Hand. „Was ist das? Ich kaufe nichts von Pennern!“ „Kennt ihr diese Frau auf dem Bild? Habt ihr sie vielleicht gesehen?“ Anya sah sich das Bild an, Nick und Abby beugten sich über ihre Schultern. Zu sehen war ein Schwarzweißbild einer Frau Anfang 30. Genau wie der junge Mann hatte sie recht kurzes, vermutlich braunes Haar und lächelte in ihrem grauen Kostüm. Es schien ein Ausschnitt eines Familienbilds zu sein, denn sie saß auf einem Stuhl. Hinter ihr stand ein Mann in schwarzem Anzug, doch seine obere Körperhälfte war aus dem Bild herausgeschnitten worden. „Wer ist das?“, fragte Abby neugierig. Sie musterte den Suchenden und wurde einfach nicht das Gefühl los, ihn schon irgendwo einmal gesehen zu haben. Ähnlich erging es auch Anya. Sie jedoch vermutete allerdings, dass sie diesem Kerl bestimmt schon mal eins übergezogen hatte. Leute wie der nervten sie tierisch. „Meine Schwester“, antwortete er. „Ich bin Henry. Habt ihr sie gesehen? Sie muss irgendwo hier in der Stadt sein.“ „Geh zu den Bullen und lass uns mit dem Scheiß zufrieden“, sagte Anya abfällig, drückte ihm den Wisch zurück in die Hände und wandte sich schon zum Gehen um. Doch da wurde ihr Arm plötzlich gepackt. „Aber-“ Mit einem Ruck drehte sie Henry den eigenen Arm auf den Rücken und rang ihn mühelos zu Boden. Stöhnend rief er: „Aua, hey, lass los, was soll-“ „Alter, wer mich von hinten anfasst, muss mit so was rechnen! Wenn du mich noch mal angrabscht, kann deine Familie gleich noch so'n Bildchen von dir verteilen, 'kay!?“ „Schon gut, schon gut, tut mir leid“, ächzte er und wurde schließlich freigelassen. Mit gequälter Mimik erhob er sich und rieb sein Handgelenk. „Man, für ein Mädchen bist du aber ganz schön krass drauf.“ „Und für 'nen Jungen bist du ein ganz schönes Weichei.“ Er musste verschwörerisch grinsen. „Stimmt. Aber ihr habt mir meine Frage nicht beantwortet. Habt ihr sie gesehen?“ Abby schüttelte den Kopf und legte die Hände ineinander gefaltet auf ihren Schoß. „Leider nein. Wie heißt sie denn?“ „Melinda.“ „A-“ Doch Anya unterbrach ihre Freundin barsch. „Da hörst du es, 'Henry', wir haben sie nicht gesehen. Schönen Tag noch!“ „Warte bitte! Woher … hast du dieses Tattoo an deinem Arm?“, fragte er ohne Vorwarnung neugierig. Anya betrachtete das Mal und sagte: „Von einem Dä-“ Schon hatte sie Nicks und Abbys Hand vor dem Mund, während Letztere für sie antwortete. „Von einem verdammt guten Tattoo-Studio, hier in der Stadt. Magst du auch so eins haben?“   „Nein“, erwiderte Henry plötzlich kühl. „Aber ich würde gerne mal mit euer Freundin reden. Allein, versteht ihr?“ Angewidert von Nicks ungewaschener Hand riss Anya sich schließlich los und starrte ihr Gegenüber finster an. „Und wenn ich nicht will? Du gehst mir auf die Eierstöcke, Kumpel!“ „Es ist wichtig. Ich werde dich nicht eher in Ruhe lassen, bis du mir nicht a-“ „Hackt's bei dir? Bist du so 'ne Art Psychostalker?“, brauste Anya auf. „Verzieh dich, oder ich mach dir Beine!“ Nur, um sie im Anschluss zu brechen … „Nein!“ In den Augen des jungen Mannes brannte unantastbare Entschlossenheit. „Na gut, du wolltest es ja so!“ Ehe Anya auf ihn zu stürmen konnte, packten Abby und Nick sie an den erhobenen Armen und hielten sie fest. „Nicht, Anya! Du kannst dich doch nicht mitten am Tag auf offener Straße schlagen!“ „Und wie ich das kann! Lass mich los, Masters!“ „Hehe, Anyas Arme sind ja dicker als meine. Ich will auch Anabolika.“ Schon hatte Nick wieder den Zorn des Mädchens auf sich gezogen, das gar nicht mehr wusste, wem sie zuerst den Hals umdrehen sollte.   Indes verschränkte Henry die Arme und schien nachzudenken. Schließlich rief er: „Hey, Terminatrix, wieso hast du solchen Schiss vor mir?“ „Wie bitte!? Dich skalpiere ich und benutze dein Haar als Klopapier! Schiss? Ich? Anya Bauer kennt keinen Schiss, du-“ Verschmitzt grinste der junge Mann und zuckte mit den Schultern. „Ach so? Und warum willst du dann nicht mit mir reden? Hast du 'Angst', ich reiß dir den Kopf ab?“ Abby und Nick hatten sichtlich Mühe, ihre Freundin festzuhalten, war die mittlerweile in einer Phase, die ihre früheren Opfer auch gerne Armageddon genannt hatten. Am Boden verstreute Zähne und gebrochene Knochen waren meist der Vorbote dieser Katastrophe. Denn dann hatte sich Anyas Kopf auf Autopilot umgestellt und jeder wusste bekanntlich, was dann geschah. „Muss … töten …“ „Von mir aus. Aber erst nachdem wir uns ausgetauscht haben.“ „JETZT!“ Henry stöhnte. „Hat man dich als Kind zu heiß gebadet? Hmm … ich mache dir einen Vorschlag. Wir klären das mit einem Duell. Wenn du gewinnst, kannst du mit mir machen was du willst.“ Nick grinste. „Wirklich alles?“ Unnötig zu erwähnen, dass niemand näher darauf eingehen wollte. „Wenn ich aber gewinne, wirst du mir jede Frage beantworten, die ich dir stelle. Steht der Deal?“ „Nein! Wenn ich mit dir fertig bin, passt du durch den Türschlitz, du Knallkopf!“ „Also hast du Angst zu verlieren? Na ja, kann ich irgendwo auch verstehen. Wenn du dich so duellierst, wie du dich artikulierst, dann gute Nacht.“ Henry lachte abfällig. Anya schnaubte wie ein Stier. „Ach ja!? Alter, mit dir wisch' ich doch den Boden! Wenn sie dich dann zu Mami bringen, brauchst du in Zukunft für Halloween kein Kostüm mehr!“ „Dann stimmst du zu?“ „Natürlich stimm' ich zu!“ Abby seufzte. Es war doch jedes Mal das Gleiche. Merkte Anya denn gar nicht, wie sie nach anderer Leute Pfeife tanzte?   Wenige Minuten später standen sich die beiden sich auf dem Bürgersteig gegenüber. Abby kramte die Duel Disk aus ihrem Rucksack, in dem auch ein paar ausgeliehene Bücher lagen und reichte sie schließlich Henry. „Danke. Leider habe ich keine eigene Duel Disk dabei. Ich hoffe, das macht dir nichts aus?“ „Schon gut“, lächelte Abby, die den jungen Mann eigentlich ganz nett fand. Wenn er nicht gerade Anya provozierte, war er sehr freundlich. „Zu teilen ist schließlich eine Tugend.“ Er strahlte sie an, sodass das Mädchen verzückte zu Anya und Nick zurück hüpfte. Die Blondine ihrerseits mahlte mit den Kiefern, als stelle sie sich vor, wie sie damit Henry das Fleisch von den Knochen riss. „Können wir dann anfangen!?“, herrschte sie ihren Gegner an. „Klar doch.“ Er schob noch sein Deck in Abbys schwarze Duel Disk – ein Überbleibsel ihrer Gothic-Phase – und schon riefen die Kontrahenten: „Duell!“   [Anya: 4000LP / Henry: 4000LP]   „Macht es dir etwas aus, wenn ich anfange?“ Anya wollte dies bejahen, doch da zwickte Abby ihr verspielt in die Hüfte. „Masters! Was habe ich dir neulich erst beigebracht!? Nicht-von-hinten!“ „Da gibt’s auch gar kein Kindergeld“, gluckste Nick und bekam Anyas Ellbogen in die Rippen. Was eher weniger daran lag, dass es in den USA so etwas wie Kindergeld gar nicht gab. „Okay, dann ist es jetzt mein Zug!“, nutze Henry die Gunst der Stunde und zog zu seinem Startblatt eine sechste Karte. Kurz studierte er seine Hand, dann rief er: „Den Einstand macht [Don Turtle]! Wenn er beschworen wird, kann ich weitere [Don Turtles] von meiner Hand beschwören. Doch da sind bedauerlicherweise keine.“ Ein gelber Schildkrötenpanzer tauchte vor ihm auf. Leuchtende Augen verbargen sich in seinem Inneren und man konnte nur ahnen, was sich da in dieser Hülle versteckte.   Don Turtle [ATK/1100 DEF/1200 (3)]   „Huh?“ Anya blinzelte verdutzt. „Wer spielt denn dieses Kackvieh? Hast du kein Geld für bessere Karten?“ Henry überging ihre Beleidigung und nahm drei Karten aus seinem Blatt hervor. „Diese hier setze ich alle verdeckt. Mein Zug wäre dann auch beendet.“ Mit dem Kartenrücken nach oben erschien die Reihe jener drei Zauber oder Fallen vor seinen Füßen.   „Wenn da genauso'n Mist liegt wie dein Monster, ist das Duell schneller vorbei als du 'Gnade' schreien kannst, wenn ich dir anschließend unsere Klobürste in den Hals stecke! Draw!“ Abby flüsterte zu Nick: „Ihre Gewaltfantasien werden aber auch immer extremer. Was haben ihre Eltern nur mit ihr falsch gemacht?“ „Hehe, sie haben sie auf die Welt gebracht.“ „Nick, das war heute das erste Mal, dass du etwas halbwegs Kluges von dir gegeben hast“, meinte Abby anerkennend, auch wenn sie sich schämte, so über ihre Freundin zu reden. Aber die war ohnehin in ihrem berühmt-berüchtigten Zerstörungswahn und bekam kaum etwas von den Dingen mit, die hinter ihrem Rücken geschahen. „Jetzt zeig ich dir mal, wie richtig coole Monster aussehen!“, rief Anya selbstverliebt. „[Gem-Knight Fusion]! Damit verschmelze ich [Gem-Knight Tourmaline] und [Gem-Knight Sapphire]! Tourmaline, du bist das Herz, Sapphire, du die Rüstung!“ Die Abbilder der Karten wurden in einen Edelsteinwirbel gezogen, der sich über Anya auftat. Aus ihm heraus trat unter Blitz und Donner ein völlig neuer Ritter in goldener Rüstung. Mit wehendem blauem Umhang hielt er zwei Schwerter in den Händen, deren Klingen richtige Blitze waren. Auf seiner Brust prangerte ein bräunlicher Topas. „[Gem-Knight Topaz]!“, betitelte Anya ihn auch genau danach.   Gem-Knight Topaz [ATK/1800 DEF/1800 (6)]   „Sieht für ein Fusionsmonster aber ziemlich unscheinbar aus“, meinte Henry unbeeindruckt. „Weil du keine Ahnung hast, du Dumpfralle!“, erwiderte Anya und zückte eine Zauberkarte aus ihrem Blatt. „Jetzt rüste ich Topaz mit [Fusion Weapon] aus. Fusionen der Stufe 6 oder weniger erhalten durch sie ganze 1500 Angriffs- und Verteidigungspunkte!“ Eine der Klingen verschwand aus Topaz' Hand, welche sich plötzlich verformte und zu einem Elektroschocker wurde.   Gem-Knight Topaz [ATK/1800 → 3300 DEF/1800 → 3300 (6)] „Okay. Jetzt sieht die Sache schon etwas anders aus“, musste Henry kleinlaut zugeben. „Alter, die 'Sache' ist gleich vorbei! Los Topaz, Thunder Strike First!“ Anyas Krieger schoss auf den Schildkrötenpanzer ihres Gegners zu und wollte ihn gerade zerschlagen, als zwei von Henrys Fallenkarten aufsprangen. „Bevor du das tust, aktiviere ich [Next To Be Lost]! Damit wähle ich eines meiner Monster und lege ein gleichnamiges Exemplar von meinem Deck auf den Friedhof!“ Er zog eine [Don Turtle]-Karte hervor und schob sie in den Friedhofsschacht von Abbys Duel Disk. „Diese Viecher würde ich auch loswerden wollen“, höhnte Anya. „Und wenn wir schon dabei sind, kannst du diese nutzlose Falle gleich mit entsorgen! Hast du überhaupt eine gute Karte in deinem Deck!?“ „Jede Karte in diesem Deck ist gut“, erwiderte Henry trocken. „Jetzt zu meiner zweiten Falle, [Generation Shift]. Sie zerstört [Don Turtle] und gibt mir das dritte Exemplar davon von meinem Deck auf die Hand.“ Die ominöse Schildkröte zersprang und Topaz' Klinge glitt ins Leere. Anya bekam regelrecht einen hysterischen Lachkrampf. „Oh mein Gott, das wird ja immer besser!“ Henry, der die [Don Turtle]-Karte zu seinen anderen beiden Handkarten steckte, verzog keine Miene. „Aber wenn du es so haben willst, bitteschön! Denn jetzt kann Topaz dich direkt angreifen! Also los, nochmal Thunder Strike First!“, bellte Anya und streckte den Arm aus. Ihr Ritter erschien vor Henry und holte zum Schlag aus. Doch der war schneller und aktivierte seine letzte Fallenkarte. „[Defense Draw]! Durch sie kann ich den Kampfschaden dieses Angriffs auf 0 setzen und eine Karte ziehen!“ Der Schlag der Blitzklinge prallte einfach an ihm ab, als wäre der junge Mann aus Stahl. Dann zog er von seinem Deck und lächelte verschmitzt. „Pah! Fühl' dich bloß nicht zu sicher, Burschi! Denn [Gem-Knight Topaz] kann zweimal pro Runde angreifen! Thunder Strike Second!“ Das Lächeln verflog aus Henrys Gesicht, als ihm der Elektroschocker in den Magen gerammt wurde. Glücklicherweise waren es nur Hologramme, sodass Anyas Ritter durch ihn hindurch reichte. Trotzdem schien er für einen Augenblick so erschrocken, als fürchte er tatsächlich um sein Leben.   [Anya: 4000LP / Henry: 4000LP → 700LP]   Henry rieb sich tief durchatmend den Bauch. „Wow“, lachte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Wäre meine Falle nicht gewesen, hättest du mich in nur einem Zug fertig gemacht.“ Ja, das hätte sie, dachte Anya wutentbrannt. Aber dieser Idiot hatte ihr gehörig die Tour vermasselt! Dafür würde sie ihn noch bluten lassen! Wortwörtlich! „Ich beende meinen Zug“, herrschte sie ihn an.   „Okay, dann mache ich weiter! Draw!“ Er nahm eine Zauberkarte aus seinem Blatt und zeigte sie vor. „Mit [Salvage] hole ich jetzt die beiden [Don Turtles] von meinem Friedhof, da sie Wasser-Monster mit weniger als 1500 Angriffspunkten sind!“ „Ja, ja, spiel' ruhig so viele Witzfiguren wie du willst“, spottete Anya. „Ganz genau das tu ich auch. Ich beschwöre [Don Turtle], welcher durch seinen Effekt die anderen beiden von meiner Hand ruft.“ Henry ließ sich von den Gebärden seiner Gegnerin nicht beeindrucken. Vor ihm erschienen die drei Schildkrötenpanzer, in denen sich ihre Bewohner versteckt hielten.   Don Turtle x 3 [ATK/1100 DEF/1200 (3)]   „Von meiner Hand als Spezialbeschwörung: [Gilasaurus]! Da ich ihn auf diese Art gerufen habe, kannst du eines der Monster von deinem Friedhof reanimieren!“, erklärte Henry, während neben seinen Schildkröten ein brauner Velociraptor erschien. Gilasaurus [ATK/1400 DEF/400 (3)] „Alter, auf welcher Seite bist du eigentlich?“, fragte Anya ungläubig. Jetzt schenkte der ihr auch noch ein Monster! Aber umso besser für sie. „Fein, Sapphire im Verteidigungsmodus!“ Ihr Edelsteinritter in blauer Rüstung kniete neben Anya nieder und erzeugte einen Wall aus gefrierendem Wasser, welcher ihn vor Angriffen schützen sollte.   Gem-Knight Sapphire [ATK/0 DEF/2100 (4)]   „Gut, dann wäre jetzt wohl der ideale Zeitpunkt.“ „Und für was?“, fragte Anya ihren Gegner desinteressiert. „Etwa aufzugeben?“ „Ich erschaffe das Overlay Network! Zwei Level 3 [Don Turtles] werden zu einem Rang 3 Xyz-Monster! Der Level 3 [Gilasaurus] und der Level 3 [Don Turtle] ebenso! Kommt herbei, [Black Ray Lancer] und [Grenosaurus]!“ Anya traute ihren Ohren kaum. Dieser Kerl besaß tatsächlich Xyz-Monster? „Kumpel, von wem hast du die denn gestohlen!?“ Ein schwarzes Loch machte sich vor ihnen auf und verschluckte Henrys Monster, die zu drei blauen und einem braunen Strahl geworden waren. Dann traten aus dem Strom zwei neue Kreaturen auf. Die erste, [Black Ray Lancer], war eine schwarze, amphibische Gestalt mit zwei großen Schwingen aus Schwimmhäuten und einer imposanten Lanze in der Hand. Die andere ein roter Dinosaurier auf zwei Beinen, aus dessen Kopf ein flammender Schopf entsprang. Um beide schwebten je zwei leuchtende Sphären.   Black Ray Lancer [ATK/2100 DEF/600 {3}] Grenosaurus [ATK/2000 DEF/1900 {3}] „Bwahahaha!“ Anya konnte sich kaum halten vor Lachen. „All die Mühe für -das-!?“ „Zauberkarte! [Xyz Gift]! Damit entferne ich, wenn ich mindestens zwei Xyz-Monster kontrolliere, zwei Materialien von ihnen und darf zwei Karten ziehen. Ich hänge je von [Grenosaurus] und [Black Ray Lancer] eines ab!“ Um jede der beiden Kreaturen verschwand eines der Lichter. Henry zog zwei neue Karten und nahm dann eine andere aus seinem Blatt hervor. „Und jetzt der Gegenangriff! [Union Attack]! Dafür, dass diese Runde nur [Grenosaurus] angreifen und keinen Kampfschaden zufügen kann, erhält er die Angriffskraft von [Black Ray Lancer]!“ „Huh?“   Grenosaurus [ATK/2000 → 4100 DEF/1900 {3}] „Oh crap! Jetzt ist das Teil ja stärker als-“ „Als [Gem-Knight Topaz]! Vollkommen richtig!“ Henry strahlte zufrieden und streckte den Arm aus. „Los, Ancient Fire Blast!“ Wie von der Tarantel gestochen stampfte der massige Dinosaurier auf Anyas Ritter zu und blies aus seinen Nüstern eine feurige Wolke, in der der Krieger zu Staub zerfiel. „Selbst wenn [Grenosaurus] durch seinen Angriff keinen Schaden zufügen kann, hat er einen Effekt, der sich aktiviert, wenn er ein Monster zerstört“, erklärte Henry hitzig. „Wenn ich ein Xyz-Material abhänge, erleidest du 1000 Lebenspunkte Effektschaden! Nimm das!“ Anya sah ungläubig in das Antlitz des Dinos, welcher plötzlich vor ihr stand und sie geifernd anstarrte. Dann schoss er aus seinen Nüstern eine weitere Flamme, die Anya vollkommen eindeckte.   [Anya: 4000LP → 3000LP / Henry: 700LP]   „Geht's noch?“, begehrte die Blondine im Anschluss aufgebracht auf. „Die Frage sollte man wohl eher dir stellen“, meinte Henry ernst. Eine Spur Enttäuschung schwang in seiner Stimme mit. „Du machst dich über mich lustig, ohne mich und meine Strategie zu kennen. Wie kann man nur mit solchen Scheuklappen durch die Gegend laufen? Wie du solche netten Freunde haben kannst, ist mir ehrlich gesagt unbegreiflich.“ Anya knirschte mit den Zähnen. Was bildete der Typ sich eigentlich ein? Der wusste wohl immer noch nicht, mit wem er da überhaupt redete!   Auf der anderen Seite schenkte Abby dem jungen Mann ein vergnügtes Lächeln. Wenigstens einer, der ihre Person zu schätzen wusste. Aber sie nahm es Anya nicht übel, dass sie so war, wie sie war. Ein wenig tat Henry ihr auch Unrecht, denn schließlich hatte Anya sie und Nick vor Alastair gerettet, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken. Bloß das durfte er nicht wissen. Um ein Haar hätte Anya sich verplappert. Seit sie die Realität akzeptiert hatte, ging sie damit ziemlich leichtfertig um, dachte Abby besorgt. „Ich setze meine beiden restlichen Handkarten verdeckt und gebe an dich ab“, sprach Henry tonlos.   Grenosaurus [ATK/4100 → 2000 DEF/1900 {3}]   Anya zog mit mehr Schwung, als nötig gewesen wäre und stolperte dabei beinahe. Ärgerlich runzelte sie die Stirn. „Was du kannst, kann ich auch und besser sowieso! Ich beschwöre [Gem-Turtle]!“ Neben ihrer Ritterin erschien eine große Schildkröte, deren Panzer ganz aus einem Smaragd bestand, der in einem goldenen Rahmen gefasst war.   Gem-Turtle [ATK/0 DEF/2000 (4)]   Anya streckte plötzlich den Arm in die Höhe und grinste. Das Mal an ihrem Arm begann leicht bräunlich zu glimmen, was Henry zurückschrecken ließ. „Was!?“ „Ich erschaffe das Overlay Network! Meine beiden Stufe 4-Monster werden zu einem Rang 4 Xyz-Monster! Komm herbei, [Gem-Knight Pearl]!“ Der schwarze Wirbel mitten im Spielfeld tat sich wieder auf und sog das braune Licht, zu dem Anyas Monster geworden waren, in sich auf. Aus dem Strom heraus trat ein ehrwürdiger, schlichter Ritter in weißer Rüstung, um den ein Ring riesiger Perlen tanzte.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4}]   „Da staunst du, was?“, prahlte Anya großmäulig. „So muss ein Xyz-Monster aussehen!“ Doch Henry hatte nur Augen für das Mal an Anyas rechtem Unterarm. Das leichte Glühen verschwand, aber er wandte den Blick nicht ab. Tatsächlich schien er mit den Gedanken an einem völlig anderen Ort zu sein. Anya bekam davon gar nichts mit. Sie streckte den Arm aus und zeigte auf Henrys Dinosaurier. „Los Pearl, schick das Ding zurück in die Steinzeit! Blessed Spheres of Purity!“ Die Perlen um Anyas Ritter begannen zu leuchten und wurden zu grellen Lichtsphären, die auf [Grenosaurus] zuschossen und ihn in einer Explosion vernichteten. Das Werk verrichtet, fanden sie zu ihrer alten Gestalt zurück und schwebten wieder um [Gem-Knight Pearl]!   [Anya: 3000LP / Henry: 700LP → 100LP]   „Dein Zug, Nervensäge!“ Henry hörte sie jedoch nicht, sondern starrte Anyas Ritter mit offenem Mund an. Erst, als sie ihm diverse Beleidigungen an den Kopf knallte, wachte er aus seiner Trance auf. „Schlottern dir jetzt so die Knie, dass dein Krümelhirn auf Durchzug steht?“, zischte Anya erfüllt von Ungeduld. „Ah … nein. Ich war nur gerade abgelenkt gewesen. Woher hast du diese Karte?“ „Sie hat sie von mir zum Geburtstag geschenkt bekommen!“, antwortete Abby eilig, ehe Anya sich wieder verplapperte. „Häh?“, machte Nick und kratzte sich am Kopf. „Ich dachte wir wollten sagen, dass sie sie einem Unterstufler abgenommen hat?“ „Nick!“, fauchte Abby wütend und grinste Henry hilflos an. „Nimm ihn nicht ernst, er ist ein wenig durcheinander, ha ha.“ Henry nickte, doch seinem verhärteten Gesichtsausdruck konnte man entnehmen, dass er ihnen kein einziges Wort davon abkaufte. „Ist ja auch nicht weiter wichtig. Ich war dran, richtig?“ „Auch schon bemerkt? Bravo!“ Anya klatschte zum Spott in die Hände. Mit nachdenklicher Mimik zog Henry eine Karte und strahlte dann. „Perfekt!“ Er hob seinen Kopf und sah Anya an. „Da ich nicht weiß, über welchen Effekt dein Monster gebietet, hänge ich nun von [Black Ray Lancer] das letzte Xyz-Material ab. Dadurch wird der Effekt deines Monsters negiert!“ Die leuchtende Kugel, welche um seine Unterwasserkreatur schwebte, verschwand. Doch ansonsten geschah gar nichts. Verwirrt blinzelte Henry und betrachtete seinen Lancer. „Was ist los? Wieso funktioniert das nicht?“ Anya ballte eine Faust und presste zornig hervor: „Weil Pearl effektlos ist …“ Plötzlich brach Henry in herzliches Gelächter aus. „Ach so? Das erklärt natürlich einiges. Tut mir leid, mein Fehler!“ Alles was er dafür erntete, war ein kehliges Knurren. Schließlich fing Henry sich wieder und schien bessere Laune zu haben als jemals zuvor. Im Gegensatz zu Anya, deren lebhafte Fantasie sich bereits unschöne Dinge mit ihm ausmalte. „Also gut, weiter im Text. Ich aktiviere jetzt meine verdeckte Zauberkarte, [Earthquake]! Sie wechselt alle Monster in den Verteidigungsmodus.“ Ein Ruck erschütterte den Ritter und die Amphibie, woraufhin beide schützend ihre Arme vor sich hielten.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4}] Black Ray Lancer [ATK/2100 DEF/600 {3}]   „Und nun aktiviere ich sofort darauf meinen zweiten gesetzten Zauber, [Shield Crush]! Damit zerstöre ich ein Monster in Verteidigungsposition und Pearl scheint mir da bestens geeignet.“ Ehe Anya auch nur widersprechen konnte, zerschepperte ihr Monster in tausend Stücke. Auf einmal stand sie völlig schutzlos vor Henry. Dieser drehte den [Black Ray Lancer] auf Abbys Duel Disk wieder in den Angriffsmodus. „Da seine Position durch einen Effekt geändert wurde, kann ich sie für diesen Zug noch manuell wechseln“, erklärte er dabei.   Black Ray Lancer [ATK/2100 DEF/600 {3}]   „Oh crap!“ Anya runzelte die Stirn. „Aber warte ab, nächste Runde-“ „Es wird keine nächste Runde mehr geben. Denn genau wie ich [Black Ray Lancers] Position wechseln konnte, kann ich noch genauso gut ein Monster als Normalbeschwörung rufen. Und ich habe eines gezogen. [Grass Phantom]!“ Anya klappte die Kinnlade hinunter, als sie den grünen Kohlkopf erscheinen sah, aus dessen Mund Tentakel ragten.   Grass Phantom [ATK/1000 DEF/1000 (3)]   Sie rechnete nach. Mit 3000 Lebenspunkten würde sie so schnell nicht- doch sie würde! Die kombinierte Angriffsstärke seiner Monster reichte knapp aus, damit sie … damit sie … „Oh verdammte Dreckskacke!“, schoss es aus Anya heraus. Sie würde verlieren! Sie! Wo verlieren doch gar nicht in ihrem Wortschatz existierte! „So kann man es auch ausdrücken“, lachte Henry. „Ich mach es auch kurz, versprochen! Also dann, [Grass Phantom], [Black Ray Lancer], Doppelangriff auf meine Gegnerin!“ Die Tentakel des Kohlkopfs schlossen sich um die Amphibie, welche die Kraft der Pflanze in sich aufsog. Dann wirbelte er mit der Lanze und verpasste Anya einen Hieb, der durch das erstarrte Mädchen hindurch glitt.   [Anya: 3000LP → 0LP / Henry: 100LP]   Die Hologramme verschwanden und Anya stand da, als hätte Marc Butcher Valerie Redfield gerade vor ihren Augen einen Heiratsantrag gemacht. Diese Niederlage war einfach zu viel für sie. Wie konnte sie von solchen Billigkarten fertig gemacht worden sein? Nicht einmal zu fluchen vermochte sie noch. Henry ging auf sie zu und reichte ihr die Hand. „Gutes Duell.“ Anya zwinkerte erst einen Augenblick, ehe sie sich seiner gewahr wurde. Dann schlug sie seine Hand weg. „Verdammter Glückspilz! Fein, ich hab verloren, na und? Ich habe mir ja auch überhaupt keine Mühe gegeben!“ Abby trat neben Anya und warf Henry einen entschuldigenden Blick zu. Mit den Lippen formte sie stumm die Worte „Sie ist eine schlechte Verliererin“ und deutete dabei auf Anya. Die wandte sich trotzig ab. „Ich gehe jetzt!“, raunte sie missmutig. „Und unsere Abmachung?“, hakte Henry nach. Dann aber änderte er urplötzlich seine Meinung. „Ist ja auch egal. Ich denke, ich weiß schon alles, was ich wissen wollte. Wenn ihr meiner Schwester begegnet wäret, hättet ihr es mir bestimmt gesagt.“ Abby nickte heftig. „Natürlich. Tut mir leid, dass wir dir nicht helfen konnten.“ „Macht nichts“, sagte er und lächelte wieder. Er gab Abby und dann Nick die Hand, während Anya mit hinter dem Kopf verschränkten Armen mit dem Rücken zu ihnen stand und schwieg. „Es tut mir leid, dass ich euch belästigt habe. Vielleicht läuft man sich ja mal wieder über den Weg. Würde mich freuen. Aber jetzt muss ich weiter, also bis dann!“ Er nahm die Duel Disk von seinem Arm und gab sie Abby zurück. „Bye“, hauchte die ihm verzaubert hinterher, als er sich von ihnen schnellen Schrittes entfernte. Sie war einfach nur beeindruckt, wie sehr er sich um seine Schwester sorgte, wie stark er trotz seines auf den ersten Blick schwachen Decks war und wie spielerisch er mit Anyas Eskapaden umgehen konnte.   „Bah, guckt mal, wie spät es ist“, murmelte jene schließlich und deutete auf den Himmel. Der war bereits orangerot, die Sonne stand schon tief am Horizont. „Wie lange haben wir überhaupt in dieser bekloppten Bibliothek gehockt?“ „Bestimmt ein paar Stunden“, überlegte Abby, war aber mit den Gedanken noch bei Henry. „Was für eine Zeitverschwendung! Ich haue ab. Man sieht sich!“, brummte Anya frustriert und trottete ebenfalls, in die entgegengesetzte Richtung, von dannen. Nun waren es nur noch Nick und Abby. Letztere sah den hochgewachsenen, zerzausten jungen Mann fragend an. „Was hältst du von Henry?“ „Nicht mein Typ.“ „So meinte ich das nicht! Er ist ziemlich cool, oder? Aber“, sie zögerte, „war er nicht ein wenig seltsam? Ich meine, wie er Anyas Mal angestarrt hat?“ Nick gluckste. „Er hatte bestimmt Angst, dass sie ihn verprügelt. Geht mir auch immer so.“ Du gibst einem auch allen Anlass dazu, dachte Abby schelmisch. Trotzdem! Etwas an Henry war seltsam. Zumal er ihr so verdammt bekannt vorkam!     Turn 06 – Victim's Sanctuary Abbys neuestem Einfall folgend, besuchen die drei Freunde die Irrenanstalt Victim's Sanctuary am Rande der Stadt. Schnell wird klar, dass die dort untergebrachten Schüler keine Hilfe sein werden bei der Recherche rund um Eden. Als sie das Gebäude wieder verlassen wollen, treffen sie unerwartet auf Valerie, die ihre Freundin Caroline besuchen will. Gerade als zwischen Anya und Valerie ein neuer Streit aufzuflammen droht, gibt es einen Stromausfall und die Vier werden von den Patienten angegriffen. Dabei geht Anya KO, sodass es nun an Valerie liegt, sich einem gefährlichen Spiel zu stellen … Kapitel 6: Turn 06 - Victim's Sanctuary --------------------------------------- Turn 06 – Victim's Sanctuary     „Ich schwöre euch, eines Tages wird ihr Kopf in unserem Flur an der Wand hängen!“, zischte Anya hasserfüllt und schielte mit zusammengekniffenen Augen zu Valerie herüber, die Seite an Seite mit Marc – ihrem Marc! – über das Campusgelände schritt. Dabei unterhielten sie sich derart ausgelassen, das Anya schon Pläne schmiedete, wie sie unbemerkt an die Knarre ihres Vaters herankommen könnte. Abby lugte über ihre Zeitung. „Würde ich dir nicht empfehlen. Mord wird in unserem Bundesstaat schwer bestraft. … Wie überall auf der Welt. Außerdem, erinnerst du dich noch an letztes Mal, als du dich mit Valerie angelegt hast?“ „Das ist doch Schnee von vorvorgestern!“, raunte Anya und biss so zornentbrannt in ihren Apfel, dass es aussah, als würde sie sein Fleisch wie ein Wolf herausreißen.   Die beiden Mädchen und Nick saßen auf der roten Wolldecke, die Abby mitgebracht hatte, damit sie im Schatten der großen Eiche bei den Sporthallen ihre Mittagspause verbringen konnten. Es war extrem heiß an diesem Sommertag, sodass selbst Anya ausnahmsweise ein Tanktop trug und Schultern zeigte. Natürlich war das Kleidungsstück pechschwarz, man könnte demnach behaupten, passend zu Anyas Seele. Und dass ihr Mal mittlerweile immer wieder neugierige Blicke auf sich zog, war der jungen Frau dabei völlig gleich. „Ich habe mich darum kümmert. Unser Besuch wird genehmigt“, meinte Abby schließlich. Ein gewisses Unbehagen lag dabei in ihrer Stimme. „Vielleicht sollten wir das nochmal überdenken, ha ha … ?“ „Masters, sag jetzt bloß nicht, du hast Schiss?“, murrte Anya. „Das war doch deine Idee gewesen, schon vergessen?“ Mit alberner Stimme äffte sie Abbys Worte von neulich nach. „'Vielleicht finden wir ja dort etwas über Eden heraus? Schließlich sind unsere Mitschüler erst verrückt geworden, als Levrier aufgetaucht ist.'“ „Na ja, manchmal macht man eben Fehler“, reagierte das Mädchen heiser, welches aussah, als würde sie einen Kartoffelsack tragen. Selbst an den heißesten Tagen musste es immer ein Kleid sein – in dem Fall vom langweiligsten Grau. „Schau dir Nick doch an!“ Der war gerade dabei, eine Wespe streicheln zu wollen, die sich über seinen Pudding hermachte. Wenige Sekunden später geschah das Unvermeidliche: „Au! Die hat mich gestochen! Böse Wespe!“ Anya interessierte das gar nicht. Sie starrte Abby finster an. „Wir gehen dahin und gut ist! Nachdem deine grandiose Idee mit der Bibliothek so ein Reinfall war, bist du mir das schuldig! Wenn ich noch ein Buch sehe, muss ich kotzen!“ Plötzlich hatte sie das Buch ihres Englischkurses vor den Augen, welches Nick sich grinsend aus Abbys Tasche geschnappt hatte. Als er das Buch senkte, um zu sehen, ob Anya ihre Worte wahr gemacht hatte, funkelte die finster über den Rand, riss es ihm aus den Händen und zog es ihm über den Schädel. „Au! Böse Anya!“, jammerte er liegend. „Darf ich zutreten?“, fragte die Blondine bitterböse und wollte aufstehen, doch ein mahnender Blick Abbys ließ sie verharren. „Na schön“, lenkte die schließlich ein. „Also dann heute nach der Schule vor Victim's Sanctuary. Eigentlich bin ich ja neugierig, was mit unseren Klassenkameraden ist. Immerhin sehen und hören sie immer noch Dinge. Aber …“ „Nichts aber!“, protestierte Anya. „Mir läuft die Zeit davon! In zwei Monaten bin ich entweder eine bescheuerte Stadt oder weiß-der-Geier-was-sonst-noch! In Victim's Sanctuary spukt es nicht, okay? Das erzählt man kleinen Kindern, damit sie nicht über den Stacheldrahtzaun klettern!“ Einmal hatte sie es versucht, doch leider war sie dabei unangenehm gescheitert. Seitdem hasste Anya Stacheldrahtzäune. „Und was ist mit den Experimenten?“, fragte Nick enttäuscht. „Wenn es da jemals Experimente gab, dann höchstens an dir!“, meinte Anya abweisend und verschränkte die Arme. „Wir gehen dahin und gut is'!“   ~-~-~   Als sie die örtliche Irrenanstalt am späten Nachmittag erreicht hatten, war von schönem Wetter keine Spur mehr zu sehen. Es goss wie aus Eimern und so teilten die Drei sich einen Regenschirm, welchen Anya sich von Willow Taub mit 'freundlichen Worten' 'geborgt' hatte. Und während die beiden Mädchen dadurch nicht nass wurden, musste Nick ihnen als Größter den Schirm halten – durfte aber gleichwohl nicht darunter stehen und war bereits vollkommen durchnässt. „Komisch, schon wieder so ein Wetterumschwung“, meinte Abby dazu nachdenklich. Sie hielten vor den Toren der Anstalt, die direkt am Waldrand auf einem Hügel lag. Überall um sie herum standen bereits vereinzelt Fichten und andere Gewächse, die Anya nicht zu benennen wusste. Das Gelände war umringt von einem hohen Stacheldrahtzaun, der dafür sorgen sollte, dass niemand es ohne Erlaubnis betreten oder verlassen konnte. Neben dem schwarzen Tor befand sich ein kleines Pförtnerhäuschen, zu dem sich die Drei begaben.   Nachdem man sie hereingelassen hatte, strebten sie der riesigen Villa entgegen, in der die Patienten untergebracht waren. Einst hatte sie einer reichen Schauspielerin gehört, doch nachdem die sich im Foyer erhängt hatte, wollte niemand mehr dort einziehen. So hatte die Stadtverwaltung beschlossen, das Gebäude zu renovieren und eine Irrenanstalt daraus zu machen. Düster erhob sich das mehrstöckige Anwesen vor ihnen. Während Abby sich an Anya schmiegte, die aus purer Boshaftigkeit dazu geneigt war, ihre Freundin in eine Pfütze zu schubsen, lachte Nick plötzlich los. „Was ist?“, fragte Anya genervt. „Nichts“, meinte er. „Mir geht’s gut.“ „Glaub ich eher weniger“, brummte seine Freundin und machte mit ihrem Zeigefinger eine Kreisbewegung um ihre Schläfe. Was war denn mit dem plötzlich los? Zusammen stiegen sie die kurze Treppe zum Eingang hinauf und schoben eine der Flügeltüren beiseite. Sie gelangten in die große Eingangshalle, die als Aufnahme umfunktioniert worden war. Die roten Teppiche hatte man längst entfernt und gegen Laminatboden ausgetauscht. Die Wände waren weiß gestrichen und insgesamt wirkte das Foyer, abgesehen von ein paar willkürlich verteilten Stühlen und Topfpflanzen, ziemlich leer. Zwei Treppen, die an ihrem Ende ineinander verliefen, führten in das nächstgelegene Stockwerk zu den Patientenzimmern. Abby geleitete ihre Freunde herüber zu den beiden Krankenschwestern, die zusammen an dem Tresen in der rechten Ecke des Saals arbeiten. Sie räusperte sich, ehe sie die beiden schwatzenden Damen mittleren Alters ansprach. „Ähm, Entschuldigung?“ Die korpulentere der beiden Krankenschwestern sah auf. „Kann ich euch helfen?“ „Ja. Wir suchen nach unserem Freund und Mitschüler, Ernie Winter. Ich hatte unseren Besuch angekündigt gehabt.“ Kurz sah die Frau auf ihren Computer, dann meinte sie: „Zimmer 1.13, erstes Stockwerk. Einfach die Treppe hoch, den Gang geradeaus entlang, dann findet ihr es.“ „Danke.“ Tief durchatmend drehte sich Abby zu ihrem Freunden um. Dann schritten sie zusammen durch das Foyer – Nick hinterließ einen regelrechten Fluss aus Wassertropfen – nahmen die Treppen und gelangten in einen spärlich beleuchteten Gang, von dem links ein weiterer Korridor abging. Dass es hier so dunkel war, lag vornehmlich daran, dass zwei der insgesamt sechs Lampen ihren Dienst verweigerten. „Seltsam still für eine Irrenanstalt“, meinte Anya enttäuscht, als sie nach Ernies Zimmer suchten. Sie hatte mit Verrückten gerechnet, die überall herum rannten, Blödsinn schwafelten und nach Leibeskraft schrien. Die bittere Realität sah da ganz anders aus: langweilig. „Von mir aus kann das auch so bleiben“, erwiderte Abby ängstlich. „Immerhin herrscht hier Ruhe und Frieden. Da kriegt man ja glatt Angst um sein Karma.“ „Peace!“, gluckste Nick und drängte sich mit erhobenen Mittel- und Zeigefingern zwischen die Mädchen. Letztlich waren sie vor Zimmernummer 13 angelangt. Hinter ihr war es mucksmäuschenstill. „Ähm Ern-“ Doch Anyas Faust trommelte schon gegen die Tür. „Aufmachen, Winter! Wir haben da was zu klären! Wenn du nicht gleich aufmachst, tret' ich die Tür ein!“ Abby, die es erst auf die freundlich Art hatte versuchen wollen, warf Anya einen finsteren Blick zu. „Was denn!?“ Aber es gab auf Anyas Drohungen keine Antwort. Was höchst ungewöhnlich war, konnte man Ernie schließlich als größten Feigling ihres Jahrgangs bezeichnen. Schmächtig wie er war, wurde er seither von seinen Mitschülern als Spielball für allerlei Gemeinheiten benutzen. Wenn Anya etwas von ihm verlangte, tat er das in der Regel auch ohne Widerspruch. „Vielleicht schläf- Anya!“ Jene hatte einfach die Tür geöffnet und trat in das kleine Zimmer ein. Außer einem Bett, einem Fernseher an der Wand, einem Nachttisch und einem Regal mit Büchern befand sich hier nicht viel. Die Vorhänge des Fensters waren zugezogen. Die Lampe auf dem Nachttisch brannte nicht, es war also noch dunkler als im Gang hinter ihnen. Eine kleine, gebeugte Gestalt hockte auf dem Bett und verharrte in eisiger Stille. Wie gebannt starrte Ernie regungslos in die Leere. Dass er Besuch hatte, nahm er anscheinend gar nicht wahr. „Hey Winter, aufwachen!“, raunte Anya und baute sich vor dem Jungen auf. „Ich glaube nicht, dass das so funktioniert“, beschwerte sich Abby wütend und schob ihre Freundin beiseite. Sie beugte sich zu Ernie herab und lächelte freundlich. „Hallo Ernie, erkennst du mich? Ich bin es, Abigail Masters. Du hast manchmal Mathematiknachhilfe bei mir genommen, erinnerst du dich?“ Weder eine Antwort, geschweige denn eine Regung des Jungen verriet, dass er überhaupt zuhörte. Wütend darüber, ignoriert zu werden, griff Anya den Blonden am Kragen und zog ihn zu sich hoch. „Jetzt hör' mir mal zu, du Napfsülze! Du wirst uns jetzt sagen, was du die ganze Zeit anstarrst, oder ich schmeiß' dich achtkantig aus dem Fenster und ziehe dich solange an den Beinen durch den Schlamm draußen, bis du nicht mehr weißt, ob du Männlein oder Weiblein bist!“ „Anya!“, schrie Abby regelrecht, was von jemandem wie ihr vollkommen überraschend kam. Sie zerrte ihre Freundin von dem Jungen weg, welcher wieder auf sein Bett plumpste und vor sich hin starrte, als wäre nichts geschehen. „So kannst du doch nicht mit einem Kranken umgehen!“ „Aber-!“ „Du siehst doch, dass wir für ihn gar nicht da sind! Egal wie sehr du ihn anbrüllst, er wird nicht antworten!“ „Deswegen will ich es ja mit ein wenig Gewalt probieren, vielleicht-“ „Nein!“ Abby trat zwischen Ernie und Anya. „Du wirst ihm kein Haar krümmen!“ Mit den Zähnen knirschend, machte die Blondine auf dem Absatz Kehrt und machte ein paar Schritte durch das Zimmer. „Von mir aus … Und was jetzt?“ „Vielleicht können wir jemand anderes fragen? Ich glaube, Lily McDonald ist auch hier irgendwo. Wir sollten uns mal nach ihr erkundigen.“ Abby seufzte. „Ich hatte gehofft, dass wir mehr über die Dinge erfahren können, die unsere Mitschüler sehen, seit sie hier eingeliefert worden sind. Das hat doch gewiss etwas mit Eden und Levrier zu tun.“ Anya grunzte missmutig: „Die sind einfach nur balla balla, das ist alles!“ Zusammen verließen die Drei Ernies Zimmer, aber nicht, ohne dass Anya die Tür zuknallte. Es war nicht zum Aushalten! Sie hatte mit Dummschwätzern gerechnet, aber dass die Bekloppten hier gar nichts sagten, machte das Mädchen rasend.   Als das kleine Grüppchen zurück ins Foyer gelangte, bemerkten sie am Tresen der Krankenpflegerinnen eine schwarzhaarige Gestalt, die auf etwas zu warten schien. „Ich denke, ich verschwinde“, meinte Anya verstimmt. „Bringt ja doch nichts, sich hier zu langweilen. Ihr könnt ja gerne weitermachen, wenn ihr wollt.“ „Anya?“ Die junge Frau mit den langen Haaren drehte sich um und entpuppte sich als niemand anderes, als- „Redfield?“, schoss es wie eine Kanonenkugel aus der Blondine. „Und ich dachte, der Tag kann nicht mehr beschissener werden!“ „So gut gelaunt wie eh und je, huh?“, erwiderte Valerie kühl. In der Hand hielt sie ihren Regenschirm. „Was wollt denn ausgerechnet ihr hier?“ „Dasselbe wie du, was sonst?“, zischte Anya giftig. „Caroline Mayfield besuchen? Aber ihr kennt sie doch gar nicht.“ Abby drängte sich zwischen die beiden Mädchen, um das drohende Blutbad zu verhindern. „Hi Valerie! Nein, wir sind wegen Ernie Winter hier.“ Die Schwarzhaarige nickte verständig. „Ach so.“ Dann sah sie zurück zum Tresen, nur um sich wieder der Gruppe zuzuwenden. „Sagt mal, habt ihr die Schwestern gesehen? Ich warte hier schon seit über fünf Minuten. Oder wisst ihr zufällig, wo sich Carolines Zimmer befindet?“ „Im Keller“, antwortete Anya heimtückisch. Da gab es bestimmt Ratten und sie wollte dabei sein, wenn Valerie schreiend das Gebäude verließ. „Also irgendwo auf den oberen Etagen“, schloss Valerie kühl aus Anyas Worten. „Soll das heißen, dass ich lüge!?“, fauchte Anya, sich insgeheim fragend, was sie wohl verraten hatte. Ihr Gegenüber nickte. „Dir traue ich das sogar zu! Als ob ich nicht merken würde, dass du etwas gegen mich hast!“ „Verdammt richtig, Bambi! Am liebsten würde ich-“   Urplötzlich fiel die Deckenbeleuchtung aus, sodass es ziemlich düster im Foyer wurde. Draußen donnerte es laut. „Na klasse“, raunte Anya. „Ich hab Angst im Dunkeln“, jammerte Nick und zwängte sich an Anya … und lag kurz darauf am Boden. Erschrocken half Valerie ihm wieder auf. „Was hat er dir denn auf einmal getan?“ „Er lebt?“, antwortete Anya zynisch. „Misch dich nicht in Sachen ein, die dich nichts angehen, Redfield!“ Abby, die sich wieder zwischen die beiden Streithähne drängen musste, versuchte zu schlichten. „Bitte, hört auf! Wir sollten uns hier nicht streiten! Lasst uns doch für einen Moment alle tief durchatmen, dann nehmen wir einander bei den Händen und-“ „Verdammt richtig, Masters! Ich geb' mir diesen Scheiß nicht länger!“ Aufgebracht stampfte Anya davon und steuerte auf die große Flügeltür zu. Doch als sie diese öffnen wollte, rührte die sich keinen Millimeter. Egal wie sehr Anya auch daran rüttelte und dagegen trat, die Tür blieb verschlossen. Schnaubend drehte sie sich zu den anderen um, die sie alle verwirrt anstarrten. „Sieht so aus, als sitzen wir hier fest, hmpf!“ „Natürlich … Willst du uns veräppeln?“, fragte Valerie bissig, schritt zu Anya und probierte es selbst. Erfolglos. Und musste deshalb ein triumphierendes Grinsen übelster Sorte über sich ergehen lassen.   „Toll, und was machen wir jetzt?“, fragte Anya, als die beiden Mädchen wieder beim Rest der Gruppe angelangt waren. „Wir gehen einfach jemanden suchen, der uns das Tor wieder aufschließt“, meinte Valerie unbekümmert. „Bestimmt haben sie abgeschlossen, damit die Patienten nicht in den strömenden Regen laufen.“ „Und das hast du nicht bemerkt, während du die ganze Zeit hier gewartet hast?“ Auf Anyas Frage hin schüttelte Valerie den Kopf und erwiderte pampig: „Natürlich nicht! Das Schloss kann auch automatisch aktiviert werden, falls du es nicht weißt.“ „Also ich weiß nicht“, murmelte Abby ängstlich. Sie richtete sich an Anya und Nick. „Ist euch nicht aufgefallen, dass wir mit Ausnahme der Schwestern keinem einzigen Pfleger begegnet sind? Und die beiden sind jetzt auch verschwunden. Als ob …“ „Oh, komm schon Masters! Du glaubst doch nicht im Ernst, was du gerade aussprechen willst!“, höhnte Anya und verschränkte entschieden die Arme. Dabei fiel Valeries Blick auf ihr Mal. „Was ist das da an deinem Arm?“ „Geht dich gar nichts an, Redfield!“ „Hört auf“, bat Abby eindringlich und deutete auf einen Gang links von den Treppen, welcher zu einem anderen Teil des Gebäude führte. „Wenn wir nach jemandem suchen wollen, sollten wir es mal da versuchen.“ „Aber da ist es dunkel!“, jammerte Nick. „Nein, da sind ein paar Fenster“, meinte Valerie einfühlsam und streichelte seine Schulter. Anya biss sich auf die Lippen. Diese schleimscheißerische, selbstverliebte, dummlallende Valerie! Wenn sie doch nur unbemerkt einen 'kleinen' Unfall arrangieren könnte! Dann wäre sie diese Pest von Weib endlich los! „Tch, dann gehen wir jetzt jemanden suchen“, sagte Anya und begann zu laufen. Die anderen folgten ihr und schon bald hatten sie den Gang erreicht. Früher war er eine Galerie gewesen, denn noch immer schmückten schöne, hohe Fensterbögen den sterilen, weißen Gang. Draußen konnte man den Vorhof und die Straße sehen, über die sich ein regelrechter Sturmregen ergoss. Hin und wieder blitzte und donnerte es. Immer wieder riefen Abby und Valerie nach dem Personal, ohne jedoch gehört zu werden. Anya machte dabei nicht mit, ihr war das zu blöde. Und Nick lief ganz zusammengekauert hinter ihnen, schreckte bei jedem kleinsten Geräusch zusammen. Schließlich erreichten sie eine Abzweigung nach rechts. Anya, die sowieso schon so schlecht gelaunt war, dass sie immer wieder genervt mit der Faust gegen die weiße Tapete rechts von sich schlug, erreichte die Abbiegung als Erste. Und kaum war sie dort angelangt, sah sie nur noch einen Schatten und spürte, wie sie von den Füßen gerissen wurde und stürzte. Alles wurde dunkel. „Anya!“, schrie Abby erschrocken und hielt sich die Hände vor den Mund. Da lag ihre Freundin am Boden, mit einer kleinen Platzwunde am Kopf und rührte sich nicht mehr. Um die Ecke trat plötzlich ein Mädchen mit honigblondem Haar, ein wenig jünger als Abby selbst und lächelte böse. In der Hand hielt sie ein Stuhlbein, mit dem sie Anya KO geschlagen hatte. „Caroline!?“, rief Valerie völlig verwundert und ließ vor Schreck ihren Regenschirm fallen. Doch ihre Freundin war nicht allein. Plötzlich kam eine ganze Gruppe von Patienten in grünen Nachthemden oder auch alltäglichen Kleidungsstücken um die Ecke, stellte sich hinter Caroline wie eine undurchdringliche Mauer auf. Derweil eilten Abby und Nick Anya zu Hilfe und schleppten sie zurück zu Valerie. Caroline ließ sie gewähren und sagte: „Wir haben schon auf euch gewartet.“ Valerie wirbelte um. Auch hinter ihnen stand mindestens ein Dutzend Patienten. Sie kannte fast alle von ihnen, waren es doch diejenigen, die nach dem Vorfall in der Eissporthalle hierher eingeliefert worden waren. Auch Ernie Winter war unter ihnen. Doch was im Moment viel entscheidender war: die hatten sie umzingelt! „Caroline, was ist los mit dir?“, fragte Valerie aufgebracht. „Wieso greifst du Anya an?“ „Damit sie uns nicht angreift natürlich“, antwortete ihre Freundin mit einem Hauch von Boshaftigkeit in der Stimme. „Sie ist gefährlich. Deswegen möchten wir sie gerne hier behalten. Ihr habt doch nichts dagegen, oder?“ „Ich verstehe nicht“, wandte Valerie verwirrt ein. „Warum … was ist mit euch los? Wo ist das Personal?“ „Im Keller“, erwiderte Caroline gelangweilt. „Ist das Beste für sie. Und für uns selbstverständlich auch. Also? Gibst du uns Anya? Oder müssen wir Gewalt anwenden?“ Demonstrativ schlug sie mit ihrer Waffe auf die Handfläche. „Wir müssen hier weg“, flüsterte Abby ihr ängstlich zu. „Irgendetwas stimmt mit denen nicht. Ich glaube, sie sind … besessen.“   Unter normalen Umständen würde Valerie sich Gedanken um Abigails geistigen Gesundheitszustand machen. Da sie allerdings mit unantastbarer Sicherheit wusste, dass ihre Freundin Caroline niemals jemandem absichtlich weh tun würde, musste sie ihrer Klassenkameradin zustimmen. Auch wenn Besessenheit etwas weit hergeholt anmutete. Nur war an eine Flucht nicht zu denken, denn der Gang war in beide Richtungen blockiert. Und durch ein Fenster zu flüchten war auch unmöglich, da sie dazu erst die davor angebrachten Gitter entfernen müssten – es war also ausweglos, sie saßen in der Falle.   „Und? Ich warte auf deine Antwort, Val.“ Valerie schloss die Augen. Caroline nannte sie sonst nie 'Val'. Was war nur mit den Leuten hier geschehen, dass sie sich so feindselig verhielten? Und warum wollten sie ausgerechnet Anya Bauer? „Hegt ihr etwa Rachegedanken?“, fragte Valerie scharf. „Hat Anya euch etwas so Schlimmes angetan, dass ihr sie gleich KO schlagen musstet?“ „Aber nein, Val. Sie ist einfach nur … ein Dorn im Auge. Und ich bin mir sicher, dass du bestens weißt, was ich damit meine.“ Die Schwarzhaarige blickte zu Anya herüber, die bewusstlos in Nicks Armen lag. Natürlich war Anya ein Ekelpaket, aber das hatte sie nicht verdient. Wer wusste schon, was die mit ihr anstellen würden, wenn sie sie ihnen aushändigen würde. Sie wandte sich an Caroline. „Tut mir leid, aber meine Antwort ist nein. Anya bleibt bei uns!“ „Oh? Also stellst du ihr Leben über deines? Wie nobel. Aber so warst du ja schon immer, nicht wahr, Val?“ Valerie ballte unbewusst eine Faust. Das war nicht Caroline, die da redete. Es mochten zwar ihr Körper und ihre Erinnerungen sein, doch nicht ihr Wesen. Sie war die Güte in Person und würde niemals jemandem nach dem Leben trachten! „Wer bist du wirklich?“, wollte Valerie wissen. Konnte es wirklich sein, dass Abigail recht hatte und alle hier besessen waren? Aber so etwas gab es nur in Geschichten! „Deine liebe Freundin Caroline, hast du das vergessen? Aber nein … eigentlich bin ich das nicht. Oder doch? Wenn ich es doch nur wüsste …“, murmelte das blonde Mädchen verspielt. „Ich bin ja nicht nur Caroline. Auch Ernie. Und Lily. Debbie auch. Du siehst? Ich bin überall um euch herum!“ „Was immer du bist, lass diese Leute gehen!“ „Oh? Warum denn? Ich werde sowieso verschwinden, wenn ich meine Aufgabe erfüllt habe.“ Valerie runzelte die Stirn. „Aufgabe?“ „Anya zu töten, was sonst? Ich wurde einzig zu diesem Zweck geschaffen. Und wenn mein Werk getan ist, werde ich verschwinden. So funktionieren solche wie ich.“ „Ich sagte bereits, dass du Anya nicht bekommen wirst!“ Caroline lachte schrill. „Natürlich. Das war zu erwarten. Und was hindert mich daran, euch alle zu töten? Denk doch mal nach, Anya kannst du sowieso nicht retten. Warum nicht wenigstens deines und das Leben deiner übrigen Freunde? An euch haben wir kein Interesse.“ „Weil das ungerecht wäre!“ Tatsächlich war Valerie aber dazu geneigt, über das Angebot nachzudenken. Wäre es denn gerecht, Nick und Abigail nur um Anyas Willen mit ins Verderben zu stürzen? Aber andererseits, wie konnte sie jemanden verraten, der absolut wehrlos war?   Die falsche Caroline trat einen Schritt vor. „Wenn du meinst? Dann haben wir uns wohl nichts weiter zu sagen.“ Die Reihen der Besessenen gerieten in Bewegung. Immer enger zog sich die Schlinge um den Hals der Gruppe. Nick wimmerte vor Angst, während Abby sich an Valeries Rücken drückte. Doch plötzlich stieß Caroline gegen etwas und fiel zurück. Verwirrt legte sie ihre Hände auf etwas mitten in der Luft, welches wie eine unsichtbare Barriere anmutete. „Verdammt!“ „Was?“, murmelte Valerie verwirrt. „Das … das muss Levrier sein!“, rief Abby überglücklich. „Levrier?“ „Er ist so etwas wie Anyas … Freund. Er beschützt uns! Aber man kann ihn nicht sehen, weil er keinen Körper besitzt.“ Carolines schnarrende Stimme erklang. „Und wenn schon, dieser Schutzschild ist schwach! Lange wird er nicht halten. Wir müssen nur ein wenig warten … “ Valerie starrte Nick und Abby an, die sich um Anya kümmerten. Wenn sie bei Bewusstsein wäre, hätten sie vielleicht eine Chance und könnten sich einen Weg durch die Besessenen bahnen. Aber gegen so viele war wohl selbst eine Anya Bauer machtlos. Was sollte sie nur tun?   Kämpfe, solange sein Schild euch beschützen kann!   Valerie schreckte zusammen. „Habt ihr das auch gehört?“ „Was?“, wollte Abby wissen. „Diese … Frau?“ „Nein. Oder meinst du Caroline?“ „N-nein, schon gut.“ Valerie blinzelte verdutzt. Wen oder was hatte sie da gerade gehört? Sie solle kämpfen? Gegen wen? Caroline? Die wartete samt ihrer Anhängerschaft mit einem finsteren Lächeln. Aber gesagt schien sie nichts zu haben. Und auf einmal kam Valerie eine Idee. „Hör zu! Ich mache dir einen Vorschlag! Wir duellieren uns um Anya!“ „Ach wirklich? Warum sollte ich das wollen? Ich hab sie doch schon und muss nur darauf warten, dass diese Barriere verschwindet. Was nicht lange dauern wird.“ „Bist du dir da wirklich so sicher? Wenn Anya erstmal aufgewacht ist, wird die Barriere viel stärker werden. Außerdem wird sie dann in der Lage sein, dich zu vernichten!“ Was redete sie da eigentlich, fragte sich Valerie irritiert. „Du lügst.“ Doch hundertprozentig überzeugt hörte sich Caroline dabei nicht an. „Ach ja? Die Chancen stehen 50/50. Klar, wenn Anya nicht aufwacht, sind wir alle verloren. Tut sie es aber, seid ihr die Dummen. Ich möchte mich aber nicht auf Eventualitäten verlassen! Entweder du trittst gegen mich in einem Duell an und lässt uns gehen, wenn du verlierst, oder wir warten jetzt schön ab und fordern das Schicksal heraus. Was sagst du dazu?“ Caroline legte ihre Stirn in tiefe Falten. Dann nickte sie. „Mir gefällt deine Denkweise. Nun gut, lass uns sehen, ob du deines Glückes Schmied sein kannst.“   Einer der Besessenen reichte Caroline eine Duel Disk. Valerie trug ihre bereits um den Arm, denn sie hatte ursprünglich vorgehabt, ihrer Freundin damit eine Freude zu bereiten. Sie hätte nie damit gerechnet, dass das Duell unter diesen Umständen stattfinden würde. Die Schwarzhaarige wusste, dass dieses Wesen sich nicht an die Abmachung halten würde, wenn der Schutzschild erst einmal verschwunden war. Deswegen waren es tatsächlich Anya und ihr geheimnisvoller Freund, auf den sich Valerie verließ. Vielleicht konnte sie durch dieses Duell genug Zeit erkaufen, bis Anya aufwachte. Denn das Mädchen bezweifelte nicht, dass Caroline bereits irgendwie versuchte, die Barriere zu knacken. Was ihr in einem Duell womöglich schwerer fallen würde. Einen Versuch war es zumindest wert.   Von der unsichtbaren Mauer getrennt, bezogen die beiden jungen Frauen schließlich Stellung. „Du wirst nicht gegen mich bestehen“, hauchte Caroline bittersüß. „Wenn du dich so duellierst wie die echte Caroline es tut, dann würde ich keine solche Aussagen treffen!“ „Ich kann dir versichern, dass ich nicht wie sie bin. Also, fangen wir an?“ Valerie nickte und so riefen sie: „Duell!“   [Valerie: 4000LP / Caroline: 4000LP]   Nachdem beide ihre Starthand gezogen hatten, sprach Caroline: „Da du mich herausgefordert hast, möchte ich dieses Spiel beginnen.“ Valerie musterte skeptisch ihr Blatt und nickte. Sie hatte schon bessere Hände gehabt, aber vielleicht war das gar nicht so verkehrt, denn immerhin musste sie auf Zeit spielen. Gleich in die Vollen zu gehen würde am Ende nur auf sie zurückfallen. „Ich setze eine Karte verdeckt. Damit beende ich meinen Zug“, rief Caroline. Vor ihr tauchte die gesetzte Karte auf. Wortlos zog nun Valerie auf. Nur eine verdeckte Karte? Das bedeutete nichts Gutes. Vermutlich sann dieses Wesen darauf, dass sie kopflos Monster beschwor und angriff. Das wäre, was Anya tun würde. Aber die Gelegenheit war zu günstig, um sie einfach verstreichen zu lassen. Schon jetzt einen direkten Treffer zu landen, würde ihr einen großen Vorteil verschaffen. Sollte sie es wagen? Valerie beschloss, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. Früher oder später würde Caroline die Karte ohnehin aktivieren und da war ihr 'früher' lieber, wenn sie noch genug Ressourcen besaß. „Ich rufe [Gishki Noellia]!“ Vor Valerie erschien eine finstere Zauberin mit feuerrotem Haar, die einen Stab schwang. Mit diesem zeigte sie auf die blaue Duel Disk ihrer Besitzerin.   Gishki Noellia [ATK/1700 DEF/1000 (4)]   „Noellia wird nun die obersten fünf Karten meines Decks kontrollieren und alle Gishki-Monster und Ritualkarten auf den Friedhof schicken. Der Rest jener Karten wird danach unter mein Deck gelegt!“ Die Abbilder von fünf Karten erschienen vergrößert vor Valerie. Sie zeigten die Vorderseite beidseitig, damit auch Caroline alles mitverfolgen konnte. Die Karten hießen, von links nach rechts, [Poseidon Wave], [Gishki Beast], [Evigishki Soul Ogre], [Mystical Space Typhoon] und [Gishki Aquamirror]. Sehr gut, dachte Valerie zufrieden und legte die drei Gishki-Karten auf ihren Friedhof, während sie die restlichen Karten unter ihr Deck schob. „Nun aktiviere ich den Effekt des Aquaspiegels auf meinem Friedhof! Ich schicke ihn in meinen Kartenstapel zurück und darf dafür ein Gishki-Ritualmonster vom Friedhof auf die Hand nehmen! Und die einzige mögliche Wahl ist [Evigishki Soul Ogre]!“ Nun hielt Valerie sechs Karten auf der Hand und besaß ein relativ starkes Monster auf dem Spielfeld. Trotzdem mangelte es ihr an dem nötigen Ritualzauber, um ihren Oger beschwören zu können. Aber auch so würde sie es wagen und angreifen. Ohne mit der Wimper zu zucken, zeigte sie auf ihre besessene Freundin. „Noellia, direkter Angriff!“ Ihre Magierin richtete den Stab auf Caroline und ließ eine Wasserfontäne daraus hervor spritzen, die durch ihr Zielobjekt hindurch schoss.   [Valerie: 4000LP / Caroline: 4000LP → 2300LP]   Valerie war verwirrt. Sie hatte mit einem Konter gerechnet, doch dieses Wesen hatte den Angriff geschehen lassen. Sein Blatt konnte unmöglich so schlecht sein, dass es nicht einmal ein Monster zu seinem Schutz einzusetzen vermochte. Was also plante es? „Ich setzte eine Karte verdeckt“, rief Valerie. Sie würde es sowieso herausfinden. Aber sie würde darauf vorbereitet sein! „Damit beende ich diesen Zug.“ „Bevor du das tust, aktiviere ich meine Schnellzauberkarte. [Fires of Doomsday]!“ Zwei kleine Gestalten aus schwarzen Flammen entstiegen aus dem Boden. Jedes von diesen puppenhaften Wesen besaß ein Auge, welches finster Valerie anstarrte.   Doomsday-Spielmarke x2 [ATK/0 DEF/0 (1)] „Wie du siehst, hat meine Zauberkarte zwei Spielmarken erschaffen“, sagte Caroline von sich eingenommen. „Und wie ihr Name schon sagt, werden sie dein Untergang sein.“ Valerie kräuselte die Stirn. Warum hatte ihre Gegnerin diese Spielmarken nicht dazu benutzt, ihre Lebenspunkte zu schützen? Die Antwort war im Grunde simpel. Sie wollte sie für etwas Größeres opfern. Aber das Mädchen sah darin keine Bedrohung. Sollte Caroline es doch versuchen. Stattdessen warf sie einen Blick auf Anya. „Wie geht es ihr?“ „Die ist vollkommen weggetreten“, meinte Abby besorgt. „Dass ich Anya mal so sehen würde … Ich möchte nicht dabei sein, wenn sie aufwacht.“ Falls sie denn noch aufwachen würde, dachte Valerie nervös. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Spielfeld. „Ich ziehe!“, kündigte Caroline an und lächelte dabei derart boshaft, dass Valerie eine Gänsehaut bekam. „Nun denn, sicher hast du es dir schon gedacht, aber ich werde meine Monster opfern! Sieh her, wie schwarzes Licht diese Welt regieren wird! Erscheine, [The Supremacy Sun]!“ Valerie wich zurück. Die Spielmarken lösten sich auf und gleichzeitig wurde es immer dunkler. Das ging soweit, dass sie ihre eigene Hand nicht mehr Augen sehen konnte. Dann leuchtete ein Symbol in der Ferne. Eine stilisierte Sonne. Es wurde wieder heller und man konnte sehen, dass sie inmitten des Körpers eines großen Wesens steckte. Mit ausgebreiteten, klauenbesetzen Händen erschien dieses schwebende Wesen wie ein finsterer Engel, denn leuchtende Schwingen traten aus dem schwarzen Leib hervor. Tatsächlich sah es in seiner Körperhaltung einer stilisierten Sonne ebenso ähnlich, wie das Pendant in seiner Körpermitte.   The Supremacy Sun [ATK/3000 DEF/3000 (10)] „Siehe, wie die Macht der schwarzen Sonne alles verbrennt!“, rief Caroline hysterisch. „Dann löschen wir sie doch einfach!“, erwiderte Valerie entschlossen. Sie schwang den Arm aus. „Verdeckte Falle, [Torrential Tribute]! Wenn ein Monster beschworen wird, kann ich hiermit das gesamte Spielfeld von unseren Kreaturen befreien! Ich fürchte, deine Arbeit hat sich nicht ausgezahlt!“ Eine gewaltige Sturmflut schoss aus Valeries Falle und riss sowohl [Gishki Noellia], als auch [The Supremacy Sun] mit sich. Das Feld war wieder vollkommen leer. Caroline schaute erstaunt auf die Stelle, die ihr Monster soeben noch eingenommen hatte. Dann sprach sie: „Gut gemacht. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich setzte eine Karte verdeckt und lass dich gewähren!“   Valerie atmete tief durch. Das hatte doch wunderbar geklappt. Wenn das so weiter ging, konnte sie das Feld für eine Weile dominieren. Hoffentlich lange genug, damit Anya aufwachen konnte. Sie würde einen Ausweg finden, da war Valerie sich sicher. Denn ein Dickkopf wie sie würde sich bestimmt nicht von ein paar Zombies, oder was auch immer sie waren, einschüchtern lassen. Und wenn Abigail wirklich recht hatte, verfügte Anya über Kräfte, die vielleicht denen von Caroline gleich kamen. Es musste einfach so sein, denn warum sonst würde dieses Ding Anya umbringen wollen? Das Mädchen musste schmunzeln. Obwohl eigentlich sie hier kämpfte, war es nicht ihre Rolle, die große Heldin zu sein. So war es schon auf dem Eis gewesen, als man Anya ihretwegen auf die Reservebank gesetzt hatte. Das hatte Valerie nicht gewollt. Aber damit war Anya den Kämpfen entkommen, während sie selbst um ihr Leben gefürchtet hatte. Es war nicht anders als jetzt. Schade … in einem anderen Leben wären sie vermutlich die besten Freundinnen. Schließlich widmete sie sich wieder dem Duell. Caroline würde bestimmt nicht so schnell aufgeben, dachte sie bitter. Das war bisher zu leicht. „Alles klar“, rief Valerie erhaben, „ich ziehe!“ Mit Schwung nahm sie die nächste Karte auf. Doch bevor sie nur einen Blick darauf werfen konnte, wurde es wieder pechschwarz um sie herum. In der Dunkelheit war nur der Regen und Donner zu hören, doch selbst das Licht der Blitze konnte diese Finsternis nicht durchdringen. Und dann war es wieder da! Das Symbol der Sonne! Valerie schreckte auf, als das Licht zurückkehrte. Und mit ihm war die Kreatur gekommen, die sie eben erst vernichtet hatte!   The Supremacy Sun [ATK/3000 DEF/3000 (10)]   Caroline lachte hysterisch und steckte eine ihrer Handkarten in den Friedhofsschacht ihrer Duel Disk. „Es ist zwecklos, Val! Egal wie oft du [The Supremacy Sun] vernichtest, sie wird jedes Mal während der Standby Phase vom Friedhof auferstehen, solange ich nur eine Karte abwerfe. Ein endloser Kreis aus Tod und Wiedergeburt!“ Schweiß stand auf Valeries Stirn. Der Anblick dieser finsteren Kreatur ließ sie erschaudern. War dieses Ding wirklich unsterblich? Nein! Sie würde einen Weg finden, wie sie diesen Kreis durchbrechen konnte! „Du hattest die Wahl, Val. Nun sieh, wofür du dich entschieden hast!“, rief Caroline höhnisch. Valerie musste grinsen. Sie hatte sich für das Leben entschieden. Und diesen Pfad würde sie mit aller ihr zur Verfügung stehenden Kraft beschreiten, egal wer sich ihr da in den Weg stellte!     Turn 07 – The Holy Maiden Valerie wird immer mehr von ihrer besten Freundin Caroline und deren Monster [The Supremacy Sun] in die Ecke gedrängt. Alle Versuche, diese mächtige Karte zu vernichten, scheitern kläglich. Doch plötzlich spricht eine Stimme zu Valerie, die sich als niemand anderes vorstellt als Joan of Arc – die heilige Johanna von Orléans – und ihre Hilfe anbietet. Ein Fünkchen Hoffnung entflammt in Valerie, die entschlossen ist, Anya und ihre Freunde zu beschützen. Kapitel 7: Turn 07 - The Holy Maiden ------------------------------------ Turn 07 – The Holy Maiden     Schweiß rann über Valeries sonst so makelloses Gesicht. Wie konnte sie bloß gegen eine Kreatur bestehen, die derart stark war und dazu noch fast unsterblich? Da war es, vor Caroline, das schwarze Ungetüm mit den leuchtenden Schwingen, welches in seiner Körperhaltung wie eine dunkle Sonne wirkte. Daher auch sein Name.   The Supremacy Sun [ATK/3000 DEF/3000 (10)]   Darüber hinaus verfügte die blonde Caroline noch über eine verdeckte Karte, wohingegen Valeries Spielfeldseite völlig leer war. Das Mädchen sah auf ihren Lebenspunktezähler. Immerhin hier war sie im Vorteil.   [Valerie: 4000LP / Caroline: 2300LP]   Sie warf einen nervösen Blick über die Schulter. Anya war immer noch bewusstlos und von Nick und Abby umringt. Hinter der unsichtbaren Mauer, die im Moment das Einzige war, was sie schützte, lauerte eine ganze Horde Besessener. Dasselbe Schauspiel auf der anderen Seite der ehemaligen Galerie, die nunmehr nur noch ein steriler, weißer Gang war. Allen voran stand dort Caroline mit einem finsteren Lächeln und duellierte sich mit ihr. Nach wie vor war der Strom ausgefallen, dafür erhellten gelegentlich Blitze die Räumlichkeiten der Irrenanstalt Livingtons.   „Du siehst so nervös aus. Stimmt etwas nicht?“, säuselte Caroline hämisch. „Alles bestens“, log Valerie. Gar nichts stimmte! Wenn Anya nicht bald aufwachte, würden sie alle sterben! Damit jene genug Zeit dafür bekam, duellierte sie sich schließlich. Denn sie wusste, dass das Duell um Anya nur eine Farce war und dieses Wesen sie alle töten würde, selbst im Falle von Valeries Sieg. Diese warf einen Blick auf ihr Blatt. Immerhin war es ihr Zug. Und sie hatte etwas Großartiges gezogen! „Okay, ich werfe jetzt [Gishki Shadow] von meiner Hand ab“, rief sie und hielt die Karte zwischen ihren Fingern. Wie gut, dass sie dieses Monster gezogen hatte! „Damit kann ich einen [Gishki Aquamirror] von meinem Deck auf die Hand nehmen!“ Und mit der Ritualzauberkarte in ihrem Besitz hatte sie alles, was sie brauchte, um sich gegen Carolines Monster zur Wehr zu setzen. „Diesen aktiviere ich jetzt! Und indem ich [Gishki Vision] von meiner Hand als Tribut für das Ritual anbiete, brauche ich keine weiteren Monster opfern, denn [Gishki Vision] füllt trotz seiner niedrigen Stufe den Rest der benötigten Level durch seinen Effekt aus! Komm nun aus endlosen Kristallfontänen herbei, [Evigishki Soul Ogre]!“ Zufrieden betrachtete Valerie, wie immer mehr Wassersäulen um sie herum aus dem Boden schossen. Aus dem entstehenden Kreis tauchte eine Kreatur auf, die auf zwei Beinen stand und in ihrer amphibischen Erscheinungsform auf so manchen furchteinflößend wirken mochte.   Evigishki Soul Ogre [ATK/2800 DEF/2800 (8)]   „Monstereffekt!“, rief Valerie und deutete mit ihrem Zeigefinger auf das Ritualmonster. „Indem ich ein Gishki-Monster, wie zum Beispiel [Evigishki Mind Augus] von meiner Hand abwerfe, kann ich eine deiner offenen Karten zurück in Deck schicken. Und dreimal darfst du raten, wer-“ „Nicht so schnell. Willst du das wirklich tun? Also ich für meinen Teil würde das eher ungern sehen. Deswegen aktiviere ich meine verdeckte Schnellzauberkarte: [Forbidden Chalice]! Damit wird der Effekt deines Ogers diese Runde negiert, wofür er aber 400 Angriffspunkte erhält.“ Valerie erschrak, als die Karte vor Carolines Füßen aufsprang. Auf ihr war eine junge Frau in weißer Tunika abgebildet, die einen goldenen Kelch in der Hand hielt. Besagter Kelch erschien plötzlich in der Hand ihres Monsters und töricht wie es war, trank das Amphibienwesen gierig daraus. Nur um anschließend zu würgen.   Evigishki Soul Ogre [ATK/2800 → 3200 DEF/2800 (8)]   Wütend ballte Valerie eine Faust. Das wäre die Gelegenheit gewesen, [The Supremacy Sun] außer Gefecht zu setzen, da diese nur vom Friedhof zurückkehren konnte. Doch Caroline hatte ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Schwarzhaarige betrachtete ihre letzten beiden Handkarten. Mit ihnen würde sie nichts gegen dieses Wesen ausrichten können. Alles was sie im Moment tun konnte war anzugreifen. Also befahl sie: „Los Soul Ogre, Fountain Of Destruction! Vernichte ihr Monster!“ Ihr Oger hob die Arme und ließ unter [The Supremacy Sun] eine glühend heiße Fontäne sprießen, die das Wesen mit sich riss und verbrannte. Caroline blieb völlig unbeeindruckt.   [Valerie: 4000LP / Caroline: 2300LP → 2100LP] „Mein Zug ist damit beendet“, sagte Valerie bitter. Ihr Oger spuckte plötzlich den Wein aus, den er zu sich genommen hatte. Zwar konnte er seinen Effekt nun wieder aktivieren, doch würde er gewiss nicht lange genug leben, um noch einmal die Gelegenheit dazu zu bekommen …   Evigishki Soul Ogre [ATK/3200 → 2800 DEF/2800 (8)]   „Mein Zug“, sprach Caroline gelangweilt und zog. Dann nahm sie eine Karte aus ihren Blatt und schickte sie auf den Friedhof. „Indem ich als Kosten diese hier abwerfe, wird [The Supremacy Sun] während der Standby Phase wiedergeboren!“ Der Gang der Irrenanstalt verfinsterte sich derart, dass man die Hand nicht mehr vor Augen sehen konnte. Dann leuchtete das Siegel in der Körpermitte und die Schwingen des schwarzen Wesens zeichneten sich immer deutlicher in der Dunkelheit ab, ehe das Licht zurückkehrte und mit ihm [The Supremacy Sun].   The Supremacy Sun [ATK/3000 DEF/3000 (10)] „Egal, wie oft du es auch versucht“, höhnte Caroline, „meine Kreatur der Finsternis wird immer wieder zurückkehren, und wenn du sie noch so oft zerstörst. Gib auf und erspare dir unnötige Qualen!“ „Niemals!“ Aufgeben würde sowieso nichts an den Tatsachen ändern. Außerdem wollte Valerie die anderen nicht im Stich lassen. Das hatte sie sich geschworen und nun würde sie sich daran halten. Bis zum bitteren Ende, wenn es sein musste! „Gut, wie du willst. Aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt, törichtes Weibsbild! Ich beschwöre [Double Coston] im Angriffsmodus!“ Zwei tanzende Schatten erschienen, die ineinander verkeilt waren. Beide hatten Schlitzaugen und kleine Münder, aus denen blaue Zungen ragten, mit denen sie ihre Feindin verhöhnten.   Double Coston [ATK/1700 DEF/1650 (4)]   „Und nun, [The Supremacy Sun], vernichte [Evigishki Soul Ogre]! Solar Flare!“ Die finstere Kreatur streckte seinen Körper durch und schoss aus dem Sonnenemblem auf seiner Brust einen gewaltigen Lichtstrahl, der Valeries Monster binnen eines Herzschlags versengte. Das Mädchen spürte die Hitze am ganzen Leib und wandte sich aufgrund der Intensität des Strahls geblendet ab. Dabei schrie sie, denn das Licht schmerzte auf ihrer Haut – was vollkommen unmöglich war, es handelte sich doch nur um Hologramme!   [Valerie: 4000LP → 3800LP / Caroline: 2100LP]   „Oh, hat das ein wenig gebrannt?“, fragte Caroline zuckersüß. „Das tut mir leid. Eigentlich solltest du vor Schmerzen wahnsinnig werden. Aber dafür haben wir ja noch [Double Coston]. Direkter Angriff auf ihre Lebenspunkte!“ Valerie schreckte auf. Sie sah nur noch, wie die Schattenzwillinge durch sie hindurch schossen und sie dadurch zu Boden warfen. Hart kam sie auf ihrem Hinterteil auf und spürte gleichwohl Übelkeit in sich aufwallen. Wie ein Schwall ergoss es sich über sie, sie konnte nur noch den Mund öffnen, aus dem endlos viele Würmer auf ihr weißes Kostüm fielen. Schreiend sprang sie auf, fasste sich in den Mund, wischte die Würmer von sich und schrie mit Tränen in den Augen. Caroline lachte dabei nur hysterisch.   [Valerie: 3800LP → 2100LP / Caroline: 2100LP]   „Sieh an, sieh an. Ist das nicht eklig?“ Nachdem Valerie glaubte, keine Würmer mehr im Mund zu haben, sah sie ihre Gegnerin fassungslos an. Heiser brach sie hervor: „Wie geht das!? Das wirkte so real!“ „Schätzchen, das war real. Oder seit wann schmecken Hologramme nach Verwesung?“ Im Zuge dessen übergab sich Valerie noch einmal, dieses Mal jedoch richtig. „Ich hatte dich gewarnt, Val, aber du wolltest ja nicht hören. Glaub mir, ich habe noch viel Schlimmeres parat. Noch kannst du es dir anders überlegen. Bis dahin beende ich meinen Zug aber.“   Mit zitternder Hand wischte sich Valerie über den Mund. Noch immer hatte sie den widerlichen Geschmack der Würmer auf den Lippen. Und Furcht breitete sich in ihr aus. Was, wenn diese Dinger noch in ihr waren? Wieder wurde ihr übel, doch sie konnte sich mit aller Mühe beherrschen. Das war bestimmt nur ein Trick von diesem Ding! „M-mein Zug“, stammelte sie und zog. „Bist du okay“, fragte Abby sie besorgt. „Geht schon, danke … Was ist mit Anya?“ Der brünette Hippie schüttelte den Kopf. „Immer noch nichts.“ „Werden die uns fressen?“, fragte Nick ängstlich. „Ich bin viel zu jung zum Sterben! Mach was, Valerie!“ „Ich versuche es“, sprach diese und fühlte sich dabei schrecklich hilflos. Wie konnte sie gegen ein Wesen wie dieses bestehen? Sie war nur ein Mensch! Und dass sie die Verantwortung für mindestens drei weitere Leben trug, machte alles nur noch schlimmer. Sie betrachtete ihr Blatt. Nichts Gutes war darunter, um die Lage zu kippen. „Also gut. Ich aktiviere [Hand Destruction]! Damit werfen wir beide zwei Karten ab und ziehen dann zwei neue!“ Beide Mädchen legten aufgrund des Effekts von Valeries Zauberkarte ihr gesamtes Blatt ab, welches ironischerweise aus je genau zwei Karten bestand, und zogen auf. „Schon besser“, murmelte Valerie. „Ich aktiviere [Salvage]! Damit kann ich zwei Wasser-Monster mit höchstens 1500 Angriffspunkten von meinem Friedhof bergen und auf die Hand nehmen! Ich entscheide mich für [Gishki Vision] und [Gishki Shadow]!“ Kaum hatte sie die beiden Monster auf der Hand, zückte sie die nunmehr dritte Zauberkarte in diesem Zug. „[Pot of Avarice]! Ich mische fünf Monster in mein Deck zurück und ziehe danach zwei Karten.“ Das Problem war, dass auf ihrem Friedhof sechs Monster lagen. Zwei davon waren Evigishki-Ritualmonster, die sie durch den Aquaspiegel auf ihrem Friedhof zurück auf die Hand erhalten, und mit den beiden Gishki-Monstern auf ihrem Blatt auch beschwören konnte. Die Frage war nur, für welches sollte sie sich entscheiden? Denn auf eines würde sie verzichten müssen und sie wusste nicht, was sie anschließend ziehen würde. Beide waren von der Angriffskraft her zu schwach, um sich mit [The Supremacy Sun] zu messen. Mit Soul Ogre könnte sie Carolines finstere Kreatur ins Deck zurückschicken. Doch brauchte sie hierfür eine glückliche Hand, denn dazu müsste sie zusätzlich ein Gishki-Monster nachziehen. Mind Augus auf der anderen Seite konnte [The Supremacy Sun] vom Friedhof ins Deck mischen, womit dieses Wesen sicher nicht rechnete. Bloß dazu müsste Valerie etwas ziehen, womit sie Carolines Monster zerstören konnte. Beide Karten bargen demnach ein gewisses Risiko, doch da Soul Ogre bereits einmal versagt hatte und Caroline diesen bereits kannte, wollte sie es nun mit ihrem anderen Ritualmonster versuchen! Hoffentlich war sie dieses Mal erfolgreicher … „Okay“, rief sie und zeigte die fünf gewählten Monster vor. „Ich mische [Gishki Noellia], [Gishki Beast], die eben abgeworfenen [Gishki Reliever] und [Gishki Emilia] sowie [Evigishki Soul Ogre] in mein Deck zurück und ziehe zwei Karten!“ Und als sie dies getan hatte und die neuen Karten in ihrer Hand ansah, wusste sie, dass sie die richtige Wahl getroffen hatte! In ihrem Inneren spürte sie etwas, es war wie eine Kraft, die ihr den Weg wies. Wenn sie ihr weiter folgen würde, konnte sie das Spiel vielleicht noch für sich entscheiden! „Nun schicke ich [Gishki Aquamirror] von meinem Friedhof in mein Deck zurück, um das Ritualmonster [Evigishki Mind Augus] von dort auf meine Hand zu bringen. Doch da wird mein Spiegel nicht lange bleiben, denn ich werfe [Gishki Shadow] ab, um ihn mir sogleich wieder auf die Hand zu holen!“ Mit der Ritualzauberkarte in den Händen hatte sie nun alles beisammen, um [The Supremacy Sun] zu besiegen. „Was immer du auch tust, du wirst scheitern“, versprach Caroline hochmütig. „Ein schwacher Mensch wie du kann gegen solche wie mich nicht bestehen. Und das weißt du auch.“ „Probieren geht über studieren sagt man doch immer! Deswegen würde ich mich gerne selbst davon überzeugen“, erwiderte Valerie entschlossen. Es gehörte bei Duel Monsters praktisch zum guten Ton, seinen Gegner psychisch unter Druck zu setzen, deswegen machte sich das Mädchen nichts aus den Worten dieses Dings. Sie hatte ein Ziel vor Augen und würde es verfolgen, egal was dieses Wesen sagte. „Und jetzt aktiviere ich den Zauber [Smashing Ground]! Er zerstört das Monster mit der höchsten Verteidigung auf deiner Spielfeldseite! Und das ist eindeutig [The Supremacy Sun]!“ In einer Explosion ging die schwarze Sonne unter. Doch wie nicht anders zu erwarten war, berührte dies Caroline nicht weiter. Hatte sie schließlich keinen Grund zur Sorge – noch nicht! „Nun aktiviere ich [Gishki Aquamirror]! Mit ihm beschwöre ich jetzt [Evigishki Mind Augus], indem ich [Gishki Vision] als Opfer anbiete. Dabei trägt es abermals alle Kosten des Rituals! Entsteige aus der Tiefe, Mind Augus!“ Aus dem Boden begann Wasser zu schwappen. Es überflutete kurzerhand den gesamten Gang, ehe aus einer Fontäne ein riesiger Fisch auftauchte, dessen Seitenflossen wie Flügel wirkten, die ihn durch die Lüfte trugen. Auf ihm saß eine blauhaarige Zauberin, welche ihn kontrollierte.   Evigishki Mind Augus [ATK/2500 DEF/2000 (6)]   „Effekt von Mind Augus aktivieren!“, befahl Valerie gebieterisch. „Ich kann nun fünf Karten von beiden Friedhöfen in die Decks ihrer Besitzer zurückschicken! Und du weißt, was das heißt!“ „Natürlich“, antwortete Caroline leise. „Und genau deswegen werde ich es nicht zulassen! Ich aktivere [Effect Veilers] Fähigkeit von meiner Hand!“ Valerie sah fassungslos mit an, wie eine winzige Fee ganz in Weiß vor ihrer Fischkreatur auftauchte und ihre kleine Hand auf ebenjene legte. „Indem ich sie abwerfe, werden die Effekte deines Monsters bis zum Ende des Zuges annulliert! Dachtest du, ich wüsste nicht, wie dein Deck funktioniert? Immerhin kann ich frei auf die Erinnerungen deiner kleinen Freundin zugreifen!“ Die Schwarzhaarige starrte aufgelöst ihre besessene Freundin an. Draußen schüttete es wie aus Gießkannen, es blitzte und donnerte. Doch sie hörte es nicht. Denn ihre Gedanken kreisten sich allein darum, wieder am Versuch, dieses grässliche Wesen zu versiegeln, gescheitert zu sein. Vielleicht gab es gar keinen Weg [The Supremacy Sun] endgültig zu vernichten? Caroline schien ihre Gedanken gelesen zu haben, denn sie sagte: „Verstehst du es endlich? Der Kreislauf von Tod und Wiedergeburt darf nicht unterbrochen werden. Genau wie der Wechsel zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang. Wer sich daran zu vergehen versucht, wird seines Lebens nie wieder froh werden. Und solche wie du, die nicht einmal die Kraft besitzen, die Gesetze der Natur zu brechen, sollten es auch gar nicht erst versuchen.“ „Nein!“, donnerte Valerie. „Nein! Ich kann jetzt nicht aufgeben! Das wäre Verrat an Abigail, Nick und auch an Anya! Und 'er' würde mir auch sagen, dass ich mein Bestes geben soll! Also werde ich das auch! [Evigishki Mind Augus], zerstöre [Double Coston]! Serenade Of The Abyss!“ In der Hand der blauen Zauberin auf dem Fischwesen erschien eine goldene Harfe. Auf ihr spielte sie eine wunderschöne Melodie, welche das Monstrum dazu brachte, einen gewaltigen Wasserstrahl auf die Schattenzwillinge abzufeuern. Diese verschwanden einfach innerhalb des Stroms.   [Valerie: 2100LP / Caroline: 2100LP → 1300LP]   Valerie sah ihre letzte Handkarte an. Die Falle war keine Lösung für ihr Problem, aber zumindest konnte sie sich damit vielleicht noch einen oder zwei Züge erkaufen. Sie legte die Karte in ihre Duel Disk ein, worauf sie vor ihren Füßen erschien, und rief: „Damit bin ich fertig!“ „Oh, glaub mir, das bist du in der Tat“, murmelte Caroline bitterböse.   Plötzlich erklang Gestöhne hinter Valerie, die regelrecht herumwirbelte. Blinzelnd schlug Anya die Augen auf und fasste sich an den Kopf. „Ich fühle mich, als hätte mich ein Laster überrollt …“, krächzte sie dabei. „Anya!“, strahlte Abby überglücklich und half ihr, sich aufzurichten. „Oh dem Himmel sei Dank, du bist wach! Ich dachte schon-“ Doch das Gesicht ihrer Freundin verfinsterte sich plötzlich, denn die Erinnerungen kehrten zurück. „Okay, Masters, wer wird jetzt gleich ins Gras beißen!?“, fragte Anya herrisch und hielt sich ihre pochende Stirn. Als sie dann Blut an ihren Fingern sah, war es vorbei. Mit einem Wutschrei, der eher einem verletzten Tiger denn einer jungen Frau gehörte, sprang die Blondine auf und torkelte flankiert von Nick und Abby zu Valerie. „Alter, war sie das!?“, wollte sie dabei wissen und zeigte auf Caroline. Doch Valerie konnte nur lächeln. Anya war wach! Es gab also noch Hoffnung! „Ja, sie hat dich angegriffen. Aber irgendetwas hat von ihr und den anderen Besitz ergriffen. Sie wollen dich töten!“ „Mich? Töten!? Niemand tötet eine Anya Bauer, ja wagt es auch nur daran zu denken! Wenn ich mit diesem Püppchen fertig bin, passt sie wieder in den Uterus ihrer Mutter!“ „Wirst du jetzt deine Kräfte einsetzen?“, fragte Valerie in einer Mischung aus Freude, Faszination aber auch Zweifel, denn sie hatte keine Ahnung, zu was Anya überhaupt imstande war – abgesehen von einer Vielzahl an kreativen Beleidigungen und Gewaltakten natürlich. „Aber bitte, du darfst die Leute hier nicht verletzten, sie sind unschuldig!“ „Kräfte? Klar! Denen schraube ich die Schädel ab und benutz' sie als Deko für Halloween! Und aus den übrigen Knochen baue ich mir einen Thron, den ich mit ihren Häuten überspannen werde!“ Die Schwarzhaarige schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, nicht diese Art von Kraft! Deine … anderen Kräfte. Du weißt schon, die, die diese Barriere erzeugen?“ Anya blinzelte sie voller Unverständnis an. „Andere Kräfte? Barriere? Sag mal, Redfield, hat diese Dumpfralle dir auch was übergezogen? Ich versprühe keinen Feenstaub, so wie du! Höchstens Terror!“ „Aber-!? Ich dachte, du kannst-“ „Hast du was an den Ohren, Redfield?“, herrschte Anya sie an. „Ich sagte gerade, dass ich keine anderen Kräfte habe! Wie kommst du überhaupt auf diese seltendämliche Annahme? Außerdem werde ich auch gar keine Zauberkräfte brauchen, um dieser Hupfdohle und ihrer kleinen Privatarmee die Lichter auszuknipsen!“ Um ihre Drohung möglichst schnell wahr zu machen, stampfte Anya auf Caroline zu. Doch auf halben Wege knickte sie zur Seite und wurde gerade noch rechtzeitig von Nick aufgefangen. „Anyas fallen vom Himmel“, gluckste der. „Ich glaub ich muss kotzen“, meinte Anya mit schwacher Stimme. „Mein Schädel platzt gleich. Scheiß Gehirnerschütterung!“ Valerie indes war fassungslos. Anya war ihre einzige Hoffnung gewesen und jetzt behauptete sie, keine besonderen Fähigkeiten zu besitzen!? Das Mädchen betrachtete ihre Hände. Dann war ihr Kampf sinnlos. Sobald die Barriere zerstört war, würde dieses Wesen sie alle töten. Wie hatte sie nur so naiv sein können!? Natürlich besaß Anya keine Superkräfte, wie kam sie überhaupt auf diesen Gedanken? Sie fühlte sich so dumm! Niedergeschlagen ließ sie den Kopf hängen. „Sieht ganz danach aus, als ob du dich verschätzt hast, Val“, flötete die besessene Caroline triumphierend. „Deine Geheimwaffe hat sich als Niete erwiesen.“ „Komm her, du Miststück, dann zeige ich dir, wer hier 'ne Niete- Ohhhhh!“ Anya hielt sich den Kopf und fluchte leise, weil sie in ihrem Zustand nicht in der Lage war, ihren Drohungen Taten folgen zu lassen. „Es dauert nicht mehr lange, dann ist die Barriere fort“, sprach Caroline weiter. „Bis dahin werde ich dich noch etwas quälen. Du bist schon viel zu lange ein Hindernis und jene mag ich gar nicht. Draw!“ Sogleich fügte sie die aufgezogene Karte ihrem Blatt hinzu, nahm die andere ihrer beiden Handkarten und legte sie anschließend auf den Friedhof. „Wirf dein schwarzes Licht über uns, [The Supremacy Sun]!“ Wie schon zuvor, wurde es wieder dunkel und aus der Finsternis erschien die düstere Kreatur, deren gleißende Schwingen ganz im Kontrast zum schwarzen Körper standen.   The Supremacy Sun [ATK/3000 DEF/3000 (10)]   „Jetzt vergehe in Verzweiflung“, rief Caroline schrill. „Ich aktiviere [Axe of Despair]! Damit kann ich [The Supremacy Sun] ausrüsten, um ihre Angriffskraft um weitere 1000 Punkte zu erhöhen! Nun ist sie unbesiegbar!“ In der rechten Hand des Wesens erschien eine Axt aus Holz, auf deren Blatt das Gesicht einer dämonischen Kreatur abgebildet war, welche hinterlistig kicherte.   The Supremacy Sun [ATK/3000 → ATK/4000 DEF/3000 (10)]   „Nun vernichte [Evigishki Mind Augus]! Solar Flare!“, brüllte Caroline hysterisch und zeigte auf den überdimensionalen Fisch und seine Reiterin. Valerie sah auf, als die schwarze Sonne in ihrer Brust Licht auflud. Mit ihrer Falle könnte sie den Angriff verhindern und ihnen allen zumindest noch ein wenig Zeit erkaufen. Genug Zeit, um sich mit ihrem bevorstehenden Schicksal auseinander zu setzen … Tu es nicht!   Valerie schreckte auf. Diese Frauenstimme hatte sie schon einmal gehört. Sie warf einen Blick auf Nick und Abigail, die mit Anya zu ringen hatten, weil jene sich nicht mit ihrer gesundheitlichen Lage anfreunden konnte. Die Drei schienen nichts gehört zu haben. Lass den Angriff geschehen und folge meinen Anweisungen. Ich werde dich beschützen!   Irritiert fasste das Mädchen sich am Kopf. Hatte sie während ihres Duells auch etwas abbekommen, so wie Anya sagte? Vielleicht war es auch ein Trick von Caroline, die irgendetwas plante? Vertraue mir, egal wie schwer es dir auch fällt. Ich wurde gesandt, um dich zu leiten!   „Gesandt? Von woher?“, fragte Valerie leise. Dann sah sie, wie der Lichtstrahl auf ihr Monster abgefeuert wurde. Sie musste sich jetzt entscheiden. Entweder tat sie, was diese Frau von ihr verlangt hatte, oder sie kämpfte weiter gegen Windmühlen an. Daraufhin erinnerte sich die junge Frau an ihren Schwur, nichts unversucht zu lassen, um die Drei zu beschützen. Also warum sich nicht darauf einlassen, wenn man ihr schon Hilfe in einer aussichtslosen Lage anbot? Ihre Fischkreatur wurde durch den Strahl regelrecht vaporisiert, welcher diesmal so extrem war, dass Valerie vor Hitze nicht mehr atmen konnte. Die Explosion ihres Monsters löste eine Druckwelle aus, die sie von den Beinen riss. Und während ihr schwarz vor Augen wurde, hörte sie nur noch ein grausames Lachen und die Worte: „Zug beendet.“ Die Rufe der anderen nahm sie nicht mehr wahr.   [Valerie: 2100LP → 600LP / Caroline: 1300LP]   Wo war sie? War sie tot? Valerie stand inmitten einer Welt aus purer Finsternis. Das einzige Licht drang durch ein Mosaik zu ihren Füßen, das eine goldene Sonne darstellte. Die vielen gelben und orangefarbenen Steine glühten regelrecht und Valerie befürchtete, dass ihre Hitze die Sohlen ihrer weißen Stiefel verbrennen könnte.   Du bist nicht tot. Ich habe dich zu mir gerufen.   Aus dem Nichts schritt eine Gestalt über das Mosaik, direkt auf sie zu. Die Frau besaß dunkelblondes, kurzes Haar, welches sie durch ihren markanten Schnitt wie einen Jungen aussehen ließ. Generell wirkte die Fremde sehr burschikos, denn sie trug eine Ritterrüstung und hielt ihren mit weißen Federn verzierten Helm unter dem Arm. An ihrer Hüfte hing ein Waffengurt, dessen Höhepunkt ein langes Schwert in seiner Scheide war. „Wer bist du?“, schoss es ehrfürchtig aus Valerie heraus. „Eine Gesandte des Herrn. Mein Name lautet Joan of Arc.“ Sie lächelte freundlich. „Vielleicht hast du schon von mir gehört?“ Und ob Valerie das hatte! Aber sie konnte es nicht glauben. Vor ihr stand Jeanne D'Arc, die heilige Johanna von Orléans! Eine der größten Märtyrerinnen der katholischen Kirche, welche zu Lebzeiten behauptet hatte, Gottes Stimme hören zu können und schließlich als Ketzerin auf dem Scheiterhaufen hingerichtet worden war. „W-wieso bist du hier? I-ich muss träumen, oder?“ „Nein.“ Die junge Frau schüttelte betrübt den Kopf. „Was um dich herum geschieht, ist traurige Wahrheit. Deine Heimat wird von Dämonen heimgesucht, die finstere Absichten hegen.“ „W-was für Absichten?“ Die Heilige schloss die Augen. „Ich weiß es nicht. Das weiß nur Gott und in seiner unendlichen Weisheit hat er mich nicht in seine Pläne eingeweiht.“ Valerie verstand nicht. Warum war ihr Johanna von Orléans erschienen? Ausgerechnet ihr? An ihr war doch gar nichts Besonderes! „Der Herr hat mich geschickt, dich durch die Finsternis zu geleiten“, erklärte die Ritterin nun ernst, fast als habe sie Valeries Gedanken gelesen. „Ich werde dir eine Kraft verleihen, die stark genug ist, um den Willen des Dämons aus deinen Freunden zu vertreiben.“ „W-wille des Dämons?“ Johanna nickte. „Das, gegen welches du kämpfst, ist nicht der wahre Dämon. Es ist nur einer seiner Abkömmlinge, dem die Aufgabe zugewiesen wurde, Anya Bauer zu töten. Wenn er diesen Zweck erfüllt, wird er verschwinden und alle Seelen mit sich nehmen, die er besetzt hält. Deswegen darfst du jetzt nicht aufgeben!“ „Was was kann ein normaler Mensch wie ich schon tun?“, fragte Valerie verzweifelt und legte ihre rechte Hand auf die Brust. „Ich bin schwach!“ „Niemand ist schwach, Valerie“, sagte Johanna sanft, trat zu ihr und nahm ihre andere Hand. „In dir brennt eine starke Seele, die im Sinne der Gerechtigkeit kämpft. Gott hätte mich nicht zu dir geschickt, wenn er nicht wüsste, dass du deine Freunde retten kannst. Alles was du brauchst ist ein Hoffnungsschimmer und diesen will ich dir geben.“ Valerie nickte, wobei ihr Tränen in den Augen standen. „Danke, Joan of Arc!“ Die heilige Ritterin lächelte gütig. „Danke nicht mir, sondern unserem Schöpfer. Nun, Valerie, nimmst du sein Geschenk an?“ „Natürlich!“, rief sie entschlossen. „So sei es!“   Gleißendes Licht blendete Valerie. Dabei spürte sie eine Kälte ihren Arm hoch kriechen, die sie so noch nie gespürt hatte. Obwohl sie glaubte, zu Eis zu erstarren, fühlte es sich nicht unangenehm an. Als das Licht verschwand, war auch die heilige Johanna verschwunden. Erst wusste Valerie nicht, was geschehen war, doch dann fiel ihr Blick auf ihren rechten Unterarm. „Was!?“ Ein blaues Symbol zierte nun jenen. Es war ein fünfzackiger, marineblauer Stern, um den zwei Kreise gezogen waren. Unter ihrer Haut leuchtete er noch ein wenig, doch der Schimmer erlosch schnell. Und als er das tat, zersprang das Mosaik der Sonne in tausende Stücke und Valerie begann zu fallen.   Fürchte dich nicht! Du bist stärker als du es dir vorstellen kannst!   Die Worte der heiligen Johanna hörend, schloss Valerie die Augen und ließ sich im ungewissen Nichts treiben. Sie wusste nun, dass ihr nichts geschehen konnte.   Valerie schlug die Augen auf. Sie lag am Boden, umringt von Abigail und Nick, die ihr langsam aufhalfen, während im Hintergrund Anyas hämisches Gelächter ertönte. „Was ist das?“, fragte Abigail verwundert und deutete auf Valeries Arm. „Das sieht doch aus wie-“ Die Schwarzhaarige bemerkte es auch. Das Mal auf ihrem Unterarm war immer noch da. Und in ihrer Hand, da hielt sie eine Karte. „Das kann doch nicht-!“, erschrak sie und betrachtete das Monster genauer. Mit ihm konnte sie-! „Steh auf“, herrschte Caroline sie an. „Oder willst du das am Ende gar nicht mehr? Auch gut!“ „Nichts dergleichen!“, donnerte Valerie selbstbewusst und stand auf. Sie fühlte sich stark wie nie zuvor, als sie sich schwor, alle Anwesenden hier zu beschützen. Wenn Gott an sie glaubte, konnte sie gar nicht verlieren! Sie schob Johannas Geschenk in den Schacht ihres Extradecks und trat einen Schritt vor. „Mein Zug!“, rief Valerie entschlossen. Sie riss die Karte von ihrem Deck und musste sie nicht einmal ansehen, um zu wissen, was sie gezogen hatte. Denn sie konnte es fühlen. „Verdeckte Falle! [Curse Of Anubis]! Mit ihr wechsle ich alle Effektmonster auf dem Spielfeld in die Verteidigungsposition und lasse ihre Verteidigungspunkte für diesen Zug auf 0 sinken!“ Hinter [The Supremacy Sun] erschien das durchsichtige Abbild einer riesigen Statue, die einen liegenden, schwarzen Schakal zeigte. Dessen Augen blitzten rot auf und sorgten so dafür, dass Carolines Kreatur seine Arme gekreuzt vor seine Brust hielt und aufhörte zu leuchten.   The Supremacy Sun [ATK/4000 DEF/3000 → 0 (10)] „Was auch immer“, meinte Caroline arrogant. „Selbst wenn du die schwarze Sonne zerstört, wird sie schon bald wieder aufgehen und dich endgültig verschlingen!“ „Das bezweifle ich stark!“, rief Valerie entschieden und knallte ihre gezogene Karte auf die Duel Disk. „Komm herbei, [Gishki Beast]! Wenn es beschworen wird, kann ich ein Gishki-Monster der Stufe 4 oder weniger von meinem Friedhof in Verteidigungsposition beschwören. So wie [Gishki Shadow], ich rufe dich!“ Eine amphibische Gestalt erschien vor Valerie, halb Seeungeheuer, halb Echse. Um seinen Hals trug das Ungetüm ein Pendant, welches es berührte und brüllte. Kurz darauf erschien neben ihm ein alter Fischmann, gekleidet in einer schwarzen Robe.   Gishki Beast [ATK/1500 DEF/1300 (4)] Gishki Shadow [ATK/1200 DEF/1000 (4)]   „Und jetzt“, sprach Valerie ganz ruhig und fixierte den Blick auf ihre nichtsahnende Gegnerin, „erschaffe ich das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Monster vom Rang 4! Xyz-Beschwörung! Höre meinen Ruf, oh Wesen aus tausend Legenden! Zeige dich, [Evigishki Merrowgeist]!“ Ein schwarzer Wirbel tauchte mitten auf dem Spielfeld auf. Valeries Monster wurden zu blauen Strahlen, die in das Loch gezogen wurden, aus dem nun eine völlig neue Gestalt trat. Wehendes, rotes Haar schmückte das Antlitz der Meerjungfrau, die auf ihrem Rücken zwei Flossen besaß, welche breit wie die Schwingen eines Vogels waren. Wütend peitschte sie mit ihrer Schwanzflosse und richtete ihren Zauberstab entschlossen auf Carolines Monster. Um sie herum tanzten zwei Lichtkugeln.   Evigishki Merrowgeist [ATK/2100 DEF/1600 {4}]   Doch die Besessene brach nur in schallendes Gelächter aus. „Mehr hast du nicht auf Lager? Oh du dummes Kind, wann wirst du es endlich lernen? Du kannst mich niemals besiegen!“ Valerie schüttelte den Kopf. „Ich werde dich nicht nur besiegen, sondern auch den Körpern dieser unschuldigen Menschen vertreiben! Los, [Evigishki Merrowgeist], greife [The Supremacy Sun] an! Sceptre Of Foresight!“ Ihre Meerjungfrau hob den Stab in ihren Händen in die Höhe und ließ daraus ein blaues Licht hervortreten. Dieses schoss auf Carolines Kreatur zu und ließ sie in einer lauten Explosion untergehen. „Du Närrin! Nächste Runde wird [The Supremacy Sun] wiederkehren und dann ist dein Leben verwirkt!“, begehrte das Wesen in ihrer Freundin auf. „Da liegst aber falsch“, meine Valerie selbstsicher. „Ich aktiviere den Effekt von Merrowgeist! Indem ich jetzt, da sie ein Monster im Kampf zerstört hat, eines ihrer Xyz-Materialien abhänge, kann ich besagtes Monster in das Deck seines Besitzers zurückschicken, statt auf den Friedhof!“ „WAS!?“ Valerie lächelte zufrieden. „Ganz genau. Es sieht wohl ganz danach aus, als hätte ich den endlosen Kreis aus Tod und Wiedergeburt durchbrochen. Los, Merrowgeist!“ Wieder hielt ihre Meerjungfrau ihr Zepter in die Höhe und absorbierte nun eine der beiden Lichtkugeln um sich herum, ehe sie mit ihrer Waffe auf Carolines Deck zeigte. Dieses leuchtete bläulich auf, mischte sich automatisch, dann war das Werk vollendet. „Damit beende ich meinen Zug“, sprach Valerie zuversichtlich. Sie hatte es tatsächlich geschafft! Sofort sprach sie ein stilles Gebet an den Herrn, welcher ihr dies erst ermöglicht hatte.   „Das ist unmöglich“, schrie Caroline förmlich mit bebender Stimme und betrachtete ihr Deck. Sie hatte keine anderen Handkarten mehr. „Aber noch bin ich nicht geschlagen! Draw!“ Als sie ihre Karte gezogen hatte, starrte sie diese mit fassungsloser Mimik an. „D-das muss ein Fehler sein! D-das ist-!“ In ihrer Hand hielt sie [The Supremacy Sun]! „Hat da jemand seine gerechte Strafe erhalten?“, hakte Valerie triumphierend nach. „Das ist Gottes Urteil! Da du anscheinend nichts tun kannst, bin ich so frei, und führe das Duell mit meinem Zug fort!“ Sie zog eine Karte, doch beachtete sie gar nicht. Stattdessen zeigte sie unbarmherzig mit dem Finger auf ihre besessene Freundin. „Du hast Caroline lange genug besetzt! Jetzt ist es Zeit, dass du sie und alle anderen gehen lässt! [Evigishki Merrowgeist], beende dieses Duell! Sceptre Of Foresight!“ „Nein!“, brüllte Caroline, doch das Monster ihrer Gegnerin hatte schon das Zepter erhoben und schoss eine blaue Lichtkugel auf sie, was in einer heftigen Explosion endete.   [Valerie: 600LP / Caroline: 1300LP → 0LP]   Caroline lag regungslos am Boden. Es dauerte einen Augenblick, bis Valerie erkannte, dass sie es geschafft hatte. Sie hatte tatsächlich gewonnen! „Unglaublich!“, frohlockte Abigail mit klatschenden Händen und fiel Valerie von hinten um den Hals. Die beiden lachten fröhlich und Nick jubelte darüber, doch nicht als Dämonensnack enden zu müssen. Nur eine hatte schlechte Laune. „Ach, jetzt spiele dich nicht so auf, Redfield! Das hätte doch jeder gekonnt! Wenn ich-!“ Doch Anyas Schädel brummte so sehr, dass sie wieder nach hinten kippte und von Nick gehalten werden musste. Plötzlich richtete [Evigishki Merrowgeist] ihr Zepter abermals in die Höhe und löste eine Welle des Lichts aus, die sämtliche Anwesenden auf dem Gang erfasste. Und während Anya, Valerie, Nick und Abby davon völlig unberührt blieben, kippten die Patienten samt Caroline um wie Dominosteine. Letztere schrie ein letztes Mal, wobei aus ihrem Mund ein schwarzer Schatten quoll, ehe auch sie das Bewusstsein verlor. Der Schatten löste sich in Rauch auf, genau wie Valeries Monster, welches zu schwarzen Partikeln zerfiel und verschwand. „Sind sie jetzt wieder normal?“, fragte Abigail besorgt. „Ich … ich denke schon“, antwortete Valerie. Und als Caroline sich regte und sie verwirrt ansah, wusste das Mädchen, dass der Wille des Dämons fort war. Sie machte sich von Abigail los und kam der verdutzen Caroline überglücklich entgegen, umarmte sie fest. „Ich bin so froh, dass es dir gut geht!“ „Aber Valerie, was ist denn passiert? Warum bin ich nicht in der Schule?“ „Ich werde es dir später erklären! Alles wird gut“, hauchte Valerie in das Ohr ihrer Freundin und strich über ihr blondes Haar.   Auch die anderen Patienten kamen langsam zu sich. Lautes Gemurmel ertönte von den verwirrten jungen Menschen, die nicht wussten, wie sie hierher gelangt waren. Mittlerweile hatte es auch aufgehört zu regnen, sodass einzelne Lichtstrahlen von draußen in das Gebäude fielen. „Ob sie sich wohl erholen werden?“, fragte Abby besorgt und sah sich um. „Sieht ganz danach aus, als könnten sie sich an nichts vom dem erinnern, was nach dem Eishockeyspiel geschehen ist.“ „Die Glücklichen“, brummte Anya und erhob sich. Denn was sie anging, würde sie am liebsten sämtliche Erinnerungen bezüglich Valeries Heldentat unwiderruflich aus ihrem Gedächtnis streichen. „Anya!“, rief Abby schließlich erschrocken und deutete auf die Stirn ihrer Freundin. „Wir müssen dich ins Krankenhaus bringen. Das muss genäht werden!“ „Hab dich nicht so, Masters, das ist nur'n Kratzer!“ „Aber eine Gehirnerschütterung ist eine ernstzunehmende Sache! Du könntest-!“ Anya schnaufte wütend, während sie Nick von sich weg schubste, da sie auch sehr gut alleine stehen konnte. „Nichts aber, da kommt'n Pflaster drauf und gut is'!“ Mehr entgegen kommen konnte Anya ihnen nun wirklich nicht! Ihre Freundin seufzte resignierend. Es war sinnlos, diesen Dickkopf vom Gegenteil überzeugen zu wollen. Sollte sie doch sehen, was sie davon hat! Derweil raunte Anya wütend: „Das alles wäre gar nicht erst passiert, wenn Levrier uns vorgewarnt hätte! Wieso hat der sich nicht eingemischt und diese Napfsülzen zu Stein erstarren lassen oder so!?“   Ich habe die Präsenz dieses Wesens nicht bemerkt. Seit wir unseren Pakt geschlossen haben, haben meine Kräfte stark abgenommen, da sie mein Einsatz unseres Vertrags sind. Einzig eine Barriere zu eurem Schutz konnte ich errichten. Es tut mir leid.   „Es tut dir leid!?“, donnerte Anya zornig. „Alter, du bist ja mal so was von nutzlos! Das nächste Mal, wenn mir irgendein Spinner 'nen Pakt, Vertrag oder was-auch-immer andrehen will, werd' ich ihn ausweiden und seine Organe an Abbys Katze verfüttern!“ „Nein!“, protestierte Abby entsetzt mit offen stehendem Mund. Caroline und Valerie traten zu ihnen. „Spricht Anya mit ihrem … Freund?“, fragte Letztere. Nick gluckste. „Ja. Aber manchmal glaub ich, sie führt nur Selbstgespräche.“ „Das sind wohl die Momente, in denen sie mein Ableben plant?“, hakte Valerie gut gelaunt nach. „Vollkommen richtig, Redfield!“, zischte Anya sie an und bespuckte sie dabei wieder einmal 'versehentlich'. Sich das Gesicht angewidert mit einem Stofftaschentuch aus der Tasche ihres Kostüms abwischend, meinte ihre Erzfeindin: „Ich habe jetzt auch ein ähnliches Mal wie du. Und eine neue Freundin!“ „Schön für dich, Redfield! Mich kannst du damit wohl kaum meinen! Und die zwei hier stehen auch nicht zum Verkauf!“, fügte Anya noch hinzu und drückte ihre beiden Freunde fest an sich, als würden sie andernfalls wegrennen. Valerie lachte. „Nein, meine neue Freundin … ach egal. Wir sollten jetzt erst einmal das Personal befreien. Über die Dinge, die heute geschehen sind, reden wir ein anderes Mal, okay?“ Ihr Ausdruck wurde ernst. „Da gibt es so Einiges, was ihr mir erklären müsst …“ „Keine Lust!“, murrte Anya und zog eine trotzige Schnute. Dabei dachte sie noch: alles bloß das nicht!     Turn 08 – Murphy's Law Nachdem Valerie nun die heilige Johanna von Orléans an ihrer Seite hat, ist Anyas Konkurrenzdenken schlimmer denn je. Um Marcs Aufmerksamkeit zu gewinnen, ohne dabei in einem schlechten Licht dazustehen, schreibt sie ihm in ihrer emotional unbeholfenen Art einen Liebesbrief. Unzufrieden damit, schmeißt sie ihn weg, nur damit er Nick in die Hände fällt. Der jedoch denkt, der Brief sei für ihn bestimmt und versucht Anya nahezukommen. Und sorgt im Zuge dessen dafür, dass Marc Anyas geschriebenes Wort hört. Was folgt, ist ein Duell um Nicks Leben. Kapitel 8: Turn 08 - Murphy's Law --------------------------------- Turn 08 – Murphy's Law     „Joan of Arc!?“, polterte Anya und fiel aus allen Wolken. Dann brummte sie grimmig: „Nie von gehört. Wer soll das sein?“ „Passt du denn nie in Geschichte auf?“, fragte Valerie mit klagendem Tonfall und ließ ihre Hand durch das seidige, endlos lange, schwarze Haar gleiten. Nein, dachte Anya boshaft, das geht schließlich schlecht, wenn ich mir ausmale, wie ich dir dummen Pute den Hals umdrehe, dich dann die Toilette herunterspüle und anschließend aus der Kloake fische, nur um dich an den weißen Hai zu verfüttern. Ihre tatsächliche Antwort fiel aber um einiges kürzer aus. „Nein.“ Abby räusperte sich besserwisserisch. „Joan of Arc, oder auch Jeanne D'Arc, ist eine-“ „Mir doch egal, komm zum Punkt, Redfield!“   Zusammen saßen die Drei und Nick unter der großen Eiche auf Abbys roter Wolldecke. Dass der Sommer allmählich zu Ende ging, schien in Livington noch nicht angekommen zu sein. Seit Tagen litt die kleine Vorstadt wieder unter sengender Hitze. Was besonders Anya ein gewaltiger Dorn im Auge war, trug ihre Erzfeindin nun bauchfreie Tops mit Ausschnitten, aus denen Mann, wenn Mann erst einmal hineinfiel, nie wieder herausfinden würde. Und Nick schien bereits seine Bergsteigerausrüstung im Gedanken zusammenzupacken, wenn man seinen geifernden Blicken folgte.   „Der Punkt ist, dass sie uns gerettet hat! Ich meine … wir haben es hier mit einer Gesandten von Gott zu tun! Ist das nicht total aufregend?“, fragte Valerie begeistert und faltete die Hände ineinander. Etwas geknickt fügte sie hinzu: „Schade, dass wir das für uns behalten müssen.“ Anya hingegen blieb wortkarg. „Nein, ist es nicht.“ „Es ist schon erstaunlich. Erst schließt Anya einen Pakt mit Levrier und nun steht Joan of Arc an Valeries Seite. Dazu tragen beide ein Mal, auch wenn sie ganz verschieden aussehen“, meinte Abby und durchsuchte nebenbei ihr Geschichtsbuch nach Bildern der heiligen Johanna. „Mir doch egal, welche Dumpfralle euch gerettet hat!“, tönte Anya miesepetrig. „Ich für meinen Teil hätte diese Zombies auch ohne göttlichen Schnickschnack umgepustet!“ Valerie spitzte die Lippen abfällig. „Nachdem sie dich zuerst umgepustet haben?“ „Na und? Hat fast gar nicht weh getan! Außerdem geht’s mir wieder gut!“ Schwer seufzend, legte Abby ihr Buch beiseite. „Sollte es aber nicht. Die Prellungen an deiner Stirn waren am nächsten Morgen verschwunden, oder? Das ist höchst ungewöhnlich, normalerweise kann das Wochen dauern.“ „Ich bin eben gut“, brummte Anya und verschränkte die Arme hinter ihrem Kopf. „Komisch ist nur, dass Joan sich seitdem nicht mehr bei mir gemeldet hat“, sprach Valerie mit unterschwelliger Besorgnis. „Immerhin sind unsere Mitschüler jetzt wieder sie selbst und konnten Victim's Sanctuary verlassen.“ Abby blickte nachdenklich in den blauen Himmel. „Irgendwie hab ich mittlerweile richtig Angst vor schlechtem Wetter. Jedes Mal, wenn ein Gewitter über unsere Stadt zieht, passiert etwas Schreckliches. Ob das Omen sind?“ „Nein, Wolken! Mit viel Wasser drin!“, raunte Anya gallig und wandte sich an Valerie. „So, da wir jetzt wissen, was uns sowieso nie interessiert hat, könntest du jetzt endlich mit deinem Schickimickiarsch abheben und Leine ziehen?“ „Ich dachte, wir wären jetzt Freunde?“, empörte Valerie sich und sprang mit verschränkten Armen auf. „Das ist dein Problem, Schneewittchen. Du denkst zu viel!“ „Lieber zu viel, als gar nicht, so wie du! Aber wenn du unbedingt darauf bestehst, werde ich jetzt gehen!“, erwiderte Valerie beleidigt und zog wie ein Sommergewitter von dannen. Sie hatte es satt, sich immer wieder Anyas Frechheiten ausgesetzt zu sehen. Vorwurfsvoll sah Abby ihre Freundin daraufhin an. „War das jetzt wirklich nötig? Du solltest dankbar sein, dass sie und Joan uns gerettet haben! Stattdessen bist du noch ekliger zu ihr als sonst!“ Anya gab nur ein böswilliges Grunzen von sich. Denn seit Valerie göttliche Unterstützung an ihrer Seite hatte, war sie in Anyas Gunst noch tiefer gesunken. Was bisher als unmöglich galt. Nicht nur, dass sie seit den Erlebnissen in Victim's Sanctuary einen auf gläubig machte – Anya wusste schließlich nicht, dass Valerie seither Katholikin war – nein, sie fühlte sich nun auch noch unbesiegbar und war dadurch mehr als nur unerträglich! Sie war vernichtungswürdig, um es mit den Worten dieses Dämonjägers Alastair auszudrücken. Das Ganze wurde auch nicht dadurch besser, dass alle Valeries Mal bewunderten, während keiner auch nur ein Wort über ihres verlor. Anya war frustriert, denn mit Jeanne D'Arc auf ihrer Seite, stand Valerie jetzt eine Stufe über ihr im Highschool-Kastensystem. Ein Zustand, den das Mädchen so nicht dulden wollte. Nicht etwa weil sie beliebt sein wollte, nein! Aber niemand stand über ihr, absolut niemand! Außerdem sah die Sachlage so aus, dass Valerie eine Art Engel an ihrer Seite hatte. Und die letzte Person, die so etwas von sich behauptete, hatte sie umbringen wollen! Demnach waren Anya und Valerie sozusagen Feinde. Selbst das Schicksal wollte es so! Was insofern natürlich gar nicht so übel war, denn dann konnte Anya vor Gericht auf Notwehr plädieren, während die Gerichtsmediziner das einzig von Valerie übrig gebliebene Körperteil – ihre falschen Fingernägel – auf Anyas DNA-Spuren testeten. Und dann war da natürlich noch Marc – ihr Marc! – der nur noch Augen für Valerie, oh Valerie hatte. Die konnte man mittlerweile nicht mehr von seinem Schatten unterscheiden, ergo nicht mehr von ihm wegdenken, wenn sie nicht gerade Anya und ihren Freunden mit ihrer Gerechtigkeitskacke auf den Keks ging. Alleine traf man Marc praktisch nicht mehr an. Das Dumme an der Sache war, dass Anya sie nicht einfach so aus dem Weg räumen konnte, denn der Verdacht würde sofort auf sie fallen. Demnach hatte sie ihren Plan, welcher einen Mixer und einen Backofen beinhaltete, leider aufgeben müssen. Aber es gab immer noch die Möglichkeit mit der Notwehr durch Schicksalsergebenheit!   „Anya, wir müssen zum Unterricht. Die Pause ist vorbei“, meinte Abby und packte ihre Sachen in ihre Beuteltasche. Die Blondine verzog finster das Gesicht. Irgendetwas musste ihr einfallen, um ihre Erzfeindin in Punkto Marc auszustechen. Abzustechen stand ja leider nicht zur Auswahl. Doch ihren Freunden konnte sie sich nicht anvertrauen. Da war guter, diskreter Rat wirklich teuer. Man sollte schließlich nicht denken, dass sie sich nicht selbst zu helfen wusste. Doch Anya musste insgeheim verbittert zugeben, dass genau dies der Fall war.   ~-~-~   Frustriert pfefferte Anya ihren Rucksack in die Ecke. Was waren schon 21 von 100 Punkten im Mathetest? Nick hatte ganze zwei Punkte erreicht und war somit als Einziger noch schlechter als sie. Immerhin war in dieser Hinsicht Verlass auf den Trottel. Trotzdem, dachte sie und ließ sich dabei auf ihrer schwarze Ledercouch in der Ecke des Zimmers fallen. Um wen hatten sich mal wieder alle gedrängt, weil sie eine volle Punktzahl erreicht hatte? Valerie Redfield! Dabei hatte Abby dasselbe Ergebnis erreicht, aber für sie interessierte sich nur der pickelige Adam. Es war zum Haare raufen! Valeries, verstand sich. „Warum bist du nicht irgendso'ne Supertussi, die vor ein paar hundert Jahren mal Hallus hatte?“, richtete Anya wütend ihre Worte an Levrier. Denn sie war sich sicher, dass Valerie Marc alles erzählt hatte, nur um vor ihm anzugeben.   Weil ich offensichtlich zu dieser Zeit nicht in Frankreich war.   „Hast du nicht auch irgendwelche tollen Tricks auf Lager? Irgendwas Cooles?“ Anya verschränkte die Arme und grübelte. „Und wenn du nur ihre Euter schrumpfen lässt!“   Selbst wenn ich das könnte, würde ich es nicht tun. Kräfte wie die meinen sind nicht dazu gedacht, andere Menschen zu terrorisieren. Und ich glaube, dieses Handwerk beherrscht du auch ohne meine Unterstützung bestens.   „Danke für das Lob“, brummte Anya beiläufig. Aber ihre Laune besserte das kein bisschen. Sie hatte überhaupt keine Ahnung, wie sie Marcs Aufmerksamkeit auf sich lenken konnte, ohne dass dabei Valeries Knochen zu Bruch gingen. „Hast du nicht 'ne Idee?“, sprach sie in einem Moment tiefster Verzweiflung und bereute es sofort. Eine Anya Bauer bat nicht um Hilfe, sie half dir nur – ins Grab! Aber der Schaden war schon angerichtet …   Besitzt du denn ein besonderes Talent?   „Eishockey, zocken, fernsehen, Leute verdreschen …“ Anya überlegte. Hatte sie etwas vergessen? Nein, eigentlich nicht.   Ich dachte da eher an etwas Brauchbares. Kannst du singen? Oder beherrscht du zumindest ein Instrument?   „So'n High Society-Bockmist hab ich nicht nötig!“ Verstehe. Hast du wenigstens eine schöne Handschrift?   Anya schnaufte. „Man kann es lesen.“ Sehr gut. Dann schreib deinem Geliebten doch einen Brief. Das ist etwas Persönliches und macht besonders in deinem Falle einen guten Eindruck. Der Autor offenbart durch das geschriebene Wort einen Teil seiner Seel- „Ja, ja, ich hab's kapiert.“ Eigentlich war die Idee gar nicht so übel, sagte sich Anya. Auch wenn sie noch nie einen Brief geschrieben hatte – Erpresserbriefe mal außen vor gelassen. Bloß was sollte sie Marc schreiben? Wenn sie ihn beeindrucken wollte, musste es schon etwas Längeres sein. Sie nickte. Ihr würde schon etwas einfallen.   Und so kramte sie aus ihrem Rucksack einen Schreibblock sowie ein paar Stifte und setzte sich an ihren Schreibtisch vor dem Fenster. Welcher schon Staub angesammelt hatte, weil er nie vollständig eingeräumt, geschweige denn häufig benutzt worden war. Normalerweise nimmt man dafür richtiges Briefpapier.   „Na und? Ich nehme eben dieses! Wen interessiert schon, dass da am Rand ein paar Bildchen sind?“ Es würde schon keiner erkennen, dass das Valerie sein sollte, die gerade durch einen Fleischwolf gedreht wurde. Wenn du meinst.   „Ja, tu ich!“ Also machte sich Anya an die Arbeit. Sie starrte auf ihr Blatt … und starrte … und wartete darauf, dass irgendwas geschah. Du bist wirklich ahnungslos, oder? An deiner Stelle würde ich mit einer Anrede und anschließenden Einleitung beginnen. Der arme Kerl soll doch nicht ins kalte Wasser geschmissen werden.   „Halt die Klappe, ich kann das selbst!“ Das Privileg mit dem kalten Wasser galt wenn, dann nur Valerie. Und so machte sich Anya über den Brief her und schrieb einfach alles auf, was ihr dabei einfiel. Etwa sechs Stunden später, es war längst nach Mitternacht, hatte sie ihr Werk nach mehreren Korrekturen vollendet und hielt den Brief samt Eselsohr, Tintenflecken, hauseigenen Milben und kleinen Bildchen stolz in den Händen. „Den parfümiere ich morgen früh mit Mums 'Oh de Tolett' noch ein bisschen ein und dann gebe ich ihn Marc“, sagte sie so gut gelaunt, wie schon lange nicht mehr. An deiner Stelle würde ich ihn zumindest einmal laut vorlesen.   „Huh? Wozu soll das gut sein?“ Sie runzelte die Stirn. „Na ja, von mir aus …“ Also legte sie den Brief vorsichtig wieder auf den Schreibtisch und begann zu lesen.   „Hey Alter,   ich muss dir sagen, dass ich dich voll in Ordnung finde. War schon immer so, besonders weil du verdammt genial aussiehst. Besonders nach dem Training, wenn du völlig verschwitzt bist. Dieser Moment ist echt das Beste am Eishockey. Na ja, außer wenn ich Valerie 'nen deftigen Hieb verpassen kann, aber das mache ich ja schon lange nicht mehr. Ich finde es nicht fair, dass ich mich nicht bei den Jungen umziehen darf, denn eigentlich bin ich das einzige Mädchen im Team, was uncool ist. Valerie zählt nicht. Dabei spiele ich besser als die meisten Jungen aus unserem Team, wobei du natürlich eine Ausnahme bist. Bloß so können wir uns leider nie unterhalten, weil du immer so schnell weg bist. Scheiße, ich verlange Gleichberechtigung! Was ich sagen wollte ist, dass dein Tackle letzten Monat gegen diesen bekloppten Typen von den Queensport Champions echt rattenscharf war. Ich hätte ja mit dem Eishockey-Schläger nachgesetzt, aber leider habe ich damals zu dem Zeitpunkt mit Coach Bergmann diskutiert, weil ich Valerie versehentlich den Puck gegen den Helm gedonnert hatte. Ich schwöre dir, das war keine Absicht, aber sie stand halt im Weg! Wie soll ich auf diese Entfernung auch treffen können, wenn diese dumme Pute will, dass ich ihr einen Pass zuspiele? Egal, Schnee von gestern. Was ich dich fragen wollte war, ob du nicht mal Lust hättest, etwas mit mir zu unternehmen? Ich würde ja Kino vorschlagen, aber das klingt so kitschig. Außerdem hasse ich Kino wie die Pest, denn dauernd muss man den Saal verlassen, weil irgendwelche Vollidioten nicht auf meine freundlichen Anmerkungen hin still sein wollen, da sie zu sehr damit beschäftigt sind, sich und ihre blondierte Assifreundin zu fotografieren. Und dann krieg' ich den Anschiss, weil ihre 400$ teuren Extentions überall im Saal verteilt liegen. Ich frag dich, ist das fair? Deswegen wollte ich vorschlagen, dass wir einen cooleren Ort aufsuchen. Ich kenne da einen tollen Schrottplatz, gleich um die Ecke vom Einkaufszentrum. Da hole ich immer Sachen für Barbie. Das ist mein Baseballschläger, weißt du? Und Barbie mag es, wenn man ihr ein paar hübsche Nägel mitbringt, um sie neu einzukleiden. Überleg' es dir einmal. Würde mich echt freuen. Hau rein, Anya“   „Na, wie findest du ihn?“, fragte Anya stolz. … kreativ.   „Sag ich doch, ich kann das!“ Ungeschickt faltete Anya den Brief und stopfte ihn in ihren Rucksack. Wollen doch mal sehen, wer dann die Nase vorn haben würde, dachte sie schadenfroh.   ~-~-~   Egal wie sehr sie das Papier auch drückte und quetschte, es fühlte sich einfach nicht wie Valerie Redfields Hals an. Anyas Lippen waren so schmal, dass man meinen konnte, sie würden jeden Moment verschwinden. Mit hasserfüllten, kleinen Augen beobachtete sie Valerie, wie sie Marc heimlich einen kleinen Zettel reichte, während Mr. Gibson irgendetwas Belangloses schwafelte und dabei an der Tafel schrieb. Anya wusste nicht einmal, was für ein Kurs das überhaupt war. Ihre Fingernägel krallten sich in ihr Pult, doch leider weigerte sich das Holz, ihrem Druck nachzugeben. Diese dämliche Ziege war ihr wieder einmal zuvorgekommen! Und dieser Blick, den die beiden sich dabei zuwarfen! Die sahen doch eindeutig verliebt aus! Oh, sie würde Redfield- Es klingelte. „Denkt an eure Referate“, mahnte Mr. Gibson die Schülerschaft eindringlich. Die Jungs und Mädchen erhoben sich daraufhin. Nur Anya blieb sitzen und stellte sich vor, was sie alles tun würde. Schade, dass es nur eine Valerie Redfield auf diesem Planeten gab, denn ihr Einfallsreichtum reichte aus, um einen ganzen Bundesstaat voller Valeries in eine unbewohnbare Ruine zu verwandeln. Mindestens! Als Anya schließlich frustriert ihre Sachen eingepackt hatte, gluckste plötzlich jemand hinter ihr und hielt ihr die Augen zu. „Wer bin ich? Ein Tipp: ganz bestimmt nicht Nick!“ Anya riss an seinem Arm, schleuderte ihn über das Pult zu Boden und stampfte mit geschultertem Rucksack wortlos über ihn hinweg. „Woher hast du das gewusst?“, röchelte er ihr hinterher. Frustriert warf Anya das, was einmal ihr Brief gewesen war, in den Papierkorb und verließ das Klassenzimmer. Sie musste sich jetzt dringend an jemandem abreagieren.   Derweil erhob sich Nick und lief verwundert zu besagten Papierkorb. Er zog eine Bananenschale hervor, doch schüttelte den Kopf. „Neee, davon hab ich schon welche.“ Dann hielt er Anyas Brief in den Händen. „Hehe, wieder was für meine Sammlung!“ Was besagte Sammlung anging, besaß er schon Anyas Radiergummi, den sie in der Fünften weggeschmissen hatte, weil er nicht in Lily McDonalds Ohr gepasst hatte oder auch, sein persönliches Highlight, ein unangerührtes Sandwich von Anya. Jenes würde in so manchen Ländern schon als volljährig betrachtet werden. Neugierig friemelte er den Brief auseinander und begann zu lesen, wobei er einige Passagen selektiv ausblendete. Und als er geendet hatte, strahlte er wie ein Honigkuchenpferd in der Zuckerfabrik.   ~-~-~   „Bitte lass mich gehen, ich hab doch nur noch 23 Zähne!“, jammerte Ernie Winter, während Anya ihm am Kragen gepackt hielt und zuschlagen wollte. „Ich hab dich über mich lästern hören! Du hast über mich gelästert, huh? Sag, dass du über mich gelästert hast!“ „Aber ich hab doch Anna gesagt und nicht Anya!“ Anya schnaufte und ließ das schmächtige Weichei los. Selbst das machte ihr keinen Spaß mehr! Wie sollte sie denn ihre Wut auslassen, wenn sämtliche 'Sportarten', die sie in den letzten 19 Jahren erfunden hatte, sie auf einmal nur noch langweilten? Während Ernie eilig davon krabbelte und seine Hose einsammelte, verschränkte Anya die Arme und ging an den Schülern vorbei, die zugesehen hatten. Unnötig zu erwähnen, dass die einen nicht zu verachtenden Sicherheitsabstand hielten. Anya sah sich auf dem Campusgelände um. Wo zur Hölle war Abby, wenn man sie mal brauchte? Ihr würde bestimmt etwas Kluges einfallen, wie Anya sich ihre Zeit vertreiben konnte. Oder, nein, ihre Ideen wären nur noch langweiliger. Aber wo war sie? Den ganzen Tag schon bekam man sich nicht zu Gesicht! „Oh holde Maid~“ Anya überlegte. Ob Abby sich mal wieder in der Bibliothek verschanzt hatte? Aber nein! Abby und Schule schwänzen in einem Satz zu nennen war wie Valerie Redfield die Haare anzuzünden. Leider unmöglich. Was trieb das Mädel also? „Im schönsten Sommerkleid~ äh Hose~“ Ob sie- „Frisch aus der Dose~“ Jetzt reicht's!   Anya wirbelte um, damit sie diesem Schreihals eins auf die Zwölf geben konnte. Hinter ihr kniete Nick, mit Hand auf der Brust, die sinnlosesten Textzeilen trällernd. „Was soll das denn!?“, herrschte sie ihn an und stellte verärgert fest, dass schon aus allen Richtungen neugierige Blicke auf ihnen lagen. „Na ich werbe um dich~“ Anya kratzte sich an der Stirn, da ihre rhetorischen Fähigkeiten nicht ausgeprägt genug waren, um Nicks Worte in ihrer vollen Grausamkeit zu verinnerlichen. „Häh?“ „Weil ich dich liebe~“ Fassungslos starrte sie ihren -ehemaligen- Freund an. „Todessehnsucht, du!?“ „Und verehre~“ „Wie kommst du auf die grenzdebile Idee, mir so etwas zu sagen, du Holzkopf!? Alter, ehe ich mit dir gehe, zieh ich in'n Kloster und werd' 'ne beschissene Nonne!“ „Aber“, stammelte Nick nun getroffen und holte den Brief aus seiner Hosentasche. Mittlerweile hatte sich eine ganze Traube von Schülern um sie gebildet und zu Anyas Leidwesen waren auch Valerie und Marc darunter. „Aber hier steht, dass du mit mir zum Schrottplatz willst!“ Anya klappte die Kinnlade hinunter. Der Trottel hatte doch tatsächlich … ! „Gib diesen Brief her!“ „Da steht, dass du gerne mit mir in der Männerumkleide duschen würdest!“ „Der ist doch nicht für dich, du Blödian!“, fauchte Anya und schnappte nach dem Brief, doch da Nick über einen Kopf größer war als sie, bekam das Mädchen ihn nicht zu fassen, als er ihn hochhielt. „Aber, aber … und dass du mich magst?“ Nick schien den Tränen der Enttäuschung nahe. Er wedelte mit dem Brief. „Das steht doch da!“ „Gib-her!“, brüllte sie, gab ihm einen saftigen Tritt gegen das Schienbein, gefolgt von einem Schlag in die Nieren und riss ihm den Brief in seinem schwachen Moment aus der Hand. „Sag bloß, der ist … der ist für Marc?“, stammelte Nick unter höllischen Schmerzen frustriert.   Es war mucksmäuschenstill. Jeder der Anwesenden wusste, dass es gleich sehr laut werden würde. Das war wie bei einem Vulkan, der kurz davor stand auszubrechen. Aber statt Lava würde in diesem Falle Nicks Blut fließen. Selbst dieser erkannte, dass er gerade sein eigenes Todesurteil unterschrieben hatte. Er rannte weg, Anya folgte ihm nicht. Sie ballte eine Faust. Dann nahm sie ihre Duel Disk aus dem Rucksack und schleuderte sie selbst auf große Distanz mit vollem Karacho zwischen Nicks Beine. Dieser stolperte und fiel, stand wieder auf und rannte um sein Leben, als Anya ihn wie von der Tarantel gestochen zu verfolgen begann. Unter den wüstesten Beschimpfungen, die die Livington High je erlebt hatte. Die Jagd erstreckte sich über den Hof, das Gebäude der Unterstufe, dann das der Oberstufe, um den Sportplatz und die beiden Hallen herum zurück zum Campusgelände. Und würden dabei Sägeblätter um Anyas Körper kreisen, hätte sie unlängst eine blutige Schneise durch die ganze Schule gezogen. Aber auch so konnten sich genug Schüler, die nicht schnell genug ausgewichen waren, über ungewollten Zwangsurlaub aufgrund diverser Prellungen freuen. „Komm … her … ich krieg' dich … ja doch!“, brüllte Anya und staunte, wie gut Nicks Beine doch funktionierten. Dahinter steckte vermutlich jahrelange Übung, was in direktem Kontakt mit Anya wohl unvermeidlich war. Erschöpft blieb das Mädchen vor der Traube Schaulustiger stehen, keuchte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Nick fiel etwas weiter weg von ihr auf die Knie. „Oh man! Fangen spielen ist ganz schön anstrengend.“ „Ich … würde dich ja vernichten … aber … ich kann nicht mehr“, presste Anya hervor. Neben ihr lag die Duel Disk, die sie nach Nick geworfen hatte. Sollte sie wirklich noch weiter hinter ihm her rennen? So ungern sie es auch zugab, war Nick aufgrund seiner langen Beine und seiner Erfahrung in Punkto Abhauen ihr gegenüber arg im Vorteil. Wenn das so weiterging, würde sie ihn nie zu fassen kriegen. Aber sie musste sich abreagieren, jetzt, sofort! Außerdem war dieser Idiot den Schweiß auf ihrer Stirn nicht wert! Ein weiterer, missmutiger Blick fiel auf die Duel Disk. Also blieb nur eines. „Wir … duellieren uns … und wenn du stirbst … ich meine verlierst … stirbst du.“ Nick sprang auf und strahlte. „Cool! Ich glaube, ich habe mich noch nie mit dir duelliert!“ Was vornehmlich daran lag, dass jeder, dem etwas an seiner Gesundheit lag, darauf verzichtete, sich mit Anya zu duellieren. Gewann sie, hatte man seinen Stolz verloren. Verlor sie aber, konnte man froh sein, wenn am Ende wenigstens noch der Stolz von einem übrig blieb. Anya hasste es zu verlieren. „Könnt ihr euch nicht vertragen?“, mischte Valerie sich ein. „Er hat dich doch nicht absichtlich blamieren wollen.“ „Schnauze, Redfield!“ Denn grundsätzlich glaubte Anya nicht an Zufälle. Wenn jemand ihr ein Leid zufügte, dann ausschließlich mit Absicht!   Indes hatte Nick sich schon eine Duel Disk ausgeliehen und umgeschnallt. „Ich bin fertig!“ Anya las die ihre auf und schob ihr Deck in den dazugehörigen Schacht. „Du bist nicht nur fertig, du bist reif fürs Recycling, wenn ich dich auseinander gerupft habe!“ „Cool!“ Dann riefen beide: „Duell!“   [Anya: 4000LP / Nick: 4000LP]   „Ich fang' an“, verkündete Nick freudig und hatte Glück. Denn Anya war zu sehr damit beschäftigt, Marc anzustarren, der ihr einen undeutbaren Blick zuwarf, um zu widersprechen. „Äh, wie macht man das? Ich rufe … ahja, genau, ich rufe jetzt erstmal meine Mum an und frag sie, was ich spielen soll!“ „Harper!“ „Hehe, nur'n Witz! Ich rufe [Wind-Up Soldier]!“ Ein kleiner, futuristischer Spielzeugsoldat erschien vor Nick. Aus seinem Rücken ragte ein großer Aufziehschlüssel.   Wind-Up Soldier [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   „Dann setze ich noch eine Fallenkarte verdeckt!“, rief Nick gut gelaunt und legte sie auf die Monsterkartenzone der Duel Disk. Und während Marc ihn freundlich darauf hinwies, wie er es richtig zu machen hatten, stöhnte Anya laut auf. Wenn das so weiter ging, würde das selbst für ihren Geschmack zu leicht werden. „Ich bin dran“, zischte sie im Anschluss böse und zückte ihre Lieblingskarte. „[Gem-Knight Fusion]! Aus [Gem-Knight Garnet] und [Gem-Knight Emerald] wird [Gem-Knight Citrine]!“ Vor ihr tauchte aus einem Wirbel aus Edelsteinen ein Ritter in einem blauen Umhang auf, welcher mit seinen rot glühenden Armen ein riesiges Breitschwert schulterte – einhändig. Gem-Knight Citrine [ATK/2200 DEF/1950 (7)]   „Falle aktivieren“, rief Nick fröhlich. „[Fissure]!“ Vor ihm sprang eine Karte auf … mit grünem Rand. „Du Volltrottel, das ist 'ne Zauberkarte!“, donnerte Anya, während Nicks Zauber wieder mit dem Kartenbild nach unten glitt. Lautes Gestöhne ging durch die Zuschauerschar. Die Blondine schwang den Arm aus. „Citrine, mach Hackfleisch aus dieser Witzfigur von Monster!“ Mit nur einem Schwerthieb wurde Nicks Spielzeug in seine Einzelteile zerlegt.   [Anya: 4000LP / Nick: 4000LP → 3600LP] „Ohhhhhh …“, jammerte Nick und trauerte seiner Karte nach. Anya indes nahm eine Karte von ihrem Blatt und setzte sie verdeckt. Sie erschien vor ihren Füßen, während das Mädchen sprach: „Dein letztes Stündlein hat geschlagen, Harper! Mach deinen letzten Zug!“ Der junge Mann schien sich der Gefahr, in der er schwebte, gar nicht bewusst zu sein. Er zog und drückte dann einen Knopf an seiner Duel Disk. „Aber jetzt! [Fissure]! Damit zerstöre-“ „Gar nichts zerstörst du! Konterfalle! [Paradox Fusion]! Indem ich ein Fusionsmonster, wie Citrine eines ist, für zwei Runden aus dem Spiel verbanne, kann ich die Aktivierung einer Karte annullieren! So bringe ich Citrine vor deiner Karte in Sicherheit!“ Ihr Ritter löste sich in Luft auf, während Nicks Zauberkarte in tausend Stücke zersprang. „Ohh! Dann spiele ich jetzt [Wind-Up Magician] verdeckt!“ Vor Nick tauchte ein Aufziehmagier auf, welcher mit seinen Zangenhänden einen Zauberstab hielt. Lautes Gemurmel erklang um die beiden Duellanten herum und ein paar mutige Seelen wagten es sogar zu lachen.   Wind-Up Magician [ATK/600 DEF/1800 (4)]   „Zug beendet!“ Anya ballte eine Faust. Es war wohl nicht genug, dass dieser Idiot sie vor allen gedemütigt hatte. Nein, das hätte sie ihm noch verzeihen können, nachdem sie seine Haut abgezogen und als Bettvorleger benutzt hätte. Aber dass er sich nicht die geringste Mühe gab, sein kümmerliches Leben zu retten, machte sie rasend. „Wie kannst du es wagen …“, murmelte sie vor sich hin. Die Wut in ihr war so groß, dass sie sie förmlich greifen konnte. Wie ein Licht erschien sie ihr und alles, was sie zu tun hatte, war zuzupacken. Und wenn man es hielt, fühlte man die Kraft in sich pulsieren. Ein großartiges Gefühl.   „Draw!“, schrie sie laut. „Von meinem Friedhof: [Gem-Knight Fusion], für die ich Emerald verbanne, damit ich sie auf die Hand bekomme! Und ich aktiviere sie, um [Gem-Knight Sapphire] und [Gem-Knight Iolite] von meiner Hand zu verschmelzen und dadurch [Gem-Knight Amethyst] zu beschwören!“ Aus dem funkelnden Edelsteinwirbel tauchte ein blauer Ritter auf, aus dessen Handrücken eine riesige Lanze aus Eis wuchs. Zu seinem Schutz trug er in der anderen Hand einen großen Rundschild.   Gem-Knight Amethyst [ATK/1950 DEF/2450 (7)]   „Als Normalbeschwörung rufe ich jetzt [Gem-Knight Alexandrite]! Aber er wird nicht lange bleiben, denn ich biete ihn durch seinen eigenen Effekt als Opfer an und rufe so [Gem-Knight Crystal] von meinem Deck!“ Der Ritter in weißer Rüstung, welcher vor Anya erschien, verschwand kurz darauf wieder und hinterließ einen stolzen Krieger in Weiß, welcher seine Hände in die Hüften stemmte.   Gem-Knight Crystal [ATK/2450 DEF/1950 (7)]   „Oh oh“, nuschelte Nick ängstlich. „Verliere ich jetzt?“ „Verdammte Scheiße, ja!“, fauchte Anya ihn in ihrer Rage an. „Du hast alles versaut, alles! Jetzt denkt auch der Letzte, dass ich nicht mehr alle Tassen im Schrank habe! Wegen dir habe ich jede Chance … jede … Chance, ihn …“ Die Wut pulsierte so sehr in Anya, dass sie kaum mehr Luft bekam. „Los, Amethyst, vernichte dieses Drecksvieh von Magier!“ Ihr Ritter holte mit seiner Lanze zum Schlag aus und spießte die kleine Kreatur vor Nick gnadenlos auf. Heftiger Wind fegte über das Gelände und ließ Anyas Pferdeschwanz wild durch die Luft tänzeln.   [Anya: 4000LP / Nick: 3600LP → 2250LP]   „Ich werde dir nie verzeihen, was du heute getan hast“, sprach sie hasserfüllt. „Nie, hörst du!?“ „Aber-!“ Sie hielt es nicht mehr aus. Das, was in ihr steckte, musste einfach hinaus! „Los Crystal, beende diesen Scheiß! Clear Punishment!“ Ihr stolzer Ritter schlug mit seiner Faust auf den Boden und ließ die Erde erzittern. Überall brach sie donnernd auseinander, sodass einige Schüler umkippten. Auf Nick zischte unter lautem Getöse in ungeahntem Tempo ein Riss im Boden zu, aus dem kurz darauf endlos viele Kristalldornen schossen und ihn an Armen und Beinen trafen.   [Anya: 4000LP / Nick: 2250LP → 0LP]   Keuchend atmete Anya und hielt sich ihr Mal, welches auf einmal fürchterlich brannte. Die Hologramme verschwanden … doch der Schaden nicht! Überall war die Erde aufgerissen, der Rasen glich einem Schlachtfeld. Und Nick? Er sank auf die Knie, gezeichnet von etlichen Schnittverletzungen. Irritiert und zugleich auch vorwurfsvoll sah er Anya an, ehe er den Kopf hängen ließ und sich wimmernd die blutenden Stellen hielt. Anya wandte sich gleichgültig von ihm ab und schritt davon. Jeder, dem sie zu nahe kam, ging ihr mit Angstschreien fluchtartig aus dem Weg. Sie realisierte es gar nicht, das Chaos um sie herum, fasste keinen klaren Gedanken. Zu groß noch war der Zorn, der in ihr pulsierte und weiter herumwüten wollte. Sie achtete kaum auf den Weg und fand sich irgendwann in einem der Gänge des großen Schulgebäudes wieder. Hier war sie zumindest allein mit sich selbst. Erschöpft lehnte sie sich gegen die Wand neben den Spinden und hielt sich ihren Arm. Er brannte nicht mehr. Erst jetzt realisierte sie, was tatsächlich geschehen war. Sie hatte … den halben Schulhof zertrümmert! „Genial!“, entfleuchte es ihr ehrfürchtig. Wie hatte sie das angestellt? Doch nicht etwa wegen diesem Ding? Sie betrachtete das schwarze Kreuz mit dem Dornenring neugierig. War das etwa auch in dem Pakt mit Levrier inbegriffen? Wenn ja, bereute sie nun keine Sekunde mehr, ihn abgeschlossen zu haben. Damit konnte sie- „Anya?“ Das Mädchen schaute auf und erschrak. „Marc!?“ Vorsichtig näherte er sich ihr. Wie immer sah er so verdammt gut aus in seiner Sportjacke, mit diesen wunderschönen Augen und seinem Kinnbart. Anya spürte, wie es nun eindeutig ihr Herz war, das pulsierte. „Was ist da gerade passiert?“, fragte er etwas unsicher und deutete auf den Ausgang, welcher zum Sportplatz führte. „Nick braucht einen Krankenwagen.“ „Ich habe … keine Ahnung“, log sie. „Muss wohl … an den Rohren gelegen haben. Unten … in der Erde … und so.“ „Ah“, gab er einsichtig von sich. „Das also war es.“ Er lachte zögerlich. „Stimmt, eigentlich ist das logisch. Hologramme können keinen realen Schaden anrichten, nicht wahr?“ „N-nein.“ Warum fühlte sie sich auf einmal so schwach? Plötzlich fiel ihr nicht ein einziger Spruch oder auch nur eine coole Beleidigung ein, die sie in das Gespräch mit einfließen lassen konnte!   Marcs Gesicht nahm plötzlich betrübte Züge an. Er atmete tief durch und sagte dann: „Hör mal, ich … also es geht um diesen Brief.“ Anya erstarrte. Selbst Denken fiel ihr plötzlich unendlich schwer – dabei wollte sie es dieses eine Mal sogar! Jetzt durfte sie sich keinen Fehler erlauben! Sichtlich schien ihr Gegenüber mit sich zu ringen, ehe er schließlich ihren Blick mied. „Es ist sehr lieb von dir, dass du mir das geschrieben hast. Ich hab ihn gelesen, nachdem du gegangen bist.“ „O-oh! Nein, nein, nein, ich-!“ Marc lachte, doch es klang künstlich. „Er war sehr … interessant. Und ich weiß die Mühe zu schätzen, die du dir damit gemacht hast. Aber …“ Aber? Aber! Abers waren nie gut! Er seufzte. „Es ist nicht so, dass ich dich nicht mag. Du bist anders, als die anderen Mädchen an dieser Schule. Jemanden wie dich trifft man sonst nirgendwo und irgendwie bist du auf deine Weise beeindruckend.“ Strike! „Aber-“ Shit! „Nun, ich würde gerne hinter deine Fassade blicken. Bloß bin ich mir nicht sicher, ob ich dahinter überhaupt etwas finden werde. Ob da überhaupt eine Fassade ist. Denn wenn dem nicht so wäre, also …“ Anya verstand kein Wort. Fassade? Wovon redete Marc da überhaupt? Der schwarzhaarige Footballspieler fasste sich. „Ich denke, wir sollten unsere Beziehung so lassen, wie sie ist. Das wäre wohl das Beste für uns alle. Dass du Valerie nicht magst, kann ich irgendwo nachvollziehen. Doch lass sie in Zukunft bitte in Ruhe, denn sie ist ein aufrichtiger, wundervoller Mensch und hat es nicht verdient, so behandelt zu werden.“ „'kay“, murmelte Anya tonlos und ballte hinter ihrem Rücken eine Faust. „Ich denke, das war alles, was ich dir sagen wollte“, meinte Marc. Er wollte Anya eine Hand auf die Schulter legen, doch sie wich zurück. „Tut mir leid. Hier, dein Brief. Ich … gehe dann besser.“ „Tu das …“, antwortete Anya tonlos und nahm das zerknüllte Stück Papier entgegen. Und so drehte er Anya den Rücken zu und ging. Sie sah ihm nicht hinterher, sondern starrte mit gesenktem Haupt ihre Schuhe an. In ihrem Kopf herrschte Stille. Da waren weder Beleidigungen noch Gewaltfantasien. Nichts. Nicht einmal Wut. Da war etwas noch viel Schrecklicheres, nämlich gar nichts zu fühlen. Und Anya wollte etwas fühlen, irgendetwas, nur nicht nichts. Sie schrie, was die Lungen hergaben und schlug mit der Faust die Tür des nächstgelegenen Spinds ein. Das dünne Metall gab nach, also ging sie zum nächsten und zertrümmerte auch ihn. Keinen ließ sie aus, auch als ihre Knöchel schon bluteten. Sie machte weiter, solange, bis die Wut zurückkehrte und sie noch mehr antrieb. Als sie ihr Werk getan hatte, verließ Anya seelenruhig das Gebäude. Und hinterließ dabei ein regelrechtes Schlachtfeld aus zerfetzten Büchern, ausgerissenen Spindtüren und anderen Gegenständen, die überall auf dem Boden verstreut lagen.     Turn 09 – Abby Nachdem Abby auch am nächsten Tag nicht in der Schule aufgetaucht ist und nicht an den Nachforschungen rund um Anyas neuen „Mitbewohner“ Levrier teilnimmt, geht Anya alleine auf die Suche nach ihr. Als sie Abbys Zuhause verlassen und völlig chaotisch vorfindet, beschleicht sie ein schrecklicher Verdacht. Kapitel 9: Turn 09 - Abby ------------------------- Turn 09 – Abby     Anya langweilte sich. Sie war sogar schon dazu geneigt, eines der Bücherregale umzuwerfen, nur um zu sehen, was dann geschah. Aber sie riss sich zusammen, was die Blondine mehr Mühe kostete, als sich eine Art auszudenken, wie sie Valerie Redfield um die Ecke bringen konnte, welche sie nicht schon tausendmal in ihrem Kopf abgespielt hatte. Nun saß sie hier in dieser antiken Grabkammer – den meisten eher als Bibliothek bekannt – und klopfte ungeduldig mit den Fingern auf dem Tisch. Am letzten Wochenende hatten sie, Abby und Nick sich für heute hier verabredet, um zu versuchen, doch noch mehr über Levrier und Eden herauszufinden, nachdem sie festgestellt hatten, dass zwei Monate eine verdammt kurze Zeitspanne waren. Und die Uhr tickte gnadenlos Richtung 11. November, war doch bereits die erste Hälfte des derzeit anhaltenden, milden Septembers wie im Flug vergangen.   Aber wer war nicht aufgetaucht? Richtig: Abigail Masters! Anya würde ihr dafür die Hölle heiß machen, wenn sie erstmal hier auftauchte! Und wen hatte sie achtkantig rausschmeißen müssen? Nick! Im Moment war sie noch nicht in der Stimmung, dieselbe Luft zu atmen wie er, was gerade im Unterricht lästig sein konnte. Das Mädchen wusste, dass sie ihm früher oder später verzeihen würde. Eher später, denn Anya war sehr, sehr nachtragend. Doch bis es soweit war, wollte sie ihn so weit wie möglich auf Abstand halten – auch um seiner Gesundheit willen. Und da konnte er sich noch so oft bei ihr entschuldigen!   Die Sache mit dem ruinierten Campusgelände hatte man ihr nicht ankreiden können, dachte Anya zufrieden. Levrier hatte ihr erklärt, dass diese Kräfte tatsächlich Teil ihres gemeinsamen Paktes waren. Doch Anya konnte sie nicht beherrschen und Levrier weigerte sich strikt, sie in die Geheimnisse zum Kontrollieren dieser Kräfte einzuweihen. Was für ein Langweiler! Aber sie würde es schon selbst herausfinden, irgendwann. Und dann war Partytime angesagt. Was Marc und seine Worte anging, machte Anya sich darum keine Gedanken mehr. Die Hälfte hatte sie ohnehin längst vergessen und den Rest dank ihres natürlichen Selbsterhaltungstriebes so abgeändert, dass sein Korb nunmehr wie eine verschlüsselte Interessensbekundung klang. Einzig ihr Versprechen ihm gegenüber, dieser dummen Schnepfe Valerie – ihr Name sei auf ewig verflucht – kein Haar zu krümmen, war davon nicht betroffen. Das war unfair! Wie sollte sie sich jetzt an all den bunten Bildern in ihrem Kopf erfreuen, wenn sie wusste, dass sie die nie in die Tat umsetzen konnte? Aber ein Versprechen, das Anya Bauer gab, wurde nicht gebrochen. Schon gar nicht, wenn Marc involviert war!   „Man, Masters, wo bleibst du denn?“, murmelte sie genervt. Verstohlen schielte sie das Regal direkt vor ihrem Tisch an. Sollte sie es wagen? Ob die alte Schrulle Mrs. Wilson die Polizei rufen würde? Anya war schon lange nicht mehr auf dem örtlichen Polizeirevier gewesen. Das letzte Mal, als sie Jonathan – oder was noch von ihm übrig war – gefunden hat. Wenn Anya nur daran dachte, fühlte sie sich unwohl. Jetzt wusste sie, wie eine echte Leiche aussah. Fast konnte man da Mitleid mit den Menschen aus ihren Fantasien haben – aber nur fast!   Vielleicht solltest du sie suchen gehen? Täusche ich mich, oder war sie heute auch nicht in der Schule? Womöglich ist sie krank.   Anya brummte leise. Und warum hatte sich Abby dann nicht bei ihr gemeldet? Normalerweise war in solchen Fällen immer Verlass auf sie. Aber jetzt, wo Levrier es sagte, erkannte Anya, dass sie ihre Freundin seit vorgestern Nachmittag nicht mehr gesehen hatte. „Hast gewonnen“, meinte sie in nörgelndem Tonfall und erhob sich. Anya entschloss sich, zuerst Abbys Zuhause aufzusuchen, da man sie dort am ehesten in ihrer Freizeit antraf. Und weil Anya keine Alternative wusste.   ~-~-~   Mit skeptischem Blick musterte die Blondine das Haus vor ihr. Obwohl sie es schon so oft gesehen hatte, passte es immer noch nicht wirklich zusammen. Ursprünglich war es relativ klein gewesen, ohne Obergeschoss. Das war vor vielen Jahren dazugekommen, nachdem Abbys Stiefmutter zum siebenten Mal schwanger geworden war. Seine moderne Bauart passte nicht zu dem kleinen Holzhäuschen und Anya überlegte schon, Wetten abzuschließen, wann das ganze Gebilde wohl zusammenbrechen würde. An der rechten Seite war ebenfalls angebaut worden und auch hier passte nichts zum ursprünglichen Haus, denn dieser Teil sah aus wie ein Gewächshaus mit Vorhängen – ihre Version eines Wintergartens. Anya betrat das Grundstück, dessen Rasen ihr schon zu den Knien reichte und schritt über einen kleinen Steinweg zur Haustür. Ungeduldig drückte sie den Klingelknopf mindestens eine halbe Minute und wartete ab. Nichts. War niemand zuhause? Nun, die meisten Kinder der Familie Masters waren schon alt genug, um etwas in der Stadt zu unternehmen, während ihre Eltern arbeiten gingen. Einzig Michael, der jüngste Spross der Familie, brauchte noch einen Babysitter. Meistens waren das Abby oder ihre Nachbarin, Mrs. Rapatolli.   Verärgert runzelte Anya die Stirn. Wenigstens Michael müsste doch zuhause sein. Sie klopfte gegen die Tür – und blinzelte verdutzt, als diese nachgab und einen Spalt zur Seite schwang. „Oh shit!“, donnerte Anya, als sie bemerkte, dass das Schloss aufgebrochen war. „Einbrecher!“ Ohne nur einen Moment nachzudenken, schlich Anya sich auf Zehenspitzen in den Flur des Hauses. Mit zusammengekniffenen Augen suchte das Mädchen aufmerksam nach dem Übeltäter, der seines Lebens nicht mehr froh werden sollte. Als sie im großen Gemeinschaftssaal – so nannten Abbys Eltern das Wohnzimmer – ankam, gab sie einen überraschten Laut von sich. Die Sitzkissen lagen willkürlich verstreut im Zimmer, einer der orangefarbenen Vorhänge war abgerissen und lag auf dem Boden, während der andere das Fenster bedeckte und so einen Teil des Zimmers in warmes, oranges Licht tauchte. Selbst der kreisrunde, kniehohe Gemeinschaftstisch war umgeworfen worden. Man musste dazu wissen, dass es hier keine Stühle gab, nur Kissen. „Alter Falter“, murmelte Anya fassungslos und wünschte sich, dass 'Barbie' jetzt hier wäre. Was war denn mit diesem durchgeknallten Exemplar von Einbrecher los?   Anya eilte zurück zum Flur und trampelte die Treppen hoch, damit der Kerl wusste, was ihm blühen würde. In Abbys Zimmer angekommen, das von Tierpostern und Bildern von Che Guevara zugedeckt war, musste Anya feststellen, dass alles in bester Ordnung war. Das Bett gemacht, der Schreibtisch eingeräumt, jedes ihrer Bücher in den Regalen reihte sich perfekt in alphabetischer Reihenfolge an das nächste. Davon bekam man ja Ausschlag, dachte sich das Mädchen dabei, welches von solcher Ordnung nichts hielt. Nachdem sie auch die anderen Zimmer abgesucht und vollkommen unberührt vorgefunden hatte, kehrte sie schließlich frustriert wieder zum Gemeinschaftssaal zurück. War diese miese Made ihr entkommen? Und wo waren Abby und Michael? Nun blieb ihr nur noch der Wintergarten – das Unterhaltungszimmer, oder auch Sonnenschrein, der Familie Masters. Anya folgte dem kurzen Gang vom Wohnzimmer aus dorthin und runzelte die Stirn. Rechts von ihr waren die Vorhänge zugezogen, damit man von der Straße aus nicht in das Zimmer hineinschauen konnte. Auf der anderen Seite kam Sonnenlicht durch die endlos vielen Fenster, aus denen sogar das Dach bestand. Daher der Name dieses Raums. Anya trat eine Barbiepuppe beiseite, denn Michael spielte gerne mit Barbies. Schon lange plante das Mädchen, ihm mal ihre 'Barbie' vorzustellen. Das war wenigstens Spielzeug nach ihrem Geschmack. Ansonsten lagen noch Modellautos, ein Zeichenblock und Stifte herum. In der Ecke stand ein Fernseher samt Konsolen und anderem Technikschnickschnack, denn im Gemeinschaftssaal wurde so etwas nicht geduldet. Anya fragte sich bis heute, wie man einrichtungstechnisch nur so versagen konnte. Aber auch hier fand sie niemanden. Merkwürdig.   Anya Bauer! Ich spüre die Reste eines Zaubers in diesem Raum.   „Und ich spüre meinen Magen knurren! Was soll das heißen?“   Nicht weit von dir. Auf dem Boden.   Anya runzelte die Stirn und suchte. Neben dem Zeichenblock entdeckte sie eine weiße Karte, deren Bildmitte ausgebrannt war. Sie hob das Stück Pappe auf und drehte es zwischen ihren Fingern. Die Rückseite war auch weiß. „Das kenne ich doch irgendwoher“, brummte sie.   Der Dämonenjäger. Das ist ein Teleportationszauber derselben Machart, wie Alastair ihn genutzt hat, um zu entkommen.   „Der!?“ Wütend zerknüllte Anya die Karte. Also war er der Einbrecher! Dem würde sie sämtliche Knochen brechen! „Hast du 'ne Idee, wo der jetzt ist?“, zischte sie.   Nein. Aber es sieht so aus, als wäre er für das Verschwinden von deiner Freundin verantwortlich. Den Resten der Magie nach zu schließen, ist er schon gestern hier gewesen.   Anya ballte ihre Fäuste und wünschte sich, die narbige Hackfresse dieses Mistkerls damit ordentlich bearbeiten zu können. Aber erst musste sie Abby und Michael finden! Die würden vielleicht wissen, wo Alastair sich aufhielt. „Okay, wir gehen!“ Man könnte sagen, ich bin direkt hinter dir.   „Fass mich an und du bist tot!“   Ich würde nie auf den Gedanken kommen.   ~-~-~   Anya hätte vor Wut schreien können. Sie hatte jetzt fast die halbe Stadt abgesucht. Ob Kinos, die Gegend um das Campusgelände, die Lagerhäuser am Stadtrand, aber egal wo sie gesucht und dabei gegen mindestens drei Gesetze verstoßen hatte, Abby und das Narbengesicht waren nicht zu finden. Der Himmel stand schon in warmem Orange, als Anya sich frustriert auf einer Bank inmitten des schönen Parks fallen ließ. „Ich habe jetzt fast alles abgesucht“, sprach sie schlecht gelaunt und stemmte ihre Faust gegen die Wange. „Wo sind die bloß?“ Wenn Alastair deiner Freundin wirklich ein Leid zufügen möchte, glaube ich nicht, dass wir ihn finden werden. Womöglich hat er seine Arbeit längst getan.   „Denk nicht mal dran“, donnerte Anya und sprang auf. „Abby geht es gut, verstanden!?“   Ich wünschte, ich könnte dir Gewissheit schenken. Aber- Anya Bauer!   Die Blondine runzelte die Stirn. „Was ist denn?“ Ich spüre etwas, nicht weit von hier. Ein Zauber, welcher dem gleicht, den Alastair genutzt hat, um uns in seinem Bannkreis einzuschließen. Es ist schwach, aber vorhanden, da bin ich mir sicher!   „Wo genau!? Dem werd' ich ein Gratisticket in die Hölle schenken!“   Der Schrottplatz. Aber ich weiß nicht, ob ich stark genug bin, um in den Bannkreis einzudringen!   Anya erstarrte. Der Schrottplatz … dort hatte sie vor lauter Aufregung nicht nach Abby gesucht! Wie hatte sie den vergessen können!? „Das werden wir gleich herausfinden!“, meinte sie wütend zu Levrier. „Von hier sind es nur zehn Minuten! Ich schwöre dir, wenn der Abby ein Haar gekrümmt hat, wird er-“ Hör auf zu reden und beeile dich lieber!   Schnaufend nickte Anya und begann durch den grünen Park zu rennen, als wäre der Leibhaftige hinter ihr her. Wenn Abby etwas geschah, dann würde sie sich das nie verzeihen können! Seit sie sich kannten, beschützte Anya ihre Freundin und wenn sie jetzt ihr Versprechen von damals brach, wäre sie nicht besser als- Sie musste sich beeilen!   ~-~-~   Derweil, wenige Minuten zuvor auf dem Schrottplatz, lief Abby aufgeregt zwischen den Bergen aus Müll umher und suchte -ihn-.   Wie hatte das nur geschehen können? Und warum ausgerechnet ihre Familie? Warum verlangte der Dämonenjäger etwas so Schreckliches von ihr? Sie konnte das nicht! Auch wenn sie einen Tag Bedenkzeit bekommen hatte, war das etwas, was er unmöglich von ihr erwarten konnte!   Obwohl es eben noch gedämmert hatte, war, als sie den Schrottplatz betreten hatte, binnen eines Herzschlags tiefste Nacht über sie herein gebrochen. Abby wusste von Anyas Schilderungen über Alastair, dass sie vermutlich in eine Art abgeschnittene Dimension eingetreten war. So hatte Levrier es Anya erklärt gehabt. Der Bannkreiserzeuger bestimmte, wie weit das Gebiet der Barriere sich erstreckt und wer es betreten darf. Je größer das Areal, desto mehr Kraft verbrauchte so ein Bannkreis. Wieder verlassen konnte ihn aber nur sein Erzeuger und wenn er dies tat oder ums Leben kam, brach der Zauber in sich zusammen und verschwand. Fremde konnten nur dann einen Ausweg finden, wenn der Erschaffer es ihnen gestattete oder aber der Bannkreis zusammenbrach. Sie saß also in der Falle! Aber damit hatte sie ohnehin gerechnet gehabt.   Abby fühlte sich unwohl zwischen all den Hügeln aus kaputten Elektrogeräten, Metallplatten und anderen weggeworfenen Dingen. Ab und zu kam sie an ein paar Autowracks vorbei, die teilweise von Unfallstellen hierher gebracht worden waren. Abby konnte nicht verstehen, was Anya so toll an diesem Ort fand. Gerade im Dunklen mutete er ziemlich unheimlich an.   „Du bist gekommen“, hörte sie plötzlich eine vertraute Stimme und wirbelte um. „Gut!“ Auf einem niedrigen Hügel stand eine hochgewachsene Gestalt, die sich durch das wenige falsche Mondlicht wie ein Schatten abzeichnete. Einen schwarzen Mantel trug sie, welcher nicht recht zu der Maske passen wollte, die der Fremde trug. Sie war aus weißem Porzellan und zeigte eine grinsende Fratze. Aus den Augenhöhlen starrten sie zwei graue Pupillen an, die jedoch nur schwer zu erkennen waren.   Abby faltete ängstlich die Hände zusammen und hielt sie vor ihrem Schoß. „Wo ist Michael?“ „Auch hier. Es geht dem Knirps gut, genau wie ich es versprochen hatte. Und? Hast du über mein Angebot nachgedacht?“ Ruckartig sah das Mädchen zur Seite und schnaufte leise. „Ich weiß, wie schwer das ist, was ich von dir verlange. Aber es muss sein!“ „Ich kann das aber nicht“, begehrte Abby plötzlich verzweifelt auf und trat einen Schritt näher. „Ich kann sie nicht verraten!“ „Obwohl du weißt, was dann geschieht?“ „Geschehen könnte!“, widersprach das Mädchen. „Du hast gesagt, du wüsstest es nicht genau! Was, wenn du dich irrst?“ Der junge, maskierte Mann stöhnte mitfühlend und fasste sich dabei an die Stirn der Maske. „Ich wünschte, ich würde mich irren. Aber wenn auch nur die winzigste Chance besteht, dass das eintreten könnte, was ich dir vor Augen gehalten habe … dann muss es sein!“ „Aber Anya ist meine Freundin!“ „Glaub mir, ich weiß, wie du dich fühlst. Ich hatte selbst eine Freundin, die ich nie im Stich lassen wollte. Aber es musste sein, andernfalls … vergiss es.“ Abby breitete verzweifelt die Arme aus. „Aber von dir hat bestimmt niemand verlangt, dass du dabei hilfst, sie umzubringen!“ „Verdammt, verstehst du es immer noch nicht!?“, donnerte der Dämonenjäger aufgebracht. „Wenn deine Freundin zu Eden wird, dann- Du weißt was dann ist! Retten kannst du sie so oder so nicht! Und ich werde dich und deinen Bruder erst gehen lassen, wenn du dich uns angeschlossen hast!“ „Aber es gibt keine Gewissheit!“ „Nichts im Leben ist gewiss! Warum sonst ist es so schwer, Entscheidungen zu treffen!?“   Abby schüttelte den Kopf. Nein, sagte sie sich, das war zu viel von ihr verlangt. Sie wollte nicht glauben, dass der einzige Weg, Anya zu retten, der war, sie umzubringen. Es musste eine Möglichkeit geben, sie aus dem Vertrag mit Levrier zu lösen. Denn wenn die Zeit abgelaufen war und sie nicht zu Eden wurden, dann- Abby wollte sich das nicht vorstellen. Es war zu schrecklich.   „Wenn du selbst keine Entscheidung treffen kannst“, sagte der Mann plötzlich resignierend. „Lass das Schicksal unsere Zukunft bestimmen. Es bringt nichts, dich zwingen zu wollen, denn wie ich dir schon erklärt habe, wärst du unter Zwang nutzlos. Du musst es wollen.“ Abby schreckte auf. „Was willst du damit sagen?“ „Kämpfe gegen mich! Und kämpfe um deinen Bruder! Solltest du nämlich an mir scheitern, wird er derjenige sein, der darunter leidet! Es liegt in deiner Hand.“ „Was!?“ Abbys Herz trommelte wild in ihrer Brust. Das konnte er doch unmöglich ernst meinen! Michael war ein kleiner Junge, er konnte doch nicht- „Gewinnst du aber, lasse ich Michael gehen. Ich verspreche, mein Wort nicht zu brechen.“ Das brünette Mädchen fühlte sich unsagbar hilflos. Wieso ihr kleiner Bruder? Was hatte er überhaupt mit den Plänen der Dämonenjäger zu tun? Das war nicht fair! „Warum tust du das? Was bezweckst du damit?“ „Das wirst du womöglich verstehen, wenn wir uns duellieren. Was es bedeutet, Verantwortung zu tragen.“ „Ich bin fast mein halbes Leben für Michael verantwortlich gewesen!“ „Aber musstest du ihn jemals vor etwas beschützen, was du selbst nicht zu begreifen vermochtest? Musstest du, um ihn zu beschützen, jemals Opfer bringen?“ Der Fremde wurde schlagartig wieder laut. „Wie kannst du glauben, das alles gut wird, wenn du uns und der Welt den Rücken zukehrst!? Könntest du dann nachts noch schlafen!? Ich werde dir beweisen, dass man manchmal nicht die Wahl hat, alle zu beschützen! Und deswegen wird, wenn du gewinnst, dein Freund Nick sterben!“ „Was?“, hauchte Abby. Wie konnte … wie konnte Nick hier sein? Plötzlich schwebten hinter dem Schrotthügel, auf dem der Fremde stand, zwei Lichtkreuze hervor. An einem von ihnen hing ein kleiner, schwarzhaariger Junge in kurzer Hose. Sein Kinn lag auf der Brust, er war bewusstlos. Neben ihm hing der lang gewachsene Nick und schien ebenfalls zu schlafen. Abby schlug erschrocken die Hände vor den Mund.   „Wenn du dich weigerst, dich mit mir zu duellieren, werden beide sterben!“, erklärte der Dämonenjäger eiskalt. „Das wäre genauso, als würdest du uns deine Hilfe verweigern und so unbeschwert weiterleben, wie du es gekannt hast. Kämpfst du aber, wirst du einen von diesen beiden unwiderruflich verlieren müssen. Es liegt an dir zu entscheiden, wer das sein soll. Dein Stiefbruder oder dein bester Freund. Du triffst die Entscheidung!“ „Ich kann das nicht!“, weigerte sich Abby unter Tränen. Das war einfach zu grausam, sie konnte doch nicht zwischen den beiden wählen! „Du wirst sehen, dass es etwas anderes ist, nicht für das eigene, sondern das Leben anderer zu kämpfen. Es ist schwerer, denn man weiß nie, ob die eigenen Entscheidungen nicht am Ende bewirken, was man ursprünglich verhindern wollte!“ In ihrer Hilflosigkeit fiel Abby auf die Knie. „Aber-!“ „Auch wenn ich dir jetzt grausam erscheine, verdammt, es muss sein! Je früher du mit Verlusten umzugehen lernst, desto leichter wird es dir fallen, wenn du Anya gegenüberstehst und dich entscheiden musst!“ Der Dämonenjäger streckte seinen Arm unter seinem Mantel hervor und offenbarte ein flaches, schwarzes D-Pad. Abby betrachtete hin und her gerissen ihre Duel Disk, denn etwas in ihr hatte bereits geahnt, dass ihr ein Duell bevorstehen würde. Doch unter diesen Bedingungen … Schluchzend wusste sie nicht, was sie tun sollte. Sie musste kämpfen, denn ansonsten würde dieser Mann beide töten! Aber wie nur konnte sie zwischen Nick und Michael wählen!? „Steh auf und kämpfe, verdammt!“, schrie ihr Gegenüber sie an. „Gibt es denn keinen Weg für mich, beide zu retten!?“, begehrte Abby auf. Der Fremde nickte. „Sicherlich. Hilf uns, dann sind beide frei.“ „Aber das hieße, dass Anya-“ „Exakt.“ Es würde im Endeffekt wieder darauf hinauslaufen, dass sie einen ihrer Freunde verlieren würde, erkannte Abby. Und Anya unter Verrat … nein, diese Schuld wäre viel zu groß! Langsam erhob sich das Mädchen schluchzend und aktivierte ihre Duel Disk. Was für eine Wahl hatte sie schon? Sie konnte die beiden Jungs doch nicht im Stich lassen! Wenn sie gar nichts tat, würden beide sterben! „Glaub mir, ich hasse mich mehr dafür, als du es vermutlich tust“, sagte der Dämonenjäger mit traurigem Unterton. „Aber es muss sein! Duell!“ Abby schwieg dazu nur.   [Abby: 4000LP / ????: 4000LP]   „Ich beginne!“, entschied der Fremde kurzerhand und starrte von seiner erhöhten Position auf Abby herab. Wenn er doch wenigstens die Maske abnehmen würde, dachte die sich. Sie wollte dem Menschen, der ihr etwas so Schreckliches anzutun gedachte, ins Gesicht sehen können! Nachdem beide ihr Startblatt gezogen hatten und der Dämonenjäger seine sechste Karte in der Hand hielt, legte er eine Monsterkarte auf sein D-Pad. „Ich setzte dieses hier verdeckt. Zug beendet!“ Vor ihm erschien in horizontaler Lage eine Karte, die mit dem Bild nach unten zeigte. Abby schluckte. Man kämpfte, um zu gewinnen, doch in ihrem Fall … würde sie etwas verlieren, wenn sie ihn besiegen konnte. Das war nicht fair! „Draw“, murmelte sie gebrochen vor sich hin. Was für einen Sinn ergab ein Kampf, von dem man nicht wusste, ob man ihn gewinnen wollte oder nicht? Aber … sie würde sich entscheiden müssen. Das wusste sie. Und das machte alles so unendlich schwer. Ihr Herz fühlte sich an, als würde es vor Angst jeden Moment stehen bleiben. War es das, was dieser Kerl bezwecken wollte? Ihr wahre Furcht zu lehren? „Ich beschwöre [Naturia Cliff]“, sagte sie teilnahmslos und legte ihr Monster auf die Duel Disk. Vor ihr schoss aus dem Boden eine menschenhohe Felsplatte mit zwei großen Kulleraugen. Das rote Moos auf seinem Haupt wirkte wie Haar und gab ihm so noch menschlichere Züge.   Naturia Cliff [ATK/1500 DEF/1000 (4)]   „Ich aktiviere danach den Spielfeldzauber [Gaia Power]. Sie schenkt allen Erde-Monstern 500 Angriffspunkte, reduziert aber ihre Verteidigung um 400.“ Ein riesiger Baum wuchs hinter Abby aus dem Boden und überragte sämtliche Schrottberge in seiner majestätischen Größe.   Naturia Cliff [ATK/1500 → 2000 DEF/1000 → 600 (4)]   „Greif sein verdecktes Monster an“, sagte Abby träge. Es war, als stünde sie neben sich und beobachtete alles aus der Ferne. Und doch wusste sie, dass alles von ihren Entscheidungen abhing. Keine Foltermethode könnte schlimmer sein. Derweil ließ ihr Monster sich einfach auf die Kreatur ihres Gegners fallen. Ein schriller, kehliger Schrei ertönte. „Das war's dann wohl mit [Steelswarm Scout]“, meinte ihr Gegenüber.   Steelswarm Scout [ATK/200 DEF/0 (1)]   „Ich beende meinen Zug“, sprach Abby tonlos. „Warum kämpfst du nicht mit vollem Einsatz!?“, herrschte der Dämonenjäger sie an. „Es geht um zwei Menschen, die dir sehr wichtig sind und du lässt es dir gefallen!?“ Keine Antwort. „Wenn du nicht einmal für sie einstehen willst, bist du vielleicht die Falsche für den Job! Du willst dich nicht zwischen den beiden entscheiden? Fein! Dann tu ich es!“ In seiner Wut riss der Maskierte seine Karte förmlich vom Deck. Dann streckte er den Arm aus. „Während meiner Main Phase 1, wenn [Steelswarm Scout] auf meinem Friedhof liegt und ich keine Karten in meiner Zauber- und Fallenkartenzone liegen habe, kann ich ihn von dort beschwören! Kehre zurück!“ Hinter seinem Bein kam eine kleine Gestalt hervor gekrabbelt. Sie sah aus wie ein Insekt im Körper eines Kindes. Dunkel wie sie war, trug sie eine riesige Brille, die seine Insektenaugen überdimensional groß erschienen lassen.   Steelswarm Scout [ATK/200 DEF/0 (1)]   „Der Preis hierfür ist, dass ich keine Spezialbeschwörung diese Runde mehr durchführen kann. Hey, hörst du mir überhaupt zu!?“ Abby nickte schwach. Sie wollte einfach nicht kämpfen, sie war anders als beispielsweise Anya. Die würde alles tun, um ihrem Gegner das Leben schwer zu machen. Aber wer war sie schon? Die langweilige Streberfreundin! Wo war die Harmonie, die sie so sehr liebte? Die konnte ihr auch nicht helfen! „Fein, du bist wohl völlig weggetreten. Das wird die Schuldgefühle später aber nur schlimmer machen, glaub mir!“ Der Fremde stöhnte, fasste sich an die Stirn seiner Maske und schüttelte den Kopf. „Aber ganz wie du willst, ich kann dich zu nichts zwingen! Ich biete jetzt meinen Scout als Tribut an und beschwöre [Steelswarm Girastag]! Und obwohl er der Stufe 7 angehört, braucht es nur ein Steelswarm-Monster, um ihn zu beschwören! Erscheine!“ Das kleine Insekt löste sich auf und machte einem viel größeren, eindrucksvolleren Exemplar Platz. Obwohl es einen humanoiden Körperbau besaß, erinnerten gerade die Brust und sein Haupt an einen gehörnten Käfer. Ein wilder Schweif peitschte auf den Boden.   Steelswarm Girastag [ATK/2600 DEF/0 (7)] „Wenn Girastag als Tributbeschwörung gerufen wird, kann ich eine beliebige Karte meines Gegners wählen und auf den Friedhof legen! Und damit deine Monster meine nicht an Stärke übertrumpfen, vernichte ich [Gaia Power]!“ Aus der Kanone an seinem Arm schoss der Insektenmann einen Feuerball, der den riesigen Baum hinter Abby in Brand steckte und binnen Sekunden vernichtet hatte.   Naturia Cliff [ATK/2000 → 1500 DEF/600 → 1000 (4)] „Außerdem erhalte ich noch 1000 Lebenspunkte dafür!“   [Abby: 4000LP / ????: 4000LP → 5000LP]   Abby sah weg. Selbst wenn sie sich Mühe geben würde, wäre dieser Kerl vermutlich trotzdem zu stark für sie. Als Duellantin mochte sie Anya oder Nick besiegen können, doch wer war sie schon im Vergleich mit einem Dämonenjäger? „Bist du immer noch nicht zum Kämpfen aufgelegt?“, herrschte der junge Mann sie an. „Vielleicht rüttelt dich ja das hier wach! Girastag, greife [Naturia Cliff] an!“ Wieder erhob der Käferdämon seinen Kanonenarm und schoss eine Salve Feuerkugeln auf Abbys Felsmonster, welches unter dem Druck einfach auseinander brach.   [Abby: 4000LP → 2900LP / ????: 5000LP]   „Monstereffekt“, sagte Abby traurig. „Wenn [Naturia Cliff] auf den Friedhof gelegt wird, kann ich ein Naturia-Monster mit maximal 4 Stufensternen beschwören. Also erscheine, [Naturia Rosewhip]!“ Es war das erstbeste Monster, welches sie in ihrem Deck gefunden hatte. Vor ihren Füßen wuchs eine wunderschöne Rose mit einem grinsenden Gesicht auf den Kelchblättern aus dem Boden. Sie besaß dornige Peitschen, die sie in ihren Blatthänden durch die Gegend schwang.   Naturia Rosewhip [ATK/400 DEF/1700 (3)] „Gut! Ich aktiviere jetzt meine Schnellzauberkarte [First Step Towards Infestation]! Damit erhalte ich ein als Tributbeschwörung gerufenes Steelswarm-Monster auf die Hand und darf eine Karte ziehen!“ Er nahm seinen Girastag vom D-Pad ins Blatt zurück, woraufhin das Hologramm des Käfermannes verschwand. Dann rief der Dämonenjäger, nachdem er gezogen hatte: „Um meine Lebenspunkte zu schützen, aktiviere ich [Swords Of Revealing Light]!“ „Solange Rosewhip auf dem Spielfeld liegt, kann mein Gegner pro Zug nur einen Zauber oder eine Falle aktivieren“, erklärte Abby kaum verständlich. „Was?“ Der Kerl lachte verdutzt über sich. „Verdammt, das habe ich wohl übersehen. Egal! Ich setzte eine Karte verd-“   „Hey, Maskenfresse, wenn du nicht augenblicklich aufhörst, meiner Freundin Angst zu machen, wirst du Zeit deines Lebens auf dieses hässliche Ding angewiesen sein, du Nulpe!“ Abby wirbelte erschrocken um. Keine zehn Meter von ihr entfernt stand Anya, stützte sich an ihren Knien ab und keuchte erschöpft. „Was ist los, Masters? Seit wann lässt du dich von so'nem Schisser herumschubsen!?“ Das Hippiemädchen ballte eine Faust, die sie hinter ihrem Rücken verbarg. „Nein, Anya! Du verstehst das nicht! Er hat Nick und Michael! Bitte … geh!“ Die Blondine richtete sich auf. „Na und!? Dann gewinn' eben und rette die beiden!“ Nun schaltete sich auch der Maskenträger ein. „Wenn du durch meinen Bannkreis gekommen bist, musst du wohl Anya Bauer sein. Ich würde ja sagen, nett dich kennenzulernen, aber das wäre wohl gelogen. Verschwinde von hier, du hast hier nichts verloren!“ „Nen Teufel werd' ich!“ „Anya“, flehte Abby und trat einen Schritt auf sie zu. „Bitte tu, was er sagt. Du kannst hier nicht helfen!“ Die Blondine hob stutzig eine Augenbraue. „Warum nicht?“ „Weil er einen von beiden umbringen wird, je nachdem, ob ich gewinne oder verliere!“ „Dann bringe ich ihn eben zuerst- HEY!“   Der Fremde hatte ihr eine weiße Karte vor die Füße geworden, aus der plötzlich leuchtende Stangen erschienen. Anya saß kurz darauf in einem Käfig aus purem Licht gefangen und rüttelte wie eine Wahnsinnige an den Gitterstäben. „Damit ist die erstmal außer Gefecht gesetzt“, meinte der Dämonenjäger erleichtert. „Wie gut, dass man sie durch die Stäbe nicht hören kann. Alastair hat mir erzählt, dass sie sehr aufbrausend und beleidigend werden kann.“ Verwirrt wirbelte Abby um. „Was!? Du bist nicht Alastair? Aber ich dachte-“ „Nein.“ Er nahm die Maske ab und ließ sie fallen. Das weiße Porzellan zersprang an einer ausrangierten Mikrowelle. Der junge Mann hatte graue Augen und harte Gesichtszüge, die aber gut zu seinem kantigen Gesicht passten. Seine Lippen waren schmal und das eine Handbreite lange, schwarze Haar nach hinten gekämmt. Leider machte es ein sehr widerspenstigen Eindruck und stand leicht ab. „Mein Name lautet Matt. Matt Summers.“ „Aber ich dachte, du-“ „Ich habe nie behauptet, Alastair zu sein. Aber wir sind befreundet, ja. Ich handle in seinem Sinne, wenn man so will. Aber ich bin mein eigener Herr, bevor du etwas anderes denkst.“ Er grinste verschlagen. „Sorry wegen der Maske, aber ich zeige mein Gesicht nur ungern der Öffentlichkeit, anders als Alastair.“ Seine Züge versteiften sich. „Man könnte sagen, dass einige mich gerne in einer Zelle sitzen sehen würden. Du verstehst?“ Abby presste die Lippen so fest aufeinander, dass es wehtat. „Bei deinen Methoden kein Wunder!“ Er stöhnte und zuckte mit den Schultern. „Eigentlich nicht deswegen … aber egal. Ich will dich ja nicht mit meiner tragischen Vergangenheit langweilen. Also, wo war ich? Ach ja, ich war dabei, eine Karte zu setzen. Damit gebe ich ab.“ Vor seinen Füßen erschien die Karte. Er verschränkte die Arme und musterte erst Abby, dann die gefangene Anya. Jene schrie sich fast die Seele aus dem Leib und sah ganz danach aus, als würde sie jeden Moment versuchen, sich einen Tunnel in die Freiheit zu graben. Wieder grinste er. „Hoffentlich beschäftigt das den Dämon in ihr wenigstens so lange, bis wir hier fertig sind. Was wohl nicht mehr lange dauern wird, wenn du so weitermachst.“ Er deutete auf den am Kreuz hängenden Nick. „Ich habe ja anfangs auf ihn getippt, aber mittlerweile bin ich mir da nicht mehr so sicher.“   Abby betrachtete ihre Hände, die wie Espenlaub zitterten. Was hatte sie getan, um sich so ein schlechtes Karma aufzubürden? Sie war den Menschen immer freundlich und friedfertig begegnet, selbst in ihren Hochzeiten als Punk. Warum quälte das Schicksal sie jetzt so? „Ich will nicht kämpfen“, presste sie weinend hervor. „Du musst aber“, sagte Matt mitfühlend. „Jeder muss kämpfen. So ist unsere Welt und wäre sie anders, nun, dann wäre sie wohl perfekt. Tch! Dass ausgerechnet ich mal so etwas sagen würde …“ Doch das Mädchen sank auf die Knie. Sie hatte nicht die Kraft dazu. Sie liebte Michael so sehr, obwohl sie nicht blutsverwandt waren. Aber konnte sie deswegen Nick opfern? Nein! Er war vielleicht nicht der Klügste, doch viel zu gutmütig, um ihn einfach so über die Klinge springen zu lassen! „Was soll ich nur tun?“, wimmerte sie. Nicht einmal Anya konnte ihr helfen …     Turn 10 – Hands Off My Prey Das Duell zwischen Abby und Matt dauert an. Abby, vollkommen verzweifelt, unternimmt nur halbherzige Versuche, ihren Gegner zu bezwingen. Derweil kann Anya nur zusehen, wie Matt Abby zunehmend in eine tiefe Gewissenskrise stürzt. Dieser erzählt aus seinem Leben und wie er zu einem Dämonenjäger geworden ist. Und plötzlich ist Abbys Kampfbereitschaft geweckt – und ein Sturm ungeahnten Ausmaßes entfacht … Kapitel 10: Turn 10 - Hands Off My Prey --------------------------------------- Turn 10 – Hands Off My Prey     Abby war auf die Knie gefallen und wischte sich die Tränen aus den Augen. „Wie lange willst du noch heulen?“, fragte der Dämonenjäger Matt harsch und starrte verächtlich von dem Schrotthügel, auf dem er stand, auf seine Gegnerin herab. Die erhob sich und blickte zu Anya, die in ihren Käfig aus purem Licht im Schneidersitz saß und dabei etwas murmelte. Da jedoch kein Laut aus ihrem Gefängnis hervor drang, blieben den beiden Duellanten ihre unschönen Flüche erspart – auch wenn Abby sie, zum ersten Mal seit sie denken konnte, vermisste. Dann hätte sie wenigstens das Gefühl, nicht vollkommen allein zu sein. Neben Matt schwebten an großen Lichtkreuzen genagelt, ein kleiner Junge – Abbys Stiefbruder Michael – und Nick. Und sie musste sich zwischen ihnen entscheiden. Verlor sie, würde Michael sterben, gewann sie, traf es Nick. Eine Wahl, die sie einfach nicht treffen konnte. Und erst recht nicht wollte.   [Abby: 2900LP / Matt: 5000LP]   Abby kontrollierte nur [Naturia Rosewhip], die kleine Rose vor ihren Füßen.   Naturia Rosewhip [ATK/400 DEF/1700 (3)]   Matts Feld hingegen war, abgesehen von einer verdeckten Karte, sogar komplett leer. Und es war Abbys Zug. Zögerlich fügte sie ihrer Hand eine neue Karte hinzu und schluckte, während sie auf zittrigen Beinen aufstand. „Was ist? Wie lange willst du noch Maulaffen feil halten? In einem richtigen Kampf wirst du keine Zeit haben, um dich selbst zu bemitleiden!“ Abby zuckte zusammen. „J-ja … ich beschwöre … [Naturia White Oak].“ Neben ihrer Rose wuchs ein großer Baum mit einem lächelnden Gesicht aus dem Boden. Naturia White Oak [ATK/1800 DEF/1400 (4)]   Ängstlich kaute Abby an ihren Fingernägeln. Sollte sie -es- tun? „Worauf wartest du!?“, brüllte Matt sie herzlos an. Das Mädchen schloss die Augen. „O-okay! I-Ich … ich … ich stimme meine Stufe 3 [Naturia Rosewhip] auf meine Stufe 4 [Naturia White Oak] ein.“ Sie stockte. „Oh great god of the north … Give us shelter within your soul … Synchro Summon … Be born … [Naturia Landoise] …“ Ihre beiden Monster flogen in die Luft, wo Abbys Rose in drei grüne Ringe zersprang, in die ihre Eiche eintauchte. Dann gab es einen Lichtblitz. Gestein brach aus dem Boden vor Abby hervor. Es formte eine riesige Schildkröte mit moosüberzogenem Panzer, auf welchem sogar ein Baum thronte.   Naturia Landoise [ATK/2350 DEF/1600 (7)]   Abby streckte den Arm aus. „Und nun greife-“ Aber sie zog ihn wieder zurück. Nein, denn wenn sie jetzt angriff, würde sie Michaels Leben über dem von Nick stellen. Sie war nicht Gott, sie durfte nicht entscheiden, wer leben und sterben durfte! Schon gar nicht, wenn es dabei um die Menschen ging, die ihr wichtig waren. „Ich beende meine Battle Phase“, murmelte sie kaum verständlich, „und aktiviere [Naturia Forest], einen Spielfeldzauber. Dazu setze ich noch eine Karte verdeckt und beende meinen Zug.“ Überall um sie herum wuchsen Sträucher, Bäume und Gras. Die Müllhalde verwandelte sich in einen grünen Ort voller Leben, überall versteckten sich Naturia-Monster und sahen dem tragischen Schauspiel zu. Abby, die noch zwei weitere Handkarten besaß, fühlte sich anders als sonst nicht geborgen im Refugium ihrer Lieblingsmonster. Matt, der jetzt auf einem Erdhügel stand, donnerte: „Was soll das!? Du besitzt ein starkes Monster, während meine Lebenspunkte völlig ungeschützt sind, und greifst nicht an!?“ Abby schwieg. „Wie selbstsüchtig bist du eigentlich!? Du willst wirklich, dass ich entscheide, welcher deiner geliebten Menschen stirbt? Du willst nichts tun, um wenigstens einen zu retten!?“ „Nein!“, begehrte Abby auf. „Hör auf! Lass sie doch bitte gehen! Du weißt, dass ich dir nicht helfen kann!“ „Vergiss es! Das sind die Regeln dieses Spiels! Du kannst doch nicht ernsthaft einen anderen darüber entscheiden lassen, wer es wert ist, gerettet zu werden!“ Abby zuckte zusammen. Sie wusste, dass ihr Gegner recht hatte. Und doch! Sie konnte nicht wählen. … oder? Blieb ihr denn überhaupt eine andere Wahl? Was würde geschehen, wenn Matt sich entschied, dass das alles zu nichts führte? Er würde … beide töten! Und das wäre noch hundertmal schlimmer. Hilflos sah sie die beiden Gefangenen an, die an den Kreuzen hingen. Welcher von ihnen hatte es verdient, weiterzuleben? Beide! Aber … das stand nicht zur Debatte. Tränen liefen ihr über die Wangen. Michael … war ein kleiner Junge, der noch sein ganzes Leben vor sich hatte. Nick hatte zumindest das erste Viertel seines Lebens glücklich verbracht. Aber Michael? Er hatte eine Zukunft verdient. Das war nicht fair! Sie … musste ihren Bruder wählen. Eine emotionale Wahl konnte sie nicht treffen, also musste es eine rationale sein. Und ihr Verstand sagte ihr, dass die Argumente für ihren Stiefbruder besser waren. „Verzeih mir … Nick …“, murmelte sie, als sie sich entschieden hatte. „Bitte … verzeih … mir.“ „Sieht so aus, als hättest du dich endlich mit dir geeinigt. Gut! Dann können wir ja jetzt weitermachen!“, sprach Matt, als würde ihn das alles gar nicht berühren. Er zog auf sechs Handkarten auf und rief: „Mein Zug! Ich beschwöre [Steelswarm Cell] von meiner Hand als Spezialbeschwörung, da ich keine Monster kontrolliere!“ Vor ihm und seiner gesetzten Karte tauchte ein dicker, schwarzer Käfer auf. Aus seinem kreisrunden, von spitzen Zähnen besetzten Maul kamen unheimliche, schrille Laute hervor.   Steelswarm Cell [ATK/0 DEF/0 (1)]   Abby versuchte mit aller Macht, die Tränen zurückzuhalten. Sie musste sich jetzt konzentrieren und gewinnen, damit wenigstens Michael nichts geschah. Das schlechte Gewissen gegenüber Nick war jedoch so erdrückend, dass sie kaum atmen konnte. „Wie du weißt, habe ich letzte Runde meinen [Steelswarm Girastag] auf die Hand zurück gerufen! Nun biete ich Cell als Tribut an, wobei Girastag, wie du ebenfalls weißt, trotz seiner hohen Stufe nur ein Tribut erfordert, solange dieses eines seiner Artgenossen ist. Erscheine!“ Der kleine, kugelrunde Käfer verschwand. Dann war es plötzlich wieder da. Dieser humanoide, schwarze Käferdämon mit dem Kanonenarm. Wütend peitschte sein bestialischer Schweif über das Gras. Steelswarm Girastag [ATK/2600 DEF/0 (7)]   „Effekt aktivieren! Wenn Girastag beschworen wird und sein Opfer ein Steelswamer war, lege ich eine deiner Karten auf-“ „Nein“, erwiderte Abby leise, aber bestimmend. „Ich kontere mit Landoises Fähigkeit! Indem ich eine Zauberkarte“, sie zeigte [Landoise's Luminous Moss] vor, „abwerfe, kann ich die Aktivierung eines Monstereffekts verhindern und besagtes Monster zerstören!“ Matt schreckte zurück, als Landoise ein ohrenbetäubendes, tiefes Gebrüll von sich gab und sein Monster damit zum Explodieren brachte. Gleichzeitig stiegen hunderte kleiner Lichtfunken rund um den Wald auf. „Wenn ein Karteneffekt annulliert wird, kann ich dank [Naturia Forest] ein Naturia-Monster mit einer Höchststufe von 3 von meinem Deck meiner Hand hinzufügen“, erklärte Abby und zeigte die Stufe 3 [Naturia Marron] vor. Ihr Gegner lachte. „Verdammt, da habe ich mich wohl verschätzt! Aber hey, wenn du dir Mühe gibst, bist du gar nicht so übel!“ „Das ist alles deine Schuld!“, klagte Abby ihn bitter an. „Wenn du nicht wärst-“ „Ich bin aber! Und ich werde auch nicht so schnell wieder verschwinden! Und um dir das zu beweisen, aktiviere ich jetzt meine [Swords Of Revealing Light]! Mit ihnen-!“ „Konterfalle, [Exterio's Fang]!“, donnerte Abby aufgewühlt. „Mit ihnen annulliert eines meiner Naturia-Monster jede beliebige Zauber- oder Fallenkarte! Nur muss ich dafür eine Karte abwerfen!“ Sie nahm [Glow-Up Bulb], ein Monster, und legte es auf den Friedhof. Das Abbild der Zauberkarte vor Matt zersprang, bevor Abby von den Lichtschwertern eingekreist werden konnte. „Dazu erhalte ich aufgrund des Effekts von [Naturia Forest] wieder ein Naturia-Monster von meinem Deck! [Naturia Fruitfly], Stufe 3!“ Matt zog die Stirn kraus und starrte aus funkelnden Augen auf seine Gegnerin herab. „Junge, du kannst ja richtig garstig werden! Aber wie heißt es so schön? Beurteile niemanden allein nach dem Aussehen. Nun denn, ich setze eine Karte verdeckt und beende den Zug.“ Neben seiner ersten, verdeckten Zauber- oder Fallenkarte erschien nun noch eine zweite.   „Macht dir das Spaß?“, klagte Abby bitter und sah ihm fassungslos in die Augen. „Macht es dir Spaß, mich so zu quälen? Nur weil du willst, dass ich-“ Sie sah zu Anya herüber. Ihre Freundin war so ahnungslos und hockte frustriert in ihrem Lichtkäfig. Die Blondine bemerkte ihren Blick, fuhr sich mit dem Finger über die Kehle und deutete auf Matt. Dieser antwortete auf die Frage hin: „Nein, bestimmt nicht. Aber ich habe lernen müssen, dass man manchmal zum Mörder werden muss, um andere zu beschützen.“ „Was soll das heißen!?“, fragte seine Gegnerin aufgebracht. „Dass es okay ist, über Leben und Tod zu entscheiden, nur weil es einem gerade so in den Kram passt!?“ Das war nicht die Welt, in der Abby leben wollte. Jedes Lebewesen war ihrer Ansicht nach gleichberechtigt und jemand wie Matt, der ganz offenherzig über andere richten wollte, war für sie die Verkörperung eines wahren Dämons. Obwohl er von sich behauptete, jene zu jagen. Er war viel schlimmer … „In den Kram passt!?“, donnerte der Schwarzhaarige ungläubig. „Denkst du, ich habe meinen Vater ermordet, weil mir gerade danach war!?“ Abby erstarrte. „W-was … ?“ „Du hörst schon richtig“, erwiderte Matt bitter und ließ den Kopf hängen. „Vor sechs Jahren. Er war … ein mieser Scheißkerl. Hat meine Schwester geschlagen. Jahrelang. Niemand hat davon gewusst, nicht mal unsere Mutter. Als sie es herausfand, hat er auch bei ihr angefangen und sie … hat sich kurz darauf umgebracht. Von da an waren Sophie und ich diesem Etwas ausgeliefert.“   Dem Mädchen stockte der Atem. Dieser Mensch vor ihr, er hatte sein eigen Fleisch und Blut auf dem Gewissen. Egal, was die Hintergründe waren, er hatte einfach Selbstjustiz ausgeübt und seinen Vater ermordet. Wo sie doch alles dafür geben würde, um ihre leiblichen Eltern noch einmal sehen zu können …   Matt starrte Abby hasserfüllt an, doch das Funkeln in seinen grauen Augen galt nicht ihr, sondern seinen Erinnerungen. „Du kannst dir sicherlich denken, was dann passiert ist? Manche Dinge sind unvermeidlich, das habe ich dir schon neulich erklärt. Ich musste ihn umbringen, sonst hätte neben dem Grab unserer Mutter irgendwann noch Sophies Grab gestanden.“ „Aber das gibt dir doch kein Recht-!“ „Das Recht ist nicht immer auf der Seite der Schwachen!“, polterte er aufgewühlt und streckte weit die Arme aus. „Denkst du denn, die Polizei hätte irgendetwas unternommen? Wenn mein Vater doch alle Fäden in der Hand hatte!? Ja, ich habe ihn umgebracht! Aber ich hatte keine Wahl! Meiner Schwester geht es jetzt gut, weil ich mich für sie geopfert habe! Dafür musste ich meine Freundin Tara zurücklassen, bin jahrelang untergetaucht und jedes Mal erstarrt vor Angst, wenn ich Polizisten gesehen habe!“ „Und jetzt willst du mich dazu zwingen, dasselbe durchzumachen!?“, fragte Abby atemlos. „Ich habe dir schon gesagt, was ich dir verständlich machen möchte! Dass man manchmal keine andere Wahl hat!“ „Man hat immer die Wahl!“ Matt lachte höhnisch auf. „Das ist doch naiv …“   Abby spürte, wie ihr Herz wild in ihrer Brust trommelte. Dieser Dämonenjäger, er war völlig durchgedreht! So selbstgerecht über sein Verbrechen zu reden, zu glauben, dass das der einzige Weg gewesen sei, seine Schwester zu beschützen. Natürlich musste man die Familie beschützen, doch nicht, indem man seinen Vater umbringt! Dem Mädchen standen die Tränen in den Augen. Dieser Dummkopf wusste gar nicht, wie kostbar die eigene Familie war. Warum hatte er nicht versucht, mit seinem Vater zu reden? Für dessen Verhalten musste es doch schließlich einen Grund gegeben haben! Sie wäre überglücklich, wenn ihre leiblichen Eltern noch leben würden. Aber die waren gestorben, als Abby noch ein kleines Kind gewesen war. Bei einem Autounfall, den sie als Einzige überlebt hatte. Ihr Bruder, ihre Mutter, ihr Vater … sie konnte sich kaum an sie erinnern. Nur Bilder waren ihr geblieben, als die befreundete Familie Masters sie bei sich aufgenommen hatte. Sie behandelten sie wie ihre eigene Tochter und doch war sie immer ein Außenseiter gewesen. Das adoptierte Kind, die durchgeknallte Abby, die dauernd ihren Lebensstil änderte, weil sie nicht wusste, wo sie hingehörte. Sie ballte eine Faust. Was wusste dieser Kerl vom Wert eines Leben!? Wie selbstgerecht konnte man sein, um nicht nur die eigene, sondern auch andere Familien ins Chaos zu stürzen!? Dachte er denn nicht an Nicks Eltern, wenn sie erfuhren, dass ihr Sohn ums Leben gekommen war? Nur wegen einer sinnlosen Lektion, die dieser Abschaum ihr erteilen wollte? Sie hasste ihn! Nie hatte sie gegenüber einem Menschen derart viel Abscheu empfunden, wie es bei Matt der Fall war. Sie wünschte sich, dass er … dass dieser … einfach … !   Ohne Vorwarnung stieß sie einen schrillen Schrei aus. Es brannte, ihr ganzer Körper brannte wie Feuer. Sie bekam keine Luft mehr, hielt sich den Hals und röchelte. Ihr wurde schwarz vor Augen, doch Abby bemühte sich um Halt, torkelte einen Schritt zurück. Derweil konnte Anya nicht glauben, was sie gerade mitansah. Man konnte sie selbst durch den Käfig aus Licht zwar nicht hören, aber sie hingegen verstand jedes Wort von außen. Und der Schrei ihrer Freundin bereitete selbst der Blondine eine Gänsehaut. Viel mehr aber noch, was mit ihr geschah. Eine leuchtend blassgelbe Aura breitete sich um Abby aus, ihr Haar begann zu wachsen. Wie Schlangen bewegten sich die einzelnen Strähnen in der Luft, peitschten und verloren immer mehr an Farbe. Dann kam die Druckwelle. Anya wurde aus ihrem Schneidersitz gerissen und hart gegen die Stäbe ihres Gefängnisses gepresst. „Alter, was geht'n hier ab“, ächzte sie unter dem starken Sturmwind. Deine Freundin! Sie ist eine Sirene!   „Eine was!?“   In ihren Adern fließt das Blut der Sirenen. Ich habe es nicht bemerkt, weil es bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht aktiv war, aber Abby ist zur Hälfte eine Sirene. Ihre Mutter muss ein Reinblut gewesen sein, sonst könnte das Kind seine Kräfte nicht erwecken.   „Und was ist 'ne Sirene? Ist das was Gutes?“ Anya spürte dabei unter Schmerzen, wie sie mit dem Rücken gegen die Gitterstäbe gepresst wurde. Auch Matt musste mit dem Sturm kämpfen. Er hielt sich mit wehendem Mantel die Arme vor das Gesicht, sein schwarzes Haar war nicht zu bändigen.   Sirenen sind unglaublich mächtige, gleichwohl aber seltene Geschöpfe. Schon seit Jahrhunderten hört man nichts mehr von ihnen, da sie von Dämonenjägern gejagt wurden und infolgedessen untertauchen mussten. Es dürfte heute nicht mehr als eine Handvoll von reinblütigen Sirenen existieren.   „Warum hat Abby nie ein Wort gesagt!?“   Weil sie selbst nicht um ihr Geheimnis gewusst zu haben schien. Hüte dich, Anya Bauer, denn Sirenen sind sehr gefährlich. Sie kennen in der Regel weder Freund, noch Feind und ziehen die Unachtsamen in ihren Bann. Meide direkten Blickkontakt, wenn du ihr nicht verfallen willst, denn es ist zu bezweifeln, dass dieses Mädchen ihre Kräfte zu beherrschen weiß! „Ich bin doch nicht lesbisch!“   Eine Sirene macht keinen Unterschied zwischen Mann und Weib. Hüte dich vor ihr, denn ich kann dich nicht vor ihr schützen! Selbst als Halbblut ist sie unglaublich gefährlich!   Der Sturm verebbte langsam. Doch noch immer tanzte ein Teil Abbys neuer, weißer Haarpracht durch die Luft. Einige Strähnen hatten sich um ihr hellbraunes Kleid gewickelt, andere um ihre Arme. Sie drehte sich zu Anya um, wobei ihre getönte Brille auf den Boden fiel. Ihrer Freundin hingegen fiel beim Anblick Abbys die Kinnlade herab. Deren runde Gesichtszüge waren noch immer dieselben, doch auf gewisse Weise viel feiner und schärfer als zuvor. Die Lippen hingegen hatten einen hauchzarten, blauen Teint bekommen, was aber nichts gegen die Augen war. Rosa waren sie, Schlitzaugen und voller Stolz. Anya spürte instinktiv, dass Levriers Warnung ernstzunehmen war und folgte ihr, indem sie sofort wegsah. Die Sirene schnippte mit den Fingern, deren Nägel um Einiges gewachsen waren. Neben Matt verschwanden die beiden Kreuze samt der Geiseln und tauchten je links und rechts neben Anyas Käfig wieder auf. „Alter Falter“, staunte die. „Das ist ja mal fett!“   Derweil schreckte Matt zurück. „Auch das noch! Du bist eine Sirene!?“ Süffisant grinste die neue Abby. „Die Spielregeln haben sich geändert“, hauchte sie mit widerhallender, verführerisch tiefer Stimme. „Jetzt werde ich -dir- eine Lektion erteilen.“ Ihrem Gegner lief der Schweiß von der Stirn. Er wusste, dass er sie nicht zulange anstarren durfte, wenn er nicht ihrem Zauber erliegen wollte. „Warum machen wir nicht weiter?“, fragte die Sirene und deutete auf das Spielfeld mit ihren abnormalen, langen Fingern. „Nur bist du jetzt meine Beute.“ „Dir ist klar, dass ich dich jetzt töten muss, oder?“, presste Matt in seiner Aufregung hervor.   Er hatte ja mit vielem gerechnet, aber dass hier? Das war selbst für ihn eine Nummer zu groß! Selbst Alastair hatte noch nie gegen eine Sirene gekämpft! Aber an Flucht war gar nicht zu denken, denn wenn Anya sich mit ihr verbündete, würde das sein und Alastairs Vorhaben, Anya Bauer zu vernichten, um Einiges erschweren. Er hatte praktisch keine andere Wahl als sich ihr zu stellen.   „Warum musst du mich denn töten? Weil ich kein Mensch bin? Ist alles Unnormale, Unbegreifliche schlecht? Verdient es den Tod, nur weil du es fürchtest?“ „Du bist ein Monster! Solche wie du töten völlig grundlos Unschuldige!“ „Und das weißt du mit solcher Sicherheit?“ Sie lächelte kalt. „Aber wenn du so sehr daran glauben möchtest, werde ich dich nicht enttäuschen.“ „Wenn du meinst …“ Er musste sich ihren Worten verschließen, oder er wäre verloren! „Spiel weiter!“   Die Sirene nickte. „Ganz wie du wünscht. Mein Zug beginnt.“ Allein mit ihren Fingernägeln zog sie die nächste Karte und lächelte finster. Dann aktivierte sie sie. „Ich benutze [Monster Reborn], oh, welch ein ironischer Zufall, und belebe [Naturia Rosewhip] von meinem Friedhof wieder. Genau, wie ich wiedergeboren wurde.“ Vor ihren Füßen wuchs die kleine Rose aus dem Boden und grinste fröhlich. Abby bückte sich zu ihr und streichelte mit verträumter Mimik über die roten Blätter.   Naturia Rosewhip [ATK/400 DEF/1700 (3)]   Matt stöhnte leise. „Verdammt, sie benutzt ihre Kräfte, um aus Illusionen Realität zu machen. Und sie kann meine Zauber neutralisieren … das ist schlecht.“ „Exakt“, antwortete seine Gegnerin mit ihrer widerhallenden, rauchigen Stimme. „Damit du den Schmerz spürst, den du mir zufügen wolltest.“ „Du machst mir keine Angst!“, entgegnete er mutig. „Wart es nur ab“, hauchte sie ihm jedoch zwinkernd entgegen und nahm eines ihrer beiden Monster aus ihrer Hand hervor. „Erscheine, [Naturia Fruitfly]!“ Eine kleine Fliege summte um Abby herum. Ganz ihrem Namen nach bestand ihr Körper aus Trauben und einer Erdbeere – eine wahre Fruchtfliege.   Naturia Fruitfly [ATK/800 DEF/1500 (3)]   „Dann lass uns sehen, was du hiervon hältst“, murmelte die Weißhaarige geheimnisvoll und streckte den Arm in die Höhe. „Ich stimme meine Stufe 3 [Naturia Rosewhip] auf meine Stufe 3 [Naturia Fruitfly] ab! Oh great god of the east! Scare my enemies with your mighty presence! Synchro Summon! Descent down, [Naturia Barkion]!“ Ihre Rose zersprang in drei grüne Lichtringe, die die Fliege durchquerte. Ein Lichtstrahl ließ jene anwachsen und machte aus ihr einen eindrucksvollen, schlangenhaften Drachen. Dieser brüllte majestätisch, während sich der Kamm aus Holzrinde auf seiner grauen Haut bewegte.   Naturia Barkion [ATK/2500 DEF/1800 (6)]   Er gesellte sich zu [Naturia Landoise]. Matt wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Na toll! Noch so eins …“ Indes zeigte Abby ausdruckslos in ihrer neuen Schönheit auf ihren Gegner. „Los meine Monster, direkter Angriff auf seine Lebenspunkte! Lehrt ihn, Respekt vor Mutter Natur und all ihren Geschöpfen zu haben, ob Dämonen oder Menschen!“ Doch der Schwarzhaarige grinste nur selbstsicher. Er schwang seinen Arm aus. „Dazu wird es nicht kommen! Ich aktiviere [Call Of The Haunted]! Damit kann ich ein x-beliebiges Monster von meinem Friedhof reanimieren, solange meine Falle wirkt! Und dieses Monster wird [Steelswarm Girastag] sein!“ Die Sirene aber schüttelte den Kopf. „Ich habe andere Pläne. [Naturia Barkion], annulliere seine Falle! Ich verbanne zwei Karten von meinem Friedhof, um deinen Effekt zu aktivieren!“ Sie hielt die Zauber [Landoise's Luminous Moss] und [Gaia Power] zwischen ihren langen Fingernägeln und schob sie in einen Extraschlitz unter dem Friedhof ihrer schwarzen Duel Disk. Matts Falle zersprang nach einem eindrucksvollen Gebrüll des grauen Drachen. „Verdammt!“, schrie der und sah sich plötzlich zwei riesigen Monstern gegenüber. Die Schildkröte stampfte nur einmal mit dem Fuß auf, um die Erde erbeben zu lassen. Zeitgleich verpasste Abbys Drache Matt einen schmerzhaften Hieb mit dem Schweif, der ihn mehrere Meter weit über den Hügel schleuderte. Hart schlug er auf das Gras auf, welches nur ein Hologramm war und tatsächlich Schrott überdeckte und rollte den ganzen Hang hinab. Einen Schmerzensschrei von sich gebend, blieb er hinter dem getarnten Schrottberg liegen.   [Abby: 2900LP / Matt: 5000LP → 150LP]   Fassungslos zog er sich eine große Scherbe aus dem linken Oberschenkel. Blut sickerte unter seiner schwarzen Hose hervor. Er stöhnte vor Schmerz, denn der Fall hatte ihm gewiss einige Rippen gebrochen und schlimme Prellungen zugefügt. Seine rechte Wange war blutverschmiert. Trotzdem stand er auf und schleppte sich den Hügel hinauf, bis er wieder an der Spitze stand, vor seiner verdeckten Karte. „Netter Treffer“, lobte er die Sirene kühl. „Aber so leicht kippe ich nicht aus den Latschen.“ Abby lächelte nur wissend. „Das will ich auch gar nicht.“ Sie zeigte zwischen ihren Fingern eine Monsterkarte hervor. „Da ich abermals die Aktivierung einer deiner Karten annulliert habe, schenkt mir [Naturia Forest] ein Monster. [Naturia Cosmobeet] wird es genannt. Damit beende ich meinen Zug, indem ich eine Karte setze.“ „Auch besser so … für mich“, lachte Matt selbstironisch, als sich die Karte vor Abby materialisierte.   Anya indes staunte wahre Bauklötze, während sie mitansah, wie Abby mit diesem Dreckskerl umging. Gut, sie sah jetzt zwar aus, als wäre sie der „Rocky Horror Picture Show“ entsprungen, aber solange sie diese fiese Kröte zu Gulasch verarbeitete, war Anya das nur recht.   Die Kraft des Käfigs wird schwächer. Vermutlich, weil dieser Matt schwere Verletzungen erlitten hat. Gib mir noch ein wenig Zeit, dann befreie ich dich.   „Beeil' dich 'n bisschen!“, schnauzte Anya Levrier an. „Ich will auch noch was von dem abhaben, 'kay?“ Ich tue schon mein Bestes. Etwas mehr Dankbarkeit wäre angebracht.   „Klappe!“ Das Mädchen verschränkte im Schneidersitz die Arme. „Wenn das so weitergeht, dreht Abby noch völlig durch …“   Höre ich da Besorgnis in deiner Stimme? „Keine Ahnung, was du meinst! Und jetzt mach hinne, mir jucken schon die Finger!“ Anya war sich nicht sicher, ob sie Abby überhaupt noch beruhigen konnte. Was, wenn sie jetzt für immer in dieser Form bleiben würde? Wäre sie dann überhaupt noch ihre Freundin? Sie war so verdammt anders als Sirene …   Während die Blondine sich den Kopf über Abbys Situation zerbrach, hatte Matt ganz andere Sorgen. Er zog von seinem Deck und musterte nervös sein Blatt. Er musste diesen Albtraum beenden, schnell! Und er musste Abby töten, egal wie schwer es ihm fallen würde. Sie war nicht mehr die, die er gestern kennengelernt hatte. Alles hatte sich mit einem Schlag verändert! Das Mädchen war jetzt eine Kreatur der Finsternis, wie Alastair sagen würde. Und es war ihr Job als Dämonenjäger, die Menschen vor solchen wie diesen zu beschützen! „Okay“, murmelte er leise. „Ich aktiviere den Zauber [Recurring Nightmare]! Damit erhalte ich zwei Finsternis-Monster von meinem Friedhof. Die einzige Bedingung dabei ist, dass sie 0 Verteidigungspunkte haben dürfen. So wie [Steelswarm Cell] und [Steelswarm Girastag]!“ Tief durchatmend fügte er sie seinem Blatt hinzu. „Du solltest wissen, dass Girastag nur eine meiner besseren Karten ist. Jetzt wirst du eine weitere kennenlernen! Doch zunächst beschwöre ich Cell, da ich keine Monster kontrolliere, von meiner Hand als Spezialbeschwörung! Danach reanimiere ich [Steelswarm Scout] durch den Zauber von [Monster Reborn], da ich noch eine Karte in meiner Backrow kontrolliere und ihn daher nicht durch seinen eigenen Effekt reanimieren kann!“ Vor ihm tauchten der dicke, schwarze Käfer und das kleine Insektenkind mit den riesigen Facettenaugen wieder auf.   Steelswarm Cell [ATK/0 DEF/0 (1)] Steelswarm Scout [ATK/200 DEF/0 (1)]   „Nimm dich in Acht!“, rief Matt stolz und nahm die Monster von seiner Duel Disk, um für sie ein neues hinzulegen. „Ich biete diese Monster als Tribut an und beschwöre [Steelswarm Caucastag]! Reiß unsere Feinde mit deiner Macht entzwei!“ Matts Kreaturen lösten sich auf. Um ihn herum begann das Gras welk zu werden, zerfiel zu Staub. Aus dem Nichts erhob sich eine gewaltige, humanoide Gestalt. Wie alle Steelswarm-Monster war sie pechschwarz und ein Insektoid, ähnelte in diesem Fall einem Hirschkäfer. Auch er besaß einen langen Schweif, der hinter seinen Flügeln hervorlugte. An seiner Spitze ruhte der Lauf einer Laserkanone.   Steelswarm Caucastag [ATK/2800 DEF/0 (8)]   Abby hingegen zuckte nicht einmal mit den Wimpern. „Du hast eine Normalbeschwörung durchgeführt. Deswegen werde ich [Naturia Cosmobeet] von meiner Hand als Spezialbeschwörung rufen.“ Zwischen ihrer Schildkröte und dem Drachen zeigte eine vergleichsweise winzige Gestalt plötzlich ihr Antlitz. Auf dem Haupt des kugelrunden, schwebenden Erdklumpens mit Knopfaugen wuchsen drei Blumen.   Naturia Cosmobeet [ATK/1000 DEF/700 (2)]   Matt aber lachte nur bissig. „Pah! Das war ein Fehler, denn Caucastag wird es und all deine anderen Monster sowieso gleich vernichten! Denn wenn er beschworen wird, und dabei zwei Steelswarmer als Tribut angeboten worden sind, kann er entweder alle anderen Monster oder alle Zauber- und Fallenkarten auf dem Feld vernichten!“ Und der Schwarzhaarige wusste genau, dass [Naturia Landoise] ihm dabei nicht in die Quere kommen konnte, denn die einzige Karte auf der Hand seiner Gegnerin war ein Monster namens [Naturia Marron]! Sein Hirschkäferdämon hob seinen Schweif an und schoss einen roten Laserstrahl ab. Dieser brachte bei Kontakt nach und nach alle von Abbys Monstern zum Explodieren. „Sieh, wie du dich an den Lebewesen vergehst!“, beklagte die sich. „Ich werde dem ein Ende setzen!“ „Komisch, so etwas Ähnliches wollte ich auch gerade sagen“, gab Matt sich trotz seiner Schmerzen selbstbewusst. „Caucastag, direkter Angriff!“ Wieder hob sein Monster seinen Schweif und bombardierte sie mit einer Salve leuchtend roter Kugeln, die überall um sie herum einschlugen. Die verdammte Sirene wich flink zurück und konnte tänzelnd jedem Angriff entkommen. Trotzdem hatte er ihren Lebenspunkten großen Schaden zugefügt!   [Abby: 2900LP → 100LP / Matt: 150LP]   Matt betrachtete seine letzte Handkarte, [Steelswarm Girastag], dann seine verdeckte Falle. Egal was sie ihm entgegenbringen würde, er hatte die Oberhand! Er würde sie vernichten, damit es eine niederträchtige Kreatur weniger auf dem Planeten gab! „Ich beende meinen Zug!“   Ganz langsam zog Abby die nächste Karte und betrachtete sie aus ihren rosafarbenen Katzenaugen. Dann schmunzelte sie. „So ist das also. Gut.“ „Was ist?“, fragte Matt. „Mein Karma ist stark wie nie zuvor“, hauchte sie verführerisch. „Deines hingegen … nicht so sehr. Ich beschwöre [Naturia Marron]. Durch ihren Effekt lege ich eine Naturia-Monsterkarte vom Deck auf den Friedhof. Das wäre [Naturia Guardian]!“ Während Abby tat, was sie angekündigt hatte, tauchte vor ihr eine stachelige Kastanie auf. Naturia Maron [ATK/1200 DEF/700 (3)]   „Nun mische ich [Naturia Barkion] und [Naturia Landoise] in mein Deck, in diesem Fall das Extradeck, zurück und ziehe eine Karte“, erklärte die Weißhaarige weiterhin seelenruhig. Mit ihren langen Fingernägeln zog sie eine Zauberkarte und lächelte böswillig. Matt indes hielt sich seine Wunde am Bein, die immer noch blutete. „Ich aktiviere [Barkion's Bark]“, erklärte Abby weiter und zeigte die gezogene Zauberkarte vor. „Mithilfe eines Naturia-Monsters auf meinem Spielfeld sind jetzt alle Fallenkarten nutzlos für diese Runde!“ „Verdammt!“ Matt schreckte zurück. Jetzt konnte er [Infestation Wave] nicht mehr dazu benutzen, um einer drohenden Gefahr aus dem Weg zu gehen! Aber er hatte immer noch seinen Caucastag! „Nun, da ich den Effekt eines Naturia-Monsters aktiviert habe, kann ich [Naturia Hydrangea] von meiner Hand als Spezialbeschwörung beschwören.“ Um Abby herum wuchs ein Beet aus wunderschönen Hortensien. Eine der Blumen besaß Augen und blinzelte neugierig.   Naturia Hydrangea [ATK/1900 DEF/2000 (5)]   Matt wusste nicht, was seine Gegnerin damit bezwecken wollte. Sie hatte jetzt keine Handkarten mehr und zwei schwache Monster auf dem Spielfeld – beides Nicht-Empfänger und dazu unterschiedlicher Stufe. Was plante sie? Ihm behagte nicht bei dem Gedanken, dass sie vielleicht noch ein geheimes Ass im Ärmel haben könnte. „Ich aktiviere jetzt einen weiteren Effekt, jedoch von meinem Friedhof. Indem ich die oberste Karte meines Decks abwerfe, kann ich [Glow-Up Bulb] einmal während des Duells auferstehen lassen! Also erscheine!“ Sie steckte die Karte in den Friedhofsschlitz ihrer Duel Disk und ließ eine Blumenzwiebel mit weißer Blüte vor sich erscheinen.   Glow-Up Bulb [ATK/100 DEF/100 (1)]   Er hatte es geahnt, dachte Matt sauer. Das hatte sie also vor: ein weiteres Synchromonster zu beschwören. Und genau das kündigte Abby nun an. „Ich stimme meine Stufe 1-[Glow-Up Bulb] auf meine Stufe 5-[Naturia Hydrangea] und Stufe 3-[Naturia Maron] ab!“ Nun schon zum dritten Mal verwandelte sich eines ihrer Monster, die Blumenzwiebel, in einen grünen Kreis und ließ die anderen beiden ebenjenen durchqueren. „When the blood of the wild is spilled, earth-breaking power will awaken! Synchro Summon! Mother Nature's Power, [Naturia Leodrake]!" Aus dem Nichts kam ein Löwe mit Fell aus grünen Blättern hinter Abby hervorgesprungen. Seine Mähne war rot wie Herbstlaub, denn genau daraus bestand sie auch. Das anmutige Tier brüllte ohrenbetäubend laut und stellte sich schützend vor die Sirene.   Naturia Leodrake [ATK/3000 DEF/1900 (9)]   Matts Gesichtszüge entglitten ihm und wurden zu einer fassungslosen Fratze. „Unmöglich!“ Doch Abbys kalte, blaue Lippen formten nur stumme Worte, welche das Ende des Duells besiegeln sollten. Denn ein Angriff genügte, um Matts restliche Lebenspunkte auszulöschen. Verzweifelt sah dieser sein Blatt an, als sein Caucastag mit einem Hieb der wuchtigen Pranke des Löwen einfach niedergerungen wurde. Dann stürmte das Ungeheuer auf ihn zu. Er schloss die Augen, denn weglaufen war zwecklos. So stellte er sich dem Schicksal und wurde hart zu Boden geworfen.   [Abby: 100LP / Matt: 150LP → 0LP]   Die Zähne des Tieres verkeilten sich tief in seinem rechten Unterarm, den er zum Schutz erhoben hatte, während der Löwe ihn mit seiner anderen Pranke auf den Schrotthaufen drückte. Anschließend verschwanden die Hologramme von Abbys verdeckter, ungenutzter Fallenkarte sowie Matts gesetzter [Infestation Wave]. Doch nicht so [Naturia Leodrake], der weiter mit Matt rang, während das falsche Mondlicht seines Bannkreises die Hügel voller Abfall in silbriges Licht tauchte. Matt kämpfte schreiend um sein Leben, während Abby ruhigen Gewissens zusah. „Zerfalle zu Asche und werde mit Mutter Erde wieder eins“, flüsterte sie nur boshaft und sah zu, wie ein Stofffetzen von Matts Mantel durch die Luft flog. Plötzlich wurde sie zu Boden geworfen und umgedreht. „Hör auf damit!“, brüllte Anya, die endlich aus ihrem Gefängnis entkommen war, sie zornig an. Die Sirene umfasste die Oberarme des Mädchens mit ihren langen Fingern und drückte sie mühelos von sich weg. „Womit? Willst du sagen, dass eine Bestie wie er es verdient hat zu leben?“ Ein feines Rinnsal von Blut lief dank Abbys spitzer Fingernägel über Anyas aufgekratzten, rechten Arm, als sie diesen hob und mit voller Wucht eine Faust auf das feine Gesicht ihrer Freundin niedersausen ließ. Abbys Kopf wurde mit einem Ruck zur Seite geschlagen. „Nein! Am liebsten würde ich dieser Ratte sämtliche Knochen brechen!“, zischte Anya wütend und rang mit Abby. Kräftemäßig mochte sie einer Sirene zwar unterlegen sein, doch blieb die Blondine hartnäckig. „Aber du bist nicht diejenige, die so etwas zu entscheiden hat!“ Mit einer gezielten Ohrfeige des Handrückens wurde Anya regelrecht von Abby heruntergerissen, die sich nun ihrerseits auf das Mädchen stürzte und sie zu würgen begann. Im Hintergrund drangen die Schreie von Matts Todeskampf zu ihnen. „Das war damals! Sieh mich an und erkenne, was ich bin!“ Wieder traf sie eine Faust im Gesicht, dieses Mal Anyas Linke. „Idiot! Hast du mein Versprechen dir gegenüber etwa vergessen?“ Abby hielt inne und wurde infolgedessen von einem saftigen Knietritt in die Nieren wieder umgeworfen, sodass Anya sich auf sie hockte und erneut zuschlug. „Ich habe versprochen, dich nie alleine zu lassen, als du deine Eltern verloren hast! Dich zu beschützen, egal vor wem! Wenn es jemandes Aufgabe ist, diesen Kerl ins Jenseits zu befördern, dann verdammt nochmal meine!“ Noch eine Faust traf die Sirene ins Gesicht. „Und ich hasse es, wenn du einen auf egoistisch machst und mir meine Aufgaben abnehmen willst! Ich kann das sehr gut alleine!“ Wieder wollte Anya zuschlagen, doch sie stoppte ihre Faust kurz vor Abbys Nase. „Es tut mir leid“, wimmerte die unter Tränen. Das Unglaubliche war geschehen, so schnell, dass Anya es gar nicht bemerkt hatte. Abby war wieder völlig sie selbst, das Haar kürzer und braun, die Gesichtszüge weniger scharf und die Augen die eines Menschen. „Ich weiß nicht, was in mich gefa-“ Anyas nächster Schlag ins Gesicht ließ sie abrupt verstummen. „Mach das nie wieder, hörst du!? ICH bin hier die, die die Kommandos gibt, 'kay? Also sag ich, was mit dem Kerl passiert und wie es passiert!“   Du bist eine schlechte Schauspielerin. In Wirklichkeit willst du doch nur nicht, dass Abby einen Mord begeht, denn das würde ihrer Seele auf ewig schaden.   „Es tut mir leid.“ Abby vergrub ihr geschundenes Gesicht in die Hände und weinte bittere Tränen. Anya seufzte resignierend und tätschelte ihr unbeholfen die Schulter, ehe sie sich von ihr erhob. Dann drehte sie derart ruckartig den Kopf zur Seite, dass so mancher Exorzist bei ihrem Anblick die Beine in die Hand nehmen und davon rennen würde. „So, und jetzt zu dir, Kackbratze!“   Zu spät. Er ist weg. Oder was noch von ihm übrig geblieben ist.   „Was!?“   Nachdem Abigail Masters sich zurückverwandelt hat, ist auch ihr Monster verschwunden. Mit letzter Kraft hat der Dämonenjäger einen Teleportationszauber benutzt, um zu entkommen. Aber ich schätze, er ist noch irgendwo in der Stadt, genau wie Alastair.   In einer Welle von Flüchen fiel Anya aus allen Wolken. Wieder war ihr einer dieser Mistkerle entkommen! Wieso hatte immer sie so ein verdammtes Pech!? Abby erhob sich auf wackeligen Beinen neben ihr und hielt sich die geschwollene Wange. „Er ist weg, oder?“ Nur ein unmenschlicher Grunzlaut kam als Antwort. „Das ist gut … oh! Nick, Michael …!“ Abby eilte zu den beiden, die am Boden lagen und friedlich zu schlafen schien. Unter Tränen schloss sie ihren kleinen Bruder, welcher müde die Augen aufschlug, in die Arme. Dabei betrachtete sie überglücklich Nick, der schnarchte und gar nicht mitbekommen zu haben schien, was um ihn herum vor sich ging.   Derweil warf Anya einen skeptischen Blick über ihre Schulter, während die Sonne am Horizont schon fast untergegangen war und den Schrottplatz in warmes, orangefarbenes Licht tauchte. Der Bannkreis war längst fort und mit ihm die falsche Nacht. „Wird sie sich wieder in eine Sirene verwandeln?“, fragte sie Levrier dabei ernst.   Höchstwahrscheinlich, eines Tages. Wenn ich richtig liege, ist unbändiger Hass der Auslöser für ihre Transformation gewesen. Als ihr dieser durch deine Worte genommen wurde, hat sie wieder ihre ursprüngliche Form angenommen. Es ist aber zu bezweifeln, dass sie die Verwandlung bewusst zu kontrollieren vermag, schließlich ist sie nur ein Halbblut.   „Dann sollte man sie wohl nicht ärgern, huh?“   Mach dir keine Sorgen. Sie muss dich schon ihr ganzes Leben ertragen und hat sich nicht einmal verwandelt. Doch das Leben kann einem so manches Mal einen bösen Streich spielen. Gib gut auf sie Acht, wenn du verhindern willst, dass sich das heute Geschehene wiederholt.   „Was soll das denn heißen!? Und wie soll ich das überhaupt machen, wenn ich erstmal zu Eden geworden bin!?“ Doch Levrier enthielt sich einer Antwort und schwieg. Abby trat zusammen mit ihrem Bruder neben Anya, während sie Michael dabei sanft über den Kopf streichelte, welcher sich eng an ihre Hüfte geschmiegt hatte. Die Blondine bückte sich und hob Abbys getönte Brille auf, welche sie ihrer Freundin unwirsch in die Hände drückte. „Da!“ „Danke“, sagte die leise und setzte sie auf. Nun sah sie endlich wieder wie die Abby aus, die Anya so sehr mocht- Die sie in ihrem Umfeld ertragen konnte! „Du musst zum Arzt … huch!?“ Abby deutete auf die zerkratzten Stellen, die ihre langen Sirenenfingernägel in Anyas Oberarm geritzt hatten. Bloß waren genau jene fort. Nur das Blut war noch an Anyas Arm. „Ach, Kinderkacke. Du müsstest viel eher zum Arzt“, meinte Anya brummend. Abby streichelte sich die Wange und verzog schmerzhaft das Gesicht. „Geht schon. Das hab ich verdient. Aua!“ „Hast du auch!“ Das Mädchen seufzte und sah Anya durch ihre Brille plötzlich ernst an. „Du darfst niemandem erzählen, was du heute hier gesehen hast! Wenn herauskommt, dass ich-“ Anya zuckte mit den Schultern. „Was erzählen? Dass du den Kerl mühelos vom Platz gefegt hast?“ „Nein, dass ich-“ Wütend trat Anya ihrer Freundin gegen das Schienbein, ehe die ihren Wink verstanden hatte. „Oh! Na klar … danke. Du bist 'ne echte Freundin … so jemanden wie dich habe ich gar nicht verdient, nach allem, was passiert ist.“ „Erspar' mir die Gefühlsduseleien und hilf mir lieber, Nick aufzuwecken.“ Die beiden drehten sich zu ihrem Freund um, der immer noch wie ein Baby schlief. „Wie konnte sich der Trottel eigentlich fangen lassen?“, fragte Anya garstig. „Das ist jetzt schon das zweite Mal!“ Abby zuckte mit den Schultern. „Glaubst du denn, dass das so schwer ist?“ „Neeee.“ Die Mädchen fingen laut an zu lachen, während Nick in seinem Schlaf grunzte. Zufrieden stellte Anya fest, dass Abby immer noch fröhlich sein konnte. Dass das auch so blieb, war schließlich ihre Aufgabe …     Turn 11 – None For All, All For Fun An Anyas Schule findet ein Duel Monsters-Tag Turnier statt. Alle Schüler dürfen daran teilnehmen, solange sie einen Partner vorweisen können. Da Abby sich, nach den schrecklichen Ereignissen der letzten Zeit, noch nicht wieder duellieren möchte, muss Anya sich einen anderen Mitstreiter suchen. Doch gerade das stellt sich in ihrem Fall als unsagbar schwierig heraus. Als sie es letztlich dennoch schafft und wie durch ein Wunder sogar ins Finale vordringt, besteht das generische Team aus niemand Geringerem als … Kapitel 11: Turn 11 - None For All, All For Fun ----------------------------------------------- Turn 11 – None For All, All For Fun     Keuchend hielt sie sich die Brust und rutschte an der glitschigen Mauer hinab in die Hocke. Wusste es, dass sie hier war? Hatte sie es abgehängt? Die Stimme in ihrem Kopf war schon seit Tagen verstummt. War sie seinem allgegenwärtigen Blick tatsächlich entkommen? Doch sie wusste, dass wenn sie zu lange hier blieb, jenes Ding sie wieder finden und verführen wollen würde! Genau wie es Benny verführt hatte!   Der Frau mit dem nach hinten zu einer Welle verlaufenden, braunen Haar war übel, als sie sich ihren Pony aus der Stirn wischte. Hier unten, in der dunklen Kanalisation stank es nach Fäkalien und etwas anderem, was sie jedoch nicht zu beschreiben wusste. Es war so dunkel, dass man sehr vorsichtig sein musste, wenn man sich hier bewegte. Wie lange war sie schon hier unten? Sie wusste es nicht. Alles, was sie hatte, war die Taschenlampe und einen Rucksack mit den nötigsten Kleidungsstücken. So lebte man, wenn man auf der Flucht war. Den halben Kontinent hatte sie hinter sich zurückgelegt und noch immer war es ihr auf der Spur, spukte tagelang in ihrem Kopf und flüsterte ihr schreckliche Dinge ins Ohr. Dann war es manchmal eine ganze Woche verschwunden, doch es kehrte immer wieder zu ihr zurück. Aber was sollte man von einem Wesen wie diesem anderes erwarten? Es war ihr Blut, hinter dem es her war. Das hatte es sogar selbst behauptet.   Mit traurigem Blick holte sie aus der Hintertasche ihrer Jeans einen Kartenstapel hervor. Wenigstens das hatte sie mit sich nehmen können, um Schlimmeres zu verhindern. Zögerlich nahm sie die oberste Karte des Stapels in die Hand – das Geschenk des Dämons! Besonders diese eine Karte durfte nicht zurück in den Besitz dieses Dings geraten, oder es würde seinen abscheulichen Plan in die Tat umsetzen können. Bereitwillig hatte -es- ihr alles geschildert, über den Turm, das Datum und alles Weitere. Vermutlich hatte es nicht mit Gegenwehr gerechnet. Doch wie konnte sie sicher sein, dass ihr Bruder wieder er selbst war? Gar nicht!   Ein schabendes Geräusch ließ sie aufschrecken. Mit der Taschenlampe leuchtete sie in die Richtung, doch außer dem Fluss voller Fäkalien und ein paar Ratten war da nichts. Wie konnte dort auch etwas sein, das keinen Körper zu besitzen schien? Aber wenn es Benny doch noch kontrolliert? Sie musste hier weg. Das Risiko war einfach zu groß.   Vorsichtig erhob sich die Frau. Sie musste entkommen, irgendwie! Zumindest bis zu jenem Tag. Dem 11. November … Also rannte die Frau davon, in der Hoffnung, sich ihren Verfolger nur eingebildet zu haben.   ~-~-~   Skeptisch verschränkte Anya die Arme voreinander. Fast alle Schüler der Livington High hatten sich auf dem großen Footballfeld der Schule versammelt und lauschten den Worten des Direktors, Mr. Bitterfield, der auf einer kleinen Bühne inmitten der riesigen Schar an Schülern stand. „Werte Studenten“, sprach er in sein Mikrofon. Der kleine, rundliche Mann mit dem schütteren, schwarzen Haarkranz legte wie gewohnt einen freundlichen Tonfall an. „Wie bereits vor Monaten angekündigt, findet heute das erste Tag Duel-Tournament an unserer Schule an. Das Siegerteam wird die Möglichkeit erhalten, an den diesjährigen, nationalen Wettstreiten teilzunehmen, um sich vielleicht einen Platz in der Profiliga zu sichern.“ Die Blondine spielte gelangweilt mit ihrem Pferdeschwanz und betrachtete Abby, die direkt neben ihr stand. Sie wirkte immer noch sehr mitgenommen, innerlich wie äußerlich. Die Schwellungen waren, anders als Anyas Verletzungen, nicht abgeklungen und entstellten ihr freundliches Gesicht deutlich. Ihr trauriger Blick jedoch sprach mehr als tausend Worte. Anya wusste, dass Abby ihre Wurzeln als Sirene zu schaffen machten. „Klingt lustig, oder?“, fragte Abby mit erzwungener Heiterkeit. „Klar. Das Ding gewinne ich locker“, erwiderte Anya selbstsicher. „Willst du meine Partnerin sein? Für Tag Duelle braucht man zwei Leute.“ Abby lächelte, schüttelte gleichwohl aber den Kopf. „Danke, aber ich denke, es wäre besser, wenn ich eine Weile die Finger vom Duellieren lasse.“ „Langweilerin“, brummte Anya enttäuscht. Auch wenn sie bereits mit dieser Antwort gerechnet hatte, war es dennoch ätzend.   Derweil erklärte Mr. Bitterfield die Regeln. „Es wird nach dem KO-Prinzip verfahren. Jedes Team kann seinen Gegner frei wählen, doch wenn es verliert, ist es aus dem Rennen. Sobald nur noch zwei Teams übrig sind, wird hier das große Finale abgehalten werden. Damit ihr nicht auf die Idee kommt zu schummeln, werden wir euch über die Server der AFC, der ehrenwerten Abraham Ford Company, überwachen. Über sie stellen wir fest, wer bereits verloren hat und wer noch im Rennen ist.“   „Anya? Bist du mein Partner?“ Anya drehte sich nicht einmal zu Nick um, der hinter ihnen stand. „Keine Chance! Siehst du das da?“ Sie deutete in die Richtung des Podests auf der Bühne. Auf ihm stand ein kleiner, goldener Pokal. „Was ist das?“, fragte er verwirrt. „Das, was ich haben will. Und das krieg' ich nur mit einem -guten- Tag-Partner. Ergo bist du schon mal disqualifiziert.“ Nun wirbelte sie sich zu ihm um und machte eine verscheuchende Geste mit den Händen. „Husch, such dir jemand anderes, mit dem du verlieren kannst!“ „Anya, das ist aber nicht gerade nett“, protestierte Abby. Enttäuscht ließ Nick den Kopf hängen und sprach eine Schülergruppe an, die ihn augenblicklich mit noch böseren Worten als Anya davon jagte. „Abby“, meinte jene und sah ihre Freundin taxierend an, „nicht die vier Buchstaben in meiner Gegenwart!“   Anya war vieles. Gemein, herzlos, temperamentvoll, brutal, kreativ, ignorant, oder auch neurotisch. Aber eines, eines war sie ganz bestimmt nicht. N-e-t-t. Vor vier Jahren hatte Cynthia Tores es gewagt, Anya nett zu nennen, weil die ihr ausnahmsweise nicht das Geld für die Kantine abgeknöpft hatte. Schnell hatte Cynthia feststellen dürfen, wie lange ein Mensch die Luft doch anhalten konnte, wenn man mit dem Kopf in der Kloschüssel steckte, während ununterbrochen gespült wurde. Seitdem hatte sie ein halbes Dutzend Phobien – einige davon waren sehr unpraktisch im Alltag – und unwiderruflich das Land verlassen. Nein, Anya war nicht nett. Das passte weder zu ihrem Image, noch zu ihrer Person als Ganzes. Wer nett war, kroch anderen automatisch in den Allerwertesten – so sah Anya das. Und Analspiele waren nie ihr Ding gewesen. Demnach war sie nicht nett, würde es auch nie werden und wenn doch, würde man sie eines schönen Tages, den sich hunderte Bewohner Livingtons sehnsüchtig herbeiwünschten, von der Decke baumeln sehen. Doch den Gefallen würde sie dem Spießbürgertum ihrer Heimatstadt nicht tun. Nein, sie war nicht nett.   „Bis zehn Uhr habt ihr Zeit, ein Team aus zwei Spielern zu bilden“, erklärte Mr. Bitterfield und beendete so langsam seine Rede. „Ich hoffe, dieses Turnier wird ein Erfolg! Für euch, als auch für unsere Schule! Der Wettstreit ist eröffnet!“ Viele Schüler klatschten begeistert in die Hände. Anya war keine von ihnen. Sie war sauer, denn soeben hatte sie den Mann an der Seite des Direktors erkannt. Mr. Redfield, der Sponsor des Turniers. An den Schläfen und Koteletten war das schwarze Haar schon ergraut, doch in seinem makellosen, weißen Anzug sah der stattliche Mann trotz seines Alters sehr jung aus. „Siehst du ihn!? Da steht er und grinst in sich hinein“, ereiferte Anya sich wütend. „Ja, hat er seinem Töchterchen auch schön einen Platz ins Finale gekauft!?“ Abby schnalzte mit der Zunge. „Anya, du siehst Gespenster. Jemand wie Valerie würde sich nie auf so etwas einlassen. Als wenn sie das nötig hätte …“ „Tch, klar hat die das nötig! Aber unsere kleine Schwanenprinzessin wird sich noch wundern, wenn ich ihr erst alle Federn gerupft habe! Dann wird sie sehen, dass Daddys Geld eben nicht alles kaufen kann! Vor allem nicht Gesundheit!“ „Ich würde an deiner Stelle ja lieber einen Partner suchen, als in unnötigen Hasstiraden aufzugehen. Warum fragst du Valerie nicht, ob ihr euch zusammenschließen könnt?“ Kaum war der Satz ausgesprochen, waren Anyas Hände dem Hals von Abby gefährlich nahe. Die hob in panischer Heiserkeit die Hände. „War nur'n Witz!“ „Andere lägen jetzt längst auf dem Seziertisch“, zischte Anya ihre Freundin an. Abby nickte zustimmend und seufzte. „Ich meinte doch bloß, zusammen könntet ihr sicher gewinnen. Ihr seid beide gute Duellanten.“ Eher wurde Anya nett! Nachdenklich verschränkte Abby die Arme. „Trotzdem, schau dich mal um. Alle, die teilnehmen wollen, sind schon damit beschäftigt, sich jemanden als Partner zu suchen. Wenn du dich nicht beeilst, sind die besten schon weg.“ „Du hast recht“, sagte Anya widerwillig. „Mal sehen, wen ich zu meinem Glück zwingen könnte.“   Die Blondine spähte mit zusammengekniffenen Augen über das weite Footballfeld. Überall standen Schüler in kleinen Gruppen, unterhielten sich oder rannten von A nach B, um den passenden Partner für sich zu finden. Viele aber hatten den Sportplatz verlassen, denn nicht jeder interessierte sich für Duel Monster, schon gar nicht, wenn Nichtstun die Alternative war. Trotzdem tummelten sich bestimmt über hundert Schüler hier. Manche zog es auch zum Campusgelände, damit sie dort ungestört ihren „Geschäften“ nachgehen konnten. Wen sollte sie sich an Land ziehen, fragte Anya sich angestrengt. „Ach scheiß drauf!“ Sie wusste sowieso nicht, wie die anderen spielten, da 95% ihrer Duel Monsters-Erfahrung vom Spielen diverser Simulationsprogramme herrührten. Kurzerhand steuerte sie auf eine kleine Traube aus drei Personen zu. Es waren die blonde Willow Taub und zwei Jungs aus Anyas Eishockeymannschaft. Als Letztere bemerkten, dass Anya auf sie zusteuerte, verabschiedeten sie sich hastig von der verdutzten Willow und hauten ab. Anya, die das verärgert feststellte, baute sich vor ihrer Klassenkameradin auf wie ein Erwachsener, der sein kleines Kind ausschimpfen wollte. „Du, ich, Partner“, machte sie mit einer entsprechenden Bewegung ihres Fingers klar. „Ähähähä, hi Anya“, lachte Willow heiser und sah sich hektisch nach irgendjemandem um, der ihr helfen konnte. „Komm!“, befahl die Blauäugige schroff und packte den Lockenkopf am Arm, welcher sich aber zu ihrem Ärgernis ziemlich bockig anstellte und sich nicht mitschleifen lassen wollte. „Lass mich los“, bettelte Willow, „ich hab doch schon 'nen Partner.“ „Korrekt, Taub! Mich! Und jetzt stell dich nicht so an“, brummte Anya und zerrte hartnäckig an Willow, die all ihre Kraft aufbringen musste, um nicht ins absolute Chaos gerissen zu werden. „Nein, Johnny ist mein Partner … lässt du mich jetzt bitte los?“ Anya sah sie misstrauisch an und tat schließlich mürrisch, worum man sie gebeten hatte. Willow landete durch den Schwung auf dem Hosenboden. „Pff, dann nicht! Such ich mir eben jemand anderes. Wenn du nicht gewinnen willst, mir doch schnuppe!“ Eine Anya Bauer hatte es schließlich nicht nötig, um Almosen zu betteln!   „Willst du- Hey, warum rennst du weg!?“, rief sie wenige Minuten später Ernie Winter hinterher, als sie diesen angesprochen hatte. „Eher würde ich- Glubagrblug!“ Anya hatte -es- schon für den rothaarigen, pummeligen Willy Patrics übernommen, als sie seinen Kopf in die Toilette hielt. Was für ein Zufall, wo sie doch vorhin erst darüber nachgedacht hatte. Aber gut, so kam sie wenigstens nicht aus der Übung. Zu schade nur, dass sie für solche Spiele gerade keine Zeit hatte … „Hast Glück, Patrics, ich bin heute gnädig gestimmt.“ Und so ließ sie ihn ziehen, ohne auch nur einmal die Spülung betätigt zu haben. Dafür würde sie sich aber eine gute Ausrede einfallen lassen müssen, warum die Tür des Jungenklos neuerdings nicht mehr als ein Fußabtreter war.   „I-i-ich kann nicht dein Partner werden, ehrlich nicht!“, stammelte der pickelige Adam auf dem Gang und stieß mit einem schreckhaften Aufschrei gegen seinen Spind. „Warum nicht, Clover?“, dröhnte Anya mit unmenschlicher Stimme und war seinem Gesicht mit dem ihren so nahe, dass sie seine Angst förmlich riechen konnte. Ahhhhh, Angst! Warum gab es das nicht auch als Deo? „I-i-ich muss zu einer Beerdigung. M-m-meine Großmutter ist vor fünf Minuten gestorben. Bye!“ „Halt!“ Anya hielt dem flüchtenden Brillenträger am Kragen fest, doch der schlüpfte kurzerhand aus seinem babyblauen Poloshirt und rannte mit nacktem Oberkörper davon. Wütend starrte sie ihm hinterher, wie er von vorbeikommenden Mitschülern ausgelacht wurde, welche ihrerseits kurz darauf verstummten und auf dem Absatz Kehrt machten, als sie Anya bemerkten. „Wieso will keiner mein Partner sein!?“, schnaubte die und warf Adams Überbleibsel in den Papierkorb neben sich.   Dir fehlen eben die vier Buchstaben.   „Verdammt richtig! Und darauf bin ich stolz!“   Dann sei eine stolze Zuschauerin und sieh zu, wie Valerie Redfield das Turnier gewinnt.   Anya ballte ihre Fäuste so sehr, dass die Haut über ihren Knöcheln aussah, als würde sie jeden Moment reißen. Wütend schlug sie gegen Adams Spind, dessen Tür unter dem Druck aufsprang. „Das werde ich nicht zulassen! Irgendwen muss es doch geben, der mit mir ein Team bilden will!“   Vollkommen richtig. Und er steht direkt hinter dir.   Im selben Augenblick spürte Anya eine Hand auf ihrer Schulter, was sofort einen Faustschlag ins Gesicht und einen schmerzerfüllten Schrei nach sich zog. Als Anya sah, wer dort vor ihr am Boden lag, verloren ihre Züge an Härte. Stattdessen stand ihr das pure Selbstmitleid im Gesicht. „Das kann unmöglich dein Ernst sein, Levrier!“ „Hi Anya! Willst du mit mir ein Team bilden?“, fragte Nick und hielt sich die blutende Oberlippe grinsend. „Bitte sag ja!“   In Not darf man nicht wählerisch sein, Anya Bauer.   „Hast du keinen anderen Dummen gefunden!?“, herrschte Anya ihren Freund an. Der erhob sich und zuckte mit den Schultern. „Nö. Ich hab gewartet, dass du es dir anders überlegst, hehe.“ Anya schlug die Hand vor den Kopf. Ihr Blick fiel dabei auf die Uhr, welche über einem der Klassenzimmer nicht weit von ihnen hing. Es war bereits dreiviertel Zehn.   Sieh es ein, die meisten haben ihren Partner schon gefunden. Die guten Spieler sind mit Gewissheit längst vergeben und die wenigen, die jetzt noch übrig sind, sind für deine Ansprüche entweder zu schlecht oder zu ängstlich.   „Soll das heißen, ich hab die Arschkarte gezogen!?“   Ja. Aber schon lange, bevor dieses Turnier überhaupt begonnen hat …   Anya rümpfte die Nase, denn Levriers Spitze ignorierte sie natürlich gekonnt – weil sie sie gar nicht erst als solche erkannt hatte. Dann warf sie einen Blick auf Nick, der mit seinen Augenbrauen zwinkerte. War es -das- wert? Anya wollte den beknackten Pokal und Valerie aus dem Turnier schmeißen, aber mit einem Partner wie Nick stand es 1 gegen 3. Valerie zerstören … Nick nicht ertragen zu müssen … was war besser? „Ach scheiß drauf, diese Knalltüten feg' ich auch alleine vom Feld! Komm mit, wir müssen zum Footballfeld, bevor die Frist verstrichen ist!“ „Hurra- Umpf!“ Nick war aufgesprungen und keinen Herzschlag später gegen die Tür von Adams Spind gelaufen, als er Anya folgen wollte. Sie würde ihn umbringen, sobald das Turnier gelaufen war, schwor die Blondine sich grimmig. Völlig unabhängig vom Ergebnis!   ~-~-~   „Insgesamt haben wir also 42 Teams!“, verlautete der Direktor auf seiner Tribüne, während besagte Paare in sechs Reihen, bestehend aus je sieben Mannschaften, vor ihm standen und sehnsüchtig den Pokal anstarrten, den Mr. Redfield stolz präsentierte. Giftig schielte Anya über die Schulter. Wo war Valerie? Die würde sie gleich zu Beginn vom Platz jagen! Aber in der hintersten Reihe fehlte ein Team und sie war nirgendwo zu sehen? Nahm sie überhaupt teil oder war es etwa unter ihrer Würde, sich hier zu zeigen? „Wo ist die dumme Kuh?“, zischte Anya Nick an. „Neben mir.“ Anya kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. „Ich hoffe, du hast damit das Team neben dir gemeint, denn wenn nicht, wirst du dein Leben lang aus der Schnabeltasse trinken müssen, 'kay!?“ Nick grinste nur unbekümmert.   „Der Kampf um den Pokal ist hiermit eröffnet!“, rief Mr. Bitterfield euphorisch in sein Mikrophon. Die Reihen der Teams lösten sich langsam auf, einige begannen sofort auf dem Footballfeld mit ihren Duellen, andere trotteten zurück zum Campusgelände, um dort zu kämpfen, ohne von allen dabei beobachtet zu werden. „Komm, wir gehen Redfield suchen!“, befahl Anya. Zusammen rannten sie über den großen Sportplatz, vorbei an den Hallen, hinüber zum Campusgelände. Als sie dieses erreicht hatten und an der Kantine neben dem großem Backsteingebäude der Oberstufe vorbeikamen, stellten sich ihnen zwei hagere Jugendliche in den Weg. „Wir wollen ein Duell!“, verlangte einer von ihnen übermütig. Sommersprossen zierten sein blasses Gesicht, während sein Partner einen halben Kopf größer war und eine unansehnliche Zahnspange trug, während er heftig nickte. Beide stammten aus der Unterstufe. „Aus dem Weg, ihr Schlümpfe“, knurrte Anya. „Erst wenn wir uns duelliert haben!“   Das Mädchen runzelte die Stirn. Eigentlich hatte sie vorgehabt, sich vor dem Finale nur mit Valerie zu duellieren. So konnte sie das Miststück aus dem Turnier kicken und danach eine ruhige Kugel schieben, während die anderen Teams sich gegenseitig das Leben schwer machten. Anschließend, wenn nur noch eines übrig war, musste sie dieses nur noch besiegen und hatte den verdammten Pokal sicher. Andererseits, wer sich ihr so dummdreist in den Weg stellte, hatte nur eines verdient. Absolute Vernichtung!   „Nick, die machen wir alle!“ „Okay, Boss!“, gluckste der und salutierte.   „NICK!“, schrie Anya, als ihr Freund zwei Züge später von dem Zweiergespann besiegt worden war. „Was habe ich dir über Zauber- und Fallenkarten beigebracht!?“ „Nichts?“ Anya schlug die Hand vor den Kopf. War der Idiot farbenblind? Dauernd setzte er die falschen Karten und aktivierte sie, ohne darüber nachzudenken! Und jetzt stand sie dem [Neo-Parshath, The Sky Paladin] und [Master Hyperion] ihrer Gegner alleine gegenüber. Doch sie hatte bereits einen Plan …   „NICK!“, brüllte Anya förmlich, als Willow Taub und Johnny Bremer sie mitten auf dem Gang gestellt hatten, der heute bereits dem pickeligen Adam zum Verhängnis geworden war, nachdem er eine spontane Stripeinlage hingelegt hatte. „Wenn du schon defensiv spielen willst, dann spiele deine Karten richtig aus!“ „Hehe, sorry!“ Wieder hatten ihre Gegner es geschafft, diesen Volltrottel aus dem Spiel zu schlagen. Nun musste sie zusehen, wie sie [Machina Fortress] und [Vision HERO Trinity] aus dem Weg räumen konnte. Aber ihr würde schon etwas einfallen …   „NICK!“ Noch ein wenig mehr, und Anyas Augäpfel sprangen aus ihren Höhlen. Sie befanden sich mitten auf dem Rasen, den Anya mit ihren von Levrier erhaltenen Kräften ruiniert hatte. Den Schaden hatte man größtenteils behoben, doch deutlich sah man die Stellen in der Erde, die durch den plötzlichen Ausbruch aufgerissen worden waren. Und nun wusste Anya auch wieder, warum sie Nick noch nicht verziehen hatte. Dieser hirnamputierte Schwachmat war doch tatsächlich in eine gegnerische [Mirror Force] gerannt! Jeden Augenblick würde sie wieder alleine gegen zwei Gegner antreten müssen! In diesem Fall waren das die schwarzhaarige Lily McDonald, die ihre Frisur hochgesteckt hatte, und Thomas Dermott, ein durchtrainierter, arroganter Glatzkopf und Anyas Eishockey-Kamerad. „Ich werde das schon schaukeln“, brummte Anya und wurde sich schmerzhaft bewusst, wie schwer ein Duell 1 gegen 3 doch sein konnte …   ~-~-~   „Tch!“ Anya verschränkte wütend die Arme. Ganze fünf Mannschaften hatten versucht, sich mit ihr zu messen, alle waren gescheitert! Nun wartete sie hier zusammen mit Nick auf dem Footballfeld. Fast alle Teams waren mittlerweile aus dem Turnier geflogen. Die Rasenfläche war wie ausgestorben, da sich die ausgeschiedenen Teilnehmer bereits bei der Zuschauertribüne am Rande des Spielfeldes eingefunden hatten.   „Noch drei Teams“, verkündete der Direktor, während er auf dem Laptop starrte, welcher auf einem Tisch mit weißer Decke stand. An jenem saßen nun er, Mr. Redfield und eine rothaarige, Brille tragende Journalistin der lokalen Zeitung. Zusammen thronten sie auf der Bühne und warteten das Ergebnis des vorletzten Duells dieses Turniers ab. Schließlich rief Mr. Bitterfield euphorisch: „Und das sind sie, die zweiten Finalteilnehmer! Valerie Redfield und Marc Butcher!“ Anya glaubte, sich verhört zu haben. „Valerie!? Marc!? In einem Team!?“ Kein Wunder, dass sie dieses Miststück nirgendwo angetroffen hat! Während andere sich mühevoll, wirklich mühevoll, durch das Turnier gequält haben, hatte -die- sich einfach zurückgezogen und mit Marc vergnügt – ihrem Marc! „Mit einer sagenhaften Zahl von vierzehn Siegen!“, fügte der Direktor noch überschwänglich hinzu. In Anya war gleichzeitig etwas gestorben. Und zwar ihr Wille, das Versprechen gegenüber Marc zu halten. „Das wird schwer“, hörte sie jemanden hinter sich besorgt sagen. Nick und Anya drehten sich um und sahen, wie Abby nachdenklich den Zeigefinger aufs Kinn legte. „Vierzehn Siege? Das ist ja ein Drittel aller Teilnehmer.“ „Und wo ist das andere Drittel?“, fragte Nick ahnungslos. Anya hingegen war zu geschockt, um etwas darauf zu erwidert. Hatte diese widerliche, hochnäsige, selbstverliebte, beschissene, hohle Nuss Valerie doch tatsächlich -mehr- Siege einkassiert als sie! „Das ist alles deine Schuld!“, beklagte sie sich bei Nick. Aber was noch viel schlimmer war: Marc war Valeries Partner, sprich ihr Gegner. Sie konnte doch nicht gegen Marc kämpfen, ihren Marc!   Hin und her gerissen überlegte Anya, was sie tun sollte. Derweil schritten ihre Gegner über das Footballfeld zu ihnen. „Hi, Valerie!“, begrüßte Abby sie fröhlich. Doch ganz zu ihrem Entsetzen erwiderte die sonst so freundliche Schwarzhaarige nichts, sondern ignorierte die Dreiergruppe einfach, als sie zusammen mit Marc an ihnen vorbeiging. Dabei hielt sie den Kopf gesenkt, wobei der traurige Ausdruck in ihren Augen nicht zu übersehen war. „Hi, Marc!“, strahlte Anya und stockte. Nicht nur, dass sie eiskalt ignoriert wurde … er war auch noch verletzt! Um seinen rechten Arm war ein Verband geschlungen, der von der Handfläche bis zum Ellbogen ging. „Oh mein Gott, er muss sich beim Training verletzt haben!“, kreischte Anya hysterisch und zeigte auf ihren Schwarm. Und erschrak, als er ihr einen wütenden Blick zuwarf, nur um dann weiterzugehen. „Was ist denn in den gefahren?“, fragte Abby verdutzt. „So unfreundlich war er ja noch nie. Und Valerie auch nicht.“ „Nur ein Grund mehr, dieses Komsumpüppchen zum Mond zu schießen! Und glaub mir, Abby, genau das werde ich auch tun! Selbst wenn Marc dafür eine Niederlage kassieren muss!“ Bestimmt war sie der Grund, warum er so übel gelaunt war!   ~-~-~   Nach dem Aufruf des Direktors hatten sich auch die restlichen Schüler wieder auf der Veranstaltungsfläche des Finales eingefunden. Es fand nahe der Tribünen statt, von denen man auch den Footballspielen zuschauen konnte. Abby saß auf einer der Holzbänke, die schrittweise immer höher angesiedelt waren und seufzte. Ihre beiden Freunde standen Valerie und Marc dort unten gegenüber, während Mr. Bitterfield ein paar letzte Worte von seiner aufgebauten Bühne aus sagte.   „Nun stehen sich die vier besten Duellanten unserer Schule gegenüber“, sprach er feierlich. „Wie schon zuvor angekündigt, erhalten die Sieger diesen wunderschönen Pokal …“ Welcher von Mr. Redfield mit besorgter Miene präsentiert wurde. Auch ihm war aufgefallen, dass Valerie niedergeschlagen schien. „… und die Möglichkeit, an den diesjährigen Nationals unseres schönen Bundesstaats teilzunehmen. Wer sich dort als siegreich erweist, wird an der amerikanischen Meisterschaft der Beginner's League teilnehmen dürfen und auf einen Platz in der Profiliga hoffen!“   Er zeigte nun mit ausgebreiteter Hand auf Marc und Valerie, wobei besonders Letztere sehr angespannt wirkte und ruckartig eine gerade Haltung annahm. Sie hielt die Arme hinter dem Rücken verschränkt und sah ihren Gegnern nicht in die Augen. „Mit einer unglaublichen Anzahl von vierzehn Siegen treten Valerie Redfield, die Tochter unseres geliebten Bürgermeisters, und unser Star-Quarterback Marc Butcher …“ Nun deutete der Direkter mit einem abfälligen Nicken in Anyas Richtung „… gegen Anya Bauer und Rick Harbour an.“ „Ich heiße doch Nick! Oder nicht … ?“, begehrte der langgewachsene junge Mann dort unten verwirrt auf. „Ja, ja, ja“, winkte der Direktor desinteressiert ab. „Wir hoffen, dass diese großartige Veranstaltung mit einem würdigen Duell beendet wird! Lasst das Finale beginnen!“   Beide Parteien ließen ihre Duel Disks ausfahren. Von den Rängen tönte dröhnender Jubel, aber auch Buhrufe auf das Feld. Letztere galten Anya und Nick, die teilweise unschöne Anschuldigungen und Schimpfwörter an den Kopf geworfen bekamen, während Valerie und Marc kräftig unterstützt wurden. Abby seufzte. Fair war das nicht, denn sie hatte Anya beobachtet und gesehen, wie gut sie trotz Nicks Fehler gespielt hatte. Aber so waren die Leute eben. Und irgendwo war Anya auch selbst schuld daran. Aber wenigstens stellte Anya sich diesen Duellen, dachte Abby dabei traurig, während sie selbst zu feige war, an dem Turnier teilzunehmen …   Derweil knirschte die Blondine wütend mit den Zähnen bei Valeries Anblick. Dass sie ausgebuht wurde, machte Anya nichts aus. Ihr Ziel bestand einzig und allein darin, dieses Mädchen mit einer Glanzleistung vom Platz zu fegen, die diese Schule so noch nie erlebt hatte! „Wir schaffen das, Nick! Und denk an das, was ich dir beigebracht habe!“ „Aber du hast mir doch nichts beigebracht!“, widersprach Nick panisch. „Dann denk an die Schmerzen, die ich dir beigebracht habe! Und setz' das einfach als Duellstrategie um, 'kay!?“ „Okay. Du bist der Boss …“, meinte er unbekümmert und zuckte mit den Schultern. Letztlich riefen beide Parteien: „Duell!“   [Anya: 4000LP Nick: 4000LP //// Valerie: 4000LP Marc: 4000LP]   „Ich beginne“, sprach Marc mit solcher Entschiedenheit, dass es einen Moment ganz still war. Dann jubelten die Leute lauthals, während Anya nur eifrig nickte. Nachdem er sein Blatt um eine sechste Karte bereichert hatte, sprach er mit seiner tiefen Stimme: „Ich setzte eine Karte verdeckt!“ Sie erschien vor seinen Füßen. „Dann aktiviere ich [Card Destruction]! Damit müssen ich und ein weiterer, von mir gewählter Spieler, alle Handkarten abwerfen, um dann dieselbe Anzahl neu aufzuziehen! Anya, ich wähle dich!“ „Alles, was du willst“, hauchte die zärtlich mit verträumten Blick. Vor beiden erschienen die Abbilder ihrer Karten, die auf den Friedhof geschickt werden sollten. Wissbegierig sog Anya jede Information über Marcs Deck in sich auf. „[Laval Volcano Handmaiden], [Laval Miller], [Laval Forest Sprite] und [Laval Lancelord] … so cool …“ Dabei weinte sie nicht einmal ihrer guten Starthand hinterher, sondern zog einfach fünf neue Karten, während es bei Marc nur vier waren. Dieser erklärte in strengem Tonfall: „Wenn [Laval Volcano Handmaiden] auf den Friedhof gelegt wird, während sich andere Laval-Monster dort befinden, kann ich ein Laval-Monster von meinem Deck auf den Friedhof legen. Das wird eine weitere Handmaiden sein.“ Vor Marc erschien eine durchsichtige Gestalt, ein junges Mädchen mit Haar aus purer Lava. Sie kicherte hochnäsig und verwandelte sich dann in glühende Feuerfunken. „Da nun wieder eine Handmaiden auf den Friedhof gelegt wurde, kann ich noch eine Karte ablegen. Abermals eine Handmaiden.“ Dasselbe Mädchen tauchte noch einmal vor ihm auf, nur wieder zu verschwinden. „Durch sie schicke ich nun [Laval Warrior] auf den Friedhof.“ Und während er das tat, seufzte Anya theatralisch. Wie gut er doch spielte. In einem Zug so viele Monster auf den Ablagestapel geschickt zu haben, das war … was zur Hölle war das eigentlich? Anya stutzte. Aber Marc wusste schon, was er da tat. Jener sprach unterkühlt: „Ich setze eine weitere Karte verdeckt und beende. Hey du, Rick, oder wie du heißt, es ist dein Zug!“   Nick winkte aber nur aufgeregt Abby zu, die ihrerseits beide Daumen nach oben hielt, um ihm Mut zu machen. Hätte sie ihm doch lieber ein Schmerzmittel gegeben, könnte so mancher gedacht haben, als Anya ihm anschließend ihren Ellbogen zielsicher in die Rippen rammte. „Schlaf nicht rum! Marc hat gesagt, dass du dran bist! Und wehe, du machst irgendeinen dummen Fehler! Ich will nicht, dass du mich vor ihm blamierst, 'kay!?“ „Na logo, der Nickinator macht nie Fehler!“ Voller Elan zog Nick eine Karte. „Ich beschwöre [Wind-Up Juggler] und greife Valerie direkt an!“ Mit ausgeschwenktem Arm zeigte er seinem vor ihm auftauchenden Spielzeugjongleur, der in seiner abstrakten Form einer humanoiden Katze mit Sprungfeder als Unterkörper ziemlich ähnlich sah, das Ziel der Attacke. Wind-Up Juggler [ATK/1700 DEF/1000 (4)]   Doch statt Nicks Befehl zu folgen, verharrte das Wesen seelenruhig und begeisterte das Publikum mehr oder weniger – eher weniger – mit seinen Jonglierkünsten. Anya klatschte sich die Hand vor den Kopf. Es war ja löblich, dass Nick ihr helfen wollte, Valerie fertig zu machen, aber bei solcher Hilfe wäre er auf deren Spielfeldseite besser aufgehoben. „Nick“, presste sie, bemüht die Fassung zu wahren, sauer hervor, „man kann in einem Tag Duell nicht während seines ersten Zuges angreifen! Erst ab Marcs nächstem Zug dürfen wir das!“ „Oh! Das war ja auch mein Plan!“ Anya blinzelte verdutzt. „Huh?“ „Na meine Gegner zu verwirren! Jetzt denken sie, dass ich gar keine Ahnung habe!“ Stolz wie Oscar plusterte sich Nick mit geschwollener Brust auf und erwartete Lob. Er bekam aber nur einen Tritt gegen sein Schienbein. „AU!“ „Du hast doch auch gar keine Ahnung, du Volltrottel! Gott, wieso ich!?“, beschwerte sich Anya mit einem vielsagenden Blick gen Himmel. Der in seinem trübsten Grau aber schwieg, als wolle er sich über die Blondine lustig machen. „Och … na dann beende ich meinen Zug“, kündigte Nick an. „WAS!? Willst du nicht wenigstens 'ne Karte setzen!?“ „Wieso? Die darf man doch dann auch erst später akti-“ Mit einem Schlag gegen den Hinterkopf hatte Anya Nick ins Gras gepfeffert und trat auf seinen Rücken. Sie war außer sich vor Wut und wenn Mr. Bitterfield sie nicht lauthals ermahnt hätte, wäre Nick wohl als Märtyrer aller Minderbemittelten in die Geschichte Livingtons eingegangen. So aber konnte er wacklig wieder aufstehen. „Sorry!“ „Ich bin dann wohl am Zug?“, fragte Valerie unmotiviert und zog. „[Gishki Chain].“ Aus einer Wasserlache schoss ein amphibischer Krieger, der seine Kette schwang und auf Valeries Duel Disk losließ. Sie versank in ihrem Deck und zog die Abbilder dreier Karten daraus hervor, die sich vor dem Mädchen ausbreiteten.   Gishki Chain [ATK/1800 DEF/1000 (4)] „Wenn [Gishki Chain] beschworen wird, sehe ich meine obersten drei Deckkarten an und nehme daraus entweder ein Gishki-Ritualmonster oder eine Ritualzauberkarte auf meine Hand, sollte denn eine darunter sein.“ Vor Valerie schwebten [Evigishki Tetrogre], [Monster Reborn] und [Salvage]. Sie nahm das Ritualmonster Tetrogre zwischen ihre Finger und fügte es ihrem Blatt hinzu. Die anderen beiden Karten legte sie in der von ihr bestimmten Reihenfolge aufs Deck zurück. „Ich setze zwei Karten verdeckt und beende meinen Zug.“ Vor ihren Füßen erschienen sie, doch Anya achtete gar nicht darauf. Da stimmte doch irgendetwas nicht! Wieso war Valerie so teilnahmslos? Als würde sie gar nicht kämpfen wollen? Die Blondine runzelte die Stirn und betrachtete ihr Blatt. Jenes war nicht ganz so gut wie das verlorene, doch ausreichend. Schließlich rief sie ehrgeizig: „Draw!“ Dieser verdammte Pokal würde ihr gehören, so viel war sicher! Und wenn diese dumme Pute nicht darum kämpfen wollte, umso besser! „Ich aktiviere aus meinem Friedhof heraus [Gem-Knight Fusion]! Die wurde durch“, ihre Stimme gewann etwas Schwärmerisches, „Marcs [Card Destruction]“, und wurde augenblicklich wieder fest, „auf den Friedhof geschickt! Ich verbanne also [Gem-Knight Amber], um sie auf meine Hand zurück zu erhalten!“ Mit zufriedenem, schadenfrohem Grinsen hielt sie die Zauberkarte in die Luft. „Und ich benutze sie, um [Gem-Knight Tourmaline] und [Gem-Knight Garnet] zu verschmelzen! [Gem-Knight Tourmaline], du bist das Element, [Gem-Knight Garnet], du der Ursprung! Vereinigt eure Kräfte und werdet zu [Gem-Knight Prismaura]!“ In einem Wirbel voller Edelsteine verschwanden die Abbilder ihrer Karten und erzeugten einen Lichtblitz, aus dem ein anmutiger Krieger trat. Mit Lanze und Schild in den Händen stand er vor Anya, während aus seiner Rüstung durchsichtige Kristalle wuchsen.   Gem-Knight Prismaura [ATK/2450 DEF/1400 (7)]   Anya griff nach ihrem Friedhofsschlitz, aus dem ihre [Gem-Knight Fusion] hervortrat. „Ich verbanne jetzt Tourmaline, um [Gem-Knight Fusion] auf meine Hand zu erhalten. Aber da bleibt sie ganze zwei Sekunden, denn ich werfe sie für Prismauras Effekt ab, damit ich [Gishki Chain] zerstören kann!“ Ihr Krieger schoss aus seiner Lanze einen grellen Energiestrahl ab, der Valeries Fischmann in einer tosenden Explosion vernichtete. Anya nahm aus ihrem Blatt eine Karte und schob sie in ihre Duel Disk. „Diese hier verdeckt! Damit beende ich meinen Zug!“ Das klappte doch prima! Nächste Runde würde sie angreifen können, und dann war Valerie fällig!   Wortlos, aber mit finsterem Blick, zog Marc seine nächste Karte und steckte sie in sein Blatt. „Wir sollten Anyas Falle loswerden, oder?“ Er antwortete nicht, reagierte gar nicht auf Valeries Worte. Deswegen schwang die ihren Arm aus: „Verdeckte Schnellzauberkarte! [Mystical Space Typhoon]! Damit-“ Doch plötzlich brüllte Marc: „Misch dich gefälligst nicht ein! Ich brauche deine verdammte Hilfe nicht! Von meiner Hand der Schnellzauber [Mystical Space Typhoon]!“ „Entschuldige …“, meinte Valerie wie ein geschlagener Hund mit schwacher Stimme und wich seinem vernichtenden Blick aus. Dabei hatte sie Glück, dass ihre Karte noch nicht aufgesprungen, ergo offiziell aktiviert worden war. Derweil trat aus Marcs Zauberkarte ein Wirbelsturm, der Anyas Falle [Negate Attack] mit sich riss und dann im Nirgendwo wieder verschwand. Doch die konnte gar nicht fassen, wie Marc soeben mit Valerie geredet hatte. Das war … das war … genial! „Ja, mach sie zur Schnecke!“, jubelte Anya außer sich vor Freude. „Halt den Mund, ich muss nachdenken!“, schnauzte Marc das Mädchen daraufhin derart abweisend an, dass jenes zusammenzuckte. „Was ist denn mit ihm los?“, flüsterte sie fassungslos Nick zu. Der schüttelte nur den Kopf. Verdutzt betrachtete Anya ihren Teamkollegen. Täuschte sie sich, oder hatte sich etwas in Nicks Blick verändert? Sah er tatsächlich … besorgt, gar verärgert aus? Nein … das musste Einbildung sein! Solche Gefühle kannte Nick doch gar nicht!   „Da genug Laval-Monster mit verschiedenen Namen auf meinem Friedhof liegen“, sprach Marc nun wieder konzentriert, aber dennoch unterkühlt, „rufe ich diese zwei Monster von meiner Hand als Spezialbeschwörung durch ihre Effekte: [Laval Coatl] und [Laval Burner]!“ Um Marcs Kopf schwirrte plötzlich ein gelbroter Babyflugsaurier, während vor ihm ein Steintitan aus dem Boden wuchs. Wild lag ihm das rote Haar weit bis zur Hüfte, während seine steinernen Fäuste in Flammen aufgingen. Laval Coatl [ATK/1300 DEF/700 (2)] Laval Burner [ATK/2100 DEF/1000 (5)]   Dann deutete Marc auf seine linke verdeckte Karte, die sofort aufsprang und sich als Schnellzauber entpuppte. „[Searing Fire Wall]! Damit verbanne ich eine beliebige Anzahl an Laval-Monstern von meinem Friedhof, um dann dieselbe Anzahl an Spielmarken zu beschwören!“ Er steckte sich [Laval Miller] und [Laval Forest Sprite] in die Hosentasche, während vor ihm zwei kleine Flammen mit Gesichtern emporschossen.   Laval-Token x2 [ATK/0 DEF/0 (1)]   Anya musste schlucken. Warum beschwor Marc so viele Monster? Das konnte doch nur bedeuten, dass er einen Großangriff plante! Skeptisch warf sie einen Blick zu Nick herüber, der jenen mit ausdrucksloser Miene erwiderte. Was war los mit dem Kerl? Die ganze Zeit war er bester Laune gewesen. Das Mädchen machte sich aber viel eher Sorgen um seinen Stand im Duell. Als schwächstes Glied würde Marc ihn sicherlich als Ersten besiegen wollen. Und Anya wusste, dass selbst sie gegen Marc -und- Valerie kaum Land sehen würde. „Ich opfere nun diese beiden Spielmarken für eine Tributbeschwörung. Erscheine, [Laval Judgment Lord]!“ Neben seinem Titanen erschien ein furchteinflößender Krieger, der eine Panzerung aus Stahl trug. Sein Waffenrock war von rotem, flatternden Stoff bedeckt, welcher ebenfalls von seiner Schulter in Form eines Umhangs flatterte. Die linke Hand des Kämpfers entflammte schließlich.   Laval Judgment Lord [ATK/2700 DEF/1800 (7)]   „Ich wusste es“, zischte Anya sauer. Nick würde unweigerlich fallen, nachdem sie ihn nicht mehr mit ihrer Falle beschützen konnte, da Marc jene zerstört hatte! Warum hatte immer sie so ein verdammtes Pech!? „Verdeckte Falle aktivieren!“, rief Marc und ließ sie aufsehen. „[Return From The Different Dimension]! Für die Hälfte meiner Lebenspunkte kehren für einen Zug alle meine aus dem Spiel verbannten Monster auf das Feld zurück!“   [Anya: 4000LP Nick: 4000LP //// Valerie: 4000LP Marc: 4000LP → 2000LP]   Ein Dimensionsspalt machte sich weit über ihm auf. Aus diesem sprangen eine kleine Koboldin, gekleidet in einem roten Cape und ein Ork aus Stein hervor, welcher ein abgebrochenes Mühlrad in den Händen hielt.   Laval Forest Sprite [ATK/300 DEF/200 (2)] Laval Miller [ATK/300 DEF/400 (3)]   Ungläubig runzelte Anya die Stirn. Nun hatte Marc seine gesamte Monsterkartenzone gefüllt. Zwar erfüllte sie das mit großer Ehrfurcht, doch verunsicherte es sie gleichermaßen. Sie hatte nicht gewusst, dass Marc so ein guter Spieler war. Und scheinbar war er immer noch nicht fertig mit seinem Zug. „Ich stimme jetzt meinen Stufe 2 [Laval Coatl] und meinen Stufe 5 [Laval Burner] aufeinander ab! Melting bodys form a path to damnation! The wicked soul lusts for even greater power! Synchro Summon! Burn, [Laval Stennon]!“ Der Babyflugsaurier verwandelte sich in zwei grüne Ringe, durch welche [Laval Burner] flog und infolge dessen zu einem grünen Lichtstrahl wurde. Kurz darauf landete ein gewaltiger Titan aus blassem, blauem Gestein vor Marc. Um Arme, Hüften und Schultern lagen goldene Ringe, aus seinem Leib heraus traten Dreiecke aus Stahl. Eines von ihnen, welches direkt aus Stennons Brust wuchs, wies ein Paar leuchtender, gelber Augen auf.   Laval Stennon [ATK/2700 DEF/1800 (7)]   Anya indes schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter. Marcs Wille zum Sieg war selbst ihr unheimlich, obwohl sie selber um jeden Preis gewinnen wollte. Doch nun war sie sich nicht mehr so sicher, ob es ein alberner Pokal und die Aussicht, eventuell in die Proliga aufzusteigen, es wert waren, wenn man so verbissen darum kämpfte wie Marc. Sie revidierte den Gedanken jedoch schnell wieder – natürlich war es das wert! Derweil erklärte ihr Gegner gereizt: „Wenn Stennon beschworen wird, muss ich eine Karte abwerfen, doch ich besitze keine. Und nun stimme ich …“ „Was!? Gleich nochmal!?“, erschrak Anya und beobachtete, wie Marcs Müller und der Waldkoboldin in die Höhe stiegen. „… meine Stufe 2 [Laval Forest Sprite] auf meinen Stufe 3 [Laval Miller] ab! From the blazing shores to the roaring volcanos, the spirit of fire rules the rotten land! From the sparking flames of hatred, the divine dragon is born! Synchro Summon! Take flight, [Lavalval Dragon]!“ Wie zuvor Coatl zersprang Marc brennende Kobolddame in zwei grüne Ringe, welche von dem Müller mit seinem Mühlrad in der Hand durchquert worden. Ein Lichtblitz blendete die Anwesenden, bevor unter lautem Gebrüll ein Drache um das gesamte Footballfeld flog, ehe er vor Marc in der Luft Halt machte und anmutig landete. Sein dunkler Körper bestand vollkommen aus gekühltem Magma, sodass einige Ritzen zwischen seinen steinernen Schwingen und dem langen Schweif noch immer rot aufglühten.   Lavalval Dragon [ATK/2000 DEF/1100 (5)]   „Monstereffekt! Wenn [Laval Forest Sprite] vom Spielfeld auf den Friedhof gelegt wird, erhalten alle Laval-Monster bis zum Ende des Zuges 200 ATK für jeden ihrer Artgenossen auf dem Ablagestapel.“ Marc lächelte finster und sprach mit gefährlicher Schärfe: „Und ich zähle dort neun Stück!“ Anya stockte der Atem, als um Marcs drei ohnehin schon sehr starke Monster tosende Flammen schlugen. Es war, als stünde seine ganze Seite des Feldes in Brand.   Laval Judgment Lord [ATK/2700 → 4500 DEF/1800 (7)] Laval Stennon [ATK/2700 → 4500 DEF/1800 (7)] Lavalval Dragon [ATK/2000 → 3800 DEF/1100 (5)]   Fassungslos starrte Anya in das Inferno. Marc war durch die Flammen kaum mehr zu sehen, Valerie, die sich die ganze Zeit über nicht mehr eingemischt hatte, ebenso wenig. „Damit kann er nicht nur einen von uns vernichten … sondern dem anderen noch über die Hälfte seiner Lebenspunkte nehmen. Wir sind aufgeschmissen“, brachte sie wie in Trance hervor. Vielleicht lag es daran, dass es Marc war, der ihr so zusetzen wollte. Doch Anya hatte sich noch nie so hilflos in einem Duell gefühlt. Aber es sollte noch viel schlimmer kommen, als Marc rief: „Ich aktiviere den Effekt von [Lavalval Dragon]! Und das gleich zweimal hintereinander! Indem ich jedes Mal zwei, also insgesamt vier, Laval-Monster von meinem Friedhof in mein Deck mische, kann ich so pro Aktivierung eine Karte meines Gegners auf die Hand geben. Damit sind eure Monster fort und können euch nicht länger schützen!“ Er zeigte die drei [Laval Volcano Handmaidens] und [Laval Warrior] vor und mischte sie in sein Deck zurück. Während Anyas [Gem-Knight Prismaura] sich einfach auflöste und ins Extradeck zurückkehrte, nahm Nick wortlos [Wind-Up Juggler] zurück auf die Hand, welcher daraufhin ebenfalls verschwand. Die Felder der beiden Duellanten waren nun komplett geräumt, innerhalb eines Zuges.   „Unfassbar! Das ist The Butcher!“, kommentierte Mr. Bitterfield das Ganze begeistert. „Wer hätte schon erwartet, dass er als Duellant genauso geschickt ist wie als Sportler!?“ Tosender Applaus von der Zuschauertribüne drang zu den Teams, während Anya realisierte, dass sie und Nick nun endgültig verloren hatten. Allein die Angriffe von Marcs Superkriegern reichten schon aus, um das Spiel für sich zu entscheiden. „[Lavalval Dragon], greife Valerie direkt an! [Laval Judgment Lord], du übernimmst Anya, während [Laval Stennon] Ricks Lebenspunkte auslöscht! LOS!“ Marcs Monster schwärmten aus. Der brennende Magmadrache stieg in die Lüfte, drehte eine große Runde über den Sportplatz und stürzte dann mit furchteinflößendem Tempo auf Valerie hinab. Die konnte gar nicht fassen, dass sich ihr eigener Partner gegen sie gestellt hatte und hielt nur die Arme zum Schutz in die Höhe, als der Drache Feuer spie. Sie wusste, dass ihre verdeckten Karten [Mystical Space Typhoon] und [Poseidon Wave] sie nicht beschützen konnten und schloss die Augen. Gleichzeitig stampfte der große Krieger im roten Umhang auf Anya zu und verpasste ihr einen Fausthieb, während Stennon aus der Kanone an seinem Arm eine gewaltige Lavakugel auf Nick abschoss. Drei Schreie erfüllten das Spielfeld.   [Anya: 4000LP → 0LP Nick: 4000LP → 0LP //// Valerie: 4000LP → 200LP Marc: 2000LP]   Die Hologramme verschwanden. Während Valerie in die Knie sank, nicht begreifend, war dort eben geschehen war, atmete Anya tief durch. Nick war vor Schreck glatt aus den Latschen gekippt und blinzelte erstaunt. „Wir haben einen Gewinner! Unfassbar! The Butcher hat uns eindrucksvoll bewiesen, wie er es selbst mit drei Gegnern gleichzeitig aufnehmen könnte!“, donnerte der Direktor der Livington High aufgeregt in sein Mikrophon. Dabei schrieb sich die Journalistin neben ihm hektisch jedes Detail auf, während Mr. Redfield wohl noch nie so erbost ausgesehen hatte, wie es jetzt der Fall war. Er erhob sich von seinem Platz, nahm die kleine Treppe der Bühne hinab zum Spielfeld und lief eiligen Schrittes auf Marc zu. „Da hast du deinen Pokal“, zischte er hasserfüllt und drückte das goldene Prachtstück seinem rechtmäßigen Eigentümer kraftvoller in die Hände, als nötig gewesen wäre. Dann wandte er sich Valerie zu. „Komm Kleines, wir gehen!“ Marc lachte hochnäsig auf. „Das hier brauche ich nicht!“ Damit warf er den Pokal vor Valeries Füße, die ihrerseits lautlos ihr Gesicht in die Hände vergraben hatte. „Behalt' das Teil und mach damit, was du willst!“ Mit diesen Worten drehte er sich einfach um und schritt von dannen. Die Zuschauer, welche die ganze Zeit über sprachlos zugesehen hatten, bombardierten ihn regelrecht mit Buhrufen, doch es machte Marc offensichtlich nichts aus. Er ging einfach weiter, bis er schließlich außer Sichtweite war.   Valerie spürte, wie ihr Arm gepackt und sie auf die Beine gerissen wurde. „Du kommst mit!“, befahl Anya streng und schleifte sie davon, während Mr. Redfield entsetzt mitansah, wie die Blondine mit seiner Tochter und Nick im Schlepptau ebenfalls im Begriff war, das Weite zu suchen. „Du auch, Masters!“, rief Anya hinauf zu den Tribünen, als sie jene erreicht hatte, wo Abby alles fassungslos mit angesehen hatte. „Sie bleiben schön hier, Miss Bauer!“, schaltete sich nun Mr. Bitterfield empört per Mikrophon ein. „Warten Sie!“ „Das Turnier ist vorbei!“ Anya hatte sich umgedreht und zeigte dem Direktor den Stinkefinger. „Spenden Sie den beschissenen Pokal doch an Krebskranke oder so! Und jetzt halten Sie die Klappe, Sie gehen mir so was von auf die Eierstöcke mit ihren beknackten Kommentaren!“ Dem Direktor verschlug es glatt die Sprache. Und während jener zusah, wie Abby eilig die Zuschauerreihen hinunter gelaufen kam und Anya zusammen mit Nick und Valerie folgte, hob der Vater Letzterer den Pokal auf und betrachtete ihn niedergeschlagen. „Das hast du nicht verdient, Valerie …“   ~-~-~   Ich habe keine logische Erklärung für das Verhalten deines Freundes. Warum würde er Valerie Redfield absichtlich weh tun wollen, wenn er dich zuvor darum gebeten hatte, genau das zu unterlassen? Ein solcher Wandel ist extrem verdächtig, denkst du nicht auch?   „Deswegen sitzen wir ja hier“, brummte Anya und saß zusammen mit Valerie, die immer noch weinte, Nick, welcher unbeholfen Fratzen zog, um jene aufzuheitern, und Abby am kreisrunden Esstisch in Anyas Küche. „Was sagt Levrier?“, fragte Abby besorgt. „Nichts, was ich nicht auch so schon wusste!“   Valerie sah mit stark geröteten Augen auf. Ihr Make-Up war verlaufen und die Haut so blass, dass man die Adern hindurch scheinen sehen konnte. Normalerweise hätte Anya eigentlich vor Schadenfreude in die Luft springen müssen, doch komischerweise konnte sie sich nicht an Valeries Anblick erfreuen. Es war fast, als- „Das ging den ganzen Tag so“, sagte die jetzt verschnupft. „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, das war gar nicht Marc! Er war nie so gemein und herablassend zu anderen gewesen! Er war immer gutmütig, außer vielleicht, wenn es um Sport ging …“ „Sag mir was Neues.“ Anya konnte es nicht leiden, wie Valerie über ihn sprach, als wären sie mehr als nur Freunde. Aber es war auch der Neid, tatsächlich nicht zu wissen, -wie- Marc privat überhaupt so war. „Am Anfang hat er sich noch halbwegs zusammengerissen“, erklärte Valerie aufgewühlt weiter. „Aber je mehr Gegner wir besiegt haben, desto schlimmer wurde er. Weder hat ihn meine Meinung interessiert, noch hat er meine Hilfe angenommen, wenn er sie dringend gebraucht hätte. Aber irgendwann hatte er sie auch gar nicht mehr nötig, so brutal und effektiv hat er gespielt …“ Abby nickte. „Das bestärkt mich nur darin, mich nie wieder zu duellieren …“, sagte sie leise. Dabei strich sie über das Holz des Tisches und schien etwas auf dem Herzen zu haben, was sie nur ungern aussprechen wollte. Doch schließlich platzte es aus ihr heraus. „Ich glaube, das wird euch nicht gefallen, aber … was, wenn er einen Pakt geschlossen hat? Wie Anya? Oder besessen ist, so wie Caroline oder die anderen aus Victim's Sanctuary?“ Entgeistert wurde Abby von ihrer Freundin angestarrt. Daran hatte sie noch gar nicht gedacht!   Ich konnte keine außergewöhnlichen Veränderungen an seiner Präsenz feststellen. Allerdings bin ich, was das angeht, seit unserem Pakt nicht besonders zuverlässig, nicht wahr?   „Allerdings!“, zischte Anya und starrte die Decke an, wo sie irrsinnigerweise Levriers Geist vermutete. Dann wandte sie sich Valerie zu. „Levrier sagt, Marc war vollkommen normal. Aber das muss nichts heißen!“ „Ich hatte den gleichen Gedanken bereits während des Turniers“, sagte Valerie und wischte sich eine Träne aus dem Auge. „Also habe ich Joan um Hilfe angefleht. Sie hat mir sogar geantwortet, doch sagte sie nichts anderes als Levrier. Marc war nicht besessen und seine Verletzung hat er sich beim Training letzte Woche zugezogen, ich habe die Wunde selbst gesehen. Unter dem Verband befindet sich kein Mal.“ Erstaunt sah Abby ihre Sitznachbarin an. „Du hast mit Joan geredet!?“ „Ja … das erste Mal seit Tagen. Sie meldet sich nur hin und wieder, um zu sehen, ob es mir gut geht.“ Valerie seufzte schwer. „Sie ist wirklich sehr nett … aber selbst als Gottes Dienerin konnte sie nichts für mich tun. Und es wäre vermessen, um noch mehr Beistand zu betteln …“ Anya schnaufte wütend. Die und ihre heiligen Freunde! Jetzt tat sie ganz bescheiden, nur um noch mehr bemitleidet zu werden! Was für eine abgehobene, hohle Nuss Valerie doch war! Und doch … „Hat er sich irgendwie verraten?“, fragte Abby neugierig. Valerie sah sie verwirrt an. „Was meinst du?“ „Na ja, vielleicht ist etwas Schlimmes passiert? Das verändert die Menschen, besonders, wenn es sehr plötzlich geschieht.“ „Ich weiß es nicht …“   Anya hatte genug! Dieses ganze Gelaber führte zu nichts! Warum auch immer Marc sich so daneben benommen hatte, sie würden es nicht durch wilde Spekulationen herausfinden. „Mein Gott, Redfield, warum fragst du ihn nicht einfach!?“ Abby war es jedoch, die antwortete und dabei die Augen verdrehte. „Denkst du, das hat sie nicht getan?“ „Ich habe gefragt … und natürlich keine Antwort erhalten. Ich solle mich nicht einmischen hieß es.“ Sie lachte bitter auf. „Den Spruch habe ich heute öfter gehört, als die restlichen 19 Jahre meines Lebens zuvor.“ „Dann wird das hier deinem Spruch jetzt Konkurrenz machen, denn den hast du auch schon oft genug gehört: zieh Leine, Redfield!“ „Anya!“ Empört sprang Abby auf. „Warum sagst du so was!? Du warst es doch, die sie hierher gebracht hat!?“ Die Blondine winkte ab. „Na und? Nun will ich aber, dass sie geht! Mein Kopf brummt und ich habe verdammt schlechte Laune! Und da ich keine Lust habe, mich noch weiter über Dinge aufzuregen, die ich sowieso nicht ändern kann, lass ich es einfach!“ „Du bist so-!“ Valerie legte ihre Hand auf Abbys Schulter. „Anya hat schon recht, das bringt nichts. Ich sollte gehen und erst einmal eine Runde Schlaf finden. Vielleicht sieht die Welt morgen schon ganz anders aus.“ „Wenn du willst, bringe ich dich nachhause? Dein Vater macht sich bestimmt Sorgen um dich“, meine Abby und warf Anya dabei einen vernichtenden Blick aus den Augenwinkeln zu. Daraufhin nickte Valerie dankbar. „Gerne. Das ist sehr nett von dir.“ „Ich komme mit!“, sprach Nick aufgeregt dazwischen und grinste derart anzüglich, dass man seine Gedanken nicht lesen können musste, um zu wissen, was in seinem Kopf vorging. „Keine Ursache!“, strahlte das Hippiemädchen, doch ihr Lächeln verlor sich schnell wieder.   Die Situation von Valerie erinnerte sie gewissermaßen an ihre eigene. Ohne Anyas Unterstützung wäre sie wohl jetzt immer noch eine Sirene und obendrein eine Mörderin. In schweren Zeiten brauchte man einfach jemanden, auf den man sich verlassen konnte. Denn selbst wenn dieser jemand die Probleme nicht lösen konnte, war er zumindest dazu imstande, seinen Freunden das Ganze einfacher zu gestalten, ihnen einen Teil der Last abzunehmen. Und sei es, indem man sie nicht alleine ließ. Schade nur, dass Anya diese Erkenntnis hin und wieder vergaß …   Und während sich Abby, Nick und Valerie von Anya verabschiedeten, blieb die am Tisch sitzen und wartete, bis die Haustür ins Schloss fiel. Dann schlug sie mit einem wütenden Aufschrei die Faust auf den Tisch. Warum hatte Marc das getan!? Dass er einmal der Grund sein würde, warum sie ausgerechnet für Valerie Mitleid empfand, ging weit über Anyas Verständnis hinaus. Er hatte mit seinem Verhalten nicht nur ihre Erzfeindin ins Chaos gestürzt, sondern auch sie selbst!   Anya Bauer! Deine Augen … „Halt den Mund, Levrier!“ Wie konnte sie Marc jetzt noch mögen!?     Turn 12 – Scars Seit dem Turnier ist Marc nicht mehr in der Schule aufgekreuzt. Darüber hinaus hat Anya auch noch die sehr neugierige Journalistin an der Backe, die damals zugegen war und nun viele unangenehme Fragen stellt. Als sie durch Nicks loses Mundwerk schließlich erfährt, was Abby wirklich ist, will sie jene unbedingt ablichten. Die jedoch ist vollkommen verängstigt, sodass Anya die Sache mit einem Duell regeln will. Allerdings nicht ohne Hintergedanken, denn damit könnte man Abby vielleicht ihre Angst vor Duellen nehmen …   Kapitel 12: Turn 12 - Scars --------------------------- Turn 12 – Scars     Es klingelte an der Tür. Wütend stampfte Anya die Treppe hinab und schwor sich, denjenigen zu erwürgen, der es wagte, sie bei ihrem allwöchentlichen Samstagsdauerzocken zu stören! Vor der massiven Holztür angekommen, spähte sie misstrauisch durch den Spion. Und schreckte überrascht zurück, als sie direkt in ein giftgrünes Auge starrte. Unwirsch riss sie die Tür auf und rief: „Hey, was soll der Scheiß? Wir haben heute geschlossen, danke!“ Schon wollte sie die Tür wieder zuknallen, doch ein Fuß schob sich über die Schwelle und blockierte diese. Ein blasses Gesicht drückte sich durch den Spalt und starrte Anya aus dicken Brillengläsern neugierig an. „Du wirst entschuldigen, Kleine, aber ich habe ein paar Fragen an dich!“ „Ich kaufe nichts von Pennern!“ Die Dame räusperte sich entrüstet. „Ich bin keine sozial Bedürftige. Ich bin Journalistin. Mein Name ist Nina Placatelli und ich möchte dich gerne ein wenig aushor- interviewen, Anna.“ Sie reichte Anya durch den Spalt die Hand. Böser Fehler, dachte die mit fiesem Grinsen und griff den weißen Ärmel ihrer Bluse. Dann zog sie mit aller Kraft daran, während sie unter Zuhilfenahme ihres Fußes die Tür weiterhin zudrückte. Die alte Schachtel schrie wütend, woraufhin plötzlich die Tür aufschwang und Anya zurückgeworfen wurde, anschließend auf dem Rücken landete. Hatte diese Reporterin doch tatsächlich die Haustür mit einem Tritt wieder geöffnet. Selbstgefällig trat jene über die Schwelle. „Du erlaubst doch sicher“, meinte sie dabei förmlich und schritt seelenruhig an Anya vorbei, direkt ins Wohnzimmer. Die starrte ungläubig der Journalistin hinterher und wusste nicht, ob sie sie für ihre Dreistigkeit bewundern oder töten sollte. „Alter, ist die stark“, staunte sie dabei leise für sich. Dann sprang das Mädchen auf und folgte der Frau ins Wohnzimmer, ehe die noch auf die seltendämliche Idee kam, lange Finger zu machen.   Doch die Reporterin hatte es sich bereits auf einem Sessel bequem gemacht und kramte aus ihrer überdimensionalen Handtasche einen uralten Fotoapparat, einen Notizblock und einen Kugelschreiber, ehe sie das rote Ungetüm auf den Glastisch schmiss. Wie unmodern, dachte Anya beim Anblick des Notizblocks gehässig. Hatte die Alte kein Geld für ein Notebook oder dergleichen? Sie stand beim häuslichen Plasmafernseher und wusste nicht, ob das alles nur ein schlechter Scherz war, oder diese Frau Selbstmordabsichten hegte. Die Dame besten Alters winkte sie zu sich. „Komm Anna, ich habe nicht viel Zeit.“   Wütend musterte die Blondine die Frau. Um ihre Augen traten schon deutliche Falten hervor, ihre schmalen Lippen waren mit kirschrotem Lippenstift bemalt, welcher nicht recht zu ihrem feuerroten Haar passen wollte. Jenes war extrem gelockt und wurde von derart vielen Spangen gehalten, dass die Frisur einfach nur planlos und chaotisch wirkte. Zwei Strähnen hingen ihr im Gesicht. Am Leibe trug sie ein giftgrünes, weites Kleid, das zumindest hervorragend mit ihren Augen harmonisierte.   „Ich heiße Anya“, brummte jene und schielte zurück in den Flur. Sollte sie vielleicht Barbie holen? Bisher hatte ihr mit Nägeln, abgebrochenen Messerklingen und anderen metallischen Spitzen besetzter Baseballschläger jeden Schmarotzer in die Flucht geschlagen. Zu ihrem Bedauern bisher nur im übertragenen Sinne. „Anna, Anya, unwichtige Details“, meinte diese Nina flapsig und winkte ab. „Komm schon, Kleine, mich interessiert deine Geschichte.“ Sie klopfte einladend auf das Sofa, neben dem ihr Sessel stand.   Das Wohnzimmer der Familie Bauer war nicht sehr groß. Ein rechteckiger Glastisch stand in seiner Mitte, während an der Nordwand ein großes Sofa Staub fing. Daneben je links und rechts ein Sessel, wobei sie alle auf den Fernseher gerichtet waren, welcher in der südwestlichen Ecke des Zimmers stand. Ein großes Fenster gewährte den Blick auf den minimalistischen Garten und so unweigerlich auch auf die Nachbarschaft.   Zögerlich stellte sich Anya der Journalistin gegenüber. Die starrte sie aus ihren großen, eckigen Brillengläsern erwartungsvoll an. „Setz' dich, Kindchen.“ „Nein danke, ich kann auch stehen!“ Denn dann kann ich sofort eingreifen, wenn du erkennst, dass es an der Zeit ist wegzurennen, dachte sie dabei grimmig. Niemand betrat -ihr- Haus ohne ausdrückliche Genehmigung! „Na, wie du meinst“, zeigte Nina sich gleichgültig und zückte Stift und Notizblock. „Anna Bauer war dein Name, oder?“ „Anya!“ Hatte die Alte Alzheimer oder machte sie das mit Absicht!?   „Gut, gut!“ Sie sah auf. „Also, Anya“, sie betonte den Namen des Mädchens jetzt besonders langsam, „du bist ja die traurige Verliererin des Wettstreites, der letzte Woche an eurer Schule stattgefunden hat. Wie fühlst du dich dabei?“ Anya blinzelte irritiert. „Huh?“ Die Reporterin kritzelte etwas auf ihren Block. Dabei murmelte sie: „Immer noch fassungslos über die schreckliche Niederlage.“ Danach blickte sie wieder auf. „Sicherlich war es schwer für dich und deinen Partner, so weit zu kommen. Wie hast du das angestellt?“ „Wie meinen Sie das?“, fragte Anya ungläubig. Die Rothaarige zwinkerte vieldeutig. „Ach tu doch nicht so, Kindchen. Du weißt schon, Bestechung, Schummeln, zwielichtige Tauschgeschäfte?“ „Ich habe ganz normal gekämpft!“ Wieder zitierte die Frau, was sie sich notierte. „Möchte ihr Geheimnis nicht preisgeben, macht aber Andeutungen.“ „Was reden Sie da!?“ Anya wollte auf den Notizblock sehen, doch die Alte hielt ihn sich an die Brust und schüttelte süffisant grinsend den Kopf. „Na na, wir sind noch nicht fertig!“ „Was wollen Sie überhaupt von mir!?“ Nina überging die Frage einfach. „Was hältst du von Marc Butcher, dem zweifelhaften Sieger des Turniers? Ich habe aus einschlägigen Quellen gehört, er wäre seit dem Turnier für den Rest der Woche nicht mehr in der Schule aufgetaucht?“   Anya verstummte. Es stimmte, Marc war die letzten Tage nicht zum Unterricht erschienen. Offiziell lag zumindest eine Krankschreibung seiner Ärztin vor. Grund dafür war seine verletzte Hand, die dringend Ruhe benötige, da ihr Zustand sich verschlimmert habe. Natürlich glaubte niemand auch nur ein Wort von dieser fragwürdigen Entschuldigung. Die Stimmung gegenüber Marc war so extrem umgeschlagen, wie man es noch nie an der Livington High erlebt hatte. Einst von allen bewundert, war der Football- und Eishockeyspieler nun bei allen unten durch für sein schäbiges Verhalten gegenüber den anderen Turnierteilnehmern. Selbst Anya wusste nicht, wie sie nun über Marc denken sollte. Seine kalte, gar grausame Art hatte sie regelrecht abgeschreckt. Eine richtige Erklärung für sein Verhalten gab es immer noch nicht, auch wenn manche von Frust aufgrund seiner Verletzung sprachen. „Was ich von Marc halte, geht Sie überhaupt nichts an!“, fauchte Anya schließlich. Denn es war trotzdem ihre Pflicht als seine … was-auch-immer, Marc zu verteidigen. „Sind Sie nur hier, um über das Turnier zu reden!? Hätten Sie das nicht schon neulich machen können!? Sie waren doch selbst dabei, nicht!?“ „Deckt den Schule schwänzenden, ehemaligen Footballhelden“, murmelte Nina und legte ihren Notizblock wieder auf den Schoß. Dann klimperte sie mit ihren langen, garantiert falschen Wimpern. „Um deine Frage zu beantworten: nein, ich bin nicht nur wegen des Turniers hier und Zeit hatte ich bisher keine für dich, Ann- Anya. Aber Schätzchen, sag mir mal eines … glaubst du an Geister?“ „Ich kenne sozusagen einen … nicht!“ Gerade noch einmal gerettet, dachte Anya. Und dann noch so cool! Sie war eben echt gut! „Du wirst dich bestimmt fragen, warum ich das wissen will?“ „Nein. Ich frage mich eher, wie viel Zeit Sie mir noch stehlen wollen? Sie sollten wissen, dass jede Sekunde mit einem Tropfen Blut aufgewogen wird.“ Anya sagte das in einer Trockenheit, die sie so noch nie angewendet hatte. Sozusagen hatte sie sich das bei Abby abgeschaut und wollte einfach mal sehen, ob ihr hochgelobter Sarkairgendwas wirklich funktionierte.   Natürlich schenkte Nina den leeren Drohungen keine Beachtung. Sie lächelte nur und sah dabei aus, als würde sie dem Mädchen jeden Augenblick um den Hals fallen. „Wie putzig. Nein im Ernst, ich frage dich das, weil ich da einer großen Sache auf der Spur bin. Und irgendwie glaube ich, dass du auch darin verwickelt bist.“ Anya zog die rechte Augenbraue an. „Was Sie nicht sagen?“ „Nun, dein kleiner Fund von vor ein paar Wochen, der war ganz schön … beängstigend, nicht war? Besonders, weil die Leiche völlig ausgetrocknet und verschmort war, doch nicht ihre Kleidung. Außerdem sind da noch die Geschichten rund um Victim's Sanctuary und deren Insassen. Du warst dabei, als man das Personal aus dem Keller befreit hat. Kommt es dir denn nicht merkwürdig vor, was so alles in letzter Zeit passiert?“ Anya schnaubte wütend. „Sie haben wohl zu oft ins Glas geschaut“, stellte sie immer noch mit Abbys Technik, dem Sarkadingens fest. Nina jedoch lachte nur spitz. „Ach Kindchen“, winkte sie ab, „sei doch nicht so naiv. Hier geht etwas Großes vor sich und du bist der Schlüssel. Ich habe auch von der Aula deiner Schule und dem Schulhof gehört, den du demoliert hast. Wie hast du das angestellt?“ Neugierig beugte die Frau sich vor und ließ tiefer in ihr Dekolleté blicken, als gut für ihr Umfeld gewesen wäre. Verdutzt blieben Anya die Worte im Halse stecken. Was hatte die alte Schachtel da gerade behauptet? SIE wäre schuld an allem? Okay! Das war genug!   „Tut ganz unschuldig, lächelt dabei aber vielsagend“, notierte sich Nina nebenbei. Plötzlich wurde sie am Arm gepackt und auf die Beine gezogen. „He-hey, lass das!“ „Sie kommen jetzt schön mit!“ Anya zerrte die Frau, die sich hastig ihre riesige Handtasche schnappte, mit aller Kraft aus dem Wohnzimmer zurück in den Flur. Dabei krallten sich ihre Fingernägel tief in die Haut der Reporterin, die sich energisch zur Wehr setzte, doch Anyas aus Wut resultierendem Kraftschub nicht gewachsen war. Jene öffnete die Haustür und schleuderte Nina mit einer Drehung aus dem Haus. Die rief aufgebracht, während sie torkelnd das Gleichgewicht wiederfand: „Warte doch, wir sind noch nicht-!“   Wumms! Die Tür war zu, abgeschlossen und die alte Schreckschraube nur noch undeutlich zu hören. Anya schnaubte wie ein Stier. Diese hässliche Krähe hatte wohl noch nie von ihr gehört, sonst hätte sie einen großen Bogen um das Grundstück der Familie Bauer gemacht! Was wollte die blöde Ziege überhaupt hier? Bestimmt irgendeine bekloppte Story über das Turnier verfassen! Oder über Geister, Anya war es letztlich gleich. Wenn die ihr noch einmal unter die Augen kam, würde sie den Lake Livington kennenlernen – von unten!   ~-~-~   „Das hat sie dich gefragt?“, staunte Abby kurze Zeit später und biss in ihren Käsecracker. Sie hockte im Schneidersitz auf ihrem Bett und hatte sich Anyas Geschichte angehört. Schließlich musste sie kichern. „Was ist so witzig?“, fragte Anya missmutig vom Schreibtischstuhl aus. „Na ja, da du nie Zeitung liest, kannst du das nicht wissen“, stichelte das Hippiemädchen, „aber Nina Placatelli ist berüchtigt für ihre Artikel. Die werden schon lange nicht mehr in der Zeitung gedruckt, weil sie so gut recherchiert sind. Jeder weiß das, nur Nina selbst will es nicht wahrhaben.“ „Und warum ist die Alte dann noch als Journalistin angestellt?“ „Weil ihre Artikel so hanebüchen sind, dass die Leute sie allein aufgrund ihrer verrückten Theorien lesen. Das liegt daran, dass Nina praktisch jede Tatsache, die sie irgendwo aufgeschnappt hat, bis zur Unkenntlichkeit verdreht. Sie sieht sich aber im Recht.“ Abby schmunzelte. „Wobei. Ob ihr bei dir ein Glückstreffer gelungen ist?“ Anya starrte sie finster an, während sie ihre Arme auf der Rückenlehne des Stuhls verschränkte, um den Kopf darauf zu legen. „Auf wessen Seite stehst du eigentlich?“ „Ich bin Opportunistin.“ „Du nimmst Drogen?“ Abby brach in schallendes Gelächter aus. Verdutzt blinzelte Anya und ahnte, dass sie etwas gesagt hatte, was sie besser hätte für sich behalten sollen. In diesem Augenblick fühlte sie sich wie Nick. Und erkannte im Zuge dessen, dass sie ihre Einstellung gegenüber dem Nachdenken vielleicht infrage stellen sollte. Von Abby ausgelacht zu werden war einfach nur nervig! Plötzlich klingelte es von unten an der Haustür. „Ich geh schnell runter“, meinte Abby prustend, da sie und Anya die Einzigen waren, die sich im Haus aufhielten. Der Rest der Familie, inklusive Hund, hatte einen Ausflug zum Lake Livington gemacht, um die letzten Spätsommertage noch einmal richtig auszunutzen. Anya erhob sich ebenfalls und begleitete Abby. Während sie die Treppen nacheinander hinunter stürmten, klingelte es abermals, aber fordernder. Kaum hatte Abby den Schlüssel herumgedreht, drängten sich zwei Personen an ihr vorbei. Anya, die vor jenen stand, machte Augen wie eine Kuh wenn es donnerte. „SIE!?“ „Hi Liebchen, hier steckst du also“, meinte Nina unbekümmert. Sie drehte sich um und sah Abby mit einer Faszination an, die ihresgleichen suchte. „Du … du musst Abigail sein, oder? Bist du es?“ Abby nickte unsicher und wandte sich an Ninas Begleiter. „Nick? Wer ist das?“ „Und wie kommt es, dass sie hier ist!?“, verlange Anya aufbrausend zu wissen. „Ausgerechnet mit dir!?“   Die rothaarige Reporterin schmiegte sich an den hochgewachsenen jungen Mann und streichelte anzüglich schmunzelnd seinen Arm. „Ich musste doch auch das andere Teammitglied der Verlierer interviewen. Der kleine Nick hat es mir so einiges verraten. Er wird sehr gesprächig, wenn man nett zu ihm ist.“ „Hehe.“ „Was haben Sie mit ihm angestellt!?“, fauchte Anya und wollte ihr ans Leder, doch Nina schob den einen Kopf größeren Nick behände in den Weg der Blondine und lugte selbstverliebt grinsend hervor. „Ach Kindchen, doch nicht, was du jetzt denken magst. Nicht alle Menschen behandeln ihre Freunde wie Ungeziefer!“ „Aber ihre Feinde! Und jetzt legen Sie sich auf den Boden, damit ich Sie endlich treten kann!“ Anya griff an Nick vorbei, doch geschickt wich die Journalistin zur anderen Seite aus. „Anya, ist das etwa Nina Placatelli?“, fragte Abby verdutzt, während sie die Haustür schloss und ihre Freundin beobachtete, wie sie der flinken Reporterin an den Hals wollte. „Ich sehe, du hast schon vor mir gehört“, lachte Nina, während sie sich unter einem Fausthieb duckte und Anya die Hand aufs Gesicht legte, um sie von sich fern zu halten. Sie zwinkerte Abby verschwörerisch zu. „Aber das ist bestimmt nichts im Vergleich zu dem, was ich über dich erfahren habe, meine kleine Sirene.“   Stille. Abby verlor sämtliche Farbe im Gesicht, ihr Mund stand offen. Dann murmelte sie so leise, dass man es kaum verstehen konnte: „Woher wissen Sie davon?“ „Na von ihm hier“, meinte Nina gut gelaunt und klopfte mit ihrer freien Hand Nick auf die Schulter, der erwartungsvoll Abby anstarrte.   Plötzlich schrie die Journalistin auf, nämlich, als Anya ihr in die Hand gebissen hatte. Sie wich zurück und stieß gegen die Wand des kleinen Flurs, der zum Gemeinschaftszimmer führte. „Du kleine Kröte, was soll das!?“ „Oh, glauben Sie mir, das war erst der Anfang!“, versprach Anya und zeigte auf die Frau. „Wenn ich mit Ihnen fertig bin, passen Sie in einen Kochtopf! Dann tun Sie wenigstens einmal etwas Nützliches, indem Sie den Arbeitslosen als kostenlose Mahlzeit dienen, Sie falsche Schlange!“ Ruckartig schwenkte Anya ihren Arm zur Seite und deutete nun auf Nick. „Und was dich angeht, wird dein Blut die Soße sein! Wie hirnverbrannt bist du überhaupt, dieser alten Schrulle etwas über Abby zu erzählen!?“ Sie wechselte wieder die Richtung zu Nina. „Und natürlich hat er gelogen, damit das klar ist!“ „Aber sie hatte doch Kekse“, jammerte Nick reumütig. „Die guten Kekse!“ Der Rotschopf derweil lachte auf. „Von wegen! Er hat mir alles über euch erzählt! Aber ein Dämonenkind interessiert mich nicht, ich will die Sirene!“ Mit diesen Worten wandte sie sich an Abby. „Na Kleine? Du magst mir doch sicher einmal zeigen, wie du so als Sirene aussiehst, oder? Ein kleines Foto, und ich bin auch ganz schnell wieder verschwunden.“ „Verlassen Sie … unser Haus …“, murmelte Abby und in ihren Augen stand ein Hass geschrieben, den Anya so noch nie gesehen hatte. Was sie sofort an Levriers Worte erinnerte. Wenn er zu groß wurde, dann würde Abby wieder- „Kein Foto, Sie Miststück!“ Anya stürzte sich auf Nina und zerrte an ihrem grünen Kleid, während die Journalistin gebannt ihre Freundin anstarrte. Die öffnete nur die Tür, um Anya zu helfen, das alte Weib wieder loszuwerden. Ein gezielter Tritt in den Hintern, und Nina lag auf den Steinfliesen in Abbys Garten, umringt von kniehohem Gras. „Lassen Sie sich nie wieder hier blicken!“, fauchte Anya außer sich. Doch Nina sprang auf die Beine und runzelte ärgerlich die Stirn. „Bedaure, Herzchen, aber ich werde nicht eher gehen, bis ich die Sirene fotografiert habe! Ich weiß ja nicht, wie du dein Geld verdienst, aber -ich- muss schwer dafür schuften! Ist ein bisschen Entgegenkommen denn zu viel verlangt!?“ „Im Moment ist es schon sehr viel verlangt, Ihnen nicht den Hals umzudrehen!“ Anya starrte die Frau aus dem Spalt der Tür heraus schnaufend an. Ungerührt klopfte sich Nina das Kleid sauber. Arrogant erwiderte sie: „Du machst mir keine Angst, Kleine. Deine Sprüche sind doch sowieso nur heiße Luft. Ach Gottchen, du steckst einmal den Kopf eines Mitschülers – Wie hieß er doch gleich? Willy Patrics? – in die Toilette und glaubst aufeinm- Ahhh!“   Anya hatte sich auf die Frau gestürzt und schlug um sich wie eine Furie. Nina, die den Hieben nur mit Mühe ausweichen konnte, schrie lauthals, als Anya mit den Zähnen ihre Haare ausreißen wollte. Nick und Abby kamen nach draußen geeilt, doch besonders Letztere schien keine Anstalten machen zu wollen, der Frau in irgendeiner Form zu helfen. „Nehmt diese Irre weg von mir!“, schrie sie hysterisch. „Heiße Luft!?“, ereiferte Anya sich und versuchte dabei, Nina ihr Knie in eine sehr empfindliche Gegend zu rammen. „Dir zeig ich, wo heiße Luft ist! In deinem Kopf, du grenzdebile Sumpfkuh!“ Nick stolperte schließlich ungeschickt zu den ringenden Furien und riss Anya von der Journalistin. Das Mädchen trampelte zwar um sich, konnte aber nichts tun, da der erstaunlich kräftige Nick sie unter den Armen gepackt hatte. „Dir beiß' ich die Kehle durch!“ „Versuchs doch!“ Nina hatte sich aufgerichtet. Ihr Haar war zerzaust, die Spangen verrutscht und ihr Gesicht war ganz rot vor Wut und Erschöpfung. Sie keuchte und wischte sich über den blutigen Mund, was dazu führte, dass nun selbst der Lippenstift verschmiert wurde. „Ich gebe nicht so schnell klein bei!“   Abby trat zwischen die beiden Parteien und hielt die Arme ausgestreckt. „Gehen Sie bitte! Wenn Sie es nicht tun, werden Sie es bereuen …“ Sie wusste nicht, wie lange sie ihre Kräfte noch im Zaun halten konnte. Die Wut und Hass, die in ihr aufwallten wie brodelnde Lava, waren ein eindeutiger Warnhinweis. Abby durfte nicht die Kontrolle verlieren, sonst würde diese Frau vermutlich mit dem Leben dafür bezahlen! „Nur ein Foto! Ist das denn so schwer!?“ „Es geht-“ „Sie kriegen ihr Foto“, meinte Anya plötzlich ruhig. Nick ließ sie verdutzt los, als sie sich nicht länger zur Wehr setzte. Die Blondine trat neben Abby und verschränkte die Arme. „Aber es gibt da eine Bedingung. Sie müssen sich darum erst duellieren.“ „Ein Handel?“, fragte Nina geschäftsmännisch und richtete die verrutschte Brille auf ihrer Nase. „Klingt ganz nach meinem Geschmack. Was schlägst du vor?“ „Wie gesagt, ein Foto für Sie, wenn Sie gewinnen. Wenn das aber nicht der Fall ist, ziehen Sie Leine und kommen nie-wieder! Und sollten Sie sich nicht daran halten, werden Sie nachts nie-wieder ein Auge zu tun können, weil ich jede Sekunde kommen und Ihnen das Genick brechen könnte!“ „Noch mehr leere Drohungen?“ Nina lachte hochnäsig auf. „Aber deine Idee ist gar nicht so schlecht, Kleines.“ Abby starrte Anya verdutzt an. „Das würdest du für mich tun?“ „Wer sagt, dass ich mich duellieren werde?“ Die Blondine warf ihrer Freundin einen strengen Blick zu. „Das wirst du schön selbst erledigen, immerhin geht es hier um dich.“ „A-Aber!“ Abby legte ängstlich ihre Hände auf Anyas Schultern. „Ich kann mich nicht duellieren! Du weißt, was letztes Mal passiert ist! Auf gar keinen Fall!“ Heftig schüttelte sie dabei den Kopf. „Ich weiß, dass du Schiss davor hast“, donnerte die Blondine aufgebracht, „aber deine Angst ist unbegründet. Wenn es danach ginge, könntest du dich jederzeit verwandeln! Nicht die Duelle sind Auslöser für deine Verwandlung, sondern deine Gefühle!“ Abby wich ihrem Blick wortlos aus. „Denkst du, das weiß ich nicht längst?“ Ihre Freundin blinzelte einen Moment verdutzt, dann schnaubte sie. „Wenn das so ist, warum weigerst du dich so beharrlich, dich zu duellieren!?“ „Weil das … wie ein Sog ist! Ich kann als Sirene Fiktion zu Realität werden lassen! Stell dir vor, was passiert, wenn ich eine Armee echter Monster auf meinen Gegner loslasse!“ Abby trat einen Schritt von Anya zurück und nahm flehend deren Hände in die ihren. „Bitte, zwing mich nicht dazu! Ich habe Angst, dass … dasselbe passiert, wie neulich. Wenn … ich die Kontrolle verliere, dann …“   „Dann?“ Nina beugte sich neugierig über Abbys Schulter und notierte sich jede Kleinigkeit des Gesprächs. Zumindest, bis Anya ihr den Notizblock aus der Hand riss und darauf herumkaute, ihn ausspuckte und in den Boden stampfte. Nina war wieder knallrot im Gesicht. „Was soll denn das!?“ „Gehen Sie sterben, Sie altes Reptil!“, forderte Anya wütend und stampfte noch einmal auf. „Wie es aussieht, gibt es kein Duell! Also ziehen Sie Leine, ehe eine von uns beiden sich vergisst. Und das bin vorzugsweise ich!“ „Nichts da, Herzchen!“, weigerte die Rothaarige sich jedoch beharrlich. „Ich gehe nicht eher, bis ich mein Foto habe! Niemand wird mir diese Story streitig machen, hörst du, niemand!“ Anya kniff die Augen zusammen und strich sich die nicht existierenden Ärmel ihres schwarzen T-Shirts von den nackten Handgelenken. „Ach ja … ?“ „Ja!“ „Aufhören!“ Wieder stellte sich Abby zwischen die beiden Furien. „Ich … ich mache es. Ich … werde mich duellieren, zu Anyas Konditionen.“ Völlig verwirrt starrten sich die Streitenden an, ehe sie ihr Augenmerk zurück auf Abby richteten. Die seufzte und hielt sich eine Hand an die Brust, wo ihr aufgeregtes Herz wild pulsierte. Sie musste es tun. Was für eine andere Wahl hatte sie schon? Die Vorstellung, Nina bis ans Ende aller Tage in ihrer Nähe zu haben, glich für Abby schon Folter. Es ging auch weniger darum, dass Nina ihren Artikel veröffentlichen konnte, denn glauben würde man ihr selbst mit Fotobeweis nicht. Aber wie ein Tier im Zoo behandelt zu werden, und sei es nur von einer Person, machte Abby wütend und traurig. Dieses Gefühl sollte enden und Anya hatte, was das Mädchen sehr überraschte, in gewisser Hinsicht recht. Sie musste die Angst vor sich selbst bekämpfen, sonst würde diese sie irgendwann verschlingen. Anya war da und würde ihr beistehen, selbst wenn sie aus Zorn tatsächlich zu einer Sirene werden sollte. Und solange sie da war, würde es Abby leichter fallen, sich zusammen zu reißen, schließlich wollte sie Anya nicht in Gefahr bringen. „Bist du dir da wirklich sicher?“, fragte jene skeptisch und verschränkte die Arme. Mit einer abfälligen Handbewegung deutete sie in Ninas Richtung. „Die rauchst du in der Pfeife, so viel ist sowieso klar. Aber hast du dir das gut überlegt? Ich könnte sie auch einfach für dich du-weißt-schon-was.“ „I-ich denke schon“, meinte Abby und nickte knapp. „Ich will es zumindest probieren. Du hast schon recht, diese Angst muss bekämpft werden.“ „Ich habe immer recht“, konterte Anya trocken und grinste. „Aber gut, verarbeite die Alte zu Brei, 'kay?“ „Oh ihr kleinen Dummerchen, täuscht euch nicht in mir“, mischte sich Nina ein und richtete zufrieden lächelnd ihre Brille. „Ich besitze eines der besten Decks, das die Welt je gesehen hat. Andere Duellanten haben damit Meisterschaften gewonnen!“ Demonstrativ holte sie aus ihrer großen Tasche eine Duel Disk. „Aber wenn ihr wollt? Umso schneller bekomme ich mein Foto!“ „Vergiss es, Schwester! Abby spielt in einer ganz anderen Liga!“, meinte Anya siegesgewiss und klopfte ihrer Freundin so hart auf den Rücken, dass die nach vorn stolperte. „J-ja …“   ~-~-~   Die beiden Duellantinnen standen sich auf dem Hinterhof vom Grundstück der Familie Masters gegenüber. Um zu verhindern, dass Unbeteiligte Abbys potentiellen Kräfte sahen, hatte man diesen Ort als Schauplatz des Duells gewählt. Und sollte jemand dumm genug sein, neugierig über den hohen Lattenzaun zu spähen, würde Anya ihn eigenhändig mit einem der Pfähle aufspießen, so schwor sie sich. Sie stand neben Nick an der Rückwand des Hauses und beobachtete alles mit Adleraugen. Dass Nick dabei gefesselt und geknebelt war und zu ihren Füßen lag, hatte er allein seiner großen Klappe zu verdanken. Die Blondine starrte ihn giftig an und freute sich bereits auf das, was nach dem Duell kam. Nick weniger, denn der zappelte unruhig und gab dumpfe Laute aus seinem Knebel preis. „Sieh zu!“, befahl Anya harsch. „Das ist sowieso alles nur deine Schuld! Bete zu Satan, dass Abby gewinnt, oder ihr erstes Opfer wirst du sein!“   Derweil hatte sich Nina ihre Duel Disk angelegt und wirkte in ihrem grünen Kleid seltsam deplatziert auf dem Spielfeld. Abby ihrerseits wirkte eingeschüchtert und ängstlich, was sich an ihrer verklemmten Körperhaltung bemerkbar machte. „Bist du bereit, Kleine?“, fragte die Journalistin gut gelaunt. „Ich denke schon …“ „Worauf warten wir dann noch? Duell!“ Abby nickte bloß.   [Abby: 4000LP / Nina: 4000LP]   Beide zogen ihrer Starthand bestehend aus fünf Karten. Abby meinte schließlich: „Ich beginne“, und stockte ihr Blatt um noch eine Karte auf. „Ich setze ein Monster. Damit beende ich meinen Zug.“ Vor den Füßen des brünetten, leicht zerzausten Mädchens tauchte eine Karte in horizontaler Lage auf, dabei mit dem Rücken nach oben zeigend. Abby atmete tief durch und zeigte ihrer Gegnerin mit einer Geste nachdrücklich, dass sie am Zuge war.   „Okay Herzchen, dann lässt Tante Nina jetzt mal die Puppen tanzen!“ Die rothaarige, schon ein wenig ältere Frau zog schwungvoll. „Ich rufe [X-Saber Airbellum]!“ Mit lautem Gebrüll sprang hinter ihr ein Löwenmensch in geduckter Haltung hervor. Obwohl seine Statur der eines Menschen glich, wirkte sein zur Hälfte blondes, zur Hälfte schwarzes Haar eher wie eine wilde Mähne. Zudem trug er krallenbesetzte Handschuhe, was ihn nur umso bestialischer wirken ließ.   X-Saber Airbellum [ATK/1600 DEF/300 (3)]   „Attacke!“, befahl Nina gebieterisch und zeigte mit einer entsprechend eingebildeten, angewinkelten Handbewegung auf Abbys Monsterkarte. Schnellen Schrittes stürmte Airbellum auf diese zu, sprang in die Luft und rammte seine Krallen in das geheimnisvolle Monster. Doch wurde er kurz darauf zurückgeworfen, als ein kleiner, brauner Käfer mit einem Horn aus Holz seinen Angriff einfach abwehrte. „[Naturia Beetles] Verteidigung ist höher als der Angriff Ihres Monsters“, meinte Abby und las den Käfer behutsam vom Boden auf, dessen Körper aus einer Eichel bestand.   Naturia Beetle [ATK/400 DEF/1800 (4)]   Er ist real, dachte Abby dabei erschrocken. Sie war sich der Tatsache, dass ihre Kräfte sogar dann wirken konnten, wenn sie gar nicht ihre Sirenenform angenommen hatte, nicht bewusst gewesen. Unter diesen Umständen konnte sie unmöglich weiterkämpfen!   [Abby: 4000LP / Nina: 4000LP → 3800LP]   Nina allerdings bekam davon gar nichts mit. Sie zückte zwei Karten aus ihrem Blatt und zeigte sie zwischen den Fingern vor. „Diese beiden Schätzchen lege ich verdeckt aus.“ Die gesetzten Karten erschienen vor ihren Füßen, während sie zufrieden lächelte. Man merke ihr förmlich an, dass sie mit nichts anderem als einem Sieg rechnete. Selbstherrlich meinte sie schließlich: „Los Kindchen, ich habe nicht ewig Zeit. Du bist am Zug.“   Doch Abby, die den Käfer streichelte, zuckte erschrocken zusammen. Sie ließ ihn hinab ins Gras und zog mit zitternder Hand eine Karte. Unter keinen Umständen durfte sie Nina gefährden! „Ich pass-“ „Was soll denn das, Masters!?“, fauchte Anya sie von der Seite her an. „Du tust ja so, als wäre das dein allererstes Duell überhaupt! Geh richtig ran und zeig dieser Schreckschraube, dass man dich nicht unterschätzen sollte!“ Abby nickte perplex. Anya konnte das nicht wirklich verstehen. Solche Kräfte zu haben war einfach nur schrecklich. Zwar besaß ihre Freundin ebenfalls spezielle Fähigkeit, doch wusste sie nichts oder nur sehr wenig von ihnen – das hatte Matt zumindest gesagt. Wenn Abby die Wahl hätte, würde sie ihre eigene Herkunft am liebsten aus ihrem Gedächtnis streichen und wieder ein ganz normales Mädchen sein wollen. Aber das ging nicht. „Soll … soll ich es wagen?“, fragte Abby ihre Freundin hilflos. „I-ich glaube, es wäre besser, das Duell abzubrechen. Sonst tue ich Nina noch weh!“ „Schwachsinn! Und selbst wenn, umso besser! Konzentriere dich einfach und alles wird schon gut werden!“ Ein wenig musste Abby dabei schmunzeln. Für Anya war alles so einfach. Vielleicht … vielleicht sollte sie ihrem Rat einfach folgen? Einmal nicht nachdenken und sehen, was passiert. Nur weil sie [Naturia Beetle] berühren konnte, hieß das noch lange nicht, dass dasselbe auch für Nina zutraf! Oder war diese Logik fehlerhaft?   „Okay!“, sagte sie mit neuem Mut und sah ihr Blatt an. „Ich beschwöre [Naturia Vein]!“ Neben ihrem Käfer tauchte ein tanzendes Blatt mit Armen und Beinen auf, welches neugierig mit seinen Kulleraugen die Umgebung musterte. Doch alles, was es zu sehen bekam, waren links und rechts hohe Grashalme. Einzige Ausnahme: Abbys riesige Gestalt, die auf das kleine Wesen herab starrte.   Naturia Vein [ATK/200 DEF/300 (1)]   Abby streckte den Arm in die Höhe, während ihre Monster in die Luft aufstiegen. „Ich stimme mein Stufe 1 [Naturia Vein] auf meinen Stufe 4 [Naturia Beetle] ab!“ „Wie bitte!? Eine Synchrobeschwörung!?“, krächzte Nina, während das Blatt sich in einen großen, grünen Ring verwandelte, den Abbys Käfer passierte. „Oh great god of the west! Rule this land with your penetrating gaze and justice! Synchro Summon! Roar proudly, [Naturia Beast]!“ Ein erschütterndes Gebrüll erklang. [Naturia Beetle] verschwand in einem Lichtblitz und wurde durch eine majestätische Bestie ersetzt, die mit einem Satz vor Abby landete. Es war ein mannshoher Tiger mit grünem, blättrigem Fell und Gliedmaßen ganz aus Holz. Mit seinen roten Augen funkelte er Nina an, ehe er sich niederlegte und zu lauern schien.   Naturia Beast [ATK/2200 DEF/1700 (5)]   „Gut!“, meinte Anya zufrieden und zeigte Abby zwinkernd beide Daumen. „Nun hau drauf, Schwester!“ „O-okay!“ Abby drehte sich zu Nina und ihrem Monster und schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter. Sie würde es schaffen, sagte sie sich. Sie würde ihre Gegnerin schon nicht verletzten, egal wie sehr sie ihr zuwider war! Das Mädchen streckte seinen zitternden Arm aus. „[Naturia Beast], greif [X-Saber Airbellum] an! Los!“ Augenblicklich sprang der Tiger auf und rannte auf den animalischen Kämpfer zu, ein Paar falscher Krallen traf auf echte Klauen. Nina lachte hysterisch. „Sieh an, genau das wollte ich! Verdeckte Schnellzauberkarte aktivieren! [Shrink]! Damit halbiere ich einfach die Angriffskraft deines Monsters!“ Die Rothaarige lachte schrill. Abby aber hob den Zeigefinger und schwenkte ihn hin und her. „Nicht ganz! Ich kontere mit [Naturia Beasts] Fähigkeit! Indem ich zwei Deckkarten auf den Friedhof schicke, kann ich die Aktivierung jeder Zauberkarte negieren! Wehr dich!“ Mit wütendem Gebrüll ließ der Tiger Ninas aufgeklappte Karte einfach zerspringen, während Abby besagte zwei Karten in Friedhofsschlitz ihrer schwarzen Duel Disk schob. Kurz darauf wurde Airbellum durch einen erneuten Prankenschlag niedergestreckt.   [Abby: 4000LP / Nina: 3800LP → 3200LP]   „D-das macht gar nichts!“, hielt Nina erschrocken dagegen. „Manchmal erfordern große Storys eben Opfer!“ „Ich beende meinen Zug!“ Abby atmete beruhigt aus. Scheinbar war ihrer Gegnerin nichts weiter geschehen. Vielleicht, weil nur zwei Monster gekämpft hatten. Ein direkter Angriff wäre viel zu gefährlich gewesen, dachte sie mit prüfendem Blick auf ihr Blatt.   „Mein Zug!“, verlautete Nina ehrgeizig und zog ausholend. „Ich aktiviere den Zauber [Monster Reborn] und reanimiere Airbellum von meinem Frie- Ah!“ Das laute Gebrüll von [Naturia Beast] unterbrach die Frau. Wieder zersprang das Ebenbild ihrer Karte, während Abby seelenruhig zwei Deckkarten auf ihren Friedhof schickte. „D-das war geplant!“ Nina stand der Schweiß auf der Stirn. „Du sollst deine besten Karten auf den Friedhof schicken, jawohl!“ Derweil bildeten sich auf Anyas Stirn tiefe Falten. „Hat die Alzheimer? Oder ist die einfach nur schlecht?“ Anyas weibliche Intuition – die echte und nicht etwa Levrier – sagte ihr, dass eher Letzteres zutraf. „Ich setze ein Monster und beende den Zug“, meinte Nina derweil nervös und ignorierte die Blondine am Spielfeldrand.   Zeitgleich zog Abby ihre nächste Karte und hielt inne. Sonderlich stark mutete ihre Gegnerin wirklich nicht an. Vielleicht konnte sie dieses Spiel beenden, ohne dass jemand zu Schaden kam? „Okay“, sprach Abby und legte eine Karte auf ihre Duel Disk. „Ich beschwöre [Naturia Guardian]!“ Vor ihr wuchs ein großer Laubbaum aus der Wiese des Hinterhofs. Auf dem mächtigen, dunkelbraunen Stamm befand sich ein strenges, altehrwürdiges Gesicht, das selbst Nina einzuschüchtern schien. Ganz still stand sie da und wartete auf Abbys weitere Vorgehensweise. Naturia Guardian [ATK/1600 DEF/400 (4)]   Diese gestaltete sich relativ simpel. Das Hippiemädchen schwang den Arm aus und rief: „Los, [Naturia Beast], greif Ninas Monster an!“ Ihr Tiger zog einen Kreis um die gesetzte Karte, ehe er mit seiner Pranke zuschlug. Eine schreiende, blonde Frau mit einem kettenartigen Schwert tauchte auf und wurde sogleich zerfetzt. „[X-Saber Anu Piranha]“, murmelte Nina sauer. „Nun ist sie wohl Geschichte.“   X-Saber Anu Piranha [ATK/1800 DEF/1100 (4)]   Abby indes überlegte. War ein direkter Angriff wirklich ungefährlich? Fragend blickte sie zu Anya, die mit finsterer Miene nickte und sich danach den Daumen über die Kehle zog. Nina sollte keine Gnade erfahren, wenn es nach ihr ging. Doch Abby fühlte sich dabei nicht wohl. Natürlich war die Reporterin ein ausgemachtes Miststück, aber sie bemühte sich, ihrer Arbeit gerecht zu werden. Wenn auch mit sehr hinterhältigen Methoden. Seufzend schloss Abby die Augen. Die Angst war nach wie vor da, aber wenn tatsächlich etwas geschehen sollte, könnte man das Duell immer noch abbrechen. Und in der Zeitung stehen wollte sie wirklich nicht, sie wollte nicht der Oberfreak Livingtons sein. Sollten sich doch Anya und Nick um diese Ehre streiten! „Okay! Ich greife mit [Naturia Guardian] direkt an!“, entschloss sie kurzerhand. Und bereute es, denn die Angst, einen Fehler gemacht zu haben, war wie ein Bumerang zu ihr zurückgekehrt. Was, wenn Nina sich verletzte!? Abbys Monster ließ aus dem Boden seine Wurzeln schießen, die Nina erfassten und durchdrangen am ganzen Körper durchdrangen. Einen Moment blieb ihre Gegnerin wie erstarrt stehen und fasste sich an die Brust. Dann atmete sie stöhnend aus. Und Abby fiel ein Stein vom Herzen. Es waren aber nur Hologramme. Auhh sie atmete tief durch. Eine Wurzel war direkt durch Ninas Herz geschossen und wenn sie nun real gewesen wäre, dann-!   [Abby: 4000LP / Nina: 3200LP → 1600LP] „Super, Abby! Schieß' diese dumme Schnepfe zum Mond!“ Abby jedoch schluckte. Das hätte schief gehen können, verdammt schief. „Ich beende meinen Zug!“ Wenn sie das nächste Mal angriff, musste sie sicher stellen, dass nur ungefährliche Körperregionen angegriffen wurden! Aber wie sollte sie das bewerkstelligen!? Und außerdem … was tat sie hier überhaupt? Derweil runzelte Anya verärgert die Stirn. Ihre Freundin kämpfte ziemlich zurückhaltend. Wäre sie nicht so ängstlich, hätte Abby vielleicht schon längst gewinnen können. Die sollte sich nicht so anstellen und auf die Tube drücken! „Mein Zug!“, rief Nina laut. „So Herzchen, genug von diesem lahmen Spiel! Ich hätte von einer Sirene mehr erwartet, weißt du? Aber egal, das sind unwichtige Details! Ich will das verdammte Foto und zwar jetzt!“ Die Rothaarige zückte ein Monster aus ihrem Blatt. „Mach dich auf was gefasst, Liebchen! Ich beschwöre [X-Saber Axel]!“ Vor ihr tauchte ein Krieger in pelziger Panzerung auf, der eine lange, gezackte Klinge schulterte und lachte. X-Saber Axel [ATK/400 DEF/100 (1)]   „Damit haben Sie den Effekt von [Naturia Guardian] aktiviert!“, rief Abby. Ihr Baum begann weiß zu leuchten. „Wenn mein Gegner eine Normalbeschwörung durchgeführt hat, erhält Guardian 300 Extraangriffspunkte!“   Naturia Guardian [ATK/1600 → 1900 DEF/400 (4)]   „Damit holst du doch nicht einmal meine tote Oma hinterm Ofen hervor! Ich zeig dir, wie das geht! Verdeckte Falle: [Gottoms' Emergency Call]! Diese sagenhafte Falle lässt mich zwei X-Saber-Monster reanimieren, sollte ich einen ihrer Kollegen auf dem Feld haben! Kommt zurück, [X-Saber Airbellum], [X-Saber Anu Piranha]!“ Aus zwei Lichtsäulen neben Axel tauchten die blonde Kriegerin mit dem Peitschenschwert und der wilde Kämpfer mit der Löwenmähne und den Krallenhänden auf.   X-Saber Anu Piranha [ATK/1800 DEF/1100 (4)] X-Saber Airbellum [ATK/1600 DEF/300 (3)]   Nina lachte hysterisch. „Denk ja nicht, dass du die Einzige bist, die Synchromonster besitzt! Dir werde ich eine Lektion erteilen, die du nicht so schnell vergessen wirst!“ Sie streckte den Arm in die Höhe. „Zeit für Feintuning! Abstimmung! Stufe 3, Airbellum auf Stufe 4, Anu Piranha!“ Der Bestienmann sprang in die Höhe und verwandelte sich in drei grüne Ringe, durch die Anu Piranha mit wehender, blonder Mähne flog. Dabei verlor sie alle Farbe und wurde durchsichtig, wobei vier Sphären in ihr zu leuchten begannen. „United resistance against evil, gather before me and form a new power! Synchro Summon! Break 'em apart, [X-Saber Urbellum]!“ In einem Lichtblitz wurde aus Anu Piranha ein völlig neues Monster. Es war ein großer, bleicher Krieger mit zwei Schwertern auf dem Rücken. Er trug einen schwarzen Helm mit Hörnern, was gut zu seiner gleichfarbigen Brustplatte passte.   X-Saber Urbellum [ATK/2200 DEF/1300 (7)]   „Wow, das Ding ist schwach!“, kommentierte Anya das Ganze bissig. „Aber wie heißt es so schön? Wie der Herr, so's Geschirr!“ „Gescherr'“, korrigierte Abby ihre Freundin besserwisserisch. „Ja ja, was auch immer!“ Nina runzelte verärgert die Stirn. „Lacht nur, ihr dummen Kinder! Ich habe noch so einiges auf Lager! Zum Beispiel dieses Monster als Spezialbeschwörung von meiner Hand, da ich zwei X-Saber-Monster kontrolliere! Unterstütze mich, [XX-Saber Faultroll]!“ In roter, futuristischer Rüstung tauchte nun ein weißhaariger Krieger neben seinen Freunden auf und schwang beidhändig ein gewaltiges Schwert.   XX-Saber Faultroll [ATK/2400 DEF/1800 (6)]   „Das Ding ist ja stärker als ihr Synchromonster“, prustete Anya höhnisch los. Faultroll jedoch schwang unbeeindruckt sein Schwert im Halbkreis. Und ohne Vorwarnung stand neben ihm plötzlich Airbellum.   X-Saber Airbellum [ATK/1600 DEF/300 (3)]   Abby schluckte, während Anya sogar lautstark fluchte. „Woher-!?“ „Ganz recht, da schaut ihr dumm aus der Wäsche! Denn Faultroll kann pro Zug einen seiner Kameraden vom Friedhof reanimieren! Aber das war längst noch nicht alles!“ Nina hob ihre Hand wieder in die Höhe. Während die Mädchen erschraken, als sich Airbellum wieder in drei grüne Ringe verwandelte, durch die Faultroll flog, rollte unbemerkt Nick hilflos um das Haus, in der Hoffnung, dass irgendjemand ihm half. Doch kaum glaubte er, dem Geschehen entkommen zu sein, spürte er Anyas Schuh im Nacken. „Nichts da, du bleibst schön hier!“ An den Haaren schleifte sie ihn zurück zu den beiden Duellantinnen. Nina räusperte sich derweil mit schiefer Stimme. „Abstimmung! Stufe 3, Airbellum auf Stufe 6, Faultroll! Mighty warrior of the gentle sword, return to this wicked world! We await your command! Synchro Summon! Break free, [XX-Saber Gottoms]!“ Neben Urbellum tauchte ein noch viel größerer und eindrucksvollerer Krieger auf. Er trug eine Rüstung aus Stahl, die sogar sein Gesicht verdeckte und schwang eine enorm lange, zweiblättrige Klinge über seinem Kopf. Unruhig flatterte der rote Umhang im Wind, welcher auf seinen Schultern lag.   XX-Saber Gottoms [ATK/3100 DEF/2600 (9)]   „Was zum-!?“, stammelte Anya erschrocken und ließ dabei glatt Nick los, dessen Kopf auf den Boden knallte. „Woher hat die so ein starkes Monster!?“ „Geld, Kindchen, hart erarbeitetes Geld. Etwas, wovon du nur träumen kannst.“ Nina strich sich höhnisch lachend über die Locken, ehe sie sich auf Abby fixierte. „Ich sagte dir doch, dass du keine Chance hast! Und ich bin immer noch nicht fertig! Meine letzte Handkarte ist der Zauber [The Warrior Returning Alive]. Und genau wie sein Name es gebietet, erhalte ich von meinem Friedhof ein Krieger-Monster auf die Hand zurück. So wie Faultro- Hey!“ Nur ein mächtiges Gebrüll sowie zwei Deckkarten von Abby später zersprang das Abbild von Ninas Zauber in tausend kleine Stücke. Anya brach in schallendes Gelächter aus. „Gott ist die dämlich!“ „I-ich-! Das war geplant!“, meinte die Reporterin stur und lief rot an – ob vor Scham oder Wut war nicht schwer zu sagen. Sie streckte ihren Arm aus. „Trotzdem kann ich dir noch zusetzen! Ich aktiviere Gottoms' besonderen Effekt! Indem ich [X-Saber Axel] opfere, musst du eine Handkarte abwerfen, meine kleine Sirene!“ Erschrocken sah Abby zu, wie sich der schwarzhaarige Krieger auflöste und die Klinge in Gottoms Händen zu leuchten begann. Der zeigte damit geradewegs auf ihr Blatt, woraufhin ein Lichtstrahl geschossen kam und direkt auf eine Karte in ihrer Hand deutete. „[Fissure] …“, murmelte Abby resignierend und schob ihre Zauberkarte in den Friedhofsschacht.   Anya schlug sich bei dem Anblick die Hand vor die Stirn. Wenn Abby diese Zauberkarte die ganze Zeit über auf der Hand hatte, warum hatte sie sie dann nicht verwendet!? Damit wäre das Duell vielleicht schon entschieden gewesen, bevor Nina überhaupt zum Gegenschlag hätte ausholen können. Was ging nur in ihrer Freundin vor sich? Wollte sie denn nicht verhindern, dass sie in die Zeitung als Schlagzeile des Jahrhunderts kam? „Perfekt!“, rief Nina aufgeregt. „Ich denke, jetzt kommt es knüppeldick für dich! Urbellum, Gottoms … zerstört ihre beiden Monster!“ Die Journalistin deutete auf den Tiger und den Baum, um welchen Ersterer schlich. Es geschah, was geschehen musste. Urbellum zog seine Schwerter und stutzte [Naturia Guardian] so zurecht, dass außer abgeschlagenen Ästen und Blättern nicht mehr viel von ihm übrig war. Gleichzeitig kümmerte sich Gottoms um [Naturia Beast] und enthauptete es mit einem Schlag. Erschrocken schlug Abby die Hände vor ihren Mund, als sie das Massaker mitansah.   [Abby: 4000LP → 2800LP / Nina: 1600LP]   „Effekt von Urbellum!“, rief Nina freudig. „Du musst eine Handkarte auf dein Deck legen, wenn du von ihm Schaden erleidest, während du mindestens vier Karten auf dem Blatt hältst.“ Mit gerunzelter Stirn nahm Abby [Naturia Rosewhip] und schob sie auf ihr Deck. Ihre Gegnerin war bester Laune und trällerte: „Zug be-en-det!“   Abby zog die gerade erst verlorene Karte neu auf und seufzte bei dem Anblick der kleinen Rose. Warum kämpfte sie überhaupt? Gegen Nina hatte sie sowieso keine Chance mehr, wenn man ihre Monster so ansah. Es wäre einfach das Beste für alle, wenn sie das duellieren endgültig aufgeben würde. Zu groß war auch die Gefahr, am Ende doch noch jemanden zu verletzen. „Ich gebe au-“ Gerade wollte Abby ihre Hand aufs Deck legen, spürte sie Anyas festen Griff um ihr Handgelenk. Und eine schallende Ohrfeige, die sie zurückwarf. „Idiot!“, fauchte die Blondine aufgeregt und übertönte die enttäuschten Beschwerden von Nina spielend leicht. „Wie lange willst du eigentlich noch rumjammern!?“ „Aber ich habe doch gar nicht-!“ Abby hielt sich die schmerzende Wange. „Klar hast du! Man muss dich doch nur ansehen, um zu wissen, was in deinem Streberhirn vor sich geht, Masters! Reiß dich gefälligst am Riemen! Andere haben es viel schwerer als du und beschweren sich auch nicht! Du hast Angst?“ Anya streckte provokativ die Arme weit aus. „Von mir aus, hab Angst, so viel du willst! Du willst niemanden verletzten? Dann tu es gefälligst nicht! Du weißt, dass in dieser Stadt abgefahrene Dinge abgehen! Wir werden von Dämonen und Dämonenjägern angegriffen und brauchen jede Hilfe, die wir kriegen können! Außerdem ist da noch diese Edenscheiße! Wenn das alles vorbei ist, dann kannst du dich verkriechen, so lange du willst! Aber bis dahin hilfst du mir gefälligst, das hier zu überleben, 'kay!?“ „A-Anya-!“ „Kein Wort mehr!“ Verdutzt sah Abby zu, wie ihre Freundin zurück zum am Boden liegenden Nick stampfte und trotzig die Arme verschränkte. Ihr Blick war vernichtend und Abby wusste nicht, ob Anya ihr nun helfen wollte, oder das aus reinem Eigennutz sagte. Hilflos fasste sich das Mädchen an ihr Stirnband. Sie hatte Anya versprochen, ihr immer beizustehen, das stimmte schon. Und in den letzten Tagen war sie wohl keine große Hilfe gewesen. Hatte Anya recht? Was, wenn es noch mehr Dämonenangriffe geben würde? Dann konnte sie nicht einfach herumstehen und zusehen, wie Anya und auch Nick sich in Lebensgefahr begaben. Konnte sie ihre Kräfte nicht doch auf irgendeine Weise kontrollieren? „Oh, kommt schon, Leute! Mehr Drama bitte!“, forderte Nina sauer. „Habt ihr das auswendig gelernt? Da ist ja selbst Rosamunde Pilcher noch kreativer! Wenn ihr mir bei meiner Story schon unbedingt helfen wollt, dann bitte richtig!“ Abby war fassungslos. Hatte diese Frau überhaupt irgendetwas anderes im Kopf, außer ihren dämlichen Artikeln? Wie konnte man nur so egozentrisch sein? „Machen Sie sich nicht über uns lustig!“ Nina lachte bei ihren Worten höhnisch auf. „Sonst?“ „Erleben Sie Ihr blaues Wunder!“ Abby spürte, wie ihre Augen zu glühen begannen und hörte Nina im selben Augenblick aufschreien. „Hah, es geht los! Ihre Augen, ihre Augen! Sie sind … pink? Pink!? … Ach egal, das kann man digital nachbearbeiten! Weiter so, Schätzchen, immer weiter so!“ Das Mädchen spürte die Wut in sich pulsieren und sah hilflos Anya an. Doch deren Mimik war wie versteinert, ausdruckslos und demnach keine große Hilfe. Aber Abby wusste, dass sie sich die Frechheiten dieser Frau nicht länger gefallen lassen wollte. Die hatte keine Ahnung, wie es in ihr aussah und dachte an nichts anderes, als an ein beknacktes Foto. Solche ignoranten Menschen waren der Grund, warum es nie Frieden auf der Welt geben würde. Abby entschied, dass sie dieser Frau eine Lektion erteilen musste und hatte da bereits eine Idee, die sogar schmerzfrei umzusetzen war. Aber es hing von ihr allein ab, ob sie sich beherrschen können würde.   „Ich bin noch am Zug!“, rief das Mädchen aufgebracht. Außer ihren Augen war bisher wohl nichts verändert, ihre Stimme war immer noch dieselbe. Das war gut! „Von meiner Hand: [Naturia Pumpkin]! Und wenn er beschworen wird, während Sie Monster kontrollieren, kann ich ein Naturia-Monster von meiner Hand als Spezialbeschwörung beschwören. So wie [Naturia Rosewhip]!“ Vor Abby tauchte erst ein großer Kürbis mit Gesicht und Beinen, dann eine kleine Rose mit zwei Peitschen in ihren Blätterhänden auf. Naturia Pumpkin [ATK/1400 DEF/800 (4)] Naturia Rosewhip [ATK/400 DEF/1700 (3)]   Abby nahm die beiden Monster von der Duel Disk und hielt sie in die Höhe. Ihre Rose flog steil nach oben und verwandelte sich in drei grüne Ringe. „Stufe 3, [Naturia Rosewhip] und Stufe 4, [Naturia Pumpkin]! Oh great god of the north! Give us shelter within your soul! Synchro Summon! Be born, [Naturia Landoise]!“ Es gab einen Lichtblitz, als der Kürbis die Ringe passierte. Der Boden vor ihr brach auf und eine gewaltige Schildkröte aus Stein erhob sich vor Abby.   Naturia Landoise [ATK/2350 DEF/1600 (7)]   „Da ich nun den Effekt eines Naturia-Monsters aktiviert habe, kann ich [Naturia Hydrangea] von meiner Hand als Spezialbeschwörung rufen! Und dasselbe tue ich auch mit [Glow-Up Bulb] von meinem Friedhof, indem ich eine Karte von meinem Deck ablege!“ Nina sah dumm aus der Wäsche, als sie realisierte, dass [Glow-Up Bulb] durch [Naturia Beasts] Effekt auf dem Ablagestapel gelandet sein musste. Vor Abby tauchte ein Beet voller Hortensien auf, wobei eine der Pflanzen Augen besaß. Aus jenem Feld tauchte auch eine Blumenzwiebel auf, dessen weiße Blüte sich langsam öffnete. Naturia Hydrangea [ATK/1900 DEF/2000 (5)] Glow-Up Bulb [ATK/100 DEF/100 (1)]   Abby streckte wieder ihren Arm empor. Ihre Blumenzwiebel stieg in die Höhe und verwandelte sich in einen der grünen Empfängerringe. „Oh great god of the east! Scare my enemies with your mighty presence! Synchro Summon! Descent down, [Naturia Barkion]!“ Wieder gab es einen gleißenden Strahl und neben der gewaltigen Schildkröte gesellte sich ein grauer, schlangenhafter Drache mit Schuppen aus Holzrinde.   Naturia Barkion [ATK/2500 DEF/1800 (6)]   Abby atmete stoßweise. Ihr Haar begann unstet in der Luft zu flattern, während sich eine weiße Energiesphäre um ihren Körper bildete. Aus Ninas Gesicht wich sämtliche Farbe. „Du wirst sterben …“, murmelte Abby leise. „Ich habe genug! Solche wie du haben nur eines verdient, und zwar den Tod! Ich aktiviere die Zauberkarte [Battle Tuned]! Damit verbanne ich ein Empfänger-Monster von meinem Friedhof und gebe seine Angriffskraft weiter an eines meiner Monster!“ Sie zeigte [Naturia Cosmobeet] vor, ebenfalls zuvor abgeworfen durch [Naturia Beasts] Effekt. „Das sind 1000 Extrapunkte für Barkion!“ Ihr Drache brüllte laut auf, als eine rot glühende Aura sich um ihn ausbreitete.   Naturia Barkion [ATK/2500 → 3500 DEF/1800 (6)]   „Das mit dem Töten“, sprudelte es hysterisch aus Nina heraus, „das war doch nur ein Scher-“ „Los, meine Monster! Zerstört ihre X-Saber!“ [Naturia Landoise] stampfte nur einmal mit dem Fuß auf und schon brach [X-Saber Urbellum] im Boden ein und verschwand in einem klaffenden Erdloch, das sich sofort wieder schloss. Barkion schoss dagegen eine sengende, grüne Flamme auf Gottoms und brannte ihn gnadenlos nieder. Es entstand eine Explosion, dessen darauffolgende Druckwelle Nina von den Füßen fegte. Hart landete sie auf dem Rücken.   [Abby: 2800LP / Nina: 1600LP → 1050LP]   Abby fixierte ihren Blick auf Nina, die nun weder auf ihrer Spielfeldseite, noch Hand mehr Karten besaß. Die war jedoch völlig erstarrt und zitterte am ganzen Leib, während sie Abbys Transformation mitansah. Das Haar wurde länger und verlor seine Farbe, wurde weiß. Ihre Fingernägel wuchsen langsam und wurden spitzer, während die Lippen erblassten und einen zarten Blauton annahmen. „Das wolltest du doch sehen, oder?“, fragte Abby mit ihrer rauchigen Sirenenstimme. „Nun zahle den Preis dafür, Menschenweib!“ „Ich gebe auf!“, schrie Nina entsetzt und legte ihre Hand auf das Deck in ihrer Duel Disk.   [Abby: 2800LP / Nina: 1050LP → 0LP]   Anya klatschte laut und gesellte sich zu Abby. Dabei nahm ihr Gesicht diabolische Züge an. „Coole Sache! Wie tötest du sie denn? Frisst du sie auf?“ „Gute Idee“, hauchte Abby und trat langsam auf Nina zu, die hilflos rückwärts krabbelnd flüchten wollte. Dabei stieß sie mit dem Rücken ans Ende des hohen Zaunes, der nunmehr wie eine Gefängnismauer wirkte, der die Journalistin einsperrte. „Bitte tu mir nichts! Ich werde dich nie wieder belästigen!“ In ihren Augen standen Tränen der Angst. „Das war doch alles nicht so gemeint gewesen, ehrlich! Du bist doch ein gutes Kind, oder?“ Abby lachte auf. „Das hättest du dir vorher überlegen sollen, Menschenweib. Du bist jetzt dazu verdammt, mein Abendbrot zu werden!“ Mit diesen Worten stürzte sich Abby auf die schreiende Nina, während Anya laut gackernd zusah und sich den Bauch hielt. Denn während sich die Rothaarige die Augen zuhielt und auf ihr Ende wartete, hatte sich ihre Freundin längst zurückverwandelt.   „So!“, donnerte Abby in der Hocke und packte Nina am Kragen ihres Kleids. Die blinzelte ganz verdutzt, als sie nicht in das Antlitz einer Sirene starrte. „Sie hören mir jetzt ganz genau zu!“ „Ja!“ Heftig nickte die Frau, als sie hochgerissen wurde. Selbst als Mensch war Abby in Rage so kräftig, dass sie Nina emporheben konnte, solange sie denn auf Zehenspitzen stand, da ihr Gegenüber doch etwas größer war als sie selbst. „Erstens: Sie lassen uns in Zukunft in Ruhe, außer wir melden uns bei Ihnen!“ „Sicher doch!“ „Zweitens: Sie werden alles tun, was -ich- Ihnen sage!“ „Gewiss!“ „Drittens: sollten Sie sich nicht daran halten, mache ich das nächste Mal Ernst!“ Nina krächzte heiser und kleinlaut: „Alles klar!“ „Gut!“ Abby setzte die Frau ab und starrte sie finster an. „Und um zu sehen, ob Sie das verinnerlicht haben, stelle ich Ihnen jetzt eine Aufgabe! Sie werden Informationen für uns sammeln und zwar alles rund um die Begriffe „Eden“, „Levrier“, „Pakt“ und „Dämonen“! Eine Journalistin wie Sie wird doch sicher an gute Quellen gelangen, oder?“ „W-wie bitte!?“ Doch als Abby drohend die Faust hob, beteuerte Nina kräftig: „Ich mache mich sofort an die Arbeit! Ich werde nicht eher ruhen, ehe ich genügend Material für euch gesammelt habe. Ich kenne da sogar jemanden, der-! Aber warum wollt ihr-!?“ Abby aber unterbrach sie mit erhobenen Hand und deutete mit dem Zeigefinger zum Weg, der um das Haus zur Straße führte. „Schönen Nachmittag noch, Nina!“ Die nickte zögerlich und nahm anschließend die Beine in die Hand.   Kaum war die lästige Reporterin verschwunden, gesellte Anya sich zu Abby und legte ihr kumpelhaft den Arm um die Schulter. „Also eins muss ich dir lassen: coole Show! Für einen Moment habe ich echt geglaubt, du machst die Alte fertig!“ „Ich auch …“, gestand Abby leise und ließ den Kopf hängen. Doch plötzlich strahlte sie Anya an. „Aber ich glaube, ich habe es jetzt besser unter Kontrolle. Ich muss zwar wütend sein, aber du hast es ja gesehen. Ich habe nicht die Beherrschung verloren.“ Anya grinste keck. „Hab ich. Manchmal kannst du wirklich gruselig sein, so als weiblicher Hulk. Aber die Idee mit der Recherche ist klasse. So wird das Miststück vielleicht doch noch ganz nützlich sein.“ Ihre Freundin jedoch schüttelte zweifelnd den Kopf. „Glaube ich eher weniger, aber vielleicht hat sie wirklich noch die ein oder andere Quelle, die über unsere Möglichkeiten hinaus geht?“ „Hoffen wir's“, meinte Anya ernst und starrte auf die Stelle, wo Nina in Todesangst gelegen hatte. „Viel Zeit bleibt mir nicht mehr …“ „Wir finden einen Weg!“, meinte Abby zuversichtlich. „Du kannst auf mich zählen!“ „Au- miff- auf“, hörten sie jemanden hinter sich nuscheln. Nick bewegte sich wie eine Raupe auf sie zu und sah die beiden Mädchen erwartungsvoll an. „Ka- iff- jeff- geff-?“ „Was machen wir eigentlich mit dem?“, fragte Anya mit düsterer Stimme und funkelte Nick an. „Er muss bestraft werden für das, was er getan hat.“ Abby nickte mit eiserner Miene. „Allerdings. So etwas habe ich noch nie erlebt! Freunden sollte man vertrauen können. Aber uns wird schon etwas einfallen, nicht wahr, Anya?“ Jene lächelte verhängnisvoll. „Ganz bestimmt, Abby. Ganz bestimmt!“     Turn 13 – A Demon's Fate Levrier bemerkt die Anwesenheit eines anderen Dämons in Livington und will, dass Anya sich ihm stellt. Da die jedoch unkooperativ ist und lieber Pläne schmiedet, wie sie Erzrivalin Valerie das Leben schwer machen kann, übernimmt Levrier kurzerhand Anyas Körper. Als die beiden schließlich den Dämonen finden, ist die in ihrer inneren Welt gefangene Anya fassungslos. Denn der Wirt des Dämons ist niemand anderes als … Kapitel 13: Turn 13 - A Demon's Fate ------------------------------------ Turn 13 – A Demon's Fate     Matt stöhnte auf, als Alastair vorsichtig den blutdurchtränkten Verband von seinem Arm nahm und in einer Tüte entsorgte. Mit entblößtem, ebenfalls bandagiertem Oberkörper saß der junge Mann auf dem Bett und ließ seine Wunden behandeln. Alastair hatte sein langes, schwarzes Haar zu einem Zopf gebunden, damit es ihm nicht im Weg war. Er trug ein schwarzes Unterhemd und verzog beim Anblick des Blutes, das aus Matts Arm sickerte, angewidert das Gesicht. „Der Rest heilt gut ab, aber das hier …“, meinte er und griff nach einer Schmerz lindernden Salbe auf dem kleinen Nachttisch in ihrem Motelzimmer am Rande Livingtons. Hier stellte niemand Fragen, was Alastair nur recht war. Selbst als er seinen verletzten Freund ins Zimmer geschleppt hatte, schien niemand der anderen Gäste Notiz von ihnen genommen zu haben. Oder wollte es schlichtweg nicht. „Ich kann ihn kaum bewegen“, meinte Matt mit verzerrter Miene. Seine schwarze Mähne war ungewaschen und noch widerspenstiger als sowieso schon, und auch der Dreitagebart stand ihm nicht gut zu Gesicht. Doch er lachte trotz seiner Schmerzen heiter auf. „Wer hätte gedacht, dass diese Abigail ausgerechnet eine Sirene ist?“ „Wer hätte gedacht, dass du nicht mit ihr fertig wirst?“, erwiderte Alastair kalt. Seinen Freund so zu sehen schmerzte ihn, doch er hatte es verdient. Leichtsinn musste bestraft werden. „Wieso hast du sie vorher nicht überprüft?“ „Weil sie wie ein ganz normales Mädchen aussah.“ „Das mit Anya Bauer befreundet ist. Dem Mädchen, das einen Pakt mit einem 'Gründer' geschlossen hat.“ Matt starrte ihn finster an. „Den sie nur eingegangen ist, weil du sie praktisch dazu gezwungen hast.“ Alastair wandte sich wortlos ab und zog den neuen Verband fester um Matts Arm, als nötig gewesen wäre. Der ächzte unter der Belastung. Dabei dachte sich der Mann mit dem vernarbten Gesicht, dass sein Mitstreiter einfach zu weich war. Sah er denn nicht das größere Ganze?   Der Versuch, Anyas Freundin für sich zu gewinnen, war in der Theorie eine pfiffige Idee gewesen. Doch tatsächlich war ihre Offensive mit doppelter Wucht auf sie zurückgefallen. Sie hatten wichtige Informationen an den Feind weitergegeben, sodass Anya vermutlich längst um ihren Status Bescheid wusste. Etwas, das sie sich angesichts ihrer Lage nicht leisten konnten. Andererseits musste Alastair sich auch eingestehen, dass sein eigener Versuch, Anya zu töten, letztlich genauso fehlgeschlagen war. Matt hatte zumindest alles getan, um andere Menschen aus dem Kreis der Verdammnis fern zu halten. Als ob er auch nur eine Sekunde daran gedacht hatte, den Bruder oder den Freund dieses Mädchens wirklich umzubringen. Viele Dämonenjäger waren so kaltblütig, Alastair selbst gehörte zu ihnen, doch sicherlich nicht Matthew Summers. Aber sie mussten getötet werden. Alle in Anya Bauers Nähe waren potentielle Gefahrenträger, die selbst dann bestehen bleiben würden, wenn Anya selbst schon längst tot war. Dieser 'Gründer' würde einfach weitere Menschen in seinen Dienst stellen, um Eden zu erwecken. Matts Vorgehen, nur Anya vernichten zu wollen, war löblich, aber zu riskant, zu ineffektiv! Aber es war vermutlich ohnehin schon zu spät, jetzt, da das Mädchen langsam ihre Kräfte entdeckte. Seit Tagen recherchierten Alastair und Matt schon, doch ihre einzig verbliebenen Möglichkeiten, das Unheil noch aufzuhalten, waren entweder zu risikoreich oder schlichtweg inakzeptabel.   Als Alastair mit dem Verband fertig war, zog sich Matt ein schwarzes T-Shirt über und sah vom Bett nachdenklich aus dem Fenster, direkt auf den Parkplatz des Motels. Dort stand neben anderen Wagen auch ihr alter VW-Bus, sozusagen ihre Kommandozentrale, ausgerüstet mit allem, was man für die Dämonenjagd brauchte. Fast allem zumindest. „Du weißt, dass Abigail jetzt unsere einzige Chance ist“, meinte Matt schließlich und warf seinem Freund einen erwartungsvollen Blick zu. „Dass sie eine Sirene ist, ändert nichts. Im Gegenteil, das könnte sogar praktisch werden. Kräftemäßig kann sie es jetzt mit Anya aufnehmen.“ Alastair stand von seinem Hocker auf und trat ans Fenster des spärlich eingerichteten Zweibettzimmers. „Unmöglich. Wir arbeiten nicht mit ihresgleichen zusammen.“ „Und welche Option haben wir dann noch?“, begehrte Matt voller Unverständnis auf. „Der Feind unseres Feindes ist unser Freund!“ „Nur, wenn er nicht auch unser Feind ist“, erwiderte Alastair ruhig. „Und zu jenem haben unsere Taten dieses Mädchen unweigerlich gemacht. In ihrer Unvernunft wird sie Anya alles gesagt haben, was sie von dir weiß, selbst auf die Gefahr hin, selbst zu einem ihrer Opfer zu werden.“ Matt ließ den Kopf hängen und strich mit seiner Hand über das zerwühlte, schwarze Haar. „Was hätte ich denn tun sollen? Ihr die Wahrheit zu sagen erschien mir der beste Weg, sie für uns zu gewinnen.“ Alastair verschränkte die Arme und betrachtete den dichten Wald hinter dem Parkplatz. „Vielleicht wäre er das gewesen. Aber im Endeffekt ist sie doch nur ein Dämon und wird ihresgleichen nicht im Stich lassen. Es ist nicht anders als bei uns.“ Matt stand nun auf und stellte sich hinter Alastair, legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Wenn das so ist, warum töten wir sie dann überhaupt?“ „Weil sie nur Leid mit sich bringen, ob gewollt oder nicht. Das ist der Grund ihrer Existenz. Sie sind böse, weil sie es müssen – so wurden sie konzipiert. Sie sind das Chaos. Und niemand kann wissen, was geschieht, wenn Eden durch die Hand eines 'Gründers' aktiv wird. Deswegen müssen wir sie aufhalten, egal was es kostet.“ Er drehte sich mit steifer Mimik zu Matt um. „Wir haben schon für weniger getötet.“ „Yeah …“ Alastair schloss die Augen. „Aber vielleicht hast du recht und eine ungewöhnliche Vorgehensweise ist, was uns jetzt den Hals retten könnte …“ „Yeah … ich lass mir was einfallen.“   ~-~-~   Das Telefon klingelte. Anya lag mit verschränkten Armen hinter dem Kopf auf ihrem Bett und starrte das nervtötende Ding an, welches auf ihrer schwarzen Ledercouch lag und einfach nicht still sein wollte. Es klingelte immer noch. Warum zur Hölle explodierte das Ding nicht!? Hatte sie etwa nach jahrelangem Training immer noch nicht die hohe Kunst des Zerstörungsblicks erlernt!? Dabei hatte sie doch manchmal fast den Eindruck, als würden Laserpointer auf den Köpfen der Menschen erscheinen, die sie argwöhnisch ins Visier nahm. Warum gab es den Todesblick nur in Videospielen!?   „Curses“, fauchte Anya und sprang genervt auf. Sie schnappte sich das Telefon, wirbelte um die eigene Achse und war bereits dabei, es gegen die Wand zu werfen, als sie bemerkte, dass sie die Nummer nicht kannte. Welches lebensmüde Krümelhirn wagte es, -ihre- Nummer zu wählen!? Sie nahm schnaufend ab und murmelte mit düsterer, gleichwohl gelangweilter Stimme in den Hörer: „Örtliches Bestattungsunternehmen, Ihr Totengräber, wie soll Ihr Leben beendet werden?“ „Anya, bist du das?“ „Redfield!? W-w-was willst du denn von mir?“ Anya hatte ja mit dem pickeligen Adam oder irgendeiner anderen Nulpe aus einem ihrer Kurse gerechnet, aber ausgerechnet Valerie!? „Woher hast du überhaupt meine Nummer!?“ „Abby hat sie mir gegeben.“ Augenblicklich nahm Anya den Hörer vom Ohr und betrachtete ihn einen Moment lang irritiert. Das hatte Valerie eben nicht wirklich gesagt, oder? War Abby etwa zu einer Verräterin mutiert? Darauf würde ein Verhör im Anya-Stil folgen, soviel war sicher – aber erst musste diese dumme Pute abgewimmelt werden! Skeptisch legte sie das Telefon wieder an die Ohrmuschel. „Und was willst du nun?“ „Du hast“, fing sie zögerlich an, „Marc nicht zufällig gesehen in letzter Zeit, oder?“ „Nö. Warum?“, fragte Anya scharf. „Kommt er jetzt auch nicht mehr zu deiner privaten Bionachhilfe, Redfield!?“ Valerie seufzte. „Ach nur so. Ich mache mir Sorgen um ihn …“ „Schön für dich! Dann mach dir mal schön weiter Sorgen, aber nerv mich nicht damit! Ciao!“ Die Blondine hatte aufgelegt, bevor ihre Rivalin auch nur auf die Idee kommen konnte, dieses sinnlose Gespräch fortzusetzen. Und Anya schwor sich im Falle, dass Valerie jetzt noch einmal anrief, ein neues Telefon fällig werden würde, weil das alte der Last ihrer stampfenden Füße nicht standgehalten hatte.   Und da soll jemand sagen, dass dieser Dämonenjäger Alastair dich nur wegen meiner Wenigkeit für einen Dämonen gehalten hat …   Anya warf das Telefon aufs Sofa und legte demonstrativ die Hände auf die Ohren. Alles, nur das nicht! Nicht auch noch Levrier, der sie mit seinen Moralpredigten langweilen wollte. „Wie ich mit Redfield umgehe ist meine Sache, klar!?“   Und du denkst nicht, dass sich das irgendwann rächen wird?   „Wenn sich hier jemand rächt, dann sowieso nur ich! Wir haben schon Anfang Oktober und ich weiß immer noch nichts über Eden oder wie ich diesen Pakt aufheben kann!“   Du kannst den Pakt nicht einfach so rückgängig machen, Anya Bauer. Und selbst wenn es dir gelänge; ihn zu brechen würde für dich bedeuten, dass du einen schnellen Tod finden wirst. Schlimmer aber noch, du würdest in den Limbus eintreten.   Anya blinzelte verwirrt und ließ sich auf den Rand ihres Bettes nieder. „Limbus? Dieses Ding, das Harry Potter reitet?“ Was immer es auch war, Anya wollte es gar nicht wissen. Immer wenn Levrier etwas über -seine- Welt erzählte, bedeutete das nichts als Ärger. Der Limbus ist der Ort, der jeden Paktbrecher erwartet. Sollten wir scheitern und nicht Eden werden, würde das einem Verletzen unseres Vertrages gleichkommen. In beiden Fällen würdest du also dorthin gelangen. Ich will nicht zu viel darüber erzählen, denn es wäre nicht gut für uns beide, wenn du über ihn Bescheid wüsstest. Doch sei dir im Klaren darüber, dass der Limbus das schlimmste Schicksal ist, welches einer Seele zuteil werden kann.   „Oh klasse, und wieder eine Hiobsbotschaft! Ist das'n verdammtes Hobby von dir!?“   Man könnte sagen, der Beruf bringt das mit sich.   Ärgerlich sprang Anya auf und schritt herüber zu ihrem Schreibtisch am Fenster. Wenn das so weiterging, war in ihrem Kopf nicht mehr viel Platz, um unangenehme Erinnerungen und ungebetenes Wissen zu verdrängen. Die Leiche, ihr bevorstehendes Ende, die Niederlage gegen dieses Pennerkind Henry, Marcs düstere Seite und nun auch noch das. Andere würden bei so etwas in die Ecke gehen und heulen, doch Anya war froh, dass sie nicht so ein Weichei war. Ihr würde beizeiten etwas einfallen, ganz bestimmt. Und wenn nicht, wurde sie eben doch Eden. Schicksal.   Was hast du nun vor? „Keine Ahnung“, brummte das Mädchen missmutig und setzte sich an den Schreibtisch, „weiter recherchieren. Vielleicht findet diese Nina irgendetwas heraus. Außerdem ist Abby an das Necronomicon gelangt, von H.P Craftlove.“   Lovecraft. Und das Buch ist rein fiktional. Was sie da gefunden hat, ist nichts weiter als eine Fälschung.   „Abby meint, das Ding wurde von einem seiner Vertrauten oder so geschrieben und wäre sehr selten, weil es von den Nachkommen Lovedings wegen Leichenschändung, Copyright oder so verboten worden ist.“ Anya gluckste bei dem Gedanken an ein Buch in Lovecrafts Sarg, unwissend, dass sie ihre Freundin bei deren Erklärungen völlig falsch verstanden hatte. „Abby hat es wohl über gewisse Kontakte erhalten, aber sie hat nicht gesagt, wer ihr dabei geholfen hat. Ich glaube zwar auch nicht an den Scheiß, aber es ist besser als nichts. Leider dauert die Lieferung noch ein wenig.“   Ich weiß, ich war dabei, als sie dir das erzählt hat. Ich bin immer bei dir, jede Sekunde, selbst wenn du schläfst. Du kannst keine Geheimnisse vor mir haben, Anya Bauer. Merk dir das für die Zukunft.   Das Mädchen knirschte mit den Zähnen und holte zeitgleich ihre Deckbox vom Gürtel ihrer Jeanshose mit Trägern. Sollte der doch reden, ihr war das egal. Wenn in diesem Buch wirklich etwas Brauchbares stand, würde dieser Spanner sowieso bald nichts mehr zu lachen haben. „So, jetzt halt den Rand, ich muss mich konzentrieren!“ Anya nahm das Deck aus der Box hervor, legte es auf den Tisch und machte die oberste Schublade von rechts auf, in der nur eine kleine Blechkiste stand. Diese holte sie hervor und stellte sie ebenfalls auf den Schreibtisch. Es war die Collectors Tin von [Gem-Knight Ruby], die sie sich vor ein paar Monaten gekauft hatte, um ihre Sammlung zu vervollständigen. Zumindest fast. Dass diese aber nun durch [Gem-Knight Pearl] zusätzlich ergänzt wurde, hatte in Anya schon seit Tagen den Wunsch geweckt, ihr Deck ein wenig umzubauen. Also nahm sie den Deckel von der Box und verteilte ihre Kartensammlung über den ganzen Schreibtisch, indem sie die Kiste auf den Kopf stellte und ihren Inhalt einfach ausschüttete. „Dann fangen wir mal an“, meinte sie nun ein wenig besser gelaunt. Denn der Gedanke, ein Deck zu bauen, das Valerie Redfield spielend vernichten konnte, beflügelte sie ungemein.   Hätte ich Augen, würde ich sie schließen, nur um mir das nicht antun zu müssen. Ich möchte dir gerne meine Hilfe anbieten, Anya Bauer.   „Klappe, ich kann das selbst! Und jetzt nerv' nich' 'rum!“   ~-~-~   Ich weiß zwar nicht, wie du deinen Mitschülern derart viel Geld abnehmen konntest, um dir so viele Karten leisten zu können. Aber so wie das Deck momentan aussieht, passt es nicht einmal in die Duel Disk und verstößt gegen essentielle Grundregeln des Spiels.   Anya jedoch hörte gar nicht hin. Vor ihr stand ein Stapel aus mindestens hundert Karten, der fortan ihr Deck darstellen sollte. Es war bereits Abend und das letzte Rot am Himmel verlor den Kampf mit der Dunkelheit, wie man aus dem Fenster gegenüber des Schreibtisches sehen konnte. „Welche soll ich nehmen“, murmelte das Mädchen unsicher und hielt in jeder Hand eine Fallenkarte, „[Birthright] oder [Justi-Break]?“ Nimm zufällig fünfzig Karten aus deinem Deck und tu sie zurück in deine Sammelbox. Du triffst garantiert die richtigen.   Wütend legte Anya die Karten auf ihr Deck und schnaubte. Wie sollte sie sich denn konzentrieren, wenn Levrier zu allem einen bissigen Kommentar auf den nicht-existierenden Lippen hatte!? „JA, es ist vielleicht etwas umfangreicher als mein altes Deck! Dennoch ist es so perfekt, 'kay!?“ Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, ihr Deck umgestalten zu wollen. Auch wenn sie den ein oder anderen Schatz in ihrer Box gefunden hatte, den sie mit der Zeit völlig verdrängt hatte. Wie sollte sie die Feinabstimmungen treffen, wenn sie dauernd unterbrochen wurde!?   Du bist noch unfähiger als dieser Junge aus der Fernsehserie, die du fast täglich schaust. Der will sich auch nie helfen lassen.   „Und du bist genauso nervig wie seine gute Fee!“   Die wenigstens Ahnung von der Materie hat. Ich kann nicht glauben, dass du das optimale Gefäß bist, um Eden zu werden.   Anya ballte eine Faust und schlug so hart gegen den Tisch, dass ihr Kartenturm umkippte und auf den Rest ihrer Karten fiel. Ihre ganze Arbeit war damit umsonst gewesen. Ein Wutschrei ungekannter Lautstärke folgte auf dem Fuß. Fassungslos starrte sie ihr zerstörtes Werk an. „Toll! Wegen dir kann-“ Anya Bauer! Spürst du das?   „Oh ja! Wut, blanke Wut! Zerstörungswut, um genau zu sein! Geh sterben, Levrier, du bringst nur Unglück!“ Anya fing frustriert damit an, die einzelnen Karten wieder in die Hand zu nehmen.   Diese Schwingungen. Ein Pakt wird geformt!   „Oh der Glückliche!“, fauchte Anya, während sie beschäftigt war. „Vielleicht kriegt der wenigstens 'nen anständigen Dämon ab, der die Klappe hält, wenn er sie zu halten hat!“   Das verheißt nichts Gutes. Diese Energien dringen vom Stadtrand zu mir und das mit so gewaltiger Kraft, dass ein sehr mächtiges Wesen dahinterstecken muss. Wir sollten das untersuchen!   Anya warf die Karten zurück auf den Stapel und schnaufte. Dann drehte sie sich mit ihrem Stuhl um und starrte die Decke an, wie sie es immer tat, wenn sie glaubte, mit Levrier von Angesicht zu Angesicht zu reden. „Okay, Kumpel, jetzt hör mir mal verdammt gut zu! Du kannst mich noch so lange nerven, aber niemand, nie-mand, sagt einer Anya Bauer, was sie zu tun oder zu lassen hat! Ich werde garantiert nicht nachgucken gehen, was der örtliche Spinnerclub jetzt schon wieder angestellt hat! Außerdem hat es gerade angefangen zu regnen und ich werde einen Teufel tun, bei dem Wetter raus zu gehen!“   Das ist mir gleich. Dieses Wesen könnte über Wissen bezüglich Eden verfügen. Wenn die Chance besteht, dass wir mehr über unsere Bestimmung erfahren können, sollten wir sie nutzen!   „Nix da! Ich werde jetzt mein Deck bauen und dann pennen gehen!“ Anya drehte sich demonstrativ wieder um und wollte sich wieder den Karten widmen, als ihre Hand plötzlich mitten in der Luft erstarrte. Es war kein Gefühl mehr in ihr. „Wa-!?“   Du lässt mir keine andere Wahl, Anya Bauer. Dein Körper gehört auch mir, vergiss das nicht. Und nur, weil ich dich bisher immer habe gewähren lassen, heißt das nicht, dass du bestimmst, welchen Weg wir gehen!   Anya wurde schwindelig. Die verschiedenen Karten vor ihr auf dem Schreibtisch begannen zu tanzen und schienen ineinander zu verlaufen. „Du Mistkerl, was stellst du mit-“ Doch schon knallte ihr Kopf mitten auf den Schreibtisch, gebettet in ihre Sammlung. Nur, um wenige Sekunden später wieder hochzuschrecken. Plötzlich griff Anya zunächst zögerlich eine Karte, drehte sich zwischen ihren Fingern und betrachtete sie eingehend. Dann schnappte sie sich in wahnwitzigem Tempo eine nach der anderen aus ihrem Haufen und hatte so binnen weniger Minuten ein Deck gebaut, das sie ausdruckslos in ihre Deckbox steckte. Jene hing sie an ihren Gürtel, stand auf und schritt eilig aus dem Zimmer.   ~-~-~   „Du verdammter, elender Dreckskerl!“, schrie Anya aus vollen Lungen und versuchte sich, gegen die Ketten zu wehren, die ihre Arme und Beine fest umschlungen hatten. Doch es half nichts, sie war gefesselt. Gefesselt an das sich drehende Mosaik der Erde, gefangen in dieser unbekannten Welt der Dunkelheit. Sei mir lieber dankbar. Jetzt hast du dein bisher stärkstes Deck, ohne eigenen Aufwand – was ganz nach deinem Geschmack ist, wie ich vermute. Solange wir nicht geklärt haben, woher diese Energie kommt, werde ich die Führung übernehmen.   „Lass mich frei! Das ist mein Körper!“ Aber Anya wusste, dass es vergebens war. Sie konnte Levrier nicht sehen. Stattdessen sah sie durch ihn. Beziehungsweise durch ihren eigenen Körper, welcher gerade im strömenden Regen bei anbrechender Nacht durch den Park rannte. Rings um sie herum standen Bänke und Bäume, die Laternen spendeten ein wenig Licht. Für Anya stellte sich das Geschehen allerdings ungewohnterweise in Form einer Sphäre dar, die vor ihr in hellem Blau glühte und zeigte, was Levrier in Anyas Körper gerade beobachtete. Es war merkwürdig, denn tatsächlich hing Anya nun in der Luft, gekettet an das Mosaik, welches scheinbar seine Lage gewechselt hatte. Obwohl es sich drehte, bewegte das Mädchen sich nicht mit – trotzdem war ihr schwindlig, vor allem aufgrund des Abgrunds unter ihren Füßen. Wütend biss sie die Zähne zusammen. Eigentlich hatte sie erst mit 21 vorgehabt, gefesselt in einer Gummizelle zu liegen, hauptsächlich um nicht arbeiten gehen zu müssen. Dass Levrier ihr diese Erfahrung jetzt einfach vorweg nahm, war nicht nur tolldreist, sondern unverzeihlich! „Wenn ich-“   Wenn ich jemals wieder hier herauskomme, bist du so was von fällig? Denselben Satz wiederholst du nun schon zum achten Mal, gefolgt von „Lass mich frei!“. Wird dir das nicht langsam langweilig?   Levrier schüttelte genervt den Kopf, während er durch den Park rannte. Anya Bauers Flüche und Racheschwüre konnte er leider nicht ausblenden, denn der Pakt erlaubte ihm nur die Kontrolle über den Körper des Mädchens, nicht deren Geist. Aber zumindest bemerkte sie dadurch nicht, dass er in ihrem Leib ernsthafte Schwierigkeiten hatte. Wieder knickte er um. Eine feste Form zu haben war eine Erfahrung, die ihm bisher nur sehr selten zuteil geworden war. Laufen auf zwei Beinen war eine regelrechte Zumutung, wenn man andere Fortbewegungsarten gewohnt war.   Alter, lern' laufen! Wenn uns jemand sieht, denken die noch, ich hätte 'ne ganze Kneipe leer gesoffen!   Seufzend bewegte sich Levrier nun hinkend vorwärts, der schmerzende Knöchel erschien wie eine seltsame Illusion für ihn. Anya Bauer hatte es offensichtlich doch bemerkt. Zumindest hörte sie jetzt mit dem Geschrei auf, dachte Levrier erleichtert. „Mir ist egal, was andere über uns denken. Außerdem ist niemand in der Nähe, der uns sehen könnte. Am Ende des Parks wurde der Pakt geschlossen, das ist alles, was im Moment relevant ist.“   Hättest du nicht wenigstens 'ne Jacke überziehen können? Ich trage nur ein weißes T-Shirt, du Blödian!   Levrier blieb stehen, sah an sich herab und erkannte den Grund für Anya Bauers Unmut. „Du wirst es überleben. Sei froh, denn dieser Schriftzug 'Nirvana' verdeckt die heiklen Stellen hervorragend. Warum schämt ihr Menschen euch nur für euren Körper?“ Duuuuuu!   „Wie dem auch sei, ich habe keine Zeit für dein albernes Gezänk.“ Mit diesen Worten setzte sich Levrier wieder in Bewegung und wich den kleinen Pfützen aus, die sich durch den Regen langsam bildeten. Eine leichte Kurve führte ihn schließlich zum Nordtor des Parks, von welchem aus man auf die Straße blicken konnte. Ein Auto fuhr vorbei, doch von der Präsenz, die Levrier gespürt hatte, war nirgendwo mehr eine Spur – fast, als wäre sie nie hier gewesen. Er wandte dem Tor den Rücken zu und musterte die große Wiese zu seiner Rechten, dann den dichten Wald zu seiner Linken. Niemand war hier und hielt sich verborgen. Doch womöglich spielte Anya Bauers minderwertige Sehstärke ihm auch nur einen Streich. Ja, guck, guck nur! Da ist niemand, du Hohlkopf! Krieg' ich jetzt meinen Körper zurück? … Bitte?   „Nein.“ Es war befremdlich, nun im Körper von Anya Bauer zu stecken. Ihre Sinneseindrücke waren ganz anders als die von Levrier, während er körperlos war. Sie fror im Regen, was Levrier in seiner Suche stärker behinderte, als ihm lieb war. Zudem war durch den Schleier der Regentropfen die Sicht stark eingeschränkt. Levrier fragte sich, ob das fremde Wesen und sein Bündnispartner überhaupt noch hier waren. Ein Ort wie dieser war sehr ungewöhnlich für einen Pakt, denn auch wenn der Regen die Sicht blockierte, war die Gefahr groß, von anderen Menschen entdeckt zu werden. „Das ist eine Falle“, erkannte Levrier schließlich. Oh, ganz großes Kino! Und du bist natürlich direkt hineingelaufen, Schwachkopf! Wie wäre es, wenn ich jetzt wieder das Kommando übernehme, damit wir abhauen können!?   „Dafür ist es schon zu spät.“ Ohne sich umzudrehen, achtete Levrier auf die Geräusche hinter sich. Selbst das Unwetter konnte die Schritte nicht übertönen, die in den Pfützen hinter ihm widerhallten. Erstaunlicherweise konnte Levrier, obwohl zwischen ihm und der anderen Person gerade einmal knapp acht Meter lagen, keine nennenswerte Präsenz feststellen. Waren seine Kräfte so sehr geschrumpft, seit er den Pakt mit Anya Bauer eingegangen war? „Schön, dass du gekommen bist“, sagte eine feste, männliche Stimme, „auch wenn ich irgendwo schon gehofft hatte, dich nicht hier antreffen zu müssen, Anya.“   Das kann nicht sein! Wieso-!?   „Ich bin nicht Anya Bauer“, erwiderte Levrier kalt. Er kannte den Besitzer jener tiefen, dennoch sanften Stimme bereits. Trotzdem fühlte er sich unwohl, was vor allem an Anya Bauer lag, deren Emotionen zu ihm drangen. Sie waren wie immer stärkere Wellen, ein Symbol ihrer Aufregung. Marc!? Was macht er denn hier!? Sag nicht, dass er-   Levrier drehte sich nun um und stand dem Footballspieler und Anya Bauers Schwarm direkt gegenüber. Auch er war durchnässt, das schwarze Haar glänzte regelrecht und an seinem kleinen Kinnbart hatten sich Regentropfen eingenistet. Der junge Mann trug nur eine blau-weiß gestreifte Sportjacke, darunter ein T-Shirt und eine Jeans. Sein rechter Arm war immer noch bandagiert – und nun wusste Levrier auch, warum das so war. Am linken trug er eine Duel Disk. „Du bist einen Pakt eingegangen“, meinte er kühl und gefasst, was bei Anya Bauers sonst so schnarrender Stimme ziemlich ungewohnt klang. „Etwa nur, um mich hierher zu locken?“ In Marc Butchers Augen stand tiefes Bedauern. Er griff nach seinem Arm und wickelte langsam die Bandagen ab – nichts! Nur ein geschwollenes Handgelenk. Oh Gott sei Dank! Der hat mir echt einen Schrecken eingejagt! Was ist nur los mit dem!? Levrier, mir gefällt das nicht! Was will er von dir?   Es mutete für Levrier seltsam an, die sonst so ignorante Anya Bauer so aufgeregt zu erleben. Sorge war etwas, das dieses Mädchen nur selten durchscheinen ließ und in der Regel vor allen anderen verborgen hielt. Aber ihre Ängste waren begründet – dieser junge Mann war nicht zufällig hier. „Ich bin keinen Pakt eingegangen“, meinte Marc Butcher schließlich. „Noch nicht zumindest. Das wollte ich erst dann tun, wenn wir uns gegenüberstehen, Anya. Oder wer auch immer ihren Körper nun in Beschlag hält.“ „Man nennt mich Levrier.“ „Also bist du wirklich ein 'Gründer'?“ „Womöglich? Ist das die Bezeichnung für Wesen wie mich?“ Marc Butcher runzelte die Stirn. „Das wusstest du nicht?“ Doch er seufzte und überging Levriers Ahnungslosigkeit. „Wie dem auch sei, wir sind jetzt hier.“ „Was habe ich vorhin gespürt, wenn du noch gar keinen Pakt eingegangen bist?“ Was redet er da!? Gründer? Levrier, du musst ihn aufhalten! Marc darf keinen Pakt eingehen! Wie kommt er überhaupt dazu, woher weiß er so viel!? Bitte, tu was! Ich verstehe diesen ganzen Kackmist nicht!   „Nichts weiter als ein Signal, um euch hierher zu locken“, antwortete Marc Butcher tonlos, „das war Isfanels Idee. Der Dämon, mit dem ich den Pakt eingehen werde.“ Levrier verschränkte die Arme, eine Unart, die er sich anscheinend unbewusst von Anya Bauer abgeschaut hatte. Deren Emotionswellen waren mittlerweile so chaotisch, dass er aufpassen musste, nicht am Ende noch die Kontrolle zu verlieren. Das durften sie sich in ihrer momentanen Lage nicht erlauben. „Und wozu das Ganze? Bist du auch ein Dämonenjäger?“ „Nein. Ich bin ein normaler Mensch, der nur zufällig in diese Sache hineingeraten ist“, meinte sein Gegenüber bitter. „Ohne Isfanel wüsste ich gar nicht, was hier überhaupt abgeht. Und ich wünschte, ich könnte das alles vergessen. Aber da ich nun Bescheid weiß, kann ich euch nicht einfach ignorieren.“   Wovon spricht er da bloß? Will der uns etwa-   „Also bist du hier, um mich zu vernichten?“, stellte Levrier die Frage, die Anya Bauer nicht auszusprechen wagte. Marc Butcher nickte kaum merklich. Oh shit, sag, dass das ein Scherz ist! Warum Marc? Der will uns nur verarschen, oder? So wie neulich? Sag, dass es so ist, Levrier!   „Ich fürchte, dem ist nicht so“, meinte dieser zu Anya Bauer emotionslos. „Für einen einfachen Streich weiß er zu viel.“ Nun donnerte und blitzte es über Livington. Das Unwetter wurde stärker, der Regen heftiger. Es war ein Omen, das wusste Levrier. So geschah es immer, wenn gewaltige Kräfte zu wirken begannen. Damit stand unweigerlich fest, dass dieser Mann eine Gefahr darstellte. „Darf man den Grund für deinen Groll mir gegenüber erfahren?“, fragte er kühl. „Eden“, antwortete Marc Butcher knapp und strich sich über die verletzte Hand. „Ich muss verhindern, dass du den Menschen, der mir am Wichtigsten ist, ins Unglück stürzt.“   Nicht er auch noch! Bitte nicht!   „Du weißt mehr darüber?“ Plötzlich brüllte Marc Butcher Levrier außer sich vor Wut an. „Nicht annähernd genug und doch viel zu viel! Denkst du, ich lasse zu, wie du Valerie für deine Zwecke opferst!?“ Levrier verstand jedoch nicht. „Dieses Mädchen hat keine Verbindung zu mir.“ „Doch, hat sie! Sie trägt ein Mal und das reicht bereits, egal von wem es stammt!“ „Und in welchem Zusammenhang steht sie mit Eden?“ DAS würde ich auch gerne wissen! Wie kommt Marc auf die Idee, dass du diese dumme Pute gefährden könntest!? Oder- Willst du sie etwa wirklich-!? „Natürlich nicht.“ Ein kalter Wind strich über den Park und ließ das Gras unstet hin und her wippen. „Du willst wissen, was ich erfahren habe? Gut. Dann erzähle ich dir meine ganze Geschichte“, meinte Marc Butcher aufgewühlt, schloss die Augen und atmete tief durch. Er war blass und Levrier wusste genau, dass er sich seiner Sache nicht so sicher war, wie er behaupten mochte. Der Footballspieler öffnete die Lider wieder und begann zu erzählen.   „Es ist gerade einmal zwei Wochen her, da bekam ich eines Nachts Besuch. In meinem Traum. Es war Isfanel, der Dämon, der euch aufzuhalten gedenkt. Gleich von Anfang an wollte er, dass ich einen Pakt mit ihm eingehe. Um euch beide zu vernichten, denn dazu wäre ich nur mit ihm in der Lage.“ Levrier stockte. „Dann weißt du also tatsächlich Bescheid?“ „Klar doch, Isfanel hat mir vieles erzählt! Und wäre es nicht für Valerie, würde ich mich nie mit diesem Ding abgeben! Es ist nicht so, dass Isfanel mich aufgesucht hat, nur um Gutes zu tun! Eigentlich ist es reiner Eigennutz, was dir ja sehr bekannt sein dürfte! Wenn Eden erwacht, verschwindet Isfanel, so sagt er! Du kannst dir also denken, wie hartnäckig er um mich gekämpft hat, da ich als Wirt geeignet für ihn bin!“   Jedoch beschäftigten Levrier ganz andere Dinge als Marc Butchers Gründe für sein Tun. Er konnte dieses andere Wesen nicht einmal spüren, als wäre es gar nicht anwesend. Was hatte das zu bedeuten?   Der junge Mann schluckte. „Und vielleicht kannst du dir auch vorstellen, wie das für mich war. Ich dachte, ich wäre vollkommen durchgeknallt. Aber all die Dinge, die Isfanel mir erzählt hat, was in Victim's Sanctuary geschehen ist, in unserer Schule … Ich wollte es nicht glauben, bis zu dem Zeitpunkt, als Anya ihre Kräfte das erste Mal eingesetzt hat.“ Meint er etwa das Duell mit Nick!?   „Seitdem wusste ich, dass Isfanel die Wahrheit gesagt hatte.“ Levier zog eine Augenbraue hoch, ebenfalls eine Angewohnheit seines Gefäßes, die schwer zu bändigen war. „Welche Wahrheit?“ „Über euch beide! Denkt ihr, es ist mir leicht gefallen, Valerie von mich zu stoßen? Mich wie ein Arsch zu benehmen, nur damit sie Abstand von mir hält, um nicht noch weiter in diese Sache hineingezogen zu werden?“ Er breitete wütend die Arme aus. „Aber so wird es ihr wenigstens leichter fallen, mich zu vergessen! Für mich gibt es keinen Weg mehr zurück, so oder so!“   Der will uns wirklich umbringen! Ich-! Wieso-   Noch nie hatte Levrier Anya Bauer so verzweifelt erlebt. Gewiss empfand er Mitleid für sie, doch würde er diesen Mann nicht gewähren lassen. Egal ob er ein Freund seines Gefäßes war oder nicht, jeder, der sich als Bedrohung für ihn entpuppte, musste vernichtet werden. Und suchte dieser Marc Butcher nicht auch den Tod, wenn er ihm so aufrichtig begegnete? Denn das war unweigerlich, was ein Pakt mit diesem Isfanel bedeuten würde.   „Isfanel wollte den Pakt sofort schließen, nachdem ich mich entschieden hatte, euch zu töten“, sprach Marc Butcher nun leise, mit zitternder Stimme weiter. „Aber das wollte ich nicht. Bevor ich ihm gehöre, wollte ich zumindest noch einmal mit euch sprechen. … und mich entschuldigen.“ Ohne Vorwarnung warf er sich auf die Knie, direkt in eine Pfütze. „Vergebt mir! Bitte! Aber ich habe keine andere Wahl! Ich muss die anderen vor euch beschützen, auch wenn ihr nichts Böses beabsichtigt!“ „Ich verstehe nicht“, erwiderte Levrier steif, „du siehst Eden als etwas Gefährliches, gleichwohl nicht Böses an? Woher hast du, beziehungsweise Isfanel, dieses Wissen?“ Marc Butcher sah auf. „Darüber werden wir nicht sprechen! Ich will davon nichts mehr hören! Es tut mir Leid, dass ich euch mit dem falschen Pakt hierher gelockt habe, aber es muss hier geschehen! Damit Anya wenigstens an einem schönen Ort stirbt! Auch wenn das Wetter …“   I-ich soll sterben? Nein! D-das … das ist nicht Marc! Der würde so etwas nie tun!   Langsam erhob sich Marc Butcher wieder. Seine Jeans war nass und schmutzig vom Pfützenwasser und er sah trotz seiner kräftigen Statur so zerbrechlich aus, dass Levrier daran zweifelte, ob dieser Bursche wirklich den Willen mit sich brachte, sie beide zu töten. Aber er hatte einen Dämonen an seiner Seite, welcher garantiert dort eingreifen würde, wo sein Gefäß zu hadern begann. „Die Situation ist ernst“, meinte Levrier besorgt zu Anya Bauer, als er eine Verzerrung direkt unter sich zu spüren begann. Doch die Erkenntnis kam bereits zu spät. „Wir sind gefangen in einem Netz. Während er gesprochen hat, muss der Dämon irgendeinen Zauber gewirkt haben! Ich kann meine Beine nicht bewegen!“ Was!?   „Sorry, das war auch Teil des Plans“, entschuldigte Marc Butcher sich reumütig. Wie konnte das nur unbemerkt an ihm vorbeigegangen sein, fragte Levrier sich tadelnd. Es war, als würde er am Boden festkleben. Wer immer auf der Seite dieses Mannes stand, war sehr geschickt darin, im Verborgenen zu agieren. Marc Butcher aktivierte seine Duel Disk. „Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder wir kämpfen auf die übliche Weise und gefährden damit unschuldige Menschen, oder wie lösen unseren Konflikt über ein Duell. Die Wahl liegt bei euch.“   Das kann unmöglich sein Ernst sein! Wir können doch nicht gegen Marc kämpfen! Was, wenn er verletzt wird!?   Viel eher sorgte sich Levrier um ihr eigenes Wohlergehen. Die Macht dieses Isfanels war unmöglich einzuschätzen und geschwächt wie er war, konnte Levrier nicht das Risiko eingehen, einen 'traditionellen' Kampf zu beginnen, den er nicht gewinnen konnte. Ein Duell wäre aus seiner Position die bessere Lösung, denn nicht zuletzt war er an Ort und Stelle gefangen, dazu noch in einem kostbaren Gefäß, welches er nicht gefährden durfte. „Ich wähle das Duell“, entschied sich Levrier kurz und knapp. „Das dachte ich mir“, meinte Marc Butcher schuldbewusst. „Ist mir auch lieber so.“ Hör auf! Wir kämpfen nicht gegen Marc, verstanden!?   Doch Levrier ignorierte Anya Bauers immer heftiger werdende Proteste und aktivierte ihre Duel Disk. Mit dem Deck, welches er ihr gebaut hatte, würden die Chancen auf Erfolg steigen. Und er kannte bereits den Kampfstil seines Gegners, was ein zusätzlicher Vorteil war, auch wenn er auf Gegenseitigkeit beruhen mochte. „Ich werde jeden vernichten, der sich meiner Bestimmung in den Weg stellt!“, sprach Levrier erhaben und funkelte sein Gegenüber aus entschlossenen, blauen Augen an. „Bist du ein Feind Edens, bist du auch mein Feind. Erwarte keine Gnade.“ „Wie gesagt, für mich gibt es sowieso kein Zurück“, seufzte Marc Butcher schwer und strich sich über den verletzten Arm. „Es … tut mir Leid, wirklich …“ Plötzlich richtete er seinen Blick gen Himmel. „Ich bin bereit, Isfanel! Der Pakt … wird geschlossen.“   NEIN!   Eine grelle Lichtsäule schoss von dem jungen Mann in die Höhe, während er aus Leibeskräften zu schreien begann. Ohrenbetäubendes Getöse übertönte den fallenden Regen. Geblendet wandte sich Levrier ab, während er gleichzeitig einen Zauber spürte, welcher den Park fortan von fremden Blicken abschirmen sollte. Wieder ein Werk Isfanels, damit sie nicht gestört wurden – was auch nur gut so war. Wie ein Blitz schlängelte sich der Energiestrahl durch die Luft und verblasste schließlich. Der in rötliches Licht getauchte Park verdunkelte sich wieder in der anbrechenden Nacht, die Regentropfen plätscherten wieder deutlich vernehmbar. Wieso … hat er das getan?   Dort, wo die Lichtsäule war, stand jetzt wieder und völlig unversehrt Marc Butcher. Doch sein Ausdruck hatte sich verändert, denn dort lag kein Bedauern mehr, sondern nur eiserne Härte. Sein rechter Arm war wie durch Zauberhand genesen und nun mit einem roten Mal versehen. Es war ein Langschwert, um das sich eine Flamme wandte, hin bis zur Parierstange, mit der sie verschmolz und ein flügelähnliches Gebilde schuf.   „Schön, sich endlich von Angesicht zu Angesicht zu sehen“, sprach Marc Butcher tonlos. „Du bist Isfanel!“ Levrier stockte. Er spürte etwas Vertrautes an diesem Wesen, welches nun seine wahre Macht ausstrahlte. Sie war unbegreiflich, stark, der von Levrier sehr ähnlich. Und dennoch nicht fassbar, wie Wasser, das man nicht festhalten konnte, um es zu verstehen. Doch in Einem war sich Levrier sicher: Isfanel war deutlich mächtiger als er es selbst war. „Du bist mir … vertraut.“ Sein Gegenüber schüttelte den Kopf. „Ein Trugschluss. Wir sind uns bis zum heutigen Tage nie begegnet. Und doch weiß ich viel über dich, Levrier, der wohl bekannteste 'Gründer'. So wie es deine Bestimmung ist, Eden zu werden, ist es meine, dieses Unterfangen aufzuhalten. Meine Existenz hängt davon ab und auch die vieler weiterer Individuen. So wie ich von dir keine Gnade zu erwarten habe, hast du genauso wenig von mir mit Rücksicht zu rechnen.“ Levrier nickte. „Verstehe. Aber gewähre mir eine Frage. Was ist Eden?“ „Mein Untergang. Muss ich mehr wissen, als das?“ „Womöglich weißt du gar nicht mehr. Was, wenn du dich irrst?“ „Kann man sich in seiner Bestimmung irren?“, erwiderte Isfanel nun mit einem kühlen Lächeln auf Marc Butchers Lippen. „Deine Worte bedeuten mir nichts. Wisse, dass ich dafür sorgen werde, dass du abermals scheitern wirst. Hier und jetzt!“ Er streckte seinen Arm mit der Duel Disk vor. Levrier nickte daraufhin, denn jeder weitere Versuch, mehr über die Beweggründe seines Gegners zu erfahren, wäre vergeudete Liebesmüh. Und so riefen sie synchron: „Duell!“   [Anya: 4000LP / Marc: 4000LP]   Beide zogen ihr Startblatt von fünf Karten und standen sich im Regen gegenüber. Levrier empfand das ständig wachsende Unbehagen in ihm als äußerst unangenehm. Besonders, da es nicht nur von Anya Bauer herrührte, die sich mit allen Kräften gegen seine Kontrolle wehrte. Er kann doch nicht wirklich weg sein, oder? Marc ist doch noch in ihm, so wie ich in dir bin, oder? Brech' dieses beschissene Duell ab, ehe uns allen etwas passiert! Wenn du willst, kümmere ich mich um diesen Drecksack, aber nicht, solange er in Marc steckt! Antworte mir gefälligst, Levrier!   „Der Bursche ist tatsächlich noch in ihm, aber er hat die Kontrolle freiwillig aufgegeben. Es gibt nichts, was ich für ihn tun kann. Und unsere Lage gestattet es nicht, in Verhandlung zu treten. Isfanel hat alle Fäden in der Hand.“ Jener lachte daraufhin zufrieden. „Das ist richtig. Wäre es nicht der Wille meines Gefäßes, würde ich euch auf der Stelle vom Antlitz dieses Planeten tilgen. Doch so bin ich an -das- hier gebunden.“ Er hob den Arm mit seiner Duel Disk. „Warum also bringen wir es nicht endlich hinter uns? Ich beginne, Draw!“ Damit fügte er seiner Hand eine sechste Karte hinzu. „Ich spiele eine Karte verdeckt und beschwöre [Kayenn, The Master Magma Blacksmith] im Angriffsmodus.“ Vor seinen Füßen tauchte die gesetzte Karte auf. Weiter in der Mitte des Spielfelds erhob sich ein älterer Mann ganz aus Stein, mit nacktem Oberkörper, der einen Hammer aus purer, gehärteter Lava schulterte.   Kayenn, The Master Magma Blacksmith [ATK/1200 DEF/200 (3)]   „Damit ist mein Zug beendet“, verlautete Isfanel seelenruhig. Sofort zog Levrier die nächste Karte und studierte eingehend sein Blatt. Anya Bauers Schlüsselkarte war nicht darunter, was bedeutete, dass er eine andere Vorgehensweise einschlagen musste. Er griff sich ein Monster und legte es auf die Battle City-Duel Disk des Mädchens. „Ich rufe [Gem-Knight Obsidian]!“ Vor ihm erschien ein Ritter in pechschwarzer Rüstung, welcher als Waffe eine massive Perlenkette aus schwarzen Edelsteinen um seine Schulter hängen hatte.   Gem-Knight Obsidian [ATK/1500 DEF/1200 (3)]   Wie es Anya Bauer sonst tat, streckte Levrier den Arm aus, als er den Angriff befahl. „Attackiere sein Monster!“ Der schwarze Ritter nahm seine wuchtige Kette, schwang sie und wurde, als die ersten Perlen sich bereits von ihr zu lösen begannen, plötzlich von mehreren Stahlketten umschlungen, die aus dem Boden ragten. Auch seine Perlen wurden in der Luft gefangen und schwebten regungslos über der Erde. Eine Fallenkarte!   „Das sehe ich“, kommentierte Levrier Anya Bauers Aufschrei trocken. Isfanel hielt seinen Zeigefinger immer noch auf dem Knopf an Marc Butchers Duel Disk, welcher besagte Falle ausgelöst hatte. „Man nennt diese Karte [Fiendish Chain]. Sie annulliert die Effekte des betroffenen Monsters und hindert es am Angriff, solange sie aktiv ist.“ „Verstehe. Dann setze ich eine Karte verdeckt und beende meinen Zug.“ Unbeeindruckt schob Levrier seine eigene Falle in den dazugehörigen Schlitz der Duel Disk und ließ sie so vor sich erscheinen.   Können wir das nicht abbrechen!?   „Ich sagte bereits, dass das unmöglich ist.“ Plötzlich lachte Isfanel auf, doch es klang spöttisch und verachtend. „Wie ich sehe, ist dein Gefäß gesprächiger als meines. Marc Butcher hat kein Wort mehr verloren, seit er den Pakt eingegangen ist. Er weiß, dass er nie wieder zurückkehren wird.“ Stopf' diesem Mistkerl seine dreckige Visage! Niemand redet so über Marc! Er wird zurückkommen, dafür sorge ich schon! Wenn ich doch nur-!   Levrier seufzte. Anya Bauer war zu optimistisch. Sie hatte keine Ahnung, was ein Kampf zwischen zwei Wesen wie ihm und Isfanel wirklich bedeutete. Und er hatte auch nicht vor, sie darüber schon jetzt aufzuklären. „Mein Zug“, kündigte Isfanel schließlich an und zog. „Ich aktiviere [Spiritualism]! Damit gebe ich die gesetzte Karte zurück auf deine Hand, Levrier. Und dank der besonderen Eigenschaft von [Spiritualism] kannst du sie nicht als Gegenreaktion aktivieren.“ Aus der Zauberkarte schossen geisterhafte Gestalten, Skeletten nicht unähnlich und verschwanden in Levriers Fallenkarte, die sich daraufhin auflöste. Unzufrieden nahm deren Besitzer sie wieder aus der Duel Disk. Derweil zückte sein Gegner bereits die nächste Handkarte und spielte sie aus. „Beschwörung! [Card Trooper]!“ Hinter ihm kam ein kleiner Roboter hervor gerollt, welcher seine Kanonenarme auf den Feind seines Besitzers richtete. Aus seinem Kopf strahlte das Licht von zwei Scheinwerfern, die seine Augen darstellen sollten.   Card Trooper [ATK/400 DEF/400 (3)] Isfanel schwang den Arm aus. „Effekt des [Card Troopers] aktivieren. Einmal pro Zug kann ich bis zu drei Karten von meinem Deck auf den Friedhof abwerfen, um mein Monster auf diese Weise für jede von ihnen bis zur End Phase um 500 Angriffspunkte zu stärken.“ Er griff die obersten drei Karten seines Stapels und zeigte sie vor. Es waren zwei Monster und eine Fallenkarte, genannt [Laval Judgment Lord], [Laval Forest Sprite] und [Skill Successor].   Card Trooper [ATK/400 → 1900 DEF/400 (3)]   Oh, na ganz klasse! Lass lieber mich ran, sonst verlieren wir noch!   Wie es schien, hatte Anya Bauer sich vom Schock der Begegnung mit Marc Butcher halbwegs erholt und war wieder ganz die Alte. Dennoch würde Levrier ihrem Wunsch nicht nachkommen. Gerade wollte er etwas darauf erwidern, da streckte sein Gegner die Hand aus. „Erkenne meine Macht! Meine zwei Stufe 3-Monster werden zu einem Rang 3-Monster! Ich erschaffe das Overlay Network!“ Ein schwarzer Sternenwirbel tat sich mitten im Boden auf und verschluckte seine Monster, die zu je einem roten und einem braunen Energiestrahl wurden. Aus dem Loch entstieg eine menschenartige Gestalt. Gekleidet in einer dunklen Rüstung, brannten sowohl Kopf, Schultern und Hände dieses Wesens, während ein zerfetzter, roter Mantel das Bild abrundete. „Xyz-Summon! [Lavalval Ignis]!“, rief Isfanel erhaben.   Lavalval Ignis [ATK/1800 DEF/1400 {3}]   Um den Krieger kreisten zwei Energiesphären, sein Xyz-Material. Derweil wollte Levrier erschrocken zurückweichen, doch seine Füße verweigerten durch Isfanels Magie ihren Dienst. Nicht etwa um des Monsters Willen war er schockiert, sondern wegen dem im Regen kaum sichtbaren, roten Glimmen, welches von Marc Butchers Mal ausging. „Das ist“, begann er und hielt kurz inne. „Das ist das Symbol ihres Paktes!“   So wie [Gem-Knight Pearl] bei uns? Hmm, sieht scheiße aus, das Teil. Und besonders stark ist es auch nicht. Außerdem, das ist doch total der Ghost Rider-Abklatsch! Welcher Schwachmat-   „Beurteile deinen Gegner nicht nach dem Aussehen“, mahnte Levrier sie scharf, „ich bin mir sicher, dass diese Karte einen gefährlichen Effekt besitzt.“ Isfanel lächelte heimtückisch. „Gewiss. Warum findest du es nicht heraus?“ Er zeigte mit dem Finger auf Levriers Gem-Knight. „Vernichte!“ Ignis legte die Hände aufeinander und erschuf so einen gewaltigen Feuerball. Plötzlich bellte Isfanel herrisch: „Xyz-Material abhängen! Wenn meine Kreatur es absorbiert, erhöht sich seine Angriffskraft zeitweilig um 500!“ Er nahm [Kayenn, The Master Magma Blacksmith] unter seiner Xyz-Monsterkarte hervor und schickte diesen auf den Friedhof. Zeitgleich wurde eine der Sphären um Ignis in die Flamme gezogen, wodurch jene weiter anwuchs.   Lavalval Ignis [ATK/1800 → 2300 DEF/1400 {3}]   „Attacke!“   Oh, shit!   Levrier hielt schützend den Arm vor sein geborgtes Gesicht, als Ignis die Flamme auf [Gem-Knight Obisidian] abschoss, welcher, gefesselt wie er war, nicht ausweichen konnte. Es gab eine Explosion und Levrier spürte, wie Funken seine Haut verbrannten. Es schmerzte fürchterlich, was für ihn eine längst vergessene Erfahrung war. Ein Stöhnen unter der gewaltigen Hitze konnte er nicht unterdrücken.   [Anya: 4000LP → 3200LP / Marc: 4000LP]   Lavalval Ignis [ATK/2300 → 1800 DEF/1400 {3}]   Stoßweise atmete Levrier ein und aus. Solange Anya Bauers Geist im Elysion gefangen war, konnte sie nicht spüren, was mit ihrem Körper geschah. Ihr war der Großteil der Attacke entgangen, da er dabei die Augen geschlossen gehalten hatte. Hoffentlich würde es noch eine Weile dauern, ehe sie dahinter kam, dass dieses Duell echte Verletzungen zufügte. Isfanel zeigte eine Karte mit dem Rücken zu seinem Gegner gerichtet vor. „Diese setze ich verdeckt. Damit ist mein Zug beendet!“ Schon materialisierte sich die Karte vor ihm.   Mit einer schnellen Handbewegung zog Levrier und musterte dann erneut sein Blatt. Die Optionen waren begrenzt, aber er wusste, dass er schnellstens zum Gegenschlag ausholen musste. „Ich aktiviere den Zauber [Monster Reborn] und reanimiere [Gem-Knight Obsidian] von meinem Friedhof. Dazu kommt als Normalbeschwörung noch [Gem-Knight Tourmaline]!“ Vor ihm tauchten der schwarze Ritter und ein weiterer Krieger in goldener Rüstung auf, welcher zwischen seinen Handflächen einen Blitz erschuf.   Gem-Knight Obisidan [ATK/1500 DEF/1200 (3)] Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)]   Hey!? Warum hast du nicht sein Judgmentdingens-Monster wiederbelebt!? Das ist doch viel stärker als Obsidian!   „Unterbreche mich nicht und lerne lieber“, erwiderte Levrier darauf nur kühl und schob eine weitere Zauberkarte in den dazugehörigen Schlitz seiner Duel Disk. „[Particle Fusion]! Indem ich Gem-Knights vom Spielfeld verschmelze, erschaffe ich ein neues Monster! Erscheine, [Gem-Knight Topaz]!“   Du hättest wenigstens meinen coolen Beschwörungsspruch aufsagen können! Weißt du, wie lange ich gebraucht habe, um mir den auszudenken?   Levriers Monster wurden in einen Wirbel aus Edelsteinen gezogen und verschmolzen zu einem neuen Krieger, der kurz darauf vor seinem Herren landete. Auch er trug eine goldgelbe Rüstung, dazu noch einen blauen Umhang und zwei Schwerter mit Blitzklingen in den Händen. „Diese Sprüche sind albern“, kommentierte Levrier Anya Bauers Einwurf trocken.   Gem-Knight Topaz [ATK/1800 DEF/1800 (6)]   Derweil hatte Isfanel abwartend die Arme voreinander verschränkt und warte mit regelrecht lauernden Augen auf das weitere Vorgehen seines Gegners, ohne ihn jedoch darin zu unterbrechen. Jener hielt seine Fusionszauberkarte zwischen den Fingern. „Nun wirkt der zweite Effekt von [Particle Fusion]. Indem ich sie nun von meinem Friedhof verbanne, erhält [Gem-Knight Topaz] für diesen Zug die Angriffskraft von [Gem-Knight Obsidian].“ Levrier nahm [Particle Fusion] aus seinem Friedhofsschacht und steckte diese in die Hosentasche seiner Jeans.   Gem-Knight Topaz [ATK/1800 → 3300 DEF/1800 (6)]   Krass! Du bist ja genauso gut wie ich! Geh ja behutsam mit Marc um, 'kay!? Wenn du ihm auch nur ein Haar krümmst, dann-   Levrier ignorierte die Gebärden Anya Bauers, obschon ihm langsam die Geduld dafür ausging. Stattdessen zeigte er jetzt entschlossen auf Isfanels Monster. Dieser Kampf würde gleich vorbei sein. „[Gem-Knight Topaz], erster Angriff!“ Wütend stürmte der Krieger auf seinen flammenden Gegner zu und hob eine seiner Klingen, um gnadenlos zuzuschlagen. Und als die Klinge niedersauste, zersplitterte Glas – er hatte dort, wo eben noch [Lavalval Ignis] gestanden hatte, stattdessen sein eigenes Spiegelbild zerstört. Es gab eine heftige Explosion, Glassplitter flogen in Levriers Richtung und fügten ihm Schnittwunden auf der Wange und dem erhobenen Oberarm zu.   [Anya: 3200LP → 3050LP / Marc: 4000LP]   „Was ist geschehen?“, fragte Levrier aufgebracht. Sein Krieger war fort, während neben Isfanel nun eine Fallenkarte aufgesprungen war. „Du bist der [Mirror Wall] zum Opfer gefallen. Diese mächtige Karte halbiert die Angriffskraft jedes Monsters, das so dumm ist, mich anzugreifen. Und 1650 Punkte sind wirklich nicht sehr viel, nicht wahr?“ Ein gehässiges Lächeln umspielte Marc Butchers Lippen. „Sieht so aus, als wärst du mir vollkommen unterlegen, werter Levrier. Wie ich sagte, du hast keine Gnade zu erwarten.“ Wieder bediente sich Isfanels Gegner einer der Angewohnheiten seines Gefäßes und schnaubte hochmütig. „Noch ist nichts entschieden. Ich setze diese Karte verdeckt.“ Mit einem Zischen erschien sie vor seinen Füßen und war somit die einzige Karte auf Levriers Spielfeldseite. „Ich beende damit meinen Zug.“   „Denkst du das wirklich?“, fragte Isfanel nicht weniger selbstbewusst und zog nebenbei die nächste Karte. „Sicher, niemand kann vorhersehen, was geschehen wird. Aber es gibt Kräfte, die intervenieren können.“ Während er das sagte, zersprang seine Fallenkarte, da ihr Besitzer nicht die erforderlichen 2000 Lebenspunkte zahlte, um ihren Effekt aufrecht zu erhalten. „Möchtest du sie sehen? Diese Kräfte, von denen ich rede?“ Levrier zuckte zusammen, als sein Gegner plötzlich seinen rechten Arm ausstrecke. Das flammende Schwert darauf begann nun so stark zu leuchten, dass Marc Butchers ganzer Körper von einer roten Aura umgeben war. Gleichzeitig spürte Levrier eine Macht, die er so noch nie zuvor erlebt hatte. Es war, als würden sich seine Eingeweide zusammenziehen. Die Erde begann zu erzittern, während der Regen mitten in der Luft plötzlich zum Stehen kam.   Was ist das!? Mir ist kotzübel!   „Selbst du fühlst es!?“, fragte Levrier erschrocken und weitete seine Augen, als sich die Flammen an [Lavalval Ignis'] Extremitäten plötzlich blau verfärbten. „Werde Zeuge meiner Macht, Levrier“, schrie Isfanel nun größenwahnsinnig. Sein Xyz-Monster wurde plötzlich zurück in den schwarzen Wirbel gezogen, aus dem er ursprünglich entstanden war. Allein, dass dieser sich plötzlich aufgetan hatte, verhieß nichts Gutes – das wusste Levrier. Was immer ihm auch begegnen würde, es war ebenfalls eine Kreatur, die nur durch einen Pakt hatte entstehen können. „Incarnation Mode!“, brüllte Isfanel aus voller Kehle, während rote Blitze aus dem Wirbel um sich schlugen. „Ich rekonstruiere das Overlay Network! Aus meinem Rang 3-Monster und seinem Xyz-Material wird ein neues Rang 3-Monster! Erscheine, [Lavalval Master – Ignis Aither]!“ Oh verdammte Mistkacke, das riecht förmlich nach Ärger!   Das Erste, was aus dem schwarzen Loch auftauchte, waren zwei blaue Flammen, die sich wie Schwingen spreizten. Und es waren tatsächlich Flügel, als kurz darauf der Rest des Wesens aus dem Wirbel in die Höhe flog. Es trug noch dieselbe Rüstung wie [Lavalval Ignis], doch die Flammen an seinen Händen waren nun ebenso blau, wie seine Schwingen. Erstaunlich war, dass sein brennender Kopf nun fehlte, welcher komplett durch eine blauviolette Stichflamme ersetzt wurde. In seinen Händen trug das Wesen eine Sense aus purem, glühendem Magma, das auf den Boden hinab tropfte und jenen versengte. Um es herum kreisten zwei goldene Sphären, die viel größer waren als normale, transformierte Xyz-Materialien.   Lavalval Master – Ignis Aither [ATK/1800 DEF/1400 {3}]   Huh!? Das soll alles sein!? Das ist ja genauso'n Müll wie sein altes Monster! Pah, da ist ja mein beknackter [Gem-Knight Pearl] noch stärker!   Doch Levrier wusste es besser. Die Kraft, die dieses Wesen ausstrahlte, sie war ungeheuerlich. Wie hatte Isfanel es geschafft, allein Kraft seines Paktes mit Marc Butcher so eine Karte zum Leben zu erwecken!? „Du siehst so erstaunt aus. Liegt das daran, dass du nicht imstande bist, so etwas zu schaffen?“, fragte sein Gegner spöttisch und deutete auf sein neues Monster. „Wenn die unseren einen Pakt abschließen, verleihen sie ihrem Gefäß die nötige Stärke, um jeder Gefahr zu trotzen, bis das Ziel erreicht ist. Ein Jammer, dass ich das Symbol eures Vertrages wohl nicht mehr zu Gesicht bekommen werde. Andererseits ist wohl nicht damit zu rechnen, dass es stärker ist als meine Kreatur. Effekt von Ignis Aither aktivieren! Indem ich genau eines seiner Xyz-Materialien abhänge, erhält mein Monster bis zu meiner End Phase für jede Karte auf meinem Friedhof 100 zusätzliche Angriffspunkte! Los, Surge Of Demise!“ Majestätisch spreizte der finstere Flammenengel seine blau lodernden Schwingen gen Himmel, sodass sich ihre Spitzen berührten. Dort wurde eine der beiden goldenen Sphären absorbiert, was dazu führte, dass nun auch besagte Flügel jene Farbe annahmen.   Lavalval Master – Ignis Aither [ATK/1800 → 2600 DEF/1400 {3}]   „Aber das ist noch nicht alles“, sprach Isfanel verheißungsvoll, während die schwebenden Regentropfen um ihn herum verdampften. Plötzlich schoss aus seinem Friedhof eine Karte, die er in die Hand nahm. „Dies ist die Fallenkarte [Skill Successor]! Wenn ich sie vom Friedhof aus dem Spiel entferne, erhält mein Monster einen Zug lang weitere 800 Angriffspunkte!“ Nun erglühte, wie schon um Marc Butchers Körper, auch um dessen Monster eine rötliche Aura.   Lavalval Master – Ignis Aither [ATK/2600 → 3400 DEF/1400 {3}]   Oh shit! Unternimm was, du Idiot! Wenn der durchkommt, haben wir verloren! Ich habe ehrlich gesagt keine Lust, durch das Psychovieh dieses Dreckskerls zu krepieren!   Levrier biss sich auf die Lippe. Damit hatte er nicht gerechnet. Gleichzeitig schwang Isfanel mit einer regelrecht verrückten Lache den Arm aus. „Stirb, du ach so berühmt-berüchtigter 'Gründer'! Nie wieder soll deine Existenz andere ins Unglück stürzen! [Lavalval Master – Ignis Aither], Attacke! Primordial Flame Of Destruction!“ Sein Monster stieg in die Höhe und erzeugte mit den goldenen Schwingen eine flammende Welle, die direkt auf Levrier zusteuerte.   Tu gefälligst was!   „Verdeckte Falle: [Negate Attack]!“ Der goldene Flammenwind knallte direkt auf Levriers Fallenkarte, die sich schützend vor seinen Besitzer bewegte. Dennoch entstand eine heftige Druckwelle, die zudem den ganzen Park in gleißendes Licht tauchte. Überall von der unsichtbaren Barriere prallten Flammen ab und versengten die umstehenden Bäume, Bänke, das Gras, einfach alles, mit dem sie in Kontakt traten, auf der Stelle. Es blieb nichts, außer einem Häufchen Asche. Levrier schrie aufgrund der enormen Hitze des Angriffs, obwohl seine Falle ihn abgefangen hatte. Die Kraft jener Attacke war so stark, dass sie das magische Netz um seine Beine binnen Sekundenbruchteilen zerstörte. Es gab einen grellen Blitz und das Inferno war endlich überstanden. Dampfend ging Levrier in die Knie und stöhnte. „Siehst du es nun? Das ist die Macht des Incarnation Modes!“, tönte Isfanel hoheitlich und sah erbarmungslos auf seinen Gegner herab. „Du kannst nicht gegen mich bestehen, Narr. Dein Schicksal wurde aufgeschoben, aber nicht verändert.“ Du musst das abbrechen! Wir werden krepieren, wenn das so weitergeht! Außerdem ist es auch für Marc viel zu gefährlich!   „Unmöglich! Dieses Duell kann nicht mehr abgebrochen werden!“, schrie Levrier nun aufgebracht und erhob sich ruckartig. „Es wird erst enden, wenn einer von uns stirbt! Das sind die Regeln eines Kampfes zwischen den unseren! Das Duell muss mit dem Tod eines seiner Bestreiter enden, andernfalls sind wir alle verloren! Blutzoll nennt man das!“   W-was!? Du spinnst wohl! Das kann- „Du hörst richtig! Deinen Freund kannst du nicht mehr retten!“ Nun hatte er es ausgesprochen. Und Anya Bauer wusste nun, dass es zu spät war, um noch einzugreifen. Ihr Wille würde seine Wege nun nicht mehr behindern können, dachte Levrier grimmig.     Turn 14 – Sacrifices Trotz Anyas Flehen und Bitten setzt Levrier das Duell mit dem Dämon in Marc, welcher auf den Namen Isfanel hört, fort. Der Körper des Verlierers wird als Folge des Schlagabtausches zerstört werden, sodass Anya krampfhaft nach einer Möglichkeit sucht, das Duell abzubrechen. Doch es scheint unmöglich, was bedeutet, dass sie entweder sterben oder Marc aufgeben muss … Kapitel 14: Turn 14 - Sacrifices -------------------------------- Turn 14 – Sacrifices     Was sagst du!? Du musst dich irren! Wir brauchen das Duell doch bloß abzubrechen-   „Unmöglich“, erwiderte Levrier hinsichtlich Anya Bauers Einwurf und wandte dabei seinen Blick nicht von Isfanels Monster [Lavalval Master – Ignis Aither] ab. Dieses schwebte über seinem Meister und spannte die goldenen Feuerschwingen, welche langsam wieder ihre alte Farbe Blau annahmen.   Lavalval Master – Ignis Aither [ATK/3400 DEF/1400 {3}]   Wieso nicht!? Wir können doch Marc nicht durch dieses durchgeknallte Duell umbringen! Hat dir jemand ins Gehirn geschissen, oder warum laberst du so 'nen Kackmist!?   Levrier biss die Zähne zusammen. Er hatte zwar die Attacke seines Gegners abwehren können, aber dennoch Schaden davon getragen. Ein Blick auf Anya Bauers Arm verriet ihm jedoch, dass die Brandblasen bereits abheilten. Die Rötungen verflogen langsam, aber stetig. Trotzdem war er nicht gewillt, sich einer echten Attacke dieses Wesens auszusetzen. Schon gar nicht, da er im Rückstand lag und ein leeres Feld vorzuweisen hatte.   [Anya: 3050LP / Marc: 4000LP]   „Wie ich bereits sagte“, wandte sich Levrier tonlos an Anya Bauer, „es gibt keinen Weg mehr, dieses Duell abzubrechen. Erst wenn der Blutzoll gezahlt wird, sind wir frei. Was bedeutet, dass eines der anwesenden Gefäße zerstört werden muss. Das ist die Art, wie -wir- Kämpfe austragen.“   Red' keinen Unsinn! Es muss doch einen Weg geben!   „Es gibt keinen!“, donnerte Levrier nun aufgebracht. „Würde das Duell vorzeitig abgebrochen werden, hieße das den Tod für beide von euch! Und auch wir würden Schäden davontragen!“ Isfanel, welcher sich Marc Butchers Körper bediente, lachte nun amüsiert auf. „Sieht ganz danach aus, als würde dein Gefäß unseren Kampf nicht gutheißen. Hast du es bisher vermieden, sie über die Konsequenzen eines Duells zwischen den unseren aufzuklären? Damit sie nicht interveniert?“ Levrier schwieg dazu nur.   Er wusste, dass seine Vorgehensweise falsch war, aber er hätte auch nicht damit gerechnet, eines Tages ausgerechnet Anya Bauers größter Begierde als Feind gegenüber zu stehen. Natürlich war ihm seither bewusst gewesen, dass manche Wesenheiten versuchen würden, ihn von seiner Bestimmung abzuhalten, denn das ist schon in der Vergangenheit vorgekommen. Doch sich eines Freundes seines Gefäßes zu bemächtigen war eine neue Erfahrung und dazu noch ein kluger Schachzug. Im Elysion herrschte ein regelrechter Sturm von Anya Bauers Gefühlen. Levrier hatte alle Mühe, diese nicht bis zu sich durchdringen zu lassen, denn das würde bedeuten, dass seine Kontrolle über ihren Leib schwinden würde. Dazu waren die Wellen einfach zu mächtig.   „Tja, so muss man wohl als ein 'Gründer' handeln, oder?“, fragte Isfanel selbstgefällig und sah hinauf zu einem beflügelten Flammenkrieger. „Man könnte fast Mitleid mit dir haben. Aber wie ich dir bereits sagte, meine Existenz steht auf dem Spiel. Ich kann dich nicht verschonen. Zug beendet.“   Lavalval Master – Ignis Aither [ATK/3400 → 1800 DEF/1400 {3}]   Die verstärkenden Effekte haben nachgelassen, dachte Levrier erleichtert und zog wortlos eine dritte Handkarte auf, womit sein Blatt nun genauso groß war wie das seines Gegners. Als er die gezogene Karte betrachtete, hielt er erstaunt inne. Es war der Zauber [Gem-Knight Fusion], Anya Bauers Schlüsselkarte. Doch wie die Dinge im Moment standen, war sie vollkommen unbrauchbar.   Und was ist mit einem Unentschieden!? Ich meine, wenn keiner gewinnt, muss doch auch keiner sterben, oder!?   Levrier atmete tief durch. Auch das war ungewohnt für ihn, atmen zu müssen. So ein Gefäß brachte mehr Nachteile mit sich, als ihm lieb war. Und doch war es unerlässlich für Eden. Manche Konzepte erschlossen sich selbst ihm nicht, dachte er verwunderte. Wenn er doch nur wüsste, warum er zu Eden werden musste und was Eden überhaupt war. Das würde die Dinge um so vieles leichter machen. Denn er hatte das Gefühl, noch etwas Wichtiges erledigen zu müssen, bevor der 11. November anbrach. Doch was war das?   Antworte, du Dreckskerl!   „Unmöglich. Ich sagte dir bereits, dass das Duell einen Sieger hervorbringen muss, oder beide Parteien werden den Blutzoll zahlen müssen.“   Du linke Bazille! Du redest so, als würde dich das gar nicht interessieren! Marc wird sterben, wenn wir nichts dagegen tun! Und du!? Du machst da auch noch freiwillig mit, du dreckiger Bast-!   „Sollten wir uns nicht eher um unser eigenes Wohlergehen sorgen?“, erwiderte Levrier darauf tonlos. Man brauchte nur ihre nähere Umgebung zu betrachten, um zu wissen, in welcher Gefahr sie schwebten. Obwohl er [Lavalval Master – Ignis Aithers] Angriff aufgehalten hatte, war ihr näheres Umfeld nichts weiter als Schutt und Asche. Bäume brannten, Gras war versengt, die Bänke am Rande des Steinweges, auf dem sie sich duellierten, waren nun nichts weiter als ein Häufchen Asche. Dort, wo die Flammen jenes Monsters nicht gewütet hatten, schwebten Regentropfen in der von Magie erfüllten Luft – schon das war ein Beweis, wie mächtig Isfanel sein musste. Was würde mit ihnen geschehen, wenn so ein Angriff nicht mehr gestoppt werden konnte? „Warum verteidigst du Marc Butcher, obwohl er gewillt ist, dich zu töten? Bist du dir dem Ernst unserer Lage nicht bewusst?“ Für Levrier war es unbegreiflich. „Er hat deine Gefühle nie erwidert. Jetzt an ihm zu klammern würde nur bedeuten, Fehler zu machen. Er ist unser Feind!“ Du hast doch keine Ahnung von so was, du verkorkste Hohlbirne! Lass mich gefälligst hier raus, damit ich den Schaden, den du sowieso schon angerichtet hast, wenigstens noch eindämmen kann! Marc tut das wegen dir, nicht mir! Warum verpisst du dich nicht einfach!? Dann ginge es allen besser!   „Unmöglich. Ich bin durch unseren Pakt in dir verankert, bis wir entweder zu Eden werden, oder du auf die eine oder andere Weise den Tod findest.“ Levrier hatte genug von Anya Bauers Streitsucht. Er entschied sich, ihre Worte bis zum Ende des Duells zu ignorieren, andernfalls verloren sie noch durch ihren Dickschädel. Er nahm eine Karte aus seinem Blatt. „Da ich jetzt am Zug bin, beschwöre ich [Gem-Knight Alexandrite]! Doch nutze ich den Effekt meiner Kreatur, um sie zu opfern und an ihre Stelle ein neues, allerdings effektloses Gem-Knight-Monster zu beschwören. Erscheine, [Gem-Knight Crystal]!“ Vor ihm tauchte ein Ritter in silberner Rüstung auf, die an Armen, Brust und Beinen mit den verschiedensten Edelsteinen geschmückt war.   Gem-Knight Alexandrite [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   Levriers Krieger löste sich jedoch kurz darauf wieder in gleißendem Licht auf. An seiner Stelle stand plötzlich ein noch größerer Ritter in weißer Rüstung, der stolz die Hände in die Hüften stemmte. Aus seinen Schulterplatten wuchsen große, durchsichtige Kristalle.   Gem-Knight Crystal [ATK/2450 DEF/1950 (7)]   „Nun besitze ich ein stärkeres Monster“, rief Levrier und versuchte mit aller Kraft, Anya Bauers wütende Drohgebärden und Flüche auszublenden. Zum Glück war Marc Butcher, abgesehen von seinem Monster, völlig ungeschützt. Levrier streckte den Arm aus. „[Gem-Knight Crystal], vernichte [Lavalval Master – Ignis Aither]! Clear Punishment!“ Jetzt hatte er tatsächlich diesen lächerlichen Attackennamen benutzt, den Anya Bauer immer verwendete. Dieses Mädchen hatte wirklich einen schlechten Einfluss auf ihn, dachte er dabei ärgerlich. Sein Ritter schlug mit der Faust auf den Boden und ließ die verrußten Steinplatten unter ihnen erzittern. Einige von ihnen sprangen entzwei, als sich rasend schnell eine Schneise zwischen ihnen bildete, aus der spitze Kristalldornen wucherten. Die Erdspalte schoss direkt auf Marc Butcher zu, und als sie unter seinem schwarzen Feuerengel angekommen war, schnellten die Dornen empor und spießten jenen auf. Andere Spitzen hatten hingegen dessen Besitzer ins Visier genommen und trafen jenen an der Schulter und schrammten über seine Wange. Es folgte eine Explosion.   [Anya: 3050LP / Marc: 4000LP → 3350LP]   Sei gefälligst vorsichtig mit ihm! Er kann nichts für euren beschissenen Kleinkrieg!   Doch Levrier hörte gar nicht hin. Der Rauch verzog sich und offenbarte, dass [Lavalval Master – Ignis Aither] den Angriff völlig unbeschadet überstanden hatte. Als würde jenes Wesen sie verhöhnen wollen, schulterte es abwartend seine Magmasense. Und hätte die violette Stichflamme, sein Kopf, ein Gesicht, würde es jetzt gewiss zufrieden grinsen. Auch Marc Butcher war nur leicht verletzt. Seine blau-weiße Sportjacke war an einer Stelle aufgerissen und entblößte eine blutige Schulter, während sein Gesicht nun von einer großen Schramme an der Wange entstellt wurde. Verletzungen, die nicht lange brauchen würden, um zu verheilen. „Ich habe versagt“, zischte Levrier enttäuscht, angesichts des immer noch quicklebendigen Xyz-Monsters, um welches eine goldene Sphäre kreiste. Isfanel lachte herablassend. „Selbstverständlich, aber wen überrascht das schon? Du bist nicht in der Lage, eine solche Kreatur zu erschaffen, woher solltest du also wissen, dass Incarnation-Monster nur durch Xyz-Monster besiegt werden können? Vielleicht hast du ja beim nächsten Versuch mehr Erfolg?“ Schweiß lief von Levriers Stirn. Also musste er tatsächlich [Gem-Knight Pearl] beschwören, wenn er diese Kreatur besiegen wollte. Was angesichts seiner beiden verbliebenen Handkarten eine Weile dauern würde. Zeit, die sie vermutlich nicht hatten. Unzufrieden presste er hervor: „Ich beende meinen Zug.“   Isfanel zog und legte ein wissendes Lächeln auf. Plötzlich stiegen aus seiner Duel Disk zwei goldene Sphären und kreisten zusammen mit der dritten um [Lavalval Master – Ignis Aither]. „Was ist das?“, fragte Levrier erstaunt. „Ein Effekt meines Monsters, welcher sich während meiner Standby Phase aktiviert“, erklärte sein Gegner mit einem vielsagenden, bedrohlichen Unterton. „Immer dann wird das Xyz-Material von Ignis Aither wieder auf drei aufgestockt. Dabei bediene ich mich des Friedhofs.“ Als wollte er das unterstreichen, zeigte er [Kayenn, The Master Magma Blacksmith] und [Lavalval Ignis] vor und legte sie wieder unter die schwarze Karte auf seiner Duel Disk.   Na super! Dieses Teil besitzt regenerative – Man ist das ein dämliches Wort! – Kräfte! Was totaler Schwachsinn ist, da genau das nicht bei Xyz-Monstern der Fall sein sollte! Wer denkt sich sowas überhaupt aus!? Vielleicht ist dieses Mistvieh doch stärker, als es tatsächlich aussieht!   Am liebsten hätte Levrier Anya Bauer für ihre Erkenntnis gelobt, doch die Situation war ohnehin schon gefährlich genug und sie zu reizen würde alles nur schwerer machen. Nicht zuletzt hatte er auch gar keine Zeit dafür, denn plötzlich streckte Isfanel in Marc Butchers Körper den Arm aus. Mit der Hand machte er dabei eine Bewegung, als wolle er etwas mit aller Gewalt zerquetschen. „Du hast keine Ahnung, zu was der Incarnation-Mode wirklich imstande ist, oder? Lassen wir dich also nicht länger im Dunkeln tappen! Ich hänge die drei Xyz-Materialien von [Lavalval Master – Ignis Aither] ab und aktiviere seinen mächtigsten Effekt! Field Of Agony!“ Der schwarze Flammenengel stieg in die Höhe und erhob seine Magmasense. Mit einem Schlag spürte Levrier ein Stechen in seinem Kopf, welches so intensiv war, dass er ihn sich vor Schmerz halten musste. Isfanels Monster strömte eine unsichtbare Macht aus, die ihresgleichen suchte! „Anya Ba-“ Doch bevor Levrier das gefangene Mädchen überhaupt warnen konnte, schwang Ignis Aither schon seine Sense, die die drei goldenen Sphären absorbiert hatte, im Halbkreis durch die Luft. Und schickte damit eine Welle aus puren, gold-roten Flammen auf seinen Feind herab. Jener konnte gerade noch die Arme über Kreuz vor sein Gesicht halten, als der Angriff ihn schon erfasste. In Sekundenbruchteilen hatte sich Levriers gesamte Spielfeldseite in ein Feld aus hoch schlagenden Flammen verwandelt. Aber auch ein großer Teil der Parkwiese und die am nächsten liegenden Bäume wurden durch das Inferno regelrecht verschlungen. Aus der Perspektive eines Vogels musste es so aussehen, als hätte sich ein feuriger See im Park ausgebreitet. Levrier schrie aus Leibeskräften, denn die Haut seines Gefäßes verbrannte unter den bestialischen Flammen binnen weniger Herzschläge. Der Druck der Welle riss ihn wie eine Flut mit sich und schleuderte ihn meterweit über das Gelände, wo er hart mit dem Rücken aufschlug, wieder fortgerissen wurde und nochmals aufschlug, ehe er rollend zum Liegen kam.   [Anya: 3050LP → 50LP / Marc: 3350LP]   Wie durch einen unsichtbaren Windhauch löste sich das Inferno nach und nach auf und hinterließ einen verkohlten Körper, der kaum mehr an einen Menschen erinnerte. Und trotzdem war dieser noch imstande, sich torkelnd zu erheben. Levrier sah an sich herab. „Unmöglich“, krächzte er dabei kehlig. Die Kleidung seines Gefäßes war fast vollkommen verbrannt, einzig ein paar Fetzen des T-Shirts verdeckten noch die Brust und die untere Bauchregion. Die Haut darunter war feuerrot und mit Brandblasen übersät. Auch die Hose war zerfetzt, verkohlt und unansehnlich, wobei einer der Träger jener Jeans gerissen war und nun an ihr herab baumelte. Doch das alles war nichts gegen die Arme. Sie waren schwarz, verkrustet, stanken nach verbranntem Fleisch und Blut. Die Haare des Mädchens waren im Feuer versengt worden, es war fast nichts mehr übrig von ihnen. Auch die Haut auf ihrem Gesicht musste vollkommen entstellt sein, denn sie spannte fürchterlich. Ein einziger Angriff hatte Anya Bauers Körper beinahe vernichtet. Levrier spürte nicht einmal Schmerzen, was wohl eine Schutzreaktion seines Gefäßes sein musste, gekoppelt mit seinen eigenen Fähigkeiten. Im Elysion spürte er keine Emotionen mehr. Anya Bauer musste das Bewusstsein verloren haben, sofern das dort überhaupt möglich war – Levrier war sich dessen nicht sicher.   Weit entfernt von ihm hörte er plötzlich Isfanels boshafte Lache und horchte auf. „Oh? Ich hatte erwartet, dass dieser kleine Angriff dein Gefäß vernichtet, auch ohne, dass ich den letzten Rest eurer Lebenspunkte ausgelöscht habe.“ Er zuckte unbedarft mit den Schultern. „Aber wie dem auch sei, die Botschaft dürfte angekommen sein. Schade, dass ich nach Field Of Agony meine Battle Phase überspringen muss, aber es gibt ja noch eine nächste Runde. Dann werde ich dir damit den Rest deiner Lebenspunkte nehmen.“ Und während Levrier zurück zu seinem Spielfeld humpelte, wo [Gem-Knight Crystal] ohne Schaden genommen zu haben wartete, drehte Isfanel Ignis Aithers Karte auf seiner Duel Disk in die Horizontale. „Ich wechsle [Lavalval Master – Ignis Aither] in den Verteidigungsmodus. Nicht, dass ihr am Ende auf die Idee kommt, mich mit Verzweiflungstaten überfallen zu wollen. Denkt daran, nur Xyz-Monster können Ignis Aither im Kampf vernichten.“ Sein Feuerengel hüllte sich mit den blauen Flammen aus seinen Schwingen in einen pulsierenden Feuerkokon ein.   Lavalval Master – Ignis Aither [ATK/1800 DEF/1400 {3}]   „Außerdem kann es nichts schaden, wenn ich diese Karte verdeckt spiele“, meinte Isfanel mit süffisantem Grinsen, während sie vor seinen Füßen erschien. „Zug beendet.“ Levrier war fassungslos. Nicht nur war sein Gegner so unbeschreiblich mächtig, nein, er hatte ihm mit einem Schachzug ganze 3000 Lebenspunkte geraubt und dabei sein Gefäß fast zerstört. Anya Bauer war mehr tot als lebendig und es würde eine ganze Weile dauern, ehe sich ihr Leib regeneriert hatte. Dabei warf er einen prüfenden Blick auf das Mal an ihrem rechten Unterarm, welcher das Feuer nahezu unbeschadet überstanden hatte. Es glühte braun und ganz langsam breitete sich von dort gesunde Haut über das verbrannte Gewebe aus. Doch es würde dauern, ehe alle Wunden verheilt waren. Was angesichts dieses Feindes ohnehin nebensächlich war. Ächzend biss sich Levrier auf die wunden, blutigen Lippen. Sie waren taub, so wie sein ganzer Körper. Wenn Isfanel das nächste Mal zog, würde dies seinen Tod bedeuten. Er brauchte nur das Xyz-Material erneuern und jenes Field Of Agony erneut erzeugen. Zögerlich griff Levrier nach seinem Deck. Es gab praktisch keine einzelne Karte, die ihn aus dieser Situation befreien konnte. Dennoch musste er weiterkämpfen! „Draw!“, rief er aufgebracht und hielt schließlich eine Falle in den Händen. Er seufzte. „Ich setze ein Monster in die Verteidigungsposition und dazu eine weitere Karte verdeckt. Das war alles.“ Neben [Gem-Knight Crystal] materialisierte sich eine Karte in horizontaler Lage, während vor Levrier eine weitere in vertikaler Position erschien. Sie waren seine letzte Hoffnung. Auf der Hand hielt er nur noch [Gem-Knight Fusion], die nutzlos war.   Mit einer flinken Handbewegung zog Isfanel und betrachtete die Karte, ehe er sie plötzlich seinem Gegner zeigte. Sie hieß [Laval Magma Cannoneer]. „Was hat das zu bedeuten?“, fragte Levrier aufgebracht. „Ich wollte dir nur zeigen, dass ich Ignis Aither nicht mehr brauche, um dich zu vernichten. Dieses Monster könnte es ebenso beenden.“ Dabei sprach er in einem so selbstgefälligen Tonfall, dass Levrier einen Zorn verspürte, den er sonst nur von Anya Bauer kannte. Färbte dieses Mädchen etwa derart auf ihn ab? Falls dem so war, hatte es wohl sein Gutes, dass der 11. November nicht mehr allzu weit entfernt lag – sofern er ihn überhaupt noch erleben sollte. Und während Levrier über Anya Bauers Wirkung auf ihn grübelte, entstanden aus dem Nichts drei neue goldene Sphären, die begannen, um [Lavalval Master – Ignis Aither] zu rotieren. Isfanel legte [Card Trooper], [Kayenn, The Master Magma Blacksmith] und [Lavalval Ignis] unter das Xyz-Monster auf seiner Duel Disk. Dabei sagte er gönnerhaft: „Ich könnte natürlich meine Ankündigung wahr machen und dich mit meinem gezogenen Monster vernichten, aber ich denke, Ignis Aither ist die passendere Endlösung. Auch wenn ich dir zugestehen muss, tapfer gekämpft zu haben, angesichts deiner 'Möglichkeiten'“ Levrier wich einen Schritt zurück. Nur langsam erholte sich Anya Bauers Körper von den Verbrennungen, die Haut an Armen, Beinen, Oberkörper und Gesicht war nur zu einem sehr geringen Teil regeneriert. Aber auch ohne die schweren Verletzungen würde er den nächsten Angriff nicht überstehen, denn wenn die Lebenspunkte eines Spielers in einem Duell wie diesem auf 0 fielen, bedeutete das automatisch den Tod. Isfanel streckte seinen Arm weit in die Höhe, als wolle er nach seinem Flammenengel reichen. „Das ist das Ende! Ignis Aither, setze deine volle Kraft ein und benutze die drei Xyz-Materialien, die ich dir gegeben habe!“ Er schwang besagten Arm nach unten und zeugte nun mit verhärteter Miene auf Levrier. „Vernichte den 'Gründer' Levrier! Field-Of-Agony!“ Die blaue Flammenkugel, die Ignis Aither einhüllte, verschwand, als er seine Sense anhob und damit die drei Sphären absorbierte. Dann schwang er sie aus und schickte eine Welle puren Feuers in Levriers Richtung.   Dieser schüttelte den Kopf und rief: „Dieses Mal nicht! Ich aktiviere die verdeckte Falle [Hallowed Life Barrier]!“ Um ihre Kosten zu bezahlen, schickte er seine letzte Handkarte, [Gem-Knight Fusion] auf den Friedhof. „Damit wird jeder Schaden an meinen Lebenspunkten für diese Runde abgeblockt!“ Um ihn herum tauchten drei Priesterinnen in blauen Gewändern auf, die eine Art Gebet aufsagten. So errichteten sie einen Schutzschild aus weißer Energie, welcher sich wie eine Kuppel um Levrier aufbaute. Und während das gesamte Umfeld einem Flammenmeer glich, schirmte dieses Kraftfeld seinen Erzeuger vor der unerträglichen Hitze ab. Jener wusste, wie knapp er dem Tode entkommen war. Hätte er [Hallowed Life Barrier] nicht während seines letzten Zuges gezogen, wäre das Duell jetzt unwiderruflich verloren gewesen. Doch noch so einen Angriff würde er nicht abwehren können. Darauf war Anya Bauers Deck nicht ausgelegt.   Isfanel indes war so erzürnt über die fehlgeschlagene Attacke, dass er die Karten in seiner Hand unbewusst zusammendrückte „Wie es aussieht, war ich da etwas vorschnell“, meinte er ärgerlich, „angesichts deines Schutzfeldes ist es nicht weiter schade um die Tatsache, dass ich keine Battle Phase durchführen kann. Aber dennoch bin ich nicht fertig. Ich beschwöre [Laval Magma Cannoneer]!“ Vor ihm materialisierte sich ein Soldat aus blauem Gestein. Geschultert hatte er zwei große Kanonen, die mit jeweils einem Schlauch mit seinem Rückgrat verbunden waren.   Laval Magma Cannoneer [ATK/1700 DEF/200 (4)]   „Effekt von Magma Cannoneer aktivieren!“, rief Isfanel gebieterisch und zeigte zwei seiner Handkarten vor. Es waren [Laval Volcano Handmaiden] und [Laval Warrior]. „Pro Zug kann ich bis zu zwei Feuer-Monster abwerfen, um euch für jedes von ihnen 500 Punkte Schaden zuzufügen!“ Die Rohre der Kanonen begannen rot zu glühen. Levrier wollte noch etwas sagen, doch schon schoss der Kanonier zwei rote Lavakugeln auf ihn ab. Beide prallten an dem Kraftfeld wirkungslos ab. „Das war sinnlos!“, meinte Levrier aufgebracht. Isfanel wusste doch, dass er ihm diese Runde keinen Schaden zufügen konnte, wieso hatte er das also getan? Jener lachte aber nur abwertend. „Gewiss nicht. Wenn [Laval Volcano Handmaiden] auf den Friedhof geschickt wird-“ „Ich kenne den Effekt deines Monsters!“ „Gut! Dann schicke ich durch sie eine weitere Handmaiden und durch deren Effekt auch meine dritte Handmaiden auf den Friedhof. Und die wiederum schickt [Laval Lakeside Lady] auf den Friedhof, um den Kreis zu schließen.“ Vor Levrier tauchten drei schrill kichernde, junge Mädchen mit brennendem Haar auf, die kurz darauf wieder verpufften. Levrier wusste, dass Marc Butchers Deck darauf ausgelegt war, Laval-Monster auf den Friedhof zu schicken. Deshalb also hatte er diese ganzen Monster für nichts geopfert. Bloß wofür genau? „Ich wechsle Ignis Aither wieder in den Angriffsmodus und setze eine weitere Karte verdeckt. Das wäre dann alles.“ Nun lagen zwei Karten vor ihm, während die blaue Flammensphäre um seinen Feuerengel endgültig erlosch. Genau wie das Schutzfeld um Levrier, welches zusammen mit den Priesterinnen verschwand.   Lavalval Master – Ignis Aither [ATK/1800 DEF/1400 {3}]   Das war eine Falle! Levrier griff nach seiner Duel Disk, und- Lass mich gefälligst hier raus, du elender Dreckskerl!   Anya Bauers plötzlicher Wutausbruch kam so überraschend und mit solcher Wucht, dass Levrier sich den Kopf hielt und in die Knie ging. Die Wellen ihrer Emotionen waren so stark, dass das Elysion zu kollabieren drohte. Wie war das möglich!?   Wegen dir sehe ich jetzt aus wie frisch aus dem Vulkan geschlüpft! Was hast du meinem schönen Körper angetan, du dreckige Mistmade!? Wenn du das nicht auf der Stelle rückgängig machst, werde ich dafür sorgen, dass du die Radieschen von ganz unten wachsen siehst! Lass-mich-raus!   Stöhnend presste Levrier die Hände auf Anyas entstellten Schädel. Er war durch Isfanels Angriff zu sehr geschwächt, er konnte sie nicht länger im Elysion festhalten. Aber sie durfte nicht die Kontrolle übernehmen, der Schmerz würde sie in den Wahnsinn treiben – dann war sie nutzlos! „Tu das nicht“, ächzte er. „Wenn du jetzt zurück in dein Gefäß kehrst, wird es dich vielleicht umbringen. Sollte ich vertrieben werden, können meine Kräfte die Schmerzen nicht länger im Zaun halten!“ Mir doch egal! Erst schließt du einen beschissenen Pakt mit mir und nun machst du aus mir Chucky, die Mörderpuppe! Ich glaub' es hackt! Ganz zu schweigen von Marc! Als ob ich zulasse, dass du ihn einfach ausradierst! Mistkerl!   Levrier schrie nun richtig, denn Anya Bauers Präsenz war schmerzhafter als jede Verletzung. Nicht umsonst hatte er sie als sein Gefäß gewählt, doch dass sie sich derart gegen seine Kontrolle zur Wehr setzen konnte, war ihm nicht bewusst gewesen. „Hör auf … das ist nicht- AHH!“ Er konnte sie nicht länger zurück halten, ihre Wellen rissen seinen Geist mit sich. Er spürte, wie das Elysion in sich zusammenbrach und schrie.   Sie schrie. Vor Wut, wegen diesen entsetzlichen Schmerzen, aus Frustration. Die Scherben um sie herum waren längst verschwunden, doch Anya schrie weiter. Das Mädchen steckte wieder in ihrem Körper und bereute es zutiefst. Levrier hatte nicht übertrieben. „Ahhhh“, wimmerte sie und wollte sich an den besonders stark schmerzenden Oberarm fassen, doch als sie die verbrannte Haut berührte, fühlte es sich an wie tausend Nadelstiche. Ihre Beine waren wie Pudding, sie stolperte vorwärts und ging in die Knie.   Ich habe dich gewarnt! Nun kann ich dir nicht mehr helfen, Anya Bauer! Es wird Stunden dauern, bis ich genug Kraft habe, um deine Wunden zu heilen!   „Leck … mich“, presste sie unter ihren wunden Lippen hervor. Unter größten Anstrengungen erhob sie sich wieder, doch stand immer noch auf wackeligen Beinen. „Mir geht’s gut!“ „Oh“, kommentierte Isfanel das alles amüsiert. „Damit hätte ich nicht gerechnet. Levriers Gefäß ist tatsächlich aus seinem Gefängnis ausgebrochen. Welch wahrhaft seltenes Ereignis. Du hast meine Anerkennung sicher, Anya Bauer.“ Das Mädchen richtete ihr Augenmerk von der bereits neuentstandenen Haut an ihrem rechten Arm auf ihren Gegner. Sie kniff die blauen Augen, was so ziemlich der einzige noch unbeschädigte Teil ihres Körpers war, zu kleinen Schlitzen zusammen. „Spar' dir das Gelaber, Dämonenspacko! Mit dir hab ich auch noch ein Hühnchen zu rupfen! Verschwinde aus Marcs Körper, oder ich mach dir Beine!“ Isfanel zuckte unbedarft mit den Schultern. „Bedaure, aber das ist leider nicht möglich. Du solltest doch mittlerweile um die Bedeutung eines Paktes mit den unseren wissen.“ „Dann prügle ich dich eben aus ihm heraus!“ „Wirklich?“ Er lachte aufgesetzt. „Damit würdest du im Endeffekt nur Marc Butcher schaden.“ „Na und?“, erwiderte Anya garstig. „Muss er eben ein bisschen die Zähne zusammenbeißen, solange ich mit dir beschäftigt bin!“ Überrascht verzog Isfanel das Gesicht. „Oh? Mit so einer Antwort hätte ich nicht gerechnet. Mit dir ist wohl nicht gut Kirschen essen?“ Er lächelte plötzlich vergnügt, wodurch Marcs Grübchen hervortraten. „Wie äußerst amüsant du doch bist. Bedauerlicherweise muss ich dich dennoch vernichten.“ „Komisch“, grinste Anya in ihrer entstellten Form. „Genau das Gleiche habe ich gerade auch von dir gedacht, Laberbacke!“   Sie griff nach ihrem Deck. Zwar hatte sie keinen Plan, wie sie dieses verrückte Duell abbrechen konnte, ohne dass jemand zu Schaden kam, aber ihr würde beizeiten schon etwas einfallen. Jetzt aber musste sie erstmal ins Spiel zurückfinden, nachdem Levrier sie in diese Lage gebracht hatte. „Draw!“, krächzte sie und bekam einen Hustenanfall. Ihre Lungen brannten wie das Feuer, welches ihre Haut versengt hatte. Anya verstand zwar nicht, wieso diese sich ganz langsam neuzubilden schien, doch das war ihr nur recht – sie wollte nicht aussehen wie dieser widerliche Alastair. Wo war der eigentlich, wenn man ihn mal wirklich brauchen konnte!? Als sie ihre gezogene Karte betrachtete, runzelte sie die Stirn. Die würde gar nichts ausrichten. Also spielte sie sie verdeckt aus, woraufhin der Zauber vor ihren Füßen erschien. Dann legte sie ihre Hand auf ihr gesetztes Monster und rief: „Ich wechsele [Morphing Jar] in den Angriffsmodus! Wenn er geflippt wird, werfen wir beide unser Blatt ab und ziehen fünf neue Karten.“ Doch tatsächlich besaß keiner von ihnen auch nur eine Handkarte. Die horizontale Karte vor ihr wirbelte um und offenbarte einen grauen Tonkrug, aus dessen Inneren ein Auge und vergilbte Zähne heraus guckten.   Morphing Jar [ATK/700 DEF/600 (2)]   Beide Spieler zogen schließlich fünf Karten, ehe Anya jene musterte. Ihre neue Hand war perfekt! Sie streckte ihren Arm aus und deutete auf die Zauberkarte, die sie vor dieser Aktion gesetzt hatte. Jene sprang auf und zeigte eine Hand, aus deren Innenseite ein Lichtfaden glitt. „[Silent Doom]! Damit kann ich ein normales Monster von meinem Friedhof in Verteidigungsposition zurückrufen! Erscheine, [Gem-Knight Tourmaline]!“ Vor ihr tauchte der Ritter des Turmalins in goldener Rüstung auf und erzeugte zwischen seinen Händen einen Blitz, während er in die Knie ging. Neben ihm stemmte [Gem-Knight Crystal] die Hände in seine Hüften, als wolle er dem Neuankömmling zeigen, wer der Stärkere war.   Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)]   „Und jetzt beschwöre ich als Normalbeschwörung [Gem-Knight Amber]!“ Noch ein Krieger erschien zwischen Tourmaline und Crystal. Dieser trug eine gold-silberne Rüstung und war mit zwei Dolchen aus roten Blitzen bewaffnet. Auf seiner Brust prangerte ein wunderschöner Bernstein.   Gem-Knight Amber [ATK/1600 DEF/1400 (4)]   Anya streckte den Arm in die Höhe, der Dornenkranz mit dem Kreuz darin leuchte kaum merkbar auf. Jetzt hatte sie alles, was sie brauchte, um dieses Mistvieh von einem Monster zu bezwingen. „Aus meinen Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster! Ich erschaffe das Overlay Network! Komm herbei, [Gem-Knight Pearl]!“ Amber und Tourmaline wurden zu braunen Lichtstrahlen, die in den schwarzen Wirbel gezogen wurden, welcher sich inmitten des Spielfelds auftat. Daraus empor stieg ein schlichter Krieger in weißer Rüstung, der erhaben die Arme verschränkte und über das Feld zu Anya glitt. Dabei umkreiste ihn ein Ring aus massiven, rosafarbenen Perlen und zwei Lichtkugeln, die sein Xyz-Material darstellten.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4}]   Mit zufriedenem Grinsen auf den Lippen griff Anya nach dem Friedhofsschacht an ihrer Duel Disk. „Das war aber noch lange nicht alles.“ Sie nahm [Gem-Knight Fusion] und [Gem-Knight Topaz] daraus hervor und steckte Letzteren in das, was mal ihre Hosentasche gewesen war. Als sie dort zusammengeknüllte Pappe ertastete, wusste sie, dass die [Particle Fusion]-Zauberkarte, welche Levrier zu Beginn des Duells verbannt hatte, dem Inferno zum Opfer gefallen war. Aber sie hatte zuhause zum Glück noch eine Ersatzkopie. „Ich verbanne einen Gem-Knight vom Friedhof und erhalte [Gem-Knight Fusion] vom Ablagestapel zurück!“, erklärte sie wütend. „Und ich aktiviere sie auch gleich. Damit verschmelze ich [Gem-Knight Garnet] und [Gem-Knight Emerald] zu einem neuen Monster! Garnet, du bist das Element! Emerald, du der Ursprung! Vereinigt eure Kräfte und werdet zu [Gem-Knight Citrine]!“ Edelsteine wirbelten durch die Luft, als die Abbilder ihrer beiden Monsterkarten in die Höhe stiegen und in grellem Licht zu einem weiteren Ritter verschmolzen. Dessen Unterarme waren aus purem Magma. Der Krieger schulterte ein gewaltiges Breitschwert mit einer Hand, während von seiner bräunlichen Rüstung ein blauer Umhang wehte.   Gem-Knight Citrine [ATK/2200 DEF/1950 (7)]   Unglaublich! Ich hätte nicht gedacht, dass du zu solch einem Zug imstande bist! Anscheinend muss ich meine Meinung über dich überdenken, Anya Bauer! Doch sei gewarnt, dort-   „Ja, ja, halt deinen Rand, du Nervensäge!“, fauchte das Mädchen aufgebracht. „Das ist alles nur deine Schuld! Du wolltest ja unbedingt hierher kommen!“ Und nun musste sie es ausbaden und einen Weg finden, wie sie Marc retten konnte. Von ihrem Spielfeld ausgehend war das gesamte, nähere Umfeld pechschwarz, vollkommen verbrannt. Das war Isfanels Werk. Was aber würde geschehen, wenn sie, Anya, nun angriff und Marc Schaden zufügte? Sie war nur ein Mensch und besaß keine Kräfte, zumal Levrier nahezu außer Gefecht gesetzt war. Dennoch behagte ihr nicht dabei, dass dieser Blutzoll wie ein Damoklesschwert über dem Duell stand. Konnte man in so einem Spiel überhaupt gewinnen? „Levrier“, fragte sie vorsichtig. „Gibt es eine Möglichkeit, dieses … System, oder was auch immer das ist, auszutricksen?“ Und schon bereue ich meine Worte. Hast du nicht zugehört? Es ist unmöglich. Wenn zwei Wesen wie wir es sind sich bekriegen, wird ein Vertrag zwischen ihnen geschlossen. Dieser ist bindend und kann, genau wie der Pakt zwischen uns, nicht ohne Weiteres gebrochen werden.   „Also gibt es einen Weg!“ Nein! Denn wird er gebrochen, kommen beide Parteien um! Das habe ich dir schon einmal gesagt!   Anya schnaufte unzufrieden. Das konnte doch nicht wahr sein! Irgendeine Möglichkeit musste es schließlich geben, hier heil heraus zu kommen! Levrier enthielt sie ihr vor, das musste es sein! Plötzlich sah sie zu ihrer verrußten Duel Disk. Wenn sie aufgeben würde, wäre sie doch nicht durch einen Angriff besiegt worden. Keine Verletzungen. Es erschien dem fast kahlen Mädchen nur logisch. Langsam bewegte sich ihre Hand zur Duel Disk, doch sie hielt inne. Denn sie selbst musste zugeben, dass das zu einfach war. Was, wenn sie sich irrte?   Bist du des Wahnsinns!? Aufgeben würde bedeuten, dass wir verlieren und den Blutzoll zu zahlen haben! Denkst du überhaupt nicht nach, Anya Bauer!? Natürlich tat sie das! Aber es war einfach frustrierend, ihr wollte nichts einfallen. Anya sah herüber zu Marc, der mit ausdrucksloser Miene alles beobachtete. Und plötzlich fragte sie sich, warum er nicht hämisch grinste. Hätte er nicht etwas sagen müssen, um sie in ihrem Tun zu bestätigen? Oder war dieser Isfanel so siegessicher, dass es ihm gleich war, auf welche Weise er gewann? „Tch“, ächzte sie. Sie wusste einfach nicht, was sie tun sollte! Vier Monster kontrollierte sie, drei davon gehörten zu den stärksten, die sie zu bieten hatte. Und dennoch wusste sie nicht weiter. Angreifen würde bedeuten, Marc zu verletzen. Tu es! Denn solltest du jetzt zögern, war alles umsonst!   Anya zuckte zusammen. Solange Marc besessen war, würde er nicht zögern und sie wirklich töten. Levrier hatte recht damit, sie musste etwas unternehmen. „Ich werde seine Monster zerstören“, entschied sie schließlich mit Unbehagen in der Stimme. „So kann er uns keinen Schaden zufügen. Hoffentlich sind seine neuen Handkarten scheiße! Vielleicht gewinnen wir dadurch Zeit, bis mir etwas Besseres eingefallen ist.“ Sei nicht leichtsinnig! Denk an die-   „Okay!“, rief sie schließlich entschlossen und streckte ihren Arm aus. „Zeit, ein bisschen Leben in dieses Spiel zu bringen! [Gem-Knight Citrine], greife [Laval Magma Cannoneer] an! Incinerating Blade Slash!“ Ihr Krieger mit dem Breitschwert stürmte vor und holte mit seiner Klinge aus, um den felsigen Artilleriesoldaten zu vernichten. Doch Isfanel lachte zufrieden auf und schwang seine Hand über die verdeckten Karten aus. „Dumme Göre! Sieh, was du von deiner blinden Angriffswut hast! Du hast meine beiden permanenten [Molten Whirlwind Wall]-Fallen ausgelöst! Sie erhöhen die Angriffskraft aller Laval-Monster um die Anzahl ihrer Artgenossen auf dem Friedhof mal 100. Da dort momentan acht Stück liegen, sind das ganze 1600 Extrapunkte! Verge- WAS!“ Seine Fallen, die aufgesprungen waren, klappten wieder zu. Mit einem gezielten Hieb teilte Citrine seinen Gegner in zwei Teile, wodurch eine Explosion entstand. Isfanel schrie auf, als die darauf folgende Schockwelle ihn zurückwarf. Doch er konnte das Gleichgewicht halten.   [Anya: 50LP / Marc: 3350LP → 2850LP]   Stöhnend hielt er sich den Kopf. „Verdammt! Was- Urgh!“ „Wenn Citrine angreift, können keine Effekte oder Karten aktiviert werden!“, erklärte Anya selbstbewusst. Er sank in die Knie und hielt sich mit beiden Händen den Schädel. Wütend presste er hervor: „Ich- Ah! Ich aktiviere meine Fallen, damit du nicht auf die Idee kommst, noch einmal anzugreifen. Urgh! Ich habe nicht gewusst, dass dein Krieger beim Angriff die Aktivierung anderer Karten unterbindet!“ Flammen stiegen aus dem Boden hervor und begannen, sich entgegen dem Uhrzeigersinn um ihren Erzeuger zu drehen, immer schneller. Wie ein Tornado zog dieser Wirbel im hohen Tempo seine Kreise um Isfanel, als plötzlich ein weiterer entstand, sodass sie zusammen eine regelrechte Mauer bildeten, an der es kein Vorbeikommen gab. Nun, da neun Laval-Monster auf seinem Friedhof lagen, wurde ihr Stärkungseffekt noch größer.   Lavalval Master – Ignis Aither [ATK/1800 → 3600 DEF/1400 {3}]   Erschrocken starrte Anya nach oben, wo über Isfanel der flammende Engel schwebte. Seine ehemals blauen Feuerschwingen glühten, gestärkt durch die Fallen, nun in grellem, unwirklichem Silber. Das war knapp, dachte sie erschrocken. Ihr Herz trommelte wild gegen ihren Brustkorb. Hätte Citrine nicht die Fähigkeit, beim Angriff Kartenaktivierungen zu unterbinden, wäre sie jetzt bereits Geschichte!   Du musst einen Weg finden, um diese Fallen zu umgehen oder zu vernichten! Wenn dieses Wesen nächste Runde seinen Effekt aktiviert oder auch nur angreift, sind wir verloren!   „Denkst du, das weiß ich nicht!?“, schrie Anya aufgebracht. „Und wie soll ich das anstellen!?“ Die letzten beiden Karten in ihrer Hand waren die Fallenkarten [Birthright] und [Justi-Break] – nutzlos. Sie konnten den Effekt von Ignis Aither nicht unterbinden! Aber sie würde nicht so einfach aufgeben, sonst hieße sie schließlich nicht Anya Bauer! „Ich setze zwei Karten verdeckt und beende meinen Zug!“, verlautete sie selbstbewusst. Ihr musste etwas einfallen, um Isfanel dazu bringen, mit Ignis Aither [Gem-Knight Crystal] anzugreifen. Dann könnte sie ihn durch ihre Falle [Justi-Break] vernichten. Aber wie sollte sie das anstellen? Zwar hatte sie schon einmal ein Schmierentheater veranstaltet, doch damals hatte sie diesem Obertrottel von Dämonenjäger Alastair gegenübergestanden. Dessen Stolz war leicht angreifbar gewesen, doch Isfanel? Wo war seine Schwachstelle? Hatte er überhaupt eine?   Als könnte er Gedanken lesen, nahm er langsam Haltung an, dabei immer noch mit einer Hand am Kopf. „Oh? Bluffen wir jetzt etwa? AH!“ Er sank zurück in die Knie und kniff die Augen zu. „Verdammter Narr! Dieser Kerl ist hartnäckig!“ Verwirrt starrte Anya ihn an. „Was ist denn mit dem los?“ Sein Gefäß versucht vermutlich, die Kontrolle zurückzugewinnen.   Und genau in diesem Moment stieß Marc einen bestialischen Schrei aus, sank nach vorn und stützte sich mit den Händen vom Boden ab. Keuchend blickte er auf. „Anya? Bist du in Ordnung?“ „Marc!?“ Er schrie wieder auf und kippte zur Seite. „Dargh! Du … musst … angreifen!“ „Was!?“ Das Mädchen verstand nicht. Unter qualvollem Ächzen griff Marc, der wie ein geprügelter Hund am Boden lag, nach seiner Duel Disk und zog eine Karte. „Ich … werde ihn aufhalten! Aber … ich kann ihn nur einen Zug lang … unterdrücken! Du musst … zuschlagen!“ Aus dem Nichts erschienen drei goldene Sphären, die um [Lavalval Master – Ignis Aither] kreisten. Marc legte [Lavalval Ignis], [Card Trooper] und [Kayenn, The Master Magma Blacksmith] unter das Xyz-Monster auf seiner Duel Disk. Anya hingegen konnte nur fassungslos zusehen.   Lavalval Master – Ignis Aither [ATK/3600 → 3400 DEF/1400 {3}] Er war zurück und wollte ihr helfen! Wollte, dass sie das Duell gewann! Aber warum!? „Bist du bescheuert!?“, fauchte sie aufgebracht. „Wenn ich das tue, wirst du …! Dann wirst du …“ „Ich weiß! Sonst wäre ich wohl kaum zurückgekehrt!“ Unter großen Anstrengungen richtete er sich auf und kam wackelig auf die Beine. „Ich will, dass du es tust! Damit dieses Ding in mir verschwindet!“ „Huh!?“ Marc schloss die Augen. In seinen Worten schwang große Verbitterung mit sich. „Ich war ein Idiot zu glauben, dass das, was ich tue, richtig ist. Eine Marionette bin ich, nichts anderes.“ „Was redest du da!?“ „Halt den Mund und hör zu!“, fuhr Marc sie scharf an. „Keine Entschuldigung dieser Welt könnte ungeschehen machen, was ich dir bereits angetan habe! Es gibt keinen Weg, der uns beiden das Leben retten kann! Deswegen beende du es, denn ich habe es nicht besser verdient!“ Widerwillig schüttelte Anya den Kopf. „Bist du vollkommen durchgeknallt, Butcher!? Erst willst du mich und Levrier umbringen und plötzlich änderst du so mir nichts, dir nichts deine Meinung!?“ Er lachte zynisch auf. „Wäre es dir lieber, wenn ich weitermache wie bisher? Du weißt, dass ich dieses Duell mit nur einer Aktion gewinnen könnte!“   Von seinen Worten getroffen zuckte Anya zusammen. Was dachte dieser Kerl sich bloß dabei? War ihm sein Leben plötzlich so egal, dass er nicht mehr darum kämpfen wollte? Oder bedeutete sie ihm doch mehr, als es zunächst den Anschein gehabt hatte? Was ging nur in Marc vor sich!?   „Ich beende meinen Zug!“ Wütend begehrte Anya auf, verwirrt von seinen Worten. „Du Feigling! Warum rennst du davon!? Glaubst du, ich brauche deine Almosen!?“ „Und wie du die brauchst! Du bist eine ausgemachte Versagerin, Anya! Hättest du nicht Levrier und deine Freunde, würdest du gar nichts auf die Reihe kriegen!“ Er riss die Augen auf und zeigte erbarmungslos mit dem Finger auf sie. „Jemand wie du wird es nie zu etwas bringen, wenn man ihm nicht den Weg weist! Und für so jemanden will ich mich ernsthaft opfern!? Anscheinend habe ich gerade einen Fehler gemacht, als ich meinen Zug beendet habe!“   Seine Worte waren wie Stiche in ihr Herz. Also konnte sein schlechtes Gewissen doch nicht so groß sein, dass er ernsthaft sein Leben für sie geben würde. Wie naiv sie doch war, dachte Anya verbittert. Wer würde schon bereitwillig sein Leben für einen anderen aufgeben? Insbesondere für sie? „Du bist … ein Arschloch …“ „Gegen dich bin ich noch harmlos! Wenn du jetzt versagen solltest, werde ich keine Rücksicht mehr auf dich nehmen!“, donnerte er und verzog unter Schmerzen das Gesicht, da Isfanel anscheinend alles tat, um die Kontrolle zurückzugewinnen. „Du hast es wirklich verdient zu sterben! Allein schon, weil du dein Leben gar nicht zu schätzen weißt! Welcher Mensch würde bei so einer Gelegenheit denn zögern? Ich lege mich für dich auf den Präsentierteller und du redest von Almosen!?“ Er sollte endlich aufhören und die Klappe halten! „Was weißt du schon!?“ „Ich bin nicht so emotional verkrüppelt wie du, denn ich kann wenigstens so etwas wie Schuld empfinden!“   Anya wich seinem Blick aus und sah ihre verkohlte Hand an. Dann blickte sie herüber zu Marc, der ihr in seinen Qualen einen verächtlichen Blick zuwarf. Und plötzlich kristallisierte sich in all dem Chaos in ihrem Kopf ein Gedanke heraus: er war schwach. Einfach nur schwach. Anstatt sich diesem Isfanel zu widersetzen, hatte er alles getan, was jener von ihm wollte. Und nun fühlte er irgendeine heuchlerische Art von Reue, konnte es nicht zu Ende bringen. Solche Leute hasste Anya wie die Pest. Sie glaubten nicht an das, was sie taten. Wieso sollte sie also an seine Worte glauben? Er kannte sie doch gar nicht! Und hatte sie nicht eben noch um -ihn- gekämpft? Ja, aber das war -ihm- anscheinend entgangen! Plötzlich sah sie alles in einem ganz anderen Licht. Als Marc ihr von Angesicht zu Angesicht sagte, dass er nichts für sie empfand, hatte er bereits von Levrier gewusst. Es war also nicht nur ein Korb, sondern auch ein Abschied gewesen. Weil er entschieden hatte, dass er sie töten würde. Auch wenn es unheimlich schmerzte, ballte Anya eine Faust. Wie konnte er nur? Ausgerechnet er, der für sie immer der Eine, das Gute am beschissenen Alltag gewesen war? Und wie konnte sie sich in so jemanden überhaupt … verliebt … haben. „Liebe“, schnaufte sie bitter enttäuscht, „ist scheiße.“ Dass er jetzt plötzlich von seinem Vorhaben abgesehen hatte, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, hatte nichts mit Gefühlen für sie zu tun. Er tat es einzig aus Gewissensbissen. Sein Herz hing an Valerie. Und das war etwas, was sie durch kein Duell der Welt ändern konnte. Aber das bedeutete nichts mehr für sie. Marc war in jenem Moment, als er über ihr Leben entschieden hatte, für Anya unwiderruflich gestorben. Jetzt hieß es er oder sie. Und Anya verspürte nicht länger den Drang, das Unausweichliche noch weiter hinauszuzögern. Marc hatte die ganze Zeit über gewusst, worauf er sich eingelassen hatte. Nun musste er mit den Konsequenzen leben – oder sterben, was sich mit dem nächsten Zug entscheiden würde. Er hatte es ja nicht anders gewollt! „Ich bin“, sprach sie ungewohnt kühl und zog, wobei sie für eine Millisekunde einen fiesen Stich im Brustkorb spürte. Ihr Leib schmerzte so fürchterlich, dass sie am liebsten schreien wollte. Und das hatte sie nur Marc zu verdanken. Levrier hatte recht, er war ein Feind, egal, was sie vielleicht einmal für ihn empfunden hatte!   Anya Bauer, was hast du getan! Wie konntest du von deinem Deck-!?   Doch das Mädchen hörte Levrier gar nicht, bemerkte auch nicht das Glimmen, welches von ihrem Mal ausging. Wie in Zeitlupe sah sie sich ihre neue Karte an und verharrte. Dann schob sie sie wortlos in ihre Duel Disk. In Pearls Hand erschien plötzlich eine silberne Axt, auf deren Blatt ein leise glucksendes Gesicht aus Gold prangerte – die [Axe Of Fools].   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 → 3600 DEF/1900 {4}]   Jetzt besaß sie also ein Monster, das stark genug war, um [Lavalval Master – Ignis Aither] zu vernichten. Sie streckte den Arm aus, und sprach mechanisch: „Pearl, Funny Axe Strike.“ [Gem-Knight Pearl] flog auf seinen Feind zu, gefolgt von seinen riesigen Perlen, passierte problemlos die Feuerwirbel und schlug zweimal mit der Axt zu. Auf der Brust des schwarzen Feuerengels erschien plötzlich ein leuchtendes Kreuz, ehe dieser in einer gleißenden Explosion unterging. Jene löste eine so starke Druckwelle aus, dass Marc von den Beinen gerissen wurde und hart auf den Rücken knallte. Schwarze Partikel schimmerten dort, wo Ignis Aither eben noch gewesen war. Die Flammentornados erloschen.   [Anya: 50LP / Marc: 2850LP → 2650LP]   Beende es, Anya Bauer! Das ist unsere letzte Chance! Du darfst jetzt nicht zögern!   Doch nach wie vor hörte Anya nicht hin, sondern war uneingeschränkt auf Marc fixiert. Der verzog das Gesicht. „Nett. Aber hast du auch die Nerven, es zu einem Ende zu bringen? Oder bist du feige?“ Auf wackeligen Beinen erhob er sich wieder und winkte herausfordernd. „Bringst du es? Dann los! Andernfalls zermalme ich dich!“ Wollte er tatsächlich auf diese Weise umkommen? Was für ein Idiot! Wenn er es sich so sehr wünschte, würde sie ihm dabei helfen! „Wenn du mich so nett bittest“, rief sie kalt und streckte den Arm aus, „bekommst du, was du verdienst! [Gem-Knight Crystal] und [Gem-Knight Citrine], direkter Angriff auf seine Lebenspunkte! Clear Punishment und Incinerating Blade Slash!“   Anya Bauer! Hinter dir!   Während ihre Monster sich zum Angriff bereit machten, wirbelte das Mädchen irritiert um. In der Ferne bemerkte sie, wie drei Gestalten über den rußgeschwärzten Steinweg auf sie zueilten. „Anya!“, rief Abby entsetzt, während sie hinter Valerie herlief, aber immer weiter zurückfiel. „Oh Gott sei Dank, wir sind nicht zu spät! Was ist hier nur geschehen!?“ „Hat Anya einen Furz angezündet?“, fragte Nick dicht hinter Abby glucksend. „Coole Sache!“ „Joan hat uns hierher geführt! Was- Ah!“ Valerie erschrak, als Anyas [Gem-Knight Citrine] einen großen Satz nach vorn machte und Marc ins Visier nahm. Auch deren Besitzerin drehte sich überrascht zu jenem um. Plötzlich war ihre Rachlust vollkommen verflogen. Das Mädchen spürte, dass es einen großen Fehler begangen hatte. „Brich die Angriffe ab!“, schrie Valerie noch aufgewühlt. Doch dafür war es bereits zu spät. Mit aller Wucht rammte Crystal seine Faust in den Boden und ließ einen Spalt entstehen, der mit rasender Geschwindigkeit auf Marc zuschoss. Spitze Kristalle schnellten aus dem Riss hervor. Gleichzeitig erschien Citrine hinter ihm und setzte zu einem Stich an. Valerie, die als Erste bei Anya angekommen war, schlug vor Entsetzen die Hände vor ihr Gesicht. „NEIN!“ Die Kristalldornen spießten Marcs Gliedmaßen und Oberkörper auf, während die Klinge Citrines sich durch seinen Torso bohrte, wobei ein heftiger Ruck durch seinen Körper ging. Blut tropfte von seinen Lippen, die sich zu einem Lächeln formten. „Danke, Dummkopf! Nun brauch ich kein schlechtes Gewissen haben …“ Eine ohrenbetäubende Explosion folgte. Es entstand eine Schockwelle, die so gewaltig war, dass sie Anya und Valerie umwarf. Selbst Abby und Nick, die noch ein ganzes Stück vom Spielfeld entfernt waren, wurden regelrecht davon geworfen.   [Anya: 50LP / Marc: 2650LP → 0LP]   Stöhnend öffnete Anya ihre Lider. Sie lag auf dem Rücken und blinzelte. Es gab keine Stelle an ihrem verbrannten Körper, die nicht schmerzte. Ächzend richtete sie sich auf. Der Regen, welcher zuvor ausgesetzt hatte, fiel wieder in Strömen vom Himmel hinab. Dort, wo Marc eben noch gestanden hatte, klaffte nunmehr einzig ein Krater im Boden. Panisch suchte sie mit ihrem Blick die Gegend ab. Das Eingangstor des Parks hatte keinen Schaden genommen, auch das Waldgebiet um Marcs Spielfeld nicht. Doch nirgendwo war er zu entdecken.   „Was … habe ich getan?“, murmelte sie fassungslos. Er war fort. Er war … „DU!“ Mit einem Ruck wurde sie niedergerissen und spürte einen Faustschlag direkt ins Gesicht. Es brannte wie Feuer auf ihrem nackten Fleisch. „Wie konntest du!?“ Valerie hatte sich auf sie gestürzt und schlug erneut zu. „Wie konntest du das tun!? Was hat er dir getan!?“ Es folgte eine Ohrfeige. Anya konnte sich nicht gegen die Schläge wehren und selbst wenn sie noch genug Kraft übrig gehabt hätte, würde sie es nicht tun. Denn sie wusste, dass sie sie verdient hatte – als Marcs Mörderin. Dem schwarzhaarigen Mädchen auf ihr standen Tränen in den Augen. Immer wieder schlug sie auf Anya ein, die es wortlos über sich ergehen ließ. „Habe ich dafür dein Leben gerettet!? Dass du Marc kaltherzig umbringst!?“ Sie schlug abermals zu, obwohl ihre Knöchel bereits höllisch schmerzten. Unter Tränen brüllte sie: „Antworte mir!“   Plötzlich schnellte unter Valerie Redfield eine Hand vor und packte sie am Hals. „Hör auf damit! Sie ist nicht länger hier.“ Mit spielender Leichtigkeit drückte Levrier die wild gewordene Furie von sich und schleuderte sie mit einer einfachen Handbewegung zur Seite. Das Mädchen rollte über den verbrannten Boden und blieb reglos liegen. Alles, was noch blieb, war ihr Schluchzen. Auch Nick Harper und Abigail Masters waren nun zu ihnen gestoßen. Besonders Letztere war ein Bildnis des erlebten Schreckens. Blass war sie, die getönte Brille hing ihr von einem Ohr und sie spitzte erschüttert die Lippen, als sie Levrier aufhalf. „Oh Gott, Anya! Was hat dir dieser Dämon bloß angetan!?“ „Mir geht es den Umständen entsprechend gut“, erwiderte Levrier kühl, „Anya Bauer hingegen hat sich ins Elysion zurückgezogen.“ „E-Elysion? W-wovon sprichst du? Bist du etwa Levrier!?“ Er nickte knapp. „Das Elysion ist eine Zuflucht zwischen der körperlichen und der Bewusstseinsebene, welche Anya Bauer sich zunutze gemacht hat. Dort können die meinen mit den euren in Kontakt treten, selbst wenn kein Pakt geschaffen wurde.“ Levrier neigte den Kopf zur Seite und betrachtete Valerie Redfield, die immer noch dort lag und sich die Seele aus dem Leib weinte. „Doch für Erklärungen ist auch später noch Zeit. Wir sollten von hier verschwinden, ehe der Täuschungszauber um den Park schwindet und man von der Zerstörung Notiz nimmt.“ Abigail Masters zuckte zusammen, als Levrier ihr dabei wieder in die grauen Augen blickte. Furcht spiegelte sich in ihnen wieder. „O-ok! Die heilige Joan hat uns von dem Zauber berichtet. Sie war es, die euren Kampf bemerkt hat.“ Ihr Blick wanderte zum Krater. „I-Ist … ist Marc wirklich … tot?“ „In der Tat.“ Sie legte betroffen die Hände auf ihre Brust. „Oh Gott, wie furchtbar! Das ist so schrecklich! Hat … Hat er euch wirklich angegriffen?“ Levrier nickte. „Auch das ist korrekt. Allerdings hat sein Gewissen ihn daran gehindert, es zu einem Ende zu bringen. Er hat Anya Bauer provoziert, ihn zu besiegen, damit er nicht mit seiner Schuld leben muss. Ich denke …“ Er schüttelte schließlich den Kopf, denn es gab Dinge, die er besser nicht aussprechen sollte. „Nein, schon gut. Wir sollten gehen! Ich muss mich darauf konzentrieren, Anya Bauers Wunden zu heilen!“ Wortlos nickte sein Gegenüber und bot sich als Stütze an. Derweil war Nick zur bereits pitschnassen Valerie gegangen und legte ihr vorsichtig eine Hand auf den Kopf, streichelte sie. Doch sie schreckte auf und schlug seine Hand davon. „Lass mich in Ruhe!“ „Wir müssen doch gehen“, meinte Nick hilflos und blinzelte verdutzt. „Mir doch egal! Geht, verschwindet, ihr alle! Ich will niemanden mehr sehen! Geht!“ Erschrocken von ihrem Ausbruch, wich Nick einen Schritt zurück und musterte das Mädchen in ihrem hellblauen Kostüm mitfühlend. Dann drehte er sich wortlos um und folgte seinen Freunden, half Abby dabei, Anya zu stützen.   Valerie hingegen starrte in den grauen Himmel. Die Tränen auf ihrem Gesicht hatten sich mit den Regentropfen vermischt. Sie fror und fühlte innerlich leer, stand neben sich und kam sich dennoch gleichzeitig wie eine Tote vor. Sie hatte ihren Verlobten verloren … durch Anyas Hand. Ausgerechnet durch sie! Obwohl sie immer von sich behauptet hatte, selbst etwas für Marc zu empfinden! Wie hatte sie das nur tun können!? Wie hatte sie sich nur auf dieses Duell einlassen können!? Völlig gleich, ob ein Dämon im Spiel war, oder nicht, das würde sie ihr nie verzeihen können! Anya war eine Mörderin! Sie schlang ihre Arme um den Oberkörper, ließ den Kopf hängen und weinte stille, bittere Tränen. Valerie, höre mich. Womöglich bin ich imstande, dir Trost zu schenken.   „Joan?“ Erschrocken sah das Mädchen wieder auf. Unter all den grauen Wolken trat der Mond hervor. Sein helles Licht spendete ihr jedoch keinen Trost. Wie wollte die Heilige Johanna das können?   Du musst einen ganz bestimmten Ort aufsuchen. Dort wirst du finden, was du am meisten begehrst ...   Und als Jeanne D'Arc ihre Ausführungen beendet hatte, erhob Valerie sich mit gefestigter Miene, drehte sich um und verließ den Park durch das Haupttor. Mit einem Entschluss, von dem sie niemals gedacht hatte, dass sie ihn jemals treffen würde …     Turn 15 – Aftermath Nach Marcs Tod ist Anya vollkommen verändert. Sie geht ihren Freunden aus dem Weg, spricht mit niemandem und ist feindseliger denn je. Abby, die das alles mit großer Sorge beobachtet, will ihrer Freundin beistehen, so wie Anya ihr zuvor beigestanden hatte. Um deren Herz zu öffnen, provoziert sie sie solange, bis Anya einem Duell zustimmt. Doch die missversteht Abbys guten Willen als weiteren Versuch, ihr das Leben zu nehmen und nutzt unbewusst Levriers Kräfte, um Abby zu verletzten. Die wird vor eine schwere Wahl gestellt … Kapitel 15: Turn 15 - Aftermath ------------------------------- Turn 15 – Aftermath     Seufzend legte Abby ihr Kinn auf den Handrücken, wobei sie ihren Kugelschreiber fest umklammert hielt. Ihr Blick hing an Mr. Stantler, der über die Nachwirkungen des Versailler Vertrags philosophierte. Doch wie so oft in letzter Zeit, konnte sie sich einfach nicht konzentrieren. Nervös rutschte sie von einer Pobacke auf die andere. Zum ersten Mal bereute sie es, sich eine Bank in der ersten Reihe ausgesucht zu haben. Sie drehte ihren Kopf nach links über die Schulter und beobachtete Nick auf seinem Fenstersitz dabei, wie er seelenruhig schlief. Ihn schien Marcs schrecklicher Tod nicht weiter berührt zu haben, zumindest ließ er es sich nicht anmerken. Man könnte zwar darüber streiten, was das über den lang gewachsenen jungen Mann aussagte, doch im Grunde beneidete Abby ihn für seine Unbekümmertheit. Sie stöhnte leise auf.   Über eine Woche war vergangen, seit der Kampf zwischen Levrier und Isfanel ein blutiges Ende gefunden hatte. Nun war es Mitte Oktober, das Wetter kühl und grau und alle Welt kannte nur noch das eine Thema. Den Brand im Park. Und die damit automatisch verbundene Suche nach dem Brandstifter. Abby musste im Gedanken auflachen. Man suchte nach einem Brandstifter, obwohl keiner der Bewohner das Feuer durch Isfanels Verhüllungszauber gesehen hatte. Anscheinend gaben sich die Behörden und Medien alle Mühe, sämtliche merkwürdigen Vorfälle rund um Livington als Unfälle und Straftaten darzustellen. Dabei hieß es längst schon hinter vorgehaltener Hand, dass es in der Stadt spukte. Die ersten Leute waren schon im Begriff, ihre Häuser und Grundstücke zum Verkauf anzubieten. Abby konnte es ihnen nicht verdenken. Auch ihre Stiefeltern waren besorgt, obschon sie bisher keine derartigen Pläne schmiedeten. Wie lange das jedoch noch so bleiben würde, wusste das Mädchen nicht. Sie konnte Anya doch nicht im Stich lassen!   Ihr Blick ging weiter über die Fensterreihe hin zur letzten Bank, wo Anya mit versteinerter Miene saß und mit ihrem Bleistift im gleichmäßigen Takt aufs Papier schlug. Obwohl sie es sich nicht anmerken ließ, musste sie die Sache am schwersten getroffen haben. Der Bürgermeister, Mr. Redfield, hatte verlauten lassen, dass Marc Butcher ein Opfer des Brandes gewesen sei. Abby war sich sicher, dass Valerie dabei ihre Finger im Spiel hatte, um die wahren Geschehnisse zu vertuschen. Jene war seit diesem Tag auch nicht mehr gesehen worden. Die offizielle Begründung war ein schwerer Schockzustand, gekoppelt mit einer Rauchvergiftung, da Valerie seither behauptete, mit Marc zum Zeitpunkt des Brandes im Park unterwegs gewesen zu sein. Aber wer wusste schon, wie es ihr jetzt wirklich ging?   Abby seufzte. Es war einfach nur schrecklich. Marcs Tod hatte dafür gesorgt, dass alles auseinander brach. Valerie hatte sich ganz offensichtlich von allen abgekapselt und Anya tat seither genau dasselbe, sprach kein Wort mehr mit jemandem, wenn es nicht unbedingt nötig war. Dabei war es wirklich erstaunlich, wie schnell sie sich von ihren Wunden erholt hatte. In jener Nacht hatten Abby und Nick Levrier ins Haus der Familie Harper gebracht, wo er bis zum nächsten Morgen geschlafen hatte. Und als sie das Gästezimmer an besagtem Morgen betreten hatten, war Anyas Körper samt Haare vollkommen restauriert gewesen. So, als wäre nie etwas geschehen. Der einzige Unterschied zu vorher war, dass Levrier vorübergehend Anyas Körper kontrollierte, da jene sich bis auf Weiteres in ihre innere Zuflucht, das Elysion, zurückgezogen hatte. Ganze drei Tage hatte dieser Zustand angehalten. Das erinnerte Abby an Matts Worte, als die beiden sich das erste Mal begegnet waren. Sofort keimte in ihr ein schlechtes Gewissen auf, hatte sie Anya schließlich nie davon erzählt.   Abby lag auf den Knien und starrte flehend zu Matt auf, welcher sein Gesicht hinter einer Maske aus weißem Porzellan verborgen hielt. Unter den Arm geklemmt trug er Abbys kleinen Stiefbruder Michael, dessen Glieder schlapp herab hingen, war das Kind schließlich bewusstlos. Die Drei befanden sich im großen Gemeinschaftsraum der Familie Masters, in dem es neben einem niedrigen Tisch nur Sitzkissen gab, die wild verteilt im Raum lagen. „Ich würde mich nie gegen Anya stellen!“, begehrte Abby auf. „Es muss doch einen anderen Weg geben, die Menschenleben zu retten, die für 'Eden' geopfert werden müssen!“ „Verdammt, es gibt keinen! Denkst du, ich würde mir sonst die Mühe machen und mich mit dir abgeben? Denkst du nicht, dass ich eher Anya angreifen würde, wenn ich die Wahl dazu hätte?“ Sein freier Arm zitterte, doch er hob ihn an und ballte eine Faust. „Manche Dinge sind unausweichlich! Und ohne dich schaffen wir es nicht!“ Abby schüttelte verzweifelt den Kopf. „Ich kann das alles nicht glauben! Dass Anya … dass sie durch den Pakt … unsterblich geworden ist …“ „Es ist aber so!“ Matt schwang seinen Arm aufgebracht aus. „Hast du etwa noch nicht bemerkt, dass ihre Wunden binnen weniger Stunden komplett verheilen!?“ „S-schon, die Platzwunde, die sie vor einiger Zeit aus Victim's Sanctuary davongetragen hatte, war am nächsten Tag verschwunden, aber-“ „Sei nicht so blind! Der Dämon hat einen Großteil seiner Kräfte auf Anya übertragen, um sie so vor möglichst vielen Gefahrenquellen zu schützen! Abgesehen von anderen Dämonen kann ihr niemand auf lange Sicht auch nur ein Haar krümmen!“ Er schnaubte. „Niemand außer dir.“ „Aber warum ich!?“ Der in einem schwarzen Mantel gekleidete, junge Mann schüttelte den Kopf. „Wenn sie freiwillig ihr Leben aufgeben würde, dann … kann selbst die mächtigste Dämonenmagie ihren Tod nicht verhindern.“ Er stampfte auf. „Und deswegen brauchen wir dich! Du musst sie dazu bringen! Wir sind ihre Feinde, aber du bist vielleicht imstande, ihr die Situation klar zu machen!“ Auf wackeligen Beinen stand das Mädchen auf und hielt sich die Hände auf die Brust. „Nein! Das kannst du nicht von mir verlangen!“ „Du hast bis morgen Abend Zeit, es dir zu überlegen. Triff mich auf dem Schrottplatz, dann werden wir sehen, was aus dir und ihm hier wird.“ Er nickte zu dem Jungen, den er unter dem Arm geklemmt festhielt. Dabei griff er mit seiner anderen Hand in die Manteltasche und zückte eine weiße Karte hervor, auf der in goldener Farbe ein sechskantiger Stern abgebildet war. „Es tut mir leid, dass das sein muss …“ Ein grelles Licht ging von der Karte aus.   Anya war unsterblich, damit niemand 'Eden' aufhalten konnte, dachte Abby betrübt. Nun, da sie wusste, dass sie eine Sirene war – ein Wesen mit starken, magischen Kräften – könnte sie Matts Vorhaben sogar jederzeit direkt ausführen. Sie hatte die Macht, gegen Dämonen wie Levrier zu kämpfen. Es war pure Ironie. Auch Matt wusste darum. Würde er also wiederkommen, um sie zu erpressen? Abby seufzte. Sie hatte mittlerweile so große Angst um ihre Familie, dass sie nachts kaum ein Auge zu tat und immer wieder durch das Haus schlich, um zu sehen, ob Matt oder der andere Dämonenjäger, Alastair, in der Nähe waren.   Es klingelte. Die Schüler standen auf und packten ihre Hefte und Bücher in den Rucksack. Abby beobachtete, wie Anya als Erste das Klassenzimmer verließ. Sie wusste genau, wohin das Mädchen gehen würde – aufs Dach. Das war zwar verboten, aber Anya wäre nicht Anya, wenn sie das jemals interessiert hätte. Es war ihre Zuflucht, wann immer etwas sie so sehr beschäftigte, dass selbst ihr sonst so hervorragend funktionierender Verdrängungsapparat das Problem nicht beseitigen konnte.   „So kann es nicht weitergehen“, meinte jemand hinter Abby. Die drehte sich um und sah erstaunt auf, als der einen Kopf größere Nick mit besorgtem Blick zur Tür starrte, aus der Anya regelrecht geflüchtet war. Als sie sich in die Augen sahen, verzog Nick grinsend das Gesicht. „Ich will meinen Anya-Muffin zurück!“ „A-Anya-Muffin?“ „Hehe, jap. Willst du wissen, wieso ich ihr diesen Spitznamen gegeben habe?“ „… nein“, entgegnete Abby ihm trocken. Dann stöhnte sie. „Aber du hast schon recht. Wir sollten nicht länger zusehen, wie sie alles in sich hineinfrisst. Bestimmt gibt sie sich die Schuld für alles.“ „Garantiert.“ „Huh?“ „Garantiert willst du es wissen, mein ich“, gluckste Nick und Abby wunderte sich immer mehr, was denn mit dem Kerl los war, dass seine Tonlage dauernd schwankte. „Also-“ Sie hielt ihm die Hand vors Gesicht, etwas, was sie sich von Valerie abgeschaut hatte, als diese Anya damals auf dem Schulhof Einhalt geboten hatte. „Kein Bedarf, Nick! Komm lieber mit! Aber rede nur, wenn ich es dir ausdrücklich erlaube! Am besten sag nur 'ja', wenn ich das Wort an dich richte.“ Er blinzelte verdutzt. Dann grinste er. „Ja.“ „Prima! Dann los, wir werden Anya beistehen, ob sie es will, oder nicht!“ Denn Abby wusste bereits genau, wie die erste Reaktion ihrer Freundin aussehen würde …   ~-~-~   Mit besorgter Mimik trat Abby, dicht gefolgt von Nick, aus der Tür des Treppenhäuschens auf dem Dach heraus und schritt über den Beton, dabei nach Anya suchend. Vom mehrere Stockwerke hohen Backsteingebäude hatte man einen guten Überblick über den Campus, der wie ein Kreis mit der Rasenfläche im Inneren gehaltenen wurde. Direkt vor sich sah sie die beiden Sporthallen und das dahinter liegende Footballfeld, als sie sich umdrehte, das etwas kleinere, weiße Gebäude der Unterstufe. Und Anya, die am Rande des Daches saß und die Füße in die Tiefe baumeln ließ. Dabei hatte sie ihr Kinn auf die Faust gelegt, während sie sich mit dem Ellbogen auf dem Oberschenkel abstützte. Sie schien Livington zu beobachten, das hohe, ovale Einkaufszentrum in der Stadtmitte, die anderen kleinen Geschäfte rings herum und die Wohnsiedlungen am Stadtrand. Vorsichtig bewegten sich Abby und Nick auf das Mädchen zu. „Verschwindet“, zischte jenes gereizt, ohne sich überhaupt umzudrehen. „Wir sind hier-“ „Red' ich etwa Chinesisch, Masters?“ Anya drehte den Kopf in einer derart schnellen Bewegung, dass man beinahe glauben konnte, ihr Genick dabei knacken zu hören. „Verzieht euch! Ich hab keinen Bock auf euer Freundschaftsgeschwafel! Mir geht es gut, 'kay? Ich will nur etwas allein sein, das ist alles!“ Abby trat einen Schritt vor und breitete die Arme aus. „Wir sehen das aber anders, stimmt's Nick?“ „Ja“, gab der mechanisch von sich und kicherte dann über seinen gehorsamen Tonfall. Abby funkelte ihn daraufhin böse an und wandte sich wieder an Anya. „Seit Tagen geht das nun so! Dir wird es bestimmt nicht besser gehen, wenn du nur alleine vor dich hin grübelst! Sprich mit uns über Marc, dann-“ Mit einem Ruck war Anya auf den Beinen und drehte sich um. Sie hatte ihre Fäuste geballt und strafte ihre Freundin mit einem Blick, den so mancher gar nicht überlebt hätte. „Hast du was an den Ohren, Masters? Ich-will-nicht-reden!“ „Nick, sag doch was!“, wandte sich das Mädchen verzweifelt an den hochgewachsenen Kerl, dessen dunkelblondes Haar wie gewohnt ungekämmt vor sich hin wucherte. „Ja.“ „Was Konstruktives!“ „Ja!“ Abby seufzte schwer, denn Nicks Idiotie war einfach nicht mehr zu überbieten. Anya verschränkte ungeduldig die Arme und schien darauf zu warten, dass sie beide entweder explodierten oder zumindest das Weite suchten. „Ich zähle bis drei, dann seid ihr von hier verschwunden, oder ich helfe nach! Und ihr wisst genau, was hierfür die schnellste Lösung ist, also nehmt die Beine in die Hand, bevor ich es tue!“ Doch vehement schüttelte das Hippiemädchen den Kopf. „Nichts da, Anya! Ich werde nicht eher gehen, bis wir das geklärt haben!“ „Und was dann?“, fragte die Blondine schneidend. „Tanzen wir zusammen im Kreis?“ „Nein! Aber dann wird alles wenigstens ein Ende haben!“   Unerwartet zog Anya eine Augenbraue an, während sich ihre zornigen Gesichtszüge lösten. „Was meinst du damit?“, fragte sie tonlos. „Was ich gesagt habe! Und wenn du es so nicht willst, dann können wir genauso gut durch ein Duell die Sache endgültig klären! Auch wenn danach nichts mehr von deinem falschen Stolz übrig sein wird!“ Abby hatte sich so in Rage geredet, dass es ihr gleich war, wie dämlich die Idee mit dem Duell war. Aber wenn Anya sich dadurch abreagieren konnte, war das einen Versuch wert. Plötzlich lachte Anya auf, es klang hohl und verbittert. „Ach so ist das also. Jetzt kapiere ich es! Deswegen bist du also hier rauf gekommen! Hätte ich mir ja denken können!“ Verwirrt erwiderte ihr Gegenüber: „Wie meinst du das?“ „War doch klar, dass du auch irgendwann so werden würdest! Hat die Gehirnwäsche dieses Dämonenjägers also endlich Erfolg gehabt, ja!?“, brauste das Mädchen auf. „Musste ja so kommen! Ich habe schließlich Marc gekillt, ich werde zu Eden, ich bin gefährlich! Bla bla bla!“ Erschrocken von ihrem Ausbruch, wich Abby zurück und schüttelte den Kopf. „Nein Anya, du verstehst da was falsch! Ich wollte wegen deinen Schuldgefühlen-“ „Schuldgefühle? Pah!“ Anya verzog ihr Gesicht zu einer boshaft grinsenden Grimasse. „Du irrst dich, Schwester! Ich habe keine Schuldgefühle wegen dem, was mit Marc geschehen ist! Er hat mich zuerst angegriffen und egal wer er auch sein mag, jemand der mich umnieten will, hat kein anderes Schicksal verdient!“ „Anya!“, empörte sich Abby fassungslos. „Hörst du überhaupt, was da aus deinem Mund kommt!?“ „Jedes Wort, Masters! Und dass du jetzt hier bist, um mich kalt zu machen, überrascht mich auch nicht wirklich! Ist ja jetzt der neue Volkssport, Anya umzubringen! Wer es als Erster schafft, bekommt einen Gutschein für Wendy's!“ Die Augen des Mädchens verengten sich zu Schlitzen, als sie in die Hocke ging und nach ihrem Rucksack griff, der am Rande des Daches lag. Dabei blieb sie aber auf Abby fixiert, die alles sprachlos mit ansah. „Aber nicht mit mir, Masters. Meinetwegen könnt ihr euch schon mal anstellen, ich werde jeden von euch eigenhändig ins Jenseits befördern!“ Während sie das sagte, holte sie ihre Duel Disk hervor und legte sie an, ehe sie sich wieder erhob und mit ausgestrecktem Arm zu sich winkte. „Komm nur, Masters. Wenn du meinst, du bist mir gewachsen, dann versuch doch mal dein Glück. Kannst ja deine Sirenenpower benutzen!“   Allerdings war Abby wie erstarrt. Anscheinend hatte Anya sich im Verlauf der letzten Tage irgendetwas eingeredet, sodass sie nun dachte, die ganze Welt wäre ihr Feind. Natürlich musste es ihr so erscheinen, als habe sich alles gegen sie verschworen! Erst Levrier, dann Alastair, Matt, die Patienten von Victim's Sanctuary und nicht zuletzt sogar Marc, auch wenn er nur durch Isfanel manipuliert worden war. Aber das hier war einfach nur ein Missverständnis! Abby wollte schon etwas sagen, als sie Nicks Hand auf ihrer Schulter spürte. Als sie zu ihm aufsah, schüttelte er mit einer wissenden Mimik den Kopf. „Der Anya-Muffin wird nicht zuhören, solange sie im Angriffsmodus ist. Zeige ihr, dass du es ernst meinst und duelliere dich mit ihr.“ Plötzlich grinste er verstohlen. „Und frag sie am besten gleich noch, ob sie mir ein paar ihrer Sprüche aufschreibt!“ Das brünette Mädchen ließ den Kopf hängen. Nick hatte natürlich recht, denn in ihrer derzeitigen emotionalen Lage würde Anya nicht auf ihre Versuche der Schlichtung anspringen. Jedes weitere Wort würde vermutlich nur Öl ins Feuer schütten, Anya nur in ihrer Wut bestärken. Aber war ein Duell die Lösung? Es würde doch nur auf sie so wirken, als wolle Abby ihr wirklich weh tun.   „Was ist, Masters?“, fragte Anya höhnisch. „Hast du Schiss bekommen? Wenn du es 'ernst meinst', dann komm und hol' mich doch, ich bin hier praktisch auf dem Servierteller!“ Verzweifelt schüttelte ihr Gegenüber den Kopf. „Nein! Du verstehst alles falsch! Ich will das nicht-!“ „Mir egal, was du willst! Kämpfe oder verschwinde! Ich brauche weder dich noch sonstwen, 'kay? Wenn du mir'n Messer in den Rücken stechen willst, dann nur zu! Aber dann musst du das Echo vertragen, du feiges Miststück!“ Abby zuckte zusammen. Die Beleidigung ihrer Freundin hatte sie schwer getroffen. Tränen standen ihr in den Augen, die man aufgrund ihrer getönten Brille zum Glück nicht sah. Dass Anya sich nicht sofort helfen lassen würde, war ihr klar gewesen. Aber dass es so schlimm ist, hatte Abby nicht erwartet. Am liebsten würde sie wirklich gehen, bloß wäre sie dann nicht eine schlechte Freundin? Anya hatte auch alles getan, um sie vor einer großen Dummheit zu bewahren. Sie war es ihr einfach schuldig! Das Missverständnis musste aus dem Weg geräumt werden und vielleicht hatte Nick sogar recht. Wenn sie das Duell gewann, Anya aber nicht dabei verletzte, konnte sie sie vielleicht von ihrem Irrtum überzeugen. „Okay, ich mach's“, meinte Abby zögerlich. Sie legte ihre breite Tasche aus zusammengenähter Pappe von diversen Verpackungen ab, welche sie die ganze Zeit bei sich getragen hatte. Daraus holte sie unter all den Büchern eine Action Figur heraus, einen jungen Mann mit spitzen Haaren, die in ganze drei Farben getaucht waren. Von seinem Arm nahm sie die kleine Battle City-Duel Disk ab, die binnen eines Lidschlags die Größe des Originals erreicht hatte. „Abgefahren!“, staunte Nick dabei. „So was will ich auch, eine Schrumpf-Duel Disk!“ „Idiot!“, zischte Anya sauer, auch wenn sie einen Moment lang ebenfalls danach den Anschein erweckt hatte, als habe Abbys Zaubertrick sie beeindruckt. „Das ist doch nur ein Kunststück von ihr, sie ist schließlich 'ne beschissene Sirene! Fiktion zu Realität und so'n Bullshit! Aber das juckt mich nicht.“ Seufzend legte Abby sich den Apparat an und schob ihr Deck, welches sie ebenfalls aus der Tasche geholt hatte, in den dazugehörigen Schacht. Eigentlich hatte sie sich diese Vorführung aufheben wollen, um Anya aufzuheitern. Wäre sie gerade nicht so engstirnig, hätte sie das bestimmt cool gefunden. Doch so … Im Endeffekt war es auch egal. Jetzt musste sie erstmal zusehen, wie sie diese Furie bändigen konnte, ohne dabei sich oder jene vom Dach zu stürzen.   „Ich bin bereit“, meinte Abby schließlich resignierend. Wie eine Katze schlich Anya dabei um die beiden und stellte sich schließlich nahe an den Rand des Daches. „Was soll das!?“, fragte ihre Freundin daraufhin verwirrt. „Macht es nur interessanter und leichter für dich!“, meinte Anya tollkühn. „Kannst ja versuchen, mich mit deinen Superkräften runter zu werfen! Sofern du nicht als Erste mit dem Kopf im Boden steckst natürlich!“ Abby jedoch weigerte sich. „Bei so etwas mache ich nicht mit!“ „Feigling! Hast du etwa Schiss, dich könnten ein paar Hologramme umwerfen?“ Anya zuckte provozierend mit den Schultern. „Wie erbärmlich! Und du willst 'ne Attentäterin der 'Guten' sein? Das ich nicht lache …“ Nicht vor den Hologrammen hatte sie Angst, dachte Abby besorgt. Sondern vor dem, was Anya durch sie versuchen würde. Dass sie dabei gar nicht auf etwaige Attacken ihrer Monster angewiesen war, wusste Anya hoffentlich nicht. Die Hologramme dienten lediglich wie Auslöser für die Kräfte, die Levrier ihr vermacht hatte. Abby betete dafür, dass jener Anya bisher noch nicht in ihrem Umgang unterwiesen hatte. Andernfalls sah es schlecht für sie aus.   Widerwillig schritt Abby zum anderen Ende des Daches. Eine andere Wahl hatte sie nicht, außer, sie würde das Ganze abbrechen und wieder gehen. Aber welche Folgen das hätte, wollte sie sich gar nicht ausmalen. Das Mädchen wusste, dass sie extrem vorsichtig sein musste, um nicht zu Schaden zu kommen. „Brav, Masters“, raunte Anya böswillig. „In dir steckt ja doch etwas Mumm, hätt' ich gar nicht gedacht. Den wirst du auch dringend benötigen, schließlich legst du dich mit mir an! Ich werde jeden von euch überleben, da kannst du Gift drauf nehmen!“ „Besser nicht“, meinte Nick von der Seite her glucksend, wobei er an dem Treppenhäuschen angelehnt stand, „dann wäre sie ja tot.“ „Blitzmerker“, zischte Anya verächtlich und streckte ihren Arm mit der Duel Disk aus. „Na dann, können wir endlich anfangen!?“ Abby nickte knapp, dann rief ihre Freundin laut: „Duell!“   [Anya: 4000LP / Abby: 4000LP] „Ich mache den ersten Zug!“, polterte Anya und zog gleich sechs Karten, ehe Abby etwas einwenden konnte. Sie beäugte nachdenklich ihr Blatt, ehe sie sich zwei Karten daraus griff. Die erste legte sie verdeckt in horizontaler Lage auf ihre Monsterkartenzone, die andere schob sie darunter in den Schlitz für die Zauber- und Fallenkarten. „Diese beiden hier, mehr nicht!“ In vergrößerter Form tauchten ihre gesetzten Karten vor ihren Füßen auf.   Abby schluckte den dicken Kloß in ihrem Hals herunter und zog nun ihrerseits. Sie sollte das lieber schnell beenden, war dabei ihr Gedanke. „Okay, ich beschwöre [Naturia Pumpkin]! Und da du ein Monster kontrollierst, darf ich durch seinen Effekt noch ein Naturia-Monster von meiner Hand beschwören! So zum Beispiel [Naturia Vein]!“ Zwei Monster erschienen auf ihrer Spielfeldseite. Eines von ihnen war ein grüner Kürbis auf Beinen, der ein zufriedenes Gesicht auf seinem runden Körper machte. Das andere hingegen war ein kleines, tanzendes Blatt, welches seine winzigen Arme in die Höhe streckte.   Naturia Pumpkin [ATK/1400 DEF/800 (4)] Naturia Vein [ATK/200 DEF/300 (1)]   „Wusst' ich's doch“, brummte Anya unberührt. Abby streckte den Arm gen Himmel, wodurch das kleine Blatt und der Kürbis in die Höhe aufzusteigen begannen. „[Naturia Vein] ist ein Empfänger-Monster, deswegen stimme ich es jetzt auf [Naturia Pumpkin] ab! Oh great god of the west! Rule this land with your penetrating gaze and justice! Synchro Summon! Roar proudly, [Naturia Beast]!“ Es gab einen grellen Lichtblitz, als sich das Blatt in einen grünen Ring verwandelte, durch das der Kürbis flog. Mit einem gefährlichen Brüllen sprang ein weiß-grüner Tiger mit Beinen aus Holz hinter Abby hervor und ging stolz in die Hocke. Sein freundlicher Blick täuschte dabei durchaus über die Gefahr hinweg, die von ihm ausging.   Naturia Beast [ATK/2200 DEF/1700 (5)]   Abby biss die Zähne zusammen. Sie musste das hier schnell beenden, damit Anya sich beruhigen konnte. Also streckte sie kämpferisch den Arm aus. „[Naturia Beast], zerstöre ihr verdecktes Monster!“ Der Tiger sprintete auf die gesetzte Karte zu, aus welcher ein Ritter in saphirblauer Rüstung erschien. Zwar schuf dieser eine Barriere aus gefrierendem Wasser, doch die Pranke seines Kontrahenten war stärker und zerschlug das Eis, riss den Krieger entzwei.   Gem-Knight Sapphire [ATK/0 DEF/2100 (4)]   Anya wich dabei glatt einen Schritt zurück und hielt sich die Arme vors Gesicht, so als erwarte sie, gleich angefallen zu werden. Was jedoch nicht eintrat. „So viel dazu“, murrte Anya, als sie die Gefahr vorüber glaubte. In ihren blauen Augen funkelte pure Feindseligkeit, die Abby regelrecht beängstigend fand. „Ich beende meinen Zug“, kündigte diese schließlich an. „Anya, bitte-“ „Halt die Klappe!“   Schwungvoll zog die Blondine. Anhand ihres grimmigen Gesichtsausdruckes hätte man meinen können, dass sie eine richtige Rockerbraut war, trug sie schließlich eine schwarze Lederjacke über ihrem gleichfarbigen Totenkopf-Shirt. Und in ihr brodelte es wie in einem Vulkan. Nie glaubte Anya, so viel Zorn verspürt zu haben. Warum meinte die ganze Welt plötzlich ihr Feind sein zu müssen? Das war alles nur Levriers Schuld! Hätte sie doch nur nie diesen Pakt geschlossen! Sie fixierte sich auf Abby. Die hatte es auch nicht anders gewollt. Wer nicht hören will, muss eben fühlen und wer Anya kannte wusste, dass damit nur Schmerzen gemeint sein konnten. Und genau das wollte sie Abby zufügen, Schmerzen! Der Blick der Blondine fiel auf ihr Blatt. Unter anderem befand sich dort [Gem-Knight Fusion], doch Anya wusste, dass [Naturia Beast] jede Zauberkarte spielend leicht außer Gefecht zu setzen vermochte. Allerdings hatte sie von Anfang an damit gerechnet, dass ihre Gegnerin ohne Umschweife sofort die großen Geschütze auffahren würde. Wie gut, dass sie das alles mit eingeplant hatte. „Verdeckte Falle aktivieren!“, rief sie entschlossen und schwang mit ihrem Arm über die gemeinte Karte, wodurch diese aufsprang. „[Birthright]! Sie reanimiert eines meiner normalen Monster vom Friedhof in Angriffsposition! Kehre zurück, Sapphire!“ Aus dem Boden entstieg vor ihr der Ritter des Saphirs, welcher symbolisch auf seinem Brustpanzer eingelassen war.   Gem-Knight Sapphire [ATK/0 DEF/2100 (4)]   „Von meiner Hand beschwöre ich nun [Gem-Knight Iolite]!“, rief Anya daraufhin und knallte das Monster auf ihre mittlerweile über 20 Jahre alte Battle City-Duel Disk, welche immer noch tadellos funktionierte. Ein weiterer Ritter in hellblauer Rüstung tauchte vor Anya auf, doch anders als Sapphire, führte er eine Waffe mit sich. Es war eine abgerundete Klinge aus purem Wasser, ähnlich einem Säbel.   Gem-Knight Iolite [ATK/1300 DEF/2000 (4)]   Anya streckte ihren Arm in die Höhe, dabei Abby nicht aus den Augen lassend, an deren nervösem Blick sie bereits ablesen konnte, dass jene wusste, was nun geschehen würde. „Meine beiden Stufe 4-Monster werden zu einem Rang 4-Monster! Ich erschaffe das Overlay Network! Komm herbei, [Gem-Knight Pearl]!“ Ein schwarzer Wirbel öffnete sich mitten im Spielfeld und sog die braunen Lebensessenzen der Ritter in sich auf, bevor aus ihm ein neuer Krieger erschien. In schlichter, weißer Rüstung gekleidet, stieg dieser majestätisch mit verschränkten Armen in die Höhe, gefolgt von einer Schar riesiger, rosafarbener Perlen.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4}]   Mit dem Zeigefinger deutete Anya auf den Tiger ihrer Gegnerin, der auf allen Vieren bereits den Angriff erwartete. „Blessed Spheres of Purity!“ Pearl schoss seine Perlen auf den Tiger ab, der einer nach der anderen geschickt auswich, sich dabei in Abbys Richtung zurückzog. Doch er ahnte nicht, dass die Kugeln über das Dach der Schule hinausflogen und in der Luft stehen blieben, ehe sie wie ein Bumerang zurückkamen und Abbys gesamtes Spielfeld in Explosionen tauchten. Diese schrie auf, während gleichzeitig das Mal an Anyas Arm bräunlich leuchtete.   [Anya: 4000LP / Abby: 4000LP → 3600LP] „Lass dir das eine Lehre sein, dich mit mir anzulegen“, meinte Anya kaltherzig, während der Rauch sich verzog. Abby lag auf den Knien und sah ziemlich mitgenommen aus, ihr beigefarbenes Kleid an einigen Stellen verdreckt und zerfetzt. Vollkommen getroffen von Anyas realem Angriff, sagte sie kein Wort und starrte ihre Freundin nur fassungslos an. Die zuckte nicht einmal mit der Wimper, sondern führte ihren Zug fort. „Da ich jetzt wieder Zauberkarten aktivieren kann, spiele ich [Gem-Knight Fusion]!“ Über ihr erschien ein Wirbel aus den verschiedensten Edelsteinen, welcher zwei Krieger in jeweils rostbrauner und grüner Rüstung in sich zog. „Ich verschmelze damit [Gem-Knight Garnet] und [Gem-Knight Emerald]! Garnet, du bist das Herz! Emerald, du die Rüstung! Erscheine, [Gem-Knight Ruby]!“ Aus dem Sog schoss ein Ritter mit blauem, wehendem Umhang, welcher sich vor Anya stellte und stolz seine Lanze schwang.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)]   Anya steckte eine Fallenkarte in den dazugehörigen Schlitz unter Ruby. „Diese hier verdeckt! Damit beende ich meinen Zug!“ Gleichzeitig hielt Abby sich den linken Arm, welcher von Pearls Angriff leicht verletzt worden war und erhob sich. Noch immer war sie ein Bildnis der Fassungslosigkeit, doch schließlich schluckte sie ihren inneren wie äußeren Schmerz hinunter und zog. Sie redete sich ein, dass Anya all das nur tat, weil sie insgeheim Angst hatte. Angst davor zu sterben. Abby wusste, dass sie ihre Freundin nur davon überzeugen konnte, dass von ihr keine Gefahr ausging, wenn sie alles erduldete, was Anya ihr entgegen brachte. Auch wenn sie sich also in ihrer Sirenenform vor den Angriffen ihrer Freundin besser schützen konnte, durfte sie sich nicht verwandeln, um keinen falschen Eindruck zu erwecken. Zwar bedeutete das, dass sie mit weiteren Verletzungen oder gar Schlimmerem rechnen musste, aber eine andere Wahl hatte sie nicht.   „Okay“, meinte sie zögerlich und versuchte dabei, die Taffe zu mimen und lächelte verloren. „Mein Zug!“ Als sie ihre gezogene Karte ansah, strahlte sie vor Freude, was Anya mit einer abweisenden Grimasse quittierte. Vermutlich dachte sie, dass Abby einen Weg gefunden hatte, sie zu besiegen, was vielleicht auch gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt war. „Von meiner Hand der Zauber [Monster Reborn]! Damit reanimiere ich [Naturia Beast] vo-“ „Nichts wirst du! Konter!“, fauchte ihre Gegnerin bestimmend und schwang den Arm aus, woraufhin ihre Fallenkarte aufsprang. „[Paradox Fusion]! Indem ich ein Fusionsmonster, also Ruby, bis zur End Phase meines übernächsten Zuges verbanne, kann ich die Aktivierung einer beliebigen Karte verhindern! Also bleibt der Flohzirkus da, wo er ist!“ Das Hologramm von [Gem-Knight Ruby] flackerte unstet auf, zersetzte sich in viele kleine, hellblaue Kästchen, ehe es schließlich verschwand. Doch Abby grinste nur in sich hinein. Hatte sie es doch gewusst! Warum sonst hatte Anya zuvor ein Fusionsmonster gerufen, obwohl ihre Battle Phase längst vorüber war? Zwar mochte es an sich kein schlechter Gedanke gewesen sein, den Gegner mit [Paradox Fusion] ausstechen zu wollen, doch leider – oder eher zum Glück – kannte Abby ihre Freundin zu gut und wusste genau, wie sie tickte. Damit stand der Weg nun frei für ihre wahre Offensive! „Na gut, dann rufe ich nun von meiner Hand [Gale Dogra]!“ Eine grüne Motte erschien vor ihr und erzeugte mit ihren blauen Schwingen einen Wirbelwind aus glitzerndem Staub, der Abby umgab.   Gale Dogra [ATK/650 DEF/600 (2)]   Verdutzt blinzelte Anya, die dieses Monster noch nie zuvor gesehen hatte. „Kein Naturia? Was für'n Teil ist das denn?“ Ihre Gegnerin zwinkerte verspielt. „Ein sehr nützlicher Gefährte! Für 3000 Lebenspunkte kann ich sofort ein Monster aus meinem Extradeck auf den Friedhof legen!“ Anya brach in schallendes Gelächter aus. „Im Ernst!? Willst du etwa freiwillig verlieren? Hast du etwa Schiss bekommen, Masters?“ Doch Abby nahm den Hohn ihrer Freundin gelassen. „Nicht ganz.“ Sie zeigte [Naturia Barkion] vor, ehe sie diesen in den Friedhofsschacht ihrer Duel Disk schob. Kurz darauf wurde der Staub um sie dichter, sodass einen Moment lang nichts von Abby zu sehen war.   [Anya: 4000LP / Abby: 3600LP → 600LP]   „Pah!“, raunte Anya und verschränkte in ihrer Überheblichkeit die Arme voreinander. „Lach du nur“, erwiderte Abby und zückte zwei Zauberkarten aus ihrem Blatt, die sie in ihre Duel Disk einschob. „Bald lachen wir wieder zusammen! Ich aktiviere [Supremacy Berry] und eine weitere Zauberkarte! Doch zunächst zu [Supremacy Berry]! Sie schenkt mir 2000 Lebenspunkte, wenn meine im Vergleich zu deinen niedriger sind.“ Eine weiße Friedenstaube mit einem Ölzweig im Schnabel landete auf Abbys Schulter, welche das Tier liebevoll betrachtete, ehe es davonflog und damit einen Regen aus hellblauen Lichtkugeln über Abby niedergehen ließ.   [Anya: 4000LP / Abby: 600LP → 2600LP]   „Okay, was ist das für ein Bullshit?“, verlange Anya zu wissen. „Kannst du dich mal entscheiden, was du nun willst?“ Ihre Gegnerin lächelte wissend. „Ich weiß genau, was ich will! Dass es dir besser geht!“ „Hör auf, Masters! Du dummlallst mal wieder! Sei lieber ehrlich, denn ich glaube dir sowieso kein Wort! Die ganze Welt ist gegen mich und du bist letztlich auch nur eine von vielen!“ „Du irrst dich!“, widersprach Abby beherzt. Aber sie wusste, dass es vergebene Liebesmüh war, Anya von ihrem Irrtum auf verbaler Ebene überzeugen zu wollen. Das konnte sie nur durch Taten, und zwar, indem sie Anya besiegte, ohne ihr ein Haar zu krümmen. „Von wegen! Ihr seid im Grunde doch alle gleich! Kaum seht ihr etwas, das ihr nicht versteht, muss es sofort böse und schlecht sein! Erzählt mir doch nichts!“   In sich hinein seufzend, dachte Abby, dass sie wohl am besten wusste, was es bedeutete anders zu sein und gefürchtet zu werden. Wer außer Nick und Anya würde sie schon akzeptieren, wenn man erfuhr, dass sie eine Sirene war? Diese zwei mochten etliche Macken haben, aber sie waren im Grunde ihres Herzens gute Menschen. Und allein schon deswegen würde sie um Anya kämpfen! „Du wirst es noch sehen“, meinte Abby entschlossen und deutete auf ihre zweite Zauberkarte, „aber bis das geschieht, musst du dich erstmal hiermit auseinander setzen! Diese Karte dient einzig allein dem Zweck, mein mächtigstes Monster zu beschwören! Sie nennt sich [Miracle Synchro Fusion]!“ Anya runzelte die Stirn und kratzte sich unwissend am Kopf. „Miracle-was-jetzt!?“ „Durch sie kann ich zwei Monster auf meinem Friedhof verschmelzen und anschließend verbannen, um ein Fusionsmonster von meinem Extradeck zu beschwören! Voraussetzung dafür ist allerdings, dass mindestens eines der hierbei benutzten Fusionsmaterialien ein Synchromonster ist! Was bei meinem Monster sogar in doppelter Hinsicht der Fall ist, da sowohl [Naturia Beast], als auch [Naturia Barkion] Synchromonster sind.“ Sie hielt die beiden weißen Karten zwischen ihren Finger und hielt sie in die Höhe. „Und jetzt werdet eins! Erscheine und entführe uns in eine Welt voller Schönheit und Wohlstand! Komm herbei, [Naturia Exterio]!“ Überall um die beiden jungen Frauen herum begannen Blumen aus dem Beton zu wachsen. Ein merkwürdiges, fauchendes Brüllen ertönte über dem Dach. Aus dem Nichts landete mit einem Satz eine mannshohe, vierbeinige Gestalt vor Abby. Es war der grün-weiße Tiger, doch anders als zuvor, wies er jetzt Merkmale des Drachen [Naturia Barkion] auf. So trug er dessen Schädel wie einen Helm, während aus seinen Läufen schuppige Holzrinde wuchs.   Naturia Exterio [ATK/2800 DEF/2400 (10)]   „Crap“, raunte Anya bei Exterios Anblick genervt. Nicht nur, dass sie Abby jenes Monster noch nie hatte benutzen sehen, nein, es war auch noch stärker als ihr Pearl. Und genau das wusste ihre Gegnerin auch auszunutzen, als sie den Arm befehligend ausstreckte. „Los, attackiere [Gem-Knight Pearl]! Tut mir leid, Anya, aber das muss jetzt sein!“ Ihre Kreatur preschte auf den schwebenden Ritter zu, welcher seine Perlen vor sich als Schutzwall aufbaute. Doch dem gewaltigen Prankenhieb Exterios waren sich nicht gewachsen, welcher die Edelsteine zerschlug und ein Loch in Pearls Brust riss. „Warum ist dieses Ding nur so verdammt nutzlos!?“, fauchte Anya wütend, als ihr Krieger in einer Explosion unterging. Instinktiv wich sie zurück, um nichts davon abzubekommen.   [Anya: 4000LP → 3800LP / Abby: 2600LP]   „[Gale Dogra], direkter Angriff auf ihre Lebenspunkte!“, hörte sie da schon Abby rufen. Aus dem Rauch zischte die kleine Motte hervor und rammte Anya. Diese stolperte jedoch nur vor Schreck rückwärts, anstatt von der Wucht der Attacke getroffen zu werden. Die Blondine hielt sich daraufhin verwundert die Brust und schüttelte uneinsichtig den Kopf. „Glückstreffer!“   [Anya: 3800LP → 3150LP / Abby: 2600LP]   „Ich beende meinen Zug“, meinte Abby besorgt. „Anya … ich will dir nicht weh tun. Warum verstehst du das nicht?“ „Erspare mir dieses Geblubber und halt den Rand, ich muss mich konzentrieren“, zischte ihre Freundin im Angesicht ihres leeren Feldes und rief: „Mein Zug, Draw!“ Dabei sah ihre Situation alles andere als rosig aus. Denn nicht nur hatte Abby die Kontrolle über das Duell, nein, es fehlte Anya auch an Handkarten. Diese eine nächste könnte schon alles entscheiden. Doch so leicht würde Anya es ihr nicht machen! Es war wie ein Impuls, der durch das Mädchen ging, als sie zog. So erschien es ihr, als würde ihr Mal kurz ziepen. Allerdings war das vermutlich nur Einbildung und als Anya ihre gezogene Karte betrachtete, waren jegliche Gedanken betreffend jenes seltsamen Gefühls längst verflogen. „Für den Anfang nicht schlecht! Ich beschwöre [Gem-Armadillo]! Und durch seinen Effekt kann ich einen Gem-Knight vom Deck auf die Hand nehmen, wenn er als Normalbeschwörung gerufen wird! So wie [Gem-Knight Tourmaline]!“ Während das schwebende, beinlose Gürteltier vor ihr auftauchte, zeigte Anya das gesuchte, gelb-umrandete Monster hervor und grinste hinterhältig.   Gem-Armadillo [ATK/1700 DEF/500 (4)]   „Wegrennen ist keine Option!“, rief Anya lautstark. „Los [Gem-Armadillo], auf ins Gefecht! Mach uns den Schädlingsbekämpfer!“ Das geisterhafte, braune Gürteltier teleportierte sich direkt vor Abbys Motte und riss ihr mit seinen Klauenhänden die Flügel aus, woraufhin diese sich auflöste. Es folgte eine Explosion, die Abby nach hinten fallen ließ, dicht an den Rand des Gebäudes.   [Anya: 3150LP / Abby: 2600LP → 1550LP]   Ächzend erhob diese sich und war gleichwohl überrascht, nachdem Anya das Ende ihres Zuges angekündigt hatte. Was war dieses Gefühl gerade eben gewesen? Dieser Druck in ihrem Inneren? War das Anyas Werk gewesen? Abby biss sich auf die Unterlippe. Selbst in ihrer derzeitigen Lage ging Anya in die Offensive, statt sich zu schützen. Dabei war ihr Kampf hoffnungslos, auch wenn sie davon noch nichts ahnte. Denn [Naturia Exterios] besondere Fähigkeit würde ihr jede Chance zum Sieg nehmen. Dennoch … hatte Anya soeben eine weitere Fähigkeit Levriers, neben dem Erzeugen von Angriffswellen, eingesetzt? Oder war es doch nur ihre Einbildung gewesen? Mit Unbehagen schüttelte das Hippiemädchen den Kopf. Im Grunde spielte es keine Rolle, denn es änderte nichts an ihrem gesetzten Ziel, Anya zur Vernunft zu bringen. „Mein Zug“, verkündete sie kämpferisch. „Draw!“ Tief durchatmend, überlegte sie, was sie ihrer Freundin sagen könnte. Da Worte bisher jedoch erfolglos geblieben waren, erkannte Abby, dass Schweigen durchaus eine Alternative darstellte. Vielleicht würde Anya das viel eher zu schätzen wissen? Also beschränkte sie sich auf das Duell und nahm eine Monsterkarte von ihrem Blatt. „Ich beschwöre die [Naturia Strawberry]!“ Kichernd sprang daraufhin eine überdimensionale Erdbeere auf Beinen vor Abby hin und her und hielt sich dabei ihren großen Kopf.   Naturia Strawberry [ATK/1600 DEF/1200 (4)]   „Tch!“, höhnte Anya. Sie runzelte die Stirn und behielt denselben feindseligen Blick bei, welcher Abby seither so zu schaffen machte. Und in ihm erkannte sie letztlich, dass weder sie noch Nick die Freunde waren, die Anya im Moment brauchte. „Sorry“, murmelte Abby leise. Nicht wissend, welche Art von Freund Anya überhaupt in ihrer Situation an sich heranlassen würde. Jemand, vor dem sie Respekt hatte? Aber gab es diese Person überhaupt? Abby schluckte. Marc wäre so ein Freund gewesen. Doch ausgerechnet der war nun tot. Es war wie ein Teufelskreis und auch wenn sie diesen hartnäckig durchbrechen wollte, bekam Abby durch ihre Erkenntnis langsam Zweifel an ihrem Tun. „Nein“, murmelte sie leise. Sie hatte diesen Kampf begonnen, sie würde ihn auch zu Ende führen, selbst wenn das Ergebnis nicht optimal ausfallen würde. Irgendwie erinnerte sie dies an Matts Worte. Wie konnte man wissen, ob das, was man erreichen will, nicht letztlich das Gegenteil brachte … Sie schüttelte den Kopf, um ihn von diesen Gedanken frei zu machen. Niemand konnte in die Zukunft sehen! Dann zeigte sie auf Anyas Monster. „Exterio, greife [Gem-Armadillo] an! Strawberry, du im Anschluss direkt!“ Wieder stürmte ihre riesige Bestie hervor und streckte das Gürteltier mit einem Prankenhieb nieder, während die Erdbeere Anya einen Kopfstoß in den Magen verpasste, allerdings durch jenen hindurch flog. Die Blondine ächzte dennoch und zuckte zusammen.   [Anya: 3150LP → 450LP / Abby: 1550LP]   „Hast du nicht mehr drauf!?“, mimte Anya die Unbekümmerte, auch wenn Abby genau sehen konnte, wie ihre Hände unaufhörlich zitterten. „Zug beendet“, erwiderte das brünette Mädchen daraufhin mitfühlend. All die Kämpfe hatten Anya schon jetzt gezeichnet. Wie würde sie erst werden, wenn sie wusste, was wirklich auf sie zukam? Wenn Matts Theorie stimmte und Anya selbst nach Edens Erwachen weiterexistieren würde? Dann würde sie … Nein! Es gab keinen Beweis dafür, dass er überhaupt die Wahrheit sprach! Womöglich war alles, was er ihr erzählt hatte, erstunken und erlogen, nur um sie in seine Pläne einzuspinnen! Und dennoch …   Abby schreckte auf, als Anya mit einem Kampfschrei zog. Wieder war da dieser Druck in der Brust, dieses Mal etwas stärker. Was war das bloß? Ging das von Anya aus oder war sie krank, fragte das Mädchen sich irritiert. Ihre Gegnerin jedoch grinste heimtückisch, obwohl sie urplötzlich ein wenig außer Atem schien und keuchte. „Sieht so aus, als wäre die Glücksfee heute auf meiner Seite! Ich verbanne [Gem-Knight Iolite] von meinem Friedhof und erhalte von dort [Gem-Knight Fusion] zurück! Die aktiviere ich und verschmelze-“ „Tut mir leid, Anya, aber das wirst du nicht!“, widersprach ihre Gegnerin. „Ich aktiviere den Effekt von Exterio!“ Dieser gab ein stolzes Gebrüll von sich, während durchsichtiges Moos aus Abbys Duel Disk wuchs. Jene schnappte sich die [Supremcy Berry]-Karte von ihrem Friedhof und steckte sie in eine Tasche ihres Kleides, bevor sie von ihrem Deck die oberste Karte, [Naturia Butterfly], nahm und in den Friedhofsschlitz schob. Kurz darauf zersprang Anyas Zauberkarte, die sich in der Zwischenzeit vor ihr aufgestellt hatte. „Huh!?“ „Exterio kann für den Preis einer Deckkarte und dem Verbannen einer Karte aus meinem Friedhof jede Zauber- oder Fallenkarte annullieren. Und das ohne Beschränkung!“, erklärte Abby. Anya schüttelte ungläubig ihr Haupt und trat einen Schritt zurück. „W-was ist das für ein Mistvieh!? Das heißt, ich kann keine Zauber und Fallen mehr spielen, solange du genug Vorrat an Deckkarten hast!?“ Ihr Gegenüber nickte. Das war die wahre Stärke von [Naturia Exterio], denn dadurch, dass jedes Mal eine Deckkarte geopfert wurde, konnte gleichzeitig der Bedarf für den nächsten Einsatz des Effekts gedeckt werden. Eine verhängnisvolle Kette. „Denkst du, das beeindruckt mich?“, donnerte Anya kämpferischer denn je. „Ich werde dich dennoch alle machen! Ich beschwöre [Gem-Knight Alexandrite] und nutze seinen Effekt ihn zu opfern, um ein normales Gem-Knight-Monster von meinem Deck zu rufen! Komm, [Gem-Knight Crystal]!“   Gem-Knight Alexandrite [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   Vor ihr erschien kurz darauf ein Ritter in silberner Rüstung, die mit vielen verschiedenfarbigen Edelsteinen geschmückt war. Doch er löste sich im Anschluss in Licht auf und machte einem weißen Ritter mit den Kristallschulterplatten Platz, der stolz seine Hände in die Hüften stemmte.   Gem-Knight Crystal [ATK/2450 DEF/1950 (7)]   Plötzlich schwoll die Erdbeere von Abby etwa um ein Drittel seines Körperumfangs an.   Naturia Strawberry [ATK/1600 → 2000 DEF/1200 (4)]   „Was soll das denn!?“ „Strawberry erhält für das erste Monster, das du beschwörst, 100 Angriffspunkte pro Stufenstern. Das sind bei Alexandrite genau 400 Angriffspunkte“, erklärte Abby. Dabei sah sie zufällig zum Treppenhäuschen, an dem Nick mit verschränkten Armen angelehnt stand und zusah. Es war merkwürdig, ihn so still zu erleben. Täuschte sie sich oder dachte er, Nick Harper, tatsächlich nach? Als er ihren Blick bemerkte, grinste er breit. Nein, bestimmt war das nur ein Irrtum! Anya zischte zeitgleich und reckte das Kinn vor. „Als ob das reicht! Crystal, macht das Gemüse dennoch kalt! Clear Punishment!“ Vor Entsetzen klappte Abby glatt die Kinnlade hinunter. „Aber Erdbeeren sind doch Obst!“ „Schnauze, Masters, das weiß ich selbst! Kümmere dich lieber um dich selbst, denn wie's aussieht, hast du ein fettes Problem an der Laberbacke!“ Crystal schlug mit seiner Faust auf den Boden und brachte den Beton damit zum Zersplittern. Ein feiner Riss tat sich inmitten des Spielfelds auf und zischte auf Abby zu. Aus ihm schossen Kristalldornen auf das Mädchen zu, welche jenen nur entkam, da sie schnell genug einen Hechtsprung zur Seite machte. Und während Abby mit dem Saum ihres Kleid an einem Dorn hängen blieb, wobei jenes im Gegenzug durch ihren Fall einriss, wurde ihr Monster von den Spitzen aufgespießt.   [Anya: 450LP / Abby: 1550LP → 1100LP]   „Owww“, jammerte Abby, die hart gelandet war und torkelte zurück zu ihrer alten Position. Das war knapp. Um ein Haar wäre sie zu einem Sieb mutiert! Anya war wirklich entschlossen, ihr das Leben zur Hölle zu machen. Eine Kunst, die sie nun endgültig perfektioniert hatte, wie Abby sich mit mulmigem Gefühl eingestehen musste. „Pfff, ich beende.“ Anya streckte den Arm rechts von sich aus. „Damit kehrt nun Ruby endlich zurück aufs Spielfeld.“ „Ruby?“, erschrak ihre Gegnerin, als neben Anya der Ritter im blauen Umhang und mit der Lanze in den Händen erschien. „Den hatte ich ja ganz vergessen!“   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)]   Als Abby anschließend zog, musste sie feststellen, nichts Brauchbares auf der Hand zu haben. Es stand jedoch fest, dass sie den Rubinritter besiegen musste, bevor Anya ihren nächsten Zug begann. Denn jener konnte seine Angriffskraft erhöhen, indem er durch seinen Monstereffekt einfach einen anderen Gem-Knight opferte. Dagegen konnte selbst [Naturia Exterio] nichts unternehmen, also war offensichtlich, was sie zu tun hatte. Abby zeigte kämpferisch auf den Krieger. „Exterio, zerstöre [Gem-Knight Ruby]!“ „Du-!“, zischte Anya, der das gar nicht zusagte. Doch sie konnte nur mit griesgrämiger Mimik mit ansehen, wie die riesige Tigerbestie auch diesen Feind mit seinen Pranken niederstreckte.   [Anya: 450LP → 150LP / Abby: 1100LP]   Als Exterio ihr von Angesicht zu Angesicht gegenüber stand, nahm Anya einen Schritt zurück und neigte sich ein wenig vor, bereit, sofort in jede Richtung ausweichen zu können. Aber Abbys Monster drehte ihr desinteressiert den Rücken zu und kehrte zu seiner Besitzerin zurück, um sich vor ihr hinzulegen. „Mehr kann ich nicht tun“, kündigte Abby an. Sowohl im Duell, als auch im Kampf um Anyas Aufmerksamkeit. Über die blinde Rage und Zerstörungswut schien Anya sogar das Versprechen vergessen zu haben, das sie ihr einst gegeben hatte. Und Abby fragte sich erstmals, ob so etwas dann überhaupt noch eine Freundschaft war? Andererseits war sie keinen Deut besser, schließlich verheimlichte sie Anya so einiges. Das Mädchen ließ den Kopf hängen. Alles war so kompliziert geworden, seit Levrier aufgetaucht war. Aber der tat auch nur das, was in seiner Natur lag …   Plötzlich spürte Abby ein Stechen in ihrem Körper, wie sie es noch nie gefühlt hatte. Sie blickte auf und sah mit Schrecken, dass etwas an Anya sich verändert hatte. Ihre Augen, sie glühten weiß, genau wie ihre Hand, die von einer seltsamen Energie umgeben war. Der Pferdeschwanz der Blondine peitschte wild durch die Luft, während das Mädchen Mittel- und Zeigefinger an ihr Deck legte. Dabei keuchte sie, als bekäme sie kaum noch Luft. „Was ist das!?“ „Du … ich kann dir gar nicht sagen, was ich am liebsten alles mit dir und Nick machen würde! Wo wart ihr, als es passiert ist!?“ „W-“ „Immer seid ihr auf Hilfe angewiesen! Alleine kriegt ihr doch gar nichts auf die Reihe! Wenn ich nicht wäre, wärt ihr schon längst tot! Und wo seid ihr, wenn ich euch brauche!?“ Anya schnaufte und lächelte zynisch. „Überall, nur nicht bei mir! Erspart mir euer ganzes Gelaber, ich will es gar nicht hören! Ich brauche keine Freunde, ihr seid so oder so nutzlos! Draw!“ Abby schrie vor Schreck auf, wurde sie durch das Licht, welches von Anyas Arm mit dem Mal ausging, doch glatt geblendet. Dabei stieß ihr ein heftiger Wind entgegen, der ihr ohnehin ungebändigtes Haar und den Saum ihres Kleides wild flattern ließ. Stechender als dieses seltsame Gefühl waren nur die Worte des Mädchens, entstanden aus purer Verbitterung. Und doch wusste Abby, dass Anya nicht ganz Unrecht hatte, was alles nur viel schlimmer machte. Sah es wirklich so in ihrer besten Freundin aus, fragte Abby sich betroffen.   Als das Licht um Anyas Arm erlosch und ihre Hand nur noch ein wenig glühte, hielt sie zwischen ihren Fingern eine Karte und grinste dreckig. „Na so was? Die Glücksfee ist heute wirklich auf meiner Seite!“ „Was hast du da getan?“, fragte Abby verängstigt. Levrier musste irgendeine Kraft freigesetzt haben, anders war dieses Phänomen nicht zu erklären. Und plötzlich ging ihr ein Licht auf. „Du hast dieselbe Fähigkeit wie Al-“ „Ich beschwöre [Gem-Knight Tourmaline]“, unterbrach Anya ihre Freundin und ließ einen Krieger in goldener Rüstung erscheinen, der einen Blitz zwischen seinen Händen formte.   Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)]   „Okay! Das ist es!“, rief Anya und schwang euphorisch den Arm aus. „Crystal, vernichte dieses Drecksvieh ein für alle Mal! Crystal Punishment!“ Der Ritter schlug mit seiner Faust auf den Boden, während Anya ihre letzte Handkarte auf den Friedhof schickte. Plötzlich erschien ein kleines Wesen mit einem verhältnismäßig großen Zauberhut hinter Crystal und verschwand in ihm. „Und indem ich [Gem-Merchant] abwerfe, kriegt Crystal einen Angriffsboost! Siehst du!? Ich brauche gar keine Zauber- oder Fallenkarten!“ Abby realisierte, dass Anya durch ihre neue Kraft jenes Monster gezogen haben musste. Um Anyas Krieger glühte eine orangefarbene Aura auf.   Gem-Knight Crystal [ATK/2450 → 3450 DEF/1950 → 2950 (7)]   Dieses Mal schlug Crystal beide Fäuste auf den Boden und ließ so mehrere Spalten im Beton des Daches entstehen, welche allesamt auf Abby und ihre nähere Umgebung zuschossen. Das Mädchen erkannte, dass es dieses Mal keinen Ausweg gab. Und während die ersten Kristallnadeln [Naturia Exterio] bereits aufspießten, trat sie bis an den Rand des Daches zurück. Als der erste Speer aus einer der Spalten auf sie zuschoss, dachte Abby gar nicht länger nach und machte einen Satz nach hinten, fiel in die Tiefe. Gerade noch rechtzeitig fanden ihre Hände im Fall Halt, sodass sie nun vom Dach der Schule hing und die Sträucher anstarren konnte, die bestimmt 20 Meter unter ihr lagen. Aber bei einem Fall aus dieser Höhe würden jene vermutlich noch ihr Verhängnis werden statt den Aufprall zu dämpfen, dachte Abby panisch.   [Anya: 150LP / Abby: 1100LP → 450LP]   Zwar war sie Crystals Angriff entkommen, doch hatte sie nun ein neues Problem. Und es war noch nicht vorüber. Sie hatte das Duell hiermit verloren, also würde Anya jetzt kurzen Prozess machen. „Irgendwelche letzten Worte?“, hörte sie jene unbeirrt rufen. Abby zog sich mit aller Kraft ein Stück weit über den Rand und sah zu der Blondine auf, in deren blauen Augen das Dilemma ihrer Gefühlswelt stand. Anscheinend konnte selbst eine Anya so etwas wie Enttäuschung verspüren, denn weit mehr als der Hass stand diese Emotion in ihnen. Für Abby war das Grund genug, es noch einmal mit Worten zu probieren. „Ich weiß, es ist schwer, aber lass uns doch vernünftig reden! Was bringt es dir schon, jetzt noch so weiter zu machen?“   „Du weißt doch gar nicht, wie das ist“, murmelte Anya plötzlich leise und senkte den Blick. „Wie es ist, am lebendigen Leib den Flammen zum Opfer zu fallen. Mag ja sein, dass ich zu der Zeit nichts gespürt und in diesem Elysion-Teil gefangen war, aber ich habe alles gesehen. Und du hast mich gesehen, oder was noch von mir übrig war! Also rede nicht so, als ob alles gut wär'!“ Anya sah wutentbrannt auf und schwang den Arm aus, zeigte damit auf Abby. „Ich geb' mir diese Scheiße mit dir nicht länger! Warum reden, wenn es sowieso nichts zu sagen gibt? Ich hab' das schon immer an dir gehasst! [Gem-Knight Tourmaline], direkter Angriff auf-“ Ohne Vorwarnung wurde sie am Handgelenk gepackt. Sie drehte ihren Kopf und sah über ihrer Schulter, dass Nick sie festhielt. Einmal mehr lag da dieser merkwürdige Blick in seinen Augen, den er neuerdings immer öfter aufsetzte. Es war, als wolle er sagen „nicht“. Aber er schwieg und schien auf ihre Reaktion zu warten. Aufgebracht schnaufte das Mädchen: „Lass mich los, Harper! Oder willst du gleich hinterher geschickt werden!?“   Es ist genug, Anya Bauer!   Als sie Levriers Stimme vernahm, zog sie ihre Augen zu Schlitzen zusammen. Die ganze Zeit über hatte er sich aus der Sache herausgehalten, nun meldete er sich plötzlich? „Was willst du denn jetzt!?“ Du siehst Feindseligkeit, wo keine ist! Ist dir überhaupt klar, was du da tun willst? Warst nicht du es, die Abigail Master und Nick Harper vor Alastair gerettet hat? Und nun willst du sie töten, weil du dir mit aller Kraft einzureden versucht, sie wären deine Feinde? Wo sie doch nur deinen Schmerz teilen wollen? Wenn das so ist, verweigere ich dir, noch länger meine Kräfte zu benutzen. Sie dienen dazu, uns vor Gefahren zu schützen, nicht um anderen Menschen willkürlich das Leben zu nehmen!   Anya schrie auf, als das Mal an ihrem Arm zu leuchten begann. Es brannte wie Feuer und das pulsierende Gefühle in ihrem Inneren, welches sie die ganze Zeit über stärker und stärker gemacht und angetrieben hatte, löste sich plötzlich wie Rauch auf. Ohne es fühlte Anya sich schlagartig schwach und müde.   Auch wenn du es nicht wahrhaben willst, Anya Bauer, aber kein Lebewesen kann alleine fortbestehen. Die Bande mit deinen Freunden zu brechen wird dir zukünftiges Leid nicht ersparen, egal wie sehr du daran festhalten willst. „Dazu hast du kein Recht!“, fauchte Anya wütend, der es nur um dieses eine Gefühl ging. „Diese Kräfte gehören mir und ich entschei-“ Nicks Faust traf sie so unerwartet ins Gesicht, dass sie nach vorne stolperte und auf den Boden fiel. Fassungslos sah sie zu ihm auf und hielt sich die Wange. Er sah seine Finger an und gluckste: „Cool. Jetzt weiß ich, warum der Anya-Muffin so viel Spaß daran hat … au, au, au!“ Mit leidender Mimik schüttelte er die Hand, da Anyas Knochen wohl etwas zu hart für ihn gewesen waren.   „Hört bitte auf!“, rief Abby, die es mittlerweile fertiggebracht hatte, sich bis zum Oberkörper über den Rand des Daches zu ziehen. Zu ihrer eigenen Überraschung war sie sich sicher, dass hinter Nicks Faustschlag eine Botschaft verborgen lag, die man ihm niemals zugetraut hätte. Selbst er tat sein Bestes, um Anya zur Besinnung zu bringen! „Du hast recht, ich weiß nicht, wie schwer es für dich ist“, ächzte Abby und schwang ihr Bein über die Betonkante, ehe sie sich schließlich zur Gänze in temporärer Sicherheit gebracht hatte. Auf wackligen Beinen stand sie auf und nahm ein paar Schritte nach vorn, wobei sie die Arme versöhnlich ausstreckte. „Deswegen sind wir doch hier, Anya! Warum willst du das nicht sehen? Wenn ich dir ein Leid zufügen wollen würde, hätte ich es doch längst tun können! Was denkst du, warum ich nicht längst meine andere Gestalt angenommen habe?“ „Tch!“ Anya wich ihrem Blick aus. Abby senkte ihr Haupt. „Ich weiß … das Duell war ein Fehler, wir hätten dich in Ruhe lassen sollen. Aber es ist schrecklich, wenn man als Freundin nur zusehen kann, wie du dich von allem abkapselst! So sehr Marcs Verlust dir auch weh tun mag, du darfst nicht vergessen, dass du etwas zu erledigen hast!“ Mit widerspenstiger Mimik blickte Anya auf. „Was meinst du damit, Masters?“ „Eden! Du kämpfst jetzt seit knapp anderthalb Monaten darum, einfach nur am Leben zu sein! Suchst nach einem Weg, nicht Eden werden zu müssen!“ Abby nahm nun große Schritte auf ihre Freundin zu und ging vor jener in die Knie, um ihre Hände zu nehmen. Sanft sagte sie: „Und wir mit dir! Nick und ich wollen nicht, dass du fortgehst! Aber du hast das vergessen! Ein wenig Zeit haben wir noch, Anya, aber wenn wir uns nicht beeilen, ist es zu spät.“ Wieder mied ihre Freundin ihren Blick und riss sich los. „Ich brauche eure beknackte Hilfe nicht!“ „Doch“, widersprach Abby streng, „genau das tust du! Natürlich kannst du uns auch weiterhin abweisen, das ist deine Sache. Aber zusammen können wir mehr erreichen, auch wenn wir dir wie ein Klotz am Bein erscheinen mögen. Und ich kann dich beschützen, wenn du mich nur lässt. Die Tragödie um Marc wird sich nicht wiederholen, das verspreche ich dir!“   Stille. Mit einem Satz sprang Anya auf und starrte mit undeutbarem Blick auf ihre Freundin herab. Dann stöhnte sie genervt. „Gibst du eigentlich nie Ruhe, Masters?“ Verdutzt blinzelte Abby. „Wie bitte?“ „Du hast schon gehört“, raunte Anya missmutig und schüttelte den Kopf. „Deine Reden sind so anstrengend, da muss man ja irgendwann willig werden. Fein, von mir aus, dann helft mir eben. Aber jammert am Ende nicht 'rum, wenn ihr die Radieschen von unten wachsen seht.“ Abby, überrumpelt von dieser unerwarteten Kehrtwende, legte eine Hand auf ihr Knie und erhob sich mit hoffnungsvollem Gesichtsausdruck ebenfalls. „Heißt das, du bist nicht mehr böse?“ „Ja, ja“, brummte Anya und winkte ab, bevor Abby ihr überglücklich um den Hals fiel. „Aber woher dieser plötzliche Sinneswandel?“, fragte Letztere dabei. „Oh, ich bin so froh!“ „Ich hab Kopfschmerzen und keinen Bock mehr auf diese Spielchen, das ist alles! Und jetzt lass mich los, verdammt!“, fauchte die Blondine daraufhin und drückte das Hippiemädchen von sich weg, da ihr menschliche Nähe zutiefst missfiel, wenn es nicht gerade darum ging, anderer Leute Äußeres 'umzugestalten'. Doch kaum hatte sie sich von Abby losgerissen, wurde sie von hinten angefallen. Nick klammerte sich an sie und streichelte über ihr blondes Haar und den Pferdeschwanz. „Mein Anya-Muffin ist zurück!“ Keinen Herzschlag später lag er am Boden mit Anyas Turnschuh im Gesicht. „Machst du das nochmal, reiß ich dir die Klöten ab und benutze sie als Tennisbälle!“ „Okay“, presste er glucksend unter der Sohle hervor.   „Eine Sache wäre da aber noch …“, meinte Anya plötzlich mit bedrohlich leisem Tonfall und nickte in Abbys Richtung. Jene verstand nicht und drehte sich um, erschrak, als plötzlich [Gem-Knight Tourmaline] vor ihr erschien. Dessen Hände blitzen auf. „Dachtest wohl, du kommst drum 'rum, huh? Fehlanzeige, ich hab dich verarscht! Tourmaline, direkter Angriff!“ Abby stieß einen spitzen Schrei aus, als der Ritter eine Salve aus Blitzkugeln auf sie abfeuerte. Die Explosion hüllte sie in tiefen Rauch ein.   [Anya: 150LP / Abby: 1100LP → 0LP]   „Oh, ohhhhh!“, klagte Abby, als der Angriff vorüber war und die Hologramme schließlich verschwanden. Sie war unversehrt geblieben und wirbelte zu Anya um, verschränkte wütend die Arme. Dabei warf sie Anya einen besonders tadelnden Blick zu, ihre Brille war halb verrutscht. „Ich hätte fast einen Herzinfarkt bekommen! Mach das nicht noch einmal, hörst du! Für eine Sekunde dachte ich wirklich, wieder von deinen Angriffen getroffen zu werden!“ Unbedarft zuckte ihr Gegenüber mit den Schultern. „Mir egal, was du gedacht hast. Ich habe dich besiegt, ohne fremde Hilfe! So was muss man ausnutzen! Wie würde Nelson sagen? Ha-ha!“ Dabei zeigte sie mit selbstgefälliger Grimasse auf Abby. Die schlug sich die Hand vors Gesicht. „Sag mir nicht, dass ich mir das jetzt ewig anhören muss?“ Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sie Anya -tatsächlich- vernichtet hätte, dachte sie dabei grimmig. „Musst du“, lachte jene neckisch. Aber als Abby die Hand auf ihr Herz legte, lächelte sie glücklich. „Na ja, ich denke es gibt Schlimmeres.“ „Zum Beispiel?“ „Von Nick besiegt zu werden.“ Anya nickte zustimmend. „Allerdings.“ Sie betrachtete missmutig ihren Freund, der immer noch am Boden lag und sich mit verträumtem Blick über den geröteten Abdruck auf seiner Wange strich. „Viel Schlimmeres.“   Ihre Freundin klatschte die Hände zusammen und faltete die Finger ineinander. Überrascht von dieser Geste, drehte Anya sich zu ihr um und bemerkte, wie Abby über beide Backen strahlte. „Was ist? Hat endlich jemand unseren Präsidenten erschossen oder warum siehst du aus, als würde gleich ein Weltfriedensgipfel beginnen?“ „Oh, es ist nur so … du hast dieses Mal wirklich gut gespielt. Ich glaube, du bist um einiges besser geworden, seit unserem letzten Duell.“ Anya grinste keck und deutete mit dem Daumen auf sich. „Klar doch. Eine Anya Bauer kann sich schließlich nicht von ihren Sidekicks besiegen lassen!“ „Err, Sidekicks? W-was soll das denn heißen?“ „Ach, ist ja auch egal.“ Plötzlich verhärteten sich Anyas Züge. „Ich muss besser werden. Bei all den Irren, die neuerdings in dieser Stadt herumlaufen, kann ich's mir nicht leisten, zurück zu fallen. Als Testlauf für den Ernstfall warst du ja gar nicht schlecht, wenn du nur nicht so eine feige Nuss wärst.“ Abby nahm verwirrt von diesen Worten ihre Brille ab und sah Anya aus traurigen, grauen Augen an, während sie das gute Stück an ihrem beigefarbenen Kleid putzte. „Ich verstehe zwar nicht ganz, allerdings stimmt es schon, dass du besser werden solltest. Aber wie gesagt, wir sind bei dir. Auf uns kannst du zählen!“ Sie setzte die Brille wieder auf und seufzte nachdenklich. „Was das mit dem Testlauf angeht, musst du aber Einiges erklären. Was soll das heißen?“   Doch zu ihrem Entsetzen winkte Anya nur desinteressiert ab. „Ja, ja, was auch immer. Sag mal, Abby, wie lange hält der Zauber eigentlich?“ Verdutzt blinzelte das Mädchen hinter den dunkel getönten Gläsern, ehe sie verstand. Sie hob den Arm mit der real gewordenen Spielzeug-Duel Disk und schmunzelte. „Bis ich ihn beende oder mir die Kraft ausgeht. Man muss sich darauf konzentrieren, was gar nicht so einfach ist. In meiner Sirenenform geht es wesentlich einfacher.“ Um ihre Worte zu unterstreichen, nahm sie das Deck wieder aus der Duel Disk und steckte es in ihre Kleidtasche. Keine Sekunde später schrumpfte der Apparat und fiel von ihrem Arm auf den Beton des Daches. Anya hob die Miniatur-Duel Disk mit Daumen und Zeigefinger auf und reichte sie Abby. „Geiler Trick. Gegen so etwas stinkt Alastairs Hokuspokus allemal ab.“ Durch das Kompliment errötete Abby und verbeugte sich hastig. „Danke!“ Dann sah sie wieder mit ernster Mimik auf und meinte streng: „Aber wir sollten jetzt lieber hier verschwinden und später weiter reden. Wenn wir und der Schaden, den du hier angerichtet hast, gesehen werden, gibt es mindestens einen Schulverweis.“ „Du tust ja so, als wäre das was Schlechtes“, erwiderte Anya aufrichtig empört. „Anya Bauer! Es vergeht bald kein Tag mehr, an dem du nicht Schuleigentum zerstörst! Wenn ich wegen dir nicht richtig am Unterricht teilnehmen kann, dann …“ Aber Anya hörte kaum noch zu und schlug sich stattdessen die Hand vor die Stirn. Nicht schon wieder eine Rede von Abby über das Geschenk der Bildung! Sie hätte sie eben -doch- beseitigen sollen, als sie die Chance dazu hatte …   ~-~-~   „Ich bin so froh, dass wir unsere Streitigkeiten beseitigen konnten“, meinte Abby schließlich ausgelassen, während sie zwischen Nick und Anya über den Bürgersteig heimwärts schlenderte. Die Sonne ging bereits unter und ihre Freundin hatte ihre Arme hinter dem Kopf verschränkt. „Wenn du meinst“, erwiderte Anya in ihrem typischen Desinteresse und grinste schließlich frech. „Aber ein Gutes hat das Ganze!“ Abby neigte den Kopf etwas nach vorn, um ihr in die Augen zu sehen. „Das wäre?“ „Ich habe einen neuen Trick auf Lager! Glaub ich jedenfalls … es war fast so, als ob ich bei meinem letzten Zug entscheiden konnte, was ich ziehen möchte.“ Und Anya dachte gar nicht daran, damit das Wort Betrug in Verbindung zu bringen, denn das taten -ausschließlich- nur die anderen. „Als ob ich lenken konnte, was passiert. Wisst ihr, ich musste nur lange genug meine Wut anheizen, es wurde von Zug zu Zug stärker, dieses komische Gefühl. Wirklich abgefahren, als stünde ich vor- ach, ist auch egal. Vielleicht ist Levrier doch nicht so nutzlos?“   Ich könnte noch so nutzlos sein und dennoch wäre niemand imstande, deine Unkenntnis und deinen Dilettantismus in den Schatten stellen.   Anya zuckte bei Levriers lahmen Verteidigungsversuch nur mit einer Augenbraue. „Was auch immer …“ „Eigentlich war das jetzt auch nicht das, was ich hören wollte“, meinte Abby gleichwohl beleidigt über die Tatsache, dass Anya nicht das, was bei ihr einer Aussprache schon recht nahe kam, als den angekündigten, positiven Aspekt erwähnt hatte. „Oh? Nun, natürlich wusste ich die ganze Zeit über, dass du mir nichts Böses willst“, meinte Anya schließlich gleichgültig und stöhnte. „Es war mir einfach nur egal, weil es leichter für mich ist, Dinge einfach zu bekämpfen, statt mich damit auseinander zu setzen. So bin ich eben. Außerdem war das gutes Training für später … jedenfalls war es so gedacht, aber im Endeffekt hätte ich wissen müssen, dass du kneifst.“ Die Drei blieben stehen. „Anya … !?“ Abby war gleichermaßen fasziniert wie entsetzt über die Tatsache, dass Anya dermaßen abgebrüht sein konnte. Dennoch hatte Anya soeben unfreiwillig einen Einblick in ihr Inneres gegeben. Und nur um der Tatsache Willen, dass die Blondine Probleme mit Konfliktbewältigung zugab, ließ Abby sie leben, so sehr kochte sie innerlich vor Wut. War das ganze Drama also tatsächlich umsonst gewesen, nur weil Anya ihre Grenzen austesten wollte!? „Miststück!“, fluchte Abby ihre Freundin garstig an. Jene sah mit selbstherrlicher Mimik auf. „Immer doch!“   Sie grinste noch einen Augenblick, dann verhärteten sich ihre Züge wieder. Anyas Augen waren zwar klar wie das Meer, aber plötzlich auch von grimmiger Genugtuung erfüllt. „Aber eins kannst du wissen. Ich bereue nicht, was ich Marc angetan habe. Er hat um alles gewusst und seine Entscheidung getroffen.“ Kurz darüber nachdenkend, nickte Abby schließlich, auch wenn ihr diese selbstgerechte Ader missfiel. Aber konnte man Anya ihre Gefühle wirklich verdenken? Die Begründung ihrer Freundin war gewissermaßen nachvollziehbar, auch wenn zu bezweifeln war, ob Anya letzten Endes nicht doch ein wenig, wenn nicht sogar große Reue für ihr Handeln verspürte. Immerhin ging es hier um den ersten Mann, in den sie sich verliebt hatte. „Wusstest du“, fing Abby zunächst zögerlich an, das Thema Marc zu vertiefen, „dass er mit Valerie verlobt war?“ Anya schüttelte mit ausdrucksloser Mimik den Kopf. „Nein. Aber selbst wenn er noch leben würde, wäre es mir mittlerweile scheißegal. Der ist schon in dem Augenblick gestorben, als er über mein Leben entschieden hat.“ Als sie das verdutzte Gesicht ihrer Freundin sah, fügte Anya noch mit der Hand auf ihrer Brust hinzu: „Im diesem Ding aus Stein hier drinnen gibt es ihn nicht mehr. Vielleicht lass ich mir ja stattdessen was Tolles draus schleifen, nun wo Marc Geschichte ist. Da ist jetzt nämlich Sperrgebiet für alles, was etwas zwischen den Beinen baumeln hat, verstehst du? “ „Auch für mich?“, jammerte Nick enttäuscht. „Ganz besonders für dich, du hohle Nuss!“, erwiderte seine Freundin daraufhin garstig. Abby musste kichern, doch kurz darauf verfinsterte sich ihre Miene. „Wenn wir schon bei Valerie sind … ich mache mir Sorgen um sie. Vielleicht sollten wir mal bei ihr vorbeischauen?“ „Tch! Glaubst du, es ist eine gute Idee, wenn die Mörderin ihres Verlobten vor der Tür steht und ihr Taschentücher anbietet?“ Anya verschränkte die Arme und schüttelte den Kopf. „Lass die lieber fürs Erste in Ruhe. Vielleicht schick ich ihr ein Kissen zum Ausheulen. Ich hatte da mal die Idee, in das Teil Rasierklingen zu verstecken, aber leider war das in der Praxis ein einziges Chaos.“ Aus allen Wolken fallend, klappte Abbys Kinnlade zum zweiten Mal an diesem Tag hinunter. „Was!? Aber ich dachte, jetzt da Marc tot ist, dürfte die Rivalität mit Valerie Geschichte sein?“ Mit einem bösartigen Grinsen schüttelte Anya den Kopf und trat dabei eine zerknüllte Coladose von sich weg, die einen vorbeilaufenden, kleinen Jungen nur um Haaresbreite verfehlte. „Mist, daneben!“ Sie machte eine Pause und wählte ihre Worte, was sich schwierig gestaltete, da das Artikulieren nicht gerade zu ihren Stärke zählen. „Wie sag ich es? Ich brauch etwas, um mir die Zeit zu vertreiben. Und solche High Society-Schicksen wie Redfield kommen mir da gerade recht. Ist eben Schicksal.“ Und während Anya mit den Schultern zuckte, frage Abby sich mit offenem Mund lediglich, wie so viel Boshaftigkeit in einer einzigen Person stecken konnte. Sie musste die Verkörperung des Leibhaftigen sein, eine andere Erklärung gab es nicht! „Außerdem haben wir andere Sorgen, schon vergessen?“, warf Anya schließlich ein. „In knapp drei Wochen wird’s ernst, dann ist der 11. November. Und was hab ich euch heute beigebracht? Sterben ist scheiße.“ Abby seufzte schwer, denn wieder musste sie an Matts Worte denken. Um Anya zu retten, musste jene sterben. Sie blickte ihre Freundin traurig an und meinte gespielt genervt: „Was das angeht, können wir noch mindestens ein paar Tage auf das Necronomicon warten! Scheinbar gibt es da Probleme mit dem Mittelsmann!“ „Wehe, das Teil ist genauso hirnrissig wie die anderen Schinken, die du für uns ausgesucht hast“, brummte Anya und setzte ihren Weg fort, während die anderen beiden ihr folgten. „Ach bestimmt nicht“, meinte Abby unsicher, nur um dann ihre Zweifel auch auszudrücken. „Aber ausschließen kann man es nicht.“ Im Gedanken fügte sie noch hinzu: sollte es so kommen, haben wir vielleicht unsere letzte Hoffnung verloren. Für sie waren die Einzigen, die dann noch als potentielle Wissensquellen infrage kamen, die Dämonenjäger. Und die wollten Anya schließlich tot sehen.     Turn 16 – Walking On A Thin Line Getrieben durch ihren schweren Verlust, hat Valerie einen eigentümlichen Plan ersonnen. Mithilfe von Joan Of Arc macht sie sich auf die Suche nach einem Dämon, der mächtig genug ist, ihren Wunsch zu erfüllen. Obwohl Joan sie eindringlich davor warnt, fährt Valerie schließlich zu einer weit entfernt liegenden Stadt namens Hollow City, wo sie den geheimnisvollen Collector vermutet, einen ganz besonderen und äußerst eigensinnigen Dämon. Als sie ihn schließlich in seiner Villa findet, muss sie sich zunächst einem seiner Diener stellen, ehe der Collector über ihr Anliegen entscheidet … Kapitel 16: Turn 16 - Walking On A Thin Line -------------------------------------------- Turn 16 – Walking On A Thin Line     Ich hätte dir niemals davon erzählen dürfen.   Valerie ignorierte die Einwände Joan Of Arcs und konzentrierte sich weiter darauf, ihr Zielobjekt zu finden. Seit Stunden war sie nun schon damit beschäftigt, bald würde es Mitternacht sein. Sie befand sich auf dem Dachboden der Villa ihres Vaters, dem Bürgermeister von Livington und versuchte verzweifelt, die eine Person ausfindig zu machen, die ihr in ihrer Lage zu helfen vermochte. Dazu bediente sie sich sogar schwarzer Magie, hielt sie schließlich bei Kerzenschein ein Amulett mit einem siebenzackigen Stern über ihren Schulatlas. Eine seiner Spitzen war direkt auf die Karte unter ihr gerichtet. Doch das Schmuckstück bewegte sich nicht, das Auspendeln ihres Zielobjekts hatte nicht den gewünschten Erfolg gebracht. „Er muss doch irgendwo sein“, meinte sie engstirnig und störte sich gar nicht an den verstauben Kisten und mit weißen Laken überzogenen Möbeln um sie herum.   Noch ist es nicht zu spät, umzukehren und Buße zu tun, Valerie! Was du tust ist Ketzerei!   „Hast du nicht selbst gesagt, ich solle nach dem Sammler suchen!?“, fauchte Valerie und warf das Amulett frustriert in die Ecke. Die Kerzen um sie herum, aufgestellt um einen mit Kreide gezogenen Kreis, flackerten gefährlich auf.   Ich habe meine Worte nicht mit Bedacht gewählt! Einzig zu deinem Trost habe ich sie gesprochen. Wie hätte ich ahnen können, dass sie den Wunsch in dir nur noch schüren würden?   Valerie schüttelte vehement den Kopf. „Hat sich damals aber nicht danach angehört!“ Ihr seidiges, glänzend-schwarzes Haar hatte sie zu einem Knoten gebunden. Eine graue Strickjacke bedeckte ihren Oberkörper, denn auch wenn der Kerzenschein die Illusion von Wärme erzeugen mochte, war es eiskalt auf dem Dachboden. Ein Zeichen dafür, wie weit Valerie bereits in die Tiefen der Zauberei vorgedrungen war. Etwas, das Joan of Arc gar nicht gerne sah.   Alles, was ich tun kann, ist zu dir zu sprechen, Valerie. Höre mich. Wenn du diese Grenze überschreitest, werden wir beide verdammt sein. Der allmächtige Herr wird es niemals dulden, dass du dich mit Dämonen einlässt! Du wirst deine Seele einbüßen, wenn du Handel mit den ihren treibst!   „Ach wirklich?“, platzte es nun aus dem aufgebrachten Mädchen heraus. „Und wie kommst du dann überhaupt dazu, mich auf die Idee mit dem Sammler zu bringen? Sorry Joan, oder wer immer du bist, aber ein echter Engel würde das niemals tun!“   Du vertraust mir nicht mehr, nicht wahr?   „Sagen wir eher, ich weiß, dass du etwas verheimlichst“, meinte Valerie überzeugt. „Ich bin dir dankbar dafür, dass du mich damals vor dem sicheren Tod gerettet hast. Aber wenn du dich so sehr vor Gottes Zorn fürchtest, warum dann die Idee mit dem Sammler?“ Dabei erhob sie sich vorsichtig, schritt über den Kreidekreis hinweg und suchte im Zwielicht nach dem Amulett, welches hinter ein paar Pappkartons geflogen war. Joan seufzte.   Ich wusste, dass dieser Tag kommen würde. Du hast recht, ich verberge ein Geheimnis vor dir.   Valerie hob das Pendel auf und drehte sich den Kerzen zu, wodurch ihr Gesicht halb im Schatten, teils im Licht lag. „Dann beichte. So wie ich dir gebeichtet habe, was meine -Sünde- angeht, die ich im Begriff bin zu begehen.“ Es brauchte einen Augenblick, ehe Joan endlich antwortete.   Wie du willst. Es gibt tatsächlich etwas, das ich dir verschweige, Valerie. Ich bin nicht auf Geheiß Gottes hier. Im Gegenteil, ich bin eine Verbannte.   Innerlich stockte Valerie, doch ließ sie sich das nicht anmerken. „Soll heißen?“   Ich suche nach einem Weg, Gottes Gunst zurückzugewinnen. Und du könntest dabei der Schlüssel sein.   „Was ist passiert?“ Darüber kann ich nicht sprechen, denn es würde bedeuten, endgültig zu fallen. Ich habe bereits meine 'Gnade' verloren, doch sollte bekannt werden, dass ich über meine Sünde gesprochen habe, würde ich zu einem gefallenen Engel werden. Und dann wäre ich nicht mehr wert als ein Dämon!   „'Gnade'?“ Valerie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Der Gedanke, dass Joan ihr letzten Endes wohl nur aus Eigennutz erschienen war, stieß ihr sauer auf. Was hatte all das zu bedeuten? Zögerlich schritt sie in den Kreis zurück, um erneut zu versuchen, den Sammler auszupendeln.   Die 'Gnade' ist unsere heilige Kraft. Oder zumindest der größte Teil davon. Ohne sie können Engel das Reich Gottes nicht betreten. Verloren habe ich sie, da ich eines seiner Gesetze gebrochen habe. Verzeih mir, Valerie, dass ich dir dies alles vorenthalten habe. Aber ich bin verzweifelt. Je länger ich auf Erden verweile, desto mehr laufe ich Gefahr, als Gefallene zu enden.   Valerie nickte knapp zum Verständnis. „Und ich soll dir also dabei helfen?“   In dir brennt das Licht der Gerechtigkeit. Dich zu beschützen-   „Stopp!“, rief Valerie plötzlich mit erhobenen Händen, die sie weit von sich streckte. „Mehr will ich im Moment gar nicht wissen! Dass du mich angelogen hast, ist schon schlimm genug. Ich glaube nicht, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um über dein Anliegen zu reden! Zuerst muss ich dir verzeihen. Und der erste Weg dorthin wäre, indem du mir hilfst, den Sammlerdämon zu finden! Er muss irgendwo hier sein!“ Sie kniete nieder und tippte mit dem Finger auf die Ostküste der USA und zog mit ihm einen Kreis um den südlichen Teil jener.   Vergib mir, Valerie, aber ich kann dir dabei nicht helfen! Ich habe dir bereits viel zu viel über die Techniken, einen Dämon aufzuspüren, verraten! Sofern es mir meine Kräfte erlauben würden, hätte ich dich längst zu ihm führen können, wenn auch-   „Wenn du mir nicht hilfst, sei still, ich muss mich konzentrieren!“, verlangte Valerie engstirnig und blätterte ein paar Seiten weiter, wo das von ihr gezeigte Gebiet vergrößert dargestellt war. Ihr war eine Idee gekommen. Vielleicht funktionierte der Zauber besser, wenn man das Suchgebiet einschränkte? Sie hob das Amulett an und begann dann, es mit einer Bewegung aus dem Handgelenk im Kreis um den Teil der Karte drehen zu lassen. Nur einmal durfte man es bewegen. Danach musste man dem Zauber seinen Lauf lassen, sonst wirkte er nicht. Fand er das Ziel, würde das Amulett- Da! Als habe eine unsichtbare Kraft daran gezogen, landete das Schmuckstück wie ein Magnet auf der Karte. Die unterste Spitze des Sterns darauf zeigte auf eine Ortschaft. „Da muss es sein“, schloss Valerie zufrieden. „Hollow City!“ Bitte Valerie, denke darüber nach! Der Sammler ist eine der gefährlichsten Kreaturen auf diesem Planeten. Du kannst gar nicht ermessen, was es bedeutet, sich auf ihn einzulassen!   Valerie jedoch erhob sich ruckartig und ließ das Amulett auf die Dielen des Dachbodens niedersinken. „Was sollte das jemandem bedeuten, der sowieso alles verloren hat?“   ~-~-~   Mit geschultertem Rucksack schwang Valerie ihr Bein über die blaue Yamaha und zog dabei den Reißverschluss ihres rot-schwarzen Motorradanzugs zu. „Sorry Joan, aber für mich gibt es keinen Weg zurück. Nur einen nach vorn, denn die Dinge können auch nicht so bleiben, wie sie momentan sind“, meinte sie voller Entschlossenheit und setzte sich den schwarzen Helm auf.   Du bist diejenige, die entscheiden muss, welchen Weg du nimmst.   „Ich weiß.“ Valerie hatte eine ungefähre Idee, wie sie fahren musste, um nach Hollow City zu gelangen. Dennoch würde es Stunden dauern. Aber sie war von Hause aus sehr geduldig, die lange Fahrt würde sie nicht stören. Allein schon deshalb nicht, weil der Gedanke, dass der Sammler ihren Wunsch erfüllen konnte, ihr genug Kraft dafür gab.   Das Mädchen seufzte. Einen Blick auf die weiße Villa mit dem wunderschönen, bunten Garten und der Terrasse, die sich um das gesamte Gebäude zog, zurückwerfend, tat es ihr innerlich schon weh, dass sie mitten in der Nacht aufbrach. Ihrem Vater hatte sie davon nichts erzählt, denn sie wusste schließlich nicht, ob sie jemals zurückkehren würde. Nur einen Brief, der erklärte, dass sie sich auf eine womöglich lange Reise begeben habe, hatte sie ihm hinterlassen. Er musste vorerst genügen. „Goodbye“, sagte sie schweren Herzens und trat in die Pedale, um unter lautem Motorgeheul die Kleinstadt Livington hinter sich zu lassen.   Und während sie ein tiefes Unbehagen in sich aufkeimen spürte, wusste sie auch, dass sie nun vorsichtig sein musste, was Joan of Arc anging. Denn Valerie bezweifelte nicht, dass noch mehr hinter jener und ihrer Geschichte steckte. Dinge, die sie möglicherweise gar nicht wissen wollte.   ~-~-~   Die Wolkenkratzer im nächtlichen Hollow City spiegelten sich im Visier von Valeries Helm, während sie die Hauptstraße entlang fuhr. Für sie war dieser Ort eine Stadt, die niemals schlief, denn überall leuchteten Reklamen, Schilder und andere Objekte in grellen Farben. Selbst zu dieser späten Stunde sah man noch Leute auf den Straßen, der Verkehr war ebenfalls recht belebt für diese Uhrzeit. Und während Valeries Ziel das Nobelviertel der Stadt war, hatte sie nur einen Gedanken. Den Collector zu finden, denjenigen, der womöglich ihren einzigen Wunsch erfüllen konnte. Dass sie einen Preis zu zahlen hatte, wusste die junge Frau sehr wohl. Und sie würde ihn zahlen, wenn sie damit bekam, was sie wollte. Egal, was dieser Preis auch war.   Sie bog in eine Straße ein, die sich weit vor ihr erstreckte und in einer leichten Kurve verlief. Die Grundstücke wurden von Villa zu Villa größer und prächtiger, genau wie die Bauten selbst. Kunstvolle Statuen, riesige Palmen und Rosenbüsche trugen einen stillen Wettkampf um den schönsten Garten aus. Hätte Valerie das zu jeder anderen Zeit spannend gefunden, interessierte sie der Prunk im Übermaß nun überhaupt nicht. Sie hatte nur eine Adresse im Kopf. „Hausnummer 17“, murmelte sie in ihren Helm hinein. Auf der Fahrt hatte sie es wie ein Schlag getroffen, der Straßenname und die Nummer waren mit einem Mal in ihren Kopf gewesen. Fast wie ein Ruf, dem sie folgen sollte.   Ebenjene Hausnummer 17 entdeckte sie schließlich und blieb mit dem Motorrad vor dem Grundstück stehen. Zwar hatte sie aufgrund der hohen Hecke, welche den massiven Zaun aus schwarzen Pfeilstangen deckte, nur wenig Sicht auf das Gebäude, doch von der Einfahrt aus bekam man schon einen guten Überblick darüber, wie riesig die Villa war. Während man über die Einfahrt zu einer Unterführung in eine unterirdische Garage gelangte, war das mehrere Stockwerke hohe Anwesen so lang, dass mindestens zwei Familienhäuser hinein passten. Zu Valeries Überraschung schoben sich die Flügel des Tores zur Seite und machten den Weg frei, obwohl sie doch noch gar nicht geklingelt hatte. „Scheinbar werde ich erwartet“, meinte sie nicht weiter überrascht. Der Sammler musste sicher zu den Dämonen gehören, die stets bestens über die Vorgänge rund ums Weltgeschehen informiert waren. Was auch 'Kundschaft' mit einzuschließen schien. Woher sonst sollte sie die Eingebung, ihn hier zu finden, auch bekommen haben?   Ich warne dich ein letztes Mal, Valerie! Geh nicht dort hin! Der Collector wird dich sicherlich in eine Falle locken wollen! Sei vernünftig!   Joans Warnung ausschlagend, stellte Valerie ihre Yamaha an den Straßenrand ab, sicherte sie und schritt unbeirrt durch das Tor, welches sich hinter ihr automatisch wieder schloss. Über einen kleinen gepflasterten Weg kam sie an verschiedenen Engelsstatuen vorbei, die für sie blanker Hohn waren. Der Collector war ein Dämon und sollte Gott nicht so verspotten, dachte sie erbost, als sie an Rosensträuchern vorbeikam und schließlich die wenigen Stufen hinauf zum Haupteingang nahm. Das Gebäude wirkte schon recht alt, war im viktorianischen Stil erbaut und machte generell einen gemütlichen Eindruck. Valerie hätte nie gedacht, dass Dämonen unter den Menschen lebten, gar in der Nachbarschaft wohnten. Ob einer der reichen Hausbesitzer hier wusste, was der Sammler tatsächlich trieb?   Als Valerie die Flügeltür erreichte, schwang auch sie einfach auf. Das Mädchen im rot-schwarzen Motorradanzug starrte jedoch in eine verlassene Eingangshalle, die überraschend schlicht wirkte. Zwar war ein feiner, roter Teppich ausgelegt worden, doch auf befremdliche Weise wirkte der Saal leer. Eine Treppe zu ihrer Linken führte hinauf zu einer Galerie, von der man einen guten Blick auf den Eingangsbereich hatte. Verloren sah die junge Frau sich um, ehe eine schrille, quietschige Stimme aus ihrer unmittelbaren Umgebung sie aufschrecken ließ. „Hey Süße, einmal nach unten sehen, bitte.“ Verdutzt leistete Valerie der Aufforderung Folge und neigte ihr Haupt. Mit einem erschrockenen Schrei wich sie zurück. „W-was bist du denn!?“ Vor ihren Füßen stand eine kleine, schwarz-violette Gestalt, deren zwiebelähnlicher Körper kaum bemerkbar flackerte. Weiße, überdimensional große, pupillenlose Augen und ein kugelrunder Schmollmund verzierten den Leib des Wesens, welcher nur aus diesem großen Kopf sowie kleinen Stummelarmen und -beinen bestand. An der Spitze der ovalen Figur thronte eine schwarze Welle, die wohl sein Haar darstellte. „Was, du hast noch nie von mir gehört?“, flötete das Ding empört und hüpfte wütend auf und ab, wie ein Flummi. „Man nennt mich Orion, Herr der Finsternis, König der Unterwelt, Frauenversteher vom Dienst! Und ich sage dir, Mädel, was du brauchst, steht direkt vor dir!“ Er ist nur ein einfacher Schattengeist und nicht sehr gefährlich.   „Hi, Orion“, meinte Valerie zögerlich und starrte den Kleinen aus ihrem Visier heraus an. „Ich suche jemanden.“ „Klar tust du das, meine Hübsche! Sonst wärst du doch gar nicht hier, oder? Komm Baby, ich führe dich zu ihm. Wir können dann gleich noch einen Abstecher in eines der 45 Schlafzimmer machen, die wir hier zu bieten haben. Dann-“ „N-nein danke“, erwiderte Valerie auf das Angebot hin distanziert. „Bring mich einfach zum Collector, okay?“ Der Schattengeist ließ den Kopf hängen. „Langweilig! Aber schön, dafür werde ich schließlich bezahlt. Folgen Sie mir, gnädiges Fräulein!“   Er drehte sich um und watschelte mit seinen viel zu kleinen Beinen voran und führte Valerie so durch eine Vielzahl von Gängen, die alle in rot gehalten waren. Es war wie ein Labyrinth aus Tristesse, denn nirgendwo hing auch nur ein Bild oder etwas anderes, was einen Bruch in der Eintönigkeit der Einrichtung aufwies. Da waren nur aberdutzende Holztüren. Und als sie und Orion nach einer Periode des einseitigen Schweigens vor so einer Tür stehen blieben, war Valerie doch sehr erleichtert. Denn Orion hörte sich offensichtlich gern reden und erzählte viel über die Geschichte des Hauses, was Valerie nur bedingt interessierte. „Hier ist es. Der Chef wartet dort auf dich, Süße“, meinte der Schattengeist. „Und jetzt nimm den verdammten Helm ab, ich will wissen, wie du aussiehst!“ Valerie, die es ohnehin seltsam fand, dass er sie hübsch fand, ohne sie bisher richtig gesehen zu haben, kam seiner Aufforderung nach. Ihr schwarzes Haar fiel ihr über beide Schultern, als sie den Helm abnahm. „Heiliger Eselskot, ich bin verliebt!“, kreischte Orion und machte einen noch größeren Mund, was anatomisch bald gar nicht mehr möglich war. „Hoffentlich ist der Collector nicht genauso …“, murmelte Valerie leise und wandte sich der Doppeltür zu, vor der sie standen.   Sie griff nach beiden Klinken und riss sie mit einem Schlag auf. Vor ihr erstreckte sich ein Speisesaal, in dessen Mitte ein langer Tisch quer zum Eingang stand. Direkt ihr gegenüber saß ein einziger Mann und dinierte tatsächlich noch so spät am Abend. Valerie wurde plötzlich ganz unwohl zumute. „Ist er das?“ „Klaro, es sind immer die, die vom teuren Porzellan futtern“, meinte Orion und landete mit einem Satz auf ihrer Schulter. Valerie erschrak, als sie ihn ansah und er breit grinste. „Darf ich mitkommen?“ „Wenn du unbedingt willst“, seufzte Valerie. Sie kam sich vor wie Alice im Wunderland. Völlig fehl am Platze, redete sie tatsächlich mit einem Schattengeist auf ihrer Schulter … Plötzlich erhob der Mann, welcher genau auf der Mitte der breiten Seite des Tisches speiste, sein Haupt. „Komm ruhig herein, ich beiße nicht.“ Erstaunt musste die Schwarzhaarige feststellen, dass der Sammler einen britischen Akzent besaß. Mehr noch, er wirkte äußerlich wie ein normaler Mensch. Noch recht jung schien er, von schlanker Gestalt, mit fein nach hinten gekämmtem, dunkelrotem Haar und einer Narbe auf der Wange. Am Leibe trug er einen schwarzen Markenanzug, gar eine Krawatte. Wie ein richtiger Geschäftsmann, so ging es ihr durch den Kopf. Valerie verharrte, während sie ihn genau musterte.   Daraufhin legte er Messer und Gabel beiseite, tupfte sich mit einer Serviette den Mund ab und ließ den Rest seines Fisches stehen. Stattdessen erhob er sich und machte eine einladende Geste. „Komm ruhig, Valerie, ich weiß bereits, warum du hier bist.“ Erstaunt erwiderte sie: „Du kennst meinen Namen?“ Mit seinen braunen Augen starrte er direkt in die ihren und nickte. „Natürlich. Wie könnte ich auch nicht, bist du schließlich der Schützling von Jeanne D'Arc.“ „Selbst das weißt du?“, erschrak Valerie und erinnerte sich daraufhin daran, mit wem sie es zu tun hatte. Er war immerhin der Sammler, einer der mächtigsten Dämonen auf diesem Planeten! Wesentlich ruhiger sagte sie schließlich: „Okay, dann sag mir jetzt erstmal deinen wahren Namen! Das wäre nur fair!“ „Bedaure“, entgegnete er mit einem Schulterzucken und lächelte entschuldigend, „doch den nenne ich niemandem. Nimm es bitte nicht persönlich, aber das ist einer meiner Grundsätze. Nummer zwei heißt übrigens, nie einen Gast schlecht zu behandeln.“ Er schwang den Arm aus und deutete auf den Stuhl ihm gegenüber. „Setz' dich doch. Wenn du hungrig bist, werden meine Köche dir umgehend zubereiten, was immer du begehrst.“ „Nein danke“, erwiderte Valerie steif, denn sie wollte gar nicht wissen, auf welche Weise hier gekocht wurde. Und womit. „Wenn du so viel weißt, dann dürfte dir auch nicht entgangen sein, was mit meinem Verlobten passiert ist. Und genau deswegen bin ich hier.“ „Dessen bin ich mir bewusst.“ Er nickte und legte seine Hände auf den Rand des Tisches. „Auch um deinen Wunsch. Nach Rache. Nach Seelenfrieden. Nach Glück. Ich wusste es in dem Moment, als du entschieden hast, mich aufzusuchen. Ich kann dir geben, was du begehrst, das weißt du. Weißt du aber auch, was die Konsequenzen sein werden, wenn ich dir den größten unter ihnen erfülle?“ Valerie atmete tief durch. „Ja.“ Der Sammler lächelte zufrieden. „Das ist gut, denn damit ersparen wir uns beide einiges an unnötigen Diskussionen.“ Fordernd trat die junge Frau nun einen Schritt vor, während Orion alles gespannt beobachtete. „Wirst du ihn mir erfüllen?“ „Vielleicht?“ Er nahm ein Weinglas vom Tisch und nahm einen Schluck daraus, ehe er sich wieder seinem Gegenüber widmete. „Doch um zu prüfen, ob es richtig war, mich von dir finden zu lassen, musst du erst einen von mir auferlegten Test bestehen. Siehst du diesen Schattengeist auf deiner Schulter?“ „Ja.“ Valeries Herz trommelte wild in ihrer Brust.   Test? Sie hatte fast schon damit gerechnet, nicht ohne Weiteres ihren Willen Wirklichkeit werden zu sehen, doch ebenso wusste sie, dass womöglich die schwerste Prüfung ihres Lebens vor ihr stand. Der Collector mochte anders sein, als sie ihn eingeschätzt hatte, viel höflicher und gesitteter als ihr Bild eines mächtigen Dämons. Doch nichtsdestotrotz würde er seine Dienste nicht jedem anbieten, so viel stand fest. „Was ist mit Orion?“ „Wenn du ihn sehen kannst, bedeutet das, dass du meiner Zeit im Grunde nicht würdig bist. Allerdings werde ich nicht näher darauf eingehen und dir dennoch eine Chance gewähren.“ Er lächelte freundlich, was aber eindeutig aufgesetzt war. „Besiegst du meinen Diener in einem Duell, werden wir verhandeln. Verlierst du … nun ja, lassen wir diesen Teil erstmal offen. Deine Fantasie wird sich schon etwas in dieser Hinsicht einfallen lassen.“   Der Sammler setzte sich wieder an seinen Stammplatz und wartete mit dem Weinglas in der Hand Valeries Antwort ab. Jene schloss die Augen und rekapitulierte, was er ihr gesagt hatte. Sollte sie verlieren, würde ihr ein schreckliches Schicksal widerfahren. Davor hatte schon Joan sie gewarnt. Noch hatte sie die Wahl, doch was würde es bringen, wenn sie so kurz vor dem Ziel aufgab? Nichts! Sie war bereit, alles zu geben, nur damit er ihr ihren einzigen Wunsch erfüllen konnte. Und da kein Wunsch ohne einen Nachteil daher kam, wusste sie längst um die Gefahr, in der sie schwebte, wenn sie ihren Weg nun fortsetzte. „Ich werde mich der Herausforderung stellen“, sagte sie und öffnete die Lider wieder. Ein entschlossener Blick stand in ihren braunen Augen. „Außerdem kann ich es mir nicht leisten zu verlieren. Deswegen werde ich es auch nicht! Was immer mich also in diesem Fall erwartet, es ist mir gleich!“ Der Collector-Dämon setzte sein Glas ab und faltete die Hände ineinander. „Eine gute Antwort. Siehst du, Orion? Selbst die, die dich wahrnehmen können, haben nicht selten einen verborgenen Wert.“ Der Schattengeist auf Valeries Schulter zog beleidigt einen Schmollmund. „Sag das nicht so, als wären alle Menschen, die mich sehen können, schlecht! Die Biene hier ist voll okay!“ Und während der Sammler nachdenklich nickte, fragte Valerie sich, ob man Schattengeister nur sehen konnte, wenn man innerlich verdorben war. Was im Umkehrschluss bedeuten müsste, dass sie ein schlechter Mensch war. Lag das an ihrem Wunsch? Valerie schüttelte den Kopf. Nein, das stimmte nicht! Sie versuchte immer, jedem, dem sie begegnete, freundlich und gerecht gegenüber zu handeln. Außerdem hatte sie Joan an ihrer Seite, eine Botin Gottes. Eine gefallene, lügende Botin … Dennoch musste es einen anderen Grund geben, warum anscheinend nicht jeder Orion sehen konnte!   „Ich bin bereit“, meinte sie daraufhin. „Zwar weiß ich nicht, was es bedeutet, dass ich Orion sehen kann, aber nichtsdestotrotz werde ich mich als würdig erweisen, mit dir Geschäfte machen zu dürfen, Collector!“ Wieder nickte der rothaarige Brite. „Das wird sich noch zeigen. Nun denn, Orion. Du wirst die Prüfung abnehmen. Duelliere dich mit Valerie.“ Orion sprang von Valeries Schulter. „Stets zu Diensten, Cheffe!“ Dabei macht er verschiedene heldenhafte Posen mit seinen Stummelärmchen, ehe er völlig unerwartet aus seinem großen Mundwerk eine Duel Disk zog und sie anlegte. Valerie, die bisher versucht hatte, ihre Emotionen weitestgehend zu unterdrücken, musste amüsiert darüber kichern. „Du bist wirklich putzig!“ „Putzig? Putzig!?“ Anstatt sich aber über Valeries Kompliment zu freuen, stampfte der Schattengeist wütend auf. „Welch eine Beleidigung! Ich und putzig!? Sorry Schwester, aber dafür werde ich dir in deinen fetten Arsch treten, bis du einmal um den Planeten geflogen bist!“ „W-was!?“ Vor Schreck um den plötzlichen Gesinnungswandel ließ Valerie glatt ihren Helm fallen. „I-ist mein Hintern wirklich zu dick … ?“ „Dick? Ein Wunder, dass der kein eigenes Gravitationsfeld hat! Ich und putzig? Ich bin die heißeste Verführung, seit es Jauchegrubenbäder gibt!“ Plötzlich grinste er lüsternd, was bei seiner Erscheinung äußerst merkwürdig aussah. „Aber vielleicht kann ich deine Kehrseite nach dem Duell als Trampolin benutzen? Bitte, bitte, bitte!“ „N-nein!“ Empört stemmte Valerie ihre Hände in die Hüften. Ihr Blick verhärtete sich, da sie das Herumgealbere satt hatte. „Lass uns anfangen, ich möchte keine Zeit verlieren.“ „Entscheide weise, ob du dich auf das einlassen willst, was dir bevorsteht“, sprach der Sammler, welcher von seinem Platz aus alles stumm beobachtet hatte. „Wenn du einmal diesen Pfad eingeschlagen hast, kannst du ihn nie wieder verlassen. So funktioniert das, was die Menschen als Schicksal bezeichnen.“ Auch wenn seine Worte Valerie verwirrten, hatte sie ihre Entscheidung längst getroffen. Den weiten Weg hierher hatte sie nicht umsonst auf sich genommen. „Ich will meinen Wunsch erfüllt sehen, egal was es mich kostet! Also duellieren wir uns, Orion!“ „Gerne doch, Schätzchen“, flötete der Schattengeist nun wieder friedfertig,   Kurz darauf hatten die beiden sich vor je einem Ende des langen Tisches aufgestellt, sodass der Sammler direkt in der Mitte zwischen ihnen saß und alles gut beobachten konnte. Valerie hatte inzwischen die blaue Duel Disk aus ihrem Rucksack genommen und angelegt. Auch wenn sie Orion als sehr niedlich empfand, würde sie nicht den Fehler machen und den Schattengeist unterschätzen. Schließlich riefen beide: „Duell!“   [Valerie: 4000LP / Orion: 4000LP]   Erstaunt stellte Valerie fest, dass Orions Karten, als jener sein Startblatt zog, tatsächlich Spezialanfertigungen sein mussten. Schließlich konnte ein knapp 30 Zentimeter großer Schattengeist mit Stummelarmen kaum normale Karten halten. „Ich fange an“, flötete Orion bester Laune und zog eine weitere Karte. Nur ganz schwer konnte man erkennen, dass er tatsächlich kleine Fingerchen besaß. Es war grotesk, dachte Valerie, während ihr Gegner bereits ein Monster aus seinem Blatt hervor nahm. Sie duellierte sich mit einem Dämon, nur um mit einem weiteren einen Handel eingehen zu können. Dabei dachte sie bisher, im Dienste des Herren zu stehen. Wie war es nur dazu gekommen? Warum konnten die Engel ihr nicht stattdessen helfen? Doch Orions Ankündigung riss sie aus ihren Gedanken. „Ich aktiviere den Effekt von [The Fabled Nozoochee] aus meiner Hand! Indem ich ein Fabled-Monster abwerfe, kann ich ihn als Spezialbeschwörung rufen! Lass' krachen, Buddy!“ Vor ihm tauchte eine gelbe, voluminöse Schlange auf, die einen blauen Helm trug. Mit ihren Kulleraugen war sie genauso groß wie Orion, als sie sich aufbäumte. Dabei hielt sie einen blauen Dämon umwickelt, der kugelrund war und klitzekleine Flügel besaß.   The Fabled Nozoochee [ATK/1200 DEF/800 (2)]   „Tihihihi“, kicherte Orion. „Aber das war noch nicht alles! Da ich [The Fabled Cerburrel] abgeworfen habe, kann ich ihn nun von meinem Friedhof beschwören! Partytime!“ Neben ihm und der dicken Schlange erschien ein Hundewelpen mit rotem Fell. Doch statt einem, besaß dieses gleich drei Köpfe und wurde von einem anderen, grauen Kugeldämon an einer Kettenleine geführt.   The Fabled Cerburrel [ATK/1000 DEF/400 (2)]   „Zwar könnte ich durch Nozoochees Fähigkeiten noch ein weiteres Fabled-Monster beschwören, doch ich habe kein passendes auf der Hand“, erklärte Orion weiter. Dann grinste er scheinheilig. „Aber keine Sorge, Püppchen, ich werde schon dafür sorgen, dass du eine Show siehst, die du nie vergessen wirst!“ Valerie hingegen wusste nicht, ob das jetzt gut oder schlecht war. Die seltsamen Kreaturen ihres Gegners verhießen zumindest nichts Gutes, denn sie erinnerten die Schwarzhaarige entfernt an die Dark World-Monsterreihe, die als sehr gefährlich in der Profiszene galt. Und als wäre das das Stichwort gewesen, hüpfte Orion plötzlich auf der Stelle. „Jetzt geht’s ab, Leute! Ich stimme meinen Stufe 2-Empfänger Cerburrel auf meinen Stufe 2 So-was-von-Nicht-Empfänger Nozoochee ein!“ „Was!?“ Valerie wich zurück. „Du willst ein Synchromonster rufen? Aber die Stufen deiner Monster sind doch so niedrig!“ „Ganz genau, Herzchen“, antwortete Orion stolz, ließ aber dann den großen Kopf hängen. „Leider hab ich gerade keinen coolen Spruch auf Lager, deswegen: Synchro Summon! Zeig dich, [The Fabled Unicore]!“ Lautes Wiehern ertönte. Die Flügeltüren des Speisesaals schwangen auf und ein Einhorn kam in den Raum hinein galoppiert. Es zog an Orion vorbei, der plötzlich in die Höhe sprang und auf dem Sattel des Schimmels landete. So drehten sie zusammen eine Runde um den Esstisch, ehe sie dort Halt machten, wo der Schattengeist sich soeben noch duelliert hatte. The Fabled Unicore [ATK/2300 DEF/1000 (4)]   „Ich habe noch nie ein Synchromonster wie dieses gesehen“, gab Valerie erstaunt zu. Orion gluckste von seinem neuen Sitzplatz aus. „Mit mir erlebt man jeden Tag etwas Neues, Süße! Leider kann ich keine Rücksicht auf dich nehmen, da der Boss sonst böse wird! Deswegen setze ich eine Karte verdeckt und beende meinen Zug!“ Mit seiner kleinen Hand schob er die Minikarte in seine Duel Disk, welche daraufhin wie gewohnt in der üblichen Größe neben Unicore als Hologramm erschien.   Wortlos zog Valerie daraufhin und überlegte, wie sie wohl am besten vorgehen sollte. Keines der Monster auf ihrer Hand war stark genug, um dieses Einhorn zu besiegen. Allerdings gab es da dennoch eine Möglichkeit, eine passende Antwort auf Unicore zu beschwören. „Ich rufe [Gishki Abyss]“, rief sie entschlossen und ließ daraufhin einen Haimann erscheinen, der auf zwei Beinen stand und eine Stoffhose trug.   Gishki Abyss [ATK/800 DEF/500 (2)]   Valerie streckte den Arm aus. „Wenn er beschworen wird, kann ich mir ein beliebiges Gishki-Monster von meinem Deck auf die Hand nehmen, solange sein Verteidigungswert höchstens bei 1000 liegt!“ Anschließend griff sie nach ihrem Deck und nahm es aus der Duel Disk. „Und meine Wahl fällt auf das Ritualmonster [Evigishki Gustkraken], dessen Verteidigung genau an der Höchstgrenze liegt!“ Sie zeigte die blau umrandete Karte vor, ehe sie ihr Deck wieder in den Apparat an ihrem Arm schob, woraufhin dieses automatisch durchgemischt wurde. Zufrieden betrachtete Valerie ihre sechs Handkarten. Gustkraken war mit 2400 Angriffspunkten stärker als Unicore! Also nahm sie den zur Beschwörung benötigten Ritualzauber aus ihrem Blatt und rief: „Jetzt aktiviere ich [Gishki Aquamirror]!“ Vor ihr erschien ein kreisrunder Spiegel, dessen Umrandung aus purem Gold gemacht war. „Damit-“ „Und ich meine verdeckte Falle“, unterbrach Orion sie, „[Reckless Greed]! Damit darf ich die Karten schon jetzt ziehen, welche ich sonst erst in meinen nächsten beiden Draw Phasen bekommen würde! Allerdings muss ich jene dann auch überspringen!“ Gesagt, getan. Er zog zwei Karten von seinem Deck und kaum hatte er sein Blatt auf diese Weise aufgefüllt, zersplitterte Valeries Zeremonienspiegel plötzlich in tausend Teile. Jene stieß erschrocken einen Seufzer aus. „Wie das!?“ „Tehehe!“ Orion hüpfte auf dem Rücken seines Einhorns. „Du hast gerade Bekanntschaft mit Unicores besonderer Fähigkeit gemacht! Wenn unsere Handkartenanzahl identisch ist, wird jeder deiner Karteneffekte automatisch annulliert!“ Erschrocken blickte Valerie zuerst auf ihr Blatt, welches nach der Aktivierung ihres Zaubers fünf Karten zählte, dann auf Orions Hand, die nach seiner Fallenkarte ebenfalls fünf Karten betrug. „Oh nein“, murmelte sie und erkannte, dass ihr Gegner so etwas vermutlich schon die ganze Zeit geplant hatte. Ohne den Spiegel konnte sie ihr Ritualmonster nicht rufen, was bedeutete, dass ihre Offensive noch vor dem eigentlichen Akt zerschlagen worden war. Jetzt hieß es umdenken. Dennoch würde sie so leicht nicht klein beigeben! „Nettes Manöver! Aber so leicht lasse ich mich nicht beeindrucken! Ich setze zwei Karten verdeckt und beende meinen Zug!“ Vor ihren Füßen erschienen die beiden Fallenkarten, denn mit den gesetzten Karten konnte sie ihre eigene Handkartenzahl verringern und so den Annullierungseffekt von [The Fabled Unicore] umgehen. Und Valerie war sich dabei sicher, dass sie Orion auf diese Weise besiegen konnte.   Jener zog mit seinem kleinen Händchen und gluckste von seinem Reittier aus vergnügt. „Man, für mein erstes echtes Duell bin ich echt gut! Was sagst du, Str- Meister?“ „Du schlägst dich gut, Orion“, antwortete der Sammler und beobachtete vom Esstisch aus alles mit einer nicht zu verleugnenden Neugier. Währenddessen geriet Valerie ins Stocken. „E-erstes Duell? S-soll das heißen-?“ „Jop.“ Orion nickte, wobei er mit seiner Stirn doch glatt gegen Unicores Mähne knallte und aufschrie. Da seine Arme zu kurz waren, um an die schmerzende Stelle zu gelangen, blieb ihm nichts außer zu jammern und mit Kullertränchen in den Augen weiterzuerzählen. „Ich wurde vom Boss persönlich trainiert! Das heißt, ich bin der zweitbeste Duellant in diesem Zyklus.“ „Du redest zu viel, Orion“, mahnte der Rothaarige ruhig. „Fahre lieber fort.“ „Ist gebongt!“   Indes wunderte sich Valerie, was Orion mit Zyklus meinte. Etwa die Gefolgschaft des Sammlers? Wenn er sich also wirklich das erste Mal duellierte, dann gab es nur zwei Alternativen. Entweder war er ein ausgemachtes Naturtalent. Oder er war der einzige Diener des Sammlers, wenn sein bester Mann ein unerfahrener Grünschnabel war. Andere Dämonen hatte Valerie in der riesigen Villa nicht gesehen, was sie verwunderte. Nichtsdestotrotz mahnte sie sich zur Vorsicht. Wenn sie eines gelernt hatte, dann, dass der Schein trügen konnte!   „Wie du sicherlich weißt, Val – Ich darf dich doch Val nennen, oder? Sag mir, dass ich dich Val nennen darf!“ Die junge Frau nickte ein wenig genervt von Orions Gedankensprung. „Wenn du willst …“ „Okay, Val! Val-chan. Nein, nein, nein! Val-sama! Ja, Val-sama, das ist es! Ohhhh, du erinnerst mich an dieses hübsche Ding aus diesem einen Manga! Du musst wissen, ich bin auch ein Otaku!“ Valerie, die in der Tat -nicht- wusste, was ein 'Otaku', oder ein 'Chan', oder ein 'Sama' war, runzelte bereits verärgert die Stirn und breitete die Arme aus. „Interessant, Orion, wirklich. Aber könntest du jetzt vielleicht …?“ „Schon gut“, maulte Orion enttäuscht von Valeries offensichtlichem Desinteresse und setzte seine ursprüngliche Erklärung fort. „Also wie du weißt, darf ich durch den Effekt von [Reckless Greed] jetzt für zwei Runden nicht in meiner Draw Phase ziehen. Aaaaaaaaaaaber! Ich kann dennoch ein Monster beschwören! Also lass es krachen, [The Fabled Rubyruda]!“ Ein seltsamer, ungewöhnlich großer Vogel mit je zwei Fangzähnen in seinem überraschend breiten Schnabel erschien neben dem Einhorn, auf dem Orion ritt. Es wirkte wie eine Krähe, die im Stile japanischer Bildkunst gezeichnet worden war. Aus seinem Rücken ragte ein kleiner Thron, der mit Lederschnallen an seinem Leib befestigt war, welcher zufälligerweise genau Orions Größe besaß.   The Fabled Rubyruda [ATK/1100 DEF/800 (4)]   Plötzlich huschte ein Grinsen über Valeries Gesicht. „Perfekt! Genau das habe ich erwartet! Durch deine Beschwörung hast du meine Fallenkarte ausgelöst! [Torrential Tribute]! Und mit ihr wird das gesamte Spielfeld nun von Monstern befreit!“ Wie aus dem Nichts erschien von Valeries Spielfeld aus ein gewaltiger Wasserstrahl, der direkt auf Orions Monster abzielte. Doch plötzlich wirkte ihm ein Wirbelsturm entgegen. „Was!?“, rief Valerie erstaunt. „Tehehe, genau das habe -ich- erwartet, Val-sama-chan! Ohhhh ich kann mich einfach nicht entscheiden!“ Orion grinste über beide Backen wie ein Honigkuchenpferd. „Du bist einfach zu süß, meine hübsche Biene! Aber leider muss ich meine Pflicht tun! Und das heißt, dass ich von meiner Hand den Schnellzauber [Mystical Space Typhoon] aktiviere und damit deine andere verdeckte Karte zerstöre!“ Mühelos löste der Zyklon den Wasserstrahl auf und fegte nebenbei Valeries gesetzte [Poseidon Wave]-Fallenkarte vom Spielfeld. Diese verstand einen Moment lang nicht, wieso keines der Monster bei diesem Akt ums Leben gekommen war. Doch dann zählte sie eins und eins zusammen, als sie einen Blick Orions Blatt warf. Genau wie sie besaß auch er drei Handkarten, was bedeutete, dass [The Fabled Unicore] jeden ihrer Effekte annullierte. „So ein Mist“, fluchte sie laut. Der liebestolle Gnom war gar nicht so dumm! Mit Schnellzaubern seine Kartenzahl zu manipulieren war ein geschickter Winkelzug, gegen den sie auch nichts unternehmen konnte! „Sorry Püppchen“, sagte der Schattengeist niedergeschlagen. Dabei streckte er seinen Arm aus. „Das muss jetzt sein, der Cheffe will es so! [The Fabled Rubyruda], hau drauf auf [Gishki Abyss]! Unicore, Cursed Horn Attack, versenk' dein Horn in- Nein, nein, nein, lieber nicht! Gib Val-sama-chan-sama lieber nur einen sanften Tritt!“ Kaum hatte Orion seine Battle Phase verkündet, schoss der Garuda-Vogel bereits auf Valeries Haimenschen zu und rammte ihn, sodass jener explodierte. Valeries schwarzes Haar wehte wild durch die Luft, als jene von der Schockwelle erfasst und mit erhobenen Armen ein Stück zurückgeworfen wurde.   [Valerie: 4000LP → 3700LP / Orion: 4000LP]   Aber ehe sie sich versah, galoppierte bereits das Einhorn auf sie zu. Orion, der auf dem Tier saß, hielt sich ängstlich die Augen zu, offenbar um nicht mit ansehen zu müssen, wie Valerie angegriffen wurde. Denn das weiße Reittier machte vor ihr eine Kehrtwende und stieß mit voller Wucht seine Hinterläufe in ihre Richtung. Doch das Mädchen konnte den Angriff mit ihrer Duel Disk parieren, auch wenn sie das im Endeffekt auf ihr Hinterteil warf. „Argh!“ „Bienchen, ist alles in Ordnung!?“, kreischte Orion und drehte sich auf dem Sattel um, während sein Ross zurück zur anderen Spielfeldseite trabte. „Ich bin okay, danke“, murrte Valerie ärgerlich. Doch ihre unterschwellige Wut galt weniger Orion, als ihr selbst, spielte schließlich sie wie eine Anfängerin und nicht ihr Gegner.   [Valerie: 3700LP → 1400LP / Orion: 4000LP]   Valerie rappelte sich stöhnend auf. Es ging hier um ihren Wunsch und sie duellierte sich wie eine lausige Amateurin! Wie jemand von Anyas Schlag! Warum hatte sie nicht kommen sehen, dass Orions Monster mit gesetzten Karten allein nicht beizukommen war!? Sie biss sich auf den Daumen und überlegte, wie sie aus dieser Situation am besten wieder herauskam. „Ich spiele noch dieses kleine Kärtchen verdeckt und beende meinen Zug“, sprach Orion und ließ hinter seinen Monstern eine Fallenkarte erscheinen. „Mein Zug“, rief Valerie entschlossen und zog mit Schwung. Dabei fühlte sie etwas in sich pulsieren, wie eine unsichtbare Kraft, die ihr beistand. „Was …?“   Fürchte dich nicht, Valerie! Ich stehe dir bei! Auch wenn ich nicht gutheißen kann, was du hier tust, bin ich dennoch entschlossen, dich zu beschützen. Warte noch ein wenig, dann wird sich dir meine ganze Kraft entfalten. Valerie nickte. „Danke Joan! Ich verlasse mich auf dich!“ Auch wenn sie ihrem Schutzengel insgeheim mit Skepsis begegnete. Aber solange dieser nichts getan hatte, um den Rest von Valeries Vertrauen zu verlieren, würde sie nichts unternehmen. Denn wie hieß es doch? In dubio pro reo. Sie betrachtete ihr Blatt, das nun aus zwei Zauberkarten und dazu noch dem Ritualmonster [Evigishki Gustkraken] und dem Effektmonster [Gishki Marker] bestand. Dann blickte sie herüber zu Orion, der seinen alten Platz angenommen hatte. Valerie war sich sicher, dass seine gesetzte Karte ebenfalls mit Handkartenmanipulation zu tun haben musste. Bestimmt erwartete er, dass sie etwas ausspielte, damit er es im Anschluss annullieren konnte. „Hmm“, überlegte sie laut. Würde sie jetzt eine Karte benutzen, hätte sie drei Handkarten. Orion besaß momentan zwei. Das bedeutete, dass er mit seiner Falle vermutlich genau einmal nachziehen durfte! Und genau hier konnte sie ansetzen, erkannte Valerie. „Ich setze diese zwei Karten verdeckt“, rief sie und schob ihre Zauber in die entsprechenden Zonen ihrer Duel Disk, damit sie vor ihren Füßen erschienen. „Dann rufe ich [Gishki Marker]!“ Sie knallte das Monster auf den Apparat an ihrem Arm. „Da ich nach seiner Beschwörung nur noch eine Handkarte habe und du zwei, kannst du unmöglich mit [The Fabled Unicores] Effekt den von meinem Marker annullieren!“ „Häh!? Unfair!“, protestierte Orion wütend und sprang auf und ab. Gleichzeitig tauchte vor Valerie ein neues Unterwasserwesen auf. Dieses war eine humanoide Gestalt mit dem Kopf eines Tintenfisches. In seinen Händen hielt die rostfarbene Kreatur eine Pike, die stark an einen Dreizack erinnerte.   Gishki Marker [ATK/1600 DEF/1200 (4)]   Valerie griff mit entschlossener Mimik nach dem Friedhofsschacht ihrer Duel Disk. „Wenn [Gishki Marker] beschworen wird, erhalte ich eine Gishki-Ritualmonster- oder Zauberkarte von meinem Friedhof.“ Mit Mittel- und Zeigefinger schnappte sie sich das gewünschte Zielobjekt und drehte es auf Kopfhöhe zwischen ihren Fingern um. Es war [Gishki Aquamirror]. Und kaum eine Sekunde später hatte sie ihn verdeckt ausgespielt, um weniger Handkarten zu besitzen als Orion. Das musste sie auch, wenn sie eine ihrer anderen gesetzten Karten ungehindert aktivieren wollte. Mit erhabenem Gesichtsausdruck schwang sie den Arm aus, sodass die mittlere ihrer drei verdeckten Karten aufsprang. „[Monster Reborn]! Damit reanimiere ich ein beliebiges Monster von unseren Friedhöfen!“ Orion blies seine Wangen so stark auf, dass er regelrecht anschwoll. „Nicht auch noch das! Süße, übertreib' es doch nicht gleich!“ „Ich werde mich nicht wegen dir zurückhalten“, erwiderte Valerie jedoch stur, „ganz egal wie putzig du bist! Das Monster, das ich wiederbeleben will, ist [Gishki Abyss]! Und dank seines Effektes kann ich mir [Gishki Vanity] aufs Blatt holen, da dieser weniger als 1000 Verteidigungspunkte besitzt! Erscheine!“ Genau das tat der Haimensch auch, als er vor der schwarzhaarigen Motorradfahrerin auftauchte.   Gishki Abyss [ATK/800 DEF/500 (2)] Anschließend schob sie die gesuchte [Gishki Vanity]-Karte in den Friedhofsschlitz. „Indem ich [Gishki Vanity] abwerfe, kann ich für diesen Zug verhindern, dass du mit deinen Effekten auf die Aktivierung oder Beschwörung von Gishki-Ritualen reagierst!“ Hinter ihr flimmerte kurzzeitig die Silhouette eines schwarzhaarigen Mannes in einem Priestergewand auf. Damit besaß Valerie nun wieder nur eine Handkarte.   Jene ließ plötzlich den Kopf hängen. „Es tut mir leid, Orion. Ich mag dich, wirklich …“ Mit einem Ruck sah sie auf, wobei Tränen in ihren Augen standen. „Aber ich weiß nicht, was ich tun soll! Seit er weg ist, bin ich … alles was mir bleibt, ist … bitte versteh das!“ „Valerie“, murmelte der Schattengeist mitfühlend. Er seufzte schwer und ließ nun ebenfalls den Kopf hängen. „Verstehe schon. In dem Fall kann der große Orion wohl einfach nicht nein sagen. Auch wenn ich das eigentlich nicht darf. Aber … Ich gebe auf-“ „Tue deinen Job, Orion. Sie ist nicht hier, um bemitleidet zu werden“, wies sein Meister ihn tonlos an. „Aber-“ „Er hat recht, Orion! Ich weiß das zu schätzen“, beteuerte sie. „Aber wenn ich das hier nicht aus eigener Kraft schaffe, wie soll ich dann das packen, was noch bevorsteht?“ Valerie breitete die Arme aus. „Ich bin nicht stark! Deswegen muss ich es werden! Und dazu brauche ich euch. Und … diesen Wunsch. Aber diesen muss ich mir verdienen, erarbeiten!“ Nachdenklich sah der kleine Dämon von seinem Reittier auf. „Ist es dir denn so ernst damit, Val? Was kann denn so wichtig sein, dass du ausgerechnet hierher kommst?“ „Vertraue mir“, meinte das Mädchen und eine Träne fiel hinab auf den Boden. „Es ist wichtiger als mein eigenes Leben. Also bitte … keine vorschnellen Entscheidungen, okay? Tu, was du tun musst!“ Orion nickte zögerlich. „Kapiert.“ Valerie atmete tief durch. Nein. Der Kleine mochte zwar ein Möchtegerncassanova und Lüstling sein, aber im Grunde seines Herzens kein schlechter Kerl. Warum würde er für sie verlieren wollen, obwohl sie sich kaum kannten? Er war doch ein Dämon, die laut Joan kein Mitgefühl kannten. Oder war er gar etwas ganz anderes? Allerdings wusste sie, dass sie das wohl nie erfahren würde. Und sie hatte etwas anderes zu tun.   „Okay“, meinte sie leise und wischte sich das Nass aus den Augenwinkeln. „Mir geht’s gut, wir können weitermachen. Sorry, dass ich mich habe gehen lassen.“ „Es spielt keine Rolle. Deine Gefühle haben dich hierher gebracht, entschuldige dich also nicht dafür“, meinte der Sammler mit unlesbarem Gesichtsausdruck und verschränkte an seinem Tisch sitzend die Arme. „Bedenke, dass ich nicht gerne angelogen werde. Auch nicht, wenn es um die Gründe geht, die dich dazu treiben, mich um einen Gefallen zu bitten. Zwar weiß ich längst, was du begehrst, doch werde ich es dir nur gewähren, wenn du aufrichtig bist. Beweise das in diesem Duell. Mehr verlange ich nicht.“ Mit einem Nicken zeigte Valerie, dass sie das genauso sah. „Das werde ich!“ Das gesagt, besah sie ihre Duel Disk. Sie besaß noch zwei verdeckte Karten und die Monster [Gishki Marker] und [Gishki Abyss]. Alles war bereit. „Jetzt aktiviere ich ihn!“, rief sie und zog dabei eine Zauberkarte aus dem dazugehörigen Schlitz ihrer Duel Disk, um besagte Magie in die Höhe zu halten. „[Gishki Aquamirror]! Ich biete als Opfer meine beiden Monster an, deren Stufen zusammen 6 ergeben. Dies wird benötigt, um [Evigishki Gustkraken] zu beschwören, die ebenfalls Stufe 6 ist! Erwache aus der Tiefe des Ozeans!“ In blauen Flammen lösten sich Valeries Monster auf. Unter ihnen bildete sich ein Pentagramm, eingelassen in einem leuchtenden Symbol, das in seiner Form dem Ritualspiegel glich, welcher seinerseits inmitten des Pentagramms auftauchte. In jenem Spiegel zeigten sich kurz die Reflexionen der geopferten Monster, ehe er zersprang und der gesamte Zirkel zu einer Wasserlache wurde. Und aus dieser wiederum entstieg schlagartig eine junge, rothaarige Frau, deren Unterleib der eines gewaltigen, schwarzen Kraken war.   Evigishki Gustkraken [ATK/2400 DEF/1000 (6)]   „Boah, ist die geil!“, flötete Orion beim Anblick der verruchten Meereshexe mit großem Trötenmund. Doch ihm verging der Spaß, als Valeries Monster plötzlich zwei seiner Tentakel vorschnellen ließ, welche den Schattengeist umwickelten und von seinem Reittier empor hoben. „Gustkraken lässt mich bis zu zwei deiner Handkarten ansehen, um anschließend eine davon zurück in dein Deck zu schicken“, erklärte Valerie. Und während Orion sich unter Ächzen, Stöhnen und Fluchen wehrte, tauchten unter ihm vor seinem treuen Schlachtross die Abbilder seiner beiden Handkarten auf. [Card Destruction] und [The Fabled Catsith] hießen sie, Zauber- und Monsterkarte respektive. Und da Valerie wusste, wie verhängnisvoll Erstere in Orions Händen sein mochte, entschied sie sich mit einem Fingerzeig direkt dafür, jene zu entsorgen. Der Zauber verschwand und Orion wurde fallengelassen, plumpste auf [The Fabled Unicore]. „Autsch! Kein Wunder, dass Arielle beliebter ist als du, blöde Ziege!“, fluchte er dabei in Gustkrakens Richtung. Valerie musste kichern. „Entschuldige, Orion. Aber ich glaube, sie wird jetzt noch einmal in deiner Gunst sinken! Gustkraken, vernichte [The Fabled Unicore]! Luring Bar!“ Die Meereshexe stimmte mit schriller Stimme ein Lied an und schlug dabei mit ihren Tentakeln im Takt auf ihren Gegner ein. Orion, der sich die nicht existierenden Ohren zuhielt, schaukelte unter der Prügel, die sein Ross bezog, hin und her. Schließlich bäumte es sich auf und explodierte. Im hohen Bogen flog Orion gegen die Wand, prallte wie ein Flummi ab und steuerte auf den länglichen Esstisch zu. Wie eine Kugel rollte er um das halbe Buffet herum, ehe er vor dem Teller des Sammlers auf dem Bauch rutschend zum Stoppen kam. Und während er sein Gesicht in die schneeweiße Tischdecke drückte, hob er einen seiner Stummelarme und rief er mit belegter Stimme: „Nichts passiert …“   [Valerie: 1400LP / Orion: 4000LP → 3900LP]   „Da ich keine Handkarten mehr habe, beende ich meinen Zug jetzt“, meinte Valerie und warf besorgt einen Blick auf Orion, der mit einem Hüpfer auf die Beine kam und sich torkelnd an eine Weinflasche lehnte. „Alles in Ordnung?“ „Mir geht’s fast gut …“, meinte der Schattengeist noch immer benommen. Dabei verlagerte er sein Gewicht unglücklich und brachte so fast die Flasche zum Umkippen. Allerdings hielt er sie aufgeschreckt mit seiner ganzen Kraft am Hals fest, sodass das Schlimmste gerade noch verhindert werden konnte. Sollte man zumindest meinen … „Orion!“, brüllte der Sammler plötzlich und zeigte mit geweiteten Augen auf die Tischdecke. „Siehst du das!? Siehst du das da!? DA!“ Sein Diener blinzelte verwirrt und sah an der Flasche vorbei. Er bemerkte den kleinen, roten Punkt, auf den sein Herr aufgebracht deutete. Ein Weinfleck, der durch die Erschütterung entstanden war. „Oh nein …“ „Doch! Sieh, was du getan hast! Die können wir jetzt wegschmeißen! Dieser Fleck, so groß, so rot! Mach ihn weg! Ich ertrage das nicht!“ In theatralischer Geste legte sich der Sammler eine Hand auf die Stirn. „Unsauberkeit in meinem Haus kann nicht geduldet werden!“   Und während Orion schnell die Flasche hinüber zu dem Fleck trug, um ihn so zu verdecken, verstand Valerie gar nichts mehr. Verdutzt sah sie von Orion zu dem Collector, die anfingen, sich wegen dieser Lappalie lauthals zu streiten! „Was hat er denn plötzlich?“, fragte sie ungewollt laut. „… wie oft habe ich dir gesagt, dass du nicht mit Essen spielen sollst!?“ „Ich duelliere mich hier zufällig! Der feine Herr macht sich ja nicht die Hände selber dreckig!“ „Dreck!? An meinen Händen!? Wo!?“ Panisch besah der Sammler seine Finger und beugte sich so weit dabei vor, dass er fast mit der Nasenspitze an die Handflächen stieß. Derweil drehte sich Orion zu Valerie und schüttelte entschuldigend den Kopf. „Ignoriere das einfach, okay? Das ist, was übrig-“ Doch er unterbrach sich selbst und seufzte traurig. „Ach, nicht so wichtig. Manchmal ist er einfach komisch, besonders wenn es um Schmutz geht. Denk dir nichts dabei.“ „I-in Ordnung“, antwortete Valerie verwirrt. Dabei fragte sie sich, wieso ein Dämon so viel wert auf Sauberkeit legte. Und was Orions ominöse Worte wohl bedeuteten. Der Sammler indes hatte sich noch immer nicht erholt und winkte nur abfällig mit den Händen. „Runter da, Orion! Diese Decke müssen wir wegen dir wegschmeißen! Wenn wir hier fertig sind, wirst du mir umgehend eine neue kaufen gehen!“ Und während der Schattengeist vom Tisch sprang, erwiderte er aufgebracht: „Es ist mitten in der Nacht! Wo soll ich da eine auftreiben!?“ „Lass dir etwas einfallen!“ Valerie schüttelte seufzend den Kopf. „Was für ein seltsames Gespann …“ Es erstaunte sie, wie schnell sich der Collector verändert hatte. Als wäre er plötzlich eine ganz andere Person.   „'tschulligung“, sagte Orion kleinlaut, während er zu seinem Duellstandpunkt zurückkehrte, wo schon sein [The Fabled Rubyruda] auf ihn wartete. „Macht nichts.“ Als der kleine Schattengeist sein Ziel erreicht hatte, drehte er sich wirbelnd um die eigene Achse. Voller Ehrgeiz rief er: „Genug 'rumgealbert! Meine hübsche Püppi, ich muss dir jetzt leider die Show stehlen! Ich bin ja am Zug!“ „Wie das? Du kannst nicht einmal eine Karte ziehen, weil du deine Draw Phase überspringen musst“, stellte Valerie fest und straffte sich. Dabei wusste sie, dass seine verbliebene Handkarte [The Fabled Catsith] war, ein Empfänger, genau wie das Monster auf seiner Spielfeldseite. Demnach konnte er sie nicht mit einem weiteren Synchromonster angreifen. Andererseits, dachte sich Valerie, war dieser Gnom immer wieder für eine Überraschung gut. Als Orion realisierte, dass Valerie recht hatte, machte er große Kulleraugen. „Was!? D'oh! Das hab ich total verpennt! Unfair! Aaaaaber- ich hab das hier! Verdeckte Falle [Jar Of Greed] aktivieren! Ich kann nicht ziehen? Guck mal genauer hin, Valval!“ „V-valval?“ Valerie erstarrte. Doch Orion griff nur grinsend nach seiner Duel Disk und zog schwungvoll eine Karte, genau wie es ihm der Effekt seiner Karte gebot. Auch wenn Valerie grinsen musste, weil sich richtig gelegen hatte, was jene verdeckte Falle anging und sie ihn wirklich seine Handkartenzahl manipulieren ließ, fühlte sie auch einen Stich in ihrem Herzen.   Valval … so hatte Marc sie immer genannt, wenn er sie ärgern wollte, denn dieser Spitzname erinnerte ihn an seine Lavalval-Synchromonster, die zugegeben wenig Ähnlichkeiten mit dem Mädchen hatten.   „Einer für alle, alle für einen! Für mich!“ Valerie blickte erstaunt auf. Orion hielt eine Zauberkarte in die Höhe. „Das hier ist [One For One]! Ich brauche nur eine Monsterkarte abwerfen und darf dafür eine von meinem Deck beschwören, solange sie nur einen Stufenstern besitzt!“ Vor Orion erschien ein seltsamer Apparat. Bestehend aus einem kugelrunden Körper sowie drahtigen Armen und Beinen, thronte auf dem Haupt der Kreatur tatsächlich eine Bratpfanne. „[T-t-t-tuningware]! Fast so gut wie H-Warez!“ Orion zwinkerte glucksend.   Tuningware [ATK/100 DEF/300 (1)]   Valerie wurde jäh aus ihrer Verwunderung über Orions Monster gerissen, als eine heftige Explosion ihre Spielfeldseite erschütterte. Die junge Frau wich erschrocken zurück und musste feststellen, dass von ihrer Meereshexe nichts mehr zu sehen war, als sich der Rauch verzog. „Was!?“ Orion hob einen seiner Stummelarme und tat mit seinem Zeigefinger so, als wolle ein Lehrer seine Schülerin belehren. „Guck doch nicht so doof! Hättest du dir den Effekt von [The Fabled Catsith] durchgelesen, als du die Gelegenheit dazu hattest, wüsstest du, warum dein Monster jetzt höchstens eine Rolle im Remake von Michael Jacksons Thriller bekommt!“ „Ich habe ihn mir durchgelesen“, meinte Valerie steif. „Mir war nur nicht bewusst, dass er auch auf diese Weise aktiviert werden kann.“ Breitmündig grinste der Schattengeist. „Klar tut er das, solange die Mieze nur von der Hand abgeworfen wird. Ob das Kosten sind, spielt keine Rolle.“ Valerie biss sich vor Wut auf die Lippen. Sie hatte sich von der Annahme, die Fabled-Karten würden wie die Dark World-Karten funktionieren, in die Irre führen lassen. Jetzt hatte sie ein richtiges Problem! „So konnte ich dein Monster zerstören. Und weißt du, was das Beste ist? Ich kann noch was ganz anderes! Sieh her!“, flötete Orion derweil. Wieder wich Valerie einen Schritt zurück, denn sie wusste bereits, was jetzt folgen würde. „Ich stimme den Stufe 4 [The Fabled Rubyruda] auf die Stufe 1 [Tuningware] ab! Äh ...“ Orion blinzelte. „Warte, ich hab's gleich. … d'oh, dabei hatte ich mir doch alles aufgeschrieben! Wieso habe ich bloß meinen Notizblock gefressen, als mir langweilig war!?“ Er winkte ab. „Egal, Synchro Summon! Mach ein bisschen hinne, [Thunder Unicorn], ich hab nicht ewig Zeit!“ Wie schon einmal zuvor ertönte lautes Wiehern von den Gängen des Anwesens. Valerie wirbelte um und sah zur Flügeltür, die bereits aufschwang. Wieder kam ein Einhorn in den Saal galoppiert, während Orions Monster einfach verschwanden. Doch von dessen Stirn ragte ein gelbes Horn empor, welches aussah wie ein echter Blitz. Was auch nur zu dem blauen Leib passte. Und wie schon vor ihm [The Fabled Unicore], musste auch das Donnereinhorn als Reittier für Orion herhalten, als es in Reichweite war.   Thunder Unicorn [ATK/2200 DEF/1800 (5)]   „Sollte [Tuningware] für eine Synchrobeschwörung benutzt werden, ziehe ich eine Karte“, erklärte Orion von seinem hohen Ross und zog, beachtete die Karte aber nicht weiter. Denn für ihn zählte nur, dass er dieses Spiel gewinnen konnte – Valeries Lebenspunkte waren völlig ungeschützt. „'tschulligung, Valval, aber ein Schattengeist muss tun, was er eben tun muss. Dafür wird er schließlich bezahlt. Nur dass ich nicht bezahlt werde!“ Er warf einen giftigen Blick in Richtung seines Meisters, der dem Duell in seiner gewohnt distanzierten Art zusah. Das Weinglas in der Hand, schien er wieder ganz der Alte zu sein und reagierte gar nicht auf die Kritik seines Untergebenen. Der winzige Dämon wandte sich wieder an seine Gegnerin. „Nimm es mir nicht übel, okay? Ich hätte für dich aufgegeben, ehrlich! Aber so … [Thunder Unicorn], direkter Angriff! Orion for the Win!“ Zusammen mit seinem Reittier machte dieser sich auf, Valerie den letzten Rest zu geben, damit sie dieses Duell verlor. Doch anstatt in Panik zu geraten, blieb die Schwarzhaarige ruhig und überlegte. Den Angriff konnte sie nicht aufhalten, nur abschwächen. Wenn sie eine Chance haben wollte, dieses Duell noch zu gewinnen, musste sie ihre letzte verdeckte Karte dafür verwenden. „Schnellzauber aktivieren!“, rief sie und ließ ihren Arm über die vor ihren Füßen liegende Karte schwingen. „[Half Shut]! Damit halbiere ich die Angriffskraft deines Einhorns für diese Runde, mache es im Gegenzug dafür aber im Kampf unzerstörbar!“ „Och nöööööö!“ Der Zauber klappte auf und entfachte einen rotgelben Wirbel, welcher ihren Angreifer verlangsamte.   Thunder Unicorn [ATK/2200 → 1100 DEF/1800 (5)]   Dennoch ließ dieser sich nicht aufhalten. Endlich angekommen, bäumte sich das Donnereinhorn vor Valerie auf und verpasste ihr mit seinen Vorderläufen einen heftigen Tritt, den diese mit ihrer Duel Disk abfing. Trotzdem wurde sie unter der Kraft des Angriffs zurückgeworfen und landete hart auf dem Rücken. „Urgh!“   [Valerie: 1400LP → 300LP / Orion: 3900LP]   Mit leidvoller Mimik richtete das Mädchen sich auf und keuchte erschöpft. Sie fühlte sich kraftlos und elend, denn es wollte ihr einfach nicht gelingen, eine effektive Gegenoffensive zu starten. Nun besaß sie gar keine Karten mehr. Im Grunde war das Spiel gelaufen … Indes trabte Orion auf seinem Einhorn zurück zu seiner Duellposition und warf dabei einen besorgten Blick zurück. Ihm tat dieses Mädchen leid, denn sie ahnte nicht, was der Preis dafür war, würde sie in diesem Spiel siegreich hervorzugehen. Vielleicht war es sogar das Beste für sie, wenn er sie jetzt besiegte und nach Hause schickte? „Zug beendet“, meinte er nur tonlos, unwissend, wie er entscheiden sollte und was für Konsequenzen es für sie beide hätte.   Thunder Unicorn [ATK/1100 → 2200 DEF/1800 (5)]   Indes fiel Valerie überrascht auf die Knie. Es war, als würde sie in ein tiefes Loch stürzen, denn sie hatte erkannt, dass es wohl keinen Ausweg mehr aus ihrer Lage gab. Ohne Hand- und Feldkarten blieb ihr nur der nächste Zug. Und die Chancen, mit ihm die Lösung für ihr Problem zu finden, waren mehr als gering. „Warum ist er so viel stärker als ich?“, murmelte sie vor sich hin und sah ihre Handfläche an. „Was habe ich falsch gemacht? Ich …“   Wem sollte sie schon etwas vormachen? Sie hatte Angst zu verlieren. Immer schon, seit sie sich zurückerinnern konnte, hatte sie Angst gehabt. Um ihre Großmutter, die einen Schlaganfall erlitten und schließlich wenige Monate später gestorben war. Vor Prüfungen, die sie nicht zu bestehen glaubte. Um ihre Freunde, von denen sie nie wusste, welche echt und welche falsch waren. Vor dem Motorradfahren. Und um ihren Verlobten, den sie nie verlieren wollte. Warum konnte sie nicht einfach furchtlos sein? Warum konnte sie die Dinge nicht so ändern, dass es allen gut ging? Und dann erschien -sie- vor ihren Augen. Anya. Das Mädchen, das nie Angst hatte und lieber versagte, als irgendwem zu imponieren. Die sich nichts gefallen ließ und sogar vor Mord nicht zurückschreckte. Sie … !   Valerie ballte eine Faust und erhob sich, denn etwas in ihr pulsierte und gab ihr Kraft. „Es ist noch nicht vorbei!“ „Huh?“ Orion blinzelte verdutzt. „Valval, was ist mit dir?“   Verzage nicht, mein Kind. Wenn du wirklich diesen Weg fortsetzen möchtest, werde ich dich mit meiner Kraft unterstützen. Auch wenn Gott mich dafür endgültig verstoßen mag. Dafür, dass ich dir die Wahrheit verschwiegen habe, bin ich es dir schuldig.   „Joan“, sprach Valerie leise und fixierte ihren Blick auf den Sammler, der sie aus emotionslosen Augen anstarrte und dabei sein Weinglas festhielt. Und in diesem Augenblick war es ihr völlig gleich, ob Joan eine Heilige oder der Teufel höchstpersönlich war, solange sie ihr nur half, siegreich aus diesem Kampf hervorzugehen. „Gib mir alles, was du hast. Wenn ich -ihr- jemals wieder gegenübertreten will, muss ich dieses Duell gewinnen! Egal was es kostet!“   Dann erfahre die heilige Kraft!   Als Valerie ihre Hand an ihr Deck legte, begann diese in flammendem Weiß zu leuchten. Das war genau das, was sie brauchte, dachte Valerie. Sie spürte bereits, was sie ziehen würde, hatte es klar vor Augen, diese eine, rettende Karte! „Danke Joan! Draw!“ Mit Schwung zog sie jene Karte und spürte noch in der Bewegung ein so heftiges Stechen in ihrer Brust, dass ihr die Luft wegblieb. Röchelnd kippte sie zur Seite und fiel der Länge nach auf den Boden. Dabei glitt ihr die Karte aus der Hand. Valerie erstarrte. „W-was!?“   Mit einem Ruck war der Sammler aufgestanden. „Wie es aussieht, habe ich mich in dir getäuscht. Du solltest mir dein Innerstes zeigen, damit ich deinen Wert bestimmen kann. Doch was muss ich sehen? Du versucht, das Schicksal zu betrügen, indem du einen neuen Pfad hinzufügst. Erbärmlich. Sind das die Grenzen deiner Aufrichtigkeit?“ „N-nein!“ Valerie fühlte sich, als habe man ihr alle Kraft geraubt. Sie reichte nach der gezogenen Karte aus, die vor ihr lag und drehte sie in ihren Fingern um. Und was sie dort sah, erschütterte sie bis ins Mark. „Was!? Nein! Das war-“   Vergib mir, Valerie! Er hat meine Kräfte einfach blockiert! Was für eine Macht ist das? So etwas habe ich selbst bei Erzengeln noch nie gesehen! Was … ist er?   Eine Träne rann indes über Valeries Wange. „Nein …“ Denn die Karte, die sie in der Hand hielt, war nicht etwa die, die sie in ihrem Inneren gesehen hatte. Es war [Evigishki Soul Ogre], das Ritualmonster. Ein Monster, das sie niemals beschwören konnte in ihrer derzeitigen Lage. „Valval … warum hast du versucht, uns zu betrügen?“, fragte Orion enttäuscht. „So etwas machen nur Idioten.“ „Halt den Mund!“, schrie Valerie verzweifelt, die die Demütigung des Sammlers nicht ertragen konnte. „Du verstehst das nicht!“ Unter Mühe zwang sie sich wieder auf und starrte hasserfüllt herüber zum Esstisch, an den sich der Sammler wieder gesetzt hatte. Der rothaarige Mann verzog keine Miene und sagte: „Wir alle müssen einen der Pfade beschreiten, die für uns ausgelegt sind. Du bist keine Ausnahme. Zu denken, du hättest das Recht zu ändern, was bereits feststeht, ist schlichtweg töricht. Ich habe dich wohl überschätzt, was deine Gesinnung angeht.“ Getroffen von diesen Worten zuckte Valerie zusammen. Sie hatte sie gespürt, diese Kraft, und er hatte sie einfach verpuffen lassen. Dieser Kerl hatte in einem Sekundenbruchteil ihre letzte Hoffnung zerstört! „Fahre fort, Orion“, meinte der Sammler völlig ungerührt. „Deine Gegnerin ist nicht imstande, etwas in ihrem Zug zu unternehmen.“ „K-klaro!“   Orion zog mit konzentrierter Mimik von seinem Deck und sah von [Thunder Unicorn] herüber zu Valerie, die ihren Blick senkte und nur die Fäuste ballte. Hilflos wandte er sich an seinen Herren, der nur gebieterisch nickte. Der Schattengeist wusste, dass er ihm nicht den Befehl verweigern durfte, allein schon deshalb, weil sie befreundet waren. Doch nie zuvor hatte jemand ihm so leidgetan wie Valerie und Orion konnte beim besten Willen nicht sagen, woran das lag. Er war sich sicher, dass es nichts mit ihrem Vorbau zu tun hatte. Mitleid mit einem völligen Fremden … wie lange war das wohl her … ?   „Orion. Tu es.“ Der Kleine schüttelte auf die Ermahnung hin seinen Kopf, um die Geister der Vergangenheit zu vertreiben, welche sich seiner bemächtigen wollten. Es hatte keinen Zweck, weiter nachzugrübeln. Er wusste, was er zu tun hatte und letztlich tat er Valerie damit einen Gefallen. Siegesgewiss streckte er seinen Arm aus. „Jetzt endest es wohl. [Thunder Unicorn], vernichte Valeries letzte Lebenspunkte. 'tschulligung … Valval …“ „Spar' dir das“, zischte sie, ohne aufzusehen. Und auch wenn ihre Wut über das eigene Versagen und den Sammler nicht Orion galt, tat es gut, sie einfach loszulassen. Das Blitzeinhorn galoppierte schließlich auf die Schwarzhaarige zu. Wie zuvor versuchte es, sie unter seinen Läufen zu begraben. Dieses Mal jedoch wehrte sich Valerie nicht und wurde von einem kräftigen Tritt in die Brust umgeworfen. Ächzend landete sie auf dem Rücken und rollte unter einem schmerzlichen Stöhnen auf den Bauch, sich die Wunde haltend.   [Valerie: 300LP → 0LP/ Orion: 3900LP]   „Und so endet es, völlig unspektakulär“, sprach der Collector und erhob sich, wobei er sich vom Tisch abstützte. „Nun gut. Du hast mich enttäuscht, Valerie. Doch ich kann sehen, was dich zu deinen Taten bewogen hat.“ Seine Augen funkelten. „Lass uns also über das Geschäft reden.“ Erschrocken sah Valerie mit zusammengekniffenen Augen auf. „Was!? Aber- Ich habe verloren! Wieso willst du mir trotzdem helfen?“ Der Sammler lächelte, doch es war ein falsches Lächeln, denn seine feinen Züge bewegten sich nicht natürlich zu seinen angezogenen Mundwinkeln. „Wie alles auf dieser Welt, hast auch du immer noch einen Wert. Aber es wird nicht deine Seele sein, die ich im Austausch für deinen 'Wunsch' verlange.“ Ungläubig richtete sich das Mädchen auf und stand wieder auf zwei Beinen. Doch sie zitterte so sehr, dass sie alle Mühe hatte, nicht sofort wieder umzukippen. Es klang zu gut, um wahr zu sein und Joan hatte sie davor gewarnt, mit Dämonen Geschäfte zu machen. Aber wenn er ihr wirklich geben konnte, was sie wollte, dann war ihr alles gleich. „Nicht meine Seele?“, fragte sie skeptisch nach. „Warum nicht? Ich dachte das ist, was Dämonen normalerweise im Austausch für ihre Dienste wollen!“ Der Collector starrte sein Weinglas an und betrachtete die Reflexion seiner selbst fasziniert. „Natürlich ist die Seele ein sehr wertvolles Gut. Das Wertvollste, was ein einfacher Mensch zu bieten hat.“ Nun blickte er Valerie wieder unverwandt in die Augen. „Besonders du, die du durch einen waschechten Engel geleitet wirst, wärst eine hervorragende Investition.“ Plötzlich verhärtete sich sein Tonfall. „Andererseits bist du trotz deiner Gaben nicht einmal imstande, meinen niedersten Diener zu bezwingen. Man könnte sagen, so etwas wie du verkauft sich schlecht.“ „Sorry Valval, er meint damit, dass du eine Versageri- Was!?“, kreischte Orion und hüpfte aufgeregt umher. „Niederster Diener!? Aber ich hab die heiße Braut doch abserviert! Wieso-!?“ „Misch dich bitte nicht ein, Orion“, sprach Collector gelangweilt. Frustriert ließ der Schattengeist seinen Kopf, sozusagen seinen ganzen Körper, hängen und seufzte. „Nicht mal bezahlt werde ich für all die Demütigungen …“   „Aber wenn meine Seele nicht gut genug ist, was dann?“, wollte Valerie nun aufgebracht wissen. Sie konnte sich nicht vorstellen, was er sonst noch von ihr verlangen könnte. Der Sammler lächelte nun wieder hinter seiner schleierhaften Maskerade aus vorgespielten Emotionen. „Weißt du, es gibt Dinge, die besitzen seither einen hohen Wert. Wie die Seelen. Haben wir die Macht über diese, können wir nach dem Tode ihres Besitzers alle darauf folgenden Inkarnationen jener Existenz nach unserem Belieben lenken. Wer sich mir also verkauft, ist solange unter meiner Kontrolle, bis seine Seele erlischt.“ „Warum willst du meine Seele dann nicht!?“, fauchte Valerie und trat ungestüm einen Schritt vor. „Warum ist sie nicht gut genug!?“ „Du bist verdorben durch die Gefühle, die du tief in dir hegst“, erklärte der Sammler daraufhin mitleidig. Er nahm einen Schluck vom Glas in seiner Hand. „Du kannst mich nicht täuschen. Dein Groll gegenüber Anya Bauer ist kein Geheimnis, nicht für uns. Von größtem Wert aber sind die Seelen, die sich aus reiner Aufopferung aufgeben.“ Seine Stimme wurde kalt. „Zu denen gehörst du aber nicht. Wenn wir jeden erhören würden, der unserer habhaft werden will, würde das empfindliche Gleichgewicht unserer Welt binnen kürzester Zeit zusammenbrechen. Und ich persönlich bin mit ihr so zufrieden, wie sie ist. Veränderungen sind nicht mein Ding, verstehst du? Außerdem gibt es noch genug andere Gründe, warum wir nicht jede Seele annehmen, die uns über den Weg läuft.“ Valerie biss sich so sehr auf die Lippe, dass es blutete. Wie konnte er es wagen!? Er kannte sie doch gar nicht! Die Schmerzen, die sie in sich trug, konnte er sich doch gar nicht vorstellen! „Was willst du dann?“, fragte sie leise. Nun sah der Collector ihr wieder in die Augen. Dabei stand in den seinen eine Zuversicht geschrieben, die das Mädchen zutiefst beunruhigte. „Deinen Namen.“ „W-was!?“ „Du hast recht gehört, deinen Namen.“ Er lachte auf. „Sicher, deine Seele ist im Vergleich immer noch viel wertvoller als dein Name. Aber es gibt für jede Ware einen passenden Markt. Und warum das eine nehmen, wenn das andere auf lange Sicht viel lukrativer ist?“ Valerie schüttelte den Kopf. „Ich verstehe nicht! Warum ausgerechnet meinen Namen? Wie soll man sich das denn vorstellen!?“ Wenn man seinen Namen an jemanden verkauft, besitzt dieser jemand Macht über ihn. Er vermag bis in die tiefsten Winkel der Seele vorzudringen und ist auf diese Weise mit dir verbunden. Es ist anders, wenn man über die Seele verfügt. Der Name steht nur für Wissen, keine Kontrolle. Dennoch solltest du dir das alles gut überlegen, Valerie! Vergib mir, dass ich überhaupt erwogen habe, dich hierher zu führen! Wir hätten niemals hierher kommen dürfen! Möge ich Gottes Strafe empfangen für meine Torheit, denn dich trifft keine Schuld!   „Joan …“ Valerie verstand es nicht. Wenn die Seele so viel wertvoller war, als ihr Name, warum wollte der Collector dann Letzteren haben? Lag es nur daran, dass sie Anya für das hasste, was sie Marc angetan hatte? Nein! „Der Name ist mir sofort von Nutzen“, erklärte der Sammler plötzlich amüsiert darüber, wie hin und her gerissen das Mädchen doch war. „Eine Seele vermag ich erst einzusammeln, nachdem sie den Körper verlassen hat. Allerdings würde ich dem Spektakel rund um Eden gerne aus der Ehrenloge beiwohnen. Wissen kann nie schaden. Aber erwarte nicht von mir, dass ich mich in dieses Geplänkel einmische. Dafür ist es nicht bedeutend genug.“   Tief durchatmend, straffte sich Valerie und sah dem rothaarigen Mann entschlossen in die Augen. „Mein Name also?“ Er nickte. „Du weißt sicher bereits, was ich als Gegenleistung dafür erwarte?“ Der Sammler lächelte. „Bei jemandem wie dir ist so etwas nicht schwer zu erraten. Es gibt zwar einige Einschränkungen, aber die sind minimal. Es ist machbar. Über die Details werde ich dich aufklären, wenn wir den Handel abgeschlossen haben.“ „Dann haben wir jetzt einen Vertrag“, meinte Valerie steif und schritt auf den Esstisch zu. Sie reichte dem jungen Mann ihre Hand entgegen und wartete darauf, dass er einschlug. Dieser nickte. „Wie du meinst. Jetzt gibt es endgültig kein Zurück mehr für dich.“     Turn 17 – And Then I Said No Eines Morgens bekommt Anya überraschend Besuch von dem Dämonenjäger Matt. Nachdem sie erfolglos versucht, ihn einen Kopf kürzer zu machen, offeriert er ihr plötzlich ein unerwartetes Friedensangebot. Er bietet sogar an, Anya alles über Eden zu erzählen, was er in den letzten Wochen in Erfahrung bringen konnte. Anya geht zähneknirschend darauf ein, doch während Matts Bericht taucht Alastair auf. Einen Verräter genannt, beginnt Matt in der Hoffnung auf Schlichtung ein Duell. Doch plötzlich …   Kapitel 17: Turn 17 - And Then I Said No ---------------------------------------- Turn 17 – And Then I Said No     „Ohhh, komm schon, stirb endlich!“, fauchte Anya aufgebracht. „Stirb, stirb, stirb! Dir zermansch' ich das Hirn, du miese Ratte-“ Es klingelte von unten und ein schriller Schmerzensschrei ertönte plötzlich. „Oh verdammter Kackmist, Game Over!“ In blutigen Lettern flimmerte die verhängnisvolle Botschaft über Anyas Fernseher. Die hockte im Schneidersitz vor der Glotze und starrte ebenjene mit offenem Mund an. Einen Wutschrei später schepperte schon der kabellose Controller ihrer Spielkonsole gegen den Apparat. Noch einen Wutschrei später realisierte Anya, dass sie soeben ihren Fernseher um die Ecke gebracht hatte. „Oh fuuuuuuuuuuuuuuuuuck!“, fluchte sie und sprang auf. Wer auch immer gerade ihre tadellose Gewinnstrecke UND ihren uralten Röhrenbildfernseher ruiniert hatte, würde dafür mit dem Leben zahlen müssen!   Außer sich vor Zorn stampfte sie durch das Zimmer, schnappe sich dabei Barbie, die neben der Tür an der Wand lehnte und eilte schließlich die Treppen hinab ins Erdgeschoss. Ihren mit Nägeln und Rasiermesserklingen bespickten Baseballschläger geschultert, war sie zu allem bereit, was wehtun konnte. Breitbeinig baute sie vor der Haustür auf, während es abermals klingelte. „Oh Kumpel, ganz blöde Idee“, murmelte sie bereits mit grimmigen Vergnügen und beugte sich zu dem Spion. Nur für den Fall, dass es Nick oder Abby waren, schließlich tötete man nicht einfach seine Nutztiere. Denn wenn sie jetzt durch diese Tür stürmte, war sie nicht mehr zu stoppen. Doch statt ihren Freunden erkannte sie durch die Linse verformt eine Person in einem schwarzem Mantel, die sich gerade von der Klingel neben der Haustür entfernte und plötzlich selbst in den Spion schaute. Es waren graue Augen. Anya wich zurück, starrte dann neugierig wieder durch. Nun stand der junge Mann mit verschränkten Armen da und tippte regelmäßig mit der Fußspitze auf den Boden. Schwarzes, nach hinten hoch abstehendes Haar, eine genervte Mimik, besagte graue Augen – Anya wurde ganz anders. Diesen Typen kannte sie doch!   Eben der hämmerte plötzlich gegen die Tür. „Mach endlich auf, ich weiß, dass du zuhause bist!“ Anyas Augen verengten sich zu Schlitzen. Wieso stand ausgerechnet -der- vor ihrer Tür!? Hatte diese Knalltüte etwa Todessehnsucht? „Ob ich zuhause bin?“, murmelte sie und warf einen Blick auf Barbie. „Du wirst dir gleich wünschen, dass jemand ganz laut 'nein' geschrien hätte, Mistkerl! Ahhhhhhhhh!“   Unter ihrem Kampfschrei riss sie die Tür auf und holte blindlings mit Barbie aus. Der Schwarzhaarige wusste gar nicht, wie ihm geschah, als Anya auf ihn losging und wich gerade noch rechtzeitig zurück, als sie wie ein Berserker nach ihm schlug. „Stopp!“, rief der Dämonenjäger Matt und hob die Hände, von denen eine bandagiert war, nur um sie rasch zurückzuziehen, da sie sonst von Barbie zerfetzt worden wären. „Stirb!“, schrie Anya und scheuchte den jungen Mann quer über den Rasen. Immer wieder musste der sich ducken oder Ausweichschritte machen, nur um nicht von der blonden Furie zermalmt zu werden. „Bist du verrückt geworden!? Lass das!“, schrie er Anya an, die aber gar nicht daran dachte und ihm mit einem Abwärtshieb den Schädel spalten wollte. Matt warf sich zur Seite und sah, wie Gras und Erde durch die Luft spritzen, als Barbie ihn verfehlte und auf dem Boden aufschlug. „Stirb, stirb, stirb!“, kreischte Anya ihn von der Seite nur an, während sie Barbie wieder anhob und nun nach seinen Beinen ausholte. Matt zog sie rechtzeitig zurück, sodass wieder nur der Rasen der Familie Bauer einstecken musste. „Warum willst du nicht endlich sterben!?“ Bevor Anya jedoch wieder zuschlagen konnte, trat Matt mit beiden Füßen zu. Anya, die sich vor ihn aufgebaut hatte um den Gnadenstoß zu liefern, wurde an beiden Schienbeinen getroffen und torkelte mit unmenschlichem Geschrei zurück. Gleichzeitig stützte Matt sich mit beiden Händen ab und sprang geschickt auf. Doch die Belastung seines verletzten Arms ließ ihn aufstöhnen. „Ich kann auch austeilen, wenn ich will!“, meinte er genervt und rieb sich dabei über die bandagierte Stelle. „Ah, verdammt!“ Anya stützte sich auf Barbie ab und legte mit schmerzverzerrter Miene die Hand auf ihr linkes Bein. „Mistkerl, das war unfair! Halt beim nächsten Mal einfach still, 'kay!?“ „Kein Bedarf!“, motzte er zurück. „Schade, dann eben auf die harte Tour! Hieyhieyhiey!“ Wieder stürmte Anya unter einem misslungenen Xena-Kampfausruf auf ihren Gegner zu und schwang Barbie von einer Seite zur anderen, um ihrer blinden Wut Ausdruck zu verleihen. Bei Matt angelangt, versuchte sie es wieder mit einem Abwärtshieb, doch als der Dämonenjäger auswich, änderte sie die Richtung des Schlages und war sich des Sieges gewiss. Dummerweise schien ihr Gegenüber mit so etwas gerechnet zu haben, denn er war schneller als sie und machte einen Schritt nach vorn, packte Anyas Handgelenk, drehte es. Und ehe sie sich versah, hatte er sie einfach entwaffnet.   „Lass mich los!“, brüllte sie ihn an und versuchte sich aus seinem Griff zu winden, doch Matt zog ihren Arm und somit auch sie nur näher an sich heran. „Erst wenn du mir zuhörst“, antwortete er ärgerlich. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn. „Ich bin nicht hier, um dir etwas anzutun!“ „Das ist aber schade! Ich hab nämlich ganz viele Ideen, was ich dir antun könnte!“ Eine davon war, dass sie ihm ihr Knie in die Kronjuwelen rammen wollte. Leider blockte Matt den Angriff mit seiner freien Hand ab, was Anya jedoch die Gelegenheit gab, sich loszureißen, Barbie aufzusammeln und sich neu zu formieren. Mit erhobenem Baseballschläger stand sie Matt gegenüber. „Na!? Noch 'ne Runde gefällig!? Ich werde gerade erst warm!“ „Kein Bedarf“, brummte er wieder, wich aber dennoch ein wenig zurück. Dabei bemerkten beide gar nicht, wie zwei Fahrradfahrer mit ungläubigen Blicken an Anyas Grundstück vorbeifuhren und in die Pedale traten, als sie erkannten, wer da gerade im Begriff war, lebenslang hinter Gitter zu kommen. „Was willst du dann überhaupt hier!?“, verlangte Anya zu wissen. „Ich kaufe nix von Pennern! Schon gar nicht von welchen, die meine Freundin erpressen wollten!“ „Die Fragen erst stellen, wenn das Opfer schon tot ist, huh?“, erwiderte Matt bissig. „Zum Glück bin ich kein Schwächling, der sich von einem Mädchen fertig machen lässt!“ „Pass auf, was du sagst! Dieses Mädchen war allein dieses Jahr schon 37 Mal auf dem Polizeirevier! Und das sind nur die Leute gewesen, die gepetzt haben!“ „Ich werde in mehreren Bundesstaaten wegen Mordes an meinem Vater gesucht!“ „Pah! Das kann ich locker überbieten! ICH werden in -allen- Bundesstaaten wegen-“ Doch Anya realisierte, dass das, womit sie sich gerade brüsten wollte, noch in der Planungsphase befand und sie bedauerlicherweise kein derartiges Delikt auf dem Kerbholz hatte. Noch nicht! „Oh verdammter Kackmist! Aber ich habe auch schon jemand umgebracht. Marc Butcher, wenn dir das was sagt?“ Gleichzeitig verfinsterte sich ihr Blick deutlich. „Also Gleichstand?“ Matt pfiff anerkennend. „Hab in der Zeitung davon gelesen. Demnach bist du für den Brand im Park verantwortlich. Aber Marc Butcher killen? Dachte der wäre bei dem Brand umgekommen? Außerdem hab ich dich bisher eher so eingeschätzt, dass du zu der Sorte Mensch gehörst, die im letzten Augenblick kneift.“ „Eine Anya Bauer kneift nicht!“ Matt nickte grinsend. „Anscheinend. Hab dich wohl unterschätzt.“ Plötzlich wurde sein Blick ernster. „Allerdings sollten wir nicht in der Öffentlichkeit über so etwas reden. Wie ich schon sagte, bin ich nicht hier, um dir zu schaden. Im Gegenteil. Ich bin gekommen, um dir ein Friedensangebot zu machen!“ Anya lachte auf und deutete bedrohlich mit ihrer Waffe auf ihn. „Bin ich Mutter effing Theresa oder was!? Ich HASSE Frieden! Und werde ihn bestimmt nicht mit jemandem schließen, der mich neulich noch in einem Sarg sehen wollte!“   Doch bevor die Blondine wieder mit Barbie auf ihn losgehen konnte, zückte Matt eine Karte aus seinem Ärmel. Entgegen Anyas Erwartungen handelte es sich nicht um einen Zauber der Dämonenjäger, sondern um eine gewöhnliche Duel Monsters-Karte. „Wie soll ich es sagen, die Umstände haben sich geändert. Die hier kriegst du, wenn du dich mit mir hinsetzt und erstmal nur zuhörst, was ich zu sagen habe“, erklärte Matt ruhig. „Bah, ich bin nicht käuf-“ Doch als sie erkannte, um welche Karte es sich handelte, klappte ihre Kinnlade hinunter. „Nein! Das kann nicht sein! Das ist bestimmt 'nen Fake oder eine Bombe!“ „Nein, ist sie nicht. Sieh selbst“, erwiderte Matt und warf Anya die Karte zu. Die fing sie zwischen Mittel- und Zeigefinger auf und starrte ehrfürchtig das Artwork an. „Unmöglich! Woher hast du die!?“ „Manche Leute -sind- käuflich. Hab sie vom Schwarzmarkt. Unglückliche Geschichte, der ursprüngliche Besitzer hatte ein paar Bekannte im Untergrund, die am Ende nicht seine Freunde waren. Egal. War jedenfalls nicht gerade billig.“ Anya hielt das Fusionsmonster wie einen Schatz in der Hand. Von [Gem-Knight Zirconia] gab es nur sehr wenige Exemplare, da jene vor einiger Zeit als eine von verschiedenen Preiskarten auf internationalen Turnieren ausgegeben wurden. Doch so weit zu kommen war für Anya immer nur ein unerreichbarer Traum gewesen. Und jetzt hatte sie die Karte, die besondere, die fast vergessene, die, die nie Teil ihrer Sammlung war, endlich in den Händen!   Die Betonung lag auf hatte, denn Matt stand plötzlich vor ihr und riss sie ihr wieder aus der Hand. Verdutzt starrte sie den Dämonenjäger an, als habe er gerade Barbie verbrannt. „Sorry, aber behalten darfst du die nur, wenn wir jetzt reingehen und uns unterhalten.“ „Ich bin nicht käuflich!“, fauchte sie und versuchte das wertvolle Stück aus seiner Hand zu reißen, doch er wich aus. „Gib die her!“ „Hast wohl Blut geleckt, huh? Na, was wird wohl siegen? Gier oder Sturheit?“ In Anya spielte sich derweil ein nahezu epischer Kampf ab. Natürlich wollte sie die Karte haben, mehr als jede andere. Aber doch nicht von dem! Bloß hätte sie dann endgültig ihre Sammlung vollständig! Aber wegen dem und nicht aus eigener Kraft! Doch wann bot sich schon so eine Gelegenheit, immerhin wurde [Gem-Knight Zirconia] nicht mehr gedruckt? Aber dann stünde sie in der Schuld ihres Feindes! Andererseits … „Ach scheiß drauf, gib das Teil her! Von mir aus höre ich mir dein Gelaber an!“ Drohend hob sie ihren Zeigefinger und schulterte Barbie. „Aber komm nicht auf dumme Gedanken! Ich kann mir das Ding auch so holen, vergiss das nicht!“ Matt grinste triumphierend. „Na bitte, geht doch!“ Wenn der wüsste, dachte Anya hinterhältig. Sobald das Teil ihr gehörte, würde es eine Nervensäge weniger auf der Welt geben! Als ob sie es ihm so leicht machen würde, immerhin hatte sie noch eine Rechnung wegen Abby mit ihm offen! Wen interessierte schon der beknackte Fernseher, heute war ihr Glückstag!   ~-~-~   Zusammen betraten Anya und Matt das Wohnzimmer der Familie Bauer. Anya deutete auf die Couch an der Nordwand und meinte giftig: „Mach's dir bequem! Aber nicht zu sehr, lange wirst du hier nämlich nicht sitzen!“ „Werden wir noch sehen“, erwiderte Matt kühl und zog an ihr vorbei, ließ sich in das schwarze Leder fallen und breitete sich zu Anyas Ärgernis aus, als würde ihm das Haus gehören. Er schlug in lässiger Pose ein Bein über das andere und legte sein Kinn auf den Handrücken, wobei er sich mit dem Ellbogen an der Lehne abstützte. Anya hingegen nahm auf einem der beiden Sessel Platz und saß Matt schräg gegenüber, wobei sie Barbie griffbereit an besagtem Sessel anlehnte. „Okay, was willst du?“, fragte sie herrisch und forderte im gleichen Atemzug: „Und rück' die Karte raus, wenn wir schon dabei sind!“ Matt zuckte nur mit den Schultern und schob [Gem-Knight Zirconia] über den Glastisch. Mit einer hastigen Bewegung schnappte sich Anya das wertvolle Stück und funkelte den Schwarzhaarigen feindselig an. „Ich mach's kurz. Ich bin hier, weil ich nicht will, dass du zu Eden wirst“, erklärte Matt schließlich tonlos. „Das hat zwei Gründe. Einer wäre, dass du auch andere Menschen neben dir ins Unglück stürzen würdest, was nicht in meinem Interesse liegt. Der andere ist, dass niemand weiß, was genau Eden ist und wie sich das auf unsere Welt auswirken wird. Die Gefahr, einen verhängnisvollen Fehler zu begehen, ist viel zu groß. Kannst du mir folgen?“ Anya blinzelte zweimal, ehe sie ebenso kühl erwiderte: „Aha.“   Dann richtete sie ihren Blick auf das Fusionsmonster in ihren Händen und wollte gespannt den Effekttext lesen, als sie plötzlich aufschrie: „Huh!? Kein Effekt!?“ „Hast du etwas anderes erwartet? Das ist die stärkste Karte der Gem-Knights. Da kann selbst das Geschenk von deinem Dämonenfreund nicht mithalten“, meinte Matt spitzzüngig. „Sag bloß, das wusstest du nicht?“ „Das ist doch Beschiss!“, donnerte Anya wütend. „Was interessieren mich 2900 Angriffspunkte, wenn das Teil sonst nix auf den Kasten hat!? Wieso zum Teufel passiert so etwas immer mir!?“ Matt grinste. „Schon mal was von Karma gehört?“ „Davon redet Abby auch andauernd. Ist das ne neue Seife oder so!?“ Anya schnaubte wütend. „Ist ja auch egal! Das klären wir später!“   Die beiden sahen sich kurz schweigend an, ehe Matt sich am Kinn rieb. „Also, wie viel weißt du über Eden und die Gründer?“ Anya machte kurz ein nachdenkliches Gesicht. Zumindest gab sie sich Mühe, doch tatsächlich musste sie gar nicht lange grübeln, um eine Antwort zu finden. „Dass das Teil am 11.11. ne Party feiert und ich sozusagen der Stargast bin?“ „Mehr nicht?“ Matt schien aufrichtig überrascht und beugte sich mit großen Augen nach vorne. „Nimmst du das hier etwa nicht ernst? Dir bleiben verdammt nochmal nur noch ein paar Tage bis dahin! Was zur Hölle hast du die letzten Wochen getrieben!? “ „Ähm, mich mit Möchtegerndämonen und Dämonenjägern herumgeschlagen?“ Anya runzelte verärgert die Stirn. „Entschuldige, dass ich nicht in deinen Kreisen verkehre und daher auf uralte Bibliotheken zurückgreifen muss! Ist doch nicht meine Schuld, wenn in den Schinken dort nur Schwachsinn steht! Woher soll ich wissen, wo es die -guten- Infos zu finden gibt!?“ Doch Matt fasste sich nur an die Stirn und schüttelte fassungslos den Kopf. „Das glaub ich jetzt nicht. Hast du ein Glück, dass ich hier bin. Andernfalls würdest du blindlings in dein Verderben rennen.“ Plötzlich meinte er aufgebracht: „Anya, du hast gerade mal noch zwei Wochen Zeit, alles vorzubereiten! Wenn es nicht wegen -ihm- wäre, wäre es mir vollkommen gleich, was mit dir geschieht!“ Allerdings ließ sich das Mädchen nicht von seinen Worten beeindrucken und antwortete schnippisch: „Gott, hab ich aber ein Glück … Wie wäre es, wenn du mir erstmal erklärst, was ein Gründer überhaupt ist! Und was heißt hier eigentlich vorbereiten?“   Ich denke, mit Gründer meint er mich. Allerdings tappe ich, was diese Vorbereitungen angeht, ebenso im Dunkeln wie du, Anya Bauer.   „Was heißt hier, du denkst!?“, wandte sich Anya an die Decke des Wohnzimmers. „Kann es sein, dass du in der Dämonenschule, als es um Eden ging, zufällig wegen akuter Hirnabstinenz gefehlt hast!?“ „Weiß er nicht, dass er ein Gründerindividuum ist?“, fragte Matt überrascht. Anya verzog verärgert das Gesicht und ließ sich in die Lehne des Sessels fallen. „Offensichtlich nicht, Schlaumeier. Aber du. Wie wäre es also, wenn du den Mund aufmachst und zu singen beginnst? Bevor ich auf die Idee komme, Barbie als Vorhut reinzuschieben!“ „Ist im Grunde ganz einfach“, meinte der Schwarzhaarige und ließ sich ebenfalls wieder zurückfallen. „Die Dämonen, die als Gründer bezeichnet werden, sind die einzigen ihrer Art, die die Vorgänge rund um Eden in Gang setzen können. Als du den Pakt mit deinem unsichtbaren Freund geschlossen hast, hast du damit automatisch alles in die Wege geleitet. Herzlichen Glückwunsch, in zwei Wochen wird der Turm von Neo Babylon deine Schule platt machen. Gut gemacht!“ „Häh? Hast du das gewusst?“, fragte Anya Levrier, da sie sonst keine Idee hatte, was sie sagen sollte. Ihr war das alles jetzt schon viel zu kompliziert.   Ja. Der Turm von Neo Babylon ist essentiell für unser Unterfangen. Ohne ihn ist es unmöglich, Eden zu werden.   „Komisch. Warum überrascht mich es mich gar nicht, dass du mir das bisher verschwiegen hast?“, fragte Anya bissig und wandte sich an Matt. „Deine Erklärung, Einstein?“ Der junge Mann in Schwarz schloss die Augen und überlegte. Kurz darauf öffnete er sie wieder und setzte zur angeforderten Erklärung an. „Hör zu, Anya. Mein Wissen ist auch nur sehr lückenhaft, deswegen werde ich dir nicht sagen können, wie du Eden wirst, geschweige denn genau das verhindern kannst. Alles was ich weiß, habe ich aus diversen Aufzeichnungen, die die Dämonenjäger und gescheiterten Gründerindividuen uns hinterlassen haben. Hätte Refiel in dem Duell zwischen dir und Alastair deinen 'Kumpel' nicht als Gründer erkannt, wüssten wir bis heute nicht, womit wir es zu tun haben.“ „Ahja. Und weiter?“ Anya spielte gelangweilt mit einer blonden Strähne, die ihr im Gesicht hing. Seufzend legte Matt seine Unterarme auf die Oberschenkel und ließ den Kopf hängen. „Sie alle beschreiben den Beginn dieses Prozesses wie folgt. Zunächst formt der Gründer mit einem Menschen, der ihm würdig erscheint, einen Pakt. Dieser ist der Grundbaustein für alles, was folgt. Dort, wo er geschlossen wurde, wird zum vorgesehenen Tag der Turm von Neo Babylon erscheinen.“ „Das wäre ja in der Aula“, überlegte Anya. Plötzlich legte sie ein triumphierendes Grinsen auf, als sie realisierte, was Matts Worte bezüglich der Livington High bedeuteten. „Geil! Heißt das, die Schule verschwindet?“ „Weiß ich nicht. Was ich weiß ist, dass du nur im Inneren des Turms zu Eden werden kannst.“ „Dann bleib ich dem Teil einfach fern“, schloss Anya daraus stolz und lehnte sich entspannt zurück. „Problem gelöst.“ Matt lachte zynisch auf. „Als ob. Die letzten Gefäße der Gründer, die das versucht haben … ach egal.“ Wieder ließ er den Kopf hängen. „Es funktioniert nicht. Bisher hat niemand der Betroffenen einen Weg gefunden, den Prozess von Edens Erwachen aufzuhalten. Genau wie es wohl noch nie jemandem gelungen ist, Eden zu erwecken.“   Ich habe es in der Vergangenheit bereits versucht. Auf der höchsten Spitze des Turms, im Kristallsaal, sollte es stattfinden. Doch mein Gefäß starb einen elendigen Tod, bevor das eigentliche Ritual überhaupt begonnen hatte. Bis heute habe ich dafür keine Erklärung gefunden.   „Huuu, die guten Nachrichten häufen sich“, brummte Anya und richtete ihr Wort an Matt. „Das wird ja immer besser. Weißt du zufällig, warum bisher jeder gescheitert ist?“ „Offensichtlich weil die falsche Menge an Zeugen als Opfer angeboten wurde.“ Einmal mehr runzelte Anya in ihrer Unwissenheit die Stirn und verschränkte genervt die Arme. „Und das Ganze heißt übersetzt soviel wie … ?“ „Es heißt“, sprach Matt und sein Gesichtsausdruck verdunkelte sich. Auch wurde er plötzlich sehr leise, dass Anya sich regelrecht in seine Richtung beugen musste. „Es heißt, dass du allein nicht imstande bist, Eden zu wecken.“ „Ahja?“ „Ja …“ Mit einem Ruck sah er weg. „Du brauchst diejenigen, die die Zeugen der Konzeption genannt werden. Menschen, die ebenfalls im Pakt mit einer hohen Wesenheit stehen. Du erkennst sie an den Malen an ihren Armen, die deinem ähneln. Jede Wesenheit hat dabei ihr eigenes Symbol. So hat es zumindest einer der gescheiterten Gründer ausgedrückt.“ Die Blondine hob ebendiesen Arm und betrachtete das schwarze Kreuz im Dornenkranz auf ihrer Haut. Anschließend sah sie wieder auf. „Klingt scheiße.“ „Ist es auch, denn sie müssen für Eden geopfert werden. Aber wie viele gebraucht werden, das weiß niemand. Und das ist der Grund, warum ich hier bin. Die Zeugen … du wirst sie ins Unglück stürzen.“   Anya Bauer! Wenn das der Wahrheit entspricht, ist Valerie Redfield in großer Gefahr! Sie besitzt ebenfalls ein solches Mal! Noch bevor Levrier geendet hatte, sprang Anya mit funkelnden Augen auf. „Eden, ich komme! Alter, endlich werd' ich diese Dumpfralle los! Hallelujah!“ Matt klatschte sich die Hand an die Stirn und schüttelte den Kopf. „Hast du überhaupt zugehört? Da könnten Menschen sterben! Wegen dir!“ Allerdings interessierte das Anya nicht. Sie blickte gleichgültig auf ihn herab und verzog keine Miene, als sie sagte: „Wen juckt's?“ „Mich!“ Nun war auch Matt aufgesprungen.   Ich sage das nur ungern, aber auch Marc Butcher muss demnach ein Zeuge der Konzeption gewesen sein. Das ist also die Verbindung, die ich zu diesem Dämon, Isfanel, gespürt habe. Sein Gefäß ist ein potentielles Opfer gewesen. Das erklärt, warum ich beim letzten Versuch, Eden zu erwecken, gescheitert bin. Ich habe nicht um die Existenz jener Zeugen der Konzeption gewusst … doch …   Allerdings hörte Anya gar nicht zu, sondern funkelte nur ihr Gegenüber an. Dabei erwiderte sie nicht minder aufgebracht und wild gestikulierend: „Wen verdammt nochmal juckt's? Es hat doch jeder selbst die Wahl, ob er diese Paktkacke annimmt oder nicht! Redfield hätte eben das Kleingedruckte lesen müssen! Und ich werde sicher nicht wegen der …“ Doch Anya wusste nach wie vor nicht, was genau die Konsequenzen ihres Scheiterns waren. Deswegen stampfte sie wütend auf. „Ich werde definitiv, aber so was von sicher NICHT aufgeben, klar!? Was soll ich auch tun, wenn es sowieso keinen Weg gibt, den Mist zu beenden!?“ „Du bist ein Monster, weißt du das!?“, erwiderte Matt, dessen Kopf hochrot vor Wut geworden war. „Und da heißt es, ich wäre die Verkörperung eines Dämons, huh!? Lächerlich!“ „Ach ja? Na warum killst du mich dann nicht, wenn ich doch so böse bin und du mich am liebsten loswerden würdest!?“, fragte Anya provozierend und winkte Matt tollkühn zu sich. „Lass uns da weitermachen, wo wir eben aufgehört haben!“ „Pah!“, raunte der Dämonenjäger und winkte ab. Er wandte sich dem Fenster zu und durchschritt das Wohnzimmer. Den Blick von ihr abgewandt, murmelte er verbittert: „Was glaubst du wohl? Wenn das ginge, hätte Alastair schon längst kurzen Prozess mit dir gemacht.“ Das Mädchen schnalzte mit der Zunge und grinste gehässig. „Der hat wohl eingesehen, dass ich in einer anderen Liga spiele als er.“ Matt sah sie über seine Schulter hinweg hasserfüllt an. „Soll das ein Scherz sein? Nur weil du nahezu unsterblich bist, heißt das nicht, dass du uns überlegen bist.“   Er weiß davon!?   „Wovon?“ Anya blinzelte verdutzt. „Huh?“ Vor Verwirrung verzichtete sie sogar auf ihre obligatorischen Protestsprüche inklusive Beleidigung und Drohgebärden. „Unsterblich, ich? Bin ich endlich ins Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen worden?“ Matt lachte zynisch auf. „Klar, als größter Kotzbrocken der Menschheit! Pff, so etwas Ähnliches hat deine Freundin damals auch gesagt, als ich ihr davon erzählt habe.“ „Danke, du hast ja doch Ahnung“, erwiderte Anya, stolz auf seine ursprünglich als Beleidigung gemeinten Worte. „Aber was soll das heißen, meine Freundin habe etwas Ähnliches gesagt? Meinst du Abby?“ „Als ich ihr sagte, dass der Pakt mit dem Gründer dir zeitweilige Unsterblichkeit verleiht, hat sie auch so einen ähnlichen Witz gerissen.“ Der Schwarzhaarige musste bei dem Gedanken daran schmunzeln. Zu diesem Zeitpunkt hatte dieses Mädchen noch nicht geahnt, was ihr bevorstand. Doch als er sah, wie Anyas Züge sich verhärteten, traf ihn die Erkenntnis wie ein Schlag. „Sie hat dir nichts davon erzählt?“ „Allerdings …“ Matt stöhnte auf und schlug sich die Hand vor die Stirn. „Oh verdammt! Und ich Idiot serviere dir das auch noch auf dem Silbertablett?“ Er schüttelte den Kopf und musste auflachen. „Man … ich und mein Glück. Da zerfetzt die mir den Arm und erzählt dir dann nichts von alldem?“ Schließlich pfiff er anerkennend. „Respekt. Diese Abby ist sogar loyal ihren Feinden gegenüber.“ „Aller-dings“, knurrte Anya unmenschlich und ballte eine Faust. Mit einem Mal sah der Dämonenjäger das Mädchen mit einem fiesen Grinsen an. „Ob das daran liegt, dass sie sich umentschieden und die Seiten gewechselt hat?“ „Das werden wir gleich herausfinden!“, donnerte Anya wütend. „Wenn ich die in die Finger bekomme, mache ich sie kalt, dann warm und anschließend wieder kalt!“   Es hatte sie wie ein Schlag getroffen. Nicht die Unsterblichkeit, die war ihr egal. Aber dass Abby ihr nichts davon erzählt hatte, war für Anya schlichtweg Verrat. Ausgerechnet sie, ihre beste Freundin! Wie viel hatte sie von Matt erfahren? Alles eben Gesagte? Oder gar noch mehr? Warum!? Nach allem, was Anya für sie getan hatte. Was zugegebenermaßen etwas mehr hätte sein können, aber dennoch! Sie hatte Abby davor bewahrt, eine Mörderin zu werden, noch dazu hatte sie sie überhaupt erst aus den Fängen Alastairs befreit und sie hatte ihr ihr Selbstvertrauen wiedergegeben, nachdem sie Angst vor sich und ihrer Herkunft entwickelt hatte! Und was war der Dank!? Verrat! Diese miese Lügnerin! Was sollte dann das auf dem Dach neulich? Wollte Abby sie zu diesem Zeitpunkt tatsächlich umbringen und hatte es schlichtweg aus Feigheit nicht durchziehen können? Anya wusste nicht mehr, ob das Mädchen noch Freund oder Feind war. Genau wie Levrier, der ihr all dies ebenfalls verschwiegen hatte. Sie würde die beiden-!   „Oh verdammt!“, polterte Matt plötzlich und schreckte vom Fenster zurück. „Was ist denn!?“, fauchte Anya ihn an, denn sie hasste es, wenn man ihre theatralischen Momente unterbrach. Nicht mal ungestört aufregen konnte man sich mit dem! Matt deutete mit dem Daumen Richtung Fenster. „Ich schätze, wir haben unerwartet Besuch bekommen.“ Widerwillig trat Anya zu ihm und sah hinaus auf die Straße. Und als sie erkannte, was er meinte, stöhnte sie frustriert auf. „Oh, na toll! Jetzt ist auch noch Oddstrange McWeirdo hier. Und ich dachte echt, der Tag kann nicht mehr beschissener werden!“   Wenn man jedoch Alastairs vernarbtes Gesicht dort draußen recht betrachtete, wie er dort auf dem Bürgersteig vor Anyas Gartentür stand, mochte man glatt vom Gegenteil ausgehen. Denn Anyas Zorn schien nichts zu sein im Vergleich zu dem, der Alastair offensichtlich hierher geführt hatte. Still stand er da und wartete, hatte er die beiden am Fenster schließlich längst bemerkt.   „Das wird jetzt weniger lustig“, meinte Matt nachdenklich. Er wandte sich vom Fenster ab und schritt durch das Wohnzimmer, um das Haus zu verlassen. Anya blickte ihm genervt hinterher. „Was will der überhaupt hier? Will der mir plötzlich auch helfen?“ Sie folgte ihm zur Haustür. „Nein“, erwiderte Matt, wobei er schon vor ebenjener stand. „Ganz im Gegenteil. Alastair will dich am liebsten auf einem Scheiterhaufen sehen. Nur geht das eben nicht so leicht. Aber dass er sofort spitzgekriegt hat, dass ich mit dir gemeinsame Sache machen will? Naja, so misstrauisch wie er ist.“ „Gibt's etwa Ärger im Paradies oder was ist los?“, raunte Anya spitz. „Ich dachte ihr seid'n Team?“ „Wart ab und sieh selbst.“ Das gesagt, öffnete Matt die Tür und trat ins Freie, dicht gefolgt von Anya, der langsam der Kopf vor so viel Informationsinput zu dröhnen begann. Dabei rief sie ihm hinterher: „Und nur damit du es weißt, ich glaube dir sowieso kein Wort! Du und ich, Partner? Pah, eher heirate ich Nick!“ „Pff, wenn du meinst …“   Als Matt dicht gefolgt von Anya über den Weg hin zur Gartentür des Grundstücks ging, richtete er seinen Blick starr auf Alastair. Es war wie ein Marsch bei einer Beerdigung, so kam es dem Dämonenjäger zumindest vor. Und so wie er Alastair kannte, plante dieser wahrscheinlich schon fleißig an der seinen. „Was für ein seltener Anblick“, spottete Alastair, als die beiden Partner sich schließlich durch den Zaun getrennt gegenüber standen. „Der Jäger und seine Beute, vereint.“ „Na so weit sind wir noch nicht“, gab Matt sich mit einem unbedarften Schulterzucken gelassen. Anya ihrerseits fügte scharfzüngig hinzu: „Und werden es auch nie sein! Niemand, der Anya Bauer-“ „Halt den Mund, Schlangenzunge“, verlangte Alastair ruhig aber bestimmend und schenkte dem Mädchen gar keine Beachtung, fixierte sich stattdessen auf Matt. „Hast du mir irgendetwas zu sagen?“ „Kommt drauf an, was du hören willst.“ „Eigentlich spielt es keine Rolle, was dich hierher geführt hat. Du lässt dich auf sie ein? Das macht uns zu Feinden.“ Der entstellte Alastair in seinem roten Mantel zog aus einer Innentasche ebenjenes ein Messer und zeigte damit auf seinen Freund. „Erwartete keine Gnade, nur weil wir uns nahestanden.“ Matt lachte fassungslos auf und breitete seine Arme aus. „Du willst das wirklich durchziehen? Ohne zu wissen, warum ich überhaupt hier bin? Seit wann bist du so verdammt ignorant?“   Doch statt einer Antwort erwartete Matt ein Ausfallschritt nach vorne. Das Messer schoss an seiner Wange vorbei, während er nach rechts auswich und Alastairs Arm packte. Allerdings konnte er den darauf folgenden Faustschlag seines Gefährten nicht abwehren und wurde an der Wange getroffen. „Hör auf damit!“, forderte Matt, machte einen Satz über Anyas Gartentor und stand Alastair nun direkt gegenüber. Nur um anschließend dessen Hieben und Stichen ausweichen zu müssen. Zeitgleich staunte Anya, wie schnell die beiden in ihren Bewegungen eigentlich waren. „Alter Falter!“   Was erwartest du? Diese beiden haben sich dem Kampf gegen die unseren verschrieben. Dass sie dazu körperlich und geistig trainiert sein müssen, ist eine Selbstverständlichkeit.   „Ach halt die Klappe!“ Das Mädchen hoffte darauf, dass einer der beiden es schaffte, den anderen einen Kopf kürzer zu machen. Dann müsste sie nämlich nur noch die Reste beseitigen. Zu denen übrigens auch Abby gehören würde!   Matt wich ein weiteres Stück von Alastair zurück. „Hör doch endlich zu!“ „Wieso sollte ich? Du wusstest um die Konsequenzen deines Handelns!“ Alastair verzog wütend sein Gesicht, was bei seinen vielen Brandnarben nahezu grotesk wirkte, als trage er eine Maske. „Schon damals, als du Idee hattest, einen Dämon auf sie zu hetzen, habe ich geahnt, dass es irgendwann hierzu kommen würde! Wie gut, dass wir das nie umgesetzt haben! Dennoch hat dich der heilige Refiel deswegen im Auge behalten! Ich musste wissen, was in dir vor sich geht!“ „Dann hat dein Haustier mich also ausspioniert, huh?“, erwiderte Matt bissig. „Du vertraust wirklich niemandem, oder?“ Alastair jedoch polterte: „Rede nicht so über einen Engel! In der Tat, ich vertraue niemandem! Und du bist der beste Beweis dafür!“ Auf seine harschen Worte hin zuckte Matt zusammen, denn er konnte die Wahrheit in ihnen nicht verleugnen. „Recht hat er …“ Anya ebenso wenig.   „Bleibt mir wohl nichts anderes übrig …“ Plötzlich zückte Matt aus der Tasche seines schwarzen Ledermantels zwei weiße Karten, von denen er eine in die Höhe warf und eine direkt auf Alastair zu. Es gab zwei grelle Lichtblitze und als Anya ihre Augen öffnete, musste sie schlucken. Der Himmel war verdunkelt, in tiefstem Blau, als wäre die Nacht angebrochen. Außerdem schien es so, als wären einige der Häuser des beschaulichen Vororts Livington plötzlich durch unsichtbare Mauern direkt in ihrer Mitte durchtrennt worden. Wie ein Würfel schien der Bannkreis sich über ihr Umfeld gelegt zu haben. Sie stöhnte resignierend. „Jetzt geht das wieder los …“ Plötzlich loderten schwarze Flammen um die beiden auf. Anya wich erschrocken zurück, als jene den Gartenzaun verbrannten und einen Teil des Grundstücks zu verschlingen begannen. „Spinnst du!? Meine Mutter wird mich dafür umbringen!“, keifte sie dabei und zeigte auf das Feuer, denn sie wusste bereits durch das Duell mit Alastair, dass der Schaden bestehen bleiben würde, trotz Bannkreis. Dass die Flammen aber auch auf das Nachbargrundstück herfielen, war Anya auf der anderen Seite völlig egal. So sparte sie sich wenigstens die Mühe damit, es irgendwann selbst zu tun. „Sorry, aber das muss sein“, entschuldigte sich Matt, während vor ihm und Alastair jeweils ein schwarzes Tuch aus Samt schwebte. Anya erkannte sie wieder, es waren diese Dinger, die wie Duel Disks funktionierten. „Tut mir leid um dein Grundstück, aber bevor Alastair hier noch völlig durchdreht, dachte ich mir, dass wir das unter uns regeln sollten. Ohne Zuschauer versteht sich.“ „Und deswegen ein Duell?“, fragte sein Kamerad höhnisch. Matt nickte ihm mit siegessicherer Mimik zu. „Sicher. Kann ja sein, dass du mir an den Kragen willst. Bei mir sieht das allerdings etwas anders aus. Irgendwie muss ich mich ja verteidigen, oder?“   Alastair betrachtete das schwebende Tuch mit dem eingenähten Duel Monsters-Spielplan darin, seine eigene Schöpfung. Die Flammen würden erst verschwinden, wenn der Zauber, der in dem schwarzen Stoff verwoben war, seine Wirkung verlor. Und das ging nur durch ein Duell. Er hatte also gar keine andere Wahl. Wütend sah er auf. „Was bezweckst du mit dieser Farce? Du verbündest dich mit dem Feind und nun das?“ Er richtete sich dabei an Anya. „Was soll das, Dämon? Hast du seinen Verstand verhext?“ Nicht weniger abweisend und zynisch erwiderte die: „Das musst du schon Matt von Schwafel fragen und nicht mich!“ „Kapierst du es nicht?“, herrschte jener seinen Freund und Mentor an. „Wir müssen mit ihnen zusammenarbeiten! Anya zu töten ist so oder so nahezu unmöglich, warum also versuchen wir nicht, ihr stattdessen zu helfen?“ Alastair verengte seine Augen zu Schlitzen und zischte: „Warum würde ich so etwas tun wollen? Sie ist eine Dämonenanbeterin und sollte vernichtet werden!“ „Genau das ist doch der springende Punkt! Dazu sind wir nicht in der Lage und das weißt du! Ich für meinen Teil werde aber nicht einfach nur zusehen, wie du in Lebensgefahr schwebst! Ich habe schon einmal meine Familie verloren, das wird mir kein zweites Mal passieren!“ Plötzlich erweckte Matt den Eindruck, als wäre er unendlich traurig. Er neigte den Kopf zur Seite und biss sich auf die Lippe, scheinbar erdrückt von der eigenen Hilflosigkeit gegenüber seinem Freund.   Erstaunt wandte Anya sich an den Schwarzhaarigen, welcher die Fäuste ballte und mit entschlossenem Blick auf Alastairs Reaktionen abwartete. „Was geht denn mit dir ab? Seit wann ist ausgerechnet der denn in Gefahr?“ „Sag's ihr“, verlangte Matt daraufhin von seinem Gegenüber. „Pff …“ Alastair schloss die Augen und hob seinen rechten Arm, ehe er den roten Stoff seines Mantels wegschob. Und was Anya dort erblickte, verschlug ihr glatt die Sprache. Neben dem vernarbten Gewebe war deutlich ein gelbes Mal zu sehen, welches eine Lanze darstellte, die direkt durch den Brustkorb eines Skeletts ging, einem schräg nach unten gerichtetem Pfeil gleich. „W-was!?“, sprudelte es schließlich aus dem Mädchen heraus. „Der auch!?“ „Das war der Preis, den ich zahlen musste, um des Heiligen Refiels Kraft zu empfangen“, erklärte Alastair emotionslos. „Wie du siehst, spielt es keine Rolle, ob Engel oder Dämonen dich erwählen. In beiden Fällen wirst du ein Zeuge der Konzeption.“   „Verstehst du nun, warum ich mit dir zusammenarbeiten will?“, fragte Matt Anya bedrückt. „Wirst du zu Eden, geht er womöglich hopps.“ Er wandte sich an das Mädchen und musste erstaunt bemerken, dass sie nicht mehr auf der anderen Seite des schwarzen Feuerwalls stand. Erschrocken stellte er fest, dass sie am Boden lag und sich nicht rührte. „Anya!“, rief er und starrte Alastair verwirrt an. „Was ist mit ihr?“ „Ihr Dämon hat sie ins Elysion befohlen“, antwortete jener unterkühlt. „Sieht so aus, als gäbe es Dinge, die er vor uns nicht bereden will. Im Elysion kann Refiel ihn nicht hören.“ „Bist du dir sicher? Sie-“ Alastair schnaubte. „So besorgt bist du also um jemanden, der vor Kurzem noch dein Erzfeind war. Kümmere dich nicht um sie. Bin nicht ich es, der im Mittelpunkt deiner Aufmerksamkeit stehen sollte?“ Aufgewühlt sah Matt abwechselnd zur bewusstlosen Blondine und Alastair, nicht wissend, wie er darauf reagieren sollte. Ihm war klar, dass mit seinem Freund ohnehin nicht zu diskutieren war. Sie beide wussten, dass sie das Duell austragen mussten, damit ihr loderndes Gefängnis verschwand, doch die Frage war, wie Alastair spielen würde. Er hatte Refiel, mit dem er realen Schaden durch seine Angriffe anrichten konnte. Matt hatte da bedeutend weniger Glück.   „Wenn du wirklich diesen Pfad beschreiten willst, sind wir fortan Feinde“, sprach Alastair ungerührt von der Verzweiflung seines ehemaligen Kameraden, denn diese war jenem regelrecht ins Gesicht geschrieben. So war es immer gewesen, wenn in Matt ein Kampf um die Frage entfacht war, was das Richtige sei. Der Dämonenjäger schüttelte auf Alastairs Worte hin vehement den Kopf. „Hör auf zu reden, als wäre alles so simpel, verdammt! Du warst es doch erst der Auslöser für alles! Wegen dir hat Anya den Pakt geschlossen! Also tu nicht so, als wäre alles meine Schuld! Stattdessen solltest du uns lieber helfen, einen Ausweg aus dieser Misere zu finden!“ „Ich werde niemals mit Dämonen kooperieren!“ Das war Alastairs letztes Wort. Um dies zu verdeutlichen, legte er sein Deck auf die dazugehörige Fläche des schwebenden Tuches, welches sich verhärtete und zu einer Marmorplatte wurde. „Dann werde ich dich eben dazu zwingen!“, erwiderte Matt und tat es ihm gleich. Das entlockte dem hochgewachsenen Mann mit dem langen, schwarzen Haar, von dem ihm ein Teil in Form eines Zopfes über der linken Schulter lag, ein höhnisches Gelächter. „Thh! Und wie willst du das anstellen? Mit einem bedeutungslosen Duell wie diesem? Du müsstest mich schon töten, um etwas an dieser Situation zu verändern. Aber zu so etwas bist du nicht in der Lage, auf die eine oder andere Weise. Warst du noch nie.“ Die traurige Wahrheit ließ Matt zusammen krampfen. Dennoch blieb er kämpferisch und versuchte sich an aufgesetzter guter Laune, wie er es immer tat, wenn er in Wirklichkeit verzweifelt war. „Wart es ab. Wie du weißt, bin ich immer für eine Überraschung gut.“ „Hmpf!“ Schließlich schrien beide: „Duell!“   [Alastair: 4000LP / Matt: 4000LP]   „Ich bin der Herausforderer, also fange ich auch an!“, stellte Matt klar, nachdem beide über ihr Startblatt verfügten. Doch kaum hatte er sein Deck berührt, durchlief ein eisiges Gefühl seinen Arm und breitete sich von dort im ganzen Körper aus. Seine Sicht verschwamm und statt der schwebenden Marmorplatte entstand ein völlig anderes Bild vor seinen Augen.   Alastair stand ihm in erhabener Pose im schwarzen Flammenkreis gegenüber, während weit über ihm eine eine weiße, mechanische Kreatur schwebte. Metallische Schwingen besaß sie, wie die eines Engels. Verbunden waren sie mit einem goldenen Ring, der sich am Rücken jenes Wesens befand, das statt Beinen eine Art Turbine am Unterleib besaß. Es streckte seinen rechten Arm in Matts Richtung und bündelte von der Handfläche aus eine gleißende Lichtkugel. „Das war's wohl“, sagte er, ohne überhaupt zu wissen warum er das tat. „4400 Angriffspunkte sind genug, um mich mit einem Schlag zu vernichten. Dumm gelaufen, huh? Hat ja nicht lange gedauert.“ Das waren nicht seine Worte, dachte Matt daraufhin erschrocken und erkannte, dass dies eine Vision sein musste. Und er kannte dieses Monster, dem Alastair nebenbei lauthals den finalen Angriff befahl. Es war [Vylon Epsilon]. „Judgment Bomber!“ Alastairs engelhafte Kreatur schoss nun die Lichtkugel in seiner Hand auf Matt ab, welcher schreiend in einer Explosion unterging.   Sogleich verschwamm alles und Matt sah wieder den Spielplan vor sich schweben, immer noch die Finger auf die oberste Karte seines Decks gelegt. Fassungslos, was gerade geschehen war, blickte er auf und starrte Alastair an. „Was … war das?“ „Wovon redest du?“, erwiderte der kühl. „Willst du nun beginnen oder nicht?“ „K-klar.“ Er zog hastig und ließ das eben Erlebte Revue passieren. Alastair hatte ihn mit einem Schlag besiegt, das war, was er gesehen hatte. Doch wieso? War das die Zukunft? Wenn ja, warum hatte er diese gesehen? Das ging doch weit über seine Fähigkeiten und die eines Dämonenjägers im Allgemeinen hinaus! Matt warf prüfend einen Blick auf sein Blatt. Was immer er da gesehen hatte, es musste etwas bedeuten! Konnte das Refiels Einwirken gewesen sein, um zu verhindern, dass etwas Schlimmes geschah? Der junge Mann schüttelte den Kopf. Nein, Refiel war ganz auf Alastairs Seite. Beziehungsweise kam es ihm eher so vor, als würde Refiel Alastair regelrecht lenken. Diesem Engel, den er nie gesehen hatte, traute Matt ohnehin nicht über dem Weg. Es war völlig undenkbar, dass der ihm beistehen wollte. Also woher kam diese Vision dann? Egal was es war, Matt war nicht so töricht, sie einfach zu ignorieren. Wenn Alastair wirklich vorhatte, ihn binnen eines Zuges zu besiegen, musste er unbedingt auf Nummer Sicher gehen. Denn es war zu erwarten, dass das, was Matt eben gesehen hatte, schon nächste Runde geschehen würde. „Ich setze ein Monster verdeckt!“, rief Matt und knallte jenes auf den Spielplan. Daraufhin erschien besagte Karte vor ihm in vergrößerter Form und Querlage. „Außerdem aktiviere ich [Foolish Burial]. Damit schicke ich ohne Umschweife ein Monster von meinem Deck auf den Friedhof.“ Der junge Dämonenjäger schnappte sich sein Deck und zückte schließlich [Steelswarm Scout], den er zusammen mit seiner Zauberkarte auf den Ablagestapel legte. „Sehr gut. Zug beendet!“ Matt überkamen jedoch Zweifel. In die Zukunft zu sehen war unmöglich! Nein, wegen seiner Nervosität musste ihm seine Fantasie einen Streich gespielt haben. Anders war das nicht zu erklären, was er gesehen hatte.   „Mein Zug.“ Alastair legte wortlos [Vylon Prism] auf seinen Spielplan. Sofort im Anschluss erschien das weiß-goldene Wesen, einem hohen Schild in Prismaform nachempfunden, vor ihm.   Vylon Prism [ATK/1500 DEF/1500 (4)]   „Nun von meiner Hand die Magiekarte [Celestial Transformation]. Dank ihr beschwöre ich von meiner Hand ein Monster der Gattung Fee als Spezialbeschwörung.“ Er legte sein Monster neben [Vylon Prism] und reckte stolz das Kinn. „Dabei gehen jedoch die Hälfte seiner Angriffspunkte verloren und es wird am Ende des Zuges sterben. Ich wähle [Vylon Hept].“ Eine weitere weiße Gestalt erschien, die breite Arme, dafür aber keinen Unterleib besaß. Goldene Schwingen ragten aus seinem breiten Rücken und ließen es nicht weniger edel erscheinen als seinen Kameraden.   Vylon Hept [ATK/1800 → 900 DEF/800 (4)]   „Was-!?“ Matt konnte es nicht glauben. Das bedeutete-! Alastair schwang seinen Arm aus. „Du weißt, was dich jetzt erwartet. Ich stimme den Stufe 4-Empfänger [Vylon Prism] auf [Vylon Hept] ein! Infinite power lies within the tormented soul! Rule this world with your penetrating gaze! Synchro Summon! Descend down, [Vylon Epsilon]!“ Ein gleißendes Licht breitete sich im Bannkreis aus, als [Vylon Hept] durch die vier typischen, grünen Synchroringe flog, in die sein Kamerad zersprungen war. Was folgte war eine regelrechte Lichtexplosion. Ein mechanisches Schnarren ertönte daraufhin, als über Alastair eine weiße Maschine mit ebenso weißen Metallschwingen herabstieg. Jene Flügel waren an einem goldenen Ring befestigt, der über seinem Rücken angebracht war und wie alle Vylon-Monster mangelte es auch Epsilon an Beinen, wofür er stattdessen eine turbinenähnliche Vorrichtung besaß, mit der er zu schweben vermochte.   Vylon Epsilon [ATK/2800 DEF/1200 (8)]   „Unmöglich …“, murmelte Matt fassungslos im Lichte des majestätischen Ungetüms. „Natürlich ist das möglich. Und sieh her, es ist noch nicht vorbei!“ Alastair zückte [Vylon Prism] zwischen seinen Fingern hervor und erklärte: „Indem ich mein Leben um 500 Punkte verkürze, kann ich diese Karte zu einer Ausrüstungsmagie umfunktionieren, sobald sie den Friedhof betritt. Diese verbindet sich nun mit [Vylon Epsilon] und stärkt es nur im Falle eines Kampfes um 1000 Angriffspunkte!“   [Alastair: 4000LP → 3500LP / Matt: 4000LP]   „Also 3800 im Ernstfall“, zählte sein Gegner nur gebannt mit, als eine durchsichtige Abbildung des prismaartigen Schildes in [Vylon Epsilon] verschwand. „600 fehlen noch …“ „600?“, hakte Alastair mit unterschwelligem Erstaunen nach. „Du weißt also schon, was jetzt geschehen wird?“ „Man könnte sagen, ich kann es mir denken“, erwiderte Matt grimmig. Was er gesehen hatte, es würde eintreten. Aber das war völlig absurd! „Hmpf, wie auch immer. Ich aktiviere von meiner Hand die Ausrüstungsmagie [Vylon Material], die meine Kreatur um 600 Angriffspunkte verstärken wird. Doch ich benutze [Vylon Epsilons] Effekt und schicke besagte Ausrüstung sofort wieder auf den Friedhof, um dein Monster zu vernichten! Declaration Of Superiority!“ Epsilon legte seine gewaltigen Hände aufeinander und schoss eine Lichtkugel auf Matts gesetzte Karte ab, die in einer grellen Explosion zerfetzt wurde. Kurz erschien eine schwarze Bienengestalt, die jedoch unter dem Druck des unnatürlich lodernden Infernos einfach zersprang. „Wie du weißt, erhalte ich eine neue Vylon-Magiekarte, wenn [Vylon Material] auf den Friedhof geschickt wird.“ Alastair zeigte eine weitere Kopie besagten Ausrüstungszaubers vor. „Diese hier soll es sein und deinen Untergang besiegeln, indem ich mein Monster zurück auf 4400 Angriffspunkte bringe und dich mit einem Schlag vernichte!“   Ein dünner Stachel schoss aus den weißen Flammen und drang direkt in [Vylon Epsilons] Brust ein. Matt stand mit verschränkten Armen hinter seiner Marmorplatte und grinste zufrieden. „Dacht ich's mir doch. Du hast gerade [Steelswarm Sting] zerstört und damit deinen Untergang besiegelt, nicht meinen. Wie du weißt, reißt Sting ein beliebiges Ritual-, Fusions- oder Synchromonster mit sich ins Verderben. Bye bye, [Vylon Epsilon]!“ Mit einem noch lauteren Knall detonierte der Stachel in der Brust des mechanischen Engels und riss ihn so in tausende Stücke. Erstaunt sah Alastair nach oben, von wo überall Einzelteile seiner Kreatur herabregneten und sich auflösten. Nebenbei nahm er aufgrund der Tatsache, dass [Vylon Material] bei der Zerstörung seines Monsters auf den Friedhof gelegt wurde, die dritte und letzte Kopie ebenjener vom Deck aufs Blatt. „Tja, sieht so aus, als hätte der Schüler seinen Meister überholt. Ich kann deine Gedanken lesen, weißt du?“, triumphierte Matt zufrieden. Und überspielte damit den Fakt, dass er diesen Sieg nur dieser seltsamen Eingebung zu verdanken hatte. „Du hast 'meine' Gedanken anscheinend nicht zu Ende gedacht“, holte Alastair ihn da plötzlich mit unheilverkündender Stimme auf den Boden der Realität zurück. „Magiekarte, [Monster Reborn]!“ „Was-!?“ Dort, wo eben noch Alastairs Monster zerfetzt worden war, regenerierte es sich in bläulichem Licht nun wieder zu alter Pracht.   Vylon Epsilon [ATK/2800 DEF/1200 (8)]   „Verdammt“, schrie Matt fassungslos, „das kann doch nicht wahr sein!“ „Dachtest du ernsthaft, ich hätte mit so etwas nicht gerechnet?“ Alastair schnaubte abfällig. „Maße dir nicht an, dich über mich zu stellen. Wissen allein genügt dazu nicht. Das beweise ich dir jetzt! Ich rüste [Vylon Epsilon] mit [Vylon Material] aus!“ Um seine Kreatur erleuchtete eine silberne Aura.   Vylon Epsilon [ATK/2800 → 3400 DEF/1200 (8)]   Anschließend streckte Alastair seinen Arm aus und zeigte erbarmungslos auf Matt. „Empfange deine Strafe, Verräter! [Vylon Epsilon], Judgment Bomber!“ „Oh verdammt!“ Matt wich noch zurück, doch es geschah innerhalb eines Herzschlags. Die monströse Maschine spannte ihre Schwingen und schoss in so hoher Geschwindigkeit eine gewaltige Lichtkugel aus seinen Händen ab, dass für Matt gar nicht daran zu denken war, sich zu schützen. Laut krachend wurde er erwischt und in einer gleißenden Kuppel gefangen, aus der immer wieder und wieder Blitze auf ihn herab sausten, bis er schreiend in die Knie ging und umkippte.   [Alastair: 3500LP / Matt: 4000LP → 600LP]   Sein schwarzer Mantel war an einigen Stellen aufgerissen und verbrannt. Dennoch richtete Matt sich ächzend auf und versuchte darüber zu lachen. „Das ist wohl schief gegangen.“ Wankend auf die Beine gekommen, starrte er ungläubig Alastairs Monster an. „Damit habe ich echt nicht gerechnet.“ „Und deswegen wirst du mich nie übertreffen können, Matthew Summers.“ Alastair nahm seine letzte Handkarte und legte sie hinter seinem Monster auf den Spielplan. „Diese hier setzte ich, um dein Urteil endgültig zu fällen. Du wirst diesen Kreis nicht lebend verlassen.“ „Obwohl wir Freunde sind?“, ächzte Matt und hielt sich die Schulter dabei. „Machst du es dir mit deiner Verräternummer nicht etwas zu leicht?“ „Das sind die Gesetze der Dämonenjäger“, rechtfertigte Alastair sich jedoch nur kalt, „die, die wir alle einhalten müssen. Der Kodex. Tu nicht so, als ob du das nicht hast kommen sehen.“ Sein Gegner erwiderte jedoch nur trotzig: „Ich habe dir wohl zu viel Menschlichkeit und Verstand zugetraut. Sorry, mein Fehler!“ „Das Gerede eines Dämonenfreundes interessiert mich nicht. Du bist am Zug. Nutze ihn weise, denn es wird dein letzter sein.“   Na wie wird er dann erst reagieren, wenn er erfährt, dass wir gleich einen netten Plausch haben werden?   Matt erstarrte, als er diese spöttische Stimme vernahm. Sofort erkannte er, dass Alastair sie nicht gehört haben konnte. Woraufhin ihn ein unheimlicher Verdacht beschlich. „Was bist du?“, flüsterte er. „Hast du mir etwa diese Vision geschickt?“   Was ich bin spielt doch gar keine Rolle. Menschen … immer müssen sie alles kategorisieren. Aber ja, das war ich. Wer auch sonst?   „Warum bist du hier und hilfst mir?“ Matt verzog wütend das Gesicht. „Bist du Anyas Dämon? Wenn ja, verzichte ich auf deinen Beistand!“   Oh mitnichten, ich bin nicht Levirer. Nenne mich einfach … Another. So, und jetzt zum Geschäft.     Turn 18 – In Cold Blood Der Dämon 'Another' stellt Matt vor die Wahl, einen Pakt mit ihm einzugehen. Matt, der um die Lebensgeschichte Alastairs weiß und in Another denjenigen erkennt, der für den Tod von Alastairs Eltern verantwortlich ist, verweigert jedoch jegliche Kooperation. Doch im Angesicht seines früheren Freundes wird ihm klar, dass er ohne Hilfe machtlos ist und nicht mit Gnade rechnen darf. Sollte er den Pakt allerdings annehmen, wird er selbst zu einem Zeugen der Konzeption und somit womöglich zum Opfer Edens, was wiederum auch ein Tor für völlig neue Möglichkeiten öffnet. In Matt entfacht ein schrecklicher Kampf zwischen seiner Loyalität zu Alastair und der Frage, was das Richtige ist … Kapitel 18: Turn 18 - In Cold Blood ----------------------------------- Turn 18 – In Cold Blood     „A-another?“, stammelte Matt leise, in der Hoffnung, dass Alastair diesen Namen nicht hörte.   Der einzig Wahre. Von deiner Gemütslage her zu urteilen schätze ich, dass du meinen Namen bereits einmal gehört hast?   „Soll das ein verdammter Scherz sein?“ Matt bemühte sich, so leise wie möglich zu sprechen, auch wenn er am liebsten schreien wollte. Doch wenn Alastair etwas davon mitbekam, wären die Folgen undenkbar. Another war schließlich der Dämon, der Alastairs Familie auf dem Gewissen hat. Und nun sprach er zu ihm, Matt! „Was willst du hier?“, zischte dieser leise und ließ seinen Gegner dabei nicht aus den Augen, tat so, als überlege er sich eine Strategie mit den vier Karten auf seiner Hand.   Eigentlich wollte ich einen alten Freund besuchen, doch wie es scheint, ist der gerade etwas verhindert. Lass mich raten, du hast in seiner Gegenwart die Worte Dämon und Freund in einem Satz gesprochen? Armer Kerl, ich hab ihm wirklich zugesetzt, nicht wahr?   Auf die gehässigen Worte hin biss Matt die Zähne zusammen, um bloß nicht die Fassung zu verlieren. Allein anhand der Selbstgefälligkeit dieses Wesens konnte er abschätzen, wie sehr Alastair Another hassen musste. Ein Gefühl, das Matt mit ihm spätestens jetzt zu teilen begann. „Willst du ihm etwas antun?“, fragte er im Flüsterton. „Dann sei dir schon mal hinter die Ohren, dass ich dich eigenhändig vernichten werde! Ach vergiss es, das werde ich so oder so!“   Das sagen sie alle. Seit über fünfzehn Jahren verfolgt mich der Bengel und jedes Mal, wenn wir uns begegnen, endet es in einer Katastrophe. Warum glaubst du, dass du besser bist als er, Grünschnabel?   „Halt's Maul!“, fluchte Matt nun und hätte sich ohrfeigen können. „Was ist los?“, fragte Alastair nicht weiter überrascht. „Gehen die Nerven mit dir durch? Du bist am Zug, Verräter.“ „Ich muss noch etwas überlegen“, grinste Matt gequält, „ist sozusagen ein innerer Konflikt, wie ich dir am besten in den Arsch trete.“   Momentan sieht es aber nicht so aus, als würdest du das können. Eigentlich ist es eher anders herum der Fall. Und das weißt du auch.   „Was immer du hier bezwecken willst, ich rate dir zu verschwinden!“   Sonst? Willst du mich mit deinen Zaubertricks foltern? Was glaubst du denn, warum Alastair mich bisher nicht erledigt hat? Weil körperlose Wesen leider nicht sehr anfällig für Klingen sind. Auch nicht, wenn sie verhext sind. Aber die Erfahrung wirst du sicher auch noch machen. Wenn du noch so lange lebst, heißt es.   Matt schnaufte wütend. Was wollte diese Bestie hier? Ausgerechnet jetzt musste der sich einmischen! Er, der der Grund war, warum Alastair ein Dämonenjäger geworden ist! Und dieses Wesen redete nun auf ihn ein? Ganz egal wie man es betrachtete, Matt wusste, dass er in ernsten Schwierigkeiten steckte. Wenn Refiel Anothers Anwesenheit bemerkte, würde Alastair nicht eher schlafen, bis es einen Summers weniger auf der Welt gab!   Was meinst du? Soll ich dir helfen? Du kennst ja das Procedere schon vom Hörensagen. Aber ich verspreche dir, dass es live ein völlig anderes Erlebnis ist.   Daraufhin glaubte der Dämonenjäger seinen Ohren nicht zu trauen. Hatte Another ihm soeben einen Pakt angeboten? „Hilfe!? Von dir!?“   Gewiss. Du wirst sicherlich einsehen, dass deine Lage nicht gerade die Beste ist. Zähl doch mal deine Lebenspunkte. Da macht's einer nicht mehr lange.   [Alastair: 3500LP / Matt: 600LP]   Zwar war es richtig, dass Matt deutlich im Nachteil war, aber zu glauben, er würde sich auf einen Pakt einlassen war wahnsinnig! Und schon gar nicht mit Another, dem wohl heimtückischsten Dämonen, dem er und Alastair je begegnet waren. Mehr oder weniger zumindest, Matt selbst hatte Another nie getroffen, da Alastair immer alleine auf die Jagd ging, wenn sein Erzfeind involviert war.   Natürlich saß Matt in der Patsche, das wusste er. Sein Feld war leergefegt, seine Hand bestand aus vier relativ nutzlosen Karten und Alastair kontrollierte sowohl eine unglaublich gefährliche Kreatur, als auch eine verdeckte Karte. Was spielte es da für eine Rolle, dass sein Blatt leer war? Geradezu majestätisch bäumte sich [Vylon Epsilon] auf und spreizte seine Schwingen, die an einem goldenen Ring über seinem Rücken befestigt waren.   Vylon Epsilon [ATK/3400 DEF/1200 (8)]   „Verschwinde!“, zischte Matt und zog von seinem Deck, welches sich auf der schwebenden Marmorplatte befand, auf der der Spielplan von Duel Monsters abgebildet war. Doch als Matt die gezogene Karte erblickte, seufzte er. Sie würde ihm zwar etwas Zeit verschaffen, stellte aber keine Lösung für sein Problem dar, an Alastairs Monster vorbeizukommen.   Sieh an, sieh an. Sind wir immer noch so überzeugt von uns?   Matt warf einen Blick über die schwarzen Flammen, die den Duellbereich umgaben, damit jener nicht betreten oder verlassen werden konnte. Anya lag immer noch bewusstlos am Boden, da ihr Geist sich vermutlich im Elysion befand und direkt mit Levrier kommunizierte. Das Elysion war der einzige Ort, der zu hundert Prozent sicher vor Refiels Observation war. Wobei es fraglich war, ob Levrier überhaupt darum wusste.   Dennoch! Wie war Another hier hereingekommen? Denn um die Nachbarschaft herum hatte Matt einen Bannkreis erschaffen, der aus helllichtem Tag eine tiefe Nacht gemacht hatte. Zudem wirkte es in ihm so, als wären einige Gebäude in ihrer Mitte durch die Wände des Bannkreises geteilt worden. So einen Bannkreis zu betreten war ohnehin schon sehr schwer. Wenn man jedoch noch nicht einmal über ein Gefäß verfügte, wie es bei Another der Fall war, waren die Chancen unglaublich gering, sich Zugang zu seinem Inneren verschaffen zu können. Woraus Matt mit erzürnter Miene schloss, dass Another bereits hier war, als er den Kreis errichtet hatte. Denn man konnte bei dieser Art von Bannkreis nur diejenigen aussperren, um deren Präsenz man vorher wusste. Verfolgte Another Alastair etwa?   Nanu, so still? Denkst du über meine Worte nach?   Dem mochte zwar so sein, was Matt sich allerdings nicht anmerken lassen wollte. Er richtete wieder sein Augenmerk auf sein Blatt und musste leise fluchen. Im Zug zuvor hatte er [Steelswarm Scout] auf den Friedhof geschickt und ursprünglich vorgehabt, ihn nächste Runde von dort zu reanimieren und [Steelswarm Moth] zu beschwören, womit er zwei Karten von Alastairs Spielfeldseite auf dessen Hand zurückgeben konnte. Nur gab es jetzt ein Problem: er hatte nicht mehr genug Lebenspunkte für dieses Unterfangen! „Okay“, fasste sich Matt schließlich ein Herz und zückte eine Karte aus seinem Blatt. Es war die, die er zuvor gezogen hatte. „Diese Runde schlagen wir etwas ruhigere Töne an. Ich aktiviere [One Day Of Peace]. Wir beide ziehen jetzt eine Karte und können bis zum Ende deines nächsten Zuges keinen Schaden mehr an den Lebenspunkten des Gegners anrichten.“ „Du musst wirklich verzweifelt sein“, erwiderte Alastair, der die ganze Zeit über geduldig gewartet hatte und nun eine Karte zog. „Das schindet auch nur Zeit. Lange wirst du so nicht durchhalten.“ Matt zog ebenfalls und ärgerte sich über die Tatsache, dass sein Freund recht hatte. Besonders angesichts seiner neu aufgezogenen Karte, die komplett nutzlos für ihn war. Es half nichts, er musste zusehen, eine halbwegs solide Verteidigung aufzubauen. „Okay! Ich setze eine Karte verdeckt und dazu noch ein Monster im Verteidigungsmodus! Wollen wir erstmal sehen, ob du Recht behältst!“ Die beiden Karten tauchten vor ihm auf, als er sie auf den Spielplan legte.   Komm schon, wir beide wissen, dass er recht hat. Und glaub mir, Matt Summers, es wird noch schlimmer werden. Ich weiß es, ich habe es gesehen.   „Verschwinde endlich aus meinem Kopf, du elende Ratte! Leg dich meinetwegen mit Alastair an, der wartet nur darauf!“   Eigentlich bin ich auch deswegen hierher gekommen. Die Dinge entwickeln sich zurzeit nicht so, wie ich es mir erhofft habe. Deshalb muss ich sie jetzt gerade biegen.   „Was soll das jetzt heißen!?“   Darüber können wir reden, wenn Alastair seinen Zug beendet hat. Ich denke, du wirst dann etwas kooperativer sein.   Matt pfiff abfällig. Von wegen! Dank des Effekts seiner Zauberkarte war er den ganzen nächsten Zug lang über geschützt! „Mein Zug“, verkündete sein Gegner derweil und zog auf zwei Karten auf. Er blickte mit vereister Mimik auf und setzte ein künstliches Lächeln auf. „Es mag stimmen, dass ich nicht effektiv anzugreifen vermag, doch den Effekt von [Vylon Epsilon] kann ich dennoch nutzen.“ Die über ihm verharrende Engelskreatur legte seine massiven Handflächen aufeinander und bündelte in ihnen eine gleißende Lichtsphäre. „Indem ich einmal pro Zug eine Ausrüstungsmagie von meiner Kreatur entferne“, erklärte Alastair, nahm [Vylon Material], mit der Epsilon ausgerüstet war und legte sie auf den Ablagestapel, „zerstöre ich eine deiner Karten. Dein Monster ist mein Ziel.“   Vylon Epsilon [ATK/3400 → 2800 DEF/1200 (8)]   Im Anschluss feuerte der mechanische Engel seine Energiekugel ab und löste auf Matts Spielfeldseite eine heftige Explosion aus. Mit wehendem Haar stieß Matt einen wütenden Seufzer aus, hatte er doch gehofft, dass Alastair sich auf seine verdeckte Karte und nicht auf [Steelswarm Gatekeeper] konzentrieren würde. „Effekt von [Vylon Material] aktivieren“, rief Alastair unbeirrt, „wenn es auf den Friedhof gelegt wird, erhalte ich eine neue Vylon-Magiekarte von meinem Deck.“ Er zeigte sie zwischen seinen Fingern hervor. „Dies ist [Vylon Segment]. Und ich rüste [Vylon Epsilon] damit aus, sodass es nun nicht länger als Ziel von Monster- und Fallenkarteneffekten erwählt werden kann.“ Mit einer Karte in der Hand beendete er schließlich seinen Zug. „Dein Ende ist nahe.“   „Verdammter Mist“, knurrte Matt im Angesicht von [Vylon Epsilon]. Jetzt war diesem Ding noch schwerer beizukommen. All seine Hoffnung ruhte nun in seinem nächsten Zug. „Kann ja nur schief gehen“, gluckste er niedergeschlagen und griff nach seinem Deck. „Aber so schnell lass ich mich nicht abservieren! Draw!“ Mit Schwung zog er die nächste Karte von dem Stapel vor ihm, doch als er sie erblickte, lachte er ironisch auf. „Das war ja so was von klar …“   Hab ich dir zu viel versprochen? Bist du jetzt bereit zu verhandeln?   „Niemals!“, donnerte Matt entschlossen. Another sollte endlich Land gewinnen, er würde diesem Monster nicht einmal klein beigeben, wenn er dafür seine geliebte Tara wiedersehen konnte. Solche wie der waren der Grund, warum Alastair ein so hasserfülltes und kompromissloses Leben führte. Er durfte nicht so enden, sagte sich Matt, denn wenn er seine Freundin und seine Schwester Sophie jemals wiedersehen wollte, musste er überleben! Doch wie sollte er das in seiner jetzigen Situation anstellen? Er war Alastair gegenüber machtlos …   Worte, gesprochen mit solcher Endgültigkeit. Bist du einfach nur einfältig oder sehnst du dich etwa nach dem Tod?   „Weder noch!“   Warum dann diese harsche Zurückweisung? Du hast doch noch gar nicht darüber nachgedacht, was die Vorteile wären, mich an deiner Seite zu haben.   „Es gibt keine!“ Nein, dachte sich der Dämonenjäger, er würde sich nicht für die Worte dieser Kreatur öffnen! Sicher gab es einen Weg, Alastairs eisernem Griff zu entkommen. Er musste nur nachdenken!   Und wieder diese Engstirnigkeit. Heißt das, du willst deinen Freund nicht retten? Immerhin könntest du Anya Bauer eigenhändig töten, solltest du über Kräfte verfügen, die von einem Pakt herrühren. Etwas, das Alastair nicht von sich behaupten kann, mit seinem kleinen Engelchen auf der Schulter.   Allerdings schüttelte Matt entschieden den Kopf. Das waren doch nur armselige Versuche, ihn verführen zu wollen. Natürlich bestand diese Möglichkeit im Falle eines Vertrags zwischen ihm und Another, doch es gab so vieles, was dagegen sprach. Einmal abgeschlossen, war dieses Wesen in ihm verankert, konnte im Schlimmstfall sogar seinen Körper übernehmen! Außerdem … Matt sah über die Flammen hinweg zu der am Boden liegenden Anya. Sie schien immer noch im Elysion gefangen zu sein. Er hatte ihr das Friedensangebot gemacht. Es jetzt zu brechen ging gegen seine Grundsätze, auch wenn sie objektiv gesehen immer noch seine Feindin war. Außerdem war es ohnehin schon schlimm genug, dass Alastair ihn als Verräter ansah. Noch ein Gesinnungswechsel würde alles nur verkomplizieren, zumal das jetzt hinsichtlich seines Freundes sowieso etwas spät kam …   ~-~-~   „Was zur Hölle soll das!?“, fauchte Anya wütend. Sie stand inmitten des leuchtenden, sich drehenden Mosaiks der Erde, welches ihr Elysion darstellte. Um sie herum nur die Dunkelheit, fand sie sich Levrier gegenüber, welcher einmal mehr seine Form nach Anyas Vorbild gewählt hatte. Aus der Weite betrachtetet sahen sie aus wie Zwillingsschwestern. Nur anhand der zornigen Mimik konnte man Anya identifizieren, während Levrier eher teilnahmslos in die Leere starrte. „Ich denke, ich weiß nun, was wir tun müssen, um Eden zu werden.“ „Das ist aber schön für dich! Lass mich raten, diese Laberbacke Matt hat dir den entscheidenden Tipp gegeben?“, fragte Anya zynisch und verschränkte die Arme. „Wir müssen alle opfern, die ein Mal haben, nicht wahr?“ Levrier neigte seinen Blick auf sie herab und nickte. „Das ist korrekt. Nun, da er es gesagt hat, fühle ich, wie mein Wissen wiederkehrt. Die Frage ist … warum lag es verborgen? Wie konnte ich etwas derart Wichtiges vergessen?“ Er fasste sich nachdenklich an die Stirn. „Es gibt nur eine Erklärung dafür. Jemand muss mein Gedächtnis manipuliert haben.“ „Oder du hast ganz einfach Alzheimer“, kommentierte Anya das Ganze gallig. Sie stemmte die Hände in die Hüften und grinste fesch. „Alt genug bist du ja dafür.“ „Vielleicht irre ich mich auch.“ „Wäre ja nicht das erste Mal. Aber damit, dass du nutzlos bist, habe ich mich schon lange abgefunden.“   „Wir müssen die Orte finden, an denen die Pakte geschmiedet worden sind.“ „Huh?“ Überrascht von dem plötzlichen Themenwechsel horchte Anya auf. „Und warum?“ „Mein Gedächtnis ist noch nicht klar“, antwortete Levrier, immer noch mit der Hand auf der Stirn, „doch allein ein Opfer zu erbringen reicht nicht. Wir müssen sie in eine Verbindung setzen. Nur so werden sie zu wahren Zeugen der Konzeption.“ Anya zuckte mit den Schultern. „'kay, dann machen wir das.“ „Nimm das nicht auf die leichte Schulter!“, mahnte Levrier Anya plötzlich laut. „Erkennst du denn nicht, was es bedeutet, Eden zu werden? Du musst nicht einfach nur deine Menschlichkeit aufgeben! Du musst Leben opfern. Valerie Redfield. Sie ist deine Freundin. Und auch wenn du Alastair hasst, könntest du ihn einfach so dem Limbus zum Opfer fallen lassen?“ „Mir doch egal! Dann sollen sie eben verrecken!“ „Du kannst mich nicht täuschen, Anya Bauer!“, polterte Levirer nun und zeigte gnadenlos mit dem Finger auf sie. „Alle, aber nicht mich. Jemanden zu töten war und wird nie deine Absicht sein. Dafür schätzt du das Leben zu sehr!“ Getroffen blickte das Mädchen weg. „Halt den Mund! Du weißt gar nichts über mich, du elender Parasit! Was soll dieses ganze Gelabere überhaupt? Du willst doch Eden werden! Sei doch froh, dass es an der Ausstattung dafür nicht mangelt!“ „Ich werde zu Eden werden“, meinte Levrier nun wieder ruhig, „deine Person spielt keine Rolle mehr, ich könnte deinen Körper jederzeit für mich in Anspruch nehmen. Was ich dir verdeutlichen will ist das Schicksal dieser Menschen, sollte mein Vorhaben gelingen. Und es wird zu deinem Schicksal werden, wenn wir versagen. Der Limbus.“   Das schon wieder, dachte das Mädchen ärgerlich. War das jetzt das neue Trendwort? Langsam kam sie mit diesen ganzen Quatschbegriffen nicht mehr mit … „Uuuuuuh, wie schreeeeckliiiiiich! Was zum Teufel ist dieser verdammte Limbus überhaupt? Wieso machst du so ein Geheimnis daraus?“ „Wenn du wirklich wissen willst, was der Limbus ist, so werde ich es dir sagen.“ Levrier schloss die Augen und neigte seinen Kopf zur Seite. „Jeder Pakt basiert auf einem Versprechen gegenüber dem Wesen, welches ihn anbietet. Es gibt viele Formen und Arten eines Pakts. Manche Versprechen gelten solange, bis das Gefäß stirbt, andere – so wie unseres – bis zu einem bestimmten Tag oder Ereignis. Doch egal was auch die Bedingungen sind, sollte dieses Versprechen gebrochen werden, wird die Seele des Gefäßes in den Limbus gezogen.“ Alles was Anya von sich gab, war ein knappes: „Aha.“ „Seelen können dem Limbus auf ganz unterschiedliche Weisen zum Opfer fallen. Sie können verbannt werden oder der Tribut für einen höheren Zweck sein, wie es bei Edens Erwachen der Fall ist. In unserem Fall würde der Pakt deiner Freunde zerbrechen, wenn wir sie opfern. Daher werden ihre Seelen in den Limbus gezogen.“ „Ja, ja, kommst du auch mal zum Punkt“, giftete Anya und verschränkte ungeduldig die Arme. „Was-ist-der-Limbus!?“ „Der Ort ohne Wiederkehr. Keine Macht dieser Welt vermag es, in ihn einzudringen, oder ihn zu verlassen. Wenn deine Seele einmal dort gefangen ist, kann sie nie wieder reinkarniert werden.“ Levrier öffnete die Augen. „Er ist die wahre Hölle, von Wesen jenseits unserer Vorstellungskraft erschaffen, um zu bestrafen, was sich gegen die natürlichen Gesetzmäßigkeiten dieser Welt auflehnt. Natürlich weiß niemand, was genau im Limbus auf uns wartet …“ Er sah nun Anya tief in die blauen Augen. „… aber eine Seele kann nicht ohne Weiteres schwinden. Du wirst unsterblich sein, gefangen in einer Welt aus deinen schlimmsten Albträumen. Du oder die Opfer, die Eden dargebracht werden müssen. Das ist, was sie über den Limbus sagen.“ „In dem Fall“, entgegnete Anya leise, „Pech für sie.“   ~-~-~   „Verdammt“, zischte Matt mit schweißnasser Stirn. Alles Denken hatte nichts gebracht, die Situation blieb unverändert – er stand kurz vor seiner Niederlage. Und dieser verdammte Dämon wollte nicht aufhören, ihn mit seinen Worten einzulullen.   Ist das dein Lieblingswort? Wie wahr, du bist verdammt dazu, durch die Hand deines besten Freundes zu fallen. Oh schade, schade, ich hätte dich wirklich für klüger gehalten. Du versuchst nicht einmal, hinter die Fassade zu sehen.   „Was soll das heißen!?“   Für dich und Alastair bin ich der Mörder seiner Familie. Dies bestreite ich auch nicht. Aber habt ihr euch jemals gefragt, -warum- ich ausgerechnet seine Eltern getötet habe?   Keuchend schreckte Matt zurück, als die Welt um ihn herum zu einer einzigen schwarzen Masse mutierte. Glühender Wind schlug ihm entgegen, als er sich plötzlich einem lichterloh brennenden, zweistöckigen Haus gegenüber sah. Außer dem Knistern der Flammen war kein Laut zu vernehmen. Die Straße um ihn herum war verschneit, es war mitten in der Nacht. „Das ist der Tag, an dem Alastair zu einem Waisenkind wurde“, sprach plötzlich jemand neben dem überraschten Matt. Dieser erstarrte, als er die Person an seiner Seite bemerkte. Welche sein Zwillingsbruder hätte sein können. Doch sofort realisierte er, dass dies nur Another war, der sein Aussehen missbrauchte. „Warum zeigst du mir das!?“, verlangte Matt erzürnt zu wissen. „Um ein Exempel zu statuieren. Diejenigen, die Eden zu nahe kommen, bringen nur Leid über sich und ihre Liebsten“, erwiderte Another ernst und zeigte auf die brennende Tür des Hauses, welche plötzlich aufschwang. „Dort. Der Engel Refiel erbarmt sich dem unschuldigen Alastair.“ „Was soll das heißen!?“, fauchte sein Gegenüber aufgebracht und würdigte dem, was dort aus der Tür kam, keines Blickes. „Was hat Eden damit zu tun?“ „Eine Menge. Alastairs Eltern waren Dämonenjäger, gefürchtet von allem, was den Menschen Angst einjagt. Doch so gefährlich sie auch waren, so dumm waren sie auch. Sie wollten mithilfe einer gefährlichen Technik Edens Erwachen erzwingen und hätten dabei das gesamte Weltgefüge auseinander gerissen.“ Der falsche Matt drehte sich zu seinem fleischlichen Gegenstück um. „Wenn Eden erweckt werden soll, dann auf natürliche Weise, innerhalb des Zyklus, der nur etwa alle 200 Jahre stattfindet. Ihr versuchtes Eingreifen in Dinge, die nicht geändert werden dürfen, wurde mit dem Tode bestraft. Ich wurde lediglich auserkoren, ihr Richter zu sein.“ „Von wem, huh!? Vom Teufel!?“ „Vom Schicksal.“ Matt schnaufte aufgebracht und wandte den Blick ab. Die Selbstgefälligkeit dieser Bestie war zu viel für ihn. Was immer Alastairs Eltern getan hatten rechtfertigte nicht, einem Kind die Familie zu rauben! Abgesehen davon war er sich sicher, dass dies ohnehin nur Lügen waren. Um ihn zu bezirzen.   Überrascht sah er auf, nur um eine völlig in Weiß verhüllte Person zu sehen, die einen bewusstlosen, vielleicht zwölfjährigen Jungen in den Armen trug und über die Straße direkt an ihnen vorbei schritt. Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, war nicht zu erkennen, wie Alastairs Retter aussah. Doch auch so wusste Matt bereits, dass es sich um Refiel handelte. „Sie hassen uns.“ „Mit recht!“ Another lachte auf. „Wie wahr. Gerade Refiel ist ein besonderes Exemplar von Engel. Er tut alles, um Gottes Wohlgefallen zu erringen. Einzig zu dem Zweck, zum Erzengel erhoben zu werden.“ „Mir doch egal. Ich kann den Kerl sowieso nicht leiden.“ Obwohl er ihn nie gesehen hatte, fügte Matt dabei noch im Gedanken hinzu. „Er dich auch nicht. Wie ich ihn einschätze, bist du ihm sicher ein Dorn im Auge“, meinte Another amüsiert, „wenn es nach ihm ginge, dürfte kein Mensch einen freien Willen besitzen. Schon gar nicht sein Schützling.“ „Warum erzählst du mir das?“ „Ich bin heute in Plauderlaune“, reagierte Another mit einem Schulterzucken. „Wenn es uns nicht gäbe, hätten die Engel schließlich keinen Job.“ Plötzlich drehte er sich mit einem diabolischen Grinsen zu Matt um. „Immerhin sind wir sozusagen für den Tod einer ihrer Kultfiguren verantwortlich.“ Mit einem Schlag wurde Matts Umfeld in tiefes Schwarz getönt. Erschrocken stellte er fest, dass er auf einem kreisrunden Mosaikbild stand, welches unzählige Zahnräder abbildete, die ineinander verkeilt waren. Das Bild drehte sich unter seinen Füßen. „Elysion …“, murmelte er erstaunt und sah auf. „Ich habe gar nicht gemerkt-!“ „Wer noch nie hier war, bemerkt den Übergang nicht. Schon das brennende Haus gehörte dazu“, erklärte sein Spiegelbild auf der gegenüberliegenden Seite des Mosaiks. „Aber die Zeit des Redens ist jetzt vorbei. Nach wie vor haben wir zu klären, ob du einen Pakt mit mir schließt oder nicht.“ „Du kennst die Antwort bereits!“ Mit der flachen Hand deckte Another plötzlich seine linke Gesichtshälfte ab. „Natürlich tu ich das, du wiederholst dich wie eine ausgeleierte Schallplatte. Du könntest ja nie mit einem bösen Dämon wie mir zusammenarbeiten.“ Irritiert von der Geste seines Gegenübers schwang Matt wütend den Arm aus. „Verdammt richtig!“ Daraufhin rückte Another mit seiner Hand zur anderen Gesichtshälfte. „Könnte man meinen. Deine Lippen sagen nein, aber in deinem Inneren sieht es doch ganz anders aus. Du weißt, dass du mit meiner Macht Anya Bauer vernichten und so deinen Freund retten könntest. Das willst du doch. Wenn du Alastair verraten vermagst, dann sie erst recht.“ Matt schluckte. War er so einfach zu durchschauen? Er wollte Alastair um alles in der Welt retten, weil dieser ihm ein neues Leben geschenkt hatte. Die ständige Flucht vor der Polizei hatte ihn an den Rand des Wahnsinns getrieben. Ohne Aufgabe war er ziellos durch die Welt gewandert. „Sie kamen ohne Vorwarnung …“ Es war in einer Seitengasse gewesen, als sie ihn entdeckt hatten. Vor drei Jahren, an -dem- Tag …   „Hände hinter den Kopf“, befahl einer der Polizisten. Eingekesselt wie er war, blickte der heruntergekommene Matt nach vorn und zurück, doch zu beiden Seiten lauerte je ein Polizist mit gezückter Dienstwaffe. „Das ist er, Hank“, meinte der Polizist, der ihm direkt gegenüber stand. „Den Typen hab ich neulich erst auf einem Fahndungsfoto gesehen! Pff, hast dich ja ganz schön verändert, Kleiner!“ Es stimmte, Matt war viel hagerer als damals, ungepflegt mit Dreitagebart und ungewaschenen Klamotten. Und auch wenn sein Haar etwas länger war, waren ihm die Grundzüge erhalten geblieben. „Auch das noch“, brummte er fassungslos. „Was meinst du Willy, wie viel bekommen wir für den?“, fragte Hank, der Polizist hinter ihm, seinen Partner. „Vielleicht 'nen neuen Job? Immer nur auf die Suche nach verdorbenen Seelen zu gehen ist langweilig. Lieber will ich was mit 'nem gewissen Nervenkitzel.“ Matt horchte auf. Irgendetwas stimmte mit diesem Mann nicht. Bildete er sich das ein, oder- Nein! Die Augen, sie waren anders! Er konnte es nicht definieren, aber ihre Form war unmenschlich. „Verdorben? Sie kennen mich doch gar nicht!“ „Halt den Mund, du Rotzgöre! Allein dein Anblick macht mich krank“, erwiderte Willy voller Abscheu. „Du bist nicht das, für was du dich ausgibst! So einen wie dich können wir nicht gebrauchen in unseren Riegen! Nahezu widerlich rein …“ Matt stieß mit dem Rücken gegen die Häuserwand, panisch einen Blick zurückwerfend. Auch der andere Polizist hatte plötzlich diese unheimliche Ausstrahlung. Und die Augen, sie verfärbten sich langsam schwarz, komplett schwarz! „Was seid ihr!?“, fragte Matt hysterisch. „Ihr seid keine Cops!“ „Doch sind wir! Nebenberuflich“, lachte Willy, „wir fangen böse Buben. Und die besten von ihnen schicken wir an einen Ort, den du wohl am ehesten als 'Hölle' kennst. Aber du bist wertlos!“ „Drum werden wir dich wohl erschießen müssen“, fügte Hank hinzu, „ich meine, als gesuchter Mörder? Wer würde es uns verübeln?“ Matt wandte sich an den Polizisten vor ihm, bereits fieberhaft nach einem Ausweg suchend. „Soll das ein verdammter Scherz sein!? Ich wehre mich doch gar ni-“ Doch bevor er geendet hatte, schnellte eine Messerklinge aus dem Hals des Polizisten Willy hervor. Auch seine Augen waren pechschwarz, doch glühten kurz auf, ehe er zusammenbrach. „Das solltest du aber“, sprach die Gestalt, die aus dem Nichts hinter dem Mann erschienen war. Es war Alastair.   Das war der Tag, als Alastair ihm das Leben gerettet und sich fortan um ihn gekümmert hatte. Über drei Jahre lag das nun zurück. Matt seufzte. Er musste die Schuld begleichen. Aber sicher nicht, indem er einen Pakt mit dem Wesen einging, das Alastairs Familie auf dem Gewissen hatte. Nicht auszudenken wären die Konsequenzen eines Pakts! Denn egal welche Kräfte er erlangte, Another könnte praktisch jederzeit seinen Körper übernehmen, wenn er nicht vorsichtig war. Noch dazu wäre er ebenfalls ein Zeuge der Konzeption, eines der potentiellen Opfer für Edens Erwachen. Und Anya … er konnte sein Versprechen, ihr zu helfen, nicht brechen. Auch wenn sie zu töten das geringere Übel wäre. „Mit mir kannst du Edens Erwachen aufhalten“, sagte Another in Matts Gestalt ruhig, „ohne mich zusehen, wie dein Freund geopfert wird. Natürlich gäbe es eine dritte Alternative.“ „Welche!?“ „Du tötest ihn. Dann würdest du seiner Seele zumindest den Limbus ersparen.“ Aufgebracht stampfte Matt auf. „Einen Teufel werde ich tun!“ „Selbstverständlich kannst du das nicht. Vorher müsstest du an seinem Herrchen vorbei … und natürlich deiner eigenen Naivität. Dein Egoismus wird ihm nur Leid bringen.“ „Ich werde ihn nicht verraten!“ Another lachte auf. „Das hast du bereits getan. Und ganz gleich was du sagst, kannst du dich am Ende doch nicht vor der Wahrheit verschließen. Matt Summers, du strebst nach meiner Macht.“ Eine Faust ballend, zeigte der junge Mann außer sich vor Zorn auf sein Gegenstück. „Red' nicht weiter!“ „Wusstest du, dass ein Pakt nicht mit Worten geformt werden muss? Die Antwort liegt in der Seele“, erklärte Another und schloss die Augen, „und deine Seele wünscht sich nichts mehr, als Eden zu vernichten. Und deshalb werden wir den Pakt schließen!“ „Ich sagte nein!“ „Und ich ja!“ Der falsche Matt zersprang plötzlich in tausende schwarze Partikel, die eine Wolke bildeten. Erschrocken wich das Original zurück, als jene auf ihn zugeschossen kam. Überall drangen die schwarzen Kugeln in seinem Körper ein, während Matt schreiend auf die Knie fiel und sich den Kopf hielt. „Verschwinde! Ich lasse dich nicht hinein!“, rief er stur. Doch eine Antwort erhielt er nicht. Das brauchte er auch gar nicht, denn als das Mosaik unter ihm zerbrach und er in die Tiefe fiel, wusste Matt, dass Another nicht gelogen hatte. Der Pakt war ohne seine Zustimmung geformt worden. „Wie …?“, murmelte er leise, als er in der Ferne ein grelles Licht bemerkte. Ein Schatten wurde auf ihn geworfen, schmal, dafür aber unglaublich hoch. Matt hielt eine Hand vor sein Gesicht, um nicht geblendet zu werden. Glockengeräusche ertönten im Hintergrund, als das Bild vor ihm deutlicher wurde. Der schwarze Turm lief immer spitzer gehend zusammen, doch an seinem Ende thronte eine mächtige Kuppel mit langen, hornartigen Auswüchsen, an denen dutzende goldene Glocken befestigt waren. Bevor Matt jedoch weitere Details erhaschen konnte, blendete ihn das Licht so stark, dass er die Augen zusammenkneifen musste.   „... dass du so tief fallen würdest …“ Matt schreckte auf. Er stand noch immer vor dem Duel Monsters-Spielplan und hielt seine Karten in den Händen. Er blickte herüber zu Alastair, der leichenblass war und wie eine Salzsäule mit geweiteten Augen verharrte. „Einen Pakt zu formen … nun bist du wahrlich einer von ihnen.“ „E-es ist nicht-“ „Halt den Mund!“ Alastair zeigte mit dem Finger auf ihn. „Refiel hatte recht! Ich hätte dich damals nicht am Leben lassen dürfen! Irgendwann würdest du mich ins Unglück führen und sieh, was nun geschehen ist! Jetzt kann dich nichts mehr retten!“ Nicht wissend, wie er darauf reagieren sollte, betrachtete Matt seinen Arm und hielt geschockt inne. Tatsächlich war da das Symbol eines Pakts. In violetter Farbe gehalten, war dort ein sphärenartiges Objekt, das von dämonischen, ledrigen Schwingen umhüllt war. Der letzte Beweis, dass Another ihn in den Pakt gezwungen hatte. „Wie ist das möglich!?“ Matt konnte es nicht glauben. Kein Dämon konnte einen Pakt ohne Einwilligung eingehen! Wieso traf das auf Another nicht zu!?   Anstatt vergossener Milch nachzuweinen, solltest du lieber deine neuen Kräfte nutzen und dich zur Wehr setzen. Du stehst jetzt auf einer Ebene mit ihm, was den kleinen Nachteil hat, dass er dich jetzt erst recht töten will. Er mag halt keine anderen Götter neben sich.   „Halt's Maul, du-“ Oh, bitte … nur nicht so wütend. Ich hab es dir doch erklärt, oder? Dein Kopf sagt nein, deine Seele hat regelrecht ja geschrien. Wieso überspringen wir nicht dein weinerliches Gehabe und kommen zur Sache? Vielleicht erweist sich unsere Partnerschaft ja für beide Seiten als nützlich?   „Red Klartext!“   Womöglich gibt es einen Weg, ihn und Anya Bauer zu retten. Und alle anderen Involvierten. Doch dafür brauchst du wohl oder übel meine Hilfe. Die wirst du auch bekommen, wenn du mir hilfst.   „Und was willst du!?“ Matt glaubte kein Wort von dem, was Another da sprach. Einen Weg, alle zu retten!? Den gab es höchstens im Märchen! Keine seiner Aufzeichnungen verwies auf so eine Option und auch wenn sie nicht alles abdeckten, sagten alle Quellen, dass diejenigen, die als Gefäß für die Gründer dienten, für immer verloren waren.   Das ist sehr simpel. Zerstöre den Turm von Neo Babylon für mich.   „Warum!?“ Warum nicht? Darüber hast du selbst schon nachgedacht, daher solltest du hier wohl kaum an deine moralischen Grenzen stoßen. Mehr verlange ich im Gegenzug für meine Hilfe nicht. Wenn du mir nicht vertraust, lass mich dir meine Aufrichtigkeit beweisen, indem ich mir deinen Körper nicht sofort zum Untertan mache.   Matt schnaufte aufgebracht. Er fühlte sich unendlich hilflos. Niemals wollte er dieser mordenden Bestie seinen Körper überlassen, aber sie hatte jetzt die Zügel in der Hand. Und es gab keine Möglichkeit, sie wieder loszuwerden … „Wenn du nicht sofort deinen Zug durchführst, werte ich ihn als beendet“, mischte sich Alastair nun wieder ein. „Und bedenke, dass ich dich exorzieren muss. Du weißt, was das heißt?“ „Meine Seele kommt in den Limbus …“ Die Erkenntnis traf Matt wie ein Schlag. Jetzt, da er in einem Pakt stand, würde der erzwungene Verlust Anothers dazu führen, dass seine eigene Seele im Limbus verloren geht. „Auch das noch. Wenn ein Paktträger stirbt, ist es nicht so schlimm. Aber wenn dabei sein Paktdämon gewaltsam entfernt wird, landet die Seele im Limbus …“ Alastair nickte knapp. „Das hast du dir selbst zuzuschreiben.“ Nervös ließ Matt den Blick auf sein Blatt sinken. Er konnte nichts mehr tun! Es gab keine Strategie, die ihn aus dieser Situation brachte. Alastairs [Vylon Epsilon] war zu stark, gut beschützt dank [Vylon Segment], noch dazu besaß Alastair eine verdeckte Karte. Ihm hingegen blieben nur eine beinahe nutzlose Falle und vier ebenso unbrauchbare Handkarten. „Es ist vorbei“, murmelte er leise. Sieh in deinem Extradeck nach. Dachtest du, ich würde einen Pakt mit dir schließen, nur um im Anschluss wieder ausgetrieben zu werden?   Widerwillig folgte Matt der Anweisung und griff nach seinem Extradeck, welches gesondert auf der linken Seite seiner schwebenden Marmorplatte lag. Es befanden sich nur wenige Karten darin, Xyz-Monster, die er in seiner momentanen Lage nicht beschwören konnte. Doch … „Dieses ist neu!“, stellte er überrascht fest. „Das ist-“   Das Symbol unseres Paktes, korrekt. Ich war so frei sie so zu gestalten, dass sie deinem Freund große Schwierigkeiten bereiten kann. Los, beschwöre sie.   „Nein!“   Also willst du lieber für alle Zeiten im Limbus gefoltert werden? Wenn du meinst …   Der Dämonenjäger schüttelte den Kopf. Er konnte unmöglich das 'Geschenk' dieses Dreckskerls annehmen! Dieser Pakt basierte nicht auf gegenseitiger Zustimmung! Und er war gewiss kein Sklave Anothers, er würde sich nicht auf dessen Hilfe einlassen! Matt schluckte. Aber wenn er es nicht tat, würde er seinen nächsten Zug nicht mehr erleben …   Stell dich nicht so an, es ist nur eine Karte. Alastair würde sich auch nicht scheuen, Refiels Geschenk gegen dich einzusetzen.   Refiel war zumindest ein Engel! Egal wie Matt es jedoch drehte und wendete, es gab keine Alternative. Es musste sein, wenn er seinem Freund das Schicksal ersparen wollte, was dieser ihm nun androhte. Schließlich nickte er. „Von mir aus … Aber wage es nicht, dich noch weiter einzumischen.“ Wenn die Situation es gebietet, werde ich entsprechende Maßnahmen einleiten.   „Tch!“ Matt sah zu Alastair auf. „Ich weiß, was du von mir denkst. Wir werden darüber reden, sobald dieses Duell vorbei ist. In Ruhe und ohne Morddrohungen.“ „Wenn dieses Duell vorbei ist, wird einer von uns nicht mehr leben. Bete, dass ich es sein werde.“ „Als ob ich so etwas tun würde! Verdammt, warum bist du bloß so stur und verbohrt!?“ Matt musste auflachen. Das zeichnete seinen Freund eben aus. Irgendjemand musste den Kerl endlich von seinem hohen Ross herunterholen. Und er konnte es schaffen, das wusste er. Auch wenn er die Art und Weise, wie es geschehen sollte, alles andere als gut hieß. Auf der anderen Seite hingegen war er selbst Schuld an seiner Lage, immerhin hatte er sich Anothers Worten überhaupt erst geöffnet. Er musste jetzt das Beste aus seiner ohnehin schon brenzligen Situation machen.   [Alastair: 3500LP / Matt: 600LP] Vylon Epsilon [ATK/2800 DEF/1200 (8)]   „Zeit, endlich meinen Zug zu machen!“ Noch stand er diesem engelshaften Maschinengeschöpf gegenüber, dachte Matt grimmig, aber nicht mehr lange! Er schwang seinen Arm über das Tablett vor ihm aus. „Verdeckte Falle! [Infestation Ripples]! Ich zahle 500 Lebenspunkte, um ein Steelswarm-Monster von meinem Friedhof zu reanimieren! Komm zurück, [Steelswarm Sting]!“   [Alastair: 3500LP / Matt: 600LP → 100LP]   Aus dem Boden, aus einer rosaroten Masse, die sich wie eine Pfütze ausbreitete, entstieg eine fliegende, schwarze Dämonengestalt, die stark an eine Hornisse erinnerte.   Steelswarm Sting [ATK/1850 DEF/0 (4)]   „Nun von meiner Hand: [Double Spell]“, rief Matt und zeigte den Zauber zwischen Mittel- und Zeigefinger vor, legte ihn anschließend auf den Spielplan, „indem ich eine Zauberkarte abwerfe, kann ich eine solche von deinem Friedhof wählen und ihren Effekt aktivieren. Und ich dachte da an [Monster Reborn], um [Steelswarm Gatekeeper] wiederzubeleben! Erscheine!“ Matt legte [Recurring Nightmare] auf den Friedhof. Ein grelles Licht erstrahlte neben seinem Hornissenmonster, woraus schließlich eine gepanzerte, auf vier Beinen laufende Kreatur trat. Zwar hatte es Ähnlichkeit mit einem Käfer, wirkte jedoch in seiner schwarzen Aufmachung gleichzeitig dämonisch.   Steelswarm Gatekeeper [ATK/1500 DEF/1900 (4)]   Braver Junge.   „Denk nicht, dass ich das freiwillig tue! Ich habe keine andere Wahl!“, donnerte Matt und streckte entschlossen den Arm aus. „Nun erschaffe ich das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster geboren! Xyz-Summon! Falle über die Welt wie eine Plage hernieder, [Steelswarm Roach]!“ Matts Monster verwandelten sich in violette Lichtstrahlen. Jene wurden von einem schwarzen Loch inmitten des Spielfeldes aufgesaugt, welches sich gleichzeitig mit Matts Ankündigung geöffnet hatte. Aus dem dunklen Wirbel hervor trat eine lange, humanoide Gestalt, die in ihrer Hand ein Rapier trug. Die goldenen Schwingen der aufrecht stehenden Schabe wirkten wie ein Umhang, der Schultern und Rücken bedeckte. Zwei grelle Sphären kreisten dabei um das Monster. Steelswarm Roach [ATK/1900 DEF/0 {4}]   Alastair rümpfte die Nase. Seine vernarbten Lippen formten die Worte: „Ist das alles?“ „Keinesfalls“, reagierte Matt gelassen und zückte eine weitere Zauberkarte von seinem Blatt, „im Gegenteil, er ist genau das, was ich gebraucht habe! Denn damit kann ich [Xyz Energy] aktivieren!“ Die beiden um [Steelswarm Roach] rotierenden Lichtkugeln strahlten golden auf. Matt erklärte: „Im Austausch für ein Xyz-Material kann ich eines deiner offen liegenden Monster vernichten! Und da dein [Vylon Epsilon] durch den Effekt von [Vylon Segment] nur vor den Effekten von Monster- und Fallenkarten sicher ist, kannst du nichts gegen die Zerstörung unternehmen!“ Matts Kriegerschabe streckte ihr Schwert stolz in die Höhe, während eine weiße Aura um sie entstand. Jene explodierte regelrecht, als Roach seine Klinge nach vorn schwenkte und damit auf Alastairs Monster deutete. Wie aus der Pistole geschossen schnellte ein Energieball, dessen Zentrum eines der Xyz-Materialien war, auf die mechanische Kreatur zu und brachte sie mit einem donnernden Grollen zu Fall. Es folgte eine Explosion, die Alastairs langes, schwarzes Haar unstet aufflattern ließ. „Effekt von [Vylon Segment]“, sprach jener jedoch unbekümmert, „ich erhalte nun eine neue Vylon-Magiekarte von meinem Deck als Ersatz. Meine Wahl fällt auf [Vylon Filament].“ Er zeigte den Ausrüstungszauber Matt und fügte ihn seiner Hand hinzu, welche nun aus zwei Karten bestand. Sein Gegner, der nur eine Handkarte besaß, grinste zufrieden. „Sieht ganz so aus, als wäre ich wieder im Rennen, huh?“ Anschließend warf er einen Blick auf [Steelswarm Roach], um welche nunmehr nur noch eine Sphäre kreiste. „Du hast jetzt freie Bahn! Los, attackiere ihn mit Piercing Shadow Strike!“ Über den Boden schwebend, schnellte die Schabe auf Alastair zu und zielte mit der Klinge in ihrer Hand direkt auf dessen Brust. Doch anstatt einen Treffer zu landen, gelang es ihrem vermeintlichen Opfer, die Schneide geschickt zwischen seinen Fingern festzuhalten. „Das allein wird mich nicht zu Fall bringen“, sagte er dazu, zog an dem Schwert und schleuderte Roach mit einer schnellen Bewegung Richtung der schwarzen Flammen. Gerade noch rechtzeitig konnte der Insektenmann seinen Flug mitten in der Luft abbremsen und kehrte zu Matt zurück, welcher alles überrascht mit angesehen hatte.   [Alastair: 3500LP → 1600LP / Matt: 100LP]   Voller Anerkennung musste Matt pfeifen. „Wow, netter Move. Den muss ich mir merken.“ „Spar dir das! Eine Kreatur geboren aus der Finsternis, so wie sie es ist, wird mir niemals Schaden zufügen können!“ „Was du nicht sagst? Noch so einen Treffer wirst du nicht schönreden können. Ich beende meinen Zug.“   Matt verschränkte besorgt die Arme. Er hatte ins Spiel zurückgefunden, doch nur aufgrund Anothers Hilfe. Aber war es das wirklich wert? Nun hasste Alastair ihn noch mehr als zuvor. Selbst wenn er gewann, was würde danach geschehen? Sein Freund war niemand, der offen für Kompromisse war. Ihn mithilfe eines Paktes zu besiegen bedeutete nur, seinen Stolz anzugreifen, was Alastair im Umkehrschluss noch viel mehr gegen ihn aufbringen würde. Es war ein Teufelskreis. Vielleicht hätte er sein Schicksal einfach akzeptieren sollen, dachte Matt betrübt. Another zuzuhören war der größte Fehler seines- „AH!“   „Infinite evil, waiting to get purged! Be the voice of his justice! Synchro Summon! Purify this twisted world! [Vylon Ultima]!“ Grelles Licht blendete Matt, als Alastair seine Hand gen Himmel streckte. Von dort erschien eine gewaltige Kreatur, bestückt mit sechs goldenen Schwingen. Ein mechanischer Erzengel, dessen Leib einem Kreuz nachempfunden war. Um seinen Hals ragte ein goldener Kragen, richtete er doch über all jene, die sich gegen seinen Meister stellten. „Das … kann nicht sein“, murmelte Matt fassungslos. „Das ist das Ende!“ „Wie wahr. Erkennst du nun, wie töricht es war, den Dämonen zu lauschen?“ Eine Träne rann über Alastairs vernarbtes Gesicht. „Unsere Wege werden sich nun auf ewig trennen. Ich bete dafür, dass du im Limbus deine Fehler erkennen und Gottes Gnade erhalten wirst. Leb wohl, Matt …“   Matt stöhnte auf und hielt sich seine pochende Stirn. „Nicht schon wieder …“ Noch eine von Anothers Visionen? Bedeutete das, dass Alastair ihn in seinem nächsten Zug besiegen würde? Aber wie? Sein Blick fiel auf Alastairs verdeckte Karte, die er in seinem ersten Zug gesetzt hatte. Er kannte nur eine Karte im Deck seines Freundes, die imstande war, alle für [Vylon Ultimas] Beschwörung benötigten Monster aufs Spielfeld zu bringen. „[Vylon Link]“, murmelte er leise.   Das ist die Zukunft, die dich unter normalen Umständen erwarten würde. Doch fürchte dich nicht, ich habe für alles vorgesorgt. Er wird dich nicht besiegen können. Wart einfach ab und genieße die Show.   „Tzz.“ Anothers unbekümmerten Worte beruhigten Matt kein bisschen. Zwar zweifelte er nicht an ihrer Glaubwürdigkeit, doch missfiel ihm zusehends die Abhängigkeit, die zwischen ihnen bestand. Im Grunde lenkte Another nun dieses Duell. Und seine Eingriffe glichen praktisch Betrug, etwas, was Matt bis aufs Mark hasste. Das war nicht die Weise, auf die er seinen Freund zur Besinnung bringen wollte!   „Ich bin am Zug“, verkündete jener jedoch nach wie vor seelenruhig und zog eine Karte. Mit nun drei Karten auf seiner Hand, strahlte er eine Siegesgewissheit aus, die Matt ins Schwanken brachte. Würde wieder geschehen, was Another ihm gezeigt hatte? Oder war Refiel im Begriff zu intervenieren? Dem Engel traute er das durchaus zu. „Verdeckte Falle aktivieren!“, rief Alastair und schwang den Arm aus. „[Vylon Link]! Zu Kosten einer Vylon-Ausrüstungsmagie kann ich drei Vylon-Monster von meinem Friedhof auferstehen lassen. Jedoch büßen sie ihre Offensivkraft, ihre Effekte und einen Stufenstern ein. Außerdem verlieren sie während dem Ende meines Zuges ihr neugewonnenes Leben wieder!“ Matt schreckte innerlich auf. Also hatte er mit seiner Vermutung Recht gehabt! Dann bedeutete das wohl … Vor Alastair erschienen der Reihe nach das prismaförmige [Vylon Prism], der engelsgleiche [Vylon Hept] und schließlich sogar [Vylon Epsilon].   Vylon Prism [ATK/1500 → 0 DEF/1500 (4 → 3)] Vylon Hept [ATK/1800 → 0 DEF/800 (4 → 3)] Vylon Epsilon [ATK/2800 → 0 DEF/1200 (8 → 7)]   Bereite dich darauf vor, [Steelswarm Roachs] Effekt zu benutzen!   Gleichzeitig streckte Alastair seine Hand gen Himmel. „Ich stimme mein Stufe 3 [Vylon Prism] auf mein Stufe 7 Synchromonster [Vylon Epsilon] ein! Infinite evil, waiting to get purged! Be the voice of his justice! Synchro Summon! Purify this twisted world! [Vylon Ultima]!“ Und wie Matt es vorhergesehen hatte, blendete ihn grelles Licht, als das gigantische Wesen aus der Dunkelheit der Nacht herabstieg und alles im näheren Umkreis erleuchtete. „Unglaublich“, murmelte Matt fasziniert und gleichzeitig erschüttert. „Wirklich gut …“   Vylon Ultima [ATK/3900 DEF/3500 (10)]   „Aber noch lange nicht gut genug!“, schrie er nun und entfernte das verbliebene Xyz-Material von [Steelswarm Roach]. „Da die Stufe deines Monsters weit über 5 liegt, kann ich den Effekt meines Monsters aktivieren! Jenes wird die Beschwörung deines [Vylon Ultima] schlichtweg für ungültig erklären! Prohibition Of Obscurity!“ Wie ein schwarzer Pfeil schoss an Matts Schabe an dem riesigen Wesen vorbei, absorbierte noch im Flug die übrig gebliebene Sphäre und zerteilte mit nur einem Schwertschlag das kreuzförmige Monster. „Nein!“ Alastair weitete seine Augen, als sein Monster sich einfach im Nichts auflöste. „Wie kann eine Kreatur der Finsternis-!?“ „In dieser Welt ist alles möglich“, antwortete Matt ihm ernst, „nicht alles ist schwarz oder weiß, Alastair. Nur weil ich einen Pakt geschlossen habe, bin ich noch lange kein Dämon!“ Aber konnte er im Angesicht von Another wirklich seinen eigenen Worten glauben, fragte Matt sich schuldbewusst.   ~-~-~   „Bist du dir sicher, dass du wirklich dazu in der Lage bist, Anya Bauer?“ Das Mädchen lachte verächtlich auf und drehte ihren Finger über die Schläfe. „Spinnst du? Keiner von denen ist mein Freund. Weder Redfield, noch diese beiden Penner da unten.“ Mit einem verächtlichen Nicken deutete sie hinab zu der Sphäre, die alles widerspiegelte, was in der Zwischenzeit zwischen Matt und Alastair geschah. „Außerdem könntest du doch sowieso jederzeit die Kontrolle übernehmen.“ Levrier stellte sich neben sie und beobachtete das Geschehen. Matt hatte soeben das Monster beschworen, welches er als Symbol seines Paktes mit dem Dämon erhalten hatte. „Nun sind es drei Zeugen. Opfer für Eden. Kannst du ihren Verlust verschmerzen?“ Die Blondine zuckte unbedarft mit den Schultern. „Klar kann ich das. Wie gesagt, die Drei sind nicht meine Freunde. Wenn es sowieso keine Alternative gibt, aus diesem Kackmist herauszukommen, müssen sie eben die bittere Pille schlucken. Ich habe keinen Grund, Rücksicht auf sie zu nehmen. Warum sollte ich auch freiwillig in diesem beschissenen Limbus enden wollen?“ „Getreu dem Motto 'Lieber die als ich'?“ „Bingo.“   In Anyas blauen Augen stand grausame Gleichgültigkeit geschrieben. „Bleibt die Frage, wie wir dafür sorgen, dass es noch mehr Opfer gibt.“ Überrascht sah Levrier das Mädchen an. „Du bist wirklich zu allem entschlossen? Was hat deine Meinung geändert? Du wolltest nie Eden werden, doch nun …“ Anya neigte ihren Kopf mit einer finsteren Grimasse Richtung ihres Gegenübers. „Nur damit das klar ist: ich tue das nicht für dich! ICH bin hier immer noch der Boss! Und ehe ein beknackter Dämon auf die Idee kommt, meine Freunde zu solchen Opfern zu machen, nehme ich das lieber selbst in die Hand und picke mir ein paar entbehrliche Loser raus, klar?“ Levrier schloss die Augen. „Deine Einstellung ist löblich. Aber ich befürchte, dass wir in dieser Hinsicht nichts unternehmen können. Ich kann nur einen Pakt schließen.“ „Also müssen wir uns die anderen Idioten woanders herholen?“ „Ja. Nur wird das nicht reichen.“ Skeptisch hob Anya eine Augenbraue und beobachtete Matt dabei, wie er den Gegenangriff auf seinen Freund einleitete. „Oh, Überraschung … soll heißen?“ „Es ist nur eine Eingebung … aber als dieser Matt Summers den Pakt geschlossen hat, ist sein Elysion in sich zusammengebrochen. Und anschließend sofort reinkarniert, genau wie bei dir. Seine Teile haben sich zu einem neuen Gefüge vereint. Die letzte Antwort … sie ist im Elysion der Zeugen verborgen. Dessen bin ich mir sicher.“ „Aha.“ Levrier nickte. „Mehr noch. Dort, wo die Pakte geschlossen werden, hinterlassen sie eine Spur in der realen Welt. Sie ist verschwindend gering, doch in letzter Zeit gehen immer stärker werdende Schwingungen von diesen Orten aus. Anfangs habe ich dem keine Bedeutung zugeschrieben, doch es scheint mehr dahinter zu stecken.“ Er machte eine kurze Pause. „Ich schlage deshalb vor, wir sehen uns das an, sobald diese beiden ihre Zwistigkeiten beigelegt haben.“ „Positiv. Hab ja sonst nix zu tun“, brummte Anya unzufrieden und kehrte ihrem Partner den Rücken zu. Sie schritt über die Mosaikplatte, auf welcher die Erde abgebildet war. In ihrer Mitte blieb sie stehen. „Ich kann's gar nicht erwarten bis das alles hier vorbei ist …“ „Willst du deshalb deine Bekannten opfern?“ „Nein … aber wenn nicht ich, wer sonst? Ist doch deine letzte Chance, oder? Die solltest du nicht vergeigen. Aber keine Panik, mit mir an deiner Seite kannst du gar nicht verlieren.“ Levrier schüttelte mit geschlossenen Augen den Kopf, sagte aber nichts. Jedoch musste er lächeln, glaubte er, einen der seltenen Blicke auf Anyas wahre Persönlichkeit erhascht zu haben. Was ihn gleichzeitig aber auch traurig stimmte …   ~-~-~   „Es tut mir leid, Alastair, aber ich kann es mir nicht leisten, hier zu versagen“, sprach Matt mit schlechtem Gewissen. Die letzten Teile von [Vylon Ultima] hatten sich aufgelöst. Doch anstatt sich seine drohende Niederlage einzugestehen, blieb Alastair seelenruhig. Er ballte eine Faust und hob sie auf Kopfhöhe. „Du hast nicht versagt, sondern ich. Anstatt dich vor den Verlockungen der Dämonen zu beschützen, habe ich dich direkt in ihre Arme getrieben …“ „Huh!?“ „Vergib mir, Matt. Du hattest die ganze Zeit recht, es war meine Schuld.“ Überrascht vom Sinneswandel seines Gegenübers hellte sich Matts Miene auf. „Meinst du das ernst?“ „Ja!“ Mit einem Mal streckte Alastair seinen Arm aus, seine Stimme bebte. „Deswegen werde ich dir so bald wie möglich folgen! Ich habe mein Recht zu leben verwirkt! Wie soll ich mit dem Wissen leben, dich ins ewige Unglück getrieben zu haben!?“   Oh großartig. Jetzt dreht er richtig durch. Bieg das wieder gerade!   Matt jedoch war zu geschockt von den Worten seines Freundes. Umso mehr, als eine Träne über die vernarbten Wangen Alastairs rann. Verzweifelt rang der Schwarzhaarige nach Worten. „Du irrst dich, Alas-“ „Schweig! Ich ertrage es nicht mehr! Der Gedanke, dich nicht retten zu können, ist unerträglich! Wie konnte es dazu kommen!?“, fragte Alastair in ungewohnt flehender Manier. „Was habe ich getan, dass mein einziger Freund den Dämonen verfällt?“ Schlagartig änderte sich seine Tonlage. „Ich werde sie töten, jeden, den ich finden kann! Und ich werde im Kampf fallen, um Buße zu tun!“ „Hör auf!“ „Nein! Ich kann deine dämonenverseuchte Stimme nicht länger ertragen, Matt!“ Alastair schnappte sich eine Karte von seinem Friedhof. „Ich aktiviere den Effekt von [Vylon Prism]! Wenn es auf den Friedhof gelegt wird, zahle ich 500 Lebenspunkte, um es an eines meiner Monster auszurüsten! An [Vylon Hept]!“   [Alastair: 1600LP → 1100LP / Matt: 100LP]   Um Alastairs Engelsmaschine leuchtete eine weiße Aura auf. Matt schwante Übles. Alastair konnte doch nicht etwa-!? „Da [Vylon Hepts] Effekt blockiert ist, muss ich auf die Schnellmagie [Vylon Polytope] zurückgreifen! Sie beschwört alle ausgerüsteten Vylon-Monster auf mein Spielfeld, die, sobald sie das Spielfeld verlassen, verbannt werden!“ Blitze schlugen um [Vylon Hept], als aus seinem Inneren plötzlich das schildartige [Vylon Prism] austrat.   Vylon Prism [ATK/1500 DEF/1500 (4)]   „Oh verdammt“, stieß Matt aus, welcher seine Befürchtungen nun Realität werden sah, „Alastair, hör auf damit! Wir können über alles reden!“ „Die Zeit des Redens ist vorbei, Matt! Ich kann dich nicht retten, aber zumindest deine Seele befreien! Und für diese Sünde möge mich Gott ebenfalls in den Limbus schicken, damit ich dein Leid dort teilen kann!“ Alastair streckte seinen Arm in die Höhe. „Ich stimme mein Stufe 4 [Vylon Prism] auf mein Stufe 3 [Vylon Hept] ein! Divine light guides the way to heaven! The mourning soul strifes towards purification! Synchro Summon! Arise, [Vylon Sigma]!“ Prism zersprang in vier grüne Ringe, die Hept durchquerte. Ein Lichtblitz folgte, als abermals eine mächtige Kreatur aus der Höhe hinab Richtung Spielfeld stieg. Und genau wie alle Vylon-Synchromonster war sie atemberaubend schön. Mit je drei goldene Ringe an beiden Armen und einem großen siebenten über dem Rücken, wirkte [Vylon Sigma] mit seinen silbernen Schwingen nicht minder erhaben als [Vylon Epsilon] und [Vylon Ultima].   Vylon Sigma [ATK/1800 DEF/1000 (7)]   „Das kann doch nicht wahr sein“, stöhnte Matt entgeistert. Er blickte auf seine Duel Disk und stellte fest, dass seine [Steelswarm Roach] keinerlei Xyz-Materialien mehr besaß, um die Beschwörung von Alastairs Monster zu annullieren.   Was regst du dich so auf, dieses Ding ist schwächer als dein Monster?   Steelswarm Roach [ATK/1900 DEF/0 {4}]   „Wenn du mal in die Zukunft gesehen hättest, wüsstest du, dass du da falsch liegst“, murmelte Matt im Angesicht seines Freundes. Jener schien sich wieder beruhigt zu haben, von seiner Verzweiflung war keine Spur mehr zu entdecken. Ruhig sagte er: „Ich werde dich in guter Erinnerung behalten, Matthew Summers. Der einzige Freund, den ich jemals hatte … [Vylon Sigma], Harmonic Wave Buster!“ Das himmlische Wesen streckte seinen ganzen Körper durch und schickte eine gleißende Welle in Matts Richtung. „Oh verdammt!“     Turn 19 – Fools Day Während Anya, Matt und Alastair sich ihren inneren Konflikten ausgesetzt sehen, trifft Nick im Livingtoner Park eine junge Frau namens Melinda. Jene scheint nach ihrem Bruder zu suchen, einem Benny. Und als Nick ein Foto von Melinda und ihrem Bruder sieht, nimmt ihre Begegnung einen überraschenden Verlauf an … Kapitel 19: Turn 19 - Fools Day ------------------------------- Turn 19 – Fools Day     [Alastair: 1100LP / Matt: 100LP]   „Es ist aus …“, murmelte Matt, geblendet von der Lichtwelle, die ihn erfasst hatte. Sie glitt durch ihn hindurch, gefolgt von immer neuen Wellen, die Alastairs engelsgleiches Wesen, [Vylon Sigma], aussendete.   Vylon Sigma [ATK/1800 DEF/1000 (7)]   Jener stand mit verschränkten Armen vor seinem Monster und beäugte kritisch, wie Matt und sein Insektenritter [Steelswarm Roach] durch Sigmas Attacke den Boden unter den Füßen verloren und in der Luft zu schweben begannen.   Steelswarm Roach [ATK/1900 DEF/0 {4}]   „Dass es soweit kommen musste …“ „Schlimme Dinge passieren eben“, presste der hilflos in der Luft liegende Matt ächzend hervor, „und ich ziehe sie irgendwie magisch an, huh?“ „Warum du?“ Alastair fasste sich an die Stirn. „Ein Pakt mit einem Dämon, um Dinge zu ändern, die nicht zu ändern sind … du bist zu sanft, egal wie gleichgültig und grausam du dich versuchst zu geben. Warst es schon immer.“ Matt lachte krächzend auf. Er hatte sich mit seinem bevorstehenden Ende abgefunden. „Sag das nicht. So hört es sich an, als wäre ich eine totale Lusche.“ „Ich kenne die Wahrheit über dich.“ Überrascht horchte Matt auf. „Der Mord an deinem Vater. Nicht du hast ihn begangen, sondern deine Schwester, Sophie. Du hast sie lediglich gedeckt, weil du dachtest, du wärst besser für ein Leben auf der Flucht geeignet. Aber als Dämonenjäger darf man nicht selbstlos sein, denn es bedeutet, dass man früher oder später vom rechten Pfad abkommt, von ihm fortgelockt durch schlangenzüngige Dämonen.“   Ein kalter Schauder überkam Matt. Alastairs Worte schnitten sich in seine Seele wie ein Messer in Butter. Wie hatte er das herausgefunden!? Er hatte sich für seine Schwester geopfert, die der Tyrannei ihres Vaters ein Ende gesetzt hatte. Aber außer ihnen beiden wusste niemand darum! Matt musste schlucken. War er wirklich so leicht zu durchschauen? Wie jämmerlich …   Alastair streckte den Arm aus. „Ich kann dich nicht gehen lassen, Matt. Nicht einmal retten kann ich dich jetzt noch. Aber ich verspreche, deine Schwester zu beschützen und mich um sie zu kümmern, bis zu dem Tag, an dem ich dir in den Limbus folgen werde.“ „Halt den Mund, Idiot“, brummte Matt, der nun aufrecht in der Luft schwebte, sich aber nicht rühren konnte, „sie lebt ein anderes Leben als wir. Jemand wie du kann sie nicht beschützen. Außerdem steht sie nicht auf Frankenstein.“ „Das sind also deine letzten Worte?“ Matt grinste verschlagen. „Ist doch allemal besser als 'oh mein Gott, verschone mich!', oder nicht?“ Alastair musste ebenfalls lachen. Und realisierte, dass er seinen Partner bereits jetzt vermisste. Dennoch war es zu spät und obendrein seine Aufgabe, dass kein Dämon in Menschengestalt auf Erden wandelte. „Das ist der Abschied“, sagte er leise und ballte seine ausgestreckte Hand zu einer Faust. „Effekt von [Vylon Sigma] aktivieren. Wenn ich einen Angriff deklariere, wird meine Kreatur automatisch mit einer Ausrüstungsmagie von meinem Deck versehen. Mit [Vylon Material] erhöhe ich so ihre Angriffskraft um 600!“ Die weiße, metallische Gestalt leuchtete grell auf. Dann streckte sie ihren Körper noch einmal durch, um eine letzte, gleißende Welle auszulösen, die Matt erfasste.   Vylon Sigma [ATK/1800 → 2400 DEF/1000 (7)]   Dieser schloss die Augen und musste schmunzeln. Er hatte alles versucht, um seinen Freund aus den Fängen Edens zu befreien und war kläglich gescheitert. Hoffentlich würde Alastair stark genug sein, selbst einen Weg aus der bevorstehenden Katastrophe zu finden. „Der Limbus … gleich weiß ich, wie er ist …“ Die funkelnde, weiße Welle riss ihn wie ein Sturm mit sich.   Sei kein Narr, Menschensohn! Denkst du, ich wäre nicht auf so etwas vorbereitet? Für wen hältst du mich?   Und während Matt mit vollem Karacho auf die schwarze Flammenwand hinter ihm zuschoss, riss er entgegen seinem Willen plötzlich den Arm in die Höhe. Auch die Worte, die er dazu sprach, waren nicht die seinen. „Incarnation Mode! Jederzeit während meines Zuges kann ich [Steelswarm Roach] zu einer höheren Wesenheit erheben! Ich rekonstruiere das Overlay Network und benutze Roach als Xyz-Material, um aus ihm ein neues Rang 4-Xyz-Monster zu machen!“ Kurz vor dem Feuer kam Matts Körper ruckartig zum Stehen, verharrte in der Luft. Als würden sich Fesseln von ihm lösen, schwebte er nun mit gleichgültiger Mimik auf der Stelle. Gleichzeitig wurde [Steelswarm Roach] in das schwarze Loch gezogen, welches bei jeder Xyz-Beschwörung erschien. Rote, violette und schwarze Blitze schlugen daraus empor, als schließlich eine riesige Gestalt daraus empor stieg. „Nein! Das ist-!“ Alastairs Augen weiteten sich beim Anblick des kolossalen Monsters, welches sich vor Matt wie eine eiserne Mauer aufbaute und allein mit seiner Anwesenheit [Vylon Sigmas] Angriff wirkungslos werden ließ. Und es war auch hauptsächlich Eisen, welches seinen Blick versperrte. Ein Breitschwert von der Größe eines Hochhauses wurde in den Boden gerammt, als ein muskulöser Kakerlakenmann in goldenem Umhang damit in die Knie ging. Und in derselben Farbe kreiste auch eine Energiesphäre um das riesige Insekt. „[Steelswarm Vanguard – Roach Styx]!“, rief Matt und schwang majestätisch seinen Arm aus. „Schütze unsere verbliebenen Lebenspunkte!“   Steelswarm Vanguard – Roach Styx [ATK/1900 DEF/0 {4}]   Alastair hielt sich stöhnend den Kopf, so stark war die unbegreifliche Macht, die von diesem Koloss ausging. „Was hast du getan, Dämon!?“ „Nur, was notwendig war.“ Elegant fiel der besessene Matt zurück auf den Boden und schritt auf die schwebende Marmorplatte zu, um dort das neue Xyz-Monster auf [Steelswarm Roach] zu legen. „Keine Sorge, ich bin schon wieder weg. Ach und versuch gar nicht erst, Roach Styx anzugreifen, denn diese Kreatur kann nur durch Xyz-Monster im Kampf vernichtet werden.“ Er legte sich Mittel- und Zeigefinger an die Schläfen und schwenkte sie sogleich aus. „Bye bye!“ Kurz darauf kippte Matt ächzend nach vorn und tat es Alastair gleich, hielt sich den pochenden Schädel. „Was zum-!? Wie hat er-!? Und so schnell!“   Merk dir eins, Kindchen, ich habe immer ein Ass im Ärmel. Nutze es gut, denn noch eine Chance wirst du nicht bekommen.   Alastair indes atmete tief durch. Zwar mochte von den Werten her kein Unterschied zu Matts altem Monster bestehen, doch war dem Mann mit dem langen, schwarzen Haar und dem Zopf über der Schulter durchaus bewusst, dass der Teufel im Detail steckte. „Eine verdeckte Karte“, brummte er, innerlich hin und her gerissen. Er musste sich gegen diese Ausgeburt der Hölle wehren! Aber durch sie konnte er Matt noch ein paar Minuten länger sehen. Und doch, für jenen war jede weitere Minute unter der Herrschaft dieses Monsters Folter! Er musste ihn davon erlösen, um jeden Preis! Ohne weitere Handkarten sagte er schließlich: „Du bist dran … Matt? Oder doch nur der Dämon in ihm?“ Jener richtete sich, von seinem schwebenden Spielplan abstützend, stöhnend auf. „Ich fürchte, du musst mit dem Original Vorlieb nehmen. Whew, ich dachte schon, die himmlischen Glocken des Limbus zu hören … “ „Wirklich!?“ „Nein!“, empörte sich Matt. Gleichzeitig zog er seine nächste Karte. „Als ob! Reagier' nicht gleich auf alles so leichtgläubig, wenn das Wort Himmel benutzt wird!“ Alastair atmete tief durch. „Machst du dich über mich lustig!?“ Grinsend rieb sich sein Gegner unter der Nase, was Alastair aufgrund des überdimensionalen Kakerlakenritters jedoch nicht sehen konnte. „Klar, wann immer es geht!“ „Das ist ernst! Merkst du nicht, wie du immer tiefer in die Abgründe des Bösen gezogen wirst!? Sieh dir dieses Wesen an! Es ist die Verkörperung der Sünde!“ Matt legte seinen Kopf in den Nacken, betrachtete seine neue Kreatur. „Klar, es ist groß und sieht bedrohlich aus. Aber es hat mir den Arsch gerettet, also werde ich mich nicht beschweren.“ „Du bist genau wie dieses Monster, wie Kakerlaken. Einfach nicht tot zu kriegen. Ich weiß nicht, ob ich dich dafür loben oder verachten soll. Warum machst du es mir so schwer!?“ Seufzend legte Matt eine Hand auf den kalten Marmor. „Weil ich nicht so leicht aufgebe wie du. Wo du blind auf Dinge vertraust, die womöglich gar nicht existieren, suche ich nach greifbaren Alternativen. Und die einzige, die ich zurzeit sehe, ist eine Kooperation mit Anya, denn die will garantiert nicht, dass sie zu Eden wird.“ Alastair stöhnte verärgert. „Was sie will spielt keine Rolle. Es ist zu spät, war es in dem Moment, als sie sich auf den Dämon in ihr eingelassen hat.“ „Ach ja?“, brauste Matt plötzlich auf. „Wie gut, dass du allwissend bist! Wenn es für sie zu spät ist, dann auch für dich, denn du wirst es sein, der den blutigen Weg zu Eden pflastern wird! Was gewinnst du überhaupt durch diesen Blödsinn!?“ „A-“ „Gar nichts! Im Gegenteil, du richtest einen Freund hin, der für dich kämpft! Meine Meinung lässt du nicht zu, weil sie unheilig ist? Fein! Dann bin ich lieber mit dem Teufel liiert, als eine Marionette meiner eigenen Dickköpfigkeit!“ Regungslos verharrte Alastair auf der Stelle und sagte nichts.   Mit einem Schlag riss Matt die schwarze Karte seines neuen Monsters in die Höhe. „Ich werde dir zeigen, dass du dich irrst! Während der Standby Phase erhält [Steelswarm Vanguard – Roach Styx] von meinem Friedhof so viele Xyz-Materialien, bis er drei besitzt!“ Zwei weitere goldene Sphären umkreisten die gigantische Kakerlake, die Matt nach einem Wechsel in die Angriffsposition wieder auf den Spielplan knallte. Dabei schob er noch [Steelswarm Gatekeeper] und [Steelswarm Needle] unter sie. Der insektoide Ritter erhob sich, zog seine gewaltige Klinge aus dem Boden und ließ in seiner stehenden Position zu, dass Alastair Matt durch die Lücke zwischen den Beinen wieder sehen konnte.   Steelswarm Vanguard – Roach Styx [ATK/1900 DEF/0 {4}]   „Wollen mal sehen, was das Teil so drauf hat“, raunte Matt kämpferisch, „und oha, da haben wir doch auch schon gleich den ersten, sehr praktischen Effekt! Er kostet mich auch nur zwei Xyz-Materialien!“ Der Schabenritter hob beidhändig sein Breitschwert in die Höhe und absorbierte damit zwei der goldenen Sphären, bis die Klinge violett zu glühen begann. Matt indes streckte seinen Arm aus. „Durch diese Fähigkeit kannst du in diesem Zug keine Karteneffekte mehr aktivieren! [Steelswarm Vanguard – Roach Styx], benutze Clear Effector Mist!“ Alastair wich erschrocken einen Schritt zurück, als das alles überragende Insekt seine Waffen horizontal in seine Richtung schwang und damit eine violette Welle aussendete, die den Dämonenjäger wie einen Sturm erfasste. Er stöhnte auf, als dichter Nebel sein Feld einzuhüllen begann. Durch ihn war es kaum noch möglich, die Umgebung zu erkennen. „Nun Effekt Nummer zwei aktivieren, auch wenn er laut der Karte hier eigentlich der erste ist! Ist ja auch egal!“, ließ Matt ihm jedoch keine Verschnaufpause. „Im Austausch für ein weiteres Xyz-Material kann Roach Styx ein beliebiges Monster der Stufe 5 oder höher verbannen!“ Wieder steckte sein Monster die Klinge in die Höhe und absorbierte die verbliebene Lichtkugel. „Und ich dachte da irgendwie an [Vylon Sigma]! Banishing Blade!“ Wie ein ein Richter seinen Hammer bei der Verkündung des Urteils fallen ließ, ließ Matts Krieger seine Klinge auf Alastairs Engelsmaschine niedergehen, die sich bei der Berührung auflöste. Und durch den aktivierten Clear Effector Mist konnte Alastair auch keine Vylon-Zauberkarte von seinem Deck seiner Hand hinzufügen, als [Vylon Material] auf den Friedhof abgelegt wurde. Was blieb, war Alastairs leeres Spielfeld. „Sehr gut“, sprach Matt zufrieden, „sieht so aus, als wäre ich härter als du.“ „Red' keinen Unsinn …“, knurrte sein Gegner erbost. „Was du erreicht hast, hast du nur deinem 'Freund' zu verdanken.“ „Weil ein anderer versucht hat mich zu töten.“ Matt kratzte sich am Hinterkopf. „Sei kein schlechter Verlierer, Alastair. Ich werde deine verdrehte Ansicht von Recht und Unrecht aus dir rausprügeln, wenn es sein muss. Es wird Zeit, dass die Dinge sich ändern!“   Bei deinem Vorhaben musst du jedoch vorsichtig sein. Wenn du ihn jetzt angreifst, kannst du sein Leben beenden, denn dank unseres Pakts kannst du nun meine Kräfte nutzen. Solltest du dies wünschen, werde ich sie in deinen nächsten Angriff katalysieren. Aber da ich die Antwort sowieso kenne, kannst du unbedarft angreifen, ich werde sicherstellen, dass ihm nichts geschehen wird dabei. Denke nur daran, dass ich dies nicht für dich tue.   Dass Another sich nun wieder einmischte, erregte Matts Unmut. „Hör auf zu reden, wenn du weißt, was du tun sollst.“ Auch wenn der Einwand begründet sein mochte, war es in der Tat etwas ganz anderes, was dem jungen Mann Sorge bereitete. Refiel. Wenn zwei Dämonen sich bekämpften, musste einer sterben, ehe der Konflikt enden konnte. Wer garantierte ihm, dass Refiel kein falsches Spiel spielte und tatsächlich nur ein manipulativer Dreckskerl war, der Alastair benutzte? Ein Dämon? Wäre dem so, würde der Angriff Alastair das Leben kosten, da Another gezwungen wäre, seine Kräfte einzusetzen. Jedoch würde der Konflikt nicht enden können, solange er es nicht tat. In dem Fall würde einer von ihnen sterben müssen, früher oder später. Sollte er also blind angreifen oder stattdessen abwarten und sich besiegen lassen, um diese Theorie zu prüfen? Nein, aufgeben war ebenfalls keine Lösung, denn selbst wenn Refiel wirklich ein Engel war und das Prinzip des Blutzolls nicht griff, würde Alastair ihn dennoch aufgrund des Paktes umbringen wollen. Aber was war mit Another? Er war immerhin Alastairs Erzfeind und auch wenn er ihm gezeigt hatte, was damals angeblich wirklich vorgefallen war, hieß das gar nichts. Genauso gut konnte das alles nur eine Lüge sein, um ihn, Matt, dazu zu bringen, Alastair zu töten. Bloß wenn das stimmte, könnte es schon zu spät sein. Der Pakt war geschlossen …   Egal wie Matt es auch betrachtete, es gab keine Alternativen. Alle Möglichkeiten liefen darauf hinaus, dass einer von ihnen sterben könnte. Und er würde nur wissen, wie sich die Dinge wirklich verhielten, wenn er angriff. So schwer es ihm auch fiel. „Okay … [Steelswarm Vanguard – Roach Styx] … direkter Angriff! Infestation's Hammerfall!“ Hoffentlich war es kein Fehler, dachte Matt verzweifelt, als Roach Styx mit seiner Klinge ausholte und sie Richtung Alastair zu schwingen begann.   ~-~-~   Es gab gewisse Dinge, die Nick Harper nicht wusste. Zum Beispiel, dass er als Kind kurz davor stand, zur Adoption freigegeben zu werden. Letztendlich hatten seine Eltern ihn nur deshalb behalten, weil die Nachbarn sonst unangenehme Fragen gestellt hätten. Was Nick auch nicht wusste: sie bereuten ihre Entscheidung von damals zutiefst.   Allerdings waren dies Lappalien im Vergleich zu dem, was Nick an diesem angenehmen Oktobertag entging. Während seine Freundin Anya im Begriff war, eine fatale Entscheidung zu treffen und zwei Dämonenjäger und Freunde erbittert miteinander rangen, erfreute Nick sich an den Farben des Herbstes. Statt sich an den Kämpfen rund um Ehre, Verrat und Freundschaft zu beteiligen, hockte er auf einer Bank im unbeschädigten Teil des Livingtoner Parks und beobachtete all die Bäume um ihn herum, die bereits ihre Blätter verloren hatten. Und auch wenn es ziemlich kühl war, trug der hochgewachsene junge Mann ein beiges T-Shirt und Shorts, obwohl seine Gänsehaut davon zeugte, dass er fror. Seinem verkniffenen Gesichtsausdruck nach zu urteilen hätte man meinen können, dass er über die wichtigen Fragen des Lebens nachdachte. Tatsächlich fragte er sich aber, ob das um ihn herumliegende Laub wieder an die Bäume wachsen würde, sobald der Frühling begann.   „Ein schöner Tag, nicht wahr?“, fragte ihn plötzlich jemand von der Seite. „Ist hier noch ein Platz frei? Die anderen Bänke sind alle besetzt.“ Nick drehte neugierig seinen Kopf zur Seite und blinzelte verdutzt. Eine Frau mit braunem Haar, das nach hinten wie eine Welle verlief, stand neben der Bank und blickte ihn erwartungsvoll an. Auffällig war, dass ihre Jeans dreckig und mit Löchern übersät war. Und auch ihr roter Rollkragenpullover hatte schon deutlich bessere Tage gesehen. Aber Nick störte das nicht, sie hatte immerhin Brüste. „Ich glaub schon“, gluckste er zufrieden. Das war wirklich sein Glückstag, was Nick schon wusste, seit seine Mutter ihn heute morgen trotz ihrer Wut wegen des verlorenen Hundert Dollar-Scheins nicht geschlagen hatte! Was bedeutete es schon, dass er den Rest des Jahres dafür hungern musste? Er freute sich über die Gesellschaft. Sonst waren immer alle anderen Menschen sofort unhöflich zu ihm gewesen. Und hatten meist keine Brüste oder für seinen Geschmack zu wenig davon. Aber er mochte Anya trotzdem. Die Fremde nahm Platz neben ihm und atmete tief durch, sah den grauen Himmel an. „Nicht mehr lange, dann wird es schneien. Mir macht die Kälte ja normalerweise nichts aus, aber dieses Jahr könnte ich ruhig auf sie verzichten.“ „Hehe, ich hab nichts gegen Kälte“, sprach Nick und dachte dabei an aufblühende 'Rosen'. Dann fügte er hinzu: „Schnee schmeckt gut.“ Was ihn an seinen Hunger erinnerte. Und wiederum seinen Magen knurren ließ. „Sorry, das macht er manchmal.“ Überrascht schaute die Frau ihn an. „Hunger? Warte, ich hab was. Ist nicht viel, aber immerhin etwas.“ Sie setzte den Rucksack, den sie bei sich trug, auf ihrem Schoß ab und holte daraus einen Müsliriegel hervor, den sie Nick lächelnd reichte. „Bitteschön! Oh, wo sind überhaupt meine Manieren? Ich bin Melinda.“ „Und ich gerettet“, strahlte Nick über beide Backen und nahm das Geschenk wie einen kostbaren Schatz an. Ehe er gierig das Papier abriss und den Riegel in einem Bissen hinunter schlang. „Aber geboren wurde ich als Nick. Kannst mich aber auch Gott nennen, hehe.“ Anstatt sich jedoch über seinen schrägen Humor aufzuregen, kicherte Melinda. „Du erinnerst mich an meinen Bruder. Er ist auch so'ne Marke.“ Plötzlich stöhnte sie traurig auf. „Ich frage mich, wo er jetzt stecken mag.“   Kurz war es zwischen ihnen still. „Im Knast?“ Wieder lachte Melinda auf Nicks Kommentar hin auf. „Nie im Leben, Benny würde nie ein Verbrechen begehen.“ Plötzlich gewann ihre Stimme etwas Zögerliches. „Aber sag, hast du ihn zufällig gesehen? Warte, ich habe ein Bild.“ Jenes kramte sie ebenfalls aus ihrem Rucksack hervor und gab es Nick. „Zugegeben, es ist etwas alt, aber er hat sich nicht sehr verändert.“ Nick nahm das Polaroid entgegen. Es zeigte einen jungen Mann zusammen mit Melinda, wie sie in einer nächtlichen Stadtkulisse Sombrerohüte trugen und mit roten Gesichtern in die Kamera grinsten. Melindas Haar war kürzer als jetzt und sie trug eine dezente Brille. Ihren Bruder kannte Nick bereits, auch wenn er auf dem Bild gepflegter wirkte und dazu noch aussah, als stecke er mitten in der Pubertät. „Der sucht nach dir.“ „Huh? Du meinst … er?“ Sie zeigte auf Benny. Nick nickte. „Benny … sucht nach mir?“ „Nein, er hieß Henny. Oder Kenny. Nein, warte, ich hab's gleich … Penner!“ Melinda blinzelte verdutzt. „Henry? Das ist sein zweiter Vorname.“ Vehement schüttelte Nick besserwisserisch den Kopf. „Nein, es war definitiv Penner! Anya hat gesagt, dass sie nichts von Pennern kauft.“ Die Erwachsene jedoch war bereits aufgekratzt aufgesprungen, wobei ihr Rucksack auf den Boden fiel. „Wo hast du ihn gesehen? Und wann!?“ „Uhh … weiß ich nicht mehr …“ „Bist du dir sicher, dass er es war?“, fragte sie aufgeregt und fasste Nick an den Schultern. „Wenn ja, muss ich sofort verschwinden! Er wird- Urgh!“ Sie fasste sich stöhnend an die Stirn und ging in die Knie. Ohne aufzusehen, fragte sie plötzlich kühl. „Anya Bauer war bei dir, sagtest du?“ „Jup.“ Mit geweiteten Augen schreckte sie hoch und taumelte von Nick zurück, sich immer noch den Kopf haltend. „Renn' weg!“ „Keine Lust. Lass uns lieber verstecken spielen.“ „Wieso?“ Sie ließ den Arm sinken. „Wenn ich dich doch sofort töten kann?“ Sie beugte sich stöhnend vor, als hätte sie Magenschmerzen. „Urgh! Nick, renn' weg! Er wird jeden Moment-“ Nick aber erkannte gar nicht, was mit Melinda vor sich ging. „Töten ist doof. Dann wäre ich ja tot.“ „Das ist kein Spiel“, schrie sie ihn an, „er ist in mir! Er will dich umbringen, weil du Anya Bauers Freund bist! Ich kenne weder dich noch sie, aber ihr beide seid in Gefahr! Ich kann nicht län- AH!“ Anstatt aber ihrer dringlichen Aufforderungen nachzukommen, trat Nick näher an sie heran und nahm sie in den Arm. „Alles wird gut, ich bin ja da.“   Ein Faustschlag in den Magen verriet ihm jedoch schnell, dass gar nichts gut wurde. Zurück torkelnd und sich dabei den Bauch haltend, erschrak Nick, als er in Melindas emotionsloses Gesicht starrte. „Dieses Mädchen …“, murmelte sie dabei und besah ihre Hände, „was für ein dickköpfiges Kind. Selbst nach unserem Pakt kann sie mich noch unterdrücken. Wohlan, es liegt den ihren eben im Blut.“ Dann sah sie auf. „Und du bist also ein Freund von Anya Bauer?“ „Hehe, ihr -Freund-“, gluckste Nick und zwinkerte mit den Augenbrauen. „Aber warum schlägst du mich?“ Melinda streckte jedoch den Arm aus und schleuderte Nick mit einer unsichtbaren Druckwelle über die Bank hinweg, sodass er rückwärts über diese fiel und direkt auf dem Kopf landete. „Au!“ Nick sprang auf und rieb sich die schmerzende Stelle. „Du bist ein Geist, oder?“ „Nein. Mein Name lautet Isfanel. Als Freund von Anya Bauer hast du ihn gewiss schon gehört, vermute ich.“ „Du bist … Marc?“ „Mein letztes Gefäß trug diesen Namen. Und wäre es nicht dank deiner Freundin, würde er jetzt noch unter den Lebenden weilen.“ Die von Isfanel besessene Melinda trat einen Schritt vor und hob wieder ihre Hand. Nick duckte sich reflexartig – weil er etwas Glitzerndes am Boden entdeckt hatte – und entging so seinem Tod, denn die Rinde eines Baumes direkt hinter ihm platze wie ein Ballon auf. „Oh, nur ein Kronkorken!“, beklagte er sich enttäuscht und schaute von der Lehne der Bank auf. „Wenn du nicht Marc bist, dann … vielleicht eines dieser Dinger?“ „Wovon sprichst du?“ Isfanel ließ die Hand sinken. „Die, die damals beim Eishockeyspiel mitgespielt haben. Alle haben sich gekloppt wegen denen. Oder die, die uns in Victim's Sanctuary angegriffen haben. Das waren dieselben.“ „Meine Person hat nichts mit derartigen Geschehnissen zu tun.“ Die besessene Melinda verengte ihre Augen zu Schlitzen. „Aber das hier ist mein Werk.“   Nick sah auf. Der Park hatte sich nicht weiter verändert, doch es war still geworden. Keine Menschen waren mehr um sie herum – er hatte es gar nicht bemerkt! Und der Himmel hatte eine rosa Farbe angenommen. Wie Zuckerwatte. Mhmm, Zuckerwatte ... „Du kannst nicht entkommen. Also versuche gar nicht erst, dich zu wehren.“ Isfanel trat wieder näher an die Bank heran und hob seine Handfläche. „Mir widerstrebt es, einen Unschuldigen zu vernichten, aber du stellst eine potentielle Gefahr dar. Zudem wird dein Tod der erste Schritt sein, um Anya Bauer in den ihren zu schicken.“ Plötzlich sprang Nick auf und sah Isfanel direkt in die Augen. „Sag das nochmal!“ „Was?“ „Was?“ „Ich-“ „Ich auch!“ „Stirb!“ Isfanel schickte eine weitere Welle in Nicks Richtung, der seinerseits ruckartig zur Seite sprang und mitansah, wie die Bank zerfetzt wurde. Stöhnend zuckte Isfanel anschließend zusammen, als hätte sich ein ziehendes Gefühl in ihm breit gemacht. Anschließend blinzelte er überrascht, als sein Gegenüber grinste. „Warum lachst du?“ „Nix! Oder doch? Weiß nicht. Meine Eltern sagen immer, ich wäre besonders.“ „Eine Barriere … in deinem Verstand. Wer hat sie erschaffen?“ Die besessene, junge Frau schüttelte den Kopf. „Es spielt keine Rolle. Dieser Ort wird dein Grab sein.“ „Duell!“ Nick hatte seine Duel Disk gezückt und grinste. „Genau wie in den Filmen! Das wollt ich immer schon mal tun, hehe.“ „Ich habe keine Absicht-“ Doch ehe sich Isfanel versehen konnte, lag Nick ihm zu Füßen und zerrte an Melindas Hose. „Ach komm schon, bitte! Ich will auch ein Holyfoot-Star sein! Nur ein Duell! Ich tu auch alles was du willst.“ Er grinste verschlagen. „Wirklich alles!“ „Was ist mit dir-!?“ „Feigling!“ Nick sprang auf, schritt zurück und zeigte mit dem Finger auf ihn. „Der Nickinator erkennt sofort, wenn seine Feinde sich fürchten! Und kein Wunder, er ist schließlich der beste Duellant auf dem Planeten!“   Isfanel verstand nicht, wie dieser Menschling ihm so furchtlos gegenüber treten konnte. Es mochte an seiner mangelnden Intelligenz liegen, doch etwas an ihm riet Isfanel zur Vorsicht. Zwar schien er über keine unnatürlichen Kräfte zu verfügen, aber als Freund von Anya Bauer sollte er nicht unterschätzt werden. Zumal er recht flink zu sein schien. Und Isfanel rief sich in Erinnerung, dass er mit seinen Kräften sparsam umgehen musste. Allein der Bannkreis kostete viel Kraft. Wenn er noch mehr davon freisetzte, um diesen Nick zu vernichten, gelang es seinem Gefäß am Ende noch, die Kontrolle zurückzugewinnen. Etwas, dass er sich nach all der Arbeit nicht leisten konnte. Allein sie in einen Pakt zu zwingen hatte ihn an den Rand der Zerstörung gebracht, nachdem er sich von Anya Bauers Angriff nur sehr langsam erholt hatte. Vielleicht wäre es das Beste, auf seinen Vorschlag einzugehen? In einem Duell verbrauchte er weniger Kraft. Und sein Gegner stellte in dem Fall ein leichtes Ziel dar. Doch was, wenn es eine Falle war? Nein, es gab keine Anzeichen dafür. Er besaß keine besonderen Kräfte, das stand fest. Auch wenn etwas an seinem Elysion anders war, als bei gewöhnlichen Menschen … „Du willst unbedingt ein Duell?“, fragte Isfanel schließlich steif. „Wie du willst. Ein Feigling bin ich nicht. Doch wisse, dass es nichts an deinem Schicksal ändern wird!“ „Filmstar zu werden? Cool!“ Nick grinste breit.   Kurz darauf standen sie sich mitten auf dem Kiesweg gegenüber, mit erhobenen Duel Disks. „Es hat lange gedauert, zurückzubekommen, was mir gehört“, sprach Isfanel und schob sein Deck in den Apparat an seinen Arm. „Nun wird sich zeigen, ob mein damaliger Paktpartner bei der Wahl seines Symbols richtig entschieden hat oder nicht.“ „Ich versteh nur Bahnhof“, gluckste Nick, „aber das bin ich gewohnt! Zück schon mal Zettel und Stift, denn wenn der Nickinator mit dir fertig ist, wirst du sie brauchen, um-“ Der hochgewachsene Kerl kratzte sich am Kopf. Er hatte glatt vergessen, was er sagen wollte. Leise murmelte er zu sich selbst: „Merke! Nächstes Mal Onkel Google mitbringen für coole Sprüche.“ „Willst du noch länger warten, oder soll ich dich doch auf der Stelle vernichten?“ „Okay, bin schon bereit!“, strahlte Nick und schob sein Deck ebenfalls in die Duel Disk. „Duell!“   [Nick: 4000LP / Melinda: 4000LP]   „Ist es ein Vogel? Ist es ein Flugzeug? Nein!“, rief Nick, zog nach seinem Startblatt noch eine Karte und ließ sie ungeschickt auf den Boden fallen. „Es ist die Schwerkraft!“ „Was machst du da?“ Isfanel rührte sich keinen Millimeter und beobachtete seinen Gegner verwirrt dabei, wie er seine Karte wieder aufhob. „Weiß nicht“, machte sich Nick nichts aus der Verwirrung seines Gegners, schloss die Augen und legte die erstbeste Karte, die er greifen konnte, auf die Duel Disk. „Und heute in Nicks Wundertüte …“ Er sah nun auf den Apparat an seinem Arm und das Monster darauf. „Oh, es ist [Wind-Up Soldier]!“ Aus dem Boden schoss ein etwa ein Meter großer, grüner Spielzeugsoldat, dessen Kopf die Form eines Magneten hatte. Er ließ einmal seine Zangenhände um 360° drehen, ehe er in Kampfposition ging.   Wind-Up Soldier [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   „Die und die und die!“ Drei verdeckte Karten machten sich vor Nick breit. „Und nicht vergessen: der Nickinator kennt all deine Schwachstellen! Zug beendet!“ Isfanel schürzte seinerseits die Lippen. „Du wirst es bereuen, diesen Vorschlag gemacht zu haben. Womöglich denkst du von mir, dass ich ein grausames, nach Blut dürstendes Wesen bin …“ „Bist du nicht!?“, fragte Nick voller Empörung. „Nein. Doch solange meine Existenz in Gefahr ist, kann ich deine Freundin Anya Bauer nicht ignorieren. Sie darf nicht zu Eden werden!“ „Find' ich auch!“ Nick verschränkte mit fest entschlossener Mimik die Arme. „Nicht, solange sie mir nicht die 10 Dollar wiedergegeben hat, die sie mir geliehen hat!“ Den Kopf schüttelnd, gab Isfanel es auf, an den Verstand seines Gegners zu appellieren. Allein aufgrund seiner mangelnden Intelligenz war er nicht imstande, die Situation zu begreifen, in der Isfanel sich befand. Jener selbst war sich derer nicht so sicher, wie er es sein musste. Denn auch wenn Eden eine Gefahr für ihn war, wusste er so verdammt wenig darüber.   Doch das spielte jetzt keine Rolle. Dieser Bursche war sein Feind, wenn auch nur durch eine unglückliche Fügung des Schicksals. Und wenn er seinen Plan umsetzen wollte, musste er sein Blut vergießen. Und das vieler anderer Menschen, die in Kontakt mit Anya Bauer standen. „... denn sie sind ihre Schwachstelle …“, murmelte er leise und zog seine sechste Handkarte. Er würde jeden vernichten, der Anya Bauer irgendetwas bedeutete. In der Hoffnung, sie damit in den Wahnsinn zu treiben, damit sie sich selbst richtete. Dann konnte selbst der Gründer ihr nicht helfen. „Schnellzauberkarte“, rief er schließlich, „[Emergency Teleport]! Damit kann ich von meinem Deck ein Psi-Monster der Stufe 3 oder weniger beschwören, wobei es jedoch am Ende des Zuges wieder verbannt wird! Und nun erscheine, [Winda, Priestess Of Gusto]!“ Eine Säule aus blauem Licht entstand vor Isfanel. In ihr setzte sich aus kleinen, viereckigen Partikeln ein grünhaariges Mädchen zusammen, das über ihr weißes Kleid einen braunen Mantel trug und auf dem ein grüner Vogel saß. Stolz schwang sie ihren Zauberstab, in dessen Kopf ein länglicher Smaragd eingesetzt war.   Winda, Priestess Of Gusto [ATK/1000 DEF/400 (2)]   „Nun zu meiner normalen Beschwörung“, setzte Isfanel den Zug ohne Umschweife fort, „ich schicke [Gusto Gulldo] in den Kampf!“ Der Vogel auf ihrer Schulter flog in die Höhe, wuchs und trug nun plötzlich einen grünen Helm sowie ein Reitgeschirr um seinen Körper.   Gusto Gulldo [ATK/500 DEF/500 (3)]   Mit einem Schlag schwang die willenlose Melinda ihren Arm aus, während sie rief. „Nun stimme ich das Empfängermonster [Gusto Gulldo] der Stufe 3 auf [Winda, Priestess Of Gusto] der Stufe 2 ein! The feather of hope is blown away by divine winds! A storm embraces the lost valley! Synchro Summon! Reverberate, [Daigusto Gulldos]!“ Der Vogel flog in hohem Tempo an Winda vorbei und wuchs dabei weiter, als sie auf seinen Rücken sprang. Zusammen schossen sie hoch in die Luft, waren nicht mehr zu sehen, bis sie wie eine eisige Böe einmal um das Spielfeld fegten und schließlich vor Isfanel Halt machten. Nun war Gulldos endgültig erwachsen und trug eine stachelige Rüstung, während seine mächtigen Schwingen ihn und Winda über der Erde hielten. „Cool, so eine Synchrobeschwörung hab ich noch nie gesehen. Da waren ja gar keine Ringe und Blitze und so“, plapperte Nick begeistert. „So was will ich auch!“   Daigusto Gulldos [ATK/2200 DEF/800 (5)]   „Du begreifst nicht, wie gefährlich diese Kreatur ist. Deswegen lass mich dir eine Kostprobe ihrer Macht geben! Indem ich zwei Gusto-Monster von meinem Ablagestapel ins Deck zurückschicke, vernichtet Gulldos eines deiner offen liegenden Monster!“ Und kaum hatte Isfanel [Winda, Priestess Of Gusto] und [Gusto Gulldo] von seinem Friedhof aufgenommen, schickte sein Riesenvogel durch nur einen Flügelschlag einen Wirbelsturm in Richtung [Wind-Up Soldier], der stöhnend durch die Luft geschleudert wurde. Als er meterweit entfernt auf dem Boden aufprallte, zersprang er in tausend Stücke. „Ohhh“, jammerte Nick ihm mit ausgestreckter Hand und Tränen in den Augen hinterher. Schließlich blinzelte er. „Irgendwas hab ich vergessen … ahja, verdeckte Zauberfalle! [My Body As A Shield]! Für 1500 Lebenspunkte passiert jetzt irgendwas!“ Die mittlere seiner gesetzten Karten sprang auf, gab sich durch den grünen Rand als Zauberkarte zu erkennen, klappte dann aber wieder zu. „Du hast den Zeitpunkt ihrer Aktivierung verpasst“, sprach Isfanel ungerührt, „wenn du so weiter machst, wird deine Dilettantismus dein Grab sein.“ Nick grinste breit. „Sooorrryyy!“ „Zauberkarte [One For One]!“ Die braunhaarige Frau hielt die Karte in die Höhe. „Durch den Abwurf eines Monsters von meiner Hand wird ein ebensolches von meinem Deck beschworen. Einzige Einschränkung ist, dass seine Stufe 1 betragen muss. Also erscheine, [Gusto Egul]!“ Ein wesentlich kleinerer, dunkelgrüner Vogel umkreiste plötzlich seinen älteren Bruder. Aber auch das junge Tier war gut gepanzert und trug einen Helm, dessen Kamm messerscharf erschien.   Gusto Egul [ATK/200 DEF/400 (1)]   Doch Isfanel hielt bereits eine weitere Karte in der Hand. Es war die, die er für die Aktivierung seiner Zauberkarte ursprünglich abgeworfen hatte. „Der Effekt von [Gusto Griffin] aktiviert sich nun! Wenn er von meiner Hand abgeworfen wird, ruft er ein Gusto-Monster von meinem Deck aufs Spielfeld. Und dieses Mal gibt es keine Stufenbeschränkung! Höre meine Stimme, [Windaar, Sage Of Gusto]!“ Ein weißer Wirbelsturm schoss aus dem Boden und ließ einen grünhaarigen Mann daraus springen, der einen klingenbesetzten Metallstab schwang. Gekleidet war er wie ein Wanderer, doch hatte er einen stillen Zauberspruch auf den Lippen.   Windaar, Sage Of Gusto [ATK/2000 DEF/1000 (6)]   Der kleine Vogel schwirrte nun um den Priester herum, wuchs und als Egul groß genug war, sprang Windaar auf dessen Rücken. „Silence lies within the wisper of the winds! A word of power is spoken! Synchro Summon! Arise, [Daigusto Eguls]!“ Das Reittier des Wanderers war nun genauso imposant und mächtig gepanzert wie sein Artgenosse, welcher von Winda kontrolliert wurde. Nick staunte Bauklötze über die Tatsache, dass Isfanel mühelos zwei starke Synchromonster in wenigen Schritten beschworen hatte.   Daigusto Eguls [ATK/2600 DEF/1800 (7)]   Im Angesicht der beiden Riesenvögel verging Nick das Grinsen. „Oh oh, das sieht aus, als ob es gleich weh tun wird …“ „Ich werde es schnell beenden. Meine Monster, doppelter Angriff auf die Lebenspunkte meines Gegners! Löscht ihn aus! Twin Cyclones!“ Beide Kreaturen stiegen mit ihren Reitern auf und erzeugten zusammen zwei Wirbelstürme, die immer wieder ineinander übergingen und unbändig auf Nick zu rasten. Jener geriet in Panik. „Was mach ich jetzt? Die?“ Er drückte wahllos auf einen Knopf seiner Duel Disk, wodurch wieder [My Body As A Shield] aufsprang, nur um wieder nach unten zu fallen. „Dann die?“ Wieder klappte eine von Nicks gesetzten Karten auf. Dieses Mal war es eine Falle, wie man an dem purpurnen Rand erkennen konnte. Auf ihr abgebildet war ein Richter, der aus einem Sumpf entstieg und einen Duellanten vor die Wahl zwischen einer goldenen und einer Eisenaxt stellte. Der Zwillingswirbelsturm prallte an der Karte ab und verharrte fortan auf der Stelle. „[Half Or Nothing]“, raunte Isfanel mit seiner weiblichen Stimme verärgert. „Diese Karte zwingt mich, entweder die Angriffskraft meiner Monster bis zum Ende des Zuges zu halbieren oder gar ganz auf die Battle Phase zu verzichten.“ „Äh, ja, genau das!“ „Da es keine Monster auf deiner Seite des Spielfeldes gibt, sehe ich keinen Grund, den Angriff abzubrechen! Also los!“   Daigusto Gulldos [ATK/2200 → 1100 DEF/800 (5)] Daigusto Eguls [ATK/2600 → 1300 DEF/1800 (7)]   Nicks Falle wurde unter dem Getöse der Zyklone zerfetzt. Ihr Besitzer wurde schlussendlich von ebenjenen erfasst und wie ein Stück Papier durch die Luft geschleudert. Schreiend landete er schließlich in einem Busch in der Nähe des Kiesweges, auf dem die beiden sich duellierten. Mit zuckendem Bein jammerte er: „Kann mich bitte jemand hier herausholen? Hier ist es dunkel und ich hab Angst. Und hab ich erwähnt, dass das gerade sehr weh getan hat? Aua!“   [Nick: 4000LP → 1600LP / Melinda: 4000LP]   „Ich setze zwei Karten“, ließ Isfanel sich davon nicht beirren und schob seine letzten beiden Handkarten in die dazugehörigen Slots seiner Duel Disk. „Zug beendet. Damit erlangen meine Monster ihre ursprüngliche Stärke wieder. Und zusätzlich aktiviert sich nun der Effekt von [Daigusto Eguls]!“ Für einen kurzen Augenblick leuchteten die Augen des größeren der beiden Vögel rot auf. „Indem ich ein Gusto-Monster von meinem Friedhof verbanne, zerstöre ich eine gesetzte Karte meines Gegners.“ Isfanel steckte [Windaar, Sage Of Gusto] in die hintere Hosentasche von Melindas zerschlissener Jeans. „Meine Wahl fällt auf [My Body As A Shield], damit du mein weiteres Vorgehen nicht behindern kannst.“ Wieder leuchteten Eguls' Augen rot auf und dieses Mal explodierte Nicks Karte.   Daigusto Gulldos [ATK/1100 → 2200 DEF/800 (5)] Daigusto Eguls [ATK/1300 → 2600 DEF/1800 (7)]   Dieser kam schließlich auf allen Vieren angekrabbelt, gezeichnet von etlichen Schnitten im Gesicht und an seinem beigen T-Shirt. „Aua …“ „Wenn das alles ist, was du an Schmerzen erdulden kannst, geht von dir wahrlich keine Gefahr aus.“ Isfanel sah mit hochnäsiger Mimik auf Nick herab. „Jemand wie du kann niemanden beschützen. Anya Bauer wird sterben, dafür sorge ich. Das ist meine Bestimmung!“ Nick richtete sich langsam auf. „Verstehe … eine Bestimmung also? Willst du auch wissen, was meine ist?“ Überrascht von diesem merkwürdigen Tonfall, musterte Isfanel den jungen Mann interessiert. „Etwas an dir hat sich soeben verändert.“ „Nein“, antwortete Nick kühl und putzte sich beiläufig etwas Dreck von der Kleidung, „nichts hat sich verändert. Alles ist, wie es immer war. Damit das auch so bleibt, muss ich jetzt leider Ernst machen. Meine Freundin leidet auch ohne dich schon genug.“ „Was soll das bedeuten?“ Plötzlich blickte Nick mit einer Ernsthaftigkeit in seinen Augen auf, die man so noch nie bei ihm erlebt hatte. „Es bedeutet, dass ich keine Rücksicht mehr auf Melinda nehmen kann. Vielleicht bin ich gar nicht so nutzlos, wie alle immer denken? Bevor du Anya auch nur ein Haar krümmst, musst du erst an mir vorbei! Das ist -meine- Bestimmung!“   ~-~-~   „Unmöglich!“ Matt war sprachlos, konnte nicht glauben, was er da sah. Der violette Nebel um Alastair hatte sich durch den Schwung von Roach Styx' Schwert verzogen und war unverhofft an einem dreieckigen, weiß glühenden Energieschild abgeprallt, den drei kleine, kugelförmige Apparate an den Ecken erzeugten. Jenes Kraftfeld schützte Alastairs Linke und stellte ein unüberwindbares Hindernis für die Klinge dar. „Wie-!“ Der junge Schwarzhaarige realisierte erst jetzt, was ihm bereits viel früher hätte auffallen müssen. Alastairs gesetzte Karte war fort. Jener erklärte ruhig: „Ich habe sie bereits aktiviert, als du versucht hast, meine Effektaktivierungen zu unterbinden. Es handelt sich hierbei um [Delta Shield], eine Falle, die umso effektiver wird, je höher die Stufe des Monsters war, welches ich für ihre Aktivierung als Ziel ausgewählt habe. So reicht schon ein Stufenstern aus, um in diesem Zug einmalig Kampfschaden zu annullieren, wie ich es hier getan hab.“ Er deutete auf die dreieckige Barriere. „Da [Vylon Sigmas] Level aber auch über 4 lag, konnte ich zudem eine Karte ziehen und wäre imstande gewesen, mein Monster vor feindlichen Angriffen zu schützen. Wenn meine Kreatur sogar der Stufe 8 angehört hätte, wäre sie zusätzlich noch immun gegen sämtliche Karteneffekte gewesen, wodurch die deine nicht imstande gewesen wäre, Sigma zu verbannen. Doch du hattest Glück.“ Mit seiner neu gezogenen Handkarte verharrte Alastair anschließend nachdenklich, schien gar in jenen Gedanken verloren zu sein. Matt fand jedoch seine Sprache wieder. „Verdammt! Du bist mindestens genauso hartnäckig wie ich!“ „Zumindest etwas, das wir gemeinsam haben …“   Ich gebe es auf. Entweder bist du einfach nur unfähig, oder dieser Typ hat seit meiner letzten Begegnung mit ihm ordentlich dazugelernt. Langsam bereue ich es, dich als Paktpartner gewählt zu haben.   Daraufhin zischte Matt verärgert. Innerlich war er jedoch auch erleichtert, denn zumindest lebte Alastair noch. Blieb bloß die Frage, ob er selbst dessen nächsten Zug noch überstehen würde. „Ich setze eine Karte“, meinte er schließlich gefasst. Wie er Alastair kannte, würde der nächste Runde von Refiels Fähigkeit Gebrauch machen und das Schicksal beeinflussen. Alles im Sinne eines finalen Offensivschlags. Hoffen wir mal, dass mir meine Falle den Arsch retten wird, dachte er und beendete seinen Zug schließlich mit einer Handkarte. „Du bist.“   Und kaum hatte Alastair seine Hand auf sein Deck gelegt, begann sie weiß zu leuchten, was binnen Sekundenbruchteilen auf die Karten überging. „Ich hab geahnt, dass er das tun wird“, brummte Matt frustriert. „Das wird übel.“   Hoffentlich tötet er dich. Hätte ich einen eigenen Körper, würde ich angesichts dieser Farce im Boden versinken vor Scham …   Was bei Matt allerdings nicht gut ankam. „Bist du auch mal still!?“ „Das ist der letzte Zug!“, rief Alastair ihm zu. „Ich werde das ein für allemal beenden! Draw!“ Ein gleißendes Strahlen ging von ihm aus, als er schwungvoll zog. Im Kontrast dazu stand der aus schwarzem Marmor bestehende Spielplan, der wie das sprichwörtliche Auge des Sturms aus dem Licht herausstach. Alastair sah seine neue Handkarte an und nickte. Refiel hatte ihm wieder den Weg gewiesen. Matt mit einem traurigen Blick musternd, schloss er die Augen. Um dessen Misstrauen gegenüber Refiel wusste er, es war kein Geheimnis. Und es ehrte Alastair auch, dass sein Freund sich um ihn sorgte. Aber er war keine Marionette des Himmels. Refiel hatte nie Befehle gegeben, sondern ihn immer vor die Wahl gestellt. Vor die Wahl gestellt, das Richtige zu tun. Und jetzt war das Richtige, Matt von seiner Qual zu erlösen. Im Moment mochte dieser glauben, dass dieser Dämon ihn nicht verraten wird. Aber er hat ihm ohne Zweifel einen Pakt aufgezwungen und es war offensichtlich, dass dieses Miststück etwas plante. Dem musste er einen Strich durch die Rechnung machen, auch Matt würde das so wollen, wenn er nur die nötige Weitsicht besäße! „Ich beschwöre [Vylon Pentachloro]!“, tönte Alastair erhaben und fühlte sich in seinem Vorhaben dadurch bestärkt. Vor ihm formte sich ein metallisches Wesen langsam zu einer Gestalt. Erst war da der fünfeckige Körper aus dunklem Stahl, dann die zwei Arme und letztlich ein goldener, radähnlicher Kopf.   Vylon Pentachloro [ATK/500 DEF/400 (4)]   Matt schluckte. Was würde jetzt folgen? Ein Empfängermonster für eine weitere Synchrobeschwörung? Oder gar etwas ganz anderes-!? „Mögen die Schuldgefühle mich zurück zu dir führen“, sprach Alastair leise und schob eine Zauberkarte in den dazugehörigen Slot seiner Duel Disk. „[Machine Duplication]! Damit verdreifache ich ein Maschinenmonster mit einer maximalen Offensivstärke von 500!“ Erschrocken beobachtete sein Gegner, wie zwei durchsichtige Kopien links und rechts aus [Vylon Pentachloro] schossen, ehe sie eine feste Gestalt annahmen.   Vylon Pentachloro x3 [ATK/500 DEF/400 (4)]   „Nein! Das ist-!“ Alastair streckte mit entschlossener Mimik den Arm aus. „Werde Zeuge der Macht Gottes! Ich erschaffe das Overlay Network!“ Seine drei Monster wurden zu gelblichen Lichtern, die in den schwarzen Wirbel gezogen wurden, welcher sich in der Mitte des Spielfeldes aufmachte. „Erscheine, [Vylon Disigma]!“ „Ein Xyz-Monster!? Aber woher-“ Aus den Tiefen der Finsternis entstieg eine gar groteske Gestalt. Sie wirkte ganz anders als die anderen Vylon-Monster. Dunkel und bösartig war die Grimasse des Wesens, dessen überdimensional großer Kopf auf zwei miteinander verbundenen, quadratischen Plattformen lag. Aus den langen Armen, die aus Disigmas Kopf ragten, schossen etliche schwarze Klingen. Während die drei Xyz-Materialien als weiße Sphären um es kreisten und dabei das Gold an seinem Körper zum Glänzen brachten, verschlug es Matt beinahe die Sprache.   Vylon Disigma [ATK/2500 DEF/2100 {4}] „Was … ist das?“ Er hatte diese Kreatur noch nie in Alastairs Deck gesehen. „Das Geschenk des Engels Refiel“, antwortete dieser, „seine Macht übersteigt die eines jeden Dämons! Siehe den Grund für sein abscheuliches Äußeres! Absorbiere das Böse dieser Welt, absorbiere [Steelswarm Vanguard – Roach Styx]!“ Der Mund der abstrusen Engelsmaschine öffnete sich, als sie damit begann, den riesigen Kakerlakenritter einzusaugen. Dieser schrumpfte dabei immer mehr und kaum war er verschwunden, verfärbte sich eine der um Disigma kreisenden Sphären violett. Matt sah fassungslos auf seinen Spielplan. Hätte Alastair angegriffen, wäre er ihm mit seiner Falle [Rising Energy] zuvor gekommen. Doch ohne sein Monster ging das nicht. Es war … vorbei.   Gratulation! Du hast nach allen Regeln der Kunst versagt! Kann ich jetzt gehen?   „Halt den Rand“, murmelte Matt nur schwach. „Weil es das Böse in sich aufgenommen hat, um es zu reinigen“, erklärte Alastair plötzlich und deutete auf seine Kreatur, „ist es selbst zu einer finsteren Silhouette verkommen. Nun mag es dem Unwissenden selbst wie ein Dämon erscheinen … aber seine Intentionen sind nach wie vor rein.“ Matt musste auflachen. Er sah seinen Freund tief in die Augen, denn er erkannte die Parallelen zwischen dem entstellten Alastair und seinem Monster. „Du vergleichst dich damit? Dass ich nicht lache! Es ist eine Karte! Die hat keinen freien Willen! Und kein Gewissen! Sie tut nur das, wozu sie erschaffen, beziehungsweise missbraucht wird! Aber du! Du glaubst, du kannst dich vor der Verantwortung drücken, indem du blind irgendwelchen Überzeugungen folgst!“ Alastair streckte seine Hand aus. „Matt-“ „Und selbst wenn es wirklich besser für alle ist, wenn ich hier und jetzt sterbe, hast du als Mensch trotzdem versagt! Als Freund!“ Der Schwarzhaarige ließ bedrückt den Kopf hängen. „Tu was du willst. Ich glaube, ich habe jetzt erkannt, dass ich gegen den Engel an deiner Seite keine Chance habe.“ Alastair schüttelte vehement den Kopf. „Du irrst dich, Matt! Ich will-“ Es ist genug, Alastair. Lass ihn leben.   „Refiel!“, schoss es aus dem Dämonjäger überrascht. Matt schreckte ebenfalls auf, denn auch er hatte die sanfte, warme Stimme vernommen. Er sah sich um, doch nirgendwo war ein Zeichen des Engels, es loderten nur die schwarzen Flammen, während Anya nach wie vor bewusstlos auf der anderen Seite im Garten der Familie Bauer lag. „Wieso mischt der sich jetzt ein!?“, platzte es aus Matt heraus.   Dieser Kampf ist sinnlos. Du, Matt Summers, hast eine große Sünde auf dich geladen. Doch nicht heute soll der Tag sein, an dem der Herr über dich urteilt. Aber du, Alastair, hättest es besser wissen müssen.   „Was!?“   Dein Freund hat sich und sein Seelenheil für dich geopfert. Was er nicht hätte tun müssen, wenn du ihm mit Gnade begegnet wärst. Gottes Regeln zu befolgen heißt nicht, sie für den eigenen Wahn zu missbrauchen. Ein Wissen, das dieser Junge dir voraus hat.   „Refiel, ich-“ Nein, Alastair. Der Schmerz um den Verlust der geliebten Familie darf uns nicht blind für diejenigen machen, die noch auf Erden weilen. Deine Aufgabe, die schändlichen Dämonen von Gottes Werk zu vertreiben, bis der versprochene Tag gekommen ist, ist löblich. Doch heute bist du zu weit gegangen. Lass mich dich deshalb auf den richtigen Pfad zurückführen.   Alastair fiel gebannt und gleichwohl erschrocken von den Worten des Engels auf die Knie. Eine einzelne, goldene Feder fiel vor seine Füße. Er las sie auf und betrachtete sie, wie sie sich in seinen Fingern auflöste. „Was … soll ich tun … ?“   Frage deinen Freund. Er hat die Antwort gefunden. Und diese Antwort ist der einzige Weg, seine und die Seelen aller anderen Opfer dieses verachtungswürdigen Spiels zu retten. Höre auf ihn, denn es sind die Worte der Weisheit …   Matt spürte instinktiv, dass der Engel damit fort war. Die Wärme, die er mit sich gebracht hatte, ebenso. Schließlich rieb er sich den Hinterkopf. „Man, der scheint sich ja gerne reden zu hören.“ „Was soll ich tun?“, fragte Alastair da plötzlich und sah fragend zu Matt auf. „Hat er … recht?“ Sein Freund zuckte mit den Schultern. „Woher soll ich das wissen? Glaub jedoch nicht, dass ich ihm vertraue. Wenn er aber schon auf meiner Seite steht, will ich mich mal nicht so anstellen …“ Plötzlich streckte er lächelnd die Hand nach Alastair aus, als wolle er nach ihm greifen, auch wenn sein Gegner mehrere Meter entfernt auf den Knien lag. „Lass uns dieses Chaos gemeinsam bekämpfen! Und alle retten! Dich, mich, Anya … alle! Wir werden das schaffen! Wir müssen!“   Und da sagst du, der Engel redet viel? Diese menschliche Theatralik ist hundertmal schlimmer …   „Halt endlich die Klappe, Dämon!“, zischte Matt zwischen den Zähnen. Alastair jedoch hatte seine Entscheidung längst getroffen. Er streckte die Hand ebenfalls aus, auch wenn Matt so weit von ihm entfernt war. „Dann erfahre jetzt meine Antwort. [Vylon Disigma], direkter Angriff! Sacred Black Obliteration!“ Es traf seinen Gegner völlig unvorbereitet. „Was!?“ Die grauenhafte Kreatur von Alastair erzeugte zwischen den Händen seiner enorm langen Armen eine schwarze Energiesphäre, aus der es kurz darauf einen Speer formte. Es spielte sich für Matt alles in Zeitlupe ab, als das Monster seine Waffe griff und wie befohlen in seine Richtung warf. Dann folgten eine finstere Explosion und ein schmerzerfüllter Schrei. Rauch verdunkelte das Spielfeld.   [Alastair: 1100LP / Matt: 100LP → 0LP]   Und als dieser sich verzog, lag Matt regungslos am Boden, die Augen fest geschlossen. „Ich hoffe, das ist dir Antwort genug“, sprach Alastair kühl und trat schließlich an seinen Freund heran. „Es war die einzig mögliche.“ Die schwarzen Flammen lösten sich in Luft auf. Was blieb war die unnatürliche Nacht, die Matts Bannkreis über den eingesperrten Teil Livingtons gebracht hatte, denn dieser hatte sich noch nicht aufgelöst. „Wie langweilig!“, raunte plötzlich eine penetrant genervte Stimme. „An deiner Stelle hätte ich ihn umgenietet, Narbengesicht!“   Matt schreckte auf und betrachtete im Sitzen seine Hände. „Ich lebe?“ „Leider“, posaunte Anya enttäuscht und schritt von dem kleinen Gartenweg der Familie Bauer auf den Dämonenjäger zu. Dabei rieb sie sich ein Auge. „Man, ich hab wohl echt das Beste verpasst, huh?“ „Kein Blutzoll? Dann ist Refiel wirklich … ein Engel“, murmelte Matt jedoch leise und beachtete Anya gar nicht. Denn wäre Alastairs Partner ein Dämon, hätte das Duell nur mit seinem Tode enden können. „Sieht so aus, als ob wir Gesprächsbedarf haben“, brummte Alastair und taxierte Anya mit einem giftigen Blick. „Nur weil ich sein Leben verschont habe, bedeutet das noch lange nicht, dass ich mit dem Dämonenpack gemeinsame Sache mache!“ Schließlich erhob sich Matt und gesellte sich neben Anya, welche patzig erwiderte: „Als ob ich mit dir zusammenarbeite!“ „Danke, Alastair.“ Matt lächelte. „Danke, dass du mir genug vertraust, um einen Weg einzuschlagen, der nicht meinen und Anyas Tod durch deine Hand nach sich zieht.“ „Hmpf! Ob das so sein wird, hängt ganz von dir ab.“ „Ich weiß!“ Der Schwarzhaarige nickte knapp. Er sah abwechselnd die anderen beiden an, ehe er schließlich mit einem geheimnisvollen Schmunzeln verkündete: „Und ich habe da auch schon eine Idee, die unsere Probleme lösen könnte. Allerdings würde ich vorschlagen, dass wir uns dafür an einen Tisch setzen und alles in Ruhe durchgehen.“ „Mit ihr?“ „Mit ihm!?“ Alastair und Anya funkelten sich voller Abscheu an. Doch unbeirrt von der gegenseitigen Feindseligkeit griff Matt sie beide unter jeweils einem Arm und zerrte sie Richtung Anyas Haus. „Ja, wir drei! Wenn ihr beide nicht so dämlich wärt, müssten wir das hier alles jetzt nicht durchmachen, verdammt!“ Anya gab nur einen resignierenden Zischlaut von sich, während Alastair es gleich vorzog zu schweigen. Was Matt nur in seiner Vorahnung bestätigte, dass ihre Zusammenarbeit alles andere als einfach werden würde. Aber sie saßen alle im selben Boot, es musste sein! Hier ging es nicht mehr um Dämonen oder Engel, sondern ums Überleben!     Turn 20 – Unmasked Die Zusammenarbeit von Matt, Alastair und Anya steht unter keinem guten Stern. Matts Idee spaltet die Lager und schafft statt Einigkeit nur Streit. Auf der anderen Seite stellt sich Nick dem Kampf gegen Isfanel und legt einen erstaunlichen Persönlichkeitswandel hin. Während er Isfanel etwas über seine gemeinsame Vergangenheit mit Anya verrät, gewinnt er durch ein überraschendes Manöver die Oberhand. Schließlich gelingt es ihm, Isfanel eine interessante Information zu entlocken, doch gleichzeitig … Kapitel 20: Turn 20 - Unmasked ------------------------------ Turn 20 – Unmasked     „Nicht länger auf Melinda Rücksicht nehmen?“ Isfanel rümpfte die Nase. „Was kann ein Mensch wie du schon tun?“ „Vielleicht mehr als du denkst“, antwortete Nick selbstsicher. „Bist du dir da so sicher? Selbst wenn ich dich bisher unterschätzt haben sollte, stehst du mit dem Rücken zur Wand.“ Mit einem Kopfnicken deutete die brünette Frau auf Nicks Spielfeldseite. Die war, abgesehen von einer verdeckten Karte, komplett leergeräumt. Im Gegenzug besaß Isfanel mit [Daigusto Gullos] und [Daigusto Eguls] zwei mächtige Vogelkreaturen, sowie gleich zwei gesetzte Karten. Dafür hatte er zumindest keine Karten mehr auf der Hand. Anders als Nick, der immerhin noch über zwei verfügte.   Daigusto Gulldos [ATK/2200 DEF/800 (5)] Daigusto Eguls [ATK/2600 DEF/1800 (7)]   Allerdings verzog Nick beim Anblick der beiden Monster keine Mimik. Eher schaute er sich um, ob es auch wirklich keine Zuschauer gab. Aber nein, er war gefangen in einem Bannkreis, der den Himmel in rosafarbenes Licht tauchte. Da er das Ende seines Gefängnisses nicht erkennen konnte, schätzte er, dass der gesamte Park betroffen war. Und wie er von Abby erfahren hatte, kam man hier nur raus, wenn der Erzeuger es zuließ – oder starb. Letztes war jedoch keine Option für Nick, wenn man betrachtete, dass in dem Fall auch Melindas Leben auf dem Spiel stünde. Doch der junge Mann war sich der Tatsache bewusst, dass er sich viel mehr um sein eigenes Leben sorgen sollte. Besonders wenn man einen Blick auf die Duel Disk warf.   [Nick: 1600LP / Melinda: 4000LP]   Es war sein Zug. Nick zog daher energisch und betrachtete seine neue Karte nachdenklich. „Egal welchen Weg du einschlägst, das Ziel ist immer dasselbe“, sprach Isfanel selbstsicher auf ihn ein. „Selbst wenn du mich besiegst, hast du dadurch nichts gewonnen. Verletzen können mich nur Wesen höherer Macht und du bist nur ein Mensch. Was du tust ist zwecklos.“ „Wenn du meinst“, erwiderte Nick kalt. Plötzlich zückte er eine Karte aus seinem Blatt. „Ich beschwöre [Wind-Up Magician]!“ Kurze Zeit später tauchte vor ihm ein Spielzeugmagier auf, der etwa bis zu Nicks Hüfte ging. Mit seinen Zangenhänden hielt er einen Zauberstab fest.   Wind-Up Magician [ATK/600 DEF/1800 (4)]   Anschließend schwang Nick seinen Arm aus. „Ich aktiviere meine Falle! [Call Of The Haunted]!“ Innerlich zufrieden, dass er Isfanel im letzten Zug von ihr abgelenkt hatte, griff er nach dem Friedhofsschlitz seiner Duel Disk, aus der eine einzelne Karte gefahren kam. „Damit rufe ich den [Wind-Up Soldier] von meinem Friedhof zurück im Angriffsmodus aufs Feld! “ Neben dem Magier gestellte sich nun auch noch ein grüner Kämpfer, dessen Kopfform an einen Magneten erinnerte.   Wind-Up Soldier [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   „Anya und ich kennen uns schon seit dem Kindergarten“, sprach Nick weiter und streckte nun seinen Arm aus. „Effekt von [Wind-Up Soldier] aktivieren. Bis zur End Phase steigen seine Stufe und seine Angriffskraft um eins beziehungsweise 400 an.“ Der kleine Soldat wuchs plötzlich auf Nicks Größe an.   Wind-Up Soldier [ATK/1800 → 2200 DEF/1200 (4 → 5)]   „Damals verhielten sich die Dinge nicht anders als heute. Anya war schon immer sehr temperamentvoll gewesen.“ Nick deutete nun auf seinen Magier. „Jetzt aktiviere ich [Wind-Up Magicians] Effekt, welcher durch [Wind-Up Soldiers] Effektaktivierung ausgelöst wurde, wodurch ich ein Wind-Up-Monster von meinem Deck beschwören kann. Wie alle Effekte dieser Monsterreihe, kann auch er nur einmal aktiviert werden. Erscheine, [Wind-Up Dog]!“ Lautes, elektronisch verzerrtes Gebell ertönte, als der Magier seinen Zauberstab schwang und zwischen ihm und dem Soldaten einen kleinen, blauen Spielzeughund erscheinen ließ, aus dessen Rücken ein Aufziehschlüssel ragte.   Wind-Up Dog [ATK/1200 DEF/900 (3)]   „Sie war immer das Thema der Erzieherinnen gewesen“, führte Nick seine Erklärung bezüglich Anya ruhig fort, griff dabei nach seinem Blatt. „Sie haben ihr Bestes gegeben, sie zu bändigen. Haben mit ihr geredet, wollten ihr helfen, als ihr Vater zusammen mit seinem Sohn, Anyas Bruder, gegangen ist.“ Mit finsterem Blick zückte er eine Zauberkarte. „Aber keiner hat kapiert, dass Anya kein Mitleid brauchte, weil es nichts geändert hätte. Ich war damals selbst ein Kind, habe aber mehr verstanden als so mancher Erwachsener.“ Isfanel verschränkte skeptisch die Arme. „Wieso erzählst du mir das?“ Unbeirrt führte Nick jedoch seine Geschichte fort, wobei er die Zauberkarte in den dazugehörigen Slot seiner Duel Disk einführte. „Anya brauchte jemanden, an dem sie all ihren Frust abladen, dem sie sich aber gleichzeitig anvertrauen konnte. Vorher schon, und nach dem Verlust ihres Bruders und ihres Vaters umso mehr.“ „Und du bist dieser jemand?“ „Exakt“, antwortete Nick ihm kalt, „aber sie hat in all den Jahren nie über sich geredet, nicht einmal. Alles, was ich am Ende tun konnte, war für sie den Trottel zu mimen, um sie zum Lachen zu bringen, bis ich irgendwann nichts anderes mehr getan habe.“ Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, während sein Tonfall deutlich aggressiver wurde. „Aber selbst gelacht hat sie kaum und wenn doch, war es nie die Art von Lache, die ich ihr abgewinnen wollte.“ Einen abwertenden Blick auf Nick werfend, schüttelte Isfanel abweisend den Kopf. „Eine traurige Geschichte. Aber so wenig mich das angeht, so wenig interessiert es mich auch. Ich bin nicht hinter ihr her, weil sie so eine kümmerliche Gestalt ist, sondern weil sie eine Gefahr für mich darstellt. Und daran ändern auch deine Sentimentalitäten nichts, Mensch.“ „Ich war noch nicht fertig“, blieb Nick jedoch unberührt davon, hatte er schließlich mit nichts anderem gerechnet. „Selbst wenn ich nicht imstande bin, Anya glücklich zu machen, werde ich bestimmt nicht zulassen, dass du ihr das letzte Bisschen nimmst, das sie noch hat. Uns!“ „Genau das werde ich ab-“ Nicks Zauberkarte sprang nun auf. Er rief ihren Namen laut. „[Inferno Reckless Summon]! Sollte ein Monster mit 1500 oder weniger Angriffspunkten als Spezialbeschwörung auf meine Spielfeldseite beschworen werden, kann ich alle weiteren Exemplare davon von meinem Deck beschwören! Dafür kannst du dasselbe bei einem beliebigen deiner Monster tun!“ Zwei weitere Spielzeughunde tauchten zwischen Nicks Magier und Soldat auf, während sich auf Isfanels Spielfeldseite nichts veränderte.   Wind-Up Dog x3 [ATK/1200 DEF/900 (3)]   Zufrieden schickte Nick seine Zauberkarte nach ihrer Benutzung auf den Friedhof. Da Isfanel nur zwei Synchromonster besaß und diese vom Extradeck gerufen werden, konnte er keine weiteren Exemplare seiner Vögel beschwören. Das lief gut. „Selbst jetzt, da dein Feld voller Monster ist, stellst du keine Bedrohung für mich dar“, höhnte sein Gegner nur. „Man soll den Tag nicht vor den Abend loben“, konterte Nick kalt. „Was soll das bedeuten?“ „Sieh doch selbst! Ich benutze den Effekt eines meiner [Wind-Up Dogs] und erhöhe so seine Stufe um 2 sowie seine Angriffskraft um 600!“   Wind-Up Dog [ATK/1200 → 1800 DEF/900 (3 → 5)]   „Ich erschaffe das Overlay Network“, gröhlte Nick nun und riss den Arm in die Höhe. Ein schwarzer Wirbel tat sich im Boden vor ihnen auf, welcher sowohl den Soldaten, als auch den von Nick gestärkten Hund in Form brauner Lichtstrahlen absorbierte. Plötzlich trat aus dem Schlund ein neues Monster hervor. „Wir schaffen das, [Wind-Up Arsenal Zenmaioh]!“ Über zwei Meter groß war Nicks roter Roboter. Zwar zeigte sich Isfanel von dem Bohrer an seinem Arm, als auch von dem abgekoppelten, frei schwebenden, linken Hammerarm von Zenmaioh unbeeindruckt, doch das änderte nichts an der majestätischen Erscheinung des Monsters, welche völlig anders war als alle zuvor von Nick gespielten Aufziehkreaturen. „Neckisch“, kommentierte Isfanel das eindrucksvolle Äußere von Nicks Monster hämisch, „passend zu deiner Rolle, wenn man es recht bedenkt. Und auch wenn es zweifelsohne sehr stark anmutet, ist es letztlich auch nur ein Teil eines schwächlichen Ganzen. Ein Teil von dir.“   Wind-Up Arsenal Zenmaioh [ATK/2600 DEF/1900 {5}]   Doch zu Isfanels Überraschung schloss sich das Overlay Network nicht, als Nicks Maschinenkrieger daraus hervorgetreten war. Im Gegenteil, plötzlich wurden auch die anderen beiden [Wind-Up Dogs] zu braunen Lichtstrahlen, die in das schwarze Loch im Boden gezogen wurden. „Weiter geht’s! Ich weite das Overlay Network aus und beschwöre nun [Wind-Up Carrier Zenmaity], nur um sofort seinen Effekt zu nutzen! Indem ich ein Xyz-Material abkopple, kann ich ein Wind-Up-Monster von meinem Deck beschwören! Los, [Wind-Up Knight]!“ Noch während aus dem dunklen Wirbel die Spielzeugversion eines Flugzeugträgerschiffs auftauchte, schoss sie von einer ihrer beiden Rampen etwas ab, das wild um das Spielfeld zischte, ehe es vor Nick landete. Es war ein Spielzeugritter in weißer Rüstung, der sich mit Schild und Schwert bewaffnet aufrichtete, wobei ein Aufziehschlüssel aus seinem Rücken ragte.   Wind-Up Carrier Zenmaity [ATK/1500 DEF/1500 {3}] Wind-Up Knight [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   „Was!?“, staunte selbst Isfanel, als er mitansah, wie nun Nicks [Wind-Up Magician] sowie der eben erst erschienene Ritter wieder in das Overlay Network gezogen wurden, jeweils als roter und gelber Lichtstrahl. „Dachtest du, hier wäre schon Schluss?“ Nick verzog seine Augen, sein Gesicht formte eine grimmige Maske. „Ich mag zwar keinen Dämon an meiner Seite haben, aber mich zu unterschätzen wirst du noch bitter bereuen! Runde drei! Erscheine, [Wind-Up Zenmaister]!“ Mit einem Satz landete vor Nick noch ein großer Roboter, doch war dieser weißgrün, besaß vier Düsenantriebe als Beine und wirkte trotz seines Körperumfangs ziemlich agil. Er ballte seine mächtigen Hände zu Fäusten.   Wind-Up Zenmaister [ATK/1900 → 2500 DEF/1500 {4}]   Die zwei Lichtsphären, die um ihn kreisten, leuchteten auf, anders als die, die um Zenmaioh und Zenmaity tanzten. „Zenmaister wird mit seinem Xyx-Material stärker, 300 Angriffspunkte für jedes, das er besitzt“, erklärte Nick das Phänomen. „Tch“, zischte Isfanel und wich dennoch einen Schritt zurück. Er musste zugeben, dass dieser Bursche ihn überrascht hatte. Drei mächtige Xyz-Monster in einem einzigen Zug zu beschwören, obwohl er zuvor bereits mit aller Macht in die Ecke gedrängt worden war? In einem hatte er recht. Man durfte ihn nicht unterschätzen. Isfanel grinste selbstsicher, was überhaupt nicht zu Melindas unscheinbarer Person passte. Nein, selbst wenn dieser Junge ihn besiegen könnte, würde das nichts ändern. Er besaß keinerlei Kräfte, obwohl leichte Rückstände einer großen Macht aus seinem Elysion drangen. Soviel hatte Isfanel mittlerweile erkannt. Doch das bedeutete nur mehr, dass er unbedingt vernichtet werden musste. Allein dass er offenbar Kontakt mit einer höheren Wesenheit hatte, war bedenklich. Und nicht zuletzt war er ein Bekannter Anya Bauers.   „Effekt von [Wind-Up Arsenal Zenmaioh] aktivieren!“, rief Nick seinerseits und streckte den Arm aus. Dessen Monster in der Mitte hob plötzlich seinen Bohrarm und absorbierte damit eine der Lichtkugeln um ihn herum. „Damit zerstöre ich zwei gesetzte Karten auf dem Spielfeld. Deine!“ Wie aus dem Nichts tauchte sein großer Roboter plötzlich vor Isfanel auf, welcher überrascht zurückschreckte. Den Bohrer bereits auf die beiden Fallenkarten vor den Füßen des Feindes gerichtet, war Isfanel jedoch schneller. „Kette! Ich aktiviere [Whirlwind Of Gusto]! Durch das Zurückschicken von [Gusto Griffin] und [Gusto Egul] in meinem Friedhof kann ich ein Gusto-Monster mit 1000 oder weniger Verteidigungspunkten von meinem Deck beschwören! Los, [Winda, Priestess Of Gusto]!“ Und obwohl ein Wirbelwind aus Isfanels aufgesprungener Falle zischte, in der sich die kleine, grünhaarige Magierin verborgen hielt, ließ Zenmaioh seinen Arm niederfahren und zerstörte zumindest [Dust Storm Of Gusto], die andere gesetzte Karte. Den Zauberstab schützend vor sich haltend, stand Winda in der Mitte des Spielfelds von Isfanel, umgeben von den beiden Kampfvögeln.   Winda, Priestess Of Gusto [ATK/1000 DEF/400 (2)]   Nick jedoch zückte unlängst die nächste, seine letzte Handkarte. „Zeit für eine neue Hintergrundkulisse. [Xyz Territory]!“ Der Kiesweg unter ihnen brach plötzlich auseinander, als der gesamte Park in rotes Dämmerlicht getaucht wurde. Plötzlich begannen die Xyz-Materialien von Nicks Monstern zu pulsieren, während um die beiden Roboter und den Schiffsträger eine schwarze Aura entflammte, aus der weiße Funken sprühten. Doch anders als Isfanel es erwartete, passierte zunächst nichts weiter. Gleichzeitig schloss Nick die Augen und überlegte. Es stand nun drei gegen drei. Sowohl sein Zenmaioh, als auch [Daigusto Eguls] waren gleichstark, während Zenmaister [Daigusto Gulldos] Angriffskraft um 300 Punkte toppen konnte. Zumindest erschien es für Isfanel so … „Los [Wind-Up Arsenal Zenmaioh]! Vernichte [Daigusto Eguls]“, befahl Nick schließlich siegessicher. „Wind-Up Power Punch!“ „Du willst also beide Monster opfern?“, raunte Isfanel. „Nein! Ich will gewinnen!“ Das gesagt, schoss plötzlich Zenmaiohs Hammerarm auf den grünen, gepanzerten Vogel in der Luft zu wie eine Rakete. „Wenn ein Xyz-Monster unter Einfluss von [Xyz Territory] mit einem anderen Monster kämpft, erhält es 200 Angriffspunkte multipliziert mit seinem Rang! Das wären im Falle von Zenmaioh ganze 1000 Angriffspunkte!“ Von Nicks Worten geschockt, erkannte Isfanel nun die gesamte Strategie hinter Nicks Spiel und konnte nur noch einmal mit den Augen blinzeln, als die Hammerfaust ein Loch in Eguls riss, plötzlich auf ihn hinab stürzte und eine gewaltige Explosion auslöste. „Kyaahh!“, schrie er mit Melindas hoher Stimme und wurde davon geschleudert.   [Nick: 1600LP / Melinda: 4000LP → 3000LP]   Schließlich kehrte Zenmaiohs Arm zu ihm zurück und koppelte sich an seinen Besitzer an. Sich langsam aufrichtend, betrachtete der in Staub gehüllte Isfanel verwundert den Arm seines Gefäßes. Er blutete. Zwar war es keine ernsthafte Verletzung, die er binnen weniger Minuten zu heilen vermochte, doch fragte er sich, wie es seinem Gegner gelungen war, sie ihm überhaupt zuzufügen. „Wie hast du das bewerkstelligt?“, verlangte er schroff zu wissen, als er wieder auf beiden Beinen stand. Etwa durch die Macht, die er gespürt hatte? Aber nein, sein Elysion hatte sich nicht im Geringsten verändert. Da war nichts, was ihm seine Kraft hätte leihen können!   Nick lächelte zufrieden. „Nichts Außergewöhnliches. Zugegeben, ich musste ganz schön ackern, um die Server der AFC zu täuschen, aber es hat sich offensichtlich ja gelohnt.“ „Du hast … das Sicherheitsprogramm ausgeschaltet?“ „Exakt. Die Minidrohnen, die die Duellhologramme erzeugen, sind nun so eingestellt, dass die Dinge, die sie erzeugen, so realistisch wie möglich sind.“ Nachdenklich verschränkte der junge Mann die Arme. Es war nicht zu vergleichen mit Abbys Fähigkeit, aus Fiktion Realität zu machen, kam gar nicht einmal an Anyas beziehungsweise Levriers Fähigkeiten heran. Dennoch war es eine ernst zu nehmende Waffe, die durchaus Verletzungen zufügen konnte. Normalerweise hatten nur bestimmte autorisierte Individuen Zugriff auf diese Funktion, aber Nick wäre nicht Nick, wenn er sich mit seinen Hackerfähigkeiten von so etwas aufhalten ließe. „Ich würde vorschlagen, dass du mich in Zukunft etwas ernster nimmst. Wie du weißt, können noch [Wind-Up Zenmaister] und [Wind-Up Carrier Zenmaity] angreifen.“ Anstatt sich jedoch davon verunsichern zu lassen, schwang Isfanel hochmütig den Arm aus. „Narr! Wisse, dass nur meinesgleichen mir ernsthafte Wunden schlagen kann! Was du tust, schädigt mein Gefäß lediglich temporär. Jede dieser Verletzungen werde ich binnen kurzer Zeit heilen!“ „Mag sein, dass ich dich nicht damit töten kann“, erwiderte Nick, „will ich auch gar nicht, denn Melinda ist unschuldig in die Sache hineingeraten und sollte nicht unser Sündenbock sein. Aber das Leben kann ich dir damit allemal schwer machen!“ „Du-!“ „Was?“, erwiderte Nick eisig. „Ich tue nur, wozu ich wegen dir gezwungen werde! Du fürchtest Eden? Warum arbeiten wir dann nicht zusammen!?“ „Weil unsere Vorgehensweisen grundverschieden sind. Als körperliche Wesen fürchtet ihr den Tod, das Ende. Euer Denken ist darauf fokussiert, eure Zeit optimal zu nutzen, dem Tod mit allen Mitteln zu entgehen.“ Isfanel nickte plötzlich heftig und lächelte geheimnisvoll. „Ja, meinesgleichen ist zeitlos, wird nicht im Verlaufe der Jahrhunderte älter und schwach. Und doch werde ich verschwinden, wenn Eden erwacht. Und das werde ich mit allen Mitteln zu verhindern wissen, selbst wenn es die Leben einiger Menschen kosten wird. Ich bin zu wichtig, um zu verschwinden!“ Ärgerlich schüttelte Nick daraufhin mit dem Kopf. „Ist das nicht ein Widerspruch? Was du fürchtest, ist auch nur der Tod in andere Worte gehüllt. Wo sind unsere Denkweisen unterschiedlich?“ „Ganz einfach. Ihr Menschen könnt keine Opfer eingehen. Dazu seid ihr zu egoistisch.“ „Man sollte aber unterscheiden, was den Begriff 'Opfer' ausmacht. Für dich sind Opfer wahrscheinlich nur ein nötiges Übel, um zu erreichen, was du bezweckst.“ Nick schnaubte. „Du hast aber keine Verbindung zu ihnen, ihre Existenz und ihr Ableben spielen für dich keine Rolle. Für uns, die wir Anya helfen wollen, ist das aber etwas ganz anderes. Weder können wir sie über die Klinge springen lassen, weil das einfacher ist, noch andere in die Sache hineinziehen und sie gefährden, nur um Anya zu retten.“ Isfanel lachte auf. „Ideale … Du redest so, als wüsstest du, womit du es zu tun hast. Aber die Realität sieht so aus: du weißt gar nichts. Weder wie du sie retten kannst, noch wie du ihr Schicksal zu erfüllen vermagst.“ Getroffen sah Nick zur Seite, schwieg. „Allein deshalb werde ich mich euresgleichen nicht unterwerfen. Ihr wäret nur Ballast.“   Aufgebracht richtete Nick wieder seinen Blick auf Isfanel und streckte den Arm aus. „Bisher hast du ebenfalls nicht durch Erfolg geglänzt, also plustere dich gefälligst nicht so auf! Anya lebt und ich werde dafür sorgen, dass das auch so bleibt! Und jetzt nimm eine weitere Kostprobe des 'Ballasts'! Zenmaister, greife [Daigusto Gulldos] an! Wind-Up Armored Fist! Und dank [Xyz Territory] erhält er während des Kampfes 800 zusätzliche Angriffspunkte!“ Damit stand es 3300 gegen 2200. Zenmaister fuhr einen seiner Arme an einer Drehspirale aus und schlug damit aus der Distanz auf den kleineren grünen Vogel und seine Reiterin ein, die beide schreiend explodierten. Wieder wurde Isfanel von einer Explosion erfasst und auf den Boden geworfen.   [Nick: 1600LP / Melinda: 3000LP → 1900LP]   „[Wind-Up Carrier Zenmaity], greife [Winda, Priestess Of Gusto] an! Wind-Up Launcher!“ Schon schoss der Spielzeugflugzeugträger einen Torpedo in Form eines Hais auf die kleine Magierin ab, die kreischend ihr Ende unter dem Beschuss fand. Doch kaum war sie verschwunden, stand an ihrer Statt ein kleines Eichhörnchen. Sein weiß-grünes Fell erinnerte entfernt an Blitze, wobei es, um diesen Eindruck noch zu bestärken, eine Haube mit einer Antenne trug, an der sich Energie auflud.   Gusto Squirro [ATK/0 DEF/1800 (2)]   Stöhnend erhob sich die brünette Frau. „Wenn Winda stirbt, beschwört sich ein Gusto-Empfänger-Monster von meinem Deck.“ „Deshalb ist es also hier“, schlussfolgerte Nick und griff nach seiner Duel Disk. „Ich entferne jetzt ein Xyz-Material von [Wind-Up Zenmaister], um Zenmaity in die verdeckte Verteidigungsposition zu wechseln. Allerdings wird jener während der End Phase aufgedeckt, welche ich jetzt einläute. Aber zumindest kannst du dir so nicht seine vergleichsweise geringe Angriffskraft zunutze machen, um mir zu schaden.“ Kurzzeitig tauchte der Spielzeugflugzeugträger ins Nichts ab, nur um dann wieder aufzutauchen, doch dieses Mal in Querlage, um Nick vor Angriffen abzuschirmen. Gleichzeitig sanken Zenmaisters Angriffspunkte, da er nun nur noch ein Xyz-Material besaß. Doch für Nick war es wichtig, seinem Gegner möglichst wenig Spielraum für Angriffe zu bieten. Denn durch [Xyz Territory] kam Zenmaity nur auf maximal 2100 Angriffspunkte, Zenmaister immerhin noch auf 3000 in seiner derzeitigen Lage.   Wind-Up Zenmaister [ATK/2500 → 2200 DEF/1500 {4}] Wind-Up Carrier Zenmaity [ATK/1500 DEF/1500 {3}] Um jedes seiner drei Xyz-Monster kreiste noch eine Sphäre. Selbst wenn Isfanel Fallen setzte, würde Nick sie mit [Wind-Up Arsenal Zenmaioh] leicht ausschalten können. Er hatte alles seit seinem ersten Spielzug geplant … „Das sollte reichen“, schloss er seinen Gedanken laut ab. Dabei war ihm bewusst, dass seine Handlungen sich mit seinen Absichten widersprachen. Er wollte Melinda eigentlich vor Isfanel beschützen, doch verletzte sie stattdessen mit seinen Angriffen. Hoffentlich spürte sie nichts, solange sie kontrolliert wurde. „Nicht annähernd“, versicherte Isfanel ihm jedoch tückisch und kam schwankend auf die Beine. Gezeichnet von einigen blutenden Wunden, griff er nach seinem Deck, wobei seine Hand plötzlich weiß aufleuchtete. „Nicht einmal annähernd.“   ~-~-~   Hätte es in der Küche der Familie Bauer Grillen gegeben, hätte ihr Zirpen das eisige Schweigen mit Leichtigkeit übertönt. Doch so saßen sich drei Menschen an dem runden Tisch gegenüber, die grundverschiedener nicht hätten sein können. Zwei davon zogen es vor, sich gegenseitig missbilligende Blicke zuzuwerfen. Der dritte, Matt, hatte einen Ellbogen auf den Tisch gelegt und stützte seinen Kopf auf der Handfläche ab, dabei immer wieder genervt stöhnend. „Wie lange wollt ihr euch noch anschweigen und anstarren?“ „Bis er tot umfällt“, lautete Anyas trotzige Antwort. „Ich glaub, ich mache in Punkto Todesblick langsam Fortschritte, was auch endlich Zeit wurde. Siehst du es, da!“ Sie zeigte direkt auf Alastairs entstelltes Gesicht. „Da ist eine Narbe, die vorher noch nicht da war!“ Schließlich grinste sie dreckig. „Whoops, sorry, mein Fehler. Bei so vielen verliert man leicht den Überblick. Siehst immer noch genauso scheiße aus wie vorher, Kumpel!“ Alastair erwiderte das mit knirschenden Zähnen: „Mach dich über mich lustig, solange du noch kannst! Denke nicht, dass ich dir vertraue, Dämon!“ Seufzend dachte Matt sich dabei im Stillen, dass Anya vermutlich schon vor ihrem Kontakt mit Levrier so war wie sie war. Zumindest konnte er froh sein, dass -sein- innerer Dämon sich nicht auch noch einmischte. Der war schließlich seit dem Duell mit Alastair verdächtig still geworden. Aber umso besser.   „Wollten wir uns nicht über den Plan unterhalten?“ Matt funkelte beide böse an. „Ihr wisst schon. Den Plan, unseren Arsch zu retten?“ „Erstmal rettest du jetzt deinen Arsch und lieferst mir 'ne gute Ausrede, warum unser Rasen jetzt aussieht, als hätte jemand darauf 'nen beschissenen Scheiterhaufen angezündet! Ansonsten wird Mum das von dir töten, was ich übrig gelassen habe! Was nicht besonders viel sein wird!“ Anya schnaufte sauer. „Ich meine, nicht dass ich was gegen Scheiterhaufen hätte … aber da bin ich leider die Einzige in der Familie. Also besorg' mir ein Alibi!“ „Du kannst unmöglich von mir verlangen, mit dieser Dämonenbrut zusammenzuarbeiten“, empörte sich Alastair in seiner tiefen Stimme. „Ihre Selbstsucht wird uns keine Hilfe sein. Ich bin immer noch der Meinung, dass wir sie vernichten sollten!“ Anya sprang vom Stuhl auf, woraufhin dieser umkippte. Drohend erhob sie ihre rechte Faust. „Ach ja!? Versuchs doch, Sackgesicht! Ach nein, das kannst du ja nicht, weil ich zufällig unsterblich bin!“ „Nicht komplett“, raunte Alastair und ließ sich nicht von Anya einschüchtern. „Mir würde etwas einfallen, verlass dich drauf, Schlangenzunge.“ „Hört ihr jetzt endlich auf damit!?“, polterte Matt entnervt und fauchte Anya an: „Und du setz' dich gefälligst wieder hin! Verdammt, wir sind hier nicht im Kindergarten!“ Allein aus Protest verharrte Anya und warf ihm einen trotzigen Blick zu. „Dann mache ich eben den Anfang“, stöhnte der jüngere der beiden Dämonenjäger schließlich. „Ich habe gesagt, dass ich eine Idee habe, um unseren Arsch aus der Scheiße zu ziehen. Wir sitzen alle drei im selben Boot. Anya, du willst bestimmt genauso wenig Eden werden, wie wir die Opfer für Edens Erwachen.“ „Verdammt richtig!“ Alastair rümpfte die Nase und lehnte sich mit gleichgültiger Mimik zurück. „Was schlägst du vor?“ Sehr gut, dachte Matt, der nun endlich die Aufmerksamkeit der beiden gewonnen hatte. „Alastair, du weißt doch, dass der Eden-Kreislauf etwa alle 300-400 Jahre stattfindet. Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, formt das Gründerindividuum einen Pakt, um am vorhergesehenen Tag den Turm von Neo Babylon zu beschwören.“ Sein Partner regte keine Mimik. „Korrekt.“ „An der höchsten Spitze des Turms befindet sich der Ort, an dem Eden erwachen soll. Das heißt, der Turm und Eden sind miteinander auf irgendeine Weise verbunden. Ohne Turm kein Eden, kein Eden ohne Turm.“ Plötzlich strahlte Anya über beide Backen. „Sag, dass du das tun willst, was ich immer schon mal tun wollte …“ „Verdammt richtig“, stimmte Matt in ihr spitzbübisches Grinsen ein, „wir jagen diesen verdammten Turm in die Luft!“   ~-~-~   „Das ist-!“ Nick traute seinen Augen kaum, als Isfanel voller Schwung zog und damit ein erdrückendes Gefühl in seinem Inneren auslöste, gefolgt von einer starken Druckwelle. Er wusste genau, was Isfanel soeben getan hatte – dasselbe wie Anya in ihrem Duell gegen Abby, als sie am Rande der Niederlage stand! Isfanel hatte das Schicksal verändert! Dessen Augen glühten weiß, als er seine neu gezogene Karte betrachtete, nur um sie dann vorzuzeigen. „Sehr gut! Ich aktiviere [Xyz Drain]! Diese Zauberkarte absorbiert sämtliche Xyz-Materialien aller Monster, die sich im Angriffsmodus befinden und lässt mich für jedes von ihnen eine Karte ziehen. Jedoch darf ich danach für zwei Züge keine Karten setzen!“ Von Zenmaister und Zenmaioh schossen plötzlich die beiden Lichtsphären in Isfanels Richtung und wurden von seiner Duel Disk absorbiert, woraufhin er schließlich wieder mit leuchtender Hand zwei Karten zog. „Argh“, krächzte Nick, der sowohl mit dem Druck von Innen, als auch der ausströmenden Energie Isfanels von Außen zu kämpfen hatte. Heftiger Wind peitschte ihm ins Gesicht, als er sich an die Brust fasste. Außerdem besaß Zenmaister jetzt kein Xyz-Material mehr und verlor somit noch mehr Angriffspunkte.   Wind-Up Zenmaister [ATK/2200 → 1900 DEF/1500 {4}]   „Exzellent“, meinte Isfanel zufrieden beim Anblick seiner beiden Handkarten, „man könnte sagen, genau das, was ich gerade gebraucht habe.“ „Wie nennt man das bei euch? Das Schicksal beeinflussen? Also für mich hört sich das eher nach betrügen an“, erwiderte Nick gereizt. „Nenn es wie du willst. Wenn man über Kräfte wie die meinen verfügt, sollte man sich auch nutzen! Und nun sieh her! Ich beschwöre [Kamui, Hope Of Gusto]!“ Aus einem Wirbelsturm tauchte neben Isfanels Eichhörnchen ein junges Mädchen mit grellem, grünem Haar auf, um dessen Hals ein ebenfalls grüner Schal wehte.   Kamui, Hope Of Gusto [ATK/200 DEF/1000 (2)]   Nick ahnte bereits, was ihm nun bevorstand. „Du bist nicht der Einzige, der dies hier tun kann! Ich erschaffe jetzt das Overlay Network! Aus zwei Stufe 2-Monstern wird ein Rang 2-Monster!“ Sogleich öffnete sich ein schwarzer Wirbel inmitten des Spielfelds und sog Isfanels Monster in Form grüner Lichter in sich auf. „Stell dich dem Symbol meines Paktes! Steig auf in ungeahnte Höhen, [Daigusto Phoenix]!“ Aus dem Loch hervor spreizte eine schlanke, vogelartige Gestalt ohne Federn ihre knorrigen Schwingen. Stattdessen wirke es eher so, als besäße dieses Wesen Schuppen, die von einem grünen Brustpanzer teilweise verdeckt wurden. Sowohl von seinen Armen, als auch vom Kopf brannten smaragdgrüne Flammen, die die Flügel und Haarpracht stellten. Zwei leuchtende Sphären zogen ihre Kreise um jenes Wesen.   Daigusto Phoenix [ATK/1500 DEF/1100 {2}]   „Noch sieht mein Monster schwach aus, doch ich werde dafür sorgen, dass sich das ändert! Mit dieser Zauberkarte!“ Isfanel zeigte jene vor, auf der ein Mann abgebildet wurde, dem die gesamte Lebensenergie von einer dämonischen Silhouette geraubt wurde. „[Riryoku]! Sie teilt die Angriffskraft eines deiner Monster in zwei und überlässt die andere Hälfe meinem Monster!“ Plötzlich geschah das, was auf der Karte abgebildet war, mit [Wind-Up Arsenal Zenmaioh]. Dieser gab ein leises Surren von sich, als seine Energie in Form eines Strahls auf den Phönix überging, welcher dadurch auf ein bedenkliches Maß anwuchs. Gleichzeitig ging Zenmaioh geschwächt in die Knie.   Wind-Up Arsenal Zenmaioh [ATK/2600 → 1300 DEF/1900 {5}] Daigusto Phoenix [ATK/1500 → 2800 DEF/1100 {2}]   „Das ist gar nicht gut“, murmelte Nick besorgt. Zum Glück war [Xyz Territory] aktiv. So bekam sein Monster bei einem Angriff immerhin 1000 Angriffspunkte zurück, der Phönix hingegen lediglich 400, da er nur vom Rang 2 war. Damit stand es 2300 gegen 3200 Punkte. Was Isfanel nicht im Geringsten störte. „Ich aktiviere den Effekt meines Monsters! Indem ich ein Xyz-Material verbrauche, kann eines meiner Wind-Monster in diesem Zug zwei Angriffe ausführen!“ Dabei zog er [Gusto Squirro] unter der schwarzen Karte auf seiner Duel Disk hervor und schob sie in den Friedhofsschacht. Erstaunt schrie Nick auf, als der brennende Riesenvogel eine der Lichtsphären mit dem langen Schnabel schnappte und fraß. „Damit vernichte ich jetzt deinen Zenmaioh! Flame Of Life!“ Sofort spie der Phönix eine grelle, hellgrüne Flamme auf Nicks großen Spielzeugroboter, welcher unter den Flammen einfach schmolz. Unter der sengenden Hitze schrie Nick schmerzerfüllt auf und wandte sich ab, doch einige Funken hatten Brandlöcher in seiner Kleidung hinterlassen.   [Nick: 1600LP → 700LP / Melinda: 1900LP]   „Natürlich könnte ich jetzt auch noch deinen Zenmaister angreifen, doch das würde nicht ganz ausreichen, um dich zu besiegen“, taktierte Isfanel ungehemmt. Nick wusste, dass das Blatt sich gewendet hatte. Zwar war richtig, dass es im Falle eines Kampfes zwischen Zenmaister und dem Phönix 2700 Angriffspunkte gegen 3200 stand und er mit 200 Lebenspunkten überleben würde, doch Isfanel hatte anderes im Sinn. Was nur verständlich war. „Ich vernichte lieber deinen [Wind-Up Carrier Zenmaity], damit du nicht auf die Idee kommst, neue Monster durch seinen Effekt zu beschwören! Los, [Daigusto Phoenix], Flame Of Life! Versenge das Schiff!“ Genau das tat der nächste Flammenangriff auch. Bis auf das Gerüst brannte der Spielzeugflugzeugträger nieder, ehe er explodierte. Und hätte Nick ihn nicht zuvor in die Verteidigung gewechselt, wäre das sein Ende gewesen. „Wie du siehst, werde ich immer einen Weg finden, um dir zuvorzukommen. Gib lieber gleich auf und füge dich deinem Schicksal, Mensch“, verkündete Isfanel verächtlich, „hiermit beende ich den Zug. Was bedeutet, dass der Angriffswert meines Monsters wieder zurückgesetzt wird.“   Daigusto Phoenix [ATK/2800 → 1500 DEF/1100 {2}]   Nick zog stöhnend seine nächste Karte. Der letzte Angriff hatte ihm ganz schöne Schmerzen verursacht, doch er biss die Zähne zusammen. Wofür er scheinbar belohnt wurde, strahlte er doch, als er erkannte, dass die neue Karte ihm weiterhelfen würde. „Los, [Pot Of Avarice]! Mit diesem Zauber schicke ich fünf Friedhofsmonster in mein Deck zurück, um dann zwei neue Karten zu ziehen!“ Was dieses Wesen nur durch betrügen erreichte, konnte Nick auch ohne billige Hilfsmittel schaffen, dachte er zufrieden und mischte seine drei [Wind-Up Dogs], [Wind-Up Magician] und [Wind-Up Carrier Zenmaity] ins Deck zurück, zog zwei neue Karten. Doch seine neuen Karten waren beides Fallen, die er nicht umgehend einsetzen konnte. Der brünette Zweimetermann blickte jedoch entschlossen auf. „Dein Monster ist wieder so schwach wie am Anfang. Zenmaister kann es ohne Probleme besiegen! Los, Wind-Up Armored Fist!“ Wie schon einmal zuvor, nutze das Kampfspielzeug seinen ausfahrbaren Arm, um seinen Gegner mit einem Faustschlag niederzustrecken. „Genau darauf habe ich gewartet! Werde Zeuge, wie ich dein Schicksal besiegele! Los, Incarnation Mode! Ich rekonstruiere das Overlay Network! Aus meinem Rang 2-Monster und seinem Xyz-Material wird ein neues Rang 2-Monster! Zeige dich, [Eternal Daigusto – Jade Phoenix]!“ Der Feuervogel wurde wieder in das schwarze Loch in der Mitte des Spielfelds gezogen. Ein heftiger Wind drang daraus hervor und brannte Nick regelrecht in den Augen, so heiß war es um sie herum geworden. Aus dem Wirbel drangen rote, schwarze und grüne Blitze, als plötzlich das neue Monster auftauchte. War der alte Phönix das hässliche Entlein, hatte man es nun mit dem Schwan zu tun. Der gesamte, viel größer gewordene Körper des Feuervogels war nun von smaragdfarbenen Flammen bedeckt, schlanker und eleganter, einem Vogel nun wesentlich ähnlicher als es bei seinem Vorgänger der Fall war. Anmutig schwang das Monster seine endlos lang erscheinenden Schwingen, wobei er mit jedem Schlag eine Hitzewelle auslöste. Es blieb oberhalb Isfanels in der Luft und sah wie ein Richter auf Nick herab, während es von zwei Lichtsphären umkreist wurde.   Eternal Daigusto – Jade Phoenix [ATK/1500 DEF/1100 {2}]   „Meine neue Kreatur ist noch mächtiger als die alte!“, rief Isfanel überzeugt davon, dass ihn nun nichts mehr aufhalten konnte. „Mag sein, aber ich weiß von Abby längst, dass diese Dinger von Xyz-Monstern besiegt werden können! Also ist mein Zenmaister sehr wohl in der Lage dazu! Setze den Angriff fort, Wind-Up Armored Fist!“ „Dummer Junge! Wundert es dich nicht, warum ich den ewigen Phönix im Angriffsmodus gerufen habe!? Um seinen ersten Effekt zu aktivieren, der mich ein Material kostet! Reverse Of Life!“ Die Faust des Zenmaisters schnellte auf den großen Vogel zu, doch dieser konterte mit einem weißen Energiestrahl, den er aus dem Schnabel abschoss, nachdem er eines der Xyz-Materialen absorbiert hatte. Eine Explosion entstand, die Nick zurückwarf. Als der Rauch sich verzog, war sein Monster noch da. Aber ebenso Isfanels Phönix. Und-!   [Nick: 700LP / Melinda: 1900LP → 2700LP]   „Er hat Lebenspunkte gewonnen!?“, schoss es aus dem verblüfften Nick heraus. Sein Zenmaister hatte beim Angriff dank seiner Spielfeldzauberkarte 2700 Angriffspunkte gehabt, 800 mehr als der Phönix mit seinen, ebenfalls durch die Magie erhöhten, 1900. „Das ist nur einer von drei Effekten, über die der ewige Phönix verfügt. Dieser hier kann einmal pro Battle Phase angewandt werden, um zu verhindern, dass eines meiner Monster durch einen Kampf fällt. Zusätzlich wird der Kampfschaden dabei in Lebenspunkte für mich umgewandelt.“ Kein Wunder, dass er angriffen werden wollte, dachte Nick ärgerlich. Hätte er das nur früher gewusst. Aber jetzt war er zumindest vorgewarnt. „Ich setze diese zwei Karten verdeckt und beende meinen Zug!“ Die beiden Fallen materialisierten sich vor seinen Füßen. Hoffentlich würde das genug sein, um Isfanel zu besiegen … „Nun, ich bin am Zug!“, rief jener überschwänglich. „Du bist der Schlüssel, um Anya Bauer zu töten, Junge! Sie muss sterben! Wenn Eden erwacht, werden Kräfte freigesetzt, die deinen kümmerlichen Verstand überschreiten!“ „Was ist Eden überhaupt!? Warum muss Anya dafür geopfert werden!?“ „Eden ist … nein. Was hättest du davon, wenn du das wüsstest? Du wirst sowieso sterben! Also falle durch meine Hand!“ „Gibt es denn keinen anderen Weg, um Anya zu retten? Das würde dir doch ebenso helfen!“ „Sie müsste den Tod überleben, um überhaupt eine Chance zu haben“, donnerte Isfanel aufgebracht. „Und selbst dann-!“ Nick horchte auf. „Was soll das heißen?“ „Vergiss was ich gesagt habe! Du hast andere Sorgen!“ Plötzlich stiegen aus dem Boden zwei Lichtsphären empor, die zusammen mit der verbliebenen um den Jadephönix zu kreisen begannen. Nick wusste, was das war. Die Incarnation Mode-Monster konnten jede Runde Xyz-Materialien vom Friedhof in sich aufnehmen, bis sie drei davon besaßen, damit sie ihre Effekte wieder und wieder aktivieren konnte. Anya hatte diese schmerzhafte Erfahrung machen müssen, als sie gegen Marc gekämpft hatte. Die Ressourcen dieser Monster waren unerschöpflich, was sie so extrem gefährlich machte. Er musste besonders vorsichtig sein, so viel stand fest! Es ging ums Überleben, jetzt mehr denn je. Was er soeben erfahren hatte, könnte der Hoffnungsschimmer sein, den Anya so dringend brauchte! „Zeit, den zweiten Effekt meines [Eternal Daigusto – Jade Phoenix] zu aktivieren! Indem ich zwei Xyz-Materialien verwende, kann ich zwei deiner Karten auf dem Spielfeld auf deine Hand zurückschicken! Los, Wind Scars Of Life!“ Als der Phönix zwei der Sphären mit seinen lodernden Flügen absorbierte, um dann tausende Windklingen in Nicks Richtung zu schleudern, schreckte dieser zusammen. Sein Zenmaister wurde getroffen und löste sich auf, doch er konnte nicht zulassen, dass der linken seiner beiden Fallen dasselbe Schicksal zuteil wurde. „Ich kette [Xyz Reborn] an! Mit ihr reanimiere ich ein Xyz-Monster vom Friedhof, wobei diese Karte danach ein Material für das beschworene Monster wird! Kehre zurück, [Wind-Up Arsenal Zenmaioh]!“ Plötzlich stand der große Spielzeugrobotter mit dem Bohrarm vor Nick und schützte ihn so vor den messerscharfen Klingen, die der Phönix ihnen entgegen warf. Dabei rotierte um ihn das von Nick angekündigte Xyz-Material.   Wind-Up Arsenal Zenmaioh [ATK/2600 DEF/1900 {5}]   „Gar nicht übel. Damit hast du dein Leben um einen weiteren Zug verlängert“, meinte Isfanel und betrachtete die Falle [Dust Tornado] in seiner Hand, die er aufgrund des Effekts von [Xyz Drain] erst nächste Runde setzen konnte. Unbesorgt sah er wieder auf. „Aber du weißt, dass du dem ewigen Phönix nichts anhaben kannst. Er wird deinen Angriff wieder absorbieren. Und auch wenn du jetzt das stärkere Monster kontrollieren magst, wisse, dass der dritte und letzte Effekt von [Eternal Daigusto – Jade Phoenix], Storm Of Advancing Life, der mächtigste ist.“ „Ich höre?“ „Wenn ich diese Fähigkeit aktiviere, können all meine Wind-Monster dich direkt angreifen. Also völlig gleich, was du auch tust, nächste Runde werde ich dich besiegt haben! Zug beendet!“   Nick erstarrte. Bei seinem Lebenspunktestand war jeder direkte Treffer tödlich! Das hieß, dass ihm nur noch dieser eine Zug blieb, um einen Weg zu finden, wie er diese grässliche Kreatur besiegen konnte! Er sah auf sein Deck. Wenn der verdammte Phönix doch nur angegriffen werden könnte!   „Es ist hoffnungslos. Dein Schicksal wurde in dem Moment besiegelt, als du mir begegnet bist.“ Aufgebracht erwiderte Nick auf die Überheblichkeit seines Gegners: „Ich habe es satt! Was mein Schicksal ist, bestimme ich und nicht du!“ Dann musste er jetzt etwas Gutes ziehen, dachte Nick entschlossen und schloss die Augen. Um dieses Möchtegernweissager ein Schnippchen zu schlagen. Einfach nur etwas Brauchbares. Für Anya … „Draw!“ „Ja, zieh deine letzte Karte! Dein Ende ist so gut wie besiegelt!“ „Mein Ende?“, wiederholte Nick und betrachtete nachdenklich das, was er gezogen hatte. „Alles findet irgendwann ein Ende. Das ist das Prinzip des Lebens, die Endlichkeit. Aber wie unser Ende aussieht, obliegt ganz allein uns.“ Isfanel rümpfte die Nase. „In der Tat.“ Nick senkte den Kopf. „Letztlich will ich aber nicht“, ein schwaches Lächeln huschte über seine Lippen, „daran gemessen werden, wie ich gelebt habe. Sondern daran, wie ich gestorben bin.“ „Für Anya Bauer?“ Isfanels verächtlicher Tonfall war plötzlich verschwunden. Er war einer nahezu naiven Neugier gewichen, denn der Dämon schien Nicks Worte nicht zu verstehen. „Bedeutet sie dir so viel, dass du bereit bist für sie zu sterben, wenn es erforderlich ist?“ „Womöglich? Aber dieser Tag, der, an dem ich sterbe … ist nicht heute.“ Mit gefestigter Miene sah er Isfanel in die Augen. „Soweit habe ich noch nicht geplant!“ „Was du nicht sagst?“ „Das Einzige, was du gut kannst, ist Reden schwingen!“, klagte Nick seinen Gegner erbarmungslos an. „Selbst durch deine ominösen Betrügereien bist du nicht einmal im Stande, auch nur einen Menschen zu töten! Ich zeig dir, wie -ich- es machen würde! Zauberkarte! [Oni-Gami Combo]!“   Plötzlich verschwand die Sphäre um Zenmaioh in ebenjenem, woraufhin dieser plötzlich eine unglaublich starke Aura ausstrahlte, die regelrecht explodierte. Zudem wuchsen ihm aus dem Rücken ein weiteres Paar Arme, welches dem glich, welches er bereits besaß, nur dass sich Hammer- und Bohrarm dieses Mal an der jeweils anderen Körperhälfte befanden. „Dieser Zauber ermöglicht es einem Xyz-Monster – im Austausch für all seine Materialien – diese Runde zweimal anzugreifen! Damit werde ich deinem Phönix ein Ende setzen, denn du kannst ihn nur einmal retten!“ „Und wenn schon“, protestierte Isfanel und schwang aufgebracht den Arm aus, „ich habe bereits eine genaue Vorstellung davon, wie ich dich besiege. Nächste Runde wirst du es sehen, auch ohne meinen ewigen Phönix!“ „Kapierst du es nicht!? Für dich gibt es keine nächste Runde! Los, Zenmaioh, greif [Eternal Daigusto – Jade Phoenix] mit Wind-Up Power Punch an! Und durch [Xyz Territory] erhalten unsere Monster während des Kampfes 200 Angriffspunkte pro Rang!“ Die Aura um Zenmaioh glühte noch stärker auf, als er mit satten 3600 Angriffspunkten wie ein Pfeil durch die Luft schoss. Noch im Flug feuerte er seine beiden Fäuste wie Raketen auf den Phönix ab. „Narr! Damit hilfst du mir nur! Ich entferne das letzte Xyz-Material von meinem Monster, um damit deinen Angriff in Lebenspunkte für mich umzuwandeln!“ Isfanel riss [Kamui, Hope Of Gusto], welche unter der Karte des Jadephönix' lag, hervor. „Reverse Of Life!“ Sofort fraß der Phönix die letzte Energiekugel und schoss sogleich einen weißen Lichtstrahl aus seinem Schnabel, um die näher kommenden Fäuste abzufangen. Jene gingen in zwei Explosionen schließlich verloren.   [Nick: 700LP / Melinda: 2700 → 4400LP]   „Vergiss nicht, dass ich zweimal angreifen kann! Los, Zenmaioh, gib noch einmal alles! Gewinne!“ Isfanel brach in hysterisches Gelächter aus. „Das ist zwecklos! Selbst gestärkt durch deine Spielfeldzauberkarte vermag dein Monster es lediglich, den alten Lebenspunktestand herzustellen!“ „[Overwind]!“ Nicks Falle sprang plötzlich auf. Schlagartig begann sich der Aufziehschlüssel auf Zenmaiohs Rücken unglaublich schnell zu drehen. „Jetzt werden die Werte meines Monsters verdoppelt! Und dabei wird der Boost, den Zenmaioh durch [Xyz Territory] bezieht, mit eingerechnet! Es ist -vorbei-!“ Ungläubig starrte Isfanel Nicks Monster an, dessen Aura nun regelrecht pulsierte. Mit seinen zwei verbliebenen Armen, den beiden Bohrern, griff es gnadenlos den in der Luft fliegenden Phönix an. Wind-Up Arsenal Zenmaioh [ATK/2600 → 3600 → 7200 DEF/1900 → 3800 {5}]   Mit lediglich 1900 Angriffspunkten hatte der Jadephönix dem nichts entgegen zu setzen. In einem grauenhaften, schrillen Schrei wurde er durch die Bohrer malträtiert und explodierte schließlich. „Unmöglich“, schrie Isfanel zeitgleich mit dem Ableben seines Monsters und warf dann einen hasserfüllten Blick auf Nick. „Heute magst du gewonnen haben, aber das war gewiss nicht unsere letzte Begegnung!“ „Ich werde warten!“, erwiderte Nick. Dann erfasste eine strahlend helle Druckwelle das gesamte Spielfeld und riss Nick, der die Augen geblendet zukniff, von den Füßen. Zu hören war nur Melindas schmerzerfüllter Schrei, welcher dem Jungen durch Mark und Bein ging.   [Nick: 700LP / Melinda: 4400LP → 0LP]   Hart schlug Nick schließlich auf dem Boden auf und rutschte zunächst ein Stück weiter, ehe er schließlich unweit der zerstörten Bank, auf der er und Melinda sich unterhalten hatten, zum Liegen kam.   ~-~-~   „Das kann nicht dein Ernst sein!“, polterte Alastair, kaum hatte Matt seinen Einfall ausgesprochen. Mit der Faust auf den Tisch hauend, rechtfertigte er sich aufgebracht: „Wie kannst du dir sicher sein, dass uns das nicht schadet!?“ „Laber' keinen Unsinn, Narbenfresse“, fauchte Anya ihn an, welche hellauf begeistert von der Idee war. „Das ist das Beste, was ich je gehört habe! Ist doch logisch, Matt hat recht! Kein Turm, kein Eden!“ Und das von jemanden, der vor einer Stunde noch nicht einmal wusste, dass der Turm von Neo Babylon existiert …   „Schnauze da oben!“, bellte Anya mit Blick an die Decke. „Es wäre eine endgültige Lösung“, erklärte Matt ruhig. „Wenn der Turm zerstört wird, kann nie wieder jemand diesem Irrsinn zum Opfer fallen.“   Und ich bin glücklich. Ich liebe dich, Matt. Hätte ich einen Mund, würde ich dich jetzt küssen, mein Märchenprinz.   Jedoch erwiderte der auf Anothers neckische Worte nichts, sondern schlug sich nur die Hand gegen die Stirn. „Die Dinge sind nicht so einfach“, weigerte sich Alastair jedoch missmutig, sich mit dem Gedanken anzufreunden, den Turm zu sprengen. „Da sind Kräfte im Spiel, die über unseren Verstand hinaus gehen. Denkst du wirklich, dass sie von einem alten Gemäuer abhängig sind?“ „Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Aber irgendwo im Turm ist etwas, das benötigt wird, um Eden zu erwecken. Welchen Grund sollte es sonst für seine Existenz geben? Es ist einen Versuch wert.“ Matt verschränkte nachdenklich die Arme. „Außerdem werde ich trotzdem nach Alternativen suchen.“ „Wir wissen nicht einmal, ob Eden jemals zuvor erwacht ist. Es ist durchaus möglich, dass Eden gar keine physische Form besitzt. Dann nützt auch eine Ladung Sprengsätze nichts!“ „Und wie Eden 'physisch' ist!“ Anya kratzte vor Wut über Alastairs Dickkopf schon mit den Fingernägeln über den runden Holztisch. „Was denkst du, wofür die Opfer gebraucht werden? Vielleicht will das irre Teil sich einen Superkörper aus unseren Leichen basteln!?“ „Absurd!“, polterte Alastair. „Selbst wenn das wahr wäre, würde das bedeuten, dass Eden momentan keinen Körper besitzt! Ergo kann es nicht zerstört werden! Außerdem werden dadurch auch Unschuldige gefährdet, wenn der Turm mitten in der Stadt explodiert!“ „Ach ja!?“ Anya schnaubte wie ein wütender Stier. „Dann beweis' mir, dass ich Unrecht habe!“ „Wie soll ich das tun, du törichte Dämonenbrut!?“ „Du willst doch nur, dass ich krepiere!“ „Exakt! Wäre es nicht für Matt, würde ich gewiss nicht hier sitzen!“ „Aufhören!“, schrie Matt, dem das Ganze langsam zu bunt wurde. „Ihr seid ja schlimmer als Kleinkinder!“   Also ich finde diese illustre Runde unterhaltsam. Aber jede Party braucht jemanden, der sie ruiniert. Wobei ich eher auf Alastair getippt hätte …   Er sah ein, dass es nichts brachte, mit diesen zwei Streithähnen zu diskutieren. Anothers spitze Zunge half auch nicht. Tief durchatmend versuche er den beiden die Sache noch einmal ruhig zu erklären. „Bisher verfügen wir, was Eden angeht, über kein gesichertes Wissen abseits davon, dass Opfer erforderlich sind. Alles was wir tun, könnte nach hinten losgehen. Aber da ein Pakt in der Regel nur auf einen einzigen Zweck ausgerichtet ist, glaube ich, dass es bei diesem Turm ebenfalls so sein muss.“ „Hmpf!“, war alles, was Alastair dazu einfiel. Matt redete jedoch ungestört weiter. „Wir werden uns Gedanken machen, wie sich die Sprengung des Turms umsetzen lässt. Allein die dafür benötigten Materialien zu beschaffen wird nicht einfach sein, aber das überlassen wir einem alten Bekannten.“   Alastair horchte ziemlich überrascht auf. „Du meinst …?“ „Ja“, nickte Matt, „wir müssen seine Hilfe eben noch einmal in Anspruch nehmen. Anya, du wirst von uns hören. Hier.“ Er reichte der Blondine einen Zettel aus der Innentasche seines schwarzen Ledermantels. Darauf standen eine Adresse und eine Nummer geschrieben. Das Mädchen nahm das Stück Papier derart widerwillig entgegen, als würde es eine ansteckende Krankheit übertragen. „Wenn du meinst … Damit kann ich euch erreichen?“ „Genau. Deine Telefonnummer haben wir bereits.“ Anya runzelte die Stirn. „Ich glaube, ich will gar nicht wissen, woher.“ „Fürchtest du dich etwa vor einem Telefonbuch?“, kommentierte Alastair das bissig.   Indes erhob sich Matt. „Sobald ich etwas Neues in Erfahrung gebracht habe, melde ich mich umgehend bei dir. Bis dahin … halt dich von jeglicher Art von Ärger fern.“ „Ich habe nicht das Gefühl, dass sie deinen Ratschlag beherzigen wird“, lästerte Alastair weiter und richtete sich ebenfalls auf. Anya zeigte ihm ganz undamenhaft einmal mehr den Stinkefinger als Antwort. „Außerdem würde ich vorschlagen, dass wir etwa eine Woche vor Erscheinen des Turms alle Betroffenen versammeln sollten“, ignorierte Matt das Gezänk, was ihm jedoch insgeheim ziemlich schwer fiel. Dass Alastair sich so kindisch benahm, hatte er nie zuvor erlebt. „Dann besprechen wir alles und entscheiden uns, welchen Plan wir am Ende verfolgen wollen. Sofern wir wählen können, heißt es …“ Anya nickte knapp. „Meinetwegen. Ich werd's irgendwie einrichten, dass die anderen davon erfahren.“ „Also schön. Dann … bis bald.“ Matt reichte ihr die Hand, doch das Mädchen machte keine Anstalten, sie zu nehmen. Stattdessen brummte sie: „Zisch endlich ab, bevor Mum nachhause kommt!“   Als die Dämonenjäger schließlich das Haus verlassen hatten, atmete das Mädchen tief durch und ließ sich tiefer in den Stuhl fallen. „Man, die sind anstrengend …“   Ein Wort der Warnung, Anya Bauer. Den Turm von Neo Babylon zu zerstören wird dir nur Leid bringen.   „Ach ja? Ich lasse es gerne auf einen Versuch ankommen, Sackgesicht!“   Wir werden sehen, ob sich dein Opportunismus am Ende auszahlt oder nicht. Vergiss nicht, dass ich auch noch ein Wörtchen in dieser Angelegenheit mitzureden habe.   „Ich weiß“, murrte sie, „du bist immer da, wo ich bin. Aber soll ich dir was sagen? Das macht mir keine Angst!“   ~-~-~ Unter Schmerzen richtete Nick sich auf, stellte jedoch schnell fest, dass der Bannkreis sich aufgelöst und der Himmel wieder seine gewohnte, herbstlich graue Farbe angenommen hatte. „Melinda!“, stieß er erschrocken hervor, als er begriff, was geschehen war. Aber die war fort. Dort, wo sie gestanden hatte, war nunmehr nur noch ein Krater vorhanden. Auch andere Teile des Parks, wie der Kiesweg, hatten unter dem Duell stark gelitten. Nick raffte sich auf. War Melinda etwa tot!? Nein, sagte er sich und schüttelte den Kopf. Seine Angriffe haben sie verletzen, aber nicht töten können, weil er keine übernatürlichen Kräfte besaß. Sie musste am Leben sein, Isfanel war vermutlich nur geflüchtet, um seine Wunden zu behandeln. „Er hätte mich trotzdem töten können“, murmelte Nick leise. Immerhin war er kurz benommen gewesen, für einen hinterhältigen Angriff wäre genug Zeit gewesen. Weshalb er zu dem Schluss kam, dass Isfanel noch aus einem anderen Grund geflüchtet sein musste. Hatte es damit zu tun, dass er Melinda nur schwer zu kontrollieren vermochte? Resignierend seufzte der hochgewachsene, junge Mann. Er musste- „Was hast du meiner Schwester angetan!?“, schrie plötzlich jemand neben Nick, welcher ohne Vorwarnung umgerissen wurde. „Sie war hier, nicht wahr!? Was ist passiert!? Rede!“ Erschrocken stellte Nick fest, dass er den jungen Mann, der sich auf ihn geworfen und nun am Kragen gepackt hatte, durchaus kannte. „Henry!?“ „Rede!“, forderte der brünette Kerl jedoch nur aufgebracht. Er hatte sich äußerlich kaum verändert. Immer noch strahlten seine eisblauen Augen förmlich, immer noch wirkte er etwas ungepflegt, nur seine Art war eine ganz andere. So aufgebracht hatte Nick – Anya einmal außen vor gelassen – nur selten einen Menschen erlebt, was besonders bei Henry überraschend kam, war dieser ihm doch als freundliche Person im Gedächtnis geblieben. „Was ist denn hier passiert!?“, drang plötzlich noch eine Stimme zu ihnen. Henry ließ von Nick ab und betrachtete den nächsten Neuankömmling, ein wunderschönes, schwarzhaariges Mädchen. „Und du bist?“ „Valerie Redfield. Bist du … hast du das auch gespürt?“ „Valerie!?“, staunte auch Nick und blinzelte verdutzt. „Was tust du hier!?“ „Dasselbe könnte ich dich fragen! Joan hat gesagt, hier würde ein Kampf stattfinden!“ Anyas Erzrivalin fasste sich mit betrübter Miene an die Stirn und schüttelte den Kopf. „Ausgerechnet hier, wo- aber das ist jetzt nicht wichtig! Sag uns, was vorgefallen ist!“ „Genau das will ich auch wissen! Dieser Typ hat sich mit meiner Schwester Melinda duelliert, das weiß ich!“ Henry, der immer noch auf Nick hockte, wandte sich ebenjenem wieder zu. „Rede endlich!“ „Hehe … weiß nicht. Da war dieses … Isfanel? Und hat lustige Sachen gesagt … hehe, ich glaub, es mag mich.“ „Isfanel!?“, polterte Henry, aus allen Wolken fallend. „Was hat er gesagt!?“   Als Nick jedoch nicht antwortete, wollte Henry schon die Faust heben, als plötzlich etwas auf seinen Kopf sprang. „Du stinkst“, meinte das kleine, schwarze Wesen abfällig und sah dann auf Nick herab. „Und du erst recht! Ich glaub, ich muss kacken …“ Ein leiser Furz war zu hören und schon thronte auf Henrys Haupt ein dunkelbraunes Häufchen AA, was jenen jedoch überhaupt nicht weiter zu stören schien. Kurz etwas irritiert von dem seltsamen, warmen Gefühl auf seiner Kopfhaut, ignorierte er dies in seiner Wut und fixierte sich einzig auf Nick. Gleichzeitig sprang Orion wieder von Henry herunter und rannte zur Mülltonne neben der von Isfanel zerstörten Bank und verschwand in ebenjener, um sie zu plündern. Dabei drang seine Stimme gedämpft hervor. „Yummy, 'ne alte Bananenschale!“ Sein Kopf lugte schließlich aus der Öffnung der Tonne hervor. Die großen weißen, pupillenlosen Kulleraugen waren auf Nick gerichtet. „Und du, du bist jetzt mein Sklave und wirst alles tun, was ich dir sage! Du bist zwar dumm, aber irgendwie mag ich dich. Ich zieh bei dir ein!“ Daraufhin blinzelte Nick verdutzt, ehe er dämlich gluckste: „Coole Sache!“ „Was hast du meiner Schwester angetan?“, verlangte Henry aufgebracht zu wissen, ignorierte den Schattengeist und hob seine Faust, um jeden Moment zuzuschlagen. Schützend hielt Nick sich die Arme vor das Gesicht, jammerte: „Hilfe, Valerie, tu doch was!“ „Ich schwöre dir, wenn du nicht gleich ausspuckst, was-“ Plötzlich packte jemand seinen Arm und hielt ihn fest. „An deiner Stelle würde ich mich erstmal beruhigen. Indem du Nick Angst einjagst, erreichst du nur das Gegenteil von dem, was du eigentlich willst.“ Der lang gewachsene, zerzauste Bursche schaute überrascht auf, um zu sehen, wer ihm da geholfen hatte. Valerie war es nicht, denn es war ein Mann, der ihm da zur Hand ging. Als Nick jedoch dessen Gesicht sah, fiel seine Reaktion äußerst wortkarg aus. „Du!?“     Turn 21 – A Glimpse Of Hope Die Zeit schreitet unerbittlich voran und ehe Anya sich versieht, ist es bereits der 31. Oktober, Halloween. Anstatt jedoch die Party in ihrer Schule zu besuchen, grübelt sie zuhause über die bisherigen Ereignisse. Von einer inneren Unruhe getrieben, spaziert sie schließlich ziellos durch die Straßen, um zufällig bei Abby vorbeizusehen. Doch die ist nicht da, sondern mit einem ominösen „Freund“ auf der Feier. Der Sache eifersüchtig nachgehend, trifft Anya in ihrer Schule schließlich auf Abby und ausgerechnet Henry, vom dem sie Dinge erfährt, die sie sich im Traum nicht hätte vorstellen können … Kapitel 21: Turn 21 - A Glimpse Of Hope --------------------------------------- Turn 21 – A Glimpse Of Hope     Halloween. Anya hasste Halloween. Und sie liebte es. Überall waren Kinder, die tatsächlich so dreist waren, anderer Leute Süßigkeiten zu verlangen. Sobald es dunkel wurde, waren die Straßen voll von dieser Pest. Aber wann sonst hatte man die offizielle Erlaubnis, anderen Leuten den Schreck ihres Lebens zu verpassen? Unnötig zu erwähnen, dass Anyas Verständnis von Halloween sich grundlegend von dem anderer Menschen unterschied. Zumal sie gewiss kein Kostüm brauchte, um Schrecken zu verbreiten. Doch ihr war an diesem Abend des 31. Oktobers überhaupt nicht danach, auch nur irgendeinem dahergelaufenen Vollidioten mit Barbie Angst einzujagen. Zumal sie wegen dem verbrannten Rasen im Garten ohnehin Ausgehverbot hatte – auch wenn jeder wusste, dass eine Anya Bauer sich nicht daran halten würde, wenn es darauf ankam. Schon seit Tagen hatten diese verdammten Dämonenjäger sich nicht mehr gemeldet, obwohl Matt es versprochen hatte. Schlimmer noch, von Nick und Abby hatte sie ebenfalls nichts mehr gehört. Wobei sie doch mit Letzterer noch ein Hühnchen zu rupfen hatte bezüglich der Tatsache, dass jene ihr fundamentale Geheimnisse vorenthalten hatte. Noch vor kurzem wäre Abby selbst dieses Hühnchen gewesen, doch Levrier hatte Anya dazu geraten, ihre Freundin zunächst anzuhören. Wäre sie eine Verräterin, hätte sie genug Möglichkeiten, der Blondine das Leben schwer zu machen, so seine Worte. Und zähneknirschend musste Anya daraufhin eingestehen, dass ihr Paktpartner damit ein gutes Argument lieferte. Außerdem hieß es doch 'in dubios Porree', demnach würde sie Abby vorerst verschonen.   Dennoch saß Anya schlechter gelaunt denn je in ihrem Zimmer und zählte die letzten Stunden des Monats. Waren diese erst verstrichen, hatte sie noch elf Tage Zeit, sich bezüglich Eden etwas einfallen zu lassen. Bloß was sollte sie tun? Selbst mit den neuen Informationen von Matt und Levrier war sie im Endeffekt genauso schlau wie vorher. Die Orte, an denen Pakte geschlossen wurden, hatten laut Levrier eine Bedeutung. Und Opfer waren nötig, um Eden zu erwecken. Die Opfer und die Orte standen irgendwie in Zusammenhang, vermutlich über das Elysion. Aber für Anya ergab das keinen Sinn. Zumal sie nicht wusste, wie viele Zeugen der Konzeption überhaupt benötigt wurden. Mit Matt, Alastair und Redfield hatte sie drei. Was, wenn das zu wenig war? Und falls dem so war, woher bekam sie dann noch mehr Leute, die einen Pakt geformt haben? Die wuchsen schließlich nicht auf Bäumen.   Solltest du nicht in der Schule sein?   „Pff, die können sich ruhig ohne mich amüsieren“, raunte Anya und legte ihren Kopf gelangweilt auf ihre ausgebreiteten Arme an ihrem Schreibtisch. „Ist sowieso nicht übel, Hausarrest zu haben. Hab ich ne gute Ausrede.“ Während sie zuhause grübelte, fanden überall in Livington kleine oder größere Halloweenpartys statt. So auch in ihrer Schule. Vermutlich waren Abby und Nick gerade dort und hatten Spaß. Wahrscheinlich noch mit Beautyqueen Valerie. Sofern die sich gerade nicht in Selbstmitleid ertränkte. „Ich war noch nie beim Homecoming oder bei den Weihnachtsfesten dabei, dann werd' ich bei der scheiß Party auch nicht aufkreuzen. Ich hasse Bälle und Partys!“   Denn das würde ja bedeuten, Spaß zu haben, ohne Leuten weh zu tun.   „Verdammt richtig! Wenigstens einer, der mich versteht!“ Dass Anya dabei Levriers Sarkasmus wie so oft nicht bemerkte, tat ihrer schlechten Laune jedoch auch nichts ab. „Ich glaub, ich geh raus. Vielleicht kann ich ein paar Knilchen ihre Fressalien abnehmen.“   Bist du dir wirklich sicher, dass du nicht zu der Party willst? Anya Bauer, du hast nicht mehr viel Zeit. Auch wenn die Nachforschungen bezüglich Eden wichtig sind, solltest du deine letzten Tage gut nutzen. Das könnte das letzte Mal sein, dass-   „Halt einfach die Klappe …“ Anya sprang schnaufend von ihrem Schreibtischstuhl auf und schnappte sich ihren Rucksack, der an einem Haken an ihrer Zimmertür hing. Und während sie vom Flur aus die Treppe hinab ins Erdgeschoss rannte, rief sie: „Bin mal ne Weile unterwegs, Mom! Versuch gar nicht, mich aufzuhalten!“ Nur um sich dann zu entsinnen, dass jene sich mit ein paar Arbeitskollegen verabredet hatte und schon längst außer Haus war. Am Fuß der Treppe blieb sie kurz mit betrübter Mimik stehen, ehe sie das Haus verließ und die Tür hinter sich abschloss. Warum musste Levrier ihr jedes Mal die Stimmung verhageln!?   ~-~-~   Doch egal wohin Anya auch ging, die innere Unruhe – den wahren Grund dafür, dass sie durch die Straßen zog – schwand nicht aus ihrem Leib. Immer wieder gingen ihr Levriers Worte durch den Kopf. Die letzten Tage gut zu nutzen? Aber wofür? Sie hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, was sie alles unbedingt machen musste, bevor sie starb. Klar gab es da Dinge, die sie gerne tun wollte, aber nichts davon war wirklich … wichtig. Nicht mehr. Irgendwie. Während sie im Dunkeln unter der Straßenbeleuchtung entlang zog, fiel ihr Blick auf ein weißes Haus, das mit Toilettenpapier förmlich überzogen war. „Oh.“ Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie sich in derselben Straße befand, in der die Masters wohnten. „Süßes oder- Ahhhhh!“ Und sie hatte nicht bemerkt, wie sich drei Knirpse vor ihr aufgebaut hatten. Einer im Geisterkostüm, der sie soeben angesprochen hatte, eine Hexe und ein Skelett. „Mist Leute, das ist die freakige Anya Bauer! Die hat mich neulich beim Tag Turnier alle gemacht! Rennt weg, bevor sie euch auffrisst!“ Nur irritiert eine Augenbraue hochziehend, sah sie den Dreien hinterher, wie sie die Beine in die Hand nahmen. Dann ging sie weiter, ohne den Drang zu verspüren, den drei Rotzlöffeln eine schmerzhafte Lektion in Sachen Respekt vor den Älteren zu erteilen. Wobei sie sich fragte, was plötzlich los mit ihr war. So lustlos war sie doch noch nie gewesen. Anschließend setzte sie ihren Weg ins Ungewisse fort. Bis das Ungewisse sich in ein konkretes Ziel verwandelte. Abbys Haus. Vor dem sie wenige Minuten später stand. Nicht wie sonst penetrant, sondern nur recht kurz die Klingel betätigend, verharrte sie ungewohnt geduldig vor der Haustür. Sie brauchte jetzt Rat, dringend. Und wenn jemand klug genug war, ihr zu helfen, dann Abby. Außerdem konnte sie dann gleich die Geschichte mit Matt aus dem Weg räumen.   „Hallo Anya?“, ließen die Worte von Mrs. Masters sie schließlich aufschrecken. Jene Frau war erstaunlich groß, knackte fast die zwei Meter-Marke. Von außen sah man ihr auch nicht an, dass sie einen eher ungewöhnlichen Lebensstil pflegte. In stinknormaler Jeans und grünem Pullover gekleidet, zeugte lediglich ihre bunte Mütze davon, dass in ihr ein waschechter Rebell steckte. Wo andere Mütter mit ihren Kindern einen Zoo besuchten, protestierte Mrs. Masters bereits seit Jahren zusammen mit der ganzen Familie gegen alles mögliche, kettete sich dabei auch gerne mal an das Objekt, welches sie zu schützen gedachte. „Ist Abby da?“, wollte Anya tonlos von der jung gebliebenen, brünetten Frau wissen. „Nein, die ist mit ihrem Freund weg. Ich glaube, sie wollten auf die Party in eurer Schule.“ Doch bei Anya schrillten längst alle Alarmglocken. „Freund!? Abby!?“ Das Grauen in ihrem Kopf nahm langsam Konturen an. Abby kannte nur einen Jungen gut genug, um mit ihm eine Beziehung einzugehen. Und das war … ! „Etwa Nick!?“ „N-nein. Ich war auch ganz überrascht, als sie plötzlich- A-Anya!“ Doch die Blondine war längst auf dem Weg zur Schule.   ~-~-~   „Was machst du denn hier, Bauer?“, fragte irgendein Typ mit Zorromaske und Pappbecher mit Limo in der Hand, als Anya keuchend im Gang ihrer Schule angekommen war. Alles hier war 'geschmückt' mit buntem Firlefanz, Konfetti lag auf dem Boden und ab und zu traf man auf ausgehüllte Kürbisse am Boden oder auf Tischen, die aus den Klassenzimmern in die Gänge gestellt worden waren. Am schlimmsten war aber die dröhnende Musik, denn wie Anya es erwartet hatte, wurde -kein- Death Metal gespielt. Noch beschissener konnte diese 'Party' gar nicht werden! „Hast du Masters gesehen?“, fragte Anya scharf. Und schwor sich, dass wenn er jetzt nein sagte, ein Unglück passieren würde. „Nein“, sprachs und wurde heftig von dem Mädchen angerempelt, sodass die Limo sich auf dem weißen Hemd des jungen Mannes verteilte. Anya zischte durch die Gänge wie eine Dampflok auf Hochtouren. In irgendeinem Klassenzimmer musste Abby sein, denn die Aula wurde gerade renoviert und konnte demnach nicht so wie sonst üblich benutzt werden. Als sie schließlich zehn Minuten erfolglos durch die Schule irrte und immer schlechter werdenden Verkleidungen begegnete, entschied sie sich zu drastischeren Methoden. „Levrier“, schnaufte sie abgehackt, „such-Masters!“   Anscheinend verwechselst du mich jetzt sogar schon mit einem Spürhund.   „Red nicht, tu's einfach. Das kannst du doch, oder!?“   Wenn sie sich in eine Sirene verwandelt, dann könnte ich es. Aber ich glaube, dann wäre die Atomsphäre hier etwas anders. Ich weiß aber auch so, wo sie ist. Hinter dir.   Anya wirbelte verdutzt um und stand tatsächlich Abby gegenüber. „Ich habe gehört, du hast mich gesucht?“, staunte jene nicht schlecht. „Was ist denn los, ist irgendetwas passiert?“ Indes wunderte sich die Blondine eher darüber, warum ihre Freundin nicht verkleidet war, sondern nur eines ihrer Reissackkleider trug. Andererseits spielte das gerade keine Rolle. Immer noch außer Puste, hielt Anya Abby ihren Zeigefinger regelrecht unter der Nase. „Erstens: wieso hast du seit Tagen nichts mehr von dir hören lassen? Zweitens: was zur Hölle gibt dir das Recht, mir die Dinge, die Matt dir erzählt hat, einfach vorzuenthalten!? Und drittens: seit wann gehst du mit Nick aus!?“ Völlig verblüfft von Anyas Offensive stammelte Abby: „Äh Anya, immer schön der Reihe nach.“ „Ich warte!“, fauchte ihr Gegenüber aufgebracht und stampfte mit dem Fuß auf. „Wie wäre es, wenn du etwas Geduld zeigst?“, mischte sich plötzlich jemand hinter Anya ein und zog an dieser vorbei. Und während diese Person sich zu Abby gesellte, erkannte die Blondine den jungen, diesmal viel gepflegter auftretenden Mann als Henry wieder. Der Henry, der sie mit Billigkarten vorgeführt hatte! „Was willst du denn hier, Pennerkind!? Haben sie im Asylantenheim keinen Platz mehr für dich!?“ „Ich glaube, Melinda ist nicht hier“, meinte jener brünette Kerl resignierend an Abby gewandt, „aber danke, dass du mit mir hierher gekommen bist.“ „Kein Problem. Du hilfst uns ja auch.“ „Sie ignorieren mich“, murmelte Anya fassungslos.   Wie ich sie um diese Fähigkeit beneide …   Abby trat schließlich einen Schritt vor. „Komm Anya, lass uns einen Ort suchen, wo wir ungestört reden können. Es gibt da einiges, was du wissen solltest.“ Irgendetwas gefiel Anya nicht am Tonfall ihrer Freundin. Nicht nur, dass er so nachdenklich war, sondern auch auf befremdliche Weise distanziert. Da war doch was im Busch! „Na schön! Aber wehe, mir gefällt nicht, was ihr mir zu sagen habt! Was will der Typ überhaupt hier?“ „Das erkläre ich dir, wenn du mitkommst“, meinte Henry genervt.   ~-~-~   „Ihr verarscht mich“, murmelte Anya mit offenem Mund, nachdem die Drei sich in einem verlassenen Klassenzimmer eingefunden und die Tür hinter sich geschlossen hatten. Sie saß auf einem der Tische, welche allesamt an die hintere Wand gegenüber der Tafel gestellt worden waren und sah abwechselnd die beiden an, wie sie vor ihr standen. „Lasst mich das klarstellen“, murrte sie und deutete mit abfälliger Gestik auf Henry, „der wohnt seit Neuestem bei dir, nachdem er zusammen mit Nick und Redfield plötzlich vor deiner Haustür stand.“ Abby nickte. „Und er will Nick dabei beobachtet haben, wie der sich mit seiner Schwester, duelliert hat? Und Nick hat gewonnen!?“ Wieder nickte das Mädchen mit der getönten Brille. „Meine Schwester ist besessen von einem Dämon“, fügte Henry an, „derselbe Dämon, der schon einen deiner Freunde kontrolliert hat. Sie ist entkommen, aber ich wette, dass sie noch irgendwo in der Stadt ist!“ „Und du“, raunte Anya nun und deutete nicht weniger abfällig auf Abby, „hilfst dem da nun dabei, diese Magdalena zu finden?“ „Ja.“ Das war der Moment, in dem Anya die Hutschnur platzte. Sie sprang vom Tisch und breitete wütend die Arme aus. „Hast du nichts Besseres zu tun!? Was ist mit mir!? Wieso vertrödelst du deine Zeit für den, obwohl ich deine Hilfe viel dringender brauche!?“ „Anya! Hast du nicht zugehört? Isfanel ist zurück! Das betrifft dich genauso wie Henry! Und außerdem bin ich nicht nur deine Freundin, sondern auch Henrys!“ „Seit wann das!?“ „Seit sie weiß, dass ich dir helfen könnte, dein kleines Paktproblem loszuwerden.“ Henry trat nun zwischen die beiden und starrte Anya verächtlich aus eisblauen Augen an. „Du hast richtig gehört. Das ist der Deal zwischen mir und Abby. Wenn sie mir hilft, Melinda zu finden, revanchiere ich mich im Gegenzug dafür und verrate euch, wie ich -meinen- Pakt aufgelöst habe.“ Anya war zu verdutzt, um etwas darauf zu erwidern, zumal die ganze Situation mit einem Schlag über ihren Kopf hinausgewachsen ist. Aber als Henry plötzlich den Ärmel seines schwarzen Pullovers hochkrempelte und ein verblasstes, grünes Symbol zweier ineinander verwobener Schwingen zu sehen war, wusste das Mädchen, dass er nicht log. Es war fast gar nicht zu erkennen, was auch erklärte, warum es ihr bei ihrem ersten Treffen nicht weiter aufgefallen war.   Das nenne ich eine Überraschung. So etwas habe ich nicht kommen sehen.   „Ahja, und bevor du etwas Falsches denkst: ich bin nicht Abbys -Freund-“, stellte Henry klar, „ihre Mutter soll das nur denken, damit ich bei ihr übernachten darf.“ Giftig erwiderte Anya nun: „Ist auch besser so! Wenn du sie antatscht, brech' ich dir jeden Knochen einzeln, klar!?“ „Henry ist ein Gentleman!“, empörte sich Abby. Jener zog sich nun einen Stuhl heran und bedeutete Abby, sich zu setzen, was diese dankend tat. Da Anya ahnte, dass eine längere Geschichte auf sie zukam, nahm sie wieder auf dem Tisch Platz und ließ Henry dabei nicht aus den meeresblauen Augen. Selbstredend bereits darauf vorbereitet, jederzeit den Todesblick zu aktivieren.   „Du bist also mal …“, fing sie nach einer kurzen Zeit des Schweigens an. „Ja. Ich war einmal ein Gefäß für einen Dämon. Das ist mittlerweile ein paar Monate her und seither suche ich meine Schwester Melinda, die ebenfalls in die Sache von damals verwickelt war.“ Abby seufzte schwer. „Anya, der Dämon, der Henry damals in den Pakt gezwungen hat, war ...“ „Isfanel“, beendete Henry den Satz. „Und nachdem ich seinen Pakt gebrochen hatte, hat er meine Schwester als neues Ziel auserkoren.“   Doch Anya verstand die Welt nicht mehr. Isfanel war derjenige, der Marc dazu gebracht hatte, sie töten zu wollen. Was hatte der mit Henry und dieser Melinda zu tun?   „Was Isfanels Ziel ist, solltest du längst wissen“, erklärte Henry weiter, „daran hat sich bis heute nichts geändert. Er will den Gründer vernichten, der dazu bestimmt ist, Eden zu werden. Den Gründer, mit dem du jetzt zusammenarbeitest.“ „Auszeit!“, donnerte Anya aufgebracht und formte mit ihren Händen ein T. „Was soll das heißen, du wurdest in den Pakt gezwungen? Das ist doch freiwillig!“ „Nein. Isfanel kann einen Vertrag erzwingen, wenn die richtigen Konditionen gegeben sind. Wie genau das abläuft weiß ich selber nicht, aber ich denke, es hat mit unserem Blut zu tun. Dass in unseren, Melindas und meinen, Venen dasselbe Blut fließt.“ Henry verschränkte die Arme. „Damals, als er mich kontrolliert hat, wusste er noch nichts von dir, vermutlich weil du damals den Pakt noch nicht geschlossen hattest. Erst als Melinda eines Tages verschwunden war, habe ich begriffen, dass er es auf sie abgesehen hatte, um das fortzuführen, wozu ursprünglich ich vorgesehen war.“ „Dich, beziehungsweise Levrier, zu vernichten.“ Abby seufzte schwer. „Aber er konnte Melinda nicht übernehmen, weil sie sich, warum auch immer, zur Wehr setzen konnte.“ Seine Hand auf Abbys Schulter legend, sah Henry sie dankbar an. Anya verstand die Geste nicht, für sie sah es eher so aus, als wolle er sich an sie heran machen. „Finger weg!“ Das mit einem finsteren Blick quittierend, ließ Henry wieder von Abby ab. Dabei sagte er: „Aber jetzt ergibt alles einen Sinn. Als Melinda untergetaucht ist, hat sie mein Deck mit sich genommen. Und damit auch die Karte des Pakts, [Daigusto Phoenix]. In ihrem Abschiedsbrief hat sie mir erklärt, dass sie um meinetwillen fortging, um mich vor Isfanel zu beschützen.“ Henry schluckte und wandte sich von den beiden ab. „Ich glaube, Isfanel hat sie absichtlich in dem Irrglauben gelassen, dass er mich wieder als Gefäß will.“ „Und ohne es zu merken, hat er sie auf ihrer Flucht in deine Richtung getrieben“, fügte Abby hinzu. „Melinda wollte wahrscheinlich verhindern, dass Henry dich umbringt. Dabei hatte Isfanel es die ganze Zeit auf sie abgesehen.“ „Wir vermuten, dass Marc nur zufällig in die Sache hineingeraten ist, weil Isfanel nicht imstande war, Melinda zu knacken.“ Mit nachdenklicher Mimik wandte sich Henry an Abby. „Aber nachdem der versagt hat, muss Isfanel zurück zu seinem ursprünglichen Plan gesprungen sein, Melinda zu übernehmen.“   Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. „Oh, sorry, falsches Zimmer“, meinte ein dunkelhäutiger Schüler und knallte die Tür wieder zu. Verärgert von der Unterbrechung, schüttelte Abby den Kopf. „Na ja, und nachdem Melinda Nick getroffen hat, muss es Isfanel gelungen sein, die Kontrolle über sie zu übernehmen. Und da Nick unser Freund ist, wollte er ihn natürlich töten.“ „Das macht mir Kopfschmerzen …“, stöhnte Anya, die mit so viel Informationsinput nicht klar kam. „Also in Kurzform: der sucht seine Schwester, die jetzt 'n bisschen gaga ist und mir die Lichter ausknipsen will, weil er seinen Pakt brechen konnte?“ „'Der' hat auch einen Namen“, tadelte Abby ihre Freundin mit erhobenem Zeigefinger. „Dann eben -Henry-!“   „Da ist noch etwas“, sprach jener nun und räusperte sich, „etwas, das ich euch beiden noch nicht gesagt habe. Es betrifft meinen Namen. Denn eigentlich darf niemand wissen, dass ich hier bin. Wenn die Presse Wind von dieser Geschichte bekommt, wird alles nur noch komplizierter. Was ich euch also jetzt anvertraue bleibt bis auf Weiteres unter uns.“ Anya runzelte die Stirn. „Was hat die Presse damit am Hut? Meinst du Rita Placatelirgendwas? Die Alte wird es nicht wagen, etwas über uns zu schreiben, seit Abby ihr eine Lektion erteilt hat!“ „Die Presse im Allgemeinen. Was denkt ihr, warum ich nie meine eigene Duel Disk verwende? Damit würde man mich sofort finden.“ Henry schritt an eines der Fenster und sah hinaus auf den kreisrunden Campusplatz, wo sich unter Laternenlicht einige Jugendliche unterhielten. Was Abbys Neugier nur umso mehr anheizte. „Mach es nicht so spannend. Sag uns endlich, wer du bist.“ Henry drehte sich zu ihnen um. „Mein voller Name lautet Benjamin Hendrik Ford. Henry ist nur mein Spitzname.“ Abby fiel aus allen Wolken. „D-der Benjamin Ford!? Der, der seit Wochen vermisst wird!?“ Dann schoss es aus ihr heraus: „Jetzt weiß ich, warum du mir so bekannt vorgekommen bist, als wir uns das erste Mal gesehen haben!“ Gleichzeitig entsann sich Anya, dass sie einmal einen Zeitungsartikel über den vermissten Sohn der Abraham Ford Company gelesen hatte. Der Firma, die in den Staaten für den Vertrieb von Duel Monsters verantwortlich war. „Der bin ich. Versteht ihr jetzt, warum ich untertauchen musste? Wenn die Presse erfährt, was mit Melinda geschehen ist, bricht ein Chaos ungeahnten Ausmaßes aus. Da aber außer mir niemand von dieser Sache weiß, musste ich die Dinge selbst in die Hand nehmen.“ Entschlossen sah er die beiden Mädchen an. „Ich muss Melinda finden, bevor ihr etwas zustößt!“   „Mir doch egal“, raunte Anya plötzlich herrisch, „mich interessiert nur eins. Wie ist es dir gelungen, den Pakt zu brechen?“ „Denkst du, das sag ich dir so einfach?“ Henry schüttelte entschieden den Kopf. „Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob ich dir vertrauen kann. Aber ich vertraue Abby. Deswegen wollte ich dich aus der Sache heraushalten und mit Abby alleine nach Melinda suchen.“ Provoziert von seiner Aussage zeigte Anya ihm kurzerhand den Stinkefinger. „Pff, Arschloch! Wer sagt denn, dass wir dir vertrauen können?“ „Anya“, versuchte Abby zu schlichten, „er ist kein schlechter Mensch! Er meint es ernst! Aber du musst ihn auch verstehen. Der Dämon, der dich zu töten versucht, benutzt seine Schwester als Mittel dazu. Er hat einfach Angst, dass ihr durch deine Hand etwas passiert!“ „Du halt dich da raus“, fauchte Anya das Mädchen an und sprang nun vom Tisch auf. Auch Abby erhob sich vom Stuhl, wurde aber sofort von der Blondine mit einer Hand weg geschubst. „Hey!“, schritt Henry sofort dazwischen. „Von einem Verräterschwein lass ich mir nichts sagen!“ Getroffen wich Abby zurück. „I-ich-!“ „Warum hast du mir nicht gesagt, dass ich unsterblich bin, huh!? Dachtest wohl, ich muss das nicht wissen!? Oder dass für Edens Erwachen Opfer gebraucht werden! War alles nicht so wichtig, was!?“ „N-nein“, verteidigte Abby sich eher schlecht als recht, „ich wollte nur nicht, dass du am Ende etwas Dummes anstellst. Nicht, dass dir am Ende etwas passiert, weil du aus Neugier versuchst, dich umzubringen, um zu sehen, ob du wirklich unsterblich bist. Bei Selbstmord funktio-“ „Herrgott, das weiß ich alles längst, Masters!“, herrschte Anya ihre Freundin jedoch weiter aufgebracht an. „Aber ich hätte es gerne von dir erfahren und nicht von Matt!“ „Du hast Matt getroffen!?“ „Verdammt richtig! Und der ist im Moment eine größere Hilfe als du!“ Henry mahnte Anya: „Jetzt werd' mal nicht unfair! Abby hilft mir, um dir zu helfen!“ Wütend stampfte die Blondine auf. „Ich brauche ihre beschissene Hilfe aber nicht mehr! Turtel' ruhig weiter mit dem Pennerkind, Masters, ich hab's satt!“ „Dann-!“   Doch Abby brachte den Satz nicht zu Ende. Stattdessen schluchzte sie plötzlich und stürmte aus dem Klassenzimmer. Noch ehe Henry etwas dagegen tun konnte, war das Mädchen verschwunden. An der Türschwelle stehend, drehte er sich wutentbrannt zu Anya um. „Das hast du wirklich gut gemacht!“ „Tch!“ Anstatt Gedanken an Abby zu verschwenden, nahm Anya nun Henry ins Visier. „Irgendwie habe ich dich netter und respektvoller in Erinnerung. Was ist los, Prince Gossen-Charming, vermisst du Daddys Kohle?“ „Ich bin einfach nur angespannt, das ist alles! Und ich kann dich nicht leiden! Siehst du nicht, was du getan hast? Ist dir ihre Freundschaft überhaupt nichts wert!?“ „Was nützen mir Freunde, wenn ich eh bald krepieren werde!?“ „Du bist egoistisch! Denkst du, Gefühle sind nur einseitig?“ Henry schnaufte wütend. „Als wir uns damals getroffen haben, habe ich mich wirklich zusammengerissen. Anfangs dachte ich, du bist einfach nur mit dem falschen Fuß aufgestanden. Aber dein Charakter ist einfach nur mies. Und als ich dein Mal sah, wusste ich, dass wir beide früher oder später aneinander geraten würden.“ „Ach ja? Dann hilf mich doch, dieses dämliche Teil loszuwerden!“ Anya hob ihren Arm und schob den Ärmel ihrer Lederjacke soweit beiseite, dass er das Mal an ihrem Unterarm sehen konnte. Plötzlich grinste sie hinterhältig. „Hmm, jetzt wo ich darüber nachdenke, ist das gar keine schlechte Idee …“ „Wovon sprichst du?“ Anya legte herausfordernd den Kopf in den Nacken. „Ganz simpel, Milchbubi. Wenn du mir nicht sagst, wie du dein Mal losgeworden bist, -könnte- es passieren, dass ich deiner Schwester Melanie die Lichter ausknipsen muss, wenn sie mich angreift.“ Anya fuhr sich mit dem Daumen über die Kehle. „Du weißt, Blutzoll und so.“ „Du würdest-!?“ „Nur, wenn ich muss.“ Schlagartig verlor sich ihre Gehässigkeit. „Es liegt an dir. Je früher ich das Ding loswerde, desto besser für deine Schwester. Ist in deinem Interesse.“ „Und du denkst, dass ich mich von dir erpressen lasse!?“, brauste Henry außer sich vor Wut auf. „Mein Verstand sagt mir, dass du nicht Unrecht hast, aber mein Herz nimmt das nicht hin! Ich lasse mich nicht erpressen, nicht von dir!“   Immerhin, du lernst dazu, Anya Bauer. Erpressung ist schließlich eine Steigerung zur bloßen Gewaltandrohung. Aber ich fürchte, ein Leben reicht nicht, um bis zur Stufe der Verhandlung aufzusteigen.   „Was mischt du dich jetzt da ein, Levrier!? Solltest du nicht zittern, weil ich auf dem Weg bin, dich loszuwerden?“   Warum sollte ich? Was immer der Junge dort glaubt erreicht zu haben, es ist zu bezweifeln, dass er wirklich von dem Pakt befreit ist. Vielleicht ist das Ganze auch eine Falle? Sonderlich viele Freunde haben wir uns bisher nicht gemacht. Ich für meinen Teil mache mir mehr Sorgen um die Absichten dieses jungen Mannes, als der bloßen Tatsache, dass er einen Weg zu kennen glaubt, einen Pakt zu brechen.   „Das werden wir gleich herausfinden.“ Sie wäre schließlich nicht Anya Bauer, wenn sie nicht einen Plan B hätte. Der war seither zwar immer der gleiche, aber immer noch der effektivste. Anya setzte ihren Rucksack, den sie die ganze Zeit geschultert hatte, ab. Daraus hervor zog sie eine Duel Disk. Ursprünglich hatte sie geplant, nur ein paar Rotzgören um ihre Halloweenbeute zu erleichtern, aber das hier war viel eher ihre Welt. Der Typ würde singen, so viel stand fest. „Eine Revanche für neulich?“, wunderte sich Henry, als Anya den Apparat anlegte. „Tz, als ob! Außerdem besitze ich keine Duel Disk!“ „Kein Problem“, meinte Anya unbekümmert, verließ kurzerhand das Klassenzimmer und kam wenige Minuten später, nach einem lauten Scheppern, mit einer Duel Disk zurück. Dabei wedelte sie mit ihrer freien Hand. „Blöder Spind, seit wann sind die so widerspenstig?“ Henry fing die Duel Disk geschickt auf, als Anya sie ihm zuwarf. „Die Regeln“, sagte jene schließlich und stellte sich vor die Tafel. Als sie sich umdrehte, erklärte sie: „Da du nicht freiwillig mit der Sprache 'rausrückst, müssen wir das so klären.“ „Wer sagt, dass ich mitmache?“ Prompt war es wieder da, dieses kleine, gemeine Grinsen von Anya. „Oh glaub mir, das wirst du. Denn wenn du gewinnst, werde ich dir helfen, deine kleine Prinzessin zu finden. Und ich schwöre, ihr kein Haar zu krümmen, solange sie genug Sicherheitsabstand hält.“ „Und wenn du gewinnst?“ „Wirst du mir dein kleines Geheimnis verraten. Und mir helfen, das Mal loszuwerden. Wenn das klappt und ich frei bin, könnte ich mir sogar überlegen, dir vielleicht trotzdem zu helfen. Geht die Sache jedoch schief, oder du muckst auf …“ Anya fuhr sich nochmals mit dem Daumen über den Hals. „Dann kannst du deiner Schwester schon mal einen Sarg bestellen! Was sagst du? In beiden Fällen profitierst du, bei einem mehr, beim anderen weniger. Aber wir können das Ganze auch lassen, bloß sieht es dann ganz schlecht für Melissa aus!“ „Melinda!“, korrigierte Henry das Mädchen gereizt.   Ich bin begeistert, Anya Bauer. Das ist nicht mehr nur Erpressung, das ist raffinierte Manipulation. Natürlich wird er jetzt anbeißen, da die schlimmste Option für ihn die ist, dein Angebot auszuschlagen. Vielleicht habe ich dich unterschätzt …   Anya lächelte jedoch nur tückisch. „... fein. Was soll ich auch anderes sagen?“ Henry war nur allzu deutlich anzusehen, was er wirklich von Anyas Vorschlag hielt. Sein Gesicht glich einer starren Maske, gezeichnet von Wut. Dennoch schritt er in die Mitte des Klassenraums, um Anya gegenüber zu stehen. Da die Tische nicht im Weg standen, konnte man sich hier duellieren. „Dann ist es abgemacht“, sagte die Blondine. Beide Duel Disks fuhren aus und aktivierten sich mit einem Piepen. „Duell!“   [Anya: 4000LP / Henry: 4000LP]   „Ich mache den ersten Zug“, kündigte Henry an, nachdem er sein Startblatt gezogen hatte. „Von mir aus. Aber denk nicht, dass sich das von damals wiederholen wird! Ich bin um einiges besser geworden, seit wir uns das letzte Mal duelliert haben!“ „Wenn du meinst …“ Henry nahm eine dauerhafte Zauberkarte aus seinem Blatt und zeigte sie Anya. „Dann zeig mir mal, wie gut du bist, wenn du auf deine Keycard verzichten musst! Ich aktiviere [Prohibition]! Damit verbiete ich die Benutzung einer von mir benannten Karte, solange [Prohibition] aktiv ist! Und in dem Fall wäre das [Gem-Knight Fusion]!“ Hinter Henry tauchte plötzlich eine Schriftrolle auf, die sich entfaltete und auf der das Abbild von Anyas wichtigster Zauberkarte abgebildet war. „Tch! Ich brauche die nicht, um dich fertig zu machen!“ Doch ihre gekrümmte Körperhaltung strafte ihrer Worte eindeutig Lügen. „Du wirst dir noch wünschen, das nicht gesagt zu haben. Ich setze zwei Karten verdeckt und gebe ab.“ Vor den Füßen ihres Gegners erschienen zwei gesetzte Karten mit dem Rücken nach oben zeigend.   Anya zog mit einem lauten Ausruf und betrachtete ihre Hand. Dort war unter anderem auch die versiegelte [Gem-Knight Fusion]. Zischend richtete sie ihren Blick auf den brünetten, jungen Mann. Seinen Worten nach zu schließen musste er immer noch das jämmerliche Mülldeck spielen, das er sich irgendwo zusammengeschnorrt hatte, da seine Schwester sein eigentliches Deck besaß. Wenn das so war, würde er vermutlich wieder versuchen, diese absurden Kombos auszuspielen. Kein Monster gerufen zu haben, bedeutete vermutlich nur, dass er etwas in dieser Richtung vor hatte und mit einer Falle ihren Angriff abwehren wollte. Und wenn es ein Angriff war, den er erwartete, sollte er ihn auch bekommen! „Ich beschwöre [Gem-Knight Tourmaline]! Direkter Angriff!“ Vor Anya erschien ein Ritter in goldener Rüstung mit einem Turmalin-Edelstein in der Brust, der in seinen Handflächen einen Blitz entstehen ließ und auf Henry abfeuerte.   Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)]   Henry hob den Arm, um den kanonenartigen Energieschuss abzufangen, doch wurde beim Aufprall geschockt. Da Anya aber keine Anstalten machte, ihre Kräfte einzusetzen – da sie es ohnehin so ohne Weiteres nicht könnte, selbst wenn sie wollte – wurde Henry nicht weiter verletzt.   [Anya: 4000LP / Henry: 4000LP → 2400LP]   Überrascht stellte Anya fest, dass Henry keine seiner Fallen aktiviert hatte. Aber umso besser für sie. Eine Faust in die Luft schlagend, rief sie stolz: „First Blood!“ Dann nahm sie ebenfalls eine Falle aus ihrem Blatt und setzte sie. „Die hier! Damit beende ich den Zug!“   Henry zog schwungvoll und lächelte zufrieden, als er seine neue Karte ansah. „Genau was ich gebraucht habe!“ Dann streckte er seinen Arm aus, mit der er die Karte hielt. „Verdeckte Falle! [Ojama Trio]! Sie erschafft drei Ojama-Spielmarken in Verteidigungsposition, die an dich gehen.“ Jeweils eine grüne, eine schwarze und eine gelbe Koboldgestalt in roten String-Tangas, alle drei nicht größer als eine Hand, tauchten plötzlich um Anyas Kopf auf und grinsten sie an.   Ojama-Spielmarke x3 [ATK/0 DEF/1000 (2)]   „Du gibst mir noch extra Monster!? Wie dämlich!“ Henry verzog die Augen zu Schlitzen. Dabei dachte er, dass wenn Anya sie nicht haben wollte, er ihr schon helfen würde, sie wieder zu entsorgen. „Ich beschwöre von meiner Hand [Marauding Captain]! Und der kann ein Monster bis zu Stufe 4 von meiner Hand als Spezialbeschwörung beschwören! Erscheine, [3-Hump Lacooda]!“ Sowohl ein Krieger in eiserner Rüstung mit zwei Schwertern in den Händen, als auch ein erschöpftes Kamel mit dreckigen Bandagen um die Höcker gewickelt materialisierten sich auf Henrys Spielfeldseite. „Und jetzt von meiner Hand der Schnellzauber [Inferno Reckless Summon]! Damit verdreifache ich das eben gerufene [3-Hump Lacooda]! Dafür kannst du ebenfalls eines deiner Monster vervielfachen.“ „Dann rufe ich noch einen [Gem-Knight Tourmaline], aber im Verteidigungsmodus!“ Nachdem alle Monster erschienen waren, kontrollierte Anya die drei Ojamas sowie zwei goldene Ritter des Turmalins, während Henry seinerseits auf drei Kamele und seinen Krieger zurückgreifen konnte.   Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)] Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)] Ojama-Spielmarke x3 [ATK/0 DEF/1000 (2)]   Marauding Captain [ATK/1200 DEF/400 (3)] 3-Hump Lacooda x3 [ATK/500 DEF/1500 (3)]   Er geht wirklich klug vor. Zunächst nimmt er einen direkten Angriff in Kauf, um keines seiner Monster im ersten Zug ausspielen zu müssen, wo er diese Kombo nicht einsetzen konnte. Dann blockiert er deine Monsterzonen mit Spielmarken, damit du das Potential seiner Zauberkarte nicht voll nutzen kannst. Was hat er als Nächstes vor?   Anya ihrerseits hatte eine Ahnung. Aber es kam ganz anders. „Das ist die Zauberkarte, die ich eben gezogen hatte! Sie nennt sich [Flash Of The Forbidden Spell] und kann nur eingesetzt werden, wenn die Monsterzonen meines Gegners alle besetzt sind! Dann zerstört sie alle deine Monster auf einmal!“ „Was zum-!?“ Plötzlich regnete es Blitze auf Anyas Monster, die eines nach dem anderen explodierten. „Und da jeder zerstörte Ojama dich 300 Lebenspunkte kostet, habe ich gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen“, erklärte Henry zufrieden.   [Anya: 4000LP → 3100LP / Henry: 2400LP]   Nur noch mit einer gesetzten Karte verbleibend, runzelte Anya wütend die Stirn. „Da sieht man es! Hättest du nicht so viel Glück, wäre das Duell damals mein Sieg gewesen, nicht deiner!“ „Ist das deine Ausrede?“, erwiderte Henry unbeirrt. „Glaub, was du glauben willst! Von dir erwarte ich keine Einsicht!“ „Ach ja? Dann greif mich doch an!“ „Worauf du Gift nehmen kannst! Leider besitze ich nur drei Xyz-Monster, von denen zwei nicht mit den Monstern gerufen werden können, die ich besitze. Daher opfere ich zwei [3-Hump Lacooda] durch ihren Effekt, um drei Karten zu ziehen!“ Und kaum hatte Henry sein zuvor leeres Blatt aufgestockt, streckte er den Arm aus. „Die beiden verbleibenden Stufe 3-Monster nutze ich, um das Overlay Network zu erschaffen! Zeig dich, [Grenosaurus]!“ Henrys Monster wurden zu braunen Lichtstrahlen, die in das schwarze Loch gezogen wurden, welches sich inmitten des Spielfelds auftat. Daraus hervor trat ein roter Dinosaurier, der auf zwei Beinen stand und dessen Schopf tatsächlich brannte. Um ihn kreisten zwei Lichtsphären.   Grenosaurus [ATK/2000 DEF/1900 {3}]   „An den erinnere ich mich noch! Mit dem habe ich letztes Mal kurzen Prozess gemacht und heute wird das nicht anders sein“, kündigte Anya selbstsicher an. „Nur zu! Direkter Angriff auf ihre Lebenspunkte! Ancient Fire Burst!“ Aus seinen Nüstern schoss das urzeitliche Ungetüm eine Flammenwolke, die direkt auf Anya zusteuerte. Die schwang den Arm aus. „Ach ja? Dann komm ich dir mit der hier zuvor: [Pyroxene Fusion]! Pah! Dachtest du ernsthaft, [Gem-Knight Fusion] wäre meine einzige Möglichkeit, Fusionsbeschwörungen durchzuführen!? Diese Karte tut dasselbe, sie lässt mich Monster von meiner Hand verschmelzen!“ „Nein, genau damit habe ich gerechnet! Und ich bin vorbereitet! Konterfalle [Seven Tools Of The Bandit]! Sie annulliert deine Falle, kostet mich im Gegenzug aber 1000 Lebenspunkte!“ Anyas Falle zersprang mit einem Klicken. Kurz darauf traf sie die Feuerwolke und deckte sie ein, doch unter den Flammen hörte man nur Anyas gehässiges Gelächter.   [Anya: 3100LP → 1100LP / Henry: 2400LP → 1400LP]   Nachdem der Rauch verschwunden war, verschränkte Anya selbstherrlich die Arme vor die Brust und grinste süffisant. „Genau das ist, womit -ich- gerechnet habe. Schon als du [Prohibition] aktiviert hast, wusste ich, dass ein Teil deiner Strategie darauf abzielt, die guten Karten des Gegners zu blockieren, weil du selber nur Mist besitzt.“ „Und was heißt das?“ Henry runzelte die Stirn. „Deine Fusionsbeschwörungen wurde verhindert!“ „Stimmt … aber wer sagt, dass ich die überhaupt hätte durchführen können?“ „Dein Punkt ist … ?“ Anya klatschte sich eine Hand an die Stirn. „Alter, bist du schwer von Begriff? Ich habe eine Fehlaktivierung ausgelöst, um zu sehen, ob ich recht mit meiner Vermutung habe! Tatsächlich habe ich nur ein Monster auf der Hand, was nicht reicht, um zu fusionieren.“ „Du hast-! Du hast mich gelinkt!?“ Zufrieden nickte Anya. „Endlich hat er's geschnallt. Zu dumm, deine Konterfalle hast du ganz umsonst aktiviert. Oh, und du hast noch Lebenspunkte dafür verloren.“ Den letzten Satz hatte sie besonders betont, um Henry zu zeigen, dass das die Rache für das [Ojama Trio] war. „Linke Bazille! Wenn du auf so etwas zurückgreifen musst, bist du echt armselig! Und ich dachte, du könntest nicht tiefer sinken! Aber das sind wohl die Mittel, auf die ein Amateur zurückgreifen muss!“   Das war ein brillanter Zug, Anya Bauer. Seit wann denkst du so strategisch?   Seit sie diesen Knilch nach allen Regeln der Kunst abservieren wollte, dachte Anya, sprach es aber nicht aus. Das war der Unterschied zwischen ihnen beiden. Er hielt sie immer noch für dieselbe Amateurin, gegen die er vor knapp zwei Monaten gespielt hatte. Sie hingegen hatte begriffen, dass keiner ihrer Gegner unterschätzt werden durfte. Und da sie nun wusste, wie er spielte, hatte sie sich darauf einstellen können. Manchmal reichte es nicht aus, sich nur innerhalb der Grenzen von Karteneffekten zu bewegen. Auch Dinge wie Fehlaktivierungen konnten als Strategie eingesetzt werden. Es war so simpel … aber es fühlte sich gut an. Vielleicht war es gar nicht so schlimm, manchmal nachzudenken? Nur manchmal! Aufgebracht darüber, dass Anya ihn hereingelegt hatte, nahm Henry zwei Fallen und schob sie in die dazugehörigen Slots seiner Duel Disk. „Mit zwei gesetzten Karten gebe ich an dich ab! Was kommt als Nächstes? Willst du dieses Mal richtig schummeln? Nur zu, mir egal! Ich besiege dich auch so!“ „Als ob ich das nötig hätte!“ „Hast du aber! Abby hat mir viel über deine Duellweise erzählt! Wie oft hast du aus eigener Kraft gewonnen? Gab es nicht immer irgendeinen Umstand, der dir geholfen hat, deine Spiele doch noch zu drehen?“ Henry hatte sich regelrecht in Rage geredet. „Sieh es ein, alleine kriegst du nichts gebacken! Du wirst immer der Gnade deiner Gegner und deines Dämons ausgeliefert sein!“ „Stimmt … meine Quote ist lausig“, gab Anya offen zu. „Aber höre ich da Neid heraus? Schließlich muss man sich Hilfe auch verdienen!“ Henry stampfte mit dem Fuß auf. „Du wagst es von Neid zu reden? Wo du es doch offensichtlich nicht ertragen kannst, dass Abby andere Freunde außer dich hat? Mit deiner Eifersucht hast du kein Recht, so mit mir zu reden!“ „Volltreffer“, streute Anya jedoch nur Salz in die Wunde, „muss kacke sein, wenn man selber keine Freunde hat, weil man als reicher Schnösel nur ausgenutzt wird. Deswegen denkst du wohl, du kannst dich einfach in anderer Leute Freundschaften einmischen, was?“ „Darum geht es dir also? Du denkst, ich will dir Abby wegnehmen? Lächerlich!“ Henry lachte fassungslos auf. „Verwechsel' deine größte Angst nicht mit der Realität! Wenn dir Abby etwas bedeutet, dann behandle sie nicht nur wie ein nützliches, aber im Notfall entbehrliches Anhängsel! Deine Feindseligkeit mir gegenüber basiert auf nichts, du lässt dich von deinen Gefühlen täuschen! Weil du es auch gar nicht ertragen kannst, dass sie dir vielleicht um etwas voraus ist …“   Das war es, dachte Anya. Dieser Typ verstand überhaupt nichts! Nein, wollte sie schon vorher Levriers Fähigkeit der Schicksalsbeeinflussung nicht einsetzen, wollte sie es jetzt erst recht nicht. Aus eigener Kraft würde sie diesem Typen das Maul stopfen, so viel war sicher! „Draw!“, rief sie und bemühte sich um Fassung. Gar nichts verstand er! Als sie das Gezogene ansah, wusste sie, dass ihre Entscheidung nicht falsch gewesen war. Sie nahm eine Zauberkarte aus ihrem Blatt hervor und rief: „[Silent Doom]! Damit wird ein normales Monster, wie [Gem-Knight Tourmaline] in Verteidigungsposition von meinem Friedhof beschworen! Außerdem rufe ich [Gem-Knight Garnet] als Normalbeschwörung!“ Vor Anya tauchten der goldene Ritter sowie ein Krieger in bronzener Rüstung auf. Letzter entfachte eine Flamme in seinen Händen, wobei der Granat in seiner Brust grell schimmerte. Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)] Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   „Und jetzt beginnt der Spaß! Ich erschaffe das Overlay Network und überlagere meine beiden Stufe 4-Monster! Xyz-Summon!“ Wieder öffnete sich inmitten des Klassenzimmers der klaffende, schwarze Wirbel, in den die braunen Lebensessenzen von Anyas Monstern gezogen wurden. „Hier kommt es“, murmelte Henry, „[Gem-Knight Pearl], dein Paktmonster!“ „... Fehlanzeige! Hier kommt meine wahre Perle und neue, alte Geheimwaffe, um überheblichen Pennerkindern eine Lektion zu erteilen! Erscheine, [Kachi Kochi Dragon]!“ Ja, dachte Anya zufrieden, damit hatte er sicher nicht gerechnet. Als sie damals ihr Deck umstellen wollte, hatte sie diesen alten Bekannten wiederentdeckt. Levrier hatte ihn letztlich in das von ihm erstellte Deck übernommen und Anya wusste nun zu schätzen, was ihr Dämon für sie getan hatte. Denn jetzt konnte sie ordentlich austeilen! Aus dem Boden brach unter lautem Getöse ein Drache, dessen gesamter Körper von einer schützenden Kristallschicht überzogen war. Auf allen Vieren stand er, streckte seine mächtigen Schwingen aus und brüllte stolz, als um ihn zwei Lichtsphären zu kreisen begannen.   Kachi Kochi Dragon [ATK/2100 DEF/1300 {4}]   „Damit hast du nicht gerechnet, was!?“, flötete Anya. „Erinnerst du dich an damals, als du mit deinem [Black Ray Lancer] Pearls Effekt negieren wolltest, obwohl er keinen hatte? Du wirst dir noch wünschen, dass du das jetzt könntest! [Kachi Kochi Dragon], greif ihn an! Primo Sciopero!“ Der Drache flog pfeilschnell auf Henrys Dinosaurier zu und zerteilte ihn mit einem Klauenschlag wie ein Messer die Butter. Die Explosion ließ Henry aufschrecken.   [Anya: 1100LP / Henry: 1400LP → 1300LP]   „Mit Pearl hättest du mehr Schaden angerichtet“, sagte er, hatte aber das ungute Gefühl, dass ihm noch etwas bevorstand. Und er sollte Recht behalten. „Irrtum, [Kachi Kochi Dragon] hat einen Effekt, von dem Pearl nur träumen kann! Wenn er ein Monster zerstört hat, kann er für ein Xyz-Material einmal pro Zug direkt nochmal angreifen! Also los!“ Anyas Monster fraß eine der Lichtkugeln um es herum und brüllte. „Secondo Sciopero! Beende es!“ „Niemals! Falle! [Damage Diet]! Sie halbiert den Schaden, den ich für diesen Zug erleide!“ Die Falle sprang vor ihrem Besitzer auf und stellte sich wie eine Mauer schützend vor ihn. Dennoch traf der Schlag des Drachens, als jener Henry angriff. Nämlich genau in die Brust und ließ ihn zurückweichen, da die Pranke einfach durch die Karte hindurch geglitten war. „Verdammter Kackmist“, fluchte Anya enttäuscht. Um eine Haaresbreite war sie am Sieg vorbei geschlittert!   [Anya: 1100LP / Henry: 1300LP → 250LP]   Aber sie war noch längst nicht am Ende ihrer Kräfte. Sie sah ihre Hand an, welche aus zwei Fallen und [Gem-Knight Fusion] bestand. „Ich setze drei Karten verdeckt. Du bist dran, Schnöselkind!“ Völlig gleich, ob er ein Penner oder Multimilliardär war, dieser Typ hatte sie mit seinen Worten beleidigt. Dafür würde er bluten müssen! Und dafür, dass er einen Keil zwischen sie und Abby geschlagen hatte. Dafür … erst recht! Kaum hatte Anya das gesagt, riss Henry förmlich die nächste Karte von seiner Hand. Er wusste, dass jetzt etwas Gutes kommen musste, wenn er dieses Spiel noch für sich entscheiden wollte. Ohne Isfanels Kräfte konnte er dies jedoch nicht beeinflussen. Was er aber ohnehin nicht wollte, denn um diesem egoistischen Mädchen eine Lektion zu erteilen, durfte er sich nicht auf ihr Niveau herablassen. „Das ist es“, sprach er leise, als er seine gezogene Zauberkarte betrachtete. „Ich aktiviere den Ausrüstungszauber [Symbol Of Heritage]! Wenn drei Monster desselben Namens auf meinem Friedhof liegen, kann ich eines davon reanimieren und mit dieser Karte ausrüsten! Also erscheine, [3-Hump Lacooda]!“ Eines von Henrys Kamelen tauchte wieder vor ihm auf. Um den Hals hatte es eine Kette mit einem Amulett hängen, in das ein gelber, ein roter und ein blauer Edelstein eingesetzt waren.   3-Hump Lacooda [ATK/500 DEF/1500 (3)]   „Und jetzt als Normalbeschwörung: [Grass Phantom]!“ Henry knallte förmlich seine letzte Karte auf die Duel Disk, woraufhin vor ihm eine grüne Kohlrübe auftauchte, aus deren Mund rosafarbene Tentakel lugten.   Grass Phantom [ATK/1000 DEF/1000 (3)]   „Ich habe noch einen Trumpf!“, rief Henry und schwang den Arm aus. „Ich erschaffe das Overlay Network!“ Seine beiden Monster wurden zu brauner und blauer Energie, die von dem sich öffnenden schwarzen Loch absorbiert wurde. „Land und Meer, Erde und Wasser, werdet eins! Steh mir bei, [Circulating Flow – The Gaia Cleaver]!“ Aus dem schwarzen Wirbel erhob sich eine eindrucksvolle Gestalt. Zwar hatte der Riese einen menschlichen Körperbau, doch bestand sein Körper aus purem, hellbraunem Gestein. Wie Venen flossen kleine Flüsse an seinen Armen und Beinen und in einer seiner Hände hielt der Gigant, der mit dem Kopf an die Decke des Klassenzimmers stieß, eine riesige Axt. Zwei Lichtsphären kreisten um ihn. „Fett“, staunte selbst Anya beim Anblick dieses Monsters. Oder eher seiner Angriffspunkte.   Circulating Flow – The Gaia Cleaver [ATK/3500 → 2000 DEF/2000 {3}]   „Huh!?“ Plötzlich gingen von den beiden Sphären Blitze aus. Der Riese schrie auf und rollte sich zusammen. Binnen eines Herzschlags hatte er eine kugelrunde Form angenommen, sah aus wie ein Planet. Beinahe wie die Erde! Anya blinzelte verdutzt. „Wieso hat das Teil Angriffspunkte verloren!?“ „Der Gaia Cleaver wird von seinem Xyz-Material versiegelt, wodurch seine Angriffskraft um deren Stärke sinkt.“   Verstehe. Da seine Materialien zusammen 1500 Angriffspunkte besitzen, hat dieses Wesen genauso viele Punkte verloren. Anya Bauer, das bedeutet aber auch, dass er nur seinen Effekt einsetzen und die Materialien wieder abkoppeln muss, um wieder stärker zu werden.   „So weit war ich auch schon“, zischte Anya leise. Unruhig starrte sie auf die mittlere ihrer drei gesetzten Karten. „Effekt des Gaia Cleavers aktivieren!“, rief Henry und zog das [Grass Phantom] unter seinem Xyz-Monster hervor. „Wenn du mindestens vier Karten kontrollierst, kann ich pro Zug eine davon zerstören!“ Plötzlich brach die Erdkugel, als eines der Xyz-Materialien in ihr verschwand, auf und verformte sich wieder zu dem Axt schwingenden Gesteinsriesen.   Circulating Flow – The Gaia Cleaver [ATK/2000 → 3000 DEF/2000 {3}]   Anya schnaufte nur. Nichts, womit sie nicht gerechnet hatte. Wieder fiel ihr Blick unauffällig auf die mittlere gesetzte Karte. Dann sah sie abwartend zu Henry auf. „Ein Monster und drei gesetzte Fallen. Wenn ich [Kachi Kochi Dragon] vernichte, würde ein direkter Treffer reichen, um zu gewinnen“, meinte Henry, „aber täte ich das, würde ich Gefahr laufen, das Opfer einer deiner Fallen zu werden. Den Drachen kann ich auch so beseitigen, auch wenn ich dann noch eine Runde warten muss, ehe ich dich besiegt habe. Aber anders als du überstürze ich nichts!“ „Was ist also deine Lösung, Einstein?“, fragte Anya herausfordernd. „Die Karte zu zerstören, die du die ganze Zeit anstarrst! Die in der Mitte!“ „Oh shit!“, stieß Anya erschrocken hervor. Der Riese warf seine Axt nach Anyas gesetzter Karte, welche durch einen geraden Schnitt in zwei Teile geteilt wurde und explodierte. Das Mädchen nahm sie daraufhin aus ihrer Duel Disk und grinste hämisch. Dabei nahm sie einen gespielten, weinerlichen Tonfall an. „Was soll ich denn jetzt ohne meine [Gem-Knight Fusion] machen!?“ „Noch ein Bluff!?“ „... bingo! Damit hast du nicht gerechnet, was? Meine Karten nützen mir selbst dann noch, wenn ich sie gar nicht aktivieren kann!“ Henry starrte das Mädchen ungläubig an. „Wieder so ein Trick? Du kannst wohl nicht anders … aber deinen [Kachi Kochi Dragon] wird das auch nicht retten! Gaia Cleaver, greife ihr Monster an! Earth Glaive!“ Der Riese musste nur einmal mit dem Fuß aufstampfen, um mehrere Felsspitzen aus dem Boden schießen zu lassen, die alle zusammen Anyas Drachen aufspießten. Brüllend explodierte das Monster, wobei dessen Besitzerin genervt aufschrie.   [Anya: 1100LP → 200LP / Henry: 250LP]   „Zug beendet“, sprach Henry trotz allem halbwegs zufrieden, „nun sind wir wieder fast gleichauf. Wenn nicht ausgerechnet du meine Gegnerin wärst, würde das sogar Spaß machen …“ „Tch! Denk nicht, dass ich so leicht aufgebe!“ Nebenbei nahm der Riese wieder seine Planetenform an. Die Arme verschränkend, schüttelte Henry den Kopf. „Tu ich nicht. Aber du solltest wissen, dass der Gaia Cleaver nicht von Monstereffekten zerstört werden kann, solange er Xyz-Material besitzt. Also versuch es gar nicht erst. Und denk gar nicht erst an einen Angriff, denn Gaia Cleaver kann bis zu 5000 Angriffspunkte einmalig abwehren. Sieh es ein, einen ganzen Planten kannst du nicht besiegen!“ „Was!? … pff, was auch immer.“   Damit war ihr Plan, das Ding sowohl mit [Gem-Knight Prismaura], als auch [Gem-Knight Ruby] zu zerstören gerade gestorben, dachte Anya genervt. Ihre einzigen Möglichkeiten, an dieses Ding heran zu kommen! Jetzt musste sie wirklich etwas Gutes ziehen, wenn sie noch eine Chance haben wollte. Außer den zwei Fallen besaß sie keine Karten mehr. Sie griff unschlüssig nach ihrem Deck.   Brauchst du meine Hilfe?   „... Hell no! Das werde ich alleine regeln! Draw!“ Nein, wenn sie dem Kerl beweisen wollte, dass sie auch ohne Hilfe gewinnen konnte, musste sie auf Levriers Fähigkeiten verzichten! „Nur ein Monster, mehr brauch ich nicht“, murmelte Anya leise und drehte die Karte langsam in ihrer Hand um. Nur um dann die Augen zu schließen. Und in die Luft zu springen. „Hell yeah!“ Dann widmete sie sich wieder ihrem Gegner. „Sorry Kumpel, sieht nicht so aus, als ob du hier noch mal Land gewinnst! Ich beschwöre von meiner Hand [Gem-Knight Sapphire]! Zusätzlich reanimiere ich durch meine Falle [Birthright] ein normales Monster von meinem Friedhof, nämlich [Gem-Knight Tourmaline]! Erscheint!“ Und das taten sie. Sowohl ein Ritter in blauer Rüstung samt darin eingebettetem Saphir, der einen Schwall aus gefrorenem Wasser erzeugte, als auch der Krieger des Turmalins in goldener Rüstung. Letzterer war aus einem Loch im Boden aufgetaucht, nachdem Anyas Falle aufgeklappt war.   Gem-Knight Sapphire [ATK/0 DEF/2100 (4)] Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)]   Es bedarf keiner Worte um zu wissen, was Anya vorhatte. Das Overlay Network öffnete sich abermals und absorbierte die Lebensessenzen ihrer Krieger. Kämpferisch rief Anya: „Erscheine, [Gem-Knight Pearl]!“ Aus dem schwarzen Wirbel trat ihr weißer Ritter hervor, dessen Waffen – seine sieben rosafarbenen Riesenperlen – ihm wie ein Rattenschwanz folgten, als er knapp bis an die Decke des Klassenzimmers stieg.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4}]   „Das ist nicht einmal annähernd genug, um Gaia Cleaver gefährlich zu werden!“, protestierte Henry. „Mit deinem effektlosen Paktmonster erreichst du gar nichts!“ „Sagt wer?“ Anya hatte genug von diesem arroganten Mistkerl. Der würde jetzt sein blaues Wunder erleben! „Wenn du dachtest, ich würde nur einen Weg kennen, um ohne [Gem-Knight Fusion] zu fusionieren, hast du dich aber so was von geschnitten! Sieh her, meine letzte Fallenkarte! [Fragment Fusion]!“ Anyas Falle sprang auf und zeigte den weißen Ritter [Gem-Knight Crystal] in unendliche Leere fallend, wobei ein Wirbel aus Edelsteinen ihm folgte. „Hiermit kann ich von meinem Friedhof Monster verschmelzen, indem ich sie aus dem Spiel verbanne!“, erklärte Anya hitzig, griff nach ihrer Duel Disk und zog zwei Karten aus ihrem Friedhof, die sie in ihre Hosentasche steckte. „Der einzige Nachteil ist, dass das beschworene Monster am Ende des Zuges das Zeitliche segnet! Aber mehr brauche ich auch nicht! Mach dich bereit, ich entferne Garnet und den zweiten Tourmaline von meinem Friedhof! Garnet, du bist das Herz, Tourmaline, du die Rüstung! Vereint euch!“ Plötzlich tauchten überall im Raum die verschiedensten Edelsteine auf. Weiße Energielinien bildeten sich überall zwischen ihnen und boten eine spektakuläre Show. Doch vor Anya geschah etwas Besonderes, denn dort wurde ein regelrechtes Netz gebildet. Fast wie ein Loch mutete es an und das war es auch, als mit einem Mal ein Krieger in roter Rüstung daraus vor dem Mädchen auftauchte. „Endlich bist du hier, [Gem-Knight Ruby]!“ Mit wehendem, blauen Umhang und Lanze in der Hand, stand der Rubinritter direkt unter Pearl.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)]   „Und jetzt sieh zu und lerne! Ich opfere durch Rubys Effekt meinen Pearl, um Rubys Angriffspunkte um die von Pearl zu erhöhen! Zu mehr ist das nutzlose Ding eh nicht gut!“ Henry schreckte zurück. „Im Ernst!?“ „Aber so was von!“ Anyas Xyz-Monster löste sich in weißem Licht auf, welches von Rubys Lanze absorbiert wurde. Schließlich erglühte um den Ritter eine rosafarbene Aura.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 → 5100 DEF/1300 (6)]   Fassungslos starrte Henry den gestärkten Ritter an. „Das ist nicht wahr …“ „Tja, so ein Pech, was!? Dein dämliches Monster kann nur Angriffe blocken, die mit maximal 5000 Angriffspunkten ausgeführt werden! Sieht wohl so aus, als ob mein Ruby jetzt stark genug ist, um einen ganzen Planeten zu vernichten!“ Anya streckte zufrieden den Arm aus. Plötzlich wurde ihre Stimme ernst. „Du irrst dich. Abby ist für mich kein Anhängsel, sie ist die Einzige, die sich vorstellen kann, wie ich mich fühle! Und ja, verdammter Kackmist, ich bin eifersüchtig! Wie würdest du dich fühlen, wenn die einzige Person, der du vertraust, dir lauter Dinge verheimlicht!? Also hör gefälligst auf, dir einzubilden zu wissen, was andere Menschen fühlen! Kein Mensch kann jemals wissen, was der andere fühlt!“ Sie atmete ein letztes Mal tief durch, ehe sie befahl: „Los Ruby, Attacke! Sparkling Lance Thrust!“ „Pah … ist das ein schlechtes Omen oder was? Du und einen Planeten zerstören?“, fragte Henry plötzlich, als Anyas Monster auf den Gaia Cleaver zuraste und überging dabei bewusst ihren Appell. „Das lasse ich nicht zu! Von dir lasse ich mich nicht besiegen, niemals! Falle aktivieren!“ Erschrocken zuckte Anya zusammen. „Was!? Die habe ich total vergessen!“   Henry war erstaunt, gleichwohl aber auch rasend vor Wut. Dass dieses Mädchen es so weit gebracht hatte kam für ihn völlig überraschend. Vielleicht war sie wirklich nicht so dumm, wie er angenommen hatte? Aber selbst wenn das stimmte, änderte das nichts an ihrem Charakter. Allein ihn damit zu erpressen, Melinda etwas anzutun, war etwas, das er ihr niemals vergeben würde. Nein, sie würde seine Hilfe nicht erhalten, solange sie sich nicht grundlegend änderte! Zwar hatte er ursprünglich geplant, sie mit seiner letzten Fallenkarte unter Hilfe der [Damage Diet] auf seinem Friedhof zu besiegen, doch es war letztlich anders gekommen. Aber zumindest eins konnte er noch tun. „Ich aktiviere [Destruction Ring]! Jener vernichtet eines meiner Monster, um uns beiden 1000 Punkte Schaden zuzufügen!“ Anyas Gesichtszüge entglitten ihr regelrecht, als sie das hörte. Geschieht dir recht, dachte Henry sich dabei schadenfroh.   Noch bevor Ruby mit seiner Lanze den Planeten berührt hatte, explodierte dieser unter lautem Getöse von selbst und schleuderte den Krieger weit zurück. Anya wurde geblendet von dem grellen Licht und konnte nicht begreifen, was soeben geschehen war. Dieser Typ, er-   [Anya: 200LP → 0LP / Henry: 250LP → 0LP]   … hatte aus Verzweiflung tatsächlich ein Unentschieden provoziert. Die Hologramme verschwanden, sodass die beiden sich schließlich im Klassenraum gegenüber standen und in gebeugter, von der Anspannung hervorgerufener Haltung hasserfüllt anstarrten. „Das hast du wirklich gut gemacht!“, fauchte Anya garstig mit Schweiß auf der Stirn. Sie war so kurz davor gewesen, zu erfahren, wie sie den Pakt loswerden konnte. So nah dran!   Du hast gut gekämpft, Anya Bauer. Und damit meine Erwartungen an dich zum ersten Mal bei weitem übertroffen. Du warst deinem Gegner wahrlich ebenbürtig.   „Spar dir das, Levrier, ich habe nicht gewonnen!“, donnerte Anya aufgewühlt. Hätte sie doch nur bessere Karten gehabt, dachte sie dabei frustriert. Dann hätte sie ihn vielleicht besiegen können! Nur daran hatte es gelegen, ihr Spiel war besser denn je gewesen! Plötzlich stand Henry vor ihr und reichte ihr die Hand. „Gutes Spiel“, sagte er dabei steif. Allerdings wurde er dafür nur angeherrscht. „Was soll das jetzt!?“ „So zollt man dem anderen Respekt. Auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob du den verdient hast.“ Wütend schlug Anya seine Hand beiseite, wie schon beim letzten Mal, als sie sich duelliert hatten. „Deinen Respekt brauche ich aber nicht, Milchbubi!“ Die Hand sinken lassend, schüttelte Henry den Kopf. „Wie ich mir dachte, du hast tatsächlich nichts dazugelernt. Du bist vielleicht besser geworden, aber an deiner Einstellung hat sich nichts geändert.“ „Das ist nicht wahr.“   Die beiden drehten sich überrascht um, als Abby im Türrahmen stand. „Anya hat zum ersten Mal zugeben, dass sie verletzlich ist.“ Das Mädchen schritt auf die beiden zu und lächelte, wischte sich dabei mit einem Taschentuch eine Träne unter der Brille weg. „Ich hab die ganze Zeit alles mit angehört. Und ich finde es toll, dass du dir so viel Mühe gegeben hast, ohne dich von Levriers Fähigkeit abhängig zu machen, Anya.“ „Du bist nicht mehr wütend?“, fragte Anya skeptisch, als Abby vor ihr stand und lächelte. Jene schüttelte den Kopf. „Nein. Weil du recht hattest. Ich hätte dir diese Dinge nicht verschweigen dürfen. Und auch nicht hinter deinem Rücken mit Henry nach seiner Schwester suchen, obwohl du meine Hilfe genauso nötig brauchst.“ „Ich erinnere euch beide an unseren Deal“, mischte sich der brünette Kerl daraufhin ein. „Da Anya weder verloren, noch gewonnen hat, ändert sich nichts. Wenn ich Melinda gefunden habe, sage ich euch, wie ihr den Pakt brechen könnt. Eher nicht.“ Abby sah den jungen Mann daraufhin mit einem bedauernden Gesichtsausdruck an. „Tut mir leid, Henry, aber wir wissen bereits um diese Möglichkeit.“ „Was!?“, schoss es sowohl aus Anyas, als auch aus Henrys Mund. Nickend deutete Abby auf den Spross der Ford-Familie. „Deine Geschichte hat bestätigt, was Nick von Isfanel erfahren hat, als sie sich duelliert haben. Da Isfanel dein Paktdämon war. Er hatte gesagt, dass man den Tod überleben müsste. Und das hast du getan, nicht wahr?“ Henry rieb sich verlegen den Hinterkopf. „Schätze die Katze ist damit aus dem Sack, was?“ „Stimmt das?“, fragte Anya, die sich nicht sicher war, ob sie überhaupt verstand, was da gerade abging. „Du bist 'ne Leiche?“ „Nein!“, widersprach Henry. „Aber es ist wahr, dass ich an der Schwelle des Todes stand. Es ist ...“ „Du kannst uns die Geschichte später erzählen“, unterbrach Abby ihn freundlich und richtete sich an Anya. „Aber vorher muss ich dir etwas zeigen. Erst dachte ich, es wäre keine gute Idee, bloß hast du schließlich ein Recht darauf, es zu sehen. Keine Geheimnisse mehr zwischen uns, nicht wahr?“ Neugierig kratzte sich Anya am Kopf. Damit war die Sache wohl ein für alle Mal erledigt – endlich! Brummig fragte sie: „Wenn du meinst? Um was geht es denn?“ „Valerie ist zurück“, antwortete Abby geheimnisvoll. „Und … du wirst es sehen, wenn du mitkommst.“ „Redfield? Pff, was interessiert mich Daddys kleine Prinzessin?“ „Sie wartet auf uns bei sich zuhause. Komm einfach mit, okay?“ Henry zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, das geht mich nichts an. Ich verschwinde und suche weiter nach Melinda. Abby, wirst du mir trotzdem helfen?“ Das Mädchen nickte freundlich, aber zurückhaltend lächelnd. „Natürlich. Aber Anya ist auch meine Freundin.“ „Ich weiß. Wenn ich irgendetwas Interessantes erfahre, was Eden betrifft, teile ich es euch mit. Aber erwarte nicht, dass ich warm mit ihr werde.“ Anya stemmte wütend die Hände in die Hüften. „Gleichfalls! Und hey, was ist jetzt mit deinem kleinen Geheimnis?“ „Abby wird es dir erklären, da sie wahrscheinlich ohnehin schon alles durchschaut hat. Mehr müsst ihr auch nicht wissen, das ist Privatsache. Also dann, tschüss ihr beiden.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und hob die Hand zum Abschiedsgruß, während er das Klassenzimmer verließ. Als er weg war, seufzte Abby nachdenklich. „Ich ahne, was vorgefallen ist. Kein Wunder, dass er so plötzlich weg wollte. Darüber spricht man bestimmt nicht gern.“ Anya, die keine Ahnung hatte, wovon ihre Freundin da sprach, zuckte mit den Schultern. „Mir egal, der Typ geht mir auf die Eierstöcke.“ „Er ist kein schlechter Kerl, er macht sich nur Sorgen um seine Schwester.“ „Was auch immer. Was ist jetzt mit Redfield?“ „Ja … lass uns gehen.“   ~-~-~   „... und was macht eigentlich Nick?“, fragte Anya, während sie zusammen die letzten Meter Richtung der Villa der Redfields nahmen. „Keine Ahnung, er hat mir zwar zusammen mit Henry und Valerie erzählt, was vorgefallen ist, aber seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört. Vielleicht versteckt er sich, weil er Angst hat? Du weißt ja wie Nick ist.“ „Wenn ja, werde ich ihn schon aus seinem Loch holen“, schnaubte Anya. Wenn sie eines hasste, dann waren es Schisser. Es grenzte an ein Wunder, dass er überhaupt noch lebte. Aber dass er sogar das Duell gewonnen hatte? Das zu glauben fiel ihr wirklich schwer. Nick doch nicht!   „Jedes Mal, wenn ich dieses Teil sehe, kommt die Pyromanin in mir hoch“, giftete Anya schließlich, als sie vor dem Grundstück der Redfields standen. Es war sehr farbenfroh gehalten. Überall wuchsen Rosenstöcke und andere Blumen, eine Hecke trennte an beiden Seiten das Grundstück von den Nachbarn. Das dreistöckige Gebäude hingegen war komplett weiß und ähnelte in seiner Form ein wenig jenem berühmten Haus, in dem sich die Präsidenten den Hintern wund saßen. Anya hasste es. Am Tor angelangt, betätigte Abby die Klingel. Kurz darauf meldete sich eine weibliche Stimme über Lautsprecher. „Ja bitte?“ „Hi Val-“ „Redfield? Ich hab gehört, du wolltest mich sehen?“, raunte Anya da schon in den Sprecher. „Anya? Du bist gekommen? Gut. Kommt rein“, antwortete Valeries Stimme tonlos und ein anschließendes Knacken deutete an, dass sie bereits aufgelegt hatte. Die Torflügel schwangen daraufhin auf, sodass die Mädchen über einen kleinen Kiesweg hin zur Haustür gelangten. Jene öffnete sich, noch bevor sie angekommen waren. Valerie schien sie wirklich zu erwarten, trat sie schließlich nach draußen und kam ihnen eilig entgegen. „Ich glaub, ich muss kotzen“, war Anyas erster Kommentar, als sie ihre geschworene Erzfeindin erblickte. „Was ist das da auf deinem Kopf, Redfield? Ein Propeller?“ Damit meinte sie die rosafarbene Schleife, welche das lange, schwarze Haar zu einem Pferdeschwanz zusammenband. Tadelnd zischte Abby: „Anya! Jetzt ist nicht der Zeitpunkt für so etwas!“ „Ich freue mich auch, dich zu sehen“, entgegnete Valerie der Blondine kalt. „Kommt bitte mit.“ Und so folgten sie dem Mädchen in die Villa. Anya hatte ihre lieben Mühen, nicht eine der vielen Antiquitäten, die Valeries Vater sammelte, unauffällig zu demolieren. Das ganze Haus sah von innen viel älter aus, als von außen. Alles war mit Holz ausgearbeitet, wirkte alt und viel eher wie eine überdimensional große Winterhütte, denn wie die Villa eines Bürgermeisters. Zumindest war das Anyas Meinung. „In die Küche“, sagte Valerie stocksteif und führte sie in ebenjene. Und als Anya sie betrat, konnte sie ihren Augen nicht trauen. Dort, auf dem Tisch sitzend … „Was zur Hölle ist das denn!?“ „Oh, er hat wohl wieder Hunger. Zu dumm, bei Nick wird der Kühlschrank immer abgeschlossen, deswegen kommt er immer wieder hierher zurück.“ Anya wusste nicht, was das Ding dort war, das auf dem Esstisch der Familie Redfield saß und sich ein ganzes Tortenstück auf einmal in den Mund schob. Je länger sie es jedoch betrachtete, desto weniger wollte sie es wissen. „Darf ich vorstellen? Das ist Orion“, kicherte Abby. Der schwarze Schattengeist drehte sich zu den drei Mädchen um und starrte die Blondine mit seinen Kulleraugen an. Kurz musterte er ihre Statur, ehe er flötete: „Heiliger Mambajamba, ich glaub ich bin verliebt.“ Mit vorgehaltener Hand flüsterte Abby amüsiert zu Anya: „Das sagt er zu allen weiblichen Wesen.“ Orion hüpfte vom Tisch und lief auf Anya zu, was sich allerdings als fataler Fehler herausstellte, als diese ihn mit einem gezielten Kick gegen den Kühlschrank schleuderte. „Komm mir nicht zu nahe, du hässliches Ding!“ Von der Kühlschranktür herabrutschend, krächzte Orion. „Oh, eine Tsundere. Die liebe ich ganz besonders … aber diese hier ist irgendwie nur Tsun, kein bisschen Dere … Aua …“ „Redfield, was ist das für ein Ding!? Und was sucht es ausgerechnet bei dir!?“ „Joan hat mich zu ihm geführt. Er soll mich bewachen, wenn sie nicht da ist. Er ist ein Schattengeist, aber im Grunde ein guter Kerl … Hey! Nein Orion, wir machen unser Geschäft nicht in der Küche!“ Staunend sah Anya mit an, wie dieses Ding doch tatsächlich ein Häufchen auf Valeries teurem Parkettboden legte. Was ihm gleich die ersten Sympathiepunkte einbrachte. „Ich kacke dahin, wo's mir passt! Ich bin doch keine Katze, die-“ Doch schon war Valerie auf ihn zugestürmt und hatte ihn gepackt. „Du gehst jetzt schön auf dein Töpfchen!“ Mit dem laut protestierenden Orion verließ sie kurzerhand die Küche. Genervt murmelte sie im Vorbeigehen an die anderen beiden gewandt: „Bin gleich wieder da.“   Und kaum war Valerie um die Ecke verschwunden, wandte sich Anya enttäuscht an ihre Freundin. „Und deswegen hast du mich hierher gebracht?“ „Auch, aber-“ „Hi Anya, hi Abby.“ Anya drehte sich um. Und dieses Mal schien es, als würde ihr Herzschlag einen Moment aussetzen. Sie spürte, wie die Hitze in ihr aufstieg, war jedoch unfähig, etwas zu sagen, geschweige denn auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Das konnte nicht sein. Er war … „Hi Marc“, grüßte Abby den großen, kräftigen Footballspieler zurückhaltend. „Na, hast du Orion schon gesehen?“, fragte Marc Anya amüsiert, die es gerade noch so fertig brachte, zu nicken. „Ist schon ein komisches Kerlchen. Aber irgendwie lustig. Sein Stoffwechsel gibt mir aber zu denken.“ Einen Moment starrte der junge Mann irritiert das leere Kuchenblech auf dem Esstisch an. „Hat er den ganzen Kuchen gefuttert, den Valerie gebacken hat?“ „Ja, sieht so aus“, antwortete Abby ihm weiterhin schüchtern, dabei besorgt auf Anya schielend, die sich keinen Millimeter rührte. „Lass mich endlich runter“, kreischte jemand hinter Marc im Türrahmen. Valerie gesellte sich mit schockiertem Gesichtsausdruck zu ihm und ließ dabei glatt Orion fallen. Es war offensichtlich, dass sie nicht geplant hatte, dass Anya und Marc sich so begegneten. Wie in Trance sagte sie: „Anya, kann ich kurz mit dir unter vier Augen reden?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, packte Valerie die Blondine am Handgelenk und zerrte sie davon. Anya ließ es sich kommentarlos gefallen. „Was ist denn mit denen los?“, wunderte sich Marc unbekümmert. „Hat das etwas mit Orion zu tun?“ „Nein“, antwortete Abby ihm betrübt. „Eher mit dir.“ Marc schob den Ärmel seines Pullovers beiseite. Zum Vorschein kam sein verblasstes Paktmal, das Langschwert, das eins mit einer Flamme wurde. „Also hiermit …“ „Unter anderem“, gab sich Abby weiterhin knapp. Tatsächlich machte sie sich große Sorgen, um das, was Anya jetzt bevorstand. Die glaubte schließlich, Marc getötet zu haben. Dass er nun wieder zurück war … Und nicht zuletzt hatten Valerie und sie seit damals nicht mehr miteinander gesprochen. Aber die Anspannung der Schwarzhaarigen hatte sie, seit sie zurück war, die ganze Zeit über gespürt und nun befürchtete Abby, dass jene Anspannung sich gegen Anya entladen würde. „Hoffentlich geht das gut“, murmelte sie nachdenklich.   ~-~-~   Kaum hatte Valerie die Tür ihres Zimmers geschlossen, rammte sie Anya mit voller Wucht gegen ebendiese. „Damit eins klar ist: was du jetzt erfährst, wirst du niemandem erzählen! Nicht Abby, nicht Nick, nicht einmal Marc! Absolut niemandem, verstanden!?“ Anya, die zu verwirrt war, um zu protestieren, nickte. „Gut!“ Valerie ließ jedoch nicht ab von Anya, presste sie eher noch härter gegen die Tür. „Marc lebt, du hast richtig gesehen! Ich habe ihn zurückgeholt!“ „Wie … wie hast du das angestellt!? Ich … dachte er sei …?“ „Ich habe sozusagen meine Seele dem Teufel verkauft, um ihm sein Leben zurückzugeben.“ Ihre Stimme wurde leise, fast kaum mehr hörbar. „Merk dir das hier gut: Marc erinnert sich nicht an die Dinge, die an jenem Tag geschehen sind, als du ihn kaltblütig getötet hast! Alle denken, er hätte deinen Angriff, beziehungsweise den Brand überlebt! Das bleibt auch so, verstanden!?“   Anyas Herz trommelte in ihrer Brust wie niemals zuvor. All die Erinnerungen, die sie verdrängen wollte, kamen zurück. Marc, der sie töten wollte, um Valerie davor zu bewahren, ein Opfer Edens zu werden. Marc, der es am Ende nicht geschafft hatte, das auch durchzuziehen. Marc, der lieber selbst sterben wollte, als sie umzubringen und sie provoziert hat, ihm den Gnadenstoß zu versetzen. Wieso lebte er wieder? Was hatte Valerie da bloß getan?   Jene redete ungehalten weiter: „Marc weiß nicht, dass er tatsächlich versucht hat, dich umzubringen. Für ihn ist jener Tag so verlaufen, als hätte Isfanel ihn verlassen, weil er nutzlos geworden ist. Diese Erinnerungen habe ich ihm einpflanzen lassen, damit er nicht an seinen alten Erinnerungen zerbricht. Er weiß aber sehr wohl, dass er darüber nachgedacht hat, dich zu töten. Deswegen …“ „W-“ „Komm ihm nicht zu nahe, klar!? Du hast ihn mir schon einmal genommen! Ich habe alles von Marc erfahren: von Eden und den Opfern, die erbracht werden müssen! Ich weiß, ich bin eines davon und nur deshalb werde ich dir helfen, diesen Terror zu beenden. Aber lass-ihn-in-Ruhe!“ Valeries Finger bohrten sich tief in Anyas Oberarme. „Sonst wirst du deines Lebens nicht mehr froh werden.“ Anya sagte nichts. Deshalb schüttelte Valerie sie heftig. „Hast du verstanden!?“ „Ja!“   Tief durchatmend ließ Valerie schließlich von Anya ab, fand ihre Fassung wieder. „Gut … ich habe einen großen Preis gezahlt, damit Marc wieder lebt. Mach das nicht kaputt!“ Wie denn, dachte Anya aufgewühlt. Sie verstand nichts von all dem, was heute geschehen war. Es war einfach zu viel! „Orion ist auch nicht Joans Bote, sondern eine Art Wächter, der den von mir gezahlten Preis einfordert, wenn die Zeit gekommen ist“, erklärte Valerie weiter. „Aber all das bleibt unter uns!“ „Warum erzählst du mir das überhaupt!?“ „Damit du dir deiner Verantwortung bewusst bist! Nicht nur Marc hat eine neue Chance bekommen, sondern auch du! Was du getan hast, werde ich dir niemals vergeben! Aber zumindest hast du jetzt die Chance, dir selbst zu vergeben!“ „Aber-“ „Geh jetzt, Anya! Melde dich nur bei mir, wenn es wirklich wichtig ist! Ich kann deinen Anblick nicht länger ertragen!“ Wortlos kam die Blondine der Aufforderung nach und verließ Valeries Zimmer. Unwissend, was sie jetzt tun sollte. Marc war zurück … und mit ihm all die Probleme, denen sie zuvor aus dem Weg gegangen war.     Turn 22 – What I Didn't Dream About Jeannie Zwei Tage sind vergangen, seit Anya die Wahrheit über Valeries Verschwinden erfahren hat. Unverhofft meldet sich Matt bei ihr und scheint einen Weg gefunden zu haben, wie sie den Pakt mit Levrier brechen kann. Durch einen Jinn, demselben Fabelwesen, welches angeblich jedem, der seine Lampe besitzt, drei Wünsche gewährt. Anya, die zunächst skeptisch ist, begleitet Matt auf den Weg zum Aufenthaltsort der Lampe. Doch die Dinge geraten völlig aus dem Ruder, als … Kapitel 22: Turn 22 - What I Didn't Dream About Jeannie ------------------------------------------------------- Turn 22 – What I Didn't Dream About Jeannie     Anya Bauer, ich verstehe deinen Unmut, aber dies ist nicht die Zeit zum Trübsal blasen. Neun Tage haben wir noch Zeit, die letzten Vorbereitungen zu treffen, um Eden zu erwecken. Wenn wir scheitern, hat das für dich schlimme Konsequenzen! Und ich werde die letzte Chance verlieren, meine Bestimmung zu erfüllen!   Doch selbst Levriers eindringliche Worte erreichten nichts bei Anya. Zwei Tage war es jetzt her, dass sie Marc wiedergesehen hatte. Zwei Tage, in denen sie von so vielen Fragen und Zweifeln geplagt worden war wie nie zuvor. Es war der 2. November und Anya Bauer wusste nicht mehr, was richtig noch falsch war. Sie wollte nicht im Limbus enden, gleichwohl aber auch nicht Eden werden. Letzteres bedeutete neben dem Verlust ihrer selbst auch, dass sie Menschen opfern würde. Was kein Problem wäre, wenn nicht die Zweifel aufgetaucht wären.   In der Zwischenzeit hatte sie Abby von der Zusammenarbeit mit den Dämonenjägern erzählt. Und wie sie es erwartet hatte, war ihre Freundin nicht gerade davon angetan. Zwar akzeptierte sie Anyas Entscheidung und stimmte sogar zu, dass die Hilfe der beiden dringend benötigt wurde, doch ihre Gefühle insbesondere gegenüber Matt machten es auch für Abby schwer, sich mit dem Gedanken der Kooperation anzufreunden. Aber das war nicht das eigentliche Problem. Valerie, Matt, Alastair und diese Melinda – sie alle waren Zeugen der Konzeption. Aber Anya wusste in ihrem Inneren, dass vier Opfer nicht reichten. Dann waren da noch Henry … und Marc. Ihre Male waren verblasst, sie hatten den Pakt gebrochen. Weil sie gestorben waren. Abby hatte es ihr erklärt. So war man als Zeuge – anders als Gefäß eines Gründers – nicht unsterblich. Doch das eigene Leben war das Bindeglied zwischen Mensch und Dämon, völlig unabhängig vom Paktpartner. Wird es durchtrennt, verschwand der Pakt. So war Henry seinem Dämon Isfanel entkommen. Selbstmord. Mit anschließender Reanimation.   Hätte Anya die Wahl, würde sie es sofort ebenfalls probieren. Aber Levrier würde einfach ihren Körper übernehmen, bevor sie dazu kam. Das hatte er ihr deutlich gemacht und Anya wusste, dass er die Macht dazu besaß. Im Endeffekt konnte sie nichts gegen Levrier unternehmen, da er jeden Versuch, gegen seinen Willen zu handeln, im Keim ersticken würde. Es war zum Verzweifeln. Und selbst wenn sie dazu käme sich zu richten, wäre es extrem riskant. Denn würde sie dabei wirklich sterben, wäre der nächste Halt der Limbus, weil sie als Gefäß des Gründers einen besonderen Pakt geschlossen hat.   Von all dem wussten die anderen jedoch nichts. Jedenfalls hoffte Anya das. Andererseits, wenn Abby so viel von Matt und auch Henry erfahren hatte, bestand kein Zweifel daran, dass sie bereits seit Langem wusste was Anya im Falle des Versagens blüht. Und dass sie im Grunde nicht gerettet werden konnte. Denn selbst wenn sie den Pakt brach, würde sie irgendwann eines natürlichen Todes sterben … und im Limbus laden. Das hatte Anya erkannt, nachdem sie lange über Marc und all die Dinge nachgedacht hatte, die ihr in den letzten Wochen passiert waren. Wäre sie doch bloß ihrem Lieblingsmotto treu geblieben …   Mit trübem Gesichtsausdruck lag das Mädchen bäuchlings auf dem Bett und starrte in die Leere. „Levrier, woher soll ich wissen, was wir zu tun haben!?“, fragte sie ihren unsichtbaren Begleiter wütend. „Du bist doch der Gründer. Warum denkst du nicht etwas nach!? Die ganze Zeit hast du nichts gemacht, weil du keine Ahnung hattest. Tu gefälligst nicht so, als ob alles meine Schuld wäre!“ Wie ich dir bereits einmal erklärt habe, wurde mein Gedächtnis manipuliert. Anscheinend sollte ich vergessen, wie man Eden erweckt, lange bevor ich es das erste Mal versucht habe. Ich bin nicht einmal imstande genau zu sagen, warum ich nur noch diese eine Chance besitze, Eden zu werden.   Aber war es nicht merkwürdig, dachte sich Anya dabei. Wer würde Levrier so etwas vergessen lassen wollen und warum überhaupt? … im Grunde war es ihr egal, das war sein Problem. Nur hing sie da ebenfalls mit drin.   Wir sollten uns zumindest einmal die Orte ansehen, an denen die verschiedenen Pakte geschlossen worden sind.   Anya überlegte kurz. „Das wären die Aula, Victim's Sanctuary, vor unserer Gartentür und im Park … wobei Marc wohl eh nicht mehr zählt.“   Wir sollten es uns trotzdem ansehen. Außerdem hast du vergessen, Alastairs Pakt aufzuzählen.   „Ich habe bloß keine Ahnung, wo der Narbenfreak das gemacht hat.“   Ich aber. Schließlich habe ich dich damals dort hingeführt. Es ist der Ort, an dem du die Leiche dieses Jungen gefunden hast.   „Jonathan?“ Anya blinzelte verdutzt. Den hatte sie in all dem Ärger total vergessen. Sie hatte allerdings keine Lust, wieder die Bilder seiner gerösteten Leiche wach zu rufen. „Von mir aus, vielleicht seh' ich später da nach. Ich muss noch Hausaufgaben für Montag machen.“   Seit wann machst -du- Hausaufgaben?   Anya wollte antworten, dass sie das tat, seit ihr langweilig war. Doch das Telefon klingelte unerwartet, sodass sie vom Bett aufsprang und sich den schnurlosen Hörer von ihrem Schreibtisch schnappte, welchen sie in letzter Zeit erstaunlich oft benutzte. „Was!?“, herrschte sie in den Hörer. „Matt hier. Anya, hast du zufällig etwas Zeit?“ Auf ihre Armbanduhr schauend, die ihr kurz vor 3 Uhr nachmittags anzeigte, brummte Anya: „Ja, aber nur, wenn du gute Nachrichten hast.“ „Habe ich … vielleicht. Ich denke, ich habe einen Weg gefunden, wie wir dich von dem Gründer befreien können.“ „Da kommst du aber zu spät“, rümpfte Anya die Nase, „das weiß ich längst. Aber fast-krepieren ist leider keine Option.“ „W-was!? Was soll das heißen!?“ Anya stöhnte genervt. „Das Pennerkind Henry hat es mir erzählt. Kennst du nicht, ist aber nicht so wichtig. Er war selbst mal mit einem Dämon verpaktet … oder so … jedenfalls hat er sich selbst umgenietet, wurde aber rechtzeitig reanimiert. So hat er den Pakt gebrochen.“ Aufgeregt erwiderte Matt durch den Hörer: „Und das Mal? Ist es weg!?“ „Hmm, nein. Aber fast.“ „... verstehe. Wenn das so ist, würde ich mich nicht darauf verlassen, dass das stimmt. Womöglich ist es auch nur inaktiv.“   Der Gedanke ist mir ebenfalls gekommen. Aber da ich lediglich ein wenig Restenergie sowohl aus Marc Butchers, als auch aus Benjamin Hendrik Fords Elysion nach außen dringen gespürt habe, ist es schwer, eine wahre Aussage diesbezüglich zu treffen.   „Keine Ahnung, für mich kommt das jedenfalls nicht infrage.“ „Gut, ich hatte nämlich ohnehin eine Idee, die mehr Erfolg verspricht. Kennst du zufällig Aladdin?“ „Ja, wohnt gleich bei mir um die Ecke“, raunte Anya garstig, „was soll diese dämliche Frage denn? Für Disneyfilme bin ich zu alt! Guck dir das mit Alastair an!“ „Aladdin gibt es nicht erst, seit Disney Filme davon produziert hat. Die Geschichte entstammt ursprünglich einem Märchen. Außerdem geht es mir nicht um Aladdin, sondern um die Wunderlampe.“ „Soll das heißen … ?“ „Korrekt. Wir suchen einen Jinn.“ Erstaunt musste Anya glucksen. Ungläubig fragte sie: „Die gibt es wirklich?“ „Ja, was denkst du, woher dieses Märchen denn stammt? Allerdings sind Jinns unglaublich selten und das nicht ohne Grund. Aber wenn jemand dich von dem Pakt befreien kann, dann definitiv ein Jinn.“ „Und wie soll das gehen? Kann ich mir das von dem einfach so wünschen?“ „Erstmal müssen wir uns eine Lampe besorgen, die auch einen Jinn beherbergt und nicht nur etwas, das sich als Jinn ausgibt.“ Matt machte eine kurze Kunstpause. „Ich würde vorschlagen, du kommst hierher, damit ich dir alles in Ruhe erklären kann. Ein Bekannter von uns hat uns geholfen, eine Lampe ausfindig zu machen, bei der eine gute Chance besteht, dass ein Jinn drin ist.“ „Aber wieso ausgerechnet ein Jinn?“ „Jinns spielen in der obersten Liga der übernatürlichen Wesenheiten. Und wenn du etwas bekämpfen willst, ist es immer klug, dafür eine Kraft zu verwenden, die stärker ist als die deines Feindes.“ Matt lachte. „Genau deswegen sind schon viele auf falsche Jinns hereingefallen, weil sie deren Macht gesucht haben. Die echten sind deshalb so selten, weil andere Dämonen ihre Existenz als Gefahr für sich selbst betrachten und deshalb die Lampen vernichten. Was den Tod für einen Jinn bedeutet.“ „Mehr muss ich nicht wissen. Bin gleich da.“ Kaum hatte sie aufgelegt, warf sie den Hörer aufs Bett und suchte nach ihrem Rucksack. Denkst du wirklich, dass du dich an diesen Strohhalm klammern solltest, Anya Bauer? Der Matt Summers spricht die Wahrheit, Jinns existieren. Aber sie sind genauso selten, wie er es beschrieben hat. Was, wenn wir auf einen Betrüger treffen?   „Dann mache ich den einen Kopf kürzer“, raunte Anya und packte ihre Duel Disk in den Rucksack. Nur für den Fall. Ich werde nicht zulassen, dass du den Pakt auflöst.   „Warum übernimmst du dann nicht gleich meinen Körper und stoppst mich?“, erwiderte Anya abgelenkt und überlegte, ob sie Barbie mitnehmen sollte.   Das sollte ich. Aber nicht jetzt. Zunächst möchte ich sehen, ob wir es wirklich mit einem Jinn zu tun haben. Wenn dem so ist, könnte das sehr hilfreich für uns sein. Gewiss verfügt er über Wissen, welches mir verborgen ist.   Anya schulterte ihren Rucksack. „Da kann man wohl nichts machen, was?“ Mit diesen Worten verließ sie ihr Zimmer. Daran denkend, dass Levrier nicht bedacht hatte, dass er zwar ihren Körper übernehmen konnte, aber nicht Matts. Und der würde schon dafür sorgen, dass alles so lief, wie -sie- es wollte.   ~-~-~   „Der ist ja auch hier“, war Anyas erster, selbstverständlich abfälliger Kommentar, als Matt ihr die Tür des Motelzimmers öffnete. Damit meinte sie Alastair, der draußen auf dem Parkplatz irgendetwas im VW-Bus des Dämonenjägergespanns suchte. Das Motel, das sich am Stadtrand befand, machte schon außen aufgrund der wenig genutzten Parkmöglichkeit einen verlassenen Eindruck. „Wo soll er sonst sein?“, entgegnete Matt ihr im selben, flapsigen Tonfall. „Komm kurz rein, ich will nur schnell etwas holen.“ Kaum hatte Anya das bescheiden eingerichtete Motelzimmer betreten, runzelte sie schon die Stirn. „Lüftet ihr den Laden nicht mal? Hier stinkt's wie in einem Pumakäfig!“ Matt schritt hinüber zu einem kleinen Tisch, der in der hinteren Ecke des Raumes stand. Anya ihrerseits schlich sich zu den beiden Betten, die neben dem einzigen Fenster standen und grinste diebisch. Dann zog sie aus der Hosentasche einen kleinen Beutel hervor – feinstes Juckpulver, ihr Geschenk für Alastair. Ursprünglich war es für Redfield gedacht gewesen, doch im Moment wollte sie nicht an ebendiese denken. Außerdem hatte dieses Narbengesicht es nicht besser verdient! „Das ist mein Bett“, brummte Matt, als er misstrauisch über die Schulter blickte. „Und an deiner Stelle würde ich das lassen. Bisher hat niemand Alastairs Echo vertragen.“ „Tch, der soll nur kommen“, tönte Anya großspurig, schritt zum anderen Bett und verteilte großzügig das Juckpulver unter der Decke.   Nachdem sie fertig damit war, sah sie Matt an, als erwarte sie ein Lob. Doch der schwarzhaarige Dämonenjäger war bereits zur Tür gegangen und lehnte am Rahmen, auf das Mädchen wartend. „Wenn du mit deinem Schabernack fertig bist, können wir dann losfahren?“ „Wohin?“ „Zu dem Schloss, in das dieser Schlüssel passt“, antwortete Matt geheimnisvoll und hob seine Rechte, in der er einen kleinen Schlüssel hielt. „Ist heute angekommen, unser Paket. Wir werden es vom Bahnhof abholen, es liegt in Schließfach 2905.“ Anya ließ von Alastairs Bett ab und gesellte sich zu Matt. Den Schlüssel skeptisch betrachtend, fragte sie: „Und was finden wir darin?“ Er grinste keck. „Dreimal darfst du raten.“ Erstaunt sah Anya auf. „Die Lampe!?“ Matt nickte zufrieden. „Die einzig wahre. Ich wollte dir die Überraschung hier machen, nicht am Telefon.“ Das Mädchen, welches noch ganz verblüfft war, konnte ihr Glück gar nicht begreifen. „Aber woher hast du die!? Und so schnell? Ich dachte schon, wir müssen in irgendeiner Wüste danach graben!“ „Das haben andere schon für uns erledigt.“ „Wer!?“ „Hmm“, Matt fasste sich ans Kinn, „er ist ein guter Freund und Alastairs Ausbilder gewesen. Ich habe keine Ahnung, wie viele Gefallen wir ihm mittlerweile schon schulden.“ Der junge Mann strahlte förmlich bei seiner Erklärung. „Aber als ich ihm von deinem Problem erzählt habe, ist ihm sofort die Lampe in den Sinn gekommen. Wie er sie so schnell beschafft hat, weiß ich jedoch selbst nicht.“ Anya grinste über beide Backen. „Ist doch auch vollkommen egal, los, lass uns das Ding holen und diesen Kackmist beenden!“   Zusammen verließen sie das Motelzimmer und schritten hinüber zum Parkplatz, wo Alastair gerade die Kofferraumtüren des VW-Busses schloss. Als er sich zu ihnen umdrehte, rümpfte er die Nase bei Anyas Anblick. An Matt gewandt fragte er: „Geht es los?“ „Jap.“ „Dann viel Glück. Und sei vorsichtig.“ „Ich weiß“, antwortete Matt und nickte. Einen missmutigen Blick auf Anya werfend, erwiderte Alastair: „Mir gefällt nicht, dass sie an meiner Stelle mitkommen soll. Am besten lässt du sie hier. Ihr kann man nicht vertrauen.“ „Was!?“, fauchte Anya sofort außer sich. Matt stellte sich sofort alarmiert zwischen die beiden. „Wenn du damit Levrier meinst, bin ich mir der Gefahr bewusst. Aber -er- hat gesagt, wir sollen sie sicherheitshalber mitnehmen. Und wenn uns beiden etwas zustoßen sollte, wer räumt hinter uns den Scherbenhaufen auf?“ Auch wenn der letzte Teil eher scherzhaft gemeint war, hörte man doch leise Zweifel heraus. „Dieser alte Narr“, schnaufte Alastair und meinte damit offenbar seinen Ausbilder, „was denkt er sich dabei? Aber gut. Dank deiner neuen 'Kräfte' solltest du im Zweifelsfalle mit ihr fertig werden.“ „Klar.“ „Ich dachte wir sind'n Team!?“, empörte sich Anya. Matt grinste sie über die Schulter blickend an. „Ach, auf einmal? Neulich hat sich das noch ganz anders angehört.“ „Vermassele es nicht“, mahnte Alastair und machte sich auf den Weg zum Motelzimmer. Als er an den beiden vorbei ging, sagte Matt noch, seinem Freund den Rücken zugewandt: „Wird schon schief gehen. … Und wasch mal wieder deine Bettwäsche, die ist schon ganz muffig.“ Was Anya sofort mit einem Ellbogenstoß in die Rippen und einem: „Mistkerl!“ quittierte.   Nachdem sie in den Bus gestiegen waren und Anya ihren Rücksack nach hinten auf die Ladefläche geschmissen hatte, startete Matt den Motor. Kurz darauf waren sie bereits auf den Straßen Livingtons unterwegs, mit dem Ziel Bahnhof. „Was ist das?“, fragte Anya und griff nach den vielen Ketten, Rosenkränzen, Kreuzen und Amuletten, die vom Rückspiegel hinunter hingen. „Damit wollen wir Böses von uns fernhalten. Ich denke du kannst erahnen, was von Alastair ist und was von mir.“ „Hab da so'n Gefühl“, brummte Anya und ließ von dem Schmuck ab.   „Hör mal“, meinte Matt, als er gerade in eine Straße einbog. Und während er sprach, fuhren sie an dem riesigen Einkaufszentrum von Livington vorbei. Es war aufgebaut wie ein ovales Kolosseum, von hellblauer Farbe und versehen mit einem Glasdach. Viele Leute waren auf den Bürgersteigen unterwegs, betraten die einzelnen Geschäfte vom Außeneingang oder aßen einfach nur ein Eis. Denn der 2. November war ein ungewöhnlich schöner und vergleichsweise warmer Herbsttag. „Wir haben es hier mit einem Jinn zu tun. Alector, Alastairs und teilweise auch mein Ausbilder, hat gesagt, dass er echt ist“, begann Matt mit seinen Ausführungen. „Aber ich traue dem noch nicht ganz. Alector ist zwar sehr verlässlich, aber ohne den Jinn getroffen zu haben ist es schwer, seine Identität zu verifizieren.“ „Heißt soviel wie?“ Anya kratzte sich unbedarft am Kopf und grinste beim Blick aus dem Fenster, als sie an Ernie Winter und seiner Mutter vorbeifuhren, welche Anya im VW-Bus erkannt hatten und ihre Schritte beschleunigten. „Der letzte Dschinni, den ich gesehen hab, war blau und ultranervig. Sag, dass eure anders sind.“ „Keine Ahnung ob sie blau sind. Aber ultranervig könnte hinkommen. Aber was ich eigentlich sagen will: vertraue dem Ding nicht. Vertraue nie einem Jinn, egal ob er nun echt ist oder nicht. Und pass genau auf, was du zu ihm sagst. Jinns sind bekannt dafür, dass sie möglichst viel Interpretationsraum nutzen, um Wünsche zu erfüllen. Und da es nur wenige Aufzeichnungen über das Verhalten von Jinns gibt, ist anzunehmen, dass sie keine angenehmen Gesellen sind.“ Anya gab sich allerdings optimistisch. „Nen Versuch ist es wert.“ „Sehe ich genauso.“ „Und wie läuft das ab? Muss ich wirklich nur an der Lampe reiben?“ Wieder bog Matt in eine Straße ein. In der Ferne sahen sie bereits das große, längliche Backsteingebäude, das den Bahnhof darstellte. „Ganz so einfach ist das leider nicht. Du musst an ihr reiben, das ist wahr. Aber du musst sie mit deinem Blut einreiben. Außerdem meinte Alector, dass wir eventuell auch dein Blut dafür brauchen werden, um den Pakt zu lösen. Deswegen musst du mitkommen.“ Verdutzt blinzelte Anya. „Mit meinem Blut einreiben? Warum das?“ „Es funktioniert ähnlich wie ein Pakt. Der Unterschied ist, dass du durch dein Blut zum Meister des Jinns wirst. Aber du bist dadurch an ihn gebunden. Das heißt, du wirst ihn nicht eher wieder loswerden, bis du alle drei Wünsche aufgebraucht hast.“ Eins beschäftigte Anya jedoch schon eine ganze Weile. „Wie kann der überhaupt Wünsche erfüllen? Ich meine, schnippt der mit dem Finger und das war's?“ „Frag mich was Leichteres. Aber wir werden es herausfinden.“   Matt fuhr auf den weiträumigen Parkplatz neben dem Bahnhofsgebäude und stoppte den Wagen, nachdem er erstaunlich ungeschickt eingeparkt hatte. „Was hat das Narbengesicht eigentlich vorhin gemacht?“ Anya schaute über die Rückenlehne in den hinteren Teil des Fahrzeugs. Im Laderaum stand nur eine Holztruhe auf ein paar Decken. Ihr Fahrer zog den Schlüssel ab. „Vermutlich hat er ein paar Waffen für uns vorbereitet. Shotguns mit Salzkugeln als Munition, das Übliche. Aber so etwas funktioniert bestimmt nicht bei Jinns, zumal wir da nicht einfach bewaffnet rumlaufen können.“ „Kann ich mir eine davon ausleihen? Ich hab da noch-“ „Keine Chance“, polterte Matt, der genau wusste, woran Anya dachte. Aber er würde nicht daran schuld sein, wenn in Anyas Schule ein Amoklauf stattfand! Mit ernster Mimik fragte er: „Bereit?“ „Von mir aus“, brummte die Blondine sichtlich enttäuscht, fast schon schmollend. „Und denk gar nicht dran, dich heimlich zu bedienen! Die Kiste ist abgeschlossen, nur ich und Alastair haben einen Schlüssel.“ Anya schnaubte wütend: „Spielverderber!“ Das gesagt, öffneten beide zeitgleich die Türen und stiegen aus.   ~-~-~   „Von außen sah dieser Ort aber kleiner aus“, staunte Matt, als sie mitten durch den Haupteingang den Bahnhof betreten hatten. Gegenüber von ihnen führte bereits ein Weg direkt zu einem der Bahnsteige, über zwei Brücken innerhalb des Gebäudes konnte man die Gleise auf der gegenüber liegenden Seite erreichen. Die Treppen dazu befanden sich jeweils rechts und links von dort, wo die beiden sich umsahen. Zusammen schritten die beiden auf die große Kreuzung zu, die sich vor ihnen auftat. Hier gab es Schalter für Tickets, Informationsstände und auch ein paar Geschäfte wie Bäckereien. Doch besonders der linke Teil des riesigen Ganges wurde von Schließfächern eingenommen. Anya, welcher die vielen Menschen hier zuwider waren, zog Matt in genau jene Richtung. „Welche Nummer war das nochmal?“, wollte sie ungestüm wissen. „2905.“ „Hmm, hier ist 2879. Also noch etwas weiter in diese Richtung“, murmelte das Mädchen aufgeregt und zerrte den jungen Mann regelrecht hinter sich her. „Nur nicht so stürmisch!“, beklagte der sich, als er weiter geradeaus geschleift wurde. „Je früher das hier vorbei ist, desto besser für uns!“ „Schon klar. Aber sag mal … was ist mit deinem Dämon?“   Anya blieb abrupt stehen und ließ Matt los. Den hatte sie in ihrer Vorfreude völlig vergessen. „Ich … weiß nicht“, antwortete sie zögerlich und bekam auf einmal ein flaues Gefühl im Magen. War das … nein, niemals! Eine Anya Bauer hatte keine Angst! „Levrier“, rief sie deshalb, „willst du uns aufhalten?“ Keine Reaktion. Noch einen Moment abwartend, drehte Anya sich schulterzuckend zu Matt um. „Er antwortet nicht. Was bedeutet das?“ „Ich kann mich irren, aber vielleicht wartet er auf eine Gelegenheit, deinen Körper zu übernehmen. Du solltest mich die Sache mit dem Jinn regeln lassen.“ Sofort runzelte Anya die Stirn und wurde laut. „Nie im Leben! Das ist meine Angelegenheit, also regele ich sie, damit das klar ist!“ Ohne auf eine Antwort zu warten, preschte sie weiter vorwärts und suchte nach dem Schließfach. Endlos erschien ihr die Suche, bis sie schließlich auf der linken Seite die abgeblätterten Ziffern 2905 erspähte. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als sie zusammen mit Matt vor dem Fach stand, das sich auf ihrer Kopfhöhe befand. „Schlüssel!“, verlangte sie aufgeregt und riss diesen ihrem Begleiter regelrecht aus der Hand, kaum hatte er ihn gezückt. Anyas Hände zitterten, als sie ihn in das Schloss steckte, doch jenes wollte sich beim Umdrehen des Schlüssels nicht öffnen. „Lass mich mal“, sagte Matt, packte Anyas Hand, steckte den Schlüssel richtig rein und öffnete ihr das Fach. „D-danke“, brummte sie beschämt und wandte sich dem Inhalt des Schließfachs zu. Dort, in braunes Papier gewickelt, lag ein kleines Paket, nicht größer als ein paar aufeinander gestapelte Videospielhüllen. „Wow“, staunte Anya, überwältigt von der Tatsache, dass da tatsächlich etwas lag. Sofort schnappte sie sich das Paket, schloss die Tür des Fachs, wobei jenes jedoch einen Spalt offen blieb. „Pack es aus“, war nun auch Matt ganz aufgeregt bei der Sache.   Anya riss erst das Papier ab, dann öffnete sie das Paket darunter. Zum Vorschein kam eine Lampe, die genau dem Bild entsprach, welches man sich von ihr machte. „Schätze nicht alles, was in den Märchen vorkommt ist gelogen, huh?“, war Anyas erster Spruch, als sie die aus Messing gefertigte Öllampe in den Händen hielt. Mit ihrem langen Schnabel hätte man genauso gut Teetassen füllen können. „Tja … sieht ganz so aus.“ Überrascht beobachtete Anya, wie Matt aus seiner Hosentasche ein ausklappbares Messer zückte und wich instinktiv zurück. „Keine Panik!“, wollte der sie mit erhobenen Händen beruhigen. „Aber wir brauchen Blut, schon vergessen?“ „Hier!?“ Matt schaute über seine Schulter, dann wieder zu Anya. „Ich glaube nicht, dass jemand sieht, was wir hier machen. Es muss ja kein großer Schnitt sein.“ Skeptisch reichte Anya eine Hand nach der Waffe aus. „Meinetwegen. Gib her.“ „Aber nur, wenn du mir die Lampe gibst, okay?“ Der Blick des Mädchens verdunkelte sich. „Klar.“ Was Matt skeptisch werden ließ. „Sicher?“ „... nein. Deswegen … sorry.“   Ehe Matt sich versah, packte Anya mit ihrer freien Hand die halb offen stehende Schließfachtür und schlug sie, ohne mit der Wimper zu zucken, Matt direkt ins Gesicht. Dieser fiel stöhnend um, hielt sich eine blutende Nase. „Argh, was soll das!?“ „Wie gesagt, sorry, aber das muss sein!“ Während Matt sich, vom Schmerz gelähmt, am Boden hin und her rollte, schnappte Anya sich das auf den Boden gefallene Messer. Es war ihr völlig gleich, dass man sie dabei beobachten könnte. Geschickt ließ das Ding einmal in ihrer Hand rotieren, ehe sie sich die Lampe unter den Arm klemmte und sich mitten über die linke Handfläche schnitt. Sofort ließ sie unter einem schmerzerfüllten Seufzer das Messer fallen, nachdem das Blut aus der Wunde sickerte. Daraufhin nahm sie die Lampe in die unverletzte Hand und strich mit der blutenden über das Messing. „Komm schon, Dschinni, lass die Sau raus!“   Im Inneren der Lampe begann ein türkisfarbenes Licht zu leuchten, während jene selbst plötzlich durchsichtig zu sein schien. Ein eisiges Gefühl durchlief Anya, sie bekam schlagartig keine Luft mehr und kippte würgend zur Seite, sich an den Fächern abstützend. Dabei bemerkte sie etwas Erschreckendes. Die Zeit, sie war stehen geblieben! All die Menschen innerhalb des Bahnhofsgebäudes, sie rührten sich keinen Millimeter mehr. Selbst Matt, der immer noch am Boden lag und sich die Nase hielt, verharrte auf der Stelle. Auch hatte sich die Farbe der Umgebung grundlegend geändert – alles war Grau in Grau. „Alter Falter“, staunte Anya und sah die Lampe an. Noch immer leuchtete ihr Inneres. Unwissend, was sie tun sollte, rief sie: „Komm da raus, ich weiß, dass du da drin bist!“   „Das bin ich bereits“, ertönte eine wohlbekannte Stimme hinter ihr. Anya wirbelte um und stellte erstaunt fest, dass ihr Matt gegenüberstand. Dabei lag er gleichzeitig am Boden und rührte sich nicht. „Verstehe“, murmelte das Mädchen unter heftigem Herzklopfen findig. „Du hast keine eigene Form, also nimmst du seine.“ „Falsch. Aber ihr Menschen seid es gewohnt, dass ihr mit euresgleichen redet. Deswegen diese Form. Nun sage mir, was ist dein Begehren?“ „Gleich zum Geschäft? So was mag ich!“ „Noch nicht ganz. Vorher kläre ich dich über die Bedingungen und Einschränkungen auf.“ Der Jinn deutete auf die Lampe in Anyas gesunder Hand. „Die Zeit wird für dich erst weiterfließen, wenn du all deine Wünsche aufgebraucht hast. Deswegen wäre es in deinem Interesse, wenn du bereits weißt, wonach du strebst.“ „Keine Sorge, Kumpel, das weiß ich genau!“ „Dann wisse, dass ich keine Wünsche erfüllen kann, die über meine Kräfte hinausgehen.“ Innerlich schreckte Anya auf. „Und wie weit ist das?“ „Das kommt auf die Art des Wunsches an. Solltest du nach etwas verlangen, das ich dir nicht geben kann, ist dein Wunsch verloren. Drei Dinge kann ich dir unter keinen Umständen gewähren: ich kann niemanden ins Leben zurückrufen, ich kann die bestehende Weltordnung nicht ändern und ich bin nicht imstande, dir Kräfte zu verleihen, die meinen gleichkommen. Außerdem ist es nicht möglich, sich mehr Wünsche zu wünschen.“ „Meinetwegen“, schnaufte Anya. Wenn er ihre Wünsche eh nicht erfüllen konnte, war es sowieso egal, ob sie sie verlor oder nicht. Aber bevor sie sie aussprach, wollte sie noch etwas in Erfahrung bringen. „Und du tust das ohne eine Gegenleistung zu verlangen?“ Der Jinn verzog keine Miene. „Dir muss bewusst sein, dass du den Preis für deine drei Wünsche bereits gezahlt hast.“ Er deutete auf die Lampe. Anya sah das gute Stück überrascht an, ehe sie begriff. „Das Blut?“ „Mit deinem Blut werde ich für Jahrhunderte weiterleben. Das ist die Gegenleistung, die du erbringen musstest. Nun sprich deine Wünsche aus.“   Anya ließ den Kopf hängen. Zwei Wünsche hatten sich auf dem Weg zum Motel in ihrem Kopf eingenistet. Die Freiheit … und stärkere Karten. Letzteres bedeutete Unabhängigkeit. Auch wenn sie es nie offen zugeben würde, hatte das Duell mit Henry ihren Stolz verletzt. Sie wollte deswegen nie wieder ein Duell verlieren. Aber sich das, die Unbesiegbarkeit, zu wünschen wäre viel zu plump. Eher wollte Anya lediglich die richtigen Startvoraussetzungen dafür. Was sie aus dem Karten machte, war etwas anderes. Geschenkte Siege wollte sie nicht – sie wollte sie sich erarbeiten. Jedoch blieb die Frage offen, wofür sie den dritten Wunsch verwenden sollte. Auch für ihn hatte sie eine ungefähre Vorstellung … aber es behagte ihr nicht. „Nenne deinen ersten Wunsch“, verlangte der Jinn mit schneidender Stimme von ihr. Anya blickte auf und atmete tief durch. „Frage! Wünschen sich Jinns die Freiheit?“ „Nein. Wir sind an unsere Lampen gebunden, weil unsere Existenz darauf ausgelegt ist. Uns die Freiheit zu wünschen würde einem Todesurteil gleich kommen. Es gibt kein Leben außerhalb der Lampe für einen Jinn.“ Sein gleichgültiger Tonfall störte Anya. „Und du nimmst das so hin? Willst du nicht wissen, wie die Welt außerhalb der Lampe ist?“ „Wie ich sagte: unsere Existenz basiert darauf, uns vom Blut unserer Meister zu ernähren und ihnen ihm Gegenzug drei Wünsche zu erfüllen. Alles andere ist uns gleich.“ Selbst ein Roboter besaß mehr Emotionen, dachte Anya ärgerlich. „Von mir aus, dein Pech. Also, mein erster Wunsch …“ Sie sah wieder die Lampe an. Und erinnerte sich an Matts Warnung, mit ihren Worten vorsichtig umzugehen. Zunächst sollte sie ausprobieren, inwieweit der Jinn überhaupt ihre Wünsche umsetzte. Also sollte sie mit etwas Kleinem anfangen. „Sperr die Lauscher auf“, richtete sie ihr Wort an ihn und presste ihm die Wunderlampe in die Hand, „mein erster Wunsch: ich möchte neue Duel Monsters-Karten! Sie sollen dem Gem-Knight-Thema angehören und von der Spielstärke her besser sein als alle meiner bisherigen Karten.“ Um das zu verdeutlichen, griff Anya nach der Deckbox an ihrem Gürtel und zückte daraus zwei Karten. „Siehst du die beiden hier? Das sind [Gem-Knight Pearl] und [Gem-Knight Zircon]! Beide sind superselten und haben hohe Angriffswerte, aber keine Effekte. Sie sind nutzlos! Deswegen nimm dir zum Beispiel Zircon als Vorlage und erschaffe eine neue Karte, die besser ist als er und im Kampf gegen Dämonen auch was taugt, verstanden?“ „Du irrst dich bezüglich der schwarzen Karte. Aber wie du wünscht. Wie viele dieser Karten verlangst du?“ Darüber hatte Anya nicht nachgedacht. Zu viele wären auch übertrieben. Es sollten einfach gute Bossmonster und praktische Ergänzungen sein, die zu ihrem Spielstil passten. „Sagen wir fünf.“   Der Jinn nickte knapp. „Dein Wunsch wurde erfüllt.“ „Was!?“, staunte Anya. „So schnell?“ „Sieh in dein Deck. Es wurde nach deiner Vorstellung ergänzt. Aber bedenke, dass dein erster Wunsch somit unwiderruflich verloren ist.“ Sofort zog Anya ihr Extradeck aus der Box und ging die Karten durch. Und staunte Bauklötze. Mit strahlenden Augen sah sie auf. „Das ist genau, was ich wollte! Woher hast du das gewusst!?“ „Dein zweiter Wunsch“, überging der Jinn jedoch Anyas Frage.   Die steckte ihre Deckbox wieder an ihren Gürtel, schnappte sich von ihrem Gegenüber die Lampe und betrachtete sie nachdenklich. Der zweite Wunsch sollte eine Steigerung sein, um zu sehen, wie weit der Jinn gehen konnte. Ihren ersten Wunsch hatte er genau so erfüllt, wie Anya es sich erhofft hatte. Sogar sie hatte nicht an manche der Dinge gedacht, die er umgesetzt hatte. Er war eindeutig ein echter Jinn! Dennoch war da trotzdem eine Restspur Misstrauen. Und die Frage, wie sich ihr zweiter Wunsch nun gestalten sollte. Von dem Pakt befreit zu werden war vermutlich der größte, also sollte sie sich den bis zum Schluss aufheben. Bloß was konnte sie sich dann wünschen? Noch einige Kleinigkeit? Oder …? „Das ist schwer“, murmelte sie in Gedanken versunken, „ich könnte Redfields Euter schrumpfen lassen. Aber ein Arsenal an Superwaffen für meine angestrebte Weltherrschaft klingt auch nicht übel.“ Aber nein … das wäre alles Schwachsinn. Verdammtes Gewissen!   „Also schön, her gehört“, wandte sich Anya wieder an den Jinn, der sie abwartend aus Matts emotionsloser Miene anstarrte, „mein zweiter Wunsch: ich kaufe Valerie Redfield von ihrer Schuld frei, die sie bezahlt hat, um Marc Butcher ins Leben zurückzurufen. Aber das bleibt unter uns, verstanden!?“ „Dieser Wunsch bedeutet, dass Marc Butcher stirbt. Soll er dennoch erfüllt werden?“ Anya schreckte zusammen. „Huh!?“ „Die Schuld ist der Austausch für sein Leben. Wird sie nichtig gemacht, wird auch das Leben dieses Mannes enden, denn er lebt nur durch den Zauber des Collectordämons. Ich besitze nicht die Kraft, diese Ordnung umzukehren. Soll ich dennoch fortfahren?“ „Nein!“, polterte Anya aufgebracht.   Das kam völlig unverhofft. Demnach konnte sie sich nicht bei Valerie revanchieren. Aber wenn er das nicht umsetzen konnte, dann … „Dann lautet mein zweiter Wunsch, dass ich von Levrier getrennt werde! Kannst du das!?“, flehte sie förmlich. Bevor sie das nicht wusste, konnte sie sich keinen Kopf darüber zerbrechen, was sie in Punkto Valerie unternehmen sollte. „Dein Wunsch“, sprach der Jinn leise, „ist erfüllt.“ Woraufhin Anya von grellem Licht geblendet wurde.   Laut scheppernd fiel die blutverschmierte Lampe auf den Boden. Matt schreckte auf und betrachtete die Antiquität, sah dann hoch zu Anya. Sie rührte sich nicht vom Fleck, starrte in die Leere. „Au, verdammt!“, fluchte er und betrachtete das Blut an seinen Händen. „Was sollte das!?“ Als er keine Antwort erhielt, wurde er stutzig. „Was ist los? Hast du den Jinn getroffen?“ Nun drehte sie sich zu ihm um. „In der Tat. Ich bin frei.“ „Im Ernst!?“ Matt sprang sofort auf und packte Anyas Arm, zog den Stoff der schwarzen Lederjacke weg – aber das Mal des in einem Dornenkranz gefangenen Kreuzes war noch da. „Dann hast du dich verarschen lassen!“ „Oh … das ist kein Problem. Ich habe Levrier unter Kontrolle.“ Überrascht sah Matt auf. „Hast du dir das gewünscht? Aber dann-! Du Idiotin! Dadurch änderst du nichts! Der Turm von Neo Babylon wird trotzdem auftauchen! Was hast du dir dabei gedacht!?“ „Ich?“, fragte Anya tonlos. „Gar nichts.“ Mit einem Rückhandschlag wurde Matt hart gegen die Schließfächer geworfen. „Der zweite Wunsch dieses Mädchens lautete, dass sie von der Wesenheit Levrier befreit werden wollte. Ich habe ihren Platz eingenommen.“ Matt hielt sich schockiert die Wange. „Du bist der Jinn!?“ „Dem ist so.“ Anya hob die blutige Hand und starrte sie fasziniert an. „Sie hat gefragt, ob ich mir Freiheit wünsche. Ein absurder Gedanke. Dennoch … sind ihre Worte zu mir durchgedrungen. Ist das Freiheit?“   Plötzlich ging Anyas Körper in schwarzen Flammen auf. Matt wich schreiend zurück, aber er war nicht der Einzige, der schrie. Die Leute auf dem Bahnhof bemerkten das Feuer und flüchteten augenblicklich, riefen nach der Feuerwehr oder danach, dass jemand dem armen Mädchen helfen musste. „Ich verstehe dieses Konzept nicht. Freiheit. Was soll ich jetzt tun?“ Fassungslos betrachtete Matt die vollkommen von den Flammen verschlungene Blondine. Um das Feuer selbst machte er sich dabei keine Sorgen, Levrier würde Anya heilen – sofern er es konnte. Aber irgendwie musste er diesen Fluch umkehren, schnell! Sein Blick fiel auf die Lampe, die vor ihren Füßen lag. Aber wie sollte er sie zerstören? Die Waffen lagen im Wagen, und selbst wenn- Aber da kam ihm ein neuer Gedanke. Er musste schnell sein! Mit einem Hechtsprung warf er sich vor Anyas Füße und schnappte sich die Lampe, während er im Hintergrund hörte, wie jemand aufgeregt telefonierte. Aber die Schaulustigen waren ihm in dem Moment völlig egal. „Ich bin frei“, sprach der Jinn und sah auf Matt herab, „ich kann keine weiteren Wünsche mehr erfüllen.“ „Das glaube ich aber nicht!“, donnerte der Dämonenjäger und wischte kurzerhand seine blutbesudelte Hand an der Lampe ab. „Du bist mit deiner Pflicht erst durch, wenn du alle drei Wünsche erfüllt hast. Und der letzte gehört jetzt mir!“   Innerhalb eines Herzschlages wurde die Welt in Grau getaucht. Matt sprang mit der Lampe in seinen Händen auf und wich von dem Jinn zurück, der jedoch keine Anstalten machte, ihn zu attackieren. „Ich habe mich geirrt“, stellte dieser fest, „wie es scheint, kann ich doch noch einen Wunsch erfüllen. Aber nicht du bist es, der ihn stellen darf.“ „Doch, der bin ich!“, polterte Matt und zeigte ihm die Lampe vor. „Ich habe deine Lampe, an der mein Blut klebt! Da Anya ihn nicht stellen kann, werde ich es an ihrer Statt tun.“ „Richtig. Das Mädchen ist berechtigt, den letzten Wunsch zu stellen. Genau wie du. Deshalb kann ihn keiner von euch allein vortragen.“ „Dann hol sie her!“ „Unmöglich“, erwiderte der Djinn in seiner flammenden Gestalt tonlos, „sie ist an dem Ort, den sie sich gewünscht hat. Sie verlangte Freiheit und in ihren Herzen habe ich gesehen, dass sie fliehen wollte vor dieser Welt. Deswegen habe ich sie in eine andere geschickt. Ohne einen neuen Wunsch kann ich sie nicht von dort zurückholen.“ Matt brüllte regelrecht: „Aber wie soll ich den stellen, wenn sie nicht hier ist!?“ „Einer muss dem anderen das Recht dazu abnehmen, die Hälfte des Wunsches.“   Und daraufhin hatte Matt eine Idee. „Dann sollten Anya und ich uns duellieren! Um das Recht, den Wunsch äußern zu dürfen! Da du Anyas Körper besetzt hältst, bist du derjenige, der für sie antritt.“ „Das ist eine logische Konsequenz.“ Der Dämonenjäger horchte auf. „Heißt das, es ist machbar?“ „Das ist es.“ Stutzig erwiderte Matt darauf: „Und du würdest das machen?“ „Ja.“ „Aber warum? Solltest du nicht diesen Körper als deinen eigenen behalten wollen!? Deswegen hast du ihn doch übernommen, oder?“ Der Jinn sah wieder Anyas brennende Hand an. „Freiheit ist ein Konzept, das den Jinns fremd ist. Ich verstehe nicht, was es bedeutet, frei zu sein. Und ich strebe nicht danach. Mein jetziger Zustand muss geändert werden. Aber da ich der Vertreter des Mädchens bin, ist es mir unmöglich, dich gewinnen zu lassen.“ „Egal. Wenn du gewinnst, kannst du selbst den Wunsch benutzen, um alles wiederherzustellen.“ „Ein Jinn darf sich nichts wünschen. Jinns haben keine Wünsche. Nur Menschen.“   Matt stöhnte. Die Emotionslosigkeit dieses Wesens war unglaublich anstrengend. Aber er schien tatsächlich auf seiner Seite und ungewollt in diese Lage geraten zu sein. Was die Frage aufbrachte, warum Anyas Wunsch überhaupt schiefgegangen war. Hatte Levrier etwas damit zu tun? Es war im Prinzip egal. Erstmal musste er zusehen, dass er Anyas Wunsch übernehmen konnte. Was sicherlich kein leichtes Unterfangen werden würde.   „Ich habe eine Kopie deines Decks erschaffen und dir eine Duel Disk gegeben“, sagte der Jinn. Sofort spürte Matt die Last des Apparates an seinem Arm und sah ihn erstaunt an. Auch die flammende Anya besaß plötzlich eine. „Ich werde nicht das Deck benutzen können, welches dem Mädchen gehört, denn ein starker Wille hindert mich daran, welcher von einer ihrer Karten ausgeht. Deswegen werde ich ein anderes, willkürlich gewähltes Deck verwenden. Bedenke, dass ich nicht absichtlich verlieren kann.“ „Schon kapiert“, meinte Matt und ging etwas auf Abstand. „Dann lass uns anfangen.“ „Wie du wünscht, Gebieter.“   [Matt: 4000LP / Jinn: 4000LP]   „Den Erinnerungen meiner Meisterin nach, wird sie verlangen, dass ich anfange“, sprach der Jinn weiterhin tonlos und zog gleich sechs Karten von seinem Deck. „Tu, was du nicht lassen kannst“, brummte Matt. Er schwor sich, dass wenn er mit dieser Sache durch war, eine gewisse Anya Bauer das wahre Ausmaß des Begriffs 'Rache' kennenlernen würde. „Ich beschwöre [Serene Psycho Witch]“, kündigte der Jinn an und ließ eine futuristisch angehauchte, junge Frau mit bonbonfarbenem Haar vor sich erscheinen. In ihrer Hand hielt sie zwei mechanische Dolche, die mit Kabeln an ihrem Rücken befestigt waren.   Serene Psychic Witch [ATK/1400 DEF/1200 (3)]   „Da ich von diesem Punkt an nicht weiter agieren kann, beende ich meinen Spielzug.“ „Hmpf, kannst du nicht wenigstens so tun, als hättest du Gefühle?“, fragte Matt gereizt. „Dieser mystische Tonfall tut auf Dauer in den Ohren weh.“ „Dazu bin ich nicht in der Lage.“ „Dacht' ich mir!“ Matt wusste nicht, was schlimmer war. Sich mit dem Freak zu duellieren oder ihm zuzuhören. Aber was tat man nicht alles für seine Freunde?   ~-~-~   Schritt nach Schritt, immer einer nach dem anderen. Aber es brachte nichts. Wie weit sie auch ging, es war, als würde sie auf dem Fleck verharren, nie voran kommen. „Oh verdammter Kackmist, wenn ich den jemals in die Finger kriege-“, polterte Anya wutentbrannt. Niemals einem Jinn vertrauen, das hatte Matt gesagt. Immer seine Wünsche konkret formulieren. Warum zur Hölle hatte sie sich nicht daran gehalten!? Weil denken lästig war … aber wie die Dinge jetzt standen, musste sie wirklich ihre Meinung diesbezüglich überdenken. Argh, da war es schon wieder! Außerdem war nur Redfield schuld daran, dass sie jetzt hier war und das nur, weil sie der blöden Ziege ja unbedingt helfen wollte. Und als das nicht klappte, war Anya in Panik geraten! „Wehe du biegst das nicht gerade, Dämonenjäger!“ „Na na, immer mit der Ruhe. Es könnte schlimmer sein.“   Anya drehte sich verwirrt um. Hinter ihr war etwas, ein Mann im Schneidersitz. Der schwebte! „Okay, meine Hoffnung, dass das hier nur ein verfluchter Traum ist, ist gerade um 100% gewachsen“, sagte sie gallig in seine Richtung. „Oh Kind, du bist fernab von Traum oder Realität“, sprach der Fremde und drehte seinen langen Bart um einen Finger. In seiner anderen Hand hielt er einen Stab. Anya ein zahnloses Lächeln schenkend, löste er sich aus seinem Schneidersitz und schritt nun auf sie zu. „Es war schon lange niemand mehr hier. Würdest du einem alten Mann eine Weile Gesellschaft leisten?“   Missmutig sah Anya in die Richtung, aus der sie glaubte gekommen zu sein. Nichts. Nur diese ungesunde, violette Leere. Die ganze Zeit war sie hier umhergeirrt und hatte rein gar nichts gefunden! Was war das für ein Ort, der sich scheinbar ins Unendliche ausdehnte!? Wehe, der Dämonenjäger ließ dieses Mistvieh von Jinn entkommen! Sie schwor sich, beide selbst aus dem Jenseits – oder was auch immer das hier war – heraus zu verfolgen, bis ihre Köpfe neben dem von Valerie Redfield in ihrem Zimmer hingen. Selbst wenn sie sich daran nicht mehr erfreuen können würde! „Fein“, murrte sie in die Richtung des Alten. „Hab ja sonst nix Besseres zu tun. Wahrscheinlich hast du es schon gemerkt, aber ich bin neu hier, Opa. Wurde von 'nem Jinn gelinkt.“ „Ohoho“, lachte der Mann. „Das Problem ist mir wohlbekannt.“   ~-~-~   „Nur ein Monster? Das sollte nicht schwer werden“, sprach Matt im Angesicht der Psychohexe und zog auf, womit er schließlich sechs Karten auf in Hand hielt. „Für die habe ich schon die passende Antwort! Ich beschwöre den [Steelswarm Caller]!“ Ein humanoid anmutendes, schwarzes Wesen mit roten Insektenflügeln auf seinem Rücken erhob sich vor Matt, verharrte in gebückter Haltung.   Steelswarm Caller [ATK/1700 DEF/0 (4)]   „Angriff!“, befahl Matt und zeigte auf das Monster des in dunklen Flammen stehenden Jinns. Mit einem Satz landete der Insektenmann vor der rosahaarigen Hexe und riss sie mit seinen klauenbesetzten Händen entzwei.   [Matt: 4000LP / Jinn: 4000LP → 3700LP]   „Wenn [Serene Psychic Witch] zerstört wird, verbannt sie ein Psi-Monster mit einem Höchstangriffswert von 2000 von meinem Deck“, erklärte der Jinn und schob die gewählte Karte in ein Unterfach seiner Duel Disk. „Eine verdeckte Karte. Zug Ende!“, rief Matt nur. Seine Falle materialisierte sich vor ihm. „Das läuft doch gut!“   „Mein Spielzug“, kündigte der Jinn in seiner emotionsarmen Art an und zog, „nun kehrt das verbannte Monster auf mein Spielfeld zurück.“ Ein kleines, blondes Mädchen tauchte vor ihm auf. Sie trug einen Umhang und besaß einen Zauberstab, der eher an einen Morgenstern erinnerte, welcher durch mehrere Kabel mit ihrem Rücken verbunden war. Zudem schwebte sie in der Luft. „[Esper Girl]“, nannte sie der Jinn. „Wenn sie beschworen wird, verbannt sie die oberste Karte meines Decks.“ Welche prompt abseits des Spielfelds mit dem Kartenrücken nach oben zeigend materialisiert wurde.   Esper Girl [ATK/500 DEF/300 (2)]   Matt wunderte sich, warum der Jinn so ein schwaches Monster gerufen hatte, wo es ihm doch hätte möglich sein müssen, eine Kreatur zu rufen, die die seine spielend leicht zerstören konnte. „Ich beschwöre [Serene Psychic Witch] von meiner Hand als Normalbeschwörung“, erklärte der Jinn sein Tun und legte ein weiteres Exemplar seiner Hexe auf die Duel Disk, welche umgehend neben dem fliegenden Mädchen erschien.   Serene Psychic Witch [ATK/1400 DEF/1200 (3)]   „Nun führe ich eine Synchrobeschwörung durch, indem ich mein Stufe 2-[Esper Girl] auf die Stufe 3-[Serene Psychic Witch] einstimme. Aus ihnen wird der Stufe 5-[Magical Android].“ Das kleine Mädchen stieg in die Luft, zersprang in zwei grüne Lichtringe, die sich um die Hexe legten. Ein Lichtblitz folgte und schon stand vor dem Jinn ein neues Monster. Diese neue, junge Frau wirkte, als stamme sie aus einer fernen Zukunft. Mit elektronischem Schwert und Schild in der Hand, strahlte die Rothaarige große Zuversicht aus. Magical Android [ATK/2400 DEF/1700 (5)]   „Nun, da [Esper Girl] auf den Friedhof gelegt wurde, erhalte ich die verbannte Karte“, fuhr der Jinn mit seinem Zug fort. Die neben dem Feld liegende, verdeckte Karte löste sich auf, als er sie sich aus dem Unterfach seiner Duel Disk nahm. „Nach den Regeln dieses Duells greife ich nun dein Monster an.“ „Schon kapiert“, raunte Matt sichtlich angenervt. „Aber das war ein Fehler! Verdeckte Karte aktivieren! [Infestation Tool]! Ich schicke ein Steelswarm Monster von meinem Deck auf den Friedhof“, wobei er [Steelswarm Scout] vorzeigte und entsorgte, „und stärke meinen Caller dafür bis zur End Phase um 800 Angriffspunkte!“   Steelswarm Caller [ATK/1700 → 2500 DEF/0 (4)]   Die Kriegerin griff mit ihrem großen Schwert an, doch der Insektenmann flog über sie hinweg und schlug ihr hinterrücks mit seinen Klauen ein Loch in die Brust, woraufhin sie kreischend explodierte.   [Matt: 4000LP / Jinn: 3700LP → 3600LP]   „Man, das ist einfach gewesen“, murmelte Matt, „zu einfach …“ „Ich gehe nun in die Main Phase 2 und aktiviere die permanente Zauberkarte [Soul Absorption].“ Nachdem ein Abbild der Karte vor dem Jinn erschien – darauf gezeigt wurde ein Mann, dessen Seele von verschiedenen Dämonenköpfen ausgesaugt wurde – ging von ihr ein blaues Leuchten aus. „Ich fahre fort mit [Soul Release]“, sprach der Jinn, „womit ich fünf Karten von unseren Friedhöfen entferne. Diese sind zweimal [Serene Psychic Witch], [Esper Girl], [Magical Android] und [Steelswarm Scout].“ „Was!?“ Plötzlich schossen vier blaue Lichtsphären aus dem Friedhofsschacht des Jinns, sowie eine aus Matts Duel Disk. Sie alle wurden von dem blauen Licht von [Soul Absorption] angezogen und verschwanden schließlich in ihr. „Wann immer Karten verbannt werden, erhält der Besitzer von [Soul Absorption] pro Karte 500 Lebenspunkte.“ Der Dämonenjäger fiel aus allen Wolken. „Aber das sind 2500 Lebenspunkte auf einen Schlag!“ „So ist es.“   [Matt: 4000LP / Jinn: 3600LP → 6100LP]   „Nun aktiviere ich die Zauberkarte [Psychic Feel Zone]. Sie beschwört ein Psi-Synchromonster im Verteidigungsmodus von meinem Extradeck, indem ich zwei aus dem Spiel verbannte Materialien dafür zurück auf meinen Friedhof lege.“ Der Jinn zeigte [Magical Android] und [Esper Girl] vor, ehe er sie in den Friedhofsschlitz schob. „Zusammen ergeben sie Stufe 7. Es erscheint nun [Psychic Lifetrancer]“ Zwei grüne Ringe schossen aus dem Friedhof des Jinns in die Luft, gefolgt von fünf leuchtenden Sphären. Kurz darauf ging eine blasse, schwarzhaarige Frau in blauer Bekleidung vor ihm in die Knie. Ihre linke Körperhälfte war die einer Maschine.   Psychic Lifetrancer [ATK/2400 DEF/2000 (7)]   „Na klasse“, brummte Matt im Angesicht des Cyborgs. „Ich wusste doch, dass da was faul war!“ „Nun aktiviere ich den Effekt dieses Monsters. Ich verbanne ein Psi-Monster von meinem Friedhof“, sprach der Jinn und entfernte von dort den [Magical Android], „und erhalte 1200 Lebenspunkte. Dazu kommen weitere 500 Lebenspunkte durch [Soul Absorptions] Effekt.“ Wieder wurde eine Seele von seiner Zauberkarte verschlungen.   [Matt: 4000LP / Jinn: 6100LP → 7800LP]   „Was zum-!? Wie soll ich so viele Lebenspunkte auslöschen!?“ „Das musst du selbst herausfinden. Entweder das, oder du verlierst dein Anrecht auf den letzten Wunsch“, zeigte sich der Jinn unberührt. „Ich setze zwei meiner drei Handkarten verdeckt und beende den Zug.“ Die Karten materialisierten sich vor ihm. „Damit verliert mein Caller seine Bonuspunkte“, ging Matt widerwillig darauf ein.   Steelswarm Caller [ATK/2500 → 1700 DEF/0 (4)]   Das würde wohl länger dauern, dachte sich der Dämonenjäger dabei und zog schwungvoll. Eins stand fest, Anya würde tief in seiner Schuld stehen, wenn das erst vorbei war! Behände griff er sich ein Monster aus seinem Blatt und rief: „Tributbeschwörung: Caller geht, [Steelswarm Mantis] kommt!“ In einem wirbelnden, blauen Licht verschwand Matts geflügelter Insektenmann. Stattdessen trat daraus eine neue Kreatur. „Und nun aktiviert sich [Steelswarm Mantis'] Effekt, da ich sie als Tributbeschwörung gerufen habe! Für 1000 Lebenspunkte beschwört sie ein Steelswarm-Monster von meinem Friedhof und zwar den für ihre Beschwörung geopferten Caller! Außerdem ruft genau der, weil ich ihn als Tribut für die Beschwörung eines Steelswarm-Monsters angeboten habe, einen seiner Artgenossen der Stufe 4 oder abwärts von meinem Deck, [Steelswarm Sting]!“ Vor Matt tauchten gleich drei Monster auf einmal auf, nachdem er kurz zuvor erst sein altes geopfert hatte. Jenes war auch unter ihnen, dazu kamen noch [Steelswarm Mantis], der wie sein Name schon andeutete, ein schwarzer Mantismann war, sowie [Steelswarm Sting], eine pechschwarze Riesenhornisse mit Armen und Beinen.   [Matt: 4000LP → 3000LP / Jinn: 7800LP]   „Weiterhin aktiviere ich jetzt [Reasoning]! Nenne eine Stufe, danach schauen wir solange Karten von oberhalb meines Decks an, bis ein Monster darunter ist. Dieses wird beschworen, sofern es nicht die Stufe besitzt, die du genannt hast“, erklärte Matt den Effekt der Zauberkarte, die er in seine Duel Disk schob. „Stufe 8.“ Schon die erste Karte, die Matt von seinem Stapel aufdeckte, war ein Monster. „Pech gehabt, [Steelswarm Gatekeeper] ist Stufe 4! Los, erscheine!“ Noch ein Insektenmensch gesellte sich zu den anderen. Dieser aber ging auf vier Beinen und basierte auf einem pechschwarzen, gepanzerten Käfer. Damit besaß Matt nun gleich vier Monster, die er in einem Zug gerufen hatte, welche sich im ganzen Gang des in Grau gefangenen Bahnhofs ausbreiteten.   Steelswarm Mantis [ATK/2200 DEF/0 (5)] Steelswarm Caller [ATK/1700 DEF/0 (4)] Steelswarm Sting [ATK/1850 DEF/0 (4)] Steelswarm Gatekeeper [ATK/1500 DEF/1900 (4)]   Ohne Umschweife schwang er den Arm aus. „Los, Mantis, vernichte jetzt seinen [Psychic Lifetrancer]!“ Ruckartig flog der Mantismann mit den dünnen Flügeln auf seinem Rücken auf den weiblichen Cyborg zu. Doch jener wurde plötzlich ein helmartiger Apparat auf den Kopf gesetzt. Der Jinn sprach: „Das ist die Fallenkarte [Psychic Reactor]. Sie verbannt für diesen Zug alle kämpfenden Monster, wenn ein Psi-Monster in diesem Kampf verwickelt ist.“ Kaum hatte die Mantis den Cyborg mit einem Faustschlag niedergestreckt, lösten beide sich in blauem Licht auf und wurden zu Lichtkugeln, die von der Zauberkarte [Soul Absorption] absorbiert wurden.   [Matt: 3000LP / Jinn: 7800LP → 8800LP]   „Das ist doch nicht zum Aushalten“, schrie Matt regelrecht vor Wut und zeigte mit dem Finger auf seinen Gegner. „Aber ich kann dich jetzt wenigstens direkt angreifen!“ „Du irrst dich“, sprach der Jinn und ließ seine zweite Fallenkarte aufklappen. „Ich aktiviere [Brain Hazard]. Damit rufe ich ein verbanntes Psi-Monster zurück. Dies ist [Magical Android]!“ Matt erschrak, als aus dem Nichts die stolze, futuristische Kriegerin vor dem in schwarzen Flammen gehüllten Jinn auftauchte.   Magical Android [ATK/2400 DEF/1700 (5)]   „Verdammt! Das wird jetzt etwas wehtun, aber“, murmelte Matt grimmig, „von so etwas lasse ich mich nicht aufhalten! [Steelswarm Sting], opfere dich!“ Sein Hornissenmann schoss die Nadel an seinem Körperende auf die rothaarige Kriegerin ab, welche diese jedoch mit einem behänden Schwertschlag postwendend zurück zum Absender schickte. Getroffen von der eigenen Attacke, explodierte Matts Monster.   [Matt: 3000LP → 2450LP / Jinn: 8800LP]   Plötzlich bildeten sich Risse im Schwert des magischen Androiden. „Zu dumm! Wenn [Steelswarm Sting] das Zeitliche segnet, nimmt er ein Synchro-, Ritual- oder Fusionsmonster mit sich!“ Matt zeigte mit dem Daumen nach unten. „Abmarsch!“ Und schon platzte das Schwert auf und löste so eine Explosion aus, die seine erschrockene Besitzerin mit sich riss. Matt streckte da bereits den Arm aus. „Das hat mich ein paar Lebenspunkte gekostet, war die Sache aber wert! Gatekeeper, Caller, direkter Angriff!“ Seine beiden verbliebenen Monster setzten zeitgleich zum Angriff an. Und während der gepanzerte Käfer aus seinem Maul eine säurehaltige, gelbe Flüssigkeit spie, rannte der aufrecht gehende Insektenmann auf den Jinn zu und schlug mit seinen Klauen nach ihm.   [Matt: 2450LP / Jinn: 8800LP → 5600LP]   Als wäre jedoch nichts geschehen, verharrte der Jinn auf der Stelle. „Sehr gut, das ist immerhin ein Anfang“, murmelte Matt vor sich hin. Dennoch hatte er das Gefühl, kaum voran zu kommen. Plötzlich riss er den Arm in die Luft. „Und jetzt werden wir mal verhindern, dass du weiterhin ein Synchromonster nach dem anderen beschwörst! Ich erschaffe das Overlay Network! Xyz-Summon!“ Vor ihnen tat sich ein schwarzer Wirbel auf, welcher die beiden Insekten in Form violetter Lichtstrahlen in sich aufnahm. Matt brüllte dazu: „Steh mir bei, [Steelswarm Roach]!“ Aus dem Loch hervor trat ein edler Schabenritter, dessen goldener Umhang gleichzeitig sein Flügelpaar war. Mit einem Rapier in der Hand stellte er sich mutig seinem Feind, wobei zwei grelle Lichtkugeln um ihn kreisten. Steelswarm Roach [ATK/1900 DEF/0 {4}]   Doch etwas war merkwürdig, überlegte Matt und betrachtete das Mal an seinem Arm. Das sphärenartige Objekt, umhüllt von Dämonenschwingen, glühte nicht auf. Das letzte Mal, als er sein Paktmonster beschworen hatte, war dies jedoch der Fall gewesen. War Another etwa nicht hier? Allerdings störte das Matt nicht im Geringsten. Er hasste dieses Wesen ohnehin wie die Pest dafür, dass es ihn in einen Pakt gezwungen hatte. Ohne ihn hätte er Alastair zwar nicht beschwichtigen können, doch der Preis dafür war groß gewesen. Aber das war nicht der richtige Zeitpunkt, um nachtragend zu sein. „Ich setze eine Karte verdeckt und beende meinen Zug“, rief Matt und ließ die gesetzte Karte vor sich erscheinen.   „Dann beginne ich meinen Spielzug“, kündigte der Jinn an und zog eine Karte, die er kurz betrachtete, ehe er die andere aus seinem Blatt ausspielte. „Beschwörung. [Silent Psychic Wizard].“ Aus dem Nichts tauchte ein in blau gekleideter Krieger mit hochmoderner Lanzenwaffe ausgerüstet auf, die durch Kabel mit seinem Rücken verbunden waren, welcher seinerseits von seinem Umhang bedeckt wurde. Der Jinn erklärte dabei: „Dieses Monster verbannt ein Psi-Monster von meinem Friedhof.“ Schon entsorgte er den [Magical Android], wodurch abermals eine Seele von seiner Zauberkarte absorbiert wurde. „Geht das schon wieder los!“, beklagte sich Matt lauthals darüber. „Verdammt!“   [Matt: 2450LP / Jinn: 5600LP → 6100LP]   Doch noch etwas bereitete ihm Sorgen. Ein Blick auf die Angriffspunkte des Psychokriegers verriet ihm, dass jener [Steelswarm Roach] ebenbürtig war.   Silent Psychic Wizard [ATK/1900 DEF/0 (4)]   Und er hatte es kommen sehen, als der Jinn sagte: „Mein Monster greift nun deines an. Beide werden zerstört.“ Zeitgleich stürmten der Schabenritter und der Krieger aufeinander zu und lieferten sich ein erbittertes Duell mit ihren Waffen. Doch plötzlich grinste Matt verschlagen. „Ganz dumme Idee! Ich hab noch ein Ass im Ärmel! Los, Incarnation Mode! Ich rekonstruiere das Overlay Network und mache aus meinem Rang 4-Monster ein neues Rang 4-Monster!“ „Das ist nicht möglich. Einmischungen von außen werden nicht geduldet.“ „Was!?“ Matt schnappte nach Luft. „Soll das heißen-!?“ „Du kannst nicht auf die Kraft deines Paktpartners zurückgreifen. Der Kampf wird fortgesetzt.“ Der Schwarzhaarige war fassungslos. Selbst Another musste sich der Macht dieses Wesens beugen und konnte nicht eingreifen!? Dann war das tatsächlich ein echter Jinn! Es kam, was kommen musste: beide Monster landeten im selben Augenblick einen tödlichen Treffer und spießten sich gegenseitig auf, gingen zusammen in einer Explosion unter. „Verdammt!“, schrie Matt aufgrund des Verlustes seiner Schabe. „Effekt des [Silent Psychic Wizards] wird aktiviert. Er ruft nun das von ihm verbannte Monster auf mein Spielfeld. Und dieses wird dich angreifen.“ Mit Schrecken wich Matt zurück, als direkt vor ihm der [Magical Android] auftauchte und ihm einen heftigen Schlag mit ihrer Klinge verpasste. Doch Matt wehrte den Angriff mit erhobenem Arm ab und stemmte sich mit aller Kraft gegen ihn. „Nichts da! Meine Falle [Defense Draw] wird den Kampfschaden auf 0 setzen und mich eine Karte ziehen lassen!“ Unter einem leisen Surren klappte die gesetzte, purpurn umrandete Karte vor ihm auf und machte dem Kampf ein Ende. Die rothaarige Kriegerin sprang daraufhin unzufrieden zurück und landete vor dem Jinn, während Matt eine Karte zog und tief durchatmete. „Puh … wenn der durchgegangen wäre …“ „Schnellzauberkarte von meiner Hand: [Emergency Teleport]. Ich beschwöre als Spezialbeschwörung ein Psi-Monster mit maximal drei Stufensternen von meinem Deck, welches am Ende des Zuges verbannt wird. Dieses Monster ist [Mental Seeker].“ Erschrocken davon, dass neben der Kriegerin plötzlich aus einer Lichtsäule ein kleiner, grünhaariger Junge mit hellblauem Cape erschien, stieß Matt einen trotzigen Laut aus.   Mental Seeker [ATK/800 DEF/600 (3)]   Die Augen des Burschen wurden von einem Visor verdeckt und seine Beine waren durch jeweils ein Kabel mit seiner Hüfte verbunden. Er streckte den Arm aus, was Matt völlig überraschend traf, hatte er ganz vergessen, dass dieses Monster auch noch angreifen konnte. „Gargh!“, schrie er, als er durch eine unsichtbare Kraft nach hinten auf den Boden geschleudert wurde.   [Matt: 2450LP → 1650LP / Jinn: 6100LP]   „Nun führe ich in meiner Main Phase 2 eine Synchrobeschwörung durch“, kündigte der Jinn an, „indem ich meinen Stufe 3-[Mental Seeker] auf meinen Stufe 5-[Magical Android] abstimme. Daraus entsteht der Stufe 8-[Thought Ruler Archfiend].“ Matt sprang panisch auf, als er mit ansah, wie der kleine Junge in drei grüne Ringe zersprang, die sich um seine Partnerin legten. Ein greller Blitz blendete ihn, ehe ihm die Kinnlade hinunter klappte. Das neue Monster des Jinns war eindrucksvoller als alles, was dieser bisher gespielt hatte. Breite, ledrige Schwingen spreizten sich, als der mit einem Skelett überzogene Dämon in die Höhe stieg. Seine massiven Pranken und ein langer Schweif zeugten davon, dass er alles vernichtete, was sich ihm widersetzte. „Das wird immer besser …“, brummte Matt frustriert.   Thought Ruler Archfiend [ATK/2700 DEF/2300 (8)]   „Damit ist mein Spielzug beendet“, sprach der Jinn und gab mit leerer Hand und Hinterreihe – abgesehen natürlich von [Soul Absorption] – an Matt ab. Dieser griff unschlüssig, was er gegen so eine Kreatur unternehmen sollte, nach seinem Deck. Einzig seine höheren Tributmonster konnten es mit der Stärke dieses Monstrums aufnehmen, aber auch wenn sich ein solches auf seiner Hand befand, mangelte es ihm an den nötigen Tributen auf dem Spielfeld. Aufgeben war jedoch keine Option. Er hatte Anya in die Sache hineingezogen, nun würde er sie auch wieder da hinaus holen! Irgendwie!     Turn 23 – Last Wish Während Matt weiterhin darum kämpft, dass Anya befreit wird, ist die dazu gezwungen sich ausgerechnet mit dem alten Mann zu unterhalten, den sie in der Lampe des Jinns getroffen hat. Im Verlaufe des Gesprächs öffnet sie ihm jedoch unerwartet ihr Herz und redet über ihre Sorgen. Doch obwohl Matt seinerseits alles versucht, scheint der Jinn einfach zu stark zu sein. Bis Matt sein mächtigstes Monster, [Steelswarm Hercules], beschwört … Kapitel 23: Turn 23 - Last Wish ------------------------------- Turn 23 – Last Wish     „Wie lange bist du schon hier, Opa?“, fragte Anya missmutig, nachdem sie unerwartet schnell gelernt hatte, dass alte Männer sehr wohl im Schneidersitz schweben konnten. Sie wusste zwar noch nicht, wer dieser alte Kerl mit dem Wanderstock war, würde es aber gewiss jeden Moment herausfinden – leider.   Diese Welt war die Leere höchstpersönlich und so saßen sie sich nun beide im Schweben gegenüber. Auch hatte sich ihr Umfeld stark verdunkelt und einen tiefblauen Ton angenommen. Der Alte hatte Anya erklärt, dass es völlig gleich war, wohin sie ging – es gab keinen Ausgang. Was sie jedoch nicht wirklich überraschte. Aber auch keinesfalls glücklich stimmte. Anya verfluchte den Jinn für seinen miesen Trick. Er hatte sie hier eingesperrt! Wenn sie doch nur-!   „Die Hälfte meines Lebens, schätze ich“, erklärte er mit krächzender Stimme. „Anfangen hat es, ich war ein Archäologe besten Alters, in Indien. Da habe ich sie gefunden, die Lampe des Jinns, nachdem ich lange suchen musste.“ „Du wusstest also von ihm … ?“ Allein an Anyas unterschwellig genervten Tonfall konnte man erkennen, dass sie nicht in der Stimmung war, mit ihm zu reden. Sie wollte hier raus, verdammter Kackmist! „Natürlich. Aber im Endeffekt war er nicht das Wesen, das wir aus den sagenhaften Geschichten kennen.“ Der alte Mann seufzte schwer. „Dass du hier bist heißt, dass du jene Erfahrung ebenfalls gemacht hast.“ Anya ballte eine Faust und schlug sie auf den Boden, welcher jedoch nicht existierte, wodurch die Blondine mit dem Pferdeschwanz wiederum ungewollt vorneüber kippte. „Argh! Jep. Und wenn ich hier raus bin, gibt’s Saures.“ Woraufhin sie die Faust stattdessen in ihre Handfläche schlug. „Leider gibt es von hier aus kein Entkommen. Du musst wissen, dass wir hier in seiner Lampe sind.“ Daraufhin rümpfte Anya die Nase. „Mir doch egal. Und ich komme sehr wohl hier raus, du wirst schon sehen, Opa!“ „Schon einige haben das gesagt. Und sie alle sind irgendwann wahnsinnig geworden und haben ihrem Leben ein Ende bereitet. Ich bin der Einzige, der es all die Zeit über geschafft hat, meinen Verstand nicht zu verlieren.“ Wieder seufzte der Alte schwer. „Vielleicht gab es in der Welt da draußen nichts, was ich hätte vermissen können? Oder waren es am Ende meine Erinnerungen, die mich getröstet haben? Wer weiß das schon …“ „Ja, ja, sehr tragisch“, winkte Anya desinteressiert ab. Doch es gab etwas, was sie dennoch neugierig machte. Wohlgemerkt nicht auf positive Weise. „Wie viele waren hier?“ „Als ich hier angekommen bin, waren es zwei, doch beide waren bereits dem Wahn verfallen. Danach folgte noch ein weiterer.“ Der Mann zeigte ihr den erhobenen Zeigefinger. „Aber nur dieser Neuankömmling hat es länger als ein Jahr geschafft. Er war wirklich eine erstaunliche Person.“ Anya indes richtete den Blick auf ihren Schoß. Es war so ironisch, dass sie nicht einmal lachen konnte. Der Wunsch nach Freiheit hatte ihr ebendiese genommen. Und dieser Ort, die „Lampe“, sie war im Grunde das, was sie sich unter dem Limbus vorstellte. Eine leere Welt der Einsamkeit. Langweilig. Mit dem Fossil ihr gegenüber konnte sie auch nichts anfangen, der kannte wahrscheinlich nicht einmal Duel Monsters. Und auch wenn sie jetzt ein paar coole neue Karten für ihr Gem-Knight Deck besaß, brachten die ihr ohne Gegner auch nichts. Alles hing jetzt von Matt ab. Plötzlich schreckte sie auf. Ohne dass sie es wollte, schoss der schreckliche Gedanke aus ihr heraus: „Und was ist, wenn er mich im Stich lässt?“ „Von wem sprichst du?“ Anya ließ den Kopf hängen. Eigentlich wollte sie etwas Schroffes in Richtung das ginge ihn gar nichts an erwidern, doch ihre Zukunftsaussichten waren alles andere als rosig. Vielleicht würde dieser Mann bald alles sein, was … nein, daran durfte sie nicht denken! „Einem …“ Nein, er war kein Freund. „Er ist ein Dämonenjäger und war bei mir, als es passierte.“   Und was, wenn Matt wirklich daran dachte, sie hier zurückzulassen? Sie war jetzt hier, im Limbus 2.0, fernab davon, ihr Schicksal als Schlüssel zu Edens Erweckung zu erfüllen. Alastair würde sicher sein, ebenso Redfield und potentiell Marc, Henry und dessen Schwester Melinda. Es würde allen gut gehen und es gab für niemanden von denen auch nur den geringsten Grund, sie hier heraus holen zu wollen. Selbst bei Abby war sie sich nicht sicher, ob die sich nicht am Ende damit abfinden würde. Und Nick war ohnehin zu dumm, um irgendetwas ausrichten zu können – wenn er es überhaupt wollte … Der Einzige, dem überhaupt etwas daran gelegen war sie zu befreien, war Levrier. Und was dessen Verbleib anging, herrschte bei Anya große Ahnungslosigkeit. War er jetzt alleine? Oder gar tot?   „Vielleicht findet er einen Weg, die Wirkung des Wunsches aufzuheben“, versuchte der Mann sie nun aufzumuntern. „Dämonenjäger sind sehr gewiefte Menschen. Leider nicht immer gewieft genug, denn diese Menschen, die sich mit mir hier aufgehalten haben, waren ebenfalls Dämonenjäger. Ja, ja.“ „Selbst wenn er einen kennt, hätte er keinen Grund“, meinte Anya selbst überrascht von ihrer Niedergeschlagenheit und hielt dem Mann ihren Arm entgegen. Sie zog den Ärmel ihrer Lederjacke ein Stück hinauf und offenbarte das Kreuz im Dornenkranz. „Wegen dem hier.“ „Bist du dir sicher? Wenn er dein Freund ist, wird er es trotzdem versuchen.“ „Aber er ist es nicht. Wegen dem hier.“ Sie deutete auf dem Mal. „Bin sozusagen Staatsfeind Nummer 1.“ „Doch er hat dich zu dem Jinn geführt, nicht wahr? Er wollte, dass du von deiner Last befreit wirst.“ „Vielleicht hat er all das auch von Anfang an geplant“, erwiderte Anya wütend und schaute auf, „um mich loszuwerden. Er kann mich nicht töten, deswegen hat er mich in eine Falle gelockt.“ „Glaubst du das wirklich?“ Ihr Gegenüber fuhr sich mehrmals über den Bart. „Wenn du meinst. Dann ist er wirklich klug, dieser Dämonenjäger.“   ~-~-~   [Matt: 1650LP / Jinn: 6100LP]   Stöhnend wischte sich Matt den Schweiß von der Stirn. Ihm war nicht aufgefallen, wie heiß es auf dem Bahnhof war, seit die Zeit für alle Menschen außer ihn und den Jinn angehalten hatte. Was aber daran lag, dass ebenjener brannte wie ein Öltanker in einem Vulkan. Pechschwarz waren die Flammen, die den Körper von Anya komplett verhüllten. Matt vermutete, dass das die wahre Form des Jinns sein musste. Bloß war das nicht sein Problem. Jenes war der riesige Dämon, dem er in dieser grauen Welt gegenüber stand.   Thought Ruler Archfiend [ATK/2700 DEF/2300 (8)]   Seine mächtigen Schwingen weit ausspannend, starrte die mit einem Skelett bezogene Kreatur Matt angriffslustig an. Fast schlimmer noch war die permanente Zauberkarte des Jinns, [Soul Absorption], durch die er jedes Mal, wenn eine Karte verbannt wurde, 500 Lebenspunkte erhielt. Allein dadurch machte er Matt seither das Leben unsagbar schwer. Dieser war jetzt zwar am Zug, saß dennoch mächtig in der Patsche. Sein Feld war leergeräumt und einzig seine drei Handkarten konnten ihn unter Umständen davor bewahren, den Wunsch zu verlieren. Darum ging es hier schließlich, Anyas Hälfte des dritten Wunsches zu bekommen. Der Jinn, der Anya in diesem Duell vertrat, konnte sich selbst keine Wünsche erfüllen, obwohl auch er den missglückten zweiten Wunsch des Mädchens umkehren wollte. Deshalb musste er, Matt, der mit seinem Blut an der Lampe gerieben hatte, sich jetzt duellieren, damit er auch die andere Hälfte bekam. Erst dann konnte er Anya befreien. „Dann lass uns mal loslegen“, murmelte der Dämonenjäger schließlich und griff nach seinem Deck.   ~-~-~   „Mir ist langweilig“, brummte Anya genervt und bettete ihr Gesicht in ihre Hände, den Alten ungeduldig anstarrend. Der ständige Farbwechsel ihrer Umgebung ging ihr mittlerweile ziemlich auf die Nerven. Jetzt stand alles in grellem Gelb, es blendete schon fast. Wenn sie tatsächlich den Rest ihres Lebens so verbringen musste, würde sie vermutlich allein deshalb nach spätestens einer Woche irre werden. Sofern sie nicht vorher an einem epileptischen Anfall starb, weil sie sich dabei auf die Zunge gebissen hatte. Es war zum Kotzen! Seither hatten die beiden Gefangenen kein Wort mehr gewechselt, was der Hauptgrund war, warum Anya sich beklagte. Fast schien es, als würde der Opa darauf warten, dass sie von sich aus auf ihn zuging. „Ich könnte dir ja ein paar Geschichten erzählen“, bot ihr Gegenüber nun an, „vielleicht lernst du ja noch etwas über Dämonenjäger? Die, die ich kannte, haben vieles erlebt.“ „Von mir aus.“ Resignierend verschränkte Anya ihre Arme. Immerhin bekam sie dann etwas Ablenkung.   „Auf meinen Reisen sind mir viele Dämonenjäger begegnet, nicht nur die, die die Macht der Wunderlampe gesucht haben“, begann der Bärtige seine Erzählung wie ein erstklassiger Märchenonkel. „Einer von ihnen war dieser besondere Mann, der hier mit mir eingesperrt war. Er suchte die Lampe, anders als all die anderen, nicht aus Eigennutz. Oder vielleicht doch? Ich glaube, das ist Interpretationssache.“ Anya horchte interessiert auf. Welcher Mensch wünschte sich schon etwas ohne Eigennutz? „Was wollte er sich denn wünschen?“ „Das, was sich wohl die meisten von uns wünschen: er wollte die Menschen, die ihm lieb und teuer waren, wieder ins Leben zurückrufen. Doch nicht etwa, weil nur er sie vermisste. Nein, es gab da jemanden anderes, der diese zwei Menschen wesentlich dringender brauchte als er selbst.“ „Aber der Jinn kann keine Menschen wiederbeleben, hat er gesagt!“ Anya schnaubte. „Dein Kumpel war ein Trottel, wenn er sich das gewünscht hat, obwohl der Jinn ihn vorher aufgeklärt hat.“ „Oh? Nein nein nein, der Dämonenjäger hat sich etwas anderes gewünscht, als er die Regeln des Jinns erfuhr.“ Der Alte schenkte ihr eines seiner zahnlosen Lächeln und betrachtete anschließend seinen Stab. „Er wollte frei sein von dem Schmerz und der Verantwortung, den der Verlust dieser beiden mit sich brachte. Dieser Wunsch geschah aus Eigennutz. Und du musst wissen, die beiden, die er ins Leben zurückrufen wollte, waren ebenfalls Dämonenjäger. Gestorben durch die Hand ihrer Beute.“ „Das ist … Pech für die“, raunte Anya, die eigentlich etwas ganz anderes sagen wollte. „Mehr als nur Pech. Sie starben, weil sie sich überschätzt hatten. Aber ein Vater wird immer versuchen, seine Tochter zu retten, nicht wahr?“ Die Nase rümpfend, legte Anya wieder eine Hand auf ihre Wange und starrte bewusst zur Seite. „Nicht alle Väter, Opa …“ „Dieser hier schon. Sein Wunsch war es lediglich, sie wiederzusehen. Sie und ihren Ehemann, der ebenfalls starb. Damit sie sich um sein Enkelkind, ihren Sohn, kümmern konnten.“ Plötzlich klang der Fremde so unendlich traurig, dass Anya gar nicht anders konnte, als ihn anzusehen. „Aber indem er in seinem schwachen Moment die falschen Worte gewählt hatte … landete er hier.“ „Nicht losheulen“, motzte sie ihn unbeholfen an, „er ist doch jetzt tot und bei ihnen. Im Himmel oder sonst wo! Oder nicht?“ Aber unerwartet lächelte er sie wieder an und wischte sich eine Träne aus dem Auge. „Du bist ein gutes Kind.“ „N-nein! Garantiert nicht!“ Was allerdings auf taube Ohren stieß. „Warum erzählst du mir nicht etwas von dir? Was hat dich dazu gebracht, den Jinn aufzusuchen?“   Genau das, was sie eigentlich vermeiden wollte, dachte Anya frustriert und ließ den Kopf hängen. „Spielt doch keine Rolle mehr …“ „Wir werden bestimmt noch viel Zeit miteinander verbringen. Natürlich kannst du damit warten, bis du dich bereit fühlst, darüber zu reden“, sprach er einfühlsam auf sie ein, „aber ich sehe doch, dass dich schon die ganze Zeit etwas bedrückt.“ „Es ist-“ Aber nein, sie konnte nicht darüber reden! Doch als der Alte sie so gütig ansah, dass sie seinen Blick nicht länger ertragen konnte, löste sich ungewollt ihre Zunge. „Es ist, weil ich bald sterben werde! Aber ich will nicht sterben!“ „Ist es wegen deinem Mal?“, fragte ihr Gegenüber mit Blick auf Anyas Arm, wobei der Blick auf Levriers Paktsymbol durch die schwarze Lederjacke wieder verborgen lag. „Ja …“, brummte Anya frustriert. „Ich war blöd genug, einen Pakt mit einem Gründer einzugehen. Was das ist, ist jetzt nicht weiter wichtig, kann ich dir auch später noch erzählen. Aber in neun Tagen wird etwas passieren, das mich entweder das Leben kostet und mich in die Hölle schickt … oder zu irgendetwas macht, von dem ich keine Ahnung habe, was es überhaupt ist.“ Der Alte zog eine seiner buschigen Augenbrauen hoch. „Das klingt wirklich ernst. Welches Datum schreibt ihr denn? Ich habe leider schon lange den Überblick verloren.“ „Zurzeit den 02. November Zweitausend-…“ Den letzten Teil des Satzes hatte Anya nur leise genuschelt. „So viel Zeit ist verstrichen? Dann bin ich bereits weit über 80 Jahre alt“, empörte sich ihr Gegenüber, jedoch durchaus belustigt über diese Tatsache. „Aber dann heißt das, dass dein Todesdatum auf den 11.11. festgelegt ist.“   Anya schwieg kurz, seufzte dann leise. „So sieht's aus.“ „Das ist ein sehr besonderes Datum. Ein Omen. Was hast du dir gewünscht, um deinem Schicksal zu entkommen?“ „Frei zu sein, von meinem Paktpartner getrennt zu werden. Dadurch bin ich aber hier gelandet.“ „Dann hat der Jinn deinen Wunsch fehlinterpretiert, genau wie damals bei jenem Dämonenjäger, der seinem Schmerz entkommen wollte. Wie traurig. Anscheinend versteht den Jinn nicht, was Freiheit bedeutet.“ Aber die Miene des Mannes hellte sich auf. „Aber was ist mit deinem Freund, dem Dämonenjäger? Wird er dir nicht helfen?“ „Niemals“, brummte Anya, die sich zwischenzeitlich aus dem Schneidersitz gelöst hatte und nun beide Arme um die Beine legte, als sie jene an sich heranzog. Es war, als wolle sie sich vor den Blicken ihres Gegenübers verstecken. „Denn der wäre genauso dran, wenn ich leben würde. Er ist sozusagen eines der Opfer, die benötigt werden, damit ich mein Schicksal erfülle. Nur deswegen hat er mir geholfen. Niemand … würde jemandem wie mir helfen …“ Der Opa lachte jedoch fröhlich. „So ein Quatsch. Es gibt immer jemanden, dem man etwas bedeutet, Kindchen!“ „Nicht in meinem Fall.“ Schließlich sah sie mit betrübter Mimik auf. „Ist nicht so, als ob ich nicht geahnt hätte, dass das hier schief geht. Aber dass ich jetzt weg bin heißt auch, dass keiner der anderen Malträger sterben muss. Und es bedeutet, dass meine Freunde … nicht mehr Gefahr laufen, so zu enden wie die anderen. Abby und Nick …“ Der Alte strahlte sie nun förmlich an. „Da bitte! Du hast Freunde. Und du sorgst dich um ihr Wohl, also werden sie sich auch um dich sorgen und dich hier heraus wünschen. Glaub daran!“ Doch Anya ließ wieder den Kopf auf ihre Kniescheiben sinken. „Da wäre ich mir nicht so sicher.“   ~-~-~   „Verdammt! Verdammt nochmal!“ Matt stand der Schweiß auf der Stirn. Seine gezogene Karte war nicht das, was er erhofft hatte. Damit konnte er lediglich etwas länger überleben. Den Blick auf den beflügelten Dämon vor dem Jinn werfend, musste sich Matt eingestehen, dass letzterer ein ganz schön harter Brocken war. Doch noch war nicht alle Hoffnung verloren! „Ich sehe mich gezwungen, diese Karte hier zu spielen: [One Day Of Peace]! Damit ziehen wir beide eine Karte, können aber bis zum Ende deines nächsten Zuges dem anderen keinen Schaden zufügen.“ Wortlos zogen sie beide eine Karte, womit der Jinn nun wieder ein Blatt besaß. Matts, welches aus vier Karten bestand, machte ihm jedoch wenig Hoffnung. „Moment-!“, platzte es aus ihm heraus, als er es noch einmal genau betrachtete. Damit konnte er-! Selbstbewusst verkündete er, als er ein Monster auf seine Duel Disk knallte: „Dieses Monster verdeckt und dazu noch eine gesetzte Karte! Das war's für diesen Zug!“ In horizontaler Lage tauchte der Kartenrücken des Monsters vor Matt auf, während direkt dahinter seine gesetzte Falle in vertikaler Position erschien. Lass es klappen, betete Matt im Stillen.   „Ich beginne meinen Spielzug“, kündigte der Jinn jenen an und zog. Matt indes ärgerte sich regelrecht über seinen teilnahmslosen Gegner. Selbst jetzt, da dieser einen beträchtlichen Vorsprung besaß, zeigte er keine Regung von der sonst so weit verbreiteten Überheblichkeit. Aber so war das wohl bei Jinns: sie kannten keine Gefühle. Nein, ganz stimmte das nicht. Die Neugier hatte ihn dazu getrieben, Anyas Körper zu übernehmen. Also war da vielleicht doch mehr? „Ich beschwöre [Split Psychic Manipulator].“ Unter dem unheimlichen Dämon tauchte ein alter, rundlicher Mann auf, der zwei Spritzen in den Händen hielt, die mit Schläuchen an seinem Kopf verbunden waren. Sein grauer Bart reichte bis zum Boden.   Split Psychic Manipulator [ATK/400 DEF/100 (1)]   „Durch seinen Effekt reduziere ich die Stufe des [Thought Ruler Archfiends] um eins und erschaffe eine Spielmarke, die [Split Psychic Manipulator] gleicht.“ Laut gackernd warf der Alte eine seiner Spritzen hoch in die Luft, welche das linke Bein des Dämons traf. An dem Schlauch ziehend, entnahm er jenem eine grüne Flüssigkeit, die dadurch direkt in sein Gehirn floss. Bis dem Alten ein neuer Kopf wuchs, der eines Babys.   Spalt-Spielmarke [ATK/400 DEF/100 (1)] Thought Ruler Archfiend [ATK/2700 DEF/2300 (8 → 7)]   „Nun benutze ich diese drei Monster, um eine Synchrobeschwörung durchzuführen.“ Matt entglitten die Züge. „Was!? Noch eine!?“ „Der Stufe 1 [Split Psychic Manipulator] stimmt sich nun auf die Stufe 1-Spielmarke und den Stufe 7 [Thought Ruler Archfiend] ab. Es erscheint daraufhin [Overmind Archfiend].“ Entsetzt verfolgte Matt, wie der Körper des alten Mannes zersprang und zu einem grünen Ring wurde, wobei der Kopf des Babys diesen zusammen mit dem Dämon passiert. Ein greller Lichtblitz blendete Matt, es folgte daraufhin ein grässliches Brüllen. „Unmöglich!“, stammelte Matt, als er dieses neue Monster sah. Äußerlich ähnelte es stark dem [Thought Ruler Archfiend], auch wenn der Skellettanteil an seinem Körper deutlich größer geworden war, wie die Bestie an sich, welche fast den halben Gang des Bahnhofs für sich in Anspruch nahm. Zudem glänzten die Knochen nun silbrig.   Overmind Archfiend [ATK/3300 DEF/3000 (9)]   „3300!? Das ist stärker als alles, was ich besitze!“ „Ich benutze nun den Effekt dieses Monsters und verbanne [Thought Ruler Archfiend] von meinem Friedhof.“ Aus dem Friedhof des Jinns tauchte eine blaue Sphäre auf, die umgehend von seiner permanenten Zauberkarte [Soul Absorption] aufgesaugt wurde.   [Matt: 1650LP / Jinn: 6100LP → 6600LP]   „Nun aktiviere ich [Miracle Synchro Fusion]. Indem ich ein Psi-Synchromonster und ein weiteres Psi-Monster von meinem Friedhof verbanne, ermöglicht es diese Zauberkarte, dass ich [Ultimate Axon Kicker] als Fusionsbeschwörung beschwöre.“ Matts Gegner schob [Magical Android] und [Split Psychic Manipulator] in das Unterfach der Duel Disk, welches alle seine aus dem Spiel entfernten Karten aufbewahrte. Zwei weitere Seelen stiegen daraufhin aus dem Friedhof auf und wurden sofort wieder von der permanenten Zauberkarte verschlungen, um deren Besitzer jeweils 500 Lebenspunkte zu schenken.   [Matt: 1650LP / Jinn: 6600LP → 7600LP]   „Will der mich verarschen!?“, hauchte Matt heiser, als vor dem [Overmind Archfiend] -noch- ein Monster derselben Größe auftauchte. Auch dieses ähnelte stark dem [Thought Ruler Archfiend], mit dem Unterschied, dass diese Kreatur keine Beine mehr besaß, dafür aber sein dämonischer Schweif wesentlich länger war.   Ultimate Axon Kicker [ATK/2900 DEF/1700 (10)]   Matt runzelte ärgerlich die Stirn. „Ich glaube, jetzt kapiere ich es. Diese beiden Monster sind die zwei möglichen Pfade, die [Thought Ruler Archfiend] beschreiten kann. [Overmind Archfiend] stellt das Böse dar, und dieser hier das Licht.“ „Ich verstehe diese Interpretation nicht. Doch auch wenn deine Zauberkarte dich vor Kampfschaden beschützt, gilt dies nicht für deine Monster. Darum greift [Ultimate Axon Kicker] dein verdecktes Monster an.“ „Sicher …“ Der vordere Dämon konzentrierte in seinen Klauenhänden einen grünen Energieball, den er schließlich auf Matts gesetztes Monster abfeuerte. Unter einer tosenden Explosion wurde [Steelswarm Genome], eine formlose, schwarz geschuppte Gestalt, regelrecht zerfetzt. Selbst Matt, der den Schlag nicht abbekommen hatte, wurde von einer heftigen Druckwelle zurückgeworfen.   Steelswarm Genome [ATK/1000 DEF/0 (2)]   Der Jinn sah Matt teilnahmslos an, als dieser tief durchatmete. „Wenn [Ultimate Axon Kicker] ein Monster in Verteidigungsposition angreift, wird unter normalen Umständen Durchschlagschaden zugefügt. Da dies jedoch diese Runde nicht möglich war, sind deine Lebenspunkte sicher. Allerdings hat mein Monster ein anderes im Kampf zerstört, daher erhalte ich dessen Angriffspunkte, um mein Leben zu verlängern.“ „Das auch noch!?“ Grüne Lichter tanzten um den entflammten Jinn in Anyas Körper.   [Matt: 1650LP / Jinn: 7600LP → 8600LP]   „Damit ist mein Spielzug beendet.“ Matt aber starrte nur mit entglittenem Gesichtsausdruck seine Hände an. „Irgendjemand da oben muss mich wirklich hassen! Wie zum Teufel soll ich so viele Lebenspunkte auslöschen!?“ „Fahre mit deinem Zug fort, Meister“, forderte der Jinn jedoch nur, ohne ihm die Antwort für sein Problem zu geben.   Matt betrachtete sein Blatt, das aus seinem besten Monster und einem weiteren Artgenossen bestand. Und er hatte noch seine verdeckte Falle. Damit würde er sich zwar über Wasser halten können, aber wenn er dieses Spiel nicht bald beendete, würde er den Kampf verlieren. Denn hier ging es nicht wirklich darum, das stärkere Monster zu beschwören. Es ging darum, wer am Ende zäher war, mit seinen Ressourcen besser umging. Und die Ressourcen des Jinns waren nicht etwa seine Karten, sondern seine Lebenspunkte, die durch seine Zauberkarte [Soul Absorption] schier unerschöpflich waren. Und nicht nur das, er besaß auch andere Wege, sie zu regenerieren, wie man anhand des [Ultimate Axon Kickers] sehen konnte. Lange würde das nicht mehr gut gehen. „Für jemanden, der seit hunderten von Jahren in einer Lampe eingesperrt ist, bist du wirklich eine harte Nuss“, lobte Matt seinen Gegner respektvoll. „Ich tue das, wozu ich erschaffen worden bin.“ „Keine Ahnung, ob das jetzt gut oder schlecht ist. Aber ich muss dich besiegen, damit Anya zurückkommen kann!“ Der Jinn nickte. „Das ist korrekt. Um ihren Teil des Wunsches zu erlangen, musst du mich, ihren Vertreter, in diesem Duell schlagen. Wenn du verlierst, wird der Wunsch auf mich übertragen, doch aufgrund der Beschaffenheit eines Jinns ist es ihnen nicht möglich, ihre eigenen Wünsche zu erfüllen.“ Matt kratzte sich unsicher am Kopf. „Hast du denn einen?“ „Ich weiß es nicht. Aber ich spüre den Drang, die alte Ordnung wieder herzustellen. Ist das ein Wunsch?“ „Ich glaube schon.“ Komischer Kauz, dachte sich Matt dabei. Wie aussah, wusste dieser Jinn gar nicht, was Wünsche überhaupt waren. Beziehungsweise verstand sie einfach nicht. Er lachte auf.   „Keine Sorge, ich helfe dir dabei schon irgendwie! Ich bin am Zug! Draw!“ Voller Schwung riss Matt die Karte von seinem Deck und brauchte nur einen kurzen Blick von der Seite auf sie zu werfen, um zu erkennen, dass -sein- Wunsch sich erfüllt hatte. „Perfekt!“ Er nahm vor seinem Gegner eine aufrechte Haltung an. „Gleich ist alles vorbei! Da ich keine Monster kontrolliere, beschwöre ich [Steelswarm Cell] als Spezialbeschwörung von meiner Hand!“ Sofort tauchte vor ihm ein kugelrunder Käfer auf, dessen kreisförmiger Schlund voller spitzer Zähne war.   Steelswarm Cell [ATK/0 DEF/0 (1)]   Sofort schwang Matt daraufhin seinen Arm aus. „Nun meine Falle: [Infestation Ripples]! Für 500 Lebenspunkte reanimiere ich jetzt [Steelswarm Genome]!“   [Matt: 1650LP → 1150LP / Jinn: 8600LP]   Kurz darauf gesellte sich zu dem dicken Käfer die unförmige, geschuppte Gestalt, die eher einer wabbeligen Masse ähnelte, denn einem Insekt.   Steelswarm Genome [ATK/1000 DEF/0 (2)]   Matt zückte nun eine seiner verbliebenen Handkarten und grinste verschlagen. „Damit ist der Weg für mein mächtigstes Monster geebnet! Gegen den hier hat niemand eine Chance! Ich biete meine beiden Monster als Tribut an, wobei ich Genomes Effekt nutze und ihn als zwei Tribute behandle! Befalle diese Welt wie eine Epidemie, vor der es kein Entkommen gibt! Herr der Seuchen, [Steelswarm Hercules]!“ Vor Matt erhob sich daraufhin ein Wesen, das es von der Größe her locker mit den Monstern des Jinns aufnehmen konnte. Wie ein Kriegsherr mutete dieser humanoide, pechschwarze Herkuleskäfer an, dessen Flügel einem Umhang gleich über dem breiten Kreuz des Monsters lagen. Gleich zwei Armpaare besaß diese Kreatur, beide übersät mit dicken, goldenen Hörnern. Das untere, kleinere verschränkte er in majestätischer Haltung, als wolle er seinen Feinden zeigen, dass es niemand mit ihm aufnehmen konnte.   Steelswarm Hercules [ATK/3200 DEF/0 (10)]   Und das konnten sie auch nicht, wie Matt im Begriff zu erklären war. „Dieses Monster kann nur durch drei erbrachte Tribute gerufen werden, hat es dafür aber in sich!“ Plötzlich packte der Herkuleskäfermann mit seinem zweiten Armpaar zwei violette Energielanzen, die er aus dem Nichts erschaffen hatte. Der Dämonenjäger sagte dazu: „Einmal pro Zug vernichtet Hercules für die Hälfte meiner Lebenspunkte absolut -alles- auf dem Spielfeld, außer sich selbst!“   [Matt: 1150LP → 575LP / Jinn: 8600LP]   Die erste Lanze warf der mächtige Krieger in die Richtung des Jinns, welcher sich jedoch nicht einmal einen Millimeter bewegte. Die zweite stemmte er vor Matt in den Boden. „Sag Goodbye zu deinen Psychokreaturen!“, donnerte Matt siegessicher. Dann explodierten die Lanzen, erst die geworfene, noch mitten in der Luft zwischen den beiden Monstern des Jinns, dann jene vor Matt. Der gesamte Gang des Bahnhofs wurde unter lautem Krachen in tiefen, violetten Nebel gehüllt. Matt ballte eine Faust, als sich die Schwade um ihn herum zu lichten begann. „Das hat dich erwischt, huh?“ Als er aber zwei riesige Schatten vor sich erkannte, die sich aus dem Nebel abzuzeichnen begannen, verging ihm das Lachen. Und kaum war der Nebel ganz verschwunden, bestätigte sich seine Vermutung. „Du bist echt nicht kleinzukriegen, was!?“ Der Jinn, welcher sich hinter seinen Monstern aufhielt, antwortete: „[Ultimate Axon Kicker] kann nicht durch Karteneffekte vernichtet werden. Außerdem beschwört [Overmind Archfiend] ein durch seinen Effekt verbanntes Monster auf meine Spielfeldseite, sollte er zerstört werden. Deswegen ist [Thought Ruler Archfiend] an seine Stelle getreten.“   Thought Ruler Archfiend [ATK/2700 DEF/2300 (8)]   „Ach so? Stimmt, jetzt seh ich den Unterschied.“ Dieser Dämon war etwas kleiner und hatte Beine. Aber Matt setzte daraufhin nur ein keckes Grinsen auf und zückte seine letzte Handkarte. „Tut mir leid, aber ich habe mir schon fast gedacht, dass deine beiden Monster nicht so leicht tot zu kriegen sein werden. Genau wie du. Deswegen war das eben nichts weiter ein Testlauf! Der wahre Spaß fängt hiermit an! Mit dem Zauber [Origins Of Infestation]!“ Plötzlich platzten aus der Brust seines Herkuleskäfers, welcher in der Zwischenzeit alles verärgert beobachtet hatte, violette Sporen hervor. Es ächzte unter Schmerzen und streckte beide Armpaare weit aus, genau wie auf Matts Karte abgebildet. Dieser erklärte dazu: „Diese Zauberkarte funktioniert nur in Verbindung mit einem Steelswarm-Monster, das in diesem Zug als Tributbeschwörung gerufen wurde! Und sie hat es in sich! Jetzt erhält [Steelswarm Hercules] für alle seine Artgenossen und Infestation-Karten auf meinem Friedhof 200 Angriffspunkte, was insgesamt neun Stück sind!“ Der dämonische Käfermann stieß einen tiefen, kehligen Schrei aus.   Steelswarm Hercules [ATK/3200 → 5000 DEF/0 (10)]   „Und noch etwas!“, rief Matt plötzlich und fuhr sich dabei mit dem Handrücken über die blutverschmierte Nase, die er Anya zu verdanken hatte. „Dieses Monster kann zusätzlich zu seinem normalen Angriff für jedes Monster, das bei seiner Beschwörung geopfert wurde, noch einmal angreifen! Was zwei Zusatzangriffe für mich bedeutet! Das ist die volle Stärke meines Decks!“ Der Jinn nickte. „Ich verstehe. Demnach habe ich dieses Duell verloren.“ „Yeah …“ Matt schloss die Augen. „Tut mir leid für den Ärger, den Anya verursacht hat. Bald ist alles wieder so, wie es sein sollte.“ Dann riss er sie auf und streckte seinen Arm in die Höhe. „[Steelswarm Hercules], beende es! Greife die beiden Monster und anschließend den Jinn direkt an! Infestation's Solitude!“ Regelrecht kreischend reckte Matts Monster seine Brust nach vorn und schoss einen gewaltigen Laserstrahl daraus ab, der erst [Thought Ruler Archfiend], dann [Ultimate Axon Kicker] und schließlich den brennenden Jinn selbst erfasste. Eine gewaltige Druckwelle, ausgelöst durch die Zerstörung der Monster, erfasste Matt und drohte ihn mit sich zu reißen. Aber es war nicht nur eine, nein, immer wieder entstanden neue, die sich im ganzen Bahnhof ausbreiteten.   [Matt: 575LP / Jinn: 8600LP → 0LP]   „Nenne deinen Wunsch, Meister“, drang die Stimme des Jinns trotz des Getöses glasklar an Matts Ohr. Der, mit dem heftigen Wind kämpfend, wurde immer weiter nach hinten gedrückt. Ächzend rief er mit aller Kraft: „Ich wünsche mir, dass Anya Bauer in ihren Körper zurückkehrt! … zusammen mit allen anderen, denen durch deine Hand dieses Schicksal zuteil wurde!“ Erst gab es keine Antwort. Doch schließlich: „Dein Wunsch wurde erfüllt. Nun werde ich in meinen Schlaf zurückkehren.“ Die Druckwellen wurden zu stark für Matt. Schreiend wurde er mit ihnen gerissen, doch noch während er über den Boden flog, hörte er noch etwas. „Mein Wunsch ist es, dass die Lampe zerstört wird.“ „Huh!?“ Dann prallte er mit voller Wucht auf dem Boden auf. Alles wurde schwarz vor seinen Augen …   ~-~-~   „Was hast -du- dir eigentlich gewünscht, dass du hier gelandet bist, Opa?“, fragte Anya nach einer Weile neugierig und sah den Alten fragend an. „Die ganze Zeit hast du die Geschichten anderer erzählt und dir meine angehört. Aber warum du hier bist, weiß ich noch gar nicht.“ „Oh? Ich glaube doch.“ „Wie mein-“ Doch ein heftiges Beben erschütterte plötzlich die endlose Dimension. Anya kippte nach vorne, in die Arme des Mannes. „Was ist das!?“, schrie sie und starrte mit ihm zusammen in den 'Himmel', in welchem sich plötzlich Risse bildeten, aus denen goldenes Licht drang. „Wie es aussieht hast du doch Freunde, mein Kind!“, lachte er glücklich. Fassungslos beobachteten beide, wie dieser befremdliche Ort in sich zusammenbrach. Und als das Licht die beiden endlich erreichte, lösten sie sich auf.   Anya sackte nach vorne und wusste nicht, ob sie gerade fiel oder auf dem Boden lag. Aber nein, das war … Sie öffnete die Augen und lag auf der Brust des Mannes, welcher schwer atmete. Sofort schreckte sie auf und sah sich um. „Huh!?“ Sie befanden sich in einer Art Lager, überall standen Kisten mit Aufschriften und auch ein Gabelstapler war hier zu finden. „Ach so!“, schoss es aus ihr heraus, als sie schließlich verstand. Hier wurden die Briefe und Pakete gelagert und sortiert, damit sie später den Schließfächern zugeordnet werden konnten.   Sofort wandte sie sich an den alten Mann und packte ihn strahlend an den Schultern. „Wir sind frei! Opa, wir sind frei!“ „Ich fürchte … leider etwas zu spät …“ „Huh!?“ Der Mann öffnete keuchend seine Augen und sah sie mitleidig an. Seine Augen waren blutunterlaufen, ganz anders als noch vor wenigen Minuten. „Wie es aussieht … bin ich nicht mehr so jung wie du. In dieser Welt macht sich mein Alter bemerkbar.“ „Was redest du da!? Du siehst doch ganz fit aus für einen 80-Jährigen! Du kannst doch jetzt nicht einfach mir nichts, dir nichts krepieren!“ „Die Welt in der Lampe hat innerhalb der Jahre das Innere meines Körpers verändert. Ich musste nie essen, aber habe trotzdem so lange überlebt. Ich glaube, deshalb kann ich außerhalb der Lampe nicht mehr existieren.“ Doch Anya schüttelte ihn nur aufgeregt. „Rede nicht so'n Unsinn, das war doch alles nur Magie! Jetzt ist es vorbei!“ „Du hast Glück, dass du nicht lange dort warst.“ Der Mann lächelte glücklich, als ihn ein Hustenanfall mit blutigem Auswurf heimsuchte. Hilflos sah Anya sich um, doch es gab nichts, was sie tun konnte. Als der Anfall sich gelegt hatte, schloss er die Augen. „Du hast mich nach meinem Wunsch gefragt. Wahrscheinlich hast du es längst durchschaut, aber ich … war der Dämonenjäger, der versucht hat, seine Familie wiederzusehen.“ „Dann stirb jetzt nicht!“, schrie Anya aufgebracht. „Wir finden bestimmt einen Weg! Es gibt so vieles, was-“ „Du bist wie mein kleiner Enkel damals. Stur, aber mit dem Herz am rechten Fleck. Es tut mir leid, dass ich dir nicht helfen kann, ein Mittel zu finden kann, wie du Edens grausamen Fluch loswirst.“ Anya schreckte zurück. „Du weißt-!?“ „Sag meinem Enkel, wenn du ihm jemals begegnest … sag A- …“ Doch der Kopf des Mannes kippte zur Seite, bis sein Körper sich in grellen, tanzenden Lichtern aufzulösen begann. Anya fasste sich an die Wange, als sie realisierte, dass er tot war. Sie war nass. Die andere auch. Ihre Augen, warum weinte sie? Warum weinte sie!? Und wieso hörte es nicht auf!? „Tut mir leid …“, schluchzte sie unter bitteren Tränen. „Es tut mir so leid …“   ~-~-~   Matt schlug benommen die Augen auf. „Oh Gott sei dank, er ist wach!“, hörte er eine fremde Stimme rufen. Ein Mann, den er nicht kannte, beugte sich über ihn. „Junge, bist du okay? Auf einmal lagst du am Boden.“ „Mir ist nur etwas schwindlig“, log Matt, als er die Menschentraube um sich herum bemerkte. Tatsächlich war ihm aber -sehr- schwindlig. „Na Dornröschen, endlich aus dem Prinzessinnenschlaf aufgewacht!?“ Der Dämonenjäger schreckte auf, als sich ein Teil der Traube auflöste. Mit verschränkten Armen stand Anya vor ihm. Sie wirkte unglaublich mitgenommen, aber ansonsten unversehrt. Keine Brandwunden. Matt sprang auf und wollte ihr entgegen kommen, doch ein Faustschlag streckte ihn nieder und warf ihn direkt auf den Boden zurück. Sofort regten die umstehenden Leute sich auf, doch Matt gebot ihnen mit erhobener Hand Einhalt. Mit aufgerissenen Augen schrie er sie von unten herab an: „Ist das der Dank dafür, dass ich gerade deinen Arsch gerettet habe!?“ „Nein! Das ist die Strafe dafür, dass ich solange warten musste, Mistkerl!“ „Du undankbares Miststück!“ Plötzlich reichte Anya ihm mit abschätziger Miene die Hand. Es schien ihr geradezu größte Mühen abzuverlangen, die folgenden Worte auszusprechen: „Trotzdem danke.“ Einen Moment mit eisigem Blick verharrend, packte Matt schließlich mit wütendem Augenrollen ihre Hand und ließ sich von ihr aufhelfen. „Keine Ursache. Und sei froh, dass ich keine Mädchen schlage. Sonst würdest du jetzt durch jeden Türschlitz passen.“ Gott, jetzt redete er sogar schon wie sie! Einen schlechteren Einfluss als die Blondine konnte es gar nicht geben! „Ja, nur treten“, brummte Anya und erinnerte sich an ihre letzte Begegnung. Matt wirbelte um und wies die anderen Leute um sie herum mit scheuchender Handbewegung an, dass alles gut war und sie verschwinden konnten. „Abmarsch Leute, hier gibt es nichts zu sehen, alles ist gut!“ „Ja, zieht Leine!“, half ihm Anya und die, die sie erkannt hatten, entfernten sich eiligen Schrittes von den beiden. Was nicht gerade wenige Leute waren. Eben die letzten Nullnummern, die immer noch nicht geschnallt hatten, wer da vor ihnen stand. „... hier hat es nicht gebrannt, wie man sieht!“, rief Matt denen zu, die immer noch davon überzeugt waren, dass kurz zuvor ein Feuer getobt hatte. „Komm, lass uns schnell verschwinden“, meinte Anya schließlich, nachdem das Chaos sich etwas gelegt hatte, und schnappte sich kurzerhand die Lampe, die vor dem Postfach auf dem Boden lag. „Ehe die Cops kommen, weil jemand mich verpetzt hat.“ „Gut …“   ~-~-~   „Wo warst du überhaupt die ganze Zeit, als der Jinn deinen Körper besetzt hat?“, fragte Matt sie neugierig, als die beiden schließlich im VW-Bus des Dämonenjägergespanns saßen. Anya, mit der Wunderlampe auf dem Schoß, drehte sich verwirrt zu ihm um. Erst zögerte sie etwas, ehe sie antwortete: „Im Elysion, wo sonst? Levrier war auch da. Der Jinn hat ihn schon unterdrückt, als wir den Bahnhof betreten haben.“ Matt schüttelte genervt den Kopf. „Dasselbe bei meinem Exemplar. Aber das hätte verdammt nochmal echt ins Auge gehen können! Was hast du dir dabei gedacht, mir einfach eins reinzuwürgen!?“ Das Mädchen zuckte mit den Schultern. „Wollte verhindern, dass du dich einmischt.“ Beschwichtigend, aber doch gleichzeitig mit ihrer typischen, unterschwelligen Boshaftigkeit, fügte sie noch hinzu: „Außerdem steht dir die Nase irgendwie gut zu Gesicht.“ Daraufhin schnaufte ihr Gegenüber wütend. „Hätte ich mich nicht eingemischt, wärst du jetzt nicht hier!“ „Ich hab mich doch schon bedankt!“ „Ja …“ Matt stöhnte und tupfte sich mit einem Taschentuch dabei die blutige Nase ab. „Auf jeden Fall sollten wir das Ding zerstören.“ Er deutete auf die blutbesudelte Messinglampe auf Anyas Schoß. „Daraus entspringt nichts Gutes! Außerdem war es der Wunsch des Jinns … glaub ich.“ „Oh, damit hab ich keine Probleme“, brummte Anya und schaute sich die Öllampe wütend an, drehte sie in ihren Händen. „Am Ende war alles nur falscher Zauber. Obwohl, die Karten hab ich noch …“ „Die was?“ „Nichts“, wich sie seiner Frage aus. „Tch, was auch immer. Aber ich glaube“, Matt seufzte schließlich und warf das Taschentuch über seine Schulter, um sich ein neues aus dem Fach vor Anya zu holen, „dass der Jinn nicht böse war. Soweit ich es verstanden habe, liest er die Wünsche auch von unseren Herzen, nicht nur von den Lippen. Aber ein Jinn versteht weder, was Wünsche sind, noch die Emotionen, die mit ihnen gekoppelt sind. Deswegen hat er sie auch fehlinterpretiert.“ Er wandte sich neugierig an Anya. „Ich habe alle frei gewünscht, die er eingesperrt hat, vorsichtshalber. Waren denn da noch andere?“ Anya zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, ich habe niemanden gesehen. Wie auch, das Elysion ist doch nur dem Besitzer und irgendwelchen Geisterspackos zugänglich, oder nicht?“ Schließlich zückte Matt den Schlüssel und startete den Motor. „Egal, jetzt sind sie frei. Die Lampe wird die nächsten Jahrzehnte nicht zu gebrauchen sein, weil sie sich erst aufladen muss. Also können wir sie nicht noch einmal verwenden. Worum ich aber ehrlich gesagt nicht traurig bin …“   Hast du das vorhin gehört, Anya Bauer?   Anya schreckte beim Klang von Levriers Stimme auf. „Was?“   Vorhin. Es klang tatsächlich, als ob jemand laut geweint hat. „Tch! Putz dir die Ohren, da war nichts!“ Und leise flüsternd fügte sie noch hinzu, damit Matt es nicht hörte: „Und was -da- passiert ist, geht niemanden etwas an, klar!?“ Du wirst dich nie ändern, oder?   „Scheint ja wieder alles beim Alten zu sein“, kommentierte Matt die Selbstgespräche des Mädchens belustigt. „Das war ein totaler Reinfall. Ich will jetzt einfach nur nachhause und ins Bett … und Alector wird sich was anhören können!“ „Ja …“   Ein totaler Reinfall. Anya war immer noch an Levrier gebunden. Selbst der Jinn hatte ihr am Ende nicht helfen können. Vielleicht gab es wirklich keinen Weg, von Levrier loszukommen? Es war wohl wirklich ihr Schicksal …     Turn 24 – The Collector Am Folgetag entschließt sich Anya dazu, endlich die Orte zu untersuchen, an denen die verschiedenen Pakte geschlossen worden sind. Nachdem sie zu einer interessanten Schlussfolgerung gekommen ist, wird sie plötzlich von einem Mann angesprochen, der sich als derselbe Dämon herausstellt, welcher schon Marc ins Leben zurückgeholt hat – der Sammler. Und er macht Anya ein Angebot, das geradezu verführerisch gut klingt. Jedoch … Kapitel 24: Turn 24 - The Collector ----------------------------------- Turn 24 – The Collector     „Puh, nur noch ausdrucken und ich bin fertig damit“, sagte Abby, nachdem sie den letzten Satz ihres Aufsatzes über den Artikel 231 des Versailler Vertrags abgetippt hatte. „Du wirst wirklich danach suchen gehen?“ Sie drehte sich auf ihrem Stuhl um 180° und sah zu Anya herüber, die auf Abbys Bett lag und verschiedene CDs anschaute, die allesamt dem Hippiemädchen gehörten. „Ja, nachher“, antwortete die Blondine beiläufig und zeigte eine rote CD, auf der ein Piano abgebildet war, in die Höhe. „Kann ich mir die ausleihen?“ „Klar. Aber seit wann hörst du Mozart? Ich dachte Chopin wäre jetzt bei dir in?“ „Das bleibt unser Geheimnis, klar!? Wenn du es weitererzählt, werde ich allen erzählen, dass das Pennerkind bei dir wohnt und mit dir rumhurt!“   Niemand durfte je erfahren, dass Anya Bauer … klassische Musik liebte. Außer Abby, die ihre Leidenschaft teilte. Bloß war die so langweilig, dass sich niemand daran störte. Bei Anya hingegen war das anders, sie hatte immerhin ihren schlechten Ruf zu verlieren. Diese Art der Musik hörte sie nur, wenn absolut niemand zuhause war und sie davon ausgehen konnte, dass das auch so blieb. Sie verstand sowieso nicht, warum man nicht beides, Death Metal UND Klassik hören durfte, ohne gleich als vollkommen irre abgestempelt zu werden. Diese Auszeichnung wollte sie sich durch andere Dinge verdienen, nicht durch die Musik, die sie hörte.   „Ist ja gut“, erwiderte Abby beleidigt und rückte ihre getönte Brille zurecht. „Er ist ohnehin nur hier zum Schlafen und manchmal zum Essen. Dass er so aufopferungsvoll nach seiner Schwester sucht, ist irgendwie … romantisch. Ich beneide sie fast ein wenig.“ Keifend erwiderte Anya daraufhin: „Geh mit ihm aus und ich kill einen von euch! Vorzugsweise ihn!“ „Ich weiß es zu schätzen, dass du eifersüchtig bist“, stichelte Abby pikiert, „aber die Wahl meiner Freunde treffe ich immer noch selbst.“ „Rede ich hier neuerdings mit einem Redfieldklon?“ Anya blinzelte verdutzt. „Seit wann wehrst du dich?“ „Seit ich dir das Leben zur Hölle machen kann?“ Um das zu demonstrieren, warf Abby eine einzelne, auf ihrem Schreibtisch herumliegende Naturiakarte in Anyas Richtung, aus der plötzlich eine kleine Sonnenblume mit Augen, Armen und Beinen auftauchte, direkt vor Anyas Nase. „Ach ja?“, erwiderte diese herausfordernd, schnappte sich die Blume kurzerhand und biss ihr in den Kopf. Sofort sprang Abby kreischend auf. „Neeeeeein! Was machst du denn da!?“ Daraufhin verwandelte sich die Sonnenblume in die Karte [Naturia Sunflower] zurück, die nun durch Anyas Zahnabdrücke entstellt war. Beide Mädchen sahen sich einen Moment lang an, ehe sie laut zu lachen anfingen.   „Ich gehe dann mal“, meinte Anya schließlich und sprang von Abbys Bett auf. Die CD packte sie neben die Duel Disk in ihren Rucksack, welchen sie danach schulterte. „Muss noch halb Livington abklappern, was 'ne Weile dauern kann.“ „Ich hoffe, du findest irgendeinen Hinweis, der dir weiterhilft“, meinte Abby aufrichtig und sah Anya besorgt an. „Wenn ich irgendetwas tun kann, dann sag es.“ „Ne sorry, ich fürchte, das ist 'ne Gründer-only-Angelegenheit. Du spürst ja nicht mal etwas direkt vor unserer Haustür, da wo Matts Pakt geschlossen wurde.“ „Leider nein.“ Anya stöhnte aufgrund des bedrückten Tonfalls ihrer Freundin. „Mach dir nichts draus, ich auch nicht, nur Levrier. Wie gesagt, ist wohl allein sein Gebiet.“ „Aber er hat nichts herausgefunden?“ „Nein, deswegen wollen wir uns ja die anderen Orte ansehen.“ Anya kratzte sich mit zusammengekniffenen Augen hinter dem Ohr. „Auch wenn ich nicht glaube, dass wir was finden.“ Abby legte einen mitleidigen Blick auf. „Und dir geht es auch wirklich wieder gut? Ich meine, erst gestern …“ „Ja ja, klar. Das mit dem Jinn ist dumm gelaufen, aber ich habe eh nie viel erwartet.“ „Was ist aus der Lampe geworden?“ Frech grinsend fuhr sich Anya mit dem Daumen über die Kehle. „Matt hat sie gestern noch verschrottet. Aber der dämliche Jinn wollte es ja so.“ „Trotzdem ist das irgendwie traurig.“ „Ja ja, was auch immer. Also ich hau dann mal rein, bis morgen“, Anya steckte angeekelt die Zunge heraus, „in der Schule. Warum muss ich da hingehen, wenn ich sowieso bald weg vom Fenster bin!?“ Doch Abbys strenger Blick sagte Anya, dass sie von ihr keine Zustimmung erhalten würde. Also verabschiedeten sich die Mädchen voneinander, sodass die Blondine sich auf dem Weg machen konnte. Von Abby aus am nächsten lag der Park, in dem Marc sich mit Isfanel verbündet hatte. Zwar war Anya nicht wohl bei dem Gedanken, ihn aufzusuchen, nach allem was zwischen ihr, Marc und Valerie geschehen war, doch ließ es sich nicht vermeiden. Umso schneller hatte sie es hinter sich, sagte sich das Mädchen immer wieder. Danach stand die Schule auf dem Programm, wo sie selbst den Pakt mit Levrier geschmiedet hatte. Anschließend würde sie zu der Stelle gehen, an der angeblich Alastair sein Mal erhalten hatte. Dort, wo sie vor einigen Wochen Jonathans Leiche gefunden hatte. Von wo es immerhin nicht mehr weit bis nach Hause war. Victim's Sanctuary, Valeries 'Territorium', lag dummerweise auf der anderen Seite der Stadt, weshalb Anya es sich für morgen nach der Schule aufheben musste. Trotzdem, ihre Motivation ließ zu wünschen übrig …   ~-~-~   Energiereste, wie auch bei dir zuhause. Aber nichts deutet daraufhin, wie wir sie für unsere Zwecke gebrauchen sollen. Hier liegen die Scherben eines zerbrochenen Elysions, doch zugreifen kann ich nicht darauf. Was bedeutet das?   „Dass du nutzlos bist?“, antwortete Anya ihm gallig und sah sich voller Unwohlsein um. Das ganze Gebiet war abgesperrt worden, damit niemand den Tatort betreten konnte, was Anya jedoch nicht daran störte, das vollkommen abgebrannte Gelände trotzdem unsicher zu machen. Sie stand in diesem Moment womöglich auf der Stelle, von der aus sie den Todesschlag gegen Marc befohlen hatte. Doch heute war es helllichter, wenn auch kühler Tag. Aber nicht die herbstlichen Temperaturen waren der Grund, warum Anya ihre schwarze Totenkopflederjacke enger an sich zog. Es war der Teufel auf ihrer Schulter, der auf den Namen 'schlechtes Gewissen' hörte. „Können wir jetzt gehen?“, nörgelte sie unzufrieden. „Ich frier' mir hier den Arsch ab.“   Wie bedauerlich. Komm, wir gehen in eine wärmere Zone der Stadt. Oder gleich nach Jamaika?   „Hör' auf mich zu ärgern, du Geisterspacko! Wenn ich mich bewege, wird mir wenigstens warm.“ Lass mich raten: durch dieses Wissen hast du deinen erstes „Bestanden“ bei einem Physiktest bekommen?   „Nein! Das habe ich dafür bekommen, dass ich genau berechnen konnte, wie schnell ein Messer fliegen muss, um einen Schädel sauber zu spalten! Wenn du willst, führe ich es dir gerne vor!“   Wie dem auch sei, ich habe nicht gefunden, wonach ich gesucht habe. Lass uns deine Schule aufsuchen.   Anya schnaubte. Ausgerechnet an einem Sonntag ging sie -freiwillig- in die Schule. Wenn jemand sie dabei sah, würde sie den Rest ihres Lebens wegen Mordes hinter Gitter kommen. Andererseits: lange absitzen müsste sie eh nicht. „Na endlich“, brummte das Mädchen und setzte sich in Bewegung.   ~-~-~   Auf dem kreisrunden Campusgelände angekommen, sah Anya sich um. Keiner außer ihr war hier, gut. Weder bei den Sporthallen links, noch rechts vor dem Gebäude der Unterstufe rührte sich etwas. Also blieb nur noch der Weg geradeaus: ins Oberstufengebäude, gemacht aus dem hässlichsten Backstein, den Anya je gesehen hatte. „Dafür müsste ich dich eigentlich auf Schadensersatz verklagen!“, beschwerte sich Anya und reichte nach dem Türgriff aus. Aber die Tür öffnete sich nicht. Auch nicht durch schütteln. „Was zum-!?“   Du besitzt nicht zufällig einen Schlüssel?   „Nö. Nicht dass ich einen bräuchte, aber du kannst nicht zufällig durch Wände gehen?“   Sicher könnte ich das. Du aber nicht. Bedauerlicherweise muss ich mich in deinem Radius aufhalten, solange der Pakt gültig ist.   „Also hiermit“, brummte Anya, zog sich kurzerhand eine Büroklammer aus den Haaren nahe ihres Pferdeschwanzes und verbog sie so, dass sie in das Schlüsselloch passte. Unter größter Friemelei versuchte Anya, das Schloss zu knacken.   Ich werde nicht fragen, warum du das in deinen Haaren trägst. Aber wenn du dir von Abby schon CDs leihst, frage sie das nächste Mal doch bitte auch nach Modeaccessoires.   „Die habe ich immer mit dabei, eben wegen so- scheiße.“ Das Ding war einfach abgebrochen, wie sie feststellen durfte, nachdem sie den Rest davon hinauszog. Mit fassungsloser Miene betrachtete sie ihr 'Werkzeug'. „Seit wann brechen Büroklammern ab!?“   Bist du dir sicher, dass das überhaupt eine ist? Ich gehe nicht davon aus, dass du sonderlich oft Büroklammern benutzt?   Bei näherem Ansehen war Anya sich da tatsächlich nicht mehr so sicher. Das Ding wegwerfend, stöhnte sie laut. „Also dann eben auf die altmodische Tour.“ Sprachs und schritt kurzerhand ein paar Meter weiter zu einem etwas erhöht liegenden Fenster, das zu einem der Klassenräume gehörte und schlug es mit dem Ellbogen ein.   Dezent wie immer.   „Uns wird schon keiner sehen! Außerdem ist das nicht das erste Mal“, murmelte Anya, beseitigte die verbliebenen Scherben innerhalb des Fensters vorsichtig und zog sich schließlich in das Klassenzimmer hinauf. Dabei redete sie ächzend weiter. „Vor drei Jahren – Oder waren es vier? – hab ich mal meine Akten geklaut und verbrannt. Aber die Idioten hatten sich vorher Kopien gemacht.“ Mit einem Satz landete sie in dem Raum, in dem unter anderem ihr Geschichtskurs stattfand. Eilends schritt sie auf die Tür zu-   Der arme Wald, der dafür herhalten musste …   -und trat die Tür mit einem gezielten Kick auf, um auf den Gang zu gelangen. Das Schloss war einfach herausgebrochen und hing lose an der Tür. „Wow“, staunte Anya, „ich glaub, ich bewerbe mich demnächst mal bei Superwoman als Aushilfe.“ Ich habe etwas nachgeholfen, wenn es dir nichts ausmacht. Und versuch es gar nicht erst. Bei Harley Quinn hast du größere Chancen.   „Du kennst dich mit Comics aus?“ Anya pfiff anerkennend und hastete durch den Gang, der sie zur Aula führen sollte.   Wenn die überall bei dir herumliegen, komme ich nicht umher, einen Blick zu riskieren.   Doch Anya war bereits vor der großen Flügeltür angelangt und öffnete sie mit beiden Händen, wie schon zuvor, als Alastair ihre Freunde gekidnappt hatte. Den langen Raum durchschreitend, sah sie sich überrascht um. Die Stühle waren fort, damit die Bauarbeiter ungestört das Loch in der Decke reparieren konnten, durch welches trübes Tageslicht drang. Auch der Schutt war weggeräumt worden, dafür stand im Gegenzug nun ein Baugerüst mitten im Saal. „Und, spürst du irgendwas?“, fragte Anya neugierig, als sie direkt in der Mitte der Aula zum Stehen kam. Ihre Stimme hatte einen leichten Nachhall.   Dieser Ort … ist anders. Ganz anders.   „Sind das gute Nachrichten?“   Ich glaube weniger. Die Scherben deines vorherigen Elysions sind zwar voller Energie, doch nicht alle. Außerdem kann ich nicht tiefer in das Gefüge eindringen, obwohl es dein Elysion ist.   „Das ist bescheuert“, stöhnte Anya und fasste sich genervt an die Stirn. „Lass uns von hier verschwinden, ehe wir noch erwischt werden. Was Konstruktives kommt hier ohnehin nicht bei raus.“   Mit dir definitiv nicht. Ich bin unschlüssig, was das zu bedeuten hat. Vermutlich ist all das meinem Einfluss als Gründer zu verdanken, doch wieso kann ich dein zerbrochenes Elysion nicht betreten?   „Weil ich ein neues habe?“ Die Blondine blinzelte verdutzt und wickelte dabei ihren Pferdeschwanz um den Zeigefinger. „Habe ich überhaupt ein neues?“   Ja. Nach einem Pakt wird ein neues Elysion geboren, während das alte zerbricht. Das liegt daran, dass ich ein Teil deiner selbst bin und somit auch zu deinem Elysion gehöre. Das, was uns hier begegnet ist, dürfte nicht sein. Ein zerbrochenes Elysion dürfte unter normalen Umständen nicht mehr existieren.   Anya schnalzte mit der Zunge. „Das habe ich auch kapiert! Nur sind das hier keine normalen Umstände. Egal, wenn das Ding defekt ist, haben wir ein Problem. Wie wär's wenn wir uns erstmal das letzte für heute anschauen gehen und uns dann überlegen, wie wir dieses hier reparieren?“ Vielleicht ist das die Lösung? Um Eden zu erwecken muss dieses Elysion wieder zusammengesetzt werden. Manchmal ist deine Art zu denken gar nicht so abwegig.   „D-danke“, brummte Anya mit einer Spur Stolz in der Stimme. „Aber ich will jetzt wirklich hier weg. Normalerweise habe ich keinen Schiss vor Cops, aber wenn die mich jetzt einbuchten, können wir dieses Ding nicht reparieren. Also nichts wie weg.“ Du hast recht, wir sollten uns um das nächste Elysion kümmern. Dem von Alastair …   ~-~-~   „Ich glaube hier hat er gelegen“, meinte Anya eine knappe halbe Stunde später und deutete mitten auf den Asphalt der schmalen Straße. Die Häuser zu ihrer Linken befanden sich allesamt auf einer höher gelegenen Ebene, die durch eine paar Stufen unweit von Anya erreicht werden konnte. Gegenüber der hohen Steinfassade lag ein dichter Wald, die Stadtgrenze, doch das Mädchen hatte keine Blicke für ihn übrig. Der Himmel war beinahe genauso erdrückend grau wie an jenem regnerischen Tag, als Anya die Leiche entdeckt hatte. Doch dieses Mal schüttete es nicht wie aus Eimern. Eher hatte man den Eindruck, dass es jeden Moment schneien könnte. Das hieß, wenn man nicht wusste, dass es in Livington nur sehr selten schneite.   Du stehst genau auf der Stelle. Geh aus dem Weg.   Anya, die sich das nicht zweimal sagen ließ, wich mit flauem Gefühl im Magen zurück. Was auch gut so war, als direkt neben ihr ein Auto in hohem Tempo vorbeifuhr. „Pass doch auf!“, brüllte Anya diesem hinterher, ohne etwas damit zu bezwecken. Das Auto bog um die Ecke, woraufhin das Mädchen sich wieder dem Asphalt widmete. „Irgendwas?“   Ja. Dieses Elysion … ist nicht zerbrochen.   „Häh!? Aber die waren doch alle kaputt. Die müssen doch über'n Jordan gehen, wenn wir Pakte schließen, oder nicht!?“   Präzise.   „Dann ist die Narbenfresse also ein Schwindler! Das Mal an seinem Arm ist eine Fälschung!“   Nein, es ist echt. Denn sonst würde es hier kein verlassenes Elysion geben. Ich denke, das hat mit der Tatsache zu tun, dass Alastairs Paktpartner Refiel ein Engel ist. Womöglich unterscheidet sich der Prozess der Wiedergeburt eines Elysions im Falle eines Engels von dem, wenn meinesgleichen einen Pakt schließt. Aber einen Reim kann ich mir auch hieraus nicht machen.   Anyas Schlussfolgerung: „Warum zerscheppern wir es dann nicht? Problem gelöst.“ Wenn du es betreten kannst? Ich vermag das nicht. Wir werden Alastair fragen müssen, ob er das für uns erledigt, sofern es nötig ist. Aber ich frage mich dennoch, warum ausgerechnet dieses Elysion unbeschädigt ist. Es strahlt dieselbe Restmenge an Energie wie die anderen aus, was nicht besonders viel ist.   Die Blondine fasste sich ans Kinn und gab einen nachdenklichen Laut von sich. Nebenbei kickte sie einen kleinen Stein mit dem Fuß von sich fort. Irgendwas stimmte hier nicht. Vielleicht lag es daran, weil sie von diesem Hokuspokus keine Ahnung hatte – was ihrer Meinung nach auch so bleiben könnte. Dennoch passte irgendwie kein Elysion zum anderen, abgesehen von Matts und Marcs, die dieselben Merkmale besaßen. Sie verstand ohnehin nicht, warum überall in der Stadt verteilt diese Dinger … „Levrier“, sprach sie leise, als sie etwas Interessantes realisierte, „ich glaube, diese Teile sind nicht zufällig da, wo sie sind. Und soll ich dir was sagen? Uns fehlt eins, womit ich nicht Victim's Sanctuary meine.“   Was bringt dich ausgerechnet zu dieser Annahme?   „Keine Ahnung, ob du den Stadtplan kennst, aber überleg' doch mal, du Schlauhirn. Von der Schule aus gesehen sind alle Orte, die wir besucht haben, ungefähr gleich weit weg. Wenn wir die jetzt mal als Mittelpunkt nehmen, könnte man um sie herum einen fünfzackigen Stern mit den anderen fünf Punkten zeichnen.“   Du machst Witze. Aber warte … womöglich ist da sogar etwas Wahres dran.   „Klar ist es das!“ Anya haute die Faust auf ihre flache Hand. „In den Filmen ist das auch immer so.“   Dass jeder Punkt den gleichen Abstand zum Zentrum, deinem Elysion, besitzt ist in der Tat sehr ungewöhnlich. Fast als wäre es Schicksal. Wenn deine Theorie stimmt, sollte sich der Aufenthaltsort des letzten Elysions eingrenzen lassen.   „Im Südwesten der Stadt … gibt es den Bahnhof und das Einkaufszentrum!“ Anya drehte sich auf der Stelle um, ging ein paar Schritte nach vorn, nur um wieder zur alten Stelle zurückzukehren. „Fragt sich nur, wessen Elysion das ist.“   Höchstwahrscheinlich Melinda Fords, da sie erst vor Kurzem in diese Stadt gekommen und von Isfanel befallen worden ist.   „Aber warte“, sagte Anya und ihre Stimme wurde schlagartig sehr leise, „heißt das nicht, dass Marcs Pakt … noch besteht?“   Das kann ich weder bestätigen, noch abstreiten. Solange wir nicht mehr wissen, sollten wir uns in der von dir beschriebenen Gegend umsehen. Wenn du tatsächlich recht hast, könnte das ein großer Durchbruch für uns sein.   „Für dich meinst du wohl. Diese ganze Elysionkacke-“   Anya Bauer, hinter dir!   Das Mädchen wirbelte sofort um und erschrak zutiefst, als ein Mann in einem schwarzen Anzug direkt vor ihr stand. Das Haar tiefrot, die Augen fest auf sie gerichtet, wirkte seine Gestalt seltsam fehl am Platz. Doch warum konnte Anya beim besten Willen nicht sagen. Vielleicht wegen der Narbe auf der linken Wange? Aber auch so stach er einfach heraus.   Er hat keine Präsenz! Als existiere er gar nicht! Ich konnte ihn nicht einmal sehen, bis zu diesem Augenblick! Sei vorsichtig, dieses Wesen ist nicht von dieser Welt!   Er streckte mit verträumter Mimik die Hand in den Himmel. „Ah ja, das Elysion. Unsere Seelenzuflucht, der Ort, der allen anderen vorenthalten bleibt.“ „Was willst du, du Schickimickifreak!?“, fauchte Anya ihn an und wich zurück. Aber weniger wegen seinem plötzlichen Auftauchen, sondern eher dem britischen Akzent, den er besaß. Anya hasste Briten, seit jene ihr vor vielen Jahren bei einer Auslandsreise ihres Vaters, auf welcher sie ihn begleitet hatte, den Eintritt in einen Pub verweigert hatten. „Die Splitter eines verlassenen Elysions besitzen geheimnisvolle Kräfte. In der Sekunde, in der ein Pakt geschlossen wird, zerbricht es. Natürlich regeneriert es sich augenblicklich und wird neugeboren, doch was bleibt sind die Scherben einer vergangenen Realität, eines alten Pfads.“ Nun sah er sie wieder direkt an und lächelte wissend. „Verbindet man all diese verlassenen Pfade zu einem Netz, das sich um den Turm von Neo Babylon erstreckt, könnte man Eden womöglich finden. Aber wer weiß das schon mit Gewissheit? Du sicher nicht, Anya Bauer. Jene, die nach Eden strebt …“ „Woher weißt du-!?“ Er hob beschwichtigend die Hand. „Nur mit der Ruhe. Ich weiß vieles über dich. Womöglich mehr als du selbst.“ „Und woher!? Wer bist du!?“ Seine Stimme gewann etwas Einzigartiges, unendlich Geschmeidiges, Allwissendes an sich, als er mit großer Betonung antwortete: „Der Sammler.“ Könnte er der Collectordämon sein!? Der, der mit Seelen handelt!?   „Meine Karten kriegst du nicht!“ Anya zeigte ungeniert mit dem Finger auf ihn. „Und ich kaufe nichts von Pennern … und allen anderen Idioten, die ich nicht leiden kann!“ „Oh nein. Ich bin hier, um zu kaufen. Und wonach ich gelüste ist das Anrecht auf deine Seele.“   Ich wusste es! Anya, hör ihm nicht zu! Du musst flüchten!   „Vor dem habe ich keine Angst!“, tönte das Mädchen aufbrausend und stampfte mit dem Fuß auf. „Wie lästig. Wenn ich Geschäfte treibe, dann für gewöhnlich unter vier Augen“, sprach der rothaarige Edelmann und schnippte mit dem Finger. Anya stieß einen kurzen Schrei aus, als ihr Mal nur für den Bruchteil einer Sekunde schmerzhaft brannte. Es war so schlimm, dass sie in die Knie gehen und sich den Arm halten musste. „Nun sind wir ungestört. Solange ich anwesend bin, ist Levrier in deinem Elysion gefangen.“ Dass das die Wahrheit war, wusste Anya schon deshalb, weil ihr Paktpartner ihr nicht mehr in den Ohren lag, sie solle abhauen. Sie erhob sich langsam. Dreckig grinsend erwiderte sie dabei: „Seine Stimme hat mich sowieso nur genervt. Aber du hast immer noch nicht meine Fragen beantwortet.“ Der Brite lächelte zufrieden. „Ich bin hier, da deine Not mit jeder Stunde wächst. Und ich besitze das Wissen, das du brauchst, um dein Schicksal zu erfüllen. Ebenso das Wissen, das dir helfen wird, es -nicht- zu erfüllen.“   Die Haltung des Mädchens lockerte sich schlagartig, ein Teil ihrer Anspannung verschwand und wich der Neugier. „Soll das heißen, du weißt, wie ich … weiterleben kann?“ „Richtig, das tu ich. Aber der Preis und meine Assistenz für dieses Unterfangen muss“, er streckte ihr den Arm aus und machte mit seinen Fingern eine greifende Geste, „kann nur deine Seele sein.“ Anya schaute ihm tief in die braunen Augen, dann lachte sie hysterisch auf. „Vergiss es, das kaufe ich dir nicht ab!“ „Wenn du kein Interesse hast, werde ich gehen. Doch ob ich deine Seele besitze, oder sie durch Eden verloren geht, sollte für dich keine Rolle spielen. Aber wenn du nicht handeln willst.“ Er machte Anstalten, sich umzudrehen, doch Anya rief ihn zurück. „Warte gefälligst!“ Über seine Schulter sehend, warf er ihr einen abwartenden Blick zu.   „Kannst du das wirklich? Mich retten?“ „Retten kann ich dich nicht in dem Maße, welches du dir vorstellst. Den Pakt kann ich ohne Konsequenzen für dich brechen, doch nicht ohne den bereits von mir genannten Preis.“ Er drehte sich wieder zu ihr um. „Ich bin imstande, dir nahezu jeden Wunsch zu erfüllen. Selbst die, die das Leben eines geliebten Menschen wiederherstellen. Du hast es anhand von Marc Butcher gesehen, das war mein Werk.“ Anya klappte die Kinnlade herunter. „Du warst das!?“ „Deine Freundin hat dafür ihren Namen an mich weitergeben. Mit ihm war ich imstande, dich zu beobachten. Du befindest dich zwar auf einem richtigen Weg, was die Erfüllung deines Schicksals angeht, doch ohne meine Hilfe stehen die Chancen gut, dass du letztlich scheiterst.“ Er warf ihr wieder dieses geschäftsmännische Lächeln zu. „Und das wollen wir beide nicht, nicht wahr?“ „Du willst meine Seele haben, damit ich ein paar Jahre länger leben kann?“ Anya schwang den Arm aus. „Vergiss es, Kumpel! So dämlich bin ich nicht! Wenn du kein besseres Angebot hast, verschwinde und lass mich in Frieden! Sonst säg' ich dir nämlich den Kopf ab, tüte ihn schön ein und spiele erstmal 'ne Runde Basketball damit! Wollen doch mal sehen, wie viel deine Rübe verträgt, wenn -ich- Körbe werfe!“ Unnötig zu erwähnen, dass sie eigentlich vorgehabt hatte, Valerie Redfield diesen Spruch an die Stirn zu klatschen. Manchmal sogar wortwörtlich. Der Collector jedoch machte sich scheinbar nichts aus ihren Drohungen, sondern zeigte mit dem Finger auf sie. „Du verlangst ein besseres Angebot? Ist es nicht besser, wenn ich deine Seele verwalte, anstatt sie im Limbus verrotten zu lassen? Aber ich denke, ich habe da eins. Es wird dir sicherlich mehr zusagen.“ „Lass hören!“ „Wir duellieren uns um die Wahrheit. Freikaufen kann ich dich nur durch deine Seele. Aber Informationen, wie du Eden werden kannst, sind hingegen etwas, das ich dir auf andere Weise geben kann.“ „Und wie!?“, verlangte Anya aufgebracht zu wissen. Der Sammlerdämon lächelte nun wieder geheimnisvoll. „Finde es heraus, indem du dich mit mir duellierst. Du wirst merken, dass ich dir in vielerlei Hinsicht nützlich sein kann.“   Dieser Typ hatte eindeutig eins an der Waffel, dachte Anya skeptisch und betrachtete ihn genau. Von außen sah er 'nur' wie ein stinkreicher Angeber aus. Das Problem mit diesem Kerl war jedoch, dass er von Dingen redete, über die nur die wenigsten Bescheid zu wissen schienen. Allein was er über das Elysion gesagt hatte. Zeugte das nicht davon, dass er ihr wirklich helfen könnte? Auch nicht zu vergessen: er hatte auch Marc ins Leben geholt. Trotzdem, sie traute diesem Bastard nicht über den Weg. Wenn er glaubte, sie in irgendein dubioses Seelengeschäft herein reden zu können, war er aber ganz schief gewickelt! Bloß wenn sie ihn jetzt gehen ließ, könnte sie die einzige Chance verlieren, die Wahrheit über Eden zu erfahren. Und auch wenn Levrier sie eine Opportunistin nannte … sie hatte ihr Versprechen ihm gegenüber nicht vergessen. Wenn er dieses Mal nicht Eden würde, dann nie mehr. Aber warum auf ihre Kosten!?   „Tch, von mir aus, ein kleines Duell am Nachmittag hat noch niemandem geschadet“, brummte Anya und setzte dabei ihren Rucksack ab. Der Brite schien zufrieden. „Eine kluge Wahl.“ „Aber ich mache nur mit, wenn es in diesem Duell nicht um meine Seele geht, klar!?“ „Ohne deine Einstimmung kann ich sie nicht einfordern. Sei unbesorgt. Nicht der Ausgang des Duells wird dir die Antworten bringen. Deine eigenen Entscheidungen werden es sein.“ Seine Art so hochintellektuell zu reden störte Anya zutiefst. Sie nahm ihre Duel Disk aus dem Rucksack und legte sie sich an. Wollten doch mal sehen, ob er genauso gut mit seinen Karten umgehen konnte wie mit Worten. Wieder schnippte der Collector mit dem Finger, woraufhin eine Battle City Duel Disk an seinem Arm erschien. „Pass bloß auf, dass dein teurer Anzug nicht schmutzig wird“, zischte Anya gallig, „denn mit mir geht’s dreckig zur Sache!“ „Wenn du damit deine kleinen Tricksereien meinst, wie etwa Fehlaktivierungen von Karten? Nur zu.“ Er schwang gönnerhaft den Arm aus. „Aber falls du vorhast, dem Schicksal eine neue Wendung zu geben – sofern du dich überhaupt der Fähigkeiten Levriers bedienen kannst – werde ich einschreiten müssen. Aber wir beide wissen, dass du das nicht ohne ihn schaffst.“ Woher wusste der Kerl all das, fragte sich Anya ärgerlich und warf ihm einen missbilligenden Blick zu. Der war doch gar nicht beim Duell gegen Henry dabei gewesen! Aber wenn er davon wusste, dann vielleicht auch von Eden? Sie musste es herausfinden! „Ich brauch den Quatsch nicht, um zu gewinnen!“ „Wie ich sagte, hier geht es nicht um den Ausgang des Duells, sondern um seinen Verlauf.“ Anya schnaufte und rief schließlich: „Duell!“   [Anya: 4000LP / Collector: 4000LP]   „Ich beginne!“, verkündete Anya und zog zu ihrem Startblatt gleich eine sechste Karte, ehe ihr Gegenüber widersprechen konnte. Es war ohnehin verrückt! Sie duellierte sich mitten auf der Straße mit einem Freak, der mehr wusste als ihr lieb war. Genau dort, wo sie Jonathans Leiche gefunden hatte, made by Alastair. Sie konnte förmlich die Stimme des Narbengesichts hören, wenn er jetzt hier wäre. Blöde Dämonenbrut, bla bla, töte ihn, bla bla. Aber der würde sich noch wundern, wenn sie am Ende mit der Lösung ankam! Behände griff Anya ein gelb umrandetes Monster aus ihrem Blatt. „Sag hallo zu einem meiner Lieblingsdrachen! Los, [Alexandrite Dragon]!“ Funkelnde, farblose Edelsteine überzogen die Haut des mannshohen Drachens, welcher mit einem Satz vor Anya landete und niederkniete. Als er sich auf zwei Beinen erhob, spannte er seine Schwingen an und stieß ein majestätisches Gebrüll aus. Anya grinste keck. „Er ist eines der stärksten Monster, die kein Tribut brauchen, um beschworen zu werden!“   Alexandrite Dragon [ATK/2000 DEF/100 (4)]   „Aber er gehört nicht zu den Karten, die du dir von dem Jinn gewünscht hast.“ Nach Luft schnappend, starrte die Blondine den Sammlerdämon irritiert an. Selbst das wusste er!? Aber sie hatte doch niemandem davon erzählt, nicht mal Abby! „Alter, besorg' dir'n Privatleben und spionier' nicht das anderer Leute aus!“, fauchte sie anschließend und schnappte sich eine Karte aus ihrem Blatt. „Die verdeckt! Was heißt: Ende im Gelände. Vorerst!“   „Die Dinge zu beobachten ist sehr wichtig für mein Tun. Nur wer über das nötige Wissen verfügt, wird das bekommen, was er will. Du solltest das von allen am besten wissen“, schmetterte der Collector Anyas anklagenden Tonfall ab und zog seinerseits eine Karte. „Aber du wirst herausfinden, dass ich nicht nur über Wissen verfüge. Sieh her und lerne. Normalbeschwörung: das Empfänger-Monster [Fabled Kushano]!“ Aus einer blauen Lichtsäule tauchte ein geflügelter Mann auf, dessen ebenfalls blaues Haar wie ein Schleier um sein Gesicht lag. Mit dem Zeigefinger schob er die Brille auf der Nase nach oben und begann dann, in einem alten Buch zu lesen, das er in den Händen hielt.   Fabled Kushano [ATK/1100 DEF/800 (3)]   Anschließend zeigte der rothaarige Mann ein weiteres Monster von seiner Hand vor. „Nun, da ich ein Fabled-Monster kontrolliere, kann ich [Fabled Grimro] abwerfen, um mir ein Fabled-Monster von meinem Deck auf das Blatt zu nehmen.“ Nachdem er seine Wahl getroffen hatte, zeigte er die Karte mit dem Namen [Fabled Krus] vor. Nur um dann eine Zauberkarte zu zücken. „Anschließend aktiviere ich [Graceful Charity], die es mir gestattet, drei Karten zu ziehen, um danach zwei von meinem Blatt wieder abzuwerfen.“ Anya knirschte wütend mit den Zähnen, während sie zusah, wie er der Reihe nach drei Karten von seinem Deck zog. Was sollte das werden!? Besonders überrascht war sie, als er zwei Monsterkarten ablegte, worunter auch [Fabled Krus] war. Doch ehe sie ihn darauf ansprechen konnte, begann er bereits von sich aus zu erklären. „Die von mir abgeworfenen Monster waren [Fabled Dyf] und [Fabled Krus]. Sollte Letztere auf den Friedhof abgeworfen werden, vermag sie, einen Namensvetter von ebendort als Spezialbeschwörung zu beschwören. Drum erscheint jetzt [Fabled Dyf].“ Aus einer weiteren blauen Lichtsäule materialisierte sich neben dem Gelehrten Kushano ein dämonischer, älterer Herr. In grüner Robe gekleidet, waren seine Schwingen ledrig und mit Schuppen besetzt.   Fabled Dyf [ATK/1400 DEF/1700 (3)]   „Wird das jetzt eine Synchrobeschwörung? Oder … etwa eine Xyz-Beschwörung!?“, stammelte Anya irritiert. Sie kannte diese Monster nicht. „Was wäre dir denn lieber? Aber nein, ich muss dich enttäuschen, nach Synchrobeschwörungen ist mir heute nicht. Daher erschaffe ich das Overlay Network.“ Seine Monster verwandelten sich in gelbe Lichtstrahlen, die von dem sich öffnenden, pechschwarzen Schlund verschluckt wurden, welcher sich in der Mitte des Spielfelds öffnete. „Xyz-Summon! Bringe verdrängte Erinnerungen zurück, [Lavalval Ignis]!“ „Was!?“, keuchte Anya beim Klang jenes Namens. Aus der Düsternis entstieg eine einzelne Flamme. Doch diese stellte sich als der Kopf eines Kriegers heraus, welcher sich in dunkler Rüstung und wehendem, zerschlissenem Umhang des blutigsten Rots, das Anya je gesehen hatte, vor seinem Besitzer aufbaute. Selbst seine Fäuste brannten.   Lavalval Ignis [ATK/1800 DEF/1400 {3}]   „Nein …“, murmelte Anya fassungslos im Angesicht des großen Kriegers, um den zwei Lichtssphären kreisten. „Das kann nicht sein!“ „Du meinst, weil diese Karte aus dem Pakt zwischen Isfanel und Marc Butcher geboren wurde? Du liegst richtig, natürlich ist sie einzigartig. Aber aus Gründen der Demonstration habe ich eine Kopie erschaffen, die dem Original in Nichts nachsteht.“ Der Sammler streckte den Arm aus. „Sieh selbst. Ich greife dein Monster an.“ Sofort bündelte sein Ghost Rider-Abklatsch, wie Anya ihn insgeheim nannte, eine Feuerkugel zwischen seinen Händen, die er wie einen Torpedo auf ihren Drachen abfeuerte. Mitten im Flug wuchs sie plötzlich, als eine der Sphären ihr folgte und in ihr verschwand. Der Collector hatte [Fabled Kushano], welcher unter der schwarzen Karte auf seiner Duel Disk lag, entfernt. Und Anya wusste genau warum.   Lavalval Ignis [ATK/1800 → 2300 DEF/1400 {3}]   Ihr Drache wurde von der Flamme getroffen und konnte ihrer Macht nicht standhalten. Kreischend ging er in einer Explosion unter. „Dargh!“ Anya schützte sich mit erhobenem Arm vor der daraus entstandenen Schockwelle, die fürchterlich auf der Haut brannte. Genauso heiß wie damals!   [Anya: 4000LP → 3700LP / Collector: 4000LP]   „Wie du siehst, habe ich ganze Arbeit geleistet, als ich die Kopie erstellt habe. Wie beim Original kann ich ein Xyz-Material entfernen, um [Lavalval Ignis] temporär um 500 Angriffspunkte zu stärken.“   Lavalval Ignis [ATK/2300 → 1800 DEF/1400 {3}]   Der Sammler lächelte zufrieden mit sich selbst. „Aber wer weiß das besser als du, die du gegen den Mann gekämpft hast, welchen du einst mehr als alles andere begehrtest?“ „Ich wiederhole mich“, zischte Anya ihm voller Verachtung zu, „schaff dir ein Privatleben an, Bastard!“ „Wieso? Die Leben der anderen sind viel interessanter. Und nützlicher.“ Er blickte auf sein Blatt und zog drei Karten daraus hervor. „Man kann keinen Handel treiben, wenn man keinen Überblick über den Markt hat. Ich setze zwei Karten verdeckt und aktiviere nun die dauerhafte Zauberkarte [Scales Of Wisdom].“ Während sich vor seinen Füßen die gesetzten Karten materialisierten, tauchte hinter ihm eine riesige, goldene Waage aus, wie sie auch die Justitia in der Hand hielt – nur dass ebenjene durch Abwesenheit glänzte. Beide Schalen der Waage, gehalten von Seilen aus purer Energie, befanden sich auf gleicher Höhe. „Das ist die Karte, die dir jede Antwort liefern wird“, sprach der Sammler geheimnisvoll, „solange du den Preis bezahlst, heißt es.“ „Was ist das für ein Mist!?“ Anya war nicht wohl bei der Sache. „Das Beste, das dir passieren konnte.“ Der Sammler streckte beide Arme weit aus. „Durch [Scales Of Wisdom] wirst du dieses Duell nicht verlieren können. Du brauchst dich also nicht vor meinen Angriffen zu fürchten, solange du unter dem Schutz dieser Karte stehst.“ Unmöglich, dachte sich Anya dabei erschrocken. Nie im Leben würde jemand freiwillig so eine Karte ausspielen wollen, ohne Hintergedanken zu haben! „Und was ist der Haken!?“ „Es gibt keinen. Du triffst die Entscheidungen, bestimmst selbst … den Haken. Denn diese Waage erlaubt es dir einmal während unser beider Züge eine Frage zu stellen. Im Gegenzug gestattet sie mir, den entsprechenden Preis einzufordern. Zahlst du diesen, erhältst du deine Antwort.“ „Und was für ein Preis soll das sein!?“ „Der Abwurf einer Handkarte? Das Zerstören eines deiner Monster? Lass dich überraschen.“ Er lächelte wissend. „Du bist schließlich zu nichts verpflichtet. Mein Spielzug ist damit beendet.“   Für Anya klang das alles mehr als dubios. Was sollte diese Karte, wenn sie durch sie ohnehin nicht mehr verlieren konnte? Dieser Spinner plante doch etwas, so viel stand fest! „Draw!“, rief sie aus voller Kehle und zog schwungvoll. „Warum probierst du es nicht gleich aus? Was willst du wissen?“ Die Blondine runzelte die Stirn. Sollte sie es wagen oder nicht? Es war definitiv ein Risiko, sich auf diesen schleimigen Typen einzulassen. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt! „Fein! Fangen wir halt mit etwas Kleinem an! Wer bist du? … und was muss ich zahlen, um das zu erfahren?“ Der Sammler fasste sich ans Kinn und überlegte kurz, ehe er wieder aufsah. „Diese Information ist nicht allzu kostbar. Für 600 deiner Lebenspunkte wirst du es erfahren?“ „Nur 600!? Das ist ja spottbillig! Von mir aus!“   [Anya: 3700LP → 3100LP / Collector: 4000LP]   „Wie du willst“, erwiderte der rothaarige Brite. Er verschränkte die Arme und begann zu erklären. „Ich bin ein Dämon, der seit Jahrtausenden mit Seelen, 'Namen' und anderen Gütern handelt und dafür im Austausch alles Mögliche erhält. Hauptsächlich sind andere Dämonen und übernatürlichen Wesenheiten mein Klientel. Aufgrund meines hohen Alters gibt es kaum einen Ort dieser Welt, den ich noch nicht gesehen habe. Normalerweise gehen die Kunden auf mich zu, es ist selten, dass ich einen 'Hausbesuch' mache. Aber bei dir ist das etwas anderes. Dein erbitterter Kampf gegen das Schicksal hat mein Interesse geweckt.“ Er warf ihr eines seiner schmierigen Lächeln zu. „Zufrieden mit dem, was du gehört hast?“ Die Zornesfalten auf Anyas Stirn hätten ihm jedoch schon Antwort genug sein müssen. „Und für das habe ich gerade Lebenspunkte bezahlt!? Was soll der Scheiß!? Die eine Hälfte davon wusst' ich schon und die andere war mir piepegal!“ Allerdings ließ sich der Collector davon nicht erweichen. Er rechtfertigte sich folgendermaßen: „Du hast gefragt wer ich bin, also habe ich dir einen Überblick über meine Historie verschafft.“ „Gar nichts hast du! Nichtmal deinen Namen hast du genannt!“ „Meinen Namen hast du nicht verlangt. Und selbst wenn du es tätest, würdest du den Preis dafür nicht zahlen können.“ Er zuckte lachend mit den Schultern, schnappte sich plötzlich eine Schachtel Zigaretten aus dem Sakko und zündete sich eine davon mit einem offenbar sehr alten Feuerzeug an. Den Rauch aus der Nase blasend, fragte er: „Und was sind schon Namen?“ Erstaunt sah Anya mit an, wie er die eben erst angezündete Zigarette vor sich auf den Boden schmiss und austrat. Er lächelte sie besserwisserisch an. „Ist nicht gut für die Lunge. Und schmutzig. Ja, schmutzig in der Tat.“ Anya schnaufte nur wütend. Das war das erste und letzte Mal, dass sie mit diesem Spinner verhandelte. Seine blöde Zauberkarte konnte er sich sonstwo hinsteck-   Erstaunt stellte Anya fest, dass eine Schale der riesigen Waage nun etwas tiefer stand, während die andere durch jenes Gewicht auf der gegenüberliegenden Seite nach oben gehievt wurde. „Mit dir treibe ich keine Geschäfte mehr“, raunte sie davon leicht verunsichert und griff nach einer Zauberkarte aus ihrem Blatt. Dabei murmelte sie leise zu sich selbst: „Wollen doch mal sehen, ob Matts kleines Bestechungsgeschenk etwas taugt.“ Anschließend verkündete sie laut: „Ich aktiviere jetzt [Gem-Knight Fusion]! Damit verschmelze ich [Gem-Knight Sardonyx] und [Gem-Knight Emerald] von meiner Hand! Emerald, du bist das Element, Sardonyx, du der Ursprung! Werdet jetzt zu [Gem-Knight Zirconia]!“ Der Boden vor Anya brach unter lautem Krachen auf, als sich ein massiver Ritter vor ihr aufbaute. Er war fast so hoch, wie er breit war, was vor allem daran lag, dass man seine Arme als richtige Pfeiler bezeichnen konnte. An ihren Enden befanden sich pizzagroße Edelsteine, die namensgebenden Zirkone. Der blaue Umhang des silbernen Ritters wehte still daher.   Gem-Knight Zirconia [ATK/2900 DEF/2500 (8)]   „Der Sucker hat zwar keinen Effekt, aber dafür ordentlich Muckis!“, tönte Anya. Bevor sie die Karten des Jinns ausprobierte, wollte sie zunächst sehen, ob es auch mit ihrem derzeitigen Bestand klappte. Zumal es doch 'unhöflich' wäre, das Geschenk eines Fre- Bekannten nicht wenigstens 'auszupacken'. „Interessante Wahl.“ „Worauf du einen ablassen kannst! Los, greif dieses Mistvieh von Ghost Rider an!“ Sie konnte den Anblick dieser Kreatur ohnehin nicht länger ertragen, da es sie an die Geschehnisse von damals erinnerte. „Zirconia Smasher!“ „Dann lass uns sehen, ob du aus deinem letzten Kampf mit dieser Kreatur gelernt hast. Ich rekonstruiere das Overlay Network!“ Anya stieß einen spitzen Schrei aus, als sich der schwarze Wirbel öffnete und den aus ihm geborenen [Lavalval Ignis] nun wieder verschluckte. „Das kann nicht sein! Wie kannst du-!? Und vor allem in meinem Zug-!?“ „Ich kann noch vieles, von dem du nichts weißt. Wenn du neugierig bist, frag einfach. Aus dem Rang 3-Monster wird nun ein neues Rang 3-Monster. Erscheine nun, [Lavalval Master – Ignis Aither]!“ Eine blaue Stichflamme schoss zusammen mit roten und schwarzen Blitzen aus dem Galaxienwirbel. Empor stieg dieselbe Kreatur, die Anya damals um ein Haar das Leben gekostet hätte. Blaue Feuerschwingen und ein in selbiger Farbe brennender Kopf, schwarze Rüstung sowie eine unheilverkündende Sense in den Händen – das war [Lavalval Master – Ignis Aither]. Zwei goldene Energiekugeln umkreisten seinen Kopf.   Lavalval Master – Ignis Aither [ATK/1800 DEF/1400 {3}]   Anyas massiver Ritter holte mit der Faust zum Schlag gegen den fliegenden Engel aus, doch jener parierte die Attacke mühelos mit seiner Sense und warf Zirconia spielend leicht zurück. „Tch!“ Natürlich war Anya im Moment der Beschwörung des schwarzen, flammenden Engels klar gewesen, dass ihr Angriff scheitern würde. Nur Xyz-Monster konnten diese Incarnation Mode-Dinger, oder was auch immer, besiegen. „Das ist echt blöd gelaufen“, musste sie zornig zugeben, reichte dabei nach ihrem Friedhof aus. „Aber dieses Mal bin ich vorbereitet! Ich verbanne [Gem-Knight Sardonyx] von meinem Friedhof, um meine [Gem-Knight Fusion] von dort zurück auf die Hand zu erhalten! Dann setze ich eine weitere Karte verdeckt und gebe ab!“ Neben ihrer in der letzten Runde gesetzten Karte erschien kurzerhand eine weitere. Dem Mädchen stand der Schweiß auf der Stirn. Sie musste dieses Ding schnellstmöglich loswerden, sonst würde sie am Ende wieder aussehen, als wäre sie von den Toten auferstanden. Und dieses Mal war kein Levrier da, der ihre Wunden heilen und den Schmerz unterdrücken konnte. „So eine Scheiße!“   „Aber hast du wirklich Grund zur Sorge?“, fragte der Sammler, während er sein Blatt um eine neue, dritte Karte erweiterte. „[Scales Of Wisdom] verhindert deine Niederlage. Meine Kreatur kann dir im Grunde nichts anhaben.“ Unter jene legte er [Fabled Kushano], woraufhin nun drei Lichtsphären um [Lavalval Master – Ignis Aither] kreisten. Anya wusste, dass dieses Biest während jeder Standby Phase sein Xyz-Material auf drei Stück aufstocken konnte. Dadurch war seine Macht nahezu unerschöpflich, wie Marc … nein, Isfanel ihr schmerzhaft bewiesen hatte. „Tch! Ist das nicht der Sinn eines Duells!? Dass man den Gegner fertig macht?“ Anya sah sich beiläufig um. Nirgendwo waren Menschen. Es war eine verhältnismäßig kleine Straße, aber dennoch war duellieren hier verboten. Wo waren die Petzen, die einem sonst immer sofort im Nacken lagen? Machte der Kerl sich keine Sorgen, dass man sie sehen könnte? Der Collector schüttelte den Kopf. „Nein, nicht im Falle dieses Duells. Aber wenn deine Lebenspunkte auf 0 fallen, kannst du das natürlich als Niederlage werten. Schließlich wäre dies der Fall, wäre nicht ich dein Gegner.“ „Ach ne!?“ „Lässt du es darauf ankommen und willst den Effekt von [Scales Of Wisdom] erneut aktivieren?“ Sofort schwang Anya daraufhin wütend den Arm aus. „Vergiss es! Nochmal lasse ich mich nicht von dir verarschen!“ „Auch dann nicht, wenn ich dir das komplette Wissen über die Incarnation Mode-Monster überlasse?“ Er schloss lächelnd die Augen. „Du weißt noch längst nicht alles über sie.“ Anya stockte. Wo er recht hatte, hatte er recht. Allein, dass er dieses Vieh in ihrem Zug gerufen hatte, war völlig unerwartet für sie gekommen. Und wenn Isfanel tatsächlich wieder angreifen würde, dann … „Okay, was soll es diesmal kosten?“ „Der Preis für dieses exklusive Wissen“, sprach der rothaarige Anzugträger geradezu ölig geheimnisvoll, „sind 500 deiner Lebenspunkte. Wirst du zahlen?“ „500!?“ Das konnte sie nicht! Nicht, wenn [Lavalval Master – Ignis Aither] ihr Gegner war. „Gibt es keine Alternative?“ „Nein. Das ist der Preis.“   Nachdenklich wischte sich Anya mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Zahlte sie, würde sie nur noch 2600 Lebenspunkte besitzen und damit unweigerlich dem Field of Agony zum Opfer fallen. Dieses kostete sie 3000 Lebenspunkte, wenn der Sammler drei Xyz-Materialien von Ignis Aither abkoppelte, um es zu aktivieren.   „Kay, ich zahle. Aber wehe, du verarscht mich wieder!“ Kaum hatte sie das gesagt, verspürte Anya ein befremdliches Ziehen in der Brust. Gleichzeitig veränderte sich das Gleichgewicht der Waagschalen wieder, sodass die eine abermals aufstieg, während die andere absank.   [Anya: 3100LP → 2600LP / Collector: 4000LP]   „Wie du wünscht. Hinaus über das Wissen, das du bereits verfügst, existieren drei Regeln für Incarnation Mode-Monster, die dich, wenn du sie berücksichtigst, zum Sieg führen werden.“ Anya hielt sich die Brust verwundert, nachdem der Schmerz verschwunden war und sah auf. „Ach ja? Dann fang' mal an zu singen!“ „Die erste beschreibt ihre Beschwörung. Sie kann jederzeit während des gesamten Duells erfolgen, wie du bereits gemerkt hast. Aber niemals in dem Zug, in dem das ursprüngliche Monster beschworen wurde.“ Anya zog erstaunt eine Augenbraue hoch. „Deshalb hat Marc es nicht sofort eingesetzt … aber heißt das nicht, dass ich diese Dinger sofort beseitigen muss, wenn ich nicht ihrer Superform gegenüber stehen will?“ „Du hast es erfasst“, bestätigte der Sammler dies nickend. „Ferner besagt die zweite Regel, dass nur die Xyz-Materialien wiederkehren dürfen, die für die Beschwörung des Originals verwendet wurden. Als einzige Ausnahme gilt das Original selbst, in unserem Fall [Lavalval Ignis], auf welchem jede Inkarnation schließlich basiert. Auch dies ist eine Schwäche, die richtig ausgenutzt, zum Erfolg führen kann.“ Was er damit meinte, verstand Anya zwar nicht, aber sie würde es definitiv im Hinterkopf behalten. „Und die dritte Regel?“ „Sie können nur beschworen werden, wenn der Paktpartner es erlaubt. Sollte dieser blockiert oder unterdrückt werden, ist es unmöglich, zu inkarnieren. Und noch etwas, das dir helfen könnte: der letzte, mächtigste ihrer Effekte kann ebenfalls nicht in dem Zug aktiviert werden, in dem die Inkarnationen beschworen werden.“ Der Sammler verschränkte nun die Arme abwartend. „Das ist das Wissen, welches ich dir vermitteln sollte. Bist du zufrieden?“   Grübelnd kratzte sich Anya an der Schläfe und starrte den Asphalt unter ihren Füßen an. Eventuell könnte das alles wirklich nochmal nützlich werden. Zumindest war es gut, dass sie nun Bescheid wusste. Unsicher brummte sie, als sie aufblickte: „Ich glaube schon.“ „Stelle die richtigen Fragen und du wirst die richtigen Antworten erhalten. Aber nun setze ich meinen Zug fort. Wie du es sicher erwartet hast, werde ich nun die drei Xyz-Materialien von [Lavalval Master – Ignis Aither] abhängen, um seinen gefährlichsten Effekt zu aktivieren: Field Of Agony. Dies wird dir ohne Umschweife 3000 Punkte Schaden zufügen. Was wirst du jetzt tun, Anya Bauer?“ Der schwarze Flammenengel streckte seine Sense hoch in die Luft und ließ sie die drei goldenen Sphären absorbieren, ehe er sie mit aller Kraft schwang. Womit er eine endlos erscheinende Welle aus Flammen in Anyas Richtung aussendete, die erschrocken zurückwich. „Also doch!“, keuchte sie. „Es ist bereits ein Zug vergangen, seit dieses Monster inkarniert wurde. Deswegen konnte ich diesen Effekt nun aktivieren.“ Als die Flammen bedrohlich näher kamen, schwang Anya entschlossen den Arm aus. „Ach ja!? Dann friss das, Laberbacke! Meine Falle [Hallowed Life Barrier] wird den Schaden abfangen. Dafür muss ich nur eine Karte abwerfen.“ Woraufhin sie sich ihrer, einzig für diesen Zweck geborgenen [Gem-Knight Fusion] entledigte. Sofort schloss sich ein Kraftfeld in Form einer Kuppel um Anya und ihren [Gem-Knight Zirconia] und fing gerade noch rechtzeitig die Flammen ab, welche ihrerseits die hohe Steinmauer und den Asphalt hinter dem Mädchen heimsuchten, glücklicherweise aber nicht bis zum Wohngebiet reichten. Der Sammler klatschte anerkennend. „Gut taktiert. Aber das funktioniert nur einmal.“ „Das reicht auch!“, erwiderte Anya garstig. Die Flammen um sie herum lösten sich zusammen mit dem Kraftfeld auf. Allerdings hinterließen sie pechschwarzen Ruß an Asphalt und der Fassade. „Da ich nicht mehr angreifen kann aufgrund des Effektes von [Lavalval Master – Ignis Aither], werde ich nun in meine Main Phase 2 wechseln und ein Monster beschwören. Es hört auf den Namen [Fabled Raven].“ Ganz in dunklem Grau gewandt, erschien vor dem Sammler ein dämonischer Mann, dessen Augen rot leuchteten. Besonders auffällig waren pechschwarzen Schwingen an seinen Armen und auf dem Rücken, die ihn umso düsterer wirken ließen.   Fabled Raven [ATK/1300 DEF/1000 (2)] „Was will denn dieser Grufti hier!?“ „Ich aktiviere nun meine Fallenkarte [Limit Reverse], womit ich ein Monster mit maximal 1000 Angriffspunkten auferstehen lassen kann. Das wird [Fabled Krus] sein.“ Noch während seine Falle aufklappte, begann Raven fies zu kichern. Neben ihm tauchte ein kleines Mädchen in einem schwarzen Nachthemd auf. Mit ihren winzigen Fledermausschwingen hielt sie sich gerade so in der Luft und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Fabled Krus [ATK/1000 DEF/800 (2)]   Eine seiner beiden verbliebene Handkarten in einen der Zauber- und Fallenkartenslots schiebend, sprach der Collector seelenruhig weiter. „Mit ihnen erschaffe ich nun das Overlay Network. Xyz-Summon: [Daigusto Phoenix].“ „Was!? Noch so eins von der Sorte!?“ „Gewiss“, entgegnete ihr der rothaarige Brite lächelnd, während sich gleichzeitig seine gesetzte Karte materialisierte, als auch das schwarze Loch des Overlay Networks sich öffnete. Seine beiden Monster wurden in gelben Strahlen hineingezogen und machten einem federlosen, unproportionierten Vogel Platz, dessen Schwingen und Schopf von smaragdgrünem Feuer eingedeckt worden waren. Um ihn kreisten seine zwei Xyz-Materialien.   Daigusto Phoenix [ATK/1500 DEF/1100 {2}]   „Damit beende ich diesen Zug. Und nun, da du wieder am Zug bist, kannst du mir deine nächste Frage stellen.“ „Alles klar! Die lautet: hältst du auch mal den Rand und lässt mich in Ruhe meinen Zug planen!?“ Der Sammler grinste verschmitzt. „Für 50 Lebenspunkte weißt du es.“ „Fuck you!“ Passend dazu zeigte Anya ihm den Mittelfinger. Gleichzeitig zog sie mit der anderen Hand die nächste Karte von ihrem Deck. Einen prüfenden Blick später stand ihre Strategie schließlich fest. „Hmm, das ist eine zu wenig“, murmelte sie daher, „da muss ich wohl nachhelfen!“ „Wirst du keine Frage stellen?“ „Schnauze auf den billigen Plätzen! Sieh lieber zu und staune, bevor du am Ende noch heulend in der Ecke liegst!“ Anya griff nach ihrem Friedhofsschacht und erklärte dazu: „Ich verbanne den [Gem-Knight Emerald] von vorhin und bekomme [Gem-Knight Fusion] zurück!“ Kaum hatte sie das verkündet, fügte sie ihre wichtigste Zauberkarte schon ihrem Blatt hinzu. „Selbst dann nicht, wenn ich dir etwas über Eden verrate? Zum Beispiel, wie man es erweckt?“ Sofort wurde Anya hellhörig und ließ vom Blick auf ihre Karten ab. „Im Ernst!?“ „Aber so ein Wissen ist keinesfalls billig. Du wirst mir ganze 1000 Lebenspunkte zahlen müssen, wenn du erfahren möchtest, wie du dein Schicksal erfüllen kannst.“   Ungläubig starrte Anya auf ihre Duel Disk. Sie hatte schon so viele Lebenspunkte gezahlt, um an Infos zu kommen. Wenn sie das jetzt schon wieder tat, würde sie auf 1600 fallen – viel war das nicht. Und sie durfte nicht vergessen, dass sie es gleich mit zwei Paktmonstern zu tun hatte. Eines von ihnen kannte sie nicht einmal und schlimmer noch, es befand sich noch in seiner Ursprungsform. Andererseits … sie konnte doch sowieso nicht verlieren, oder? Zumindest, solange sie die [Scales Of Wisdom] nicht anrührte. Außerdem, selbst -wenn- der Sammler sie zerstören würde, hätte sie ja immer noch ein paar Lebenspunkte. Und wehrlos war sie auch nicht. Was waren 1000 jämmerliche Lebenspunkte schon im Vergleich zur Gewissheit? „Deal“, brummte sie leise.   [Anya: 2600LP → 1600LP / Collector: 4000LP]   „Und jetzt rede dir den Mund fusselig!“, gab ihm Anya diese, für ihre Verhältnisse, großzügige Erlaubnis. Nur um wieder von einem stechenden Schmerz geplagt zu werden, während sich das Verhältnis der Waagschalen abermals veränderte. Ihr Gegner lächelte zufrieden. „Du weißt, worauf es ankommt. Eden … wie ich schon vorhin sagte, befindest du dich auf dem richtigen Weg. Dein Elysion, es muss mit den anderen fünf verbunden werden.“ „Also gibt es wirklich fünf!?“ „Ja und nein. Es gibt viele, doch nur diese fünf erfüllen die Vorgaben. Das heißt, eigentlich nur vier von ihnen. Das, welches sich hier befindet“, er machte eine Kunstpause, die Anya wie eine Ewigkeit erschien, „schläft. In künstlicher Starre. Wie du es daraus löst … weiß nicht einmal ich. Aber ich bin mir sicher, dass du es rechtzeitig schaffen wirst.“ Anya atmete tief durch und versuchte, das Kribbeln unter ihrer Haut zu ignorieren. Genau wie den trommelnden Herzschlag. Trotzdem bekam sie ihre unterschwellig vor Aufregung bebende Stimme nicht unter Kontrolle. „Und wie verbinde ich diese Dinger mit meinem!?“ „Nimm die Scherben deines Elysions und lade sie mit der Energie der fünf anderen auf, für jedes von ihnen genau eine. Dann bring sie zurück und lasse Levrier ein neues Elysion erschaffen. Warte damit jedoch nicht zu lange. Es muss passieren, bevor der Turm von Neo Babylon auftaucht. Gelingt es dir, wird sich dir der wahre Pfad zu Eden eröffnen. Wenn du es aber bis dahin nicht schaffst … ist alles zu spät.“ „Und das ist alles!?“ Der Sammler schloss die Augen. „Nein. Eine Sache noch. Nimm die fünf dazugehörigen Individuen mit in den Turm. … du weißt warum.“ „Also werden sie sterben?“, fragte Anya atemlos. „Matt, Alastair, Redfield, Marc und …“ Die Lider aufschlagend, entgegnete ihr der Sammler: „So ist es. Nun weißt du, was du innerhalb der nächsten sieben Tage tun musst. Bist du mit der Antwort zufrieden?“ Anya ließ den Arm, mit dem sie ihre Karten hielt, plötzlich hängen. „Nein. Aber das liegt nicht an dir …“ „Wenn du Eden geworden bist, wirst du keine Schuld mehr fühlen. Aber vergiss nicht: mein Angebot steht noch. Ich könnte dich von deinem Elend befreien und damit auch die anderen. Alles was du mir versprechen musst ist deine Seele.“ Sofort festigte Anya ihren Blick und gewann ihre kämpferische Haltung zurück. „Niemals!“ „Dann sei es so.“   Tief durchatmend, rang Anya um ihre Fassung. Sie durfte jetzt nicht über das Erfahrene nachdenken, nicht jetzt! Später ja, aber nicht jetzt! Dann konnte sie entscheiden, was sie tun sollte. Doch zunächst: „Weiter im Text! Ich aktiviere [D.D.R. – Reincarnation From A Different Dimension]! Ich werfe eine Karte ab und beschwöre eines meiner verbannten Monster aufs Spielfeld, welches mit dieser Zauberkarte ausgerüstet wird und damit an sie gebunden ist.“ Anya entschied sich für [Gem-Knight Fusion] und knallte anschließend das Monster ihrer Wahl auf die Duel Disk. „[Gem-Knight Sardonyx]!“ Vor ihr tat sich ein gekrümmter Spalt ins Nichts auf, aus dem ein breiter Krieger stieg. Seine Rüstung spiegelte den Edelstein wieder, auf dem seine Existenz basierte: rote und weiße Linien, ineinander verlaufen – der Sardonyx. An einer Kette schwang er einen ebenfalls aus rotem Sardonyx bestehenden Morgenstern.   Gem-Knight Sardonyx [ATK/1800 DEF/900 (4)]   Heftig atmend, die erschreckenden Gedanken mit aller Macht verdrängend, knallte Anya ihre letzte Handkarte auf die Duel Disk. „Hinzu kommt [Gem-Armadillo]!“ Neben ihrem Ritter gesellte sich ein Gürteltier mit Raketen auf dem Rücken, das keine Beine besaß, sondern einen rattenschwanzförmigen Unterleib.   Gem-Armadillo [ATK/1700 DEF/500 (4)]   „Wenn der beschworen wird“, erklärte Anya, nahm ihr Deck aus der Halterung und fächerte es auf, einen prüfenden Blick auf die Karten werfend, „schenkt er mir einen Gem-Knight. So wie [Gem-Knight Garnet]!“ Sie zeigte die normale Monsterkarte vor, die ihre einzige Handkarte darstellen sollte, und ließ anschließend ihr Deck von der Duel Disk durchmischen. „Dann bedeutet das, dass du eine Xyz-Beschwörung planst.“ „Bingo! Overlay Network, go!“ In braunen Lichtstrahlen verschwanden Anyas Monster in dem sich öffnenden, schwarzen Loch, welches im Gegenzug einen mit Kristallen überzogenen Drachen freigab. „Xyz-Summon! [Kachi Kochi Dragon]!“ Brüllend spannte Anyas neues Monster seine ebenfalls mit Kristallen überzogenen Schwingen.   Kachi Kochi Dragon [ATK/2100 DEF/1300 {4}]   „Eine kluge Wahl“, kommentierte der Sammler dies anerkennend, „viel besser als [Gem-Knight Pearl].“ „Was du aber laut sagen kannst! Und jetzt gibt’s Kloppe!“ Anya streckte den Arm aus und zeigte auf [Lavalval Master – Ignis Aither], welcher sofort daraufhin seine flammenden Flügel um den Leib schlug, da er sich immer noch im Verteidigungsmodus befand. „Mach-es-kalt! Primo Sciopero!“ Wie ein Düsenjet hob der Drache ab und schoss schnurstracks auf seinen Gegner zu. Anya erklärte lauthals: „Da [Kachi Kochi Dragon] ein Xyz-Monster ist und ihn zerstören kann, hat dein dämlicher Ignis Aither mit seinen jämmerlichen 1400 Verteidigungspunkten keine Chance!“ „Korrekt!“ Vor dem schwarzen Engel angekommen, schlug der Drache mit seinen edelsteinbesetzten Klauen zu und zerteilte seinen Gegner unter einer heftigen Explosion. „Na bitte!“, jubelte Anya und war wieder voll in ihrem Element. „Und als Krönung entferne ich jetzt ein Xyz-Material und lasse [Kachi Kochi Dragon] gleich nochmal angreifen! Los, Secondo Sciopero!“ Der Drache drehte den Kopf zur Seite, fraß eines seiner beiden Xyz-Materialien und nahm den federlosen Phönix ins Visier, als jener plötzlich in ein sich öffnendes, schwarzes Loch unter ihm gezogen wurde. „Incarnation Mode, ich rekonstruiere das Overlay Network.“ „Wusst' ich's doch!“ Aus dem Overlay Network schossen rote, grüne und schwarze Blitze, als ein völlig in smaragdfarbenden Flammen gehüllter, riesiger Vogel daraus hervortrat und weit über den beiden Duellanten seine Kreise zog. Der Sammler nannte ihn: „[Eternal Daigusto – Jade Phoenix]!“   Eternal Daigusto – Jade Phoenix [ATK/1500 DEF/1100 {2}]   „Der sieht zwar nicht übel aus, ist aber noch lange kein Match für [Kachi Kochi Dragon]! Den hättest du dir sparen können!“, gab Anya sich siegesgewiss und befahl: „Los, setze deinen Angriff fort!“ „Ich entferne eines der Xyz-Materialien und mache mein Monster einmal pro Zug unzerstörbar für Kämpfe. Ferner werden mir nun die Lebenspunkte gutgeschrieben, die ich sonst verlieren würde. Reverse Of Life!“ Anya erschrak zutiefst, als der Phönix einen Lichtstrahl aus seinem Schnabel auf ihren Drachen schoss, welcher direkt in die Brust getroffen wurde, quer über das Spielfeld flog und direkt vor seiner Besitzerin unter einem dröhnenden Schmerzensschrei auf den Boden knallte.   [Anya: 1600LP / Collector: 4000LP → 4600LP]   Zischend wischte sich Anya den Schweiß von der Stirn, als sich ihr Monster zum Glück wieder aufrichtete. „Dämliches Mistvieh!“, beschimpfte sie den am Himmel verharrenden Flammenphönix. „Aber bilde dir nicht ein, dass du so einfach davon kommst! Vielleicht kann ich dich nicht ins Jenseits befördern, aber ein bisschen Prügel hat noch niemandem geschadet!“ Mit ehrgeizigem Blick wandte sie sich an [Gem-Knight Zirconia], der alles abwartend mit angesehen hatte. „Los, immer feste drauf! Zirconia Smash!“ Sofort sprang der massive Ritter in die Luft und holte mit seinem linken Pfeilerarm zum Schlag aus. Dieser saß, als er den Phönix erreicht hatte, denn jener wurde ein ganzes Stück durch die Luft geschleudert, obschon er den Angriff überlebte.   [Anya: 1600LP / Collector: 4600LP → 3200LP]   Als Anyas Krieger mit einem Satz wieder neben dem Drachen landete, verkündete diese schlecht gelaunt: „Zug beendet!“   Und kaum hatte der Collectordämon seine nächste Karte gezogen, schob er [Fabled Krus], die er zuvor als Aktivierungskosten für Reverse Of Life entfernt hatte, wieder unter das Xyz-Monster auf seiner Duel Disk. Dieses war nun wieder von drei goldenen Sphären umgeben. „Wie wäre es mit einer Frage? Was möchtest du wissen?“ Anya biss sich auf die Lippen. Sollte sie oder nicht? Vermutlich würde sie das wieder viele Lebenspunkte kosten, aber … sie wollte es wissen! Wissen- „-was ist Eden!?“ „Die Antwort würde deine gesamten restlichen Lebenspunkte kosten.“ Der Sammler sah sie fragend an. „Ist es das wert?“ Die Blondine geriet ins Stocken. „Alle!?“ „Ja.“ „Dann vergiss es!“ Auf keinen Fall durfte sie ihre verbliebenen Lebenspunkte aufgeben. Denn wenn die [Scales Of Wisdom] danach zerstört werden würde, hieße das zu verlieren. Was im Falle ihres Gegners wohl alles andere als gut war! „Dann lasse mich dir ein Gegenangebot machen. Eine kleine Information über Eden, für nur 500 Lebenspunkte.“ Anya stöhnte. Wenn es ihr half … „Meinetwegen, 500 sind entbehrlich.“ Sofort tauchte der stechende Schmerz in ihrer Brust wieder auf, die Waagschalen bewegten sich, sodass eine nun fast ganz oben lag, während die andere von einem unsichtbaren Gewicht belastet beinahe den Boden berührte.   [Anya: 1600LP → 1100LP / Collector: 3200LP]   „Eden“, sprach der Sammler leise und sah Anya dabei tief in die meeresblauen Augen, „wurde bereits einmal erweckt. Und anschließend wieder versiegelt.“ „Und weiter?“ Ihr Gegner lachte. „Das war alles.“ „Was!? Für den Mist habe ich meine wertvollen Lebenspunkte ausgegeben!?“ „Ich dachte, sie seien entbehrlich? Ich sagte 'eine kleine Information'. Wenn du mehr willst, musst du auch mehr zahlen.“ Dafür kassierte er glatt noch einen Stinkefinger von Anya. „Vergiss es, du Dreckskerl!“ „Wie du meinst. Nun werde ich meinen Zug fortsetzen.“ Er legte eine seiner beiden Handkarte auf die Duel Disk. „Beschwörung: [Fabled Gallabas]. Mit anschließender Fallenaktivierung: [Call Of The Haunted], womit ich [Fabled Grimro] vom Friedhof erwachen lasse.“ Vor ihm materialisierten sich ein dämonischer Krieger, welcher mit seinen schuppenbesetzten Armen einen riesigen Morgenstern schwang und eine pechschwarz gefederte, junge Frau, welcher Rabenflügel aus dem Rücken wuchsen.   Fabled Gallabas [ATK/1500 DEF/800 (4)] Fabled Grimro [ATK/1700 DEF/1000 (4)]   „Ich erschaffe das Overlay Network“, rief der Sammler unter Anyas genervtem Stöhnen, „Xyz-Summon! Erscheine, [Evigishki Merrowgeist].“ Kaum erklang der Name von Valerie Redfields Paktkarte, horchte die Blondine mit gespitzten Ohren auf. Mürrisch brummte sie eher zu sich, als ihrem Gegner: „Alles, bloß nicht dieses Teil!“ Als das schwarze Loch sich in der Mitte des Spielfelds öffnete und die beiden gelben Lichtstrahlen, die transformierten Monster des Sammlers absorbierte, schnaufte Anya laut. Denn als die mit einem Zauberstab bewaffnete, rothaarige Meerjungfrau die Bühne betrat, fühlt das Mädchen sich sofort an die Zeit zurückerinnert, als Valerie sie vor den Angriffen der Verrückten aus Victim's Sanctury beschützt hatte – eine glatte Demütigung.   Evigishki Merrowgeist [ATK/2100 DEF/1600 {4}]   „Nun“, rief der Sammler und streckte seinen Arm nach dem Phönix am Himmel aus, „entferne ich zwei Xyz-Materialien, um den Effekt von [Eternal Daigusto – Jade Phoenix] zu aktivieren. Somit schicke ich zwei Karten auf dem Spielfeld auf deine Hand zurück. Deine Monster. Wind Scars Of Life!“ Anya glotzte wie ein Mondkalb, als sie sich völlig sicher war, richtig verstanden zu haben. „Was!?“ Doch schon sendete der Phönix am Himmel per Flügelschlag etliche gebogene, grün leuchtende Energieklingen, die auf Anyas Monster wie ein Hagelschauer niedergingen. Sowohl der Drache, als auch Zirconia schrien, bevor sie sich letztlich auflösten und in Anyas Extradeck verfrachtet wurden, da sie sie nicht einfach ihrem Blatt hinzufügen konnte. „Das getan, werde ich nun deine Lebenspunkte direkt angreifen. Doch keine Sorge, du wirst nicht verlieren. [Evigishki Merrowgeist], Sceptre Of Foresight!“ Behände ließ die schwebende Meerjungfrau den Zauberstab in ihren Händen wirbeln und richtete ihn schließlich auf Anya. Welche es sich nehmen ließ, mal wieder den Mittelfinger zu zücken. „Verpiss dich, Miststück! Als ob ich mich von so'ner Wischiwaschi-Tante wie dir angreifen lasse! Meine Falle wird genau das verhindern: [Fragment Fusion]! Sie verbannt Sardonyx und [Gem-Armadillo] von meinem Friedhof, um mich eine Fusionsbeschwörung durchführen zu lassen. Das gerufene Monster stirbt zwar am Ende des Zuges, stellt aber einen super Schild gegen die Angriffe von ollen Möchtegernschicksen dar! Komm zurück, [Gem-Knight Zirconia]!“ Überall tanzten plötzlich Edelsteine in der Luft, als einige vor Anya ein Pentagramm durch Energielinien zeichneten, aus dem letztlich Zirconia hervortrat. Dieser streckte die Arme vor Anya aus, um sie vor den Angriffen ihrer Feinde zu schützen.   Gem-Knight Zirconia [ATK/2900 DEF/2500 (8)]   Unverrichteter Dinge brach die Meerjungfrau ihren Angriff ab und zog sich ein Stück Richtung des Collectordämons zurück. Dieser meinte unbekümmert: „Wenn das der Fall ist, beende ich meinen Zug hiermit.“ Wodurch Zirconia in tausend Teile zersprang.   „Mein Zug!“, schrie Anya hitzig und riss die nächste Karte von ihrem Deck. Bevor ihr Gegner etwas sagen konnte, blaffte sie ihn an. „Und vergiss es, ich will keine Fragen mehr stellen.“ „Aber du hast doch noch gar nicht gefragt, wie die andere Möglichkeit aussieht. Die, dich von Levrier loszulösen.“ Anya schnappte nach Luft. Verwirrt entgegnete sie: „A-aber du sagtest doch-“ „Damit meinte ich nur, wenn ich -es- für dich erledigen soll. In dem Fall verlange ich nach wie vor deine Seele. Aber wenn -du- es tun willst, nun ja, kostet es dich lediglich …“ Er machte eine seiner Kunstpausen. „Den Rest deiner Lebenspunkte.“ „Unmöglich! Mach's billiger und wir können drüber reden!“ „Sicher? Dieses Wissen ist wertvoll. Nicht nur für dich, sondern für alle deine“, das letzte Wort betonte er besonders stark, „Bekannten. Mit ihm könntest du sie alle retten, inklusive dich selbst. Wenn du bereit bist, ein großes Wagnis einzugehen.“ In Anya schrie es laut 'Was gibt es da schon groß zu überlegen, sag ja!', doch gleichwohl war ihr das einfach zu gefährlich. Was, wenn das alles doch nur eine Falle war? Sie wusste ja nicht einmal, ob überhaupt etwas von dem stimmte, was er ihr erzählte! Und dieser Schmerz, den sie immer wieder spürte, was hatte der zu bedeuten? Aber dem gegenüber stand die Freiheit. Nein, das Leben. Was hieße es denn schon, wenn jetzt etwas Unvorhergesehenes geschähe? Wenn sie zu Eden wird, wäre sowieso alles aus. Und wenn sie dabei versagt, landete sie im Limbus, dem Ort ohne Wiederkehr. Was könnte schon schlimmer sein als das!? Sie wäre frei, wenn sie jetzt zustimmte!   „Ich werde nicht verlieren?“, vergewisserte sie sich mit leiser Stimme. Der Sammler nickte nur knapp. „Dann … meinetwegen.“ Sofort ließ ein grässlicher Schmerz sie aufschreien und sie glaubte, ihr Herz würde stehen bleiben. Die Waagschalen hinter dem Sammler bewegten sich wieder ein Stück, während Anya keuchend in die Knie ging und sich die Brust hielt. Nun standen beide Schalen am jeweiligen Zenit ihrer Möglichkeiten. Noch mehr Gewicht würde das Gebilde gewiss nicht verkraften.   [Anya: 1100LP → 0LP / Collector: 3200LP]   „Ich weiß, dass du bereits von dem jungen Ford gehört hast“, der Sammler lächelte wissend, „dass er den Tod überlebt hat, um den Pakt zu brechen. Er irrt. Und liegt doch richtig.“ „Sprich Klartext“, presste Anya schwer atmend hervor. Sie war insgeheim erstaunt, tatsächlich noch zu leben. Hielt der Sammler sich am Ende tatsächlich an die Vereinbarung? „Zu sterben ist der Weg, sich eines Paktes zu entledigen. Der Tod ist das Ende, aber ist er nicht immer endgültig. Doch was im Leben miteinander verbunden ist, muss im Tode auseinander gehen.“ Langsam erhob sich Anya, als der Schmerz nachließ. „Ich verstehe immer noch nicht.“ Der Sammler nickte. „Wenn du stirbst, muss der Dämon ebenfalls sterben. Sollte dies nicht geschehen, besteht die Möglichkeit, dass die alte Verbindung – der Pakt – wieder 'zusammenwächst'. Bist du mit dieser Information zufrieden?“ „Aber wie soll ich das anstellen!?“, begehrte Anya auf. Allerdings wurde sie nur vor einem erhobenen Zeigefinger gestellt. „Diese Frage wirst du nicht mehr stellen können. Das Limit ist erreicht. Von nun an musst du das gewünschte Wissen selbst zusammentragen. … Oder du machst mir ein Angebot.“ Mit einem Mal stampfte Anya auf. „Vergiss es! Diese dubiosen Geschäfte gehen mir langsam auf die Eierstöcke! Und deswegen werde ich das jetzt beenden!“ „Ach so?“ „Ich verbanne von meinem Friedhof [Gem-Knight Zirconia], um meine [Gem-Knight Fusion] zu bergen“, rief Anya und tat genau dies, knallte anschließend ihre nachgezogene Karte auf die Duel Disk. „Jetzt rufe ich [Gem-Armadillo] und suche mir durch seinen Effekt [Gem-Knight Obsidian] auf die Hand!“ Auf Anyas Spielfeldseite tauchte wieder das altbekannte Gürteltier auf, oder besser gesagt die zweite Kopie, die das Mädchen davon in ihrem Deck spielte.   Gem-Armadillo [ATK/1700 DEF/500 (4)]   Kaum hatte Anya die Karte mit dem Bild eines pechschwarzen Ritters, welcher eine Kette aus Perlen als Waffe benutzte, ihrem Blatt hinzugefügt, streckte sie schon ihre Hand mit [Gem-Knight Fusion] zwischen Mittel- und Zeigefinger in die Luft. „Und nun verschmelze ich Obsidian und Garnet von meiner Hand und beschwöre [Gem-Knight Ruby]! Scheiß auf den Beschwörungsspruch, hau einfach rein!“ Als die Abbilder der beiden zu verschmelzenden Monster über Anya erschienen und ineinander übergingen, wurden die verschiedensten Edelsteine mit in den Fusionssog gezogen. Aus dem sprang kurze Zeit später ein eleganter Krieger in roter Rüstung, dessen blauer Umhang auf magische Weise wehte. Die Lanze auf den Sammler gerichtet, stieß der Ritter einen stolzen Schrei aus.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)]   Doch neben ihm tauchte plötzlich noch ein Ritter auf, dieser trug eine bronzene Rüstung und bündelte einen Schwall Flammen in seinen Händen. Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   „Na, überrascht?“, lachte Anya gehässig. „Doof, was? Dass Obsidian, wenn er von meiner Hand auf den Friedhof wandert, ein normales Monster auf meine Spielfeldseite vom Friedhof beschwört! Also [Gem-Knight Garnet]!“ Sie setzte ein noch widerlicheres, siegessicheres Grinsen auf. „Aber keine Sorge, Kumpel, der verschwindet gleich wieder. Zusammen mit [Gem-Armadillo].“ „Dessen bin ich mir bewusst“, antwortete der Sammler unbekümmert. „Umso besser, denn dann weißt du, dass du längst verloren hast! Ich opfere meine beiden Monster, um ihre Angriffskraft auf Ruby dank dessen besonderer Fähigkeit zu übertragen!“ Garnet und das Gürteltier lösten sich in helle Lichter auf, die von der Lanze ihres Kameraden absorbiert wurde. Um den explodierte nun förmlich eine rote Aura.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 → 6100 DEF/1300 (6)]   Der Sammler klatschte anerkennend in die Hände. „Wirklich gut. Dein Kampfstil wird immer besser.“ „Klappe! Von dir brauche ich kein Lob! Beende das jetzt, Ruby! Greif die olle Sumpfkuh mit Sparkling Lance Thrust an!“ Schließlich fügte sie noch hinzu: „Und versuch gar nicht erst, dieses Miststück zu transformieren, Bastard! Auch wenn du ihre Weiterentwicklung im Verteidigungsmodus rufen würdest, wäre das egal, denn Ruby fügt Durchschlagschaden zu! Nun jetzt mach-ihn-alle!“ „Sehr gut erkannt“, sprach der Sammler und schloss seine Augen. Wie ein Pfeil schoss Anyas Ritter auf die Meerjungfrau zu und stieß ihr seine Lanze in die Brust. Einen jämmerlichen, hilfesuchenden Schrei von sich gebend, zersprang jene schließlich in tausend Teile …   [Anya: 0LP / Collector: 3200LP → 0LP]   … und hinterließ Anya damit, geschützt vom Effekt der [Scales Of Wisdom], als Siegerin.   Schwer atmend ging das Mädchen in die Knie, als sie begriff, dass es tatsächlich vorbei war und sie gewonnen hatte. „Gut gespielt“, lobte der Sammler sie, welcher plötzlich direkt vor ihr auf der Straße stand. Anya sah mit grimmiger Miene auf. „Klaro! Und jetzt hau ab!“ „Für deinen grandiosen Sieg verrate ich dir noch etwas. Sieh es als Dreingabe für deinen Einsatz im Duell an“, sagte er geheimnisvoll. „Das letzte Elysion befindet sich in der Kanalisation unterhalb der Stadt, zwischen Bahnhof und Einkaufszentrum. Wo genau es ist musst du selbst herausfinden.“ Dann drehte er ihr den Rücken zu. „Das Schicksal ist kein festgelegter Weg, sondern ein Netz aus vielen Pfaden, die man beschreiten kann und deren Zahl je nach der eigenen Situation variiert. Dabei ist es so umfangreich, dass kein Sterblicher es je begreifen könnte und retrospektiv betrachtet, zeichnet sich in diesem Netz der eine Weg ab, den man hinter sich zurückgelegt hat. Das ist Leben.“ „Huh!?“ Als er sich von ihr entfernte, sprach er in seiner kryptischen Art und Weise weiter. „Deshalb ist es aber auch nicht möglich, die Zukunft mit Gewissheit vorherzusehen. Doch all diese Pfade enden letztlich mit dem Tod. Und von dort erstreckt sich ein ganz neues Netz aus Pfaden.“ Er blieb stehen. „Aber es ist möglich, dem Netz des Schicksals neue Pfade hinzuzufügen, Pfade, die nie vorgesehen waren. Dies ist meine Aufgabe als Sammler. Um auf die zu deiner Unzufriedenheit beantwortete Frage zurückzukommen.“ Der Rothaarige sah sich noch einmal nach Anya um, die ihn völlig irritiert betrachtete. „Ich bin mir sicher, dass wir uns wiedersehen werden. Denn unser beider Pfade laufen aufeinander zu wie eine Kreuzung. Bis dahin, Anya Bauer … stirb nicht.“ Und einen Herzschlag später, Anya hatte nur geblinzelt, war er fort.   Was hast du dir dabei gedacht!?   Anya hielt sich die Ohren, als es plötzlich laut in ihrem Kopf hallte. Habe ich dich nicht vor ihm gewarnt!? Dieser Dämon hätte dich töten können! Oder gar Schlimmeres! Hast du übersehen, dass er noch über eine verdeckte Karte verfügt hatte? Was hättest du getan, wenn er damit [Scales Of Wisdom] zerstört hätte!?   „Krieg dich wieder ein“, raunte Anya und erhob sich langsam. Den hatte sie in all der Aufregung ganz vergessen. Seinen Worten nach zu schließen hatte er jedoch alles aus dem Elysion miterlebt.   Wenn du gestorben wärst-   „Bin ich aber nicht, 'kay!? Und solltest du nicht etwas dankbarer sein, Sackgesicht!? Immerhin weißt du jetzt alles, was du wissen musst! Und das hast du nur mir zu verdanken! Mir und meinem Mut, etwas zu riskieren!“   Du meinst wohl deinem tollkühnen Egoismus!   Anya sah sich derweil um. Die Brandspuren an der Fassade unterhalb der Wohnhäuser und auf der Straße waren ganz schön groß. Wenn jemand sie hier bemerkte, würde das eine Menge Ärger geben, welchen sie sich im Moment nicht leisten konnte. „Egal! Ende gut, alles gut!“   Wie dem auch sei. Du hast recht, ich danke dir. Mit dem Wissen des Collectors können wir endlich unsere Bestimmung erfüllen. Aber was wirst du jetzt tun? Es sollte kein Problem sein, dein Elysion mit anderen zu verbinden, abseits dem von Alastair, welches wir erst erwecken müssen. Doch die Frage ist: wie bekommen wir die Zeugen der Konzeption dazu, den Turm zu betreten?   Plötzlich ließ Anya den Kopf hängen und begann, sich dem anliegenden Wald zu nähern. Ohne Levriers Frage zu beantworten.     Turn 25 – Inevitable Decisions Am nächsten Tag versammelt Anya die gesamte Truppe, bestehend aus Matt, Alastair, Valerie, Marc, Orion, Henry, Abby und Nick in der Küche der Familie Redfield, um ihnen von ihrer Begegnung mit dem Sammler zu berichten. Doch anstatt ihnen die Wahrheit über das Geschehe zu sagen, tischt Anya ihnen eine folgenschwere Lüge auf. Zudem versucht sie Alastair dazu zu bringen, sein zurückgelassenes Elysion zu zerstören. Doch der misstraut dem Mädchen. Ausgerechnet Marc ist es, der sich für Anya einsetzt und …   Kapitel 25: Turn 25 - Inevitable Decisions ------------------------------------------ Turn 25 – Inevitable Decisions     „Ich komme mir vor wie 'ne beschissene Sekretärin“, beklagte sich Anya, die nun seit Stunden am Telefon saß und korrespondierte, was das Zeug hielt. Ungeduldig schritt sie von einer Ecke zur anderen in ihrem unaufgeräumten Zimmer, wo sich Comichefte, Videospielhüllen, durchgehend schwarze Klamotten und Duel Monsters-Karten einen erbitterten Kampf um die besten Plätze lieferten. „Und wo ist das?“, fragte Matt auf der anderen Seite des Hörers. „Such im Telefonbuch oder sonst wo, Herrgott! Es gibt nur eine Familie Redfield in der Stadt!“ Und wären es mehrere, hätte sie die vermutlich längst ausgelöscht, fügte Anya noch im Gedanken hinzu. Eine Schnöselfamilie war schlimm genug. „Also in einer Stunde? Okay, ich sag Alastair Bescheid.“ „Ja“, raunte Anya in den Hörer. „Der soll unbedingt kommen, denn mit dem hab' ich noch was zu klären.“ Matt klang verwundert. „Was denn?“ „Erfährst du dann! Genau wie alles andere, was ich gestern so erfahren habe. Also dann, wir sehen uns, kthanxbye!“ Schon hatte sie aufgelegt und warf den Hörer achtlos beiseite, ließ sich in ihr Bett fallen und schloss die Augen. „Phew, das waren alle, glaub ich. Jetzt müssen sie nur noch kommen.“   Und was wirst du ihnen sagen? Die Wahrheit? In dem Fall müsste ich deinen Körper übernehmen, um zu verhindern, dass sie wie aufgescheuchte Hühner die Stadt verlassen. Keiner von ihnen wird freiwillig den Turm von Neo Babylon betreten.   Alles, was Anya dazu zu sagen hatte, war ein tiefes: „Hmpf!“ Von ihrem Schreibtisch aus hallte Abbys Stimme herüber: „Anya, wäre es nicht fair, Valerie vorher Bescheid zu sagen?“ Mit einem Ruck saß die Blondine wieder aufrecht, welche ihr Haar heute ausnahmsweise einmal offen trug – was ihr aber alles andere als gut zu Gesicht stand, wenn man bedachte, dass sie dadurch fast 'mädchenhaft' aussah. „Wieso? Ich dachte, Redfield liebt Partys? Und sie wird die besten Gäste haben, die sie jemals gesehen hat!“ Abby stieß einen resignierenden Seufzer aus. „Du kennst Valerie kein bisschen, oder?“ „Besser als du das Pennerkind.“ Anya verzog ihre Augen zu Schlitzen. „Ist da was zwischen euch gelaufen?“ „N-nein!“, protestierte Abby, welcher die Schamesröte ins Gesicht stieg.   Ihre Worte sagen nein, die Körperfarbe ja.   „Was hat er mit dir angestellt!?“ „Nichts!“, kreischte Abby förmlich und drehte sich auf dem Drehstuhl um, damit Anya bloß nicht ihr Gesicht sah. Doch die war längst aufgesprungen, drehte Abby wieder zu sich und verfrachtete sich mit dämonischem Gesichtsausdruck auf ihrem Schoß. Die Finger knacken lassend, fragte sie: „Sicher?“ „Ganz sicher! Ganz, ganz, ganz sicher! … leider!“ „Was!?“ Abby quiekte panisch: „Nichts!“ Woraufhin Anyas Gesicht wieder menschliche Züge annahmen. „Ist auch besser so!“ „Was ist es denn eigentlich, was du uns erzählen willst?“, fragte das brünette Mädchen eilig, um bloß das Thema zu wechseln. „Was ist gestern passiert, dass du alle bei Valerie versammelst?“ „Wirst du schon noch erfahren“, meinte Anya mit ihrer typischen Endgültigkeit und warf einen Blick auf die Armbanduhr. „Wir sollten uns sowieso bald fertig machen. Ich will dabei sein, wenn Redfields Kinnlade den Boden schrubbt, weil ihre Geburtstagsparty vorgezogen wurde!“ „Du hast es voll mit Absicht gemacht, huh?“ „Klaro“, brüstete Anya sich stolz, doch ihre Mimik wurde wieder zu einer dämonischen Fratze. „Wehe, dein neuer Mitbewohner kommt nicht! Und wenn ihr heimlich Händchen haltet, reiß ich euch den ganzen Arm ab, verbrenne ihn und füttere euch mit der Asche!“ Abby schluckte ängstlich. „Schon gut, er hat versprochen zu kommen!“   ~-~-~   „Redfield?“, tönte es eine halbe Stunde später ahnungslos aus dem Lautsprecher neben dem großen Tor, welches den Eingang zu Valeries Domizil darstellte. Als keine Reaktion folgte, sagte Valeries Stimme streng: „Anya, du kannst die Klingel jetzt loslassen, ich bin hier.“ „Whoops, muss ich doch glatt überhört haben“, log die Blondine und nahm dem Finger nur widerwillig von der Taste. „Was willst du?“ „Die klingt nicht gerade begeistert“, flüsterte Abby im Hintergrund zu Nick, welchen sie auf dem Weg hierher entgegen Anyas ursprünglichem Plan abgeholt hatten. „Hehe, wenn sie mich sieht, wird sich das bestimmt ändern.“ Abby stöhnte leise. „Das wag' ich zu bezweifeln.“ Indes antwortete Anya missmutig auf die Frage ihrer Erzfeindin. „Ganz einfach, Redfield! Lass mich rein und ich erkläre es dir. Vielleicht.“ „Abby, hat sie Waffen dabei?“ Das Hippiemädchen schreckte beim Klang ihres Namens glatt auf. „Ähm, n-nein, ich glaube nicht. Hi Valerie!“ Ein resignierender Seufzer erklang. „Meinetwegen, kommt rein.“ Woraufhin sich das Tor von selbst öffnete.   Wie ein Feldmarschall schritt Anya den Weg hinauf zur Villa der Redfields, flankiert von ihren Generälen Nick Harper und Abigail Masters, die sich eher an dem prachtvollen Blumengarten erfreuten, denn daran dachten, Anyas Tempo zu halten. „Jetzt ist nicht die Zeit zum Glotzen“, herrschte jene die beiden daraufhin an, griff ihre Arme und zog sie hinter sich her. Kaum waren sie vor der Tür angelangt, öffnete jene sich und Valeries Kopf lugte misstrauisch hervor. Ihr schwarzes Haar war dieses Mal zu einer Turmfigur hochgesteckt. Was Anya selbstredend nicht unkommentiert lassen konnte. „Was suchen denn die Essstäbchen in deiner Frisur, Redfield? Kannst du dir neuerdings keine Haarspangen mehr leisten?“ „Was willst du?“, erwiderte die nur ebenso feindselig. Es war deutlich, dass ihre Worte ernst gemeint waren, als sie sagte, sie würde Anya nie für ihre Taten verzeihen. „Ab in die Küche“, befahl der Marschall bereits seinen Unterlingen, die es jedoch nicht wagten, sich an Valerie vorbei ins Haus zu stehlen. Plötzlich sprang etwas Schwarzes hinter Valerie hervor, direkt auf Anyas Oberkörper zu. „Kawaii, Tsundere ist wieder da!“ Doch der kleine Schattengeist Orion wurde mit einer saftigen Rechten rechtzeitig abgefangen und stattdessen mit voller Wucht gegen Nicks Schädel geknallt, welcher daraufhin glatt aus den Socken gehauen wurde. Mit schmerzerfüllten Blicken lagen dieser und Orion am Boden, wobei Letzterer krächzte: „Sie ist immer noch nur Tsun, kein bisschen Dere …“ „Die hässliche Knolle war aber nicht eingeladen“, brummte Anya beim Anblick des KO gegangenen Schattengeists. „Was?“ Valerie schien wirklich ahnungslos. Doch Anya schnappte sich Abby, bat sich ungeniert selbst herein und ließ ihre Erzfeindin verwirrt zurück, die sich genervt stöhnend um die beiden Verwundeten bemühte.   Kaum hatte sie es geschafft, Nick aufzurichten und ins Haus zu bitten, fand sie Anya bereits in ihrer altmodischen Küche aus dem 18. Jahrhundert wieder, wie sie einfach so auf dem langen Esstisch saß und abwartend die Arme verschränkt hielt. „Was soll das!? Wieso platzt du einfach in mein Haus herein!?“ „Weil ich's kann, Redfield, deshalb!“ Abby, die zurückhaltend neben Anya stand, fasste sich ein Herz und klärte die aufgebrachte Valerie schließlich auf. „Anya hat alle zusammengetrommelt, die irgendetwas mit Eden und einem Pakt zu tun haben.“ Woraufhin Valeries wütende Mimik einer überraschten wich. „Und wozu?“ „Weil ich den Jackpot abgestaubt habe“, raunte Anya zynisch. „Jetzt setz dich auf deinen Schickimickiarsch und warte, bis der Rest hier ist!“ „Ich kann das Kissen sein!“, gluckste Nick wolllüstig, doch bekam von Orion, der auf seinem Kopf hockte, eins auf die Zwölf mit dessen kleiner Faust. „Vergiss es! Du bist nur mein Sklave und hast daher kein Recht, eine solch anspruchsvolle Aufgabe zu übernehmen! Ich mach das! Nicht wahr, Valval?“ Deren zusammengekniffene Augen waren Antwort genug, um die beiden zum Verstummen zu bringen. Abermals stöhnend ob Anyas Frechheiten, ließ sich Valerie schließlich ein wenig weiter weg von den anderen auf einem der Stühle am Essenstisch nieder und wartete geduldig.   ~-~-~   Und fauchte Anya eine halbe Stunde später an, als die Küche voller Menschen war, die sie nicht kannte. „Ich dachte, es kommen 'ein paar' Leute!? Nicht eine halbe Footballmannschaft!“ „Sind doch nur'n paar“, zuckte Anya neben ihr mit den Schultern und sah die versammelte Gruppe an. Da war Matt, der gegen einen Küchenschrank lehnte und die Hand zum Gruß hob. Ihm gegenüber auf einem Stuhl saß sein Partner Alastair, das Narbengesicht, welches wie immer schaute, als würde er jeden Moment Amok laufen. Dann natürlich Marc, der Valerie beruhigend die Hände auf die Schultern gelegt hatte – Valerie hatte ihn persönlich auf Anyas 'Bitten' hierher beordert. Und zwischen Abby und Nick saß nun das Schnöselkind Henry, welcher ziemlich ungeduldig wirkte. „Sieht aus, als wären alle hier“, stellte Abby fest, wobei ihr Augenmerk komischerweise nur auf Henry gerichtet war – ganz zu Anyas Ärgernis. Die hatte aber keine Zeit für Kindereien und kam deshalb umgehend zur Sache. „So Leute … was sollte ich nochmal sagen, Abby?“ „Du sollst dich bedanken, dass alle gekommen sind“, flüsterte die ihr leise vom Tisch aus zu. „Ja ja, also, nett dass ihr vorbei geschaut habt. Kuchen gibt’s später.“ Anya neigte sich herüber zu Valerie, zischte spitzzüngig, aber immer noch gut hörbar: „Los, geh backen Redfield, das könnte jetzt etwas länger dauern.“ „Nicht nötig, ich habe gestern erst ein neues Rezept für eine Schokolade-Vanille-Torte ausprobiert“, erwiderte Valerie auf die Stichelei der Blondine unbeeindruckt. „Jeder, der nachher Hunger hat, kann gerne ein Stück bekommen.“ „Mhmmmm, ich liebe Ku-“ „Klappe, Harper!“, befahl Anya Nick wütend und richtete ihren Blick auf die ganze Gruppe. Irgendwie war ihr unwohl, zu so vielen Leuten zu sprechen. Besonders wenn … aber sie wusste, dass es keine Alternative gab. „Dürfen wir jetzt erfahren was du herausgefunden hast?“, fragte Matt ungeduldig. Ihm fiel nebenbei auf, dass das Mädchen, Abby, welches er vor einiger Zeit erpresst hatte, konsequent seinen Blick mied. Seine Mimik trübte sich. „Wir haben nicht ewig Zeit, verstehst du?“ Du weißt, dass du keine Wahl hast. Du musst sie anlügen, Anya Bauer. Entweder du oder ich.   „Ich weiß“, gab Anya beiden grimmig zu verstehen, leitete damit aber auch gleichzeitig ihre Erklärung ein. Es war so schwer. Sonst war ihr Lügen immer leicht gefallen, doch dieses Mal? Man könnte meinen, ihr Brustkorb implodierte jeden Moment. Dennoch hatte sie sich eins geschworen. Wenn es hieß, entweder die oder ich … würde es immer nur 'ich' geben. Sie würden dasselbe an ihrer Stelle tun. „Ich weiß, wie wir Eden vernichten können.“   Sofort ging ein aufgeregtes Raunen durch die Küche der Redfields. Alastair war der Erste, der Worte dafür fand. Und sie waren wenig schmeichelhaft. „Du lügst, Schlangenzunge! Wie könntest du-“ „Ich habe einen Mann getroffen, der mir alles verraten hat, was ich wissen wollte.“ Anya drehte sich mit verschwörerischer Mimik zu Valerie um. „Den Sammlerdämon.“ Jene zuckte merklich zusammen, als sie das vernahm und den Wink verstand. Doch anstatt etwas darauf zu antworten, erwiderte sie Anyas Blick nur unschlüssig. Die Worte, die sie beide austauschten, waren stumm. Zu dumm nur, dass Anya nicht imstande war, die ihres Gegenüber zu verstehen. Deswegen wunderte es auch nicht, dass Matt sich als Erster einmischte. „Was!? Den hast du getroffen!? Bist du lebensmüde!?“ „Der Collector ist einer der gefährlichsten Dämonen auf diesem Planeten! Kein Jäger hat es je geschafft, ihn zu töten!“, polterte auch Alastair. „Und du hast ihn aufgesucht!?“ „Nicht ich ihn, er mich“, stellte Anya mit kühler Stimme klar. Sie schloss die Augen. „Er wollte unlautere Geschäfte mit mir treiben, meine Seele stehlen, weil er Interesse an mir zu haben scheint. Eine andere 'Kundin' von ihm hat ihn wohl auf mich aufmerksam gemacht.“ Dieses Mal entglitt Valerie glatt ein erschrockener Seufzer, doch Anya ignorierte sie. Wenn sie noch näher darauf einging, würde sie die Schwanenprinzessin verraten, was momentan nicht in ihrem Interesse war. Denn eigentlich musste sie Valerie dafür dankbar sein, die Aufmerksamkeit des Sammlers erregt zu haben. „Wir haben uns um die Wahrheit duelliert, nachdem ich sein Angebot ausgeschlagen habe. Und wie ihr seht, habe ich gewonnen. Es war knapp, aber ich habe erfahren, wie Eden getötet werden kann.“ „Was musstest du als Preis dafür zahlen!?“, verlangte Alastair zu wissen. „Niemand erhält etwas von dem Sammlerdämon ohne Gegenleistung!“ Nun stampfte Anya wütend auf. „Meine Seele hätte er bekommen, wenn ich das Duell verloren hätte, 'kay!? Aber ich habe gewonnen! Er ist leer ausgegangen! Außerdem hat er sich nicht abwimmeln lassen, was hätte ich tun sollen!? Wegrennen!? Pah, als ob er mich hätte gehen lassen! Ist doch nicht mein Problem, wenn er sich am Ende auf sowas einlässt und dann verliert!“ Matt, der seine Ruhe wiedergefunden hatte, blieb nichtsdestotrotz ziemlich skeptisch. „Und er hat sich an die Abmachung gehalten?“   Plötzlich schaltete Marc sich an, der Valerie dicht an sich gezogen hatte. Deren Blick war auf befremdliche Weise abwesend, regelrecht leer. „Anstatt Anya mit Fragen zu bombardieren, solltet ihr sie erstmal ausreden lassen. Denkt ihr denn, sie lügt euch an, wenn die Sache für sie am allerwichtigsten ist?“ Der jüngere der Dämonenjäger nickte. „Da hat er recht. Aber bist du dir absolut sicher, dass er dich nicht reingelegt hat?“ „Weiß nicht“, Anya zuckte dazu unterstreichend mit den Schultern, „ganz sicher bin ich mir nicht, aber ich glaube er hat nichts angestellt. Egal. Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute ist, dass Eden eine physische Form besitzt. Allerdings … wartet die im Turm von Neo Babylon.“ „Das habe ich mir schon fast gedacht“, reagierte Matt daraufhin und übertönte das Geflüster von Abby und Henry, die ganz zu Anyas Ärgernis verdächtig unbeteiligt wirkten. Müssten die nicht längst auf dem Tisch Salza tanzen? Indes sprach er weiter: „Und was ist die schlechte?“ „Der letzte Raum, da wo Edens Herz liegt“, Anya machte eine Pause und atmete tief durch. Noch konnte sie einen Rückzieher machen. Aber das hieße, elendig zu verrecken und im Limbus enden. Da sie aber sowieso starb, egal was geschah, war ein schlechtes Gewissen ohnehin bedeutungslos. Die letzten Tage … würde sie damit leben müssen. Sie schloss ihren Satz ab: „wird sich nur öffnen, wenn mich fünf Zeugen der Konzeption dahin begleiten.“ „Sie lügt!“, polterte Alastair und sprang auf, mit dem Finger auf Anya zeigend. „Das ist eine Falle, um uns in den Turm zu locken und zu opfern!“ Anya zuckte erschrocken zusammen.   Hast du ernsthaft erwartet, dass er dir das abkaufen würde? Anya Bauer, das war keine sonderlich kluge Lüge. Du hättest auf mich hören und warten sollen, bis uns etwas Besseres eingefallen wäre.   Aber ihr war nichts 'Besseres' eingefallen, dachte Anya verzweifelt. Außerdem war es stimmig! Der Turm von Neo Babylon musste betreten werden, wenn man Eden finden wollte. Warum sollte sich der Pfad also nicht erst öffnen, wenn alles Nötige 'zusammengesammelt' war? „Anya würde so etwas nie tun!“, ergriff Abby nun eifrig das Wort und sprang ebenfalls auf, direkt Alastair in die Augen sehend. Es waren Blicke voller Verachtung. „Sie ist nicht so wie ihr, feige und hinterhältig! Für Anya geht es hier um Leben und Tod! Sie wäre die Letzte, die ein Interesse daran hätte, euch zu opfern, wenn sie davon sowieso nichts hätte!“ „Danke, Abby“, murmelte Anya leise und ließ den Kopf hängen. Kannte ihre Freundin sie nicht lange genug, um zu wissen, dass das Quatsch war? Oder hatte sie es am Ende sogar durchschaut und … spielte trotzdem mit? „Ich denke auch, dass Anya lügt“, erklang plötzlich Valeries Stimme zögerlich. Sofort wich Anya von ihr zurück und zeigte ihr den berühmten Mittelfinger. „Redfield, du Miststück! Dass du das glaubst, war mir sowieso klar! Fuck off, Bitch!“ Doch mehr hatte Valerie Anya nicht zu sagen und wandte den Blick ab. Für einen Augenblick jedoch glaubte die Blondine, Zweifel in den Augen ihrer Widersacherin erkannt zu haben. Oder war es nur das schlechte Gewissen, weil sie ihr ungewollt den Sammler auf den Hals gehetzt hatte?   „Ich bin auf ihrer Seite“, meinte Matt kühl und nickte zu Abby herüber, die sich sofort von ihm abwandte. „Ich habe genug mit Anya erlebt, um zu wissen, wie sehr sie darum kämpft, frei zu sein.“ „Du glaubst ihr tatsächlich!?“, schoss es aus dem entsetzten Alastair heraus, der seinen Freund daraufhin an den Schultern packte. „Obwohl sie dich erst neulich hinterhältig hintergangen hat!?“ „An ihrer Stelle hätte ich vielleicht genauso gehandelt, es war eine Panikreaktion!“, erwiderte Matt stur und riss sich von Alastair los. „Außerdem wäre ich an deiner Stelle nicht so vorlaut, du bist an allem Schuld! Du hast Anya in die Arme Levriers getrieben! Du bist der Allerletzte, der hier etwas zu sagen haben sollte!“ Getroffen von Matts Worten schritt Alastair zurück. In seinem vernarbten Gesicht stand ein regelrechter Schock geschrieben, schien er nie damit gerechnet zu haben, jemals von Matt so strikt abgewiesen zu werden. „Ich glaube auch an Anya.“ Jene wirbelte schockiert um, genau wie Valerie, als Marc die Blondine freundlich ansah. „Aus eigener Hand weiß ich, was für schreckliche Dinge man zu fühlen beginnt, wenn man keinen Gedanken mehr fassen kann, ohne einen Dämon im Nacken zu haben.“ Marc hob seine rechte Hand an und betrachtete sie betrübt, ehe er eine Faust ballte. „Nichts ist schwerer als die, die man liebt, zurückzulassen. Aber sie zu opfern? Ein Mensch wie Anya, die ihren Freunden immer beigestanden hat, könnte das bestimmt nicht. Und jeder, der etwas anderes sagt, wird wohl oder übel mit mir aneinander geraten.“ Sowohl aus Anyas, als auch Valeries Mund schoss es: „Marc!“ Jener richtete seinen gütigen Blick auf Anya. „Keine Sorge, wir helfen dir schon irgendwie.“ „D-danke“, antwortete das blonde Mädchen und wich dem Blick des hochgewachsenen, dunkelhaarigen Footballspielers beschämt aus. Dass der Mann, den sie einst geliebt und aus verletztem Stolz getötet hatte, jetzt für sie sprach, trieb sie an die Grenzen ihres Gewissens. Wie konnte sie das jetzt noch durchziehen!?   Deine Worte spalten wirklich die Lager, Anya Bauer. Wäre der Hintergrund nicht so ernst, würde ich mich tatsächlich amüsieren. Denke ich.   „Fragen wir doch unsere Paktpartner, was sie davon halten!“, gab sich Alastair derweil noch nicht geschlagen. „Meiner hat kein Problem damit“, zuckte Matt mit den Schultern, „Eden interessiert ihn nicht, aber er meint, dass er ebenfalls so eine Falle stellen würde, wenn er Anya wäre.“ Alastair richtete sich mit finsterem Blick an Valerie. „Und was sagt die Heilige Johanna von Orléans?“ Valerie stammelte verdutzt: „Woher wissen Sie-!?“ „Antworte einfach!“ Geschlagen blickte das schwarzhaarige Mädchen auf das Parkett unter ihren Füßen. „Sie sagt, wir sollen Anya vertrauen.“ „Tch, sie ist kein bisschen besser als Refiel!“, fluchte Alastair empört und verriet sich damit ungewollt. Matt grinste keck und verschränkte die Arme. „Sieh an, ist sich das Traumpaar neuerdings uneins?“ „Ich habe dir bereits mehrmals gesagt, dass ich keine Marionette des Himmels bin!“ „Ich wünschte, ich könnte meinen fragen“, murmelte Marc dabei zu Valerie und Anya. Erstere streichelte ihrem Verlobten jedoch beruhigend über den Oberarm. „Sei froh, dass du es nicht kannst. Isfanel ist ein Monster. Und wie seine Meinung ausfallen dürfte, ist sowieso kein Geheimnis.“   „Hey, Pennerkind“, donnerte Anya plötzlich und sah herüber zu Henry, der zwischen Abby und Nick saß. „Ja?“, schaltete sich jedoch Orion auf Nicks Kopf ein. „Was gibt’s, meine süße Tsundere? Lust auf ein kleines Spiel mit dem Chickachecker?“ „Nicht du, der da!“ Anya zeigte ungeniert auf den brünetten, jungen Mann. „Du hast die ganze Zeit noch nichts gesagt. Was ist, traust du dich nicht?“ „Mich geht das nichts an“, erwiderte der tonlos. „Dir ist aber klar, dass deine Schwester Marisa gebraucht wird, oder!? Immerhin ist sie eine der fünf Zeugen!“ Sie sah ihn herausfordernd an. Innerlich erschrak Anya allerdings. Beinahe hätte sie Opfer statt Zeuge gesagt, auch wenn sie noch nicht wusste, ob seine Schwester wirklich das letzte Zahnrad im Edengetriebe darstellte. Die Wahrscheinlichkeit war jedoch sehr groß. „Das war mir schon klar, seit Melinda sich mit deinem Freund duelliert hat.“ Plötzlich erhob sich Henry und schritt an Anya vorbei. Mit gesenkter Stimme sagte er zu ihr: „Wenn du Eden wirklich stoppen willst, werde ich dir helfen. Ich und Melinda werden zum versprochenen Zeitpunkt da sein. Ich verlasse mich auf dich … und deinen Egoismus.“ Mit diesen merkwürdigen Worten verließ Henry ohne Verabschiedung die Küche und hinterließ eine Schar verdutzter junger Menschen.   „Melinda ist eine Zeugin der Konzeption?“, brach es aus Abby heraus, kaum war Henry verschwunden. Anya nickte grimmig. „Jep. Jemand anderes kommt nicht infrage.“ „Wie furchtbar“, stammelte ihre Freundin und schlug die Hände vor den Mund. „Aber warum will er der Dämonenbrut dann helfen!?“, verstand Alastair nicht. Sein Partner erklärte es. „Ganz einfach: Isfanel will Edens Zerstörung. Wenn er das erreicht, wird er Melinda sicherlich freigeben. Henry hat keine andere Wahl, als Anya zu vertrauen, denn er selber ist nicht imstande ihr zu schaden.“ „Genau wie ich“, murmelte Valerie, „weil Joan ein Engel ist. Ansonsten …“ „Tch! Sie ist ein gefallener Engel und dazu Verräterin!“, stellte sich Alastair völlig unerwartet gegen die unfreiwillige Gastgeberin. „Sie ist-“ „Du weißt gar nichts!“, ließ jene das nicht auf sich sitzen. „Sie wurde-“ „Auszeit!“, polterte Matt aufgebracht dazwischen, dem klar geworden war, dass eine kollektive Entscheidung hier nicht getroffen werden konnte. „Diesen Himmelskram könnt ihr unter euch regeln!“   Stöhnend schwang er sich vom Schrank aus herüber zu Anya und stellte sich neben sie. Dabei hielt er die Arme weiterhin verschränkt und sah jeden aus der Runde streng an. „Ob Anya lügt oder nicht muss jeder für sich selbst entscheiden. In genau einer Woche wird der Turm von Neo Babylon auf eurem Schulgelände erscheinen, das ist Fakt. Wenn dieser Tag gekommen ist …“ Plötzlich wandte Matt sich mit einem mitfühlenden Gesichtsausdruck an Anya. „... wirst du wissen, wer deine wahren Freunde sind.“ Das Mädchen vermied direkten Blickkontakt. „Yeah …“ Matt richtete sich wieder an die anderen. „Wer Angst hat, ist nicht gezwungen zu kommen. Aber denkt alle daran, dass ihr Anya auf dem Gewissen haben werdet, wenn sie ohne uns den Turm betritt. Sie ist die Letzte, die sterben will. Was passieren wird, wenn sie zu Eden wird. Denkt darüber nach, wenn ihr am 11. November entscheiden müsst, ob ihr mit ihr zusammen den Turm betretet oder nicht.“ Betroffenes Schweigen erfüllte daraufhin die Küche. „Danke“, brachte Anya unter größten Mühen ihre Gefühle Matt gegenüber zum Ausdruck. Der aber winkte ab. „Keine Ursache. Auf mich kannst du zählen. Weißt du, wie Eden getötet werden kann?“ „Nein … aber ich denke, dein alter Plan dürfte aufgehen …“ „Also Sprengstoff“, überlegte Matt und griff sich ans Kinn. „Gut, ich werde das Zeug besorgen.“ Die Blondine atmete tief durch, ehe sie zweimal in die Hände klatschte. „Also schön, die Pressekonferenz ist vorbei! Ihr habt den Mann gehört! Und wehe, auch nur eine von euch Napfsülzen lässt mich hängen! Denjenigen werde ich persönlich abholen und in den Turm schleifen, kapische!?“   Du warst zwar nicht sonderlich glaubwürdig, aber ich denke, Matt Summers Einsatz könnte sich ausgezahlt haben. Tu nur nie wieder so etwas Dummes, Anya Bauer. Das nächste Mal werde ich nicht zusehen, wie sich die Dinge entwickeln.   In Wirklichkeit hatte Levrier nur Angst, dass er sie nicht gut imitieren konnte, dachte dessen Gefäß daraufhin wütend, sah sich jedoch gezwungen, den Ärger in Anwesenheit der anderen herunterzuschlucken. Stühlerücken ertönte. Abby und Nick waren aufgestanden und gingen jetzt auf Anya zu. Das brünette Hippiemädchen nahm sich Anyas Hand und drückte jene fest mit den ihren. „Kopf hoch, alles wird gut werden. Das hast du prima gemacht.“ „Huh?“ Abby lächelte sie aufmunternd an. „Den Mut zu haben, sich so offen ins Kreuzfeuer zu stellen … dafür hast du meinen Respekt. Wir alle wissen insgeheim, dass du uns nicht verraten würdest. Du bist zwar, entschuldige, etwas gewöhnungsbedürftig, aber bestimmt nicht das Monster, für das Alastair dich hält.“ „D-danke.“ Also schien sie doch nichts zu ahnen. „Ich gehe nachhause und werde mit Henry reden. Ich mache mir Sorgen um ihn. Er braucht wohl jetzt jemanden, mit dem er reden kann.“ Anya nickte knapp. „'kay, mach das.“ „Ich gehe auch. Spongebob läuft gleich“, gluckste Nick unbekümmert wie eh und je. So verabschiedete Anya die beiden schlechten Gewissens. Wie konnte sie Abby jetzt noch in die Augen sehen? Und wieso kümmerte sie das neuerdings überhaupt?   Doch als Alastair wie ein Sommergewitter an ihr vorbeirauschte, packte Anya diesen fest am Arm. „Du bleibst schön hier, Freundchen! Mit dir habe ich noch ein Hühnchen zu rupfen!“ Aber der Dämonenjäger riss sich sofort los. „Denk nicht, dass ich deinen Worten Glauben schenke, Schlangenzunge.“ „Hey“, schritt Marc ein und stellte sich zwischen die beiden. „Lass Anya zufrieden, klar?“ „Marc, ich bin oben. Ich hab Kopfschmerzen“, murmelte Valerie und schritt hinter Anyas Rücken an jener vorbei. Als sie auf gleicher Höhe waren, flüsterte sie dieser kaum merklich etwas zu: „Kein Wort darüber.“ Anya, sich verblüfft umdrehend, sah nur wie Valerie von der Tür aus um die Ecke bog.   Was hat sie damit gemeint?   Wenn sie das mal wüsste, dachte Anya ärgerlich. Aber Redfield konnte ihr in diesem Moment nicht gleichgültiger sein. Sie hatte noch etwas Wichtiges zu erledigen. „Wir gehen dann auch“, meinte Matt und klopfte Anya auf die Schulter. „Zieh nicht so'n Gesicht, das steht dir nicht. Wenn jemand wie du versucht, nachdenklich auszusehen, geht das meist in die Hose.“ „Was, soll das heißen, du-!?“ Allerdings war das der falsche Zeitpunkt für so etwas. „Warte gefälligst! Könntet ihr mich mitnehmen?“ Erstaunt blinzelte Matt. „Wohin denn?“ „Dorthin, wo Alastair mit Refiel seinen Pakt geschlossen hat.“ Der Hüne wurde sofort hellhörig. „Was willst du dort!?“ „Wirst du sehen, wenn wir da sind! Oder soll ich allen von deinem kleinen Geheimnis erzählen? Du weißt schon, Victim's Sanctuary, Gewitter …“ Und nicht zu vergessen Jonathans Leiche. Alastair wusste sofort, worauf sie hinaus wollte. „Du dreckige-!“ „Kann ich auch mitkommen? Ich denke, ich sollte Valerie jetzt lieber etwas Zeit für sich gönnen“, schaltete sich Marc ein. „Außerdem ist mir nicht wohl dabei, dich mit denen allein zu lassen, Anya.“ „V-von mir aus!“ Auch das noch! Wieso war der Kerl plötzlich so nett zu ihr, seit er wieder am Leben war!? Jetzt, wo sie kein Interesse mehr an ihm hatte!? „Wenn es dich glücklich macht“, meinte Matt mit ahnungslosem Schulterzucken. „Dann bringen wir euch beide eben dahin.“   ~-~-~   Kaum hatte Alastair den VW-Bus am Waldrand geparkt, stiegen Anya und Marc von der Ladefläche aus. Einige Meter weiter auf der Straße war irgendwo die Stelle, an der Jonathan durch Alastairs Hand gestorben war. Wie wirst du Alastair darauf ansprechen? Sein Misstrauen ist ohnehin groß genug und wenn du jetzt etwas Falsches sagst, wird er Matt am Ende nur damit anstecken.   „Lass das mal meine Sorge sein.“ „Was?“ Anya bemerkte Marcs verwirrten Gesichtsausdruck, als sie schon mal zu der Stelle vorgingen. „Nichts. Levrier wollte nur was von mir.“ „Oh … irgendwie beneide ich dich.“ Das Mädchen blieb abrupt stehen, woraufhin Marc es ihr gleichtat. „Wieso das denn!? Was gibt es denn an mir zu beneiden bitteschön!?“ „Nun“, sagte er und ließ den Kopf hängen, „du hast jemanden an deiner Seite, der dich führt. Alle haben diese Geister, denen sie vertrauen. Aber ich habe meinen verloren.“ Er sah wieder auf und lächelte gequält. „Versteh mich nicht falsch, Isfanel ist ein kaltblütiges Monster. Und ich würde sicher auch nicht mit dir tauschen wollen. Es muss schwer sein, Levrier zu unterdrücken, oder?“ „J-ja. Sehr schwer.“ „Aber dennoch. Er würde alles tun, um dich zu beschützen. Die Dinge sind nicht so einfach, wenn man auf sich gestellt ist.“ Anya blinzelte verdutzt. War das, was Marc fühlte? Fühlte er sich einsam, weil Isfanel nicht mehr da war? Oder ging es ihm am Ende nur darum, dass ihm jemand den Weg wies, damit er selbst nicht nachdenken musste? „Pff! Sei froh, dass du ungestört deine eigenen Entscheidungen treffen kannst! Außerdem hast du Valerie. Was brauchst du mehr?“ Marc lachte. „Da hast du recht. Danke, Anya.“   Indes hatten Alastair und Matt zu ihnen aufgeschlossen, sodass sie zusammen die letzten Meter zu der Stelle nahmen. „Hier habe ich mich mit dem Sammler duelliert“, meinte Anya, zeigte vor ihnen auf die Brandflecken überall auf dem Asphalt und der Steinmauer, die zu der höher gelegenen Ebene gehörte, auf der sich die Wohnhäuser befanden. Alles war durch die Polizei mit einem Absperrzaun gesichert worden. „Verdammt“, staunte Matt, „das sieht ja nach 'nem heftigen Kampf aus.“ „Pah! Und das wolltest du uns zeigen?“, herrschte Alastair Anya an. Die drehte sich mit grimmiger Miene zu ihm um. „Nein, Narbengesicht! Hier irgendwo liegt dein verdammtes, abgetragenes Elysion! Und solange das nicht in tausend Teile zerscheppert, wird die Tür zum Turm sich nicht öffnen.“ Sie machte eine scheuchende Handbewegung. „Also husch husch, mach das Drecksteil kaputt, damit ich nachhause kann!“ „Wovon redest du da, Dämonenbrut!?“ „Sie hat recht“, meinte Matt nachdenklich und fasste sich ans Kinn, „mein Dämon hat genau das gerade gesagt. Das Elysion, welches du vor dem Pakt besessen hattest, ist in der Nähe. Aber vollkommen intakt, obwohl du bereits ein Neues besitzt.“ „Und warum sollte ich auf sie hören!?“ „Weil sie es besser weiß als du!“, stellte sich Marc wieder beschützend vor Anya. „Sei kein Idiot!“ Alastair verzog grimmig das Gesicht. „Und wer bist du, dich hier einzumischen? Immerhin hat dieses Mädchen dich-“ Doch Anyas gezielter Faustschlag auf Alastairs breiten Kiefer ließ diesen verstummen, ehe er aussprechen konnte, was Marc niemals erfahren durfte. Sich die Wange haltend, starrte der schwarzhaarige Dämonenjäger im roten Mantel das Mädchen hasserfüllt an. Dabei spuckte er zur Seite, ehe er zischte: „Wie kannst du es wagen!?“ „Hey, lasst den Mist!“, schritt nun Matt zwischen die Streithähne. An Anya gewandt, fragte er: „Was soll er tun, damit das Elysion zerbricht?“   Er vertraut dir wirklich, trotz der Sache mit dem Jinn. Er ist wahrlich naiv.   „Ich habe keine Ahnung“, brummte Anya und verfluchte Levrier innerlich, welcher ihr ohnehin schon schlechtes Gewissen mit aller Macht noch mehr reizen wollte, wie es schien. „Als ob ich der Dämonenbrut helfen werde!“ „Das wirst du!“, schrie Marc nun aufgebracht. „Du hast den Albtraum angefangen, also wirst du alles tun, um ihn wieder zu beenden!“ Alastair grinste finster und lachte abfällig auf. „Zwing mich doch!“ Daraufhin griff Marc nach etwas hinter seinem Rücken und zog ein Deck hervor. „Wenn du darauf bestehst!“ „Ein Duell?“, wunderte sich Anya beim Anblick der Karten. „Sicher.“ Marc hielt den Blick starr auf seinen potentiellen Gegner gerichtet. „Oder soll ich lieber die Fäuste sprechen lassen? Damit hätte ich zwar auch kein Problem, aber Gewalt war noch nie die Lösung.“ Anya lachte auf. Was für eine Verschwendung. Ein Kerl wie er passte doch gar nicht zu Redfield. Die verstand nichts vom Stolz eines Sportlers, obwohl sie selbst im Eishockeyteam war. Marc wollte für sein Team gewinnen, völlig gleich, ob es nun Duel Monsters oder Hockey oder ein Kampf Mann gegen Mann war. In dem Fall war sie sein Team. Aber Anya wusste, dass sie die Schlacht um ihn längst verloren hatte. Sie zuckte genervt mit den Schultern. „Tu, was du nicht lassen kannst. Aber sei vorsichtig, der Typ ist nicht ohne.“ Matt seinerseits fasste sich stöhnend an den Kopf. „Junge, wieso werde ich immer in die Streitigkeiten anderer reingezogen?“ „Du hast einfach die falschen Freunde“, erwiderte Anya neckisch. Und erkannte, dass sie damit auch sich selbst meinte. Woraufhin sie etwas auf Abstand ging, als sich Marc und Alastair bereit zum Duell machten. Der jüngere Dämonenjäger gesellte sich neben sie. „Eher habe ich meine Freunde schlecht erzogen“, meinte er scherzhaft. „Aber bei dir ist sowieso Hopfen und Malz verloren.“ „Was dachtest du denn?“ Anya sah dabei bewusst in den Himmel, der bereits in tiefem Rot stand. Ja, bei ihr war wirklich alles verloren … verdammt, langsam war es doch mal gut!   Alastairs weißes D-Pad klappte inzwischen aus, als er und sein Gegner sich auf der Straße gegenüber standen. „Von so einem Grünschnabel wie dir lasse ich mich nicht herumkommandieren. Ich frage mich, was dein Dämon wohl hierzu sagen würde, wenn er noch hier wäre?“ „Dass ich dir in den Arsch treten soll!“ Marc aktivierte seine Duel Disk und schob sein Deck in den dafür vorgesehenen Schacht. Derweil betrachtete Alastair ihn missmutig. Es war unmöglich, dass dieser Bursche überhaupt vor ihm stand. Anya hatte ihn getötet, der Blutzoll der kämpfenden Dämonen hatte sein Leben eingefordert. Wie konnte er jetzt wieder leben? Anya Bauer wusste die Antwort, dessen war sich Alastair sicher. Hatte sie mit dem Sammler gehandelt, um ihn zu reanimieren? Törichtes Gör! Sie brachte nichts als Unglück mit sich. Mit einer Dämonenbrut wie ihr würde er niemals zusammenarbeiten! „Duell!“, riefen beide schließlich.   [Marc: 4000LP / Alastair: 4000LP]   „Ich übernehme den ersten Zug“, stellte Alastair klar und zog gleich sechs Karten auf einmal. Sein Gegner fuhr sich über den Spitzbart und nickte mit entschlossener Mimik. „Nur zu. Die Ersten werden die Letzten sein.“ „Tch!“ Mit seinen albernen Pseudoweisheiten konnte er vielleicht eine Anya Bauer beeindrucken, nicht aber einen gestandenen Dämonenjäger wie ihn! „Sieh dich vor! Ich rufe [Vylon Cube]!“ Unter einem lauten Surren tauchte ein würfelartiges, schwebendes Objekt vor Alastair auf. Zwei Arme schossen aus seinen Seiten, als er Marc mit einem Laserstrahl zu scannen begann.   Vylon Cube [ATK/800 DEF/800 (3)]   „Kein Grund zur Sorge“, gab dieser daraufhin von sich. „Dann sieh zweimal hin! Ich aktiviere die Magie [Celestial Transformation], um ein Feen-Monster von meiner Hand zu beschwören! Es verliert dabei die Hälfte seiner Offensivstärke und wird am Ende des Zuges vernichtet.“ Alastair lächelte jedoch finster, als er das Monster auf sein D-Pad legte. „Nicht, dass es etwas bedeuten würde, bei dem was ich vorhabe. Erscheine, [Vylon Hept]!“ Noch eine dieser befremdlichen Kreaturen erschien neben dem Würfel. Diese hier ähnelte jedoch vielmehr einem mechanischen Engel mit seinen goldenen Schwingen und dem Körper aus Stahl, der sich besonders durch die massiven Arme und fehlenden Beine des Wesens hervor tat.   Vylon Hept [ATK/1800 → 900 DEF/800 (4)]   Alastair ballte eine Faust, die er in den Himmel streckte. „Mach dich bereit …“ Dabei fragte Anya Matt unauffällig: „Seit wann benutzt ihr Duel Disks? Ihr habt doch diese komischen Hokuspokus-Karten dafür?“ Der lachte aber nur amüsiert. „Glaubst du, die benutzen wir jedes Mal, wenn wir uns duellieren? Manchmal gibt es Situationen, in denen wir nicht gleich allen an den Kragen wollen. Dann nehmen wie diese D-Pads.“ Matt holte aus der Innentasche seines Mantels einen schwarzen, schmalen Apparat, der eher einem Tablet-Computer mit Schnalle ähnelte, denn einer Duel Disk. „Die sind extrem teuer im Laden, aber auf dem Schwarzmarkt kann man sie sich recht günstig besorgen.“ „Tch, ich brauche so'n Scheiß nicht. Ich bleib bei meiner Battle City-Duel Disk.“ „Das verlodderte Ding?“ Anya stampfte wütend auf. „Hey, das ist'n Erinnerungsstück meines Vaters! Mach dich drüber lustig und ich zeig dir, wie stabil das Ding ist! Und zwar, wenn ich dir damit die Rübe glattbügle!“ Mit erhobenen Händen wich Matt von ihr. „Schon gut, tut mir leid. Da hab ich wohl glatt 'nen Nerv getroffen …“   „Ich stimme meinen Empfänger [Vylon Cube] Level 3 auf [Vylon Hept] Level 4 ab!“, rief Alastair aus voller, tiefer Kehle. „Infinite potential lies within the heart of steel. Cover this infected world with your sacred wings! Synchro Summon! [Vylon Delta]!“ Der Würfel stieg hoch in die Luft und zersprang in drei grüne Ringe, welche der mechanische Engel durchquerte. Ein greller Lichtblitz erhellte die gesamte Straße. Marc zeigte sich jedoch nicht gerade überwältigt von Alastairs Synchromonster. Hinter den gewaltigen, silbernen Stahlschwingen, die dieser neue Maschinenengel schützend um seinen Körper hielt, erblickte er gewaltige Fäuste. Der Leib des Wesens endete in einer rot glühenden Spitze, um die drei goldene Ringe schwebten. Elegant stieg es aus der Luft hinab und breitete sich in seiner massiven Größe vor Alastair aus.   Vylon Delta [ATK/1700 DEF/2800 (7)]   „Dadurch, dass [Vylon Cube] für die Synchrobeschwörung eines Licht-Monsters als Empfänger benutzt wurde, erhalte ich eine Ausrüstungsmagie von meinem Deck“, erklärte Alastair angespannt und zeigte [Vylon Material] vor. Diese tauschte er mit einer Falle von seinem Blatt aus, welche er im Anschluss auf sein D-Pad legte, um sie einscannen zu lassen. „Diese Karte verdeckt. Damit beende ich meinen Zug und erhalte durch [Vylon Deltas] Effekt noch eine Ausrüstungsmagie während meiner End Phase von meinem Deck.“ Noch während sich seine Falle vor ihm materialisierte, zückte Alastair eine zweite Kopie von [Vylon Material] und fügte sie seinen drei anderen Karten hinzu. Marc nahm es gelassen und fragte herausfordernd: „Was ist? Ich habe noch nicht einen Zug hinter mir und du gehst schon in die Defensive?“ „Rede nicht von Dingen, die du nicht verstehst, Fehlschlag.“   „Fehlschlag!?“, wiederholte Anya erschrocken Alastairs Beleidigung. Sie wusste genau, warum er das tat – weil Marc daran gescheitert war, sie umzubringen. „Dieser Dreckskerl!“ Doch der schwarzhaarige Footballspieler warf Anya nur einen selbstsicheren Blick zu. „Keine Sorge, so etwas verletzt mich nicht.“ Wieder an seinen Gegner gerichtet rief er: „Mein Zug!“ Schwungvoll riss Marc eine Karte von seinem Deck und grinste. „Prima, noch ein Monster! Dann wird das ja funktionieren!“ Er griff nach einer anderen Karte aus seinem Blatt. „Los, ich schicke [Laval Magma Cannoneer] in den Ring!“ Vor ihm materialisierte sich ein Soldat aus blauem Gestein. Geschultert hatte er zwei große Kanonen, die mit jeweils einem Schlauch mit seinem Rückgrat verbunden waren.   Laval Magma Cannoneer [ATK/1700 DEF/200 (4)]   Kaum war sein Monster auf dem Feld, schob Marc schon zwei Karten in seinen Friedhofsschacht, darunter auch seine soeben gezogene. „Zweimal pro Zug nimmt [Laval Magma Cannoneer] meinen Gegner unter Beschuss, wenn ich ihm die passende Munition liefere. Laval-Monster! Das kostet dich pro Treffer 500 Lebenspunkte!“ Je ein Abbild der Karten von [Laval Enchanter] und [Laval Lakeside Lady] tauchten vor Marcs Monster auf, verwandelten sich in rote Kugeln und verschwanden dann in den Kanonenrohren. Nur um dann in Form von mächtigen Lavastrahlen auf Alastair abgefeuert zu werden. Dieser hob zum Schutz seinen Arm, obwohl er von Marcs Angriffen nichts zu befürchten hatte. Zwei explosive Einschläge erschütterten sein Spielfeld.   [Marc: 4000LP / Alastair: 4000LP → 3000LP]   „Wow, er geht richtig zur Sache! Los Marc, weiter so!“, feuerte Anya ihn begeistert an.   Wirst du rückfällig, was die Schwärmerei für ihn angeht, Anya Bauer?   „Nein“, murmelte die leise, „dieses Mal ist es anders, als du denkst …“ Gleichzeitig zückte Marc eine Fallenkarte von seiner Hand zeigte sie vor. „Die hier aktiviere ich jetzt, [Dustflame Blast]!“ „Narr!“, erwiderte Alastair und schwang, als sich der Rauch lichtete, den Arm aus. „Fallenkarten müssen einen Zug vor ihrer Benutzung gesetzt werden!“ „Und du denkst, das weiß ich nicht!? Dann schau dir doch mal den Effekt meines [Laval Enchanters] an.“ Der Aufforderung mürrisch folgend, tippte Alastair auf seinem D-Pad das Icon des Friedhofs seines Gegners an, wählte besagtes Monster aus und weitete die Augen, als er dessen Effekt durchlas. „Unmöglich!“ „Und wie das möglich ist! Da er durch eine Laval-Karte auf den Friedhof geschickt wurde, kann [Laval Enchanter] für diese Runde eine Falle von meiner Hand aktivieren.“ Hinter Marc tauchte das Abbild einer wunderschönen Frau mit flammendem, blauem Haar auf, die ein enges, schwarzes Kostüm am Leib trug und ihre Hände in denselben blauen Flammen aufgehen ließ. Ihr Besitzer zeigte seine Falle vor: „[Dustflame Blast] verbannt alle Laval-Monster aus meinem Friedhof, um dieselbe Anzahl an Karten auf dem Spielfeld zu vernichten. Unnötig zu erwähnen, wer bei nur zwei Monstern der Hauptleidtragende ist!“ Alastair stieß einen widerspenstigen Schrei aus, als zwei flammende Kugeln aus dem Himmel auf ihn herab schossen und eine gleißende Explosion auslösten. Derweil schob Marc die zuvor abgeworfenen Monster in seine Hosentasche. „Dumm gelaufen, was?“ Als der Rauch sich lichtete, war Alastairs Feld vollkommen leer. Jener ballte wütend eine Faust, konnte jedoch seine Abscheu Marc gegenüber gar nicht zum Ausdruck bringen und fluchte deshalb nur laut.   Er mag zwar nicht mehr mit Isfanel verbunden sein, aber seinem Duellstil hat das scheinbar nicht geschadet. Marc Butcher ist noch genauso gefährlich, wie damals in deinem Tag Duell gegen ihn und Valerie Redfield oder als wir gegen ihn gekämpft haben.   „Yeah“, war alles, was Anya dazu zu sagen hatte. Marc schien aber noch nicht fertig mit seinem Zug zu sein. „Ich aktiviere jetzt von meiner Hand die Zauberkarte [Molten Conduction Field], um gleich zwei Laval-Monster von meinem Deck auf den Friedhof zu legen.“ Er trennte sich von [Laval Miller] und [Laval Volcano Handmaiden]. Kaum hatte er dies getan, ertönte eine schrille Lache, und unter Funken kam vor ihm eine flammende Gestalt eines jungen Mädchens zum Vorschein. „Das ist [Laval Volcano Handmaidens] Effekt!“, erklärte Marc dazu voller Eifer. „Wird sie auf den Friedhof gelegt, sofern noch andere Laval-Monster wie der Miller dort liegen, schickt sie noch einen Artgenossen dorthin. Was eine Handmaiden sein wird, die ihrerseits noch eine Handmaiden abwirft, welche zum Schluss [Laval Forest Sprite] mit ins Unglück stürzt!“ So schob Marc schließlich dank nur einer Karte gleich fünf Monster in den Friedhofsschlitz seiner Duel Disk. Seine letzte Handkarte zückend, rief er bestimmend: „Letztere wird jetzt vom Friedhof auferstehen! Ich aktiviere [Monster Reborn]!“ Eine kleine Gestalt tauchte neben dem Kanonier auf. Arme und Beine des rothaarigen Mädchens, welches eine Kapuze trug, glühten rot auf.   Laval Forest Sprite [ATK/300 DEF/200 (2)]   Marc streckte nun den Arm weit aus. „Und jetzt stimme ich meinen Stufe 2-Empfänger [Laval Forest Sprite] auf meinen Stufe 4-[Laval Magma Cannoneer] ab!“ Zeitgleich flogen seine Monster in die Luft, wobei sich das Mädchen in zwei grüne Ringe aufspaltete. „A spark lights the otherworldly flame of destruction! An inferno of tragedy unfolds! Synchro Summon! Ignite, [Laval The Greater]!“ Kaum hatte der Kanonier diese Ringe passiert, blendete ein heller Lichtblitz die Duellanten. Rote und blaue Flammen kreisten um Marc, zischten dann nach vorn und verschmolzen zu einer Flamme, aus der eine humanoide Gestalt entstand. Deren Körper bestand aus blauem Gestein, das von jeweils rotem und blauem Feuer von den Armen ausgehend umhüllt wurde.   Laval The Greater [ATK/2400 DEF/800 (6)]   „Wenn [Laval The Greater] als Synchrobeschwörung gerufen wird, müsste ich normalerweise eine Handkarte abwerfen.“ Marc lächelte zufrieden. „Nur habe ich schon alle verbraucht. Also überspringen wir das einfach und kommen zu [Laval Forest Sprite], die, wenn sie vom Feld auf dem Friedhof landet, allen offenen Laval-Monstern einen netten Angriffsschub verpasst. 200 für alle Artgenossen auf dem Friedhof, worin sie selbst ebenfalls mit inbegriffen ist. Was bei immerhin sechs Laval-Monstern ganze 1200 Punkte macht!“ Die Flammen, die um Marcs Monster schlugen, explodierten förmlich und breiteten sich zischend über die ganze Straße aus.   Laval The Greater [ATK/2400 → 3600 DEF/800 (6)]   Anya stieß einen zufriedenen Schrei aus. „Das war's, Narbenfresse!“ „Ganz richtig!“ Marc streckte den Arm aus. „[Laval The Greater], direkter Angriff! Otherworld Flame!“ Der Dämonenjäger seinerseits weitete die Augen, als er zusah, wie das Monster eine Flamme zwischen seinen Händen bündelte, die aus blauem und rotem Feuer bestand. Feuer, wie damals, als er seine Familie durch Anothers Hand verloren hatte! [Laval The Greater] schoss die Flamme wie eine Kanonenkugel auf Alastair ab, welcher einen unmenschlichen Schrei ausstieß. Sein ganzes Feld wurde durch die Attacke in Brand gesetzt. Kurz bevor die Flamme ihn jedoch berührte, prallte sie an einem unsichtbaren Kraftfeld ab, erzeugt von drei kleinen Maschinen, wurde gespalten und versengte stattdessen die umliegenden Bäume des anliegenden Waldes und die Straße – natürlich nur im Maße einer Hologrammsimulation. „Was!?“, stieß Marc einen entsetzten Schrei aus. „Der Angriff ist verpufft!?“ Schwer atmend stand ihm Alastair gegenüber, sein Gesicht gezeichnet durch die Erinnerungen seiner Kindheit und den damit verbundenen, unbändigen Hass. „Solche wie du werden mich niemals zu Fall bringen!“ „[Delta Shield]“, sprach Matt weiter, um zu erklären, was geschehen war. „Ich habe es gesehen, Alastair hat sie kurz vor der Explosion, die sein Spielfeld vernichtet hat, angekettet. Das hat er schon bei mir getan und sich damit vor einem Angriff gerettet. Das siehst du auch daran, dass er eine Karte mehr auf der Hand hat, als noch vorhin. Einer der Effekte von [Delta Shield] besagt, dass er, wenn er ein Stufe 5 oder höher-Monster als Ziel für die Aktivierung auswählt, eine Karte ziehen kann.“ Als Anya und Marc erschrocken nachzählten, stellten sie fest, dass Alastair tatsächlich nun fünf Karten besaß. „Zug beendet“, knurrte der Footballspieler, dem es leider an Handkarten mangelte, um sich auf Alastairs nächsten Zug vorzubereiten. Welchen es gar nicht hätte geben dürfen!   „Einem wie dir werde ich mich niemals beugen, Dämonenfreund!“, schrie Alastair förmlich und riss seine Karte vom Deck. „Und ich werde nicht einmal die Macht des Heiligen Refiels brauchen, um dir eine Lektion zu erteilen!“ „Heißt, er schummelt nicht“, rief Anya böswillig in Marcs Richtung. Doch dessen Aufmerksamkeit war ganz auf seinen Gegner gerichtet, der außer sich schien vor Wut. Dabei hatte er diesem doch gar nichts getan. Oder etwa doch? Alastair knallte ein Monster auf sein D-Pad. „Erscheine, [Vylon Pentachloro]! Und verdreifache dich dank der Magie [Machine Duplication]!“ Vor ihm formte sich ein metallisches Wesen langsam zu einer Gestalt. Erst war da der fünfeckige Körper aus dunklem Stahl, dann die zwei Arme und letztlich ein goldener, radähnlicher Kopf. Aus ihm schossen zwei Abbilder seiner selbst und nahmen rechts und links neben ihm feste Form an.   Vylon Pentachloro x3 [ATK/500 DEF/400 (4)]   „Ich erschaffe das Overlay Network! Xyz-Summon“, schrie Alastair und streckte den Arm in die Höhe. Seine drei Monster verwandelten sich in gelbe Lichtstrahlen. Ein schwarzes Loch tat sich inmitten des Spielfelds auf und sog jene Strahlen ein. Dafür trat eine gar grausige Gestalt daraus hervor, um welche drei Lichtsphären tanzten. Es war, als wäre diese Kreatur aus den Tiefen der Finsternis selbst entsprungen. Dunkel und bösartig war die Grimasse des Wesens, dessen überdimensional großer Kopf auf zwei miteinander verbundenen, quadratischen Plattformen lag. Aus den langen Armen, die aus seinem Kopf ragten, schoss ein ganzes Bataillon an schwarzen Klingen. „Vernichte meine Feinde, [Vylon Disigma]“, brüllte Alastair aufgebracht.   Vylon Disigma [ATK/2500 DEF/2100 {4}]   „Wieso ist er plötzlich so wütend?“, fragte Anya irritiert. Unter diesen Umständen könnte es passieren, dass Alastair etwas sehr Dummes tat. Zum Beispiel sein Monster zu einer noch grauenvolleren Kreatur zu inkarnieren. Aber konnte er das mithilfe eines Engels überhaupt? Matt seufzte. „Ich denke, Marcs Angriff erinnert ihn an den Tag, an dem er seine Eltern verlor. Du musst wissen, ein Dämon namens Another hat sie, als Alastair noch ein Kind war, grausam in ihrem eigenen Haus verbrannt. Daher hat er auch all die Narben.“ „Oh …“ Anya erinnerte sich, bemerkte dabei nicht den Blick voller Schuld des Dämonenjägers. Es war ihre erste Begegnung mit Alastair und dem Duell, das sie letztlich nur durch eine List gewann, indem sie genau jene Schwachstelle, den Namen Another, ausgenutzt hatte. Durch dieses Duell war die halbe Aula eingestürzt. Nachdenklich rief sie Marc schließlich zu: „Sei bloß vorsichtig! Das Narbengesicht dreht jetzt vollkommen am Rad!“ Voller Eifer riss Alastair eine der Kopien von [Vylon Pentachloro] unterhalb seines Xyz-Monsters hervor. „Effekt von [Vylon Disigma]! Es absorbiert ein beliebiges offenes Monster meines Gegners und kann fortan nie wieder durch Kreaturen derselben Elementklasse besiegt werden!“ Disigma öffnete sein schreckliches Maul und sog alle Flammen auf, die sich in der Umgebung ausgebreitet hatten. Auch [Laval The Greater] selbst konnte sich des starken Soges nicht erwehren und endete letztlich im Schlund der grauenhaften Kreatur, verschwand einfach. Als Folge verfärbte sich einer der Lichtsphären um Disigma rot. „Mein Monster“, stieß Marc erschrocken hervor. Das Blatt hatte sich unerwartet für ihn gewendet und nun war er es, der ohne Karten auf Spielfeld und Hand dastand. „Ich bin noch nicht fertig!“, rief Alastair weiterhin und hielt drei Zauberkarten mit demselben Bild in die Höhe. „Diese Karten werden Disigmas Offensivmacht um jeweils 600 erhöhen! [Vylon Material]!“ Anyas Augen weiteten sich. „Gleich drei auf einmal!?“ Um Disigma entflammte eine weiße Aura, die regelrecht blendete.   Vylon Disigma [ATK/2500 → 4300 DEF/2100 {4}]   „Das ist … genug, um mich …“, brach Marc brockenhaft hervor. Doch schon hatte er Alastairs Finger auf sich zeigend. Jener starrte ihn voller Missgunst an, schien sich jedoch wieder beruhigt zu haben. „Merke dir eines für die Zukunft, Freund der Dämonin. Ich werde mich euch niemals unterwerfen. Und nun erfahre die Kraft Gottes! [Vylon Disigma], Sacred Black Obliteration!“ Seine Kreatur erschuf zwischen ihren Händen einen schwarzen Energiespeer, welchen sie ergriff und mit aller Kraft in Marcs Richtung schleuderte. Der konnte nicht einmal einen Schrei ausstoßen, da wurde er schon direkt in die Brust getroffen. Wodurch der Speer in einer schwarz-violetten Energiekuppel explodierte.   [Marc: 4000LP → 0LP / Alastair: 3000LP]   Disigma verschwand in schwarzen Partikeln, während sich die Kuppel allmählich aufzulösen begann. Entsetzt schrie Anya: „Marc!“ Doch Matt legte ihr seine Hand auf die Schulter. „Ihm ist nichts passiert. Alastair würde keinen Unschuldigen töten. … denke ich zumindest.“ Denn für einen Moment hatte es tatsächlich nach dem Gegenteil ausgesehen. Als die Auswirkungen der Explosion endgültig nachgelassen hatten, stand Marc immer noch und fasste sich an die Stelle, durch die der Speer in seinen Leib gedrungen war. Die Hand betrachtet, murmelte er unzufrieden. „Ich habe verloren …“ Alastair schritt erhobenen Hauptes an ihm vorbei. „Was für eine Zeitverschwendung. Matt, wir gehen!“ „Sorry, ich beeile mich jetzt besser, ehe ich den ganzen Abend seiner schlechten Laune ausgesetzt bin, weil er mich als neues Opfer auserkoren hat“, verabschiedete Matt sich eilig von Anya und rannte seinem Partner hinterher. „Bye!“ Jene beobachtete still, wie die beiden in den VW-Bus stiegen und fortfuhren. Ihr tat Marc leid, wie er da mit vergrämter Miene auf der Straße stand und sich selbst bedauerte.   Anya Bauer! Das Elysion, es ist zersplittert!   Sofort schreckte sie auf. „Was!? Aber wie-!?“   Es ist in dem Moment geschehen, als er sein Paktmonster beschworen hat! Das muss der Grund sein, warum all die anderen Elysions zerstört waren, nur seines nicht. Damals, als er diesen Jungen getötet hat, muss er diese Karte nicht in dem Duell verwendet haben.   „Daran soll es gelegen haben!?“ Anya konnte das nicht glauben. Alastair hatte diese Karte sicher schon öfters eingesetzt, sie selbst hatte ihr doch gegenüber gestanden!   Eine andere Erklärung habe ich nicht hierfür. Aber es spielt keine Rolle, das letzte Elysion ist somit zerbrochen. Wir können jetzt tun, was der Sammler uns geraten hat und die Scherben deines Elysions mit der Energie der anderen aufladen!   Anya nickte zögerlich. „Vielleicht. Noch wissen wir nicht, wie das letzte Elysion aussieht. Redfields ist ja offensichtlich wie es sein sollte, im Arsch. Aber wenn das letzte auch noch nicht zerbrochen ist, stehen wir vor einem fetten Problem.“   Das finden wir nur heraus, wenn wir uns in die Kanalisation begeben.   „Anya?“ Das Mädchen schreckte auf, als Marc ihr mit deprimiertem Gesichtsausdruck entgegen kam. Er versuchte zu lächeln, aber als Sportler schien er sich mit dem Gedanken an eine Niederlage nicht so leicht anfreunden zu können. „Entschuldige, dass ich verloren habe. Es muss peinlich für dich gewesen sein. Ich dachte, ich tue dir einen Gefallen damit, aber-“ Anya winkte ab und stöhnte augenrollend. „Ist doch egal. Ich bin froh, dass dieser Mistkerl endlich weg ist.“ „Aber ist das okay?“ Sie wich seinem Blick aus. „Klar. Mir fällt schon was ein. Levrier hat noch 'ne Idee, wie wir das Ding auch ohne Alastairs Hilfe kaputt kriegen.“ Wieso log sie ihn deshalb überhaupt an, fragte sie sich nebenbei verwirrt. „Verstehe. Dann viel Glück. Und …“ Er zögerte, senkte den Blick. „Und wünsch mir Glück. Ich werde ab morgen nämlich wieder zur Schule gehen. Das wird ein echter Spießrutenlauf, nach dem Tag Turnier neulich.“ „D-du packst das schon.“ Anya schlug ihm kumpelhaft und doch ungeschickt zugleich mit der Faust gegen die Schulter. „Du bist immerhin der Star-Quarterback. Die werden sich schon einkriegen. Immer schön auf depri machen und sich überall entschuldigen. Im Nu ist alles wieder vergessen.“ „Ich hoffe es. Dann werde ich mal los, ehe Val sich Sorgen macht.“ „Ja, also dann. Bye …“ „Bye.“ Sie sahen sich noch kurz in die Augen, ehe Marc auf dem Absatz Kehrt machte und davon rannte.   Anya sah ihm mit betrübter Miene hinterher. Die Tatsache bedauernd, dass er niemals mehr für sie empfinden würde als jetzt in diesem Augenblick. Im Gegenteil. Wenn er erkannte, dass sie ihn und alle anderen betrogen hatte, würde er sie hassen. Er und alle anderen auch. Aber nur für einen kurzen Moment. Der vielleicht mehr wiegen würde als ihr ganzes Leben.   ~-~-~   Kaum war Nick in seinem äußerst unordentlichen Zimmer angekommen, schritt er herüber zu einem Haufen alter Wäsche und holte unter dem Berg ein schwarzes Schnurlostelefon hervor. „Das Genie behält selbst im Chaos den Überblick“, murmelte er abgelenkt, wählte eine Nummer und legte den Apparat ans Ohr. Kurz darauf hob eine Dame mit schriller Stimme ab. „Ja bitte?“ „Nina, ich bin es.“ „D-d-du!?“ Nicks Augen verengten sich zu Schlitzen. „Haben Sie die Adresse, die ich von Ihnen wollte?“ „Ich habe doch gesagt, dass das nicht so einfach ist! Der Autor konnte mir keine Adresse geben!“ „Und wie haben Sie das Problem gelöst?“, fragte Nick scharf. „Also, was das angeht …“ Die Frau lachte heiser, schien sie doch regelrecht in Panik zu geraten und plapperte plötzlich wie wild drauf los. „Ich habe ihn gebeten, ein Treffen für morgen zu arrangieren! Um halb Eins in einem kleinen Café im Einkaufszentrum!“ „Ich glaube ich weiß, welches Sie meinen“, murmelte Nick und betonte seine nächsten Worte mit aller Schärfe, „danke, Nina.“ „N-nicht doch! Ich habe doch versprochen, mich ein wenig umzuhören.“ „Aber erst, als ich Sie freundlich daran erinnert habe“, stellte Nick klar. „Dennoch haben Sie mir womöglich geholfen, eine Katastrophe zu verhindern.“ Sofort wurde die Frau am Ende der Leitung hellhörig, von Angst keine Spur mehr. „Wie meinen?“ „Nichts.“ Nina musste nicht wissen, was Anya im Begriff war zu tun. „Und er wird definitiv kommen? Der Verstoßene 'Edens'?“ „So sicher wie das Amen in der Kirche. Aber du solltest ein bisschen Geld mitbringen, das musste ich leider versprechen.“ „Wie viel?“ „30.000$“, nuschelte sie so leise und kleinlaut in den Hörer, als fürchte sie eine große Explosion als Antwort. Die blieb allerdings aus. „Sollte kein Problem sein. Ich hoffe, er kann uns weiterhelfen. Auch in Ihrem Interesse, Nina.“ Damit legte Nick auf und warf den Hörer auf den Wäschehaufen. So viel Geld würde einiges an Arbeit in Anspruch nehmen. Was eine schlaflose Nacht für ihn bedeutete.     Turn 26 – The Children Of Eden Nina Placatelli, welche nach der Sache mit Abby Nick noch einen Gefallen schuldete, hat für ihn am nächsten Tag ein Treffen arrangiert. Und zwar mit einem geheimnisvollen Mann namens Drazen, der laut dem Buch 'Thirty Legends – The Whole Truth' jener Verbannte aus der Stadt der Allerheiligsten, Eden, ist. Da Nick es jedoch nicht geschafft hat, die von Drazen für das Treffen angeforderten 30.000$ so kurzfristig als Bargeld zu beschaffen, besteht Drazen auf einen Deal. Wenn Nick gewinnt, erfährt er mehr über jene Stadt, die denselben Namen wie Anyas mysteriöses „Eden“ trägt. Verliert er, muss er ganze 100.000$ für Drazen besorgen. Was diesen Umstand noch erschwert ist die Tatsache, dass Nick nicht alleine gegen Drazen antreten kann, da … Kapitel 26: Turn 26 - The Children Of Eden ------------------------------------------ Turn 26 – The Children Of Eden     „Nick!“, drang eine schrille, sich überschlagende Stimme an das Ohr des jungen Mannes. Doch ehe der überhaupt die Augen öffnen konnte, wurde er am Schopf gepackt und sein Kopf hoch gerissen. „Ich dachte, du wärst längst in der Schule!“, donnerte seine Mutter. „Nicht, dass es einen Unterschied macht, ob du anwesend bist, oder nicht …“ „Hi, Mum“, grinste Nick und winkte ihr vors Gesicht. Die Frau im besten Alter, welches das komplette Gegenteil von Nick war – klein, mürrisch und ordentlich, was man besonders an den braunen, kurzen Haaren erkennen konnte, die im Vergleich zu Nicks wilder Mähne anständig frisiert waren – ließ den Kopf des jungen Mannes wieder auf seinen Schreibtisch fallen, sodass Nicks Schädel mit voller Wucht auf die Tastatur seines Laptops knallte. „Mach dich fertig!“, befahl sie in einem Tonfall, der verdächtig an eine gewisse Blondine erinnerte. „Ja, Mum …“, murmelte Nick, wobei seine Stimme von der Tastatur gedämpft wurde. „Mum? Wie spät ist es eigentlich?“ „Kurz nach zwölf. Deswegen beeil' dich gefälligst! Und mach dich gefälligst an Anya heran, damit ihr heiraten und nach Asien oder sonstwohin auswandern könnt!“ Das Knallen einer Tür verriet, dass der Weckdienst seiner Mutter hiermit beendet war. Nicks Augen fielen wieder zu. Noch bis ein Uhr konnte er schlafen, dann- „Ein Uhr!?“, stieß er erschrocken hervor und schreckte auf. Die Zeitanzeige seines Laptops verriet ihm, dass es bereits 12:14 war. Er hatte noch eine dreiviertel Stunde, um im Einkaufszentrum zu sein. „Das Geld!“ Er war gestern Nacht mitten in der Arbeit eingeschlafen! Sofort rief Nick von der Internetseite seiner Bank seinen Kontostand auf. Doch nicht alles der 30.000$, die er zuvor durch gewisse Transaktionen errungen hatte, waren schon auf sein Konto überwiesen worden. Aber das war die Summe, die die Person, welche er unbedingt treffen wollte, laut Nina verlangt hatte! „Dann muss er sich mit einer Anzahlung zufriedengeben“, murmelte Nick ärgerlich, klappte seinen Rechner zu und erhob sich. Wenn er sich beeilte, konnte er noch schnell etwas Geld abheben, ehe er im Café „Bikini Fruit“ hoffentlich den Mann traf, der Anyas grausamen Plänen Einhalt gebieten konnte.   ~-~-~   So schnell er konnte, rannte Nick völlig zerzaust durch das riesige Einkaufszentrum. Praktisch alles hier bestand aus glänzenden Flächen. Der Boden im edlen, wenn auch gewöhnungsbedürftigen Metalllook, das Dach und die verschiedensten Geschäfte teilweise sogar komplett aus Glasplatten. Ziemlich viele Leute waren heute, am 5. November, unterwegs und nicht wenige wurden von Nick angerempelt. Sie saßen auf den Bänken, die sich in der Mitte der Einkaufsstraße befanden, betrachteten Kleider, Schmuck und andere Waren, die vor den Geschäften ausgestellt waren oder aßen im Schlendergang ein Eis. Das Sonnenlicht erhellte das blaue Kolosseum, wie das Einkaufszentrum auch genannt wurde, mit warmen Strahlen, wenn es nicht gerade von grauen Wolken behindert wurde.   Es erschien Nick wie eine Ewigkeit, bis er einen der riesigen Seiteneingänge erreicht hatte. Gleich nebenan befand sich, ebenfalls durch eine Glaswand getrennt, ein kleines Café. In Neonlettern stand über dem Eingang „Bikini Fruit“ und schon von außen sah Nick, dass fast alle Tische besetzt waren. Außer Atem stürmte er in das Café und schritt an der riesigen Bar vorbei, hektisch nach einem einzelnen Mann suchend, der wahrscheinlich schon auf ihn wartete. Doch bevor er überhaupt einmal den Blick durch das Café hatte kreisen lassen, wurde er am Arm gezogen, mitgeschleift und auf einen Stuhl in der hintersten Ecke des Cafés gezwängt. „Hey, was-! Nina!?“ Eine rothaarige, blasse Frau setzte sich ihm gegenüber und legte ihre überdimensionale Krokodilslederhandtasche auf den runden Glastisch, der sie beide trennte. Ihre Frisur war ein einziges Chaos aus Haarspangen. Die dicke Hornbrille auf Nina Placatellis Nase tat ihr Übriges, um aus der grünäugigen Frau einen Geier zu machen, der nur auf die nächste große Story wartete. „Hallöchen, Nick. Lange nicht gesehen“, zwinkerte sie ihm verführerisch zu. „Was wollen Sie hier?“, verlangte Nick mit unterdrückter Wut zu wissen. „Ich dachte, ich treffe mich mit -ihm-.“ Nebenbei setzte er den Rucksack von seinen Schultern ab. „Tust du doch auch“, meinte sie schulterzuckend, „mit mir zusammen.“ „Warum-!?“ Sie kicherte spitz. „Ach tu doch nicht so, du Dummchen. Denkst du, ich lasse mir eine so interessante Story entgehen?“ Theatralisch seufzend fügte sie hinzu: „Der verlorene Sohn der heiligen Stadt Edens gibt sein erstes Interview, wie romantisch. Wenn ich das abdrucken lasse, werden mir die Leser zu Füßen liegen. Außerdem wird dann keiner mehr glauben, dass 'Thirty Legends – The Whole Truth' von meinem lieben Cousin nur erfundener Quatsch ist!“   Wenn er nicht so verzweifelt wäre, so dachte Nick wütend, würde er persönlich dafür sorgen, dass dieser liebe Cousin von seinem Verlag auf die Straße gesetzt wurde. Aber es war wirklich interessant herauszufinden, dass dieses Buch tatsächlich von einem Verwandten Ninas geschrieben worden war. Was vermutlich auch erklärte, warum sie so besessen von allem Übernatürlichen schien – es lag in der Familie. Normalerweise glaubte Nick ja nicht an Zufälle, aber das hier konnte anders gar nicht bezeichnet werden. Das absurde Buch, das Abby sich damals in der Bibliothek ausgeliehen hatte, stand mit Nina Placatelli, der örtlichen Quatschkolumnistin, in Verbindung. All dies hatte Nick erfahren, als er Nina eines für sie unschönen Tages anrief, um nachzufragen, was für Informationen sie denn inzwischen für Anya und Abby bereit hielt, nachdem Letztere ihr eine Lektion erteilt hatte. Die Antwort fiel jedoch ernüchternd aus: nichts. Darum hatte Nick damit gedroht, ihr Abby auf den Hals zu hetzen, wenn sie nicht bald etwas Vorzeigbares zu ihm brachte. Woraufhin Nina von ihrem Cousin und dem Buch 'Thirty Legends – The Whole Truth' zu erzählen begann, welches er selbst teilweise gelesen hatte, bevor er es frustriert zurück in die Bibliothek brachte. Es war ironisch, denn eigentlich hatte Nick Nina nur als Mittel zum Zweck benutzt, um Abbys Angst vor Duellen zu bekämpfen. Dass sie nun tatsächlich noch einen Nutzen besaß, der darüber hinaus ging, konnte schon glatt als Wunder bezeichnet werden. Und was Wunder anging: wenn dieser ominöse Fremde, den Nina nur unter größten Mühen hierher eingeladen hatte, eine Niete war – und die Chancen standen gut, dass dem so war – würde sie ihr ganz persönliches, blaues Wunder erleben. Denn die Transaktionen, die Nick durchgeführt hatte, um an die 30.000$ zu gelangen, wurden unter anderem von ihrem Konto getätigt. Aber ihr Geld hatte er absichtlich nicht mit abgehoben, um die Sache gegebenenfalls rückgängig zu machen, wenn er bekam, was er wollte. Doch im Moment war sie, ohne etwas zu ahnen, pleite.   „Würden Sie bitte gehen?“, fragte Nick unhöflich. „Nein, nichts da!“ Sie schüttete demonstrativ den Kopf. „Hast du auch an das Geld gedacht? Mein Cousin sagt, dieser Typ ist nicht sonderlich sesshaft und hat auch keine Arbeit. Er reist durch die Lande, deswegen war es auch so schwer, ihn zu kontaktieren.“ „Um das Geld brauchen Sie sich keine Sorgen machen“, erwiderte Nick kühl, „eher mache ich mir Sorgen um Sie.“ Sofort weitete die rothaarige Frau im besten Alter ihre giftgrünen Augen. „W-wie meinen!?“ „Wenn ich erfahre, dass das nur ein Trick ist, um sich durch mich zu bereichern …“ Nick sprach absichtlich nicht weiter, damit Ninas gut ausgeprägte Fantasie den Rest übernehmen konnte. Die hob panisch die Hände. „Nicht doch! So etwas Niederes würde ich nie tun!“ Nick schloss die Augen. „Ich hoffe es. Für Sie, Nina.“ „S-sicher.“ Nebenbei sah sie auf die Uhr an ihrem Arm. „Der ist aber ganz schön spät …“ „Wieso? Ich bin doch hier?“   Beide schreckten auf, hatten sie den Mann nicht bemerkt, der direkt neben ihnen an einem der Stühle saß und ein freundliches Lächeln aufsetzte. Nick betrachtete ihn fassungslos. Das war unmöglich, von seiner Position aus hätte er jeden sofort bemerkt, der sich ihrem Tisch genähert, geschweige denn Platz genommen hätte. Aber dieser Kerl, er war einfach aus dem Nichts aufgetaucht! „Huuuuh!“, atmete Nina tief durch und fächerte sich mit der flachen Hand Luft zu. „Das nenne ich einen gelungenen Auftritt.“ „Ich hoffe, ich habe die Dame nicht erschreckt“, meinte der Fremde amüsiert. Nina zwinkerte ihm becircend zu. „Ach Unsinn, mein Lieber, ich habe schon ganz andere Sachen erlebt. Als Reporterin kennt man keine Gefahr.“   Derweil musterte Nick den Mann skeptisch. Er war schon ziemlich alt, bestimmt über 60 Jahre, was man schon an dem weißen Haar erkannte, welches zu einem losen Pferdeschwanz gebunden auf seinem Rücken lag. Dazu trug er eine Brille mit kreisrunden Gläsern, aus deren Mitte seine grauen Augen regelrecht strahlten. Markant machte ihn aber der braune Poncho mit schwarzen Streifen, den er über seinem Leib trug. „Was ist? Störe ich?“, richtete der Mann sein Wort an Nick. „Nein“, erwiderte der zögerlich. „Ich bin nur etwas überrascht. Wir haben Sie nicht bemerkt.“ Der Alte winkte lachend ab. „Das sagen sie alle. Ich bin mal hier, mal da, aber nirgendwo auf Dauer. Nennt mich Drazen.“ „Drazen also“, murmelte Nick und sah aus den Augenwinkeln zu Nina herüber, die bereits Stift und Notizblock gezückt hatte, um sich alles aufzuschreiben. Ihr Gast lehnte sich zurück und breitete die Arme aus. „Warum wolltet ihr mich sehen? Ich war sehr überrascht, als der neugierige, junge Autor von damals mich kontaktiert hat.“ Bevor jedoch einer von ihnen beiden antworten konnte, kam eine rothaarige Kellnerin in weiß-schwarzem Kostüm an. „Möchten Sie etwas bestellen?“ „Einen Kirschsaft“, bat Drazen. „Ich will ein Stück Ihrer-“ Doch Nick unterbrach Nina harsch: „Für uns beide bitte nichts.“ „W-wie Sie wünschen“, stammelte die Kellnerin erstaunt von Nicks endgültigem Tonfall und zog unzufrieden von dannen. Woraufhin Nina giftige Blicke um sich warf. Die Nick mit seinen eigenen auffing und mit doppelter Wucht zurückwarf. „Ihr seid ja ein lustiges Gespann“, lachte Drazen bärbeißig. „Seid ihr ein Paar? Ist ja ein ganz schöner Altersunterschied zwischen euch beiden.“ „Als ob!“, empörte sich Nina. „Ich stehe auf richtige Männer! Will sagen: reiche Männer, die eine Frau so behandeln, wie sie es verdient hat!“ Nick entgegnete daraufhin gallig an Drazen gewandt: „Sie sollte froh sein, dass sie -nicht- bekommt, was sie verdient hat.“ „Oh?“ Drazen lachte daraufhin so laut, dass einige Gäste sich empört zu ihm umdrehten. Geschäftsmännisch legte Nick seine Hände aufeinander und schloss nachdenklich die Augen. „Was mein Anliegen angeht, würde ich das gerne unter vier Augen klären. Nina, Sie können jetzt gehen.“ „Nichts da, ich bleibe!“ „Bitte, Nina.“ Doch es klang eher nach einer Drohung. „Vergiss es, Burschi! Sei nicht so übermütig! … tch, als Idiot hast du mir bedeutend besser gefallen!“ Die Frau kritzelte sofort etwas auf ihren Notizblock und murmelte leise: „Nötigte mich zum Bleiben, hat mit Gewalt gedroht.“ Jedoch wurden sie wieder von der Kellnerin gestört, die Drazen auf einem Tablett seinen Kirschsaft reichte, welchen er dankend entgegen nahm. Nachdem er einen Schluck genommen und das Glas abgesetzt hatte, richtete er sich mit einem erwartungsvollen Lächeln an Nick. „Und? Hast du das Geld?“ Daraufhin zog dieser aus seinem Rucksack einen weißen Umschlag hervor, der schon von außen den Eindruck machte, gut gefüllt zu sein. „Das hier sind 15.000$. Die kriegen Sie als Anzahlung.“ „Wir hatten aber das Doppelte ausgemacht.“ Drazen zwinkerte. „Als Anzahlung.“ „Sie bekommen gar nichts, wenn Sie mir nicht vorher beweisen, dass Sie mehr über 'Eden' wissen.“ „Welches Eden denn? Meine geliebte Heimat oder das Eden, das bald hier aufkreuzen wird?“ Nick lachte wenig überzeugt auf und blieb hart. „Soll das Ihr Beweis sein? Das können Sie genauso gut von ihr erfahren haben.“ Mit dem Daumen zeigte er auf Nina, welcher er damals versehentlich etwas zu viel verraten hatte. „Wie viele Opfer hat deine Freundin denn schon beisammen? Alle fünf?“   Es kam so plötzlich, dass Nick beinahe der Umschlag aus der Hand fiel. Das konnte Drazen nicht ohne Weiteres wissen! Nina wusste von den Opfern, die für Edens Erwachen benötigt wurden, überhaupt nichts! Und auch sonst niemand außer denen, die gestern in Valeries Küche anwesend gewesen waren. „Volltreffer“, lachte Drazen und schnappte sich einfach den Umschlag aus Nicks Hand. Er blätterte durch die Scheine, die sich darin befanden und seufzte. „Aber das ist zu wenig. Ein alter Mann wie ich wird mit ein paar Almosen nicht lange über die Runden kommen.“ Mit einer beiläufigen Geste warf er den Umschlag zurück auf den Tisch. „Komm wieder, wenn du mehr dabei hast.“ „Opfer? Was für Opfer? Ein grausames Ritual, um den bösen König der Unterwelt wiederzuerwecken?“, mischte sich Nina ein und kritzelte eifrig auf ihrem Notizblock herum. „Mehr Geld konnte ich in so einem kurzen Zeitraum nicht beschaffen“, sagte Nick unbeeindruckt von Drazens Geste und verstaute den Umschlag wieder in seinem Rucksack. „Außerdem reicht mir das noch nicht als Beweis für Ihre Glaubwürdigkeit.“ „So misstrauisch, hmm?“ Der Weißhaarige lachte amüsiert. „Gefällt mir! Aber ich weiß leider nicht, was ich dir sagen kann, um dein Vertrauen zu gewinnen.“ Nick nahm ihn fest ins Visier. „Wie wäre es zur Abwechslung mit etwas, was ich noch nicht weiß? Deswegen sind wir doch hier.“ Grinsend nahm Drazen noch einen Schluck Kirschsaft. „Ahhh! Etwas Neues also? Hmm … wie wäre es damit. Dein Eden und mein Eden … zwischen ihnen besteht eine Verbindung.“ „Welche soll das sein?“ Drazen schmunzelte amüsiert. „Du bist noch nicht darauf gekommen? Schande über dich, Junge. Meine geliebte Stadt wurde nach deinem Eden benannt.“ Überrascht starrte Nick den fremden Mann an, wie er ganz seelenruhig am Tisch saß und ihn abwartend ansah. „Dann sind die beiden Eden … nicht ein und dasselbe!?“ „Natürlich nicht. Aber wenn du mehr hören möchtest, lass es klingeln. Ansonsten bin ich weg. Und mich rechtzeitig ausfindig zu machen, bevor deine Freundin in den Turm geht, wird ziemlich schwierig.“ Drazen grinste vergnügt. „Wenn ich nicht gefunden werden will, dann findet mich auch keiner.“ „So viel Geld zu beschaffen dauert aber eine Weile!“ Sein Gegenüber zuckte mit den Schultern. „Lass dir etwas einfallen. Du bist doch kein dummes Kerlchen.“   Nick überlegte fieberhaft. Seine Zweifel waren zwar noch nicht ganz ausgeräumt, aber zumindest waren Drazens Worte rund um die beiden 'Eden' ein Anfang. Er war fest davon ausgegangen, dass, wenn dieser Mann wirklich kein Schwindler war, die geheimnisvolle Stadt der Allerheiligsten das Eden war, das Anya so fest im Griff hielt. Aber was bedeutete das? Dass sie am Ende nur den Namen von Anyas Eden trug? Hatte das etwas mit den Gründern zu tun? Jenen, die als Einzige die Prozesse rund um Eden in Gang setzen konnten? Er musste es wissen. Noch heute!   „Wir duellieren uns“, verlangte Nick plötzlich, „und Sie werden mir alles sagen, was ich wissen will.“ Drazen sah ihn aus den Augenwinkeln interessiert an. „Und was bekomme ich, wenn ich gewinne?“ „100.000$ in bar.“ Sein Gegenüber lachte amüsiert. „Ich dachte, so viel Geld wäre unmöglich in einem Tag aufzutreiben.“ Selbst Nina schüttelte erstaunt den Kopf. „Er hat recht. Du bist vielleicht nicht der Idiot, für den du dich ausgibst, aber überschätzt du dich da nicht ein kleines bisschen?“ Nick aber ließ sich nicht davon beeinflussen. „Ich schaffe das schon. Ihr könnt gerne zusehen, wenn ihr wollt.“ „In dir steckt eine Menge krimineller Energie. Ich mag das“, lachte Drazen wieder so laut, dass die anderen Gäste sich genervt zu ihm umdrehten. „Und mir gefällt dein Angebot.“ Unter seinem Poncho hob er einen Arm hervor, an dem eine Duel Disk angebracht war. Dazu reichte er Nick seine andere Hand. „Dann ist es ein Deal.“ Der brünette, hochgewachsene Mann schüttelte sie. „Ja. Aber nicht im Einkaufszentrum. Irgendwo, wo uns niemand beobachtet.“ „Das ist wirklich sehr interessant“, murmelte Nina und notierte sich jedes Detail mit Zunge an der Oberlippe. „Bestechungsgelder, Betrug, Verrat. Ich sollte darüber nachdenken, daraus einen Roman zu machen …“   ~-~-~   Kurz darauf fanden sich die Drei in einer Seitengasse wieder. Es stank hier fürchterlich, was an den vollkommen überfüllten Mülltonnen lag, die überall herumstanden. Nick hatte diesen Ort bewusst gewählt. Hier würde niemand sie beobachten … und hoffentlich auch niemand Drazens Schmerzensschreie hören. Mit einem Blick auf seine Duel Disk schmunzelte der brünette, junge Mann. Er hatte die Sicherheitssperre für die Hologrammdronen noch nicht wieder eingeschaltet, sodass seine Monster nach wie vor echte Verletzungen zufügen würden. Und das war auch sein wahrer Plan. Wenn Drazen erst realisierte, worauf er sich eingelassen hatte, würde er freiwillig reden. Ansonsten musste er damit rechnen, dieses Duell nicht zu überleben. Natürlich würde Nick es niemals so weit kommen lassen, er würde Drazen rechtzeitig anbieten, das Duell zu unterbrechen, wenn jener kooperierte. Aber zumindest eine Kostprobe seiner Fähigkeiten sollte der alte Mann erhalten.   Nina stellte sich kämpferisch mit einer Duel Disk am Arm neben Nick. „Ich bin berei-heit!“ „Was!?“ Sie rückte ihre Brille zurecht und legte ihre riesige Krokodilsledertasche ab, aus der sie den Apparat anscheinend geholt hatte. „Aber sicher, du Dummchen! Denkst du, ich lasse mir so etwas entgehen?“ „Ich duelliere mich lieber alleine. Also verschwinden Sie, Nina. Oder treten Sie zumindest beiseite.“ Drazen, der ihnen gegenüber stand, mischte sich lachend ein. „Man sollte einer Dame nie einen Wunsch abschlagen. Außerdem sehne ich mich schon lange nach einer Herausforderung. Da kommt mir das nur recht. Und du hast den Vorteil, nicht alleine kämpfen zu müssen.“ Nick schüttelte wortlos den Kopf. Der Typ hatte keine Ahnung, wie qualitativ mangelhaft Ninas Duellstil war. Die war eher eine Behinderung, denn eine Bereicherung für ihn. Allerdings ließ sich die rothaarige Journalistin nicht erweichen. „Da hörst du es! Der Mann hat gesprochen. Also lass uns ab-he-ben, Partner!“ Sie schlug ihm so hart auf den Rücken, dass Nick glatt vorne über stolperte. „Das kann noch heiter werden“, murmelte er genervt und aktivierte seine Duel Disk. Synchron hallten drei Stimmen durch die Gasse: „Duell!“   [Nick: 4000LP Nina: 4000LP //// Drazen: 4000LP]   „Als Solospieler beginne ich“, stellte Drazen voller Vorfreude klar und zog sein Startblatt plus eine Karte, was zusammen sechs Stück machte. Nebeneinander warteten Nick und Nina gespannt auf seinen ersten Zug. Der mit einer Zauberkarte begann. „[Foolish Burial]. Mit ihr schicke ich ein beliebiges Monster vom Deck auf den Friedhof.“ Zwischen seinen Fingern hielt der Weißhaarige dabei eine Karte namens [Scrap Chimera], ehe er sie in den Friedhofsschlitz schob. Dann wählte er ein Monster von seiner Hand und legte es auf die Duel Disk. „[Scrap Goblin], komm hervor!“ Lauter verschiedene Schrottteile flogen durch die Luft und formten eine kleine Gestalt, die aufrecht stand und entfernt an einen Maulwurf erinnerte. Mit einem Arm, der lediglich aus einer alten Gabel bestand, machte der Goblin keinen gefährlichen Eindruck.   Scrap Goblin [ATK/0 DEF/500 (3)]   Hysterisch gackernd zeigte Nina mit dem Finger auf das harmlos anmutende Monster. „Wer ist so dumm und ruft ein derart schwaches Monster im Angriffsmodus!? Kyahahaha!“ „Ich werde mich hüten, einer Dame zu widersprechen“, sagte Drazen mit einem verschmitzten Lächeln und schob eine Karte in den mittleren der Zauber- und Fallenkartenslots. „Mit dieser Karte als Abschluss überlasse ich meinen Gegnern das Feld.“ Vor seinen Füßen materialisierte sich die gesetzte Karte. „Wurde auch Zeit“, rief Nina laut, „mein Zu- Hey!“ Nick hatte noch vor ihr gezogen und damit die Zug-Reihenfolge festgelegt. Die Journalistin ballte wütend eine Faust. „Das ist unhöflich! Es heißt Ladies first!“ „Interessiert mich nicht“, erwiderte Nick gleichgültig und betrachtete sein Blatt, das fast nur aus Monstern bestand. Was nicht sonderlich gut für ihn war. Dennoch griff er entschlossen nach einem von ihnen und rief: „Los, [Wind-Up Knight]!“ Sofort tauchte vor ihm ein knapp ein Meter großer, weißer Spielzeugritter auf, mit Schild und Schwert bewaffnet. Wie bei all seinen Artgenossen ragte auch aus seinem Rücken ein Aufziehschlüssel.   Wind-Up Knight [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   „Zug beendet“, sprach Nick und sah zu Nina herüber. „Geben Sie sich Mühe!“ „Ja doch!“, fauchte die zurück und riss ihrerseits eine Karte von ihrem Blatt. „Du wirst dich noch umgucken, Burschi, wenn Nina Placatelli als strahlende Siegerin aus diesem Duell hervor geht!“ Drazen lachte bärbeißig. „Selbstbewusst ist sie ja.“ Nick war eher dazu geneigt, es Selbstüberschätzung nennen.   „Okay“, rief Nina kampfbereit. „Starten wir durch mit [XX-Saber Boggart Knight]!“ Mit wehendem, rotem Umhang stellte sich eine schlanke, menschenähnliche Kreatur vor seine Besitzerin. Die überdimensional langen Fingernägel schnippen lassend, kicherte die Gestalt und zückte einen Säbel, dessen Klinge aus blauer Energie bestand. XX-Saber Boggart Knight [ATK/1900 DEF/1000 (4)]   Nina schnappte sich eine weitere Karte von ihrem Blatt. „Wenn er gerufen wird, beordert er ein weiteres X-Saber-Monster von meiner Hand aufs Spielfeld! Der Name: [X-Saber Pashuul]!“ Noch einmal schnippte der Koboldritter mit dem Finger, da ging schon neben ihm eine in blauer Panzerung gehüllte Person in die Hocke. Das schwarze Haar lag dem Mann, dessen rechtes Auge durch ein mechanisches Implantat ersetzt worden war, über dem Rücken. Mit einer großen Breitklinge gedachte er sich vor Angreifern zu schützen.   X-Saber Pashuul [ATK/100 DEF/0 (2)]   „Selbst der ist stärker als dieser Schrotthaufen“, tönte Nina selbstherrlich und streckte den Arm aus. „Aber ich habe ihn nicht gerufen, um zu kämpfen, sondern damit er sich auf meinen Boggart Knight einstimmt! Zeit für Feintuning, Stufe 2 und Stufe 4!“ Pashuul zersprang in zwei grüne Ringe, die vor Nina durch die Luft glitten, gefolgt von ihrem Koboldritter. „Crossing swords form a sign of resistance! Hear the name of the X²! Synchro Summon! [XX-Saber Hyunlei]!“ Aus einem Lichtblitz erschien eine wild durch die Luft wirbelnde Kriegerin, die mit nur einer Zehenspitze auf dem Boden stehen blieb und ihre gebogene Klinge mit Mittel- und Zeigefinger berührte. Dabei trug sie einen Helm und ein rotes Cape, das ihr bis zu den Hüften reichte.   XX-Saber Hyunlei [ATK/2300 DEF/1300 (6)]   „So sehen die -guten- Monster aus!“, lachte Nina hysterisch und zeigte auf Drazen. „Die -gute- Hyunlei wird jetzt bis zu drei Zauber- beziehungsweise Fallenkarten auf dem Spielfeld zerstören. Ich zähle zwar nur eine, aber leider – und ich reime – ist das deine, ha ha! Und anschließend greife ich dein Monster an, Großväterchen!“ Nick streckte erschrocken den Arm nach ihr aus. „Nicht, Nina-!“ Wusste sie denn nicht, dass in einem Duell mit mehr als zwei Person immer erst angegriffen werden konnte, nachdem jeder Spieler mindestens einmal am Zug war!? Doch es war bereits zu spät, um eine Warnung auszusprechen. Ninas Synchrokriegerin zückte ein Wurfmesser hinter ihrem Gürtel hervor und schleuderte dieses in Richtung von Drazens gesetzter Karte. Die, wie konnte es auch anders sein, als Reaktion darauf aufsprang. „Schade, ich dachte, ich könnte mir die hier noch ein wenig aufheben“, lachte der Weißhaarige unbekümmert. „Meine [Scrap Burst Salvo].“ Auf dem Artwork war ein Drache abgebildet, der komplett aus verschiedensten Schrottteilen zusammengesetzt war und aus seinem Maul Raketen abfeuerte, die ebenfalls notdürftig aus altem Abfall erschaffen worden waren. Jene Raketen schossen plötzlich aus der Karte hinaus. Drazen erklärte dazu: „Mit ihr vernichte ich eine meiner Karten und eine meines Gegners. Tut mir leid, aber diese kleine Amazone ist mir nicht geheuer.“ Schon schlugen die Raketen bei Nina ein, vernichteten ihre Hyunlei, genau wie den Schrottgoblin, der bei der Explosion in seine Einzelteile zersprang. Plötzlich reichte Drazen nach seinem Friedhof aus. „Wenn der kleine [Scrap Goblin], solange er offen liegt, durch eine Scrap-Karte zerstört wird, erhalte ich vom Friedhof ein Scrap-Monster zurück. Das darf allerdings kein Empfänger sein.“ Zwischen seinen Fingern zeigte er die zuvor abgelegte [Scrap Chimera] vor. Nick schnappte nach Luft, als er erkannte, dass Drazen dies alles von Anfang an so geplant hatte. Und Nina war ihm direkt in die Falle gelaufen! „Ich beende meinen Zug“, gab diese empört von sich. „So was aber auch!“ „Sie können doch nicht mit leerem Feld abgeben!?“, polterte Nick fassungslos. Nina zuckte jedoch nur unbedarft mit den Schultern. „Was soll ich sonst tun? Meine normale Beschwörung ist aufgebraucht.“ Woraufhin sich Nick genervt an die Stirn fasste. Langsam bekam er eine Ahnung, was Anya damals alles durchgemacht haben musste, als er in seiner Idiotenrolle ihren Tag-Partner auf dem Schulturnier gemimt hatte.   „Ein gutes Team lässt sich von so einem kleinen Rückschlag doch nicht unterkriegen, oder?“, fragte Drazen und zog derweil seine Karte. Nick stellte klar: „Wenn es nach mir ginge, gäbe es gar kein Team!“ „Püh! Ich könnte das auch alleine gewinnen“, zeigte sich Nina nicht weniger abgeneigt. „Oh man, ihr habt beide noch eine Menge zu lernen“, murmelte Drazen leise und legte eine Monsterkarte auf seine Duel Disk. „Komm hervor, [Scrap Chimera]!“ Aus umherfliegenden Schrottteilen setzte sich eine mechanische Schimäre zusammen, deren Kopf der eines Löwen sowie der Schweif eine elektrische Schlange war. Zudem besaß sie die Schwingen eines Vogels. Scrap Chimera [ATK/1700 DEF/500 (4)]   „Wenn sie als Normalbeschwörung beschworen wird, ruft sie einen Scrap-Empfänger von meinem Friedhof zurück“, erklärte Drazen und legte den zuvor zerstörten [Scrap Goblin] zurück auf seine Duel Disk. Jener tauchte auch sofort neben der Sagengestalt auf.   Scrap Goblin [ATK/0 DEF/500 (3)]   Dann ballte Drazen eine Faust, die er geradeaus streckte. „Los meine Kinder! Ich stimmte den Stufe 3-Goblin auf die Stufe 4-Chimera ab! Born from a pile of junk, the discarded gather once more! A combined force awakens! Synchro Summon!“ Der Goblin explodierte, seine Teile flogen durch die Luft und formten drei grüne Ringe, welche die Schimäre durchflog und dabei ebenfalls nach und nach in ihre Einzelteile zerfiel. Ein greller Blitz erhellte das Spielfeld. „Arise, [Scrap Archfiend]!“ Kaum waren die Schrottteile auf den Boden gefallen, erhob sich aus ihnen eine große Gestalt, ganz aus dunklem Metall. Geboren von den Überresten seiner Artgenossen, besaß dieser beflügelte Maschinendämon zwei spitze Hörner. Seine Augen leuchteten rot auf, als würde ihm Leben eingehaucht werden.   Scrap Archfiend [ATK/2700 DEF/1800 (7)]   „So viele Angriffspunkte!?“, staunte Nina und wich instinktiv zurück. „Wen von uns er wohl damit angreifen will!?“ Sie zeigte prompt auf ihren Partner. „Nimm den da!“ Selbst Nick war beeindruckt davon, dass ein Stufe 7-Synchromonster so stark sein konnte. „Habe ich gesagt, dass ich fertig bin?“, fragte Drazen amüsiert und legte noch eine Monsterkarte auf seine Duel Disk. „Wenn ein Scrap-Synchromonster beschworen wurde, kann ich diese hier von meiner Hand spezialbeschwören: [Scrap Dummy]!“ Neben seinem Dämon tauchte ein alter Crashdummy auf, der mit allerlei Gerümpel ausgebessert worden war. Da er seinen Unterkörper verloren hatte, bewegte er sich nun dank eines alten Autoreifens fort.   Scrap Dummy [ATK/800 DEF/2000 (4)]   „Und wenn einer meiner Gegner ein Monster kontrolliert, kann ich auch [Scrap Breaker] von meiner Hand als Spezialbeschwörung rufen!“ Gleich neben dem Dummy tauchte noch eine gefährliche Kreatur auf. Sie besaß weder Kopf noch Unterleib, schien sie doch lediglich der Oberkörper eines riesigen Roboters zu sein. Einer seiner Arme endete in einem Sägeblatt, das zu kreisen begann.   Scrap Breaker [ATK/2100 DEF/700 (6)]   Mit diesem griff er plötzlich den Dummy an, der daraufhin in tausend Stücke zersprang. Und Drazen griff daraufhin nach seinem Deck. „Wenn [Scrap Breaker] auf diese Weise gerufen wurde, zerstört er ein offenes Scrap-Monster, das ich kontrolliere. Den Dummy. Und wenn der durch den Effekt einer Scrap-Karte vernichtet wird, erhalte ich ein Scrap-Nicht-Empfängermonster von meinem Deck.“ Er strahlte zufrieden, als er eine weitere Kopie der [Scrap Chimera] gefunden hatte und schob sein Deck anschließend in die dafür vorgesehene Halterung zurück. Nick stieß einen angespannten Seufzer aus. Dieser Mann mochte von außen sehr unscheinbar wirken, doch war er definitiv ein sehr geschickter Duellant. Dank der neuen [Scrap Chimera] würde er nächste Runde wieder eine Synchrobeschwörung aus dem Stehgreif durchführen können. Dabei hatten sie es jetzt schon mit zwei Monstern mit über 2000 Angriffspunkten zu tun! „Tut mir leid, meine Liebe“, entschuldigte sich Drazen aufrichtig bei Nina, die sich daraufhin glatt hinter Nick versteckte. „Aber leider muss ich Sie jetzt direkt angreifen.“ „Warum nicht sein Monster!?“, beklagte sich Nina wütend, wurde daraufhin von Nick genervt weg geschubst. Drazen lächelte nur geheimnisvoll und zeigte auf die Frau. „[Scrap Archfiend], Squall of Scrap!“ Der Dämon öffnete sein Maul und brach einen ganzen Schwall an Schrott daraus hervor. Ob alte Radios, Glühbirnen und halbe Fahrräder, alles war dabei.   Nick runzelte ärgerlich die Stirn. Er hatte längst durchschaut, was Drazen wirklich wollte: dass er den Effekt seines [Wind-Up Knights] aktivierte. Mit dem konnte er nur einmal einen Angriff aufhalten. Und somit Nina beschützen. Er verengte die Augen und starrte die ganz aufgelöste Journalistin an, die jeden Moment von Drazens Angriff getroffen werden würde. Das wäre die ideale Chance, um sie loszuwerden. Allerdings gab es einen guten Grund, warum er haderte: sein eigenes Blatt war unerwartet schlecht ausgefallen und Ninas Deck definitiv stark. Unter diesen Umständen hätten sie als Team eine größere Chance auf den Sieg. Wenn sie doch nur nicht so grottenschlecht wäre … Aber es half nichts, er musste wohl oder übel in den sauren Apfel beißen. „Los, [Wind-Up Knight], beschütze ihre Lebenspunkte!“ Sofort stellte sich sein weißer Spielzeugritter in den Weg und schirmte Nina vor dem herannahenden Schrott ab. Doch kaum war der Schwall verebbt, tauchte [Scrap Breaker] vor Nicks Ritter auf. „Das ist ein wahrer Gentleman“, lobte Drazen seinen Gegner aufrichtig. Was aber nichts dran änderte, dass Nicks Ritter dem Sägeblatt seines Gegners zum Opfer fiel und explodierte.   [Nick: 4000LP → 3700LP Nina: 4000LP //// Drazen: 4000LP]   „Das wurde ja auch Zeit!“, beklagte sich Nina verärgert. „Denken Sie bloß nicht, dass ich das für Sie getan habe …“ Drazen hob den Zeigefinger. „Aber nicht doch. Bitte nicht streiten. So eine noble Geste sollte nicht durch Worte beschmutzt werden.“ Er nahm eine Falle aus seinem Blatt hervor und setzte sie. „Mit diesem kleinen Schätzchen gebe ich an dich ab, Junge.“   Kaum hatte sich die verdeckte Karte vor Drazen materialisiert, fügte Nick seinem Blatt schon eine neue Karte hinzu. Nur brachte die ihm überhaupt nichts. Er fluchte innerlich. Nichts würde ihm im Kampf gegen den mächtigen Schrottdämon helfen. Das Einzige, was er tun konnte, war seinen Artgenossen zu vernichten. Der Rest würde von Nina abhängen. „Ich beschwöre [Wind-Up Soldier] und aktiviere seinen Effekt. Dadurch steigen bis zur End Phase seine Stufe und seine Angriffskraft um 1 beziehungsweise 400 an!“ Vor Nick tauchte ein etwa ein Meter großer, grüner Spielzeugroboter auf, dessen Kopfform stark an einen Magneten erinnerte. Die Schraube auf seinem Rücken begann sich rapide zu drehen.   Wind-Up Soldier [ATK/1800 → 2200 DEF/1200 (4 → 5)] Nick streckte den Arm aus. „Vernichte [Scrap Breaker]!“ Sofort sprang der Roboter nach vorne und schlug mit seiner Zangenhand mitten in die Brust des halbzerstörten, größeren Roboters. Dieser explodierte in einem großen Knall, seine Bestandteile flogen wild durch die Luft. Etwas Metallisches schoss dabei an Drazen vorbei und hinterließ eine blutige Schramme an seiner Wange.   [Nick: 3700LP Nina: 4000LP //// Drazen: 4000LP → 3900LP]   „Oh?“, murmelte der erstaunt und strich sich über die Wunde. „Da hat wohl jemand mit dem Sicherheitssystem gespielt.“ „Sie hätten sich eben-“, begann Nick, doch brach erschrocken ab. „Was!?“ Dort, wo eben noch Blut die Wange benetzte, war nun wieder gesundes Gewebe. Als hätte es die Schramme nie gegeben. „Nicht auf das Duell einlassen sollen?“ Drazen nickte. „Aber dann würde mir eine Menge Spaß entgehen. Lass mich raten, du wolltest mich erpressen, indem du mir nach und nach größere Wunden zufügst?“ Nina wirbelte um. „Stimmt das!? … und kannst du meine Duel Disk auch umbauen, wenn es geht? Das wäre bei Recherchen sicher nützlich, kyahahaha!“ Doch Nick ignorierte seine unfreiwillig gewonnene Partnerin. „Sieht so aus, als hätten Sie mich durchschaut.“ „Ich nehme es dir nicht übel. Aber wisse, dass die Kinder Edens unsterblich sind.“ Plötzlich senkte Drazen seinen Blick. „Deswegen bin ich schließlich ein Verbannter …“ „Heißt das, Sie sind mit einem Dämon liiert!?“, fragte Nick aufgebracht. Aufgeschreckt hob sein Gegenüber die Arme. „ Nein nein, wo denkst du hin?“ Zu sich selbst murmelte der alte Mann: „Ich und mein loses Mundwerk …“ „Dann sagen Sie mir, was das zu bedeuten hat!“ „Hast du das Duell schon gewonnen? Ich glaube nicht“, mahnte ihn Drazen. „Setze deinen Zug fort, statt einen alten Racker wie mir unangenehme Fragen zu stellen.“ Nick schnaufte wütend. Aber wenn es ihm nichts ausmachte verletzt zu werden, sei es drum. Er würde schon noch reden. „Okay, wie Sie wollen. Ich aktiviere jetzt den Schnellzauber [Legendary Wind-Up Key] von meiner Hand. Er zieht meinen Soldaten wieder auf und zwar, indem er ihn in verdeckte Verteidigungsposition setzt.“ Ein goldener Aufziehschlüssel ersetzte plötzlich den alten auf dem Rücken des Soldaten und drehte sich. Dabei ging der Soldat in die Knie, bis er plötzlich zu einem horizontal liegenden Kartenrücken wurde.   Wind-Up Soldier [ATK/2200 → 1800 DEF/1200 (5 → 4)] „Zug beendet“, sprach Nick verärgert, da es ihm an Optionen mangelte.   „Die allwissende Reporterin macht ihren Zug und verteilt mächtige Schläge“, flötete Nina daraufhin und zog. Sie zückte eine Zauberkarte aus ihrem Blatt und sah zu Nick herüber. „Ich leihe mir mal eben dein Monster aus. Du gestattest?“ „W-was!?“ „[Mind Control]! Damit erlange ich die Kontrolle über ein gegnerisches Monster für einen Zug, mit dem ich aber leider weder angreifen, noch dieses Monster opfern kann.“ Nicks gesetzte Karte löste sich auf und erschien stattdessen nun vor Nina. Der Besitzer des [Wind-Up Soldiers] warf ihr das Monster mit zornigem Blick zu. Doch anstatt es zu fangen, klatschte es einfach gegen Ninas Stirn und segelte auf den Boden. „Au“, murmelte diese und hob es auf, legte es gleich im Angriffsmodus auf ihre Duel Disk. „Ich flippe dich und nutze deinen Effekt, [Wind-Up Soldier]!“ Vor ihr erhob sich aus der gesetzten Karte der grüne Spielzeugsoldat, dessen Aufziehschlüssel sich wild zu drehen begann.   Wind-Up Soldier [ATK/1800 → 2200 DEF/1200 (4 → 5)] „Nun beschwöre ich einen von meinen süßen, kleinen Darlings! [XX-Saber Fulhelmknight]!“ Vor ihr tauchte ein blonder Krieger in rotem Cape auf, der ein Schwert schwang, das sich in eine Kette bestehend aus vielen kleinen Klingen verwandelte. XX-Saber Fulhelmknight [ATK/1300 DEF/1000 (3)]   „Und nun von meiner Hand die Zauberkarte [Star Changer]! Sie ändert die Stufe eines meiner Monster um eins! Fullhelmknight, Level Up!“   XX-Saber Fulhelmknight [ATK/1300 DEF/1000 (3 → 4)] „Und jetzt das große Finale“, kündigte Nina großmäulig an. „Abstimmung! Stufe 4, Fulhelmknight auf Stufe 5, [Wind-Up Soldier]! Mighty warrior of the gentle sword, return to this wicked world! We await your command! Synchro Summon! Break free, [XX-Saber Gottoms]!“ Synchroringe entstanden, Nicks Soldat durchquerte sie und schon blitzte es wieder grünlich in der Seitenstraße, als vor Nina ein mächtiger Krieger erschien. Dieser trug eine Rüstung aus Stahl, die sogar sein Gesicht verdeckte und schwang eine enorm lange, zweiblättrige Klinge über seinem Kopf. Unruhig flatterte der rote Umhang im Wind, welcher auf seinen Schultern lag. XX-Saber Gottoms [ATK/3100 DEF/2600 (9)]   Nick war fassungslos. Ohne seine Erlaubnis hatte dieses Weib sein Monster genommen, um damit ihres zu beschwören. Wo sie doch-! „Was sollte das!?“, beklagte er sich aufgebracht. „Warum haben Sie nicht die Kontrolle über [Scrap Archfiend] übernommen, um diese Kombo durchzuführen!?“ „Kannst du nicht zählen, Burschi!? Der ist Stufe 7, das ist zu hoch gewesen, ich brauchte dein Monster!“ Sie rümpfte arrogant die Nase. „Amateur!“ Aber Nick wollte das nicht glauben. Mit [Star Changer] hätte sie die Stufe des Dämons auf 6 reduzieren, dann den Stufe 3-Fulhelmknight beschwören und daraus den Stufe 9-Gottoms entstehen lassen können. Diese Frau war ein Albtraum auf zwei Beinen! Ein ziemlich dämlicher Albtraum! Nun stand er ohne Monster da! Besagter rothaariger Albtraum hatte sich jedoch längst Drazen zugewannt. „Tut mir leid mein Hübscher, aber ich will gewinnen! Also los, Gottoms, vernihiiiichte [Scrap Archfiend]! Geronimoooooooo!“ Unbekümmert verfolgte Drazen mit einem spitzbübischen Grinsen, wie ein Schwerthieb des großen Kriegers reichte, um sein Monster zu enthaupten. Da aber Nina den Angriff durchgeführt hatte, erlitt er dabei keine Verletzungen.   [Nick: 3700LP Nina: 4000LP //// Drazen: 3900LP → 3500LP]   „Zug be-en-det“, trällerte Nina gut gelaunt. Anders als Nick, dessen Augen gefährlich nahe dran waren, aus ihren Höhlen zu flüchten. „Und sie setzt nicht einmal eine Karte, um mich zu beschützen …“ Seine Partnerin winkte ab. „Du wirst schon klar kommen, Kleiner. Kannst dich schließlich nicht hinter einer wehrlosen Frau wie mir verstecken, kyahahaha!“ Nein, dachte Nick heimtückisch, aber er konnte immer noch ihr Konto plündern. So oft er wollte!   „Nicht streiten, meine Lieben“, versuchte Drazen zu schlichten, „ich bin auch noch da! Draw!“ Zwar besaß er kein Monster mehr auf dem Spielfeld, doch das sollte sich gleich ändern. „Na, kennt ihr sie noch? Die [Scrap Chimera]?“ Schon tauchte die aus verschiedenen Schrottteilen zusammen gewürfelte Kreatur aus der griechischen Mythologie wieder auf.   Scrap Chimera [ATK/1700 DEF/500 (4)]   Und sie brachte Freunde mit. Zumindest einen, nämlich den Crashdummy auf dem Autoreifen, der im Kreis um sie fuhr. „Ihr müsst wissen“, erklärte Drazen dabei, als er die beiden Karten auf die Duel Disk legte, „dass [Scrap Dummy] auch ein Empfänger ist und somit von [Scrap Chimera] reanimiert werden kann.“ „Auch das noch …“, war alles, was Nick dazu zu sagen hatte.   Scrap Dummy [ATK/800 DEF/2000 (4)]   „Du hast es dir sicher schon gedacht“, sprach Drazen und streckte den Arm aus. „Aber hier kommt noch eine Synchrobeschwörung! Ich stimme meine beiden Stufe 4-Monster aufeinander ab! From within a pile of junk a heart of steel is born! The embodiment of the discarded! Synchro Summon! Tear them appart, [Scrap Dragon]!“ Nach dem grünen Lichtblitz, der den Abschluss der Prozedur einleitete, ertönte mächtiges, aber verzerrtes Gebrüll über Drazen. Und Nick erkannte das Monster sofort wieder, welches anmutig hinab stieg: es war die Kreatur, die auf der [Scrap Burst Salvo]-Falle abgebildet war. Aus blauen Blechen und anderen Materialien zusammengeschweißt, war dieser Drache elegant wie gleichzeitig furchteinflößend. Die roten Augen leuchteten, als es aus zwei Düsen an seinen Schwingen Dampf abließ.   Scrap Dragon [ATK/2800 DEF/2000 (8)]   „Was!?“, tönte Nina laut und verfiel in abfälliges Gelächter. „Der ist ja schwächer als mein Gottoms! Wie erbärmlich, gar vollkommen lächerlich!“ Drazen nahm still eine Zauberkarte namens [Guts Of Steel] von seinem Blatt und setzte sie, sodass sie sich neben der bereits eine Runde zuvor von ihm gesetzten Karte materialisierte. Dann erklärte er seelenruhig: „Mein Monster kann einmal pro Zug eine meiner Karten vernichten, um im Gegenzug auch eine Karte meines Gegners zu zerstören. Von diesem Effekt rührt auch der Name meiner Falle. Los, [Scrap Dragon], Scrap Burst Salvo!“ Die von Drazen gesetzte Zauberkarte zersprang in tausend Teile, deren Partikel von dem Drachen über ihm mit dem Maul aufgesogen wurden. Nur, damit dieser im Anschluss aus besagtem Maul Schrottraketen auf Gottoms abschießen konnte. Doch selbst Ninas grässlicher Entsetzensschrei konnte nicht verhindern, dass ihr Monster in einer gewaltigen Explosion unterging. Womit nun beide Teammitglieder ohne Karten auf dem Feld dastanden. Der Weißhaarige streckte den Arm aus und zeigte auf Nick. „Nimm es mir nicht übel, aber ersparen wir der Dame doch eine unschöne Erinnerung. [Scrap Dragon], Scrap Burst Stream!“ Der Schrottdrache lud einen blauen Energiestrahl in seinem Maul auf, den er umgehend auf Nick abfeuerte. Dieser hielt sich geblendet von der Attacke den Arm vors Gesicht und wurde voll erfasst.   [Nick: 3700LP → 900LP Nina: 4000LP //// Drazen: 3500LP]   „Was!?“, staunte Nick, als er unverletzt aus dem Angriff hervorging. „Oh? Dachtest du etwa, ich würde dir wehtun wollen?“, fragte Drazen erstaunt und brach in bärbeißiges Gelächter aus. „Warum sollte ich?“ Doch Nick antwortete nicht, sondern betrachtete den mechanischen Drachen. Wenn es ihm nicht gelang, dieses Ding auszuschalten, war er spätestens nächste Runde besiegt. Das hieß, wenn Nina nicht schon vorher wieder irgendeinen Unsinn veranstaltete. „Ich beendete damit meinen Zug“, verlautete Drazen gelassen.   „Draw!“, rief Nick eifrig und riss regelrecht seine nächste Karte vom Deck. Und als er sie erblickte, hellte sich seine Miene auf. Sofort zeigte er die Karte vor. „[Monster Reborn]. Was sie bewirkt, sollte jeder fähige Duellant wissen.“ „Was denn?“, wunderte sich Nina und drehte sich zu ihm. Und das, obwohl sie die Karte selbst einst gegen Abby eingesetzt hatte. Vor Nick tauchte schließlich der blonde Krieger mit dem Kettenschwert wieder auf.   XX-Saber Fulhelmknight [ATK/1300 DEF/1000 (3)]   „Was hast du mit meinem Monster vor!?“, kreischte Nina aufgebracht und starrte Nick wütend an. „Wenn Sie das dürfen, dann ich auch“, entgegnete dieser nur kühl und legte ein Monster auf seine Duel Disk. „Erscheine, [Wind-Up Hunter]!“   Wind-Up Hunter [ATK/1600 DEF/500 (3)]   Doch das Monster war nur für einen Sekundenbruchteil auf dem Feld, da verwandelte es sich schon in einen braunen Lichtstrahl, ebenso wie [XX-Saber Fulhelmknight]. „Ich erschaffe das Overlay Network!“, rief Nick und ließ einen schwarzen Wirbel mitten in der Seitengasse erscheinen, welcher die zwei Strahlen in sich aufnahm. „Xyz-Summon! Erscheine, [Wind-Up Carrier Zenmaity]!“ Aus dem Loch trat ein Spielzeugflugzeugträger, der immerhin noch so groß war, dass er sich schützend vor Nick und Nina stellten konnte. Um das Schiff kreisten zwei Lichtsphären.   Wind-Up Carrier Zenmaity [ATK/1500 DEF/1500 {3}] „Ich aktiviere den Effekt von Zenmaity!“, verkündete Nick. „Durch das Abkoppeln einer Xyz-Einheit kann ich-“ „Ich weiß genau, was du tun willst“, sprach Drazen amüsiert dazwischen, „ich kenne die gnadenlose Kombo bestehend aus [Wind-Up Rat] und [Wind-Up Hunter], die mir alle Handkarten nehmen soll. Und danach wirst du dich sicher hinter [Wind-Up Zenmaines] verstecken wollen, den mein [Scrap Dragon] nicht antasten kann, habe ich recht?“ Nicks Augen weiteten sich. „Wie haben Sie das durchschaut!?“ „Ich bin ein alter Knacker, ich kenne da schon die ein oder andere Kombo.“ Drazen lachte auf. „Bloß das hindert mich nicht daran, ihnen hin und wieder einen Strich durch die Rechnung zu machen. Konterfalle, [Scrapped]!“ Die purpurne Karte sprang vor Drazen auf und zeigte seinen [Scrap Dragon], wie dieser in einer Explosion unterging. Plötzlich richteten sich die Abschussrampen des Flugzeugträgers auf den Drachen am Himmel aus. „Was geschieht hier!?“ Nick war fassungslos. Es war, als würde Drazen in die Zukunft sehen können! „[Scrapped] kann nur aktiviert werden, wenn ich ein Scrap-Synchromonster kontrolliere. Dann greift er in einen beliebigen deiner Effekte ein und ändert ihn so um, dass eines meiner Scrap-Synchromonster vernichtet wird.“ Nina stammelte daraufhin: „Damit ist uns doch nur geholfen!?“ Ihr Gegenüber lachte amüsiert. „Kann schon sein.“ Schon hatte Nicks Schiff zwei Haitorpedos abgefeuert, die direkt in die Brust des mechanischen Drachen am Himmel einschlugen. Jener schrie gequält in seiner verzerrten Stimme auf, ehe er explodierte und in einem Schrottregen niederging. Doch ganz unerwartet explodierte auch Nicks [Wind-Up Carrier Zenmaity]. „Oh, ja, das muss wohl das Alter sein“, murmelte Drazen und strich sich über den Kopf hin bis zum Pferdeschwanz, welcher von seinem Poncho aus immerhin bis zu den Hüften reichte. „Ich habe wohl vergessen zu erwähnen, dass [Scrapped] danach die Karte zerstört, die mein Monster vernichtet hat.“ Fassungslos betrachtete Nick sein leeres Spielfeld. Dieser Drazen war einfach unglaublich, er hatte alles durchschaut und dementsprechend reagiert. Plötzlich schoss aus dem niedergehenden Schrotthaufen eine dunkle Gestalt. „Ah, und wenn [Scrap Dragon] durch einen gegnerischen Einfluss zerstört wird, beschwört er ein Scrap-Monster von meinem Friedhof. Das darf nur kein Synchromonster sein, ansonsten gibt es keine Beschränkung.“ Schon schwebte wieder der kaputte Oberkörper eines alten Roboters vor Drazen.   Scrap Breaker [ATK/2100 DEF/700 (6)]   Es war nicht zum Aushalten, dachte Nick krampfhaft. Jede Maßnahme gegen Drazen endete letztlich in einem Desaster. Nun konnte er nicht einmal mehr ein Monster zu seinem Schutz beschwören. Alles, was er überhaupt tun konnte, war zu bluffen. Daher nahm er die Zauberkarte [Weights & Zenmaisures] und setzte sie als Falle getarnt verdeckt. Während sie vor seinen Füßen erschien, bezweifelte der große, junge Mann jedoch, dass Drazen sich davon aufhalten ließ. Vermutlich wusste er genau, dass das nur ein Placebo war. Gesetzt aus Verzweiflung. „Ich beende meinen Zug“, sagte Nick leise. Ohne die Reporterin anzusehen, flüsterte er ihr zu: „Alles hängt jetzt von Ihnen ab, Nina.“ „Verstanden. Ich schaukel' den Stuhl schon irgendwie.“ Nick seufzte innerlich. Nicht einmal Sprichwörter bekam diese Person auf die Reihe. Sie hatten praktisch schon verloren … „Draw!“, rief Nina derweil und zog schwungvoll. Ihre drei Handkarten nachdenklich betrachtend, schnippte sie schließlich mit dem Finger. „Ich passe!“ „Was!?“, polterte Nick verstört, packte kurzerhand ihren Arm und sah sich entgegen der Regeln des Spiels ihr Blatt völlig aufgebracht an. „I-ich habe nur Monster hoher Stufe auf der Hand!“, rechtfertigte der Rotschopf sich erschrocken. Entgeistert betrachtete Nick die Karten. Es waren [XX-Saber Faultroll] der Stufe 6, [Commander Gottoms, Swordmaster], ebenfalls Stufe 6 und [XX-Saber Gardestrike], Stufe 5. Nicks Gesichtszüge entglitten ihm, als er Letzteren bemerkte. Kaum verständlich murmelte er: „Nina … dieses Monster kann von der Hand als Spezialbeschwörung gerufen werden, wenn sich zwei X-Saber auf ihrem Friedhof befinden. Nina … es befinden sich dort mindestens zwei. Und Nina … dieses Monster hätte genug Angriffspunkte gehabt, um sich zusammen mit [Scrap Breaker] zu zerstören. Nina!“ „Yieks!“ Sofort wich sie von ihm und fauchte verärgert: „Wie ich meine Karten einsetze, entscheide immer noch ich! Ich kenne sie schließlich am besten! Nick brüllte nicht weniger laut. „Ich wusste, es war ein Fehler Sie zu beschützen!“ „Ich habe bisher mehr Schaden angerichtet als du, Burschi! 400 zu 100 steht es!“   Und während die beiden sich heftig stritten, zog Drazen seufzend eine Karte und begann damit seinen Zug. „Ich sollte das wohl jetzt beenden“, murmelte er mit einem Hauch von Enttäuschung. „Also aktiviere ich [Monster Reincarnation], um von meiner Hand eine Karte abzuwerfen. Als Ersatz erhalte ich ein Monster von meinem Friedhof.“ Drazen verzichtete auf sein Monster [Scrap Hunter] und nahm sich dafür die [Scrap Chimera] auf seine Hand. Doch die beiden Zankenden nahmen gar keine Notiz davon. Resignierend seufzend legte Drazen seine Schimäre auf die Duel Disk, welche daraufhin vor ihm erschien.   Scrap Chimera [ATK/1700 DEF/500 (4)]   Erst als das mythische Wesen brüllte, wurden die beiden Streithähne aufmerksam und glotzen den Schrottlöwen mit Schwingen und Schlangenschwanz verwirrt an. „Dank ihres Effekts kehrt [Scrap Dummy] zurück“, führte Drazen seinen Zug fort. Zwischen Breaker und Schimäre tauchte der auf einem Autoreifen fahrende Crashdummy auf.   Scrap Dummy [ATK/800 DEF/2000 (4)]   „Was?“, murmelte Nick leise, der völlig verdrängt hatte, dass sein Gegner nun am Zuge war. „Machen wir dem ein schnelles Ende, okay?“, fragte Drazen, doch es klang eher nach einer Feststellung, denn einer Bitte. „Ich stimme den Stufe 4-[Scrap Dummy] auf den Stufe 6-[Scrap Breaker] ein! A heart of iron rests within the void of time and space! One beat, powerful enough to reverse the laws of nature! Synchro Summon! Break loose, [Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T]!“ Ein heftiger Wind peitschte plötzlich durch die Seitengasse. Nick und Nina wurden regelrecht fort gedrückt, als der Dummy in vier grüne Ringe zersprang und der Breaker diese passierte. Ein greller Blitz blendete die beiden, als die Erde erzitterte. Nick öffnete seine Augen nur einen Spalt weit, doch erschrak so sehr, dass glatt ein kalter Schauder über seinen Rücken lief. Mülltonnen und Container, alte Bierdosen, Colaflaschen, alles was nicht am Boden festgenagelt war, schwebte in der Luft. Und hinter Drazen, da war er, der Schatten von etwas, das Nick am ehesten als 'Titan' bezeichnen würde. Doch das Licht, welches von diesem Monster ausging, war zu grell um Näheres zu erkennen. „Wenn Heavy T als Synchrobeschwörung gerufen wird“, erklärte Drazen, als wäre es nichts Besonderes, dass die Schwerkraft um sie herum ausgesetzt hatte, „erhält er bis zur End Phase für jedes verwendete Synchromaterial 500 Angriffspunkte.“   Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T [ATK/3000 → 4000 DEF/0 (10)]   „Das war wirklich ein lustiges Duell. Aber euer Teamwork lässt noch sehr zu wünschen übrig. Wenn ihr jedoch an euch arbeitet, werdet ihr irgendwann sehr gute Duellanten sein“, sagte Drazen warmherzig. „Und nun entschuldigt, dass das jetzt etwas heftig wird. Heavy T, greif bitte die Dame an, aber sei behutsam. [Scrap Chimera], übernimm du den jungen Mann. Los!“ Ehe Nick sich versah, fiel die Schimäre über ihn her – und durch ihn hindurch. Gleichzeitig wurde die Erde erneut so heftig erschüttert, dass er und Nina zu schreien anfingen und umkippten. Ein lautes Poltern und alles war vorbei.   [Nick: 900LP → 0LP Nina: 4000LP → 0LP //// Drazen: 3500LP]   Nick lag auf dem Rücken, öffnete die Augen und bemerkte eine Hand, die nach ihm ausreichte. Drazens graue Augen glänzten regelrecht vor Freude, als er niederkniete, um dem jungen Mann aufzuhelfen. „Danke“, murmelte Nick, immer noch geschockt von den Ereignissen und ließ sich auf die Beine ziehen. Hinter Drazen stand Nina bereits wieder und klopfte sich wütend das weiße Kleid sauber. „Was für ein schlechter Witz! Wegen so einem unreifen-“ Sie sah auf und bemerkte Nicks stechenden Blick, verstummte erschrocken. Erst jetzt bemerkte jener, dass die Mülltonnen und auch die anderen Gegenstände wieder auf dem Boden der Tatsachen zurückkehrt waren. Allerdings kopfüber. Es war ihm unbegreiflich. „Was … war das?“ „Nichts“, antwortete Drazen unbekümmert und klopfte ihm im Vorbeigehen auf die Schulter, „da mir das Duell so großen Spaß gemacht hat, erlasse ich dir die Schuld.“ „D-das Geld“, erinnerte sich Nick. Er wirbelte hektisch um und sah, wie Drazen langsam die Seitengasse Richtung Straße verließ. „Warten Sie! Bitte!“ Tatsächlich hielt der alte Mann an. „Es tut mir leid, mein Junge. Ich kann dir nicht mehr sagen, als du vermutlich sowieso schon weißt.“ „Aber was ist mit den beiden Eden!? Wieso-“ Drazen drehte sich zu ihm und Nina um und versuchte zu lächeln, doch dieses Mal gelang es ihm nur kläglich. „Eden ist die Stadt der Unsterblichkeit. Vor vielen, vielen Jahren wurde sie erschaffen, um einigen wenigen Menschen eine Zuflucht zu sein.“ Nick schüttelte verwirrt den Kopf. „Aber was hat das mit unserem Eden zu tun? Und wieso sind Sie überhaupt ein Verbannter?“ „Ja“, stimmte Nina mit ein, „das will ich auch wissen. Ohne das ist mein Artikel nicht komplett!“ Den Kopf in den Nacken legend, sah Drazen voller Melancholie in den wolkenverhangenen Himmel. „Unsterblichkeit ist Stillstand. Und irgendwann, wenn es nichts mehr gibt, das man in dem sich selbst auferlegten Gefängnis noch entdecken kann, wird das Leben langweilig. Der Körper eines Kindes, beseelt von dem Geiste eines Greises. So etwas darf nicht Leben genannt werden. Aber daran ändern wollte außer mir niemand etwas. Und so bin ich ins Exil gegangen, zurück in die Welt, aus der ich vor Jahrhunderten gekommen bin. Fort von der Heimat, die ich mit eigenen Händen aufgebaut habe.“   Er brauchte nicht mehr sagen, damit Nick verstand. „Und die beiden Eden?“ Drazen richtete seinen Blick wieder auf den jungen Mann. „Lass deine Freundin gehen und Eden werden. Alles andere würde sie nur vollkommen ins Unglück stürzen. Glaube mir, ich habe den Limbus gesehen.“ „Aber-!“ „Das ist nun mal der Fluch des Tores 'Eden'.“ Nick verstummte. Er sollte aufgeben!? Einfach so!? Zulassen, dass Anya starb und mit sich die Leben von fünf Menschen nahm? Wie konnte der das so einfach sagen!? „Dies hier nehme ich aber trotzdem mit“, meinte Drazen zwinkernd und zückte unter seinem Poncho einen weißen Umschlag hervor. „Immerhin habe ich dir ja am Ende doch etwas verraten. Ich wünschte, es wäre mehr gewesen. Du bist ein guter Junge.“ Mit diesen Worten wirbelte der alte Mann um und verschwand aus der Seitenstraße wie ein Schatten, der im Licht verblasste. Und hinterließ einen jungen Mann mit großen Zweifeln an seinem Tun. Doch plötzlich hallte es durch die Gasse: „Aber wenn ich mich richtig erinnere, können Verträge doch aufgehoben werden, wenn beide Parteien zustimmen. Oder liege ich da falsch?“     Turn 27 – Friends Am Tag nach dem Treffen mit Drazen nimmt Nick Abby nach der Schule beiseite und besucht mit ihr den Spielplatz. Dort haben er, sie und Anya früher immer gespielt. Seine wahre Persönlichkeit preisgebend, konfrontiert er Abby mit Anyas schrecklichem Vorhaben, die dies jedoch nicht wahrhaben will. Ein Streit zwischen den beiden Freunden entfacht, welcher in einem Duell zweier im wahrsten Sinne ebenbürtiger Gegner endet. Anderenorts ist Anya darum bemüht, die letzten Vorkehrungen für den 11. November zu treffen, an dem ihr Schicksal entschieden wird … Kapitel 27: Turn 27 - Friends ----------------------------- Turn 27 – Friends     „Der Test war heute ziemlich schwer“, sprach Abby abgespannt, als sie, Anya und Nick zusammen das große Backsteingebäude ihrer Schule verließen. „Aber ich denke, ich habe fast alles richtig beantwortet.“ Die Blondine an ihrer Seite, mit hinter dem Kopf verschränken Armen, starrte missmutig zu ihrer Freundin herüber. „Fang bloß nicht an zu heulen, wenn du nicht die volle Punktzahl bekommst!“ „Ich heule wegen so etwas nicht!“, brüskierte sich das Hippiemädchen daraufhin. Zusammen gingen sie über das kreisrunde Campusgelände hin zum Tor, um endlich der Folteranstalt Schule zu entkommen und den wohlverdienten, freien Nachmittag genießen zu können. „Hehe … ich habe dieses Mal meinen Namen richtig geschrieben“, gluckste Nick stolz, „in Spiegelschrift.“ Und wurde glatt von den beiden Mädchen ignoriert. „Was machst du heute noch?“, fragte Abby, als sie vor dem Tor angekommen waren, an Anya gewandt. Die stöhnte genervt. „Nichts Besonderes. Ein paar Erledigungen.“   Zwei Scherben haben wir bereits aufgeladen, Anya Bauer. Doch wir sollten uns sputen, es fehlen noch drei weitere. Es wäre gut, wenn wir für heute zumindest eine weitere mit Marcs Elysion aus dem Park aufladen können. Damit blieben danach nur noch Victim's Sanctuary und die Kanalisation.   „Nichts Wichtiges“, log Anya ihre Freunde daraufhin an. „Hehe, ich und Abby gehen heute aus“, gluckste Nick daraufhin amüsiert. Nur, dass Erstere davon scheinbar nichts wusste und sich pikiert umdrehte. „Wie bitte!?“ Doch schon hatte sich Nick unter ihrem Arm eingehakt. „Wird ganz romantisch. Wünsch' mir Glück, vielleicht zeigt sie mir ihre Brüste.“ „Waaaaaas!?“, fauchte Abby knallrot, konnte sich aber nicht dagegen wehren, von dem großen jungen Mann davon geschleift zu werden. „Was ist denn mit dem los!?“, wunderte sich Anya verwirrt, die den beiden nachsah, wie sie über die Straße rannten und anfingen sich zu streiten.   Vielleicht ist er eifersüchtig, jetzt da Benjamin Hendrik Ford bei Abby wohnt.   Anya winkte abfällig ab. „Ich glaube, damit will ich nichts zu tun haben. Wir haben andere Sorgen.“ Noch fünf Tage, dann war es soweit. Dann würde sie im Turm von Neo Babylon Eden werden …   ~-~-~   „Lass mich endlich los!“, beklagte sich Abby, die hinter Nick her geschleift wurde. Nur aufgrund ihrer pazifistischen Einstellung sah sie davon ab, ihm einen Tritt in sein schwaches Geschlecht zu verpassen. „Wir sind da“, meinte er plötzlich ernst. Abby blinzelte verdutzt und folgte seinem Blick. „Oh!“ Auf der anderen Straßenseite erstrecke sich ihnen ein großer Spielplatz. Buddelkästen, Schaukeln, Rutschen, alles was ein Kinderherz begehrte war hier eigens für die junge Generation erbaut worden. Die Sonne stand bereits tief am Horizont und tränkte diesen in melancholisches Rot. „Was wollen wir denn hier?“, fragte Abby verwirrt und folgte Nick über die Straße. „Sag bloß nicht, dass du mich hier daten willst!?“ „Das habe ich nur als Vorwand genommen, um von Anya loszukommen“, erhielt sie jedoch stattdessen als Antwort. Überrascht schloss das Mädchen daraufhin zu ihrem Freund auf und sah ihn nun vollkommen verwirrt an. „W-wieso das?“ „Wir müssen uns unterhalten. Über Anya und wie es weitergehen soll.“   Kurz darauf betraten sie den Spielplatz. Abby löste sich von ihm und stellte sich nachdenklich vor eine der Schaukeln. Erinnerungen wurden wach. „Hier haben wir drei immer gespielt“, murmelte sie. „Anya, du und ich.“ Nick stellte sich hinter sie. „Ja. Das ist jetzt schon so lange her, dass ich mich kaum noch daran erinnern kann. Aber auch wenn wir jetzt schon längst aus dem Alter raus sind, ist es schön, ab und zu wieder hierher zu kommen.“ Er schritt an ihr vorbei und setzte sich auf eine der Schaukeln, ohne jedoch die Anstalt zu machen, Anlauf zu nehmen. Abby tat es ihm gleich und sah ihn von der Seite verdutzt an. „Ich wusste gar nicht, dass du so feinfühlig sein kannst. Irgendwie bist du heute komisch!“ „Ich bin schon mein ganzes Leben komisch“, antwortete Nick und ließ den Kopf hängen, „fragt sich nur, welcher Nick komischer ist.“ „Du meinst, der Nick, der dümmer als das ganze Footballteam zusammen ist, oder der Nick, der so schlau ist, dass er eine ganze Klasse überspringen könnte?“ Überrascht blickte Nick auf. „Du-du weißt, dass ich-“ Nun war es an Abby, den Blick zu senken. Sie nahm etwas Anlauf und begann zu schaukeln. „Weißt du, niemand kann so dumm sein, wie du es uns weiß machen wolltest. Ich habe immer gedacht, dass hinter dir mehr steckt. Spätestens seit deinem Duell mit Melinda …“ „Du hast mich also die ganze Zeit durchschaut?“ Abby schüttelte den Kopf. „Nein, ich hatte nur manchmal einen Verdacht, aber nie konkrete Beweise. Bis eben zumindest. Aber wirklich überraschen tut es mich nicht, nein.“ „Und Anya?“ Nun kicherte das Mädchen. „Ich glaube, die ahnt nichts davon. Solange ich keine Beweise hatte, wollte ich sie nicht darauf ansprechen.“ Nick sah in den roten Himmel. „Verstehe … würdest du sie in dem Glauben lassen, dass ich minderbemittelt bin?“ Überrascht blickte Abby zu ihm herüber. „Wieso? Ich meine, natürlich, wenn du es möchtest. Aber ich verstehe nicht ganz, warum du überhaupt … ?“ Mit einem Lächeln erwiderte er ihr: „Nicht so wichtig. Sagen wir einfach, es macht mir Spaß.“ „Du bist wirklich komisch“, brummte Abby schmunzelnd, ehe beide anfingen zu lachen.   Eine Weile betrachteten sie zusammen den Sonnenuntergang, ehe Nick wieder das Wort ergriff. „Es ihr jetzt noch zu sagen, würde ihr vermutlich nicht bekommen.“ „Anya?“ Abby stieß einen traurigen Seufzer aus. „Oh … ja. Sie wird …“ „Sie wird sie alle töten.“ „Huh!?“ Abby fiel vor Schreck von der Pritsche und landete im Sand, die getönte Brille fiel ihr von der Nase. Sofort sprang Nick von der Schaukel, sammelte die Brille auf und gab sie seiner Freundin, die ihn aus verwirrten Augen anstarrte, während sie aufstand. „W-was meinst du damit?“ „Anya. Sie hat uns angelogen. Sie kennt keinen Ausweg aus ihrer Situation und hat sich offensichtlich damit abgefunden, Eden zu werden. Um die anderen in den Turm zu locken, hat sie sich die Geschichte ausgedacht, die sie uns vorgestern erzählt hat.“ Sofort wich Abby von ihm zurück. „Anya würde so etwas nie tun! Sie kämpft bis zum Schluss!“ „Hast du es nicht gesehen?“, fragte Nick, der mit so einer Reaktion gerechnet hatte. „Ihre Körpersprache hat sie verraten. Sie hat niemandem von uns in die Augen gesehen.“ „Wieso erzählst du mir das überhaupt!?“ „Weil du ihre beste Freundin bist und dazu die Einzige … die sie davon abhalten kann.“ Abby starrte Nick fassungslos an. „S-selbst wenn das stimmt, was du sagst – und das tut es nicht! Das würde doch bedeuten, dass sie im Limbus endet! Weißt du überhaupt, was das ist!?“ „Nein, aber ich kann es mir denken“, erwiderte Nick und mied Abbys aufgewühlten Blick. „Ich habe selbst alles versucht, um einen Ausweg für sie zu finden. Aber alles, was ich herausgefunden habe, hat sich als falsch oder zwecklos herausgestellt. Und dass du dich immer noch nicht traust, Anya auf die Sache mit dem Betrüger und diesem Necronomicon anzusprechen, heißt nur, dass es dir nicht anders geht.“ „Was meinst du damit!? Nick, erklär' dich!“ Nun sah Nick das Mädchen wieder mit festem Blick an. „Gestern habe ich einen Mann namens Drazen getroffen. Wer das ist, erzähle ich dir später. Aber laut ihm könnte der Pakt aufgelöst werden, wenn Anya und Levrier sich dazu einigen.“ „Aber das wird nie geschehen!“ Mit einem Nicken stimmte er ihr zu. „Exakt. Und genau deshalb möchte ich verhindern, dass in fünf Tagen, vielleicht um diese Zeit, fünf unschuldige Menschen ihr Leben verlieren werden.“ Abby wich noch weiter von ihm zurück. Der Sand unter ihren Füßen knirschte leise, als sie sich Schritt für Schritt von Nick entfernte. Sie schüttelte den Kopf vehement. „Du glaubst das also wirklich? Dass Anya so etwas Schreckliches tun will?“ „Ja“, erwiderte der große, junge Mann daraufhin entschlossen, „aber ich glaube, dass nicht nur sie das will.“ Was dazu führte, dass Abby einen erschrockenen Seufzer ausstieß. Nun streckte Nick ihr energisch die Hand entgegen. „Verstehst du nicht? Hier geht es nicht nur um Anya! Irgendetwas oder irgendwer zieht hier die Fäden! Immer wenn Not am Mann ist, wird ein Pakt geschlossen, der rein zufällig ein Opfer für Edens Erwachen bereitstellt. Das kann doch kein Zufall sein!“ Verwirrt stolperte das brünette Mädchen noch weiter zurück. „Aber wie kommst du auf so etwas? Wer sollte denn-!?“ „Ich weiß es nicht! Aber niemand konnte uns bisher mit Gewissheit sagen, was Eden nun wirklich ist!“   Er wusste, dass dies eine Lüge war. Drazen hatte es ihm gesagt: Eden war ein Tor. Wohin, das hatte er ihm zwar verschwiegen, aber Nick ahnte Fürchterliches. Sollte Eden geöffnet werden, könnte etwas Schreckliches geschehen. Denn wer wusste schon, was hinter diesem Tor lag? Nur jemand, der Interesse daran hatte, es zu öffnen. Und dafür Anya missbrauchte. Jemand wie Levrier … Dieses Tor durfte nicht geöffnet werden. Das hatte er gestern nach langem Grübeln und einer schlaflosen Nacht erkannt. Auch wenn das bedeutete, dass Anya … leiden musste.   „Das ist doch an den Haaren herbeigezogen!“, beklagte sich Abby nun aufgebracht. „Wer außer Levrier sollte wollen, dass Eden erwacht? Und Levrier weiß nicht, was Eden ist, wie du schon sagtest!“ „Es gibt aber noch andere von Levriers Sorte!“ „Aber keiner von denen scheint bemüht zu sein, Anya wirklich zu helfen! Die Engel zählen nicht, Matts Paktdämon ist neutral und Isfanel eindeutig dagegen, dass Eden erwacht!“ Die Engel, dachte Nick insgeheim. Was sie im Schilde führten wusste keiner. Auch sie könnten diejenigen sein, die hinterrücks die Fäden in der Hand hielten.   „Und außerdem“, beklagte Abby sich weiter über Nicks Worte, „selbst wenn alles, was du sagst stimmen würde … würdest du Anya einfach so im Stich lassen? Du hast keine Ahnung, was der Limbus ist!“ „Wäre dir eine Katastrophe lieber!? Denkst du, dass ich Anya so einfach loslassen kann!?“ Nick stampfte auf. „Sie ist genauso meine Freundin!“ „Was du sagst, ist einfach nur hinterhältig!“ Tränen standen in den Augen des Mädchens, welches die Brille abnahm, um sie sich mit dem Handrücken abzuwischen. „Ich hätte nie gedacht, dass du so grausam bist …“ „Ich liebe Anya! Mein ganzes Leben habe ich eine Rolle für sie gespielt!“ Auch Nick war so aufgebracht, dass seine Wangen langsam benetzt wurden. „Dass sie meine Liebe nie erwidern wird ist okay, damit habe ich mich schon lange abgefunden! Mein Plan war es, erst wieder 'Nick' zu sein, wenn sie glücklich ist! Aber sie wird nie glücklich sein, Abby! Nie! Egal, was wir tun!“ „Wie kannst du … wie kannst du so etwas nur Liebe nennen!?“ Abby keuchte regelrecht vor Wut, ihre Augen verfärbten sich rosa. Mit ausgestrecktem Arm zeigte sie auf Nick. „Dass du sie einfach so über die Klinge springen willst, weil du Gespenster siehst … das kann ich nicht zulassen! Nick! Wir sind jetzt Feinde!“   Der brünette Junge wich fassungslos zurück, erwiderte nicht minder aufgebracht: „Das kann nicht dein Ernst sein!“ Doch als Antwort schlug ihm ein heftiger Wind entgegen, der von Abby ausging. Ihr Haar wuchs auf beträchtliche Länge an, schwebte in der Luft, doch schien ihre Verwandlung in eine Sirene unvollständig. Das Mädchen ließ ihre Umhängetasche aus zusammengenähtem Stoff sinken und holte daraus eine kleine Actionfigur hervor, nahm ihr die Duel Disk an ihrem Arm ab und ließ sie durch ihre Kräfte anwachsen, ehe sie von einem Original nicht mehr zu unterscheiden war. „Tut mir leid, Nick“, sprach Abby schluchzend, „aber du bist wirklich ein riesengroßer Idiot!“ Damit legte sie sich den Apparat an den Arm an und wartete darauf, dass er es ihr gleich tat. Aber Nick weigerte sich. „Worum kämpfen wir hier überhaupt!?“ Er erhielt eine Antwort purer Verzweiflung. „Ich weiß es nicht! Aber was soll ich sonst tun!?“ „Gute Frage.“ Nick schluckte und ließ seinen Rucksack sinken, holte ebenfalls eine Duel Disk hervor. In ihrem jetzigen Zustand würde sie sich nicht dazu breit schlagen lassen, die Dinge anders zu klären. Selbst eine Abigail Masters konnte dickköpfig sein. Nick seufzte. „Aber wenn ich du wäre, würde ich vermutlich nicht anders handeln. Manchmal ist es ein Fluch … ich zu sein.“ Damit legte auch er seine Duel Disk an. Beide schrien synchron: „Duell!“   [Abby: 4000LP / Nick: 4000LP]   Nick wusste, dass dieses Duell keinen Sinn besaß. Es war nichts weiter als der Ausdruck von Abbys Verzweiflung. Wie konnte sich eine so friedliebende Seele wie sie auch mit dem Gedanken anfreunden, dass Anya zu etwas derart Schrecklichem fähig sein könnte? Fünf Menschen zu töten. Wenn von Eden nicht diese unbegreifliche Gefahr ausging, die außer ihm niemand zu sehen schien, würde Nick es zulassen. Gehen lassen musste er Anya sowieso. Aber dann sollte es wenigstens auf die für sie angenehmste Weise geschehen. Aber sollte er das zulassen, sie zusammen mit Levrier Eden werden lassen, könnte das wie ein Bumerang auf sie alle zurückfallen. Eden, das verfluchte Tor. „Wohin führst du?“, murmelte er zu sich selbst und zog sein Startblatt. „Ich beginne, schließlich bin ich Ursache für das alles. Draw.“ Er musste die Ruhe bewahren. Abby, sie versuchte mit aller Kraft, sich zu beherrschen und ihr Blut unter Kontrolle zu halten. Aber diese Verbitterung in ihrem Blick. Lag das wirklich nur an der Wahrheit hinter Anyas Absichten? Oder gab es da noch etwas anderes? Bevor er jedoch eine Karte ausspielte, betätigte er ein Knopf unterhalb seiner Duel Disk. Das Sicherheitssystem war nach wie vor deaktiviert, weswegen er es zunächst einschalten musste. Schließlich wollte er Abby nicht verletzten. Das getan, rief er schließlich: „Den Auftakt macht [Wind-Up Knight]!“ Vor Nick erschien ein weißer Spielzeugritter, kaum mehr als einen Meter groß und hielt schützend Schild und Schwert bereit. Aus seinem Rücken ragte ein Aufziehschlüssel. Nick schob eine Karte in die Backrow seiner Duel Disk. „Diese hier verdeckt. Du bist dran.“ Die Karte materialisierte sich in liegender Position vor ihm.   Wind-Up Knight [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   „Oh Nick, was denkst du dir bloß?“, jammerte Abby und zog. „So etwas zu sagen … Anya ist unsere Freundin!“ „Aber selbst Freunde muss man irgendwann loslassen können.“ „Ach ja!? Dafür, dass du sie angeblich liebst, kannst du ja ziemlich leicht loslassen!“ Abby biss sich auf die Lippe, ihr Haar verfärbte sich an einigen Stellen weiß. „Wer Freunde wie dich hat, braucht keine Feinde mehr!“ Aufgeregt griff sie nach einem Monster in ihrer Hand. „Los, [Naturia Pumpkin]! Und wenn der beschworen wird, ruft er, solltest du ein Monster kontrollieren, ein weiteres Naturia-Monster von meinem Blatt! [Naturia Tulip]!“ Gleich zwei Monster auf einmal tauchten vor Abby auf. Das erste war ein grüner Kürbis mit Gesicht, der auf zwei Beinen lief. Daneben wuchs eine kleine, rote Tulpe, deren Kopf größer war als ihr ganzer Körper. Ihre blauen Augen strahlten regelrecht vor Freude, von Abby eingesetzt zu werden. Naturia Pumpkin [ATK/1400 DEF/800 (4)] Naturia Tulip [ATK/600 DEF/1500 (2)]   Abby streckte den Arm weit aus. Ihre Monster stiegen in die Luft auf, die Tulpe zersprang in zwei grüne Ringe. „Ich stimme meine Stufe 2-[Naturia Tulip] auf den Stufe 4-[Naturia Pumpkin] ein! Oh great god of the east! Scare my enemies with your mighty presence! Synchro Summon! Descent down, [Naturia Barkion]!“ Ein greller Lichtblitz schoss durch die zwei Ringe, aus dem daraufhin ein gewaltiger, schlangenhafter Drache flog. Sein grauer Leib war bedeckt von Rinde, die als Schuppenschicht zum Schutze des Drachen diente. Sich vor Abby ausbreitend, brüllte er stolz. Naturia Barkion [ATK/2500 DEF/1800 (6)]   Das war ein guter Schachzug, dachte Nick insgeheim. Mit Barkion konnte sie jede Falle annullieren, solange sie zwei Karten von ihrem Friedhof entfernte. Damit hatte sie seine verdeckte Karte [Overwind] lahm gelegt. „Los Barkion, greif seinen Ritter an!“, befahl Abby entschlossen und doch klang deutlich ihr verletztes Gemüt daraus hervor. Der Drache glitt in seinem Flug direkt auf den weißen Ritter zu, der schützend seinen Schild erhob. „Effekt von [Wind-Up Knight] aktivieren! Nur einmal, solange er offen auf dem Feld liegt, annulliert er einen deiner Angriffe!“ Mit einem Schweifschlag versuchte Barkion, seinen Erzrivalen niederzustrecken, doch scheiterte an dem robusten Rundschild des Kriegers. Nick lachte zufrieden. „Ritter sind dazu geboren, um Drachen zu bekämpfen.“ „Aber noch lebt mein Drache!“, stellte Abby klar. „Noch einmal gelingt dir das nicht! Ich setze eine Karte verdeckt und beende meinen Zug!“ Vor Abby materialisierte sich mit dem Bild nach unten gerichtet eine grün umrandete Karte.   Schon hatte Nick sein Blatt aufgestockt, besaß jetzt fünf Handkarten. Dass sie nicht zwei Fallen gelegt hatte, kam ziemlich ungünstig. Sein Assmonster, [Wind-Up Arsenal Zenmaioh], konnte pro Zug zwei gesetzte Karten auf dem Spielfeld vernichten. Nur eine mehr und er hätte Abbys Verteidigungsreihe spielend leicht durchbrechen können. Aber vermutlich war auch sie sich dessen bewusst. „Du bist wirklich nicht schlecht“, meinte Nick anerkennend und nahm eine dauerhafte Zauberkarte aus seinem Blatt hervor, „ehrlich gesagt finde ich es toll, dass wir uns das erste Mal ernsthaft miteinander duellieren können.“ „Ach ja?“ Abby lachte bitter. „Stimmt ja, ich weiß ja jetzt um dein Lügengeflecht. Und auf so etwas bist du ernsthaft stolz!?“ „Es gibt Schlimmeres als das“, erwiderte Nick. Gerade Abby sollte das am besten wissen. „Ich aktiviere [Weights & Zenmaisures]! Danach beschwöre ich [Wind-Up Dog] und aktiviere auch gleich seinen Effekt, um seine Angriffskraft um 600 und seine Stufe um 2 ansteigen zu lassen.“ Hinter Nick baute sich eine riesige Metallwaage auf, deren Schalen durch ein Pendel unterhalb des Gebildes miteinander verbunden waren. Und während sein Ritter auf die linke Waagschale sprang, tauchte auf der rechten ein kleiner, blauer Mechanikhund auf. Der Aufziehschlüssel auf seinem Rücken begann sich zu drehen, sein zunächst unscheinbares Gewicht drückte die Schale des Ritters tatsächlich nach oben.   Wind-Up Dog [ATK/1200 → 1800 DEF/900 (3 → 5)] „Und nun wähle“, forderte Nick und breitete beide Arme aus. „[Weights & Zenmaisures] nimmt sich pro Zug zwei Wind-Ups und vergleicht ihre Stufen miteinander. Mein Gegner bestimmt dann eines der beiden Monster, das die Stufe des anderen erhält. Solltest du hierbei einem Monster die niedrige der beiden zu vergleichenden Stufen geben, darf ich als Ausgleich eine Karte ziehen.“ „Aber wenn ich die höhere wähle“, sprach Abby unbekümmert weiter, „ist es für dich leichter, ein starkes Xyz-Monster zu beschwören. Aber davor habe ich keine Angst, tu es ruhig. Dein [Wind-Up Knight] erhält die Stufe 5 des [Wind-Up Dogs].“ Nick schmunzelte. „Wenn du wütend bist, kannst du richtig süß sein.“ „W-was!? Mach dich nicht über mich lustig! Das ist ernst!“ Doch obwohl Abby regelrecht vor Zorn spuckte, stieg ihr trotzdem die Röte ins Gesicht. Die Waagschalen bewegten sich auf dieselbe Höhe.   Wind-Up Knight [ATK/1800 DEF/1200 (4 → 5)] „Aber okay, du wolltest es so“, sprach Nick und streckte den Arm aus. „Ich erschaffe das Overlay Network!“ Während sich sein Ritter in einen gelben Lichtstrahl verwandelte, nahm der Hund stattdessen die Form eines braunen an. Doch sie beide wurden von dem schwarzen Loch absorbiert, das sich mitten im Spielfeld auftat. „Gib mir die Stärke, meine Feinde zu besiegen! [Wind-Up Arsenal Zenmaioh]!“ Aus dem Galaxienwirbel entstieg ein gewaltiger Roboter. Seine rote Lackierung glänzte im Licht der untergehenden Sonne. Einer seiner Arme war mit einem Bohrer bestückt, wohingegen der andere eine raketenartige Faust war, welcher abgekoppelt vom Körper frei neben seinem Besitzer schwebte. Um den Mech kreisten zwei Lichtsphären.   Wind-Up Arsenal Zenmaioh [ATK/2600 DEF/1900 {5}]   „Sorry, aber der ist wohl deinem Drachen überlegen“, sprach Nick zuversichtlich und griff sich eine weitere Zauberkarte aus seinem Blatt. „Damit das auch so bleibt, rüste ich Zenmaioh mit [Xyz Gauntlet] aus. Er erhält pro Rang 100 Angriffspunkte und kann einmal pro Zug nicht durch Karteneffekte zerstört werden. Das ist doch, was du planst, oder?“ Abby kniff verärgert die Augen zusammen und warf einen Blick hinab zu ihrer gesetzten Karte. Um die Raketenfaust des Roboters erschien ein goldener Schlagring, von dem gelbe Blitze ausgingen.   Wind-Up Arsenal Zenmaioh [ATK/2600 → 3100 DEF/1900 {5}]   „Damit wäre das auch erledigt. Los, Zenmaioh, greife [Naturia Barkion] an! Wind-Up Power Punch!“ Nick zeigte seinem Monster mit ausgestrecktem Arm das Ziel. Dieser schoss umgehend seinen Raketenarm auf den grauen Drachen ab. Woraufhin Abbys verdeckte Karte aufsprang. „Nicht so hastig! Ich habe da auch noch ein Wörtchen mitzureden! Der Schnellzauber [Battle Tuned] verbannt einen Empfänger von meinem Friedhof und gibt dessen Angriffspunkte an Barkion weiter!“ Abby zeigte [Naturia Tulip] vor, ehe sie sie in eine Tasche ihres khakifarbenen Kleides steckte.   Naturia Barkion [ATK/2500 → 3100 DEF/1800 (6)]   „Gleichstark!?“, schoss es aus dem verblüfften Nick heraus. Abby stand das schlechte Gewissen ins Gesicht geschrieben, als sie zu ihrem Monster sagte: „Verzeih mir, Barkion, dass ich nicht mehr für dich tun kann! Bitte, leite dennoch einen Gegenangriff ein!“ Als würde der Drache sie verstehen, nickte er und nutzte seinen massiven Schweif, um die Raketenfaust mit voller Wucht zurück zu ihrem Besitzer zu schleudern. Doch das führte dazu, dass der Drache verletzt wurde und unter einem Schrei in tausend Teile zersprang, während Nicks Monster in einer Explosion unterging. „Sieh, was du getan hast!“, beklagte sich Abby bitter. Nick hingegen schüttelte den Kopf erstaunt. Die schenkte einem echt gar nichts, wenn sie Ernst machte. Und da wollte sie behaupten, er wäre als Feind schlimm? Nichtsdestotrotz griff er nach seinem Deck. „Wenn [Xyz-Gauntlet] vom Feld auf den Friedhof gelegt wird, ziehe ich eine Karte.“ Was er auch umgehend tat. „Man, du hast mir meine ganze Strategie kaputt gemacht. Aber Zenmaioh wird wiederauferstehen, und zwar hiermit! Der Zauberkarte [Zenmailfunction], die ihn in den Verteidigungsmodus vom Friedhof beschwört! Turn End.“ In kniender Position stieg der rote Roboter vor Nick in die Höhe. Immerhin konnte er jetzt wieder Fallenkarten einsetzen, nun da Barkion fort war, dachte Nick erleichtert.   Wind-Up Arsenal Zenmaioh [ATK/2600 DEF/1900 {5}]   Vor Wut blähte Abby die Wangen auf und wollte nach einem Stein im Sand treten, doch machte sich letztlich nur die Schuhe damit schmutzig, ohne den Stein getroffen zu haben. „Solche Gesten passen nicht zu dir“, kommentierte Nick das Bild belustigt. Das dachte anscheinend auch Abby, die rot anlief und beschämt ihr Gesicht in ihre Hände vergrub. Innerhalb eines Herzschlags war auch ihre Haarfarbe zumindest wieder braun. „Wie peinlich! Guck weg!“ „Und ich dachte, ich befände mich hier in einem Todeskampf …“ Sofort schnappte Abby nach Luft. „D-das tust du auch, d-du Verräter unserer Sandkastenfreundschaft, du, du, du Depp du! Mein Zug, Draw!“   ~-~-~   „Warum haben die jetzt eigentlich eine feste Form?“, fragte Anya verwirrt und betrachtete die rote Scherbe in ihrer Hand. Sie leuchtete regelrecht von Innen. Genau wie die anderen, die Anya mit der Energie aus Matts und Alastairs Elysion aufgeladen hatte.   Höchstwahrscheinlich weil ich ihr eine Form gegeben habe. Ein Elysion liegt zwischen der Grenze des Materiellen und Immateriellen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sie unter Einfluss meiner Kräfte eine feste Form annimmt.   Das Mädchen drehte das Stück Mosaik neugierig in ihren Händen und schaute nebenbei immer wieder um sich. Dieser Teil des Livington Parks war immer noch Sperrgebiet, all die Brandspuren wucherten nach wie vor wie eine schreckliche Krankheit auf dem grünen Gelände. Zwar war niemand hier, aber Anya fühlte sich dennoch unwohl. Aber vielleicht lag das weniger daran, dass sie in diesem Moment etwas Verbotenes tat, sondern eher daran, was sie noch gedachte zu tun. Den Gedanken daran musste sie verdrängen, sagte sie sich streng. Keiner von diesen Fünf war ihr Freund! Wen interessierte es schon, ob es zwei Dämonenjäger, zwei reiche Schnösel und einen Footballspieler weniger auf der Welt gab? Sie definitiv nicht! „Levrier … kannst du nicht etwas gegen das Glockengeläute machten? Das nervt langsam!“, versuchte sie sich abzulenken. Denn seit sie damit begonnen hatte, die Scherben aufzuladen, hörte sie immer in der Nähe eines Ortes, an dem ein Pakt geschlossen wurde, ein Läuten aus der Ferne. Was besonders nervig war, da es dank Matt ununterbrochen vor ihrer Gartentür rumorte und sie dadurch Probleme beim Einschlafen hatte. Das sind die Glocken des Turms von Neo Babylon. Der Zeitpunkt von Edens Erwachen rückt näher. Nun, da du sie selbst aus der immateriellen Welt hören kannst, bedeutet dies, dass wir unserem Ziel immer näher kommen. Zumindest vermute ich das, da dein Vorgänger sie nicht vernommen hatte. Demnach sprach der Sammlerdämon tatsächlich die Wahrheit.   „Hurra“, brummte Anya. „Mach einfach, dass es auf-!“   Anya Bauer, irgendetwas ist merkwürdig. Ich spüre Abbys Sirenenkräfte. Sie sind zwar nicht vollkommen erwacht, aber ich frage mich, warum sie sie benutzt.   Sofort schreckte das Mädchen auf. „Was sagst du da!? Abby benutzt ihre Kräfte?“ Konnte sie etwa in einen Kampf verwickelt sein? Doch nicht etwa mit-!? „Isfanel!“, schoss es aus Anya heraus. Das durfte nicht wahr sein! Was könnte der ausgerechnet von Abby wollen? Sicherlich keine Tipps in Sachen Haarpflege! „Wo ist sie jetzt!?“   Westlich von hier. Aber ich spüre keinen Dämonen in ihrer Nähe.   „Vielleicht unterdrückt er seine Kräfte! Und seit wann bist du verlässlich!?“ Anya begann zu rennen. Hoffentlich würde sie Abby rechtzeitig finden, ehe ihr etwas geschah. Sie würde Isfanel bis ans Ende der Welt verfolgen, wenn der Abby auch nur ein Haar krümmte!   ~-~-~   Mit trauriger Miene sah Abby zu den Schaukeln herüber. Einmal hatten sie und Anya hier um die Wette geschaukelt mit dem Ergebnis, dass sie beide gleichzeitig von der Sitzpritsche in den Sand gefallen waren. Dabei hatte sie selbst bitterlich geweint, doch Anya hatte trotz blutendem Knie Nick, der darüber gelacht hatte, verprügelt, um sie aufzuheitern. Auch wenn sie Gewalt hasste war es dieses Mal an ihr, Nick zu verprügeln.   Sie studierte die Spielsituation. Ihr Feld war leer und sie am Zug mit vier Karten in der Hand. Nick kontrollierte seinen Zenmaioh im Verteidigungsmodus, besaß eine verdeckte Karte, seinen Zauber [Weights & Zenmaisures] sowie zwei weitere Handkarten. Aber sie wusste schon, wie sie Nick aus der Reserve locken konnte. Sie nahm ein Monster und legte es auf ihre Duel Disk. „Ich beschwöre [Naturia Marron]! Wenn sie gerufen wird, schickt sie ein Naturia-Monster von meinem Deck auf den Friedhof!“ Abby suchte aus ihrem Deck [Naturia Beetle] und legte ihn in den Friedhof. Gleichzeitig tauchte vor ihr eine kleine, stachelige Kastanie mit Augen auf. „Wie süß“, kommentierte Nick das, ohne dabei Preis zu geben, ob es nur Sarkasmus oder ernst gemeint war.   Naturia Marron [ATK/1200 DEF/700 (3)]   „Indem ich einmal pro Zug zwei Naturia-Monster vom Friedhof ins Deck mische, ziehe ich eine Karte“, erklärte sie den Rest des Effekts ihres Monsters, legte [Naturia Beetle] und [Naturia Pumpkin] auf ihr Deck und ließ jenes automatisch von der Duel Disk mischen. Dann zog sie hastig. Als Nächstes zückte sie eine Zauberkarte. „Und jetzt [Leodrake's Mane]! Zwar annulliert sie für diesen Zug den Effekt meiner Marron, lässt ihre Angriffskraft dafür aber zu 3000 werden!“ Nick zog erstaunt eine Augenbraue hoch, als der kleinen Kastanie lauter rote Blätter wuchsen, die sich wie eine Mähne um sie legten.   Naturia Marron [ATK/1200 → 3000 DEF/700 (3)]   „Ich setze noch eine Karte verdeckt“, verlautete Abby und ließ ebenjene vor ihren Füßen erscheinen, „und greife danach deinen Zenmaioh an! Selbst ein kleines, süßes Monster wie Marron sollte nicht unterschätzt werden!“ Mit einem quitschiegen Kampfschrei flog die Kastanie auf den vergleichsweise gigantischen Roboter zu. Nicks Finger schwebte über der Taste zur Aktivierung seiner Falle. Doch er zog ihn wieder zurück, denn er wusste, dass er [Overwind] noch später brauchen würde. Zwar konnte er mit der die Verteidigung seines Monsters verdoppeln, aber es würde dafür in der End Phase auf seine Hand, also im Falle eines Xyz-Monsters in sein Extradeck gehen. Verlieren würde er [Wind-Up Arsenal Zenmaioh] demnach so oder so. Mit voller Wucht rammte [Naturia Marron] den knienden Roboter, welcher daraufhin umkippte und explodierte. Abby verzog die rosafarbenen Augen hinter ihren getönten Brillengläsern. „Beurteile niemanden nach seinem Erscheinungsbild. Etwas, was man sich bei dir besonders zu Herzen nehmen sollte, Nick! Zug beendet!“ Als die Kastanie zu Abby zurückkehrte, fielen ihr die roten Blätter vom Leib.   Naturia Marron [ATK/3000 → 1200 DEF/700 (3)]   „Ich hätte nie gedacht, dass man den Idioten-Nick mehr mögen würde als mein wahres Ich“, gestand Nick und zog beiläufig. Abby schnaufte wütend. „Woran wird das wohl liegen? Du bist kaltherzig, Nick! Der andere Nick war zwar dumm, aber er war …“ Sie konnte es offensichtlich nicht in Worte fassen. „Der alte Nick ist aber eine Lüge“, erwiderte dieser hart. Während Nick eine Zauberkarte zückte, seufzte er innerlich. Zwar hatte er geahnt, dass Abby das alles nicht gut aufnehmen würde, aber sie jetzt so verletzt zu sehen? Er hätte einfach die Klappe halten und weiterhin auf eigene Faust versuchen sollen, eine Lösung für das Edenproblem zu finden! „Ich aktiviere den permanenten Zauber [Wind-Up Factory]!“, rief er laut. Hinter ihm baute sich ein langes Fließband auf, das vor seiner gigantischen Waage verlief. „Einmal pro Zug, wenn ein Wind-Up seinen Effekt aktiviert, erhalte ich einen seiner Kumpel vom Deck aufs Blatt. Und nun beschwöre ich [Wind-Up Soldier]! Und dazu, weil ich ein Wind-Up beschworen habe, kommt gleich noch [Wind-Up Shark] als Spezialbeschwörung!“ Seine letzten beiden Handkarten auf die Duel Disk legend, tauchten vor ihm ein grüner Spielzeugroboter mit magnetförmigem Kopf und ein blauer Spielzeughai auf – aus beiden ragte ein Aufziehschlüssel.   Wind-Up Soldier [ATK/1800 DEF/1200 (4)] Wind-Up Shark [ATK/1500 DEF/1300 (4)]   Nick streckte den Arm aus. „Und nun aktiviere ich Soldiers Effekt, wodurch seine Stufe und Angriffskraft für einen Zug ansteigt. Zumal Sharks Beschwörungseffekt meine [Wind-Up Factory] in Gang gesetzt hat, wodurch ich mir [Wind-Up Rat] ins Blatt nehmen kann.“ Aus Nicks Duel Disk schoss eine einzelne Karte heraus, die dieser mit den Fingern hinauszog. Gleichzeitig bewegte sich hinter ihm das Fließband, auf dem ein Paket erschien, aus dem eine blaue Spielzeugratte sprang und im Nichts verschwand. Ebenfalls analog dazu begann der Aufziehschlüssel des Soldaten in dessen Rücken sich rapide zu drehen.   Wind-Up Soldier [ATK/1800 → 2200 DEF/1200 (4 → 5)]   „Und jetzt, [Wind-Up Soldier], Angriff auf [Naturia Marron]!“, befahl Nick. Das sollte reichen, dachte er zufrieden mit Blick auf seine gesetzte Karte. Dann betätigte er den Knopf an seiner Duel Disk, um sie aufspringen zu lassen. „Falle: [Overwind]! Sie verdoppelt die Werte meines Soldaten, aber er muss in der End Phase auf meine Hand zurück!“ „Ah!“, stieß Abby erschrocken hervor, als sich der Aufziehschlüssel am Rücken des ein Meter großen Roboters noch wilder zu drehen begann. „Das wären ganze 4400 Angriffspunkte!“ „So ist es.“ „Nein, ist es nicht!“, widersprach Abby und ließ nun ihre gesetzte Karte aufspringen. „Los, [Exterio's Fang]! Wenn ich ein Naturia-Monster kontrolliere, kann ich damit eine Zauber- oder Fallenaktivierung annullieren. Danach werfe ich eine Karte ab!“ Aus Abbys Konterfalle schoss ein weißer Fangzahn, der Nicks [Overwind]-Karte aufspießte. Sofort verharrte der Aufziehschlüssel auf [Wind-Up Soldiers] Rücken daraufhin in Bewegungslosigkeit, als dieser mit seiner Zangenhand die Kastanie zerquetschte.   [Abby: 4000LP → 3000LP / Nick: 4000LP]   „Man“, murmelte Nick und kratzte sich nachdenklich am Kopf, „ich hätte nie gedacht, dass ich so lange brauchen würde, um dir Schaden zuzufügen. Du bist wirklich gut!“ Abby, die sich einer ihrer beiden Handkarten entledigte, schüttelte nur mit bitterer Miene den Kopf. „Du nimmst das hier gar nicht ernst! Dir ist es offensichtlich egal, wie andere fühlen!“ „Ich denke nur, dass dieser Kampf sinnlos ist“, erwiderte Nick, „wir beide wissen schließlich, dass du mir nie etwas tun würdest. Egal, ob ich dich enttäuscht habe oder nicht.“ Abby ballte eine Faust und biss sich auf die Lippen. Ihr langes Haar begann durch die Luft zu schweben und verfärbte sich an einigen Stellen wieder weiß. „Sei dir da nicht so sicher, Nick. Ich bin gewissermaßen auch eine gespaltene Persönlichkeit. Die Sirenenabby ist anders, als der Streber, den du in mir siehst.“ Nick atmete tief durch. „Dann werde ich dir keine Angriffsfläche bieten, so einfach ist das. Los, [Wind-Up Shark], direkter Angriff!“ Unter lautem Gekrächze flog sein Spielzeughai auf Abby zu und biss ihr in die Schulter, doch sie schüttelte ihnen spielend leicht von sich ab.   [Abby: 3000LP → 1500LP / Nick: 4000LP]   Sie ist wirklich hart, musste Nick insgeheim anerkennen. Obwohl er sie nach und nach in die Enge trieb, blieb sie standhaft. Ihr war wirklich etwas daran gelegen, Anyas Namen zu verteidigen. Aber sie verdrängte damit nur die Wahrheit. Es war besser, diese jetzt zu akzeptieren, als später, wenn Anya ihr Vertrauen mit Verrat bestrafte. Aber dann war sie fort und Abby würde ewig mit gebrochenem Herzen zurückbleiben, ohne sich je mit Anya aussprechen zu können. Nein, was er tat, war schon richtig. „Ich benutze nun den Effekt von [Weights & Zenmaisures]!“ Seine beiden Monster sprangen je auf eine Waagschale hinter ihm, wobei der Soldat den Hai mit seinem Gewicht nach oben hievte. „Du wählst eine der beiden Stufen meines Monsters aus, die dann beide erhalten. Nimmst du die niedrigere, darf ich eine Karte ziehen. Wähle die höhere, und ich kann problemlos ein weiteres Rang 5-Monster beschwören.“ Die Frage war nur, woher er dieses nehmen sollte. Zenmaioh war sein einziges gewesen und der lag nun auf dem Friedhof. Zumal er mit Sharks Effekt dessen Stufe ohnehin auf 5 hätte erhöhen können. Nein, er -wollte-, dass Abby dieses Mal die niedrigere Stufe wählte. Man sah ihr an, dass sie sich bei der Entscheidung schwer tat. Besonders weil sie keine Ahnung hatte, was Nick noch in petto haben könnte. Sie wusste praktisch nichts über seine Art zu duellieren. Das Mädchen schluckte, ehe sie mit fester Stimme verlauten ließ: „Stufe 4.“ Schon glichen sich die Waagschalen wieder aneinander an.   Wind-Up Soldier [ATK/2200 DEF/1200 (5 → 4)]   „Das kleinere Übel, hmm?“, fragte Nick und zog eine Karte. „Ob das so klug war?“ „Du machst mir keine Angst! Wenn jemand Angst haben müsste, dann du vor mir!“, fauchte Abby aufgebracht. Weitere Teile ihres langen Haares verfärbten sich und auch ihre Stimme gewann einen tiefen, melodischen und zugleich doch rauchigen Klang. „Du weißt, was ich bin …“ „Eine überreagierende Mutter Teresa“, erwiderte Nick lachend, „vor dir kann man keine Angst haben, selbst wenn du es wirklich ernst meinen würdest.“ Abby lief abermals rot an, biss sich mit fast heraus ploppenden Augen auf die Lippen. Mit in seine Richtung erhobener Faust rief sie wieder in ihrer alten Stimme: „Ich-mein-es-ernst!“ Nick putzte sich aber nur mit dem kleinen Finger das Ohr. „Erzähl das jemandem, der dich nicht schon sein ganzes Leben lang kennt … Ich erschaffe das Overlay Network.“ Zunächst wollte Abby widersprechen, doch verstummte, als sich ein schwarzes Loch mitten im Spielfeld auftat. Nicks Monster wurden in blauen und braunen Lichtstrahlen dort hineingezogen und durch einen großen, grünen Kampfroboter ersetzt. „Los, [Wind-Up Zenmaister].“ Nick klang dabei derart gelangweilt, dass Abby vor lauter Wut begann, merkwürdige Schimpfgeräusche von sich zu geben. Wind-Up Zenmaister [ATK/1900 → 2500 DEF/1500 {4}]   Als die zwei um Zenmaister kreisenden Lichtsphären begannen, ihn durch Stromstöße mit Energie zu versorgen, erklärte Nick: „Zenmaister bekommt pro Xyz-Material an ihm 300 Angriffspunkte. Zug beendet.“   „Dir werde ich eine Lektion in Sachen wahrer Freundschaft erteilen“, verlautete Abby mit aufgeblasenen Wangen, „und darin, mich zu unterschätzen! Draw!“ Vor sich dahin murmelnd, huschte der Anflug eines Lächelns über Nicks Gesicht. „Na bitte, immerhin beruhigst du dich schon ein wenig.“ Ihre gezogene Zauberkarte in die Luft haltend, rief Abby: „Komm zurück, [Wind-Up Soldier]! [Monster Reborn]!“ Vor ihr tauchte daraufhin Nicks kleinerer, grüner Spielzeugroboter mit dem Magnetkopf auf. Der Aufziehschlüssel an seinem Rücken begann sich zu drehen.   Wind-Up Soldier [ATK/1800 → 2200 DEF/1200 (4 → 5)]   „Ich aktiviere seinen Effekt!“ Nick erwiderte unbekümmert. „Und damit auch den meiner [Wind-Up Factory].“ Hinter ihm setzte sich das Laufband wieder in Bewegung. Er griff nach seinem Deck und zeigte sein Monster vor. „Ich füge meiner Hand [Wind-Up Hunter] hinzu.“ „Ach ja?“ Abby schnaufte aufgebracht. „Und -ich- aktiviere [Glow-Up Bulbs] Effekt von meinem Friedhof! Ich lege die oberste Karte von meinem Deck ab und kann sie nur einmal während des Duells wiederbeleben!“ Die halbverwandelte Sirene nahm von ihrem Deck [Naturia Hydrangea], schickte sie auf den Friedhof und ließ stattdessen eine Blumenzwiebel mit Auge auf dem Spielfeld erscheinen.   Glow-Up Bulb [ATK/100 DEF/100 (1)]   „Bevor du mir irgendetwas unterstellst: ich habe die Karte vorhin bei der Aktivierung von [Exterio's Fang] abgeworfen!“, stellte Abby wütend klar. „Und jetzt rufe ich noch als Normalbeschwörung [Naturia Beans]!“   Naturia Beans [ATK/100 DEF/1200 (2)]   Und während vor ihr eine kleine Hülse mit drei Bohnen darin erschien, welche allesamt Augen besaßen, kratzte sich Nick überrascht an den Kopf. Ihm war gar nicht bewusst gewesen, wie empfindlich Abby sein konnte. „Nimmst du mir irgendetwas übel?“ „Ja! Dass du Anya nicht vertraust! Und schlimmer noch, dass es dir vollkommen egal ist, was mit ihr passiert!“ Stöhnend faste sich der große, junge Mann an die Stirn. „Prima, Nick. Nun sind wir wieder ganz am Anfang gelandet …“ Hätte er doch nur seinen Mund gehalten. Trotzdem entgegnete er ihr: „Dann hast du aber nicht gut zugehört. Es ist mir nicht egal-“ „Ich will das gar nicht hören!“, klagte Abby nun wieder mit Tränen in den Augen. „Wegen dir geht unsere Freundschaft kaputt! Wegen dir weiß ich nicht mehr, was richtig noch falsch ist!“ „A-“ Abby stampfte schluchzend auf. „Genug davon!“ Sie wischte sich das Nass aus den pinken Augen und streckte den Arm in die Höhe. „Ich stimme meine Stufe 1-[Glow-Up Bulb] auf meine Stufe 2-[Naturia Beans] und deinen Stufe 5-[Wind-Up Soldier] ein! Da sie alle vom Element Erde sind, kann ich das tun! Oh great god of the south, protect the weak under your mighty wings! Synchro Summon! Arise, [Naturia Vermilion]!“ Ihre Blumenzwiebel zersprang in einen grünen Ring, den die anderen beiden Monster passierten. Jene beiden verformten sich zusammen zu einem gewaltigen roten Vogel, der in die Lüfte stieg und um das Spielfeld zu kreisen begann. Von feuerroter Farbe, war sein Federkleid aus etlichen Laubblättern gemacht, während sein langer Schweif aus ineinander verflochtenen Ranken bestand. Majestätisch bezog er über Abby Stellung und wirbelte mit seinem Flügelschlag den Sand des Spielplatzes unter ihnen auf.   Naturia Vermilion [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   „Zhū Què, der rote Vogel des Südens aus der chinesischen Mythologie. Den setzt du äußerst selten ein“, merkte Nick beim Anblick des eindrucksvollen Wesens erstaunt an. „Warum eigentlich?“ „Weil er-“ Doch Abby brach ab. Auch ihr Blick lag auf dem Vogel, doch in ihm spiegelte sich tatsächlich Abneigung und kein Stolz wieder. Und das hatte nichts mit seiner Person zu tun, erkannte Nick. Allerdings wollte er sie nicht schon wieder aufregen, indem er weiter nachbohrte. Abby ließ von dem Vogel ab und sah Nick an. Hin und her gerissen von ihrer Wut auf ihn und der Angst um die Freundschaft zwischen ihm, ihr und Anya. „Du interessierst dich für chinesische Mythologie?“, fragte sie tonlos. „Ein bisschen.“ „Dann“, ihre Stimme veränderte sich so schnell, dass selbst Nick erschrocken zusammenzuckte, „nimm eine Kostprobe! Zerstöre [Wind-Up Zenmaister]!“ Den Arm ausgestreckt, zeigte Abby mit wütender Fratze auf den Roboter. Der karmesinrote Vogel über ihr setzte zum Sturzflug an und fegte über das Feld wie ein Düsenjet. Dabei griff er mit den Klauenfüßen seinen Feind, riss ihn mit sich und schleuderte ihn noch im Flug in Nicks Richtung. Jener erkannte die Gefahr, in der er schwebte und machte einen Hechtsprung zur Seite, sodass das Wurfgeschoss sein Ziel verfehlte und stattdessen in eine der Rutschen hinter Nick krachte, die unter lautem Getöse umkippte. Daraufhin zersprang Zenmaister in tausend Stücke.   [Abby: 1500LP / Nick: 4000LP → 3800LP]   „Zug beendet“, hauchte Abby ihm verführerisch zu. Erschrocken musste Nick feststellen, dass ihr Haar nun gänzlich weiß geworden war. Sofort wandte er den Blick ab, aus Angst, ihrer betörenden Ausstrahlung zu verfallen. Sie hatte tatsächlich die Kontrolle über ihre Kräfte verloren! Zögerlich erhob sich Nick, bewusst zu den Schaukeln herüber starrend. „Verwandle dich bitte zurück, bevor dich noch jemand so sieht!“ „Und wenn schon, sie würden alles tun, was ich sage.“ „Abby, das bist nicht du!“, polterte Nick. „Das ist die Sirene in dir!“ Das Mädchen lachte amüsiert. „Aber die ist genauso ein Teil von mir. Sie ist ich. Ich bin ich, immer schon.“ „Nein, das stimmt nicht!“ Das war alles seine Schuld, dachte Nick dabei wütend auf sich selbst. Er hatte sie so durcheinander gebracht, dass sie früher oder später die Kontrolle verlieren musste! Von Anfang an hätte er das alles ernst nehmen müssen und nun!? Mit leiser Stimme sagte er: „Ich bitte dich, Abby. Verwandle dich zurück und lass uns reden.“ „Hast du Angst bekommen? Dann lass dir gesagt sein, dass alles Reden nichts bringt, wenn sich dadurch nichts verändert. Deine Meinung wird sich nicht ändern, nicht über Eden und nicht über Anya.“ Am liebsten wollte Nick ihr in die Augen sehen, doch es war zu gefährlich. Eindringlich erwiderte er: „Nein, daran ändert sich nichts, das ist richtig! Um mich geht es doch auch gar nicht, sondern um dich!“ „Ich bin unwichtig“, erwiderte Abby kühl und sah nun ebenfalls zur Seite. „Bist du nicht!“ Die Sirene lachte auf. „Ach wirklich? Dann beweise es.“   Sie war ganz anders, dachte Nick verzweifelt. Das da war nicht Abby, es waren lediglich ihre Zweifel an sich selbst, der Welt und ihren Bewohnern. So war Abby aber nicht! Jemandem wie ihr durfte der Glaube an das Gute im Menschen nicht genommen werden. … aber er hatte genau das versucht und irgendwie war ihm das letztlich gelungen. Das hier war seine Schuld. „Das tue ich“, versprach er, „und zwar, indem ich mich dir stelle und nicht davon laufe! Ich habe genau wie du Dinge, an die ich glaube! Mein Zug, Draw!“ Energisch riss er von seinem Deck eine Karte, womit er ganze vier Stück besaß. Abbys Hand war leer, wenn er richtig gezählt hatte. Doch er wagte es nicht, zu ihr herüber zu sehen, um es nachzuprüfen. Behände legte er eine seiner Karten auf die Duel Disk. „Los, [Wind-Up Rat]! Effekt: nur einmal kann sie in die Verteidigungsposition wechseln, um ein Monster aus meinem Friedhof in selbiger Position zu reanimieren! Komm, [Wind-Up Dog]!“ Vor ihm tauchten eine blaue Spielzeugratte auf, deren Beine durch zwei Räder ersetzt worden waren und ein gleichfarbiger Spielzeughund auf. Auf dem Rücken der Ratte drehte sich der Aufziehschlüssel wild, bis sie auf ihren Rädern nach vorn kippte und regungslos verharrte.   Wind-Up Rat [ATK/600 DEF/600 (3)] Wind-Up Dog [ATK/1200 DEF/900 (3)]   Das Laufband hinter Nick setzte sich mit einem Paket darauf in Bewegung. Zwischen seinen Fingern zeigte er ein weiteres Wind-Up-Monster vor, dabei weiterhin den Blick von Abby abgewendet. „Da ich wieder den Effekt eines meiner Monster verwendet habe, erhalte ich [Wind-Up Juggler].“ Diesen fügte er seinem Blatt hinzu, ehe er seine Hand in die Höhe riss. „Und jetzt erschaffe ich das Overlay Network!“ Ein schwarzer Wirbel tauchte mitten im Spielfeld auf. Nicks Monster wurden als braune Lichtstrahlen in ihn hineingezogen, wobei dieser gleichzeitig rief: „Aus meinen zwei Stufe 3-Monstern wird jetzt ein Rang 3-Monster! Xyz-Summon! Los, [Wind-Up Carrier Zenmaity]!“   Wind-Up Carrier Zenmaity [ATK/1500 DEF/1500 {3}]   Aus dem Loch tauchte ein gewaltiger Schiffsträger auf, welcher durch zwei separate Startrampen in der Mitte geteilt war. Um ihn kreisten zwei Lichtsphären – doch ihr Strahlen verflog umgehend. Der Schrei von Abbys Vogelmonster nahm ihnen das Licht. „Anscheinend weißt du nicht genug über [Naturia Vermilion]“, stellte Abby amüsiert und gleichwohl ungewohnt hochnäsig fest, „sonst hättest du dich nicht zu so einer Dummheit hinreißen lassen! [Naturia Vermilion] kann sich als Opfer anbieten, um eine Spezialbeschwörung zu annullieren!“ Erschrocken sah Nick in die Höhe, überschattet von der gewaltigen Gestalt des Wesens. Die Ranken von deren Schweif schossen nach unten und umwickelten so den Schiffsträger. Mit ungeahnter Kraft hob [Naturia Vermilion] ihn an und flog mit ihm von dannen. Nick war fassungslos. „Du hast diesen Effekt noch nie benutzt! Zumindest nicht, dass ich mich erinnern könnte!“ „Diese Karte ist eine Schande“, entgegnete ihm Abby bitter, „ein Fleck auf meiner Seele! Und mehr als wegwerfen kann man sie nicht, genau wie mich!“ Der junge, hochgewachsene Mann verstand seinerseits die Welt nicht mehr. Diese Karte war doch- „Nun verfügen wir beide über kein Monster mehr. Aber wie ich dich kenne, wird das allein dich nicht einschüchtern, oder, Nick?“ Wie sie seinen Namen aussprach, voller Verachtung! Er schüttelte den Kopf. „Nicht halb so sehr wie eine aufgewühlte Sirene. Du weißt, dass ich dich nicht verletzten wollte mit dem, was ich gesagt habe! Aber daran halte ich fest: die Wahrheit ist nicht immer angenehm! Würde ich meine Worte zurücknehmen, müsste ich lügen und das wäre falsch.“ „Ein gutes Argument. Dagegen kann ich nichts einwenden.“ Abby seufzte schwer, sagte dann aber nichts weiter. „Ich setze eine verdeckte Karte! Zug beendet!“ Vor ihrem Gegner tauchte die gesetzte Falle auf – aber das war nicht alles. Unter schrillem Gekreische tauchte der rote Vogel wieder aus dem Nichts auf – jedoch ohne seine Beute – und kreiste wieder um das Spielfeld. Naturia Vermilion [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   Abby kicherte amüsiert in ihrer rauchigen Stimme. „Ich hatte vergessen, es zu erwähnen: Vermilion kehrt am Ende des Zuges auf mein Spielfeld zurück, wenn ich seinen Effekt genutzt habe!“ „Dann ist er kein Wegwerfartikel“, widersprach Nick auf Abbys vorherige Aussage, „genau wie du! Ihr beide kommt immer wieder! Und ihr seid stark! Hör auf, dich runter zu machen!“ „Und das von jemandem, der auf meinen Gefühlen herum trampelt?“ Abby gab einen verächtlichen Zischlaut von sich und griff nach ihrem Deck. „Das ich nicht lache! Draw!“ Kaum hatte sie die Karte gezogen, knallte sie sie schon auf ihre Duel Disk. „Kämpfe für mich, [Naturia Mantis]!“ Mit einem Satz landete vor ihr eine grüne Gottesanbeterin, nicht größer als ein Grashalm. Dabei bestanden die Klingen an ihren Vorderarmen aus je einem Blatt.   Naturia Mantis [ATK/1700 DEF/1500 (4)]   Aus den Augenwinkeln riskierte Nick einen Blick und stöhnte beim Anblick des kleinen Monsters im Sand. Abby wollte es beenden! Als wäre das das Stichwort, streckte die den Arm bis zum Anschlag aus. „Los meine Monster, die ihr mir als Einzige treu geblieben seid! Tut …“, sie stockte plötzlich und schloss die Augen, „tut einfach eure Pflicht …“ Unter schrillem Gekreische ging der Vogel in den Sturzflug über, mit Nick als offensichtliches Ziel. Doch der schwang tapfer den Arm aus. „So leicht mache ich es dir nicht! [Xyz Reborn]!“ Seine Fallenkarte klappte auf. „Damit reanimiere ich ein Xyz-Monster von meinem Friedhof und verwende diese Karte dann als Xyz Material! Komm zurück, [Wind-Up Arsenal Zenmaioh]!“ „Hast du schon vergessen, dass [Naturia Vermilion] Spezialbeschwörungen unterbinden kann?“, erwiderte Abby ebenso aufgeregt. „Das funktioniert bei allen Karten, die das können, nicht nur bei simplen Spezialbeschwörungen vom Extradeck oder der Hand!“ Mit einem entsetzten Schrei wich Nick zurück, als sich der Rankenschweif von Abbys Monster durch seine Falle bohrte und sie zerspringen ließ. Dafür löste sich der Vogel aber auch anschließend auf. „Viel gebracht hat es mir nicht, aber zumindest ist mein Überleben gesichert“, meinte Nick und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dass er jemals in eine derart verzweifelte Lage gerät, hätte er nie gedacht. Dagegen war Isfanel ein Waisenknabe! Ein Jammer, dass Abby nicht realisierte, wie stark sie doch war. „Deswegen bekommst du dennoch den direkten Angriff von [Naturia Mantis] ab“, widersprach ihm diese engstirnig. Die kleine, grüne Gottesanbeterin sprang mit einem weiteren Satz auf Nick zu – und wuchs! Auch ihre Klingen waren plötzlich keine Blätter mehr, sondern geriffelte, scharfe Werkzeuge. Die erbarmungslos zuschlugen. „Garghhh!“, hallte es über den Spielplatz.   [Abby: 1500LP / Nick: 3800LP → 2100LP]   Die Mantis sprang zurück zu Abby. Von ihrer Sichel tropfte Blut in den Sand, wie ein undichter Wasserhahn, bis sie schließlich schrumpfte und sich harmlos, gar verwirrt umsah. Die fast vollständig transformierte Sirene blickte unbarmherzig auf Nick herab, wie er vor ihr in die Knie ging. „Tut es weh?“ „Mir geht’s gut“, antwortete Nick und sah mit schweißnasser Stirn zu ihr auf. Er hielt sich seinen rechten Arm, mit dem er den Angriff abgewehrt hatte. Seine beigefarbene Jacke war bis zum Ellbogen aufgerissen, ein Rinnsal von Blut lief bis zu seinem Handgelenk hinab, besudelte seine Jeans. Nun hatte sie es getan, sich tatsächlich dazu hinreißen lassen, einen Freund körperlich zu verletzen … „Mir nicht“, erwiderte Abby kühl. „Wegen dir. Zug beendet. Und damit kehrt [Naturia Vermilion] auf mein Feld zurück.“   Naturia Vermilion [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   Kaum hatte sie das gesagt, kreiste wieder der bedrohliche Schatten des zinnoberroten Vogels um das Spielfeld. „Draw“, verkündete Nick gequält und zog mit seiner blutigen Hand eine Karte. Als er sie betrachtete, weitete er die Augen. „Das ist-!“ Damit konnte er das Spiel …   Aber was würde er damit erreichen, fragte er sich plötzlich? Er hatte diesem Duell mit dem Vorhaben zugestimmt, Abby zu beruhigen. Doch alles, was er getan hatte, war die Lage zu verschlimmern. Wenn er damit weitermachte, würde er das Duell gewinnen, aber nicht Abbys Seelenfrieden. Und außerdem … war sie die bessere Duellantin. Es schmerzte ihm zwar, das zuzugeben, aber nur aufgrund einer glücklichen Fügung könnte er jetzt das Blatt wenden. Das gehörte zwar zum Spiel, aber war für ihn doch inakzeptabel. Abby war so gut, dass er nicht einmal vorausplanen konnte, anders als beim Kampf gegen Isfanel – und dessen Deck hatte er nicht gekannt. Wie konnte der Bessere ein Duell gewinnen, wenn er gar nicht der Bessere war!? Verbittert biss Nick sich auf die Lippen. Es gab keinen Zweifel, dass sein Duellstil dem von Abby unterlegen war – ja gar dem von Anya in gewisser Hinsicht. Das war auch der Grund, warum er gestern gegen Drazen verloren hatte. Was ihm fehlte, war etwas im Duell zu fühlen. Nur gewinnen zu wollen reichte nicht. Vielleicht, wenn er sich mehr auf Nina eingelassen hätte, dann … Er war ein Holzkopf.   Und wie konnte er Abby jetzt noch von der Stimme erzählen, die ihn einst verführen wollte, einen Pakt einzugehen? Sie war einfach da gewesen, als er im Unterricht eingeschlafen war. Krank hatte sie ihn und einige andere Schüler gemacht. Hatte ihn eine Zeitlang regelrecht verfolgt, bis zu jenem Tag in Victim's Sanctuary, als sie ihn vor den besessenen Patienten gewarnt hatte. „Dies ist deine letzte Chance. Forme einen Pakt mit mir. Wenn du es nicht tust, werden du und deine Freunde diese Anstalt nicht lebend verlassen.“ Das hatte sie gesagt. Aber er? Lachte und schlug das Angebot aus. Wenn Anya und Abby damals geahnt hätten, aus welchem Grund sie ihm genervte Blicke zugeworfen hatten … Doch dieses Wesen, es hatte dasselbe Gefühl ausgestrahlt wie die besessene Caroline. Es gab keinen Zweifel für ihn, dieses Ding selbst hatte Anya die Falle gestellt. Was immer seine Absichten waren, für Nick war dieses Ding der Feind, der im Verborgenen die Fäden in der Hand hielt! Oder was sonst hatten die letzten Worte dieses Dämons zu bedeuten, kurz nachdem Anya während Valeries Duell wieder zu Bewusstsein gekommen war? Immer wieder rezitierte er diese Worte im Kopf. „Jetzt erkenne ich es. Du bist es also, Isfanel. Oder? Nein, nein, du bist anders. Bist du etwa … ? Endlich!“ Wenn er nur wüsste, wovon dieses Ding gesprochen hat! Levrier? Oder doch etwas anderes? Was immer auch zutreffen mochte, es war ihr Feind, da war Nick sich sicher! Doch das hatte nichts mit Abby zu tun. Es ihr jetzt zu erzählen, würde sie nur noch mehr aufwühlen und das konnte Nick nicht verantworten.   „Danke“, murmelte er schließlich, „durch dieses Duell habe ich ein paar Dinge gelernt. Du hattest recht, Abby. An das, was ich glaube … sollte ich nicht festhalten.“ Erstaunt erwiderte Abby mit ihrer normalen Stimme: „Was sagst du da?“ „Vielleicht sehe ich wirklich Gespenster. Aber … ganz egal, was Anya wirklich vorhat, sie … ich weiß nicht, wie wir verhindern können, dass wir sie verlieren.“ Plötzlich schlug er mit der Faust in den Sand, brüllte: „Ich weiß es einfach nicht!“ „N-Nick …“ „Aber dich damit zu belasten war falsch. Bitte vergib mir“, bat er und kniete auf allen Vieren vor ihr nieder. Doch bat er weniger darum, dass sie ihm seine harschen Worte über Anya und ihre Lage verzieh, sondern viel mehr die Lüge, die er ihr damit auftischte. Denn tatsächlich hatte sich an seiner Meinung nichts geändert. Aber das zu sagen würde die Dinge nur schlimmer machen, und Abby sollte nicht noch mehr leiden. „Ich gebe auf“, sagte Nick leise und legte seinen blutigen Arm auf das Deck in seiner Duel Disk.   [Abby: 1500LP / Nick: 2100LP → 0LP]   Die Hologramme von Abbys Monstern verschwanden. „Und nun mach mit mir, was du willst …“ Vorsichtig sah er auf und erblickte eine Abby, die ihm perplex gegenüberstand und sich nicht rührte. Ihr Haar hatte zwar den üblichen Braunton angenommen, doch sie schien so verwirrt von seinen Worten, dass sie die Sprache verloren hatte.   „Wo ist er!? Wo ist der Dreckskerl!?“ Beide schreckten bei dem Gebrüll auf. Die Stimme war unverwechselbar. Wie ein Tornado fegte Anya über den Spielplatz zu ihnen und hielt direkt hinter Nick an, keuchte erschöpft, gewann aber nur eine Sekunde später wieder die Fassung und ballte ihre Fäuste. „Wo ist der Bastard, der dich angegriffen hat, Abby!?“, fauchte die Blondine, die vor Erschöpfung ganz rot im Gesicht war. Die machte nur große Augen und blinzelte mehrmals, ehe sie den Zeigefinger erhob und wortlos auf Nick zeigte. Anya klappte die Kinnlade herunter. Sie sah zu ihm herab und erkannte, dass Nick am Arm blutete. „... du?“, knurrte sie und zählte eins und eins zusammen. Wie ein stampfender Stier trat sie von hinten auf ihn zu, Nick wandte sich nicht einmal um. Mit dem Fuß auf der Zauberkarte [Dark Hole] packte sie ihren Freund am Kragen, hievte ihn hoch und drehte ihn zu sich um. „Bist du jetzt endgültig zum Staatsspinner #1 mutiert?“, fragte sie drohend und packte ihn am Kinn, holte mit der Faust aus. „Jetzt sag bloß, du bist irgendsoein fieser Oberfutzi, der sich als Mastermind hinter allem entpuppt! Ich schwöre dir, wenn-“ „Er hat nur geschauspielert.“ Überrascht sah Anya über Nicks Schulter zu Abby, die betreten ihren Blick mied. „Huh?“ „Er hat nur so getan, als wäre er besessen. Aber er war so gut, dass ich es ihm abgekauft habe. Und dann hab ich …“, sie brach ab. Tränen standen in ihren Augen.   Tick, tick, tick.   Und dann explodierte Anya. „Seid ihr eigentlich völlig plemplem!? Sind eure Gehirnzellen beim letzten Solariumsbesuch mit Redfield weggebrutzelt worden, dass ihr so einen Bullshit abzieht!?“   Als Randnote: deine Freunde sehen nicht so aus, als würden sie sich regelmäßig bräunen, Anya Bauer. Schon gar nicht mit Valerie Redfield. Dazu hängen sie zu sehr an ihrem Leben.   „Schnauze, Levrier!“ Anya stampfte mit dem Fuß auf. Das konnte doch nicht wahr sein! All die So-so, die So-so-sor-! Diese Dinge, die man sich macht, wenn seine Freunde in Schwierigkeiten stecken und alles für die Katz! „Ihr Idioten! Seit wann habt ihr von mir die Erlaubnis, euch gegenseitig abzumurksen!? Ich kann gar nicht sagen, was mich mehr aufregt!“ Sofort hatte Nick Anyas Zeigefinger unter der Nase. Sie atmete tief durch, wurde mit einem Mal ganz ruhig. „Nick. auf einer Skala von eins bis zehn, wo eins pure Dummheit und zehn kompletter Wahnsinn ist …“ „... bin ich?“, fragte er belustigt und kratzte sich an der Stirn, neigte den Kopf zur Seite. „Gar nichts, weil du tot sein wirst, bevor ich überhaupt 'ne beschissene Wertung vornehmen kann, du wandelndes Down-Syndrom!“ Und damit bekam Nick einen Faustschlag verpasst, von dem man hätte meinen können, dass er ihn bis zum Nordpol zu schicken vermochte. Allerdings lag er am Ende doch nur knapp einen Meter von Anya entfernt, die nun auf Abby zu stampfte. Ihre Augen funkelten. „Und du!“ „Hye!“, kreischte das Hippiemädchen und wich panisch zurück. „Dass du tatsächlich auf die Schauspielkünste von Nick, von NICK, hereingefallen bist, ihn sogar kopflos angegriffen hast-!“   Ich glaube, dein Schlag war viel verheerender, Anya Bauer. Sicher bin ich mir aber nicht.   „Dafür gibt es auch für dich eine Bestrafung im Anya-Stil!“, drohte die Blondine und schlug mit der Faust in die flache Hand. „Und ich weiß auch schon genau, wie die aussehen wird …“   ~-~-~   Kaum zehn Minuten später saßen Anya und Nick auf einer Bank unweit des Spielplatzes. Letzterer hielt sich mit weinerlicher Mimik den blutenden Arm. „Nun komm, Harper, das ist doch nur'n kleiner Kratzer!“, schnaufte die Blondine voller Unverständnis. „Abby hat sich wirklich zurückgehalten! Mit ihrer Kraft hätte sie viel mehr erreichen können.“ „Aber es tut weh“, jammerte Nick. „Mit deinen Selbstheilungskräften sagt sich das so leicht“, fügte die stehende Abby mit Tränchen in den Augenwinkeln zu. Sofort fing sie sich einen derart bösen Blick von Anya ein, dass sie einen Schritt zurücksprang. „Bitte nicht schon wieder!“ Anya verzog keine Mimik, als sie die flache Hand erhob. „Du bist schuld daran, Masters! Noch so'n Spruch von dir und dein Hintern wird so heiß laufen, dass man damit Wäsche bügeln kann!“ Sofort hielt Abby sich die Pobacken. „Nicht schon wieder!“ „Ich will auch mal dran sein!“, gluckste Nick, sprang auf und war schon im Begriff, sich die Hose herunterzuziehen, als zwei Fußspitzen sich aus beiden Seiten in seine private Zone vertieften. „Kein Bedarf!“, fauchte Anya den jungen Mann an, der sich seine Weichteile weinend hielt. „Ich hänge an meiner Sehkraft!“, stimmte Abby zu. „Außerdem habe ich dir immer noch nicht verziehen!“ Erstaunt stellte Anya fest, dass die beiden nur für einen kurzen Moment einen Blick austauschten … den sie unmöglich interpretieren konnte. Aber entgegen Abbys Worten schien er am ehesten versöhnlich. Doch dann brach der Blickkontakt ab, als Nick vom Schmerz in seiner Lendenregion überwältigt wurde und zusammenbrach. „Immer ich …“, jammerte er dabei, bevor er das Bewusstsein verlor.   „Was hast du eigentlich vorhin zu erledigen gehabt?“, fragte Abby schließlich neugierig. Anya verschränkte daraufhin die Arme hinter dem Kopf und lehnte sich zurück. „Nichts Besonderes. Ein paar Karten gekauft.“ „Anya, das Einkaufszentrum liegt aber genau in der entgegengesetzten Richtung, aus der du gekommen bist“, merkte Abby trocken an. „W-wer hat gesagt, dass ich da eingekauft habe!? Der Laden dort ist sowieso scheiße!“ Aber die Blondine wusste genau, dass ihre Freundin ihr nicht glauben würde. Damit es nicht zu weiteren Fragen kam, erhob sie sich hastig und zeigte auf Nick. „Statt mich zu nerven, solltest du mir lieber helfen, den da ins Krankenhaus zu bringen. Ehe er noch verblutet.“ „O-oh ja, das habe ich ganz vergessen!“ Beide nahmen jeweils einen Arm des am Boden liegenden Nicks und schulterten ihn. Dabei warf Abby ihrer Freundin noch einen misstrauischen Blick zu, ehe sie von dannen schlenderten.     Turn 28 – Family Während Anya weiterhin damit beschäftigt ist, die verbliebenen Scherben ihres zerbrochenen Elysions aufzuladen, hat Henry nur einen Gedanken: seine Schwester zu finden. Um dieses Ziel zu erreichen, ersucht er die beiden Dämonenjäger um Rat, denen er zuvor in Valeries Villa begegnet war. Doch auch sie können ihm nicht bei der Suche helfen. Allerdings, entgegen Alastairs Willen, führen Matt und Henry als Notlösung ein Ritual zur Dämonenbeschwörung durch. Denn es gibt einen Dämon, der womöglich die Antworten auf Henrys Fragen kennt … Kapitel 28: Turn 28 - Family ---------------------------- Turn 28 – Family     „Ich bin ein nutzloser Bruder, nicht wahr?“ Immer wieder stellte er Abby diese Frage, und egal wie oft sie es verneinte, selber daran glauben konnte er nicht. „Weiter kann ich dich nicht begleiten“, meinte das brünette Mädchen und deutete auf das Motel auf der anderen Straßenseite am Waldrand. „Laut Anya wohnen sie in Zimmer 7.“ Henry sah seine Begleiterin an. Schon seit gestern, als sie spätnachts aus dem Krankenhaus gekommen war, verhielt sie sich seltsam. Irgendetwas mit ihrem Freund Nick, so hatte sie gesagt, war aber weiteren Fragen ausgewichen.   Schon länger hatte er sie auf die Dämonenjäger ansprechen wollen, doch nun begriff der junge Mann, dass er einen schlechten Zeitpunkt gewählt zu haben schien. Aber es war bereits der 7. November, Edens Erwachen stand kurz vor der Tür. Er musste Melinda finden! Wenn er aber jetzt Abby ansah, wie sie verkrampft und voller Abscheu das Motel anstarrte, fragte er sich, ob es wirklich nur der Unfall ihres Freundes war, der ihr zu schaffen machte. „Stimmt etwas nicht?“ „M-mir geht’s gut“, wich sie aus, „aber wenn du mich fragst, solltest du dich von diesen Leuten fern halten. Sie sind … abscheuliche Menschen!“ „Sie sind meine letzte Chance“, gestand Henry betrübt, „wo immer sich Isfanel versteckt, auf normalem Wege kann ich ihn nicht finden. Als Dämonenjäger müssen sie einfach eine Möglichkeit kennen, Isfanel aufzuspüren!“ Abby nickte. „Es muss furchtbar sein, seine Schwester in der Hand eines Dämons zu wissen …“ Sie zuckte zusammen, dann sprach sie angespannt weiter: „Aber manche Dämonen wandeln in Menschengestalt unter uns. Ich hoffe, sie können dir weiterhelfen.“   Damit verabschiedete sie sich kurz angebunden von Henry und ließ ihn stehen. Kurz sah er dem Mädchen hinterher, wie es eiligen Schrittes davon rannte. Warum hatte sie ihn überhaupt begleitet? Er hätte den Weg schon alleine gefunden. Mit dem Blick auf das Motel gerichtet, ging er letztlich über die Straße. Abby wusste, dass sie ihm ihr Herz ausschütten konnte. Wann dieser Zeitpunkt war, musste sie selbst entscheiden.   Und wie er über den Sand des Vorhofes des Motels lief, fiel sein Blick auf den Parkplatz links neben dem ebendiesem. Bis auf zwei PKWs und ein VW-Bus standen dort keine Autos. Er schätzte, dass der VW-Bus den Dämonenjägern gehören musste, damit sie ihre Ausrüstung transportieren konnten – andererseits wusste er nicht, was ein Dämonenjäger überhaupt an Ausrüstung besaß. Das Motel war so aufgebaut, dass es zwei Stockwerke gab. Das obere wurde durch eine Stahltreppe erreicht, die sich ebenfalls auf der linken Seite befand. Alle Zimmer waren so ausgerichtet, dass die Eingänge zur Straße hin lagen. Und Henry fand Zimmer Nummer 7 recht schnell, denn es war am äußersten linken Rand, auf der unteren Ebene angesiedelt.   Ohne zu zögern klopfte er dreimal laut gegen die Tür und wartete ab. Von dem, was er vor ein paar Tagen im Haus dieser Valerie erlebt hatte, waren sie nicht so übel. Der Entstellte schien relativ verbohrt zu sein in seiner Weltanschauung, aber der etwas Jüngere machte einen halbwegs vernünftigen Eindruck. Allerdings fragte sich Henry dadurch abermals, was für ein Problem Abby mit ihnen hatte. Vermutlich war Anya darin involviert, da besonders dieser Alastair nicht gut zu sprechen auf sie schien.   Die Tür wurde schließlich aufgerissen und Henry fand sich ebenjenem großen, im Gesicht vernarbten Mann gegenüber stehen. Er trug ein schwarzes, ärmelloses Shirt um den Oberkörper zusammen mit einer schwarzen Hose und musterte ihn kritisch. „Warum bist du hier?“, fragte er scharf. „Weil ich eure Hilfe brauche“, kam Henry ohne Umschweife zum Punkt, nicht weniger angespannt. Wie er solche Menschen hasste, die einem sofort mit Feindseligkeit begegneten, ohne sich auch nur angehört zu haben, was man zu sagen hatte. Der schien vom selben Schlag zu sein wie Anya. Kein Wunder, dass sie sich nicht ausstehen konnten. „Du bist doch ebenfalls ein Malträger“, erwiderte Alastair aufgeregt. „Ich habe dich bei der Versammlung gesehen. Warum sollten wir dir helfen?“ „Ehemaliger Malträger“, stellte Henry richtig, „und helfen sollt ihr mir dabei, meine Nachfolgerin zu finden. Meine Schwester. Wenn wir Eden vernichten wollen, ist sie unabkömmlich, das solltet ihr mittlerweile wissen.“ Alastair zischte verächtlich, ehe er ihn mit einer Geste herein ließ.   Kaum war Henry in das kleine Zwei-Bett-Zimmer eingetreten, kam ihm schon der andere Dämonenjäger entgegen. Dieser trug ein schwarzes Unterhemd mit einem weißen Handtuch um den Hals, hielt dabei eine Cola-Dose in seiner Hand und schaute ihn verdutzt an. „Du bist doch …“ „Henry. Wir müssen reden“, sagte er entschieden. „K-klar.“ Verdutzt deutete der Schwarzhaarige, dessen Name Matt lautete, sofern sich Henry richtig erinnerte, auf einen kleinen Tisch in der rechten Ecke des spärlich eingerichteten Zimmers. „Setz' dich. Möchtest du auch etwas zu trinken?“ „Nein“, schlug Henry das Angebot aus und nahm dort an einem der beiden Stühle Platz. Matt setzte sich ihm gegenüber, während Alastair das Gespräch aus der Ferne gegen die Haustür gelehnt beobachtete.   „Du kommst bestimmt wegen deiner Schwester?“, fragte Matt und traf damit direkt ins Schwarze. „Richtig. Ich möchte euch bitten, sie für mich zu finden. Ich habe bereits alles ausprobiert, überall gesucht, aber bin mit meinem Latein am Ende. Ohne sie können wir nicht zum Herzen Edens vordringen, wie du sicher weißt. Womit du auch gleich einen Grund hast, mir zu helfen.“ Überrascht von so viel Direktheit hob Matt abwehrend die Arme. „Moment mal, warte! Das ist ja schön und richtig und alles, aber wie stellst du dir das vor?“ Henry erwiderte ungerührt: „Als Dämonenjäger solltet ihr doch in der Lage sein, eure Beute aufzuspüren. Besitzt ihr nicht irgendwelche Mittel dafür?“ Ziemlich perplex lachte Matt daraufhin auf. „Denkst du, wir haben ein Radar dafür? Normalerweise bemerkt man Dämonen erst, wenn sie dir so nahe sind, dass du ihre Anwesenheit am ganzen Leibe spüren kannst – wenn überhaupt! Einzig Refiel kann Auren orten, sofern diese sich in der näheren Umgebung befinden und nicht unterdrückt werden. Der Radius ist zwar eher klein, aber besser als nichts.“ „Wer ist Refiel?“ „Ein Engel, der mit Alastair einen Pakt eingegangen ist.“ Matt nahm einen Schluck aus der Cola-Dose und setzte sie auf den Tisch ab. „Aber es funktioniert nicht so, wie du dir das vorzustellen scheinst. Wenn der Dämon, der deine Schwester besetzt hält, sich ruhig verhält, können wir gar nichts tun. Und in den letzten Tagen ist uns nichts Besonderes aufgefallen.“ Allerdings wollte Henry das nicht hinnehmen. „Gibt es denn keine andere Möglichkeit!? Ich muss Melinda finden! Es muss doch in eurem Interesse sein, mir zu helfen! Ich will, dass Eden zerstört wird, damit dieser Albtraum endet und nie wieder jemand so leiden muss, wie wir beide es tun!“ Beschwichtigend nickte Matt und sagte einfühlsam. „Uns geht es nicht anders als dir. Es ist ja nicht so, als ob wir dir nicht helfen wollen. Wir können nicht.“   Plötzlich zischte dieser Alastair hinter ihnen verächtlich: „Als ich vor einigen Wochen spürte, wie sich Anya Bauer mit einem unbekannten Dämon bekriegte, hatte ich schon die Hoffnung, sie würde dabei sterben! Aber leider hat sie mir diesen Wunsch nicht erfüllt, diese Dämonenbrut! Sonst wäre das hier schon längst vorbei!“ Henry biss sich auf die Lippen und stand mit gesenktem Kopf auf. „Wenn das so ist, entschuldigt die Störung. Dann will ich euch nicht länger belästigen.“ Mitfühlend sah Matt ihn an. „Es tut mir leid, aber als Dämonenjäger ist man für gewöhnlich darauf trainiert, sich Informationen zu Standorten von Dämonen selbst zu besorgen. Nicht zuletzt deswegen ist der Job auch so knifflig. Weißt du, wie viele Leute glauben, Dämonen gesehen zu haben? Du würdest lachen.“ „Zu lachen ist mir aber nicht zumute“, erwiderte Henry und sah Matt trotzig an. Für ihn mochte es leicht sein, das so daher zu sagen, aber emotional involviert war er nicht in die Sache. Was wusste der schon davon, seine Schwester beschützen zu wollen!? „Das Leben ist kein Zuckerschlecken“, warf Alastair ein, „und wenn du etwas richtig erledigt sehen willst, solltest du dich nicht auf andere verlassen.“ Mit wütendem Blick wandte sich Henry zu ihm um. „Danke für den Hinweis! Habt -ihr- eure Aufgabe denn schon erledigt!?“ „Den Sprengstoff können wir morgen früh abholen“, antwortete ihm Matt ruhig, „darum musst du dir keine Sorgen machen. Ich würde dir ja helfen, deine Schwester zu suchen, aber wenn wir beide morgen nicht beim Lieferanten erscheinen, verschwindet der ohne die Ware. Misstrauischer Kerl, musst du wissen.“ „Also gibt es wirklich niemanden, der mir helfen will?“ Henry lachte bitter auf. „Wer hätte gedacht, dass mein alter Mann recht hat?“   Sein Vater, William Ford, sagte immer, dass die Menschen einem nur dann halfen, wenn sie sich selbst etwas davon versprachen. Nichts wurde ohne eigennützige Absichten getan. Selbst große Opfer wurden im Endeffekt nur gebracht, um dem eigenen Seelenheil zu dienen. Mitgefühl sollte das schlechte Gewissen kompensieren, das den Menschen, die es besaßen, das Leben schwer machte. Die Welt war ungerecht und unausgeglichen, wer sich in ihr zurechtfinden wollte, durfte keine Angst davor haben, den Schwächeren bei Bedarf zu schaden. Denn wären sie in der eigenen Position, würden sie nicht anders handeln. Henry hasste diese tiefschwarze Philosophie, aber langsam glaubte er zu erkennen, was hinter ihr steckte.   Er lachte noch einmal bitter. „Ihr kennt nicht zufällig ein Zauberbuch, in dem alles Wissen dieser Welt geschrieben steht, oder?“ Matt schüttelte den Kopf. „So etwas gibt es in dieser Welt nicht. Nicht, dass wir wüssten. Am ehesten käme an deine Vorstellungen der- Moment, das ist es!“ Er schlug mit der Faust auf die Handfläche. „Der Sammlerdämon!“ „Wer?“, fragte Henry verwirrt und sah auf. Gleichzeitig protestierte Alastair: „Das kann nicht dein Ernst sein! Mit diesem Abschaum darf man keine Geschäfte treiben!“ Wütend verlangte Henry: „Klärt mich bitte jemand auf!? Wer ist dieser Sammlerdämon!? Wovon redet ihr auf einmal!?“   Matt faltete die Hände ineinander und beugte sich über den Tisch, woraufhin Henry sich wieder hinsetzte. Der Dämonenjäger begann mit leiser Stimme zu erklären. „Der Sammlerdämon ist uralt und in der Lage, aus den Herzen der Menschen ihre Wünsche zu lesen und sie wahr werden zu lassen. Doch nicht ohne Gegenleistung.“ Henry schüttelte irritiert den Kopf. „Wenn das so ist, meine Familie besitzt genug Geld.“ „Nein, Geld will er nicht. Der Preis hängt vom Wunsch seines 'Kunden' ab. In der Regel verlangt er die Seele, seltener auch andere, nicht weniger wichtige Dinge. Was das ist, sage ich hier lieber nicht laut. Aber wer sich auf ihn einlässt, muss wirklich verzweifelt sein.“ „Und wenn schon, das ist mir egal! Ich habe sowieso nichts zu verlieren!“ „Sei nicht dumm, Matt!“, donnerte Alastair wütend. „Du kannst ihn unmöglich in die Arme dieser Missgeburt schicken! Es ist eine Sünde unter Dämonenjägern, ihr Klientel auf Dämonen zu verweisen! Das werde ich nicht zulassen!“ „Halt den Mund!“, donnerte Henry und sprang wütend auf, drehte sich zu Alastair um. Mit dem Finger zeigte er auf ihn. „Das ist meine freie Entscheidung! Euer Kodex interessiert mich nicht! Wenn ihr mir helfen wollt, dann bringt mich zu diesem Sammlerdämon! Alles andere ist meine Sorge, nicht eure!“ Matt stöhnte daraufhin und legte nachdenklich sein Kinn auf den Handrücken. „Mal abgesehen davon, dass Alastair recht hat, ist das leichter gesagt als getan. Der Collector, so sein offizieller Name, lässt sich nicht so einfach finden. Er offenbart sich nur denjenigen, die seiner Hilfe bedürfen.“ „Und wenn diese Made leichtes Spiel wäre, hätten die Dämonenjäger sie schon längst vernichtet!“, fügte Alastair aufgebracht hinzu. „Manche Dinge lässt man besser ruhen, glaub mir!“ „Das ist nicht mein Problem!“, widersprach Henry zornig. „Irgendwo muss er doch zu finden sein, schließlich ist er von seiner Kundschaft abhängig!“ „Tch, denkst du, er steht in den Gelben Seiten!?“, fauchte Alastair den jungen Mann an. Hinter ihnen meinte Matt nachdenklich: „Das nicht … aber womöglich kann man ihn beschwören.“ Alastair schien das anders zu sehen. „Unmöglich! Das haben schon dutzende Dämonenjäger versucht, nie ist er aufgetaucht!“ „Weil er wusste, dass sie ihn töten wollten“, widersprach Matt, „aber in unserem Fall braucht Henry wirklich seine Hilfe. Einen Versuch wäre es zumindest wert, wenn wir sonst schon nichts für ihn tun können.“ Der schwarzhaarige, junge Mann sah auf. Henry drehte sich zu ihm um, wie der Dämonenjäger ihn eindringlich ansah. „Aber bist du dir wirklich sicher, dass du das tun willst? Denk an deine Schwester. Würde sie wollen, dass du dich am Ende einem Dämonen verkaufst, nur um sie zu finden?“ Henry schloss die Augen. „Nein. Aber das ist mir egal. Außerdem habe ich nicht leichtfertig vor, meine Seele oder dergleichen wegzugeben. Wenn es ums Verhandeln geht, bin ich auch nicht gerade zimperlich. Lasst das meine Sorge sein und ruft diesen Kerl einfach, okay?“ Resignierend stöhnte Matt und stand auf. „Wie du willst. Aber auf eigene Gefahr. Wir können ihn nicht für dich loswerden, wenn er es erstmal auf dich abgesehen hat.“ „Das Risiko gehe ich ein.“ „Das dürft ihr nicht!“, konnte Alastair sich damit jedoch nicht abfinden und stieß sich von der Tür ab, ging wild gestikulierend auf die beiden zu. „Von allen Dämonen dieser eine! Selbst Refiel rät davon ab!“ „Refiel kann mich mal“, giftete Matt und grinste plötzlich heimtückisch. „Außerdem werden wir nicht gänzlich unvorbereitet sein.“   ~-~-~   Zu dritt standen sie schließlich um einen mit Kreide auf den Dielen des Motelzimmers gezeichneten Kreis. Um diesen herum waren fünf Kerzen aufgebaut, die die Spitzen eines fünfzackigen Sterns repräsentieren sollten. Dieser fand sich in Form von ausgestreutem Salz noch einmal innerhalb des Kreidekreises wieder. Matt hatte soeben die letzten Worte einer Dämonenbeschwörungsformel gesprochen und schlug den Wälzer in seiner Hand zu. „Das war's.“ Henry hatte eine Gänsehaut, was daran lag, dass es plötzlich abnormal kalt in dem Zimmer geworden war. Auch erschien es ihm so, als wäre es dunkler geworden, obwohl draußen noch nicht einmal die Sonne untergegangen war. „Wird er kommen?“, fragte er, versuchte erfolglos seine Ungeduld zu unterdrücken. „Wenn ja, wird es einen Moment dauern.“ Alastair schnaubte wütend. „Wieso lasse ich das überhaupt zu?“ „Weil ich der größere Dickkopf von uns beiden bin“, grinste Matt und warf das Buch auf das Bett hinter ihm. „Außerdem willst du auch, dass der Edenfluch für immer Geschichte ist. Und Henry ist nun mal Teil davon.“ Der junge Spross der Abraham Ford Company nickte nur. „Leider …“ „Tch“, zischte Alastair und schulterte eine Schrotflinte, die er vorher aus ihrem Bus geholt hatte. Neugierig sah Matt seinen 'Auftraggeber' an. „Wie bist du dein Mal eigentlich losgeworden?“ „Darüber möchte ich nicht reden, wenn ich ehrlich bin.“   Dieses Thema war für Henry tabu. Im Grunde war er nur durch Zufall auf die Lösung gestoßen. Die Lösung, dass man den Tod überleben musste, um den Dämon aus sich zu treiben. Das Mal besaß er noch, aber es war verblasst, Isfanel fort. Und nun im Körper seiner Schwester. Alles was Henry ursprünglich wollte, als dieses Wesen sich in ihm eingenistet hatte, war Frieden. Für den er so weit gegangen war, dass … Aber wer hätte ahnen können, dass er rechtzeitig von seinem Komplizen reanimiert wurde? Im Nachhinein erschien es ihm so töricht. Damit hatte er schlussendlich nur Isfanel dazu gebracht, Melinda als Ersatz zu wählen. Es war seine Schuld …   „Kann ich verstehen“, meinte Matt mitfühlend. „Einfach war das sicher nicht.“ Doch Henry kam nicht mehr dazu ihm zu antworten, denn ein grelles Licht erfüllte das Motelzimmer. „Er kommt!“, rief Matt überrascht. Alastair zückte die Waffe und hielt sie direkt auf den Beschwörungskreis gerichtet. „Ich warte!“ Hoffentlich würde er die Antwort bekommen, die er suchte, dachte Henry und hielt sich schützend den Arm vor das Gesicht.   Das Licht verebbte wieder, doch die Luft war gefüllt von einer unheimlichen Atmosphäre. Es war, als würde sie regelrecht knistern. „Da haben zwei Dämonenjäger aber Nerven“, stellte eine schnarrende Stimme mit britischem Akzent fest, deren Ursprung direkt in der Mitte des Kreises lag. Doch es war niemand zu sehen. „Geschäfte unter Zwang zu betreiben ist eigentlich nicht mein Stil.“ Aus dem Nichts materialisierte sich ein hoch gewachsener Mann in einem schwarzen Anzug. Dieser mutete zwar wie eine Reliquie aus dem 18. oder 19. Jahrhundert an, war jedoch noch in einem astreinen Zustand. „Wie interessant“, meinte der Collector erstaunt, als er sich in dem kleinen Motelzimmer umsah und dabei die Hand an sein fein nach hinten gekämmtes, dunkelrotes Haar legte. Abfällig fügte er hinzu: „Oder sollte ich eher sagen: wie chaotisch. Hat euch niemand beigebracht, wie man sein Zuhause sauber hält?“ „Du hast jetzt andere Sorgen, Sammler“, zischte Alastair und richtete seine Waffe auf den Mann. Jener drehte sich zu ihm um und blinzelte erstaunt. „Wie unhöflich. Behandelt man so seine Gäste, Alastair?“ „Woher kennst du-!?“ „Ich gehe wieder“, entschied der Dämon jedoch, noch bevor sein Gegenüber geendet hatte. Matt lachte jedoch triumphierend auf. „Pech gehabt, das kannst du nicht! Schau mal nach unten!“ Der Collector tat wie ihm geheißen und stellte mit hochgezogener Augenbraue fest, dass er mitten in einem fünfzackigen Stern stand, geformt aus gesegnetem Salz. „Ein doppelter Bannkreis?“ „Dämonen sind in geschlossenen Salzkreisen gefangen!“, lachte nun auch Alastair. „Aber dieser hier ist besonders, denn dank seiner Form und-“   Mit dem feinen Herrenschuh schob der Sammler einen Teil des Salzes vorsichtig beiseite und unterbrach damit das geschlossene Gefüge. Er sah amüsiert grinsend in das Gesicht des entsetzten Dämonenjägers. „Was wolltest du sagen? Und ferner: wer von euch macht jetzt meinen Schuh sauber? Das ist das Mindeste.“ In einem wütenden Schrei drückte Alastair daraufhin ab. „Nein!“, schrie Matt unter dem Donnern der Schrotflinte, doch schon wich der Sammler einen Schritt zurück, da er direkt in den Bauch getroffen wurde. „Was tust du da!?“, rief auch Henry entgeistert. „Wir haben ihn nicht gerufen, um ihn zu töten!“ Der Sammler sah perplex den zerfetzten Stoff an, der einst sein Sacko und das darunter liegende, weiße Hemd war. Doch seine Haut war völlig unverletzt davon gekommen. „Das … war sehr teuer.“ „Nicht einmal Silberkugeln-!?“, schoss es aus Alastair heraus. Ehe er sich versah, stürzte sich der Sammler auf ihn und riss ihm die Flinte aus der Hand, nur um sie zu verbiegen und damit völlig unbrauchbar zu machen. Mit geweiteten Augen sah er zu, wie der Rothaarige sie achtlos fallen ließ. Dieser sagte erzürnt: „Sieh das als Ausgleich für meine Kleidung an! Wenn ihr aufmüpfigen Kinder spielen wollt, dann tut das meinetwegen, aber nicht mit mir!“ „Sammler!“ Henry trat einen Schritt vor. Der Dämon wandte sich ihm mit feindlichen Blick zu. „Ich weiß“, erwiderte er nur kalt. „Morgen.“ Und war verschwunden.   Was blieb waren zwei überrumpelte Dämonenjäger, ein verwirrter Henry und eine verbogene Schrotflinte. Und viel Salz. Die Kerzen waren allesamt erloschen. „Das glaube ich jetzt nicht“, stammelte Matt. „S-so leicht zu-“ „Die Geschichten haben nicht übertrieben“, brummte Alastair mit verletztem Stolz. „Diese Brut ist wirklich eine Nummer zu groß für uns.“ „Danke“, sagte Henry jedoch tonlos und wandte sich ab. „Mehr wollt ich nicht.“ Damit ging er. „H-hey warte, was soll das!?“, rief ihm Matt verdutzt hinterher. „Er wird mir helfen“, antwortete der brünette, junge Mann noch, bevor er das Zimmer der Dämonenjäger verließ. Als er die Tür schloss, festigte sich sein Blick. Morgen!   ~-~-~   Ruhigen Schrittes ging Henry durch die morgendlichen Straßen der Innenstadt Livingtons. Gestern war er erst spät nachts zurückgekommen, da er nachdenken musste und dann sehr früh aufgestanden, hatte das Haus der Masters verlassen, als Abby noch schlief. Ihrer Mutter hatte er erzählt, er habe Hinweise auf den Verbleib seiner Schwester erhalten. Abby würde es verstehen, doch er wollte nicht, dass sie wusste, von wem genau diese Informationen stammen würden.   Er schlenderte am großen Einkaufszentrum der Stadt vorbei, dessen bläuliche Fensterfassade ein rundliches Gebilde ergab, einem Kolosseum gleich. Lange konnte es nicht mehr dauern, dachte er innerlich ungeduldig. Der Sammler hatte ihm die Botschaft gegeben, bis morgen, also heute, zu warten. Wenn er bedachte, dass heute bereits der 8. November war – drei Tage bis Edens Erwachen, spürte er ein unangenehmes Kribbeln in der Magengegend. Selbst Isfanel wusste praktisch nichts über Eden. Nur, dass es sich im Turm von Neo Babylon befand, welcher in einem zeitlich abgestimmten Rhythmus etwa alle 400 Jahre erschien. Doch etwas war geschehen, das diesen Rhythmus durcheinander gebracht hatte, sodass der Turm viel länger auf sich hatte warten lassen als sonst. Über 100 Jahre war er überfällig. Und es würde das letzte Mal sein, dass er auftauchte, so hatte Isfanel gesagt – warum wusste er nicht, aber er fühlte es. Was Henry jedoch auch wusste war die Tatsache, dass Menschenleben geopfert werden mussten, um Eden zu erwecken. Ausgesuchte Individuen höherer Wesen auf Isfanels Stufe. Leute wie Melinda …   Zwar hatte er Anya das Versprechen gegeben, am 11. November zusammen mit Melinda vor dem Turm zu erscheinen, doch ob er es halten würde, wusste er nicht. Allein schon deshalb nicht, weil er diesem Mädchen nicht über den Weg traute. Sie erweckte bei ihm seither den Eindruck, als hätte sie etwas zu verbergen, seit sie allen von Eden und dem Turm berichtet hatte. Henry ahnte, dass sie die sogenannten Zeugen der Konzeption, Matt, Alastair, Valerie, Marc und seine Schwester in eine Falle locken wollte, um Eden zu werden und dem Limbus zu entgehen. Und dass der Dämonenjäger Alastair dies ebenfalls vermutete, bestärkte ihn darin. Wenn sie den Turm wirklich betraten, gab es keine Garantie auf Wiederkehr. Und wenn man bedachte, dass er und Melinda der Sache nur fern bleiben mussten, um Isfanels Absicht zu erfüllen – das Erwachen Edens zu verhindern – war die Entscheidung für ihn im Grunde leicht. Doch es gab etwas, das ihm Sorgen bereitete. Was, wenn es noch mehr Zeugen gab, von denen im Moment niemand etwas ahnte? Und Anya wirklich zu Eden wurde, selbst wenn er und Melinda flüchteten? Niemand wusste, was Eden war. Isfanel nannte es seinen Untergang. Er mochte zwar ein selbstsüchtiger Bastard sein, aber wenn Eden einem so mächtigen Wesen wie ihm solche Angst bereitete, war Henry sich nicht sicher, was geschehen würde, wenn Eden erwachte. Wäre es nicht besser, Vorbereitungen zu treffen, damit dieser Fall gar nicht erst eintrat? Aber das hieße, den Turm zu betreten und mit den anderen zusammenzuarbeiten.   Henry blieb abrupt auf dem wie leergefegten Bürgersteig stehen. Gänsehaut. „Wenn du es möchtest, werde ich dir dabei helfen“, erklang die Stimme des Sammlerdämons hinter ihm freundlich. Sich nicht umdrehend, erwiderte der brünette, junge Mann: „Eins nach dem anderen. Wo ist Melinda?“ „In der Kanalisation. Es hat etwas gedauert, sie und Isfanel ausfindig zu machen. Ich entschuldige mich dafür, normalerweise arbeite ich effizienter. Aber aufgrund einer interessanten Entwicklung bin ich in die Irre geführt worden.“ Er lachte amüsiert. „Selbst im hohen Alter lernt man noch dazu, nicht wahr?“ Nun wandte sich Henry mit Händen in den Taschen seiner Jeans um. „Was muss ich zahlen, um deine Hilfe in Anspruch zu nehmen?“ Der rothaarige Brite sah genauso aus wie gestern, mit dem einzigen Unterschied, dass er offenbar seinen Anzug mit einem gleich aussehenden Exemplar gewechselt hatte. Oder durch seine Kräfte einfach repariert hatte. Lässig stand er mit hinter dem Rücken verschränkten Armen vor ihm und lächelte trügerisch. „Bis jetzt noch gar nichts. Ich würde sagen, wir verrechnen das am Ende. Denn mir dünkt es, dass du heute noch öfters auf mich zukommen wirst.“ Nun reichte er ihm seine rechte Hand. „Willst du nun zu deiner Schwester?“ Dass Henry diese nahm und somit bewusst einen Handel mit dem Collector einging, war Antwort genug. Ein grelles Strahlen ging von den beiden Händen aus, welches Henry so sehr blendete, dass er aufstöhnte.   ~-~-~   Als er die Augen wieder aufschlug, drang gleichzeitig ein widerlicher Geruch von Fäkalien in seine Nase. Es gab keinen Zweifel, der Sammler hatte ihn direkt in die Kanalisation gebracht. Es war stockfinster. „Mist, ich habe keine Taschenlampe!“, murmelte er ärgerlich. Und wagte es nicht, sich vom Platz zu bewegen, aus Furcht, am Ende irgendwo zu landen, wo noch nie zuvor ein Mensch gewesen war. Ein Schnippen ertönte und ehe sich Henry versah, schossen lauter grüne Feuerbälle durch den Kanal und platzierten sich oberhalb der Decke wie Fackeln, die ihr näheres Umfeld in smaragdfarbenes Licht tauchten. Erstaunt stellte er fest, dass der Sammler vor ihm stand, umhüllt von einer silbernen Blase. „Was soll das?“, fragte Henry daraufhin. „Ist es hier gefährlich?“ „I-ich weiß nicht wie es dir geht, aber meine Wenigkeit möchte weder den G-g-g-gestank, noch den Schmu- Schmuuuu- Schmuuuuuuu-“ „Schmutz?“ „Genau das! Das in meiner Nähe wissen.“ Der Mann erschauderte sichtlich und packte sich mit den Händen an den Schultern. „A-allein der Anblick bereitet mir eine Gänsehaut.“ Verdutzt musterte Henry den Kerl, der plötzlich ganz anders klang als noch vor fünf Minuten. Als habe er tatsächlich Angst. Mit dem Finger zeigte der Sammler an ihm vorbei auf etwas in der Ferne. Henry wandte sich um und musterte zunächst seine Umgebung. Dieser Kanal war zweigeteilt, in der Mitte floss das Abwasser an ihnen vorbei, während je links und rechts Wege gebaut waren, damit die Arbeiter sich hier fortbewegen konnten. Er befand sich auf der rechten Seite. In regelmäßigen Abständen verbunden Brücken beide Hälften.   Und nicht all zu weit weg lehnte auf der anderen Seite ein regungsloser Körper an der Wand. Henrys Herz machte einen Sprung, als er das brünette, nach hinten in einer Welle verlaufende Haar erblickte. „Melinda!“ Sofort rannte er über die Brücke, rutschte dabei fast noch aus und achtete nicht auf den Sammler, der sich keinen Millimeter rührte. Doch noch ehe er seine Schwester erreicht hatte, hielt er zutiefst schockiert bei ihrem Anblick inne. „D-das kann nicht- was um alles in der Welt-!?“ Neben dem leblosen Leib seiner Schwester lag ein Taschenmesser, an dem verkrustetes Blut haftete. Und nicht nur da, überall war es. Das Blut seiner Schwester. Sie war kreidebleich, die Lippen blau und lag in dieser entsetzlichen, getrockneten Blutlache. „D-das darf nicht sein!“, murmelte er. Aber da waren keine Spuren! Die Ärmel ihres abgetragenen Pullovers waren hochgekrempelt, blutverschmiert, aber es gab keine Anzeichen von Wunden auf der nackten Haut! Was war das!?   Sie schlug die Augen auf und hob den Kopf an. Henry fiel ein Stein vom Herzen. „Melinda! Oh Gott sei Dank-“ „Du!?“, zischte sie und kam schwankend auf die Beine. „Wie hast du mich gefunden!? Tch! Wer hätte gedacht, dass wir uns noch einmal wiedersehen?“ Ihm stockte der Atem. „Du … du bist nicht Melinda! Du bist Isfanel!“ „Sehr gut erkannt. Genießt du dein Leben ohne mich?“, fragte dieser keuchend und trat einen Schritt auf ihn zu. „Bedauerlicherweise bist du mich nicht ganz losgeworden, nicht wahr?“ „Lass sie gehen!“, forderte Henry aufgebracht. Isfanel grinste gehässig. „Nein. Sie gehört jetzt mir. Du weißt, wozu ich sie brauche.“ „Das ist mir egal! Lass sie frei! Nimm mich, wenn es sein muss!“ Die besessene Melinda stützte sich an der Mauer ab und lächelte kalt. „Wie aufopferungsvoll. Und wenn wir unseren Pakt erneuern, wirst du dann wieder kalte Füße bekommen, Benjamin Hendrik Ford? Dazu wird es nicht kommen! Und wisse: selbst wenn ich damit einverstanden wäre, hätte ich nicht genug Kraft dafür!“ Henry lief der Schweiß über die Stirn. „Was soll das bedeuten!?“ Er erschrak, als die Stimme des Sammlers direkt hinter ihm erklang. Sie war wieder fest und bestimmend, nicht mehr 'bacteriophobisch'. „Siehst du den Zustand, in dem sich der Körper deiner Schwester befindet? Diese Wunden hat sie sich zugefügt, um Isfanel in Schach zu halten. Da er nach dem Kampf mit Anya Bauer geschwächt war und anschließend noch von ihrem besten Freund Nick Harper verletzt wurde, hat Melinda die Chance ergriffen und die Kontrolle zurückgewonnen.“ Er machte eine Pause. „Nur um Isfanel in einer endlosen Schleife aus Schmerz und Regeneration gefangen zu halten, damit er niemandem schadet. Dabei hat er sich meiner Blicke verborgen, indem er mit dem Rest seiner Kräfte ein Tarnfeld errichtet hat. Aus Angst vor seinen Feinden.“ „Oh, der Sammler“, krächzte Isfanel amüsiert und sah den Mann hinter Henry verächtlich an, „welch hoher Besuch. Dir ist wohl kein Mittel zu schade, um mich loszuwerden, was Bursche?“ „Wenn es sein muss, ja!“   Henry hob den rechten Arm, an dem Abbys schwarze Duel Disk angebracht war und aktivierte diese. „Und du kannst dir sicher sein, dass ich nicht zimperlich bin, wenn es darum geht, sich den Feinden unserer Familie zu stellen!“ Isfanel lachte. „Ein Duell? Jetzt und hier? Was soll das erreichen? Du bist nichts ohne meine Macht!“ Doch der jüngste Spross der Ford-Familie grinste. „Aber ich habe Ersatz gefunden, wie du sehen kannst! Sammler! Wenn ich dieses Duell gewinne, könntest du bitte dafür sorgen, dass Isfanel aus dem Körper meiner Schwester für immer vertrieben wird? Steht das in deiner Macht?“ Der Brite überlegte kurz, ehe er sich räusperte. „Nein. Das würde nicht den Effekt erzielen, der dir vorschwebt. Aber ich mache dir ein Gegenangebot, das auch den Preis für meine Hilfe in Grenzen halten wird. Ich kann Isfanel unterdrücken, aber nur bis zum 11. November.“ Henry drehte sich mit geweiteten Augen um. „Länger nicht!?“ „Natürlich ginge es auch länger. Aber denk daran, dass du noch andere Wünsche hast, die ich erfüllen soll. Und länger bis zu diesem Tage ist auch nicht nötig, nicht wahr?“ „Du willst, dass ich Eden zum Opfer falle!?“, donnerte Isfanel daraufhin aufgebracht und aktivierte die eigene Duel Disk am Arm. „Das werde ich zu verhindern wissen!“ „Nein, ich will Eden vernichten! Aber dazu muss Melinda mit mir kommen!“ Der Dämon lachte hysterisch auf. „Als ob ich dir das glauben würde! Gerade du suchst doch den Tod, was käme dir da rechter, als ein Opfer im perfiden Spiel des Gründers zu werden!?“ „Ich kann ihn auch ohne Duell unterdrücken“, mischte sich der Sammler ein. Und erntete unerwartet Widerspruch von Henry. „Nein! Das wäre unehrenhaft! Ich will mich dem Feind meiner Familie stellen! Er soll genauso kämpfen, wie ich zu kämpfen hatte gegen ihn! Das ist meine Rache!“ Der Sammler zog eine Augenbraue hoch. „Interessant. Nun gut, wie du wünscht.“ „Du hättest auf ihn hören sollen“, sagte Isfanel leise, „ihr Menschen seid so eingenommen von euch selbst, dass ich nicht weiß, ob ich lachen oder weinen sollen. Aber wenn das deine Entschlossenheit ist, dann lass sie mich mit meiner Macht zerquetschen!“ Langsam schritt er nach rechts auf eine der Brücken zu, um sich in Duellposition zu bringen. Henry tat es ihm gleich, sodass sie sich auf den beiden Brücken gegenüber standen. Letztlich riefen beide synchron: „Duell!“   [Henry: 4000LP / Melinda: 4000LP]   „Ich mache den ersten Zug!“, entschied Isfanel bestimmend und zog mit einem Schlag sechs Karten von seinem Deck. Zwei nahm er aus seinem Blatt hervor und schob eine davon in die Backrow, während er das Monster verdeckt auf die Duel Disk legte. „Ein Monster in Verteidigung und diese gesetzte Karte!“ Beide materialisierten sich in der jeweiligen Lage vor ihm über dem Fäkalienfluss. Danach zückte er eine Zauberkarte. „Und jetzt aktiviere ich [Book Of Taiyou]! Damit bringe ich ein Monster in verdeckter Verteidigungsposition in Angriffsposition! So wie mein eigenes, [Kamui, Hope Of Gusto]!“ Aus Isfanels gesetzter Monsterkarte sprang ein grünhaariges Mädchen, das in der Hand einen Zauberstab trug und einen beigefarbenen Mantel über die Schultern gelegt hatte. Kamui, Hope Of Gusto [ATK/200 DEF/1000 (2)]   „Nun aktiviert sich ihr Flippeffekt!“, verkündete Isfanel und schwang den Arm aus. „Sie beschwört einen Gusto-Empfänger von meinem Deck! Erscheine, [Gusto Falco]!“ Auf der Schulter des jungen Mädchens erschien ein grüner Vogel, der einen Helm und Brustpanzer am Leibe trug.   Gusto Falco [ATK/600 DEF/1400 (2)]   „Direkt zum Punkt“, kommentierte Henry das angespannt. „Natürlich! Ich werde dir gegenüber keine Gnade kennen!“, versprach Isfanel und streckte den Arm seines Gefäßes aus. Ein schwarzer Wirbel tat sich inmitten des Spielfelds auf, seine Monster wurden in grünen Lichtstrahlen in den Sog gezogen. Ein grünes Glimmen ging von Melindas Arm aus. „Ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinen zwei Stufe 2-Monstern wird ein Rang 2-Monster! Erscheine, [Daigusto Phoenix]!“ Aus dem Wirbel entstieg ein hässlicher, nackter Vogel, der eine erstaunliche Ähnlichkeit zum Dinosaurier Pteranodon aufwies. Seine rote, schuppige Haut ging in smaragdfarbenen Flammen auf, aus welchen sein 'Federkleid' geformt wurde. Zwei Lichtsphären kreisten um das Wesen.   Daigusto Phoenix [ATK/1500 DEF/1100 {2}]   Henry hätte nie gedacht, schon im ersten Zug ausgerechnet diesem Monster gegenüber zu stehen. Aufgebracht rief er: „Ich weiß genau, was du vor hast!“ „Ach ja? Wie hinreißend. Zug beendet!“, verlautete Isfanel mit einem gehässigen Grinsen.   Aufgebracht zog Henry und betrachtete die Karte. Wenn Isfanel glaubte, in ihm einen leichten Gegner gefunden zu haben, irrte er. Vielleicht konnte er diesen nicht verletzten, aber das wollte er Melinda wegen auch gar nicht. Jedoch kannte er das Deck, das Isfanel benutzte, genau. Schließlich war es einst sein eigenes gewesen, bevor Melinda es genommen hatte und abgehauen war. Sie wollte dadurch vermutlich die Paktkarte darin – jener [Daigusto Phoenix] – außer Isfanels Reichweite bringen, denn als Symbol eines Pakts besaß diese ganz eigenwillige Kräfte. Kräfte, die womöglich mit Eden im Zusammenhang standen. Doch Isfanel beabsichtigte vermutlich eher, diese Kraft zu nutzen, um die anderen Malträger zu töten. Eigens dafür war er sogar einen neuen Pakt mit diesem Marc eingegangen. Doch das erwies sich letztlich als fataler Fehler, denn nachdem jener gestorben war, ging auch ein Teil von Isfanels Kraft verloren!   „Ich werde nicht verlieren, nicht gegen jemanden wie dich!“, versprach Henry seinem Widersacher drohend und nahm eine Karte aus seinem Blatt. „Ich beschwöre [Don Turtle]! Und wenn dieser gerufen wird, kann ich alle weiteren Exemplare dieser Karte von meiner Hand rufen! Also wird noch ein weiterer [Don Turtle] erscheinen!“ Vor ihm tauchten zwei braune Schildkrötenpanzer auf, aus deren Inneres gelbe Augen leuchteten.   Don Turtle x2 [ATK/1100 DEF/1200 (3)]   „Was du kannst, kann ich auch! Ich erschaffe das Overlay Network!“, rief er anschließend und ließ seine beiden Schildkröten zu blauen Lichtstrahlen werden. Diese wurden ebenfalls in ein schwarzes Loch in der Mitte es Feldes gezogen. „Aus meinen beiden Wasser-Monstern der Stufe 3 wird nun ein Monster vom Rang 3! Xyz-Summon! Sei meine Waffe, [Black Ray Lancer]!“ Aus dem Wirbel trat eine dunkle, amphibische Gestalt hervor. Pechschwarz war sie, besaß zwei Paar mit Schwimmhäuten bespannte Schwingen, das größere von beiden auf dem Rücken, das kleine an den zu kurz geratenen Beinen. In den Händen hielt sie einen roten Speer.   Black Ray Lancer [ATK/2100 DEF/600 {3}]   „Oh?“ Isfanel grinste süffisant. „Du scheinst tatsächlich eine Ahnung zu haben, worauf du dich hier eingelassen hast.“ „Du willst inkarnieren!“, sprach Henry das Vorhaben aus, welches seinem Gegner vorzuschweben schien. Es gab keinen anderen Grund, warum er sonst das Paktmonster schon im ersten Zug beschworen hatte. „Und da Incarnation Mode-Monster nur durch Xyz-Monster im Kampf zerstört werden können, dachtest du, dem mit deinem Monster zuvor kommen zu können?“ „Nein.“ Auf Henrys Stirn bildete sich eine tiefe Falte. „Ich habe gar nicht erst vor, dich inkarnieren zu lassen! [Black Ray Lancers] Effekt! Indem ich eines seiner Xyz-Materialien abhänge, kann ich bis zur End Phase den Effekt eines Monsters negieren! Den deines [Daigusto Phoenix]! Und da das Inkarnieren ein geheimer Effekt der Originalmonster ist, kannst du ihn nicht verwenden, um mir zuvor zu kommen! Dachtest du, ich wüsste nicht um die schützende Kraft von [Eternal Daigusto – Jade Phoenix], den du rufen willst!?“ Isfanels Gesichtszüge entglitten ihm vor Schreck. „Was!? Woher weißt du-!?“ „Dies ist mein Deck!“, bellte Henry. Sein [Black Ray Lancer] absorbierte eine der Sphären über seiner Brust und richtete danach seinen Speer auf den Phönix. Ein roter Strahl schoss aus diesem, der den Vogel direkt in der Körpermitte traf, wobei rötliche Blitze den ganzen Körper des Wesens zu peinigen begannen. „Du-!“, knurrte Isfanel. „Kein Wunder, dass du mein optimales Gefäß bist! In dir schlummert ein geborener Kämpfer und Stratege!“ „Halt den Mund!“, schrie Henry jedoch nur wütend und schwang den Arm. „Verschwinde endlich aus unserem Leben, du Missgeburt! [Black Ray Lancer], greife [Daigusto Phoenix] an! Der Albtraum wird enden, bevor er angefangen hat!“ Sein Monster schwang den Speer über seinem Kopf, ehe er ihn direkt in die Richtung seines Opfers warf. Dieser schrie und schlug wild mit seinen Flammenschwingen. Diese wirbelten einen so starken Sturm auf, dass dieser die Lanze fortwehte, welche in ihrem Flug gegen Henrys Monster knallte. Jenes ging daraufhin verletzt in die Knie. „Was!?“, stieß Henry erschrocken hervor. Und dann fiel sein Blick auf die Fallenkarte, die Isfanel aktiviert hatte. „[Windstorm Of Etaqua], der sagenhafte Wind, der jeden Feind zu Fall bringt.“ Der Dämon lachte hämisch. „Du kennst ihn, hast du ihn doch selbst für dieses Deck auserwählt. Er zwingt alle gegnerischen Monster, die Positionen zu wechseln.“   Black Ray Lancer [ATK/2100 DEF/600 {3}]   Mit dem Handrücken wischte sich Henry den Schweiß von der Stirn, obwohl es in der Kanalisation eigentlich ziemlich kühl war. „So ein Mist …“ „Tja, du bist nicht der Einzige, der strategisch denkt. Ich wusste genau, dass du nicht widerstehen können würdest, wenn ich dir [Daigusto Phoenix] als Lockvogel präsentiere. Und nun hast du dich verraten, gezeigt, wie du meine Inkarnation aushebeln willst!“ „Scheiße“, zischte Henry, der eine solche Sprache normalerweise nicht pflegte. Er griff eine Karte aus seinem Blatt. „Ich setze die hier verdeckt und beende meinen Zug!“ Die Karte tauchte vor seinen Füßen und hinter [Black Ray Lancer] auf. Damit besaßen beide Spieler noch drei Handkarten. „Mein Zug, Draw!“, rief Isfanel energisch und stockte das eigene Blatt auf. Die gezogene Karte drehte er zwischen seinen Fingern um und lächelte finster. „Sieh an! Ich beschwöre [Gusto Codor]!“ Neben dem Phönix tauchte nun auch ein grüner Kondor auf, welcher ebenfalls mit Helm und Plattenrüstung versehen war. Um seinen Hals lag ein weißer Ring aus Daunenfedern, der wie ein Schal wirkte. „Auch das noch“, stöhnte Henry.   Gusto Codor [ATK/1000 DEF/400 (3)]   „Das war nur der halbe Spaß! Zusätzlich aktiviere ich eine weitere mächtige Wind-Zauberkarte, [Blustering Winds]! Sie erhöht die Angriffs- und Verteidigungskraft eines meiner Monster bis zu meinem nächsten Zug um 1000!“ Auf Isfanels Wirken hin begann von [Daigusto Phoenix] ein starker Sturm auszugehen, durch den das Wasser unterhalb der Brücken sich in immer stärker werdeden Wellen zu bewegen begann.   Daigusto Phoenix [ATK/1500 → 2500 DEF/1100 → 2100 {2}]   „Und du weißt genau, wie gefährlich das im Falle dieses einen Monsters ist, nicht wahr?“, lachte Isfanel und schnappte sich eines der Monster, die unter seinem Phönix lagen. „Ich hänge ein Xyz-Material ab und aktiviere [Daigusto Phoenix'] Effekt!“ Die Augen des Vogels leuchteten rot auf, als er den Schnabel öffnete und nach einer der Sphären um ihn herum schnappte. Isfanel erklärte: „Damit kann ein Wind-Monster für diesen Zug zweimal angreifen! Und wer wäre dafür besser geeignet, als [Daigusto Phoenix] selbst!?“ Henry ächzte. Er spürte regelrecht, wie sich die Schlinge um seinen Hals enger zog. Dieser Bastard war verdammt gut darin, das Blatt zu wenden! Soviel musste man ihm lassen! Aber so leicht würde er nicht aufgeben, schließlich ging es hier für ihn praktisch um alles! „Nun“, verlautete Isfanel majestätisch, „[Gusto Codor], greife das Monster deines ehemaligen Meisters an!“ Ohne zu widersprechen flog der Kondor auf [Black Ray Lancer] zu und schoss wie eine Rakete durch seinen Bauch. Ein klaffendes Loch hinterlassend, zog er seine Kreise zurück zu Isfanel, während das Seeungeheuer schreiend explodierte. Die besessene Melinda streckte den Arm aus. „Effekt von [Gusto Codor] aktivieren! Wenn er ein Monster im Kampf besiegt, ruft er ein Wind-Monster vom Typ Psi von meinem Deck, welches maximal 1500 Verteidigungspunkte besitzen darf! Komm herbei, [Musto, Oracle Of Gusto]!“ Zwischen den beiden Vögeln tauchte ein Priester in weißem Umhang auf, welcher einen langen Zauberstab schwang. Er schwebte in der Luft, wodurch er nicht in den Kloakenfluss fiel.   Musto, Oracle Of Gusto [ATK/1800 DEF/900 (4)]   „Bist du sicher, dass du dich nicht übernommen hast?“, fragte der Sammler freundlich. Henry drehte sich nicht einmal um, als er antwortete. „Ich komme schon klar!“ „Ach ja!? Das wollen wir erstmal sehen! Mit meinen Monstern kann ich dich spielend leicht besiegen!“, ließ Isfanel das nicht gelten. „[Daigusto Phoenix], direkter Angriff auf seine Lebenspunkte!“ Henry schreckte zurück, als der große, unförmige Vogel Luft einsog, um sogleich eine smaragdfarbene Flamme auszuspeien. Die Hitze war unangenehm, doch längst nicht so schlimm wie man es sich von jemandem wie Isfanel vorstellte. Er musste wirklich sehr geschwächt sein, wenn ein Angriff dieser Größenordnung im Verhältnis so ungefährlich schien. „Den lass ich aber nicht durchgehen!“, widersprach Henry letztlich und drückte einen der Knöpfe an Abbys Duel Disk. „Meine Falle [Defense Draw] negiert den Schaden und lässt mich eine Karte ziehen!“ Die Flamme prallte direkt vor Henry an einer unsichtbaren Mauer ab und wurde aufwärts gegen das Gemäuer der Kanalisation geschleudert. Deren Decken wurde durch den Angriff versengt, wodurch sie sich vom Ruß schwarz färbte. Derweil hatte Henry seine Karte gezogen. „Winde dich nur, Wurm“, zischte Isfanel abfällig und zeigte mit dem Finger auf ihn. „Hast du vergessen, dass [Daigusto Phoenix] zweimal angreifen kann!? Es ändert sich nichts an deiner bevorstehenden Niederlage! Los!“ Auch beim zweiten Versuch spie der Phönix eine grüne Flamme in Henrys Richtung, doch der grinste zufrieden. „Wie nicht anders zu erwarten war!“ „Was soll das!? Du besitzt keine Karten mehr auf deiner Spielfeldseite!?“ „Aber auf der Hand! Wenn du mich diese Runde zweimal direkt angreifst, kann ich beim zweiten Mal ein ganz besonderes Monster von meiner Hand rufen! Dieses nennt sich [Ogre Of The Scarlet Sorrow]!“ Der junge Mann klatschte die Karte auf seine Duel Disk. „Und dieser betritt das Feld mit derselben Angriffs- und Verteidungspower, die das Monster besitzt, das zuerst angegriffen hat! Was in deinem Fall irrelevant ist, da beide Angriffe von [Daigusto Phoenix] stammen!“ Vor Henry erhob sich ein riesiger Oger, dessen blauer, muskulöser Körper nur von einem Lendenschurz verdeckt wurde. Mit seiner wuchtigen Keule wehrte er den Flammenangriff des Phönix' spielend leicht ab. Und während er das tat, liefen rote Tränen über seine Wangen.   Ogre Of The Scarlet Sorrow [ATK/0 → 2500 DEF/0 → 2100 (4)]   Henry verschränkte abwartend die Arme. „Da sich die Zahl meiner Monster während deiner Battle Phase verändert hat, tritt laut den Regeln ein Replay ein. Wie entscheidest du dich? Wird dein Monster erneut angreifen oder nicht?“ „Ich muss dir meine Anerkennung zugestehen“, raunte Isfanel angespannt, „du kämpfst wirklich hart! Aber ich- Urgh!“ Der Dämon in Melindas Körper ging in die Knie und hielt sich den Kopf. „N-nicht jetzt!“   „W-was ist mit ihm!?“, wandte sich Henry an den Sammler. Dieser sah steif herüber zu Isfanel. „Melinda versucht wieder die Kontrolle zu gewinnen. Sich ständig zu verletzten hat auch sie an die Grenzen ihrer Kraft gebracht, weswegen es Isfanel überhaupt erst gelungen ist, sie wieder zu übernehmen.“ „D-du bleibst wo du bist“, ächzte dieser. „Dieser Körper gehört mir- Ahhhhh!“ Als Isfanel auf allen Vieren zu schreien begann, rief auch Henry mit ausgestreckter Hand: „Melinda! Hörst du mich!? Kämpfe gegen ihn an! Ich bin hier!“ „Halt den Mund! Sie kann dich nicht- Ahhh!“ Isfanel hielt sich den Kopf mit so schmerzverzerrter Miene, dass man glaubten konnte, sein ebendieser würde jeden Moment abfallen. „Sie überanstrengt sich“, kommentierte der Sammler das tonlos, „damit tut sie sich keinen Gefallen. Ihr Bewusstsein ist so schwach, dass sie Gefahr läuft, ihren Verstand zu verlieren, wenn sie weiterkämpft.“ Fassungslos wandte sich Henry zu ihm um. „Was!?“ „Deine Schwester ist in einem kritischen Zustand. Du solltest ihr davon abraten, es noch weiter zu treiben.“ Was etwas war, worüber Henry gar nicht erst diskutieren musste. „Me-Melinda! Hör auf! Ich werde das alleine regeln!“ Die junge Frau streckte den Arm Richtung Henry aus. Wenn sie doch nur nicht so weit voneinander entfernt wären, dachte der junge Mann verzweifelt. „I-ich … w-werde … nicht zulassen …“ Sie schrie vor Schmerz. Und es war Melinda, die da sprach, das spürte er. „Nicht zulassen … d-dass d-dieses Ding … m-meinem Bruder weh tut … B-Benny … tö- …“ Ihre Tonlage wechselte schlagartig. „Dummes Ding! Hör auf dich zu wehren!“ Tränen standen in Henrys Augen, wie er den verzweifelten Kampf seiner Schwester mit dem Dämon in ihr nur hilflos verfolgen konnte. Melinda ballte eine Faust. „D-das ist a-alles was ich für dich tun kann, Bruder … [Daigusto Phoenix], greife … sein Monster an!“ Wieder wechselte die Stimme. „Nein! Das lasse ich nicht zu! Ich rekon-“ „Los!“, schrie wieder Melindas wahres Ich.   Mit fassungslosem Blick verfolgte der kurz darauf wieder an die Macht gelangte Isfanel, wie sein Phönix bereits den Angriff ausführte und eine gewaltige Flamme Richtung des Ogers spie. Dieser warf im Gegenzug im hohen Bogen seine Keule auf den Vogel, was ihn nur den Flammen aussetzte. Es folgten zwei gewaltige Explosionen. Henry wurde regelrecht an den Rand der Brücke zurückgedrängt, auf Höhe des Sammlers, der sich in seiner bakterienfreien Blase keinen Millimeter rührte. „Melinda!“, krächzte Henry, da ihm langsam die Stimme versagte. Als der Rauch sich legte, waren die beiden Monster fort. Und die junge Frau stand wieder. „Diese kleine-“, zischte Isfanel zornig und fasste sich an die Stirn. „Wegen ihr ist [Daigusto Phoenix] zerstört worden, bevor ich ihn reinkarnieren konnte!“ „Melinda! Melinda bist du noch-“ „Sie ist fort“, sprach der Sammler teilnahmslos. „Und sie wird so schnell nicht wiederkehren. Sie hat ihre letzten Kräfte geopfert, um zu verhindern, dass du einem noch gefährlicheren Monster gegenüber stehst.“ Henry konnte das nicht glauben. Wieso hatte sie etwas so Dummes getan? Er war doch stark, und- Aber es war ihre Entscheidung gewesen. Im Grunde war er stolz, so eine mutige, ältere Schwester zu haben. Und doch … „Wird sie sich erholen können?“ „Höchstwahrscheinlich. Das hängt aber davon ab, wie Isfanel weiter vorgehen wird. Er hat jetzt die vollkommene Kontrolle. Aber auch sein Verstand wird immer instabiler.“ Tief durchatmend, trat Henry einen Schritt vor. „Gut, das ist alles, was ich hören wollte. Wenn das so ist, werde ich alles tun, um sie ihm zu nehmen! Das Opfer meiner Schwester wird nicht umsonst sein!“ Er ballte dazu eine Faust. „Isfanel! Ich werde dich besiegen!“ „Pah! Dummer Menschling!“ Der Dämon zog eine hässliche, hochmütige Fratze. „So einfach ist das nicht! Der Kampf ist noch nicht vorbei! Musto, direkter Angriff! Ich gewinne, ich!“ Henry schrie erschrocken auf, hatte er den Priester in der Zwischenzeit völlig vergessen. Dieser schwang nur einmal seinen Zauberstab, um einen mächtigen Luftzug zu erschaffen, welcher Henry mühelos von den Beinen riss und ihn in die Höhe hob. Dann erschuf der Hexer leuchtend grüne Klingen, die er per Schwenk mit seinem Stab in Henrys Richtung schickte. „Gahhh!“, schrie der, als er von dem Angriff getroffen und letztlich fallen gelassen wurde.   [Henry: 4000LP → 2200LP / Melinda: 4000LP]   „Aber das war nur der Anfang!“ Isfanel zeigte eine Zauberkarte vor und lachte hysterisch. „Ahahaha! Main Phase 2, [One For One]! Ich werde ein Monster von meiner Hand abwerfen, um ein Stufe 1-Monster von meinem Deck zu beschwören!“ Die gewählte Karte knallte er auf die Duel Disk. „[Gusto Egul]! Und da das abgeworfene Monster [Gusto Griffin] war, kann ich durch dessen Effekt nun ein weiteres Gusto-Monster von meinem Deck beschwören! Erscheine, [Caam, Serenity Of Gusto]!“ Gleich zwei neue Monster tauchten vor Isfanel auf. Das erste war ein kleiner, grüner Vogel, der wie alle seine Artgenossen mit Helm und Brustpanzer daher kam. Das andere hingegen eine junge Magierin, deren grünes Haar zu einem langen Pferdeschwanz gebunden war. Sie schulterte stolz einen Zauberstab.   Gusto Egul [ATK/200 DEF/400 (1)] Caam, Serenity Of Gusto [ATK/1700 DEF/1100 (4)]   Henry biss sich auf die Lippen beim Anblick der insgesamt vier Monster, die nun Isfanels Feld füllten. Dieser griff nach seinem Friedhof. „Effekt von Caam! Ich mische zwei Gusto-Monster von meinem Ablagestapel in mein Deck zurück!“ Er zeigte Griffin und [Daigusto Phoenix] vor, schob Letzteren dann grinsend in ein Unterfach seiner Duel Disk, ins Extradeck. „Und dann ziehe ich eine Karte!“ Aufgebracht entgegnete Henry: „Das weiß ich alles! Das ist schließlich -mein- Deck!“ Voller Schwung zog Isfanel die Karte und streckte dann den Arm aus. „Ich stimme das Stufe 1-Monster [Gusto Egul] auf das Stufe 3-Monster [Gusto Codor] ab!“ Beide Vögel stiegen in die Höhe. Dabei zersprang Egul in einen grünen Ring, welchen der Kondor durchquerte. „Emerald wings lead the will to survive towards heaven! A storm of hope embraces the world! Synchro Summon! Soar, [Daigusto Falcos]!“ Es gab einen grellen Blitz und kaum öffnete der geblendete Henry die Augen, flog ein stolzer, grüner Riesenfalke zu Isfanel. Sein massiver Körper war in eine blaue Rüstung gehüllt, dennoch trugen seine Schwingen ihn mühelos durch die Kanalisation. Da er jedoch ohne Reiter beschworen wurde, saß auch niemand auf seinem Rücken. Isfanel rief: „Wenn dieses Monster als Synchrobeschwörung gerufen wird, stärkt es alle meine Gusto-Monster um 600 Angriffspunkte! Siehst du das!? Sie werden stärker!“ Das Monstrum gab einen schrillen Schrei von sich, der die drei Monster von Isfanel in grüne Auren hüllte.   Musto, Oracle Of Gusto [ATK/1800 → 2400 DEF/900 (4)] Caam, Serenity Of Gusto [ATK/1700 → 2300 DEF/1100 (4)] Daigusto Falcos [ATK/1400 → 2000 DEF/1200 (4)]   Isfanel zeigte seine letzte Handkarte und setzte sie verdeckt. „Nun hast du es gleich mit drei mächtigen Kreaturen zu tun! Und ich schwöre dir, sie werden dich vernichten! Niemals werde ich Eden zum Opfer fallen! Niemals, nie, nie! Zug beendet!“ Henry runzelte nur wütend die Stirn. Und -er- würde niemals zulassen, dass [Daigusto Phoenix] noch einmal beschworen wurde! Melindas Opfer durfte nicht umsonst sein!   Selbstbewusst griff Henry nach seinem Deck und rief: „Draw!“ Die Karte kurz betrachtend, legte er sie sofort auf seine Duel Disk. „Das ist es! Ich beschwöre [Marauding Captain]! Und wenn der als Normalbeschwörung gerufen wird, beschwört er ein weiteres Monster mit maximal Stufe 4 von meinem Blatt! Erscheine, [Grass Phantom]!“ Kaum hatte Henry die Namen seiner Monster genannt, erschienen diese vor ihm. Es waren ein strohblonder Krieger, welcher zwei Schwerter schwang und eine Kohlblume, aus deren Maul Tentakel quollen.   Marauding Captain [ATK/1200 DEF/400 (3)] Grass Phantom [ATK/1000 DEF/1000 (3)]   „Jetzt!“, tönte Henry erhaben und nahm die beiden Monster von der Duel Disk, hielt sie in die Höhe. „Ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinen zwei Stufe 3-Monstern wird ein Rang 3-Monster!“ Seine Monster verwandelten sich in einen braunen und einen blauen Lichtstrahl, als sich mitten im Spielfeld abermals das schwarze Loch auftat und sie einsog. „Land und Meer, Erde und Wasser, werdet eins! Steh mir bei, [Circulating Flow – The Gaia Cleaver]!“ Aus dem Wirbel erhob sich eine massive Kreatur. Der Körperbau glich dem eines Menschen, doch war dieser Titan ganz aus Gestein gemacht. Überall durchzogen kleine Flüsse seinen Körper. Bewaffnet war der Gigant mit einer mächtigen Axt. Doch die zwei Lichtsphären, die um ihn kreisten, gaben plötzlich elektrische Stöße ab, sodass der Riese sich zusammenrollte und kurzerhand zu einer Kugel wurde – einem Planeten. „Gaia Cleavers Angriffskraft sinkt um den Betrag der Angriffskraft seines Xyz-Materials“, erklärte Henry dazu.   Circulating Flow – The Gaia Cleaver [ATK/3500 → 1300 DEF/2000 {3}]   Als Isfanel das Monster genauer betrachtete, begann er hysterisch zu lachen. „Damit willst du mich besiegen!? Narr! Niemand kann mich besiegen! Niemand! Eden wird mich nie besiegen! Nie, nie, nie, nie, nie, nie!“ „W-was!?“ „Er verliert langsam den Verstand.“ Henry sah herüber zum Sammler, der den Dämon forschend betrachtete. „W-wieso?“ „Isfanel ist von Hause aus ein instabiles Wesen. Dadurch, dass er in der letzten Zeit permanent schwere Kämpfe ausgetragen hat und verwundet wurde, bricht sein Bewusstsein langsam auseinander. Melindas Taten haben es besiegelt, spätestens jetzt in diesem Duell. Womöglich weiß er nicht einmal mehr, wer er ist.“ „Nie, nie, nie, nie! Ahahahahaha!“ „Dann ist das unsere Chance!“, entschied Henry selbstbewusst und griff nach dem Xyz-Monster auf seiner Duel Disk, zog [Marauding Captain] darunter hervor. „Ich entferne ein Xyz-Material von Gaia Cleaver, um seinen Effekt zu aktivieren!“ „Effekt!?“, wiederholte Isfanel amüsiert. „Besitzt diese Missgeburt so etwas, Benjamin Henry Ford? Ahahaha!“ „Ja! Wenn du mindestens vier Karten kontrollierst, kann Gaia Cleaver eine davon zerstören!“ Henry zeigte mit dem Finger auf die gesetzte Karte. „Und meine Wahl fällt auf sie!“ Der Planet brach auseinander und formte wieder den Riesen, welcher mit seiner Axt eine der Sphären absorbierte und jene Waffe dann auf Isfanels Falle warf. „Köstlich!“, schrie der manisch, als sein [Dimensional Prison] in tausend Stücke zersprang. Henry sah das ähnlich. „Und da Gaia Cleaver nun nur noch ein Xyz-Material besitzt, erhöht sich seine Angriffskraft wieder!“   Circulating Flow – The Gaia Cleaver [ATK/1300 → 2500 DEF/2000 {3}]   „Jetzt ist es stärker als meine Monster“, stellte Isfanel mit geweiteten Augen fest. Und begann wieder hysterisch zu lachen. „Und wenn schon! Ich werde nicht besiegt werden! Nie! Nie, nie, nie, nie!“ Henry runzelte verärgert die Stirn. Langsam ging dieser Bastard ihm auf die Nerven mit seiner verrückten Art. Der alte Isfanel war zumindest noch ruhig geblieben, wenn auch nicht weniger übermütig. Aber das hier würde ohnehin jeden Augenblick enden! „Ich aktiviere jetzt meine letzten beiden Handkarten! Die erste nennt sich [Nitro Unit] und wird an eines deiner Monster ausgerüstet! Wenn dieses dann durch Kampf zerstört wird, erhältst du Schaden in Höhe seiner Angriffskraft!“ Erschrocken schrie der Priester Musto auf, als um seinen Körper plötzlich ein Gürtel erschien, an dem eine riesige Bombe angebracht war. Diese bestand aus einem Zündmechanismus und einer grünen Gasflasche. „Und wenn schon! Das reicht nicht!“, widersprach Isfanel. „Ich werde dich besiegen, wart nur ab! Wie ich Anya Bauer und ihren Freund besiegt habe! Du wirst sterben, genau wie sie! Ahahahaha!“ „Was-! Aber er-!“ Der Sammler räusperte sich. „Ich sagte doch, er verliert den Verstand. Auch seine Erinnerungen sind davon betroffen.“ „Wie auch immer“, zischte Henry und legte die zweite Zauberkarte in die Duel Disk ein. „Zeit, den Albtraum zu beenden! [Oni-Gami Combo]! Ich entferne alle Xyz-Materialien von meinem Monster, damit es diese Runde zweimal angreifen kann! Du weißt, was das heißt, Isfanel!“ „Niemals! Ich verliere nie!“, lachte der und schien nicht begriffen zu haben, was genau das bedeutete. Henry schnaubte. „Träum' weiter …“ Auch die zweite Sphäre um [Circulating Flow – The Gaia Cleaver] löste sich auf. Dafür wuchsen ihm nun zwei weitere Arme aus dem felsigen Rücken, einer davon hielt eine Axt in der Hand. „Jetzt, da Gaia Cleaver keine Xyz-Materialien mehr besitzt, ist seine volle Stärke zurückgekehrt!“   Circulating Flow – The Gaia Cleaver [ATK/2500 → 3500 DEF/2000 {3}]   Henry ballte eine Faust. „Warte nur noch einen kurzen Augenblick, Melinda! Gleich ist es vorbei!“ „Vorbei, vorbei, vorbei! Dass ich nicht lache!“ Der junge Mann streckte den Arm aus und öffnete die Hand dabei. „Gaia Flow! Greife Caam an! Earth Glaive!“ Der Riese stampfte mit dem Fuß in der Luft auf, da er direkt über dem Fäkalienfluss schwebte. Dennoch erbebte ihr Umfeld, aus den Wänden schossen Stalagmiten und Stalaktiten, die alle die junge Zauberin anvisiert hatten. Unter einem Schrei wurde jene aufgespießt.   [Henry: 2200LP / Melinda: 4000LP → 2800LP]   „Nicht genug!“, schrie Isfanel wahnsinnig. „Und jetzt, Gaia Flow, beende es! Greife Musto an! Wrath Of Gaia!“ Der Riese zog es nun vor, selbst zu kämpfen und schoss wie ein Pfeil auf den vergleichsweise mickrigen Priester zu. Dieser hob zum Schutze seinen Zauberstab, doch als der Gigant seine beiden Äxte schwang, zerbrach die Waffe des grünhaarigen Mannes wie ein Zweig unter dem Fuße eines Dinosauriers. In einem Schrei ging er unter.   [Henry: 2200LP / Melinda: 2800LP → 1700LP]   „Immer noch nicht genug!“ Isfanel grinste hämisch. „Zu schwach! Du bist einfach zu schwach!“ Henry schloss die Augen. „Und du hörst offenbar nicht mehr zu.“ „Was sagst du!?“ „Hör doch hin.“ Ein Ticken ertönte. Irritiert davon suchte der Dämon nach dem Ursprung, bis er schließlich auf den Boden vor sich blickte. Dort lag der Sprengsatz, welcher vorher an Musto angebracht worden war. Der Zeiger des Auslösers war nur noch zwei Sekunden von Punkt 12 entfernt. Gas strömte aus der Flasche aus. Dann explodierte das Gebilde, die ganze Brücke wurde erfasst. Isfanels panischer Schrei ging darin hoffnungslos unter.   [Henry: 2200LP / Melinda: 1700LP → 0LP]   Plötzlich hörte Henry etwas zersplittern, ein Licht blendete ihn. Auch der Klang von dutzenden Glocken ertönte in seinem Ohr, es war ohrenbetäubend. Dazu spürte er noch ein Kribbeln auf der Haut, das von seinem verblassten Mal ausging. Ehe er jedoch darüber nachdenken konnte, war alles wieder vorbei. Er öffnete die Augen und sah, wie die Rauchwolke um Isfanels Spielfeld sich langsam verzog. „Das war leichter als erwartet“, stellte Henry dabei trocken fest. Doch wer weiß, wie es gelaufen wäre, hätte Melinda nicht eingegriffen? Zumindest seine Rache war damit vollzogen. Auch wenn diese ihn nicht befriedigte, hauptsächlich, da Isfanel nicht mehr er selbst zu sein schien.   Als der Rauch sich vollends verzogen hatte, war dieser auf die Knie gefallen und senkte sein Haupt. Dabei hielt er sich die Stirn und kicherte. „Ich habe nicht verloren, nein! Ich verliere nie! Nie! Das ist nicht geschehen!“ „Bereite diesem Trauerspiel ein Ende“, wies Henry den Sammler an. Er konnte das nicht länger mit ansehen, wie dieses Wesen den Körper seiner Schwester entehrte. So wollte er Melinda nicht sehen! „Wie du wünscht.“ Der Sammler brauchte nur einmal mit dem Finger zu schnippen, da kippte die junge Frau schon bewusstlos nach vorn. „Melinda!“, schrie Henry erschrocken und rannte um die linke Seite des Kanals herüber zu ihrer Brücke, um sie aufzulesen. In seinen Armen schüttelte er sie. „Melinda! Wach auf! Ich bin es, Henry! Er ist weg! Isfanel ist fort!“ Der Sammler trat zu ihnen beiden heran. „Für drei Tage.“ „Warum wacht sie nicht auf!?“, polterte Henry und strich ihr über das erschöpfte, blasse Gesicht. „Sie ist völlig entkräftet. Es wird eine Weile dauern, bis sie wieder zurückfindet.“ Über das Antlitz des Sammlers huschte ein Lächeln. „Wie es aussieht, ist meine Aufgabe hier erledigt.“ Henry seufzte schwer, griff mit einem Arm unter Melindas Beine und las sie auf. In seinen Armen trug er sie fest an sich gepresst und stellte sich dem Collector mit fester Miene gegenüber. „Danke. Ohne dich …“ „Danke mir nicht. Deswegen existiere ich. Und bedenke: alles hat seinen Preis.“ „Ich weiß. Und ich bin bereit, ihn zu zahlen.“ „Sehr gut. Dann lass uns jetzt verhandeln, was deine übrigen Wünsche angeht.“ Henry zog an dem Sammler vorbei. „Ja …“ Jener gluckste daraufhin zufrieden: „Aber an einem gemütlichen Ort! Was bin ich froh, endlich aus dieser menschgemachten Hölle zu entkommen!“ Der Preis, ging es Henry dabei jedoch nur durch den Kopf. Hoffentlich würde er nicht zu hoch sein. Schließlich wollte er die Zukunft gemeinsam mit Melinda und dem Rest seiner Familie, seinen Freunden erleben. Allerdings … hatte sein Plan Priorität.   ~-~-~   „Warum muss es ausgerechnet hier sein!?“, beschwerte sich Anya mit nasaler Stimme. Bewaffnet mit einer Taschenlampe, hielt sie sich mit der freien Hand das Riechorgan zu und durchschritt einen dunklen Gang.   Hör auf dich zu beschweren, Anya Bauer. Dies ist das letzte Elysion, das wir aufsuchen müssen, also halte noch etwas durch.   „Du hast leicht Reden, du riechst ja auch nichts! Ich hasse diese abgefuckte Kanalisation! Elendes Labyrinth! Den Architekten werde ich-!“   Da vorne!   Anya sah auf und bemerkte es ebenfalls. In der Ferne schimmerte etwas Grünliches. Licht! „Nanu!“, näselte sie weiter. „Wo kommt das denn her?“ Womöglich vom Elysion. Es ist gleich dort vorne.   „Endlich!“ Anya rannte durch den Gang, blieb jedoch plötzlich erschrocken stehen. „I-ich glaube-“ Was ist!?   „I-ich glaube ich … bin in Rattenkot getreten! Ahhhh, verdammter Kackmist!“ Sie hüpfte wütend auf der Stelle und versuchte, sich den Schuh an der Wand abzuschmieren, was jedoch nur dürftig funktionierte.   Hör auf mit den Albernheiten und lade die Scherbe auf!   Anya versuchte zu schnauben, was mit zugehaltener Nase jedoch nicht funktionieren wollte. „Ist ja gut!“ Sie nahm die letzten Schritte und trat aus den Gang heraus. Nur um sich in einem von smaragdgrünen Flammen erleuchteten Kanal wiederzufinden, durch dessen Mitte ein Fluss aus Fäkalien schwamm. Zwei Brücken führten jedoch auf die andere Seite. „Wer hat die denn angezündet?“, wunderte sich Anya und betrachtete die Flammen.   Ich würde mich nicht wundern, wenn es die Handschrift des Sammlers wäre. Womöglich hat er sie erschaffen, damit du die Stelle findest. Immerhin war er es, der uns die Fundstelle des letzten Elysions verraten hat.   „Dieser Kerl“, stöhnte Anya und knipste die Taschenlampe aus. Sie ließ den Rucksack von ihren Schultern, verstaute das gute Stück darin und zog stattdessen ein Stück farbloses, spitzes Mosaik aus ihm hervor. „Okay, und wo genau ist das Teil nun!?“   Dort, bei dieser dunklen Stelle.   Die Blondine sah sich einen Moment um, ehe sie es fand. Und erschrak. „W-warte mal! Ist das nicht-!?“   Es ist Blut. Aber ich denke nicht, dass wir uns Sorgen machen müssen. Das Elysion ist da. Lade jetzt die Scherbe auf.   „Sehe ich so aus, als ob mich das interessiert!?“, zischte Anya und stampfte zu der Stelle herüber. Dennoch war ihr mulmig zumute, selbst als die Scherbe anfing, grünes Licht auszustrahlen. Dabei hörte sie wieder klar das Geläute von Glocken. Eden war nahe. Ob das das Blut von der Schwester des Pennerkinds war? Hoffentlich hatte diese nicht den Löffel abgegeben! Denn ohne Minerva konnte … Eden nicht erwachen. „Fertig“, meinte Anya schließlich abwesend, mit der aufgeladenen Scherbe in der Hand. Diese war nun komplett grün, leuchtete von innen. Wieder setzte sie den Rucksack ab und verstaute den Splitter ihres alten Elysions darin.   Sehr gut. Mit den Scherben müssen wir jetzt nur noch zurück in deine Schule. Das sollten wir noch heute tun, je früher desto besser.   Anya trat herüber an den Rand des Kanals. Sie sah herab auf ihr in Grün getauchtes, verzerrtes Spiegelbild und schluckte. Wer einen Pakt brechen wollte, müsste den Tod überleben. Das war, was alle sagten. Wenn sie jetzt also einfach dort reinspringen und … Aber das war unmöglich! Wenn sie tot war, wer würde sie reanimieren!? Außer ihnen war niemand hier! Und außerdem, selbst wenn sie es versuchte, würde Levrier sie aufhalten. Abseits davon … fehlte ihr der Mut, so etwas zu tun. Sie biss die Zähne zusammen. Das war nicht fair! Wieso-! Tief durchatmend, versuchte sie die Fassung zu wahren. „'kay. Lass uns gehen.“ Und wandte sich damit vom Kanal ab. War vielleicht auch besser so, dachte sie sich dabei. Eine Anya Bauer ertrank nicht in einem Fluss voller Scheiße …   ~-~-~   Immerhin mussten sie dieses Mal nicht einbrechen, dachte Anya grimmig, als sie die Türen der Aula öffnete. Es waren trotz der vorangeschrittenen Uhrzeit noch ein paar Lehrer und Schüler im Haus, sodass jenes frei betretbar war. Die Baustelle hatte sich praktisch nicht verändert, als das Mädchen eintrat. Es standen noch immer keine Stühle in der Aula, das Loch in der Decke war auch noch nicht geflickt. „Wenn die wüssten“, brummte das Mädchen grimmig und schritt durch den Saal. Bald würde der Turm von Neo Babylon alles in Schutt und Asche legen. Und sie würde alles mit Kamera aufnehmen, so viel stand fest! Die Youtube-Klicks würden explodieren! Damit konnte sie zumindest posthum noch zum Internetstar avancieren. Immerhin etwas, dachte sie frustriert.   Ich frage mich, was passieren wird, wenn alle Scherben versammelt sind.   Genervt seufzend setzte Anya den Rucksack ab und holte die fünf Splitter heraus. Sie waren alle so groß wie die Fangzähne eines Raubtiers. Rot, grün, blau, gelb und violett. Marc, Melinda, Valerie, Alastair und Matt. … es waren nur Namen. „Man, da platzt einem ja fast das Trommelfell!“, beschwerte sie Anya, als sie näher an die Stelle heran trat, an der sich ihr altes Elysion befand.   Das liegt daran, dass genau hier der Turm erscheinen soll, vermute ich. Da dies die Glocken Neo Babylons sind, ist es nicht weiter verwunderlich, dass man sie von hier am deutlichsten hört.   „Wenn das so ist, würde es mich nicht wundern, wenn Eden taub ist!“ Mit grimmiger Visage stellte sich Anya direkt dorthin, wo sie sich einst gegen Alastair duelliert hatte. Dorthin, wo sie ihren Untergang eigenhändig besiegelt hatte. „Ah!“ Die Scherben begannen zu strahlen und flogen ihr aus der Hand – und lösten sich in weißem Licht auf!   Ich sehe es! Das Elysion, es wird neu zusammen gesetzt! Ah!   „Was ist!?“   Es … es ist verschwunden! In die Dunkelheit!   Anya blinzelte irritiert. „Was heißt das jetzt?“   Dass wir warten müssen. Bis der Turm erscheint. Anya Bauer, ich danke dir. Damit sind die letzten Vorkehrungen getroffen. Nun heißt es warten. Alles hängt jetzt davon ab, ob deine Freunde-   Doch das Mädchen hatte sich unter einem lauten Zischen umgedreht. „Ich weiß! Und damit das klar ist: die sind nicht meine Freunde! Wenn sie so dumm sind und kommen ist das ihr Pech!“ Und sie würden kommen, da war sich Anya sicher, als sie ihren Rucksack auflas und durch den Saal rannte. Dafür würde Matt sorgen, denn wenn er sich wirklich Mühe gab, konnte er sogar recht überzeugend sein. Was nur gut für sie war …     Turn 29 – Rivals Nun, da die letzten Vorbereitungen für Edens Erwachen getroffen sind, verbringt Anya die letzten beiden Tage, die ihr noch bleiben, zuhause, da sie noch einige persönliche Vorbereitungen zu treffen hat. Am Abend des 10. Novembers wird sie schließlich von Abby und Nick überrascht, die sie durch eine „Alles wird gut“-Party aufheitern wollen. Doch unerwartet taucht Valerie auf, was zu einer Auseinandersetzung führt, die letztlich in einem ganz besonderen Duell mündet … Kapitel 29: Turn 29 - Rivals ---------------------------- Turn 29 – Rivals     09. November   Hey Mum, hey Dad,   wenn ihr diese Zeilen lest, bin ich bereits weit weg. Hab es nicht mehr ausgehalten in dieser langweiligen Stadt, wisst ihr? Keine Ahnung, wohin es mich führt, aber es wird sicher spannend werden. Wartet nicht auf mich. Ich werde nicht zurückkommen. Will mein eigenes Leben leben, ohne immer unter Beobachtung zu stehen. Einfach neu anfangen, in einer Stadt, in der mich niemand kennt. Macht euch keine Sorgen, ich werde auch ohne euch klarkommen.   Lebt wohl,   Anya PS: Dad, du Mistkerl, ich habe dir jetzt verziehen! Sei nett zu Mum, solange ich weg bin!     Bittere Tränen rannen über Anyas Wangen, als sie den Stift weglegte und sich den Brief noch einmal durchlas. Selbst ordentlich hatte sie die Worte geschrieben, nicht geschmiert, das Papier war sauber wie eine Jeans nach der Wäsche. Es war ihr Abschiedsbrief und der hatte perfekt zu sein! Sich das Nass aus den Augen wischend, nahm sie den Brief, faltete ihn mit größter Sorgfalt und schob ihn in einen Umschlag, der neben dem Stift auf ihrem Schreibtisch lag.   Anya Bauer. Es tut mir leid, dass du das durchmachen musst …   „Halt die Klappe, Levrier!“, zischte Anya und legte den Brief in ein Schubfach neben sich. Wenn -der- Tag gekommen war, würde sie ihn herausholen und auf das Bett ihrer Mutter legen. Sie konnte sich die Reaktion regelrecht vorstellen. Ihre Mum würde den Brief gar nicht ernst nehmen und erwarten, dass Anya aufgrund mangelnder Vorbereitung noch am Abend wiederkommen würde. So war es immer gewesen, wenn sie abgehauen war. Nur, dass es dieses Mal nicht so laufen würde. Doch Anya konnte ihren Eltern nicht die Wahrheit sagen. Dass sie vom Antlitz dieser Welt verschwinden würde. Der Brief würde ihnen die vage Hoffnung geben, dass sie eines Tages wiederkam. So würden sie leichter mit dem Verlust umgehen können.   Warum hast du ihn auf den heutigen Tag adressiert?   „Keine Ahnung“, antwortete Anya und schluckte den Schmerz herunter. Sie hatte noch einiges vor, da durfte sie jetzt nicht heulen wie ein kleines Baby, dem man den Schnuller gemopst hatte. Sie erhob sich von ihrem Stuhl und atmete tief durch. „Auf geht’s! Ich hab keine Zeit zu verlieren!“   ~-~-~   Sie flog, als sie das erste Mal beim Bungie Jumping mitmachte. Sie nahm die wildeste Achterbahn aller Zeiten. Sie gönnte sich das teuerste Eis im Café „Bikini Fruit“. Sie schaute sich den neuesten Horror-Film in 3D an und schmiss das halbe Publikum aus dem Saal. Sie suchte sich die schönsten Nägel vom Schrottplatz, um Barbie für den Abschied zurecht zu machen. Und als die Nacht kam, schlief sie nicht, sondern zockte den neuesten Teil der „Finite Fantasia“-Reihe auf ihrer Videospielkonsole durch, in einem Rutsch. Am nächsten Tag stattete sie dem widerlichsten Schläger ihrer Schule einen Besuch ab und erteilte ihm eine Lektion, die er nie mehr vergessen würde. Sie räumte sogar ihr Zimmer auf. Sie half einer Nachbarin dabei, ein paar Einkäufe zu erledigen. Sie lehrte ein paar Knirpsen, wie man richtig Duel Monsters spielte. Und als das Abendrot am Firmament stand, wusste sie, dass man sie in ein paar Jahren vergessen haben würde.   ~-~-~   Es klingelte, als Anya müde auf ihrem Bett lag. Da ihre Mutter noch nicht zuhause war, quälte sie sich vom Bett auf, rannte die Treppen polternd hinab zur Haustür und öffnete jene mit einem Ruck. „Ich kaufe nichts von Penn-“ Sie blinzelte verdutzt. „Hi, Anya“, strahlte Abby ihr entgegen. Nick stand hinter ihr und grinste dämlich. „Hi, Anya-Muffin!“ Die Blondine wusste nicht, was sie sagen wollte. Die letzten beiden Tage über war sie ihren Freunden bewusst aus dem Weg gegangen. Und das, obwohl sie all die Erlebnisse der vergangenen Stunden am liebsten mit ihnen zusammen erlebt hätte … „Was wollt ihr?“, fragte sie abweisend. „Ich bin beschäftigt.“ Abby seufzte genervt. „Schon klar, lügen konntest du noch nie gut! Da morgen der große Tag ist, an dem du Eden zurück in den Garten schickst, dachten wir, dass wir eine Party feiern wollen.“ „Eine Party?“, wiederholte Anya die Worte ungläubig. Das Hippiemädchen strahlte über beide Backen. „Aber sicher! Eine „Alles wird gut“-Party!“ „Wir haben sogar Wein mitgebracht“, gluckste Nick und hielt Anya eine Flasche Sekt entgegen, wobei sein Arm bandagiert war. Die war sprachlos, starrte nur von einem zum anderen. Eine „Alles wird gut“-Party? So etwas Dämliches konnte sich auch nur Abby ausdenken. „Sehe ich so aus, als wäre ich in Partylaune?“, tönte Anya missmutig und war schon im Begriff, die Tür zuzuschlagen, als ihre Freunde sich eilig an ihr vorbeizwängten. Dabei rief Abby gut gelaunt: „Natürlich nicht! Aber das werden wir ändern!“   Kurz darauf fanden die Drei sich auf dem Boden hockend in Anyas Zimmer wieder. Abby kramte aus ihrem Rucksack ein paar Knabbereien heraus. „Wir haben für alles vorgesorgt.“ „Jap, wir haben sogar ein paar CDs gekauft“, gluckste Nick und nahm Abby jene ab, hielt sie Anya direkt vor das Gesicht. „Finnischer Death Metal!“ „Schön und gut, aber ich sagte doch, ich bin nicht-!“ „Auch nicht, wenn wir uns hiermit vergnügen?“, fragte Abby und holte ein Videospiel hervor. „Todeszombies VS Killercops Teil V! Den wolltest du doch unbedingt mal antesten.“ Anya betrachtete die Packung überrascht. „S-schon-!“ „Und wenn uns das zu langweilig wird, spielen wir einfach hiermit!“ Nick fasste sich in den Schritt. Doch als er finstere Blicke von den beiden Mädchen erntete, zog er schnell sein Deck aus der Hosentasche. „Ich meine hiermit.“ „Duel Monsters? Keine Lust …“ Abby seufzte daraufhin und schnappte sich die Sektflasche, die in der Mitte des Sitzkreises stand. „Okay, sie scheint immer noch nicht zu kooperieren. Nick, du hältst sie fest, während ich ihr das Zeug einflöße!“ „W-was!?“ „Okay!“ Schon krabbelte der junge Mann hinter Anya und packte sie unter den Achseln. „Immer schön das Mäulchen auf!“ „Lass mich los, du Vollhorst!“ Allerdings stellte sich Abby derweil ungeschickt mit dem Öffnen der Flasche an und verzweifelte regelrecht daran. „Hast du 'nen Flaschenöffner, Anya?“ „Gib her!“, zischte die, gab Nick mit einem Ruck nach hinten eine Kopfnuss und befreite sich so aus dessen nicht ganz so eisernem Griff. Sie riss Abby die Flasche aus der Hand und biss auf den Korken. Dabei nuschelte sie: „So geht das!“, ehe sie diesen nur mit den Zähnen aus der Flasche zog. Ehe sie aber nur einen Schluck daraus nehmen konnte, wurde ihr der Sekt von Nick geklaut. „Ich bin Vorkoster!“ „Bist du nicht! Wenn das schon meine Party ist, dann gebührt mir der erste Schluck, Harper!“, ließ Anya sich das nicht gefallen und sprang ebenfalls auf. Die beiden rannten laut brüllend um Abby im Kreis. Diese lachte vergnügt. Anya konnte sich noch so desinteressiert stellen, in Wirklichkeit freute sie sich über die Party.   Und so geschah es, dass der letzte Abend vor dem großen Tag zu einer wilden Feier verkam. Die Drei lieferten sich eine Essensschlacht mit den Knabbereien, in der Nick vorzeitig ausschied, weil Anya ihm das Zeug solange in den Mund stopfte, bis ihm schon fast die Backen platzten. Auch eine Runde Wahrheit oder Pflicht durfte nicht fehlen, die jedoch schnell abgebrochen wurde, weil Nicks Ideen zum Thema Pflicht nicht auf den erhofften Anklang bei seinen weiblichen Mitspielern traf. Damit Abby das Geld für das Videospiel nicht umsonst ausgegeben hatte, zockten sie zu dritt den Co-Op Modus und schlugen sich eher mäßig, da besonders das Hippiemädchen aufgrund mangelnder Erfahrung keine große Hilfe war. Und weil Nick kurzerhand die Seiten wechselte und für die Zombies zu kämpfen begann. Natürlich durfte auch eine Partie Duel Monsters nicht fehlen, in der sie in einem Battle Royale gegeneinander antraten. Dabei schenkte keiner dem anderen etwas, selbst Nick spielte für seine Verhältnisse erstaunlich gut. Am Ende konnte Abby ihre Gegner gegeneinander ausspielen und sich somit den Sieg sichern. Und ein Kissen an den Kopf, da Anya keine gute Verliererin war. Dies war dann auch der Anlass für eine Kissenschlacht, die sich durch das ganze Haus zog. Selbst vor dem Zimmer ihrer Mutter machte Anya nicht halt, da sie noch Munition für ihren vierfachen Todeswurf brauchte. Und gerade als sie diesen im Wohnzimmer gegen Nick einsetzen wollte, welcher sich heldenhaft vor Abby stellte, klingelte es an der Tür.   Verdutzt ließ Anya die Kissen fallen. „Wer will denn so spät noch nerven?“ „Vielleicht ist es deine Mutter“, meinte Abby, die knallrot vor Erschöpfung im Gesicht war und trat näher an das Fenster heran. „Quatsch, die hat doch vorhin schon angerufen und gesagt, dass es heute sehr spät wird, da sie im Büro viel zu tun hat“, erwiderte Anya und stellte sich neben ihre Freundin. Draußen war es schon dunkel, die Laternen beleuchteten die Straße und den zum Teil versengten Garten der Familie Bauer bereits seit über einer Stunde. Allerdings sahen die beiden nicht, wer da klingelte, vermutlich stand der Gast schon direkt vor der Tür. Zerknirscht zischte Anya, als es wieder durch das Haus schrillte: „Ist ja gut, ich geh ja!“ Wütend stampfte sie durch den Flur zur Haustür, die sie mit folgenden Worten aufriss: „Ich kaufe nichts von Pennern! Schon gar nicht um diese Uhrzeit!“ „Dann habe ich wohl Glück, dass mein Vater als Bürgermeister gutes Geld verdient, was?“, erwiderte Valerie spitz und funkelte die daraufhin verdutzte Anya finster an. „Wir müssen reden!“ „Sehe ich so aus, als ob ich mit dir reden will?“, erwiderte die Blondine garstig. „Kann das nicht bis morgen warten, wenn wir mit dieser Edenkacke durch sind?“ „Genau darum geht es“, kam ihr das Mädchen kalt zuvor und ließ sich ohne zu fragen Einlass.   Ruhigen Schrittes trat sie in das Haus der Familie Bauer ein und war überrascht, als Abby und Nick auf sie zu traten. Erstere sprach überrascht: „Oh, Valerie! Guten Abend!“ „Guten Abend, Abigail.“ Das Mädchen, welches ihr schwarzes Haar zu zwei langen Pferdeschwänzen gebunden hatte und eine pinke Strickjacke über ihrer weißen Bluse trug, verschränkte die Arme. „Ich mache es kurz: ich werde morgen nicht kommen. Und Marc auch nicht.“ Als Reaktionen erntete sie erschrockene Seufzer. „V-Valerie-!“ Ehe Abby den Satz beenden konnte, packte Anya ihre ewige Rivalin am Arm. „Sag das nochmal, Redfield!“ „Du hast mich schon beim ersten Mal verstanden“, riss diese sich los und funkelte Anya dabei regelrecht an. „Ich werde dir nicht helfen!“ „Und warum!? Ich hab dir nichts getan!“ Kleinlaut fügte die Blondine hinzu: „Jedenfalls nicht in letzter Zeit …“ „Du weißt genau, was du getan hast!“, erwiderte nun auch Valerie mit gehobener, aufgebrachter Stimme. „Du hast meinen Freund beinahe getötet! Denkst du, das habe ich dir verziehen!?“ „Also ist es Rache!?“ Anya schlug mit der Faust gegen die Wand des Flurs. „Sieh an! Auch die edle Redfield kann also ein Miststück sein, wenn sie richtig wütend ist! Da krieg' ich glatt Lust, dir ein Umstyling im Anyastil zu verpassen, du dämliche-“ Valerie schüttelte jedoch den Kopf und fand zu ihrem distanzierten Tonfall zurück. „Wäre ich auf Rache aus, hätte ich diese schon vor Tagen genommen …“   Ehe Anya darauf reagieren konnte, schritt Abby schlichtend zwischen die beiden und sprach beruhigend auf die schwarzhaarige, junge Frau ein. „Bitte Valerie, denk darüber nach, was du da sagst. Wenn du und Marc nicht da sind, dann wird Anya …“ „Ich weiß. Aber das ist nicht zu ändern. Anya scheut ja auch nicht davor zurück, uns über die Klinge springen zu lassen.“ Entsetzt sah Abby das Mädchen an, in deren rehbraune Augen sich regelrecht Abscheu für die Blondine widerspiegelte. „Ist dir ein Flugzeug auf den Kopf gefallen, oder was redest du da für einen Bullshit!?“, fauchte Anya und wollte an Abby vorbei, um ihrer Erzrivalin einen Fausthieb zu verpassen. Nur Nicks Einschreiten war es zu verdanken, dass es nicht dazu kam. „Lass mich los, Harper! Ich werde dieses Püppchen zu Brei verarbeiten!“, keifte Anya im festen Griff des hochgewachsenen Kerls, strampelte vor Wut. Nick presste im Kampf mit der Blondine ächzend hervor: „Rennt weg, lange kann ich den Monstermuffin nicht festhalten! Sie wird uns alle töten!“ „Verdammt richtig, Harper, wenn du mich nicht gleich loslässt!“ „Das wird sie tatsächlich, morgen“, sprach Valerie ungerührt und sah Anya feindselig an. „Du hast uns angelogen. Im Turm von Neo Babylon wartet kein Herz von Eden, da Eden gar kein Herz besitzt. Es ist ein Tor, kein Lebewesen.“ Anyas Versuche, sich gegen Nicks Griff zu wehren, verebbten. Ihr Mund stand offen, doch kein Laut verließ ihre Lippen, als sie ihre Erzfeindin fassungslos anstarrte. „Das beweist gar nichts!“, war es nun auch Nick, der das Wort ergriff. „Tore können auch Herzen haben und lebendig sein! Wer sagt, dass Eden nicht trotzdem lebendig ist? … ich meine, manchmal laufe ich auch gegen Tore, die sich mir plötzlich in den Weg stellen. Also leben die auch, hehe!“ „Woher willst ausgerechnet du überhaupt wissen, was Eden ist!?“, fand Anya nun ihre Stimme wieder. Sie wurde von Nick losgelassen und lud praktisch schon den Todesblick auf, um Valerie zu vernichten. „Bisher konnte uns niemand sagen, was Eden genau ist! Woher der plötzliche Geistesblitz, Redfield!?“ „Was spielt das für eine Rolle?“, erwiderte die uneinsichtig. „Völlig gleich, was Eden ist, bist es doch du, die uns opfern will! Niemand sonst! Wer einmal zu Mord imstande war, wird es wieder tun!“ „Pah! Du hast deinen Marc doch wieder, wieso also das Theater!?“ „Du verstehst gar nichts, Anya! Ich dachte, du würdest dich ändern, aber-!“   Ein dunkler Schatten sauste urplötzlich über Valerie hinweg. Abby schrie erschrocken auf und stieß gegen Anya, die weniger überrascht auf Nick sah. In dessen ausgebreitete Hände war das schwarze Knäuel gelandet. „Konichi wa!“, flötete es aus seinem Trötenmund. Der Blick der Blondine verfinsterte sich beim Anblick der Kreatur. „Oh Gott, es ist die Pornozwiebel! Was will der denn hier!?“ Orion sah Anya mit seinen großen, weißen, pupillenlosen Augen entrüstet an. „Warum so abweisend, meine süße Tsundere? Hast du mich nicht vermisst?“ „Kein-bisschen!“ „Er war es, der mich über Edens wahre Gestalt aufgeklärt hat“, sagte Valerie daraufhin. „Dank ihm wurde mein Verdacht bestätigt, dass du uns nur opfern willst, um selbst heil aus der Sache herauszukommen, Anya!“ „St-stimmt das, Orion?“, fragte Abby entgeistert und beugte sie herunter zu dem Schattengeist in Nicks Händen. Dieser ließ den überdimensionalen Kopf hängen, der gleichzeitig sein ganzer Körper war. „... ja. Ich will nicht … Ich will nicht, dass Valval-chan geht! Deswegen habe ich ihr gesagt, was Eden ist, auch wenn ich das gar nicht darf!“ „Bei dir hackt's wohl! Alles was ich will, ist Eden in Schutt und Asche zu legen!“, widersprach Anya erzürnt und packte den Geist mit einer Hand am Stummelbein, ließ ihn in gefährlicher Höhe baumeln. „Nimm das sofort zurück, du heuchlerischer Ekelgnom!“ „Das kann ich nicht!“, jammerte Orion kopfüber. „Wenn Valval-sama in den Turm geht, hat -sie- gewonnen!“ Valerie fragte verwundert: „W-wer?“ „Sie! Das Böse in dir!“ „Wovon redest du, Orion!?“, wurde die Schwarzhaarige nun deutlich lauter. „Erklär' dich!“ „Neeeein! Ich habe schon viel zu viel gesagt!“ Der Schattengeist heulte dicke Krokodilstränen, als Anya ihn zu schütteln begann.   Diese wusste gar nicht, ob sie sich zuerst um den Dämon oder ihre Erzrivalin kümmern sollte. Wie war ihr die durchgeknallte Spinnerknolle nur auf die Schliche gekommen!? Wusste sie tatsächlich mehr als sie zugab? Wenn dem so war, musste Anya ihn dazu zwingen, ein bisschen zu singen! Andererseits hatte der Knallkopf dieser Nullnummer Redfield jetzt irgendeinen Floh in den Kopf gesetzt! Und solange das nicht geklärt war, sah es richtig übel aus! Ausgerechnet jetzt, wo der Turm doch jeden Moment erscheinen konnte! Aber eins nach dem anderen, noch konnte sie das alles geradebiegen! Ihr würde schon etwas einfallen!   Mit einem Wutschrei warf Anya den Schattengeist in die Luft, welcher gegen die Decke des Flurs knallte und wieder herabfiel. Mit beiden Händen fing sie ihn an den Wangen auf und begann gleich damit, diese auf ihre Strapazierfähigkeit zu testen. „Du redest jetzt schön Klartext, du fleischgewordener Scheißhaufen!“ Sie zog die Wangen so lang, dass Orion kurz davor stand, in einen Briefkasten umfunktioniert zu werden. Wohlgemerkt einer, der Briefe nur entgegen nahm, aber nie wieder ausspuckte. „Was zur Hölle bringt dich auf die Schnapsidee, Redfield so einen Unsinn zu erzählen!?“ „Iff woffte doff nuf, daff fie-“ „Lass das!“, fauchte Valerie und ging dazwischen, schnappte Anya den Schattengeist aus den Händen. Der rieb sich die schmerzenden Wangen mit seinen Stummelärmchen. Kleine Kullertränchen standen ihm in den Augenwinkeln. „Ich wollte doch nur, dass -sie- nicht gewinnt!“ „Wer!?“, tönten Blondine und Schwarzhaarige gleichzeitig und kreisten Orion ein. „Joan! Sie ist kein Engel!“ „Red' keinen Unsinn, natürlich ist sie das!“, widersprach Valerie sofort aufgebracht. „Ich weiß, dass sie aus dem Himmel verbannt wurde! Also hör auf, dir deswegen Sorgen zu machen!“ „Aber das ist es ja … ich kann dir nicht sagen warum, aber man darf ihr nicht vertrauen! Sie ist böse!“ Was für Anya eine ideale Möglichkeit bot, um sich Valerie vorzunehmen. „Da hörst du es! Kehr erstmal vor deiner eigenen Garage, Redfield!“ Leise murmelte Abby zu Nick: „Es heißt aber Haustür …“ „Joan würde niemals jemandem ein Leid zufügen!“, verteidigte Valerie ihre Paktpartnerin jedoch vehement, breitete weit die Arme aus und ließ Orion dabei fallen. „Sie ist sogar so großherzig, dass sie dir trotz aller Zweifel helfen will!“ „Aber das ist es doch gerade, Val-samachan!“ Der Schattengeist landete auf den Füßen und sah flehend zu seinem Schützling auf. „Das sollte sie nicht! Denk doch nach!“ Doch Valerie presste nur verbittert die Lippen aufeinander. „Orion … das ausgerechnet von dir zu hören! Ich dachte, man kann dir vertrauen!“ „Wenn ihr mir nicht helfen wollt“, murmelte Anya plötzlich und streckte den Arm aus, „dann helfe ich mir eben selbst. Nick! Hol Barbie!“ „Barbie!?“, schoss es aus Abby heraus. Ein dreckiges Grinsen huschte nun über Anyas Gesicht. „Niemand hat gesagt, dass diese komischen Zeugen den Turm bei Bewusstsein betreten müssen!“ „Du willst mit mir kämpfen!? Mit deinem komischen Baseballschläger!?“, schoss es fassungslos aus Valerie, die dann ihre Stirn kraus zog. „Aber stimmt, du hattest ja noch nie Angst vor Gewalt! Wenn du unbedingt willst, nur zu!“ Valerie hob die rechte Hand auf Kopfhöhe. Eine blaue Aura fing an, um sie zu glühen. „Hör auf, Val-Baby!“, schrie Orion mit Trötenmund. „Du darfst die Kräfte … dieses bösen Weibs nicht benutzen! Siehst du nicht, wie sie dich manipuliert!?“ Zornig blickte Valerie auf den Schattengeist herab. „Wenn du auf Anyas Seite bist, dann halt dich da raus, sonst kann ich für nichts garantieren!“ „So willst du kämpfen?“ Anya grinste und hob ebenfalls den Arm, um ihn begann eine braune Aura zu glühen. „Von mir aus! Das wollte ich sowieso schon immer mal machen! Scheiß auf Duelle, jetzt wird mal richtig gerockt! Bereit, Levrier!? … Levrier sagt, ich soll dir in den Arsch treten! … zumindest würde er das, wenn er denn mal etwas sagen würde!“   Bitte hört auf!   Alle Beteiligten des Streits horchten überrascht beim Klang der zarten, weiblichen Stimme auf.   Ich kann nicht zulassen, dass ihr euch um meinetwegen streitet. Wenn ihr die Wahrheit über mich erfahren wollt, dann …   „Joan!“, fand Valerie als Erste ihre Sprache wieder. „Mach dir nichts daraus! Wenn ich Anya jetzt besiege, dann wird alles gut!“   Bitte, Valerie! Deine Zweifel an Anya sind sicherlich berechtigt, doch deswegen darfst du dich nicht an ihr versündigen!   „Das ist meine Entscheidung! Sie hat sich an meinem Verlobten versündigt!“ „Also doch Rache!“, zischte Anya verärgert und erschuf Blitze um ihren Arm. „Fein, Redfield! Komm nur! Und du halt dich da raus, du elende Engelstante!“ Der Schattengeist sprang auf Anyas Schulter. „Ganz genau!“ „Auf wessen Seite bist du eigentlich, Orion?“, schoss es aus Abby heraus. „Anya will Valerie doch weh tun!“ „Waaah, stimmt!“ Leider wurde es nur nichts mit dem Weh tun, denn die Blitze um Anyas Hand lösten sich auf. Diese starrte ihre verkrümmten Finger entsetzt an. „Was!? Wieso ist der Strom weg!? Levrier, tu den Stecker wieder rein!“ „Anya-“, begann Valerie ungehalten, doch wurde unerwartet übertönt.   Es tut mir leid, aber ich kann nicht erlauben, dass ihr jetzt kämpft. Nicht hier.   Anya zuckte beim Klang der ihr bisher unbekannten, glockenhellen Stimme zusammen. Mit einem Schlag ging ein grelles, blaues Licht von den Malen der beiden Furien aus. Es war so intensiv, dass alle Anwesenden geblendet wurden. Die beiden Mädchen selbst schrien erschrocken auf, doch dann verstummten sie schlagartig und es polterte.   ~-~-~   Anya schlug blinzelnd die Augen auf. Dabei brauchte sie auch nicht lange darüber zu grübeln, wo sie sich wiederfinden würde. Sie kannte mittlerweile das Gefühl, -hier- zu sein. Im Elysion. Was das Mädchen jedoch nicht davon abhielt, einen überraschten Laut auszustoßen, als sie letztlich mit der Realität konfrontiert wurde Sie war im Elysion. Aber nicht alleine! Und es war nicht das Elysion, das sie kannte.   Valerie stand auf der anderen Seite. Dem -anderen- Elysion. Irritiert sah die Blondine auf den Boden herab. Sie stand auf dem Mosaik, welches in seiner hauptsächlich blauen Farbe den Erdball bildete. Aber das zuvor kreisrunde Gebilde ging direkt ihr gegenüber in ein anderes Elysion über. Ein anderes Mosaik, das eine goldene Sonne darstellen sollte. Dort, wo beide aufeinander trafen, liefen die im Kontrast stehenden Farben ineinander über.   „Ich glaub's nicht“, brummte Anya verärgert. „Was soll das!? Erst klemmt er mir den Saft ab und jetzt das hier!“ Schlimmer noch, die Pornozwiebel klammerte sich an ihrem Bein wie eine Klette und sah feindselig herüber zur anderen Seite, ohne einen Mucks von sich zu geben. Was hatte die überhaupt hier zu suchen!? Anya war dazu geneigt auszutesten, wie weit die unendliche Schwärze wirklich ging, indem sie Orion 'voraus schickte'. Doch auch wenn sie es niemals laut zugeben würde, erregte sein zitternder Leib, die zusammengepresste Tröte, diese spürbare Angst ihr Mitleid. Was war sein Problem?   „Joan, was geschieht hier?“, fragte Valerie von der anderen Seite verblüfft. „Wieso ist Anya in meinem Elysion?“ Die konnte dies nicht so stehen lassen und wandte sich von Orion ab. „Du meinst wohl -mein- Elysion! Levrier, kick diese Hohlbirne raus, auf der Stelle!“ Und während von Anyas Paktpartner keine Reaktion folgte, entstand rechts neben Valerie ein leuchtender Punkt etwa auf Höhe ihres Herzens, der viele Lichtpartikel aus dem Nichts anzog. Ein helles Flimmern später, stand dort neben ihr die Heilige Johanna. Burschikos mit ihren kurzen Haaren, der Ritterrüstung und den etwas groben Gesichtszügen. Welche tiefes Bedauern zum Ausdruck brachten. „Ich korrigiere mich“, murmelte Anya verloren beim Anblick der beiden Frauen, „kick die Hohlbirne und ihren Zuhälter aus meinem Elysion!“ Kurz darauf schnappte sie: „Was macht ihr beiden Psychopathen überhaupt hier!?“ Und wieso meldete Levrier sich nicht, fügte sie noch nervös im Gedanken hinzu. Der war doch sonst immer hier und drehte Däumchen!   Joan wurde fragend angesehen. Und das nicht nur von Anya. „Sie hat recht. Was, ich wiederhole mich, geschieht hier?“, verlangte Valerie höflich, nichtsdestotrotz mit unterschwelliger Schärfe abermals zu wissen. Darauf erntete sie von ihrer Schutzpatronin einen nachdenklichen Blick und ein Nicken. „Ich habe euch hierher gerufen. Es ist wahr. Keine Menschenseele kann das Elysion eines anderen betreten – doch zwischen ihnen kann eine Verbindung hergestellt werden. Dies habe ich veranlasst, denn es ist an der Zeit, mein Geheimnis zu lüften.“ Valerie kniff daraufhin die Augen zusammen. Ihr war jetzt nicht danach, in anderer Leute schmutziger Wäsche zu wühlen. Natürlich war da die Neugier, endlich die Wahrheit hinter Joans 'Sünde' zu erfahren. Sofern es das war, worüber sie reden wollte. Doch warum jetzt? „Was hat das mit meinem Konflikt mit Anya zu tun?“ Joan seufzte. „Oberflächlich betrachtet nichts. Jedoch ist sie … war sie mein Ziel.“ „Ziel!?“, schoss es aus der Blondine. „Willst du mir ans Leder, Miststück!? Komm nur rüber!“ Doch Joan schenkte ihr keine Beachtung, als jene die Fäuste hob, um zu anzudeuten, wie geschickt sie sich im Boxkampf anstellen konnte.   „Sie war mein Ziel“, begann Joan schwermütig zu erklären, „um zurück in den Himmel zu gelangen. Um von Gott meine Gnade zurückzuerhalten, meine wahre Kraft. Und erreichen wollte ich das durch dich, Valerie.“ Die erwiderte überrascht: „Warum ich? Heißt das … ich soll sie für dich töten?“ Etwas ruhiger, gar abgebrüht fügte sie hinzu: „Dann weiß ich nicht, was dein Problem ist! Genau das will ich doch!“ Es erstmals so deutlich aus dem Mund ihrer Erzrivalin gehört zu haben, traf Anya indes härter als sie es sich jemals auszumalen gewagt hätte. Die Friedenstaube Redfield wollte …? Während das andere Mädchen verstummt war, packte Valerie ihre Patronin am Arm, welcher durch das engmaschige Kettenhemd unter ihrer Rüstung verdeckt war. „Das ist doch gut, oder nicht!?“ „Nein“, schüttelte Joan den Kopf, „das ist alles andere als gut.“ Valerie verstand nicht. „Aber du hast doch eben gesagt-“ „Valerie. Sollte ein Kind Gottes einem anderen jemals mutwillig Leid zufügen?“ „N-nein! Aber genau das will sie doch! Sie will die anderen opfern! Orion hat recht!“ „Selbst wenn das wahr ist, spreche ich nicht von Anya.“ Joans Augen lagen fest auf dem schwarzhaarigen Mädchen. Enttäuschung lag in den folgenden Worten. „Ich spreche von dir.“ Vor Schreck schnappte Valerie nach Luft. „Von mir!? W-was ist daran verwerflich-!“ „Du kennst die Antwort bereits.“ Nun legte die Ritterin ihre beiden Hände auf die Schultern des Mädchens. „Was du damit beabsichtigst ist lobenswert. Aber das ist nur eine Ausrede. Die Worte des kleinen Dämons haben nur entfacht, was in dir geschlummert hat. Jeder Mensch trägt Dunkles in seinem Herzen. Aber seine Worte haben es erweckt, haben dich vergiftet. Deinen Wunsch nach Rache wieder angestachelt.“ Sofort riss Valerie sich los, betrachtete ihre Beschützerin in einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Trotz. „Das stimmt nicht!“ „Du warst einst ein reines Kind.“ Joan wandte sich von ihr ab, sah auf die goldene Sonne die unter ihnen strahlte. „Bis ich kam und dich ungewollt in die Dunkelheit gezogen habe.“ „Joan-“ Doch ehe Valerie etwas darauf erwidern konnte, hob die Ritterin die Hand. „Lass mich dir nun erklären, warum wir uns begegnet sind.“   Sie sah plötzlich auf, in Anyas Richtung. „Auch du sollst es hören. Ihr beide sollt meine Richter sein. Auch wenn das Urteil bereits in dem Moment gefallen sein wird, in dem ich mich offenbare.“ Anya, die im Gedanken noch an Valeries Worten hing, nickte nur knapp. Die Ritterin trat einen Schritt vor. „Ich, Jeanne D'Arc, bin ein gefallener Engel. Denn ich habe gesündigt, indem ich mich in einen Dämonen verliebt habe. Und auf sein Verlangen hin den Erzengel Gabriel … getötet habe.“ Unangenehmes Schweigen legte sich wie ein Umhang um das neue Elysion, das von grenzenloser Dunkelheit umgeben war. Zumindest, bis Joan plötzlich aufschrie. „Was ist!?“, stieß Valerie hervor und eilte der Ritterin herbei, welche sich krümmte und dabei den linken Oberarm hielt. „Mir geht es gut“, antwortete Joan und straffte sich wieder. Doch ihr Anblick strafte ihrer Worte Lügen, war sie mit einem Male kreidebleich im Gesicht. „Sorge dich nicht um mich.“ „Und was hat das mit mir zu tun!?“, platzte es schließlich aus Anya heraus. Die zeigte mit dem Finger auf Valerie. „Mir ist wurscht, mit wem du gepimpert hast! Wieso soll Redfield mich töten, was hast du davon, heh?“ Joan sah die Schwarzhaarige traurig an. „Ich habe so lange nach einem reinen Herzen gesucht. Dann warst du da, Valerie. Im Kampf gegen -seine- Abkömmlinge. Und in dem Moment entschied ich, dich zu beschützen. Auf dass du Gabriels Platz nach deinem Tode einnehmen würdest.“   Valeries Mund stand offen, als sie das vernahm. „Du … ich … ?“ „Ich wollte dich auf den Weg eines Engels führen. Doch wohin ich dich führte, war nur Finsternis“, gestand Joan. „Du solltest sie kennenlernen, diese Finsternis. Sie in den Dämonen sehen. Ihre Denkweise verstehen. Der Sammler war ideal, dir zu zeigen, wie gnadenlos sie sind. Aber er war die falsche Wahl. Denn du hast dich ihm verkauft …“ „Ich“, zögerte Valerie überrumpelt, „kann also kein Engel mehr werden?“ Joan schüttelte betrübt den Kopf. „Nein.“ Plötzlich brach es ungestüm aus dem Mädchen heraus. „Und wann wolltest du mir das alles sagen!? Wenn es zu spät ist!? War ich also nichts weiter für dich, als ein Mittel zum Zweck!?“ Betreten wich Joan ihrem Blick aus. „Du selbst hättest entschieden, ob du ein Engel wirst oder nicht.“ „Warum warst du nicht von Anfang an ehrlich mit mir?“, fragte Valerie weinerlich, Tränen der Enttäuschung standen in ihren Augen. „I-ich weiß zu schätzen, dass du in mir dieses Potential sie-“ Ein spitzer Schrei entglitt ihr, sie deutete auf Joan. Oder besser gesagt, deren Hals. „Deswegen“, entgegnete ihr jene und fasste sich auf die Stelle, von der sich in Schwarz eine seltsame Markierung auszubreiten begann. Es waren pfeilartige Gebilde, die gewundenen Linien folgten. Wie Schlangen krochen sie langsam an ihrem Hals hinauf. „Der Moment, in dem ich dir die Wahrheit sage, wird der Moment sein, in dem ich endgültig falle. Erinnerst du dich?“ „J-ja.“ „Gefallene Engel sind Dämonen, Valerie. Aber bei mir ist es etwas anderes“, sprach Joan und sah ihren Schützling in die Augen. „Ich werde sterben, denn Gabriels Blut, das Blut eines Engels, klebt an meinen Händen. Das ist Gottes Wille.“ „Warum hat er dich nicht sofort getötet!?“ Valeries Gedanken überschlugen sich förmlich. „D-du kannst doch jetzt nicht-“ „Es ist seine Strafe. Ich sollte sehen, wie die Welt von Dämonen heimgesucht wird. Unfähig, etwas dagegen zu unternehmen. Jeder Engel hat seine Aufgabe. Er erfüllt sie und kehrt in den Himmel zurück. Doch die Welt sieht anders aus, wenn man den vorgegebenen Weg verlässt.“ Joan senkte ihr Haupt. „Die normalen Engel haben keinen Blick für das Leid. Aber diejenigen, die einst Menschen waren, so wie ich, für die ist es etwas, das man begreifen kann. Und ich musste hunderte von Jahren mit ansehen, wozu Menschen unter dem Einfluss von Dämonen fähig sind.“ „Joan …“ „Valerie, Gott hat mich nicht getötet. Er hat mich gewissermaßen wieder zum Mensch gemacht, damit das Gewicht meiner Schuld auf ewig auf meinen Schultern lastet. Es ist eine schlimmere Strafe als der Tod. Und ich habe sie verdient.“ „Und was geschieht jetzt?“, fragte Valerie ungehalten und packte Joan an den Handgelenken, zerrte an ihr. „Wirst du … wirklich sterben?“ „Ich werde als Dämon wiederkehren.“ Als wäre es, um ihre Aussage zu bekräftigen, schlichen die Schlangenlinien langsam über ihre Wange. „Wie das geschehen wird, ob ich meine Erinnerungen behalte, das weiß ich nicht. Zuerst kommt mein Tod. Deswegen, solange ich noch hier bin … bitte vergib mir.“ „Joan, ich-“ Sanft sah Joan ihren Schützling an. „Und wisse, dass du für mich nie nur ein Mittel zum Zweck warst. Dein Licht hat mir Hoffnung gegeben, mich wieder an das Gute im Menschen glauben lassen.“ „D-dann hilf mir!“, verlange Valerie aufgeregt und zeigte unverblümt auf Anya. „Hilf mir, sie aufzuhalten! Ich verzeihe dir, aber wenn sie-! Wenn Marc-!“ Joan schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht.“ „Bitte!“, flehte Valerie förmlich und zerrte an ihrer Mentorin. „Du wirst bald sterben! Tu wenigstens noch etwas Gutes! Hilf mir, diese Menschen zu beschützen, die Anya auf dem Gewissen haben wird!“   „Ja Joan, tu es“, zischte Anya mit einem Male trotzig, „hilf Daddys Prinzessin ruhig. Mir ist es egal. Engel, Dämonen, dieser ganze Quatsch ist mir egal! Eure Meinung über mich kann ich ja doch nicht ändern!“ „Weil wir recht haben!“, donnerte Valerie. Joan sah sie nachdenklich an. „Bist du dir sicher, dass du das wirklich tun willst? An diesem Ort kannst du niemanden töten, Valerie. Wir könnten sie nur hier einsperren. Der Gründer ist scheinbar geschwächt und wird ihren Körper nicht übernehmen können.“ „Dann ist es doch kein Mord, oder!?“, schloss Valerie daraus engstirnig. „Anya wird einfach nur ins Koma fallen und Edens Erwachen verpassen. Sie hat sich dazu entschieden, das durchzuziehen, uns trifft da keine Schuld.“ „Aber du wärst verantwortlich dafür, dass sie den Zeitpunkt verpasst“, widersprach Joan ruhig. „Damit muss ich leben! Wie du selber sagtest, verdorben bin ich sowieso schon. Hilf mir einfach, okay!?“ Die Augen der Blondine wurden derweil mit einem Schlag schmal wie Rasierklingen. „Sieh an! Du machst tatsächlich ernst! Aber Redfield, willst du mir im Ernst verklickern, dass diese Schnalle da deine Freundin ist!?“ Valerie stellte sich schützend vor Joan, die mit schmerzverzerrtem Gesicht ihre Handrücken betrachtete, an denen sich ebenfalls die schwarze Markierung ausbreitete. „Sie hat mir das Leben gerettet, uns allen! Und ich glaube an all das, was sie gesagt hat!“ Es klang fast schon verzweifelt aus ihrem Munde. „Weil sie zurück in ihr Engelskaff wollte, du Dummnuss!“, fauchte Anya und schwang wütend den Arm aus. „Pah! Du als neuer Erzengel Gabriel!? Das klingt so dermaßen bescheuert, dass ich nicht weiß, ob ich lachen oder kotzen soll!“ Die Lippen ihrer Rivalin glichen einem Strich, ehe sie tonlos erwiderte: „Angesichts dessen, dass du für mich das Böse in Person bist, klingt es für mich gar nicht so schlecht …“ Woraufhin ihr Gegenüber von der anderen Seite des Elysions hysterisch auflachte. „Was!? Ich und das Böse in Person?“ Anyas Blick verhärtete sich. „Dann hast du noch nie etwas Böses kennengelernt, Redfield …“ Diese hob aber nur ihren Arm, an dem sich ihre meeresblaue Duel Disk materialisierte. „Joan, selbst wenn ich kein Engel mehr werden kann, wäre es meine Pflicht gewesen, die Menschen zu beschützen, nicht wahr? Alle!“ „J-ja“, erwiderte die gequält und sah ihren Schützling ängstlich an. „Auch wenn es Menschen sind, die ich verachte?“ „Jedes Leben ist vor Gottes Augen gleich viel wert.“ Valerie nickte. „Dann hilf mir dabei, Anya aufzuhalten, bevor sie den anderen Schaden zufügt! Bevor sie die schlimmste aller Sünden begeht! Mir ist egal, ob Gott das gutheißt, aber wenn ich mit einer Tat vier Menschen das Leben retten kann, tu ich es!“ Schließlich sagte Joan entschlossen und nahm Haltung an: „Wie du willst. Ein wenig Zeit bleibt mir noch. Wenn es wirklich dein Wunsch ist, das Schlimmste zu verhindern, werde ich dir dabei helfen. Als deine Beschützerin. Denn es wäre vermessen, mich als Engel zu bezeichnen.“ Valeries Augen leuchteten förmlich vor Dankbarkeit. „In Ordnung!“ Damit wandte sie sich mit harter Miene an Anya. „Du hast es gehört.“ „Pah!“, keifte die entgeistert. „Glaubst du den Scheiß, den du da laberst!?“ Anya ballte eine Faust und zeigte demonstrativ mit dem Finger auf Joan. „Aber Luzifers Geliebte hat dir wohl so sehr ins Hirn geschissen, dass es den Geist aufgegeben hat! Wenn du mich fertig machen willst, musst du schon mehr bringen, als dummes Gelabere, Redfield!“   Orion, der die Szene stillschweigend mitverfolgt hatte, sprang plötzlich auf Anyas Schulter. „Runter da, du Mistvieh-“ Doch als das Mädchen den Schattengeist wie ein lästiges Insekt von sich stoßen wollte, hielt sie inne. In den Augen der Pornozwiebel – so Anyas mittlerweile gängige Bezeichnung für Orion – standen einmal mehr kleine Kullertränen. Er erhob den Arm und zeige ebenfalls auf Joan, während sich eine winzige Duel Disk an ihm materialisierte. „Ich sage es nur ungern, aber ich werde dir helfen! Lieber du, als dieses … diese Lügnerin! Sie will Val-chan ins Verderben führen, das weiß ich! Sie tut nur so, als ob sie ihr helfen will! Der große Orion-sama wird verhindern, dass Val-sama auf die Lügnerin hereinfällt! Welcher Engel würde bei so einer ernsten Sache plötzlich nachgeben!?“ Anya zischte genervt und sah davon ab, ihm mit ihrem Handrücken bekannt zu machen. „Tch, von mir aus. Dann mach eben mit. Aber sprich nur, wenn du auch dazu aufgefordert wirst!“   Solange Levrier sich ja offensichtlich woanders vergnügte, brauchte sie Orion als Ersatz. Denn gegen Joan UND Redfield hätte selbst sie gewisse Schwierigkeiten. Erstmals musste sie zugeben, dass Levriers Anwesenheit durchaus auch angenehme Seiten haben konnte – wenn er denn da wäre. Außerdem, wer würde schon die Pornozwiebel bevorzugen, wenn er ein starkes, hübsches, gewieftes, heißes, intelligentes UND erotisches Blondinenduo haben konnte?   „Ihn sollten wir auch erlösen“, meinte Joan mit Blick auf den Schattengeist. „Nein“, erwiderte Valerie bestimmend. „Er ist der Bote des Sammlers. Wenn ich ihm etwas tue, fällt das auf Marc zurück. Also nein! Nur Anya!“ Die konnte sich eine spitze Bemerkung dazu nicht verkneifen. „Die kreisen ja wie Geier um uns …“ Orion schwieg. „Anya“, erwiderte Valerie darauf. „Das hast du dir selbst eingebrockt. Man sollte dir gratulieren, denn du bist die erste Person, die meine Toleranzgrenze gesprengt hat.“ „Spiel dich nicht so auf, Redfield!“ „Das ist nicht allein der Einfluss des Dämons.“ Auch an Joans Arm erschien eine altertümlich anmutende Duel Disk, die einer Mischung aus Handschuh und Schild glich. „Dieses Mädchen ist-“ „Als ob ich das nicht wüsste!“, schnitt Valerie ihrer Patronin ungestüm das Wort ab. Schließlich riefen alle aufgebracht: „Duell!“   [Anya: 4000LP Orion: 4000LP //// Valerie: 4000LP Joan Of Arc: 4000LP]   Da standen sie sich nun gegenüber, auf ihrem jeweiligen Elysion. Sie und Valerie, schon wieder in einem Tag Duell. Anya sah herüber zur Kriegerin. Was sie von der halten sollte, wusste sie nicht. Im Grunde war dieses Mannsweib noch eher auf ihrer Seite, als auf Redfields. Sie wollte diesen Kampf nicht, das konnte man ihr eindeutig ansehen. Und Anya ahnte bereits, dass sie diese Schnalle nicht vernichten durfte – sofern sie das überhaupt konnte. Denn dann würde Valeries Pakt schwinden. Sollte sie demnach das Duell verlieren, fragte Anya sich erschrocken. Niemals! Nicht, wenn Redfield ihr Gegner war! „Ich mache den ersten Zug!“, bestimmte die Blondine kurzerhand. Ihr Arm war der letzte, an dem eine Duel Disk erschien – ihre alte Battle City-Version. Daraufhin zog sie zusammen mit ihrem Startblatt noch eine Karte. Orion auf ihrer Schulter meinte dazu: „Kümmere du dich um Val-chan! Ich nehm' mir das Bügelbrett vor!“ „Du kannst froh sein, wenn ich dir überhaupt etwas von einem der beiden übrig lasse!“ „Nur Gerede“, kommentierte Valerie das unbeeindruckt und machte eine wegwischende Geste. Joan sah sie von der Seite besorgt an. „Aber wir sollten dennoch vorsichtig sein. Beide sind stark, das weißt du.“ „Genau wie wir.“ „Ach ja!?“, tönte Anya. „Das wird sich erst noch zeigen! Ich beschwöre [Gem-Knight Sardonyx] im Angriffsmodus!“ Vor dem Mädchen erhob sich ein kräftig gebauter Ritter in braun-roter Rüstung, der eine Kette schwang, an welcher ein Morgenstern aus rotweißem Sardonyx befestigt war. Hinter dem Krieger tauchte eine gesetzte Karte auf. „Die da verdeckt! Dann mal los, Redfield! Ich warte!“   Gem-Knight Sardonyx [ATK/1800 DEF/900 (4)]   „Ganz wie du willst“, erwiderte die unterkühlt und zog. „Ich beschwöre [Gishki Noellia]! Und sie lässt mich bei ihrer Beschwörung die obersten fünf Deckkarten ansehen, um alle Gishki-Karten davon auf den Friedhof und den Rest unter mein Deck zu schicken!“   Gishki Noellia [ATK/1700 DEF/1000 (4)]   Auf der anderen Seite der ineinander verlaufenden Elysien bezog eine rothaarige Hexe Stellung, die ihren Zauberstab laut gackernd in die Höhe hielt. Der Reihe nach erschienen fünf vergrößerte Karten auf Valeries und Joans Spielfeld, beide Seiten der Karten waren mit Bild und Effekttext bedruckt. Es waren, von links nach rechts, die Zauber [Salvage], [Monster Reborn], dann das Ritualmonster [Gishki Psychelone], danach noch zwei Zauber, [Gishki Aquamirror] und [Mystical Space Typhoon]. Valerie entledigte sich der beiden Ritualkarten aber nicht etwa, sondern zeigte sie vor, als die Hologramme der Karten verschwanden. „Indem ich [Gishki Aquamirror] von meinem Friedhof ins Deck zurücklege, erhalte ich [Gishki Psychelone] zurück auf mein Blatt!“ Dies getan, zückte sie aus ihrer Hand nun eine andere Zauberkarte. „Und nun zeige ich dir die geheime Technik der Gishki, die unter ihnen wegen ihrer Macht verboten wurde! [Forbidden Arts Of The Gishki]!“ Plötzlich stieg violetter Nebel unter Anyas Ritter hervor. Diese erkannte mit erschrockenem Gesichtsausdruck, dass sich um ihr Monster am Boden ein kreisrundes Symbol, ähnlich einer brennenden Sonne gebildet hatte. Unter einem Schrei versank ihr Ritter, als der Boden in jenem Symbol sich in Wasser verwandelte. „Was soll das!?“, fauchte Anya wütend. „Diese Ritualzauberkarte opfert nicht etwa meine Monster, sondern deine. Das kostet dem beschworenen Ritualmonster zwar die Hälfte seiner Angriffskraft, dafür bin ich aber deinen Ritter los“, erklärte Valerie, „und dazu muss ich dich nicht einmal angreifen können. Erscheine, Verräterin deines Stammes! [Gishki Psychelone]!“ Unter schrillem Gelächter tauchte vor Valerie eine fliegende Gestalt auf. Mit einem Unterwasserwesen hatte sie kaum etwas gemein. Pechschwarz war die weibliche Dämonin, deren Schwingen mit Schwimmhäuten ausgestattet waren. Auf ihrem Kopf thronte eine Art Insekt mit Kneifzangen, das scheinbar mit ihr verschmolzen war. Als Anya genauer hinsah, erkannte sie, dass dieses Ritualmonster große Ähnlichkeit mit [Gishki Noellia] besaß – nein, es war besagte Hexe!   Gishki Psychelone [ATK/2150 → 1075 DEF/1650 (4)]   „Pah! Dieses Ding hättest du wirklich nicht auf diese Weise beschwören sollen“, tönte Anya übermütig und zeigte auf die korrumpierte Hexe, die entfernte Ähnlichkeit mit Matts Steelswarm-Monstern aufwies. „Die ist so schon schwach genug! Aber jetzt ist sie gerade mal gut genug, um deine Lebenspunkte zu verteidigen.“ „Hey“, flüsterte Orion Anya ins Ohr, „ihre beiden Monster haben dieselbe Stufe!“ Und da horchte die Blondine auf. Mit den Hexen konnte Redfield spielend leicht ihr Paktmonster beschwören! Und was, wenn sie mittlerweile gelernt hatte, wie man …? „Ich aktiviere den Effekt von Psychelone! Einmal pro Zug benenne ich einen Typen und ein Attribut! Danach wird eine zufällige Karte von deiner Hand gewählt, und wenn beide Angaben stimmen, wird das Monster, sofern es eins ist, ins Deck geschickt!“ „Na dann rate mal schön!“, forderte Anya ihre Erzrivalin heraus. Valerie kniff angespannt die Augen zusammen. „Man muss kein Genie sein, um zu wissen, dass fast alle deine Monster das Attribut Erde besitzen. Vom Typ her sieht das anders aus, aber ich habe da eine Ahnung, was auf deiner Hand lauern könnte.“ „Ich höre!?“ „Hexer.“ Anya verstummte. „W-warum ausgerechnet der!?“ Doch schon breitete Valeries Monster ihre Arme weit aus und schickte violette Wellen über die miteinander verknüpften Elysien. Anya und Orion wurden davon getroffen, über Anya tauchte das Abbild einer ihrer Karten auf. Und als beide Mädchen hinauf sahen, um zu wissen, um welche es sich handelte, lachte Anya schließlich auf. „Hell yeah! [Megamorph]! Das ist 'ne Zauberkarte! Pech gehabt, Redfi-“ „[D. D. Designator]!“ Ihre Gegnerin zeigte ihr die Zauberkarte entgegen. „Huh!?“ „Ich nenne den Namen einer Karte von deinem Blatt und wenn jene sich darunter befindet, wird sie verbannt. Wenn nicht, muss eine zufällig gewählte Karte von meinem Blatt dran glauben. Aber wir beide wissen, dass das nicht geschehen wird – ich deklariere [Megamorph]!“ Der Blondine klappte die Kinnlade hinunter, als allen Spielern ihre vier Handkarten preisgegeben wurden. Und darunter war eben auch ihre mächtige [Megamorph]-Ausrüstungszauberkarte, die Anya nun zähneknirschend in die Hosentasche steckte. „Val-chan ist ja sooo clever! Sie spioniert erst dein Blatt aus, ehe sie zuschlägt.“ „Auf wessen Seite bist du eigentlich!?“, fauchte Anya den Schattengeist auf ihrer Schulter daraufhin an. „Ich setze noch eine Karte und beende meinen Zug“, gab Valerie derweil zu verstehen, als die verdeckte Karte sich vor ihr materialisierte. Wütend die Stirn runzelnd, dachte sich Anya, dass sie für diese Demütigung noch bittere Rache nehmen würde. Wenn doch bloß die beiden Nervnickel von Tag-Partnern nicht wären! Das Ganze wäre so viel unterhaltsamer ohne sie!   „Mein Zuuuuuug!“, flötete Orion durch seinen Trötenmund und zog seine Miniaturkarte von der winzigen Duel Disk an seinem Arm. Von seiner Niedergeschlagenheit war plötzlich nichts mehr zu sehen. „Orion for the win!“ „Streng dich an!“, befahl Anya rüde. „Ist gebongt!“ Der kleine Schattengeist sprang von Anyas Schulter hoch in die Luft und hielt dabei zwei Karten in der Hand. „Ich aktiviere den Effekt von [The Fabled Nozoochee]! Indem ich einen seiner Kumpel abwerfe, kann ich ihn auf das Spielfeld beschwören!“ Neben Anya tauchte eine voluminöse, gelbe Schlange auf, deren Kopf unter einem blauen Helm steckte. The Fabled Nozoochee [ATK/1200 DEF/800 (2)]   Desweiteren rief Orion, noch mitten in der Luft. „Und da ich [The Fabled Ceburrel] dafür abgeworfen habe, wird dieser jetzt durch seinen Effekt vom Friedhof beschworen! Und noch etwas! Wenn Nozoochee durch seinen Effekt aufs Feld gerufen wurde, kann ich von meiner Hand ein Fabled-Monster beschwören, welches maximal auf Stufe 2 sein darf! Unter diese Kategorie fällt mein zweiter Cerburrel!“ Rechts und links von der Schlange erschienen zwei dreiköpfige, dämonische Welpen, deren Fell rot gefärbt war. The Fabled Cerburrel x2 [ATK/1000 DEF/500 (2)]   Langsam griff die Schwerkraft, sodass es mit Orion abwärts ging. Dennoch rief er im Feuereifer: „Und als Normalbeschwörung kommt noch von meiner Hand die [T-t-t-tuningware]! Whohaaaa!“ Zu Orions Monstern gesellte sich ein kleiner Apparat, bestehend aus einem kugelrunden Körper sowie drahtigen Armen und Beinen und nicht zuletzt einer Bratpfanne auf dem Kopf.   Tuningware [ATK/100 DEF/300 (1)]   „Und jetzt“, rief der Schattengeist mitten im Fall, „gibt es eine fette Doppelsynchrobeschwörung! Dabei benutze ich [Tuningwares] Effekt, um seine Stufe auf 2 zu erhöhen! Looooos!“ Die beiden Dämonenwelpen sprangen gleichzeitig durch die Luft und zersprangen, wie es bei Empfängermonstern so üblich war, in jeweils zwei grüne Ringe. Die dicke Schlange und Orions seltsamer Apparat durchquerten diese synchron, gleich zwei grelle Lichtblitze schossen durch die Dunkelheit des verschmolzenen Elysions. „Ab geht die Post, [The Fabled Kudabbi] und [The Fabled Unicore]!“ Mit einem Satz landete Orion auf dem Rücken des grauen Kalbs, welches zusammen mit einem weißen Einhorn neben Anya erschienen war. Während der Kopf des Kalbs mit einem Schleier verdeckt wurde, bäumte sich Orions Unicore auf und wieherte stolz.   The Fabled Kudabbi [ATK/2200 DEF/1100 (4)] The Fabled Unicore [ATK/2300 DEF/1000 (4)]   „Jetzt, da [Tuningware] als Synchromaterial verwendet wurde, darf ich eine Karte ziehen!“, kündigte Orion auf seinem Reittier an und zog. Danach legte er eine der drei Karten in seine Miniatur-Duel Disk ein. „Die verdeckt, Joan verreckt! Zug beendet, Joan geschändet!“ Die gesetzte Karte tauchte zwischen seinem Kudabbi und Unicore auf. „Nicht schlecht!“, musste Anya ihren Partner aufrichtig loben. „Vielleicht bist du doch gar nicht so dämlich wie du aussiehst?“ Auch wenn diese zwei Synchromonster relativ schwach waren im Vergleich zu anderen, war es dennoch ganz nett, sie auf ihrer Seite zu wissen. „Hey! Niemand redet so mit dem großen Orion-sama, du frustrierte Kampflesbe! Zeig etwas mehr Respekt!“ „Waaaas!?“ Anya ploppten fast die Augen heraus, als sie das hörte. „Dir werde ich den Hals umdrehen, du-!“ „Hört auf!“, donnerte Valerie und unterbrach Anya dabei, wie sie Orions Reittier einen Tritt in den Allerwertesten geben wollte. „Joan ist jetzt am Zug!“ Die junge Frau sah zu ihrer Partnerin herüber. „Ich verlasse mich auf dich!“ „Natürlich“, antwortete die burschikose Heilige zurückhaltend und griff nach der Duel Disk an ihrem Arm. „Ich beginne also meinen Spielzug. Draw.“ Anya und Orion stoppten ihre Streitereien und linsten beide mit zusammengekniffenen Augen zur anderen Spielfeldseite herüber. „Ich wette, die kennt nicht mal die Grundregeln!“, lästerte die Blondine. „Ich wette, die ist da unten schon zugewachsen!“, stimmte Orion mit ein. Glücklicherweise war Anya in -dieser- Hinsicht noch ein wenig naiv, sodass sie nicht verstand, was er damit meinte. „Huh!? Ihre Duel Disk?“ „Bist du dir wirklich sicher, dass du das willst?“, fragte Joan ihren Schützling noch einmal. „Ja. Denk an die Menschen, die wegen ihr sterben müssen, wenn ich es nicht tue.“ „Aber ich denke auch an dich.“ Joans Züge trübten sich. „So etwas solltest du nicht tun müssen.“ Valerie stöhnte genervt. „Wenn du mir helfen willst, dann tu es einfach! Ansonsten halt dich hier raus und lass mich das alleine regeln!“ „Wie du meinst.“ Joan betrachtete nun ihr Blatt und zog nachdenklich eine Karte daraus hervor. „Indem ich den Engel [Hecatrice] ablege, erhalte ich [Valhalla, Hall Of The Fallen] von meinem Deck. Eine permanent wirkende Zauberkarte, die ich sogleich zu aktivieren gedenke.“ Anya und Orion verstummten in ihrer Lästerei, als überall um das Spielfeld herum weiße Steinsäulen aus dem Boden wuchsen. Verbunden waren sie durch ein Band aus rotem Stoff, welches einen Kreis um das Spielfeld zog. Hinter Valerie und Joan wuchs ein Thron aus dem Boden. Die Gefallene zückte ein Monster von ihrer Hand. „Sollte ich keine Monster kontrollieren, ist es mir durch den Effekt von Valhalla erlaubt, einen Engel von meiner Hand als Spezialbeschwörung zu rufen. Erhöre mich, [Darklord Asmodeus]!“ Schwarze Federn fielen aus dem Nichts auf das Spielfeld herab. Sie wirbelten umher, bis ein Engel in ihrer Mitte erschien. Die dunklen Schwingen spreizend, wirkte der in weiße Robe mit darüber liegender, schwarzer Panzerung gekleidete Engel eher wie ein Scherge des Teufels, denn ein Diener Gottes.   Darklord Asmodeus [ATK/3000 DEF/2500 (8)]   Anya fluchte beim Anblick des schwarzen Engels. „Was zum Geier!? Was schmeißt die Alte schon in ihrem ersten Zug mit solchen Kalibern um sich!?“ „Diese Karten sind sehr gefährlich!“, quiekte Orion panisch. „Es sind gefallene Engel! Die sind alle so stark, pass' bloß auf!“ „Na das passt ja wunderbar zu dir, Ladyboy!“, fauchte Anya und zeigte mit dem Finger auf Joan. „Deine Worte mögen harsch sein, doch kann ich die Wahrheit darin nicht verkennen“, erwiderte Valeries Paktpartnerin einsichtig. „Deswegen habe ich sie auch für mich erwählt.“ „Hör auf zu labern, du zwielichtige Schnepfe!“ „Dann setze ich nun meinen Zug fort. Einmal pro Zug wird durch den Effekt von Asmodeus ein Engel von meinem Deck auf den Friedhof geschickt.“ Die Heilige Johanna zeigte das Stufe 8-Monster [Darklord Superbia] vor und schob es in den Schacht ihrer ritterlichen Duel Disk. „Da ich noch kein Monster als Normalbeschwörung beschworen habe, hole ich dies nun nach. Komm herbei, [Nurse Reficule The Fallen One].“ Noch einer der gefallenen Engel erschien vor Joan. Dieses Exemplar war jedoch weiblich, aber nicht weniger unheimlich. Um den ganzen Körper war sie mit Bandagen eingehüllt, die ledrigen Schwingen waren mit Klingen besetzt, ja selbst das violette Haar dieser Kreatur.   Nurse Reficule The Fallen One [ATK/1400 DEF/600 (4)]   Joan zückte zwei Karten aus ihrem Blatt. „Um dem Effekt von [The Fabled Unicore] aus dem Weg zu gehen, setze ich diese Karte verdeckt.“ Während ihre Falle verdeckt vor ihr erschien, machte Orion große Augen. „Woher weißt du-!?“ „Sie war dabei, als ich gegen dich gekämpft habe“, erinnerte Valerie den Schattengeist an jenen Tag, als sie den Sammler aufgesucht hatte. „Daher ist ihr klar, dass Unicore sämtliche Effekte des Gegners lahmlegt, wenn du und er dieselbe Handkartenzahl besitzen.“ Was im Falle beider Spieler nun zwei Stück waren. Jedoch änderte sich dies, als Joan die andere hervor genommene Karte, einen Zauber, in den entsprechenden Slot ihrer Duel Disk schob. „So ist es. Aber bald muss sich niemand mehr darum Sorgen machen, denn mit [Soul Taker] führe ich die Seele deines Fabelwesens nun in den Himmel.“ Orion kreischte entsetzt, als aus der Mitte des Spielfeldes eine geisterhafte, durchsichtige Hand schoss und in die Brust des sich aufbäumenden Einhorns griff. Dort zog sie eine leuchtende Kugel heraus, mit der sie verschwand. Im Anschluss explodierte der Schimmel laut wiehernd. „Unicore!“, jammerte Orion. Plötzlich ertönte schrilles Gelächter, dessen Ursprung Reficule war. Um sie schlängelten sich einige lose Bandagen. Joan erklärte dazu: „[Soul Taker] überträgt die Seele des verstorbenen Monsters auf seinen Besitzer, schenkt ihm damit 1000 Lebenspunkte. Doch durch die Einwirkung von [Nurse Reficule The Fallen One] wird sämtliches Leben in Tod umgekehrt. Daher schadet dir die Seele deines treuen Gefährten nun.“ „Ohje!“ Orion weitete die Augen, als Reficules Binden sich von ihr lösten und über das Spielfeld auf ihn zugeschossen kamen. Sie umwickelten ihn fest und gaben schmerzhafte Stromstöße ab, die der kleine Schattengeist nur unter Schreien ertragen konnte. „Auauauauauau!“   [Anya: 4000LP Orion: 4000LP → 3000LP //// Valerie: 4000LP Joan Of Arc: 4000LP]   Als die Tortur beenden war, sank Orion erschöpft auf dem Rücken seines Kudabbis zusammen. Anya betrachtete ihn verstört. Nie hätte sie gedacht, dass diese Joan so geschickt sein würde – und vor allem so gnadenlos! „Hey, war das wirklich nötig!?“, protestierte sie daher wütend und zeigte auf ihren Partner. „Ich tue, was ich als Engel und Valeries Beschützerin tun muss“, rechtfertigte sich Joan unbeeindruckt. „Dieses Wesen, mag es auch noch so klein und harmlos erscheinen, ist ein Dämon. Ein Feind des Herrn. Rücksicht auf ihn zu nehmen wäre gegen die Gesetze des Himmels.“ „Scheiß auf den Himmel! Du bist doch eh nicht mehr Teil davon! Solche wie du widern mich mehr an als alles andere!“ Anya schwang aufgebracht den Arm aus. „Ihr nehmt irgendwelche Regeln als Ausreden, um zu verbergen, wie sadistisch ihr in Wirklichkeit seid! Redfield, du tust mir leid!“ „W-was!?“, erschrak die. „Weil du zu dämlich bist, 'ne eigene Meinung zu haben! Du trällerst einfach nur nach, was andere dir ins Ohr flüstern! Sei es diese Alte oder Orion! Wie es dir gerade am besten gefällt! Und bildest dir dann ein, Miss Rechtschaffenheit herself zu sein!“ Orion sah mit halboffenen Augen zu Anya auf. „T-tsundere …?“ „Keine Sorge, die Alte feg' ich vom Platz!“, entschied Anya und zeigte mit dem Daumen auf ihr Haupt. „Als ehrlicher Bully ist das sozusagen meine Pflicht! Und Redfield schick' ich gleich hinterher!“ „Mutig bist du“, erwiderte Joan anerkennend. „Ich nehme die Herausforderung gerne an. Und beende meinen Zug.“ „Das war keine Herausforderung“, murmelte Anya und nahm ihre Gegnerinnen fest ins Visier, „das war 'ne Kriegserklärung!“     Turn 30 – Enemies Der erbitterte Kampf zwischen Anya, Valerie, Orion und der Heiligen Johanna von Orléans geht weiter. Trotz großer Anstrengung schafft es Anyas Team nicht, die Oberhand zu gewinnen. Im Gegenteil, durch einen fatalen Winkelzug von Joan werden Anya und Orion an den Rand der Niederlage gebracht. Was Valerie letztlich dazu veranlasst, über ihre Vergangenheit mit Anya nachzudenken ... Kapitel 30: Turn 30 - Enemies ----------------------------- Turn 30 – Enemies     „Was ist nur mit ihnen los?“ Abby betrachtete die bewusstlose Valerie besorgt, während sie neben ihr kniete. Sie und Anya waren einfach umgekippt. „Bestimmt so eine Dämonen- oder Engelsgeschichte“, antwortete Nick nicht weniger aufgewühlt. Er hielt Anya im Arm und strich ihr eine blonde Strähne aus dem Gesicht. „Wo ist Orion überhaupt?“ Abby blickte auf und sah sich in dem Flur um. Doch der kleine Schattengeist war tatsächlich nicht mehr bei ihnen. „Ob er abgehauen ist? Vielleicht hat er es mit der Angst zu tun bekommen? Ich meine, er war es, der Valerie …“ Das Mädchen verstummte betreten. Nick sah ihr sofort an, dass sie an neulich dachte. Im Grunde war es dieselbe Situation, nur mit dem Unterschied, dass weder Valerie noch Orion Anyas Freunde waren. Dass die beiden jedoch auch an ihr zweifelten, musste für Abby äußerst verwirrend sein. Schien sie doch selbst nicht genau zu wissen, was sie letztlich über Anya denken sollte. „Vergiss Orion“, versuchte Nick sie aufzumuntern, „dem Typen würde ich nicht über den Weg trauen. Am Ende will der Valerie nur manipulieren. Und wenn dem so ist, wird Valerie das merken. Sie ist nicht dumm.“ „Aber … Nick, sie hat in der letzten Zeit viel durchmachen müssen. Es würde mich nicht wundern, wenn sie einfach nur froh wäre jemanden zu haben, der ihr beisteht …“ Abby senkte ihren Blick. „Das haben wir alle“, versuchte Nick zu relativieren, „und ich glaube an Valeries Gewissen. Das wird nicht zulassen, dass sie einen Menschen tötet, beziehungsweise einfach seinem Schicksal überlässt.“ Das Hippiemädchen nickte zögerlich. „V-vielleicht hast du recht- Hey, was machst du da!?“   Die Hand ihres Freundes war gefährlich nah an einer von Anyas Körperzonen, die noch nie ein Mann gewagt hatte zu berühren. „Wieso? Sie ist bewusstlos. Keiner wird es je erfahren, wenn du dicht hältst!“ „Ich fasse es nicht! Ich dachte, der Lüstling wäre nur Show!?“ „Nein, der ist echt.“ Nick grinste verschlagen. Daraufhin schob Abby ihre Hand in die Tasche ihres grauen Kleides. „Nimm sofort die Finger da weg, sonst lernst du die Macht von dem da kennen!“ Mit wütendem Gesichtsausdruck zeigte sie eine Karte hervor, [Naturia Pumpkin]. Nick winkte jedoch lachend ab. „Damit werd' ich fert-“ Aber er verstummte, als Abby mit einem Schwenk die Karten dahinter ausfächerte und er gar nicht mehr zählen konnte, wie viele Monster es waren, die sie da in der Hand hielt. Der junge Mann wurde kreidebleich und zog vorsichtig seine Hand von Anyas Busen weg. „... dacht' ich mir“, raunte Abby mit ungewöhnlich düsterer Stimme.   ~-~-~   Finster starrte Anya herüber zum anderen Teil des ineinander vernetzten Elysions, das aus ihrem und dem ihrer Erzfeindin Valerie bestand. Die stand dort zusammen mit Joan Of Arc, der burschikosen Ritterin, welche wohl am wenigsten an diesem Kampf interessiert war. Doch Anya hatte ihr den Krieg erklärt und genau das würde sie auch in die Tat umsetzen! Und da war es ihr egal, ob der Alten schon irgendwelche schwarzen Strichcodes über das Gesicht liefen! „Draw!“, schrie die Blondine, die nun am Zug war und riss förmlich die Karte von ihrem Deck.   [Anya: 4000LP Orion: 3000LP //// Valerie: 4000LP Joan Of Arc: 4000LP]   Dennoch musste sie zugeben, dass die Situation für das ätzende Duo auf der anderen Spielfeldseite derzeit besser kaum sein konnte. Was nicht zuletzt an Joans letztem Zug lag. Während Anya nur noch eine verdeckte Karte kontrollierte, konnte Orion neben seiner eigenen immerhin noch mit dem Synchromonster [The Fabled Kudabbi] auftrumpfen – einem grauen Kalb, dessen Haupt durch einen Schleier verdeckt war und auf dem Orion hockte wie ein König.   The Fabled Kudabbi [ATK/2200 DEF/1100 (4)]   Der kleine Schattengeist war immer noch benommen von Joans indirektem Angriff im letzten Zug. Die kontrollierte gleich zwei gefallene Engel, sowie eine gesetzte Karte und [Valhalla, Hall Of The Fallen]. Zu jener permanenten Zauberkarte gehörten auch die hohen Säulen, die um sie herum aus dem Elysion ragten und durch ein rotes Band miteinander verbunden waren.   Darklord Asmodeus [ATK/3000 DEF/2500 (8)] Nurse Reficule The Fallen One [ATK/1400 DEF/600 (4)]   Aber auch Valeries Feld war gut gefüllt mit zwei Meereshexen, von denen eine scheinbar zu lange im Teer gebadet und nicht begriffen hatte, dass Insekten kein Kopfschmuck waren. Auch die Schwarzhaarige kontrollierte darüber hinaus eine verdeckte Karte.   Gishki Noellia [ATK/1700 DEF/1000 (4)] Gishki Psychelone [ATK/1075 DEF/1650 (4)]   Immerhin war ihr Team im Handkartenvorteil, dachte Anya unzufrieden. Sie besaß vier Stück, während Orion und Valerie mit zwei, Joan gar nur mit einer auskommen mussten. Dennoch war sie planlos, was sie aus der derzeitigen Lage machen sollte. Zu gerne wollte Anya mit großen Kalibern um sich werfen, wie die anderen. Doch ihr Blatt vermieste ihr dies eindrucksvoll. Sie biss sich nachdenklich auf den Daumen. Egal wie sie es anzustellen gedachte, gegen [Darklord Asmodeus] kam keines ihrer Monster an. Sie brauchte verdammt nochmal [Gem-Knight Fusion], doch die war nirgendwo in Sichtweite! Levrier wusste bestimmt einen Weg, wie sie an jene heran kam – doch von dem fehlte jede Spur, seit Redfield sich ungebeten selbst eingeladen hatte. Zwar blieb er gerne im Hintergrund, aber dass er rein gar nichts zum Eindringen in ihr Elysion sagte, irritierte Anya. Was war bloß los mit ihm?   „Wenn du nichts tun kannst, dann gib ab“, verlangte derweil Valerie streng. Anya zeigte ihr prompt den Vogel. „Als ob! Ich muss nur etwas nachdenken!“ „Kein Wunder, dass es so lange dauert …“ „Was hast du gesagt, Redfield!?“ Anya hob ihren Arm mit den Karten in der Hand auf Kopfhöhe, um sie auf den Boden zu werfen, mit der Absicht, das Duell in einen Boxkampf übergehen zu lassen, da fiel ihr Blick auf eine ihrer Zauberkarten. Das ist es, dachte sie sich und schnaufte nur wütend, statt eine weitere Schimpftirade loszulassen. Stattdessen grinste sie nun dreckig. „Dann zeig ich dir einfach, wie das Hirn einer Anya Bauer Strategien zaubert! Verdeckte Karte aktivieren: [Birthright]! Die reanimiert ein normales Monster von meinem Friedhof! Los, [Gem-Knight Sardonyx]! Komm zurück!“ Ihre Falle klappte auf und schon schoss aus dem Boden ihr breitschultriger Ritter in der rotbraunen Rüstung, der seinen Morgenstern aus rot-weißem Sardonyx schwang.   Gem-Knight Sardonyx [ATK/1800 DEF/900 (4)]   „Ein Effektmonster? Also ein Zwilling?“, schlussfolgerte Valerie anhand des braunen Randes von Anyas Monster – was für gewöhnlich auf ein Effektmonster hinwies und kein normales, welches gelb hätte sein müssen. „Bingo, auf dem Friedhof werden Zwillinge als Normalos behandelt! Genauso auf dem Feld, solange man ihren Effekt nicht induziert, wodurch meine Normalbeschwörung für diese Runde nötig wäre!“, erklärte Anya. „Aber die will ich nicht aufgeben! Stattdessen umgehe ich das mit dieser feinen Ausrüstungszauberkarte: [Supervise]!“ Eine orangefarbene Aura begann um ihr Monster zu glühen. „Diese Karte gibt meinem Ritter zwar keine Angriffspunkte, lässt ihn dafür aber auf seinen Zwillingseffekt zugreifen! Und da ich dafür keine Normalbeschwörung brauche, nutze ich die nun und rufe seinen Bruder aufs Spielfeld, [Gem-Knight Amber]!“ Neben dem Krieger tauchte ein weiterer Ritter auf, der in goldener Rüstung gekleidet, zwei blitzende Dolche schwang.   Gem-Knight Amber [ATK/1600 DEF/1400 (4)]   „Und jetzt“, grinste Anya dreckig und formte mit beiden Händen Pistolen, die sie auf ihre beiden Gegner richtete, „los, meine Babies! Bang!“ Sardonyx begann seinen Morgenstern zu schwingen und schleuderte ihn direkt auf Valeries rothaarige Hexe, wohlgemerkt die noch nicht mutierte Form. Obwohl Noellia ihren Stab als Schutzschild benutzte, konnte sie der Wucht des Angriffs nicht entkommen. Aber auch für Reficule lief es alles andere als gut. Trotz des verzweifelten Versuchs, den goldenen Ritter mit den Bandagen an ihrem Leib zu fesseln, konnte der sich dank seiner Dolche befreien und jene letztlich direkt in die Brust der Höllenkrankenschwester versenken. Zeitgleich erschütterten zwei Explosionen die Spielfeldseite von Valeries Team.   [Anya: 4000LP Orion: 3000LP //// Valerie: 4000LP → 3900LP Joan Of Arc: 4000LP → 3800LP]   „Take that, bitc- oh“, unterbrach sich Anya selbst und schnippte mit dem Finger. „Das hatte ich ganz verpeilt. Wenn Sardonyx einen Kampf gewinnt, erhalte ich eine Gem-Knight-Karte von meinem Deck.“ Sofort schoss eine Karte aus dem Stapel hervor, welche Anya mit derselben hämischen Visage herauszog, ehe ihr Deck automatisch gemischt wurde. Zwischen den Fingern platziert, zeigte sie sie vor. „[Gem-Knight Fusion]! Und wisst ihr was, die benutze ich jetzt gleich in meiner zweiten Main Phase! [Gem-Knight Amber], du bist das Element, [Gem-Knight Sardonyx], du der Ursprung! Vereinigt eure Kräfte und werdet zu [Gem-Knight Prismaura]!“ Über Anya entstand ein Wirbel aus dutzenden von Edelsteinen, in welchen ihre Monster hineingezogen wurden. Nie im Leben würde sie gegen Redfield und deren Schoßhündchen verlieren, dachte die Blondine dabei ärgerlich. Es gab einen Blitz und schon stand ein weißer Ritter vor ihr, mit Schild und einer Lanze ganz aus Kristall bewaffnet.   Gem-Knight Prismaura [ATK/2450 DEF/1400 (7)]   Doch er war nicht allein, denn neben ihm tauchte unerwartet Sardonyx wieder auf. „Sie hat den Effekt von [Supervise] benutzt“, erklärte Valerie der überrascht dreinblickenden Joan, ehe diese überhaupt das Wort ergreifen konnte. „Damit kann sie ein normales Monster von ihrem Friedhof beschwören, wenn diese Karte auf den Friedhof gelegt wird. Und das sind Zwillinge, solange sie dort liegen.“ „Ich verstehe. Durchaus eine gute Wahl für ihr Deck.“ „Ich brauche kein Lob von dir, Ladyboy!“, spuckte Anya daraufhin Gift und Galle, zeigte auf die Heilige. „Das wird dir jetzt sowieso im Hals stecken bleiben! Ich aktivere Prismauras Effekt! Guck da, die [Gem-Knight Fusion], die ich mir eben durch das verbannen von Amber wieder aufs Blatt geholt habe! Ich werfe sie jetzt ab, damit Prismaura deinen Spackoengel killt! Schick ihn dahin zurück, wo er hergekommen ist, Prismaura – die Hölle!“ Die Lanze ihres Ritters begann elektrische Ladungen auszustoßen und kaum einen Moment später schoss aus ihr ein Lichtstrahl, der sich in Asmodeus' Brust bohrte. Jener explodierte kurzerhand und hinterließ nichts als zwei schwarze Federn, die gen Boden segelten. „Zeig's ihr, Schwester!“, jubelte Orion und sprang auf seinem Reittier auf und ab. Das hieß, bis aus den beiden Federn zwei neue Engel wurden, kleiner als Asmodeus selbst, doch glichen sie ihm ansonsten, abgesehen von der blauen und roten Farbe, bis aufs Haar. Anyas Augenbraue zuckte. „Wie, wo, was!?“ „Wenn [Darklord Asmodeus] fällt“, erklärte Joan seelenruhig, „hinterlässt er zwei Wesen, die Spielmarken genannt werden. Asmo und Deus.“   Asmo-Spielmarke [ATK/1800 DEF/1300 (5)] Deus-Spielmarke [ATK/1200 DEF/1200 (3)]   „Was!?“, fiel Anya daraufhin aus allen Wolken und zeigte entgeistert auf die neuen Engel. „D-die vermehren sich einfach! Was für ein abgefucktes Spiel ist das!?“ „Immerhin mussten sie ihre Stärke dafür aufteilen“, gab Orion altklug zu bedenken, „jetzt sind sie leichtes Futter.“ „Das hoffe ich – für dich!“ Anya schnaubte laut. „Wie ätzend! Zug beendet!“   Kaum hatte sie dies gesagt, zog auch schon ihre erbitterte Rivalin wortlos die nächste Karte. Die hatte nur eines im Sinn: Anyas perfides Spiel beenden, koste es, was es wolle! „Machen wir da weiter, wo wir in meinem letzten Zug aufgehört haben“, sagte sie streng und deutete auf [Gishki Psychelone]. „Mein Instinkt sagt mir nach wie vor, dass auf deiner Hand ein Erde-Monster vom Typ Hexer ist. Sonst hättest du Sardonyx niemals ungeschützt im Angriffsmodus gelassen! Demnach wird Psychelone das jetzt mit ihrem Effekt überprüfen. Und wenn ich richtig liege, war es das für dein Monster.“ „W-was!? Du irrst dich, Redfield! In meinem Deck gibt es gar kein Hexer-Monster-“ „Und was ist dann das?“, fragte jene kühl, kaum hatte ihre korurmpierte Meereshexe die Handflächen an die Stirn gelegt. Über Anya erschien das Abbild eines Monsters, [Gem-Merchant]. Valeries gnadenloses Urteil: „Eindeutig Hexer.“ Da half es Anya auch nichts, dass sie sich herausreden wollte. „Ähm, das ist, also- hey!“ Schwupps löste sich die Karte in ihrem Blatt einfach auf. „Dacht' ich's mir doch“, sagte Valerie, „schon letzte Runde hatte ich das Gefühl, du würdest Sardonyx absichtlich schutzlos aufs Feld schicken, damit ich gedankenlos angreife. Da er im Moment ein normales Monster ist, kann [Gem-Merchants] Effekt ihn stärken, aber jetzt nicht mehr.“ Anya zischte daraufhin nur. Ihrer Meinung nach hatte Redfield einfach nur geraten! Diese zeigte längst ein Monster von ihrer Hand vor. „Ich benutze jetzt den Effekt von [Gishki Shadow], den ich abwerfe und somit [Gishki Aquamirror] von meinem Deck aufs Blatt nehme. Aber hier endet es nicht, denn mithilfe meiner Falle [Aquamirror Meditation] kann ich nun zwei Gishki-Monster von meinem Friedhof aufs Blatt nehmen, wenn ich den Aquamirror besitze.“ Ihre Falle sprang auf und sendete rhythmische Wellen aus, die in Anyas Ohren ein seltsames Druckgefühl hervorriefen. Gleichzeitig zeigte Valerie [Gishki Shadow] und [Gishki Noellia] vor. „Ich hätte nie gedacht, dass ich -es- jemals beschwören würde“, meinte Valerie plötzlich und zückte ihre Schlüsselkarte, den Ritualzauber, „das in den Untiefen meines Decks lauernde Grauen. Normalerweise ist -es- gar nicht Teil meines Decks, aber für dieses Unterfangen habe ich -es- rekrutiert! [Gishki Aquamirror], bereite die Zeremonie vor! Ich opfere [Gishki Shadow], der als komplettes Opfer für diese Beschwörung herhalten wird!“ Ein goldener Spiegel tauchte aus dem Nichts vor Valerie auf. Seine runde Fläche bekam nach und nach Sprünge, bis der Spiegel in tausend Stücke zerbarst. „Erstehe auf aus der Finsternis des Ozeans! [Gishki Zielgigas]!“ Die auf dem Elysion liegenden Scherben verwandelten sich in Wasser, welches das gesamte Mosaik zu fluten begann. Und aus der unbekannten Tiefe erhob sich eine schattenhafte Gestalt, die absolut nichts mit Valeries anderen Monstern gemein hatte. Mit dem goldenen Siegel der Gishki auf der Brust, glich dieses Monster mit seinen vier Armen und breiten Schwingen eher einem menschgewordenen Herkuleskäfer, denn einer Meereskreatur.   Gishki Zielgigas [ATK/3200 DEF/0 (10)]   Anyas Mund stand im Angesicht dieser Kreatur weit offen. Nie hätte sie damit gerechnet, dass Valerie etwas derart Eindrucksvolles auf Lager hatte. Das Vieh wirkte viel eher wie etwas, das Matt spielen würde. Auch Orion machte Augen wie ein Mondkalb. „Wah! Das Ding ist riesig!“, kreischte er. Valerie achtete gar nicht auf die Reaktionen ihrer Gegner, sondern schwang den Arm aus. „Zielgigas' Effekt! Für 1000 Lebenspunkte ziehe ich pro Zug eine Karte und wenn diese ein Gishki-Monster ist …“ Sie nahm die Karte und zeigte [Gishki Vision] vor. „... ach, seht einfach selbst.“   [Anya: 4000LP Orion: 3000LP //// Valerie: 3900LP → 2900LP Joan Of Arc: 3800LP]   Der schwarze Insektenmann legte seine vier Handflächen aufeinander und erzeugte so eine pechschwarze Kugel, die er direkt auf Prismaura schleuderte. Dieser schrie und löste sich binnen Sekundenbruchteilen auf, hinterließ eine fassungslose Anya. „Er ist nicht tot, nur in dein Deck zurückgekehrt“, erklärte Valerie dazu und legte nebenbei ein Monster namens [Gishki Mollusk] auf ihre Duel Disk. Und während vor ihr ein dunkelhäutiger, humanoider Krieger erschien, welcher zwei Säbel schwang und offenbar seinen Kopf gegen eine Muschel eingetauscht hatte, fuhr sie ungerührt fort.   Gishki Mollusk [ATK/1700 DEF/900 (4)]   „Ein Schicksal, welches auch gleich deinem [Gem-Knight Sardonyx] zuteil werden wird. Ich kenne die Schwäche deines Decks, Anya. Es ist [Gem-Knight Fusion]. Ohne sie bist du aufgeschmissen. Und solange sich keiner deiner Ritter auf dem Friedhof befindet, kannst du auch nichts tun, um sie zurückzubekommen!“ Anya hatte das Gefühl, als würde sie von einem Fettnäpfchen ins nächste stolpern, so leicht schien Redfield sie zu durchschauen. Nur, dass besagte Fettnäpfchen mit Säure gefüllt waren und die Größe des Atlantiks besaßen. Ihre Gegnerin streckte den Arm in die Höhe. „Ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinem Stufe 4-Mollusk und meiner Stufe 4-Psychelone wird ein Rang 4-Monster! Xyz-Summon! Zeige dich, [Evigishki Merrowgeist]!“ In vollkommener Stille öffnete sich inmitten des Spielfelds ein schwarzes Loch, das Valeries Monster als blaue Lichtstrahlen in sich aufnahm. Heraus kam eine mit Flossen beschwingte, rothaarige Meerjungfrau, die ein langes Zepter mit sich führte – Valeries Paktkarte. Deren Mal leuchtete blau auf.   Evigishki Merrowgeist [ATK/2100 DEF/1600 {4}]   Sie würde Anya aufhalten, dachte Valerie entschlossen, egal was es kostete. Anmutig streckte sie den Arm aus und legte dabei den Kopf in den Nacken, als würde sie auf ihre Gegnerin herabsehen. „[Evigishki Merrowgeist]! Greife [Gem-Knight Sardonyx] an! Sceptre Of Foresight!“ Ihre Meerjungfrau schwang ihren Stab und schoss daraus eine Salve an Seifenblasen auf Anyas Krieger, die bei Kontakt zerplatzten und explodierten. So wurde der Ritter regelrecht bombardiert. Aber auch Anya bekam etwas von den Explosionen ab und wurde zurückgeschleudert, landete auf dem Rücken. „Dah! Verdammter Kackmist!“   [Anya: 4000LP → 3700LP Orion: 3000LP //// Valerie: 2900LP Joan Of Arc: 3800LP]   Derweil zog Valerie [Gishki Psychelone] unter ihrem Xyz-Monster hervor und schob diese in den Friedhofsschacht. Gleichzeitig absorbierte ihre Meerjungfrau eine der zwei blauen Sphären, die um sie kreisten, mit dem Zauberstab. Valerie erklärte dazu: „Jetzt entferne ich ein Xyz-Material, um Merrowgeists Effekt zu aktivieren! Damit schicke ich Sardonyx wie angekündigt in dein Deck zurück, statt auf den Friedhof!“ „Das wirst du noch bereuen, Redfield!“, versprach Anya ihr wütend und schob den Ritter in ihren Kartenstapel, welcher daraufhin automatisch gemischt wurde. „Ach ja?“, erwiderte Valerie unbeeindruckt. „Ich denke nicht! Sieh dich lieber vor, Anya, denn ich bin noch nicht fertig mit dir!“ Damit wandte sich die Schwarzhaarige ihrem riesigen Herkuleskäfermann zu, welcher unheilvoll die Arme verschränkte. „Direkter Angriff auf ihre Lebenspunkte, [Gishki Zielgigas]! Infestation's Solitude Beam!“ Der Riese streckte seine vier Arme weit aus. Das rote Emblem in seiner Brust begann unheimlich zu glimmen und saugte Lichtpartikel aus ihrer Umgebung auf. Einer war so groß, dass er wie ein Pfeil durch die Brust des Monstrums ging – und es zum Explodieren brachte! „Wie-!?“ Valerie weitete die Augen, als von ihrer Kreatur tatsächlich nichts mehr übrig war. „Wer hat-!?“ Das Maunzen eines Kätzchens klang durch das Elysion. Alle Blicke wandten sich instinktiv Orion zu, dessen verdeckte Karte aufgesprungen war. „Tut mir leid, Val-chan, aber ich muss Anya in dem Fall beschützen!“, entschuldigte er sich kleinlaut. „Mit meiner Falle [Fine] habe ich meine letzten beiden Handkarten abgeworfen. Das waren [The Fabled Catsith] und [The Fabled Ganashia]! Und während Ersterer beim Abwerfen eines deiner Monster zerstört, wird Ganashia direkt auf mein Feld beschworen, wenn er abgeworfen wurde!“ Neben Orion und seinem Kalb trampelte ein weißer Elefant auf zwei Beinen aufs Spielfeld und verhielt sich in seinen ungeschickten Bewegungen wie sein Artgenosse im sprichwörtlichen Porzellanladen. „Und wenn Ganashia so beschworen wird, erhält er sogar noch 200 Angriffspunkte!“, erklärte Orion weiter.   The Fabled Ganashia [ATK/1600 → 1800 DEF/1200 (3)]   „Orion“, murmelte Valerie, immer noch verstört von dem vorzeitigen Ableben ihres Monsters. „Klasse!“, konnte sich Anya derweil kaum beherrschen in ihrer Erleichterung. „Man, das Vieh hätte Gulasch aus mir gemacht! Du bist ja doch zu was gut, Pornozwiebel!“ „Immer doch!“, grinste der anzüglich. „Vielleicht möchtest du ja jetzt auch meine anderen Qualitäten kennenlernen, meine süße Tsundere?“ „No way!“ Gleichzeitig ballte Valerie unbewusst eine Faust ob der illustren Szene der beiden. „Zug beendet.“ Damit hatte sie nur noch [Evigishki Merrowgeist] und zwei Handkarten in ihrem Repertoire.   „Dann ist jetzt Orion-time!“, flötete jener durch seinen übergroßen Mund und sprang einem Flummi gleich in die Luft. „Draw!“ Kaum hatte er seine Handkarte gezogen, weitete er die Augen. „Was zum-!? Hey, wieso ausgerechnet die!? Jetzt wo ich sie gar nicht mehr brauche!?“ Wütend schob er sie in ein Zauber- und Fallenkartenzone, wodurch die Karte verdeckt vor ihm erschien. „Dämliches Karma! Ich dachte, ich hätte längst wieder gut gemacht, dass ich an Val-samas Unterhöschen gerochen hab!“ „Du hast -was-!?“ Valerie lief mit einem Schlag knallrot an. „Ah, eh, oh, nichts! Ähm … i-ich mach dann mal mit meinem Zug weiter, ja, Val-chan-sama-sempai-dono!?“ Der Schattengeist warf einen verstohlenen Blick auf die Heilige Johanna. Die war im Moment viel gefährlicher als Valerie. Auf sie musste er sich konzentrieren. „Los, [The Fabled Kudabbi], greif den blauen Engelsfritzen an!“ Womit er die blaue Asmo-Spielmarke mit 1800 Angriffs- und 1300 Verteidigungspunkten meinte, welche zu seinem Ärgernis in der Defensive positioniert war. Sofort rannte das Kalb samt Orion über das Zwillingselysion. Noch im Lauf sprang Orion vom Rücken seines Reittiers und flog wie eine Rakete auf den gefallenen Engel zu. „Orion-Fisting!“ Mit seiner winzig kleinen Faust brachte er Joans Monster dazu, in tausend Stücke zu zerspringen. Noch in der Luft machte er einen Salto. „Ganashia!“ Der Elefant war ihm einfach hinterher gerannt und warf sich trötend auf den Bauch, schlitterte über das Mosaik auf Valeries Spielfeldseite, direkt zwischen Valerie und Joan sowie deren Monster vorbei. Orion landete auf dem Rücken seines Monsters und nutzte dieses als Sprungbrett, um nun den roten Engel, die Deus-Spielmarke mit je 1200 Punkten auf beiden Werten, ins Visier zu nehmen. Leider befand auch dieses sich im Verteidigungsmodus. „Orion-Fisting, die Zweite!“ Damit schoss er auf den Engel zu und schlug ihm mit seiner kleinen Faust direkt ins Gesicht. Und prallte ab, wobei er von einer unsichtbaren Kraft den ganzen Weg zurück auf Anyas Spielfeldseite zurückgeschleudert wurde. Wie ein Fußball rollte er über ihr Elysion und kam gerade so am Rand ebenjenes zu stehen. „Waaaah!“, stieß er beim Blick in den Abgrund aus. Mit Tränchen in den Augen wandte er sich an Joan. „Was hast du getan!? Der herrliche Orion versagt nie!“ „Deus ist unbesiegbar im Kampf“, erklärte die Ritterin ihm ruhig. „Und das konntest du mir nicht früher sagen!?“ „Du hast nicht gefragt.“ „Dämliche Kuh!“ Orion hüpfte wütend zurück auf den Rücken von Kudabbi, welches gekommen war, um ihn abzuholen. Neben Anya verharrte das Monstergespann schließlich, als es wieder vollzählig war. Wütend stampfte der Schattengeist dreimal mit dem Stummelfuß auf. Das hatte er sich aber ganz anders vorgestellt. „Zug beendet! Aber ich krieg' dich noch, du hinterhältiges Mannsweib!“   „Sei vorsichtig, kleiner Dämon“, sprach Joan seelenruhig und zog dabei eine Karte. Die schwarzen Markierungen waren mittlerweile auch von der anderen Körperhälfte ihr Gesicht hinaufgestiegen und ließen sie nun wie ein Wesen aus einer anderen Welt aussehen. „Meine Sünden mögen mir nicht vergeben werden, doch ebenso nicht die deinen. Deine respektlosen Worte zeugen von deiner wahren Natur. Du verbreitest Lügen, um die Ziele deines Meisters umzusetzen.“ „G-gar nicht wahr!“ „Ihm liegt nichts am Leben eines Menschen“, sprach die Gefallene weiter und zückte eine Zauberkarte aus ihrem Blatt. „Er hat Valerie dazu gebracht, ihren Namen zu verkaufen. Er beobachtet uns, wie ein Geier, der um seine Beute kreist. Du als sein Spion bist nicht besser. Du bist die Verkörperung dieses niederträchtigen Handels.“ „Du nimmst den Mund aber ganz schön voll!“, polterte Anya dazwischen. „Ihr seid beide Abschaum, wenn ihr mich fragt!“ Etwas, das Valerie nicht so stehenlassen konnte. „Dich fragt aber keiner, Anya!“ „Tch!“ „Wie dem auch sei, es ist mein Zug“, leitete Joan diesen nun endgültig ein und schob die Zauberkarte in ihre altertümliche Duel Disk. „Ich benutze [Trade-In]. Indem ich ein Stufe 8-Monster hergebe, erhalte ich im Austausch zwei neue Karten.“ Sie entledigte sich ihres [Darklord Zeratos] und füllte danach ihr Blatt auf. Einen Wimpernschlag später schwang sie den Arm aus. „Und nun, sei wiedergeboren, [Darklord Superbia]! Höre den Ruf der Verblassten, höre den [Call Of The Haunted]!“ Ihre gesetzte Fallenkarte sprang auf, während Anya wütend schnaubte. „Erspar' uns die Einzelheiten, Miststück. Jeder weiß, was diese Karte kann!“ „Die holt einfach das Monster wieder, welches sie in ihrem letzten Zug auf den Friedhof gelegt hat.“ Orion knabberte panisch an seinen kleinen Stummelfingern. „Das ist gar nicht gut!“ „In der Tat. Sei wiedergeboren, [Darklord Superbia]!“ Vor Joan erschien aus einer schwarzen Flamme ein gleichfarbiger Kelch, der sich im Uhrzeigersinn zu drehen begann. „W-was ist das denn!?“, schoss es ungläubig aus Anya heraus. Doch sie ersparte ihren Mitstreitern einen weiteren Kommentar dieser Sorte, als sie plötzlich einer grimmigen Fratze gegenüberstand, die dem Kelch entsprang. Mit einem Schlag wuchsen aus diesem zwei dürre, lange Arme und blutrote Schwingen, wobei das Wesen gleichzeitig auf die Größe eines Menschen anwuchs.   Darklord Superbia [ATK/2900 DEF/2400 (8)]   Joan streckte weit ihren Arm aus. Unter ihrem Kettenhemd war ein Großteil ihrer Haut verborgen, doch was zu sehen war, ihre Hände, hatten mittlerweile eine graue Färbung angenommen. Und es schien, als hätten sie feine Risse, die langsam zu bröckeln begannen. Die Kriegerin wirkte, als wären ihre Arme aus Asche geformt. „Dies ist der Heilige Gral, gefallen in die Hände des Unsäglichen! Doch selbst jetzt ist seine Macht noch so groß, dass er ein Quell des Lebens ist, wenn man ihn aus der Hölle entführt! Drum holt er jetzt einen gefallenen Engel direkt aus ebendieser zurück!“ Aus dem Kelch schoss eine pechschwarze Flamme. „Sei wiedergeboren, [Darklord Zerato]!“ Anya blinzelte verdutzt, als aus dem Feuer ein großer Krieger flog. Genau wie Joans andere Monster, waren seine Flügel blutrot, während die nackte Haut des Gefallenen pechschwarz gefärbt war. Er schwang eine lange, gebogene Klinge und grinste unheilvoll.   Darklord Zerato [ATK/2800 DEF/2300 (8)]   „Uah! Das hat sie die ganze Zeit über geplant!“, stammelte Orion panisch und fiel auf dem Rücken seines Monsters aufs Hinterteil. „Jetzt wird’s ganz übel!“ Joan verzog keine Miene, als sie eine ihrer Handkarten vorzeigte. „Indem ich mich von einem Finsternis-Monster, in diesem Fall [Darklord Edeh Arae], trenne, werden alle Monster eines von mir gewählten Spielers umgehend von [Darklord Zerato] vernichtet. Jedoch kostet ihn dies am Ende des Zuges das eigene Leben.“ Anya und Orion tauschten nur einen fassungslosen, panischen Blick aus, da donnerte es auch schon. In die Klinge Zeratos war ein Blitz eingeschlagen, finstere Energie umspielte sie wie eine Schlange. Lachend schleuderte der Krieger diese Blitze Orion entgegen, der vor Schreck die Augen weitete. „Mein Ziel bist du, Dämon.“ Sein Ganashia schrie auf, als er von der Ladung getroffen wurde und zersprang in tausend Stücke. Auch Orion kreischte panisch, als sein Reittier erfasst worden war, doch urplötzlich bildete sich eine Lichtmauer, als Kudabbi aufheulte und in einen merkwürdigen Singsang verfiel. „Oje, oje“, jammerte der Schattengeist, der beinahe von seinem verschleierten Kalb gefallen wäre. „Wenn ich jetzt noch Handkarten gehabt hätte, wäre es aus gewesen.“ „Weitere Handkartenmanipulation?“, wunderte sich Valerie, die damit bereits vertraut war. Der Schattengeist sprang auf die Beine und streckte stolz die Schnute hervor, da es ihm an Brust deutlich mangelte. „Klaro, Chica! [The Fabled Kudabbi] konzentriert sich aber auf meine eigenen, Baby! Ohne Handkarten, nix put machen! Gar nix, nix Kampf, nix Effekt! Der große Orion wird nicht so leicht-“ „In dem Fall biete ich meine Deus-Spielmarke als Tribut an“, setzte Joan völlig ungerührt ihren Zug fort und ließ den Engel verschwinden, „um [Darklord Desire] als Tributbeschwörung zu rufen. Höre mich!“ Anya und Orion starrten gebannt nach oben, von wo auf Valeries Seite des Elysions etliche schwarze Federn fielen. Sie alle färbten sich rot, flogen auf einen bestimmten Punkt in der Luft zu, um sich zu sammeln. Kurz darauf gab es einen Lichtblitz und dort, wo eben noch die Federn gewesen waren, flog nun ein Engel durch die Luft. Das rote Federkleid war aber nicht das Beeindruckende an ihm, viel mehr war es die massive gold-schwarze Rüstung, die besonders an Armen und Beinen besonders hervorstach. An beiden Enden der Arme befanden sich zwei Klingen, die wie Klauen wirkten.   Darklord Desire [ATK/3000 DEF/2800 (10)]   Anya zeigte wütend mit dem Finger auf die Heilige Johanna. „Du betrügst! Für den hättest du zwei Monster opfern müssen, Miststück!“ Beschwichtigend die Hand hebend, schüttelte jene mit dem Kopf. „Ich fürchte, du irrst dich. [Darklord Desire] benötigt nur ein Opfer, wenn dieses ein Engel ist. Und nun sehe, dass er imstande ist, jeden Dämon zu töten.“ Sie schwang den Arm Richtung Orion aus. „Opfere einen Teil deiner Kraft, um das Böse direkt in die Hölle zu schicken!“ Der Kriegerengel Desire legte seine Arme über Kreuz auf die Brust und schoss massenhaft Federn auf [The Fabled Kudabbi]. Orion gab nur noch einen Schrei von sich, als sein Reittier schon getroffen wurde und sich in roten Nebel verwandelte, welcher wiederum einfach verschwand. Auf den Hintern plumpsend, stand der kleine Schattengeist plötzlich ohne Monster da. Genau wie Anya.   Darklord Desire [ATK/3000 → 2000 DEF/2800 (10)]   „Sie konnte sogar Kudabbi vernichten“, stammelte Orion und sah Joan ängstlich an, die wie ein Henker auf ihn herab starrte. Und obwohl sie so weit weg sein mochte, jagte sie nicht nur Orion bei ihrem Anblick einen kalten Schauder über den Rücken. „Oh, verdammter Kackmist“, fluchte Anya, die den Ernst der Lage erkannt hatte. „Mit der Alten ist echt nicht gut Kirschen essen.“ Sie besaß drei Monster mit mindestens 2000 Angriffspunkten. Und Anya wusste genau, dass sie keine Angst davor hatte, sie zu benutzen. Nur wen? Wen würde sie aus dem Spiel jagen wollen? Es reichte nur für einen von ihnen. Plötzlich nahm Joan Anya scharf ins Visier. „[Darklord Superbia], dein Ziel ist die Sünderin.“ „Oh, shit, ich wusste es!“ „[Darklord Desire], [Darklord Zerato], sendet diesen Wicht zurück dorthin, wo Luzifer ihn geschaffen hat. Du wirst Valerie nicht länger vergiften, Dämon!“ Gleichzeitig erschraken die beiden Mädchen und wichen zurück, aus demselben Grund. „Joan, warum er!? Du könntest Anya-!“ „Nicht ich!?“ Doch ehe Joan ihre Absichten erklären konnten, schwärmten ihre Monster bereits aus. In Orions Augen spiegelte sich wahrlich die Furcht, die ihm der bevorstehende Angriff bereitete. Er wusste nicht, welches Schicksal eine Niederlage mit sich zog. Die beiden Kriegerengel flogen auf ihn zu wie Pfeile von der Sehne eines Bogens. Der kleine Schattengeist schluckte schwer, dann wandte er sich Anya zu. „Jetzt ist es an dir, Schwester! Du musst Val-chan für mich beschützen, okay!?“ „Was redest du da, du hast doch deine verdeckte Karte! Benutze sie, Dummkopf!“ Orion bemerkte die Karte vor ihm, doch er seufzte. „Klaro … verdeckte Falle. [The Gift Of Greed]. Einer meiner Gegner zieht nun zwei Karten … und zwar du, Schwester!“ Anya erschrak, als die Falle hochklappte und daraus eine weiße Schachtel auftauchte. „W-was!? So eine Dreckskart-“ „Das ist alles, was ich für dich tun kann! Bitte, beschütze Val-chan für mich!“ Der Deckel der Schachtel lüftete sich von selbst und hervor kam eine grüne Vase, auf der ein grinsendes Gesicht eingearbeitet war. Wie in Trance zog Anya die zwei Karten, die Orion ihr hinterlassen hatte. Kaum einen Moment später trafen die beiden Engel auf Orion und schlugen ihn zusammen mit Schwert und Faust nieder. Doch Anya kam gar nicht dazu zu reagieren, denn auch sie wurde plötzlich erfasst. Von einer schwarzen Flamme, die aus dem Inneren des verdorbenen Heiligen Grals kam, welcher in angewinkelter Position auf sie zeigte, um die Flammen loszulassen. „Ahhhh!“, schrie sie unter dem Feuer. Auch Orions gequälte Rufe drangen durch das Elysion. „Val-chan …!“ Die unerwartete Wucht des Flammenangriffs warf Anya um.   [Anya: 3700LP → 800LP Orion: 3000LP → 0LP //// Valerie: 2900LP Joan Of Arc: 3800LP]   Die Blondine landete hart auf der Seite und ließ dabei ihre Handkarten fallen. Neben ihr kullerte Orion an ihr vorbei und begann sich in schwarzen Partikeln aufzulösen. „Hey!“, schoss es aus Anya hervor, die sich ruckartig erhob und zum kleinen Schattengeist eilte. „Du musst … sie aufhalten …“, bat Orion mit Tränchen in den Augen, ehe er ganz verschwunden war.   Die Blondine war fassungslos. Er war einfach weg, nicht mehr da. Innerhalb weniger Sekunden. Und es war … sie hatte ihn da reingezogen, es war … „Was hat er dir überhaupt getan, du Psycho!?“, schrie sie unvermittelt Joan an. „Du hättest genauso gut mich nehmen können! Immerhin seid ihr sowieso nur hinter mir her!“ „Er war das sinnvollere Ziel für meinen Angriff“, erklärte der Engel ungerührt. „Es wäre schwieriger, gegen ihn zu kämpfen, als gegen dich. Zug beendet.“ Damit löste sich auch [Darklord Zerato] auf und hinterließ nichts weiter als eine schwarze Feder, die von einer Brise davongetragen wurde.   „Ihr seid …“, presste Anya unter all ihrer Wut mühsam hervor, „die Schlimmsten von allen!“ „Was redest du da?“, widersprach Valerie aufgekratzt. „Du bist doch diejenige, die-“ „Schnauze, Redfield!“ Die Blondine stampfte wütend auf, zeigte auf Joan. „Sie! Langsam glaube ich, was die Pornozwiebel mit ihr meinte! Heuchlerisches Weib! Du tust so, als würdest du strategisch handeln, aber in Wirklichkeit lachst du dir nur einen ab, weil du einen Dämon besiegt hast! Du hast dich die ganze Zeit nur auf ihn konzentriert! Solche wie du widern mich an!“ „Das werde ich akzeptieren müssen.“ Anyas Stirn war bereits voll von Zornesfalten, was durch Joans distanziere Reaktion nur umso schlimmer wurde. „Ach habe ich ja vergessen, ich bin ja auch nur so ein 'Sünder'! Ihr Engel seid so selbstgerecht! Ob Dämon, Engel oder weiß der Geier, was spielt das für eine Rolle!?“ Das Mädchen hatte sich so in Rage geredet, dass sie ihre Handkarten, welche sie nebenbei aufhob, in der Faust zu drücken begann. „Es ist doch völlig egal, als was man geboren wird! Es zählt allein, was man aus seinem Leben macht! Aber nein, ihr Vollidioten von Engeln stempelt alles als böse ab, was anders ist als ihr!“ Sie schwang ihren Finger auf Valerie, die erschrocken zusammenzuckte. „Du, Redfield, bist ganz genauso! Plötzlich ist die Pornozwiebel ein Feind für dich, aber erinnerst du dich noch, wer zuerst auf wen zugegangen ist!? Wie kannst du ihn so plötzlich fallen lassen!?“ „Anya, ich-“ „Tch! Es ist nicht meine Aufgabe, mich über so etwas zu beschweren! Aber da hier niemand sonst für ihn sprechen kann, fällt der Schwarze Peter eben auf mich.“ Dieses eine Mal würde sie ihn eben annehmen müssen. Auch wenn Anya es hasste, in eine Rolle zu schlüpfen, die ihr nicht lag. „Der Knilch mag zwar ein perverses Mistvieh sein, aber soweit ich das beurteilen kann, hat er nie etwas Schlechtes getan. Im Gegenteil, er hat sogar alles gegeben, um dich vor dieser Ollen und ihrem Irrsinn zu beschützen.“ Anyas Blick verhärtete sich. „Aber da er jetzt nicht mehr hier ist, hat sich die Situation verändert. Solche wie dich … zerstampfe ich im Boden, Redfield! Denn ich hasse nichts mehr als Heuchler und Feiglinge!“ Valerie, die von Anyas ungewohnter Verhaltensweise regelrecht erschüttert war, brauchte einen Moment, um ihre Fassung wiederzugewinnen. „In dem Punkt sind wir uns einig. Ich schlage vor, du verleihst deinen Worten Nachdruck. Du bist am Zug.“   „Oh, das werde ich“, zischte Anya und griff nach ihrem Deck. „Mit allen Mitteln.“ Wirklich mit allen! Sie schloss die Augen und versuchte sich auf ihr Deck zu konzentrieren. Die Pornozwiebel hatte all ihr Vertrauen in sie gesetzt. Und auch, wenn er es war, der Redfield diesen Floh überhaupt erst ins Ohr gesetzt hatte, stimmte Anya mit ihm in Punkto Joan überein. Was ihn allerdings nicht davor bewahren würde, die Anya Bauer-Premiumstrafe für Verrat zu erhalten, sollte sie ihn jemals wiedersehen. Doch zuerst … Seine zwei Karten, sie würde sie nutzen. Mit ihrer anderen Handkarte, und der, die sie jetzt ziehen würde. Anya würde sie nutzen, um Valerie und Joan zu zerstören! „Draw!“ Die Augen des Mädchens öffneten sich schlagartig, doch noch während sie zog, war da kein Gefühl einer pulsierenden Kraft in ihr. Levriers Macht, sie konnte nicht einmal hier auf sie zugreifen. Und während sie den Arm beim Ziehen ausschwang, entschied Anya, dass es im Endeffekt vollkommen egal war, ob Levrier ihr jetzt half oder nicht. An den Nervenkitzel solcher Duelle hatte sie sich mittlerweile gewöhnt … und es war … Anya schüttelte den Kopf. Wenn sie alle, ob Dämonen oder Engel, so versessen darauf waren, einander an die Gurgel zu gehen … wo war dann der Unterschied zwischen ihnen und ihr selbst? „Tch!“, zischte sie, nicht wissend, wen sie mehr hasste, Redfield oder Joan. Wenn es jedoch ums Rache nehmen ging – und Anya wollte sich rächen, weniger für Orion, sondern mehr für die Situation im Allgemeinen – hatte sie bereits eine genaue Vorstellung, wer als Erstes dran war. In ihrem Zorn war ihr völlig gleich, was sie tat. Hauptsache, sie tat überhaupt etwas. „Zauberkarte!“, bellte sie und hielt jene in die Höhe. „[Mystical Space Typhoon]! Damit kille ich einen Zauber oder 'ne Falle auf dem Spielfeld! [Call Of The Haunted]!“ Ein Wirbelsturm ging von dem Hologramm der Karte aus, als Anya jene in ihre Duel Disk schob. Besagter Sturm riss Joans Falle auseinander, ehe er verschwand. Was zur Folge hatte, dass [Darklord Superbia] in tausend Stücke zersprang, da jener an die Falle gebunden war. Anya ging diese Szene hinunter wie Öl. Sie wollte Joan zerstören. Und jeden anderen Engel, der es in Zukunft wagen würde, ihren Weg zu kreuzen. Jeden verdammten Mistkerl dieser Rassisten! „Ich rufe [Gem-Knight Garnet] als Normalbeschwörung! Aber der bleibt nicht lange, denn ich opfere ihn für den Effekt der Zauberkarte [White Elephant's Gift]! Wenn ich mit ihr einen Vanilla entsorge, ziehe ich zwei Karten!“ Ihr Ritter tauchte gar nicht erst auf. Stattdessen ein weißer Knochen, der sich in weiße Funken aufzulösen begann, während Anya zwei Karten zog. Valerie indes schluckte. So aufgebracht war Anya selbst ihr unheimlich. Außerdem hatte ihre Gegnerin einen cleveren Zug hingelegt. Nicht nur hatte sie ihr Blatt erweitert, sie hatte nun, da Garnet auf dem Friedhof lag, auch wieder Zugriff auf [Gem-Knight Fusion]. Jene wurde von der Blondine bereits zwischen Mittel- und Zeigefinger gehalten, während Garnet in Anyas Hosentasche verschwand. „Du weißt, was kommt, nachdem ich Garnet verbannt habe, Redfield! [Gem-Knight Fusion], los! Ich verschmelze [Gem-Knight Tourmaline] und [Gem-Knight Sapphire] von meiner Hand! Scheiß auf den Beschwörungstext, los, [Gem-Knight Topaz]!“ Über dem Mädchen öffnete sich ein strahlender Wirbel aus Edelsteinen, in den ein goldener und ein saphirblauer Ritter hineingezogen wurden. Kurz darauf schlugen Blitze aus dem Strom um sich und ein Krieger in goldbrauner Rüstung trat daraus hervor. Mit einem Satz und wehendem, schwarzen Umhang landete er neben Anya und zückte zwei Dolche, deren Klingen stilisierte Blitze waren.   Gem-Knight Topaz [ATK/1800 DEF/1800 (6)]   „Denkt über mich, was ihr wollt“, zischte seine Besitzerin dabei und schob ihre letzte Handkarte in die Duel Disk. „Hat mich eh nie interessiert. Aber eins sollt ihr wissen, ihr heuchlerischen Schnepfen! Ich werde keine Familien auseinanderreißen, indem ich andere für meine Zwecke opfere!“ Valerie weitete die Augen, als sie die Entschiedenheit in Anyas Ton wahrnahm. Was jene sagte, kam vom Herzen. Und dennoch! „Was ist das Wort von jemandem wert, der so etwas schon einmal getan hat!? Denk an Marc!“ „Wie ich sagte, Redfield“, murmelte Anya leise, „ist mir egal, was ihr denkt. Aber das, was ich eben gesagt habe, bezieht sich nur auf Leute, die ich respektiere. Und dummerweise gehört deine kleine Freundin nicht dazu.“ Plötzlich erschien an Topaz' Arm eine Art Elektroschocker. Anya erklärte dazu: „Ich rüste [Gem-Knight Topaz] mit [Fusion Weapon] aus, welche Fusionsmonster bis Stufe 6 um 1500 Punkte verstärkt!“   Gem-Knight Topaz [ATK/1800 → 3300 DEF/1800 → 3300 (6)]   „Merk dir eins, Redfield“, sagte die Blondine mit ungewohnter Schärfe in der Stimme. „Was mit Marc passiert ist, war nicht meine Schuld. Er hat es so gewollt und wusste von Anfang an, was ihn erwartet, wenn er mich und Levrier angreift. Ich wusste das nicht!“ „Das ist keine Entschuldigung!“ „Ich will mich auch nicht bei dir entschuldigen, Dummkopf!“ Anya schwang aufgebracht den Arm aus. „Da gibt es nichts zu entschuldigen! Wenn sich jemand entschuldigen muss, dann ihr beide bei mir! Aber darauf kann ich lange warten, das weiß ich! Deswegen bin ich jetzt so frei und sorge dafür, dass wir quitt sind!“ Mit einem Schlag schwenkte Anya ihren Finger um auf Joan. „Und zwar, indem ich diese Pest hier beseitige. Los, Topaz, Thunder Strike First! Angriff auf [Darklord Desire]!“ „Nein!“, schrie Valerie verzweifelt und stellte sich mit ausgebreiteten Armen vor ihre Patronin. Anyas Krieger schoss wie ein Pfeil durch die Luft, genau wie der finstere Engel Joans. Beide trafen in der Mitte des Elysions aufeinander und tauschten Schläge mit Fäusten beziehungsweise Klingen aus. Doch Desire erwies sich als zu schwach und wurde mitten in der Brust von den Dolchen Topaz' durchbohrt. „Geh aus dem Weg, Redfield!“, befahl Anya aufgebracht, als die Klingen ihres Ritters plötzlich bläuliche Blitze ausstießen. „Wenn [Gem-Knight Topaz] ein Monster im Kampf besiegt, fügt er dessen Besitzer Schaden in Höhe der Angriffskraft seines Opfers zu! Zusammen mit dem Kampfschaden ist das mehr als genug, nämlich ganze 4300 Punkte Schaden, um dieses Drecksweib aus -meinem- Elysion zu jagen!“ „Wie kannst du-!?“ „Sie hat recht“, sprach Joan hinter ihr eindringlich. „Bitte Valerie, geh aus dem Weg, sonst trifft dich die Wucht des Angriffs. Dadurch wäre nichts gewonnen!“ Die Schwarzhaarige drehte sich verzweifelt um. „Nein! Du darfst nicht-!“ „Aus dem Weg, Redfield!“, verlangte Anya und zeigte mit dem Finger auf die beiden. „Ich sag es nicht noch einmal! … aber gut, wenn du so scharf drauf bist, für sie den Treffer einzustecken, ist mir das nur recht! Auch wenn du sowieso danach dein Fett weggekriegt hättest! Los, Topaz, keine Rücksicht mehr!“ Der aufgespießte [Darklord Desire] zersprang unter einem Schrei, als sein gesamter Körper von den blauen Blitzen der beiden Klingen gepeinigt wurde. Aus den Waffen schoss schließlich ein elektrisch aufgeladener Energiestrahl, der direkt auf Valerie zusteuerte. Jene wurde an den Schultern gepackt und kurzerhand von Joan weggeschleudert. Noch während des Falls drehte sich das Mädchen perplex um und sah, wie die Heilige Johanna sie freundlich anlächelte. Ehe sie der Strahl direkt in die Brust traf. „Joan!“, schrie Valerie und prallte auf dem Boden auf.   [Anya: 800LP //// Valerie: 2900LP Joan Of Arc: 3800LP → 0LP]   Panisch richtete sich die Schwarzhaarige sofort wieder auf und packte Joan am Arm, welche trotz der Wucht des Angriffs noch auf beiden Beinen stand. „Joan!“ Allerdings stieß sie einen spitzen Schrei aus, als der aschgraue Arm in ihrer Hand wie Glas zerplatzte. „Oh nein! Nein!“ Langsam begann sich Joan in kleinen Partikeln aufzulösen, ihr ganzer Körper verlor seine Farbe. Doch jene lächelte dabei gedankenverloren. „Ich konnte niemanden retten in dem Zustand, in dem ich war. Niemanden, nicht einmal die, die mir am nächsten standen …“ Valerie hielt sie am anderen Arm fest, doch auch jener zersprang wie Glas in ihrer Hand, welches auf das harte Mosaik fiel. „Joan! Du-! Du darfst nicht-!“ „Ich war die ganze Zeit im Irrtum, Valerie. Ich wollte, dass du zu einem Engel wirst, um die Dinge, die ich nicht erreichen konnte, besser zu machen. Ich wollte mich durch deinen Aufstieg vor dem Herrn als würdig erweisen. Aber er hat mich nicht ohne Grund verbannt.“ Tränen standen in den Augen des Mädchens, die nach vorne stolperte und ihrer Patronin an den Schultern fasste. „Dann lass uns zusammen-“ „Valerie“, antwortete Joan mit traurigem Gesichtsausdruck. „Menschen werden immer nur Menschen bleiben. Auch der Herr hat dies erkannt. Sie sind nicht dazu geschaffen, sein Werk umzusetzen. Auch Gott irrt sich von Zeit zu Zeit.“ Das Mädchen biss sich auf die Lippen. Sie verstand nicht, was Joan ihr damit sagen wollte. Jene lächelte wieder, es war ein Strahlen voller Hoffnung. „Bevor ich diese Welt verlasse und als Dämon wiedergeboren werde, lass mich einen letzten Wunsch formulieren.“ „N-nein, sag das nicht-“ Joan, die keine Hände mehr hatte, um Valerie auf die Schultern zu fassen, legte stattdessen ihre Stirn gegen die der Schwarzhaarigen. „Wirst du mir zuhören?“ „J-ja“, würgte die hervor. „Danke, Valerie. Mein letzter Wunsch ist, dass du wieder die wirst, die du warst, bevor du mich getroffen hast. Das aufrichtige, junge Mädchen, das andere beschützt, wenn sie in Not sind. Erinnere dich daran, wer dich geprägt hat, Valerie.“ „Joan? Ah!“ Mit einem Mal zersprang der restliche Körper der Ritterin wie ein Kristall und schoss durch alle Ecken und Eden des Elysions. Valerie streckte verzweifelt die Hand nach den Fragmenten aus, ehe sie auf die Knie fiel. „Joan!“   Du bist nie ganz allein, Valerie. Mein Wille, dich zu beschützen, wird immer ein Teil von dir sein. Das war mein Versprechen. Unser Pakt.   Anya zischte verächtlich, als sie mit ansah, wie ihre Erzrivalin mit von Tränen benetztem Gesicht ihren leuchtenden Arm ansah. Ihr Mal glühte blau. „Tch. Endlich ist sie weg“, gab die Blondine sich gänzlich ungerührt von der Szene. „Jetzt sind es nur noch wir beide, Redfield!“ Die Augen ihrer Gegnerin verengten sich schlagartig, als sie über ihre Schulter herüber schaute. „Bist du nun zufrieden!?“ „Warum fragst du mich das?“, erwiderte Anya kaltherzig. „Du hast doch den ersten Stein geworfen. Jetzt beschwer' dich nicht, dass ich mit 'nem verdammten Raketenwerfer antworte!“ Valerie zuckte unmerklich zusammen, erhob sich aber einen Augenblick später wieder.   Sie hatte einen Entschluss gefasst. Wenn dieses Duell vorbei war und sie Anya versiegelt hatte, würde sie sich auf die Suche begeben. Nach Joan. Sobald sie wiedergeboren wurde, würde sie sie finden. Sie würde auf diesen Tag warten, egal wie lange es auch dauern mochte. Das schwor sie sich von der Tiefe ihres Herzens. Valerie musste verhindern, dass Joan als Dämon Böses tat, wenn jener Tag gekommen war. Und dann würde Joan sehen, dass ihr letzter Wunsch in Erfüllung gegangen war. Ganz bestimmt. Aber bis dahin …   „Wir sind noch nicht fertig hier, Anya!“, fauchte sie entschlossen und straffte sich, raffte sich auf. „Für all deine Taten wirst du bezahlen! Ein für alle Mal!“ „Zu dumm, dass ich noch am Zug bin, Miststück!“, fauchte ihre Gegnerin zurück und streckte den Arm weit aus, zeigte auf [Evigishki Merrowgeist]. „Sei dankbar, dass du nicht lange um deine Kampflesbe weinen musst, denn ich werde dich gleich hinterher schicken! [Gem-Knight Topaz], würg' ihr deinen zweiten Angriff rein! Thunder Strike Second!“ Noch während sich ihr Krieger in der Mitte des Spielfelds zum zweiten Angriff bereit machte, fügte Anya hinzu: „Du weißt doch, ich muss dem Bild entsprechen, das du von mir hast.“ Valerie schnaubte nur. Da schoss der Krieger auch schon auf ihre Meerjungfrau los, welche den ersten Dolchhieb mit ihrem Zauberstab abwehren konnte. Doch der zweite war direkt auf ihre Brust gezielt, wo sie ganz ungeschützt war. „Joan, wenn du wirklich in mir bist“, murmelte Valerie und schloss die Augen, „dann leih mir deine Kraft!“ Mit einem Schlag begann ihr Mal noch stärker zu leuchten. „Ich hab's geahnt“, zischte Anya daraufhin genervt. Valerie streckte jenen Arm ruckartig in die Höhe. „Ich rekonstruiere das Overlay Network! Aus meinem Rang 4-Monster, [Evigishki Merrowgeist], und seinem Xyz-Material wird ein neues Xyz-Monster!“ Direkt unter der Meerjungfrau tat sich ein schwarzes Loch auf, was Topaz dazu veranlasste, schleunigst Abstand zwischen sich und dem Wirbel zu bringen. In jenen wurde Merrowgeist eingesogen, während schwarze, rote und blaue Blitze daraus willkürlich um sich wüteten. Valerie senkte den Arm wieder und betrachtete diesen betrübt. „Ich bin nie allein, was? Ich glaube an dich, Joan!“ Mit gefestigtem Blick wandte sie sich damit Anya zu. „Jetzt gibt es kein Zurück mehr! Incarnation Summon! Aus dem Meer der Tränen, erwache, [Evigishki Serenade – Ghost Princess Merrow]!“ Blitzschnell schoss aus dem Wirbel eine große, fischartige Gestalt, gefolgt von einer gewaltigen Wasserfontäne. Verblüfft stellte Anya fest, dass jene Valeries neuem Monster folgte, als dieses eine Runde um deren Elysion drehte und sich schließlich majestätisch vor ihrer Gegnerin aufbaute. Dabei hatte dieses Monster einen weitflächigen Ring aus Wasser um Valerie gebildet. Evigishki Serenade – Ghost Princess Merrow [ATK/2100 DEF/1600 {4}]   Zwei goldene Sphären kreisten um diese neue Meerjungfrau. Doch die war anders als ihre Vorgängerin – sie war ein Geist. Durchsichtig, schneeweiß und flimmernd wie ein kaputter Fernseher. Nichts mehr als eine Illusion. Das lange, gewellte Haar lag ihr direkt im Gesicht, sodass dieses nicht zu erkennen war. Ihr langer Körper war bestückt von langen Dornen, aus dem Rücken ragten zwei lange Flossen, die wie Flügel anmuteten. Den Stab hatte Merrow bei ihrer Transformation verloren – genau wie ihre Arme. „Die gewinnt gewiss keinen Schönheitswettbewerb“, spottete Anya, welcher der Anblick der Kreatur kein müdes Wimpernzucken hervorlockte. Zumindest nicht äußerlich. „Das kann ich verkraften“, fuhr Valerie auf derselben Schiene wie ihre Gegnerin fort. „Immerhin kann ich mich damit trösten, dass Princess Merrow nur von Xyz-Monstern besiegt werden kann.“ Soviel hatte Anya bereits vermutet und fluchte innerlich. Egal wie stark ihr Topaz auch war, an diesem Vieh und der Mauer aus Wasser kam sie nicht vorbei. Wütend stampfte sie mit dem Fuß auf. Was half ihr all das Wissen um die Incarnation-Monster, wenn sie jenes nicht ausnutzen konnte!? „Da hast du ja nochmal Glück gehabt, dass deine Freundin dir mit ihrem letzten, verkrüppelten Atemzug den Hintern gerettet hat“, maulte Anya zornig. „Vorerst jedenfalls. Dann zeig mir mal, wie toll die Sumpfhexe ist. Im Ernst, den Look hat sie doch aus The Ring geklaut! Zug beendet!“   Mit einem plötzlichen, wütenden Schrei riss Valerie die nächste Karte von ihrem Deck. Wie konnte sie nur!? Wie konnte dieses Mädchen selbst jetzt noch so zuversichtlich sein!? Hatte sie denn gar keine Angst? Sie war bis auf ihr Monster völlig ungeschützt, wusste nichts über Merrow und dennoch! Woher nahm sie diese verdammte Zuversicht!? Valerie verstand es einfach nicht. So war Anya schon immer gewesen! Aber das hier war nicht der Schulhof, das hier war bitterer Ernst! „Der Effekt von [Evigishki Serenade – Ghost Princess Merrow] aktiviert sich während meiner Standby Phase“, rief sie angespannt, „es regeneriert Xyz-Materialien, bis es drei Stück hat.“ „Ach, wie unerwartet“, giftete Anya daraufhin garstig, „hast du dir wohl von Marcs Ghostrider-Abklatsch abgeschaut, huh?“ Getroffen von dieser Spitze, schwieg Valerie einen Moment, während aus ihrer Duel Disk eine goldene Sphäre auftauchte und zusammen mit den anderen beiden um ihre Geistermeerjungfrau zu kreisen begann. Schließlich sagte sie, bemüht die Fassung zu wahren: „Ich habe jetzt die Wahl zwischen drei Effekten. Der mächtigste, der mich alle drei Xyz-Materialien abhängen lässt, stellt dich vor eine Wahl. Du musst mindestens eine, aber maximal drei Karten ziehen. Und für jede so gezogene Karte erhalte ich gleich zwei.“ Anya blinzelte einen Moment überrascht. Sie bekam von Redfield Karten? Ernsthaft? Aber nein … das war doch nur, um ein Psychospielchen zu treiben. Vermutlich dachte das Miststück, sie könne ihre Gier für sich ausnutzen! Aber nicht mit ihr! Andererseits wären drei neue Karten jetzt genau das Richtige in ihrer Situation. Aber dadurch erhielte ihre Gegnerin gleich sechs, was wiederum alles nur umso riskanter machte. Es war zum-   „Jedenfalls ist das, was ich sagen würde. Aber nein, dir diesen schwachen Hoffnungsschimmer zu schenken bin ich nicht gewillt“, fügte Valerie plötzlich an. Sie kniff ihre Augen so fest zusammen, dass ein Stück Papier Schwierigkeiten hätte, zwischen die Lider zu passen. „Ich habe einen viel effektiveren Weg, dich zu besiegen.“ „Ach ja!?“, erwiderte Anya mit Zornesfalten auf der Stirn. Hatte Redfield es doch tatsächlich gewagt, mit ihr zu spielen! „Das will ich erstmal sehen!“ Jene musste zugeben, dass ihr Anyas beleidigter Blick durchaus zusagte. „Das wirst du. Ich nutze die ersten beiden Effekte von Ghost Princess Merrow. Für ein Xyz-Material erhalte ich ein Ritualmonster von meinem Friedhof oder Deck.“ Ein Schatten huschte durch den Ring aus Wasser, welcher Valerie umgab. Die Geistermeerjungfrau, die vor jenem Ring schwebte, drehte ihren Kopf um ganze 360 Grad, wobei ihr Haar jedoch am Gesicht kleben blieb. Doch für einen kurzen Moment glaubte Anya, ein rotes Leuchten auf Höhe der Augen wahrgenommen zu haben. Derweil schoss die von Valerie gewählte Ritualmonsterkarte aus deren Deck hervor und wurde sogleich ins Blatt aufgenommen. Eine der goldenen Sphären löste sich wie Nebel auf. „Und jetzt der zweite Effekt, der mich die verbliebenen beiden Xyz-Materialien kostet“, fuhr Valerie fort. „Es ist dasselbe Spiel, wie eben. Diesmal nur mit einem Ritualzauber.“ Anya schreckte zusammen, als sie erkannte, dass ihre Gegnerin sich somit mühelos ein Ritualset zusammenstellt hatte. Die Geisterprinzessin drehte ihren Kopf wieder zurück in die Ausgangsposition, doch diesmal war Anya sich sicher, dass deren Augen rot leuchteten, als Valerie die Ritualzauberkarte auf ihr Blatt nahm und die goldenen Sphären verdunsteten. „So ein Kackmist“, fluchte Anya wütend, ahnend, was jetzt kommen würde. „Du willst doch auch sicher wissen, für welches Ritualmonster ich mich entschieden habe?“, fragte ihre Rivalin bitterböse. „Ich zeig es dir! Indem ich den gesuchten [Gishki Aquamirror] aktiviere und [Gishki Vision] als Opfer anbiete, kann ich dieses Monster hier beschwören! Erscheine aus endlosen Kristallkaskaden! [Evigishki Soul Ogre]!“ Zunächst tauchte vor Valerie jedoch nur ein goldener Spiegel auf, in dessen kreisrunder Fläche sich das geopferte Monster widerspiegelte, eine amphibische Kreatur auf zwei Beinen mit einem blauen Cape um die Schultern. Schließlich schossen mehrere Wasserfontänen rings um Valerie in die Höhe, bis ein dunkler Schatten daraus hervortrat, den Ring aus Wasser passierte und sich neben Merrow stellte. „Der also“, brummte Anya alles andere als begeistert. Ihr gegenüber stand eine Mischung aus Amphibie und Dinosaurier. Dessen gewaltiger Kamm erstreckte sich vom Kopf abwärts hin bis zum massiven Schweif, der ganze Körper war von dunklen Schuppen bedeckt.   Evigishki Soul Ogre [ATK/2800 DEF/2800 (8)]   Sofort fühlte Anya sich an ihr Duell mit Valerie vor zwei Monaten erinnert. Damals, als die Server der AFC schlapp gemacht hatten. Dieses Ding war gefährlich! Aber plötzlich schrillten bei Anya die Alarmglocken, als sie etwas realisierte. „Hey! Du hast zu wenig geopfert, um das Drecksvieh zu beschwören! Dein Visionendingsda war nur auf Stufe 2, du musst aber mindestens-“ „Hast du es immer noch nicht gelernt?“, schnitt Valerie ihr genervt das Wort ab. Auch sie hatte ein Déjà-vu. Ein eher unerfreuliches wohlgemerkt. „Wenn ich weniger Opfer als vorgesehen erbringe, dann kannst du dir sicher sein, dass das angebotene Monster durch seinen Effekt alle Kosten auf einmal trägt. Das war damals bei [Gishki Shadow] so und ist auch bei [Gishki Vision] nicht anders.“ Anya winkte ab. „Pah! Was für ein Scheiß! Wer denkt sich so einen Quatsch aus?“ „Jemand, der mehr vom Spiel versteht als du.“ Valerie nahm ihre vorletzte Handkarte und schob sie in den Friedhofsschacht ihrer Duel Disk. „Aber so viel sollte auch dir klar sein. Wenn ich ein Gishki-Monster abwerfe, schickt Soul Ogre eines deiner Monster auf dein Deck zurück. Oder in diesem Falle Extradeck.“ Sich ihrer [Gishki Noellia] entledigt, spürte Valerie ein nahezu unheimliches Gefühl von Genugtuung in sich aufkeimen, als sie Anya ansah. Deren Augen weiteten sich, als sie erkannte, was das für sie bedeutete. „Topaz!“ „Er wird dich nicht mehr schützen können!“ Valeries Oger begann damit, Wasser von dem Ring hinter ihm einzusaugen, welches er kurzum in einem gebündelten Wasserstrahl direkt auf [Gem-Knight Topaz] abfeuerte. Dieser wurde von dem Strom glatt über das Elysion hinaus geschleudert und verschwand in der Finsternis. Anya sah ihm fassungslos hinterher.   Damit war ihre letzte Verteidigung gefallen. Sie hatte verloren.   „Wo ist jetzt deine Angeberei hin?“, fragte Valerie scharf. „Wie ist es, wenn man erkennt, dass man nicht immer gewinnen kann?“ Anya wandte sich mit hasserfülltem Blick zu ihr um. „Was soll der Mist, Redfield? Willst du dich über mich lustig machen?“ „Nein. Eher will ich wissen, wie es sich für dich anfühlt, zur Abwechslung an jemand Stärkeres geraten zu sein?“ Plötzlich lachte Anya höhnisch auf. „Was ist so lustig!?“, wollte Valerie wissen, die dieser Provokation anders als sonst nicht erhaben war. „Warum lachst du!?“ Das Mädchen ihr Gegenüber fasste sich an die Stirn und sah sie mit einem Auge überheblich, ja gar wahnsinnig an. Es jagte Valerie einen eiskalten Schauder über den Rücken. „Ach, es ist nichts Besonderes. Nur dass du denkst, du wärst die Erste, die stärker ist als ich. Das ist alles.“ „W-was soll das heißen?“ Ein fieses Grinsen breitete sich auf Anyas Gesicht aus. Plötzlich wirkte die Blondine so unmenschlich, dass Valerie vollkommen ins Stocken geriet. „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich in letzter Zeit gegen jemanden gekämpft habe, der schwächer war als ich.“ Das diabolische Grinsen von Anya wurde noch breiter. „Und weißt du was? Das turnt mich richtig an. Nie zu wissen, ob es gleich vorbei ist. Was der nächste Tag bereit hält. Es macht mir Angst, aber gleichzeitig ist es auch so …“ „So was? „Befriedigend.“ Anya nahm langsam die Hand von ihrer Stirn und sah gen Boden, grinste aber immer noch. „Es macht mir Spaß. Viel mehr, als irgendwelche Maden zu zerquetschen. Sag mir, Redfield, warum soll ich mich noch mit irgendwelchen Nerds und Spinnern 'rumärgern, wenn ich das hier haben kann?“ Mit einem Mal streckte Anya beide Arme zu den Seiten aus. „Dies ist jetzt meine Welt geworden. Ein Abenteuer, von dem andere nur träumen können. Es ist ein Albtraum, und ich liebe Albträume! Denn sie machen einem erst bewusst, dass man am Leben ist!“ Plötzlich verflog Anyas manischer Gesichtsausdruck, doch eine gewisse Genugtuung blieb. „Ich mag vielleicht verloren haben. Aber weißt du was? Wenn ich jetzt im Limbus lande wegen dir, bleibt mir zumindest eins. Der Nervenkitzel herauszufinden, was sich dahinter verbirgt.“   Einen Moment lang schwiegen beide. Schließlich fand die Schwarzhaarige zu ihrer Stimme zurück. „Du hast doch eine Macke, Anya. Das hier ist kein Spiel!“ „Was denn dann, Redfield? Ein Ponyhof?“ Anya spuckte auf ihr Elysion. „Nah, im Grunde könnt' ich reden wie ein Wasserfall, aber kapieren würdest du dennoch nicht, was ich damit sagen will. Warum ersparst du uns dieses ätzende Gespräch nicht einfach, indem du angreifst?“ „Ich denke, ich will gar nicht verstehen, was du da redest. Aber wenn du willst, dann erfülle ich dir diesen Wunsch. Das ist schließlich, warum ich hier bin.“ Valerie sah herüber zu ihren Monstern. Nur ein Befehl und sie würden es beenden. Sie öffnete den Mund, doch etwas in ihr hielt sie zurück.   Anya war krank. Sie schien an diesem Terror Gefallen gefunden zu haben. Wie konnte ein Mensch darin aufgehen, ständig in Angst zu leben? Valerie verstand es nicht, sie konnte das einfach nicht begreifen. Angst war das Schlimmste, was es in dieser Welt gab. Niemand wusste das besser als sie. Allein die Angst, Marc noch einmal zu verlieren, war so grauenhaft, dass Valerie am liebsten schreien wollte. Dass Anya es genoss … im Grunde empfand Valerie dafür Mitleid. Denn auch wenn Anya ein Monster war, so etwas hatte doch niemand verdient, oder? Und mit einem Schlag erinnerte Valerie sich an etwas. Vergessen geglaubte Bilder traten vor ihrem inneren Auge auf. Die Zeit mit Anya, als sie beide noch Kinder gewesen waren. Plötzlich dachte Valerie an Joan und ihre Worte. „Ich muss … wieder ich selbst werden?“, murmelte sie leise vor sich hin. Wer war sie denn zu diesem Zeitpunkt? Und wer war Anya? Die Dinge … waren anders. Joan hatte es wohl gewusst, die ganze Zeit über. Warum hat sie sonst erwähnt, dass sie sich an das erinnern soll, was sie einst geprägt hat? Ebenjene Kindheit mit Anya. Diese stand ihr mit kämpferischer Mimik von der anderen Seite des Zwillingselysions gegenüber und schien das Ende tapfer zu erwarten. Wieder öffnete Valerie den Mund, doch statt Worten, entsprangen ihrem Kopf nur Gedanken.   So habe ich dich schon oft gesehen. Viel zu oft, Anya. Weißt du noch, damals? Als wir noch klein waren, im Kindergarten, da war ich immer alleine. Keiner mochte mich, weil ich aus einer wohlhabenden Familie stammte und immer das bekam, was ich wollte. Und wenn ich versuchte zu teilen, dachten die anderen Kinder, ich würde mir ihre Freundschaft erkaufen wollen. Was ich ihnen aus heutiger Sicht nicht verübeln kann, es stimmte schließlich. Sie begannen mich zu ärgern, nahmen mir mein Spielzeug weg und machten sie vor meinen Augen kaputt. Und sie beleidigen meine Familie, meinen Vater, weil er alleine war. Sie zogen mich auf, weil meine Mutter kurz nach meiner Geburt gestorben war, lachten über meine Großmutter, die mit dem Krebs zu kämpfen hatte, aber zu stolz war, um ihre ausgefallenen Haare mit einer Perücke zu verstecken. Sie waren auf ihre Art grausamer als jeder Erwachsene es je hätte sein können. Bis du dich zwischen die Fronten gestellt hast. Ich kann nur raten warum, aber ich schätze, du kanntest das Gefühl, ohne ein Elternteil aufzuwachsen. Dein Vater hatte sich ja zur gleichen Zeit von deiner Mutter geschieden und ist mit deinem Bruder umgezogen. Nicht ertragen könnend, dass ich deswegen aufgezogen wurde, hast du die Aufmerksamkeit der anderen auf dich gezogen. Um allen zu beweisen, wie stark du bist. Deswegen hasst du mich auch, nicht wahr?   Denn während du Tag für Tag meine Peiniger in Schach gehalten hast, habe ich mich mit anderen Mädchen anfreunden können. Bis zu dem Zeitpunkt, als ich deine Hilfe nicht mehr brauchte, weil es niemanden mehr gab, der auf mich herabsah. Wir beide hatten bis dato nie auch nur ein Wort miteinander gewechselt, manchmal glaubte ich, du hast dich wirklich nur des Spaßes wegen geprügelt. In deinen Augen habe ich nie existiert, sondern nur der Sachverhalt. Dachte ich. Aber ich habe nicht realisiert, dass es deine Art gewesen ist, mit mir eine Freundschaft schließen zu wollen. Und als die Basis, auf der sie beruhen sollte, fort war … warst auch du fort. Das begreifend, habe ich es gewagt, dich anzusprechen. Dir zu danken und dir meine Freundschaft anzubieten. Aber du hast mich abgewiesen und seitdem war ich immer deine Erzrivalin. Ich verstand nicht, warum du das getan hast. Welchen Fehler ich begangen habe, um mir deine Feindseligkeit zu verdienen. Und du hast es bestimmt vergessen, weil es so lange her ist. Oder verdrängt. Ich kenne schließlich keinen Menschen, der so nachtragend ist wie du, selbst wenn es nur um Trivialitäten geht. Diese Feindseligkeit hat viele Jahre später dazu geführt, dass du vor meinen Augen die mir wichtigste Person umgebracht hast. Zumindest wollte ich das glauben, deinem miesen Charakter die Schuld geben. Aber du hast es nicht getan, weil du es wolltest, nicht wahr? Sondern weil du verletzt warst, da auch du Marc sehr geliebt haben musst. Und wenn ich jetzt ehrlich bin, hätte ich an deiner Stelle genauso gehandelt. Aus Angst zu sterben. Aber welche Ängste musst du Tag für Tag durchlebt haben, seit du den Pakt mit Levrier geformt hast?   Valerie senkte ihren Kopf und betrachtete ihre Hand.   So sehr ich dich versuche zu hassen für all deine Fehler, deine Taten und deine Respektlosigkeit gegenüber anderen, kann ich diesen letzten Angriff nicht mehr durchführen. Weil es teilweise meine Schuld ist, dass du so geworden bist. Hätte ich damals den Mut gehabt mit dir zu reden, dir rechtzeitig zu danken, wären wir vielleicht Freundinnen geworden. Ich hätte dich davor bewahren können, die Außenseiterin zu werden, die du jetzt bist. Und davor, jetzt aus Angst deine Kraft zu beziehen. Stattdessen habe ich in deinem Schatten gelebt, der mich vor der glühenden Sonne beschützt hat, damit ich die angenehmen, warmen Strahlen genießen konnte. Und während du über all die Jahre bis zum heutigen Zeitpunkt so furchtbar nervtötend warst …   „... war ich immer nur neidisch auf dich.“ „Huh?“ Anya blinzelte verdutzt. „Was geht denn bei dir ab, Redfield? Bist du zu feige, es zu einem Ende zu bringen!?“ Valerie sah Anya mit forschender Mimik an. „Was lässt dich das glauben?“ „Du siehst aus, als ob du gleich losflennst.“ Anya zuckte genervt stöhnend mit den Schultern. „Aber fein, ich akzeptiere meine Niederlage, wenn's denn unbedingt sein muss! Mach endlich, ich habe mich sowieso längst damit abgefunden, in diesem Limbus-Ding zu verrecken!“ Was tatsächlich alles andere als der Wahrheit entsprach. Aber die Blöße wollte Anya sich nicht geben, nicht vor Valerie Redfield, die dafür verantwortlich sein würde! Andererseits hätte es auch einen Vorteil, jetzt zu verlieren. Nur einen einzigen, das Ende der Lüge …   Neidisch, weil du trotz der Steine, die du dir selber in den Weg legst, daraus immer eine Straße geschaffen hast. Weil deine Kraft schier unbegrenzt scheint, wenn es darum geht, deinen Willen durchzusetzen. Aber heißt das nicht auch, dass deine Angst so groß ist? Du hast wirklich vergessen, was damals zwischen uns geschehen ist, nicht wahr? Du bist einfach weitergegangen, ohne je zurück zu sehen. Geblieben ist nur der Groll selbst, an dessen Ursprung du dich nicht mehr erinnern kannst. Ich aber nicht, Anya, ich habe es nicht vergessen. Und ich will immer noch deine Freundin sein. Um meine Schuld bei dir zu begleichen und meine Sünden wieder gut zu machen. Joan hatte die ganze Zeit recht. Meine Rache war nur eine Entschuldigung, um den vielen schwereren Konflikten aus dem Weg zu gehen. Du hast meinen Verlobten getötet, aber du warst es nicht, die diesen Kampf angezettelt hat. Ich hätte eingreifen müssen, als Marc sich verändert hat. Du bist letztlich nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Also … vielleicht können wir wirklich noch Freundinnen werden, egal was in letzter Zeit zwischen uns geschehen ist. Wenn du ebenfalls aufhörst, vor deinen inneren Konflikten davon zu rennen.   Valerie hob den Arm an.   Aber noch nicht jetzt. Nicht heute. Wir sind beide noch nicht bereit dazu. Erst musst du zurückbekommen, was du damals verloren hast. Etwas, das dir vielleicht schon gefehlt hat, bevor Levrier in dein Leben trat, gar bevor wir uns kennengelernt hatten. Was das ist, weiß ich nicht. Dabei helfen, es zurückzubekommen, kann ich auch nicht. Das Teil des Puzzles, das dir fehlt, kannst du nur in dir selber finden. Zumindest möchte ich das glauben. Und ich möchte glauben, dass du es ernst meinst. Uns nicht für deine eigenen Zwecke opfern willst. Joan hat an dich geglaubt. Also werde ich es auch tun. Auch wenn es mir sehr schwer fällt. Dafür brauche ich Zeit. Was ich jetzt weiß ist, dass Anya Bauer, du, menschlicher bist als man es dir jemals zutrauen würde. Aber solange du das selber nicht erkennst, müssen wir Rivalinnen bleiben. Damit du weitergehen kannst, bis du weißt, wohin die Reise führen soll.   „Ich gebe auf“, verkündete Valerie mit erhobenem Haupt. „Wie jetzt!?“, schoss es aus Anya heraus. „Hast du etwa deine Tage, Redfield!? 'nen Football an den Kopf bekommen – ich war's nicht! Leider … ! Was soll der Kackmist auf einmal!?“ „Mir hätte klar sein müssen, dass die Chancen dieses Duells völlig unausgeglichen waren. Joan allein ist stärker als ihr beide zusammen gewesen.“ Die Schwarzhaarige drehte ihrer Gegnerin den Rücken zu. „So ehrlos zu gewinnen ist nicht mein Stil. Schließlich habe ich Joans Kraft, aber du?“   Und schlimmer, ich bin verantwortlich dafür, dass sie nun fort ist. Ich habe sie dazu breitgeschlagen mir zu helfen. Das auf dich abzuwälzen wäre ungerecht. Für meinen Durst nach Rache wurde ich schwer bestraft und ich denke, meine Lektion habe ich gelernt. Für dieses eine Mal … lasse ich es gut sein, Anya. Aber wenn dies nicht noch einmal geschehen soll, musst du mir beweisen, dass du nicht so niederträchtig bist, wie es im Moment den Anschein hat.   [Anya: 800LP //// Valerie: 2900LP → 0LP] Anya lief rot an. Vor Wut. Rasender, unbändiger Anya Bauer-Premiumwut. „Tickst du noch ganz sauber!? Ich brauche deine Gnade nicht, du dämliches Miststück! Wir setzen das hier fort, klar!? Einer gegen einen, damit wir sehen, wer wirklich die Hosen anhat!“ „Kein Interesse“, winkte Valerie ab, drehte ihr den Rücken zu. Mit dem Anflug eines herausfordernden Lächelns. „Überlebe erstmal den morgigen Tag, dann können wir darüber reden, dies hier zu wiederholen.“ Auch wenn ich nicht weiß, wie ich dir dabei helfen soll.   „H-heißt das, du willst mir-!?“ Anya verstand die Welt nicht mehr. „Redfield, du hast deine Tage, oder!? Bist du so ausgelaufen, dass dein Hirn unterversorgt ist!? Die ganze Zeit redest du davon, mich zu-“ Weiter kam sie jedoch nicht. Plötzlich fing das Elysion an zu erbeben. Die beiden Elysien, die miteinander verbunden waren, begannen sich von einander zu trennen und wegzubewegen. Über die Schulter sah Valerie ein letztes Mal zu Anya herüber, die ihr ganz verdattert nachschaute. „Doch Anya, du brauchst meine Gnade.“ „Du elende-!“ Ehe Anya jedoch weitere wüste Beschimpfungen von sich geben konnte, zerbrachen beide Elysien gleichzeitig. Die Mädchen fielen in die tiefe Dunkelheit und drifteten soweit auseinander, dass sie letztlich aus dem Blickfeld der jeweils anderen verschwanden.   ~-~-~   Mit einem Satz richtete die Blondine sich keuchend auf. Sie war hellwach und fasste sich an die Stirn. „Verdammter Mist, wieso gerade jetzt!?“ Plötzlich spürte sie, wie etwas auf ihre Oberschenkel sprang. „Mon Amour! Wir haben überlebt, wir haben überlebt!“, trötete Orion mit strahlenden Augen und kuschelte sich an Anyas Bauch. Und wurde infolge dessen mit einem wütenden Aufschrei durch den Flur geworfen. „Finger weg, du notgeiler Scheißhaufen!“, keifte Anya und sah Orion hinterher, der gegen die Tür am Ende des Flurs knallte. Sie blinzelte zweimal verdutzt. „Oh, jetzt wo du's sagst, du lebst noch?“ „I-ich weiß zwar nicht, was du damit meinst, aber die Chancen stehen gut, dass er es jetzt nicht mehr tut.“ Anya sah zur Seite und bemerkte, dass auch Nick und eine um Orion besorgte Abby da waren und neben ihr knieten. Ihre Freundin betrachtete sie kritisch. „Wieso sollte Orion tot sein? Wobei ich ja zugeben muss, dass ich mich ganz schön erschrocken habe, als er plötzlich einfach auf dir drauf lag.“ „Wieso darf Orion -da- liegen und ich nicht?“, jammerte Nick weinerlich. Anyas Blick verfinsterte sich. „... wo genau?“ „... sie ist weg.“   Die Drei drehten sich überrascht zur Tür um, wo auch Valerie wieder zu Bewusstsein gekommen war. Die betrachtete ihren Arm betrübt, das mit ihrem verblassten, blauen Mal versehen war. „Joan ist fort.“ „Tch, komm drüber hinweg. Die wichtigere Frage ist doch, warum die Pornozwiebel noch da ist!“ Mit einem Satz sprang Anya auf und schritt auf Valerie zu, starrte feindselig auf sie herab. „Wir haben immer noch nicht geklärt, was das eben sollte!“ Das gesagt, reichte die Blondine ihrer Erzrivalin plötzlich die Hand. Valerie, die so eine Geste ausgerechnet von einer Anya Bauer nie erwartet hätte, griff zu, solange das Angebot stand und ließ sich aufhelfen. Wenn auch die Befürchtung vorhanden war, auf halbem Weg nach oben aus purer Boshaftigkeit wieder losgelassen zu werden – was Anya anscheinend nicht in den Sinn gekommen war. „Also“, dröhnte ihr Gegenüber maulig, „wieso hast du-“   Anya wurde jedoch vorzeitig unterbrochen, als es unerwartet an der Tür klingelte. „Wer ist das?“, wunderte sich Abby und nahm eine lockere Haltung an. Sie hatte fast befürchtet, dass Anya Valerie jeden Moment 'eine reinwürgen' würde, um es mit Anyas Sprache auszudrücken. „Vielleicht Anyas Mum? Wer weiß, wo sie sich herumgetrieben hat, die olle Milf“, gluckste Nick und bekam umgehend eine Kostprobe davon, wie Abby mit ihrer Hacke versuchte, anderer Leute Zehen zu brechen. „Sei nicht so respektlos, Nick!“ „AU! Heute ist echt verdrehte Welt. Anya ist nett-“ Der Todesblick ließ Nick jedoch sofort verstummen. „Nicht-die-vier-Buchstaben! … und danke, Abby. Den Move muss ich mir merken.“ Jene legte spaßeshalber ihre flache Hand an die Schläfe. „Immer zu Diensten, Sir!“ Als es schließlich nochmal klingelte, trat Anya zur Tür und nahm den Griff in die Hand. „Als ob meine Mum klingeln würde! Und was soll das heißen, 'Milf'!?“ „Es ist bestimmt Marc“, meinte Valerie mit abgewandtem Blick, „man muss kein Genie sein um zu erahnen, wo ich um diese Uhrzeit groß sein könnte …“ „Tch! Wer immer es ist, wird es bereuen, so spät noch zu stören“, zischte Anya wütend und riss die Haustür auf. „Ich kaufe nichts von Pe-“   „Anya Bauer?“, fragte eine junge Frau in dunkelblauer Uniform. Hinter ihr stand ein etwas größerer, dunkelhaariger Mann, ebenfalls uniformiert. Die Polizei. Anya blieben die Worte im Halse stecken. Sie nickte nur knapp. „Wir haben vor etwa einer Stunde einen Anruf erhalten“, sprach die rothaarige Polizistin mit ernster Stimme weiter. Dem Mädchen sackte das Herz in die Hose. Ihre Mutter war noch nicht zurück, obwohl es schon nach 10 Uhr war. So spät war sie noch nie auf der Arbeit geblieben! Kein Unfall! Lass es kein Unfall sein!   Mit einer unbeholfenen Geste lud Anya die beiden ein, doch die Frau schüttelte den Kopf. „Anya Bauer, gegen Sie liegt aufgrund des Verdachts der mehrfachen Brandstiftung ein Haftbefehl vor. Wir bitten Sie, friedlich …“   Doch Anya hörte nicht mehr hin, wie die Polizistin ihre Standardphrasen herunter leierte. Haftbefehl? Gegen sie!? Brandstiftung!? Das war doch völliger Schwachsinn, sie hatte nie-!   Irritiert wandte sie sich zu den anderen um, die nicht weniger erschrocken im Flur warteten. Der Brand im Park! Das … die dachten, das war ihre Schuld! Aber wieso jetzt auf einmal!? Die Polizistin packte Anya am Arm. „Kommen Sie bitte mit uns. Und keine Gegenwehr. Ich kenne Ihre Akte und möchte Sie ungern unter Anwendung von Gewalt abführen.“ Anya nickte betreten, ihr Kopf wollte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Dabei war die Situation an sich nichts Neues für sie. Aber dieses Mal war es anders. Sie hatte Angst. Der Turm von Neo Babylon würde bald erscheinen, es war keine Zeit, jetzt in einer Zelle zu versauern! Aber wie sollte sie das verhindern!? Levrier war fort! Und mit ihm die Kontrolle über ihre Kräfte, das wusste Anya genau. Und wenn sie sich jetzt mit diesen Typen anlegte, würde das alles nur viel schlimmer machen. Die hatten Waffen! Sie drehte sich um, als die beiden Polizisten sie flankierten und zu ihrem Wagen führten. Ihr flehender Blick half jedoch nichts, keiner ihrer Freunde sagte auch nur ein Wort, wagte es nicht, etwas gegen die Verhaftung zu unternehmen. „Kümmert euch um das Haus, 'kay?“, war der wohl absurdeste Gedanke, den sie fassen und auch formulieren konnte. Dann wurde sie am Kopf gepackt und auf die Rückbank des Streifenwagens gezwängt.   Valerie hatte doch wahr gemacht, was sie angekündigt hatte …     Turn 31 – November 11th Noch fassungslos von den jüngsten Ereignissen, wird Anya in eine Zelle des Police Departements gesperrt und damit konfrontiert, so kurz vor dem Ziel gescheitert zu sein. Derweil erfahren Abby und Nick, wer wirklich hinter dem Anruf steckt. Woraufhin sie verzweifelt zum Police Departement eilen, um Anya zu befreien. Gleichzeitig beginnen sich die Vorgänge rund um den Turm von Neo Babylon endlich in Gang zu setzen. Und als es scheinbar keinen Ausweg mehr gibt, unternehmen die beiden einen verzweifelten Versuch, die Dinge zu richten – mit fatalen Folgen. Kapitel 31: Turn 31 - November 11th ----------------------------------- Turn 31 – November 11th     Antriebslos, ja fast schon müde betrachtete Anya ihre Hände, die kurz zuvor noch in Handschellen gesteckt hatten. Die Polizisten hatten ihr alles genommen. Taschenmesser, Feuerzeug, das Messer unter ihrer Schuhsohle, gar die versteckten Haarklammern. Mittlerweile kannten sie sie wohl einfach zu gut. Eins stand fest: sie würde die kleine Zelle nicht verlassen können. Nicht ohne Hilfe. Aber wer konnte ihr jetzt schon helfen? Levrier? Der war irgendwo, nur nicht hier. Die anderen? Bedingt. Vielleicht konnte Abby etwas erreichen, aber sie war zu umständlich, als dass Anya sich in so etwas auf sie verlassen konnte. Matt? Solange der nichts davon erfuhr, würde er nichts tun können – und selbst wenn, das Narbengesicht würde ihr garantiert in den Rücken fallen. Und Redfield? Die hatte sie doch erst in diese Lage gebracht!   Anya war nie pessimistisch gewesen. Aber dieses Mal wusste sie, dass ihre Chancen äußerst schlecht standen, hier rechtzeitig herauszukommen. Ein Blick auf die kreisrunde Uhr neben dem hoch angelegten, kleinen Gitterfenster auf dem Gang gegenüber ihrer Zelle verriet Anya, dass es bereits kurz nach 11 Uhr war. Und sie spürte eine fremdartige Anspannung, schon seit einer Weile. Ihr Körper wusste, dass der Turm von Neo Babylon jeden Moment kommen würde. War das letztlich der Grund für Levriers plötzliches Verschwinden? Sie betrachtete ihr Mal. Es war noch da, mit ihm der Pakt. Nur seine Kräfte, die hatte er mitgenommen. Ansonsten hatte sich nichts geändert. Gar nichts. Anya lachte bitter auf. Das hatten die beim ziemlich kurzen Verhör auch gesagt. Hoffnungsloser Fall, so hatten sie sie tituliert. Verdammt richtig! Nur in diesem Fall … würde sie ihr Ding diesmal nicht durchziehen können, wenn das so weiterging. Das Mädchen verstand selbst nicht, warum sie so niedergeschlagen war. Vielleicht weil sie tief in ihr wusste, dass sie bekommen hatte, was sie verdiente? Wie würde Abby es nennen, Karma? Für alle anderen war es das Beste so, dessen war sie sich bewusst. „Tch …“ Nachdenklich blickte sie durch das Fenster. Diese bekloppte Pritsche war immer noch hart, ihr tat schon der Allerwerteste weh. Zumindest war sie allein, die anderen Zellen leer. Jetzt noch irgendwelche Drogensuchtis heulen zu hören wäre zu viel für sie. Allerdings blieb die Frage, was ihr „Ding“ überhaupt war … und ob sie es wirklich durchziehen wollte …   ~-~-~   Die drei jungen Menschen, die am Küchentisch der Familie Bauer saßen, tauschten Blicke voller Ratlosigkeit und Entsetzen aus. Kaum war Anya weg, hatten sie sich darauf geeinigt, dass sie schnell handeln mussten. Und sie brauchten einen Plan. „Ich habe das nicht getan“, schwor Valerie bereits zu dritten Male. „Wir glauben dir doch“, versuchte Abby sie zu beruhigen. Valerie wusste nicht mehr, was sie denken oder fühlen sollte. Auf der einen Seite hatte sie zugelassen, Anya näher zu kommen, konnte zum ersten Mal über ihre abscheuliche Tat hinaus das Mädchen sehen, das jetzt dringend ihre Hilfe brauchte. Andererseits war sie niemand, der je ohne Zweifel war – Anya stellte nach wie vor ein nicht zu verachtendes Risiko dar. Deren Festnahme war für ihr persönliches Glück mit Marc sozusagen das Beste, was hätte passieren können. Aber ein Teil von ihr hatte Anya verziehen und wollte ihr helfen. Was sollte sie tun, für welche Seite sollte sie sich entscheiden? Joan … ihr Pakt war ungebrochen. Sie existierte noch irgendwo da draußen. Was würde sie ihr raten?   „Wenn Levrier, warum auch immer, inaktiv ist, dann kann Anya ohne Hilfe nicht entkommen“, grübelte Abby und wiederholte sich damit ebenfalls. Sie sorgte sich fürchterlich um das Wohl ihrer Freundin. Die Dinge hatten sich so plötzlich überschlagen, dass es ihr schwer fiel, den Überblick zu wahren. Erst Valeries Ausbruch und nun eine gefangene Anya, gepaart mit Orions Zweifeln bezüglich Joans Ambitionen. Auch jetzt ließ der Schattengeist nicht davon ab. Dennoch, egal wie sie zu Anya standen, wichtig war, jene erstmal zu befreien.   „Dann bist nur noch du übrig“, sprach Nick und sah den Schattengeist nachdenklich an, piekte ihn mit dem Zeigefinger in den Bauch. Ihm war nicht danach, seine Rolle zu spielen. Nicht jetzt, wo Anya im Knast saß und auf ihre Hilfe hoffte. Wie sonst sollte man ihre letzten Worte an sie interpretieren, bevor sie abgeführt wurde? Es war schon schlimm genug, zu der Erkenntnis gelangt zu sein, dass er Anya von ihrem schrecklichen Los nicht befreien konnte. Und dass alles, was er im Grunde für sie tun konnte … nicht richtig, gar gefährlich war. Über die Bedrohung Edens konnte er zwar hinwegsehen, wenn es hieße, Anyas Zukunft etwas leichter zu gestalten. Aber helfen konnte er ihr bei der Erfüllung ihres Plans nicht. Er war ein Versager, nicht mehr. Im Grunde gehörte er eingesperrt und nicht sie! Die Zelle war für Anya immer die Endstation gewesen, denn es war ihr nie gelungen, von dort auszubrechen, egal was sie hatte hinein schmuggeln können. Und die Polizisten wurden nicht dümmer, leider.   „Ohne Levrier sitzt sie in der Patsche“, gluckste er halbherzig, „sie hat einfach zu viel gekokelt.“ Vor Valerie musste er die Maske aber anbehalten – auch wenn sie ihn vermutlich schon lange durchschaut hatte. Es war egal. Die einzigen Menschen, die er an der Nase herumführen musste, waren Anya und seine ignoranten Eltern. Der Rest war ihm, zumindest in diesem Augenblick, gleich. „Aber der Nickinator wird sie da rausholen, hehe.“ Und wie er das würde!   „E-es tut mir leid“, jammerte Orion, der sich in der Mitte des runden Tisches wiederfand. Umzingelt von vier Brüsten – okay, drei, Abbys flache Dinge gingen als eine durch – und einem Idioten. Und alle starrten ihn feindselig an. „Ich musste doch etwas tun! Gegen Joan und diese dumme Tsun ohne Dere! Niemand darf Val-chan etwas tun, es ist doch meine Pflicht, sie zu verteidigen!“ Symbolisch streckte er die Stummelärmchen vor ihr aus. Er tat nur, was der Chef ihm aufgetragen hatte – Valerie bewachen. Es war schon schlimm genug, dass er seine Pflichten vernachlässigte, um hin und wieder mit Nick abzuhängen, aber hier ging es um so viel mehr! Deshalb hatte er sogar einen anonymen Hinweis an die Polizei von -ihm- abgeben lassen, wer für die Brände in den letzten Wochen verantwortlich war. Völlig egal, ob sie Anya etwas nachweisen konnten – sie würde den Tag nicht mehr erleben, an dem über so etwas Banales entschieden wurde. Nur darauf kam es Orion an.   „Ich würde gerne wissen, warum du Joan so sehr hasst“, sagte Valerie enttäuscht und erhob sich schließlich. „Auch wenn ich mir sicher bin, dass dir verboten wurde, darüber zu sprechen. Im Endeffekt ist es ohnehin zweitrangig und muss warten. Abby, Nick.“ Die beiden sahen beim Klang ihres Namens überrascht auf. „Ich habe mich entschieden. Anya hat noch eine Chance verdient. Ich werde ihr helfen und in den Turm gehen. Irgendjemand muss dort oben aufpassen, dass alles mit rechten Dingen zugeht – und ich denke, ich bin die Einzige, die dafür infrage kommt.“ „Und was hast du jetzt vor?“, fragte Abby, die ihre Erleichterung über Valeries Entscheidung in Form eines Lächelns nicht verbergen konnte. „Mein Vater. Vielleicht kann er etwas erreichen, er ist immerhin der Bürgermeister. Das Problem ist bloß, dass er gerade auf einer Geschäftsreise ist. Die Nummer und den Namen vom Hotel habe ich nicht hier, deswegen muss ich nachhause.“ „Ruf doch zuhause an und frag einen Angestellten danach. Oder Marc?“, schlug Abby vor. Plötzlich verfinsterte sich Valeries Gesichtsausdruck. „Geht nicht. Wir haben kein Personal, ausgenommen einem Gärtner und Marc dürfte längst im Bett sein. Wie ich ihn kenne, hat er sein Handy ausgeschaltet. Ich werde wohl oder übel nachhause müssen.“ Ihr Ausdruck gewann wieder etwas Freundliches. „Keine Sorge, ich beeile mich. Versprochen.“ Abby nickte zögerlich. „O-okay.“ „Und was macht ihr?“ Auch das Hippiemädchen erhob sich nun langsam und nahm ihre getönte Brille ab. „Wir werden direkt zur Polizeistation fahren. Vielleicht schenkt man uns Gehör.“ Plötzlich öffnete sie ihre Augen, in denen die Iriden ein grelles Rosa annahmen. „Jedenfalls wäre das wünschenswert für alle Beteiligten.“ Valerie schreckte zurück, doch als sie genauer hinsah, hatten Abbys Augen längst wieder ihre alte Farbe angenommen. Das musste wohl ihre Einbildung gewesen sein. „O-okay. Also los, gehen wir!“   Das gesagt, begaben sie sich zusammen vor die Haustür der Familie Bauer und schritten über den kleinen Weg herüber zur Gartentür. „Ich hab kein gutes Gefühl bei der Sache“, gab Abby zu bedenken. „Ist bestimmt nur Hunger“, gluckste Nick und zwinkerte ihr zu. „Also gut, hier trennen sich unsere Wege“, meinte Valerie, als sie auf dem Bürgersteig ankamen. Sie musste nach links, während Abby und Nick die Straße in die andere Richtung nehmen mussten. Ohne viele Worte zu verlieren, lief sie los und rief: „Viel Glück euch beiden.“ Und kaum war sie außer Hörweite, verschwand Nicks dummes Grinsen. „Da ist doch was faul.“ „Ich glaube auch. Aber um Valeries Alleingänge können wir uns jetzt nicht kümmern, Nick.“ Er sah seine Freundin nachdenklich an, als sie einen Schritt nach vorn nahm, seinen Blick mied. „Willst du wirklich so weit gehen? Deine Kräfte benutzen?“ „Ja. Wenn es sein muss, ja.“ Sie wirbelte mit feurigem Blick um. „Ich habe keine Angst mehr vor ihnen! Und wenn sie mir dabei helfen, euch zu beschützen, dann nutze ich sie auch!“ Was den hochgewachsenen Kerl zum Schmunzeln brachte. „Ich kann nicht sagen, dass ich mich gerne mit Cops anlege, wenn sie mir direkt gegenüberstehen. Aber wenn ich auch nur dein Köder sein kann, dann benutz' mich nach Herzenslust.“ „W-wer sagt denn was von Köder!?“, sprudelte es aus Abby heraus, die spürte, wie sie rot anlief. „W-wir klären das in einem Gespräch, klar!? Und jetzt los, wir haben's eilig!“   ~-~-~   „Das wäre die Letzte“, murmelte Matt und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Drei Kisten hatte er zusammen mit Alastair im Schutze der Nacht in den alten VW-Bus geladen, der neben ihrem Motel parkte. „Nun müssen wir nur noch auf das große Event warten.“ Er drehte sich mit ernstem Blick zu seinem Freund herum, der mit verschränkten Armen in den Himmel starrte. „Ich hoffe, du kneifst nicht in letzter Sekunde.“ „Ich habe es dir versprochen, Matt. Dass wir das bis zum Ende durchstehen und diesem perfiden Spiel ein Ende setzen. Dir und Refiel. Aber wisse, wenn Anya Bauer auch nur versucht-“ „Ja, ich weiß“, stöhnte Matt, trat an Alastair heran und schlug ihm kräftig auf die Schulter. „Erspar' mir die Details mit dem, was du aus ihr machst. Ehrlich, langsam glaub ich, du bist ihr verlorener Zwillingsbruder, was eure Fantasie angeht.“ Der Mann im roten Mantel schnaubte nur.   Wow, das große Finale, die letzte Schlacht, das entscheidende Gefecht. It's the final countdown, dududuuuuuuu~   „Alastair, jag mir bitte eine Kugel in den Schädel, wenn der Plagegeist in meinem Kopf immer noch da ist, sobald wir hiermit durch sind“, stöhnte Matt genervt. Er musste wirklich darauf achten, das Übel nicht beim Namen zu nennen. Wenn Alastair erfuhr, wer sein Paktpartner war, würde er eigenhändig die Pforten der Hölle aufreißen, um sie beide dorthin zu verfrachten, so viel stand fest. Von Another würde Matt ihm erst erzählen, wenn ihr gemeinsamer Pakt durch Erfolg gekrönt aufgelöst wurde. Zwar würde Alastair ihm dann dennoch an die Gurgel gehen, aber zumindest wäre die Edensache bis dahin geklärt. Aber Matt musste insgeheim zugeben, dass er selbst zweifelte. Würde alles glatt gehen? Nein, irgendwas war da. Irgendwas würde sie dort erwarten, mit dem nicht zu spaßen war. So war es immer. Er hasste dieses blöde Gefühl im Bauch.   Jetzt kommt es drauf an, Menschlein. Von diesem Turm soll nichts mehr übrig bleiben, hast du das verstanden? Ich bezahle meine Putzfrauen schließlich nur, wenn sie ihren Job gut erledigen.   „Schon klar“, brummte Matt. Warum Another den Turm unbedingt zerstören wollte, hatte der Dämonenjäger selbst jetzt nicht in Erfahrung bringen können. Und das beunruhigte ihn zunehmend. Viel mehr als die kleinen Steinchen vor seinen Füßen, die unruhig auf dem Boden zu vibrieren begannen.   ~-~-~   Henry warf einen traurigen Blick herüber zu seiner Schwester. Sie war immer noch blass, aber immerhin bei Bewusstsein. Beide saßen sie in einem Auto, er am Steuer, sie auf dem Beifahrersitz. Müde lehnte sie ihren Kopf gegen die Scheibe und starrte von der Straße hinweg über das weite Footballfeld herüber zur Livington High, die sich ihr in der Ferne kaum erschloss. „Wir haben das jetzt lange genug durchgekaut“, sagte Henry streng. „Du bleibst hier. Ich gehe an deiner Stelle.“ „Aber ich bin die aktuelle Paktträgerin von Isfanel“, sagte sie, ohne sich ihm zuzuwenden. „Ich muss es tun.“ „An diesem Punkt spielt es keine Rolle mehr, wer wer oder was ist.“ Henry strich Melinda sanft über das schulterlange, braune Haar, das in einer Welle endete. „Ich werde dafür sorgen, dass du nie wieder leiden musst. Das habe ich dir versprochen.“ Die Erde begann leicht zu erzittern.   ~-~-~   Valerie fasste sich mit geweiteten Augen an die Brust, sank auf ihr Bett. Die Hände aus Entsetzen vor den Mund geschlagen. Völlig vergessen war ihre Absicht, ihren Vater anzurufen. Das konnte nicht wahr sein, es durfte nicht! Wie hatte er- wie hatte er das bloß erfahren!? „Du dachtest, du könntest alleine dort hoch gehen, habe ich recht?“ Marc stemmte voller Unverständnis die Hände in die Hüfte. „Ich weiß, dass du Angst um mich hast. Aber ich werde dich dort nicht alleine hingehen lassen. Nicht in diesen Turm. Isfanel hat mir gesagt, dass niemand ihn jemals betreten sollte. Schon gar nicht Zeugen der Konzeption – wir, du!“ „Deswegen- deswegen will ich doch allein gehen!“, sagte sie mit Tränen in den Augen und sah flehend zu ihm auf. „Verstehst du das nicht!?“ Wie hatte er nur sein Gedächtnis zurückbekommen!? Wieso!? „Was ich getan habe, ist unentschuldbar, Valerie. Wenn jemand allein gehen müsste, dann ich. Aber wir beide wollen Anya retten, oder nicht? Dann müssen wir beide gehen!“ Er reichte ihr die Hand lächelnd entgegen. „Also bitte! Ich weiß nicht, wie ich überlebt habe, aber das ist meine Chance, das alles wieder gut zu machen.“ Also wusste er noch nicht alles? Dass der Sammler ihn zurückgeholt hatte? Valerie nahm seine Hand. „Es tut mir leid, Marc. Wenn keiner von uns den anderen gehen lässt, dann-“ Ein lautes Donnern erschrak beide zutiefst.   ~-~-~   Mit kleinen Tränchen in den Augen saß Orion in der Mitte des runden Tisches. Sie waren einfach gegangen, ohne ihn weiter zu beachten. Nicht einmal geschimpft hatten sie mit ihm. Und keiner wollte verstehen. Aber wie auch, wenn sie -es- nicht wussten? Orion legte seine kleinen Stummelhändchen auf den Zwiebelkopf. Sollte er die Anweisungen des Chefs ignorieren und sich in die Eden-Sache noch weiter einmischen, oder abwarten? Auf jeden Fall musste er zu Valerie! Und- „Ich muss sie warnen!“, entschied er und sprang kurzerhand vom Tisch. So schnell es ihm seine kleinen Beinchen erlaubten, rannte er in den Flur und zur Haustür, die er mit einem Sprung an die Klinke öffnete. Egal was der Sammler wollte, Orion konnte Valerie doch nicht in die Hände dieser Monster geben, auf keinen Fall. Und so rannte er über den Garten hinaus auf die Straße und sah sich hastig um. Obwohl er Valerie bereits so viel über Eden verraten hatte, wollte sie dennoch in den Turm! Er kannte sie gut genug, um das zu wissen. Wieso war sie nur so stur!? Was hatte diese Joan getan, um so überzeugend zu wirken!? Wieso wusste keiner von ihnen, dass-!?   Plötzlich erbebte die Erde und Orion fiel auf sein Hinterteil. Und seine Augen weiteten sich beim Anblick dessen, was sich in weiter Ferne abspielte. Der Himmel, voller grauer Wolken, Blitze schlugen in ihnen umher wie Schlangen. Doch ehe Orion sich aufrappeln konnte, fiel plötzlich von hinten ein grelles Licht auf ihn. Mit Schrecken in den Augen wandte er sich um. Man hörte nur noch das Quietschen von Reifen.   ~-~-~   Kaum noch zwei Straßen von der Polizeistation entfernt, blieben Nick und Abby entsetzt mitten auf dem Bürgersteig stehen. „Das kann nicht-!“ Abby nahm sogar die Brille ab. „Der Himmel …“ Auch sie war überrumpelt von den grauen Wolken, die über Livington gezogen waren. Nick legte ihr die Hand auf die Schulter. „Merk dir diesen Anblick. So etwas wirst du vielleicht nie wieder sehen.“ Er deutete mit der anderen Hand auf den einzigen Fleck am Himmel, der vollkommen frei von Wolken war. Wie das Auge des Sturms wirkte er, mit dem klaren Sternenhimmel. Doch was Nick wirklich meinte, waren die flackernden Lichter, die in regelmäßigen Abständen von oben nach unten einfach da waren, aus dem Nichts erschienen. Zu undeutlich jedoch, um etwas daraus zu identifizieren.   Plötzlich erklang ohrenbetäubendes Getöse, ein heftiger Wind schlug ihnen entgegen. Nick konnte nur noch erkennen, wie Lichtsäulen, hoch wie Wolkenkratzer von verschieden Punkten der Stadt in die Höhe schossen. Er erkannte eine rote und eine grüne. „Nick, wir müssen uns beeilen!“, rief Abby angestrengt und stieß im Anschluss einen spitzen Schrei aus. Neben ihnen hatte es laut gekracht. Ein Autofahrer, der dem ebenfalls zugesehen hatte, war mit seinem Wagen gegen eine Laterne gefahren. Wankend stieg er aus dem roten Mercedes und betrachtete fassungslos das Geschehen. „Ja, schnell!“, meinte Nick, der froh war, nicht auch noch Ersthelfer spielen zu müssen.   ~-~-~   Anya presste sich die Hände auf die Ohren, doch es brachte nichts. Sie stöhnte vor Schmerz auf, aber das grässliche Geläute dieser Glocken wollte nicht aus ihrem Schädel weichen. Wie ein ängstliches Kind hatte sie sich in die hinterste Ecke der Zelle zurückgezogen. Mit den Beinen angewinkelt am Körper, hielt sie die Augen fest geschlossen. Doch auch so sah sie es, warum auch immer.   Ihre Schule. Die Aula. Der graue Himmel, nur an einem Fleck klar. Alles gleichzeitig, sie konnte sich nicht auf eines der Bilder konzentrieren, sie waren alle in ihrem Kopf. Weitflächige Kreise bildeten sich in großer Höhe über der Schule von oben nach unten herab und auf etwa alle zwei Meter entstand ein neuer. In ihrem Umfang wurden sie immer weiter, dabei zierten unzählige Zeichen und Symbole ihr Inneres. Es wäre ein Fest für jeden Okkultisten. Jeder Kreis hatte eine der Farben braun, rot, weiß, gelb, blau, grün oder violett. Immer abwechselnd. Es war, als würden diese Kreise mitten in der Luft ein Gebilde erzeugen wollen. Und als Anya sah, wo der letzte Kreis entstand, ahnte sie bereits, was geschehen würde. Denn der letzte Zirkel, bestehend aus allen vorhergegangenen Farben, umschloss beinahe das gesamte Schulgelände. Von seinem Ursprung schossen fünf Linien in verschiedenen Farben in fünf verschiedene Richtungen über den Erdboden, durch die ganze Stadt. Die Kanalisation, Victim's Sanctuary, die Straße am Waldrand, der Park – und vor dem Garten der Familie Bauer. Anya öffnete erschrocken die Augen, gleichzeitig die ganze Stadt und die Zelle vor sich. „Mum, geh da weg!“, schrie sie aufgebracht.   Da war sie, ihre Mutter und stieg verwirrt aus dem Wagen, den sie vor ihrem Grundstück parkte. Sie schritt verwirrt zu der Vorderseite des Autos, betrachtete irritiert die Reifen. Und dann geschah es schon. Anya wurde die Sicht des Geschehens an diesem Ort genommen durch eine riesige, violette Lichtsäule, die aus dem Boden schoss. Dort, wo ihre Mutter eben gewesen war! „Mum!“ Aber nicht nur dort, es war dasselbe bei allen anderen Orten, an denen ein Pakt geformt worden war. Eine blaue Säule in Victim's Sanctuary, eine rote im Park, grün für die Kanalisation und gelb am Waldrand. Alle schossen sie zeitgleich in dem Himmel. Über Livington bildeten diese Säulen die Eckpunkte für ein riesiges, weiß leuchtendes Pentagramm, welches unheilvoll über der Stadt zu hängen begann. Und in dessen Mitte, dort war – das Schulgelände. Anya stieß einen erschrockenen Schrei aus. Die Gebäude der Stufen, die Sporthallen, einfach alles – es wurde einfach fortgerissen, weg geschubst, von der aufwallenden Erde verschlungen. Der schwarze Turm, er wuchs aus dem Untergrund wie eine Krankheit, die alles mit sich riss, was sich ihr in den Weg stellte. Wann immer er einen der magischen Kreise passierte, welche genau bis an die Mauern des Bauwerks reichten, leuchteten diese kurz auf und blieben in Form einer farbigen Linie am Turm zurück. Nach oben wurde der Turm von Neo Babylon immer spitzer, ganz an seinem Ende ragten zwei steinerne Arme aus der Spitze hervor und hielten ein Gebilde, in dem sich unzählige, goldene Glocken befanden. Alle läuteten im Takt. Anya hielt sich den Kopf schreiend und sah mit an, wie der Turm schließlich ungefähr einen Kilometer über der Erdoberfläche in seinem Wachstum zum Stehen kam. Über ihm nur der klare Nachthimmel, die Mitte des Pentagramms und die grauen Wolken, die über den Außenflächen jenes fünfzackigen Sterns und darüber hinaus der ganzen Stadt thronten. Der Turm von Neo Babylon war erwacht. Anyas perplexer Blick fiel auf die Uhr im Gang neben dem Fenster, aus dem sie ironischerweise ebenjenen Turm mit eigenen Augen sehen konnte. Die Uhrzeit: Punkt 12.   ~-~-~   „Hast du das gesehen!?“ Abby und Nick hatten sich nur schwerlich von dem schaurigen Anblick lösen können, der sich ihnen auf dem Weg zur Polizeistation geboten hatte. Doch nun hatten sie es geschafft und ebenjene betreten. „Ja hab ich, Abby“, antwortete Nick. Doch schon im Empfangsraum wurde klar, dass sie auch gleich wieder umdrehen konnten. Am Tresen diskutierten zwei Polizisten in blauen Uniformen hitzig, während eine Gruppe weiterer an ihnen vorbei nach draußen rannte. Im rechts neben ihnen liegenden Wartebereich tummelten sich Menschen, die ebenfalls von einer Beamtin – die, die Anya abgeführt hatte – beruhigt werden mussten. „Das kann ja heiter werden“, gab sich Nick frustriert beim Anblick der meuternden Menge, die von der Polizistin kaum unter Kontrolle gehalten werden konnte. Zusammen schritten sie eilig auf den Tresen zu. Doch ehe auch nur einer von beiden ihr Anliegen vorbringen konnte, wurden sie harsch von dem glatzköpfigen Polizisten abgewiesen, der mit seinem Kollegen argumentierte. „Bitte geht in den Wartebereich, ihr seht doch, dass hier die Hölle los ist!“ „Aber-“ Der andere, ein schlaksiger Blonder, schnitt Abby das Wort ab. „Wir kümmern uns um euch, aber im Moment steht das Telefon nicht still. Die Leute sind ganz aufregt!“ „Danke, Captain Obvious“, erwiderte Nick ärgerlich. „Uns ist egal, was da draußen los ist! Ihr habt unsere Freundin eingesperrt, obwohl sie nichts getan hat!“ „Ihr meint Bauer? Pah! Das kleine Flittchen sitzt jetzt schön in der Zelle“, erwiderte der Blonde garstig. „Die seht ihr so schnell nicht wieder. Und jetzt verschwindet!“ „Du-!“ Doch Abby hielt Nick am Arm fest, ehe er über den Tresen hinweg zuschlagen konnte. „Nicht! Das macht alles nur noch schlimmer!“ „Du willst 'ne Prügelei anzetteln, huh!?“, erwiderte der Deputy boshaft. „Willst wohl gleich mit in die Zelle, was!? Joe, hilf-“ „Lass den Unsinn, für so etwas haben wir keine Zeit!“ Der Glatzkopf machte eine verscheuchende Bewegung. „Für heute belassen wir es dabei, aber wenn ihr eure Freundin besuchen wollt, kommt zu einem ruhigeren Zeitpunkt wieder!“ „Er hat recht“, murmelte Abby und zog den wütenden Nick ein Stück weg, welcher nicht davon ablassen konnte, mit dem blonden Polizisten hasserfüllte Blicke auszutauschen.   „Was machen wir jetzt?“, fragte sie leicht panisch im Anschluss, als sie sich eine ruhige Ecke neben der Eingangstür gesucht hatten, welche von ein paar Palmentöpfen flankiert war. „So kommen wir nicht weiter“, murmelte er, immer noch mit Blick auf dem Tresen. „Deswegen machen wir es kurz und schmerzlos. Dass hier das blanke Chaos los ist, kommt uns gerade recht. Die müssen hier irgendwo die Schlüssel haben. Mehr brauchen wir nicht.“ „Okay“, nickte Abby und rückte ihre Brille zurecht. „Aber wo sind die? Und wie kommen wir an die ran?“ „Du lenkst sie ab, während ich mich am Tresen vorbei in die hinteren Räumlichkeiten schleiche. Irgendwo dort sind auch die Zellen. Ich wette, die meisten Cops sind zurzeit unterwegs, weswegen hier alles chronisch unterbesetzt sein dürfte.“ Abby packte ihn am Arm. „Bist du verrückt!? Wie soll ich das machen, hier sind viel zu viele Leute! Und was, wenn dich einer dabei erwischt!?“ „Das Risiko müssen wir eingehen! Und du bist doch eine Sirene, oder nicht? Lass dir was einfallen. Und jetzt komm!“ Ohne sich auf weitere Proteste einzulassen, zog Nick das Mädchen mit sich. Ihm war klar, wie dumm dieser Plan war, aber sich etwas Besseres einfallen zu lassen würde zu lange dauern!   ~-~-~   „Mum …“ Anya betrachtete ihre zitternde Hand, welche sie vor sich ausstreckte. Sie hatte keine Ahnung, warum sie all das gesehen hatte, zweifelte jedoch nicht daran, dass dies wirklich geschehen war. Der Turm, den sie durch das Fenster sehen konnte, war Beweis genug. „Levrier, ist Mum in Ordnung? Was war das?“ Doch er würde nicht antworten, soviel wusste Anya mittlerweile. Etwas war mit ihm geschehen. Vielleicht dasselbe wie mit Joan, die einfach verschwunden war. Woher sollte jemand wie sie wissen, wie man solche Dinge einzuschätzen hatte? Eden. An allem war nur dieses Ding schuld! Wieso war es da, was wollte Levrier damit erreichen? War es wirklich ein Tor, wie Redfield gesagt hatte? Wenn ja, wo führte es hin? Aber all das interessierte Anya nicht. Sie wollte nur wissen, ob es ihrer Mutter gut ging! Wenn sie doch wenigstens telefonieren könnte! „Anya!“ Das Mädchen schreckte von ihren Gedanken auf. Schritte hallten vom Gang, der die Zellen miteinander verband, zu ihr. Und die Stimme, sie kannte sie nur zu gut. Sofort sprang Anya auf, verließ ihre Ecke und rannte an das Gitter. Kaum ein paar Sekunden später standen sie vor ihr: Abby und Nick. „Anya, wir holen dich da raus!“, strahlte ihre Freundin und präsentierte den Zellenschlüssel. „Wie habt ihr-!?“ Die Blondine konnte ihr Glück kaum fassen. „Ich dachte schon, wir müssen sonst was anstellen, um an die Schlüssel zu bekommen“, meinte Abby und ging herüber zur Tür. „Aber letztlich ist im Wartesaal eine Panik ausgebrochen, weshalb wir uns unbemerkt an den Polizisten vorbei stehlen konnten.“ „Hehe, ja“, gluckste Nick, „ich hab sogar in das Büro von diesem Idioten gepinkelt, um dich zu rächen.“ Anya blinzelte verdutzt. „Hä?“ „Vergiss ihn, er macht bloß Witze.“ Abby warf einen bösen Blick auf Nick. „Du weißt, er hat's ja nicht so mit der Wahrheit.“ „Hol den Anya-Muffin da raus. Ich hab Hunger. Aber guck mal“, er drehte Anya den Rücken zu, an dem ein Rucksack hing. „Wir haben deinen Kram zurückerobert. Und deine Duel Disk haben wir dir auch mitgebracht. Zur Aufmunterung.“ „D-danke. Habt ihr“, begann die Blondine zögerlich und stellte sich Abby gegenüber vor die Tür, um endlich diese verdammte Zelle verlassen zu können. „Habt ihr das gesehen? Was draußen passiert ist?“ „Ja.“ Mit traurigem Blick schob das Hippiemädchen den Schlüssel ins Schloss. „Es war-“ „Keine Bewegung!“ Die Drei wirbelten erschrocken herum. Anya konnte es aufgrund der anliegenden Zellenwände nicht genau sehen, aber auf dem schmalen Gang standen plötzlich die beiden Beamten vom Tresen. Mit gezückten Waffen. „Wusst' ich's doch!“, sagte der schlaksige Blonde triumphierend. „Ich hab doch gesagt, ich hab zwei Ratten gesehen, die sich hier herumgeschlichen haben! Wollt eurer kleinen Freundin wohl beim Ausbruch helfen, was?“ „W-wir können das erklären“, stammelte Abby panisch. Anya fühlte, als würde sich in ihrem Magen ein schwarzes Loch öffnen. „Was ist da los!?“ „Geht von der Zelle weg, ihr zwei! Los!“ „Aber-!“ Der Blonde schnauzte: „Los!“ „Nein! Das können wir nicht!“, entgegnete Abby plötzlich mutig und trat einen Schritt vor. Sie nahm ihre Brille ab, schloss ihre Augen und öffnete sie sogleich wieder. Die Iriden hatten sich rosa verfärbt, während sich ihr Haar mit einem Schlag alle Farbe verlor. „Sie werden jetzt gehen, alle beide. Und vergessen, was Sie hier gesehen haben! Bitte!“ Beide starrten die Sirene gebannt an. Und auf Anyas Gesicht breitete sich ein gehässiges Grinsen aus. Die Sirenenkräfte! Damit würden diese Typen alles tun, was sie sagte. Genau wie Nick, vermied sie es, ihre Freundin jetzt direkt anzusehen. „Puh, das war knapp“, meinte Abby und drehte sich wieder der Tür zu. „Ohne diese Krä-“ Ein lauter Knall ertönte. „Abby!“, kreischte Anya aufgelöst, als ihre Freundin wie eine Puppe in sich zusammenbrach. Sie zwänge ihre Hand durch die Gitterstäbe, doch ihre Freundin lag am Boden und rührte sich nicht. „Abby!“   ~-~-~   Der Sammler trat direkt an das brennende Auto heran, ohne Angst vor dem Feuer. Sein Blick lag dabei auf der dunkelblonden Frau, die durch die Wucht der Energiesäule über den Gartenzaun hinweg auf das Grundstück der Familie Bauer geschleudert worden war. Sie lag auf dem Rücken und direkt neben ihr eine kleine, schwarze Gestalt. „Du hast sie gerettet“, meinte der rothaarige Brite tonlos und ging einfach an dem brennenden Wagen vorbei, betrat das Grundstück mit einer Lässigkeit, als wäre er zum Kaffee eingeladen worden. „Aber was unsere Kundin angeht“, murmelte er dabei weiter und trat direkt an die beiden regungslosen Körper. Dann bückte er sich und las das schwarze Knäuel auf. „Hast du als mein Diener versagt, Orion. Ich mache dir aber keinen Vorwurf.“ Damit verschwand er schlagartig von der Stelle, an der er eben noch gestanden hatte. Kurz darauf schlug Anyas Mutter, die komplett mit Ruß beschmiert war, stöhnend die Augen auf.   ~-~-~   Anya ging in die Knie. „Abby … !“ Nick hatte sie in den Arm genommen und presste hilflos seine Hand auf die Wunde an ihrer Schulter, aus der eine Menge Blut sickerte. „Halt durch!“ „Was ist das!?“, wollte der Blonde derweil aufgeregt von seinem glatzköpfigen Kollegen wissen. „Für einen Moment, da habe ich-! Als wäre ich-!“ „Ich weiß es nicht!“, erwiderte der ebenso hysterisch. „Sie muss ein Monster sein! Es ist, als hätte sich unter uns ein Höllenschlund geöffnet! Erst diese Lichter in der Stadt, jetzt dieses-“ „Was machen wir mit ihr!? Sie ist noch nicht tot!“ „Lasst ihre Finger von ihr, ihr dreckigen- ARGH!“ Anya war mit einem Satz aufgesprungen und rüttelte heftig an den Gitterstangen, sich dabei nur allzu bewusst, dass dies nichts brachte. „Warum habt ihr geschossen, ihr Dreckskerle!? Sie hat euch doch nichts getan!“ „Halt den Mund, Bauer!“ Der Blonde war zu ihr getreten und hielt ihr die Waffe direkt vor die Nase. „Sonst bist du die nächste!“ Einem Reflex nachgebend, wich das Mädchen zurück. „Elender-!“ Doch sie kam gar nicht weiter, denn plötzlich richtete der Polizist seine Waffe auf Abby. „Lass das!“, befahl ihm sein Kollege aufgebracht. „Du kannst sie doch nicht-!“ „Was, wenn sie -das- wieder macht!?“, meinte der andere hysterisch. „Wir sollten sie erledigen! Sie ist ein Monster!“   Derweil schlug Abby die Augen auf und sah direkt in Nicks Gesicht, der neben ihr kniete und sie festhielt. „Tut mir leid …“ „Sag nichts!“, befahl ihr der mit wackliger Stimme. „Du musst dich nicht entschuldigen! Alles wird gut, so schlimm ist die Wunde nicht!“ „Ich dachte, ich kann sie kontrollieren, meine Kräfte.“ Abbys Augen hatten wieder ihre gewöhnliche Farbe angenommen. Genau wie ihr Haar. „Aber wie es aussieht, habe ich mich geirrt. Vielleicht kann ich niemanden verführen, weil ich nur ein Halbblut bin? Das ist … mir peinlich …“ „Abby, ich sagte doch, du-“ „Am Ende war ich wirklich nutzlos.“ Sie drehte ihren Kopf von ihm weg. „Zu denken, dass ich vorhin noch mit diesen Kräften vor dir angegeben habe. Das ist mir wirklich peinlich.“ Sie schloss daraufhin die Augen. Den Schmerz in ihrer Schulter nahm sie kaum wahr, sie fühlte sich einfach nur benommen. Müde.   Es erinnerte sie an die Zeit, als ihre Eltern noch gelebt hatten. Damals, als sie noch ein kleines Kind war, hatte ihre Mutter ihr immer etwas vorgesungen, wenn sie nicht einschlafen konnte. Und danach war sie immer müde gewesen, weggenickt, genau wie jetzt. Dieses Lied war schön gewesen, doch leider hörte sie es nur noch verschwommen, die Erinnerungen daran waren schon nahezu verblasst. Auch hatte ihre Mutter ihr einmal etwas über dieses Lied erzählt. An die Details erinnerte sich Abby nur noch sehr vage. Es solle wohl alles Böse von einem fern halten und wenn sie, Abby, große Angst hatte, solle sie dieses Lied singen und alles würde gut werden. Als sie sich daran erinnerte, wurde auch die Musik klarer, sie erinnerte sich wieder an die Melodie. Und sie hatte doch Angst. Angst davor, was jetzt mit ihr geschehen würde. Mit Anya und Nick. Jeden Moment würde vermutlich ein weiterer Knall durch die Polizeistation gehen und dann würde sie in der Dunkelheit versinken. Abby begann, das Lied zu summen, so gut es ging. Ihre Mutter hatte auch einen Text dazu gehabt, keinen englischen, sondern eine andere Sprache. Plötzlich wunderte sich Abby. Mit Sprachen kannte sie sich gut aus, aber die Wörter dieses Liedes hatte sie noch nie gehört. An ein paar erinnerte sie sich noch. Jene brachte sie in dem Lied unter, das sie zu singen begann. Es war lückenhaft, aber Abby spürte, wie sie allein der Klang der Melodie beruhigte. Wörter, an die sie sich nicht mehr erinnerte, ersetzte sie durch andere Kreationen ihrer Fantasie. „Abby! Abby! Hör nicht auf zu singen!“, drang Nicks Stimme an ihr Ohr. Das Mädchen dachte auch nicht daran. Der Rhythmus war so schön, so beruhigend, dass sie gar nicht anders konnte, als mit ihm zu gehen. Ihn immer wieder aufs Neue anzustimmen. Dennoch öffnete sie die Augen und sah Nick an, doch sein Blick war geradeaus gerichtet. Jenem folgte sie und sah die zwei Polizisten, wie sie auf der Stelle verharrten. Ihre Dienstwaffen lagen dabei auf dem Boden. Wie gebannt sahen sie Abby an, rührten sich nicht von der Stelle. „Ich glaube, das ist …“ Auch Anya von der anderen Seite der Zelle sah die Polizisten verstört an. „Das ist ein … Sirenenlied? Abby, woher kannst du das!?“ Doch ihre Freundin wagte nicht, darauf zu antworten, denn das würde das Lied unterbrechen. Plötzlich wusste Abby auch, was sie da sang. Ihre Mutter hatte es immer „La fina kanto“ genannt, das letzte Lied. Jetzt realisierte Abby es, denn ihre leibliche Mutter war eine Sirene gewesen – es war die ultimative Technik ihrer Art, das letzte Lied. Dazu gedacht, alles in der näheren Umgebung in eine Traumwelt zu schicken. In einer Sprache, die zwar spanisch anmutete, doch andere Ursprünge hatte.   Langsam richtete sie sich auf, ohne dabei mit dem Singen aufzuhören. Dabei hielt sie sich die blutende Schulter und wurde sofort von Nick abgestützt. „Wieso sind wir nicht betroffen?“, fragte Anya, als beide sich ihr zuwendeten, damit Nick die Tür aufschließen konnte. „Hehe, weil wir nicht auf Abbys Blacklist stehen“, gluckste Nick, um Anya dadurch verständlich zu machen, dass Abbys Lied wohl nur diejenigen betraf, die sie als Feinde betrachtete. Jene nickte dazu unsicher. Kaum war Anya endlich frei, sammelte sie Abbys Brille auf und setzte sie der Freundin auf. „Danke, Masters! Ich schulde dir was!“ Ihr Blick wanderte herüber zu den beiden Polizisten, die mittlerweile zusammengesackt waren und träge an der nächstgelegenen Zellenwand beziehungsweise der Außenwand lehnten. Zornig krempelte sie die Ärmel ihrer Lederjacke hoch, doch Nick griff ihren Arm. „Wir müssen doch in den Turm und in Edens Arsch treten, Anya-Muffin!“ „Kch!“ Zusammen schritten sie an den beiden Beamten vorbei, doch nicht, ohne dass Anya den Blonden anspuckte. „Ich schwöre dir, wenn dieser Kackmist vorbei ist, werde ich dich wenn nötig bis ans Ende der Welt verfolgen, damit ich deinen verdammten Schädel skalpieren und anschließend als Bowlingkugel verwenden kann! Mistkerl!“, sprachs und setzte einen Tritt nach, der direkt in die Weichteile ging. Doch außer einem Zucken war dem Blonden nichts zu entlocken. Und während Abby weitersang, lächelte sie dabei.   ~-~-~   Matt parkte den Wagen, als er am Straßenrand Valerie und Marc entdeckte, die den etwa vierhundert Meter entfernten, gewaltigen Turm fassungslos betrachteten. Von dem Schulgelände war nichts mehr übrig geblieben. Nur noch die Einzelteile der Gebäude, die hier und da unter der dunklen Erde hervortraten, erinnerten an die Livington High. Bisher waren Polizei und Feuerwehr noch nicht hier gewesen, um alles abzusperren. Aber lange würde es nicht mehr dauern, dachte Matt nervös und stieg zusammen mit Alastair aus.   Sieh dir das Ding an. Man sollte meinen, sein Erbauer hätte gewisse Komplexe hinsichtlich seiner unteren Körperregion. Was soll das überhaupt sein, ein Leuchtturm? … oh verdammt, jetzt hab ich einen Ohrwurm von dieser deutschen Sängerin. Wie hieß sie doch gleich? Lena?   Der Dämonenjäger ignorierte Another gekonnt und schritt herüber zu den beiden Wartenden, die ihm schon entgegen kamen. Hinter ihnen endete die Straße abrupt und ging in Verwüstung über. „Damit hätte ich nie gerechnet“, sprudelte es sofort aus Marc hinaus. „Ich hoffe nur, dass niemand auf dem Campus war, als er aufgetaucht ist.“ „Wenn ja … sind sie jetzt vermutlich tot“, murmelte Valerie betrübt. „Habt ihr den Sprengstoff?“, hakte Marc weiter nach. Matt nickte. „Ja. Alles, was wir jetzt noch brauchen, sind unser Stargast und Henrys Schwester. Hat einer von euch was von den beiden gehört?“ Doch das Pärchen schüttelte nur synchron den Kopf. Matt schlug sich die Hand vor den Kopf. „Großartig! Anya sollte keine Zeit verlieren! Es heißt, der Turm würde bei Sonnenaufgang wieder verschwinden …“ „Oh, glaub mir“, meinte Valerie und ihr Blick wurde deutlich nervöser, „wie ich Anya einschätze, ist sie schon ganz scharf darauf, ihn zu betreten. Und sei's nur, um ihn in die Luft zu jagen.“   ~-~-~   Abby presste die Lippen fest aufeinander, als sie von Nick und Anya gestützt die Polizeistation verließ. Auf der Straße angelangt, befreite sie sich von den beiden und legte ihre Hand auf die Schusswunde an ihrer Schulter. Der Schmerz machte sich jetzt deutlich bemerkbar, da sie nicht mehr sang. „Was hast du da gemacht?“, fragte Anya in einer Mischung von Faszination und Skepsis. „Das war … 'La fina kanto'“, antwortete ihre Freundin, deren Stimme von dem Gesang schon ganz heiser war. Doch es war ihr im Endeffekt gelungen, sämtliche Anwesenden auf der Polizeistation in einen tranceähnlichen Zustand zu versetzen. Aber jetzt war ihre Kraft erschöpft. Torkelnd stieß Abby an Nick, der sie behutsam an sich zog. „Die stärkste Sirenentechnik. Zumindest glaube ich, dass es so ist. Meine Mutter hatte sie mir immer als Lied vorgetragen, damit ich einschlafen konnte. Dass ich mich ausgerechnet heute daran erinnere, muss wohl Schicksal sein.“ „Von mir aus. Wichtiger ist, dass wir dich jetzt ins Krankenhaus bringen!“ „Dann trennen sich unsere Wege jetzt, Anya“, meinte Abby betrübt und zeigte mit dem Finger in Richtung des Turms. „Tut mir leid, dass ich dich nicht dorthin begleiten kann …“ „Schon okay, ich werde auch so klarkommen …“   Anya sah nun auch in die Richtung des Turms von Neo Babylon und musste innerlich schlucken. Es war, als wäre die ganze Stadt gefangen in der dicken, tiefgrauen Wolkenschicht. Über ihnen flimmerte das gewaltige Pentagramm, in dessen Mitte sich die Turmspitze befand. Und auch, wenn Anya Abby ungern alleine ließ, war sie froh, dass es am Ende nur ein Durchschuss durch die Schulter war, der sie verletzt hatte. Sie würde durchkommen, das stand außer Frage. Außerdem … war es das Beste, wenn sie ihr nicht in den Turm folgte. Denn Anya wusste nicht, wie ihre Freundin reagieren würde, sobald die Wahrheit um ihre Absichten ans Licht kam. Eine Wahrheit, die nicht mehr zu ändern war.   „Harper, du gehst mit Masters. Und wehe, ich komme zurück und es fehlt ihr auch nur ein Haar!“ Auf die Anweisung hin blinzelte Nick einen Moment verdutzt, ehe er breit grinste. „Ich werde persönlich für ihr Wohlbefinden sorgen, hehe.“ „Denk nicht mal dran!“, fauchte Anya, die schon wieder Zweideutigkeiten witterte. „Wirst du das wirklich packen?“, fragte Abby traurig, doch Anya wandte ihnen beiden schon den Rücken zu. Dabei hob sie ihren Arm und streckte ihren Daumen aus. „Klaro. Eine Anya Bauer versagt nie. Also dann, bis nachher, Leute!“ Damit rannte sie einfach über die Straße in die Richtung des Turms, ließ Abby und Nick allein zurück.   „Sie ist eben nicht der Typ für lange Abschiede“, meinte Letzterer trocken, nachdem das Mädchen außer Sichtweite war. Dabei legte er seinen Arm um Abbys Hüfte und schultere den ihren. „Ich hoffe, sie tut nichts, was sie am Ende bereut …“ „Was das angeht, hatte Anya nie die Wahl. Irgendwann musste selbst ich das einsehen, oder denkst du, ich hätte sie sonst gehen lassen? Und lieber sie als Eden, als … ganz allein.“ „Nick“, schluchzte Abby plötzlich, „ich will nicht, dass sie geht. S-sie ist die fieseste Person, die ich kenne … aber sie ist meine Freundin!“ Der junge Mann mit dem verstrubbelten, braunen Haar sah betrübt auf das Mädchen herab, welches den Blick von ihm abgewandt hatte und mit dem Finger hinter ihrer Brille im Auge nestelte. „Ich bin vielleicht der Falsche, um so etwas zu sagen, aber … hoffen wir einfach auf ein Wunder.“ „J-ja.“ Sie stöhnte überrascht auf, als Nicks Griff sich festigte und er sich ruckartig mit ihr in Bewegung setzte. „Dann kümmern wir uns jetzt erstmal um dich. Und um meinen Zeh …“ „D-denk bloß nicht, dass ich dir für neulich schon verziehen habe! Das vorhin war nur ein Teil deiner Strafe!“ Nick lachte auf. „Jetzt färbt sie schon auf dich ab. Ich glaube, ich muss mir neue Freunde suchen, da wird man ja seines Lebens nicht mehr froh.“ Das gesagt, schleppte er das Mädchen den Bürgersteig entlang, mit dem weit entfernten Ziel Krankenhaus. In der Hoffnung, nur für dieses eine Mal in Punkto nicht existierender Wunder eines Besseren belehrt zu werden.   ~-~-~   Nicht an sie denken, sagte sich Anya und rannte stur geradeaus. Durch enge Seitenstraßen, den Bürgersteig entlang, immer auf den Turm zu. Sie durfte nicht mehr an die Menschen denken, die ihr etwas bedeuteten. Die waren jetzt fort und würden nie wieder kommen. Ihre Mutter war sogar tot! Es gab jetzt nur noch sie, Anya. Und die Wahl, für immer zu leiden oder dafür zu kämpfen, wenigstens einen angenehmen Tod zu sterben. Und Anya versuchte ihr Gewissen damit zu beruhigen, dass die anderen an ihrer Stelle dasselbe tun würden. Keiner von denen war besser als sie! „Levrier!“, rief sie in die Nacht hinein und blieb mitten in einer weiteren engen Seitenstraße stehen. Von ihrem Paktpartner folgte jedoch wie schon zuvor keine Reaktion. Was Anya nur umso nervöser machte. Nur er wusste, wie es im Turm weitergehen würde. Er hatte mal etwas von einem Ritual gesagt, aber wie sollte das aussehen? Warum war er weg? Irgendetwas stimmte da nicht! Er konnte doch unmöglich … Anya betrachtete das Mal an ihrem Arm. Es war noch dasselbe schwarze Kreuz in einem Dornenring, das sie vor ungefähr zwei Monaten in der Aula erhalten hatte. Nicht ausgewaschen, verblasst, sondern klar und deutlich. Levrier war nicht tot. Wenn selbst Redfields Mal noch aktiv war, obwohl Joan jetzt vermutlich in irgendeiner Gebärmutter finstere Pläne schmiedete, dann musste noch irgendeine Verbindung zwischen ihr und Levrier bestehen. Könnte er schon im Turm sein und auf sie warten? „Tch! Du bleibst echt bis zum Schluss eine Nervensäge, oder?“ Anya wusste, dass sie es noch früh genug herausfinden würde. Also rannte sie weiter. „Wehe, ihr Pisser kriegt Muffensausen! Ich schwöre, dass ich euch blitzschnell finden und in den verdammten Turm schleifen werde!“, versuchte sie dabei, ihre Nervosität hinsichtlich der anderen zu überspielen. Von ihnen hing jetzt alles ab …   Etwa fünf Minuten später hatte Anya es geschafft. Vor ihr endete die Straße abrupt und ging in braune Erde über. Häuser gab es direkt um die Schule herum nicht. Stattdessen gab es mal eine Straße, die sich wie ein Kreis um das Campusgelände gezogen hatte, doch diese war nun unter all dem Schutt verborgen. Dahinter erst begann das Wohngebiet. Vorsichtig betrat Anya die zerstörte Fläche. Von ihrer Schule war tatsächlich nichts mehr übrig geblieben. Hier und da lagen ein paar Trümmer, an einer Stelle ragte einer der Pfosten des Südtores aus der dunklen Masse heraus. Es bereitete Anya ein gewisses Gefühl von Genugtuung, dies zu sehen. Mit etwas Glück würde Mr. Bitterfield, der Direktor, einen Herzinfarkt erleiden, wenn er sah, was aus seinem ganzen Stolz geworden war. Zu dumm, dass sie das nicht mehr erfahren würde. Anya wandte den Blick von ihrer näheren Umgebung ab und richtete ihn stattdessen auf den Turm, der sich knapp einen halben Kilometer von ihr entfernt wie ein Wolkenkratzer durch den Himmel bohrte. Aus der Ferne konnte sie keinen Eingang ausmachen. Lediglich leuchteten in regelmäßigen Abständen verschiedenfarbige Ringe am Turm auf, verdunkelten sich wieder und strahlten dann wieder Licht aus. Anya vermutete, dass dies die einzelnen Ebenen, die Stockwerke des Turms sein könnten. So abgedreht, wie der aufgetaucht war, wäre das gut denkbar.   Unschlüssig, was sie jetzt tun sollte und wo die anderen waren, rannte sie auf den Turm zu. Je näher sie ihm kam, desto schlimmer sah ihre Umgebung aus. Nun wurde deutlich, dass ihre Schule wie ein Stück Papier einfach auseinander gerissen worden war. Das halbe Dach der Unterstufe lag unweit von ihr im Sand. Und während Anya sich dem Turm weiter näherte, fragte sie sich, wie lange es wohl dauern würde, all die Schäden zu beseitigen. Und eine neue Schule zu bauen. Aber noch viel wichtiger: wie würde man den Leuten erklären, was hier überhaupt geschehen war? Allerdings war Anya sich sicher, dass den Sesselpupsern im Weißen Haus schon etwas einfallen würde. Letztlich hatte sie es geschafft und stand dem Turm nun auf wenigen Metern gegenüber. Allerdings konnte sie keinen Eingang ausmachen. Der musste sich wohl auf der gegenüberliegenden Seite befinden. Und während Anya das riesige Gebäude zu umkreisen begann, ließ sie es nicht aus den Augen. Von Nahem wirkte es genauso bedrohlich wie aus der Ferne. Seine Außenwand bestand aus etlichen schwarzen Ziegelsteinen mit glatter Oberfläche. Fast wie Marmor. Abgesehen davon wurde dieses Bild nur am Ende jedes Stockwerkes durch die verschiedenfarbigen Ringe unterbrochen. Erst ganz oben, auf den letzten zwei oder drei Stockwerken – Anya konnte es selbst mit in dem Nacken gelegten Kopf nicht gut erkennen – ragten diese riesigen, ebenfalls pechschwarzen Arme aus dem Turm und hielten je ein Dutzend goldener Glocken an einer Art Bogen fest. Am unheimlichsten war jedoch der Vollmond, der über dem Turm stand und ihn in silbernes Licht tauchte. Nur dort oben gab es nach wie vor keine grauen Wolken. „Tch! Wehe dieses Teil hat keinen Aufzug!“, zischte Anya und setzte die Runde fort. Man konnte schließlich nicht von ihr erwarten, bis nach oben die Treppen zu benutzen!   „Anya!“ Das Mädchen sah wieder nach vorn. Selbst im Mondlicht war die Gestalt, die da auf sie zu gerannt kam, kaum auszumachen, aber an der Stimme hatte sie sie trotzdem erkannt. „Hey, da ist ja unser Stargast“, scherzte Matt, als er ihr entgegen kam und atmete tief durch. Seine Stirn war schweißnass. Es machte den Eindruck, als wäre er seit Stunden über das Gelände gerannt. „Hi“, erwiderte Anya etwas unschlüssig. „Was ist los? Ist die Narbenfresse abgehauen, oder warum siehst du aus wie ein Fettsack nach einem Marathon?“ „Ich habe nach Verletzten gesucht, wonach sieht es sonst aus? Um die Warterei zu überbrücken und mich nützlich zu machen“, erwiderte er nun beleidigt und kratzte sich am Kopf. „Aber scheinbar ist niemand hier gewesen, als es passiert ist.“ „Wie schade …“ Matt musste grinsen. „Irgendwie habe ich mit dieser Antwort gerechnet. Aber hey, ist auch egal, komm mit! Das solltest du dir unbedingt ansehen!“ Schon rannte er wieder in die Richtung, aus der er gekommen war. Die Schultern zuckend, folgte Anya ihm und musste innerlich aufatmen. Zwei hatte sie damit in der Tasche … Kurz darauf kamen sie an der Frontseite des Turms an und Anya sah sofort, was Matt ihr zeigen wollte. Dort war er, der Eingang. Und obwohl er im Vergleich zum Turm klein, ja regelrecht winzig anmutete, machte er doch einiges her. Von etwa zweieinhalb Metern Höhe, sah er im ersten Augenblick aus wie ein Torbogen, dessen Inneres mit einer Mosaikplatte ausgefüllt war. Anya erkannte sofort die leuchtenden Farben ihres Elysions wieder. Das saftige Grün, kräftige Braun und strahlende Meeresblau. Doch auch rote, gelbe, violette und weiße Teile waren im Tor vorhanden. Der Unterschied zum Elysion bestand, neben der Form, jedoch darin, dass aus diesem Bild kein Sinn entnommen werden konnte. Zwar waren beide Hälften des Tores symmetrisch, doch ansonsten schienen die dreieckigen Mosaikteile wahllos aneinander gefügt worden sein. Ein Griff oder Schloss, ja irgendeine Möglichkeit, das Tor von außen zu öffnen, fehlte. „Wie kitschig“, kommentierte Anya den Anblick garstig. „Jop“, stimmte Matt ihr zu. „Wir haben versucht hinein zu kommen, aber scheinbar hat der Turmherr noch keinen Dienst. Die Flügel rühren sich keinen Millimeter, wenn man sie nach innen drückt.“ Anya jedoch hatte sich längst umgedreht und musste zu ihrer Überraschung feststellen, dass sie und Matt nicht alleine waren. Da war Alastair, der auf einer von drei länglichen Kisten hockte und finster zu ihr herüber starrte. Vor ihm standen Marc und Valerie, Letztere hielt eine Taschenlampe in der Hand und leuchtete, scheinbar in ein Gespräch mit Marc verwickelt, auf die Aufschriften der Kisten. Die Warnung, jene mit Vorsicht zu behandeln, war in eindrucksvollem Rot darauf hinterlassen worden. Das Grinsen auf Anyas Gesicht drohte über ihre Wangen hinaus zu schießen. Zumindest für einen Moment, bis sie erkannte, dass das Zeug tatsächlich eher ein Hindernis für sie darstellte. „Cool, was? Ich denke, das Zeug dürfte reichen, um ein nettes Feuerwerk zu starten.“ Matt trat neben sie. Anya nickte nur stumm.   Wie sollte sie jetzt verhindern, dass der Sprengstoff im Turm gezündet wurde!? Doch während der Dämonenjäger darüber lamentierte, woher er das Zeug hatte, kam Anya ein Geistesblitz. Um Eden zu vernichten, mussten sie das Herz zerstören – zumindest glaubten die anderen das. Wenn es ihr also gelang, mit ihnen bis zu diesem Kristallsaal zu gelangen und ihnen den Zünder für das Zeug abzunehmen, hatte sie gewonnen. „... wir werden das Zeug erst auf dem Rückweg scharf machen“, erklärte Matt dabei. „Schließlich wollen wir auch lebend raus aus dem Turm. Fragt sich bloß, wo das Herz ist. Der Turm ist riesig, die Suche danach könnte Stunden dauern.“ „Oben im Kristallsaal, sagt Levrier“, meinte Anya abwesend. „Auf der Spitze des Turms oder so.“ Matt rümpfte die Nase. „Hätte ich mir denken können. Wozu sonst so ein riesiger Turm? Beziehungsweise, warum ist er überhaupt so riesig?“ „Keine Ahnung.“   Nun hatten auch Valerie und Marc Anya bemerkten und traten mit Alastair im Schlepptau auf die anderen beiden zu. „Du hast es also geschafft“, ergriff Valerie das Wort und sah Anya nachforschend an. „Tut mir leid, aber ich konnte meinen Vater nicht erreichen. Wie bist du entkommen?“ „Das würde mich auch brennend interessieren“, wunderte sich Matt. „Wir waren schon fleißig am Pläne schmieden, wie wir dich aus der Zelle holen sollen. Was ist denn überhaupt passiert, dass sie abgeführt wurde?“ „Ich habe gerade Alastair alles erzählt“, antwortete die Schwarzhaarige ihm, „Anya wurde von Polizisten abgeführt, weil irgendjemand sie wegen Brandstiftung angezeigt hat. Wir waren gerade dabei, ihn dazu zu überreden-“ „Tch, ist jetzt auch egal. Ich bin ja jetzt hier“, raunte Anya und verschränkte missmutig die Arme. Dabei fügte sie gallig hinzu: „Anders als Pennerkind und Anhang.“ „Keine Ahnung wo die sind.“ Marc zuckte mit den Schultern. „Bisher sind wir ihnen nicht über den Weg gelaufen. Ein Anruf bei Mrs. Masters hat auch nichts gebracht, Henry war nicht bei Abby daheim. Zu dumm, dass wir keine Handynummer haben.“ „Selbst wenn, den beiden wird sicher die 'Veränderung' in der Stadt aufgefallen sein“, merkte Matt sarkastisch an. „Wir sollten ihnen noch einen Moment Zeit geben. Sicher sind sie schon unterwegs.“ „Dann würde ich vorschlagen, dass wir den Sprengstoff auspacken und in den Rucksäcken verteilen, die ihr mitgebracht habt.“ Valerie sah herüber zu den Kisten und legte einen Zeigefinger an die Unterlippe. „Die Kisten mitzunehmen wäre unsinnig, die könnten wir gar nicht hoch schleppen. Gut, dass ihr daran gedacht habt.“ Anya schnaufte leise. „Fein, machen wir das.“   Alsbald waren die Fünf damit beschäftigt, die Kisten zu öffnen und Sprengsatz um Sprengsatz vorsichtig in die sieben schwarzen Rucksäcke zu packen. Matt hatte gesagt, dass sie alle per Fernzündung funktionierten, dennoch warnte er davor, behutsam mit den Ladungen umzugehen. Anya hatte sie sich ganz anders vorgestellt. Es waren metallische Apparaturen, bestehend aus zwei Röhren und einem Display, das mit Drähten mit den Röhren verbunden war. Im Moment waren sie abgeschaltet, aber man musste kein Genie sein, um zu wissen, wie man sie aktivierte. Neugierig drehte Anya eine der Apparaturen in der Hand herum. Für einen Moment erwog sie, die Sprengsätze zu manipulieren, aber verwarf diesen Gedanken schnell. Dazu müsste sie auch die vornehmen, die Valerie neben ihr in die Rucksäcke packte. Entweder alle oder keinen. Und außerdem … aber es war idiotisch, in so etwas noch Hoffnungen zu stecken. Für sie gab es keine mehr! „Tch“, zischte sie und stopfte das Gerät schließlich frustriert in den Rucksack. „Bist du nervös?“, fragte Valerie besorgt, die ihre Arbeit für einen Moment einstellte. Im Hintergrund öffneten Marc und Alastair die nächste Kiste. Matt indes hatte sich dazu bereiterklärt, etwaige Schaulustige fortzujagen und auf Polizei und Feuerwehr zu achten, ehe die sie entdeckten. „Mir geht’s bestens, Redfield. Was ist mit dir? Schon Bammel?“ Anya sah sie bewusst nicht an. „Ich müsste lügen, wenn ich das verneinen würde … weißt du, wohin das Tor führt, das dort oben ist? Eden? Orion wollte es mir nicht verraten.“ „Da muss ich passen“, schnaufte Anya und griff in die Kiste vor ihnen, setzte die Arbeit fort. „Bis vorhin wusste ich nicht mal, dass ich zu einem verdammten Tor werden soll. Ich meine, ein beschissenes Tor! Stell dir das mal vor, Redfield!“ Mit der Faust schlug Anya mit voller Wucht auf den Rand der Kiste, knirschte mit den Zähnen. „Ein beschissenes Tor …“ „Anya, ich werde dir sagen, wohin das Tor führen wird. Wenn wir damit fertig sind: nirgendwo hin. Also schmoll nicht, weil du nicht als Teufel inkarniert wirst. … was das angeht, bist du auch so auf bestem Wege dahin.“ Valerie kicherte leise. „Bist du jetzt fertig mit deinen billigen Aufheiterungsversuchen!?“, fauchte Anya gereizt und stopfte den nächsten Apparat in den Rucksack, der damit voll war.   Etwa zehn Minuten später waren sie mit den Vorbereitungen fertig, doch von Henry und Melinda fehlte weiterhin jegliche Spur. Die Fünf hatten sich vor dem Eingang zum Turm im Kreis aufgestellt, mit den sieben Rucksäcken in ihrer Mitte. „Verdammte Gaffer, man sollte meinen, die haben nichts Besseres zu tun, als mitten in der Nacht eine Sightseeingtour zu betreiben“, beklagte sich Matt wütend. „Wo ist die Polizei, wenn man sie einmal braucht?“ Anya grinste diebisch und fuhr mit der Hand unter ihren Pferdeschwanz. „Im Land der Träume, sponsored by Abigail Masters.“ Auf die neugierigen Fragen der anderen hin schwieg das Mädchen jedoch genüsslich. „Was nun?“, fragte Marc, der in der Zwischenzeit seine blauweiße Footballjacke über Valeries Schultern gelegt hatte. „Die beiden sind immer noch nicht da. Vielleicht kommen sie am Ende gar nicht?“ „Würde mich nicht wundern“, murmelte Anya und verzog die Augen zu Schlitzen, „und genau deshalb gehen wir jetzt da rein.“ Valerie zeigte sich davon ziemlich überrascht. „W-was? Jetzt schon?“ „Klar, Redfield. Die werden schon kommen“, gab sich die Blondine zuversichtlich, „sie müssen kommen, wenn sie vor Isfanel ihre Ruhe haben wollen. Ist der Turm weg, hat der keinen Grund mehr, die Schnöselkinder zu nerven.“ Matt nickte knapp. „Denke ich auch. Sie werden wissen, dass es das Beste für sie ist. Bleibt nur die Frage, ob Henry … „Matt“, ermahnte Alastair seinen Partner, da dieser Stillschweigen über Henrys Begegnung mit dem Sammlerdämon bewahren wollte. „Stimmt. Er wird es rechtzeitig hierher schaffen.“ „So penetrant wie er ist, ja“, raunte Anya und verschränkte die Arme, „und er weiß, dass das Herz von Eden nur mit vereinter Kraft sichtbar wird. Anstatt auf seine Majestät zu warten, sollten wir schon reingehen und alles vorbereiten. Umso schneller sind wir wieder draußen.“ Valerie schloss die Augen und dachte kurz darüber nach. „Ja, das ist eine gute Idee. So können wir auch die Lage im Turm klären. Der bleibt nur bis Sonnenaufgang, jede Minute ist kostbar.“ „Dann ist es jetzt entschieden!“ Anya, die mit dem Rücken zu dem Eingangstor stand, wirbelte herum und trat einen Schritt darauf zu. „Gehen wir da rein und rocken die Bude!“ „Yeah!“, riefen Marc, Matt und Valerie im Einklang. Nur Alastair fiel mit einem „Hmpf!“ heraus.   Und während die Rucksäcke an den Mann gebracht wurden, überlegte Anya, ob es die richtige Entscheidung war, nicht länger zu warten. Wenn die Schnöselkinder tatsächlich nicht kommen wollten, würden sie es auch nicht tun. Egal wie lange man auf sie wartete, sagte sie sich. Zumindest sah es ganz danach aus, sonst wären sie längst hier. Warum das Unvermeidliche noch länger hinauszögern? Sie würde ihr Glück mit dem versuchen müssen, was ihr zur Verfügung stand. Diese Vier da.   „Seid ihr bereit?“, fragte Anya schließlich mit geschultertem Rucksack, bewaffnet mit ihrer Duel Disk am Arm. Genau wie Valerie und Marc. Matt und Alastair hatten bestimmt auch ihre D-Pads mit dabei, nur für den Fall. Obwohl Anya nicht verstehen konnte, warum sie keine fetten Wummen mitgebracht hatten. Dabei leckte sie sich über die Lippen. Die alle gegen sie? Klang regelrecht verlockend. „Auf zum großen Finale!“, rief sie schließlich verheißungsvoll und trat gegen die Tür. „Kümmel, öffne dich!“ „Anya“, stöhnte Valerie in belehrendem Tonfall und klatschte sich die Hand an die Stirn, „es heißt 'Sesam öffne dich'.“ Marc war ebenfalls etwas verloren im Bezug auf Anyas Art, den Turm betreten zu wollen. „Ich glaube nicht, dass du so reinkommst.“ „Bah, scheiß drauf, geh einfach auf!“, fauchte Anya und trat wild auf die Tür ein, die sich keinen Millimeter rührte. „Vielleicht-“ Doch ehe Matt seinen Gedanken vortragen konnte, begannen die Farben des Mosaiks allesamt grell zu leuchten. Die Fünf wurden geblendet von dem Licht und ehe Anya sich versah, steckte ihr Fuß plötzlich in einer wässrigen Oberfläche, zu welcher die Steine geworden waren, ohne dabei jedoch ihr Muster zu verlieren. „Sag ich doch, das geht!“ Das gesagt, schritt das Mädchen mutig durch die Oberfläche und war kurzerhand verschwunden. Mit mulmigem Gefühl folgten die anderen ihr schließlich.   „Wow“, hallte Anyas Stimme schließlich vom Inneren des Turms, „so habe ich mir das nicht vorgestellt. Seltsamer Ort.“ Vor ihr erstreckte sich eine riesige Säule aus grellem, weißgoldenem Licht. Anya legte den Kopf in den Nacken, doch vermochte dadurch nicht, bis zu ihrem Ende hinauf zu sehen. Wie auch, wenn der Turm so verdammt hoch war!? „Also kein Fahrstuhl für dich, Anya“, kommentierte Matt den Anblick, als er mit den anderen neben jener angekommen war. „Was ist das?“ „Eden?“, überlegte Valerie unsicher. „Sieht eher aus wie eine Energiequelle oder so etwas“, mutmaßte Marc, der wie Alastair zwei Rucksäcke geschultert hatte und drehte sich um. Hinter ihm war das Tor wieder normal geworden, nicht mehr wie die Oberfläche eines Sees aus Farben. „Ich hoffe, wir kommen hier auch wieder raus.“ „Darüber machen wir uns später Gedanken! Ich glaube, wir müssen die da nehmen, wenn wir hoch wollen“, meinte Anya genervt und zeigte auf eine Treppe, die sich links von ihnen erstreckte. Sie lag direkt an der Innenwand des Turms und verlief wie eine Spirale immer weiter nach oben. Ein verschnörkeltes Geländer aus purem Gold sollte verhindern, dass man auf seinem Weg in die Tiefe fiel. „Hört zu“, begann Matt schließlich damit, Anweisungen zu geben. Er trat neben Anya und zeigte auf die Treppen. „Wir werden die Sprengsätze regelmäßig an den Wänden anbringen, aber sparsam, der Weg nach oben ist lang. Scharf machen sollten wir sie aber erst auf dem Rückweg. Ich will nicht riskieren, dass sie gezündet werden, bevor der Letzte diesen verdammten Turm verlassen hat.“ Anya grinste zufrieden, denn das hieß: sie musste nur verhindern, dass es einen Rückweg gab. Was kein Problem werden würde. „Klingt gut, Chef.“ Schließlich begann die Gruppe damit, vorsichtig die Treppe zu betreten. Sie bot festen Halt, obschon sie nicht sonderlich breit war. Der schwarze Marmor, aus dem sie bestand, war sauber, als wäre noch nie zuvor jemand hier gewesen. Anya, die die Gruppe anführte, ging ein wenig voraus, um sich einen Überblick zu verschaffen. Aber außer der Treppe gab es nichts. Keine Stockwerke, wie sie anfangs vermutet hatte. Während die anderen damit beschäftigt waren, die Sprengsätze anzubringen, schritt Anya unermüdlich voran. Es kam ihr wie Stunden vor, wie sie Stufe um Stufe nahm und doch nicht wusste, wann ein Ende in Sicht war. Jedoch bemerkte sie, dass die Distanz zwischen dieser gewaltigen Energiesäule und der Treppe langsam geringer wurde. Das grelle Licht der Säule sorgte dafür, dass ihr Schatten zu bedrohlicher Größe gewachsen war und sie wie eine geisterhafte Gestalt verfolgte. Die Blondine überlegte, wozu dieses Ding wohl dienen mochte. Als Stützpfeiler? Oder tatsächlich als Energiequelle für Eden, wie Marc vermutete? Egal, sie würde es sicher herausfinden, ob sie wollte oder nicht. „Anya“, hörte sie von weit unten Matt rufen, „geh nicht zu weit voraus, du weißt nicht, was dich dort erwartet.“ „Ja ja“, rümpfte die die Nase und beugte sich über das Geländer. Doch die anderen befanden sich hinter der Säule, sodass sie nicht sagen konnte, wie viel Vorsprung sie schon hatte. „Wie sieht es aus?“ „Den ersten Abschnitt haben wir jetzt abgedeckt. Fragt sich nur, wie viel noch folgen …“   Und so ging das Spiel weiter. Mit der Zeit fing auch Anya an, ihren Rucksack zu leeren. Je höher sie kamen, desto mehr zehrte der Turm an ihren Kräften. Allmählich geschah sogar, was Matt ursprünglich vermeiden wollte: der Sprengstoff wurde knapp. Irgendwann hielt Anya plötzlich inne. „Die Decke! Ich kann sie sehen!“ „Ernsthaft?“, hallte Valeries Stimme zu ihr hinauf. „Endlich!“ Die Energiesäule verschwand einfach in einer pechschwarzen Wand. Die letzten Sprengsätze, die sie noch hatte, sparsam verteilend, eilte Anya die Stufen hinauf und gelangte schließlich an einer Falltür an, die das Ende der Treppe darstellte. Wie das Eingangstor, war auch sie aus bunten Mosaikteilen gemacht und ähnelte im Endeffekt mehr einer Glasscheibe. Anya starrte sie unruhig an. „Sieht aus, als wären wir endlich oben.“ Erschrocken wirbelte die junge Frau herum, als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte. „Mach dir keine Sorgen, alles wird gut“, versuchte Marc sie aufzumuntern. „J-ja.“ In diesem Moment erkannte Anya, dass sie ihm wohl noch nie so nahe gewesen war. Sie konnte die feinen Stoppeln um sein Gesicht sehen, er war nicht rasiert. Unter den Augen lagen dunkle Schatten, doch er lächelte aufrichtig. Und es berührte Anya nicht. Sein Anblick machte ihr nichts mehr aus. Umso besser. Sich von ihm abwendend, wartete sie auf die anderen, ehe letztlich alle vor der Scheibe angelangt waren. „Auf ins Gefecht“, meinte sie kämpferisch und schritt einfach durch das Mosaik hindurch, das wie schon zuvor am Eingang bei Kontakt eine flüssige Form annahm. Die anderen folgten ihr. Und begannen zu staunen, als sie letztlich in dem Raum angekommen waren, den Levrier vor einiger Zeit Kristallsaal genannt hatte. Denn das war er auch. Atemberaubend schön. Schlicht. Aber schön. Er war von beeindruckender Größe, angelegt als Kuppel. Dies war die Spitze des Turms. Der Boden bestand aus einem blau-silbernen, von innen leuchtenden Material, wie der Rest des Raumes. In ihm spiegelten sich die Reflexionen der Gruppe, die sich sprachlos im Saal verteilten. Hin und wieder ragten spitze Kristalle aus dem Boden, der Wand oder der Decke. Doch eine Einrichtung gab es nicht. Wenn man den prächtigen Thron außen vor ließ, der, ebenfalls ganz aus Kristall, am anderen Ende des Raums auf einem Treppenansatz zu finden war. Anya schritt, von einem Impuls geleitet, auf ihn zu. Angekommen, streckte sie zögerlich die Hand aus. Sie betrachtete ihn nachdenklich, fuhr letztlich mit den Fingerspitzen über eine der Lehnen. Eiskalt. Sie zog erschrocken die Hand weg. „Könnt ihr das hören?“, fragte Valerie plötzlich. Marc, der neben ihr sein Spiegelbild an der Wand betrachtete, nickte. „Ja! Sind das Glocken?“ „Ist es das erste Mal, dass ihr sie hört?“, fragte Anya und drehte sich den anderen zu. „Ja, ich glaube schon.“ Matt legte seinen Rucksack ab. „Scheint, als ob der Glöckner von Notre-Dame selbst um diese Uhrzeit Dienst hat. Aber egal. Hat noch jemand von euch etwas Zeug?“ Zur Verdeutlichung nickte er auf den Rucksack. „Leider nicht“, antwortete Valerie und bekam von Marc und Alastair Zustimmung. „Ich“, meldete sich Anya. „Gut, dann würde ich vorschlagen, dass wir das restliche Zeug hier verteilen.“ Es platzte einfach aus ihr raus, denn noch länger hätte sie es nicht für sich behalten können. „Sorry, aber das geht nicht.“ Verdutzt von Anyas Antwort blinzelte Matt irritiert. „Was spricht dagegen?“ „Ich.“ Mit kaltem Blick sah Anya auf den Dämonenjäger hinab. „Planänderung: hier ist Endstation!“ „Ich wusste es!“, brüllte Alastair plötzlich, als ihm die Bedeutung ihrer Worte bewusst wurde. „Ich wusste, du würdest uns verraten! Das war eine Falle!“ „Anya, du-!?“ Valerie weitete die Augen. „Nach allem, was-! D-das muss ein Irrtum sein!“ „Das meinst du doch nicht ernst!“, widersprach auch Marc erschrocken. „Wir sind ein Team! Wir wollen dir doch helfen! Für solche Scherze ist jetzt keine Zeit!“ „Ich mache keine Witze, Butcher. Es gibt kein Entkommen mehr für euch.“ Das Mädchen erhob den Arm und deutete mit dem Finger herüber zu der Stelle, in der das Mosaik eingelassen war. Nur, dass ein solches dort gar nicht zu finden war. „Dieser Raum kann nur betreten, aber nicht wieder verlassen werden. Levrier hat mir mal ein wenig darüber erzählt. Von dem, was passiert ist, als er das letzte Mal hier war.“ Matt fiel fassungslos auf die Knie. „Du hast uns … die ganze Zeit …?“ „Was hätte ich tun sollen?“ Anya wandte traurig den Blick ab und legte ihre Hand wieder auf die Lehne. Die Kälte beruhigte sie, ihren immer wilder werdenden Herzschlag. Es war ihr einfach herausgerutscht, die Wahrheit. Als wolle sie endlich an die Oberfläche treten. „Es ist … nicht so, dass ich wollte, das das hier passiert. Aber es gab nie Hoffnung für mich. Und als ich gesehen habe, wie es ist, eingesperrt zu sein in einer Welt voller Leere – in der Lampe des Jinns – da konnte ich nicht anders.“ Valerie presste ihre Lippen aufeinander, ehe sie ihre Stimme erhob. „Ich habe an dich geglaubt! Ich dachte, du wärst anders, hättest dich geändert! Du … ich-!“ „Halt die Klappe, Redfield“, meinte die Blondine tonlos. „Ich bin jetzt Eden, nicht mehr eure … Freundin. Hass mich, so viel du willst.“ „Wir müssen hier raus!“, geriet Valerie langsam in Panik und suchte den Saal nach einer Fluchtmöglichkeit ab. „Wir müssen Henry warnen, damit er nicht-!“ Matt schrie regelrecht vor Wut und Enttäuschung. „Wie denn!? Er hat keine Ahnung-!“   „Nicht nötig.“ Die Fünf schauten überrascht auf, drehten sich zur Quelle der wohlbekannten Stimme. Als Matt aus den Augenwinkeln erkannte, wer da im Begriff war, den Kristallsaal durch die von Innen nicht sichtbare Öffnung zu betreten, schrie er: „Nicht! Verschwinde, das ist eine Falle!“ Doch Henry, der über seinem weißen Hemd einen hellbraunen Trenchcoat trug, nahm unbeirrt die letzten Stufen, dicht gefolgt von Melinda. „Ich weiß. Deswegen bin ich gekommen, um euch hier rauszuholen. Dankt mir später.“ Anya weitete überrascht die Augen beim Anblick der beiden. „Du willst was!? V-vergiss es, Kumpel, aber hier ist Schluss!“ Damit waren endlich alle hier versammelt! Anyas Herz machte einen Hüpfer vor Glück. Das ging ja viel schneller als erwartet! Also stand das Pennerkind doch zu seinem Wort! Nun blieb nur noch das Ritual … Seelenruhig schlenderte Henry jedoch über den glatten Kristallboden und fixierte sich auf Anya. „Was du nicht sagst?“ „Tch, vergiss es! Ihr seid jetzt hier mit mir gefangen!“ Sie breitete weit die Arme aus. „Der Kristallsaal lässt keines seiner Opfer gehen! Das hat Levrier gesagt! Und der war schon mal hier drin!“ „Soll ich dir mal was sagen?“ Der brünette, blauäugige junge Mann stellte sich vor Matt und griff in die Tasche seines Trenchcoats. „Dein Auftritt war langweilig. Jemand so Verdorbenem wie dir hätte ich mehr Geschmack in Punkto Performance zugetraut. Aber du stellst dich einfach vor sie und sagst ihnen, was sie ohnehin längst wussten. Wobei ich mich schon frage, wie blind man sein muss, um eine so offensichtliche Wahrheit dennoch zu verdrängen.“ „W-wir wurden“, stammelte Valerie, die das so nicht stehen lassen wollte, senkte dann aber den Kopf. „Nein, du hast recht. Ich … wollte nur das Gute in ihr sehen. Mehr … nicht.“ „Tch!“, zischte Anya daraufhin. Sie hatte keine Ahnung, was sie jetzt tun sollte. Wie begann man dieses verflixte Ritual!? Henry zückte ein Feuerzeug aus seiner Hosentasche und entzündete eine Flamme damit. „Aber lass mich dir etwas sagen, Anya. Du wirst in deinem letzten Moment allein sein. Du wirst hier alleine sterben.“   Mit einem Schwenk ließ er einen ganzen Flammenwall aus dem Feuerzeug frei, welcher neben Matt mitten in der Luft zum Stehen kam. Plötzlich formte sich daraus eine schlichte Holztür, die nun im Saal stand. „Das ist unser Weg hinaus“, erklärte Henry dazu. „Den ich mit meinem Blut erkauft habe.“ „Lass uns gehen“, meinte die blasse und mitgenommen wirkende Melinda niedergeschlagen, drehte sich zu den anderen um. „Mit dieser Tür können wir den Turm verlassen. Macht euch keine Sorgen.“ „Nein!“, schrie Anya und machte einen Satz vorwärts. „Ihr könnt nicht-!“ Doch die anderen versammelten sich mit finsteren Gesichtsausdrücken hinter Henry, was Anya derart erschreckte, dass sie in ihrer Bewegung regelrecht einfror. „Ich kann nicht glauben, dass du uns verraten hast“, sprach Matt leise und senkte den Blick, als er sich erhob, „ehrlich gesagt kann ich gar nicht glauben, was hier gerade abgeht. Aber … du hast mich wirklich enttäuscht, Anya.“ Valerie schluckte und trat neben ihn. „Du hast uns einfach ausgenutzt. Du wolltest uns opfern …“ „Und ich habe an dich geglaubt“, meinte Marc und legte seine Hände auf die Schultern seiner Verlobten. Seine Finger verkrampften sich förmlich in der blauweißen Jacke. „Hätte ich das gewusst, hätte ich dich damals nicht-“ „Dafür wirst du in der Hölle schmoren“, gab sich letztlich auch Alastair kalt und spuckte auf den Boden. „Schlangenzunge.“ „N-nein!“, schrie Anya und streckte den Arm aus. „Ihr könnt nicht gehen! Levrier, tu etwas! Gib mir Kraft, halt sie auf!“ „Levrier wird nicht kommen“, erstickte Henry ihre Hoffnungen jedoch im Keim. Die Hand des Mädchens senkte sich. „Er wird nie wieder kommen. Du bist jetzt Levrier, Anya.“ Sie sank auf die Knie. „Der Gründer und du, ihr seid jetzt eins. Aber seine Kräfte wirst du dadurch nicht erlangen“, meinte Henry, ehe er ihr den Rücken zuwendete. „Das ist der Preis der Unsterblichkeit – so hat es zumindest ein gewisser Dämon, den du selbst schon getroffen hast, ausgedrückt. Ich kapiere es selbst nicht so ganz, aber du bist jetzt machtlos, Anya. Dein Plan ist nicht aufgegangen. Leb' damit. Oder auch nicht.“ Tränen rannen über die Wangen der Blondine, als sie zitternd eine Hand nach den anderen ausstreckte. „B-bitte! I-ihr dürft nicht gehen!“ „Und warum?“, fragte Henry schneidend. „In meiner Situation hättet ihr dasselbe getan!“, verteidigte sich Anya verzweifelt. „Ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte!“ „Wirklich?“ Matt schloss die Augen. „Das sehe ich aber anders. Verdammt, Anya! Ist dir nicht klar, was du hier tun wolltest!?“ „Vergleiche uns nicht mit dir!“, schrie Valerie wütend. Anya biss sich auf die Lippen, als die Tränen nur so aus ihr herausquollen. „N-nein! Bitte! Ich- Ich-!“ „Was!?“, wurde nun auch Henry laut. „Was!? Was willst du!?“ „Ich will leben!“   Doch die Hand von Henry lag bereits auf der Klinke der Tür, die sich vor ihm mitten im Saal erstreckte. „Pech für dich: wir auch.“ Bevor er jedoch daran ziehen konnte, hielt Matt sein Handgelenk fest. „Was ist?“ „Wie können sie hier nicht einfach alleine lassen …“ „Du machst wohl Witze!?“, schrie Valerie auf. „Sie-!“ Matt ließ den Kopf hängen und sah dabei herüber zu dem Mädchen, das wie ein Häufchen Elend vor dem Thron lag. „Sie hat recht. Was hätten wir an ihrer Stelle getan? Es ist so leicht, auf andere herabzusehen, sie für ihre Taten zu verurteilen. Aber nur, weil wir nicht diejenigen sind, die diese Entscheidungen treffen mussten.“ Er wusste, wie es war, als Täter behandelt zu werden. Selbst wenn er damit nur seine Schwester deckte, wusste er, wie sich die Verachtung anderer anfühlte. Und obwohl sein Fall mit Anyas nicht zu vergleichen war, wollte er es nicht dabei belassen. Sie mussten doch wenigstens versuchen, eine andere Lösung zu finden! Das hatten sie die ganze Zeit, warum nicht jetzt!?   „Ich verstehe nicht, was du damit sagen willst“, beklagte sich Henry und riss sich von dem Dämonenjäger los. „Heißt das, du bist trotz allem auf ihrer Seite!? Obwohl sie dich tot sehen wollte!?“ „Sie hat uns Freunde genannt …“ Matt straffte sich nun und sah Henry erhobenen Hauptes an. „Und Freunden hilft man, selbst wenn sie Scheiße gebaut haben!“ Marc sah das anders. „Aber ein Freund würde nie so etwas tun! Sie ist nicht unsere Freundin-!“ „Weil wir ihr nie eine Chance gegeben haben“, meinte Valerie bedrückt und sah ebenfalls zu Anya herüber. „Sie ist das Produkt unserer Fehler. Hätten wir besser auf sie Acht gegeben, wäre es nie hierzu gekommen. I-ich … kann nicht sagen, dass … ich ihr deshalb verzeihe. Aber … ein guter Mensch … hilft anderen in Not doch, oder?“ Dabei dachte sie an Joan und ihren letzten Wunsch. Sicher hätte jene Anya in dieser Situation beigestanden. „Aber wie!? Wie sollen wir ihr helfen!?“, klagte Henry, der nicht mit Widerspruch gerechnet hatte und fuchtelte wild mit den Händen. „Ihr seid doch verrückt! Ich reiße mir den Arsch für euch auf und ihr-!“ „Henry, hör ihnen wenigstens zu“, bat Melinda neben ihm. „Nein! Ich will das nicht verstehen! Wie stellt ihr euch das vor!? Sollen wir einfach an Gottes Tür klopfen und ihn um einen Gefallen bitten!? Pah!“ Matt legte die Hand an die Stirn. Er hatte tierisch Kopfschmerzen. „Wir könnten mit dem Plan weitermachen? Den Turm-“ „Nein …“ Die anderen drehten sich überrascht um, als sie Anyas Stimme vernahmen. Die hatte sich aufgerafft und torkelte rückwärts auf den Thron zu. „Vergisst es. Das mit dem Herz von Eden ist alles nur erfunden …“ Das Mädchen legte ihre Hand über das Gesicht und stöhnte. „Es ist vorbei. Es gibt keinen Weg mehr zurück. Nicht für mich und nicht für euch. Hört auf, euch einzureden, dass ihr mich retten wollt! Ihr hasst mich! Also verschwindet!“ Matt stammelte überrascht: „Anya!? Wieso-!?“ Das Mädchen ließ sich auf den Thron fallen. Der Anflug eines Lächelns huschte über ihr Gesicht. In ihm stand aufrichtige Reue geschrieben. „Tut mir leid, dass ich euch hier hineingezogen habe. Ich hätte es besser wissen müssen. Geht, solange ihr noch könnt. Ich dachte, ich kann das durchziehen, aber …“ Sie nahm die Hand von ihrem Gesicht und grinste frech. „... ich bin halt die geborene Versagerin. Ich kann … meine Freunde nicht opfern. Ich weiß ja nicht mal -wie- das funktionieren soll. Tch, einfach lächerlich …“ „Was sagst du da!?“ Matt trat ein paar Schritte vor. „Eben erst-!? Ich versteh das nicht!“ „Geht endlich, ihr Idioten!“, schrie das Mädchen, deren Stimme durch den Kristallsaal hallte. Tränen rannen ihre Wangen hinab. Also war es in ihrem Fall Endstation Limbus. Anya versuchte sich damit zu trösten, dass niemand wusste, wie der Limbus wirklich aussah, wenn nie jemand daraus zurückgekehrt war. Vielleicht … gab es ihn gar nicht? Aber sie hatte Angst. Fürchterliche Angst davor, allein zu sein. Aber lieber im Limbus ohne Schuldgefühle, als mit Blut an ihren Händen zu Eden zu werden. Denn letztlich … entschied immer noch sie, zu was sie wurde und zu was nicht! Sie, Anya Bauer! „Haut ab, bevor es euch kriegt! Macht endlich, bevor ich es mir anders überlege! Ihr könnt mich nicht retten, also rettet euch wenigstens selber, ihr gehirnamputierten Dummschwätzer!“   Ihre Stimme ging jedoch unter dem plötzlichen Dröhnen von Glockenklang unter. Alle Anwesenden legten sich vor Schmerz die Hände auf die Ohren, selbst Anya. Sie alle pressten die Lider zusammen, als würde das den Effekt lindern, was es jedoch nicht tat. Einer nach dem anderen begann zu schreien, denn der Lärm trieb sie regelrecht in den Wahnsinn. Wie Fliegen fielen sie um. Erst Valerie, dann Marc, gefolgt von Melinda, Alastair und Henry. „Was ist das!?“, ächzte Matt, der die Augen öffnete und erschrak. In ihnen spiegelte sich pures, goldenes Licht wieder. Anya saß schlaff auf dem Stuhl, so als würde sie nur schlafen. Der Kopf angelehnt an die Schulter, die Hände auf den Lehnen. Doch hinter ihr, hinter ihr war-! Bevor Matt begreifen konnte, was er sah, kippte auch er um und ging im endlosen Nichts verloren. Unter dem Klang zerbarst sogar die Tür, die Henrys Feuerzeug geschaffen hatte. Die Holzsplitter schossen über die regungslosen Körper hinweg und lösten sich in kleinen Flammen auf. Und da lagen sie, sieben Menschen im Kristallsaal des Turms von Neo Babylon, als das Glockengeläute endlich verstummte. An seiner Statt war ein neues, viel leiseres, regelmäßig erklingendes Geräusch getreten, wie eine tickende Uhr, doch viel ruckartiger und tiefer. „Urgh“, erklang schließlich eine Stimme, schleifende Geräusche vermengten sich mit dem unheilvollen Ticken. Ein Schatten erhob sich inmitten der Bewusstlosen. „Hah …“ Der Umriss eines Fußes sauste auf das Feuerzeug herab, das neben Henry lag. Ein lauter Knall verkündete, dass jenes nicht länger funktionieren würde. „Eden … endlich bist du hier …“     Turn 32 – Puppetmaster Das Tor Edens steht kurz davor, geöffnet zu werden. Ein letzter Hoffnungsschimmer verbindet die Gefangenen des Turmes miteinander. Ein Schuss. Zwei Feinde verbünden sich widerwillig, um sich ihren Widersachern in den Weg zu stellen. Und der teuflische Plan kommt endlich ans Licht …   Kapitel 32: Turn 32 - Puppetmaster ---------------------------------- Turn 32 – Puppetmaster     Eine kalte, grausame Lache hallte höhnisch durch den Kristallsaal. Von den Bewusstlosen hatte diese eine Person sich letztlich erhoben und straffte den roten Mantel. Das süffisante Grinsen auf Alastairs vernarbten Gesicht war jedem Zweifel erhaben. Er hatte erreicht, wonach er so lange gestrebt hatte. Den Fuß von dem Feuerzeug nehmend, das neben Henrys regungsloser Hand lag, grinste triumphal. Das Geschenk des Sammlers löste sich in einer Flamme auf. Ein neckischer Trick, um den Fängen des Turms zu entkommen. Vergebliche Liebesmüh, damit hatte er gerechnet. Er, Refiel. Nein, er war nicht Refiel. Nie gewesen. Diese Identität konnte er jetzt endlich abstreichen wie eine Haut, die nicht länger benötigt wurde. Dieser Narr Alastair, er war all die Jahre über so leicht zu kontrollieren gewesen. So sehr er sich in seinem Elysion auch zu wehren versuchte, er war durch die Einwirkung Edens stillgelegt. Für immer. Genau wie die anderen, die in ihrer letzten Zuflucht gefangen waren.   Das Wesen, das sich Alastair bemächtigte, schritt durch die Reihen der Bewusstlosen. Nun war es nur noch eine Frage der Zeit. Die Gründerin, Valerie Redfield, Marc Butcher, Melinda Ford, der Freund seines Gefäßes und schließlich jenes selbst. Fünf Opfer. Nein, sogar eins mehr, wenn man Henry Ford noch hinzu zog. Es konnte schließlich nie schaden, eine Notreserve zu haben, falls einer absprang. Wie hatte Anya Bauer es geschafft, sie trotz ihrer feindseligen Art um sich im Turm zu versammeln? Ihm erschien es wie ein Wunder. Aber es war Realität. Mehr brauchte er nicht zu wissen.   Er trat seelenruhig an das Mädchen heran, das auf dem Thron saß und wirkte, als wäre es einfach nur eingenickt. In Alastairs Augen spiegelte sich das goldene Licht, das über dem Thron hervor trat, doch er konzentrierte sich ganz auf die Gründerin. Vor ihr angelangt, griff er sie am Kinn und bewegte ihren Kopf zur Seite, um sie genauer zu betrachten. „Levrier ist fast fort. Nicht mehr lange und er hat seinen Zweck erfüllt“, murmelte er zufrieden. Den Zweck, den er einst für Levrier bestimmt hatte. Für einen Abkömmling Isfanels war dieses Exemplar ziemlich langlebig, das musste er den beiden zugestehen. Nicht so wie seine eigenen. Schließlich ließ er von Anya Bauer ab und sah nun hinauf. Da war es. Das Tor Eden. Das, wonach er seit Jahrhunderten gesucht, das, was sein ganzes Leben bestimmt hatte. Kreisrund war es, schwebte mitten in der Luft über dem Thron. Von schlichter Eleganz, ragten an den Rändern der kristallisch-silbernen Oberfläche spitze Dornen heraus, die dem Gebilde eine besondere Form gaben. Fast wie eine Sonne. Aber jene war noch nicht aufgegangen. Das Innere des Tors war durch dicke Schichten jenes Kristalls ähnlich Blüttenblättern verdeckt, doch Alastair konnte durch jene hindurch bunte Lichter erkennen. Die Spitzen des Tores strahlten zudem elektrische Schläge aus, die es wie ein Netz in der Luft hielten, denn jene Strahlen waren mit den Kristallstalaktiten und -stalagmiten verbunden, die sich im näheren Umfeld des Throns befanden. „Ein wundervoller Anblick“, schwärmte er. „All die Arbeit-!“   Ein leises, schleifendes Geräusch ließ den besessenen Alastair herumwirbeln. Allerdings bewegte sich keines der Opfer auch nur im Geringsten. Wie könnten sie auch, Edens Präsenz hatte sie in ihren Elysien versiegelt. Diese Menschen würden nie wieder erwachen. Der besessene Alastair wandte sich wieder dem Tor zu, als eine Hand auf ihn zuschoss und am Hals packte. Mit einem Ruck war Anya aufgesprungen, lehnte sich mit der Seite an den Körper des Hünen und sah ihn von unten herauf mit einem unwirklichen, manischen Blick an. „Sieh an, sieh an“, gurrte sie heimtückisch, „scheint, als wäre ich nicht die Einzige, die ihr eigenes Ding dreht, Narbenfresse … oder wer immer du wirklich bist.“ Der Mann stellte tonlos fest: „Du bist wach?“ „Hör mal, Buddy“, erwiderte sie versöhnlich und ließ zugunsten des Nackens von seinem Hals ab, während ihren Kopf auf seine Brust legte, „keine Ahnung, was zum Teufel du hier treibst, aber die da“, sprachs und zeigte mit dem Zeigefinger der freien Hand auf die anderen, „sind nicht dein Spielzeug, klar? Also verpiss' dich!“ Das gesagt, riss sie am Nacken seinen Kopf herab und rammte gleichzeitig ihr Knie in seinen Unterleib, schubste ihn anschließend von sich weg und begann zu rennen.   „Aufwachen ihr Idioten, es gibt Ärger im Nimmerland!“, schrie sie dabei, während sie ihn hinter sich zurückließ und auf die Gruppe der Bewusstlosen zusteuerte. „Scheinbar hat der Engel die Seiten gewechselt!“ Das Mädchen stellte mit einem Blick über die Schulter überrascht fest, dass Refiel ihr nicht zu folgen schien, sondern ihr stattdessen nur nachdenklich hinterher sah. Vor Matt ließ Anya sich auf die Knie fallen, rutschte über den glatten Kristallboden und packte den Dämonenjäger an den Schultern. Ihn heftig schüttelnd, rief sie: „Nun mach die Augen auf, Mistkerl!“ „Er wird nicht erwachen“, hallte Alastairs Stimme durch den Saal. Anya drehte den Kopf zu ihm und pfiff abfällig durch die Zähne. „Das hast du von mir aber auch gedacht, nicht wahr? Was soll dieser Mist überhaupt!? Was-!“ Erst jetzt fiel Anyas Blick auf das Tor Eden, das in all seiner Pracht über dem Thron hing und goldenes Licht ausstrahlte. Ihre Kinnlade klappte herunter und ließ sie die Dinge vergessen, die sie sagen wollte. „Mist? Warst es nicht du, die das Ritual starten wollte? Denn es hat begonnen, jenes Ritual. Ich habe gar nichts getan. Ganz allein du, Anya Bauer.“ Zwar bekam sie am Rande mit, was Refiel sagte, doch Anya hatte nur noch Augen für Eden. Das war es? Zu dem Ding sollte sie werden? Aber Moment! Sie existierte noch! Dann-! „Du fragst dich jetzt, warum Eden hier ist, du aber noch lebst?“ Alastair ging zum Thron und ließ sich mit einem erschöpften Stöhnen darauf niedersinken. „Gemach. Es dauert ein wenig, bis das Ritual beendet ist. Obwohl ich zugeben muss, nicht damit gerechnet zu haben, dass du dabei wach sein würdest.“ „Du wolltest das die ganze Zeit, huh!? Dich bei Gott einschleimen, oder was?“ Anya wandte sich wieder Matt zu und rüttelte heftig an ihm, verpasste ihm sogar Ohrfeigen – mit der Faust. „Aufwachen! Aufwachen! Aufwachen!“ „Natürlich wollte ich das. Aber nur um meinetwillen.“ Der vermeintliche Refiel sah herauf zum Tor über ihm. „Es ist wunderschön. Sobald es offen ist, wird meine Mission endlich erfüllt sein. Nach so langer Zeit.“ „Keine Ahnung, was du da fasel- Urgh!“ Anya keuchte auf und fasste sich an die Brust, die plötzlich heftig zu Schmerzen begann. Matt vor ihr verschwamm, ihre Kräfte ließen nach, sie sackte zusammen und landete auf ihm. „Wehre dich nicht, Anya Bauer. Du bist die Gründerin, der Eckstein. Dachtest du, du würdest nicht absorbiert werden? Ich muss dich enttäuschen, dieses Schicksal wird euch allein zuteil werden. Selbst meinem Gefäß.“ Er lachte amüsiert. „Außerdem … ist das nicht auch, was du wolltest? Auch wenn du sie ohnehin nicht aufwecken könntest, musst du es auch nicht. Sie können dich nicht mehr daran hindern, eins mit Eden zu werden. Der Limbus, du musst ihn nicht mehr fürchten.“ Mit aller ihr noch zur Verfügung stehenden Kraft versuchte Anya sich zu erheben, stützte sich mit den Händen von Matts Brust ab. Der atmete zwar noch, aber das war auch das einzige Lebenszeichen, das er von sich gab. Jedoch gelang Anya der Versuch nicht, sie knickte wieder ein und konnte nur aus einem halb geöffneten Auge Alastair ansehen, wie er da auf dem Thron saß und die Szene zu genießen schien. „Ich will aber nicht mehr Eden werden“, presste Anya hervor und grinste bösartig, „nicht, wenn so'n Trottel wie du was davon hat.“ „Oh? Das hat mich jetzt aber sehr getroffen“, erwiderte der Mann spitz und seufzte, woraufhin er in fast kindlich beleidigter Manier weitersprach, „du solltest mir dankbar sein, dummes Ding. Ich hab dir geholfen die Opfer zu versammeln. Meine Güte, dir kann man es aber auch nie recht machen!“ „Wenn ich zwischen denen und dir wählen muss, sind mir Redfield und der Rest deutlich lieber, Mistmade!“ „Hmm, scheinbar wirkt sich Eden schon auf deine Ausdrucksweise aus. Ich möchte wetten, dass du im Normalzustand viel fiesere … und vor allem kreativere Dinge von dir gibst.“ Er lachte hysterisch, was bei Alastairs tiefer Stimme regelrecht absurd klang. „Ist ja auch egal. Ich hab gewonnen, nicht du. Also kuschel dich an die Brust deines Ritters, solange du noch kannst. Vielleicht willst du ihm ja einen letzten Kuss stehlen? Nur zu, ich mag solche Momente! Haaaah, die Jugend …“ „Niemals!“, hallte es da durch den Saal – von zwei Stimmen. Ehe Anya sich versah, wurde sie von Matts Brust geschleudert, als der sich ruckartig aufrichtete und perplex ins Leere starrte. Er stöhnte und fasste sich an die Stirn. „Verdammt, was war das für ein Albtraum. Erst dreht Alastair durch und dann soll ich Anya küssen? Haha! Ich bin doch nicht lebensmü- … de.“ Als Matt mit seltsam schmerzenden Backen jedoch Alastair auf dem Thron und über ihm Eden erblickte, traf ihn die Wahrheit wie ein Schlag ins Gesicht. Serviert von Anya Bauers Faust. Nie war Wahrheit so voller Substanz gewesen. „Ow!“, schrie er und hielt sich die Wange. „Bin ich dir etwa nicht gut genug!?“, fauchte Anya und blinzelte anschließend verdutzt. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie auf allen Vieren vor Matt verharrte und wieder bei Kräften war.   Gleichzeitig ging noch mehr Gestöhne durch den Kristallsaal. Auch Marc richtete sich mit schüttelndem Kopf auf, neben ihm Valerie, etwas weiter weg auch Melinda und Henry. Letzterer war es auch, der als Erster das Wort ergriff. Auf dem Hintern sitzend, sah er seine Hand an, die er vor sich ausstreckte und welche zitterte wie Espenlaub. „Er hat sein Wort gehalten … der Zauber wirkt!“ Hastig griff Henry in die Brusttasche seines Trenchcoats und zog daraus drei Karten hervor, die Xyz-Monster [Lavalval Chain], [Daigusto Emeral] und ein weiteres, was von den anderen beiden verdeckt wurde. Von allen dreien gingen bunte Lichter aus. „Welcher Zauber!?“, schoss es aus Anya heraus. „Diese Karten da!? Was geht hier überhaupt ab!? Ich glaube, ich verliere langsam den Überblick! Klär mich auf, Schnöselkind!“ „Dir muss ich nichts erklären!“, erwiderte Henry bockig und steckte die Karten wieder weg.   Er wusste, dass sie nicht ewig halten würden. Auch sie hatte er sich unter hohem Preis erkauft, um sich der hypnotischen Kraft Edens zu entziehen. Dabei hatte er diverse Kompromisse eingehen müssen, darunter auch, dass Anya ebenfalls betroffen war. Denn sie war die Schnittstelle zwischen ihm und den anderen Zeugen, ohne sie miteinzubeziehen wirkte der Zauber nicht – daher die symbolische Verschmelzung ihrer Gem-Knights mit seinen Gustos, war er schließlich das Medium für den Zauber. [Daigusto Emeral], der vogelhafte Ritter, war die entsprechende Verkörperung des Zaubers. Ähnlich verhielt es sich auch zwischen den anderen beiden Karten. Marcs und Valeries Verbindung war [Lavalval Chain]. Jene hatte er nicht bezahlen müssen, da diese Karte bereits entstanden war, als Valerie ihren Wunsch vor dem Sammlerdämon vorgetragen hatte. Sie war die Kette, die die drei einzelnen Zauber zu einem verband. Die letzte Karte war dementsprechend dazu gedacht, Matt und Alastair zu beschützen. Sie war die Quelle der Kraft für den Zauber. Zwar verstand Henry nur bedingt, wie diese Karten wirkten, aber der Sammler hatte ihm immer wieder gesagt, nicht zu viel Zeit im Turm zu verbringen. Lange würde die Magie also nicht halten.   „Oh? Noch ein Gimmick des Sammlers?“ Der schwarzhaarige Mann auf dem Thron schmunzelte amüsiert und warf den langen Pferdeschwanz von seiner Brust über die Schulter. „Meine Güte, hast du ihm etwa deine Organe verkauft, um so ein Arsenal an Taschenspielertricks zu erhalten?“ Henry, der sich stöhnend die Stirn hielt, sah herüber zu Alastair und weitete die Augen. „Wieso-! Wieso bist ausgerechnet du-!?“ „Dachtest du, Anya Bauer wäre die Einzige, die an Eden Interesse hat? Mitnichten.“   Ehe Henry etwas darauf erwidern konnte, stieß er einen schmerzhaften Schrei aus und hielt sich die Brust. Er musste genau hinsehen, um einen hauchdünnen Faden aus blauem Licht zu erkennen, der in seiner Brust verschwand. „W-was ist das!?“ Er verfolgte den Strang zum Ursprung, was jedoch angesichts des grellen Lichts des Tores letztlich unmöglich war. Aber auch so gab es keinen Zweifel, woher der Faden kam. Und nicht nur er war betroffen, auch die anderen bemerkten den Fremdkörper, der direkt in ihren Herzen zu verschwinden schien. Alle außer Anya. Was jene dennoch nicht davon abhielt, die anderen auf das Offensichtliche aufmerksam zu machen. „Heiliger Kackmist von Scheißhaufen, was ist das schon wieder!?“ „Das, was euch mit Eden verbindet und eigentlich dafür sorgen sollte, dass ihr wie kleine Lämmer schlaft“, antwortete ihr Alastair und gluckste. „Aber der Zauber eures Freundes hat die Wirkung etwas … hinausgezögert. Aber es dauert nicht lange, dann werdet ihr von Eden absorbiert werden.“ „Das lass ich nicht zu!“, donnerte Matt aufgebracht. „Wir sind hier, um Eden zu zerstören! Wer bist du und was hast du mit Alastair gemacht!?“ „Und warum bin ich die Einzige, die nicht an so'nem komischen Faden hängt!?“, stimmte Anya mit ein und fügte kleinlaut hinzu: „Nicht, dass ich mich beschwere oder so!“ „Ihr seid wirklich nicht die hellsten Löffelchen in der Besteckschublade, oder? Du lieber Himmel, dagegen war dieser Nick Harper ein echtes Genie“, spottete Alastair jedoch nur, „und vor allem war er willensstärker als ihr, der hat sich schließlich keinen Pakt aufdonnern lassen, lieber Matt Summers. Wer würde euch schon ernst nehmen? Für mich gibt es keinen Grund mehr, noch Angst zu haben. Vor euch.“ Er spuckte dabei voller Verachtung aus. „D-diese Art zu reden“, schnappte Matt plötzlich laut und weitete die Augen, „die kenne ich! Du bist-!“ Es war nur eine Eingebung, aber-! „Another, ja.“ „Den Namen habe ich irgendwo schon mal gehört“, grübelte Anya und schnippte bei der anschließenden Erkenntnis mit dem Finger. „Klar! Du bist doch der Todfeind von dem Freak, den du gerade kontrollierst!“ „Das kann nicht sein!“, schrie Matt erschrocken und sprang auf. „Du kannst unmöglich in ihm sein! Du bist-!“ „Dein Paktdämon?“ Alastair setzte ein fieses Grinsen aus. „Oh, bist du wirklich so naiv? Natürlich bin ich -dein- Paktdämon. Und seiner“, er zeigte auf sich selbst, „und ihrer auch.“ Valerie zuckte zusammen, als der Finger auf sie gerichtet wurde. „W-wie? Ich verstehe nicht, ich bin nicht-!“ „Habt ihr es immer noch nicht durchschaut?“ Gelangweilt stemmte der Schwarzhaarige seine Wange auf die Faust und schloss die Augen, wie er da majestätisch auf seinem Thron saß. „Ich habe nicht umsonst den Namen 'Another' für mich gewählt. Ein anderer, das bin ich. Ob Joan, Refiel, was macht den Unterschied? Ich bin der Puppenmeister und ihr alle seid meine Marionetten, seit ich Levrier ausfindig gemacht habe. Alles, was bis zum heutigen Tag geschehen ist, wurde von mir überwacht und gelenkt.“ Matt schwankte benommen zurück und fasste sich an die Brust, denn sie schmerzte fürchterlich. „U-und der Turm!? Du wolltest ihn zerstören!“ „Alles nur ein Vorwand, um euch in den Turm zu locken. Die Fäden in eurer Brust sind der Beweis für euren Status. Und nun seid brave Lämmer und legt euch wieder schlafen. Der Zauber des Sammlers hält ohnehin nicht lange an.“ Henry biss sich wütend auf die Lippen und ließ sich von Melinda aufhelfen. „Er hat recht, viel Zeit bleibt uns nicht! Aber er hat das Feuerzeug zerstört! Ohne kommen wir hier nicht raus!“ „Aber das geht nicht!“, protestierte der jüngere Dämonenjäger weiter und warf dabei einen Blick herüber zu Valerie, die sich mit versteinerter Miene an Marc schmiegte, welcher ihr tröstend zuredete. In ihren Augen stand das blanke Entsetzen. Sie zitterte am ganzen Leib und warf unfähig, den Betrug zu begreifen. Konnte nicht verstehen, dass Joan nicht echt war. „Was geht nicht?“ Matt wirbelte zu Another herum. „Dämonen können nicht mehr als einen Pakt gleichzeitig aktiv halten!“ „Korrektur, mein Lieber: Isfanel kann das nicht. Du hast sicher gemerkt, dass ein Pakt selbst weiterbesteht, wenn der 'Dämon' das Gefäß verlässt.“ Another legte gespielt nachdenklich Mittel- und Zeigefinger an die Schläfe. „Aber ich habe gehört, dass das Versprechen, auf das ein Pakt beruht, solange existiert, bis es eingelöst wurde. Deswegen seid ihr immer noch Zeugen der Konzeption.“ „Das erklärt nicht-!“ „Lass mich ausreden, Matt Summers“, bat Another seelenruhig, „Isfanel kann tatsächlich nicht überall gleichzeitig sein. Weil seine Kräfte, sich aufzuspalten“, das nächste Wort sprach er mit besonderer Boshaftigkeit aus, „mangelhaft sind. Woran ich übrigens nicht ganz unbeteiligt bin. Deswegen vergleiche mich nicht mit dem. Geschweige denn diesem Blindgänger Levrier. Von seinesgleichen kann ich Hunderte kreieren, ohne zu viel meiner Macht einzubüßen.“   „Das wird mir langsam zu viel! Können wir den Kerl endlich kalt machen!?“, verlangte Anya ungeduldig und zeigte auf den Puppenmeister, wie er sich selber bezeichnete. „Ich meine, was sollen wir sonst tun!? Uns einfach ergeben und zu Eden werden!?“ „Anya …“ Matt schluckte und trat einen Schritt auf sie zu, sah sie bedrückt an. „Du weißt, was es bedeuten würde, gegen ihn zu kämpfen.“ Das Mädchen drehte ruckartig den Kopf weg und verschränkte beleidigt die Arme. „Hältst du mich für blöd? Klar weiß ich das! Aber ich habe euch in die Scheiße reingeritten, also hole ich euch da auch wieder raus!“ „Anya …“, murmelte Valerie leise, die an Marcs Brust lehnte und sich dort festkrallte. „Bist du dir sicher?“, fragte jener zweifelnd. „Ganz nehme ich dir den Sinneswandel nämlich nicht ab.“ „Ich bin sicher“, zischte Anya ihn an, so laut, dass es durch den Kristallsaal hallte. „Wenn du mir nicht vertraust, bitteschön, mir egal! Aber denk an deine Schwanenprinzessin da!“ „Alastair …“ Matt sah herüber zu seinem Freund, der auf dem Thron saß und die Szene gespannt verfolgte. „Wir können ihn nicht töten. Es muss einen Weg geben, Another aus ihm zu vertreiben!“ „Auf welchem Planeten lebst du eigentlich!?“, fauchte Anya und packte Matt am Kragen seines schwarzen Mantels. „Hast du nicht kapiert, dass das nicht geht!? Nichtmal, indem man den Tod überlebt!? Ein-Pakt-kann-nicht-gebrochen-werden!“   Gleichzeitig legte Melinda ihrem Bruder die Hand auf die seine, während er die Knie anwinkelte und im Begriff war aufzustehen. Die beiden saßen etwas abseits der Gruppe auf dem kalten Kristallboden. „Der Sammler lag also richtig damit, dass noch jemand anderes als Anya versuchen könnte, uns ins Verderben zu ziehen.“ „Darum geht es also“, murmelte Henry und kniff die Augen zusammen. Nebenbei schob er seine freie Hand unter den Trenchcoat und griff nach etwas in dessen Innentasche. „Hätte ich mir denken können. Egal wer hierher kommt, das Ziel ist immer das gleiche.“ „H-Henry!“, stotterte Melinda, welcher dämmerte, was ihr Bruder jetzt vorhatte. „Tu das nicht!“ Another schlug ein Bein über das andere und lächelte amüsiert. „Gewiss. Wie viel hat der Sammler dir erzählt?“ „Was spielt das noch für eine Rolle?“, antwortete Henry kühl und erhob sich langsam. Dabei zog er einen Revolver aus seinem Mantel und richtete den Lauf auf den besessenen Dämonenjäger. „Ich habe für alles vorgesorgt.“ „Du willst mich erschießen?“ Another lachte herzhaft auf und winkte mit seiner Rechten Henry zu sich. „Nur zu!“ Die anderen verharrten gebannt auf der Stelle beim Anblick der Pistole in den Händen des brünetten, jungen Mannes. „Am liebsten hätte ich mir vom Sammler eine Kugel erkauft, die Dämonen tötet. Aber das konnte ich mir nicht leisten“, erklärte Henry dazu und schwang den Arm mit der Waffe zur Seite aus. „Deswegen müssen normale Patronen reichen.“   Ein Schuss hallte durch den Kristallsaal. Fassungslos folgten die anderen der Richtung, in die Henry geschossen hatte und erkannten mit Entsetzen, dass ein blutiges Loch Marcs Stirn zierte, ehe er letztlich zur Seite klappte. „Marc!“, schrie Valerie aufgelöst und stürzte sich auf ihn. Gleichzeitig ließ Henry die Waffe sinken und atmete tief durch, ehe er den Arm wieder hob und sich den Lauf an die Schläfe hielt. „Ein Opfer weniger. Wenn du noch eins verlierst, kann Eden nicht mehr erwachen.“ „W-was geht mit dir ab!?“, schoss es aus Matt heraus, der Henry anspringen wollte, doch verharrte, als dieser einen Schritt zurück nahm und den Abzug ein Stück weit betätigte. „Das ist die letzte Möglichkeit, das Ganze zu verhindern!“, rechtfertigte sich Henry aufgebracht. „Auch wenn unsere Male verblasst sind, wir sind weiterhin Zeugen der Konzeption! Nichts kann das ändern! Solange wir leben, sind wir Opfer für Eden!“ „Henry, tu das nicht!“, flehte Melinda und zerrte an seinem Arm, doch er stieß sie von sich. „Es gibt keinen anderen Weg! Denkst du, ich will das tun!? Aber nur ich bin noch frei von einem Paktdämonen! Zu groß ist die Gefahr, dass eure euch heilen!“ „Fein“, hallte da Anothers Stimme zu ihnen und kicherte amüsiert, „drück ab. Ruiniere meinen Plan. Wenn du kannst.“ Panisch wirbelte Henry in seine Richtung. „Was soll das heißen!? Bist du etwa auch noch Isfanel!?“ „Lass das, Henry!“, bettelte Melinda und fiel ihren Bruder wieder an, versuchte ihm, die Pistole abzunehmen. „Bitte!“ Gleichzeitig schüttelte Valerie verzweifelt ihren leblosen Verlobten, badete regelrecht in seinem Blut, das sich in einer Lache immer weiter ausbreitete. „Du kannst nicht sterben! Du darfst nicht! Alles was ich getan habe-!“ „Ist alles, was ich dir aufgetragen habe, Valerie Redfield“, schnitt Another ihr das Wort ab. „Du hast durch dein Opfer meine Schachfigur zum Leben erweckt. Dafür danke ich dir.“ „Du!“, wandte sie sich mit Tränen in den Augen an ihn. „Du hast das alles geplant! Du bist an allem Schuld, hast uns alle nur benutzt! Und wegen dir ist er jetzt tot! Tot!“ „Sagen wir, ich habe einkalkuliert, dass Isfanel mir die Tour vermasseln will. Dass Marc Butcher gestorben ist, war bedauerlich, aber schlimmer hätte mich der Tod der Gründerin getroffen.“   Another sah herüber zu Anya, die auf den Knien neben dem stehenden Matt lag und ihn sprachlos ansah. „In der Tat hast du mich wirklich beeindruckt, Anya Bauer. Deine Willenskraft, dein Credo, nie aufzugeben. Mit jedem anderen wäre ich vermutlich gescheitert.“ „Du … du Feigling!“, spie sie daraufhin vor Verachtung. „Du elender Drecks-!“ „Als ich diesen Schattengeist besiegt habe, hast du dich für ihn eingesetzt. Für einen Moment habe ich deinen Worten wirklich Gehör geschenkt. Eine Welt, in der keine Vorurteile existieren. Es klingt schön, wenn man das so sagt. Aber am Ende bist du ebenso feige und hinterhältig, wie du es den Engeln vorgeworfen hast, die nicht einmal existieren.“ Ein Aufschrei ging durch die Gruppe. Der besessene Another lächelte. Es war ein dünnlippiges, falsches Lächeln. „Ihr hört recht. Ich hatte wirklich Glück, dass der Sammler seinem Schergen verboten hat, über dieses Geheimnis zu sprechen. Es hätte meinen ganzen Plan vernichten können.“ Langsam richtete er sich vom Thron auf, trat einen Schritt auf die fassungslose Gruppe zu und breitete die Arme aus. „So viele Hindernisse. Ihr habt mir immer wieder Steine in den Weg gelegt. Es war nicht leicht, eine so große Gruppe aus Dickschädeln dazu zu bringen, diesen Turm zu betreten. So oft glaubte ich, dass ich scheitern würde. Musste umdenken. Meine Schachfiguren neu positionieren und gleichzeitig die des Gegners dazu bringen, neue Pakte zu formen. Angst ist wahrlich eine große Antriebsquelle. Und ich hatte Angst!“ Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, ballte nebenbei die ausgestreckten Hände zu Fäusten. „Verzeiht mir, aber es wird mir unsägliche Freude bereiten, dass eure Leben den Pfad zu den Toren Edens pflastern werden.“ „Denk nicht, dass ich es dir so leicht machen werde!“, fauchte Henry mit der Pistole an der Schläfe. Mit einem Stoß der freien Hand schubste er Melinda erneut von sich weg, die rückwärts stolperte. Ihr Blick weitete sich, als sie realisierte, was gleich geschehen würde. Denn er sagte: „Ich bin schon einmal gestorben, vor dem Tod habe ich keine Angst mehr!“ „Ist dem so? Dann tu, was du tun musst.“ Another lächelte mild. Keuchend schloss Henry die Augen – und drückte ab. Leises Klimpern hallte durch den Kristallsaal. Zufrieden grinsend ließ Another die Patronenhülsen aus seiner Hand auf den spiegelnden Boden fallen und lachte. Als Henry realisierte, dass es keinen Schuss gegeben hatte und daraufhin die Augen öffnete, stieß er einen erschrockenen Schrei aus. „Diesmal war ich schneller als du“, erwiderte der Puppenspieler zufrieden. „Wie hast du-!?“, stammelte Henry und drückte abermals ab. Immer wieder, aber egal wie oft er es auch versuchte, die Pistole wollte seinem Leben kein Ende setzen. „Dachtet ihr, meine Macht würde sich darauf beschränken, Pakte und Kopien meiner selbst zu formen?“ Another lachte arrogant, was als Echo durch den ganzen Saal hallte. „Dumme Menschen! Es gab eine Zeit, da waren -wir- etwas, das ihr als Götter bezeichnen würdet!“ „Gott hin oder her“, zischte Anya und erhob sich langsam. „Ich hab die Schnauze voll von dir!“ Matt, der neben ihr stand, sah sie nachforschend an, ehe er nickte. „Seh' ich ähnlich-!“   Doch ein spitzer Schrei Valeries unterbrach ihn abrupt. Die Schwarzhaarige, die neben dem toten Marc kniete, wurde zurück auf ihren Hintern geworfen, als ein weißer Lichtstrahl aus dem Mund ihres Verlobten schoss. „Marc!“, kreischte sie aufgelöst, erhob sich torkelnd. „Es beginnt also“, stellte Another seinerseits fest und schmunzelte, „du kannst uns ja nicht ewig warten lassen, nicht wahr, Isfanel? Damit betritt auch der letzte Akteur die Bühne.“ Plötzlich fasste sich auch Anya an den Hals und begann, ein weißes Sekret hervorzuwürgen, das wie Nebel aus ihrem Mund trat. Aber nicht nur sie, denn auch Melinda und Henry erging es ähnlich. „Anya!“, stieß Matt erschrocken hervor und hielt das Mädchen am Arm fest, welches rückwärts stolperte und in die Knie ging. „Was ist mit ihr!?“ Gleichzeitig begann Marcs ganzer Körper in weiße Flammen aufzugehen. Valerie schrie nach Leibeskräften nach ihren Geliebten, aber ehe sie sich versah, war die hustende Melinda zu ihr geeilt und hielt sie an den Schultern fest. „Geh da nicht hin!“, würgte sie hervor. „Aber er brennt!“ „Wenn du ihn jetzt berührst, urgh … könnte alles Mögliche passieren!“, redete die brünette Frau auf die Jüngere ein und zog jene davon, wich dann aber von ihr zurück und umfasste ihren Hals mit beiden Händen. Valerie gab sich aber nicht damit zufrieden. „Was geschieht mit ihm!?“ „Seht, wie aus dem Meister und seinem Abkömmling wieder eins wird!“, lachte Another laut auf. Anya, Henry und Melinda würgten unter Qualen die weiße Masse hervor. Matt, der seine Hand auf die Schulter der Blondine gelegt hatte, wusste nicht, wie er ihr helfen konnte. Der Nebel, den sie auswarf, glitt wie eine Schlange über den Kristallboden und stieg vor Marcs loderndem Leichnam hoch in die Luft, wo er sich mit den anderen beiden und dem Strahl, der aus dem Mund des Footballspielers trat, verband. Damit kehrte sich die Wirkung um und die vier Strahlen wurden von Marcs Körper inhaliert. Dabei explodierten die Flammen um ihn herum regelrecht und nahmen immer mehr Platz ein. „Marc!“, schrie Valerie verzweifelt, streckte den Arm nach ihm aus. „Du kannst ihm nicht helfen, das ist nicht Marc!“, redete Melinda krächzend auf sie und hatte ihre Mühen, das Mädchen von der Stelle wegzuzerren. Mit einem Mal hustete Anya, als die weiße Substanz auch aus ihr vollkommen herausgequollen war. Schwach kippte sie nach vorn und wurde von Matt gehalten. „Bist du in Ordnung!?“ „Geht schon“, ächzte die Blondine und wischte sich über den Mund, ehe sie fassungslos über ihre Schulter sah. „Verdammte Scheiße, was ist hier los!? Was war das!?“ „Warten wir doch mit der Erklärung, bis Isfanel wiederauferstanden ist“, antwortete Another und sah gespannt herüber zu Marcs leblosen Körper. Dieser erhob sich mit einem Ruck und kam auf die Beine. Nichts mehr an ihm zeugte noch von Marc, denn die weißen Flammen hatten ihn komplett eingenommen. Dunkle Streifen unterbrachen das Bild, welche von seinen Beinen den Oberkörper hinauf bis zum Gesicht verliefen. Mit einem Knall schossen zwei schwingenartige Auswüchse aus seinem Rücken, ebenfalls komplett aus Feuer bestehend. „Marc!“, schrie Valerie abermals. „Er lebt! Er lebt!“ Aus weißen, pupillenlosen Augen starrte die feurige Gestalt sie an. „Du irrst dich. Ich bin nicht Marc. Ich bin … Isfanel. Der wahre Isfanel.“ „Ich habe auf dich gewartet, alter Freund“, rief ihm Another zu und schritt durch den Kristallsaal. „Erinnerst du dich wieder? An alles?“ „Ja“, erwiderte die Gestalt mit unheimlich tiefer, widerhallender Stimme, „langsam ergibt alles einen Sinn.“   „Was geschieht hier!?“, fauchte Anya, als Another an ihr und Matt vorbei schritt. Statt aber eine Antwort abzuwarten, warf sie sich einfach auf den Hünen, den Alastairs Körper darstellte. Mit einer Handbewegung Anothers wurde sie jedoch meterweit von einer unsichtbaren Kraft durch den Saal geschleudert. Schreiend rutschte sie über den Boden und stieß gegen den perplexen Henry, welcher vorne über stolperte und seine nutzlose Waffe dabei fallen ließ. Wie die Gruppe jedoch schnell erkannte, hatte Anothers Geste Anya das Leben gerettet, denn an Ersterem war ein weißer Flammenstrahl vorbeigeschossen, der gegen die hintere Wand des Saals, neben dem Tor Eden einschlug und eine Explosion auslöste. „Du verlierst keine Zeit, nicht wahr? Die zu eliminieren, die Eden erwecken sollen.“ Auf Anothers Worte reagierte dieser neue Isfanel gar nicht, sondern drehte seinen Kopf in Melindas und Valeries Richtung. „Runter!“, schrie Henrys Schwester, als sie die Gefahr erkannte und schmiss sich zusammen mit der Schwarzhaarigen auf den Boden. Über ihnen schoss haarscharf ein weiterer Flammenstrahl hinweg, dessen Ursprung Isfanels Arm war. Erneut drehte jener seinen Kopf herum, richtete seinen Blick auf Another und schoss einen dritten Flammenschwall direkt auf ihn. Doch mit einer wegwischenden Handbewegung lenkte jener ihn gegen das kuppelförmige Dach des Kristallsaals. „Hör auf damit!“ „Ich werde nicht eher aufhören, bis ich deinem Unterfangen ein Ende gesetzt habe!“ Matt, der nicht zwischen den Kämpfenden stehen wollte, begann kurzerhand zu rennen und steuerte Anya und Henry an. „Als ob ich das nicht wüsste. Aber zulassen kann ich das nicht!“ Diesmal feuerte Another pechschwarze Flammen direkt auf Isfanel, doch dieser schwang den Arm aus und ließ sie in der Ecke rechts hinter ihm explodieren. „Was du tust ist Verrat an den Opfern, die wir erbracht haben!“, fauchte der weiße Flammendämon nun aufgebracht. „Deine Taten werde ich dir nicht vergeben!“ „Wenn du nicht so blind wärst, wüsstest du, dass das, was ich tue, das Richtige ist!“ Zornig schleuderte Another gleich eine ganze Salve schwarzer Flammenkugeln auf Isfanel, welche jener doch mit verschiedenen Handbewegungen ablenken konnte. Überall im Saal gab es Explosionen.   „Scheiße, was geht denn jetzt ab!? Das wird mit jeder Minute besser!“ Anya ließ sich von Matt und Henry aufhelfen, doch sogleich mussten sie sich wieder ducken, da Isfanel auf sie aufmerksam geworden war. Infolgedessen zog über sie ein Flammenstrahl hinweg. „Wieso kämpfen die!?“, fragte Anya dabei. „Und wichtiger, wieso zielt der so verdammt schlecht!? Wenn ich das wäre, würde-“ „Ist doch klar, eine Meinungsverschiedenheit bezüglich Eden! Aber für Spekulationen haben wir keine Zeit, wir müssen hier raus!“, meinte Matt und half dem Mädchen abermals auf. Henry stand nur fassungslos neben ihnen und beobachtete, wie Another und Isfanel gegenseitig hitzige Angriffe austauschten. Bis einer von ihnen eine andere Route einschlug. „Henry, weich aus!“, hörte er nur Matt rufen, aber sein Körper war unfähig sich zu rühren. Plötzlich weitete Henry die Augen, in denen sich das weiße Feuer widerspiegelte, das direkt auf ihn zuschoss. Aus seinem Mund quoll weißer Nebel, wie er da regungslos stand. „Henry!“, kreischte Melinda panisch. Der Feuerstahl hatte ihn fast erreicht – ehe er nach links davon driftete. Daraufhin prustete Henry los und würgte das letzte bisschen Isfanel aus sich heraus. „Denkt nicht mal dran abzuhauen!“, rief Another ihnen zu, der seine Hand nach ihnen ausgestreckt hatte, um sie zu beschützen. „Ihr könnt nicht gehen! Die Party hat gerade erst angefangen!“ Damit schwang er seinen anderen Arm aus und feuerte eine weitere Salve schwarzer Flammenbälle auf Isfanel, welcher diese abermals in alle Himmelsrichtungen abzuwehren vermochte. „Und du hör damit auf, dein altes Gefäß zu manipulieren!“ „Es war zumindest einen Versuch wert“, quittierte Isfanel dies und drehte seinen Kopf zur Seite.   Gleichzeitig zerrte Melinda an Valeries Arm. Jene lag am Boden und weinte bitterlich. „Komm Valerie, wir müssen uns bewegen! Hier gibt es nirgendwo Schutz! Wenn wir auf der Stelle verharren, sind wir leichte Ziele!“ „Geh ohne mich weiter!“, wimmerte Valerie und schüttelte den Kopf. „Es ist doch sowieso alles sinnlos!“ Melinda sah sich daraufhin hilflos im Saal um, schrie, als ihr Bruder um ein Haar Opfer von Isfanels Flammen geworden wäre. Zu jenem wanderte dann auch ihr fassungsloser Blick, doch erregte etwas hinter ihm augenblicklich ihre Aufmerksamkeit. „Valerie, sieh, da hinten!“ Als keine Reaktion folgte, wurde Melinda deutlicher und rief durch den Saal: „Da ist ein Loch direkt bei dem Eingang, durch den wir hier reingekommen sind! Ich sehe die Treppe! Los, alle dorthin!“ Während die anderen sich perplex danach umsahen, riss Melinda wieder an Valeries Arm, doch die schubste sie mit einem Stoß davon. Kurz darauf schlug eine weiße Flamme zwischen ihnen beiden ein und löste eine Explosion aus. Melinda wurde davon geschleudert, schaffte es jedoch wie durch ein Wunder, durch torkelnde Schritte ihre Balance wiederzufinden und sich auf den Beinen zu halten. Als sie jedoch nur noch weiße Flammen dort sah, wo eben noch Valerie gelegen hatte, legte sich in ihrem Kopf ein Schalter um. Valerie war tot! Die brünette Frau wirbelte herum und begann direkt auf den rettenden Ausgang zu zu rennen. Dabei duckte sie sich unter Isfanels Angriffen hinweg und rief: „Los Leute, folgt mir!“ Der Rest der Gruppe hatte sich ebenfalls aufgerafft und begann zu dem Loch im Boden zu sprinten. „Das werdet ihr- Urgh!“ Another, abgelenkt von Melindas tollkühner Flucht nach vorn, hatte nicht rechtzeitig auf einen Angriff Isfanels reagieren können und wurde direkt in die Brust getroffen. Noch während er fort geschleudert wurde, schoss er aus seinem Arm einen silbrigen Energiestrahl in Melindas Richtung. Während Matt, Anya und Henry noch weit von dem Loch entfernt waren, hatte Melinda es fast erreicht. Instinktiv spürte sie, dass etwas hinter ihr im Anmarsch war und ließ sich mit einem Hechtsprung fallen. Auf dem Bauch schlitterte sie direkt durch das Loch und knallte gegen die Außenwand des Turms, während sie Stufe um Stufe die Treppen hinab rollte. Dabei sah sie im Fall noch, wie sich spitze Kristalle über der Öffnung zum Kristallsaal ausbreiteten und den Fluchtweg binnen Sekunden fast vollständig blockierten. „Melinda!“, schrie Henry und beschleunigte seinen Spurt zu der Stelle, an der nun ein gewaltiger Kristall thronte. Wie ein Schneekristall sah das silberne Gebilde aus. Gleichzeitig musste der junge Ford-Spross den Angriffen Isfanels ausweichen, bis jener schließlich wieder von Another in Schach gehalten wurde, welcher auf die Beine gekommen war und neue Flammen auf Isfanel hetzte, um von Henry abzulenken. „Verdammt, ist das nervig!“, schrie er dabei und wich nur knapp einer von Isfanels Attacken aus. „Ich hätte nicht gedacht, dass das Levrier-Upgrade dich so stark werden lässt!“ „Wenn mich meine Erinnerungen nicht trügen, hast du damals nur durch eine List gewonnen!“, erwiderte Isfanel und konzentrierte seine Angriffe auf Another. Denn sein Gefäß zu zerstören würde schon reichen, Edens Erwachen zu verhindern.   Derweil war Henry endlich bei dem Kristall angekommen und suchte hinter ihm Schutz vor den Angriffen. Unter den spitzen Dornen konnte er durch diverse Spalten die Stufen der Treppe sehen. „Melinda, bist du okay!?“, rief er zu ihr hinab. „Mir geht’s gut!“ Kaum hörte er das, sah er ihre grünen Augen, wie sie zu ihm hoch starrte. Dabei hielt sie sich den Unterleib. „Kannst du das Ding irgendwie bewegen?“ Henry, kurz einen Blick zu Another und Isfanel werfend, stöhnte. „Anya und Matt schaffen es nicht, durch das Schlachtfeld der beiden zu kommen!“ „Ich sag das nur ungern, aber das ist jetzt egal!“ „Du hast recht!“ Sofort versuchte Henry, irgendwie den gewaltigen Kristall wegzuschieben. Doch die vielen Dornen machten es ihm unmöglich, einen Halt zu finden. Stattdessen schnitt er sich nur an ihnen, als er abrutschte. „Argh! Ich kann hier nichts tun!“ Das Ding wäre vermutlich ohnehin zu schwer, selbst zu dritt, dachte er sich dabei verzweifelt. „… Henry, ich habe eine Idee.“ „Was?“ Irgendetwas an dem Ton seiner Schwester machte ihn stutzig. „Wir haben nicht viel Zeit. Versucht irgendwie zu überleben, so lange es geht! Ich werde den Sprengstoff scharf machen!“ „W-was!?“ Melindas Stimme zitterte regelrecht. „Die einzige Möglichkeit, euch da rauszukriegen ist die, diesen Kristall zu sprengen. Hör mir zu, ich werde einen Sprengsatz so einstellen, dass er innerhalb der nächsten Stunde explodiert, um euch hinauszulassen! Während dieser Zeit mache ich die anderen Sprengsätze scharf und warte unten auf euch!“ „W-was redest du da!?“ „Wir müssen diese Verrückten aufhalten, Henry! Eden aufhalten!“ Sie sammelte kurz ihre Gedanken, stöhnte überfordert. „Sobald der Weg frei für euch ist, werdet ihr nicht viel Zeit haben! Lasst alles stehen und liegen und rennt die Treppe nach unten! Ich werde die Timer so einstellen, dass sie zeitversetzt nach der ersten Explosion hochgehen werden, ihr müsst euch auf dem Weg nach unten also beeilen! Keine Sorge, ich stell sie so ein, dass ihr dafür genug Zeit haben werdet.“ „W-warum-!?“ „Das war doch der Plan“, meinte Melinda hilflos, „vielleicht können wir Anya dadurch retten! Aber wichtiger ist, dass Eden zerstört wird!“ „Ich weiß nicht mal, ob der Zauber des Sammlers so lange hält! Und für Anya werde ich mich keine ganze Stunde mit diesen Irren anlegen!“, widersprach Henry und forderte: „Spreng' das Ding sofort weg!“ „Nein, Henry, ich werde dich nicht dabei unterstützen, so kaltherzig zu anderen zu sein!“ Der junge Ford-Spross glaubte sich verhört zu haben. „Sie ist doch diejenige, die uns opfern wollte!“ „Henry, denk nach“, forderte Melinda unruhig, „selbst wenn ihr sofort hier raus könntet, würden diese Dinger euch nur verfolgen. Ihr müsst sie irgendwie ausschalten, eher kommen wir hier sowieso nicht raus!“ Henry schluckte. „I-ich weiß, was du meinst, aber-!“ „Das ist mein letztes Wort! Ich hol' euch hier auf meine Weise heraus! Was würde Mutter von uns denken, wenn wir nur darauf fixiert wären, uns selbst zu retten!?“ Henry sah sich perplex nach den anderen um, Isfanel hatte sich wieder darauf konzentriert, Anya und Matt anzugreifen, während Another alle Hände voll zu tun hatte, sie zu beschützen. Dann wandte er sich wieder Melinda zu. „Bist du dir sicher, dass das eine gute Idee ist? Solange überleben wir doch niemals!“ „Eine bessere haben wir nicht, oder!?“ Schluckend nickte Henry. Es war riskant, aber die anderen Optionen waren wenig berauschend. Entweder wurden sie von Eden absorbiert oder von Isfanel getötet. Wenn es eine Chance gab, hier herauszukommen, dann mussten sie sie nutzen! Er hatte letztlich keine andere Wahl, als auf das zu hören, was Melinda sagte. „... also schön! Wir werden die beiden ablenken! Aber pass' auf dich auf! Und flüchte, wenn es Schwierigkeiten gibt!“ „Als ob ich dich hier zurücklassen würde“, klagte Melinda wütend, „Dummkopf! Pass einfach auf dich auf, okay? Und nimm das hier, vielleicht hilft es dir. Immerhin ist es deins.“ Damit reichte sie Henry eine Deckbox durch eine Lücke zwischen den Dornen, die dieser nickend annahm. „Okay! Ich werde durchhalten, versprochen!“ „Gut, dann bereite ich jetzt alles vor!“   Damit wandte sich Henry von dem Kristall ab und sah herüber zum Kampfgeschehen. „Du kommst wohl langsam aus der Puste, Isfanel“, keuchte Another und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Hast wohl deine Kräfte langsam aufgebraucht?“ „Von dir könnte man dasselbe behaupten.“ Äußerlich war der engelsgleichen, weißen Flammengestalt jedoch keine Erschöpfung anzusehen. Anya und Matt standen abseits von ihnen, wobei Letzterer schützend den Arm vor Anya hielt um jene davon abzuhalten, nicht auf Another loszugehen. „Allerdings ist es an der Zeit, unsere Differenzen beizulegen. Sie wollen den Turm zerstören“, sprach Isfanel weiter. Sein und Anothers Blick fielen plötzlich auf Henry. „Was!?“, donnerte der besessene Alastair erschrocken. „Dann müssen wir sie aufhalten! Du weißt, dass das niemals geschehen darf!“ „Wir müssen die Schwester des Jungen dort töten.“ „Tch!“, zischte Another daraufhin angewidert und kniff die Augen zusammen. „Soll das etwa heißen, dass wir kooperieren müssen?“ Isfanel nickte. „Die Sicherheit des Turms hat oberste Priorität. Du weißt was geschieht, wenn er zerstört wird. Und auch wenn ich verhindern werde, dass Eden geöffnet wird, darf das Tor ebenfalls nicht vernichtet werden!“ „Also schön“, erwiderte Another daraufhin und schritt langsam auf den Kristall zu, vor den sich Henry stellte, um seine Schwester zu beschützen. „Aus dem Weg, Bursche!“ „Niemals!“ Allerdings hielt er inne, als Anya und Matt an ihm vorbei rannten und sich solidarisch vor Henry stellten. „Nicht so hastig!“, rief Matt. „Wir sind auch noch hier, schon vergessen?“ „Macht Platz!“, verlangte Another aufgebracht. „Ihr habt keine Ahnung, was ihr da tut!“ „Sonst was? Willst du uns umbringen, Narbenfresse 2.0?“, fragte Anya giftig, verschränkte die Arme und grinste bösartig. „Na dann probiere es doch. Auf eigene Gefahr versteht sich!“ Zornesfalten bildeten sich auf der Stirn Alastairs, da Another wusste, dass er den Dreien kein Haar krümmen durfte. Isfanel gesellte sich neben seinen alten Bekannten und hob den flammenden Arm, doch Another hob die Hand, um ihm Einhalt zu gebieten. „An deiner Stelle würde ich nicht noch weiter angreifen! Sieh dich um, wir haben bereits viel zu viel Schaden angerichtet!“   Und damit hatte er recht. Überall im Kristallsaal waren Boden und Wände zersplittert durch die Explosionen. Regelrechte Krater hatten sich durch den Kampf der beiden gebildet, an einer Stelle war sogar der Sternenhimmel am Firmament zu sehen.   „Wir können nicht riskieren, den Turm noch weiter zu beschädigen!“, untermauerte Another seinen Standpunkt. „Wenn es noch nicht zu spät ist, heißt es …“ Anya schnaufte derweil wütend, da sie insgeheim gehofft hatte, dass einer der beiden so dumm war, sie trotzdem anzugreifen. Damit hätte sich das Problem mit dem Kristall ganz einfach lösen lassen. Die Blondine trat einen Schritt vor und zeigte mit dem Finger auf Isfanel. „Keine Ahnung, wer oder was du jetzt bist, du loderndes Miststück! Aber dafür, dass du Redfield umgenietet hast, wirst du zahlen!“ Gleichzeitig realisierte Anya, dass Another bei deren Tod kein Theater veranstaltet hatte. Demnach musste Isfanel immer noch als Zeuge zählen, sonst wäre der Plan des Puppenspielers längst in sich zusammengefallen, weil sie ohne Redfield und Marc nur noch vier Zeugen wären. „Und Marc ist wegen dir gestorben!“, donnerte Matt in Anothers Richtung. „Wenn ihr beide glaubt, wir würden uns kampflos ergeben, habt ihr euch geschnitten! Ihr kommt hier nur vorbei, wenn keiner von uns noch ein Fünkchen Leben mehr in sich hat!“ „Das war aber nicht Melindas Plan“, flüsterte Henry ihm von hinten verärgert zu. „Wir sollen die beiden ablenken, und nicht blindlings ins Verderben rennen! Was hilft es uns, wenn sie den Weg freimacht, wir aber längst den Heldentod gestorben sind!?“ „Wir müssen das tun!“, verteidigte sich Matt aufgebracht. „Wenn nicht wir, wer sonst!?“ „Ich hab sowieso nichts zu verlieren, mir ist's egal, ob ich durch einen verpatzten Pakt, Eden oder diese Deppen sterbe!“ Anya stöhnte genervt. „Vollkommen egal, ich geh hier sowieso drauf …“ „Dann aber wenigstens mit einem Knall, nicht wahr, Anya?“ Verblüfft schauten die Drei herüber zu Isfanel, hinter dem plötzlich Valerie auftauchte – vollkommen unverletzt. Seelenruhig schritt sie zu ihren Freunden und bezog neben ihnen Stellung. „Vier gegen zwei also? Da mache ich mit“, sagte sie gefasst und nahm Isfanel ins Visier. „Allein ihm zuliebe …“ „D-du lebst!?“, stotterte Anya fassungslos. „Ich dachte du wärst krepiert!? Ein Häufchen Asche, siehst die Radieschen von unten wachsen!?“ „Anscheinend … nein, ist nicht so wichtig. Er hat mich verfehlt.“ Valerie hatte jedoch insgeheim die leise Hoffnung, dass dies kein Zufall gewesen war. Vielleicht steckte noch irgendetwas von Marc in diesem Ding. Deshalb hatte Isfanel sie nicht töten können, Marc hatte ihn davon abgehalten. Sie wusste nicht, wie das möglich war, was überhaupt geschehen war. Aber wenn noch die leiseste Hoffnung bestand, dass sie ihren Geliebten retten konnte, würde sie sich nicht einfach gehen lassen!   „Wenn wir sie ablenken sollen, dann hiermit!“, wandte Valerie ihr Wort an den Rest der Gruppe und hob den Arm, an dem ihre blaue Duel Disk befestigt war. Überrascht begutachtete Anya den ihren, an dem die alte Battle City-Duel Disk ihres Vaters hing. „Oh! Das hab ich ganz vergessen. Wusst' ich doch, dass ich die noch brauchen würde!“ Matt zog unter seinem schwarzen Mantel das schmale D-Pad hervor. „Irgendwie denken wir alle ziemlich ähnlich, oder?“ „Allerdings“, bestätigte ihm Henry und aktivierte die schwarze Disk von Abby an seinem Arm seufzend. „Und das macht mir Sorgen.“ „'kay, Leute!“, verlautete Anya daraufhin gefasst und trat wie eine Anführerin einen Schritt nach vorn. „Zeigen wir diesen Deppen, aus welchem Holz wir geschnitzt sind!“   „Sieht so aus, als ob wir nicht so schnell zu unserem letzten Kampf kommen. Sieh nur, Isfanel, wie tapfer sie sich gegen ihr Schicksal auflehnen“, sagte Another mit dem Anflug eines Lächelns. „Aber es sind nur vier Menschen. Ohne unsere Kräfte sind sie machtlos. Sich mit ihnen zu duellieren ist besser, als weiterhin mit unseren Angriffen den Turm zu gefährden.“ Isfanel verschränkte die Arme, bevor die weißen Flammen um ihn bedrohlich aufzulodern begannen. „Unterschätze sie nicht. Nicht einmal habe ich es geschafft, einen von diesen Menschen zu besiegen.“ „Weil du schwach bist …“ „Anya, überlass mir Alastair!“, verlangte Matt. „Du spinnst wohl!? Das Narbengesicht gehört mir!“ „Ich bin sein Freund!“, widersprach der Dämonenjäger und wandte sich mit flehendem Blick an Anya. „Es ist meine Verantwortung, ihn-“ Er ließ den Kopf hängen. Anya zischte laut und schlug ihre Faust in die Handflächen. Sie hatte keine Lust auf lange Diskussionen. „Fein, dann nehme ich eben den anderen. Mit dem habe ich sowieso noch ein Hühnchen zu rupfen!“ „Nicht nur du.“ Erstaunt zog die Blondine eine Augenbraue hoch, als Valerie plötzlich neben ihr stand und ihren Arm mit der Duel Disk hob. „Er hat meinen Verlobten.“ „Und er ist derjenige, der meiner Schwester und mir so viel Leid zugefügt hat!“ Auch Henry hatte sich zu den beiden Mädchen gesellt. „Lasst uns das ein für alle Mal beenden!“ In Marcs brennendem Körper schüttelte Isfanel ungläubig den Kopf. „Drei gegen einen also? Das ist mir nur recht. Dann werde ich diese Gelegenheit ergreifen, um euch zu töten. Zum Wohle des Turms und um zu verhindern, dass Eden sich öffnet!“ Henry wandte sich an die anderen. „Das geht doch in Ordnung, oder? Isfanel ist im Moment die größere Gefahr, weil er uns an den Kragen will.“   Als er von allen Bestätigung geerntet hatte, machte der andere Dämon seinem vermeintlichen Unmut Luft. „Und ich bekomme nur einen Gegner? Anscheinend habt ihr vergessen, wer all dies in Gang gesetzt hat“, beschwerte sich Another. Allerdings lächelte er hinterhältig durch Alastairs Fassade. „Aber umso besser für mich, denn je schneller ich diese Made besiegt habe, desto eher wirst du fallen, mein lieber Freund Isfanel. Du solltest wachsam sein … nicht, dass versehentlich einer meiner Angriffe sein Ziel verfehlt!“ „Bist du dir da sicher?“, fragte Matt unbeeindruckt. „Wenn du ihn so leicht töten könntest, hättest du es schon längst versucht. Aber du brauchst ihn, weil er Marcs Körper am Leben hält. In Wirklichkeit willst du Isfanel durch einen Kampf nur solange hinhalten, bis Eden uns absorbiert hat! Außerdem seid ihr auch betroffen von dem Effekt des Tores. Eure Kräfte werden immer schwächer, nicht wahr?“ „Für ein paar Menschlein reicht es allemal“, erwiderte Another arrogant, „und vergiss nicht, dass im Turm immer noch ein 'Ersatz' ist, falls es einen von euch erwischen sollte.“ Henry stieß erschrocken hervor: „Melinda! Dazu werde ich es nicht kommen lassen!“ Er griff in eine Brusttasche seiner beigefarbenen Jacke und reichte Matt die vierte und letzte Karte, die er vom Sammler erhalten hatte. Dieser nahm sie entgegen und blinzelte verdutzt. „Eigentlich wollte ich die selbst benutzen, aber du brauchst sie wohl nötiger als ich. Wag' es ja nicht zu verlieren“, mahnte Henry ihn. Matt sah nur kurz auf die Karte und nickte dann, ehe er sie in das Deck in seiner Duel Disk schob. „Verlass dich auf mich!“ „Ein Ass im Ärmel?“ Another summte vergnügt. „Wie interessant. Aber warum fangen wir nicht an? Ihr habt nicht viel Zeit, Zeugen der Konzeption. Und wir ebenfalls nicht!“ „Ich werde dich büßen lassen …“ Erstaunt sah Isfanel zu, wie Anya langsam den Arm erhob. „Büßen dafür, dass du Levrier getötet hast! Du hast ihn aus mir hinaus gesaugt, ist doch so, oder!?“ „Er ist ein Abkömmling von mir. Es lag in seiner Natur, irgendwann zu mir zurückzukehren.“ Matt nickte daraufhin nachdenklich. „Also deshalb ist vorhin …“ „Dennoch! Es ist deine Schuld, dass er jetzt endgültig weg ist und nie mehr wiederkommen wird!“ Mit hasserfülltem Blick zeigte Anya auf ihn. „Dafür werde ich dich zahlen lassen!“ Ihre beiden Partner schwiegen, doch in ihren Augen brannte die Entschlossenheit, Anya zu unterstützen. Und auch wenn jene nie damit gerechnet hätte, jemals mit ihren beiden größten Rivalen ein Team zu bilden, würde sie es ihnen dieses eine Mal durchgehen lassen. Isfanel nickte. „Du hast recht mit deinen Worten, Anya Bauer. Aber sie sind mir … gleich. Um das kommende Unglück zu verhindern, werde ich alles tun, was nötig ist.“ „Und ich werde alles tun, um meinen Freund zurückzubekommen!“, stimmte Matt mit ein. Was Another nicht unkommentiert ließ. „Das würde ich zu gerne sehen.“ Doch der Dämonenjäger war zuversichtlich. „Glaub mir, das wirst du!“ Und so hallten sechs Stimmen gleichzeitig durch den Kristallsaal. „Duell!“   ~-~-~   Derweil verbrachten Abby und Nick ihre Zeit in einer völlig überfüllten Notaufnahme. Das Erscheinen des Turms hatte dafür gesorgt, dass viele Leute sich durch die Ablenkung und Panik verletzt hatten. Bei den meisten handelte es sich um Unfälle, die durch erschrockene Autofahrer verursacht worden waren. Dazu kam noch, dass kurz nachdem sie beide die Notaufnahme des Krankenhauses betreten hatten, eine Meldung für das Krankenhauspersonal durchging, dass sich die gesamte Polizeistation in einem komatösen Zustand befand, woraufhin alle verfügbaren Krankenwagen mobilisiert wurden. Was allerdings auch die Wartezeit verlängerte, da das Personal alle Hände voll zu tun hatte. Inmitten einer Schar anderer Patienten saßen die beiden in dem quadratischen Warteraum auf zwei nebeneinander stehenden Stühlen. Abby presste ihre Hand auf die Schulter, wobei sie auf den weißen Laminatboden starrte. „Sie sind jetzt schon eine ganze Weile dort drin“, murmelte Abby sorgenvoll. „Denen kommt das aber bestimmt nicht halb so lang vor wie uns“, versuchte Nick sie abzulenken und schaute durch den Türrahmen herüber zur Aufnahme. „Merken die denn nicht, dass deine Verletzung wichtiger ist als die Wehwehchen irgendwelcher Halbstarken!? Wieso kümmert sich niemand um dich!?“ Die Aufnahme befand sich direkt im Eingangsbereich des Krankenhauses und war in quadratischer Form um eine Säule erbaut worden. Ganze sechs Schwestern bedienten dort die Besucher, während zu jeder Seite von diesem Tresen ein Gang abging. „Ich meine, was passiert da oben? Ich habe Angst“, gestand Abby und lehnte sich an Nicks Schulter an. Jener, völlig überrascht davon, legte unsicher seinen Arm um die Schulter des Mädchens. „Keine Sorge, ihnen wird es gut gehen. Bestimmt. Anya findet einen Ausweg, der alle glücklich machen wird.“ „Das glaubst du doch wohl selbst nicht“, brummte Abby, musste aber verhalten auflachen. „Wir reden hier von Anya.“ „Aber sie hat Valerie und Matt mit sich. Und die sind ziemlich vernünftig.“ „Wenn Anya wenigstens auf sie hören würde … Nick, wir hätten mitgehen sollen!“ Der langgewachsene, junge Mann schüttelte den Kopf. „Nein. Was immer im Turm passiert … es ist das Beste, wenn wir nicht dabei sind. Am Anfang habe ich auch oft daran gedacht, aber irgendwann wurde mir klar, dass ich Anya nicht so helfen kann, wie ich es gerne würde. Am Ende stünde ich ihr nur im Weg und … das will ich nicht. Nicht mehr.“ Abby wusste sofort, worauf er anspielte. Woraufhin sie sich von ihm löste und demonstrativ in die andere Richtung sah. „Vielleicht“, erwiderte sie steif, „aber wir werden das womöglich nie erfahren.“ „Vielleicht“, wiederholte Nick niedergeschlagen.   ~-~-~   Um mehr Platz zu haben, hatten die sechs Duellanten sich im ganzen Kristallsaal verteilt. Matt und Another duellierten sich in der linken Hälfte, wobei Matt den Kristall im Rücken hatte, welcher den einzigen Ausgang blockierte. Another hatte sich Alastairs D-Pad umgeschnallt und war in eine Diskussion mit Matt vertieft. Gleichzeitig standen Anya, Valerie und Henry mit etwas Abstand zueinander auf einer Höhe und warteten auf Isfanel, welcher vor dem Thron verharrte. An seinem Arm befand sich ebenfalls eine Duel Disk, doch diese war geradezu abstrakt. Von roter Farbe, bestand sie nur aus zwei Ausläufern, die gut einen halben Meter lang waren und wie Klingen wirkten. In einer waren die Zonen für den Spielplan eingelassen, während am Verbindungsstück die üblichen Fächer für Deck, Friedhof und Extradeck zu finden waren. „Jetzt wird’s ernst“, meinte Henry und wischte sich den Schweiß mit dem Handrücken von der Stirn. „Melinda sagte, wir müssen etwa eine Stunde durchhalten. Also gebt euer Bestes!“ „Das musst du mir wohl nicht zweimal sagen, Schnöselkind!“, fauchte Anya aufgebracht. Dabei betonte sie besonders: „Mir kann das egal sein, ich geh sowieso drauf!“ „Seit wann so negativ, Anya?“ „Schnauze, Redfield!“ Valerie seufzte resignierend. „Mach dir nicht zu viele Gedanken. Irgendwie werden wir dich auch retten. Und nicht nur dich …“ Schließlich meldete sich Isfanel zu Wort. „Da ich den entscheidenden Nachteil besitze, beginne ich dieses Duell“, bestimmte er, nachdem seine Gegner bereits allesamt ihr Startblatt gezogen hatten. „Draw.“   [Anya: 4000LP Valerie: 4000LP Henry: 4000LP //// Isfanel: 4000LP]   Gleichzeitig wusste Anya nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Jetzt stand sie hier, mit ihren schlimmsten Rivalen und war im Begriff Marc erneut zu gefährden, sofern es da überhaupt noch etwas zu gefährden gab. Und mehr noch, für sie bedeutete dieses Duell höchstwahrscheinlich das Ende. Aber nachdem sie diese Blicke erlebt hatte. Diese Blicke voller Enttäuschung, konnte sie sich ihrer Verantwortung nicht entziehen. Trotz ihres Verrats hielten die anderen noch zu ihr und wollten einen Weg finden, wie auch sie gerettet werden konnte. Aber gab es eine Möglichkeit, sie aus dem Pakt mit dem Gründer zu befreien? Anya bezweifelte es und dachte an Levrier. Wie wäre seine Reaktion auf die Wahrheit um Another ausgefallen? Würde er immer noch Eden werden wollen? Wie sie ihn einschätzte, vermutlich. Andererseits, wie gut kannte sie Levrier schon? Im Endeffekt schien er ja auch nichts weiter gewesen zu sein, als vom selben Schlag wie diese Dinger aus Victim's Sanctuary! Nichts als ein Geist! „Lass jetzt nicht den Kopf hängen!“, wies Valerie sie plötzlich harsch an. „Das können wir uns nicht erlauben. Schuldgefühle müssen warten!“ „Tch, ich glaub du verwechselst da was, Redfield! Wer sagt, dass ich Schuldgefühle habe? Ich helfe euch nur, weil mich dieser Typ ankotzt!“ Gleichzeitig nahm die Gestalt, die einst Marc gewesen war, eine Karte aus ihrem Blatt, welche auf wundersame Weise kein Feuer fing. „Meine Wahl fällt auf [Celestial Gear – Synthetic Albatross].“ Anya schnaubte wütend. „Da kommt es!“   Die drei Duellanten sahen überrascht zur hohen Kuppel der Turmspitze. Mindestens ein gutes Dutzend an leuchtenden, roten Sphären war über Isfanel erschienen. Zwischen ihnen zeichneten sich parallel diverse Linien aus weißem Licht. Es war, als würde vor ihren Augen ein Bild gezeichnet werden. „Was ist das?“, entfleuchte es Henry nervös. So etwas hatte er noch nie zuvor gesehen. Blitzschnell verbanden die Strahlen die einzelnen Sphären, bis man schließlich die Form des Monsters erkennen konnte: es war ein gigantischer Vogel mit gespannten Flügeln, der nun hinab zu Isfanel stieg, welcher zwischen seinen riesigen Beinen stand. Das Außergewöhnliche an dieser Kreatur war jedoch, dass man durch die rötliche, durchsichtige Oberfläche das mechanische Innenleben sehen konnte. Zahnräder waren miteinander verbunden, zu viele, um sie alle zu zählen. „Alter Falter“, gab Anya zum Besten und pfiff anerkennend. Der riesige Albatros streckte seinen langen, gebogenen Mechanikschnabel vor und gab einen hohlen Schrei von sich.   Celestial Gear – Synthetic Albatross [ATK/500 DEF/0 (4)]   „Es hat wenig Angriffspunkte, aber wir sollten dennoch vorsichtig sein“, riet Valerie ihren Mitspielern. Auf ihrer Stirn hatte sich der Schweiß gebildet. Es war schrecklich zu wissen, dass dieses Wesen dort ihr Marc war. Und dass sie gegen ihn kämpfen musste, um zu überleben. Endlich verstand sie, was Anya hatte durchmachen müssen. Nur, dass sie darum niemals gebeten hatte. Henry stimmte ihr zu. „Ja. Vermutlich wird er es im nächsten Zug für etwas Stärkeres verwerten, da wir eine Runde mit unseren Angriffen warten müssen.“ „Ihr werdet überrascht sein“, sagte Isfanel ruhig, „ich setze eine Karte verdeckt. Damit ist mein Zug beendet.“ Vor ihm materialisierte sich die Karte.   „'kay, dann bin ich!“, entschied Anya aufgebracht und zog ausholend. „Draw! Redfield, du kommst nach mir dran, dann du, Pennerkind!“ Kaum hatte sie ihre neue Karte aufgenommen, schwang Isfanel den Arm über die vor ihm liegende Fallenkarte, die daraufhin aufsprang. „Ich aktiviere [Synthetic Gears Of Time].“ Anya unterdrückte einen überraschten Ausruf, als um ihr Team herum dutzende Zahnräder erschienen, die sich ineinander verkeilten und zu drehen begannen. Und etwas störte sie massiv an ihrem Gegner. Dieser Isfanel, er war ganz anders. Er war nicht so arrogant und selbstherrlich wie damals, sondern viel mehr wie … Die weiß lodernde Gestalt streckte den Arm mit seinem Blatt in der Hand vor. „Diese Falle kann nur aktiviert werden, wenn ich über ein Celestial Gear-Monster verfüge. Sie verbannt all meine Handkarten und alle Karten auf meinem Feld, mit Ausnahme genau eines Celestial Gear-Monsters.“ Verblüfft beobachteten die Drei, wie sich die Karten in Isfanels Hand auflösten. „Warum opferst du all deine Handkarten!?“, verlangte Valerie zu wissen. „Bist das du, Marc? H-hilfst du uns etwa!?“ „Ich fürchte, dem ist nicht so. [Synthetic Gears Of Time] mag einen hohen Preis haben, aber der Effekt ist dafür sehr mächtig. All eure Züge werden nun übersprungen, sodass ich wieder am Zug bin.“ Gleichzeitig erklang es synchron von Anya, Valerie und Henry: „Was!?“ Sofort sah die Blondine auf den Lebenspunkte-Stand ihrer Duel Disk, der auch Phasenwechsel anzeigte. Und tatsächlich, dort wechselten die Phasen in einem regelrechten Eiltempo, bis End Phase dort stand, danach schließlich wieder ihre 4000 Lebenspunkte. Ähnlich erging es auch ihren Partnern.   Die Zahnräder um sie lösten sich schließlich damit auf, als bei Henrys Duel Disk die End Phase angezeigt wurde. „Somit ist es jetzt mein Zug“, erklärte Isfanel. „Was hat dir das gebracht, außer etwas Zeitschinderei und ein verlorenes Blatt?“, wollte Henry irritiert wissen. „Für so ein Manöver war es definitiv zu früh-!“ „Du wirst es jetzt sehen“, unterbrach sein Gegner ihn und ließ eine Karte in seiner Hand erscheinen. „Anstatt meine normale Draw Phase durchzuführen, kann ich die verbannte [Infinite Pressure]-Zauberkarte auf meine Hand nehmen. Und ich aktiviere sie sogleich.“ Mit einem Schlag ging eine Schockwelle durch den Kristallsaal, der Anya, Valerie und Henry in die Knie zwang. Die Schwarzhaarige fasste sich sogar an die Brust, da sie glaubte, keine Luft mehr zu bekommen. Ihr ganzes Umfeld war plötzlich verschwommen, sodass sie mehrmals blinzelte, wodurch sich die Sicht aber nicht besserte. Es lag nicht an ihr, sondern dem Zauber. „Diese Karte zu aktivieren ist ein schwieriges Unterfangen, denn das vermag ich nur, wenn die einzige Karte unter meiner Kontrolle ein Celestial Gear mit höchstens 1000 Angriffspunkten ist. Zudem darf ich außer [Infinite Pressure] keine anderen Karten auf der Hand halten.“ „Deswegen also“, würgte Henry hervor. „Das war also alles Teil einer Kombo?“ „Korrekt. Nun zur Wirkung meiner Zauberkarte. Alle Spieler müssen ihr Blatt auf den Friedhof schicken.“ Einen Moment lang herrschte entsetztes Schweigen, ehe Anya als Erste zu ihrer Stimme zurückfand. „Willst du mich veräppeln!? Was soll denn dieser Kackmist!?“ „Das ist der Effekt meiner Karte.“ „Eiskalt“, murmelte Henry mit manischem Blick auf seine Handkarten. Es war das erste Mal seit Langem, dass er das Gusto-Deck benutzte und dann das! „Eine eiskalte Technik, um uns auszuschalten …“ „Das ist hart, aber wir dürfen nicht aufgeben“, sagte Valerie. „Das Duell hat gerade erst begonnen und wir sind zu dritt!“ Schließlich trennten die Drei sich von ihrem Blatt, als aus Anyas Friedhof plötzlich zwei Karten geschossen kamen. „Tch! Die zwei Trottel da kannst du damit vielleicht überraschen, aber nicht mich!“ Die Blondine nahm unter den überraschten Blicken ihrer Partner die beiden Monster entgegen und zeigte sie Isfanel. „Die Linke da ist [Gem-Knight Lazuli]. Wenn die durch einen Karteneffekt auf den Friedhof geschickt wird, erhalte ich ein normales Monster von dort zurück. Was mich zu der rechten Karte bringt, [Gem-Knight Tourmaline]. Der passt nämlich auf diese Beschreibung wie meine Faust auf dein Glubschauge, Mistkerl!“ Ein fieses Grinsen breitete sich auf Anyas Gesicht aus. Dieser Trottel würde noch bereuen, was er da eben getan hatte! „Unwichtig. Denn nun wirkt der zweite Effekt von [Infinite Pressure].“ Henry verlor in dem Moment vollends die Fassung. „Noch einer!?“ Plötzlich öffnete der mechanische Vogel, dessen Oberfläche wie eine Sternenkonstellation anmutete, seinen gebogenen Schnabel. „Dieser Effekt ändert den Lebenspunktestand aller Spieler zum Doppelten der Angriffskraft des Celestial Gear-Monsters, das bei der Aktivierung von [Infinite Pressure] auf dem Spielfeld liegt.“ Schreie puren Entsetzens drangen zu Isfanel, doch der schwang nur seinen flammenden Arm aus. Damit schoss sein Albatros der Reihe nach drei rote Laserstrahlen auf Anya, Valerie und Henry, die in den darauffolgenden Explosionen untergingen. Anschließend beugte sich der riesige Mechavogel nach unten, lugte durch seine Beine und schoss auch einen Energiestrahl durch den lodernden Körper seines Besitzers, was jedoch nur ein Loch auf Brusthöhe einbrannte, welches sich kurz darauf schloss.   [Anya: 1000LP Valerie: 1000LP Henry: 1000LP //// Isfanel: 1000LP]   Die Drei lagen allesamt am Boden und rührten sich kaum merklich. Valerie war die Erste, die die Kraft fand, sich mit den Händen vom Boden aufzustemmen und in Isfanels Richtung zu schauen. Genau wie bei ihren Mitstreitern, hatte der Angriff seine Spuren an ihr hinterlassen. Ein Teil ihrer Kleidung war zerfetzt, ihr linker Arm blutete stark. Ihre Hose war noch von Marcs Blut beschmiert. Doch Valerie biss die Zähne zusammen. „Damit hast du dir keinen Gefallen getan“, meinte sie leise, mit widerspenstigem Blick. „Ein Angriff von uns kann es jetzt beenden.“ „Zuvor ist es aber an mir, einen von euch anzugreifen.“ Isfanel streckte den Arm aus und fuhr der Reihe nach über Anya, dann Valerie und schließlich Henry. Dann schwenkte er zurück zur Schwarzhaarigen, die deutlich zusammenzuckte. „Du. Du bist die Person, die am gefährlichsten einzustufen ist. Deswegen greife ich dich nun direkt an. [Celestial Gear – Synthetic Albatross], Celestial Overburst!“ Valerie weitete die Augen, als der riesige Mechavogel abermals den Schnabel öffnete und eine rote Energie darin auflud. „Nun zum Effekt meiner Zauberkarten [Gear Backwards] und [Banished Power Gear]“, kündigte Isfanel unverhofft während des Angriffs an. Valerie kam wackelig auf die Beine und trat protestierend einen Schritt vor. „Aber da sind keine Zauberkarten! Die hast du alle verbannt!“ „Korrekt. Und nur von der verbannten Zone aus entfalten sie ihre Wirkung. [Gear Backwards] erhöht jedes Mal, wenn ein Celestial Gear-Monster meinem Feind Kampfschaden zufügt, meine Lebenspunkte um dieselbe Menge.“ „D-deswegen bist du so unbesorgt …“, presste Valerie hervor und fasste sich an die Stirn dabei. „Und [Banished Power Gear] erhöht die Angriffs- und Verteidigungskraft eines Celestial Gears während des Kampfes temporär um 500 Punkte.“   Celestial Gear – Synthetic Albatross [ATK/500 → 1000 DEF/0 (4)]   Fassungslos ließ Valerie ihre Hand sinken. Sie bemerkte die Blicke der anderen beiden nicht, die nicht weniger geschockt waren als der ihre. Im Inneren des Albatros begannen sich die Zahnräder wie wild zu drehen, alle Maschinen arbeiteten plötzlich auf Hochtouren. „Celestial Overburst!“ In den Augen des Mädchens spiegelte sich der rote Laserstrahl wieder, der auf sie abgefeuert wurde. Sie war wie gelähmt, konnte nichts tun, um auszuweichen. Dann kam der Einschlag. Valerie spürte, wie sie durch die Luft geschleudert wurde. Sogar zum Schreien war sie zu schwach. Schwach, ja. Das war sie. Besiegt. Einfach so … Marc war so unendlich weit entfernt …   [Anya: 1000LP Valerie: 1000LP → 0LP Henry: 1000LP //// Isfanel: 1000LP → 2000LP]   „Das macht Nummer eins“, kommentierte Isfanel das Geschehen kalt. Um ihn herum tauchten lauter Zahnräder auf, die sich zunächst im, dann schließlich gegen den Uhrzeigersinn zu drehen begannen. Gleichzeitig landete Valerie meterweit von den anderen entfernt auf dem kalten Boden und rutschte noch ein gutes Stück weiter, ehe sie einfach nur liegen blieb und sich nicht mehr rührte. Anya und Henry starrten dem Mädchen hinterher, blanke Panik stand in ihren Gesichtern geschrieben. Schließlich stieß die Blondine einen fürchterlichen Schrei aus: „Redfield!“ „Zug beendet“, stand Isfanels ruhige Art dem dazu in Kontrast.     Turn 33 – Isfanel's Heart Geschockt von Valeries gnadenlosen Ausscheiden aus dem Duell, vereinen Henry und Anya ihre Kräfte, um sich gegen Isfanel zu behaupten. Gleichzeitig eröffnet er ihnen, was vor Jahrhunderten der Anlass dazu war, Eden zu versiegeln. Auf der anderen Seite muss sich Matt Another in Form des besessenen Alastairs stellen. Und dieser erweist sich nicht weniger erbarmungslos im Umgang mit ihm, als Isfanel mit den anderen … Kapitel 33: Turn 33 - Isfanel's Heart ------------------------------------- Turn 33 – Isfanel's Heart     „Redfield!“   Entgeistert schaute Matt herüber zu dem Duell der anderen, die nicht nur ziemlich hatten einstecken müssen, sondern binnen weniger Minuten ihren ersten Spieler verloren hatten. „So … stark“, stammelte er und lenkte seinen Blick auf Valerie, die weit abgeschlagen von den anderen entfernt lag und sich nicht mehr rührte. „Ja ja, natürlich ist er das“, drang da Anothers Stimme an sein Ohr, „aber so leicht gebe ich meine Schachfiguren nicht her. Immerhin hat sie mit mir einen Pakt geschlossen, von daher war Isfanels Versuch, sie zu töten, von vornherein zum Scheitern verdammt. Aber solltest du dich nicht eher um deine eigene Haut kümmern? Ich meine, ich bin auch noch da.“   [Matt: 4000LP / Another: 4000LP] Sofort wandte Matt sich zu ihm um. Sarkastisch merkte er an: „Ist mir gar nicht aufgefallen.“ Dennoch war er erleichtert, dass Valerie offenbar noch lebte. Scheinbar setzte Another seine ganze Kraft ein, um seine Pläne umzusetzen. Aber wenn er damit beschäftigt war, in Isfanels Duell zu intervenieren … war die Möglichkeit gegeben, dass er sich nicht stark genug auf sein eigenes konzentrierte! „Dann helfe ich dir dabei, dich zu erinnern. So nett bin ich. Draw!“ Der Dämon in Alastairs Gestalt zog nun auch seine sechste Handkarte, nachdem Matt den ersten Zug getan hatte. In jenem hatte er nur [Steelswarm Sting] beschworen. Die schwarze Riesenhornisse verharrte nun vor ihm in der Luft und sollte die Lage überprüfen, ehe Matt in die Vollen ging.   Steelswarm Sting [ATK/1850 DEF/0 (4)]   Nachdem er Isfanels brutalen Zug gesehen hatte, sah er davon ab, sein Feld zu schnell zu füllen. Seine fünf Handkarten fest im Griff, wischte er sich mit der anderen Hand den Schweiß von der Stirn. Täuschte er sich, oder wurde es im Kristallsaal immer wärmer? Ein Blick auf das Tor Edens, das über dem Thron im hinteren Teil des Saals an elektrischen Seilen schwebte, verriet ihm die Antwort nicht. Das kreisrunde, mit silbernen Kristalldornen versehene Tor hatte sich bisher nicht verändert.   „Konzentriere dich, wenn du länger als zwei Züge durchhalten willst“, mahnte Another ihn vergnügt, meinte dann aber: „Andererseits, je schneller das hier vorbei ist, desto eher kann ich mich um Melinda Ford und Isfanel kümmern.“   Das hier würde sicherlich ebenso wenig ein Kinderspiel werden wie der Kampf gegen Isfanel, sagte sich Matt dabei. Dieser Krieg an zwei Fronten machte ihn nervös. Was, wenn der erste der beiden Dämonen niederging – oder schlimmer, wenn eines seiner Teams den Kürzeren zog? Es würde die anderen mit sich reißen, weil Isfanel oder Another dann dafür sorgen würde, dass deren jeweiliges Ziel erreicht wurde. Entweder, indem der Rest der Gruppe angegriffen, oder aber Isfanel beseitigt wurde. Und dann war da noch Melinda. Matt war sich aber nicht so sicher, ob Another in Melinda wirklich eine Gefahr sah. Viel eher machte es den Eindruck, als wäre sie nur eine Entschuldigung, um sich mit Isfanel zu verbünden. Die Vorteile lagen auch auf der Hand, so konnte er den flammenden Dämon leichter kontrollieren und beschäftigen, statt sich mit ihm herumschlagen zu müssen. Außerdem hatte Another bestimmt noch ein Ass im Ärmel, um die Situation, wenn sie brenzlig wurde, zu wenden. Matt hatte es einfach im Blut.   „Du hörst mir wirklich nicht zu, oder?“, stellte Another beleidigt fest. „Fein, dann lasse ich lieber die Karten sprechen. Du solltest sie kennen! Ich beschwöre [Vylon Pentachloro]!“ Erstaunt horchte Matt beim Klang des vertrauen Namens auf. Vor seinem Gegner tauchte ein metallisches Wesen auf, bestehend aus einem fünfeckigen Körper aus dunklem Stahl, zwei Armen und letztlich einem goldenen, radähnlichen Kopf.   Vylon Pentachloro [ATK/500 DEF/400 (4)]   „D-du benutzt Alastairs Deck!?“, staunte Matt. Another zuckte unbedarft mit den Schultern. „Warum nicht? Ich bin schließlich keine Attention Whore wie Isfanel und zaubere mir mal mir nichts, dir nichts ein neues Awesome-Deck. Außerdem ist meine Paktkarte hier drin.“ Matt zischte ärgerlich, denn sein Gegner schien das Ganze gar nicht für voll zu nehmen. Schlimmer aber war, dass er vermutlich guten Grund dazu hatte. Denn der jüngere Dämonenjäger ahnte bereits, was gleich auf ihn zukommen würde. „Da du schon so jämmerlich guckst, werde ich dich nicht länger im Ungewissen lassen, was es mit der Beschwörung dieses Monsters auf sich hat“, erklärte Another selbstverliebt, „du hast es dir sicher sowieso gedacht, nicht wahr? Von meiner Hand die Zauberkarte [Machine Duplication]. Ich denke du weißt genau, was sie bewirkt.“ „Leider“, brummte Matt. Aus Anothers Monster schossen zwei Abbilder seiner selbst und nahmen rechts und links neben der Kreatur feste Formen an. Womit Matt nun drei Monstern gegenüberstand – was aber nicht lange so bleiben würde, wie er wusste. Another streckte den Arm in die Höhe, unter dem roten Mantel drang gelbes Licht schwach hervor. „Ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinen drei Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster!“ Als gelbe Lichtstrahlen wurden seine drei Monster in das schwarze Loch mitten im Spielfeld eingesogen, welches sich zeitlich zu Anothers Ankündigung geöffnet hatte. „Xyz-Summon! Unterdrücke und herrsche, [Vylon Disigma]!“ Aus dem Wirbel hervor trat eine Kreatur die wirkte, als wäre sie aus den Tiefen der Finsternis selbst entsprungen. Dunkel und bösartig war die Grimasse des Wesens, dessen überdimensional großer Kopf auf zwei miteinander verbundenen, quadratischen Plattformen lag. Aus den langen Armen, die aus seinem Kopf ragten, schoss ein ganzes Bataillon an schwarzen Klingen. Drei gelbe Sphären umkreisten [Vylon Disigma] dabei.   Vylon Disigma [ATK/2500 DEF/2100 {4}]   „Oh verdammt!“, fluchte Matt beim Anblick des Monsters. Another griff unter Disigmas Karte auf seinem D-Pad und zog eines der Xyz-Materialien darunter hervor. „Blitzgescheit wie du bist, wirst du nicht vergessen haben, was geschieht wenn Disigmas Effekt aktiviert wird!“ Die Kreatur öffnete ihr Maul und sog gnadenlos Matts [Steelswarm Sting] ein. Daraufhin färbte sich eine der Sphären um Disigma violett. „Mein Monster hat deines absorbiert“, erklärte Another daraufhin triumphierend, „was bedeutet, dass es fortan jedes Monster mit demselben Attribut automatisch in einem Kampf vernichtet!“ Matt weitete die Augen. In seinem Deck befanden sich ausschließlich Finsternis-Monster – was bedeutete, dass jegliche seiner Angriffe nutzlos wären! „Aber das ist nur der halbe Spaß! Wenn ich das richtig sehe, bist du vollkommen schutzlos.“ Der vernarbte Hüne ihm gegenüber setzte ein fieses Lächeln auf. „Das schreit ja regelrecht nach einer kleinen Demütigung! [Vylon Disigma], direkter Angriff! Sacred Black Obliteration!“ Zwischen seinen Handflächen ließ das Wesen violett-schwarze Energie entstehen, welche zu einem Speer lang gezogen wurde. Matt konnte gerade so einen Schritt zurückweichen, da wurde die Lanze schon auf ihn geworfen. In einer kuppelförmigen Explosion ging der junge Mann schreiend unter. „Gahhhhhh!“ Die Druckwelle schleuderte ihn von den Beinen. In der Luft drehte Matt sich mehrmals die eigene Achse, ehe er hart auf dem Kristallboden landete und von dort weiter rollte. Direkt in die Kristalldornen, die den Ausgang blockierten. „Ahhhhhh!“, schrie er abermals, als er dagegen stieß und eine der herausragenden Dornen sich durch seine Schulter bohrte. Andere rissen seine Hose und den Mantel auf, sorgten für tiefe Schnittwunden.   [Matt: 4000LP → 1500LP / Another: 4000LP]   „Was denn, was denn?“, höhnte Another enttäuscht. „Du bist doch selber schuld, wenn du nicht darauf achtest, dich angemessen zu schützen.“ Matt stieß einen weiteren qualvollen Schrei aus und betrachtete in seiner liegenden Position verzweifelt die Kristallspitze, die aus seiner Schulter ragte. Wenn er sich losriss, riskierte er eine Menge Blut zu verlieren! „Warte, ich helf' dir“, bot Another gönnerhaft an und streckte den Arm nach Matt aus. Mit einem Ruck und einem Schrei wurde dieser durch eine unsichtbare Kraft vom Kristall losgerissen, drehte sich in der Luft zu einer aufrechten Haltung und wurde zurück an seinem Duellplatz transportiert, wo er unsanft von Another fallengelassen wurde. „Bitteschön!“ Matt, überrascht und an beiden Beinen verletzt, konnte den Fall nicht kompensieren und fiel vorne über auf den Boden. „Urgh!“ „Ein Trauerspiel“, kommentierte sein Gegner das mit einem abschätzigen Blick. „Zug beendet.“   Matt hielt sich die Wunde an der Schulter und raffte sich schwankend auf. Er war ganz blass im Gesicht und biss sich auf die Lippen, um von den Schmerzen abzulenken. „War wohl nicht die klügste Idee, mich direkt hinter diesem Ding zu positionieren“, presste er selbstironisch hervor. „In der Tat nicht“, stimmte Another ihm zu und lächelte dünnlippig, „man könnte fast meinen, da wollte mich jemand in eine Falle locken.“ „Ja, wäre wirklich schade, wenn eines deiner Opfer durch deinen eigenen Angriff umkäme, huh?“, erwiderte Matt ebenfalls mit einem wissenden Grinsen. „Na wie gut, dass das nicht passiert ist.“ Der schwarzhaarige Hüne im roten Mantel kniff die Augen zusammen. „Nicht wahr?“ „Sehe ich auch so“, antwortete Matt darauf und verzog wütend das Gesicht. „Tch, was für ne Schnappsidee!“ Innerlich fluchte er über sich selbst. Was hatte er sich dabei gedacht!? Er war doch nicht wie dieser Henry, er hing an seinem Leben! Für diesen seltendämlichen Einfall hatte er jetzt die Quittung!   „Mein Zug!“, fauchte er, um sich vom Schmerz und seiner eigenen Idiotie abzulenken. „Draw!“ Die neue Handkarte betrachtend, atmete er tief durch. Diese Dummheit hatte ihn einen großen Batzen an Lebenspunkten gekostet. Wenn er sich jetzt wieder absichtlich zurückhielt, würde er das Duell verlieren! Es gab nur ein Problem: er kam an [Vylon Disigma] nicht vorbei! Keines der Monster auf seiner Hand war stark genug und selbst wenn sie es wären, könnten sie den Kampf aufgrund von Disigmas Effekt trotzdem nicht gewinnen. „Ich setze ein Monster und zwei verdeckte Karten“, verkündete Matt, legte die Karten auf sein D-Pad und ließ sie vor seinen Füßen erscheinen. „Damit gebe ich an dich ab, 'Anny'!“ Solange er seine Monster im Verteidigungsmodus spielte, konnten sie wenigstens nicht absorbiert werden.   „'Anny'?“, wiederholte Another verdutzt und zog nebenbei seine nächste Karte. „Hast du dir eben den Kopf gestoßen?“ „Soll ich dich lieber 'Ally', nach Alastair, nennen?“, hakte Matt grinsend nach. „Ich dachte, dass es dir vielleicht gefällt, von mir einen Spitznamen zu bekommen. Mir ist nämlich aufgefallen, dass ihr Dämonen eure Wirte immer beim vollen Namen ansprecht. Dachte, etwas Abwechslung kann nicht schaden?“ „Es ist eine Sache des Respekts“, erklärte Another. Plötzlich trübte sich sein Blick. „Dort, wo wir herkamen, wurden niemals mehrteilige Namen gegeben, denn kein Name in unserer Welt wurde zweimal vergeben. Jeder hat seine einzigartige, besondere Bedeutung. Es ist undenkbar für uns, jemandes Namen zu verkürzen oder falsch wiederzugeben.“ „Wo … ihr herkamt?“ Matt legte verwirrt den Kopf in den Nacken und sah herüber zu Eden. „Etwa durch … ?“ „Was auch immer, deine lausigen Versuche, durch Smalltalk etwas Zeit zu gewinnen, funktionieren bei mir nicht!“, fand Another wieder zu seiner selbstherrlichen Art zurück. „Ich habe Wichtigeres zu tun, als mit meinen Schachfiguren zu plaudern! Daher musst du jetzt stark sein, mein Lieber, denn das hier eben war dein letzter Zug!“ Von seiner Hand nahm der besessene Alastair eine Zauberkarte und zeigte diese vor. „Ich aktiviere [Stop Defense]! Der Name ist hier auch Programm, dein Monster wird in den Angriffsmodus gewechselt!“ „Oh verdammt!“ Mit erschrockenem Blick beobachtete Matt, wie sich die Karte seines gesetzten Monsters um 90° drehte und umwirbelte. Hervor sprang ein kleiner, schwarzer Insektenknabe, dessen überdimensional große Augen herüber zur anderen Spielfeldseite lugten. Steelswarm Scout [ATK/200 DEF/0 (1)]   „Na reizend …“, stöhnte Matt, der längst wusste, was jetzt kam. Another griff unter die Karte seines [Vylon Disigma] und zog ein weiteres Xyz-Material darunter hervor. „Ganz genau! Mein Monster wird jetzt auch diese Kreatur absorbieren!“ Wieder öffnete Disigma sein Maul und sog Matts Scout in sich auf. Zeitgleich verfärbte sich die zweite der drei leuchtenden Sphären violett. Allerdings hatte Another längst eine weitere Zauberkarte gezückt. „Und nun aktiviere ich [Release Restraint Wave]! Mit ihr ist es mir möglich, eine meiner Ausrüstungszauberkarten zu vernichten, um alle deine gesetzten Zauber- und Fallenkarten ebenfalls mit in den Abgrund zu ziehen!“ „Was!?“ Eine der violetten Sphären, die, die einst [Steelswarm Sting] war, zerplatzte kurzerhand und löste eine Schockwelle aus. Matt schütze sich mit erhobenen Armen vor dem Sturm, doch seine gesetzten Fallen wurden mitgerissen und zersprangen. Als der junge Mann über seine Arme herüber zu seinem Gegner sah, fand er diesen mit einem finsteren Lächeln auf den Lippen vor. „Dumm gelaufen, mein Lieber“, sagte Another triumphierend, „ich war dir von Anfang an überlegen.“ Matt zischte vor Wut. „Was willst du überhaupt!? Warum bist du so versessen darauf, dieses verdammte Tor zu öffnen!?“ Der Blick seines Gegenübers verhärtete sich. „Ich sehe keinen Grund, dir eine Antwort zu geben. Du würdest sie ohnehin mit ins Grab nehmen und selbst wenn du meine Absichten kennst, wären sie für dich bedeutungslos.“ „Mit so etwas gebe ich mich nicht zufrieden!“ Matt schwang wütend den Arm aus. „Erzähl mir nichts von wegen, ein Mensch könne nicht verstehen, was in einem von euch vor sich geht! Wir sind nicht so verschieden!“ Allerdings rümpfte Another nur die Nase. „Das war nicht, was ich damit ausdrücken wollte. Aber helfen würde mir niemand freiwillig bei meiner Aufgabe. Daher muss ich mir nehmen, was ich brauche. Und das sind du und deine Freunde!“ Ehrgeizig streckte der schwarzhaarige Mann seinen Arm aus und weitete die Augen manisch. „Euer Schicksal ist besiegelt! Genug des Geschwätzes, mach dich bereit! [Vylon Disigma], ich befehle dir, direkt anzugreifen! Sacred Black Obliteration!“ „Verdammt!“, schrie Matt panisch und wich zurück. Die finstere Engelsmaschine schuf mit ihren Armen einen neuen Energiespeer, den sie ergriff und zum Abwurf bereit machte. Der Dämonenjäger schluckte. Dann kam der Speer schon auf ihn zugeschossen und ließ ihn in einer kuppelförmigen Explosion untergehen.   ~-~-~   „Dieser Idiot!“, schrie Anya, als Matt gerade im ersten Zug Anothers durch sein zurückhaltendes Spiel gegen den Kristall geschleudert und aufgespießt wurde. „Was macht der da!?“ Dann richtete sie wieder ihren Blick auf Valerie, die am Ende des Saals regungslos durch Isfanels erbarmungslosen Angriff liegen geblieben war. War sie tot? „Anya, wir müssen weitermachen!“, drang Henrys Stimme da an ihr Ohr. Jener hatte sich wieder aufgerafft, auch wenn er genau wie Anya deutlich mitgenommen daher kam. Die Blondine nickte schließlich und kam ebenfalls wankend auf die Beine.   [Anya: 1000LP Henry: 1000LP //// Isfanel: 2000LP]   „Großartig!“, fluchte sie, als sie ihre Lage Revue passieren ließ. Isfanel hatte es mit einer Kombo geschafft, die Handkarten aller Spieler zu vernichten und die Lebenspunkte auf ein Minimum zu reduzieren. Glücklicherweise besaß Anya dank des Effekts von [Gem-Knight Lazuli] noch [Gem-Knight Tourmaline] auf dem Blatt. Henry dagegen hatte weniger Glück und war blank. Zumindest erging es Isfanel in der Hinsicht genauso. Allerdings besaß dieser dafür diesen gewaltigen Maschinenvogel, [Celestial Gear – Synthetic Albatross], dessen Innenleben nur von einer leuchtenden, durchsichtig-roten Oberfläche aus purem Licht verdeckt wurde. Und auch wenn dieses Ding schwach war, hatte es dennoch Valerie mit einem Angriff ausgeschaltet.   Celestial Gear – Synthetic Albatross [ATK/500 DEF/0 (4)]   Es waren die verbannten Karten, dachte Anya wütend. Isfanel hatte ein ganzes Arsenal an Zauberkarten aus dem Spiel entfernt, um ihre Züge zu überspringen. Und nun wusste Anya warum – dort konnten sie ungehindert ihre Effekte entfalten! Wer wusste schon, was dort alles auf sie lauerte?   Die weiße, flammende Gestalt, die einst Marc gewesen war, sagte: „Ich habe meinen Zug beendet, Anya Bauer.“ „Tch, ist ja gut!“, fauchte die und griff nach ihrer Duel Disk. Wie sollte sie zusammen mit dem Pennerkind gegen jemanden bestehen, der seine Monster durch die verbannte Zone stärkte!? Dagegen gab es keinerlei Mittel! Andererseits war dieser Mechavogel, zwischen dessen Beinen Isfanel stand, selbst mit dem Punkteschub durch [Banished Power Gear] schwach! Wäre doch gelacht, wenn sie an so einem Ding scheitern würde! „Draw!“, fauchte Anya und riss die nächste Karte von ihrem Deck. Und als sie diese betrachtete, blinzelte sie verdutzt. „[Kuriboss]?“ Das war doch eine der Karten, die sie durch den Wunsch des Jinns erhalten hatte! Nur kam dieses Ding im ungünstigsten Moment. Mit dem konnte sie keine Gem-Knight-Fusion durchführen – oder doch!? Anya griff kurzerhand in das Nebenfach ihrer alten Battle City-Duel Disk und zog ihr Extradeck hervor, um eines ihrer Fusionsmonster zu überprüfen. Und als sie erfahren hatte, was sie wissen wollte, huschte ein zufriedenes Grinsen über ihr Gesicht. Sich an Isfanel richtend, schob sie das Extradeck zurück in den dafür vorgesehenen Schacht und rief: „Ich verbanne [Gem-Knight Lazuli] von meinem Friedhof und erhalte dafür von dort meine [Gem-Knight Fusion]-Zauberkarte zurück, die du mir vorhin genommen hast, Mistkerl!“ Kaum hatte sie ihr verbanntes Monster in die Hosentasche gesteckt, zückte sie die Zauberkarte und hielt sie zusammen mit den beiden Monstern auf ihrer Hand hoch in die Luft. „Eine Fusion!? Perfekt, genau was wir jetzt brauchen!“, kommentierte Henry das glücklich.   Hoffentlich würde das etwas Zeit schinden, dachte er sich. Sie brauchten jede Minute, damit Melinda alles für ihre Flucht und die Zerstörung des Turms vorbereiten konnte! Wenn er doch nur selbst etwas unternehmen könnte!   „Schaut her, ich verschmelze [Gem-Knight Tourmaline] mit meinem [Kuriboss]! Aber das hier ist keine normale Fusion der Gem-Knights! Hier wird ein Gem-Knight mit einem Licht-Monster vereint!“, rief Anya stolz. „Tourmaline, du bist das Gefäß! [Kuriboss], du bist die Seele! Werdet eins! Werdet [Gem-Knight Seraphinite]!“ Wenn sie könnte, würde sich Anya am liebsten beim Jinn dafür bedanken, ihr auch dieses mächtige Fusionsmonster geschenkt zu haben. Zu dumm, dass der nicht mehr war. Aber sie würde dafür sorgen, dass ihr Wunsch an ihn eine Bedeutung gewann! Über dem Mädchen tat sich ein Wirbel aus Edelsteinen auf, welcher einen goldenen Ritter und einen kleinen, braunen Fellball mit Sonnenbrille und wehendem, grauen Cape in sich einsog. Ein Lichtblitz entstand, als eine erhabene Gestalt aus dem Wirbel trat. Es war eine Ritterin ganz in Weiß, deren blauer Umhang wild um ihre Schultern flatterte. Aus ihrem Rücken traten dabei weiße Lichtschwingen, während sie einen Degen aus blauem Kristall mit sich führte und diesen drohend auf Isfanel und sein Monster richtete.   Gem-Knight Seraphinite [ATK/2300 DEF/1400 (5)]   „Was ist das für ein Gem-Knight!?“, staunte Henry mit offenem Mund. „So einen habe ich noch nie gesehen!“ „Das ist der Gem-Knight, der unserem Kumpel jetzt mächtig in den Arsch treten wird!“, erklärte Anya und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf den gemeinsamen Gegner. „[Gem-Knight Seraphinite], auf in die Schlacht! Gem Cutting Edge!“ Ihre Kriegerin schwärmte aus und flog unter wehendem Umhang auf den gewaltigen Mechavogel zu. Isfanel hob seinen Arm in die Höhe. „Durch die verbannte Zauberkarte [Banished Power Gear] erhöht sich die Angriffskraft meines Monsters während des Kampfes um 500.“ Woraufhin sich die Zahnräder im Inneren des Albatros wie wild zu drehen begannen.   Celestial Gear – Synthetic Albatross [ATK/500 → 1000 DEF/0 (4)]   „Zu schade, das ist nicht mal ansatzweise genug, Blödmann!“, fauchte Anya und zog mit dem Daumen über ihre Kehle. „Mach es alle, Seraphinite!“ Kurz darauf stieg ihre Ritterin in die Höhe, über den Kopf der Maschine, um dann mit vollem Tempo ebendiesen mit ihrer Klinge zu spalten. Unter einem lauten Knall explodierte der Schädel, während die Zahnräder im Inneren der Kreatur den Halt verloren und das Gebilde in sich zusammenbrach. Bevor Isfanel jedoch unter ihnen begraben werden konnte, schrumpften die Teile und wurden zu klitzekleinen Lichtpartikeln. „Im Kampf mit [Celestial Gear – Synthetic Albatross] erhalte ich keinen Kampfschaden“, erklärte er und streckte die lodernde Handfläche aus. „Und nachdem ein Celestial Gear zerstört wurde, kehrt es auf meine Hand zurück.“ Die Lichtpartikel um ihn herum fokussierten sich bei diesen Worten an einem Punkt über seiner Handfläche und bildeten dort die Karte seines Maschinenmonsters. Anya klappte die Kinnlade herunter. „Was zum-!? Hey, das ist unfair! Der Angriff hätte dich über die Hälfte deiner Lebenspunkte kosten müssen!“ „Was sind das für Karten!?“ Auch Henry war überrascht. „Das heißt, er kann sie einfach erneut ausspielen, wenn wir sie zerstören? Wie sollen wir sie dann loswerden!?“ „Tch! Ganz einfach, Idiot“, fauchte Anya ihn mit einem Blick zur Seite an, „wir lassen gar nicht erst zu, dass er sie nochmal ausspielt! Dein Zug! Mach ihn fertig!“   Deutlich verunsichert griff Henry nach seinem Deck, doch sein Blick haftete auf der Karte, die immer noch über Isfanels Hand schwebte. Anya derweil raunte: „Selbst wenn er es nochmal ausspielt, das Vieh ist doch total schwach!“ Auf den ersten Blick mochte diese Fähigkeit der Celestial Gear-Monster nicht weiter gefährlich wirken, denn dieser Albatros war trotz allem ein schwaches Monster, wie Anya richtig sagte. Dennoch war diese Entwicklung besorgniserregend. „Anya“, richtete er sich ernst an seine Mitspielerin, „unterschätze diese Monster nicht.“ Den Ratschlag nahm das Mädchen aber nicht sonderlich gut auf. „Tch, hab ich gesagt, dass ich das tue!?“ „Du guckst nur auf die Angriffspunkte, daher meine Warnung.“ Henry schnaufte wütend. „Aber da rede ich vermutlich gegen eine Wand. Draw!“ Als Henry zog und erkannte, dass es ein Monster war, atmete er auf. Mit so wenigen Lebenspunkten konnte er es sich nicht leisten, schutzlos dazustehen. „Ich setzte ein Monster und beende!“ Seine einzige Karte quer auf die Duel Disk legend, ließ er sie in vergrößerter Form vor sich erscheinen. Und sorgte im Zuge dessen dafür, dass Anya ihn auf der Stelle anschrie. „Was soll der Mist!? Sein Feld ist leer! Das ist die Chance, zuzuschlagen, du elender Schisser!“ „Und was bringt es dir, wenn ich mit einem schwachen Monster angreife, das von ihm im nächsten Zug zerstört wird!?“, verteidigte sich Henry ebenso aufgebracht und zeigte ihr einen Vogel. „Spinnst du eigentlich!? Vergiss nicht, dass er durch die verbannte [Gear Backwards]-Zauberkarte Lebenspunkte bekommt, wenn er uns Schaden zufügt! Wenn ich jetzt angegriffen hätte, wäre das nur zu unserem Nachteil gewesen!“ Anya erwiderte seine rüde Geste mit einem nicht weniger unfreundlichen Mittelfinger und drehte sich beleidigt weg. „Tch, Feigling …“ „Ich bin am Zug. Draw“, ließ sich Isfanel nicht davon stören und zog von der klingenartigen Duel Disk an seinem Arm eine Karte, während er [Celestial Gear – Synthetic Albatross] weiterhin über seine andere Handfläche schweben ließ. Schließlich nahm er diesen jedoch aufs Blatt, nur um ihn im Anschluss auf die Duel Disk zu legen. „Ich führe nun eine Rückbeschwörung durch, indem ich [Celestial Gear – Synthetic Albatross] nach seiner Zerstörung erneut als Normalbeschwörung rufe.“ „Da kommt er!“ Anya runzelte ärgerlich die Stirn. Wenn das Pennerkind recht hatte, würde hier gleich die Post abgehen. Auch wenn sie nicht leugnen konnte, dass dieser Nervenkitzel ihr irgendwie gefiel. Henry indes wiederholte: „Rückbeschwörung also …“ Verschiedene rote Lichtpunkte tauchten weit über der brennenden Gestalt, die Isfanel war, auf und wurden durch gleichfarbige Linien miteinander verbunden. Kurz darauf wurde das mechanische Innere des Riesenvogels unter der durchsichtigen Begrenzung sichtbar und der Albatros mit seinem gebogenen Schnabel stand wieder in seiner vollen Größe vor ihnen.   Celestial Gear – Synthetic Albatross [ATK/500 DEF/0 (4)]   Doch etwas war anders! Die Zahnräder in seinem Inneren begannen plötzlich grell zu leuchtend und drehten sich viel schneller als zuvor. „Der Effekt meines Monsters aktiviert sich nun“, erklärte Isfanel, „wenn auf diese Weise beschworen, bleibt es nur einen Zug auf dem Feld, ehe es verbannt wird. Dafür erhält es seinen letzten Effekt. Dieser lässt mich bei seiner Rückbeschwörung zwei Karten ziehen.“ Anya und Henry stießen erschrockene Seufzer aus, als Isfanel sein Blatt auf drei Karten aufstockte. „Deshalb hat er also sein eigenes Blatt vernichtet! Er wusste, er würde es wieder regenerieren können“, schloss Henry daraus entsetzt. „Diese Dinger gehen mir langsam richtig auf den Keks!“, fauchte Anya aufgebracht. „Aber völlig egal, wie viele Karten er zieht, das Ding bleibt trotzdem schwach!“ „Das ist wahr, seine Angriffspunkte sind zu niedrig“, stimmte Isfanel zu und zückte ein anderes Monster von seinem Blatt. „Daher werde ich es jetzt verbannen, um [Celestial Gear – Synthetic Eagle] als Spezialbeschwörung durch dessen Effekt zu rufen!“ Sein gewaltiger Maschinenalbatros löste sich in hellblauem Licht auf, welches dutzende, gleichfarbige Lichtpunkte über ihm bildete, die sich wieder mit zahlreichen Linien miteinander verbanden und so ein neues Monster von riesigem Ausmaß zeichneten. Die Spannweite der Flügel des neuen Mechavogels war noch breiter, dafür wirkte der Körperbau schlanker und agiler. Durch eine himmelblaue, durchsichtige Schicht war auch bei ihm der Blick auf das mechanische Innenleben gewährt. „Wenn [Celestial Gear – Synthetic Eagle] auf diese Weise beschworen wird, nimmt er die Stufe des verbannten Monsters an“, erklärte Isfanel ruhig, während seine Gegner das Monster bestaunten.   Celestial Gear – Synthetic Eagle [ATK/2500 DEF/1000 (5 → 4)]   „D-das Vieh ist ja stärker als meine Seraphinite!“, stammelte Anya panisch. Ihre kämpferische Haltung spiegelte sich in den weiß leuchtenden Augen des Riesenadlers wieder, der dann seinen Kopf zur Seite neigte und Henry ins Visier nahm. Jener stolperte einen Schritt zurück. „Mit seiner Zauberkarte kommt es auf 3000 Angriffspunkte!“ „[Celestial Gear – Synthetic Eagle] fügt, wenn er ein Monster angreift, Durchschlagschaden zu“, erklärte Isfanel und streckte seinen Arm Richtung Henry aus. „Nach dem Mädchen folgt nun der Nächste. Los, Celestial Stormburst!“   Celestial Gear – Synthetic Eagle [ATK/2500 → 3000 DEF/1000 (4)]   „Oh Gott!“, stieß Henry panisch hervor, da er erkannte, was das für ihn bedeutete. Der Mechanikadler hob seine riesigen Schwingen an, schlug sie nur einmal auf und ab, um zwei grell leuchtende Wirbelstürme zu entfachen, die sich rasend schnell ihren Weg auf Henry zu bahnten. Dieser schloss die Augen und ließ die Arme schlaff hängen. „Tut mir leid, Melinda. Ich war …“ „Verdammter Kackmist, ich dachte, ich kann mir das noch aufheben!“, schrie Anya aufgebracht und griff hastig nach ihrem Friedhof, bevor Henry von den Stürmen erfasst wurde. „Ich verbanne [Kuriboss] von meinem Friedhof, um einmal Kampfschaden zu annullieren!“ Kurz bevor die Wirbel Henry und sein Monster erreicht hatten, tauchte das braune Fellknäuel mit der Sonnenbrille und dem grauen Umhang vor ihnen auf und fing einen der Stürme ab. „Kuri!“ Jammernd wurde das arme Ding daraufhin durch die Luft gewirbelt und verschwand, doch mit ihm besagter Wirbelsturm. Der andere jedoch fegte über Henrys Monster hinweg, das aus der Karte hervorgesprungen kam – ein grünhaariges Mädchen in beigefarbenem Cape.   Kamui, Hope Of Gusto [ATK/200 DEF/1000 (2)]   Schreiend wurde sie ebenso mitgerissen, bis schließlich auch der zweite Sturm verschwand. Henry öffnete verwirrt die Augen und sah herüber zu Anya, die ihn wütend anfunkelte. „Was sagt man da?“ „D-du hast mich gerettet!?“ „Falsch! Man sagt 'Danke, liebe Anya, meine Herrin und Gebieterin'!“ Der brünette, junge Mann blinzelte verwirrt. „Wieso hast du das getan?“ „Tch!“ Sie wandte sich ruckartig mit verschränkten Armen von ihm ab. „Denk nicht, dass ich das für dich getan hab! Mir ging es nur darum, [Kuriboss'] Zusatzeffekte auszulösen! Wenn ich nämlich jemand anderes Kampfschaden mit ihm negiere und nicht meinen eigenen, kann ich eine Karte ziehen und eines meiner Monster um 300 Angriffspunkte stärker machen! Nur deswegen, klar!?“ Schnaufend zog sie ihre Karte. Dabei tauchte der Boss der Kuriboh-Familie über ihrer Ritterin auf und ließ einen goldenen Lichtregen auf sie niedergehen, ehe sich über ihm ein kleines Loch in eine andere Dimension auftat, in das er entschwand.   Gem-Knight Seraphinite [ATK/2300 → 2600 DEF/1400 (5)]   Henry ließ Anya dabei nicht aus den Augen. Ohne ihr Eingreifen wäre er Isfanel zum Opfer gefallen, genau wie Valerie. Gerade überlegte er fieberhaft, ob er sich ein Danke ihr gegenüber abringen konnte, da fiel ihm etwas anderes ein. „Ah, der Flippeffekt von Kamui!“ Er schnippte mit dem Finger. „Wenn sie aufgedeckt wird, beschwört sie einen Gusto-Empfänger von meinem Deck.“ Kurzerhand nahm er sich seinen Kartenstapel und legte [Gusto Falco], einen kleinen, grünen Vogel mit Brustpanzerung und Helm auf die Duel Disk von Abby. Dieser machte es sich auf seiner Schulter bequem.   Gusto Falco [ATK/600 DEF/1400 (2)]   „Noch so ein schwaches Verteidigungsmonster?“, beklagte sich Anya sofort wieder. „Willst du, dass es wieder so läuft wie eben!?“ „Ich habe meine Gründe, warum ich ihn ausgewählt habe, okay!?“ Sofort strich Henry jegliche Gedanken an Dank aus seinem Kopf. Dieses Mädchen raubte ihm selbst jetzt, wo sie um ihr Leben kämpften, den letzten Nerv! „Mein Angriff ist also fehlgeschlagen“, stellte Isfanel fest, während seine Gegner sich schamlos vor ihm zofften. Seine letzten beiden Handkarten in die Duel Disk einlegend, erklärte er: „Wie dem auch sei, ich setze zwei Karten verdeckt. Zug beendet.“ Damit erschienen die Fallen vor seinen Füßen.   Anya betrachtete das Spielfeld ihres Gegners einen Moment, bevor sie schließlich den Blick auf die eigene Duel Disk richtete. Selbst mit dem Angriffsboost von [Kuriboss] war [Gem-Knight Seraphinite] nicht stark genug, um gegen [Celestial Gear – Synthetic Eagle] anzukommen. Nicht, solange jener durch die verbannte Zone gestärkt wurde. Und das Schlimmste war, dass es in Anyas Deck kein Monster gab, das die 3000 Punktemarke knackte. Nicht mal der dämliche [Gem-Knight Zirconia] von Matt! „Elender Mist!“, fauchte sie und riss die oberste Karte von ihrem Deck. „Draw!“ Als sie die neue Karte zu ihrer durch [Kuriboss] gezogenen hinzufügte, erkannte sie ärgerlich, dass sie mit [Gem-Knight Iolite] und [Gem-Knight Obsidian] keine passende Antwort in den Händen hielt. Bloß konnte sie es sich abschminken, defensiv zu spielen. Der Mechaadler konnte durch die Verteidigung ihrer Monster durchschlagen und das wäre das Ende. „Maaaaan“, schrie sie verzweifelt und raufte sich mit der freien Hand die Haare. „Das ist unfair!“ „Kommst wohl diesmal nicht mit dem Kopf durch die Wand?“, spottete Henry abfällig. „Probiere es doch mit einem deiner Tricks, wie damals bei unserem Rematch. Vielleicht hilft das ja?“ „Noch so'n Spruch, Knochenbruch!“, fauchte Anya mit erhobener Faust und verteidigte sich engstirnig. „So was habe ich gar nicht mehr nötig, weil ich-!“   In diesem Moment ging ihr ein Licht auf: die Karten des Jinns! [Kuriboss] und [Gem-Knight Seraphinite] waren doch nur zwei davon! Wie hatte sie ihr größtes Kaliber bloß vergessen können!?   „Ist ja auch egal“, winkte sie mit einem geheimnisvollen Grinsen ab und richtete sich an Isfanel. Der verharrte als wandelndes Inferno ruhig auf der anderen Spielfeldseite und wartete auf Anyas weitere Vorgehensweise. „Kumpel, an deiner Stelle würde ich schnellstens diesen Körper verlassen und das Weite suchen!“, kündigte Anya mutig an und griff nach ihrem Friedhof. „Denn wenn du es nicht tust, wirst du gleich eine Niederlage im Anya-Style erleben. Und glaub mir, das willst du nicht!“ „Es gibt nichts, was du tun könntest, um mir zu schaden, Anya Bauer“, erwiderte Isfanel allerdings ungerührt. „Ich kenne dich besser als du selbst.“ Anya spürte, wie die Wut in ihr schlagartig hoch kam. „Hör auf zu reden, als wärst du Levrier! Der ist tot!“ „Ich weiß, was er weiß.“ „Gar nichts weißt du!“ Anya biss die Zähne zusammen. Sie durfte sich jetzt nicht verunsichern lassen. „Du … bist nicht er. Und das werde ich dir jetzt beweisen! Ich verbanne von meinem Friedhof [Gem-Knight Tourmaline], um [Gem-Knight Fusion] auf die Hand zu bekommen, welche ich sofort aktiviere!“ Jetzt konnte sie sich für alles rächen, was Levrier und Isfanel ihr angetan hatten, dachte Anya entschlossen und nahm dabei [Gem-Knight Seraphinite] von ihrer Duel Disk, welche daraufhin vom Spielfeld verschwand. Für all das Leid, die Angst, ihren bevorstehenden Tod! Wenn sie schon nicht leben durfte, dann würde sie diesen Scheißkerl mit sich in den Abgrund ziehen! Zusammen mit [Gem-Knight Fusion] und [Gem-Knight Seraphinite] hielt sie ihre anderen beiden Handkarten, [Gem-Knight Iolite] und [Gem-Knight Obsidian] in die Höhe. Über dem Mädchen entstand ein Wirbel aus dutzenden Edelsteinen, in denen die Abbilder der Monster hineingezogen wurden. Sie war stärker als Levrier und Isfanel! „Drei Lichter kreuzen den Weg des Lichts! Körper, Seele und Herz verschmelzen und werden zu der Macht, die in ihrer Reinheit einem Diamanten gleicht!“ Anya steckte den Arm mit den Karten noch höher in die Luft. „Werdet eins! Werdet [Gem-Knight Master Diamond]!“ Just in diesem Moment, als ihre drei Monster in den Wirbel gezogen wurden, begann Anyas rechte Hand in violetten Flammen aufzugehen. „Whoa!“, stieß Henry überrascht hervor und beachtete gar nicht, das funkelnde Energiepartikel aus dem Wirbel durch die Luft glitten. Ebenfalls kam wirbelnd ein Breitschwert daraus hervor geschossen und versank einige Meter vor Anya im Kristallboden des Saals. Und während die sieben regenbogenfarbenen Edelsteine, die in der Schneide eingelassen waren, zu leuchten anfingen und damit die funkelnden Partikel anzogen, grinste Anya bösartig.   Das war es – das war der Teil ihres ersten Wunsches an den Jinn, den sie nicht ausgesprochen, sondern nur gedacht hatte. Aber der Kerl hatte ihn tatsächlich erfüllt! Sie hatte sich Karten gewünscht, fünf Stück. Und wo vier von ihnen ganz normale Karten waren, sollte die stärkste von ihnen gleichzeitig auch etwas sein, das ihr Kraft gab. Eine Macht, die nur ihr gehörte und nicht etwa Levrier. Anya nahm ihren Gegner fest ins Visier. Und das war diese Kraft: [Gem-Knight Master Diamond], der mächtigste aller Gem-Knights!   Und dieser entstand nun aus den tanzenden Lichtpartikeln. Erst formte sich der großgewachsene, in silberner Rüstung steckende Körper. Das rote Cape des Kriegers wehte, als er nach seiner, mit Edelsteinen besetzten, Waffe griff, sie aus dem Boden zog und trotz ihrer Größe mit nur einer Hand führen konnte. Mit der freien Hand ballte er eine Faust, in der violette Flammen loderten.   Gem-Knight Master Diamond [ATK/2900 DEF/2500 (9)]   „Das ist mein stärkstes Monster!“, rief Anya, die dabei mit der Hand Richtung Duel Disk fuhr. „Bestehend aus drei Gem-Knights, wird er sich für seine gefallenen Kameraden rächen! Bevor ich aber dazu komme, beschwöre ich erst dank [Gem-Knight Obsidians] Effekt [Gem-Knight Garnet] vom Friedhof, den -du- zu Beginn des Duells abgeworfen hast!“ In der Zeit, die sie damit verbrachte, den Ritter in bronzefarbener Rüstung aufs Feld zu bringen, staunte Henry beim Anblick von Anyas neuem Fusionsmonster. Denn selbst jetzt schien es auf wundersame Weise mit ihr verbunden zu sein, brannte an den rechten Händen beider die violette Flamme, welche wohl das Symbol ihrer geistigen Fusion sein musste – zumindest erklärte sich Henry das so. Woher hatte sie diese Karte nur!? Schließlich tauchte der andere Ritter neben seinem Kameraden auf und bündelte zwischen seinen Handflächen eine Flammenkugel.   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   Doch Anya hatte nicht nur Garnet aus dem Friedhof hervor geholt, sondern auch [Gem-Knight Seraphinite], [Gem-Knight Iolite] und [Gem-Knight Obsidian], welche sie Isfanel mit einem finsteren Lächeln vorzeigte. „Guck sie dir gut an, denn jeder von ihnen, den Gefallenen, wird Diamond um 100 Punkte stärker machen!“ Das war es! Damit hatte sie etwas geschaffen, das es mit diesem dämlichen Vogelvieh aufnehmen konnte!   Gem-Knight Master Diamond [ATK/2900 → 3200 DEF/2500 (9)]   Die Ritter wieder auf den Friedhof gelegt, hob Anya ihren flammenden Arm über die linke Schulter, bereit, ihn für den Angriffsbefehl auszuschwingen. Dabei kniff sie die Augen fest zusammen. „Das ist die Rache für alles, was ich durchmachen musste wegen euch! [Gem-Knight Master Diamond]! Angriff auf sein Monster mit Shining Wave Breaker!“ Und genau wie sie in diesem Moment den Arm ausschwang, tat es auch ihr Ritter mit seiner Hand, wobei er das Schwert mit der anderen schulterte, um es schließlich weit ausholenden in einer horizontalen Linie zu schwingen. Mitten im Schwung löste sich weißes Licht von der Klinge, welches in seiner Bewegung zu einer handfesten Schockwelle mutierte und unweigerlich auf das Monster von Isfanel zuflog. Dabei splitterte sogar ein Teil des Kristallbodens auf, als die Welle sich ihren Weg bahnte. Gleichzeitig begann der Maschinenadler, die Schwingen zu spreizen, um einen Gegenangriff vorzubereiten.   Celestial Gear – Synthetic Eagle [ATK/2500 → 3000 DEF/1000 (4)]   Doch die Schockwelle war zu schnell für ihn. Jene glitt einfach durch den Rumpf des riesigen Mechaadlers durch und brachte ihn dazu, unter lautem Getöse zu explodieren. „Wenn ein Celestial Gear zerstört wird, kehrt es in mein Blatt zurück“, erklärte Isfanel gerade noch rechtzeitig, während die fallenden Einzelteile seines Monsters sich in weiße Partikel auflösten, die eine Karte formten. Dann wurde er auch schon von der Schockwelle mitgerissen und das Unfassbare geschah. Die weißen Flammen um seinen Körper verzogen sich und gaben Marc Preis, der über das Spielfeld flog und hart auf dem Rücken landete. Dabei hielt er in der Hand [Celestial Gear – Synthetic Eagles] Karte.   [Anya: 1000LP Henry: 1000LP //// Isfanel: 2000LP → 1800LP]   „Na endl-“, aber Anya brach in ihren Worten ab, als Marc sich langsam erhob. Seine Stirn, da war kein Einschussloch! Es war, als ob er- Doch in diesem Moment wurde seine Haut, seine Kleidung, einfach alles wieder von den weißen Flammen verschlungen und die engelhafte Gestalt, die Isfanel darstellte, war zurück. „Ich hab keine Ahnung, woher du diese Karte hast“, stammelte Henry und starrte Isfanel ebenfalls irritiert an, „aber mit ihr können wir ihn töten! Du hast ihm physischen Schaden zugefügt und das ohne deinen Dämon! Wie hast du-!?“ „Marc könnte noch leben …“, murmelte Anya und betrachtete dabei ihre flammende Hand.   Eigentlich war es logisch! Dämonen können keine Toten kontrollieren! Isfanel musste irgendwie dafür gesorgt haben, dass die Schusswunde geheilt wurde. Vielleicht mit Levriers Hilfe, denn den hatte er absorbiert? Oder … Wenn Levrier ein Gründer war, war dann nicht auch Isfanel einer? Immerhin konnten Gründer ihren Wirt unsterblich machen! Das musste es sein! Und wenn dem so war, gab es noch Hoffnung für Marc!   „Worauf wartest du!?“, hallte da Henrys Stimme an ihr Ohr. Dieser hielt sich die Brust und verzog schmerzverzerrt seine Miene – der Faden, der von seiner Brust in Edens Richtung ging, war nun deutlich gewachsen und sichtbarer. „Wenn du jetzt direkt angreifst, können wir ihn vielleicht töten!“ Anya aber sah herüber zu Valerie, die weit abgeschlagen von ihnen regungslos am Boden lag. Auch bei ihr konnte man gut erkennen, dass der Lichtfaden in ihrer Brust an Intensität zugenommen hatte. Sie würde ihn retten wollen, ging es Anya sofort durch den Kopf. Und dafür notfalls sogar die anderen in Gefahr bringen. Vor nicht allzu langer Zeit hätte sie von ihr, Anya, Zuspruch dafür erhalten. Aber … „... die Zeiten haben sich geändert. Ich bin nicht Redfield“, murmelte die Blondine und richtete sich an Henry, „du wirst ihr nichts hiervon erzählen, klar?“ Unsicher, was sie damit meinte, nickte er knapp. Es war nicht so, dass Anya angreifen wollte. Aber hier ging es um mehr als nur Marc – um sie alle, oder zumindest um die anderen. Dass Isfanel Marcs Körper freiwillig räumen würde war zu bezweifeln und sie hatten jetzt keine Zeit für waghalsige Experimente. Die Zeit drängte, für jeden von ihnen! Und Marc … sollte eigentlich schon gar nicht mehr hier sein! Wenn er starb, würde Redfield von ihrem Vertrag mit dem Sammler entbunden werden. Oder zumindest ging Anya davon aus. Es war das Beste, wenn er nicht mehr existierte – damit Redfield anfing, sich mit ihren eigentlichen Problemen auseinanderzusetzen. Aber vielleicht war das nur eine Ausrede, gestand sich Anya ein. Und in Wirklichkeit wollte sie einfach nur irgendwie ihre Fehler von damals begradigen. Bloß ging das nicht so, wie sie es sich wünschte. Dieser Zug war längst abgefahren.   „Tch, wieso muss ich eigentlich für diese dämliche Ziege entscheiden!?“, rümpfte Anya wütend die Nase und wandte sich wieder dem Duell zu. „Fein! Also hältst du nun wegen Marc dicht, Henry?“ „J-ja. Hast du mich etwa gerade beim Namen gena-“ Anya jedoch streckte schon längst die flammende Hand aus. „Diamond, übertrag deine Kräfte auf Garnet!“ Sofort schwang der Krieger seinen Arm aus und schleuderte die violette Flamme in seiner Faust in die Flamme, die Garnet mit seinen eigenen Händen geschaffen hatte. Jene verfärbte sich daraufhin ebenso violett. Das Mädchen hatte an alles gedacht. Auch daran, dass Diamond seine Macht übertragen konnte, damit notfalls sogar ihre anderen Monster realen Schaden zufügen konnte. Alles für den Kampf gegen Levrier! „Also dann“, rief sie und zeigte auf Isfanel, „sprich dein Gebet, Mistkerl! [Gem-Knight Garnet], beende dieses dämliche Duell endlich! Direkter Angriff auf seine Lebenspunkte! LOS!“ Der Ritter des Granats schleuderte seine neue Flamme in die Richtung des Wesens, das Marc in Beschlag nahm. Jedoch hallte im selben Augenblick ein Fingerschnippen durch den Saal und die linke Fallenkarte Isfanels sprang auf. „Gegenwirkung: [Synthetic Gear Recycling]. Ein verbanntes Celestial Gear wird mit halbierten Werten auf meine Spielfeldseite beschworen und kann nicht mehr im Kampf zerstört werden. Dafür zieht mein Gegner eine Karte.“ Anya stieß einen wütenden, gleichwohl auch überrumpelten Schrei aus, als die Flamme mitten in der Luft verpuffte und sich um Isfanel der mechanische Riesenalbatros erhob. Seine Oberfläche schimmerte wie gewohnt rötlich und durchsichtig, gab Blick auf die Zahnräder im Inneren preis.   Celestial Gear – Synthetic Albatross [ATK/500 → 250 DEF/0 → 0 (4)]   „Kch, das gibt es doch nicht!“, fluchte Anya und zog nebenbei eine Karte, die sie mit einem noch wütenderem Fauchen zur Kenntnis nahm. „So nah dran!“ Aber war das wirklich schlecht? Immerhin war sie jetzt nicht diejenige, die Marc womöglich ein zweites Mal getötet hatte. Andererseits: Isfanel war gefährlich und musste so schnell wie möglich aufgehalten werden, ehe- „Urgh!“ Vom aufkommenden Schmerz in ihrer Brust gepackt, knickte Anya ein und fiel auf die Knie. Sich die schmerzende Stelle mit der flammenden Hand haltend, stöhnte sie ärgerlich. „So ein Mist!“ Sie hatten nicht mehr viel Zeit! Warum beeilte sich diese Melinda nicht ein wenig mit ihrem dämlichen Plan!?   Henry, welcher den Zustand des Mädchens mit Sorge beobachtete, dachte Ähnliches. Wenn seine Schwester sich nicht ins Zeug legte, würden sie schon bald vom Tor Edens absorbiert werden. Der brünette Kerl blickte skeptisch herüber zu Isfanel, welcher immer noch unbesorgt schien – ein Zeichen, dass sie noch etwas Zeit hatten. Aber wer wusste schon, wie viel? Ihm war zudem klar gewesen, dass Isfanel nicht so leicht zu besiegen sein würde. Aber mit Anyas neuem Monster hatten sie eine Chance! Seine Macht war unglaublich!   „Ich übernehme“, entschied er schließlich, nachdem Anya nicht die Anstalten machte, noch irgendetwas mit ihrem Zug anzufangen. „Draw!“ Es gab nur ein großes Problem: wie wurden sie jetzt dieses Monster los? Es war im Kampf unzerstörbar und wenn es auf dem Feld blieb, würde nächste Runde [Celestial Gear – Synthetic Eagle] erneut die Bühne betreten – und dann fingen die Probleme von vorne an! Zögerlich betrachtete er die gezogene Zauberkarte und flüsterte unschlüssig: „[Mythril Chain] … ?“ Diese Karte war unglaublich nützlich, aber auch sehr gefährlich! Sie konnte jedes Xyz-Material ersetzen, halbierte dafür aber die Kraft des beschworenen Xyz-Monsters. Jenes konnte im Gegenzug direkt angreifen – damit könnte er den Albatros umgehen! Aber wenn [Mythril Chain] als Xyz-Material auf dem Friedhof landete, würde ihr Besitzer am Ende des Zuges satte 3000 Lebenspunkte verlieren. Und die hatte er nicht mehr. Allerdings war die Entscheidung für Henry nicht sehr schwer, denn eine andere Wahl als diese Karte auszuspielen hatte er ohnehin nicht. Damit konnte er zumindest das Duell vorantreiben. Zudem war da noch … „Okay! Ich aktiviere den permanenten Zauber [Mythril Chain]! Damit ersetze ich ein Xyz-Material und erschaffe nun das Overlay Network!“ Mitten im Spielfeld öffnete sich ein schwarzes Loch, welches zuerst Henrys Vögelchen [Gusto Falco] als grünen Lichtstrahl einsaugte, ehe dann aus seiner Zauberkarte eine blausilberne Kette erschien, die ebenfalls in dem Wirbel verschwand. „Aus meinem Stufe 2-Monster und [Mythril Chain] wird ein Rang 2-Monster! Xyz-Summon! Erscheine, [Daigusto Phoenix]!“ Als der federlose, gelbbraune Vogel aus dem Wirbel heraustrat, fiel Henry etwas Ungewöhnliches auf. Womit nicht die Kette gemeint war, die um den Körper seines Monsters gewickelt war oder etwa die einzelne, grüne Sphäre, die um es kreiste. Nein, es war die Tatsache, dass das Mal an seinem Arm nicht kribbelte oder leuchtete. Und während Henry damit beschäftigt war, unter dem weggeschobenem Ärmel seines Trenchcoats das Mal zu betrachten, begannen Flügel und Schopf seines Monsters in smaragdfarbenen Flammen aufzugehen. Es gab einen gequälten Schrei von sich und wurde vom Gewicht der Kette auf den Boden gezogen.   Daigusto Phoenix [ATK/1500 → 750 DEF/1100 {2}]   „Also gehört dieses Ding dir!“, stellte Anya staunend fest, als sie [Daigusto Phoenix] erblickte. Schon im Duell mit dem Sammlerdämon war ihr dieses Monster begegnet, doch damals wusste sie nicht, wessen Paktkarte das war. „Du kennst es?“ Henry zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Ist jetzt egal! Wir müssen diesen Typen besiegen!“ „Richtig …“ Der junge Mann nahm Isfanel ins Visier und kniff die Augenlider zusammen. Da Melinda offensichtlich vorhatte, alle Anwesenden zu retten, würde er ihr dabei so gut es ging unter die Arme greifen. Und mit seinem Paktmonster konnte er das! Behände griff er sich [Gusto Falco], dessen Karte unter [Daigusto Phoenix] lag und riss sie hervor. Daraufhin schnappte sein Phönix nach der einzelnen, grünen Lichtsphäre, die um ihn kreiste und schluckte sie hinunter. „Wie du sicher weißt, kann ich durch das Abhängen eines Xyz-Materials von [Daigusto Phoenix] ein Wind-Monster in diesem Zug zweimal angreifen lassen! Und wie du sicherlich ebenfalls weißt, kann ein Xyz-Monster unter Einfluss von [Mythril Chain] direkt angreifen! Also mach dich auf was gefasst! Doppelter Direktangriff! Flame Of Life!“ Isfanel reagierte jedoch gar nicht, als der Phönix auf der anderen Seite des Spielfelds in seinem Schnabel eine smaragdgrüne Flamme hervorwürgte und sie in Form eines Feuerballs auf ihn abfeuerte. Doch nicht nur eine, gleich zwei davon kamen direkt auf das weiß lodernde Wesen zu. Kurz bevor sie ihr Ziel erreichten, hob Isfanel den rechten Arm an und ließ die Kugel daran abprallen.   [Anya: 1000LP Henry: 1000LP //// Isfanel: 1800LP → 300LP]   „Yeah!“, jauchzte Anya und machte eine siegessichere Geste mit ihrer Faust. „Er ist so gut wie am Ende! Wir haben es fast geschafft!“ Henry jedoch blinzelte verdutzt. Die Flammen seines Phönix' hatten keinerlei körperliche Wunden zugefügt, obwohl sie das, genau wie Anyas [Gem-Knight Master Diamond], hätten tun müssen. „Ich dachte ja fast, du wärst nutzlos, aber-!“ Er unterbrach jedoch das triumphierende Geplapper seiner Partnerin unwirsch. „Noch haben wir nicht gewonnen! Das Blatt kann sich schnell wieder wenden, vergiss das nicht! Zug beendet!“ Ihm war nicht wohl bei der Sache. Dass Isfanel so gelassen blieb, verhieß gewiss nichts Gutes. Noch dazu hatte er ein verdammt schwaches Monster auf dem Feld. Hoffentlich ging sein Plan auf!   „Dann ist es nun mein Zug. Draw“, kündigte Isfanel an und zog von seiner abstrakt langen Duel Disk eine Karte, welche er kurz betrachtete. Dann wandte er sich seinen Gegnern zu. „Indem ich ein offenes Monster verbanne, kann ich [Celestial Gear – Synthetic Eagle] sowohl als Rückbeschwörung, als auch als Spezialbeschwörung in Einem aufs Feld rufen. Dabei nimmt er die Stufe des verbannten Monsters an.“ „Dacht' ich's mir doch!“, rief Henry ärgerlich. Schon löste sich der Albatros, wie schon zuvor, in hellblaue Lichtpartikel auf, die sich zu größeren Punkten verbanden. Jene zeichneten dann mit blauen Linien den Mechanikadler, welcher kurz darauf in seiner gewaltigen Größe das Spielfeld betrat.   Celestial Gear – Synthetic Eagle [ATK/2500 DEF/1000 (5 → 4)]   Isfanel, der zwischen den Beinen des Monstrums stand, streckte den flammenden Arm aus. „Nun wirkt der Effekt meines Monsters, da es als Rückbeschwörung gerufen wurde. Nur einmal während des Duells annulliert es die Effekte aller gegnerischen Monster auf dem Spielfeld und im Friedhof!“ Anya fiel aus allen Wolken, genau wie ihre Kinnlade. „Was!?“ Die Augen des Adlers begannen rot aufzuleuchten, bis in regelmäßigen Abständen kaum sichtbare Wellen von ihnen ausgingen. Anyas Ritter gingen, kaum wurden sie von ihnen getroffen, in die Knie. Auch Henrys Phönix sank kraftlos in sich zusammen.   Gem-Knight Master Diamond [ATK/3200 → 2900 DEF/2500 (9)]   Erschrocken bemerkte das Mädchen, wie die violette Flamme an ihrer Hand unruhig zu flackern begann. Indes verkündete Isfanel: „Nun erfolgt meine Normalbeschwörung. Ich rufe [Celestial Gear – Synthetic Owl].“ Links vom Adler begannen braune Lichtsphären in der Luft aufzuleuchten. Mit geschwungenen Linien verlinkten sie sich miteinander und zeichneten eine massive Mechanikeule. Wie bei ihren Geschwistern, war das Innere einsehbar durch eine braune Lichtschicht.   Celestial Gear – Synthetic Owl [ATK/1000 DEF/1100 (4)]   „Noch so eins!“, presste Anya ärgerlich hervor. Das alles gefiel ihr überhaupt nicht! Ihr Gegner jedoch schwang bereits den Arm aus. „Nun ist es Zeit, dass unsere Wege sich trennen. Die Fehler der Vergangenheit werden sich nicht wiederholen. Anya Bauer … leb wohl.“ Zu verdutzt, um etwas zu erwidern, sah die Blondine ihre Gegner fassungslos an. Dieser zeigte auf ihren [Gem-Knight Garnet] und sprach: „[Celestial Gear – Synthetic Eagle], greife ihr Monster an! Und mit der Kraft der verbannten Zauberkarte [Banished Power Gear] steigt seine Macht um 500 Angriffspunkte! Das ist das Ende! Celestial Stormburst!“ Das war es wirklich, erkannte das Mädchen, während der Mechanikadler bereits seine Schwingen spreizte. Sie hatte nur 1000 Lebenspunkte, welche den Kampfschaden nicht abdecken konnten! Sie würde … sterben!   Celestial Gear – Synthetic Eagle [ATK/2500 → 3000 DEF/1000 (4)]   „Anya!“, schrie Henry panisch. Gleichzeitig erzeugte Isfanels Monster zwei funkelnde Tornados, die sich ihren Weg in Anyas Richtung bahnten. Doch das Mädchen bekam es kaum mit. Sie würde gleich sterben! Im Limbus landen, für immer allein sein! Warum hatte sie das nicht kommen sehen? Warum hatte sie das Duell nicht in ihrem letzten Zug gewinnen können!? Plötzlich weiteten sich ihre Augen und einem Impuls nachgebend, schwang sie die violett brennende Hand aus, als würde sie Schmutz in der Luft wegwischen. „Move!“ Ihr bellender Ausruf hatte zur Folge, dass die Zwillingstornados nicht mehr ihren Garnet, sondern plötzlich [Gem-Knight Master Diamond] anzielten. Dieser, in seiner knienden Haltung, verneigte sich mit auf der Brust liegender Hand, ehe er von dem Sturm zerfetzt wurde. Anya wurde ebenfalls von den Sturmwinden getroffen und durch die Luft geschleudert, was einen harten Aufschlag nach sich zog. Und während das Mädchen der Länge nach auf dem Boden lag, erlosch das Feuer an ihrer Hand.   [Anya: 1000LP → 900LP Henry: 1000LP //// Isfanel: 300LP]   „Unmöglich!“ Es war das erste Mal, dass Isfanel eine derart emotionale Regung zeigte. „Wie kann das sein!? Mein Ziel war [Gem-Knight Garnet]!“ Stöhnend stemmte sich die Blondine mit den Händen vom Kristallboden ab und bemerkte, dass die Flamme erloschen war. „Huh!?“ „W-wie hast du das angestellt!?“, wunderte sich auch Henry lauthals über das, was eben geschehen war. „Du hättest-! Du solltest-!“ Das Mädchen sah zu ihm blinzelnd herüber. „Was gemacht?“ „D-du hast den Angriff einfach umgelenkt!“ „Ach wirklich? Cool!“ Langsam erhob Anya sich und presste stöhnend die Hand auf ihre Hüfte, welche fürchterlich schmerzte. „Verdammt, bin ich gut!“   Indes grübelte Henry hitzig. Es war unmöglich, dass sie das Ziel des Angriffs durch einen Karteneffekt verändert hatte! Sie besaß keine verdeckten Karten und ihre Monster konnten deren Effekte nicht einsetzen – [Gem Knight Garnet] besaß ja nicht einmal einen! Außerdem hatte sich ihr Diamantenritter nicht einfach in den Weg gestellt, nein, sie selbst hatte das Ziel bestimmt. War das etwa auch ein Teil ihrer Kraft?   „Selbst wenn du das Schicksal eben verändert hast, werdet ihr nicht siegreich sein!“, verkündete Isfanel nun deutlich aufgebrachter als zuvor während des Duells und zeigte auf Henry. „Seht! Der Effekt der verbannten Zauberkarte [Gears Forward] aktiviert sich nun. Wenn ein Celestial Gear Kampfschaden zufügt, vermag ich pro Zug einmal das schwächste Monster in Angriffsposition meines Gegners zu vernichten! Werdet Zeuge, wie ich die Paktkarte [Daigusto Phoenix] vernichte!“ Nun war es an Henry, erschrocken die Augen zu weiten. Wenn sein Monster verloren ging, würde ihn der Effekt von [Mythril Chain] in der End Phase treffen – sofern er nicht schon vorher außer Gefecht gesetzt wurde! Er musste das verhindern, unbedingt! Und wusste auch schon wie! Sich nicht von den dutzenden Zahnrädern verunsichern lassend, die um ihn und seinen Feuervogel herum erschienen, streckte er den Arm aus. „Da habe ich aber noch ein Wörtchen mitzureden! Du sagtest Angriffsposition? Das lässt sich ganz schnell ändern! Werde du Zeuge, wie ich deine eigene Waffe gegen dich verwende! Ich rekonstruiere das Overlay Network!“ Dann winkelte er den Arm an, schob den Ärmel seiner Jacke beiseite und präsentierte sein verwaschenes, hellgrünes Mal. „Aus meinem Rang 2-Monster wird ein neues Rang 2-Monster! Erscheine, [Eternal Daigusto – Jade Phoenix] … im Verteidigungsmodus!“ Unter seinem flammenden Vogel öffnete sich ein schwarzer Schlund, welcher das Tier langsam in sich auf sog. Schwarze und grüne Blitze schlugen daraus empor. „Damit entkomme ich dem Effekt von [Gears Forward]“, erklärte Henry und sah aus den Augenwinkeln herüber zu Anya. „Stattdessen trifft es jetzt [Gem-Knight Garnet], da er das schwächste Monster in Angriffsposition von uns ist.“ Als die Blondine das vernahm, wich sie einen Schritt zurück. „D-dann bin ich ungeschützt! Spinnst du!?“ „Mag sein, aber dadurch haben wir eine Chance!“, rechtfertigte sich Henry wild gestikulierend. „Ich kann mit Jade Phoenix direkt angreifen, verstehst du!? Außerdem ist er bei Weitem nicht so leicht zu knacken wie andere Monster, dank seines Incarnation-Status!“ Anya jedoch konnte es nicht fassen und schüttelte ungläubig den Kopf. „Du Scheißkerl willst mich opfern, um deinen Arsch zu retten! Du verdammter-!“ Wütend stampfte Henry auf. „Du bist wirklich die Falsche, irgendwelche Anschuldigungen zu machen! Wer war es, der uns überhaupt in diese Lage gebracht hat, huh!?“ „Die, die dir gleich ein Ticket in die Hölle spendieren wird, du widerlicher-!“   Allerdings wurde ihre Streiterei abrupt unterbrochen, als [Daigusto Phoenix] wieder aus dem schwarzen Loch geflogen kam. Der Phönix flatterte hilflos im Kreis und kreischte dabei, ehe der Wirbel sich unter ihm wieder schloss. „W-was!?“, stammelte Henry erschrocken. „I-ich habe doch reinkarniert, wieso-!?“ „Das ist zwecklos. Entsinne dich“, erklärte Isfanel seelenruhig und hob seinen Arm, zeigte auf den Phönix. „Das Inkarnieren im Gegnerzug ist ein verborgener Effekt eines Paktmonsters. Und dieser wurde durch [Celestial Gear – Synthetic Eagle] annulliert.“ Fassungslos legte Henry seinen Kopf in den Nacken und starrte den riesigen Mechanikadler an. Und erinnerte sich dabei an das Duell mit Melinda in der Kanalisation – er hatte dieselbe Strategie verfolgt, um eine Inkarnation zu verhindern! Wie hatte er das nicht beachten können!? „Und noch etwas. Ihr als Gefäße seid nicht in der Lage, auf unsere Macht zuzugreifen. Selbst wenn wir verbunden sind, gar eins sind, könnt ihr niemals hoffen, ohne unsere Hilfe die volle Kraft des Paktes zu entfalten.“ Isfanel ballte vor ihm eine Faust, als würde er damit Henrys Hoffnungen zerquetschen wollen. „Du hattest nie eine Chance.“ Noch während der das sagte, umringten die Zahnräder Henrys [Daigusto Phoenix] und zermahlten ihn in einer schnellen Bewegung zu nichts als Asche. „Eins … nie eine … Chance?“   Der junge Mann sackte fassungslos auf die Knie. Statt Anya war er es nun, der völlig ungeschützt dastand. Der Effekt von [Mythril Chain] würde ihn unweigerlich treffen. Es war vorbei. Anya, die das Ganze nicht weniger perplex mitverfolgte, fand schließlich ihre Stimme wieder und sah majestätisch auf Henry herab. „... geschieht dir recht! Ein Tipp für die Zukunft: leg dich nie mit Anya Bauer an! Und noch was! Bleib am Leben für Molly, wenn's geht! Mit dem werd' ich schon irgendwie klar kommen!“ Wie gelähmt sah er zu dem Mädchen herüber. Sie würde wirklich weiterkämpfen!? Obwohl sie eins mit dem Gründer war, Edens Dienerin, seine Feindin!? Plötzlich realisierte Henry etwas. „Anya! Du-!“ „Direkter Angriff auf seine Lebenspunkte, [Celestial Gear – Synthetic Owl]. Celestial Nightburst!“   Celestial Gear – Synthetic Owl [ATK/1000 → 1500 DEF/1100 (4)]   Überrascht von Isfanels Ausruf, verstummte Henry und sah panisch zur riesigen Mechanikeule. Diese öffnete ihren kurzen Schnabel, gab ein hohles Uhu von sich, ehe sie einen schwarzvioletten Laserstrahl auf Henry abschoss. Jener drehte sich schnell wieder zu Anya um, wissend, dass er nur noch wenige Herzschläge für seine Botschaft hatte: „Deine Kräfte sind nicht-!“ Doch der Einschlag kam zu schnell für ihn. Seine Partnerin kreischte erschrocken, als Henry in einer dunklen Explosion unterging. Sein Körper wirbelte meterweit durch die Luft. Dabei schloss er die Augen und sprach ein zerstreutes Gebet, ehe er unweit von Valerie aufkam. Es knackte laut, dann blieb er regungslos liegen.   [Anya: 900LP Henry: 1000LP → 0LP //// Isfanel: 300LP → 1800LP]   Mit offenem Mund betrachtete Anya Henrys Körper sprachlos. Sie ignorierte auch die Tatsache, dass weiße Zahnräder um Isfanel erschienen und sich wild gegen den Uhrzeigersinn zu drehen begannen. „Einmal pro Zug, dank des Effekts der verbannten Zauberkarte [Gear Backwards] werden meine Lebenspunkte um den Kampfschaden erhöht, den ein Celestial Gear zugefügt hat.“ Perplex wandte sich das Mädchen ihm zu und sah ihn in einer Mischung aus Furcht und Abscheu an. Sie wusste nicht einmal, ob Henry den Fall überlebt hatte! Und auch wenn er ein ausgemachter Idiot war, hatte sie das zu verantworten. „Nun sind es nur noch wir beide“, sprach Isfanel, „ich hatte nicht geplant, diese Konversation zu führen, aber du als Edens Sklavin solltest wissen, was Eden ist. Und wieso es nicht geöffnet werden darf.“ Das Mädchen brauchte einen Moment, ehe sie wieder auf der Höhe war. „Und damit fängst du jetzt an!? Wo es zu spät ist und du schon zwei meiner Freunde umgenietet hast!? Wer bist du überhaupt!? Du bist nicht Levrier, aber auch nicht dieser irre Isfanel, den ich kennengelernt habe! Warum ist es soweit gekommen, dass wir uns hier gegenüberstehen, wenn du nie wolltest, dass dieses beknackte Eden-Tor geöffnet wird!?“ Es sprudelte einfach aus ihr heraus. Die Verzweiflung, die Angst, der Schmerz um all das, was geschehen war. „Alles war sinnlos! Irgendwie wollte ich dir, ich meine Levrier helfen, andererseits wollte ich nicht im Limbus enden! Warum hat er-“ „Levrier ist nicht das geworden, was ich mir vorgestellt habe“, unterbrach Isfanel sie. „Wie du weißt, ist er kein eigenständiges Wesen, sondern nur einer meiner Abkömmlinge. Ich habe ihn aus dem einzigen Zweck erschaffen, ein passendes Gefäß zu finden, um Edens Erwachen zu verhindern.“ Sein Gegenüber schüttelte vehement den Kopf, hob wütend die Hände über den Kopf. „Dann hast du versagt, du verdammter Idiot! Er wollte Eden erwecken!“ „Ich weiß“, erwiderte Isfanel und schwang den linken Arm in ebenjene Richtung, „und das alles ist sein Werk.“   Anya folgte der Richtung und erkannte, dass der flammende Dämon auf Another zeigte, welcher gerade mit [Vylon Disigma] ein kleines Insektenmonster von Matt absorbierte. Perplex wandte sie sich wieder an Isfanel. „Sprich Klartext, 'kay!?“ „Ich, Isfanel, bin seit Jahrtausenden der Wächter des Turms von Neo Babylon, dem Sitz des Tores Eden“, erklärte jener ruhig und ließ den Arm sinken. „Doch vor vielen Jahrhunderten entfachte ein Kampf zwischen mir und, wie er sich heute nennt, Another. Sein Ziel war es, das Tor für seine Zwecke zu öffnen.“ „Soweit komm ich mit“, brummte Anya.   Ihr Herz klopfte wild. Im Grunde interessierte sie die Geschichte nicht im Geringsten, jetzt, wo sie alles hinausgelassen hatte, was ihr auf dem Gemüt lag. Oder vielleicht doch ein kleines Bisschen. Viel wichtiger war aber die Zeit, die sie damit schinden konnte. Diese dämliche Melinda sollte sich bloß beeilen! Vielleicht lebten Redfield und das Schnöselkind ja noch? Sie mussten, sonst war alles sinnlos!   „Das Schicksal wollte, dass Another als Sieger aus diesem Kampf hervor trat. Mit meiner letzten Kraft erschuf ich den Abkömmling Levrier, um mithilfe eines Gefäßes einen Soldaten zu erschaffen, der Another besiegen konnte.“ Langsam hob Anya den Daumen und zeigte auf sich. „Etwa mich?“ „Ich weiß es nicht, denn Anothers Magie hat sowohl meinen, als auch Levriers Verstand manipuliert. Er riss mein Bewusstseins entzwei, verfälschte beide Teile und pflanzte eines der Fragmente in Levrier ein.“ Isfanel verschränkte die Arme. „Alles zu dem Zweck, eines Tages Eden zu erwecken. Während ich den größten Teil meiner Erinnerungen verlor, wusste ich noch um meine Bestimmung, Edens Erwachen zu verhindern. Dennoch war ich ein instabiles Wesen. Was du jetzt siehst, ist meine vollständige Form.“ „Tch, das klingt so beschissen, dass ich gar nicht so viel essen kann, wie ich kotzen will!“, lautete Anyas galliger Kommentar dazu. „An deiner Stelle würde ich mich an ihm rächen, nicht an uns! Mach doch den scheiß Turm kaputt, da helf' ich dir sogar bei!“ Ihr Gegenüber schüttelte den Kopf. „Unmöglich, der Turm darf nicht fallen.“ „Und was ist so schlimm daran, wenn Eden geöffnet wird?“ Keine Antwort. Anya stöhnte genervt. Sie wollte nicht hier sein und mit diesem Typen Smalltalk halten. Einfach nur zuhause in ihrem Bett liegen und sich ausruhen, das wollte sie. Alles war seine Schuld! „Was kann denn so schlimm sein, ein blödes Tor zu öffnen!? Sag's mir!“   Isfanel machte eine kurze Pause, ehe er antwortete. „Wegen der Möglichkeiten, die es bietet.“ „Möglichkeiten?“ „Ich werde nicht ins Detail gehen. Wisse, dass es nicht nur ein Tor gibt. Wir, die wir vor Jahrtausenden diese Welt betreten haben, kamen durch Eden.“ Um das zu verdeutlichen, zeigte er in Richtung des Tores über den Thron. „Und um eure Welt zu schützen, erschufen wir den Turm von Neo Babylon, der in einem festgelegten Zyklus und nur unter ganz bestimmten Umständen erscheint. Nur unsereins kennt diesen Zyklus.“ Anya verdrehte genervt die Augen und fuchtelte unwirsch mit den Händen. „Das beantwortet meine Frage nicht, Dummkopf!“ „Wir lebten seither unter den Mensch und berichteten einer Handvoll von ihnen das, was wir auf der anderen Seite unseres Tores erlebt haben – wodurch ein Plan gefasst wurde.“ Isfanel ließ den Arm wieder sinken. „Der Plan einiger weniger Menschen, eure Welt für immer zu verlassen. Sie nennen sich bis heute die Allerheiligsten.“ Sofort fiel Anya auf, dass ihr dieser Name bekannt vorkam. Es dauerte einen Moment, ehe sie endlich raffte, wo sie ihn schon mal gehört hatte. „Was!? Die aus dem Spinnerbuch!?“ „Die heilige Stadt Eden, die verborgen hinter den Toren wartet, existiert wirklich. Sie ist eine Festung, die errichtet wurde, um sich gegen den 'wahren Feind' zu wappnen. Und während ich und einige wenige meiner Art hier blieben, um eines Tages erneut das Tor zu öffnen, gingen die meisten von uns mit diesen Menschen.“ Isfanel sah wieder zum Tor herüber. „Doch die hier Verbliebenen entschieden sich, das Tor nie wieder zu öffnen, um dem 'wahren Feind' den Einlass zu verweigern.“ „Schön und gut, ich kapiere nur Bahnhof! Was zur Hölle ist der 'wahre Feind'!?“, fauchte Anya den Wächter Edens aufgebracht an. „Ich dachte, Another ist unser Feind!?“ „Er tut nur das, was er für das Richtige hält. Aber ich habe bereits genug über die Vergangenheit gesprochen. Die Gegenwart und die Zukunft sind, was beschützt werden muss.“   Schlagartig streckte er beide Arme aus und spreizte die Finger dabei weit auseinander. „Doch genug davon! In meinem Besitz befinden sich das Stufe 4-Empfänger-Monster [Celestial Gear – Synthetic Owl] und das Stufe 4-Nicht-Empfänger-Monster [Celestial Gear – Synthetic Eagle].“ Anya stieß erschrocken hervor: „Oh crap, 'ne Synchro!“ „Ich erschaffe das Overlay Network!“ „Huh!?“ Zu Anyas Überraschung verwandelten sich die beiden mechanischen Riesenvögel in gelbe Lichtstrahlen, die von einem bunten Wirbel absorbiert wurden, welcher sich mitten im Spielfeld öffnete. „Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster!“ Anya wollte gerade einen bissigen Kommentar dazu abgeben, da geschah etwas Ungewöhnliches. Aus dem Lichtwirbel heraus trat kein Monster, sondern vier grün leuchtende Sphären. Gleichzeitig legten sich um den Wirbel eine selbe Anzahl von gleichfarbigen Ringen. „Jetzt“, rief Isfanel laut, „Incarnation Fork Summon! Ich stimme die für die Xyz-Beschwörung genutzten Materialien aufeinander ein! White light creates the path to supremacy! Divine arises!“ „Was zur Hölle wird das!?“, schrie Anya geblendet von dem Licht, das aus dem Wirbel trat. „Xyz-Summon, Herald of Salvation, [Celestial Gear – Synthetic Armored Nightingale]! Synchro Summon, Herald of Damnation, [Celestial Gear – Synthetic Armored Hawk]! Arise!“ Ein greller Blitz schoss durch den bunten Strom und ging durch die Sphären hindurch. Anya gab einen erschrockenen Schrei von sich, als eine Schockwelle aus dem Overlay Network sie beinahe von den Füßen riss. Zuvor geblendet, wagte sie es, die Lider langsam zu öffnen – und erstarrte. Vor Isfanel flogen zwei gewaltige Mechavögel in der Luft. Beide waren mit einer weißen Panzerung bedeckt und anders als bei ihren Artgenossen, konnte man nur an Flügeln und Beinen in das Innere sehen. Der linke Vogel war von schlanker Figur. Eine violette Aura umhüllte ihn, wie er seine weiten Schwingen schützend vor sich hielt, wobei zwei goldene Sphären um ihn kreisten. Der andere war wesentlich größer und kräftiger, umhüllt von orangefarbener Aura und erzeugte mit seinem beständigen Flügelschlag jedes Mal kleine Druckwellen. Kugelrunde, pupillenlose Augen fixierten sich auf Anya – beide Vögel starrten sie an.   Celestial Gear – Synthetic Armored Nightingale [ATK/2400 DEF/2600 {4}] Celestial Gear – Synthetic Armored Hawk [ATK/2600 DEF/2400 (8)]   „Kneif mich bitte jemand“, stammelte Anya im Angesicht der beiden Monster. „Das ist die wahre Stärke einer Paktkarte“, erklärte Isfanel ungerührt, „mit der Kraft von [Celestial Gear – Synthetic Armored Nightingale] war es mir möglich, mit ihrem Xyz-Material die Synchrobeschwörung eines dazu passenden Synchromonsters zu simulieren, dem Stufe 8 [Celestial Gear – Synthetic Armored Hawk]. Jedoch kann ich dafür Nightingales Effekt nicht aktivieren in diesem Zug. Deshalb beende ich jenen nun.“   Anya stand jedoch der Mund offen. Dieser Typ hatte nicht ein, sondern gleich zwei Paktmonster und das noch von diesem Kaliber aufs Feld gebracht!? Wie sollte sie an denen jemals vorbeikommen, sie besaß schließlich nur [Gem-Knight Garnet] und eine lausige Handkarte! Allein der Anblick dieser beiden Viecher jagte ihr einen Schauder über den Rücken. Wenn die nur halb so gut waren, wie Isfanels bisherige Monster, saß sie mächtig in der Tinte! Als hätte er ihre Gedanken gelesen, sagte dieser: „An diesen beiden Monstern gibt es kein Vorbei für dich, Anya Bauer. Ich empfinde Mitleid dafür, dass das Schicksal dich betrogen hat, doch kann ich darauf keine Rücksicht nehmen. Dein Tod ist besiegelt.“ Und gerade wollte Anya in ihrer Panik etwas Patziges darauf antworten, da hörte sie einen Schrei und wirbelte in Matts Richtung. Sie sah nur noch, wie er in einer Explosion, ausgelöst durch [Vylon Disigmas] Speer, unterging. „Matt!“     Turn 34 – Another's Mind Gerade so dem Tod entkommen, gibt Matt sein Bestes, um Anothers Fängen zu entkommen. Dieser enthüllt endlich seine Absichten und sorgt damit dafür, dass Matt zu zweifeln beginnt. Gleichzeitig setzt er ihn durch die Inkarnation von Alastairs Paktmonster, [Vylon Seraphim – Embodiment Of Order, Disigma] heftig unter Druck. Aber auch Anya muss sich, nun ganz allein, gegen den übermächtigen Isfanel behaupten, welcher mit jedem Zug seinen vorherigen überbietet … Kapitel 34: Turn 34 - Another's Mind ------------------------------------ Turn 34 – Another's Mind     „Wo … bin ich?“ Matt öffnete langsam die Augen und erschrak. Er schwebte durch eine Art … Tunnel? Oder eher eine Röhre. Ihre Wände leuchteten in bunten Farben, vornehmlich gelb und pink. „Was ist das?“   Der Pfad, durch den wir einst gekommen sind.   „Another!“ Nun erinnerte sich Matt. Im Kristallsaal, sie hatten gekämpft. „Was ist das hier!?“   Eine Vision, die ich dir zeige. Du hast nach meinen Absichten gefragt.   Matt indes überlegte fieberhaft. Das Duell, er hatte gekämpft und verloren – nein, hatte er noch nicht! [Vylon Disigmas] Angriff hatte ihn zwar getroffen, aber … „Warum zeigst du mir das jetzt? Hast du deine Meinung geändert?“   In der Tat. Vielleicht, wenn ich von Anfang an aufrichtiger gewesen wäre, hätten sich die Dinge anders entwickelt. Aber ich habe keine Wahl gehabt und bereue nichts.   Matt drehte sich einmal um die eigene Achse, doch flog er weiter durch diesen scheinbar niemals endenden Tunnel. „Du sagtest, man würde dir niemals freiwillig helfen. Warum?“ Er musste irgendwie einen Ausweg finden, dachte der Dämonenjäger dabei. Aus dem Elysion, denn vermutlich befand er sich gerade in ebendiesem.   Du weißt, dass fünf menschliche Opfer plus ein Gründerindividuum gebraucht werden, um das Tor zu öffnen. Wir, die wir keine eigenen Körper besitzen, können es nicht allein öffnen. Das war eine Abmachung, die wir einst mit den Menschen getroffen haben, die diese Welt für immer verließen.   Matt blinzelte verdutzt, als es in eine Kurve ging. Wohin führte dieser Tunnel ihn? „Abmachung?“   Die Dinge hatten sich jedoch nach ihrem Fortgang verändert. Es war angedacht, das Tor noch ein einziges Mal zu öffnen, damit …   „Damit?“ Auch der Rest der Menschheit flüchten kann.   In diesem Augenblick kam Matt ein grelles, blendendes Licht entgegen. Er schrie auf, hielt sich die Arme vor das Gesicht und doch fühlte es sich an, als würde er erblinden. Ruckartig wurde er nach vorn geschleudert, fand mit den Füßen Halt und stolperte vorwärts, ehe er einbrach und auf die Knie fiel. „Argh!“ Blinzelnd öffnete er die Augen – und staunte.   Er lag inmitten einer prächtigen Blumenwiese. In den verschiedensten Farben erstreckte diese sich bis an den Horizont, welcher Ausblick auf riesige Berge gab. Was Matt jedoch so erstaunte waren die fremdartigen Blumen selbst, denn einige leuchteten von innen heraus, während andere gar bizarre Formen besaßen. Das war aber noch nicht alles, denn mitten in der Luft schwebten überall um ihn herum kleine, funkelnde Partikel.   Langsam raffte der junge Mann sich auf und bestaunte die ihm fremde Welt. „Was ist das hier?“ „Das, was an einem der Enden des Nexus liegen könnte.“ Überrascht wirbelte der Dämonenjäger herum und stand sich selbst gegenüber. Beziehungsweise Another, der sein Abbild perfekt imitiert hatte. „Nexus?“, wiederholte Matt skeptisch. Another trat neben ihn und nickte. „Das, was zwischen den Toren liegt, wird als Nexus bezeichnet. Tore wie Eden, die in jeder Welt zu finden sind, gewähren Zugang zum Nexus. Einem Ort, mit dem man überall hinreisen kann – wenn man weiß wie, heißt es.“ Überrascht von so vielen Informationen wich der Schwarzhaarige zurück von seinem Ebenbild. „Toren!? Es gibt mehrere!?“ „In jeder Welt, Dimension, wie auch immer ihr es nennen möchtet, eins.“ „Jeder Welt?“   Matt musste einen Moment überlegen. Zwar war er nie der Meinung gewesen, es gäbe nur eine einzige Dimension, aber aus Anothers Mund hörte sich das so an, als gäbe es unzählig viele. Und der Nexus … davon hatte er noch nie gehört.   „Wie viele es gibt, ist ungewiss. Der Nexus selbst ist das Bindeglied zwischen allem, was existiert, existieren wird oder einst existiert hat“, erklärte Another und blickte stur an Matt vorbei, „er ist weit mehr, als einfach nur ein Tunnelnetzwerk für die Reisenden zwischen den Welten. Wie uns …“ „I-ich verstehe nicht ganz.“ Nun blickte sein Ebenbild dem jungen Dämonenjäger in die Augen. „Wir, die wir von euch Dämonen genannt werden, kommen aus einer Welt jenseits des Nexus. Jenseits eures Tores.“ „D-die Dämonen … stammen ursprünglich aus einer anderen Welt?“, rekapitulierte Matt, der sich schon in der Vergangenheit über so etwas Gedanken gemacht hatte. „Alle?“ „Wer weiß? Unsere Art, die Immateriellen, in jedem Falle.“ Plötzlich hob Another seinen rechten Arm und ballte ihn langsam zu einer Faust, während er diese dabei intensiv beobachtete. „Wobei selbst das Immaterielle … sterblich ist.“ Matt schwieg. Daher drehte sich Another zur Seite und richtete seinen Blick auf die Berge am Horizont. „Was du hier siehst ist nur eine Möglichkeit, was an einem der unzähligen Enden des Nexus existieren könnte. Eine Welt voller Schönheit. Vergänglich. Wie die unsere.“ Der Dämonenjäger, seinem Blick folgend, rieb sich am Kinn. „Verstehe. Ihr wurdet vertrieben und seid zu uns gekommen, nicht wahr?“ „Vertrieben?“ Another lachte höhnisch auf und schüttelte den Kopf. „Abgeschlachtet.“ „Was ist passiert?“ „Das … haben wir bis zuletzt nie wirklich begriffen. Es hatte einfach begonnen. Kameraden, Freunde, Familie – auch wir hatten diese Dinge. Bis sich alles gegen uns gewandt hat. Bis wir uns selbst gegen uns gewandt haben.“ Matt blinzelte verdutzt. „Was soll das heißen?“ „Der wahre Feind. Das ist, wie wir das Phänomen bezeichnet haben, welches uns nahezu ausradiert hat – unsere ganze Welt.“ Mit trauriger Mimik bückte sich Another und pflückte behutsam eine Blume. „Unsere Welt ist für euch unvorstellbar gewesen, ihr hättet dort gar nicht existieren können. Aber der wahre Feind konnte es und hat sie verschlungen. Die wenigen Überlebenden sind durch den Nexus geflüchtet – in eure Welt. Und nachdem einige von uns von der Erde zu einer weiteren Reise aufgebrochen sind, zusammen mit ein paar Menschen, entschied man sich dazu, das Tor eurer Welt zu versiegeln.“ Fassungslos schüttelte Matt den Kopf und packte sein anderes Ich an den Schultern, welches daraufhin die Blume fallen ließ. „Ihr habt es geschlossen, damit eure Verfolger nicht hier rein können? Und jetzt willst du es allen Ernstes öffnen!?“ Während Another von seinem Gegenüber geschüttelt wurde, antwortete er tonlos: „Der wahre Feind vernichtet systematisch Welten. Wir haben das Tor daraufhin versiegelt, das ist korrekt. Aber …“ „Aber!?“, brauste Matt nur auf und grub seine Finger fester in Anothers Schultern. „Was aber!?“ „Meiner Ansicht nach bietet das Tor keinen Schutz. Deswegen“, sagte er und mit einem Schlag wurde alles um Matt herum schwarz, „will ich das, was von meiner Art noch übrig ist, aus der untergehenden Welt retten, die ihr Erde nennt!“   [Matt: 1500LP / Another: 4000LP]   Erschrocken stellte der Dämonenjäger fest, dass sein Abbild vor ihm verblasste und er nicht mehr mitten auf einer Blumenwiese stand, sondern im Kristallsaal des Turms von Neo Babylon. Vor ihm waren zwei Fallenkarten aufgedeckt, doch er beachtete sie nicht weiter. Another stand ihm in Alastairs Gestalt gegenüber und funkelte seinen Gegner entschlossen an. „Nun weißt du, was mein Anliegen ist! Dasselbe wie vor Tausenden von Jahren!“ „Flucht“, wiederholte Matt und erkannte, was das bedeutete, „diese Welt wird bald untergehen, fallen durch den wahren Feind!?“ „Vielleicht in zehn, vielleicht in hundert Jahren! Aber irgendwann wird er kommen!“, rechtfertigte sich Another aufgebracht. „Und ich werde nicht länger warten! Selbst die heilige Stadt Eden ist nichts anderes als einer von vielen Zielpunkten des Nexus, sie ist nicht sicher! Sie war die Utopie für die Menschen und für uns, eine unerreichbare Festung! Aber … das ist sie nicht!“ „Selbst wenn du Recht hast und dieser wahre Feind einen Weg kennt, das Tor zu umgehen, hieße das Öffnen für uns, dass sie diese Welt viel einfacher und schneller betreten können!“ Matt wurde zunehmend lauter „Ist doch so, oder!?“ „Dieses Risiko muss ich in Kauf nehmen!“ Die Stimme des jüngeren Dämonenjägers überschlug sich förmlich. „Ach ja!? Du meinst wohl -wir-, die Menschen!“ „Ich werde das nicht mit dir ausdiskutieren, Matt Summers!“, fauchte Another hitzig. „Wenn mich eure Spezies eines gelehrt hat, dann Egoismus! Ich werde jedes Opfer erbringen, was für mein Volk nötig ist, um zu überleben!“ „Das sagt sich leicht, huh!?“, hallte eine andere Stimme durch den Kristallsaal. Anya, die nun alleine Isfanel gegenüber stand, zeigte mit dem Finger auf Another. „Immerhin sind wir ja das, was geopfert wird! Oder sogar die Menschheit, wenn dieser wahre Feind durch das Tor kommt!“ Dann richtete sich die Blondine an Matt und zeigte ihm den erhobenen Daumen. „Den letzten Angriff hast du schon recht cool abgewehrt – weiter so! Tret' ihm in den Hintern, Summers!“ Matt grinste verschlagen, nickte und erwiderte die Geste. „Werd' ich!“ Was ihn daran erinnerte, wie knapp er den Angriff von [Vylon Disigma] doch überlebt hatte. Noch in der Explosion, die ihn erfasst hatte, konnte er vom Friedhof die Falle [Discord Trap] aktivieren. So erklärte er Another nun: „Normalerweise verbannt [Discord Trap] eine deiner Handkarten, wenn du eine Falle aktivierst. Wenn [Discord Trap] aber zerstört wird, kann ich sie und eine andere Falle von meinem Friedhof verbannen, um den Effekt Letzterer zu aktivieren.“ „So bist du also entkommen“, erkannte Another und zeigte auf die zweite Falle, die vor Matt offen stand. „Mithilfe von [Defense Draw].“ „Richtig! [Defense Draw] annulliert einmalig Kampfschaden und lässt mich eine Karte ziehen!“ Und das tat Matt nun, nachdem er die beiden Fallen von seinem D-Pad genommen und in seine Hosentasche gesteckt hatte. „Das wird dich am Ende dennoch nicht weiterbringen. Mein Ziel ist seit Jahrhunderten klar definiert. Bisher habe ich jedes Hindernis aus dem Weg geräumt, was auch weiterhin der Fall sein wird. Ich setze eine Karte verdeckt und beende meinen Zug!“ Der mit Brandnarben übersäte Mann, der einst Alastair gewesen war, ließ vor sich die gesetzte Karte erscheinen. Vor ihm breitete die widerliche Kreatur namens [Vylon Disigma] seine klingenbesetzen Arme aus, als wollte sie Matt provozieren. Um sie herum kreisten zwei Lichtsphären, von denen eine violett glimmte.   Vylon Disigma [ATK/2500 DEF/2100 {4}]   „Es spielt keine Rolle, wann du dich entschlossen hast, uns für dein eigenes Volk in Gefahr zu bringen!“, erwiderte Matt aufgebracht und zog nebenbei. „Deine Absichten sind nicht böse, aber denk daran, was du uns damit antun könntest! Wenn dieser wahre Feind wirklich existiert, dann-“ „Er existiert!“, donnerte Another aufgebracht. „Und er wird euch früher oder später heimsuchen, ob durch das Tor Eden oder einen anderen Zugang zu eurer Welt! Es spielt keine Rolle!“ „Das rechtfertigt nicht-“ Another übertönte ihn jedoch mit Alastairs tiefer Stimme. „Ihr würdet dasselbe tun! Wieso glaubt ihr Menschen, das Recht zu haben, über andere Wesen zu bestimmen!?“ „Wir-!“ „Sechs!“, rief Another und zeigte eine flache Hand vor plus den Daumen der anderen. „Nur sechs Opfer und ich werde imstande sein, einen Ausweg zu finden! Vielleicht auch für euch Menschen!“ Der Dämonenjäger geriet ins Stocken. „Aber wenn das Tor solange offen steht, dann könnten sie-!“ „Alles könnte passieren! Vergiss das Tor, Matt Summers! Ich brauche nur euch sechs, um mein Volk zu retten!“ Enttäuscht seufzte Another auf und schüttelte den Kopf. „ Aber so egoistisch wie ihr seid, würdet ihr niemals euer eigenes Leben für das von anderen opfern! Deshalb sagte ich, dass es keinen Sinn hat, jemanden von eurem Schlag um Hilfe zu bitten!“   Matt schnaufte wütend. Das hatte so wirklich keinen Sinn, Another verstand nicht – oder wollte nicht verstehen. Es ging nicht nur um das Tor und den wahren Feind. Die Leute, die er in das alles hineingezogen hatte, waren unschuldig! Er besaß verdammt noch mal ebenso wenig das Recht, über ihre Leben zu bestimmen. Und wer war er, für sein Volk ein anderes in Gefahr zu bringen. Er war nicht besser als die Menschen, die er regelrecht zu verabscheuen schien!   „Dann ist das jetzt ein Kampf der Menschheit gegen Immaterielle“, deklarierte Matt und zeigte mit dem Finger auf Another, „denn wir sind nicht eure Fußabtreter vor der Tür in eine andere Welt! Du bist nicht besser als wir!“ Höhnisch lachte sein Gegenüber auf. „Dann halt mich auf, wenn du kannst!“ „Werde ich!“ Daraufhin richtete der schwarzhaarige, junge Mann seinen Blick auf die gezogene Karte und weitete die Augen. Das war doch der Zauber, den er von Henry bekommen hatte? Aber was sollte er mit dem anfangen!? Er musste Disigma irgendwie loswerden, da half diese Karte nicht. Dank Disigmas Effekt waren Kämpfe undenkbar, aber vielleicht ging es auch anders! Er besaß fünf Handkarten, sein Gegner nur zwei – er konnte das Spiel also noch drehen! „Ich rufe [Steelswarm Gatekeeper] auf das Spielfeld!“ Eine gepanzerte, auf vier Beinen laufende Kreatur gesellte sich vor Matt. Zwar hatte sie Ähnlichkeit mit einem Käfer, wirkte jedoch in seiner schwarzen Aufmachung gleichzeitig dämonisch.   Steelswarm Gatekeeper [ATK/1500 DEF/1900 (4)]   „Und nun reanimiere ich [Steelswarm Sting] von meinem Friedhof! Mit der Zauberkarte [Monster Reborn]!“ Neben seinem Käfermann tauchte die schwarze Hornissengestalt auf.   Steelswarm Sting [ATK/1850 DEF/0 (4)]   Matt atmete tief durch und streckte den Arm aus. „Und jetzt überlagere ich meine beiden Stufe 4-Monster! Ich erschaffe das Overlay Network!“ Sein Gegner gab ein abwertendes Pfeifen von sich, als sich die Monster des Dämonenjägers in violette Lichtstrahlen verwandelten. Mitten im Spielfeld öffnete sich ein schwarzer Wirbel, der sie absorbierte. „Xyz-Summon! Zeig dich, [Steelswarm Roach]!“, rief Matt und knallte die Karte seines Monsters auf das D-Pad. Aus dem Strom entstieg ein eleganter, schwarzer Kakerlakenritter, dessen goldene Flügel wie ein Umhang um seine Schultern lagen. Er zückte sein Rapier und nahm eine kämpferische Pose an.   Steelswarm Roach [ATK/1900 DEF/0 {4}]   „Sinnlos“, kommentierte Another den Anblick des von ihm einst erschaffenen Paktmonsters. „Diese Karte nützt dir nichts. Denkst du, ich habe sie so geschaffen, dass du sie gegen mich einsetzen kannst?“ Matt grinste verschlagen. „Selbst das hast du geplant?“ „Natürlich. Es war nur ein Gefühl, aber ich ahnte, dass wir uns hier gegenüber stehen würden.“ „Mal sehen, ob du auch hierfür vorgesorgt hast“, erwiderte Matt, hob den Arm an und bildete mit seiner Hand eine Faust. „Ich rekonstru-“ „Idiot!“, hallte es plötzlich von der anderen Seite des Saals zu ihm herüber. Mit in den Hüften gestemmten Armen stand Anya dort drüben und funkelte ihn böse an. Dabei wich Matts Blick jedoch überrascht zu den beiden Monstern ihres Gegners. Das waren doch nicht etwa-!? „Du kannst keine Inkarnation im selben Zug durchführen, in dem du das Basis-Xyz-Monster beschworen hast“, rügte sie ihn wütend, „wusstest du das nicht!?“   „Sie hat recht“, sprach Another und lenkte Matts Aufmerksamkeit damit wieder auf sich. „Das ist unmöglich. Und selbst wenn, würde ich es dir nicht gewähren. Du brauchst meine Macht dazu, Matt Summers.“ Kurz überlegte sein Gegner. So war das also? Nun gut, in etwa hatte er das kommen sehen, zumindest was Anothers Einwilligung betraf. Wenn es allein schon regeltechnisch nicht möglich war jetzt schon zu inkarnieren, konnte er sich -das- noch aufheben für später. „Ach wirklich?“, reagierte Matt dann schnippisch und zückte eine Karte aus seinem Blatt. „Zu schade aber auch! Denn eigentlich wollte ich ohnehin etwas ganz anderes tun!“ Überrascht zog Another eine Augenbraue hoch. Gleichzeitig legte Matt seine Zauberkarte auf das D-Pad. „Und zwar das hier: [Xyz Energy]! Indem ich ein Xyz-Material von Roach abhänge, kann ich dein Monster zerstören. Kommt dir die Situation bekannt vor, Another!?“ „Es ist“, murmelte der Hüne, „wie damals im Kampf gegen deinen Freund.“ Matt nickte. „Aber die Dinge sind anders! Ich kann das hier!“ Ruckartig streckte Another seinen Arm aus. Das Overlay Network öffnete sich abermals, doch diesmal absorbierte es [Vylon Disigma] als Ganzes. „Ich rekonstruiere das Overlay Network! Aus meinem Rang 4-Monster wird ein neues Rang 4-Monster!“ Der Dämonenjäger rieb sich hilflos am Hinterkopf. „Hier kommt es … wie erwartet.“ „Steige empor aus der tiefsten Finsternis! Xyz-Summon! [Vylon Seraphim – Embodiment Of Order, Disigma]!“ Schwarze und gelbe Blitze brachen aus dem Wirbel hervor, als dieselbe unheimliche Kreatur wieder aus ihm heraustrat. Doch sie war anders als zuvor. Sechs gleißende Schwingen aus buntem Licht befanden sich nun hinter Disigma, ohne jedoch mit diesem verbunden zu sein. Und während die schwarzen Klingenarme sich nicht weiter verändert hatten, bestand sein Unterkörper nun aus einem würfelartigen Segment, das durch eine Glasschicht abgeschottet war. In seinem Inneren befanden sich zwei leuchtende, goldene Sphären.   Vylon Seraphim – Embodiment Of Order, Disigma [ATK/2500 DEF/2100 {4}]   Matt schluckte beim Anblick der Kreatur. „Großartig, immer wenn ich denke, ich wüsste was mich erwartet, beweist du mir das Gegenteil …“ Dabei war sein Blick auf den Ring gerichtet, der den überdimensionalen Kopf Disigmas und den Kubus miteinander verband. Auf ihm waren nebeneinander gereiht verschiedene Fratzen zu sehen, die diverse negative Emotionen wie Furcht oder Wut darstellten. „Du wirst überrascht sein“, versprach Another geheimnisvoll und grinste, wobei Alastairs Lippen durch die Narben regelrecht schief wirkten.   „Hey“, hallte es da wieder von Anyas Spielfeldseite herüber, deren Situation noch nahezu unverändert war, wenn man außen vor ließ, dass sie es jetzt nur noch mit einem Mechavogel zu tun hatte. Dafür sah sie mit einem Mal ganz schön mitgenommen aus. Besonders eine seltsame Wunde an ihrer Wange fiel ihm auf, aber aus der Ferne konnte er sie kaum erkennen. Die Blondine zeigte auf den neuen Disigma. „Lass dich nicht davon beeindrucken. Ich weiß, wie du das Vieh kinderleicht klein kriegen kannst!“ Der Dämonenjäger horchte überrascht auf. „Huh?“ „Ganz einfach.“ Das Mädchen nickte den Kopf in Disigmas Richtung. „Diese Incarnation-Dinger können doch Xyz-Material recyclen.“ „Das weiß ich.“ „Aber nur die Monster, die für das Original als Xyz-Material gedient haben. Sprich, wenn die vom Friedhof verschwinden würden …“ Zur Verdeutlichung zog sich Anya mit dem Daumen über den Hals.   Woraufhin Matt sich wieder auf sein Blatt konzentrierte. Wie sollte er jetzt gegen Disigmas neue Form vorgehen? Er besaß keine weiteren Zerstörungskarten mehr. Und Anyas Tipp war auch nicht gerade hilfreich! In dem Moment fiel ihm wieder Henrys Zauberkarte ein. „Das ist es!“, stieß er hervor, als er endlich erkannte, welchen Zweck sie erfüllen sollte. Sofort fischte er den Zauber aus seinem Blatt hervor und hielt ihn in die Höhe. „Erlebe sie jetzt, Another! Die Macht der Anti-Incarnation-Waffe!“ „Der was?“, wiederholte sein Gegner skeptisch. „So etwas gibt es nicht.“ „Doch, sieh her! Ich aktiviere die Ausrüstungszauberkarte [Legendary Victory Spear – Lord Fafnir]! Nur ein Xyz-Monster kann damit ausgerüstet werden!“ Gespannt sahen er und Another, gar Anya und Isfanel zu, wie sich in Roachs Hand ein zwei Meter langer, weißer Speer materialisierte. Mit goldener Verzierung geschmückt, wurde sofort klar, dass diese Waffe etwas Besonderes war – denn statt einer normalen Speerspitze ragte am Ende des Schafts ein Drachenkopf hervor, aus dessen Maul die goldene Spitze lugte. Sofort als die Waffe mit beiden Händen ihres Trägers angenommen wurde, leuchtete diese weiß auf.   Steelswarm Roach [ATK/1900 DEF/0 {4}]   Doch sonst geschah nichts weiter mit dem Kakerlakenritter, um den eine leuchtende Sphäre kreiste. „Kein Angriffsbonus?“, wunderte sich Another und lachte auf. „Jämmerlich.“ „Typisch!“, blies Anya ins selbe Horn. „Alles, was von dem Pennerkind kommt, ist totaler Schrott!“ Matt jedoch grinste vielsagend, verzog dann vor Schmerz die Miene, da die Wunde an seiner Schulter ihm zu schaffen machte. Dennoch gluckste er. „Haha. So ganz stimmt das nicht, Anya. Denn wenn ich Lord Fafnir ausrüste, verbanne ich ein Attribut meiner Wahl vollkommen aus dem Friedhof meines Gegners!“ Erschrocken wich jener daraufhin zurück. „D-das ist-!?“ „Und ich sage Licht!“ Damit richtete Roach den Speer auf Anothers D-Pad. Ein leuchtender Strahl schoss aus dem Schlund des Drachenkopfs und traf besagten Apparat, aus dem sämtliche Vylon-Monster geflogen kamen. Mit Entsetzen fing Another sie in der Luft auf. „Tja, mit Recycling ist jetzt nicht mehr viel“, grinste Matt und schob nebenbei seine letzte Handkarte, eine Falle, in den entsprechenden Slot seines D-Pads. „Jetzt weiß ich, wofür Lord Fafnir gut ist! Diese hier verdeckt, Zug beendet!“ Seine Falle materialisierte sich vor seinen Füßen und Matt hoffte inständig, dass Another sich diesmal nicht an ihr vergreifen würde, denn nochmal würde er sich nicht mit [Discord Trap] retten können.   „Glaub nicht, dass das allein reichen wird, um mich zu besiegen!“, kündigte Another aufgebracht an und schob die beiden [Vylon Pentachloro] in die Hosentasche seiner Jeans. Dann riss er die nächste Karte von seinem Deck. „Draw!“ Beruhigt stellte Matt fest, dass das Monster seines Gegners während der Standby Phase tatsächlich seine maximale Xyz-Material Anzahl von vier nicht wiederherstellen konnte. Gleich darauf griff Another unter Disigmas Karte und riss eines der Xyz-Materialien hervor. „Effekt von [Vylon Seraphim – Embodiment Of Order, Disigma] aktivieren! Den ersten! Du wirst überrascht sein, aber es ist derselbe wie der des Originals! Mit ihm wird er -meine- Paktkarte jetzt absorbieren!“ „Derselbe!?“, schoss es aus Matt heraus. „Aber normalerweise-!“ „Ich sagte doch, du wirst überrascht sein! Und nun sieh zu! [Vylon Seraphim – Embodiment Of Order, Disigma], benutze Gate Of The Outsider!“ Die finstere Engelsmaschine öffnet das Maul und versuchte mit einem heftigen Sog [Steelswarm Roach] zu absorbieren. Dieser rutschte ungewollt über das Spielfeld. Gleichzeitig löste sich eine der beiden Sphären im Inneren des Glaswürfels auf. „Nicht so hastig!“, befahl Matt, woraufhin sein Monster den Speer mit der spitzen Unterseite in den Boden rammte, um so Halt zu finden. „[Legendary Victory Spear – Lord Fafnir] hat auch noch eine kleine Überraschung für dich!“ „Was!?“ „Man kann das ausgerüstete Monster nicht als Ziel für Effekte wählen!“ Mit wehenden, goldenen Flügeln trotzte Roach so dem Sog, der schließlich verebbte. „Du kleiner-!“, fauchte Another vor Wut und griff nach dem Knopf an seines D-Pads, welcher seine gesetzte Karte aktivieren sollte. „Denkst du, das reicht aus!? Diese kleine Schabe!? Um dich zu beschützen!?“ Matt grinste jedoch nur verschlagen. „Was fragst du mich das? Du hast sie doch geschaffen!“ „Ich zeige dir jetzt, welchem Irrtum du erlegen bist, Matt Summers!“ „Irrtum?“ Der Schwarzhaarige rümpfte die Nase. „Mein einziger Irrtum war es, dir zu vertrauen!“ „Ich aktiviere meine gesetzte Ausrüstungszauberkarte [Vylon Component]!“, fuhr Another einfach fort. „Damit rüstete ich Disigma aus!“ Sein Monster leuchtete kurz weiß auf, veränderte sich aber nicht weiter.   Vylon Seraphim – Embodiment Of Order, Disigma [ATK/2500 DEF/2100 {4}]   „Mit dieser Karte kann er Durchschlagschaden anrichten“, überlegte Matt laut. „Was soll das …?“ „Das wirst du jetzt sehen“, drohte Another und hielt zwei Monsterkarten namens [Vylon Tesseract] und [Vylon Stigma] in die Höhe. „Du dachtest, meine Kreatur würde wie alle anderen ihre Materialien vom Friedhof regenerieren, nicht wahr?“ „Huh?“ „Aber ich muss dich dummerweise enttäuschen.“ Der besessene Alastair setzte sein finsteres Grinsen auf. „Deine Aktion war vergebene Liebesmüh. Disigma in seiner Seraphimform erlangt seine Energie nicht etwa durch einen endlosen Kreislauf, sondern durch direkte Zuführung! Sieh her!“ Damit schob Another die beiden vorgezeigten Karten unter sein Xyz-Monster, woraufhin in dessen Innerem sofort zwei weitere goldene Sphären erschienen, womit es drei waren. Matt fiel aus allen Wolken. „Du hast-! Du hast das geplant, nicht wahr!?“ „Natürlich“, erwiderte sein Gegner und zuckte unbedarft mit den Schultern. „Die größte Schwäche der Incarnation-Monster, etwas, das jeder mit etwas Grips herausfinden würde. Ich habe sie beseitigt.“   Verwirrt fasste Matt sich an die Stirn. Anstatt eines Recycling-Kreises, benutzte diese Version von Disigma stattdessen Monster von der Hand? Dann gab es keine Möglichkeit vorherzusehen, wann Another wie viele Xyz-Materialien erzeugen würde! Aber das hatte auch sein Gutes, denn damit dezimierte er sein Blatt! Immerhin besaß er jetzt nur noch eine Handkarte. „Du denkst jetzt sicher, dass die direkte Zufuhr von Handkarten sich nachteilig für mich auswirken wird, nicht wahr?“ Wieder lächelte Another falsch und bitterböse. „Du irrst. Denn dein sinnloser Kampf ist gleich vorbei! Ich aktiviere Disigmas zweiten Effekt, der zwei Xyz-Materialien und das Verbannen einer an ihn ausgerüsteten Karte erfordert!“ Der Hüne riss die beiden eben erst unter sein Monster gelegten Materialien und [Vylon Component] von seinem D-Pad und entsorgte sie. Gleichzeitig lösten sich zwei der drei goldenen Sphären in Disigmas Innerem auf. „Zu schade, dass der mächtigste Effekt von Disigma erst zu einem späteren Zeitpunkt aktiviert werden kann, da er sehr viel Vorbereitung erfordert“, lachte Another dabei und streckte den Arm aus, „deshalb wirst du ihn auch nicht mehr erleben! Doch siehe dem positiv gegenüber, Matt Summers! Dein Leid ist gleich vorüber! Los, meine Kreatur, Blades Of Zero!“ Matt schrie panisch, als die Klingen an den Armen der grotesken Kreatur plötzlich golden zu leuchten begannen. Mit einem Mal schoss es jene auf seinen Schabenritter ab, welcher die Attacken mit seinem Schwert zwar blockieren konnte, danach aber erschöpft in die Knie ging, während die Klingen wie ein Bumerang zu Disigma zurückkehrten.   Steelswarm Roach [ATK/1900 → 0 DEF/0 → 0 {4}]   „Ah!“ „Wie du siehst, duldet mein Seraphim keine anderen Monster mit Angriffs- oder Verteidigungspunkten auf dem Feld und reduziert sie mit dieser Technik zu nichts mehr als einer fernen Erinnerung.“ Another hob langsam den Arm an und zeigte mit dem Finger auf Matt. „Nun tauche ein in einen Schlaf, aus dem es kein Erwachen mehr gibt. Aber gräme dich nicht, denn du wirst ihn nicht alleine träumen. Meinen Traum.“ „Es ist ein Traum, ein Volk für ein anderes zu opfern!?“ Matt schüttelte den Kopf. „Dein Traum soll das sein!? Welcher Anführer würde so etwas tun? In der Rolle siehst du dich doch, oder?“ „Ein starker Anführer.“ Another lachte auf. „Denn so etwas brauchen wir jetzt am dringendsten. Also vergehe im Schlaf, auf dass deine Träume das Tor Eden öffnen mögen! [Vylon Seraphim – Embodiment Of Order, Disigma], greife sein Monster an! Sacred Black Annihilation!“ Disigma reichte mit beiden Armen in die Luft und ergriff aus dem Nichts zwei schwarze Speere. „So leicht mache ich es dir nicht!“, rief Matt und streckte den Arm aus. „Ich rekonstru-!“ „Schon wieder!? Narr, wie oft willst du noch denselben Fehler machen!? Ich bin Herr über meine Fähigkeiten, nicht du! Ohne meine Einwilligung kannst du nicht inkarnieren!“   „Du irrst.“ Another schreckte ob der mit solcher Selbstsicherheit gesprochenen Worte zusammen. „Es ist wahr. Ich kann deine Kräfte nicht so ohne Weiteres kontrollieren, auch wenn du noch ein Teil von mir bist.“ Matt schloss die Augen, zog den Arm zurück und griff nach etwas in der Innenseite seines Mantels. „Aber zu sagen, ich wäre nicht auf so etwas vorbereitet gewesen, wäre wohl gelogen. Unsere noch bestehende Verbindung wird gleich zu deinem Verhängnis werden.“ Überrascht horchte Another auf. „Was sagst du da?“ Ein Schmunzeln huschte über die Lippen seines Gegners. „Lange bevor wir beide einen Pakt geschlossen haben, haben Alastair und ich darüber diskutiert, wie wir Anya töten wollen. Mein Vorschlag lautete, einen Dämon auf sie zu hetzen. Und insgeheim habe ich daran gedacht, mit einem geeignetem Exemplar einen Pakt zu schließen.“ „Du-“ „Aber“, unterbracht Matt ihn scharf und zog das Objekt langsam aus der Innentasche heraus, „ich bin eben nicht der Typ für solche Dinge. Wollte nicht die durch Alastair verursachten Probleme mit seinen Methoden des Tötens lösen. Bevor ich jedoch zu dieser Einsicht kam, habe ich etwas geschaffen, das mir nun sehr nützlich wird. Betrachte den letzten Versuch daher als Testlauf, um Informationen über unsere Verbindung zu sammeln.“   Grinsend zückte der junge Mann plötzlich eine weiße Karte, auf der ein stehendes Unendlichkeitszeichen abgebildet war. Eine Hälfte davon war blau gefärbt, die andere rot, sodass diese zwei Farben sich in der Mitte kreuzten. „Ta da! Mein super geheimer Paktumkehr-Mechanismus! Naja, der Name ist nicht gleich Programm, aber in diesem Zauber schlummert die Möglichkeit, die Rollen der Dominanz und Unterlegenheit eines Paktes umzukehren. Zumindest für einen kurzen Augenblick!“ „Was!?“ Ein gleißendes Leuchten begann von der Karte auszugehen. Inbrünstig rief Matt: „Damit kann ein Besessener für wenige Sekunden die Macht über seinen Körper zurückgewinnen! Ich aber will deine 'Kontrolle'!“ Another wich mit geweiteten Augen zurück, doch aus seiner Brust und auch der von Matt schoss neben den Lichtlinien, die mit Eden verbunden waren, jeweils ein zweiter Strahl. Aus der Brust des Hünen glühte dieser rot, aus Matts hingegen blau und in der Mitte verschmolzen die beiden Linien. „Was tust du da!? Wie ist so etwas möglich!?“, begehrte Another auf und schlug durch seinen Strahl aufgebracht hindurch. „Wozu sind wir denn Dämonenjäger!? Auf solche Situationen müssen wir vorbereitet sein!“, rief der Schwarzhaarige und streckte den Arm aus. „Und jetzt schau her! Ich rekonstruiere das Overlay Network mit deiner Kraft!“ Die Verbindung der beiden glühte noch stärker auf. „Nein!“ „Doch! Aus meinem Rang 4-Monster wird ein neues Rang 4-Monster inkarniert! Komm herbei und schütze mich! Incarnation Mode aktiviert!“ Ein schwarzer Wirbel tat sich unter [Steelswarm Roach] auf. Jener ließ den weißen Speer in ihrer Hand los, welcher daraufhin in der Luft zu schweben begann, und wurde verschluckt. „Steh mir bei“, rief Matt laut, „[Steelswarm Vanguard – Roach Styx]!“ Rote, violette und schwarze Blitze schlugen aus dem Strom, als der Kakerlakenritter muskulöser denn je wieder daraus empor stieg. Sein goldener Umhang flatterte unstet, als er sich den Speer griff und dann auf eine Größe anwuchs, die gefährlich nahe an das Ende der Decke der Turmkuppel reichte. Zwei violette Sphären umkreisten den Giganten.   Steelswarm Vanguard – Roach Styx [ATK/1900 DEF/0 {4}]   Zwischen seinen Beinen konnte man Matt grinsen sehen, ehe Roach Styx schließlich in die Knie ging und damit die Sicht auf seinen Besitzer blockierte. Dies sorgte jedoch dafür, dass der Energiestrahl, der Another und Matt verband, nun unterbrochen wurde und zusammen mit der Karte in den Händen des jüngeren Dämonenjägers verschwand. „Tja, dank meinem letzten Duell und Anyas Tipps weiß ich jetzt, wie ich mit diesen Dingern umzugehen habe!“, triumphierte Matt überglücklich hinsichtlich seines gelungenen Beschwörungsversuches und sah an Roach Styx hinauf. Auch der Speer Lord Fafnir, den jener an sich genommen hatte, war beachtlich gewachsen. „Eins solltest du wissen“, sagte er dabei gelassen, „wenn der ursprüngliche Besitzer des [Legendary Victor Spear – Lord Fafnir] das Feld verlässt, sucht sich diese Waffe ein neues Xyz-Monster aus, welches zu seinem Träger wird.“ „Sinnlos!“ „Finde ich nicht, denn dadurch kannst du mein Monster weiterhin nicht mit deinem absorbieren. Außerdem werden alle Licht-Monster aus deinem Friedhof verbannt, da Lord Fafnir neu ausgerüstet wurde und ich dieses Attribut bannen möchte!“ Roach Styx richtete in seiner knienden Position den Drachenkopf des Speers auf Another und schoss damit einen Lichtstrahl auf dessen D-Pad ab, welche daraufhin die Vylon-Monster ausspuckte. Wie beim letzten Mal fing dessen Besitzer sie auf. „Narr!“ „Hast du mir was zu sagen?“ Matt grinste verschlagen. „Ja! Dein Paktmonster wird dich nicht retten, denn auch wenn Inkarnationen nahezu unbesiegbar im Kampf sind, gibt es eine Monsterart, die sie vernichten kann. Xyz-Monster! Und deshalb setzt Disigma seinen Angriff auf dein Monster jetzt fort! Sacred Black Annihilation!“ Matt wich einen Schritt zurück, als der finstere Maschinenengel die zwei Speere in seinen Händen nun auf das Ziel feuerte. Zwar konnte er es nicht sehen, dafür aber an einem surrenden Geräusch hören. „Vergiss es! Das habe ich einkalkuliert! Verdeckte Falle aktivieren, [Impenetrable Attack]! Sie macht mich entweder gegen Kampfschaden immun oder eines meiner Monster gegen Zerstörung im Kampf für diesen Zug!“ Die Falle klappte vor Matt auf. „Du kannst dir denken, was mir lieber ist!“ Die zwei Speere prallten daraufhin an einer unsichtbaren Barriere ab, die vor Roach Styx entstanden war. Dabei verursachten sie zwei heftige, finstere Explosionen, die den Kristallboden in der näheren Umgebung regelrecht zersplittern ließen. „Du!“, knurrte Another außer sich vor Wut und drückte dabei seine letzte Handkarte zusammen. „Das ist noch nicht das Ende! Im Gegenteil, jetzt hat der wahre Kampf zwischen uns erst begonnen, nun wo jeder seine Inkarnation auf dem Spielfeld hat! Zug beendet!“   Der fing langsam an zu nerven, dachte Matt ärgerlich und wünschte sich, seinem besessenen Freund in die Augen sehen zu können. Besonders anstrengend war die Situation schon deshalb, weil er jetzt in einer Zwickmühle saß. Sein Roach Styx war leider schwächer als der Vylon Seraphim, da gab es nichts zu diskutieren. Irgendwie musste er das Blatt wenden! Wenn es dem echten Alastair doch wenigstens gelänge, kurz die Kontrolle an sich zu reißen, aber bei Another war das wohl hoffnungslos. Schließlich richtete Matt seinen Blick auf das D-Pad an seinem Arm und wollte gerade ziehen, da fiel ein gewaltiger Schatten auf ihn und sein Monster. Er wandte den Kopf um zu Anyas Duell, wobei ihm vor Faszination der Mund offen stehen blieb.   Was um alles in der Welt war das!?   ~-~-~   Keuchend tippte Melinda auf einem der Sprengstoffapparate, die an der Innenwand des Turms angebracht waren, den Detonationszeitpunkt ein. Sie wusste nicht einmal mehr, wie viele Male sie das schon getan hatte. Dieser Turm schien einfach kein Ende zu nehmen! „Halte noch etwas durch, Benny! Und ihr anderen auch!“, flehte sie leise und wandte sich von der Apparatur ab.   Ihr waren mittlerweile starke Zweifel an ihrer Idee gekommen. Die anderen dort oben gegen diese zwei Verrückten kämpfen zu lassen war Wahnsinn! Aber wenn sie den Weg schon jetzt frei gemacht hätte, hätten jene sie und die anderen nur verfolgt. Und besonders Isfanel sollte nicht in die Nähe des Sprengstoffs gelangen, da kein Zweifel daran bestand, dass er jenen sofort zünden würde, nur um Edens Erwachen zu verhindern. Aber war sie dennoch nicht etwas voreilig mit diesem Einfall gewesen? Was brachte es schon, wenn alle tot waren, bevor sie hier fertig war!?   Melinda mahnte sich, nicht daran zu denken und weiter zu machen. Der nächste Sprengsatzapparat war etwa zwanzig Stufen von ihr entfernt, sodass sie zu rennen begann. „Ah!?“ In ihrer Eile rutschte sie von einer Stufe ab und begann plötzlich zu fallen. Unter einem Schmerzensschrei rollte sie mindestens vierzig Stufen hinab, ehe sie sich ein wenig drehte und kopfüber weiter schlitterte. Erst, als sie sich mit dem Fuß versehentlich an einer Geländerstange verhakte, stoppte der Fall und sie blieb mitten auf der Treppe liegen. An ihrer Stirn prangerte eine große Platzwunde, welche das Mädchen betastete und erschrocken das Blut an ihren Fingern betrachtete. Ihre Sicht verschwamm zudem. „Benny …“   Vorsichtig zog sie ihr Bein aus der rettenden Verankerung und bemühte sich aufzustehen. Doch sie verlor das Gleichgewicht und fiel abermals mehrere Stufen in die Tiefe. Und diesmal, während sie so auf den Treppen lag, stand sie nicht mehr auf.   ~-~-~   Bangend starrte Anya auf die Stelle, an der Matt von [Vylon Disigmas] finsterem Speerangriff getroffen wurde. In einer Energiekuppel war er untergegangen. „Nicht auch noch du!“, murmelte sie fassungslos. Aus den Augenwinkeln sah sie herüber zu Henry und Valerie, die, hoffentlich nur bewusstlos, weit entfernt von ihr auf dem Kristallboden lagen und sich nicht rührten. Isfanel hatte sie gnadenlos ausgeschaltet. Und nun war auch noch Matt diesem Another zum Opfer gefallen. Das war alles ihre Schuld, dachte Anya fassungslos. Doch in dem Moment löste sich die Explosion auf und Matt stand aufrecht. Sein Blick war jedoch abwesend, geradezu leer. Zwei Fallenkarten waren vor ihm hochgeklappt, obwohl sie zuvor zerstört worden waren, wie Anya nebenbei mitbekommen hatte. Stöhnend wischte sie sich den Schweiß von der Stirn. „Jag' mir nicht nochmal so einen Schreck ein, Mistkerl!“ Als er jedoch nicht auf ihren Ausruf reagierte, wandte sich Anya naserümpfend ihrem eigenen Gegner zu.   Und der stand ihr in flammender Gestalt mit zwei mechanischen Riesenvögeln gegenüber. „Shit!“, brummte sie wütend angesichts ihrer Lage. Hier war sie nun, mit nichts weiter als [Gem-Knight Garnet], dem Feuerritter des Granats, auf dem Feld und einer Karte in der Hand.   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   Dagegen besaß ihr weiß flammender Gegner zwar keine Handkarten, dafür aber eine verdeckte Karte. Und natürlich [Celestial Gear – Synthetic Armored Nightingale] und [Celestial Gear – Synthetic Armored Hawk]. Während Ersterer, der linke der beiden riesigen Mechavögel, von schlanker Figur und in violetter Aura gehüllt war, besaß der rechte einen wesentlich kräftigeren Körperbau und glühte in orangefarbener Aura auf. Beide hatten gemein, dass man durch die Auren in ihr mechanisches Inneres sehen konnte, zumindest an Beinen und Flügeln, denn der Rest war mit weißer Panzerung bedeckt. Dazu kreiste um die Nachtigall ein Paar goldener Energiekugeln.   Celestial Gear – Synthetic Armored Nightingale [ATK/2400 DEF/2600 {4}] Celestial Gear – Synthetic Armored Hawk [ATK/2600 DEF/2400 (8)]   Das Mädchen konnte immer noch nicht fassen, wie es Isfanel gelungen war, gleichzeitig eine Xyz- und eine Synchrobeschwörung durchzuführen. Also waren das seine neuen Paktkarten? Auf den ersten Blick mochten sie vielleicht harmlos anmuten, aber Anya wusste, dass ihr Gegner sie allein dank seiner verbannten Zauberkarten stärken konnte. Dabei waren das nur die offensichtlichen Dinge, die Effekte der beiden Maschinen kannte sie nicht einmal. Dazu waren ihre Lebenspunkte auch noch verdammt niedrig!   [Anya: 900LP / Isfanel: 1800LP]   „Heute ist echt ein Scheißtag!“, brummte sie und rief, während sie nach ihrem Deck griff: „Draw!“ Noch während der ausholenden Ziehbewegung spürte sie für einen kurzen Moment einen fiesen Stich im Brustkorb. Das hatte sie schon öfters erlebt, besonders wenn sie Levriers Kräfte eingesetzt hatte. Aber warum gerade jetzt!? Als Anya sich die gezogene Karte ansah, stockte sie verblüfft. „D-das ist genau, was ich gebraucht habe!“ Ihr Gegner musterte sie ruhig, doch schwieg. Skeptisch sah das Mädchen aus den Augenwinkeln zu ihm herüber, wobei sie die Zauberkarte gleichzeitig in die alte Battle City-Duel Disk einschob. „Ich aktiviere [Pot Of Avarice]! Damit mische ich fünf Monster von meinem Friedhof in mein Deck zurück und ziehe danach zwei Karten!“ Und sie brauchte jetzt dringend Nachschub an guten Karten! Was für eine günstige Fügung des Schicksals! Eilig legte sie [Gem-Knight Obsidian], [Gem-Knight Iolite], die am Anfang des Duells durch [Infinite Pressure] abgeworfene [Gem-Turtle] auf ihr Deck sowie [Gem-Knight Master Diamond] und [Gem-Knight Seraphinite] in ihr Extradeck und ließ ihren Kartenstapel dann durchmischen, ehe sie zweimal aufzog. Das Blöde war allerdings, dass sie nun keine Gem-Knights mehr im Friedhof hatte, um [Gem-Knight Fusion] daraus zu extrahieren. „Immerhin“, murmelte sie beim Anblick der neuen Karten, da sie in ihnen Potential sah. „Ich setze ein Monster und eine weitere Karte! Außerdem wechsle ich Garnet in die Verteidigung!“ Die beiden Karten materialisierten sich vor ihr, während ihr Granatritter in die Knie ging.   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   Sie konnte nicht riskieren, auch nur einen Angriff durchgehen zu lassen, dachte Anya angestrengt. Wenn wenigstens Redfield oder das Pennerkind noch im Spiel wären. Aber die waren wie die Fliegen gefallen und nun blieb die ganze Arbeit an ihr hängen. „Tch!“ Anya fühlte für einen kurzen Augenblick Schuld, da sie die anderen erst in den Turm gelockt hatte. Eigentlich war sie es allein, die das nun alles geradezubiegen hatte. Als sie herüber zu Matt sah, bemerkte sie, dass jener wieder zu sich gekommen war und wild mit Another diskutierte. Kaum hatte sie verstanden, worum es ging, schaltete sie sich wutentbrannt ein. „Das sagt sich leicht, huh!? Immerhin sind wir ja das, was geopfert wird! Oder sogar die Menschheit, wenn dieser wahre Feind durch das Tor kommt!“ Dann richtete sie sich an Matt und zeigte ihm den erhobenen Daumen. „Den letzten Angriff hast du schon recht cool abgewehrt – weiter so! Tritt ihm in den Hintern, Summers!“ Matt grinste verschlagen, nickte und erwiderte die Geste. „Werd' ich!“ Anya schnaufte. Dieser Another hatte doch einen Knall zu glauben, er wäre im Recht!   Abgelenkt rief sie Isfanel zu: „'kay, mein Zug ist beendet, Mistkerl!“ Doch noch während sie den Kopf wieder in seine Richtung drehe, fiel ihr der dünne Energiestrahl auf, der von Matts Brust mitten in dem Tor über dem Kristallthron verschwand. Mit einem Blick vergewisserte sie sich, dass es ebenso bei Valerie und Henry der Fall war. Als Anya nachsehen wollte, ob mittlerweile auch sie so ein Ding besaß, schrie sie erschrocken auf. Denn erst jetzt erkannte sie, dass ihre Hände glitzerten, gar langsam durchsichtig wurden und wie Kristall wirkten. „Edens Erweckung ist bereits weit vorangeschritten“, hallte Isfanels Stimme zu ihr, „die Zeit rennt uns davon. Anya Bauer, hör auf Widerstand zu leisten!“ Doch die war nur damit beschäftigt, ihre Hände anzusehen. Sie tastete sich mit ihnen das Gesicht ab und stellte fest, dass kein Gefühl mehr in ihnen war. „Shit!“ Sie musste sich beeilen, ehe sie noch zu einer Statue wurde, oder was auch immer gerade mit ihr vorging!   „Ich bin am Zug. Draw“, entschied sich derweil ihr Gegner, seinen Zug zu beginnen. Kaum hatte er sein Blatt aufgestockt, gab er einen überraschten Laut von sich, murmelte kaum verständlich: „… tt des Endes!?“ „Was redest du da!?“, fauchte Anya ihn an. Sie bemerkte gar nicht, dass auch Teile ihrer Wangen zu durchsichtigem Kristall wurden und undeutlich rotes Fleisch darunter zeigten. Isfanel zögerte bei seiner Antwort. „Es ist nichts.“ Er legte seine flammende Hand auf die längliche Duel Disk und drehte das schwarze Xyz-Monster darauf in die vertikale Lage. „Ich wechsle [Celestial Gear – Synthetic Armored Nightingale] in den Angriffsmodus.“ Sein schlanker Mechavogel folgte der Anordnung mit einem roten Leuchten in den pupillenlosen, weißen Augen.   Celestial Gear – Synthetic Armored Nightingale [ATK/2400 DEF/2600 {4}]   „Nun nutze ich den Effekt dieses Monsters, indem ich ein Xyz-Material abkopple“, setzte Isfanel seinen Zug fort und zog [Celestial Gear – Synthetic Owl] unter der Karte hervor. Gleichzeitig verschwand eine der goldenen Lichtkugeln in die Mitte der Brustpanzerung der Nachtigall, wo sich ein grünes Kernstück in Form eines Dreiecks befand. Der Boden fing plötzlich an zu beben. „So ein Scheiß!“, fluchte Anya, die Böses ahnte. „Mit diesem Effekt beschwöre ich ein verbanntes Celestial Gear-Monster und aktiviere dabei seinen Rückbeschwörungs-Effekt, der sonst nur einmal während des Duells aktiviert werden könnte“, verkündete Isfanel und streckte den rechten Arm in die Luft. „Erscheine aus der vierten Dimension, [Celestial Gear – Synthetic Albatross]! Mit dessen Effekt darf ich nun zwei Karten ziehen.“ Fassungslos sah Anya mit an, wie aus dem Boden der mechanische Riesenalbatros aus einem Dimensionsriss entstieg und sich zwischen die beiden anderen Vögel drängte. Dabei flimmerte seine Oberfläche gewohnt rot auf.   Celestial Gear – Synthetic Albatross [ATK/500 DEF/0 (4)]   „Schon wieder!?“, fauchte Anya, die den Anblick dieses Monsters langsam satt hatte. Zeitgleich zog Isfanel da schon zwei Karten, von denen er eine sogleich in seine Duel Disk einlegte. „Ich aktiviere den Zauber [Halted Gear], mit dem ich den Namen eines Monsters benenne. Befindet sich dieses in deinem Deck oder Extradeck, musst du es auf den Friedhof legen, Anya Bauer.“ „Huh!? Warum so eine Karte!?“ „Ich rufe [Gem-Knight Master Diamond] aus.“ In dem Moment erkannte Anya perplex, was Isfanel damit bezweckte. Er wollte verhindern, dass sie Diamond erneut beschwor, da dieser eine Gefahr für ihn darstellte, weil er realen Schaden zufügen konnte! „Du elender-!“ Schon erschienen um ihre Duel Disk sechs kleine Zahnräder, die in ihr verschwanden und dafür sorgten, dass das Fusionsmonster automatisch aus Anyas Extradeck geschoben wurde. Die nahm Diamond widerwillig und legte ihn auf den Friedhof. „... fast vollständig.“ „Huh!?“ Wieso laberte dieser Typ neuerdings dauernd mit sich selbst? Jedoch störte sich Isfanel nicht an Anyas verwirrten Gesichtsausdruck, sondern streckte majestätisch den Arm aus. „Nun greife ich deine Monster an! [Celestial Gear – Synthetic Armored Nightingale], attackiere ihr gesetztes Monster! Celestial Lullaby!“ Der violett leuchtende Mechavogel öffnete den Schnabel und erzeugte damit eine Reihe von Schockwellen, die direkt auf Anyas Monster zusteuerten. Diese runzelte ärgerlich die Stirn. „Nichts da! Verdeckte Falle aktivieren, [Negate Attack]!“, rief sie und ließ ihre gesetzte Falle aufspringen. „Sie beendet bei einem Angriff deine Battle Phase!“ Ohne Weiteres verpufften die Schockwellen. Und Anya atmete tief durch, denn ohne diese Karte wäre sie verloren gewesen. „Verstehe. Dann beende ich meinen Zug“, kündigte Isfanel an. Dabei löste sich sein Albatros in blauen Funken auf. „Da [Celestial Gear – Synthetic Albatross] als Rückbeschwörung gerufen wurde, wird er in der End Phase verbannt.“ Anya rümpfte wütend die Nase. „Ist auch besser so!“   Dennoch! Dadurch konnte Isfanel dieses Ding nächste Runde wieder beschwören und neue Karten ziehen, wenn es Anya nicht gelang, vorher die Nachtigall loszuwerden. Dabei richtete sie ihren Blick skeptisch auf [Celestial Gear – Synthetic Armored Hawk], das Synchromonster. Der stolze Falke hatte bisher gar nicht weiter in das Duell eingegriffen – was verbarg er wohl? Sicher nichts Gutes, schätzte die Blondine. Und fürchtete dabei, bald herauszufinden, was es mit dem Ding auf sich hatte. Doch noch etwas beunruhigte sie. Das Duell ging nun schon eine ganze Weile, aber von Henrys Schwester hatten sie bisher nichts mehr gehört. Sie war die Einzige, die den anderen einen Ausweg verschaffen konnte aus dem Turm. Mit Unbehagen sah Anya über die Schulter zu der Kristallansammlung, die das Loch im Boden zu den Treppen blockierte. Hoffentlich war die blöde Schnepfe nicht auf die Idee gekommen, ihre eigene Haut zu retten! Anya konnte das im Endeffekt eh egal sein, immerhin hatte sie sowieso nichts von dieser ganzen Aktion. Sollte sie sich jedoch den Arsch ganz umsonst für diese Deppen aufreißen, so schwor sie sich, dieser Melinda einen mächtigen Anya-Haken powered by Eden zu verpassen, wenn sie sie jemals in die Finger kriegen sollte!   Mit abfälliger Mimik wandte sie sich Isfanel zu und funkelte ihn böse an. „Ist wohl blöd für dich gelaufen, huh? Eine Anya Bauer lässt sich nicht so leicht besiegen!“ „Immerhin bin ich nicht so närrisch wie dein Freund. Sieh, was er versucht.“ Anya folgte dem Hinweis ihres Gegners und erkannte, dass er sein Paktmonster beschworen hatte und doch tatsächlich den Arm ausstreckte. Matt rief: „Ich rekon-!“ „Idiot!“, schrie sie und klatschte sich die Hand an die Stirn, ehe sie die Hände in die Hüften stemmte. Überrascht sah er zu ihr herüber. „Du kannst keine Inkarnation im selben Zug durchführen, in dem du das Basis-Xyz-Monster beschworen hast! Wusstest du das nicht!?“   Genervt stöhnend ließ sie wieder von dem verzweifelten Dämonenjäger ab. Der würde auch ohne sie klar kommen, wenn er nicht gerade solche Fehler machte. Sie selbst hatte ihren eigenen Kampf auszutragen und konnte sich nicht dauernd bei ihm einmischen! „Mein Zug! Draw!“, schrie sie und spürte eine Hitze unter ihrem Mal, wie sie sie selten erlebt hatte, als sie schwungvoll zog. „Huh!?“ Überrascht wollte sie dem sofort nachgehen, weil sie glaubte, das schwarze Kreuz im Dornenring weiß aufleuchten gesehen zu haben, aber als sie es betrachtete, war dort nichts weiter. „Seltsam, warum gerade jetzt?“ „Ignoriere es. Es sind nur Nachwirkungen der Verbindung zwischen dem Gründer Levrier und dir.“ Anya sah auf und grinste plötzlich. Wenn Isfanel das sagte, musste es etwas Gutes für sie bedeuten. Neugierig drehte sie die gezogene Karte zwischen ihren Fingern um und gab einen ehrfürchtigen Seufzer von sich. „Alter, ist mein Cheating-Drawskill zurück oder was!?“ Mit dieser Karte konnte sie-! Selbstbewusster denn je griff sie nach ihrer Duel Disk und drehte ihr gesetztes Monster in die offene Angriffsposition. „Flippbeschwörung! [Gem-Turtle], erscheine!“ Und während vor ihr eine Schildkröte auftauchte, deren Panzer aus einem Smaragd bestand, grübelte das Mädchen. Es war schon seltsam, dass sie diese Karte aufgezogen hatte, obwohl sie sie doch vom Friedhof ins Deck gemischt hatte. Insbesondere deshalb, weil der Effekt von [Gem-Turtle] ihr jetzt helfen würde, die dazugezogene Karte zu aktivieren und ihren Plan durchzuführen. Fast, als wäre alles gesteuert. „Wenn [Gem-Turtle] geflippt wird, erhalte ich [Gem-Knight Fusion] von meinem Deck aufs Blatt. Und da ich mehr als eine Kopie dieser Karte spiele, befindet sich noch eine in meinem Deck!“, rief Anya und zeigte besagte Fusionskarte auch schon vor.   Gem-Turtle [ATK/0 DEF/2000 (4)]   Eins war dennoch seltsam. Es fühlte sich nicht für sie an, als würde sie Levriers Kräfte benutzen, da war kein ekstatisches Gefühl, eher Schmerz. Und anders als sonst stellte sie sich keine Karten vor, die sie dann ziehen würde. Sie kamen einfach. Es war einfach nicht dasselbe. Nein, das konnte unmöglich von ihrem Pakt herrühren!   Konnte dies alles wirklich nur ein Zufall sein, fragte sie sich und betrachtete die drei Zauberkarten auf ihrer Hand. „Egal, wenn ich gewinnen kann, spielt es keine Rolle“, sprach sie ihren Gedanken laut aus und schob ihren 'Cheat Draw' zufrieden in die Duel Disk ein. Dabei richtete sie sich mit gehässigem Grinsen an ihren Gegner. „Weißt du, was ich mit meiner eben erhaltenen [Gem-Knight Fusion] jetzt mache? Ich werfe sie ab! Und zwar dank der Zauberkarte [Lightning Vortex]!“ „Unmöglich!“, entglitt es Isfanel erschrocken. „Total möglich, du Krümelhirn“, widersprach Anya und zeigte mit dem ausgestreckten Finger auf ihn, „jetzt heißt es Goodbye für deine Monster! Adios Amigos!“ Während sie sich mit besagtem Zeigefinger nun über die Kehle fuhr, schossen aus der Decke von links nach rechts dutzende Blitze. Zuerst bombardierten sie die Nachtigall, bis diese explodierte, danach vernichteten sie den Mechafalken. Obwohl überall um Isfanel herum Trümmerteile auf den Boden fielen und sich auflösten, machte dieser keine Anstalten auszuweichen. „Und da deine Viecher Extradeck-Monster sind, können sie nicht einfach rückbeschworen werden, weil sie nicht auf die Hand kommen!“, flötete Anya schadenfroh. „... du irrst.“ „Huh!?“ In dem Augenblick erkannte auch die Blondine, dass irgendetwas nicht stimmte. Aus den um Isfanel liegenden Trümmern entstiegen braune Lichtfunken, die in die Höhe stiegen und zwischen einander Linien zeichneten. Noch während der Prozess im Gang war, erkannte Anya, dass gerade der gewaltige Falke erneut entstand.   Celestial Gear – Synthetic Armored Hawk [ATK/2600 DEF/2400 (8)] Kaum war dieser in seiner vollen Pracht zurück, leuchtete die rote Sphäre in der Mitte seines Brustpanzers auf. „Wenn [Celestial Gear – Synthetic Armored Hawk] zerstört wird“, erläuterte ihr Isfanel, „kehrt er nur einmal während des Duells als Rückbeschwörung wieder und wird in meiner nächsten End Phase verbannt.“ „Verdammter Kackmist!“ „Das ist aber noch nicht alles. Bei dieser Art von Beschwörung halbiert er die Lebenspunkte meines Gegners.“ Anya wich erschrocken zurück, als sie das vernahm. Von der Brustmitte des Mechafalken ging nun ein gleißendes Licht aus. Gerade noch konnte Anya ihre Arme schützend vor den Körper halten, da wurde sie auch schon von einem heftigen Laserstrahl erfasst und fortgerissen. Unter qualvollem Geschrei knallte sie auf den Rücken und dampfte am ganzen Leibe, ihre Kleidung und die noch von der nur langsam voranschreitenden Kristallisierung nicht betroffenen Stellen der Haut waren gerötet und mit Brandblasen versehen, heilten aber bereits auf magische Weise wieder ab.   [Anya: 900LP → 450LP / Isfanel: 1800LP]   „Ahhh“, stöhnte sie und rappelte sich mühselig auf. „So eine Scheiße, aua!“ Der Schmerz erinnerte sie an damals, als sie mehr tot als lebendig gegen Marc beziehungsweise Isfanel gekämpft hatte. Das Mädchen schleppte sich zurück zu ihrer alten Position und verfluchte ihren Gegner still dafür, einen Hang fürs Grillen anderer Leute zu haben. Jedoch hätte sie das noch verkraften können, wenn da nicht dieser elende Vogel wäre! Sie hatte fest damit gerechnet, ihn loszuwerden und jetzt hatte er all ihre Pläne durchkreuzt! „Das wirst du büßen“, brach sie hervor und sah aus den Augenwinkeln herüber zu Matt, der doch tatsächlich schon wieder Mist verzapfte.   Nun stand er der inkarnierten Version von Alastairs [Vylon Disigma] gegenüber. Wie hatte der Idiot es dazu kommen lassen!? Er besaß doch selbst so ein Ding und musste wissen, wie gefährlich die waren. Anya konnte nur hoffen, das Wissen, welches der Sammler ihr verschafft hatte, noch rechtzeitig an diesen Deppen weiterzugeben, damit er etwas unternehmen konnte. „Hey“, rief sie ihm daher lauthals zu, „lass dich nicht davon beeindrucken. Ich weiß, wie du das Vieh kinderleicht klein kriegen kannst!“ Der Dämonenjäger horchte überrascht auf. „Huh?“ „Ganz einfach.“ Das Mädchen nickte den Kopf in Disigmas Richtung. „Diese Incarnation-Dinger können doch Xyz-Material recyclen.“ „Das weiß ich.“ „Aber nur die Monster, die für das Original als Xyz-Material gedient haben. Sprich, wenn die vom Friedhof verschwinden würden …“ Zur Verdeutlichung zog sich Anya mit dem Daumen über den Hals. Hoffentlich verstand der Typ den Wink. Andernfalls sah sie schwarz für ihn. Aber da er plötzlich angestrengt sein Blatt musterte, schien er es gerafft zu haben. Kurz darauf aktivierte er die Zauberkarte, die ihm Henry vor dem Duell gegeben hatte, doch Anya quittierte die Tatsache, dass das Ding keinen Angriffsbonus gab, mit einem genervten Spruch. Als Matt aber den Effekt erklärte, ließ sie es gut sein. Der würde schon klar kommen.   Wodurch Anya sich wieder auf ihr eigenes Duell konzentrieren konnte. Jetzt hatte sie sich wieder von Matt ablenken lassen! Sie besaß nur noch eine Handkarte und [Gem-Knight Garnet] sowie [Gem-Knight Turtle]. Nebenbei fiel ihr auf, dass sie, wäre sie nicht so kopflos an die Sache herangegangen, jetzt vielleicht schon den Gnadenstoß hätte austeilen können. „So ein Mist“, fluchte sie. Sie durfte sich doch keine Fehler erlauben, nicht bei diesem Mistkerl! Levrier wäre das bestimmt nicht passiert! Aber der war Geschichte! „Naja, nicht zu ändern“, brummte sie unzufrieden und streckte plötzlich den Arm in die Höhe, „aber das ändert nichts daran, dass ich -es- jetzt ein letztes Mal tun werde.“ Isfanel verschränkte abwartend die Arme, wobei seine Gegnerin gleichzeitig die Augen schloss. Sie wartete einen kurzen Augenblick, ehe sie rief: „Ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird jetzt ein Rang 4-Monster!“ In dem Moment verwandelten sich ihre Monster in braune Lichtstrahlen und verschwanden in dem schwarzen Loch, welches sich inmitten des Spielfeldes auftat. „Xyz-Summon! Komm herbei, meine letzte Chance! [Gem-Knight Pearl]!“ Er musste das Kind jetzt schaukeln, dachte Anya dabei angespannt. Aus dem Wirbel trat der schlichte, weiße Ritter hervor, um den genau sieben überdimensional große Perlen sowie zwei Lichtkugeln kreisten. Stolz stellte er sich vor Anya und verschränkte die Arme, genau wie es Isfanel getan hatte.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4}]   „Du hast ihn also letztlich doch noch gerufen“, sprach der flammende Dämon ruhig, „dein Paktmonster mit Levrier.“ „Kch! Eine andere Wahl habe ich leider nicht, als dieses nutzlose Ding zu rufen!“ Immerhin waren die beiden Monster gleichstark, dachte Anya. Nein, nicht ganz, denn dank Isfanels Zauberkarte [Banished Power Gear], welche sich in seiner verbannten Zone befand, würde sein Synchromonster um 500 Punkte stärker werden, wenn man es angriff. „... aber dafür habe ich das“, murmelte Anya und schob ihre letzte Handkarte in den dazugehörigen Slot der Duel Disk, „[Gem-Knight Power Bracelet]!“ Sogleich materialisierte sich am rechten Arm ihres Pearls ein goldenes, mit Juwelen besetztes Armband, welches ein strahlendes Licht von sich gab. Gem-Knight Pearl [ATK/2600 → 3400 DEF/1900 {4}]   „Wie du siehst, erhöht diese Ausrüstungszauberkarte die Angriffskraft eines Gem-Knights um 800“, erklärte Anya das Offensichtliche und war dankbar für die vierte von fünf Karten, die sie vom Jinn als Umsetzung ihres Wunsches erhalten hatte. „Damit ist Pearl stärker als dein Monster!“ Das Mädchen würde nicht zulassen, dass dieser elende Dreckskerl sie alle umbringen würde! Wutentbrannt schwang sie den Arm aus. „Sag ade zu deinem Vogelvieh! [Gem-Knight Pearl], greif es an! Blessed Spheres Of Purity!“ Wie ein Schwarm wild gewordener Wespen schossen die sieben Kugeln von Anyas Paktmonster auf den feindlichen Mechavogel zu. Anya wusste, dass jener den Kampf verlieren würde, egal, ob [Banished Power Gear] die Angriffskraft des Falken auf 3100 erhöhte. Eine nach der anderen durchlöcherten die leuchtenden Perlen den Feind und sorgten so dafür, dass dieser letztlich in einem lauten Knall unterging.   [Anya: 450LP / Isfanel: 1800LP → 1500LP]   „Ein Hallelujah für meine Rache!“, jubelte Anya, als die letzten Trümmerteile sich auflösten. Keck streckte sie ihrem Gegner die Zunge heraus. „Soviel dazu! War ja gar nicht so schlimm wie ich dachte!“ Dummerweise hatte sie das Duell damit noch nicht gewonnen. Ihre Hand war blank und außer Pearl besaß sie keine einsatzfähigen Karten mehr, darüber war sich Anya im Klaren. „Zug beendet!“   Isfanel, der das alles scheinbar nicht allzu schwer nahm, zog sogleich auf. „In der Tat eine lobenswerte Leistung, Anya Bauer“, kommentierte er ihren Zug, „du hast mich an den Punkt gebracht, an dem keines meiner Celestial Gear-Monster noch eine Gefahr für dich darstellt.“ Seine Gegnerin wiederum zog erstaunt die linke Augenbraue an. „Ach ja?“ Dabei bemerkte sie gar nicht, dass die darüber liegende Stirn bereits teilweise kristallisiert war und das so weit, dass man das Weiß ihres Schädels durchschimmern sah. „Das Duell hat einen Punkt erreicht, an dem ein gewöhnlicher Pakt nicht mehr ausreicht“, erklärte Isfanel weiter und streckte seinen Arm aus. „Dennoch gibt es eine letzte Karte, die mächtiger ist als alles, was du bisher gesehen hast. Und dein Angriff mit [Gem-Knight Pearl] war das letzte Puzzlestück, das noch gefehlt hat.“ „Huh!?“ „Die Karte, die durch meinen Pakt mit Eden entstand! Verdeckte Falle aktivieren, [Negative Gate]!“ Erschrocken fiel Anyas Blick auf die Falle, die nun vor ihrem Gegner aufsprang. Die hatte sie völlig vergessen, er hatte sie ja mit [Synthetic Gear Recycling] gesetzt und seither ruhen lassen! Aus dem Kristallboden vor Isfanel wuchs langsam ein hohes Gebilde, einer perfekt rechteckigen Wand gleich. Genau wie die Turmspitze, war auch diese Art Spiegel ganz aus Kristall gemacht. Jedoch platzte ein großer Teil in seiner Mitte unerwartet ab. Die Blondine schluckte, ihr wurde plötzlich ganz mulmig zumute. „Scheiße, was soll das!?“ Denn durch das entstandene Loch konnte man nicht etwa Isfanel sehen, sondern nur einen schwarzen Sog. Isfanel selbst, der noch undeutlich durch die Ränder des Materials sichtbar war, streckte den Arm aus und zeigte auf etwas. Erst verstand Anya nicht, doch dann wirbelte sie impulsiv um und erstarrte. Valerie und Henry, sie schwebten reglos in der Luft! Doch nicht nur das, aus den Duel Disks der beiden drang plötzlich blaues und in Henrys Fall schwarzes Licht, welches kurz darauf in einem gewaltigen Strahl in das schwarze Loch gezogen wurde, das im Kristallmonument entstanden war. Sich wieder an Isfanel wendend, schrie Anya förmlich: „Was machst du mit ihnen, du Dreckskerl!?“ „Ich bediene mich ihres Friedhofs. [Negative Gate] hat die Eigenschaft, Monster, die normalerweise für die Beschwörung einer Kreatur vom Spielfeld verbannt werden müssen, stattdessen aus dem Friedhof der jeweiligen Spieler zu verbannen.“ Mit einem Schwenk seines Arms ließ Isfanel vor sich die Abbilder der Karten des Ritualmonsters [Evigishki Soul Ogre] und [Daigusto Phoenix] erscheinen, die von seiner Seite aus ebenfalls in den Sog gezogen wurden und verschwanden. „Das erklärt nicht-! Huh!?“ Auch Anyas Duel Disk glühte plötzlich. In violetter Farbe schoss ein Strahl aus ihr direkt in das Loch, wobei kurz das Abbild von [Gem-Knight Master Diamonds] Karte zu sehen war, ehe diese ebenfalls verschwand. In dem Moment erkannte Anya, warum Isfanel jenen in seinem letzten Zug wirklich auf den Friedhof gelegt hatte. Somit war er jetzt endgültig unerreichbar für sie, dachte sie bitter! Umso überraschter schaute sie auf, als sogar Isfanels Duel Disk zu strahlen begann und ein weißes Licht in dem schwarzen Tor verschwand, begleitet vom Abbild des [Celestial Gear – Synthetic Armored Hawk].   Plötzlich streckte Isfanel eine Karte von seiner Hand hoch in die Luft. „Im Ritual liegt das Opfer der Beschwörung …“ Anya blinzelte verdutzt. Was redete der da? „... durch das Überlagern verbinden sich zwei Seelen, zwei Welten …“ Rituale? … Xyz-Beschwörung? „... abgestimmt aufeinander, agieren sie synchron …“ Und jetzt Synchros? Anya glaubte sich zu verhören! Dann fehlte ja nur noch-! „... und verschmelzen zu einer Einheit! Aus [Negative Gate] wird die höchste Gottheit beschworen, durch das Verbannen je eines Ritual-, Xyz-, Synchro- und Fusionsmonsters! Das mächtigste Paktmonster, das je existiert hat! Der Pakt mit Eden, den die Allerheiligsten eingegangen sind! Erscheine-“ Mit einem Mal schwang Anya energisch den Arm aus. „Und verschwinde gleich wieder, was auch immer da kommen mag!“ Schlagartig begann das Armband [Gem-Knight Pearls] in allen Farben des Regenbogens aufzuleuchten, während das Mädchen es aus ihrer Duel Disk nahm. „Was redest du da, Anya Bauer?“, fragte Isfanel tonlos. Doch diese lachte nur höhnisch auf. „Du willst wohl dein bestes Monster beschwören, was? Mächtigste Paktkarte my ass, [Gem-Knight Power Bracelet] hat neben dem Angriffsschub noch eine zweite Fähigkeit!“ „Das Negieren einer Beschwörung im Tausch gegen die Ausrüstungszauberkarte“, schloss Isfanel den Kreis. „Levriers Wissen ist auch das meine, vergiss das nicht.“ Anyas Kinnlade klappte hinunter. „Du wusstest-!?“ „Natürlich. Und im Gegenzug solltest du wissen“, sagte Isfanel und sprach die letzten Worte mit besonderer Kälte aus, „dass, was ich im Begriff bin zu rufen, nicht durch so eine simple Scharade aufgehalten werden kann!“ Vor Schreck ließ das Mädchen ihren letzten Trumpf glatt fallen. „Das ist nicht wahr … !“ Dann geschah es. Anya erstarrte regelrecht vor Fassungslosigkeit. Vor ihren Augen entstand aus dem Monument ein breiter Dimensionsriss, der weit über Isfanel hinaus zu ragen begann. Durch den Spalt huschten nach und nach lange, weiße Finger, die mit silbernen, spitzen Aufsätzen bedeckt waren. Allein einer von ihnen war so lang wie Anyas ganzer Unterarm. Langsam rissen die beiden Hände die Anomalie im Raum-Zeit-Gefüge auseinander, bis sich ein gar fürchterlicher Anblick bot. „Shit! Was ist das denn!?“, keuchte Anya. In ihren Augen spiegelte sich das blanke Entsetzen wieder. Und wie langsam etwas seinen Weg in eine Welt fand, in die es nicht gehörte. Ein Ziegenkopf schob sich langsam durch den Spalt, der nun von alleine anwuchs. Nach und nach drang nun auch der lange Oberkörper nach außen, offenbarte nur eine Art Kleid auf der weißen Haut des Wesens. Dessen langes, entflammtes rotes Haar breitete sich vom Schopf der Kreatur immer weiter aus. Kaum war jene bis zur Hüfte aus dem Spalt entstiegen, erschien über ihrem Rücken eine Reihe von Symbole, die zusammen an Schwingen erinnerten. Eine Seite violett, eine golden – genau wie die beiden Lichtkugeln, die über den Handflächen des Wesens entstanden. „D-das ist-!“ „Das ist die allmächtige Gottheit, die stärkste Paktkarte, die je existiert hat! [Sophia, Goddess Of Rebirth]!“, rief Isfanel und streckte den Arm in die Höhe zu seinem Monster, welches sogar seine Mechavögel noch an Größe übertraf. Das Monument hatte derweil seinen Zweck erfüllt und zersprang in tausend Stücke, die klirrend auf den Kristallboden fielen.   Sophia, Goddess Of Rebirth [ATK/3600 DEF/3400 (11)]   „Und jetzt setze dem ein Ende! Genesis Waves! Damit werden sämtliche Karten der Vergangenheit und Gegenwart gebannt, von Feld, Hand und Friedhof! Die einzige Ausnahme ist die Gottheit des Endes selbst!“ „Nicht!“, schrie Anya fassungslos. Doch Sophia sendete bereits violette und goldene Wellen von ihren Handflächen aus, die beide Spieler gleichermaßen erfassten. Während sich die Karten von Isfanels Blatt in goldenem Licht auflösten, wobei gleichzeitig aus dem Friedhofsschacht seiner Duel Disk gleichfarbige Lichtfunken aufstiegen, klappte Anya die Kinnlade abermals herunter. Unter einem Schrei wurde ihr Pearl von den violetten Wellen mitgerissen, die über dem Mädchen nach und nach verschwanden. Sie selbst hingegen wurde schließlich von den goldenen erwischt und durch die Luft geschleudert, wobei auch aus dem Ablagestapel ihrer Duel Disk Funken sprühten. „Argh!“, keuchte Anya beim Aufprall auf dem Rücken, machte eine Rückwärtsrolle und schlitterte noch ein Stück weiter, ehe sie schließlich bäuchlings liegen blieb. Aber nicht nur sie war gefallen, auch Henry und Valerie waren dadurch fort geschleudert worden und knallten beide zeitgleich gegen die Kristallwand der Dachkuppel.   In Anyas Augen stand blanke Panik, als sie sich mit ihrem linken Arm abstützte und den Oberkörper anhob. Dieses Wesen hatte soeben alles vernichtet! Einfach alles! Nicht mal mehr auf ihren Friedhof konnte sie zugreifen, da alle Karten daraus verbannt worden waren. Ihr Feld war leer, ihre Hand ebenso! Sie war verloren! Der Mistkerl hatte das Blatt ein letztes Mal gewendet, diesmal gab es kein Entkommen! „Der Effekt von [Negative Gate] untersagt es mir, in diesem Zug anzugreifen. Daher beende ich diesen und überlasse dich dem Terror Sophias“, sprach Isfanel. An seinem Ton erkannte man, dass er nicht daran zweifelte, dieses Duell zu gewinnen.   Anya biss sich auf die Lippen. Toll, sie hatte damit vielleicht einen Zug gewonnen, aber nichts in ihrem Deck konnte es mit diesem Mistvieh ohne Weiteres aufnehmen! Das war nicht fair! „Ich war so nah dran!“, jammerte sie und schlug mit der Faust auf den Kristallboden. „Scheiße! Scheiße, scheiße, scheiße!“ Was sollte sie denn jetzt tun!? Wieso hatte sie denn nicht kommen sehen, dass diese anderen beiden Viecher nur zur Ablenkung dienten, um die Beschwörung seines richtigen Ass-Monsters vorzubereiten? Alles war von Anfang an darauf ausgelegt gewesen! Er hatte Valeries Ritualmonster gleich zu Beginn auf den Friedhof geschickt, mit Henrys Phönix und seiner Nachtigall für Xyz-Monster gesorgt, gar ihren Diamond für diesen Zweck zurück aus dem Extradeck geholt und nur auf die Zerstörung seines Synchromonsters gewartet! Dieser elende Dreckskerl hatte von Anfang an nur mit ihr gespielt!   Tränen der Wut standen in den Augen des Mädchens. Sie wollte doch allen vor ihrem Eintritt in den Limbus noch beweisen, dass sie ihre Freunde nicht im Stich gelassen hatte! Wie konnte sie das jetzt noch tun!? „Verdammt!“, schrie sie und schlug wieder auf den Kristall, unterdrückte gleichwohl die Welle des Schmerzes in ihren Knochen, welcher trotz der Kristallisierung zurückgekehrt war. Alle würden sterben, weil sie Isfanel nicht aufhalten konnte! „Anya!“, hallte plötzlich Matts Stimme zu ihr. „Keine Ahnung, was du jetzt wieder angestellt hast, aber noch hast du nicht verloren! Halte noch ein bisschen durch, dann helfe ich dir!“ Verblüfft sah sie zu ihm herüber, erwiderte aber gleichwohl nichts darauf. Der hatte leicht reden, immerhin lieferten sich seine und Anothers Paktmonster-Inkarnation scheinbar einen ausgeglichenen Kampf. „Sorry, aber du musst wohl ohne mich weitermachen“, murmelte das Mädchen leise, so, dass er es nicht hörte. „Ich bin erledigt …“   Bist du dir da sicher? Seit wann gibst ausgerechnet du so schnell die Hoffnung auf, Anya Bauer?   Das Mädchen zuckte regelrecht zusammen, als sie glaubte, eine ihr wohlvertraute Stimme gehört zu haben. Konnte es sein? War das … „Levrier!?“     Turn 35 – Pearl's Will Anya, die nun wieder mit Levrier kommunizieren kann, rafft sich ein letztes Mal zum Kämpfen auf. Gleichzeitig muss auch Matt seine letzten Kraftreserven sammeln, denn Another kämpft unnachgiebig weiter. Die letzte Phase ihres Kampfes hat begonnen … Kapitel 35: Turn 35 - Pearl's Will ---------------------------------- Turn 35 – Pearl's Will     Ein Blinzeln genügte, um festzustellen, dass sie sich nicht mehr im Turm von Neo Babylon befand. Das Mosaik der Erde unter ihr flackerte nur schwach, es gelang ihm kaum, Licht in die unendliche Dunkelheit des Elysions zu bringen. Auch drehte es sich nicht mehr, wie sonst üblich. Anya raffte sich auf. Wieso war sie plötzlich hier?   Schritte ertönten, ihre Quelle lag direkt gegenüber der Blondine. Doch dort kam nichts auf sie zu. Der Klang der Schritte verstummte. „Hast du jemals die Geschichte der jungen Frau gehört, die sich bis zum letzten Atemzug gegen ihr Schicksal wehrte? Anya Bauer?“ Es raubte dem Mädchen für einen Moment glatt die Stimme. Egal wie verzerrt, undeutlich, unmenschlich die Stimme auch klingen mochte, sie würde sie unter tausenden wiedererkennen. „Levrier? Du bist zurück!?“ „Ich war nie fort. Oder wer dachtest du, hat dich eben noch beschützt, als du Isfanels Blutdurst zum Opfer zu fallen drohtest?“ Augenblicklich drehte sich Anya mehrmals um die eigene Achse, doch da war nirgendwo ein Ebenbild von ihr oder eine andere Gestalt, in der sich Levrier ihr präsentierte. „Du warst das? Als der Idiot meinen Garnet angegriffen hat?“ Anya drehte sich wieder in die Ausgangsrichtung, aus der sie die Schritte glaubte gehört zu haben. „Wie hast du das gemacht? Und wo bist du überhaupt!?“ „In diesem Moment bin ich Teil Isfanels. Doch nicht alles von mir vermochte er zu absorbieren. Denn ein Fragment meiner Existenz … gehört nur dir, Anya Bauer.“ Jene weitete die Augen und fasste dabei unbewusst an ihre Brust. „Du bist noch in mir!?“ „Als wir eins wurden, um Eden zu erwecken … nein, schon früher, verankerte sich ein Teil von mir in dir. Etwas, das nur geschehen konnte, weil wir einander akzeptieren. Erinnere dich. Du wolltest mir trotz deiner Angst vor dem, was geschehen wird, wenn du Eden wirst, helfen. Dies hat uns verbunden, denn auch mein Wunsch ist es, selbst in diesem Moment, dich zu beschützen.“   Das Mädchen sank fassungslos auf die Knie, als sich strahlendes Licht vor ihr ausbreitete. Dort war er. Levrier. Und er war … „[Gem-Knight Pearl]?“ Stolz verschränkte der weiße Ritter die Arme vor ihr, während er mitten in der Luft schwebte. Die sieben Perlen um ihn herum begannen das Elysion zu erleuchten, während sich gleichzeitig in ihrem Inneren jeweils ein Gesicht widerspiegelte. Die besorgte Abby, der nachdenkliche Nick, der kämpferische Matt, die bewusstlose Valerie, genau wie Henry und Melinda zusammen in einer Perle, ein schlafender Marc und letztlich Alastair, um dessen Hals Ketten geschlungen waren. „W-was soll das alles? Wenn du noch lebst, warum hast du dich nicht gemeldet!? Warum hast du einfach zugesehen!?“, jammerte Anya verletzt. „Ich hätte deine Hilfe wirklich brauchen können, aber jetzt ist es zu spät!“ „Ich habe dir schon geholfen, auf meine Weise. Isfanel und ich sind verbunden und diese Verbindung ermöglichte es mir erst, seinen Angriff umzulenken.“ „Kannst du das noch mal!?“, begehrte Anya sofort auf. Langsam erhob sie sich. „Wenn wir es so probieren, können wir noch gewinnen! Sorg' einfach dafür, dass er nicht angreift, solange-!“ „Das wird nicht zweimal funktionieren, denn er weiß jetzt darum“, erwiderte Levrier. „Es tut mir leid, Anya Bauer. Alles was geschehen ist.“ „Red' keinen Stuss! Du wurdest manipuliert! Wir alle wurden das!“ Sie schwang wütend den Arm aus und ballte eine Faust. „Aber keine Sorge, Another wird dafür von Matt auf die Fresse bekommen!“   „Es ist fast Zeit.“ Der bedrückte Tonfall ließ Anya verstummen. „Sowohl für dich, als auch für mich. Wenn wir deine Freunde noch retten wollen, müssen wir uns beeilen.“ „Und wie sollen wir das anstellen!? Bei dir sind ja offensichtlich die Batterien leer und bei mir das Feld!“ Anya schnaufte wütend und reckte das Kinn vor. „Deine Lösung, Einstein?“ Levrier in Pearls Gestalt streckte den Arm aus, welcher zu leuchten begann. Dabei hielt er ihr die flache Hand vor Augen. „Ich bin ein schwaches Wesen, nur ein Abkömmling Isfanels. Meine Bestimmung war es, Another aufzuhalten, doch jener manipulierte mich bis zu dem Grad, dass ich für statt gegen Eden arbeitete. Wer mich also einen Fehlschlag nennt, ist im Recht.“ Anya legte den Kopf in den Nacken und sah ihr Gegenüber herausfordernd an. „Mir doch egal, von mir aus kannst du dich auch Frieza nennen! Du hast meine Frage damit aber nicht beantwortet! Was nun, Einstein?“ „Als Abkömmling besitze ich nicht dieselbe Kraft wie mein Schöpfer. Wer einen Pakt schließt, gibt einen Teil seiner Kraft auf, seiner selbst.“ Levrier machte eine kurze Pause. „Je nachdem, welche neue Kraft entstehen soll, muss eine entsprechende Menge der eigenen Existenz aufgegeben werden.“ Das Leuchten an seiner Hand wurde stärker. „Ist [Gem-Knight Pearl] deshalb effektlos? Weil du nichts von dir aufgeben wolltest?“ „Du irrst, Anya Bauer. Ich habe eine Menge aufgegeben. Oder warum nanntest du mich sonst immer nutzlos?“ Er drehte seine strahlende Hand und forderte damit Anya nun auf, diese zu nehmen. „Deswegen muss ich dieses Mal alles geben, nicht wahr? Denn ich will nun meinem eigenen Willen folgen und das Wort Bestimmung hinter mir lassen.“ „Ahja?“ Die Blondine lachte und kratzte sich am Hinterkopf. „Und was ist dein Wille?“ „Dich zu beschützen, denn du bist meine Partnerin. Dich und deine Freunde. Deswegen muss ich dieses Mal ein größeres Opfer bringen. Damit wir …“ „... unseren Pakt verstärken können“, schloss das Mädchen und ein spitzbübisches Grinsen huschte über ihre Lippen. „Klingt gut! Bin dabei! Partner!“   ~-~-~   Matt weitete seine Augen, als er sah, dass sich die ohnmächtig geworden geglaubte Anya langsam erhob. Was ihn dabei überraschte war die Tatsache, dass das Mal an ihrem Arm bräunlich glühte. Aus der Entfernung war es schwer einzuschätzen, aber er hatte das Gefühl, dass sich etwas in jenem bewegte. Veränderte es sich etwa!? „Wann wirst du endlich lernen, nicht dauernd zu schauen, was die anderen gerade machen?“, fragte Another gereizt. „Ich bin immer noch dein Gegner, schon vergessen? Was immer sie da tut, es ist nicht von Belang, bei so einer Witzfigur als Paktpartner.“   Allerdings zeigte sich Matt gänzlich uninteressiert und ließ seinen Blick stattdessen wieder über das bestialische Monster wandern, was dort aus einem Dimensionsspalt in diese Welt vorgedrungen war. Hoffentlich würde sie mit diesem Ungetüm klar kommen! Etwas in Matt war sich dessen jedoch gewiss, sodass er sich wieder seinem Duell widmen konnte.   Er kontrollierte nur seinen riesigen, niederknienden Schabenritter [Steelswarm Vanguard – Roach Styx] mit dem weißen Drachenspeer Lord Fafnir in den Händen, wobei zwei goldene Sphären um sein Monster kreisten. Another stattdessen besaß ebenfalls nur sein Incarnation-Monster [Vylon Seraphim – Embodiment Of Order, Disigma]. Aber Another besaß wenigstens noch eine Handkarte, Matt nicht einmal das.   Steelswarm Vanguard – Roach Styx [ATK/1900 DEF/0 {4}] Vylon Seraphim – Embodiment Of Order, Disigma [ATK/2500 DEF/2100 {4}]   Im gläsernen Unterleib des finsteren Maschinenengels befand sich eine goldene Sphäre. Matt runzelte die Stirn. Er musste jetzt etwas Tolles ziehen, ansonsten sah es schlecht für ihn aus! „Also“, rief er an seinen Gegner gewandt, „auf geht’s! Mein Zug, Draw!“ Doch nachdem er gezogen und die neue Karte betrachtet hatte, machte sich Enttäuschung breit. Genau so etwas war jetzt weniger sinnvoll! „Verdammt und das, obwohl wir keine Zeit mehr verlieren dürfen!“ Denn der Lichtstrahl, der von seiner Brust in das Tor Eden überging, welches wiederum über dem Thron am Ende des Saals dank elektrischen Seilen in der Luft gehalten wurde, war bereits gut sichtbar. Gleichwohl fühlte Matt sich zunehmend müder und schwächer. Was wohl nicht zuletzt daran lag, dass sich sehr langsam, aber beständig die Schichten vor dem Eingang des Tores wie Blütenblätter nach und nach zur Seite bewegten.   „Nichts Gutes gezogen? Dann gib auf und versinke in den Schlaf des Tores.“ „Niemals!“, widersprach Matt dickköpfig. „Als ob ich es dir so leicht machen werde! Effekt von Roach Styx aktivieren! Während der Standby Phase versammelt er alle Xyz-Materialen um sich, die er oder seine Vorstufe besessen haben, bis er auf drei Stück kommt!“ Matt zog den zuvor abgelegten [Steelswarm Gatekeeper] aus seinem Friedhofsschacht und legte ihn unter sein Monster, wodurch nun drei goldene Sphären um dieses kreisten.   Jetzt hieß es überlegen, dachte der junge Mann und betrachtete die schwarze Karte auf seiner Duel Disk. Mit dem ersten Effekt von Roach Styx konnte er ein Monster mit mindestens fünf Stufensternen verbannen. Aber Disigma besaß keine Stufe, sondern einen Rang und jener war ohnehin zu niedrig. Der zweite Effekt konnte Karteneffekte bis zum Ende des Zuges lahmlegen, aber das brauchte Matt in seiner derzeitigen Situation nicht. Aber das hieß-!   „Erkennst du es endlich? Ich habe Roach Styx so geformt, dass er nicht gegen andere Inkarnationen eingesetzt werden kann“, holte Another seinen Gegner höhnisch aus den Gedanken. Mit einem Schulterzucken quittierte er den fassungslosen Blick, der ihm daraufhin entgegen gebracht wurde. „Aber du kannst natürlich gerne den letzten Effekt aktivieren, wenn du meinst, es bringt dich weiter. Immerhin besitzt du jetzt genug Material und der Zug von Roach Styx' Beschwörung ist bereits vergangen. Also?“ „Du nimmst -das- einfach so hin, als wäre es nichts!?“ Dabei war dieser Effekt doch mächtig! Wie konnte er Another nichts ausmachen? War er so selbstsicher, dass es ihn nicht störte!? „Eine andere Wahl habe ich nicht“, murmelte Matt ärgerlich, „aber es wird mir mehr Zeit verschaffen! Ich aktiviere Roach Styx' letzten Effekt und hänge drei Xyz-Materialien ab! Dafür, dass ich seinen Effekt in Zukunft negiere, kann ich einmalig den Lebenspunktestand vertauschen!“ „Ich weiß“, erwiderte Another mit einem süffisanten Lächeln. „Tu es ruhig, es ändert nichts.“ „Das werden wir erst noch sehen! Roach Styx!“, schrie Matt förmlich und streckte den Arm in die Höhe. „Benutze Soul Reversal!“ Dem Befehl seines Besitzers folgend, richtete der Kakerlakenmann seinen Speer in die Höhe und absorbierte damit die drei goldenen Sphären, ehe ein violettes Licht von der Drachenkopfspitze auszugehen begann. Plötzlich würgten Matt und Another einen violetten Dunst hervor, der von dem Leuchten angezogen, durchgemischt und wieder in die Münder der beiden Feinde zurücktransportiert wurde. Beide husteten und hielten sich die Hälse.   [Matt: 1500LP → 4000LP / Another: 4000LP → 1500LP]   „Ist Verzweiflung nicht im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend?“, scherzte Another und richtete sich in Alastairs Hülle wieder stramm auf. „Wirf ruhig weiter Wattebällchen nach mir.“ „Du elender-! Ich aktiviere von meiner Hand die Zauberkarte [Swords Of Revealing Light]! Damit kannst du drei Runden nicht angreifen!“ Drei grüne Energieschwerter tauchten rund um Another und seinen absonderlichen Maschinenengel auf. Doch der lachte nur. „Lebenspunkteumkehr? Schutzzauber? Willst du mich langweilen, Matt Summers?“ „Wart nur ab! Zug beendet!“   Genüsslich, mit einem dünnlippigen Lächeln, zog Another auf zwei Karten auf. „Zeit ist kostbar und ihr habt keine mehr. Also muss ich nur warten, mehr nicht.“ Er lachte auf. „Ich denke, ich ändere daher meine Strategie. Wenn du nicht angreifen kannst, nur gut. Alles was ich tun muss ist warten, bis Eden dich in sich aufgenommen hat. Ich passe.“ Das grün leuchtende Lichtschwert zu seiner Rechten löste sich auf.   Jetzt will er das Duell hinauszögern, dachte Matt verzweifelt und besah sein D-Pad. „Mein Zug. Dra-“ „Ah ah ah!“, gluckste Another und wedelte mit erhobenem Zeigefinger, was Matt wegen seiner Riesenschabe jedoch nicht sehen konnte. „Nicht so hastig, Kleiner. Du hast Roach Styx' mächtigsten Effekt benutzt, daher kannst du diese Runde nicht ziehen.“ „Was!?“ „Lies dir deine Karte doch genauer durch. Oh! Ich habe dich doch nicht etwa verführt, etwas Dummes zu tun?“ Matt konnte das Grinsen des Dreckskerls förmlich spüren. Das war alles in seinem Sinne gewesen! Dieser elende-! „Ich kann nichts tun, also passe ich auch!“   Another füllte sein Blatt daraufhin um eine dritte Karte auf. „Na so ein Zufall, das wollte ich auch gerade sagen! Zug beendet!“ Noch eines der Lichtschwerter verschwand. Diesmal jenes links neben ihm, womit nur noch das letzte blieb, welches Disigma im Wege stand. Kaum hörte Matt dies, brachte ihn ein fieser Stich in seinem Herzen dazu, in die Knie zu sinken. „Argh!“ Das Licht vom Energiestrahl, das ihn mit Eden verband, war nun so grell, dass es langsam blendete. Verdammt! Dieser Mistkerl machte mit ihm was er wollte! Er konnte nichts gegen dieses Monster unternehmen und musste sich hinter den Lichtschwertern vor einem Angriff verstecken. Und das Schlimmste daran war, dass Another dies nicht einmal behinderte, sondern eher noch in die Karten spielte! Unter diesen Bedingungen blieb im Grunde nur Eines … aber, sollte er wirklich?   Mit zusammengekniffenen Augen sah Matt herüber zu Anya und erschrak, da er erst jetzt erkannte, dass ihr Körper langsam zu Kristall wurde. „Was immer du da treibst, beeil' dich, ich könnte ein bisschen Hilfe gebrauchen!“   ~-~-~   Matts verzweifelter Ruf erreichte Anya zwar, doch schenkte diese ihm keine Beachtung.   [Anya: 450LP / Isfanel: 1500LP] „Mein Zug“, verkündete sie leise mit gesenktem Blick und griff nach ihrem Deck. Mit einem Schlag brannte ihre Hand in weißem Licht auf. „Draw.“ „Du veränderst das Schicksal dank Levriers Kraft“, mutmaßte Isfanel, „interessant.“ Das Mädchen schob die gezogene Karte augenblicklich sowie wortkarg in die Duel Disk, woraufhin die Falle vor ihren Füßen auftauchte. „Zug beendet.“ Ansonsten war Anyas Spielfeldseite und Hand leer. Anders als Isfanels Spielfeld, denn dieser kontrollierte die mächtigste Paktkarte, wie er selbst behauptete. [Sophia, Goddess Of Rebirth], so nannte sie sich und hatte im Zug davor sämtliche anderen Karten auf den Händen, Spielfeldern und Friedhöfen der beiden erbitterten Feinde verbannt.   Sophia, Goddess Of Rebirth [ATK/3600 DEF/3400 (11)]   Die grässliche, riesige Ziegengestalt entwuchs einem Dimensionsspalt. Über ihrem Rücken glühten Symbole, die Schwingen darstellen sollten. Ein Angriff von diesem Monstrum vermochte alles zu zerstören, so viel wusste Anya.   „Du denkst, du kannst deinem Schicksal entfliehen, doch du irrst“, sprach Isfanel unbekümmert, „selbst ein reformierter Pakt kann dich nicht retten, denn in solchen Fällen bleibt das alte Versprechen bestehen. Du musst Eden werden, auch wenn Levrier die Konditionen geändert hat.“ „Ich weiß“, kam es tonlos von Anya zurück. Die weiße, flammende Gestalt, die einst Marc gewesen war, hatte aber noch nicht geendet. „Und in noch etwas liegst du falsch, Anya Bauer. Nämlich darin, dass Levriers Eingreifen etwas ändern wird!“ Mit einem Schlag ging ein strahlendes, weißgoldenes Licht von seiner Hand ab, als er nach seiner Duel Disk griff. „Das werde ich nicht erlauben! Draw!“ Mit Schwung zog Isfanel die Karte. Anya verspürte daraufhin ein so heftiges Ziehen in der Brust, dass sie sich im Affekt röchelnd nach vorne beugte. Er hatte es ihr gleich getan und das Schicksal verändert!   Isfanel zeigte den gezogenen Zauber sofort vor. „Ich aktiviere [Destructo Gear], welches augenblicklich eine Zauberkarte von meinem Deck verbannen wird!“ Zahnräder aus purem Licht erschienen um die rote, längliche Duel Disk und begannen sich über und unter ihr zu drehen. „Die Karte, die ich verbanne, heißt [Reversal Gear]. Ich weiß, was du vorhast, Anya Bauer. Du willst, dass ich angreife, damit du mit deiner Falle den Schaden auf mich zurückwerfen kannst.“ Das Mädchen mit dem gesenkten Blick zeigte keine Regung, außer: „Ist das so?“ „Levrier ist einfach zu lesen. Natürlich ist dem so. Daher wisse, dass [Reversal Gear] einmalig jede Art Schaden umkehren kann und damit zurück auf meinen Gegner wirft, wenn ich es und zwei verbannte Celestial Gear-Monster ins Deck zurücksende.“ „Soll heißen?“ „Selbst wenn du jetzt noch versuchst, mir zu schaden“, sprach Isfanel leise, „wirst du ultimativ scheitern.“ Anya reagierte nicht. „Dann zeig mir, wofür du Levriers Überreste zu nutzen gedenkst!“ Isfanel legte den Kopf in den Nacken und sah hinauf zu seinem Monster. „Los, allmächtige Göttin, die mit Eden im Pakt steht! Vernichte sie! Direkter Angriff mit Two World Collision!“ Sophia ließ daraufhin über ihren Handflächen jeweils eine weiße und eine schwarze Lichtkugel erscheinen, welche sie unter Tosen zusammenführte. „Stirb, Anya Bauer!“ Aus der neu entstandenen Sphäre feuerte Isfanels mächtigstes Monster kurz darauf einen schwarzweißen Laserstrahl auf Anya ab. Ohne sich davon jedoch beeindrucken lassen, schwang diese mit einem unterschwelligen Lächeln auf den Lippen den Arm aus. „Du liegst daneben. Wir hatten nicht vor, Spielchen bezüglich irgendwelchen Schadens zu spielen. Alles was wir wollten, war -ihn- aus der Verbannung zu holen. Mithilfe dieser Fallenkarte, [Gem-Knight Barrier]! Erhebe dich vor mir, [Gem-Knight Pearl]!“ Die Karte sprang auf. Aus ihr schossen die sieben rosafarbenen Perlen, welche auf ihr abgebildet waren, umkreisten sie wie ein Schwarm Bienen einmal, bis sie vor ihr verharrten. In ihrer Mitte nahm eine prächtige Gestalt Form an und kurz darauf kniete vor Anya besagter weißer Ritter nieder. „Willkommen zurück, Pearl“, murmelte diese, holte ihn aus ihrer Hosentasche hervor und legte das Xyz-Monster in horizontaler Lage auf ihre Duel Disk.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4}]   „Er wird dich nicht lange schützen“, entgegnete Isfanel. Dennoch schwang etwas Verwirrung in seiner Stimme mit. „Wieso er?“ Allerdings antwortete Anya nicht und senkte wieder den Blick, als ihr Pearl von dem Laserstrahl erfasst wurde und in einer Explosion unterging. „Damit hast du- Ah!“ Das Mädchen knickte zur Seite um und blieb reglos liegen.   ~-~-~   „Es ist jetzt soweit, nicht wahr?“ Anya und Levrier in [Gem-Knight Pearls] Erscheinungsbild standen einander in Anyas Elysion gegenüber. „Willst du das wirklich tun?“, setzte Anya nach. „Im Ernst, ich wäre nicht böse, wenn du jetzt noch kneifst.“ Nein, in Wirklichkeit wäre sie stinksauer, dachte sie dabei. Aber es war seine Entscheidung. „Wie ich bereits sagte, Anya Bauer. Die Zeit der Bestimmungen ist vorbei. Ich bin mein eigener Herr und mein Ziel ist es, dich zu beschützen.“ „Yeah“, erwiderte die Blondine und rieb sich verlegen am Kopf, „ich will auch weiterkämpfen. Nicht für die Menschheit oder ein 'Was wäre wenn', sondern für diejenigen, die selbst jetzt im Turm gefangen sind, obwohl sie die Chance zum Gehen hatten. Und das nur, weil sie mir … helfen wollten.“ Der Edelsteinritter nickte. „Du hast dich verändert, Anya Bauer. Früher wäre dir das Schicksal der anderen gleich gewesen.“ „Vielleicht … ah, egal! Wehe, du erzählst denen was!“, fauchte das Mädchen aufgebracht, um vom Thema abzulenken. „Sonst kannst du dich darauf gefasst machen, dass ich deine Karte in tausend Stücke schneide, anschließend verbrenne und die Asche unser Klo runterspüle! Kapiert!?“ „Dazu wird es nicht mehr kommen, fürchte ich.“ Unerwartet reichte Levrier ihr seine Hand. „Lass uns diesen letzten Weg gemeinsam gehen und Isfanels Zerstörungswut ein Ende bereiten.“ „Klar …“ Als Anya nach seiner Hand griff, ging von jener Mitte ein grelles Strahlen aus, dasselbe wie vorhin. Statt aber wegzusehen, starrte sie in das warme Licht und erkannte, wie sich in dessen Inneren die Form einer Karte abzuzeichnen begann. „Hell yeah!“   ~-~-~   Das Mädchen öffnete blinzelnd die Augen und erhob sich hastig. Dabei sah sie noch die letzten Partikel von Pearl dahinschwinden, welcher von Sophias Angriff zerstört worden war. „'kay, ready to go?“   Preparations complete!   „Besser ist's für dich!“, rief das Mädchen und streckte den Arm weit aus, als wolle sie nach etwas greifen. „Hey, Isfanel, kennst du den schon?“ „Was!?“ Geschickt drehte Anya die Hand und zeigte ihm ihren Lieblingsmittelfinger. „Du hast leider grad ziemlichen Mist gebaut, du hohle Nuss! Denn als du Pearl zerstört hast … hast du -ihn- auf den Plan gerufen!“ Isfanel wich zurück. „Was ist das? Dein Elysion, in ihm-!“ „Mach dich bereit“, rief Anya, riss den Arm mit erhobenem Zeigefinger nach oben, welchen sie weit in die Luft ausstreckte, „für die Inkarnation, die sämtliche Regeln missachtet! Ich rekonstruiere das Overlay Network!“ „Nein! Wie kannst du-!?“ Vor Anya tat sich ein schwarzer Wirbel auf, aus dem eine braune Lichtsäule bis zur Decke schoss. Aus der Duel Disk des Mädchens schossen sieben pinke Lichter, die in dem Strom verschwanden. „Wenn der letzte Krieger fällt“, sprach Anya feierlich, „wird das Licht der Hoffnung in ihm erwachen! Eine neue Kraft wird geboren, geformt von Kameradschaft und Stolz! Steige wie Phönix aus der Asche!“ Ich kann nicht glauben, dass du selbst jetzt mit solchen Sprüchen kommen musst. Besonders, wenn sie so schlecht sind wie dieser.   „Schnauze, Levrier! Mir ist spontan nichts Besseres eingefallen“, fauchte Anya und sah dabei zum Überlagerungsnetzwerk, ehe sie hastig wieder den Blick hoch zur Lichtsäule richtete. „Im Sinne des neuen Paktes, komm jetzt hervor und zeig dich! Erwache aus deinem Schlaf, [The Last Gem-Knight – Pearl Radiance]!“ Die Lichtsäule explodierte förmlich, als Anya den Namen von Pearls Inkarnation gerufen hatte. Das Mal an ihrem Arm brannte fürchterlich, doch da sie eh im Begriff war, zu einer Kristallstatue zu mutieren, war es dem Mädchen gleich. Jetzt stand Isfanel Ärger ins Haus! Aus der braunen Säule trat nämlich ein Krieger hervor, der auf den ersten Blick nur noch wenig mit Pearl gemein hatte. Denn die sieben Perlen, die nun über seinem Rücken schwebten, formten dank leuchtender Verbindungslinien lange, flügelhafte Gebilde. Die Rüstung war nicht mehr weiß, sondern pechschwarz, auf dem Helm thronten verschiedenfarbige Federn. In der Panzerung waren sämtliche Edelsteine eingelassen, die unter den Gem-Knights zu finden waren und in der Brustmitte war eine achte, kleine Perle eingelassen, von der goldenes Licht ausging. Stolz verschränkte der über dem Kristallboden schwebende Ritter seine Arme.   The Last Gem-Knight – Pearl Radiance [ATK/2600 DEF/1900 {4}]   Heimtückisch glucksend schob Anya die Karte des ursprünglichen Pearls unter die seiner Evolution, wodurch eine goldene Sphäre um diesen zu kreisen begann. Isfanel war fassungslos. „Du hast es also geschafft, eine Incarnation Summon durchzuführen. Und sie ist … anders als alle bisherigen. Die Zerstörung des Ursprungsmonsters hat sie ausgelöst! Welchen Preis musste Levrier dafür zahlen?“ Der Blick seiner Gegnerin verdunkelte sich. „Labere nicht, sondern spiele weiter, es ist dein Zug!“ „Da ich bereits angegriffen habe, kann ich nichts weiter unternehmen. Zug beendet!“ Kaum waren diese Worte jedoch ausgesprochen, schoss aus Anyas Duel Disk ein wahres Funkengewitter. Lauter golden leuchtende Sphären stiegen aus ihr empor. „Ansage für dich“, rief die Blondine laut und hielt dabei sechs Karten in die Höhe, die sie aus der Hosentasche gefischt hatte, „in der End Phase meines Gegners schart Pearl Radiance sämtliche meiner verbannten Monster um sich, damit sie ihm als Xyz-Material beistehen können!“   Kameradschaft, die über das Leben hinausgeht. Ein schönes Motiv hast du dir da ausgesucht, Anya Bauer.   „Wir beide“, korrigierte diese ihn mit einem Zwinkern. Dabei legte sie [Gem-Knight Garnet], [Gem-Knight Lazuli], [Gem-Knight Tourmaline], [Gem-Knight Master Diamond], [Kuriboss] und [Gem-Turtle] unter Pearl Radiance, wodurch um diesen nun ganze sieben Xyz-Materialien zu kreisen begannen und Anyas ganzes Feld in goldenes Licht tauchten. „Was bezweckst du mit dieser Karte?“, fragte Isfanel verwundert. „Sie ist- aber wie?“ „Lass dich überraschen“, gluckste Anya. Plötzlich gab sie einen erschrockenen Schrei von sich, als der gesamte Turm ruckartig erschüttert wurde und sie beinahe stolperte. „Was soll das jetzt!?“ „Der Sonnenaufgang ist nicht mehr fern“, erklärte Isfanel deutlich unruhiger, „immer zu Sonnenaufgang verschwindet der Turm, damit ein neuer Zyklus beginnen kann!“ „Was!?“ Sofort sah Anya zu Matts Duell herüber. „Beeil' dich mal ein bis- Ah!“   ~-~-~   Perplex starrte Matt die Karte an, die er gezogen hatte, nachdem Another nun zweimal hintereinander gepasst hatte. Nur noch ein Lichtschwert befand sich vor ihm und seinem Monster. „Das ist-!“ [Steelswarm Longhorn], ein Stufe 9-Tributmonster, mit dem er Disigma dank Longhorns Effekt zerstören könnte! Aber dafür brauchte er zwei Tribute, hatte jedoch nur Roach Styx anzubieten. „Verdammt!“ Nur mit Longhorn auf der Hand und seiner Inkarnation auf dem Feld konnte er nichts ausrichten! Plötzlich fiel es ihm jedoch wie Schuppen von den Augen. Er konnte sehr wohl etwas damit ausrichten, bald schon! Wenn die [Swords Of Revealing Light] in der nächsten End Phase Anothers verschwunden waren, konnte er [Steelswarm Scout] von seinem Friedhof beschwören! Und dann hatte er genug Opfer für Longhorn beisammen! „Ich muss ebenfalls wieder passen.“ In dem Moment erbebte der Turm, wodurch Matt auf Isfanel und Anya aufmerksam wurde. „Beeil' dich mal ein bis-“, begann Anya, schrie dann aber unter einer Erschütterung auf. „Ah!“ „Ich würde mich ja beeilen, aber mir gehen langsam die Ideen aus!“ „Tch, dann schau mir mal zu, wie ich das Kind jetzt schaukle!“ Das Mädchen wandte sich wieder ihrem Gegner zu.   Gleichzeitig kicherte Another plötzlich. Um Alastairs Hand begann eine weiße Flamme aufzubrennen, ehe er nach dem Deck griff und schrie: „Ich bin dran, Draw!“ Keuchend zuckte Matt zusammen, denn es fühlte sich an, als würden sich seine Eingeweide zusammenziehen. Sein Gegner benutzte seine Fähigkeiten! „Mehr als nur die Ideen sind dir am ausgehen, mein Lieber. Ich fürchte, unser kleines Spielchen wird langsam langweilig“, sprach der Puppenspieler selbstherrlich. „Gewiss hat es seinen Reiz, dich in Verzweiflung winden zu sehen, aber da uns wirklich die Zeit davon läuft und ich mich noch um Isfanel kümmern muss, kann ich leider nicht mehr deinen Babysitter mimen.“ „Was soll das heißen!?“, begehrte Matt aufgebracht auf. Statt Worten, nahm Another drei von vier Karten aus seiner Hand und zeigte sie vor. Es waren die Monster [Vylon Hept], [Vylon Vanguard] und [Vylon Soldier]. „Sieh dir das mal an“, gab Another vergnügt von sich, „drei Monster in meinen letzten drei Zügen habe ich gezogen. Mit dem Xyz-Material, das Disigma schon besitzt, macht das vier Stück. Ah, und die Wartezeit auf den letzten Effekt, welche bei Disigma ja im Vergleich zu anderen Inkarnationen länger ausfällt, ist auch längst verstrichen.“ Matts Kinnlade fiel hinab. „Soll das heißen-!?“ „Ja“, erwiderte Another und schob die drei Vylon-Monster unter die schwarze Karte, „erlebe die volle Kraft des Seraphims!“ Im gläsernen Unterleib seiner grausigen Kreatur tauchten drei weitere goldene Lichter auf. Plötzlich ging von jenem ein grelles Strahlen aus, das Glas zersplitterte laut.   Another stöhnte mit einem Mal traurig auf. „Da dies den Wendepunkt markiert, ein paar letzte Worte an euch.“ Er richtete seinen Blick melancholisch an die Decke. „Anya Bauer, höre nun zu, was ich zu sagen habe, bevor ich deinen Freund vergehen lasse“, sprach er an Anya gewandt und fasste sich an die Stirn. „Als die 'Flut' begann, kämpften wir zuerst. Ohne jede Aussicht auf Erfolg. Wir wussten nicht, wer Freund oder Feind war. Sie können alles imitieren, selbst uns Immaterielle. Uns blieb nur die Flucht.“ „W-was ist passiert, dass ihr-!“, stammelte Matt verwirrt. „Gab es einen regelrechten Krieg? Mit diesem 'wahren Feind'?“ „Nein. Ein Gemetzel. Der 'wahre Feind' hat uns ausgelöscht. Dank unseres Tores konnten wir fliehen, über den Nexus, der alles verbindet. Eures trägt den Namen Eden, unseres hieß Layriat.“ Another sah herüber zu Isfanel. „Als wir unsere Heimat verließen, gingen viele meiner Art im Nexus verloren. Aber wir waren entkommen, so dachten wir zumindest. In Wirklichkeit stammte der 'wahre Feind' jedoch nicht aus unserer Welt und war in der Lage, durch den Nexus zu reisen.“ „Deshalb haben wir das Tor Eden im Turm von Neo Babylon versiegelt, damit sie niemals diese Welt betreten können“, erklärte Isfanel. Another sprach gefasst weiter. „Um jedoch in eurer, einer materiellen Welt zu bestehen, müssen wir auf kurz oder lang Pakte eingehen. Ich konnte meine Welt nicht beschützen, auch nicht diese. Nicht einmal die, die mir am nächsten waren. Aber zumindest“, er sah wieder auf, entschlossener denn je, „kann ich sie aus dieser Hölle befreien, zu der diese Welt bald werden wird. Auch dich, Isfanel!“ „Das Tor ist aus gutem Grund verschlossen“, antwortete dieser kalt, „dies auch weiterhin sicher zu stellen ist meine Aufgabe. Du weißt das, ich weiß es. Ich werde jeden deiner Zeugen töten.“ „Dann bist du nicht besser als sie, unsere Schlächter!“ „Das zu entscheiden obliegt weder dir noch mir. Ich tue nur, was mir aufgetragen wurde.“ Der besessene Alastair stampfte wütend auf. „Von wem!?“ „Darüber zu reden ist ebenfalls nicht meine Aufgabe.“ Wütend schwang Another den Arm aus. „Verräter! Wieso tust du deinem eigenen Volk das an!? Willst du die letzten Reste von uns sterben sehen!?“   Anya indes hatte große Schwierigkeiten, die Geschichte der beiden zu verstehen. Demnach war Anothers Volk geflüchtet aus irgendeiner anderen Welt in diese hier. Aber nun glaubten sie, Letztere würde untergehen? Warum? „Kann mich jemand aufklären, was für ein Scheiß eigentlich in euren Krümelhirnen vor sich geht!? Was ist der 'wahre Feind', wieso soll unsere Welt bald untergehen und warum zum Geier müssen wir, insbesondere -ich-, unseren Hals dafür hinhalten!?“ „Ich hatte die Wahl“, erklärte Another und schnaubte dabei wütend, „entweder eine erzwungene Öffnung des Tores, bei der Millionen von Leben geopfert werden müssen, oder die planmäßige Öffnung, die nur -fünf- Zeugen und ein Gründerindividuum erfordert! Was wäre dir lieber, Anya Bauer?“ Für das Mädchen war die Sache jedoch klar. „Keins von beidem, deswegen werde ich euch mächtig in den Arsch treten.“ Damit wandte sie sich wieder ihrem Gegner zu. „Und mit dir fang' ich an, Brutzelbirne!“   Wodurch sich Another aus den schmerzvollen Erinnerungen riss und ebenfalls das Duell fortsetzte. „Was mit deinem Volk geschehen ist, tut mir leid“, redete Matt einfühlend auf ihn ein, „allerdings gefährdest du mit deinem Tun nun uns. Willst du, dass dasselbe womöglich mit meinem Volk passiert, wenn das Tor sich öffnet?“ „Es ist mir mittlerweile gleich“, erwiderte Another jedoch kalt, „ich bin so weit gekommen, habe so viele Lügen gesponnen, um euch hierher zu locken. Denkst du, ich gebe jetzt auf, Matt Summers? Weißt du, wie schwer es war, das Gerücht des Blutzolls in Umlauf zu bringen, nur damit meine Bauernopfer sich nicht gegenseitig bekriegen?“ „Aber der Blutzoll existiert!“ Jeder Dämonenjäger wusste doch davon! Wenn immaterielle Dämonen in Gefäßen sich bekriegten, konnten sie nicht eher auseinander gehen, ehe ein Wirt vernichtet worden war. In den seltensten Fällen überlebten das die Dämonen, daher war es eine effektive Art sie zu bekämpfen! „Weil ich diese Geschichte vor Jahrtausenden in Umlauf gebracht habe“, erklärte Another, „nur meinesgleichen weiß, dass es eine Lüge ist. Daher musste ich Isfanel manipulieren, um ihn gleichzeitig als Paktschließer zu gewinnen und dennoch dafür zu sorgen, dass er meine Zeugen nicht umbringt.“ „Eine Lüge … !?“ „Isfanel war aber selbst in seiner geschwächten Form noch ein Hindernis, da er offenbar davon ausging, Eden würde seinen Tod bedeuten.“ Another lachte bitter auf. „Ich muss zugeben, dass ich wohl zu umsichtig mit ihm war. Wer hätte gedacht, dass dieser Verräter so wenig für sein Volk übrig hat?“ Matt schüttelte entsetzt den Kopf. „Du hast das alles seit tausenden von Jahren geplant!? Alles!?“ „Sagen wir, ich habe vorausgeschaut und Vorarbeit geleistet. Aber du solltest dich jetzt lieber um andere Dinge sorgen.“   Dies gesagt, erhob Another den Arm und zeigte auf seine grässliche Engelsgestalt. Dessen gläserner Unterleib war zerplatzt, die vier goldenen Sphären begannen sich auszubreiten. „Ich hänge die vier Xyz-Materialien ab, um den letzten Effekt Disigmas zu aktivieren! Ring Of Golden Rule!“ „Was-!?“ Überrascht sah Matt mit an, wie die goldenen Sphären unter Disigma sich langsam im Kreis zu drehen begannen und damit einen goldenen Ring schufen, von dem kontinuierlich Schockwellen ausgingen. Jene gingen durch Matt und Another hindurch, ohne sie zu verletzen, dafür geschah etwas anderes. Das letzte Lichtschwert vor Another löste sich auf, ebenso der weiße Drachenspeer Lord Fafnir in den Händen der niederknienden Roach Styx. „Oh verdammt, nicht auch noch das!“ „Dieser Ring schickt alle Karten auf unseren Feldern auf den Friedhof, bis wir beide genau ein Monster kontrollieren“, erklärte Another dazu majestätisch und streckte die Arme aus. „Diese beiden Monster werden dann kämpfen. Oder sollte ich sagen, der Vylon Seraphim wird für Ordnung sorgen und die Finsternis verbannen?“ „Was soll-!“ Matt fehlten die Worte, als er erkannte, dass Disigma nun in goldener Aura zu glühen begann, während der Ring unter ihm weiterhin gleißende Wellen aussendete.   Vylon Seraphim – Embodiment Of Order, Disigma [ATK/2500 → 5000 DEF/2100 {4}]   „Oh verdammt!“, schrie Matt beim Anblick der Angriffspunkte Disigmas. „Du siehst richtig! Um das Böse zu bannen, mobilisiert meine Kreatur all ihre Kräfte!“ Another grinste, als er den Arm ausstreckte. „Und noch etwas. Kein Monster dieser Welt könnte jetzt deine Lebenspunkte schützen, denn der Seraphim fügt in seiner kompletten Form Durchschlagschaden zu! Seine heilige Kraft durchschlägt jede Rüstung, durchdringt selbst die dunkelste Finsternis!“ „Durchschlagschaden!?“, wiederholte Matt fassungslos. „Mein Monster hat 0 Verteidigungspunkte! Dann-!“ „Richtig! Du bist erledigt, mein Lieber! Diesmal kann dich nichts mehr retten!“ Laut lachend hob der besessene Alastair seinen Arm in die Höhe. „Es war schön, dich gekannt zu haben! Doch nun vergehe im Schlaf Edens! Angriff auf Roach Styx, mein Seraphim! Sacred Black Annihilation!“ Mit geweiteten Augen beobachtete Matt, wie die Kreatur seines Gegners in die Höhe stieg und wieder zwei schwarze Speere in seinen Händen erscheinen ließ. Doch dieses Mal färbten sie sich weiß, ehe Disigma sie von oben herab auf die riesige Schabe schleuderte. Der junge Mann schloss seufzend seine Augen. „Ich habe echt kein Glück, huh?“ Dann gingen er und Roach Styx schreiend in zwei kuppelartigen, weißen Explosionen unter.   [Matt: 4000LP → 0LP / Another: 1500LP]   „Endlich“, murmelte Another und richtete sein Blick herüber zu Anyas Duell. „Nun zu euch.“   ~-~-~   Nachdem Anya sich zum Thema des 'wahren Feindes' ausgelassen hatte, richtete sie sich an Isfanel. „Sorry für die kleine Unterbrechung“, gab sie giftig von sich, „keine Sorge, du kriegst schon das, was du verdient hast! Mein Zug, Draw!“ Doch das Mädchen beachtete kaum, was sie da gezogen hatte, sondern legte ihr Augenmerk einzig auf ihr neues Monster, welches sie mit einer für sie äußerst untypischen Ehrfurcht anstarrte. „Ist dir wirklich gut gelungen, Levrier! So muss das aussehen!“ Der neue, schwarze Pearl drehte den Kopf zu ihr und nickte. Ich wusste, er würde dir gefallen. Warum probierst du seine Effekte nicht gleich aus? Immerhin hast du genug Xyz-Materialien für jeden von ihnen.   Etwas verdutzt stellte Anya fest, dass die Stimme von Pearl Radiance gekommen war. Steckte Levrier jetzt etwa da drin!? „Gut!“, fasste sie sich schnell wieder. „Nichts lieber als das!“ Stolz hob das Mädchen den Arm mit der Duel Disk an und warf einen Blick auf Pearl Radiance. Sie brauchte den Effekttext jedoch nicht lesen, da sie es fühlte. Das, was sie, ihn und Levrier verband – der Pakt. Schließlich griff sie unter die Karte und rief: „Gehen wir das Ganze mal nicht der Reihenfolge nach an, sondern beginnen gleich mit dem zweiten Effekt! Ich hänge zwei Xyz-Materialien ab! Chains Of Virtue!“ Pearl Radiance hob seine Unterarme und absorbierte mit den Edelsteinen an seinen Panzerhandschuhen, Rubin und Saphir respektive, zwei der goldenen Sphären. Die Hände dabei zu Fäusten geballt, öffnete er diese und ließ zwei kristallische Ketten daraus emporschießen, die sich um die Duel Disk des verblüfften Isfanels und dessen Körper schlangen. „Was tust du da!?“, wollte der wissen und versuchte gegen seine Fesseln anzukämpfen, doch vergebens. „Dafür sorgen, dass deine komische [Reversal Gear]-Karte mir keinen Strich durch die Rechnung macht“, erwiderte Anya gallig, „was sonst, Spatzenhirn? Die Chains Of Virtue sorgen nämlich dafür, dass diese Runde nur Monstereffekte aktiviert werden können. Dein ganzer Zauberkram muss daher passen!“ Isfanel gab einen erschrockenen Laut von sich und gab den Kampf gegen die Ketten auf. „Ich bin noch nicht fertig! Jetzt der erste Effekt von Pearl Radiance, für ein Xyz-Material! Half Gem!“ Sofort hob der schwarze Krieger mit den stilisierten, rosa leuchtenden Engelsflügeln die Faust und schlug sich damit selbst in die Brust, direkt auf die leuchtende Perle. Diese zersprang in zwei Hälften und gab ein gleißendes Licht frei, welches [Sophia, Goddess Of Rebirth] blendete. Jene schrie grunzend auf und schützte sich mit einem Arm vor dem Leuchten. Dabei fing ihre weiße Haut an, langsam schwarze Stellen zu bekommen und zu zerfallen.   Sophia, Goddess Of Rebirth [ATK/3600 → 1800 DEF/3400 (11)]   „Half Gem halbiert den Angriffswert eines Monsters einmal pro Zug“, erklärte Anya und streckte langsam den Arm aus. „Jetzt ist Pearl Radiance stärker als dieses Mistvieh von Gottheit!“ „Das wird nicht reichen!“, widersprach Isfanel wütend. „In meinem nächsten Zug werde ich dich vernichten, Anya Bauer!“ „Es wird keinen mehr geben, Dummkopf!“ Anya atmete tief durch. Das war das Ende. Sie würde es ihm zeigen und diesen Albtraum ein für alle Mal beenden. Damit hätte sie ihre Schuld beglichen und konnte ohne schlechtes Gewissen in den Limbus eintreten. Vielleicht war dieser Ort gar nicht so schlimm wie Levrier sagte? Wenn ihn immerhin noch nie jemand gesehen hatte, woher sollte man dann wissen, wie es in seinem Inneren aussah? Die Alternative, ewig als dieses dämliche Tor zu existieren, war ohnehin nicht gerade besser. „Schicksal“, murmelte das Mädchen und ließ den Kopf hängen, „ich hab echt kein Glück, huh?“   Das ist der Fluch des Tores, Anya Bauer. Niemand, der je in seinen Bann geraten ist, konnte glücklich werden. Sieh dir Isfanel und Another doch an. Jeder ist auf seine Weise davon besessen. Auch ich war eines seiner Opfer und habe euch alle ins Unglück geführt. Das ist der Preis, den man zu zahlen hat, wenn man durch den Nexus reisen will.   Der schwarze Ritter sah zu Anya herüber. Jene nickte schwach. „Ich weiß. Levrier … lass uns dafür sorgen, dass nie wieder jemand so leiden muss wie wir, 'kay?“   Wie du wünscht.   Daraufhin nickte Anya nochmals, diesmal aber entschlossener. Sie blickte wieder auf, wobei feurige Entschlossenheit in ihren Augen geschrieben stand. „Dann lass es uns beenden! [The Last Gem-Knight – Pearl Radiance], greife [Sophia, Goddess Of Rebirth] an! Divine Sword Of Purity!“ „Nein!“, rief Isfanel fassungslos. „Ich werde nicht so leicht verlieren!“ Allerdings ließ Pearl Radiance bereits eine schwarze, lange Klinge in seiner Hand erscheinen, in der sämtliche Edelsteine der Gem-Knights eingelassen waren. Anya streckte den Arm aus und zeigte auf den flammenden Marc. „Doch, wirst du! Los!“ Wie ein Pfeil schoss der schwarze Ritter daraufhin auf die gewaltige Gottheit zu, sie dabei immer noch mit den gleißenden Strahlen aus seiner Brust blendend. Er schwebte hoch bis zu ihrem Kopf und ließ sich und das erhobene Langschwert dann niedersausen. Damit teilte er die gewaltige Kreatur mit einem Streich in zwei Teile und ließ sie unter lautem Klagegesang explodieren. Die daraus entstandene Schockwelle riss Isfanel von den Beinen und warf ihn meterweit entfernt auf den Rücken, die Fesseln um seinen Körper lösten sich beim Aufprall auf.   [Anya: 450LP / Isfanel: 1500LP → 700LP]   Isfanel wollte sich gerade erheben, da wurde ihm eine schwarze Klinge vor die Nase gehalten. Pearl Radiance stand vor ihm und hatte seine Waffe auf ihn gerichtet. Doch nicht nur das, Anya schritt langsam durch den Kristallsaal und gesellte sich neben ihren Krieger. „Nun zum letzten Effekt meiner Inkarnation“, sagte sie mit finsterem Blick und zeigte die letzten vier Xyz-Materialien vor, welche sie in den Friedhofsschacht schob. Gleichzeitig absorbierte Pearl Radiance die vier goldenen Sphären um ihn herum mit seiner Klinge. „Letzter Effekt?“, wiederholte Isfanel zögerlich. „Klar.“ Anya sah eiskalt auf ihn herab. „The Last Strike. Damit musst du, wenn Pearl Radiance-!“ Ein lauter, gequälter Schrei erklang und brachte das Mädchen aus dem Konzept. „Huh!?“ Matt Summers! Er hat das Duell verloren!   „Was!?“ Sofort wirbelte sie um und sah, wie Matts Spielfeldseite in zwei weiße Explosionen gehüllt war. „Dieser Idiot! Der kann doch nicht-!“   Als der Rauch sich verzog, stand Matt in gebeugter Haltung. Sein Mantel war zerfetzt worden, überall am Körper wies er blutige Verletzungen auf. Doch er hielt sich fest, an einem weißen Speer, der neben ihm im Boden steckte. „Mir geht’s gut“, ächzte er mit Blick auf Anya und zeigte ihr den Daumen nach oben. „Ich hab's geschafft!“ Das Mädchen sah herüber zu Another, der bereits halb abgewandt regungslos verharrte und Matt nicht aus den Augenwinkeln ließ. Dabei murmelte er unzufrieden: „Du kannst noch stehen, obwohl deine Lebenspunkte auf 0 gefallen sind?“ „Yeah … aber genau das war von Anfang an der Plan!“ „Wie meinst du das?“, fragte Anya ihn irritiert. „Wer verliert denn freiwillig!?“ „Ich habe nicht verloren“, erwiderte Matt und zog unter Mühen den Speer aus dem Boden. Der Drachenkopf war einer langen, goldenen Spitze gewichen. „Im Gegenteil.“ „Erkläre dich!“, verlangte Another. „Ganz einfach. [Legendary Victory Spear – Lord Fafnir] hat einen dritten, besonderen Effekt. Wenn er fünf Züge auf dem Feld verweilt und dann im selben Zug auf den Friedhof wandert, in dem meine Lebenspunkte zu 0 werden“, antwortete Matt, hob den Speer demonstrativ auf Brusthöhe an und kniff dabei seine Augen fest zusammen, „wird sein Name Realität. Und was einst Niederlage war, wird in einen Sieg umgekehrt. Sorry, aber unser kleines Verzögerungsspiel war nur ein Vorwand, die Zeit bis zur Nutzbarkeit dieses Effekts zu überbrücken. Du warst ein wirklich guter Partner, Another, weil du dich genauso duellierst wie Alastair!“ „Das ist nicht wahr! Du lügst!“ Panisch breitete Another die Arme aus. „Du hast verloren und solltest schlafen!“ Matt jedoch reckte das Kinn in die Höhe und warf aus den Augenwinkeln einen Blick herüber zu der Blondine, die ein breites Grinsen aufsetzte. „Anya, hier ist alles bereit. Gemeinsam auf drei?“ „Yeah!“   Das Mädchen wandte sich mit düsterem Blick wieder Isfanel zu, der vor ihr und Pearl Radiance auf dem Boden lag. Sie nahm einen kleinen Schritt, stellte sich endgültig neben ihren Ritter und griff mit einer Hand das Schwert, sodass sie es zusammen hielten. „Hey, Kumpel, der Mistkerl dort drüben ist nicht der Einzige, der auf einen Spezialsieg setzt.“ „Was!?“ „Ganz richtig! Pearl Radiance braucht vier Xyz-Materialien für seinen letzten Effekt. Wenn er Kampfschaden zufügt, musst du eine Monsterkarte von deiner Hand abwerfen.“ Ihr Blick verdüsterte sich. „Andernfalls heißt es Game Over! Und jetzt guck mal einer an, wer da so leichtsinnig für seine Supergottheit sein Blatt aufgegeben hat? Ist das nicht urkomisch, Is-fa-nel?“ „Nein! Du kannst-!“ „Du hast genug Leid angerichtet!“, schrie Anya und erhob zusammen mit Pearl Radiance das Schwert über seinem Kopf. „Jetzt hat alles ein Ende, wir werden endlich frei sein von euch verdammten Idioten!“   „Niemand wird heute irgendwem geopfert werden!“, rief auch Matt und nahm langsam Anlauf. „Das haben wir euch ja versprochen!“ Anya sah herüber zu dem Dämonenjäger. „Alles klar? 1!“ „2!“, setzte Matt im Lauf nach. Another rief mit erhobenen Armen: „Halt! Denk an mein Volk! Du darfst nicht-“ „3!“, übertönte Anya ihn jedoch lauthals. Und synchron schrien beide: „Los!“ „Golden Dragon Spear!“ „The Last Strike!“ Damit warf Matt den Speer in Anothers Richtung, während Anya und Pearl Radiance ihre Klinge in Isfanels Brust versenkten. Lauter Schreie, vor Wut, Entschlossenheit, Angst, Verzweiflung ertönten im Kristallsaal und vermischten sich.   [Matt: 0LP / Another: 1500LP → 0LP]   [Anya: 450LP / Isfanel: 700LP → 0LP]   Lord Fafnir schoss zielgenau in die Brust Alastairs und verschwand vollkommen dort drinnen, statt aus dessen Rücken wieder hinauszuragen. „Oh, ein Hinweis aus der Gebrauchsanleitung: diese Waffe tötet Immaterielle!“, rief Matt hinterher. Anya wollte gerade dasselbe sagen. „Genau wie Pearl Radiances Klinge!“ „Nein! Eden!“, schrie Another und wirbelte um, sah panisch hinauf zum leuchtenden Tor. Doch die verschiedenen Kristallplatten in dessen Inneren, die sich während des Duells nach und nach fort geschoben hatten, um Blicke auf das zu gewähren, was hinter dem Tor lag, schoben sich nun wieder wie Blütenblätter vor das Tor und versperrten es. „Nein- Argh!“ Another fasste sich an die Brust und musste feststellen, dass sich überall an seinem beziehungsweise Alastairs Körper goldene Risse auftaten. Er wirbelte um, seinen letzten Atemzug tätigend und rief: „Ihr habt mein Volk auf immer verdammt, ihr verachtenswerten Kreaturen!“ Den Arm nach Matt ausstreckend, sank er in die Knie, blieb dann etwas vor sich hin murmelnd liegen. Bis eine goldene Lichtsäule aus ihm empor schoss.   „Anya Bauer“, presste derweil auch Isfanel hervor, der die Klinge des Langschwertes in den Händen des Mädchens und Pearl Radiance festhielt, obwohl sie sich durch seinen Brustkorb gebohrt hatte. „Du hast mich besiegt.“ „Kinderspiel“, rümpfte die die Nase und sah verächtlich auf ihn herab. Endlich waren diese beiden Monster Geschichte! „Another … ist tot“, brach Isfanel hustend hervor, „seine Pakte sind damit aufgelöst, Eden wird nicht mehr erwachen können. Auch ich werde gehen und deine Freunde freilassen. Aber du …“ „Ich weiß“, erwiderte das Mädchen kalt, „Levrier hat es mir doch schon gesagt.“ Die flammende Gestalt streckte seinen anderen Arm nach ihr aus, zögerlich nahm Anya seine Hand in die ihren, ließ Pearl Radiance das Schwert hinausziehen. „Anya Bauer, es tut mir leid, was Another und ich dir angetan haben.“ „Sorry, aber das kommt zu spät“, blieb sie unerbittlich, „viel zu spät. Du wolltest lieber uns töten, als dich deinem Freund zu stellen. Ich kann's verstehen, aber verzeihen werde ich dir deshalb nicht.“ „Ich weiß. Du hast mich also durchschaut?“ Isfanel lachte leise. „Dennoch möchte ich dich um eins bitten. Du musst verhindern, dass …“ Allerdings konnte er seine letzten Worte nicht mehr aussprechen. Sein Kopf knickte zur Seite weg, mit einem lauten Fauchen verschwanden die weißen Flammen um Marc. Es war vorbei.   Es dauerte einen Moment, ehe das Mädchen realisierte, was geschehen war. Geschwächt wie sie war, sank sie auf die Knie und stieß einen lauten Jubelschrei aus. Sie und Matt hatten gewonnen! Sie konnten- Ohrenbetäubend knallte es im hinteren Ende des Kristallsaals und mit diesem Knall erzitterte der ganze Turm, als wolle er eine Warnung aussprechen. Anya sah über die Schulter und bemerkte das klaffende Loch dort, wo die Treppe nach unten führte. Hatte diese Melinda sie also doch nicht im Stich gelassen! „Genau zum rechten Zeitpunkt!“ Irritiert sah sie auf und bemerkte, wie Alastair und Matt neben ihr standen, Letzterer eher schlecht als recht. „Gut gemacht, Schlangenzunge“, lobte ausgerechnet der vernarbte Dämonenjäger sie aufrichtig, „ich kann nicht in Worte ausdrücken, wie dumm ich war-“ „Ja ja, spar' dir das für später“, erwiderte Matt genervt und zeigte herüber zu Valerie und Henry, „wir haben nicht mehr viel Zeit. Die da sind total weggetreten, du musst uns helfen, sie nach unten zu bringen.“   „Urgh!“ „Ah!“, gab die halb kristallisierte Anya erstaunt von sich, als Marc sich neben ihr aufrichtete und die Stirn rieb. „Endlich ist er weg! Danke, Anya!“ „Du lebst!? Die Narbenfresse lebt!? Was hab ich verpasst!?“ Verblüfft blinzelte sie der schwarzhaarige Footballspieler an. „Gerade mal so, aber wer bin ich, mich darüber zu beklagen? Isfanel hat mich beschützt, als dieser Mistkerl Henry mich erschossen hat! Wo wir gerade dabei sind! Valerie!“ Sofort sprang er auf und rannte an Anya vorbei, um Alastair dabei zu helfen, die beiden schwer Verwundeten aufzurichten. Dabei griff er sich selbstverständlich seine Verlobte und nahm sie auf die Arme, war sie schließlich immer noch bewusstlos. Henry hingegen war langsam zu Sinnen gekommen, musste jedoch von Alastair gestützt werden. „Beeilt euch!“, rief dieser forsch und schleppte sich zusammen mit Henry zum Ausgang. Jener rief dabei: „Gut gemacht, ihr beide! Unsere Male sind weg, wir sind wirklich frei!“ Kurz darauf waren die Vier verschwunden, wenig später bebte der Turm erneut.   „Wir sollten jetzt auch die Beine in die Hand nehmen“, sagte Matt leise und reichte Anya die Hand, um ihr aufzuhelfen, „für lange Reden haben wir später noch Zeit.“ „Geht nicht. Du musst alleine abhauen, fürchte ich.“ „W-was?“ Anya sah zu ihm hinauf und zeigte ihm ihren rechten Oberarm. Das schwarze Kreuz mit dem Dornenkranz war noch darauf abgebildet, auch wenn jenes Kreuz sich nun weiter über den Kranz erstreckte im Vergleich zu vorher. „Sieh mich doch an, ich passe bald super in jede Vitrine! Du weißt doch, was passiert, wenn ich meine Aufgabe nicht erfülle.“ „Wieso ist das Mal noch da, Isfanel ist doch tot!?“, verstand Matt nicht und zeigte seinen Arm vor, von dem das violette Zeichen vollends verschwunden war. „Als Another gestorben ist, hat sich mein Mal aufgelöst.“ „Aber ein Teil von Levrier lebt in mir weiter“, erwiderte Anya traurig, „damit konnte ich ihn erschaffen“, womit sie zu Pearl Radiance deutete, der immer noch neben ihnen verharrte, „aber das heißt auch, dass ich nach wie vor die Gründerin bin. Ist also egal, ob ich mitkomme oder nicht, bald bin ich im Limbus gefangen.“ „Du kannst trotzdem mitkommen, vielleicht, wenn der Turm-!“ „Nein!“, donnerte Anya nun und sprang wütend auf, schubste Matt von sich weg. „Der Turm hat damit gar nichts zu tun! Hau endlich ab, ich will dein Mitleid nicht!“ „Anya, wenn du-“ Sofort drehte Anya missbilligend den Kopf zur Seite. „Ich weiß, was passiert, wenn ich hier bleibe! Aber ich sterbe lieber in einer epischen Explosion, als in einem Kreis voller Menschen, denen ich-!“ Sie brach erstickt ab. „Matt … das ist das Leb wohl zwischen uns. Geh jetzt, sonst schaffst du es nicht mehr rechtzeitig! Wir können ja wetten was als Erstes passiert, die Explosionen oder das Verschwinden des Turms. Aber wenn du das Ergebnis sehen willst, musst du jetzt abhauen!“ Langsam nahm der junge Mann ein paar Schritte rückwärts, ehe er mit betrübter Miene antwortete: „Okay. Dann … leb wohl, Anya. Ich werde dich nicht vergessen, versprochen.“ „Klar, nun zisch endlich ab!“, fauchte sie mit einer scheuchenden Handbewegung und Tränen in den Augen. Dies gesagt, wandte Matt sich um und rannte zur Öffnung, die Melinda geschaffen hatte. Noch ein letztes Mal drehte er sich um, doch Anya hatte ihm den Rücken zugekehrt und schritt langsam auf den Thron zu, über den das verschlossene Eden schwebte. Pearl Radiance war in der Zwischenzeit verschwunden. Dann nahm Matt einen Satz und landete auf den Stufen nach unten. In dem Moment gab es eine erneute Erschütterung, die den beschädigten Teil gefährlich rumpeln ließ. Vom dadurch losgelassenen Staub bedeckt, machte der junge Mann sich schweren Herzens auf den Weg.   Gleichzeitig seufzte Anya bitter, ehe sie sich auf den Thron setzte, ihre Hände auf die Lehnen legte und die Augen schloss. „Wie viel Zeit habe ich noch, Levrier?“   Bis der Turm verschwunden ist. Vielleicht eine Stunde noch? Aber …   „Aber was?“ Doch Anya hatte die Worte kaum ausgesprochen, da stand sie schon im Elysion. Und sich selbst gegenüber, denn diesmal Levrier hatte ihre Form gewählt. „Es gibt etwas, das ich dir seit unserem Pakt verheimlicht habe, Anya Bauer“, gestand ihr Ebenbild und senkte den Kopf, „über uns beide. Ich wurde geschickt, um die stärkste Kriegerin zu suchen, damit ich Edens Erwachen durch Anothers Hand verhindern kann.“ „Ich weiß“, erwiderte sie erstaunt, „warum erzählst du mir das jetzt?“ „Zwar habe ich durch seine Intervention mein Ziel aus den Augen verloren, aber“, sagte er und sah nun nachdenklich auf, „nicht die Tatsache, dass ich das stärkste verfügbare Gefäß dafür finden soll. Und, Anya Bauer, ich weiß nicht warum, aber ich glaube, du wirst in deiner Welt noch gebraucht werden.“ Das Mädchen zuckte genervt mit den Schultern und verschränkte die Arme hinter ihrem Kopf. „Tch, warum sollte man mich noch brauchen? In einer Stunde bin ich Geschichte. Etwas spät, mir das zu sagen, Levrier.“ Ihr Gegenüber schüttelte allerdings den Kopf. „Nein, es ist der richtige Zeitpunkt. Denn unsere Wege werden sich jetzt trennen. Du musst … leben. Deswegen entlasse ich dich aus unserem Pakt, wenn du dasselbe möchtest.“ „Was!?“, fiel Anya aus allen Wolken und beugte sich ruckartig nach vorn. „Ich dachte, Pakte kann man nicht brechen!?“ „Wir brechen ihn nicht, wir lösen ihn basierend auf gegenseitigem Einverständnis auf“, erklärte Levrier ihr angespannt. „Aber es hieße auch, dass ich …“ Etwas verwirrt, dann sichtlich erleichtert atmete Anya auf. Dennoch schwang in ihren Worten deutlich Wehmut mit. „Dann willst du … für mich? Ist das okay? Ich meine, wir sind … auch Freunde.“ „Du bist die erste und letzte Freundin, die ich hatte und haben werde, Anya Bauer. Mehr als mich selbst zu opfern, um dich zu befreien, kann ich nicht für dich tun.“ Plötzlich ergriff die falsche Anya die Hände der echten. „Nur wenn ich komplett aus dir verschwinde, kannst du von unserem Pakt befreit werden.“ „Können wir uns dann noch wiedersehen?“, fragte Anya verhalten, ehe sie aufbrausend relativierte: „Ich meine, so schlimm warst du ja irgendwie doch nicht, nur ziemlich nutzlos!“ Levrier lächelte das Mädchen jedoch nur an, ließ sie los und drehte sich um. „Ich denke, es wäre das Beste für uns beide, wenn dem nicht so wäre. Und da ich weiß, was dein Herz sich wünscht … leb wohl, Anya Bauer!“ „Lev-!“ Und beeile dich!   Sehnsüchtig streckte Anya ihren Arm nach Levrier aus, doch griff sie ins Leere. Sie saß auf dem Thron, der ganze Turm erzitterte wieder einmal heftig. Leuchtende Splitter tanzten um sie, waren abgeplatzt von ihrer Haut und hatten ihr normales Erscheinungsbild binnen eines einzigen Herzschlages wiederhergestellt. Irritiert sah sie sich einen Moment um, begriff erst jetzt des Ausmaß des letzten Kampfes, der den Kristallsaal an allen möglichen Enden aufgesplittert, versengt oder gar auseinander gerissen hatte. Ihr Instinkt sagte ihr, dass sie keine Zeit mehr zu verlieren hatte, daher sprang sie auf und rannte auf den von Melinda geschaffenen Ausgang zu. Mitten auf dem Weg dahin stoppte sie jedoch fassungslos und sah mit geweiteten Augen, wie Trümmer den Weg blockierten. Sie mussten durch die Erschütterungen in den Weg gelangt sein! Trotzdem eilte Anya dort hin und versuchte eine Lücke zu finden, aber die Kristallplatten stammten entweder aus der Decke oder direkt von den Außenwänden, Anya war es im Endeffekt gleich. Es gab keinen Weg hinaus, weil sie einfach zu wuchtig waren! „So leicht gebe ich nicht auf“, fauchte sie ehrgeizig und versuchte die Trümmer trotzdem wegzuräumen. Jene stellten sich wie erwartet als unfassbar schwer heraus, sie konnte sie nicht einmal anheben! „Nein, scheiße!“, fluchte sie. Das konnte doch nicht wahr sein! Jetzt war sie frei und in diesem beschissenen Turm eingesperrt! Wenn sie doch nur mit Matt gegangen wäre! Hätte Levrier sie nicht früher aus dem Pakt entlassen können!? Trotzdem versuchte sie es weiter, allerdings war sie einfach zu erschöpft, um die schweren Kristallplatten aus dem Weg zu räumen. Eine konnte sie ein wenig bewegen, welche unter lautem Krachen zur Seite kippte. Der Turm bebte inzwischen erneut. „Scheiße, scheiße, scheiße!“ „Anya!?“ „Huh!? Matt!?“ Das konnte nicht sein! „Was machst du denn hier!?“, rief sie ihm zwischen den Trümmern zu. „Ich wollte dich nicht hier allein zurücklassen und bin zurückgekommen! Geh aus dem Weg!“ Ohne lange darüber nachzudenken, sprang Anya zurück und gewann Abstand zu den Trümmern. Gleichzeitig rannte der Dämonenjäger ein paar Stufen abwärts, schnappte sich im Vorbeigehen drei Sprengsätze und eilte zurück, um sie an den Hindernissen zu platzieren. „Ich jage das Zeug in die Luft“, rief er gehetzt und verstellte den Zündmechanismus auf wenige Sekunden. Es würde nicht mehr lange dauern, dann gingen die von Melinda eingestellten Sprengsätze hoch, sie hatten keine Zeit zu verplempern. „Achtung!“, rief Matt, als er fertig war und das Weite vor dem Explosionsradius suchte. Unter einem ohrenbetäubenden Knall explodierten die Trümmer und legten einen kleinen Spalt frei. Matt, der bei der Explosion abermals mit Ruß und Staub eingedeckt worden war, kämpfte sich an den Brocken vorbei, die die Treppe hinunterrollten und sah am anderen Ende Anya. Jene machte einen Satz und landete vor ihm. „Wieso bist du zurückgekommen, du Idiot? Ich sagte, ich-!“ „Halt die Klappe und nimm die Beine in die Hand“, wies er sie forsch an, schnappte sich einfach ihre Hand und zog sie mit sich.   Und während der Turm immer öfter in unregelmäßigen Intervallen erbebte, nahmen die beiden Stufe und Stufe, rannten die Treppe hinab an den ganzen Sprengsätzen vorbei, die Melinda scharf gemacht hatte. „Sollten wir die nicht abstellen?“, fragte Anya im Rennen. „Nein, das schaffen wir nicht rechtzeitig, dazu sind es zu viele!“, erwiderte Matt, der schon ganz außer Atem war von all den Anstrengungen der letzten Stunden. Nicht zuletzt machten ihm auch seine Verletzungen zu schaffen. Ebenso zehrte der scheinbar endlos lange Weg nach unten bereits binnen kurzer Zeit förmlich an Anya, welcher der Schweiß auf der Stirn stand. „Können wir nicht deinen Teleportzauber nach unten nehmen?“, nörgelte sie. „Das hier ist ein magischer Turm, der weder Eindringlinge noch Ausreißer duldet, was denkst du wohl!? Außerdem hat Alastair das eben schon probiert. Die Antwort lautet also nein!“ „Man“, jammerte Anya, „wie weit ist es denn noch!? Ich habe keinen Bock, dass uns auf den letzten Metern die Decke auf den Kopf fällt!“ „Wir haben Ewigkeiten für den Weg hinauf gebraucht, so schnell geht das nicht!“ „Aber nach unten geht es schneller als nach oben, oder?“ Matt stöhnte genervt, während sie weiter rannten. „Soll ich dich die Treppe runterschubsen? Das wäre der schnellste Weg, wenn du mich fragst! Sind bestimmt nur ein paar tausend Stufen und kaputt gehen kann bei dir eh nicht viel!“ „Willst du jetzt 'nen beschissenen Streit mit mir anfangen, Summers!?“ „Guck lieber da!“, meinte Matt und zeigte auf die Lichtsäule in der Mitte des Turms, von dessen Innenwand sich die Treppe wie eine Spirale nach unten wand. Anders als zu dem Zeitpunkt, als sie den Turm von Neo Babylon betreten hatten, leuchtete jene Säule nur noch schwach und spendete kaum Licht. Sie mussten demnach vorsichtig sein, damit sie nicht stolperten. „Wenn das Ding ein Indikator dafür ist, wie viel Zeit wir noch haben, sieht es düster aus“, brummte Matt ärgerlich. Anya gab einen Wutschrei von sich. „Fuck! Warum muss alles immer so kompliziert sein!?“ „Red' nicht, renn' lieber!“ Und so ging es weiter, Stufe um Stufe, es nahm kein Ende. Die Minuten vergingen zäh und doch rasend schnell zugleich, immer häufiger bebte der Turm.   ~-~-~   „Werden sie es schaffen?“ Melinda stand abwartend vor dem Eingangstor aus dem leuchtenden Mosaik. Nur wenige Schritte trennten sie von der Freiheit. Ihre Stirn blutete, doch zum Glück war die Wunde nur äußerst schmerzhaft. Rechtzeitig hatte sie das Bewusstsein wiedererlangen und die restlichen Sprengladungen aktivieren können. „Benny, beeil' dich!“ Sie saß wie auf heißen Kohlen. Die Lichtsäule im Turm wurde immer dunkler, bald würde er verschwinden und unerreichbar für die Außenwelt sein. Aber da! Sie hörte Schritte auf sich zueilen. „Melinda!“, hörte sie jemanden ihren Namen rufen. Henry beugte sich von etwa zwanzig Metern Höhe über das Geländer, wobei er von Alastair gestützt wurde. Glücklich winkte er seiner Schwester zu, die daraufhin in Tränen ausbrach. Hinter den beiden stand der schwarzhaarige, junge Mann, den ihr Bruder erschossen hatte. Auf dem Rücken trug er dieses andere Mädchen, das noch bewusstlos war. Wenig später waren sie vor dem Tor vereint.   Beide humpelnd, schlossen sich Bruder und Schwester in die Arme. „Du lebst!“, nuschelte Melinda überglücklich und schniefte. „Ich dachte, ich hätte einen Fehler gemacht, als ich-!“ „Alles ist gut. Dank Anya und Matt haben wir es geschafft. Isfanel und Another sind tot.“ Sanft streichelte er dabei über das braune, nach unten in einer Welle verlaufende Haar seiner Schwester. „Wir müssen nur noch hier raus.“   Daraufhin ließ Melinda ihn los und rieb sich eine Träne aus den Augen. Ihr fiel auf, dass die von Henry genannten beiden nicht hier waren. „Wo sind Anya und Matt?“ „Er holt sie, weil sie bleiben wollte“, antwortete Alastair ungewohnt besorgt, „sie wollte lieber dort oben in der Explosion sterben, aber er wollte das nicht. Es … ist meine Schuld. Ich habe mich die ganze Zeit von Refiel … Another manipulieren lassen.“ „Wie wir alle“, versuchte Marc ihn unbeholfen zu trösten und sah mitfühlend über die Schulter seine bewusstlose Freundin an. Isfanel hatte sie als Erste aus dem Duell geworfen, damit sie nicht zu ihm durchdrang, dachte er dabei unglücklich. Die ganze Zeit hatte Another sie in Joans Gestalt gelenkt und sogar dazu gebracht, ihn von den Toten zurückzuholen. Wie sehr würde sie jetzt leiden müssen, sich verraten fühlen, weil ein falscher Engel sie manipuliert hatte? Das hatte sie nicht verdient! Wie gut, dass dieser Mistkerl dafür seine gerechte Strafe bekommen hatte! „Alles, was von Isfanel noch geblieben ist, ist das hier“, sprach Marc und zeigte die rote Duel Disk an seinem Arm vor, die in deaktivierter Form einem V glich. „Das Teil samt Deck schenke ich Anya als Siegestrophäe, wenn sie es hier lebend raus schafft. Das hat sie sich verdient.“ „Sie sind sicher schon auf dem Weg.“ Melinda sah hinauf zu den Treppen. „Bestimmt.“   ~-~-~   Sie hörten es weit über sich laut knallen. Wenige Sekunden später erneut. Und kurz darauf wieder. „Scheiße, die Sprengsätze gehen langsam hoch! Renn', Anya!“ „Das musst du mir nicht zweimal sagen, du Idiot!“, keuchte das Mädchen erschöpft. Wie lange waren sie überhaupt schon gerannt? 30 Minuten? Eine Stunde? Das Mädchen hatte jegliches Zeitgefühl verloren, genau wie das Gefühl in ihren Beinen, die wie Pudding waren. In regelmäßigen Abständen knallte es über ihnen, das Geräusch kam langsam, aber beständig näher. Jede Stufe war ein Schritt näher zu Freiheit. Raus aus dem Turm, fort von Pakten, Dämonen, fort von Eden. Anya wollte leben!   Matt, der hinter Anya rannte, beugte sich über das Geländer. „Ich kann den Boden sehen! Es ist nicht mehr weit!“ „Endlich!“ Das Donnern und Knallen, das Rumpeln der Trümmer kam immer näher. Schritt für Schritt schafften sie es, die Tür, jetzt konnte auch Anya sie schräg gegenüber der Treppe sehen. Nur noch wenige Stufen! Die Hitze im Nacken! Sie rannten gleichzeitig durch das Tor, welches sie wie Wasser durchließ. Die frische Luft draußen war so klar! Und die erdige Landschaft der Zerstörung, die der Turm aus dem Campus und der Livington High geschaffen hatte, sie war real! Anya und Matt rannten auf die anderen zu, die in weiter Entfernung auf sie warteten und zu sich riefen. Hinter ihnen der Turm, der unter lauter kleinen Explosionen in sich zusammenbrach. Trümmerteile fielen von ihm hinab, während er unstet zu flackern begann. In einer gewaltigen Schockwelle verschwand er plötzlich binnen eines Lidschlages mit einem letzten Donnern. Dabei wurden Matt und Anya von der Schockwelle mitgerissen und meterweit hinfort geschleudert, landeten mit einem Ruck in der aufgewühlten Erde.   Es war endgültig vorbei. Bis auf ein paar Trümmern war von dem Turm nichts mehr übrig geblieben.   Und Anya, nun … sie lag auf Matt, der sie sich im Fall geschnappt hatte. Fest umarmte er sie und öffnete blinzelnd die Augen. „Alles noch dran?“ „J-ja“, stammelte sie verstört, richtete sich ein wenig auf und warf einen Blick zurück. Bis auf einen Krater war wirklich nichts mehr da, was an den Turm von Neo Babylon erinnerte. Und Eden? Was war wohl damit geschehen? „Dann bin ich ja froh“, murmelte Matt und ließ den Kopf wieder in den Dreck sinken. „Hey, Finger weg von mir, du Perversling!“, fauchte Anya, als sie merkte, dass seine Hände über ihre Hüften gerutscht waren und knallte ihm sofort eine. „Au, was soll das!?“ Sofort bäumte er sich wieder auf. Hatte man denn nie Ruhe vor ihr!? „Fass mich nicht so an, Mistkerl!“, donnerte Anya und schlug ihm mit der Faust nahezu KO. Dabei überschlug sich ihre Stimme regelrecht. „Das ist alles deine Schuld! Ooooohhh, wir lassen den Turm explodieren! Was für eine Schnappsidee, ich wäre deswegen fast krepiert!“ Matt, sich die Wange reibend, schubste das Mädchen augenblicklich von sich runter. „Was!? Ich kann mich aber noch erinnern, dass -du- davon sehr begeistert warst! Und wegen dir hab ich das doch erst arrangiert, undankbares Miststück!“ „Ach ja!? Kann ich was dafür, dass am Ende alles anders gelaufen ist!?“ „Ja!“ Matt war rot vor Zorn, während die beiden im Dreck miteinander zu ringen begannen. „Du hast uns doch verarscht und in den Turm gelockt! Wenn du denkst, du kommst so leicht davon, dann-!?“ Sie bemerkten gar nicht, wie die Sonne über ihnen aufging. „Da verwechselst du was! Ich habe nur …“   „Nun sieh sich mal einer die beiden an“, staunte Melinda, die sich zusammen mit den anderen unbemerkt von den beiden um sie geschart hatte. „Kaum sind sie außer Lebensgefahr, streiten sie schon wieder.“ „Ich denke, ich schenke ihr die Duel Disk lieber später“, meinte Marc resignierend und lächelte dabei die geschulterte, bewusstlose Valerie an. „Typisch Anya.“ „Sie hat eindeutig schlechten Einfluss auf ihn!“, wetterte Alastair aufbrausend. „Wenn sie so weiter macht, verschlimmert sie noch seine Wunden!“ Henry jedoch seufzte nur genervt, während Melinda ihn stützte. „Sie merkt ja nicht mal, dass das Mal an ihrem Arm verschwunden ist. Sie ist wirklich der dümmste Mensch, der mir je begegnet ist. Wobei mir einfällt … was machen wir mit ihr wegen der Sache mit dem Verrat? Wir sollten sie bei der Polizei anzeigen!“ Marc sah ihn perplex an. „Und was willst du denen erzählen?“ Henrys Schwester, die ihren eigenen Arm betrachtete, welcher nun ebenfalls frei von ungewünschten Verzierungen war, kicherte. „Man sollte nie jemand nach dem Äußeren beurteilen, Benny.“ „Sie ist dumm, glaub mir. Allein deswegen sollte sie bestraft werden.“ „Ungewöhnlich“, kommentierte Marc Henrys Spitze scharf. „Wenn wir schon dabei sind, wie willst du dich für die Kugel revanchieren, Kurzer? Wenn sie in den Bau wandern muss, dann du erst recht!“ „Hey, ich hatte keine Wahl!“, verteidigte Henry sich sofort kleinlaut.   Und während die Gruppe sich in freundschaftlicher Manier zu zanken begann, begrüßte die Sonne Livington zu einem neuen, dämonenfreien Tag.     Turn 36 – The End Of The Dream Mehrere Monate später. Die Wogen haben sich geglättet, in Livington geht alles wieder mehr oder weniger seinem gewohnten Gang nach. Doch die Abschlussfeier naht und ganz zu Anyas Ärgernis findet diese auch noch bei ihrer ewigen Rivalin statt. Schlimmer noch, dort angekommen, beginnen schnell wortwörtlich Duelle um die Krone der Ballkönigin, nachdem der Direktor Mr. Bitterfield jene ursprünglich an Valerie vergeben wollte. Aber Anya wäre nicht Anya, wenn sie dies so einfach auf sich sitzen lassen würde … Kapitel 36: Turn 36 - The End Of The Dream ------------------------------------------ Turn 36 – The End Of The Dream     Als der Turm von Neo Babylon vor unseren Augen in die Luft ging, war es wie ein Feuerwerk. Der Albtraum war vorbei, nach so langer Zeit. Und ich, ich war am Leben, obwohl alle Hoffnung zuvor als verloren galt. An diesem Tag habe ich vieles gelernt. Nicht zuletzt auch deshalb, weil Levrier sich für mich geopfert hat, damit ich den Sonnenaufgang erleben durfte. Ich habe jetzt Freunde. Viele. Manche mögen mich mehr, manche weniger. Manche haben mir den Verrat selbst jetzt, über ein halbes Jahr später, immer noch nicht richtig verziehen. Ja, ich meine das Pennerkind und die Narbenfresse. Aber wenn sie sich mit mir anlegen wollen, nur zu, ich warte. Hier in Livington. Die Stadt hat sich verändert. Ich hätte nie gedacht, das noch zu erleben, aber ja, das Erscheinen des Turms hat letztlich dafür gesorgt, dass unser ruhiges, verschlafenes Städtchen nun zu einer Touristenattraktion geworden ist. Natürlich hat die Regierung eine Erklärung für alles finden können, aber unter vorgehaltener Hand sind Aliens an allem Schuld. Ja, klar … Idioten. Das Schulgelände wurde in der Zwischenzeit in eine Art Ausgrabungsstätte umfunktioniert, aber die wirklich interessanten Sachen werden diese Langweiler nicht finden. Das Tor Eden ist zerstört, daran gibt es nichts zu rütteln. Und das ist auch gut so.   Aber nicht nur Livington hat sich verändert. Auch seine Bewohner. … was rede ich da, die sind immer noch genauso nervig wie eh und je. Man muss sich doch nur Redfield ansehen. Oh ja, unsere kleine Schwanenprinzessin hat es tatsächlich geschafft, die beste unseres Jahrgangs zu werden. Soll sie sich drüber freuen, solange sie noch kann. Wenn sie erst mein Geschenk bekommt – gefakte Nacktfotos von ihr – dann wird sie schon sehen, was sie davon hat, Abby um ihren Ruhm gebracht zu haben! Hab ich übrigens erwähnt, dass sie und Marc vor einiger Zeit ihre Verlobung offiziell bekannt gegeben haben? Zufällig dann, als Redfield drohte, nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen? Pah! Die Hochzeit soll irgendwann später in diesem Jahr stattfinden, aber ich werde garantiert nicht kommen! Was Masters wiederum angeht, was soll man zu der auch noch sagen? Ich glaube, selbst wenn der Dritte Weltkrieg ausbricht, wird sie trotzdem noch auf Friedensdemonstrationen gehen und im Kreis mit anderen Hippies Gitarre spielen. Nicht, dass ich was dagegen hätte, Abby kann so bleiben, wie sie ist. Anders als Nick … hat dieser Depp es doch tatsächlich geschafft, durch sämtliche Abschlussprüfungen zu fliegen!? Und die Schule deswegen abgebrochen!? Was Grund genug war für mich, ihm mal ordentlich die Meinung einzudreschen. Hmpf. Schade, dass das Dämonenjäger-Duo nicht mehr da war, um das zu sehen. Ich hätte gerne ein paar Tricks von den beiden gelernt, aber sie sind bereits einige Tage nach den Geschehnissen abgereist. Ich stehe zwar noch per Mail mit ihnen in Kontakt, aber ganz ehrlich: für die nächsten hundert Jahre hab ich doch irgendwie genug von den beiden. So schnell vergesse ich nicht, dass die Narbenfresse der Auslöser für alles war! Auch die Schnöselkinder sind nicht mehr in der Stadt, sondern letztlich nachhause zurückgekehrt. Bah, wie ätzend das war! Tagelang waren die Zeitungen gefüllt von der Rückkehr der beiden vermissten Kotzbrocken. Zu schade, dass ihnen bei der Explosion kein Steinbrocken auf den Kopf gefallen ist … aber ich denke, ohne die beiden hätte ich es nicht geschafft. Also lass ich es ihnen diesmal durchgehen. Und ich? Ach … alles so wie immer. Eine Anya Bauer verändert sich nie. Warum auch? Ich bin perfekt so wie ich bin.   „God dammit!“, fauchte Anya und presste wie wild geworden auf die Knöpfe ihres Controllers ein. Doch der Game Over-Bildschirm huschte bereits über ihren neuen Flachbildfernseher und verkündete ihr, dass sie immer noch nicht geschickt genug war, Rambo VS Terminator auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad durchzuspielen. „Anya! Beeil' dich, wir müssen los!“, drang es von ihrer Mutter dumpf durch die Tür. Frustriert warf das Mädchen den Controller in die Ecke und sprang auf, schritt gemächlich zu ihrem Schreibtisch. Sie griff nach ihrem Deck und schob es in den Gürtel an ihrer Jeans. Ihr Blick gewann einen gewissen Zorn. Sie waren weg. Das Deck samt der Duel Disk, die sie von Marc bekommen hatte, Isfanels letzte Überreste. Eines Tages hatten sie einfach nicht mehr in ihrer Schublade gelegen. Zunächst hatte Anya Nick verdächtigt, sie gestohlen zu haben, aber die Schublade war abgeschlossen und niemand außer ihr kannte das Versteck des Schlüssels. Abby hatte gemeint, dass Deck und Duel Disk vermutlich verschwunden waren, weil Isfanel nicht mehr existierte, aber Anya war sich da nicht so sicher. Denn wenn dem so wäre, müssten sie doch in dem Moment verschwunden sein, als Isfanel gestorben war. Stattdessen sind sie erst wesentlich später nicht mehr da gewesen. Und jemand war an ihrer Schublade gewesen, das wusste Anya. Denn in derselbigen hatte auch der Abschiedsbrief gelegen, den sie kurz vor Erscheinen des Turms geschrieben hatte. Jenen fand sie am selben Tag, an dem die Duel Disk verschwunden war, zerrissen in ihrem Papierkorb – nur, dass sie diesen Brief seither nicht angerührt hatte! Jedoch hatte sie im Endeffekt nie herausfinden können, wer dafür verantwortlich war. Aber sollte sie eines Tages auf das Celestial Gear-Deck stoßen, würde sie ihre Antwort finden. Und Anya hatte alle Zeit der Welt dafür!   „Nun mach schon“, drängte ihre Mutter von unterhalb der Treppe. Das Mädchen stampfte eilig ebenjene hinunter und zog sich dabei ihre schwarze Lederjacke über, während Sheryl sie mit taxierendem Blick in Empfang nahm. „So willst du zum Abschlussball? Anya, das geht nicht!“ „Klar geht das“, widersprach Anya und zischte an ihrer Mutter vorbei zur Haustür. Sie drehte sich um und grinste verschlagen. „Das Thema des Abschlussballs ist 'Freedom'. Bedank' dich bei Redfield, die hat das vorgeschlagen!“ Die dunkelblonde Frau im Fellmantel fasste sich an die Stirn und schüttelte den Kopf. „Teenager …“ „Mum, ich bin 20!“ „Schon gut, du hast recht.“ Die Mimik der Frau hellte sich auf. „Heute ist dein großer Tag.“ Anya nickte heftig. „Ganz genau. Mum, darf ich fahren?“ „Nein!“ „Wieso nicht!?“ „Dein Fahrstil ist … radikal und gefährlich! Es ist ein Wunder, dass du den Führerschein überhaupt besitzt, nachdem du Fahrlehrer plus Prüfer gleichermaßen erpresst hast!“ Und es war ein Wunder, so dachte sich Sheryl, dass sie jahrelang hatte verhindern können, dass Anya sich überhaupt um einen Führerschein kümmerte. Leider hatte diese sich das am Jahresanfang in den Kopf gesetzt und letztlich auch durchgezogen. Keck grinste das Mädchen sie an und riss die Tür auf. „Wieso, hat doch funktioniert!“ „Deswegen fahre trotzdem ich!“, entschied Sheryl und stampfte an Anya vorbei, die laut aufstöhnte und ihr zum neuen, roten Sportwagen folgte, der vor der Garage der Familie Bauer stand. Allerdings war Anya ihrer Mutter nicht wirklich böse. Das Wichtigste war, dass sie noch lebte, nachdem Anya schon glaubte, sie verloren zu haben, als der Turm damals erschienen war.   ~-~-~   Nachdem Sheryl den Wagen vor der Villa der Familie Redfield geparkt hatte, sah sie auf ihre Armbanduhr. „Um 18 Uhr soll es anfangen? Dann sind wir ja pünktlich auf die Minute.“ „Tch. Eigentlich wollte ich gar nicht kommen …“ Anya sah wütend aus dem Fenster des Wagens und nahm das Gebäude samt prächtigem Garten ins Visier, das sich vor ihnen erstreckte.   Da die Livington High nicht länger als Austragungsort benutzt werden konnte, hatte das Komitee sich dazu entschieden, stattdessen Valeries Vorschlag anzunehmen und die Feier bei ihr auszurichten. Anya hätte sich keinen schlimmeren Ort dafür vorstellen können als dieses pseudo-Weiße Haus. Es war ätzend gewesen, für den Rest des Schuljahres in den nächstgelegenen Ort fahren zu müssen, um dort zur Schule zu gehen. Aber die Bauarbeiten für eine neue Schule am Stadtrand hatten noch nicht einmal begonnen. Aber Anya hatte es ohnehin hinter sich. Nur noch heute und sie würde nie wieder die Schulbank drücken müssen! Ihr Blick verdüsterte sich bei dem Gedanken. Denn das bedeutete auch, dass … sie bald niemanden der anderen mehr sehen können würde. Abby hatte ein Stipendium für die Oxford-Universität erhalten und würde demnach bald nach England ziehen. Ähnlich ging es auch Valerie und Marc. Die beiden würden irgendwo in Florida studieren, natürlich auch mit Stipendien. Anya ärgerte es zutiefst, dass jene neuerdings wie Werbegeschenke verteilt wurden. Und da spielte gewiss kein Neid mit, weil ihre Noten gerade mal gut genug für ein Abgangszeugnis waren! Deren Verleihung war bereits letzte Woche gewesen, heute ging es nur um die Feierlichkeiten. Aber Anya war nicht in Stimmung dazu. Alle würden ihren Weg gehen und Livington verlassen, nur sie nicht. Dass Nick ebenfalls bleiben würde, tröstete sie nur wenig.   „Okay, bringen wir es hinter uns“, brummte sie und stieg schließlich aus dem Wagen. „Es gibt da sowieso noch was, was ich regeln muss!“   ~-~-~   Kaum hatte Mr. Redfield die beiden Bauerdamen empfangen, sah Anya sich im mit dunklem Palisanderholz verkleideten Flur nach dem Weg zum Wohnzimmer um. Von dort drang bereits laute Musik zu ihnen – dummerweise mal wieder kein finnischer Death Metal, sondern irgendwelches Pop-Gewäsch. Während ihre Mutter sich den sündhaft teuren Fellmantel von Mr. Redfield abnehmen ließ, lauschte Anya mit gespitzten Ohren dem Gespräch, das die beiden führten. „Mrs. Bauer, Sie sehen hervorragend aus“, lobte der an den Schläfen bereits ergraute, schwarzhaarige Gastgeber. „Ganz bezaubernd. Valerie sollte sich in Acht nehmen. Nicht, dass Sie am Ende noch zur Ballkönigin ernannt werden.“ Sheryl lachte herzhaft und machte einen Knicks vor ihm in ihrem roten Abendkleid. „Sie alter Charmeur. Aber trotzdem danke.“ Sofort schob sich Anya, bei der bereits alle Alarmsirenen schrillten, zwischen die beiden und packte ihre Mutter am Handgelenk. „Sorry, Mr. Redfield, aber Mum ist bereits vergeben!“ „An wen?“, verlangte Sheryl zu wissen und wehrte sich dagegen, von Anya weg gezerrt zu werden. „An mich, wenn's sein muss!“ „Anya Bauer, ist es zu viel verlangt, mich einmal nicht zu blamieren in aller Öffentlichkeit!?“   Als Anya darauf etwas sehr Unfreundliches antworten wollte, erklang hinter ihr wildes Gekicher. Das Mädchen drehte ihren Kopf mit einem Ruck zur Seite und nahm die Ursache ins Visier: der schlaksige Ernie Winter und die blondgelockte Willow Taub hatten alles mit angesehen. Mittlerweile gingen die beiden miteinander, was aber niemanden interessierte – schon gar nicht eine Anya Bauer. „Wollt ihr Ärger!?“, faucht sie und ließ von ihrer Mutter ab, stampfte auf die beiden zu. Sofort schaltete sich Sheryl an. „Anya!“ „Ja, Anya!“, grinste Ernie breit und ließ eine Zahnspange aufblitzen, für die er eigentlich schon viel, viel zu alt war. „Benimm- AHHH!“ „Ernie!“, kreischte Willow und wich zurück. Mit einem Arm hatte Anya ihn am Kragen des Sakkos gepackt und in die Höhe gerissen. Dabei grinste sie diabolisch. „Was denn? Hast du dir Mut angesoffen, oder was? Wenn du spielen möchtest, hättest du das vorher sagen sollen, dann hätte ich Barbie mitgebracht.“ „Anya, lass ihn los!“ Und während Sheryl zu zetern begann, fasste sich Mr. Redfield nur peinlich berührt an die Stirn und lachte bitter beim Gedanken, wie diese Party mit Anya ausgehen würde.   Allerdings wurde der Szene ein jähes, unblutiges Ende bereitet, als Abby dazu kam und Anya kurzerhand in das Wohnzimmer entführte. Das war von nicht zu verachtender Größe, auch wenn es zu einem Partysaal samt Buffet, Stereoanlage und Lounge umgewandelt worden war. Letztere bestand aus einer halbmondförmigen Couch und mehreren Barhöckern, die jeweils zu zweit an einem hohen, kleinen Tisch standen. Letztlich verriet nur der rote Teppich, wozu dieser Raum normalerweise genutzt wurde.   „Anya, keine Szene so früh am Abend!“, klagte Abby empört und schleifte Anya in eine Ecke neben dem Buffet, für das extra arrangiertes Personal zuständig war. Nur die erlesensten Kostbarkeiten wurden angeboten, Kavier, frischer Salat, diverse Fleisch- und Geflügelsorten – alles was das Herz einer Society-Schickse begehrte. Obwohl Anya aus genau diesem Grund nichts davon probieren wollte, lugte sie doch immer wieder mit gierigen Blicken herüber. Und hörte Abby kaum bei ihrer Moralpredigt zu. „… nicht mal ein Kleid hast du angezogen. Anya, das Motto lautete Freiheit, weil wir so frei sein sollten, mal aus unseren Rollen herauszuschlüpfen. Für einen Abend können wir die sein, die wir wollen. Schau, die meisten Jungs tragen Anzüge wie James Bond. Nancy Steward geht glatt als Marylin Monroe durch!“ „Häh?“ Anya drehte sich zu Abby um und blinzelte verdutzt. „Ich dachte, die wäre tot? Also Nancy mein ich, denn ich habe ihr mal-“ Allerdings brach sie ab und machte noch viel größere Augen, als sie sah, wer da vor ihr stand. „Sorry, muss dich verwechselt haben, dachte du wärst Abby.“ „Ich bin Abby!“, klagte jene beleidigt und hielt Anya am Arm fest, ehe die nach dem vermeintlichen Original suchen konnte. Die Blondine lachte höhnisch auf. „Nie im Leben würde meine Abby sich wie eine Märchenprinzessin anziehen! Schau dir doch nur den Glitzerhaarreif und das Kleid an, das würde sie, oh Crap, du -bist- Abby!“ „Ja“, knirschte die schon mit den Zähnen.   Tatsächlich war sie wie ausgewechselt, trug eine dezente, quadratische Brille, ein weißes Ballkleid und sogar gleichfarbige Stiefel. Kurzum: sie war wirklich hübsch, wenn auch etwas blass um die Nase. „N-nettes Outfit. Steht dir“, log Anya, um ihre Freundin nicht noch weiter zu kränken. „Ich hatte keine Ahnung, dass du'n Faible für Cinderella hast.“ „Hab ich auch nicht!“, rümpfte Abby die Nase und verschränkte wütend die Arme. „Das Kleid habe ich mal in einem Theaterstück gesehen und wollte es schon immer mal tragen. Und lieber das hier, als gar nichts! Meine Mum wollte nämlich, dass ich nackt hierher komme, um gegen Kinderarbeit in-“   „Getränke?“ Die beiden drehten sich um, als Marc ihnen jeweils ein Sektglas reichte. Auch er war für die Abschlussfeier herausgeputzt wie ein Filmdarsteller. Sein schwarzer Anzug, die Krawatte, alles saß straff und betonte sein breites Kreuz. Während Abby ihm dankend das Glas abnahm, riss Anya es ihm förmlich aus der Hand und leerte es in einem Schluck, ehe sie es am Rand des Buffets abstellte. „Butcher, das Thema heißt Freiheit! Wo ist deine verdammte Football-Uniform!?“ Sich an der Wange kratzend, lachte Marc auf. „Valerie hat mir verboten, in was anderem als einem Anzug zu kommen. Ich hasse dieses Teil, ich komme mir vor wie in einem Sarg.“ „Na mit Särgen kennst du dich ja aus“, gab Anya gallig zum Besten und stampfte an beiden vorbei, völlig ignorant gegenüber der Tatsache, wie pietätlos ihre Aussage war. Aber Marc nahm es scheinbar gelassen und vertiefte sich in ein Gespräch mit Abby.   „Kann mal jemand ordentliche Musik spielen!?“, schrie Anya in der Mitte des Raumes und erregte damit die Aufmerksamkeit der überall um sie herum tummelnden Gäste. „Oder wenigstens die Lautstärke hochdrehen? Scheiße, das ist ja ein verdammter Kindergeburtstag hier! Und wo ist der Alkohol, ihr könnt mir doch nicht erzählen, dass-“ „Na, haben wir Spaß?“ Anya wirbelte herum und verengte ihre Augen derart zu Schlitzen, dass nicht einmal mehr eine Rasierklinge zwischen die Lider passte. „Nein, spätestens jetzt nicht mehr, Redfield.“ „Ich habe auch einen Vornamen, Anya“, belehrte die Gastgeberin die Blondine unterkühlt, „und wenn dir die Feier nicht gefällt, kannst du gerne gehen.“ „Das hättest du wohl gern!“ „Man wird doch wohl noch träumen dürfen?“ „Wie siehst du überhaupt aus, Redfield!? Willst du dich beim Playboy bewerben!?“ Damit spielte sie auf Valeries enge Hotpants, das knappe, weiße Tanktop und den Cowboyhut an, den das Mädchen auf ihrem offenen, langen schwarzen Haar trug. „Die zahlen zu wenig“, kommentierte Valerie das mit einem verschmitzten Grinsen. „Du dachtest wohl, ich würde im Ballkleid kommen, wie alle anderen? Anfangs wollte ich mich als du verkleiden, aber da ich dich unmöglich deiner Existenzgrundlage berauben kann, habe ich mir etwas anderes überlegt. Daher dieses Outfit.“ Anyas Augen drohten aus ihren Höhlen zu schießen wie Gewehrkugeln. Sie beugte sich vor die etwas größere Valerie und fletschte mit den Zähnen. „Willst du mich ärgern, Redfield!?“ „Natürlich. Sonst wäre die Party doch nur halb so spaßig“, gab jene offen zu und legte ihre Stirn an die von Anya. „Du weißt, ich muss doch immer im Mittelpunkt stehen!“ „Na wie praktisch, Redfield, denn der hat sich gerade zum Friedhof verlagert! Und wo steht man schon mehr im Mittelpunkt als auf der eigenen Beerdigung!?“ Vor Wut flog bei Anya schon der Speichel durch die Luft. Die anderen Partygäste, selbst die geladenen Lehrer, lachten herzhaft über den Zickenkrieg der beiden. Abby stand am Rand und kam nicht umher, peinlich berührt den Kopf zu schütteln. „Die scheinen das ja richtig zu genießen …“ Marc neben ihr lachte. „Ich wette, Valerie hat sich den ganzen Abend darauf gefreut.“ „Ich bin ein Indianer!“, gluckste Nick und drängte sich mit nacktem Oberkörper, Kriegsbemalung und Federhaube zwischen die beiden. „Nein, bist du nicht“, murmelte Abby und warf ihm einen giftigen Blick zu. „Du bist mein Prom-Date, also benimm' dich entsprechend!“ „Aber nur, weil alle anderen dich nicht wollten, hehe.“ „Anya“, schrie Abby durch den Saal, „verprügelst du bitte Nick für mich!?“ Doch die hörte gar nicht zu, sondern lieferte sich mit Valerie ein Wortgefecht, welches sie unmöglich gewinnen konnte.   „Haha, die sind echt eine dolle Gruppe“, lachte jemand bärbeißig an einem der Tische und nahm einen Schluck aus seinem Sektglas. Der Mann im orangefarbenen Poncho leerte es und seufzte glücklich. „Wie schön, dass alles ein gutes Ende genommen hat.“ „In der Tat“, erwiderte sein Gegenüber mit britischem Akzent, doch sein desinteressierter Tonfall strafte seiner Worte Lügen. „Ich hatte nicht erwartet, dass alles so glimpflich ausgeht für sie.“ „Du weißt, Strife“, erwiderte Drazen und beugte sich näher zu seinem Gesprächspartner, „dass es im Endeffekt alles auf deine Kappe geht. Was hättest du getan, wenn Eden geöffnet worden wäre?“ Der rothaarige Brite im schwarzen Anzug hatte ein Bein übers Knie geschlagen und verfolgte die Streitereien der Fünfergruppe gelangweilt. Aus den Augenwinkeln starrte er herüber zu dem alten Mann, der sein weißes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte. Es war ein abfälliger Blick, gleichgültig. „Die Frage ist: was hättest du getan? Freund?“ „Du weißt, warum entschieden wurde, dass das Tor verschlossen bleibt, nachdem wir diese Welt verlassen hatten.“ „Was dein Volk beschließt ist seine Sache, nicht meine. Ich bin nicht daran gebunden, auf euch zu hören. Und auch niemand sonst.“ Drazen kniff die Augen hinter seiner kreisrunden Brille eng zusammen. „Aber etwas Vernunft schadet niemandem. Ich weiß genau, was du vorhattest. Freund.“ „Du weißt gar nichts.“ Der Sammler nahm das eigene Sektglas vom Tisch und betrachtete darin sein Spiegelbild. „Das war nichts weiter als ein Spiel für mich. Irgendwie unterhaltsam, aber letztlich nichts weiter als ein Zeitvertreib. Wer so alt ist wie wir, weiß jedes bisschen Abwechslung zu schätzen.“ Daraufhin lachte Drazen laut auf und schlug gut gelaunt mit der Faust auf den Tisch. „Haha, da sagst du was!“ Plötzlich beugte er sich noch weiter vor und nahm den Rothaarigen mit ernstem Blick ins Visier. „Aber dabei sollte man es auch belassen.“ „Natürlich“, erwiderte ihm jener hochnäsig und nahm einen Schluck aus dem Glas. „Oder was meinst du, Orion?“ Der kleine Schattengeist lehnte am Stuhlbein von Strifes Sitzgelegenheit und gaffte mit sabberndem Maul zu Valerie herüber, die Anya zur Weißglut trieb. „Hotpants!“ „Haha, er weiß die Vorzüge einer Frau wirklich zu schätzen!“ Drazen grinste. „Aber bei einem so drallen Weib wäre alles andere auch eine Todsünde! Hey, Strife, warum suchst du dir nicht eine Freundin als Zeitvertreib?“ Der Sammler verschütte fast sein Glas, als er einen heftigen Schlag auf den Rücken bekam. Pikiert erwiderte er daraufhin: „Ich denke, das ist meine Angelegenheit.“ „Langweiler.“ Seufzend ließ Drazen den Kopf hängen und schwenkte das leere Glas in seiner Hand hin und her. „Aber es ist zum Heulen. Selbst wenn ich wollte, könnte ich jetzt nicht mehr nachhause.“ „Warum solltest du zurück wollen?“ Der Sammler sah nachforschend zu seinem Freund herüber. „Jener Ort wurde von der Zeit vergessen, die ihr selbst angehalten habt. Außerdem gehörst du in diese Welt. Du weißt warum.“ Ächzend legte der Weißhaarige sein Kinn auf die Handflächen und schmollte weiter. „Trotzdem gefällt mir der Gedanke nicht. Es ist nie gut, nicht mehr zurück nachhause zu können.“ Strifes Blick fiel bei diesen Worten auf Orion, der begeistert nach einem Stripduell zwischen Anya und Valerie verlangte. „... in der Tat.“   Und während die beiden von niemandem sonst überhaupt wahrgenommen wurden, stritt sich die illustre Runde um Anya, Abby, Nick, Marc und Valerie munter weiter. „Anya, hast du überhaupt eine andere Jacke außer diese?“, stichelte Valerie und deutete auf die Lederjacke, die Anya nicht im Traum gedachte, an irgendjemanden aus diesem Haushalt bei der Garderobe abzugeben. „Ich glaube nicht. Wenn ich mal mit ihr einkaufen gehe, nörgelt sie immer an allem 'rum“, klagte Abby. „Auf welcher Seite bist du eigentlich, Masters!?“ „Auf der des guten Geschmacks. Sieh den Tatsachen ins Auge, Anya, wir sind Todfeinde.“ „Das hätte von mir stammen können!“, kicherte Valerie ausgelassen und schlug mit Abby freudestrahlend ab. Nun waren Anyas Augen wirklich bedrohlich nahe daran, ihr Zuhause zu verlieren. Etwa so weit, wie zwei junge Frauen ihr Leben. „Ich werde euch-!“   Allerdings wurde Anya in ihrem Unterfangen, Abbys Hals um ein paar Blessuren zu verschönern, unterbrochen, als der rundliche Mr. Bitterfield in Begleitung von Mr. Redfield das Wohnzimmer betrat und sich räusperte. Letzterer hielt eine große Pappschachtel in den Händen. „Ich habe gerade die Gästeliste überprüft und durfte feststellen, dass alle gekommen sind. Wie schön. Ich hoffe, ihr genießt diese Feier, die nur dank unseres lieben Bürgermeisters hier im schönen Livington stattfinden kann.“ Viele der Schüler und Lehrer klatschten aufgeregt in die Hände. „Natürlich“, sprach der Direktor hochoffiziell weiter, „darf bei einem Abschlussball auch die Wahl der Ballkönigin nicht außer Acht gelassen werden.“ Das Geklatsche verstummte, stattdessen wurde nun wild gemurmelt. Mr. Redfield schaltete sich nun ein. „Da ja die ursprünglichen Pläne eures Direktors durch die unverhofften Ereignisse von damals komplett über den Haufen geworfen worden sind, hat das Abschlusskomitee sich beraten und ist zu dem Schluss gekommen-“ „Dass Valerie Redfield“, schnitt ihm Mr. Bitterfield da grinsend das Wort ab, „aufgrund ihrer perfekten schulischen Leistungen, ihrer harten Arbeit in Zeiten der Not und ihrem vorbildlichen Verhalten zur Ballkönigin ernannt wird.“ Das Gemurmel verwandelte sich in lauten Jubel, der Valerie galt. Allerdings schien ihr Vater, wie auch sie selbst, gar nicht damit gerechnet zu haben. „Direktor, wir hatten doch vereinbart-“ Jedoch winkte Mr. Bitterfield ab und zwinkerte seinem alten Freund zu. „Das geht schon in Ordnung so.“   Gleichzeitig wurde Valerie von ihren Mitschülern regelrecht belagert. Unsicher, wie sie mit der Situation umgehen sollte, hob sie die Arme auf Brusthöhe. „D-danke für eure Glückwünsche, aber-“ Doch Ernie Winter, Lily McDonald, Willow Taub und all die anderen ließen nicht von ihr ab. Nur eine war alles andere als begeistert von der Vorstellung, dass auf Valerie Redfield Haupt gleich die silberne Krone liegen würde, die Mr. Bitterfield aus der Schachtel des verdutzten Mr. Redfields hervor holte. „Beiseite, Kinder. Ich möchte unsere Ballkönigin krönen“, gluckste der rundliche Mann dabei vergnügt und versuchte sich an den Schülern vorbei zu zwängen, die sich um Valerie tummelten. Jedoch stellte sich ihm die Eine, die das niemals zulassen würde, augenblicklich in den Weg.   „Ich glaub, es hackt wohl!?“, herrschte Anya ihren Direktor an, der ihr gerade einmal bis zum Kinn ging. „Das ist Betrug! Redfield selbst ist im Abschlusskomitee!“ Der Mann mit der Halbglatze kniff böse die Augen zusammen. „Aus dem Weg, Mrs. Bauer.“ „Anya, lass es!“, rügte Abby ihre Freundin von der Seite und zerrte an ihrem Arm, doch die Blondine rührte sich keinen Millimeter von der Stelle. „Habt ihr die Krone einfach so zugeschoben, was!?“, raunte diese jedoch weiter und stampfte wütend auf. „Aber nicht mit mir! ICH habe genauso ein Recht auf dieses beschissene Teil!“ „Du interessiert dich doch gar nicht für sowas!“, platzte es aus Abby heraus. Anya rückte ihren Kopf so schnell zur Seite, dass ihr Gegenüber vor Schreck quietschte. Vornehmlich deshalb, weil der Gesichtsausdruck des Mädchens finsterer als die Nacht war. „Jetzt schon, Masters!“ Sich wieder an Mr. Bitterfield richtend, stemmte Anya die Hände in die Hüften. „Ich verlange ein faires Auswahlsystem! Jetzt!“ Valerie trat plötzlich an Anyas Seite. „Ich auch! Was denkt ihr euch dabei, einfach über meinen Kopf hinweg zu entscheiden?“ Ihr Vater stellte sich neben Mr. Bitterfield und lächelte vergnügt. „So kenne ich meine Tochter.“ Diese fasste sich stöhnend an den Kopf. „Ich danke euch, dass ihr mich für würdig erachtet. Aber der eigentliche Plan sah vor, dass wir zum Abschluss ein Duel Monsters-Turnier um den Titel des Abschlusspaares veranstalten. Wer die Krone gewinnt, wählt seinen Partner, so hatten wir es vereinbart.“ „Aber, aber … Valerie!“, klagte der Direktor enttäuscht. „Wer hätte es mehr verdient als du?“ „Jemand, der mich schlagen kann“, zwinkerte das Mädchen und stieß dabei Anya mit dem Ellbogen in die Seite. Diese zischte. „Richtig!“ Dann schnappte sie sich den Arm ihrer ewigen Rivalin und zerrte sie Richtung Hinterhof davon, direkt über die Terrasse, die an das Wohnzimmer grenzte. „Mitkommen, Redfield!“   Plötzlich griff sich auch Abby jemanden und zwar niemand Geringeres als Nick. „Wenn das so ist, habe ich eine Chance auf den Titel! Komm!“ Verwirrt stolperte der hoch gewachsene, halbnackte junge Mann an den anderen vorbei, wehrte sich jedoch nicht. „Was soll das?“ Aus den Augenwinkeln warf Abby ihm einen eisigen Blick zu, als sie ihn durch den Flur führte. „Jetzt gibt es 'ne Revanche für damals auf dem Spielplatz! Und gib alles, was du hast! Nochmal lasse ich dich nicht absichtlich verlieren!“ Woraufhin ihr Freund kurz mit dem Mundwinkel zuckte. Sie hatte es also herausgefunden. „Wie du willst. Dann auf dem Dachboden, wo uns keiner sieht!“   „Das gibt’s doch nicht!“, beklagte sich Mr. Bitterfield mit der Krone in der Hand, als sich nach und nach alle Schüler ihre gewählten Gegner schnappten und sich im Haus und auf dem Grundstück der Redfields zu verteilen begannen. Beruhigend legte Mr. Redfield ihm eine Hand auf die Schulter. „Ihre Geste war gut gemeint, aber ich stimme Valerie zu. Wir hatten ausgemacht, die Schüler für das verhunzte Tag Turnier zu entschädigen.“ Der Direktor seufzte. „Wenn es sein muss …“ „Ja, muss es.“ Überrascht schauten die beiden auf. Marc stand vor ihnen und legte sich seine Duel Disk an. Dabei lächelte er glücklich. „Das ist meine Chance, meinen Ruf endgültig reinzuwaschen. Mal sehen, wer mutig genug ist, sich mit mir anzulegen! Danke für ihr Verständnis, Mr. Bitterfield!“ Schon rauschte er an den beiden vorbei, auf der Suche nach einem geeigneten Gegner. „Diese Jugend“, lachte Mr. Redfield zufrieden, „das Wichtigste ist, sie haben Spaß. Und das wissen sie auch, warum sonst haben sie alle ihre Duel Disks mitgebracht? Im Grunde kämpft niemand um eine bedeutungslose Auszeichnung wie diese Krone.“ Jedoch seufzte der Direktor nur, während er das dezente, aber prachtvolle Stück ansah. „Warum muss scheinbar alles in dieser Welt mit einem dämlichen Kartenspiel entschieden werden?“ „Wir beide könnten uns doch auch duellieren“, schlug Valeries Vater glucksend vor. „Das ist nicht witzig!“   ~-~-~   „Das ist es“, murmelte Anya leise. Valeries Augen blitzen auf. „Die Revanche.“ „Mach dich auf was gefasst, Redfield! Die Krone gehört mir!“ „Die Idee mit dem Turnier kommt von mir. Und ich habe den Vorschlag nur gemacht, weil ich wusste, dass es hierauf hinauslaufen würde“, erklärte Valerie herausfordernd. „Nur deswegen, um genau zu sein. Ich will endgültig wissen, wer die Bessere von uns beiden ist.“ Anya rümpfte die Nase. „Das wirst du gleich sehen, Redfield.“ „Allerdings. Aber“, murmelte jene und sah an sich herab, „wieso müssen wir uns ausgerechnet hier duellieren!?“   Die beiden befanden sich nämlich jeweils an einem Ende des großen Pools auf dem Hinterhof der Redfields. Genauer gesagt auf je einem der beiden Sprungbretter der beiden Seiten, die direkt in das kalte, klare Nass führten. Um sie herum fanden noch ein paar andere Duelle statt, doch keines direkt am Swimmingpool. „Ganz einfach“, erklärte Anya dies und hob besserwisserisch den Zeigefinger. „Der Loser wird nicht nur die Krone verlieren, sondern auch ins Wasser springen müssen.“ „Wie albern“, kommentierte Valerie dies gelangweilt. Grinste dann aber doch. „Als ob ich dich nicht durchschauen würde. Du willst den Titel doch nur, damit ich ihn nicht haben kann. Du willst mich nach allen Regeln der Kunst blamieren.“ „Bingo“, zischte Anya und kniff böswillig die Augen zusammen. Valerie tat das Gleiche. „Aber ich sage dir Eines: damit wirst du …“ „Ja?“ „... baden gehen.“ „Was!? Das glaubst doch nur- Ahhh!“ Wütend stampfte Anya auf und sorgte so am Ende fast dafür, dass sie vom schwankenden Sprungbrett ins Wasser fiel. Ihre Gegnerin brach dabei in einem lauten Lachanfall aus. „Das gibt Rache, Redfield!“ „Dann zeig, was du in den letzten Monaten gelernt hast!“   „Duell!“, riefen die beiden jungen Frauen schließlich voller Eifer und ließen ihre Duel Disks ausfahren. Kurz darauf murmelte Anya mit einem verspielten Grinsen: „Also gut, auf geht’s, Partner.“ Dafür erntete sie von den um sie herum duellierenden Schülern verwunderte Blick. Valerie blinzelte verdutzt, da sie keine Ahnung hatte, wen ihre Gegnerin damit meinte.   [Anya: 4000LP / Valerie: 4000LP]   Beide lieferten sich regelrecht einen Wettkampf, wer zuerst sein Startblatt aufgezogen hatte. „Ungeschriebenes Gesetz: ich beginn-“ Valerie zog jedoch blitzschnell ihre sechste Karte nach und lächelte zufrieden, das seltsame Verhalten ihrer Konkurrentin vergessend. „Diesmal nicht, Anya. Ich mache den ersten Zug!“ Umgehend knallte sie ein Monster auf ihre blaue Duel Disk. „Mit diesem gesetzten Monster beende ich meinen Zug!“ Die horizontal liegende Karte tauchte mit dem Rücken nach oben über dem Poolwasser vor Valerie auf. „Mehr nicht?“, raunte Anya beinahe enttäuscht. „Mach es mir nicht zu leicht, Redfield! Draw!“ Die Schwarzhaarige schmunzelte, während Anya nachzog. „Mitnichten …“ Mit nicht weniger Ehrgeiz legte auch jene ihr Monster auf den Apparat an ihrem Arm. „Erscheine, [Gem-Knight Garnet] und greif gleich mal an!“   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   Kaum war der Ritter des Granats in der bronzenen Rüstung erschienen, schleuderte er schon einen Feuerball aus seinen Handflächen auf Valeries gesetzte Karte. Diese schmunzelte wieder. „Immer mit dem Kopf durch die Wand, was? Arme [Gishki Ariel].“ Jene, ein blauhaariges Mädchen in dunkler Priesterrobe, sprang nun aus Valeries Karte hervor und schützte sich mit ihrem Zauberstab vor der Flamme – vergebens. In einer Explosion ging sie unter.   Gishki Ariel [ATK/1000 DEF/1800 (4)]   „Flippeffekt von Ariel aktivieren! Wenn sie aufgedeckt wird, erhalte ich ein Gishki-Monster von meinem Deck. Und dessen Name ist [Gishki Shadow]!“ Kaum war dieser genannt, schnellte aus der Mitte von Valeries Deck eine einzelne Karte hervor, die sie vorzeigte und dann in ihr Blatt nahm. Automatisch wurde ihr Kartenstapel anschließend gemischt. „Schön für dich, Redfield“, giftete Anya und schob dabei eine Falle in den dazugehörigen Slot unter Garnets Karte. „Die da verdeckt. Zug beendet!“ Schon tauchte die gesetzte Karte vor ihren Füßen auf.   Valerie fuhr sich erst lässig durchs Haar und genoss dabei Anyas wütende Blicke, da sie genau wusste, wie sehr diese Geste sie provozierte, ehe sie zog. Sie wollte wissen, ob ihre Gegnerin ihr Temperament mittlerweile so zügeln konnte, dass es ihren Duellfertigkeiten nicht mehr im Weg war. „Ist es auch“, ging sie auf Anyas Satz ein und zückte eine Zauberkarte aus ihrem Blatt. „Denn dadurch kann ich endlich [Gishki Aquamirror] aktivieren. Du dürftest nach all unseren Duellen mittlerweile wissen, was er bewirkt.“ Anya verschränkte missbilligend die Arme. „Eine Ritualbeschwörung …“ In dem Moment tauchte aus dem Wasser des Pools ein in goldener Verzierung eingefasster Spiegel auf und erhob sich daraus bis etwa zur Höhe von Valeries Kopf. „Genau! Und ich opfere dafür [Gishki Shadow]! Damit kann ich nun [Evigishki Levianima] beschwören!“ Valerie legte das blau umrandete Ritualmonster freudestrahlend auf die Duel Disk. Kurz spiegelte sich in dem Objekt ein amphibisches Wesen in Robe wieder, als- „Hey! Das ist Betrug! Dieses Levianidingens ist Stufe 8, dein Opfer nur Stufe 4! Da fehlen noch-“ Doch schon hatte sich Valerie stöhnend die Hand vor den Kopf geschlagen. Anscheinend stand Anyas Temperament ihr immer noch im Weg! Oder eher ihr schlechtes Gedächtnis. „Anya! Wie oft habe ich dir schon erklärt, dass [Gishki Shadow] alle Kosten für die Ritualbeschwörung eines Wasser-Monsters übernimmt!?“ Ihre Gegnerin zuckte provokativ mit den Schultern. „Erinnere mich nicht …“ „Dann merk es dir endlich!“ Das gesagt, zersprang Valeries Spiegel. Und aus dem Wasser entstieg augenblicklich eine amphibische, drachenähnliche Gestalt, die mit einem Schwert bewaffnet war. Die dunkelblaue Haut schimmerte regelrecht, doch wirklich ungewöhnlich waren die blassgrauen Haare und die Kleidung, die dieses Wesen trug – fast, als wäre es einmal ein Mensch gewesen.   Evigishki Levianima [ATK/2700 DEF/1500 (8)]   „Zumindest ist das Ding mal was Neues“, brummte Anya und fixierte das Monster mit zusammengekniffenen Augen. Sollte es ruhig kommen! Valerie indes war bereits dabei, die nächste Zauberkarte in ihre Duel Disk einzulegen. „Ich aktiviere jetzt [Contact With The Aquamirror], was nur geht, wenn ich im Besitz eines Wasser-Monsters bin! Damit kann ich entweder deine verdeckten Karten checken oder die obersten zwei Karten von einem unserer Decks ansehen und neu anordnen, wenn ich möchte.“ Anya wurde hellhörig. „Und was wählst du?“ „Beides …“ „Du hast doch grad gesagt-!“ „... weil ich ein Wasser-Ritualmonster kontrolliere und somit beide Effekte auslösen kann“, beendete Valerie ihren Satz unbekümmert. Schon zog sie zwei Karten, [Salvage] und [Gishki Vision], lächelte wissend und legte sie in verdrehter Reihenfolge auf ihr Deck. Dann zeigte sie auf Anyas gesetzte Karte, die aufsprang und sich als violett umrandete Falle [Justi-Break] entpuppte. „Verstehe. Wie ich mir dachte“, taktierte Valerie zufrieden, „wenn ich ein normales Monster angreife, so wie Garnet eines ist, zerstörst du meine Monster damit. Ich wäre fast drauf hereingefallen. Aber weißt du was?“ Ihre Gegnerin, die langsam Probleme mit der Selbstkontrolle bekam ob der offenkundigen Überlegenheit ihrer Erzrivalin, schnaubte wütend. „Was denn, Redfield!? Dass deine Hupen gemacht sind!? Nichts Neues!“ Valerie lächelte heimtückisch. „Nein. Deine Falle ist nichts, was ein kleiner [Mystical Space Typhoon] nicht in den Griff bekommt! Mein Zauber wird deine Karte einfach zerstören!“ Schon zischte ein Wirbelsturm über das Feld, der Anyas [Justi-Break] mit sich riss, ehe er verschwand. Jene schäumte regelrecht vor Wut. „Du-!“ „Ich? Ich werde dich jetzt angreifen“, gluckste Valerie vergnügt beim Anblick ihrer fuchsteufelswilden Gegnerin, die es nicht ertragen konnte, so leicht durchschaut worden zu sein. „Levianima! Soul Crasher!“ Schon schoss ihr Seeschlangen-Drachen-Hybrid auf Anyas Ritter zu und verpasste ihm einen deftigen Schwerthieb, der ihn dazu brachte, in tausend Stücke zu zerspringen. Dessen Besitzerin schrie vor Wut auf.   [Anya: 4000LP → 3200LP / Valerie: 4000LP]   „Effekt von Levianima!“, rief Valerie da und riss eine Karte von ihrem Deck. „Wenn er angreift, darf ich eine Karte ziehen. Diese zeige ich vor und sollte es dabei ein Gishki-Monster sein, musst du mir eine zufällig gewählte deiner Handkarten zeigen.“ In den Fingern drehte sie die gezogene Karte um und präsentierte [Gishki Vision]. „Tch!“ Mehr brachte Anya nicht hervor, als vor ihr das Abbild der Karte von [Gem-Knight Alexandrite] auftauchte. Das lief alles wie am Schnürchen, dachte Valerie stolz und zog eine weitere Zauberkarte aus ihrem Blatt. „Prima! Dann aktiviere ich jetzt [D.D. Designator]. Ich sage, dass sich [Gem-Knight Alexandrite] auf deiner Hand befindet.“ Erschrocken stellte Anya fest, dass ihrer Gegnerin auf einmal alle Handkarten von ihr gezeigt wurden. Und da sie den Effekt jener Zauberkarte schon einmal am eigenen Leib erlebt hatte, überraschte es sie nicht mehr, dass Alexandrite aus der Aufzählung verschwand. Er wurde einfach von der Hand verbannt. „Mieses Stück“, brummte Anya und schob ihren Ritter in die hintere Hosentasche, „dafür wirst du zahlen.“ „Ich warte“, lächelte Valerie etwas überheblicher, als sie es eigentlich beabsichtigt hatte. „Dein Zug, Anya“, gab sie den ihren mit zwei verbliebenen Handkarten und ihrem Ritualmonster ab, während ihre Gegnerin drei Handkarten und kein Feld besaß.   Was sich schleunigst ändern sollte, schwor Anya sich, als sie ausholend zog. „Draw!“ „Jetzt wirst du dein blaues Wunder erleben, Redfield“, schrie sie förmlich. Sie griff nach ihrem Friedhof und holte Garnets Karte von dort hervor, hielt sie zusammen mit zwei Zauberkarten und [Gem-Knight Lazuli] in die Höhe. „Ich aktiviere erst [Silent Doom], um ein normales Monster wie [Gem-Knight Garnet] vom Friedhof in Verteidigung zu reanimieren!“ „Eine Fusion …“, schloss Valerie bereits mit Blick auf die anderen Karten. „Verdammt richtig! Ich verschmelze ihn gleich darauf mit [Gem-Knight Lazuli] dank meiner Lieblingskarte [Gem-Knight Fusion]! Garnet, du bist das Herz, [Gem-Knight Lazuli], du die Rüstung! Vereint euch!“ Gerade erst war ihr Ritter vor dem Mädchen erschienen, da wurde er auch schon in einen Wirbel aus Edelsteinen über Anya gezogen, zusammen mit einer weiblichen Ritterin. Ein Blitz schoss daraus hervor, welchem ein edler Krieger in roter Rüstung folgte. „Erscheine, [Gem-Knight Ruby]!“, donnerte Anya und legte dessen Karte auf die Duel Disk. Über dem Wasser schwebend, bezog der Ritter mit wehendem, blauem Umhang und gezückter Lanze Stellung.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)]   „Aber das ist nicht alles!“, erklärte Anya weiter mit ihrem lauten Organ und zückte Garnets Karte abermals vom Friedhof. „Wenn Lazuli durch einen Karteneffekt, sagen wir zum Beispiel eine Fusion, auf den Friedhof gelegt wird, erhalte ich von dort ein normales Monster auf die Hand!“ Zwischen Mittel- und Zeigefinger hielt die Blondine die Karte ihres Gem-Knights ganz nah an ihrem Gesicht und warf aus den Augenwinkeln einen Blick darauf. Grinsend ließ sie die Hand aber sinken und steckte den Ritter zu ihrer anderen Handkarte. Letztere zückte sie stattdessen und legte sie in die Duel Disk ein. „Pass schön auf, Redfield! Ich aktiviere [Fusion Weapon]! Damit rüste ich ein Fusionsmonster der Stufe 6 oder weniger aus und erhöhe seine Werte um 1500!“ Valerie weitete die Augen vor Schreck. Sie hatte damit gerechnet, dass Anya ihren Krieger stärken würde – aber so sehr!? An einem von dessen Armen erschien ein Elektroschocker.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 → 4000 DEF/1300 → 2800 (6)]   „Don't fuck with me, Redfield!“, tönte Anya und schwang den Arm aus. „Los, Ruby! Attackiere diesen Nessie-Verschnitt! Sparkling Lance Thrust!“ Ihr Krieger ließ dessen Lanze erst etwas über sein Haupt wirbeln, ehe er sie ausholend auf Valeries Levianima warf. Dieser wurde in der Brust getroffen und explodierte umgehend.   [Anya: 3200LP / Valerie: 4000LP → 2700LP]   Als der Rauch sich verzog, befand sich die Lanze bereits wieder auf mirakulöse Weise in Rubys Besitz. Valerie blinzelte verblüfft. „Nicht schlecht, Anya.“ „Tch, spar' dir das! Ich setze ein Monster zu meinem Schutz in den Verteidigungsmodus und beende diesen Zug! Das war erst der Anfang, Redfield!“ Neben [Gem-Knight Ruby] tauchte die gesetzte Karte auf. Damit besaß Anya nun keine Handkarten mehr.   Während Valerie irritiert zog, grübelte sie über Anyas ungewohntes Verhalten. Denn die gesetzte Karte dort war eindeutig [Gem-Knight Garnet], welcher 0 Verteidigungspunkte besaß. Es ergab keinen Sinn, ihn defensiv zu spielen, zumal Anya mit ihm noch mehr Schaden hätte anrichten können! Was sollte das? Hielt sie sich absichtlich zurück? Oder fürchtete sie sich so sehr vor dem Gegenschlag, dass sie in ihm ein Risiko sah? „Du willst es wohl in die Länge ziehen?“, erkannte sie jedoch leise für sich selbst und atmete glücklich auf. „Es noch etwas auskosten, was?“ Wie Anya auf dem Sprungbrett stand, so tapfer und entschlossen zu gewinnen, musste Valerie grinsen. Es war ihr letztes Duell als Schülerinnen der Livington High. Und vielleicht das letzte in einem sehr langen Zeitraum. Wenn sie und Marc erst in Florida studierten, würde es so schnell keine Gelegenheit mehr für ein Duell geben. Natürlich wäre es also schade, wenn dieser Kampf zu schnell vorbei wäre.   „Go, Valerie!“ „Anya, du schaffst das!“ „Wenn Bauer nicht gewinnt, wird sie uns das Fest ruinieren!“ „Valerie hat die Krone verdient, niemand sonst!“ Überrascht sah Valerie sich um und bemerkte, dass all die anderen Duelle um sie herum längst geendet hatten. Stattdessen standen nun scheinbar ausnahmslos alle Schüler und Lehrer, ja selbst ihr Vater, Mrs. Bauer und Mr. Bitterfield um den Pool und wohnten gespannt ihrem Duell bei. Abby, die sich offensichtlich nicht entscheiden konnte, wen sie anfeuern sollte. Nick, der das Mädchen dabei komischerweise stolz ansah. Und Marc, der ihr, als er ihren Blick bemerkte, den Daumen nach oben zeigte. Auf irgendeine Art und Weise schienen sie sich alle darauf geeinigt zu haben, dass die Ballkönigin nur in diesem einen Kampf gewählt werden konnte. Warum? Lily, Willow, Ernie. Sie alle schienen damit einverstanden, dass entweder sie oder Anya die Krone am Ende tragen würde. Was Valerie nur noch mehr anspornte.   „Dann werden wir ihnen eine Show liefern, die sie nie vergessen werden“, sprach Valerie wieder zu sich und schob dabei eine ihrer Monsterkarten in den Friedhofsschlitz. „Effekt von [Gishki Vision]! Ich werfe es ab, und erhalte dafür ein Gishki-Ritualmonster von meinem Deck.“ Stolz zeigte sie [Gishki Zielgigas] anschließend vor – ihre mächtigste Kreatur! Aber selbst sie war zu schwach, es mit Ruby aufzunehmen. Zwar wäre [Evigishki Soul Ogre] die bessere Wahl gewesen, doch den hatte sie kurzfristig für Levianima ausgewechselt, um die Spielstärke von Letzterem zu erproben – ein Fehler, wie sie jetzt zugeben musste. „Ich aktiviere anschließend den Zauber [Salvage], mit dem ich zwei Wasser-Monster von meinem Friedhof mit maximal 1500 Angriffspunkten zurückerhalte!“ Das gesagt, schnappte sie sich [Gishki Shadow] und [Gishki Vision] und zeigte sie ebenfalls vor. Damit könnte sie Zielgigas nun jederzeit beschwören. Aber etwas hielt sie davon ab. Denn auch wenn dieses Monster einen mächtigen Effekt besaß, der besagte, dass sie einmal pro Zug für 1000 Lebenspunkte eine Karte ziehen und – sofern die gezogene Karte ein Gishki-Monster war – eine Karte auf dem Feld ins Deck zurückschicken würde, konnte sie sich nicht darauf verlassen. Was, wenn sie etwas Falsches zog? Dann wäre sie Anya ausgeliefert. Und es war auch nicht ihr Stil, sich auf das Glück zu verlassen, wenn es auch Alternativen gab. Sich mit dem Schicksal anlegen war eher Anyas Fachgebiet. „Sorry Zielgigas, ich habe es mir anders überlegt, nicht heute“, murmelte sie und zückte eine weitere Zauberkarte. „Ich aktiviere [Moray Of Greed]! Ich mische zwei Wasser-Monster von meinem Blatt in mein Deck zurück und ziehe drei Karten!“ Mal sehen, wie die Antwort ihres Decks aussehen würde! Valerie ließ von ihrer Duel Disk [Gishki Zielgigas] und [Gishki Vision] einziehen, das Deck durchmischen und zog anschließend drei neue Karten, womit sie wieder auf vier kam. Und was sie da sah, entlockte ihr einen freudigen Seufzer. „Perfekt“, richtete sie ihr Wort an Anya. „Das war die richtige Entscheidung!“ „Ach ja? Na dann zeig's mir doch!“, giftete die zurück. „Gerne doch! Wieder eine Zauberkarte, diesmal [Preparation Of Rites], mit der ich eine Ritualzauberkarte von meinem Friedhof und ein Ritualmonster mit maximal Stufe 7 von meinem Deck erhalte!“ Schon zeigte Valerie ihren [Gishki Aquamirror] vom Ablagestapel und, viel wichtiger, [Evigishki Tetrogre] vor. „Und soll ich dir was sagen? Ich führe das Ritual auch gleich durch! Dafür opfere ich [Gishki Shadow], der – wie du jetzt hoffentlich weißt – sämtliche Kosten trägt! Erscheine aus dem ewigen Strudel, [Evigishki Tetrogre]!“ Wie schon bei Levianima, tauchte aus dem Pool unter dem Jubel der Zuschauer der Ritualspiegel auf, welcher sogleich zersprang. Anschließend begann sich ein Strudel im Wasser zu bilden, welcher Hort einer reptilienartigen Meereskreatur auf zwei Beinen war, welche nun daraus empor sprang.   Evigishki Tetrogre [ATK/2600 DEF/2100 (6)]   „Da musst du dir schon was Besseres einfallen lassen, Redfield!“, tönte Anya von sich selbst überzeugt. „Darf ich auf das antworten, was du eben zu mir gesagt hast, Anya?“, fragte deren Kontrahentin plötzlich und zeigte eine Ausrüstungszauberkarte vor. Die Blondine blinzelte verdutzt. „Huh?“ „Ich aktiviere [Ritual Weapon] – sie bewirkt dasselbe für Ritualmonster, was deine [Fusion Weapon] für Fusionen bewirkt!“ Am Arm von Valeries Monster tauchte eine goldene Armbrust auf.   Evigishki Tetrogre [ATK/2600 → 4100 DEF/2100 → 3600 (6)]   „Huh!? Ach du-!?“ „Anya“, sagte Valerie mit zufriedener Miene, ehe sie laut ausrief: „Don't fuck with me either! Tetrogre, greife Ruby an! Golden Shot!“ Ehe Anya auch nur reagieren konnte, schoss der Reptilienmann einen Pfeil von der Armbrust, welcher ihren Ritter direkt ins Herz traf. Das Mädchen wich auf dem sehr schmalen Sprungbrett zurück, als dieser in einer Explosion unterging.   [Anya: 3200LP → 3100LP / Valerie: 2700LP]   „Das gibt’s doch nicht!“ Anyas Augen standen sperrangelweit offen. „Mach mich nicht nach, Redfield!“ „Ich mache dich nicht nach“, erwiderte die belustigt und setze nebenbei ihre letzte Handkarte mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck. „Ich bin einfach einen Ticken besser. In dem Fall ganze 100 Punkte sogar.“ „Das glaubst aber auch nur du!“ Während die gesetzte Falle vor Valeries Füßen auftauchte, richtete die wieder ihr Augenmerk auf Anya und zeigte auf [Evigishki Tetrogre]. „Bevor ich meinen Zug beende, werde ich noch den Effekt meines Monsters aktivieren. Ich bestimme einen Kartentyp, von dem wir dann jeweils eine Karte vom Deck auf den Friedhof senden. Du könntest das durch das Abwerfen einer Handkarte natürlich verhindern, aber du hast ja keine. Also sage ich: Monster!“ Denn für das, was Valerie vorschwebte, würde sie jedes mögliche Monster in ihrem Friedhof brauchen! Man wusste schließlich nie, wann man die noch brauchen könnte. Also schickte sie [Gishki Marker] auf den Ablagestapel, während Anya dasselbe mit einem ihrer Monster tat. „Zug beendet!“   „Draw!“, fauchte Anya ihr da schon entgegen, noch bevor sie überhaupt mit den Fingern die oberste Karte ihres Decks berührt hatte. Es musste jetzt etwas Gutes kommen, oder sie war im Eimer! Wie hätte sie auch ahnen können, dass Valerie derart heftig zurückschlagen würde!? Andererseits war das so typisch für sie! Dabei hatte Anya doch eigentlich gehofft, Garnet als Köder zu benutzen, damit ihre Rivalin für einen Angriff offen stehen würde. Stattdessen hatte sie jetzt selbst nichts mehr zum Angreifen! Für einen Moment wünschte sich Anya Levriers Fähigkeit, dem Schicksal eine neue Wendung zu verleihen, zurück. Aber … nein. Hier wäre das einfach fehl am Platz, selbst Anya wusste das. „Ich krieg's auch so hin!“, spornte sie sich dennoch selbst an und zog schließlich. „Lass es bloß was Vernünftiges sein!“ Als sie die Karte in ihrer Hand umdrehte, atmete sie durch. Nicht viel, aber etwas. Eine neue Chance! „Flipp! Ich decke [Gem-Knight Garnet] in den Angriffsmodus auf!“, rief sie und drehte ihr Monster von der verdeckten, horizontalen Lage auf der Duel Disk in die vertikale. Sofort sprang ihr Bronzeritter aus der Karte und bündelte in seiner Hand eine Flamme.   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   Valerie kommentierte dies milde beeindruckt: „Interessant.“ „Ich aktiviere [White Elephant's Gift]!“, erklärte das Mädchen diese Aktion und hielt die Zauberkarte in die Höhe. „Damit opfere ich ein normales Monster, um zwei Karten zu ziehen!“ Ihr Ritter löste sich in weißen Lichtkügelchen auf und hinterließ einen gleichfarbigen, großen Knochen. Als Anya zweimal gezogen hatte, verschwand auch dieser. „Hmm“, brummte das Mädchen ärgerlich. Nicht gerade das, was sie sich erhofft hatte. „Ich setze ein Monster und eine verdeckte Karte. Viel Spaß mit deinem Zug, Redfield!“ Schon tauchten die beiden Karten vor Anya auf.   „Scheinbar reicht dein Glück nicht aus, um das Spiel zu wenden?“ Valerie zuckte seufzend mit den Schultern. „Schade eigentlich, dich so defensiv spielen zu sehen.“ „Machst du dich über mich lustig, Redfield!?“ „Ein bisschen“, antwortete die und zwinkerte verspielt. „Sieh es als Rache für den Beutel Hunde-AA an, den du letzte Woche in unseren Briefkasten gesteckt hast.“ Die umstehenden Schüler lachten heiter, doch Anya protestierte: „Das war ich nicht! Nick war's!“ „Ich hab ihr nur beim Sammeln geholfen!“, verteidigte der sich panisch mit erhobenen Händen. „Sie hat mich gezwungen! Bitte hau mich nicht, Valerie!“ Die lächelte jedoch beschwichtigend. „Keine Sorge. Anya kriegt dafür die Abreibung, die sie verdient hat, nicht du.“ Wieder lachten die Schüler, woraufhin die Verunglimpfte beinahe vor wütendem Herumgefuchtel mit den Händen ins Wasser gefallen wäre. „Das werden wir erst noch sehen, Redfield!“ „Wie oft hast du das jetzt gesagt? Egal … mein Zug, Draw!“, gab Valerie sich bewusst gelangweilt und nahm ihre Karte auf. Strahlend präsentierte sie diese Anya anschließend. „Oh, ich hab gut gezogen! Ich beschwöre [Gishki Beast]! Und wenn es gerufen wird, holt es ein Gishki-Monster mit maximal Stufe 4 aus dem Friedhof aufs Feld! Also erscheint, [Gishki Beast] und [Gishki Shadow]!“ Vor dem Mädchen tauchten eine amphibische Gestalt, halb Seeungeheuer, halb Echse und ein alter Fischmann, gekleidet in einer schwarzen Robe, auf.   Gishki Beast [ATK/1500 DEF/1300 (4)] Gishki Shadow [ATK/1200 DEF/1000 (4)]   „Du weißt doch, was das bedeutet, oder?“, fragte Valerie ihre Gegnerin verspielt. Die stöhnte genervt auf. „Ach geh doch sterben, Redfield!“ „Pardon, heute nicht“, erwiderte die und streckte den Arm in die Höhe. Begeistertes Raunen ging durch die Zuschauermenge, als sie rief: „Ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird nun ein Rang 4-Monster!“ Mitten über dem riesigen Pool tat sich ein schwarzes Loch auf, welches Valeries eben beschworene Monster in zwei blauen Lichtstrahlen absorbierte. „Xyz-Summon! Höre meinen Ruf, oh Wesen aus tausend Legenden! Zeige dich, [Evigishki Merrowgeist]!“ „... und geh anschließend sterben!“, fügte Anya verärgert hinzu, als aus dem Wirbel Valeries Kreatur erschien. Die wunderschöne Meerjungfrau mit dem roten, welligen Haar schwebte wie ein Geist um das Spielfeld und machte vor Valerie schließlich Halt, direkt neben dem Seeungeheuer. In der Hand hielt sie einen mächtigen Zauberstab, um den ihre beiden Xyz-Materialien in Form von zwei Lichtkugeln kreisten.   Evigishki Merrowgeist [ATK/2100 DEF/1600 {4}]   Siegessicher streckte Valerie den Arm aus. Anyas Monster würde wohl kaum genug Verteidigungspunkte haben, um einem Angriff von Merrowgeist zu trotzen. Sie konnte dieses Spiel also noch in diesem Zug gewinnen, vorausgesetzt, Anyas Falle war ein Bluff. Aber das würde sie gleich herausfinden! „[Evigishki Merrowgeist], greife ihr gesetztes Monster auf gut Glück an! Sceptre Of Foresight!“ Ihre Meerjungfrau stieß einen verständigen Laut aus, ehe sie ihr Zepter in die Luft hielt, es dann auf Anyas Monster richtete und daraus eine Salve von riesigen Seifenblasen abschoss. Aus deren gesetzter Karte sprang ein Ritter in saphirblauer Rüstung, welcher mit einem Schwenk seiner Hand einen Eiswall zwischen sich und den Blasen schaffte. Jene zerschellten daran, ohne weiteren Schaden anzurichten. „Da hast du dich wohl verschätzt, Redfield“, flötete Anya und zeigte auf ihren Ritter. „[Gem-Knight Sapphire] hat genauso viele Verteidigungspunkte wie dein Monster Angriffspunkte hat! Sich aufs Glück zu verlassen funktioniert nur bei mir. Sorry, du musst dir was anderes suchen!“   Gem-Knight Sapphire [ATK/0 DEF/2100 (4)]   „Da hast du wohl recht“, stimmte Valerie ihr zu und lachte heiter. Auch nicht schlecht, dachte sie dabei insgeheim zufrieden. Es wäre doch schade, wenn Anya nicht wenigstens eines ihrer wirklich großen Geschütze auspacken würde. Nun hatte sie einen Zug mehr, um das zu bewerkstelligen. „Das reicht aber dennoch nicht, um [Evigishki Tetroge] aufzuhalten! Los, Golden Shot!“ Schon schoss ihr 4100 Punkte starker Amphibienmann einen goldenen Pfeil von der Armbrust ab, der sich durch den Eiswall direkt in Sapphires Brustmitte bohrte. Dieser zerplatzte mit einem lauten Schrei. „Tch!“ „Bevor ich meinen Zug beende“, erklärte Valerie, „nutze ich den Effekt von Tetrogre erneut, und lasse uns beide ein Monster vom Deck auf den Friedhof schicken.“ So geschah es, dass sie sich von [Gishki Vanity] trennte, wohingegen Anya auf [Gem-Knight Crystal] verzichtete, welchen sie nur ungern aufziehen wollte. „Das wäre alles“, meinte die Schwarzhaarige abschließend ohne weiteren Handkarten. Aber sie hatte zwei Monster, die Anya das Leben zur Hölle machen würden. Mehr brauchte sie nicht.   Indes brauchte Anya dringend etwas. Ein Wunder zum Beispiel. „So schnell geb' ich nicht auf“, raunte sie mürrisch, „Draw!“ Kaum hatte sie ihre Karte gezogen, betrachtete sie diese und kniff kurz darauf wütend die Augen zusammen. „In einer Situation wie dieser ziehe ich das!?“ Mit 'das' meinte sie [Gem-Knight Emerald]. „Hat das Glück dich verlassen?“, stichelte Valerie amüsiert unter dem Gekicher einiger Zuschauer. Und erntete dafür eine doppelte Dosis von Anyas Mittelfingern, nachdem diese ihr Monster auf die Duel Disk geknallt hatte. „Davon träumst du!“ Schon tauchte der in eine blassgrüne Rüstung gekleidete Ritter des Smaragds vor ihr auf und hob den Rundschild an seinem Arm.   Gem-Knight Emerald [ATK/1800 DEF/800 (4)]   „Ich habe gewonnen, Redfield“, erklärte Anya plötzlich mit einem geheimnisvollen Lächeln und schwang den Arm aus. „Falle aktivieren! [Fragment Fusion]!“ Überrascht sah Valerie zu, wie die Karte vor ihrer Gegnerin aufklappte. Jene erklärte: „Mit [Fragment Fusion] verbanne ich Fusionsmaterialien einer Gem-Knight-Fusion und rufe dieses Monster dann aufs Feld. Allerdings stirbt es in der End Phase wieder!“ Überall um Anya herum erschienen die verschiedensten Edelsteine. Aus jedem von ihnen schossen dutzende Lichtstrahlen, die ihn mit den übrigen verbanden. Wie ein Spiegel brach das Lichtgebilde plötzlich in sich zusammen und gab ein Schwert preis, welches vor Anya in der Luft schwebte. Diese hielt drei Monster in der Hand. „Indem ich [Gem-Knight Garnet], [Gem-Knight Lazuli] und [Gem-Knight Sapphire] verbanne, lasse ich -ihn- erscheinen!“ Die sieben regenbogenfarbenen Edelsteine in der Klinge leuchteten auf. „Drei Lichter kreuzen den Weg des Lichts! Körper, Seele und Herz verschmelzen und werden zu der Macht, die in ihrer Reinheit einem Diamanten gleicht!“ Anya stieß den Arm mit den Monstern in der Hand weit in die Luft. „Werdet eins! Werdet [Gem-Knight Master Diamond]!“ Und schon ging ein wirbelnder Sturm aus funkelnden Partikeln um das Spielfeld und formte sich vor dem Schwert zu einem Krieger in silberner Rüstung und wehendem, rotem Umhang, welcher stolz die Klinge an sich nahm. Gleichzeitig ging Anyas rechte Hand in einer violetten Flamme auf.   Gem-Knight Master Diamond [ATK/2900 DEF/2500 (9)]   „Ah, was ist das für ein Monster!?“ „Cool!“ „Wieso brennt ihre Hand auf einmal!? Ist das irgendein Trick?“ Die Blondine warf mit zusammengekniffenen Augen einen Blick in die Menge ihrer Mitschüler, die alle entweder sie oder ihren Ritter verwundert angafften. „Das ist nicht gut“, murrte sie leise, „mir ist heute nicht danach, Redfield zu massakrieren. Was meinst du?“ Sie richtete den Blick dabei auf ihre Duel Disk. „Wenn's sein muss …“ Schon verpuffte die violette Flamme an ihrer Hand.   „Mit wem redet sie da?“, fragte Abby irritiert Nick, der zusammen mit ihr in einer der hinteren Reihen stand. „Mit Diamond, wem sonst?“ Nick seufzte schwer und zuckte mit den Schultern. „Schon vergessen? Das ist das Monster, das sie sich vom Jinn gewünscht hat. Es hat besondere Kräfte, fast, als wäre es eine Verkörperung ihres Willens. Er kann realen Schaden anrichten, aber das wäre hier keine gute Idee.“ „Natürlich, das weiß ich.“ Abby drehte sich zu ihm um und sah ihn skeptisch an. „Aber wieso spricht sie dann mit ihrer Duel Disk?“ „Vielleicht“, begann Nick, brach dann aber seinen Gedanken ab. „Ach vergiss es. Sie ist manchmal eben etwas … komisch.“ „Das sagt genau der Richtige“, stichelte Abby und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Duell. „Aber wahrscheinlich hast du recht.“   Derweil war auch Valerie schwer begeistert von [Gem-Knight Master Diamond], hatte sie ihn schließlich damals nicht mehr in Aktion sehen können. „Großartig! Endlich hast du deine stärkste Karte aufs Feld gebracht, Anya. Das wird spannend!“ Die Blondine schnalzte nur genervt mit der Zunge. „Das sagst du jetzt. Übrigens solltest du wissen, dass Diamond für jeden Gem-Knight auf meinem Friedhof 100 Angriffspunkte bekommt.“ Sie holte [Gem-Knight Ruby], den einzig dort verbliebenen, aus dem Friedhof hervor und zeigte ihn demonstrativ. „Das ist zu wenig“, kommentierte Valerie, wobei Enttäuschung in ihrer Stimme mitschwang. „Wer sagt denn, dass er dort bleibt?“ Anya verzog ihre Augen zu schmalen Schlitzen. „Ich werde jetzt das nachholen, was ich damals im Turm nicht tun konnte …“ „Wovon redest du?“ „Ich aktiviere [Gem-Knight Master Diamonds] Effekt! Ich kann damit ein Gem-Knight-Fusionsmonster vom Friedhof verbannen, damit Diamond bis zum Ende des Zuges dessen Effekt übernimmt!“ Mit fest entschlossenem Blick schob sie ihren [Gem-Knight Ruby] in die Hosentasche. Daraufhin hob Diamond sein Schwert mit beiden Händen an und absorbierte mit dem Rubin, welcher ganz oben an der Klinge befestigt war, einen Lichtstrahl, welcher aus Anyas Friedhofsschacht geschossen kam. Anschließend begann der stolze Ritter in einer roten Aura zu glühen. „Das ist-!“, erkannte Valerie geschockt, als sie verstand, was Anya damit beabsichtigte. „Dein Ende! Denn Ruby kann andere Gem-Knights opfern, um sich selbst zu stärken! Los, absorbiere Emerald! Und durch Diamonds ersten Effekt bekommt er noch 100 Angriffspunkte zusätzlich, weil Emerald auf dem Friedhof landet!“ Auch Anyas anderer Ritter löste sich in einen grünen Lichtstrahl auf, welcher mit dem Smaragd am Schwert des Gem-Knight Meisters absorbiert wurde.   Gem-Knight Master Diamond [ATK/2900 → 4800 DEF/2500 (9)]   „Ah!“ Valerie wich überrumpelt zurück, als sie sah, wie stark Anyas Ritter plötzlich war. „Ganz recht, Redfield!“, donnerte Anya mit ausgestrecktem, auf sie gerichtetem Zeigefinger. „Deine hübsche Meeresprinzessin hat 2100 Angriffspunkte, du noch 2700 Leben. Schon fertig gerechnet, huh!?“ Jedoch kam aus Valeries Kehle kein Laut, anders als bei den nicht weniger überrumpelten Schülern. Sie war einfach nur beeindruckt, wie gut Anya in den letzten Monaten geworden war. Und das ohne besondere Kräfte eines Paktdämons. Zufrieden schloss das Mädchen die Augen. „Ich denke, jetzt habe ich alles gesehen …“ „Du siehst jetzt Sterne und anschließend Poolwasser, Redfield!“, schrie Anya lauthals. Wissend, dass die Inkarnationen fort waren und sich ihr nicht mehr in den Weg stellen würden – und selbst wenn sie es täten, konnte Diamond dank Rubys zweiter Fähigkeit immer noch Durchschlagschaden zufügen – befahl sie: „Angriff, Diamond! Shining Wave Breaker!“ Ihr Ritter hob die Klinge mit beiden Händen an und schwang sie in einer horizontalen Linie aus. Von ihr löste sich Kristallstaub, der sich in eine gleißende Schockwelle verwandelte, die direkt auf [Evigishki Merrowgeist] zu raste. Valeries Mundwinkel zuckten. „Gut gespielt, Anya … aber nicht gut genug!“ „Huh!?“ „So leicht kriegst du mich nicht klein! Ich aktiviere meine Falle! [Aquamirror Cycle]!“ Die gesetzte Karte sprang vor dem schwarzhaarigen Mädchen in der knappen Bekleidung und dem Cowboyhut auf dem Kopf auf. Jener stand der Schweiß auf der Stirn. „Mit ihr schicke ich ein Wasser-Monster in mein Deck zurück und erhalte dafür zwei Wasser-Monster von meinem Friedhof!“ Unter einem erschrockenem Schrei sah Anya mit an, wie sich Merrowgeist in weiße Partikel auflöste. Diamonds Angriff ging daneben, machte einen Bogen um Valerie und traft nun stattdessen den 4100 Angriffspunkte starken [Evigishki Tetrogre] in den Rücken. Welcher laut kreischend explodierte.   [Anya: 3100LP / Valerie: 2700LP → 2000LP]   Valerie indes zeigte die beiden Monster vor, die sie sich vom Friedhof ausgesucht hatte. Es waren [Gishki Beast], welches auf den Friedhof zurückgelegt wurde, als sie [Evigishki Merrowgeist] ins Extradeck geschickt hatte und [Gishki Marker]. Dank Tetrogres Effekt war es ihr möglich gewesen, für [Aquamirror Cycle] Vorarbeit zu leisten, um die verschiedensten Optionen auskosten zu können, falls Anya sie zu überrumpeln versucht. Sie hatte das alles in etwa vorhergesehen, dachte Valerie zufrieden. Ihre Gegnerin indes war regelrecht zur Salzsäule erstarrt vor Schreck. „Hat's dir die Sprache verschlagen, weil du das falsche Monster erwischt hast?“, hakte Valerie stichelnd nach. „Kopf hoch, das war trotzdem ein großartiger Move!“ „Halt die Klappe, Redfield! Warum kannst du nicht einfach ster- ich meine verlieren!?“ „Ich bin halt“, grinste ihre Rivalin und hob provozierend den Daumen und zeigte damit auf ihre Brust, „einfach gut.“ „Das sind mein Spruch und meine Geste!“ „Eher deine End Phase. Und aufgrund des Effekts von [Fragment Fusion] wird dein [Gem-Knight Master Diamond] jetzt verschwinden!“ Anyas Augen weiteten sich, als sie erkannte, dass das stimmte. Ihr mächtigster Ritter zersprang in tausend Teile und hinterließ sie mit einem völlig leeren Feld und ohne Handkarten. Sie war komplett aufgeschmissen! Die Zuschauer murmelten wild und schlossen bereits Wetten ab, dass Anya den nächsten Zug nicht überstehen würde.   „Mein Zug! Draw!“, rief Valerie und zog ausholend. Ihre gezogene Zauberkarte betrachtend, nahm sie anschließend eine andere Karte zufrieden aus ihrem Blatt und legte sie auf die Duel Disk. „Monsterbeschwörung! Ich rufe [Gishki Beast]!“ „Nicht das schon wieder!“ „Doch! Und es ruft abermals [Gishki Shadow] im Verteidigungsmodus vom Friedhof!“ Wie schon in Valeries letztem Zug tauchten die Amphibienkreatur und der Fischmann in der schwarzen Robe vor Valerie auf.   Gishki Beast [ATK/1500 DEF/1300 (4)] Gishki Shadow [ATK/1200 DEF/1000 (4)]   „Sorry Anya, meine kleine Merrowgeist hat noch nicht genug gespielt!“ Valerie streckte den Arm mit ihren Monstern zwischen den Fingern weit in die Höhe. „Ich erschaffe das Overlay Network!“ „Hab ich ein beschissenes Déjà-vu oder was!?“ „Ein bisschen“, antwortete Valerie zwinkernd, als sich ihre beiden Monster in blaue Lichtstrahlen verwandelten und vom Überlagerungsnetzwerk, welches sich vor ihnen als schwarzer Wirbel auftat, aufgesogen wurden. „Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster! Kehre zurück, [Evigishki Merrowgeist]!“ Ein feierliches Lied in einer unbekannten Sprache singend, erhob sich die rothaarige Meerjungfrau mit ihrem langen Leib und den flügelartigen Flossen aus dem Strom und gesellte sich mit gezücktem Zauberstab vor Valerie. Zwei Lichtkugeln tanzten um sie.   Evigishki Merrowgeist [ATK/2100 DEF/1600 {4}]   „Jetzt aktiviere ich den Effekt meines [Gishki Aquamirrors] auf dem Friedhof!“, tönte Valerie selbstbewusst und zeigte den Ritualzauber vor. „Ich mische ihn ins Deck zurück, um ein verlorenes Gishki-Ritualmonster auf die Hand zu bekommen!“ Kaum hatte ihre Duel Disk den Zauber von selbst ins Deck eingezogen und jenes durchgemischt, hielt Valerie schon [Evigishki Tetrogre] in der Hand. „Was wird das, wenn's fertig ist?“, wollte Anya irritiert wissen. „Ach, ich sammle nur etwas Abwurfmaterial … für diese Karte! [Card Destruction]!“ Ihre Rivalin rammte die Zauberkarte regelrecht in den dazugehörigen Slot der Duel Disk. Jene Magie tauchte in vergrößerter Form vor ihr auf und zeigte eine dämonische Hand, die nach Karten reichte, welche sich von ihr entfernten. „Durch sie werfen wir beide unser Blatt ab und ziehen dieselbe Zahl an entsorgten Karten wieder auf. Da du keine Hand hast und meine zwei Karten umfasst, ziehe ich also zweimal!“ Valerie schob ihre beiden Monster, [Gishki Marker] und [Evigishki Tetrogre], in den Friedhofsschlitz und zog anschließend zweimal hastig auf. Sie wollte es beenden, jetzt! Und zwar als Siegerin! Und als sie ihre Karten betrachtete, wusste sie, dass sie dieses Ziel auch umsetzen konnte. „Das war ein guter Kampf, Anya. Vielleicht der beste, den ich je hatte“, meinte sie stolz. „Er ist noch nicht vorbei!“ „Leider schon! Ich aktiviere von meiner Hand eine letzte Zauberkarte! [Aqua Jet]! Sie erhöht die Angriffskraft eines meiner Aqua-, Seeschlange- oder Fisch-Monster um 1000 und das dauerhaft!“ Anya klappte die Kinnlade herunter. „Eh!?“ Doch schon erschienen an den Flossen von Valeries Meerjungfrau zwei mächtige Jetdüsen.   Evigishki Merrowgeist [ATK/2100 → 3100 DEF/1600 {4}]   Valerie verschränkte die Arme. „Das reicht genau aus, um deine restlichen Lebenspunkte auszulöschen!“ Jubel drang von den Zuschauerreihen zu ihnen. Nicht wenige freuten sich darüber, dass Anya jeden Moment eine kalte Dusche bekommen würde, wenn sie ihre eigene Wette verlor und ins Wasser springen musste. Jedoch dachte jene im Moment gar nicht an das, was sie vor dem Duell bestimmt hatte. „Wie machst du das nur!? Wie kannst du jedes Mal, wenn ich einen guten Zug hinlege, mit einem noch besseren kontern!? Das ist nicht fair!“ „Hör auf zu schmollen, Anya. Es ist einfach nur ein Spiel. Hab Spaß daran!“ „Wo macht verlieren bitte Spaß!?“ Valerie grinste sie frech an. „Mir wird es auf jeden Fall Spaß machen, dich gleich pitschnass zu sehen! Wenn du nicht möchtest, dass deine Kleidung nass wird, kannst du sie natürlich vorher ablegen … wenn du die Figur dazu hast.“ „Redfield, du miese-!?“   Jedoch lachte die köstlich amüsiert über die Empörung ihrer Gegnerin. „Ich mach doch bloß Witze, von mir aus musst du nicht ins Wasser springen. Aber verlieren wirst du dennoch! Los, [Evigishki Merrowgeist], greife ihre Lebenspunkte direkt an! Sceptre Of Foresight!“ Die Meerjungfrau hob ihren Zauberstab und hielt ihn hoch in die Luft. Aus seinem Kernstück an der Spitze schoss mit einem Schlag ein ganzes Geschwader an Seifenblasen, die auf Anya zielten. Und sie spiegelten sich in den weit aufgerissenen Augen des Mädchens wieder, als sie ihm entgegen kamen. Das hieß, bis sie jene fast bis zum Anschlag zusammenkniff. „Vergiss es, Redfield!“ Mit einem lauten, inbrünstigen Kampfschrei streckte sie den Arm mit der Duel Disk vor. Aus dem Friedhofsschacht zwängte sich urplötzlich ein kugelrundes, braunes Fellknäuel, nicht größer als Anyas Kopf, und stellte sich dem Angriff mutig in den Weg. Sein kleiner, grauer Umhang und die schwarze Sonnenbrille gaben unschwer zu erkennen, dass es sich nur um ein Monster handeln konnte. „[Kuriboss]! Erinnerst du dich, Redfield!? Dein dämlicher Oger hat mich gezwungen, Monster von meinem Deck abzuwerfen und das erste von beiden war er! Und indem ich ihn vom Friedhof verbanne, annulliere ich den Kampfschaden!“ „Kuri!“, rief der Boss der Kuriboh-Familie stolz und ließ sich mit ausgebreiteten Pfötchen von den Blasen treffen, ehe die letzte ihn mit ins Unglück riss. „Kuriiii!“ Zusammen mit ihr verpuffte das Fellknäuel. „Da ich meinen Kampfschaden annulliert habe, darf ich dummerweise keine Karte durch [Kuriboss'] anderen Effekt ziehen“, gab Anya gallig von sich. „Aber du hast versagt, Redfield! Mal wieder …“ Valerie indes schlug sich fassungslos an die Stirn. Dieses Mädchen war so hartnäckig wie kein anderer Gegner, gegen den sie sich jemals duelliert hat. Und genau das machte das Duell so spannend. „Du magst ja meinen Angriff abgewehrt haben, aber an deiner Situation ändert sich dadurch nichts! Ich setze diese Karte verdeckt und beende den Zug“, rief Valerie entschlossen. Die Falle materialisierte sich vor ihren Füßen. „Ich lasse dich nicht gewinnen, Anya!“ Wofür sie von den meisten Schülern lauten Zuspruch erhielt. Aber längst nicht von allen, denn manche waren regelrecht begeistert davon, wie gut sich Anya gegen Valerie behauptete.   Tief durchatmend schloss das blonde Mädchen die Augen. Irgendwie war dieses Duell das beste, das sie seit langer Zeit hatte. Natürlich kam es vom Nervenkitzel her nicht an das gegen Isfanel heran, aber nur sie und Redfield, das war die letzte Hürde. Wenn sie die besiegen konnte, hatte sie alles erreicht. Erst danach würde sie sich auf die Suche nach einem geeigneten Ersatz als Erzrivalin machen können. Und deswegen musste die nächste Karte die beste sein, die sie jemals gezogen hatte. „Ich brauche deine Hilfe, Partner“, murmelte sie leise und fasste mit noch immer geschlossenen Lidern nach ihrem Deck. „... ich weiß. Aber du verstehst, was ich meine.“ Dann griff sie die Karte, öffnete die Augen und riss sie mit vollem Schwung vom Deck. „Draw!“ Valerie glaubte für eine Sekunde, einen Stich in ihrer Brust gefühlt zu haben, aber er verging so schnell, dass sie nicht wusste, ob er überhaupt real gewesen war. „Das ist es“, murmelte Anya und betrachtete ehrfürchtig ihre gezogene Karte. „Hast du … ? Ich!? Unmöglich, das kann ich schon lange nicht mehr!“ „Mit wem redest du da, Anya?“, fragte Valerie äußerst verwirrt. Ihre Gegnerin wurde aus ihrem merkwürdigen Selbstgespräch gerissen und erwiderte gallig: „Das geht dich gar nichts an, Redfield! Aber wenn du schon deine operierte Nase in meine Angelegenheiten stecken willst, warum nimmst du dann nicht einfach eine Kostprobe!?“ Wütend knallte sie die Karte auf ihre alte Battle City-Duel Disk. „Ich beschwöre [Gem-Knight Turquoise]!“ Die letzte der fünf Karten des Jinns! Und eine der besten in ihrem ganzen Deck! Vor dem Mädchen materialisierte sich ein Ritter in hellblauer Rüstung. In sie eingelassen waren an Armen und Beinen feingeschliffene Türkise. Als Waffe benutze er einen Bogen.   Gem-Knight Turquoise [ATK/1400 DEF/2000 (4)]   „Egal woher er kommt“, murmelte Anya, „ich nehme ihn dankend an! Ich verbanne [Gem-Knight Emerald] von meinem Friedhof und erhalte so [Gem-Knight Fusion] von dort zurück auf meine Hand!“ Zwischen Mittel- und Zeigefinger zeigte das Mädchen den Zauber vor. „Du willst wieder fusionieren?“, wunderte sich Valerie. „Mit einem Monster geht das nicht! Und du besitzt außer Turquoise weder auf der Hand noch auf dem Feld andere Monster!“ „Vielleicht will ich was anderes damit anstellen?“, entgegnete Anya mit herausgestreckter Zunge. „Effekt von Turquoise aktivieren! Indem ich [Gem-Knight Fusion], und zwar nur die, abwerfe, beschwört er einen verbannten Gem-Knight auf mein Feld. Erscheine, Garnet!“ Neben Anyas Ritter tauchte aus einer Stichflamme sein Kamerad in bronzener Rüstung wieder auf.   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   „Also doch eine Fusion“, mutmaßte Valerie nachdenklich. „Aber was könnte … ?“ „Falsch!“ Anya nahm ihre beiden Monster von der Duel Disk und legte sie übereinander gestapelt wieder drauf. „Ich erschaffe das Overlay Network! Die zwei Stufe 4-Monster …“ Welche sich in braune Lichtstrahlen verwandelten und von einem schwarzen Galaxienwirbel absorbiert wurden, der sich mitten über dem Pool auftat. „...werden zu einem Rang 4-Monster! Gib alles, Partner! [Gem-Knight Pearl]!“ Aus dem Wirbel entstieg ein schlichter, weißer Ritter mit verschränkten Armen. Um ihn herum kreisten sowohl sieben überdimensional große Perlen, als auch zwei Lichtsphären. Stolz gesellte er sich an Anyas Seite.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4}]   Valerie blinzelte verdattert. „Aber Pearl hat keinen Effekt, oder!? Anya, du hättest besser eine Fusion machen sollen, nicht-!“ „Tch“, zischte Anya und drehte hochnäsig den Kopf zur Seite. Aus den Augenwinkeln warf sie jedoch einen bitterbösen Blick auf ihre Rivalin. „Denkst du, ich weiß nicht, wie ich mein Deck spielen muss?“ „Dann klär mich auf!“ „Gerne doch.“ Anya griff unter Pearls Karte und zog die beiden Xyz-Materialen hervor, die sie Valerie stolz präsentierte. „Ich aktiviere den Effekt …“ „Von Pearl!? Unmöglich, er hat-!?“ „... von [Gem-Knight Turquoise]! Wenn ich ihn und ein anderes Gem-Knight Xyz-Material von einem Xyz-Monster abhänge, verdopple ich die Angriffskraft meines Pearls temporär!“ Valerie fiel aus allen Wolken. „Verdoppeln!?“ Pearl streckte plötzlich seine Glieder so weit es ging durch und begann in blauer Aura aufzuleuchten. Aus seiner Brust wuchs ein Pfeil, der die beiden um ihn kreisenden Sphären absorbierte und dann wieder in dem Krieger verschwand. Dabei schwebte er höher und höher über Anya hinaus.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 → 5200 DEF/1900 {4}]   „Rechne, Redfield“, gurrte Anya genüsslich und wandte sich ihrer Gegnerin wieder zu, „rechne gut!“   [Anya: 3100LP / Valerie: 2000LP]   Valeries Augen weiteten sich. [Evigishki Merrowgeist] besaß dank [Aqua Jet] 3100 Angriffspunkte, was nicht ausreichte, um sie vor einem Angriff Pearls zu schützen! „Wie machst du das!? Wie findest du immer wieder ins Spiel zurück!?“ Die Schwarzhaarige war beeindruckt von so viel Hartnäckigkeit. „Und da beschwerst du dich über mich, Anya?“ Anya zuckte unbedarft mit den Schultern. „Ich bin halt besser geworden. Dank ein bisschen Hilfe von gewissen Leuten …“ Ihre Gegnerin stöhnte resignierend. „Wen du damit wohl meinst …“ „Ist auch egal, Redfield. Da das nun geklärt ist“, murmelte Anya und sah hinauf zu ihrem Pearl, „blow her to bits, Levrier! Blessed Spheres Of Purity!“ „Levrier!?“, schoss es aus der verdutzten Valerie heraus.   Wenn es unbedingt sein muss.   Die Perlen rund um Anyas Ritter begannen nach und nach aufzuleuchten, ehe sie wie Kanonenkugeln auf Valeries Meerjungfrau abgefeuert wurden. Doch sie wich ihnen nach und nach aus, stieg dabei immer höher mit ihren Jetantrieben durch die Luft. Allerdings verfolgten sie die Lichtsphären dabei gnadenlos. „Levrier“, murmelte Valerie. Plötzlich huschte ein glückliches Lächeln über ihr Gesicht. „Ihr seid also immer noch Partner? Aber ich dachte, er wäre fort?“ „Er ist jetzt 'ne Karte“, brummte Anya und rümpfte die Nase. „Das letzte Krümelchen, was von ihm übrig geblieben ist, steckt jetzt in seiner nutzlosen Paktkarte. Und ich dachte schon, ich wäre ihn endlich los …“ „Dann ist er jetzt wie ein Duellgeist aus den Fernsehserien? Wie schön.“ Verärgert ballte Anya eine Faust und keifte Valerie an. „Daran ist nichts schön, gar nichts! Dauernd taucht er auf und geht mir auf die Nerven! Nicht mal schlagen kann ich ihn, weil er immer noch keine physische Gestalt hat!“ Die Schwarzhaarige schmunzelte vergnügt. „Ist das so? Dann greife ich dir mal etwas unter die Arme, was das angeht!“ „Huh? Was meinst-!?“ Doch vor Valerie sprang bereits die gesetzte Fallenkarte auf. „Ich aktiviere [C-]“   Anya Bauer! Warum hast du nicht daran gedacht, mich zu schützen!?   [Gem-Knight Pearl] drehte sich zu Anya, änderte aber trotz vorwurfsvollem Tonfall nicht seine stolze Körperhaltung. „Hey! Ist doch nicht meine Schuld, dass sie da noch was liegen hatte! Was hätte ich sonst tun sollen!?“ „Anya, der Effekt meiner Falle!“ „Schnauze, Redfield! Wenn die Kekse reden, haben die Krümel still zu sein!“   Wir müssen ein ernstes Wort darüber reden, wie du mich richtig einzusetzen hast! Denk daran, dass-   „Schnauze, Levrier!“ „Meine Falle, Anya! Passt du bitte auf!?“ „Ich sagte, du sollst warten, Redfield!“ Anya raufte sich schon vor Wut durch die Haare, weil sie sich nicht um beide gleichzeitig kümmern konnte.   „Wovon reden die da?“ „Pakt?“ „Duellgeist?“ Abby seufzte ob der Ahnungslosigkeit ihrer Noch-Mitschüler. „Musste Anya das jetzt so hinausposaunen?“ Überrascht beugte sich Nick mit dem Kopf über ihre Schulter. „Du wusstest davon?“ „Nein, aber irgendwie habe ich es gefühlt. Und jetzt, wo er auf dem Feld ist, höre ich ihn, zumindest schwach. Du nicht?“ Nick lachte kurz auf. „Nein, in mir fließt eben kein Dämonenblut. Sofern es daran liegt. Schade … dass Anya uns das nicht erzählt hat.“ „Das kommt noch. Irgendwann, wenn sie über dich die Wahrheit weiß und mir mehr zutraut, als ihre Hausaufgaben zu machen. Bis dahin sollten wir froh sein, dass jemand ein Auge auf sie wirft, wenn wir mal verhindert sind.“ Die beiden sahen sich kurz an, ehe sie stumm und freudestrahlend nickten.   ~-~-~   „... Ernie Winter!“ Stolz trat der schmächtige, weißblonde junge Kerl vor Mr. Bitterfield und nahm seine Urkunde entgegen. Und das völlig unverletzt, wo er sich doch nach dem Ausgang des Duells über Anya lustig gemacht hatte. „Herzlichen Glückwunsch zur erfolgreichen Teilnahme am Livington High Duel Cup. Du hast dein Bestes gegeben.“ „Danke, Mr. Bitterfield“, piepste Ernie und schüttelte die Hand des rundlichen Mannes zaghaft. „Damit sind wir durch“, meinte Mr. Redfield, der zusammen mit dem Direktor diese kleine Überraschung an die Schüler verteilte. „Mit diesem Zeugnis könnt ihr euch um einen Platz an einer der Duel Akademien für Erwachsene bewerben.“ Die Schülerschaft, die im Raum verteilt stand, klatschte begeistert. Daraufhin setzte fetzige Punkmusik ein und die Schüler begannen ausgelassen zu tanzen. „Das ist wirklich nett von ihnen“, schwärmte Abby, „uns noch eine kleine Hilfestellung auf den Weg zu geben …“ Anya pfiff verächtlich. „Ja, unglaublich toll.“ „... für diejenigen von uns, die nicht ganz so gute Zeugnisse haben, Anya!“, setzte ihre Freundin mit düsterem Tonfall hinterher. „Sei dankbar!“ Die Blondine hielt ihre Urkunde, die eigens für den heutigen Tag angefertigt worden war, in beiden Händen und warf einen missbilligenden Blick darauf. „Was für'n Scheiß! Die Hälfte derer, die eine bekommen haben, hat verloren! So, wie das hier auf dem Wisch draufsteht, hat es sich doch gar nicht abgespielt! Vorgedruckter Dreckskack!“ „Es geht nicht um Sieg oder Niederlage“, antwortete Abby altklug, während sie ihre mit einer Hand hinter dem Rücken verbarg, „sondern um die Geste. Sie haben sich das extra für uns ausgedacht. Ist doch egal, ob vielleicht nicht alles stimmt, was da drin steht.“ „Seit wann duldest du denn kleine Flunkereien?“, fragte Anya stutzig und legte dabei ihren Rucksack vor sich ab, um die Urkunde zu verstauen. Abby seufzte verträumt. „Heute ist es okay, schätze ich.“ „Gegen wen hast du überhaupt gekämpft?“ „Nicht so wichtig“, gluckste ihre Freundin vergnügt, „unser Duell hat zwar nicht solange gedauert wie deines, aber es war sehr … unterhaltsam, hihi.“ „Erinnere mich nicht daran!“, fauchte Anya und schulterte ihren Rucksack. „Wie dem auch sei, ich gehe jetzt! Wir sehen uns, Masters!“ „Jetzt schon!? W-warte!“   Anya zog bereits an den Schülern vorbei, die sich überrascht umdrehten, weil das Mädchen die Party als Erste verließ. Der eigens bestellte DJ, welcher in der Ecke des Zimmers sein Zeug aufgebaut hatte, ließ sogar die Musik verstummen. Abby folgte ihr hastig, blieb dann aber stehen. „Das war ein tolles Duell!“, rief sie Anya hinterher, da diese sie scheinbar ignorierte. „M-machs gut!“ „Ja, super, Anya!“ „Ich wusste gar nicht, dass du so gut bist!“ „Wiederholt das doch mal!“ „Ja, ein Stripduell!“ Anya wirbelte mit vor Wut geweiteten Augen ob des letzten Ausrufs um und erkannte, dass alle sie anstrahlten. Manche vielleicht aus Furcht vor ihr etwas gekünstelt, aber egal. Selbst Redfield, die gerade in ein Gespräch mit ihrem Vater verwickelt war, winkte Anya zwinkernd zum Abschied zu. „Man bin ich froh, nie wieder eure Fratzen sehen zu müssen“, giftete Anya und drehte sich wieder um. Ohne lästige Verfolger durchschritt sie den Flur und war gerade an der Haustür angelangt, da legte sich eine Hand auf ihre Schulter. „Willst du schon gehen, Schatz?“, fragte Sheryl enttäuscht. „Ist okay, Mum“, erwiderte Anya, ohne sich umzudrehen, „sowas ist eh nicht mein Ding. Ich gehe zu Fuß nachhause.“ „Wie du meinst“, antwortete ihre Mutter mit dem Wissen, dass sie ihre sture Tochter ohnehin nicht zum Bleiben überreden können würde. „Ich bring dir etwas vom Buffet mit, wenn ich wiederkomme.“ „Danke. Dann bis später.“ „Ja. Pass auf dich auf, Schätzchen.“ Sheryl ließ ihre Tochter los und ging zögerlich zurück ins Wohnzimmer, aus dem jetzt wieder laute Musik drang. Dabei murmelte sie noch: „Diese Anya …“   Warum willst du schon gehen?   Pearls durchsichtiges Abbild erschien neben Anya mit verschränkten Armen. „Klappe, Levrier … ist besser so. Ich hab bekommen, was ich wollte.“ Das Mädchen zog aus der Innentasche ihrer Lederjacke ein Foto, auf dem sie, Abby, Nick, Redfield, Marc und all die anderen abgebildet waren. Es war nach dem Duell geschossen worden. Und außer ihr lächelten alle darauf fröhlich. „Hmpf!“ Sie steckte es wieder zurück in die Tasche. Nachdem sie sich sicher war, dass niemand mehr in ihre Richtung blickte, sah Anya doch noch einmal über die Schulter. Und lächelte glücklich.   Wie man sieht, ist alles anders und doch so wie immer. Die Zeiger der Zeit drehen sich für mich weiter, obwohl ich diesen Tag nicht hätte erleben dürfen. Auch wenn ich es nicht gerne zugebe, werde ich die Schule ein bisschen vermissen. Eishockey, nervige Knirpse, unmöglich schwere Geschichtstests und vielleicht sogar ein kleines Bisschen Redfield. … nein, nie im Leben, streicht das Letzte! Die blöde Ziege kann von mir aus ruhig nach Florida auswandern, mir doch egal! Aber dass mein Leben weiter geht, habe ich nur ihnen zu verdanken. Meinen Freunden. Danke, ihr alle. Damit drehte sie sich um und verschwand endgültig aus der Haustür. Um den ersten Schritt Richtung Zukunft zu gehen, denn ihr hatte sich ein vollkommen neuer Pfad eröffnet …     [SEASON 1: THE END] Kapitel 37: The Last Asylum Movie "Second Coming" - Part I ---------------------------------------------------------- Zur Info: Dieses Special spielt zwischen Folge 35 und 36.   Yu-Gi-Oh! The Last Asylum – The Movie Part I     Unter lautem Getöse machte der Zug Halt am Livingtoner Bahnhof. Als die Türen sich öffneten, sprang augenblicklich eine junge Frau aus dem Waggon und gluckste vergnügt. Die vielen Leute um sie herum störten die Blondine gar nicht. Zumindest nicht bis zu dem Augenblick, als ein anderer Fahrgast neben ihr aus dem Zug trat und sie dabei anrempelte. „Hey, pass' doch auf und steh nicht im Weg 'rum!“, pflaumte der kahl rasierte Jugendliche sie an und zog mit Händen in den Taschen von dannen. „Entschuldigung, war nicht mit Absicht!“, rief sie ihm aufrichtig schuldbewusst hinterher. „Tara“, sagte da ein hoch gewachsener, schwarzhaariger Mann und packte sie sanft am Oberarm, „du stehst wirklich im Weg. Gehen wir ein Stück beiseite, ja?“ Nickend stimmte sie ihm zu und schritt mit ihm zu den Treppen, die hinab zu den Schließfächern, Fahrkartenautomaten und nicht zuletzt zum Ausgang führten. Dabei gaben die zwei ein wirklich seltsames Paar ab. Tara Hartwell, ihres Zeichens Tollpatsch Nummer 1, blond, blauäugig und naiv, mit ihrem schulterlangen Haar und dem schwarzweiß-linierten Kleid, stellte noch ein ganz normales Mädchen dar. Vielleicht war da noch etwas Babyspeck im Gesicht, aber die freundlichen Züge und das ewige Strahlen vermittelten den Eindruck eines aufgeschlossenen, lebensfrohen Menschen. Wäre sie zudem die Sonne, hätte ihr Begleiter – der im Übrigen die wenig glanzvolle Aufgabe des Gepäckträgers innehatte – einen perfekten Mond abgegeben. Schwarz war sein kurzes, nach oben gegeeltes Haar, genau wie sein Mantel und das darunterliegende Hemd. Selbst seine Augen hielt er hinter einer dunklen Sonnenbrille verborgen. Und wo Tara lächelte, verzog dieser junge Mann keine Miene. „Andrew“, begann das Mädchen zögerlich, während es sich an dem Geländer festhielt, welches die Treppe nach unten in zwei Hälften trennte, „meinst du, er ist wirklich noch hier? In dieser Stadt?“ „Das ist, was ich herausgefunden habe. Die Leute hier haben jemanden gesehen, der auf seine Beschreibung passt, erst vor ein paar Tagen.“ Da Andrew Shanks allerdings ein hoffnungsloser Realist war, konnte er nicht gegen die folgende Antwort ankämpfen: „Aber wenn er es wirklich ist, dann stehen die Chancen schlecht, dass wir ihn noch finden werden.“ „Warum?“ Tara blieb auf der letzten Stufe stehen und sah ihren Begleiter unsicher an. Dieser erwiderte, an ihr vorbeiziehend: „Entweder weil er dann schon längst im Gefängnis sitzen wird. Oder, und das hoffe ich für ihn, weil er abgehauen ist, nachdem dieser Turm in sich zusammenbrach. In dem Chaos hat er sicher gute Chancen gehabt, unentdeckt zu bleiben.“ Zurück zum Bahnsteig sehend, konnte sich die Blondine einen betrübten Seufzer nicht verkneifen. „Oh Matt, du hast dich doch nicht erwischen lassen, oder?“ „Das herauszufinden ist der Grund, warum wir hier sind“, sagte Andrew, der schon ein ganzes Stück weiter die Treppe herab gegangen war und hielt an, „wir sind hier, um meinen Freund aus Kindheitstagen … deinen Freund zu finden.“ Sich gut zuredend, dass sie Matt schon finden würde, eilte das Mädchen dem Schwarzhaarigen hinterher bis zum Ausgang des Bahnhofs.   Jahrelang hatte sie ihn nicht gesehen, weil er wegen Mordes gesucht wurde und untergetaucht war. Er, ihr Freund Matt Summers, hatte seinen eigenen Vater umgebracht. Tara wusste, warum er das getan hatte. Mr. Summers war ein schrecklicher Mensch gewesen, der selbst vor Gewalt gegenüber seiner Familie nicht zurückgeschreckt war. Und selbst nach seinem Tod hatte er es noch geschafft, seinen Sohn zu entwurzeln. Wie sehr musste Matt gelitten haben in dieser Zeit? Das schlechte Gewissen plagte Tara seither, denn sie hatte nie versucht, ihn ausfindig zu machen. Erst als Andrew nach sechs langen Jahren vor Kurzem wieder in seine alte Heimat zurückgekehrt war und erfuhr, was sich in der Zeit seiner Abwesenheit zugetragen hatte, sind aus Gedankenspielen Pläne für die Zukunft geworden. Ohne ihn würde sie jetzt wohl nicht hier stehen. Ehe Tara sich versah, war sie zusammen mit Andrew, der Hinweise auf Matts Verbleib gesammelt hatte, nach Livington aufgebrochen. Dort, wo Matt zuletzt gesehen worden war. „Ist er immer noch er? Nach all der Zeit?“, fragte Tara leise, als sie durch die offen stehende Flügeltür nach draußen traten. Das Abendrot stand bereits am Himmel. „Wer weiß das schon. Er könnte jemand ganz anderes sein“, überlegte Andrew und ließ die beiden Koffer in seiner Hand nach unten sinken, sah sich kurz nach einem Taxi um. „Ein Mord verändert Menschen, Tara.“   ~-~-~   Einige Stunden zuvor …   „Anya, hör auf damit! Er wird noch ersticken!“ Doch die Blondine mit dem Pferdeschwanz ließ sich auch auf Bitten ihrer besten Freundin Abigail Masters, kurz Abby, nicht davon abbringen, das vor ihr klaffende, etwa zweieinhalb Meter lange und einen Meter breite Loch im Boden zuzuschippen. Der Garten der Familie Bauer hatte erst vor Kurzem durch einen Brand gelitten, der einen Teil der Rasenfläche versengt hatte. Anya nutzte diese Fläche in jenem Moment nun dafür, ihren anderen besten Freund, Nick Harper, zu verbuddeln. Was sie bereits so gut wie geschafft hatte. „Ich wollte- buargh!“, begann der groß gewachsene, brünette Mann, der rücklings in dem fein säuberlich vorbereiteten Loch lag, bekam aber mitten im Satz eine Schippe voll Dreck ins Gesicht. Während Nick prustete und spuckte, ereiferte sich Anya über alle Maße zornig: „Ja, was wolltest du? Mich umbringen!? Hättest du fast geschafft, du gehirnamputierter Höhlentroll!“ „Er hat dich nicht erkannt! Niemand hätte das!“, versuchte das brünette Hippiemädchen Abby zu schlichten und hüpfte dabei, unschlüssig was sie tun sollte, von einem Bein aufs andere. „Und deswegen ist das Erste was er macht, nachdem der kack Turm explodiert ist, mit dir und einem Skalpell bewaffnet dahin zu rennen!?“   Die Geschichte dazu ist simpel wie kurz erzählt. Es war gerade erst ein paar Tage her, dass Anya um ein Haar gestorben wäre. Gestorben deshalb, weil die übernatürliche Wesenheit Levrier etwa vor drei Monaten einen Pakt mit ihr geschlossen hatte, welcher besagte, dass sie beide am 11. November 20XX Eden werden sollten – was Anyas Tod bedeutet hätte. Diesem Schicksal war sie aber kurz vor Zwölf doch noch entkommen. Zusammen mit denen, die ebenfalls für das Öffnen des Tores Eden geopfert werden sollten, denn wie sich herausstellte, wollte eine andere Wesenheit namens Another jenes Tor öffnen, um sein Volk zu retten. Und hätte dabei wohl fast eine Katastrophe herbei beschworen. Nach dem Sieg über den Puppenspieler Another und dem Wächter Edens, Isfanel, waren sie alle aus dem Turm von Neo Babylon geflüchtet. Beinahe wäre ihnen dabei der Plan, den Turm in die Luft zu jagen, in der Hoffnung dadurch Anya zu retten, zum Verhängnis geworden. Was natürlich totaler Schwachsinn war, wie hätte sie das auch retten können? Eher das Gegenteil war der Fall gewesen. Denn im Endeffekt hatte Anya mit diesem Vorwand nur versucht, die anderen Opfer in den Turm zu locken, damit ihr der Limbus – eine qualvolle Existenz nach dem Tod – erspart blieb. Da war Eden zu werden dann doch die bessere Option, so dachte sie sich natürlich völlig frei jeglicher Schuldgefühle, die sie am Ende auch überhaupt nicht daran gehindert hatten, den Plan umzusetzen. Wie auch immer, das war Schnee von gestern. Die Gruppe es letztlich noch geschafft zu entkommen, bevor der Turm in seine Einzelteile zusammen fiel. So weit, so gut.   Der Turm war also nicht mehr, die Sonne gerade aufgegangen, alle hatten sich in den Haaren wegen Anyas Taten, als Nick auftauchte, mit Abby im Schlepptau. Er hatte vom Krankenhaus aus die Explosion gesehen und war sofort mit einer gerade erst durch eine Schussverletzung lahmgelegten, aber inzwischen verarzteten Abby zum Schauplatz des Geschehens geeilt. Scheinbar hatte Nick das Schlimmste befürchtet und von irgendwoher ein Skalpell stibitzt, mit dem er mögliche Feinde aus einer anderen Welt töten wollte – was für ein Spinner! Denn irgendwer hatte ihm wohl geflüstert, dass Eden ein Tor in eine andere Welt war.   Wie dem auch sei, als er schließlich an der Stelle angekommen war, wo einst die Livington High gestanden hatte, war niemand mehr zu sehen – zumindest behauptete er das. Allerdings entsprach dies nicht der Wahrheit. Anya und die anderen hatten die beiden bemerkt, waren freudestrahlend auf sie zugegangen, als Nick … seine beste Freundin beinahe erstochen hätte, im Glauben, sie wäre ein unsichtbares Alien. Wie gesagt, Spinner. „Du warst halb unsichtbar und verzerrt, ich schwöre es!“ „Ach ja!? Erzähl das deiner Großmutter, du überdimensionale Amöbe!“, fauchte Anya und gab eine weitere Schippe hinterher. „Jeder hat mich gesehen. Stimmt's Abby!?“ „Ja, naja, außer den anderen gab es ja nur mich und Nick, aber … aber vielleicht konnte ich euch sehen, weil ich eine Sirene bin? Meine Wahrnehmung ist anders als eure.“ „Von wegen! Raumverzerrungen am Arsch, dass ich nicht lache! Diesmal bist du zu weit gegangen, Harper! Friss Dreck-“ Abby trat hinter ihre Freundin und riss ihr unter dem Aufbringen all ihres Mutes die Schippe aus der Hand, ehe jene noch mehr Unheil damit stiften konnte. „Anya, das ist kein Spaß, sondern todernst! Irgendetwas ist dort passiert!“ „Hehe, ja! Schade, dass ich nicht unsichtbar war, sonst hätte ich gerne mal- wuargh, ptscht!“ Nicks anzügliche Bemerkung ging im Sand unter, den Anya mit einer geschickten Bewegung ihrer Fußspitze in seinen Mund katapultiert hatte. Dabei legte sie ihre Stirn kraus. „Tch! Da war gar nichts!“ „Doch!“, widersprach Abby aufgelöst. „Die ganzen Fahrzeuge der National Guards! Leer! Als wir angekommen sind, war außer euch kein Mensch zu sehen! Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass die alle mitten in der Nacht auf einen Snack bei Wendy's ihren Posten verlassen haben und seitdem nicht wieder aufgetaucht sind!?“ Anya wirbelte schnaubend zu ihrer Freundin um. „Herr Gott, Masters, da war außer mir, Matt, Redfield, Marc, der Narbenfresse, dem Schnöselkind und dessen Schwester niemand, auch keine Fahrzeuge und Helikopter, nicht mal ein beschissenes Fahrrad, verdammt! Bis ihr halt dazu gestoßen seid!“ „Du sahst aus wie so ein glibbriger, kaum sichtbarer Geist, deswegen hab ich zugestoch- pfääh!“ Wieder ging Nicks verzweifelter Versuch der Verteidigung unter, als Anya mit dem Hacken mehr Sand in seine Richtung wirbelte. „Sei ruhig und stirb endlich!“ „... er hat dich doch gar nicht getroffen“, murrte Abby, die das alles ungerecht Nick gegenüber empfand, „du hast ihn doch aufs Kreuz gelegt.“ „Ja, das war ja auch mein gutes Recht! Außerdem, wie kann ich in einer anderen Dimension gewesen sein, wenn ich ihn gleichzeitig mit meinen Moves platt gemacht habe!? Nick hat das alles nur erfunden um mir Eins auszuwischen!“   Zu Anyas Unmut ließ Abby sich aber selbst dadurch nicht davon abhalten, weiter auf das Thema der verschwundenen National Guards herum zu reiten. „Anya, Nicks Fehltritt mit dem Messer mal außen vor gelassen, sind die verschwundenen Leute immer noch nicht wieder aufgetaucht! Seit fast einer Woche!“ Die Arme verschränkend, sah Anya ruckartig zur Seite. „Na und? Nicht mein Problem. Ich weiß nur, dass alles so war, wie es hätte sein sollen. Was Nick erzählt hat, von wegen Geister, ist Schwachsinn! Dass du uns gesehen hast, hat damit zu tun, dass dein Gehirn noch so funktioniert wie es soll, mehr nicht!“ „Denk doch mal nach“, versuchte das brünette Hippiemädchen es auf ruhigere Art und Weise, packte die Blondine sanft an den Schultern, „der Turm von Neo Babylon muss aus einer anderen Dimension stammen, da er ja nur alle 400 Jahre aufgetaucht ist. Wo war er die ganze Zeit über, hast du dich das jemals gefragt? Anya kniff die Augen fest zusammen. „Nein, weil's mich nicht die Bohne interessiert.“ „Als er zerstört wurde, muss es im Raum-Zeitkontinuum einen Riss gegeben haben, in den wir alle hineingezogen worden sind. Daher wart ihr für Nick unsichtbar, für mich als Sirene aber nicht. Dementsprechend müssen die National Guards auch irgend-“   Aber Anya hatte sich längst losgerissen und stampfte unverrichteter Dinge über den grünen Teil des Rasens der Familie Bauer. „Man, da kriegt man ja Kopfschmerzen. Ich geh zocken.“ „W-warte doch, Anya, ich bin doch mit meiner Theorie noch gar nicht fertig!“, eilte Abby ihr hinterher. Ohne sich umzudrehen, brummte ihre Freundin: „Wenn du so scharf drauf bist, herauszufinden was dort abgegangen ist, dann geh doch nachsehen.“ „Äh, also, nein, so war das nicht … ähähähä … wollen wir shoppen gehen?“, fragte sie plötzlich unverblümt. Natürlich keineswegs heiser oder ähnliches. „Ich wollte sowieso mal ein bisschen nach Klamotten schauen. Meine alten gefallen mir nicht mehr, haha …“ Anya spähte über die Schulter zu ihr herüber. „So wechselt man das Thema, huh, Masters? Naja, meinetwegen … aber nur, wenn du nicht wieder davon anfängst! … Schisserin!“ Sofort machte Abby einen Ruck und stand kerzengerade, mit Hand an der Schläfe. „Jawohl, Sir! Aber vorher müssen wir erst Nick ausgraben. Wir können ihn doch nicht da liegen lassen.“ Beide sahen herüber zu dem Loch, aus dem Nicks Arm ragte und ihnen einen Daumen zeigte. „... fein“, stöhnte Anya schließlich resignierend.   Nachdem es neulich schon nicht geklappt hatte, ihm nachts die Haare anzuzünden, wäre es vielleicht das Beste, wenn sie ihren Rachefeldzug vorerst aufs Eis legte. Denn scheinbar hatte sie bei der Flucht aus dem Turm ihr Mojo verloren. Keine böse Tat wollte mehr gelingen, ihre sonst so kreativen Einfälle blieben aus und vor allem … sie hatte gar keine Lust, anderen Menschen wirklich zu schaden. Bestenfalls mal Anflüge, mehr nicht. Was war mit ihr los!? Und da machte Abby sich Sorgen um Geister, National Guards und Raumverzerrungen, die es nicht gab!   ~-~-~   „Oh man“, stöhnte wenig später die penetrante Stimme Anyas förmlich durch das Einkaufscenter von Livington, „kaum sind ein paar Tage vergangen und es geht mir endlich besser, da muss ich plötzlich Modeberaterin spielen. Wie ätzend!“ Missmutig schlurfte sie hinter Abby und Nick hinterher, die zügig und bereits mit den verschiedensten Einkaufstaschen beladen durch das gläserne Einkaufszentrum von Livington zogen. Da Anya Bauer kein zuvorkommender Mensch war, war es die Aufgabe des hochgewachsenen Nick, welcher jetzt so aussah, als wäre er frisch aus dem Grabe entsprungen, den Großteil von Abbys Einkäufen zu tragen. Wobei man zugeben musste, dass Nicks zerzauster Look nicht wirklich neu war. „Beklag' dich nicht, Anya“, maßregelte die sonst immer so sanfte, friedvolle Abby ihre Freundin streng und blieb vor einer kleinen Boutique stehen, die sich am rechten Rand des ovalen, riesigen Einkaufszentrums befand. Welches von den Bewohnern Livingtons allgemein auch als Glas-Kolosseum betitelt wurde, woran die Fassade aus Fenstern schuld war, aus dem die Außenschicht des Gebäudes bestand. Fasziniert von den Angeboten des kleinen Ladens durch das Schaufenster starrend, hatte Abby keinen Blick mehr für ihre Freunde übrig. „Die ist heute seltsam drauf“, gab Anya unzufrieden von sich. „Erst ihre dämlichen Theorien und nun ist sie auf dem besten Weg zur Shopping-Queen! Was hab ich bloß falsch mit ihr gemacht?“ Nick, an den die Worte gerichtet waren, erwiderte hinter seinem Berg von Einkaufstaschen: „Sie ist immer noch sauer, weil du deine Freunde opfern wolltest. Das, oder sie ist beleidigt, weil ich ihr noch keinen Antrag gemacht habe, hehe.“ Das dümmliche Gegluckse ihres Freundes ignorierend, schnaufte die blonde, einen Kopf kleinere Anya wütend. „Ach deswegen …“   Ja, deswegen, dachte sie dabei säuerlich. Wer hätte denn auch ahnen können, dass diese blöde Kuh Valerie Redfield Abby alles gesteckt hatte, was in diesem verdammten Turm von Neo Babylon passiert war!? Knapp eine Woche war das jetzt her und schon wusste die halbe Nachbarschaft Bescheid, oder was!? Ja, sie wollte die fünf Zeugen der Konzeption opfern, um zusammen mit dem Dämon Levrier Eden zu werden. Aber der hatte sie ja förmlich dazu gezwungen durch diesen seltendämlichen Pakt, den die beiden geschlossen hatten. Nicht ihre Schuld! Ja, sie hat die anderen vielleicht ein wenig hinterhältig in den Turm gelockt. Aber am Ende waren die Bösen gestorben. Alles war wieder im Lot! Und ja, sie hatte sich bis jetzt noch nicht bei den anderen dafür in aller Form entschuldigt. Denn das hatte sie bereits im Turm getan. Sie konnte doch nun wirklich nichts dafür, dass die alle so verdammt nachtragend waren und fast keiner von denen noch ein Wort mit ihr reden wollte – als ob sie das interessieren würde!   „Anya“, wirbelte Abby um, „hör auf so ein Gesicht zu machen. Nutze deine zweite Chance weise und entschuldige dich endlich bei Henry, Marc und Valerie. … und frag bei Gelegenheit nach, was sie von meiner Theorie wegen der Raumverzerrung halten!“ Wie üblich trug sie eines ihrer sogenannten Reissackkleider, ein Stirnband und dunkel getönte Brillen – ein waschechtes Hippiemädchen eben, mit entsprechenden Wurzeln. Beziehungsweise waren ihre Zieheltern Hippies. Scheinbar wollte Abby sich jedoch von diesem Image losreißen, daher der Einkaufsbummel … obwohl Anya eigentlich keinen Grund hatte, sich über ihre Freundin zu beklagen. Die Moralpredigten waren zwar nervig, aber sie war eine der wenigen, die überhaupt die Eierstöcke hatte, zu Anya zu halten. Abby musste sich gar nicht verändern! Ihre echten Eltern waren schon seit Langem tot und erst vor drei Monaten hatte jene entdeckt, dass ihre Mutter eine waschechte Sirene gewesen war. Und somit auch Abby selbst. Anya war selbst dabei gewesen, als ihre Freundin ihre Kräfte entdeckt hatte, die im Übrigen sehr beeindruckend waren. Deshalb war es mittlerweile auch nicht mehr klug, sich mit ihr anzulegen. Besonders wenn sie so besessen war wie jetzt. Demonstrativ den Kopf zur Seite drehend, erwiderte Anya gallig: „Warum sollte ich? Die hätten an meiner Stelle genauso gehandelt! Außerdem leben wir alle noch, alles ist gut, bla bla bla! Wo ist das verdammte Problem!?“ „Das Problem“, erwiderte Abby eiskalt, „steht vor mir und ist uneinsichtig. Nick! Sag du was dazu!“ „Los, prügelt euch darum! Schlammcatchen“, gluckste dieser aber nur verträumt. „Ahhhhh … Schlammcatchen …“ Beide Mädchen seufzten ob der anzüglichen Gedanken ihres Freundes genervt. „Ich hab kein Problem!“, erwiderte Anya trotzig und verschränkte die Arme voreinander. Wäre da nicht das schwarze Totenkopfshirt, die gleichfarbige Lederjacke und die Tatsache, dass Anya Bauer Livingtons ganz eigene Terrormaschine war, hätte man sie in diesem Moment tatsächlich für ein beleidigtes Kleinkind halten können. Wobei sich in dem Fall Äußeres und Inneres nicht zwangsweise ausschließen musste. Abby seufzte und versuchte es auf ihre sonst übliche, sanfte Tour. Auf die Freundin zugehend, nahm sie deren Hände und starrte sie durch die Brille mitfühlend an. „Ich weiß doch, dass du unglücklich bist, weil die anderen dich nach der Zerstörung des Turms fertig gemacht haben. Henry hat ein paar sehr böse Sachen gesagt, nachdem wir euch gefunden haben und ich bin mir sicher, er bereut es mittlerweile.“ „Hmpf!“ „Ach Anya! Valerie hat mir doch alles erzählt. Wie du dich umentschieden hast, lieber dich als sie zu opfern, es dann aber zu spät war und du trotz aller Umstände tapfer gegen Isfanel gekämpft hast, der euch umbringen wollte“, sagte sie beschwichtigend, „aber dein Verrat hat die anderen trotzdem gekränkt. Du kannst mir ja viel erzählen, aber innerlich wissen wir beide, dass du sie mittlerweile als Freunde betrachtest. Dich für andere zu opfern hättest du früher höchstens für uns gemacht.“ Sofort riss Anya sich von Abby los und wirbelte um. Dabei blickte sie regelrecht verächtlich über ihre Schulter und sprach leise: „Misch dich da nicht ein, Masters! Das geht dich gar nichts an!“ Mit diesen Worten rannte sie einfach in die entgegengesetzte Richtung davon.   „... sie ist ganz schön gekränkt, weil die anderen sie jetzt ablehnen“, sagte Nick hinter den Einkaufstüten ernst, nachdem das Mädchen außer Reichweite war. Denn was Anya nicht wusste: Nick war nicht der Idiot, für den ihn seither jeder hielt. Tatsächlich war er hochintelligent und spielte die Rolle des Trottels nur, um Anya bei Laune zu halten. Um sie glücklich zu sehen, was ihm jedoch seither nie gelungen war. Abby wusste als eine der wenigen von dieser Scharade, aber auch erst seit etwa zwei Wochen. „Ich will doch nur, dass sie sich bei ihnen entschuldigt“, meinte das Hippiemädchen resignierend, „und dass sie die Sache wegen dem Turm etwas ernster nimmt.“ „Sie hat Angst davor. Vor beidem, meine ich“, mutmaßte Nick und drehte sich zu seiner Begleiterin um, „dass die anderen sie trotzdem ablehnen werden. Und egal wie gleichgültig sie tut, die Sache mit dem Turm von Neo Babylon lässt sie gewiss nicht kalt. Was ich gesehen habe, das war gewiss keine Einbildung.“ Abby nickte knapp. „Vielleicht hast du recht. Für sie war der Horror gerade erst vorbei. Dass die Soldaten verschwunden sind, muss ihr fürchterliche Angst bereiten, weil es bedeuten könnte, dass die Sache noch nicht ausgestanden ist. Auch wenn Levrier nun fort ist.“ Nachdenklich erwiderte Nick: „Das ist noch so ein Punkt. Seit Levrier tot ist, ist sie besonders gereizt. Natürlich würde sie das niemals zugeben, aber sie muss ihn vermissen. Er war immerhin drei Monate lang immer bei ihr und hat sie beschützt. Das hat vorher nie jemand für sie getan, auch wenn er es sicherlich aus eigennützigen Gründen gemacht hat.“ „So betrachtet … bin ich eine schlechte Freundin.“ Abby drehte sich zu dem Schaufenster um und betrachtete betrübt ihr durchsichtiges Spiegelbild darin. „Ich wollte eigentlich mit euch hierher, um sie etwas aufzuheitern. Aber natürlich konnte ich mich mal wieder mit meinen Moralpredigten nicht beherrschen …“ „Sie wird sich schon wieder einkriegen“, gab sich Nick zuversichtlich, „was sie die letzten Monate erlebt hat, ist nur schwer zu verdauen und braucht seine Zeit.“   Abby lachte schwach auf. „Hoffentlich. Matt und Alastair wollen bald abreisen. Henry und Melinda übrigens auch … morgen schon, hat er gesagt.“ „Jeder hat sein eigenes Leben, um das er sich kümmern muss. Die beiden Geschwister sind nur wegen Anothers Komplott nach Livington gekommen.“ Er trat neben sie und lächelte sie aufmunternd an. „Auch wenn Henry abreist, ist er deswegen nicht aus der Welt. Es gibt Telefone, Internet. Und arm ist er auch nicht, wenn er dich wiedersehen will, dann wird er das.“ „D-danke“, stammelte Abby und errötete, „du hast recht. T-trotzdem fände ich es besser, wenn er noch etwas bleiben würde. U-und natürlich muss Anya sich auch persönlich bei ihm entschuldigen, das hat absoluten Vorrang!“ Den Kopf schüttelnd, stöhnte Nick vergnügt: „Manche Dinge ändern sich wohl nie.“   „Nick … kann ich dich um etwas bitten?“, begann Abby zögerlich. Überrascht von ihrer verhaltenen Frage schaute Nick mit angezogenen Augenbrauen auf. „Begleitest du mich -da- hin? Ich weiß, dass es eigentlich nicht nötig ist, aber ich würde mich wesentlich besser fühlen, wenn du dabei wärst.“ „Natürlich“, erwiderte er mit fester Entschlossenheit.   ~-~-~   Kurze Zeit später hatten die beiden den Ort erreicht, der um ein Haar zu Anyas Grab geworden wäre – die Stelle, an der der Turm von Neo Babylon vor einiger Zeit erschienen war. Wenig hatte sich seitdem um sie herum verändert. Dort, wo einst die Livington High gestanden hatte, waren jetzt nur noch aufgewühlte Erde, Trümmer und Schutt zu sehen und das in einem kilometerweiten Radius. Zur Sicherheit hatte man einen Zaun um das Gelände aufgestellt, an der Südseite gab es zudem ein Militärlager, das natürlich offiziell für Ausgrabungszwecke genutzt wurde. Aber es war offensichtlich, dass die Regierung verhindern wollte, dass noch weitere Leute einfach verschwanden. Und dass sie keine Ahnung hatten, was überhaupt vorgefallen war.   Als die beiden an den hohen Zaun heran traten, klammerte sich Abby mit den Fingern in ihm fest und lehnte ihren Kopf an. „Ich bin mir nicht sicher, aber … es fühlt sich anders an, als noch vor ein paar Tagen. Du weißt ja, als Sirene nehme ich bestimmte Dinge anders wahr.“ „Als noch vor ein paar Tagen?“, hakte Nick nach und sah sie an. „Warst du öfter hier?“ „Jeden Tag. Nenn' mich Angsthase, aber dieses Thema lässt mich seither nicht los …“ Der hochgewachsene junge Mann richtete seinen Blick auf die Mitte des Trümmerfelds, dort wo der Turm erschienen war. „Dann haben wir uns wohl immer verpasst.“ „Du warst auch hier?“ „Ja. Es … für Anya existiert das alles nicht. Sie weiß, dass hier etwas nicht stimmt, aber da hört ihr Denkprozess auch auf.“ Plötzlich nahm er einen Schritt zurück und sah seine Hand an. „Ich weiß nicht mal mehr genau, was ich mir dabei gedacht hab, als ich das Skalpell genommen habe und mit dir hierher gekommen bin. Vielleicht war es ein Drang, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Und die Angst, das etwas den Turm verlassen könnte, was einst Anya war, nun aber eine allgemeine Bedrohung darstellte.“ Abby sah ihn von der Seite aus mitfühlend an. „Ich verstehe das. Wir beide haben das Warten nicht ausgehalten. Sich nutzlos, hilflos zu fühlen ist eines der schrecklichsten Dinge, die ein Mensch fühlen kann.“ „Es war mehr als das. Ich wusste nicht mehr, was ich überhaupt wollte. Wo mein Standpunkt war.“ Er machte eine kurze Pause. „Als ich dann das sah, diese … Wesen, die unsere Freunde waren. Ich dachte, es wäre alles schief gegangen. Und habe einfach gehandelt, wollte zustechen. Was Anya beinahe umgebracht hätte, wären ihre Reflexe nicht so gut.“ Seine Freundin, die den Blick über das zerstörte Land schweifen ließ, antwortete nachdenklich: „Das war nicht deine Schuld. Diese Verzerrung war die Ursache. Ich wette, jeder andere hätte dasselbe gesehen wie du und sich erschrocken.“ Nick trat wieder neben sie, hob die Hand um gegen den Zaun zu hämmern, ließ es dann aber sein und schwieg einen Augenblick. „... aber dafür hasst sie mich jetzt. Weil sie sich verraten vorkommt.“ „Nick“, sagte Abby nun im strengen Tonfall, „jetzt interpretierst du wirklich zu viel in Anya hinein. Sie glaubt dir das schon, aber du kennst sie doch. Nachtragend bis zum Ende der Welt. Jetzt, wo ihr Leben nicht mehr in unmittelbarer Gefahr ist, muss sie irgendwie wieder ihren Tag füllen. Die kriegt sich schon wieder ein.“ Was ihm ein Schmunzeln abrang, wo er vorhin doch noch dasselbe zu Abby gesagt hatte. „Vielleicht hast du recht.“ „Aber sie macht sich offensichtlich viel weniger Sorgen um die Sache als wir, das stimmt schon“, murmelte Abby, „andererseits ist das wohl ihr typischer Verdrängungsmechanismus.“ „Kann man es ihr verdenken?“ Das brünette Hippiemädchen schüttelte den Kopf. „Nein. Vielleicht ist es auch nur ein Gefühl und diese Verzerrung, die verschwundenen Soldaten … das alles sind nur Nachwirkungen, weil der Turm zerstört wurde.“ „Aber du hast gehört, was Anya erzählt hat. Isfanel sagte, der Turm darf nicht vernichtet werden und wenn selbst Another darauf Rücksicht genommen hat, muss es einen guten Grund gegeben haben“, gab Nick zu bedenken und sah mit Abby zusammen ein besonders weit hervor ragendes, schwarzes Stück des Turms an. „Hoffen wir mal, dass es ein gutes Zeichen ist, dass du weniger spürst als noch vor ein paar Tagen.“ „Ja. Hoffen wir's.“   ~-~-~   Als Andrew und Tara aus dem Taxi stiegen, das sie zu ihrem zehnstöckigen Hotel im Herzen Livingtons gebracht hatte, war bereits die Dunkelheit über die Stadt hereingebrochen. Der kalte Novemberabend ließ Tara frösteln, als sie durch eine Drehtür ins Innere des Hotels gingen. Die Rezeption war zwar nicht gerade das, was man anhand des rustikalen, halbkreisartigen Holzbaus modern nennen würde, aber sehr gemütlich, was nicht zuletzt den vielen Blumenvasen um sie herum zu verdanken war. Nachdem Andrew die Zimmerschlüssel abgeholt hatte, begaben sie sich per Aufzug nach oben zu ihrem Zimmer. Während sie nebeneinander standen, mit jeweils einem Koffer in den Händen, schwiegen sie. Dass Tara dabei nervös hin und her wippte, fiel Andrew durchaus auf. Er wusste, dass sie etwas auf dem Herzen hatte, aber wie er die blonde, junge Frau kannte, würde sie es vermutlich nur runter reden. Demnach hatte es erstmal keinen Zweck nachzufragen.   Mit einem Dong erreichten sie den fünften Stock, nahmen ein paar Schritte den Gang herab und öffneten die Tür zu Zimmer Nummer 5-09 mit einer Keycard. Es war klein, bot gerade einmal zwei Betten, einen Tisch, zwei Stühle, zwei Schränke und ein Badezimmer. Dafür gab es an der Stirnseite ein großes Fenster, aus dem man einen guten Blick auf das Stadtzentrum hatte.   Sofort ließ Tara ihren Koffer fallen – direkt auf Andrews Fuß, wie dieser stöhnend bemerkbar machte – und rannte zu dem Fenster. „Wow, die Stadt sieht bei Nacht echt cool aus!“, staunte sie und tippte mit dem Finger gegen das Glas. „Da ist das Einkaufscenter! Ich habe gehört, sie nennen es Kolosseum, weil es aussieht wie eins! Es sieht echt toll aus, so wie es beleuchtet ist.“ Andrew, der seufzend ihren Koffer auflas und neben das für sie angedachte Bett stellte, legte das eigene Gepäck auf das andere Bett ab und trat neben sie. „Du hast recht, es ist ein schöner Anblick. Zumindest die Innenstadt, die Randgebiete sind eher verschlafen, genau wie bei uns.“ „Werden wir …“ Taras Stimmung hatte sich schlagartig zu einer trüben gewandelt. „Werden wir ihn finden? Ich habe ihn schon so lange nicht mehr gesehen. Und es macht mir … Angst daran zu denken, wenn wir es nicht schaffen. Die Enttäuschung …“ Sie sah mit feuchten Augen auf zu ihrem Begleiter, der die Sonnenbrille abnahm und sie durch seine braunen Augen zögerlich ansah. „Ich weiß nicht. Das ist die einzige Spur, die wir haben. Aber sie ist alt, so hat man mir gesagt. Mach dir lieber nicht zu viele Hoffnungen …“ Die Blondine drehte sich wieder dem Fenster zu und ließ den Blick vom Kolosseum nach rechts wandern, über die Einkaufsstraße und einige Wohnblöcke hinweg zu einer Stelle, die ihr ein flaues Gefühl im Magen bescherte. „Da“, meinte sie und zeigte auf den gut ausgeleuchteten, kraterartigen Bereich mitten in der Stadt, „da soll die Livington High mal gestanden haben. Da, wo man Matt gesehen haben soll, als dieser merkwürdige Turm aus der Erde aufgetaucht ist.“ „Ich frage mich, was er da zu suchen hatte. Ob es die Neugier war, die ihn dorthin getrieben hat?“ „Vielleicht … war er es, der den Turm gesprengt hat“, mutmaßte Tara mit Unwohlsein, „du, Andrew. Ich will dahin.“ Überrascht von der Idee, sah er sie fragend an. „Das geht nicht, das ganze Gebiet ist abgesperrt. Da kommen wir nicht rein.“ „Aber ich muss wissen, was Matt dort wollte. Dort sind Menschen verschwunden, dutzende. Du weißt, sie haben im Fernsehen darüber berichtet.“ Tara sah ihren Freund mit großen Augen flehentlich an. „Ich habe auf der Zugfahrt hierher einen Zeitungsartikel von so einer Nina Placatelli gelesen, in der sie schreibt, dass die Ruine aus einer anderen Welt stammen soll. Was sollte ausgerechnet unser Matt da wollen?“ „Hör nicht auf den Quatsch“, mahnte Andrew sie, überlegte aber im selben Zuge: „Matt muss länger in der Stadt geblieben sein. Zweimal hat man jemanden gesehen, auf den seine Beschreibung passt. Das erste Mal, etwa eine Woche vor diesem Vorfall, hat man ihn zusammen mit einem Mädchen beim Bahnhof beobachtet. Es soll wohl gebrannt haben, aber als die Feuerwehr anrückte, waren die beiden schon verschwunden. Und dann nochmal, kurz nachdem der Turm erschienen ist. Einer der Schaulustigen hat beschrieben, wie er von ihm verscheucht wurde.“ Er spann seine Gedanken fort. „Zwischen Auftauchen des Turms und seiner Zerstörung liegen ungefähr sechs Stunden. Die National Guards sind erst eingetroffen, als der Turm schon in Schutt und Asche lag und da war Matt schon weg. Ist schwer zu sagen, ob er-“ Andrew weitete seinen Blick, als er Taras aufgeblasene Wangen bemerkte. „W-was ist?“ „Welches Mädchen?“, verlangte sie zu wissen. Leicht panisch schob sie hinterher: „Er hat doch keine neue Freundin, oder? Oh Gott, vielleicht hat er mich längst vergessen! Meinst du, er-“ „Wir gehen uns die Ruinen ansehen, okay?“, schnitt Andrew ihr stöhnend das Wort ab. Mit der Befürchtung, die nächsten Stunden damit verbringen zu dürfen, Taras Paranoia aus der Welt zu schaffen. Was alles andere als angenehm war.   ~-~-~   Als die beiden wenig später nebeneinander her schritten, unter dem Licht der Laternen am Bürgersteig, fühlte Tara sich seltsam unwohl. Was nicht an der schwülen Luft und dem gelegentlichen Rumpeln über ihnen herrührte, welche ein Gewitter ankündigten. Zwar wusste sie selbst nicht genau, was sie sich vom Besuch des zerstörten Schulgeländes erhoffte, aber sie wollte es mit eigenen Augen sehen. Vielleicht kam ihr dann eine Idee, was Matt dort gesucht haben könnte. Vielleicht war er ja nur zufällig dort und wollte sicher stellen, dass niemand verletzt wurde, indem er das ungesicherte Gelände betrat. Es musste so sein! Das war genau das, was -ihr- Matt tun würde, so war er einfach!   Der Vollmond, halb verborgen hinter Gewitterwolken, schien auf die beiden herab, als sie sich langsam der Straßensperre nährten, hinter der kurz darauf die ersten Ausläufe der Zerstörung zu sehen waren. Bäume waren umgeknickt, Trümmer ragten aus dem erdigen Boden. Kurz nach der Sperre war ein Zaun errichtet worden. Vor ihm gab es ein kleines Lager, bestehend aus mehreren Zelten und umringt von wuchtigen Lastwagen. Schwer bewaffnete Männer bewegten sich in jener Gegend unter dem Licht der aufgestellten Scheinwerfer. Der Zaun selbst war meterhoch und mit Stacheldraht gesichert. Da kam so schnell niemand rein, musste sie sich eingestehen.   Vor der Straßensperre blieben die beiden stehen. „Meinst du, er hat sich verändert?“, fragte Tara plötzlich bedrückt und sah auf ihre weißen Pumps herab. „Es ist jetzt schon so lange her, dass er untergetaucht ist.“ „Sicherlich wird ihn das verändert haben. Du musst es auch so sehen: er ist jetzt erwachsen geworden“, antwortete der Sonnenbrillenträger und verschränkte die Arme, „genau wie wir. Aber ich glaube nicht, dass er ein gänzlich anderer Mensch geworden ist, wenn es dich tröstet.“ „Du sagst immer deine Meinung“, schmunzelte Tara und mummelte sich tiefer in ihre weiße Jeansjacke ein, da sie fröstelte, „das hat er immer sehr an dir gemocht.“ Andrew lachte leise auf. „Den Eindruck hatte ich nie.“ „Gerade weil ihr solche Dickköpfe seid, seid ihr so gute Freunde. Als du vor sechs Jahren weggezogen bist, hat ihn das schon sehr mitgenommen.“ Das Mädchen sah hinauf in den wolkenverhangenen Nachthimmel und betrachtete die wenigen Sterne, die nicht vom nahenden Gewitter verschlungen worden waren. „Er hat sich verlassen gefühlt.“ Ihr Begleiter tat es ihr gleich und sah nach oben. „Vielleicht, wenn ich nicht fortgegangen wäre, hätte ich alles verhindern können. Ich wusste um die Situation mit seinem Vater … aber ich habe nichts unternommen.“ „Mr. Summers war sehr einflussreich. Ich hätte auch nicht den Mut dafür gehabt.“ „Ich habe weggesehen, Tara. Du brauchst keine Entschuldigungen dafür zu suchen. Es ist kein Wunder, dass Matts Vater irgendwann seine gerechte Strafe bekommen hat“, sagte Andrew tonlos. „Und ich will ehrlich sein: jemand, der seine Familie so schlecht behandelt, hat es auch nicht anders verdient. Mir tut es nur leid, was Matt und Sophie seither deswegen durchmachen müssen …“ Das Mädchen verstummte und ließ den Kopf hängen. Der Gedanke an Matts Schwester behagte ihr gar nicht. „Ich hab einfach nur Angst, dass er am Ende wirklich zu dem geworden ist, was er alle Welt glauben machen will“, schluchzte Tara plötzlich bitter. „Wo er doch nicht einmal weiß, dass-!“ Ein kalter Windhauch zog durch die Straße. Vermisst du ihn so sehr? Diesen Matt Summers?   Das Mädchen schreckte auf. „Was?“ Diese seltsame, androgyne Stimme … hatte sie sich die gerade eingebildet? „Er wird es früher oder später erfahren, was Sophie angeht“, überlegte Andrew derweil. „Das ist schließlich auch ein Grund, warum wir ihn suchen.“   Er ist noch in der Stadt. Ich spüre seine Anwesenheit.   Ängstlich wich Tara von der Absperrung zurück und sah sich panisch um. „Was ist los?“, fragte ihr Begleiter, dem nun aufgefallen war, dass sie sich seltsam verhielt. „Da ist diese … diese Stimme. Hörst du die auch?“ „Wovon redest du? Ist alles in Ordnung mit dir?“ Andrew Shanks kann mich nicht hören. Ich spreche nur zu dir, Tara Hartwell.   „Was bist du!?“, wollte das Mädchen aufgeschreckt wissen, drehte sich mehrmals um die eigene Achse. Andrew packte sie alarmiert am Arm. „Vielleicht sollten wir von hier verschwinden.“   Mein Name lautet Urila. Ich kann dich gerne zu ihm hinführen, wenn du es möchtest. „Urila …? Woher kennst du Matt?“ Andrew riss nun regelrecht an dem Mädchen, denn das blöde Gefühl in seiner Magengegend war Warnung genug. „Hör nicht hin, ignorier' es! Wir müssen verschwinden!“ Jedoch schüttelte Tara den Kopf. „Diese Stimme, sie kennt Matt!“   Sagen wir, er und ich sind uns kürzlich begegnet. Nur zu gerne würde ich ihn wiedersehen. Wollen wir nicht zusammen zu ihm gehen? „Kannst du … kannst du ihn wirklich für mich finden?“ „Tara, nein!“ Das Mädchen sah Andrew geradezu manisch an. „A-aber warum!?“ Jener packte sie fester an den Schultern, als er eigentlich beabsichtigt hatte. „Das ist etwas Böses, Tara! Du musst dich dem verschließen!“ „Woher willst du das wissen!?“, widersprach sie und richtete das Wort an die unbekannte Präsenz. „Antworte mir, kannst du Matt für mich ausfindig machen!?“   Natürlich. Schwarzes Haar, viel Humor … und eine unverkennbare Aura. Wenn wir zusammenarbeiten, wäre alles für uns beide möglich. Was sagst du?   „Das wäre zu schön um wahr zu sein …“, murmelte das Mädchen und ließ den Kopf hängen.   Oh ja. Aber Tara Hartwell, du bist die Einzige, die es möglich machen kann. Dein offenes Herz, dein guter Wille … sie haben gerade das Tor für unseren Pakt geöffnet.   „Huh? AH!“ Es durchschoss das Mädchen wie ein Blitz, der Andrew zeitgleich zurückschrecken ließ. Nur den Bruchteil einer Sekunde war sie da, eine eisige Kälte in ihrem Inneren. Dann kippte Tara vorne über und stützte sich mit den Händen keuchend ab.   Andrew, der kaum wusste was vor sich ging, bückte sich zu Tara herab. „Was um Himmels Willen ist los!? Was will die Stimme von dir, ist sie noch da!?“ „Es … es geht schon. Sie ist weg.“ Das Mädchen ließ sich von ihm aufhelfen. Vorsichtig nahm es zum Erstaunen ihres Freundes einen Schritt nach vorne und knickte um, fiel der Länge nach hin. „Tara!“, rief er und bückte sich sofort wieder nach ihr. „Ich muss mich erst daran gewöhnen“, nuschelte diese frustriert und erhob sich wieder, diesmal nicht mehr ganz so wackelig. Von oben herab sah sie Andrew an. „Und nenn' mich nicht wie dieses dumme Kind. Mein Name ist Urila!“   Sofort schreckte der junge Mann auf, wich von Tara zurück. Und bemerkte erst jetzt, dass die Straßenabsperrung, der dahinter liegende Zaun sowie das Trümmerfeld und die umliegenden Gebäude alle verzerrt wirkten. Als wäre er in einem Kaleidoskop gefangen, spiegelten sich manche Stellen, andere hingegen waren wie bei einem zerbrochenen Spiegel auseinander gerissen. Nur Tara war davon nicht betroffen. „Das kann nicht sein …“, murmelte er fassungslos, als er sich umsah. „Nachwirkungen, weil der Turm aus dem Geflecht gerissen wurde. Aber mir soll das egal sein, das hört sowieso bald auf“, raunte Tara und begann sich wackelig von Andrew zu entfernen. „Warte!“, rief er ihr mit ausgestreckter Hand hinterher. „Worauf?“ „Was bist du? Was hast du mit ihr gemacht?“ Die Blondine blieb stehen, ohne aber den jungen Mann anzusehen. „Ich leihe mir nur ihren Körper für eine Weile aus. Du hast doch nichts dagegen, oder? Ach, was frage ich überhaupt …“ Denn Andrew seinerseits hatte sehr wohl etwas dagegen. „Lass sie frei!“ Nun drehte Urila sich wieder um und grinste tückisch. „Und was, wenn nicht? Weißt du überhaupt, mit wem du es hier zu tun hast?“ „Eine Immaterielle, wenn ich raten müsste!“ Die Antwort überraschte Urila offenbar, denn das Grinsen wich aus ihrem Gesicht. „Sieh an …“ „So etwas habe ich mir schon fast gedacht. Keine Ahnung warum, vielleicht wegen diesem Typen“, erwiderte Andrew, „irgendwie … hatte ich es im Gefühl. Als ob ich wüsste, dass so etwas passieren würde. Vielleicht bin ich deshalb so ruhig, tz. Wie auch immer, lass sie gehen. Sofort!“ Die 'neue Tara' aber streckte sich nur unbekümmert und gähnte. „Bedaure, da musst du erst 'nen Antrag stellen. Und wir haben schon geschlossen. … hach, du hast ja keine Ahnung, wie gut das tut. Ich glaube, ich werde mir'n Tenniskurs suchen, wenn ich hier fertig bin. Um diesen wunderbaren Gliedmaßen zu huldigen, du verstehst?“ „Lass diese Scherze! Ich weiß nicht, was du vorhast, aber such dir jemand anderen dafür!“ „Hör auf dich so anzustellen“, beklagte Urila sich empört und streckte sich noch ein wenig, „gerade habe ich nach aberhunderten von Jahren endlich wieder einen Körper, da jammerst du rum und willst diese unerträgliche Tara Hartwell wiedersehen.“ Andrew konnte es nicht fassen. Dieses Wesen, was immer es auch war, schien sich gar nicht für das zu interessieren, was er sagte. Andererseits war das wohl von einer Dämonin zu erwarten. Oder was auch immer sie war. Nebenbei, wieso war er sich absolut sicher, dass es eine Sie war? „Sag mal“, begann jene langsam und reckte ein letztes Mal den Kopf nach links und rechts, ehe sie sich auf den jungen Mann zu fixieren begann, „was war das eigentlich mit deinem Freund, Matt Summers? Ausgerechnet ihr beide kennt den? Wenn das keine Ironie des Schicksals ist.“ „Was willst du von ihm!?“ „Naja“, begann sie ungeschönt, „ich hatte da vor ein paar Jahrhunderten mal diesen Plan, der ein Tor zwischen dieser Welt und dem Nexus, dem Korridor zwischen den Welten öffnen sollte – um es salopp zu sagen. Leider wurde ich deswegen unfairerweise verbannt. Ich bin Rapunzel 2.0, wenn man so will.“ „Du riskierst eine ganz schön kesse Lippe für eine Ex-Gefangene“, kommentierte Andrew dies sauer, „keine Angst, man könnte dich wieder einsperren?“ „Ich forsche ein bisschen in ihren Gedanken, um auf den neuesten Stand zu kommen. Die heutigen Sprechweisen der Jugend sind sehr unterhaltsam. Und hah! Worin will man mich jetzt noch einsperren? Und wer? Sorry Kiddo, ich bin jetzt sozusagen in einer gesetzesfreien Zone.“ Mit einem Kopfnicken verwies sie in Richtung der Trümmer hinter ihr. „Nur das Tor, das meinen schönen Plan bewerkstelligen sollte, ist jetzt leider futsch. Es war in dem Turm, der hier explodiert ist und mein Gefängnis dargestellt hat. Muss mir also eine Alternative suchen, wie ich zum Nexus gelange. Vorschläge? Immerhin hast du ja offenbar Ahnung, wenn du mich als Immaterielle erkennst?“ „Sorry, nichts dergleichen“, antwortete ihr der Sonnenbrillenträger locker. Andrew bekam immer mehr ein ungutes Gefühl. Was, wenn man bedachte, mit wem er es hier offenbar zu tun hatte, auch als verdammt beschissenes Gefühl beschrieben werden könnte. Wenn sie so etwas wie ein Dämon war, der eingesperrt werden musste, dann bedeutete die neue Freiheit nur eins. Chaos! Er musste Matt warnen! „Schade. Aber mal gewinnt man, mal verliert man“, sagte die besessene Tara weiter in ihren flotten Tonfall, „ich nehme es meinen Befreiern, zu denen dein kleiner Freund übrigens gehört, auch gar nicht -so- übel, dass das Tor dafür mit den Bach hinunter ging. Hab sie gespürt, weißt du? Als sie im Turm waren. Isfanel hat sie so~ eindringlich warnen wollen, mich durch die Zerstörung nicht freizulassen, aber keiner hat ihn verstanden. Dumme Sache.“ Vorsichtig nahm Andrew einen Schritt zurück. Vielleicht konnte er weglaufen, immerhin war er sportlich sehr aktiv und Tara ein geborener Tollpatsch. Bloß war das vor ihm nicht mehr Tara. „Na ja, genug der Geschichtsstunde“, schloss Urila diese und klatschte nachdenklich beide Hände zusammen, „die wichtigere Frage ist jetzt erstmal, was ich mit dir mache. Dann kann ich mich um die beiden Dämonenjäger kümmern, die mich rausgelassen haben und offenbar etwas besitzen, das mich brennend interessiert.“ „W-was soll das alles!?“ Andrew verstand nicht, warum diese Urila scheinbar so scharf auf Matt zu sein schien. „Matt wird jemandem wie dir sicher keine Hilfe sein.“ Was hatte der Dummkopf bloß angestellt!? „Ach, sie haben sich im Turm die ganze Zeit unterhalten und dabei ein paar interessante Sachen fallen gelassen. Wusstest du, dass es euer geliebter Matt Summers war, der überhaupt erst die Idee mit dem Sprengen des Turms hatte? Ich glaub, ich schicke ihm eine Grußkarte … der ganz besonderen Art, hihi.“ Andrews Augen weiteten sich. „Also hab ich mich gerade eben nicht verhört …“ „Oh ja.“ Urila hob den Zeigefinger belehrend. „Er und seine Freundin, die Ex-Gründerin Anya Bauer, sind die Hauptschuldigen. Ihr werde ich demnach Blumen schicken, glaub ich. Weil ich wetten könnte, dass sie das Grünzeug wie die Pest hasst. Ich mag sie ansonsten nämlich nicht, weißt du?“ Derweil konnte Andrew nicht fassen, was er da alles vernahm. Eine Dämonin, die in diesem Turm eingesperrt und nun nach tausenden von Jahren wieder frei war? Matt, der scheinbar der Schuldige an dieser Sache war und tatsächlich die Laufbahn eines Dämonenjägers ergriffen hatte? Das war verrückt, einfach nur verrückt! Wenn er nicht seit Kurzem genau um Matts geheime Karriere wüsste, würde er glauben, dass Tara ihn nur verscheißern wollte. Aber es hieß auch, dass Matt vielleicht noch in der Stadt war! Wenn ja, musste er ihn finden und warnen! Vielleicht konnte sein Freund Tara helfen?   Schnurstracks wirbelte Andrew um und begann den ewigen Monolog dieser Urila zu ignorieren. Er begann zu rennen, doch kaum hatte er ein paar Schritte getan, prallte er mit dem Kopf gegen eine unsichtbare Mauer und wurde zurückgeworfen, landete auf dem Rücken. „Na na na“, rügte Urila ihn vergnügt, „nicht böse sein, aber wegrennen lassen kann ich dich leider nicht mehr. Wobei, was würdest du schon tun können?“ Unerwartet schnippte sie mit dem Finger. „Ah, das ist mal was … Urila, du bist ein Genie! Okay, hab's mir anders überlegt, du kannst gehen.“ Andrew, der sich auf den Bauch rollte und zurück auf die Füße torkelte, kam nicht einmal rein auditiv bei Urilas Gesinnungswechsel an, da zeigte die schon auf das D-Pad an seinem Arm. „Aber eine Bedingung habe ich, wenn ich dich laufen lassen soll. Weißt du, ich brauche etwas Erfahrung mit dem da. Wenn du gewinnst, kannst du gehen und meinetwegen machen was du willst. Gewinnst du aber nicht, naja, dann gibt es dich nicht mehr. Mir ist es schnuppe.“ Irritiert hob Andrew den Arm im Aufstehen und sah auf das D-Pad. „Was …?“ „Ja!“, bestand Urila darauf. „Die Erinnerungen deiner Freundin sind eine Sache, aber ich muss das selbst lernen. Ich mein, ihr Kids von heute fahrt doch total darauf ab. Was da oben im Turm abgegangen ist war zu spannend, um es an mir vorbeigehen zu lassen. Könnte für mich also noch nützlich werden das zu lernen, hm?“   Der Schwarzhaarige mit der Sonnenbrille richtete seinen Blick auf das wartende Mädchen im schwarz-weiß gestreiften Kleid und der weißen Jeansjacke, welches von außen her so unscheinbar und niedlich anmutete. Warum wollte dieser Dämon sich duellieren!? Aber wenn er sie richtig verstand, war das eine Drohung. Verlor er, würde sie ihn töten. Was sie wohl auch tun würde, wenn er das Duell verweigerte. Wie wollte sie das anstellen? Welche Kräfte besaß sie noch? Einerseits überlegte Andrew, Tara einfach bewusstlos zu schlagen. Bloß hielten ihn davon zwei Dinge ab. Die Skrupel gegenüber seiner Sandkastenfreundin und die Tatsache, dass Urila keinen Hinweis darauf gab, dass sie bluffte. Wenn sie so gefährlich war, dass man sie einsperren musste, dann sollte er kein Risiko eingehen. Diese Barriere war ein eindeutiges Warnsignal.   „Was habe ich für eine andere Wahl?“, fragte er zornig und spuckte auf den Boden. „Gut, machen wir dieses Duell.“ „Oh prima!“ Das Mädchen sprang vor Freunde glatt in die Luft. „Die ersten zwei Menschen, die mir nach über tausend Jahren Turmzelle begegnen und beide sind kooperativ! Ihr seid die Besten!“ Kooperativ war das falsche Wort, dachte sich ihr Gegenüber dabei ärgerlich. Dieses Wesen war wie ein Parasit, der jetzt an Tara hing! Urila schnippte mit dem Finger, als fiele ihr etwas ein. „Ach ja, du kannst gerne die Sicherheitsmechaniken ausstellen, wenn du möchtest. Ich mag es, wenn die Angriffe etwas weh tun und je früher die Schmerzen kommen, desto schneller gewöhne ich mich dran.“ Woher wusste sie, dass er die Sicherheitseinstellungen der D-Pads umgehen konnte, fragte Andrew sich geschockt? Und was hatte dieser Satz mit den Schmerzen zu bedeuten? Dass Andrew sein D-Pads und Duel Disks manipulieren konnte lag daran, dass sein Vater bei der Polizei arbeitete und er dementsprechend, wenn auch nur heimlich, an die Codes herankam, um die Sicherungsmechanismen auszustellen. Vielleicht ahnte Tara also etwas, das Urila aufgegriffen hatte? Hoffentlich wusste sie nichts von seinem anderen Geheimnis. Aber das war völlig unmöglich! Er hatte ihr nichts von der Begegnung erzählt!   Das Mädchen legte derweil ihr Deck in ihr pinkes D-Pad und sah in drängelnder Manier auf. „Nun schlaf nicht ein, ich hab heute Nacht noch eine Menge zu tun!“ Andrew tat es ihr gleich und ließ sein eigenes ausfahren. In verkrampfter Manier stand er seiner Gegnerin auf einige Meter Entfernung vor dem nächtlichen, abstrakt verzerrten Trümmerhaufen der Livington High gegenüber. „Also schön. Duell!“ „Duell!“   [Andrew: 4000LP / Tara: 4000LP]   „Da mein Gefäß eine Lady ist, fängt sie an, verstanden? Draw!“ Schon hatte Urila entgegen seinem Willen das Ruder an sich gerissen und legte von ihren sechs Karten die erste auf das D-Pad. „Ich glaube, die spielt sie sehr gerne. Erscheine, [Madolche Magileine]!“ Kaum hatte sie den Namen ausgerufen, da tauchte eine kleine, junge Hexe mit einer riesigen Gabel in der Hand vor ihr auf. Ganz in violett gekleidet, nahm diese ihren großen Spitzhut vom Kopf und zog aus ihm eine Karte heraus. Markant war aber, dass sie bei all dem in der Luft schwebte, oder besser gesagt, das puzzleartige, schwarze Gebäckstück, auf dem sie stand.   Madolche Magileine [ATK/1400 DEF/1200 (4)]   „Wenn dieses fesche Ding beschworen wird, erhalte ich eine andere Süßigkeit vom Deck“, erklärte Urila hibbelig, „das ist so aufregend, ihr habt so viele Wörter im Sprachschatz, die ich noch gar nicht kenne.“ Andrew runzelte nur argwöhnisch die Stirn dabei. Schließlich zeigte Urila die Monsterkarte [Madolche Puddingcess] vor, die sie in ihr Blatt dank Magileines Effekt aufnahm. „Uh … die muss man setzen“, murmelte sie dabei zu sich selbst und schob drei Fallen in die dazugehörigen Slots des pinken D-Pads. Schon materialisierten sich die Karten vor ihren Füßen. Die besessene Tara schloss damit: „Und da ich noch nicht angreifen kann, soll ich wohl meinen Zug beenden, richtig? Also, du bist dran.“   Als Andrew still seine neue Karte zog, ließ er seine Gegnerin nicht aus den Augen. Einerseits schien diese Urila voller Entdeckungsdrang zu sein, musste diese Welt ihr doch neu und unverbraucht vorkommen. Dennoch war sie gefährlich. Er wusste zwar nicht, wieso sie für den Versuch, ein Tor zu diesem Nexus zu öffnen, verbannt wurde, aber es musste seine Gründe haben. Würde sie es wieder versuchen, jetzt wo sie wieder frei war? Aber wie? Dieser Turm und das Tor, von dem sie gesprochen hatte, waren zerstört. Allerdings hatte sie bereits etwas ins Auge gefasst, was ausgerechnet mit Matt zu tun haben musste. Bloß was!? Er musste unbedingt vor ihr zu Matt gelangen! Allein wegen der Warnung von diesem Mann!   „Main Phase 1“, kündigte er tonlos an, „indem ich ein hochstufiges Licht-Monster abwerfe, kann ich [Lightray Grepher] als Spezialbeschwörung aufs Feld rufen. Also erscheine.“ So geschah es, dass vor ihm ein muskulöser, schwarzhaariger Schwertkämpfer in blau-weißer, ärmelloser Montur erschien. Gleichzeitig schob Andrew den Stufe 7-[Lightray Diabolos] in den Friedhofsschlitz seiner Duel Disk.   Lightray Grepher [ATK/1700 DEF/1600 (4)] „Ein weiterer Effekt Grephers ist es, dass ich noch ein Licht-Monster abwerfen kann, um ein ebensolches von meinem Deck zu verbannen“, führte Andrew seinen Zug fort und entledigte sich zuerst seines [Lightray Gardnas], ehe er [Lightray Gearfried] in seine Hosentasche schob. Urila beobachtete das alles mit einer ungeheuren Neugier, auch wenn Andrew sich sicher war, dass sie seinen Duellstil dank Taras Erinnerungen kennen musste. „Wenn [Lightray Gardna] auf meinem Friedhof liegt“, sprach Andrew weiter und holte das Monster sowie den eben erst abgelegten [Lightray Diabolos] hervor, „kann ich ihn und ein anderes Licht-Monster von meinem Friedhof verbannen.“ So landeten beide ebenfalls in seiner Hosentasche. „Und nun, da ich genau drei verbannte Licht-Monster besitze“, fasste Andrew seine Absichten zusammen und zückte zwei weitere Monster von seiner Hand, „kann ich sowohl [Lightray Sorcerer], als auch [Lightray Madoor] von meiner Hand als Spezialbeschwörung rufen.“ Unter zwei aus dem Boden empor schießenden Energiesäulen tauchten zuerst ein in weiß-blauer Robe gekleideter Hexenmeister, der eine Lichtkugel zwischen seinen Händen bündelte und dann ein weiterer, maskierter Hexer auf, welcher über seinem hellblauen Hemd einen weißen Mantel trug und eine Eismauer befehligte.   Lightray Sorcerer [ATK/2300 DEF/2000 (6)] Lightray Madoor [ATK/1200 DEF/3000 (6)] „Da wenig Bedarf besteht, auf Sorcerers Angriff zu verzichten, nur um Magileine zu bannen, wird das im Kampf geregelt!“, schloss Andrew schließlich und zeigte auf die Hexe. „Ich ziehe nämlich den Kampfschaden vor. Also, Angriff mit Lightray Grenade!“ Wie aus der Pistole schoss der Hexenmeister seine Lichtkugel auf Urilas [Madolche Magileine] ab, deren Besitzerin aber prompt den Arm ausschwang. „Dann muss ich wohl das tun, so wie sie es immer tut: Falle aktivieren! [Madolche Waltz]! Kämpft die Süßigkeit, gibt’s 300 Kariespunkte für dich, hihi.“ „Hör auf Tara zu imitieren!“, verlange Andrew verärgert. Magileine kam gar nicht erst dazu, den angedeuteten Walzer anzuschlagen, da wurde sie schon getroffen und flog im hohen Bogen kreischend davon. Urila schob daraufhin die Karte ihres Monsters in ihr Deck zurück, denn: „Wie du wissen müsstest, werden Madolches nicht auf den Friedhof, sondern ins Deck gelegt, wenn sie zerstört werden.“ Ihr D-Pad schloss den Prozess mit einem Mischdurchlauf ab. Gleichzeitig spürte Andrew ein leichtes Ziehen in der linken Schulter, welche er überrascht packte.   [Andrew: 4000LP → 3700LP / Tara: 4000LP → 3100LP]   „Ein großen Vorteil wirst du daraus nicht ziehen können, denn meine Monster werden dich jetzt direkt angreifen!“, bellte er erzürnt. „[Lightray Grepher], benutze Lightray Blow! Madoor, greife mit Lightray Wall an! Los!“ Sofort stürmte sein Krieger auf das blonde Mädchen zu, begleitet von einer Welle aus weiß-blauem Eis, das der Hexer ihm hinterher schickte. Erst glitt die Klinge diagonal durch den Körper Taras, anschließend sprang Grepher aus dem Weg, damit der Eiswall über sie hernieder brechen konnte. „Hmpf“, schnaubte Andrew dabei.   [Andrew: 3700LP / Tara: 3100LP → 200LP]   Völlig ungerührt stand sie da, denn es würde ihm niemals in den Sinn kommen, wegen ihr die Sicherheitsvorkehrungen seines D-Pads zu deaktivieren. Aber noch etwas beunruhigte ihn. Das war viel zu leicht. Tara war weiß Gott keine schlechte Duellantin, wenn manchmal auch etwas schusselig. Wenn diese Urila auf Taras Erinnerungen zurückgreifen konnte, musste sie wissen, wie man ihr Deck zu spielen hat. Demnach plante sie etwas. „Meine letzte Karte setze ich verdeckt“, sprach Andrew und schob die Falle in seine Duel Disk, „Zug beendet.“   Die Lippen schürzend, legte Urila den Kopf in den Nacken und murmelte: „Ich sitze in der Patsche, oder? Mein erstes Duell und ich bin schon sowas von am Verlieren! Hach …“ „Du bist einfach ein paar Jahrhunderte zu alt für so etwas“, kommentierte Andrew das abfällig. „Och bitte, man ist so alt wie man sich fühlt? Oder in diesem Fall bin ich so alt wie mein Gefäß.“ Damit klatschte sie in die Hände. „Genug Smalltalk, mein Zug! Draw!“ Schwungvoll zog die Blondine ihre nächste Karte und lächelte verzückt bei ihrem Anblick. Was sie anschließend dazu brachte, eine ihrer Fallen zu aktivieren. „Zeit für ein wenig gute Stimmung, meinst du nicht? [Madolchepalooza]! Chaka chaka, baby!“ Andrew runzelte die Stirn ob der peinlichen Tanzbewegungen, die Urila machte. „Ich kenne den Effekt.“ Obwohl er sich wünschte, dem wäre nicht so. Denn er bedeutete Ärger. „Hmm, wenn du meinst“, gab sich Urila enttäuscht, hörte mit ihren 'Moves' auf und blähte die Wangen auf, „dann eben kurz und schmerzlos. Ich rufe [Madolche Puddingcess], ihren Prinzen, [Madolche Potpourrince] und den Hofritter [Madolche Chouxvalier] von meiner Hand als Spezialbeschwörung!“ Hand in Hand auf einem großen Karamellpuzzlestück tanzend, tauchten eine kleine, blonde Prinzessin mit Kirsche im Haar und ein etwas größerer Prinz auf. Beide in cremefarbige Kleidung gehüllt, zog die Prinzessin nach der Tanzeinlage ihren Rockzipfel hoch und verbeugte sich, wohingegen der Prinz, um den massenhaft Pralinen, Schokoladenstücken, Kekse und andere Leckereien schwebten, sich verneigte. Etwas weiter abseits tauchte, ebenfalls auf einem Puzzlestück, ein kleiner Krieger in schwarzem Gewand auf einem weißen Pferd auf, wobei er als Waffe ein Zuckerstangenschwert schwang.   Madolche Puddingcess [ATK/1000 → 1800 DEF/1000 (5)] Madolche Potpourrince [ATK/1500 DEF/1000 (5)] Madolche Chouxvalier [ATK/1700 DEF/1300 (4)]   Stimmt, ging es Andrew beim Anblick der Puddingcess durch den Kopf. Da seine Gegnerin keine Monster auf ihrem Friedhof liegen hatte – denn das war die Ausgangsstrategie dieses Decks – erhöhte dies Puddingcess' Stärke. „Weißt du, das Lustige an der ganzen Sache ist ja, dass meine Süßigkeiten dank unseres Märchenprinzen direkt angreifen können. Hab ich das nicht gut gemacht?“, fragte Urila aufrichtig nach Lob lechzend. Unter einem stolzen Ausruf zog ihr Prinz das Schwert aus der Schneide an seinem Waffenrock und schwang es im langen Bogen aus. Daraus entstand eine leuchtende Welle, die seine Mitstreiter erfasste und beigefarbener Aura aufglühen ließ. „Das wird ja immer besser“, kommentierte Andrew das Ganze angespannt. „Dafür werden solange die Effekte deiner Monster annulliert.“ „Unwichtige Details …“, winkte seine Gegnerin läppisch ab. Andrew stand der Schweiß auf der Stirn. Und er erinnerte sich noch gut an [Madolche Potpourrince], denn sobald Tara ihn ausspielte, war sie kaum noch zu stoppen. „Du siehst gar nicht glücklich aus“, grinste Urila verspielt, „hast du Angst? Musst du nicht, ich bin nicht böse. Klar, mein Plan wird ein paar Opfer fordern, aber er ist nur gut gemeint, ehrlich!“ „Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.“ Sein Gegenüber zuckte mit den Schultern. „Anscheinend hast du nicht den geringsten Schimmer, was dieser Matt Summers neuerdings so treibt.“ „Wenn man deinen Worten trauen kann, ist er ein Dämonenjäger.“ „Er hat das getötet, was ihr am ehesten als Bruder für mich bezeichnen würdet“, sagte Urila und kniff die Augen fest zusammen, ihre Heiterkeit verflog von einem Augenblick zum anderen, „deswegen wird er mir jetzt helfen, seinen letzten Worten einen Sinn zu verschaffen. Idealerweise ist er auch genau der Richtige für den Job. Aber mehr musst du nicht wissen.“ Damit streckte sie geradezu in majestätischer Manier die Hand aus und zeigte direkt an Andrews drei Monstern vorbei auf den jungen Mann. „Ich hoffe du magst Süßes! Zuerst ist Chouxvalier dran! Direkter Angriff auf seine Lebenspunkte!“ Andrew schüttelte den Kopf, als der gut betuchte Ritter auf seinem Plüschross angaloppiert kam, dabei wild mit der Zuckerstange fuchtelnd. „Ein Krieger sollte mit seinen Fähigkeiten schon überzeugen. Soll er sich im Spiegel ansehen und aus seinen Fehlern lernen! Ich aktiviere [Radiant Mirror Force], da du drei Monster kontrollierst!“ Urila gab einen überraschten Laut von sich, als sich um Andrews Monster eine spiegelnde Mauer zog, an der die Kanne abprallte und zurück auf ihren Besitzer geflogen kam. „Damit werden alle deine Monster zerstört!“ „Keine Lust! Konterfalle!“, rief Urila und ließ damit die letzte ihrer gesetzten Karten aufspringen, „[Madolche Tea Break]! Habe ich keine Monster im Friedhof, negiert sie deine Karte und gibt sie auf die Hand zurück! Außerdem kann sie eine deiner Karten zerstören, wenn [Madolche Puddingcess] auf dem Feld ist!“ Andrew keuchte erschrocken, als der Ritter seine ungewöhnliche Waffe hoch in die Luft warf, dann auffing und direkt in die Richtung des [Lightray Sorcerers] schleuderte. Die Spiegelmauer brach beim Treffer in sich zusammen, die Zuckerstange bahnte sich ihren Weg durch des Hexers Brust, welcher explodierte und fand schließlich in Andrew ihr Ziel. Dieser hielt beide Arme über Kreuz und stöhnte auf, als er erwischt wurde. „Ah, vergiss nicht [Madolche Waltz], weswegen du nochmal 300 Kariespunkte bekommst, ahahaha!“ Blitze schlugen um den jungen Mann, dem schwindelig wurde. Tapfer hielt er sich auf den Beinen.   [Andrew: 3700LP → 2000LP → 1700LP / Tara: 200LP] Andrew biss die Zähne zusammen und schrie nicht, wenn er auch befürchtete, dass diese Schmerzen nicht etwa durch fehlende Sicherheitseinstellungen, sondern durch Urilas dämonische Kräfte verursacht wurden. Zitterig bückte er sich nach seiner [Radiant Mirror Force]-Karte, die nebenbei aus dem D-Pad geflogen kam und welche er wieder seinem ansonsten nicht existierendem Blatt hinzufügte. „Aber das ist doch erst der Anfang, nicht gleich schlapp machen! Da du ja sonst so hartnäckig bist, wird sich die Prinzessin höchstpersönlich darum kümmern müssen! Also los!“, befahl Urila ihrer [Madolche Puddingcess] mit ausgestrecktem Arm. „Keine Sorge, ihre Effekte werden ja negiert, wenn sie unter des Prinzen Einfluss direkt angreift.“   Madolche Puddingcess [ATK/1800 → 1000 DEF/1000 (5)]   Diese klatschte nur zweimal in die Hände, da versank Andrew einfach in einer Puddingpfütze, die sich unter ihm aufgetan hatte. Dem fiel es zunehmend schwerer, nicht zu schreien. Denn der Pudding besaß Temperaturen jenseits von Gut und Böse. Nebenbei schlugen wieder Blitze um ihn, ausgelöst von [Madolche Waltz].   [Andrew: 1700LP → 700LP → 400LP / Tara: 200LP]   „Und jetzt die Krönung. Die Schlagsahne sozusagen“, kicherte Urila neckisch. Seine einzelne Karte fest in den Händen haltend, wischte sich Andrew den Schweiß von der Stirn und schluckte. Es sah nicht gut für ihn aus. „Oh, das ging aber schnell. Normalerweise spielst du doch besser als das“, machte sich Urila über ihn lustig. „Wie sagtest du? Mal gewinnt man, mal verliert man.“ Das brachte sie zum Lachen. „Oh ja, dumme Sache, was? Aber ich mache es kurz und schmerzlos. War schön dich kennengelernt zu haben, ich werde dich bestimmt die nächsten Jahrhunderte nicht vergessen.“ Ihr Gegenüber runzelte die Stirn. „Zu viel der Ehre.“ „[Madolche Potpourrince]“, rief Urila laut aus und streckte den erhobenen Zeigefinger in die Höhe, „direkter Angriff auf seine Lebenspunkte!“ Mit einem Schwenk seiner Hand ließ der Prinz die Ansammlung erlesenster Süßigkeiten, die um ihn schwirrten, wie einen Bienenschwarm auf den immer noch in der Puddingpfütze feststeckenden Andrew niedersausen. Dieser schnaubte und schloss die Augen. Es folgte eine Schar kleiner Explosionen, deren geringer Umfang durch ihre Zahl wieder wett gemacht wurde. Andrews ganzes Feld ging in einem regelrechten Bombenhagel von Pralinen, Keksen und Dergleichen unter.   [Andrew: 400LP / Tara: 200LP]   Als sich der damit einhergehende Rauch verzog, lag Andrew der Länge nach auf dem Boden. Und vor ihm kniete ein Monster. Pechschwarzes, zottig-langes Haar, war er ganz in weiß gekleidet und hielt einen Schild schützend aufgestellt, von dem ein hellblaues Kraftfeld ausging.   Lightray Gardna [ATK/100 DEF/2600 (4)]   „Du lebst also noch? Beeindruckend …“, murmelte Urila verstimmt. Sich mühsam vom Boden abdrückend, erklärte Andrew: „[Lightray Gardna] kann nicht gesetzt werden, weswegen er trotz seiner hohen Verteidigung eher nutzlos ist, wenn man ihn auf der Hand hat. Allerdings kann er nur einmal während des Duells aus der Verbannungszone zurückkehren, sofern ich direkt angegriffen werde.“ „Ich erinnere mich. Beziehungsweise tut sie es.“ „Da der Angriff anschließend beendet wird, kassiere ich keinen Schaden, auch nicht durch [Madolche Waltz].“ Andrew lachte. „So einfach kriegst du mich nicht klein.“ Noch eine Chance, dachte er nebenbei. Er hatte noch eine Chance. Ein Angriff würde reichen, doch dafür musste er etwas mit ausreichend Angriffspunkten ziehen. „Hmm, das ist gar nicht gut. Solltest du nächste Runde angreifen, wird der Schaden, den du als Resultat durch [Madolche Waltz] erhältst nicht für ein Draw ausreichen“, taktierte Urila und verzog schmollend den Mund, „dann bin ich die Dumme. Aber ich fürchte, du musst dann wohl auf die harte Tour lernen, dass ich, was meine Ziele angeht, nicht weniger ehrgeizig bin als mein Bruder. Auch wenn es ihn sicherlich nicht glücklich machen würde, wüsste er, was ich vorhabe. Hach, ich vermisse den alten Bastard …“ Andrew seinerseits gingen ihre melancholischen Anflüge und ihre Art so zu tun, als hätte er irgendeine Ahnung, wer oder was sie war, langsam aber sicher auf die Nerven. Wenn er nur wüsste, wie er Tara retten konnte! Der Einzige, der ihm dabei vielleicht helfen konnte, war Matt … er musste ihn finden, bloß dafür war es wichtig, sich diesen Dämon erstmal vom Hals zu schaffen. Bloß wie? Als ob sie ihr Versprechen halten würde, ihn bei einem Sieg gehen zu lassen!   Mit dem Finger schnippend, schien es, als hätte Urila bezüglich ihrer weiteren Vorgehensweise eine Entscheidung getroffen. So sagte sie, als sie den rechten Arm in die Höhe streckte: „Okay, mit der Battle Phase hier wird das nichts mehr. Also sieh her, wie ich in der Main Phase 2 das Overlay Network errichte!“ „Overlay Network!?“, wiederholte Andrew erschrocken und sah zu, wie sich der schwarze Galaxienwirbel weit über Tara auftat. „Aus meiner Stufe 5-Puddingcess und meinem Stufe 5-Potpourrince wird ein Monster vom Rang 5!“ Der Schwarzhaarige, der schwankend auf die Beine gekommen war, schwang widersprechend den Arm aus. „Unmöglich, Tara besitzt gar kein-!“ Er stoppte aber, als er etwas erblickte, was ihm vorher nicht aufgefallen war. Unter dem Ärmel ihrer weißen Jeansjacke, an dem Arm, den sie in die Höhe hielt, leuchtete ein silbernes Mal. Urila, die Andrews Blick amüsiert verfolgte, ließ ihn sinken und zog den Ärmel hervor, nur um ein sternförmiges, aus sechsmal zwei Dreiecken bestehendes Symbol zu präsentieren. „Was ist das?“, fragte ihr Gegenüber irritiert. „Das Spiegelbild des Paktes zwischen mir und Tara Hartwell. Es ist der Beweis, dass sie solange mir gehört, bis ich mein Ziel erreicht habe. Allerdings gibt es da noch die physische Version.“ Was für Verwirrung sorgte, denn Andrew wiederholte: „Physische Version?“ Mit dem Blick gen Himmel gerichtet, zeigte Urila wie ein Kind, das sich meldete, auf das Overlay Network.   Als Andrew erblickte, was aus diesem geflogen kam, fiel seine Kinnlade herab. Zeitgleich donnerte es über Livington, sodass der nachfolgende Schrei nur schwer zu vernehmen war.     [Part I – Ende] Kapitel 38: The Last Asylum Movie "Second Coming" - Part II ----------------------------------------------------------- Yu-Gi-Oh! The Last Asylum – The Movie Part II     Gegen Mitternacht waren auch die letzten Sachen des schwarzhaarigen, jungen Manns in den großen Koffer auf seinem Bett gepackt. Nicht, dass Matt viel zu packen hatte. Eher hatte er die Abreise immer wieder hinausgezögert. Offiziell wegen der seltsamen Geschehnisse bei der Turmruine, inoffiziell weil er unzufrieden mit der Gesamtsituation war. Alastair, der schon längst aus Livington verschwunden wäre, ginge es nach ihm, sah aus dem Fenster neben den beiden Betten auf den Parkplatz, wo ihr VW-Bus stand. Von dort aus ging die Landschaft in einen dichten Wald über. Der Hüne warf einen Blick herüber zu seinem Freund, der mit unnötiger Wucht den Koffer zuknallte. „Ich dachte, sie hätte sich geändert“, murrte er frustriert, „aber nichts! Sie hat nicht vorbei gesehen, ja nicht mal angerufen. Als wäre nichts geschehen.“ Es war zweifelsohne Anya Bauer, von der er sprach. Wie oft hatte Alastair seinem Freund nun erklären müssen, dass für die Schlangenzunge die Sache abgeschlossen war. Sie sah keinen Grund sich noch zu entschuldigen, denn ihrer Meinung nach hatte sie das bereits damit getan, sie alle vor Isfanel gerettet zu haben. Aber da irrte sie sich. Der Schmerz in Matts Herz war erst jetzt, nachdem er die Geschehnisse verarbeitet hatte, richtig entfacht. „Warum gehst du dann nicht zu ihr?“, fragte Alastair in seiner tiefen Stimme nach. Auf seiner narbigen Haut war deutlich zu erkennen, dass es ihm am Fenster, nur mit einem schwarzen Feinrip-Hemd am Oberkörper bekleidet doch etwas zu kalt war. Sein roter Mantel hing an der Garderobe vor der Tür. „Wie sähe das aus?“, wollte Matt wissen und ließ sich auf die Bettkante fallen. „Hi Anya, ich wollte nur kurz vorbeischauen und dich um eine Entschuldigung bitten, weil du uns fast geopfert hättest.“ „Dann lass es“, brummte der Hüne genervt, dessen langes, schwarzes Haar zu einem Zopf gebunden war. „Sie ist ohnehin kein guter Umgang. Du solltest sie vergessen.“ „Alector meinte, wir sollten noch hier bleiben und herausfinden, was nach der Zerstörung des Turms passiert ist“, sagte Matt schließlich, um das unliebsame Thema zu wechseln und faltete die Hände mit grimmigem Gesichtsausdruck ineinander, „aber ehrlich gesagt habe ich keine Motivation dafür. Wir müssen an unsere finanziellen Mittel denken, die gehen bald zur Neige. Und für so einen Job bezahlt uns niemand.“ Alastair gab nur einen verständigen Laut von sich, einem Grunzen nicht unähnlich. „Außerdem haben wir nichts finden können, das auf übernatürliche Vorgänge deutet. Der einzige Zeuge ist der Idiotenfreund von Anya“, führte Matt den Gedanken fort, „und die verschwundenen Soldaten, keine Ahnung. Wir waren schließlich auch dort und uns ist nichts passiert.“ Der ältere Dämonenjäger schloss das Fenster schließlich. „Es ist nicht an mir das zu sagen, nach allem, was meine Naivität angerichtet hat. Aber wir sind nicht die Wohlfahrt, Matt. Wir haben unser Bestes gegeben, die Dinge zu untersuchen, ohne Erfolg. Es ist Zeit weiterzuziehen.“ „Aber was, wenn doch“, wollte Matt zweifelnd anfangen, sah zu seinem Freund auf, nur um den Kopf gleich wieder schüttelnd hängen zu lassen, „nein, du hast recht. Irgendwann … ist Schluss.“ Alastair schritt zu seinem Freund und legte ihm die Hand auf die Schulter. Es schmerzte ihn, den jungen Mann so zermürbt zu sehen. Besonders bei dem Verdacht, den er bezüglich der wahren Hintergründe von Matts Bitternis hatte. Wortlos ließ er von Matt ab, der keine Reaktion auf die Geste zeigte, schritt zur Tür und legte sich seinen roten Mantel um, der neben Matts schwarzem hing. „Ich gehe mir die Stelle noch einmal ansehen. Eine Resonanzchronosphäre habe ich noch.“ Alastair griff in die Innentasche seines Mantels und zückte eine weiße Karte, auf der eine hellblaue Kugel abgebildet war, die von drei goldenen Ringen umkreist wurde. Mit diesem Zauber, der zum Standardrepertoire eines Dämonenjägers gehörte, konnte man über mehrere Tage hinweg den Verlauf übernatürlicher Energien messen. Teile der Karte verfärbten sich, woraus man ablesen konnte, wann eine mächtige Präsenz in der Nähe gewesen war. „Das hat doch vorgestern schon nicht funktioniert“, erwiderte Matt und sah auf, „lass gut sein, die Dinger sind zu wertvoll, um sie zu verschwenden.“ „Hmpf.“ Alastair drehte sich gerade einwilligend von der Tür ab und steckte die Karte weg, da hämmerte es gegen ebenjene. Zwei kurze Schläge, um genau zu sein. „So spät noch ein Besucher?“, fragte Matt und sprang sofort vom Bett auf. Alastair sah mit Unbehagen die Hoffnung, die sich in den grauen Augen seines Freundes auftat. Dann drehte er sich um, öffnete die Tür und stellte erstaunt fest, dass niemand vor ihm stand. Erst als eine Hand seinen schwarzen Stiefel berührte, sah er verblüfft nach unten. Vor ihm lag ein junger Mann blutüberströmt. Seine Sonnenbrille war an einer Seite eingebrochen, die Kleidung samt Mantel an einigen Stellen regelrecht zerfetzt. „Matt …“, ächzte Andrew und sah zu dem Hünen auf, „ist … er da?“ „Wer ist das?“, wollte ebenjener alarmiert wissen und drängte sich an Alastair vorbei. Nur um erschrocken die Augen zu weiten. „Andrew!?“ Dort lag sein Freund aus Kindheitstagen schwer verwundet, doch lächelte. „Sie hat also nicht gelogen … ich habe dich gefunden … endlich.“   Ohne Umschweife halfen die beiden Dämonenjäger Andrew auf und schleppten ihn auf Alastairs Bett, wo er sich kraftlos fallen ließ. „Was ist geschehen!?“, fragte Matt aufgeregt, sah den jungen Mann, mit dem er seit Jahren keinen Kontakt mehr hatte, von oben bis unten an. „Wer hat dir das angetan!?“ Gleichzeitig huschte Alastair an den beiden vorbei, holte unter dem Bett einen Erste Hilfe-Kasten hervor und begann, Binden und Kompressen daraus hervor zu suchen. „Wir müssen die Blutungen stillen und ihn zu einem Arzt bringen.“ Andrew griff orientierungslos in die Luft, bis er Matts Hand fand und sie fest drückte. „Ein Mann … er hatte Recht, du bist in Livington und die Warnung … dann …“ „Wovon redest du!? Andrew!“ „Er wusste, was geschehen würde … Tara … sie ist …“ „Tara ist hier!?“, wiederholte Matt fassungslos. „Sie ist in Gefahr … etwas ist in ihr … 13te Straße …“ Dann rutschte er in die Bewusstlosigkeit. „W-was geht hier vor?“, stammelte Matt und fühlte zeitgleich den Puls von Andrew nach. Alastair, der sich nebenbei um eine besonders fiese Wunde am Bein Andrews kümmerte, fragte: „Kennst du diesen Burschen?“ „Das ist Andrew, von dem habe ich dir öfter erzählt. Und Tara ist … ich muss los! Kümmere dich bitte um ihn, okay?“ Alastair konnte gar nicht so schnell folgen, da war sein Partner schon durchs Zimmer gestürmt, hatte sich den Mantel umgelegt und die Tür aufgerissen. „Matt, warte!“, rief er ihm noch hinterher, aber da war er schon verschwunden.   Er drehte sich unsicher dem jungen Mann zu. Irgendetwas stimmte hier nicht. Wie hatte dieser Andrew überhaupt hierher gefunden? Er schien ziemlich genau zu wissen, wo Matt sich aufhielt. Andererseits konnte er sich keinen Dämon vorstellen, der den jungen Mann so zurichten würde, ohne ihn am Ende gehen zu lassen. Denn das war doch, wovor Andrew sie offenbar warnen wollte. Andererseits, etwas sollte in dieser Tara stecken? Ein Immaterieller? Alastair drehte sich um. Er musste Matt zurückholen, ehe der noch etwas Dummes tat. Wenn wirklich jemand von Anothers Schlag in der Stadt war, mussten sie genau überlegen, was sie tun würden. Er warf einen besorgten Blick auf den Schwerverletzten zurück. Der Kerl musste umgehend ins Krankenhaus, umso wichtiger war es, dass er Matt noch einholte, ehe es zu spät war. „Bin gleich zurück“, brummte er und wirbelte wieder herum. Er setzte sich in Bewegung, doch das Knarzen der Matratze brachte ihn dazu, sich noch einmal umdrehen zu wollen.   Genau in dem Moment aber traf ihn schon etwas hart am Hinterkopf. Alles wurde dunkel um ihn herum, er sackte in sich zusammen. Das war eine Falle gewesen. Noch während er in die Bewusstlosigkeit driftete, hörte er Andrew etwas murmeln, der an ihm vorbei auf den Tisch im kleinen Motelzimmer zuschritt. „Da ist es ja ... wird erfreut sein … guter Zustand …“   ~-~-~   Es hämmerte. Anya versuchte den Drang dem nachzugehen zu ignorieren und tatsächlich war die Müdigkeit stärker, sodass sie bereits wieder ins Land der Träume abdriftete. Wieder donnerte es so laut, Anyas Stimmung wechselte in Sekundenschnelle von Wut auf ihre Mutter zu Armageddon Teil unendlich. Konnte man nicht einmal ausschlafen!? Als es aber so fürchterlich laut knackte und knarzte, dass sich ihre Nackenhaare schon aufstellten, saß das Mädchen mit einem Mal kerzengerade im Bett. Denn so ehrgeizig hatte sie die allmorgendlichen Weckaktionen ihrer Mutter nicht in Erinnerung! Außerdem auch nicht so derart früh, wie Anya verwundert feststellen musste: es war noch stockdunkel in ihrem Zimmer. Ein Blick auf den Digitalwecker neben ihrem Bett werfend, erfuhr sie, dass es gerade einmal kurz nach 3 Uhr nachts war. Vor gerade einmal einer Stunde war sie ins Bett gegangen, was sollte-!? Ein lautes Rumsen unterbrach das Mädchen in ihrem inneren Wutausbruch. Zwar hatten sich ihre Augen noch nicht vollständig an die Dunkelheit gewöhnt, aber dass gerade ihre Tür aus den Angeln gehoben, nein geschmissen wurde und nun mitten im Zimmer lag, das bekam Anya auch so mit. Ehe sie überhaupt darüber nachzudenken begann, sprang sie aus dem Bett und torkelte benommen durchs Zimmer, um sich 'Barbie' zu schnappen. Die lag glücklicherweise direkt auf ihrem Schreibtisch, neben der Duel Disk, schließlich hatte Anya den ganzen Abend lang an Deck und Baseballschläger Feintuning betrieben. Kaum beim mit Nägeln bespickten Mörderschläger angekommen, schnappte sie sich das Teil und richtete es unmittelbar in Richtung Türrahmen. Eine kalte Brise zog vom offenen Fenster in das Zimmer, da Anya jenes vergessen hatte zu schließen. Selbst im November war es in Livington teilweise noch recht warm, daher war das nicht ungewöhnlich. „Okay, wenn du es auf meine Videogame-Sammlung abgesehen hast, kannst du dich schon mal frisch machen“, zischte sie noch halb benebelt dem Einbrecher zu, auf den sie nun seit Jahren gehofft hatte, um endlich jemandem legal eins überbraten zu können, „denn von allen Orten musstest du direkt die Hölle ausrauben, Trottel!“   Als mehrere Sekunden keine Antwort oder anderweitige Reaktion folgte, lockerte sich Anyas Haltung. Ihre Augen gewöhnten sich zunehmend an die Dunkelheit, aber sie konnten dennoch nicht den Übeltäter erspähen, der dort lauerte. „Hey“, raunte sie ärgerlich, „sag bloß, du hast Schiss bekommen? Komm schon, ich bin, ähm, ganz harmlos und so!“ Jetzt kam eine Reaktion, aber nur eine leise. Ein Stöhnen. „Red' gefälligst lauter, ich hör dich nicht!“ Aber bitte, wenn der Typ nicht selbst kommen wollte, würde sie eben den ersten Schritt tun! Also schnappte sie sich ihre Duel Disk und wollte sie gerade auf gut Glück werfen, da hielt sie inne. Das Stöhnen kam nun deutlich hörbar hinter dem leeren Türrahmen hervor. Zusammen mit seinem Auslöser, der sich doch dazu entschieden hatte, Anya an die Gurgel zu gehen. Denn plötzlich rannte eine graue Gestalt auf das Mädchen zu, mit erhobenen Armen.   „Was zum-!?“ Anya holte nach 'dem Ding' aus, wie sie es innerhalb der zwei Sekunden bezeichnete, in denen Mondlicht auf es gefallen war, wich dann aber entsetzt zurück, als es nicht Halt machen wollte. Graue, teils eingefallene … und abgefallene Haut, leere Augenhöhlen, lockiges blondes Haar, ein weißes Nachthemd und messerscharfe Krallen, die nach ihr schlugen. Anya war so geschockt, dass sie ihre eigene Offensive vergaß und nur zurückwich. Dabei musste sie schnell sein. „Fuck, was bist du denn!? Levrier, was ist-!?“ Aber Anya erinnerte sich, dass ihr Freund leider ein lebenslanges Ticket im Reich der Toten eingelöst hatte und sie daher nicht mehr unterstützen konnte. Doch wenn sie richtig lag und das Äußere der Schachtel dort nicht log, dann war das da vor ihr wahrscheinlich eine Banshee. Ein Hoch auf jahrelangen, exzessiven Konsum von Horrorfilmen … Was hatte eine Banshee in ihrem Zimmer verloren!?   Anya wehrte einen der Schläge mit Barbie und der Duel Disk ab, wurde aber infolge dessen nach rechts gegen ihren Kleiderschrank geknallt. „Au!“, stieß sie dabei aus, duckte sich unter einem erneuten Schlag hinweg und torkelte rückwärts. Als sie mit dem Rücken zum offenen Fenster stand, gerade mit Barbie zum Gegenschlag ausholen wollte, hielt etwas in ihr sie zurück. Zwar konnte sie es beim besten Willen nicht begreifen, aber wenn sie dem Ding jetzt eins verpassen würde, wäre das der größte Fehler ihres Lebens. Es war nur ein Instinkt, eine Eingebung, aber … „Mum!?“, schoss es aus ihr heraus. Dieses Ding, das ihr an die Gurgel wollte, das sah doch irgendwie aus wie ihre Mutter. Nur so'n bisschen tot halt. Der Ausruf brachte die vermeintliche Banshee dazu, in ihrer Berserkerwut innezuhalten. Beim genaueren Hinblicken im Licht war sich Anya ziemlich sicher, dass das ihre Mutter sein musste, denn das Nachthemd und die Frisur gehörten zu Mrs. Bauer wie das Amen in die Kirche. Bloß wie konnte die hier sein, untot, nicht im Krankenhaus und, naja, größtenteils lebendig!? Ihre Mutter war immerhin schwer verletzt worden, als der Turm von Neo Babylon aufgetaucht war!   Aber eins stand fest. Anya würde ja mal so gar nicht riskieren, dieses Ding ins Nirvana zu schicken, wenn sie sich nicht sicher war, ob das da ihre Mutter war oder nicht. Jedoch schien Sheryl diese Zurückhaltung nicht inne zu haben, denn sie hob wieder die Klauen und machte sich stöhnend auf den Weg, jene in Anya zu versenken. Die wusste, dass sie schnell handeln musste. Hau den Lukas mit Mum zu spielen war keine Lösung, von daher blieb nur die Flucht. Glücklicherweise hatte Anya das schon öfter getan, daher fiel es ihr nicht schwer, auf das Fensterbrett zu steigen und kurzerhand vom Obergeschoss nach unten in den Garten der Familie Bauer zu springen. Zwar tat die Landung arg in den Knöcheln weh, Anya kippte gar vorne über, aber verletzt hatte sie sich offenbar nicht. Torkelnd auf die Beine kommend, drehte sie sich um und lief rückwärts vom Haus weg, den Blick fest auf ihr Zimmer gerichtet, wo sie ihre Mum lauern sah. Anya wollte ihr gerade verunsichert etwas zurufen, da stieß sie im Lauf gegen jemanden. Sofort wirbelte sie um, denn wenn jemand den Grufti da oben sah, würde sie in arge Erklärungsnot geraten. Da es aber ein Skelett war, dem die Kleider an den Knochen hinunter hingen, konnte sich Anya immerhin diese Strapaze ersparen. Und demnach gleich in den zweiten Gang schalten, der „nichts wie weg hier“ hieß. Ungläubig rannte das Mädchen den Bürgersteig entlang, den Blick zurückwerfend. Die schwarzen, zu zwei Zöpfen gebundenen Haare – das konnte doch nur Zoey Richards sein, die magersüchtige Schnepfe von gegenüber! Die Knochenstruktur war geradezu verblüffend ähnlich und Anya musste das wissen, hatte sie schon den ein oder anderen davon gebrochen. Da steckten sogar noch die Nägel im rechten Unterarm von vor zwei Jahren, was für die Blondine der ultimative Beweis war. „Wusste gar nicht, dass du so gut drin geworden bist, dir den Finger in den Hals zu stecken!“, giftete Anya das sie verfolgende, aber stark hinterherhinkende Skelett an. Im Lauf schnallte sie sich die Duel Disk um, da sie jene schlecht wegwerfen konnte. „Glückwunsch, hast ja jetzt endlich deine Traumfigur, Miststück!“   Da der liebe Gott aber kleine Gemeinheiten sofort bestrafte, bemerkte Anya die umgekippte Mülltonne vor ihr nicht und setzte demnach zu einem 1A-Flug darüber hinweg an, mit anschließend missglückter Bauchlandung. „Owww, fuck!“, stöhnte sie und drehte sich auf den Rücken. Da sie nur Boxershorts und ein weißes T-Shirt an hatte, verdankte sie ihrer Unachtsamkeit jetzt zwei aufgeschürfte Knie, die höllisch schmerzten. Hatte sich die ganze Welt gegen sich verschworen!? Banshees, Skelette, im Weg liegende Mülltonnen!? Was kam als Nächstes, jetzt wo offensichtlich die Monster-AG ihren Einzug in Livington gehalten hatte!?   Anya gefiel die Antwort darauf nicht, die sich über ihr hinweg schwang. Ein grün-braunes, schuppiges Etwas, das mit seinem Atem doch glatt Mrs. Winterblooms Haus in Brand steckte. „Ein Drache, huh? Okay, das ist wohl einer dieser Träume, in denen ich sterben soll“, kam Anya zu dem Schluss. Als der Drache aber einen Bogen machte und sie anpeilte, entschied Anya, dass sie dieser Theorie lieber nicht nachgehen sollte. Nie war sie so schnell wieder auf die Beine gelangt, hatte sich Barbie geschnappt und war los gesprintet. Keinen Moment zu früh, denn im Nacken spürte sie die gleißende Hitze, die der Drache ihr in Form gewaltiger Flammen hinterher jagte. Diesmal wagte Anya es nicht, sich umzudrehen. Sie rannte einfach stur geradeaus, mit dem Mistvieh auf den Fersen. Das war doch bestimmt Nicks Mutter, sagte sie sich, da das Vieh raubvogelähnliche Züge hatte und die Art von Gift und Galle spuckte, die die Alte sonst nur in Worte verpackte. Was Anya darauf brachte, an ihre Freunde Abby und Nick zu denken. Hoffentlich ging es denen gut, denn wenn sie sich jetzt so recht umschaute … kopflose Reiter auf der Straße, die mit abgerissenen Armen nacheinander schlugen, leuchtende Silhouetten, die hinter den Fenstern tanzten, eine riesige Raubkatze mit Menschenkopf auf einem der Dächer … die zwei Pappnasen waren so gut wie tot, wenn Anya sie nicht sofort rettete! Glücklicherweise hatte sie instinktiv den Weg zu Abbys Haus eingeschlagen, das nur noch zwei Straßen entfernt lag. Vorher musste sie aber Mrs. Harper loswerden, die nicht müde wurde zu betonen, wie schlecht ihre Laune doch war – indem sie halb Livington in Schutt und Asche legte. Um dies zu bewerkstelligen, verließ Anya die Straße und schlich sich durch die Nischen zwischen den Häusern, die hier näher beieinander standen. Auf den Hinterhöfen versuchte sie sich davon zu stehlen, musste kurz noch Mr. Briggs KO schlagen, der als Zombie zwar ähnlich leblos wie sonst, allerdings wesentlich blutrünstiger war und sich über dessen Terrasse ins Haus schleichen, wo Mrs. Briggs in ihrer Rolle als Medusa mal eben eine nahe stehende Vase ins Gesicht bekam, da Anya keine Zeit und Lust hatte, sich um die unwichtigen Randgestalten zu kümmern. Zwar hörte sie draußen den Drachen brüllen, da er aber nicht das ganze Haus in Brand gesetzt hatte, sondern das nebenan, musste er ihre Spur offenbar verloren haben. Anya schlich sich daher aus dem Vordereingang hinaus, sah sich um, aber alles was sich draußen noch tummelte, hatte nur zwei, vier oder acht Beine. Letzteres waren Spinnenfrauen, so schätzte Anya. Da nahm sie doch lieber den Weg hintenrum, kehrte ins Haus zurück, schmiss noch eine Vase nach Medusa, die gerade erst wieder auf die Beine gekommen war und überquerte die einheitlich gehaltenen Hinterhöfe der Walker Street. Immer wieder über kleine und größere Gartenzäune kletternd, begegneten ihr hier keine Livingtoner in brandneuem Gewand. Und offenbar hatte auch Mrs. Harper das Interesse an ihr verloren, zog sie in die andere Richtung weiter. Zeit genug, um den Kopf anzustellen und ein wenig die Situation Revue passieren zu lassen.   Was zum Geier war hier los!? Wieso waren alle plötzlich so viel cooler, nur sie nicht, beklagte Anya sich voller Unverständnis! Wieso durfte Mrs. Harper ein Drache sein!? Anya, die am Ende der Straße angelangt war, hielt sich dicht bei den Häusern, denn mitten auf der Straße wäre sie nur ein willkommenes Ziel für die blutrünstige Meute. Scheinbar waren ihr nicht alle Monster auf den Fersen, einige beharkten sich gegenseitig, so wie zwei Harpyien gegen einen Zerberus zwei Häuser weiter. Trotzdem wurmte es Anya, dass sie -mal wieder- außen vor gelassen wurde und scheinbar die einzig normal gebliebene in der Stadt war. Andererseits, dass das hier offenbar Realität und kein Traum war, vermochte Anya seit ihren Abenteuern von vor ein paar Monaten deutlich leichter zu akzeptieren. Weswegen sie am Ende doch froh war, keinen neuen Look spendiert bekommen zu haben. Man stelle sich nur vor, sie wäre am Ende nur so etwas wie eine Elfe im Rüschenkleid geworden! Das wäre die Demütigung des Jahrhunderts!   Anya, in ihrer für jene Situation etwas zu unbeschwerten Stimmung, gelangte schließlich vor das Haus der Familie Masters an. Dessen Tür gerade zugeschlagen wurde. Die Person, die daraus hervorgekommen war, drehte sich schnurstracks um und stemmte sich gegen ebenjene. Weißes Haar, ein albernes Nachthemd mit Blümchenmuster. Keine Frage, das war Abby. Aber die war sonst brünett und kein Fall fürs Altersheim. „Okay, das erspart mir immerhin, in diese Müllhalde von Haus reinzugehen“, giftete Anya lauthals und meinte damit das Gebäude, das mehrmals umgebaut worden war und dementsprechend schief und krumm aussah. O-Ton: zur Rechten ein diente großer Wintergarten als Unterhaltungszimmer. Ohne Witz, sie hatten dort Vorhänge, damit die Nachbarn nicht reinlinsen konnten. Das Haus war so seltsam, dass es wohl das einzige in Livington war, das der aktuellen Situation vom Äußeren her gerecht wurde. „Anya!?“, stammelte Abby und drehte sich erschrocken um, dabei nicht vergessend, die Tür zuzuhalten.   Die Blondine, die vor dem Grundstück stand, schulterte Barbie und fasste sich stöhnend an die Stirn. „Okay, ich seh' schon, wenigstens du bist deiner Linie treu geblieben.“ Die rosafarbenen, katzenartigen Pupillen, besagtes langes, weißes Haar, die blassblauen Lippen und nicht zuletzt die langen, spitzen Fingernägel sagten genug aus. Abby war zur Sirene mutiert. Nur, dass das in ihrem Fall ausnahmsweise normal war, schließlich war sie auch schon vorher eine gewesen. „Das ist nicht witzig“, fauchte das andere Mädchen mit rauchiger Stimme, „ich bin eben aufgewacht, vollkommen verwandelt! Und ich kann es nicht rückgängig machen.“ „Immerhin funktioniert dein Oberstübchen noch, anders als bei den anderen“, zuckte Anya unbedarft mit den Schultern, „hättest mal meine Mum sehen sollen, die ist vielleicht gruselig.“ „Hat deine auch versucht, dich umzubringen!?“, fragte Abby geschockt und stieß einen Schrei aus, als hinter ihr gegen die Tür geschlagen wurde. Anya nickte. „Jep. Wie so ziemlich jeder hier.“ „Also sind alle … 'so'?“ „Außer ich. Zu was sind'n deine Eltern und Geschwister geworden?“, wollte Anya neugierig in Erfahrung bringen. „Das willst du gar nicht wissen!“ Abby stemmte sich verzweifelt mit aller Macht gegen die Tür, hinter der es nur so polterte. „Außerdem ist jetzt nicht die Zeit dafür!“ Die Blondine schnaufte ärgerlich. „Sondern?“ „Zum Rennen!“, schrie die Sirene, ließ nun von der Tür ab, stürmte auf Anya zu und zog sie am Arm hinter sich her, ehe jene überhaupt begreifen konnte.   Was folgte war eine regelrechte Hetzjagd durch halb Livington. Abbys Geschrei hatte ein paar Ghouls auf sie aufmerksam gemacht, die sie zu verfolgen begannen. Ihnen schlossen sich schnell Werwölfe, Vampire, schwebende Nixen – im Ernst, wie machen die das!? – und Gott allein wusste was noch an, sodass die beiden Mädchen gut damit zu tun hatten, das Monsterkommando abzuhängen. Sie benutzten Anyas Einbruch-/Ausbruchstrategie, hetzten durch die Häuser, Anya sagte nebenbei ein paar der hiesigen Einwohnern 'Hallo', bis die Jagd sie schließlich in die Gemäuer von Nicks Haus ein paar Straßen weiter führte, das jetzt im Obergeschoss ein schönes, großes Loch hatte. Anya und Abby hatten dann allerdings doch die Tür benutzt, da Nick ihnen mal erzählt hatte, wo sie den Ersatzschlüssel finden konnten – unter einem Blumentopf vor besagter Tür.   Kaum hatten die beiden die Tür hinter sich geschlossen, sackte Anya erschöpft an jene lehnend in sich zusammen. „Ich … wusste gar nicht … dass Tina Brightstone's Vater ein Fan von Frankenstein ist …“, keuchte die Blondine. Abby, die im Gegensatz zu ihrer Freundin nicht außer Puste war, seufzte schwer. „Ich hoffe, sie nehmen es uns nicht übel, dass wir durch ihr Haus marschiert sind.“ „In Momenten wie diesen machst du dir Sorgen um sowas!?, echauffierte sich Anya fassungslos. „Wir können froh sein, dass wir noch leben! Mr. Willis mit den Scherenhänden wollte uns wie verfickte Bonsais zurechtstutzen!“ „Du hättest ihm trotzdem nicht gleich so brutal die-!“ „Shh!“, machte Anya da eine eindeutige Geste und raffte sich auf. Dabei flüsterte sie Abby ins Ohr: „Hast du das gehört eben? Das kam bestimmt von Nicks Zimmer!“ Irgendetwas hatte dort gerumpelt, sie hatte es genau gehört. „Das kam hundertprozentig von dort. Hoffentlich hat er uns nicht gehört, was auch immer er mittlerweile ist. Was machen wir jetzt, Anya?“ Die fasste sich ans Kinn und überlegte.   Draußen lauerten massenweise Monster. Sie standen hier im stockdunklen Flur der Familie Harper, mussten damit rechnen, gleich von Nick und/oder seinem Vater angefallen zu werden und hatten keine Ahnung, was überhaupt los war mit der Welt. Es sah ganz danach aus, als ob sie dringend einen Plan brauchten.   „Verstecken ist keine Lösung“, murrte Anya sauer, „wir müssen irgendwie herausfinden, was hier abgeht und die Kacke beheben, ehe die drei, vier Leute, die ich leiden kann, zu Schaden kommen. Irgendwelche Vorschläge, Einstein?“ Abby, deren Pupillen man selbst in der Dunkelheit unwirklich glimmen sehen konnte, wandte sich von Anya vorsichtshalber ab, nur um sie nicht versehentlich zu hypnotisieren. Als Sirene hatte sie diese Kräfte, wenn sie auch nicht genau wusste, wie man sie richtig einsetzte. „Wenn Levrier noch hier wäre, könnte er uns sicher einen Anhaltspunkt geben. Aber er und die anderen Immateriellen sind tot. Die nächstbeste Quelle wären wohl Dämonenjäger.“ Anya stöhnte auf, weil sie genau mit dieser Antwort gerechnet hatte. „Das Deppenduo? Ist das überhaupt noch in Livington?“ „Ja!“, erwiderte Abby leise, aber erbost. „Sie wollten morgen abreisen, wie oft habe ich dir das gesagt?“ „Zu oft. Und ich hab dir noch nicht oft genug gesagt, dass mich das nicht interessiert!“ „Sollte es aber, immerhin sind die beiden deine Freunde. Freunde, bei denen du dich noch immer nicht entschuldigt hast wegen deinem Verrat!“ „Warum fängst du ausgerechnet jetzt wieder damit an!?“, zischte Anya im Flüsterton und gestikulierte wild. „Außerdem, wer sagt denn überhaupt, dass die noch normal und nicht auch so'ne Freaks sind wie die da draußen!?“ Ihre Freundin, die zurückwich um nicht von Anyas Gebärden getroffen zu werden – jene sah in der Dunkelheit nämlich kaum etwas im Gegensatz zu Abby – konnte nicht anders als zu schnauben. „Ach Anya, wie lange willst du noch davor weglaufen!?“ „Ich laufe in erster Linie nur vor Drachen weg, damit du's weißt!“ „Ihr habt Mum also schon getroffen, huh?“   Die beiden drehten sich erschrocken zur Treppe gegenüber um, die zu den Schlafzimmern führte. Auf halber Höhe, wo sie sich wendete und in die andere Richtung weiterging, stand eine schattenhafte Gestalt. „Oh, das wollte ich noch sagen“, erinnerte sich Abby, „Nick hat uns offenbar bemerkt.“ Anya, welche nur auf die gebogenen, bockbeinigen Dinger starren konnte, die wohl mal Nicks Beine gewesen waren, fehlte jegliche Ambition das zu kommentieren. „Guckt nicht so verliebt“, sagte der junge Mann glucksend, „ich hatte zwar kein Glück beim Monsterlos, aber das tut meiner Sexyness nichts ab, hehe.“ Seine einen Kopf kürzere Freundin fing sich wieder und raunte nur: „Okay Harper, was bist du?“   Als Antwort sprang er über die Stufen hinweg und landete direkt vor den beiden. Seine nackte Hühnerbrust hervor streckend, war der junge Mann vor ihnen von der Hüfte abwärts ein Bock. Ein Satyr, um genau zu sein, denn seinen Kopf schmückten nun zwei gewundene Hörner. „Nick“, brummte Anya bei seinem fast schon lächerlichen Anblick, „du hast offenbar so wenig Hirn, dass es da gar nichts zu beeinträchtigen gibt!“ „Offenbar ist er noch er selbst“, mutmaßte Abby sofort, „also wir drei.“ Was anschließend von Nick kam, war erstaunlich wirklichkeitsnah. „Määäh.“ „O-oder zumindest größtenteils, ahaha“, fügte die Sirene verlegen über ihren Irrtum hinzu. „Aber wieso niemand sonst? Was macht uns besonders?“ „Unsere Sexyness, was sonst?“, kam es von Nick aus der Pistole geschossen. Als er aber nur böse Blicke dafür erntete, stammelte er schnell: „Nicht? Dann vielleicht unsere diabolische Ader?“ Abby, die den Wink sofort verstand, schnippte mit den Fingern. „Natürlich. Wir alle haben dämonische Kräfte in uns schlummern! Anya war einst mit Levrier verbunden, ich bin eine Sirene und Another hatte sich kurzzeitig in Nick eingeschlichen, weswegen er immerhin vom Wesen er selbst geblieben ist.“ „... okay, die ersten beiden Beispiele kann ich nachvollziehen, aber wann war Nick denn von Another besessen?“ Das konnte Anya nicht wissen, erkannte Abby schnell, denn Nick hatte sonst niemandem davon erzählt. So wie er vieles nicht von sich in der Öffentlichkeit preisgab. „Erzählt er dir später“, wiegelte sie das Thema schnell ab, um ihre ganz eigene Theorie, die sie nebenbei entwickelt hatte, endlich präsentieren zu können. „Also, ich glaube ich weiß, was passiert ist!“ „Schieß los, Einstein“, verlangte Anya und verschränkte die Arme. Nick gluckste: „Ich hoffe, es hat mit nackten Frauen zu tun.“ Was bei seiner ohnehin schon genervten Freundin einen wütenden Aufschrei auslöste: „Kommt es nur mir so vor, oder sind alle Idioten in dieser Stadt in ihr Fabelwesen-Pendant verwandelt worden!?“ Nebenbei wich sie von Nick zurück, der sich plötzlich geduckt hatte und an ihrer Hose schnupperte. „Lass das, Harper!“ Abby nickte derweil. „Das habe ich mir auch schon überlegt. Nick ist ja nicht gerade keusch, sodass der lüsterne Satyr nur allzu gut zu ihm passt. Genau wie der Drache zu seiner Mutter.“ „Aber warum ist meine Mutter dann eine Banshee!?“, wollte Anya wissen. Ihr gefiel es nicht, denn diese Dinger waren … nicht sonderlich lebensfroh. Ging es ihrer Mutter etwa seelisch nicht gut? Hatte das gar mit ihr zu tun? „Wie dem auch sei, ich glaube, das alles hat mit den Ereignissen zu tun, die sich auf dem alten Schulgelände abgespielt haben“, brachte Abby es schließlich mit belehrend erhobenem Zeigefinger auf den Punkt, „es musste ja soweit kommen! Irgendwas ist dort passiert, das sich jetzt auf die ganze Stadt auswirkt. Wenn nicht sogar auf die ganze Welt.“ „Nö, meine Sexchat-Partnerin war völlig normal, zumindest bis der Strom ausfiel“, kommentierte Nick das Ganze und kratzte sich in der Hocke nebenbei am Hintern. „Abby? Weißt du, wie man Flöhe loswird?“ „Ich weiß, wie man dich loswird, wenn du -das- nicht gleich sein lässt!“, giftete Anya sauer und stemmte die Hände in die Hüften, als er doch tatsächlich einen Satz nach vorn machte und ihre Boxershorts anknabbern wollte, was ihm aber nur Anyas nackten Fuß in seinem Gesicht einbrachte.   Nick nebenbei weg schleudernd, räusperte sich laut, um nicht noch auf dumme, aber sehr reizvolle Gedanken zu kommen. „Okay, also ist nur die Stadt betroffen. Und jeder, der dämonische Energien in sich hat oder hatte ist halbwegs er selbst geblieben?“ Abby tippte mit einem ihrer abnormal langen Fingernägeln gegen die Lippe. „Ja, ich glaube, dass es so sein muss. Vielleicht, weil es in unseren Fällen … nichts zu erwecken gibt? Weil wir schon anders sind als normale Menschen?“ „Dann heißt das sicherlich auch, dass Redfield, Marc, das Deppenduo und die Pennergeschwister ebenfalls irgendwo in der Stadt um ihr Leben rennen. Na klasse!“ „Wir sollten Valerie und die anderen suchen. Henry und Melinda haben dort ihre Wunden auskuriert, nachdem bei uns zuhause kein Platz mehr war. Also dürften sie zusammen sein“, überlegte Abby. „Und die Dämonenjäger sind in einem Motel am Stadtrand untergebracht.“ Anya aber konnte ihren Ohren nicht trauen und stampfte wütend auf. „Sie suchen!? Hast du mal auf die Straße geschaut? Das wäre glatter Selbstmord!“ „Wir können schlecht hier bleiben, sicher ist es nirgendwo!“, protestierte Abby. „Außerdem müssen wir etwas dagegen tun! Und dafür brauchen wir die Hilfe der anderen!“   „Dad ist nicht da“, meinte Nick schulterzuckend, nachdem er sich aufgerafft hatte, „seit er ein fliegender Teppich ist, hab ich ihn nicht mehr gesehen.“ „Ein … fliegender Teppich?“, wiederholte Anya ungläubig. „Muss ich fragen, was deinen Dad dazu bringt, so etwas zu werden?“ „Mum trampelt immer auf ihm rum. Sowohl mental, als auch körperlich … hehe.“ „Klingt einleuchtend“, stöhnte Anya und lehnte sich gegen die Wand neben der Haustür, verschränkte die Arme. „Aber euch ist schon klar, dass Redfields kleine Villa nicht gerade um die Ecke ist? Selbiges mit dem Motel, wo die zwei Schwachmaten hausen? Wie sollen wir da hinkommen, ohne von Höllenhunden oder anderem Gesocks zerfleischt zu werden? Und jetzt sag nicht, wir stehlen uns ein Auto …“ „… das habt ihr nämlich schon versucht und festgestellt, dass auch sie nicht mehr funktionieren? Wie bei einem PMS?“, gluckste Nick. Anya nickte sauer. „Bingo.“ „EMP“, korrigierte Abby und murmelte zurückhaltend. „Naja … du könntest uns den Weg freiräumen, Anya. Mit Barbie.“ Sofort stieß sich Anya begeistert von der Wand ab. „Darf ich!?“ „So ungern ich das auch sage, aber wir haben wohl kaum eine andere Wahl“, gestand ihre Sirenenfreundin, „aber damit das klar ist! Wir gehen Konfrontation aus dem Weg, so lange es geht, verstanden!?“ „Von mir aus“, brummte Anya und schulterte Barbie, „und wohin gehen wir zuerst?“ „Zuerst zu Valerie. Keiner von denen ist so … gut im Umgang mit Waffen wie du oder die Dämonenjäger. Wenn wir erst die beiden anderen holen, könnte es zu spät sein“, mutmaßte Abby, die offensichtlich keine Lust hatte, Matt und Alastair beim Namen zu nennen. Anya nickte und stellte sich vor die Tür, bereit, notfalls ganz Livington in den monströsen Arsch zu treten. „Mir egal. Aber pass auf, dass ich Redfield nicht 'versehentlich' eins überbrate! Man, ich hoffe, du irrst dich und sie ist eine fette Qualle oder sowas!“ „Eher wird sie zur Nymphe“, murrte Abby ärgerlich, „also gut! Damit kann die Aktion 'Rettet Livington' offiziell beginnen!“ Woraufhin Anya die Tür auftrat und die Dreiergruppe unter stummen, aber dafür sehr ausdrucksstarken Kampfgeschrei auf die monsterüberfüllte Straße führte.   ~-~-~   Alastair öffnete benommen die Augen. Der schmerzende Hinterkopf war schlimm, schlimmer aber noch war seine eigene Nachlässigkeit, die ihn in diese Lage gebracht hatte. Ächzend stemmte er sich vom Boden des Motelzimmers ab. Er spürte Blut seinen Nacken hinab laufen, allerdings hatte er jetzt keine Zeit, sich Gedanken darüber zu machen.   Matt rannte geradewegs in eine Falle! Und ausgerechnet dieser Andrew hatte sie ihm gestellt, jemand, den Matt als Freund ansah! Hätte er doch nur auf seine innere Stimme gehört, ihm war sofort aufgefallen, dass der junge Mann seltsam war, tadelte sich Alastair.   Sich im Zimmer umsehend, stellte er alsbald fest, dass von Andrew keine Spur mehr zu entdecken war. Kein Wunder, schließlich war es stockdunkel. Aber Alastair spürte es auch so, der Verräter war nicht mehr im Zimmer. Alastair holte aus seiner Manteltasche ein Feuerzeug, das er aufschnappen ließ. Unter dem Licht der Flamme sah er sich um, konnte aber nichts Ungewöhnliches feststellen. Auf den zweiten Blick aber bemerkte er doch etwas, etwas das fehlte. Zunächst wollte Alastair es bei dem Blick auf den leeren Schreibtisch im hinteren Teil des Zimmers nicht wahrhaben. „Das Grimoire“, flüsterte er fassungslos. Einst hatte er es einer Dämonin abgenommen. In ihm waren unglaublich viele Informationen zu finden, über Dämonen, Rituale, sogar einiges über Eden und den Turm von Neo Babylon. Zusammengetragen über Jahrtausende, in dutzenden Sprachen. Erst durch dieses Buch war Matt mehrfach mit Anya und ihren Freunden in Kontakt getreten, um sie vor den Gefahren und Konsequenzen zu warnen. Zunächst als Feind, dann als Verbündeter. Fest stand, dass der in dickem Leder gebundene Wälzer nicht an seinem angestammten Platz lag. Es gab auch keinen Zweifel daran, dass er entwendet worden war, denn kurz vor Andrews Auftauchen hatte Alastair noch darin gelesen. Was konnte diese Ratte mit einem so gefährlichen Buch wollen? Der Hüne wollte es sich gar nicht ausmalen.   Ohne lange zu fackeln rannte Alastair aus dem Zimmer. Wie lange hatte er bewusstlos dort gelegen, fragte er sich auf dem Weg hinaus ins nächtliche Livington. Zuerst musste er Matt finden, ehe dem noch etwas Schlimmes widerfuhr, sofern es nicht schon zu spät war. Zusammen würden sie dann das Grimoire wiederbeschaffen!   Als Alastair die Straße überquerte, beschlich ihn ein eigenartiges Gefühl. Irgendwie schien die Stadt leblos zu sein. Keine Autofahrer, niemand führte seinen Hund aus, was hier, am Waldrand eigentlich normal war. Das Schlimmste war, dass er keine Ahnung hatte, wo genau die 13. Straße lag. Er kannte Livington nicht so gut wie Matt. Je näher er der Innenstadt kam, desto bedrückender wurde dieses Gefühl in ihm. Hier stimmte tatsächlich etwas nicht. Absolut niemand war hier, nirgendwo Lichter. Ein Stromausfall? Eine Seitenstraße gerade passierend, bemerkte er aus den Augenwinkeln eine Bewegung. Sofort hielt er an, steuerte ohne zu zögern die enge Gasse an und marschierte vorwärts. Den Schatten, der sich hinter ihm erhob, sah er nicht. Musste er auch nicht, schließlich reichte sein Ellbogen aus, um der Figur hinter ihm ausreichend Schaden zuzufügen. Das Wesen keuchte unter der unerwarteten Initiative seitens des Opfers auf, torkelte zurück und wurde von nur einem Faustschlag Alastairs schließlich ganz niedergestreckt. Dieser betrachtete das Wesen, das vor ihm lag erstaunt. Ein kugelrunder, überdimensionaler Kopf, schiefe, vergilbte Zähne, ein Gewand ganz aus schwarzer Seide gewebt. … er hatte keine Ahnung, was das überhaupt war. Einen Stampfer mit seinem Stiefel später würde es auch niemals jemand herausfinden.   „Du hast gerade einen Menschen getötet“, hallte es nach der Tat plötzlich erschreckend verzückt von der anderen Seite der Gasse. Alastair zog den blutigen Stiefel aus dem Kopf der Kreatur und schnellte erschrocken um. Das war Matts Stimme! „Matt!?“ „Ja und nein“, antwortete der und trat endlich aus der Dunkelheit der Gasse hervor. Sein Gesicht war eine finster grinsende Grimasse. „Nicht mehr, Alastair. Ich bin jetzt nur noch Mutters Diener.“ Sofort keuchte Alastair beim Anblick seines Freundes auf. Er war besessen! Aber von was!? „Ich bin zu spät“, murmelte er geschockt. „Ja, die erste Phase von Mutters Plan ist bereits umgesetzt. Du wirst in dieser Stadt keinen Menschen mehr finden. Aber keine Bange, es geht allen gut. Oder zumindest allen, die das Glück hatten, dir nicht über den Weg gelaufen zu sein.“ „Was ist passiert!?“ Matt lachte auf. „Pah, als ob ich dir das sagen müsste! Denk selbst ein wenig nach, auch wenn das nicht gerade deine Stärke ist!“   Wenn Matt besessen war und das Grimoire gestohlen wurde, dann musste diese Mutter jetzt in dessen Besitz sein! Hatte sie einen Zauber ausgesprochen? Welchen? Viel wichtiger aber war jetzt, dass er Matt zur Besinnung brachte. Alastair keuchte schwer, alles schien sich zu überschlagen. Eigentlich blieb ihm angesichts der Tatsache, dass sein Gegenüber besessen war, nur eine Wahl. Sein Freund schien bereits zu wissen, worauf das hinauslaufen sollte. „Mutter hat mir und Andrew aufgetragen, jeden zu eliminieren, der ihre Pläne durchkreuzen kann.“ Er hob seinen Arm an. Sich um diesen schlängelnde Schatten bildeten langsam ein D-Pad. „Pff. Ich habe keine Zeit für lange Diskussionen, Matt! Wenn du es so willst, werde ich kurzen Prozess mit dir machen!“ Der Hüne schnallte sich den eigenen Duell-Apparat um, den er aus der Innentasche seines roten Mantels zog. Kurz überlegte er, ob es nicht einen effektiveren Weg gab um Matt zu besiegen, aber alles was ihm einfiel, waren grausame Methoden mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass sein Freund sie nicht überlebte. In dem Moment wurde ihm klar, dass er kaum andere Wege zum Bekämpfen von Dämonen kannte als jene zu töten. Etwas, das er wohl überdenken musste. Alastair und der fremdgesteuerte Matt erhoben schließlich ihre D-Pads und riefen: „Duell!“   [Alastair: 4000LP / Matt: 4000LP]   „Was für eine vertrackte Situation“, sagte der Jüngere mit einem gehässigen Lächeln auf den Lippen, „es ist doch zu komisch, dass wir uns schon zum dritten Mal in wenigen Wochen als Feinde gegenüber stehen.“ Die Aussage hatte zur Folge, dass Alastair eine Faust ballte und murrte: „Du ziehst das Unglück magisch an, Matt! Die vergangenen Duelle waren meine Fehler, für die ich jetzt Buße tun werde!“ „Oh, büßen wirst du allerdings. Urila, meine Mutter, will dich tot sehen, immerhin warst du als Anothers Gefäß zu schwach“, gab Matt zu verstehen, „sie ist sozusagen seine Schwester, weißt du?“ „Und wieso ist sie hier?“, verlangte Alastair zu wissen.   Allerdings bekam er keine Antwort. Stattdessen zog Matt neben seinem Startblatt noch eine sechste Karte und bestimmte damit die Reihenfolge der Spielzüge. „Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht“, sagte er. Plötzlich umrandete eine finstere Aura die Karten in seiner Hand und in seinem Deck, „die gute ist, dass Urila meinem Deck eine Generalüberholung verpasst hat. Die schlechte: das Ergebnis wird dir nicht gefallen!“ Damit legte er ein Monster quer auf sein D-Pad und verkündete: „Dieses Monster verdeckt, womit ich meinen Zug beende.“ Die vergrößerte Form der Karte materialisierte sich mit dem Bild nach unten zeigend vor seinen Füßen. Alastair, dem noch immer der Schädel dröhnte, riss nun seinerseits eine Karte von seinem Deck und schrie: „Draw!“ Den Blick fest auf seinen Gegner gerichtet, wusste er, dass es schwer werden würde, ohne Refiels … ohne Anothers Kräfte etwas gegen ihn auszurichten. Allerdings würde er einen Weg finden, Matt vom Einfluss dieses Abkömmlings zu befreien. Zumindest vermutete er, dass dies nur ein Teil des wahren Dämons war, der sich Urila nannte. Auf dieselbe Weise hatten schon andere Dämonen dafür gesorgt, dass sie an mehreren Orten gleichzeitig sein konnten. Wie Another … So schnappte Alastair sich ein Monster aus seinem Blatt und knallte es auf das D-Pad. „Ich beschwöre [Vylon Soldier]! Und um seine Macht noch weiter zu steigern, rüste ich ihn mit [Vylon Material] aus!“ Von oben herab stieg eine mechanische Engelsgestalt, die ihren Mangel an Beinen mit zwei massiven, goldenen Armen wieder wett machte. An einem von diesem erschien ein Aufsatz, aus dem ein spitzer Dorn ragte.   Vylon Soldier [ATK/1700 → 2300 DEF/1000 (4)]   „Attacke!“, befahl Alastair und zeigte auf Matts gesetztes Monster. Dessen Karte wirbelte plötzlich in die vertikale Lage und drehte ihr Bild nach oben, sodass ein finsteres, geflügeltes Wesen daraus empor kam. Dazu erklärte der Hüne: „Soldier wechselt pro Ausrüstungsmagie, die er besitzt, die Position eines deiner Monster.“   Evilswarm Hraesvelg [ATK/1150 DEF/1850 (4)] Allerdings zeigte sich Matt davon unbeeindruckt. „Das war ein Fehler! Wenn [Evilswarm Hraesvelg] aufgedeckt wird, gibt er eine offene Karte des Feindes aufs Blatt zurück!“ Der gehörnte, finstere Vogel stieß einen Schrei aus, welcher Alastairs Engelsmaschine fortschleuderte. Die Waffe an seinem Arm löste sich dabei auf, Sekunden später die Kreatur selbst. „Hmpf! Evilswarm?“, wiederholte der ältere Dämonenjäger und steckte das Monster ins Blatt zurück. Jenes Vogelmonster war ihm vertraut, doch er konnte nicht einordnen, wo er es schon einmal gesehen hatte. „Beeindruckend. Aber nicht genug, um mich zu überrumpeln. Jetzt, wo [Vylon Material] auf den Friedhof geschickt wurde, kann ich eine neue Vylon-Magie meiner Hand von meinem Kartenstapel hinzufügen!“ Dies tat er auch, nämlich mit einer zweiten Kopie von [Vylon Material]. „Ferner, jetzt wo auf dem Ablagestapel eine Vylon-Ausrüstungsmagiekarte liegt und ich keine Monster kontrolliere, ist es mir erlaubt, [Vylon Omicron] von meiner Hand zu beschwören!“ Er knallte die Karte auf sein schwarzes D-Pad und schrie: „Erscheine, mächtiger Verteidiger!“ Vor ihm erhob sich eine massive, goldene Engelsmaschine mit kugelartigem Unterleib. Ihre silbernen Arme gingen in einem Bogen von den Schultern ab und schlugen am unteren Ende die Fäuste zusammen, sodass das Gebilde einem O glich.   Vylon Omicron [ATK/0 DEF/3000 (7)]   Alastair schob zwei Karten in die Zauber- und Fallenkartenzonen und sagte dabei: „Diese setze ich. Dein Zug!“ Noch während sich die Karten vor seinen Füßen materialisierten, lachte Matt leise und bitterböse.   „Draw“, rief er unter einer hämischen Grimasse und zog schwungvoll. Von seiner neuen Karte ging ebenfalls die finstere Energie aus. Sogleich legte er die neue, gelb umrandete Karte neben Hraelsvelg auf seine Duel Disk. „Normalbeschwörung! [Evilswarm Heliotrope]!“ Alastair weitete die Augen, als er den finsteren Ritter in der dunkelgrünen Rüstung sah. Mit dem Schwert in der Hand, streckte er stolz die Brust hervor – in der ein Smaragd steckte. Evilswarm Heliotrope [ATK/1950 DEF/650 (4)]   Der Blick des Hünen huschte herüber zu Hraesvelg. Jetzt ging ihm ein Licht auf, woher ihm der Vogel bekannt vorkam! Henry Ford spielte so einen in seinem Gusto-Deck. Und dieser Ritter war eindeutig eine besessene Version des [Gem-Knight Emerald] der Schlangenzunge Anya Bauer. „Sieht so aus, als wärst du endlich dahinter gekommen“, sagte Matt vergnügt und streckte die Arme weit aus, „ja, einige meiner Karten waren einst die Diener deiner Freunde. Lass dich überraschen, was noch in meinem Deck auf dich wartet. Wie das hier!“ Er ballte eine Faust und schwang dann den Arm aus, was zur Folge hatte, dass seine beiden Monster sich in violette Lichtstrahlen verwandelten, die von einem schwarzen Strom verschlungen wurden, welcher sich inmitten des Spielfelds aufgetan hatte. „Ich errichte das Overlay Network! Aus meinen Stufe 4-Evilswarmern wird ein Rang 4-Monster! Xyz-Summon!“ Alastair wusste sofort, was Matt plante. Nämlich sein Paktmonster zu rufen, das er einst durch Another erhalten hatte – [Steelswarm Roach]! Diese konnte die Spezialbeschwörungen von auf Stufe 5 oder höher liegenden Kreaturen verhindern und sie zerstören. Es war eine der besten Waffen gegen sein Vylon-Deck! Jedoch brachte ihn ein grauenhaftes Gebrüll, welches aus dem Wirbel hervor drang, von diesem Gedanken schnell ab. So etwas hatte Roach nie getan! Würde er etwa-!? „Zeig deine ganze Pracht, [Evilswarm Bahamut], Herold der Dreiheit!“ Schwarze Schwingen mit Zwischenhäuten aus purem Eis reckten sich durch den Wirbel. Aus diesem kam ein schlangenhafter Drache empor geflogen, finsterer als die tiefste Nacht. Sein boshaftes Antlitz ließ selbst den gestandenen Alastair innehalten, als das Monster sich vor Matt aufbaute und seine Klauen zeigte. Evilswarm Bahamut [ATK/2350 DEF/1350 {4}]   Zwei violette Sphären kreisten um den bösartigen Drachen, als er noch einmal majestätisch brüllte. Alastair erkannte dieses Monster als [Brionac, Dragon Of The Ice Barrier] wieder, eines der gefürchtetsten Synchromonster überhaupt! „Monstereffekt!“, lachte Matt hysterisch und zog ein Xyz-Material unter seiner Karte hervor. „Um ihn zu aktivieren, muss ich zusätzlich noch ein Evilswarm-Monster von meiner Hand opfern!“ Er schob Heliotrope und [Evilswarm Coppelia] in seinen Friedhofsschacht. Sogleich schnappte der Drache nach einer der Sphären, die sich blutrot färbte und schluckte sie hinunter. „Spread Infection!“, befahl Matt und zeigte auf Alastairs Monster. „Gib mir die Kontrolle über [Vylon Omicron]!“ Bahamut öffnete sein Maul und spie eine schwarze Wolke auf Alastairs Maschine. Beim genaueren Hinsehen erkannte man, dass es in Wirklichkeit winzige Insekten waren, die auf Omicron zugeflogen kamen. Alastair aber runzelte nur die Stirn und schwang den Arm aus. „Für wen hältst du mich, Matt? Ich kontere deinen Effekt mit [Vylon Omicrons], da er als Ziel ausgewählt wurde! Ich mische eine Vylon-Ausrüstungsmagie vom Friedhof in mein Deck zurück, verringere sowohl Stufe als auch Verteidigung meines Monsters und blockiere deinen Effekt! Circle Barrier!“ Von dem kugeligen Unterleib ging ein Blitzen aus, welches sich als kreisrunder Lichtschild vor ihm manifestierte. An diesem prallten die Insekten ab und verpufften.   Vylon Omicron [ATK/0 DEF/3000 → 2500 (7 → 6)]   Als der Versuch fehlgeschlagen war, die Kontrolle über Alastairs Monster an sich zu reißen, musste Matt auflachen. „Haha, sehr gut. Wie man es von dir erwartet.“ „Keine Sorge Matt, ich werde dich so schnell ich kann befreien!“ „Mein neues Ich gefällt mir aber“, widersprach dieser, „sieh nur, zu was ich dank Urila, dank Mutter, im Stande bin! Ich bin stärker denn je! Zauberkarte: [Xyz Regret]!“ Das waren nur die Auswirkungen ihres Einflusses auf ihn, dachte Alastair ärgerlich. Der Matt, den er kannte, war nie versessen auf Macht oder dergleichen gewesen! Zur Überraschung des Hünen schossen aus Matts Drachen zwei violette Lichtstrahlen heraus, was zur Folge hatte, dass [Evilswarm Bahamut] sich in dunklen Partikeln auflöste. Stattdessen materialisierten sich jene Strahlen zu [Evilswarm Heliotrope] und [Evilswarm Hraesvelg]. „Indem ich ein Xyz zurück in mein Extradeck schicke und es für dieses Duell aufgebe, kann ich zwei Monster vom Friedhof mit identischem Level gegenüber seines Rangs rufen und für eine neue Xyz-Beschwörung nutzen! Los!“ Mit Unbehagen beobachtete Alastair, wie die Monster gleich wieder zu den Lichtstrahlen und vom Overlay Network absorbiert wurden. „Xyz-Summon!“, schrie Matt begeistert. „Schattenherr der Dreiheit! [Evilswarm Ophion]!“ Aus dem Wirbel trat noch ein Drache, viel größer als sein Vorgänger. Ebenso wie Bahamuts, waren seine Schwingen aus hellblauem Eis, auch wenn sie in ein blutiges Rot am unteren Rand übergingen. Sein spitzer Schweif peitschte wild, als er brüllte. Alastair kannte auch ihn: er gehörte ebenfalls den gefürchteten Ice Barrier-Synchromonstern an, [Gungnir, Dragon Of The Ice Barrier]. Dann …   Evilswarm Ophion [ATK/2550 DEF/1650 {4}]   Auch um ihn kreisten zwei violette Sphären – und Alastair erschrak, als er feststellen musste, dass jenes Monster seine Verteidigung durchbrechen konnte. „Richtig! Da ich mich noch in meiner Main Phase 1 befinde, kann ich zuschlagen! Zunächst aber aktiviere ich noch seinen Effekt! Expand Infection!“ Matts Monster schnappte nach einem seiner Xyz-Materialen und schluckte es hinunter. Von seinen Schwingen gingen daraufhin dunkle Wellen aus, die sich überlagerten und in ihrer Mitte eine Karte formten, die in Matts Hand flog. „Ich erhalte eine Infestation-Karte von meinem Deck, welche ich sofort setze!“ Der besessene Dämonenjäger ließ die Falle mit zufriedenem Ausdruck vor seinen Füßen erscheinen und streckte den Arm aus. „Jetzt vernichte das, was nicht dem Kollektiv angehören will, Ophion! Absolute Infestation!“ [Evilswarm Ophion] öffnete sein Maul und schoss dieselbe schwarze Wolke, die auch [Evilswarm Bahamut] für seinen Effekt genutzt hatte, auf [Vylon Omicron] ab. Auf dessen Oberfläche breitete sie sich, einmal getroffen, rasend schnell aus und zerfraß die Maschine in Sekunden, bis sie explodierte. „Hmpf“, brummte Alastair und verschränkte die Arme, „interessant, dieses Deck.“ „Das war erst der Anfang deines qualvollen Untergangs. Zug beendet“, kicherte Matt.   Alastair zog still seine nächste Karte. Er fühlte sich schuldig an Matts Zustand, denn wenn er nur stärker gewesen wäre, hätte es niemals zu all den Katastrophen der letzten Monate kommen müssen. Dennoch fragte er sich, welches Wesen so stark war, dass es den friedfertigen Matt derart verderben konnte. Das war kein gewöhnlicher Abkömmling, der sich in ihn eingenistet hatte: nein, es war, als wären all die dunklen Eigenschaften seines Freundes plötzlich gebündelt zutage getreten. Alastair wollte gar nicht wissen, welchen Effekt so ein Wesen auf ihn haben musste. Nichtsdestotrotz würde er sich nicht beirren lassen, auch wenn es ihm bisher an einem Plan zur Rettung seines Freundes noch mangelte. „Ich aktiviere eine Magiekarte“, sagte er und zeigte [Monster Reborn] vor, „mit ihr reanimiere ich ein Monster. Dieses ist [Vylon Omicron]!“ Aus einer sich vor ihm öffnenden Erdspalte entstieg die O-förmige Engelsmaschine – nur um eine Salve von schwarzen Insekten in Empfang zu nehmen, die [Evilswarm Ophion] aus seinem Maul kommen ließ. Noch ehe Alastair Fragen stellen konnte, zerbröckelte seine Kreatur und fiel in die Erdspalte zurück. Belehrend hob Matt den Zeigefinger. „Sorry Al, aber so haben wir nicht gewettet. Ophion verhindert, dass Monster ab Stufe 5 spezialbeschworen werden können. Habe ich das vergessen zu erwähnen? Wie dumm von mir, haha!“ Unter einem Wutschrei knallte sein Gegner daraufhin [Vylon Soldier] auf sein D-Pad, welcher vor ihm mit seinen wuchtigen Armen erschien. Ohne eine Erklärung folgen zu lassen, rüstete Alastair sein Monster mit [Vylon Material] aus, sodass die Ausgangssituation seines letzten Zuges wiederhergestellt war.   Vylon Soldier [ATK/1700 → 2300 DEF/1000 (4)] „Ich befehle dir den Angriff“, donnerte der schwarzhaarige Hüne mit ausgestreckter Hand, „vernichte [Steelswarm Ophion], indem du seine Position wechselst!“ Der Engelssoldat, an dessen rechten Arm die Vorrichtung mit dem Dorn erschienen war, schoss wie ein Pfeil auf den finsteren Drachen zu. Mit der Absicht, ihn dank der neuen Waffe aufzuspießen. Das Untier hob seine Flügel und legte sie schützend um seinen Körper.   Evilswarm Ophion [ATK/2550 DEF/1650 {4}]   Genau als der Soldat Kontakt mit seiner Dornenwaffe herstellte, geschah das Unfassbare: beide Monster lösten sich in düsterem Licht auf. Sofort fiel Alastairs Blick auf Matts Falle, die vor ihm aufgeklappt war. „[Infestation Terminus]“, benannte jener diese und zuckte unbedarft mit den Schultern, „du hättest besser aufpassen sollen, welche Karte ich mit Ophions Effekt meiner Hand hinzugefügt habe. Denn diese Falle bannt einen Schwärmer, um zwei deiner Karten auf die Hand zurückzugeben. Wie gewonnen so zerronnen, gilt wohl für uns beide, nicht wahr?“ Unzufrieden nahm Alastair daraufhin [Vylon Soldier] und [Vylon Material] wieder auf die Hand zurück. Unfassbar, dass Matts Deck nun so stark war, dass es keine Möglichkeit für ihn gab, auch nur einen winzigen Treffer zu laden! „Zug beendet“, brummte er. Immerhin hatte Matt den größeren Verlust gemacht, war sein Xyz-Monster jetzt fort. Andererseits schien er diese nur als Mittel zum Zweck zu benutzen, obwohl beide unglaublich stark waren. Was die Frage aufwarf: bei welchem Monster würde Matt seine Wegwerfstrategie beenden? Alastair wollte es gar nicht wissen.   ~-~-~   „Schneller!“, heizte Anya ihre beiden Begleiter an. „Ich kann nicht mehr!“, jammerte Nick, als er mühselig Anya und der Abbyrene, wie er sie neuerdings nannte, hinterher hechelte. „Diese Beine bringen mich um! Ich bin schneller wenn ich hüpfe, hehe.“ „Dann hüpf eben! Oder schmeiß dich hin und lass dich von Chucky oder Freddy fertig machen, das würde uns wenigstens Zeit verschaffen!“, erwiderte Anya gallig. Zugutehalten musste man ihr, dass das ausnahmsweise kein Witz war. Denn während sie die Straße entlang zu Valerie Redfields weißer Villa hechteten, wurden sie tatsächlich von besagten Übeltätern berühmter Filme verfolgt. Und noch ungefähr zwei dutzend anderer Kreaturen, die zwischen zehn Zentimetern und drei Metern groß waren. Denn leider war es ihnen nicht gelungen, sich unbemerkt in Valeries Straße zu stehlen. Der elfjährige LeRoy Jenkins, der jetzt die Mörderpuppe mimte, hatte die Dreiergruppe entdeckt, als sie sich über dessen Grundstück auf den Hinterhof schleichen wollten. LeRoy, der ein heimlicher Fan von Anya war und seither sein ganz eigenes Programm sadistischen Terrors ausarbeitete, würde irgendwann die nächste Generation von Terrorkindern einläuten. Grund genug für ihn, jetzt wo er all seiner Angst vor Anya und seines Verstandes beraubt war, besagtes Programm an seinem großen Idol auszuprobieren. Drum alarmierte er mit kreischigem Gebrüll alle Monster in der näheren Umgebung, auf dass sie ihm bei seinem Unterfangen unterstützten. Was Anya, Nick und Abby in ihre aktuelle Misere brachte. „Da!“, schrie Anya und zeigte mit dem Finger auf eine weiße Villa links voraus von ihnen. Jene, dem Weißen Haus nicht unähnlich, war stockfinster. Das große Eingangstor stand sperrangelweit offen. „Oh nein!“, japste Abby neben ihr. „Sag bloß, sie wurden schon angegriffen!?“ „Hallelujah, dann wird der Tag ja doch noch gut!“, jubelte Anya böswillig. Nick, der schon fast von dem Monstermob eingeholt worden war, schrie: „Hilfe, ich kann nicht mehr!“ Da knallte es. Die Monster hinter dem Satyr kamen abrupt zum Stehen, im Asphalt prangerte ein kleines Loch. Anya und Abby hielten ebenfalls verdutzt an und sahen zurück. Nick rannte die beiden fast um und versteckte sich hinter den Mädchen, die nicht begriffen, was gerade geschehen war. „Wer hat da geschossen?“, fragte Anya angespannt. „Das war 'n Jagdgewehr! Und was für eins! Wer-!?“ Abby aber zeigte nach oben, zu einem Fenster im Obergeschoss der Villa der Redfields. Als Anya dem Hinweis folgte, verzogen sich ihre Augen zu Schlitze. „Oh, ich hätte es wissen müssen! Wieso hat dieses Miststück sowas!?“ Dort oben, aus dem Fenster, lehnte sich eine schwarzhaarige Gestalt mit Cowboyhut und zielte auf die Gruppe aus Monstern. Plötzlich schwang die Tür der Villa auf, aus der ein brünetter, junger Mann und eine etwas ältere, ebenfalls brünette Frau erschienen. „Kommt, schnell!“, rief Henry den Dreien zu. „Hier ist es sicher!“, bestätigte seine Schwester Melinda. „Pah! Machen die es sich dort gemütlich, während wir um unser Leben rennen!?“, beklagte sich Anya halb fragend, halb feststellend. „Von wegen! Da kriegen mich keine zehn Pferde rein!“ „Beeilung!“, drängte Henry aus der Ferne. „Schließt dabei gleich das Tor, wenn ihr schon dabei seid!“ „Und passt auf die Streuner auf dem Hof auf!“, fügte Melinda noch hinzu. „Als der Strom ausfiel, haben sie das Tor geöffnet und sind hier hinein gelangt!“ Womit sie wohl eine Gruppe von Zombies, einen Anubismann und anderes Gesocks meinte, das sich im weitläufig angelegten Blumenbeet der Redfields vergnügte. Anya schnaubte. „Sonst noch Wünsche!?“ Ehe sie aber weiter protestieren konnte, zog Abby sie am Arm zum Grundstück hin und wies dabei Nick an, dass er sich um das Tor kümmern sollte.   Der Lärm ließ allerdings Valeries ungebetene Gäste aufmerksam werden, weshalb die Drei sich beeilen mussten, vor denen im Haus zu sein. So hetzten sie über den Garten in die Villa hinein, wodurch Henry und Melinda den Monstern im Schlepptau gerade noch rechtzeitig die Türe vor der Nase zuschlagen konnten. Das Erste, was Anya bemerkte, als sie sich im dunklen Flur des Hauses umsehen konnte, waren die stöhnenden Geräusche, die von weiter vorne aus dem Wohnzimmer drangen. „Was … ist das … ?“, keuchte sie und stützte sich bückend an den Knien ab. „Nur Valeries Vater“, erklärte Henry steif, während er an ihr vorbei humpelte. Selbst im Dunklen konnte Anya förmlich die missbilligenden Blicke spüren, die er ihr zuwarf. Da war wohl jemand immer noch sehr nachtragend bezüglich gewisser Intrigen ihrerseits. Warum auch nicht, sein rechtes Bein war schließlich eingegipst und -ihr- Autogramm fehlte darauf noch! „Und was ist der jetzt?“, wollte sie wissen. „Ne Mumie“, antwortete Melinda belustigt, „Valerie hat ihn ins Wohnzimmer gelockt und dann an seinem Sessel gefesselt. Mit seinen eigenen Bandagen!“ „Ui, wie toll! Warum hat sie ihn nicht gleich dran aufgehangen, wenn sie schon so gut im Mumienbekämpfen ist!?“, ätzte Anya sofort drauf los. In dem Augenblick kam das Cowgirl in Hotpants, Valerie, von rechts in den Flur, ihre Flinte geschultert. „Weil er mein Vater ist.“ Anya blinzelte zweimal, ehe sie das Wort ergriff. „Oh Redfield, von all den Dingen, zu denen du hättest werden können … Riesenoktopus, Schleimklops, meinetwegen auch ein Cockatrice … musstest du unbedingt du selbst bleiben, huh!?“ Deren Reaktion auf die Provokation fiel anders als erhofft aus. „Was auch immer.“ Allein an dem angespannten Tonfall merkte man auch ihr an, dass sie nicht sonderlich begeistert war, Anya zu sehen. Geschweige denn deren Kommentare anhören zu müssen. Die ließ sich allerdings nicht anmerken, dass ihr die abweisende Art einen Stich versetzte. „Wenn du meinst … seit wann kannst du überhaupt schießen?“ „Mein Vater hat mich hin und wieder zu seinen Übungen und Jagdausflügen mitgenommen“, erwiderte Valerie immer noch unterkühlt.   Ihr Blick wanderte von Anya zu Abby und Nick. „Seid ihr beide in Ordnung? Nick, du …“ „Er ist aber nicht bösartig!“, versicherte Abby ihr sofort. Valerie klang nicht vollends überzeugt, als sie fragte: „Und was ist mit dir?“ „Sperr doch die Augen auf, Redfield! Sie ist eine Sirene!“, giftete Anya. „Aber heißt das dann nicht, dass wir sie nicht ansehen dürfen?“, fragte Nick der Satyr. „Weil Sirenen doch hypnotisieren … hab ich gehört. Auch wenn ich natürlich alle Blicke auf mich ziehe, so sexy wie ich bin, hehe.“ Nur um sofort von Anya eine Klatsche gegen den Hinterkopf zu bekommen. „Du Idiot, du hast doch letztens im Knast gesehen, dass das Schwachsinn ist! Sie ist'n Halbblut und nicht gut-“ „Nick, Anya“, unterbrach Abby ihre altklugen Freunde scharf und sah beide abwechselnd mit halb geschlossenen Augen an, denn dass sie auch schon vor der Monsternacht eine Sirene war, mussten Valerie, Melinda und insbesondere Henry nun wirklich nicht wissen, „das interessiert jetzt nicht! Und Nick: zieh Anya an den Haaren!“ Ehe jene überhaupt wusste wie ihr geschah, hatte Nick willig ihren Pferdeschwanz gepackt und hielt die einen Kopf Kürzere daran fest. „Finger weg, du Idiot!“ Sich zu Abby schwingend, hielt die ihr den Zeigefinger wütend unter die Nase. „Das beweist gar nichts! Nicht bei Nick!“ „Anya“, gurrte Abby mit ihrer rauchigen Stimme, „zeig uns deinen Bauchnabel.“ Und Anya gehorchte ganz zu ihrem Entsetzen, als sie ihr schwarzes Shirt hochzog. Valerie konnte es sich nicht verkneifen lauthals zu lachen, während Henry fassungslos über die Albereien der Drei den Kopf schüttelte. „Jetzt wisst ihr, was eine Sirene so alles kann“, schloss Abby die Szene und wandte sich Valerie zu, „wegen der Transformationen …“ Woraufhin sie den Dreien knapp die Situation erklärte plus ihre Theorie, warum sich der Fluch oder was auch immer auf sie alle anders auswirkte als auf den Rest Livingtons.   „So ist das also“, murmelte Melinda und versuchte eine sorgenfreie Miene aufzusetzen, was ihr nur mäßig gelang, „dann haben wir ja fast Glück gehabt, mal Opfer der Immateriellen geworden zu sein.“ „Wo ist eigentlich Marc?“, wollte Anya wissen. „Der ist noch oben und sorgt dafür, dass die Dämonen uns fern bleiben.“ Valerie winkte zum Verständnis mit dem Jagdgewehr, rückte sich mit dem Lauf den Cowboyhut etwas nach oben. Henry stellte sich neben sie und verschränkte die Arme. Missmutig fragte er: „Was hast du angestellt?“ „Meinst du mich, Pennerkind?“, erwiderte Anya gereizt und zeigte mit dem Finger auf sich. „Anya, sei nicht so respektlos! Denk lieber dran, was ich dir nahegelegt habe!“, mahnte Abby sie. „Tch … ihr wollt eine Entschuldigung hören?“, sagte Anya im Affekt. „Dann sperrt die Lauscher auf: es gibt keine! Und wollt ihr wissen warum!? Egal was ich sage, was ich sagen könnte – es wäre nicht gut genug für euch! Also lasse ich es!“ Melinda, die sich eher abseits der anderen hingestellt hatte, seufzte: „Ich kenne dich zwar nicht gut, aber ich kann nachvollziehen, was dich … zu dem bewogen hat, was du getan hast. Zwar kann ich nur für mich sprechen, aber ich habe dir verziehen. Es ist doch alles nochmal gut ausgegangen, wir sollten uns freuen, noch am Leben zu sein.“ „Ich sehe das anders, Melinda“, sagte Henry daraufhin kalt. „Einmal Verräter, immer Verräter.“ „Immerhin bist du ehrlich, Anya“, schlug Valerie in dieselbe Kerbe, „und du hast recht, gut genug wären deine Entschuldigungen niemals. Aber in einem irrst du dich.“ Bewusst zur Seite ihren Freund Nick ansehend, der das Ganze mit unbeschwerter Miene verfolgte, wollte Anya wissen: „Das wäre?“ „Eine Entschuldigung habe ich nie erwartet. Um ehrlich zu sein könnte ich so viel Schlechtes über dich in diesem Moment sagen, dass ich vermutlich eine ebenso verdorbene Sprache wie du benutzen müsste“, sagte Valerie ernst, „aber wenn mich Anothers Intrige eins gelehrt hat, dann dass wir alle Opfer waren, jeder auf seine eigene Weise. Irgendwann werde ich dich sicherlich wieder ausstehen können, so sehr das bei dir eben möglich ist, Anya. Aber bis dahin lass mich in Ruhe, okay?“ Anya zuckte mit den Schultern. „Wenn du meinst, Redfield …“ „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“, fügte die Tochter des Bürgermeisters noch an. Ihre Stimmung hellte sich mit einem Mal ein wenig auf. „Betrachte dich als Freundin auf Probezeit. Die einen großen Fehler begangen und uns nun ihre Loyalität beweisen muss. Und wenn du bestehst, werde ich deine Entschuldigung annehmen, egal wie schlecht sie ist.“ „Ist das dein Ernst?“, hakte Henry missmutig nach. „Erst bist du kalt wie ein Eisblock, jetzt vergibst du ihr?“ „Hast du nicht zugehört?“ Valerie zog an ihnen vorbei und trat auf die Tür zu. „Ich habe gesagt, dass ich ihr noch vergeben muss. Vielleicht wäre es an der Zeit, dass du auch ein wenig über dich nachdenkst. Denk nicht, dass ich vergessen habe, was du Marc angetan hast im Turm.“ Henry schnaubte wütend, hatte er diese Kritik an seiner Person nicht erwartet. „Ich hatte keine Wahl!“ „Den Satz zu benutzen, obwohl du ihn bei anderen verurteilst, sieht dir ähnlich“, erwiderte Valerie nun wieder in der Rolle der Eiskönigin, „wie gesagt, fass dich lieber an die eigene Nase.“ „Aber Schluss damit. Also“, schloss Valerie und drehte sich zu den anderen um, „Zeit, dass wir die Dämonenjäger aufsuchen. Melinda, Nick, ihr bleibt mit Marc im Haus. Der Rest folgt mir und Anya.“ „Wer hat dich zur Anführerin gemacht?“, ätzte Anya, die hin und her gerissen war, ob sie aus Dank, dass Redfield ihrem Erzfeind Henry Ford eine verbale Kopfnuss gegeben hat, auf einen fiesen Spruch verzichten sollte. Das schlechte Gewissen ihr gegenüber und natürlich ausschließlich die Aussicht, dass Abby sie nicht länger wegen der Turmsache nerven würde, ließen sie den zerbrechlichen Waffenstillstand mit ihrer Rivalin schließlich wahren. Auf Anyas Frage antwortend, winkte Valerie noch einmal mit ihrer Waffe: „Die da. Da kann deine Barbie leider nicht mithalten.“ „Du würdest dich wundern!“ „Sollten wir nicht zusammen gehen? Als Gruppe sind wir stärker“, schlug Abby vor. „Aber erregen auch mehr Aufmerksamkeit“, gab Valerie zu verstehen, „Anyas Erfahrung im Umgang mit Baseballschlägern, meine Schusskünste und Abbys Sirenenkräfte sind hilfreich.“ Sich übergangen fühlend, schnaubte Henry sauer. „Ach und Henrys Mundwerk“, fügte Valerie noch spitz hinzu. „Aber du kannst auch hier bleiben, wenn du möchtest. Ich glaube, mit deinem Bein wäre das nur angemessen.“ „Gott Redfield, seit wann bist du so … cool?“, schoss es aus Anya heraus, die diesen Ausruf sofort aufs Bitterste bereute. „Ich komme mit“, entschied Henry und zückte seine Duel Disk, „oder wollt ihr auf den verzichten, der seinen Duel Monsters-Karten dank gewisser Beziehungen ordentlich Wumms verpassen kann?“ Was er damit meinte war, dass er der Sohn des Besitzers der Abraham Ford Company war, die die Duel Monsters-Server in Amerika bereitstellte und die Karten dort vertrieb. Wodurch er die Sicherheitseinstellungen seiner Duel Disk ausschalten und realen Schaden verursachen konnte. „Ach stimmt, deswegen wollt ich dich mitnehmen“, antwortete Valerie lakonisch, „also Anya, wo finden wir die Dämonenjäger am wahrscheinlichsten?“ „Wenn sie sich nicht grad durch die Stadt metzeln, vermutlich irgendwo in der Nähe des Motels am Stadtrand.“ Anya verschränkte die Arme, wie sie neben ihrer Rivalin stand und grinste keck. „Da beide aber totale Volltrottel sind, eher bei der Einsturzstelle des Turms. Die Narbenfresse ist sicher ganz heiß drauf, den Fall zu lösen und alles und jeden zu exorzieren.“ „Also auf zu dem Ort, wo vermutlich alles begann!“, entschied Valerie und riss die Tür auf.   Die Gruppe leitend, schritt sie über den weitläufigen Hof des Anwesens, das Jagdgewehr im Anschlag. Sich ab und zu um die eigene Achse drehend, achtete sie darauf, dass keiner der überirdischen Eindringlinge ihnen zu nahe kam. Dabei gab Marc ihnen als schattenhafte Figur im oberen Stockwerk aus einem der Fenster lehnend Deckung. „Kommt es mir nur so vor, oder haben die Schiss vor Knarren?“, überlegte Anya, die Rücken an Rücken hinter Valerie lief, um ihr Deckung zu geben. So konnte sie nach oben zu dem Fenster sehen, wo Marc besagten Sniper mimte und ihr zuwinkte. Abby, die sich mit Henry ebenfalls dicht an der Gruppe hielt, meinte: „Vielleicht erinnern sie sich, dass sie als Menschen Waffen respektiert haben.“ „Hoffen wir, dass wir nicht auf jemanden von Anyas Schlag treffen“, murrte Henry, „jemand, den Waffen vor der Nase anturnen.“ „Kennst dich ja gut mit meinen Fetischen aus“, ätzte Anya zurück. Die Vierergruppe näherte sich dem Tor, sodass Henry und Abby sich ran machten, jenes zu öffnen, während die anderen beiden jungen Frauen aufpassten, dass die lauernden Kreaturen nicht auf dumme Gedanken kamen.   Alles verlief reibungslos. Sie verließen das Grundstück, schlossen das Tor und bewegten sich dicht am Bürgersteig und den hohen Zäunen der anderen Anwesen entlang. Der Monstermob, der zuvor Anya und Co verfolgt hatte, war inzwischen wieder zerstreut. Tatsächlich war die Straße wie ausgestorben. „Irgendwie ist es hier zu still“, befand Valerie und sah sich gründlich in der nächtlichen Umgebung um. „Ich kann nicht genau sagen warum, aber ich habe ein ganz dummes Gefühl hierbei“, gab Abby ängstlich zu. „Keine Sorge, wir passen auf dich auf“, versuchte Henry sie beruhigen. „D-danke.“ Anya schnaubte. Sie hasste es, ihrer Erzrivalin recht geben zu müssen. Hier stank etwas ganz gewaltig und damit meinte sie nicht Nicks Satyrhormone, die ihr jetzt ekligerweise anzuhaften schienen.   Die allgemeine Anspannung stellte sich aber als unbegründet heraus. Völlig unentdeckt konnten sie die nächsten vier Straßen passieren. „Noch etwa zehn Minuten Fußmarsch, dann sind wir da“, sagte Valerie und führte die Gruppe an ein paar am Straßenrand geparkten Autos vorbei, von denen eins wie eine Coladose plattgedrückt war. „Und was, wenn die Dämonenjäger nicht dort sind?“ „Dann gehen wir wieder zurück und überlegen uns etwas anderes“, antwortete die Schwarzhaarige auf die Frage Abbys. „Ohne die beiden können wir nichts tun, das sollte klar sein.“ „Riecht ihr das?“, fragte Anya und schnüffelte demonstrativ. „Irgendwie … verkohlt.“ Henry, der neben ihr her humpelte, zeigte mit dem Arm, an dem seine Duel Disk angeschnallt war, auf ein hohes Bürogebäude weiter voraus. Auf etwa seiner Mitte war es völlig verkohlt, aus einigen Büros drang Rauch. „Duckt euch!“, befahl Anya sofort, die ahnte, was vorgefallen war. „Versteckt euch hinter den Karren!“ Ohne über die Order nachzudenken, taten die anderen Drei wie geheißen, sodass Anya und Henry sich hinter einem roten und Valerie mit Abby hinter einem schwarzen Wagen verbargen. „Was ist?“, wollte Anyas Erzrivalin flüsternd wissen. „Das da oben war Nicks Mum. Die ist jetzt ein Drache. Möchte wetten, die schwirrt hier noch irgendwo rum.“ Henry sah nach oben in den wolkenverhangenen Himmel, konnte aber keine fliegenden Kreaturen entdecken. „Da ist nichts.“ „Vielleicht versteckt sie sich irgendwo? Auf offener Straße sind wir für sie gefundenes Fressen“, gab Abby zu bedenken. „Was anderes bleibt uns nicht übrig. Das hier ist kein Wohngebiet mehr, hier gibt es keine Hinterhöfe, die uns Schutz bieten.“ Anya pfiff durch die Zähne. „Und ich wette, keiner von euch Schlappschwänzen hat den Mumm, durch die Kanalisation zu waten.“ „Sie hat recht, dort würden wir uns nur verirren. Wir müssen eben Deckung suchen“, entschied Valerie, „vielleicht haben wir Glück und Nicks Mutter ist längst woanders.“   So kam es, dass sie von Auto zu Auto hechteten. Einige standen mitten auf der Straße, welche sie mieden. Doch zu ihrem Glück gab es heute außergewöhnliche viele Berufstätige, die bis mitten in die Nacht Überstunden schoben. Auch ein gewisser Mangel an öffentlichen Parkplätzen machte es ihnen leichter, nicht allzu lange ohne Deckung auskommen zu müssen. Leider bemerkten sie dabei nicht, dass unter einem der Wagen eine schrumpelige Hand hervor langte. Auch war ihnen entgangen, dass die Straße zwar frei war – die Dächer der umliegenden Geschäfte und Bürogebäude aber geradezu überfüllt mit Kreaturen der Nacht war. Und all deren Augen waren auf die kleine Gruppe fixiert.   Diese bog gerade ahnungslos in eine nach rechts verlaufende Straße ein, da wurden auch sie langsam skeptisch. „Irgendwas ist hier komisch“, meinte Anya, als sie am Straßenrand hinter der kleinen Hütte eines Hot Dog-Verkäufers Schutz fanden, „hier ist niemand! Wo sind die alle?“ „Vielleicht hat sich das Problem bereits gelöst und alle liegen wieder in ihren Betten?“, hoffte Abby. „Sei nicht albern“, winkte ihre beste Freundin mürrisch ab, „wann war das jemals der Fall?“ „Uah! Bestimmt nicht heute!“, schoss es aus Henry heraus, als von oben herab eine Klaue nach seinem Hals schnappte. Nur haarscharf verfehlten die messerscharfen Krallen dabei seine Kehle, Henry schlug im Affekt den fellüberzogenen Arm weg. Schreiend stieß er sich anschließend von dem Laden ab. „Scheiße!“ Sofort wichen auch die anderen Drei von dem Hot Dog-Stand zurück und fanden sich umzingelt vor, als von den Dächern die verschiedensten Kreaturen sprangen. So war die bucklige Kreatur, die Henry beinahe die Kehle durchgeschnitten hatte, womöglich ein Werwolf. „Oh shit!“, schrie Anya. „Die Viecher müssen uns verfolgt haben!“ „Gar nicht so dumm!“, gestand Valerie. Zusammen wurden sie zunehmend in die Mitte der Straße gedrängt, wo die Schlinge sich immer enger um sie zog. Von allen Seiten kamen sie, nur noch wenige Meter von Anya und Co entfernt. „Verdammter Kackmist, wer hätte gedacht, dass sie so klug sind!?“ Henry lachte bitter auf. „Das waren mal Menschen. Selbst jetzt, in diesem Zustand, sind sie noch cleverer als du, Anya.“ „Fuck you!“, sprachs und hielt Henry den Mittelfinger mitten ins Gesicht. „Hört auf zu streiten, wir haben ernsthafte Probleme!“, mahnte Valerie die beiden und schoss mit ihrer Waffe vor ein paar kriechenden Schleim-Kreaturen in den Boden. Doch die erhoffte Wirkung blieb diesmal aus, die Monster hielten nicht an. Eilig lud Valerie nach, indem sie die Patrone aus der Brusttasche ihrer Jeansweste fischte und einlegte. „Was machen wir jetzt!?“, jammerte Abby unsicher. „Wir können die doch nicht töten! Das sind immerhin Menschen!“ „Und was sollen wir sonst tun!?“, fauchte Anya zurück, die Barbie kämpferisch vor sich hielt, bereit, jederzeit zuzuschlagen. „Die softe Tour funktioniert nicht! Dafür sind es zu viele!“ Henry, der seine Duel Disk aktivierte, nickte. „Leider hat sie recht. Ausknocken nützt bei der Masse nichts. Entweder die oder wir, eine andere Wahl haben wir nicht.“ „Doch haben wir! Passt auf!“   Abby wandte sich von der Gruppe ab und räusperte sich. Dann begann sie zu singen. Seltsame Worte oder besser gesagt die Brocken, an die sie sich noch erinnerte. Das friedliche Wiegenlied, das ihre Mutter immer gesungen hatte, „La fina kanto“ - das letzte Lied. Es würde die Monster einlullen und sie davon abhalten anzugreifen. Aber nichts geschah. Die Kreaturen kamen immer näher, was Abby aus dem Takt brachte. Sie waren ihr gar so nah, dass die Sirene zurückweichen und das Lied abbrechen musste. „W-warum funktioniert es nicht!?“, stammelte Abby panisch. „Anya!?“ „Entweder weil sie immun sind oder zu viele, bin ich 'ne Sirene, dass ich dir das beantworten kann!?“, gab die angespannt zurück. Valerie richtete ihr Gewehr und zielte damit auf den Kopf einer Kreatur, die eine Mischung aus Bär und Elch zu sein schien. „Wir haben keine Wahl mehr. Jetzt geht es ums nackte Überleben.“ Waren die Monster schließlich noch knapp zwei Meter von ihnen entfernt. So drückte das Mädchen ab.     [Part II – Ende] Kapitel 39: The Last Asylum Movie "Second Coming" - Part III ------------------------------------------------------------ Yu-Gi-Oh! The Last Asylum – The Movie Part III     Ein kalter Luftzug bahnte sich seinen Weg durch die enge Seitengasse, in der Matt und Alastair sich duellierten. Ersterer schien regelrecht von den Schatten, die aus seiner Brust drangen, nach und nach verschlungen zu werden. Irgendein Dämon, der sich Urila nannte und den Matt als Mutter bezeichnete, hielt ihn über seinen Abkömmling fest im Griff. Alastair sah seine einzige Chance, Matt zu befreien in dem Duell, das die beiden austrugen. Allerdings war er alles andere als versiert darin, Menschen von Dämonen zu befreien, ohne sie dabei zu töten. Dennoch würde er nicht eher ruhen, bis diese Aufgabe erfüllt war. Immerhin ging es hier um seinen Freund! Zumal die beiden Dämonenjäger unbedingt diese Urila finden und stellen mussten, bevor die noch mehr Unheil anrichtete. Alastair schwante allerdings schon jetzt Böses diesbezüglich, sodass er sich zur Eile mahnte, Matt aus dem eisernen Griff der Dämonin zu befreien. Wie jedoch bereits vorher abzusehen war, stellte sich dieser als harte Nuss heraus. Keinem von beiden war es gelungen, dem jeweils anderem Schaden zuzufügen.   [Alastair: 4000LP / Matt: 4000LP]   Alastair stand verkrampft seinem besessenen Freund gegenüber. Dieser hatte gerade gezogen. Sein Feld mochte jetzt leer sein, im Gegensatz zu Alastairs, das immerhin zwei gesetzte Karten vorweisen konnte, aber dennoch spürte der Hüne die Gefahr regelrecht unter der Haut, die von seinem Gegner ausging. Matt hatte noch gar nicht angefangen, sein volles Potential auszuschöpfen.   „Warum?“, fragte Alastair nach. „Warum haben die Leute sich verändert? Sag es mir, Matt!“ „Oh, bist du immer noch nicht drauf gekommen?“, erwiderte der böswillig und grinste. Er schnalzte mit der Zunge. „Dummer Alastair. Du hättest auch selbst darauf kommen können, dass Mutter einen Zauber aus dem Buch über die Stadt gewoben hat.“ Also tatsächlich war das Grimoire, das dieser Andrew gestohlen hatte, die Ursache für die Veränderungen! Soviel hatte Alastair schon vermutet. Und trotzdem hätte er nie für möglich gehalten, dass in ihm etwas derartig Mächtiges verborgen lag. „Dieser Zauber, der die innere Finsternis nach außen kehrt und ihr eine Form gibt“, sprach Matt weiter und sein Ton wurde düsterer und gleichwohl wütender, „hat Mutter großes Leid zugefügt. Aber er wird ihre Schmerzen wert sein. Denn was einst schwach war, ist jetzt zehnmal so wertvoll. Und damit wird alles seinen richtigen Weg finden!“ Hieß das, dass der Zauber gesprochen wurde, um die Livingtoner mächtiger werden zu lassen? Aber dann-!? „Ihr wollt sie opfern!“ „Natürlich. Livington hat nicht genug Einwohner für unseren Plan, weshalb Mutter improvisieren musste. Schon bald aber kann das Ritual beginnen, nachdem sie sich erholt hat. Aber du“, sagte Matt und zeigte mit dem Finger auf Alastair, „wirst uns dabei nicht in die Quere kommen! Mein Zug!“   „Mach dich bereit!“, rief er und zückte zwei Monster aus seinem aus vier Karten bestehenden Blatt. „Ich rufe [Evilswarm Castor] und nutze seinen Effekt, um eine zweite Normalbeschwörung durchzuführen!“ Ein halb schwarzer, halb weißer Krieger mit einem Schwert in der Hand, dem zwei dünne, parallel verlaufende Klingen entsprangen, erhob sich vor Matt.   Evilswarm Castor [ATK/1750 DEF/550 (4)]   Alastair, der bisher jedes Evilswarm-Monster zuordnen konnte, kannte die Originalversion dieses Exemplars zu seinem Erstaunen nicht. Sein Gegner indes rief: „Wie bereits gesagt, lässt er mich einen weiteren Artgenossen rufen. Und das tue ich, indem ich [Evilswarm Azzathoth] beschwöre!“ Aus einem sich öffnenden Spalt im Boden kam eine groteske, sphärenartige Gestalt geflogen, die aus allen nur erdenklichen, einen Hauch von Reptilien besitzenden Ungeheuern bestand. Sie alle hatten bösartige Mäuler gemein und Alastair erkannte, dass er dort die gesamte Worm-Familie in kompakter Form vor sich hatte, eine außerirdische Rasse von Invasoren. Evilswarm Azzathoth [ATK/750 DEF/1950 (4)]   Matt streckte hysterisch lachend den Arm aus. „Du kennst die Prozedur! Ich erschaffe das Overlay Network und mache aus meinen Stufe 4-Monstern ein Rang 4-Monster!“ Was würde diesmal kommen, fragte sich Alastair mit Schweiß auf der Stirn, während er zusah, wie der dunkle Dimensionswirbel sich inmitten des Feldes öffnete und die beiden Monster als violette Lichtstrahlen absorbierte. „Xyz-Summon! Erscheine, Reiter des Unheils! [Evilswarm Thanatos]!“ Auf einem schwarzen Einhorn kam der feindliche Ritter aus dem Strudel hervorgesprungen, ihn umkreisten zwei Lichtsphären. Der Reiter gehörte früher zu dem Dämonenclan der Fabled, war er einer der oberen Befehlshaber, [Fabled Ragin]. Sein Reittier indes war einst [The Fabled Unicore] gewesen.   Evilswarm Thanatos [ATK/2350 DEF/1350 {4}]   „Planst du, dieses Monster ebenfalls wegzuwerfen, wenn dir danach ist?“, wollte Alastair wissen. Matt erwiderte vergnügt, während er einen Zauber zückte: „Nein. Ich plane zu gewinnen! Deshalb aktiviere ich [Mutual Infestation], die seine Angriffskraft verdoppelt!“ Der schwarzhaarige Hüne fiel aus allen Wolken, als er den schwarzen Nebel um den Reiter erblickte, welcher dessen Offensivwert in die Höhe schießen ließ.   Evilswarm Thanatos [ATK/2350 → 4700 DEF/1350 {4}]   Allerdings ging der besessene, junge Mann vor ihm noch einen Schritt weiter. Er nahm eines der Xyz-Materialien unter [Evilswarm Thanatos] hervor und erklärte: „Um mich vor deinen Monstereffekten zu schützen, hänge ich eine Overlay Unit ab und mache ihn für den Zug über immun! Nur für den Fall, dass du eine böse Überraschung planst.“ „Nichts dergleichen“, versicherte Alastair ihm grimmig, als Thanatos die Lichtkugel mit seinem Schwert absorbierte. „Umso besser!“, lächelte Matt grausam und zeigte auf seinen Freund. „Dann ist es wohl Zeit für unseren Abschied. Ich mag es ja kurz und schmerzlos! Also vergehe! [Evilswarm Thanatos], direkter Angriff! Infestation's Hate Crusher!“ Unter lautem Wiehern galoppierten Einhorn und Reiter auf Alastair zu, die pechschwarze Klinge bereits zum tödlichen Schlag erhoben. Allerdings war das vermeintliche Opfer nicht unvorbereitet und aktivierte eine seiner zwei gesetzten Karten. „Schnellmagie!“, brüllte Alastair und knallte dabei ein Monster auf seine Duel Disk. „[Celestial Transformation]! Sie ermöglicht mir, einen Engel von meiner Hand zu rufen! Schütze mich, [Vylon Soldier]!“ Die mechanische Engelsgestalt, die bisher wenig in dem Duell ausrichten konnte, tauchte vor Alastair mit über den Körper gekreuzten Armen auf.   Vylon Soldier [ATK/1700 → 850 DEF/1000 (4)]   Ein Hieb von Matts Monster reichte trotzdem aus, um es in der Mitte zu durchtrennen und zum Zerplatzen zu bringen. „Wie langweilig“, kommentierte der junge Mann das unzufrieden. „Zug beendet, was den Zweiteffekt von [Mutual Infestation] auslöst. Alle meine Schwärmer werden in die Verteidigung gewechselt.“ Im gemütlichen Trab kehrte der Reiter zu seinem Besitzer zurück und bezog eine schützende Position vor ihm.   Evilswarm Thanatos [ATK/4700 → 2350 DEF/1350 {4}]   „Wie ich mir dachte“, brummte Alastair und zog auf drei Karten auf, „nur ein weiteres Wegwerfmonster in deinem Arsenal. Nicht dass der Matt, der ich kenne, seinen Monstern je einen besonderen Wert beigemessen hat, aber das ist nicht die Art von Duellant, die sowohl er, als auch ich respektieren. Selbst die Schlangenzunge zeigt ihrem Deck gegenüber mehr Wertschätzung.“ „Der Zweck heiligt die Mittel. Mehr sind diese Karten nicht für mich“, rechtfertigte sich der jüngere Dämonenjäger. „Wenn einer fällt, rufe ich den nächsten. So einfach ist das.“ Alastair schüttelte den Kopf. „Dann soll diese Arroganz deine Niederlage markieren. Sieh her, wie ich jede dieser Kreaturen zu Fall bringen werde! Ich beschwöre [Vylon Prism]!“ Eine weiß-goldene, längliche Kreatur erschien vor Alastair, die einem Schild glich, wie Ritter sie trugen. Aus jeder Seite ragte ein Arm, den das Wesen zu Fäusten ballte.   Vylon Prism [ATK/1500 DEF/1500 (4)]   „Es selbst ist zwar nicht besonders stark“, meinte Alastair und zeigte auf Matts Reiter, „aber immer noch mächtig genug, deinen Verteidigungswall zu überwinden! Los, greife [Evilswarm Thanatos] an!“ Die untere, blau schimmernde Hälfte des Schildes begann stark zu leuchten und feuerte schließlich einen Lichtstrahl auf den Krieger und sein Ross ab, welcher beide regelrecht zerfetzte. „Zug beendet!“, raunte Alastair mit seinen zwei verbliebenen Karten in der Hand.   Mit einem Mal begann Matts Hand in schwarzen Flammen aufzugehen, als er nach seinem Deck griff. Gleichzeitig spürte Alastair einen fiesen Stich im Brustkorb, spürte er am ganzen Leibe die Macht, die von seinem Freund ausging. Dieser erglühte binnen Sekunden regelrecht in der schwarzen Aura. „Das ist-!?“ „Du kennst es. Refiel beziehungsweise Another hat dir diese Gabe oft genug zuteil werden lassen“, sagte Matt zutiefst zufrieden über den entsetzten Blick seines Freundes, der sich die Brust hielt, „die Macht, dem Schicksal einen neuen Pfad hinzuzufügen. Jetzt erlebst du, wie sie gegen dich verwendet wird! Draw!“ Als der junge Mann schwungvoll vom Deck zog, entbrannte diese neue Karte in schwarzen Flammen. Niemand musste Alastair erklären, dass Matt in jenem Augenblick selbst bestimmt hatte, was er ziehen würde. „Nun rufe ich [Evilswarm Kerykeion], die Wiedergeburt des dunklen Sterns!“ Eine schwarze, engelsgleiche Gestalt tauchte vor Alastair auf. Sie stieg mit gespreizten Schwingen in die Höhe und hielt dabei an einem großen Stab fest, um den zwei goldene Linien gewunden waren. Und während das Wesen aufstieg, begannen orange leuchtende Sphären um Kerykeion zu kreisen. Auch diese Kreatur war Alastair völlig fremd. Evilswarm Kerykeion [ATK/1600 DEF/1550 (4)]   Matt, der immer noch von der dunklen Aura umgeben war, streckte seine Arme weit aus. „Nur Kerykeion kann die Infektion zurückbringen! So banne ich [Evilswarm Castor] von meinem Friedhof, um einen Schwärmer wie [Evilswarm Heliotrope] von ebendort auf meine Hand zu bringen. Und diesen beschwöre ich sogleich durch Kerykeions zweiten Effekt als zusätzliche Normalbeschwörung, was nur durch den ersten ermöglicht werden kann!“ Violett-schwarzer Nebel bildete sich am Boden unter dem beflügelten Wesen, das mit dem Stab darauf zeigte. Dort unten gewann schließlich der dunkelgrüne, infizierte Gem-Knight erneut sein Leben.   Evilswarm Heliotrope [ATK/1950 DEF/650 (4)] Matt zeigte seine letzte Handkarte vor, ebenfalls ein Monster. „Zu guter Letzt wirst du deine eigene Kreatur unter dem Vorhang der Infektion kennenlernen! Zeig dich, [Evilswarm Dullahan], jetzt, wo ich einen Schwärmer mit mehr als 1500 Angriffspunkten kontrolliere!“ Neben Heliotrope tauchte noch einmal der sinistre Nebel auf und setzte eine kopf- und beinlose Kreatur zusammen, die aus grauem Metall mit schwarzen Streifen gemacht war. Zwei gewaltige, goldene Arme machten das Wesen regelrecht furchteinflößend. Evilswarm Dullahan [ATK/1150 DEF/1550 (4)]   „Das ist … [Vylon Soldier]!“, stieß Alastair erschrocken hervor. „Ich hätte es wissen müssen!“ „Selbst der Vylon-Stamm konnte sich nicht gegen die Infektion wehren. Es ist nur eine weitere Karte, die nun Teil des Kollektivs ist“, erwiderte Matt ganz lapidar, „nichts aber im Vergleich zu der wahren Infektion, die sich überall ausbreitet wie eine Plage.“ Überrascht von dem letzten Teil der Aussage, fragte Alastair: „Was meinst du damit?“ „Frag Mutter. Das heißt, wenn du soweit kommst!“ Die Augen fast zusammenkneifend, schwang Matt den Arm aus. „Attacke, meine Monster! Heliotrope, Kerykeion, Dullahan, dreifacher Angriff!“ Alle drei Kreaturen, ob die zwei an Land oder Kerykeion in der Luft, bündelten vor sich schwarz-violette Wolken, die sie synchron in Form eines Strahls auf Alastair und sein Monster abfeuerten. [Vylon Prism] wurde bereits vom Angriff des schwarzen Engels mitgerissen, wohingegen Alastair die Angriffe der anderen beiden abbekam. Die Wucht der Attacke traf ihn direkt im Bauch, hob ihn von den Füßen und schleuderte ihn kurzerhand durch die halbe Gasse, wo er hart auf dem Rücken aufkam und noch ein Stück weiter rutschte. An den Wänden huschten aus ihren Verstecken derweil finstere, in den Schatten verborgene Kreaturen herbei, deren Augen rot leuchteten – gierig wohnten sie dem Spektakel bei, versessen darauf, Alastair das Fleisch von den Knochen zu reißen.   [Alastair: 4000LP → 800LP / Matt: 4000LP]   „Urgh“, stöhnte jener und richtete, sich den Bauch haltend, den Oberkörper auf, „also habe ich dennoch den ersten Treffer einstecken müssen. Das ist eine Demütigung.“ Plötzlich kicherte Matt. Erst ganz leise, dann immer lauter, bis es in ein bellendes Lachen überging, gefolgt von einer geradezu manischen Ansprache. „Du denkst, das wäre eine Demütigung?“ Alarmiert beobachtete Alastair, wie die finstere Aura um seinen Freund zunehmend stärker wurde und begann, die Wände der umstehenden Häuser regelrecht zu zerfressen. Die Schattenkreaturen flohen alsbald wie aufgescheuchte Hühner, als die alles verschlingende Finsternis auch sie zu vertilgen drohte. So schnell, wie sie gekommen waren, waren sie auch wieder verschwunden. „Matt!“ „Ich werde dir zeigen, wie stark mich Mutter gemacht hat! Sieh her, ich erschaffe das Overlay Network in meiner zweiten Main Phase!“ Es war, als würde man Alastair die Luft abschnüren, so extrem wirkte sich das Folgende auf ihn aus. Denn als sich die drei Monster in violette Lichter verwandelten, die in den sich öffnenden Sternenstrudel mitten im Spielfeld gezogen wurden, waren sie nicht die einzigen. Auch ein Teil von Matts Aura, der pechschwarze Nebel, wurde absorbiert. „Xyz-Summon! Erscheine, oh Speerspitze der Dreiheit! [Evilswarm Ouroboros]!“ Mehrfach erklingendes, tiefes Gebrüll drang aus dem Überlagerungsnetzwerk hervor. Erst ein maskierter Kopf, dann zwei und schließlich ein dritter traten aus dem Wirbel hervor. Lange Hälse verbanden sie mit dem Körper des Drachen, der seine Schwingen spreizte und allein durch seine Anwesenheit pure Finsternis zu verbreiten begann. Um jeden der Köpfe kreiste eine Lichtsphäre, als der Drache über Matt Position bezog. Und Alastair kannte das Monster nur zu gut. Dies vor ihm war eines der gefürchtetsten Synchromonster gewesen, [Trishula, Dragon Of The Ice Barrier]! Der Gott jenes Stammes!   Evilswarm Ouroboros [ATK/2750 DEF/1950 {4}]   „Ahh“, keuchte Alastair, der sich mit einem Male kraftlos fühlte. Noch immer saß er auf dem Boden, beziehungsweise lag, als er sich nicht mehr halten konnte und nach hinten kippte. Schwarzer Nebel, der von Ouroboros ausging, umschlich ihn, fesselte seine Glieder. „Siehst du es? Dieses Monster ist die Manifestation meiner eigenen Finsternis!“ „Manifestation?“, brach Alastair gerade so hervor und hob den Kopf an. Sich gegen die Finsternis zu wehren vermochte er gar nicht erst. „Mutter hat in mir geweckt, was so lange geschlafen hat. All der Zorn, die Trauer, die Einsamkeit … Mutter hat all das hervorgeholt und mir die Augen geöffnet.“ Matt sah hochnäsig auf seinen Freund herab. „Ich bin der Welt keinen Gefallen schuldig. Also kann ich Mutter genauso gut helfen.“ „Du irrst dich“, begehrte Alastair auf, „du bist nicht Matt. Der echte Matt würde sich niemals zu so etwas herablassen!“ „Halt's Maul!“, brüllte jener wütend und streckte den Arm in die Höhe. „Wollen mal sehen, ob du deine Meinung diesbezüglich nicht noch änderst! Effekt von Ouroboros aktivieren! Einmal pro Zug kann ich einen seiner drei Effekt aktivieren! Ich wähle den des linken Kopfes, der dich eine Handkarte abwerfen lässt!“ Erschrocken vernahm Alastair diese Worte. Dieses Monster, diese pure, unterdrückende Gewalt, es war vermutlich auf einer Stufe mit den Inkarnationen, wie sie die Immateriellen benutzten! „Infestation's Rejection!“, brüllte Matt da und zeigte auf Alastair. Der linke Kopf schnappte nach seinem Xyz-Material und spie im Anschluss eine pechschwarze Wolke auf Alastairs Arm. Dieser schrie unter dem schrecklichen Schmerz auf, ätzte die Flamme wie Säure den Ärmel des roten Mantels regelrecht weg und versengte die Haut. Doch nicht nur das, Alastair ließ eine seiner beiden Handkarten los, die damit als abgeworfen galt. Matt lachte auf. „Das war erst der Vorgeschmack. Nächste Runde wirst du richtig Bekanntschaft mit Ouroboros machen! Zug beendet!“   Mit zitternder Hand griff Alastair nach seinem D-Pad und zog eine durchaus nützliche Zauberkarte auf. In der anderen Hand hielt er [Vylon Material], sah beide Karten an. Aber in seinem jetzigen Zustand konnte er sich kaum rühren. Solange ihn die Schatten festhielten, war jede Chance auf Gegenwehr sinnlos. Er wusste ja nicht einmal, wie er dieses Ding aus Matt vertreiben konnte!   Zwar gab es den Umkehrzauber, der dem Ziel kurzweilig die Kontrolle über seinen Körper zurückgab, aber so einen hatte Alastair nicht dabei. Sie waren nicht umsonst ziemlich umständlich herzustellen, an die passenden Materialien zu gelangen gestaltete sich schwer. In seinem Arsenal befanden sich Teleportzauber, diverse, spezifisch ausgerichtete Dämonentöter und -blocker, Schlafzauber, die aber nur selten wirkten und ein paar andere, die ihm nicht zu helfen vermochten. Früher, als er noch unter Refiels beziehungsweise Anothers Fuchteln stand, hätte er einen Exorzismus durchgeführt. Aber der würde Matt töten und das würde Alastair niemals in Betracht ziehen. Es sei denn … Aber konnte er so ein Wagnis eingehen? So weit er informiert war, hatte noch nie jemand etwas Derartiges getan. Andererseits war es wohl seine einzige Option, auch wenn es ihrer beider Tod bedeuten könnte? Oder Schlimmeres, wenn sie überlebten. Doch zuerst …   „Falle aktivieren“, keuchte Alastair. Die gesetzte Karte weiter vorne auf dem Feld sprang auf. „[Vylon Link]! Ich werfe eine Vylon-Ausrüstungsmagie ab, beschwöre dafür bis zur End Phase drei Vylon-Kreaturen von meinem Friedhof.“ „Ich kenne die Karte“, rümpfte Matt die Nase, „dafür werden sie ihrer Angriffskraft und einer Stufe beraubt, richtig? Pah!“ „[Vylon Omicron], [Vylon Soldier], [Vylon Prism], seid mein Schild!“, sagte Alastair leise, nachdem er sich seiner Ausrüstungszauberkarte entledigt hatte und nach etwas in der Innentasche der unbeschädigten Seite seines Mantels griff. Vor ihm tauchten derweil die O-artige Engelsmaschine, sowie der Krieger mit den massiven Goldarmen und der Schild auf.   Vylon Omicron [ATK/0 → 0 DEF/3000 (7 → 6)] Vylon Soldier [ATK/1700 → 0 DEF/1000 (4 → 3)] Vylon Prism [ATK/1500 → 0 DEF/1500 (4 → 3)]   „Wirke!“, rief Alastair und zückte aus seiner Manteltasche eine weiße Karte, von der ein strahlendes Licht ausging. Sofort nahmen die Schatten um ihm herum Reißaus und kehrten zu Matt zurück. „Ein Dämonenjäger lässt sich nicht so leicht von der Finsternis übermannen“, erklärte Alastair und kam schließlich schwankend auf die Beine, „auch wenn ich zugeben muss, mir der Sache nicht sicher gewesen zu sein. Eigentlich ist dieser Zauber für die Seelen Toter gedacht, nicht für Abkömmlinge einer Immateriellen!“ Matt verzog wütend die Miene. „Ich bin kein Abkömmling!“ „Doch, das bist du, ein unabhängig existierendes Wesen!“, widersprach Alastair, „Sonst hätte der Zauber keine Wirkung gezeigt. Oder wäre es dir lieber, ich nenne dich eine rastlose Seele? Wobei ich deine Stärke so oder so anerkenne, denn herkömmliche Kreaturen wären jetzt nicht mehr!“ „Glaub was du willst“, raunte Matt und verschränkte abwartend die Arme, „zeig mir lieber, wie du auf [Evilswarm Ouroboros] antworten willst! [Vylon Ultima] vielleicht? Das wird dir nichts bringen!“ „Es gibt da etwas anderes, das mir vorschwebt“, gestand Alastair und streckte den Arm in die Höhe, „ich stimme mein Stufe 3-[Vylon Prism] auf mein Stufe 6-[Vylon Omicron] ab! The light of beginning shines upon the forsaken! Wings of steel that overshadow life itself! Synchro Summon!“ Die von ihm erwähnten Monster stiegen in die Luft auf. Der Schild zersprang in drei grüne Lichtringe, die der O-förmige Engel passierte. Ein Lichtblitz durchdrang die Gasse. „Descent from the divine lands! [Vylon Alpha]!“ Gleißendes Strahlen genau dort, wo eben noch Alastairs Monster gewesen waren. Über ihm spannte eine gewaltige Engelsmaschine seine schlanken, langen Schwingen aus. Wie alle Vylons besaß die Kreatur keine Beine, dafür aber zwei lange Arme, mit denen es parallel wirkende Schwingungen puren Lichts erzeugte. Über seinem Rücken thronte ein Gestell aus Gold, an dem die Schwingen befestigt waren. Vylon Alpha [ATK/2200 DEF/1100 (9)]   Matt grinste nur vergnügt, er kannte dieses Monster nicht. Alastair hatte es nie zuvor in einem Duell eingesetzt. Sein Gegenüber streckte den Arm aus. „Effekt von [Vylon Prism]! Für 500 Lebenspunkte wird es zu einer Ausrüstungsmagie, die während einer Schlacht die Offensive des Alphas um 1000 Punkte erhöht!“ Gelbe Blitze schlugen um ihn, als er stöhnend Prism in die entsprechende Zone unter [Vylon Alpha] schob. Der Schild tauchte als Silhouette vor dem riesigen Wesen auf und verschwand in seiner Brust.   [Alastair: 800LP → 300LP / Matt: 4000LP]   Allerdings war der Hüne längst nicht fertig. So zeigte er hoch zu dem Wesen des Anfangs. „Es folgt [Vylon Alphas] eigener Effekt. Bei seiner Synchrobeschwörung wählt es eine Ausrüstungsmagie von meinem Ablagestapel und rüstet sie aus.“ Er holte aus dem Friedhofsschacht [Vylon Material] hervor und spielte es sofort aus. Am rechten Arm seiner Kreatur wuchs ein spitzer Aufsatz, aus dem elektrische Ladung hervor drang.   Vylon Alpha [ATK/2200 → 2800 DEF/1100 (9)]   Der dämonische Matt klatschte in die Hände. „Beeindruckend. Nur zu, greif mich an! Lass mich ein bisschen des süßen Schmerzes spüren, der bisher nur dir zuteil geworden ist!“ Alastair rümpfte die Nase wütend. So zu reden, das war nicht Matts Art! Allein dafür würde er dem Dämon das Maul stopfen! Seine letzte Handkarte vorzeigend, einen Zauber, wollte er dieses verfluchte Duell endlich beenden: „Alles, was einen Anfang hat, hat auch ein Ende. Und aus jedem Ende entspringt ein Anfang. So funktioniert auch diese Karte! [Alpha & Omega]!“ Hinter seiner Engelsmaschine tauchte ein goldenes Symbol auf, das dem griechischen Buchstaben Omega verdächtig ähnlich sah. Es huschte über [Vylon Alpha] in die Höhe und begann zu strahlen. „Lass mich die Synchrobeschwörung überspringen und dich direkt aufs Feld rufen! Illuminating wings, cover this world and shake its boundaries! Existence becomes nothing more than a fading memory! Descent, deity of the end! [Vylon Omega]!“ Mithilfe goldener Partikel, die aus dem Buchstaben strömten, bildete sich um das Symbol herum eine noch größere Gestalt als [Vylon Alpha]. Was eben noch eine Silhouette war, bildete nun den riesigen goldenen Buchstaben Omega. An ihm hing der vergleichsweise schmale Körper des Wesens, dessen Arme mit je einem silbernen Ring am größeren Gebilde befestigt waren. Die massiven, metallischen Schwingen spreizten sich. Stolz sah Alastair nach oben zu seinen Monstern.   Vylon Omega [ATK/3200 DEF/1900 (10)]   Selbst der besessene Matt wich einen Schritt zurück und betrachtete halb fasziniert, halb erschrocken die beiden Kreaturen, die übereinander flogen und die ihm völlig fremd waren. „Effekt des Omegas! Einmal pro Zug rüste ich ein Vylon-Monster von meinem Ablagestapel an es aus.“ Alastair zeigte eine zweite Kopie von [Vylon Prism] vor. „Diese musste ich abwerfen, als [Evilswarm Ouroboros] meine Hand angegriffen hat. Nun wirst du dafür die Konsequenzen ertragen müssen!“ Der trapezartige Schild tauchte auch vor Omega auf und verschwand in seiner Brust. Somit waren beide Monster um 1000 Punkte stärker, als sie eigentlich anmuteten. Mehr als genug, um Matt zu besiegen. Alastair atmete tief durch. Endlich geschafft. Dem Wesen vor sich hatte er nichts mehr zu sagen. Wütend streckte der Hüne den Arm weit aus, zeigte mit dem Finger auf den verdorbenen, dreiköpfigen Drachen auf Matts Spielfeldseite. „Aus meinen Augen, verfluchte Kreatur der Finsternis! [Vylon Alpha], lösche seine Existenz aus! Clearing Obliteration!“   Vylon Alpha [ATK/2800 → 3800 DEF/1100 (9)]   Seine Engelsgestalt legte beide Hände aufeinander und ließ so die Wellen, die von ihnen ausgingen, synchron verlaufen. Daraus entstand ein Licht, aus dem sie augenblicklich einen gewaltigen Energiestrahl abfeuerte. Dieser schoss schräg nach oben durch die Gasse und traf Ouroboros in die Brust, doch machte er dort nicht halt und pfefferte wie eine Sternenschnuppe über ganz Livington hinweg. Von der Schockwelle erfasst, die durch die Explosion seines Drachen entstanden war, wurde Matt durch die halbe Seitenstraße geschleudert und rollte mehrmals über den Boden, ehe er regungslos liegen blieb. Dort, wo Ouroboros explodiert war, ragten tiefe Löcher in den Wänden der Häuser. Krachend fielen ein halber Stuhl und ein nunmehr zweibeiniger Tisch ins Stockwerk darunter.   [Alastair: 300LP / Matt: 4000LP → 2950LP]   Alastair ließ es sich nicht anmerken, doch dass der besessene junge Mann vor ihm so durch die Zerstörung seines eigenen Monsters mitgenommen wurde, erstaunte ihn zutiefst. Denn er war es nicht gewesen, der den Schaden zur Realität hatte werden lassen. Nein. Diese Kraft ging allein von dem Drachen aus, der selbst in seinem Tod noch zu solcher Zerstörung imstande war. „Es ist vorbei“, murmelte Alastair. Sein Gegner besaß keine Karten mehr auf dem Feld, einem direkten Angriff hatte er nichts mehr entgegenzusetzen. Schwankend, geradezu wie ein Betrunkener taumelnd, stand Matt auf und begann zu kichern. Ruckartig beugte er sich nach vorne und sah den Hünen geradezu wahnsinnig an. „Vorbei? Vorbei!? Oh lieber Alastair, es hat gerade erst begonnen!“ Jener übertönte mit dem Brustton der Überzeugung. „[Vylon Omega], direkter Angriff! End of Eternity!“   Vylon Omega [ATK/3200 → 4200 DEF/1900 (10)]   Die Engelsmaschine streckte seine Schwingen bis aufs Äußerste aus und ließ das goldene Omega-Zeichen, welches das Gerüst seines Körpers war, grell aufleuchten. Daraus schoss ein Lichtstrahl, der dieselbe Form hatte wie der berüchtigte Buchstabe. Matt aber sah ihm nur hysterisch lachend entgegen. „Nicht genug!“ Damit schwang er seinen Arm aus. Vor ihm öffnete sich ein schwarzes Loch, aus dem der eben erst besiegte dreiköpfige Drache sich erhob. Brüllend verkündete er seine Wiederkehr. Mit ihm aus dem Loch trat eine violette Lichtsphäre, die um Ouroboros zu kreisen begann. Gleichzeitig wurde das Ungetüm von Omegas Lichtstrahl getroffen, ohne aber Schaden davon zu tragen. Matt aber schützte sich mit seinem Arm vor den Auswirkungen der Attacke.   [Alastair: 300LP / Matt: 2950LP → 1500LP]   Alastair, dessen Hand in der Innentasche seines Mantels verweilte, war kreidebleich. „Wie kann das sein!? Wieso ist [Evilswarm Ouroboros] zurück!?“ Kichernd hielt sich Matt die Hand über die Stirn, sah seinen Gegner mit einem Auge manisch an. „[Evilswarm Dullahan] hat einen weiteren Effekt, der nur aktiv wird, wenn er als Xyz-Material eines zerstörten Schwärmers auf den Friedhof geschickt wird. Dann kann er den Verlorenen ins Leben zurückrufen, zu seinem Xyz-Material werden und ihn zusätzlich vor weiteren Kämpfen schützen. Praktisch, nicht? Ahahahaha!“ Der Hüne knirschte mit den Zähnen vor Wut. Wie gut, dass er gezögert hatte, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Solange sich dieser Drache im Spiel befand, war es einfach zu gefährlich. [Evilswarm Ouroboros] besaß Fähigkeiten, die über das Zufügen von realem Schaden hinausgingen, dessen war sich Alastair sicher! Allerdings musste der Abkömmling offenbar viel Energie aufwenden, um Ouroboros' Macht zu steuern, sonst wäre er nicht so in Mitleidenschaft geraten, als Ouroboros zerstört worden war. Interessant, dachte Alastair mit grimmiger Zufriedenheit. Dann war es wohl das Beste, ihn gewähren zu lassen … „Mir bleibt offenbar keine andere Wahl. Zug beendet“, raunte er ohne verbliebene Handkarten. Damit zersprang [Vylon Soldier] auf seiner Spielfeldseite in tausend Stücke, entsprechend des Effekts von [Vylon Link], welcher alle durch die Falle gerufenen Monster während der End Phase zerstörte.   „Mutter wartet sicher schon auf meine Rückkehr“, gurrte Matt vergnügt und bewegte seine Hand Richtung Deck, „ich sollte sie nicht länger warten lassen. Zeit, dass du vom Antlitz dieser Welt verschwindest, liebster Alastair!“ In dem Moment spürte ebenjener einen weiteren heftigen Stich in seiner Brust, zeitgleich explodierte die schwarze Aura um Matt. Dieser zog schwungvoll von seinem Deck und machte sich erneut die Fähigkeit der Immateriellen zunutze, das Schicksal zu beeinflussen. „Elender …!“, keuchte Alastair. Sein Gegner schwang den Zeigefinger mahnend. „Na na na, wer wird denn gleich neidisch werden? Du selbst hast dich dieser Kraft oft genug bedient. Das nennt man Karma, Al!“ „Das mag stimmen, aber“, erwiderte er und hielt sich die Brust, „am Ende hat es mich nie weiter gebracht. Was bestimmt ist zu geschehen, wird auch geschehen, egal ob man versucht Einfluss auf die Zukunft auszuüben.“ Matt schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Was für eine antiquierte Denkweise das ist. Naja, du warst ja immer etwas altmodisch. Lass mich dir daher beweisen, dass dein Gerede nichts weiter als heiße Luft ist! Ausrüstungszauberkarte aktivieren! [Xyz Reckless Battle]!“ Mit geweiteten Augen sah Alastair dabei zu, wie die Schwingen des dreiköpfigen Drachen in grelle Flammen aufgingen. Jene erhellten die gesamte Seitengasse. Evilswarm Ouroboros [ATK/2750 → 3050 DEF/1950 {4}]   „Ahahahaha, jetzt beginnt die letzte Schlacht!“, lachte Matt, sah gen Nachthimmel und streckte die Arme weit aus. „Mutter, gleich bin ich zurück!“ Er richtete sich schließlich an Alastair und zeigte auf [Vylon Alpha]. „[Xyz Reckless Battle] sorgt dafür, dass ein Xyz-Monster temporär die Angriffskraft eines besiegten Feindes erhält und noch einmal angreifen kann.“ „Und wenn schon, meine Monster sind selbst jetzt noch stärker!“, widersprach Alastair. „[Vylon Prism] hebt ihre Kraft an, wenn du angreifst.“   Vylon Alpha [ATK/2800 DEF/1100 (9)] Vylon Omega [ATK/3200 DEF/1900 (10)]   „Oh das weiß ich, Al! Aber nur, solange sie vorhanden sind!“ Das gesagt, streckte er seinen Arm nach oben und rief: „Los, [Evilswarm Ouroboros]! Effekt des mittleren Kopfes! Infestation's Viciousness! Damit schicke ich eine Karte auf deiner Spielfeldseite auf die Hand zurück! Das [Vylon Prism], das an [Vylon Alpha] ausgerüstet ist!“ Der mittlere Kopf von Ouroboros schnappte nach der einzelnen Lichtsphäre, die um ihn kreiste, und schluckte sie hinunter. Dann stieß er ein lautes Brüllen in die Nacht, ehe er damit begann, schwarze Energiepartikel in seinem Maul aufzuladen.   Alastair erkannte sofort, was Matt damit vorhatte. Einfach nur eines der beiden Vylon-Synchromonster zu eliminieren hätte ihn nicht weitergebracht. Stattdessen wollte er jetzt [Vylon Alpha] überrumpeln, um anschließend durch den aus [Xyz Reckless Battle] resultierenden Angriffsschub auch [Vylon Omega] zu vernichten. Bloß der Plan hatte einen entscheidenden Fehler! „Damit lasse ich dich nicht davonkommen, Dämon!“ Alastair zog die Augenbrauen an und straffte die Schultern. Über seine narbigen Lippen huschte ein geheimnisvolles, wissendes Lächeln. „Wisse: das Omega kann die Effekte anderer Monster negieren, wenn ich eine Vylon-Ausrüstung von ihm ablege.“ Alastair schob das [Vylon Prism], welches Omega verstärkte, in den Friedhofsschacht und verschränkte zufrieden die Arme. „Ich muss dir danken, dumme Puppe.“ „Wa-!?“ Wäre dies physikalisch begründbar, hätte man in diesem Moment beobachten können, wie Matts Mundwinkel durch den Boden krachten. Sein Gesicht war eine erstarrte Maske des Entsetzens. Die Augen des Hünen verengten sich zu Schlitzen. „Ich habe die Verbindung zwischen dir und dieser Kreatur durchschaut. Sie ist eine Manifestation deiner Macht, mit ihr kannst du deine Gegner lähmen, um sie gefügig zu machen.“ „Tch!“ Matt wich zähneknirschend zurück. „Keine andere deiner Karten wurde für solche Zwecke eingesetzt. Deswegen danke ich dir, deine Kräfte noch einmal mobilisiert zu haben! Denn jetzt kann ich sie noch einmal in alle Winde verstreuen!“, schrie Alastair und schwang den Arm aus. „Ganz ohne mein Zutun hast du dich selbst geschwächt und nun wirst daraus die Konsequenzen ziehen, dämonischer Parasit! [Vylon Omega], Final Judgment! Annulliere [Evilswarm Ouroboros'] Effekt … und zerstöre ihn!“ Der besessene Matt verlor vollends seine Fassung, als er das vernahm. „Nein! Niemals!“ Doch Omega schoss bereits aus seinem einzelnen Auge einen hauchdünnen, roten Laserstrahl, der den entflammten Ouroboros enthauptete, zumindest den mittleren Kopf, der gerade seinen Vorbereitungsprozess abgeschlossen hatte. Gurgelnd flog jener im hohen Bogen durch die Luft und feuerte seinen schattenhaften Angriff ausgerechnet auf den eigenen Körper ab, was in einer gewaltigen Explosion resultierte. Diese war nun so stark, dass sie Teile der umstehenden Häuser, die die Seitengasse bildeten, regelrecht wegfetzte. Ebenso wurde Matt davon geschleudert. Sich mehrmals überschlagend, rutschte er die Gasse entlang.   „Mein Zug“, entschied Alastair kühl und zog, da sein Gegner nicht mehr imstande war, eine Aktion durchzuführen. Langsamen Schrittes näherte er sich Matt und holte nun endlich seine einzige Hoffnung und gleichzeitig die Quelle seiner größten Angst aus der Innentasche seines roten Mantels. Es war eine weiße Karte mit einem simplen, schwarzen Kreuz darauf. Bei Matt angekommen, machte er Halt, drückte ihn mit dem Stiefel auf der Brust nach unten. Ächzend hob der am Boden liegende Schwarzhaarige seinen Kopf und betrachtete die Karte kurz, ehe er verächtlich auflachte. „Ein Exorzismuszauber? Du willst mich also töten? Aber dann tötest du auch deinen Freund Matt Summers.“ „Zumindest gibst du nun endlich zu, nur ein niederer Dämon zu sein, Schlangenzunge“, stellte Alastair fest und sah abwertend auf den jungen Mann vor ihm herab. „Ob du dir da so sicher sein kannst? Vielleicht bin ich ein Geschöpf, geschaffen durch Mutter, vielleicht aber auch nicht. Und du solltest wissen, dass im Herzen deines Freundes eine große Finsternis herrscht. Alles was ich getan habe, ist sie zu erwecken. Ha ha ha …“ Das gesagt, ließ der Dämon den Kopf sinken. Mit einem gewissen Bedauern erklärte Alastair: „Eine bittere Lektion, die ich lernen musste war, dass kein Wesen nur in Licht und Finsternis eingeteilt werden kann. Matt wird derselbe bleiben, egal was du ihm angetan hast.“ „Wir werden sehen …“, antwortete dieser selbstbewusst und schloss die Augen. Dann war es soweit, Alastair hob den Arm zum finalen Angriff. „[Vylon Omega]! Beende es jetzt! End of Eternity!“ Die engelhafte Maschine lud Energie in dem goldenen Gebilde auf, welches den Buchstaben Omega darstellte. Diese feuerte sie auf die beiden Männer ab, die ganze Seitengasse erstrahlte in goldenem Licht.   „Ich hoffe, das ist die richtige Entscheidung“, murmelte Alastair und betrachtete die weiße Karte in seiner Hand, „aber wenn es fehlschlägt, werde ich wenigstens ebenso bestraft.“ Zwischen Mittel- und Zeigefinger gehalten, schleuderte er die Karte genau in die Mitte zwischen ihnen beiden, wo sie in der Luft zu schweben begann. Plötzlich schlugen zu beiden Seiten silberfarbene Blitze und Flammen aus ihrem Inneren, umhüllten Alastair und Matt. „Ahhhh!“ „Argh!“ Beide schrien ob der Qualen, die der Exorzismus mit sich brachte, geradezu um die Wette. Alastair stolperte rückwärts und sackte ihn die Knie, bemühte sich den Schmerz zu ertragen. Immer wieder wurde sein Körper von Ladungen erschüttert, musste die unerträgliche Hitze der Flammen über sich ergehen lassen. Es war die einzige Lösung gewesen, die ihm eingefallen war, schoss es Alastair während der Tortur durch den Kopf. Ein Exorzismus tötete sowohl den Dämon, als auch seinen Wirt. Jedoch hatte noch nie ein Dämonenjäger probiert, einen Exorzismus auf zwei Personen gleichzeitig anzuwenden. Alastairs Hoffnung war, dass dies den Effekt abmilderte, sodass sie beide überlebten, auch wenn die Gefahr bestand, dass sie beide bleibende Schäden dadurch behalten würden. Das war das Einzige, was er tun konnte. Vielleicht würde es reichen, wenigstens einen Abkömmling zu töten, denn wahre Immaterielle waren vermutlich zu stark für so ein Herangehen. Demnach hatte er nichts gegen Urila selbst in der Hand, sollte sich noch eine Chance eröffnen, sie zu stellen. Beide schrien weiter. Alastair wurde allmählich schwarz vor Augen, er kippte nach hinten. „Mutter … wird das nicht … hinnehmen … Ahhhh!“, schrie Matt, krümmte sich, bäumte sich auf vor Schmerz. Mit einem Blick voller Rachsucht streckte er den Arm nach dem Hünen aus, ehe er in sich zusammensackte. Die schwarze Aura um ihn verpuffte.   [Alastair: 300LP / Matt: 1500LP → 0LP]   Stille. Wie viel Zeit verging war unmöglich abzuschätzen.   Alastair öffnete benommen die Augen. Er hatte gar nicht bemerkt, wie er während des Exorzismus umgekippt war. Es gab keine Faser an seinem Körper, die nicht höllisch schmerzte. In dem Moment begriff er, welch fürchterliche Qualen er denen zugefügt haben musste, die er als Dämonen klassifizierte. Kein Lebewesen verdiente solch eine Tortur. Das Wissen, dass jene Opfer sich nicht mehr an die Schmerzen erinnern würden, da sie allesamt tot waren, war wenig tröstlich. Doch von solchen Gedanken durfte er sich jetzt nicht ablenken lassen, wichtiger war in diesem Moment Matt. Als Alastair mühevoll seinen Oberkörper anhob, sah er bereits, dass sein Freund schon auf den Beinen war – direkt vor ihm. Und er starrte mit einem unmöglich zu deutenden Blick auf ihn herab. „Du hast versagt“, waren seine einzigen Worte. Dann streckte er den Arm nach Alastair aus. Dieser ließ sich zurückfallen. Er hatte keine Kraft mehr, um weiter zu kämpfen. „Dann soll es wohl so sein …“ „Wovon redest du?“, klang es plötzlich deutlich menschlicher von seinem Partner. „Es verschafft uns zumindest etwas Zeit. Mir etwas Zeit.“ Überrascht von dem Stimmungswechsel öffnete der Hüne wieder die Lider. Matt reichte ihm die Hand, um ihm aufzuhelfen – nicht um ihn anzugreifen. „Du … es ist immer noch in dir, nicht wahr?“, erkundigte er deutlich erleichtert und nahm die Geste an, ließ sich hochziehen. Matt wandte sich sofort von ihm ab. „Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher. Aber wenn ja, hast du es schwer verletzt. Ich hab die Kontrolle wieder. Vorerst … denke ich.“ „Was ist es? Kein gewöhnlicher Abkömmling, nicht wahr?“ Alastair trat an ihn heran und legte Matt die Hand auf die Schulter, als der Jüngere nicht sofort antwortete. „Wir bekommen das in den Griff.“   Insgeheim war er sich da nicht so sicher. Mal den Dämon beiseite gelassen, war es unfassbar, was diese Urila mit Matts Deck angestellt hatte. Solche Macht! Er konnte von Glück reden, dass der Abkömmling nicht imstande war, das volle Potential auszunutzen. Wer wusste schon, wie stark es wirklich sein konnte, wenn es in den richtigen Händen war. Händen wie die des echten Matts … „Du hast recht, gewöhnlich ist dieses Ding keinesfalls. Es ist ein Abkömmling der stärksten Immateriellen, die es je gegeben hat und wird wohl erst sterben, wenn seine 'Mutter' es ebenfalls tut … Urila.“ Als wäre Matt in dem Moment ein Licht aufgegangen, wirbelte er zu Alastair alarmiert herum. Erinnerungen kamen in ihm hoch, Dinge, die er während seiner Besessenheit erfahren hatte. Die Aussicht auf etwas, das alles verändern würde! „Sie will das fortsetzen, was Another begonnen hat!“ Alastair traute seinen Ohren kaum. „Eden? Aber das Tor ist zerstört!“ „Die physische Form, aber nicht das Tor selbst“, erklärte Matt aufgeregt, der versuchte diese fremdartigen Erinnerungen in Worte zu fassen, „unsere Welt ist trotzdem noch mit dem Nexus verbunden. Im Grimoire steht ein Weg geschrieben, wie man es selbst außerhalb des normalen Zyklus öffnen kann. In einer geheimen Passage, die nur für Immaterielle lesbar ist.“ Das erinnerte Alastair an etwas, das Another einst in seinem Kampf gegen Matt im Turm von Neo Babylon angedeutet hatte. „Das Opfern von Seelen! Die falsche Schlange hat-“ „Ja“, nickte Matt, „wenn man genug Seelen opfert, kann man das Tor jederzeit öffnen. Allerdings ist das praktisch unmöglich zu erreichen. Die physische Form Edens und der Zyklus des Turms sind daher erschaffen worden. Einerseits zur Einschränkung des Zugangs zum Tor, andererseits als humane Alternative. Wenn man es denn so nennen will, ein paar Paktträger zu opfern.“ „Und die Verwandlung der Bürger Livingtons ist als Art Verstärkung der Seelen zu verstehen, um das Tor leichter zu öffnen“, schloss Alastair aus den Informationen, die er zuvor vom Abkömmling Urilas erhalten hatte, „wenn das so ist, müssen wir sie stoppen, bevor sie das Opferritual durchführen kann!“ Matt biss sich auf die Lippe. Das Wissen, dass er durch seine Besessenheit erlangt hatte, war noch viel tiefgründiger – und erschreckend. „Noch ist Zeit, der Fluch hat sie viel Kraft gekostet, sie regeneriert sich gerade. Trotzdem dürfen wir keine Zeit verlieren. Wenn Urila Erfolg hat, sind wir verloren …“ Fragend sah Alastair seinen Freund in der Dunkelheit der Seitengasse an. „Anders als Another“, erklärte Matt weiter und atmete tief durch, „will sie nicht ihr Volk retten. Um genau zu sein will sie es auslöschen. Und alle. Sie will dem 'wahren Feind' Zugang zu unserer Welt gewähren … sie ist wahnsinnig.“ Gerade wollte Alastair darauf reagieren, da durchdrang ein Schuss die Stille der dämonischen Nacht. Beide wirbelten um, nickten einander zu und machten sich im Eiltempo auf den Weg zur Quelle des Lärms. Mit dem unguten Gefühl, bereits zu spät zu sein …   ~-~-~   Valerie ließ das Jagdgewehr sinken. Sie konnte es nicht, hatte den Dämonen absichtlich verfehlt. Am ganzen Leib zitternd trat sie einen Schritt zurück, wo sich Anya, Abby und Henry bereits Rücken an Rücken drängten, umzingelt von einer schier endlosen Zahl an Dämonen. „Was soll das, Redfield!?“, fauchte Anya sie sofort an. „Wir haben keine andere Wahl!“ „Das da könnte Caroline sein! Oder Mr. Bitterfield!“, rechtfertigte Valerie sich verzweifelt. „Das sind Menschen! Ich kann das nicht! Außerdem, selbst wenn ich es könnte, haben wir nicht genug Munition für alle!“ „Brauchen wir auch gar nicht!“, bekam sie grantig zurück. Während die beiden Erzrivalinnen uneinig über das weitere Vorgehen waren, versuchten Abby und Henry derweil mit wenig Erfolg gekrönt, die Horde durch real gewordene Hologramme der Ungeheuer [Naturia Beast], [Naturia Leodrake], [Naturia Landoise] und Vögel [Daigusto Falcos], [Daigusto Eguls] und [Daigusto Phoenix] in Schach zu halten. Zwar konnten die verschiedenen Monster ihnen ein wenig Platz verschaffen, fielen aber schnell den Dämonen anheim, sodass die beiden weitere Monster in den Ring schicken mussten. Anya und Valerie diskutierten weiter. So schnappte Erstere geradezu gierig nach der Wumme, wohingegen die Schwarzhaarige sie unsanft zurückstieß. „Gib her, Redfield! Ich ballere uns eine Schneise durch, dann können wir vielleicht entkommen!“ Dabei natürlich gekonnt ignorierend, dass das mit einem Jagdgewehr nicht so einfach zu bewerkstelligen war. „Das wirst du nicht tun!“, weigerte sich Valerie ohnehin vehement und drohte mit einer eindeutigen Bewegung damit, Anya notfalls eins mit der Waffe überzuziehen, wenn diese so weitermachte. „Entweder die oder wir! Ich bin für die!“, spuckte Anya Gift und Galle. „Und wenn du noch einmal nach mir ausholst mit dem Ding, dann schwöre ich beim Teufel, Redfield, dass kein Arzt dieser Welt dich je wieder so hinbekommen wird, wie du warst, wenn ich erstmal mit dir fertig bin!“ „So ungern ich Anya Recht gebe, so sehr hänge ich auch an meinem Leben. Außerdem, wenn wir tot sind, wer macht dieses Chaos rückgängig?“, warf Henry ein. „Argh!“ Keuchend wich der brünette junge Mann den Klauen einer Harpyie aus, die unbemerkt auf ihn herabgestürzt war. Rotes, lockiges Haar, ein schlaksiger, zum Entsetzen aller nackter Oberkörper – zum Glück wiederum an essentiellen Stellen mit braunen Federn bedeckter Brustbereich – dazu noch hohe Wangenknochen und ein diebisches Grinsen. Wäre die Optik nicht schon eindeutig genug, hätte sie die riesige, giftgrüne Handtasche verraten, die Harpyien-Nina in der anderen Klaue hielt. Die nervige Reporterin schien dem Fluch ebenfalls zum Opfer gefallen zu sein. „Die!?“ Die Abbyrene war alles andere als erfreut über das unverhoffte Wiedersehen, was sie auch lautstark zum Ausdruck brachte. „Verschwinden Sie!“ Anya nutzte den Moment aus, in welchem Abby abgelenkt ihren Monstern befahl, Nina fertig zu machen. Valerie schenkte der Blondine dank dem kleinen Zickenkrieg, bei dem Nina den Kürzeren zog und mit einem Schweifschlag [Naturia Barkions] praktisch, aber nicht zwangsweise faktisch ins nächste Leben geschickt wurde, nur für einen Sekundenbruchteil keine Aufmerksamkeit. Weshalb ihr kurzerhand die Waffe aus den Händen gerissen wurde.   Als hätte sie es seit ihrer Geburt bereits im Blut, legte Anya professionell an und sah sich schon abdrücken, da erfasste sie ein mächtiger Windstoß und schleuderte sie zu Boden. Nicht nur sie, die ganze Gruppe um genau zu sein. Selbst die umstehenden Dämonen, die nicht ebenfalls umgeworfen worden waren, wichen respektvoll zurück, als Mama Harper geradezu königlich hinabstieg und die Nüstern aufblähte. Ihre Flügelschläge wirbelten den Dreck auf der Straße auf und ließen alle Hologramm- respektive Abbygrammmonster zerspringen. Die blassgrüne, schuppige Lederhaut blitze im Mondlicht. Es war angerichtet: vier junge Menschen, völlig wehrlos am Boden liegend.   „Wo kommt die jetzt her!?“, beschwerte sich Henry fassungslos im Anblick des Drachen. „Haben wir nicht schon genug Sorgen!?“ „Ich glaub, sie ist die Anführerin“, stammelte die Sirene ängstlich, die auf seinem Bauch lag, nur um sich im Anschluss zu wettern: „bestimmt hat Nina ihr gepetzt, dass wir hier sind! Diese elende Nervensäge, selbst jetzt arbeitet sie gegen uns!“ Anya, die zur Seite sah und die Wumme wenige Meter von ihr entfernt direkt vor den Füßen eines Sahagins entdeckte, eine Art Fischmensch, wusste, dass sie nie rechtzeitig an das Jagdgewehr herankommen würde. Valerie dachte offenbar dasselbe, griff sie sofort Anyas rechtes Handgelenk, als wolle sie ihr damit bedeuten, es bloß nicht trotzdem zu versuchen. Livingtons Terrormaschine warf ihr daraufhin den Was-soll-ich-sonst-tun?-Blick zu, nur um den Etwas-das-den-Drachen-nicht-provoziert!-Blick als Antwort zu erhalten. Die beiden wurden in ihrem stummen Dialog alsbald unterbrochen, als Mrs. Harper entschied, nun lange genug ihr nächtliches Mahl angestarrt zu haben. Unheilvoll brüllte sie die vier Snacks an, ehe sie eiskalt in die Menge schnappte.   Hitze. Lautes Donnern. Ein ohrenbetäubender Schrei, gefolgt von einem lauten Rumsen, dem Klirren von zerbrochenem Glas, einem noch lauterem Rumsen und einer erdbebengleichen, staubigen Schockwelle, die die vier nach vorne über den Asphalt rollen ließ. Der Drache war von Blitzen und Feuerbällen getroffen in die Dämonengruppe gestürzt, die sich ihrerseits wie eine aufgescheuchte Hühnerschar über den ganzen Platz verteilte. Anya, die bereits fest damit gerechnet hatte, Mrs. Harpers fürchterlichen, schwefeligen Mundgeruch bis in die Hölle riechen, öffnete verdutzt die Augen. Matt und Alastair stürmten nicht weit von ihnen entfernt an den überraschten Dämonen vorbei und attackierten jeden, der ihnen zu nahe kam mit den weißen Karten, die sie gezückt hatten. Leider zerfielen die mitten im Rettungsakt zu Asche, weil ihre Magie aufgebraucht war, sodass erst Alastair seine Blitzsalven und schließlich Matt seine Feuerballangriffe einstellen musste. Das sahen die Dämonen als ihre Chance, ihnen den Weg zu Anyas Gruppe abzuschneiden. „Aus dem Weg!“, pflaumte Matt sie an, holte unter seinem Mantel eine neue Karte hervor und war nun derjenige, der, hieße er Nick Harper, jetzt lauthals „Pikachu!“, geschrien hätte. Alastair ging da wesentlich rabiater vor und rammte seinen Arm einem der Dämonen gegen den Hals, zog ihn damit wie an einem Haken zu Boden, wirbelte um die eigene Achse und verpasste einem anderen einen Tritt in die Hüfte. Derweil hatte Matt es zu Anya und Co geschafft, die sich begeistert von der Kampfszene erhoben. „Irgendwer verletzt?“, fragte er ohne Umschweife, rechnete er damit, dass der Drache womöglich doch einen von ihnen erwischt haben könnte. „Wir sind okay“, sagte die Chefblondine nach einem Blick auf ihre noch benommene Truppe und gluckste, „Alter, Summers, genial! Wieso hast du diese Karten nicht benutzt, als wir im Turm waren!? Wir hätten-!“ „Keine Zeit für Smalltalk!“, wies er sie rüde zurecht. Die Dämonen zogen ihre Schlinge wieder enger um das Grüppchen, zu dem auch Alastair gestoßen war. Mama Drache, die im Hintergrund in das Erdgeschoss eines Gebäudes gekracht und es zum Einsturz gebracht hatte, bemühte sich durch wildes Gestrampel und Flügelschlagen redlich um Fassung, brüllte laut, als wolle sie die anderen Dämonen anweisen, kurzen Prozess mit den dreisten Winzlingen zu machen. „Wo ist die 13te Straße?“, wollte Matt wissen. Valerie zeigte nach links, wo eine Straße von dem kleinen Marktplatz wegführte. „Da lang. Ist da die Ursache für das alles zu finden?“ „Ja!“, erwiderte Alastair. Mehr musste die zierliche Schwarzhaarige nicht hören. „Dann nichts wie los!“   Zusammen rannten sie los, doch die Euphorie hielt gerade einmal ganze fünf Sekunden an, da landete mit einem Satz vor ihnen ein junger Mann im schwarzen Mantel. Der Greif, auf dem er geritten war, landete hinter ihm und klackerte angriffslustig mit dem Schnabel. Matt bremste seinen Lauf. „Andrew …“ Dieser erhob sich, reckte seinen Kopf einmal nach links und rechts, ehe er die Gruppe mit gehässiger Mimik anlächelte. „Wo wollt ihr denn hin? Das ist schließlich euer Leichenschmaus.“ „Vor der Beerdigung? So einfallslos bin nicht mal ich mit meinen schlechtesten Sprüchen!“, brauste Anya unlängst auf und wollte ihm schon an die Gurgel, doch Matt hielt sie zurück. „Nicht. Er ist besessen von einem Abkömmling einer Immateriellen namens Urila.“ Matt funkelte seinen Freund an, während die Schlinge sich wieder enger um sie zog. Der junge Dämonenjäger drehte seinen Kopf in gebeugter Haltung zu Alastair, ohne ihn dabei anzusehen. „Er wird uns nicht durchlassen.“ „Imma-!?“, konnte Anya gar nicht erst einwerfen, da wurde sie unterbrochen. „Dann überlass' ihn mir“, brummte Alastair. „Damit ihr anderen entkommen könnt.“ „Nein, ich mach das!“, entschied Valerie kurzerhand und stellte sich neben den Hünen. „Sie sind zu mitgenommen, um es mit ihm aufzunehmen, Alastair.“ Doch dieser packte sie grob am Arm, schüttelte den Kopf. „Niemals! Bist du dir im Klaren, wie gefährlich selbst der Abkömmling eines Immateriellen ist?“ „Ich habe selbst schon gegen solche gekämpft“, erwiderte Valerie eisig, „und genau weil ich das schwächste Glied in der Gruppe bin, will ich kämpfen. Es mag stimmen, dass ich diesem Kerl nicht langfristig das Handwerk legen kann. Aber ich habe bereits Erfahrung damit, uns Zeit zu erkämpfen.“ Etwas milder fügte sie hinzu: „Zumal ich andernfalls nur nutzlos herumstehen würde.“ Abby seufzte, tauschte betrübte Blicke mit Henry aus. Der sagte schließlich: „Und wir sorgen dafür, dass diese Biester ihr dabei nicht zu nahe kommen.“ „Ihr müsst ohne uns weiter, Anya“, fügte Abby hinzu, „aber mach dir keine Sorgen, wir packen das irgendwie!“ „Dann helfe ich bei der Verteidigung“, entschied Alastair, aus dessen grimmiger Grimasse man ablesen konnte, dass er sich nur ungern von Valerie die Arbeit abnehmen ließ.   Völlig überrumpelt von der neuen Wendung wusste die Blondine kaum, wie sie darauf reagieren sollte. Wie wollten diese Vier denn gegen eine Armee aus bestimmt hundert Dämonen inklusive Drache und irrem Spackopüppchen Schrägstrich Andrew bestehen? „Da überschätzt sich aber jemand. Ihr vier gegen uns?“ Andrew lachte selbstherrlich. An seinem Arm erschien eine schwarze Duel Disk, die einer Fledermausschwinge ähnelte. „Wie süß. Das wird keine fünf Minuten dauern.“ Abby schnallte ihre Duel Disk ab und warf sie Valerie zu, da Erstere Monster auch ohne den Apparat materialisieren konnte. Gleichzeitig packte Matt Anyas Hand. Jene stand immer noch überrumpelt in der Gegend herum. „Komm schon!“, schleifte er sie mit sich, an Andrew vorbei, der sie mit einem genüsslichen Lächeln und einem für den Greif gedachten Nicken passieren ließ. „Nur zu. Aber ihr wärt besser daran gewesen, eure Freunde zu unterstützen. Alles, was jetzt kommt, wird nur umso schmerzhafter für euch werden“, sagte er ihnen mit zugekehrtem Rücken und widmete sich anschließend Valerie, „und nun zu dir, Cowgirl.“   „Ist das richtig!?“, fragte Anya mit Blick über die Schulter, als sie und Matt anfingen zu rennen. Je mehr sie sich von ihnen entfernten, desto mehr Dämonen gesellten sich dazu. Alastair mit seiner besonderen Dämonenjägermagie sowie Abby und Henry mit den Duel Monsters-Bestien hatten alle Hände voll zu tun, Valerie den Rücken freizuhalten. „Wir müssen Urila aufhalten, sonst werden heute Nacht tausende von Menschen sterben!“, antwortete Matt bestimmend. „Und das wäre nur der Anfang!“ Sie rannten an anderen Dämonen vorbei, die sie angreifen wollten, aber von Matts Blitzkarte gelähmt wurden. „Klär mich auf, was geht hier ab!?“, wollte Anya wissen, wenn er schon dabei war, mit der Heldensache anzufangen.   ~-~-~   Während die Gruppe rund um Anya schon mit einer dämonenverseuchten Stadt zu ringen hatte, musste derweil auch die Villa der Redfields mit einer plötzlichen Belagerung fertig werden. „Scheiße“, murmelte Marc, der aus dem Schlafzimmerfenster Valeries lehnte und auf die Monsterhorde zielte, die sich langsam ihren Weg über den hohen Zaun des Anwesens bahnte. Unten hörte der Schwarzhaarige es hämmern. Die, die es geschafft hatten und die, die schon vorher auf dem Hof waren, wollten sich durch Gewaltanwendung Einlass verschaffen. „Alles in Ordnung!?“, brüllte der Mann mit dem Kinnbart durch die offene Tür. Nur sehr dumpf kam es von Melinda zurück: „Nicht wirklich!“   Die brünette Schwester Henrys hatte selbst alle Hände voll damit zu tun, zusammen mit Satyr-Nick die halbmondförmige Designercouch aus dem Wohnzimmer vor die Haustür zu schieben. Die jetzige Blockade, bestehend aus ein paar Stühlen, würde kaum lange halten. „Schneller, Nick!“, ächzte sie, aber es ging nur schleppend voran. „Määäh!“ Gepolter, jemand rannte die Treppen hinunter. „Wartet!“, hörten sie Marc. Der, als er bei ihnen angekommen war, stemmte sich ebenfalls gegen das gute Stück. Mit seiner Hilfe ging es schneller voran und wie durch ein Wunder schafften sie es, die garantiert sündhaft teure Couch vor der Tür zu platzieren, nachdem Nick die anderen Möbel und Gegenstände aus dem Weg geräumt hatte. Melinda wischte sich den Schweiß von der Stirn und ließ sich auf die schwarze Ledercouch sinken. „Puh! Hoffentlich hält sie das im Zaun!“ Gerade in diesem Moment klirrte es auf der anderen Seite des Hauses. Alle drei wirbelten erschrocken um. „Das Wohnzimmer!“, keuchte Marc bei der Erkenntnis, dass ebenjenes eine Veranda besaß, die nur durch große Fenster vom Haus abgetrennt war. Fenster, die leicht einzuschlagen waren. Sofort stürmten die Drei durch den Flur in das weitflächige Wohnzimmer der Redfields, nur um Zeuge zu werden, dass dieses bereits völlig von den Monstern eingenommen war. Eine schattenhafte Figur schoss aus dem Nichts auf Marc zu, der reflexartig sein im Lauf gezücktes Jagdgewehr wie einen Baseballschläger schwang und den Angreifer damit eine saftige Backpfeife verpasste. „Zurück!“, wies er seine Begleiter lauthals an. „Nach oben!“ Er ließ die anderen hinter ihm laufen, während er mit der Waffe auf die Dämonen zielte, ohne aber abzudrücken. Stattdessen bewegte er sich langsam rückwärts.   Nachdem sie aus dem Wohnzimmer verschwunden waren, traten sie sofort den Rückzuck an, trampelten beziehungsweise hüpften hektisch die Treppen hoch und verbarrikadierten sich in Valeries Schlafzimmer, wo Marc sofort den Schreibtisch seiner Verlobten mobilisierte und vor die Tür schob. Keine Sekunde zu früh, begann es hinter der mächtig zu poltern. Panisch wichen er und Melinda zurück. „Wir sitzen in der Falle“, stellte jene fest und schluckte, „was machen wir jetzt?“ Marc eilte zum offen stehenden Fenster und sah nach draußen. Dort schafften es immer wieder Dämonen, über den Zaun hinweg zu klettern. „Springen ist jedenfalls keine Option.“ Henrys Schwester sah Nick an, der die ganze Zeit stumm mitten im Zimmer gestanden hatte. Unsicher, ob sie sagen sollte, was ihr vorschwebte, trat sie an ihn heran. „Kannst du nicht irgendetwas machen? Mit ihnen reden? Vielleicht hören sie auf dich.“ „Määääh.“ „Melinda … geh zurück“, rief Marc, „das da ist nicht mehr Nick.“ Der sah beide blinzelnd an. Dann ließ er die Zähne blitzen.   ~-~-~   Als Matt mit seiner Beschreibung der Situation und deren Hintergründe geendet hatte, hatten sie bereits ein ganz schönes Stück des Weges zurückgelegt. Um genau zu sein waren sie nur noch eine Straße von dem Ort entfernt, an dem sich Urila befand. Jedoch waren sie so außer Puste, dass sie eine Pause brauchten. Erschöpft ließ sich Anya mitten auf dem Bürgersteig der zum Glück monsterfreien Straße niedersinken. Der Schweiß tropfte nur so von ihrer Stirn. Keuchend schüttelte sie den Kopf. „Oh, Summers, danke übrigens …“ „Für was?“, fragte er ebenso mitgenommen, stand hinter ihr und stützte sich an den Knien ab. „Dass du mich gerettet hast.“ „Das eben war mehr als knapp. Wenn wir einen Moment-“ Anya wurde lauter. „Nicht das, du Idiot! Du weißt genau, was ich meine.“ Plötzlich keuchte er auf, sie spürte geradezu, wie ihm ein Licht aufgegangen sein musste. „Genau das“, brummte sie und erhob sich langsam, „im Turm. Wenn du nicht gewesen wärst, wäre ich da nicht mehr rausgekommen. Und es ist nicht nur das …“   Sie hob ihre rechte Hand an und musterte jene, als wäre sie ein ganz und gar sonderbares Objekt, das es zu bestaunen galt. Als wäre es die Quelle von allem, was sie auszudrücken versuchte. „Wenn du dich nicht so oft auf meine Seite geschlagen hättest, obwohl du wusstest, wie blöd das ist, dann …“ Die junge Frau drehte sich zu ihm um und versuchte freundlich zu lächeln, was bei ihr mehr als unbeholfen und merkwürdig anmutete. „... wäre ich jetzt irgendwo jenseits von Gut und Böse. Irgendwo ...“ Ihr Blick wandelte sich. Unbehagen stand in ihren blauen Augen geschrieben. „... wo es kein Zurück mehr gibt. Alleine. Danke, Matt … und bitte vergib mir, dass ich dir …“ So zu reden war nicht ihre Art, aber nachdem sie sich schon bei Redfield entschuldigt hatte und nicht wusste, ob es überhaupt noch eine Gelegenheit geben würde, dies auch bei Matt zu tun, musste es einfach raus. Dann wäre sie das schlechte Gewissen hoffentlich für immer los. Die Hand, die sie zuvor so eingehend betrachtet hatte, streckte sie ihm nun unsicher entgegen. Da merkte sie, dass er seinen Blick gesenkt hatte, sie nicht ansah. Trotzdem kam er auf sie zu. „Nichts zu danken“, meinte er zurückhaltend.   Anya konnte gar nicht so schnell reagieren, da waren seine Hände um ihren Hals geschossen und drückten mit aller Kraft zu. Matt rammte sie gegen das Wohnhaus neben dem sie beide standen. Unter Gurgeln und Ächzen klammerten sich Anyas Hände um die seinen und versuchten den eisernen Griff zu lösen – erfolglos. Mehr noch, mit schier sagenhafter Kraft hob er das Mädchen am Hals empor, das nur hilflos strampeln konnte. Da bemerkte sie die schwarze Aura, die sich langsam immer mehr um ihn ausbreitete. „Er wird nicht lange dauern“, meinte er geradezu mit berechnender Kaltblütigkeit, während sie langsam blau anlief. „Vielleicht ein, zwei Minuten. Dann wirst du bewusstlos.“ Anya würgte weiter und versuchte es nun mit Faustschlägen, aber die prallten an seinem Gesicht ab wie Wattebällchen. Tritte, egal wohin, erzielten ebenfalls keinen Effekt. „Weißt du Anya, ich hab es satt. Deine Lügen. Du sagst diese Dinge nur, weil du hoffst, dass ich dir auch weiterhin den Hintern rette. Weil du alleine aufgeschmissen bist“, redete er weiter, ohne sie bei ihrem Todeskampf anzusehen. „Alles, was ich jetzt will, ist endlich von dir befreit zu sein. Seit ich dich kenne, gibt es nur noch Anya, Anya, Anya. Alles dreht sich um dich.“ Jene ließ langsam die Arme sinken, bis sie schlaff hinab hingen. Trotzdem drückte er weiter zu, zumindest solange, bis er sich sicher war, dass sie ihm nichts vorspielte. Dann sah er sie an, mit Pupillen aus blutigem Rot. Ihre Brust hob sich nicht mehr an, auch nicht, als er den Griff ein wenig lockerte. Tränen liefen seine Wangen hinab, als er sie losließ. Wie eine Puppe fiel sie in sich zusammen.     [Part III – Ende] Kapitel 40: The Last Asylum Movie "Second Coming" - Part IV ----------------------------------------------------------- Yu-Gi-Oh! The Last Asylum – The Movie Part IV     Matt drehte sich um. Wandte sich ab von Anyas leblosen Körper, der vor ihm lag. Einsam rann eine einzelne Träne über seine Wange, die im starken Kontrast zu der finsteren Aura stand, die ihn umgab. Eine eisige Brise zog über die ansonsten menschen- und dämonenleere Straße hinweg. Sein Ziel war jetzt, zurück zu Mutter zu kehren, um ihr bei dem Ritual zur Öffnung des Tores von Eden zu helfen.   Er zog das Tempo ein wenig an und lief eiligen Schritts den Bürgersteig entlang. Plötzlich hielt er inne. Etwas stimmte nicht. Sich umdrehend, sah er nur noch die Faust auf sich zufliegen, die ihn bei Kontakt glatt von den Füßen riss. Und das, obwohl sie ihm vor wenigen Minuten nicht einmal ein Haar krümmen konnte. Mit voller Wucht landete Matt auf dem Rücken und sah sich einer keuchenden und hustenden Anya gegenüber, die sich mit der anderen Hand den Hals hielt, welcher deutliche Abdrücke seiner Finger aufwies. „Du … irrer Bastard … einfach so wieder einen auf besessen machen …“, würgte sie hervor, immer noch blau im Gesicht.   Matt weitete die Augen. Was hatte er da getan!? Wie hatte er wieder …! „D-du lebst-!“, stammelte er fassungslos. Seine Wange brannte wie Feuer, mehr noch, kribbelte furchtbar unangenehm. Er fasste mit der Hand an die schmerzende Stelle, doch weder er, noch Anya bemerkten das leichte, weiße Leuchten dort, das mit der Berührung verschwand. Anya war zu sehr fixiert auf ihre immer noch geballte Faust, die zitterte wie Espenlaub. „Ja, aber grad' noch so! Wie gut, dass ich solche Situationen schon seit ich sechs war übe! Ich kann meine Luft länger als jeder andere anhalten, musst du wissen!“ Matt starrte sie nur an, als wäre sie das achte Weltwunder. Er hatte sie mehrere Minuten gewürgt, sie konnte gar nicht mehr am Leben sein! Ihr Herz hatte aufgehört zu schlagen, so etwas konnte man nicht üben oder nachstellen. Was … war sie!?   „Also was jetzt“, keifte sie ihn an, „muss ich mich jetzt mit dir duellieren, dass du wieder normal wirst!? Ich hab verdammt schlechte Laune, also überleg' dir gut, was du antwortest!“ In diesem Moment nahm der Dämonenjäger erst wirklich wahr, dass er wieder die Kontrolle über seinen Körper besaß. Nicht weniger zittrig als sie stand er langsam unter ihrem wachsamen Blick auf, hob als besänftigende Geste die Hände. „Ich bin es, nicht der Dämon“, sagte er vorsichtig. „Keine Ahnung wie, aber dein Faustschlag hat mich zurückgeholt.“ Anya spuckte verächtlich zur Seite. „Oh wie toll, die Narbenfresse braucht eine Ewigkeit, ich ein paar Sekunden. Das spricht Bände! Sofern ich dir trauen kann, natürlich!“ „Es tut mir leid, Anya. Ich-ich hab versucht mich zu wehren, aber-!“ Wie konnte sich das Wesen in ihm so schnell erholt haben, fragte er sich nebenbei erschrocken. Alastair hatte alle Register gezogen! Matt erschauerte beim Gedanken, wie mächtig diese Kreatur und seine Mutter sein mussten, wenn das Ding einen Exorzismus so gut verkraftete. Zugegeben einen halben nur, aber dennoch! Er würde erst frei sein, wenn Urila tot war. Was im Umkehrschluss hieß, dass er verdammt gefährlich war. Eine tickende Zeitbombe. „Ahja? Und wie willst du mir das beweisen, Idiot?“ Anya sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Ich bin ja vieles, aber nicht bescheuert!“ „Gar nicht“, murmelte er und sah getroffen weg, „ich hoffe, du kennst … den richtigen Matt gut genug um zu wissen, dass er nie versuchen würde-!“ Die Blondine fiel ihm rüde ins Wort. „Was du nicht sagst, Einstein, natürlich kenn' ich den Trottel gut genug! Nur leider hat der offenbar 'ne Psychofrischzellenkur erhalten! Woher soll ich wissen, ob du es bist oder dieses irre Mistvieh!?“ „Das merkst du, sobald ich wieder aufdringlich werde“, versuchte Matt hilflos zu scherzen. Was bei Anya nur bedingt ankam. Die verschränkte immer noch wütend die Arme. „Dann ist es zu spät, Matschbirne.“ Matt nickte. „Natürlich.“ Er machte eine kurze Pause, um kurz seine Gedanken zu ordnen. Die waren alles andere als berauschend, aber ihm wurde klar, dass er etwas unternehmen musste, um Anya vor sich zu schützen. „Du solltest ohne mich weiter“, schlug er kurzerhand vor und sah sie abwartend an. „So kann ich dich zumindest nicht nochmal angreifen.“ Anya, die ob ihrer knappen Bekleidung in Form eines schwarzen Shirts und Boxershorts nebenbei leicht fröstelte, blinzelte zweimal. Dann räusperte sie sich, begann in einem für ihre Verhältnisse erstaunlich gut gestellten sarkastischen Tonfall zu reden. „Gute Idee. Und wenn ich dann bei Urila bin, schmeiße ich mit Steinen nach ihr, weil ich die Macht habe, sie damit ins Wunderland zu schicken.“ „Anya-“ „Oh ja, du hast ja nicht dran gedacht, dass ich nur ein ganz normaler, verfickter Mensch bin“, ereiferte sie sich nun mit kratziger Stimme, „sorry Summers, hättest du zwei Wochen früher gefragt, hätte ich den Job noch alleine durchgezogen! Knalltüte!“ Matt rieb sich schuldbewusst den Hinterkopf. „Daran habe ich nicht mehr gedacht, tut mir leid.“ „Das ist mir aufgefallen!“, brüllte sie ihn nun an. „Alter, du bist hier der Dämonenjäger, benimm' dich endlich wie einer!“ Schnaubend stampfte sie auf ihn zu und packte ihn am Arm, zerrte ihn mit sich. „Hey!“ „Du kommst schön mit. Und wenn du wieder Faxen machst, lernst du den Roundhouse Anya kennen, damit das klar ist!“, meckerte sie haltlos drauf los. „Dieser ganze Saftladen scheint ohne mich ja nicht zu laufen! Die sollten mich gleich zur Bürgermeisterin ernennen, dann würde so'n Gesocks wie diese Urila gar nicht erst auftauchen!“ Matt stemmte sich gegen sie, doch in Rage war das Mädchen nicht zu stoppen und vermochte sogar einen kräftigen, jungen Mann wie ihn mit sich zu schleifen. „Das ist zu riskant! Diesmal hattest du Glück, aber stell dir vor was passiert, wenn Urila-“ „Die kann mich mal!“, war Anyas einfallsreiche Begründung, ihn trotzdem mitzunehmen.   Ihr Begleiter seufzte resignierend und ergab sich schließlich seinem Schicksal, wenn man so wollte. Zumindest schien sie ihm den Mordversuch nicht allzu übel zu nehmen. Dass er noch in einem Stück war, war der beste Beweis dafür. Trotzdem, auch wenn sie es sich gar nicht erlauben konnten, noch weiter zu diskutieren, suchte er nach Alternativen. Der Gedanke, wieder befallen zu werden und Anya zu gefährden, war fürchterlich. Wenn ihr etwas geschah, während er unter Urilas Kontrolle stand, wer würde dann Tara retten!? Und wer würde Anya retten? Es war so plötzlich gekommen … und genauso schnell wieder verschwunden …   „Hast du 'ne Ahnung, was Urila in der 13ten Straße wollen könnte?“, fragte er schließlich, während sie ihn immer noch hinter sich her zerrte. Anya schnaubte. „Ne, aber ich kenne nur einen Ort, der die Straße von anderen abhebt.“ „Welchen?“ Mit einem Schlag blieb sie stehen. Den Kopf zu Matt drehend, verdunkelte sich ihr Ausdruck. „Das Bestattungsunternehmen.“ „... solche Orte sind von der Aura des Todes umgeben“, murmelte Matt und hielt sich nachdenklich das Kinn, „vermutlich braucht sie das für den Opferungszauber.“ „Keine Ahnung, aber was ich weiß ist, dass es da bestimmt nur so von Untoten und anderem Unrat wimmeln wird“, raunte sie gallig, „und ich habe echt keine Lust, mich auf den letzten Metern noch mit den kleinen Fischen rumärgern zu müssen!“ „Ob wir das müssen, finden wir nur heraus, wenn wir dort hingehen“, erwiderte Matt, „außerdem haben wir kaum eine andere Wahl.“ Anya ließ genervt die Zunge heraushängen, es war offensichtlich, dass sie bei ihren Feinden den Weg des geringsten Widerstands erwartete. Da dieser aber in Urilas Fall nicht im Skript stand, mussten die beiden die Beine in die Hand nehmen, um den finalen Akt nicht zu verpassen.   ~-~-~   Da standen sie, unmittelbar vor dem kleinen Gebäude. Im Schaufenster wurden verschiedene Bücher, Bilderrahmen, Urnen und andere Gegenstände ausgestellt. Anya bemühte sich redlich, sich Matt nicht in einem der Gefäße als Asche vorzustellen. Zwar wollte sie es nicht zeigen, nachdem sie sich gerade erst entschuldigt hatte, aber in ihrem Bauch brodelte eine Heidenwut auf ihn. Natürlich konnte er nicht wirklich etwas dafür, sie fast erwürgt zu haben, aber was sollten seine Worte bedeuten!? Es ging nicht immer nur um sie! Sie hatte eigentlich gar nichts mit dieser Sache am Hut!   „Lass uns reingehen“, meinte der Schwarzhaarige versteift. Die Tür war nicht aufgebrochen, nein einfach aus den Angeln gehoben worden. Vorsichtig schob sich Matt ins Innere des dunklen Gebäudes. Aus den Augenwinkeln bemerkte er zu seiner Rechten eine ganze Reihe an Särgen. Einige standen auf dem Boden, andere waren demonstrativ an die Wand gelehnt. Und selbst in der Dunkelheit sah er die Silhouetten, die ganz sicher nicht dort hingehörten. „Wir sind nicht allein“, flüsterte er Anya zu, die ihm nicht weniger achtsam folgte. „Sag mir was, das ich noch nicht weiß, Summers“, murrte sie leise, „um was handelt es sich?“ „Sieht mir nach Mumien aus.“ „Dann schuldest du mir zehn Dollar.“ Matt lachte auf. „Ich schulde dir gar nichts, wir haben keine Wetten abgeschlossen.“ „Hätte ja klappen können. Bei Nick funktioniert das immer“, resignierte Anya, „du kannst mir trotzdem ein bisschen was lei-“ „Shhh!“   Doch die Warnung kam zu spät! Leise drang Gestöhne von den Särgen zu ihnen, aber nicht nur das. Aus den Urnen im Schaufenster und in den Regalen stiegen gelbliche Funken auf. Anya wirbelte um, stieß gegen Matts Rücken. „Leuchtspackos auf 6 Uhr! Was sind die!?“ „Irrlichter. Harmlos, aber nervig, lass sie nicht zu nah heran, sonst kannst du erblinden.“ „Das nennst du harmlos!?“ Matt schnappte sauer: „Schrei nicht so rum!“ „Du schreist doch, Volltrottel!“ Es knarzte und knackte, was die beiden abrupt verstummen ließ. Scheinbar waren die Mumien nun endgültig aus ihrem Schlummer erwacht. Gleich ein halbes Dutzend kam aus der Dunkelheit auf Matt mit erhobenen Armen zu gestürmt, wohin gegen Anya sich „den Funkeldingern“ gegenüber sah. Irgendetwas stimmte da nicht, dachte der Dämonenjäger beim Anblick des feindlichen Leichengeschwaders. Die Mumien glichen sich bis auf die letzte Binde. Fast als wären sie … „Anya, unsere Angreifer sind keine Livingtoner! Die muss Urila selbst erschaffen haben.“ Die Blondine drehte den Kopf nervös Matt zu. „Umso besser, können wir sie gnadenlos platt machen! Und was kann ich gegen diese Glühwürmchen tun, wenn wir schon dabei sind?“ „Lichtquellen halten sie fern.“ „Was, was wehtut, meinte ich!“ „Keine Zeit, denk dir was aus!“ Dies gesagt, pfefferte Matt mit einem wuchtigen Kick den Kopf einer Mumie weg, während der Körper zwangsenthauptet zusammensackte. Die Überzahl der Untoten trieb den jungen Mann jedoch von Anya weg, die ihrerseits zur Seite flüchtete. Mit den Händen wedelnd versuchte sie, die Irrlichter zu vertreiben, was aber vergebene Liebesmüh war. Um nicht geblendet zu werden, kniff sie dabei die Augen zu. Immer weiter zurück getrieben, stieß sie gegen ein Regal. „Geht weg, ihr Mistviecher! Summers, tu verdammt nochmal was!“ „Bin beschäftigt!“, rief der ihr zu, während er sich mit dem Ellbogen eine Mumie, die ihn angefallen hatte, gerade so vom Leib hielt. Anya kam die Idee. „Nimm doch deine verdammten Zauberkarten da!“ „Hab keine mehr! Und jetzt nerv' mich nicht, ich muss mich konzentrieren!“ Die Mumie schnappte mit ihrem stinkenden Maul nach ihm, doch Matt gelang es, sie von sich zu stoßen. „Kch, nutzloser Idiot!“, zischte Anya, um die ein ganzer Schwarm Irrlichter schwirrte. Mit einem halb geöffneten Auge schielte sie in das Regal, aber außer Bilderrahmen war dort nichts zu finden. Doch da! Ein Regal weiter war etwas, das ihr helfen könnte! Blindlings stolperte sie auf das Regal zu, stieß benommen gegen es. Scheinbar hatte dieser Nichtsnutz von Dämonenjäger ihr etwas verschwiegen. Nämlich dass diese Dinger ihr langsam das Bewusstsein raubten, ihr war schon ganz schwindelig! Trotzdem hielt sie das nicht davon ab, ihre Hand auf die Glaskugel zu legen, die direkt vor ihrer Nase im Regal stand. Welcher Trottel auch immer der Meinung war, dass solche Leuchtfunzeldinger eine nette Deko für Gräber abgaben, Anya würde ihm eine auf das seine legen, wenn die Zeit gekommen war. Sie musste das Ding nur anknipsen und schon würden die Viecher sie in Ruhe lassen!   Dazu kam es aber nicht, als sich ohne Vorwarnung eine vermoderte Hand Anyas Gelenk griff. Das Mädchen riss die Augen auf und fand sich einer verirrten Mumie gegenüber. „Fuck off!“, sprachs und pfefferte dem Ding so hart die Faust ins Gesicht, dass der Kopf vom Hals brach und ekelhaft platschend auf den Boden fiel. Die Mumie sackte in sich zusammen. Angewidert schüttelte Anya ihre jetzt seltsam schleimige Hand. Allerdings war da immer noch das Problem mit den Irrlichtern, die ihr den Kopf verdrehen wollten. Eilig legte sie den kleinen Schalter am unteren Bereich der Wunderkugel um, um sie einzuschalten. Man hätte sie allerdings darauf hinweisen sollen, dass das bunte Leuchten, das aus dem Inneren der Glassphäre nun aufblitzte, alles andere als eine starke Lichtquelle abgab. So wichen die 'Funzeldinger' zwar ein wenig vor Anya zurück, aber das konnte auch daran liegen, weil sie wie eine Irre mit der Kugel in ihrer Hand herumfuchtelte. „Das wirkt nicht!“, beschwerte sie sich mit zusammengekniffenen Augen bei Matt. Kurzerhand entschied sie sich, die Viecher zu ihm zu locken. Sollte der doch damit fertig werden, immerhin schuldete er ihr noch fünf Minuten Sauerstoff! So huschte das Mädchen halb blind durch das Bestattungsunternehmen. Zu blöd, dass kurz vor ihrem Ziel – Matt, der mit zwei Mumien auf einmal rang – ihr doch tatsächlich ein Zombie den Weg versperrte. Warum ein Zombie? Nun, Anya erkannte ihn sofort an dem Anzug, den er trug. Welcher so viel modischer war als ein paar lose Bandagen. „Willst du das?“, fragte sie und guckte auf die Glaskugel. Der Zombie stöhnte. Bejahend? „Willst du das wirklich?“, fragte sie erneut, als er schon seine Arme anhob, um ihr eine 'freundschaftliche Umarmung' zu schenken. „'kay, bin ja nicht so.“ Keine Sekunde später zertrümmerte sie ihm mit der Wunderkugel die Schädeldecke wie ein Presslufthammer. Einer Nuss nicht unähnlich, knackte sie seinen Schädel, bis das gammelige Hirn austrat, auf das jemand wie Anya gewiss keine Rücksicht nehmen würde. Platsch.   Nur wenige Augenblicke später lag der Zombie wie ein kleines, heulendes Kind vor ihr am Boden. Mit dem Unterschied, dass er jetzt tot war. Also … nochmal tot, weswegen Anya sich auch keine Sorgen um den potentiellen Livingtoner machte, der in ihm steckte. Die Aktion beeindruckte scheinbar sogar die Irrlichter, die auf einmal schleunigst vor Anya die Biege machten. Die hielt die Kugel fest in der Hand, welche sich als erstaunlich widerstandsfähig erwiesen hatte. „Ja, rennt nur, ihr Pissflitschen! Nächstes Mal komme ich mit der Taschenlampe und dann werdet ihr wissen, warum sie mich 'Anya Underbauer' nennen!“   „Hör auf so zu schreien!“, raunte Matt genervt. Anya drehte sich um und sah ihn auf sich zukommen. Dabei stieg er über die 'Leichen' der Mumien, die er fertig gemacht hatte und welche jetzt schöne, neue Messer im Halse stecken hatten. „Ich glaub, das waren alle“, meinte er. Anya sah sich noch einmal in dem kleinen Geschäft um. „Für die Wache des Endbosses war das aber ziemlich mager. Pfah!“ „Wo könnte Urila sein?“ „Bestimmt auf dem Innenhof“, vermutete Anya und deutete geradeaus auf den Hinterausgang, „dort haben sie Grabsteine und sowas.“ Langsamen Schrittes bewegten sie sich auf besagte Tür zu, die sie nach draußen führen sollte. Vor ihr angekommen, machten sie Halt. Matt umfasste die Klinke, aber hielt inne. „Was denkst du, wird uns dort erwarten?“ „Bestimmt kein Kindergeburtstag“, murrte sie, „bestimmt noch mehr Gesocks. Das kann nicht alles gewesen sein.“ „Anya“, begann Matt plötzlich niedergeschlagen, „wenn ich nicht überleben sollte, dann renn' weg. Alleine hast du keine Chance. Dasselbe gilt, wenn ich … wieder die Kontrolle verliere.“ Die Blondine sah ihn verständnislos an, warf nebenbei die Glaskugel weg. „Was? Hab grad' nicht zugehört.“ Damit legte sie ihre Hand auf seine und drückte die Klinke hinunter.   „Partytime, ihr Penner!“, brüllte sie sofort los, als sie als Erste an Matt vorbei auf den Innenhof stürmte. Allerdings sollte sich ihre Annahme als falsch erweisen. Von Party konnte keine Rede sein. Nicht ein Monster befand sich auf dem kleinen, quadratisch angelegten Hof. Auf diesem waren reihenweise Grabsteine ausgestellt, wie Anya es Matt erklärt hatte. Im hinteren Bereich gab es jedoch eine kleine, freie Fläche. Mit einem einzelnen Grabstein. „Tara … nein, Urila“, murmelte Matt, der sich neben Anya stellte. Genau auf diesem einen saß die Drahtzieherin des allen. Umringt von unzählbar vielen, aufgestellten Kerzen. Auch die Grabsteine waren mit ihnen geschmückt, sodass neben dem Mondlicht ebenso der Kerzenschein die düstere Atmosphäre begünstigte. „Sieh an, wenn das nicht die armen Narren sind, die das Haar in meiner Monstersuppe sein wollen“, scherzte Urila und räkelte sich auf ihrem einzelnen Grabstein am anderen Ende des Innenhofs, „ich hab mein Ritual extra noch nicht angefangen wegen euch. Unnötig zu erwähnen, dass ich deswegen in meinem Zeitplan hinterher hinke. Habt ihr mir wenigstens etwas zur Wiedergutmachung mitgebracht?“ „Wie wär's mit 'ner Tracht Prügel!?“, bot Anya großzügig an. Matt aber fiel etwas auf. Unter dem Kerzenschein wirkten Taras Augen so leer. Nein, milchig, fast als wäre sie-! Unmöglich, das musste am Licht liegen! Oder an ihrer Besessenheit! „Ich stehe auf Schmerzen, aber dafür brauche ich dich nicht“, winkte Urila desinteressiert ab und machte einen Satz nach vorn. Aufrecht landend, begann sie auf die beiden zuzugehen, die es ihr im Gegenzug gleich taten. „Warum ich hier bin, dürfte die Petze ja schon verraten haben.“ Die besessene Tara machte Halt, verschränkte die Arme. „Also? Wie wollen wir das über die Bühne bringen? Ein Mensch, ein Dämonenjäger, eine Immaterielle. Ich würde sagen: ihr seid im Nachteil.“ „Zähle deine Zähne vorher und zähl sie, wenn wir fertig sind“, giftete Anya, „dann sag das nochmal! Eden hat heute geschlossen, 'Darling'!“ „Wollen wir das Ganze nicht zivilisiert regeln? Du verlässt Tara und wir sehen davon ab, dich zu verfolgen.“ „Wie gnädig, aber ich lehne ab“, reagierte Urila belustigt auf Matts Angebot, „wir wissen doch beide, dass das gelogen ist. Den Pakt werde ich nicht aufheben.“ Matt verengte die Augen zu Schlitzen. „Du bist nicht in der Position zu verhandeln. Und das weißt du.“ „Ach ist sie?“, war Anya mal wieder unwissend. „Natürlich“, erwiderte Matt, ohne sich seiner Begleiterin zuzuwenden. Sein Blick war starr auf Urila gerichtet. „Wenn sie jetzt ihre Kräfte an uns verschwendet, hat sie am Ende nicht mehr genug, um ihr Ritual durchzuführen. Ist doch so, oder? Der Zauber um Livington wird nicht ewig andauern. Bei einer solchen Größenordnung musst selbst du dich beeilen, wenn du es noch rechtzeitig schaffen willst.“ Ein süßliches Lächeln schlug ihm entgegen. Das Mädchen mit dem schulterlangen, blonden Haar in ihrem weiß-schwarzen Kleid gluckste. „Wer weiß?“ „Also können wir ihr die Fresse polieren?“, wollte Anya hoffnungsfroh wissen. „Nein, wir regeln das in einem Duell.“ Nun drehte er sich seiner Partnerin zu. „Ich habe einen Plan.“ Zuerst wollte Anya protestieren, doch gab es nach kurzer Überlegung auf. Es war immer das Gleiche, eine göttliche Fügung sorgte dafür, dass sie ihre Duel Disk mitnahm und schwupp: ein Duell um das Überleben der Menschheit. So war es immer und würde es auch immer sein, warum auch nicht? „Wenn's sein muss. Aber wehe, der Plan stinkt!“ „Ein Duell? Das klingt interessant. Ist auch so viel angenehmer, als nach Schweiß und Blut stinkend seine eigenen Eingeweide zusammen zu kratzen“, trällerte Urila überzeugt, „das erspart mir unnötige Mühen. Und ihr könnt euch dann formschön in die Särge legen, die ich für euch ausgesucht habe.“ „Warst wohl schon mal probeliegen, huh?“, raunte Anya gallig und sah sich noch einmal auf dem Innenhof um, ehe sie wieder Urila ins Visier nahm und mit dem Finger auf sie zeigte. „Ich hoffe du hast dir selbst auch schon einen ausgesucht, denn wenn ich mit dir fertig bin wirst du ihn brauchen, Miststück!“ Matt schlug ihren Arm jedoch wütend beiseite. „Hey, das ist meine Freundin.“ „Erspart mir eure Streitereien und fangt endlich an, Zeitplan und so“, forderte Urila verstimmt und hob den Arm mit ihrer Duel Disk. Diese fuhr klackend aus. Die anderen beiden taten es ihr gleich und so hallte es synchron: „Duell!“   [Anya: 4000LP Matt: 4000LP ///// Tara: 4000LP]   Unter grollendem, wolkenverhangenem Himmel muteten die Kerzen, die Urila um die Grabsteine aufgestellt hatte, nur umso gruseliger an. Das schwache Kerzenlicht legte die Hälfte ihres Gesichts in Schatten. So entschied sie: „Da ihr zu zweit seit, fange ich an. Angegriffen wird erst, wenn jeder einmal dran war.“ „Langweilig“, schnaubte Anya und zog ihr Startblatt. Dabei nahm sie etwas Abstand von Matt, damit sie sich nicht gegenseitig im Wege waren. „Denk dran, dass das immer noch Tara ist“, mahnte Matt seine Partnerin ernst, „wir dürfen sie nicht verletzen.“ Was die Blondine aber alles andere als gut aufnahm. Wild gestikulierte sie mit den Händen, als sie widersprach: „Und wie stellst du dir das vor, Einstein!? Muss ich dich daran erinnern, wie schwer es war, Another und Isfanel loszuwerden? Da hatten wir alle Hände voll zu tun, uns selbst zu retten. Dass die Narbenfresse und Marc heil rausgekommen sind, war Glück und in Marcs Fall Isfanels gutem Willen zu verdanken! Jetzt die Samthandschuhe auszupacken is' beschissener Selbstmord!“ „Ich habe einen Plan, klar!? Wage es nicht, ihr ein Haar zu krümmen, Anya!“ Als er zu ihr mit eisiger Miene herüber sah, zuckte das Mädchen zusammen. So hart hatte sie ihn noch nie erlebt. Um ihn nicht noch weiter zu verärgern, nickte sie. „Tch, fein! Ich werd' mir Mühe geben. Hab eh nicht die passenden Mittel, Blödie!“ „Seid ihr bald fertig, oder habe ich noch Zeit für eine Maniküre?“, platzte Urila dazwischen, die längst ihre Starthand plus eins gezogen hatte und gelangweilt ihre Fingernägel betrachtete. „Das hat mich schon bei eurem Kampf im Turm so genervt, das elende Geplappere. Naja, Another ist ja auch nicht gerade auf den Mund gefallen. Egal, mein Zug.“   Voller diabolischer Vorfreude nahm sie ein Monster aus ihrer Hand und legte es auf die Duel Disk. „Komm und spiele mit uns, [Madolche Mewfeuille]!“ Auf einer schwebenden, puzzlestückförmigen Pastete tauchte eine sitzende, rosapinke Katze auf, die sich schon das Mäulchen nach der Leckerei unter ihr leckte.   Madolche Mewfeuille [ATK/500 DEF/300 (3)]   Anya blinzelte zweimal ungläubig. „Eine … Katze? Du willst mir erzählen, dass eine der mächtigsten Immateriellen das Duell mit einer niedlichen, süßen Plüschkatze anfängt? Oh Gott, diese Welt geht langsam zugrunde …“ „Unterschätze sie nicht, nur weil sie keine bestialischen Ungeheuer benutzt“, mahnte Matt. Seine Partnerin zeigte auf Urilas Monster und protestierte. „A-aber, aber-! Ne Katze! Ne' fucking Katze!“ „Diese heiße Mieze hat's drauf“, zwinkerte Urila ihr zu, „sie lässt mich nämlich ein weiteres Madolche-Monster von der Hand beschwören. Und zwar [Madolche Messengelato]!“ An Anya und Matt rannte ein blauhaariger Botenjunge vorbei, der sein Puzzlestück, bestehend aus Waffel und Eiscreme, über den Kopf hielt. Bei Urila angekommen, klemmte er sich das Süßzeug unter die Achsel, überreichte seiner Herrin den Brief, den er weitergeben sollte und sprang dann in die Luft, wo er das Puzzlestück fallen ließ, um darauf schließlich zu schweben.   Madolche Messengelato [ATK/1600 DEF/1000 (4)]   Urila indes öffnete den Brief und räusperte sich. „Hier steht, dass wenn Messengelato in Anwesenheit eines Madolche-Monsters vom Typ Ungeheuer beschworen wird, er mir diese Nachricht überbringen soll. In ihr ist eine Karte enthalten, besser gesagt eine Madolche-Zauber- oder Fallenkarte, je nach meiner Wahl.“ Sie holte aus dem Umschlag einen permanenten Zauber namens [Madolche Ticket] hervor und aktivierte diesen sogleich. Zusätzlich zog sie noch zwei Fallen aus ihrem Blatt hervor und setzte diese je links und rechts neben die vor ihr erscheinende Zauberkarte, womit ihr Blatt nur noch aus zwei Karten bestand. „Damit ist mein Zug beendet“, gluckste Urila.   „Mein Zug“, bellte Anya und riss schwungvoll eine Karte von ihrem Deck, „Draw!“ Jedoch war auch diese nicht die erhoffte [Gem-Knight Fusion], die heute durch Abwesenheit glänzte. Ganz zu Anyas Ärgernis, die ihre ganze Strategie dadurch den Bach runtergehen sah. „[Gem-Knight Garnet]!“ Vor Wut knallte sie ihren Ritter etwas fester auf die alte Battle City-Duel Disk als nötig gewesen wäre. Der Bronzeritter erschien dennoch vor ihr und ließ sogleich eine lodernde Flamme zwischen seinen Handflächen entstehen.   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   „Die verdeckt, Zug beendet“, schnaubte die Blondine wütend und schob hinter Garnet eine Falle, die sich vor ihren Füßen materialisierte. „Blödes Kackspiel!“   Matt ignorierte das Gezeter. Alles was er wollte war seine Freundin zu retten. Tara … was ist passiert, dass sie mit einem Dämon paktiert? Obwohl er es nicht wusste, gab er sich die Schuld dafür. „Ich werde dich befreien, versprochen!“, sagte er und griff nach seinem Deck. Und in diesem Augenblick durchfuhr ihn ein heftiger Schmerz, Schatten krochen von dem D-Pad seinen Arm entlang. „Auch wenn dein Freund einen halben Exorzismus an dir durchgeführt hat, bist du trotzdem noch mir ergeben“, säuselte Urila und grinste heimtückisch, „dieses Deck, die Evilswarm, sind der Beweis. Du wirst mir gehorchen und dich gegen Anya Bauer stellen. Verstanden?“ Die Blondine zuckte zusammen, als Matt sich halb zu ihr umwandte und aus den Augenwinkeln böse anfunkelte. „Mach keinen Scheiß, Summers!“, raunte die nervös. „Draw!“, schrie der aber schon und riss in einer halbmondartigen Bewegung, in der die Schatten nur so um ihn herum loderten, seine neue Karte. Mit gesenktem Kopf murmelte er: „Da mein Gegner ein Monster mehr als ich kontrolliert, kann ich [Evilswarm Mandragora] spezialbeschwören.“ Aus der Erde vor ihm wuchs eine hüfthohe, braune Pflanze. Ihr blondes Haar stand im Kontrast zu den dunklen Augenringen und den grünen Blätterarmen.   Evilswarm Mandragora [ATK/1550 DEF/1450 (4)]   „Danach rufe ich als Normalbeschwörung [Evilswarm Castor]. Dessen Effekt gewährt mir eine zusätzliche Normalbeschwörung im Rahmen seiner Spezies, sodass ich [Evilswarm Heliotrope] ebenfalls beschwören kann.“ Erschrocken stellte Anya fest, dass neben dem halb schwarzen, halb weißen Krieger auch noch ein Monster auftauchte, das sie sehr gut kannte: [Gem-Knight Emerald]. Aber anders als bei jenem, war die Rüstung dieses Ritters dunkelgrün und generell von einer finsteren Aura umgeben. Zumal das dunkle Gegenstück ihres Kriegers ein Schwert und nicht etwa einen Schild mit sich führte.   Evilswarm Castor [ATK/1750 DEF/550 (4)] Evilswarm Heliotrope [ATK/1950 DEF/650 (4)]   Gerade wollte Anya Matt darauf ansprechen, da bemerkte sie, dass auch Mandragora Ähnlichkeit mit einem ihr bekannten Monster hatte. Ein wenig wirkte es wie eine ausgewachsene Form von [Naturia Cosmobeet], einem von Abbys Monstern. „Sag mal, klaust du dir jetzt schon von uns dein Deck zusammen oder was!?“, fauchte sie, als die Erkenntnis wie ein Blitz einschlug. Bekam aber keine Antwort. Stattdessen hob Matt den Arm in die Höhe. Seine drei Monster schossen als violette Lichtstrahlen in die Mitte des Feldes, wo sich ein schwarzes Loch auftat. „Aus meinen drei Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster. Erscheine, [Evilswarm Ouroboros]!“ Dem Mädchen verschlug es glatt die Sprache. Erst einer, dann ein zweiter und schließlich noch ein dritter, schwarzer Drachenkopf erhob sich aus dem Galaxienwirbel, welcher sich vor Matt auftat. Neben der riesigen Bestie entstieg ihm auch ein dunkler Nebel, der Matts ganze Spielfeldseite einzuhüllen begann. Selbst Anya musste dem Ungetüm, nachdem es sich über Matt positioniert und ohrenbetäubend gebrüllt hatte, insgeheim Respekt für sein furchteinflößendes, finsteres Äußeres zollen – was bei ihr selten genug vorkam. Evilswarm Ouroboros [ATK/2750 DEF/1950 {4}]   Plötzlich richtete sich Matt mit finsterem Gesichtsausdruck an Anya, den Nebel nebenbei inhalierend. „Das ist das mächtigste Monster in meinem neuen Deck. Im Angesicht Ouroboros' kann selbst ein Monster vom Kaliber deines [Gem-Knight Master Diamonds] nicht bestehen.“ Die herablassende Art, mit der er diese Worte von sich gab, bescherte Anya eine Gänsehaut. „H-hey, Summers, was soll das heißen? Sag nicht, du-!“ Aber natürlich war er … Dass er dieses Zeug um ihn herum restlos in sich aufnahm war doch genug Beweis! „Du bist echt langsam, weißt du das?“, lachte Urila vergnügt. „Natürlich steht er jetzt auf meiner Seite, nicht wahr, mein Kleiner?“ „Natürlich, Mutter.“ „Sieht so aus, als ob du alleine dastehst. Zeig ihr doch gleich, weshalb man Ouroboros fürchten sollte.“ Matt nickte, wobei Anya die Kinnlade hinunter klappte. Dieser Idiot, was hatte diese blöde Hexe mit ihm angestellt!? Eben wollte er noch diese doofe Tara retten, jetzt gehorchte er auf einmal widerstandslos, nur weil er ein bisschen Rauch eingeatmet hatte!? Der Dämonenjäger streckte den Arm in die Höhe, hielt dabei eines der Xyz-Materialien von [Evilswarm Ouroboros] in der Hand. „Erster Effekt! Ich kann eine Karte meines Gegners vom Feld zurück auf die Hand schicken!“ Gierig schnappte der mittlere Kopf des massiven Drachens nach der violetten Lichtsphäre, die um ihn kreisten und schluckte sie hinunter. Danach brüllte er auf, öffnete das Maul. Geradezu schwungvoll bewegte Matt seinen Arm und zeigte auf Anyas [Gem-Knight Garnet]. „Ich werde nicht zulassen, dass du mit ihm eine Xyz-Beschwörung durchführst … Urila!“ Sein Finger schwenkte herüber zu [Madolche Messengelato], der erschrocken zusammenzuckte. Dessen Besitzerin aber grinste nur vergnügt. „Langweiler. Sei doch nicht so verkrampft, ich meins doch nur gut mit euch.“ Umgeben von den Schatten, die nun aus seiner Brust stiegen, ging Matt zwar in die Knie, sah aber dennoch kämpferisch auf. „Solange du in Tara steckst, werde ich dich bis ans Ende der Welt verfolgen, wenn es sein muss! Bis dahin kannst du mich nicht kontrollieren, egal wie sehr du versuchst meine innere Finsternis oder was auch immer zu wecken!“ Er sah ruckartig hoch zu seinem schwarzen, dreiköpfigen Drachen. „[Evilswarm Ouroboros], los! Infestation's Viciousness!“ Der mittlere der drei Köpfe des Drachens hob das Haupt an, dann feuerte er einen pechschwarzen, aus vielen kleinen Partikeln bestehenden Energiestrahl auf Urilas Monster ab. Die schnippte nur einmal mit dem Finger, da sprang eine ihrer Fallen auf. Und schlagartig wurden ihre beiden Kreaturen zu Plüschfiguren. Der Strahl seinerseits verwandelte sich in eine Sternenschnuppe, die über die Puppen hinweg zischte und hinter Urila unter bunten Funken in der Mauer einschlug. „Liegen keine Monster auf meinem Friedhof, kann [Madolche Nights] den Effekt eines deiner Monster annullieren“, erklärte sie und grinste übers ganze Gesicht, „Fail!“ Matt schnaubte und schob eine seiner drei verbliebenen Handkarten in eine Zauber- und Fallenkartenzone. „Die setze ich und beende.“ Verdammt, dachte er dabei frustriert. Da Ouroboros jeden seiner drei Effekt nur einmal aktivieren konnte, hatte er diesen soeben für Nichts verschwendet! Ein Stich in seiner Brust ließ ihn verkrampfen, diese heimtückischen Stimmen, eine Begleiterscheinung dieser Besessenheit, sie wurden lauter! Das Duell musste schnell beendet werden, ehe er es nicht mehr aushielt und Anya …!   Auch die Blondine bemerkte, wie sich ihr Partner quälte und die Hände gegen seine Schläfen presste. Der Schweiß auf ihrer Stirn zeugte davon, dass sie nicht wissen wollte, was geschah, wenn er den inneren Kampf verlor. Matt war eine tickende Zeitbombe! Und so ungern sie es zugab, gegen zwei Irre hatte sie schlechte Karten, also durfte sie es nicht soweit kommen lassen!   Urila indes zog und seufzte: „Diese Welt ist so nervig, meint ihr nicht? Laut, stinkend und kaputt. Ich kann verstehen, warum -sie- sie loswerden wollen. Müssen, um genau zu sein. Draw!“ Irritiert sahen ihre beiden Gegner die blonde Frau an, wie sie schwungvoll zog. Matt stieß einen erschrockenen Schrei aus, als mitten in der Bewegung ein kleines Stück von Taras Haut an der Wange einfach hinab fiel. Mit der neuen Karte in der Hand die Stelle berührend, stöhnte Urila. „Fängt es etwa schon an? Dieser Körper zerfällt. Wieso passiert das immer mir?“ „Was ist das!? Was geschieht mit Tara!?“, wollte Matt mit bebender Stimme wissen. Seine Gegnerin zuckte mit den Schultern. Schmollend erklärte sie: „Ich bin eben Gift für Menschen. Immer wenn ich einen Pakt eingehe, sterben sie mir binnen weniger Stunden weg. Zu viel Macht, bla bla.“ „Anya!“, richtete sich Matt an ebenjene. „Schon kapiert. Ist ja nicht so, als ob wir vorher trödeln wollten oder so.“ „Wenn ihr noch dazu kommt!“, rief Urila und legte ein Monster auf ihre Duel Disk. „Ich beschwöre [Madolche Cruffsant] und benutze seinen Effekt, der [Madolche Mewfeuille] zurück auf meine Hand gibt, während Doggie dadurch ein Level-Up erhält!“ Auf einer puzzleförmigen Toastscheibe erschien ein kleiner Hund mit Hut auf dem Kopf, der durch sein aufgeregtes Gebell die Katze Mewfeuille vertrieb. Urila nahm deren Karte zurück auf ihr Blatt, woraufhin Cruffsant in blauer Aura aufleuchtete.   Madolche Cruffsant [ATK/1500 → 1800 DEF/1200 (3 → 4)]   „Der Effekt von [Madolche Ticket] entfaltet sich jetzt“, rief Urila anschließend und zeigte auf ihre offen stehende Zauberkarte, „da meine Süßigkeit auf meine Hand zurückgekehrt ist, kann ich eine weitere von meinem Deck meiner Hand hinzuzufügen. Ich wähle [Madolche Potpourrince]!“ Ihr Deck spuckte die Karte förmlich aus, die die Blondine kurz vorzeigte, ehe sie sie ihrer Hand hinzufügte. „Und jetzt bin ich dran, das Overlay Network zu errichten!“ „Ich wusste es!“, murmelte Matt. Genau das, was er ursprünglich verhindern wollte, sollte jetzt eintreten. Als braune Lichtstrahlen wurden Urilas Monster in den schwarzen Galaxienwirbel gezogen, der sich inmitten des Feldes auftat. „Aus meinen zwei Stufe 4-Madolche-Monstern wird ein Rang 4-Monster königlichen Geblüts! Xyz-Summon! Zeit für deine Audienz, [Madolche Queen Tiaramisu]!“ Besagte Königin kam aus dem Strom hervor, sitzend auf einem Thron, der an dem riesigen Tiramisu-Puzzlestück befestigt war, welches ihre Hoheit durch die Luft transportierte. Zwei Lichtkugeln kreisten um die Herrscherin der Madolches.   Madolche Queen Tiaramisu [ATK/2200 DEF/2100 {4}]   „Falle aktivieren!“, rief Matt urplötzlich und erhob sich mit ebenjener. „So leicht lasse ich dich nicht gewähren! [Infestation Terminus]! Zwar muss ich Ouroboros dafür verbannen, kann aber zwei deiner Karten auf die Hand zurückgeben!“ Langsam löste sich sein Drache in schwarze Partikel auf – nur um sich wieder zusammenzusetzen. „[Madolche Tea Break] sagt nein“, kicherte Urila, als ihre zweite Falle aufsprang, „mit ihr annulliere ich deine Falle und gebe sie dir auf die Hand zurück.“ Die Königin auf ihrem Thron schwang ihr goldenes Zepter, sodass [Infestation Terminus] aus Matts D-Pad geschossen kam. Dessen Besitzer hob die Karte zähneknirschend auf. „Die hat aber auch auf alles 'ne beschissene Antwort!“, stellte Anya wütend fest. „Gott, wie ich sowas hasse!“ „Es wird nur noch schlimmer werden“, wusste Matt. Auch wenn er das letzte Mal vor vielen Jahren gegen Tara gekämpft hatte, an das zerstörerische Potential ihres Decks erinnerte er sich noch ganz genau. „Korrekt! Wir brauchen aber erstmal einen Kulissenwechsel, weshalb ich den Spielfeldzauber [Madolche Chateau] aktiviere!“ Urila hielt den Zauber in die Höhe. Hinter ihr erhob sich prompt ein Schloss, gemacht aus allerlei süßen Sachen.   Madolche Queen Tiaramisu [ATK/2200 → 2700 DEF/2100 → 2600 {4}]   „Ugh, na toll!“, beklagte sich Anya lauthals. „Meine Fresse, sind wir hier bei der Neuverfilmung von Hänsel und Gretel!?“ „Klar, und ihr spielt die Hauptrollen.“ Die Terrorblondine in Boxershorts und T-Shirt zischte, während Matt gar nicht reagierte: „Zu blöd, dass die böse Hexe am Ende ins Gras beißt.“ „Tja, ihr kennt das ja, manche Remakes wollen sich einfach nicht ans Original halten“, zwinkerte Urila vergnügt, „ich glaube, das hier ist so eins.“ „Ich nicht!“, erwiderte Anya und rümpfte selbstbewusst die Nase. „Du bist kein Maßstab. Aber zurück zum Eigentlichen. Wie ihr seht, werden meine Madolche-Monster nicht nur stärker, nein. Sollten sie in mein Deck zurückkehren müssen, kann ich sie stattdessen auf die Hand nehmen. Wollen wir das gleich mal ausprobieren? Ich zeig's euch!“ Sofort griff Urila unter die Karte ihrer Königin und riss [Madolche Cruffsant] von dort hervor. „Jetzt kann ich endlich [Madolche Queen Tiaramisus] Effekt aktivieren!“ Die Königin erhob sich von ihrem Thron und streckte ihr Zepter in die Höhe, welches eine der beiden Lichtsphären absorbierte. Urila erklärte dazu: „Indem ich ein Xyz-Material abhänge, kann ich bis zu zwei Madolche-Karten in meinem Friedhof meinem Deck hinzufügen.“ Sie präsentierte den beiden [Madolche Cruffsant] und [Madolche Tea Break]. Während letztere ins Deck zurück gemischt wurde, gesellte sich Cruffsant aufgrund des Effekts des Schlosses zu den anderen Monstern auf Urilas Blatt. Unverhofft zeigte Tiaramisu aber plötzlich auf Matts [Evilswarm Ouroboros] – welcher sich prompt in Luft auflöste. Danach schwenkte sie herüber zu Anyas gesetzter Karte. Die temperamentvolle Blondine wollte nicht glauben, was sie da sah: „Hey, was hat dieses Miststück-!?“ „Ganz einfach, Liebes“, kicherte Urila mit vor dem Mund gehaltener Hand, „meine Königin schickt genauso viele Karten von eurer Spielfeldseite ins Deck, wie sie zuvor in meines geschickt hatte.“ „Das heißt, meine Falle-!?“ „Sie wird verschwinden, genau. Bye bye!“ Anya sah irritiert herüber zu Matt. Der schüttelte nur stumm den Kopf, wirkte nicht überrascht ob des Verlustes seines mächtigen Drachens. „Das nehme ich nicht hin!“, wandte sich Anya daraufhin an ihre Gegnerin. „Ehe ich sie mir vor dir nehmen lasse, aktiviere ich sie lieber, auch wenn es sinnlos ist! [Inverse Universe]! Sie verdreht die Werte aller Effektmonster auf dem Feld.“ Nur ganz marginal schrumpfte Tiaramisu, als Anyas Falle aufsprang.   Madolche Queen Tiaramisu [ATK/2700 → 2600 DEF/2600 → 2700 {4}]   „Wie putzig“, amüsierte sich Urila über Anyas Trotzreaktion, „das ändert nichts daran, dass ich deinen [Gem-Knight Garnet], der als normales Monster nicht davon betroffen war, nun vernichten werde! Los, Tiaramisu!“ In schneller Reihenfolge schoss die Königin mit ihrem Zepter eine Salve von Zuckersternen auf den Ritter, der dem Hagel nicht standhalten konnte. Auch Anya wurde von den übergroßen Geschossen getroffen. „Urgh!“, schrie sie, da die Sterne bei Kontakt explodierten, was sie letztlich auch nach hinten auf den Boden warf. „Dahhh! Miststück, das büßt du mir!“   [Anya: 4000LP → 3300LP Matt: 4000LP ///// Tara: 4000LP]   Damit waren die Felder des Duos nun komplett geleert, wohingegen Urila dank Tiaramisu und ihren beiden Zauberkarten die Oberhand hatte. „Zug beendet“, hauchte sie genüsslich und ergötzte sich still an Anyas Leid. Die wäre aber nicht Anya, wenn sie sich von so etwas einschüchtern lassen würde. Schnell kam sie wieder auf die Beine, wenn auch unter dem Schmerz nur halb so elegant wie geplant. Torkelnd reihte sie sich wieder zu Matt. „Sie hat die perfekte Kombination auf dem Feld. Mit Tiaramisu und dem Schloss kann sie ihre Karten recyceln und mit [Madolche Ticket] sogar noch neue Monster aufs Feld bringen.“ Matts Erklärung quittierte Anya mit einem unbeeindruckten Pfeifen. „Ach ja? Wenn ich mit ihr fertig bin, wird davon nicht mehr viel übrig sein!“   Das Mädchen schloss die Augen und griff nach ihrem Deck. Sie wusste genau was sie ziehen wollte. Eine nette Zauberkarte namens [Gem-Knight Fusion]. Mit ihr würde sie diesem Miststück eine Lektion erteilen, die sich gewaschen hat. Und auch wenn Anya wusste, dass Levriers Kräfte längst der Vergangenheit angehörten, war da ein Funke Hoffnung. Er mochte tot sein, aber wie sie so dastand, war es für einen kurzen Augenblick so, als wäre er wieder da und würde mit ihr kämpfen. „Geronimo!“, schrie sie und versuchte sich das Labyrinth aus möglichen Pfaden vorzustellen, das ihr immer aus der Klemme geholfen hatte, wenn sie etwas Gutes ziehen musste. „Draw!“ Schon während sie zog, konnte sie den grünen Rand der Karte erkennen! Eine Zauberkart- „Was!?“, kam aber schnell die Ernüchterung, als sie feststellen durfte, dass Vorstellung allein Levrier nicht zurück brachte. Und schon gar nicht seine Kräfte. „Das war so nicht abgemacht! Verdammter Kackmist, warum jetzt!?“ „Anya, wir haben keine Zeit für sowas! Beeil' dich mit deinem Zug!“, drängte Matt, besorgt um das Wohl von Tara und der Bewohner Livingtons. „Hetz' mich nicht!“, fauchte die und steckte die Karte in ihr Blatt, um einen anderen Zauber zu zücken. „Das war's dann wohl mit Diamonds glorreichem Auftritt.“ Ohne ihr Assmonster [Gem-Knight Master Diamond], welches ihr einst der Jinn gegeben hatte, konnte sie Urila unmöglich realen Schaden zufügen! Es wäre die einzige Möglichkeit gewesen, ihr zu schaden! Verdammte Scheiße! „Also muss ich mal wieder die billige Übergangslösung benutzen!“, raunte Anya und legte den Zauber in ihre Duel Disk ein. „[Silent Doom]! Er ruft einen Vanilla in Verteidigung vom Friedhof auf mein Feld! Erscheine, Garnet!“ Aus einer Stichflamme tauchte der kniende Ritter vor ihr wieder auf.   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   „Und als Normalbeschwörung hinterher schicke ich [Gem-Knight Tourmaline]!“ Neben seinem Mitstreiter tauchte ein Ritter in goldener Rüstung auf, welcher zwischen seinen Händen elektrische Entladungen entstehen ließ.   Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)]   Ihr Blatt betrachtend, wusste Anya, dass sie nur eine Option hatte. Welche gemischte Gefühle in ihr auslöste, wenn man bedachte, was oder besser gesagt wen sie da beschwören wollte. „Levrier“, murmelte sie, „du warst er, bevor du dich für mich geopfert hast … Idiot! Warum ist er immer noch so schwach!?“ Matt betrachtete das Mädchen unsicher, wie sie den Arm in die Höhe streckte. „Ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinen zwei Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster! Immer noch so scheiße wie vor drei Monaten! Xyz-Summon!“ Die beiden Ritter wurden als braune Lichtstrahlen in das schwarze Loch des Overlay Networks gezogen, welches sich vor ihr auftat. Aus ihm trat langsam eine weiße Gestalt hervor. „[Gem-Knight Pearl]!“, rief Anya und knallte dessen Karte auf ihre Duel Disk. Nun ruckartig dem Wirbel entfliehend, gesellte sich der weiße Ritter vor seine Besitzerin. Stolz verschränkte er die Arme, während seine sieben riesigen, rosafarbenen Perlen um ihn kreisten. Seine roten Augen waren auf Urila gerichtet, der mit einem Schlag das Lächeln abhanden gekommen war.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4}]   Zwei Lichtkugeln kreisten neben den Perlen um Anyas ehemaliges Paktmonster, was dem nur nichts nützte, da es keinen Effekt besaß, um von ihnen Gebrauch zu machen. „Er“, knurrte Urila plötzlich wütend, „er ist derjenige, der Isfanel getötet hat.“ „Wieso so verbittert?“, wollte Anya grimmig wissen. „Isfanel war derjenige, der den Turm, also dich, bewacht hat. Solltest du nicht froh sein?“ „Machst du Witze? Isfanel zu töten war mein Recht!“ Anya zuckte gehässig grinsend mit den Schultern. „Pech für dich, wir waren schneller! Und soll ich dir was sagen? Pearl wird dir nicht zum letzten Mal die Tour vermasseln!“ „Unsere beiden Monster sind gleichstark, also wenn du angreifst, musst du ihn opfern.“ Ganz überzeugt klang Urila von dieser These aber nicht. Zu recht, wie Anya bewies, als sie die eben gezogene Karte aus dem Blatt nahm und mit dem Rücken auf Urila gerichtet zeigte. Langsam drehte sie die Karte zwischen Mittel- und Zeigefinger. „Weißt du, ich hab zwar nicht bekommen was ich wollte, aber immer noch ist's noch gut genug, um dir in den Arsch zu treten. Warum? Weil diese Karte den Gleichstand aufheben wird!“ Als die Karte ganz zu Urila umgedreht war, konnte die nur mit wütendem Schnaufen feststellen, dass Anya einen [Mystical Space Typhoon] gezogen hatte. Jener erschien auf dem Feld in Form eines gewaltigen Wirbelsturms, der ohne Umschweife auf Urilas Süßigkeitenschloss zusteuerte und es im Handumdrehen so sehr verwüstete, dass Pudding, Kekskrümel, Smarties und andere Leckereien nur so durch die Gegend flogen. „Am Ende des Tages lohnt es sich doch immer wieder, einfach eine Zauber- oder Fallenkarte deines Gegners zerstören zu können“, schloss Anya den Akt ab, „denn da [Madolche Chateau] nun Geschichte ist, verliert deine Wannabe-Königin ihren Punktebonus!“   Madolche Queen Tiaramisu [ATK/2600 → 2100 DEF/2700 → 2200 {4}]   „Und jetzt“, gurrte Anya, kniff ihre Augen zu kleinen, blauen Perlen zusammen und hob den Arm geradezu in Zeitlupe an, zeigte auf [Madolche Queen Tiaramisu], „gibt's Prügel. Mein Angebot mit dem Sarg steht übrigens noch. [Gem-Knight Pearl], Blessed Spheres of Purity! Zeig dem Miststück, dass sein Verfallsdatum abgelaufen ist!“ Pearl streckte beide Arme vor sich aus und begann die sieben riesigen Perlen, die um ihn herum schwebten, in gefährliche Geschosse umzufunktionieren. Diese pfefferten mit wahnwitziger Geschwindigkeit auf die Madolchekönigin zu und zerfetzten sie binnen Sekunden. Urila verzog eine hasserfüllte Fratze, schlugen einige der Perlen neben ihr in die Erde ein und lösten so Explosionen aus.   [Anya: 3300LP Matt: 4000LP ///// Tara: 4000LP → 3500LP]   „Revenge menge, baby!“, jubelte Anya und verschränkte stolz die Arme. „Damit ist's fürs Erste gut, Zug beendet!“ Mit zwei Handkarten gab sie damit an Matt ab. „Das ist die Gelegenheit, sie fertig zu machen!“, rief sie ihm zu. „Zeig ihr, dass sie einen Fehler gemacht hat, dir dieses überkrasse Deck zu geben!“   Matt aber zögerte, der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Seine Finger verweilten über der obersten Karte seines Decks, bereit, sie zu ziehen. Doch er tat es nicht. „Was ist los?“, wollte Anya wissen. „Siehst du … siehst du das?“, stammelte er heiser. „Taras Wange …!“ „Was ist damit- oh fuck!“ Anya sah es selbst. Ein nicht gerade kleines Stück Haut hing nur noch lose an der linken Backe hinab, offenbarte das Fleisch, das darunter lag – und sogar einen Teil des Wangenknochens. Es wurde schlimmer! „Lasst euch davon nicht ablenken“, meinte Urila salopp und versuchte, die Haut wieder in ihren angestammten Platz zu drücken. Was nur dafür sorgte, dass sie sich gänzlich löste und mit einem ungesunden Platschen vor ihre Füße fiel. „Hoppla!“ Matt stieß einen entgeisterten Schrei aus. Urila kicherte. „Ups, es ist wieder passiert. Das ist nun mal mein kleines Handicap, wo andere Immaterielle ihre Gefäße heilen, da bin ich der Elefant im Porzellanladen.“ „Das ist nicht wahr!“, keuchte Matt. „Tara! Wenn das so weiter geht-!“ „Mal gewinnt man, mal verliert man … in ihrem Fall ist's das Leben.“ Urila zuckte unbedarft mit den Schultern. „Deswegen wäre ich euch wirklich dankbar, wenn ihr mich das Ritual durchführen lassen könntet, bevor die Kleine nur noch eine matschige Pampe ist. Seid ihr so nett?“ Anya blinzelte zweimal, ehe sie trocken antwortete: „Nein.“ „Wär' ja auch zu schön gewesen.“ „Wie kannst du ihr das antun!?“, brüllte Matt, der langsam wieder zu Sinnen kam. „Verlasse sofort ihren Körper, du Schlampe!“ „Wow, werden wir jetzt vulgär, ja? Wie sagte deine Freundin eben so treffend? Nein!“ Urila ergötzte sich regelrecht daran, wie er hilflos schnaubte wie eine Dampflok. „Sie hat Recht, Summers. Wenn du fluchst klingt das lächerlich, lass mich das machen.“ Anya trat einen Schritt vor, neigte sich vorneüber und begann wie ein Rohrspatz zu schimpfen. „Hey du blödes Miststück, an deiner Stelle würde ich meinen schleimigen, nicht existierenden Kadaver aber ganz schnell aus der dummen Trulla bewegen, ehe ich dabei mithelfe, sie wie eine Zwiebel zu schälen! Denn falls dein kleines Erbsenhirn es noch nicht geschnallt hat: wir sind die verfickten Helden und weißt du was? Die sind diejenigen, die am Ende die beschissenen Leichen zählen! Also raus mit dir, such dir 'nen anderen Idioten! Am besten jemanden von meiner schwarzen Liste, die können ruhig von innen heraus verrotten!“ Urila räusperte sich. „Nein.“ Seufzend nahm Anya ihre alte Position wieder an, zuckte mit den Schultern. „Sorry Summers, ich glaub' Worte ziehen bei der nicht.“ Dieser funkelte jedoch die besessene Tara an, ehe er seine Hand auf sein Deck legte. „Ich weiß. Allerdings kenne ich genau das richtige Mittel, sie zum Nachdenken anzuregen! Draw!“ Voller Wut im Bauch riss er die Karte von seinem Deck, doch stockte mitten in der Bewegung. Ein fieser Stich in seiner Brust, der sich wie ein Feuerschwall in ihm ausbreitete. Urila lächelte zuckersüß. Matts Augen weiteten sich, dann krampfte er zusammen und sank auf die Knie. Die Schatten schlugen geradezu um ihn, wollten ihn verschlingen. „Oh shit!“ Anya schlug sich die Hand vor die Stirn. „Wieder diese abgefuckte Nummer!“ Sich den Kopf halten, schrie er, als würde dies die Finsternis vertreiben, die aus seiner Brust stieg. Er hatte die Kontrolle verloren ob Urilas bewusster Provokation. Die beobachtete alles gespannt. Aber er würde ihr diesen Triumph nicht gönnen! Jede Sekunde, die er verschwendete, schadete Tara nur umso mehr! Je schneller das endete, desto weniger würde sie leiden müssen! Und er würde dafür sorgen, dass nicht eine Narbe ihr Antlitz entstellen würde, sobald das vorbei war! Egal wie und zu welchem Preis! Unter einem Kampfschrei knallte er ein Monster von seiner Hand auf die Duel Disk. Ein riesiger schwarzer Vogel tauchte vor ihm auf, fünf dornige Tentakel erstreckten sich in alle Himmelsrichtungen von seinem Haupt. Was einst der elegante [Mist Valley Apex Avian] gewesen war, wurde nun bis ins Unkenntliche pervertiert. „[Evilswarm Thunderbird], ja? Süß!“, gurrte Urila beim Anblick des Monsters. „Bei dem hab ich mir viel Mühe gegeben. Der ist echt gut, jaha!“   Evilswarm Thunderbird [ATK/1650 DEF/1050 (4)]   „Er wird noch besser“, knurrte Matt und versuchte sein Bestes, die Schatten, die ihn umtanzten, kitzelten, verführerisch zuflüsterten zu ignorieren. Stattdessen griff er in sein Blatt und zog eine Zauberkarte daraus hervor, die er prompt aktivierte. „[Mutual Infestation]! Thunderbirds Angriffskraft wird verdoppelt, dafür darf nur er diese Runde angreifen und wird in der End Phase in Verteidigung geswitcht!“ Eine pechschwarze Aura, nahezu identisch mit Matts, begann nun auch von dem leicht übergewichtigen Vogel zu brennen.   Evilswarm Thunderbird [ATK/1650 → 3300 DEF/1050 (4)]   „Hell yeah, Summers! Jetzt nochmal einen Boost und das Miststück geht schneller down als Nick nach einem Anya Punch!“ Damit spielte Anya auf Urilas Feld an, das abgesehen von der Zauberkarte [Madolche Ticket] leer war. Matt aber zog eine hasserfüllte Grimasse, als er sich aufraffte. „Nichts dergleichen, dafür ist es noch zu früh! Thunderbird, direkt-!“ Urila schwang mahnend den Zeigefinger. „Stopp! Willst du das wirklich? Denk daran, diese Karten sind von großer Macht erfüllt. Nicht auszudenken, was dem Püppchen passiert, wenn diese sich gegen sie-“ „Schnauze! Thunderbird, direkter Angriff!“ Dass ihr Versuch, Matt mit Gedankenspielchen vom Angriff abzuhalten so kalt abgeschmettert worden war, ließ Urila glatt verstummen. Dann presste sie wütend die Lippen zusammen, streckte weit die Arme aus. „Fein! Dann nur zu!“ Ihre milchigen Augen leuchteten rot auf. Der Donnervogel schrie in die Nacht hinein, ehe von den roten Kugeln, die in einer geraden Linie von seinem Bauchansatz bis zur Brust hinauf verliefen, Blitze zu flackern begannen. Diese entlud die Kreatur gnadenlos Richtung Urila, die hysterisch gackernd die Stromstöße entgegen nahm. Sie versengten ihre Haut, zerfetzte die Kleidung, bis das Mädchen regelrecht dampfte. „Nein!“, quiekte Matt panisch, der das so nicht beabsichtigt hatte. „Das Miststück steuert doch die Macht dieser Karten, oder nicht!? Immerhin sind es ihre! Die macht das mit Absicht!“, erkannte Anya. „Ein lichter Moment unter so viel geistiger Umnachtung!“, spottete Urila, die das Bad im Blitzgewitter regelrecht genoss. „Jah, das süße Kribbeln von Elektrizität, es überdeckt sogar die Schmerzen meines Gefäßes. Uh!“ Schließlich war es vorbei, die fremdgesteuerte Tara fiel auf die Knie, obschon immer noch Ladungen um sie schlugen.   [Anya: 3300LP Matt: 4000LP ///// Tara: 3500LP → 200LP]   Matt stand der Mund offen. Was hatte er da getan!? Seine Freundin, da war sie, verkohlt, dampfend, nur mehr ein Schatten ihrer selbst. Und er war schuld, er-! Die Schmerzen in seiner Brust wurden stärker, keuchend beugte er sich vor. Ein Rinnsal Speichel tropfte dabei aus seinem Mund. Urila, die ihren Kopf zuvor gen Himmel gerichtet hatte, neigte diesen nun nach vorn und betrachtete vergnügt aus ihren milchigen Augen den mit sich selbst kämpfenden, jungen Mann. „Lass dich nicht von ihr provozieren“, riet Anya ihm derweil. „Diese Tara kriegen wir schon wieder geflickt. Sie will damit nur erreichen, dass du Skrupel zeigst, weil sie in deiner Freundin steckt.“ Obschon Matt die Schatten kaum bändigen konnte, sah er zu seiner Partnerin herüber. „Denkst du, das weiß ich nicht!? Aber wie-“ „Dafür hast du mich doch im Schlepptau, du Trottel! Aber lass dir nicht einfallen, jetzt wegen ein paar Psychospielchen zu ihrer Marionette zu werden. Dann kann nämlich niemand mehr Blondielocks retten!“ Sich langsam aufrichtend, nickte er. „Du hast recht … ich muss einen kühlen Kopf bewahren …!“ Trotzdem kam er nicht umher, sich den erdrückenden Schuldgefühlen auszusetzen. Aber Anya hatte Recht, all das war nur ein Versuch, seine Entschlossenheit ins Wanken zu bringen. Urila war fast am Ende, noch ein Schlag und es war vorbei. Natürlich würde sie alles versuchen, den abzuwenden, auch wenn sie noch gar nicht ahnte, dass Matt diesen zunächst vorhatte hinauszuzögern! Zögerlich nahm der junge Mann eine Fallenkarte aus seinem Blatt und schob sie in das D-Pad. Während sie sich vor seinen Füßen materialisierte, kündigte er an: „Mein Zug ist beendet, womit [Evilswarm Thunderbird] aufgrund des Nebeneffekts von [Mutual Infestation] den Modus wechselt.“ Seine gewaltigen Schwingen schützend vor den Körper haltend, gurrte der düstere Vogel mit schnarrender Stimme.   Evilswarm Thunderbird [ATK/3300 → 1650 DEF/1050 (4)]   Urila stand derweil seufzend auf. „Mit euch macht das keinen Spaß, wisst ihr? Eiskalte Biester, überall. Ihr habt die Zerstörung wirklich verdient, die der 'wahre Feind' euch bringen wird.“ „Fang mir nicht mit dem Bullshit an, dämliche Pisskuh!“, polterte Anya. „Wenn du im Turm warst, kennst du unsere Haltung dazu!“ „Warum willst du überhaupt so weit gehen?“ Matt schüttelte ungläubig den Kopf. „Was ist der 'wahre Feind'? Du kennst ihn, ich weiß es!“ „Ich bin ihm sogar begegnet“, erklärte Urila ganz salopp, „aber um zu verstehen, was er tut, musst du schon selbst dabei sein. Naja, die Gelegenheit ergibt sich ja bald für euch, dann könnt ihr eure Fragen stellen. Sofern ihr dann noch lebt, hihi.“   Plötzlich griff sie nach ihrem Deck, welches in schwarzen Flammen aufging. „Nur, was das angeht, sind die Chancen dann doch eher gering. Aber ich werde ihnen liebe Grüße bestellen. Mein Zug, Draw!“ In einer halbkreisartigen Bewegung zog die besessene Tara die nächste Karte, die ebenso in der schwarzen Flamme aufgegangen war wie der Rest ihres Decks. Matt und Anya gingen ob des Drucks, der ihren ganzen Körper dabei schlagartig heimsuchte, machtlos in die Knie. „Cheatdraw!“, stellte Anya ärgerlich fest. Matt stöhnte, da er immer noch damit zu kämpfen hatte, nicht unter Urilas Kontrolle zu fallen. „Was hast du anderes erwartet?“ „Eben. Don't like, don't fight“, stimmte Urila mit abgewandeltem Fanficschreiber-Jargon zu, war ihr Gefäß schließlich begnadete Hobbyautorin. Plötzlich strahlte sie. „Ich finde es ja ganz witzig, wie du mir mit [Infestation Terminus] eine Falle stellen willst, aber heute weht leider eine steife Brise von Westen, nicht wahr, Anya Bauer? [Mystical Space Typhoon]!“ Matt klappte die Kinnlade herunter. Diese Sicherheit, dass es sich gerade um diese Falle handelte-! Urila legte ihre ermogelte Zauberkarte in den passenden Schlitz der Duel Disk ein und genoss den Anblick des entgeisterten Dämonenjägers, der mit ansehen musste, wie seine gesetzte Karte von einem aus dem Nichts aufgetauchten Zyklon mitgerissen wurde. Da Urila nur [Madolche Ticket] kontrollierte, ergab es keinen Sinn für Matt, seine Falle anzuketten, mit der er einen aktiven Schwärmer verbannen konnte, um zwei Karten des Gegners auf dessen Hand zurückzugeben. „Tch, scheinbar kann sie mehr, als nur ein paar Gedankenspielchen“, knurrte Anya wütend, „die Bitch weiß bestens Bescheid über dein Spiel, Summers. Gut, sie hat die Karte schon gesehen, aber überleg mal! Sie hat das Deck gemacht, es würde mich nicht wundern, wenn sie dich heimlich ausspioniert oder so!“ Urila kicherte. „Natürlich tue ich das, Liebchen! Schon die ganze Zeit, haha! Also weiß ich auch, auf welche Weise du gewinnen willst, Dämonenboy.“ „Ich wusste, es war ein Fehler mitzukommen“, klagte Matt sofort und schlug mit der Faust in die weiche Erde, „damit habe ich ihr nur in die Hände gespielt!“ Anya pfiff verächtlich. „Mach mal halblang, ich bin auch noch da. Und mich kann sie nicht so leicht durchschauen. Vielleicht lügt sie auch nur.“ „Aber ich kann dich auslöschen und zwar, indem ich mit [Madolche Mewfeuilles] Normalbeschwörung beginne!“ Urila gurrte dabei regelrecht, als sie die Karte ausspielte. Wie schon im ersten Zug, tauchte auf einem schwebenden Puzzlestück eine kleine, vernaschte rosa Katze auf.   Madolche Mewfeuille [ATK/500 DEF/300 (3)]   „Mit Mewfeuilles Effekt kann ich eine Leckerei von meiner Hand spezialbeschwören. [Madolche Potpourrince]!“ Ein in cremefarbigem Anzug plus Umhang gehüllter Prinz auf einem Puzzlestück stehend tauchte neben der Naschkatze auf. Um ihn schwirrten verschiedenste Pralinen, Kuchen, Smarties und anderer Süßkram.   Madolche Potpourrince [ATK/1500 DEF/1000 (5)]   „Ich mag nicht, worauf das hinausläuft“, knurrte Anya wütend. Matt sah zu ihr herüber. Dem gab es nichts hinzuzufügen. „Monstereffekt von Potpourrince! Was wäre ein Prinz ohne seine Prinzessin?“, fragte Urila amüsiert nach und zeigte eine ihrer Handkarten vor, die andere zwischen Mittel- und Ringfinger geklemmt. „Indem ich eine Madolche-Nicht-Monsterkarte wie [Madolche Ticket] von meiner Spielfeldseite oder auch meiner Hand auf den Friedhof schicke, kann ich [Madolche Puddingcess] aufs Spielfeld bringen. Damit eröffne ich den Madolche Ball!“ Während Urilas Zauberkarte also vom Spielfeld verschwand und sie die Karte von [Madolche Puddingcess] auf die Duel Disk legte, tauchte diese bereits zwischen Mewfeuille und ihrem Prinzen auf. Die Kirsche perfekt sitzend im Haar, das Puddingpuzzlestück als Tanzfläche, machte sie vergnügt eine Umdrehung und verneigte sich.   Madolche Puddingcess [ATK/1000 DEF/1000 (5)] Matt weitete die Augen. Jetzt wurde ihm einiges klar! Dementsprechend schwang er den Arm aus. „Effekt von [Evilswarm Thunderbird] aktivieren! Wenn du einen Karteneffekt aktivierst, kann ich ihn bis zu meiner Standby Phase verbannen!“ Unter einem Schrei verzerrte sich das Erscheinungsbild des dunklen Vogels kurz, ehe dieser einfach verschwunden war. Urila schürzte die Lippen, Matts Feld war jetzt vollkommen leer. „Nun wechsle ich in meine Battle Phase“, kündigte sie geheimnisvoll an. „Und mein Angriffsziel wird der Bauerntölpel sein.“ „Verdammt!“, stieß Matt es hervor. Hatte er es doch gewusst! „Was soll der Schwachsinn, Blondie?“, fauchte deren, man war geneigt zu sagen 'böser Zwilling', wütend zurück. „Ich hab'n Monster auf dem Feld, das mal eben ein bisschen stärker ist als deine. Viel stärker!“ Ihr Partner aber sah sie nur aufgeregt an. Es hatte nichts gebracht, Urilas Aufmerksamkeit auf sich ziehen zu wollen. Wie auch, vermutlich wusste sie ohnehin, warum er das getan hatte. Die Immaterielle lachte spöttisch. „Nicht jeder Kampf wird durch pure Muskelkraft entschieden, Teuerste. Ein bisschen Köpfchen gehört auch dazu. Und das ist, was [Madolche Potpourrince] mit sich bringt!“ Plötzlich zog der Blaublüter das Spielzeugrapier an seinem Waffenrock und schwang es in einer halbmondartigen Bewegung aus. Sofort entbrannten um ihn, [Madolche Puddingcess] und [Madolche Mewfeuille] blaue Auren. „Das ist-!?“ Anya wich nervös zurück. „Sie will dich mit ihren Monstern direkt angreifen!“, donnerte Matt nun endlich. „Gewiss. Zwar muss ich während meiner Battle Phase auf die Effekte der Süßigkeiten verzichten, dafür dürfen sie unter Potpourrinces Anleitung allesamt deine Monster umgehen! Los!“, rief Urila und streckte den Arm aus, zeigte auf Anya. Die weitete die Augen. Wie Pfeile schossen die drei Monster auf ihren Puzzleteilen an ihrem [Gem-Knight Pearl] vorbei, direkt auf sie zu. Im Reflex hob Anya die Arme zum Schutz über den Kopf. Rechtzeitig genug, um zu verhindern, dass Mewfeuille ihr das Gesicht zerkratzte. Auch wehrte sie damit die Kirsche ab, die Puddingcess aus ihrem Haar nahm und auf sie warf. Welche nebenbei bemerkt eine Tonne zu wiegen schien, spürte Anya doch, wie ihre Knochen unter der Wucht des Aufpralls nachgaben. „Gyaaaaaahhhhhhhhh“, schrie sie und stolperte zurück, wobei sie ihre Handkarten fallen ließ. „Anya!“, rief Matt erschrocken und streckte die Hand nach ihr aus. Beide sahen aus den Augenwinkeln das Rapier, das direkt auf das Herz des Mädchens abzielte. Ohne nachzudenken holte Anya mit ihrem gesunden, linken Arm aus und schaffte es tatsächlich, den Angriff des Prinzen mit Mittel- und Zeigefinger abzufangen. Dieser war geradezu verblüfft über das, was dem Mädchen gelungen war. „Dafür blutest du, Mistvieh!“, fauchte sie ihn an. Doch der Prinz riss sein Rapier zurück, und ehe Anya sich versah, versetzte er ihr einen diagonalen Schlag, der ihr einen blutigen Striemen über den ganzen Oberkörper verpasste. „Ahhhhhhhhhh!“ „So ist es gut. Schrei! Schrei an seiner Stelle!“, feixte Urila.   [Anya: 3300LP → 300LP Matt: 4000LP ///// Tara: 200LP]   Anya torkelte benommen zurück, hielt sich die klaffende Wunde. Zitternd betrachtete sie das Blut an ihrer Hand, während sich Urilas Monster zurückzogen. Leblos baumelte der rechte Arm des Mädchens hinab. Dann blickte sie auf. Hasserfüllt, widerspenstig, unbeugsam. „Wenn du denkst, dass ich wegen 'nem verfickten gebrochenem Arm aufgebe, hast du dich geirrt! Und wenn ich meine Karten mit den Zähnen ausspielen muss!“, keifte Anya vor Wut, als sie mitbekam, wie frohlockend Urila ihr Werk betrachtete. Das Grinsen aus deren Mundwinkeln verflog, wurde zu einer eisernen Maske. „Wer sagt, dass ich schon mit dir fertig bin?“ „Huh?“ „N-noch mehr!?“, stammelte Matt ebenso überrascht. Ruckartig streckte Urila den Arm mit der Handfläche nach oben aus, als würde sie Matt dazu anleiten wollen, mit ihm zu kommen. „Es wird erst genug sein, wenn alles vorbei ist. Eher ruhe ich nicht!“ Langsam schloss sie die Finger zusammen, ballte eine Faust. Ihr Blick verdunkelte sich. Und unter dem Ärmel ihres Kleides drang ein silbernes Leuchten hervor. „Ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinen zwei Stufe 5-Süßigkeiten wird ein Monster vom Rang 5!“ Ihre Gegner horchten erschrocken auf, wussten sie schließlich aus Erfahrung, was dies bedeutete. In der Mitte des Spielfelds öffnete sich ein schwarzes Loch, welches das Prinzenpaar als braune Lichtstrahlen absorbierte. „Steige aus den sengenden Tiefen des Backofens hervor …“ Anya glaubte, sich verhört zu haben. „Backofen!?“ „... und lass das süße Gift in unsere Venen ein! Auf den Tisch mit dir!“ Ihre Gegnerin kam nicht umher, in bellendes Gelächter ob jenes ziemlich dämlichen Beschwörungsspruches auszubrechen. Das Ganze wurde sogar noch schlimmer, als sie zuerst die langen, schwarzen Barthaare sah, die dort aus dem Overlay Network aufstiegen. Die dunkelgrüne Haut, der übergewichtige Körper, die Miniflügel – und der zermanschte Kuchen, auf dem der übergewichtige Drache saß. „[Madolche Unhappy Dragon – Poisouffle]!“ Da war er nun, der riesige, unförmige Drache auf dem Puzzlestück, um welchen zwei Lichtsphären kreisten. Trotz der Schmerzen konnte Anya nicht aufhören zu lachen. „Nein! Nein …! Das ist ihre Paktkarte!? Ich bepiss mich …“   Madolche Unhappy Dragon – Poisouffle [ATK/1900 DEF/2500 {5}]   Matt sah dem Ungetüm, welches sein Gesicht vor Scham in die Patschehände vergrub, mit deutlich weniger Sorglosigkeit entgegen. Weil er es nicht kannte. Tara besaß kein Monster mit diesem Namen, wonach Anya Recht hatte – das war Urilas Paktkarte. „Anya, beurteile ihn nicht nach dem Aussehen!“ „Aber“, prustete sie und bekam kaum Luft, „sieh ihn dir doch an! Das is'n Witz!“ „Monstereffekt“, unterbrach Urila die beiden jedoch mit eisiger Stimme. „Bei seiner Beschwörung fügt Poisouffle allen Spielern 1000 Punkte Schaden zu.“ Was Anya schließlich dazu brachte, leisere Töne anzuschlagen. „Huh!?“ Die beiden dicken Barthaare des Drachen zwirbelten sich wie von Geisterhand auf und wurden zu dünnen Spitzen. Endlos langen Spitzen, die zunächst in die Luft aufstiegen, ehe sie wie Speere auf die Drei zurück schnellten. Matt weitete die Augen, Urila hingegen streckte begrüßend die Arme entgegen. Ein undefinierbares Geräusch drang durch die Nacht. Blut floss. Matt wurde zu Boden geworfen, einige der Haare hatten ihn in die Schulter getroffen. Er blickte zur Seite und sah Anya. Wie ein Schatten hing sie da, die Barthaare des Drachen zogen sich schon zu ihm zurück. Dann brach sie zusammen. Panisch schwenkte er herüber zu Urila, die immer noch mitten in der Brust durchbohrt wurde. Sie lächelte.   [Anya: 300LP → 0LP Matt: 4000LP → 3000LP ///// Tara: 200LP → 0LP]   „Nein ...“, stammelte Matt fassungslos. „Nein! Tara!? Anya!?“ Mit blutender Schulter rappelte er sich auf, sah wieder zu Anya, die regungslos am Boden lag. Da war nur [Gem-Knight Pearl], aber der bewegte sich auch nicht! „Der wahre Spaß“, hörte er Urila im Hintergrund, „fängt jetzt erst an.“ Damit zog Poisouffle seine Haare auch aus ihrem Körper, Blut spritzte durch die Luft. Das Weiße in ihrem Kleid wurde rot. „Game over“, hauchte Urila.     [Part IV – Ende] Kapitel 41: The Last Asylum Movie "Second Coming" - Part V: FINAL ----------------------------------------------------------------- Yu-Gi-Oh! The Last Asylum – The Movie Part V: FINAL     „Tara! Anya!“ Ein eisiger Windzug ließ einige der Kerzen auf den Grabsteinen erlöschen. „Der wahre Spaß … fängt jetzt erst an. Game over“, hauchte Urila. Sich die blutende Schulter haltend, starrte Matt die klaffende Wunde in der Brust seiner Freundin an. Das Rot, was sich immer weiter auf ihrem Kleid ausbreitete. Und Anya? Er sah wieder zu dem Mädchen herüber, das am Boden lag. Sie war … sie war …! Aber er hatte doch gesehen wie …? „Anya! Steh auf!“, rief er ihr zu. Nichts regte sich. „Anya!“, brüllte Matt, so laut er konnte. Ohne Wirkung. Entgeistert wirbelte er zu Urila um. „Du hast sie …!“ „Getötet?“ Die Mundwinkel des blonden Mädchens verzogen sich. „Nein. Da wo sie jetzt ist …“   ~-~-~   Anya öffnete benommen die Augen. Finsternis, überall. Nichts anderes. Kein Oben, kein Unten. Sie hing im Nichts. „Anya“, hörte sie jemanden dumpf ihren Namen rufen. Das musste Matt sein! Sie wollte antworten, aber ihre Kehle war wie zugeschnürt. Hier gab es keine Luft zum Atmen. Ihre Brust schmerzte. Richtig … der Angriff des Drachen, er hatte sie …! „Verfehlt!“ Mit einem Schlag stieg unter ihr gleißendes Licht hervor. Sie erkannte das Mosaik der Erde, das Symbol ihres Elysions, über dem sie hing. Langsam flog sie darauf zu.   Als es schon zum Greifen nahe war, drehte sie sich und landete aufrecht. Warum war sie hier? In ihrer Zuflucht, die jedem anderen verschlossen blieb? Anya sah sich um, aber außer ihr war niemand hier. Aber sie war sich sicher! Sicher, dass sie gestorben wäre, wenn nicht-!   ~-~-~   „Wo ist sie!?“, verlangte Matt zu wissen. „Was ist mit ihr!?“ Urila antwortete nicht. Sie sah nur starr zu [Gem-Knight Pearl], der regungslos auf Anyas Feldseite verharrte. In dem Moment erkannte Matt, dass er eigentlich das Duell gewonnen hatte – aber die Hologramme waren noch da. Sowohl Pearl, als auch Urilas übergewichtiger, dunkelgrüner Drache aus der Torte, der sich die Hände vor sein Gesicht hielt. Blut tropfte von seinen langen Barthaaren. Neben ihm die unscheinbare, rosafarbene Katze.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4}] Madolche Unhappy Dragon – Poisouffle [ATK/1900 DEF/2500 {5}] Madolche Mewfeuille [ATK/500 DEF/300 (3)] Die beiden Xyz-Monster wurden jeweils von zwei Lichtsphären umkreist. Um sich zu versichern, dass er keinem Irrtum erlag, sah Matt auf sein D-Pad. Aber die Angaben stimmten. Wie konnte das sein!?   [Anya: 0LP Matt: 3000LP ///// Tara: 0LP]   „Überrascht?“, kicherte Urila nun wieder besser gelaunt. „Ja, es ist noch nicht vorbei. Wie ich sagte: es hat gerade erst angefangen. Nur, dass du jetzt alleine dastehst. Ich beende meinen Zug.“ Es war so surreal. Ihre verbliebene Handkarte, [Madolche Cruffsant] locker haltend, stand Urila in Taras Körper da, trotz der schweren Verletzungen und der Tatsache, dass sie keine Lebenspunkte mehr besaß. „Poisouffle …“, zischte Matt. Einen anderen Grund konnte es nicht geben! „Natürlich. Zwar hat mir sein Effekt die letzten verbliebenen Punkte genommen, aber gleichzeitig beschützt er mich auch vor einer Niederlage, wenn ich auf diese Weise verlieren würde.“ Perfide, schoss es dem Dämonenjäger durch den Kopf. Sie hatte sich absichtlich besiegt, um eine Art Pseudoimmunität zu erlangen. Diese Immaterielle war mit allen Wassern gewaschen! Und dazu benutzte sie Tara wie es ihr beliebte, schändete sie auf übelste Weise. „Dafür wirst du büßen!“, brüllte Matt aus voller Kehle.   Genau so laut schrie er auch auf, als er eine Karte von seinem Deck nahm und zog. Er würde sie vernichten! Die schwarze Aura entsprang seinem Herzen und schlug um ihn wie ein Fegefeuer. Und er spürte, wie sie bereits ihre Finger geistig nach ihm ausstreckte. Nach ihrer Marionette. „Vergiss es! Ich gehöre nur mir!“ „Erspare mir die Plattitüden, du kannst mir nichts anhaben“, erwiderte sie genüsslich, „ich weiß über jeden deiner Schritte bestens Bescheid.“ „Das werden wir ja sehen! Effekt von [Evilswarm Thunderbird]! Er kehrt jetzt zurück auf mein Feld und zwar mit zusätzlichen Angriffspunkten!“ Der riesige schwarze Vogel tauchte zunächst verzerrt, dann in klarer Form vor Matt auf. Die wild um sich peitschenden Tentakel von seinem Schopf begannen elektrisch aufzuflackern.   Evilswarm Thunderbird [ATK/1650 → 1950 DEF/1050 (4)]   Matt sah seine beiden Handkarten an. Es waren eine Zauberkarte und der Stufe 5-[Evilswarm Golem], den er aber nicht gebrauchen konnte ob seiner schwachen Offensivwerte. Also musste er sich auf sein Glück verlassen! „Zauberkarte aktivieren! [Xyz Declaration]!“ Das Extradeck aus seinem D-Pad ziehend, nahm Matt eine Karte daraus hervor, als … „... [Evilswarm Ouroboros] und [Evilswarm Salamandra].“ Zunächst überrascht aufhorchend, kniff Matt anschließend wütend die Augen zusammen und erklärte: „Ich wähle ein Xyz-Monster von meinem Extradeck, schicke es auf den Friedhof und betrachte dann die oberste Karte meines normalen Decks. Ist Letztere ein Monster, das für die Xyz-Beschwörung des gewählten Xyzs in Frage kommt, darf ich es behalten, ansonsten muss ich die Karte abwerfen.“ Tatsächlich hatte Matt vorgehabt, Ouroboros dafür zu nehmen. Und da er die Karte schon in den Händen hielt, konnte er sich nicht rückwirkend umentscheiden. Dieses Miststück! Sich auf die Lippen beißend, zog er und offenbarte die Karte: [Evilswarm Salamandra]. „Oh. Ahaha, ich hab doch nur geraten“, log Urila schamlos. „Vielleicht sollte ich mal in Las Vegas vorbeischauen? Was meinst du?“ Wütend knallte Matt sein neues Monster auf das schwarze D-Pad. „Normalbeschwörung! Erscheine, Salamandra!“ Neben seinem riesigen Donnervogel materialisierte sich ein nicht weniger großer, dunkelgrüner Dinosaurier, der durch eine graue Rüstung gut gepanzert war. Sein wahnsinniges Gebrüll war ohrenbetäubend.   Evilswarm Salamandra [ATK/1850 DEF/950 (4)]   Matt wusste, dass er Salamandras Angriffskraft zweimal pro Zug um 300 Punkte steigern konnte, indem er jedes Mal einen Schwärmer vom Friedhof verbannte. Aber dieser Boost dauerte nur solange, bis Urila ihren Zug beendet hatte, zumal er selbst damit nur auf 2450 Punkte kam, was zu wenig war. Zwar konnte er ihr Kampfschaden wegen [Madolche Mewfeuilles] schwacher Offensive zufügen, aber was nutzte das, wenn Urila ohnehin keine Lebenspunkte mehr besaß? Nein. Matt musste das Problem anders lösen. Ein Blick auf seine verbliebene Handkarte verriet ihm auch die Antwort. Engstirnig sah er auf. „Ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster!“ Indem er den Arm ausschwenkte, orderte er seinen Monstern an, in den schwarzen Galaxienwirbel zu entschwinden, welcher sich vor ihm aufmachte. Als violette Lebensessenzen taten sie das auch. Matt ballte eine Faust. „Steige empor! [Evilswarm Bahamut]!“ Eine schlangenhafte Gestalt erhob sich sogleich aus dem Schwarzen Loch. Sie spannte ihre Schwingen, deren Zwischenhäute aus purem Eis bestanden. Stolz bäumte sich der schwarze Drache vor Matt auf, welcher seither gefürchtet wurde: Brionac. Der Gefallene.   Evilswarm Bahamut [ATK/2350 DEF/1350 {4}]   „Dein Drache beschützt dich also, ja?“, fragte Matt voller Boshaftigkeit. Sein Blick war auf den übergewichtigen Poisouffle gerichtet, der wohl kaum vor dem ihm drohenden Unglück mit seinen vergleichsweise winzigen Flügeln flüchten konnte. Urila nickte. „So ist es, mein Lieber.“ Dabei kratzte sich ein wenig der Haut von ihrer Schläfe ab, was Matt einen Moment den Atem stockte. Aber er durfte jetzt nicht schon wieder aus dem Gleichgewicht gebracht werden, egal wie sehr sie versuchte ihn zu quälen! „Es juckt einfach, dafür kann ich nichts!“, quengelte Urila, als hätte sie seine Gedanken gelesen. „Überall unter meiner Haut, am liebsten würde ich sie abreißen. Warum tue ich das eigentlich nicht?“ Sie packte ihre gesunde Wange und begann daran zu ziehen. „Monstereffekt von Bahamut!“, versuchte Matt sie davon abzuhalten und streckte panisch den Arm aus. „Ich kann die Kontrolle über ein gegnerisches Monster übernehmen, wenn ich einen Schwärmer abwerfe!“ Hastig schob er [Evilswarm Golem] in den Friedhofsschlitz. Er musste sie stoppen, ablenken, auf andere Gedanken bringen. Damit sie nicht-! Bahamut öffnete sein Maul und verschlang eine der beiden Lichtkugeln, die wie Motten um ihn kreisten. Dann bündelte er zwischen seinen Zähnen eine schwarze Energiemasse. Urila hob belehrend den Zeigefinger: „Uh uh, böser Junge! Weißt du, was passiert, wenn man ein Soufflee falsch zubereitet? Es fällt in sich zusammen. Das heißt aber nicht-“ „Komm zum Punkt!“, blaffte Matt sie an. Ein süßliches, bitterböses Lächeln umspielte Urilas aufgeplatzte Lippen. „Okay, weil du es bist. Kurzum: du kannst [Madolche Unhappy Dragon – Poisouffle] nicht als Ziel wählen, da die Ruinen von [Madolche Chateau] ihn beschützen. Wie ein in sich zusammengefallenes Soufflee.“ „Aber die ist-!“ „Im Friedhof, deswegen sagte ich ja Ruinen.“ Urila lachte schallend. „Narr! Ich würde nie-! Ah!“ Matt schwang trotzdem den Arm aus. Diesmal genoss er es, sein Wissen unfreiwillig mit ihr zu teilen. Nämlich als er auf [Gem-Knight Pearl] zeigte. „Wer sagt, dass ich von deinem Monster sprach? Komm zu mir, Pearl!“ Bahamut schloss seine Vorbereitungsphase ab, neigte den Kopf zur Seite und schoss den Strahl auf Anyas Monster ab. Millionen winziger Insekten umschwirrten Pearl, der wie eine Marionette von ihnen herüber auf Matts Spielfeldseite geleitet wurde.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4}]   „Sieht so aus, als hätte ich jetzt ein Monster, das deine Verteidigung durchbrechen kann“, sagte Matt zufrieden. Er sah herüber zu Pearl, der neben seinem [Evilswarm Bahamut] still verharrte. „Hilf mir … wie du ihr geholfen hast. Ich weiß, was du getan hast!“ Keine Reaktion. Dann streckte Matt den Arm aus und zeigte auf Urilas Monster. „Vernichte [Madolche Unhappy Dragon – Poisouffle]! Sacred Spheres of Purity!“ Die Blondine, die immer noch ihre Wangenhaut festhielt, verzog wütend das Gesicht. „So ist das also?“ „Los!“, befahl Matt und übertönte sie. Pearl schwang den Arm aus und kommandierte die sieben riesigen, hellrosa Perlen, die um ihn herum schwebten. Sie begannen aufzuleuchten und setzten sich langsam in Bewegung, bis sie ohne Vorwarnung wie ein Bombenhagel auf Urilas Drachen niedergingen. Das gesamte Spielfeld wurde vom Rauch der Explosionen eingedeckt.   ~-~-~   Valerie hielt sich den Unterleib. Aus einer fiesen Schnittwunde sickerte Blut hervor, auch ihre Stirn stand im Zeichen des Rots. Aber es war in Ordnung. Ihre Aufgabe war es nicht, diesen Andrew zu besiegen, sondern nur abzulenken. „Ist das alles was du drauf hast?“, fragte der schwarzhaarige, junge Mann ihr gegenüber. Auf seiner Spielfeldseite befanden sich [Lightray Gearfreed] und [Lightray Daedalus], wohingegen ihr Feld mit Ausnahme der beiden dauerhaften Zauberkarten [Ritual Cage] und [Ascending Soul] leer war. Auch ihre Lebenspunkte waren am unteren Minimum angelangt, wohin gegen er bisher nur ein paar eingebüßt hatte.   [Valerie: 400LP / Andrew: 3400LP]   Er richtete den Kragen seines schwarzen Ledermantels mit einem wissenden Lächeln. „Das hier ist bald vorbei. Schau dir deine Freunde an. Sie haben genau wie du ihr Limit erreicht.“ Valerie sah über ihre Schulter. Alastair, dem zwischenzeitlich die magischen Karten ausgegangen waren, kämpfte jetzt mit bloßen Händen gegen die Unzahl an Dämonen, die sie umzingelt hatten. Abby, ebenfalls im Gesicht blutverschmiert, beschwor einige ihrer Monster, doch diese brauchten praktisch nur noch angehaucht werden, um zu verschwinden. Die Sirene sank in die Knie. Hinter ihr stand Henry, der den Vorteil hatte, dass seine Monster nicht verschwanden. Allerdings waren sie trotz deaktivierter Sicherheitsvorkehrungen an seiner Duel Disk verglichen mit Abbys Fähigkeiten nur der Trostpreis. Und es war kein Ende für die Drei in Sicht.   „Limit?“, richtete sich Valerie an Andrew. „Du scheinst neu in der Stadt zu sein. Für uns ist das lediglich die Aufwärmrunde.“ Das brachte den Kerl mit der Sonnenbrille auf der Nase dazu, laut aufzulachen. „Wunderbar! Dann werde ich jetzt unseren Ehrengast in den Ring führen. Ich glaube, ihr kennt sie bereits.“ Das Mark und Bein erschütternde Gebrüll, ganz in der Nähe, ließ Valerie die Nackenhaare aufstehen. Ein Geruch von Schwefel lag plötzlich in der Luft.   ~-~-~   Anya wusste nicht was sie tun sollte. Sie war hier, alleine, in ihrem Elysion. Eingesperrt. Als wäre sie tot und wartete auf den Übergang ins nächste Leben, aber sie wusste genau, dass sie noch am Leben war! Es war dasselbe gewesen, als Matt sie fast erwürgt hatte. Ihre Lebensgeister hatten sie verlassen, sie sah ihr Elysion, dann war sie plötzlich wieder fit wie ein Turnschuh. Von wegen Luft anhalten, aber was hätte sie sonst sagen sollen!? Es war zu absurd gewesen. Nur war es diesmal anders. Vorhin war sie nur einen Sekundenbruchteil hier, diesmal erschien es ihr wie eine halbe Ewigkeit.   Alarmiert drehte sie sich aus einem Instinkt heraus um. Etwas war da! Fremdartig, es gehörte nicht hierher! „Deine neuen Kräfte sind fast erwacht, Anya Bauer“, hörte sie eine verzerrte Stimme sagen. „Und er, er mit ihnen.“ „Wer bist du!?“, fauchte Anya zunächst, dann aber mischte sich ein Hauch von Sehnsucht in ihre Stimme. „Bist du das, Levrier?“ „Nein.“ Hinter ihr! Die Blondine wirbelte wieder um und weitete die Augen. Diese leuchtende Silhouette-! „Ich … ich bin hier, Anya Bauer.“   ~-~-~   Matt sah verbissen über den Hinterhof. Der Rauch hatte sich noch nicht verzogen, aber er spürte, dass [Gem-Knight Pearl] versagt hatte. Urila war noch im Rennen. Als der Qualm sich schließlich lichtete, wurde er darin bestätigt. Der dicke Drache war immer noch da, mit dem Unterschied, dass ihm jetzt eine der beiden Lichtsphären fehlte. Seine Gegnerin hielt zwischen den Fingern zwei Karten. „Das klappt schon ganz gut, aber es reicht nicht“, plapperte sie euphorisch, „Poisouffle kann zwei Madolche-Karten von meinem Friedhof verbannen und ein Xyz-Material konsumieren, damit ich seine Zerstörung durch Kämpfe verhindern kann.“ „Ich dachte, du wärst besser. Anyas Groll dir gegenüber kommt wohl nicht von ungefähr?“, sprach Matt [Gem-Knight Pearl] halb belustigt, halb enttäuscht an. „Aber danke für den Versuch. Hoffen wir, dass es nicht der letzte war. [Evilswarm Bahamut], zerstöre [Madolche Mewfeuille]! Infestation's Burst Stream!“ Sein pechschwarzer Eisdrache ließ sich das nicht zweimal sagen und feuerte eine violettschwarze Flamme auf die kleine Katze ab, welche regelrecht weg gebrannt wurde. „Wenn ein Madolche-Monster zerstört wird, gelangt es in mein Deck zurück, statt auf dem Friedhof zu landen“, warf Urila ein und schob die Karte von Mewfeuille in ihren Kartenstapel zurück. „Einmal kann sie unsere Angriffe noch abwehren“, überlegte Matt, dem leider die Handkarten ausgegangen waren. „Sofern sie -das- nicht vorhat.“ Und sie würde, das spürte Matt. Allein weil sie wusste, was er dachte. „Mein Zug ist vorüber“, bestimmte er schließlich.   „La lala lala!“, trällerte Urila vor sich hin, während sie aufzog. Die neue Karte betrachtend, begann sie zu grinsen. „Wie cool! Die setze ich gleich!“ Gesagt, getan. Die Karte materialisierte sich mit dem Bild nach unten gerichtet in vergrößerter Form vor ihren Füßen. Dann sah die junge Frau auf. „Oh, das hatte ich ganz vergessen. Ich wollte dich ja noch ein bisschen quälen.“ Ehe Matt überhaupt so schnell schalten konnte, hatte seine Gegnerin schon ihre gesunde Wange gepackt … und ausgerissen. Das Blut spritzte. Von dem einstmals hübschen, vielleicht etwas pummeligen Gesicht war nun kaum mehr etwas übrig. Nur verkohlte Haut, Löcher in beiden Backen, abgepellte Haut … Dem jungen Mann klappte die Kinnlade hinunter. „Autsch, das hat mehr wehgetan als ich dachte“, jammerte Urila und warf den matschigen Klumpen in ihrer Hand achtlos davon, „cool down, ist nur ein bisschen Haut. Pass auf, bis erst die inneren Organe anfangen zu versagen.“ Wieder und wieder schnaufte Matt, versuchte alles auszublenden. Er würde das rückgängig machen! Irgendwie! Er durfte sich nicht ablenken lassen, egal wie sehr sie sich bemühte, ihn aus der Fassung zu bringen. „Red dir nur weiter ein, dass dir das nichts ausmacht. Dein kleines, verdorbenes Herz blutet doch allein bei dem Gedanken, dass ich -das- hier tun könnte.“ Urila schnappte sich ihren rechten Mittelfinger und brach ihn nach hinten. „Hör auf!“, brüllte Matt hysterisch. Urila ignorierte ihn, machte sich über den Ringfinger derselben Hand her und riss ihm den Fingernagel raus. „Ja, ja, gleich.“ „Ich bin dein Gegner, nicht sie!“ Abschätzig sah die besessene Tara auf. „Ach du willst auch ein bisschen leiden? Na sag das doch gleich, konnte ich doch nicht riechen! Im Ernst, ich kann nichts mehr riechen!“ Urila packte ihre Nase. Matt weitete die Augen vor Entsetzen. „Nur Spaß“, kicherte sie und ließ davon ab, sich selbst noch weiter zu verstümmeln. Stattdessen drehte sie das Monster auf ihrer Duel Disk in die Vertikale. „Poisouffle wechselt in den Angriffsmodus.“ Der übergewichtige Drache erhob sich aus dem Soufflee, das er mit seinem Hinterteil plattgedrückt hatte. Noch immer hielt er beschämt die Hände vors Gesicht.   Madolche Unhappy Dragon – Poisouffle [ATK/1900 DEF/2500 {5}]   „Effekt des Drachis aktivieren!“, rief Urila und zog unter ihm das letzte Xyz-Material hervor. „Indem ich ein Madolche-Monster abwerfe, kann ich dich direkt angreifen!“ Sofort steckte sie [Madolche Cruffsant], ihre verbliebene Handkarte, in den Friedhofsschlitz ihrer Duel Disk. „Ah!“ Plötzlich schob der Drache einen seiner Wurstfinger vom Auge weg, das rot aufzuleuchten begann. Das ihn umkreisende Xyz-Material absorbierte er durch eben jenen Augapfel, ehe er einen imposanten Laserstrahl daraus auf Matt abfeuerte. Dieser hielt erschrocken die Arme über Kreuz, wurde jedoch schon erfasst. Die Druckwelle schleuderte ihn über das Spielfeld. Durch die Wucht knallte er in einen großen Grabstein hinter sich. Jener zerbarst regelrecht, während Matt weiter über den Boden schlitterte. Als er schließlich zum Stoppen kam, blieb er reglos liegen.   [Matt: 3000LP → 1100LP / Tara: 0LP]   „Ich dachte eigentlich, dass du härter im Nehmen bist“, spottete Urila, „wenn alle Menschen so sind, dann werden -sie- ja nicht lange für diese Welt brauchen. Jämmerlich. Zug beendet.“   Matt schrie auf. Sein ganzer Rücken und Nacken schmerzte, der Kopf erschien ihm wie ein Ballon, der jeden Moment platzen würde. Dennoch erhob er sich wankend. Ein Rinnsal Blut rann seine Stirn hinab. „Das war ein großer Fehler“, ächzte er und schleppte sich zurück zu seinen beiden Monstern, „jetzt bist du offen für einen Angriff.“ Seine Gegnerin erwiderte darauf nichts. Der junge Dämonenjäger griff nach seinem Deck und zog. Kein Monster, nur eine Falle. Aber eine nützliche, immerhin. Zumal Bahamuts Effekt ohnehin nutzlos war, weil er dieses Mistvieh von Drache nicht anzielen konnte. „Kein Risiko“, murmelte er und hob den Arm, „los, [Evilswarm Bahamut]! Greif [Madolche Unhappy Dragon – Poisouffle] an! Infestation's Burst Stream!“ Wenn er erst fiel, hatte Urila verloren. Aber das würde nicht passieren. Und es durfte eigentlich auch nicht, da er seinen Plan noch nicht umsetzen konnte … Sein schwarzer Eisdrache lud in seinem Maul eine schwarz-violette Flamme auf, die er sogleich auf seinen Konkurrenten abfeuerte. „Sich -darauf- stützen zu wollen ist zwar clever, aber ich muss dich enttäuschen. Als ich dein Deck modifiziert habe, wurde diese Karte als erste beseitigt!“, lachte Urila laut und schwang den Arm aus. „Für wie dumm hältst du mich auch!? Du wirst dir wohl oder übel etwas Neues einfallen lassen müssen! Falle aktivieren, [Madolche Lesson]! Ich kann bis zu zwei Madolche-Monster von meinem Friedhof in mein Deck mischen, dafür erhält Poisouffle 800 Punkte auf beide Werte!“ Stumm und fassungslos sah Matt zu, wie Urilas Drache wuchs und sie das Prinzenpaar zurück in ihr Deck schob. Doch war es nicht das, was ihn so schockierte. Sie hatte -diese- Karte vernichtet!? Dann-! Dann konnte er nichts gegen sie ausrichten! Tara würde-!?   Madolche Unhappy Dragon – Poisouffle [ATK/1900 → 2700 DEF/2500 → 3300 {5}]   Der unglückliche Drache initiierte einen Gegenangriff, indem er aus seinem rechten, freigelegten Auge einen Laserstrahl abfeuerte. Dieser zerteilte die Flammen Bahamuts und ihn selbst, wodurch er in einer Explosion unterging. Matt wurde durch die entstandene Druckwelle zurückgeworfen, landete hart auf dem Rücken.   [Matt: 1100LP → 750LP / Tara: 0LP]   Sich unter großen Mühen wieder aufrichtend, biss Matt die Zähne zusammen. „So schnell kriegst du mich nicht unter! Ich gebe nicht die Hoffnung auf!“ Er schob seine Falle in einen der dazugehörigen Slots. „Die verdeckt! Zug beendet!“ Schwankend kam er auf die Beine, während sich die Karte vor ihm materialisierte. Immerhin hatte er noch [Gem-Knight Pearl], der regungslos vor ihm verharrte. Zumindest würde dieser ihn schützen können. Wie er schon Anya beschützt hatte.   „Also hast du es verstanden“, sprach Urila und zog nebenbei eine Karte, „begriffen, was in dieser Karte steckt.“ Matt nickte. „Du hast ihn zurückgebracht, nicht wahr? Bewusst oder unbewusst?“ „Nennen wir es eher einen Nebeneffekt meines Zaubers“, erklärte Urila und begann zu grinsen, „er hat die ganze Zeit in der Karte überlebt, unbemerkt von allen anderen. Jetzt, wo mein Zauber in der Luft liegt, konnte er daraus genug Kräfte sammeln, um sich von seinen selbstauferlegten Fesseln zu befreien.“ Leises Gestöhne. Beide sahen herüber zu Anya, die sich langsam vom Boden ab stemmte, aber den Halt verlor und wieder zusammenbrach. Mit einem halb offenen Auge sagte sie: „Und hat deinen Angriff abgewehrt, huh? Levrier ist immer wieder für eine Überraschung gut … der Idiot …“ „Anya! Also hab ich mir das nicht eingebildet!“, atmete Matt erleichtert auf. „Du bist nicht tot …“ „Aber mitspielen kann sie auch nicht mehr.“   Dann werde ich ihre Vertretung sein.   Als wolle er Matt zeigen, dass er ihn beschützen würde, schwebte [Gem-Knight Pearl] näher zu ihm und blockierte die Sicht auf den jungen Mann. Er ballte eine Faust, von der ein strahlendes Licht auszugehen begann. Urila kniff stöhnend die Augen zusammen. „Tritt ihr in den Arsch für mich, Levrier“, krächzte Anya schlapp, „wie abgemacht …“ „Lustig“, kommentierte Urila das Ganze vergnügt, nachdem das Leuchten verklungen war, „eigentlich wollte ich dich als Ersten töten, Levrier. Aber ich habe es mir anders überlegt. Erst kommt der Junge dran. Dann werde ich das Tor öffnen. Und sobald der 'wahre Feind' vorbeischaut, wirst du machtlos mit ansehen müssen, wie deine geliebte Anya Bauer ihr erstes Opfer sein wird. Klingt nach einem Plan, oder?“   Wir werden sehen.   Pearl verschränkte abwartend die Arme. „Oh ja.“ Etwas veränderte sich mit einem Schlag an Urila. „Du glaubst, indem du versuchst seine Gedanken zu beschützen, dass du mich aufhalten kannst? Lächerlich! Sieh her!“ Ihre milchigen Augen begannen rot aufzuleuchten. Gleichzeitig begann das sternenförmige Mal an ihrem Arm in silbernem Licht zu pulsieren. „Nein!“, keuchte Matt, der Böses ahnte. „Dieses Miststück …!“, presste auch Anya wütend hervor. „Ganz recht! Seht zu, wie ich das Overlay Network rekonstruiere!“ Die Arme weit ausstreckend, rief sie: „Aus meinem Rang 5-Monster wird ein neues Rang 5-Monster! Incarnation Summon!“ Matt begann zu würgen. Ein Druck breitete sich in seiner Brust aus, wie er ihn noch nie zuvor erlebt hatte. Es schnürte ihm die Luft ab. Anhand Anyas Gestöhne erkannte er, dass es ihr genauso ging. Der schwarze Wirbel des Overlay Networks öffnete sich unter dem dicken Drachen, welcher darin versank. „Komm zu mir, Ebenbild meines Zorns! [Madolche Very Angry Dragon – Poison Bite]!“ Gewaltige Klauen langten aus dem Wirbel. Ein langer, peitschender Schweif huschte hervor, dann stieß sich der neue Drache mit seinen imposanten Flügeln aus dem Loch hervor, das sich nun schloss. Er hatte praktisch nichts mehr mit seiner Vorstufe gemein. Von schwarzer, schlanker Statur, leuchteten die vier Augen oberhalb seiner langen Schnauze orange auf. Mit einem Satz landete er auf allen Vieren vor Urila. Das Gras um ihn herum begann augenblicklich zu welken, bis es zu Staub zerfiel.   Madolche Very Angry Dragon – Poison Bite [ATK/1900 DEF/2500 {5}]   „Effekt Poison Bites!“, schrie Urila. „Wenn er beschworen wird, wird jede Nicht-Monsterkarte auf meinem Friedhof zu seinem Xyz-Material!“ Urila zeigte [Madolche Nights], [Madolche Chateau], [Madolche Ticket], [Madolche Lesson] und [Mystical Space Typhoon] vor, die sie alle unter die Karte ihrer Inkarnation schob, wo bereits Poisouffle lag. Damit kreisten insgesamt sechs Lichtsphären um den schwarzen Drachen, dessen Rücken mit spitzen Dornen besetzt war. „Gleich sechs?“, presste die liegende Anya hervor. „Und cool sieht er auch noch aus! Shit! … aber einen Moment! Jetzt, wo das alte Kackvieh weg ist, müsste die Pisskuh doch eigentlich-!“ „Verloren haben? Nein … in Poison Bites Antlitz haben Lebenspunkte keine Bedeutung mehr für mich. Sieh es als Erweiterung von Poisouffles Effekt an, Herzchen.“ Urila blickte herüber zu Matt. „Zeit für den ersten Toten des letzten Akts! Erster Effekt von Poison Bite! Ihr kennt das ja, wie es bei Inkarnationen so Brauch ist. Er kostet ein Material und vertauscht seine Werte!“ Der vieräugige Drache schnappte nach einer der goldenen Sphären und schluckte sie runter. Die orangefarbenen Augen wurden plötzlich gelb.   Madolche Very Angry Dragon – Poison Bite [ATK/1900 → 2500 DEF/2500 → 1900 {5}]   Anya lachte auf. „Na das hat es ja gebracht!“ „Hat es, denn ich kann deinen lieben Freund außerdem direkt angreifen!“ Erschrocken wich Matt zurück. „Schon wieder!?“ Den Finger auf ihren Gegner zeigend, feixte Urila: „Stirb, elender Wurm! Very Angry Calamity Breath!“ Sofort hauchte Poison Bite einen rötlichen Nebel aus seinem Maul, der wie eine Welle auf Matt zukam. Dieser hielt sich die Hand vor den Mund, ahnte er, dass das pures Gift war. Gedämpft rief er: „Nicht so hastig! Falle! [Defense Draw]! Ich wehre den Kampfschaden ab und ziehe eine Karte!“ „Tch!“, zischte Urila wütend. Ich übernehme das!   [Gem-Knight Pearl], welcher jetzt Levriers Verkörperung darstellte, schwang den Arm aus. Seine sieben Riesenperlen begannen sich vor ihm wie ein Ventilator zu drehen, welcher den giftigen Nebel abwehrte. Matt griff nach seinem Deck und zog eine Karte. „Kaum mischt du dich ein, geht alles schief!“, schnaubte die grässlich entstellte, junge Frau. Sie schnippte mit dem Finger. „Main Phase 2! Poison Bite! Madolche Bastion!“ Erstaunt verfolgte Matt mit, wie der Drache unter blau leuchtenden Augen zwei weitere Xyz-Materialien vertilgte, ehe er unter heftigem Flügelschlag in die Luft aufstieg. Dort begann er sich um die eigene Achse zu drehen. Dabei versprühte er ein gelbliches Sekret, das ihn schließlich in eine Art Kokon hüllte.   Madolche Very Angry Dragon – Poison Bite [ATK/2500 → 1900 DEF/1900 → 2500 {5}]   „Solange er sich in der Madolche Bastion befindet, bleibt Poison Bite von allen feindlichen Karteneffekten unberührt und wechselt zudem in die Verteidigung. Dabei werden seine Werte obendrein wieder vertauscht!“ Draus schloss Matt: „Also alles zurück auf Anfang?“ „Wenn du damit den Anfang von deinem Ende meinst, gewiss!“ Urila zeigte ihre letzte Handkarte, einen Zauber vor. „Ich aktiviere [Overlay Regen]! Diese wird zu einem Xyz-Material für Poison Bite!“ Eine blaue Essenz stieg aus ihrer Karte hervor, die in den Kokon eindrang. Damit müssten es vier Xyz-Materialien sein, dachte Matt. „Eine für einen direkten Angriff und drei …“ „Du bist dran, mein Hübscher“, gluckste Urila und legte den Kopf so schief es ging. „Oh, ich hab Wasser im Ohr. Oder ist das Blut? Ich weiß es nicht! Ahahahahahaha!“   Nicht mehr lange, dachte Matt zähneknirschend. Er würde dieser Hexe alles heimzahlen, was sie Tara antat! Alles! Mit Zinseszins! Wenn er doch nur diese eine Karte dafür hätte! Aber sie hatte sie zerstört … Unsicher, was er tun sollte, griff er nach seinem Deck. Auf seiner Hand lag plötzlich die von Levrier, beziehungsweise von [Gem-Knight Pearl]. Überrascht schaute Matt auf. „Was ist?“ Glaube an dich. Sie tut es auch.   Fragend blickte er in dieselbe Richtung wie Levrier, zu Anya. Die sah am Boden liegend zu beiden herüber und hob die Hand. Der Daumen, den sie anwinkelte, stand nach oben. Sie will die Schmerzen ertragen, das soll es ausdrücken.   „Wovon redest du?“ Sieh selbst.   Zusammen mit Pearl riss Matt die Karte von seinem Deck. Im selben Augenblick schrie Anya auf, als würde sie fürchterliche Qualen leiden. Und vor Matts innerem Auge eröffnete sich ihm ein Labyrinth aus Pfaden. Wie durch Geisterhand wurde er geführt, während Anya schrie.   Ich bin technisch ihre Karte und besitze noch nicht genug eigene Kraft, um das Schicksal zu beeinflussen. Deswegen …   Matt weitete die Augen, als er einem Licht entgegen sah. Dieses fühlte sich an wie ein Sturm, aber warm und sicher. Anya verstummte. Und er stand da, hielt sie in den Händen. Die Karte, die-!   Sie hat dich angelogen. Was der Sammler erschafft, kann von ihresgleichen niemals zerstört werden. Und nun lass uns kämpfen, Matt Summers!   Levrier drehte sich kämpferisch um, während Matt fassungslos die Karte in seinen Händen betrachtete. Damit konnte er Tara retten! Entschlossen blickte er auf. „Danke, Levrier!“   Danke Anya Bauer. Es war ihre Idee, sie als Katalysator für meine Kräfte zu gebrauchen.   „Danke … Anya“, murmelte er und nahm sich vor, ihr später wirklich zu danken. Dann schob er die gezogene Zauberkarte in sein D-Pad. „Auf geht’s, Levrier! Ich hoffe, du kannst gut damit umgehen. Ich rüste dich mit [Legendary Victory Spear – Lord Fafnir] aus!“ Pearl streckte den Arm aus und griff mitten in die Luft. In seiner Hand erschien ein weißer Speer, dessen Spitze von einem goldenen Drachenkopf umgeben war. Urila schrie entsetzt auf: „Unmöglich! Wie kannst du es wagen!? Diese Waffe-!“ „Ist der Speer, der Immaterielle tötet“, schloss Matt ihren Satz grimmig, „geschaffen vom Sammlerdämon persönlich. Sieht so aus, als müsste ich mich bei Henry bedanken.“ Denn ursprünglich war jene Karte für ihn erschaffen worden, doch Henry hatte sie in Matts Obhut gelassen, als sie im Turm von Neo Babylon zusammen kämpften.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4}]   Der mächtige Ausrüstungszauber veränderte nichts an Pearls Angriffspunkten, aber das war ohnehin nebensächlich, da er auch so stärker war, dachte Matt. „Alles, was wir tun müssen, ist, diesen Drachen zu töten. Dann wird sie das Duell verlieren! Also erschlage ihn, Pearl! Los! Impaling Heaven!“ Levrier lies den Speer vor sich wie ein Mühlenrad kreisen, ehe er ihn in die Luft warf, in der Mitte des Schafts auffing und mit aller Wucht auf den Kokon schleuderte. „Gib's ihr!“, feuerte Anya ihn dabei an. Matt stimmte ein. „Alles oder nichts!“ Der Speer stieß gegen den gelben Kokon und drang langsam ein, fraß sich durch die dicke Schicht unbarmherzig hindurch. Im Inneren lauerte der schwarze Drache in einer Fötushaltung. Seine Augen leuchteten rot. „Danke … das wird dein Ende!“, schrie Urila schlagartig triumphal auf. „Effekt Nummer 3 ist bereit! Madolche Acid Breath!“ Drei der vier goldenen Lichtsphären, die ebenfalls noch im Kokon ausharrten, wurden nun Poison Bite durch die Augen absorbiert. Er öffnete sein Maul. „Vergehe!“, kreischte seine Besitzerin. „Damit werfe ich den Angriff auf dich zurück, und zwar zusätzlich mit der Macht deines eigenen Monsters!“   Das ist nicht gut!   Besorgt drehte sich der weiße Ritter zu Matt um, doch der verzog keine Miene. „Lass sie doch …“ Der halb schlafende Drache öffnete sein Maul und stieß einen blutroten Säurestrahl aus, der auf den Speer gerichtet war. Der wurde durch die Strömung mitgerissen und steuerte nun direkt auf Matt zu. „Jetzt, Levrier“, wies dieser Anyas Partner an. Jener stieß sich vom Boden ab und begann durch die Luft zu fliegen, an dem Strahl vorbei. Dabei griff er unter lautem Stöhnen in den ätzenden Atem, holte sich den Speer zurück und setzte seinen Frontalangriff einfach fort. „Ah!?“ „Zu dumm. Die Waffe der Xyz-Monster, der legendäre Speer des Sieges, verhindert, dass du seinen Besitzer als Ziel wählen kannst. Damit wirkt dein Effekt nicht“, erklärte Matt eiskalt, „wie sagtest du so schön? Game Over!“ „Game Over am Arsch, mein liebster Matt Summers!“, fauchte Urila hysterisch. „Du hast wohl nicht bedacht, dass vor der eigentlichen Konterattacke noch etwas anders passiert!“ Matt weitete die Augen. „Für jede Karte auf meinem Friedhof erhält Poison Bite 100 Punkte auf beide Werte. Also insgesamt 700!“ Die vier roten Augen des Drachens blitzen auf, als Levrier das Loch in seinem Kokon passierte.   Madolche Very Angry Dragon – Poison Bite [ATK/1900 → 2600 DEF/2500 → 3200 {5}]   Pearl hob den Speer, wollte ihn bereits in den Hals der Bestie rammen, da ließ diese mit ihren Augen eine Schockwelle los, sodass es ihn einfach davon schleuderte. Direkt neben Matt schlug er in einen der Grabsteine ein. Der junge Mann, der dadurch unachtsam geworden war, sah nur noch, wie der Säurestrahl ihn erfasste. Zwar konnte er der Attacke mit einem Hechtsprung ausweichen, schlug sich dabei aber eine Spitze der Trümmer in die Seite, die Pearls Fall hervorgebracht hatte. „Uargh!“ Hinter ihm wurde die gesamte Hofmitte verätzt, bis nichts mehr übrig war.   [Matt: 750LP → 150LP / Tara: 0LP]   Urila schnaubte wütend. „Maße dir nicht an, mich so leicht besiegen zu können, dummer Bengel!“ Zittrig kam Matt auf die Beine. Er hielt sich die neue Wunde, ächzte: „Oh man, ich laufe ja aus wie Anya, wenn sie Wolverine nackt sieht.“ „Was soll das denn heißen, du blöder Idiot!?“, hörte er sie augenblicklich fauchen. „Wenn ich mich bewegen könnte, würde ich dir dafür die Fresse polieren! Woher weißt du überhaupt-!?“ „Erinnerst du dich an das Filmposter, das du auf dem Bahnhof geklaut hast?“ Matt grinste. Es gab ihm Kraft, ein bisschen mit ihr herum zu necken. „Wir hatten es eilig, aber du musstest ja unbedingt anhalten, die Scheibe einschlagen und das Ding mitnehmen!“ „Ich wollt was kaputt machen, weil das mit dem Jinn nicht geklappt hat, mehr nicht!“ „Genug der Albernheiten! Beende gefälligst deinen Zug, damit ich dich endlich töten kann, elende Made!“, forderte Urila. „Die Zeit des Spielens ist vorbei. Ihr musstet es ja auf die Spitze treiben und mich böse machen.“ Matt betrachtete die letzte Karte in seiner Hand. Die hatte er durch den Effekt von [Defense Draw] gezogen, aber er konnte sie jetzt nicht benutzen, weil Poison Bite gegen andere Karten immun war. „Die hier verdeckt! Zug beendet!“ Vor seinen Füßen materialisierte sich die Karte zischend.   Das ist unsere letzte Chance.   Matt nickte. Hoffentlich würde Urila -darauf- hereinfallen. Die knirschte mit den Zähnen, als sie nach ihrem Deck griff. Schwarze Flammen begannen davon auszugehen. Der Dämonenjäger spürte, wie sich sein Brustkorb zusammenzog. „Gut.“ Ist es das wirklich?   „Besser könnte es gar nicht sein …“ „Die Zerstörung wird euch anheimfallen, Menschlinge! Die Ordnung muss aufrecht erhalten werden! Für alle Zeit!“, fauchte Urila und zog in einer halbmondartigen Bewegung. „Draw!“ Keuchend zuckte Matt zusammen, als die dunkle Aura Urila gänzlich umgab, nachdem sie die Karte zwischen ihren Fingern vorzeigte. „[Heavy Storm]! Damit vernichte ich nicht nur diesen lächerlichen Speer, sondern auch deine gesetzte Karte!“ Ein heftiger Sturm kam auf, umgab Matt. Dieser aber streckte sich durch, stand aufrecht in all dem Dreck, der um ihn herum zu wirbeln begann. Bis er in der Dunkelheit des donnernden Tornados verschwunden war. Jedoch hörte Urila ihn. Sie hörte ihn gut. „Das war dein letzter Fehler …“ „Tch! Mach dich nicht über mich lustig, du widerliches Subjekt! Ich werde dich zerquetschen, hier und jetzt!“ Außer sich vor Wut drehte seh Poison Bites Karte auf ihrer Duel Disk in die Vertikale. Der aufgeplatzte Kokon löste sich nun gänzlich auf, ihr schwarzer Drache landete mit einem Satz vor der entstellten, jungen Frau.   Madolche Very Angry Dragon – Poison Bite [ATK/2600 DEF/3200 {5}]   „Effekt von Poison Bite!“, hallte ihre zuweilen kratzig gewordene Stimme durch die Luft. Blut trat aus ihren Augenlidern hervor. „Indem ich eines seiner Xyz-Materialien abhänge, kann er seine Werte vertauschen und direkt angreifen!“ Der Drache öffnete das Maul und schnappte nach der letzten goldenen Kugel, die noch um ihn kreiste – nur dass diese ihm entwischte und direkt in den Sturm flog. Wie eine Druckwelle breitete dieser sich schlagartig aus, und Urila sah es. Das Ungeheuer, das sie eigenhändig erschaffen hatte!   Evilswarm Ouroboros [ATK/2750 DEF/1950 {4}]   Die Kugel begann, statt um Poison Bite zu schwirren, nun Ouroboros zur Verfügung zu stehen. Der dreiköpfige schwarze Drache bäumte sich auf, wie er über Matt flog. Jener stand hinter seiner aufrecht stehenden Schnellzauberkarte und klatschte Beifall. „Bravo“, sagte er, „du bist berechenbarer als du zugeben würdest, Urila.“ „D-diese Karte-!“ „[Xyz Revenge], richtig. Sie erlaubt es mir, eines meiner Xyz-Monster vom Friedhof zu beschwören und dann ein Xyz-Material deiner Monster auf meines zu übertragen. Sieht so aus, als wäre das mit dem direkten Angriff nichts geworden.“ Matt kniff die Augen zusammen. „Jetzt heißt es dein Drache gegen meinen Drachen. Welcher gewinnt wohl?“   Du hast geahnt, dass du ihn brauchen würdest. Erstaunlich, Matt Summers. [Xyz Declaration] behandelt ein abgelegtes Xyz-Monster, als wäre es vorher beschworen worden. Brillant!   „Nein“, wies Matt Levriers Lob zurück, „das war nur Glück, nichts weiter.“ Urila raunte: „Glück? Mit Glück allein wirst du mich nicht besiegen!“ „Richtig. Aber damit ganz gewiss.“ Als wäre das sein Zeichen gewesen, griff [Gem-Knight Pearl] in die Luft – und ließ den legendären Drachenspeer in seiner Hand erscheinen. Die blutunterlaufenen, milchigen Augen der blonden, jungen Frau weiteten sich. „Wenn [Legendary Victory Spear – Lord Fafnir] zerstört wird, kann ich ihn erneut an ein Xyz-Monster ausrüsten. Da spielt es keine Rolle, ob es dasselbe war wie eben.“   In der Tat.   „So läuft das also … so willst du mich also töten? Indem du mich vorher demütigst. Mich!“ Urila schnaubte. Dann begann ein hässliches Lächeln ihre Lippen zu zieren. „Aber gut. Wenn es so sein soll? Zug beendet!“   Matt griff nach seinem Deck und schloss die Augen. Dieses Mal hatte sie endgültig verloren! Ihr Drache besaß keine Xyz-Materialien mehr, er dagegen Ouroboros und Pearl. Ihr Feld war ansonsten leer. Nichts würde ihn jetzt aufhalten! „Draw!“ „… bist du dir da so sicher?“ Die Karte zwischen seinen Fingern geklemmt, starrte der junge Mann seine Gegnerin irritiert an. „Ja, ich höre deine Gedanken wieder. Levrier kann sie nicht länger verbergen.“ Urila schürzte die aufgesprungenen Lippen. „Und weißt du auch warum?“ Als Antwort hob sie den Finger und zeigte auf [Evilswarm Ouroboros]. Matt folgte dem Wink und sah herauf zu seinem dreiköpfigen Drachen, der begann in einer schwarzen Aura aufzuleuchten. „Das, mein lieber Matthew Summers“, säuselte Urila siegessicher, „war dein letzter Fehler.“   Es war, als würde eine Bombe in Matts Kopf explodieren. Tausende Stimmen hallten in unerträglicher Lautstärke durch seinen Schädel, verlangten die wirrsten und absurdesten Dinge von ihm. Nur eine kristallisierte sich heraus: „Töte Anya Bauer! Töte Levrier! Töte dich! Töte sie alle!“ „Argh!“, schrie Matt schmerzhaft auf und fiel auf die Knie. Er hielt sich den Kopf, begann vor und zurück zu wippen. „Seid still!“ „Gib es auf. Warum hast du es auch nicht kommen sehen? Dir muss doch klar gewesen sein, dass Ouroboros mein wichtigstes Werkzeug ist, um dich unter Kontrolle zu halten.“ Urila schnalzte mit der Zunge. „Dummchen. Wehr dich nicht dagegen, gleich werde ich wieder deine Mutter sein. Und alles wird gut~“ Der Dämonenjäger kniff verkrampft die Augen zusammen und öffnete sie wieder. Er konnte kaum seine eigenen Gedanken unter all den Stimmen hören. Das durfte nicht sein, nicht so kurz vor dem Ziel! „[Evilswarm Ouroboros]“, presste er hervor mit all seiner Kraft, „aktiviere deinen Effekt! Gib ihren Drachen ins Extradeck zurück … Infestation's Viciousness!“ Allerdings machte das Ungetüm keine Anstalten sich zu bewegen. „Er gehorcht dir nicht mehr. Er gehorcht nur noch mir“, stellte Urila klar. „Und jetzt sei still, ehe du noch etwas Dummes von dir gibst.“ Matt spürte, wie Schatten aus seinem Hals stiegen. Er bekam keine Luft mehr! Würgend beugte er sich über, hustete, aber es half nichts. Er würde ersticken! Tara! Wenn sie sich doch nur kurz gegen Urila auflehnen würde, dann könnte er …! „Das wird nie passieren. Ein Immaterieller so mächtig wie ich kann niemals unterdrückt werden.“ Matt kippte zur Seite, seine Sicht begann zu verschwimmen. Die Schwärze verschlang ihn. Dann war er also gescheitert … so kurz vor dem Ziel. Anya, renn weg! Das wollte er ihr sagen, aber er konnte nicht. Sein Körper gehörte jetzt Urila. Verdammt … „Du dämliche Cheaterin!“ Urila schwenkte herüber und weitete erschrocken die Augen. Da stand das blonde Mädchen, hielt sich den gebrochenen Arm und sah sie an, als würde sie ihr jeden Moment an die Gurgel gehen. „Wenn ich eins nicht leiden kann, dann solche wie dich, die nicht aus eigener Kraft gewinnen können!“, fauchte sie dabei spuckend. „Aber ich hab ganz schlechte Nachrichten für dich, Miststück!“ „Du bist bereits gefallen, du spielst nicht-!“ Anyas blaue Augen, zusammengedrückt zu kleinen, bösen Perlen, funkelten regelrecht. „Ich nicht, aber Levrier. Und weißt du, wem der eigentlich gehört? Mir!“ Matt hörte sie kaum. Doch es klang gut. „Du würdest nicht-!?“ „Sorry Levrier, das wird dir jetzt leider etwas weh tun!“, rief Anya und schwang den gesunden Arm aus. „Du weißt, was zu tun ist!“   Ich hätte wissen müssen, dass ich unter deiner Schirmherrschaft nicht unverletzt aus der Sache kommen würde, Anya Bauer. Aber so sei es.   [Gem-Knight Pearl], der vor Matt verharrte, legte den goldenen Siegesspeer in seiner Hand auf seine Schulter ab und machte sich bereit. „Tch, immer muss man alles selber machen!“, nölte Anya weiter. „Dafür schuldest du mir was, Schwachkopf!“ Alles was sie wollte, dachte Matt glücklich, wie er da am Boden lag und lächelte. „Levrier, zeig dem Miststück, warum man sich nicht mit dem Underbauer anlegt! Greif ihren Drachen an! Double Kill-Time! Impaling Heaven!“   Madolche Very Angry Dragon – Poison Bite [ATK/2600 DEF/3200 {5}] Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4}]   „Nein … nein!“, schrie Urila panisch. Anyas Ritter nahm aber bereits Anlauf und warf den Speer, direkt auf [Madolche Very Angry Dragon – Poison Bites] Brust gezielt. Dieser antwortete mit einem gebündelten Laserstrahl aus seinen vier Augen. Zeitgleich wurden beide vom jeweils anderen getroffen. In Pearls Brust fraß sich ein klaffendes Loch, wohingegen der Speer wie Butter durch den Körper Poison Bites glitt. Beide schrien auf und zersprangen parallel in tausende Stücke. Doch der Speer flog weiter. Urila weitete die Augen. Dann drang er in ihre Brust ein und verschwand dort, als würde er von Taras Körper absorbiert werden. „Genau so besiegt zu werden wie Another“, stammelte sie fassungslos, als das letzte Stück des Speers sie passierte. Ihre Adern begannen weiß aufzuleuchten. Torkelnd nahm sie ein paar Schritte vorwärts. „Wie demütigend! Unverfroren! Gar lächerlich! Aber, auch wenn ihr mich töten konntet … eins solltet ihr wissen …“ Anya blinzelte verdutzt, wie sich ihre Gegnerin Schritt um Schritt zu ihr schleppte. Angekommen bei ihr, packte die entstellte, junge Frau das Mädchen bei den Schultern. Sie beugte sich vor und flüsterte jenem etwas ins Ohr: „Einer von ihnen ist schon hier, wartet nur auf den richtigen Zeitpunkt. Deswegen wollte Another fliehen … ihr seid verloren! Ahhhhhhh!“ Erschrocken stieß Anya Urila von sich, die auf die Knie fiel. Aus ihrem Mund stieß eine grelle Lichtsäule, ehe sie vorne über kippte und liegenblieb.   [Matt: 150LP / Tara: 0LP]   Anya keuchte schwer. Die Hologramme verschwanden. Matts Aura verblasste und löste sich in viele kleine Partikel auf. „Ist es … vorbei?“, murmelte sie.   Anscheinend. Tu mir so etwas nie wieder an, Anya Bauer. Ich wäre fast gestorben!   Das Mädchen brauchte einen Moment, ehe es schmunzelte. „Dein Pech, was kommst du auch unangemeldet zurück? … aber danke, Levrier. Ohne dich …“ „Tara!“ Matt hatte sich derweil aufgerappelt und war zu seiner Freundin aus Kindheitstagen geeilt. Die lag leblos am Boden. Fassungslos kniete er vor ihr nieder. „Oh nein!“ Anya spürte, wie etwas Nasses ihre Wange benetzte. Weinte sie? Quatsch! Das Mädchen sah nach oben. Graue Wolken zierten den Nachthimmel, es fing allmählich an zu regnen. Die restlichen Kerzen wurden gelöscht, als es auf sie herab zu plätschern begann.   Anya Bauer, hinter dir!   Das Mädchen wirbelte augenblicklich ob Levriers Warnung um. Hinter ihr war etwas! Zischend stand es offen, eine Art Portal, schwarz wie die Nacht. „Was zum Kuckuck!?“ Sofort wich sie davor zurück. „Sag nicht, sie hat das Ritual heimlich durchgeführt!?“   Nein, es ist mit dieser Welt verlinkt. Aber wer …?   Matt stellte sich neben Anya. In seinen Armen trug er Tara. Sein Blick war fest auf jenes Portal gerichtet. „Wer oder was auch immer es ist, die Absichten sind eindeutig. Nehmen wir die Einladung an.“ Anya zischte mürrisch. „Tolle Idee, Summers! Wenn wir wieder kämpfen müssen, werde ich dir in meinem Zustand nicht permanent den Arsch retten können. Sag also nicht, ich hätte dich nicht gewarnt!“ „Das nehme ich in Kauf“, sprach Matt stoisch und wagte den Schritt ins Portal. Stöhnend folgte Anya ihm. Wieso immer sie!?   ~-~-~   Valerie blinzelte. Blutüberströmt lag sie bäuchlings am Boden. Sie spürte die gierigen Blicke, die auf sie und die anderen gerichtet waren. Am Ende hatten sie es nicht geschafft, es waren zu viele. Lebten die anderen überhaupt noch? Selbst wenn, eine Rolle spielte es nicht mehr. „Grandioses Duell“, hörte sie Andrew sagen. Er stand vor ihr und sah auf sie herab. „Du hast den Kampf gewonnen. Aber den Krieg verloren. Schade, dass du so schnell schlapp gemacht hast, mir wäre eine zweite Runde nur recht gewesen.“ Valerie öffnete den Mund, konnte aber nichts darauf erwidern. Sie war mit Stolz gefallen, wollte sie ihm sagen. Wie die anderen auch. Der Rest hing von Matt und Anya ab. Ob sie noch lebten?   Andrew stieß Valeries Schulter mit seinem Stiefel an und rollte sie so auf den Rücken. Das Mädchen sah die grauen Wolken am Nachthimmel. Etwas benetzte ihre Wange. Immer mehr Tropfen fielen herab. Der Himmel weinte. Um sie? Das wäre schön. „Urgh!“ Andrew neben ihr fiel auf die Knie, hielt sich die Brust. Valerie bekam es nur aus den Augenwinkeln mit. Er beugte sich über, keuchte, als bekäme er keine Luft mehr. „Mutter“, stammelte er, „Mutter ist-!?“ Valeries Lebensgeister kehrten schlagartig zurück. Gute Nachrichten!? Hieß das, dass die anderen gewonnen hatten!? Als Antwort auf ihre Frage begannen die Dämonen um sie herum zu schreien. Vor Schreck bäumte sich das Mädchen auf und sah, wie sie alle mit ihren Händen oder anderen Gliedmaßen fuchtelten. Fast schien es so, als würde der Regen ihnen Schmerzen zufügen. Derweil kippte Andrew vorne über und landete direkt in Valeries Schritt. Die stieß den bewusstlos gewordenen, jungen Mann verdattert mit der Hand weg. „... Valerie …“ Die Schwarzhaarige sah sich um. Abby! Sie lag nicht weit von ihr entfernt auf dem Bauch und sah sie mit einem Lächeln an. „Wir haben es geschafft.“ „Ich wusste, sie würden siegreich sein!“ „Hat ja auch lange genug gedauert!“ Da kamen auch Alastair und Henry angehumpelt, Ersterer stützte den brünetten Millionär, da jener am Bein verletzt war. Valerie erinnerte sich daran, dass sich Henry im Turm von Neo Babylon das Bein angebrochen hatte. Daran hatte sie gar nicht mehr gedacht! Hieß das, dass er die ganze Zeit seinen Schmerz unterdrückt hatte, um ihnen helfen zu können? Sie seufzte. Offenbar wurde sie schon langsam wie Anya, dass sie so etwas nicht bemerkt hatte. Glücklich sah sie in die Regenwolken, während die Monster um sie herum sich, halb Mensch, halb Bestie, am Boden aalten und schrien. „Danke, ihr beiden …“   ~-~-~   „Ihr könnt mich hochholen, ehrlich!“, jammerte ein splitterfasernackter Nick. „Ich bin wieder ich, also Nick, nicht Nick! Also der haarige Nick. Nein, nicht der Haarige! Ihr wisst doch, wen ich meine?“ Melinda und Marc aber sahen sich nur stumm an und schüttelten den Kopf in Einverständnis, während sie ihn an beiden Beinen festhaltend aus dem Fenster baumeln ließen. Als Satyr-Nick sie angegriffen hatte, wäre er infolge des Kampfes nach einem missglückten Zutreten-und-sofort-Ausweichen-Manöver beinahe aus ebenjenem gehüpft, hätten die beiden ihn nicht geschnappt und festgehalten. Da sie den frechen Bock aber schlecht fallen lassen und ebenso wenig hochziehen konnten, waren die Drei in die unglückliche Lage geraten, in der sie jetzt steckten. Was Melinda trotz der Schweißperlen auf ihrer Stirn nicht daran hinderte, auf Nicks Frage zu antworten. „Nein, wir warten noch. Sicher ist sicher!“ „Aber, aber-!“, stammelte Nick, der beide Hände vor den Schritt hielt. „Das ist sadistisch!“ „Hab ich je behauptet, nicht sadistisch zu sein?“, scherzte Melinda. Die magere Bohnenstange erwiderte mit einem wenig erotisch wirkenden Zwinkern: „Gib mir deine Nummer, Schwester!“ Marc, der ähnlich erschöpft wie Melinda war, murrte nachgiebig: „Also schön. Noch eine Sekunde von diesem Anblick und ich bekomme Ausschlag.“ „So schlecht sieht er doch gar nicht aus“, gluckste die junge Frau angetan. „Hochholen, bitte! Und hierbei lass ich offen, was ich meine“, grinste Nick über beide Backen. Also begannen sie, Nick an den Beinen hoch zu ziehen. Und nur denen …   ~-~-~   Anya und Matt, mit der geschundenen Tara in den Armen, sahen sich verblüfft um. Statt der unheimlichen Atmosphäre des Bestattungsunternehmens ausgesetzt, fanden sie sich nun in einem prunkvollen Speisesaal wieder. Vor ihnen erstreckte sich quer ein langer, gedeckter Esstisch, an dem nur eine einzige Person saß – ein rothaariger, junger Mann. Und es bedurfte gar nicht erst der Narbe an seiner Wange, dass Anya ihn sofort erkannte: „Der Collector!?“ Jener in einem schwarzen Designeranzug gekleidete Mann, der schon früher mit Anya in Kontakt getreten war, sah von seinem riesigen Steak auf und lächelte milde. Mit britischem Akzent in der Stimme erwiderte er: „Deine Freude, mich wiederzusehen, wärmt mir das Herz.“ Sofort trat die wütende Blondine einen Schritt vor und ballte eine Faust. „Was willst du hier?“ „Ich wohne hier, wenn du gestattest“, entgegnete er mokiert, „die richtige Frage lautet: warum habe ich euch hierher eingeladen?“ Matt, der besorgt das Mädchen in seiner Hand hielt, kannte die Antwort. „Tara …“   Sich den Mund an einer Serviette behutsam abtupfend, erhob der Dämon, der als einer der mächtigsten unter den seinen galt, und umkreiste langsam den Tisch. Dabei ließ er seine unfreiwilligen Gäste nicht aus den Augen. „Pass auf, dass du mir nicht den Teppich vollblutest!“ Womit er auf Matts Wunde in der Seite anspielte. Dann sinnierte er vor sich hin: „Ich muss zugeben, dass ich mir das anders vorgestellt habe. Um ehrlich zu sein hatte ich gehofft, dass Urila gesprächiger ist, was ihr Wissen um den 'wahren Feind' angeht.“ „Was hast ausgerechnet du mit dieser ganzen Geschichte zu tun, huh!?“, verlangte Anya wütend zu wissen und stellte sich ihm prompt in den Weg, als er auf Matt zusteuern wollte. „Drücken wir es so aus: wer A sagt, muss auch B sagen. Ich muss dir wohl nicht vor Augen halten, dass meine Rolle in deinem Kampf gegen Eden essentiell war“, sprach der Sammler mit einer unheimlichen Selbstverständlichkeit und hielt vor dem Mädchen an, „allerdings mussten auch Maßnahmen ergriffen werden, die neue Bedrohung zu bekämpfen, die mit der Zerstörung des Turms einher ging.“ „Du wusstest von Urila?“, schoss es aus dem verwirrten Matt. Plötzlich wurde er lauter. „Wieso hast du Tara dann nicht beschützt!? Wieso hast du nicht verhindert, dass sie-!“ „Weil es so gewollt war, dass Urila sich ein Gefäß sucht. Und Tara war die ideale Wahl, denn durch ihre Verbindung mit dir, durch ihre Verzweiflung, öffnete sie sich mit Leichtigkeit den Worten der Immateriellen“, erklärte der Sammler unterkühlt. „Du elender-!?“, schrie Anya, wurde aber noch von Matt übertönt. „Du hast das geplant!?“   Plötzlich ging ihm ein Licht auf. Andrew … er hatte doch etwas in der Richtung gesagt, dass ein ihm unbekannter Mann ihm die Hinweise auf seinen Verbleib zugespielt und gleichzeitig vor einer Gefahr in Livington gewarnt hat. Nur dadurch war es Andrew und Tara erst möglich gewesen, nach ihm, Matt, zu suchen! Der Sammler … hatte sie bewusst hierher gebracht, damit sie Urila in ihrem Tun unterstützen! „Du Scheusal!“, keifte Matt voller Verachtung und sah nur Tara zuliebe davon ab, wie ein Berserker auf den rothaarigen Dämon loszugehen. Was selbstverständlich ein sinnloses Unterfangen war. „Ich habe deine Freundin nicht aus Unterhaltungszwecken als Köder benutzt“, erklärte der Sammler und streckte die Arme aus, geradezu selbstherrlich war die Geste, „aber es war wichtig, dass sie ihr Wissen preisgibt. Durch ihre Falle bist du mit ihrem Abkömmling in Kontakt gekommen, wodurch du einiges an Informationen sammeln konntest. Leider ist das alles viel weniger, als ich erhofft habe. Wie ihr vermutlich erfahren habt, war sie eine der Wenigen, die den 'wahren Feind' erlebt hat. Doch die Erinnerungen daran hat sie letztlich nicht preisgegeben.“ Anya runzelte die Stirn. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihm einfach die gesunde Faust in die piekfeine Visage donnern oder doch lieber ihre Frage stellen sollte. Im Interesse ihrer angeschlagenen Gesundheit entschied sie sich spontan für Letzteres. Vorerst! „Soll das heißen, dass du gegen diese Typen kämpfen willst?“ Die Augen des Sammlers verengten sich plötzlich zu Schlitzen. „Das überlasse ich ganz deiner Fantasie. Völlig ungeachtet meiner Absichten ist zunächst das Sammeln von Informationen von äußerster Wichtigkeit, da werdet ihr mir sicher zustimmen.“ „Aber Tara dafür zu benutzen ist-“, bellte Matt und konnte nicht in Worte fassen, was ihm auf der Seele lag. „Abscheulich? Widerlich? Feige? Der Zweck heiligt die Mittel.“ Der Sammler schlug in die Hände und setzte ein wohlwollendes, wenn auch falsches Lächeln auf. „Wie dem auch sei, ihr werdet erfreut sein zu hören, dass ihr Fluch über Livington durch ihren Tod gelüftet wurde.“ Anya stampfte mit dem Fuß auf. „Na endlich! Allein Nicks Gestank nicht mehr ertragen zu müssen, macht diese ganze Kacke im Nachhinein wenigstens etwas erträglicher!“ „Gibt es viele Tote?“, wollte Matt grimmig wissen. „Ein paar, aber die Verluste halten sich in Grenzen. Glücklicherweise haben die Betroffenen ihr Gedächtnis an diese Nacht verloren“, erklärte der Sammler, „und bei allen anderen, sans eurer Freunde natürlich, habe ich auf Kosten des Hauses nachgeholfen. Die Schäden an der Stadt mit inbegriffen. Ich habe heute sozusagen meine Spendierhosen an.“   Ein gefährliches Schmunzeln huschte über seine Lippen. „Was ein hervorragender Übergang zu dem Grund ist, mit dem ich euch hierher gebracht habe. Folgt mir.“ Mit diesen geheimnisvollen Worten ging er an den beiden vorbei und winkte sie aus dem Speisesaal heraus. Zu dritt betraten sie den langen, seltsam kahlen Gang im viktorianischen Baustil, allen voran der Sammler, der seine Gäste scheinbar kreuz und quer durch das Anwesen führte. Dabei erklärte er: „Normalerweise wäre die Sache schon für mich abgeschlossen, aber ihr seht das sicher anders. Tara wird leider nicht mehr lange durchhalten, sodass es an der Zeit ist, ihre Wunden zu heilen.“ Matt, dem schon sämtliche Muskeln plus diverse Verletzungen schmerzten, weil er Tara an sich gedrückt trug, verzog wütend die Miene. Das Wort Wunden klang aus dem Munde des Mannes, der für ihren Zustand indirekt verantwortlich war, wie blanker Hohn. Sie war entstellt, kaum noch als Mensch zu identifizieren, dank des Zerfalls, den der Pakt mit Urila ausgelöst hatte. Zwar hatte er bereits vor dem Auftauchen des Sammlers darüber nachgedacht, Tara anschließend durch seine Hilfe wieder zu heilen, aber weil sich die Dinge von selbst in diese Richtung entwickelt hatten, waren da nur noch Zweifel. Der Sammler würde ihren Körper gewiss nicht ohne Haken wiederherstellen! Und da er alles im Voraus geplant zu haben schien, musste er etwas Großes als Preis für seine Leistungen im Kopf haben. Mit dem Wissen, dass er, Matt, dem machtlos gegenüber stand.   Schließlich hielten sie vor einer breiten Flügeltür inmitten eines Ganges, welche sich ganz von selbst öffnete. „Was auch immer als verloren gilt, findet hier seinen Weg zurück in diese Welt“, sprach der Sammler und führte sie in einem Raum, der entfernt einer Kapelle glich. Denn völlig entgegen dem übrigen Anwesens, waren die Wände hier aus kaltem, grauen Stein gefertigt. Wie der Rest der Villa nahezu leer, fanden sie sich lediglich einem flachen, länglichen Altar gegenüber, neben dem zwei Kerzenständer standen. „Hier hat auch Marc Butcher seine zweite Chance erhalten“, sagte der Brite zu Anya, die wütend schnaubte. Den Dämonenjäger wies er anschließend an: „Leg sie auf den Altar. Und dann entscheiden wir, was ihr tun müsst, um ihr Schicksal umzukehren.“ Matt tat nur widerwillig wie geheißen und trat vorsichtig an die aus weißem Marmor gefertigte Ablage heran. Vorsichtig legte er erst Taras blutigen Oberkörper auf den Altar, dann ihre Beine. Er wagte es nicht, ihr Gesicht anzusehen, es war einfach zu viel für ihn. Allein der Gedanke erregte eine Übelkeit in Matt, für die er sich schämte, auch wenn er innerlich wusste, dass nichts Verwerfliches daran war. Aber das da war Tara, seine Freundin, die er seit seiner Kindheit kannte! So etwas durfte er nicht fühlen, wenn er an sie dachte!   Wieder zum Sammler und Anya zurückkehrend, räusperte sich der Mitverantwortliche des ganzen Chaos. „Nun, ich möchte direkt zum Punkt kommen. Da meine Wenigkeit ihre Hand im Spiel hatte, kann und werde ich nicht den vollen Preis für ihre Regeneration einfordern.“ „Es sollte gar keinen Preis geben!“, forderte Matt aufgebracht. Auch Anya funkelte den rothaarigen Briten hasserfüllt an. „Wäre dies möglich, würde ich das zulassen. Doch da die Existenz etwas ist, das stetig in Bewegung sein muss, dessen Pfade sich nur ändern, wenn man auf sie einwirkt, muss ein Austausch stattfinden“, erklärte der Sammler, „und da ich nur bedingt in der Lage bin, jegliche Bedürfnisse allein durch meine Fähigkeiten zu stillen, erfordern meine Dienste einen Zoll der Bittsteller.“ Anya rümpfte die Nase. „Ich kapiere gar nix!“ „Er kann Wünsche nicht alleine erfüllen“, erklärte ihr Matt. „Nicht alle“, korrigierte der Sammler ihn, „aber je größer der Wunsch, desto mehr muss ich der Existenz als Ausgleich anbieten. Ich kann den Teil der Spanne bestimmen, den ich selbst tragen muss und in unserem Fall wird es das Maximum sein. Und ich werde keinen Anteil von dem behalten, was ihr opfern müsst.“   Die Augen von Livingtons Terrormaschine wurden zu kleinen, blauen Perlen, die deutlich machten, wie dankbar sie für diese ach so großzügige Geste war. Außerdem stört sie da ein gewisses Wort in seinem letzten Satz. 'Ihr'? Laut ihrem letzten Statusupdate war dieses Bauernopfer Tara immer noch Matts Freundin und nicht ihre! Wenn also jemand den Preis dafür zu zahlen hatte, dann ganz allein er! Gerade als sie genau dies kundtun wollte, kam Matt ihr zuvor: „Und wie hoch ist der Preis?“ „In Anbetracht dessen, dass sie noch lebt und nur über körperliche Wunden klagt, in gewisser Hinsicht wesentlich geringer als bei der Wiedererweckung eines Toten“, erklärte der Sammler salopp, trat vor und begutachtete den blutigen Klumpen, der einst ein hübsches Mädchen gewesen war. „Vergiss die mentalen Wunden nicht“, raunte Matt missgelaunt. „Natürlich. Allerdings“, begann der Sammler und drehte sich zu den beiden um, „ist ihre körperliche Hülle so zerstört, dass ein körperlicher Preis nicht mehr infrage kommt, da ihr diesen selbst zu dritt nicht tragen könntet.“ „Zu dritt?“, wunderte sich Anya, während Matt wiederholte: „Was kommt dann infrage?“ „Andrew Shanks hat bereits im Voraus seinen Preis gezahlt, da ich ihm erklärt habe, was Tara erwarten würde.“ Der Sammler zeigte keine Regung, als sich die Augen der anderen beiden in einer Mischung aus Verwirrtheit, Wut und Erschrockenheit weiteten. „Dieser Preis war seine Kooperation, ein sehr geringer Teil seiner Lebensspanne und einen partiellen Verlust seines Gedächtnisses, der unsere Vereinbarung und den Handel einschließt. Je nachdem, wären die Dinge besser für alle Beteiligten verlaufen, hätte er seine Lebenszeit zurückerhalten. Doch sie wird nun gebraucht.“ Die Offenbarung, dass Andrew viel tiefer in die Sache verstrickt war, als er geglaubt hätte, ließ Matt auf die Knie fallen. Wie konnte sein Freund nur? Willentlich zuzustimmen mit dem Wissen, was Tara erwarten würde!? Das zu erfahren raubte Matt seine letzte Kraft, selbst der Hass gegenüber dem Sammler wich der schieren Fassungslosigkeit und der damit einhergehenden Verzweiflung. Sein bester Freund aus Kindheitstagen war … ein Verräter!   „Oh Summers, du bist echt nicht mit Glück gesegnet“, konnte selbst Anya ihr Mitleid nicht verbergen und klopfte ihm unbeholfen auf die Schulter, „im Freunde aussuchen bist du echt 'ne Niete.“ „Halt den Mund, Anya …“, murmelte Matt und schloss verbittert die Augen, aus deren Winkel die Tränen standen. „Ich fürchte, der Preis, den ich von dir einfordern muss, Matt Summers, wird deine Verzweiflung und Trauer noch um ein Vielfaches steigern“, setzte der Sammler derweil seine Ausführungen ungerührt fort, „denn der erste von zwei Teilen deines Preises verlangt, dass du Tara Hartwell … für immer aufgibst. Und sie nie wiedersiehst, denn deine Existenz und ihre wird nach dem Prozess ihrer Regeneration auf eine Weise verbunden sein, die den Kontakt miteinander untersagt. Du würdest sie andernfalls mit deiner Anwesenheit töten.“ Sofort sprang Matt entsetzt auf die Beine: „Das kann nicht dein Ernst sein! Niemals!“ „Dein Preis, Anya Bauer, ist simpel. Du verlierst ebenfalls dein Gedächtnis, von dem Punkt an, an dem ich dich hierher eingeladen habe. Dies wird Taras Erinnerungen an Urila vollkommen von dieser Welt tilgen.“ Anya öffnete den Mund, schloss ihn dann aber wieder, ehe sie sich doch durchrang und sagte: „Okay, wenn's nur das ist ...“ „Du … hilfst mir?“, stammelte Matt überrascht. Das Mädchen wandte sich schnaubend von ihm ab. „Nur, weil ich dich nicht so jämmerlich in Erinnerung haben möchte, Summers. Die ganze Scheiße hier zu vergessen ist mir nur recht.“ Damit entfernte sie sich ein Stück von den anderen beiden und lehnte sich neben die Tür an die Wand. „Dann viel Spaß beim Entscheiden, Summers. Ich beneide dich echt nicht.“   „Ich kann Tara nicht einfach … aus meinem Leben verbannen“, klagte Matt verzweifelt an den Sammler gewandt und packte ihn an den Schultern. Dieser riss sich angewidert los. „Genau dies hast du bereits einmal getan, als du wegen Mordes untergetaucht bist.“ „Aber das ist nicht dasselbe!“ Aufgebracht fuchtelte Matt mit den Armen. „Ich hab nie daran gedacht, für immer aus ihrem Leben zu treten!“ „Sorry, Summers, aber irgendwo hat er recht“, mischte sich Anya ein, obwohl sie das gar nicht wollte und die Sache sie auch eigentlich nichts mehr anging, „du musst doch gewusst haben, dass dein altes Leben in dem Moment vorbei ist, in dem du deinen Vater ins Jenseits geschickt hast. Jetzt tu nicht so, als wäre das so überraschend.“ Matt schwang wütend den Arm aus. „Du hast keine Ahnung, Anya! Schon gar nicht, weil für mich immer Hoffnung bestand, in mein altes Leben zurückzukehren! ICH habe meinen Vater nicht ermordet, sondern meine Schwester! Wenn SIE irgendwann ihre Tat gesteht, werde ich frei sein!“ „Das ist ja ein tolles 'Wenn'“, fauchte Anya ebenso hitzig zurück, „wie blöd bist du eigentlich!?“   „Ich unterbreche euren Streit nur ungern, aber ich bin noch nicht fertig. Es gibt noch einen Preis, den du zu zahlen hast, damit alles miteinander verbunden ist“, schritt der Sammler dazwischen und beugte sich mit seinem Satz an Matts linkes Ohr. Und das, was der Collector ihm zuflüsterte, ließ seine Kinnlade hinunter klappen. „Was … warum ausgerechnet …?“ Als der Sammler sich wieder zurück bewegte, sagte er: „Triff deine Wahl gut, denn dir bleibt nicht mehr viel Zeit für eine Entscheidung.“ Matts Blick huschte irritiert herüber zu Anya, die jenen fragend erwiderte. Allerdings wusste Matt, dass er der Blondine DAS auf keinen Fall anvertrauen konnte, ohne den Sammler gegen sich aufzubringen und unangenehme Fragen heraufzubeschwören. Er verstand es ja selbst nicht und ihm war klar, dass der Dämon seine seltsame Forderung nicht erklären würde, auch wenn man ihn darum bat.   Im Endeffekt war es auch unwichtig, denn um Tara zu retten würde er dem jederzeit nachkommen, sobald die Zeit gekommen war. Aber allein der Gedanke, sie nie wiedersehen zu dürfen, das war unerträglich. Das konnte doch nur ein Scherz sein! Aber es war keiner, das wusste er genau. Nein, diesen Preis konnte er nicht zahlen! „Wie stehen ihre Chancen zu überleben, wenn wir sie mit menschlichen Methoden behandeln?“, fragte Matt den Sammler in einem Anflug aus Verzweiflung. „Ich meine, ich könnte damit leben, wenn sie Narben zurückbehält.“ Der Sammler überlegte kurz. „Sie könnte überleben. Aber nicht ohne Folgeschäden und damit meine ich nicht nur ihr entstelltes Antlitz, sondern körperliche Behinderungen.“ „Aber sie könnte es schaffen? Mir würde es nichts ausmachen, wenn sie nicht mehr-!“ „Du Idiot!“, schrie Anya und stieß sich von der Wand ab. Matt, der sich umdrehte, sah nur noch die Faust auf sich zufliegen und wurde von ihr regelrecht von den Beinen gerissen. „Argh!“ Auf seinem Hinterteil landend, sah er zu Anya auf und hielt sich die Wange, während sie ihn zornig anfunkelte. Ihr kaputter Arm baumelte lebhaft hin und her. „Was du kannst und was dir nichts ausmacht sind eine Sache! Aber frag mal deine Tara, ob sie gerne als Wrack weiterleben möchte!“ „Denkst du, es wäre ihr lieber, wenn wir uns nie wieder sehen könnten!?“ „Pah!“ Anya stemmte die Hand in die Hüfte. „Überschätz' bloß nicht deinen Wert. Mag sein, dass sie dich gern hat, aber wenn es um das eigene Leben geht, sind die Menschen Egoisten. Schau mich doch an, was hab ich denn getan, als ich ewige Verdammnis vor Augen hatte!? Denkst du ernsthaft, deine kümmerliche Anwesenheit, die eines gesuchten Mörders, würde sie über ihre Lage hinwegtrösten?“ Matt ließ den Kopf hängen. „Tara ist nicht so wie du …“ „Na dann frag sie doch, was ihr lieber ist, Einstein! Aber jammere mir nicht die Ohren voll, wenn sie dich abblitzen lässt!“ Der Sammler, der dem schweigend zugesehen hatte, schritt nun ein. „Es ist nicht möglich, sie in ihrem jetzigen Zustand nach ihrer Meinung fragen. Zudem würde es den Ausgang beeinflussen, was sich wiederum negativ auf den Preis auswirken wird. Daher wirst du entscheiden müssen, was aus ihr wird, Matt Summers …“ „Ich … weiß es nicht … weiß nicht, was ich tun soll“, nuschelte Matt und schluckte. Tränen benetzten die kalten Fliesen unter ihm. „Tu das, was verdammt nochmal richtig ist!“, verlangte Anya. „Oder lass sie sterben, wenn du nicht bereit bist, eine Wahl zu treffen“, fügte der Collector hinzu. „Warum ich!?“, begehrte Matt auf, wobei ihm die Stimme versagte. „Ich bin doch … der Falsche … für so etwas!“ Der Sammler sah herüber zu Taras Körper auf dem Alter. „Ich verstehe … dann soll es so sein.“   ~-~-~   „Dann ist das also unser Abschied?“, fragte Tara bedrückt und stand vor dem Zug, der in wenigen Minuten abfahren würde. „Ich bin jetzt ein Dämonenjäger. Nicht länger Teil der Gesellschaft“, erklärte Matt verhalten und sah ihr dabei nicht in die blauen, bis zuletzt hoffenden Augen. „Ich lebe jetzt ein anderes Leben als du und das müssen wir beide akzeptieren.“ „Aber du könntest zurück … Sophie will die Tat gestehen“, sprach Tara und schnappte sich in einem letzten Versuch seine rechte Hand, „man würde alles gegen dich fallen lassen, du könntest zurück. Du musst nur mitkommen! Das war Sophies Bitte. Ich- ich wollte dir das all die Zeit seit unserer Reise sagen. Bitte Matt, überlege es dir.“ „Nein“, widersprach er und riss sich von ihr los. „Sag Sophie, dass ich das nicht will.“ In seinen Augen spiegelte sich Zorn wieder. „Tara, lass ihn“, bat Andrew, der schon in der Tür des Zuges stand, „für ihn gibt es kein Zurück mehr. Du wirst es verstehen, irgendwann.“ Tränen stiegen in den Augen des Mädchens hoch. Aber sie schluckte die Worte, die ihr auf der Lippe lagen, tapfer hinunter.   Was Matt den Anlass dazu gab, sich umzudrehen und fortzugehen. Dabei hob er noch den Arm zum Abschied in die Höhe. „Lebt wohl ihr beide. Und Andrew, pass gut auf sie auf, verstanden?“ „Werde ich“, rief ihm sein Freund hinterher. Tara schluchzte, als sie in den Zug stieg und sich neben Andrew stellte. Sie öffnete den Mund, wollte Matt endlich loslassen, konnte es aber nicht. Bis ein automatisierter Ausruf die Abfahrt ankündigte. Und als der Dämonenjäger am Absatz der Treppe stand, die zum Ausgang führte, sich die Türen des Zuges schlossen, war es still. Bis das Kreischen von Stahl auf Stahl ertönte. Matt sah nicht mehr, wie Tara verzweifelt ihre Hände gegen die Scheiben der Tür knallte und hörte auch nicht, wie sie verbittert seinen Namen schrie. Nein, Matt nahm Stufe um Stufe. Sein Abschied von Tara war schon lange vor diesem Moment gewesen. Auf halber Höhe blieb er stehen. „Ich hätte gedacht, ihr würdet mehr heulen“, konnte die an die Wand lehnende Anya sich ihren unqualifizierten Kommentar nicht verkneifen. Ihr eingegipster Arm hing in einer Schlaufe. Jedoch war sie nichtsdestotrotz ernst. „Ich hoffe du bereust es nicht, sie so abblitzen zu lassen. Muss schwer gewesen sein, diese Wahl zu treffen.“ Matt neigte den Kopf in ihre Richtung und funkelte sie böse an. „Sag du es mir.“ Eine verwirrte Anya zurücklassend, ging Matt weiter. Und hoffte, Livington noch an diesem Tag verlassen zu können.     [THE END] Kapitel 42: Turn 37 - Life Goes On ---------------------------------- Turn 37 – Life Goes On     „Diese hier … oder doch lieber die anderen?“ „Wenn du dich nicht gleich entscheidest, schieb' ich sie dir dahin, wo noch nie zuvor eine Hologrammdrohne gewesen ist!“ Schnaufend wurde hinzugefügt: „Was sich aber ganz schnell ändern wird, wenn ich davon gleich noch ein ganzes Bataillon hinterher schicke!“ Von ihrem Ausbruch zutiefst erschrocken, wich der höchstens zwölfjährige Junge vom Tresen zurück und betrachtete die unfreundliche Verkäuferin fassungslos, ehe er die Päckchen mit Duel Monster-Karten vor ihr auf den Tisch warf, auf der Stelle Kehrt machte und schließlich verstört aus dem Laden stürmte. „Dachte ich mir. Du mich auch, Knirps“, brummte Anya Bauer, ihres Zeichens Kundenschreck #1, ihm noch hinterher und schnappte sich sauer die Booster, die neben der Kasse verteilt lagen.   Es war nicht zum Aushalten, dachte die junge, blonde Frau wütend. Aus ihren meeresblauen Augen warf sie einen teuflisch-bösen Blick auf den Tresen, welcher unter besseren Witterungsumständen glatt Risse in die gläserne Oberfläche gebrannt hätte. Dabei musterte sie ihr Spiegelbild schnaufend und musste eingestehen, dass sie in ihrem schwarzen Totenkopfshirt nicht ganz dem typischen Bild einer Kartenverkäuferin entsprach. Na und? Jeder hatte das Recht auf Selbstbestimmung! Ja, sie hatte ihr Haar mittlerweile so lang wachsen lassen, dass ihr Pferdeschwanz ihr nun schon weit über das Kreuz reichte. Und ja, sie fand die beiden langen Strähnen, die ihr neuerdings rechts und links neben den Ohren hinunter hingen cool! Oder um es in Anyas Worten zu sagen, waren sie einfach 'bad ass'! Anya verdrängte dabei erfolgreich, dass weniger ihr Äußeres, denn mehr das Innere ausschlaggebend für ihren mikroskopisch kleinen Erfolg bei den Kunden war. Denn der Gnom war weiß Gott nicht der Erste, der davon absah, sein hart erspartes Geld gegen eines der unzähligen Produkte des Kartenladens einzutauschen. Trotzdem war all das kein Grund, gleich das Weite zu suchen! Was hatten die alle für ein Problem!? Entweder sie wollten was oder eben nicht! Sie sah ja nun -wirklich- nicht aus wie eine Schlägerbraut oder so, empörte sich Anya über dieses außerordentlich ungerechte Verhalten ihrer Kunden. Dabei glatt ignorierend, dass sie schon seit Kindestagen an einen gewissen Ruf in ihrer Heimatstadt Livington genoss. Der im Übrigen auch nicht unschuldig daran war, dass die Kundenzahlen, seitdem sie hier arbeitete, rapide zurückgegangen waren. Dazu musste man wissen, dass in Anyas kleiner, egozentrischer Welt -grundsätzlich- andere die Schuld trugen, wenn sie selbst Mist verzapfte.   „Hmpf, na toll!“, schnaufte sie unzufrieden und löste sich vom Tresen mit der Motivation einer sedierten Schildkröte. Ja, sie hatte heute vielleicht ein wenig schlechte Laune! Wie konnte sie die auch nicht haben, wenn sie jeden Tag andere Leute draußen in der Mall spazieren gehen sah, während sie selbst hier vor sich hin vegetieren und arbeiten musste! Hinzu kam noch, dass sie jetzt wieder die Regale suchen durfte, aus denen das Rotzgör sich die Booster gegriffen hatte! Was jedes Mal ein Krampf war, wenn gefühlte hundert davon in geordneten Reihen in diesem verflucht riesigen Laden standen!   „Hast du schon wieder einen Kunden verschreckt, Bauer!?“, polterte es aus dem Lager, welches sich direkt hinter der Kasse befand. Die Blonde runzelte mit saurer Mimik die Stirn, als sie den Tresen umkreiste. Mr. Palmer, ihr Chef, hatte sie vor drei Wochen eingestellt und es verging seitdem kein Tag, an dem er sich nicht über irgendetwas beschwerte. Zugegeben, bei St. Peters, dem Klamottenladen direkt gegenüber, ist sie nach gerade mal drei Tagen gefeuert worden. Aber die hatten auch nicht einsehen wollen, dass manche Menschen einfach fett waren und ein verdammtes Recht darauf besaßen, es auch in aller Deutlichkeit zu erfahren. „Der wollte klauen!“, log Anya lauthals, während sie durch die Reihen der Regale von Erweiterungssets hin bis vorgebauten Starter- und Expertendecks schritt. Es gab hier eine unglaubliche Menge an Produkten und dennoch nicht wirklich mehr als beispielsweise noch vor einem Jahr, weshalb Anya nicht ganz nachvollziehen konnte, wieso als Verkäuferin plötzlich alles viel komplizierter war als sonst. Früher hatte sie hier nur nach bestimmten Sachen fragen müssen und bekam diese dann prompt ausgehändigt. Manchmal sogar unentgeltlich, wenn die 'Frage' richtig 'gestellt' wurde. Heute nervten die Leute -sie- mit ihren albernen Bedürfnissen und oftmals wussten die am Ende trotzdem noch besser Bescheid als Anya selbst. Das sollte mal einer verstehen! Sie schnaubte und hatte nebenbei endlich die Reihe mit den Boosterpacks gefunden, die sie gesucht hatte. An kleinen Metallstangen hingen sie direkt nebeneinander, sodass die junge Frau die Päckchen in ihrer Hand nur wieder darauf zurückschieben musste.   Wieso nur waren ihre Noten so schlecht gewesen, dass sie dadurch nicht aufs College gehen konnte!? Es war einfach nicht fair! Hätten ihre Lehrer nicht ein Auge bei der Bewertung zudrücken können? Schön, sie hatte vielleicht ein paar Mal die Schule geschwänzt, war ab und zu durch Fehlverhalten aufgefallen und hatte hin und wieder auch schlechte Testresultate hervorgebracht! So ein Unsinn, was hatten ihre Noten denn damit zu tun, dass Ernie Winter zum Beispiel gegen Ende des abschließenden Highschool-Jahres eine Halskrause brauchte, weil sie -versehentlich- gegen ihn gestoßen war, als er am Treppenrand stand und nicht gehorchen und Platz machen wollte!? Das war doch alles eine riesengroße Verschwörung gegen sie und Anya konnte, ja wollte nicht einsehen, dass irgendetwas davon ihre Schuld gewesen war! Aber nein! Statt wie Abby, ihrer besten Freundin, Valerie, ihrer Erzrivalin und Marc, ihrem ehemaligen Schwarm zu studieren, wurde sie jetzt von ihrer Mutter hin und her gescheucht, weil kein Arbeitgeber im riesigen Einkaufscenter Livingtons die Geduld hatte, sich an sie zu gewöhnen. Als ob das nun so schwer wäre! Dabei machte Mr. Palmer sich noch recht gut. Trotzdem war er ein Idiot, weil er ihr nicht einmal Mitarbeiterrabatt gewährte! „Hmpf, alles Idio-!“ Plötzlich krümmte Anya sich zusammen und sackte ungewollt in die Knie. Von ihrem Magen war ein stechender Schmerz in ihren ganzen Körper geschossen, wodurch sie wortwörtlich Sterne vor ihren Augen tanzen sah. „Verdammter Kackmist“, stöhnte sie dabei. Seit Monaten plagten diese merkwürdigen Krämpfe sie schon und wurden immer schlimmer. Aber zum Arzt zu gehen war für Anya keine Option! Das waren doch sowieso alles nur Quacksalber und sie würde auch ohne heilende Kräfte irgendwelcher Dämonen klar kommen. Dämonen – Ha! Ein Kapitel, mit dem sie ein für allemal abgeschlossen hatte! Die junge Aushilfsverkäuferin richtete sich wieder auf, nachdem der Schmerz verflogen war. Na ja fast abgeschlossen, ein bisschen Dämonisches gab es in ihrem Leben noch.   Levrier … Anya musste zugeben, dass sie seine Stimme gerne öfter hören würde, denn seit er sich damals selbst auf eine Karte reduziert hatte, kommunizierte er nur noch hin und wieder mit ihr. Natürlich vermisste sie die Zankereien mit ihm, die sie immer verlor, nur ganz unbedeutend wenig, so wenig, wie sie früher Valerie Redfield gemocht hatte – möge der Teufel sie aus ihrer piekfeinen Uni in Florida zu sich holen! Dennoch hatte Anya sich so an Levriers ständige Nähe gewöhnt gehabt und auch jetzt, fast sieben Monate nach dem Erscheinen des Turms von Neo Babylon, fehlte einfach etwas. Und das lag nicht nur daran, dass die Incarnation-Monster von ihr, Valerie, Marc, Matt, Alastair und Henry fort waren. Nicht länger in dieses ganze Wirrwarr rund um Eden, Dämonen und Nicht-Dämonen und dem ganzen Quatsch verwickelt zu sein, war einfach … Na schön, sie gab es ja ehrlich zu, es war in Wirklichkeit langweilig! In einem Kartenladen zu arbeiten war im Vergleich dazu, sich mit Dämonen zu bekämpfen, einfach nur öde.   Anya griff nach ihrer Hosentasche und zog ihr Deck daraus hervor. Die oberste Karte war [Gem-Knight Pearl]. Er war alles, was noch von Levrier geblieben war. Gäbe es ihn nicht, würde Anya jetzt vermutlich mit dem Gedanken leben, sie sei nicht mehr ganz knusper im Oberstübchen. Aber so wurde sie immer daran erinnert, dass damals alles real gewesen war. Leider erschien Levrier nur selten in Pearls Antlitz, da er laut eigenen Aussagen Energie sparen beziehungsweise sammeln musste, um in der materiellen Welt zu erscheinen. Das war der Grund, warum sie ihr Kontakt miteinander nur noch auf Sparflamme lief.   „Fühlst du dich nicht gut?“ Erschrocken wirbelte Anya um und sah am Ende des Regals Mr. Palmer stehen, einen dunkelhäutigen, kräftigen Mann, dessen Haare und Bart bereits weiß wie Schnee anmuteten, obwohl er gar nicht so alt war. „Nimm dir den Rest des Tages frei“, meinte er gleichmütig. „Ist heute eh nicht viel los und seit du da bist, kommen sowieso kaum noch Kunden.“ Grimmig verzog Anya das Gesicht. „Mir geht’s prima, danke! Aber wenn Sie unbedingt meinen, klar, zu 'nem freien Nachmittag sag ich doch nicht nein!“ Mit herausgestreckter Brust zog sie betont lässig an ihm vorbei und spürte doch immer noch flüchtig das Kneifen und Stechen, welches ihren ganzen Körper durchzog. Aber das würde sich wieder geben, war sicher nur ein Infekt oder ein geklemmter Nerv.   ~-~-~   Missmutig stieg Anya vom Fahrrad. Ihren Führerschein hatte sie leider schon kurz nach dem Erwerb wieder abgeben müssen, weil sie vielleicht ein wenig zu aggressiv gefahren war. Andererseits, war es doch nun wirklich nicht ihre Schuld, dass irgendwelche lahmarschigen Schnecken vor ihr einfach nicht einsehen wollten, dass sie auch mal etwas schneller hätten fahren können! Da aber alles nichts brachte, musste Anya seitdem längere Strecken per Fahrrad zurücklegen. Sie machte dabei des Öfteren einen Umweg hierher, obwohl der kürzeste Weg nachhause über eine andere Strecke verlief. Was die junge Frau nicht davon abhielt, dennoch die Ruinenlandschaft des alten Schulgeländes zu besuchen. Dort, wo der Turm von Neo Babylon am 11. November des vergangenen Jahres erschienen war und den gesamten Campus samt Schulgebäude vernichtet hatte. In diesem Turm wäre sie beinahe gestorben. Nein, nicht gestorben, sondern unsterblich geworden – und gefangen in einer Welt, die alle als Albtraum bezeichneten. Den Limbus. Irgendwie zog sie dieser Ort trotz allem magisch an, vielleicht, weil sie durch ihn immer wieder an all die Kämpfe erinnert wurde, die sie hatte bewältigen müssen.   „Eden“, murmelte Anya leise, „was daraus wohl geworden ist?“ Ihr Blick wanderte über das mit hohen Zäunen abgesperrte Gelände, welches seither zu einer Ausgrabungsstätte erkoren worden war. Denn damals hatte die ganze Welt den Turm gesehen, als er für wenige Stunden erschienen war. Seitdem war Livington und insbesondere dieser Ort ein beliebtes Reiseziel für Touristen geworden. Das weite, erdige Gelände war längst von den Überresten der Schule befreit worden. Stattdessen standen dort nun Container, welche Büros, Lagerräume und allen anderen Schnickschnack für die Forscher bereitstellten. Da die Leute selbst bei Nachtanbruch noch arbeiteten, um die Bruchstücke des Turms zu untersuchen, welchen Anya mithilfe des Dämonenjäger Matts damals in die Luft gesprengt hatte, standen dort auch ein paar spezielle Lampen und anderes Werkzeug herum. Selbst eine Security-Firma war angeheuert worden, damit bloß niemand das Gelände betrat, nachdem die Armee abgezogen war. Anya seufzte. Von Matt und seinem Partner Alastair hatte sie schon lange nichts mehr gehört. Gelegentlich tauschten sie ein paar E-Mails aus, aber da die beiden oft unterwegs waren, ging das nicht so leicht. Immerhin jagten sie Dämonen – hoffentlich nur noch die, die wirklich Scheiße bauten! Bald zwei Monate war es jetzt her, dass sie sich zuletzt geschrieben hatten. Und Abby, ihre beste Freundin, studierte seit geraumer Zeit in Oxford. Daher sah sie jene nur noch sehr selten. Dafür telefonierten sie beide wenigstens noch regelmäßig. Geblieben war ihr im Grunde nur ihr Freund Nick, ein arbeitsloser Volltrottel mit akutem Hirnschwund. Mit ihm traf sie sich am Wochenende regelmäßig, aber als Abby noch dabei war, hatte es wesentlich mehr Spaß gemacht.   Die Melancholie mit einem Kopfschütteln verscheuchend, wollte sich Anya gerade auf ihren Drahtesel schwingen, als dem Mädchen ins Auge stach, dass ihr gegenüber auf dem Bürgersteig etwas nicht stimmte. Ein dunkler Dampf, fast schon Rauch, stieg mitten aus dem Boden. „'kay“, sagte Anya mäßig beeindruckt, „entweder habe ich gerade Hallus oder wir haben mal wieder ein Problem. Bist du auch so ein Immaterieller, der im Turm eingesperrt war?“ Wäre ja nach Urila nicht der erste, dachte sie dabei grimmig. Das war noch das Beste gewesen, kaum hatte sie Eden überlebt, wollte diese Irre es auf noch viel hinterhältigere Weise öffnen! Ehe Anya jedoch noch einen galligen Spruch loslassen konnte, erhob sich aus dem Nebel eine spiegelnde, dunkle Oberfläche und schoss zwei Meter in die Höhe. Und aus dieser trat einfach mir nichts, dir nichts eine lang gewachsene Gestalt heraus. „Anya Bauer“, sagte jener Mann, noch bevor sein Gegenüber überhaupt reagieren konnte, „ich bin auf Anliegen meines Meisters hier, um dich zu holen.“ Das Mädchen blinzelte einen Moment verdutzt, ehe sie antwortete. „Bist du der verdammte Sensenmann oder was soll der Auftritt?“   Nun gut, wie der Sensenmann sah er nicht gerade aus. Im Gegenteil. Er trug einen schwarzen Anzug, unter dem ein weißes Hemd lag. Sogar eine graue Fliege hatte dieser Freak sich umgebunden und sah auf den ersten Blick aus, als wäre er aus einem dieser alten Filme entsprungen. Selbst weiße Handschuhe trug der Kerl. Demnach konnte man ihn beinahe als Klischee eines Butlers bezeichnen, so höflich und korrekt mutete er an. Wobei sie noch nie einen Butler mit auf dem Millimeter gerade geschnittenem, bis zu den Schultern hängendem, schwarzem Haar und kreisrunder Sonnenbrille gesehen hatte. Genau das machte Anya auch stutzig.   „Hey Blassschnute, antworte gefälligst! Bist du ein Dämon? Wenn ja, hast du dir die Falsche zum Quatschen ausgesucht“, raunte sie, lehnte ihr Fahrrad an den hohen Zaun des abgesperrten Geländes und zeigte mit dem Daumen auf ihre Brust. „Mit mir und Dämonen ist das nämlich so'ne Sache, ich-“ „Ich weiß wer du bist“, wiederholte der Mann trocken, „kommst du mit mir?“ Mit einer einladenden Geste wich er zur Seite und deutete zu dieser Art Portal, das immer noch hinter ihm offen stand. Erste Anzeichen der infernalen Anya Bauer-Premium Wut machten sich in Form zorniger Falten auf der Stirn des Mädchens bemerkbar, nachdem dieser Typ es doch tatsächlich gewagt hatte, sie mitten in ihrer Erklärung hinsichtlich ihres gemischten Verhältnisses zu Dämonen zu unterbrechen. „Hackt es, oder was!?“, fauchte das Mädchen dementsprechend in ihrer wenig liebreizenden Art. „Ich komm nicht mit! Such dir einen anderen Dummen!“ Aufrecht wie ihr Gegenüber dort stand, schien er sich herzlich wenig von ihren Gebärden beeindrucken zu lassen. „Mein Meister hat mir aufgetragen, dich nicht eher gehen zu lassen, bis du mir folgst. Es ist von äußerster Dringlichkeit.“ „Hörst du schwer!? Ich sagte, ich komme nicht mit!“   Anya schnaubte wütend. Was wollte der Kerl überhaupt von ihr? Hatte ihm seine Mutter denn nicht erzählt, dass man nicht mit Mädchen wie ihr allein weggehen sollte? Und was hieß hier Meister!? „Okay, Laberbacke, nun fang' endlich an zu singen, wenn's sein muss! Wer ist dein Meister und was zum Henker will er von mir?“ Ein ungutes Gefühl beschlich sie nebenbei. Es war wohl keine Kunst darin anzunehmen, dass der Meister dieses Butlerverschnitts auch ein Dämon sein musste. Bloß wer könnte ausgerechnet an ihr Interesse haben? Andererseits … was, wenn sich die Sache mit dem Turm herumgesprochen hatte? Man konnte sie immerhin als eine kleine Sensation bezeichnen, war sie schließlich dem Fluch des Tores Eden entkommen. „Das alles wirst du erfahren, wenn du mir folgst“, erklärte der Fremde und ließ dabei den Arm sinken, den er die ganze Zeit einladend Richtung des Portals gehalten hatte. „Eher nicht.“ „Tch! Wenn du glaubst, mich neugierig gemacht zu haben, täuscht du dich!“, schnarrte Anya. Sie hatte Besseres zu tun, als sich mit Dämonen herum zu ärgern. Zuhause lag noch ein unangerührter First Person Shooter, der dringend aus seiner Verpackung befreit werden wollte. Ödes Leben hin oder her, Zocken ging vor!   „Wenn das so ist“, sprach der Mann mit dem glatten, seidigen schwarzen Haar und streckte den Arm jetzt mit geballter Faust aus, „hat mein Meister mir aufgetragen, dich mit Nachdruck zu holen.“ Just in diesem Moment begann der linke Arm zu leuchten, als sich an ihm ein seltsamer Apparat materialisierte. Scheinbar aus tausenden bunten Mosaikteilen zusammengesetzt, ragte eine Duel Disk plötzlich von dort hervor, die ein wenig an einen Vogelflügel erinnerte. „Ein Duell? Du willst mich durch ein Du-!“ Anyas Spott wurde jäh von einem Fingerschnippen ihres Gegenüber unterbrochen. Einen Herzschlag später hatte sich ihre Welt in einen rosafarbenen Albtraum verwandelt – denn der Himmel war nicht mehr klar und blau, sondern sah nun aus wie ein Stück aus Barbies Kleiderkollektion. Und damit meinte Anya nicht ihren mit Nägeln, Rasierklingen und anderen scharfen Gegenständen ausgerüsteten Baseballschläger des gleichen Namens. Irritiert warf sie einen Blick auf die Neubauten zu ihrer Rechten, dann zur Ausgrabungsstätte – die Menschen, Security-Leute, die Autos … alles war verschwunden. Die Straße war noch dieselbe wie vorher, aber irgendwie leer und verlassen. Bis auf Ausnahme dieses Freaks, der war -natürlich- noch da, whoop de-fucking-doo!   „Okay, ein Bannkreis“, schloss Anya wenig begeistert, da sie schon in der Vergangenheit das zweifelhafte Vergnügen gehabt hatte, in einem eingesperrt gewesen zu sein. „Korrekt. Du wirst ihn nur verlassen können, wenn du tust, was man dir sagt.“ „Dann“, murmelte sie mit unterdrücktem Zorn und legte langsam ihren geschulterten Rucksack ab, um daraus eine alte Battle City-Duel Disk hervor zu holen, „hast du gerade einen Freibrief in eine Welt voller Schmerzen unterzeichnet, Krümelhirn!“ Mit diesen Worten legte sie das Geschenk ihres Vaters an und reckte taff das Kinn vor. „Wenn du kämpfen willst, nur zu! Eine Anya Bauer kneift nicht.“ „Es ist mir eine Ehre“, erwiderte der in Schwarz gekleidete Butler und ließ mit einem weiteren Fingerschnippen das Portal hinter sich verschwinden. Anya, welcher man durch solche Tricks schon lange kein „Uh“ oder „Ah“ mehr entlocken konnte, schnaubte ärgerlich. Heute war wirklich ein beschissener Tag! „Okay, aber bevor wir anfangen, will ich wissen, wie du heißt, Laberbacke!“ „Mein Name lautet … Kyon.“ „Kyon also? Dann zeig mal, wie du mich dazu bringen willst mitzukommen! Duell!“ Auf ihren höhnischen Ruf erwiderte er nichts, sondern ließ nur gemeinsam mit ihr seine Duel Disk hochfahren, wobei in seinem Fall der Flügel ein Stück höher rückte und weitere 'Federn' für die Kartenzonen ausfuhren.   [Anya: 4000LP / Kyon: 4000LP]   „Als Herausforderer beginne ich das Duell“, bestimmte der Sonnenbrillenträger und zog neben seinem Startblatt von fünf Karten sogleich eine sechste auf. „Mein erstes Monster hört auf den Namen [Spellbook Magician Of Prophecy].“ Unter einem missfallenden Knurren Anyas legte er seine Karte auf eine der Monsterzonen. Vor ihm gewann dadurch ein etwas kleinwüchsiger, junger Mann Gestalt. Von der blauen Robe an seinem Leib ging ein leichter Schimmer aus, ebenso wie von der gleichfarbigen Haube auf seinem Kopf. Doch er nahm davon keine Notiz, sondern las in dem dicken Wälzer, welchen er bei sich trug.   Spellbook Magician Of Prophecy [ATK/500 DEF/400 (2)]   „Uh!“, kommentierte Anya seinen Anblick gallig. „Der hat wohl zu lange in Tinkerbells Feenstaub gebadet?“ „Effekt dieses Monsters aktivieren“, setzte Kyon seinen Zug fort, „bei seiner Normalbeschwörung schickt er ein sogenanntes Spellbook, eine besondere Art von Zauberkarte, auf meine Hand.“ Da diese vom Deck kam, zog der junge Mann jenes aus seiner Duel Disk hervor und nahm sich gewählte Karte aufs Blatt, ehe er das Deck wieder im dazugehörigen Schacht positionierte. „Meine Wahl, [Spellbook Of Secrets], aktiviere ich sogleich. Ihr Effekt ist identisch zu dem meines Magiers.“ Anya blinzelte verdutzt, während das Buch aus der Hand des Knirpses verschwand und kurz darauf ein neues, komischerweise identisches darin auftauchte. Jenes leuchtete blau, fast schon violett, als der Magier darin las. Gleichzeitig durchsuchte Kyon sein Deck nach einer geeigneten Spellbook-Karte. Warum tat er das, wunderte sich Anya? Er hätte doch gleich direkt mit seinem Monster nach der Karte suchen können, die er jetzt vorzeigte. Es war ein Spielfeldzauber. „Wie du siehst, habe ich mich diesmal für [The Grand Spellbook Tower] entschieden. Bevor ich sie aktiviere, setze ich noch eine Karte.“ Der Butler schob erst besagten Zauber in den Zauber- und Fallenkartenslot seiner Flügel-Duel Disk, welcher sich daraufhin vor seinen Füßen materialisierte, ehe das Fach der Spielfeldzauber ausklappte und er seine gewählte Karte dort einlegte. Die gesamte Umgebung veränderte sich schlagartig. Auch das letzte bisschen Livington war nun endgültig verschwunden. Stattdessen duellierten die beiden sich nun auf einer Straße, die direkt zu einem riesigen Turm führte, welcher hinter Kyon gefühlt bis in den Himmel ragte. Um ihn kreisten Ringe aus grünlichen Runen, sodass Anya sich unfreiwillig an den Turm von Neo Babylon erinnert fühlte. „Damit beende ich meinen Zug“, sprach Kyon abschließend, „ich bin gespannt auf deine Antwort darauf, Anya Bauer.“   Die runzelte ärgerlich die Stirn, als sie zog. „Meine Antwort? Die lautete nein, du schwerhöriger Volltrottel!“, keifte sie und führte innerlich einen kleinen Freudentanz ob der gezogenen Karte auf. Mit diesem Schmierlappen würde sie jetzt den Boden putzen! Und wer Anya Bauer kannte, wusste, dass das mitunter wortwörtlich zu verstehen sein konnte. „Ich aktiviere meine Zauberkarte [Gem-Knight Fusion]!“, krähte das Mädchen vor lauter Überheblichkeit und hielt besagte Magie mit ausgestrecktem Arm in die Luft. Sogleich öffnete sich ein Wirbel aus dutzenden, verschiedenfarbigen Edelsteinen über Anya, der zwei Karten in sich aufsog. „Damit verschmelze ich zwei Monster zu einem neuen, und zwar zu einem Gem-Knight! Für heute stehen [Gem-Knight Sardonyx] und [Kuriboss] auf dem Plan!“, erklärte sie. „Sardonyx, du bist das Gefäß! [Kuriboss], du bist die Seele! Werdet eins! Werdet [Gem-Knight Seraphinite]!“ Für einen kurzen Moment tauchten ein roter Ritter, bewaffnet mit einem gleichfarbigen Morgenstern und ein kleines, braunes Fellknäuel mit Sonnenbrille und grauem Cape auf, welche beide in den Wirbel gezogen wurden. Aus dem strahlte anschließend ein grelles Licht, bis daraus eine Ritterin sprang und sich vor Anya stellte. Mit gezücktem Degen aus blauem Kristall und gleichfarbigen Umhang, ließ sie keine Zweifel offen, dass sie zum Kampf bereit war.   Gem-Knight Seraphinite [ATK/2300 DEF/1400 (5)]   „Als Normalbeschwörung“, rief Anya hinterher und knallte ein weiteres Monster auf ihre Duel Disk, „[Gem-Knight Iolite]!“ Was dazu führte, dass vor ihr ein weiterer Ritter die Szene betrat, diesmal in blauer Rüstung und mit einer Klinge in der Hand, welche ganz aus Wasser bestand.   Gem-Knight Iolite [ATK/1300 DEF/2000 (4)]   „Und weil sie so gut ist, ermöglicht Seraphinite mir gleich noch eine Normalbeschwörung! Duh!“ Schon pfefferte Anya regelrecht ihre vorletzte Handkarte auf die Duel Disk. „Los, [Gem-Knight Sapphire]!“ Noch ein Krieger in saphirblauer Rüstung tauchte vor ihr auf, doch dieser schuf einen Wall aus Eis zwischen sich und möglichen Angreifern.   Gem-Knight Sapphire [ATK/0 DEF/2100 (4)]   Kaum hatte sich das Ritter-Trio um Anya geschart, nahm jene die beiden schwächeren Exemplare und legte sie übereinander. Danach richtete sie sich an Kyon und streckte den Arm in die Höhe. „Und jetzt erschaffe ich das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster geboren! Lerne ihn kennen, den mächtigen Kristalldrachen!“ Unter lautem Getöse öffnete sich ein schwarzes Loch in der Mitte des Spielfeldes. Sapphire und Iolite verwandelten sich in braune Lichtstrahlen, die von dem Wirbel absorbiert wurden, welcher sich danach wiederum schloss. „Xyz-Summon!“, schrie das Mädchen aus vollem Halse. Der Boden vor ihr brach laut krachend auf, wenngleich es nur eine holographische Darstellung war. „Erscheine, [Kachi Kochi Dragon]!“ Aus dem Spalt hervor trat ein massiver Drache, der tatsächlich mit einer silbrigen, durchsichtigen Kristallschicht bedeckt war. Hohl klang sein mächtiges Brüllen, als er aus dem Asphalt stieg und seine massiven Pranken in jenen bohrte. Zwei braune Lichtkugeln kreisten um ihn.   Kachi Kochi Dragon [ATK/2100 DEF/1300 {4} OLU: 2]   In einem Zug sowohl ein Fusions- als auch ein Xyz-Monster herausgebracht, dachte Anya stolz und reckte das Kinn vor. „So muss das laufen! Und jetzt volle Power, [Kachi Kochi Dragon]! Primo Sciopero!“ Mit einem Satz stieß der Kristalldrache sich vom Boden ab und stieg in die Luft auf. Anschließend, nachdem er die Hälfte der Strecke zum Feind hinter sich gelassen hatte, steuerte er im Sturzflug auf den Magier zu, holte bereits mit der Pranke aus. Ein Fingerschnippen genügte, um Kyons verdeckte Karte aufspringen zu lassen. „[Magical Dimension]“, nannte er sie, während sich sein Zauberbuchexperte aufzulösen begann. „Wenn ich einen Zauberer kontrolliere, erlaubt diese Karte mir, eines meiner Monster zu opfern, um einen anderen von meiner Hand zu beschwören. Zusätzlich zerstört sie dabei eines deiner Monster!“ Da die nächsten drei Ereignisse parallel zueinander abliefen, hatte Anya gewisse Schwierigkeiten, ihnen zu folgen. Nicht nur zog ihr Drache mitten im Sturzflug die Notbremse, nein, vor Kyon materialisierte sich ein neuer, in violetter Robe gehüllter Magier. Und dieser wedelte sich geradezu abfällig wegschauend mit einem Fächer Luft zu. Schlimmer war jedoch, dass hinter Seraphinite aus dem Nichts ein goldener, stehender Sarg erschien, der mithilfe von Ketten inmitten eines Gerüsts gehalten wurde. Seine Klappe schwang nach rechts auf, wodurch Seraphinite auf unbekannte Weise in sein Inneres gezogen wurde. Kaum war jene in seinem Inneren gefangen, verschloss er sich wieder von alleine und löste er sich unter einem Schrei der Ritterin auch schon wieder auf. „Shit!“, fluchte Anya außer sich. „Mein neuer Prophet hört auf den Namen [Emperor Of Prophecy]“, erklärte Kyon ruhig.   Emperor Of Prophecy [ATK/2300 DEF/2000 (5)]   „Ach ja!?“, herrschte Anya ihr Gegenüber jedoch ungehalten an und schwang den Arm aus. „Mir doch egal! [Kachi Kochi Dragon], setze den Angriff fort! Primo Sciopero!“ Noch während der Drache wieder zum Sturzflug ansetzte, schob Anya einen Schnellzauber – ihre letzte Handkarte – in die Duel Disk ein. „Ha! Mal sehen, wie gut dein komischer Zauberfuzzi mit der [Forbidden Lance] umgehen kann!“ Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, wurde der Fächer des überaus überraschten Kaisers durch einen schlichten, goldenen Speer ersetzt. Und da der Magier die Bedienungsanleitung nicht gelesen hatte, wurde er durch regelmäßige Stromstöße geschockt, die von dem Speer ausgingen.   Emperor Of Prophecy [ATK/2300 → 1500 DEF/2000 (5)]   Anya gluckste zufrieden in sich hinein. Diesen Zauber und ein paar weitere Karten hatte sie Caroline Mayfield abgetauscht, die ebenfalls im Einkaufszentrum arbeitete. Die gute Caroline war einst von Abkömmlingen des Dämonen Another, dem Drahtzieher hinter den Ereignissen rund um Eden, besessen gewesen. Dabei hatte sie ein Deck erhalten, was unter anderem die Forbidden-Zauberkarten enthielt. Da die schüchterne Blonde aber schon lange auf der Suche nach einem Abnehmer für diese Karten war, gruselte sie sich schließlich noch immer vor ihnen, hatte Anya ihr den 'Gefallen' erbracht und sie von den Karten befreit. Und dahinter hatten auch gewiss keine betrügerischen Absichten gesteckt! Dummerweise hatte die hohle Nuss Caroline die besonders seltene [The Supremacy Sun]-Karte längst für ein Heidengeld auf eBay versteigert. Aber immerhin hatte sie dennoch die ein oder andere nette Karte von ihr bekommen, dachte Anya zufrieden. So wie diese hier.   „[Forbidden Lance] macht ein Monster für einen Zug gegen Zauber- und Fallen immun“, erklärte sie mit ausgestrecktem Oberlehrerzeigefinger, „aber das kostet was! Nämlich 800 Angriffspunkte! Damit kann mein Drache deinen Macker jetzt besiegen! Auf ihn mit Gebrüll!“ Der Butler Kyon sah überrascht auf, wie [Kachi Kochi Dragon] seinen Sturzflug des Verderbens wieder aufnahm und mit nur einem Prankenhieb erreichte, dass sein Magier nun als lebendes Puzzle durchging. Formvollendet explodierte der Kaiser als Höhepunkt dieses Aktes schließlich. „Kein Kampfschaden?“, stellte der junge Mann verwundert mit einem Blick auf seine Duel Disk fest, da ploppte vor ihm der braune Fellball von eben aus dem Nichts hervor und quietschte in hohen Tönen. „Kuri, Kuri!“ „[Kuriboss]“, erklärte Anya und zeigte die Karte des Kuriboh-Oberhauptes vor, „hat einen netten Effekt. Er kann Kampfschaden annullieren, wenn er vom Friedhof verbannt wird.“ Ihr Gegner verstand jedoch die Absicht dahinter nicht. „Das war dumm. Meinen Kampfschaden damit zu annullieren, statt später den eigenen … warum?“ „Tja, 600 lausige Lebenspunkte sind es nicht wert geraubt zu werden“, gab sich das Mädchen cool und zuckte lässig mit den Schultern, dabei mit einem bitterbösen Lächeln auf den Lippen, „und weil es natürlich die Sondereffekte von [Kuriboss] auslöst, was sonst? Stoppe ich deinen Kampfschaden, darf ich eine Karte ziehen! Und mehr noch, eines meiner Monster erhält 300 Angriffspunkte!“ Sofort griff das Mädchen nach ihrer Duel Disk und riss ruckartig die oberste Karte von ihrem Deck. Zur selben Zeit glitt der Fellball mit Cape und Sonnenbrille herüber zu Anyas Drachen, welcher direkt vor Kyon verharrte und verschwand quietschend in ihm. Was bewirkte, dass besagter Kristalldrache aufschrie und in weißer Aura aufglühte. „Prima!“, rief Anya beim Anblick ihrer neuen Karte und griff plötzlich nach dem Xyz-Monster auf ihrer Duel Disk. „Sorry, aber wenn du denkst, dass du so leicht davon kommst, täuscht du dich! Da [Kachi Kochi Dragon] ein Monster im Kampf besiegt hat, kann ich einmal pro Zug eines seiner Xyz-Materialien entfernen …“   Kachi Kochi Dragon [ATK/2100 → 2400 DEF/1300 {4} OLU: 2 → 1]   Was sie hiermit tat und es in den Friedhofsschacht schob. Gierig schnappte ihr Drache nach einer der beiden um ihn kreisenden Sphären und verschluckte sie. „... und ihn dafür noch einmal angreifen lassen! Secondo Sciopero!“ Einen überrumpelten Laut von sich gebend, gelang es Kyon nicht mehr rechtzeitig dem Prankenhieb seines drakonischen Gegenübers auszuweichen. Die Klaue ging wie Butter durch seinen Körper hindurch und Anya verfluchte die Tatsache, dass sie nicht mehr über Levriers Kräfte verfügte, um realen Schaden anzurichten.   [Anya: 4000LP / Kyon: 4000LP → 1600LP]   „Das war gut“, lobte der Butler sie, nachdem der Drache sich wieder zu seinem herrischen Frauchen zurückgezogen hatte. „Ein exzellenter Treffer.“ Ihren Gegner als „Schleimer!“ titulierend, nahm Anya ihre neugewonnene Handkarte und schob sie in den Slot, der unter dem von [Kachi Kochi Dragon] lag. „Die setze ich verdeckt“, erklärte sie, wobei sich die Karte vor ihren Füßen materialisierte, „sprich schon mal dein Gebet! Ich mag es nämlich gar nicht, wenn man mir meine One Turn Kills versaut! Zug beendet!“   Wortlos zog Kyon auf vier Karten auf und streckte dabei den Arm aus. Der Turm im Hintergrund begann grünlich zu leuchten. „Da auf meinem Friedhof Zauberer liegen, kann ich in meiner Standby Phase ein benutztes Spellbook unter mein Deck legen, um eine Karte zu ziehen.“ Demnach holte er [Spellbook Of Secrets] aus dem Friedhof, schob es unter das Deck und zog wie angekündigt. Anya hasste dieses Deck jetzt schon. Umso überraschter war sie anschließend, als Kyon drei Zauberkarten von seiner Hand vorzeigte, welche allesamt weitere dieser komischen Zauberbücher waren. So hießen sie [Spellbook Of Fate], [Spellbook Of Eternity] und [Spellbook Of Wisdom]. „Indem ich drei Spellbooks vorzeige, kann sie von meiner Hand als Spezialbeschwörung beschwören, die [High Priestess Of Prophecy]!“ Vor ihm erhob sich eine wunderschöne, pinkhaarige Zauberin, gekleidet in weißer Robe und gleichfarbigen Stiefeln. Sogar der Hut besaß dieselbe Farbe und Anya musste sich einen fiesen Kommentar bezüglich der von ihm herabhängenden Stoffstreifen mit eingenähten Zaubersprüchen darauf verkneifen, die ihrer Meinung nach verdammt dämlich aussahen.   High Priestess Of Prophecy [ATK/2500 DEF/2100 (7)]   „Uh!“, entfleuchte es ihr beim Anblick der Angriffspunkte der Hexe. „Nicht gut.“ „Von meiner Hand nun die Zauberkarte [Spellbook Organization]“, sprach Kyon in ruhigem Tonfall weiter und schob den Schnellzauber in seine Duel Disk ein. Vor ihm tauchten die Abbilder dreier Karten auf, die er mit Bild sehen konnte, wohingegen Anya nur die Rückseite bestaunen durfte. Mit flinken Handbewegungen ordnete der schwarzhaarige Butler sie neu an und erklärte dabei den Effekt: „Die obersten drei Karten meines Decks, oder wahlweise auch die meines Gegners, können damit angesehen und neu arrangiert werden.“ Da er sein eigenes Deck bearbeitete, begann dieses mit einem komplizierten Mischprozess, die obersten drei Karten neu zu sortieren. „Alles läuft nach meinem Plan“, erklärte Kyon und griff nach seinem Friedhof, „nun erlebe die Fähigkeit der hohen Priesterin. Indem ich ein Spellbook vom Ablagestapel verbanne, zerstört sie eine deiner Karten. Um nicht in eine Falle zu laufen, wähle ich ebendiese auf deiner Spielfeldseite.“ Anya wich einen halben Schritt zurück, als die Magierin ihres Gegners mit einem Händeklatschen ein Buch in ebendiese zauberte und daraus in einer seltsamen Sprache vorzulesen begann. Sogleich tauchten verschiedene, leuchtende Runen um ihre gesetzte Karte auf und fingen an um jene zu tanzen. „Nicht mit mir!“, fauchte das Mädchen und drückte den Auslöser an ihrer Duel Disk, was ihren Schnellzauber zum Aufspringen brachte. „Ich kette [Forbidden Chalice] an. Sie annulliert eine Runde den Effekt eines Monsters, gibt ihm dafür aber 400 Extraangriffspunkte.“ Die Stirn runzelnd, überlegte Anya angestrengt. Es war sinnlos, jetzt noch den Effekt dieser ollen Schrulle zu negieren und sie noch stärker zu machen. Demnach kam nur ihr eigenes Monster infrage. „Ziel ist [Kachi Kochi Dragon]“, gab die Blonde daher bestimmend von sich. Schon tauchte über ihrem Drachen ein kleiner, goldener Kelch mitten in der Luft auf. Er neigte sich wie durch Zauberhand ein Stück nach vorn, um den Wein direkt in das Maul des Kristallungetüms zu schütten, welches seinen Kopf nach oben reckte und gierig den mit scharfen Zähnen bespickten Schlund öffnete. Kaum hatte er den Wein in sich aufgenommen, verschwand der Kelch wieder.   Kachi Kochi Dragon [ATK/2400 → 2800 DEF/1300 {4} OLU: 1]   „Dann ist es sinnlos, einen Angriff zu wagen“, stellte Kyon im Angesicht des gestärkten Monstrums fest und zückte stattdessen eine Zauberkarte. „Daher aktiviere ich [Spellbook Of Eternity], welches mir erlaubt, ein verbanntes Spellbook auf die Hand zu nehmen. Die Wahl fällt auf [Spellbook Organization].“ Und während vor dem langhaarigen Butler ein weißes, leuchtendes Buch auftauchte, verstand Anya den Sinn hinter dieser Aktion nicht. Er hatte doch schon sein Deck neu formiert. Wollte er dasselbe jetzt bei ihr tun, oder warum war er so scharf auf das Ding? „Ich setze zwei verdeckte Karten“, erklärte Kyon und ließ beide vor seinen Füßen erscheinen. Dabei hatte er seinen Blick jedoch auf seine letzte Handkarte gerichtet. „Alles geschieht zur rechten Zeit unter den richtigen Bedingungen. Damit gebe ich an dich ab, Anya Bauer.“ Bevor das Mädchen sich noch mehr darüber wundern konnte, warum er dieses komische Zauberbuch nicht aktiviert hatte, um ihr Deck umzugestalten, musste sie angewidert den Kopf zur Seite drehen. Denn ganz unverblümt verabschiedete sich ihr Drache von dem wohl doch nicht so köstlichen Wein und würgte ihn wieder hervor.   Kachi Kochi Dragon [ATK/2800 → 2400 DEF/1300 {4} OLU: 1]   Wenig angetan vom reizenden Verhalten ihres Drachen, griff Anya nach ihrem Deck und zog eine neue Karte. Leider musste sie bei deren Anblick feststellen, dass Gott ihr einmal mehr seinen Mittelfinger herausgestreckt hatte. „Na toll“, murrte sie, „auch das noch.“ Eine Falle. Sie brauchte aber etwas, das sie sofort einsetzen konnte! Das Mädchen überlegte. Im Grunde blieb ihr keine andere Wahl als zu bluffen und auf ihr Glück zu vertrauen. Denn wenn man bedachte, dass diese pinkhaarige Hexe ihre Karten zerstören konnte, war es unsinnig, nur eine verdeckte Karte auszuspielen. Also besorgte Anya sich einfach eine zweite, um ihren Gegner zusätzlich einzuschüchtern. „Ich verbanne [Gem-Knight Sapphire] von meinem Friedhof“, erklärte das Mädchen und holte dabei gleich zwei Karten von ihrem Friedhof, „um [Gem-Knight Fusion] von genau dort auf die Hand zu bekommen.“ Damit schob sie ihren Ritter in die hintere Hosentasche ihrer Jeans und fügte ihre Fusionskarte dem Blatt hinzu. Anschließend drehte sie [Kachi Kochi Dragon] auf ihrer Duel Disk widerwillig in die Horizontale, sprich die Verteidigungsposition. Jener versank auf magische Weise im Asphalt, bis nur noch sein Kopf und ein Teil seines Torsos zu sehen war.   Kachi Kochi Dragon [ATK/2400 DEF/1300 {4} OLU: 1]   Das getan, schob sie ihre beiden letzten Handkarten in die Zauber- und Fallenkartenzonen. „Die zwei Süßen verdeckt“, gab sie mürrisch zum Besten, wobei sich ihre beiden Bluffs vor ihr materialisierten, „Zug beendet. An deiner Stelle wäre ich jetzt vorsichtig mit dem, was ich mache!“   „Keine Sorge“, erwiderte Kyon unbehelligt und zog mit einer eleganten Handbewegung seine nächste Karte, „in der Ruhe liegt die Kraft. Ich habe nicht vor, etwas zu überstürzen.“ Hinter ihm leuchteten wieder das ganze [The Grand Spellbook Tower] in grellem, grünem Licht auf. „Wie schon im letzten Zug, schicke ich [Spellbook Of Eternity] unter mein Deck, um eine weitere Karte zu ziehen.“ Entsprechend seiner Erklärung legte der Butler den verbrauchten Zauber unter sein Deck und zog auf fünf Handkarten auf. Die mit einem weißen Handschuh bedeckte, rechte Hand einmal schnippen lassend, ließ Kyon sogleich eine seiner verdeckten Karten aufspringen. „Ich aktiviere [Spellbook Organization]. Damit arrangiere ich die obersten drei Deckkarten eines Spielers neu an. Diesmal deines.“ „Oh shit!“, entlockte er Anya damit. Vor Kyon tauchten die drei Abbilder der Deckkarten des Mädchens auf, welche er mit schnellen Handbewegungen so arrangierte, dass seine Gegnerin minimalen Nutzen daraus ziehen konnte. Als er mit der neuen Reihenfolge zufrieden war, klatschte er zweimal in die Hände, um dies kundzutun. Schon mischte Anyas Duel Disk die Karten um. Was nur dafür sorgte, dass er von ihr eine obszöne Geste mit geladener Mittelfingerpower erhielt. „Du bist so tot, Dreckskerl!“, schickte sie begleitend hinterher. „Das ist unfair! Niemand rührt mein Deck an!“ Kyon schmunzelte. „Nicht ich, dein Drache. Ich aktiviere den Effekt von [High Priestess Of Prophecy] und verbanne [Spellbook Organization] von meinem Friedhof, um [Kachi Kochi Dragon] zu vernichten.“ Anya blieben die Worte im Halse stecken, als sie mit ansehen musste, wie diese pinkhaarige Schnepfe wieder aus ihrem Zauberbuch vorlas und diesmal dafür sorgte, dass der Kristalldrache von Innen heraus in tausend Teile auseinander gerissen wurde. „Oh fuck, was soll das!?“, beklagte sich Anya, die am wenigsten damit gerechnet hatte, dass er sich auf ihr Monster konzentrieren würde, wo er doch zwei gesetzte Karten zur Auswahl hatte. „Ruhig, aber mit Nachdruck, das ist, was meinen Duellstil ausmacht. Und nun sieh her“, bat er freundlich, aber distanziert und zeigte zwei Zauberkarten von seinem Blatt vor, „ich aktiviere [Spellbook Of Life], wobei ich für diesen Zweck ein weiteres Spellbook von meiner Hand vorzeigen muss. So, wie [Spellbook Of Fate] eines ist.“ Aus dem Friedhof seiner bunten, flügelartigen Duel Disk schoss förmlich der [Spellbook Magician Of Prophecy] heraus, den Kyon nahm und in den Schlitz darunter, die verbannte Zone, schob. „Diese Karte genehmigt die Reanimation eines Zauberers, wenn ich einen weiteren, gefallenen Zauberer banne. Dabei wird das Wissen des Verbannten an den neu erwachten Zauberer weitergegeben.“ Anya lief ein Schweißtropfen über die Stirn, als neben der pinkhaarigen Magierin ihr Kollege im violetten Gewand mit dem Fächer in der Hand erschien.   Emperor Of Prophecy [ATK/2300 DEF/2000 (5 → 7)]   „Nur die Stufe hat sich verändert“, murmelte sie. Dann machte es klick. „Du willst doch nicht etwa-!?“ „Doch. Sicherlich wäre es einen Versuch wert, mit meinen Monstern direkte Angriffe auf deine Lebenspunkte zu wagen“, sagte Kyon und schob mit dem Zeigefinger seine minimal verrutschte Sonnenbrille zurecht, „aber wie ich sagte, ist mein Duellstil von Geduld und Gründlichkeit geprägt. Daher werde nun Zeuge, wie ich das Overlay Network erschaffe! Aus meinen zwei Stufe 7-Monstern …“ Schnaufend zuckte das Mädchen zusammen, als ihr Gegner den Arm ausstreckte. Zwischen ihnen beiden öffnete sich auf der Straße zum Turm ein schwarzer Wirbel, welcher seine Magierin in einem gelben und den Kaiser in einem violetten Lichtstrahl absorbierte. „... wird ein Rang 7-Monster! Erhebe dich, oh heiligster aller Zauberweber und teile mit uns deine Weissagung!“ Ein gelbschwarzer Blitz schoss aus dem Wirbel heraus. Doch nicht er war es, der Anya den Atem stocken ließ – es war dieses weinrote Leuchten, das kaum bemerkbar unter dem rechten Ärmel des Butlers hervor schimmerte. „Das kann nicht sein!“, stammelte sie und hoffte, sich zu täuschen. „Xyz-Summon! Erscheine, [Hierophant Of Prophecy]!“, nahm Kyon ihren Ausruf jedoch gar nicht wahr. Begleitet von den Blitzen tauchte aus dem Wirbel ein groß gewachsener Magier hervor. Gekleidet in schwarzer Robe, flatterten unzählige weiße Stoffbänder mit Zaubersprüchen darauf von ihr durch die Luft. Den langen Zauberstab fest umklammert, setzte der schwarzhaarige Hierophant einen strengen Blick auf. Zwei Lichtsphären kreisten um ihn.   Hierophant Of Prophecy [ATK/2800 DEF/2600 {7} OLU: 2]   Anya verharrte wie gelähmt auf der Stelle. Das Leuchten von Kyons Arm und dieses Monster! Dieser Kerl stand doch nicht etwa in Pakt mit einem Immateriellen!? Nein, eine andere Erklärung gab es dafür gar nicht! Genau wie sie, Valerie Redfield, Marc Butcher, Matt Summers, Henry Ford und Alastair damals, schien er tatsächlich einen Pakt eingegangen zu sein. Aber mit wem!? Bisher hatte sie angenommen, er selbst wäre ein Dämon in menschlicher Gestalt!   „Ich aktiviere meine zweite verdeckte Karte [Spellbook Of Wisdom]“, rief Kyon derweil und ließ jene mit einem Fingerschnippen aufspringen, „sie macht einen Zauberer immun vor Magien oder Fallen und es sind letztere, die ich wähle!“ Kurz darauf tauchte vor dem düsteren Propheten ein Zauberbuch auf, welches jener eifrig las, ehe es verschwand. Was Anya jedoch kaum wahrnahm. Isfanel, Another und Urila waren tot. Nun wusste Anya von dem Dämonenjäger Matt, dass nicht nur Immaterielle Pakte schließen konnten, aber sie hatte nie jemanden gesehen, der mit -richtigen- Dämonen einen solchen geschlossen hatte. Dieser Typ, mit wem stand er in Kontakt? Mit seinem Meister? „Hast du es endlich erkannt, Anya Bauer?“, fragte Kyon und ein geheimnisvolles Lächeln umgab seine Lippen. Und da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Sie redete nicht mit dem Gefäß, sondern demjenigen selbst, der sich jenes Körpers bemächtigt hatte! Nur die Immateriellen sprachen ihre Mitmenschen mit vollem Namen an, so'n Ehrending oder was auch immer! „Du hast den Typen da besetzt!“, schrie sie ihn an. „Du bist so'n körperloser Freak, oder!?“ „Als Freak würde ich mich nicht bezeichnen. Und nein, dieses Gefäß ist nur eine leere Hülle, denn der wahre Besitzer ist schon lange fort.“ Verächtlich pfiff Anya durch die Zähne. „Als ob! Jeden von euch, den ich bisher kennengelernt habe, war ein mieser Halunke, der einen Scheiß auf seinen Wirt gegeben hat!“ Kyon zuckte immer noch lächelnd mit den Schultern. „Das streite ich nicht ab. Viele meines Volkes sind kompromisslos. Was ich sage entspricht jedoch der Wahrheit.“ „Tch, verarschen kann ich mich auch alleine!“, gab Anya misstrauisch zurück. „Ist mir im Endeffekt auch schnuppe, ich habe nämlich nicht die Absicht, dein Opfer zu retten!“ „Mein 'Opfer'“, sagte er und sprach es mit besonderer Betonung aus, „ist schon lange nicht mehr zu retten.“   Plötzlich wandelte sich sein Tonfall und wurde düsterer. „Aber hast du nicht andere Sorgen? Ich aktiviere nämlichen den Effekt von [Hierophant Of Prophecy] und hänge ein Xyz-Material ab!“ Anya knurrte regelrecht vor Wut, weil ihr Böses schwante. Als der Magier nämlich seinen Stab in die Höhe hielt und damit das Xyz-Material absorbierte, begann seine Waffe grell in grünem Licht zu leuchten. Kyon erklärte: „Der Hierophant nutzt das Wissen der Vergangenheit und setzt es ein, um die Zukunft zu beeinflussen.“   Hierophant Of Prophecy [ATK/2800 DEF/2600 {7} OLU: 2 → 1] „Was soll das heißen!?“, empörte sich seine Gegnerin, die kein Wort verstand. „Red' Klartext!“ „Für jedes Spellbook auf meinem Friedhof wird eine deiner Zauber- oder Fallenkarten zerstört.“ „Uh- Was!?“ Da richtete der elegante Magier seinen Zauberstab bereits schräg nach unten, zielte damit auf Anyas gesetzte Karten. Zwei schwarze Feuerbälle lösten sich von seiner Spitze und schossen wie Kanonenkugeln auf ihre Ziele zu. Kurz darauf wurde Anya in eine Explosion gehüllt. „Fuck! Und ich dachte, der Idiot würde Schiss vor meinem Bluff haben!“ Der Rauch verzog sich und statt der beiden gesetzten Karten, verharrte nun der Ritter des Saphirs in kniender Position vor Anya und schuf zwischen sich und dem Feind eine Eisbarriere.   Gem-Knight Sapphire [ATK/0 DEF/2100 (4)]   „Ein lausiger Bluff“, kommentierte Kyon das, „aber du hast deine Karte aktiviert, bevor sie vernichtet werden konnte, wie ich sehe.“ Anya schnaubte und schob ihre ehemals gesetzte [Gem-Knight Fusion] sowie die Falle, die sie aktiviert hatte, in den Friedhofsschlitz. „Verdammt richtig, Einstein! [Gem-Knight Barrier] beschwört einen verbannten Gem-Knight in Verteidigung auf mein Feld. Eigentlich wollte ich mir die noch aufheben …“ „Wenn du denkst, dich dadurch schützen zu können, irrst du dich“, sprach ihr Gegner und präsentierte ihr zwischen Mittel- und Zeigefinger seine letzten beiden Handkarten. „Ich aktiviere die zweite Kopie meines [Spellbook Of Secrets] und [Spellbook Of Fate]. Mit dem ersten Buch erhalte ich ein neues von meinem Deck. Für meine Zwecke wähle ich [Spellbook Of Eternity].“ Und als sein Hierophant in dem neu aufgetauchten, blauen Buch in seinen Händen zu lesen begann, zog Anya nebenher die Stirn kraus. Langsam kam sie bei diesen schwachsinnigen Zauberbibeln nicht mehr mit! Dauernd wechselten die vom Friedhof zum Deck, von der Verbannungszone zur Hand und was auch immer! Viel zu kompliziert für ihren Geschmack! Kaum hatte Kyon sich [Spellbook Of Eternity] aus dem Deck aufs Blatt genommen, erklärte er den Effekt der zweiten aktivierten Karte. „Nun zu [Spellbook Of Fate], das nur unter Zuhilfenahme eines Zauberers aktiviert werden kann. Sein Effekt richtet sich nach der Anzahl an Spellbooks, die ich von meinem Friedhof verbanne.“ „Okay?“, erwiderte Anya skeptisch. „Bei einem“, sagte er und entledigte sich des [Spellbook Of Wisdom], „zerstört er eine gesetzte Zauber- oder Fallenkarte.“ Sein Hierophant richtete den Zauberstab bedrohlich in die Höhe und absorbierte damit einen Lichtstrahl, der aus Kyons Duel Disk kam. „Bei zwei hingegen“, sprach dieser weiter und verzichtete auch auf [Spellbook Of Life], „kann er die Position eines Monsters wechseln.“ Wieder nahm der Zauberstab des Hierophanten ein Licht von Kyons Friedhof in sich auf. „Bei dreien, dem Höhepunkt dieser Macht“, setzte dieser seine Erklärung fort und schob letztlich auch [Spellbook Of Secrets] in den Schlitz unter dem Friedhof, „verbannt er direkt eine deiner Karten. Los!“ Kaum gesagt, wurde vom Zauberstab noch ein dritter Lichtstrahl absorbiert, ehe der Hexer diesen schreiend nach unten riss. „Crap!“ Über [Gem-Knight Sapphire] tat sich ein merkwürdiges Tor auf, von einem Runenkreis umgeben, und zog den Ritter in sich hinein, ehe es so schnell verschwand wie es gekommen war. „Nun bist du frei für einen direkten Angriff“, stellte Kyon gleichwohl fest und zeigte mit dem Finger auf sie, „los [Hierophant Of Prophecy], direkter Angriff! Prophecy #5 – Road To The Stars!“ Der Magier hob seinen Zauberstab in die Höhe, dann schwang er ihn in Anyas Richtung und feuerte dutzende, gar hunderte kleiner Lichtsterne auf Anya. Jene hielt ihre Arme schützend über Kreuz und versteckte den Kopf dahinter, als sie von der Salve heimgesucht wurde. „Argh!“, schrie sie unter Qualen, denn bei jeder Berührung gab es eine winzige Explosion an ihrem Körper. Schließlich wurde sie von der Wucht des Angriffs nach hinten geworfen und landete auf dem Rücken.   [Anya: 4000LP → 1200LP / Kyon: 1600LP]   „Owwww“, stöhnte sie. „Mein Meister hat mir aufgetragen, notfalls auch Gewalt anzuwenden. Von daher verzeihe mir bitte für die Brutalität, die ich bedauerlicherweise an den Tag legen muss. Die andere Möglichkeit, nämlich freiwillig mitzukommen, hast du ja ausgeschlagen.“ Hätte sie nicht ihre schwarze Lederjacke angehabt, hätten ihre Arme jetzt jedem Borderline-Patienten imponiert, dachte das Mädchen dabei panisch.   Moment – ihre Jacke! Anya besah mit Schrecken das Resultat des Angriffs. In Fetzen hing das gute Stück ihr von ihren Armen. Das war ihre Lieblingsjacke gewesen. Die, die sie von ihrem Vater zum vierten Geburtstag bekommen hatte, weil sie schon in diesem zarten Alter auf Totenköpfe stand. Es war der letzte Geburtstag gewesen, den sie als Familie gefeiert hatten, alle hatten sich für sie und ihre Jacke gefreut, die sie als Umhang getragen hatte.   Langsam rappelte sich das Mädchen auf. Ihre Lider kniff sie dabei so eng zusammen, dass Rasierklingen Schwierigkeiten gehabt hätten, ihren Weg hindurch zu finden. Zwar sah sie dadurch fast nichts mehr, aber das war ohnehin egal. Denn wäre Anya Bauer ein Stier, hätte Kyon ihr soeben seinen roten Mercedes vorgestellt. Nun war für ihn nur zu hoffen, dass dieses Ding genug PS drauf hatte, denn wenn nicht … „Du bist so fucking tot, das glaubst du gar nicht“, murmelte sie überraschend beherrscht, „scheiß drauf, dass Kannibalismus verboten ist. Dir werde ich das Herz vor eigenen Augen herausreißen und verspeisen, du mieser Bast-“ „Na na na“, tönte Kyon da mit erhobenem Zeigefinger, „so etwas ist nicht witzig.“ „Ich werd' drüber lachen, während ich deine restlichen Gedärme für später einfriere.“ Der Butler schob sich wieder mit besagtem Finger die kreisrunde Sonnenbrille zurecht. „Eher nicht, denn das Duell habe ich in der Hand. Mit [Spellbook Of Eternity] kann ich auf jede verbannte Spellbook-Karte zugreifen. Ob Life, Wisdom oder sogar Secrets, um mit ihm aus meinem Deck eine passende Antwort für deinen Zug zu finden – den ich im Übrigen bereits kenne – es spielt keine Rolle.“ Ein unheilverkündendes Lächeln huschte so weit über sein Gesicht, dass man seine Mundwinkel am Hinterkopf regelrecht gegeneinander stoßen hören konnte. „Ich habe gewonnen. Denn die Zeit ist auf meiner Seite. Zug beendet.“   Sofort griff Anya vor Wut schnaubend nach ihrem Deck, doch zögerte beim Ziehen. Auf ihrem Feld gab es nichts mehr. Genauso auf ihrer Hand. Die nächste Karte musste der Hammer werden, wenn sie diesem Scheißkerl so richtig in den Arsch treten wollte. Nur gab es da ein paar kleine – Anya mochte sie eigentlich gar nicht so nennen – Probleme. Dieser verrückte Hierophant-Paktissimus, denn sie war überzeugt davon, dass der die Paktkarte dieses Freaks sein musste, konnte Fallen mühelos beseitigen. Und schlimmer noch, Kyon wusste das und dürfte dementsprechend ihr Deck mit seiner bekloppten [Spellbook Organization] arrangiert haben. „Tch“, zischte sie ärgerlich. Wie flexibel dieser Typ war und gleichzeitig wie ein Hellseher die Zukunft sehen konnte, gar selbst in diese eingriff, war erstaunlich! Was sollte sie dagegen tun? Er wusste, was sie ziehen würde! Dann wusste er tatsächlich, dass er-   Könntest du ein wenig Hilfe vertragen, Anya Bauer?   Neben dem Mädchen tauchte urplötzlich das durchsichtige Abbild eines großen, weißen Ritters auf. Schlicht wie er war, trug er keinen Umhang. Nur die rot leuchtenden Stellen im Visier seines Helms, das dadurch sehr ungewöhnlich daherkam, gaben ihm etwas Markantes. Aber dieses Monster, das normalerweise als [Gem-Knight Pearl] bekannt war – eigentlich war es nur Anya und Leuten aus ihrem Umkreis ein Begriff, da Pearl eine Paktkarte und somit einzigartig war – stellte in diesem Fall nur das Erscheinungsbild von Levrier dar, welcher nach der Auflösung seines Paktes mit Anya Bauer mit Pearl verschmolzen war.   „Schön, dass du dich auch endlich sehen lässt“, giftete die leise zurück. Pearl war schließlich nur für sie sichtbar, da Levrier auf gewisse Weise immer noch mit ihr verbunden war. Wenig liebreizend fragte sie: „Was hast du die ganze Zeit getrieben, während ich mich hier mit diesem lausigen Alucard-Cosplayer 'rumärgern muss!?“   Alucard?   „Hast du noch nie Hellsing gesehen!?“, gab das Mädchen aufrichtig empört von sich. Dann winkte sie ab. „Ist ja auch egal. Ich geb' es ja nicht gerne zu, aber im Moment sieht es schlecht aus. Hast du einen Plan?“ Ihr Blick fiel dabei auf Kyon, der ruhig verharrte. Plötzlich sagte dieser: „Du brauchst nicht zu flüstern, ich höre dich und Levrier auch so.“ Daraufhin zuckte das Mädchen zusammen. Denn was er da sagte, war schlichtweg unmöglich! Anya und Levrier unterhielten sich durch eine Verbindung über Anyas Elysion, der Grenze zwischen materieller und immaterieller Ebene, welche jedem Lebewesen zu eigen war. Dabei besaß jeder Mensch sein eigenes Elysion, welches einerseits Zugangsort war, um mit Immateriellen in Kontakt zu treten, andererseits auch vor ebenjenen abgeschirmt werden konnte, wenn man nur wusste wie. Und Anya konnte sich nicht erinnern, Einladungen zu einer Hausparty verteilt zu haben. „Wieso hört der uns!? Und kennst du diesen Kyon zufällig, oder woher weiß er deinen Namen?“ In beiden Fällen muss ich leider sagen, dass ich es nicht weiß – mir ist nie jemand mit seinem Namen begegnet. Vermutlich ist es aber eine besondere Fähigkeit von ihm, die es gestattet, das Elysion entgegen aller Umstände zu durchdringen. Wie du weißt, verfügen Immaterielle über viele mögliche Gaben. Telepathie, Visionen, Illusionen, Schicksalsbeeinflussung …   „Ja ja ja, schon klar“, würgte Anya ihren Partner da ab, „ist auch egal, im Endeffekt wird er eh nicht mehr lange etwas davon haben. Denn weil du es gerade erwähnst …“ Sie griff wieder mit verkniffenem Blick nach ihrer Duel Disk. „Du könntest da schon etwas für mich tun.“   Es wird uns viel Kraft kosten. Und Anya Bauer, wenn ich das so sagen darf, dein Gesundheitszustand ist seit Neuestem besorgniserregend.   „Lieber krepiere ich, als mit dem mitzukommen!“, fauchte Anya wütend. „Also los, tu es!“ Kyons Mundwinkel zuckten kurz.   Wie du willst, aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.   Schnaubend stellte Anya klar, wie viel sie doch von dieser Warnung hielt. Dann schloss sie die Augen und spürte sie. Diese Kraft, die in ihr pulsierte. Warm, nein heiß wie Feuer, glühten die Überreste des Paktes in ihr. „Ha“, schrie sie, wobei ihre ganze Hand an der Duel Disk in weißem Licht aufging, „jetzt kommt der Gegenangriff! Draw!“ Sie sah sie, die eine rettende Karte vor ihrem inneren Auge. Das Netz der Pfade des Schicksals veränderte sich, das spürte sie, während sie ausholend zog. Es war, als würde sie selbst das Labyrinth der Zukunft durchwandern, nein, bestimmen, wo welcher Gang platziert wurde! Das Licht von ihrer Hand war auf die Karte zwischen ihren Fingern übergegangen. Ein neuer Pfad war dank Levrier entstanden!   Plötzlich zwang ein fürchterlicher Schmerz in ihrer Brust sie dazu, beinahe vorne über zu kippen. Keuchend hielt sie sich die nahezu pochende Stelle. „Ist etwas nicht in Ordnung?“, fragte Kyon, allerdings ohne besondere Sorge in der Stimme. „Mein Meister könnte es richten.“ „Scheiß auf deinen Meister!“, fauchte Anya und richtete sich wieder auf. „Der kann sich schon mal nach einem neuen Versager umschauen!“ Ohne nachzusehen, was sie gezogen hatte, knallte sie die Karte auf die Duel Disk. „Erscheine, [Gem-Knight Turquoise]!“ „Nicht die Karte, die ich bestimmt habe“, stellte Kyon fest und hielt sich dabei mit einer Hand das Kinn. „Das überrascht mich tatsächlich. Ich hätte nicht gedacht, dass Levrier noch über so viel Macht verfügt.“ Anya missfiel die Art zutiefst, wie er das aussprach. Als würde es ihn nicht im Geringsten stören. Dennoch ließ sie sich nicht davon beirren und griff nach ihrem Friedhof. Gleichzeitig tauchte vor ihr ein Ritter in hellblauer Rüstung auf. In diese eingelassen waren an Armen und Beinen feingeschliffene Türkise. Der Krieger spannte bereits seinen Bogen, bereit zum Angriff.   Gem-Knight Turquoise [ATK/1400 DEF/2000 (4)]   Schwungvoll zog Anya die [Gem-Knight Fusion] von ihrem Ablagestapel und rief: „Indem ich einen Gem-Knight vom Friedhof verbanne, erhalte ich sie zurück auf die Hand!“ Sprachs und zeigte zudem [Gem-Knight Iolite] vor, welcher dafür herhalten sollte. „Und dank Turquoises Effekt kann ich [Gem-Knight Fusion] abwerfen, um einen verbannten Gem-Knight zu beschwören. Und welcher wäre da besser geeignet als Iolite? Erscheine!“ Das gesagt, knallte sie die Karte des Ritters auf ihre Duel Disk, anstatt sie sich in die Hosentasche, sprich ihre Version der Verbannungszone, zu stecken. Neben ihrem Bogenschützen materialisierte sich der blaue Ritter mit dem Schwert aus Wasser. Gem-Knight Iolite [ATK/1300 DEF/2000 (4)]   „Und jetzt wirst du 'ne ganze, beschissene Legosammlung staunen“, rief Anya und streckte dabei den Arm weit in die Höhe, „ich erschaffe das Overlay Network!“ Vor ihr öffnete sich der schwarze Schlund erneut und saugte ihre beiden Krieger als braune Lichtstrahlen in sich auf. Ist es jetzt Zeit für meinen Auftritt?   „Hell yeah“, antwortete Anya mit einem fetten Grinsen auf den Lippen, während ihr Partner neben ihr verschwand, „aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster! Xyz-Summon! Mach diesen Dreckskerl platt, [Gem-Knight Pearl]!“ Sogleich entstieg aus dem Wirbel der weiße Ritter, der zuvor kurz neben Anya verharrt hatte. Doch anders als zuvor, war er dieses Mal nicht durchsichtig. Stolz verschränkte er die Arme, während zwei braune Lichtsphären um ihn kreisten. Genau wie sieben riesige Perlen, die um ihn schwirrten.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4} OLU: 2]   „Interessante Wahl“, gab Kyon zum Besten. „Oh das kannst du mir glauben!“ Anya griff unter das Xyz-Monster auf ihrer Duel Disk. „Es hat sich ja mittlerweile herumgesprochen, dass mein Pearl keinen Effekt besitzt. Aber dieses kleine Manko wird [Gem-Knight Turquoise] ausgleichen, indem ich ihn und einen anderen Gem-Knight abhänge.“ Das getan, schob Anya die beiden Xyz-Materialmonster in den Friedhofsschlitz. Pearl beziehungsweise Levrier absorbierte die beiden Sphären um ihn mit den Fäusten und begann in einer türkisfarbenen Aura zu leuchten. „Das bewirkt“, schloss Anya den Kreis mit zusammengekniffenen Augen, „dass Pearls Angriffskraft sich verdoppelt.“   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 → 5200 DEF/1900 {4} OLU: 2 → 0]   Kyon wich einen Schritt zurück. „Das ist-!?“ Den Arm weit ausschwingend, rief Anya triumphierend: „Dein Ende, Sportsfreund! Auf ihn mit Gebrüll, Levrier! Blessed Spheres Of Purity!“ Wenn es sein muss.   „Und mach ihm ein bisschen Druck, klar!?“, fügte das Mädchen noch fordernd hinterher. „Er soll wissen, mit wem er es zu tun hat! Ich will Rache für meine Jacke!“ Ich denke, das weiß er auch so, aber wie du willst …   Genau wie sie, schwang Pearl seinen Arm aus und kommandierte damit seine Waffen, die Riesenperlen. Dem Befehl ihres Meisters folgend, schossen sie wie Kanonenkugeln auf den [Hierophant Of Prophecy] zu. Im Flug ragten aus ihnen plötzlich Pfeilspitzen heraus. Kyon seufzte bitter und zuckte mit den Schultern. „Ich hätte es wissen sollen …“ Damit durchbohrten die Geschosse seinen Magier und brachten ihn dazu, in einer heftigen Druckwelle zu explodieren. Diese war so stark, dass sie den Butler im schwarzen Anzug mitriss und fort schleuderte. Selbst Anya hielt sich die Arme als Schutz vor den Oberkörper, zerrte der heftige Wind doch an ihrer zerfetzten Lederjacke und dem blonden Haar. „Daaaah!“, schrie Kyon im Flug schmerzvoll.   [Anya: 1200LP / Kyon: 1600LP → 0LP]   Mit einem heftigem Ruck landete der schwarzhaarige Mann einige Meter von seiner Ursprungsposition entfernt auf dem Rücken. „Ugh …“, stöhnte er im Liegen. Gleichzeitig lösten sich die Hologramme auf. Der Turm verschwand, die Straße fand zu ihrer alten Erscheinung zurück und die Ausgrabungsstätte sowie die umliegenden Häuser tauchten wieder aus dem Nichts auf. Nur eines blieb und das war Pearl, der jetzt wieder durchsichtig neben Anya verharrte. Was jedoch nach wie vor fehlte, waren die Bewohner der Stadt. „Na, was sagst du dazu, Arschgeige!?“, ereiferte sie sich und zeigte ihm die doppelte Ladung Mittelfinger. „Das war für meine Jacke! Mistkerl! Levrier, du warst viel zu soft zu ihm!“   Dir ist die Tatsache, dass er deine Jacke zerstört hat, wichtiger als der Fakt, dass er dich zu einem vermutlich hochrangigen Dämonen führen wollte? Anya Bauer, hast du die vergangenen neun Monate über eigentlich irgendetwas gelernt?   Levriers aufrichtiger Empörung trotzte das Mädchen mit einem abfälligen Schnaufen. „Du hast ja keine Ahnung.“   Derweil richtete sich Kyon langsam wieder auf, bis er wieder kerzengerade stand und sich die Kleidung sauber klopfte. „Ich muss gestehen“, sagte er dabei unterschwellig brüskiert, „dass das nicht geplant war. Wenn der Meister davon erfährt, habe ich ein Problem. Was bedauerlich ist, denn wie ich ihn kenne, weiß er es schon längst.“ „Wenn du nicht gleich abzischt, dann hast du mit -mir- ein Problem. Und zwar richtig!“ Anya runzelte ärgerlich die Stirn und verschränkte die Arme. „Außerdem kannst du deinem Meister bestellen, dass ich nichts von Pennern kaufe! Er soll sich einen anderen Dummen suchen, für was auch immer!“ Kyon sah nun auf und rückte seine Brille zurecht. „Nun, da ich verloren habe, gebietet es mir allein schon die Ehre, nicht noch einen Versuch der Überzeugung zu starten. Wie du wünscht, ich werde dich nicht länger behelligen. Aber eines solltest du wissen, Anya Bauer.“ „Und das wäre?“, hakte sie desinteressiert nach. „Dein Leben wird in exakt einhundert Tagen enden“, antwortete Kyon ruhig, aber bestimmt, „und nur mein Meister ist in der Lage, dies zu verhindern.“ „... huh?“ Von diesen Worten etwas aus der Bahn gebracht, verstummte das Mädchen. Verdutzt blinzelnd, musste sie das eben Gehörte erst verarbeiten. Denn es geschah äußerst selten, dass jemand ihr mit dem Tode drohte. Sie würde also in hundert Tagen sterben, was nur Kyons Meister verhindert konnte? Vollkommener Schwachsinn! Sie war fit wie ein Turnschuh … fast so fit. Aber das bisschen Schmerz, was sie ab und zu verspürte, hatte nichts damit zu tun! … oder doch? Vielleicht ging es aber auch gar nicht darum. Könnte es nicht genauso gut jemand auf sie abgesehen haben? Bloß wer wäre so dummdreist? Und warum dann diese exakte Vorhersage von hundert Tagen? Anya wurde daraus nicht schlau.   „Was soll das denn bitteschön heißen?“, fragte sie skeptisch. „Hat deine Kristallkugel ausgespuckt, dass ich's nicht mehr lange machen werde oder was!?“ Auf Kyons Lippen breitete sich ein geradezu siegesgewisses Lächeln aus. Ganz so, als habe er ihr diese Information bis zum Schluss vorenthalten. „Das erfährst du nur, wenn du mir folgst.“ Mit einem Schnippen ließ er hinter sich das schwarze, spiegelnde Nebelportal erscheinen, durch das er zuvor gekommen war. Sich verneigend, deutete er an, dass sie dort hindurch gehen sollte. Jetzt waren sie wieder beim Anfang angelangt, dachte Anya wütend. „Ich werde nicht-!“ „Deine Schmerzen, die von Tag zu Tag schlimmer werden, sind ein eindeutiges Zeichen“, unterbrach Kyon sie ernst, „sei nicht so dumm und tue sie als Zufall ab. Deine Zeit verrinnt wie im Fluge und wenn du nichts dagegen unternimmst, wirst du binnen drei Monaten tot sein.“ Wütend stampfte das Mädchen auf. „Verarschen kann ich mich auch alleine!“ Also doch eine Krankheit? Von wegen, das war doch nur ein abgekartetes Spiel, um sie zum Mitkommen zu bewegen!   Anya Bauer, du solltest das überdenken. Dass er von deinen Schmerzen weiß ist noch unbedenklich, kennen wir das Ausmaß seiner Fähigkeiten nicht. Aber wenn sich mein Verdacht bestätigt, dann ist das keine bloße Lüge.   „Du jetzt auch noch!?“ Entrüstet sah Anya den durchsichtigen Ritter neben sich an. „Welcher Verdacht!? Was geht hier überhaupt ab!?“   Wir werden es nicht herausfinden, wenn du weiterhin so stur bist.   „Exakt“, stimmte Kyon mit ein und schwang wieder einladend den Arm aus, „dies ist deine einzige Chance, die Wahrheit zu erfahren, Anya Bauer.“ „Das ist doch 'ne Falle!“, beklagte das Mädchen sich. Der Butler schmunzelte vergnügt. „Womöglich? Aber ist das nicht genau der Nervenkitzel, den du so lange vermisst hast?“   Das gehört, dachte Anya darüber nach. Wenn sie jetzt mitging, hieße es, wieder in eine Welt voller Dämonen und Gefahren einzutauchen. Das spürte sie einfach, denn das Besuchen dieses komischen Meisters wäre erst der Anfang. Sie hatte damals so erbittert um ihr Leben gekämpft, dass sie nicht im Traum daran dachte, es erneut aufs Spiel zu setzen. Aber was, wenn es keine Lüge war und jenes Leben sich längst in Gefahr befand? Hundert Tage, bis sie starb. Die Schmerzen. Steckte da wirklich mehr hinter? Mit fragendem Blick richtete sie sich an Levriers Abbild, welcher nach einigem Zögern nickte. „Also schön“, wandte sie sich damit an Kyon, „ich komme mit.“ „Wunderbar. Ich wusste, du würdest die richtige Wahl treffen.“ Er verbeugte sich vor ihr. „Der Meister erwartet dich, Anya Bauer.“ Das Mädchen ihm gegenüber zückte nur den Stinkefinger. „Fuck off!“ Dann ging sie auf ihn zu. Als sie beide auf gleicher Höhe standen, blieb das Mädchen stehen. Ohne den gut einen Kopf größeren Mann anzusehen, sondern stur geradeaus starrend, sagte sie ganz leise: „Aber wenn du mich linken willst, dann mach dich schon mal frisch.“ „Mitnichten.“ Damit trat sie in das Portal ein, gefolgt von Kyon.     Turn 38 – Faces And Facades Konfrontiert mit einem der mächtigsten Dämonen überhaupt, erfährt Anya, was es mit den geheimnisvollen Worten Kyons auf sich hat. Nicht gewillt, auf die Forderungen seines Meisters einzugehen, verwickelt sie ihn in einen Kampf, der jedoch von Anfang an unter keinem guten Stern zu stehen scheint … Kapitel 43: Turn 38 - Faces And Facades --------------------------------------- Turn 38 – Faces And Facades     Es fühlte sich an, als wäre Anya einfach nur durch eine Tür gegangen. Kaum hatte sie einen Schritt durch das Portal genommen, stand sie schon an dessen anderem Ende. Neben ihr gesellte sich Kyon, wobei sich das schwarze Loch hinter ihm schloss. Für einen kurzen Moment musste das Mädchen irritiert blinzeln, denn die plötzliche Dunkelheit hatte sie überrascht. Das Zimmer, in dem sie sich befand, war nicht sonderlich groß. Sofort fielen ihr zwei Sessel ins Auge, die vor einem knisternden Kaminfeuer standen. Aus edlem, weinroten Stoff gefertigt, den Anya nicht einmal benennen konnte, stellten sie sich mit all den Fransen an ihrem unteren Ende als erstaunlich kitschig heraus. Der Blick des Mädchens wanderte nach links, wo sie eine Einbauwand mit unzählig vielen Büchern erspähte. Viele schienen ihre besten Zeiten längst hinter sich zu haben und ihr Anblick, gepaart mit dem Kaminfeuer, erklärte vermutlich den muffigen Geruch im Zimmer. „Meister, ich bin zurück“, sagte Kyon formell.   Anya achtete gar nicht auf den dunkelroten Schopf, der über der linken Sessellehne hervorlugte, sondern schielte stattdessen nach rechts. Dort stand ein Schreibtisch – mit zwei seltsamen Gefäßen darauf, die sofort ihre Neugier weckten. Ohne um Erlaubnis zu fragen, löste sich Anya von Kyon und trat an den Schreibtisch heran. In einem der zylinderförmigen Behälter schwebte eine leuchtende Sphäre. Anya konnte sich nicht helfen, aber irgendetwas zog sie magisch zu dieser hin. Gerade wollte sie mit dem Finger gegen das Glas tippen, da rief Kyon streng: „Finger weg! Das gehört dem Meister.“ „Tch! Und was ist das, wenn man fragen darf?“, erwiderte sie mürrisch und ließ von dem Behälter ab. Stattdessen wandte sie sich dem anderen zu, in dem ebenfalls etwas schwebte. Blau leuchtend, war es ein Symbol. Und dazu eins, das Anya verdächtig bekannt vorkam. Ein marineblauer, fünfzackiger Stern, um den zwei blaue Kreise gezogen waren. Das war ein Paktsymbol.   „Redfields Pakt!“, schoss die Erkenntnis aus ihr heraus. Sofort wirbelte sie zu Kyon um, auf das Gefäß zeigend: „Was macht das denn hier!?“ „My my“, ertönte statt einer Antwort Kyons eine Stimme mit markantem, britischem Akzent von einem der beiden Sessel, „wenn das nicht das Mädchen ist, das Edens Fluch entkommen ist? Wie schön, dass du dich entschieden hast, meine Einladung anzunehmen, Anya Bauer.“ „Oh Gott …“, entfleuchte der fassungslosen Anya ein, für ihre Verhältnisse geradezu lascher Kommentar, „... nicht der. Alles nur nicht der.“   Denn es gab nur einen Menschen – wobei man wohl davon ausgehen konnte, dass es sich hierbei gewiss nicht um so einen handelte – mit britischem Akzent, den sie kannte. Der Sammlerdämon! Seines Zeichens der allwissende Donald Trump der Dämonenwelt. Immer auf sein Auftreten und gute Deals fixiert, verfügte der Collector über Mächte, die jenseits der menschlichen Vorstellungskraft lagen. Gerüchten zufolge, welche direkt vom Dämonenjäger Matt stammten, war er unter den Top 5 der mächtigsten Dämonen dieser Welt. Und Anya, die schon in der Vergangenheit das Vergnügen mit ihm hatte, war alles andere als begeistert, ihn jetzt wieder zu sehen.   „Okay“, stammelte sie etwas verloren, „was sind das da für komische Behälter? Hast du Redfield was getan? Erwartest du jetzt ein Danke dafür? Kriegste aber nicht! Das ist mein Job!“ Ohne sich ihr zuzuwenden, sagte der Sammler belustigt: „Nein nein, das da ist schon eine ganze Weile in meinem Besitz. Nimm doch Platz, dann können wir gleich zum Geschäft kommen. Wir haben schließlich alle Zeit der Welt. Das heißt, -ich- habe alle Zeit der Welt, meine Liebe.“ „Quatsch keine Opern, Arschgeige“, fauchte Anya zurück, ehe sie überhaupt einen ersten Blick auf den zweifelhaften Gastgeber geworfen hatte, „wenn du nicht sofort anfängst freiwillig zu singen, werde ich dich dazu bringen. Und das Stück werde ich Symphonie der Schmerzen nennen!“ Bevor sie überhaupt reagieren konnte, hatte Kyon sie am Arm gepackt und dirigierte sie mit sanfter Bestimmtheit zum freien Sessel. „Fass mich nochmal an und du bist tot, Scheißkerl!“, fauchte sie dabei, riss sich los und schritt freiwillig unfreiwillig herüber zu dem Kaminfeuer. Dort saß er, der Sammler, in seinem gewohnten, schwarzen Designeranzug und starrte erfreut zu ihr herauf. Sein dunkelrotes Haar war perfekt nach hinten gegelt, einzig die Narbe an seiner Wange war ein Makel, den er scheinbar an sich duldete. Oder dulden musste, wer wusste das schon so genau?   „Nimm doch Platz“, bot er Anya mit einem Schwenk seiner Hand zu dem freien Sessel an. Widerwillig ließ diese sich in jenen fallen und funkelte böse zu dem Briten herüber. Dieser hingegen richtete sein höfliches, aber autoritäres Wort an seinen Bediensteten: „Kyon, wir haben einen Gast.“ „Natürlich“, erwiderte dieser mit einer formvollendeten Verbeugung und verließ augenblicklich das Zimmer durch eine Tür im hinteren Teil. „Kann mir einer endlich sagen, was hier abgeht!?“, verlangte Anya schroff, was für ihre Verhältnisse bereits von außergewöhnlicher Selbstbeherrschung zeugte. „Wo bin ich hier, verdammt nochmal!?“ Der Sammler schmunzelte und starrte nur fasziniert in das Feuer, das vor ihnen im Kamin knisterte. Die Arme trotzig verschränkend, schielte seine Gesprächspartnerin ihn derart böse an, dass man meinen konnte, sie beim Versuch zu ertappen, dem Sammler allein mit ihrem Blick ein Loch in die Schläfe zu bohren. Ein Unterfangen, das zu Anyas tiefstem Bedauern erfolglos blieb. Gerade, als ihr Geduldsfaden endgültig zu reißen drohte, drehte der Sammler den Kopf in ihre Richtung und lächelte falsch. „Verzeih mir, ich war gerade etwas in Gedanken versunken. Was sagtest du doch gleich?“ Wenn man davon ausging, dass das folgende Knurren des Mädchens nicht Teil der Antwort war, konnte man unter dem imaginären Wutschaum so etwas vernehmen wie: „Wo-bin-ich!?“ „In meiner Villa in Hollow City natürlich“, antwortete der Sammler ganz lapidar, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. „Du musst entschuldigen, dass ich dich so plötzlich zu mir beordert habe. Aber wie Kyon dir bereits mitgeteilt hat, läuft die Zeit ab. Deine Zeit, um genau zu sein.“   Als Anya jedoch gerade diesen Wortlaut unter inflationärem Gebrauch von Drohgebärden und Schimpfwörtern noch einmal erfragen wollte, kam Kyon wieder in das kleine Arbeitszimmer. In den Händen hielt der dabei ein Silbertablett, auf dem zwei gut gefüllte Weingläser standen. An seinen Herrn und das Mädchen herantretend, reichte er erst dem Sammler sein Glas, ehe er Anya das ihre anbot. Prompt stieß sie es mit dem Handrücken um, sodass der Inhalt sich auf dem Tablett ergoss. Wer in diesem Moment genau hinhörte, hatte das entsetzte Seufzen des Collectors vernommen. „Von euch will ich nichts zu trinken, ist bestimmt vergiftet!“, fauchte Anya. „Verzeihung“, bat Kyon steif, entfernte sich von den beiden und begann im Hintergrund damit, das Tablett zu balancieren, damit bloß kein Tropfen den Boden berührte. „Wie ich sehe“, stellte der rothaarige Brite ebenfalls nicht sonderlich angetan von der Geste fest, „hat sich an deinem Benehmen nicht sonderlich viel getan, seit unserem letzten Treffen. Wie äußerst bedauerlich.“ „Hey!“, raunte Anya allerdings nur, was wohl den Versuch einer Rechtfertigung darstellen sollte. „Mir nichts, dir nichts taucht dein komischer Butler auf, schleppt mich hierher, nur damit ich ausgerechnet dich hier treffe! Und warum? Weil ich sonst angeblich in 100 Tagen hopps gehe! Meine Laune ist also nicht gerade die beste!“ Der Sammler nickte. „Das ist verständlich, aber dennoch dulde ich ein solches Benehmen nicht in meiner Gegenwart. Hättest du das Glas nicht wenigstens …“ „Nein!“, schnitt sie ihm das Wort ab.   Anya hatte sich richtig in Rage gesteigert, seit sie erkannt hatte, in wessen Arme sie gelaufen war. Wenn er sie schon hier haben wollte, dann sollte er jede verdammte Minute davon bereuen. Denn sie wusste bereits, dass -sie- diejenige sein würde, die am allerwenigsten von dem kommenden Gespräch begeistert sein würde. Da war es ja wohl ihr gutes Recht, ihr Umfeld daran so gut es ging teilhaben zu lassen! „Okay, Laberbacke“, brummte sie, um besagtes Gespräch endlich voran zu treiben, „ich frag nicht nochmal! Was geht hier ab?“ Dabei verschränkte sie wieder abwartend die Arme. „Du hast recht, genug Smalltalk. Ich mag es, wenn die Leute schnell zum Punkt kommen. Siehst du“, sagte der Sammler und beugte sich mit einem gefährlichen Funkeln in den Augen vom Sessel aus zu ihr vor, dabei die Hände geschäftsmännisch ineinander faltend „da gibt es etwas, was ich unbedingt haben möchte. Und du bist genau die Richtige für diesen Job.“ „Wieso ich!?“, beklagte sich Anya mit ausgebreiteten Armen. Das Kaminfeuer beleuchtete nur eine Gesichtshälfte der beiden, warf dafür tiefe Schatten in das kleine Arbeitszimmer. „Nun, du hast den Test bestanden.“ „Welchen Test?“ Anya konnte sich nicht daran erinnern, jemals an etwas Dergleichen teilgenommen zu haben. Schon gar nicht, wenn der da involviert war. Der Sammlerdämon lachte vergnügt, auch wenn man kein Genie sein musste, um zu erkennen, dass das lediglich gespielt war. „Na der Turm. Du hast die Herausforderung bestanden. Ein bisschen musste ich helfen, das gebe ich zu, aber du hast dich als äußerst würdig für mein Unterfangen erwiesen. Betrachte es als Ehre.“ „Was!?“, polterte Anya drauf los, die nicht glauben konnte, was sie da gerade vernommen hatte. „Was soll dass heißen, der Turm und Eden waren ein Test!?“ Unbedarft zuckte der Collector mit den Schultern. „Von deiner Warte natürlich nicht, aber von meiner schon. Wie ich schon zu deiner kleinen Freundin damals sagte, war Edens Erwachen für mich an sich völlig unbedeutend. Jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, als ich auf dich aufmerksam wurde.“ „Du elende Ratte!“   Anya gefiel ganz und gar nicht, worauf das hinauslaufen könnte. Für den mag das ja nur ein Spiel gewesen sein, aber für sie war es damals ums Überleben gegangen. Was ging im kranken Hirn dieses Spinners vor sich, dass er auch nur auf die Idee kam, das Wort Test in den Mund zu nehmen? Denn dazu sollte man wissen, dass Anya grundsätzlich alle Arten von Prüfungen hasste – umso mehr wenn Leute involviert waren, die ihr überlegen waren. Was leider viel zu oft der Fall war!   „Nun“, sprach der Sammler und schlug dabei ein Bein über das andere, „sagen wir, durch deinen Sieg über Edens Fluch hast du dich für meine Aufgabe qualifiziert. Noch besser: du stehst völlig außer Konkurrenz.“ „Warum sollte ich dir helfen wollen!?“, wollte Anya wissen. „Ich habe nichts mehr mit Dämonen und dem ganzen Kram zu schaffen!“ „Oh, da kommen wir zu dem Punkt, der dich letztlich hierher gelockt hat.“ „Soll heißen?“ Anya wurde mulmig zumute. Der Sammler nahm dies mit einem Schmunzeln hin. „Kyon spricht die Wahrheit. Dein Leben wird in exakt einhundert Tagen enden. Verantwortlich dafür … bist ganz allein du. Du und deine Gier.“ Als Anya ihn nur verwirrt ansah, seufzte der Sammler künstlich. „Hast du es schon vergessen? Unser Duell?“ Anya versuchte sich zurückzuerinnern. Damals hatte sie den Sammler getroffen, als sie gerade auf der Suche nach Hinweisen war, wie man Eden erwecken konnte. Er hatte ihr Informationen über verschiedene Dinge zugespielt, allerdings in einem Duell. Mit- „[Scales Of Wisdom]“, sprach der Sammler aus, was Anya dachte. „Meine Zauberkarte von damals. Du hast einen Preis gezahlt, um Wissen von mir zu erhalten.“ „Lebenspunkte“, murmelte Anya leise, „ich habe sie alle aufgegeben, weil ich durch [Scales Of Wisdom] nicht verlieren konnte …“ „Richtig. Allerdings hätte dir klar sein müssen, dass die Dinge nicht so einfach sind, wenn ich dein Gegner bin.“ Unsicher sah das Mädchen auf. „Der Schmerz, den ich nach jeder Frage in meiner Brust gespürt habe. Der immer schlimmer wurde, war das …?“ „Korrekt. [Scales Of Wisdom] verhindert den Tod eines jeden, der sich mit mir duelliert. Allerdings nimmt sie Stück für Stück Leben in sich auf, im Austausch gegen Informationen“, erklärte der Sammler schonungslos, „du hast all deine Lebenspunkte, die Repräsentanten deines Lebens, an mich abgegeben. Mit jedem einzelnen hat sich dein Leben exponentiell verkürzt. Wobei – ganz korrekt ist das nicht, du hast nicht all deine Lebenspunkte aufgegeben. 300 habe ich dir genommen, bevor ich die Karte aktiviert habe.“ „Und die sind …“ „Alles, was von deinem Leben ab dem Zeitpunkt unseres Duells noch übrig war. Der Rest befindet sich in meinem Besitz.“ Was den Sammler dazu brachte, heuchlerisch zu lächeln. „Du hättest ruhig einen Schluck trinken sollen, dann hättest du das sicher besser aufgenommen.“ „Du elender-!“, platzte es dort aus Anya heraus. Sie sprang aus ihrem Sessel auf und holte mit der Faust zum Schlag aus, konnte sich jedoch mitten in ihrer angespannten Situation nicht mehr rühren. Es war, als hielte der bestimmende, kalte Blick des Sammlers sie fest, als sie ihm so gegenüber stand. „Es ist wahr, fürchte ich. Genau einhundert Tage noch, bevor du stirbst“, erklärte er ihr abermals und nahm einen genüsslichen Schluck aus seinem Weinglas. „Aber ich bin kein Unmensch. Ich kann dich von deiner Schuld befreien. Wenn du etwas für mich erledigst, nämlich den Auftrag, den ich eben bereits angeschnitten habe. Nichts könnte simpler sein.“   Mit einem Mal lockerte sich der unsichtbare Griff um Anya, sodass sie den erhobenen Arm sinken ließ und ihn in einer Mischung aus Abscheu und verzweifelter Wut anstarrte. Die Informationen, die eben auf sie eingeprasselt waren, waren für jemand so einfach gestricktes wie sie zu überrumpelnd, als dass sie sie in ihrer vollen Tragweite und Komplexität bereits erfassen konnte.   „Ach ja? Einen Auftrag also?“ Das Mädchen runzelte die Stirn. „Und was hindert mich daran, dir einfach solange die Fresse zu polieren, bis ich meine Lebenskraft zurückhabe!?“ „Die Tatsache, dass ich davon nicht sterben werde?“ Anya winkte geradezu vor Hohn spritzend ab. „Pah, langweilig. Das ist eher ein Nachteil, wenn man bedenkt, mit wem du es zu tun hast!“ „Dann vielleicht die Tatsache, dass du dich in meinem Antlitz nicht einmal rühren kannst, wenn ich es so will?“ Was sozusagen das KO-Argument für Anya war. Mit einem Schlag kniff sie die Augen zusammen, dass jene wie kleine, böse blaue Perlen aus ihren Höhlen leuchteten. Er unterschätzte sie wohl maßlos, besonders ihr hervorragend arbeitendes Gedächtnis. Dieses war normalerweise nur für ihre nachtragende Ader gedacht, aber ab und zu speicherte es auch Informationen, die in der Zukunft noch sehr nützlich für die Blonde sein konnten. So wie in diesem Fall. Jetzt kam sie dazu, endlich die Schwäche des Sammlers auszunutzen!   „Ist das alles? Stört mich nicht! Denn mit mir geht es ganz schön“, sagte sie und drückte die Lider noch etwas mehr aufeinander, betonte das nächste Wort geradezu über, „schmutzig zur Sache.“ Der Sammler setzte ein mildes Lächeln auf, wie er sie von seinem Sessel heraus ansah. „Wie süß, du willst meine Bakteriophobie ausnutzen? Das macht mir keine Angst.“ „Ahja!?“, erwiderte Anya gereizt. „Na wenn du meinst?“ Sprachs, zog kurzerhand den Rotz in ihrer Nase hoch und spuckte ihn wie eine Weltmeisterin auf den wertvollen, roten Teppich, der in dem kleinen Arbeitszimmer ausgelegt war. Und sah dann erwartungsvoll zum Sammler, den sie regelrecht erblassen spürte   „Kyon!“, schrie dieser nach einer Sekunde des Entsetzens geradezu herzzerreißend. „Mach das weg! Der Schmutz, die Spucke, das -Ding-!“ Er ließ sich schwach in den Sessel zurückfallen. „Oh ich ertrage das nicht … mein Teppich ist ruiniert! Die Stelle besudelt, für immer ein schwarzer Fle-fle-fleck in meinem Haus! Wir müssen umbauen!“ Derweil kam sein Diener, gerade erst zurück von seiner Tablettnummer, mit gezücktem Putzlappen und Reinigungsspray in der Hand und machte Anyas Sauerei bückend sauber. Dabei stöhnte er kaum hörbar. Die knapp einen Meter sechzig große Blonde genoss das Bild, das sich vor ihr ergab, in allen Zügen. Dabei stemmte sie die Hände in die Hüften. „Ich hab dich gewarnt, Kumpel! Und nun her mit meiner Lebenszeit und zwar dalli!“   „Duuuuuuu“, entfleuchte es dem Sammler, der ruckartig aufstand und das Mädchen geradezu hasserfüllt ansah, „du kleines, dreckiges Biest.“ Als Antwort drehte sich Anya um, spuckte auf den Sessel und richtete sich erwartungsvoll an den Sammler. „Ja?“ Die Lippen des besagten Dämons bebten. Vor Zorn oder vor Ekel war dabei nicht eindeutig zu erkennen. „Dafür zahlst du!“ „Ahja mit was? Meinem Leben? Ohhh, das hast du ja schon!“ Anya sah gar nicht ein, warum sie sich von diesem Dreckskerl einschüchtern lassen sollte. Der würde sowieso mit ihr machen was er will, wenn sie dem keinen Riegel vorschob! „Hör mal, Kumpel! Dass du mich in diesem Duell gelinkt hast ist scheiße, aber ich vergebe dir. Wenn du diesen Mist rückgängig machst!“ „Sonst?“, erfragte der Sammler kalt. „Mach ich aus deinem Haus“, antwortete Anya und betonte den letzten Teil besonders deutlich, „die Arche Noah für Bazillen. Für jede Art ein eigenes Zimmer.“ „Du drohst mir? In deiner Lage?“ Anya nickte und verschränkte selbstbewusst die Arme. „Mit dir werde ich schon irgendwie fertig. Ach, wenn wir schon dabei sind, Redfield kannst du gleich auch aus ihrem Vertrag mit dir befreien, natürlich ohne Haken.“ Denn Anya wusste, dass Marc Butcher – Valeries Verlobter – sterben würde, wenn der Vertrag aufgelöst wurde. Denn sein Leben, was ausgerechnet Anya ihm einst genommen hatte, lag ebenfalls in den Händen des Sammlers.   Anya Bauer, bist du dir deiner Lage überhaupt bewusst!?   Levrier tauchte unverblümt neben Anya in [Gem-Knight Pearls] Form auf.   Er hat dich vollkommen in der Hand! Du solltest dir erstmal anhören, was er zu sagen hat, bevor du dich weigerst ihm zu helfen oder ihm gar drohst! Ich habe dich damals vor ihm gewarnt! Sei so klug und verschlimmere deine Lage nicht noch!   „Schnauze, Levrier!“, raunte Anya jedoch nur. Sie dachte gar nicht daran, einen auf unterwürfig zu machen. Dieser Bastard vor ihr dachte vermutlich sowieso schon, dass sie sein Spielzeug war, aber da hatte er sich geschnitten! Anya hatte zu viel durchgemacht, um sich noch von irgendjemandem einschüchtern zu lassen. Wenn der Typ Krieg wollte, sollte er ihn haben. Denn wenn er ihre Hilfe wollte, dann im wahrsten Sinne des Wortes nur über ihre Leiche.   Oh nein, ihr Verstand hat ausgesetzt …   „Das ist, was ich so an ihr schätze, Levrier“, richtete der Sammler sein Wort an Anyas Partner, ließ das Mädchen jedoch nicht aus den Augen. „Wie ich sehe, werde ich wohl mit Drohungen allein nicht viel ausrichten können.“ „Bingo!“ Sein schwarzes Sakko straffend, seufzte der Sammler. „Bedauerlich, eigentlich wollte ich diese Situation vermeiden. Was schlägst du vor, um sie zu lösen, Anya Bauer? Du wirst einsehen müssen, dass ich kein Interesse daran habe, dich, geschweige denn Valerie Redfield, von den Schulden zu befreien, die ihr bei mir habt.“   Anya fasste sich ans Kinn und grübelte. Dieser Typ wollte für seinen komischen Job sie? Und anscheinend nur sie, sonst hätte jemand mit seiner Macht sie schon längst pulverisiert. Kam also nur sie dafür infrage? Das war gut! Zumindest ein kleiner Strohhalm, nach dem sie greifen konnte. Aber wie brachte sie ihn jetzt dazu, nach ihrer Pfeife zu tanzen? Der Blick des Mädchens wanderte dabei zufällig über ihre Duel Disk.   Oh bitte, lass das nicht dein Ernst sein.   „Du hast es doch gesagt, Levrier“, erwiderte der Sammler, „ihr Verstand hat ausgesetzt.“ „Hey! Ich will eine Revanche, weil du mich gelinkt hast, klar!? Wenn ich diesmal wieder verliere, fein, dann helfe ich dir. Gewinne ich, dann tust du, was ich dir sage, klar!?“ „Nein“, lautete die knappe Antwort. „Wie bitte!?“, überschlug sich Anyas Stimme, obwohl sie sehr wohl verstanden hatte, was der Sammler gesagt hatte. „Nein“, erwiderte er im selben, bestimmenden Tonfall, „dieser Deal ist der Situation unangemessen. Ich habe dich bereits in- NEIN!“ Doch Anyas Finger steckte schon mitten in der Nase und wurde unter einem Grinsen der Besitzerin herausgezogen. „Komm mir damit nicht zu nahe!“, kreischte der Sammler und wich wie ein verschrecktes Huhn zurück. Als Anya Anstalten machte, die Bakterien stattdessen am noch unbefleckten Sessel abzuschmieren, brach die eben noch eiserne Entschlossenheit des Sammlers wie ein Kartenhaus in sich zusammen. „Okay, ich mach's, ich mach's! Kyoooooooon!“ Der Butler, der die ganze Zeit zwischen ihnen gekniet und Anyas 'Schandfleck' beseitigt hatte, richtete sich auf. „Meister?“ „Meine Duel Disk und mein Deck! Schnell, es geht um Leben und Tod!“ Mit diebischer Zufriedenheit beobachtete Anya den schwarzhaarigen Mann dabei, wie er sichtlich genervt von der Phobie seines Meisters zu einem Schrank lief, daraus einen Koffer holte und wieder zurückkehrte. Nebenbei legte der Sammler sein Sakko ab und offenbarte ein schwarzes Hemd. Kyon derweil klappte den metallischen Koffer auf. In einer Fassung aus samtenem Polster lagen dort eine schwarze Duel Disk, anscheinend aus derselben Modelllinie wie die Battle City-Disk, und drei durchsichtige Deckboxen. Dadurch konnte Anya jeweils das erste Monster erkennen, das sich im Deck befand. Das Deck ganz links beherbergte [The Fabled Cerburrel], das mittlere [Fabled Raven] und das rechte … lag falsch herum in der Box, sodass Anya nicht erahnen konnte, was sich darin befand. Was auch nicht weiter wichtig war, als der Sammler sich das mittlere Deck und die Duel Disk schnappte. „Hör zu, Anya Bauer“, sagte er, während er sich die Duel Disk um den Arm schnallte, „für dich mag das lustig sein, weil du glaubst meine Schwäche zu kennen. Doch ich warne dich, treib es nicht zu weit. Du tätest besser daran, meinen Vorschlag zu akzeptieren.“ „Tch, als ob!“ „Dieses Duell ist sinnlos. Aber wenn du unbedingt wünscht, deine eigene Machtlosigkeit zu demonstrieren, werde ich dir dabei gerne behilflich sein.“ Anya zuckte nur unbedarft mit den Schultern. „Ich bin bisher mit allem fertig geworden, also hör auf Reden zu schwingen!“ „Wie du willst“, antwortete der Sammler steif, „niemand soll mir nachreden, ich wäre unfair meinen Partnern gegenüber. Aber deine Dreistigkeit wirst du noch bitter bereuen – denn egal ob du gewinnst, nachgeben werde ich deiner Forderung nicht. Deine Lebenszeit gehört mir, daran wird sich nichts ändern.“ Sein Gegenüber kniff die Augen zusammen. „Das wollen wir erstmal sehen.“   Kurz darauf hatten sie sich im kleinen Arbeitszimmer aufgestellt. Kyon beobachtete alles schweigend von der Seite, wobei er immer wieder interessierte Blicke auf Anya warf. Levrier wiederum war verschwunden, nachdem er erkannt hatte, dass sein Schützling im Berserkermodus leider nicht sonderlich kooperativ war. Der Sammler seinerseits, mit dem Kamin im Nacken, schien ziemlich mit seiner Beherrschung zu ringen. Es bestand kein Zweifel, dass er diesmal Ernst machen würde. Aber sollte er nur, dachte Anya, die vor der Tür stand, die aus dem Zimmer führte. Er hatte sie damals reingelegt und so war es nur fair, dass sie diese Chance erhielt. Sie würde nicht verlieren, nicht als jemand, der bereits einmal mit seinem bevorstehenden Tod konfrontiert war!   „Ich sage es dir noch einmal im Guten: dieses Duell ist sinnlos“, sprach der Sammler, als er sein ausgewähltes Deck in den passenden Schacht schob, „ich werde mich nicht erweichen lassen, weder deine Lebenszeit, noch Valeries Namen zurückzugeben. Selbst wenn du mich besiegst.“ „Tch, hast du auch andere Sprüche auf Lager?“ Anya funkelte ihn dermaßen böse an, dass ihr berühmter Todesblick wieder einmal regelrechte Löcher in seine Stirn bohrte – leider nach wie vor nur im übertragenen Sinne. Ihr Plan, der eigentlich nur recht viel Gewalt beinhaltete und zwar mithilfe von [Gem-Knight Pearl] oder wahlweise auch [Gem-Knight Master Diamond], dem anderen Monster in ihrem Deck das realen Schaden verursachen konnte, war zugegeben recht simpel. Und Anya ahnte, dass es den Sammler nicht beeindrucken würde. Aber was sollte sie sonst tun? Ihr Schicksal einfach hinnehmen? Beim letzten Mal hatte sie sich auch erfolgreich dagegen wehren können, einen Versuch war es also allemal wert! „Du weichst also nicht von deiner Idee ab“, stellte der Sammler fest, mit einem erstaunlich zufriedenen Unterton, „das gefällt mir zugegebenermaßen. Was ich brauche ist jemand, der hartnäckig bleibt. Also schön, duellieren wir uns.“ „Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du nie wieder eine Karte anrühren wollen! Wohlgemerkt, selbst wenn du es wolltest, könntest du es nicht mehr!“, redete Anya sich selbst in Rage. Der rothaarige Brite lachte aufgesetzt. Dann riefen sie beide: „Duell!“   [Anya: 4000LP / Collector: 4000LP]   „Ich mach den ersten Zug!“, entschied Anya und riss mit einem Schlag sechs Karten von ihrem Deck. Eine Falle aus dem Blatt nehmend, schob sie diese anschließend in einen der dafür vorgesehenen Slots ihrer alten Battle City-Duel Disk. „Die verdeckt!“ Kaum hatte sich jene Karte vor ihren Füßen in vergrößerter Form materialisiert, hielt sie schon ihre berühmt berüchtigte [Gem-Knight Fusion]-Zauberkarte zusammen mit zwei Monstern in die Höhe. „Und jetzt verschmelze ich [Gem-Knight Garnet] und [Gem-Knight Emerald]! Emerald, du bist das Element, Garnet, du der Ursprung! Werdet jetzt zu [Gem-Knight Zirconia]!“ Vor dem Mädchen öffnete sich ein Wirbel aus Edelsteinen und verschlang die durchsichtigen Ebenbilder ihrer Ritter, ehe daraus ein breit gebauter, fast bis an die Decke reichender Krieger vor ihr erschien. Sein Markenzeichen waren die zwei gewaltigen Fäuste, die wie Dampframmen aus dem Namen gebenden Zirkon gemacht waren.   Gem-Knight Zirconia [ATK/2900 DEF/2500 (8)]   „Ich erinnere mich, die hast du letztes Mal schon eingesetzt. Das ist doch das Geschenk deines Dämonenjägerfreundes. Oder eher sein Bestechungsmittel.“ Anya schnaubte ob der Tatsache, dass der Sammler scheinbar darum wusste, dass sie diese Karte damals von Matt dafür bekommen hatte, eine Zusammenarbeit mit ihm und dem Narbengesicht Alastair einzugehen. Egal, dieses Monster und ihre Falle würden sie schützen, solange sie selbst noch nicht angreifen konnte. „Zug beendet“, zischte sie böswillig. Wortlos nahm der Sammler seine nun sechste Karte auf, fügte sie seinem Blatt hinzu und schob mit dem Daumen eine andere daraus hervor, die er dann mit der freien Hand hinauszog. „Ich aktiviere [Nobleman Of Extermination]“, sagte er seelenruhig und schob die Karte in seine Duel Disk, „damit verbanne ich eine gesetzte Nicht-Monster-Karte. Ist es dabei eine Falle, werden alle weiteren Exemplare von deinem Deck ebenfalls verbannt.“ Anya stieg einen nervösen Seufzer aus, als von der Decke unerwartet ein langes Schwert fiel, ihre [Negate Attack] in der Mitte durchbohrte und mit ihr verschwand. „Das mag zwar eine Falle gewesen sein, aber weitere Kopien davon besitze ich nicht“, sagte das Mädchen unzufrieden. Das fing ja toll an! Hoffentlich betrog der Kerl sie nicht klammheimlich! Allerdings schien der Sammler mit seinen Gedanken ganz woanders, denn er nahm bereits die nächste Karte aus seinem Blatt hervor. „Normalbeschwörung: [Fabled Raven]. Und da ich jetzt ein Fabled-Monster besitze, kann ich [Fabled Grimro] abwerfen, um mir ein neues Fabled-Monster vom Deck zu suchen. Die Wahl fällt auf [Fabled Lurrie].“ Während er, unter einem Regen von schwarzen Federn, nach der genannten Karte in seinem Deck suchte, tauchte vor ihm ein düster wirkender, dämonischer Mann auf, der eine Maske trug, aus der seine Augen rot leuchteten. Die Schwingen an den Unterarmen ließen ihn wortwörtlich wie einen Raben in Menschengestalt wirken.   Fabled Raven [ATK/1300 DEF/1000 (2)]   Kaum hatte der Sammler seine gewählte Karte dem Blatt hinzugefügt, zeigte er sie schon zusammen mit einem anderen Monster Anya vor. Und das mit derart angewinkelter Hand, dass die Blonde schon darauf hoffte, jene abfallen zu sehen. Selbstredend vergebens. „Effekt von [Fabled Raven]. Ich kann beliebig viele Karten abwerfen, um für jede seine Stufe und Angriffskraft um eins beziehungsweise 400 zu erhöhen.“ So trennte er sich von den vorgezeigten Monstern. [Fabled Raven] begann in roter Aura aufzuleuchten und lachte höhnisch. Fabled Raven [ATK/1300 → 2100 DEF/1000 (2 → 4)]   Ehe Anya einen galligen Kommentar abgeben konnte, tauchte plötzlich neben dem Dämon ein kleinerer, mit ledrigen, schwarzen Flügeln beschwingter Knirps in dunkler Tunika auf. Er mutete wie das Gegenteil dieser Engelchen an, die in vielen historischen Gemälden, meist neben spärlich bekleideten Schönheiten, abgebildet waren. Was ihm immerhin ein paar lausige Sympathiepunkte bei Anya einbrachte.   Fabled Lurrie [ATK/200 DEF/400 (1)] Trotzdem fragte die: „Was soll das? Ich dachte, du hast ihn abgeworfen!?“ Der Sammlerdämon schmunzelte vergnügt. „Aber natürlich habe ich das. Und genau deswegen ist er ja zurück.“ „Tch!“ Missmutig beobachtete das Mädchen, wie der Sammler seine verbliebenen beiden Handkarten in die Duel Disk schob und sie jeweils hinter Lurrie und Raven als gesetzte Zauber- oder Fallenkarten erschienen. „Nun, da ich kein Blatt mehr besitze, kann ich bedenkenlos dies hier tun. Ich stimme den Stufe 4-Empfänger [Fabled Raven] auf das Stufe 1-Monster [Fabled Lurrie] ein.“ Schon zerplatzte Raven in vier grüne Lichtringe, die zusammen mit Lurrie in die Luft stiegen. Dieser verwandelte sich in eine leuchtende Kugel, die besagte Ringe durchquerte. „Synchro Summon, Stufe 5!“, rief der Sammler ohne einen der sonst weit verbreiteten Beschwörungssprüche von sich zu geben. „Zeig dich, [Fabled Ragin]!“ Ein greller Lichtblitz erfasste den Raum, dann landete mit einem Satz ein Dämon in gold-schwarzer Rüstung und ebenfalls pechschwarzen Schwingen vor ihm. Dieser verschränkte die Arme und starrte Anya mit roten Augen hinter seiner düsteren Maske an.   Fabled Ragin [ATK/2300 DEF/1800 (5)]   Provokant gähnte Anya, um zu zeigen, was sie von diesem Monster hielt. Der Sammler seinerseits griff nach dem Deck. „Wenn Ragin als Synchrobeschwörung gerufen wird, ziehe ich solange, bis ich zwei Karten auf meiner Hand halte.“ Da diese gerade leer war, konnte der rothaarige Brite also zweimal nachziehen, was er auch nur allzu gerne tat. Umso überraschender war dann jedoch, dass er diese gezogenen Karten, nämlich [Fabled Oltro] und eine Fallenkarte, die Anya nicht erkennen konnte, gleich auf den Friedhof schickte. „Vom Friedhof, der Effekt von [Fabled Soulkius]: ich werfe zwei Karten ab und kann ihn aufs Feld rufen.“ Den musste er vorhin mit Ravens Effekt abgeworfen haben, erkannte Anya ärgerlich. Kurz darauf tauchte noch so ein finsterer Dämonenmacker vor ihrem Gegner auf, ebenso mit schwarzen Schwingen, dafür aber als Bonus noch mit langem, geschupptem Schweif versehen.   Fabled Soulkius [ATK/2200 DEF/2100 (6)]   „Oh toll, ruf nur einen Schwächling nach dem anderen!“, raunte Anya gallig. „Die walze ich alle mit Zirconia nieder!“ „Du unterschätzt mich“, sprach der Sammler mit einer Spur Enttäuschung in der Stimme, „maßlos sogar. Verdeckte Zauberkarte aktivieren: [Monster Reborn].“ Seine linke verdeckte Karte klappte auf. „Sie reanimiert ein Monster, nämlich [Fabled Raven].“ Anya stöhnte ärgerlich, als sie kurz darauf wieder diesem unheimlichen Federvogelmenschwasauchimmer gegenüber stand, wie sie ihn insgeheim betitelte. „Ich stimme den Stufe 2-Empfänger [Fabled Raven] auf das Stufe 6-Monster [Fabled Soulkius] ein.“ Das gleiche Spiel von vorn: Raven verwandelte sich in zwei grüne Ringe, die Soulkius durchquerte, was Anya alles andere als behagte. „Synchro Summon, Stufe 8! Erscheine, [Fabled Valkyrus]!“ Was folgte war ein greller Lichtblitz und schon stand vor dem Sammler ein weiterer beflügelter Dämon. Dieser hier war jedoch etwas größer als seine Mitstreiter und durch seine rot-schwarze Rüstung ebenso edel wie Ragin.   Fabled Valkyrus [ATK/2900 DEF/1700 (8)]   „Oh shit!“, entfleuchte es Anya schließlich. „Verdeckte Zauberkarte aktivieren: [Pot Of Avarice]“, rief der Sammler und schwang den Arm über seine zweite gesetzte Karte aus, die daraufhin aufsprang. „Ich mische fünf Monster von meinem Friedhof ins Deck und ziehe zwei Karten.“ Dies tat er schließlich, indem er [Fabled Oltro], [Fabled Raven], [Fabled Grimro], [Fabled Soulkius] und [Fabled Lurrie] vorzeigte, auf das Deck legte und jenes nachmischen ließ, eh er sein Blatt abermals aufstockte. „Schmutzige kleine Kreatur“, titulierte er Anya, der mittlerweile der Schweiß auf der Stirn geschrieben stand, „bringen wir dir doch ein paar Manieren bei. [Fabled Valkyrus], greife [Gem-Knight Zirconia] an! Nights Hunger!“ Finster lachend, streckte der größere Dämonenmann seine Arme aus und erzeugte mit seinen Schwingen auf magische Weise eine Gruppe von leuchtenden Fledermäusen, die auf Anyas massiven Ritter zugeschossen kamen. „Falle aktivieren, von meinem Friedhof“, rief der Sammler dabei und zog besagte Karte aus dem Friedhofsschlitz, „[Skill Successor]. Indem ich sie verbanne, erhält Valkyrus für diesen Zug 800 Angriffspunkte.“ Anya traute ihren Ohren kaum.   Fabled Valkyrus [ATK/2900 → 3700 DEF/1700 (8)]   Die Fledermäuse schossen wie ein Kugelhagel durch ihren Krieger und durchlöcherten ihn regelrecht. Die folgende Explosion war so stark, dass Anya zurückgeworfen wurde und gegen die Tür knallte, die sich hinter ihr befand. „Ugh!“   [Anya: 4000LP → 3200LP / Collector: 4000LP]   „[Fabled Ragin], direkter Angriff! Legions Rage!“ Anya konnte sich noch nicht einmal vom ersten Angriff erholen, da sah sie schon einen Laserstrahl aus den Augen des Dämons kommen, der direkt auf sie abzielte. Noch eine Explosion erschütterte die Hallen des Sammlers. Die Tür wurde aus ihren Angeln gerissen und Anya, direkt in die Brust getroffen, flog mit ihr in den quer zum Zimmer verlaufenden Gang. Auf dem Rücken landend und fast bis zur Wand des Ganges schlitternd, blieb Anya liegen und stöhnte. Sah sie schon nach dem Duell mit Kyon mitgenommen aus, vor allem aufgrund der zerfetzten Lederjacke, machte ihr mit Ruß beschmierter und Schnittwunden übersäter Körper keinen gesunden Eindruck mehr. „Auuu …“   [Anya: 3200LP → 900LP / Collector: 4000LP]   Gerade wollte sie sich erheben, da wurde sie unter mächtigem Druck wieder zurück auf den Boden der Tatsachen gepresst. Anya keuchte schmerzerfüllt auf, als der Schuh des Sammlers auf ihre Brust drückte. „Was meine Besucher fühlen, suchen, so unendlich begehren“, sprach er dabei leise und sah auf sie herab, „ist mir gleich. Mein Interesse liegt darin, einen Weg zu finden, ihnen diese Dinge zu geben und dafür einen Gegenwert zu erhalten.“ „Du mieser-!“ Bevor Anya auch nur ihren Widerspruch kundtun konnte, schnitt ihr der rothaarige Mann scharf ins Wort. „Du, die du geradezu gierig nach Antworten deine Hand ausgestreckt hast, ohne darüber nachzudenken woher sie kommen, solltest eines wissen. Als diejenige, die nie selbst nach Antworten gesucht, sondern gewartet hat, bis sie ihren Weg zu dir finden, hast du dein eigenes Schicksal besiegelt. Denn bin ich nicht gekommen und habe dir gegeben, was du begehrtest?“ Stöhnend griff Anya nach seinem Fußgelenk und wollte sich von der Last befreien. Aber ihr Rütteln und Zerren war erfolglos, wie ein tonnenschwerer Stahlträger drückte der Fuß des Sammlers sie nieder. „Ich wusste nicht-“, presste sie daher leise hervor. „Du wusstest es. Du hast es gespürt, als die Waagschalen dein Leben in sich aufgenommen haben.“ Es war der Sammler selbst, der den Fuß von ihr nahm. „Deinen Wunsch, noch etwas länger zu leben, Eden zu entkommen, habe ich erfüllt. Auf meine Weise. Und nun fordere ich dafür den wahren Preis ein. Deine Unterstützung gegen dein Leben.“ Sofort sprang Anya auf und wich gleichzeitig einige Schritte von dem Mann zurück, stieß an die gegenüberliegende Wand des Ganges. Sich die schmerzende Stelle haltend, erwiderte sie ungewohnt unsicher: „D-der Kampf ist noch nicht vorbei!“ „Es gab nie einen Kampf. Dieses Duell, du wirst es verlieren. Weil ich es so will. Aber gerne können wir das noch fortsetzen, wenn dich diese Kostprobe meines Könnens immer noch nicht von meiner Überlegenheit überzeugt.“   Anya, die in diesem Moment rot sah, wollte sich einfach auf den Sammler stürzen, der durch die zerstörte Tür schritt und dabei war, sich auf seine alte Position zurückzubegeben. Allerdings wurde Anya ein Strich durch die Rechnung gemacht, als sich Kyon ihr in den Weg stellte. „Davon rate ich dringend ab.“ „Aus dem Weg!“ „Der Sammler hat bereits gewonnen. Du solltest deine Lage nicht noch verschlimmern, Anya Bauer.“ Zischend drängte das Mädchen den Butler mit dem Arm zur Seite, schob sich an ihm vorbei durch den Türrahmen und nahm ebenfalls ihre Duellposition wieder an. „Mach weiter!“, forderte sie zornig. Noch war sie nicht am Ende! „Wie du willst“, sprach der Sammler und schob eine Karte in seine Duel Disk. „Ich setze diese hier und beende meinen Zug.“ Die Falle materialisierte sich vor ihm, sodass er seinen Zug mit einer Handkarte abgab.   Besagte Falle war noch im Begriff eine vergrößerte Form anzunehmen, da hatte Anya schon schwungvoll gezogen. Das neue Monster ihrem Blatt hinzufügend, nahm sie aus ebenjenem eine Zauberkarte hervor und steckte sie in die Duel Disk. „Ich aktiviere [Gem-Trade], was nur geht, wenn auf meinem Friedhof [Gem-Knight Fusion] oder etwas Vergleichbares liegt. Damit verbanne ich ein Gem-Knight-Fusionsmonster vom Friedhof und ziehe für jede drei Stufen besagten Monsters eine Karte, muss dafür aber anschließend für jede gezogene Karte auf eine Draw Phase verzichten!“ Nachdem Anya sich ihren Stufe 8-[Gem Knight Zirconia] in die Hosentasche gesteckt hatte, riss sie zwei Karten von ihrem Deck, womit sich nun vier auf ihrer Hand tummelten. Fünf, wenn man bedachte, dass Anya danach wortlos den Effekt von [Gem-Knight Fusion] aktivierte, um [Gem-Knight Emerald] vom Friedhof zu verbannen, damit besagte Zauberkarte wieder den Weg in ihr Blatt fand. „Ich aktiviere [Gem-Knight Fusion]! Damit verschmelze ich jetzt [Gem-Knight Tourmaline] und [Gem-Knight Obsidian] von meiner Hand zu [Gem-Knight Prismaura]! Und scheiß auf den Beschwörungstext, komm einfach!“ Über der feuereifrigen Anya entstand ein Wirbel aus Edelsteinen, der die Abbilder ihrer beiden Ritter in sich aufsog und anschließend einen neuen, weißen Ritter hervorbrachte, der mit Kristalllanze und Schild bewaffnet vor ihr Stellung bezog.   Gem-Knight Prismaura [ATK/2450 DEF/1400 (7)]   Allerdings war er nicht der Einzige, der auf dem Feld erschien. „Wenn [Gem-Knight Obsidian] von der Hand auf den Friedhof wandert, beschwört er von dort ein normales Monster! [Gem-Knight Tourmaline]!“ So geschah es, dass neben Prismaura ein Ritter in goldener Rüstung erschien, welcher zwischen seinen Handflächen Blitze erschuf. Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)]   Derweil war Anya bereits dabei, [Gem-Knight Obsidian] vom Friedhof zu verbannen, um erneut [Gem-Knight Fusion] zu bergen. Dies getan, verfrachtete sie die Karte mit einem Rums gleich wieder auf den Ablagestapel. „Effekt von [Gem-Knight Prismaura]! Indem ich eine Gem-Knight-Karte abwerfe, zerstöre ich eine deiner offenen Karten. Bye bye, Fucked Valkyrus!“ Ihr edler Ritter sammelte mit seiner Kristalllanze Energiepartikel, die er in Form eines Strahls auf den größeren der beiden Dämonen abfeuerte. Jener explodierte in einem gequälten Schrei. „Nicht schlecht“, lobte der Sammler sie anerkennend. „Keine Sorge, es wird noch viel besser“, raunte Anya. Nun schon zum dritten Mal in diesem Zug recycelte sie [Gem-Knight Fusion], indem sie [Gem-Knight Garnet] zu seinen Kollegen in die Verbannungszone namens Hosentasche schob. „Der Spaß fängt jetzt erst richtig an“, rief Anya und hielt die Zauberkarte zusammen mit einer ihrer anderen beiden Handkarten und den beiden Monstern auf ihrer Spielfeldseite in die Höhe. „Ich fusioniere [Gem-Knight Prismaura], [Gem-Knight Tourmaline] und [Gem-Knight Alexandrite] zu einer Einheit! Zeit, meinen Plan in die Wege zu leiten.“ Das nennst du einen Plan, Anya Bauer? Stupides Draufschlagen? Ich bitte dich, denk nach. Das wird nicht funktionieren, nicht bei jemandem wie ihm!   Levriers telepathisch vermittelte Kritik ignorierend, schrie das Mädchen förmlich: „Drei Lichter kreuzen den Weg des Lichts! Körper, Seele und Herz verschmelzen und werden zu der Macht, die in ihrer Reinheit einem Diamanten gleicht! Werdet eins! Werdet [Gem-Knight Master Diamond]!“ Über ihr öffnete sich der Edelsteinwirbel ein weiteres Mal und verschlang ihre drei Monster. Aus dem glitzernden Strom entsprang er dann auch. Der größte, prunkvollste unter den Gem-Knights. Ein riesiges Breitschwert geschultert, in dessen Klinge sieben farbige Edelsteinen eingelassen waren, erhob sich Diamond in seinem roten Umhang vor Anya. Die freie Hand zu einer Faust geballt, reckte er den Kopf in den Nacken – und ließ besagte Faust in violetten Flammen aufgehen. Genau wie es auch mit Anyas rechter Hand geschah.   Gem-Knight Master Diamond [ATK/2900 DEF/2500 (9)] „Du gibst also alles, was du zu bieten hast. Ich bin gespannt“, sagte der Sammler gelassen. „Mir ist es schnuppe, ob ich gewinne oder verliere“, erwiderte Anya und griff nach ihrem Friedhof, „solange ich dir mit Diamond Schmerzen zufügen kann! Und du wirst ihn von seiner besten Seite erleben, denn ich aktiviere seinen Effekt! Indem ich einen Fusionskollegen verbanne, erhält Diamond dessen Effekt bis zur End Phase!“ Ihr Krieger umfasste sein Schwert daraufhin mit beiden Händen und hob es in die Höhe, bis dessen Spitze an die Decke ragte. Mit der Klinge absorbierte er die weiße Seele von [Gem-Knight Prismaura], der in Anyas Hosentasche landete. Kurz darauf begann Diamond in violetter Aura zu glühen. „Und jetzt pass mal schön auf.“ Anya präsentierte [Gem-Knight Fusion], die sie abermals erhielt, indem sie [Gem-Knight Alexandrite] vom Friedhof verbannte. „Ich werfe die hier ab und nutze damit Prismauras Effekt in Diamonds Gestalt erneut! Los!“ Mit seinem gewaltigen Breitschwert absorbierte ihr Ritter weiße Partikel, die er dann wie einen Laserstrahl auf [Fabled Ragin] abfeuerte. Jener konnte nur noch schreien, als ihn die drauf folgende Explosion zerfetzte. Womit das Feld des Sammlers nun von Monstern getilgt war. „Noch was: Diamond bekommt für jeden Gem-Knight, der noch auf meinem Friedhof ist, 100 Angriffspunkte als Bonus. Leider liegt dort durch die ganzen Aktionen nur noch Tourmaline, aber das ist nicht so schlimm …“   Gem-Knight Master Diamond [ATK/2900 → 3000 DEF/2500 (9)]   Anya schloss ihre kleine Erklärung schließlich mit: „... denn jetzt ist Zahltag! Los, Diamond, direkt auf die Lebenspunkte! Shining Wave Breaker!“ Zeitgleich wie ihr Monster das Schwert in einer Halbkreisbewegung schwang, schwang Anya ihre flammende, rechte Hand weit aus. Was in einer gewaltigen Schockwelle resultierte, die auf ihrem Weg den Teppich unter sich förmlich zerfraß und ungebremst auf den Sammler zusteuerte. „Du willst mich verletzten? Lass dir etwas Besseres einfallen. Verdeckte Falle, [Reanimation Wave]!“ Seine gesetzte Karte klappte auf. Violetter Nebel bildete sich um den Sammler und errichtete ein kuppelförmiges Kraftfeld, an dem Diamonds Attacke einfach abprallte. Zumindest der größte Teil, denn einige glitzernde Lichtklingen schafften es durch die Barriere und erfassten den Sammler – und schossen einfach durch ihn durch, wie gewöhnliche Hologramme.   [Anya: 900LP / Collector: 4000LP → 2500LP]   „Diese Falle halbiert den erlittenen Schaden und ruft zusätzlich ein Synchromonster aus meinem Friedhof auf das Feld“, erklärte der Sammler. „Erscheine, [Fabled Valkyrus]!“ Anya aber hatte so weit die Augen geöffnet, dass sie drohten, aus den Höhlen zu ploppen. Nichts? Kein Schaden? Nicht ein paar Kratzer, wenigstens ein paar Risse in seinem Anzug? Ja nicht einmal ein Zucken!? „Ich dreht durch, was soll der Scheiß!? Du hättest längst tot am Boden liegen und verwesen müssen, Dreckskerl!“ „Mitnichten“, wiegelte der aber ab, „hattest du ernsthaft etwas anderes erwartet?“ Geschockt von dem Fehlschlag, sah sich Anya nun dem edlen Dämonenmann gegenüber, der höhnisch lachend die Arme verschränkte. Fabled Valkyrus [ATK/2900 DEF/1700 (8)]   „Ich erkenne an, dass du mir Schaden zugefügt hast. Das ist mehr, als ich erwartet hätte. Aber ultimativ ist es doch bedeutungslos“, provozierte der Sammler seine Gegnerin noch weiter. Anya spuckte förmlich vor Wut. „Ach ja? Ich nenne es 'ein Bein im Grab', denn den nächsten Treffer wirst du nicht so gut wegstecken! Ich spiele diese Karte verdeckt und beende meinen Zug!“ Vor Anya materialisierte sich die gesetzte Falle, mit der sie vorhatte, ihren Gegner nach allen Regeln der Kunst fertig zu machen. Der würde sich wundern!   Mit konzentrierter Mimik zog der Collector und betrachtete seine neue Karte. Dann schwang er den Arm aus. „Ich aktiviere den Effekt von [Fabled Valkyrus]. Für das Abwerfen eines Unterweltlers ziehe ich eine Karte.“ So geschah es, dass er sich von [Fabled Krus] trennte und anschließend von seinem Deck zog. Kaum hatte er dies getan, erklang ein mädchenhaftes, bösartiges Kichern. „[Fabled Krus'] Effekt aktiviert sich nun. Wird sie abgeworfen, beschwört sie ein Monster aus ihren Reihen vom Friedhof“, erklärte der Sammler und zeigte zwischen Mittel- und Zeigefinger [Fabled Ragin] vor. „Erscheine!“ Aus einer schwarzen Wolke erhob sich der geflügelte Dämonenmann vor seinem Besitzer.   Fabled Ragin [ATK/2300 DEF/1800 (5)]   Womit alles wieder auf Anfang stand, seine Synchromonster waren zurück. Dieses Mal zog Anya es vor, keine dicke Lippe zu riskieren. Am Ende fiel sie damit nur wieder auf die Nase. Aber solange sie Diamond besaß, das derzeit stärkste Monster auf dem Feld, konnte sie nicht verlieren. Und selbst -wenn- er zerstört wurde, war sie deshalb noch lange nicht am Ende! „Ich beschwöre von meiner Hand [Fabled Miztoji]“, sprach der Sammler und legte besagtes Monster auf seine schwarze Battle City-Duel Disk. Vor ihm materialisierte sich ein kleinwüchsiger, glatzköpfiger Dämonenmann, der auf einem Krückstock ging. Aus seinem Rücken ragten verhältnismäßig kleine Schwingen und wie jedes Fabled-Monster trug auch er eine Maske, die in diesem Fall am ehesten einer Pilotenbrille ähnelte.   Fabled Miztoji [ATK/400 DEF/200 (2)]   „Ich zeige dir, wie weit ich zu gehen imstande bin“, drohte der Sammler mit Unheil verkündendem Unterton. „Ich stimme den Stufe 2-Empfänger [Fabled Miztoji] auf das Stufe 8-Monster [Fabled Valkyrus] ab!“ Der Greis zersprang in zwei grüne Ringe, die sich zur Abwechslung durch die Luft bewegten und um [Fabled Valkyrus] legten, statt wie sonst passiert werden zu müssen. Ein greller Lichtblitz schoss durch sie nach oben, Valkyrus verschwand. Anya ihrerseits schwante Böses. So hohe Stufen für eine Synchrobeschwörung zu verwenden bedeutete nur Chaos! „Synchro Summon, Stufe 10! Steige aus der Dunkelheit herab, [Fabled Leviathan]!“ Schwarze Partikel innerhalb der Synchroringe – Überbleibsel Valkyrus' – formten erst einen Thron aus purem Silber, dann die majestätische Gestalt, die darauf saß. Ein gewaltiger Dämonenkönig, dessen rote Schwingen doppelt so breit waren wie die seiner Diener und Generäle. Geradezu blutrot war auch das schulterlange Haar der Kreatur, die hinter der Maske aus gleichfarbigen Augen Anya anstarrte.   Fabled Leviathan [ATK/3000 DEF/2000 (10)]   „Gleichstark!?“, stammelte Anya. „Oh shit!“ Sie wusste bereits, was der Sammler vorhatte. Und der machte keinen Hehl daraus, zeigte er schließlich mit dem Finger auf ihren [Gem-Knight Master Diamond]. „Sieh zu, wie ich deine Hoffnung vernichte! [Fabled Leviathan], greife ihn an! Final Oblivion!“ Heimtückisch lachend, schlug der König jenes Dämonenstammes ein Bein über das andere, zeigte mit einem Finger auf Diamond und schoss daraus einen roten Laserstrahl ab. Anyas Krieger, der wusste, dass seine Zeit gekommen war, schwang sein Schwert in einer Halbkreisbewegung und warf es auf den Feind. So geschah es, dass sich gleichzeitig ein Loch in Diamonds Brust bohrte, als auch das Schwert Leviathan aufspießte. Doch der lachte nur weiter, als beide explodierten. „Oh fuck!“, klagte Anya wütend. Als der Rauch sich lichtete, waren die Monster fort – doch der Sammler hielt plötzlich drei Karten in der Hand. „In gewisser Hinsicht ist [Fabled Leviathan] unsterblich. Wird er vernichtet, erhalte ich bis zu drei Fabled-Monster von meinem Friedhof auf die Hand. Damit kann ich auch ihn selbst bergen, wobei er sich in dem Fall logischerweise ins Extradeck zurückzieht“, erklärte der Sammler. So schob er Leviathans Karte zurück in den Schlitz für sein Extradeck, während er [Fabled Miztoji] und [Fabled Krus] zu seiner dritten Handkarte hinzufügte. Geradezu hasserfüllt starrte Anya den Mann an, als sich die Flamme an ihrer Hand auflöste. „Es sieht so aus, als hättest du deine eigene Machtlosigkeit bewiesen, Anya Bauer“, sprach der Sammler und streckte den Arm aus, „wie erwartet. Was auch immer, wir sind hier fertig. [Fabled Ragin], direkter Angriff auf ihre Lebenspunkte. Legions Rage!“ Dem Befehl folgend, schoss der Dämon aus seinen Augen einen roten Laserstrahl. „Vergiss es, so leicht mache ich's dir nicht, Dreckskerl!“, erwiderte Anya aufgebracht und schwang den Arm aus. „Verdeckte Falle aktivieren, [Return From The Different Dimension]! Für einen Zug beschwört diese Karte so viele meiner verbannten Monster wie nur möglich aufs Feld! Emerald, Garnet, Zirconia, Obsidian, Alexandrite, schützt mich!“   [Anya: 900LP → 450LP / Collector: 2500LP]   Ein breiter Dimensionsspalt öffnete sich. Hervor traten ein Ritter in blassgrüner Rüstung mit Rundschild am Arm, [Gem-Knight Emerald], einer in Bronzerüstung mit flammenden Händen, [Gem-Knight Garnet], dann natürlich der massive [Gem-Knight Zirconia], ein pechschwarzer Ritter mit riesiger Perlenkette als Waffe, [Gem-Knight Obsidian], und zuletzt ein Ritter in silberner Rüstung, die mit verschiedenen Edelsteinen gespickt war – [Gem-Knight Alexandrite]. Zusammen stellten sie sich schützend vor Anya.   Gem-Knight Emerald [ATK/1800 DEF/800 (4)] Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)] Gem-Knight Zirconia [ATK/2900 DEF/2500 (8)] Gem-Knight Obsidian [ATK/1500 DEF/1200 (3)] Gem-Knight Alexandrite [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   „Vergeblich“, denunzierte der Sammler Anyas Gegenreaktion, „selbst wenn du diesen Zug überlebst, was willst du tun? Du kannst nächste Runde keine Karte ziehen, besitzt auch keine auf der Hand oder auf dem Feld, abseits deines temporären Verteidigungswalls.“ Plötzlich schmunzelte Anya böswillig. „Sorry dich enttäuschen zu müssen. Klar, es stimmt, dass meine Ritter am Ende der Runde wieder verschwinden. Allerdings nur die, die durch meine Falle beschworen worden sind.“ Der Sammler legte ein geheimnisvolles Lächeln an den Tag. „Ich verstehe …“ „Ganz recht! Ich aktiviere jetzt [Gem-Knight Emeralds] Effekt! Wenn ich ihn und ein normales Monster wie [Gem-Knight Garnet] verbanne, kann ich ein Gem-Knight-Fusionsmonster reanimieren!“ Anyas rechte Hand ging in lodernden, violetten Flammen auf. „Komm zurück, [Gem-Knight Master Diamond]!“ Emerald warf seinen Rundschild in die Höhe, der über ihm und Garnet zu einem Dimensionsportal wurde. Noch während die beiden Krieger in jenes gezogen wurden, kam ihnen aus dem Tor [Gem-Knight Master Diamond] entgegen, zog an ihnen vorbei und nahm ihren Platz vor Anya ein. Dabei schulterte er stolz sein Breitschwert.   Gem-Knight Master Diamond [ATK/2900 → 3000 DEF/2500 (9)]   „Daran kommst du nicht vorbei!“, raunte Anya stolz. „Muss ich auch gar nicht. Da es sich um ein Replay handelt, breche ich [Fabled Ragins] Angriff ab und wechsle in die Main Phase 2“, verkündete der Sammler. Dann schob er eine Zauberkarte in seine Duel Disk. „Ich muss dich leider enttäuschen, Anya Bauer. Ob mit oder ohne deine Schlüsselkarte, dein Schicksal war bereits besiegelt. Ich aktiviere [Thunder Short].“ Erschrocken wich Anya zurück, als sich über ihr eine seltsame Verzerrung im Raumgefüge breit machte. Blitze knisterten dort daraus bedrohlich und bewegten sich wie Schlangen in der Anomalie hin und her. „[Thunder Short] ist ein Zauber, der dir für jedes deiner Monster Schaden zufügt.“ Der Sammler wandte sich mit einem Mal vom Duellgeschehen ab. „Genauer gesagt 400 pro Monster. Lass dir das eine Lehre sein.“ Dann begann es. Ein Blitz nach dem anderen schoss aus der Verzerrung hervor und schlug direkt im Körper des Mädchens ein. Bei jedem der vier Treffer schrie sie qualvoll, sank schon nach kurzer Zeit zu Boden, doch wurde von den elektrischen Entladungen um ihren Körper weiter gefoltert.   [Anya: 450LP → 0LP / Collector: 2500LP]   Da lag sie nun, geschlagen und gedemütigt am Boden. Selbst jetzt knisterten noch kleine Entladungen um Anya, die regelrecht dampfte von der gnadenlosen Attacke. Nur unter größten Mühen konnte sie ihr Haupt anheben. „Du-!“ Ihr Gegner, der es sich mittlerweile wieder auf seinem Sessel bequem gemacht hatte, sprach ruhig, ja geradezu beschwichtigend auf sie ein. „Keine Sorge, meine Liebe. Wenn du meinen Auftrag erfüllt hast, werde ich dir deine Lebenskraft zurückgeben, so wie du sie mir damals überlassen hast.“ „Ich werde niemals-!“   Du hast keine Wahl!   Levrier erschien als [Gem-Knight Pearl] kniend neben Anya und sah sie aus seinem emotionslosen, weißen Helm an.   Ich fürchte, du hast diesen Kampf endgültig verloren, Anya Bauer …   „Levrier hat vollkommen Recht“, sprach der Sammler, der wieder ins Feuer starrte, „so stur du auch sein magst, du wirst einsehen müssen, dass 100 Tage keine lange Zeitspanne ist. Sie wird gerade so reichen, um deine Aufgabe zu erfüllen.“ Anya, die sich mit den Händen gegen den Boden stemmte, ignorierte Kyon, der ihr aufhelfen wollte und kam wackelig auf die Beine. Ohne ihre Antwort abzuwarten, kam der Sammler schließlich zum Punkt. „Besagte Aufgabe besteht daraus, sieben Individuen zu suchen und jedem von ihnen einen bestimmten Gegenstand abzunehmen. Wenn du das erfüllt hast, bringst du mir jene sieben Gegenstände.“ „Tch! Und was sollen das für Dinger sein, die ich für dich holen soll? Und wieso kannst du das nicht alleine!?“ „Die Gegenstände“, sprach der Sammler, „haben unterschiedliche Erscheinungsformen, du wirst selbst herausfinden müssen, um was es sich bei ihnen handelt. Um sie zu erhalten, wirst du jedoch Hilfe benötigen. Kyon, überreiche Anya bitte ihre Hilfsmittel.“ Der langhaarige Butler trat neben die Blonde und hielt einen metallischen Koffer in der Hand, der exakt dem glich, in dem schon die Decks und die Duel Disk des Sammlers gelegen hatten. Kyon klappte den Deckel auf, sodass Anya neugierig hinein spähte. „Handschuhe!?“ Dort lagen sie. Drei paar fingerloser, weißer Handschuhe mit goldenen Nähten. „Nur mit ihrer Hilfe wirst du die Gegenstände erhalten können. Sobald du das erste Paar anziehst, ist es mit den anderen beiden verbunden“, erklärte Kyon anstelle des Sammlers. „Warum brauche ich drei?“ „Nun“, antwortete letztlich sein Meister wieder, „ich war so frei, etwas voraus zu planen. In erster Linie sind es Ersatzpaare, aber“, er machte eine Kunstpause, „ich bin mir sicher, dass du auch außerhalb dieses Zwecks Verwendung für sie finden wirst. Denk nur dran, dass alle drei Paare immer noch dir gehören. Mit allen Vor- und Nachteilen.“   Könnte das eine Art Zauber sein, für den du der Katalysator bist, Anya Bauer? „Warum fragst du ausgerechnet mich das, Levrier!?“ Das Mädchen hielt sich ihren schlapp herabhängenden, tauben rechten Arm. „Als ob ich davon Ahnung habe!“ „Man kann es so ausdrücken, ja“, erklärte der Sammler, „deswegen ist es von äußerster Wichtigkeit, dass dir nichts geschieht, Anya Bauer. Denn ich will nicht lügen. Deine Aufgabe wird schwer und vor allem gefährlich werden. Also bereite dich gut darauf vor.“ Kyon, der den Koffer abstellte, schritt zu einer Kommode in der Ecke des kleinen Arbeitszimmers und holte aus der Schublade ein Pamphlet, das er anschließend Anya reichte. Die riss es ihm missmutig aus der Hand und warf nur einen kurzen Blick darauf. „Was ist das!?“ „Wir haben einige Informationen zu den Zielobjekten zusammen getragen. Mit ihnen wird es dir leichter fallen, die sieben gesuchten Personen ausfindig zu machen“, erklärte Kyon. Anya stemmte ihre linke Hand, welche sie noch fühlen konnte und mit der sie die Papiere hielt, missmutig in die Hüfte. „Das habt ihr euch ja alles schön ausgedacht! Könnt ihr mir wenigstens einen Helfer oder so etwas zur Seite stellen, wenn ich schon dazu gezwungen bin, eure Arbeit zu machen? Ich würde sogar die Pornozwiebel nehmen!“ Der Sammler stöhnte von seinem Sessel aus theatralisch. „Ich fürchte, das geht nicht. Orion ist nicht mehr hier und sein Ersatz, Kyon, ist bereits mit anderen Aufgaben betraut. Du wirst also alleine nach den Sieben suchen müssen.“   Dass diese Botschaft bei Anya nicht gerade auf Anklang stieß, ließ sich schon daran erahnen, wie trotzig sie die drei Paar fingerloser Handschuhe aus Kyons Händen riss, welcher sie ihr nun aushändigte. „Ich glaub das alles nicht …“, murmelte sie dabei leise. Nein, es lag nicht daran, dass sie ja nur in 100 Tagen sterben könnte. Oder daran, dass sie schon wieder in irgendwelche gefährlichen Dämonenspielchen verstrickt war. Was am allermeisten an Anya nagte war der simple Fakt, dass sie sich von einem Trottel wie dem Sammler herumkommandieren lassen musste! Wie konnte er es wagen, sie zu linken!? Das musste der doch alles von Anfang an geplant haben, als er ihr das erste Mal über den Weg gelaufen war! Oh, sie würde ihn-! Eines Tages!   „Ich denke, wir sind hier fertig“, sprach der Sammler entspannt, ohne sich Anya vom Sessel aus zuzuwenden, „Kyon wird dich jetzt nachhause begleiten. Falls du Fragen haben solltest, stell sie am besten sofort. Mit uns nachhaltig in Kontakt zu treten ist nicht gerade einfach für jemanden wie dich. Ich gebe nämlich nicht gerne meine Telefonnummer an andere weiter, musst du wissen.“ Anya, erstaunlich gefasst, stellte die einzig für sie relevante Frage. „Muss ich diese sieben Menschen töten?“ „Ha ha … nein. Das wäre sogar sehr … unvorteilhaft. Zumindest solange du noch nicht im Besitz der Gegenstände bist. Deswegen möchte ich dich bitten, behutsam mit ihnen umzugehen.“ Auch wenn sie es sich nicht anmerken ließ, atmete Anya innerlich auf. Auf solche Killerspielchen hatte sie wirklich keinen Bock. „Und wenn ich dir diese sieben Gegenstände bringe, wirst du mich retten? Ohne Haken?“ „Ja. Dein Restleben im Austausch für deine Unterstützung. Das ist der Handel zwischen uns.“ Anya war jedoch noch nicht zufrieden. „Wenn ich das mache, will ich wissen, wofür. Warum willst du diese Dinger haben?“ „Das geht dich nichts an“, gab ihr der Sammler mit einer Entschiedenheit genau die Antwort, mit der sie ohnehin gerechnet hatte. „Tu einfach, was ich dir auftrage, alles andere muss dich nicht kümmern. Und nun geh, du hast nur noch einhundert Tage Zeit.“ Noch während Kyon hinter sich eines dieser Portale öffnete, warf Anya einen hasserfüllten Blick herüber zum Sammler, von dem sie nur dessen rotes Haar hinter dem Sessel erblickte. Denn wenn er glaubte, damit schon gewonnen zu haben … täuschte er sich. Niemand legte sich mit Anya Bauer an und drohte mit ihrem Leben, niemand!     Turn 39 – Identity Entgegen ihrem Willen sieht sich Anya dazu gezwungen, Livington zu verlassen und nach der ersten der sieben Zielpersonen in einer Stadt namens Dice zu suchen. Dazu will sie eine Inszenierung starten, in der sie wegrennt, um niemandem über ihre Lage in Kenntnis setzen zu müssen. Als sie ihrem besten Freund Nick dies beichtet, will er sie unbedingt begleiten. Anya, wenig davon begeistert, wird in ein Duell mit ihm verwickelt, um genau dies zu verhindern. Und schließlich … Kapitel 44: Turn 39 - Identity ------------------------------ Turn 39 – Identity     Mit dem vom Schoßhündchen des Sammlers ausgehändigten Pamphlet in der Hand, lag Anya der Länge nach auf ihrem Bett und nahm nur widerwillig die Informationen über die erste Zielperson in sich auf. Einhundert Tage hatte sie für dieses Unterfangen Zeit – nein, nur noch 99, wenn man das gestrige Treffen mit ihrem neuen Erzfeind, dem Sammler, und die schlaflose Nacht danach abzog. Wenn er ihr wenigstens das Fahrrad ersetzt hätte, welches ihr an der Ausgrabungsstelle des zerstörten Turms gestohlen wurde, während sie fort war! Aber nein, selbst dazu war er sich zu fein! Eins hatte sich für Anya bereits recht schnell herauskristallisiert. Wo damals zu Zeiten Edens noch Livington der Schauplatz des Geschehens gewesen war, würde sie dieses Mal weitaus weniger Glück haben. Keine der fünf, ja fünf, in den Informationsblättern erwähnten Personen lebte auch nur ansatzweise in der Nähe ihrer Heimat. Oder noch präziser ausgedrückt: sie tummelten sich -irgendwo- arschweit weg. Denn dummerweise musste dieser Kyon wohl vergessen haben, die Adressen dieser Typen zu vermerken. Das, oder sie waren schlichtweg unbekannt. Denn wie sonst ließ sich erklären, dass gleich beim ersten Zielobjekt stand: 'zuletzt in der Nähe von Dice gesehen'. Dice … das war eine Stadt, die laut Google etwa 400 km westlich von Livington lag. Praktisch ein Katzensprung für jemanden wie den Sammler, für Anya hingegen totaler Mist. Sie hatte ja nicht einmal mehr ihren verdammten Führerschein!   Seufzend schmiss das Mädchen das Pamphlet in die Ecke ihres unordentlichen Zimmers, wo es neben der schwarzen Ledercouch landete. „Sieben sagt er“, raunte sie verärgert, „warum sind dann nur fünf in dem Mistding erwähnt?“ Weil die anderen zwei vermutlich erst noch geboren werden müssen.   Gem-Knight Levrier, wie Anya ihn mittlerweile immer öfter nannte, tauchte mit verschränkten Armen vor ihr auf und sah erwartungsvoll auf sie herab.   Im Ernst, es ist bedenklich, dass selbst der Sammler nur so wenige Informationen über diese Menschen sammeln konnte.   „Ja“, schnarrte Anya sauer, „vom ersten wissen wir nur den Vornamen, den letzten Ort, an dem man ihn gesehen hat und dass er ein verdammter Werwolf ist!“   Immerhin hat der Sammler nicht übertrieben damit, dass es gefährlich werden würde.   „Über die zweite Person weiß er immerhin besser Bescheid, auch wenn ich das Wort 'Eden' nicht mehr lesen kann. Von der nächsten ist auch nur bekannt, dass sie die ganze Welt bereist und im Dämonenjägerbusiness arbeitet. Nummer 4 und 5 dagegen sind die Einzigen, unter denen ich mir was vorstellen kann.“ Zu denen gab es nämlich konkrete Namen. Immerhin etwas.   Und das Beste ist, dass unsere Nummer 5 vermutlich noch die harmloseste aus diesem Haufen darstellt. Zwischen Dämonenjägern, Werwölfen und Bewohnern Edens ist eine Duel Monsters-Weltmeisterin geradezu auffällig gewöhnlich. Bei der vierten Person, dem Adligen, wissen wir nicht, welche Leichen er im Keller vergraben haben könnte.   „Egal, mein erstes Ziel ist der Werwolf. Dieser Zanthe!“   Wie willst du ihn aufspüren? Geschweige denn stellen?   „Darum mache ich mir Gedanken, wenn ich in Dice bin. Laut Kyons Informationen ist es noch nicht lange her, dass man den Typen dort gesehen hat“, meinte Anya gewohnt kopflos, „heißt also, ich muss mir jetzt ein Flugticket besorgen und da hin fliegen.“   Worauf sie natürlich überhaupt keine Lust hatte. Geschweige denn sich das leisten konnte. Ja, da war ihr Magerlohn vom Kartenladen, aber das Meiste von dem Geld strich ihre Mutter ein, damit Anya nicht in eine eigene Wohnung ziehen musste. Außerdem gab es noch ein anderes Problem. Sie konnte schlecht am Wochenende nach Dice fliegen, wenn die Suche nach dem Typen vielleicht Wochen dauern würde. Urlaub nehmen war wegen des Jobs nicht drin – denn Mr. Palmer hatte ihr genau dies strikt untersagt, nachdem sie vielleicht den einen oder anderen Kunden verschreckt hatte. Nicht, dass das an und für sich ein Problem für Anya darstellte. Aber wie machte sie ihrer Mutter bekömmlich, dass sie keinen Bock mehr auf kleine Rotzgören und Noobs hatte? Die warf sie doch achtkantig raus, wenn Anya mit der Erklärung kam, sie müsse in Dice etwas erledigen! Ganz zu schweigen davon, dass sie mit der Wahrheit gar nicht erst ankommen brauchte. Denn erstens: wer würde ihr diesen Schwachsinn glauben, zweitens: wie konnte sie das ihrer Mutter verständlich machen, ohne dass sie einen Nervenzusammenbruch erlitt und drittens: wieso so kompliziert, wenn es auch einfach ging? Sie würde wegrennen und für eine Weile untertauchen. Ja, das war dumm, das wusste sie. Aber was hatte sie schon für eine Wahl? Wenn sie nichts tat, würde man in drei Monaten einen Feiertag mehr in Livington genießen und das gönnte sie diesen Spießern schlichtweg nicht! Außerdem hatte ihre Mutter schon Erfahrung mit Anyas gelegentlichen Ausbrüchen von Zuhause, von daher würde sie es vermutlich nur als weitere Trotzreaktion aufnehmen. Und da war es Anya auch egal, dass sie mit 20 Jahren noch so kindliches Verhalten an den Tag legte, solange es zum Erfolg führte. Natürlich hatte sie deswegen auch Zweifel und ein schlechtes Gewissen, was für Anyas Verhältnisse nun wirklich Anerkennung verlangte. Aber all das war eben ihre Art, die Dinge anzupacken.   Stöhnend rollte sie über das Bett und setzte sich letztlich auf dessen Kante. „Ich brauch Kohle.“ Der einzige Mensch in Livington, der dumm genug war ihr welche zu leihen, hieß Nick Harper. Ihr idiotischer, bester Freund. Nun musste sie beten, dass er genug Geld in seinem Zimmer herumliegen hatte, um die Kosten für Ticket und Unterkunft abzudecken.   Eins beschäftigt mich nach wie vor. Warum schickt der Sammler dich, statt diese Aufgabe selbst zu erledigen? Ganz offensichtlich hat er schon lange alles so ausgelegt, dass er dich in der Hand haben würde.   Levrier glitt durch das Bett an Anyas Seite. „Weil ich gut bin?“, erwiderte diese, als wäre es die einzig logische Erklärung.   Er ist dir in jeder Hinsicht überlegen. Ich verstehe das nicht …   „Ist vollkommen egal, da ich nicht glaube, dass mir dieses Wissen irgendeinen Vorteil bringen würde. Denn wie du sagst, er ist'n bisschen“, es kostete Anya einiges an Überwindung, dies zuzugeben, „besser als ich. Und jetzt muss ich zusehen, Nicks Sparschwein zu plündern, du entschuldigst mich?“ Denn mittlerweile hatten auch die letzten Livingtoner den Schuss gehört und liefen mit Pfefferspray durch die Gegend, sodass Anya nicht riskieren wollte, auf der Suche nach Geld dem Falschen seine Dollarscheine abzunehmen.   ~-~-~   Anya schwor sich, dass wenn Mrs. Harper jetzt die Tür aufmachen und ihr erster Spruch eine Andeutung sein würde, ihren Sohn zu ehelichen, sie leider ausflippen musste. Denn es war schon unentschuldbar genug, dass sie nun schon seit fünf Sekunden auf die Klingel drückte und immer noch niemand die Tür geöffnet hatte!   Vielleicht ist niemand zuhause? Andere Menschen haben nicht das Glück, regelmäßig von ihrem Chef schon am frühen Nachmittag rausgeworfen zu werden.   Ne, die waren einfach zu doof dafür, dachte Anya griesgrämig auf Levriers telepathischen Kommentar hin. Schließlich hatte ihr penetranter Klingelversuch doch Erfolg, die Tür wurde aufgerissen und Nick stand ihr in seinen vollen zwei Metern Größe gegenüber. Die braunen Haare typischerweise zerzaust, neuerdings mit Hipster-Brille auf der Nase und mit nichts bekleidet als einer rot gepunkteten Unterhose. In Anya starb etwas bei dem Bild, das sich ihr bot. „Hi, Anya-Muffin“, grinste er über beide Backen. Zu geschockt, um etwas zu sagen, drehte Anya sich beim Anblick seiner Hühnerbrust weg. „Willst du mit mir spielen?“, fragte er hoffnungsfroh. „Geld“, stotterte Anya aus der Fassung gebracht, „ich muss mir ein bisschen was leihen, Nick. Hast du was?“ „Nope. Aber Liebe, hehe.“ „Die will ich nicht!“, donnerte das Mädchen ärgerlich und stampfte mit dem Fuß auf. „Du lügst doch, bei dir liegt immer was 'rum. Geh hoch, zieh dich an und fang' an zu suchen!“ Nick kratzte sich verwundert am Kopf. „Warum denn? Willst du dir endlich die Brustvergrößerung gönnen, die ich dir seit der Middle School ans Herz gelegt habe?“ „Nein!“, schäumte Anya knallrot vor Wut, wagte es aber nicht, sich diesem grässlichen Anblick ein zweites Mal auszusetzen „Erklär' ich dir, wenn du angezogen bist!“ „Schade … aber okay“, gluckste er, „für dich zieh ich meine sauberste Hose an. Nur drei Wochen nicht gewaschen!“ Anya knirschte mit den Zähnen vor soviel Idiotie. Aber irgendwem musste sie ja die Wahrheit erzählen und sich anvertrauen. Dafür war Nick geradezu ideal, denn er war so dumm, dass er morgen vermutlich schon die Hälfte vergessen hatte. Und selbst wenn er es ausplauderte, würde ihm sowieso niemand glauben. Es war schließlich Nick!   ~-~-~   „Einundzwanzig Dollar“, fasste Anya ernüchtert zusammen und hielt die Scheine mehr als unzufrieden in den Händen. Hatte sie dafür tatsächlich zwei Stunden ihrer neuerdings besonders wertvollen Lebenszeit damit verbracht, Nicks Chaostempel zu durchforsten? Dort wo sich die Klamotten, Mickey Maus-Hefte, Playboy-Ausgaben und der ganze andere Kram schon gefühlt bis an die Decke stapelten? Pah! Das war zu wenig, jetzt hatte sie keine Lust mehr, ihm auch nur irgendwas über den Sammler und seinen hinterhältigen Plan zu verraten! Nick, der an seinem Schreibtisch saß und zwischendurch was am PC erledigt hatte, grinste breit. „So viel?“ „Viel zu wenig! Ich gehe!“ Sprachs und stampfte zur Tür.   Immerhin machst du keinen Hehl daraus, dass du deine Freunde ausnutzt. Das habe ich schon immer an dir bewundert, Anya Bauer.   „Schnauze, Levrier!“, wies sie ihren Partner zurecht. „Ich hab Wichtigeres zu tun, als Nick dabei zu beobachten, wie er in dieser Müllhalde versifft.“ Das kommt von der Frau, von der Nick Harper sich offensichtlich bei seiner Zimmergestaltung hat inspirieren lassen. Und was hast du vor?   „Packen, was sonst!? Das hier war reine Zeitverschwendung, die paar Dollar reichen ja kaum für die Belüftung eines Hotelzimmers.“ In einer scharfen Halbdrehung richtete Anya sich an Nick. „Danke für die Knete, kriegste irgendwann wieder, wenn ich besser gelaunt bin. Wir sehen uns dann irgendwann, bye!“ Schon verkündete nur noch das Knallen der Tür, dass die Blonde noch vor wenigen Sekunden Nicks Gast gewesen war.   Jener saß auf seinem Stuhl und zog die Stirn kraus, nachdem ein weiteres Knallen deutlich machte, dass Anya den Ausgang gefunden hatte. „Was ist denn mit ihr los?“, wunderte er sich, seine Idiotenidentität fallen lassend.   Nick, der sich seither der Aufgabe verschrieben hatte, Anya durch seltendämliches Verhalten ein ehrliches, herzliches Lächeln auf die Lippen zu zaubern, hatte seine Freundin selten so flügge erlebt. Natürlich wusste er gut Bescheid um Anyas finanzielle Lage, da kam man bei jemandem wie ihr nicht drum herum. Dennoch überraschte es ihn, dass sie so plötzlich eine große Menge an Geld zu brauchen schien. Und dann für ein Hotelzimmer? Wollte sie verreisen, obwohl ihr Chef ihr untersagt hatte, für die nächsten Wochen Urlaub zu nehmen? Irgendetwas stimmte da nicht und Nick war nicht wohl dabei. Vielleicht wäre es besser, wenn er ihr hinterher ging, um herauszufinden, warum sie so angespannt war.   ~-~-~   Knapp eine Viertelstunde später war Anya wieder in ihrem ganz eigenen Chaostempel angelangt, hatte sich ihren Koffer von unter dem Bett geschnappt, auf ebenjenes geschmissen und fing damit an, wahllos irgendwelche Klamotten von ihrem Kleiderschrank neben der Tür hineinzuwerfen. Welche man kaum auseinander halten konnte, waren sie doch alle mehr oder weniger schwarz. Jedes Mal, wenn sie zum Schrank lief, verspürte sie einen kleinen Stich. Denn an einem Haken an der Innenseite der Tür hing ihre zerfetzte Lederjacke. „Tch“, zischte sie, griff sich das gut Stück und schleppte es zum Koffer. Und wo sie andere Sachen achtlos in den riesigen Koffer gequetscht hatte, legte sie die Jacke mit größter Sorgfalt hinein. Nebenbei hörte sie, wie es unten an der Tür klingelte. Da ihre Mutter mittlerweile von der Arbeit zurück war, würde die sich um den garantiert ungebetenen Gast kümmern.   Anya indes packte weiter ihre Sachen, als plötzlich die Tür aufflog und Nick strahlend hereingeplatzt kam. Das Mädchen, auf halben Wege zum Bett, ließ glatt den Stapel T-Shirts in ihrer Hand fallen. „Was willst du denn hier!?“ „Fragen wie's dir geht. Hab ich eben vergessen!“ „Beschissen. Und noch beschissener wird’s mir gehen, wenn du nicht gleich Leine ziehst!“ Sich nach den Sachen bückend, schmiedete Anya bereits Pläne, was sie mit Nick anstellen würde, wenn er ihrer höflichen Aufforderung nicht nachkommen würde. Eine der harmloseren Möglichkeiten war noch, dass sie ihm mit Hammer und Nägeln einen ganz neuen Look verpassen würde. „Was hat mein Anya-Muffin denn“, ließ sich Spasmo-Nick jedoch nicht davon beeindrucken, warf sich neben ihren Koffer aufs Bett und wartete ab, „der Nickinator merkt doch, wenn sein Bügelbrett unglücklich ist.“ „Kch …“ Sag ihm einfach die Wahrheit, Anya Bauer.   Mit den aufgehobenen Shirts in der Hand, gab sich Anya schließlich einen Ruck. „Ich bin so gut wie tot“, brummte sie, „wortwörtlich … mal wieder.“ Nick weitete die Augen und stand betroffen von ihrem Bett auf. Einen kurzen Augenblick seine Rolle vergessend, fragte er perplex: „Warum, was ist passiert?“ Und Anya begann schließlich zu erzählen. Über die Begegnung mit Kyon und dem Sammler, der Aufgabe und ihre verbliebenen 99 Tage.   Als sie ihre Geschichte beendet hatte, legte sie die T-Shirts neben ihre Jacke und schnaufte wütend. „Und so sieht's aus. Ich bin am Arsch. Deshalb muss ich Livington für eine Weile verlassen.“ Nick, der ganz blass geworden war, fuchtelte wild mit den Händen. „Aber der Anya-Muffin kann doch nicht zum Handlager des Oberfiesos werden!“ „Ich habe keine andere Wahl, Nick!“, zischte Anya und stopfte wütend die T-Shirts in den Koffer auf ihrem Bett, welche widerspenstig über den Rand ragten. „Wenn ich nicht mitspiele-!“ Mit der Faust schlug sie neben den Koffer auf ihr Bett. „Dieser verdammte Dreckskerl, das hat er alles geplant gehabt! Ich dachte, ich wäre endlich frei, aber im Endeffekt hat sich nichts verändert!“ „Anya“, erwiderte Nick traurig und legte seine Hand auf ihre Schulter, „ich will meinen Muffin nicht allein ins Unbekannte ziehen lassen. Deswegen komme ich mit.“ „Nein!“ Sofort wich sie von ihm zurück und lachte hysterisch. „Ich weiß nicht, was mich erwartet. Hast du schon mal einen Werwolf gesehen? Ich nicht! Und ich habe keine Lust, mit einem Klotz wie dir am Bein zu krepieren! Du bleibst schön hier!“ „Aber ich kann dich nicht alleine gehen lassen“, beklagte sich Nick, „irgendwer muss dir doch auf die Nerven gehen und ich bin die beste Wahl!“ „Ich hab Levrier, das reicht!“ Nick ließ aber nicht locker, warf sich auf die Knie und hielt sich in gespielt weinerlicher Manier an ihrem Bein fest. „Ich will doch nur helfen!“ „Ach ja!? Dann bleib ganz weit weg von mir, damit ist mir mehr geholfen als mit Geld oder sonstwas!“   Wollte sie ihn nur nicht in Gefahr bringen oder war es wirklich die Tatsache, dass sie ihn für Ballast hielt, fragte Nick sich insgeheim. Er wusste, dass er vorsichtig sein musste mit dem, was er zu Anya sagte. Natürlich wollte er ihr aus ihrer mehr als misslichen Lage helfen. Nur war Anya nicht gerade jemand, dem man zu gutmütig entgegen kommen sollte. Denn wenn man ihr den kleinen Finger reichte, riss sie einen daran schon mal ins Verderben. Andererseits war sie ihm das Wichtigste und er im Moment der Einzige, der ihre Lage verstehen und ihr zumindest ein wenig helfen konnte. Und vor allem wollte. Bloß wie konnte er sie dazu bringen, ihn mit sich zu nehmen?   Flehend sah er auf. „Ich hab noch ganz viel Geld im geheimen Sparstrumpf. Wenn du mich mitnimmst, bekommst du es.“ Anya reckte den Kopf wütend zur Seite, auf solche Albernheiten hatte sie keine Lust. „Von wegen!“ Doch die Gier in ihr war stärker, sodass sie aus den Augenwinkeln auf ihn herab starrte. „ … wie viel?“ Nick zeigte ihr die fünf Finger seiner rechten Hand. „… fünf Dollar?“, kam es ernüchtert von seiner Freundin. Grinsend schüttelte er den Kopf. „Fünf Scheine mit zwei Nullen drauf. Sind die viel wert?“ Seine Freundin verstummte wie erwartet. Das waren mindestens 500$, musste sie jetzt vermutlich denken, was wohl durchaus für ihre Zwecke dienlich wäre. „Vergiss es!“, entschied sie jedoch. „Damit kann ich eine Reise finanzieren, aber was ist mit den anderen sechs? Und den ganzen Unkosten?“ Für Nick alles kein Problem, aber das ahnte Anya leider nicht. „Bitte“, flehte er kindlich und zwinkerte, „nimm mich mit, ich bin auch ganz artig.“ „Tch! Nein! Und jetzt verzieh dich! Eher würde ich mich freiwillig von Redfield besiegen lassen, als dich mitzunehmen!“   Plötzlich sprang Nick auf und grinste über beide Backen. „Ich hab die Idee“, sagte er, „wir duellieren uns! Kopf, du bekommst das Geld, Zahl, ich komme mit. Oder so.“ „Pah! Du hast nur einmal in deinem kümmerlichen Spinnerleben ein Duell gewonnen, und das nur durch Zufall wie mir zu Ohren kam! Aber wenn du willst, bitte, mit dir wisch' ich den Boden!“ Umso schneller wurde sie ihn los, dachte Anya säuerlich. Wie blöd musste sie sein, solch eine Gelegenheit verstreichen zu lassen!? „Okay, Deal?“, fragte er und hielt ihr die Hand hin. „Klar!“, schlug Anya ein. Was für ein Trottel! Zu dumm, dass nicht nur sie dies in jenem Moment dachte.   ~-~-~   Das Abendrot stand bereits am Himmel, als Anya und Nick vor dem Grundstück der Familie Bauer mit erhobenen Duel Disks Stellung bezogen. „Reden wir gar nicht lange um den heißen Brei herum, ich will das hinter mir haben!“, verlangte Anya wütend. „Ok“, gab Nick sich ungewohnt wortkarg. So riefen beide nur synchron: „Duell!“   [Anya: 4000LP / Nick: 4000LP]   „Ich fange an!“, bestimmte Anya und zog hintereinander weg sechs Karten. Nur einen halbherzigen Blick auf ihr Blatt werfend, legte sie ein Monster auf die Battle City-Duel Disk. „Dieses hier gesetzt, Zug beendet!“ Vor ihr materialisierte sich in vergrößerter Form und horizontaler Lage ein Kartenrücken. Allein daran würde Nick sich die Zähne ausbeißen, dachte sie grimmig.   „Hehe, Draw“, gluckste dieser und füllte sein Blatt ebenfalls auf sechs auf. Als Erstes griff er sich danach eine Zauberkarte aus seinem Blatt. „[Wind-Up Factory] für die Massenproduktion! Ich liebe Spielzeug!“ Durch die permanente Zauberkarte tauchte hinter dem brünetten Kerl ein Fließband auf, das aus einer Luke im Boden Pakete in eine andere Luke auf der gegenüberliegenden Seite transportierte. Nick knallte im Anschluss ein Monster auf seine Duel Disk. „Los, [Wind-Up Soldier] und gleich den Effekt aktivieren! Stufe rauf, mit Angriffskraft auch, hehe!“ Vor ihm erschien ein etwa ein Meter großer, grüner Spielzeugroboter mit Zangenhänden und einem Kopf, der stark an einen U-Magneten erinnerte. Der Aufziehschlüssel auf seinem Rücken begann sich wie wild zu drehen, kaum dass er das Spielfeld betreten hatte.   Wind-Up Soldier [ATK/1800 → 2200 DEF/1200 (4 → 5)]   Das Fließband hinter Nick begann sich in Bewegung zu setzen und er erklärte: „Wenn ich was aufziehe, gibt’s ein Geschenk!“ Aus seinem Deck schoss eine einzelne Karte hervor, die Nick kurz vorzeigte und als [Wind-Up Shark] identifizierte, ehe er sie seinem Blatt hinzufügte. „Und nun Angriff, ka-pow!“, strahlte er mit ausgestreckter Faust. Sein Aufziehkrieger schoss wie ein Pfeil auf Anyas gesetzte Karte zu, die um 180° um ihre eigene Achse wirbelte und aus sich einen riesigen Elefanten erscheinen ließ, der überall am Körper mit Rubinen bespickt war. Gar seine Stoßhörner bestanden daraus. Gem-Elephant [ATK/400 DEF/1900 (3)]   „Wow, deine Hirnzellen laufen ja heute auf Hochtouren, das war ja ein halbwegs kluger Zug! Hast du Koks geschnüffelt oder was?“, spottete Anya und schwang den Arm aus. „Ist auch egal, reichen tut das nämlich nicht! Ich aktiviere den Effekt von [Gem-Elephant]!“ Der Spielzeugroboter schlug mit seiner kleinen Faust gegen einen der Stoßzähne des Elefanten. Anya schob gleichzeitig [Gem-Knight Tourmaline] in ihren Friedhofsschacht. „Wenn ich ein normales Monster während des Kampfes abwerfe, erhält er 1000 Verteidigungspunkte!“ Sofort glühte ihr Monster kurz in gelber Aura auf, warf den Feind schließlich unter lautem Tröten zurück zur anderen Spielfeldseite.   Gem-Elephant [ATK/400 DEF/1900 → 2900 (3)]   [Anya: 4000LP / Nick: 4000LP → 3300LP]   „Hm“, gab Nick kurz und knapp von sich. Dann grinste er aber wieder, schob eine Zauberkarte in seine Duel Disk und verkündete: „Die verdeckt und Ende in der Maus!“ Während der Schnellzauber vor ihm holographische Form annahm, hörte der Aufziehschlüssel von [Wind-Up Soldier] auf sich zu drehen.   Wind-Up Soldier [ATK/2200 → 1800 DEF/1200 (5 → 4)]   Anya war gerade im Begriff die nächste Karte zu ziehen, da tauchte Levrier neben ihr auf.   Irgendetwas ist anders. Täusche ich mich, oder spielt er besser als sonst?   „Tch, er hat ausnahmsweise etwas Glück, mehr nicht. Wie ging das Sprichwort noch, jedes blinde Huhn findet einen Schlächter?“ Für Anya war das nicht mehr als Zufall. Nick und gut? Als ob!   Ich wollte dich nur darauf hinweisen, dass sein Verhalten seltsam aufgesetzt auf mich wirkt. Beherzige meinen Rat und unterschätze ihn nicht.   Damit verschwand Levrier wieder und wie könnte es auch anders sein, hatten seine Worte bei Anya genau gar nichts bewirkt. Denn für sie stand fest: Nick war ein Idiot und würde es selbst dann noch bleiben, wenn man irgendwann künstliche Gehirnzellen verpflanzen konnte. „Draw!“, rief sie kämpferisch. Die gezogene Falle betrachtet, schmiedete ihr erzböses Hirn sogleich einen finsteren Plan, wie sie den Trottel schön auflaufen lassen konnte. „Die hier verdeckt!“ Sprachs und schob die Karte in den dazugehörigen Slot unter [Gem-Elephant], woraufhin die Falle hinter ebenjenem erschien. Dann zückte Anya eine Zauberkarte von ihrem Blatt. „Mit [Silent Doom] reanimiere ich [Gem-Knight Tourmaline] vom Friedhof in Verteidigungsposition!“ Aus einem Loch im Boden entstieg der Krieger in goldener Rüstung, der zwischen seinen Händen Blitze erschuf und in die Knie ging.   Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)]   Ihre beiden Monster von der Duel Disk nehmend, rief Anya: „Und jetzt Tributbeschwörung! Ich opfere die zwei dort und rufe [Gem-Knight Crystal] aufs Feld!“ In blauem Licht lösten sich Tourmaline und der Elefant auf und machten Platz für einen stolzen, weißen Ritter, der seine Hände in die Hüften stemmte. Aus seinen Schulterplatten ragten durchsichtige Kristalle, die ihm seinen Namen gaben.   Gem-Knight Crystal [ATK/2450 DEF/1950 (7)]   „Angriff!“, befahl Anya umgehend. „Clear Punishment!“ Seine Faust in den Boden rammend, erzeugte Crystal eine Erdspalte, die auf Nicks Spielzeugsoldaten zuschoss und ihn schließlich in die Tiefe riss. Mehr noch, als spitze Kristalldornen daraus empor schossen, war klar, dass der Kleine keine Überlebenschancen gehabt hatte.   [Anya: 4000LP / Nick: 3300LP → 2650LP]   „Verdammt, ist das einfach!“, raunte Anya mürrisch und gab mit zwei Handkarten ab. „Zug beendet.“ Zugunsten ihrer Falle hatte sie diesmal auf etwas Fusionsaction verzichtet, damit der 'Nickinator' sich schön selber die Tour vermasselte. Sollte er ruhig angreifen. Und wenn nicht, umso besser!   Ihr Gegner zog auf eine fünfte Karte auf und fixierte sich auf das Mädchen. „Ich rufe [Wind-Up Hunter]! Und dazu, weil ich einen Kumpel beschworen habe, [Wind-Up Shark] als Spezialbeschwörung!“ Gleich zwei Monster materialisierten sich vor Nick. Zum Einen ein weißgrüner, vierbeiniger Roboter mit einer Armbrust in der Hand, zum Anderen ein blauer Aufziehhai – beide reichten kaum über Nicks Hüfte hinaus.   Wind-Up Hunter [ATK/1600 DEF/500 (3)] Wind-Up Shark [ATK/1500 DEF/1300 (4)]   „Jetzt gibt’s wieder ein Geschenk, weil mein Haichen durch seinen Effekt beschworen wurde! Wie Weihnachten!“, strahlte Nick. Das Fließband hinter ihm setzte sich in Bewegung, wobei gleichzeitig eine Karte aus seinem Deck geschossen kam, die er zwischen seinen Fingern aufnahm. Es war [Wind-Up Juggler]. „Das ist aber nicht das Ende der Kette, denn eigentlich aktiviere ich noch [Inferno Reckless Summon]. Da Shark als Spezialbeschwörung das Feld betrat und nur 1500 Angriffspunkte besitzt, kann ich ihn hiermit verdreifachen! Dasselbe kannst du mit Crystal machen, aber ich weiß ja, dass du nur eine Kopie davon spielst.“ „Uuuuuhhh … okay?“ Wie Nick da seine zwei weiteren Hai-Kopien aus dem Deck nahm und auf die Duel Disk legte, wurde Anya plötzlich unwohl zumute. Das vorhin hätte man als Zufall abtun können, aber täuschte sie sich, oder spielte Nick auf gehobenem Niveau!? Quatsch, das musste er sich irgendwo abgeguckt haben, auf Youtube gab es dauernd irgendwelche Kloppis, die ihre Kombos erklärten! Links und rechts neben dem Aufziehhai tauchten derweil zwei weitere seiner Spezies auf.   Wind-Up Hunter [ATK/1600 DEF/500 (3)] Wind-Up Shark x3 [ATK/1500 DEF/1300 (4)]   „Effekt des ersten Hais, ich reduziere seine Stufe dank seines Effekts um eins auf drei“, rief Nick, „weshalb ich mit ihm und [Wind-Up Hunter] jetzt das Overlay Network öffne! Erscheine, Rang 3 [Wind-Up Carrier Zenmaity]!“ Verblüfft verfolgte Anya mit, wie seine Monster als blauer und violetter Lichtstrahl in den sich nun öffnenden, schwarzen Galaxienwirbel gezogen wurden und daraus wiederum ein riesiger Spielzeugschiffsträger erschien, der sich vor Nick und den beiden Haien breit machte. Um ihn kreisten zwei leuchtende Sphären. Wind-Up Carrier Zenmaity [ATK/1500 DEF/1500 {3} OLU: 2]   „Huh!?“ „Effekt von Zenmaity! Im Austausch gegen ein Xyz-Material ruft er ein Wind-Up-Monster von meinem Deck!“, rief Nick, zog den Hunter unter Zenmaity hervor und knallte stattdessen ein anderes auf die Duel Disk. „Zeig dich, [Wind-Up Rat]!“ Vor ihm tauchte eine blaue Aufziehratte auf Rädern statt Beinen auf, gerade groß genug, um von Anyas Schuh nicht vollkommen verdeckt zu werden, sollte diese sich entschließen einfach drauf zu treten. Und sie verspürte irgendwie das Gefühl, genau dies zu tun, da sonst etwas Schlimmes geschehen würde. Wind-Up Rat [ATK/600 DEF/600 (3)]   „Effekt der Ratte! Ich wechsle sie in Verteidigung und reanimiere dafür Hunter, ebenfalls in Verteidigung!“ Das kleine Tierchen fuhr einmal vor Nick im Kreis, woraufhin aus der umfahrenen Stelle der vierbeinige Jäger wieder auftauchte und somit keinen Platz mehr für Monster auf Nicks Duel Disk zuließ.   Wind-Up Rat [ATK/600 DEF/600 (3)] Wind-Up Hunter [ATK/1600 DEF/500 (3)]   „Effekt Hunter! Ich opfere jetzt Zenmaity und stehle dir einmalig eine Handkarte!“ „Huh!?“, gab Anya wieder nur zum Besten, da sie bei all den Effekten Schwierigkeiten hatte mitzukommen. Der Spielzeugflugzeugträger verwandelte sich einen kleinen Pfeil, der sich von selbst in die Armbrust des Jägers einlegte und von diesem auf Anyas Blatt abgefeuert wurde. So zischte er durch eines von Anyas Effektmonstern hindurch, welches diese missmutig in den Friedhofsschlitz schob. „Tch, was soll das!?“ „Oh, nur eine meiner kleinen Kombos“, grinste Nick und kniff die Augen zusammen, „eine etwas fiese, zugegeben. Denn du musst wissen: ich kann das Ganze ab der Beschwörung von Zenmaity einfach wiederholen.“ „Huh!?“ Nick zuckte mit den Schultern. „Denk nach. Ich rufe jetzt mit Hunter und Rat einen weiteren Zenmaity, rufe mit dem die nächste Ratte von meinem Deck, die reanimiert den abgehangenen Hunter, welcher genau wie eben Zenmaity opfert. Sieh selbst!“ Und in erstaunlich schneller Abfolge wiederholte Nick dieselbe Kombo, bis auch Anyas zweite Handkarte, [Gem-Knight Fusion], getroffen von Hunters Pfeil in den Friedhof abgeschoben werden musste. Womit Anya nun blank war. Aber anscheinend dachte Nick gar nicht daran aufzuhören, rief er doch mit Hunter und Ratte Nummer 2 einen dritten [Wind-Up Carrier Zenmaity] aufs Feld.   Wind-Up Carrier Zenmaity [ATK/1500 DEF/1500 {3} OLU: 2 → 1]   Der riesige Schiffsträger feuerte einen Torpedo ab, wie er es immer tat, wenn er ein Monster beschwor. Und genau wie die zwei Male zuvor, verwandelte der sich in die Ratte, die Anya so gerne zerquetschen würde. Die Ratte, die Nick auf seiner Duel Disk einfach in die Horizontale wechselte, um [Wind-Up Hunter] zu reanimieren, den er zuvor abgehangen hatte.   Wind-Up Rat [ATK/600 DEF/600 (3)] Wind-Up Hunter [ATK/1600 DEF/500 (3)]   Schon befand sich sein Feld wieder in der Ausgangsposition mit zwei Haien, der Ratte, dem Schiffsträger und dem Jäger. Und Anya fragte sich und Nick: „Was zur Hölle geht'n hier ab!?“ „Nichts, bin nur gut drauf“, erwiderte ihr Freund geheimnisvoll, „da du keine Handkarten mehr hast, ändert sich ab hier meine Kombo ein wenig. Ich errichte mit Rat und Hunter das Overlay Network! Erscheine, Rang 3-[Wind-Up Zenmaines]!“ Vor ihm tat sich der schwarze Galaxienwirbel nun schon zum vierten Mal auf und sog den braunen und violetten Lichtstrahl der beiden Monster in sich auf, ehe daraus eine längliche Maschinenkreatur mit Flugzeugflügeln auf den Schultern und Zangenhänden erschien. Der Spielzeugkampfbomber hielt sich über Nick in der Luft mit seinen Propellern. Auch um ihn kreisten zwei Lichtsphären, ähnlich der, die um Zenmaity rotierte.   Wind-Up Zenmaines [ATK/1500 DEF/2100 {3} OLU: 2]   „Du solltest vorsichtig sein. Er mag schwach anmuten, aber wer sich mit ihm anlegt, zieht viel zu oft den Kürzeren“, rief Nick seiner Gegnerin vergnügt zu. Er kam so selten dazu, seine besten Monster auszuführen, weil er normalerweise als Idiot zu dumm für solche Sachen sein musste. Es war regelrecht befreiend für ihn, Anya mal mit voller Spielstärke gegenüber zu stehen. Auch wenn die wohl noch gar nicht begriff, was überhaupt los war. Umso seltsamer war es, dass dies Nick gar nicht kümmert. Die Kombos professionell und ernsthaft durchzuführen war eine Sache, aber je mehr er darüber nachdachte, desto mehr begriff er, dass sein Alterego hier nicht helfen konnte, selbst wenn er das Duell gewann. Anya war zu stur, um ihn mitzunehmen und würde niemals auf seinen Rat hören, solange sie glaubte, er wäre ein Idiot. Womöglich hatte er das bereits unbewusst eingesehen und sich deshalb gar nicht die Mühe gemacht, seine Fassade großartig aufrecht zu erhalten. Vielleicht war die Zeit gekommen, um … Nick schüttelte den Kopf. Erstmal musste er das hier gewinnen, dann konnte er weitersehen. So schwang er den Arm aus. „Natürlich habe ich meine Haie nicht umsonst beschworen. Sie können nämlich nicht nur ihre Stufe verringern, sondern auch um eins erhöhen. Das tue ich jetzt und errichte mit ihnen zum fünften Mal in Folge das Overlay Network! Erscheine, Rang 5-[Wind-Up Arsenal Zenmaioh]!“ Seine Haie verwandelten sich ebenfalls in blaue Lichtstrahlen, die von dem schwarzen Loch des Überlagerungsnetzwerks absorbiert wurden. Aus dem Wirbel hervor trat dieses Mal ein riesiger Roboter, der nur noch wenig von einem Spielzeug hatte. Eine Hand ein Bohrer, die andere als separate Einheit neben ihm fliegend, schien der rote Mecha tatsächlich respekteinflößend.   Wind-Up Arsenal Zenmaioh [ATK/2600 DEF/1900 {5} OLU: 2]   Und ohne jemals damit gerechnet zu haben, stand Anya nun drei Xyz-Monstern gegenüber. „Fuck“, war alles, was sie dazu sagen konnte. „Das war nur der halbe Spaß.“ Nick zeigte eine Zauberkarte vor. „Da ich ein Xyz-Monster besitze, kann ich [Generation Force] aktivieren. Damit erhalte ich eine Xyz-Unterstützungskarte von meinem Deck und dies wird der Spielfeldzauber [Xyz Territory] sein, welchen ich jetzt aktiviere!“ Unweigerlich musste Anya zurückschrecken, als überall um das Spielfeld herum rote Blitze eine Kuppel bildeten, die die beiden Duellanten in sich einschloss. Nick erklärte: „Damit steigt die Potenz eines Xyz-Monsters während des Kampfes mit anderen Monstern. Es erhält pro Rang 200 Angriffspunkte. Aber warum findest du das nicht selbst heraus? Ich greife deinen [Gem-Knight Crystal] mit [Wind-Up Arsenal Zenmaioh] an! Wind-Up Power Punch!“ Er hat deine Hand geleert, ganze fünf Xyz-Beschwörungen durchgeführt und besitzt nun ein Monster, das auf 3600 Angriffspunkte kommt! Dieser Junge ist gut!   „Schnauze, Levrier!“, befahl Anya, die diese Erkenntnis kategorisch ausschloss. „Eher ist er von einem Immateriellen besessen!“ Keine Chance.   Jedoch fehlte Anya die Zeit, dem zu widersprechen, denn Zenmaioh schoss nun seine abgekoppelte Faust auf den weißen Ritter des Mädchens ab. „Das funktioniert nicht!“, fauchte jenes und betätigte den Knopf ihrer Duel Disk, welcher ihre Fallenkarte hochklappen ließ. „[Justi-Break]! Wenn du ein normales Monster angreifst, wird jeder Fucker auf dem Feld zerstört, der keinen gelben Rand hat!“ „Wie erwartet“, murmelte Nick und nutzte den Auslöser seiner eigenen gesetzten Karte, die sich als Schnellzauber zu erkennen gab. „[My Body As A Shield]! Damit zahle ich zwar 1500 Lebenspunkte, annulliere jedoch einen Zerstörungseffekt, der meine Monster betrifft. Netter Versuch, Anya, aber absolut berechenbar.“   Wo er Recht hat- „Er kann nicht mal rechnen!“ Allerdings nützte Anyas Protest ihr herzlich wenig, als ihre Falle zersprang und ihr Ritter direkt in die Brust getroffen wurde. In tausend Teile zersprang er, ähnlich wie Anyas Weltbild, was Nicks Person anging. Keuchend wich sie der fliegenden Faust Zenmaiohs aus, die es nun auf sie abgesehen hatte und schließlich zu ihrem Besitzer zurückkehrte.   [Anya: 4000LP → 2850LP / Nick: 2650LP → 1150LP]   „Ich hätte auch den Effekt von Zenmaioh aktivieren können, um zwei gesetzte Karten zu vernichten“, erklärte Nick nachhaltig gelassen, „aber es ist nicht mein Stil, meine eigenen Karten für so etwas zu opfern, wenn ich nicht zu 100% sicher bin, ob ich damit auch Erfolg haben werde.“ „Stil!?“ Nick zog überrascht eine Augenbraue hoch. Dann begann er schelmisch zu grinsen. „Vergiss es … öh … ich … meinte Stiel. Meinen Besenstiel, weißt du?“ Der junge Mann blinzelte abwartend. Wie würde sie jetzt reagieren? Selbst Anya musste doch bemerkt haben, was er ihr schon die ganze Zeit, erst unbewusst, jetzt willentlich zu zeigen versuchte. Die Erkenntnis aber würde er ihr nicht abnehmen, denn sie musste selbst begreifen, mit wem sie es wirklich zu tun hatte. Sollte sie trotz all der Hinweise keine Schlüsse ziehen, nun … „Was ist denn jetzt los!? Nick, was treibst du hier!?“ Ihr Gegner seufzte, konnte er aus dieser Reaktion nicht genau abschätzen, was in ihr vorging. Also spielte er das Spiel weiter und duckte sich plötzlich mit Händen über dem Kopf, quiekte „Vergib mir, direkter Angriff mit Zenmaity und Zenmaines!“ „Crap!“ Während der Flugzeugträger zwei kleine Torpedos auf Anya abfeuerte, flog der Spielzeugbomber über das Mädchen hinweg und ließ eine Reihe von Sprengkörpern auf sie herab fallen. Anya langte panisch nach ihrem Friedhofsschacht. „Effekt von [Kuriboss] aktivieren! Ich verbanne ihn und annulliere einmal Kampfschaden!“ Wenn Nick den nicht dorthin verfrachtet hätte mit seiner ätzenden Kombo, wäre sie jetzt geliefert gewesen. So tauchte über ihr ein brauner Fellball in grauem Cape und mit Sonnenbrille auf der nicht existierenden Nase auf, welcher unter „Kuri!“ ein Dimensionsloch erschuf und die herabfallenden Minen in eine andere Welt mitnahm. Weniger Glück hatte Anya da mit den Torpedos, die neben ihr einschlugen und heftige Explosionen auslösten.   [Anya: 2850LP → 1350LP / Nick: 1150LP]   „Oh Mist!“, schoss es aus Nick panisch heraus, der sich das offensichtlich anders vorgestellt hatte. Seine vorletzte Handkarte in die Duel Disk schiebend, verkündete er: „Bitte hass' mich nicht! Diese verdeckt! Ich geb' auch an dich ab, Anya-Muffin! Hehe! Eis am Stiel und so.“ Anya zog eine Augenbraue hoch. Dann sagte sie erleichtert: „Puh, er ist wieder normal …“ Ihr entging der scharfe Blick ihres Gegners, den dieser ihr in seiner geduckten Position zuwarf.   Anya Bauer … ach vergiss es.   „Huh?“ Was hatte der denn jetzt schon wieder, fragte sie sich argwöhnisch. Heute benahmen sich diese beiden Trottel wirklich komisch! „Mein Zug! Levrier!?“   … nein.   „Doch!“ Nein.   „Ohne bin ich aber verloren!“ Aufgebracht fuchtelte Anya mit den Händen hin und her. „Nur ein bisschen, um nicht aus der Übung zu kommen!“   Vergiss es! Was ist aus deinem Vorsatz, solche Kräfte nicht zu benutzen, geworden!? Außerdem habe ich meine Kräfte erst gestern genutzt! Ich bin nicht mehr das, was ich einst war, Anya Bauer!   „Nützlich!? Hmpf, das warst du noch nie! Und nun mach, bevor wir … du weißt schon. Ihn mitnehmen müssen! Du wirst es bereuen, wenn du mich jetzt hängen lässt!“ „Ich kann dich hören, Anya“, mischte sich Nick trocken ein.   … fein. Lieber riskiere ich bei dem Versuch zu verschwinden, anstatt mir die nächsten Wochen permanent dein Gemotze anzutun. Warum sind wir doch gleich befreundet?   „Weil ich so anderen Leuten besonders kräftig in den Arsch treten kann“, erwiderte Anya gallig, streckte ihre Finger ein paar Mal durch und griff dann nach ihrem Deck. Ein weißes Licht begann um die Hand zu leuchten. Nick griff sich ans Kinn. „Der Cheat-Draw …“ „Für dich die Deluxe-Version mit besonders viel Demütigung!“, keifte Anya und riss die Karte von ihrem Deck, wobei vor ihrem inneren Auge ein genaues Bild im Kopf erschien, welche es sein würde. „Draw!“ Bei der schwungvollen Bewegung ging das Licht ihrer Hand auf die Karte über und Anya wusste instinktiv, dass Levrier sie mal wieder nicht im Stich gelassen hatte. Sofort knallte sie das nachgezogene Monster auf die Duel Disk. „Ich beschwöre [Gem-Knight Turquoise]!“ Woraufhin vor ihr ein Ritter in türkisblauer Rüstung, mit Bogen bewaffnet, Gestalt annahm.   Gem-Knight Turquoise [ATK/1400 DEF/2000 (4)]   Mit flinken Fingern fischte das Mädchen Sekunden später [Gem-Knight Tourmaline] und [Gem-Knight Fusion] aus ihrem Friedhof und zeigte diese vor. „Ich verbanne Tourmaline, um [Gem-Knight Fusion] zu recyceln, die ich wegen dir abwerfen musste. Aber sie bleibt nicht lange auf meinem Blatt, denn mit Turquoises Effekt werfe ich sie ab, um einen verbannten Gem-Knight zu rufen. Nämlich Tourmaline! Erscheine!“ So geschah es, dass Anya besagte Zauberkarte wieder auf den Ablagestapel legte und den goldenen Ritter vor sich einberief.   Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)]   „Und jetzt erschaffe ich das Overlay Network!“, krähte Anya und streckte den Arm weit in die Höhe. Die beiden Krieger verwandelten sich in braune Lichtstrahlen, die von dem schwarzen Galaxienwirbel absorbiert wurden, welcher sich in der Mitte des Feldes auftat. Und so oft, wie Anya dies heute gesehen hatte, würde sie davon vermutlich Albträume bekommen. „Mach ihn alle, Levrier!“ Aus dem Strom stieg der schlichte Ritter in der weißen Rüstung hervor. Stolz verschränkte [Gem-Knight Pearl] die Arme, umgeben von den sieben rosafarbenen Riesenperlen, die ihm seinen Namen gaben.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4} OLU: 2]   … hättest du nicht meinen Kollegen, den Drachen rufen können? Levrier fasste sich an die Stirn, schüttelte den Kopf und seufzte vor Selbstmitleid. „Nein!“, fauchte Anya. „Der ist zwar viel nützlicher als du, aber in dem Fall brauche ich vor allem eins: rohe Gewalt! Und dafür ist deine Crapkarte genau die richtige!“ Nick verschränkte abwartend die Arme. Seine Gegnerin griff zeitgleich unter Pearl, um dessen Xyz-Material darunter hervorzuziehen. „Pearl hat keinen Effekt, dafür aber Turquoise, wenn er als Xyz-Material herhält! Ich kann ihn und 'nen anderen Gem-Knight abhängen, um den Angriffswert des gerufenen Xyz-Monsters für diesen Zug zu verdoppeln! Los!“ Immer wieder dieselbe Nummer …   Levrier streckte seine zu Fäusten geballten Hände weit aus und absorbierte damit die beiden Lichtsphären, die um ihn kreisten. Anschließend begann er in türkisfarbener Aura aufzuleuchten.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 → 5200 DEF/1900 {4} OLU: 2 → 0]   „Perfekt!“, jauchzte Anya und streckte den Arm aus. „Jetzt zeigen wir dem da, warum ich auch gut alleine klar komme! Levrier, Angriff auf [Wind-Up Arsenal Zenmaioh]! Ach, und Einstein!“ Nick erwiderte grinsend: „Was denn, mein Muffin?“ „Du bist so dumm! Deine kack Feldzauberkarte stärkt auch meine Xyz-Monster! Sieh zu, wie ich dich zermantsche! Blessed Spheres Of Purity!“ Levrier hob die Arme daraufhin in die Höhe, nur um sie dann mit Schwung wieder nach vorne zu richten. Damit kommandierte er seine sieben Sphären, die wie Kanonenfeuer auf Nicks Kampfroboter zu schnellten.   Gem-Knight Pearl [ATK/5200 → 6000 DEF/1900 {4} OLU: 0]   „Da können selbst 3600 Angriffspunkte nicht mithalten!“, feixte Anya. „Ich sagte, ich werde dich begleiten“, murmelte Nick leise und kniff die Augen zusammen. „Und wenn ich das sage, dann meine ich das auch so. Sorry Anya, dieser Sieg gehört mir!“ „Vergiss es!“ Doch Nick schwang bereits mit strengem Blick seinen Arm aus, sodass seine gesetzte Fallenkarte aufklappte. „Mitnichten! [Overwind]! Damit verdopple ich Zenmaiohs Werte, wofür er in der End Phase in mein Extradeck zurückkehrt!“ „Huh!?“ Levrier schlug die Hände über den Kopf zusammen, als er das vernahm.   Nicht doch!   Wind-Up Arsenal Zenmaioh [ATK/2600 → 3600 → 7200 DEF/1900 {5} OLU: 2]   „Fuck!“, kreischte Anya alarmiert. Wie kleine Kieselsteine prallten die sieben Perlen an der Panzerung des Roboters ab und kamen nun mit doppelter Geschwindigkeit auf Levrier und Anya zugeschossen. Ersterer ergab sich seufzend seinem Schicksal und wurde von den leuchtenden Kugeln regelrecht zerfetzt, doch Anya war da weitaus weniger kooperativ. Sie zeigte ihnen und Nick per unmissverständlicher Fingergestik, was sie davon hielt. Die Perlen wiederum dankten es Anya mit wenig Erbarmen und deckten sie bei Körperkontakt regelrecht mit Explosionen ein.   [Anya: 1350LP → 150LP / Nick: 1150LP]   Vor Schreck stolperte Anya und fiel rückwärts auf ihr Hinterteil. In diesem Moment, als sie zu Nick herüber sah, wie er da fest entschlossen stand und sie nicht aus den Augen ließ, wurde sich das Mädchen dreier Dinge bewusst. Erstens: Sie hatte sich die letzte Viertelstunde und darüber hinaus ihr ganzes Leben lang eingeredet, ihr bester Freund wäre der schlechteste Duellant auf dem Planeten. Zweites: Auch hatte sie sich eingeredet, er wäre der dümmste Mensch auf dem Planeten. Drittens: Beides traf nicht zu. Eher das Gegenteil. Woraus sie beängstigend schnell für ihre Verhältnisse ein Fazit zog. Nick war so gut wie tot. Wutentbrannt sprang das Mädchen auf und legte ihre Hand dabei auf ihr Deck. „Ich gebe auf!“   [Anya: 150LP → 0LP / Nick: 1150LP]   Prompt verschwanden die Hologramme von Nicks Xyz-Armee. Nick lockerte vor Überraschung glatt seine verbissene Miene auf. „Was? Du und aufgeben?“ „Ja!“, fauchte Anya, nahm ihre Duel Disk vom Arm und warf sie mit derartigem Karacho über den Zaun des Bauergrundstücks, dass es nur so schepperte. Wortwörtlich, sie hatte das Fenster des Wohnzimmers erwischt. Was Anya nicht im Geringsten störte. Sich die nicht existierenden Ärmel ihres T-Shirts hochkrempelnd, stampfte sie auf Nick zu. „Bild dir bloß nichts ein. Das mache ich nur, um mehr Zeit damit verbringen zu können, deine neuen Gehirnzellen einzeln aus deinem verkorksten Schwammkopf zu zupfen, während ich mir dabei den neuesten Saw-Film als Inspirationsquelle für andere Foltermethoden reinziehe!“ „Aha.“ Anya flogen bald die Augen ob jener daher gesagten, gelangweilten Antwort heraus. Das war Nick, der müsste doch längst die Beine in die Hand genommen und die Flucht ergriffen haben! Wieso rannte er nicht weg, jetzt, wo er offensichtlich intelligent war!? Vor ihm angelangt, schaute das Mädchen drohend zu ihm hinauf. „Noch irgendwelche letzten Worte, bevor ich dich skalpiere? Vielleicht, warum du neuerdings so gut Duel Monsters spielst?“ „Ja.“ Nick sah zur Seite. „Ich … habe mich im Duell etwas gehen lassen.“ „Das hab ich gemerkt!“ Der Anflug eines Lächelns breitete sich auf Nicks Lippen auf. „Sonderlich oft komme ich nicht dazu, mich ernsthaft zu duellieren. Und mit dir habe ich mich so bisher noch nie duelliert. Du … hättest gewonnen, wenn du nicht ausgerechnet Zenmaioh angegriffen hättest.“ „Wie schade“, ätzte Anya, „aber ich sag dir was! Du kommst trotzdem nicht mit! Weil du noch viel schlimmer bist, wenn du einen auf Intelligenzbestie machst!“   Nick, der es nun wagte, die gut einen Kopf Kleinere anzusehen, gab einen überraschten Laut von sich. Statt ihn nämlich böse anzufunkeln, war es nun Anya, die betrübt ins Leere starrte. „Ich“, nuschelte sie leise, „hab's echt nicht geschnallt bis eben. Dass du … anders bist. Und wenn Levrier es nicht dauernd sagen würde, würde ich am ehesten glauben, dass du jemand Fremdes bist, ein Doppelgänger oder so. Nicht der echte Nick, den ich seit meiner Kindheit kenne.“ „Ich wollte es dir sagen. Schon oft. Aber … es ging nicht.“ Das Mädchen wandte sich von ihm ab. „Keine Ahnung, von was du sprichst. Komm einfach mit, ich will jetzt … einfach woanders sein. Bevor meine Mutter das mit dem Fenster spitz kriegt.“ Sich fragend, wohin es gehen sollte, begann Nick Anya zu folgen.   ~-~-~   Wenig später waren sie am Ziel angelangt. Der Spielplatz. Mittlerweile war kaum noch etwas vom Abendrot zu sehen, stattdessen begann nun die Nacht Livington in ihren Bann zu ziehen. Der Schein der am Straßenrand stehenden Laternen drang bis hierher. Über den Sand zu den beiden Schaukeln laufend, schwieg Anya, wie sie es getan hatte, seit sie sich auf den Weg hierhin gemacht hatten. Diese Zeit der Stille hatte sie gebraucht, um ihre Gedanken zu ordnen. Denn so wirklich einschätzen konnte sie ihren Freund nicht. Es kam ihr plötzlich so vor, als kannte sie Nick gar nicht, als wäre das ein Fremder. Wie viel von dem, was er in den letzten Jahren abgezogen hatte, war nur gespielt? Und noch viel wichtiger, warum hatte er anscheinend die ganze Zeit nur den Idioten gemimt? Wieso hatte sie das nicht eher bemerkt?   Sich auf einer der beiden Schaukeln neben der großen Rutsche niederlassend, wies sie Nick stumm an, die andere zu besetzen. Der tat dies auch ergeben. Zusammen schwiegen sie noch eine Weile, starrten in den Himmel, der immer dunkler wurde und beobachteten die Sterne. Schließlich fand Anya einen Anfang. „Warum?“ Nick antwortete gedämpft. „Nur so. Hab mir nichts weiter dabei gedacht. Wollte euch einfach etwas aufmuntern mit der Art des anderen Nick und irgendwie hat sich das in all den Jahren immer weiter entwickelt. Bis es kein Zurück mehr gab.“ „Du bist dumm“, erwiderte Anya trocken. Ihr Freund lachte auf. „Ja, vielleicht hab ich mehr mit meinem Alter Ego gemein als man glauben möchte.“ Anya starrte bewusst weiter in den Himmel. „Wer weiß noch davon?“ „Abby, aber noch nicht all zu lange. Ich habe sie erpresst, damit sie dir nichts erzählt, also sei bitte nicht wütend auf sie.“ „Bin ich nicht. Wütend bin ich auf dich.“ „Umso besser. Verdient hab ich es.“ Er ließ den Kopf hängen. „Wer hätte gedacht, dass ich mich ausgerechnet bei einem Duell verraten würde?“ Der Ausbruch kam so plötzlich und vor allem für Anyas Verhältnisse erst so spät, sodass es an ein Wunder grenzte, dass Nick nur von der Schaukel in den Sand fiel und nicht aufgrund der Lautstärke bis zum Mond flog. „Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, du grenzdebiler Spasmo!?“, überschlug die Stimme der Blonde sich förmlich, als sie sich auf den groß gewachsenen, jungen Mann stürzte. „Du hast mich damals bei diesem scheiß Tag Turnier sowas von hintergangen! Wir hätten das Ding locker gewinnen können, wenn Mr. Mime hier sich nicht dazu entschlossen hätte, mir die Tour zu vermasseln!“ Nick am Kragen zu sich hoch ziehend, starrte sie ihn mit weit aufgerissenen Augen, die einen bedenklich wahnsinnigen Touch gewonnen hatten, diabolisch an. „Irgendwelche letzten Worte, ehe ich dir den Arsch bis zum Genick aufreiße!?“ „Darüber regst du dich als Erstes auf?“ „Worüber sonst, du Hohlbirne!?“, gab Anya ihm mit passender Kopfnuss zurück, ließ ihr Opfer schließlich wieder los und setzte sich zurück auf die Schaukel. Leise nuschelte sie: „Den meisten anderen Scheiß hab ich sowieso vergessen, bei so viel verliere selbst ich den Überblick. Außerdem ist es nicht so, dass ich im Moment Zeit dafür habe, mich für all die Blamagen zu rächen.“ Nick richtete sich auf und klopfte seine Hose sauber, ehe er es Anya gleichtat und wieder Platz nahm. „Dann bin ich ja beruhigt“, witzelte er, da er sich bewusst war, wie knapp er daran vorbei geschlittert war, den Rest seines Lebens 'Hölle' zu nennen. „Aber wir sind keine Freunde mehr.“ Anyas kalte Worte schafften es tatsächlich, dass ihm die Kinnlade hinunter klappte. „Ich kenne dich nicht“, meinte sie weiter und schloss die Augen, „deswegen müssen wir uns erst kennenlernen. Auf der Reise nach Dice. Und vielleicht bin ich so nett und lasse mich irgendwann wieder dazu herab, dich so zu nennen.“   Zuerst wollte Nick widersprechen, aber wie er sie so ansah, fehlten ihm die Worte. Ausgerechnet jemanden wie Anya so nachdenklich zu erleben, brachte selbst den sonst so gefassten Nick ins Schwanken. Denn anscheinend nahm sie sich das mehr zu Herzen, als man es ihr jemals zutrauen würde. Aber war es denn so überraschend? Sie hatte eben erst auf eine für sie sehr schmerzhafte, demütigende Weise erfahren, dass er sie all die Jahre angelogen hatte. Normalerweise hätte Anya ihn, statt zum Spielplatz, in eine dunkle Gasse führen und auf mindestens zehn kaltblütige Weisen umbringen müssen. Zumindest wäre das ihr gewohntes Muster gewesen. Dass sie ihm 'nur' die Freundschaft vorläufig kündigte, qualifizierte sie praktisch für einen Platz in Gottes Reich, an ihrer mangelhaft ausgebildeten Gutmütigkeit gemessen.   „Heißt das, dass du einverstanden bist, wenn ich dich begleite?“ „Ja“, brummte sie, „aber nur, weil Levrier sagt, dass du ganz nützlich sein könntest.“ Nick schmunzelte. „Keine Sorge, das werde ich. Mach dir um die Kosten für die Reise keine Sorge, die werde ich tragen.“ Anya warf ihm einen verstohlenen Blick herüber, hielt sich dabei an den Trägern der Schaukel fest. „Und wie?“ „Lass das meine Sorge sein, ich bin recht gut in Sachen Hacking. Erinnerst du dich an Nina Placatelli?“ Sofort verfinsterte sich Anyas Ausdruck. „Leider ja! Diese strunzhohle Reporterin, die Abby so übel- Moment mal! Wenn du klug bist, heißt das ja, dass du damals absichtlich-!“ „Warum ich das gemacht hab, erkläre ich dir ein anderes Mal“, schmetterte Nick den aufkommenden Sturm eilig ab und hob die Hände, „es war nur zu unserem Besten! Wenn es dich beruhigt: ich kann ihr Konto knacken und dir damit alles kaufen, was du willst!“ „Tch! … alles?“ Er grinste breit. „Alles. Auch die Brust-OP.“ Nick wusste, dass er nur noch mehr Öl ins Todesfeuer Anya goss, aber genauso kannte er seine Freundin gut genug, um sich in Sicherheit zu wiegen. Denn wie Anya selbst des Öfteren sagte, tötete sie ihre Nutztiere nicht. Außerdem war es sein geborener Zwang, sie zur Weißglut zu treiben, den Teil hatte er nie spielen müssen.   „Aber mal was anderes“, änderte er dennoch mit plötzlichem Ernst das Thema, „der Sammler. Ich habe darüber nachgedacht. Dass du seinen Auftrag erfüllen sollst.“ Anya beugte sich interessiert nach vorne. „Ach ja? Lass hören, Einstein!“ „Er kann es nicht.“ „Kann was nicht?“ „Die Aufgabe selbst erledigen. Das ist der einzige logische Schluss“, sprach Nick und sah seine Vorübergehend-nicht-Freundin vielsagend an. „Jemand von seiner Macht müsste locker mit einem Werwolf fertig werden. Ich kann nur Vermutungen anstellen, aber vielleicht wird er beobachtet.“ Der skeptische Tonfall Anyas wollte nicht abklingen. „Von wem?“ „Jemanden, der noch mächtiger ist als er.“ Nick schüttelte den Kopf. „Das ist aber nur eine Möglichkeit. Eine andere wäre, dass er selbst nicht mehr so mächtig ist, wie er uns glauben lassen will. Da wir nicht einmal wissen, was für Gegenstände du suchen sollst, wäre es denkbar, dass er sie braucht, um sich zu stärken.“ Anya runzelte ärgerlich die Stirn. „Der hat nicht den Eindruck gemacht, neuerdings an Altersschwäche oder sonstwas zu leiden.“ Etwas Schwung holend, begann Nick zu schaukeln. Dabei sagte er: „Als Laie fällt einem das nicht auf. Für ihn geht es darum, anderen Dämonen voraus zu sein. Was denkst du, was sie mit ihm anstellen würden, wüssten sie, dass er geschwächt ist? Aber natürlich ist auch das nur ein Gedanke. Im Endeffekt wissen wir nur, dass du kannst, was er selbst nicht zu tun vermag. Und wohl auch niemand sonst, wenn man bedenkt, dass er auch diesen Kyon hätte losschicken können, statt dich in eine aufwendig geplante Falle zu locken.“ Garstig erwiderte Anya: „Soll ich jetzt einen Freudentanz aufführen?“ „Nein.“ Nick bremste mit den Hacken den Schwung, blieb stehen und sah überzeugt zur Blonde herüber. „Aber es könnte sich noch zu unserem Vorteil erweisen. Außerdem sollten wir noch etwas bedenken. Jemand, der so gut über alles informiert ist wie er, weiß nur in Ansätzen, wonach du suchen musst?“ „Yeah“, brummte Anya, „normalerweise müsste der doch nur mit dem Finger schnippen, um diese Leute vor sich erscheinen zu lassen. Da ist was faul. Entweder ist das wieder so ein dummer Test, oder … keine Ahnung, irgendwas anderes halt.“ „Was auch immer es ist, wir werden es herausfinden, irgendwie. Spiel' erstmal sein Spiel mit, damit wir etwas mehr erfahren. Dann, wenn wir uns sicher sein können, dass du die wichtigste Komponente in seinem Plan bist, werden wir den Spieß umdrehen.“   Die Blonde zog überrascht eine Augenbraue hoch. Um dann breit zu grinsen. „Langsam gefällst du mir, Harper!“ Er lachte auf. „Hätte ich das geahnt, hätte ich mich nicht jahrelang zum Affen für dich gemacht. Na ja. Wir sollten zurück. Ich buche noch heute Tickets für den Flug nach Dice, sodass wir so schnell wie möglich los können.“ „Mit gefallen meinte ich, dass ich dich weniger hasse“, stellte Anya eiskalt klar, „auf meiner Racheliste #1 stehst du seit heute nämlich ganz weit oben, Harper!“ „Ich nehme das mal als Kompliment, denn normalerweise ist die nur mit dem Namen Redfield gefüllt.“ „Erinnere mich jetzt bloß nicht noch an die“, brummte Anya und senkte den Kopf, „die dumme Kuh ist ein absolutes Hindernis.“ Nick horchte irritiert auf. „Hindernis? Ich dachte, du wärst über Marc hinweg?“ „Nicht wegen Marc, du Idiot! Sie ist eine von wenigen, an denen ich vorbei muss, um meinen Traum zu verwirklichen.“ Anya sah auf in den Sternenhimmel. „Ja, Harper, du hast richtig gehört. Ich habe einen Traum.“ Als Nick das hörte, zuckten seine Mundwinkel augenblicklich nach oben. „Das ist gut, oder?“ „Natürlich ist das gut! Seit ich weiß, dass ich nicht mehr lange leben könnte … will ich beweisen, dass ich die Duel Queen sein kann! Ich glaube, das ist der erste Traum, den ich je hatte. Und der ist verdammt nochmal perfekt!“ Überrascht davon, erwiderte Nick: „Duel Queen? Der Titel der besten Duellantin auf dem Planeten?“ „Ja! Und um den zu bekommen, muss ich Redfield vernichten. Und dich. Und noch ein paar andere Nervensägen, die ich erst noch treffen muss. Aber alles zu seiner Zeit, ich bin momentan nicht gut genug, mich so zu nennen.“ Dass Anya so viel Einsicht und Ehrgeiz zeigte, erfüllte Nick nur umso mehr mit Stolz. Denn dass sie ihm dies erzählte, zeigte, dass sie auch einen Schritt in die Richtung genommen hatte sich zu öffnen. „Erzähl mir mehr darüber“, bat er. Und das tat Anya.     Turn 40 – Moon Shine Night Nach einem anstrengenden Flug kommen Anya und Nick schließlich in Dice an. Während Nick die Polizeiarchive durchforstet, um Infos über den geheimnisvollen Zanthe zu finden, bereitet Anya sich auf ihre ganz eigene Art und Weise vor. Mitten in der Nacht, dank eines genialen Einfalls von Nick, machen sie sich schließlich auf die Suche, wobei es Anya tatsächlich gelingt, Zanthe im in der nähe befindlichen Wald ausfindig zu machen. Allerdings … Kapitel 45: Turn 40 - Moon Shine Night -------------------------------------- Turn 40 – Moon Shine Night     Stöhnend ließ Anya sich in den Sitz neben Nick fallen. Die Economy Class war zwar nicht gerade das, was man leergefegt nennen konnte, aber das war es auch nicht, was sie störte. Okay, diese ganzen lauten, nervigen Mitpassagiere im Flugzeug störten sie sogar erheblich, aber verglichen mit anderen Dingen waren sie noch das geringste Übel. Nein, Anya Bauer war aufgrund ganz anderer Dinge sauer. Erstens: sie hatte es nicht geschafft, Barbie ins Flugzeug zu schmuggeln. Zweitens: ihr Nicht-Freund Nick war selbst jetzt noch ein Idiot, weil er „nur“ zwei Tickets für die Economy Class gebucht hatte. Und drittens: wer zum Henker empfand es als gute Idee, aufgrund des knapp einstündigen Fluges nach Dice die Monitore an der Rückenlehne der Sitze, die zur Unterhaltung der Fluggäste gedacht waren, wegen Einsparungsmaßnahmen auszuschalten!? Sie wollte abgelenkt werden, verdammt!   Griesgrämig verschränkte Anya die Arme. Immerhin waren ihr Fahrrad und der Rucksack wieder aufgetaucht. Der vermeintliche Dieb hatte sie am Morgen nach dem Duell mit Nick klammheimlich bei ihr an der Garage abgestellt. Musste wohl zu viel Schiss vor ihr gehabt haben, überlegte Anya mit grimmiger Zufriedenheit. Nick neben ihr las unbekümmert die Financial Times, bemerkte aber ihren Unmut dennoch. „Was ist los?“ „Ist das Hotelzimmer genauso schäbig wie dieses Müllflugzeug?“ „Es hat drei Sterne, was ausreichend für unsere Zwecke ist“, antwortete Nick ein wenig pikiert ob der Undankbarkeit seiner Freundin, „wir sind nicht zum Urlaub machen unterwegs.“ „Ich weiß! Trotzdem … haben die wenigstens 'nen Pool?“ Nick blinzelte zweimal. „Nein.“ Damit schlug Anya schnaubend auf die karamellfarbene Lehne ihres Sitzes. „Verdammt!“ Ärgerlich stierte sie aus dem kreisrunden Guckloch nach draußen auf die Landebahn. Dafür war sie also früh morgens aufgestanden? Was für ein Witz! Wenn es nicht um ihr Leben ginge, säße sie gar nicht hier! „Ich hab dir aber einen Termin beim Onkel Doktor verschafft. Für die Implantate“, gluckste Nick, um Anya aufzuheitern. Aber als sie ihn aus den Augenwinkeln mit dem Todesblick anstarrte, vertiefte er sich eilig wieder in seine Zeitung und gab keinen Mucks mehr von sich. Wo er schon Ärzte erwähnte: ihrer war jetzt ein Fall für einen guten Psychologen, dachte Anya mit bitterböser Genugtuung. Bisher waren alle Mediziner immer sehr kooperativ gewesen, wenn sie eine Befreiung für die Schule oder in dem Fall für die Arbeit brauchte. Aber dieses erstaunlich widerwillige Exemplar hatte erst klein beigegeben, als sie damit gedroht hatte, ihn mit dem Aquariumsglas seines Goldfisches zu ertränken … als er ebendieses schon auf dem Kopf sitzen hatte. Damit reihte der Kerl sich jetzt in die Riege der Allgemeinmediziner ein, die ihren Beruf Anya-bedingt hatten aufgeben müssen. War es der sechste oder schon der siebte? Sie hatte irgendwann aufgehört zu zählen.   Gerade als Anya dies nachholen wolle, sprach der Bruchpilot des Billigfliegers zu ihnen und wünschte einen angenehmen Flug. Ehe es einen Ruck gab und das Flugzeug sich langsam in Bewegung setzte. Die Faust in die Wange stemmend, starrte Anya auf die Landebahn, die sich langsam immer weiter von ihnen fort bewegte. „Das kann ja heiter werden. Ich reise um die Welt, nur um einen Werwolf zu fangen. Was kommt danach, ein Vampir? Soll ich die Twilight-Crew zusammensammeln oder was!?“ Nick, der still zu ihr über seine Financial Times herüber linste, wusste es bereits, da er sich die vom Sammler ausgehändigten Unterlagen angesehen hatte. Und sein unzufriedener Gesichtsausdruck sprach Bände.   ~-~-~   Etwa zwei Stunden später setzte Anya mit ungläubiger Miene ihren Koffer in der „Lobby“ des Hotels ab. Es war ein länglicher Durchgang, welcher geradeaus weiter zum Innenhof führte, zur Linken hingegen über eine Treppe nach oben. Rechts von Anya kümmerte sich Nick gerade um die Formalitäten an der kleinen Rezeptionsnische. „Nicht 'mal Strom haben die hier“, giftete das Mädchen und starrte an die Decke. Der ganze lange Flur war nicht beleuchtet, sondern spendete zugeben angenehmen Schatten vor der grellen Sonne. „Hier“, trat Nick an sie heran und reichte ihr einen der beiden Schlüssel, „im dritten Stock.“ „Müssen wir …?“ Anya sah sich noch einmal genau um. Nein. Kein Aufzug in Sicht. „Du wirst es überleben. Seit wann benimmst du dich wie eine verwöhnte Göre?“ „Tch“, schnaubte sie da und schnappte sich ihren Koffer, „du hast wohl Halluzinationen! Eine Anya Bauer scheißt auf Luxus! Ich bin doch nicht Redfield! Komm jetzt!“ Damit stampfte sie auf die Treppe zu und machte deutlich ihren Unmut hörbar. Nick hingegen grinste nur triumphierend hinterher, bereitete es ihm doch immer wieder Freude, seine Sandkastenfreundin nach allen Regeln der Kunst zu manipulieren. Schließlich folgte er ihr.   Kaum hatten sie das kleine Zimmer erreicht, sah Anya sich zunächst misstrauisch um. Vor ihnen erstreckte sich ein kleiner Flur, in dem sowohl eine Küchenzeile, als auch ein Kühlschrank eingebaut war. Gleich neben ihr ging es zum Bad, geradeaus schon zu den Betten, die glücklicherweise getrennt voneinander standen. „Tch, da ist ja das letzte Rattenloch noch komfortabler“, raunte sie und trat in den Hauptraum ein, der neben einem kleinen Schreibtisch in der hinteren Ecke, besagten Betten und einer Sitzecke nicht viel bot. Nicht einmal einen Fernseher gab es hier. „Soll ich fragen, ob sie noch eins für dich frei haben?“, gluckste Nick und zog an ihr vorbei.   Sein Ziel war der Schreibtisch, an den er sich setzte. Neben diesen konnte man von einem Fenster aus auf den Innenhof schauen, in dem aber nur ein paar Mülltonnen standen. Dort spielten ein paar Kinder lauthals Ball. Doch das störte Nick nicht, stattdessen wandte er sich auf dem Schreibtischstuhl zu seinem Koffer um, holte daraus seinen Laptop hervor und begann damit, diesen internetfähig zu machen. „Wir wissen im Moment leider nicht sehr viel über dein erstes Zielobjekt“, begann er, während der Laptop sich hochfuhr. Anya derweil setzte sich an die Bettkante, kaum hatte sie ihren Koffer neben das Bett gestellt und den zuvor geschulterten Rucksack auf ebendieses geschmissen. Es war nur gut, dass die Dinger getrennt voneinander standen. Denn wenn sie mit Nick … nein, diese Vorstellung verbannte Anya aus ihrem Kopf, ehe jene ernsthafte Schäden verursachte. „Von dem Sammlerdämon hätte ich in diesem Punkt mehr erwartet“, redete der weiter, „im Grunde ist der einzige Hinweis zahlreiches totes Wild, das in den letzten Tagen im nahegelegenen Wald gefunden wurde. Zu viel für normale Wölfe, zumal jene auch zu den Opfern zählen. Ich habe mich schon vorab informiert, diese Erscheinung ist erst vor Kurzem aufgetreten. Der letzte Fund ist erst gestern her.“ „Uaaaah“, gab Anya zu verstehen, was sie davon hielt, „ein vegetarischer Werwolf? Wie eklig!“ „Ich habe noch vor, mich um Mordfälle und dergleichen zu kümmern. Aber ich denke, dass der Typ noch in der Nähe sein muss.“ „Hier in der Stadt?“ „Ich weiß nicht, durchaus möglich. Aber … die Innenstadt ist nicht betroffen, unter den Kadavern war nicht ein Puschi oder Bello. Demnach vermute ich eher, dass er sich außerhalb von Dice aufhält, allein um nicht Gefahr zu laufen entdeckt zu werden.“ Anya schnaubte. „Also glaubst du, dass er sich im Wald versteckt?“ „So ist es. Die Behörden zumindest sind ratlos, was diese Welle an gerissenem Wild losgetreten hat.“ Nick schnalzte mit der Zunge, lehnte sich mit hinter dem Kopf verschränkten Armen zurück und sah aus dem Fenster. „Aber ich bin kein Werwolf-Experte. Bis ich mir da ganz sicher sein kann, muss ich wohl noch etwas Recherche betreiben.“ Damit stürzte er sich wieder auf den Laptop.   „Hmm, wenn's sein muss. Ich hab eh noch was zu tun, ehe wir loslegen können. Wegen diesen blöden Sicherheitsbestimmungen muss ich erstmal zusehen, einen angemessenen Ersatz für Barbie zu finden. Ohne sie fühl' ich mich einfach nicht wohl“, überlegte Anya ärgerlich. „Tu das“, meinte Nick nun völlig abgelenkt, begann zu tippen. Neugierig sprang das Mädchen vom Bett auf und trat hinter ihn. „Was machst du da?“ „Habe ich doch eben gesagt. Genau jetzt fang' ich an, den Polizei-Server nach Informationen abzusuchen. Geh du ruhig ein bisschen shoppen, ich werde derweil alle möglichen Archive nach diesem Zanthe durchsuchen, den Polizei-Funk nebenbei abhören und mir überlegen, wie wir den Kerl finden werden. Gerade Leichenfunde in den letzten Tagen dürften hilfreich sein, wenn es welche gibt. Aber das alles wird eine ganze Weile dauern.“ „D-du bist ja richtig nützlich“, stammelte Anya verblüfft unter einem Hauch Anerkennung. „Ich glaub, ich fang' wirklich an dich ein bisschen weniger zu hassen.“ „Danke“, erwiderte Nick tonlos. Anya sah ein, dass er sie offensichtlich nicht wirklich wahrnahm, sondern in seiner eigenen Hackerwelt zu schweben schien. „Ich bin dann mal einen Baseballschläger und ein paar andere Nettigkeiten kaufen. 'Ken' bastelt sich ja nicht von selbst, also bis nachher.“ Anya wandte sich von Nick ab und machte sich auf dem Weg zur Tür. Noch einmal kurz anhaltend, fügte sie hinzu: „Und lass dich ja nicht erwischen!“ „Keine Sorge, ich bin gut in dem, was ich mache.“   Ehe sie aber ihr mühsam verdientes Geld in Tötungsmaschinen investieren wollte, wäre es eine gute Idee, einen alten Bekannten anzurufen, so dachte Anya. Unten in der Lobby hatte sie ein Telefon gesehen. So trampelte sie die drei Stockwerke bewusst lautstark nach unten, sprang vom Treppensatz und steuerte geradewegs auf das Telefon gegenüber der Anmeldung zu. Aus der Brusttasche ihrer Jeansjacke – die sie zutiefst hasste und die keinen adäquaten Ersatz für die Lederjacke ihres Vaters darstellte! – holte sie einen gelben Zettel, auf dem eine Telefonnummer geschrieben stand. Ein paar Geldstücke in den scheinbar uralten Apparat einflößend, tippte sie die Nummer ein und wartete mit ungeduldig wippender Fußspitze darauf, dass ihr Informant abnahm. Nachdem aber selbst nach dem zweiten Tut noch keiner abnahm, schlug sie die Faust verärgert gegen die Wand. „Geh gefälligst ran, Summers!“ Beim dritten war sie versucht, das Telefon 'rundum zu erneuern'. Nummer vier setzte es auf ihre schwarze Liste #3, fünf ließ sie innerlich schon regelrecht verkrampfen und sechs war schließlich der Punkt, an dem sie unter einem Wutschrei auflegte. Scheinbar war Matt nicht in seiner Basis, wie er es mal genannt hatte. Andererseits verdiente er seinen Lebensunterhalt damit, Dämonen ausfindig und anschließend kalt zu machen. Also wäre es nicht verwunderlich, wenn er mal wieder unterwegs war. Demnach konnte sie ihn auch nicht nach Werwölfen ausquetschen. „Tch, Mistkerl“, schnaubte sie frustriert, „dafür werde ich dir deine Kauleiste justieren, wenn wir uns das nächste Mal sehen!“ Ihre einzige Möglichkeit, eventuell an sein Wissen zu gelangen, war jetzt, ihm eine E-Mail zu schreiben. Blöd war nur, dass er schon auf ihre letzte nicht reagiert hatte, aber die war auch nicht gerade angenehm zu lesen gewesen. Egal. Erstmal musste sie sich jedoch abreagieren und das ging am besten, wenn sie sich mit 'Ken' beschäftigte. Man, was würde 'Barbie' glücklich werden, wenn sie endlich ihren Traummann nach all den Jahren liebevoller Planung zu Gesicht bekommen würde!   ~-~-~   Einige Stunden später platzte Anya, schwerbeladen mit Tüten, aus dem schon der schwarze Kopf eines Baseballschlägers lugte, in das gemeinsame Zimmer rein. Und wie sie es erwartet hatte, saß Nick immer noch am Laptop. „Oh, wie ich sehe hast du dich, seit ich weg war, nicht einen Millimeter gerührt“, giftete sie und pfefferte die offene Tür hinter sich mit einem Tritt zu, „du kannst dir gar nicht vorstellen, wie kurz davor ich bin auszurasten! Also ich war da in dem Laden mit den Knarren und dann wollte dieser Typ mir doch tatsächlich-“ „Keine Morde. Also scheint er wirklich, wie du sagst, 'vegetarisch' zu sein. Weitere Tierkadaver wurden bisher nicht gefunden, woraus ich schließe, dass unser Freund nachtaktiv sein muss“, unterbrach Nick Anyas Geschichte in immer noch demselben, emotionslosen Tonfall wie vorhin, „alles andere wäre aber ohnehin undenkbar. Mir ist jedoch zwischenzeitlich eine sehr interessante Idee gekommen. Nur leider werden die Leute nicht dümmer …“   Anya trat mit ihren Tüten in den Armen zu ihm. Er drehte sich kurz um, warf mit Entenschnute einen Blick hinein, musste aber schnell feststellen, dass sie nur Nägel, einen Hammer, den Baseballschläger und ein paar andere Sachen gekauft hatte – nichts Essbares. Sein Magen knurrte daraufhin aus Frustration, ehe er sich wieder seiner Arbeit zu wandte. „Ich versteh nur Bahnhof“, gab die Blondine zu verstehen. „Aber wenn es um den Werwolf geht, werde ich gleich mal Matt eine E-Mail schreiben.“ „Kannst du gerne machen, auch wenn bisher alles, in das er involviert war, schiefgegangen ist“, zeigte sich Nick von der Idee wenig begeistert, „was auch immer, wir müssen schnell sein. Ich weiß nicht, wie lange der Werwolf sich noch hier in Dice aufhalten wird.“ „Und was ist jetzt mit dieser Idee?“ Auf den hellblauen Bildschirm starrend, erkannte Anya sofort, dass sie besser nur zuhören und nicht versuchen zu verstehen sollte. „In einer Welt, in der praktisch jeder Duel Monsters spielt, also in einer Welt, in der praktisch jeder und alles vernetzt ist, gibt es im Falle bestimmter Außenseiter eine witzige Möglichkeit, ebenjene zu finden. Auch wenn wir dafür noch ein paar Stunden warten müssen, was aber kein Problem ist, da ich ohnehin noch Zugriff brauche.“ Anya blinzelte verdutzt. Man, bei dem war ja schon zuhören anstrengend. „Zugriff worauf?“ „Auf die Server der AFC. Nur haben die ihre Sicherheitsvorkehrungen seit meinem letzten Besuch vor einigen Monaten etwas verschärft“, erklärte Nick gelassen, „muss wohl jemandem sauer aufgestoßen sein, dass ich ein bisschen mit den Sicherheitsfunktionen der Duel Disks gespielt hab.“   Anya erinnerte sich. Nick hatte ihr auf dem Flug hierher erzählt, dass er damals, als er gegen den Dämon Isfanel gekämpft hatte, die Sicherheitsregler deaktiviert hatte. Somit konnte seine Duel Disk physischen Schaden verursachen. Um das zu erreichen, hatte er die Server der Abraham Ford Company, kurz AFC, gehackt. Die waren für den Vertrieb von Duel Monsters in den Staaten zuständig. Anya kannte sogar den Sohn des Vorsitzenden, Benjamin Hendrik Ford, oder kurz Henry. Diese Pestbacke, der stand auch auf ihrer Eliminationsliste auf dem Weg zur Duel Queen! Im Grunde war er das männliche Pedant zu Redfield, selbstgerecht, stinkreich und absolut unerträglich! Um seine Schwester Melinda zu finden, die damals unter Isfanels Einfluss stand, hatte er sich sogar heimlich nach Livington begeben. Um nicht aufzufallen, verzichtete er dabei auf den Einsatz von Daddys Kohle und ließ sich dabei so gehen, dass er wie ein Penner aussah – wie lächerlich!   „Das war doch bestimmt das Schnöselkind!“, schloss sie daher gallig. „Wahrscheinlich, er muss wohl damals mitbekommen haben, dass ich nicht ganz sauber gespielt habe“, überlegte Nick und tippte dabei eifrig, „aber keine Sorge, spätestens in ein paar Stunden ist das hier geknackt.“ „Und was willst du damit erreichen? Ist ja nicht so, als ob wir was davon haben, wenn wir plötzlich Zugriff auf die Kundendaten des Werwolfs haben.“ „Das nicht, dazu müssten wir seine Kundennummer kennen“, erklärte Nick, „aber die AFC kann Duel Disks per GPS orten. So werden wir praktisch rund um die Uhr überwacht. Jeder Zug wird dokumentiert, um später für Statistiken ausgewertet zu werden.“ „Wusst' ich gar nicht“, gestand Anya und sah Nick verblüfft an, „du weißt aber 'ne Menge.“ „Das ist gesunder Menschenverstand, Anya“, wies er sie ab, „worum es mir geht ist Folgendes: wenn ich auf die AFC-Server zugreifen kann, kann ich feststellen, wie viele Duel Disks hier in der Nähe aktiv sind.“ „Moment, selbst wenn, weißt du nicht, welche ihm gehört.“ Anya schnaubte abfällig. „Das ist bescheuert!“ „Ist es nicht. Oder wie viele Leute kennst du, die nachts mitten im Wald mit einer Duel Disk rumlaufen? Ich bin mir irgendwie ziemlich sicher, dass er ein Duellant ist. Und wenn dem so ist, finde ich ihn. Nenn' es einfach Bauchgefühl.“ „Sicher, dass das nicht dein Kohldampf ist? Muss die Duel Disk dafür nicht an sein?“ „Nein, es reicht, wenn sie auf Standby geschaltet ist. Aber im Moment wäre es sinnlos, schon nach ihm zu suchen, da um diese Zeit noch Spaziergänger unterwegs sein könnten. Die Verwechslungsgefahr ist zu groß. Erst wenn es spät genug ist, können wir ungefähr eingrenzen, wer infrage kommt.“ Nick drehte sich mit Schwung zu ihr um und grinste breit. „Fang schon mal an, deinen 'Ken' zu basteln, vielleicht können wir heute schon loslegen.“ „D-das ging ja schnell. Ich dachte schon, wir müssen wochenlang nach dem Deppen suchen“, murmelte Anya überrascht, setzte dann aber ihre fieseste Grimasse auf, „aber umso besser, denn je eher ich dem Wolf das Fell abziehe, desto schneller bin ich gerettet! Nick, du bist wirklich nützlich! Bleib gefälligst so!“ Er zwinkerte verspielt. „Mit einem guten Plan gelingt einem alles.“   So geschah es, dass Anya zunächst eine E-Mail an Matt absetzte, ehe sie damit begann, Nägel in ihren 'Ken' zu hauen, damit diese das Fleisch seiner Opfer vom Körper reißen konnten. Nick versuchte zeitgleich, die Sicherheitsmaßnamen der AFC zu umgehen, was sich als weitaus schwieriger entpuppte, als er anfangs angenommen hatte. Die Zeit verging wie im Flug, es wurde allmählich dunkel. Sie beide sprachen in der Zeit kaum ein Wort miteinander, abgesehen von gelegentlichen Nachfragen nach Matts Antwort, die leider ausblieb. Irgendwann, Anya war zwischenzeitlich auf ihrem Bett weggedöst, wurde jedoch von Nicks lautem Ruf schließlich aufgeschreckt. „Anya, ich hab ihn!“, rief er felsenfest überzeugt, „Wach auf!“ „Mach nich' so'nen Lärm, Harper“, brummte Anya verschlafen und schlug die Augen auf.   Erst jetzt fiel ihr auf, wie dunkel es im Zimmer war. Nur das Leuchten von Nicks Laptop erhellte es. „Wie spät ist's überhaupt?“ „Kurz nach 1 Uhr.“ „Und wieso bist du dir so sicher, ihn gefunden zu haben?“, hakte sie müde nach, setzte sich an den Bettrand. Nick antwortete nachdenklich: „Die Duel Disk hier ist nicht registriert. Im Gegenteil, sie ist überhaupt nicht verzeichnet, hat keine Produktnummer, gar nichts. Außerdem ist es doch etwas ungewöhnlich, allein, mitten im Wald um Mitternacht bewegungslos vor sich zu verharren.“ „Und was machen wir jetzt?“ „Uns beeilen und der Sache nachgehen. Das heißt: du beeilst dich. Ich werde hier bleiben und dir per Headset sagen, wo du hin musst.“ Als wolle er dies unterstreichen, drehte er sich um und machte sich an seinem neben dem Schreibtisch abgestellten Koffer zu schaffen, aus dem er das besagte Headset und ein Handy herausfischte. Zu Anya aufsehend, meinte er geradezu verblüfft: „Was stehst du so 'rum? Mach dich fertig, in zwei Minuten kommt das Taxi, das ich für dich bestellt habe. Damit fährst du bis an den Waldrand. Von da sind es noch knapp zwei Kilometer, die du zu Fuß zurücklegen musst.“   Anya, die schon im klaren Zustand ihre Schwierigkeiten mit Nicks Anweisungen gehabt hätte, war im halbwachen Zustand gar nicht in der Lage, besagte Anweisungen zu verarbeiten, geschweige denn zu kritisieren. So wurde ihr nicht ganz gewahr, was um sie herum abging, aber es klang gut. Umziehen musste sie sich eh nicht, 'Ken' war fertig und eine Taschenlampe hatte sie auch eingekauft. Im Grunde war sie bereit, diesem Werwolf richtig in den Arsch zu treten. Und sei es nur deswegen, weil sie wegen ihm mitten in der Nacht aus dem Bett geworfen wurde!   „Hier, damit bleiben wir in Verbindung“, meinte Nick und reichte Anya kurz darauf das Handy, zusammen mit einem 100$-Schein. „Und der ist für den Taxifahrer. Denk nicht einmal dran, was davon einzustreichen.“ Danach erklärte er ihr noch, wo in etwa der Taxifahrer sie abzusetzen hatte. Anya warf sich ihre Jeansjacke über, zog diese komischen Handschuhe des Sammlers an, schulterte den Rucksack mit all dem Krempel und war schon im Begriff, das Zimmer zu verlassen, da rief Nick noch: „Pass auf dich auf. Und geh kein unnötiges Risiko ein.“ Anya wirbelte um und zog eine verärgerte Grimasse. „Das einzige Risiko für mich ist, gar nichts zu tun. Außerdem solltest du dich eher um das Wölfchen sorgen, nicht um mich.“ Ihr Gegenüber schmunzelte. „Hast recht. Dann viel Erfolg!“ „Hmpf!“ Damit verschwand Anya aus dem Zimmer.   Was folgte war eine etwa zehnminütige Fahrt zum Wald, gespickt mit nervigen Fragen des Taxifahrers und einem schweigsamen Nick am Handy, der per Anyas Duel Disk ihre Position im Auge behielt. Schließlich kam der Moment, an dem sie mitten im Nirgendwo aussteigen und den verdutzten Fahrer bezahlen musste. So stand sie mitten auf einer Landstraße im Dunkel der Nacht, umringt von einem nicht allzu dichten Wald. „Wo lang jetzt?“, fragte sie mit dem Hörer am Ohr. „Westen.“ Anya drehte sich nach links und begann zu laufen. „Das andere Westen“, mahnte Nick sie leicht angenervt. Stöhnend drehte die Blondine sich um und überquerte die Straße. Da sich an der Richtung nicht viel änderte, lief Anya die meiste Zeit über wortkarg geradeaus. Der Wald stieg leicht an, insgesamt war es eine hügelige Gegend. Immer wieder drehte Anya sich einmal um die eigene Achse, leuchtete mit der Taschenlampe durch die Gegend, in der Hoffnung, bald zur Tat schreiten zu können. Der Weg aber schien kein Ende zu nehmen. Auch schoben sich immer wieder Wolken vor den Mond, wobei sie sich fragte, ob Werwölfe sich wirklich bei Vollmond verwandelten – was heute also nicht der Fall sein konnte.   „Ist es noch weit?“, murrte Anya irgendwann ins Handy und leuchtete durch den finsteren Wald. „Ich komme mir vor, als würde ich jetzt seit Stunden hier herumlaufen!“ Der leichte Anstieg nach oben, gepaart mit den Bäumen, die wie schattenhafte Gestalten um sie herum standen und nicht zuletzt diese unheimliche Stille sorgten dafür, dass Anya zunehmend ein aufregendes Kribbeln in der Magengegend verspürte. „Seit 27 Minuten läufst du jetzt“, quittierte Nick Anyas schlechte Laune trocken, „es ist nur noch ein kurzes Stück. Sei vorsichtig! Und vor allem nicht so laut!“ „Ach was, ich soll vorsichtig sein!?“, keifte Anya in das Handy und blieb stehen. Wild mit der Taschenlampe umher fuchtelnd, ließ sie ihrem Unmut freien Lauf und ignorierte gekonnt Nicks Warnung, leise zu sprechen. „Eher sollte dieser Werwolf-Typ vorsichtig sein, immerhin hab ich schon so einige Dämonen in die Flucht geschlagen, wohingegen er nur ein paar altersschwache Köter erlegt hat!“ Sie hörte, wie Nick seufzte. Es dauerte einen Moment, ehe er, um Fassung ringend, sagte: „Geh einfach weiter, es sind nur noch ein paar Meter.“ „Tch!“   Also richtete sie ihre Taschenlampe wieder auf den Weg vor sich und gelangte alsbald an einer steilen Erhöhung an, die sie so nicht nehmen konnte. Auch ein Blick zu beiden Seiten verriet, dass Mutter Natur ihr nicht wohl gesinnt war und sie praktisch gezwungen war, einen Umweg zu nehmen. „Toll, was jetzt? Ist 'ne Sackgasse, der scheiß Hügel hier ist zu steil um ihn zu erklimmen!“ „Warte mal, du bist noch gut fünf Meter vom Signal entfernt. Anya, such nach einer Höhle!“ „Eine … Höhle?“, erwiderte die Blondine ungläubig, verspürte aber im gleichen Moment den Drang, Ken zu zücken. „Wenn du meinst.“ Also leuchtete Anya die etwa drei Meter hohe Anhöhe vor sich an allen Ecken und Enden an. Und siehe da, gar nicht weit von sich entfernt bemerkte sie ein klaffendes, nicht allzu großes Loch in ihr. „Nicht schlecht, Nick. Da ist tatsächlich was“, lobte sie den jungen Mann, „sorry, muss auflegen, ich brauch jetzt meine Hände für was anderes. Ich melde mich gleich wieder, bye!“ Schon hatte Anya aufgelegt und ließ das Handy in ihrer Hosentasche verschwinden. „Dann wollen wir mal sehen, was du so drauf hast, Flohzirkus“, murmelte sie leise und zog Ken aus ihrem Rucksack. Leise näherte sie sich dem Loch in der Erde, welches gerade so groß war, dass sie gebückt hindurch laufen konnte. Ihr erster Gedanke dazu war die flehende Bitte, dass der Werwolf möglichst nicht so winzig wie ein normaler Hund sein mochte, denn das wäre ja langweilig und sowieso keine Herausforderung. Die Taschenlampe zwischen die Zähne nehmend, beugte sie sich zu dem Loch und begann sich hineinzuzwängen. Dabei ließ sie sich nicht dran stören, dass sie schmutzig wurde, im Gegenteil, endlich war sie völlig wach und erlebte etwas! Der kleine Tunnel war überraschend lang, verlief leicht abwärts und wurde zunehmend enger. Umso erstaunter war Anya, als sie schließlich an dessen Ende nach vorne rutschte und in einer etwas größeren Ausbuchtung landete. Sofort richtete sie sich auf und ließ die Taschenlampe kreisen, während sie gleichzeitig Ken kämpferisch nach oben riss und erstmal gegen die Decke stieß, was einen Regen von Erde auf ihr Haupt nach sich zog. Hier drinnen konnte sie gerade so aufrecht stehen, was schon ein kleines Wunder an sich darstellte. Trotzdem war es immer noch höllisch eng. Der Lichtkegel fiel auf einen Schlafsack der in der rechten Hälfte der Höhle lag. Neben ihm stand ein prall gefüllter Rucksack und ein flacher, länglicher Stein, auf dem … ein metallischer Handschuh lag. „Huh?“, gab Anya verwundert von sich und näherte sich Letzterem. Denn in ihm gab es ein Fach für ein Deck, welches aber gerade nicht gefüllt war. Anya zählte 1 und 1 zusammen und erkannte, dass es sich hierbei um die Duel Disk handeln musste, die Nick geortet hatte. Neugierig schnappte sie sich den seltsamen Apparat und beäugte ihn. „Schön und gut, aber wer sagt, dass hier ein Werwolf lebt?“   Am Boden liegt kein Fell oder Ähnliches. Trotzdem spüre ich eine ungewöhnliche Atmosphäre, die diesen Raum und die nähere Umgebung ausfüllt.   Levriers Worte in Anyas Kopf brachten diese zum Schnauben. „Heißt, wir haben uns nicht in der Hausnummer geirrt?“ Vermutlich nicht, auch wenn ich Werwölfen nie begegnet bin. „Wie auch immer, hier ist niemand. Sag bloß, ich darf den ganzen beschissenen Wald nach dieser verdammten Töle absuchen!?“, raunte sie und verfrachtete Ken wieder in ihrem Rucksack. Schlechter gelaunt denn je entschied sich Anya, dass sie lange genug in diesem Miefstall verharrt hatte und krabbelte kurzerhand wieder zurück zur Oberfläche. Dabei hatte sie den Handschuh mitgenommen, sollte Nick sich den mal ansehen.   Endlich wieder an der frischen Luft, schüttelte sie den Dreck aus ihrem Haar und wollte gerade zum Handy greifen, als eine kratzende, aber dennoch geschmeidige Stimme sie zutiefst erschrak. „Der da gehört mir.“ Sofort wirbelte Anya mit gezückter Taschenlampe einmal im Kreis, doch sie konnte zwischen den Bäumen niemanden entdecken. „Komm ruhig raus, Werwolf! Zanthe, oder wie auch immer du heißt“, forderte sie und trat einen Schritt nach vorne. „Werwolf? Zanthe?“ Der Unbekannte lachte überrascht auf. „Das ist schlecht. Du hättest nicht herkommen sollen.“ In dem Moment erkannte Anya, woher die Stimme gekommen war, allerdings zu spät. Der junge Mann war von der Anhöhe direkt auf sie herauf gesprungen und rammte das Mädchen damit in den Boden. Dabei ließ sie die Taschenlampe und den Handschuh ächzend fallen. An den Schultern gepackt, wurde sie herum gerissen, doch anstatt sich ihren Angreifer überhaupt anzusehen, winkelte Anya die Beine an und verpasste ihm so einen Tritt in die Rippen. Wodurch der Mann glücklicherweise von dem Mädchen abließ, was diesem wiederum genug Zeit gab, sich aufzuraffen und etwas Abstand zu gewinnen. Dabei schnappte sie sich die Taschenlampe und leuchtete den Kerl an. Und erschrak.   Was da vor ihr stand, konnte weder als Mensch, noch als Wolf bezeichnet werden. Zwar trug die Gestalt ganz gewöhnliche Kleidung, in dem Fall eine schwarze Hose, ein weißes Shirt, darüber eine blaue Sportjacke und nicht zuletzt ein gleichfarbiges Kopftuch, das ihr zu einem Pferdeschwanz gebundenes, schwarzes Haar bedeckte, aber der Rest war …. unnatürlich. Seine Augen leuchteten im Kegel der Taschenlampe golden auf wie Bernstein. An den knorrigen Fingern der einen Hand – an der anderen hatte er nämlich den Handschuh angebracht, den er klammheimlich zurückerobert hatte – prangerten längliche, blutverschmierte Krallen. Generell hatte der Typ eine leicht gebückte Haltung angenommen. Aber die ganze Haut war verschrumpelt, faltig, einerseits wie die eines alten Mannes, andererseits aber dennoch jünger. Besonders das Gesicht war nicht identifizierbar, denn es war komplett schwarz im Kontrast zur eher hellen Haut. Wohlgemerkt war aber keine Spur von Fell zu sehen.   „Gott, siehst du scheiße aus“, konnte Anya da nur sagen. „Hast wohl was anderes erwartet, was?“, erwiderte er. „Kommt ja nicht sonderlich oft vor, dass jemand nach einem wie mir sucht.“ Sein Gegenüber setzte ein heimtückisches Grinsen auf, legte den Rucksack ab und zog daraus Ken hervor. „Dann ist wohl heute dein Pechtag.“ „Bist du eine Dämonenjägerin?“ „Schlimmer: ich bin Anya Bauer und will ...“ Ja, was wollte sie eigentlich? „Ganz egal, was du willst, du hast mich gerade zu einer ziemlich ungünstigen Gelegenheit erwischt. Aber da du mich offensichtlich sowieso töten willst, sehe ich keinen Grund, dich von der Speiseliste zu streichen!“ Unter einem kehligen Geheule stürmte er unerwartet auf sie zu. Anya zückte Ken und wich dem ersten Prankenhieb seitlich aus, rannte dafür aber direkt in den zweiten und wurde an der Schulter getroffen. Mit einem Wutschrei wirbelte sie sich und Ken im Halbkreis, doch der Werwolf sprang zurück, nur um sich dann erneut auf sie zu stürzen. Anya, ganz Möchtegernprofi, ließ sich absichtlich nach hinten fallen, um ihm im Flug den Fuß in den Magen zu rammen und über sich hinweg zu katapultieren. Nur hatte sie nicht damit gerechnet, dass ihr Gegner mithilfe einer Halbschraube elegant auf den Füßen landete, wohlgemerkt in ihrer Blickrichtung, und sich gleich wieder auf sie stürzte. Im Affekt rollte Anya sich zur Seite weg, machte anschließend eine Rückwärtsrolle, um wieder selbst auf die Beine zu kommen und sah sich schon dem Werwolf gegenüber, der mit beiden Klauen nach ihr schlug. Vor Schreck ließ sie die Taschenlampe fallen. Sie konnte nur nach hinten ausweichen, wagte es nicht mit Ken zuzuschlagen, aus Angst, damit nur ungewollt eine Schwachstelle zu entblößen. So wurde sie immer weiter nach hinten getrieben, rannte immer schneller rückwärts, um etwas Abstand zu gewinnen. „Man ist das langweilig“, raunte der Werwolf, nachdem Anya ein gutes Stück zwischen sich und ihn gebracht hatte. Die fallengelassene Taschenlampe warf hinter Zanthe ihren Lichtkegel gegen einen Baum, sodass Anya nur schwerlich erkennen konnte, wie plötzlich eine Veränderung stattfand. Seine Haut straffte sich, die schwarze Farbe in seinem Gesicht schien zu verschwinden, auch die Haltung wurde zunehmend gerader. Er wurde zu einem Menschen! „Okay, bisher halte ich mich nur zurück, damit du das gleich weißt“, sagte er mit nun klarer Stimme, „scheinbar hast du keine Ahnung, worauf du dich eingelassen hast. Also, was willst du? Woher weißt du wie ich heiße und wie hast du mich gefunden?“ Also war das wirklich Zanthe, dachte Anya zufrieden. Allerdings konnte sie sich nur wenig darüber freuen, denn der Kampf hatte sie bereits ziemlich ausgezehrt. Und was war das, er hielt sich zurück? „Alles was ich will“, keuchte sie, „ist einen bestimmten Gegenstand von dir!“ „Meinen Duellhandschuh etwa?“ Er besah die Apparatur an seinem Arm. „Warum solltest du ausgerechnet den wollen?“ In dem Moment schoben sich die Wolken, die den Mond verdeckten, beiseite. Dadurch konnte Anya Zanthe besser erkennen. Er war tatsächlich menschlich, nichts an ihm erinnerte noch an die Fratze von eben. Braune Augen sahen ihr skeptisch entgegen. „Du weißt genau, was ich meine“, erwiderte sie in der Hoffnung, dass er mit Infos herausrückte, die sie gar nicht besaß. Und scheinbar funktionierte es, denn er zog eine Augenbraue hoch. „Das? … okay, jetzt bin ich wirklich neugierig. Woher weißt du -davon-?“ „Geht dich gar nichts an!“   Keuchend hielt sich Anya die verwundete Schulter und verfluchte Gott und die Welt dafür, dass Levriers Heilkräfte nur noch in ihrer Erinnerung existierten. Sich auf Ken abstützend, stierte sie herüber zu Zanthe, der sich in halb schräger Haltung an einen Baum lehnte. „Für ein Mädchen bist du ganz schön auf Zack“, lobte er Anya. Und diskreditierte sie sogleich wieder: „Aber für jemanden, der genau zu wissen schien, mit wem er sich anlegt, ziemlich schlecht vorbereitet.“ „Und für einen Werwolf bist du überraschend langweilig und schwach“, giftete Anya zurück. „Und so gar nicht haarig noch dazu!“ „Also bitte, ich habe mich nicht mal voll verwandelt“, winkte Zanthe ab, „wollt' dich ja nicht in den ersten zehn Sekunden unseres Kennenlernens zerfleischen. Ach quatsch, so dumm wie du bist, hätten fünf gereicht. Abgesehen davon hat eine volle Verwandlung den Nachteil, dass mir meine Klamotten nicht mehr passen, wenn du verst-“ Auch wenn er das Geschoss schon auf sich zukommen sah, zuckte der Kerl mit dem Kopftuch nicht einmal mit der Wimper, als Ken neben ihm dank der vielen Nägel im Baum stecken blieb, welcher unter dem harten Treffer gefährlich zu schwanken begann. Nach einem anerkennenden Pfeifen lobte er Anya. „Guter Schuss. Aber dumm bist du trotzdem, denn jetzt bist du ganz wehrlos.“ „In Sachen nach Leuten werfen hab ich Übung“, raunte Anya und zog aus ihrer Jackentasche ihr Handy hervor. „Aber du bist ganz schön blöd. In dem Teil ist nämlich Sprengstoff, den ich mir von -damals- eingesteckt habe!“ Unter einem entsetzten Aufschrei wich Zanthe augenblicklich von dem Baum und Ken zurück, nur um Anyas hämisches Gelächter ertragen zu müssen. „Als ob!“, gackerte die nämlich hysterisch, ließ das Handy wieder verschwinden und zeigte mit dem Finger auf Zanthe. Dabei nahm sie ihn jedoch scharf ins Visier. „Aber gut zu wissen, dass man dir damit was anhaben kann.“ Aufatmend fasste Zanthe sich an die Stirn und schmunzelte. „Haha, der war gut.“ Er neigte sein Haupt ein wenig vor und grinste spielerisch. „Dafür werde ich dich jetzt zerfleischen und deinen ausgehöhlten Schädel an den Weihnachtsbaum deines Vaters hängen.“ „Ach bitte, den Spruch hab ich schon vor Jahren gebracht“, winkte Anya unbeeindruckt, gar überheblich ab. „Außerdem ist gerade mal August! Als ob so eine halbe Portion wie du mir im Weg stehen würde. Du bist ganz bestimmt nicht Teil meines Traums! Und jetzt rück' das -Ding- raus!“   Der schwarzhaarige Pferdeschwanzträger horchte auf. „Deines Traums?“ „Duel Queen zu werden, was sonst?“ „Pah! So jemand Hohles wie du wird höchstens Miss Country Pumpkin!“ Zanthe sah an seinen Arm herab, an dem dieser seltsame, silberne Handschuh angebracht war. „Aber interessant … so kann ich dich natürlich auch fertig machen. Ist mir auch lieber, denn eigentlich vergreife ich mich nicht an Frauen. Auch wenn ich dich per se nicht als eine definieren würde.“ Sichtlich Gefallen daran findend, dass Anyas Augen aus ihren Höhlen ploppen wollten, streckte Zanthe den behandschuhten Arm aus, ballte eine Faust. „Lass uns doch in einem Duell entscheiden, ob ich bereit bin, dir -die- hier zu geben. Danach bist du doch hinterher, oder?“ Er griff mit der anderen Hand in die Brusttasche seiner Jacke und zog daraus eine Karte hervor. Mit weißem Rand, identifizierte Anya sie sofort als Synchromonster. „... ne oder?“, gab sie dabei fassungslos von sich. „Der Typ will, dass ich für ihn Karten suche!?“ „[Angel Wing Dragon] ist mehr als das“, erwiderte Zanthe geheimnisvoll und schob die Karte in einen Schlitz seines Handschuhs. Dieser klappte daraufhin wie eine Apparatur aus und präsentierte zwei klingenartige Auswüchse, die die Zonen des Spielplans beinhalteten. „Besieg' mich, und du bekommst ihn. Verlierst du, naja, dann hast du eben Pech gehabt.“ Anya, die sich nicht im Traum einfallen ließ, dieses in ihrer zugegeben recht verzwickten Situation geradezu willkommene Angebot auszuschlagen, aktivierte die alte Battle City-Duel Disk an ihrem eigenen Arm. Dennoch war es merkwürdig. Er hatte keinen Grund, ihr so ein Angebot zu unterbreiten. Zugegeben, er schien sich selbst und die Welt um ihn herum nicht allzu ernst zu nehmen. Und wenn es stimmte, dass er sich gar nicht wirklich verwandelt hatte, dann war er wohl auch nicht wirklich auf ihren Tod aus, oder? Dass er jedoch die Karte riskierte, obwohl er es nicht müsste, gab Anya zu denken. „Warum der zweifelnde Blick?“, hakte Zanthe nach. „Ich mag das Risiko, wenn du dich wundern solltest, warum ich dir ein Duell zur Lösung unseres 'Problems' anbiete. Außerdem bin ich auch nicht -so- scharf darauf, das Teil zu behalten.“ „Achja, dann gib es mir doch.“ „Nein, so einfach mache ich es dir nicht. Außerdem gibt es noch etwas anderes, das ich herausfinden will.“ Dabei lag sein Blick auf Anyas weißen Handschuhen. „Ich glaube, ich weiß worauf das hier hinauslaufen könnte … ist ja auch egal.“ „Ich habe keine Ahnung, was du da gerade für geistigen Dünnschiss von dir gibst“, erwiderte Anya desinteressiert, „aber jemand, der das Risiko mag, ist mir sympathisch. Vielleicht biste ja gar nicht so übel, Wölfchen?“ „Du wirst dich wundern, wie übel ich sein kann“, gab er schmunzelnd zu verstehen, „die meisten Menschen, denen ich begegnet bin, haben es nicht lange mit mir ausgehalten.“ „Pff, im Vergleich zu mir bist du harmlos!“ „Na dann zeig mir, dass du es drauf hast, Anya Bauer! Duell!“ „Worauf du sowas von garantiert Gift drauf nehmen wirst! Duell!“   [Anya: 4000LP / Zanthe: 4000LP]   „Ich fange an!“, entschied Anya, nachdem beide Duellhaltung angenommen und ihr Startblatt gezogen hatten. „Draw!“ Sofort zog sie nach und knallte noch im gleichen Augenblick ein Monster in horizontaler Lage auf ihre Duel Disk. „Ich setze dieses hier im Verteidigungsmodus! Zug beendet!“ In vergrößerter Lage tauchte die Karte vor ihr auf, begleitet von einem eisigen Wind, der durch die vereinzelt stehenden Bäume sauste und Anya frösteln ließ. Aber dank des Mondlichts und dem Licht der Hologramme konnte sie diesen Zanthe jetzt besser erkennen und im Auge behalten. „Dann ich“, sagte dieser mit einer regelrechten nach Aufregung hungernden Mimik, „mach bloß nicht so schnell schlapp, Hohlkopf!“ „Fuck off!“, schrie jener und schickte den Mittelfinger hinterher. Zanthe jedoch schob eines seiner Monster in die linke Klinge seines Handschuhs. Doch statt einem Monster, erschien vor ihm ein weiß leuchtender, goldener Schlüssel, den er mit Daumen und Zeigefinger ergriff. Mit ihm in der Hand, schwang er den Arm zur Seite aus. „Open the door to the lion! Erscheine, [Constellar Leonis]!“ Dort, wo er den Schlüssel hinhielt, breitete sich plötzlich eine Vielzahl weißer Ringe aus, zwischen denen viele verschiedene Symbole steckten. Anya erkannte ein paar von ihnen aus den Klatschzeitschriften wieder, die ihre Mutter las – es waren Sternzeichen. Doch ehe sie diese Erkenntnis verarbeiten konnte, brach das Siegel auseinander, als Zanthe den Schlüssel von dessen Mitte entfernte. Daraufhin kam ein weißer Krieger aus dem Nichts gesprungen. Mit einem Satz neben Zanthe landend, begannen der einer Löwenmähne gleichende Helm und die langen Krallen an den Handschuhen des Mannes hellblau zu leuchten, was aufgrund der Nacht umso eindrucksvoller anmutete.   Constellar Leonis [ATK/1000 DEF/1800 (3)]   „Willst du mir mein Horoskop vorlesen oder was?“, raunte Anya gallig und verschränkte die Arme. Dabei kurz die Augen aufgrund des Schmerzes in ihrer Schulter zusammenkneifend. „Ich mag die Sterne, denn sie können so viele Bedeutungen haben. Was ich nicht mag … bist du. Ich benutze jetzt den Effekt von Leonis, der es mir erlaubt, eine zweite Normalbeschwörung eines Constellars vorzunehmen.“ Mit einem Ruck schob er eine weitere seiner Handkarten in den Handschuh, ehe wieder ein goldener Schlüssel, aber mit anderem Schlüsselbart, vor ihm auftauchte. „Open the door to the ram! [Constellar Sheratan]!“ Demselben Muster wie eben folgend, schwang er den Arm aus und ließ ein weiteres dieser Siegel erscheinen, aus dem ein flinker Krieger gesprungen kam. Sein brauner Mantel leuchtete auf und anhand der beiden gebogenen Hörner an seinem Helm konnte man erkennen, dass es sich hierbei um den Widder handelte. Constellar Sheratan [ATK/700 DEF/1900 (3)] „Bei der Normalbeschwörung Sheratans aktiviert sich sein Effekt: ich erhalte einen Constellar von meinem Deck!“, erklärte Zanthe und zog aus seinem Kartenstapel eine hervortretende Karte heraus, die er vorzeigte. „[Constellar Pollux], wenn es dich interessiert.“ „Steuert der seine Duel Disk über Gedankenkontrolle, oder warum musste er nicht einmal ansagen, was er sich suchen will?“, beschäftigte sich Anya nebenbei abgelenkt mit den wirklich wichtigen Fragen des Lebens und achtete kaum auf das, was Zanthe tat. Dieser zuckte unbedarft mit den Schultern, wissend, dass jemand im Verlaufe des Duells noch sehr große Augen machen würde. Unbedarft schob er seine permanente Zauberkarte, die er bereits gezückt hielt, in die andere Klinge des Duellhandschuhs. „Ich aktiviere [Constellar Star Chart]! Bei der Beschwörung eines Constellars-Xyzs ziehe ich einmal pro Zug eine Karte. Wenn das mal nicht eine gute Einleitung ist …“ Er nahm die beiden Monster aus den entsprechenden Zonen, legte sie übereinander und schob sie dann wieder zurück in ebenjene. Vor ihm tauchte augenblicklich ein neuer Schlüssel auf, doch anders als die zwei bisherigen, war er so groß, dass man ihn wie ein Schwert halten konnte. Genau das tat Zanthe schließlich auch. Den goldenen Schlüssel an die Stirn lehnend, sprach Zanthe: „Open a gate to the Sacred Star Knights! To the Overlay Network!“ Seine beiden Monster verwandelten sich daraufhin in gelbe Lichtsphären, die von der Spitze des Schlüssels absorbiert wurden. „Aus zwei Stufe 3-Lichtern wird ein gleißender Stern! Rang 3!“ Damit rammte er das Schwert vor sich in den Boden. „Xyz-Summon! [Constellar Hyades]!“ Der Schlüssel wurde von der Erde förmlich verschluckt, öffnete aber im Gegenzug eine Art Portal sehr ähnlich derer, die Zanthe zuvor geöffnet hatte. Wie durch einen Aufzug kam aus ebenjenem ein stolzer Krieger in weiß-goldener Rüstung nach oben gefahren. Die zwei Klingen in seinen Händen zeigten nach unten, wobei rot glühende Ringe am Schwertknauf befestigt waren. Der goldene Helm war ebenfalls mit Hörnern bestückt. Um Hyades kreisten zwei Lichtsphären. „Nette Show“, meinte Anya abfällig, „für ein ansonsten langweiliges Monster.“   Constellar Hyades [ATK/1900 DEF/1100 {3} OLU: 2]   „Keine Sorge, ich fange erst an mich aufzuwärmen“, versprach Zanthe und griff nach seinem Deck, „gemäß des Effekts von [Constellar Star Chart] darf ich eine Karte ziehen.“ Kaum hatte er sein Blatt aufgestockt, streckte er den Arm mit ebenjenen Karten in der Hand nach unten haltend aus. „Zeit für den ersten Angriff! Hyades, attackiere ihr Monster! Red Star Raid!“ Mit einem Satz sprang Hyades in einer geraden Linie in die Höhe … und landete wie aus dem Nichts direkt auf Anyas Karte, rammte seine Klingen in diese. „Lass dir das nicht gefallen, [Gem-Turtle]!“, befahl die ihrem Monster. Die gesetzte Karte unter Hyades drehte sich um 180° und wurde zu einer Schildkröte mit Smaragdpanzer, an dem die Klingen des Kriegers schlichtweg versagten. Unter einem Stöhnen schleuderte das Tier seinen Angreifer von sich weg, der vor Zanthe landete.   Gem-Turtle [ATK/0 DEF/2000 (4)]   „Flippeffekt! Wenn [Gem-Turtle] aufgedeckt wird, bekomme ich [Gem-Knight Fusion] von meinem Deck auf die Hand.“ Anya zeigte den Zauber zwischen ihren Fingern vor, ehe sie ihn ins Blatt schob. „Wer hätte das gedacht? Ihr Monster ist genauso ein Granitschädel wie sie“, scherzte Zanthe und nahm die 100 Punkte Schaden hin.   [Anya: 4000LP / Zanthe: 4000LP → 3900LP]   „Aber wollen wir mal schauen, ob wir nicht am Ende den größeren Dickschädel haben. Ich setze die hier und beende meinen Zug.“ Damit tauchte vor Zanthe und hinter Hyades eine verdeckte Falle auf. Demnach besaß er jetzt vier Handkarten und Anya sechs, wobei dies sich gleich ändern sollte.   Die zog mit großem Schwung die nächste Karte und beäugte sie skeptisch, ehe sie die Falle ihrem Blatt hinzufügte und über den Rand von ebenjenem zu Zanthe herüber lugte. Sie könnte ihn jetzt vernichten, auf der Stelle, ohne Mühen. Wenn da nicht seine gesetzte Karte wäre. Immer, wenn sie einen Großangriff auf ihre Feinde plante, kam etwas dazwischen. Also würde sie diesmal nicht den Fehler begehen und am Ende als die Dumme dastehen! Nein, erst würde sie ihn aus der Reserve locken, dachte Anya und war dabei geradezu stolz auf sich. „Ich beschwöre [Gem-Armadillo]! Wenn der gerufen wird, erhalte ich einen Gem-Knight vom Deck auf die Hand!“ So ließ sie das beinlose, braune Gürteltier vor sich erscheinen, welches dank Jetpack flog, und zeigte nebenbei [Gem-Knight Lazuli] vor, die sie in ihr Blatt aufnahm.   Gem-Armadillo [ATK/1700 DEF/500 (4)]   „Was du kannst, kann ich schon lange“, schnarrte sie und streckte den Arm weit aus, „ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster!“ Ein schwarzer Galaxienwirbel öffnete sich in der Mitte des Spielfelds. Das Gürteltier und ihre Smaragdschildkröte wurden in ebendieses als braune Lichtstrahlen aufgesogen. „Xyz-Summon! Zerfetze meine Feinde, [Kachi Kochi Dragon]!“ Aus dem Overlay Network erhob sich ein eindrucksvoller Drache, dessen ganzer Körper mit silbernen Kristallen überzogen war. Dabei machten gerade die Auswüchse um seinen Kopf den Eindruck, als würde er einen Helm mit gebogenen Hauern auf Kieferhöhe tragen. Um ihn kreisten zwei Lichtkugeln.   Kachi Kochi Dragon [ATK/2100 DEF/1300 {4} OLU: 2]   „Attacke auf [Constellar Hyades]!“, befahl Anya mit dem Zeigefinger auf den Krieger gerichtet. „Primo Sciopero!“ Sofort schwang sich ihr Drache mit seinen weiten Schwingen in die Luft und setzte zum Sturzflug auf Zanthes Monster an. Dieses hob bereits schützend seine Klingen, um die Pranke abzuwehren, mit der [Kachi Kochi Dragon] zuschlagen wollte. „Keine Sorge, Hyades, ich lass dich nicht im Stich!“, rief der Schwarzhaarige und schwang die Hand über seine Falle aus, die daraufhin aufklappte. „Hier, etwas Unterstützung! [Draining Shield]!“ Am linken Arm seines Kriegers materialisierte sich daraufhin ein runder, silberner Schild. Mit ihm konnte Hyades die Pranke des Drachen abwehren und mehr noch, aus ihr ein gelbliches Licht entziehen. Anyas Kreatur schrie auf. „Was zum-!?“ „[Draining Shield] annulliert den Angriff und überträgt dessen Wucht auf meine Lebenspunkte“, erklärte Zanthe mit einem verschmitzten Lächeln. Dann brannte auch um ihn dieses gelbe Leuchten.   [Anya: 4000LP / Zanthe: 3900LP → 6000LP]   „Kch!“, zischte Anya wütend, als ihr Drache sich erschrocken auf ihre Spielfeldseite zurückzog. Damit konnte sie dessen Effekt vergessen, denn nur wenn er ein Monster im Kampf zerstörte, konnte er ein zweites Mal angreifen. Aber immerhin war sie die Falle jetzt los. Nächste Runde war der Kerl sowas von fällig! „Ich setzte die hier verdeckt und beende meinen Zug!“, kündigte sie daraufhin an. Nun war es Zeit für ihre eigene Falle, die sie in ihre Battle City-Duel Disk einschob. Kaum hatte jene sich vor ihr materialisiert, drehte sie regelrecht beleidigt den Kopf zur Seite, um zu zeigen, wie wenig sie von ihrem Gegner hielt.   Dieser legte seine Hand an das blaue Kopftuch und grinste. „Du bist nervig, weißt du das? Stell dich nicht so an. Du tust ja geradezu so, als hättest du schon gewonnen.“ „Pfff, mir doch egal, was -du- von mir denkst!“ „Mir eigentlich auch, weil du mir als Person so ziemlich am Arsch vorbei gehst“, erwiderte er und griff nach seinem Deck, „ich lege keinen Wert auf langweilige und nervige Bekanntschaften! Draw!“ Mit Schwung zog Zanthe nach, ehe er eines seiner Monster aus dem Blatt nahm und in die linke Klinge seines Handschuhs schob. Dann schnappte er sich den in der Luft auftauchenden Schlüssel, schwang diesen zur Seite aus. „Open a door to the twins! Zeig dich, [Constellar Pollux]!“ Ein neues Siegel entstand, das von einem stolzen, weißen Krieger durchbrochen wurde. Dieser schwang ein langes Schwert, aus dessen Parierstange tatsächlich zwei parallel verlaufende Klingen wuchsen, eine golden, eine weiß – genau wie die beiden Seiten seiner Maske. Constellar Pollux [ATK/1700 DEF/600 (4)]   „Mit Pollux' Effekt kann ich im Zug seiner Beschwörung noch eine Normalbeschwörung durchführen!“ Zanthe nahm die Karte seines Kriegers aus der Monsterzone und ersetzte sie durch eine andere. „Und die nutze ich für eine Tributbeschwörung, bei der ich ihn opfere! Open a door to the maiden! [Constellar Virgo]!“ Den Schlüssel, der vor ihm auftauchte, auf Pollux werfend, erzeugte er so eine grelle Lichtsäule unter diesem. In jener verschwand der Sternenritter und machte einer anmutigen, maskierten Kriegerin Platz, um die mehrere Maschinen schwebte. Zwei stellten Schwingen dar, zwei andere Laserkanonen in Form von Sphären.   Constellar Virgo [ATK/2300 DEF/1600 (5)]   Die Hand bereits nach einem weiteren Schlüssel ausstreckend, erklärte Zanthe: „Bei Virgos Beschwörung kann sie einen Stufe 5-Constellar vom meiner Hand in Verteidigung zuhilfe rufen! Open a door to the scales! Spezialbeschwörung, [Constellar Zubeneschamali]!“ Kaum hatte er so einen weiteren Lichtzirkel neben sich erzeugt, trat dort ein schlaksiger, langer Krieger vor, der an seinen Händen Schilde mit herausragenden Krallen befestigt hatte. Constellar Zubeneschamali [ATK/2100 DEF/1400 (5)] Zanthe zog eine Karte aus seinem Deck, die hervorgeschossen kam. „Das Gute hierbei ist noch, dass Big Z mir Zugriff auf einen Constellar gewährt, wenn er gerufen wird.“ Jenes hieß [Constellar Kaus] und wurde ganz zu Anyas Missfallen dem Blatt ihres Gegners hinzugefügt. „Wie viele Monster willst du eigentlich beschwören!?“, beklagte diese sich lautstark. „Jedes dieser Mistviecher ruft entweder ein anderes oder sucht dir Verstärkung!“ „Herzlichen Glückwunsch, dein Erbsenhirn hat gerade meine Strategie entschlüsselt!“, machte sich Zanthe lustig und hob verschmitzt den Zeigefinger an. „Aber um die Frage zu beantworten, für diese Runde nur eins noch!“ Damit nahm er die eben erst beschworenen Monster von seinem Handschuh und legte sie übereinander, ehe er dann in die Luft griff und plötzlich einen goldenen, riesigen Schlüssel in der Hand hielt. „Nicht das schon wieder“, stöhnte Anya auf. Längst aber hielt ihr Gegner sich den Schlüssel an die Stirn, welcher die beiden Lichtstrahlen von Zanthes Monstern absorbierte. „Open a gate to the Sacred Star Knights! To the Overlay Network! Aus zwei Stufe 5-Lichtern wird ein gleißender Stern! Rang 5!“ Wie bei seiner letzten Beschwörung dieser Art, rammte er damit den Schlüssel in den Boden und brach ein neues Siegel. „Xyz-Summon! [Constellar Pleiades]!“ Aus diesem, mit Runen gezeichnet, erschien ein anmutiger Krieger, der selbst Anya insgeheim beeindruckte. Von kräftiger Statur, trug er ein langes Schwert mit sich, das er aber mit der Klinge nach unten zeigend hielt. Auf seinem Rücken thronte eine Art Platte, die insgesamt sieben Spitzen aufwies und ein wenig wie ein Stern anmutete. Zwei Lichtsphären kreisten um ihn.   Constellar Pleiades [ATK/2500 DEF/1500 {5} OLU: 2]   „Effekt von [Constellar Star Chart]“, rief Zanthe, als er sich aufraffte, „da ich diese Runde einen Constellar-Xyz beschworen habe, darf ich ziehen!“ Flink die neue Karte nachziehend, legte er stolz den Kopf in den Nacken. „Na, beeindruckt dich mein Spiel?“ „Pff, ich kenne jemanden, der das viel besser kann und mit dir den Boden wischen würde.“ „Dann gib mir doch seine Adresse, damit wir das klären können“, lachte Zanthe und winkte symbolisch zu sich. Unter dem Mondlicht wirkte er auf einmal sehr bedrohlich, wie er eine grimmige Mimik aufsetzte. Als wolle er Anya unbedingt beweisen, wie unterlegen sie ihm doch war. „Aber da du eh nur redest, muss ich mir gar keine Hoffnungen auf einen gescheiten Kampf machen!“ Damit griff er unter [Constellar Pleiades'] Karte und zog ein Xyz-Material hervor. „Effekt von Pleiades! Anders als du brauche ich nämlich keine Angst vor einer gesetzten Karten haben! Denn er schickt jede beliebige deiner Karten einmal pro Zug postwendend auf die Hand zurück! Los!“   Constellar Pleiades [ATK/2500 DEF/1500 {5} OLU: 2 → 1]   In einer 360°-Drehung schwang Pleiades sein Schwert, das vorher ein Xyz-Material absorbiert hatte, und erzeugte eine Schockwelle, die Anyas Falle mit sich riss. Jene kam aus der Duel Disk ihrer Besitzerin geschossen. Die nahm sie wutentbrannt wieder aufs Blatt. „Was soll der Scheiß!?“ „Muss ich dir das ernsthaft erklären, weil du zu dumm bist, das Offensichtliche zu erkennen?“ Anya verstummte perplex. Noch nie hatte jemand sie wegen rhetoirgendwas Fragen kritisiert, natürlich wusste sie schon, dass das nicht willkürlich war. Aber-! „Na also, still bist du viel angenehmer! Und ich hoffe das bleibt selbst dann so, wenn ich jetzt Hyades' Effekt hinterher schicke!“ Auch sein anderer Krieger absorbierte mit überkreuzten Klingen eine seiner Lichtkugeln und erzeugte anschließend ein X aus Energie, welches er auf Anyas [Kachi Kochi Dragon] abfeuerte. Dieser ging schwer atmend in die Knie.   Constellar Hyades [ATK/1900 DEF/1100 {3} OLU: 2 → 1] Kachi Kochi Dragon [ATK/2100 DEF/1300 {4} OLU: 2]   „[Constellar Hyades] kann alle deine Monster in die Verteidigung zwingen“, erklärte Zanthe dazu, „womit er sich jetzt mit deinem Drachen messen kann. Wollen wir es gleich mal ausprobieren? Und um Himmels Willen, antworte jetzt bloß nicht darauf!“ „Huh!? Aber-!?“ „Los“, rief er und schwang den Arm aus, „Red Star Raid!“ Augenblicklich schnellte sein Krieger vor und nutzte seine beiden Klingen dazu, Anyas [Kachi Kochi Dragon] zurechtzustutzen. Die Kristalle an dessen Körper flogen durch die Luft, ehe eine Explosion von seinem Ableben zeugte. Der heftige Wind, der Anya dabei entgegen schlug, ließ sie alarmiert zurückweichen. „Und jetzt gibt es einen direkten Angriff obendrauf“, versprach Zanthe unheilvoll, zeigte mit dem Finger auf Anya. „Los, [Constellar Pleiades]! Seven Star Raid!“ Er war vor ihr. Das Mädchen hatte noch gar nicht geblinzelt, da war Pleiades aus dem Nichts vor ihr erschienen, bewegte sich wie ein Tänzer um sie herum und versetzte ihr dabei mit seinem riesigen Schwert genau sieben Schläge und Schnitte. „Ahhhhhh“, kreischte Anya, als der letzte Angriff sie in den Rücken traf und unter seiner Wucht auf die Knie zwang, „fuck!“   [Anya: 4000LP → 1500LP / Zanthe: 6000LP]   „Sag jetzt nicht, dass du dich von so etwas beeindrucken lässt?“, sprach Zanthe verblüfft, während sein Krieger wieder vor ihm neben Hyades erschien. „Realer Schaden ist bei solchen wie mir normal oder denkst du, man ist als 'Hüter' wehrlos?“ Anya, die keuchend aufsah, funkelte ihn böse an. „Nicht das, du Trottel! Deine Angriffe …“ Sie setzte einen Fuß auf den erdigen Boden und erhob sich langsam, setzte ein herausforderndes Grinsen auf. „... sind verdammt schwach! Abby hätte das besser hinbekommen. Die ist eine Sirene, musst du wissen.“ „Ist das so?“ Einen Moment lang starrte Zanthe nachdenklich in sein Blatt, ehe er wieder aufsah, eine Karte daraus hervor nahm und in seinen Handschuh schob. „Ist auch egal, die verdeckt. Zug beendet.“ Die Falle materialisierte sich vor seinen Füßen, ganz zu Anyas Ärgernis. Die riss im Anschluss Speichel speiend die nächste Karte von ihrem Deck. „Draw!“ Womit sie satte acht Stück auf der Hand hielt. Und nun hatte sie den Salat: statt ungestört angreifen zu können, hatte sich Zanthes Feldsituation sogar noch verbessert! So ein verdammter Kackmist! Aber nochmal würde sie nicht kuschen! Er wollte Krieg!? Den sollte er haben! „Zauberkarte!“, brüllte sie förmlich durch den Wald. „[Gem-Knight Fusion]! Ich verschmelze [Gem-Knight Lazuli] und [Gem-Knight Garnet] von meiner Hand!“ Ein Wirbel aus Edelsteinen öffnete sich über dem Mädchen, in das die schattenhaften Silhouetten zweier Ritter gezogen wurden. Aus dem Strom landete ein breit gebauter, großer Krieger vor Anya, dessen Markenzeichen seine langen, mit tellergroßen Zirkonen besetzten Fäuste waren. „Du bist das-!“ Gem-Knight Zirconia [ATK/2900 DEF/2500 (8)]   Noch ehe Anya ihren Beschwörungsspruch aufsagen konnte, absorbierte Pleiades sein verbliebenes Xyz-Material und schwang seine Klinge in einer 360°-Drehung aus, wodurch Zirconia von der anschließenden Schockwelle in die Luft gerissen wurde – und sich auflöste.   Constellar Pleiades [ATK/2500 DEF/1500 {5} OLU: 1 → 0] Anya stand der Mund offen. „Pleiades' Effekt ist auch in deinem Zug einsetzbar. Pech für dich, dein Monster ist jetzt wieder in deinem Extradeck, da du es ja schlecht auf die Hand nehmen kannst.“ Mit bebender Lippe griff Anya nach ihrem Friedhofsschacht. „Effekt! [Gem-Knight Lazuli]! Normales Monster auf die Hand zurück!“ „Zum Neandertaler zurückmutiert oder was?“ „Das soll Wut ausdrücken! Unbändige Anya Bauer-Premiumwut! Garnet kommt also auf meine Hand!“ Sie zeigte den eben erst verfusionierten Ritter vor, zusammen mit der ebenfalls vom Friedhof geborgenen [Gem-Knight Fusion]. „Wenn ich einen Gem-Knight wie Lazuli verbanne, kommt meine Lieblingszauberkarte auf mein Blatt zurück! Und sieh mal, ich benutze sie gleich nochmal! Und diesmal kannst du mich nicht aufhalten!“ Genervt zuckte Zanthe mit den Schultern, starrte dabei schicksalsergeben in den bewölkten Sternenhimmel. „Was du nicht sagst …“ Als Anya den Zauber in die Höhe hielt, öffnete sich erneut der Edelsteinwirbel über ihr. „[Gem-Knight Garnet], du bist das Herz, [Gem-Knight Sardonyx], du die Rüstung! Vereint euch! Werdet zu [Gem-Knight Ruby]!“ Der in bronzene Rüstung gekleidete Garnet und der Morgenstern schwingende Sardonyx wurden in den Strom gezogen, ehe daraus ein neuer Ritter gesprungen kam. Dieser führte eine Lanze mit sich, wobei sein blauer Umhang über der roten Rüstung flatterte.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)]   „Nicht genug!“, schrie Anya aber schon, die zwischenzeitlich Sardonyx vom Ablagestapel verbannt hatte, um sich [Gem-Knight Fusion] von dort aufs Blatt zu holen. Genau die hielt sie jetzt zusammen mit zwei neuen Rittern wieder in die Höhe, sodass sich der Wirbel über ihr gar nicht erst schloss. „[Gem-Knight Sapphire], du bist das Herz, [Gem-Knight Torumaline], du die Rüstung! Und das ergibt [Gem-Knight Aquamarine]!“ Ein hellblauer und ein goldener Ritter wurden in den Sog gezogen, der unter dem Glanz der tanzenden Edelsteine einen dunkelblauen Krieger preisgab. Aus dessen am rechten Arm befestigten Rundschild wuchs eine kurze, breite Klinge.   Gem-Knight Aquamarine [ATK/1400 DEF/2600 (6)]   „Immer noch nicht genug!“, keifte dessen Besitzerin noch weiter, hielt neben der durch das Verbannen von [Gem-Knight Sapphire] recycelten [Gem-Knight Fusion] auch einen Zauber sowie die ebenfalls zurückgeholten Gem-Knights Garnet und Tourmaline in die Höhe. „Mit [Dark Factory Of Mass Production] erhalte ich zwei normale Monster von meinem Friedhof! Und die nutze ich jetzt für eine Fusion! [Gem-Knight Tourmaline], du bist das beschissene Herz und Garnet, du die verdammte Rüstung! Einer geht noch, einer geht noch rein! Los, [Gem-Knight Topaz]!“ Genau dieser, ein Krieger in goldener Rüstung mit zwei Blitzdolchen bewaffnet, erschien ebenfalls aus dem Wirbel und gesellte sich zu seinen Kameraden.   Gem-Knight Topaz [ATK/1800 DEF/1800 (6)]   Durch das ganze Hin und Her hatte Zanthe zwischenzeitlich den Überblick verloren, nun jedoch bemerkte er, dass Anya lediglich eine Handkarte geblieben war – vermutlich den Zauber beziehungsweise die Falle, die er ihr mit Pleiades' Effekt aufs Blatt geschickt hatte. Anya schwang bereits den Arm aus. „Wollen mal sehen, wessen Monsterarmee besser ist! Effekt von Ruby! Ich kann einen Gem-Knight opfern, um bis zur End Phase dessen Stärke auf Ruby zu übertragen!“ In leuchtenden Funken löste sich Aquamarine auf. Die glitzernden Partikel sammelten sich um den roten Ritter, in welchem sie letztendlich verschwanden und zu einer roten Aura wurden.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 → 3900 DEF/1300 (6)]   „Nett-“ „Es kommt noch besser“, unterbrach Anya ihren Gegner, „denn wenn Aquamarine auf den Friedhof wandert, schickt er eine deiner Karten auf die Hand zurück! Wie du mir, so ich dir! Verpiss dich, Pleiades!“ Unter diesem schoss eine riesige, dampfende Fontäne hervor, welche ihn einfach verschlang. Zanthe machte große Augen. „Vielleicht hast du ja doch ein bisschen Restintelligenz?“ Allein für diesen Spruch würde sie ihm im Anschluss alle Knochen brechen, schwor sich Anya, obwohl sie genau wusste, dass das alles andere als ein leichtes Unterfangen werden würde. Solange sie dieses nicht in die Tat umsetzen konnte, musste eine Demütigung per Kartenspiel reichen. Dementsprechend schwang sie den Arm aus. „Los, Ruby, greif [Constellar Hyades] an! Sparkling Lance Thrust!“ Womit Ruby augenblicklich begann, auf den weißen Krieger mit den zwei Klingen los zu stürmen. Mit seiner Lanze ausholend, brachte er die zur Abwehr erhobenen Schwerter Hyades' zum Zerbersten und landete einen Treffer direkt in die Brust. Sein Feind ging in einer Explosion unter.   [Anya: 1500LP / Zanthe: 6000LP → 4000LP]   Zanthe verschränkte die Arme und schüttelte den Kopf. „Anscheinend kannst du wirklich keinen realen Schaden verursachen. Das wird ja immer besser und mit immer besser meine ich, immer uninteressanter.“ Etwas leiser fügte er, nur für sich, hinzu: „Merkwürdig, wo sie doch -die- hat …“ „Brauch ich auch nicht! Jedenfalls noch nicht! Mach dich lieber bereit, direkt angegriffen zu werden von [Gem-Knight Topaz]!“ Anya setzte ihr hässlichstes Grinsen auf. „Zu deiner Information: er kann zweimal angreifen! Thunder Strike First und Second, in einem Rutsch!“ Kaum war Ruby an seinem Platz neben Topaz zurückgekehrt, rannte dieser los und zückte seine beiden Blitzdolche. Zanthe allerdings schenkte dem gar keine Beachtung, sondern fasste sich nachdenklich ans Kinn und grübelte. So bekam er nur am Rande mit, als die beiden Klingen in einem Kreuzhieb durch ihn hindurch glitten.   [Anya: 1500LP / Zanthe: 4000LP → 400LP]   „Führung ahoi!“, jubelte Anya. „Conqueror's Soul … hast du sie wirklich?“ Anya horchte auf. „Was hab ich?“ „Nichts“, winkte Zanthe ab und richtete wieder sein Augenmerk auf sie, wenngleich auch mit einer gewissen Spur von Skepsis, „das kann nicht sein. Dann würdest du deine Zeit nicht mit mir vergeuden …“ Seine Gegnerin, die nicht verstand, wovon der junge Mann dort sprach, zischte wütend. Wenn er glaubte, dass auf geheimnisvoll zu tun auch nur irgendwie ihre nicht existierende Gnade herbei beschwören würde, täuschte er sich gewaltig. Schnaubend rammte sie geradezu ihre Falle in die Duel Disk. „Die da verdeckt! Zug beendet, wodurch Rubys Angriffskraft wieder normal wird.“ Im selben Atemzug verschwand die rote Aura um ihn, wobei sich gleichzeitig die Falle vor Anyas Füßen materialisierte.   Gem-Knight Ruby [ATK/3900 → 2500 DEF/1300 (6)] „Ich weiß, es ist sinnlos, aber ich versuch's nochmal: warum bist du hier?“, begann Zanthe plötzlich. „Warum willst du [Angel Wing Dragon]? Was weißt du über mich und ihn?“ „Das geht dich immer noch'n Feuchten an!“ Unzufrieden mit dieser Antwort verzog Zanthe den Mund. „Blöde Ziege. Aber andererseits kann man von deiner Sorte wohl kein Entgegenkommen erwarten.“ „Was war das!?“ Anya hob drohend die Faust. „Wie wär's“, erwiderte Zanthe. Plötzlich zogen dunkle Wolken über den Mond. Finsternis legte sich über den Wald, die nur durch die Hologramme gebrochen wurde. „Mit deinem Untergang?“ Mit einem Schlag begannen seine Augen goldgrün zu leuchten, als er nach seinem Deck griff. „Draw!“ Mit Schwung riss er die Karte von seinem Deck.   Anya Bauer!   Jene erschrak regelrecht, als „Gem-Knight Levrier“ neben ihr auftauchte. „Hat er gerade-!?“   Nein. Ich wollte dir nur mitteilen, dass er dem Schicksal keinen neuen Pfad hinzugefügt hat, so wie wir es zusammen imstande sind. Es besteht also kein Grund zur Sorge.   Verdutzt blinzelte Anya. „M-mehr nicht?“ Nein.   Damit verschwand Levrier wieder und hinterließ eine mehr oder weniger ziemlich irritierte Anya, die zunehmend den Eindruck gewann, dass ihr Partner sie lediglich hatte verarschen wollen. „Levrier, du nutzloses Stück Pappe-!?“ „Netter Geisterfreund, den du da hast“, sprach Zanthe mit Verachtung, „schön, dass er sich endlich mal zeigt! Ich hab ihn gespürt, musst du wissen.“ „Du hast …?“ „Ja. Und ich fände es nur fair, wenn ich dir jetzt meinen Partner zeige, wenn man ihn so nennen kann!“ Mit einer schnappenden Geste griff er nach vorn in die Luft und zückte einen goldenen Schlüssel. „Open a door to the archer! [Constellar Kaus]!“ Den Arm zur Seite schwingend, ließ er neben sich eines dieser bereits bekannten Portale erscheinen, aus dem ein vierbeiniger, weißer Krieger gesprungen kam, der stark an einen Zentaur erinnerte. Jener spannte den Bogen in seiner Hand. Constellar Kaus [ATK/1800 DEF/700 (4)] „Effekt von Kaus, jetzt!“, brüllte Zanthe und streckte den Arm mit offener Handfläche nach oben aus, griff zu, als wollte er nach den von Wolken verdeckten Sternen schnappen. „Zweimal pro Zug kann er die Stufe eines Constellars um plusminus eins ändern! Zweimal plus auf ihn!“ Dem Befehl folgend, schoss der Zentaurkrieger zwei Pfeile in gerader Linie in die Luft, welche schließlich als goldene Strahlen auf ihn zurück sausten und in seinem Körper verschwanden.   Constellar Kaus [ATK/1800 DEF/700 (4 → 6)]   Unerwartet schnappte sich Zanthe eine Karte, die aus seinem Deck hervorgeschossen kam und zückte sie. „Jetzt wirst du dein blaues Wunder erleben. Die hier nennt sich [Constellar Rasalhague] und besitzt die Stufe 2.“ Das Monster in seinen Friedhofsschacht schiebend, setzte Zanthe ein Grinsen auf. „Da du mir generell etwas minderbemittelt vorkommst, erkläre ich dir kurz die Grundlagen einer Synchrobeschwörung. Du brauchst einen Empfänger-“ „Ich weiß wie das geht!“ „-und mindestens einen Nicht-Empfänger auf dem Feld. Zusammen ergeben sie die Stufe des Synchromonsters, das du vom Extradeck beschwören willst.“ Sich genervt wiederholend, fauchte Anya: „Ja doch, was soll damit sein!?“ „Wie du siehst, fehlt mir ein Empfänger. Und stell dir vor: ich spiele nicht einen einzigen davon im Deck. Trotzdem werde ich jetzt eine Synchrobeschwörung durchführen. Sieh her!“ Ruckartig riss Zanthe den Arm in die Höhe. Verblüfft folgte Anyas Blick jenem, ehe sie erschrocken die Augen weitete. Über ihrem Gegner formte sich aus goldenen Funken ein Gebilde, das Anya völlig fremd war. Ein goldener Ring von etwa einem Meter Durchmesser, aus dem insgesamt vier gebogene Ausläufer ragten. „From the light of a different world, the herald of starlight decends upon the ravaged land!“ [Constellar Kaus] zersprang während Zanthes Spruch in sechs grüne Sphären, die in die Höhe stiegen und in einem leichten Bogen den goldenen Ring nach und nach durchquerten. „By discarding a single star, I call upon you! Synchro Summon!“ Als alle sechs Sphären durch den Ring geflogen waren, wurde dieser von einem grellen Lichtblitz durchdrungen. Anya wandte sich geblendet ab, erschauderte aber anhand des tiefen Knurrens, das aus Zanthes Richtung kam. „Shine forth, [Angel Wing Dragon]!“ In diesem Moment wuchsen aus den vier Ausläufern des goldenen Ringes schneeweiße, federbesetzte Flügel. Der Lichtblitz selbst hatte die Form einer schlangenhaften Gestalt angenommen, die sich im Ring befand. Den Oberkörper wie eine lauernde Kobra anhebend, öffnete der weiße Drache sein spitz zulaufendes Maul und brüllte majestätisch. Seine Fänge mochten klein sein, aber auch spitz – genau wie das kragenhafte Gestell um seinen Hals.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   „Ah! Fuck!“, schoss es aus Anya beim Anblick der Kreatur heraus. „Wie kann die-!?“ „Ganz einfach“, begann Zanthe nun zu erklären, „es geht zwar nur einmal während des Duells, aber ist die Sache wert! Angel Wing kann ohne Empfänger gerufen werden, wenn ich ein Licht-Monster von meinem Deck auf den Friedhof schicke. Dessen Stufe wird dann mit den Monstern, die man wie bei einer normalen Synchrobeschwörung vom Feld schicken muss, verrechnet. Na? Hast du genug Grips, um selbst auf die Gleichung zu kommen?“ Anya antwortete nicht, sondern rechnete verkrampft im Kopf nach, um sich nicht die Blöße zu geben. Stufe 6 vom Feld und Stufe 2 vom Deck … ohne Empfänger also. Stimmt, damit kam er auf Stufe 8. Aber so etwas ging doch gar nicht! Was war das für ein verrücktes Vieh!? „Ich bin aber noch lange nicht fertig mit dir! Denn Angel Wing ist nur eines meiner Ass-Monster! Sieh her, ich aktiviere meine Falle [Limit Reverse] und belebe ein Monster mit 1000 oder weniger Angriff vom Friedhof!“, unterbrach Zanthe sie in ihrem inneren Monolog und streckte den Arm aus. Die Falle sprang auf, wobei ihr Besitzer sich gleichzeitig den nächsten Schlüssel schnappte und ausschwang. „Open a door to the serpent! Komm zurück! [Constellar Rasalhague]!“ Aus dem von Zanthe erzeugten Tor sprang ein kleiner, maskierter Jüngling in goldener Rüstung, der einen aus zwei Schlangen verwobenen Zauberstab mit sich trug.   Constellar Rasalhague [ATK/900 DEF/100 (2)]   „Effekt Rasalhagues!“, rief Zanthe weiter. „Ich opfere ihn, um einen anderen Constellar vom Friedhof in Verteidigung zu beschwören! Open a gate to the Sacred Star Knights! Kehre zurück, [Constellar Hyades]!“ Der schwarzhaarige Werwolf-Jüngling schnappte sich den goldenen, schwertartigen Schlüssel vor ihm und rammte jenen in den Boden, woraufhin aus einem Siegel der Krieger mit den zwei roten Klingen erschien und niederkniete.   Constellar Hyades [ATK/1900 DEF/1000 {3} OLU: 0]   „Und da ich damit in dieser Runde einen Xyz-Constellar beschworen habe, darf ich dank [Constellar Star Chart] eine Karte ziehen!“ Sofort riss Zanthe diese von seinem Deck und schmunzelte bei ihrem Anblick. Anya hingegen zeigte sich nicht überzeugt von dessen Vorgehen. „Pah! Ohne Xyz-Material ist Hyades doch nur ein nutzloses Stück Pappe!“ „Dann verwandeln wir ihn eben in etwas Nützliches“, erwiderte Zanthe und streckte den Arm in die Höhe, „das ist so einfach, dass einer Amateurin wie dir die Augen rausfallen werden!“   Anya Bauer! Ich befürchte, er wird-!   Jedoch brauchte Anya nicht Levriers Warnung in ihrem Kopf, um zu ahnen, was Zanthe vorhatte. Unter seinem Krieger öffnete sich der schwarze Wirbel des Overlay Networks und sog Hyades in sich auf. Gelbe und schwarze Blitze schlugen um sich, trafen die umstehenden Bäume und sprengten an den getroffenen Stellen die Rinde fort. „Ich rekonstruiere das Overlay Network! Aus meinem Rang 3-Monster wird ein Rang 6-Monster!“ „Rang 6!? Bisher waren die immer auf demselben Rang!“ „Keine Ahnung wovon du sprichst“, erwiderte Zanthe salopp und schwang den in die Höhe gestreckten Arm nach vorne aus. In dessen Hand materialisierte sich ein Schlüssel ganz aus Platin, der zu leuchten begann, ehe Zanthe ihn in den Schlund warf. „Open a gate to the Sacred Star Knights! Incarnation Summon! [Constellar Ptolemy M7]!“ Da tauchte er auch schon aus dem Wirbel auf. Von gewaltiger Größe, erschien es Anya regelrecht absurd, dass dieser weiß-goldene, mechanische Drache mit den schwarzen Schwingen und dem gleichfarbigen, langen Schweif tatsächlich eine Inkarnation sein sollte – eine Art von Monster, die normalerweise nur Immateriellen wie Levrier zugänglich war. „Heißt das, er ist-!?“, fragte Anya und wurde vom Gebrüll des Drachen übertönt, um den eine goldene Lichtsphäre als Xyz-Material kreiste.   Constellar Ptolemy M7 [ATK/2700 DEF/2000 {6} OLU: 1]   Diese Kraft … sie ist nicht seine eigene. Aber ich kann nicht sagen, woher er sie haben könnte. Er besitzt definitiv kein Paktmal.   „Nützlich wie immer“, giftete Anya und schielte von einem Drachen zum anderen, „toll, jetzt habe ich es mit zwei Viechern dieser Größenordnung zu tun.“ Zanthe winkte ab. „Das war doch noch gar nichts. Ich mache Messier 7 noch stärker, damit eine Anfängerin wie du auch mal was zu sehen bekommt.“ Das gesagt, schob er eine Zauberkarte in seinen Duellhandschuh und erklärte: „Ich rüste Messier 7 mit [Xyz Unit] aus, die ihn für jeden Rang um 200 Punkte stärker macht und noch dazu ein Xyz-Material simulieren kann, wenn Bedarf besteht!“ „Noch stärker!?“ Schon glühte der Mechadrache in gelber Aura auf, wodurch er seinen organischen Kameraden, den [Angel Wing Dragon], regelrecht harmlos aussehen ließ.   Constellar Ptolemy M7 [ATK/2700 → 3900 DEF/2000 {6} OLU: 1]   „Und geschützt ebenso.“ Ihr Gegner zeigte noch eine Zauberkarte vor, eine permanente. „Denn ab sofort wird [Constellar Belt] dafür sorgen, dass die Effekte von Licht-Monstern nicht mehr annulliert werden können!“ Ein heller Schimmer ging plötzlich von seinen Monstern aus, der wie eine feine Staubwolke anmutete. „Du hast Glück“, sagte Zanthe beim Anblick der verstummten Anya, „wenn ich Messier 7 als Inkarnation beschwöre, kann ich diese Runde seinen Effekt nicht nutzen. Andererseits ist das auch nicht mehr nötig, schätze ich.“   Derweil fragte Anya sich, über was für Effekte Messier 7 verfügen musste, wenn er keinen davon aktivieren konnte. Inkarnationen waren bekannt dafür, ihr Xyz-Material vom Friedhof recyclen zu können und besaßen drei Effekte, von denen der beste, welcher in der Regel drei Materialien kostete, erst einen Zug nach Beschwörung einsetzbar war. Es war demnach ein endloser Kreislauf des Terrors, den Anya schon am eigenen Leibe erfahren hatte. Aber wenn Zanthe laut Levrier gar kein Paktträger war, woher stammte dann dieses Vieh!?   „Bist du bereit?“, erkundigte sich Zanthe vergnügt und zeigte mit dem Finger auf [Gem-Knight Ruby], schwang dann herüber zu [Gem-Knight Topaz]. „Ein Angriff von mir und das Duell ist vorbei. War ja ganz nett mit einer Hohlbirne wie dir, aber ich bevorzuge dann doch lieber die Einsamkeit.“ Anya pfiff verächtlich zwischen den Zähnen. „Und ich bevorzuge Leute, die sich auch mal neue Beleidigungen einfallen lassen. Dass du mich für dumm hältst, hab ich irgendwann zwischen dem zehnten und zwanzigsten Mal kapiert! Nur leider juckt es mich immer noch nicht!“   Die Zornesfalten auf deiner Stirn strafen deiner Worte Lügen, Anya Bauer.   „Schnauze, Levrier“, zischte das Mädchen verärgert. „Wie gut für dich“, murmelte Zanthe und kniff die Augen zusammen, „wäre auch zu schade, wenn du in Selbstzweifel vergehst, während ich aus dir einen Festtagsbraten ala Zanthe mache! Und jetzt klau mir nicht länger meine Zeit, du nervige Kuh!“ Prompt schwang er den Arm aus. „[Constellar Ptolemy M7], greif [Gem-Knight Ruby] an! M7 Star Launcher! [Angel Wing Dragon], dein Ziel ist [Gem-Knight Topaz]! Seraphim Judgment!“ Da kommen sie!   Beide Drachen öffneten zeitgleich ihr Maul und feuerten mächtige Lichtstrahlen auf Anyas Ritter ab, welche furchtsam zurückschreckten. Messier 7s Attacke hatte einen orangefarbenen Kern, umhüllt von gelbem Licht, wohingegen Angel Wings Angriff strahlend weiß war und von einer um ihn drehenden, goldenen Flamme begleitet wurde. „Wenn das durchgeht, lande ich auf dem Teller dieses Typen“, schnaufte Anya und sah auf die verdeckte Karte vor sich. „No fucking way! Falle! [Negate Attack]!“ Sofort betätigte sie den Knopf an ihrer Duel Disk und ließ die Karte aufspringen. „Das nützt dir nichts, während der Battle Phase kannst du dank Angel Wings Effekt keine Fallen aktivieren!“, ging Zanthe dazwischen. „Was!? „… reingelegt! Du bist nicht nur dumm, sondern auch naiv! Das ist die Rache für die Lüge mit der Bombe!“ Die beiden Lichtstrahlen prallten vor Anyas Kriegern an einer unsichtbaren Mauer ab, verteilten sich wie ein Feuerwerk in der Luft und sorgten so für jede Menge kleiner Detonationen in der Umgebung. Anya achtete gar nicht darauf, sondern musste sich erst von dem Schock erholen, denn für einen Moment hatte sie geglaubt, jede Sekunde als Werwolf-Pastete zu enden. „Du elender Mistkerl!“, kreischte sie wutentbrannt, als sie sich der Lage gewahr wurde. „Dafür werde ich dich-!“ Zanthe schob vor sich hin summend eine Falle in seinen Handschuh. „Da du meine Battle Phase abgebrochen hast, setzte ich diese Karte hier verdeckt und beende meinen Zug.“ Die Karte materialisiere sich vor seinen Füßen, wobei er aufsah und plötzlich eine ernste Mimik an den Tag legte, die er so noch nicht gezeigt hatte. „Aber denke nicht, dass du es leicht haben wirst. Im Grunde war das alles erst der Anfang. Wenn du Angel Wing wirklich haben willst, musst du ihn erst kennenlernen. Und das wirst du!“ Für einen Moment hatte selbst die sonst so taffe Anya etwas gefühlt, was ihr schon seit Monaten nicht mehr untergekommen war – er hatte sie tatsächlich eingeschüchtert mit seinen Worten. „Ich freu' mich schon“, raunte sie missmutig, setzte dann aber ihr altbekanntes, dreckiges Grinsen auf, „ich hab nämlich auch erst angefangen.“   „Interessant … da sind sie also“, murmelte derweil ein heimlicher Beobachter des Duells. Dieser saß auf dem Ast eines Baumes, welcher sich auf der Anhöhe befand, die über Zanthes Höhle lag. Mit verschränkten Armen murmelte die völlig von der Dunkelheit der Nacht eingenommene Person leise: „Zeig mir die Macht eines Hüters, Zanthe.“     Turn 41 – A Formidable Opponent Das Duell mit Zanthe geht in die zweite Runde. Obwohl Anya versucht, ihn mit mächtigen Angriffen zu Fall zu bringen, erweisen sich Zanthe und insbesondere [Angel Wing Dragon] als ziemlich zäh. Es mündet schließlich in einem Kampf zwischen Levirer als [Gem-Knight Pearl] und [Angel Wing Dragon], womit Anya sich dem Siege gewiss ist, doch … Kapitel 46: Turn 41 - A Formidable Opponent ------------------------------------------- Turn 41 – A Formidable Opponent     Kyon nahm seine Sonnenbrille ab, um sie mit einem Tuch aus der Brusttasche seines Butleranzuges zu putzen. Das Spektakel dort unten interessierte ihn an und für sich nur mäßig, aber es war sein Auftrag, Anya Bauer im Auge zu behalten. So wollte der Sammler es. Aber nicht nur deswegen saß er jetzt hier auf dem Ast eines knorrigen alten Baumes oberhalb der Höhle und wohnte unbemerkt dem Duell zwischen Anya Bauer und ihrem Gegner bei. Nein, er wollte Letzteren mit eigenen Augen sehen. Zanthe …   Dessen Feld war gefüllt mit zwei mächtigen Monstern. Dem schwarzgeflügelten, gold-weißen Sternendrachen [Constellar Ptolemy M7], welcher von einer Lichtsphäre umkreist wurde. Und natürlich das erhabene Synchromonster [Angel Wing Dragon], eine weiße, schlangenartige Kreatur, um deren Körpermitte ein goldener Ring mit vier Schwingen schwebte.   Constellar Ptolemy M7 [ATK/3900 DEF/2000 {6} OLU: 1] Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   Aber nicht nur Monster füllten Zanthes Feld aus. Allein drei Slots seiner Backrow wurden durch Zauber gefüllt, namentlich [Constellar Star Chart], [Constellar Belt] und [Xyz Unit], wobei Letztere eine Ausrüstung für Messier 7 darstellte, die dessen Angriffskraft erhöhte und ein zusätzliches Xyz-Material simulierte. Wegen [Constellar Belt], der sich als dunstartiger Schimmer um Zanthe und seine Monster bemerkbar machte, konnte Anya die Effekte seiner Licht-Monster auch nicht annullieren. Mehr noch, besaß Zanthe zu guter Letzt noch eine verdeckte Falle und eine Handkarte. Seine Gegnerin wiederum kontrollierte den roten Rubinritter mit einer Lanze und blauem Umhang, [Gem-Knight Ruby], und den goldenen, Blitzklingen schwingenden Topazritter, [Gem-Knight Topaz]. Mehr hatte sie nicht zu bieten, weder auf dem Feld, noch auf der Hand.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)] Gem-Knight Topaz [ATK/1800 DEF/1800 (6)]   Anya schnaubte und blickte auf ihre Duel Disk. Das Mondlicht und das Licht der Hologramme sorgten dafür, dass sie einigermaßen gut sehen konnte. Dieser elende Wald, mehr noch, die Gesamtsituation ging ihr ziemlich auf die Nerven. Sie wollte nach Hause und einfach nur ausspannen, aber nein, sie musste ja unbedingt ein paar Duel Monsters-Karten hinterher jagen! Gerade so hatte sie den Angriff des Werwolfs abwehren können. Wäre er durchgekommen, sähe es jetzt ganz düster für sie aus. Das Letzte, was sie wollte, war als Mitternachtssnack für diesen Idioten zu verkommen! Mit angezogenen Brauen sah sie auf und griff nach ihrem Deck. „Mein Zug, du Torfnase! Fang schon mal an um Gnade zu winseln! Draw!“ Voller Eifer riss sie die Karte von ihrem Deck und identifizierte sie noch während der ausholenden Bewegung als Falle. Schlecht, aber es hätte sie schlimmer treffen können, sagte sie sich. „Du denkst, du hast die besseren Monster, ja?“, raunte sie anschließend und nickte ihm hochnäsig zu. „Guck mal auf deinen Duellhandschuh oder was auch immer das Ding sein soll!“ Aber der Kopftuchträger tat nichts dergleichen. „Soll mir das Angst machen?“ „Ja! Denn du wirst merken, wie wenig Spielraum du noch hast!“   [Anya: 1500LP / Zanthe: 400LP]   „Ich mach mir da ehrlich gesagt keine Sorgen.“ „Solltest du aber“, giftete sie und streckte den Arm aus, „denn scheinbar hast du Rubys Effekt schon vergessen! Ich kann einen Gem-Knight opfern, um seine Angriffskraft temporär um die seines Kameraden zu erhöhen! Los!“ In leuchtenden Funken löste sich Topaz anschließend auf und wurde von Rubys Lanze absorbiert.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 → 4300 DEF/1300 (6)]   Das waren genug Punkte, um ihn unangespitzt in den Boden zu rammen, dachte Anya zufrieden. Egal welches seiner Monster sie angriff. Genau das war allerdings auch ihr Problem. Sie kannte von keinem der beiden den Effekt. Und da war noch die verdeckte Karte. Aber was sollte sie sonst tun, ihr blieb nur ein offensives Vorgehen! Einerseits wäre es am logischsten, [Angel Wing Dragon] anzugreifen, denn sollte Zanthe seine Monster stärken wollen, wäre bei dem Drachen die Chance größer, dass es nicht ausreichte. Außerdem war jener kein Constellar, konnte also nicht auf volle Unterstützung von Zanthes Decktyp hoffen. Andererseits … wäre das genau das, was man von ihr in dieser Situation erwarten würde. Außerdem war der andere Drache, [Constellar Ptolemy M7] wesentlich gefährlicher, weil er stärker war. Der durfte nicht frei herumlaufen, sollte der Werwolf nur etwas liegen haben, was Schaden annulliert. Verdammt, so viele Möglichkeiten …! „Ne Idee, was ich tun soll, Levrier?“, murmelte sie leise.   Die Chancen stehen bei 100%, dass du scheitern wirst, egal welches Monster du angreifst. Also tu das, was du am besten kannst. Sei Anya Bauer, wie sie leibt und lebt.   „Sehr hilfreich“, kommentierte sie die Stimme aus dem Off ärgerlich, hatte den Wink aber verstanden, „mit dem Kopf durch die Wand, huh? Also Messier 7! Okay, Ruby, greif diesen kack Glitzerdrachen an, den ertrage ich ohnehin keine Sekunde länger! Sparkling Lance Thrust!“ Ohne Verzögerung schoss ihr Krieger wie ein Pfeil auf den halbmechanischen Drachen zu und richtete seine Lanze auf ihn. „Heh, gar nicht so dumm für deine Verhältnisse“, grinste Zanthe, schwang daraufhin den Arm aus. „Angel Wing!“ „Huh!?“ Der schlangenhafte Drache schrie grell auf und bewegte sich in einer gleitenden Bewegung einfach vor Messier 7, bekam Rubys Lanze direkt durch den Kopf gejagt und explodierte. Es passierte so schnell, dass Anya glatt die Worte fehlten.   [Anya: 1500LP / Zanthe: 400LP]   „Ja ja“, kam Zanthe ihr mit langgezogenem Tonfall zuvor, „du hast doch Messier 7 angegriffen, wieso wurde Angel Wing getroffen, bla bla bla bla.“   Seid ihr zufällig verwand? Ich könnte schwören, dass mir seine respektlose Art bekannt vorkommt.   „Schnauze, Levrier!“, fauchte Anya wütend und zeigte ungeniert mit dem Finger auf Zanthe. „Und mir ist schon klar, dass dein bekloppter Drache sich einfach vorgedrängelt hat, Flohzirkus! Wieso stehst du noch!?“ „Angel Wing negiert jeden Schaden, den ich erleide, wenn er im Kampf involviert ist. Das ist seine Art, mich vor allen Gefahren zu beschützen.“ Zanthes Blick verfinsterte sich. „Er ist die perfekte Verteidigung, wie du noch merken wirst.“   Jetzt haben wir ein Problem, Anya Bauer.   „Tch, ich dachte, du hast das kommen sehen? Dann wirst du bestimmt wissen, wie ich zu kontern gedenke!“, fauchte das Mädchen aufgebracht und rammte ihre Falle in die Battle City-Duel Disk. „Die hier gesetzt! Ich beende meinen Zug!“   Gem-Knight Ruby [ATK/4300 → 2500 DEF/1300 (6)] Noch während sich die Karte vor ihren Füßen materialisierte, tauchte noch etwas anderes auf dem Feld auf – der goldene, beflügelte Ring des eben erst erlegten Drachen! Zanthe griff nach seinem Friedhof und zeigte [Constellar Pollux] und [Constellar Kaus] vor. „Während der End Phase, in der Angel Wing getötet wurde, kann ich zwei Stufe 4-Monster von meinem Friedhof verbannen“, erklärte er und streckte den Arm in die Höhe, „um Angel Wing wiederauferstehen zu lassen! Komm zurück!“ Vor Schreck klappte Anya die Kinnlade hinunter. Der Ring über Zanthe begann sich im Uhrzeigersinn zu drehen, wobei sich gleichzeitig eine hellblaue, wässrige Oberfläche in seinem Inneren ausbreitete. Zu beiden Seiten kamen Kopf und Schwanzspitze des Drachen daraus hervor geschoben, bis der vollständige Drache dem Dimensionsspalt entsprungen war.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   „Oh fuck!“, fluchte Anya beim Anblick der schlangengleichen Kreatur. „Was ist das für ein Mistvieh!?“ „Wie ich sagte, Angel Wing ist die perfekte Verteidigung! An ihm wirst du dir die Zähne ausbeißen, Mädchen!“, rief Zanthe aufgebracht und griff nach seinem Deck. „Sofern du überhaupt noch dazu kommen wirst! Mein Zug, Draw!“ Schwungvoll riss er die nächste Karte von seinem Duellhandschuh und besah sie für einen Moment erstaunt, ehe er seinen Blick wieder auf Anya richtete. Dann zog er [Constellar Hyades] unter Messier 7 hervor und erklärte dabei: „Da nun eine Runde verstrichen ist, kann [Constellar Ptolemy M7] seinen Effekt aktivieren. Mit diesem ist es mir erlaubt, ein Monster vom Feld oder dem Friedhof auf die Hand des jeweiligen Besitzers zurückzugeben.“ Anya erschrak. Auf den ersten Blick hörte sich das zwar nicht nach viel an, ermöglichte aber tatsächlich diverse Optionen. „Meine Wahl fällt auf [Gem-Knight Ruby], welcher damit in dein Extradeck geschickt wird! Los Messier 7, Return Of The Star!“ Der mechanische Drache schnappte nach der Lichtsphäre, die um ihn kreiste, und verschlang sie mit einem Happen. Anschließend stieß er eine Mischung aus Heulen und seltsamen Singsang aus, bei dem Anya alarmiert die Taste zur Aktivierung ihrer Falle betätigte. „Vergiss es!“, rief sie dabei angespannt. „Falle: [Gem-Enhancement]! Mit ihr opfere ich einen Gem-Knight und beschwöre stattdessen einen anderen von meinem Friedhof!“ Gerade als unter ihrem Ruby ein goldener Runenzirkel erschien, begann er von sich aus in alle Richtungen Lichtstrahlen auszusenden und löste sich langsam auf. Anya nahm ihn von der Duel Disk und ersetzte ihn mit dem gewählten Gem-Knight von ihrem Friedhof. „Kehre zurück, [Gem-Knight Aquamarine]“, rief sie dabei, „in Verteidigung! Da das alte Ziel nicht mehr vorhanden ist, verpufft Messier 7s Effekt!“ Der goldene Lichtkreis verschwand zusammen mit Ruby. Stattdessen kniete vor Anya nun ein blauer Ritter, ausgerüstet mit einem Rundschild, aus dem eine breite, kurze Klinge herausragte.   Gem-Knight Aquamarine [ATK/1400 DEF/2600 (6)]   Zanthe begann zu grinsen. „Ah verstehe. Das hast du also vor. Gar nicht mal so übel.“ Nebenbei nahm er ein Monster aus seinem Blatt und legte es in die dazugehörige Klinge des Apparates ein. Sofort schnappte er nach dem kleinen Schlüssel, der vor ihm erschien. „Open the door to the crab! Zeig dich, [Constellar Acubens]!“ Er schwang den Arm neben sich aus. Dort, wo die Schlüsselspitze mündete, entstand ein weißes Siegel mit vielen verschiedenen Symbolen auf drei ringartigen Ebenen verteilt. Aus jenem Portal brach, als Zanthe den Arm wieder zurück riss, ein kräftig gebauter Krieger, dessen Waffenarsenal aus zwei orange leuchtenden Zangenarmen bestand. „Acubens verstärkt bei seiner Beschwörung alle Constellar um genau 500 Angriffspunkte!“ Sowohl er, als auch der Drache Messier 7 begannen in weißer Aura zu erstrahlen.   Constellar Acubens [ATK/800 → 1300 DEF/2000 (4)] Constellar Ptolemy M7 [ATK/3900 → 4400 DEF/2000 {6} OLU: 0]   Anya schluckte beim Gedanken daran, was so ein Angriff von Zanthes Assmonster anrichten könnte. Dennoch würde sie nicht den Schwanz einziehen! Seinerseits war ihr Gegner am Überlegen. Glücklicherweise kannte er den Effekt von [Gem-Knight Aquamarine] bereits von Anyas vorletztem Zug. Wenn er den Ritter zerstörte, würde dieser eines seiner Monster zurück aufs Blatt geben. Das hieß im Klartext, dass entweder Angel Wing oder Messier 7 ins Extradeck wandern musste. Allerdings war Anya dazu gezwungen, bei einem Angriff der beiden das jeweils andere Monster als Ziel zu bestimmen, da sie andernfalls durch die direkte Attacke des nicht betroffenen verlieren würde. Was im Klartext bedeutete: er konnte entscheiden, ob er Angel Wing oder Messier 7 behalten wollte. Nachdenklich sah er auf seinen Duellhandschuh. „Perfekter Angriff oder perfekte Verteidigung?“ Nein, eigentlich wusste er bereits genau, was ihm wichtiger war. So streckte er den Arm weit aus und rief: „Los, [Angel Wing Dragon], greif [Gem-Knight Aquamarine] an! Seraphim Judgment!“ Der schlangengleiche Drache, um dessen Körpermitte der goldene Ring mit den Engelsflügeln kreiste, öffnete sein Maul und feuerte einen strahlend weißen Lichtstrahl auf Anyas Krieger ab, wobei eine goldene Flamme sich um den Angriff schlängelte. „Da kommt er!“, murmelte Anya und wandte sich ab, die Arme schützend über den Kopf gelegt. Unter einer heftigen Explosion wurde ihr Ritter zerfetzt, sengender Wind schlug dem Mädchen entgegen. Durch einen Spalt zwischen den Armen lugte sie zu Zanthe und rief: „Effekt von Aquamarine! Er schickt bei seinem Tod eines deiner Monster auf die Hand zurück, nämlich [Constellar Ptolemy M7]! Also in dem Fall ins Extradeck! Damit hast du dein stärkstes Monster verloren!“ Zanthe zuckte nur unbedarft mit den Schultern, als unter dem Mechadrachen eine Fontäne empor schoss und ihn mit sich riss. „Messier 7 zurück zu beschwören ist leichter als du denkst.“ „Tch!“ Den Arm anhebend, zeigte der schwarzhaarige Werwolf schließlich auf seine Gegnerin. „Aber erstmal kannst du dir jetzt etwas Quality Time mit [Constellar Acubens] gönnen. Direkter Angriff auf ihre Lebenspunkte!“ Der Krieger im Zeichen der Krebses stürmte nach vorn und schnappte mit seinen Zangenhänden nach Anya, die erst zurückwich, dann aber doch erwischt und mit spielender Leichtigkeit in die Höhe gerissen wurde. „Argh, lass mich runter!“, stöhnte sie dabei unter dem Druck, der auf ihre Oberarme und den Torso ausgeübt wurde. Natürlich dabei wild strampelnd.   [Anya: 1500LP → 200LP / Zanthe: 400LP]   Seine letzte Handkarte ansehend, seufzte Zanthe kopfschüttelnd. „Und die wollte sich ernsthaft mit mir anlegen? Was für'n Witz. Zug beendet.“ Damit ließ Acubens seine Gefangene unsanft auf den Boden plumpsen und kehrte zu seinem Besitzer zurück.   Anya rieb sich den rechten Oberarm, der von dem Klammergriff ziemlich in Mitleidenschaft gezogen worden war. Sie befand sich jetzt in der wunderbaren Situation, keinerlei Karten auf Hand oder Feld zu besitzen. Also gab es nur noch eine Möglichkeit, das Duell nicht zu verlieren. Aber sollte sie das tun? Ihren Vorsatz mal wieder brechen? Andererseits, wenn sie es nicht tat, würde sie der Welt womöglich nie beweisen können, dass sie diesen überhaupt einzuhalten vermochte. „Keine Wahl“, stöhnte sie, „Levrier, tu, was du tun musst!“   Stets zu Diensten. Wenn ich dabei sterbe, weil mir die Energie ausgegangen ist, möchte ich-   „Schnauze! Mach gefälligst das, was man dir sagt, sonst stirbst du wirklich!“, fauchte Anya. Ihr war jetzt nicht danach, mit ihm herumzualbern. Unter Zanthes interessiertem Blick legte das Mädchen ihre Finger an die oberste Karte ihres Decks und schloss die Augen. Ihre Hand begann weiß zu leuchten. Sie sah es. Das Labyrinth aus endlos vielen Pfaden. Aber keiner davon war der, den sie gehen wollte. Ihr Verstand zeichnete einen neuen Pfad, immer dem Licht entgegen, das am Ende des Wirrwarrs wartete. Dann zog sie schwungvoll und unter lautem Ausruf. „Draw!“ Die Karte, die sie gezogen hatte, leuchtete weiß auf. Als Anya sie schließlich ansah, grinste sie dreckig. „Gute Arbeit, Levrier! Das ist genau das, was ich gebraucht habe!“   Sonne, Mond und Sterne, die Karte tanzt um meine Laterne …   Was auch immer das zu bedeuten hatte! Anya wirbelte den Zauber mehrmals zwischen den Fingern, ehe sie ihn stolz präsentierte. „Ich aktiviere [Gem-Trade]! Da [Gem-Knight Fusion] auf meinem Friedhof liegt, darf ich ein Gem-Knight-Fusionsmonster von meinem Friedhof verbannen, um für jeden dritten seiner Stufensterne eine Karte zu ziehen!“ Mit tolldreistem Grinsen auf den Backen schob sie [Gem-Knight Topaz] in ihre Hosentasche, wodurch sie anschließend zwei Karten ziehen konnte. Und obwohl jene diesmal auf legale Weise in ihr Blatt gefunden hatten, fühlte Anya sich, als wäre sie immer noch im 'Cheater-Modus'. Nicht, dass sie daran etwas auszusetzen hatte! „Zauberkarte! [Pot Of Avarice]! Ich schick fünf Monster von meinem Friedhof ins Deck und ziehe nochmal zwei Karten!“ Prompt legte sie [Kachi Kochi Dragon], [Gem-Knight Ruby] und [Gem-Knight Aquamarine] zurück ins Extradeck. Danach noch [Gem-Turtle] und [Gem-Armadillo] aufs Deck, welches sich automatisch durchmischte, ehe Anya zweimal nachzog und nun drei Karten auf der Hand hielt. Perfekt, wenn man bedachte, dass sie mit wortwörtlich nichts in die Runde gestartet war! Und gleich würde es noch eine Karte mehr werden, jaha! „Effekt von [Gem-Knight Fusion] auf meinem Friedhof! Ich verbanne [Gem-Knight Garnet] von meinem Ablagestapel und erhalte meinen Zauber von ebendort zurück!“ Kaum war die in ihrem Blatt gelandet, zückte Anya schon eine andere Zauberkarte. „[Gem-Refinement]! Damit beschwöre ich einen Gem-Knight von meinem Deck, aber nur, wenn ich [Gem-Knight Fusion] vorzeigen kann!“ Vor dem Mädchen materialisierte sich ein stolzer Ritter in türkisblauer Rüstung, der einen Bogen spannte und damit auf Zanthe zielte. „Darf ich vorstellen? [Gem-Knight Turquoise]!“ Gem-Knight Turquoise [ATK/1400 DEF/2000 (4)]   „Da ich noch keine Normalbeschwörung durchgeführt habe, rufe ich jetzt [Gem-Knight Alexandrite] von meiner Hand aufs Feld!“ Neben Turquoise erschien ein weiterer Ritter, diesmal in Weiß. An seinem ganzen Körper waren verschiedenfarbige Juwelen angebracht, die im Mondlicht nur so funkelten.   Gem-Knight Alexandrite [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   „Effekt von Turquiose aktivieren!“, rief Anya unerbittlich weiter und schwang ihren Arm aus. „Indem ich [Gem-Knight Fusion] abwerfe, kann ich einmal pro Zug einen verbannten Gem-Knight beschwören. Komm zurück, Garnet!“ Daraufhin feuerte Turquoise von seinem Bogen einen Pfeil direkt über sich in die Luft ab, der zwischen ihm und Alexandrite landete. Dort öffnete sich ein leuchtender Riss, aus dem Garnet entstiegen kam.   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   „Jetzt der Effekt von Alexandrite!“ Anya fühlte sich, als wäre sie in einem Rausch gefangen. Sie hatte vor, diesem Kerl eine deftige Lektion zu erteilen! Der würde schön die Glotzer aufsperren, wenn er erst sah, was sie vorhatte. „Ich kann ihn opfern, um einen normalen Gem-Knight vom Deck zu beschwören! Erscheine, [Gem-Knight Crystal]!“ In buntem Licht löste sich der Krieger auf und machte einem anderen, weißen Ritter Platz. Dieser stemmte stolz die Hände in die Hüften, wobei die Kristalle an seinen Schulterplatten zu leuchten begannen.   Gem-Knight Crytsal [ATK/2450 DEF/1950 (7)]   „Und zuletzt“, schrie Anya förmlich und streckte den Arm aus, „erschaffe ich das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster! Lass es krachen, Levrier!“ Ihre beiden Ritter verwandelten sich in braune Lichtstrahlen, die umeinander wirbelten und in einem schwarzen Loch verschwanden, das sich vor Anya auftat. Daraus hervor kam der einzig Wahre. „[Gem-Knight Pearl]!“   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4} OLU: 2]   Umgeben von seinen sieben riesigen Perlen sowie den beiden Xyz-Materialien, schwebte der schlichte, weiße Ritter herüber zu Anya, die nun zwei starke Monster kontrollierte.   … mir ist immer noch schwindelig von eben.   „Reiß dich zusammen!“, motzte Anya ihn ohne Umschweife an. „Schau dir lieber seine Monster an!“ Zanthe, der es nicht für nötig gehalten hatte, Anya in ihrem Eifer zu unterbrechen, kontrollierte neben seinem schlangenhaften Drachen noch den Krebskrieger Acubens. Verstehe. So viel taktisches Geschick hätte ich dir gar nicht zugetraut.   „Was soll'n das heißen, huh!?“ Anya stieß ein wütendes Grummeln aus. „Ach, was auch immer! Ich werde jetzt erstmal gewinnen! Mach dich bereit, Trantüte!“ Pearl streckte seine Hand aus. Die Perlen um ihn herum begannen wie aufgescheuchte Hühner durch die Luft zu schwirren. „Angriff auf [Constellar Acubens]!“, befahl das Mädchen aus voller Kehle. „Sacred Spheres of Purity!“ Wie Kanonenkugeln schossen die Schmucksteine auf den Krieger im Zeichen des Krebses zu. Zanthe grinste verschmitzt. „Ach komm schon, du kannst doch nicht wirklich an Alzheimer leiden, oder? Angel Wing, blockiere den Angriff, indem du dich zum Ziel machst! Konterangriff, Seraphim Judgment!“ Unmittelbar danach teleportierte sich [Angel Wing Dragon] direkt vor Acubens und feuerte einen weißen Lichtstrahl in Pearls Richtung ab, um den eine kleinere, goldene Flamme rotierte. „Als ob mich das juckt! Effekt von [Gem-Knight Turquoise]! Wenn ich ihn und einen anderen Gem-Knight als Xyz-Material abhänge, verdoppelt er die Angriffskraft von Pearl! Los, volle Power!“ Eine cyanfarbene Aura begann sogleich um ihren Partner zu glühen. „Nicht im Ernst!?“, erschrak Zanthe.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 → 5200 DEF/1900 {4} OLU: 2 → 0]   Levrier streckte die Brust nach vorn. Aus ihr heraus ragte ein mit Türkisen besetzter Pfeil, der die Lichtsphären absorbierte, welche um seinen Wirt kreisten. Dann schoss er aus Pearls Körper heraus und teilte in seinem Flug Angel Wings Gegenangriff, der rechts und links neben Anya einschlug und heftige Explosionen verursachte. Der Pfeil traf den Schlangendrachen direkt ins Maul, woraufhin auch dieser effektvoll verendete. Die dadurch entstandene Druckwelle warf Zanthe ein Stück zurück, welcher sich mit erhobenem Ellbogen dagegen wehrte. Dabei rief er unter dem Getöse: „Kämpfe mit Angel Wing fügen mir trotzdem keinen Schaden zu!“ „Aber Kämpfe mit [Constellar Acubens]! [Gem-Knight Crystal], ich will endlich gewinnen! Clear Punishment!“ Der weiße Ritter rammte seine Faust in den Boden, woraufhin dieser aufplatzte wie eine zu lange gebratene Wurst. Spitze Kristalldornen schnellten überall aus dem Spalt hervor, welcher sich seinen Weg zu Acubens bahnte. „Wer hätte das gedacht, du bist ja lernfähig“, staunte Zanthe über Anya. Gleichzeitig schob er seine letzte Handkarte in den Schlitz an seinem Duellhandschuh, welcher für den Friedhof stand, „aber das reicht nicht! Effekt von [Constellar Alrakis] aktivieren! Ich werfe ihn ab, um die Position eines Constellars zu ändern! Ab in die Verteidigung, Acubens!“ Ein leuchtender, blauer Stern begann über seinem Krieger zu strahlen. Dieser ging in die Knie.   Constellar Acubens [ATK/1300 DEF/2000 (4)]   Kaum hatte er dies jedoch getan, wurde er schon von der zerstörerischen Schneise erreicht, aus der die Kristallspitzen schossen. Diese spießten ihn erbarmungslos auf, sodass er in tausend Teile zersprang. „Nicht wahr!“, zeterte Anya ungläubig. „Das gibt’s nicht, mein Plan war doch so gut!“ „Aber eben nur gut!“, erwiderte Zanthe und schwang den Arm aus. „Denk nicht, dass ich dich dafür ungeschoren davonkommen lasse! Fallenkarte aktivieren, [Constellar Meteor]!“ Die Karte sprang vor ihm auf. Eine flammende, rote Kugel entstand über der Stelle, an der Acubens sein Ende gefunden hatte und wuchs dabei bedrohlich an. Tatsächlich war es, als sah man in ihr Acubens durchsichtige Silhouette. „Wenn in diesem Zug deine Monster gegen Constellare kämpfen, werden sie postwendend ins Deck geschickt, sollten sie es wagen zu überleben! Also verabschiede dich von [Gem-Knight Crystal]!“ Unter lautem Zischen flog die Flammensphäre auf Anyas weißen Krieger zu, der sich bei Kontakt schreiend auflöste. „Oh shit!“ „Du kannst noch so viel schummeln, so leicht gebe ich nicht klein bei!“, kommentierte Zanthe den Zug selbstbewusst. „Da reicht es auch nicht, einmal im Jahrhundert einen glücklichen Zug hinzulegen!“   Wenn der nur wüsste, dachte Anya grimmig. Für was hielt der sie, irgendso'ne Aushilfsamöbe von der Klasse eines Pre-Beichte-Nicks!? Man wurde nicht Livingtons gefürchtetste Einwohnerin, indem man einfach nur die Fäuste sprechen ließ. Klar, damit hatte man auch Chancen, zum Bully des Jahres gewählt zu werden. Aber wahren Schrecken verursachten nur diejenigen, die neben ihrer Kraft auch ein Mindestmaß an bösartiger Intelligenz und Kreativität besaßen. Und wenn Anya eines ihr Eigen nannte, dann das!   Demnach relativierte sie selbstverliebt, mit bis zum Himmel reichender Nase: „Ach, so schlimm ist das auch wieder nicht. Umso mehr werde ich es genießen können, dich Stück für Stück zu zerpflücken. Zapple ruhig noch ein wenig, das machen manche Tiere auch, selbst wenn ihnen schon der Kopf abgeschlagen wurde. Damit dürftest du dich doch am besten auskennen.“ Damit nahm sie ihre letzte Handkarte und schob sie in ihre Duel Disk. „Die hier verdeckt! Zug beendet!“ Zischend materialisierte sich die Karte vor ihren Füßen. Damit erlosch die hellblaue Aura um Levrier, der sich geradezu schützend vor Anya positionierte.   Gem-Knight Pearl [ATK/5200 → 2600 DEF/1900 {4} OLU: 0]   Hohes Gekreische drang von Zanthes Spielfeldseite. Über ihm erschien der goldene, geflügelte Ring, aus dem der schlangenhafte Drache geschossen kam. „Ich verbanne die beiden Stufe 4-Monster Acubens und Alrakis, um Angel Wing durch seinen Effekt zu reanimieren!“, rief der junge Mann bestimmend, doch klang seine Stimme überraschend belegt. Wie eine lauernde Kobra bäumte der weiße Drache sich auf, sah er dank des goldenen Gestells um seinen Kragen einer solchen sogar recht ähnlich.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   Anya quittierte das mit einem abfälligen „Hmpf!“. Daraufhin griff Zanthe nach seinem Handschuh und zog ruckartig. Auf seiner Stirn hatten sich tiefe Zornesfalten gebildet, von der anfänglichen Lockerheit war mit einem Male nichts mehr zu spüren. Er funkelte Anya an, die ihrerseits nicht weniger feindselig zurück starrte. „Du denkst wohl, mir macht es Spaß, mich von Wild zu ernähren?“, fragte er verbittert. „Schon mal darüber nachgedacht, dass nicht alle so ein einfaches Leben haben wie du?“ „Nein“, erwiderte sie kalt. „Jeder ist für sich selbst verantwortlich.“ „Dachte ich mir. Bestimmt bist du nicht von deinem Rudel ausgestoßen worden, nur weil du anders warst als sie! Nachdem sie dich erst zu dem gemacht haben, was du bist.“ „Und wie bist du zu dem geworden, was du jetzt bist?“ Anya verschränkte abwartend die Arme, blickte dabei bewusst zur Seite. „Nicht, dass es mich interessieren würde. Aber offenbar bist du auch nicht gerade beliebt unter deinesgleichen. Genau wie ich. Der Unterschied zwischen uns ist nur, dass es mir so gar nichts ausmacht!“ Zanthe schloss die Augen. „Was spielt es für eine Rolle, darauf jetzt zu antworten? Du willst es nicht hören … und ich möchte auch nicht darüber nachdenken. Die Dinge sind ohnehin nicht mehr zu ändern.“ Ruckartig öffnete er seine Augen. „Jetzt ist nur wichtig, dass wir diesen Kampf beenden! Mach dich bereit …“ Er drehte die Karte zwischen seinen Fingern um, um sie anzusehen. Anya stand der Schweiß auf der Stirn. Bloß kein Monster, dachte sie. Das wäre fatal! Scheinbar dachte er dasselbe, denn er starrte gebannt die Karte zwischen seinen Fingern an. Doch die aufkommende Enttäuschung in seinen Zügen verriet, dass er wohl nicht gezogen hatte, was ihm vorschwebte. Trotzdem streckte er voller Ehrgeiz den Arm aus. „Los, Angel Wing, zerstöre ihren Partner, [Gem-Knight Pearl]! Seraphim Judgment!“ Der Drache lud in seinem Maul weiße Energie auf. Anya stöhnte. „Gute Nacht, Levrier. Das wird jetzt weh tun.“ Deine Anteilnahme rührt mich zu Tränen, Anya Bauer.   Pearl positionierte sich direkt vor Anya und hielt die Arme über Kreuz. Angel Wing schoss den Lichtstrahl ab, um welchen eine goldene Flammenspirale kreiste. Von jener wurde Levrier voll erfasst, doch trotz der Tatsache, dass er den Kampf verlieren würde, blieb er standhaft. Anya, die hinter ihm verharrte, murmelte leise: „Sorry … ich lass dich nicht zu lange warten, versprochen.“ Dann explodierte Pearl, Anya wurde zurückgeschleudert und landete auf dem Rücken.   [Anya: 200LP → 100LP / Zanthe: 400LP]   Ächzend richtete das Mädchen den Oberkörper auf, ihre Jeansjacke war mittlerweile schmutzig bis zum Gehtnichtmehr. „Ouch!“ Zanthe stand dort drüben, regungslos, umgeben von Bäumen, die genauso finster anmuteten wie die Schatten, die sie warfen. Das Licht, welches von den Hologrammen ausging und ihn anleuchtete, ließ den junggebliebenen Mann wie einen Geist wirken. „Du bist dran“, sagte er gefasst.   Anya ließ sich zurückfallen, stützte sich mit den Händen nach hinten ab, als wolle sie eine Rolle rückwärts machen, sprang dann aber nach vorne und landete auf den Füßen. Was man von Buffy so alles lernen konnte! „Das ist es!“, murmelte sie dabei fasziniert. „Was ist was?“ „Mein Herz rast vor Aufregung. Man, wie habe ich das vermisst!“ Den Nervenkitzel. Alles gewinnen zu können oder alles zu verlieren. Anya fühlte sich lebendiger denn je, wie sie erst jetzt erkannte. Duelle wie dieses, sie waren immer noch die besten!   Unbedarft zuckte sie mit den Schultern. „Da ich in meinem letzten Zug [Gem-Trade] aktiviert und zwei Karten gezogen habe, kann ich erst in zwei Runden wieder Karten durch die Draw Phase ziehen. Macht aber nichts, ich habe eh alles was ich brauche!“ Zanthe schnalzte mit der Zunge. „Ach wirklich? Zeig her.“ „Gerne, Flohzirkus!“, schrie sie und schwang den Arm aus. „Zunächst verbanne ich [Gem-Knight Pearl] von meinem Friedhof, um [Gem-Knight Fusion] von dort zu erhalten!“ Gesagt, getan. Levrier landete in ihrer Hosentasche, die Zauberkarte in ihrem nicht existierenden Blatt. Plötzlich sprang Anyas gesetzte Karte durch einen Knopfdruck an der Duel Disk auf. „Dann aktiviere ich meine verdeckte Karte [Return From The Different Dimension]! Bis zur End Phase kehren beliebig viele meiner Monster aus der Verbannung zurück, auch wenn mich das die Hälfte meiner Lebenspunkte kostet! Erscheint!“   [Anya: 100LP → 50LP / Zanthe: 400LP]   Eine ganze Reihe von Monstern tauchte vor Anya auf. Zuerst war da eine weibliche Ritterin in braun-grauer Rüstung, an deren Helm zwei lange Schleifen herab hingen. Neben ihr der hellblaue Ritter des Eises. In der Mitte befand sich ein Krieger in rot-schwarzer Rüstung, welcher einen Morgenstern an einer Kette schwang. An dessen Seite stand ein Krieger in goldener Rüstung, dessen schwarzer Umhang über dem Boden entlang schliff, als er mit seinen beiden Blitzdolchen wirbelte. Und das Schlusslicht? Das bildete Levrier.   Gem-Knight Lazuli [ATK/600 DEF/100 (1)] Gem-Knight Sapphire [ATK/0 DEF/2100 (4)] Gem-Knight Sardonyx [ATK/1800 DEF/900 (4)] Gem-Knight Topaz [ATK/1800 DEF/1800 (6)] Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4} OLU: 0]   Der weiße Ritter, um den sich seine sieben Perlen drängten, verschränkte die Arme. Gut gemacht, Anya Bauer. Nun beende es.   „Wie du willst, Levrier“, raunte jene voller bösartiger Vorfreude und zückte ihre [Gem-Knight Fusion], „jetzt lernst du mein bestes Monster kennen, Dreckstöle! Ich verschmelze Lazuli, Sapphire und Sardonyx!“ Sie streckte die Hand mit den vier Karten in die Höhe. „Drei Lichter kreuzen den Weg des Lichts! Körper, Seele und Herz verschmelzen und werden zu der Macht, die in ihrer Reinheit einem Diamanten gleicht! Werdet eins!“ Über dem Mädchen öffnete sich ein regelrechtes, funkelndes Loch, aus dem dutzende Edelsteine geflogen kamen. Die drei genannten Ritter stiegen als durchsichtige Abbilder ihrer selbst in die Luft auf, wurden absorbiert und verschwanden in dem Wirbel. Das war der Moment, indem Anyas rechte Hand in violetten Flammen aufging, ohne dabei die Karten zu versengen. „Werdet [Gem-Knight Master Diamond]!“ Ein bunter Blitz schoss aus dem Strom. Unter lautem Getöse wirbelte von dort ein riesiges Breitschwert in die Mitte des Spielfelds und blieb in der Erde stecken. Aus funkelndem Staub materialisierte sich genau dort ein prächtiger Krieger, der, nachdem er vollständig war, die mit sieben verschiedenfarbigen Edelsteinen besetzte Klinge an sich nahm. Seine silberne Rüstung reflektierte das Mondlicht, als er das wuchtige Schwert mit nur einer Hand schwang, während die andere, genau wie Anyas, in violettem Feuer brannte.   Gem-Knight Master Diamond [ATK/2900 DEF/2500 (9)]   Zanthe stand der Mund offen. Er konnte sie am ganzen Leib spüren, diese unglaubliche Macht, die von Anyas neuem Monster ausging. „Wo hast du diese Karte her!?“, verlor er die Fassung. „Das ist keine Paktkarte, so wie dein Pearl!“ „Das geht dich'n Feuchten an! Mach dich lieber auf dein Ende gefasst! Diamond bekommt für jeden Gem-Knight auf meinem Friedhof 100 Zusatzangriffspunkte, auch wenn er die eh nicht braucht!“ Die Edelsteine an dessen Klinge begannen zu strahlen.   Gem-Knight Master Diamond [ATK/2900 → 3600 DEF/2500 (9)]   „Diesmal wird dein blöder Drache endgültig das Zeitliche segnen!“, verkündete Anya selbstsicher und zog sich mit dem Daumen über die Kehle, als sie rief: „Abmarsch, [Gem-Knight Master Diamond]! Shining Wave Breaker auf [Angel Wing Dragon]! Rest in pieces, Miststück!“ Zanthe zupfte an seinem Kopftuch, sodass es fast die Augen verdeckte. Dann senkte er den Kopf, als Diamond sein Schwert in einer halbmondförmigen Bewegung ausschwang. Eine glitzernde Schockwelle löste sich von der Klinge, welche auf Angel Wing zusteuerte. Dabei riss sie den Boden mit elektrischen Ladungen auf. „Leb wohl“, murmelte Zanthe leise. Dann wurde sein Drache getroffen, regelrecht zerfetzt von der Wucht des Angriffs. Heftiger Wind schlug ihm entgegen, auch wenn er keinen Kampfschaden nahm. Damit war der Weg frei für den letzten Angriff. Und Zanthe streckte die Arme mit einem Male weit aus. „Töte mich! Beende meine jämmerliche Existenz!“ Kurz herrschte von Anyas Seite aus verwirrtes Schweigen über den plötzlichen Ausbruch des Werwolfs. „Tu es!“, verlangte dieser. „Tch, wenn du Dramarama schieben willst, mach's woanders!“, schnappte Anya und rollte genervt mit den Augen. „Du verstehst das nicht! Zu leben wie ein Hund! Sich verstecken zu müssen, weil man die Bestie in sich nicht herauslassen darf!“, fauchte Zanthe sie erstickt an. „Ich könnte auch einfach machen, was andere meiner Art tun und Menschen reißen! Aber worin würde ich mich dann von einem Monster unterscheiden!?“ Da platzte Anya unerwartet der Kragen. Wütend zeigte sie mit dem Finger auf ihn. „Oh, jammer jammer, bla bla, heul heul! Du bist ja so ein armes Seelchen und so bemitleidenswert, weil du dich, aufopferungsvoll wie du bist, in einer Höhle verschanzt! Nicht! Das ist doch alles nur selbstherrliches Getue, um zu kaschieren, dass du dich aufgegeben hast!“ „Das ist nicht wahr! Ich will nicht zu einer vollkommenen Bestie werden, so wie einige aus meinem alten Rudel! So viel Menschlichkeit will ich mir bewahren!“ „Oh Gott, du bist so menschlich, menschlicher geht’s doch kaum! So'n paar Klauen und Fangzähne machen dich nicht automatisch zu 'nem Monster!“ Anya schwang aufgebracht den Arm zur Seite aus. „Du hast doch nur Schiss davor, wieder ausgestoßen zu werden! In 'ner stinkenden Höhle bist du dein eigener Herr, keiner kann dir weh tun! Bloß wirst du da auch keinen Grund finden, warum das Leben Spaß macht! Selbst als Werwolf oder was auch immer!“ Zanthe weitete seine Augen, die unheilvoll golden aufzuleuchten begannen. „Hast du überhaupt eine Ahnung, wovon du redest!?“ „Und wie ich das habe! Meine beste Freundin ist eine Sirene! Als sie das erfuhr, hat sie sich fast in die Hose geschissen, weil sie Angst hatte, anderen weh zu tun! Und soll ich dir was sagen? Sie hat ihre Probleme in den Griff bekommen!“ Der Speichel flog regelrecht von Anyas Mund, wie sie ihre Moralpredigt hielt. „Und jetzt heul nicht 'rum, es wäre nicht dasselbe! Solche wie du machen mich krank, weil sie darauf warten, dass irgendein Ritter auf seinem hohen Ross sie retten wird! Aber weißt du was!? Der beste Weg gerettet zu werden ist der, zuzugeben, dass man auch mal daneben liegt! Und indem man seinen Arsch selbst bewegt, der Lösung entgegen! Manchmal muss man sich selbst retten!“ Pearl beziehungsweise Levrier sah in seiner holografischen Gestalt ausdruckslos herüber zu Anya.   Keine Sorge, ich werde niemandem davon erzählen, dass du gerade allen Ernstes versuchst, jemandem etwas Gutes zu tun. Aber ich fürchte, sein Leid ist tiefer verwurzelt.   Zanthes Augen gewannen wieder ihre normale Farbe zurück. Er ließ den Kopf hängen, erwiderte zerknirscht: „Wenn du das sagst …“ „Pft, du musst mir nicht glauben. Aber ich weiß, dass es immer Menschen gibt, die einen so akzeptieren werden wie man ist.“ Anya streckte den Finger in die Höhe. „Und genau deswegen werde ich dich auch nicht umbringen, Flohzirkus! Wenn du nämlich erstmal kapiert hast, dass ich Recht habe, wirst du mir die Füße küssen!“ Und das, so sagte sich Anya innerlich mit diabolischer Vorfreude inklusive Gottkomplex, würde sie sich nicht entgehen lassen. Nur deswegen redete sie ihm ins Gewissen, aus -absolut keinem anderen Grund-! Mit voller Wucht riss sie den Arm nach unten. „Levrier, gib ihm eine Kostprobe davon, was das Freundschaftsgeschwafel bei uns bewirkt hat! Direkter Angriff! Blessed Spheres of Purity!“   Wie du wünscht!   Wie ein Dirigent schwang Levrier den Zeigefinger. Eine nach der anderen begannen seine Perlen wie Kanonenkugeln auf Zanthe zuzufliegen. Der nach außen hin junge Mann schloss die Augen und atmete tief durch. Dann hagelte es Explosionen um ihn herum, als die leuchtenden Perlen in seinem direkten Umfeld einschlugen.   [Anya: 50LP / Zanthe: 400LP → 0LP]   Tiefer Rauch hüllte den Waldabschnitt ein. „Ah!“ Es kam so plötzlich, dass Anya nur die Augen aufreißen konnte. Wie von Geisterhand geführt hob sich ihr rechter Arm, streckte die Hand aus. Dann schossen dutzende Lichtstrahlen von dorther, wo Zanthe eben noch gestanden hatte. Dieser stieß einen gequälten Schrei aus, während die Lichtstrahlen in Anyas fingerlosen Handschuh verschwanden. Ehe sich das Mädchen versah, hielt sie das in der Hand, wonach sie so eifrig gesucht hatte. „Angel Wing …!“   Ein grelles Licht blendete sich urplötzlich. In unglaublicher Geschwindigkeit, so schien es, flog sie ihm entgegen. Um sie herum Mauern, nach links und rechts, das Labyrinth. Aber Anya glitt wie ein Geist durch die Wände. Und hörte verzerrte Stimmen. Nex … ssel … Real … i … tät … thex … Sie-Au … Undiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii … Das letzte Wort dröhnte derart in ihrem Kopf, dass sie die Hände gegen ebenjenen drückte. Es war so schnell vorbei, wie es gekommen war. Anya stand im Wald, nahm Levriers Worte nur unwesentlich zur Kenntnis.   Du hast es geschafft, Anya Bauer. Aber ich frage mich … zu welchem Preis.   Da die Hologramme inzwischen verschwunden waren, hörte sie Levriers Stimme nun in ihrem Kopf. Auch der Rauch verzog sich langsam. Zanthe torkelte verkrampft zurück, hielt sich die Brust und keuchte, sackte gar in die Knie. Er war leichenblass. „Krass“, murmelte Anya und bestaunte ihre Handschuhe. Plötzlich war ihr mulmig zumute, ihre Beine fühlten sich auf einmal wie Pudding an. War das so etwas wie eine Vision gewesen, was sie da gerade gesehen hatte? Aber sie stand aufrecht – als Sieger. Neugierig betrachtete sie die neugewonnene Karte des [Angel Wing Dragons] und sah dann überrascht auf, nachdem sie das Gefühl beschlich, dass sich ihre Umgebung verändert hatte.   Ihr war während des Duells nicht aufgefallen, wie der Himmel zunehmend heller geworden war. Zwar regierte immer noch die Nacht, doch am Horizont machte sich bereits das Licht der Sonne bemerkbar. Es sah irgendwie wunderschön aus, als würde man ihr mitteilen wollen, dass es Hoffnung gab. Sie hatte den ersten von sieben Siegen errungen – sie solle nicht aufgeben! Trotzdem war da auf einmal diese aufkommende Bitternis …   Zanthe raffte sich genervt stöhnend auf. „Gegen eine so durchschnittliche Duellantin wie dich verloren zu haben“, sprach er dabei und schüttelte seufzend den Kopf, „ist irgendwie demütigend. So demütigend, dass mir schlecht ist. Du hättest es echt durchziehen können, weißt du!?“ Erstaunt blickte er auf, als Anya überraschend geknickt den Kopf senkte. „Das musst du mir nicht sagen, du Möchtegern-Emo. Aber ... es gab eine Zeit, in der ich nicht einmal durchschnittlich war.“ „Huh?“ Sie ballte eine Faust. Die Gedanken an diese seltsame Vision verdrängte sie dabei. „Vor einigen Monaten noch konnte ich ohne die Hilfe eines Freundes nicht einmal ein Duell gewinnen. Und wäre er nicht gewesen, wäre ich immer noch so schlecht. Aber ich habe ein Ziel.“ Zanthe zog den Mund schief, Zweifel und Hohn schwangen deutlich in seiner Stimme mit. „Immer noch diese Duel Queen-Sache?“ Schlagartig sah Anya mit einer derartigen Inbrunst auf und verschränkte frech grinsend die Arme, dass ihr Gegenüber glatt für einen Moment vergaß, sie zu verspotten. „Verdammt richtig! Ich werde eines Tages die Surpreme Duel Queen sein! Das ist mein Traum! Solange werde ich überleben, ob es dir und den anderen Knalltüten passt oder nicht!“   Wann war dieser Wunsch überhaupt in ihr aufgekommen, fragte Anya sich dabei insgeheim. Als Marc ihr damals einen Korb gegeben hatte, war ihr alter Traum, seine Freundin zu werden, erloschen. Von da an war es nur noch der Kampf gegen Eden, dem sie sich gewidmet hatte. Aber nachdem auch diese Schlacht geschlagen war, wurde ihr Leben zunehmend öder. Irgendwann war die Schule vorbei, ihr Berufsleben fing an. Aber Anya Bauer als Verkäuferin? Nein! Sie war zu Höherem berufen! Und was könnte größer sein als der Titel der Duel Queen? Dass ihr das erst durch das Duell mit diesem Typen in aller Konsequenz aufgegangen war, mochte eine Fügung des Schicksals sein. Der Nervenkitzel, der Adrenalinschub, den sie all die Zeit unwissentlich vermisst hatte, er war zurückgekehrt. Und am stärksten war er dann, wenn man etwas zu verlieren hatte. Dieser Titel ... sie würde ihn an sich reißen, dachte Anya zuversichtlich. Diese anderen sechs Schwachmaten, die sie zu besiegen hatte, um ihre verlorene Lebenszeit zurückzuerlangen, sie waren die perfekte Gelegenheit für einen Testlauf! Zanthe lachte derweil amüsiert auf und fasste sich an den Kopf, ganz zu Anyas Missfallen. „Man, da hast du dir aber etwas vorgenommen. Duel Queen? Den Titel gibt es doch gar nicht! Aber ... irgendwie ist das interessant.“ Plötzlich grinste er auf dieselbe Weise, wie Anya zuvor. „So eine dumme Nudel wie du will eine unbesiegbare Duellantin werden? Das will ich sehen.“ „Mach dich weiter darüber lustig und du wirst bald vor lauter Graberde gar nichts mehr sehen!“ Jedoch winkte Zanthe unbekümmert ab. „Was auch immer.“ Unerwartet trübte sich sein Gesichtsausdruck, er blickte nachdenklich nur Seite und schien scheinbar mit sich zu ringen. Dann schnaufte er.   Ehe Anya sich versah, kam er schnellen Schrittes auf sie zu und reichte ihr die Hand. „Gratulation!“ „W-was?“ „So macht man das, wenn man verloren hat. Sieh es als deine erste Lektion in Sachen Duel Queen an, du blutige Anfängerin“, maulte Zanthe, zwinkerte aber dabei, „und danke übrigens, dass ich dich ab heute begleiten kann.“ „W-was!?“, platzte es aus Anya heraus, die sofort zurückwich. „Du willst mit mir kommen!? Ich glaub, Levrier hat wohl etwas zu doll zugehauen! Warum sollte ich dich mitnehmen!? Eben wolltest du noch sterben, schon vergessen!? So hast du mir übrigens wesentlich besser gefallen!“ „Ganz einfach. So hohl wie du bist, muss irgendjemand auf dich aufpassen. Außerdem“, sprach Zanthe und sah über die Schulter herüber zu der Höhle, in der er lebte, „habe ich mich lange genug versteckt. Da du sehr überzeugt von deinen Worten warst, will ich herausfinden, ob etwas dran ist.“ Sich wieder zu Anya umdrehend, schnappte er sich ihre Hand und schüttelte sie fest. „Danke, dass du gesagt hast, was du denkst. Andere hätten sich nicht die Mühe gemacht.“ „I-ich hab gar nichts gemacht, 'kay!?“ Sofort riss sie den Arm wieder weg und drehte sich demonstrativ zur Seite. „Was interessiert mich auch deine kümmerliche Existenz, Flohzirkus? Den Gedanken, mich zu begleiten, kannst du dir abschminken!“ „Und wie willst du mich dran hindern?“, fragte Zanthe schnippisch. „Also, indem ich … wie kommst du überhaupt darauf!? Ich bin deine Feindin!“ Der dunkelhaarige, junge Mann zuckte entspannt mit den Schultern. „Nun, jetzt nicht mehr, Angel Wing gehört dir. Außerdem scheinst du viel rumzukommen auf dieser Reise, was für mich durchaus von Vorteil sein könnte.“ Skeptisch, gleichwohl aber auch neugierig, blickte Anya über ihre Schulter zu ihm herüber. „Wie meinst du das?“ „Ich will“, erwiderte Zanthe leise und sah ihr dabei entschlossen in die Augen, „wieder ein ganz normaler Mensch sein. Sprich: ich suche nach einem Gegenmittel und du wirst mir dabei helfen.“ Anya blinzelte zweimal verdutzt. Dann wandte sie sich ab. „Pah! Tu was du willst, aber wenn du denkst, dass ich dir dabei helfen werde, irrst du! Ich habe meine eigenen Sorgen!“ Fühlt sich da jemand etwa an die eigene Situation erinnert? Im Turm von Neo Babylon?   Als Levrier neben ihr auftauchte, zischte Anya leise. Mittlerweile kannte er sie zu gut, als dass er noch mit seinen Vermutungen falsch lag. Aber deswegen musste er sie doch nicht gleich laut aussprechen, dieser Idiot! „Außerdem wüsste ich nicht mal, wie …“, fügte sie dann nachhaltig noch an. Zanthe jedoch lachte nur auf, sprang sie von hinten an und legte seinen Arm um ihre Schulter, stieß ihr mit der Faust kumpelhaft in die Rippen. „Das ist mir auch klar, so viel kann man nicht von jemandem wie dir erwarten.“ „Fass mich nicht an, schon gar nicht von hinten!“, fauchte Anya erzürnt und hielt sich die schmerzende Stelle, während sie erfolglos versuchte ihn abzuschütteln. Der hatte doch garantiert absichtlich so hart zugestoßen, verdammte kacke, tat das weh! „Sorry Anya, aber ich steh nicht auf dich“, palaverte Zanthe jedoch unbekümmert und schleifte sie unter seinem regelrechten Schwitzkasten weiter Richtung Höhle, „Weiber sind nichts für mich.“ „Das sehen die sicher genauso!“, röchelte sie und versuchte krampfhaft, sich zu befreien, scheiterte aber an seinem eisernen Griff. „Lass mich lo-“ „Lass sie sofort los!“ Beide hielten erstaunt inne, als ein Lichtkegel sie von hinten anleuchtete. Der Werwolf ließ Anya gehen, als die beiden erstaunt herum wirbelten. „Nick!?“ „Wen haben wir denn da? Ist das dein Lover?“, gluckste Zanthe beim Anblick des groß gewachsenen Sandkastenfreund Anyas, welcher hinter einem Baum hervor trat und sie mit der Taschenlampe anstrahlte. Mit wütendem Gesichtsausdruck stampfte der Harper-Spross auf die beiden zu. „Was willst du hier?“, blaffte Anya ihn überrumpelt an. „Ich dachte du bist im Hotel und tust Nerdzeugs!“ Vor ihr angekommen, strafte er sie mit einem missbilligenden Blick. „Das wollte ich auch, aber dann ist mir mittendrin eingefallen, dass du dich spielend leicht in ernste Schwierigkeiten bringst. Und da bin ich-“ „Mit mir mitgekommen. Das ist doch, was dir auf die Zunge liegt, lieber Nick Harper.“   Nick drehte sich mit grimmiger Miene herum. Hinter ihm traten noch zwei Personen hervor. Es waren der rothaarige Sammlerdämon und sein Diener Kyon. Der Brite stellte sich neben den größeren Nick und tat lediglich so, als würde er ihm die Schulter klopfen. Zu groß war wohl die Gefahr, sich Bakterien von ihm einzufangen, daher musste diese mehr als seltsame Geste reichen. „Ich war auf dem Weg zu dir, Anya Bauer, und da habe ich ihn aufgegabelt, wie er gerade in ein Taxi steigen wollte“, erklärte der Sammler ohne Umschweife. „Uhh, ich hoffe, ihr habt nicht irgendwo einen kleinen Zwischenstopp eingelegt“, scherzte Zanthe und machte einen Schritt nach vorn, wobei er seine dicken Augenbrauen in eindeutiger Manier auf und ab bewegte, „wenn ihr wisst, was ich meine.“ Nick schnaubte. „Ich weiß es nicht und will es auch nicht wissen! Du hättest tot sein können, Anya! Als er-“ „Ja ja, das könnt ihr später klären, ich habe nicht viel Zeit.“ Der Sammler ging bedachten Schrittes herüber zu Anya. Welche bisher nur verdattert geglotzt hatte. Was wollte dieser Typ denn ausgerechnet jetzt von ihr!?“ „Herzlichen Glückwunsch zu deinem ersten Sieg“, sagte der Rotschopf vor ihr angekommen, „du hast dich wacker geschlagen. Deswegen habe ich eine Belohnung für dich.“ „Was immer es ist, ich will es nicht!“, raunte Anya nun, um nun auch zu Wort zu kommen. „Nun, dann gib sie doch deinen Freunden.“ In die Innentasche seines feinen Sackos greifend, holte er daraus vier Karten hervor. Er reichte sie Anya, die ihren Gegenüber ansah wie eine Kuh, wenn es donnerte. Zanthe gesellte sich dazu, beugte sich über die Karten und blinzelte verdutzt. „Das ist unfair, von denen kann ich keine gebrauchen!“ Anya schien, nach einer kurzen Denkpause, plötzlich doch an der unerwarteten Gabe interessiert, was man allerdings eher ihrer angeborenen, manchmal schier unermesslichen Gier zuschreiben konnte statt etwa tatsächlicher Überlegung. „Wieso gibst du mir die?“ „Du wirst sie brauchen. Oder eher deine Freunde. Nimm sie oder nicht, mehr kann ich momentan nicht für dich tun. Außer du zählst meine schiere Anwesenheit ebenfalls dazu.“ „Tch, gib her!“, fauchte sie schlussendlich und riss ihm die vier Karten aus der Hand.   Derweil standen Kyon und Nick nebeneinander. Letzterer war es, der dem schwarzhaarigen Diener des Sammlers einen scharfen Seitenblick zuwarf. Und ihm fiel auf, dass jener völlig auf Zanthe fixiert war. Als Kyon bemerkte, wie feindselig Nick ihn ansah, schloss er die Augen. „Wenn ich du wäre …“ „Ja?“ „Kyon. Wir gehen“, hallte es da vom Sammler dazwischen. „Schon gut“, winkte dessen Diener schließlich ab, „nicht alles muss ausgesprochen werden, damit der andere versteht, was nicht sein sollte.“ Nick blinzelte verwirrt ob dieser kryptischen Worte. War das …?   Kyon und der Sammler trafen sich in der Mitte. Der Dämon wandte sich noch einmal an Anya, während Kyon mit einem Handschwenk eines seiner Portale hinter ihnen öffnete. „Ich wünsche dir noch weiterhin viel Erfolg auf deiner Suche, Anya Bauer“, sagte der Collector feierlich, „wenn die Zeit gekommen ist, werden wir uns wiedersehen und deine Fortschritte auswerten. Bis dahin verabschiede ich mich von dir.“ „Kch, verpiss dich bloß!“, zischte Anya böswillig mit den Karten in ihrer Hand. Zanthe trat überraschend vor das Mädchen. „Überlass' sie mir, Opa. Mit mir an ihrer Seite kann sie gar nicht scheitern.“ „Die Glückliche“, kommentierte Kyon das Ganze geheimnisvoll. Dabei warf er dem Sammler, der vergnügt grinste, einen argwöhnischen Blick zu. Dann sagte er: „Meister, wir müssen gehen.“ „Natürlich. Also dann, wir werden uns hoffentlich bald erneut zu einem kleinen Plausch treffen. Bleibt bis dahin am Leben, ihr alle.“ Die beiden drehten sich um und durchquerten das Portal, aber nicht, bevor der Sammler sich noch einmal umdrehte und jemanden eindringlich ansah. Und zwar Nick, wobei er das „ihr alle“ besonders betonte. Anschließend verschwanden die beiden hinter dem Tor, das leise verpuffte.   Nun waren es nur noch Anya, Zanthe und Nick. Die Sonne war fast aufgegangen. „Kennst du diesen Kyon?“, fragte Nick ohne Umschweife. „Ja, dich mein ich.“ Zanthe schürzte die Lippen, als ihm zugenickt wurde. „Nein, nie zuvor gesehen. Aber von dem Ginger hab ich schon viel gehört. Eins muss man deiner Freundin lassen, selbst im Anblick des Todes auf zwei Beinen riskiert sie eine kesse Lippe.“ Nick kommentierte das nicht weiter. Einzig sein grimmiger Gesichtsausdruck verriet, dass er Zanthe kein Wort zu glauben schien. „Was auch immer“, raunte Anya und stemmte die Hände in die Hüften, „die wichtigere Frage ist: wie kommen wir jetzt zurück zum Hotel?“ „Mit deinem Handy, wir rufen ein Taxi“, antwortete Nick ihr, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Als Anya aber ihre Taschen durchforstete, machte sie große Augen. „Ich glaub, ich hab das Teil verloren. Dann nehmen wir halt deins.“ „Siehst du ein Headset auf meinem Kopf?“ Leicht verärgert zuckte Nicks Augenbraue. „Ein eigenes Handy habe ich nicht, aus gutem Grund.“ Zanthe seufzte. Ratloses Schweigen.   ~-~-~   Anya ließ sich missmutig auf die Kante ihres Betts fallen. Der mehrstündige Marsch zurück ins Hotel hatte sie völlig ausgelaugt. Selbst ein Nick war schließlich machtlos, wenn er keinen Zugang zur Technik besaß. Während des Rückwegs hatten die Drei zwar wenig gesprochen, dennoch das Wichtigste untereinander ausgetauscht. Nick und Zanthe mochten sich nicht besonders, das war Anya schnell aufgefallen. Aber sie würden miteinander auskommen müssen. So ein Werwolf könnte durchaus noch praktisch werden, hatte sie nach einer Weile entschieden. Sich die Schulter reibend, fasste sie zusammen: „Okay, eine haben wir, sechs bleiben noch. Ich hab die Schnauze voll von Dice! Was kommt als Nächstes, Nick?“ Jener drehte sich auf dem Stuhl vor seinem Laptop zu ihr um und schielte sie mit halboffenen Augen sonderbar tadelnd an. „Du weißt genau, was.“ „Nein?“, erwiderte Anya. Zanthe, der die beiden vom Türrahmen aus beobachtete und nebenbei seinen Seemannsrucksack absetzte, spürte die seltsame Spannung. Anyas Ton hatte sich minimal verändert, war etwas heiserer geworden. Es war klar, dass sie log. „Doch, das weißt du“, sagte Nick mit Nachdruck. „Ich will aber nicht!“, platzte es aus seiner Kindheitsfreundin heraus, die vom Bett wild gestikulierend aufsprang. „Alles, nur das nicht!“ „Wir müssen.“ „Nein!“ Dem Dritten im Bunde wurde dieses Spiel jedoch sehr schnell langweilig, weswegen er dazwischen rief: „Darf ich auch erfahren, worum es hier geht oder muss ich erst einem von euch das Gehirn rausfressen?“ Sofort fragte Anya fasziniert: „Hast du das schon mal gemacht? Kann man damit Gedanken der Person lesen?“ Zanthe winkte spielerisch ab. „Ach bitte-“ „Das interessiert jetzt nicht“, ging Nicks Stimme scharf dazwischen, „das Thema ist ernst.“ „Müssen wir gegen Graf Dracula kämpfen oder was?“, scherzte Zanthe jedoch weiter. „Den kenne ich nicht persönlich, aber dafür einen anderen Vampir. Und mit Verlaub, der Typ ist eine Zumutung.“ „Pah“, rümpfte Anya jedoch die Nase, „schön wär's! Es ist viel schlimmer als das!“ Überrascht kratzte sich Zanthe am Kopf. „Sieh an.“ „Wir müssen zurück nach Livington“, brummte das Mädchen missgelaunt und zog eine Miene, als würde man ihr gerade Nicks mindestens ein Jahr lang nicht mehr gewaschene Unterhosen unter die Nase halten. „Dort steigt in einer Woche die Hochzeit von Redfield … und ich bin eingeladen. Das hat die doch mit Absicht gemacht!“   Was dafür sorgte, dass Zanthe nach kurzer Überlegung anfing, beim Gedanken an Anya und Hochzeitseinladung mädchenhaft zu kichern, während Nick sich stöhnend die Hand vor die Stirn schlug. Keiner von den beiden ahnte, dass Nick bewusst die Frage nach der zweiten Zielperson aus dem Weg ging. Er kannte sie immerhin … nur wie sollte er sie jemals finden? Bloß war das nichts, was er Anya zeigen durfte. Nicht ihr!     Turn 42 – Demon Goddess Zurück in Livington, wollen sich Anya und Co von den Strapazen der Reise erholen, da bis zu Valeries Hochzeit noch etwas Zeit ist und sie erst weitere Anhaltspunkte für die nächste Zielperson sammeln müssen. Allerdings wird der Ruhepause ein jähes Ende gesetzt, als Anya am Folgetag mitten in ihrem Zimmer einer verhüllten Person begegnet, die einen sehr von Anya geschätzten Gegenstand mit sich nimmt. Die daraus entstehende Verfolgungsjagd quer durch Livington mündet darin, dass Nick den Übeltäter in einer Seitengasse stellt. Doch jener …   Kapitel 47: Turn 42 - Demon Goddess ----------------------------------- Turn 42 – Demon Goddess     „Hier wohnst du also?“, erkundigte sich Zanthe und sah sich in Anyas unaufgeräumtem Zimmer eingehend um. „Irgendwie habe ich genau das erwartet. Blutige Poster, Spielkonsolen en masse, überall Klamottenstapel, einen aufgemotzen Baseballschläger neben dem Bett … der sieht ja noch schärfer aus als der letzte.“ „Halt die Klappe!“, raunte die Besitzerin dieses chaotischen Reichs und schmiss ihren Koffer neben das Bett, auf welches sie sich anschließend niederließ. Es war schon schlimm genug, dass sie 'Ken' nicht aus Dice hatte mitnehmen können, Flugkontrollen und der ganze Scheiß. Da musste er jetzt nicht noch Salz in die Wunde streuen! 'Barbie' würde wohl weiterhin Single bleiben …   Endlich wieder zuhause, dachte sie, streckte sich und atmete tief durch. Die letzten Tage waren anstrengend gewesen, die Begegnung mit Kyon und dem Sammler, der Kampf gegen Zanthe … die ganze nächste Woche hin bis zu Redfields Hochzeit würde sie ausspannen. Zumindest wollte sie das gerne, aber dummerweise hatte sie Verpflichtungen, die sich Arbeit schimpften. Jetzt stand aber erst einmal das bevorstehende Wochenende auf dem Programm! Da Valeries Hochzeit erst am nächsten Freitag stattfand und sie von ihrer Mutter schon gehört hatte, das ihre Erzrivalin samt Verlobten Marc bereits aus Florida eingeflogen war und dafür eigens ihr Studium unterbrochen hatte, wollte sie die verbliebenen, kitschfreien Tage für sich selbst nutzen! Und nur für sich! Während Nick unten noch den Taxifahrer bezahlte, der sie vom Flughafen hierher chauffiert hatte, überlegte Anya, wie sie diese mehr oder weniger freien Tage verbringen wollte.   „Und wo soll ich schlafen?“, unterbrach Zanthe sie gerade bei der Vorstellung, wie sie zwischen den Regalen der Videothek entlang schlenderte und sich ein paar nette, nicht jugendfreie Ballerspielchen auslieh – lies, erst zurück brachte, wenn der Laden pleite war. Er stand auf der Türschwelle und wartete. Voller Unverständnis reckte Anya den Kopf in seine Richtung und sah ihn an, als stamme er von einem anderen Planeten. „Was?“ Mit den Augen rollend, verschränkte ihr Gegenüber die Arme und lehnte sich schräg an den Türrahmen. „Ein Hotel kann ich mir nicht leisten.“ „Niemand hat dich gebeten mitzukommen“, erwiderte Anya gallig, die schon ahnte, worauf das hinauslaufen würde, „nicht mein Problem!“ „Ich werde wohl kaum Nick fragen können, ob ich bei ihm bleiben kann. Er kann mich nicht ausstehen.“ „Kann ich auch nicht, also wo liegt das Problem? Frag jemand anderen!“ „Ich kenne niemanden!“ Eilig rutschte der junge Mann auf den Knien zum Bettrand. „Bitte Anya, ich brauche deine Hilfe! Du bist doch die allerbeste, netteste und warmherzigste Person in Livington! … okay, das war gelogen, aber du weißt, was ich meine.“ Die Blondine wusste nicht, ob sie ihn wegen der Schleimspur oder dem „nett“ erschlagen sollte. Aber selbst wenn sie ihre Gleichgültigkeit seiner Lage gegenüber abstreifen könnte, reichte schon ein einziger Grund aus, warum sie ihm unmöglich Unterschlupf gewähren konnte. „Das geht nicht! Mum würde mich umbringen!“ „Ich kann mich als dein Freund ausgeben“, schlug Zanthe mit schelmischen Grinsen vor.   Welches eine ganz und gar schiefe Form annahm, als Anya ihm mit voller Wucht die Faust gegen die Wange donnerte. Kaum schlug er auf dem Boden auf, spürte er schon, wie sich das Mädchen auf ihn setzte und am Kragen packte. „Nie-im-Leben!“, fauchte sie, wobei ihre Augen gefährlich aus den Höhlen traten. „Nur'n Witz!“, lächelte er beschwichtigend und schob die Hände nach vorn, an ihren Armen vorbei. „So tief würde ich niemals sinken.“ „Was!? Bin ich etwa nicht gut genug für dich!?“, kreischte sie außer sich und schüttelte ihn heftig. „Nicht ansatzweise! Außerdem bist du 'ne Frau, Gerüchten zufolge jedenfalls!“ Gerade wollte Anya mit Speichel vor dem Mund zum Würgegriff ansetzen, da wurde sie von hinten gepackt und fortgerissen. „Lass mich los, Nick!“, keifte sie und versuchte nach dem am Boden liegenden Zanthe zu treten, leider erfolglos. Ihr hochgewachsener Freund stöhnte, während er die einen Kopf kleinere Anya unter Mühen wegzerrte. „Sobald du aufhörst, ihn umbringen zu wollen.“ „Als ob sie das könnte“, setzte Zanthe nach und löste damit einen wütenden Kreischanfall bei der Furie in Menschengestalt aus. „Dich reiß ich in Fetzen, bis du selbst unterm Mikroskop nicht mehr zu erkennen bist, elende Mistmade! Wenn ich erst deinen Hohlschädel wie eine Nuss geknackt habe, wirst du schon sehen, was du davon hast, eine Anya Bauer zu beleidigen! Und jetzt lass mich gefälligst los, Nick, ehe ich dir sehr, sehr weh tun muss!“ „100$ damit du aufhörst“, bot dieser und hielt Anya prompt den versprochenen Schein vor die aufgerissen Guckhöhlen, welcher sie ohne Verzug einhalten ließ. Er schwenkte den Zaster verführerisch vor ihrer Nase hin und her.„Na? Na?“   Als sie aber nach ihm schnappen wollte, zog Nick ihn weg und ließ von Anya ab. „Der ist dafür, dass du ihn bei dir wohnen lässt. Die Idee mit dem Freund ist gar nicht so schlecht, wenn man bedenkt, wie sehr sich deine Mutter wünscht, dich endlich vergeben zu sehen“, taktierte Nick und schritt durch das Zimmer. „Ihr werdet ja nicht gleich den Bund fürs Leben schließen, oder?“ Die Antwort kam synchron. „Niemals!“ Anya und Zanthe folgten ihm mit entgeisterten Blicken, bis er sich zu ihnen umdrehte. „Hört mal“, meinte Nick beruhigend, „ich werde eine Weile brauchen, bis ich den nächsten Kandidaten auf der Liste ausfindig gemacht habe. Solange wäre es toll, wenn ihr euch nicht gegenseitig zerfleischen würdet.“ Zanthe raffte sich schließlich auf und rieb sich dabei den Hals. „Mir ist es egal. Ich kann auch unter der Brücke schlafen, wenn sie will.“ „Anya?“, hakte Nick mit einem scharfen Blick auf seine Freundin gerichtet nach. Die rümpfte die Nase. „Pft! Solange er nicht mit dieser Freund-Nummer kommt, kann er meinetwegen hier bleiben, wir haben eh 'n Gästezimmer frei. Ich tische Mum schon irgendwas auf. Und jetzt gib mir die Kohle, Harper!“ „Geht doch“, lobte Nick die beiden, stützte sich mit einer Hand an Anyas Schreibtisch ab und richtete sein Wort an Zanthe, wobei er den Schein dort liegen ließ, „wie sieht's aus. Ist der Magen voll?“ „Macht so schnell keine Probleme“, winkte der ab. „Das hoffe ich für dich. Dann würde ich vorschlagen, ruhen wir uns nach dem anstrengenden Flug erstmal für heute aus. Ich melde mich bei dir, wenn ich was Neues in Erfahrung bringe, Anya.“ „D-danke.“   So geschah es, dass Nick sich von den beiden verabschiedete und mit dem noch wartenden Taxi nach Hause fuhr. Anya zeigte Zanthe das Gästezimmer, einigte sich nur mühevoll mit ihm auf die Erklärung, er wäre einer von Abbys Stiefbrüdern – Mrs. Bauer hatte nämlich so ihre Schwierigkeiten, jene auseinander zu halten – und müsse erst einmal hier bleiben, weil sein Zimmer im Haus der Masters gerade renoviert wurde. Als Anyas Mutter von ihrer Arbeit schließlich nach Hause kam, nahm sie die Erklärung ihrer Tochter wie üblich überhaupt nicht ab und vermutete zunächst, dass es sich bei Zanthe um eine Geisel handelte. So eine hatte Anya mit Leslie Connors aus ihrem Mathematikkurs nämlich vor Jahren schon einmal genommen und tagelang gezwungen, so zu tun, als wäre jene freiwillig hier. Schließlich war Leslie durch einen glücklichen Zufall die Flucht gelungen, als Anya gerade dabei war, das Haarfärbemittel ihrer Mutter im Bad zu suchen. Was sie damit vorgehabt hatte, darüber sprach Leslie selbst heute noch nicht. Letztlich war es Anya dann aber doch gelungen, ihre Mutter von ihren reinen Absichten zu überzeugen, wenn auch eine gewisse Skepsis geblieben war. Die allerdings aus dem Weg geräumt wurden beim gemeinsamen Abendbrot, wo Zanthe sich tatsächlich wie ein Klon Abbys verhielt – friedlich, freundlich und geschwätzig. Anschließend zockten die beiden noch zusammen in Anyas Zimmer Duel Monsters, wobei die Gastgeberin ohne Levriers Hilfe Schwierigkeiten hatte, mit Zanthe mitzuhalten.   „Zehn zu zehn“, schloss Zanthe, nachdem er mit [Constellar Pleiades] den ausgleichenden Sieg einfahren konnte. Zusammen hockten die beiden inmitten des Zimmers und duelliert sich auf einem Spielplan, den Anya mal aus irgendeinem Starterdeck erhalten, aber nie benutzt hatte. Das Mädchen gab einen frustriert Laut von sich. „Man, ich hab keinen Bock mehr! Ich glaube, ich geh pennen!“ Zanthe warf einen Blick herüber zum Wecker, der auf Anyas Nachttisch stand. „Schon 2 Uhr. Wäre wohl das Beste. Ich geh auch schlafen.“   Beide erhoben sich. Zanthe steuerte auf die Tür zu und drehte sich noch einmal um, da fiel ihm auf, dass Anya abgelenkt etwas auf ihrem Schreibtisch anstarrte. Und zwar nicht etwa den Geldschein, der immer noch dort lag. Also ging er zurück und sah über ihre Schulter. Neben einem Foto, was wohl Anyas Abschlussklasse vor der Kulisse eines großen, weißen Anwesens abbildete, lag am hinteren Rand des Schreibtisches auch eine silberne, fragile Krone, die schon ein wenig eingestaubt war. „Was ist das?“, erkundigte er sich neugierig. „Die habe ich bekommen, weil ich Ballkönigin geworden bin“, antwortete Anya tonlos. Zanthe konnte sich einen Lacher nicht verkneifen. „Du!?“ „Ich hab sie mir erkämpft. War das beste Duell meines Lebens.“ „In einem Duell? Wusste nicht, dass Ballköniginnen so gewählt werden, aber okay.“ Er wollte nach der Krone greifen, um sie sich genauer anzusehen, doch wurde von Anya am Handgelenk gepackt. „Fass das nicht an“, knurrte sie plötzlich zornig. „Oookay?“, erwiderte er und zog den Arm zurück, sie ließ es geschehen. Irgendwie benahm sie sich auf einmal seltsam, schoss es ihm dabei durch den Kopf. Vielleicht wäre es besser, wenn er sie jetzt wirklich alleine ließ. „Also ich bin dann mal schlafen“, meinte er schulterzuckend und drehte ab, „gute Nacht.“ „Nacht“, murmelte sie, gewann dann aber ihren typischen Biss zurück, „und wehe, du spannst, während ich schlafe.“ Was der junge Mann mit dem Kopftuch auf dem Haupt nur lachend quittierte. „Glaub mir, das ist mit das Letzte was ich sehen will.“ Damit schritt er aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich.   ~-~-~   „Das sieht aber lecker aus“, staunte Sheryl, als Zanthe am nächsten Morgen gegen neun Uhr mit einer Bratpfanne bewaffnet zum runden Holztisch der kleinen Küche schritt. Dort drinnen brutzelten formschöne Spiegeleier mit etwas Basilikum garniert, die Zanthe vorsichtig auf einen Teller hievte. Zum Glück war Anya noch in ihrem Zimmer, sonst hätte sie sicher einen abfälligen Spruch abgelassen, dachte der schwarzhaarige, junge Mann erleichtert. Der konnte man sicher auch beim Essen nichts recht machen. „Meine Mum ist die beste Lehrerin, die man sich vorstellen kann“, log Zanthe nebenher ohne Rot zu werden, „sie hat mir alles beigebracht. Nur bei Fleisch, Fisch und Dergleichen bin ich noch ein unbeschriebenes Blatt.“ Die Mitvierzigerin, deren dunkelblondes, gelocktes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden war – Sheryl kopierte neuerdings die Frisur ihrer Tochter – lachte mitfühlend auf. „Oh, das glaube ich dir gern. Deine Mutter ist in der Hinsicht sehr streng, war sie schon immer. Wenn du möchtest, bereite ich dir heute zum Mittag ein saftiges Steak zu.“ Zanthe stellte die Pfanne auf die Herdplatte in der Küchenzeile zurück, drehte sich um und rieb sich verlegen mit dem überproportionalen Kochhandschuh an seiner Rechten den Hinterkopf. „Wirklich? Ich weiß nicht …“ „Du solltest es zumindest probieren.“ „Also gut“, grinste er, „wenn Sie schon ein so nettes Angebot machen, wie könnte ich da ablehnen?“   Die beiden wurden in ihrem Plausch unterbrochen, als es an der Tür klingelte. „Ich gehe schon“, sagte Sheryl und erhob sich von ihrem Platz, zog nebenbei ihren dünnen, beigen Poncho etwas zurecht, da dieser verrutscht war. Wenige Minuten später kam sie wieder, in Begleitung Nicks, der sofort die Nase in die Höhe reckte und zu schnüffeln anfing. „Riecht das gut!“ „Oh, du hier?“ Zanthes gute Laune war wie verflogen. Gezwungen höflich fragte er: „Was gibt’s denn?“ „Anya hat noch die Unterlagen, die ich für die Recherche brauche“, antwortete Nick, „ich wollte nachher damit anfangen. Aber gegen eine Einladung zum Frühstück hätte ich nichts einzuwenden, hehe.“ „Oh, gerne doch, Nick. Setz' dich“, bot Sheryl ihm lächelnd an, wobei sie ihm mütterlich über den Rücken strich. „Was recherchierst du denn?“ Nick gluckste, als er sich zusammen mit Anyas Mutter am runden Tisch niederließ. „Die Auswirkungen von Videospielen auf den Charakter, Mrs. Bauer.“ „Ahja?“, staunte die und stöhnte. „Na dann ist Anya wohl die beste Wahl als Forschungsobjekt. Du hast wohl auch Duel Monsters miteinbezogen?“ Nick hob seinen Arm an, an dem eine Duel Disk befestigt war. „Nein, die hab ich aus einem anderen Grund mitgenommen. Anya soll mich damit verdreschen, damit ich auch das Maß ihrer Kraft einschätzen kann, hehe.“ „W-wie du meinst“, stotterte Sheryl irritiert. Strich. Als solchen konnte man Zanthes Mund bezeichnen, denn der hatte sehr wohl etwas dagegen einzuwenden, dass er für diesen Typen jetzt auch noch kochen durfte. Nick konnte ihn nicht leiden. Und er konnte Nick nicht leiden. Hauptsächlich deshalb, weil er etwa so humorvoll war wie Margarethe Thatcher während ihrer Amtszeit. Das waren noch Zeiten … aber dass er, Zanthe, ein Werwolf war, nahm Nick ihm offenbar noch zusätzlich übel. Und die Duel Disk hatte er sicher auch nicht ohne Grund mitgenommen. Der war hier um zu bleiben. „Ich mache noch ein paar Eier“, meinte jener wenig begeistert und wandte sich wieder dem Herd zu. Mit dem festen Vorsatz, sie anbrennen zu lassen.   Er sollte aber nicht dazu kommen, denn ein dumpfes Poltern und aufgebrachtes Geschrei rissen die Drei aus ihrer mehr oder weniger harmonischen Stimmung. „Oh man“, stöhnte Zanthe, der gerade die Eier in die Bratpfanne schlagen wollte, „hat sie wieder einen Wutanfall?“ „Der Anya-Muffin hat bestimmt wieder ein Spiel verloren“, gluckste Nick und erhob sich, „ich gehe sie mal eben retten.“ Weiteres Geschrei erschütterte die Gemäuer des kleinen, zweistöckigen Einfamilienhauses. Sheryl seufzte schicksalsergeben. Derart infernalisches Gebrüll war sie schon seit den Tagen gewohnt, als Anya noch im Kinderwagen gelegen hatte. „Mach das, Nick. Sag ihr, sie soll runterkommen, sonst frühstücken wir ohne sie.“   Vergnügt pfeifend schlenderte Nick von der kleinen Küche ins Wohnzimmer, ab in den Flur und die Treppen hoch, wo er scharf nach links abbog und sich vor der Tür wiederfand, an der schon ein gelbes Warndreieck mit „Keep out!“-Schriftzug angebracht war. Darunter war mit roter Farbe, die eindeutig Blut darstellen sollte, noch vermerkt: „Oder es ist das Letzte, was du tust!“ Sich von der Warnung nicht weiter beeindrucken lassend, verschaffte sich Nick Einlass – und stieß ungewollt mit der Tür gegen Anya. „Ich bin gerade beschäftigt!“, fauchte die, noch in Boxershorts und Pyjamahemd eingekleidet. Und einer halb geflickten, schwarzen Lederjacke, an der noch die Nähnadel samt Garn hing. Sofort fiel Nick ihre verkrampfte Haltung auf – und Barbie, ihr mit Nägeln und Rasierklingen bespickter Baseballschläger, den sie wie ein Schwert vor sich hielt. „Gib das her!“, verlangte Anya, die offenbar beim Flicke ihrer Jacke eingeschlafen war, zornesrot im Gesicht. Erst jetzt wanderte Nicks Blick über das mit Tretminen in Form von Wäschebergen, Comicheften und anderen Sachen überfüllte Zimmer herüber zu Anyas Schreibtisch. Auf dem eine maskierte Gestalt in schwarzer Kutte in der Hocke verharrte. In ihren Händen hielt sie Anyas Abschlusskrone. „W-was!?“, stammelte Nick und stellte sich neben Anya. „Wer ist das!?“ „Keine Ahnung, als ich aufgewacht bin, war der Dreckskerl einfach da“, knurrte sie und ließ jenen nicht aus den Augen, „muss durchs Fenster gekommen sein!“ Jenes, welches direkt neben dem unordentlichen Schreibtisch zu finden war, stand sperrangelweit offen. „Das kann nicht sein …“ Nick war sich sicher, dass man unmöglich bis nach dort oben klettern konnte, dafür gab es zu wenig Halt an der Hausfassade. Zudem niemand so dumm sein würde, weil Anyas Fenster der Straße zugewandt war. Kein Mensch bei klarem Verstand würde mitten am helllichten Tag ein Haus, dazu noch -dieses- Haus, hochklettern – niemand außer Anya zumindest, bei der wäre das nicht weiter ungewöhnlich. Bloß war die in dem Fall das Opfer. Umso erstaunlicher erschien es ihm, dass es dieser Person nichts ausmachte gesehen zu werden. Mehr noch, sie wollte allen Anschein nach gesehen werden!   „Ich wiederhole mich nicht nochmal“, brummte Anya gefährlich und nahm nun einen Schritt nach vorne, „gib die Krone her, aber dalli! Dann kommst du auch nur mit ein paar Knochenbrüchen davon!“ Stumm hob der maskierte Fremde die Abschlussball-Krone an, als wolle er sich vergewissern, dass Anya auch wirklich jene meinte. Er sah sie kurz an, dann sprang er rückwärts vom Schreibtisch und landete gebeugt vor dem Fenster. Noch zum Abschied winkend, dauerte es nur einen Herzschlag, ehe er sich über die Fensterbank schwang und verschwunden war. Anya und Nick sahen sich an wie Kühe wenn es donnerte. „Oh fuck!“, platzte es aus dem Mädchen heraus, die sofort an Nick vorbei aus dem Zimmer stürmte. „Den krieg' ich, aus dem Weg!“ Wie von der Tarantel gestochen flitzte sie die Treppen herunter. Derweil eilte Nick zum Fenster und sah unten auf der anderen Straßenseite den Vermummten mit der Krone winken. „Keine Ahnung, wer du bist“, murmelte Nick, „aber wenn das eine Herausforderung ist, nehme ich sie an.“ „Oh fuck!“, kam Anya zur selben Zeit wieder ins Zimmer gestürmt, da sie in ihrem Outfit unmöglich auf die Straße konnte. Doch da war Nick ebenfalls schon aus dem Fenster gesprungen.   Dieser landete federnd auf den Füßen, verlor jedoch das Gleichgewicht und kippte nach vorn. Im Fall sah er auf der anderen Straßenseite, wie sich der Maskierte umdrehte und zu rennen begann. Schnell rappelte Nick sich auf, nahm augenblicklich die Verfolgung in Angriff. Man mochte es ihm zwar nicht ansehen, aber Nick Harper war ein exzellenter Läufer. Das musste man auch sein, wenn man Anya Bauer seine Freundin nannte – nicht, dass ein Unterschied darin bestand, wenn man stattdessen ihre Feindin war. So oder so, gegen ihre Laune des Verderbens war Flucht nicht selten die sinnvollste Option, besonders wenn man, wie Nick, gerne noch Öl ins Feuer goss. So war es auch nicht weiter schwer für Nick, mit dem Fremden mitzuhalten. Sie fegten durch die Straßen, langsam, aber bestätigt holte der hoch gewachsene, junge Mann den fast um einen Kopf kleineren Dieb ein. Es kam ihm wie ein endlos langer Wettstreit vor. Der Maskierte war ziemlich ausdauernd, schaffte es, bis ins Stadtzentrum unter Nicks Verfolgung vorzudringen. Dabei nahm er auch keine Rücksicht auf die Leute, die unterwegs waren, um sich Brötchen oder Ähnliches zu kaufen. Der schmächtige Ernie Winter, ehemaliger Klassenkamerad Nicks, welcher an einem Eisstand mit zwei prächtigen Waffeln bewaffnet gerade zurück zu seiner Freundin watete, die auf die Fahrräder der beiden aufpasste, wurde gnadenlos von dem Unbekannten umgerannt. Die Eistüten flogen nur so durch die Luft und landeten auf seinem Haupt, während Nick über ihn herüber sprang und dabei eine Entschuldigung nuschelte.   Dennoch merkte Nick zunehmend, wie ihn seine Kräfte verließen. Das Seitenstechen konnte er nicht länger ignorieren, auch die Puste ging ihm jetzt endgültig aus. Er wurde langsamer, während der Unbekannte noch scheinbar fit über die Straße rannte und kurz darauf nach rechts in eine Seitengasse einbog. Nick schleppte sich ebenfalls über die Straße, wurde dabei fast noch von einem Auto angefahren, weil er nicht auf den Verkehr achtete. Unter lautem Hupkonzert eilte er herüber zu dem Ort, wo er den Fremden zuletzt gesehen hatte. „So ein Mist“, fluchte er leise. Bestimmt hatte der Dieb ihn längst abgehängt.   Keuchend bog Nick in die enge Seitenstraße ein. Es war … eine Sackgasse? Perfekt, daraus konnte der Unbekannte nicht flüchten! Dank der hohen Häuserwände war von dem sonnigen Tag hier nicht viel zu sehen, die Gasse stand in tiefen Schatten. Als Nick jedoch in seiner dunklen Nische bemerkte, dass der Dieb sich ihm zugewandt hatte und seelenruhig stehen blieb, ahnte er bereits, dass jener es gar nicht weiter auf eine Flucht anlegte. Er war in eine Falle getappt, was ein surrendes Geräusch hinter ihm bestätigte. Nick wirbelte um und bemerkte, dass der Weg zurück zum Bürgersteig durch eine gelbe Barriere blockiert war. „Gib dir keine Mühe“, drang es hinter ihm dumpf hervor, „man kann uns jetzt weder sehen noch hören.“   Der großgewachsene, junge Mann wirbelte wieder herum. Da stand der Dieb nun, in seinen schwarzen Mantel, die Kapuze tief über den Kopf gezogen. Das, was vom Gesicht zu sehen war, wurde durch eine weiße, ausdruckslose Maske vollständig bedeckt. Sie sorgte auch dafür, dass Nick nicht einzuordnen wusste, ob ihm hier Männlein oder Weiblein gegenüber stand. „Gib das zurück“, forderte er dennoch direkt und zeigte auf Anyas Krone, die der Fremde in der rechten Hand hielt. „Hol sie dir doch“, kam es nur provozierend zurück. Nick wollte gerade einen Schritt auf sein Gegenüber zugehen, da hob jener den anderen Arm unter dem Mantel hervor – und offenbarte eine rote, längliche Duel Disk, einem V gleich. „Zusammen mit dem hier“, drang es dazu leise hinter der Maske hervor. Nick, der seine eigene Duel Disk umgeschnallt hatte, weil er ursprünglich während seines morgendlichen Besuches vorgehabt hatte, Zanthe auf seine Duellkünste zu prüfen, wusste bereits, worauf das hinauslaufen sollte. „Was willst du überhaupt?“, hakte er im harschen Tonfall nach. „Du stiehlst Anyas Krone? Und sperrst mich hier ein?“ „Rache.“ An Anya, schoss es Nick verwirrt durch den Kopf. Oder etwa gar an ihm!? „Wofür?“ „Geht dich nichts an. Du solltest eigentlich gar nicht hier sein.“ Also tatsächlich an seiner Freundin! Und wenn das so war …   Nick hob den Arm mit der Duel Disk und betätigte einen kleinen Schalter an deren Unterseite, der dafür sorgte, dass die Sicherheitsbarrieren der Hologramme deaktiviert wurden – was eigentlich nur bestimmten Nutzergruppen gestattet war. Zu dumm, dass er sich nach längerer Pause sofort wieder in jene eingeschleust hatte, nachdem er Zanthe für Anya ausfindig gemacht hatte. Wenn diese Person dort Anya schaden wollte, würde er keine Gnade mit ihr kennen!   „Sag mir wenigstens deinen Namen!“, verlangte er aufgebracht. „Du kannst mich Kali nennen.“ Noch hinzu fügte die Person: „Die Dämonengöttin!“ Also stand er einer Frau gegenüber, schloss Nick erstaunt. Zudem fühlte er sich bei diesem Namen sofort an die Göttin des Todes und der Zerstörung aus dem Hinduismus erinnert. Ein Zufall? „Bist du wirklich eine Dämonengöttin oder ist das nur ein Titel, den du dir selbst gegeben hast?“, hakte Nick provokativ nach. Nicht weniger herausfordernd kam es zurück: „Find' es doch heraus!“   Wie eine Dämonin drückte sie sich jedenfalls nicht aus, überlegte er dabei. Im Endeffekt war es ihm gleich, wer oder was da vor ihm stand. Da sie offenbar kein Interesse zeigte, ihre Motive zu erklären, würde sie mit den Konsequenzen leben müssen. Und wer weiß, vielleicht würde ein bisschen Schmerz sie zur Vernunft bringen?   Beide gingen in stillem Einverständnis in Duellposition. Kali ließ ihre V-Duel Disk ausfahren, dann riefen beide lautstark: „Duell!“   [Nick: 4000LP / Kali: 4000LP]   „Ich beginne“, entschied Nick, ehe seine Gegnerin ihm zuvor kommen konnte. Zusätzlich zu seinem Startblatt fügte er noch eine weitere Karte seiner Hand hinzu. Jene neue war es auch, die er nach kurzer Überlegung als Erstes ausspielte. „Ich beschwöre [Wind-Up Rabbit]!“ Vor ihm materialisierte sich ein roter Robohase, dessen Ohren so lang und schwer waren, dass sie ihm über das Gesicht hingen.   Wind-Up Rabbit [ATK/1400 DEF/600 (3)]   „Zug beendet!“, entschied Nick schließlich. „Halt dich ja nicht zurück!“, verlangte Kali in einem nahezu drohendem Tonfall. Dann griff sie nach ihrem Deck und zog schwungvoll. „Draw!“ Energisch fischte sie eine Zauberkarte aus ihrem Blatt hervor und hielt sie demonstrativ nach vorn, damit Nick sie sehen konnte. „Ich aktiviere [Destructo Gear]! Damit kann ich eine Zauberkarte von meinem Deck verbannen!“ Genau das tat sie auch, als lauter Zahnräder um ihre Duel Disk erschienen, sich mit jener zusammenschlossen und zu drehen begannen, wobei Kali einen Zauber namens [Banished Power Gear] in einen Seitenschlitz des langen Apparats schob. „Und als Nächstes dieses hier! Ich beschwöre [Celestial Gear – Synthetic Sparrow]!“ Das war der Moment, in dem es bei Nick Klick machte. Über Kali erschienen lauter weiße Lichtkugeln, die eine merkwürdige Formation einnahmen. Sie verbanden sich gegenseitig mit grünen Linien, sodass sie tatsächlich eine riesige Vogelgestalt mit vergleichsweise kleinen Flügeln, dafür mit etwas zu viel Unterleib zeichneten, die über den Dächern flog. Das Besondere an ihr war, dass man hinter einer grünen Lichtschicht in das mechanische Innere der Kreatur hineinsehen und all die Zahnräder und Getriebe erblicken konnte.   Celestial Gear – Synthetic Sparrow [ATK/1000 DEF/1800 (4)]   Nick weitete die Augen. Zwar hatte er diesem Deck nie selbst gegenüber gestanden, aber viel von Anya darüber gehört. Es war das Deck, das Isfanel im Turm von Neo Babylon eingesetzt hatte. Das Deck, welches Marc, als er aus Isfanels Griff befreit war, Anya geschenkt hatte. Das Deck … das Anya vor vielen Monaten gestohlen worden war, woraufhin sie alles und jeden wochenlang verdächtigt hatte. Kali war der Dieb von damals! „Überrascht?“, fragte sie kalt. „Sieht so aus, als hätte ich mehr als nur die Krone deiner 'Freundin' mitgehen lassen.“ Noch völlig verblüfft von dieser Wendung, fragte Nick: „Wieso hast du-!?“ „Wie ich bereits sagte: Rache. Nun der Effekt meines Monsters! Einmal pro Zug kann ich einen Zauber von meinem Friedhof verbannen.“ Schon schob sie [Destructo Gear] in denselben Schlitz, den sie schon für [Banished Power Gear] verwendet hatte. „Und jetzt sieh her! Ich greife dein albernes Spielzeug mit Sparrow an! Los, Celestial Pride! Und da [Banished Power Gear] verbannt ist, werden Celestial Gears im Kampf vorübergehend um 500 Punkte stärker.“   Celestial Gear – Synthetic Sparrow [ATK/1000 → 1500 DEF/1800 (4)]   Im Schnabel der Kreatur sammelte sich grünliche Energie, die jene schließlich in einem gewaltigen Energiestrahl auf Nicks Monster abfeuerte. Jener wusste, dass er schnell eine Entscheidung treffen musste. Und die war eindeutig. „Ehe es dazu kommt, aktiviere ich [Wind-Up Rabbits] Effekt! Es kann sich oder ein anderes Wind-Up-Monster bis zu meiner nächsten Standby Phase verbannen. Damit weicht es dem Angriff aus!“ Der Aufziehschlüssel auf dem Rücken des Hasen begann sich rapide zu drehen, was dafür sorgte, dass jener wie wild geworden durch die Seitengasse hoppelte und sich schließlich hinter einer Mülltonne seitlich von Nick versteckte, womit er dem Einschlag des Angriffs entkam. „Das macht dich nur zum Ziel für einen direkten Angriff!“, konterte Kali. Dessen war sich Nick bewusst. Der riesige Vogel lenkte seinen Strahl daraufhin auf den jungen Mann, welcher, von der Attacke getroffen, gegen die gelbe Mauer knallte, die ihn von der Außenwelt abschnitt. „Argh!“ Sein grünes 'Kermit der Forsch'-T-Shirt war damit wohl im Eimer. Am Bauch, wo er getroffen wurde, war es aufgerissen. Darunter lag seine gerötete, leicht verbrannte Haut.   [Nick: 4000LP → 2500LP / Kali: 4000LP]   Kali schnaufte und zeigte dann mit erhobener Hand zwei Karten mit deren Rücken zu Nick gerichtet vor. „Das war schwach. Diese beiden setze ich. Zugende!“ Schon materialisierten sich die beiden Fallen zu ihren Füßen.   Nick, der derweil die Energiemauer hinab gerutscht und auf dem Hosenboden gelandet war, raffte sich mühselig auf. Schwankend trat er einen Schritt vor. Dieses Deck durfte er auf keinen Fall unterschätzen! Damit hatte es Isfanel damals fast geschafft Anya zu besiegen, obwohl sogar Valerie und Henry als Verstärkung dabei waren. Gerade deshalb stellte es eine interessante Herausforderung dar. Allerdings war Nick nicht die Sorte Mensch, die daran Gefallen finden konnte, wenn im Hintergrund das Wort Rache in Verbindung mit Anya stand. Also schob er den reizvollen Gedanken des Kräftemessens beiseite und fokussierte sich darauf, Kali gnadenlos zu überrollen. So schrie er: „Ich ziehe!“ Was er auch tat. Sofort streckte er den Arm aus. „In meiner Standby Phase kehrt [Wind-Up Rabbit] zurück!“ Schon kam der Hase hinter der Mülltonne wieder hervorgesprungen.   Wind-Up Rabbit [ATK/1400 DEF/600 (3)] Sein Besitzer derweil legte gleich zwei Karten in dessen Duel Disk ein. „Ich beschwöre [Wind-Up Magician] und aktiviere den Zauber [Wind-Up Factory]!“ Während vor ihm ein kleiner Spielzeugmagier auftauchte, der in seinen Zangenhänden einen Zauberstab hielt, klappte ebenfalls die Zauberkarte auf, deren Animation aufgrund von Platzmangel nicht ausgeführt werden konnte. Wind-Up Magician [ATK/600 DEF/1800 (4)]   „Effekt des Rabbits!“, setzte er seinen Zug fort. „Ich verbanne es durch seinen eigenen Effekt bis zu meiner nächsten Standby Phase! Damit aktivieren sich die Effekte von [Wind-Up Magician] und [Wind-Up Factory]!“ Sein Magier schwang den Zauberstab und ließ neben ihm einen kleinen orangefarbenen Krieger mit massiven Zangenhänden erscheinen, welche er schützend vor sich hielt. Gleichzeitig nahm Nick sein Deck in die Hand und begann zu erklären: „Nur einmal, solange der Magier offen liegt, kann ich ein Wind-Up-Monster von meinem Deck beschwören, wenn ein anderes seinen Effekt aktiviert, wie es bei Rabbit der Fall war. Außerdem erhalte ich dank Factory einmal pro Zug ein Wind-Up auf die Hand, wenn selbige Bedingung erfüllt ist.“ Kali verschränkte die Arme abwartend voreinander, als er [Wind-Up Shark] vorzeigte. „Zwei Fliegen mit einer Klappe? Pft.“ „Durch Magicians Effekt habe ich [Wind-Up Warrior] gerufen“, erklärte Nick weiter.   Wind-Up Warrior [ATK/1200 DEF/1800 (4)]   „Da ein Wind-Up beschworen wurde, kann ich außerdem noch [Wind-Up Shark] von meiner Hand spezialbeschwören!“ Kaum tauchte der blaue Spielzeughai vor ihm auf, begann sich der Schlüssel auf seinem Rücken im Uhrzeigersinn zu bewegen.   Wind-Up Shark [ATK/1500 DEF/1300 (4 → 5)]   „Wie du siehst, kann er seine Stufe verändern, in dem Fall um eins nach oben“, rief er, doch ließ er das Effektgewitter damit nicht versiegen, fuhr fort: „Ebenso wie mein [Wind-Up Warrior], der einmalig die Stufe eines Wind-Ups um 1 und dessen Angriffskraft um 600 erhöhen kann. Die des Magiers!“ Auf den Rücken beider Monster begannen sich die Aufziehschlüssel langsam, dann immer schneller zu drehen.   Wind-Up Magician [ATK/600 → 1200 DEF/1800 (4 → 5)]   „Und jetzt sieh her!“, forderte Nick und streckte eine Faust gen Himmel. „Ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinen Stufe 5-Monstern wird ein Rang 5-Monster!“ Ein schwarzer Wirbel öffnete sich inmitten des Spielfelds und saugte Hai und Magier als blaue beziehungsweise rote Lichtstrahlen in sich auf. „Xyz-Summon! Sei meine Klinge, [Wind-Up Arsenal Zenmaioh]!“ Aus dem Strom erhob sich ein für Nicks Spielzeuge vergleichsweise großer, roter Roboter mit einem Bohrarm und einer normalen Faust. Um ihn kreisten zwei Lichtsphären.   Wind-Up Arsenal Zenmaioh [ATK/2600 DEF/1900 {5} OLU: 2]   „In dir steckt ja doch etwas Können“, kommentierte Kali das Ganze abfällig, „scheint, als hättest du deiner geliebten Anya wohl nur etwas vorgemacht. All die Jahre.“ Woher wusste diese Person das, schoss es Nick durch den Kopf. Offensichtlich musste sie ihn und Anya ziemlich gut kennen, aber er hatte keine Ahnung, wer jene Kali sein könnte, die ihm da gegenüberstand. Nichts an ihr war ihm vertraut. „Das sind alte Kamellen“, winkte er daher ab, nicht den Drang verspürend, sich rechtfertigen zu müssen, „sieh lieber zu, dass du vor lauter Staunen nicht das Duell verpasst! Ich aktiviere Zenmaiohs Effekt!“ Mit dem Bohrer absorbierte der große Roboter eines der Xyz-Materialien, die ihm ihn kreisten.   Wind-Up Arsenal Zenmaioh [ATK/2600 DEF/1900 {5} OLU: 2 → 1] „Er kann so zwei gesetzte Karten pro Zug zerstören. Wovon du glücklicherweise ja genug hast!“ Unter einem verächtlichen Stöhnen wich Kali zurück, als Zenmaioh auf sie zugeschossen kam und die beiden gesetzten Karten der Reihe nach mit seinem Bohrer vernichtete. Dadurch blieb ihr nur noch der Mechavogel. Noch während Nicks Monster zu ihm zurückkehrte, rief der: „Und jetzt Angriff auf [Celestial Gear – Synthetic Sparrow]! Wind-Up Power Punch!“ „Vergiss nicht, dass Celestial Gears im Kampf kurzweilig stärker werden durch den Effekt der verbannten Zauberkarte [Banished Power Gear]!“   Celestial Gear – Synthetic Sparrow [ATK/1000 → 1500 DEF/1800 (4)]   Trotzdem feuerte Zenmaioh seine Faust auf seinen Feind in Form des Cyberspatzen ab, welcher mitten in die Brust getroffen und dadurch zu Fall gebracht wurde. Die einzelnen Teile gingen auf Kali hinunter wie ein grausamer Regen, denn als eines der Zahnräder sie an der Schulter traf, kippte sie nach vorn und schrie vor Schmerz auf.   [Nick: 2500LP / Kali: 4000LP → 2900LP]   „Tut weh, was?“, hakte Nick eiskalt nach, noch während der Körper des Vogels auf Kali zu stürzen drohte. „Nicht annähernd genug um mich zu beeindrucken!“ Gleichzeitig verwandelten sich die verbliebenen Trümmerteile in leuchtende Funken, die sich zusammen in Kalis ausgestreckter Hand zu einer Karte formten. Was sie davor bewahrte, von ihrem eigenen Monster erschlagen zu werden. „Wenn Celestial Gears zerstört werden, kommen sie auf meine Hand zurück, statt im Friedhof zu landen“, erklärte die Frau und raffte sich auf. Und obwohl sie so tat, als hätte Nicks Treffer ihr nichts ausgemacht, hielt sie sich die Schulter und stöhnte auf.   Was Nick interessiert zur Kenntnis nahm. Eine Dämonengöttin konnte sie wohl kaum sein, wenn schon so ein Treffer sie aus der Bahn brachte. Trotzdem schloss der junge Mann nicht aus, dass sie vielleicht von einem Immateriellen kontrolliert wurde. Es ergab Sinn. Als Anya und Matt Another töteten, hatten sie auch verhindert, dass das Tor Eden geöffnet wurde. Ergo war es den Immateriellen unmöglich, diese Welt zu verlassen. Vielleicht wollte Kali hierfür Rache nehmen? Oder sie stand, ähnlich wie Urila damals, in direkter Verbindung mit Another und verlangte nun nach dem Blut seiner Mörder? Aber es waren nur Vermutungen. Sie würde von sich aus reden, wenn er sie erst noch mehr in die Ecke drängte. „Ich setze diese verdeckt“, sprach er gelassen und schob die Falle in den dafür vorgesehenen Schlitz, woraufhin sie auch gleich vor seinen Füßen erschien, „und beende den Zug.“ Mit Zenmaioh als Angreifer und Gefahrentilger, Warrior als Verteidiger und seiner Factory als Nachschublieferantin hatte er ideale Voraussetzungen für das weitere Duell.   „Mein Zug, Draw!“, fauchte Kali regelrecht und riss die nächste Karte von ihrem Deck. Mit dem Finger zeigte sie unbarmherzig auf Nick. „Du wirst mich nicht daran hindern, das zu nehmen, was mir zusteht! Du hast keine Ahnung, mit wem du da befreundet bist!“ Nick, der wusste, dass Anya in ihrem Leben schon vielen Menschen geschadet hatte, konnte zwar einerseits den Drang nach Rache nachvollziehen … aber irgendetwas in seinem Inneren sagte ihm, dass es sich hierbei nicht um die typischen Anya-Vergehen handeln konnte. So voller Hass zu sein, das konnte nur etwas Schwerwiegendes ausgelöst haben. „Was hat Anya dir getan?“, versuchte er daher, es ruhiger angehen zu lassen. „Sie hat mein Leben zerstört“, erwiderte Kali grimmig, „und jetzt ist es an mir, ihres zu zerstören! Ich rufe [Celestial Gear – Synthetic Sparrow] als Normal- beziehungsweise Rückbeschwörung!“ Ohne Vorwarnung setzte Kali zu ihrem Zug an. Über ihr tauchten wieder die Lichtkugeln auf, die den grün leuchtenden Mechavogel zeichneten.   Celestial Gear – Synthetic Sparrow [ATK/1000 DEF/1800 (4)] „Jetzt beginnt der wahre Effekt Sparrows zu wirken“, erklärte sie völlig mitgerissen vom Geschehen, „nur einmal während des Duells wird jener bei einer Rückbeschwörung ausgelöst, was allerdings die Verbannung in der End Phase nach sich zieht! Sparrow kann mir eine Fusionskarte vom Deck auf die Hand geben und ich wähle [Celestial Gear Polymerization]!“ Kali zeigte die Karte umgehend vor, auf dem je ein in violetter und in blauer Aura gehüllter Mechavogel abgebildet waren, die sich inmitten zweier schwarzer Soge über und unter ihnen befanden. „Sie aktiviere ich auch gleich, um Sparrow auf dem Feld mit [Celestial Gear – Synthetic Albatross] von meiner Hand zu verschmelzen! Zwei Zahnräder verbinden sich und formen eine neue Kraft!“ „Also eine Fusionsbeschwörung“, rekapitulierte Nick. Von so etwas hatte Anya ihm nicht erzählt! Ein nach oben verlaufender, schwarzer Sog tauchte über Kali auf. Er riss ihren Mechavogel auf dem Feld und einen weiteren, in roter Aura gehüllten ins Verderben. Ein greller Lichtblitz unterbrach kurzzeitig das Geschehen. „Erscheine, [Celestial Gear – Synthetic Armored Finch]!“ Als Nick nicht mehr geblendet wurde, erkannte er mit Schrecken den in gelber Aura gehüllten Mechavogel über Kali. Anders als seine Artgenossen, konnte man nur an Beinen und Flügeln in sein Inneres sehen, da die Brust mit einer weißen Panzerung bedeckt war.   Celestial Gear – Synthetic Armored Finch [ATK/2000 DEF/0 (4)]   Die pupillenlosen Augen des Finken leuchteten rot auf, als seine Besitzerin erklärte: „Wird Finch beschworen, erhalte ich eine Gear- oder Synthetic-Zauberkarte.“ Sich die passende aus ihrem Deck aussuchend, zeigte sie jene vor. Und zu Nicks Erstaunen handelte es sich um eine zweite Kopie von [Celestial Gear Polymerization]. „Du willst nochmal fusionieren?“, fragte Nick erstaunt. Dabei besaß sie nur noch drei Handkarten, es würde all ihre Ressourcen fressen. „Nein“, erwiderte Kali, schob jedoch geradezu paradoxerweise die Karte trotzdem in ein Fach ihrer V-Duel Disk, „tatsächlich ist [Celestial Gear Polymerization] keine reine Fusionskarte. Sie kann ebenso gut Rituale an Celestial Gears durchführen.“ Verblüfft horchte Nick auf. „Eine Karte … die sowohl Rituale, als auch Fusionen rufen kann?“ „Es kommt noch besser. Für jede meiner verbannten Zauberkarten wird die benötigte Stufenzahl des zu rufenden Ritualmonsters um 2 verringert. Ergo kann ich momentan bis zu Stufe 4-Rituale kostenlos beschwören und genau das tue ich jetzt auch! Aus zwei Zahnrädern wird ein neues geboren! Erscheine, [Celestial Gear – Synthetic Armored Halcyon]!“ Nick schrie erstaunt auf, als aus dem Boden vor Kali ein weiterer Mechavogel brach und abhob. Dieser besaß eine pinkfarbene Aura, war ebenso an der Brust gepanzert und konnte dazu noch einen schlanken Körperbau samt überragend langem Schnabel aufweisen.   Celestial Gear – Synthetic Armored Halcyon [ATK/1000 DEF/2200 (4)]   Mit ebenjenem pickte er vor Kali in den Asphalt, ehe er sich in die Höhe zu seinem Artgenossen begab. Und aus dem Loch vor ihr entstieg eine gesetzte Karte. Dazu erklärte sie: „Halcyon setzt einen Zauber oder eine Falle von meinem Deck, wenn er per Ritual gerufen wird! Allerdings kann ich jene Karte erst im nächsten Zug benutzen! Das Beste aber ist, dass du nicht erfahren wirst, worum es sich dabei handelt!“ Das war in der Tat ein Problem, sagte sich Nick. Andererseits besaß er mit Zenmaioh die perfekte Waffe gegen Kalis gesetzte Karte. Darüber hinaus, selbst mit dem Boost von [Banished Power Gear] waren ihre Monster zu schwach, seinen Roboter zu zerstören. Jedoch streckte die Frau plötzlich ihren Arm in die Höhe. „Wusstest du, dass Halcyon ein Empfänger ist? Wenn nicht, pass' gut auf! Ich stimme ihn auf meinen Stufe 4-Finch ein!“ „Jetzt auch noch eine Synchrobeschwörung!?“, schoss es aus Nick heraus. Während der Fink in vier grüne Lichtkugeln zersprang, formte sich sein Artgenosse zu ebenso vielen Energieringen, welche von den Sphären passiert wurden. „Clashing gears form a new entity of overwhelming might! With each turn the iron will grows stronger and stronger! Synchro Summon!“, schrie Kali aufgebraucht. „Rise, [Celestial Gear – Synthetic Armored Hawk]!“ Ein weiterer Lichtblitz blendete Nick und als er vorbei war, sah er sich einem gewaltigen Mechanikfalken gegenüber, dessen braune Aura regelrecht glühte. Auch er war gut gepanzert.   Celestial Gear – Synthetic Armored Hawk [ATK/2600 DEF/2400 (8)] „... so ein Mist“, fluchte Kali plötzlich laut, „wie konnte ich das vergessen!?“ Überrascht wandte Nick den Blick von dem Monstrum ab und sah zu seiner Gegnerin herüber, die scheinbar alles andere als zufrieden war. „Was ist los?“ „Das geht dich nichts an! Außerdem spielt es keine Rolle, denn ich werde dich so oder so besiegen! Los, Hawk, greif sein Monster an!“ Kali schwang den Arm aus. „Celestial Overflare!“ Im Schnabel des Falken bündelte sich eine grelle Flamme, die dieser schließlich auf Zenmaioh abfeuerte. Nick wusste, dass es kein wirklicher Gleichstand zwischen den beiden Monstern war, denn Kalis Zauberkarte stärkte ihre Kreatur aus dem Hinterhalt.   Celestial Gear – Synthetic Armored Hawk [ATK/2600 → 3100 DEF/2400 (8)] Allerdings hatte er mit so etwas schon gerechnet. „Verdeckte Falle!“, rief er daher aus und aktivierte diese mit einem Knopfdruck, wodurch sie vor ihm aufsprang. „[Half Or Nothing]! Sie halbiert die Basiskraft all deiner Monster oder bricht die Battle Phase gleich ab. Deine Entscheidung!“ „Als ob mich so etwas beeindruckt! Mach weiter, Hawk!“ Das traf Nick völlig unvorbereitet. Sie würde ihr Monster dabei verlieren! Oder? Ihn beschlich eine dunkle Vorahnung. Obwohl gleißende Blitze um den Mechavogel schlugen, setzte dieser seinen Flammenangriff auf Zenmaioh ungestört fort.   Celestial Gear – Synthetic Armored Hawk [ATK/2600 → 1300 → 1800 DEF/2400 (8)]   Jener holte seinerseits mit der abtrennbaren Faust aus und schoss sie direkt in den Feuerstrahl. Dieser wurde einfach gespalten, was darin endete, dass Hawk einen mächtigen Kinnhaken abbekam und rücklings zu Fall gebracht wurde. Wieder ging ein Hagelschauer aus Trümmerteilen auf Kali nieder, doch sie ertrug es mit Fassung.   [Nick: 2500LP / Kali: 2900LP → 2100LP]   Als sie jedoch nach oben blickte, und gerade zum Sprechen ansetzte, traf sie eines der kleineren Trümmerteile des wie in Zeitlupe herabstürzenden Falken im Gesicht und prallte an der Maske ab. Diese bekam daraufhin einen Sprung, der dafür sorgte, dass ein schmaler Teil am rechten Auge der Frau abplatzte, welche ihrerseits zurücktorkelte. Und eine strahlend blaue Iris offenbarte. „Argh! Nicht schlecht“, lobte sie Nick und richtete den Blick auf ihn. Dabei kniff sie das Auge fest zusammen. „Aber nicht gut genug! Denn Hawk kehrt nur einmal im Duell nach seiner Zerstörung zurück aufs Feld!“ Plötzlich rauschten die in der Luft und am Boden verteilten Trümmer wieder zurück zum Körper des halb zerstörten Falken und setzten ihn neu zusammen, sodass er ohne Vorwarnung wieder funktionsfähig war.   Celestial Gear – Synthetic Armored Hawk [ATK/2600 DEF/2400 (8)]   „Jetzt, von der Wirkung deiner Falle befreit, ist er wieder er selbst, wenn auch nur bis zur End Phase, in der er verbannt wird“, rief Kali, „aber das ist nicht alles! Auf diese Weise beschworen, halbiert er die Lebenspunkte meiner Feinde!“ Sofort begann von der Brustmitte der Panzerung ein gleißendes Strahlen auszugehen, welches Nick erfasste. Dieser machte instinktiv einen Hechtsprung zur Seite und wich damit knapp einem glühend heißen Energiestrahl aus, der ihm sonst zweifelsohne schwere Verbrennungen zugefügt hätte.   [Nick: 2500LP → 1250LP / Kali: 2100LP]   Noch während er am Boden lag, befahl Kali: „Los, Hawk, zweiter Angriff! Celestial Overflare!“ Der Falke öffnete seinen Schnabel und ließ eine weitere Lichtflamme auf Zenmaioh niedergehen. Und diesmal konnte Nick ihn nicht beschützen.   Celestial Gear – Synthetic Armored Hawk [ATK/2600 → 3100 DEF/2400 (8)]   In einer mächtigen Explosion wurde [Wind-Up Arsenal Zenmaioh] regelrecht in seine Einzelteile zerrissen. Für Nick war dies ein herber Schlag, denn er hatte damit sein mächtigstes Monster verloren. Mehr noch, einen ganzen Batzen an Lebenspunkten durch Kalis geschicktes Manöver.   [Nick: 1250LP → 750LP / Kali: 2100LP]   Zumindest [Wind-Up Warrior] war ihm geblieben, dachte er angespannt. Indes zeigte Kali ihre letzte Handkarte vor. „Weil ich diese Runde bereits mindestens zwei Zauber benutzt habe, kann ich [Synthetic Transformation] aktivieren. Sie opfert Hawk, den ich sowieso verloren hätte.“ „Und weiter?“, ächzte Nick, während er sich langsam aufrappelte. „Danach erhalte ich je ein Monster mit höherer und niedrigerer Stufe von meinem Deck. Allerdings kann ich beide nicht sofort im Anschluss beschwören, sondern muss einen Zug warten.“ Nick bekam nur mit, dass sie ein Stufe 4-Celestial Gear und ein sehr hochstufiges Monster, welches er nicht erkennen konnte, ihrer Hand hinzufügte. „Zug beendet“, bekräftigte sie daraufhin und hinterließ, abseits ihrer durch Halcyon gesetzten Karte, ein leeres Feld.   Ihr Gegner atmete schwer. Die Strapazen des Duells machten sich langsam bemerkbar. Die ganze Seitengasse hatte sich in ein Abbild der Zerstörung gewandelt, symbolisch für seine Erschöpfung. Wer auch immer diese Kali war, sie war keine schlechte Duellantin, vielleicht sogar auf demselben Level wie Valerie oder Abby. „Also ist es wieder mein Zug? Draw“, verkündete er leise und zog eine interessante Falle nach. Damit kehrte auch der rote Spielzeughase auf seine Seite zurück.   Wind-Up Rabbit [ATK/1400 DEF/600 (3)]   Dies war seine Chance, das Spiel zu gewinnen. Allerdings hatte sie mit ihrer Falle vorgesorgt und würde seinen Angriff blocken, um nächste Runde jenes mächtige Monster zu beschwören, welches sie aufs Blatt genommen hatte. Dafür musste Nick auch nicht das Genie sein das er war, um dies zu erkennen. Aber mit [Wind-Up Rabbit] hatte er den Vorteil auf seiner Seite – sollte sie seine Monster zerstören wollen, konnte er wenigstens eines davon retten! Er musste angreifen! Ohne Umschweife nahm er ein Monster von seiner Hand und legte es auf die Duel Disk. „Ich beschwöre [Wind-Up Dog]!“ Vor ihm tauchte ein kleiner, blauer Spielzeughund auf, der in einem mechanischen Tonfall zu kläffen begann.   Wind-Up Dog [ATK/1200 DEF/900 (3)]   [Wind-Up Warrior] würde er vorsichtshalber im Verteidigungsmodus lassen, überlegte Nick, denn seine beiden anderen Monster reichten bereits aus. Zumindest, wenn Kali nur bluffte und nichts zum Blocken besaß – was er aber bezweifelte. „Okay! Zuerst greift [Wind-Up Rabbit] dich direkt an!“, entschied Nick und streckte den Arm aus. „Soll er doch“, erwiderte seine Gegnerin grantig. Energisch hoppelte der Robohase auf die junge Frau zu und machte zum Abschluss einen Satz, um ihr den Schädel in den Magen zu rammen. Prustend wurde Kali zurückgeworfen und knallte gegen den abtrennenden Zaun hinter sich, sackte halb zusammen. „Urgh!“   [Nick: 750LP / Kali: 2100LP → 700LP]   Überrascht stellte Nick fest, dass sie den Angriff hatte durchgehen lassen. War ihre gesetzte Karte also wirklich nur eine Finte? „Noch hast du die Chance zu reden“, bot er ihr an. „Ich hab dir nichts zu sagen!“   Der junge Mann kratzte sich am Kinn. Ein Angriff seines Hundes würde ihr vermutlich keine schlimmen Verletzungen zufügen. Allerdings wäre es gut, wenn er sie irgendwie bewusstlos schlagen würde, um sie gefangen zu nehmen. So jemanden konnte man nicht frei herumlaufen lassen … sollte Anya sie zum Reden bringen. Wenn es eines gab, was seine Freundin gut konnte, dann andere in Panik zu versetzen. Der Blondine würde bestimmt etwas einfallen, schließlich war sie für ihre Kreativität bezüglich schmerzhafter Erfahrungen berühmt-berüchtigt in Livington.   „Wenn das so ist, dann habe ich dir auch nichts mehr zu sagen. [Wind-Up Dog], direkter Angriff auf ihre Lebenspunkte! Beende es!“ Der Spielzeughund vor ihm setzte sich auf sein Hinterteil und stieß ein hohles, künstliches Heulen aus, welches sich in gelben Schallwellen auf Kali zubewegte. „Nein! Ich werfe [Celestial Gear – Synthetic Stork] ab! Er verringert für diesen Zug jeden Schaden, den ich erleide, um die bereits zugefügte Summe an Schaden! Damit ist dein Angriff aufgehoben!“ Sie schob ihre vorletzte Handkarte in den Friedhofsschacht, was dafür sorgte, dass sich eine Schar schwarzer und weißer metallischer Federn vor ihr wie ein Schild zusammenzog. Dieser wehrte die Schallwellen mühelos ab, ehe er zusammenbrach. „Verstehe, so wolltest du dich also schützen“, kommentierte Nick das Geschehen gelassen, „dann ist es jetzt an mir, eine defensive Haltung einzunehmen! Ich erschaffe das Overlay Network!“ Vor ihm öffnete sich der schwarze Strudel nun ein zweites Mal und absorbierte Rabbit und Dog als braune Lichtstrahlen. „Aus meinen beiden Stufe 3-Monstern wird ein Rang 3-Monster! Xyz-Summon! Erscheine, unzerstörbare Kampfmaschine, [Wind-Up Zenmaines]!“ Vor Nick erhob sich eine jetartige, violette Kreatur, von deren Schultern Flugzeugflügel abgingen, an denen sich Propeller drehten. Vor dem Kampfbomber schwebten zusätzlich zwei massive Zangenhände, die bedrohlich ins Nichts schnappten. Zwei Lichtsphären tanzten um ihn wie Glühwürmchen.   Wind-Up Zenmaines [ATK/1500 DEF/2100 {3} OLU: 2]   Daran würde Kali sich die Zähne ausbeißen und dazu noch eine böse Überraschung erleben, sollte sie versuchen, Zenmaines zu zerstören, dachte Nick zufrieden. Mehr noch, er würde ihr jede Chance auf den Sieg nehmen! „Ich spiele zwei Karten verdeckt. Zug beendet!“ Die zwei Fallen materialisierten sich vor seinen Füßen. Mit zwei verteidigenden Monstern und den gesetzten Karten war er stark genug, sie endgültig in die Schranken zu weisen!   „So ein Pech, du hättest mich diese Runde besiegen sollen!“, tönte Kali und zog nebenbei von ihrem Deck. „Denn das war deine letzte Gelegenheit dazu! Verdeckte Falle aktivieren! [Negative Gate]!“ Nick wiederholte stumm den Namen der Karte, die vor Kali aufsprang. Gleichzeitig schoss ein etwa drei Meter hohes Monument aus dunklem Kristall vor ihr aus dem Boden. Kali erklärte: „Wenn diese Karte aktiviert wird, kann ich Monster, die ich normalerweise vom Feld für die Beschwörung eines Monsters verbannen müsste, stattdessen vom Friedhof aller anwesenden Spieler verbannen.“ Nick weitete die Augen, als er sich erinnerte, wie Anya ihm den Zug beschrieben hatte, mit dem Isfanel sie damals fast besiegt hätte. „Ich verbanne Halycon, das Ritual, Finch, die Fusion, Hawk, das Synchro und deinen Zenmaioh, das Xyz-Monster, von unseren Friedhöfen!“ Mit Schrecken beobachtete ihr Gegner, wie von seinem Friedhof eine schwarze Sphäre in einen kleinen Spalt des Monuments gezogen wurde. Gleichzeitig geschah dasselbe mit einer weißen, blauen und violetten Lichtkugel auf Kalis Spielfeldseite. Das Monument bekam immer tiefere Risse, während unerwartet ein greller Blitz von dessen Mitte in die Höhe schoss. „Erscheine aus deinem tiefen Schlummer, die, die du im Pakt mit Eden stehst!“, schrie Kali mit ausgestreckten Armen gen Himmel. „Vernichte meine Feinde!“ „Nein!“, brüllte Nick. „Das lasse ich nicht zu! Falle aktivieren, [Solemn Judgment]! Für die Hälfte meiner Lebenspunkte annulliert sie eine Beschwörung!“ „Zu spät!“, hallte es jedoch zu ihm zurück. „Das funktioniert nicht bei dem, was ich beschwören werde! Und nun erwache, [Sophia, Goddess Of Rebirth]!“ Schlaff ließ Nick die Glieder sinken, als er zusah, wie das Monument in sich zusammenbrach. Stattdessen war da jetzt ein mehrere Meter hoher Dimensionsriss, auf dessen Mitte sich plötzlich lange, spitze Finger schoben. Er sank fassungslos in die Knie. „Du weißt es, nicht wahr?“, lachte Kali verächtlich. „Was passiert, wenn Sophia beschworen wird? Nichts kann dich vor ihrem Zorn beschützen. Es ist aus!“   Sophia, Goddess Of Rebirth [ATK/3600 DEF/3400 (11)]   Nick schloss die Augen und schluckte.   ~-~-~   Ein schrecklicher, gequälter Schrei hallte durch die Seitenstraße. Anya und Zanthe, die zwischenzeitlich nach Nick gesucht, aber seine Spur verloren hatten, hörten ihn nicht allzu weit von sich entfernt. Auch andere Fußgänger drehten sich überrascht um, darunter auch Ernie Winter. „Oh nein, Nick! Der wird doch nicht-!?“, schoss es aus Anya heraus. „Scheinbar ist ihm sein Alleingang zum Verhängnis geworden. Mir nach!“ Während Anya schon ziemlich außer Puste war, konnte Zanthe mühelos weiter rennen und übernahm die Führung. Obwohl es nur wenige Meter waren, kam es Anya wie eine Ewigkeit vor, wie sie durch die Stadt rannte und ihren Nicht-mehr-ganz-Freund suchte.   Als Zanthe sie letztlich in die Seitenstraße führte, von der er den Schrei vernommen hatte, blieb sie mit aufgerissenen Augen stehen. Da lag er, verkrümmt und leblos. Die Augen geschlossen, zeugte sein blutverschmierter Körper von dem harten Kampf, den er durchlebt hatte. Sofort stürmten beide auf ihn zu, Anya glitt auf die Knie und nahm seinen Kopf in die Hände. „Nick! Nick!“ „Er atmet noch“, stellte Zanthe fest, als er sich über ihn beugte. Noch einen Moment in der Schockstarre verharrend, schwang Anyas Angst schnell in Wut um. Welche sie unglücklicherweise direkt an Nick in Form einer mächtigen Ohrfeige entlud. „Wach auf!“, brüllte sie. Stöhnend öffnete er einen Spalt die Augen, drohte aber gleich wieder in die Bewusstlosigkeit abzurutschen. „Was ist passiert? Wer hat dir das angetan!?“, wollte Anya wissen. Deutlich orientierungslos, streckte Nick den Arm in eine scheinbar willkürliche Richtung aus, wobei er den Namen murmelte, den Anya hören wollte. „Kali …“ Damit driftete er wieder ab, ließ den Arm sinken. Anya blickte rat- wie hilflos zu Zanthe auf. „Wer zum Geier ist Kali!?“ „Keine Ahnung“, zuckte der mit den Schultern, „aber scheinbar kann er oder sie dich nicht sonderlich gut leiden.“ Und deutete damit auf die Bruchstücke der Krone, die neben Nick lagen.   Turn 43 – Reunion Wenige Tage später – Nick hat sich inzwischen einigermaßen von dem Duell mit Kali erholt – fahren er, Anya und Zanthe zum Flughafen, um Abby abzuholen. Jene ist für die bevorstehende Hochzeit von Valerie und Marc angereist und sorgt im ersten Augenblick für verwunderte Blicke. Allerdings erkennt sie sofort, dass Anya etwas belastet. Doch als die nicht mit der Sprache herausrücken will, entflammt ein Duell zwischen den beiden Freundinnen, das … Kapitel 48: Turn 43 - Reunion ----------------------------- Turn 43 – Reunion     „Hier arbeitest du also?“ „Ja! Und das musst du mir nicht dauernd unter die Nase reiben!“, fauchte Anya Zanthe an. „Warum bist du überhaupt hier? Hast du nichts anderes zu tun, als mir an der Arschbacke zu kleben!?“ „Nicht wirklich“, entgegnete er trocken, „leider, wie ich anmerken möchte.“ „Geh meinetwegen die Stadt erkunden, oder so!“, schlug Anya ihm in der Hoffnung vor, ihn loszuwerden. Aber Zanthe zuckte nur unbedarft mit den Schultern. Während sie damit beschäftigt war, die neuesten Boosterpäckchen und Promotion-Artikel in das Regal vor sich einzuräumen, stand der Kopftuchträger mit verschränkten Armen hinter ihr und schaute mäßig interessiert zu. „Hmm … vielleicht später.“   Anyas turbulentes Wochenende war inzwischen vorbei, sodass es wieder hieß: malochen, Kunden verschrecken und sich bis zum Erbrechen langweilen. Zumindest ging es Nick einigermaßen gut, er war sogar schon wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden. Trotzdem zierten seinen Oberkörper jetzt unschöne Narben, die er selbst allerdings als ziemlich, Zitat, 'abgefahren' empfand. Über das, was er erlebt hatte, verlor er seither kaum ein Wort, aber Anya wusste, dass es mit der Kuttentrulla zusammenhängen musste – Kali. Ihre neueste Feindin, hurra! Eine Anya Bauer ließ sich von so etwas aber nicht die schlechte Laune verderben, das Thema würde sich sicher früh genug klären. Dann gab's für die kaputte Krone die passende Antwort in Form von Knochenbrüchen, entsprechend der Zahl an Scherben, die jetzt auf ihrem Schreibtisch lagen! Diese Kali sollte es sich nur trauen, sie noch einmal zu beklauen! Und Nick? Der war selber schuld daran, so zugerichtet worden zu sein, immerhin hatte sie ihn nicht um seine Hilfe gebeten! Glücklicher Bastard aber auch, der konnte fein zuhause hocken, sich betüddeln lassen und sie musste schuften! Undankbar wie Anya war, ahnte sie in ihrem inneren Monolog nicht, wie viele sie eigentlich um ihren Job beneideten. Zu denen gehörte Zanthe allerdings nicht.   „Kaum zu glauben, dass du dich für so etwas erniedrigst“, palaverte er daher und betrachtete dabei skeptisch Anyas Hinterteil, als diese sich bückte, „dich hätte ich mir eher vor einem Club vorgestellt. Als Rausschmeißerin. Und übrigens, an deinem Arsch möchte ich nicht kleben, der ist viel zu flach.“ „Das hab ich probiert“, murmelte die beschäftigte Blondine und überhörte gnädigerweise seine Beleidigung. Was sie allerdings sämtliche Überwindungskräfte kostete, die sie aufbringen konnte. Aber auch nur, weil Mr. Palmer sie rausschmeißen würde, wenn sie -nochmal- jemanden in seinem Laden vermöbelte. „Die haben mich sofort abgewiesen, die Schweine!“ „Hatten wohl Angst, dass du gar keinen reinlässt!“, stichelte Zanthe. Sofort richtete Anya sich auf, wirbelte zu ihm herum und streckte stolz die Brust hervor. „Darauf kannst du Gift nehmen, ich hätte den Laden sauber gehalten!“   Die Türglocke klingelte. Beide sahen herüber, wie die gläsernen Türen sich automatisch aufschoben und ein Kunde den Laden betrat. „Oh mein Gott“, stammelte Zanthe und begann wie ein Mädchen zu kichern, „schau dir den an! Das ist ja ein Zwerg!“ „Nein“, murmelte Anya. In ihren Augen stand mit einem Schlag feuriger Eifer, „das ist mein Trinkgeld!“ So schnell konnte der Werwolf gar nicht gucken, da hatte sich Anya an ihm vorbei gedrängt und steuerte geradewegs den Mann an, welcher nicht eher gehen würde, bis er ein paar tausend Dollar hiergelassen hatte. Nanu? Das letzte Mal, dass ich dich so engagiert gesehen hab, war, als du versucht hast, Valerie Redfield eine Brustverkleinerung ans Herz zu legen. Und das ist Monate her.   „Schnauze, Levrier“, bellte sie in ihrem Fast-schon-Sprint, „wenn ich den Kackjob behalten will, muss ich was verkaufen! Mr. Palmer ist nicht gerade gut auf mich zu sprechen …“ Warum nur? Nun denn, viel Erfolg. Versuche bitte auf Beleidigungen zu verzichten.   „Kann nix versprechen!“ Schließlich hatte sie das Zielobjekt erreicht und versperrte ihm, wie jeder schlechte Verkäufer, dreist den Weg. „Hallo“, versuchte sie es mit künstlich hoher Stimme und schleimigen, schiefen Lächeln, „kann ich Ihnen helfen?“ Der Mann, vielleicht Anfang bis Mitte 30, sah sie verständnislos an. Anya musterte ihn. Schwarzes, kurzes Haar, buschige Koteletten bis zum Kinn, generell ein kantiges Gesicht. An irgendjemanden erinnerte er sie, aber sie kam nicht drauf. Aber was hatte der Flohzirkus an seiner Größe auszusetzen? Der war doch genauso groß wie sie! Leider lebte Anya diesbezüglich in ihrer ganz eigenen, 'kleinen' Welt und blendete daher gerne mal aus, dass sie mit ihren knapp 160 Zentimetern Körpergröße schon als Mädchen am unteren Durchschnitt nagte. Zwar glich sie das locker mit ihrem Ego aus, welches sie zuweilen durch die Decke schießen ließ, aber andere Menschen hatten am Ende doch eine andere Wahrnehmung des Ganzen. Kurzum: er war tatsächlich für einen Mann sehr klein. Kräftig gebaut, aber ein Zwerg. Anya blickte ihn, unter ihrer fadenscheinigen Version von Toleranz, hoffnungsvoll an. Seine braunen Augen waren kurz auf sie gerichtet … dann ging er stumm an ihr vorbei und sah sich weiter um.   Er hat dich stehen lassen, Anya Bauer. Versuch bitte nicht, ihn zu töten. Vielleicht will er erst-   Aber Levriers Versuche, das drohende Unheil abzuwenden, waren ultimativ zum Scheitern verurteilt. Wie ein Tornado wirbelte Anya herum. Der Kunde lief einfach weiter, sah sich dabei nach links und rechts um. „Hey!“, schrie sie ihm hinterher. „Ich hab dir 'ne Frage gestellt, verdammt!“ Keine Reaktion. Die Adern in Anyas Augäpfeln traten rot hervor. „Wenn du die Kinderabteilung suchst, in deiner Größe verkaufen wir nichts! Probier's mal bei MyBaby im Obergeschoss!“ Er blieb stehen. Drehte sich um. Ruhig, aber unterschwellig provokativ antwortete er: „Du nervst. Siehst du nicht, dass ich mich erst einmal umsehen will?“ „Was war das, Erdwurm!? -Ich- nerve!?“ Anya wollte noch ein paar andere Beleidigungen hinterher schmeißen, da wurde sie von Zanthe zur Seite gestoßen. Der drängelte sich vor und setzte sein schönstes Zahnpastalächeln auf, während es hinter ihm laut rumpelte. „Bitte verzeihen Sie meiner Kollegin, sie ist noch neu hier“, strahlte er über beide Backen, „ich muss sie erst noch einarbeiten. Sehen Sie sich ruhig um und wenn Sie Hilfe brauchen, melden Sie sich einfach. Ich helfe Ihnen gerne.“   Die Blondine, welche mit dem Hinterteil in den Einkaufskörben lag, weitete die Augen. Was sollte das denn jetzt!? Allerdings schien der Kunde auch von Zanthe nicht sonderlich angetan zu sein, wie sein abschätziger Blick verriet. „Danke für das Angebot, aber wenn ich's recht bedenke … eher nicht. Gibt sicher noch woanders das, was ich suche.“ Damit zog er ohne weitere Worte an Zanthe vorbei. Doch bevor er das Geschäft verließ, als er Anya passierte, warf er ihr noch einen undeutbaren Blick zu. Dann schloss sich die Tür und beide standen beziehungsweise saßen da in ihrem Leid. „Er hat mich abgewiesen“, murmelte Zanthe zutiefst in seinem Stolz getroffen. Sich zu Anya umdrehend, funkelte er sie böse an. „Das wäre sicher nicht passiert, wenn du es nicht versaut hättest!“ „Was geht dich das an!? Seit wann bist du hier überhaupt der Verkäufer!?“ „Entschuldige bitte, dass ich das Elend nicht ertragen konnte und dir helfen wollte! Beschwer' dich beim Erdnuckel, wenn du ein Problem hast!“ Zanthe fasste sich nachdenklich ans Kinn. „Aber der kommt bestimmt nicht wieder.“ Anya erhob sich langsam und klopfte sich das Hinterteil ab. „Tch, alles nur wegen dir!“   Dass er euch beide jetzt für Spinner hält, war nur zu offensichtlich. Ich würde hier auch nicht einkaufen wollen, wenn zwei Kollegen sich vor meinen Augen mit körperlichem Aufwand um einen Kunden streiten.   „Hmpf!“, schnaubte Anya lediglich, die so gar nicht einsehen wollte, was sie denn jetzt wieder falsch gemacht hatte. Gerade wollte sie sich wieder an die Arbeit machen, da hallte es aus dem Lager hinter dem Tresen: „Bauer! Was hast du jetzt schon wieder angestellt!? Sag bloß, das war ein Testkäufer!?“ Das Mädchen wurde mit einem Schlag leichenblass. „Oh shit …“ Zanthe klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter, als sie im Schneckentempo an ihm vorbei schlurfte. „Kopf hoch, beim nächsten Job wird alles besser.“ „Geht doch alle sterben!“   ~-~-~   Wegen all dem Ärger hätte Anya es fast vergessen! Heute war doch -der- Tag! Der beste seit Wochen, nein Monaten! Wie gut, dass Mr. Palmer noch einmal davon abgesehen hatte, sie zu feuern. Allerdings hatte er dafür jetzt ausgerechnet Zanthe spontan als eine Art Aushilfe eingestellt, da ihm seine Attitüde deutlich besser gefiel als Anyas … Was wohl deutlich zeigte, wie verzweifelt der Mann sein musste. Anya aber war es egal, dann konnte der Flohzirkus wenigstens die ganze Drecksarbeit erledigen, die für sie bestimmt war.   Zusammen saß sie mit Zanthe auf dem Rücksitz des Wagens, den Nick sich von seinem Vater geliehen hatte. Geliehen wie in: 'Ich schnappe ihn mir heimlich, obwohl ich mich wegen meinen Verletzungen keinen Stress aussetzen sollte' sowie 'Dad wird schon nicht mitbekommen, dass ich sein Ein und Alles zu einer kleinen Spazierfahrt mitnehme'. Der Harper-Bursche war es auch, der am Steuer saß. Und das Ziel lautete: Livington Airport. „Und wer ist diese Abby?“, hakte Zanthe nach. „Meine beste Freundin, mehr nicht. Sie studiert im Moment in England, aber kommt für ein paar Tage zu Besuch.“ Anya tat zwar so, als wäre das alles nicht weiter wichtig, doch sie konnte niemandem etwas vormachen. Sie freute sich riesig darauf, Abby endlich wiederzusehen. Nick, der gerade in eine Straße einbog, fügte hinzu: „Sie kommt, weil Valerie sie zu ihrer Hochzeit eingeladen hat. Und sie ist eine der Brautjungfern, wie ich gehört habe.“ „Huh? Ich dachte Caroline Mayfield ist die Brautjungfer!?“ „Anya, man kann mehr als eine haben“, belehrte Zanthe sie altklug, „auch wenn du wohl nie in den Genuss kommen wirst. Hat man heute ja gesehen, warum.“ „Pah, das weiß ich selbst!“, schnaubte das Mädchen und verschränkte die Arme. „Ich will sowieso nie heiraten, das ist nur was für Spießer! Abby hat aber abgelehnt, hat sie mir erst neulich am Telefon erzählt.“ Überrascht horchte Nick auf. „Hat sie das? Warum? Das sieht ihr nicht ähnlich. Als Brautjungfer ausgesucht zu werden, dann noch von Valerie, gleicht praktisch einem Ritterschlag.“ Plötzlich verdunkelte sich die Stimme des Fahrers, als ihn eine unschöne Vermutung in den Sinn kam. „Anya, hast du etwa-!?“ „Nein, hab ich nicht! Sie hat von sich aus damit angefangen. Nicht, dass ich was dagegen hätte …“ „Hat sie es begründet?“ „Keine Ahnung, bei dem Thema hab ich immer gleich abgeschaltet.“ Zur Verdeutlichung bohrte sich das Mädchen mit dem kleinen Finger im Ohr. „Kannst sie ja gleich selbst fragen, wenn es so wichtig ist.“ „Hmm …“, gab Nick nachdenklich von sich, „... das sieht ihr wirklich nicht ähnlich.“   ~-~-~   Nick parkte den weißen Chrysler Neon, Baujahr 1995, auf einem weitflächigen Parkplatz etwa einen halben Kilometer vom eigentlichen Flughafen entfernt. Schon aus der Ferne konnten sie das riesige Stahlkonstrukt sehen, dessen Form einem Flugzeug nachempfunden war. Hinter dem Gebäude befanden sich die Landebahnen, Hangar und Lagerhallen, die sie aber von hier aus nicht sehen konnten.   Es war ein grauer, trüber Tag. Die dunklen Wolken waren Vorboten eines Regenschauers, der für heute angekündigt war. Als sie zu dritt von Nicks Wagen los trotteten, ätzte Anya: „Seit wann hast du eigentlich einen Führerschein, Harper?“ „Ich habe keinen“, erwiderte dieser vergnügt, die Gruppe anführend. „Cool. Dann-“ „Vergiss es, Anya.“ „Aber-!“ „Nein.“ „Wieso!?“ Nick seufzte, spürte nebenbei ein unangenehmes Zwicken in der Magengegend. „Uh! Bei mir merkt es keiner. Bei dir hingegen …“ Das Schnaufen hinter ihm bestätigte ihn in seinem Vorhaben, den Zündschlüssel ab sofort wie seinen Augapfel zu hüten. Ansonsten würde es bald keine GTA-Spiele mehr geben, was sicherlich auch nicht in Anyas Interesse sein konnte, egal wie sehr sie versuchte, das vor der Flimmerkiste Gelernte umzusetzen.   Nach einem kurzen Fußmarsch standen sie direkt vor dem Haupteingang des Flughafens. Eine ganze Reihe von Taxen war dort aufgestellt, schon draußen standen reihenweise Menschen unterschiedlichster Herkunft und Absichten.   Kaum zu glauben, denn erst seit Kurzem boomte Livington als Urlaubsziel. Genauer gesagt, seit der Turm von Neo Babylon aufgetaucht und wieder verschwunden war. Natürlich waren die Ruinen die größte – und böse Zungen munkelten auch einzige – Sehenswürdigkeit der kleinen Vorstadt.   Zusammen traten sie durch eine der vielen mechanischen Schiebetüren. Sofort fiel Nicks Blick auf den riesigen Monitor über den Rolltreppen, die geradewegs vor ihnen nach oben führten. „Abbys Maschine ist bereits eingetroffen“, entnahm er den weißen Lettern auf schwarzem Hintergrund. „Terminal 32.“ So bogen sie nach rechts ab, umringt von aberhunderten von Fluggästen. Dazu musste man wissen, dass der Flughafen nicht wirklich 32 Terminals besaß. Eigentlich war Terminal 3 gemeint, die 2 stand für Ankunft, wohingegen die 1 als Referenz für den Abflug verwendete wurde. So waren bei den 2er-Terminals die Gepäckausgabebänder zu finden, welche die Drei schließlich durchquerten. Da allerdings nur einige wenige Leute herum standen, die auf ihre Liebsten warteten, ging Nick davon aus, dass die Passagiere noch nicht ausgestiegen waren.   Schließlich gelangten sie in einen großen Saal mit mehreren Sitzbänken. Von einem Panoramafenster konnte man auf die Flugbahnen schauen. Dort sah man auch, dass ein Flugzeug nicht weit entfernt angedockt hatte, die Fluggastbrücke war bereits ausgefahren. Kurz warteten Anya, Nick und Zanthe, dann kam schon eine Traube von Fluggästen auf sie zu. „Ich hoffe, Abby hat was Cooles mitgebracht“, murrte Anya. Zanthe, der die ganze Zeit über verdächtig still gewesen war, meldete sich schließlich auch zu Wort. „Irgendwas riecht hier seltsam. Und damit meine ich nicht dich, Anya. Wirklich, wirklich seltsam. Fast wie … Honig.“ Demonstrativ schnüffelte Anya durch die Gegend, einige Leute sahen sie dabei überrascht bis abgeschreckt an, während sie an ihr vorbei gingen. Schließlich zuckte das Mädchen mit den Schultern. „Keine Ahnung was du hast, Wurmparadies.“   Die Leute kamen und passierten sie, während die Drei warteten und warteten, dabei nicht gerade leise 'diskutierend'. Wie in: Anya hat immer Recht, Zanthe sowieso und Nick ist von beiden einfach nur genervt. Irgendwann, die illustre Runde – lies: Anya – war schon kurz davor, sich beziehungsweise anderen ernsthaft weh zu tun, da unterbrach ein zuckersüßes „Hey“ die Streitigkeiten. Die Blondine, die gerade Zanthe am Kragen seines weißen Hemds gepackt hatte, ließ jenen glatt los. Vor ihr stand eine junge Frau, die sie noch nie gesehen hatte. „Geh weg“, fauchte sie jene an, „ich kaufe nichts von Pennern!“ „Ich bin es doch, Abby! Erkennst du mich nicht?“   Man glaubte, Anyas Kinnlade durch den Boden krachen zu hören. Die leicht gelockten Haare, sie waren jetzt glatt und mit einer Spange nach oben gesteckt. Wo früher eine kreisrunde, dunkelbraun getönte Brille auf der Nase hockte, saß jetzt eine kantige, dezente Designerbrille. Und diese blumigen Kartoffelsäcke, die Abby immer getragen hatte, sie waren durch ein hellblaues Kostüm ersetzt worden. Das sogar etwas Bein zeigte! Fazit: das da war nicht Abby! Bestenfalls die Stepford-Version!   „Oh, ihr hat es wohl die Sprache verschlagen“, wunderte sich 'Abby' und nahm einen Schritt zurück, um ihre Freundin neugierig zu mustern. „Schön, dich zu sehen, Abby.“ Nick, nicht weiter von deren optischer Wandlung überrascht, drängte sich dazwischen und umarmte die junge Frau herzlich, die ihm ebenso glücklich erwiderte: „Danke, Nick! Ich bin auch froh, euch endlich wieder zu sehen. Oh, es ist so lange her!“ Sie schniefte, eine kleine Kullerträne lag in ihrem rechten Auge. „Sorry!“ Sich mit dem kleinen Finger das verräterische Nass hinter der Brille wegwischend, ging sie auf Zanthe zu. „Oh? Du bist …?“ „Zanthe, deine übernatürliche Vertretung“, scherzte der schwarzhaarige Kopftuchträger und gab Abby die Hand. „Cool, endlich sehe ich mal eine echte Sirene!“ Die kicherte verschmitzt. „Anya hat mir schon am Telefon von dir erzählt. Du solltest sie nicht ständig zur Weißglut treiben!“ „Die Verlockung ist einfach zu groß“, rechtfertigte sich Zanthe, was Abby nur zum Grinsen brachte. „Ha ha, ja, das Gefühl kenne ich. Trotzdem solltest du netter zu ihr sein.“ Plötzlich drückte sie ihm vergnügt den Zeigefinger auf die Nase. „Sonst muss ich dich bestrafen! Ich habe dich übrigens schon gespürt, da waren wir noch gar nicht gelandet.“ „Und du bist die Einzige hier, die nicht zum Himmel stinkt.“ Zanthe schob ihren Finger mit dem seinen beiseite. „D-danke?“   Anya indes stand immer noch stumm da und sah Abby an, als wäre sie eine Außerirdische. Zugegeben, da Anya eher selten aus ihrer eigenen, kleinen Ecke des Universums herauskam, mochte das aus ihrem Blickwinkel betrachtet tatsächlich so etwas wie der Realität entsprechen. Für Abby hingegen, die in der Hinsicht wesentlich weiter entwickelt war als Anya, war die Irritation ihrer Freundin mit zunehmender Dauer einfach nur noch befremdlich. „Freust du dich etwa nicht, mich zu sehen?“, fragte sie mit belegter Stimme. „Ich glaube, ihr Hirn ist einfach nur abgestürzt. Das dauert etwas, ehe es rebootet“, stichelte Zanthe und rammte Anya den Ellbogen in die Rippe. „Sag Tag zur lieben Tante!“ „A-Abby“, löste sich jetzt endlich Anyas Zunge. Das brünette Mädchen begann zu strahlen. „… du siehst furchtbar aus.“ Aber nur für einen Sekundenbruchteil. Dann brach sie in kindliches Gekicher aus. „Ohhhh, ich wusste es! Du hättest mich nicht erkannt, oder? Aber für einen Moment dachte ich wirklich … bei dir kann man ja nie wissen!“ Alle lachten los. Nur Anya stand da wie ein begossener Pudel. Was zur Hölle war mit ihrer Freundin geschehen, wieso sah die so … so … so Redfield-mäßig aus!? Sie wollte die alte Abby wieder, auf der Stelle! „Keine Ahnung, wer dir die Gehirnwäsche verpasst hat, aber ich schwöre dir, ich werde ihn finden und umpfmhampfhamph!“ Abby hielt ihrer Freundin den Mund zu, ehe die sich noch weiter ereifern konnte. „Keine Gehirnwäsche. Ich fand, es war Zeit, einen etwas seriöseren Look anzunehmen. Gefällt es dir nicht?“ „Neinmpf verfammfoffal!“, schimpfte Anya durch ihre Finger. „Tja, daran musst du dich aber gewöhnen“, meinte Abby jetzt mit scheelem Blick und nahm die Finger von Anyas sekundärem Atmungsorgan, ehe diese ihr noch einen abbiss, „mich gibt’s jetzt nur noch so. Außerdem bin ich immer noch dieselbe Abby, innerlich!“   Das wusste sie, dachte Anya völlig missverstanden. Aber diese Outfit, es war so …! Nein, das Problem war nicht, dass Anya es nicht mochte. Das Problem war, -dass- Anya es mochte. So völlig unwillentlich, ohne überhaupt mit ihrem Gehirn vorher abgesprochen zu haben, was sie davon hielt. Und das war für jemanden wie Anya, die aus Prinzip erst einmal gegen alles Ungewohnte war, absolut inakzeptabel. Man hatte ihr die Entscheidung einfach abgenommen, ohne sie zu fragen! Da war diese neue Abby und sie sah umwerfend aus, ohne, dass Anya ihr OK dazu gegeben hatte. So wie sie ihr OK gegeben hatte, als sie entschied, dass explodierende Briefkästen einen schönen Klang in ihren Ohren hatten. Oder wie sie sich mit sich selbst darauf einigte, dass nichts Verwerfliches dabei war, die anderen Mädchen nach dem Sportunterricht in der Umkleide zu filmen und die Tapes anschließend auf dem Schulhof – und Gott allein wusste wo noch! – zu verkaufen. Aber das, das da war nicht in Ordnung! Abby hatte Abby zu sein und nicht Abbylicious! Und verdammt war sie Abbylicious!   Zum großen Glück der anderen Anwesenden vermochte Anya es jedoch irgendwie, ihren inneren Zwiespalt zu verbergen. Alles, was ihr zu Abbys Predigt in den Sinn kam, war ein müdes: „'kay.“ Tch, jetzt war sogar schon ihr Mund zum Verräterschwein mutiert! Unfassbar! Abbys Miene hellte sich umgehend auf, was Anya immerhin ein bisschen besänftigte. „Du wirst dich schon dran gewöhnen. Übrigens, ich habe euch etwas mitgebracht, aber es ist noch in meinem Koffer.“ Das erinnerte Anya prompt an etwas. Sie griff in die Innentasche ihrer mühsam zusammengeflickten Lederjacke ihres Vaters – die auch Anyas bescheidenen Näh- und Ausbesserungskünsten entsprechend aussah – und zog eine einzelne Duel Monsters-Karte daraus hervor. Die reichte sie Abby prompt. „Hab dir auch was mitgebracht. Wette, die passt gut in dein Deck“, brummte sie, als wolle sie das Thema möglichst schnell wieder beenden, bevor es richtig anfing. Abby nahm die Karte erstaunt entgegen und sah sie an. „Oh? Danke, wie lieb von dir! Aber die wäre in deinem doch viel- Ah!?“   Ein scharfer Schmerz durchfuhr Abbys Arm. Nur für einen kurzen Moment, aber er war dagewesen. Und da war noch mehr. Plötzlich sah Abby ihre Freundin mit ganz anderen Augen. Da stand Anya, etwas beschämt wegen ihrer guten Tat, aber … ihre Ausstrahlung, ihre -innere- Ausstrahlung hatte etwas Gefährliches. Es zog die Sirene in eine schier endlose Leere, die sie mit aller Macht zu verschlingen versuchte. Und es war kalt, eiskalt. Etwas lauerte dort in Anya oder war es gar sie selbst!? „Alles okay, Abby?“ Nick winkte mit seiner Hand vor ihren Augen. Die brünette, junge Frau stand regungslos da, wie weggetreten. Erst als Nick damit drohte, ihre Brüste durchzukneten, kam sie zu Sinnen. „Anya“, stammelte sie, „was ist passiert? Du … du bist …“ „Huh? Jetzt fragst du mich, was los ist? Guck doch in den Spiegel, Aschenputtel! Das ist passiert!“ „N-nein, ich meine … du bist so anders. Irgendetwas stimmt mit dir nicht.“ Abby wich von Anya zurück. „Was hast du angestellt? Ste-steckst du wieder in Schwierigkeiten!? Sag mir die Wahrheit!“ Anya und Nick tauschten vielsagende Blicke aus. Keiner von ihnen schien zu wissen, was plötzlich Abbys Problem war. Doch sie beide stimmten stumm miteinander überein, dass Abby irgendetwas von Anyas Deal mit dem Collector zu ahnen schien. „Nichts“, antwortete Anya schließlich scharf, „Thema beendet!“   Anhand ausreichender Erfahrung in Punkto Anya und Übernatürlichem wusste Abby jedoch, dass sie sich das alles gewiss nicht nur einbildete. Wenn Anya etwas unangenehm war, versuchte sie es mit aller Macht abzuschmettern. Zudem war das, was sie da gespürt hatte, real gewesen. Vielleicht war dies ihren wachsenden Kräften als Sirene zuzuschreiben, schließlich war sie mittlerweile imstande, Übernatürliches viel deutlicher wahrzunehmen als andere Menschen. Und selbst wenn in jenen wenigen Sekunden Abbys Einbildung ihr einen Streich gespielt hatte, Anyas Reaktion dem gegenüber war eindeutig genug.   Nur kannte Abby Anya wirklich sehr gut. Letztere würde nicht mit der Sprache herausrücken, egal wie sehr Abby bettelte und flehte. Um Anyas Zunge zu lösen, musste man mitunter die ein oder andere Missetat begehen. Wie etwa ihr Ego herauszufordern. „Anya, ich weiß, dass etwas ist. Dafür sind wir lange genug Freundinnen“, begann Abby noch einmal mit der einfühlsamen Schiene. Sich völlig im Klaren darin, dass es vergebene Liebesmüh war. Anya verschränkte genervt die Arme. „Nochmal wiederhole ich mich nicht, Masters! Alles ist a-o-kay!“ „Soll ich dich zwingen, mir die Wahrheit zu sagen?“   Es geschah so schnell, dass selbst eine Anya Bauer zurückschreckte. Abbys Iriden hatten sich verfärbt, waren rosa geworden und ähnelten mit schlitzartigen Pupillen plötzlich denen einer Katze. Abby spielte ernsthaft mit dem Gedanken, Anya zu hypnotisieren, um ihr so deren offensichtliches Geheimnis zu entlocken. Letztere schnaufte und zeigte mit dem Finger auf Abbys Nase, wobei sie sich vorsichtshalber dennoch von ihr abwandte. „Das wagst du nicht!“ „Also ist da etwas?“, wiederholte Abby streng. „Nichts, was dich etwas angeht, Masters!“ Da, die Bestätigung! Spätestens jetzt fühlte sich Abby auch in letzter Instanz im Recht. Nun musste man Anya das Ganze nur noch fein säuberlich entlocken. Und bei ihrem Ego gab es da nur eine Möglichkeit, schließlich würde die Sirene ihre Fähigkeiten niemals gegen ihre Freunde einsetzen. Zumindest nicht, solange es auch andere Wege gab … Abby hob den Arm. Dort materialisierte sich wie aus dem Nichts eine bunt leuchtende Duel Disk im Battle City-Baustil, in die sie nur noch das Deck schieben musste, das in seiner Box an ihrem Designergürtel hing. Einige umstehende Leute sahen hin, doch Abby wusste, dass das Ganze wie von 'Zauberhand' an ihnen vorbei ging. „Alter, wo hast du das gelernt!?“, staunte Anya wie ein Nilpferd. „Mit ein bisschen Fantasie geht alles. Du weißt, was ich von dir will. Und wenn du nein sagst, wird Valerie die Erste sein, die davon erfährt“, spielte Abby glucksend mit Anyas Stolz. Wäre dies möglich, wäre die Temperatur im Terminal 32 um mindestens zehn Grad Celsius abgefallen. Anya starrte ihre Freundin mit einem leicht psychopathischen Blick an, der in etwa ausdrücken sollte: 'Das hast du jetzt nicht wirklich gesagt, oder?' Dann streckte sie den Arm aus. „Mach das auch mit mir!“ Schwupps hatte auch Anya eine der bunten Duel Disks am Arm.   „Kann mir jemand erklären, was da gerade abgeht?“, fragte Zanthe an Nick gewandt, während die beiden Mädchen sich zum Duell aufstellten. „Das Übliche, Anya wird manipuliert, ohne dass sie es mitbekommt.“ „Ahhhh.“   „Du willst also ein Duell gewinnen, damit ich zu plaudern anfange wie Willy Clumsky, als ich ihn einmal am Bein festgehalten hab, ja?“ Womit Anya meinte, dass sie die lebende Fischgräte dabei aus dem fünften Stock des mittlerweile zerstören Schulgebäudes hatte baumeln lassen. Ah, die guten alten Schultage … „Präzise“, nickte Abby selbstbewusst, „anders geht es ohnehin nicht, bei so einem Dickschädel wie dir.“ „Und wenn ich nicht mitmache?“ Abbys Stimme frohlockte förmlich. „Valerie~“ „Du bist so tot, Masters!“ Hoffentlich war das nur ein Scherz, dachte Abby mit Unwohlsein. Das, was sie von Anya ausgehend gespürt hatte, war in diesem Zusammenhang alles andere als witzig. „Duell!“, schrien die beiden schließlich. Schon jetzt hatte sich eine kleine Traube von Schaulustigen um sie gebildet.   [Anya: 4000LP / Abby: 4000LP]   „Ich muss zugeben, mich auf ein Duell mit dir gefreut zu haben“, gestand Abby und zog als Erste, nämlich gleich sechs Karten, womit sie auch unweigerlich die Startreihenfolge festlegte, „aber nicht unter diesen Umständen.“ Anya winkte stöhnend ab. „Ach Masters, mit dir kann man sich nicht vernünftig duellieren! Immer wenn wir es tun, dann weil wir uns streiten!“ „Das sollte dir zu denken geben, Anya.“ „Pft!“ „Ich hab mich äußerlich vielleicht verändert, aber ich bin immer noch dieselbe Abby“, sprach jene entschlossen weiter, „mach bloß nicht den Fehler, mich zu unterschätzen! Ich setze ein Monster verdeckt, Zug beendet!“ Vor der bildhübschen, jungen Frau materialisierte sich eine Karte in horizontaler Lage. Eines schwor sich Abby letztlich: wenn dieses Duell zu Ende war, würde Anya reden, unabhängig vom Ausgang! Und wenn Abby eben doch ihren Vorsatz brechen und mit sirenischen Mitteln nachhelfen musste! In den letzten Monaten waren ihre Kräfte beachtlich gewachsen, was durchaus seine Vorteile hatte, wenn nervige Mitkommilitonen einem das Lernen erschwerten! Es war geradezu ironisch, dass sie erst durch Anyas Beistand gelernt hatte, sich mit ihrer Herkunft und ihren Fähigkeiten anzufreunden.   Anya ihrerseits, die rein gar nichts von Abbys heimtückischem Reserveplan ahnte, riss derweil eine Karte von ihrem Deck. „Draw!“ Ihr Blatt war nicht gerade der Knüller, was bei jemandem wie Abby tödlich sein konnte. Trotzdem, hier ging es ums Prinzip, also würde Anya gewinnen! Und wenn sie dabei mit levrierischen Mitteln nachhelfen und damit ihren Vorsatz brechen musste! „Ich beschwöre [Gem-Knight Amber]! Los, greif ihr Monster an!“, befahl Anya herrisch.   Gem-Knight Amber [ATK/1600 DEF/1400 (4)] Vor ihr tauchte ein goldener Ritter auf, der aus seiner linken Handfläche einen Dolch aus purer Energie zog. Mit diesem in der Hand stürmte er auf Abbys verdeckte Karte los, sprang in die Luft und rammte die Waffe in ebenjene. Diese wirbelte herum. Unmittelbar vor dem Krieger erschien eine Felsplatte mit Kulleraugen, welche er mit seiner Attacke glatt zertrümmerte.   Naturia Cliff [ATK/1500 DEF/1000 (4)]   Unter Amber zerfiel sie zu Staub. Abby rief: „Effekt von [Naturia Cliff] aktivieren! Wenn er zerstört wird, darf ich ein anderes Naturia-Monster an seiner Stelle im Angriffsmodus von meinem Deck beschwören, sofern es maximal vier Stufensterne besitzt.“ Sie suchte sich die Karte und legte sie auf die Licht-Duel Disk. „Ich nehme [Naturia Beans]!“ Aus dem Boden wuchs eine kleine, grüne Ranke, die aufploppte und drei niedliche Bohnen mit Kulleraugen hervorbrachte.   Naturia Beans [ATK/100 DEF/1200 (2)]   „Na toll“, dachte Anya sich bei deren Anblick, „kann mir doch denken, was du mit denen anstellen willst. Aber fein, versuch es ruhig! Ich setze zwei Karten verdeckt! Zug beendet!“ Die beiden Karten materialisierten sich vor ihren Füßen, als sie sie in ihre bunt leuchtende Battle City-Duel Disk schob.   Ihr Ziel wird es sein, [Naturia Beast] zu beschwören und deine Zauberkarten zu versiegeln, damit du deine [Gem-Knight Fusion] nicht mehr aktivieren kannst.   „Erzähl mir was Neues, Einstein“, zischte Anya leise, als Levrier neben ihr als durchsichtiger Pearl erschien. Abby grinste selbstbewusst. „Falsch Levrier. Übrigens kann ich dich jetzt richtig sehen.“ Hallo, Abigail Masters. Anscheinend wird meine Bindung zu Anya Bauers Elysion schwächer, wenn mich neuerdings jeder sehen kann. Nichtsdestotrotz ist es schön dich zu sehen, junge Sirene.   Zum Gruß hob er die Hand. Anya schnaufte wütend. „Hey! Bist du auf ihrer oder meiner Seite, huh!?“ Ihre Freundin kicherte und winkte zurück. Auf ihrer.   „Arschloch! Jetzt weiß ich schon mal, wer -nicht- in diesem Duell eingesetzt wird!“   Ich bin untröstlich …   Mit diesen sarkastischen Worten verschwand Levrier wieder. „Die beiden Zicken sind wirklich nervig“, stöhnte indes Zanthe beim Anblick der beiden Duellantinnen. Nick warf ihm daraufhin einen scharfen Blick von der Seite zu und murmelte mit unterdrückter Wut: „Die beiden sind meine Freunde.“ „Genau deswegen nervt es mich“, erwiderte Zanthe ernst, „besonders Anya. Sie benimmt sich wie ein kleines Kind, das rumbockt, obwohl es gar keinen Grund dafür gibt.“ Die Arme verschränkend, schüttelte sein Gesprächspartner den Kopf. „Da irrst du dich. Anya möchte Abby nicht beunruhigen, das ist alles. Letztes Jahr haben wir alle viel durchmachen müssen und sie-“ „Es ist eine Lüge. Und Lügen sind Gift für Freundschaften“, schnitt Zanthe ihm ins Wort. „Die Wahrheit kann manchmal umso schädlicher sein. Bestimmte Dinge sollten einfach nicht ausgesprochen werden.“ Zanthe zuckte in einer genervten Geste mit den Schultern. „Man, hörst du dir überhaupt zu? Ich meine, ist das wirklich so eine Situation, wo eine Lüge der Wahrheit vorgezogen werden sollte?“ Er seufzte anschließend. „Andererseits, was geht mich das an? Das ist euer Problem, nicht meins, macht was ihr wollt.“ „Du bist jetzt einer von uns“, relativierte Nick jedoch, „zumindest sieht Anya das so. Also ist es auch dein Problem.“ Überrascht sah Zanthe auf, kratzte sich am Hinterkopf. „Ist das so? Schätze wohl schon, ha ha…“ Dabei war ihm nicht entgangen, dass sein Gegenüber bewusst auf Anya verwiesen hatte. Nick selbst hielt nicht all zu viel von ihm, was er wirklich bei -jeder- Gelegenheit zum Ausdruck brachte. Allerdings täuschte er sich, wenn er dachte, dass ihm dies etwas ausmachte. Im Gegenteil, er konnte es gewissermaßen nachvollziehen, wenngleich es auch keine Rolle für ihn spielte. Nervig war es trotzdem. „Um auf deine Frage zu antworten: ich habe nie behauptet, dass dies eine Situation ist, die eine Lüge rechtfertigt. Aber ich bin nicht Anya. Es ist ihre Entscheidung, wem sie sich wann und wie anvertraut.“ Auf Nicks Äußerung hin sah Zanthe wieder herüber zum Duell. „So kann man sich auch herausreden.“ „Glaub was du willst.“   „Dann zeige ich euch mal, was ich wirklich vorhabe!“, rief Abby und zog. „Draw!“ Die neue Karte, eine Falle, betrachtete sie kurz vergnügt, ehe sie sie in die Duel Disk einlegte. Vor ihren Füßen materialisierte jene sich. Anschließend schnappte sich Abby 'ihren Plan' aus dem Blatt. „Ich biete [Naturia Beans] als Tribut an und beschwöre [Naturia Bamboo Shoot]!“ Überrascht von diesen Worten sah Anya zu, wie sich die kleinen Böhnchen in Luft auflösten und zwei Bambuszwiebeln Platz machten. Die waren kaum größer als Tannenzapfen, sahen ihnen auch recht ähnlich und hatten zudem, wie alle Naturia-Monster, niedliche Gesichter.   Naturia Bamboo Shoot [ATK/2000 DEF/2000 (5)]   „Eine Tributbeschwörung“, sprach Anya erstaunt, „fühlt sich wie eine halbe Ewigkeit an, seit ich das das letzte Mal gesehen hab.“ „Glaub mir, Anya, es lohnt sich! Effekt von Bamboo Shoot! Wenn das Tribut ein Naturia-Monster war, kannst du keine Zauber- und Fallenkarten mehr aktivieren, solange mein Monster auf dem Feld verweilt!“ Für einen Moment erweckte Anya wegen ihrer schief gezogenen Mundwinkel den Eindruck, als erleide sie gerade einen Schlaganfall. „Hast du eben Zauber -und- Fallen gesagt!?“ Ihre Freundin nickte zufrieden. „Ganz genau. Ich kann deine Strategien auch ohne meine Synchromonster versiegeln.“ „Dann … dann kann ich ja gar nichts mehr machen!“ Die Blondine verzog das Gesicht, als wäre Valerie Redfield soeben zur Miss Universe gewählt, mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet und Erbin einer erfolgreichen Hotelkette geworden. Kurzum: Schlaganfall und Herzinfarkt in einem! „Du hast immer noch Monstereffekte“, kicherte Abby süßlich. Natürlich wusste sie, dass sie damit nur Salz in die Wunde streute. Denn die regulären Gem-Knights von Anya besaßen keine nennenswerten Effekte, jene waren eher bei den Fusionsmonstern zu finden. Und was brauchte man, um die aufs Feld zu bekommen? Richtig! „Ich bin am Arsch …!“, kam die Erkenntnis. „Ein bisschen. Bamboo Shoot, greife [Gem-Knight Amber] an!“, befahl Abby mit ausgestrecktem Arm. „Bamboo Shot!“ Die beiden Zwiebeln sprangen synchron in die Luft, um mit ihrer Landung spitze Bambusrohre heraufzubeschwören, die unter Amber hervor schossen und ihn aufspießten. In tausend Einzelteile zersprang Anyas Ritter, während die wütend aufstöhnte.   [Anya: 4000LP → 3600LP / Abby: 4000LP]   „Kch!“ „Damit beende ich meinen Zug“, verkündete Abby mit ihren verbliebenen vier Handkarten. Anya sah auf die beiden gesetzten Karten vor sich. Toll, die waren jetzt völlig nutzlos!   „Okay, mir wird schon was einfallen! Draw!“, rief sie und zog schwungvoll. Mittlerweile hatten sich schon so einige Passagiere um sie geschert, einige feuerten sogar ihren Favoriten an. Unnötig zu erwähnen, dass die Mehrzahl der Leute auf Abbys Seite war. Aber das könnte Anya nicht gleichgültiger sein. Sie musste sich jetzt erst einmal darum bemühen, die Situation einigermaßen in den Griff zu bekommen. Ihre Hand war nutzlos gegen diese Viecher, aber eins konnte sie trotzdem tun! „Ich setze dieses Monster verdeckt! Zug beendet!“ Wie zuvor bei Abby, materialisierte sich jetzt vor Anya eine horizontal liegende Karte.   „Okay, ich bin dran! Draw!“ Schon als Abbys Fingerspitzen die oberste Karte ihres Decks berührten, spürte sie das flaue Gefühl im Magen, das praktisch aus dem Nichts daher kam. Als sie sie zog, wurde es sogar noch stärker, ihre Haut kribbelte mit einem Mal, als wären tausende kleiner Ameisen unter ihr. Sich die Karte ansehend, verschlug es ihr endgültig die Sprache. Das war … das war die Karte, die Anya ihr vorhin geschenkt hatte. Sofort sah die Sirene auf. Nervös stand Anya da, tippte ungeduldig mit der Fußspitze auf und ab, aber das war eher ihrer Lage im Duell zuzuschreiben. Abby bezweifelte, dass das im direkten Zusammenhang mit der Karte in ihrer Hand stand. Vielleicht bildete sie sich das auch nur ein. … nein, tat sie nicht! Vielleicht wäre es besser, diese Karte nicht auszuspielen, solange Abby nicht wusste, woher Anya jene überhaupt hatte. Recht deutlich aus der Fassung gebracht, steckte sie sie zu den anderen auf ihrer Hand und schnappte sich im selben Zuge ein anderes Monster. „G-gut, da meine Strategie ja zu funktionieren scheint, werde ich sie noch etwas vertiefen. Ich beschwöre [Naturia Stinkbug]!“ Abby streckte Anya den Unterarm entgegen. Auf diesem saß ein kleiner, grüner Käfer, der freudig herumkrabbelte. Naturia Stinkbug [ATK/200 DEF/500 (3)]   „Und jetzt greife ich dein gesetztes Monster an! [Naturia Bamboo Shoot], Bamboo Shot!“ Wie schon eben, sprangen die beiden Zwiebeln gleichzeitig in die Luft und sorgten dafür, dass unter Anyas verdeckter Karte spitze Bambusrohre hervorschossen. Jene wirbelte herum und heraus sprang ein in blauer Rüstung gekleideter Ritter, der mit seiner ganz aus Wasser bestehenden Machete den Bambus kurz und klein schlug, während er gleichzeitig den Attacken auswich. „Hast du dir so gedacht“, triumphierte Anya stolz, „[Gem-Knight Iolite] hat genug Verteidigungspunkte, um den Angriff abzuwehren.“ „Aber auf den Punkt genau …“, erwiderte Abby.   Gem-Knight Iolite [ATK/1300 DEF/2000 (4)]   „... oder sollte ich eher sagen, um 1000 Punkte zu wenig? Verdeckte Falle aktivieren, [Miracle Locus]!“ Anya hüpften fast die Augäpfel heraus. „Huh!?“ Die beiden Bambuszwiebeln vor Abby begannen zu wachsen, wurden größer und größer. „Bamboo Shoot kann mit dieser Karte ein zweites Mal angreifen, fügt dabei aber keinen Kampfschaden zu, was ohnehin irrelevant ist“, erklärte Abby, „dafür bekommt er 1000 Punkte drauf und du ziehst eine Karte. Bamboo Shot!“   Naturia Bamboo Shoot [ATK/2000 → 3000 DEF/2000 (5)]   Die nun riesigen Zwiebeln führten das Procedere wie von Abby befohlen fort. Und diesmal schossen die Bambusrohre so schnell aus dem Boden, dass Iolite nicht rechtzeitig reagieren konnte und aufgespießt wurde. Lauthals schmollend zog Anya die versprochene Karte auf. „Verdammter Kackmist, da geht meine Xyz-Beschwörung hin …!“ „Tja, das hast du dir wohl etwas zu einfach vorgestellt, was?“, kicherte Abby, die den Schock von eben insgeheim immer noch nicht verdaut hatte, wie ihre nervösen Blicke auf ihre Hand verrieten. „Direkter Angriff mit Stinkbug!“ Der Käfer auf ihrem Arm schoss ein grünes Sekret ab, welchem Anya einfach auswich, indem sie den Kopf zur Seite neigte. Stattdessen flog das schleimige Etwas durch den Kopf eines Zuschauers, welcher prompt ausgelacht wurde.   [Anya: 3600LP → 3400LP / Abby: 4000LP]   Abby musste zweimal hinsehen um sich zu vergewissern, dass im Gesicht des Geschäftsmannes nichts kleben blieb. Früher, als sie ihre Kräfte noch nicht so gut unter Kontrolle hatte, hätte es passieren können, dass das Zeug einfach real wurde. Das war eine von Abbys Gaben als Sirene, aus Fantasie für einen begrenzten Zeitraum Wirklichkeit werden zu lassen. Doch heute hatte sie ihre Kräfte fest im Griff. Zumindest dann, wenn gerade keine Anya in der Nähe war und sie völlig aus dem Konzept brachte. „Wenn das so weiter geht, sind wir bei dem Tempo morgen noch nicht fertig!“, motzte die wütend. „Ich will nachhause!“ „Sprich dich aus, dann kannst du nachhause“, bot Abby ihr an, kannte ihre Freundin aber gut genug, um zu wissen, dass so etwas zwecklos war, „Ich beende meinen Zug.“ Wieder sah sie ungewollt das Monster in ihrer Hand an, das ihr eine Gänsehaut bescherte. Ihre Bambuszwiebeln schrumpften zwischendurch auf die alte Größe zurück.   Naturia Bamboo Shoot [ATK/3000 → 2000 DEF/2000 (5)]   „Wie oft noch, es ist nichts!?“, fauchte Anya und riss die nächste Karte vom Deck. „Alles ist in Ordnung, mir geht es gut, 'kay!?“ Wütend schaute sie auf ihr Blatt. Jetzt musste sie sich wirklich etwas einfallen lassen, wenn sie nicht verlieren wollte. Es gab kein Monster mehr auf ihrem Blatt, das einem Angriff Bamboo Shoots standhalten konnte. Also wurde nichts aus einer Xyz-Beschwörung des [Kachi Kochi Dragons]. In ihrem Main Deck befand sich ansonsten nur noch [Gem-Knight Crystal], der es Angriffspunkte-technisch mit Abbys Monster aufnehmen konnte, doch um den ohne Tribute zu beschwören bedurfte es [Gem-Knight Alexandrite]. Und wer glänzte ausgerechnet jetzt durch Abwesenheit? Es war zum Kotzen! „Shit, was mach ich jetzt?“ Blöder [Gem-Knight Alexandrite], warum gerade jetzt!? Wenn sie wenigstens seinen entfernten Verwandten, den [Alexandrite Dragon] auf der Hand hätte! Der könnte mit seinen 2000 Angriffspunkten wenigstens einen Doppelkill hinlegen. Aber Gott und die Welt hatten es sich ja zur Aufgabe gemacht, ihr das Leben nach allen Regeln der Kunst zu versauen!   [Alexandrite Dragon]? Klingelt da nicht etwas bei dir, Anya Bauer?   „Ja, deine dämliche Stimme in meinem Kopf! Werd' klarer mit deinen Botschaften! Und woher wusstest du, dass ich an den dachte!?“   Gar nicht, ich kenne deine Möglichkeiten lediglich genauso gut wie du. Und ich erinnere mich gerade an einen bestimmten Drachen, den du vor nicht allzu langer Zeit gewonnen hast. Wenn ich mich recht entsinne, brauchte sein ehemaliger Besitzer nur ein Monster auf dem Feld, um ihn beschwören zu können.   „... und weiter?“   Anya Bauer, manchmal möchte ich-!   Der ging jedoch endlich ein Licht auf. Zwar nur ein sehr schwaches, Kurzschluss-gefährdetes Licht, aber es erhellte die klaffende Dunkelheit lange genug. „Ach der! Natürlich, sag ich doch, so machen wir das!“ Dann war es sogar gut, dass der kack [Alexandrite Dragon] noch in ihrem Deck herum gammelte! „Ich beschwöre [Gem-Knight Emerald]!“, rief Anya aus und knallte diesen auf ihre Duel Disk. Unter dem überraschten Gemurmel der Zuschauer erschien vor ihr der Ritter im Zeichen des Smaragds, der seinen kleinen, am Arm befestigten Rundschild herausfordernd anhob.   Gem-Knight Emerald [ATK/1800 DEF/800 (4)]   Anya räusperte sich und streckte den Arm in die Höhe. „Effekt von [Angel Wing Dragon] aktivieren! Ich schicke ein Licht-Monster wie [Alexandrite Dragon] von meinem Deck auf den Friedhof, um mit genau dem einmal während des Duells das Empfängermonster zu simulieren! Ich stimme damit meine beiden Stufe 4-Monster aufeinander ein …“ An Abbys ziemlich verwirrten Blick konnte man deutlich ablesen, dass ihr langsam alles zu hoch wurde. Nur war Anya in dieser Hinsicht sozusagen farbenblind, schob das normale Monster in den Friedhofsschlitz. „Heavenly … nein, divine … neee, auch nicht …“ Während Anya scheinbar belangloses Zeug vor sich hinnuschelte, erschien über ihr ein massiver, goldener Ring. Von ihm spannten sich langsam vier weiße Schwingen aus. Eine Art flüssige Oberfläche bildete sich in dem aufrecht stehenden Gebilde. Und Abby fragte perlex: „Anya, was wird das?“ „… sacred? Verdammt!“ Levrier schnalzte in Anyas Gedanken mit der Zunge. Benutze einfach den Spruch, den Zanthe gewählt hat, Anya Bauer. Das erspart uns allen eine Menge Frust.   „Das geht nicht, das wäre unkreativ und Plagiaturismus!“ Ein Plagiat meinst du.   „Sag ich doch!“   Das ist mir egal, Anya Bauer. Tu uns beiden den Gefallen und mach dich nicht lächerlicher als ohnehin schon. Alles wäre so viel einfacher, wenn du einmal auf mich hören würdest.   „Geez, fein, dann nehm' ich eben den Spruch vom Flohzirkus!“, platzte Anya da der Kragen. Den nach oben gestreckten Arm ließ sie niederfahren. „From the light of a different world, the herald of starlight descends upon the ravaged land! By discarding a single star, I call upon you! Synchro Summon!“ Ihr [Gem-Knight Emerald] zersprang in vier grüne Sphären, die in die Höhe stiegen und den goldenen Ring passierten. Ein Lichtblitz erleuchtete das Terminal. „Shine forth, [Angel Wing Dragon]!“, brüllte das Mädchen unter lautem Beifall. Aus der wässrigen Oberfläche des Rings drang nach vorn ein abgetrennter Drachenkopf hervor, nach hinten der peitschende Schweif, bis beide Enden perfekt verbunden waren. Der weiße, schlangenhafte Drache hob seinen Kopf und sah dabei wie eine Kobra aus, dank des goldenen Gestells um seinen Hals. Mit majestätischem Gebrüll verkündete er seinen Einstand.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   Abby stockte der Atem. Für einen Moment, so schien es, setzte ihr Herz aus. Die Luft blieb ihr weg, als würde etwas ihre Kehle zuschnüren. Dieses Gefühl hielt jedoch nur einen Augenblick an. Trotzdem war sie leichenblass geworden. „Anya … was sind das für Karten, die du da hast? Das ist doch nicht normal!“ „Pff, ich dachte du freust dich, dass ich endlich auch ein Synchromonster besitze. Du musst einem echt alles vermiesen, oder!?“ „N-nein, so war das nicht gemeint!“ „Ja ja, schon klar!“, winkte Anya trotz Abbys Beteuerung getroffen ab. „Mir doch egal! Los, Angel Wing, greife dieses nervige [Naturia Bamboo Shoot]-Ding an, damit ich endlich meine Karten ausspielen kann! Seraphim Judgment!“ Der imposante Drache öffnete sein Maul und schoss daraus eine weiße Flamme ab, um welche eine kleinere, goldene sich wie eine Spirale drehte. „Oh nein“, stammelte Abby aufgelöst und schwang den Arm aus, auf dem ihr Käfer saß, „Effekt von [Naturia Stinkbug]! Wenn du ein Naturia-Monster angreifst, kann ich ihn auf den Friedhof schicken, um die Battle Phase abzubrechen.“ Sie nahm den kleinen Käfer von ihrem Arm und ließ ihn in die Luft aufsteigen. „Geh fort, mein Kleiner.“ Um Abby und ihre Zwiebeln bildete sich eine grün leuchtende Energiekuppel, an der der Angriff des Drachen abprallte. „So ein verdammter Kackmist!“, fluchte Anya frustriert. Das hieß, ihre Karten waren immer noch versiegelt. „Zug beendet!“   Mit zitternder Hand zog Abby ihre Karte. Was war nur mit Anya los? Diese ganzen seltsamen Karten, woher stammten sie? Als ob da 'nichts' im Busch war! Erst das Geschenk, jetzt dieser Drache, der … der fast den Eindruck machte, als würde er wirklich leben! Voller Bitternis sah Abby ihr Blatt an. Scheinbar musste sie es anders probieren, eine neue Strategie benutzen, auch wenn es riskant war. 'Ihn' benutzen. Aber in dem Fall war es wohl okay. „Ich rufe [Naturia Rosewhip] aufs Feld!“, rief sie entschlossen. Eine kleine Rose mit Augen auf den Kelchblättern wuchs aus dem Boden.   Naturia Rosewhip [ATK/400 DEF/1700 (3)] Abby nahm sie und [Naturia Bamboo Shoot] gleich wieder von der Duel Disk. „Wenn du mit solchen Mitteln kämpfst, dann will ich nachziehen! Ich stimme meinen Stufe 3-Empfänger auf mein Stufe 5-Monster ein!“ Ihre Monster stiegen in die Luft. Während Rosewhip in drei grüne Ringe zersprang, durchquerten die beiden Bambuszwiebeln jene und wurden zu grellem Licht. „Oh great god of the south, protect the weak under your mighty wings! Synchro Summon!“, rief Abby dabei hoffnungsfroh. „Arise, [Naturia Vermilion]!“ Es blitzte. Und da war er, über ihr, in all seiner gewaltigen Pracht. Der aus roten Laubblättern bestehende Riesenvogel. Sein Wurzelschweif flatterte in dem Wind, den das Schlagen seiner prächtigen Flügel verursachte. Es war der Schandfleck auf Abbys Seele, das Symbol ihrer Schwäche. Ihres Verrats gegenüber Anya.   Naturia Vermilion [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   „Oh …“, entfleuchte es Anya fasziniert. Zanthe, der seither still geblieben war, sagte an Nick gewandt: „Gleichstark? Das könnte interessant werden.“ „Jetzt prallen ihre Seelen aufeinander“, erwiderte Nick. „Du erinnerst dich an ihn, nicht wahr?“, fragte Abby bedrückt nach. „Den habe ich damals bei dem Wettbewerb gezeichnet, an dem wir beide teilgenommen haben.“ „Ja, du hast gewonnen“, entsann sich Anya, „das war echt cool! Ich glaube, das ist das erste Mal, dass du ihn gegen mich benutzt. Man, Masters, so verzweifelt, weil ich ein neues Spielzeug habe?“   Nein, das war es nicht, seufzte Abby innerlich. Was Anya nicht wusste war, dass Abby, die damals den Auftrag hatte, die Teilnehmerbeiträge der beiden Freundinnen abzugeben, nur ihr eigenes Bild eingeschickt hatte. Aus Neid, weil Anyas Bild so viel besser war als ihr eigenes. Das hatte sie ihrer Freundin nie gebeichtet.   „Als wir nebeneinander unsere Artworks gezeichnet haben“, begann Abby traurig, „das hast du die ganze Zeit davon gesprochen, das du gewinnen wolltest.“ „Ja. Was ist daran falsch?“ „Gar nichts. Aber früher warst du nicht so … du hast dein Herz immer auf der Zunge getragen. Klar, ich weiß, dass du nicht gerne über deine Gefühle sprichst. Aber wenn du Probleme hattest, bist du immer zu mir gekommen.“ Eindringlich fügte sie hinzu: „Warum ist es jetzt anders?“ Ihr Gegenüber blinzelte mit den blauen Augen, dann sah sie schuldbewusst zur Seite. „Sorry Masters, diesmal nicht.“ Abby verstand. Niedergeschlagen blickte sie auf ihr Blatt. „Dann hast du sicher nichts dagegen, wenn ich diese hier benutze, oder? Weil du weißt, dass sie mich nicht in Gefahr bringen wird.“ Sofort horchte Anya auf und sah ihre Freundin verwirrt an. „Wovon redest du?“ „Da ich jetzt genau fünf Monster vom Erd-Element auf meinem Friedhof liegen habe“, erklärte Abby, während sie [Naturia Cliff], [Naturia Beans], [Naturia Stinkbug], [Naturia Rosewhip] und [Naturia Bamboo Shoot] vorzeigte, „kann ich diese Kreatur erwecken! Spezialbeschwörung! Zeige dich, [Grandsoil The Elemental Lord], Herr der Erde!“ Sofort spürte Abby, wie es in ihr pulsierte. Eine fremdartige Macht, so stark, dass sie dagegen geradezu mickrig wirkte. Ihr ganzer Leib kribbelte wieder. Hinter ihr erhob sich eine kolossale Gestalt. Pechschwarz war sie, in eine unglaublich dichte Rüstung gehüllt. Als sie sich wie aus einem Schlaf erhob, brach der Boden des Terminals auf. Blitze umgaben den finsteren Krieger, der fast an die Decke stieß. Anya folgte dem Schauspiel mit weit geöffneten Augen.   Grandsoil The Elemental Lord [ATK/2800 DEF/2200 (8)]   Abby starrte ebenfalls zu ihm hoch, richtete dann ihren Blick auf Anya. „Was immer er ist, ich vertraue dir. Effekt Grandsoils! Wenn er beschworen wird, belebt er ein Monster aus unseren Friedhöfen wieder, auf mein Spielfeld! Komm zurück, [Naturia Bamboo Shoot]!“ Aus einem Loch neben Abby brach ihr Monster hervor, direkt dort, wo Grandsoil seine riesige Handfläche verharren ließ. Dabei spürte sie, wie das Kribbeln unter ihrer Haut zu einem schmerzhaften Kratzen wurde.   Naturia Bamboo Shoot [ATK/2000 DEF/2000 (5)]   „Aber keine Sorge, da Bamboo Shoot spezialbeschworen wurde, bleibt sein Effekt aus.“ „Ach ja richtig, ich kann wieder meine gesetzten Karten aktivieren!“, fiel es Anya da ein. „Dann hast du jetzt gleich die Gelegenheit dazu“, rief Abby aus, „ich greife deinen [Angel Wing Dragon] mit Grandsoil an! Cataclysm Chasm!“ Seine gigantische Faust erhebend, schmetterte der Riese sie in den Boden. Damit erzeugte er ein Erdbeben ungeahnten Ausmaßes. Alles um die beiden Duellanten zerbarst regelrecht, Anya stolperte rückwärts, ihr Drache schrie panisch auf – und die Zeit blieb stehen. Abbys Augen leuchteten rosafarbend auf.   „Hallo, Abby.“ Das Mädchen sah sich um. Vollkommene Finsternis. Das war … eine Vision? Vor ihr stand ein Mann, recht jung, fein gekleidet. Sein rotes Haar war penibel gekämmt. Einzig die Narbe an seiner Wange trübte das ansonsten makellose Bild ein wenig. „Wer sind Sie?“ „Der Sammler. Sicher hat Anya dir von mir erzählt.“ Abby schreckte zurück. „Sie sind das!? Dann ist die Karte von Ihnen!“ „So ist es“, nickte er und streckte den Arm aus, „ich habe eine Bitte an dich.“ „Was … was könnte ein Dämon wie Sie von mir wollen?“, fragte Abby verunsichert. Sie spürte nichts. Von ihm ging keinerlei Macht aus. Entweder weil er nur ein Trugbild war … oder weil seine Kräfte außerhalb ihres Wahrnehmungsvermögens lagen. Egal was es war, es bereitete ihr furchtbare Angst. Der Sammler sah ihr mit festem Blick in die Augen. „Deine Freundin schwebt in großer Gefahr. Mit einigen Bedrohungen habe ich gerechnet, mit anderen nicht. Beschütze Anya, sollte sie jemals in Not geraten. Hilf ihr, wenn kein anderer ihr helfen kann. Mehr möchte ich nicht von dir.“ „D-das würde ich immer tun, aber-“ Doch er verschwand schon vor ihren Augen. Die Welt, wie sie sie kannte, kehrte zurück.   „Effekt von Angel Wing!“, löste Anyas Ausruf sie aus ihrer Starre. Der weiße Schlangendrache brüllte unheilvoll. „Im Kampf mit ihm erhalte ich keinen Kampfschaden!“ Unzählige Stalagmiten schossen unter ihm hervor und spießten ihn auf, ehe er von innen heraus regelrecht zerfetzt wurde.   [Anya: 3400LP / Abby: 4000LP]   Die junge Sirene wohnte dem Ganzen wie benebelt bei. Ihr war so, als hätte sie etwas gesehen, aber sie konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern. Der Blick wanderte automatisch auf ihre Duel Disk, wo [Grandsoil The Elemental Lord] zwischen [Naturia Vermilion] und [Naturia Bamboo Shoot] lag. Von ihm ging keine seltsame Energie mehr aus. Vielleicht hatte sie sich all das doch nur eingebildet? Der Flug war immerhin sehr lang gewesen, sie war müde. Unsicher, was das alles zu bedeuten hatte, schaute sie auf. Richtig, sie wollte Anya zur Rede stellen. Die biss sich nervös auf den Daumen, wusste sie, dass Abby sie jetzt mit dem riesigen Laubphönix und den Bambuszwiebeln direkt angreifen konnte. Was jene sogleich befahl: „Los, meine Monster, zeigen wir Anya, was für uns Freundschaft bedeutet! Direkte Attacke!“ „Tch, vergiss es, Masters! Falle aktivieren!“ Unter Anyas erhobener Hand sprang die Karte auf. „[Pyroxene Fusion]! Sie funktioniert wie [Gem-Knight Fusion], aber als Falle. Damit kann ich-!“ „Effekt [Naturia Vermilions]!“, konterte Abby. Einem Raubvogel gleich ging ihr Monster in den Sturzflug über und zerfetzte Anyas Falle dabei mit seinen ausgestreckten Klauen, ehe er sich unvermittelt auflöste. „Indem ich ihn auf den Friedhof schicke, kann ich eine Karte annullieren und zerstören, die ein Monster als Spezialbeschwörung rufen würde!“ „Shit! Aber wenigstens kannst du mich jetzt nicht mehr besiegen!“ Abby grinste. „Trotzdem kann [Naturia Bamboo Shoot] noch angreifen! Bamboo Shot!“ Wie gewohnt sprangen die Pseudokastanien in die Luft und ließen unter Anya spitze Bambusrohre hervorschießen. Die fluchte lauthals.   [Anya: 3400LP → 1400LP / Abby: 4000LP]   Mit einer Karte zwischen den Fingern rief Abby: „Die hier setze ich! Damit leite ich meine End Phase ein und …“ Die Falle materialisierte sich vor ihren Füßen, als beide Duellantinnen plötzlich synchron anfingen zu rufen: „... [Naturia Vermilion] kehrt auf das Feld zurück!“ „... [Angel Wing Dragon] macht ein Comeback!“ Während sich Abbys Vogel über ihr materialisierte, tauchte der goldene, geflügelte Ring über Anya auf, aus welchem der schlangenhafte Drache geschossen kam.   Naturia Vermilion [ATK/2700 DEF/2000 (8)] Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   Die Blondine entsorgte aufgrund von Angel Wings Bedingung die Stufe 4-Monster namens [Gem-Knight Iolite] und [Gem-Knight Amber] von ihrem Friedhof, stopfte sie in ihre Hosentasche und musste grinsen. „Cool, gleichzeitig.“ Auch Abby schmunzelte. „Komischer Zufall.“   „Na dann, mein Zug! Draw!“ Anya griff nach ihrem Deck. Sie würde diese Sache gewinnen, dann gab Abby hoffentlich Ruhe! Damit sie ihr alles erzählen konnte. Unter vier Augen. Irgendwann würde es sowieso herauskommen, bei ihrem Glück. Aber dann sollten wenigstens die beiden Deppen da drüben nicht dabei sein, das war eine Sache unter Freundinnen! „Hey, Abby“, rief Anya ihrer Freundin zu, „wir müssen mal wieder zusammen was zeichnen.“ Es dauerte einen Moment. Aber als Abby überglücklich lächelte, wusste Anya, dass sie den Wink verstanden hatte. „Also los!“, rief Livingtons Terrormaschine #1 lauthals und rammte eine Zauberkarte in ihre Duel Disk. „Zeit für die Gegenoffensive! Ich rüste Angel Wing mit [Megamorph] aus! Da meine Lebenspunkte unter deinen liegen, verdoppelt sich seine Stärke!“ Eine mit Runen verzierter Teller tauchte vor [Angel Wing Dragons] Brust auf – und wurde zertrümmert, als ein weißer Fangzahn in ihn hinein krachte. „Konterfalle [Exterio's Fang]! Wenn ich ein Naturia-Monster kontrolliere, kann ich deine Karte annullieren. Dafür muss ich aber selber am Ende eine abwerfen.“ Was Abby auch tat, indem sie [Naturia Stag Beetle] in den Friedhofsschlitz schob. „... berechenbar.“ Die brünette, junge Frau horchte überrascht auf. „Wie bitte?“ Anya grinste breit. „Du hast schon richtig verstanden, das war total berechenbar! Du hättest deine Falle hierfür aufheben sollen: ich aktiviere [Lightning Vortex]!“ Indem sie die Kosten bezahlte und [Particle Fusion] von ihrer Hand abwarf, konnte Anya eine Gewitterwolke über der erschrocken Abby und ihren Monstern erscheinen lassen. Die … „... alle deine offenen Monster zerstören wird!“ „Oh nein!“ Nach und nach schossen Blitze aus der Wolke. Erst wurden die Zwiebeln geröstet Schrägstrich zerbombt, dann der riesige Vogel und schließlich Grandsoil. Und als dieser von Innen heraus explodierte und in alle Einzelteile flog, fühlte sich Abby mit einem Mal federleicht. Als wäre das Gewicht der ganzen Welt von ihren Schultern genommen worden. „Das war also nur ein Bluff, um mich aus der Reserve zu locken“, fasste Abby die Situation zusammen, „gut gemacht, Anya. Du hast dich wirklich verbessert im Vergleich zu damals.“ Stolz zeigte das Mädchen mit dem Daumen auf sich selbst. „Na logo! Für meinen Traum ist das so gesehen überlebenswichtig! … aber das erzähle ich dir alles später.“ „Ich freue mich darauf“, strahle Abby aufrichtig. „Jetzt freu' dich erstmal auf deine Niederlage!“ Anya ließ den Arm über ihre zweite gesetzte Karte ausschwenken. „Verdeckte Falle aktivieren! [Birthright]! Damit kann ich ein normales Monster von meinem Friedhof im Angriffsmodus reanimieren! Sei wiedergeboren, [Alexandrite Dragon]!“ Vor Anya öffnete sich ein Loch im Boden, aus dem allerlei bunte Lichter drangen. Aus ihm schoss ein prächtiger Drache hervor, dessen Haut mit genauso farbenprächtigen, winzigen Edelsteinen besetzt war. Zwar wirkte er gegen Angel Wing wie ein Zwerg, doch war er letztlich genauso groß wie Anya selbst, als er vor ihr landete.   Alexandrite Dragon [ATK/2000 DEF/100 (4)]   Abby seufzte. „Das war es dann wohl …“ „Worauf du deinen neu gestylten Hintern verwetten kannst!“, stimmte Anya mit ein. „Direkter Angriff, meine Drachen! Double Seraphim Judgment!“ Die hübsche Sirene schloss ihre Augen, als die Drachen damit begannen, Energie in ihren Mäulern aufzuladen. Irgendwie fühlte sie sich nicht mehr unwohl. Ihr würde nichts geschehen, das wusste sie. Keine Gefahren … „Los!“ Simultan schossen beide Drachen einen leuchtenden Strahl aus ihrem Maul ab. In der Luft trafen sie aufeinander und verschmolzen zu einem, welcher Abby erfasste. Keine Angst …   [Anya: 1400LP / Abby: 4000LP → 0LP]   Die Hologramme verschwanden. Als Abby die Augen öffnete, wurde sie von Passagieren umringt, die ihr allesamt ihre Glückwünsche trotz der Niederlage ausrichten wollten. Einige fragten sogar nach, ob sie sich mit ihnen duellieren würde, doch Abby lehnte dankend ab. Anya hatte dagegen weitaus weniger 'Fans'. Zwar wurde auch sie zum Sieg beglückwünscht, aber weitaus verhaltener. Und es fragte keiner nach, ob sie Zeit für ein weiteres Duell hatte.   „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich, huh?“, nahm Zanthe sie in Empfang, während Abby noch in Beschlag genommen wurde. Anya verzog missmutig den Mund. „Irgendwie war das komisch. Plötzlich hat sie sich keine Mühe mehr gegeben.“ „Findest du?“, hakte der Kopftuchträger nach, musste dann aber dreckig grinsen. „Vermutlich hat sie keine Lust mehr gehabt auf dein Herumgezicke.“ „Hauptsache alles ist wieder in Ordnung.“ Entgegen seiner Aussage wirkte Nick trotzdem besorgt. Sein Blick lag dabei auf der Stelle, an der Anya sich duelliert hatte. Zwar war es kaum zu sehen, doch einige der Fliesen hatten Sprünge … Sprünge, die vorher nicht dagewesen waren.   ~-~-~   Nebeneinander knieten die beiden jungen Frauen nieder. Anya zeichnete [Kachi Kochi Dragon], wohingegen sich Abby an [Naturia Beast] versuchte. Bestimmt schon drei Minuten waren sie still, nur mit ihren Bildern beschäftigt. Von unten aus der Küche drang das belanglose Geplapper von Zanthe in Anyas Zimmer, der sich mit ihrer Mutter über seinen neuen Job als Kartenverkäufer und Anyas Aushilfe unterhielt.   Dann brach Abby das Schweigen. „Du hättest mir das viel eher sagen müssen.“ „Wenn ich es dir gesagt hätte, wärst du sofort hierher gekommen“, antwortete Anya tonlos, während sie versuchte, Kachi Kochis Augen blutrünstiger darzustellen. „Natürlich! Ich würde-!“ „Ich will aber nicht, dass du wegen mir dein Studium in Gefahr bringst“, fiel Anya ihr ins Wort und hörte abrupt mit dem Zeichnen auf, „ist schon schlimm genug, dass Nick alles weiß.“ „Bist du immer noch sauer auf ihn?“ Abby verharrte ebenfalls, blickte ihre Freundin fragend von der Seite an. „Weil er dir so lange etwas vorgemacht hat?“ „Ein bisschen …“ Es betrübte Abby zutiefst, ihre Freundin so … apathisch zu sehen. Ihr konnte sie nichts vormachen, nicht in diesem Augenblick. Die alte Angst war zurück, schlimmer als je zuvor. Das Leben, das sie sich so hart erkämpft hatte, vielleicht schon bald wieder zu verlieren. „Wir werden dir helfen, diese Gegenstände zu sammeln“, versprach Abby. Anya schüttelte den Kopf. „Nein. Zanthe und Nick werden mir helfen. Du hältst dich da raus, Masters.“ Damit stand die Blondine auf und sah auf ihr Kunstwerk herab. So hatte man ihren Drachen noch nie gesehen. In voller Pracht hatte er den Kopf zur Seite geneigt, während er durch die Lüfte flog. Als wäre hinter ihm jemand, den er unbedingt grüßen musste. Er sah direkt zu Abbys Bild herüber, wo ihr riesiger Tiger stolz durch einen Wald streifte und dabei in den Himmel sah. „Sieht gut aus“, befand Anya stolz, „darf ich mir die beide ins Zimmer hängen?“ „Ja …“   Abby schluckte. „... Anya? Du hast mich doch gefragt, warum ich nicht Valeries Brautjungfer werden wollte.“ „Ja, was ist damit?“ „Ich hab vorhin im Auto geschwindelt, als ich gesagt hab, dass mir das zu peinlich wäre.“ Auch Abby erhob sich jetzt. Sie drehte sich zu Anya um. „Es wäre einfach falsch. Wir kennen uns kaum, haben nie etwas miteinander unternommen. Ich hab Valerie immer bewundert, besonders als wir damals gegen ganz Livington gekämpft haben, du weißt schon, die Urila-Geschichte. Aber das reicht nicht und das habe ich ihr gesagt.“ Verdutzt blinzelte Anya. „Und wie hat sie reagiert?“ „Sie hatte Verständnis und hat sich sogar dafür entschuldigt, mich damals mehr oder weniger ignoriert zu haben.“ Abby lächelte plötzlich. „Ich hab ihr jemanden als Ersatz für mich vorgeschlagen, aber stell dir vor, diejenige wollte Valerie nicht fragen.“ Anya zuckte unbedarft mit den Schultern. „Ahja? Die Glückliche!“ „Ja … ich glaube, es ist so das Beste, auch wenn es mir leid für Valerie und die von mir vorgeschlagene Person tut.“ Was Abby Anya in diesem Moment verschwieg war die Tatsache, dass von Letzterer die Rede war und Valerie nur zu gut wusste, dass Anya das Angebot sofort ausgeschlagen hätte. Was deswegen ein Geheimnis zwischen der Sirene und der Braut bleiben sollte. „Was ich eigentlich sagen wollte … wenn du nicht möchtest, dass ich mich in die Sache einmische, dann werde ich das auch nicht. Aber ich werde immer an dich denken. Und wenn du doch Hilfe brauchst … frag einfach, okay?“ Ein Lächeln huschte über Anyas Lippen. „Danke.“     Turn 44 – Oh Brother Nach einem interessanten Arbeitstag trifft Anya, als sie Zuhause ihren Feierabend mit einem Duell genießen will, auf niemand Geringeren als ihren Bruder Zachariah. Sofort entbrennt zwischen den beiden, die sich jahrelang nicht gesehen haben, ein erbitterter Streit. Und infolge dessen … Kapitel 49: Turn 44 - Oh Brother -------------------------------- Turn 44 – Oh Brother     „Sag mal, Flohzirkus … ich hab dich das noch gar nicht gefragt.“ Anya hatte ihre Arme verschränkt auf den Tresen abgelegt. „Deine Inkarnation. Irgendwie ist sie anders, viel schwächer.“ Zanthe, der neben ihr mit dem Hinterteil an der Kassentheke angelehnt stand, guckte sie ratlos an. „Meine was?“ „Messier 7, du Knalltüte!“ Der Schwarzhaarige, der gerade dabei war, sein Piratenkopftuch zu richten, schien immer noch nicht ganz zu begreifen, was Anya von ihm wollte. „Ah! Was ist damit?“ Jene legte ihren Kopf genervt stöhnend auf ihre Arme ab. „Muss man dir denn alles aus der Nase ziehen? Eine Inkarnation ist die Weiterentwicklung eines Paktmonsters. Aber deine ist anders, du kannst sie auf all deine Xyz-Constellar anwenden, außerdem besitzt sie nur einen Effekt und kann nicht mal ihr Material recyceln.“ „Warum sollte sie das auch?“ Zanthe rieb sich nachdenklich das Kinn. „Ich habe mein Deck und den Duellhandschuh von … einer mir wichtigen Person geschenkt bekommen. Messier 7 war damals schon dabei. Wieso sollte ich mir darüber den Kopf zerbrechen? Es ist nur 'ne Karte.“ Anya richtete sich auf und klatschte sich die Hand vor die Stirn. So viel Dämlichkeit musste durch physischen Schmerz verarbeitet werden!   Gerade wollte sie ihn anfahren, da hallte es aus dem Lager: „Zanthe, komm mal! Du hast bei der Warenannahme einen Fehler gemacht! Die Stückzahl stimmt nicht!“ Mit den Augen rollend, stieß der junge Mann sich von Tresen ab und seufzte. „Hast du ein Glück, dass du dich nicht mit so etwas abgeben musst, weil du kaum zwei mal zwei rechnen kannst.“ „Verpiss dich bloß!“, raunte Anya ihm beleidigt nach, wie er durch die Hintertür verschwand. „Tch, hoffentlich schmeißt Mr. Palmer ihn bald raus.“ Eher schmeißt er dich raus, Anya Bauer. Übrigens, deine Frage war eine sehr interessante. Auf mich wirkte die Inkarnation … halbfertig. Meinst du nicht auch?   „Hab schon längst das Interesse daran verloren“, winkte Anya ab, „erzähl mir lieber was von-“ Sie traute ihren Augen kaum. Die automatischen Türen des Geschäfts fuhren zur Seite, das Klingelgeräusch ertönte … und der Zwerg war wieder da. Die braune Lederjacke lässig über die Schulter geworfen, schritt der schwarzhaarige Mann mit den Mörderkoteletten, wie Anya sie insgeheim bezeichnete, geradewegs auf sie zu.   Auf zu Runde 2. Diesmal spare ich mir meine Ratschläge gleich. Viel Spaß.   „Sup“, begrüßte er sie ohne Umschweife kurz angebunden an. Mit ziemlich tiefer Stimme. Anya war einen kurzen Moment sprachlos, war der Kerl gestern noch ganz anders drauf gewesen. „Suche was“, schien er sich nicht weiter an seiner letzten Begegnung mit Anya zu stören, „eine Karte. Ihr verkauft auch einzeln, oder?“ Keine Beleidigungen, keine Beleidigungen, keine Beleidigungen … Du hast ihn nie gesehen, er hat dich nicht gedemütigt, es gibt keinen Grund für eine patzige Antwort. Anya Bauer, wenigstens einmal will ich dich ein Geschäft abschließen sehen. Bitte!   Levrier sollte gefälligst aufhören, sich heimlich über sie lustig zu machen, dachte Anya wütend. Das brachte sie total aus dem Konzept! „Ja, tun wir“, erwiderte sie unwirsch, „aber die Karten sind im Lager. Und das kann ich jetzt auf gar keinen Fall betreten!“ „Warum nicht?“ Die Konkurrenz?   „... Putz... unfall.“ Er zog eine seiner buschigen Augenbrauen hoch. „Aha.“ „Aber wir schicken auch zu, gegen eine kleine Gebühr. Wonach soll ich suchen?“, fragte Anya in einem Anflug von Torschlusspanik. Levrier würde sie im Anschluss das nicht existierende Maul stopfen! Zur Verdeutlichung schwenkte sie herüber zu dem PC, der neben der Kasse stand und öffnete das Suchprogramm. „Kenne nicht den ganzen Namen der Karte. Irgendetwas mit Star Cestus“, folgte er ihr herüber. Anya tippte den Namen in die Stichwortzeile ein, fand aber kein Ergebnis. Mehrere Versuche mit verschiedenen Schreibweisen später musste sie dem Mann leider mitteilen: „Haben wir nicht drin. Ist das eine neue Karte?“ „Kann sein“, brummte er. Dann sah er sich skeptisch um. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?   „Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“   Braves Mädchen.   Anya ballte unterhalb der Theke eine Faust. Oh Levrier, beim nächsten Kampf um Leben und Tod bist du fällig, so schwor sie sich. Der Kunde sah Anya nachforschend an. „Nein, 's war eigentlich alles. Außer …“ „Außer?“ Ihr gefiel der Klang nicht. „Ich muss trainieren. Kennst du geeignete Simulationsprogramme?“ „'n Noob, huh?“, platzte es da schließlich aus Anya überheblich heraus. „Am besten lernt man durch Praxis!“   Sagt diejenige, die lieber mit ihrem Nintendo spielt, statt sich mit Nick oder anderen Spielern zu verabreden.   Das Mädchen lief rot an wie eine Tomate. Warum stand dieser Kerl nicht eigentlich in der Bibel als elfte Plage!? „Und woher kann ich die bekommen? Veranstaltet ihr Treffen oder dergleichen?“ „Als ob das nötig wäre. Hier läuft dauernd irgendwer mit einer Duel Disk 'rum. Sperr die Augen auf und quatsch einfach jemanden an.“ Anya verschränkte besserwisserisch die Arme. „So ist das hier üblich.“ Der Mann nickte verständig. „Werde mich mal umschauen. Danke für die Information. Later.“ Damit drehte er sich um und verließ den Laden, während Anya ihm ratlos hinterher schaute.   … wieder nichts verkauft. Star Cestus … nie gehört von dieser Karte.   Anya schnaubte ärgerlich. „Als ob du viel 'rumkommst.“   Mit dir ganz bestimmt nicht, Anya Bauer.   Mit einem Mal öffnete sich die Lagertür und Zanthes Kopf schob sich durch den Spalt. „Nanu, hatten wir Kundschaft?“ „Der Gnom von neulich“, berichtete Anya, „hat aber nur nach einer Karte gesucht, die wir nicht in der Datenbank haben. Dann ist er abgezischt. Kennst du eine 'Star Cestus'?“ Der junge Mann verzog überfragt die Lippen. „Ne, nie gehört. Bestimmt ist er nur zu doof und hat sich verlesen oder verhört. Oder du bist zu dumm zum Buchstabieren, such's dir aus.“ Was den Rest des Tages anbelangte, konnte man die Streitereien der beiden bis in die Mall hinein hören. Unnötig zu erwähnen, dass sämtliche potentiellen Kunden einen großen Bogen um das Geschäft machten. Dies war auch der Tag, an dem Mr. Palmer die ersten grauen Haare wuchsen – obwohl diese längst weiß waren! Zumindest hatten er, Anya und Zanthe in dieser Hinsicht gemein, dass sie alle den Feierabend der beiden Unruhestifter gar nicht abwarten konnten.   ~-~-~   Anya latschte mit den Händen in den Hosentaschen den Bürgersteig entlang. Dieser Zanthe! Irgendwann würde sie ihn noch im Schlaf erwürgen! Der Mistkerl hatte sich tatsächlich ihr Fahrrad geschnappt und machte jetzt Livington unsicher, während sie nachhause laufen musste. Sie! Jeder, der das Pech hatte ihren Weg zu kreuzen, wurde gnadenlos angerempelt. Schnaufend zog Anya an den Schaufenstern neben sich vorbei. Hättest du das neue Handy noch, das Nick Harper dir gegeben hat, könntest du ihn jetzt anrufen und fragen, ob er dich abholt. Aber nein, du musstest es ja in deinem allmorgendlichen Anfall von Arbeit-ist-scheiße-ritis nach Zanthe werfen, obwohl du genau wusstest, dass du ihn nicht treffen würdest.   „Levrier … eines Tages! Eines Tages!“   Mir schlottern schon die nicht existierenden Knie. Denk dir lieber etwas aus wie die Nick erklärst, dass dir wieder eines seiner Handys abhanden gekommen ist.   Wie eine Dampfwalze stampfte Anya die Straße entlang, die Leute wichen ihr in weiten Bahnen aus. Ja, sie hatte das Handy zertrümmert? Aber was hätte sie auch machen sollen!? Den ganzen Morgen hatte der Flohpelz schon geflötet, wie sehr er sich auf seinen ersten Arbeitstag freut! Immerhin hatte er von Mr. Palmer gleich eine reingewürgt bekommen, weil er bei der Warenannahme vergessen hatte, die Bestellung zu überprüfen. Geschah ihm nur recht! Trotzdem musste Anya zugeben, dass mit ihm wenigstens ein bisschen was im Laden los war und seien es nur die elenden Diskussionen, die die beiden führten. Dafür, dass er wesentlich älter war als er aussah, machte er zuweilen einen sehr kindischen Eindruck. Aus der Höhle ab ins Berufsleben … ob sie das Richtige getan hatte, indem sie ihn mitnahm? Anya zweifelte. Für andere erschien er ganz normal, hatte sogar Ausweise und alles … aber was, wenn sein Hunger wieder zurückkam? Was dann? Im Moment war alles in Ordnung, doch das würde nicht ewig so bleiben.   So in ihren Gedanken vertieft bemerkte Anya gar nicht, wie ein schwarzes Motorrad auf ihrer Höhe am Straßenrand zum Stehen kam. Der Fahrer war ganz in Schwarz gekleidet. Anya Bauer, da wartet jemand auf dich.   Das Mädchen hielt an und sah zum Motorradfahrer herüber. Eine kleine Zornesfalte bildete sich auf ihrer Stirn. „Hi, Redfield!“ Ihr Gegenüber nahm den Helm ab, doch anstatt ihrer Erzrivalin, blickte ihr der Zwerg entgegen. „Soll ich dich mitnehmen?“, fragte er offen heraus. Anya, die gewiss nicht damit gerechnet hatte, dem Kerl schon wieder über den Weg zu laufen, spitzte abfällig die Lippen. Hätte ihr doch sofort auffallen müssen, dass Redfields schlagende Argumente durch Abwesenheit glänzten, obwohl sie doch sonst nicht zu übersehen waren! „Meine Mutter hat mir verboten, mit fremden Männern mitzugehen. Besonders wenn sie auch ohne meine Hilfe unter den Türschlitz durchpassen.“ „Was willste, 'nen Applaus für den Spruch? Spring auf!“, meinte er und winkte sie mit einer Kopfbewegung herüber.   Der arme Trottel. Er hat keine Ahnung, worauf er sich da einlässt.   Anya sah ihm kurz in die braunen Augen. Gefährlich sah er nicht aus, wie auch, der reichte ihr doch gerade mal bis zum Kinn! Ach was, bis zum Brustbein, höchstens! „Na schön, 'nem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul!“ Betont selbstbewusst schlenderte sie zu dem Motorrad, wo ihr der Fremde bereits einen Helm reichte. „Brauch ich nicht“, wies sie ihn harsch ab. „Das ist mir klar, aber ich mache die Sauerei nicht weg, wenn was passiert. Also nimm.“ Widerwillig riss sie ihm den Helm aus den Händen und sah ihn skeptisch an. „Nur damit du's weißt, wenn du mich irgendwo hin bringst, wo ich nicht hin will, mach ich dich noch ein paar Zentimeter kürzer. Keine Ahnung wie das überhaupt möglich sein soll, aber mir fällt schon was ein.“ Er hielt ihrem 'Ich-töte-dich-wenn-du-jetzt-darauf-antwortest'-Blick gekonnt stand und wartete ab, bis sie sich den Helm übergezogen hatte. Dann setzte sie sich hinter ihn und umfasste seine Hüften. Motorengeheul erklang und ab ging die wilde Fahrt.   Anya rief ihm die Adresse zu, doch wusste sie nicht einmal, ob er sie unter dem Lärm überhaupt verstand. Sie war noch nie Motorrad gefahren. Die Einzige in ihrer alten Schulklasse, die sich eines hatte leisten können, war Valerie Redfield gewesen. Und eher sprang Anya vom Eiffelturm in ihren Tod, als die um eine Spritztour zu bitten. Es war ein unglaubliches Gefühl, wie sie da fuhr. Das Einzige, was störte, war der Kerl vor ihr. Sie kam sich vor wie ein Äffchen, das sich an ihn klammern musste. Die anderen Verkehrsteilnehmer rauschten nur so an ihr vorbei. Freiheit, das war, was ihr durch den Kopf dabei ging. Irgendwann würde sie auch so ein Teil besitzen!   ~-~-~   Nach einer Weile, für Anyas Empfinden viel zu früh, hielt die Maschine endlich an. Direkt vor der kleinen Rasenfläche, die den Garten der Familie Bauer markierte. Sie nahm den Helm ab und atmete erst einmal tief durch. „Wow … das war rattenscharf!“ „Fährst wohl nicht so oft Motorrad, was?“, drang es dumpf unter seinem Helm hervor. „Irgendwann schon. Jetzt aber mal was anderes … wer zum Geier bist du überhaupt? Wenn ich jetzt schon unbedingt 'danke' sagen muss, dann will ich wenigstens wissen, wem diese überaus großzügige Geste meinerseits gebührt!“ Der Mann nahm nun ebenfalls seinen Helm ab, sah über seine Schulter zu ihr herüber. „Kannst mich Logan nennen. Und du bist?“ „Logan, huh?“, wiederholte sie. „Fast nett, dich kennenzulernen. Anya Bauer. Für dich auch Gott.“ „Der ist uralt“, erwiderte er trocken mit seiner rauen Stimme. Sollte sie ihm zeigen, warum schon so einige sie tatsächlich nur noch mit Gott anredeten? Anya war gewillt, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. Andererseits war der Typ ganz schön muskulös, also müsste sie erst Barbie holen und dazu war sie zu faul. Nochmal Glück gehabt!   „Da du mitgefahren bist, schuldeste mir jetzt einen Gefallen“, begann er unverblümt, „ich suche immer noch nach einem Gegner, an dem ich mich ein bisschen testen kann. Duel Monsters.“ „Oh Gott, du willst, dass ich gegen dich Kacknoob antrete?“, schoss es aus Anya heraus. Sein Blick verfinsterte sich. Okay, das hätte sie wohl besser nicht sagen sollen. Genervt mit der Zunge schnalzend wollte sie gerade darauf eingehen, da flog die Tür des kleinen, weißen Einfamilienhauses auf.   Anya und Logan sahen herüber, wie ein junger Mann eiligen Schrittes auf sie zulief. Dem Mädchen fiel bei seinem Anblick glatt der Helm aus den Händen, der laut polternd auf den Asphalt knallte. „Du …“, murmelte sie fassungslos. Dann wurde sie lauter. Ziemlich laut. „Wo ist Mum!?“ Sofort schwang sie sich vom Motorrad und stampfte ihm entgegen. „Was willst du hier!?“ Die beiden trafen sich auf halber Höhe vor dem Gartentor. Anya war fast einen ganzen Kopf kleiner als er. Damals war er noch nicht so groß gewesen, dieser blonde, junge Mann mit den saphirblauen Augen … Zachariah. Ihr Bruder. „Meine Mutter besuchen. Pardon, unsere Mutter“, erwiderte er bissig. Ein paar Haarsträhnen lagen ihm im Gesicht. Sein knapp eine Handbreit langes Haupthaar war zu einer Spitze nach oben gegelt, was ihm einen punkigen Touch verlieh. Dem gegenüber stand der weiße, feine Markenanzug, der bei Anya Brechreiz verursachte. Oder war es die fette Goldkette, die schön sichtbar über dem offenen Teil seines grauen Hemdes platziert war? „Tch! Mum ist noch auf Arbeit! Was du gemacht hast ist Einbruch!“ „Oh sieh an, wer interessiert sich neuerdings für Recht und Ordnung? Mum versteckt den Reserveschlüssel immer noch an genau derselben Stelle.“ Ihr Bruder sah an ihr vorbei herüber zu Logan, der immer noch auf seinem Motorrad verharrte. „Ist das dein Freund?“ „N-nein, wie kommst du darauf!?“ Anya spürte, wie ungewollt eine verräterische Röte in ihr aufstieg. „Der doch nicht!“   „Wie siehst du überhaupt aus? Neuerdings auf 'nem Bonzen-Trip?“, sagte Anya schließlich gallig, bemüht das Thema zu wechseln. „Ich habe etwas aus meinem Leben gemacht“, entgegnete Zach herablassend, während er Anya mit einem wenig schmeichelhaften Blick taxierte, „dagegen kann man deine Existenz nicht mal als Leben bezeichnen, 'Schwesterherz'.“ „Werd' nicht frech, du Bastard!“ Anya spürte, wie die Wut in ihr ins schier Unermessliche zu steigen begann. Und sie umarmte sie wie einen liebgewonnenen Freund. So war es geradezu natürlich, dass sie ihre Faust bereits erhob. Ihr Bruder lachte nur abfällig. „Sonst was? Wir haben uns wie viele Jahre nicht gesehen? Und das Erste, was du machst, ist die Hand gegen mich zu erheben?“ Anya kniff ihre Augen zu kleinen, bösen Perlen zusammen. „Es sind sieben. Du hast dich nicht einmal gemeldet … Und jetzt wagst du es, einfach so in unser Haus zu spazieren und so zu tun, als wäre nichts!? Allein dafür sollte ich dich windelweich prügeln!“   Die Faust schnellte nach vorne, jedoch stoppte sie kurz vor seiner selbstgerechten Visage, ganz entgegen Anyas Willen. Weil jemand sie fest im Griff hatte und wegzerrte! „Komm runter! Familie sollte sich nicht gegenseitig bekämpfen“, sagte Logan und hielt den Arm fest vor Anyas Oberkörper, da diese schon im Begriff war, in ihren berühmt-berüchtigten Berserkermodus zu wechseln. Dementsprechend undankbar reagierte sie auch auf seinen Versuch, die Situation nicht eskalieren zu lassen. „Lass los! Das ist meine Angelegenheit! Wenn Mr. High Society-Spacko da meint, mich permanent provozieren zu wollen, soll er ruhig sehen, was er davon hat!“ „Immerhin, alles genauso verkorkst wie immer“, murmelte Zachariah seinerseits mit ungewohnter Neugier und sah sich im krassen Gegensatz dazu provokant gelangweilt um, „da scheint jemand gute Arbeit geleistet zu haben.“ „Willst du etwa Mum die Schuld geben, dass ich so bin wie ich bin oder was soll das heißen!?“, fauchte Anya nun über alle Maße erzürnt. Trotz ihres Gestrampels hielt der Zwerg sie ziemlich gut im Zaun, sein Griff war geradezu eisern. „Mag ja sein, dass ich nicht ganz perfekt bin! Aber ich melde mich bei Mum-“ „Und rennst weg, wenn du gerade Lust drauf hast.“ „Kümmere mich um sie-“ „Und bereitest ihr unentwegt Sorgen.“ „Bin für sie da!“ Zach lache spöttisch auf. „Ohne dich wäre sie besser dran.“   Einen Moment herrschte Stille. „Nimm den Arm weg“, knurrte Anya ihren 'neuen Freund' an, „ansonsten kann ich nicht garantieren, dass er noch lange dran bleibt …“ Logan ließ den Arm tatsächlich sinken, meinte jedoch: „Es ist offensichtlich, worauf er hinaus will.“ Sein Blick lag auf der Duel Disk, die Zachariah bereits die ganze Zeit mit sich herumgetragen hatte und nun geradezu demonstrativ auf die Körpermitte anhob. „Richtig“, sagte der Blonde, „rohe Gewalt ist nicht meine Art, Probleme aus der Welt zu schaffen.“ „Ach ja!? Kein Duell der Welt würde jemals bewerkstelligen, dass ich dich nicht mehr wie die Pest hasse, du arroganter Dreckssack!“ Zach verzog grinsend den rechten Mundwinkel. „Gleichfalls. Trotzdem möchte ich dich herausfordern. Sagst du zu? Oder fühlst du dich davon überfordert?“ „Als ob! Aber … ich werde niemals etwas tun, worum du mich bittest“, erwiderte Anya und spuckte zur Seite aus. Außerdem war die Gefahr zu groß, dass sie ihm im Eifer des Gefechts 'versehentlich' den ein oder anderen Knochen brach. Was wiederum die Versuchung, doch zuzustimmen, umso größer werden ließ. Sie hatte immerhin die Mittel dazu, auch wenn es nur ein Duell war! „Also sind wohl alle Bauer-Frauen Versagerinnen und Feiglinge. Du bist in der Hinsicht wie unsere liebe Mutter, die Hure.“ Anya riss die Augen förmlich auf. Allerdings rührte sie sich nicht vom Fleck, sondern blieb, völlig ungewohnt für ihr sonst so infernalisches Temperament, ziemlich ruhig. Lass dich nicht provozieren, Anya Bauer. Er will dich nur dazu bringen, dem Duell zuzustimmen, um dich dann noch mehr zu demütigen. Ich bin zwar nicht imstande, die Gefühle anderer Menschen zu empfangen, aber in seinem Fall … ist es wie ein Schatten. Ein unglaublicher, unbändiger Hass dir gegenüber. Was ist zwischen euch vorgefallen?   „Ich kenn' diese Masche schon von ihm“, murmelte Anya leise. Auf ihren Lippen offenbarte sich der Anflug eines Grinsens. „So war er schon immer. Ansonsten habe ich aber keine Ahnung, was gerade in seinem Krümelhirn abgeht.“ Was die Wahrheit war. Dass er und sie sich noch nie verstanden hatten, war kein Geheimnis. Als älterer Bruder hatte er sie damals immer ausspielen können wie es ihm beliebte, weil er genau wusste, welche Knöpfe er zu drücken hatte. Da waren sie noch Kinder gewesen! Allerdings hatte sich Zach noch nie abfällig über seine Mutter geäußert, um Anya zu provozieren. „Okay, duellieren wir uns halt“, meinte das Mädchen plötzlich ganz lapidar und zuckte mit den Schultern, „will ja wissen, was du so drauf hast, jetzt wo du dich plötzlich für Duel Monsters interessierst.“ Was noch nie der Fall gewesen war, soweit Anya sich zurückerinnern konnte. Irgendetwas war faul mit ihm. Und sie wollte wissen, was dahinter steckte. Nur deshalb schluckte sie ihren Stolz hinunter und stimmte zu, obwohl sie lieber auf andere Methoden der Konfliktbewältigung zurückgreifen würde. Logan seinerseits marschierte zu seinem Motorrad und löste einen kleinen Apparat aus einer Versenkung zwischen dem Lenker, warf ihn Anya wortlos zu. Die fing das D-Pad überrascht auf. „Wenn ihr wollt, werde ich den Schiedsrichter mimen“, sagte er und winkte die beiden direkt auf die Straße. Es war offensichtlich, dass ihn die Zwistigkeiten der beiden Geschwister interessierten, denn sein Gesichtsausdruck hatte etwas Nachdenkliches, Neugieriges. Zach winkte ab. „Lassen Sie das lieber. Am besten wäre es, wenn Sie nachhause fahren. Das hier könnte länger dauern.“ „Ich hab Zeit“, erwiderte er nicht weniger unterkühlt.   „Sorry, unser Übungsduell muss wohl noch warten“, raunte Anya ihm zu, ohne den Blick von ihrem Bruder zu nehmen und aktivierte nebenbei sein schwarzes D-Pad, nachdem beide Position auf der Straße bezogen hatten. „Nicht der Rede wert“, winkte er ab, „ich werde versuchen, etwas aus eurem Duell mitzunehmen.“ „Oh, das wirst du“, sprachen die Bauer-Geschwister synchron, nur um sich dann voller Abscheu anzustarren. Auch Zachariah aktivierte seine Battle City-Duel Disk. Anders als Anyas, die oben in ihrem Zimmer lag, war jene in gutem Zustand. Zumindest fand sich an ihr kein abgekratzter Lack oder Ähnliches. „Duell!“, riefen beide laut aus.   [Anya: 4000LP / Zachariah: 4000LP]   „Ich fange an“, bestimmte Anya und zog mit einem Schlag sechs Karten. Eigentlich war das gar nicht so übel, sich jetzt mit ihm zu duellieren. Im Grunde war er eine der Hürden auf dem Weg zum Titel der Duel Queen. Sofern er gut war, hieß es. Rein theoretisch war er mehr eine persönliche, denn eine berufliche Hürde. Aber wer weiß, vielleicht ließ sich das Private in dem Fall mit dem Beruflichen verbinden? Inklusive Kuscheleinheiten mit Levrier, [Gem-Knight Master Diamond] oder [Angel Wing Dragon], dachte sie gehässig. Es stellte sich beim Blick auf ihr Blatt nur schnell heraus, dass von denen so schnell keiner das Feld betreten würde. Ganz zu Anyas Ärgernis. Schnaubend griff sie nach drei Karten in ihrer Hand, die einzigen, die sie für eine Monsterbeschwörung nutzen konnte. „Ich aktiviere [Gem-Knight Fusion] und verschmelze damit [Gem-Knight Iolite] und [Gem-Knight Sardonyx] von meiner Hand! Erscheine, [Gem-Knight Amethyst]!“ Anya war innerlich so aufgewühlt und gleichzeitig durcheinander, dass sie glatt ihren geliebten Beschwörungsspruch vergaß von sich zu geben. So erschien über ihr ein Edelsteinwirbel, in den die beiden Monster von ihrer Hand gezogen wurden. Aus ihm heraus sprang ein Ritter in violetter Rüstung, welcher am rechten Arm einen langen, speerartigen Auswuchs aus dem namensgebenden Amethysten besaß, während er am linken einen Rundschild trug. Lautlos ging er in die Knie und hielt seine Ausrüstung über Kreuz.   Gem-Knight Amethyst [ATK/1950 DEF/2450 (7)]   Sogleich gesellte sich hinter ihm noch ein vergrößerter Kartenrücken hervor, denn Anya raunte: „Dazu setze ich noch die hier verdeckt! Zug beendet!“   „Ich ziehe“, kündigte Zach an und tat dies auch. Anschließend legte er ein Monster auf seine Duel Disk. „Zunächst rufe ich das normale Monster [Noble Knight Artorigus] in den Angriffsmodus aufs Feld.“ Erstaunt beobachtete Anya, wie vor ihrem Bruder ein braunhaariger Ritter in edler, an Hüften und Schultern mit Fell verzierter Rüstung auftauchte, vor dem ein leuchtendes Schwert in Stein versiegelt ruhte.   Noble Knight Artorigus [ATK/1800 DEF/1800 (4)]   „Du spielst auch Ritter!?“, schoss es aus einer ungläubigen Anya heraus. „Hast du keine eigenen Ideen oder was!?“ „Interessant. Ein Duell der Ritter. Das wird spannend“, murmelte Logan derweil und rieb sich das stoppelige Kinn. „Für mich sind sie nur Mittel zum Zweck“, gab sich Zachariah ganz unberührt von Anyas Kritik, „ebenso gut könnten da Teletubbies stehen, würde es mich weiter bringen.“ Schließlich schob er mit dem Daumen eine Zauberkarte aus seinem Blatt hervor. „Was wäre ein Ritter ohne sein Schwert? Ich rüste Artorigus mit [Noble Arms – Caliburn] aus!“ Sein Krieger umfasste mit beiden Händen den Griff des Schwertes vor ihm und zog es gekonnt aus dem Stein.   Noble Knight Artorigus [ATK/1800 → 2300 DEF/1800 (4)]   „Effekt von Caliburn aktivieren“, rief er aus, „einmal pro Zug kann ich 500 Lebenspunkte erhalten.“ Als wäre er siegreich aus einer schweren Schlacht hervor gegangen, streckte Artorigus seine Waffe in die Höhe. Ein Regen aus weißer Energie ging auf Zach nieder.   [Anya: 4000LP / Zachariah: 4000LP → 4500LP]   „Das reicht aber noch nicht. Deswegen rüste ich [Noble Knight Artorigus] noch mit [Noble Arms – Arfeudutyr] aus.“ In der freien, linken Hand seines Kriegers materialisierte sich ein Schwert mit schwarzem Griff und silbern leuchtender Klinge. Nichts veränderte sich jedoch an seinen Werten. „Indem ich einmal pro Zug die Angriffskraft des ausgerüsteten Monsters um 500 verringere, kann ich eine deiner gesetzten Backrow-Karten vernichten. Tue deinen Job, Artorigus!“ Mit einem Brustschrei steckte der Ritter den Arm mit Arfeudutyr in der Hand aus und feuerte einen unglaublich schnellen Lichtblitz auf Anyas gesetzte Falle ab, die daraufhin in alle Einzelteile zersprang. Es dauerte einen Moment, ehe das Mädchen überhaupt begriff, dass ihre [Negate Attack] jetzt der Vergangenheit angehörte.   Noble Knight Artorigus [ATK/2300 → 1800 DEF/1800 (4)]   „Effekt von [Ignoble Knight Of Black Laundsallyn], von meiner Hand“, machte Zach ungerührt weiter, „indem ich ein normales Licht-Monster, wie Artorigus eins ist, opfere, kann ich Lancelot von meiner Hand beschwören.“ Er legte die Karte, die er eben noch vorgezeigt hatte, anstellte von Artorigus auf die Duel Disk. Jener löste sich auf, ließ die Schwerter sinken, welche im Boden stecken blieben. Dann materialisierte sich dort, wo er gestanden hatte, ein pechschwarzer Ritter. Seine lange Mähne flatterte wie von Geisterhand, die Augen leuchteten rot auf. Und er nahm die Waffen an sich, die Artorigus zurückgelassen hatte.   Ignoble Knight Of Black Laundsallyn [ATK/2000 → 2500 DEF/800 (5)]   „W-was zum-!? Erklär' das, wieso sind diese kack Schwerter noch da!?“ „Einmal pro Zug kann ich sie, wenn sie vom Spielfeld verschwinden, an einen anderen noblen Ritter ausrüsten“, kam Zach dem entgegen, „deshalb kann ich ihre Effekte, da sie kurzzeitig das Feld verlassen haben, nun erneut benutzen.“ Lancelot, so der wesentlich bekanntere Name des Kriegers, hielt Caliburn in die Luft. Wieder regnete auf den blonden Mann ein Lichtermeer herab.   [Anya: 4000LP / Zachariah: 4500LP → 5000LP]   „Lancelot, zerstöre [Gem-Knight Amethyst]!“, befahl Zachariah lauthals und streckte den Arm aus. Wie ein Schatten huschte sein Krieger gefügig über das ganze Spielfeld, verschwand immer wieder auf der Stelle und tauchte woanders wieder auf. Bis er direkt vor Anyas Ritter erschien und diesen mit einem gezielten Kreuzhieb zu Fall brachte. „Das ist ja noch einfacher als ich dachte“, kommentierte Zach das Ganze abfällig und schob eine Fallenkarte in seine Battle City-Duel Disk ein, „die hier setze ich. Mach du deinen Zug, 'Schwesterherz'.“ Die Karte materialisierte sich vor seinen Füßen.   Sei vorsichtig, Anya Bauer. Scheinbar ist er sehr geschickt, was seine Duellstrategie angeht. Diese Präzision … seid ihr wirklich verwandt?   „Ich wünschte, wir wären es nicht!“, schnaubte Anya und legte die Finger auf ihr Deck. „Ich hasse ihn und damit meine ich wirklich richtigen Hass und nicht solche Albernheiten wie mit Redfield!“   Bist du dir sicher, dass du das sagen solltest?   „Verdammt sicher! Er war immer Dads Liebling … während ich immer nur die zweite Geige gespielt hab. Und als unsere Eltern sich getrennt haben, war natürlich er es, der mit Dad gehen durfte.“ Anya biss sich auf die Lippen, die bebten. „Alles, was ihm einfach in den Schoß gefallen ist, habe ich mir hart erkämpfen müssen …“   Du liebst deinen Vater wirklich über alles, oder? Das tut mir leid, Anya Bauer. Aber ich glaube nicht, dass das, was ihr da macht, der richtige Weg ist. Wie dieser Logan sagte, Familie ist zu wichtig, um sich gegenseitig zu bekriegen.   „Levrier … ich such mir meine Familie selber aus. Und der ist nicht Teil davon.“ Zachariah verzog keine Miene, obwohl er jedes Wort deutlich hören konnte. Es war Anya egal, ob er oder der andere Typ dachten, sie sei verrückt, weil sie mit sich selbst sprach. Dazu tat es einfach zu gut, all das mal loszuwerden.   Dann hoffe ich, Teil dieser Familie sein zu können.   „Kch, Idiot! Seit ich dich kenne, bist du mehr für mich dagewesen, als mein Vater in seinem ganzen Leben. Was glaubst du wohl?“   Anya Bauer … dann lass mich jetzt auch für dich da sein.   Die Blondine sah überrascht hinter sich. Levriers geisterhafte Form von [Gem-Knight Pearl] schwebte hinter ihr, seine Hand lag auf der ihren, welche wiederum die oberste Deckkarte berührte. Sie wusste, was er ihr damit zeigen wollte, doch schüttelte sie dankbar den Kopf. „Diesmal nicht. Wenn ich ihn nicht aus eigener Kraft besiege …“ Levrier verstand, zeigte dies mit einem Nicken und löste sich wieder auf. Und Anya wusste, dass sie nur nach ihm zu rufen brauchte, wenn sie sich anders entscheiden sollte.   Mit festem Blick richtete sie sich an Zach. „Sorry, dass du warten musstest. Mein Zug! Draw!“ Während sie ruckartig die Karte von ihrem Deck riss, schnalzte ihr Bruder nur missbilligend mit seiner Zunge. „Zauberkarte aktivieren“, rief Anya laut aus und zeigte die gezogene Karte vor, „[Dark Factory Of Mass Production]! Mit ihr kann ich zwei normale Monster von meinem Friedhof bergen, und da sowohl Sardonyx als auch Iolite Zwillings-Monster sind, werden sie auf dem Friedhof als normale Monster behandelt. Also kehrt zurück!“ Zwei Edelsteine stiegen vor ihr auf, ein blauer und ein rotweißer, und kehrten in ihr Blatt als Karten zurück – die sie eilig dort hin stopfte, selbstverständlich. Dann schwang sie den Arm weit aus. „Das war aber noch nicht alles! Ich hole mir [Gem-Knight Fusion] ebenfalls aufs Blatt zurück, indem ich Amethyst verbanne.“ Gesagt getan. Ihr Fusionsmonster landete in der Hosentasche, wohingegen sie ihre Lieblingszauberkarte vom Ablagestapel zurückholte. Und sie zeigte jene auch gleich vor, sodass ein Wirbel aus unzähligen Edelsteinen über ihr entstand. „Fusionsaction! Ich verschmelze [Gem-Knight Sardonyx] und [Gem-Knight Iolite], aber diesmal kommt ein anderes Monster dabei heraus! Zeig dich, [Gem-Knight Citrine]!“ Ihre beiden Monster wurden als durchsichtige Silhouetten in den Strom gezogen. Daraus sprang einen Augenblick später ein stolzer Krieger. In bronzener Rüstung gekleidet, schulterte er ein riesiges Breitschwert. Besonders an ihm war, dass seine Arme rot wie Lava glühten.   Gem-Knight Citrine [ATK/2200 DEF/1950 (7)]   Anya sah nachdenklich ihr Blatt an. Es waren zwei Zauberkarten und sie wünschte sich, es wären andere. Aber das Leben war kein Wunschkonzert. Also würde sie sich nicht beschweren und versuchen, das Beste daraus zu machen. Das war … „... [Megamorph] aktivieren! Dämlich wie du bist, hast du deine Lebenspunkte mit diesem Kackschwert erhöht und genau das wird dir jetzt zum Verhängnis! Dieser Ausrüstungszauber verdoppelt nämlich die Offensive meines Citrines, wenn deine höher sind als meine!“ In dessen Brust verschwand eine Schale, die mit diversen Runen gekennzeichnet war. Sofort schien es so, als würden sich seine Muskeln aufblähen. Eine flammende Aura brannte um den Krieger.   Gem-Knight Citrine [ATK/2200 → 4400 DEF/1950 (7)]   „Falle aktivieren“, kündigte Zachariah ungerührt an, „[Soul Resurrection]. Sie ruft ein normales Monster von meinem Friedhof in Verteidigungsposition. Sei wiedergeboren, [Noble Knight Artorigus]!“ Geleitet von dem Geist einer komplett weißen Frau, flog der junge Artus, ebenfalls als Geist, durch den Asphalt aufs Spielfeld und fand dort zu alter Form zurück.   Noble Knight Artorigus [ATK/1800 DEF/1800 (4)]   Warum hatte er das getan, wunderte sich Anya. Es gab keinen Grund, diese Karte jetzt schon zu aktivieren! Aber was juckte es sie, denn jetzt war erst einmal Partytime angesagt! Mit erhobenem Zeigefinger rief sie: „Wenn Citrine angreift, kannst du keine Karteneffekte aktivieren bis der Kampf vorbei ist. Also los!“ Beide Ritter begannen zeitgleich aufeinander zu zu rennen. Stahl traf auf Stahl. Von Citrines Breitschwert löste sich eine Explosion, die Lancelot davon schleuderte und in der Luft zerfetzte.   [Anya: 4000LP / Zachariah: 5000LP → 3100LP] „Booyah!“, jubelte Anya und formte mit ihren Fingern ein V. Zach hingegen schien sich nicht weiter daran zu stören, rief er: „Effekte der Noble Arms. Einmal pro Zug rüsten sie sich an einen anderen verfügbaren Noble Knight aus, sollten sie das Feld verlassen.“ Sein Artorigus streckte beide Arme aus, in dessen Händen die beiden Schwerter Caliburn und Arfeudutyr erschienen, während Citrine sich zurückzog.   Noble Knight Artorigus [ATK/1800 → 2300 DEF/1800 (4)]   Deshalb hat er seine Falle vorzeitig aktiviert! Um seine Waffen in Sicherheit zu bringen, denn sobald du mit [Gem-Knight Citrine] angegriffen hättest, wäre dies nicht mehr möglich gewesen.   „Übrigens halbiert sich der Angriffswert deines Monsters jetzt, da meine Lebenspunkte unter deine gefallen sind.“ „Weiß ich selbst, Einstein!“ Die Muskeln des stolzen Kriegers fielen wie ein verpatztes Soufflee in sich zusammen, er konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten und sackte auf die Knie.   Gem-Knight Citrine [ATK/4400 → 1100 DEF/1950 (7)]   Anya zog eine säuerliche Grimasse. Wenn ihr Krümelhirn von Bruder dachte, jetzt im Vorteil zu sein, nur weil er das stärkere Monster kontrollierte, dann irrte er sich aber! Verlieren war keine Option! Dafür, dass er Mum beleidigt hatte, würde er seine garantiert künstlichen Bleichzähne allesamt vom Boden aufsammeln dürfen! „Die hier verdeckt!“, rief sie aus und rammte ihre letzte Karte in Logans schwarzes D-Pad. „Fertig!“ Die Karte materialisierte sich vor ihren Füßen. Und Anya grinste heimtückisch.   „Draw“, verkündete Zachariah Bauer gelangweilt. Als er die Karte in seinen Händen sah, weitete er die Augen vor Überraschung. Und kniff sie sogleich voller finsterer Absichten zusammen. Die ganze Straße der kleinen Vorstadtsiedlung war wie leergefegt, waren die meisten Leute um diese Zeit noch arbeiten. Geradezu eine unheimliche Stille legte sich über den Ort. „Unglaublich. Obwohl ich noch nicht lange Duellant bin, zeigt sich, dass ich der überlegene von uns beiden bin.“ Zach betonte seine arrogante Art noch, indem er sich über die Stirn und anschließend das blonde Haar fuhr. „Du könntest einem fast leid tun. Aber gut, ich bin nicht hier, um dir das Denken beizubringen. Effekte der beiden Noble Arms! Ich erhalte dank Caliburn 500 Lebenspunkte und kann mit Arfeudutyr für 500 Angriffspunkte deine verdeckte Karte zerstören!“ Artorigus hielt sein eigenes Schwert zuversichtlich in die Luft, der dadurch entstehende Lichterregen ging auf Zachariah nieder.   [Anya: 4000LP / Zachariah: 3100LP → 3600LP]   „Tch! Spiel dich nicht so auf! Du hältst dich für so viel besser, weil du meine gesetzte Karte zerstören kannst? Idiot! Die hab ich mit Absicht gesetzt!“, fauchte Anya aufgebracht zurück. „Schnellzauber, zeig dein Gesicht! [Mystical Space Typhoon]!“ Gerade als Artorigus aus seinem finsteren Schwert einen silbernen Lichtstrahl abfeuern wollte, sprang die Karte zu Anyas Füßen auf. Aus ihr löste sich ein Zyklon, der begann, sich seinen Weg zu Zachariah zu bahnen.   Noble Knight Artorigus [ATK/2300 → 1800 DEF/1800 (4)] Doch der lachte nur auf. „Lernst du es nicht!? Noble Arms können nicht so einfach beseitigt werden, sie kommen einfach wieder!“ „Wie gut, dass die nie mein Ziel waren, Blödian!“ Mit einem Mal machte der Wirbelsturm eine Kurve und brauste direkt zu Anya zurück. Er erfasste [Gem-Knight Citrine], welcher entgegen aller Erwartungen ermutigt aufschrie. Und als sich der Sturm löste, stand der Ritter wieder völlig genesen vor Anya.   Gem-Knight Citrine [ATK/1100 → 2200 DEF/1950 (7)]   Sehr gut, Anya Bauer! Zwar hättest du auch [Soul Resurrection] und damit [Noble Knight Artorigus] zerstören können, doch du hast dich dafür entschieden, dich auf dein Monster zu verlassen. Höre nicht auf ihn, du machst große Fortschritte!   Auch wenn Anya es ungern zugab, das Lob ging runter wie Öl. Was ihr breites, stolzes Grinsen mehr als deutlich zeigte. „Oh, zu schade“, lachte sie gehässig, „jetzt hast du deinen Ritterknilch ganz umsonst geschwächt.“ „Wie wahr, dieser kleine Funken Intelligenz deinerseits hat mich wirklich überrascht“, gestand Zach, legte gleichzeitig ein Monster auf seine Duel Disk, „auch wenn ich eh nie geplant habe, Artorigus zu behalten. Normalbeschwörung: [Noble Knight Gwalchavad]!“ Vor ihm positionierte sich ein stolzer, bärtiger Ritter, dessen blondes Haar über seine Schultern ragte. An seinem ausgestreckten Arm manifestierte sich ein durchsichtiger, rot leuchtender Schild.   Noble Knight Gwalchavad [ATK/1500 DEF/1800 (4)]   Ruckartig schwang Zachariah den Arm zur Seite aus. „Ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster! Xyz-Summon!“ „Oh crap!“, stammelte Anya. Die beiden Ritter ihres Bruders verwandelten sich in gelbe Lichtstrahlen, die in die Luft stiegen. Über Zach öffnete sich ein schwarzer Wirbel, der jene in sich einsog. Dabei rief er: „Oh König der Legende! Bringe mir den Sieg! [Artorigus, King Of The Noble Knights]!“ Aus dem Galaxienstrom schwebte langsam eine majestätische Gestalt hinab. Seine Rüstung leuchtete an bestimmten Stellen cyanfarbend auf, der rote Umhang flatterte dabei wild umher. Mit einem Satz landete er vor Zach: Artus, König der Tafelrunde! Zwei gelbe Lichtkugeln umkreisten ihn dabei.   Artorigus, King Of The Noble Knights [ATK/2000 DEF/2000 {4} OLU: 2]   Zu beiden Seiten streckte der nun erwachsene Artorigus seine Arme aus. Zachariah erklärte: „Als König kann Artorigus bis zu drei Noble Arms von meinem Friedhof an sich ausrüsten, sollte er per Xyz-Beschwörung das Feld betreten.“ Caliburn und Arfeudutyr erschienen in seinen Händen. Jedoch als leuchtende Abbilder ihrer selbst, statt wie bisher als echte Klingen.   Artorigus, King Of The Noble Knights [ATK/2000 → 2500 DEF/2000 {4} OLU: 2]   „Ganz klasse!“, ätzte Anya. „Das hätte ich auch gekonnt! Scheiße, selbst der Kacknoob da drüben könnte sowas aus dem Ärmel schütteln!“ Womit sie auf Logan zeigte, der dem Duell die ganze Zeit stillschweigend von der Seite beigewohnt hatte. Er erwiderte: „Dafür geht dir aber ganz schön die Muffe, Girly.“ „Girly!?“ „Hört auf mit dem Schwachsinn!“ Zach streckte den Arm aus. „Effekt Caliburns! Du dürftest ihn dir mittlerweile gemerkt haben!“ Bunte Lichter fielen wieder einmal wie ein Regenschauer auf den Blonden herab.   [Anya: 4000LP / Zachariah: 3600LP → 4100LP]   Zachs Blick verfinsterte sich plötzlich. So sehr, dass es Anya die Sprache verschlug. Er starrte sie derart hasserfüllt an, dass sie davon eine Gänsehaut bekam. „Was wäre Artus ohne das Schwert, das ihn so berühmt gemacht hat? Oder zumindest einer Nachahmung davon“, fragte Zachariah mit gefährlich ruhiger Stimme. „Meine letzte Handkarte, ich aktiviere sie und rüste sie an ihren einzig wahren Besitzer aus! [Noble Arms – Excaliburn II]!“ Unter einem Aufschrei schmiss Artus seine beiden Lichtschwerter weg und streckte beide Hände vor sich aus. In ihnen materialisierte sich ein gewaltiges Breitschwert. Aus purem Gold war sein Griff, wohingegen in der Klinge selbst zwei blaue Energieströme bis zur Spitze verliefen. Plötzlich explodierte um Artus herum förmlich eine gleichfarbige Aura, als er begann, das schwere Schwert mit nur einer Hand zu führen.   Artorigus, King Of The Noble Knights [ATK/2500 DEF/2000 {4} OLU: 2]   Anya gab einen überraschten Laut von sich. Kein Punktebonus? „Dieses Duell ist vorbei“, verkündete Zachariah leise und griff dabei unter seine Duel Disk, „nicht schlecht für eine ewige Amateurin, das muss ich dir lassen. Aber ich werde es sicher nicht vermissen! Artorigus, greife ihren [Gem-Knight Citrine] an! Invin-!?“   Zach sah die Faust aus den Augenwinkeln auf sich zufliegen, konnte daher mit einem Rückwärtsschritt ausweichen. Trotzdem packte Logan ihn dabei am Handgelenk, zog ihn zu sich zurück und hielt ihn kurz darauf fest im Griff, da er sich mit dem anderen Arm unter die Achsel von Anyas Bruder hakte. „Würd' ich an deiner Stelle lassen, Bursche“, flüsterte der fast einen Kopf kleinere Schwarzhaarige Zachariah ins Ohr, wobei er seine 'Schlinge' noch enger zog, mit der Faust am Hals des jungen Mannes stieß, „dieser Knopf ist nicht zum Spielen da.“ Schlagartig stieß er Zach von sich, aber nicht, ohne vorher dessen Handgelenk loszulassen und einen Schalter unter der Duel Disk zu betätigen. Die Hologramme verschwanden auf der Stelle.   Anya legte den Kopf schief. Erst, als Zach laut fluchte, begriff sie, was da überhaupt geschehen war. Der Dreckssack hatte einfach das Duell beendet! „Was mischen Sie sich da ein!?“, schrie Zach und schlug zu. Logan fing die Faust locker mit der Hand ab. „Leg dich nicht mit mir an“, drohte er leise. „Würde nicht gut für dich ausgehen.“   Eine Tür knarrte. Alle drei wirbelten herum zu Anyas Haus. Dort, im Türrahmen, stand eine vermummte Gestalt. In schwarzer Kutte verharrte sie dort, das Gesicht war von einer weißen Maske bedeckt. Sofort fiel Anya das Gerät auf, was die Person in den Händen hielt. Es war ihre Duel Disk, das Battle City-Modell von ihrem Vater! Wie um alles in der Welt-!? „Lass es gut sein, Zach“, sprach die Person mit von der Maske gedämpfter Stimme, „hier wäre es sowieso nicht richtig. Du weißt warum.“ Ob dort ein Mann oder eine Frau stand, war nicht eindeutig zu identifizieren. Aber anhand Nicks Beschreibung wusste Anya sofort, wer es war. Sie spürte es einfach. Der Blonde riss sich von Logan los und eilte an ihm vorbei, direkt auf die Person zu. Aber nicht, ohne sich im Lauf umzudrehen und die anderen beiden anzusehen, die alles irritiert mitverfolgten. „Du hast wirklich Glück“, raunte er an Anya gerichtet, „dein Freund ist wirklich aufmerksam. Das solltest du auch werden, denn das nächste Mal wird nicht so glimpflich für dich ausgehen!“ Anya sah ihm einen Moment lang perplex hinterher, bis sie endlich begriff. Dann setzten sich ihre Beine wie von selbst in Bewegung. Sie rannte über die Straße, den Bürgersteig, durch das kleine Gartentor. Schneller, ehe er-! Doch Zachariah war bereits bei der vermummten Gestalt angekommen. Die hob die Duel Disk wie eine Trophäe in die Höhe. „Diese hier werde ich behalten. Bei mir wird sie sicher besser behandelt werden.“ „Nein!“, schrie Anya und streckte den Arm aus. Alles, bloß nicht das! Zach stellte sich neben die deutlich kleinere Kali. „Wenn du sie zurückhaben willst, dann warte, bis wir uns wieder bei dir 'melden'. Bis dahin …“ Ein undeutliches Flimmern umschloss die beiden, als wären sie nur Trugbilder ihrerselbst. Kali schloss das Ganze mit: „Leb wohl, falsche Schlange.“ „Bleibt hier!“, schrie Anya verzweifelt. Ihre Farben lösten sich auf. Anya hatte sie fast erreicht, streckte die Hand nach Zach aus, aber griff nur noch ins Leere. Sie stürzte und landete direkt auf der Fußmatte mit der „Welcome“-Aufschrift, welche vor der Haustür der Familie Bauer lag.   Sie blieb liegen. Ihre Augen waren weit aufgerissen, unfähig, das Gesehene einzuordnen, geschweige denn zu begreifen. Zachariah … arbeitete mit dieser Kali zusammen? Der Person, die Nick angegriffen, ihre Krone in tausend Einzelteile zerschlagen und Rache an ihr, Anya, geschworen hatte? War er etwa gekommen, um sie … um sie, seine eigene Schwester … umzubringen? Logan, der ihr hinterher gerannt war, stellte sich neben sie. Hilflos rieb er sich den Hinterkopf, brummte: „Keinen Blassen, was ich da gerade gesehen habe, aber der Bursche läuft nicht ganz richtig. Er wollte-“ „Mich umbringen“, stammelte Anya apathisch. Hätte der Zwerg nicht eingegriffen, hätte Zach den Sicherheitsmechanismus seiner Duel Disk deaktiviert und sie mit seinen Angriffen verletzen können. Dazu war es aber nicht gekommen. Dafür war ihr liebstes Andenken an ihren Vater, ihre Battle City-Duel Disk … vielleicht für immer verloren. In dem Moment richtete Anya sich auf und stieß einen hasserfüllten, gleichwohl verzweifelten Schrei aus.   ~-~-~   Logan saß auf seinem Motorrad, hielt seinen Helm in den Händen und sah sie nachforschend an. Das Mädchen mied seinen Blick, als wäre es ihr peinlich, dass er sie so musterte. „Kann ich es wirklich behalten?“, fragte sie und deutete auf das D-Pad an ihrem Arm. „Yup. Hab noch'n zweites. Solange du deine alte Duel Disk nicht zurück hast, geht es in Ordnung“, antwortete er, „und du bist sicher, dass ich sonst nichts für dich tun kann?“ Anyas Blick verfinsterte sich. Für wen hielt der Typ sich, für Jesus!? Er hatte ihr womöglich das Leben gerettet, wie viel wollte er noch tun? Diese Sache hatte doch gar nichts mit ihm zu tun, sie kannten sich nicht einmal wirklich! „Nein“, drückte sie ihre Gedanken in wesentlich kompakterer Form aus, „aber trotzdem danke. Das ist was zwischen mir und Siegfried und Roy!“ „Wenn du das sagst“, meinte er zweifelnd und setzte seinen Helm auf, „lass uns das Duell ein anderes Mal nachholen, sobald dir danach ist. Ich arbeite in der KFZ-Werkstatt am südlichen Stadtrand, dort triffst du mich so gut wie immer an.“ Damit trat er in die Pedale. Die beiden verabschiedeten sich, und ehe Anya sich versah, brauste er mit seiner schwarzen Maschine davon.   Nun war sie hier. Ganz alleine auf dem Bürgersteig vor dem kleinen Rasen ihres Grundstücks, um sie herum viele bunte Häuser, aber niemand, dem sie aus Frust die Faust ins Gesicht drücken konnte. Und das brauchte sie jetzt dringend. Irgendjemanden bis zur Unkenntlichkeit zusammenschlagen, am besten jemand, der ihrem Bruder möglichst ähnlich sah. Anya wusste, dass der Gedanke falsch war, aber das juckte sie nicht.   Anya Bauer, ich fürchte, du hast neben deinem ohnehin schon großem Problem noch mit einer anderen Bedrohung zu kämpfen. Wer immer diese Kali ist, dass sie sogar mit deinem Bruder zusammenarbeitet ist äußerst bedenklich.   Anya schluckte die Wut herunter, damit sie überhaupt sprechen konnte. „Erzähl mir was Neues, Einstein!“ Sie und Zachariah waren sich immer spinnefeind gewesen. Aber das … das hätte sie ihm nie zugetraut. Hasste er sie so sehr, dass er sie sogar eigenhändig töten würde? Oder konnte es sein, dass er fremdgesteuert wurde? Wie durch einen Pakt? Könnte es dort draußen einen Immateriellen geben, der nach Rache sann wegen der Geschichte mit dem Turm von Neo Babylon? Weil sie den einzigen Ausgang und damit Fluchtweg der Immateriellen raus aus dieser Welt zerstört hatte? Was immer die Antworten darauf waren … niemand durfte von dem erfahren, was heute vorgefallen war, solange Anya sie nicht kannte. Schon gar nicht ihre Mum, Sheryl. Es würde ihr das Herz brechen. Dieses Versprechen der Verschwiegenheit hatte sie Logan abringen können. Zugegeben, dafür, dass er etwas Übernatürliches miterlebt hatte, hatte er ganz schön gelassen reagiert. Auch wenn die vielen Fragen lästig gewesen waren, irgendwie hatte sie ihnen ausweichen können. Vielleicht sollte sie sich wirklich irgendwann mit ihm duellieren. Wenn es ihr besser ging. Er schien kein schlechter Kerl zu sein, wirklich nicht. „Tch, ich glaub ich spinne“, zischte sie genervt, „sag bloß …?“ Sie sah auf das D-Pad an ihrem Arm. Damit hatte sie zumindest einen Grund, vielleicht mal bei ihm vorbeizuschauen.   Er ist ein Lügner, Anya Bauer.   „Huh?“ Sie sah auf, aus Gewohnheit, weil sie früher immer Levriers Stimme von oben vermutet hatte. Auch wenn er damals nicht einmal einen durchsichtigen Körper besessen hatte. Für einen Anfänger besitzt er erstaunliches Equipment. Das war kein einfaches Motorrad, sondern ein D-Wheel. Du weißt, wie wahnsinnig teuer diese Prototypen sind. Ich nehme ihm nicht ab, dass er ein, und ich zitiere dich, 'Kacknoob' ist.   „Was redest du für'n Quatsch, vielleicht will er Riding Duelist werden? Er scheint sich ja für so'n Kram zu interessieren“, raunte Anya gallig. „Ist doch gerade groß im Kommen.“ Glaubst du das wirklich? Dass er genau wusste, dass du das Duell nach Zachariah Bauers Attacke verlieren würdest, widerspricht seinen Aussagen. Du hast nicht bemerkt, dass seine Duel Disk modifiziert war, er schon.   „Hörst du jetzt auf damit!?“, pflaumte Anya ihren unsichtbaren Partner an und gestikulierte wie ein aufgestacheltes Huhn. „So'n Knopf da unten kann doch nur eins bedeuten, Hirni!“ Jetzt zuzugeben, dass sie den Effekt von [Noble Arms – Excaliburn II] gar nicht kannte, war Anya zu peinlich. Was hatte Levrier bloß!? Wieso sollte Logan ihr etwas vormachen? Der war doch voll okay … für 'nen frechen Zwerg jedenfalls! Sie wirbelte herum, fixierte sich auf das weiße Haus. „Denk dir lieber etwas aus, wie wir es diesen Pissnelken heimzahlen, wenn sie uns das nächste Mal über'n Weg laufen!“ Denn was Rachsucht anging, stellte eine Anya Bauer so'ne x-beliebige Kutten-Trulla locker in den Schatten. Nächstes Mal war Payday angesagt! Wehe, dieses Miststück vergriff sich in der Zwischenzeit an ihrer Duel Disk. „... dann bist du toter als tot“, flüsterte Anya. Und meinte es bitterernst.     Turn 45 – Starring: Bonnie & Clyde 2.0 Der große Tag ist endlich gekommen. Valerie Redfield und Marc Butcher heiraten in der Livingtoner Kirche. Kurz vor der Zeremonie schaut Anya bei beiden vorbei und wünscht ihnen auf ihre ganz eigene Art alles Gute. Doch als es schließlich zum Ja-Wort kommen soll, zeigt sich, dass Anyas Wünsche nicht selten ins Gegenteil umschlagen. Denn die Zeremonie wird von niemand Geringerem gestört als … Kapitel 50: Turn 45 - Starring: Bonnie & Clyde 2.0 -------------------------------------------------- Turn 45 – Starring: Bonnie & Clyde 2.0     Abigail Masters war vieles. Geduldig, warmherzig, rücksichtsvoll, nachsichtig, stets um das Wohl anderer besorgt. Allerdings sorgte Anyas geradezu frenetisches, hämisches Gelächter in diesem Augenblick dafür, dass Abbys Tugenden drohten, alsbald der Vergangenheit anzugehören. Denn die hatte es sich offenbar zur Aufgabe gemacht, kein gutes Haar an Abbys eierschalenfarbenem, knielangen Kleid zu lassen. Die stand ratlos vor dem Innenspiegel ihres Kleiderschranks, in dem noch teilweise Abbys alte 'Kartoffelsäcke' hingen und wusste beim besten Willen nicht, was an ihrer Robe so verkehrt war. „Es steht mir doch!“, betonte sie ärgerlich und zupfte an den gewellten Ärmeln. „Was hast du denn!?“ Anya, die auf Abbys Bett hockte, sah sich schelmisch in dem kleinen Zimmer um, das mit WWF-Postern regelrecht tapeziert und mit Bücherregalen überfüllt war. „Es sieht scheiße aus, Masters.“ „Tut es nicht!“ Abby wirbelte schnaufend zu ihrer besten Freundin herum, die sie nun eindringlich ansah und wesentlich direkter wurde. „Als hätte man Kotze zusammengekratzt und damit das Kleid eingefärbt!“ „Anya! Das sind keine Flecken, das muss so sein!“, meinte Abby und spielte auf die dunkler hervorstechenden Formen des Kleides an. „Sagt 'Kroko Schrapnell'. Ich sage, das sieht aus wie hingekotzt!“ Mit geradezu infernaler Wut im Bauch stemmte Abby die Hände in die Hüften. „Und du!? Schwarzes T-Shirt, zusammengeflickte Lederjacke, Jeans … so geht man nicht auf eine Hochzeit!“ „Stimmt, -ich- gehe ja auch auf eine Beerdigung!“, stellte Anya klar und sprang auf. „Und zwar die des guten Geschmacks …“ „Selbst wenn ich mir ein neues Kleid kaufen würde, die Zeit dafür haben wir nicht mehr! Die Zeremonie fängt in zwei Stunden an!“ Abby schwang den Zeigefinger und hielt ihn drohend unter die Nase ihrer Freundin. „Und jetzt kein Wort mehr darüber! Du wirst dich in den nächsten Stunden vorbildlich benehmen, haben wir uns verstanden?“ Anyas zusammengekniffene Augen schrien geradezu das Nein heraus. Also wurde Abby deutlicher: „Wenn die Trauung vorbei ist, plane ich, wie ein Schlosshund zu heulen, weil alles so schön und romantisch ist! Solltest du es wagen, das zu versauen, werde ich dich für den Rest deines Lebens glauben lassen, du seist ein sprechender Affe!“   „Kein Unterschied zu jetzt“, hallte es hinter der geschlossenen Tür, „denk dir was Besseres aus.“ Zanthe, der nicht in Abbys Refugium geduldet wurde, solange diese sich umzog – trotz etlicher Betonungen seiner Homosexualität – fühlte sich wie im falschen Film. Er trug einen geliehenen, schwarzen Anzug. Nur sein blaues Kopftuch hatte er sich nicht nehmen lassen, trotz der Proteste von allen Seiten – Abby-Nord, Abby-Süd, Abby-Ost und Abby-West. Wenn es nach ihm ging, könnte jeder so zu dieser Hochzeit antanzen wie er es wollte. Ihm bedeuteten irgendwelche Dresscodes ungefähr so viel wie Anya sich für die Evolution der Prärielibellen interessierte. Leider hatte in dieser Hinsicht Abby das Sagen und machte schon den ganzen Tag allen das Leben schwerer, als es ohnehin schon war. „Mal sehen, wie lange das noch dauert“, murmelte er ärgerlich, „kann sich ja nur um Stunden handeln. Man sollte meinen, -sie- ist das Brautmonster …“ „Halt die Fresse, Fellknäuel“, schnauzte derweil Anya und funkelte Abby böse an, „wenn ich Bock hab die Party zu sprengen, werde ich das auch, 'kay!?“ „Sprechender Affe! Keine Diskussion mehr!“ Schwungvoll schwang die Sirene, die ihr Haar offen trug, den Arm aus und zeige auf das große, quadratische Geschenk auf ihrem Schreibtisch. Entgegen allgemeiner Annahmen hatte Valerie darauf verzichtet, vorher eine Hochzeits-Party zu veranstalten, weshalb die Geschenke nun nach der Trauung während der Feier auf dem Redfield-Anwesen abgegeben werden sollten. „Ich hoffe, du hast auch etwas für die beiden!“ Der Versuch, Anya von Thema Hochzeits-Crasher abzubringen, war leider vergebens. Denn die begann plötzlich voller boshafter Vorfreunde zu grinsen. „Noch nicht. Aber wer weiß, vielleicht backe ich ihr noch schnell einen Kuchen“, überlegte sie. „Lieber nicht“, erwiderte Abby skeptisch. „Warum?“ Anyas angespannte Mundwinkeln, die es nicht gewöhnt waren, mal nicht bis zu den Kniekehlen zu hängen, hatten ernsthafte Schwierigkeiten, sich in ihrer ungewohnten Lage zurecht zu finden. Es war doch so simpel. Wenn Redfield auch nur ein Stück ihres Super-Special-Sonder-Kuchens probierte, würde aus ihrer Hochzeit die Neuverfilmung von Schneewittchen werden. Wohlgemerkt ohne Happy End. Das Teil war stark genug, um Chuck Norris ins nächste Leben zu schicken. „Nein“, flüsterte Abby leise, aber bestimmend, „kein Kuchen. Nicht von dir. Also, hast du ein Geschenk?“ „Ja“, brummte Anya langgezogen und schicksalsergeben. Was hatte sie auch anderes erwartet? Abby mochte zwar jetzt aussehen wie ein Heidi Klum-Klon, aber an ihrem Spaßbremsen-Charakter hatte sich wenig geändert. „Geb's den beiden nachher irgendwann.“ Die Chefsirene nickte streng. „Gut. Dieser Hochzeit wird nichts im Wege stehen!“   ~-~-~   Knapp eine Stunde später hatten sich bereits allerlei Gäste vor der kleinen Kirche eingefunden, welche am Stadtrand lag und von Bäumen umringt war. Im Kontrast dazu stand das beeindruckte Fahrwerk der Gäste, das am Straßenrand kaum Platz fand. Zusammen mit Sheryl, Abbys Eltern und einigen Geschwistern schritten Anya, die Chefsirene und Zanthe auf das Bauwerk zu. Damit Anyas Lüge bezüglich ihres 'Haustiers' nicht aufflog, hatte sie extra vorher die Masters eingeweiht und um Kooperation gebeten mit dem hoch und heiligem Versprechen, für eine wohltätige Organisation zu spenden. Später. Irgendwann vielleicht. Vor dem Eingang hatte sich eine kleine Schlange gebildet, was daran lag, dass die Gäste rigoros von muckibeladenen Männern in Schwarz kontrolliert wurden.   Als Anya dann noch sah, wer das Schlusslicht besagter Schlange bildete, verging ihr endgültig die Lust an dieser seltendämlichen Hochzeit. „Oh, Pennerkind“, raunte sie, als die Gruppe aufgeschlossen hatte, „wie absolut unschön, dich zu sehen. Was machst du hier? Redfield kann dich nicht ausstehen.“ Jener, in feinstem schwarzen Anzug gekleidet, drehte sich zusammen mit seiner Schwester Melinda, die in Weiß daher kam, wenig begeistert um. „Die ist auch eingeladen?“, flüsterte er seiner Begleiterin missmutig zu. Die brünette Frau stieß ihm als Antwort strafend den Ellbogen in die Rippen. Als Anya sie das letzte Mal gesehen hatte, waren ihre Haare noch kürzer. Diesmal lagen sie ihr schon lang über den Rücken. Im Gegensatz zu Henrys, welcher sie seit je her relativ kurz trug. Diesmal sogar zu einem Scheitel gegelt. Anya bekam Brechreiz bei seinem Anblick. „Schön euch zu sehen“, begrüßte Melinda Anya und umarmte Abby, „lange ist es her.“ Als sie Anya ebenfalls umarmen wollte, starrte diese ihr Gegenüber nur einen Moment lang aussagekräftig an, um Melinda zum Umdenken zu 'überreden'. Stattdessen musste ein Händeschütteln reichen. Auch Zanthe wurde nicht ausgelassen, der sofort fragte: „Ihr kennt euch?“ „Aus dem Turm“, erklärte ihm Anya mürrisch. Es folgte ein kurzes Gespräch, in dem Zanthe sich vorstellte. Abby indes versuchte erfolglos, Henry anzuflirten, doch der stierte übel gelaunt geradeaus an ihr vorbei und trat schließlich vor, um seine und Melindas Einladung und vorzuzeigen. „Was ist denn mit ihm los?“, wunderte sich Abby getroffen darüber, ignoriert und keines Blickes gewürdigt zu werden, obwohl sie sich nicht zuletzt extra für ihn so rausgeputzt hatte. „Probleme mit der Firma“, erklärte Melinda, „die AFC will expandieren und Henry soll dafür nach Europa. Davon hat er erst heute morgen erfahren.“ Henry zischte böse: „Das sind Firmen-Interna, Melinda.“ „N-nach Europa?“, horchte Abby sofort hoffnungsfroh auf. „Etwa nach Großbritannien!?“ „Bulgarien“, ließ sich seine Schwester nicht von Henry zurechtweisen, „mein kleiner Bruder hat Angst davor. Dort soll er nämlich außerdem mit einem Experten an einem Konkurrenzprodukt für Duel Monsters werkeln. Daran soll gemessen werden, ob er fähig ist, die Firma zu übernehmen.“ Der fauchte nun regelrecht. „Melinda, halt dich bitte zurück!“ „Als ob mich das interessieren würde“, brummte Anya mürrisch. Abby warf ein: „Wir werden mit diesen Informationen natürlich vertraulich umgehen. Stimmt's, Anya?“ „Wie ich sagte … uninteressant.“ Henry schnaufte nur, während Melinda diebisch grinste. Scheinbar war sie ein kleines Plappermaul, wenn sie nicht gerade vor Dämonen flüchtete. Sie ging sogar noch weiter. „Eigentlich wollte Henry lieber die Veröffentlichung der neuen Duel Monsters-Karten übernehmen, aber da wurde ihm ein Strich durch die Rechnung gemacht. Er hatte sogar eigene Ideen, aber die wurden abgeschmettert.“ „Ahja, davon habe ich gehört. Die werden doch kurz vor dem Start dieses Turniers nächsten Monat vorgestellt, oder? Sind sie denn da schon zugelassen?“, fragte Abby neugierig. Melinda nickte. „Jup. Wir wollen sehen, wie sie dort ankommen, ob sie schon erfolgreich gespielt werden. Das ist gute Publicity. Hoffe ich zumindest.“ Ihr jüngerer Bruder schüttelte nur noch schicksalsergeben den Kopf. „Hörst du bitte auf, das alles auszutratschen, Melinda?“ „Schon gut.“ Beleidigt drehte sie sich von Abby und Anya weg, nur um doch noch einmal über die Schultern zu sehen und zu zwinkern. „Hätte Paps Henrys Idee genommen, wäre er jetzt nicht so stinkig!“ Anya selbst hatte auch von diesen neuen Karten gehört, konnte sich aber nicht einmal an deren genauen Namen erinnern. Nur irgendwas mit Pendeln. Also völlig uninteressant. „Geht's dir auch gut, Anya?“, hallte es hinter der Blondine. Ihre Mutter Sheryl unterhielt sich nebenbei mit Abbys Eltern, die von ihrer Tochter ordentlich eingekleidet worden und nur noch ein Schatten ihrer Hippieselbst waren. „Ja, Mum …“ Schließlich wurden Henry und Melinda herein gelassen, sodass es nun an Abby war, die Formalitäten zu regeln.   Keine fünf Minuten später watete die Gruppe durch die Kirche, was nur möglich war, weil Abby bei Valeries Personal ein gutes, sehr sirenisch angehauchtes Wort einwarf, welches Anya der Hochzeit aufgrund ihrer geschmacklosen Aufmachung frühzeitig verweisen wollte. Es ging durch einen etwas größeren Vorraum, von dem links und rechts weitere Vorbereitungsräume abgingen. Sogar ein kleiner Stand der Aktion „Bekämpft Brustkrebs!“ war hier aufgebaut, da Valerie die Gelegenheit nutzte, für besagte Sache Spenden zu sammeln. Von da aus ging es dann auch schon direkt in die eigentliche Kirche, die zwar nicht die größte war, aber immerhin noch Platz für die etwa hundert geladenen Gäste bot.   Die meisten Sitze waren bereits besetzt und die, die noch frei waren, waren rigoros ausgeschildert. Während vorne die Familienmitglieder und engsten Freunde der Eheleute Platz fanden, waren die hinteren Ränge für ehemalige Klassenkameraden, Lehrer und Arbeitskollegen reserviert. So entdeckte Anya sofort mindestens zehn Leute, die sie an Ort und Stelle ordentlich verdreschen würde. Aber sie hatte Abby auf dem Hinweg geschworen, diesmal wirklich überhaupt nichts anzustellen. Das galt aber nur für die Zeremonie, nicht danach! „Macht euch schon mal frisch, ihr Kackratten“, raunte sie boshaft im Vorbeigehen an der Reihe mit ihren Ex-Klassenkameraden, von denen einige deutlich sichtbar zusammenzuckten. „Hier trennen sich unsere Wege. Ihr sitzt ja weiter vorne“, meinte Sheryl derweil, die ein weißes Kostüm trug und leitete die Großfamilie Masters zu den hinteren Sitzen der rechten Reihe. „Ja ja“, winkte Anya ab. Zu Dritt ging es noch weiter vorwärts, wobei Anya sich umsah. Alles war ausgeschmückt mit weißen Blumenkränzen und dergleichen, aber trotzdem wirkte es nicht aufdringlich überdekoriert. Halt eine ganz normale Kirche bei einer Hochzeit. Ekelhaft … „Hier vorne“, meinte Abby und zeigte auf zwei freie Bänke in der ersten beziehungsweise zweiten Reihe rechts, „das ist unsere.“   Auf der hinteren saßen bereits Melinda und Henry. Neben ihnen waren noch mindestens drei Plätze frei, einen davon belagerte sogleich Zanthe. Dagegen war die vordere Reihe noch fast leer. Bis auf Nick, der in einem … recht ungewöhnlichen Aufzug daher kam, saß dort keiner. „Huch! Nick, wie siehst du denn aus!?“, begann Abby sofort zu zetern. „Pink!?“ „Ich kann nichts dafür, Mum hat ihn ausgesucht!“ „Oh, du elendes Muttersöhnchen! Da unterbrechen Valerie und Marc ihr Studium, um ganz romantisch in ihrer alten Heimat zu heiraten und DU …“ Den aufkommenden Streit nahm Anya als Gelegenheit wahr, sich von den anderen abzukapseln. Bis zur Zeremonie war ohnehin noch etwas Zeit. „Ich geh mal schnell wohin.“ Ehe Abby reagieren konnte, eilte Anya davon.   Sie schnellte in den Vorraum der Kirche zurück und ignorierte gekonnt Valeries Stand. Ihr Blick wanderte nach rechts, wo sich zwei Türen befanden. Eine davon war der Vorbereitungsraum des Bräutigams, also Marcs. Auf diesen schritt sie zu. Das Mädchen verharrte vor der Tür und atmete tief durch. Ohne es sich eingestehen zu wollen, kostete es sie durchaus Einiges an Überwindung, Marc gegenüber zu treten. Er war der Erste gewesen, für den sie Gefühle entwickelt hatten, die über ihr übliches Repertoire von absoluter Abneigung, über Missgunst hin bis maximal Freundschaft hinaus reichten. Dieses eine Gefühl beim Namen zu nennen, das kam für sie nicht mehr infrage. Heute war sie darüber hinweg, dass er sich für Valerie entschieden hatte. Die Chemie zwischen ihnen beiden stimmte einfach, ganz anders als zwischen ihr selbst und Marc. Und Anya war ihre damalige, regelrechte Besessenheit gegenüber Marc mittlerweile fast peinlich. Doch trotzdem … jetzt da rein zu gehen hieß, ihre erste Dingsda endgültig loszulassen. „Ach scheiß darauf, ich geh da jetzt rein und beende den Mist“, knurrte sie, da sie das Limit ihrer Melancholie bereits weit überschritten hatte. Kurz klopfte sie an, wartete gar nicht erst auf eine Reaktion und öffnete die Tür. Marc, der den Mund bereits geöffnet hatte, stand direkt vor ihr in dem kargen Zimmer, das nur aus einer Kommode, einem Schrank und einem Vorstellumhangding bestand, wie Anya es eher weniger treffend bezeichnete. „A-Anya“, stotterte Marc verdutzt. Er trug einen schwarzen Anzug, passend zu der Farbe seines Haars und darunter ein weißes Hemd samt Krawatte. In der Brusttasche seines garantiert sündhaft teuren Fummels steckte eine einzelne, rote Rose. Anya musste den Würgreflex unterdrücken, auch wenn seine kräftige Figur durchaus ansprechend war. „Hey, Butcher!“, quasselte sie los und schlug ihm im Vorbeigehen zur Begrüßung fest auf die Schulter. „Wollte nur mal schauen, ob du schon kalte Füße bekommen hast.“ „Valerie hat unter den Gästen Bodyguards versteckt. Wenn du irgendetwas planst, wird sie nicht zögern, dich von der Trauung zu entfernen“, erwiderte Marc irritiert, kratzte sich am Kinnbart. Anya wirbelte um und verzog ärgerlich das Gesicht. „Was du nicht sagst? Hätte ich mir ja denken können, Redfield denkt wirklich an alles!“ Die beiden sahen sich an. Und lachten … nicht. Marc lachte, Anya schnaubte. „Sehr witzig, Butcher!“ „Einen Versuch war es wert“, meinte er schulterzuckend, „sie hat mich gewarnt, dass du vorbeikommen würdest, daher sollte ich dir das mitteilen.“ Hochnäsig verschränkte Anya die Arme. „Stehst wohl unter ihren Pantoffeln, was?“ Marc rieb sich verlegen den Hinterkopf. „Total.“ „Mein Beileid.“ Anya griff in die Innentasche ihrer zusammengeflickten Lederjacke und zog eine der drei verbliebenen Karten heraus, die sie vom Sammler erhalten hatte. „Im Ernst. Ich wollte dir eigentlich das hier geben. Ist'n Hochzeitsgeschenk. Sorry, mehr kann ich mir nicht leisten.“ Erstaunt nahm Marc die Karte entgegen. „Danke?“   Anya hatte sich dazu entschlossen, die vier Karten an ihre Freunde zu verteilen. Valerie würde auch gleich noch eine bekommen, womit nur noch eine übrig wäre. Zwar hatte sie noch keine Idee, wem sie die letzte schenken würde, aber das konnte ruhig warten. Zumindest hatte sie damit gleich eine Ausrede parat, kein Geld ausgeben zu müssen. So wurde sie die Teile wenigstens los. Aber nur, weil sie sie selbst ohnehin nicht benutzen konnte!   „Die ist ziemlich stark“, stellte Marc beim Lesen des Effekttextes fest, „bist du dir sicher, dass du die so einfach hergeben willst?“ Sein Gegenüber rollte genervt mit den Augen. „Nein, das Ganze ist nur ein Riesengag. Da ist ein Fernzünder drin, mit dem ich euch in die Luft jagen werde, sobald ihr euch das Kotz-Wort gebt! Natürlich ist das mein Ernst!“ „Dann … danke“, wiederholte sich Marc. „Kein Ding“, wiegelte Anya genervt ab und schritt an ihm vorbei zur Tür, „das war's schon, mehr wollt' ich eh nicht. Jetzt werde ich erstmal Redfield die Laune verderben.“ Die Tür öffnend, hörte sie Marc hinter sich sagen: „Pass lieber auf, dass sie dir nicht die Laune verdirbt.“ Anya wirbelte um, grinste breit. „Mach dir da mal keine Sorgen! Übrigens, wenn sie dich jemals betrügen sollte, bei mir Zuhause ist noch ein Zimmer frei.“ Eins, das Zanthe sofort 'räumen' würde, sollte es jemals dazu kommen, fügte Anya noch in Gedanken hinzu. Auch wenn sie der Gedanke nicht wirklich reizte. Anscheinend war sie wirklich über ihn hinweg. „Danke, aber nein“, bestätigte er dies ehrlich, „und ich weiß, dass Valerie die Letzte ist, die so etwas tun würde.“ „Dann ist ja alles gut!“, erwiderte Anya zu ihrer eigenen Überraschung erstaunlich vergnügt für den eiskalten Korb, den sie sich eben noch einmal eingefahren hatte. „Viel Spaß beim Heiraten noch!“ Und schwupps war die Tür zu, das Kapitel Marc endgültig im Papierkorb und Anya bereit, ihrer Erzrivalin mächtig in die Suppe zu spucken. Denn kein Mann der Welt würde ihr dies je nehmen können!   Stolz wie Oskar stampfte sie durch den Vorraum, ignorierte erneut den aufdringlich direkt in dessen Mitte positionierten Stand und ging einmal quer herüber zur anderen Seite, wo ebenfalls zwei Türen waren. Eine unmissverständlich ausgeschildert mit dem Hinweis: „Ankleide Braut“. „Ring frei“, gurrte Anya voller grimmiger Vorfreude und riss erstmal das Schild ab, welches sie unauffällig hinter einem neben der Tür in der Ecke stehenden Blumentopf verschwinden ließ. Mit Schwung stieß sie die Tür auf und verschaffte sich ungebeten Einlass in Valeries Ankleide. Die stand direkt vor ihr, hinter ihr Caroline Mayfield, ein honigblondes, etwas blasses Mädchen, das ein wenig jünger als Valerie war. Gerade war sie dabei gewesen, den Reißverschluss von Valeries Hochzeitskleid hochzuziehen, das erstaunlich schlicht daher kam. Schulterlos, reichte es ihr knapp bis zu den Schuhen. „Tach, Redfield!“, grüßte Anya ihre ewige Rivalin locker und sah sich um. Der Raum sah fast genauso aus wie der von Marc, grau, mit einem Tisch in der Ecke, ein paar Stühlen einer Kommode und noch so einem Vorstellumhangding in der anderen. Knallrot im Gesicht, bedeckte die schwarzhaarige Valerie, die sich gegen einen Brautschleier entschieden hatte – war doch nirgendwo einer zu entdecken – das üppige Dekolletee. „Anya! Was soll das, warum platzt du einfach ohne anzuklopfen hier rein!? Hast du denn gar kein Fünkchen Manieren!? Oh, entschuldige, was frage ich überhaupt!?“ Anya zuckte unbedarft mit den Schultern und schritt auf Valerie zu. „Hab dich nicht so, Redfield. Deine Euter interessieren mich nicht. Eigentlich bin ich nur gekommen, weil ich mich an einen alten Hochzeitsbrauch erinnert habe.“ „Achso?“, horchte Valerie skeptisch auf. „Und der wäre?“ „Na etwas Blaues. Du brauchst dringend noch etwas Blaues“, antwortete Anya mit schelmischer Boshaftigkeit, „mit Marc hast du ja schon was Altes. Was Geliehenes? Naja, das Kleid sieht aus, als hättest du es aus einem Klamottencontainer gestohlen. Was Neues kriegst du gleich noch von mir. Aber erst das Blaue.“ Valerie seufzte, wahrte ihre Beherrschung meisterlich. „Blaue Augen zählen nicht, Anya. Aber danke für die 'gut gemeinte Geste'.“ „Pft, hätte ja klappen können. Es hätte dich nichts gekostet, ehrlich!“ „Ich habe schon etwas Blaues“, erwiderte Valerie und legte die Finger auf den saphirblauen Anhänger, den sie um den Hals trug, „von meiner Oma.“ „Im Ernst?“ Anyas frecher Ton legte sich ein wenig. „Die, die an Krebs gestorben ist?“ „Genau. Aber woher weißt ausgerechnet du das?“ „Abby ist 'ne Quasselstrippe.“ Valerie sah Anya dennoch ziemlich überrascht an. „Das ist so viele Jahre her. Und du merkst dir so etwas?“ Sich mit dem Finger gegen die Stirn tippend, streckte Anya stolz die im direkten Vergleich zu Valerie kerzengerade Brust hervor. „Klar! Ansonsten könnte ich wohl kaum Rache an den ganzen Trotteln nehmen, die mir ans Bein pinkeln.“ „Das ist wohl wahr, nachtragend sein war schon immer deine Spezialität.“   „Ja ja, erzählt mir was Neues“, versuchte Anya, das Thema mit einem Male abzuwürgen, „hey, Psychopissnelke, schieb' deinen Arsch mal eben nach draußen, ich hab was mit Madame persönlich zu klären!“ Caroline sah Anya dermaßen verschreckt an, als hätte die soeben ihre lange geplante Weltherrschaft verkündet. Sie wusste genau, worauf die Blondine anspielte. Auf Victim's Sanctuary, der Irrenanstalt, in der sie kurze Zeit eingeliefert und in der seltsame Dinge geschehen waren. „Schon gut“, streichelte Valerie ihr sanft die Schulter, „wenn sie mir was tun will, werde ich ihr schon Manieren beibringen.“ „Tch, das will ich sehen!“, schnaubte Anya und verschränkte die Arme. Stumm nickte Caroline, zog Valeries Reißverschluss ganz zu und verließ kommentarlos, sofern das Stampfen nicht zählte, das Zimmer.   Kaum waren die beiden alleine, löste Anya ihre überhebliche Haltung, griff in ihre Jackentasche und reichte Valerie die Karte des Sammlers. „Da, für dich. Das Neue, das ich dir versprochen habe.“ Valerie machte keinen Finger krumm. Man sah ihr förmlich an, dass sie das Ganze für einen Scherz hielt und erwartete, in irgendeine Falle zu tappen. Anya Bauers Geschenke waren nichts, was man sich wünschte. „Was? Nicht gut genug für dich?“, schnappte die beleidigt. „Hab kein Geld für teuren Bling Bling und selbst wenn, würde ich dir nix Dergleichen kaufen!“ „Nein, es ist nur … komisch“, erwiderte Valerie und nahm ihr die Karte zögerlich ab. „Danke. Vor einem Jahr hättest du mir noch die Augen ausgekratzt.“ Anya winkte mit erhobenem Geruchsorgan ab. „Marc interessiert mich nicht mehr. Trotzdem, wenn du ihn schlecht behandelst, werde ich dir weitaus mehr auskratzen als nur die Augen.“ „Das würde ich nie tun“, beteuerte Valerie. „Tch, natürlich nicht, Mutter Theresa Incarnate!“ Anya kehrte ihr den Rücken zu. „Na denn, ich gehe dann mal zurück zum Publikum. Ich warne dich, Redfield …“ „Wovor?“ „Nick hat ein Handy reingeschmuggelt und er wird es definitiv benutzen, wenn deine Möpse aus diesem engen Teil hüpfen.“ Anya kicherte bösartig. „Also sei vorsichtig, denn wenn ich die Bilder in die Finger bekomme – und das werde ich – wirst du bald eine neue Karriere starten. Als Playgirl. Freu' dich, solange diese Dinger noch von der Schwerkraft unabhängig sind, Redfield. Gott, wie ich den Tag herbeisehne, an dem sie nur noch hängende Schläuche sein werden…“ „Da wirst du lange warten. Und wenn ich mich dafür unters Messer legen muss, nur um dir den Lebenshorizont zu verderben.“ Valerie grinste neckisch. Zufrieden mit sich, abschließend noch einmal ein paar fiese Sprüche über Valeries Hupen abgelassen zu haben, stolzierte Anya aufrecht aus dem Zimmer und hinterließ eine glucksende Valerie. Die keine Sekunde später, als die Tür ins Schloss fiel, an ihrem Dekolletee zu zupfen begann.   Nun hatte sie alles erledigt, was es zu erledigen galt. Damit visierte sie wieder die Richtung des Trausaals an, doch nicht, ohne vorher beim Stand anzuhalten. Die Dame, die dahinter stand, strahlte freundlich. „Na ausnahmsweise …“, knurrte Anya und steckte einen Dollarschein, den sie aus ihrer Hosentasche gezupft hatte, in die Dose. „Mehr hab ich nicht.“ Wenigstens war jetzt auch gleich das Versprechen an die Masters eingelöst worden. „Vielen Dank. Damit-“ Aber die Blondine interessierte sich gar nicht weiter für das Gewäsch der Frau und eilte zurück zu ihrem Platz. Dabei huschten einige Gäste an ihr vorbei Richtung der Ankleideräume, von denen Anya Anthony, Marcs Trauzeugen, erkannte und Mr. Redfield, Valeries Vater.   Schließlich nahm Anya zwischen Nick und Abby Platz. „Wo warst du solange!?“, ging das Theater gleich los. „Hey, die beschissene Hochzeit hat doch noch gar nicht angefangen!“, verteidigte sich Anya auf Abbys vorwurfsvollen Tonfall hin. „Aber sie wird es jeden Moment!“ Die Sirene gab einen wütenden Schnaufer von sich. „Und ist dir übrigens was aufgefallen?“ Was ihre Freundin mit einem lahmen Kopfschütteln beantwortete. Abby zeigte daraufhin auf die beiden Bänke, wo sie und der Rest saßen. „Ganz schön viel Platz übrig, meinst du nicht?“ Jetzt bemerkte Anya es auch. Da fehlte jemand! „Die Narbenfresse und Summers!“ „Genau. Ich weiß hundertprozentig, dass beide eingeladen worden sind. Valerie hat's mir gestern bei der Generalprobe erzählt. Wie können die es wagen, nicht mal geantwortet haben diese … diese-!“ „Vielleicht irgendwelches dringendes Dämonenjäger-Business?“, warf Nick schulterzuckend ein. Was Anya daran erinnerte, dass sie schon vor Wochen daran gescheitert war, Kontakt mit den beiden aufzunehmen. Irgendwie gefiel ihr das nicht.   Einige Minuten später trat der Pfarrer hinter den massiven Holzaltar. Marc und Anthony stellten sich ebenfalls mit Händen vor dem Bauch gefaltet zu dessen Rechten vor den Altar. Das war der ultimative Startschuss, das Gemurmel verstummte nach und nach. Die Gäste saßen und sahen sich gespannt nach hinten um, als der Hochzeitsmarsch plötzlich einsetzte. Gespielt von einer Live Band in einer der Ecken des Saals. Die Flügeltüren öffneten sich. Zunächst traten die Familienmitglieder der zukünftigen Eheleute ein und schritten an den Bänken vorbei, sans der Eltern von Valerie. Danach folgte Caroline und verstreute aus einem Korb weiße Rosenblätter. Als sie fertig war, nahm sie an der Seite vor den Bänken Platz, direkt vor Abbys Nase – die schon anfing zu triefen. „Sie hat alles bis ins letzte Detail geplant“, schluchzte die junge Frau bereits mitgerissen. Dann kam sie – die Braut. Valerie schritt herein, am Arm ihres Vaters eingehakt. Sie strahlte wie ein Feuerwerk, hielt ihren Brautstrauß fest umschlungen. Langsam, aber zielsicher steuerte sie auf den Altar zu, dabei einzig und allein Marc anlächelnd. Als die beiden sich gegenüberstanden, begann der Pater zu sprechen: „Wir haben uns heute hier eingefunden …“ Und Anyas Gehirn schaltete automatisch ab.   Bla bla … zwei junge Menschen … bla bla, Bund der Ehe … Pflichten der Ehe … Gottes Wille … wie öde. Das Mädchen drohte fast wegzunicken, doch ehe das geschah, rammte eine bereits tränennasse Abby ihr den Ellbogen in die Hüfte. Genau im rechten Moment.   Die Anspannung war zum Greifen nahe. So sehr, dass Valerie tatsächlich verkrampfte und derart gerade stand, dass Anya schon hoffte, ihre Erzrivalin würde jeden Moment in der Mitte durchbrechen. Aber auch Marc war nervös, rieb er die ganze Zeit die Stelle an Valeries Ringfinger, welche es zu 'besetzen' galt. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam endlich das, worauf jeder der Anwesenden gewartet hatte. Der Pfarrer vor dem Alter fragte: „Wer nun etwas gegen diese Eheschließung einzuwenden hat, möge nun das Wort erheben oder für immer schweigen.“   Kein Mucks von dir, Anya Bauer! Was Levrier aussprach, setzte ein gefühltes Heer an Augenpaare in eine derart stechende Sprache um, wodurch Anya fürchtete, einen ganzen Bienenschwarm im Nacken zu haben. Angeführt von Königin Abby, die sie mit ihrem Blick tatsächlich versuchte zu enthaupten, so schien es. „Ist ja gu-“, zischte Anya, doch wurde sie darin glatt unterbrochen. Mit einem lauten Knarren schwangen die Türen der Kapelle auf, die geladenen Gäste wirbelten erschrocken um. „Ich denke, ich erhebe Einspruch“, hallte die Stimme einer jungen Frau über die Schwelle. Neben ihr stand ein hochgewachsener Mann, bewaffnet mit einer Schrotflinte, die er an die Schulter angelehnt hielt. „Die Party ist vorbei, Freunde.“ Es knallte. Zwar hatte der Rothaarige nur an die Decke geschossen, doch die Wirkung war groß. Sofort sprangen die ersten Gäste schreiend auf. „Anya, was hast du-!?“, polterte Valerie noch darüber hinweg, um dann vom Knall zu verstummen. „Ehrlich, damit hab ich nichts am Hu-!“, schwor die ebenso lautstark, ehe das Krachen ihr das Wort abschnitt. Valerie und Marc standen völlig entgeistert vor den Altar, nicht wissend, was sie tun sollten. Die dunkelhäutige Frau, die einen ganzen Kopf kleiner war als ihr Begleiter, zückte plötzlich eine weiße Karte aus der Brusttasche ihrer Jeansjacke und flüsterte, als sie jene in ihre seltsam anmutende, inaktive Duel Disk rammte: „Azoth!“ Im nächsten Moment fielen die Gäste reihenweise um beziehungsweise sackten auf ihren Plätzen in sich zusammen. Nur das Brautpaar blieb wundersamerweise unberührt. „Was geht hier … vor?“, murmelte Valerie tonlos. „Wir haben gehört, hier wird eine Monsterparty gefeiert. Und da dachten wir es wäre nett, euch Freaks einen kleinen Besuch abzustatten“, erklärte der Rothaarige grinsend und legte seine Waffe an, gezielt auf Marc. „Harris! Da!“, nickte seine Kumpanin zu der ersten beiden Reihen. Da saßen nämlich doch noch einige Gäste aufrecht.   Anya, Zanthe, Abby, Melinda und Henry, um sie beim Namen zu nennen. Nick lag ebenfalls schnarchend auf dem Boden, ganz zum Ärgernis der Allgemeinheit. „Da haben wir ja unsere Ziele. Ich kümmere mich um sie!“, rief die junge Frau sofort aus und aktivierte die schwarze Duel Disk an ihrem Arm. „Abby! Das sind Dämonenjäger“, wandte sich Anya geistesgegenwärtig an ihre Freundin. „Die wollen uns fertig machen! Mach sie fertig! Einmal Sirenpower zum Mitnehm-!“ Die Blondine war noch gar nicht fertig mit ihrem Satz, da rammte die Afroamerikanerin schon eine weitere weiße Karte in ihre Duel Disk. „Restrain!“ Aus einer schnabelartigen Öffnung unterhalb des Deckfachs schossen dutzende DNA-ähnliche Stränge, die sich in unglaublicher Geschwindigkeit im ganzen Saal verteilten und durch die Luft glitten. Dann gingen sie wie ein Regen aus Pfeilen auf die Gruppe nieder. Abby wurde sofort wie eine Mumie umwickelt, Anya hingegen wich mit einem Hechtsprung nach vorne aus, wobei sie aber mitten im Fall von weiteren Spiralen erwischt und gefangen genommen wurde. Parallel dazu stützte sich Zanthe an der Sitzbank ab, und machte mit Schwung einen astreinen Sprung nach hinten, wobei er ebenfalls sofort wieder erfasst wurde, aber mit einem Radschlag über die bewusstlosen Gäste unter ihm auch diesem Angriff auswich. Valerie und Marc sahen staunend zu, wie es Zanthe gelang, die lebenden Fesseln abzuhängen. „Obacht!“, stieß Valerie erschrocken hervor, als auch sie anvisiert wurden – und die Dinger mitten in der Luft an einer unsichtbaren Mauer zerschellten. Unbemerkt vom Beinahe-Ehepaar leuchteten deren Decks rot beziehungsweise blau auf. „Was zum Teufel!?“, stand der Dämonenjägerin der Mund offen. „Was war das denn!?“ „Edna, der Werwolf ist ein Problem!“, meinte Harris derweil. Zischend drehte sich seine Partnerin um, riss ihm die Schrotflinte aus der Hand und schoss einfach auf Zanthe. Der konnte zwar mit einem Sprung nach hinten ausweichen, aber sie hatte erreicht was sie wollte. Da er den Schuss nicht hatte kommen sehen, war seine Aufmerksamkeit für einen Moment von den Strängen abgelenkt, die ihn nun erfassten und lahmlegten. Mitten im Gang knallte er wie eine aus dem Sarkophag gefallene Mumie auf den Boden. Aus den Augenwinkeln sah der Umwickelte Melinda und Henry, die noch vor allen anderen lahm gelegt worden waren.   „Was um alles in der Welt“, stammelte Valerie und wurde mit einem Schlag sehr, sehr laut und sehr, sehr böse, „wollt ihr von uns!? Wieso-ruiniert-ihr-unsere-Hochzeit!?“ „Nur noch die beiden sind übrig“, meinte Edna zu Harris trocken, ging gar nicht weiter auf das langsam entstehende Brautmonster ein, „mit denen werden wir auch so fertig.“ „Heute kriegen wir 'nen ganzen Bus voll.“ Der Rothaarige, der ziemlich prollig daher kam mit Goldkette, gelbem Muskelschirt und Tattoos an beiden Armen, grinste siegessicher. „Der Informant hat nicht gelogen, so viele hatten wir noch nie auf einmal.“ „Daran siehst du, wie viele von denen unter uns sind“, raunte Edna, „schlimmer noch, schau sie dir an. Von denen sind nur zwei richtige Dämonen.“ Damit spielte sie auf die Farben der Stränge an, die bei Zanthe und Abby rötlich-pink, bei den anderen Gefangenen blau-violett glühten. „Das sind alles Paktträger. Freiwillige Dämonen …“ „Ghgngagggnn!“, maulte Anya unter ihrem Knebel und versuchte sich wie eine Raupe aufzubäumen. Übersetzt hieß das so viel wie: „Wir waren mal welche, ihr Pissnelken! Und jetzt lasst mich frei, bevor ich eure Köpfe vom Körper schraube und damit Basketball spiele!“ „Wir waren mal welche, aber das ist lange her!“, übernahm Marc das für sie und stellte sich schützend vor Valerie. „Ihr seid also Dämonenjäger? Wusste nicht, dass außer Alastair noch andere so extrem drauf sind.“ Auch sein Ton wurde rauer. „Wenn ihr schon hier einbrecht und mal eben unsere Gäste angreift, seid ihr uns wenigstens eine Erklärung schuldig! Also los!“   Der böse Blick Ednas ließ ihn insgeheim erschaudern. Die sah mit ihren vollen, verzogenen Lippen aus, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. Generell erweckte die ganz leger gekleidete junge Frau mit den zusammengebundenen Rastersträhnen nicht den Eindruck, überhaupt zu wissen, wie man lächelte. „Wir sind euch 'nen Scheißdreck schuldig. Erklärt's euch selbst!“, fauchte Edna zurück. „Euresgleichen dulden wir nicht!“ „Das klingt weniger nach Dämonenjagd, sondern mehr nach Rassismus“, warf Valerie klamm ein, „um was geht es euch hierbei eigentlich? Werdet ihr für unsere Köpfe bezahlt?“ Plötzlich richtete die schwarzhaarige Jägerin ihre Waffe auf Valeries Haupt. „Ganz ruhig, Zuckerprinzessin. Reiz mich nicht, okay? Sonst wird aus der Hochzeit ganz schnell eine Bestattung.“ „Lass das, Edna.“ Mit einem Ruck riss Harris ihr die Waffe aus der Hand. „Hey, 'solche' sind wir nicht, schon vergessen!? Wir ziehen das jetzt so durch wie besprochen!“ Der jungen Frau, welcher trotz ihres selbstbewussten Auftretens der Schweiß auf der Stirn stand, entfleuchte nur ein zustimmendes Grummeln. Plötzlich sah sie herüber zu Anya und ihr eiserner Blick verlor für einen Moment seine Kälte, ehe sie sich kopfschüttelnd von dem motzenden Mädchen abwandte. „Die da ist Anya Bauer.“ „Anya Bauer sagst du …?“, murmelte Harris. „Geht's nur mir so, oder sagt dir der Name etwas?“ „K-keine Ahnung, in der Beschreibung hieß es nur, dass die mit dem größten Mundwerk Anya Bauer ist. Wie auch immer, ist jetzt nicht so wichtig“, wich sie aus.   „Anyas Bekannte, was?“, mutmaßte Marc, doch Anyas heftiges Protestieren und Winden überzeugte ihn augenblicklich davon, dass sie wohl diesmal wirklich keine Schuld an den Ereignissen hatte. „Und wie regeln wir das jetzt?“, fragte er zornig weiter. „Kampflos ergeben wir uns nicht.“ „Wir auch nicht.“ Harris aktivierte die schwarze, rundliche Duel Disk an seinem Arm, die genau wie Ednas mit roten, leuchtenden Runen bestückt war. Einer gebogenen Klinge gleich schoss der Auswuchs für die einzelnen Zonen aus ihr heraus. „Ich hätt's mir doch denken können.“ Belustigt klatschte Marc einmal in die Hände. „Was auch sonst?“ Valerie, knallrot im Gesicht vor allen nur erdenklichen Gefühlen, nickte. „Sie hätten uns erschießen sollen. Denn das wird jetzt sehr, sehr unschön … ich nehme mir die Schwarze, wenn du nichts dagegen hast.“ Das gesagt, griff sie unter ihren Rock und zog wie aus dem Nichts ein Deck hervor. „Du hast ein Deck in deinem Strumpfband versteckt?“, flüsterte Marc baff, als Valerie den Saum ihres Kleides wieder fallen ließ. Die runzelte ärgerlich die Stirn. „Anya ist unter den Gästen. Es ist schließlich nicht so, als ob ich nicht mit so etwas gerechnet hätte. Aber dass tatsächlich … oh Gott, ich brauch 'ne Therapie.“ „Wie schön, dann sind wir schon zwei“, brummte ihr Beinahe-Ehemann zustimmend und zog ebenfalls ein Deck aus der Innentasche seines Anzugs hervor. Als Valerie ihn überrascht ansah, meinte er an die Störenfriede gerichtet: „Ich kann meine Verlobte unmöglich alleine kämpfen lassen. Nimm sie dir, wenn du sie willst. Für dich nur das Beste vom Besten.“ Mal abgesehen davon, dass Valerie wie ein gleich zubeißender Pitbull dastand und kaum wiederzuerkennen war, gaben sie noch ein recht entspanntes Paar ab, dessen Hochzeit gerade gecrasht wurde, so fand Anya anerkennend. „Hmm? Du gegen mich, Sportsfreund? Na von mir aus“, erwiderte Harris gönnerhaft und zuckte mit den Schultern. „Brautpaar versus Bonnie und Clyde. Klingt sogar ganz lustig.“ Offensichtlich fühlte Edna sich von seinem Kommentar angegriffen, denn sie brummte: „Bonnie und Clyde waren Verbrecher. Stell' mich nicht mit denen auf eine Stufe, klar?“ „Spielverderberin.“ „Wir haben keine Duel Disks“, meinte Marc aber plötzlich. „Schau hinter dem Altar nach, Schatz. Gleich unter dem Pult“, wies Valerie ihn unterkühlt an. Sofort zückte Harris die Schrotflinte. „Aber keine Mätzchen. Wenn schon, dann fair!“ „Vorsicht Freundchen, du bist der falsche für solche Sprüche“, erwiderte Marc und schritt langsam unter den Argusaugen des Dämonenjägers am Pater vorbei, der, alle Viere ausgestreckt, am Boden lag und holte schließlich die beiden Duel Disks des Paares hervor. Jene in sich hinein grinsend betrachtend, war Marc nun endgültig davon überzeugt, dass seine Verlobte offenbar gehofft hatte, dass Anya irgendetwas anstellen würde. Umso bitterer musste die Erkenntnis sein, dass jemand anderes ihr die Suppe ebenfalls versalzen wollte – und es bis hierher auch geschafft hatte. Verdammt, er wollte jetzt wirklich nicht mit dieser Edna tauschen …   Schließlich hatten beide Parteien ihre Duel Disks aktiviert und waren auf Abstand gegangen, wobei Edna und Harris nur so umzingelt waren von bewusstlosen Gästen respektive gefesselten Gespielen des Teufels – nach Auffassung der Eindringlinge verstand sich. „Ich hoffe, es macht dir nichts aus, wenn wir eine Spezialregel einführen“, richtete Edna sich an Valerie. Jene verengte die Augen zu Schlitzen. „Die da wäre?“ „Wenn du Schaden nimmst, teilt meine Disk dir auf unmissverständliche Weise mit, dass du vorsichtiger spielen solltest.“ „Denk dir etwas Neues aus, diese Masche kennen wir bereits zur Genüge.“ Edna begann bösartig zu kichern und schob dabei unauffällig eine pechschwarze Karte in einen Schlitz oberhalb ihres Decks. „Nein Schätzchen, -das- kennst du bestimmt noch nicht.“ „Zu schade dann, dass ich gar nicht erst in den Genuss kommen werde, nicht wahr?“, hauchte Valerie kampflustig zurück. „Schwing' ruhig deine Reden. Du bist nicht die Erste, die damit auf die Nase fällt!“ „Dann waren deine Gegner einfach nur schlecht!“ „Duell!“, riefen Edna und Valerie schließlich energisch.   [Valerie: 4000LP / Edna: 4000LP]   Es war Letztere, die sofort ihr Startblatt zog und verkündete: „Als Braut, deren Hochzeit gerade ruiniert wurde, ist es nur fair, wenn ich den ersten Zug mache!“ Damit riss die Schwarzhaarige noch eine Karte von ihrem Deck, was ihre Gegnerin nur mit einem grimmigen Blick quittierte. Nicht weniger eisig starrte Valerie zurück.   Sie hätte es wissen müssen. Nein, sie -hatte- es gewusst. Dass irgendetwas an diesem einen Tag aus hunderten passieren würde, natürlich nur an diesem einen. Zugegeben, eher hätte sie damit gerechnet, Opfer eines von Anyas verrückten Plänen zu werden. Die war für ihre Verhältnisse aber sogar erträglich, also was hatte sie, Valerie, getan, um Gottes Unmut auf sich zu ziehen? Oder die bessere Frage: wer von ihren -Gästen- hatte sich die Aufmerksamkeit dieser beiden Irren auf den Hals gezogen?   Sie warf einen skeptischen Blick zu den Bänken, wo ihre Freunde von den Energieseilen gefesselt saßen beziehungsweise lagen. Wem hatte sie das zu verdanken? Irgendwie landete ihr Blick doch immer wieder bei Anya, die vor Wut ganz rot im Gesicht ob ihres Knebels war. „Starrst du immer Löcher in die Luft?“, riss ihre Gegnerin sie herrisch aus ihren Gedanken. Valerie blickte sie demonstrativ unbeeindruckt aus den Augenwinkeln an. „Höflichkeit und Dämonen jagen schließt sich kategorisch aus, nicht wahr? Wenigstens bringe ich Blumen mit, wenn ich mich schon selbst auf eine Party einlade.“ „Ach bitte“, schnalzte Edna mit der Zunge, „wir wollen das beide schnell hinter uns bringen. Also Quatsch keine Opern, sondern mach deinen Zug.“ „Mit Wünschen sollte man vorsichtig sein, weil sie manchmal in Erfüllung gehen“, erwiderte Valerie spitzzüngig. Die Spannung zwischen ihr und dieser Zicke, sie spürte sie förmlich. Schließlich 'erbarmte' sich Valerie und legte ein Monster auf ihre Duel Disk. „[Gishki Avance], als Normalbeschwörung! Er wird mir die Zukunft voraussagen, indem er ein Gishki-Monster von irgendwo in meinem Deck ganz nach oben auf jenes legt.“ Ein blau leuchtender Runenzirkel öffnete sich vor Valerie. Aus diesem hervor trat ein fein gekleideter Jüngling, dessen weißes Haar nach oben gesteckt war. Selbstbewusst warf er seinen Umhang fort und murmelte eine unverständliche Formel.   Gishki Avance [ATK/1500 DEF/800 (4)]   Derweil hatte Valerie sich für ein Monster entschieden, zeigte Edna [Evigishki Soul Ogre] und platzierte diesen ganz oben auf ihrem Kartenstapel. Anschließend schob sie zwei Karten von ihrem Blatt in die jeweiligen Zonen. „Ich setze zwei Karten, damit dir auch nicht langweilig wird. Zug beendet.“ Zischend tauchten beide Karten mit dem Rücken nach oben vor ihr auf.   „Langweilig? Du hältst dich wohl für eine ganz Schlaue“, hielt ihre dunkelhäutige Gegnerin dagegen und zog. „Wenn du möchtest, zeige ich dir, wem hier bestimmt nicht langweilig wird.“ „Nur zu“, forderte Valerie eisig. Das war scheinbar Ednas Signal. Sie zog eine Karte aus ihrem Blatt hervor und präsentierte sie mit hochmütigem Blick. „Ich werfe vier Wasser-Monster von meiner Hand ab, um diese Karte zu beschwören. [Mermail Abyssbalaen], ich rufe dich!“ „Vier!?“, wiederholte die Braut in Weiß ungläubig. Während sich eine Art blauer Walkrieger vor Edna manifestierte, bewaffnet mit einem massiven Eisenhammer, schob diese fast ihr gesamtes Blatt in den Friedhofsschlitz. Dort landeten [Mermail Abysslung], [Mermail Abyssmander], [Mermail Abyssgunde] und [Mermail Abyssmegalo], welche als Abbilder über ihrer Besitzerin erschienen.   Mermail Abyssbalaen [ATK/2500 DEF/2000 (7)]   Valerie war sprachlos. Wieso hatte Edna für so ein vergleichsweise durchschnittliches Monster so viel aufgegeben? Diese schien die Verwirrung ihrer Gegnerin zu genießen, nickte sie mit dem Kopf arrogant zur Seite. „Renn', solange du noch kannst. Das, was jetzt auf dich zukommt, wirst du nicht aufhalten können.“ „So jemand bin ich nicht.“ „Den Spruch kannst du dir meinetwegen auf deinen Grabstein eingravieren lassen, aber komm mir nicht damit.“ Wie bei einem erbarmungslosen Stoß in die Tiefe schnellte Ednas Hand nach vorn. „Effekt des Abyssbalaen! Nach seiner Beschwörung erhält er 500 Angriffspunkte und zerstört für jedes Mermail-Monster auf meinem Friedhof eine deiner Karten.“   Mermail Abyssbalaen [ATK/2500 → 3000 DEF/2000 (7)]   Valerie weitete die Augen, als sie mit ansah, wie Ednas Monster in blauer Aura aufleuchtete. Dieser hob seinen Hammer mit beiden Händen über den Kopf, ehe er ihn auf den Boden niedersausen ließ. Der Marmor unter ihm zersprang donnernd, es entstand eine gewaltige Flutwelle, die Valerie erfasste und alle ihre Karten mitriss. „Oh nein! Ah!“ „Doch, Schätzchen“, sagte Edna und beobachtete Valerie dabei, wie sie mit der Flut zu kämpfen hatte, welche fast bis an die Decke reichte. Schließlich löste jene sich auf. Und als Valerie wieder mehr als nur Wasser sehen konnte, war Ednas Monster nicht mehr alleine auf dem Feld. In der Luft schwebte er, der rote Fischkrieger in silberner Rüstung, bewaffnet mit einem Korallen-Schwert, dessen unzählige spitze Auswüchse wie Reizzähne anmuteten.   Mermail Abyssmegalo [ATK/2400 DEF/1900 (7)]   „W-wo kommt der her!?“, stammelte Valerie, die dagegen ein leeres Feld vorzuweisen hatte. Edna schnappte genervt: „Vom Friedhof? Eines der abgeworfenen Monster war [Mermail Abyssgunde], welche in so einem Fall ein anderes Mermail-Monster reanimieren kann. Daher kommt er.“ „Unglaublich …“ In einer Mischung aus Faszination und Horror starrte Valerie die beiden Monster Ednas an. „Was, dass du schon nach einem Zug verloren hast? Eher traurig würde ich sagen, nachdem du eben noch so angegeben hast!“ Die dunkelhäutige Dämonenjägerin streckte den Arm aus. „Los, greift ihre Lebenspunkte direkt an!“ „Du irrst!“ Während die beiden Meereskrieger schon die Waffen erhoben, sah Edna verblüfft auf. Blitze schlugen um ihren Walmann.   Mermail Abyssbalaen [ATK/3000 → 1500 DEF/2000 (7)]   „Wie das!?“ „Eine meiner gesetzten Karten war [Half Shut] gewesen, die ich angekettet habe, bevor dein Monster seine Lawine an Effekten losgetreten hat“, erwiderte Valerie unterkühlt. „Die halbiert für diesen Zug die Punkte Abyssbalaens. So'n Pech, da hast du dich wohl verkalkuliert!“ „Wenn du meinst.“ Gleichgültig schnippte Edna mit dem Finger. „Angriff fortsetzen!“ Nebeneinander stürmten die beiden Meereskrieger auf Valerie zu. Von rechts kam der Hammer, von links die Korallenklinge. Durch die Wucht beider Treffer wurde Valerie von den Füßen gerissen und auf den Rücken geschleudert, wo sie weiter bis auf Höhe des Altars schlitterte. Dabei schrie sie schmerzerfüllt auf.   [Valerie: 4000LP → 100LP / Edna: 4000LP]   Valerie blieb liegen und regte sich nicht mehr. Jedenfalls nicht im ersten Moment. Dann aber schlugen parallel blaue Ladungen um Ednas Duel Disk sowie um Valerie selbst, die gequält aufschrie und damit ins Bewusstsein zurückgerufen wurde. Edna schnalzte mit der Zunge. „Armselig … aber von denen musst du jetzt noch, warte, 38 weitere ertragen. Pro 100 Lebenspunkte einen. Danach sehen wir, ob du noch weiter große Töne spucken kannst.“ Derweil schrie Valerie schier wahnsinnig auf, schlug mit den Gliedmaßen ungewollt um sich, wie sie von den Ladungen gepeinigt wurde. Auf Höhe ihrer Lenden verfärbte sich ihr Kleid gelblich.   ~-~-~   Gleichzeitig zu Valeries und Ednas Duell starteten auch Marc und der Dämonenjäger Harris das ihre. Dabei sah der Bräutigam aus, als hätte er auf eine Zitrone gebissen. „Dafür, dass ihr meiner Frau das Herz gebrochen habt, werde ich euch das Genick brechen“, drohte er voller unterdrückter Wut, die jetzt langsam aufkeimte, nun da Valerie abgelenkt war. „Diese Hochzeit war ihr das Wichtigste …“ Harris aber schien das nicht weiter zu beeindrucken. Er hob beide Hände grinsend. „Whoa whoa whoa, immer ruhig mit den jungen Pferden. Sieht doch fit aus, die Kleine. Noch.“ Marc schnaufte zornig. Dass Valerie sich nichts anmerken ließ war ihm auch klar! Innerlich sah es gewiss anders aus. Ihre Traumhochzeit war zerstört. Er erhob den Arm mit seiner Duel Disk. „Bringen wir das hinter uns! Duell!“ Harris tat es ihm gleich. „Ehe Edna mich noch anschreit, weil wir nicht anfangen, gerne! Duell!“   [Marc: 4000LP / Harris: 4000LP]   Genau wie Edna, schob auch Harris eine schwarze Karte in einen besonderen Schlitz oberhalb der kugelförmigen Oberfläche seiner Duel Disk. Sofort begannen rote Leuchten an ihr zu strahlen. „Das wird wehtun“, versprach er dabei, „ich beginne! Draw!“ Nachdem beide ihr Startblatt auf der Hand hielten, zog der Rotschopf auf und zeigte sogleich eine dauerhafte Zauberkarte vor. „Ich aktiviere [Hazy Pillar]!“ Marc weitete die Augen vor Schreck, als hinter seinem Gegner eine flammende Säule emporschoss. Dunkle Schatten bewegten sich in ihrem Inneren. Der Marmorboden um sie herum zerfloss regelrecht … was realen Schaden bedeutete, und zwar nicht durch das Solid Vision-System. Aber Marc hatte nichts anderes von einem Dämonenjäger erwartet. „Solange diese Karte im Spiel ist“, erklärte Harris und schnappte sich nebenbei ein Monster von seinem Blatt, „kann ich Hazy Flame-Kreaturen mit einem Tribut weniger als nötig aufs Spielfeld rufen. So wie diesen Badboy hier! [Hazy Flame Cerberus]!“ Aus der Feuersäule hinter dem großgewachsenen Mann sprang eine lodernde, mannshohe Kreatur heraus. Sein Fell bestand unter anderem aus winzigen, roten Drachen. Und war der Körper schon der eines Flammenhundes, so machten die drei bestialischen Köpfe des Ungeheuers seinem Namen auch in letzter Instanz alle Ehre. Hazy Flame Cerberus [ATK/2000 DEF/200 (6)]   Still schob Harris eine Falle in seine Duel Disk, die sich vor seinen Füßen sogleich vergrößert materialisierte. Abschließend sagte er: „Viel Spaß in deiner persönlichen Hölle, ehemaliger Paktträger. Ich hoffe, du hast noch etwas Feuer im Arsch! Zug beendet!“   „Man sollte vorsichtig mit seinen Wünschen sein“, erwiderte Marc leise, aber drohend, „sie könnten nämlich in Erfüllung gehen. Draw!“ Schwungvoll zog der fein in Schwarz gekleidete Bräutigam seine Karte. Der Kerl duellierte sich also ebenfalls mit Feuer-Monstern? Interessant, dachte sich Marc und sah sein Blatt an. Wie hieß es auch so schön? Man sollte Feuer mit Feuer bekämpfen. Das konnte er haben! „Ich beschwöre [Laval Magma Cannoneer] und benutze sogleich seinen Effekt“, entschied er sich und knallte das Monster auf die Duel Disk, „bis zu zwei Feuer-Monster kann ich pro Zug abwerfen, um dir für jedes 500 Lebenspunkte zu nehmen!“ Vor ihm formte sich aus winzigem Staub eine kräftig gebaute, humanoide Kreatur mit zwei glühenden Kanonenrohren auf dem Rücken. Ganz aus blauem und grauem Gestein gemacht, absorbierte sie zwei lodernde Kugeln, die von Marcs Friedhof aufstiegen, als jener zwei Monster dorthin schob.   Laval Magma Cannoneer [ATK/1700 DEF/200 (4)]   Kurz darauf wurde Harris von zwei gewaltigen Flammenkugeln getroffen, die der Krieger auf ihn abfeuerte. Zwar hielt sich der Dämonenjäger den rechten Arm vors Gesicht, doch als die Explosionen ihn erfassten, lachte er auf.   [Marc: 4000LP / Harris: 4000LP → 3000LP]   „Sag nicht, das ist alles, was du drauf hast?“, sprach Harris und gluckste. „Kannst du mir keinen echten Schaden zufügen?“ Tatsächlich, als der Rauch sich verzog, stand der junge Mann völlig unbeschadet da. Marc hingegen kräuselte ärgerlich die Stirn. Natürlich konnte er das nicht, Isfanel, sein ehemaliger Paktpartner, existierte nicht mehr! „Ich muss mich nicht auf euer Niveau herabsetzen und Leute verletzen“, verteidige er sich, obwohl er tatsächlich liebend gerne auf übernatürliche Fähigkeiten zurückgreifen würde, „ich habe meine eigenen Methoden.“ „Bullshit. Du hast nichts drauf, das ist alles.“ „Glaub was du willst! Effekt von [Laval Phlogis]!“, rief Marc wütend und streckte den Arm aus. „Den habe ich abgeworfen für Magma Cannoneers Effekt. Sobald Phlogis den Friedhof kennenlernt, verstärkt er alle zurzeit auf dem Spielfeld platzierten Laval-Monster um 300 Angriffspunkte!“ Um seine Kreatur herum entflammte eine rote Aura, die geradezu flimmerte.   Laval Magma Cannoneer [ATK/1700 → 2000 DEF/200 (4)] Harris verschränkte skeptisch die Arme. „Gleichstand, was?“ „Von wegen! Ich aktiviere den Effekt des zweiten Monsters, das ich auf den Friedhof geschickt habe!“ Marc zog jenes hervor und drehte es zwischen seinen Fingern um, damit sein Gegner es sehen konnte. „Dieses nennt sich [Kayenn, The Master Magma Blacksmith] und kann verbannt werden, um die Stärke alle anwesenden Laval-Monster um weitere 400 zu steigern!“ Die eben noch rote Aura um sein Monster verfärbte sich blau und explodierte regelrecht. Dies entlockte Harris immerhin ein anerkennendes Pfeifen.   Laval Magma Cannoneer [ATK/2000 → 2400 DEF/200 (4)]   „Nun habe ich das stärkere Monster von uns beiden! Also greif an, [Laval Magma Cannoneer]!“, befahl Marc mit ausgestrecktem Arm. Seine aus Stein bestehende Kreatur schoss aus seinen beiden Kanonen zwei massive Flammensäulen, denen der feurige Zerberus trotz seiner Beständigkeit gegen große Hitze nicht gewachsen war. Nach dem Angriff war nur noch ein Häufchen Asche von ihm übrig.   [Marc: 4000LP / Harris: 3000LP → 2600LP]   „Damit hast du den Effekt von [Hazy Flame Cerberus] aktiviert“, sprach Harris. Die Asche vor ihm stieg auf und begann bunt zu leuchten. „Wird er zerstört und auf den Friedhof geschickt, erhalte ich eine Hazy-Karte von meinem Deck.“ Die mageren Überreste des dreiköpfigen Hundedämons formten sich zu einer Monsterkarte namens [Hazy Flame Peryton], die sogleich in Harris' Blatt wanderte. „Damit gebe ich ab“, sagte Marc. Es war ihm anzusehen, dass er mit seiner Leistung nicht zufrieden war, standen sich Zornesfalten und Schweiß auf seiner Stirn gegenüber.   Harris zog ausholend und grinste dabei bereits verschmitzt. „Dann bin ich mal so frei und beschwöre das Monster, das ich mir durch Cerberus gesucht habe“, verkündete er gut gelaunt und legte jene Karte auf seine Duel Disk, „erscheine, [Hazy Flame Peryton]! Da ich [Hazy Pillar] im Spiel habe, brauche ich kein Tribut anbieten.“ „Schon wieder kein Tribut …“, murmelte Marc vor sich hin. Hinter seinem Gegner kam aus der Feuersäule eine grazile Figur gesprungen. Auch es war ein Vierbeiner, genauer gesagt eine Mischung aus einem jungen Hirsch und einem Vogel. Die flammenden Schwingen waren sein Markenzeichen. Auch er besaß eine gelb-orange, schuppige Haut mit roten Akzenten.   Hazy Flame Peryton [ATK/1600 DEF/1700 (6)]   Sein Besitzer schob derweil ein Monster namens [Hazy Flame Mantikor] in seinen Friedhofsschlitz. „Natürlich hat Peryton auch einen Effekt. Zwar funktioniert der nur einmal pro Zug, aber es lohnt sich, kann ich dir sagen! So muss ich nur ein Feuer-Monster abwerfen, um Peryton in zwei neue Monster aufzuteilen, direkt von meinem Deck!“ Einen grellen Laut von sich gebend, stellte sich der Flammenhirsch auf die Hinterläufe und verwandelte sich in eine Flamme, die sich zerteilte. Die neuen Flammen nahmen Abstand voneinander und Harris erklärte: „Natürlich kann er nur Hazy Flame-Kreaturen beschwören. Meine Wahl fällt hierbei auf zwei Exemplare von [Hazy Flame Hyppogrif]!“ Die beiden Flammen nahmen nun die Gestalt zweier Flammengreife an, die auf allen Vieren verharrten und majestätisch die Köpfe nach oben reckten. Hazy Flame Hyppogrif x2 [ATK/2100 DEF/200 (6)]   Marc stockte der Atem. Er ahnte, was jetzt passieren würde. Und tatsächlich, Harris enttäuschte ihn in der Hinsicht nicht. „Tja, wenn ich schon zwei Monster desselben Levels auf dem Feld habe, kann ich sie auch ruhig nutzen!“ Der Rotschopf streckte den Arm aus. Seine Greife verwandelten sich in feuerrote Lichtstrahlen, während zeitgleich ein schwarzer Wirbel vor ihm erschien und die beiden schließlich absorbierte. „Aus meinen beiden Stufe 6-Feuer-Monstern wird ein Rang 6-Monster! Xyz-Summon! Zeige dich in all deiner Pracht, [Hazy Flame Basiltrice]!“ Unter wildem Gekreische schwang sich eine geflügelte Gestalt aus dem Wirbel. Marc schaute alarmiert nach oben. Flammende Flügel, dazu ein schuppiger, ziemlich schmaler Körper und ein Vogelkopf, sechs Hühnerbeine – das Ding war eine Mischung aus dem Basilisk und Cockatrice! Als jener Hybrid landete, schmolz um ihn herum selbst der Marmor. Zwei Lichtsphären umkreisten den Monstervogel.   Hazy Flame Basiltrice [ATK/2500 DEF/1800 {6} OLU: 2]   „Beeindruckend, was?“, brüstete sich Harris mit dem Ungetüm, welches er etwa um eine Kopflänge überragte. „Wusstest du, dass dieses Monster jeden Feind zu Stein erstarren lassen kann? Hier, ich geb' dir 'ne Kostprobe! Basiltrice, Perseus Eyes!“ Marc stieß einen nervösen Laut aus, als der Feuervogel sich eines seiner Xyz-Materialien schnappte und verschlang. Dann wackelte er einen Moment mit dem Kopf, ehe er Marcs [Laval Magma Cannoneer] anzustarren begann. Die kugelrunden, komplett weißen Augen Basiltrices leuchteten grau auf – und schon verwandelte sich der ohnehin schon aus Gestein bestehende Krieger von unten nach oben in weißen Stein, der, nachdem die Transformation abgeschlossen war, in tausend Stücke zerbarst.   Hazy Flame Basiltrice [ATK/2500 DEF/1800 {6} OLU: 2 → 1] „Dein Monster wird augenblicklich verbannt!“, betonte Harris nochmal das Geschehene und rieb sich unter der Nase. „Hehe, sich so schutzlos zu präsentieren war ein Fehler. Jetzt kann ich dich direkt angreifen! Los, Basiltrice, Meteor Outburst!“ Erschrocken wich Marc zurück. Der Basilisk begann wild um sich zu trampeln, dabei mit den Flügeln umher schlagend, ehe sich von denen eine ganze Salve an Feuerbällen löste. Diese schlugen überall um Marc herum ein. Jener spürte nur noch die unerträgliche Hitze und die Tatsache, dass er von den Beinen gerissen wurde. Er schrie auf, wurde durch die Luft geschleudert und landete hart auf dem Rücken, direkt in den Altar krachend. Dabei keuchte er auf, spuckte Blut.   [Marc: 4000LP → 1500LP / Harris: 2600LP]   „Das war's erstmal. Machst du schon schlapp?“, hakte Harris nach und bohrte dabei lustlos in seinem Ohr. „Wolltest du mir nicht das Genick brechen? Sieht er so aus, als wäre ich derjenige, der hier den Leuten die Knochen bricht.“   Marc lag regungslos in den Trümmern des Altars und rührte sich nicht. Der Typ hatte recht. Was tat er da überhaupt? Gegen einen Dämonenjäger zu kämpfen war doch lächerlich, wenn man es recht bedachte. Schon damals hatte ein anderer, Alastair, ihn gnadenlos besiegt. Er war ein Verlierer. Schwach. Nutzlos. Schon immer gewesen, selbst, als Isfanel sich seiner bemächtigt hatte. Anya, Matt, Abby … sogar in ihrem Schatten zu stehen wäre noch ein Kompliment für das, was er wirklich war. Ein Schrei riss ihn aus seinen Gedanken. Nicht weit von ihm entfernt schlitterte Valerie über den Marmorboden. Plötzlich wurde ihr Körper von einer heftigen Entladung heimgesucht. Immer wieder und wieder! „Valerie …!“, keuchte er leise. Sein ganzer Körper schmerzte, er musste sich ein paar Rippen bei dem Fall gebrochen haben, denn besonders die rechte Seite war betroffen. Auch seine Verlobte schien nichts gegen die Dämonenjäger ausrichten zu können, hatte sie einen schweren Treffer einstecken müssen. Als sie sich trotz der Stromstöße langsam vom Boden abstützte, mit schier unermesslichen Kampfgeist in den Augen, da fühlte auch Marc, dass er nicht aufgeben durfte. Sie war doch genauso wie er, nur ein Mensch. Trotzdem kämpfte sie, für ihn. Und er für sie. „Es ist ...“, sprach er schwach und erhob sich langsam aus den Trümmern, „... noch nicht vorbei. Noch stehe ich!“ „Aber nicht mehr lange“, versprach ihm Harris düster.   ~-~-~   „Armselig.“ Bereits nach der Hälfte der Entladungen hatte Valerie aufgehört zu schreien. „Halt die Klappe“, maulte sie stattdessen mit dem Haar im Gesicht, während sie sich mühevoll aufzurichten versuchte, „so schlimm war das gar nicht.“ Edna standen vor Schreck die Augen weit offen, damit hatte sie nicht gerechnet. Dann aber fand sie zu ihrer alten Bissigkeit zurück. „Dann hast du sicher nichts gegen eine weitere Runde, huh? Armselig bleibt armselig, immer.“   Valerie stemmte sich mit aller Kraft vom Boden ab, kam torkelnd auf die Beine. Dabei funkelte sie Edna böse an, wischte sich das Blut von der Stirn, das aus einer kleinen Platzwunde austrat. Zeitgleich war auch Marc zu Boden gegangen, aber sie hoffte, nein sie wusste, dass er sich nicht so leicht unterkriegen lassen würde. Er war stark! Bärenstark, wenn er nur wollte! „So etwas sagen nur diejenigen, die selbst noch armseliger sind“, konterte die Braut selbstbewusst Ednas herablassenden Spruch, „weil sie es nötig haben, andere schlecht zu reden, um ihr eigenes Ego aufzupolieren. Keine Sorge, mir geht’s prächtig! Und wie war das? Noch 'ne Runde? Ich denke, wir fangen jetzt erstmal bei dir an!“ Ihre dunkelhäutige Gegnerin schürzte überrascht die Lippen, ehe sie tief durchatmete. Es dauerte allerdings noch einen Moment, ehe sie antwortete. „Schätzchen, ich bin noch armseliger als du denkst.“ Valerie horchte überrascht auf. „Wie bitte?“ „Ich bin eine Mörderin. Eine Dämonenjägerin obendrauf. Wie tief kann man da noch sinken?“, fragte Edna ernst. „Also erspare uns beiden deine Moralpredigten, okay?“ „Dann ändere dich!“ „Und bei euch fange ich an, was?“, kam es zynisch zurück. „Als ob! Ich habe die Wahl gehabt und mich hierfür freiwillig entschieden, wie es jeder Dämonenjäger tut.“ Natürlich hatte Valerie mit einer solchen Reaktion gerechnet. Trotzdem war es offensichtlich für sie, dass in dieser Edna noch Menschlichkeit steckte. Ansonsten würde sie sich kaum Gedanken darüber machen, ob sie armselig war und sich dazu noch dafür rechtfertigen. Zumindest hoffte Valerie, dass dem so war. „Ich kenne zwei Dämonenjäger, die wie du waren“, erklärte Valerie mit der Hoffnung, dass ihr Appell etwas bewirken würde, „sie haben das Andersartige auch verteufelt. Bis sie gelernt haben, dass auch Dämonen Gutes vollbringen können. Wie Levrier, der Anya beschützt! Nichts ist nur Schwarz und Weiß!“ „Na und?“ Die flapsige Antwort Ednas ließ Valerie verstummen. „Denkst du, das weiß ich nicht? Das hier ist kein Rette-die-Welt-vor-dem-Bösen-Quatsch!“ Die Afroamerikanerin kniff die Augenlider soweit zusammen, dass ihre Augen nur noch durch enge Schlitze Valerie anstarrten. „Das hier ist ein Geschäft, nichts weiter. Manche verkaufen Autos, wir handeln mit Dämonen. So einfach ist das.“   Ruckartig streckte die junge Frau ihren Arm aus. „Und wir sind hier noch nicht fertig! Main Phase 2!“ Über dem dunkelhäutigen Mädchen öffnete sich ein schwarzes Loch, welches ihre beiden Monster als blaue Energieessenzen in sich aufsog. „Xyz-Beschwörung“, murmelte Valerie zerknirscht, „natürlich …“ „Aus meinen beiden Stufe 7-Monstern wird ein neues Monster vom Rang 7! Xyz-Summon! Erscheine, König von Lemuria! [Mermail Abyssgaios]!“ In dem Moment schossen in alle Richtungen Fontänen aus dem Overlay Network. Die letzte barg einen imposanten Meermann, welcher durch die Luft schwamm und sich hinter seiner Besitzerin positionierte. Sein grauer Bart war nicht weniger lang als das Haar, das ihm über den Schultern lag. In den Händen hielt er dabei einen goldenen Dreizack, um den zwei Lichtsphären kreisten. Mermail Abyssgaios [ATK/2800 DEF/1600 {7} OLU: 2]   „Bevor ich meinen Zug beende, rüste ich Abyssgaios noch mit der [Abyss-scale Of The Cetus] aus! Dadurch wird er um 800 Punkte stärker!“ Erstaunt beobachtete Valerie, wie um den Körper des Meereskönigs eine silber-violette Brustpanzerung erschien und ihn umschloss, wobei sie fortan ein seltsames Glühen von sich gab.   Mermail Abyssgaios [ATK/2800 → 3600 DEF/1600 {7} OLU: 2]   „Das wurde aber auch Zeit!“, beklagte sich Valerie, die sogleich eine vierte Karte von ihrem Deck riss. Es war natürlich der [Evigishki Soul Ogre], den sie selbst dort platziert hatte. „Zauberkarte!“, rief Valerie. „[Gishki Aquamirror]! Ich biete Monster für die Ritualbeschwörung eines Wasser-Monsters an. Dabei übernimmt der [Gishki Shadow] von meiner Hand sämtliche Kosten!“ Auf dem Boden vor Valerie erschien ein Spiegel, eingerahmt von purem Gold. In ihn zeigte sich die amphibische Kreatur [Gishki Shadow], ehe diese eine Transformation unternahm. „Erscheine aus endlosen Kristallfontänen! [Evigishki Soul Ogre]!“ Valerie riss den Arm in die Höhe. Und als wäre sie die Herrin über das Wasser, schossen überall um sie herum Wassersäulen aus dem Boden. In der direkt vor ihr verbarg sich eine Silhouette, die sich erst als halb amphibische, halb dinosaurierartige, zweibeinige Kreatur entpuppte, als das Nass versiegte.   Evigishki Soul Ogre [ATK/2800 DEF/2800 (8)]   Der hellviolette Kamm der dunkelblauen Kreatur zitterte unruhig, genau wie der Schweif, der in einer Fischflosse endete. „Bevor es weitergeht, muss mir jetzt erstmal das Glück hold sein“, meinte Valerie plötzlich und grinste angriffslustig, „ich dachte mir, es ist mal an der Zeit, etwas Neues für mein Deck zu probieren. Wieso es also nicht wie Anya machen und sich auf sein Glück verlassen?“ Jene, die sich wütend in ihren Fesseln hin und her rollte, brabbelte etwas Unverständliches durch den Knebel, was sicher einige Beleidigungen enthielt mit der Beteuerung, dass sich eine Anya Bauer nie auf das Glück verließ. Valerie war es egal, sie zückte ihre letzte Karte. „Ich aktiviere den Zauber [Cup Of Ace].“ In ihrer Hand erschien ein goldener Kelch, den sie lasziv an die Lippen setzte. „Es gibt genau zwei Möglichkeiten. Entweder das Leben schmeckt einem, oder nicht. Wenn ja, ziehe ich zwei Karten. Wenn nicht, nun ja, hast du in dem Fall das Glück.“ Edna verschränkte nur die Arme und sah kopfschüttelnd zu Boden. „Na reizend, jetzt auch noch so etwas? Du lieber Himmel, dich habe ich echt überschätzt wie's aussieht …“ „Wir werden sehen“, meinte Valerie und nahm einen Schluck. Ihre Augen weiteten sich. Dann zwinkerte sie vergnügt. „Hmmm, der gute Wein!“ Der Kelch verschwand und das Mädchen, welches den eigentlichen Münzwurf der Karte mit Kopf gewonnen hatte, zog auf.   Hätte sie hier versagt, wäre das Duell gelaufen gewesen, was aber offenbar keiner so recht bemerkt zu haben schien, dachte sich Valerie beim Anblick der neuen Karten und ihrer gefesselten Freunde, die nicht übertrieben besorgt um sie schienen. So kannten sie sie auch gar nicht. Aber die baldige Mrs. Butcher hatte sich verändert. War wagemutiger geworden, etwas, nach dem sie sich schon seit einer ganzen Weile gesehnt hatte. Was Anya damals im Elysion gesagt hatte von wegen Nervenkitzel, es wollte Valerie seither nicht mehr aus dem Kopf gehen. Nur wusste sie nicht, ob dieses Gefühl sie selbst zufrieden stellte. Darüber zu urteilen war noch zu früh, aber eben dieses Glücksspiel … hatte sie gar nicht berührt. Die junge Frau schüttelte den Kopf. Nein, darüber sollte sie nachdenken, wenn sie Zeit dazu hatte.   „Ich aktiviere [Evigishki Soul Ogres] Effekt und werfe [Gishki Natalia] ab!“, verkündete Valerie und streckte den Arm aus. „D-“ „Dann aktiviere ich den Effekt meines eigenen Monsters.“ Ihre Gegnerin zog ein Xyz-Material unter der Karte ihres Abyssgaios' hervor. „Royal Domination!“ Ihr König absorbierte mit seinem Dreizack eine der Lichtsphären.   Mermail Abyssgaios [ATK/3600 DEF/1600 {7} OLU: 2 → 1]   Gleichzeitig sammelte Soul Ogre in seinem Maul Wasser an, welches er in einem mächtigen Strahl auf seinen Gegner schoss. Dieser antwortete mit einem Blitz aus seinem Dreizack, welcher das Wasser auflöste und Valeries Monster einen heftigen Stromschlag verpasste. „Pech für dich. Abyssgaios kann die Effekte aller gegnerischen Monster auf dem Feld mit weniger Angriffskraft als er selbst annullieren.“ Valerie hob erstaunt eine Augenbraue an. „Nicht schlecht. Wenn wir gleichstark gewesen wären …“ „Waren wir aber nicht“, rief Edna dazwischen. „Und werden wir auch nie sein!“ „Stimmt!“ Valerie presste wütend die Lippen zusammen ob ihrer überheblichen Gegnerin. „Denn ich bin hier die bessere Wasser-Duellantin und dementsprechend eine Liga über dir! Ich aktiviere [Aqua Jet] und verstärke das Wasser-Monster Soul Ogre um 1000 Punkte!“ Dieser streckte beide Arme weit aus, auf seinem Rücken entstand ein Gestell mit Düsentriebwerken, das anfing zu rumoren.   Evigishki Soul Ogre [ATK/2800 → 3800 DEF/2800 (8)]   „Greife [Mermail Abyssgaios] an und beweise deine Stellung, [Evigishki Soul Ogre]!“, donnerte Valerie und schwang den Arm aus. „Los!“ Die Amphibie lud noch einen Wasserstrahl in seinem Maul auf und feuerte ihn ohne Umschweife ab. „Du kapierst es einfach nicht, Lady! Hier ist Endstation! Abyssgaios, wehre den Angriff ab! Torrential Current!“ Mit dem Dreizack in der Hand wirbelnd, erschuf der Meermann umgehend zwei durch die Luft fließenden Strömungen, die sich in gegensätzlichen Richtungen umeinander schlangen und somit eine mächtige Barriere, an der Soul Ogres Angriff abprallte. Valerie stand da wie versteinert. „Armselig, sag ich ja“, hörte sie Ednas Stimmte hinter der Wassermauer, „Monster ab Stufe 5 können nicht angreifen, solange Abyssgaios Xyz-Material besitzt. Als 'bessere' Wasser-Duellantin solltest du das eigentlich wissen.“ Sofort bereute Valerie ihre großspurigen Worte. Wie hatte sie sich zu solcher Arroganz hinreißen und dabei glatt übersehen können, in welcher Situation sie sich eigentlich befand!? „Z-Zug beendet“, stammelte sie beschämt aufgrund mangelnder Optionen, sprich Handkarten. Abyssgaios derweil ließ seine Barriere verschwinden.   „Wurde auch Zeit“, murrte Edna und zog ruckartig auf, „ich hätte mich gar nicht auf so etwas einlassen sollen.“ „Aber dein Freund wollte es. Und es scheint ihm … fast Spaß zu machen.“ Valerie nickte herüber zu Harris, der tatsächlich mit seinem vergnügt grinsenden Antlitz den Eindruck erweckte, als ginge es ihm eher um die Herausforderung als um das Jagen von Dämonen. Edna schnalzte mit der Zunge und fasste sich an die Stirn. „Weil er nicht erkennt worum es wirklich geht.“ „Und das wäre?“, wollte Valerie wissen. Ihre Gegnerin funkelte sie zwischen den Spalten ihrer Finger aus dem verdeckten Auge an. „Verlust.“ „Wie-“ „Wo Dämonen sind, verlieren Menschen ihr Leben. Unabhängig davon, ob das gewollt ist oder nicht. Meistens ist es aber gewollt.“ Edna nahm die Hand von der Stirn. „Und wenn keiner etwas tut, wird es jeden Tag kleine Kinder geben, die sich die Augen aus dem Kopf weinen, weil Daddy nicht nachhause kommt. Weil ein Werwolf ihn in Fetzen gerissen hat.“ Valerie streckte die Arme weit aus. „Aber dann bist du hier falsch! Hier gibt es solche Leute nicht!“ „Dann sag mir“, fauchte Edna und zeigte auf den gefesselten Zanthe, „kannst du dem da trauen? Der Sirene? Oder den Paktträgern? Weißt du, was sie tun, wenn du nicht hinschaust!?“ „I-ich-!“ „Vielleicht schaust du ja absichtlich weg!“ „Das würde ich niemals tun!“, verteidigte sich Valerie getroffen. „Ich“, hauchte Edna kalt, „auch nicht. Deswegen bin ich hier.“   Ohne sich weiter an Valeries Protesten aufzuhalten, wirbelte Edna die nachgezogene Karte zwischen ihren Fingern und zeigte sie vor. „[Monster Reborn]! Damit reanimiere ich [Mermail Abysslung] vom Friedhof!“ Neben dem Meereskönig tauchte einer seiner Soldaten auf. Von der Hüfte abwärts war der rothaarige Krieger ein Fisch, bewaffnet mit zwei massiven Panzerhandschuhen, die genauso gut als Schilde durchgehen konnten.   Mermail Abysslung [ATK/1200 DEF/1800 (4)]   „Eines der abgeworfenen Monster …?“ Valerie schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter. „Exakt. Abysslung hat auch einen Effekt, der besagt, dass er all meinen Wasser-Monstern zusätzliche 300 Angriffspunkte gewährt.“ Erschrocken beobachtete die Braut, wie um die Monster ihrer Gegnerin lauter Wasserblasen auftauchten, die bläulich schimmerten.   Mermail Abyssgaios [ATK/3600 → 3900 DEF/1600 {7}] Mermail Abysslung [ATK/1200 → 1500 DEF/1800 (4)]   „Hast du es jetzt kapiert? Der Grund, warum ich dich erbärmlich nenne“, tönte Edna und rümpfte die Nase regelrecht gen Himmel, „ist nicht wegen deines Spiels oder der Tatsache, dass du dich nicht zu wehren weißt. Erbärmlich bist du, weil du nicht mal den 'Schatten' bemerkst, der dich und deinen Ehemann umgibt. Derselbe Schatten, der dich vor 'Restrain' geschützt hat.“ „Wovon redest d-“ Doch Valerie bekam einen Geistesblitz. „Etwa … der Handel mit … aber das-!“ Edna war jedoch in ihrer Ausführung fertig und schwang den Arm aus. „Das war's. Los, Abyssgaios! Greife [Evigishki Soul Ogre] an! Sea Emperor's Bolt!“ Der König der Mermails tat wie ihm geheißen und richtete seine Waffe auf die amphibische Gestalt vor Valerie. Die sah erschrocken auf und konnte nicht mehr reagieren. Der Blitz schoss erst durch die Brust ihres Monsters, dann durch sie selbst. Valerie wurde zurückgeschleudert. Als alles dunkel wurde, hörte sie nur noch Marc ihren Namen rufen.   [Valerie: 100LP → 0LP / Edna: 4000LP]     Turn 46 – And The Anwser Is … ? Valeries Niederlage entfacht in Marc eine derartige Wut, dass der alles versucht, um Harris fertig zu machen. Doch dieser scheint ihm immer einen Schritt voraus. Bevor Edna sich an Valerie vergehen kann, befreit sich Zanthe aus seiner Gefangenschaft und stellt sich ihr entgegen. Und während er sich mit ihr duelliert, gelangt er zu einer erstaunlichen Erkenntnis … Kapitel 51: Turn 46 - And The Answer Is ... ? --------------------------------------------- Turn 46 – And The Answer Is … ?     Marc atmete schwer. Gerade seine rechte Körperhälfte hatte schwere Verletzungen erlitten, bestimmt waren dort einige Rippen hinüber. Trotzdem stand er noch, mit dem Entschluss, nicht aufzugeben. Selbst wenn er nur ein Mensch war, der sich gegen einen Dämonenjäger zu behaupten versuchte. Aber die Zweifel suchten ihn dennoch heim. Man musste sich nur die Kirche ansehen, die bereits durch die Spuren des Kampfes gezeichnet war. Vor Harris war praktisch alles zu einer Pfütze zerschmolzen. Hinter ihm lagen knapp einhundert Gäste bewusstlos auf oder unter den Bänken und seine Freunde waren von DNA-artigen Fesseln umschlungen und konnten sich ebenfalls nicht bewegen. Alles das Werk der Dämonenjäger. Und doch … „Mein Zug“, keuchte er und zog, wobei er zusammenzuckte und fast in sich zusammenbrach. „Willst du dich nicht lieber ergeben?“, fragte sein rothaariger Gegner versöhnlich. „Wenn du das jetzt durchziehst, wirst du wohl daran krepieren.“ „Lieber das, als hilflos zuzusehen, wie du uns tötest oder was auch immer.“ Harris nickte. „Was auch immer, heh …“ Es sah schlecht für Marc aus. Die wenigsten seiner vier Handkarten nützten ihm etwas, besonders weil sein Feld leer war. Dagegen kontrollierte Harris die flammende Bestie namens [Hazy Flame Basiltrice], eine Mischung aus Reptil und Hahn mit lodernden Schwingen, welche vor ihrem Besitzer eine lauernde Haltung einnahm. Eine Lichtkugel tanzte um ihn herum.   Hazy Flame Basiltrice [ATK/2500 DEF/1800 {6} OLU: 1]   Dazu besaß Harris noch die dauerhafte Zauberkarte [Hazy Pillar] und eine gesetzte Karte.   [Marc: 1500LP / Harris: 2600LP]   Schwitzend stand Marc also in seinem schwarzen Anzug da und wusste nicht, wie er seinem Gegner überhaupt ein Haar krümmen sollte. Etwas, das er um alles in der Welt wollte. Rache dafür, dass sie Valeries Traum zerstört hatten. Aber er war machtlos. Konnte nicht einmal einen ordentlichen Zug hinlegen … „Diese beiden hier verdeckt!“, rief Marc und setzte zwei Karten von seiner Hand in die Backrow. Beide tauchten vor seinen Füßen auf. „Und den da setze ich auch“, kündigte er weiter an und legte ein Monster in horizontaler Lage auf seine Duel Disk. Einen Moment später materialisierte sich die Karte mit dem Bild nach unten gerichtet vor seinen anderen beiden, wie eine Wegblockade. Auch wenn sie das weiß Gott nicht sein würde, nicht für diese Kreatur dort drüben. Aber immerhin war sie verdeckt sicher vor dem Effekt des Basilisken-Cockatrices oder was auch immer es darstellen sollte. Marc betrachtete seine letzte Handkarte, einen Zauber. „Mach deinen Zug!“   Behände zog der tätowierte junge Mann im gelben Muskelshirt und schmunzelte vergnügst. „So, sind dir schon die Ideen ausgegangen?“ „Wer weiß“, erwiderte Marc gereizt, „vielleicht ist genau das Gegenteil der Fall.“ „Dann bin ich gespannt was du hierzu sagen wirst! Effekt von [Hazy Flame Basiltrice] aktivieren!“, rief Harris und riss das verbliebene Xyz-Material unter dessen Karte hervor. Marcs Augen weiteten sich. „Aber mein Monster ist verdeckt!“ „Na und? Bloß weil die bekanntesten Karten nur offene Monster anzielen, trifft das nicht automatisch auf alle zu“, erwiderte Harris altklug, „Basiltrice kann auch Feinde versteinern, die sich verstecken! Los, Perseus Eyes!“   Hazy Flame Basiltrice [ATK/2500 DEF/1800 {6} OLU: 1 → 0] Gierig schnappte der schuppige Feuervogel nach der Lichtkugel und schlang sie herunter, ehe er penetrant damit begann, Marcs gesetztes Monster anzustarren. Dabei wurden seine kugelrunden Augäpfel zunehmend grau – genau wie besagte Karte. Jene zerbröselte innerhalb von Sekunden zu Staub. Und Marc fluchte in sich hinein. [Laval Miller] hätte durch einen Kampf zerstört werden müssen, damit er zwei Laval-Monster auf den Friedhof schicken konnte! Damit hatte Harris seine beste Strategie zunichte gemacht! „Tjaja“, meinte der und zuckte mit den Schultern, „was immer es war, jetzt ist es verbannt. Die gute Nachricht ist, dass Basiltrice jetzt kein Xyz-Material mehr hat und du dir keine Sorgen mehr um deine Monster machen musst. Die schlechte ist: du wirst gar nicht mehr dazu kommen.“ Damit streckte er den Zeigefinger aus, welcher politisch völlig unkorrekt auf Marc zeigte. „Denn jetzt bekommst du den Gnadenstoß! Basiltrice, direkter Angriff auf seine Lebenspunkte! Meteor Outburst!“ Seine krallenbesetzten Hühnerbeine auf den Boden stampfend, begann sich der Cockatrice-Basilisk-Hybrid wie von der Tarantel gestochen zu bewegen. Aus seinen flammenden Schwingen lösten sich dutzende Feuerbälle, die allesamt auf Marc zu schnellten. Der konnte nur noch die Augen weiten, da schlugen die Mini-Kometen schon rings um ihn ein und lösten ein Inferno aus, welches ihn innerhalb eines Sekundenbruchteils verschlang. „Schade schade Schokolade, da hat's einer nicht geschafft“, flötete Harris im Auftrieb seines vermeintlichen Sieges. Nur um schnell auf den Boden der Realität zurückgeholt zu werden, als sich das Feuer um Marc herum auflöste und er noch stand. Vor ihm erlosch eine ganz eigene, kleine Flamme. „Oh.“ Der Rotschopf im gelben Muskelshirt kratzte sich an der Stirn. „Zu früh gefreut.“ „Tja, ich hatte wohl doch noch ein Monster“, keuchte der schweißnasse, im teils versengten Anzug stehende Schwarzhaarige, „generiert durch den Schnellzauber [Searing Fire Wall]. Indem ich ein Laval-Monster vom Friedhof verbanne, erschaffe ich eine Spielmarke, die deinen Angriff abgewehrt hat.“ Leider hatte er durch das Entfernen von [Laval Phlogis] nur eine einzige erzeugen können, da jener das letzte verbliebene Laval-Monster auf seinem Friedhof gewesen war. Aber sie hatte ihm das Leben gerettet – vorerst. Marcs Blick lag skeptisch auf seiner anderen verdeckten Karte. „Na ja, umso spannender wird es noch“, zeigte sich Harris optimistisch und nahm eine Falle aus seinem Blatt, „ich setze diese hier mal verdeckt. Du bist dran, Kumpel.“ Zischend materialisierte sie sich vor seinen Füßen, direkt hinter Basiltrice. „Ich bin nicht dein Kumpel!“, erwiderte Marc zornig. „Draw!“ Mit Schwung zog er seine neue Karte und sah sie augenblicklich gebannt an. Das war genau, was er in diesem Moment am besten gebrauchen konnte! Gott schien ihn doch nicht verlassen zu haben! Zwischen Zeige- und Mittelfinger gesteckt, präsentierte Marc jene Karte umgehend. „Sieh her, wie heiß Feuer wirklich sein kann! [Molten Conduction Field]! Ich schicke sofort zwei Laval-Monster von meinem Deck auf den Friedhof!“ Jenes nahm er aus der Halterung und entschied sich nach kurzer Denkpause. Die beiden Karten zeigte er im Anschluss ebenfalls vor. „Meine Wahl trifft auf [Laval Volcano Handmaiden] und [Laval Lancelord]!“ Im selben Moment tauchte ein braun gebranntes Mädchen hinter Marc aus, dass durch ihr knappes Kleid und vor allem ihr glühendes Lavahaar bestach. So erklärte der junge Bräutigam deren Auftauchen wie folgt: „[Laval Volcano Handmaidens] Effekt aktiviert sich, sobald sie auf den Friedhof geschickt wird, wenn sich dort schon ein Laval-Monster wie Lancelord befindet. Sie schickt dann gleich nochmal ein Laval-Monster von meinem Deck auf den Friedhof.“ Plötzlich tauchte noch eines dieser Mädchen neben dem anderen auf. Und dann noch ein drittes. Schließlich zeigte Marc ein Monster vor, welches er sich aus seinem Deck geschnappt hat. „Wie du sehen kannst, ist das eine ganze Kette. Die letzte Handmaiden wird dafür sorgen, dass ich mich meines [Laval Magma Cannoneers] entledige.“ So hatte er statt zwei Monstern tatsächlich ganze fünf ablegen können. Und nun war sein Friedhof derart gut gefüllt mit Kreaturen, dass er keine Scheu hatte, seine letzte Handkarte zu aktivieren. „Das Schönste an der ganzen Sache ist, dass ich sie jetzt alle wiederbeleben werde! [Rekindling]!“, rief er und streckte die Hand mit den Zauber zwischen den Fingern in die Höhe. „Dadurch werden so viele Feuer-Monster wie nur möglich auf meinem Friedhof mit maximal 200 Verteidigungspunkten reanimiert!“ Die drei Schönheiten mit der hitzigen Haarpracht verschwanden hinter Marc und tauchten im Anschluss vor ihm wieder auf. Neben ihnen materialisierten sich dann noch ein Soldat aus blauem Gestein, auf dessen Schultern zwei riesige Kanonenrohre lagen und ein aus braunem Gestein bestehender Krieger, der eine glühend rote Lanze schwang.   Laval Volcano Handmaiden x3 [ATK/100 DEF/200 (1)] Laval Magma Cannoneer [ATK/1700 DEF/200 (4)] Laval Lancelord [ATK/2100 DEF/200 (6)]   Beschwichtigend hob Harris seine Hände, obschon seiner verspielten Mimik eine gewisse Gedankenlosigkeit entnommen werden konnte. „Hey Alter, übertreib's doch nicht gleich!“ „Übertreiben? Ich habe noch nicht mal angefangen!“, knurrte Marc und streckte den Arm in die Höhe. „Ich stimme meine Stufe 1-Handmaiden auf meinen Stufe 4-Magma Cannoneer und noch eine Stufe 1-Handmaiden auf den Stufe 6-Lancelord ein! Doppelte Synchrobeschwörung, Stufe 5 und 7!“ Zwei der Ladys verformten sich zu grünen, holografischen Ringen, die in die Höhe stiegen. Gleichzeitig zersprangen die beiden kriegerischen Monster in vier beziehungsweise sechs grüne Lichtkugeln, die ebenfalls aufstiegen und dabei durch die Ringe schossen. Zwei grelle Lichtblitze erhellten die Kirche. „[Lavalval Dragon], [Laval Stennon]!“ Zwei flammende Gestalten schossen vor Marc auf den Boden und schlossen zwischen sich die verbliebene Handmaiden ein. So fand links von ihr ein Drache aus braunem Magmagestein zu pompöser Form, während rechts neben ihr ein massiver Hüne von blauer Farbe auftauchte. Dieser besaß neben einem Kanonenarm auch einen merkwürdigen, dreieckigen Auswuchs in seiner Brust. Da Marc keine Handkarten mehr besaß, musste er auch keine davon abwerfen, was Stennons Beschwörung normalerweise verlangte.   Lavalval Dragon [ATK/2000 DEF/1100 (5)] Laval Stennon [ATK/2700 DEF/1800 (7)]   Harris klatschte laut in die Hände. „Junge, gleich zwei so harte Brocken. Mir wird ganz Angst und Bange.“ Auf Marcs Stirn zeichneten sich tiefe Zornesfalten ab. Diese respektlose Art trieb ihn an seine Grenzen. Es war natürlich sehr leicht auf ihn herabzusehen wenn man wusste, dass er ohne seinen Paktpartner sowieso nichts ausrichten konnte. Das Einzige, was Marc tun konnte, war mit seinen Fähigkeiten zu trumpfen und derweil zu hoffen, dass ein Wunder geschah. Er streckte daher konsequent den Arm aus, um zumindest seine professionelle Fassade aufrecht zu erhalten. „Mach dich nicht lächerlich! Warte erst mal ab, was passiert! Ich aktiviere [Lavalval Dragons] Effekt. Ich kann zwei Lavals von meinem Friedhof zurück ins Deck mischen, um eine beliebige auf dem Spielfeld befindliche Karte auf die Hand ihres Besitzers zurückzugeben.“ „Und du dachtest da an [Hazy Flame Basiltrice], richtig?“, hakte Harris nach. „Genau! Los-!“ Ein schrecklicher Schrei unterbrach Marcs Befehl. Jener wirbelte herum und sah, wie Valerie über das Feld flog und hart auf dem Boden aufkam. Blitze schlugen dabei um sie, ihre Lebenspunkte fielen auf Null. Valerie hatte verloren … sie, eine der fähigsten Duellantinnen, die Marc kannte. Er weitete fassungslos die Augen und schrie ihren Namen.   ~-~-~   „Valerie!“, hallte Marcs erschütterter Schrei durch die Kirche. Ednas Schuhe klackerten leise auf dem Marmor, als sie sich zielstrebig auf die bewusstlose Valerie zu bewegte. Ihr Augenmerk war nur auf ihre niedergegangene Gegnerin gerichtet, weshalb sie nicht bemerkte, wie sich bei den Bänken im hinteren Teil der Kapelle etwas bewegte. Zanthe lag gefesselt von den DNA-artigen Strängen auf dem Boden, neben ihm Melinda und Henry. In seiner liegenden Position konnte er herüber zur anderen Hälfte der Kirche sehen, wo die Familienmitglieder Valeries, Marcs und der anderen schlafend teilweise übereinander gestapelt lagen oder von den Bänken herabhingen. Er spannte seinen ganzen Körper an. Es musste doch einen Ausweg aus dieser Fessel geben, irgendeinen. Aber sie absorbierte seine Werwolfkräfte, sobald er nur daran dachte, sich zu verwandeln. Sein Ankämpfen gegen die rot leuchtenden Lichtstränge ohne jene war vergebens. Bis ihm etwas auffiel. Sie strafften sich nicht von alleine. Denn die um seine Schultern hatten sich nach seinen Bemühungen tatsächlich ein wenig gelockert. Sofort versuchte Zanthe seine These zu überprüfen, indem er probierte, seine Beine auseinander zu spreizen. Erst wollte es gar nicht funktionieren. Doch Millimeter um Millimeter erkämpfte er sich die Freiheit, wobei er alles mobilisierte, was ihm zur Verfügung stand. Auch wenn sein Werwolf-Ich unterdrückt wurde, für kurze Momente konnte er es aufflackern lassen, was sich immer wieder an einem Wechsel zwischen den golden-wölfischen und menschlichen Pupillen zeigte. Und nur dank dieser Mini-Verwandlungen gelang es ihm überhaupt, seine Fesseln zu lockern. Parallel dazu arbeitet er auch an seinen Armen. Nach einer gefühlten Ewigkeit schaffte er es, hinter der Bank versteckt aus seinen Fesseln zu schlüpfen und um jene in geduckter Haltung zu schleichen. Dabei löste er die letzten Bänder um Schultern und Hüfte per Hand. Die Dämonenjäger waren so konzentriert auf ihre Gegner, dass sie gar nichts davon bemerkten. Letztlich hatte Zanthe es geschafft und sich befreit. Doch anstatt Anya zu helfen, die ihn sehr wohl bemerkt und sich zu ihm herüber gerollt hatte, stieg er, sich um die Bank drehend, einfach über sie hinweg. Stattdessen nahm er plötzlich Anlauf und sprang kurzerhand meterhoch über Edna hinweg. Noch während des Weges nach unten versuchte er, ihr mithilfe eines Saltos einen Tritt in die Brust zu verpassen, den sie aber mit gekreuzten Armen unter schockierten Aufkeuchen blockierte. Elegant landete Zanthe in der Hocke auf halben Wege zwischen Edna und Valerie, richtete sich augenblicklich auf. Die dunkelhäutige Dämonenjägerin, die knapp einen halben Meter zurückgeworfen worden war, rieb sich den rechten Oberarm, der den größten Teil von Zanthes Angriff abbekommen hatte. Schweiß stand ihr auf der Stirn, Verbildlichung des Entsetzens auf ihrem Gesicht. „Nanu? Du hast wohl nicht damit gerechnet, dass ich noch mal aufstehe“, höhnte Zanthe breit grinsend. „Unmöglich! 'Restrain' ist perfekt!“, widersprach Edna trotz besseren Wissens. „Es umschließt jeden Dämonen und wehrt seine Kräfte ab!“ „Hast du den erfunden?“, wollte Zanthe wissen. „Wenn ja, schlechte Arbeit.“ Seine Gegenüber antwortete mit einem brüskierten Blick, welcher mehr als genug aussagte. „Ist ja schön, dass dein Zauber jeden Dämonen fängt und seine Kräfte in ihn zurück zwängt beziehungsweise abfängt.“ Er zuckte besserwisserisch mit den Schultern. „Aber genau dadurch, dass er sie nicht behält, sondern zurückschickt, schafft er einen Freiraum zwischen sich und dem Opfer, welcher nicht wieder geschlossen wird. So leiert er schnell aus, wenn man nur genügend Kraft einsetzt. Das ist der Fehler.“ Edna knirschte mit den Zähnen. „Anscheinend … aber wenn dem so ist, bist du der Einzige, der sich befreien kann. Den anderen fehlt die körperliche Kraft dafür.“ „Das weiß ich.“ „Kommst du klar?“, rief Harris ihr plötzlich herüber, als er Zanthe bemerkte. Seine Partnerin nickte. „Keine Sorge, mit dem werde ich fertig.“ „Glaubst du? So'n Pech für dich, das sehe ich nämlich anders. Leider werde ich nicht zulassen, dass du den Star dieser Vorführung einfach entführst“, gurrte er. „Im Gegenteil, das Mädel bleibt schön hier. Und übrigens …“ Der Duell-Handschuh, den er immer im Form eines Armreifs mit sich trug, selbst jetzt, schloss sich um Zanthes Arm, als dieser sich schützend vor der bewusstlosen Valerie stellte. Dabei schnüffelte er provokant in der Luft. „Riecht das nach … was ist das? Rache?“ „Du hättest einfach liegen bleiben sollen“, knurrte Edna und reaktivierte ihre Duel Disk sogleich wieder. „Nichts da. Ist an der Zeit, dass dir mal jemand 'ne Lektion erteilt.“ Auch Marc mischte sich ein. „Bitte pass' auf sie auf! Ich helfe dir, sobald ich fertig mit diesem Typen bin!“ „Keine Sorge, bei mir ist sie in guten Händen.“ „Danke!“ „Na da bin ich ja gespannt“, raunte die dunkelhäutige Dämonenjägerin überheblich. Plötzlich begannen Zanthes Augen wieder zu glimmen. Seine Tonspur wurde kaum merklich tiefer. „Ich auch. Also los, Duell!“ Er nahm Valeries vorherige Position ein, während Edna stumm da stand, wo sie sich mit der Braut eben erst duelliert hatte.   [Zanthe: 4000LP / Edna: 4000LP]   „Du kannst gerne den ersten Zug haben“, bot Zanthe an und ließ seine spitzen Reißer aufblitzen. Seine Züge hatten etwas Böswilliges gewonnen, an einigen Stellen wiesen sie dunkle Verfärbungen auf. „Von mir aus. Draw!“, raunte Edna und zog mit einem Satz sechs Karten. Eine davon landete sofort in ihrem Friedhofsschlitz. „Ich werfe ein Wasser-Monster ab, um [Mermail Abyssteus] von meiner Hand zu beschwören.“ Vor ihr materialisierte sich ein grüner, halb amphibisch, halb echsenartiger Meermann in silberner Panzerung, der seinen Korallenspeer schützend vor sich hielt.   Mermail Abyssteus [ATK/1700 DEF/2400 (7)]   Neben ihm tauchte zudem noch der Geist einer Meerjungfrau auf, die ab der Hüfte eine weiße Aalflosse ihr Eigen nannte. Ihr blonder Zopf peitschte wild umher, als sie eine Beschwörungsformel sprach. „Ich habe [Mermail Abysshilde] abgeworfen, was bedeutet, dass ich ein Mermail-Monster von meiner Hand spezialbeschwören darf. Also erscheine, [Mermail Abyssleed]!“ Dort wo die Meerjungfrau Abysshilde eben noch war, erschien nun ein prähistorischer Fischkrieger in roter Rüstung.   Mermail Abyssleed [ATK/2700 DEF/1000 (7)]   „Und ein weiterer Effekt aktiviert sich noch. Da Abyssteus durch seinen eigenen Effekt aufs Feld gekommen ist“, erklärte Edna, „erhalte ich ein Mermail-Monster der Stufe 4 oder niedriger von meinem Deck.“ Sie nahm jenes aus der Halterung und durchsuchte es nach der passenden Karte, die sich als [Mermail Abysslung] entpuppte. Den Kartenstapel wieder ins Fach zurück schiebend, rief sie bereits: „Und jetzt Xyz-Beschwörung! Aus meinen beiden Stufe 7-Monstern wird ein neues Monster vom Rang 7.“ Über ihr öffnete sich das Überlagerungsnetzwerk und zog die beiden riesigen Meermänner in besagtes Schwarzes Loch, aus dem eine Fontänenexplosion folgte. „Erscheine, Herrscher über Lemuria! [Mermail Abyssgaios]!“ Aus den Fluten entstieg der bärtige Meereskönig mit dem goldenen Dreizack, welcher sich vor Edna platzierte. Um seine Waffe kreisten zwei Lichtsphären.   Mermail Abyssgaios [ATK/2800 DEF/1600 {7} OLU: 2]   Doch die Dämonenjägerin war noch längst nicht fertig. „Ich aktiviere zwei Ausrüstungszauberkarten! [Abyss-scale Of The Cetus] und [Abyss-scale Of The Mizuchi]! Beide erhöhen die Stärke von Abyssgaios um je 800 Punkte!“ Zwei Sätze von Brustpanzerung erschienen um den Oberkörper des Königs und umschlossen jenen, wobei sie ein grünviolettes Glühen von sich gaben. „Und ich beschwöre [Mermail Abysslung] als Normalbeschwörung, wodurch all meine Wasser-Monster noch einmal 300 Punkte bekommen. Außerdem kannst du jetzt nur noch Abysslung angreifen!“, rief Edna und knallte ihre vorletzte Handkarte auf die Duel Disk. Neben Abyssgaios erschien der verhältnismäßig kleine Meermann mit Panzerhandschuhen, die so groß wie Schilde waren.   Mermail Abyssgaios [ATK/2800 → 4700 DEF/1600 {7} OLU: 2] Mermail Abysslung [ATK/1200 → 1500 DEF/1800 (4)]   „Diese hier verdeckt. Zug beendet“, erklärte Edna und ließ die gesetzte Karte vor ihren Füßen erscheinen. Damit war sie jetzt komplett blank auf der Hand. Zanthe lachte ironisch. „Du machst wohl keine Kompromisse, was?“ „Was denkst du wohl? Kann man sich das als Dämonenjäger leisten?“ Der Werwolf kratzte sich nachdenklich an der Schläfe. „Ich weiß nicht. Vielleicht?“ „Dann überleg' mal, warum Menschen Dämonenjäger werden.“ „Muss ich das?“, erwiderte der Schwarzhaarige im geliehenen schwarzen Anzug, mit dem Kopftuch auf dem Haupt lapidar. „Ist nicht so, als ob ich jetzt scharf drauf bin, mir deine Lebensgeschichte anzuhören.“ „Pfff. Dann sag ich es dir eben selbst.“ Ednas formvollendete Lippen verzogen sich, als hätte sie etwas furchtbar Bitteres gegessen. „Die Meisten werden Dämonenjäger, weil sie etwas durch Dämonen verloren haben.“ Unter einem Nicken gab Zanthe zu verstehen, dass er diese Antwort nachvollziehen konnte. Jedoch blieb er ihr gegenüber zynisch. „Wer war es? Daddy? Mommy?“ „In unserem Falle? Niemand … aber wie du selber sagtest, du willst meine Story nicht hören. Und ich habe auch keine Lust, sie dir zu erzählen.“ Edna schnaufte. „Ich dachte nur für einen Moment, du wärst genauso blauäugig und willst an mein Gewissen appellieren, wie das Mädchen, das du beschützt. Aber je weniger wir reden, desto besser!“ Zanthe griff nach seinem Deck. „Sehe ich genauso …“   ~-~-~   Obwohl Zanthe ihm zugesichert hatte, sich gut um Valerie zu kümmern, zitterte Marc am ganzen Leibe. Wie stark musste diese Edna sein, wenn sie seine Verlobte so mühelos hatte besiegen können? Er drehte sich zu Harris um. Traf dasselbe dann auch auf den da zu? Er machte keinen überdurchschnittlich begabten Eindruck, eher im Gegenteil, am ehesten erschien er wie ein machohafter Angeber. Doch Marc wusste, dass solche Impressionen nur allzu leicht über die wahren Fähigkeiten eines Menschen hinweg täuschen konnten und sollten. Umso wichtiger war es daher, seine Provokationen zu ignorieren, egal wie schwer es auch fiel. „Autsch“, raunte Harris und verzog schmerzhaft das Gesicht, „ich glaub, deine Freundin hat sich grad' ganz schön weh getan.“ „Sie ist zäh“, erwiderte Marc und ballte insgeheim eine Faust, „genau wie ich. Wenn du denkst, mich würde ihre Niederlage aus dem Konzept bringen, irrst du dich gewaltig.“ „Wäre langweilig, wenn's so wäre. Aber mach dir nichts vor, die hat dich doch voll im Griff, man! Also steh zu deinem Ärger und setz' ihn im Duell um.“ Harris verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Mach mir'n bisschen Freude, ja?“ „Die wirst du bekommen!“, versprach Marc und verzog eine hasserfüllte Grimasse. „Soweit ich weiß, wollte ich gerade den Effekt meines [Lavalval Dragons] erklären!“ Er nahm die beiden [Laval Volcano Handmaiden]-Karten, die er für die Synchrobeschwörungen benutzt hatte, von seinem Friedhof und schob sie in sein Deck zurück, welches sich automatisch durchmischte. „Nur zwei Laval-Monster kostet es mich, dass ich eine deiner Karten vom Feld auf die Hand zurückschicken kann.“ Harris zuckte gelangweilt mit den Schultern. „Ich glaube, soweit waren wir schon. Is' mir zu langweilig. Falle aktivieren, [Breaktrough Skill]!“ Er brauchte nur den Knopf an seiner schwarzen Duel Disk betätigen, schon sprang die linke gesetzte Karte vor ihm auf. Noch während Marcs Magmagestein-Drache in seinem Maul eine rot glühende Masse ansammelte, schlugen plötzlich blaue Blitze um ihn und ließen ihn innehalten. „Kurz gesagt: diese Falle negiert den Effekt deines Monsters.“ Marc aber blieb erstaunlich gelassen. „Ist dem so? Dann habe ich keine Verwendung mehr für [Lavalval Dragon]!“ Schon streckte er den Arm in die Höhe. „Ich stimme meine letzte Stufe 1-Handmaiden auf den Stufe 5-Drachen ein! As flames of eternal wrath engulf the earth, all boundaries start to fall apart! Break free from limitations! Synchro Summon!“ Die flammende Schönheit verwandelte sich in einen grünen Hologrammring, durch welchen der Drache flog. Während dieses Vorgangs verformte sich sein Körper, seine Schwingen wurden breiter und schmolzen dahin, bis sie ganz aus Lava bestanden. „Soar, [Lavalval Dragun]!“ Ein Lichtblitz blendete die Anwesenden in der Kirche. Und als dieser sich legte, verharrte über Marc eher ein Flugsaurier mit flammenden Schwingen und Haupt, denn ein Drache.   Lavalval Dragun [ATK/2500 DEF/1200 (6)]   „Der Effekt des [Lavalval Draguns] besagt, dass ich mir ein Laval-Monster vom Deck auf die Hand nehmen darf“, verlautete Marc und zeigte ein Stufe 3-Monster namens [Laval Lakeside Lady] vor, „um danach ein solches wieder abzuwerfen. Und da ich keine anderen Karten auf der Hand habe, muss dieses eben erst gesuchte Monster wieder gehen.“ Statt sie aber abzuwerfen, nahm er sie und [Lavalval Dragon] und zeigte beide vor. „Du solltest allerdings wissen, dass die Lakeside Lady sich auf dem Friedhof am wohlsten fühlt. Sind dort noch mindestens zwei andere Laval-Monster, kann ich sie und eines davon verbannen, um eine deiner gesetzten Karten zu vernichten.“ Der schwarzhaarige junge Bräutigam nickte herüber zu Harris' verdeckter Karte. „Damit kannst du dich von der da verabschieden.“ „Das gilt aber nur, wenn besagte Karte verdeckt liegt“, konterte Harris und grinste, „ist sie offen, hast du Pech. Ich aktiviere die permanente Falle [Hazy Glory]!“ Gerade als Lava unter der Karte aufstieg, deckte jene sich selbst auf und entkam der Vernichtung. Plötzlich begannen um ihren Besitzer die buntesten Flammen zu flackern, verschwanden dann und tauchten an anderer Stelle erneut auf. „Wie [Hazy Pillar] muss ich ein Tribut weniger für Hazy-Monster anbieten, solange ich sie kontrolliere.“ Harris verwies mit einem Fingerzeig auf seine bereits seit seinem ersten Zug offen liegende Zauberkarte. „Du bist mir immer einen Schritt voraus, oder?“, fragte Marc tonlos. Der Rotschopf ihm gegenüber verzog schmunzelnd den Mund. „Cool, was?“ „Dann weißt du sicher auch, dass ich deinen [Hazy Flame Basiltrice] jetzt mit [Laval Stennon] angreifen werde.“ Marc schwang den Arm aus. „Mach dich bereit! Core Beam Cannon!“   Hazy Flame Basiltrice [ATK/2500 DEF/1800 {6} OLU: 0] Laval Stennon [ATK/2700 DEF/1800 (7)]   Der breite Hüne aus blauem Gestein hob seinen Kanonenarm an und entlud einen mächtigen, gebündelten Flammenstrahl auf seinen Feind. Jener, halb Echse, halb Hahn, klackerte aufgeregt mit dem Schnabel, nur um jenen dann zu öffnen und eine eigene Flamme zu speien. Beide Angriffe trafen aufeinander und versuchten sich gegenseitig zu bezwingen. Doch Marcs Offensive erwies sich letztlich als die stärkere, was nicht zuletzt daran lag, dass Harris' dem tatenlos zusah. So wurde Basiltrices Angriff auf ihn mit doppelter Wucht zurückgeworfen. Das Fleisch schmolz ihm von den Knochen und so löste sich die Kreatur binnen Sekundenbruchteilen auf. Die nachfolgende Explosion wirkte sich allerdings nicht im Geringsten auf Harris aus.   [Marc: 1500LP / Harris: 2600LP → 2400LP]   Marc spreizte die Finger seiner ausgestreckten Hand. „Bereit für Nachschlag? [Lavalval Dragun], direkter Angriff auf seine Lebenspunkte! Primordial Flare!“ Auch wenn er wusste, dass er Harris kein physisches Leid zufügen konnte, so würde der Sieg ihm zumindest ein kleines Gefühl von Überlegenheit vermitteln. Alles, was danach kam, würde er mit den Fäusten regeln. Eine andere Wahl blieb ihm nicht. Er musste nur schnell genug sein, um zu verhindern, dass Harris nach der Schrotflinte greifen konnte, die hinter ihm an einer Bank lehnte. So öffnete sein Flugsaurier-Drache sein Maul und feuerte eine schmale, aber unglaublich heiße Flamme auf Harris ab. Der aber tippte nur gelassen mit der Fußspitze auf den Marmor. „Soll das alles sein? Keine Chance, Kumpel! Von meiner Hand der Schnellzauber [Barrier Flame]!“ Marc klappte die Kinnlade herunter, als sein Gegner jene Karte in seine Duel Disk schob und sich kurzerhand eine Mauer aus blauem Feuer um ihn zog, welche den Angriff seines Drachens regelrecht in sich aufnahm. Wütend protestierte der junge Mann: „Kennst du überhaupt die Regeln des Spiels!? Schnellzauberkarten dürfen höchstens in der eigenen Battle Phase aus der Hand gespielt werden, nicht in der des Gegners!“ „Glaubst du! [Barrier Flame] lässt sich aktivieren, wenn ein Feuer-Monster hops geht und annulliert dann für den Rest des Zuges jeden Schaden, den ich abbekommen würde“, erklärte Harris, „sollte es dabei aber ein Xyz-Monster sein, geht das sogar wie jetzt im Zug des Gegners. Was glaubst du, warum ich sie nicht gesetzt habe? Um sie vor Zerstörung zu wahren und dein dummes Gesicht zu sehen!“ Auf die Provokation hin blähte Marc seine Nasenlöcher auf wie die Nüstern eines Pferdes, doch sah er davon ab, einen verbalen Ausfall á la Anya zu erleiden. Dafür war er sich zu schade und Valerie würde es ebenfalls so handhaben. „Dann beende ich meinen Zug. Da keines der von [Rekindling] beschworenen Monster noch auf dem Feld ist, können sie folglich auch nicht verbannt werden.“ Die Feuerbarriere rund um Harris verflüchtigte sich zischend, was ihn mit seinen beiden offenen Hazy-Karten zurückließ.   Als der Rotschopf schließlich zog, huschte beim Anblick der neuen Karte ein süffisantes Grinsen über seine Lippen. Er griff nach seinem Friedhof und zog die Falle hervor, die er erst in Marcs Zug aktiviert hatte. „Wusstest du, dass [Breaktrough Skill] zweimal aktiviert werden kann? Einmal normal vom Feld und zusätzlich durch das Verbannen vom Friedhof?“ „Sollte mich das scheren?“ „Klaro, ich werde nämlich den Effekt deines [Laval Stennons] für diesen Zug blockieren!“ Wie zuvor um Marcs Magmadrachen, schlugen mit einem Mal blaue Entladungen um Stennon. Wenn auch nur für einige Sekunden, denn als Marc [Laval Volcano Handmaiden] von seinem Friedhof nahm, hörten jene schlagartig auf, sein Monster zu peinigen. „Keine schlechte Idee, aber ironischerweise ist Stennon immun gegen zielende Effekte, wenn ich für jeden Versuch ein Laval von meinem Friedhof verbanne.“ „Also nützen solche Effekte nichts?“ Sein Gegner kratzte sich am Kinn. „Gut zu wissen …“ Dann streckte er den Arm aus. „Wie auch immer, dann geht’s jetzt weiter mit [Hazy Glorys] Zweiteffekt. Indem ich sie auf den Friedhof schicke, erhalte ich eine Hazy-Karte auf die Hand zurück.“ Seine offen stehende Falle löste sich auf, wobei gleichzeitig aus den bunten Lichtern um Harris nun regelrechte Feuertornados wurden, die in den Farben des Regenbogens um ihn kreisten. Der Dämonenjäger zeigte [Hazy Flame Basiltrice] vor, welcher aufgrund seiner Herkunft nicht etwa auf die Hand, sondern in sein Extradeck gelegt wurde. Ein nervöser Seufzer entfuhr Marcs Kehle daraufhin. Sein Gegner würde dieses Biest wieder beschwören wollen. Nur gut, dass sich Stennon dank seines schützenden Effekts nicht versteinern ließ und obendrein stärker war! Harris indes knallte regelrecht das Monster auf seinem Blatt auf die Duel Disk. „Und heute auf der Liste: Ratespaß mit [Hazy Flame Sphynx]! Und dank [Hazy Pillar] auch ganz ohne Tributkosten!“ Vor ihm machte sich augenblicklich eine gar merkwürdige Kreatur breit. So mochte der Körper zwar der eines Löwen mit flammend roter Mähne sein, gehörte zu ihm doch das Antlitz einer schönen Frau. Die Sphinx machte es sich bequem und legte sich hin, ohne dabei Marc aus den Augen zu lassen.   Hazy Flame Sphynx [ATK/1900 DEF/1900 (6)]   „Ihr Effekt ist mit ein wenig Glück verbunden“, erklärte Harris und legte seine Finger an die oberste Karte seines Decks, „beantworte ich ihre Frage richtig indem ich vorhersage, was für ein Grundtyp von Karte sich hier verbirgt, darf ich ein Feuer-Monster reanimieren oder von meiner Hand beschwören.“ Ganz wie er es sich gedacht hatte, merkte Marc still an. Also wollte er erneut eine Xyz-Beschwörung durchführen! „Bist du gar nicht neugierig, wofür ich mich entscheide?“, hakte sein Gegner nach. „Nein? Na ja, ich bin ein eher wagemutiger Geselle und entscheide mich für den Typ Zauber, auch wenn ich wesentlich mehr Monster im Deck habe!“ Harris zog und zeigte [Pot Of Dichotomy] vor, welchen er unter einem anerkennenden Pfeifen auf den Friedhof schickte. „Ich glaube, ich habe das Rätsel der Sphinx gelöst! Lass deine Flamme neu brennen, [Hazy Flame Mantikor]!“ Harris nahm die Karte aus seinem Friedhof und legte sie prompt auf die Duel Disk. Er hatte sie abgeworfen, als er vor zwei Runden den Effekt von [Hazy Flame Peryton] aktivierte. Vor ihm entstieg aus dem Erdboden eine blutrote Gestalt mit ledrigen Flammenschwingen und dem Kopf eines dämonischen Löwen.   Hazy Flame Mantikor [ATK/2200 DEF/300 (6)]   Marc verschränkte die Arme. „Und jetzt? Diesmal bin ich auf deine Strategie vorbereitet!“ Es war jedoch an Harris, selbstbewusst zu lächeln. „Glaub ich kaum. Kennst du den Spruch jemanden mit seinen eigenen Waffen zu schlagen? Diese Zauberkarte setzt ihn in die Tat um: [Double Spell]!“ Sofort entledigte er sich seiner in diesem Zug gezogenen Karte und erklärte weiter: „Indem ich einen Zauber abwerfe, kann ich einen aus deinem Friedhof kopieren. Und mir fällt da nur ein passender Kandidat ein!“ Es dauerte einen Moment, bis Marc begriff und darauf folgend entgeistert dreinschaute. „Bingo, [Rekindling]! Sie belebt alle Feuer-Monster mit höchstens 200 Verteidigungspunkten von meinem Friedhof! Da liegen gerade genau drei!“ Drei Stichflammen schossen vor Harris aus dem Boden. Die beiden Äußeren verwandelten sich in flammende, vogelähnliche Kreaturen mit schlanken Beinen und einem langen Schweif. In der Mitte wurde die dreiköpfige Hundekreatur namens Zerberus wiedergeboren, ebenso lodernd wie seine Mitstreiter.   Hazy Flame Hyppogrif x2 [ATK/2100 DEF/200 (6)] Hazy Flame Cerberus [ATK/2000 DEF/200 (6)]   „Du kennst also meine Strategie? Komisch, mir war gar nicht klar, dass ich überhaupt eine habe!“, scherzte Harris selbstironisch und streckte den Arm aus. „Ich verlasse mich eigentlich nur auf mein Bauchgefühl und das sagt, dass du jetzt einer Xyz-Beschwörung beiwohnen wirst! Aus meinen Stufe 6-Monstern wird ein Rang 6-Monster!“ Die beiden Hyppogrif verwandelten sich in rote Lichtstrahlen. Über Harris öffnete sich ein schwarzer Galaxienwirbel und absorbierte die beiden. Doch dann geschah das Unglaubliche: auch seine anderen drei Monster wurden plötzlich vom Overlay Network absorbiert. Jenes explodierte regelrecht. „Xyz Summon! Zeig deine volle Stärke, [Hazy Flame Basiltrice]!“ Kreischend flog die Kreatur, halb Echse, halb Hahn, aus dem Wirbel und landete mit einem Satz vor ihrem Besitzer. Sie war viel größer als beim letzten Mal, überragte Harris nun um mehrere Köpfe, ganz anders als zuvor. Ganze fünf Lichtsphären kreisten dabei um sie. Marc konnte seinen Augen nicht trauen.   Hazy Flame Basiltrice [ATK/2500 → 3500 DEF/1800 {6} OLU: 5]   Er stolperte beim Anblick des lauernden Ungeheuers zurück. „F-fünf? Wie ist das möglich? Vorhin hast du es doch mit nur zwei-!?“ „Ganz einfach!“ Harris klopfte sich stolz auf die Brust. „Basiltrice ist nicht an eine bestimmte Anzahl an Xyz-Materialien gebunden, um ihn zu beschwören. Ich kann beliebig nach oben gehen. Und das Beste: je mehr ich benutze, desto besser wird der kleine Racker!“ Marc spürte den Angstschweiß auf der Stirn. Damit hatte er nicht gerechnet. „Erklärt das auch, warum er so viel stärker geworden ist?“ „Bingo! Ab drei Xyz-Materialien bekommt er 200 Angriffspunkte für jedes, das er gerade besitzt.“ Harris streckte den Arm weit aus. „Wenn das nicht reicht, um deinen [Laval Stennon] zu besiegen, weiß ich auch nicht! Meteor Outburst!“ Der Basilisken-Cockatrice spreizte weit seine lodernden Flügel aus und stampfte mit seinen schuppigen Vorderbeinen auf den Boden. Aus seinem 'Federkleid' lösten sich sogleich dutzende Mini-Meteoriten, die allesamt in Marcs Richtung flogen. Sein ganzes Feld wurde von winzigen Explosionen heimgesucht, als sie dort ankamen. Der junge Mann flog über den Boden, während seine muskulöse Kreatur namens Stennon in tausende Einzelteile zersprang. „Ahhhhhhh!“   [Marc: 1500LP → 700LP / Harris: 2400LP]   Marc schlug mit dem Rücken auf dem Marmor auf und schlitterte über den Boden, wobei der ohnehin schon schreckliche Schmerz in seinem Brustkorb noch schlimmer wurde. Dabei hörte er Harris rufen: „Nichts für ungut! Main Phase 2! Ich aktiviere [Hazy Flame Basiltrices] Effekt und opfere ein Xyz-Material, um deinen [Lavalval Dragun] zu versteinern und dementsprechend zu verbannen! Perseus Eyes!“ Noch ganz benommen von dem Angriff, richtete Marc sich auf und sah erschrocken mit an, wie die kugelrunden Augen Basiltrices ganz grau wurden, nachdem er eines seiner Xyz-Materialien gefressen hatte. Gleichzeitig verwandelte sich sein prähistorischer Drache von oben nach unten zu weißem Stein, fiel hinab und zerschellte beim Aufprall auf dem Boden zu Staub. Plötzlich blieb Marc nichts mehr außer seiner vor einigen Zügen gesetzten Falle.   Hazy Flame Basiltrice [ATK/3500 → 3300 DEF/1800 {6} OLU: 5 → 4]   „Tja, sieht so aus, als wäre mein Monster schwächer geworden aufgrund akutem Xyz-Material-Mangels“, gluckste Harris und zog aus seinem Friedhof zwei Zauberkarten, „ich denke, dagegen sollte ich was tun! Ich verbanne die beiden [Barrier Flame]-Karten auf meinem Friedhof und füge meiner Hand so ein Feuer-Monster von genau dort hinzu!“ Harris präsentierte stolz [Hazy Flame Sphynx]. Derweil richtete Marc sich erschrocken auf. „Aber du hattest nur eine-!?“ „Bist du wirklich so unkonzentriert?“ Harris seufzte. „Alter, ich habe die zweite Kopie eben abgeworfen, als ich [Double Spell] aktiviert habe. Logisch, oder?“ Marc verstummte und schnaubte, während er sich auf bemühte. „Na also! Und jetzt benutze ich [Hazy Pillars] zweiten Effekt! Ich nehme ein Feuer-Monster von meiner Hand und hänge es an ein Xyz-Monster an!“ Die offene Zauberkarte hatte Marc völlig vergessen. Also konnte sie mehr, als nur Monster mit weniger Tribut beschwören!? Harris schob seine Sphinx unter Basiltrices Karte, woraufhin um den ein neues, fünftes Lichtkügelchen zu kreisen begann.   Hazy Flame Basiltrice [ATK/3300 → 3500 DEF/1800 {6} OLU: 4 → 5]   „Ganz schön warm hier drin, was?“ Harris ließ sein ohnehin weites, gelbes Muskelshirt mit der Hand etwas flattern. „Liegt sicher an meiner Perle da drüben. Na ja, wie auch immer, Zug beendet.“ Damit hatte er jetzt, genau wie Marc, null Handkarten. Aber dafür ein beängstigend starkes Monster.   Marc wollte nach seinem Deck greifen, da fiel ihm auf, wie sehr seine Hand doch zitterte. Er schüttelte sie, als würde seine Angst dadurch verschwinden und legte dann die Finger an seinen Kartenstapel. Noch hatte er nicht verloren! Er holte tief Luft und rief anschließend: „Draw!“ Mit einer ausholenden Bewegung riss er die Karte von seinem Deck, nur um sie mit Schwung in seine Duel Disk zu rammen. „Das ist genau was ich gebraucht habe! [Hammer Shot]!“ Vor ihm erschien die Zauberkarte, auf der eine Gruppe grüner Goblins gezeigt wurde, welche von einem massiven Hammer zerstampft wurde. Und genau jenes Schlagwerkzeug tauchte auch über [Hazy Flame Basiltrice] auf. „Diese Karte funktioniert sehr simpel!“, erklärte Marc zuversichtlich. „Sie zerstört sofort das stärkste Monster in Angriffsposition auf dem Spielfeld. Da es nur deinen- Ah!?“ Harris' Kreatur reckte seinen Hahnenkopf nach oben, starrte gebannt den Hammer an, ehe der Basilisk-Cockatrice-Hybrid seinen Schnabel öffnete und eine derart heiße Flamme ausstieß, die den Hammer komplett in Rauch und Asche verwandelte. „Aber-!?“ „Du hättest besser aufpassen sollen“, meinte der Rotschopf und zuckte arglos mit den Schultern, „Basiltrice wird komplett vor Kartenzerstörungseffekten immun, sollte er fünf Xyz-Materialien besitzen! Was glaubst du wohl, warum ich so penibel darauf geachtet habe?“ Gebannt starrte Marc das riesige Monster vor seinem Gegner an. Wie sollte er es dann loswerden!? Statt aber klein beizugeben, wandelte sich seine anfängliche Erschrockenheit in engstirnigen Kampfeswillen. „Gut, dann anders! Verdeckte Falle aktivieren, [Return From The Different Dimension]! Für einen Zug beschwört sie möglichst viele meiner verbannten Monster, sofern ich bereit bin, die Hälfte meiner Lebenspunkte zu zahlen! Du hättest vorsichtiger sein sollen mit dem, was du versteinerst!“   [Marc: 700LP → 350LP / Harris: 2400LP]   Fünf kleine Spalten im Raum-Zeit-Gefüge öffneten sich vor dem lädierten Bräutigam. Heraus traten eine flammenhaarige Schönheit mit blasser Haut in einem blauen Kleid, [Laval Lakeside Lady], neben ihr die braungebrannte [Laval Volcano Handmaiden], in der Mitte der im dritten Zug von Basiltrice versteinerte Felssoldat mit den zwei Kanonenrohren auf dem Rücken, [Laval Magma Cannoneer] und zu guter Letzt die beiden Signatur-Drachen Marcs. Wie eine Armee bauten sie sich vor ihrem Herrn auf.   Laval Lakeside Lady [ATK/200 DEF/200 (3)] Laval Volcano Handmaiden [ATK/100 DEF/200 (1)] Laval Magma Cannoneer [ATK/1700 DEF/200 (4)] Lavalval Dragon [ATK/2000 DEF/1100 (5)] Lavalval Dragun [ATK/2500 DEF/1200 (6)]   Marc streckte den Arm weit aus: „Es gibt mehr Wege, als ein Monster einfach nur zu zerstören! Ich aktiviere [Lavalval Dragons] Effekt und schicke [Laval Stennon] und den [Laval Magma Cannoneer] auf meinem Friedhof ins Deck zurück!“ Er schob Ersteren aufgrund der Regeln für Extradeck-Monster selbstverständlich in ebenjenes zurück, ehe er dann verkündete: „Dadurch kann ich eine Karte auf dem Spielfeld auf die Hand ihres Besitzers zurückgeben! Damit umgehe ich den Schutzeffekt von Basiltrice! Los!“ Sein aus braunem Gestein mit Magmaadern bestehender Drache lud in seinem Maul eine glühend heiße Flammenkugel auf, die er augenblicklich auf den viel größeren Feind abfeuerte. Doch zu Marcs Entsetzen öffnete Basiltrice einfach den Schnabel und schluckte die Attacke. „Du hättest wirklich den Effekt meiner Karte lesen sollen“, belehrte Harris seinen Gegner altklug, „da steht doch, dass mein Dicker, wenn er mindestens vier Xyz-Materialien hat, nicht als Ziel von Karteneffekten gewählt werden kann. Bist du wirklich so dämlich, oder tust du nur so?“ Plötzlich huschte über Marcs Lippen ein geheimnisvolles Grinsen. „Ich bin es. Aber vielleicht auch nicht … denn das heißt auch, dass ich jetzt ein anderes Ziel für den Effekt wählen muss.“ Sein Arm schwang zur Seite aus, zeigte auf die Handmaiden. „Sie!“ Harris kratzte sich verwirrt an der Stirn und sah zu, wie sein Basiltrice die Feuerkugel wieder auswürgte und auf die braungebrannte junge Dame schleuderte. Jene löste sich leise kichernd auf, als Marc sie in sein leeres Blatt aufnahm. Sie zwischen den Fingern haltend, streckte er die Hand aus. „Effekt von [Lavalval Dragun]! Ich kann meiner Hand ein Laval hinzufügen, muss aber im Gegenzug eins abwerfen! Ich entscheide mich für [Laval Forest Sprite]!“ Die Karte wurde automatisch aus seinem Deck geschoben, sodass Marc sie nur aufzunehmen brauchte. Anschließend schickte er seine Handmaiden als Ausgleich für den Effekt auf den Friedhof. „Sicher kannst du dich noch daran erinnern was passiert, wenn [Laval Volcano Handmaiden] auf den Friedhof geschickt wird? Da ich noch [Laval Lancelord] dort liegen habe, kann ich jetzt noch ein Laval auf den Friedhof schicken.“ So begann die Kette erneut: Marc schickte erst eine Handmaiden, dann noch eine und schließlich [Laval Judgment Lord] auf seinen Friedhof. „Und was hast du davon?“, wollte Harris irritiert wissen. Marc aber legte mit einem zufriedenen, gar böswilligen Grinsen seine neue Karte auf die Duel Disk. „Beschwörung, [Laval Forest Sprite]!“ Vor Marc tauchte eine junge Frau in einem dunkelblauen Einteiler auf, um deren Haupt ein zerfetzter Schal gewickelt war und das flammende Haar teilweise bedeckte.   Laval Forest Sprite [ATK/300 DEF/200 (2)]   „Ich kann dein Monster nicht besiegen?“, schrie Marc regelrecht und schwang seinen Arm weit aus. „Du wirst dich noch umsehen! Ich stimme meinen Stufe 2-Empfänger [Laval Forest Sprite] auf meinen Stufe 4-[Laval Magma Cannoneer] ein!“ Parallel dazu flogen seine Monster in die Luft, wobei sich das Mädchen in zwei grüne Ringe aufspaltete. „A spark lights the otherworldly flame of destruction! An inferno of tragedy unfolds! Synchro Summon! Ignite, [Laval The Greater]!“ Nachdem Marcs Kanonier die Synchronringe passiert hatte, erleuchtete ein greller Blitz für einen Sekundenbruchteil die Kapelle. Rote und blaue Flammen kreisten um Marc, zischten dann nach vorn und verschmolzen zu einer Flamme, aus der eine humanoide Gestalt entstand. Deren Körper bestand aus verwaschenem, blauem Gestein, das von jeweils rotem und blauem Feuer von den Armen ausgehend umhüllt wurde.   Laval The Greater [ATK/2400 DEF/800 (6)]   Mit einem siegessicheren Grinsen auf den Lippen ballte Marc seinen ausgestreckten Arm zu einer Faust. „Jetzt, da er auf den Friedhof geschickt wurde, aktiviert sich der Effekt von Forest Sprite! Für jedes Laval-Monster auf dem Friedhof erhalten meine Monster 200 Angriffspunkte!“ Nun war es an Harris, ein verblüfftes Gesicht zu machen. Welches umso mehr eine panische Form annahm, als er sah, was das wirklich bedeutete. Denn um Marcs Monster begannen tosende Flammen zu schlagen.   Laval Lakeside Lady [ATK/200 → 1600 DEF/200 (3)] Lavalval Dragon [ATK/2000 → 3400 DEF/1100 (5)] Lavalval Dragun [ATK/2500 → 3900 DEF/1200 (6)] Laval The Greater [ATK/2400 → 3800 DEF/800 (6)]   Das war's, dachte Marc und schnaubte. Diesmal würde er sich nicht aufhalten lassen! Valerie lag dort drüben, nur weil diese verdammten Dämonenjäger keine Rücksicht geschweige denn Gnade kannten. Er würde Harris Respekt lehren! Egal wie! Marc spürte, wie sein schmerzender Brustkorb sich zusammenzog, als er schrie: „Los, [Laval The Greater], greife [Hazy Flame Basiltrice] an! Otherworld Flame!“ Der Krieger aus blassblauem Gestein legte seine Handflächen aufeinander, um sie kurz darauf wieder auseinander zu bewegen. Dabei erzeugte er eine Feuerkugel, in der sich blaue und rote Flammen einen regelrechten Kampf um die Vorherrschaft lieferten. Er streckte die Arme mit der Sphäre voran aus, nur um sie schließlich wie eine Kanonenkugel auf Harris' Monster abzufeuern. Dem Basilisk entfuhr ein schriller Schrei, als er getroffen und in Fetzen gerissen wurde. Sein Besitzer wich keuchend ob der Schockwelle zurück.   [Marc: 350LP / Harris: 2400LP → 2100LP]   Marc riss die Augen weit auf. „Jetzt kriech endlich in das Loch zurück, aus dem du gekommen bist! Los meine Monster, dreifacher direkter Angriff!“ Seine Wut brodelte so sehr in ihm, dass sie ganz von Marc unbemerkt die Form einer roten Aura annahm. Und hinter ihm manifestierte sich eine riesige, auf zwei Beinen stehende Silhouette, die ebenfalls wie Feuer loderte. Auch pulsierte Marcs Deck, wobei der Rand einer einzelnen Karte darin rot hervorstach. Harris sah statt Marc die Gestalt an, die jenen überragte und murmelte nur: „Scheiße …“   ~-~-~   „Draw!“, polterte Zanthe und riss die Karte von seinem Deck. Im Antlitz der beiden Meermänner auf Ednas Spielfeldseite erschien der Werwolf geradezu winzig, doch das machte er durch seinen Ehrgeiz wieder wett. Denn er hatte bereits genau vor Augen, wie er diese übergeschnappte Dämonenjägerin besiegen würde. Da konnten ihre Monster noch so stark sein.   Mermail Abyssgaios [ATK/4700 DEF/1600 {7} OLU: 2] Mermail Abysslung [ATK/1500 DEF/1800 (4)]   Er wirbelte eine Zauberkarte zwischen Mittel- und Zeigefinger. Wie gut, dass er die Gelegenheit gehabt hatte, sich ein Bild vom Stil seiner Gegnerin zu machen. Dadurch war es nun ein Leichtes, den Spieß umzudrehen. „Ich aktiviere eine Zauberkarte namens [Constellar Belt].“ Zanthe schob die Karte in einen der Schlitze an seinem Duellhandschuh. „Sie verhindert, dass die Effekte von Licht-Monstern annulliert werden können!“ Langsam bildete sich rund um Zanthes Spielfeld ein weißer Schimmer, der bei genauerem Hinsehen durch eine Art Sternenstaub erzeugt wurde, welcher sich in der Luft ausbreitete. „Ist das so, ja?“ Edna rümpfte die Nase. „Zu dumm! Der Effekt von [Abyss-scale Of The Mizuchi] greift ein! Zwar löst sich mein Ausrüstungszauber auf, dafür tut es ebenso deine Zauberkarte. Pech gehabt.“ Zanthe sah sich verblüfft um, als der Sternenstaub um ihn herum verpuffte und seine Karte in tausend Stücke zersprang.   Mermail Abyssgaios [ATK/4700 → 3900 DEF/1600 {7} OLU: 2]   „So läuft der Hase also? Gar nicht so übel“, murmelte er und nahm ein Monster aus seinem Blatt. „Dann mal sehen, was du hierzu zu sagen hast!“ Er legte das Monster in seinen Handschuh ein und streckte dann die Hand nach vorne aus. Zwischen seinen Fingern erschien ein kleiner, kupferner Schlüssel. „Open a door to the goat! Erscheine, [Constellar Algiedi]!“ Damit schwang er den Arm seitwärts aus und ließ ein Portal umrandet von astrologischen Symbolen erscheinen, welches wie ein Spiegel zerbrach, als eine von Kopf bis Fuß in weißer Kleidung verhüllte Hexe daraus hervor sprang. Sie schwang ihren futuristisch angehauchten Zauberstab, dessen Kopf entfernt an die Hörner eines Steinbocks erinnerte. Constellar Algiedi [ATK/1600 DEF/1400 (4)]   „Bei einer Normalbeschwörung aktiviert sich der Effekt Algiedis!“, erklärte Zanthe. „Damit darf ich ein Stufe 4-Constellar von meiner Hand aufs Feld rufen!“ Doch Edna unterbrach ihn harsch. „Eher nicht, ich gehe mit Abyssgaios' Effekt dazwischen! Indem er ein Xyz-Material absorbiert, schwächt er alle Monster meines Gegners, die weniger Angriffskraft als er besitzen und macht damit ihre Effekte unbrauchbar! Royal Domination!“ Mit seinem Dreizack absorbierte der König von Lemuria eines seiner Xyz-Materialien und lud seine Waffe damit elektrisch auf, ehe er den Blitz auf Algiedi abfeuerte. Die zitterte am ganzen Leib, als sie getroffen wurde.   Mermail Abyssgaios [ATK/3900 DEF/1600 {7} OLU: 2 → 1]   Wie er es erwartet hatte, dachte Zanthe und grinste heimtückisch. Dann nahm er zwei Karten aus seinem Blatt hervor. „Zuerst setze ich eine Karte verdeckt.“ Jene materialisierte sich vor seinen Füßen. „Anschließend das hier! Wenn es auf normalem Wege nicht mit einer Xyz-Beschwörung klappen will, dann eben hiermit! Ich aktiviere [Spellbooks Of Tetrabiblos]!“   Gleichzeitig wurde die gefesselte Anya hellhörig und sah herüber zu dem Werwolf, um dessen weiße Hexe vier rosa leuchtende Bücher erschienen, die auf Brusthöhe um sie zu kreisen begannen. Solche Karten hatte doch der Diener vom Collector benutzt. Wieso zum Geier besaß der Flohzirkus so eins? Sofort schrillten Anyas innere Alarmglocken. Zugegeben, die waren eigentlich im Dauereinsatz, aber hier war doch etwas oberfaul!   „Diese Zauberkarte wird eingesetzt, um zusammen mit einem Hexer-Monster eine Xyz-Beschwörung durchzuführen“, erklärte Zanthe, „und ich kann nur Xyz-Monster beschwören, die dasselbe Attribut wie mein Ziel besitzen oder selber Hexer sind! Aber in dem Fall klappt alles!“ Der junge Mann streckte die rechte Hand nach vorne aus, in welcher ein riesiger Schlüssel aus purem Gold erschien. Diesen lehnte er an seine Stirn an und murmelte. „Open a door to the Sacred Star Knights! To the Overlay Network! Xyz-Summon!“ Anschließend rammte er den Schlüssel in den Boden, auf dem ein mit Sternenzeichensymbolen verzierter Runenzirkel erschien. „Zeige dich uns, [Constellar Omega]!“ Die vier Bücher und Algiedi verwandelten sich in zwei gelbe Lichtstrahlen, die in dem Kreis verschwanden. Aus diesem brach gleich im Anschluss ein weißer Zentaur hervor. War sein Körper der eines Schimmels, begann ab der Hüfte der gepanzerte Krieger, aus dessen Rücken darüber hinaus ein Gestell aus schwarzen Metallplatten wuchs, welche an Flügel erinnerten. Stolz positionierte sich das Wesen vor Zanthe, wobei zwei Lichtsphären es umkreisten. Constellar Omega [ATK/2400 DEF/500 {4} OLU: 2]   Dieser warf einen erneuten Blick auf sein Blatt. Eigentlich war er in einer guten Ausgangslage. Aber wenn er jetzt gewinnen wollte, durfte er nicht Omegas Effekt benutzen, um jenen für diesen Zug vor Zauber- und Fallenkarten zu schützen. Denn er brauchte unbedingt seine beiden Xyz-Materialien. „Ich aktiviere meine Falle [Dimension Slice]!“ „Verarsch' mich nicht! Die hast du eben erst gesetzt!“, protestierte Edna. Die Karte klappte entgegen aller Logik trotzdem auf. So erklärte Zanthe mit gehässigem Grinsen: „Oh, wie konnte die kluge Dämonenjägerin das nur übersehen? Eine Spezialbeschwörung auf meiner Spielfeldseite reicht, um dieses Schätzen hochgehen zu lassen. Allerdings stimmt es, normalerweise müsste ich einen Zug warten, wie bei jeder Falle. Aber! Da es eine Xyz-Beschwörung war, geht es sogar ohne die lästige Wartezeit.“ „Und was bewirkt die Falle nun?“ „Dass du bye bye zu deinem Big Daddy sagst! Der geht jetzt in die Verbannung!“ Aus Zanthes Falle schossen dutzende violetter Lichtklingen, die es auf [Mermail Abyssgaios] abgesehen hatten. Doch dessen Brustpanzerung sendete auf einmal pulsierende Schwingungen aus, die mit dem Angriff resonierten und ihn schließlich im Nichts verlaufen ließen. Dann zerplatzte die Rüstung.   Mermail Abyssgaios [ATK/3900 → 3100 DEF/1600 {7} OLU: 1]   „Wie unglaublich vorhersehbar. Deine [Abyss-scale Of The Cetus] negiert Falleneffekte, richtig?“, hakte der Werwolf nach. Edna nickte knapp. Grinsend strich sich Zanthe übers Kinn. Hatte er es sich doch gedacht. Es bereitete ihm insgeheim ein diebisches Vergnügen, die Angriffspunkte Abyssgaios' fallen zu sehen. Ob die Zicke gegenüber schon etwas ahnte? Nun, dachte er und beäugte sein Blatt. Jetzt hatte er die Wahl. Alles auf einen Angriff setzen, oder lieber auf Nummer Sicher gehen? Er sah zu ihrem Feld herüber, wo zwischen den beiden Meermännern eine verdeckte Karte vor Ednas Füßen lag. Die könnte ihm die Tour vermasseln. Zwar konnte er [Constellar Omega] durch dessen eigenen Effekt immun vor gegnerischen Karteneffekten machen, aber dann fehlte jenem die nötige Stärke, um es in einem Schlag zu beenden. Andererseits, musste er sich wirklich fürchten? Seine Gegnerin war eine sehr offensive Zeitgenossin. Vermutlich besaß sie kaum Karten, die sie zu schützen vermochten, dazu war sie viel zu sehr darauf fixiert, möglichst schnell, möglichst unbarmherzig zu gewinnen – genau wie er in diesem Fall. Also war die Entscheidung eigentlich längst klar … „Ich aktiviere die Zauberkarte [Stoic Challenge]!“ Zanthe schob die Ausrüstung in seinen Duellhandschuh und grinste beim Anblick der Lichtsphären um Omega, die intensiv zu glühen begannen. „Zwar kann das Xyz-Monster, dass mit dieser Karte ausgerüstet wird, seinen Effekt nicht mehr aktivieren und stirbt während deiner End Phase, dafür erhält es für jedes seiner Xyz-Materialien 600 Angriffspunkte.“ Edna runzelte die Stirn, blieb aber still, als sich eine gleißende, goldene Aura um den Zentaur auszubreiten begann.   Constellar Omega [ATK/2400 → 3600 DEF/500 {4} OLU: 2]   „Tja, jetzt ist mein Monster sogar stärker als dein König Triton da“, feixte Zanthe und schwang den Arm aus. Dabei funkelten seine Augen regelrecht vor Ehrgeiz. „Ich würde sagen, es ist Zeit zum Zuschlagen! Angriff, [Constellar Omega]! Eye of the arrow!“ Der geflügelte Zentaur stieg in die Luft auf. Dabei streckte er seine Brust vor, auf dem das Wappen der Constellar prangerte – ein achtzackiger Stern, ähnlich der Windrose eines Kompass, in einem achtzackigen Stern. Und aus jeder der Spitzen drang ein golden leuchtender Pfeil hervor, den Omega unter einem Brunstschrei regelrecht von sich ausstieß, direkt auf Edna zu. Ihm folgten dutzende weitere. Die breitete die Arme weit aus. „Hast du dir so gedacht! Du kannst [Mermail Abyssgaios] nicht als Ziel eines Angriffs wählen, solange [Mermail Abysslung] im Spiel ist.“ Zanthe legte das Kinn auf die Brust und sah die dunkelhäutige Dämonenjägerin herausfordernd an. „Und wann habe ich jemals behauptet, das tun zu wollen?“ Als Antwort erhielt er ein perplexes Blinzeln. „Schätzchen, Abysslung war von Anfang an mein Ziel. Wieso sollte ich auch das stärkere Monster bekämpfen wollen, wenn [Stoic Challenge] den ausgeteilten Kampfschaden verdoppelt?“   Mermail Abysslung [ATK/1500 DEF/1800 (4)]   Mit Genuss beobachtete er, wie seiner Gegnerin ein Licht aufging. Nur zu spät, denn die goldenen Pfeile flogen bereits steil nach unten Richtung des jungen Meermannes, der sich hinter seinen Armschilden zu verstecken versuchte. „Vergiss es!“, fauchte Edna. „Mich mit so etwas Billigem besiegen wollen? Eher sterbe ich! Falle! [Abyss-scorn]! Sie erhöht die Angriffskraft eines Mermails um 1000!“ Die Pupillen von Abysslung verloren ihre Farbe und verschwanden, als er seine Verteidigung schlagartig vernachlässigte und plötzlich zum Gegenschlag ausholte.   Mermail Abysslung [ATK/1500 → 2500 DEF/1800 (4)]   Doch die Idee war schlecht. Die goldenen Pfeile zerfetzten ihn regelrecht, lösten eine Explosion aus, deren Schockwelle Edna zurückschleuderte. Doch sie hielt sich im Rückwärtstaumeln tapfer auf den Beinen. Indes klatschte Zanthe anerkennend. „Oh? Die Berserkerfrau nutzt ihre Offensive, um sich zu schützen? Wie gut für dich, dass die Rechnung diesmal aufgegangen ist. Gerade so.“   [Zanthe: 4000LP / Edna: 4000LP → 1800LP]   Hätte sie die Falle nicht eingesetzt, hätte sie über 4000 Punkte Schaden kassiert. So waren es gerade einmal 2200. Ganz so blöde war sie dann wohl doch nicht, gestand ihr Zanthe insgeheim zu. „Aber jetzt steht dein Abyssgaios ganz ohne verstärkende Effekte da“, wies er auf das Offensichtliche hin, nun da Abysslungs Boost auch verloren war.   Mermail Abyssgaios [ATK/3100 → 2800 DEF/1600 {7} OLU: 1]   „Hmpf! Und du verlierst dein Monster trotzdem, ohne dass ich etwas machen muss!“, konterte Edna. „Nicht gerade clever.“ Zanthe aber lachte süffisant. „Wer im Glashaus sitzt … du weißt. Komm, ich zeig dir was!“ Das gesagt, streckte er den Arm in die Höhe. In seiner Hand materialisierte sich ein riesiger Platinschlüssel, wobei sich über dessen Spitze gleichzeitig ein schwarzes Loch öffnete. „Ich rekonstruiere das Overlay Network!“, rief Zanthe. „Aus meinem Rang 4-Monster wird ein Rang 6-Monster!“ Als goldener Lichtstrahl wurde [Constellar Omega] in den Wirbel gezogen, aus dem eine Explosion aus schwarzen, gelben und roten Blitzen hervor drang. Zanthe legte den Schlüssel derweil gegen seine Stirn und murmelte: „Open a gate to the Sacred Star Knights!“ Danach begann er regelrecht zu schreien. „Incarnation Summon! Lass alles um dich herum verblassen, [Constellar Ptolemy M7]!“ Unter infernalem Geschrei schoss ein gold-weißer Mecha-Drache aus dem Schwarzen Loch heraus, der sich vor Zanthe in voller Pracht aufbaute – um dann die schwarzen Flügel schützend vor sich zu halten. Dabei umkreisten ihn drei goldene Lichtsphären wie winzige Monde.   Constellar Ptolemy M7 [ATK/2700 DEF/2000 {6} OLU: 3]   Zanthe sah erst seine letzte Handkarte, [Constellar Sombre] und dann das Xyz-Monster auf seinem Duellhandschuh an. Er schmunzelte zufrieden. Sollte die Zicke so dumm sein und angreifen, würde sie ihr blaues Wunder erleben. Sein Blick lag dabei auf dem grünen Kartenrand, der unter Messier 7s Karte hervorlugte. Und selbst wenn es ihr gelang, irgendwie wieder an Boden zu gewinnen, würde er im nächsten Zug erst richtig loslegen. Der Schwarzhaarige sah auf. „War doch gar nicht so schlecht für den Anfang. Kannst weitermachen.“   Edna griff nach ihrem Deck und riss schnaubend die oberste Karte von diesem mit Schwung weg. Jene zwischen den Fingern wirbelnd, war die Dämonenjägerin im Begriff, sie auszuspielen. „Deine Arroganz werd' ich dir in den Hals stopfen! Ich-“ Es war nur eine Sekunde, mehr nicht. Zanthes Herz hörte auf zu schlagen, oder zumindest fühlte es sich so an. Und es war das Einzige, was er fühlte. Hörte, sah, roch. Nur eine Sekunde, in der es nichts anderes gab als ihn und 'es'. Das, was verborgen vor den Augen aller lauerte, tief in Edna selbst verborgen. Eine Macht, die er so nur vor einer anderen Person kannte … Ein Schrei durchbrach Zanthes Trance. Beide Duellanten schreckten auf und sahen herüber zu Marcs Duell, welches gerade sein spektakuläres Ende gefunden hatte. Harris wurde durch die ganze Kirche geschleudert, flog über die Bänke hinweg und wurde durch die Wand geschmettert, landete im Vorraum der Kirche. In Ednas Gesicht stand das blanke Entsetzen geschrieben. Dann rannte sie los. „Dafür habe ich keine Zeit mehr!“, fauchte sie und deaktivierte ihre Duel Disk, was zur Folge hatte, dass die Hologramme verschwanden. Geistesgegenwärtig lief Zanthe seiner Gegnerin hinterher, konnte sie auf halbem Wege im Gang zwischen den Bänken einhole und streckte die Hand aus, um nach ihrem Arm zu greifen. „Du entkommst mir nicht.“ Dann setzte sein Herz wieder aus, er brach die Bewegung ab und blieb wie erstarrt stehen, während Edna sich immer weiter von ihm entfernte. „Hey!“, hallte Marcs aufgeregte Stimme durch die Kirche, welcher vor Erschöpfung in die Knie gesackt war und die Verfolgung nicht aufnehmen konnte. „Bleib gefälligst hier! Feigling!“ Die junge Frau blieb vor der Flügeltür stehen und drehte sich noch einmal zum Bräutigam um, der zu seiner bewusstlosen Verlobten kroch. „Wir sehen uns wieder!“, schwor sie hasserfüllt, ehe sie davon stürmte. Es dauerte einige Sekunden, dann brach Zanthe in sich zusammen und hustete wie verrückt. In dem Moment gab es einen dumpfen Knall und ein violettes Licht, das aus dem von Harris geschaffenen Loch blitzte. Ohne Zweifel waren die beiden über alle Berge.   „A-alles in Ordnung?“, hörte er Marc rufen. „G-geht schon“, keuchte der Werwolf, als er sich vom Boden abstützte und dabei die Kehle hielt. Ein leises Zischen kündete von dem Verschwinden der DNA-Stränge, die ihre übernatürlich angehauchten Geiseln fest in ihrem Griff gehalten hatten. Doch entgegen aller Annahmen war es Nick, der als Erster auf die Beine kam, war er aus seinem Schläfchen zwischenzeitig erwacht. Neben ihm stöhnte Abby, nicht weit von der brubbelte bereits eine bis aufs Äußerste erzürnte Anya vor sich hin. Nick half der Sirene auf, die kreidebleich war, gar nicht lange zögerte und sofort zu Valerie stürmte. „Oh Gott“, stammelte sie mit Tränen in den Augen, als sie die bewusstlose Braut erblickte, „was haben sie dir angetan, Valerie?“ Nick eilte neben sie. Sein betroffener Blick sprach Bände. Auch Anya hatte sich derweil aufgerappelt und stieß zu den beiden. „Mistkerle! Einfach abzuhauen, wenn's plötzlich nicht mehr so läuft. Heute Nacht träum' ich von Tod und Verderben, so viel ist mal sicher!“ „Anya!“, mahnte Nick seine Freundin. „Nicht jetzt.“ Die blickte herüber zu ihrer Erzfeindin. Kurz angebunden wie immer kommentierte sie den Anblick nur lasch: „Scheiße, Redfield …“   Derweil kniete der Bräutigam neben ihr und keuchte, teils vor Erschöpfung, teils vor Wut. Sie waren weg, entkommen! Marc drehte sich langsam um, sah die Kapelle. Trümmer lagen herum. Einschlaglöcher von den verschiedenen Angriffen zierten die Gemäuer. Sie war fast ausgestorben und doch gefüllt von schlafenden Gästen … und Valerie lag da, umringt von Abby, Anya und Nick. Hoffentlich ging es ihr gut! „Valerie!“, rief er panisch und packte sie an den Schultern. Doch noch ehe er weitere Worte sprechen konnte, richtete seine Verlobte sich stöhnend auf. „Das tut mir so furchtbar leid“, murmelte Abby und kniete sich behutsam im Angesicht des engen Kleides zu ihr. Ihre Augenränder waren gerötet, noch immer den Tränen nahe. Valerie nickte benommen. „Ist“, begann sie mit heiserer Stimme zu fragen, „ist jemand-“ „Keiner. Uns geht’s gut, den ganzen Schnarchnasen hier auch“, antwortete Anya für Abby. „Verstehe …“ Dann nahm Valerie die von Abby angebotenen Hände und ließ sich aufhelfen, wobei sie allein nicht imstande war zu stehen.   Das musste sie auch nicht, Marc fing sie auf. Und Valerie umarmte ihn so fest sie konnte. Abby wich aus Respekt sofort zurück. „Ich konnte sie nicht aufhalten“, murmelte er und küsste sie sanft auf die Stirn. „Du hast sie vertrieben“, flüsterte Valerie leise, „das ist mehr, als ich geschafft habe …“ Ihr Verlobter schwieg, wusste er doch nicht, wie er das überhaupt vollbracht hatte. Die Enttäuschung, die sie durchmachte, konnte er am eigenen Leib spüren. Das Zittern, er fühlte es. „Aber es ist okay“, fügte sie hinzu, „niemand wurde ernsthaft verletzt, nicht wahr? Dafür bin ich dankbar und … deswegen werde ich nicht weinen. Wir werden eine zweite Chance erhalten.“ Plötzlich lachte sie bitter auf. „Auch wenn du mein Kleid jetzt gesehen hast. Ob das … Unglück bringt?“ „Vielleicht nicht, wenn du es bis zum nächsten Versuch an behältst“, scherzte er schwach.   Jemand klatschte in die Hände. Die beide sahen auf und drehten sich herüber, wo Anya stand, flankiert von Nick und Abby. Das blonde Mädchen sah das Brautpaar in einer Mischung aus boshafter Genugtuung, gleichzeitig aber auch mitleidig an. „Das wird teuer“, sagte Anya und spielte auf die finanziellen Schäden an, die der Auftritt der beiden Dämonenjäger mit sich gebracht hatte, „ich hoffe, du bist schlecht versichert, Redfield.“ „Ich glaube, das ist unsere geringste Sorge“, erwiderte die eisig. Sofort hob Anya die Hände hoch. „Hey, denkst du etwa, das hier ist meine Schuld!? Ich schwöre, alle meine Pläne, deine Party zu crashen hat Abby schon vorher im Keim ersticken lassen!“ „Das kann ich so bestätigen“, nickte jene. „Selbst wenn, offenbar waren sie hinter dir her. Hinter uns allen“, murmelte Valerie. Sie ließ den Kopf hängen. „Sieht so aus, als könnten wir … kein friedliches Leben mehr führen.“   Mit vorgehaltener Hand wandte sich Anya an Abby und Nick. „Okay, jetzt ist sie richtig schön down! Harper, du spendierst den Beat, Abby, du übertönst ihn. Los!“ Wie auf Kommando begann Nick mit etwas, das man ihm nie zugetraut hätte: Beatboxen. Es klang etwas holprig, aber als Abby einsetzte und mit ihrem Sirenengesang den Hochzeitsmarsch anstimmte, sahen Marc und Valerie verblüfft auf. „Was soll das?“, fragte Letztere irritiert. Anya schlenderte auf die beiden zu. Dabei streckte sie die Arme schulterzuckend aus, als wüsste sie das selbst nicht so genau. „Nun, da ja nun doch jemand den Party Pooper gespielt hat, dacht' ich mir, setzen wir noch eins drauf.“ „Anya, das ist nicht witzig! Nicht jetzt, nicht heute!“, fauchte Valerie getroffen. „Oh Redfield, du kriegst deine Hochzeit“, versprach Anya, die vor ihr angekommen war. Plötzlich schnappte sie sich von beiden die jeweils rechte Hand und zog sie zu sich, beide Handflächen nach oben gerichtet und nebeneinander. Im Hintergrund immer noch die improvisierte Hochzeitsmusik. „Da der dämliche Pater gerade alle Viere von sich streckt, bin ich jetzt eure Trauzeugin“, sprach Anya feierlich und grinste ihre verblüfften Freunde an, „aber nur, weil Marcs Vorschlag bescheuert ist. Irgendwann stinkst du darin wie Nick, wenn du das dämliche Kleid nicht ausziehst!“ Valerie stand eine Träne im Auge. „A-Anya …“ „Okay, jetzt die große Quizfrage, Redfield. Willst du Marc solange auf die Nerven gehen, bis er freiwillig in die Kiste steigt? Ja oder nein?“ Anya richtete den Blick anschließend auf Marc. „Und du, Butcher … hast du nichts Besseres zu tun, als diese Schnarchnase von Redfield zu heiraten? Die falsche Antwort wird dich die Million kosten!“ Es dauerte einen Moment, ehe Marc und Valerie realisiert hatten, wer da gerade allen Ernstes ihren Bund fürs Leben besiegeln wollte. Obwohl jeder der beiden in diesem Moment genug Gründe hatte, Anya postwendend aus der Kapelle zu werfen, rührte die Geste sie so sehr, dass es nur eine mögliche Antwort auf die Frage gab. „Ja, ich will“, hallte es synchron. „Super!“, grinste Anya schadenfroh. „Zeit für den Blutspakt!“ „Blutspakt!?“, stammelte Valerie sofort und riss sich von der Blondine los. „Meinst du Blutsbrüderschaft? Was hat das mit einer Hochzeit zu tun!?“ Marc grinste. „Ich glaub, sie hat das alles nur gemacht, um dich legal bluten zu lassen.“ Woraufhin Anya boshaft erwiderte: „Bingo!“   Derweil gesellte sich Zanthe zu den beiden Musikern im Hintergrund, die mittlerweile verstummt waren. „Wow“, staunte er, „hätte nicht gedacht, dass in ihr tatsächlich so etwas wie ein Fünkchen guter Wille steckt.“ „Du würdest dich wundern“, erwiderte Nick sofort verkrampft. Abby seufzte verträumt. „Ich glaub, das kann ich mir auch zu meiner Hochzeit vorstellen … immerhin ist es doch noch irgendwie romantisch geworden.“ Der Zwei-Meter-Mann neben ihr verschränkte die Arme. Dabei grinste er nichtsdestotrotz, als er sagte: „Lieber nicht, Abby.“ Auch Henry und Melinda stießen nun zu den beiden, nachdem sie es geschafft hatten, wieder auf die Beine zu kommen. Henry schüttelte nur schicksalsergeben den Kopf. „Hätte ich geahnt, was hier abgeht, wäre ich nicht gekommen.“ „Du bist doch nur sauer, weil du nichts tun konntest“, stichelte Melinda, streichelte dann aber freundschaftlich den Arm ihres Bruders, „ist aber nicht schlimm, das ging uns allen so.“ Henry aber blieb unterkühlt. „Wenn du meinst.“ „Zumindest ist es nicht so langweilig geworden wie ich befürchtet hatte“, relativierte Zanthe derweil an Nick gewandt und sah den drei Hochzeits-Spezialisten vor ihm zu, wie sie sich gegenseitig aufzogen, „auch wenn ich überrascht bin, dass sich meine Theorie bestätigt hat.“ Nick warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Welche Theorie?“ „Die eine“, antwortete Zanthe und senkte seine Stimme, „war wie ich. Eine Hüterin. Und ich habe keine Ahnung, warum sie ausgerechnet fast der Person ins Netz gegangen ist, die sie jagt.“   ~-~-~   „… und so habe ich den Tag gerettet!“ „Indem du nichts getan hast? So möcht' ich auch meine Tage retten.“ Logan rollte auf einer kleinen Unterlage unter dem Chevrolet hervor, an dem er gerade werkelte. Sein weißes Feinrip-Hemd war von Ölflecken gezeichnet, auch im Gesicht und an den Muskeln hatte er sich, gelinde gesagt, ganz schön eingesaut.   Seine Werkstatt war nicht gerade groß. Zwei Wagen hatten in der offen stehenden Garage nebeneinander Platz, dazu gab es noch eine Abstellmöglichkeit für ein Motorrad. Seine schwarze F 800 S stand momentan dort. Er ging direkt auf Anya zu, die an einer Werkbank gleich neben dem Garagentor lehnte und die Arme verschränkt hielt. Sich direkt vor sie stellend, griff er nach einem Schraubschlüssel. „Muss ja trotzdem nett gewesen sein, wenn du so gut gelaunt bist“, stellte er dabei fest. Anya konnte ihn riechen. Den Geruch von Öl, der sich mit Schweiß vermischte. Eklig. Sie wich ihm sofort aus, zuckte dabei mit den Schultern. „War immerhin besser als so'ne Spießerveranstaltung“, meinte sie unbekümmert.   Natürlich hatte sie ihm nicht alle Details verraten, nur die, die auch für die Öffentlichkeit bestimmt waren. So sehr traute sie ihm dann doch nicht. Zumal er sie ohnehin nur für verrückt erklären würde, wenn sie ihm sagte, dass die beiden Dämonenjäger waren. Vermutlich hatte er immer noch nicht gerallt, was neulich mit ihrem Bruder Zach und Kali überhaupt abgegangen war – was nur umso besser für ihn war. Und für Anya.   Der Zwerg trottete wieder zum Wagen. Dabei warf er jedoch Anya über die Schulter einen skeptischen Blick zu. „Scheinst den Ärger ja magisch anzuziehen.“ „Bist wohl neu in der Stadt“, erwiderte sie mit einem kecken Grinsen, „ich -bin- der Ärger.“ „Ich halte mich da raus“, meinte er, legte sich zurück auf das fahrbare Holzbrett und rollte unter den Chevrolet zurück, „aber wenn du'n Tipp willst: gib nicht so damit an.“ Anya schnaubte beleidigt. Was wollte er ihr denn damit bitteschön mitteilen!? Pah! Warum war sie überhaupt hierher gekommen und hatte ihm von der Hochzeit erzählt!? „Hmpf, was auch immer. Ich muss los, hab keine Zeit für'n Duell oder so. Dein D-Pad bekommst du so schnell nicht wieder“, pflaumte sie ihn an und stampfte aus der Werkstatt. „Mach's ja nicht kaputt“, rief er ihr noch hinterher. Sonderlich besorgt klang er dabei allerdings nicht. Was Anya nur umso mehr aufregte, der Typ war viel zu locker!   Na ja … sie würde ihn eine Zeitlang nicht sehen, also ließ sie es ihm diesmal durchgehen. Denn was Nick ihr nach der Hochzeit eröffnet hatte, war alles andere als aufbauend gewesen. Nicht nur, dass diese beiden Dämonenjäger etwas hatten, was sie wollte und entkommen waren … Nein. Die andere Zielperson, die Nick seit Tagen versucht hat ausfindig zu machen, sie war einfach nicht zu schnappen. Und es gab nur noch einen Weg, den Kerl in die Fittiche zu bekommen. Dafür würde Anya allerdings ein paar alte Bekannte besuchen müssen …     Turn 47 – Trial And Error Anya und Zanthe reisen schnellstmöglich nach San Augustino, einer kleinen Stadt im Herzen Amerikas, nachdem Nick ihnen nun sein Wissen über die zweite Zielperson eröffnet hat. Dort werden sie von niemand Geringerem als Matt Summers in Empfang genommen, seines Zeichens ein alter Mitstreiter Anyas und womöglich ihre letzte Hoffnung. Jedoch fällt das Wiedersehen anders als erwartet aus … Kapitel 52: Turn 47 - Trial And Error ------------------------------------- Turn 47 – Trial And Error     Anya lehnte den Kopf gegen die Scheibe. Der Anblick der Landschaft, die sich ihr bot, war größtenteils ländlicher Natur, nur etwas Wald in der Ferne lockerte den ansonsten tristen Anblick etwas auf. „Wie lange noch?“, murrte sie ärgerlich. „Wir sind erst vor einer halben Stunde losgefahren. Sechs, sieben Stunden wird es bestimmt noch dauern, das Umsteigen mit eingerechnet“, erwiderte Zanthe beiläufig und blätterte weiter in seiner Oldtimer-Zeitschrift herum. Er saß neben Anya in dem ansonsten leeren Abteil. Die beiden hatten seither nicht viel geredet, was vor allem daran lag, dass Zanthe seiner Begleiterin möglichst wenig Beachtung zu schenken versuchte. Einzig um zu sehen, was sie sich einfallen ließ, wenn ihr langweilig war. Und ihr war -verdammt- langweilig. „Tch“, zischte sie ärgerlich und zog ein Taschenmesser aus ihrer Hosentasche hervor. Sie schob es unter die Abdichtung des Fensters und versuchte jene aufzuschlitzen, was sich als erstaunlich anstrengend erwies. Dabei dachte sie an vorgestern, kurz nach der gescheiterten Hochzeit von Valerie.   „Du wolltest uns sprechen?“, fragte Abby irritiert. Die ganze Gruppe hatte sich, nachdem die Polizei sie zu dem 'Überfall' in der Kapelle befragt hatte, am Waldrand zusammengefunden. Sie alle, die einen wie Valerie und Marc mehr, die anderen wie Henry oder Melinda weniger, waren gezeichnet von den Geschehnissen. Gerade das Brautpaar sah in seinem zerfetzten, durchtränkten Hochzeitskleid beziehungsweise dreckigen Anzug furchtbar aus. Nick, der angesprochen worden war, befand sich in der Mitte des kleinen Kreises. Er richtete sich an Anya, die bereits wusste, was sie erwartete und dementsprechend grimmig zur Seite starrte. „Anya hat euch etwas zu sagen“, verkündete er ernst. „Hab ich das, Harper?“ „Anya“, begann Abby gewohnt streng, wenn es um 'so etwas' ging, „hast du. Wenn du es nicht tust, werden wir es tun. Richtig, Nick?“ Der zeigte zwar keine Regung, aber sein steifer Gesichtsausdruck war Antwort genug. Anya trat trotzig aufstampfend vor. „Das ist nicht fair! … aber ich schätze, 'ne andere Wahl hab ich nicht, oder?“ Die Sirene strich ihr über den Rücken. „Wir sind deine Freunde. Wenn du uns nicht vertrauen kannst, wem dann?“ Valerie, die von Marc gestützt wurde, hob interessiert die Augenbrauen. Dabei murmelte sie unter dem Schatten einer dunklen Ahnung: „Also hast du doch etwas mit dem zu tun, was passiert ist.“ Zanthe, der Anyas Linke flankierte, schüttelte den Kopf. „Das ist noch nicht raus. Lass sie erstmal erzählen.“ Die Blondine atmete tief durch, versuchte besonders die ebenso neugierigen Blicke von Melinda und Henry zu ignorieren, die hinter Valerie und Marc aufgestellt waren. „Leute … ich stecke ganz tief in der Scheiße.“ „Wann tatest du das jemals nicht?“, fragte der Erbe des Ford-Imperiums sofort spitz und bekam unmittelbar den Ellbogen seiner Schwester in die Rippen gerammt. „Ist doch wahr!“   So begann Anya nur unter gutem Zureden Abbys langsam zu erzählen, wie der Sammler sie bereits vor Monaten in eine Falle gelockt und nun fest im Griff hatte. Was sie für ihn tun musste, wie weit sie damit bereits gekommen war und was ihr noch bevorstand. Als sie geendet hatte, fühlte sich Anya keineswegs erleichtert. Im Gegenteil, es fühlte sich an, als hätten sich ihre Probleme gerade vervielfacht. „Anya“, sagte Valerie zögerlich, „… du kannst nichts dafür.“ „Du hättest vorsichtiger sein müssen“, kam es ausgerechnet aus Henrys Mund geduldig, „dieser Dämon ist der gefährlichste von allen. Ihm zu trauen ist Selbstmord.“ Anya schnaufte. „Das weiß ich mittlerweile auch. Verdammte scheiße!“ „Er hat mich zurückgebracht. Er wird dich retten können“, meldete sich Marc zu Wort, „fragt sich nur, welchen Preis du dafür zahlen musst.“ „Oder wir alle“, merkte Melinda an, „wer weiß, was der vorhat mit diesen Karten, Artefakten, Waffen oder was auch immer sie sind. Sicher ist es nichts Gutes.“ Die ramponierte Braut schüttelte den Kopf. „Gut und Böse sind Konzepte, die wir auf den Sammler nicht anwenden sollten. Ohne seine Hilfe wären wir im Turm gestorben.“ „Du hast doch gehört, es war alles nur ein Test“, relativierte Henry. „Und jetzt weiß ich auch, warum er mir damals seine Hilfe zu, wie sagte er, günstigen Konditionen angeboten hat …“ Abby horchte auf. „Bist du etwa auch in seine Falle getappt!?“ „Nein. Beziehungsweise, sicher bin ich mir da jetzt nicht mehr. Erinnerst du dich noch an die hier?“ Henry griff in seine Hosentasche und zog drei Karten von dort hervor. Es waren jene drei, die damals im Turm von Neo Babylon dafür gesorgt hatten, dass sie trotz Edens paralysierendem Bann kämpfen konnten. Er reichte sie Anya. „Nimm sie. Und gib sie ihm zurück, wenn du ihn das nächste Mal siehst. Wer weiß, was passiert, wenn ich sie behalte.“ Die Blondine nahm sie erstaunt entgegen. Dann runzelte sie die Stirn. „Jetzt krieg' ich wieder den Schwarzen Peter, huh? Wie immer!“ „Ich glaube, die sind harmlos. Er hat doch längst alles, was er für sein Spiel braucht“, zuckte Melinda mit den Schultern. Dabei sah sie herüber zur Kirche, die nur so von Reportern umlagert war, die sich einen eher weniger stillen Kampf mit der Polizei lieferten.   Nick, der die ganze Zeit über still geblieben war, meldete sich zu Wort. Er drehte sich zu Anya um. „Da gibt es noch etwas, das du wissen solltest. Zanthe …“ Dieser trat in den Kreis neben Nick und sah Anya ebenfalls an. „Sicher hast du es auch bemerkt. Die Schwarze war eine Hüterin. Sprich, eine deiner Zielpersonen.“ Anya klappte die Kinnlade hinunter. Das hatte sie -nicht- bemerkt. Umso lauter wurde sie, als die Erkenntnis folgte, dass Edna ihr durch die Lappen gegangen war. „Und du hast sie entkommen lassen, du Blödian!?“ „Ihre Karte muss sie beschützt haben“, rechtfertigte sich Zanthe unbeeindruckt, rückte dabei sein blaues Kopftuch zurecht, das nicht recht zu seinem schwarzen Anzug passen wollte, „ich konnte nichts machen.“ „Und jetzt!?“, fauchte Anya. „Die dumme Ziege könnte sonstwo sein!“ „In dem Fall“, schritt Nick dazwischen und legte seine Hände beruhigend auf Anyas Schultern, „sollten wir sie einfach machen lassen und warten, bis sie ihr Versprechen einlöst.“ Die einen Kopf kleinere Anya erinnerte sich. Bevor die Dämonenjägerin abgehauen war, hatte sie mehr oder weniger Rache geschworen. „Soll die Bimbo-Buffy ruhig kommen!“ „Anya!“, fauchte Abby sofort brüskiert. „Höre ich noch einmal so einen rassistischen Kommentar von dir, dann ist der Sammler deine geringste Sorge!“ Der unerwartete Ausbruch ließ selbst eine Anya Bauer vor Schreck zurückweichen, auch wenn sie allein aus Trotz so tat, als wäre ihr das völlig gleich, indem sie lautstark die Nase rümpfte. „Diese Edna scheint keine Ahnung zu haben, dass du eigentlich sie jagst und nicht umgekehrt“, setzte Nick nach einer unangenehmen Pause seine Erklärung fort, „dass sie heute hier aufgetaucht ist, ist entweder ein Zufall oder durch irgendjemanden arrangiert worden.“ Henry schnalzte mit der Zunge. „Es gibt keine Zufälle. Nicht für solche wie uns.“ „Richtig. Sie wussten viel zu gut Bescheid über uns, um einfach nur auf Dämonenjagd zu sein“, erwiderte Nick mit dem Blick auf Anya gerichtet, „aber unsere Stunde wird kommen, Anya. Doch solange wir auf ein Lebenszeichen von Edna warten, werden wir uns einem anderen Ziel widmen.“ Melinda fragte: „Und was ist mit ihrem Partner, diesem Harris?“ „Der scheint eher ein Mitläufer zu sein.“ Marc kratzte sich an seinem Kinnbart. „Für einen Dämonenjäger wirkte er ziemlich unreif und mir ist nichts an ihm aufgefallen, was Zanthe bei Edna bemerkt hat.“ Anya sah Nick tief in die Augen. „Und wer steht nun als Nächstes auf meiner Schwarzen Liste?“ Dieser schloss ebenjene plötzlich. „Jemand, den ich nicht ausfindig machen kann. Jemand, dem ich bereits einmal begegnet bin. Der Einzige, der dir vielleicht helfen kann, den Typen zu finden, ist …“   „Summers“, brummte Anya nachdenklich und wandte den Blick von der Landschaft ab. Unglaublich, dass Nick mit seinen Wundern der Technik nicht in der Lage war, ihr nächstes Bauernopfer zu finden. Stattdessen hatte er ihr gestern zwei Zugtickets in die Hand gedrückt und angewiesen, nach San Augustino zu fahren. Wo Matt sie erwartete. Anya war noch immer baff, dass es Nick immerhin gelungen war, mit dem Dämonenjäger Kontakt aufzunehmen. Etwas, das ihr nicht vergönnt gewesen war. Matt und sein Partner Alastair waren bis vor Kurzem noch wie vom Erdboden verschluckt gewesen. Aber Nick hatte sie ausfindig gemacht. Warum er selber nicht mitkam, das verstand Anya beim besten Willen nicht. Fast hatte sie den Eindruck, Nick wollte nicht auf den Mann auf ihrer Liste treffen. Immerhin schienen die beiden sich zu kennen, auch wenn ihr Freund diesbezüglich erstaunlich sparsam mit Erklärungen umging. Stattdessen wollte er in Livington bleiben und versuchen, Ednas Spur zu finden. Seine bevorzugte Ausrede bezog sich entweder darauf oder auch wahlweise auf seinen Gesundheitszustand, der nach Kalis Angriff immer noch nicht zufriedenstellend war. Laut eigener Aussage verstand sich. Zudem hatte ausgerechnet Henry den rettenden Vorschlag gemacht. Wenn man jemanden nicht finden konnte, musste man ihn eben heraufbeschwören. Matt konnte das. Henry hatte seine Hilfe diesbezüglich selbst schon in Anspruch genommen und auch noch ausgerechnet um den Sammler zu beschwören, der ihm damals helfen sollte, seine Schwester Melinda zu finden. „Wie ist dieser Matt so?“, fragte Zanthe neugierig und ließ von seiner Zeitschrift ab. Anya raunte: „Keine Ahnung. Hab ihn ja seit Ewigkeiten nicht mehr gesprochen. Einfach so unterzutauchen, ohne jemandem was zu sagen. Also ein Idiot, wenn du's wissen willst!“ Ihr Begleiter schüttelte schicksalsergeben den Kopf. „Deswegen heißt es doch untertauchen. Weil man nichts sagt.“ Na und, dachte sich Anya? Sie hatte trotzdem jedes Recht, beleidigt von diesem miesen Zug zu sein. Nach allem, was sie und Matt zusammen durchgestanden hatten! Aber wenn sie ihn erst in die Finger bekam, dann-! Sie würde-! „Ach, leckt mich doch alle am Arsch!“ „Bedaure, nicht mein Fetisch“, erwiderte Zanthe lakonisch und widmete sich wieder seiner Zeitschrift.   Da Anya aber so derart langweilig war, dass ihr selbst die Lust am Beschädigen von fremdem Eigentum vergangen war, tat sie daraufhin etwas, das man ihr nie zugetraut hätte. Sie zeigte Interesse an ihren Mitmenschen. Und da es derer nur einen in ihrem direkten Umfeld gab … „Wie bist du eigentlich in der stinkenden Höhle gelandet?“ „Kein Geld für 'ne Wohnung.“ „Und was hast du gemacht, als du noch Geld hattest?“ „Bin herumgereist auf der Suche nach einem Heilmittel für meine Lykantropie.“ Zanthe sah von seiner Zeitschrift auf. „Und davor bin ich mit meinem Rudel unterwegs gewesen. Aber das liegt so lange zurück, dass ich mich kaum noch an etwas aus dieser Zeit erinnern kann.“ Anya gab ein Geräusch von sich, das irgendwo zwischen „Aha“ und „Wie langweilig“ anzusiedeln war. „Und wie war dein Rudel so?“ Zanthe sah zu ihr herüber und zuckte mit den Schultern. „Irgendwie scheiße. Aber irgendwie auch nicht. Ich mein, sie hätten mich damals auch sterben lassen können. Stattdessen haben sie mich in ihren Kreis aufgenommen, nachdem … nicht so wichtig. So sieht's jedenfalls aus.“ „Ist doch … gut?“ „Da fingen die Probleme für mich erst richtig an. Was meinst du, welchen Stand ein vegetarischer, insgeheim homosexueller Werwolf in einem Rudel hat, das nur so vor Testosteron stank?“ Anya kratzte sich am Kopf. „Du warst das Schlusslicht der Nahrungskette, oder?“ „Sozusagen.“ Zanthe sah aus dem Fenster neben Anya. „Als sie erfuhren, dass ich Schwänze lutsche, haben sie mich verstoßen. Die Zeiten waren damals noch anders. Obwohl, wenn man ganz genau hinschaut, sind sie es eigentlich nicht wirklich. Nur die Masken sind andere.“ Anya, die den Kommentar nicht verstand, blinzelte verdutzt. Der Werwolf winkte ab. „Vergiss es. Das interessiert dich eh nicht wirklich, oder?“ Anya machte ein nachdenkliches Gesicht, ohne aber tatsächlich zu überlegen. „... nö.“ „Na also“, lächelte Zanthe zufrieden, „und jetzt halt bitte die Klappe, du störst mich beim Lesen.“   ~-~-~   Am frühen Abend schließlich und nach mehrmaligem Umsteigen kamen Anya und Zanthe schließlich dort an, wo Matt und Alastair sich laut Nick aufhalten sollten: einem Dorf namens San Augustino. Die beiden stiegen aus dem Zug. Anya hatte nur einen Koffer dabei, von dem Zanthe jede Wette einging, dass er nur mit schwarzen Klamotten gefüllt war. Ganz anders als er, der gleich zwei Koffer mit sich trug. Er kam farbenfroh in einem grünen Shirt und weiß-blau-karierten Drei-Viertel-Shorts daher, wohin Anya wie immer auf Totenköpfe, diesmal mit Blut verschmiert, und das gewohnte Schwarz setzte. Die sah sich sofort um. „Wehe, wenn der nicht kommt!“ „Ich würde es ihm nicht verdenken. Wer will dich schon als Besuch?“ „Schnauze!“   Aber da, unvermittelt erblickte sie ihn! Er lehnte an der Wand des kleinen Gebäudes, welches sich gegenüber der Gleise befand. An jenem angebaut war ein zweistöckiger Turm samt Uhr, die allerdings eine ganz falsche Zeit wiedergab, nämlich Punkt Mitternacht. Anya beschleunigte ihren Schritt und warf nebenbei ihren Koffer nach hinten, den Zanthe ungewollt und prustend mehr mit seiner Brust denn seinen Händen auffing und dabei noch seine eigenen Koffer fallen ließ. Als Matt die beiden bemerkte, stieß er sich von der Wand ab und kam Anya entgegen. Die machte, als er in ihrem unmittelbaren Umfeld angekommen war, einen hastigen Schritt nach vorn und umschlang den Schwarzhaarigen mit beiden Armen. „Summers, altes Haus! Lange nicht mehr gesehen!“, rief sie gelassen. Sie merkte genau, wie er zusammenzuckte, als sie ihre Umarmung intensivierte. Ein schadenfrohes Grinsen zierte daraufhin ihre Lippen und sie drückte noch fester zu. Um genau zu sein so fest, dass die nächste Stufe ihm definitiv etwas brechen würde. „Ich freue mich auch dich zu sehen“, gab der junge Mann schicksalsergeben von sich, „kannst du mich jetzt loslassen?“ „Nein“, kam es kühl zurück, „sei froh, dass meine Anya Bauer-Wurstpresse dich noch nicht umgebracht hat. Warum zur Hölle hast du dich nie bei mir gemeldet, huh!?“   Jetzt erst löste sie sich von Matt und stieß ihn weg, bemaß ihn dabei mit einem genauen Blick. Sein dunkles Haar war wie immer nach hinten gekämmt und zu spitzen Strähnen gegelt, dazu hatte er ein weißes Hemd unter einer legeren Lederjacke an. So kannte sie ihn gar nicht, sonst rannte er immer in einem schwarzen Mantel herum.   Matt rieb sich mit finsterem Blick über den Arm. „Andere Dinge hatten Priorität.“ „Ach ja? Ich dachte wir wären jetzt Freunde!“ Anya stemmte betonend die Hände in die Hüften. „Sind wir auch. Allerdings bedeutet das nicht automatisch, dass ich dir permanent Gefallen schuldig bin.“ Nebenbei gesellte sich Zanthe zu den beiden. „Wow, du kennst sie also gut genug um zu wissen, dass sie sich nur meldet, wenn sie etwas von einem will.“ Ertappt fauchte Anya ihren Begleiter an: „Halt deine Klappe, du Wannabe-Ginger!“ „Ich was?“, wiederholte Zanthe irritiert, die Anspielung auf Anyas Lieblings-Werwolf-Film nicht verstehend. „Wer ist das überhaupt?“ Auf Matts Frage hin antwortete Anya: „So eine Art Anhängsel, das eventuell mal nützlich wird.“ Zanthe musste trocken auflachen. „Eventuell sagt sie …“ 'Sie' hatte sich längst wieder Matt vorgenommen. „Also, was hast du zu deiner Entschuldigung zu sagen, Summers!?“ Mit den Schultern zuckend, erwiderte Matt desinteressiert: „Nichts. Du wirst es vielleicht verstehen, wenn du -es- siehst. Komm erstmal zum Wagen mit und erklär' mir, wie Nick uns gefunden hat und was so wichtig ist, dass ihr extra dafür hierher nach San Augustino reist.“   Das gesagt, drehte er sich um und schritt vorwärts vorbei an den Bänken und der Laterne, die bereits ihr Licht auf den Steig scheinen ließ. Anya rannte ihm hinterher, gefolgt von Zanthe, der mürrisch das ganze Gepäck schleppen musste. Als Anya Matt eingeholt hatte, sagte sie: „Nick hat eure Duel Disks ausfindig gemacht. Neulich hat sich die Narbenfresse mit irgendwem duelliert, daher wusste Nick, dass es euch in dieses Kaff verschlagen hat.“ „So ist das also. Ich hatte mir immer gedacht, dass der Typ irgendwas verheimlicht. Und er heißt Alastair, klar?“ „Tch, seit wann so empfindlich!?“ Dann begann Anya zu erzählen. Sie erreichten den VW-Bus des Dämonenjägers, da war Anya noch nicht einmal zu dem Punkt gekommen, wo sie sich dem Sammler im Duell stellte. Gelangweilt von ihrem untypischen Redefluss voller vulgärer Wörter betrachtete Zanthe den blauen Himmel, der bereits erste rote Spuren in sich trug. Die sich ganz schön ausgeweitet hatten, als Anya zum Ende kam. Matt hatte die ganze Zeit vor ihr an der Fahrertür gelehnt gestanden und keinen Mucks von sich gegeben. „Und deswegen müsst ihr diesen Typen für uns beschwören!“ „Woher wisst ihr, dass wir das können?“, lautete seine erste Frage. Er machte sich offensichtlich gar nicht erst die Mühe, sich lang und breit über Anyas Verfehlungen hinsichtlich des Sammlers auszulassen. „Das Pennerkind hat da sowas erwähnt.“ „Du meinst Henry?“ Matts Ausdruck wurde plötzlich düster. „Hat er euch auch gesagt, wen wir für ihn beschworen haben?“ Anya nickte mit grimmiger Mimik. „Was denkst du denn, von wem er damals diese hier hatte?“ Sie zeigte Matt die drei Karten vor, die damals im Turm von Neo Babylon dafür gesorgt hatten, dass die Gruppe Edens paralysierendem Bann entkommen war und sich gegen Another und Isfanel auflehnen konnte. „Damals wollte er, dass wir darüber kein Wort verlieren. Aber die Dinge ändern sich anscheinend. Also gut, wir werden versuchen dir zu helfen, diesen Drazen zu finden“, lenkte Matt schließlich ein, „aber dann lässt du uns in Ruhe, okay?“ Damit ließ er eine verdutzte Anya zurück und stieg in den VW-Bus ein. Ehe er die Tür zuknallte, rief er auffordernd: „Los, steigt ein.“ Seine beiden Gäste umrundeten den Wagen halb, da blieb Anya vor den Türen des Laderaums stehen und blockierte Zanthe den Weg: „Vorne ist nur für mich Platz. Du gehst da rein.“ Demonstrativ öffnete sie ihm, beziehungsweise eher noch dem Gepäck, die Tür und präsentierte eine vollkommen leere Ladefläche. Zanthe sagte gar nichts und stieg einfach ein, sodass Anya die Türen hinter ihm zuknallte und sich zum Beifahrersitz bewegte.   Nachdem sie sich angeschnallt hatte, begann die Fahrt. Anya fiel auf, dass die ganzen Anhänger und Kruzifixe fehlten, die an dem, dank der fensterlosen Türen, nutzlosen Rückspiegel einst gehangen hatten. Das veranlasste sie, sich umzudrehen und noch einmal in die Ladefläche zu schauen, wo Zanthe sich im Schneidersitz hingesetzt hatte und sie fragend anstarrte. Die Waffenkiste fehlte. „Sag mal, hab ich was nicht mitbekommen, oder habt ihr mit eurem ganzen Kram einen Flohmarkt veranstaltet?“ „Wir haben aufgehört.“ Sofort wirbelte Anya verblüfft herum und sah Matt an. „Im Ernst?“ „Ja. Wir haben nach Urilas Angriff auf Livington noch eine Weile weitergemacht“, erwiderte der tonlos, „aber es war nicht mehr dasselbe. Für keinen von uns.“ Er lachte bitter auf. „Um ganz ehrlich zu sein haben wir erkannt, dass wir einfach nicht gut in dem sind was wir tun. Das waren wir noch nie. Uns unterlaufen permanent Fehler, die andere Menschen in Gefahr bringen. Gerade die Sache mit Eden und alles danach. Das hat sich unter den anderen Dämonenjägern herumgesprochen. Wie unprofessionell wir sind.“ Zanthe beugte sich von hinten über die beiden Sitze. „Ach lasst die doch quatschen. So schlecht könnt ihr nicht sein, wenn ihr immer noch lebt.“ „Gerade Alastair hat das zunehmend zu schaffen gemacht. Er hat angefangen, seine Methoden infrage zu stellen.“ Die Blonde auf dem Beifahrersitz rümpfte die Nase. „Zurecht. Dämonen jagen schön und gut, aber die Narbenfre- Big Al ist doch etwas zu krass drauf gewesen.“ „Das hat er mittlerweile auch eingesehen. Deswegen hat er sich entschieden, seine Kräfte auf andere Sachen zu konzentrieren.“ Matt seufzte tief. „Und ich bin mitgezogen, hatte auch Gründe um aufzuhören. Komisch, normalerweise enden Dämonenjägerkarrieren tödlich. Bis auf Alectors halt. Den werdet ihr vielleicht auch kennenlernen, wohnt nämlich auch hier.“ Anya spitzte neugierig die Ohren. „Was waren deine Gründe?“ „Nicht so wichtig“, wiegelte er ab. Doch sie bemerkte sofort diese unterschwellige Kälte, die zwischen den Zeilen stand. Da Anya das Gefühl kannte, über bestimmte Dinge nicht reden zu wollen, beließ sie es dabei. Stattdessen wechselte sie das Thema. „Und wie ist dieser Alector so?“ „Wie man sich einen pensionierten Dämonenjäger so vorstellen würde“, erwiderte Matt wieder besser gelaunt, mit hellerer Stimme, „misstrauisch, mürrisch, menschenscheu – meistens, aber nicht immer. Bei ihm glaub ich allerdings, dass er schon immer so war.“ Zanthe blinzelte. „Ich glaube der Name sagt mir was. Das war doch der, der ein ganzes Rudel meinesgleichen alleine ausgelöscht hat.“ Dass Zanthe gelegentlich Pelz trug, hatte Anya Matt während ihrer Geschichte ebenfalls erzählt. „Jap. Das war aber, bevor er angefangen hat uns auszubilden. Beziehungsweise Alastair, er und ich haben uns nur hin und wieder mal gesehen.“ Der Werwolf gab ein nachdenkliches Geräusch von sich. „Hmm. Ich hoffe, er wird mir nicht gleich an die Gurgel gehen.“ „Du bist 'Vegetarier', also stehen die Chancen nur zu 95%, dass er dich umbringen wird.“ „Oh, na dann …“ Matt lachte auf. „Keine Sorge. Als Freund von uns genießt du Immunität. Ich weiß nur noch nicht, wie ich ihm das verklickern soll.“ „Dir fällt sicher etwas ein“, sagte Zanthe darauf optimistisch. „Wäre übrigens nett, wenn ihr dafür sorgen könntet … ihr wisst schon. Ist'n bisschen eilig, hehe.“ Sofort verstand Matt. „Ist die Zeit ran?“ „Ja. Die ersten Symptome zeigen sich schon. Kopfschmerzen, Gereiztheit … aber ich versuch mein Bestes, mir nichts anmerken zu lassen.“ Anya hingegen verstand jedoch nicht, worum es ging. „Huh?“ „Er braucht Fleisch. Viel Fleisch“, erklärte Matt, „und Blut. Weißt du, Werwölfe sind rein körperlich nicht unbedingt von der Jagd abhängig. Sie können ohne das alles existieren. Es geht mehr um den psychologischen Effekt. Wenn sie lange Zeit nichts reißen, beginnt ihr Verstand zunehmend zu verwildern. Je größer und schwerer die Beute zu erlegen ist, desto länger bleiben sie anschließend 'clean'.“ „Menschen sind die besten Opfer, weil sie einen besonderen Effekt erzielen. Bevor man Werwolf war, waren sie tabu, verstehst du? Deswegen werden Werwölfe von Dämonenjägern gejagt.“ Zanthe sah Anya ernst in die Augen, als die sich zu ihm umdrehte. „Weil die meisten die Kontrolle über sich verlieren und dem Drang erliegen, das zu reißen, was sie vorher nie durften. Dann gewöhnen sie sich dran und verfallen sozusagen in Muster. Wer als Werwolf einmal Menschenblut leckt, ist nahezu unmöglich wieder davon wegzubekommen.“ Anya nickte verständig. „Und du brauchst jetzt was zu fressen, Flohzirkus?“ „Bingo. Tote Beute ist leider nicht sehr befriedigend, es muss schon was sein, was wegrennen kann.“ „Ich werde mir was überlegen“, versprach Matt, der bisher noch keine Erfahrungen mit 'vegetarischen' Werwölfen gemacht hatte.   Dann begann das große Schweigen. Anya wunderte sich über das seltsam distanzierte Verhalten Matts. Hatte es damit zu tun, was damals vorgefallen war? Ihr Verrat? Vielleicht hatte er ihn schwerer verdaut als sie angenommen hatte. Aber sie hatte sich doch damals entschuldigt, als Urila in Livington eingefallen war und die Anwohner einer Monstertransformation unterzog.   Grübelnd beobachtete sie die Gegend. Es hatte sich herausgestellt, dass der Bahnhof etwas abgelegen vom eigentlichen Ort lag. Sie fuhren auf einer ländlichen Straße Richtung San Augustino. Die saftige Grün der Wiesen um sie herum gab Anya erst recht das Gefühl, in einem Kaff gelandet zu sein. Auf dem Weg fuhren sie an einer weiß gestrichenen, kleinen Kapelle vorbei, wodurch Anya sich an etwas erinnerte. „Hey, Summers, wieso seid ihr nicht mal zu Redfields Hochzeit gekommen?“ „Wir hatten keine Lust auf Geiselnahmen“, erwiderte Matt mürrisch. Anya schnaubte, da sie vergessen hatte, ihm auch von der missglückten Trauung zu berichten. „Das konnte vorher keiner wissen! Und scheiß auf das, was die Zeitungen schreiben, wie immer ist das eine von Redfields Geschichten. In Wirklichkeit waren das Dämonenjäger, die genauso krass drauf waren wie Big Al, als er noch ein Psycho war.“ „Aha.“ Matt schien kurz zu überlegen, ob er noch etwas hinzufügen sollte, entschied sich schließlich dafür. „Verstehst du nun, warum wir das nicht mehr mitmachen wollen? Irgendwann verliert man seine Menschlichkeit.“ „Die waren noch blutjung, jünger als du“, warf Zanthe nachdenklich ein. „Du hättest sie sehen müssen, gerade das Mädchen …“ Der Schwarzhaarige reagierte geradezu gehässig: „Das geht mich nichts mehr an.“ „Scheiße, Summers. Irgendwie bist du heut' nicht gut drauf“, zischte Anya und legte beleidigt ihren Kopf auf die Handfläche, während sie demonstrativ wegschaute. Sie rechnete mit einem fetten Seitenhieb, doch der blieb überraschenderweise aus. Obwohl Matts Wortlosigkeit gewiss nicht besser war.   San Augustino war ein verschlafenes Nest, wie Anya feststellte, als sie den Ort durchquerten. Kaum Leute auf den Straßen, aber woher auch, sonderlich viele Häuser gab es sowieso nicht. Die standen alle so weit auseinander, dass man glauben wollte, die Einwohner würden sich bewusst meiden. Mehr als einen Supermarkt, eine Arztpraxis und ein kleines Rathaus gab es gar nicht. Und kaum hatten sie das Dorf kennengelernt, da verließen sie es auch schon wieder Richtung eines Waldes. Gut drei Minuten später hielt der VW-Bus und dessen Insassen stiegen aus. Zanthe sprang von der Ladefläche und ließ das Gepäck zurück, da er es nur als angebracht empfand, dass Anya jetzt mal mit Schleppen dran war. Kräftig genug war sie allemal. Überrascht betrachtete er das dreistöckige, weiße Gebäude vor sich. Weiter entfernt zur Linken stand ein kleiner Schuppen, in dem sich scheinbar zwei Personen unterhielten. „Was ist das hier?“, fragte Zanthe, als Matt ausstieg. „Ein Hotel? Hmm, also einladend sieht anders aus. Da geht ja schon teilweise die Farbe vom Holz ab.“ „Das ist ein Waisenhaus. Hier leben ich, Alastair und Alector zusammen mit zwei Erzieherinnen und genug Kindern, um drei Schulkassen zu füllen.“ Anya und Zanthe traten neben Matt. Erstere traute ihren Ohren kaum. „Ein was? Was zum Geier wollt ihr denn hier?“ „Wir sind so etwas wie … Mitarbeiter.“ Anya klappte die Kinnlade herunter. „Nicht dein Ernst! Oh-mein-Gott!“   Irritiert wandten die anderen beiden sich zum Schuppen um, wo ein Mann so groß wie ein Baum zusammen mit einem Kind heraustrat. Das Junge hielt ein Kaninchen auf dem Arm und streichelte es liebevoll. Wie ein stolzer Vater sah Alastair ihn an. Der Hüne hatte langes, schwarzes Haar, das er nicht wie gewohnt zu einem Zopf gebunden hatte, sondern offen trug. Mehr als ein durchgeschwitztes weißes Feinrip-Hemd und eine ebenso schmutzige Hose sowie quietschgelbe Gummistiefel hatte er nicht an. Auffällig waren die vielen Narben, die seinen ganzen Körper zierten. „Sag mir, dass das nicht dein Ernst ist“, stotterte Anya bei dessen Anblick. Matt warf ihr einen scharfen Blick zu. „Wie du weißt, ist Alastair selbst mal ein Waisenkind gewesen. Als wir uns entschieden hatten aufzuhören, hatte Alector vorgeschlagen, uns hier nützlich zu machen. Wie dir sicher auffällt, geht es dem Haus nicht besonders gut.“ „Das ist oft so, weil es einfach zu viele Waisen und zu wenig Unterstützung vom Staat gibt“, murmelte Zanthe, „tut mir leid, hätte ich das gewusst, hätte ich nicht so abfällig gesprochen.“ Der Ex-Dämonenjäger winkte ab. „Schon gut. Al arbeitet hart. Er pflanzt Gemüse an, repariert vieles und kümmert sich auch um die Kinder.“ Anya wagte es kaum, etwas Negatives zu sagen. Wahrscheinlich würde Matt sie postwendend zurück nach Livington schicken, was sie sich nicht leisten konnte. Also wählte sie ihre Worte mit Bedacht. „Aber ist das nicht total öde?“   „Nein.“ Alastair war auf die Drei zugekommen und sah Anya zunächst missbilligend an, ehe er sich dem Haus zuwandte, geradewegs weg von Zanthe, der gerade mit großen Augen die Hand ausstreckte. „Ein Leben ohne Eltern ist schwer. Vielleicht weißt du, dass ich meine durch Anothers Intrigen verloren habe. Hier kann ich wenigstens anderen Kindern, die ohne Eltern aufwachsen, eine möglichst schöne Kindheit schenken. Es gibt keinen besseren Ort für mich.“ „Alector leitet dieses Waisenhaus, er hat es mit seinen Ersparnissen zu dem gemacht, was es heute ist“, erklärte Matt und Anya wagte es nicht, 'eine Bruchbude?' zu fragen. „Wir sollten ihn treffen.“ „Er ist in seinem Büro“, meinte Alastair und ignorierte die Hand, die Zanthe ihm schon die ganze Zeit zur Begrüßung hinhielt. Die beiden Möchtegern-Normalos, wie Anya sie jetzt heimlich titulierte, gingen zum Eingang des Hauses, während die Blonde auf der Stelle vor dem VW-Bus verharrte und die Stirn runzelte. „Scheiße, die sind eiskalt Spießer geworden.“ „So spießig können sie nicht sein, der hat mir nicht mal Tag gesagt“, zeigte sich Zanthe beleidigt. Anya sah ihn verwirrt an. „Hä? Matt hast du gar nicht die Hand gegeben.“ „Der sieht aber auch nicht zum Anbeißen aus“, rümpfte Zanthe die Nase und folgte den beiden 'Erziehern' ins Innere des Waisenhauses, „aber so leicht geb' ich nicht klein bei. Auf zu Runde 2!“ Anya sah ihm fassungslos hinterher. „Mal ehrlich, sieh ihn dir an! In den haben schon viel zu viele hineingebissen!“ Sag bloß, der Flohzirkus stand auf die Narbenfresse? Ihr wurde regelrecht übel bei der Vorstellung, wie diese beiden sich näher kamen. Levrier erschien in seiner allseits von Anya ungeliebten [Gem-Knight Pearl]-Form und klatschte in die Hände. Immer wenn ich denke, mich kann nichts mehr überraschen, kommen du oder deine Freunde und bringen Schwung in mein tristes Kartenleben.   „Für einen Tag sind das echt ziemlich viele Sachen, die ich verdauen muss …“ Levrier hörte auf zu klatschen und schlug einen ernsteren Ton an.   Ich fürchte, auf dich kommt noch mehr zu, Anya Bauer.   „Du meinst Matt? Er ist komisch drauf …“ Ihn auch. Etwas steht zwischen euch beiden, das dürftest du sicher bemerkt haben. Aber mehr Sorgen mache ich mir um diesen Alector. Ich hoffe, er wird sich nicht in unsere Angelegenheiten einmischen.   Anya pfiff verächtlich und machte sich nun auch auf, diese Bruchbude von Innen kennenzulernen. „Wenn er das tut, lernt er mich kennen.“   Sofern er nicht schon mehr über dich weiß, als dir lieb ist …   Levrier verschwand. Als Anya im Flur ankam, wurde sie von einem kleinen Jungen angerempelt, der jauchzend von einem etwas älteren Mädchen verfolgt wurde. „Hey, ihr kleinen Kröten, macht das nochmal und hier werden ganz schnell zwei Betten frei!“, fluchte Anya ihnen wütend hinterher. Dass sie dadurch Matts und Alastairs böse Blicke erntete war ihr dabei ziemlich egal. Die beiden führten sie und Zanthe eine Treppe hinauf ins zweite Stockwerk, wo es einmal um die Ecke ging, ehe sie vor Alectors Büro standen. Matt klopfte zweimal an, ehe er sich unaufgefordert Einlass schenkte. „Ich bin wieder da“, sagte er im Hineingehen, gefolgt von den anderen.   Das Büro von Alastairs ehemaligem Lehrmeister war klein. Neben einem Schreibtisch, einem Schrank mit Aktenordnern und einer großen Stehlampe gab es hier nur ein altes, schimmelgrünes Sofa. Alector sah gerade auf den uralten, riesigen Bildschirm seines PCs und tippte etwas auf der Tastatur herum. Er würdigte seine Gäste keines Blickes. Und Anya musste zugeben, ihn sich anders vorgestellt zu haben. Wenn man sich Alastair so ansah, vermutete man, dass alte Dämonenjäger kaum noch als Menschen zu erkennen waren, doch Alector besaß bis auf eine Narbe, die quer über seiner rechten Augenbraue verlief, keinerlei sichtbare Kampfspuren. Sein Haar war bereits zu einem ärmlichen, grauen Kranz verkommen, was er durch einen gut gepflegten, kurz geschnittenen Vollbart kompensierte. „Ihr seid also die beiden, die meine Jungs in Gefahr bringen wollen“, sagte er dann endlich und sah Anya ruckartig scharf in die Augen. Die stierte unverfroren zurück. „Bingo, Opa!“ „Sie sind alt genug um selbst zu entscheiden und wenn sie dir helfen wollen, wird das seine Gründe haben“, reagierte er kratzbürstig, „aber gutheißen tue ich das nicht. Beeilt euch mit dem, was auch immer ihr vorhabt und verschwindet dann. Und wenn es zu einem Kampf kommt, dann gefälligst weit weg von hier.“ Damit richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Arbeit. „Ich muss noch etwas mit dir besprechen“, sagte Matt und warf Zanthe aus den Augenwinkeln einen undeutbaren Blick zu, „ihr könnt schon mal in die Küche gehen, es gibt gleich Abendbrot. Al wird euch alles zeigen.“   ~-~-~   Wenig später hockten Anya und Zanthe an einem kleinen Tisch in der zu einem großen Saal ausgebauten Küche des Waisenhauses. Die Blonde und der Werwolf saßen Alastair und Matt gegenüber, an den beiden Spitzen die Erzieherinnen, eine im mittleren und eine im gehobenen Alter. Sie machten einen freundlichen Eindruck und fragten die Neuankömmlinge über alles Mögliche aus, insbesondere ihre Verbindung zu Matt.   Anya warf einen Blick herüber zu den anderen Tischen, wo die lärmenden, für sie furchtbar nervigen Gören saßen. Drei jener langen Tafeln gab es für die Brut und wenn Anya bedachte, dass dieser Speisesaal nur halb so groß wie die Kantine der ehemaligen Livington High war, dafür aber randvoll, mussten hier doch bestimmt 60 bis 70 Kinder leben. „Ich habe dein Problem mit Alector besprochen“, sagte Matt an Zanthe gerichtet. Der saß vor seiner dünnen Gemüse-Suppe und bemühte sich, ein wenig davon hinunter zu würgen. Anya verstand, warum ihm das so schwer fiel, der Fraß war scheußlich. Zanthe legte den Löffel in den Teller und fasste sich an die Stirn, rieb sie sich, als habe er Kopfschmerzen. „Was sagt Daddy?“ „Du lebst noch“, merkte Matt spitz an, „heute Nacht wird er dich in den Wald begleiten. Hier gibt es viel Wild.“ Zanthe nickte verständig, wissend, dass Matt nicht zu viel wegen der beiden Damen am Tisch sagen durfte. Auch Anya kapierte es. Alector würde sozusagen mit dem Flohpelz Gassi gehen. „Benimm' dich“, riet der jüngere Ex-Dämonenjäger seinem Gegenüber. Dann wandte er sich an Anya. „Du solltest morgen nicht mit ihm rechnen, wenn es los geht. Ich werde heute noch ein paar Sachen vorbereiten. Das Ganze wird am Nachmittag stattfinden, in einer verfallenen Holzfällerhütte in der Nähe.“ „Was denn?“, fragte die ältere Erzieherin sofort neugierig, woraufhin Anya genervt aufstöhnte und sich unter dem lauten Gequassel der Kinder wieder ihrer Suppe widmete. Wenig später hatte Alastair den beiden ihr Schlafquartier gezeigt, welches sich als der Dachboden des Hauses entpuppte. Dieser war entsprechend eng und statt Betten, mussten die beiden mit Schlafsäcken auskommen, da schon die Kinder zu zweit oder gar zu dritt in Ersteren nächtigen mussten, weil es nicht genug für alle gab. Anya hatte sich bereits umgezogen und lag in ihrem Schlafsack, hielt die Hand vor die Augen, da sie direkt in die über ihr hängende Glühbirne starrte, die sie strahlend 'anlächelte'. „Wir sind echt nicht willkommen, huh?“ „Was erwartest du?“, fragte Zanthe, der sich wegen der bevorstehenden Jagd nicht umzog. Er hockte auf einer der herumstehenden Kisten, in denen er kaputtes Spielzeug entdeckt hatte. „Ich bin ein Werwolf und die drei sind Aussteiger. Den roten Teppich rollen sie für diejenigen aus, die Kinder adoptieren.“ Was wohl nicht sehr oft vorkam, wie Anya aus den Gesprächen während des Abendbrots entnommen hatte. „Nein, von der ersten Minute an“, meinte sie ärgerlich, „Summers hat sich verändert. Als ich ihn kennenlernte, war er naiv und gutmütig.“ „Vielleicht hast du ihn einfach zu oft ausgenutzt?“, stichelte Zanthe. Die Blonde drehte sich zur Seite, weg vom Nervtöter. Sie legte die Hände unter ihren Kopf und rümpfte die Nase. „Hmpf, dann soll er mir das ins Gesicht sagen. Und jetzt will ich schlafen, Nacht!“ Der junge Mann mit dem Kopftuch auf seinem Haupt seufzte theatralisch. „Wenigstens ist deiner nicht total blind.“ „Meiner!?“ Anya wirbelte alarmiert wieder herum und sah herüber zu Zanthe. „Wer?“ „Na Matt. Ach gib doch zu, dass du auf ihn stehst. Wie du ihn die ganze Zeit ansiehst und tatsächlich verletzt von seinem Verhalten bist, wo gibt es das bei dir schon? Der muss was Besonderes für dich sein.“ Was der junge Mann in diesem Augenblick beobachten konnte, war ein Schauspiel, für das jeder andere mit dem Leben bezahlt hätte. Anya lief knallrot an und brachte vor Schreck kein Schimpfwort heraus. „Bei dir hackt's wohl!“, stotterte sie und zeigte unverhohlen mit dem Zeigefinger auf ihn. „Schieß' nicht von mir auf andere! Du bist scharf auf die Narbenfresse, nicht ich auf Matt!“ Zanthe korrigierte sie spitzzüngig: „Es heißt 'schließ nicht von dir auf andere', werte Anya. Und ja, bin ich. Aber bis der bemerkt, dass ich mich mit ihm unterhalten will, sind die Kinder hier Rentner. Ich sag dir, der ist garantiert noch Jungfrau!“ Anya wirbelte sofort wieder herum und zog die Decke über den Kopf. Denn jetzt war der Punkt erreicht, wo jedes weitere Wort die Sache nur noch schlimmer machen könnte. Allein der Gedanke, dass Big Al … brrr! „Bist du noch Jungfrau?“ Shit!   ~-~-~   Anya stöhnte und streckte sich erstmal ausgiebig in ihrem Schlafsack, ehe sie ihren Oberkörper aufraffte. Irgendwas hatte sie geweckt, wahrscheinlich dieses ätzende Kindergelächter draußen. Es war schon hell, wie ein Blick aus dem Fenster des Dachbodens verriet. Sie erinnerte sich. Zanthe war kurz nach dem peinlichen Gespräch von Alector abgeholt worden. Neugierig drehte sie sich um, doch er lag nicht in seinem Schlafsack. Ob er schon zurück war?   Nachdem sie sich umgezogen und im von Kindern überfüllten Bad frisch gemacht hatte, schlenderte sie die Treppe hinunter in das große Wohnzimmer, wo sich die Waisen am Tage über hauptsächlich aufhielten. Matt spielte mit dreien ein Mensch-ärgere-dich-nicht-Match, ließ dann aber einen anderen Knirps für sich einspringen, als er Anya bemerkte. „Komm mal mit“, meinte er und manövrierte sie etwas abseits der allgegenwärtigen Ohren des Hauses in eine Ecke hinter einem Schrank voller Bücher. „Hör mal“, fing er an und packte sie dabei am Oberarm, was Anya als äußerst unangenehm empfand. „Wir werden diesen Drazen nur für dich beschwören, wenn du versprichst, dass er nicht stirbt, nachdem wir ihm die Karte abnehmen.” Anya schlug überrumpelt von der Forderung seinen Arm weg. „Hey, mach mal halblang! Der Flohzirkus lebt doch auch noch, oder nicht?“ Matt nickte, hatte ihre Aussage ihm den Wind aus den Segeln genommen. „Schätze schon.“ „Hier.“ Anya holte aus der Innentasche ihrer schwarzen Weste – eine noch recht neue Errungenschaft, die sie heute zum ersten Mal trug – eines der Ersatzpaare dieser Handschuhe, die der Sammler ihr gegeben hatte. „Die wirste brauchen.“ „Was ist das?“, fragte Matt und nahm das Paar entgegen. „Mit denen kannst du die Karte für mich krallen. Irgendwie sind die mit den Originalen verbunden, also denen, die ich benutze. Für den Fall, dass ich nicht dazu komme mich mit diesem Spinner anzulegen, kannst du damit einspringen.“ „Also bleibt es an mir kleben?“ Matt runzelte die Stirn. „Nur, wenn du ihn vor mir in die Finger kriegst! Aber Nick meinte, du wärst besser dafür geeignet als ich“, erwiderte Anya grimmig. „Frag mich nicht, was im Kopf dieses Spinners manchmal vor sich geht.“ Nachdenklich betrachtete er die weißen, fingerlosen Handschuhe mit den goldenen Nähten. „Wenn du meinst. Irgendwann nach dem Mittagessen geht es los. Wir fahren beide zur Hütte. Al ist bereits dort und bereitet schon mal alles vor, damit wir nachher nur noch die Verse sprechen müssen.“ „Zwei Fragen. Erstens: sind Alector und der Trottel schon zurück? Und Nummer zwei: Mittagessen? Was ist mit Frühstück!?“ Ein schelmisches Grinsen zierte Matts Lippen, als er sich ihrer Ahnungslosigkeit bewusst wurde. „Sorry Anya, aber das Frühstück gab's schon vor zwei Stunden. Wenn du nicht aus den Federn kommst, hast du Pech gehabt.“ Sich still und heimlich an ihrer entgeisterten Miene ergötzend, fügte er noch hinzu: „Alector ist schon zurück. Dein Freund schläft im Schuppen und kuriert sich aus.“ Die Blondine sah ihn schräg an. „Kuriert was aus?“ „Wenn Werwölfe jagen und sich verwandeln, haben sie hinterher etwas, das einem Kater gleicht. Ihnen ist übel und dergleichen.“ Matt seufzte. „In dem Zustand sollte man sie in Ruhe lassen, da es passieren kann, dass sie die Kontrolle verlieren, wenn sie bestimmten Reizen ausgesetzt werden.“ „Wird der Flohzirkus denn fit sein, wenn wir los wollen?“ „Vielleicht. Das sehen wir später.“   ~-~-~   Nach dem Mittagessen, das für Anya vor allem darin bestand, fliegenden Kartoffeln auszuweichen, fuhren sie, Matt und Zanthe los. Letzter hatte sich in letzter Minute zurückgemeldet, erschien aber immer noch blass um die Nase und dazu chronisch abwesend.   Matt fuhr sie über eine schmale Straße ein ganzes Stück weit in den Wald, ehe er schließlich vor der verlassenen Holzfällerhütte Halt machte. Die Drei stiegen aus dem VW-Bus und wurden bereits von Alastair empfangen, der sich extra zur Feier des Tages in seinen roten Mantel geworfen hatte, genau wie es Matt mit seinem schwarzen tat. „Ich hoffe du weißt, was du da tust“, knurrte er, wobei die unterschwellige Drohung durchaus von Anya nicht unbemerkt blieb. Nur zeigte sie sich davon herzlich wenig beeindruckt. Äußerlich. Sie betrachtete stattdessen lieber die Stämme, aus denen die Hütte gemacht war, als ihm ins Gesicht zu sehen. Wie konnte sie ihm auch ihre Zweifel äußern ohne zu riskieren, dass er und Matt einen Rückzieher machten? Natürlich war sie unsicher. Wer half schon gerne dem Sammler und dann auch noch in einer so umfangreichen Art und Weise? „Na sicher tu ich das“, erwiderte Anya schließlich gespielt selbstbewusst. „Mir ist übel“, jammerte Zanthe derweil und stützte sich mit einer Hand am Wagen ab. „Du hättest nicht mitkommen brauchen“, rügte Matt ihn, „bleib lieber zurück, die Schwingungen der Beschwörung könnten es noch schlimmer machen.“ Der junge Mann mit dem blauen Kopftuch winkte ab. „Ne, schon gut. Ich bin hart im Nehmen.“ „Dann jammere gefälligst nicht 'rum“, motzte Anya und betrat als Erste die Holzfällerhütte.   Das Innere war komplett leergeräumt. Das war auch gut so, in Anbetracht der Tatsache, dass Alastairs mit weißer Kreide auf die Dielen gezeichneter Bannkreis den Großteil des verfügbaren Platzes beanspruchte. Um den Kreis herum hatte er fünf noch nicht angezündete Kerzen aufgestellt, von denen ausgehend er mit roter Kreide ein Pentagramm gezeichnet hatte, dessen Inneres den weißen Kreis beherbergte. In jedem der Zacken hatte er mehrere Runen eingefasst. „Was ist das?“, fragte Zanthe. „Nun, das wirst du vielleicht noch sehen.“ Matt wandte sich an Alastair. „Wie lief der Test?“ Alastair verzog seinen Mund zu einem, dank der Narben, schiefen Grinsen. „Funktioniert selbst jetzt noch.“ „Sehr gut“, nickte sein Partner. „Denselben Fehler wie beim Sammler damals machen wir nicht nochmal.“ Anya trat neben ihn. „Welchen?“ „Ihn zu unterschätzen …“   Damit schritt Matt in die andere Ecke des Raumes, wo ein dicker Wälzer lag. Anya erinnerte sich, das war vermutlich das Grimoire, welches Urila einst für ihre Zwecke gestohlen und missbraucht hatte. Im Grunde genommen konnte man es als eine Art Wikipedia für Dämoneninfos und Zaubersprüche bezeichnen. Selbst über den Turm von Neo Babylon standen ein paar Sachen drin, wenn auch viel zu wenig, um aufschlussreiche Einblicke zu liefern. Aber wer weiß, vielleicht hatte einer der beiden dazu etwas nachgetragen? Matt bückte sich nach dem aufgeschlagen Grimoire und drehte sich zu den anderen um. „Ich werde jetzt den Beschwörungstext rezitieren. Danach sollte Drazen auftauchen. Nick hat mir mitgeteilt, dass dieser Mann wohl in der Lage ist, sich nach Belieben überall hin zu teleportieren.“ „Und wie kriegen wir ihn dann?“, fragte Anya skeptisch. „Ich mein, der haut doch sofort ab.“ Der junge Dämonenjäger lachte leise auf. „Wer weiß, vielleicht gar nicht? Das kommt auf einen Versuch an.“ „Dazu muss er aber erstmal den 'Anruf' annehmen, richtig?“, fragte Zanthe an Alastair gerichtet, doch zu seiner Enttäuschung nickte der bloß unter einem zustimmenden Brummen, während er die Kerzen mit einem Feuerzeug anzündete, statt lobende Worte zu spendieren. „Das ist die größte Hürde“, sagte Matt, „also dann, nehmen wir sie.“ Er drehte sich zu dem Bannkreis um und begann einen Text zu rezitieren, von dem Anya vermutete, dass er auf Latein verfasst sein musste. Ein Fach, das sie in der High School wohlweislich gemieden hatte und wenn sie ihn so anhörte, wusste sie auch wieso. Abwartend starrte sie mal in den Bannkreis, mal aus dem eingeschlagenen Fenster zu ihrer Rechten hinaus in den dichten Wald. Gott, wenn das nicht funktionierte, war sie sowas von am Arsch. Sollte der Typ nicht kommen, war er sicher vorgewarnt und ihn dann zu finden … Anya konnte sich nicht vorstellen, wie das gehen sollte. „Okay“, sagte Matt und schlug den Wälzer zu, „jetzt müssen wir warten.“ „Tch, und wie lange?“ „Das letzte Mal hat es einen Moment gedauert“, erwiderte er auf Anyas hibbelige Frage. Alastair, im Gegensatz zur Beschwörung des Sammlers dieses Mal unbewaffnet, lehnte sich an die Wand und schnaubte verächtlich. „Ich kann nicht glauben, dass ich dir helfe, Mädchen.“ „Immerhin bin ich nicht mehr die Schlangenzunge, huh?“, erwiderte die giftig. „Nein.“ Der Hüne sah sie aus den Augenwinkeln aufmerksam an. „Ich denke, ich muss mich bei dir entschuldigen.“ Das machte die Blonde hellhörig. Sie kratzte sich am Hinterkopf und fragte: „Wofür?“ „Dafür, dich ins Unheil gestürzt zu haben. Matt hat mir erzählt, was der Collector dir angetan hat. Wäre ich nicht gewesen und hätte damals versucht, dich umzubringen, hättest du nie einen Pakt mit Levrier geschlossen und wärst nun der Spielball dieses Teufels.“ Anya sah plötzlich betreten zur Seite. „Entschuldigung angenommen. Stimmt, du bist schuld, aber ich hab dich damals im Turm verarscht und wollte dich opfern. Dann sind wir quitt, okay?“ Ein Nicken der anderen Seite zusammen mit einem zustimmenden Raunen bezeugte den nun endgültig beigelegten Krieg der beiden, was Matt mit einem zufriedenen Lächeln hinnahm. Was Anya nicht unentdeckt blieb, woraufhin sie die Vermutung anstellte, dass der Schwarzhaarige seinem Kumpel wohl gestern ordentlich ins Gewissen geredet haben musste. Und ganz ungewollt verließ ein Gedanke ihre Lippen. „Aber eigentlich ist es okay. Wenn es nicht mich getroffen hätte, dann bestimmt jemand anderes. Levrier hätte sich einen anderen gesucht. Bei mir weiß man wenigstens, dass ich am Ende heil rauskomme. Hat einmal geklappt, wird wieder klappen.“ „Das wirst du“, sagte Matt, „dafür sorgen wi-“   Grelles Licht begann von dem Bannkreis auszugehen und unterbrach ihn. Stattdessen rief er nun aufgeregt: „Er hat geantwortet!“ „Kommt er!?“, wollte Anya wissen und hielt sich wie die anderen einen Arm vors Gesicht. „Na wonach sieht's denn aus?“, fragte Zanthe bissig. Dann begann er unvermittelt zu würgen und tat etwas, bei dem die anderen sich bewusst abwandten. „Nicht nach dem, was ich erwartet hatte …“ Die Vier senkten die Arme, als das Licht verblasste. Im Bannkreis stand er, ein in die Jahre gekommener, hoch gewachsener Mann, der diese Worte gesprochen hatte. Weißes, langes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, trug er einen orange-roten Poncho und sah seine Gegenüber neugierig aus seinen Brillengläsern an. „Eine merkwürdige Gruppe“, schien er ganz in einem Selbstgespräch versunken, „zwei Grünschnäbel, ein Werwolf und … oh, du gefällst mir.“ Anya klappte die Kinnlade hinunter, als er sie direkt ansprach. Dann knirschte sie entnervt mit den Zähnen. „Oh na großartig, ein notgeiler Opa! Dir werd' ich den Arsch bis zum Nacken aufreißen, du-!“ „Sind Sie Drazen?“, übertönte Matt Anya, obwohl er die Antwort kannte. Mit der brüstete der Alte sich auch. „Der einzig wahre.“ „Wir wollen-!“   Puff. Er war verschwunden, ehe Matt auch nur seinen Satz hatte zu Ende bringen können. Einfach weg, als wäre er nie da gewesen. „Scheinbar interessiert ihn nicht, was wir wollen“, erhob sich Zanthe aus seiner gebückten Haltung und wischte sich über den Mund. „Das wird es“, knurrte der Schwarzhaarige nun gereizt und zog aus der Brusttasche seines Mantels eine weiße Karte hervor – und war einen Moment später ebenfalls wie vom Erdboden verschluckt. Und Anya stand da und glotzte wie eine Kuh wenn's donnert. „Was zum Geier geht denn hier ab!?“ Das Lachen des Hünen reizte sie dabei nur noch mehr. Er sagte: „Matts Plan …“   ~-~-~   Eine Lichtung, sie war nur wenige Schritte von ihm entfernt. Wie weit die Holzfällerhütte jetzt weg war, wusste Matt nicht. Was er aber wusste war, dass der Mann, welcher mit dem Rücken zu ihm gewandt seelenruhig auf der Stelle verharrte, diesen Wald nicht so schnell verlassen würde wie ihm lieb war. „Oh, ich hätte schwören können, dass ich nach Madrid wollte“, wunderte sich Drazen lauthals. „Hier ist Endstation“, erklärte Matt, „als Sie der Beschwörung geantwortet haben und erschienen sind, haben Sie automatisch einen Zauber aktiviert, der Sie in einem Umkreis von zwei Kilometern festhält.“ „Und du hast mich sofort gefunden?“ Matt trat aus dem Schatten eines Baums hervor. „Natürlich wurde dabei gleichzeitig ein Markierungszauber freigesetzt. Selbst wenn Sie sich jetzt hin und her teleportieren würden, ich könnte Ihnen problemlos überall hin folgen.“ Es hatte ihn die ganze Nacht gekostet, die dafür nötigen Zauber herzustellen, aber scheinbar hatte es sich bezahlt gemacht. Alastair hatte gute Arbeit geleistet, die Siegelkarten innerhalb des ganzen Waldes an den Knotenpunkten anzubringen, was ein notwendiges Übel war, da diese Art von Zauber nur großflächig funktionierte und eigentlich für ganz andere Zwecke gebraucht wurde. Matt hoffte nun, dass keine bösen Überraschungen auf ihn warteten.   Der weißhaarige Mann im Poncho drehte sich langsam um. Als er Matt aus der Ferne der Lichtung gegenüber stand, wirkte er keinesfalls beunruhigt oder angespannt, im Gegenteil, er lächelte vergnügt. „Für dein Alter bist du ziemlich gewitzt“, lobte er den Ex-Dämonenjäger, „das alles auf die Beine zu stellen. Du weißt scheinbar ziemlich gut über mich und meine Fähigkeiten Bescheid.“ Matt verharrte verkrampft auf der Stelle. „Wir hatten einen guten Informanten.“ „Ich möchte wetten, das war der junge Mann von damals. Rick? Nein, nein, Nick!“   Matt zog erstaunt die Augenbrauen an. Nick und dieser Drazen kannten sich? Das hatte Anya ihm nicht erzählt. Aber jetzt, wo er darüber nachdachte, natürlich! Diese ganzen Daten, die hatte Nick ihnen bereit gestellt. Langsam ergaben die Puzzlestücke ein großes Ganzes. Nick musste ihn von früher kennen und daher um seine Kräfte wissen. Deshalb schien Anya auch keine andere Wahl gehabt zu haben, als sich an ihn und Alastair zu wenden, denn jemanden wie Drazen konnte niemand so einfach aufspüren, auch Nick nicht. Bloß woher kannten sich die beiden? Wollte Nick womöglich nicht, dass ihre Verbindung entlarvt wurde und war deshalb zuhause geblieben? Die Stirn runzelnd, atmete Matt tief durch. Dieser Kerl war ihm wirklich ein Rätsel. So zu tun, als wäre er minderbemittelt und insgeheim mit Leuten von Drazens Schlag verkehren? Andererseits, stille Wasser waren tief und schmutzig … Aber erst einmal hatten andere Dinge Priorität. Nebenbei streifte er sich die Handschuhe über, die er von Anya erhalten hatte. Dabei begriff er auch, dass Nick diesen Ausgang offenbar vorgesehen oder gar beabsichtigt hatte. Es war einerseits nur nachvollziehbar, denn Anya war nicht dazu imstande, Drazen überhaupt zu folgen. Und dennoch vermutete Matt noch einen anderen Hintergedanken dabei, ohne jedoch die genaue Richtung benennen zu können, in die jener gehen könnte.   „Also“, begann Matt und hob den Arm, an dem sein D-Pad befestigt war, ließ das Gerät leise zischend ausfahren, „Sie wissen bestimmt, was ich von Ihnen will.“ „Natürlich“, erwiderte Drazen freundlich und hob den rechten Arm unter dem Poncho hervor, an dem eine Duel Disk im Stil der Duellakademien befestigt war, „jetzt, wo ich nicht mehr wegrennen kann, habe ich wohl keine Wahl, als mich hierauf einzulassen. Ihr Kids werdet immer verrückter, was eure Sucht nach Duellen angeht.“ Matt verengte die Augen zu Schlitzen. „Tun Sie nicht so.“ „Was meinst du?“, kam es unbeschwert als Antwort. „Beschwörungszauber funktionieren bloß, wenn das Ziel einwilligt.“ „Ist das so? Das wusste ich gar nicht. Ha ha, selbst im Alter lernt man noch dazu.“ Der Alte rieb sich den Kopf verlegen. „Wie peinlich. Hätte ich das gewusst …“ Derweil seufzte Matt leise. Von wegen! Jemand von seinem Kaliber wusste ganz genau von solchen wichtigen Details, dessen war er sich sicher. Er hatte bewusst auf den Ruf geantwortet. Natürlich konnte er vorher nicht wissen, wer ihn gerufen hatte. Aber als jemand, der nie lange an einem Ort verweilt und Kontakte mit anderen meidet, auf so etwas zu antworten? Das musste einen Grund haben. Matt gefiel das alles nicht.   Im Wald war es unter dem Mantel des unsichtbaren Bannkreises mucksmäuschenstill. Diese Stille wurde gestört, als Drazen seine Duel Disk ausfahren ließ. „Nun denn, es ist nicht mehr zu ändern. Duellieren wir uns, in Ordnung? Wenn du gewinnst, erhältst du, was du so sehr begehrst.“ „Ich tue das nicht für mich“, stellte Matt klar, „sondern weil ich es jemandem versprochen habe.“ „Meinst du damit das freche Huhn? Oder etwa … du weißt schon, das Geheimnis, das du vor allen zu verbergen versuchst.“ Matt zeigte keine Regung. „Keine Sorge, meine Lippen sind versiegelt. Aber du weißt, dass dir -das- nichts Gutes bringen wird, oder? Dass das ein sehr gefährlicher Pfad ist.“ Der junge Mann hielt dem Blick seines Gegners fest stand. „Ich weiß nicht, was Sie meinen.“ Obschon sie einander nicht kannten, spürte Matt die Besorgnis förmlich, die ihm entgegen gebracht wurde, ging dennoch nicht weiter auf Drazens Worte ein. „Beginnen wir doch einfach“, schlug dieser letztlich vor, „vielleicht ergibt sich noch die Chance, uns gegenseitig auszutauschen.“ Matt löste seine Fixierung auf sein Gegenüber und so riefen beide im Chor: „Duell!“   [Matt: 4000LP / Drazen: 4000LP]   Beide zogen fünf Karten von ihren Decks. „Möchten Sie den ersten Zug machen?“, bot Matt an. Die Geste erstaunte seinen Gegner. „Oh? Das ist sehr zuvorkommend von dir. Da nehme ich doch gerne an.“ Sogleich zog Drazen auf. Es erstaunte Matt, dass jener gar nicht erst irgendwelche Hintergedanken vermutete. Welche es im Übrigen tatsächlich nicht gab. Der junge Mann wusste selbst nicht genau, warum er diese Offerte gemacht hatte. Etwa um Drazens Worte zu entkräften? „Dann setze ich dieses Monster und dazu eine Karte verdeckt“, meinte dieser und legte beide auf beziehungsweise in seine Duel Disk ein. Surrend materialisierte sich vor seinen Füßen in vergrößerter Form eine vertikal nach unten gerichtete Karte und direkt vor jener noch eine horizontal liegende, ebenfalls mit dem Bild nach unten zeigend.   Matt griff nach seinem Deck und zog. Ein kalter Schauder überkam ihn, als er die Karten in seiner Hand ansah. „Stimmt“, murmelte er. Seit damals auf dem Hinterhof jenes Bestattungsunternehmens hatte er sich nicht mehr duelliert. Sein altes Deck war fast vollständig fort, jetzt besaß er nur noch diese Karten – die Evilswarm. Es bereitete ihm großes Unbehagen, sich jetzt wieder mit diesen bösartigen Karten duellieren zu müssen. Trotzdem, er hatte es versprochen. Also würde er das hier durchziehen. Zumal er sich ohnehin immer bewusst gewesen war, dass er früher oder später zu diesen Karten greifen würde müssen. Nun war der Tag gekommen. „Ich beschwöre [Evilswarm Heliotrope]!“, rief er laut aus und knallte jenen auf das D-Pad. Vor ihm tauchte ein finsterer Krieger in dunkelgrüner Rüstung auf, mit einem Schwert bewaffnet. In seiner Brust war ein unreiner Smaragd eingelassen – er war die vom Verz-Virus infizierte Version von Anyas [Gem-Knight Emerald]. Alle Monster in seinem Deck waren korrumpierte Kreaturen aus anderen Themendecks …   Evilswarm Heliotrope [ATK/1950 DEF/650 (4)]   Da Heliotrope ein normales Monster war, blieb Matt nur eins zu tun. „Greif sein verdecktes Monster an!“ Sofort stürmte der Krieger los. Doch mitten auf seinem Weg schnellte etwas unter dem Boden hervor, mit dem der düstere Ritter zusammenstieß. Torkelnd wich er zurück, wobei Matt leise erschrak. „[Scrap-Iron Scarecrow]!“, benannte Drazen die Falle, die sich vor ihm erhoben hatte. Tatsächlich, das Ding, in das Heliotrope gerannt war, glich einer Vogelscheuche aus Müll. Zusammengesetzt aus einem Rohrgestell, einem Pilotenhelm und anderen Teilen. „Sie annulliert einen Angriff. Danach wird sie aber nicht auf den Friedhof geschickt, sondern setzt sich zurück auf mein Feld, wodurch ich sie in deinem nächsten Zug erneut aktivieren kann“, erklärte Drazen mit erhobenem Zeigefinger und grinste verschmitzt, „so hält man sich Feinde vom Leib.“ Die Falle glitt zurück in ihre verdeckte Position. „Oh“, murmelte Matt verblüfft. Das versprach schwierig zu werden, wenn er dieses Teil immer wieder aktivieren konnte. „Ich gebe ab.“   Drazen zog auf und runzelte argwöhnisch die Stirn. „Ich mag ja alt sein, aber nicht senil. Wieso hältst du dich zurück, Junge?“ „Ich halte mich nicht zurück, ich warte nur ab“, erwiderte Matt. Der skeptische Blick seines Gegners sprach Bände. „Wenn du meinst. Es wäre wirklich schön, wenn dies ein spannendes Duell wird. Aber vielleicht müssen wir dich erst auftauen. Probieren wir es hiermit!“ Er nahm sein gesetztes Monster von der Duel Disk und ersetzte es durch ein anderes, das er diesmal offen spielte. „Ich führe eine Tributbeschwörung durch und rufe [Scrap Golem] aufs Feld.“ Überrascht verfolgte Matt mit, wie diverse, in ihrer Größe stark abweichende Schrottteile durch die Luft flogen und einen zwei Meter großen Golem bildeten. Dessen Körper bestand aus einem alten Kühlschrank, die Arme wiederum aus Schläuchen mit darin mündenden Ventilatoren. Der Kopf schließlich war nichts weiter als eine alte Mikrowelle. Scrap Golem [ATK/2300 DEF/1400 (5)]   „[Scrap Golem] besitzt einen interessanten Effekt, den ich dir nicht vorenthalten möchte“, verkündete Drazen fröhlich, „einmal pro Zug kann er ein kleinstufiges Scrap-Monster reparieren. Dabei kann ich wählen, auf welche Spielfeldseite es beschworen wird.“ Er griff nach seinem Friedhofsschlitz und zog das geopferte Monster von dort hervor, [Scrap Searcher]. Und ehe Matt sich versah, wurde es in seine Richtung geworfen, sodass der junge Mann es zwischen Mittel- und Zeigefinger auffing. In der Zwischenzeit begann es im Inneren des Golemkühlschranks mächtig zu rumoren. „Ich bekomme es?“ „Ja“, nickte Drazen und grinste schelmisch, „im Angriffsmodus.“ Mit Unbehagen legte der Ex-Dämonenjäger die Karte auf sein D-Pad. In dem Moment klappte die Tür des Golems auf und ein aus Schrott bestehender Vogel mit mehreren Scheinwerfern am ganzen Leib flog auf Matt zu, wobei er mit ihnen die Gegend absuchte – und [Evilswarm Heliotrope] entdeckte.   Scrap Searcher [ATK/100 DEF/300 (1)]   „Oh, eins solltest du wissen. [Scrap Searcher] zerstört, wenn er spezialbeschworen wird, alle Monster seines Besitzers, die nicht wie er aus Abfällen bestehen.“ Matt erschrak, als der Vogel seine Flügel spreizte und von dort in alle Richtungen scharfe Metallstücke abfeuerte, die nicht nur [Evilswarm Heliotrope] zerfetzten, sondern auch in den umstehenden Bäumen und im Moos stecken blieben. „Verdammt!“ „Das ist doch gut geworden“, meinte Drazen im Kontrast dazu zufrieden, „dann kann ich ja jetzt unbekümmert angreifen. [Scrap Golem], vernichte deinen Kumpel!“ Stampfend kam das Müllmonster auf Matt und dessen unfreiwilligen neuen Freund zu. Ein Schlag mit der Ventilatorenfaust reichte aus, damit der Vogel in alle Einzelteile zersprang. Einige davon zischten an Matt vorbei, der überall am Körper getroffen wurde. „Argh!“, schrie er und wurde zurückgeworfen, landete auf dem Rücken.   [Matt: 4000LP → 1800LP / Drazen: 4000LP]   Seine ganze Kleidung war zerfetzt, durchtränkt von dem Blut der Schnittwunden, die sich auch in seinem Gesicht wiederfanden. Drazen seufzte. „Tut mir ja leid für dich, aber du hättest wissen müssen, dass ich mich wehren werde.“ Sein Gegner raffte sich auf und wischte sich etwas Blut direkt unter seinem linken Auge mit dem Handrücken ab. „Kein Problem. Um ehrlich zu sein werde ich das Gefühl nicht los, dass wir die Bösen sind.“ „Das … liegt wohl, wie so vieles, im Auge des Betrachters.“ Der weißhaarige Mann schloss die seinen. „Zu wissen, was irgendwann geschehen muss, reicht leider nicht. Ich wüsste gern, was -er- vorhat. Du bist am Zug, Junge.“   Matt riss förmlich die nächste Karte von seinem Deck und hielt inne. Dieser Kerl, der da so mitten auf der Lichtung stand, fast schon schicksalsergeben … hatte er gewusst, dass irgendwann der Tag kommen würde, an dem man ihn wegen seinem Artefakt stellen würde? „Haben Sie absichtlich auf den Ruf reagiert, weil Sie wussten, wohinter wir her sind?“ Drazen öffnete die Augen und lächelte mild. „Vielleicht?“ „Warum?“ „Warum nicht?“ Der alte Mann gluckste. „Hätte ja sein können, dass eine hübsche Dame die Jägerin ist.“ Matt schüttelte den Kopf. Er sah schon, das führte wohl zu nichts. Offenbar hatte Drazen zwar seine Gründe, war aber nicht bereit sie zu teilen. Noch nicht. „Dann werde ich mal meinen Zug durchführen“, kündigte Matt an und betrachtete die Falle, die er nachgezogen hatte. Er wusste, dass er in der Klemme steckte. Drazens Golem würde nächste Runde wieder diese Kombo benutzen und ihm [Scrap Searcher] unterjubeln. Noch so einen Angriff würde er nicht überstehen. Also musste er das Monster loswerden. Dummerweise war da noch Drazens Vogelscheuche, mit der er seine Angriffe verpuffen lassen konnte. „Sie duellieren sich ziemlich gut“, musste Matt anerkennen, „vorausschauend und wenige Ressourcen verbrauchend. Das sieht man selten.“ „Ich tue, was ich kann, immerhin willst du mir ans Leder“, lachte Drazen bärbeißig und schlug sich dazu auf die leicht hervorstehende Wampe. Der Jüngere grinste schlagartig. „Aber ich bin auch nicht ohne! Sehen Sie her! Ich beschwöre von meiner Hand [Evilswarm Mandragora] als Spezialbeschwörung, da Sie mehr Monster kontrollieren als ich. Und hinterher kommt [Evilswarm Thunderbird] als Normalbeschwörung!“ Zunächst wuchs vor ihm eine kleine, braune Gestalt mit weißem Haar und Blattarmen aus dem Boden, anschließend gesellte sich neben dieser ein majestätischer, schwarzer Vogel, von dessen Schopf lange, tentakelartige Auswüchse abgingen. Evilswarm Mandragora [ATK/1550 DEF/1450 (4)] Evilswarm Thunderbird [ATK/1650 DEF/1050 (4)]   Doch Matts Grinsen verging recht schnell. Stattdessen stand plötzlich Anspannung in seinem Gesicht geschrieben. Seine restlichen vier Handkarten ansehend, überlegte er, ob es noch einen anderen Weg gab. Aber dem war nicht so. Er musste es tun. „Ich erschaffe das Overlay Network!“ Damit streckte er den Arm in die Höhe. Ein schwarzer Wirbel tauchte inmitten des Feldes am Rand der Lichtung auf und sog seine beiden Monster als violette Energiestrahlen ein. „Aus meinen beiden Stufe 4-Schwärmern wird ein Rang 4-Monster! Erhebe dich, mächtiger Drache! [Evilswarm Ophion]!“ Lautes Gebrüll trat aus dem Loch, aus dem ein pechschwarzer Drache geflogen kam. Einzig die Zwischenhäute seiner Flügel waren von eisigem Blau, was allerdings am Ansatz der Schwingen in blutiges Rot überging. Der lange Schweif des Ungetüms peitschte wild, als es vor Matt landete und gierig nach den beiden Lichtsphären schaute, die es umkreisten. „Oh, das ist ja …“, staunte Drazen. Evilswarm Ophion [ATK/2550 DEF/1650 {4} OLU: 2]   „... stärker als Ihr Monster“, beendete Matt den Satz, obwohl er genau wusste, dass dies nicht war, was sein Gegner gemeint hatte. Der spürte es auch. Die lauernde Finsternis, die in jener Kreatur verborgen lag. Aber Matt wusste, dass sie harmlos war. Kontrollierbar. Alles war gut, solange er -es- nicht beschwor. „Effekt von Ophion“, rief der junge Mann und streckte den Arm passend dazu aus, „ich kann ein Xyz-Material abhängen und mir dafür eine Infestation-Karte vom Deck auf die Hand suchen. Expand Infection!“ Eine der Sphären hinunterschluckend, spreizte der ehemals als Gungnir bekannte Drache seine Schwingen und ließ sie schwarze Wellen ausstrahlen. Matt zog eine aus seinem D-Pad hervorstehende Karte und zeigte sie sogleich vor. „Die gewählte Karte nennt sich [Infestation Pandemic] und ist ein Schnellzauber, der meine Schwärmer für diesen Zug immun vor Zauber- und Falleneinwirkungen macht!“ Schwarze Partikel bildeten sich um seinen Drachen und schlossen ihn ein, als Matt die Karte aktivierte, sodass Ophion aussah, als wäre er ein riesiges Gebilde aus Asche. Drazen klatschte in die Hände. „Gute Arbeit!“ „Danke!“, erwiderte Matt und schwang den Arm aus. „Jetzt kann Ihre [Scrap-Iron Scarecrow] den Angriff Ophions nicht blocken! Los, Absolute Infestation!“ Der vollkommen verhüllte Drache öffnete sein Maul und schoss einen schwarzen, partikelartigen Strahl auf den Schrottgolem. In Wirklichkeit war dies aber kein Feuer, sondern Milliarden winziger Insekten, die nun die Oberfläche von Drazens Monster überzogen und es in Windeseile zerfraßen, bis die letzten Teile in sich zusammenfielen. Auch der alte Mann bekam einen Teil des Strahls ab und stöhnte, als er zur Seite auswich.   [Matt: 1800LP / Drazen: 4000LP → 3750LP]   „Gefahr erkannt, Gefahr gebannt“, sprach Matt zufrieden mit seinem Manöver und setzte die in diesem Zug nachgezogene Falle, „die hier verdeckt.“ Nachdem sie sich vor seinen Füßen materialisiert hatte, merkte er noch an: „Sie sollten übrigens nicht versuchen, Ihren Golem zu reanimieren oder ähnliches. Denn solange Ophion Xyz-Material besitzt, können keine Monster der Stufe 5 oder höher spezialbeschworen werden. Das sollte Ihre Synchromonster vollkommen blockieren. Damit bin ich erstmal fertig.“ Seine drei verbliebenen Karten festhaltend, atmete Matt tief durch. Gleichzeitig fielen die schwarzen Partikel von Ophion ab, der somit wieder normal war. „Das ist sehr ehrenhaft von dir, mich vorzuwarnen.“ Drazen schaute hinter seinen kugelrunden Brillengläsern freundlich hervor, doch es lag auch etwas Scharfes in seinem Blick. „Von dir könnte man sich glatt eine Scheibe abschneiden. Jemand, der seine Tugenden so offen trägt, als hätte er geradezu Angst, sie sonst zu verlieren …“ Matt zuckte ob der spitzen Worte zusammen, sagte aber nichts dazu. Dachte sein Gegner etwa, das alles wäre nur Show, um vorbildlich zu wirken? Der junge Mann schnaubte. Er musste sich nicht rechtfertigen, für gar nichts!   Drazen zog und betrachtete die neue Karte. Dann schmunzelte er und legte sie in seine Duel Disk ein, sodass sie verdeckt vor seinen Füßen neben der gesetzten [Scrap-Iron Scarecrow] erschien, womit er nun zwei verdeckte Karten besaß. „Dann rufen wir mal diesen Racker in den Ring. [Scrap Goblin]!“ Aus umherfliegenden Schrottteilen bildete sich ein kleiner, maulwurfähnlicher Gefährte, welcher aus einer Kamera als Körper, einer Gabel als Arm, einem Wasserhahn als Kopf und vielen weiteren Gegenständen gemacht war. Scrap Goblin [ATK/0 DEF/500 (3)]   „Nach dir“, sagte Drazen und fügte verschmitzt hinzu: „Oh, keine Sorge, ich will dich nicht zwangsläufig in eine Falle locken. Wenn du angreifst, wird deinem Monster nichts passieren, selbst wenn du meine Vogelscheuche umgehen kannst wie eben.“ „Was soll das denn?“ „Ich wollte mich nur für deine Ehrlichkeit revanchieren.“ Matt wusste nicht, ob er dafür dankbar sein sollte oder nicht. Zwar glaubte er nicht, dass Drazen log, aber trotzdem fühlte er sich wie ein kleines Kind behandelt. Wenn dieser Kerl angeblich so gut Bescheid wusste, warum verhielt er sich nicht so? Es machte ihn wütend.   „Draw“, nuschelte der Schwarzhaarige entsprechend gelaunt und ließ sogleich den Arm ausschwingen. „Falle aktivieren, [Infestation Infection]. Damit mische ich einen Schwärmer von meiner Hand oder Spielfeldseite in mein Deck und erhalte dafür einen anderen von dort.“ Matt nahm eine seiner vier Handkarten, die auf den Namen [Evilswarm Obliviwisp] hörte und schob sie in sein Deck zurück, welches er anschließend aus der Halterung heraus zog und nach einer ganz bestimmten Karte absuchte. Diese zeigte er schlussendlich vor, nachdem alles erledigt war. „[Evilswarm Ketos], mach deine Arbeit …“ Aus einer schwarzen Lache, die sich vor Matt ausbreitete, entstieg ein amphibisches Wesen auf zwei Beinen. Gekleidet in einer Mischung aus schwarzer Robe und Rüstung, schwang die Kreatur ihren Zauberstab. Evilswarm Ketos [ATK/1750 DEF/1050 (4)]   „Bevor dieses Monster der Infektion anheim gefallen ist, hieß es [Gishki Shadow]“, erklärte Matt völlig zusammenhangslos, „wenn Sie also jemals einer jungen Frau namens Valerie Redfield begegnen, grüßen Sie sie von mir.“ Drazen strahlte vergnügt. „Das war doch die Gastgeberin von diesem Abschlussball. Die war eine wahre Schönheit, mein Junge!“ „Und sie würde Sie eiskalt abblitzen lassen“, erwiderte Matt gallig. „Genau wie [Evilswarm Ketos]. Den kann ich opfern, um eine Zauber- oder Fallenkarte auf dem Feld zu vernichten. Sorry, aber die Erntezeit ist vorbei, weg mit der Vogelscheuche …“ Ketos versank wieder in seiner dunklen Teerlache. Diese huschte wie ein Schatten über den Boden, hin zu Drazens [Scrap-Iron Scarecrow]. Direkt unter ihr schnellten aus der Lache die Hände Ketos' hervor, von denen die Falle ins Schwarze gezogen wurde, welches sich damit auflöste. „Oh“, jammerte Drazen und fasste sich an die Stirn, „zu dumm aber auch.“ Matt schwieg und funkelte seinen Gegner böse an. „Nicht sehr glaubwürdig, oder?“, ließ der die Scharade daraufhin sein. Durch seine Finger sah er den jungen Mann neckisch an. „Ich bin mir wirklich nicht sicher, ob du eine Herausforderung bist oder nicht. Irgendwie hat mir dieser Nick besser gefallen. Der war … härter und mehr bei der Sache.“ „Seit wann ist das was Gutes?“, erwiderte Matt spöttisch. „Außerdem bin ich sehr wohl bei der Sache.“ „Natürlich. Du legst gute Züge hin. Aber du tust es mit der Motivation eines altersschwachen Faultiers. Da fehlt eine gehörige Portion Pepp!“ Drazen ließ den Arm sinken. „Ist es die Angst?“ „Nein. Es ist, weil ich keine Angst habe. Nicht vor Ihnen.“ So sehr Matt hoffte, sich damit herausgewunden zu haben, so dumm kam er sich vor. Weil es stimmte. Ihm fehlte der Eifer, den er sonst immer an den Tag legte. Was nicht hieß, dass er das Duell nicht ernst nahm, aber … Er schüttelte den Kopf. Das konnte er noch später auswerten! So griff er nach seinem D-Pad und riss unter [Evilswarm Ophion] das letzte Xyz-Material hervor. „Effekt Ophions! Expand Infection!“ Sein Drache schnappte nach der verbliebenen Lichtsphäre und schlang sie herunter. Was darin resultierte, dass er erneut dunkle Schwingungen aussende. Er würde den alten Mann beim Wort nehmen, dachte Matt und zeigte die vom Deck gesuchte Infestation-Karte vor. „[Mutual Infestation]! Sie verdoppelt die Angriffskraft eines Schwärmers bis zur End Phase!“ Daraufhin begann der schwarze Drache violett aufzuleuchten. Seine neue Aura pulsierte regelrecht, als er sich vom Boden in die Lüfte abstieß.   Evilswarm Ophion [ATK/2550 → 5100 DEF/1650 {4} OLU: 1 → 0]   Matt schwang den Arm aus. „Dann los! Greife [Scrap Goblin] an und bringe mir den Sieg! Absolute Infestation!“ Ophion lud in seinem Maul schwarze Energie auf, die er in gebündelter Form auf seinen winzigen Widersacher abfeuerte. Doch noch ehe der überhaupt getroffen wurde, zersprang er plötzlich in tausend Einzelteile – Drazen hatte seine gesetzte Karte, einen Schnellzauber namens [Scrapstorm] aktiviert. „Die hier ist sehr praktisch. Erst schickt sie ein Scrap-Monster vom meinem Deck auf den Friedhof“, sagte er und zeigte demonstrativ [Scrap Chimera] vor, die er entsorgte, „dann ziehe ich eine Karte und wenn alles getan ist, zerstört sie eines meiner Scrap-Monster.“ Drazen hatte längst besagte Karte aufgezogen und der Strahl, der nun auf ihn gerichtet war, hatte ihn beinahe erreicht. „Oh ja und wenn Letzteres geschieht, wird [Scrap Searcher] auf mein Feld gerufen, denn er kommt immer wieder, wenn ein Scrap-Monster durch einen Karteneffekt zerstört wird. Sofern ich das will, versteht sich.“   Scrap Searcher [ATK/100 DEF/300 (1)]   Gerade noch rechtzeitig tauchte der Vogel vor ihm auf, um die Wucht des Angriffs abzufangen und gleich wieder das Zeitliche zu segnen. Er hatte nicht gelogen, dachte Matt, der nie wirklich damit gerechnet hatte, schon jetzt siegreich aus dem Duell zu gehen. Drazen zeigte plötzlich die [Scrap Chimera] vor, die er aus seinem Friedhof geholt hatte. „Darüber hinaus sollten wir auch nicht vergessen, dass [Scrap Goblin] mir einen seiner Brüder zurückgibt, sollte er durch einen Scrap-Karteneffekt zerstört werden.“ Plötzlich stand der alte Mann also nicht mehr mit drei, sondern fünf Karten in der Hand da. „Jetzt kommen wohl die besseren Kombos, was?“, mutmaßte Matt. „Das Beste bekanntlich ja immer zum Schluss. Das ist die alte Schule.“ „Wie wahr.“ Der Schwarzhaarige zog eine Falle aus seinen drei Handkarten hervor. Jetzt wurde es höchste Zeit, dass er sie setzte. „Die verdeckt. Damit bin ich durch, was bedeutet, dass alle Schwärmer durch den Nebeneffekt von [Mutual Infestation] in die Verteidigung gewechselt werden.“ Was nicht unbedingt schlecht sein musste, wie sich Matt sagte, als sein Drache vor ihm landete und schützend seine Schwingen über Körper und Kopf legte.   Evilswarm Ophion [ATK/5100 → 2550 DEF/1650 {4} OLU: 0]   Unmittelbar zog Drazen auf und musterte den jungen Mann. „Nun, da dir offensichtlich immer noch die richtige Portion Ehrgeiz fehlt, werde ich das Tempo wohl etwas anziehen müssen.“ Er legte seine [Scrap Chimera] auf die Duel Disk. Jene setzte sich aus Schrottteilen vor ihm zusammen und präsentierte sich als schwarzer, mechanischer Löwe mit Flügeln.   Scrap Chimera [ATK/1700 DEF/500 (4)]   „Sobald [Scrap Chimera] als Normalbeschwörung gerufen wird, repariert sie einen Scrap-Empfänger und beschwört ihn auf meine Spielfeldseite.“ Drazen zeigte jenes Monster mit dem Anflug eines Grinsens vor. „Komm, [Scrap Goblin].“ Der zuvor durch Drazens Suizidkommando zerfallene Goblin setzte sich aus den Einzelteilen zusammen, die überall auf der Spielfeldseite seines Besitzers verstreut waren.   Scrap Goblin [ATK/0 DEF/500 (3)]   „Da dein Ophion kein Xyz-Material mehr besitzt, kann ich [Scrap Breaker] von meiner Hand spezialbeschwören, denn du kontrollierst ja ein Monster“, setzte der Weißhaarige seinen Zug gut gelaunt fort, „aber das heißt auch, dass eines meiner Scrap-Monster im Anschluss zerstört wird.“ Kaum war der Oberkörper eines verfallenen Riesenroboters vor Drazen erschienen, zerplatzte seine Schimäre in alle Einzelteile, ganz wie angekündigt.   Scrap Breaker [ATK/2100 DEF/700 (6)]   Matt runzelte die Stirn. Was sollte das alles? Sein Gegner hätte längst eine Synchrobeschwörung durchführen können, worauf wartete Drazen also? Vielleicht auf den mit Scheinwerfern bestückten Schrottvogel, der sich über Drazen materialisierte, nun da ein Scrap-Monster zerstört worden war?   Scrap Searcher [ATK/100 DEF/300 (1)]   Trotzdem leuchtete ihm nicht ein, warum Drazen ein Monster zerstört hatte, bei dessen Ableben er nichts gewann? Immerhin hätte er [Scrap Goblin] loswerden können, um ein Monster auf die Hand zu bekommen. „Ich fürchte, ich werde noch eines meiner Monster vernichten müssen“, erklärte Drazen derweil und zeigte ein weiteres Monster von seiner Hand vor, „denn ich spezialbeschwöre jetzt [Scrap Orthros], was dann möglich ist, wenn ich ein Monster aus Schrott kontrolliere. Allerdings muss ich im Anschluss ein solches auch zerstören.“ Zwischen seinem Goblin und dem beinlosen, halb zerstörten Roboter erschien ein zweiköpfiger Hund, natürlich ebenfalls ganz aus metallischen Abfällen bestehend. Dieser fiel im Anschluss über den kleineren Goblin her, den er in Stücke riss.   Scrap Orthros [ATK/1700 DEF/900 (4)]   Matt konnte darüber nur den Kopf schütteln. Drazen beschwor ein Monster nach dem anderen, nur um anschließend welche zu zerstören? Worin lag da der Sinn? Aber er erkannte es, noch bevor Drazen zu erklären begann. [Scrap Goblin] recycelte seine Artgenossen, aber er hatte gewartet. Gewartet, bis ein attraktives Ziel vorhanden war … und welches Monster würde Drazen lieber wollen als-!? „Nun, da mein Kleiner durch einen Scrap-Effekt zerstört wurde, darf ich mir die [Scrap Chimera] von meinem Friedhof auf die Hand nehmen.“ Der junge Mann runzelte die Stirn. Natürlich. Solange er die Schimäre besaß, konnte er spielend leicht neue Monster beschwören und weiß Gott was damit anrichten. Drazen schmunzelte zufrieden, offensichtlich froh, dass Matt von selbst dahinter gestiegen war und steckte seine Schimäre zu den anderen drei Handkarten. „Dein unzufriedener Blick verrät mir, dass ich dir meine Strategie nicht weiter erklären muss“, sagte er und klang dabei mit einem Schlag gar nicht mehr vergnügt, sondern bitterernst, „leider siehst du den Wald vor lauter Bäumen nicht, Junge. Ich zerstöre nicht nur, ich erschaffe auch.“ Mit einem Ruck streckte er seinen Arm in die Höhe. „Ich stimme den Stufe 4-[Scrap Orthros] auf den Stufe 6-[Scrap Breaker] ein! A heart of iron rests within the void of time and space! One beat, powerful enough to reverse the laws of nature! Synchro Summon! Break loose, [Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T]!“ Der zweiköpfige Schrotthund nahm Anlauf und sprang in die Luft, dicht gefolgt vom schwebenden Stück Altmetall namens [Scrap Breaker]. Orthros zersprang in vier grüne Ringe, die jedoch mitten in der Luft eine Kehrtwende machten und statt die Synchrobeschwörung vor Drazen durchzuführen, über ihn hinweg flogen. Weit hinter dem alten Mann schaffte der [Scrap Breaker] es schließlich, die Lichtringe zu durchqueren und die Lichtung in ein gleißendes Feuerwerk an Effekten zu tränken. Als Matt beobachtete, was für eine Kreatur da im Begriff war zu entstehen, wurden seine Beine zunehmend weicher. In dem Moment begriff er, dass er das Duell tatsächlich ernster nehmen musste – denn über Drazen erhob sich ein Wesen epischen Ausmaßes. Bestimmt über fünfzehn Meter groß, strahlte das cyanfarbene Metall des Titans in der Abendsonne. Auf der Brust prangerte ein in Silber gehaltenes T, der Helm war mit vier Hörnern versehen, die so ineinander gewunden waren, dass man ihrem Lauf zunächst nicht folgen konnte, doch sie zeigten alle nach vorn. Doch die Fäuste übertrafen alles, denn sie waren mit elektrischen Entladungen an den Armen gekoppelt – und besaßen die Größe eines Lastwagens. „Da staunst du, was?“, gluckste Drazen, der allein die Füße seines Mechas um gerade einmal einen Kopf überragte. „Und du musst wissen, Heavy T erhält bis zur End Phase einen Angriffsbonus von 500 für jedes benutzte Synchromaterial.“ Matt torkelte panisch zurück, als der gesamte Boden innerhalb der Lichtung an manchen Stellen aufbrach. Der Titan streckte seine Arme aus und ließ ganze Erdklumpen in die Höhe steigen, selbst einige Bäume im näheren Umfeld wurden entwurzelt. Vor dem Auge des Dämonenjägers schwebte der gefühlte halbe Wald.   Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T [ATK/3000 → 4000 DEF/0 (10)]   Das musste sie sein, erkannte Matt. Die Karte, die Anya brauchte! Ein Relikt von solch großer Macht, dass es ganz von alleine die Realität beeinflussen konnte – etwas, das Matt am ganzen Leibe spürte, eine Energie, die weit über das hinausging, was Drazen bisher an den Tag gelegt hatte. Aber er konnte sie nicht erfassen, begreifen, denn dafür waren Menschen nicht geschaffen. Welche Macht war imstande, etwas Derartiges zu kreieren? Matt wollte es sich nicht ausmalen. „Also bezieht Drazen seine Kraft von diesem Ding …“ „Hast du gerade etwas gesagt?“, fragte jener in einem viel zu wissenden Tonfall, um tatsächlich unsicher bezüglich Matts Worte zu sein. Und doch schüttelte der den Kopf. „Nein.“ Der weißhaarige Mann rückte seine runde Brille zurecht. „Wie du meinst. Du liegst natürlich vollkommen richtig, denn wie du bin ich nur ein Mensch und verfüge über keine eigenen Kräfte. Stattdessen lasse ich Heavy T die ganze spirituelle Arbeit machen. Oh, und wenn wir schon dabei sind, ich muss ja noch angreifen!“   [Matt: 1800LP / Drazen: 3750LP]   Als Reaktion darauf verkrampfte Matt und nahm einen Schritt zurück. „Da kommt er!“ „Zeig dem Kleinen was du kannst, Heavy T! Effekt: Gravity Reverse! Zwinge seinen [Evilswarm Ophion] in den Angriffsmodus und zerstöre ihn!“ Matt öffnete vor Schreck den Mund, als er das vernahm. Im selben Zuge streckte Heavy T eine seiner Handflächen aus, in der eine blaue Energiesphäre eingelassen war. Diese änderte ihre Farbe auf rot und ehe der ehemalige Dämonenjäger sich versah, wurde sein Drache regelrecht vor ihm weggerissen, direkt in Richtung des Titans.   Evilswarm Ophion [ATK/2550 DEF/1650 {4} OLU: 0]   Wie ein Pfeil flog Ophion durch die Luft, als der Stahlkoloss seinen anderen Arm erhob und dem schwarzen Drachen mit geballter Faust entgegen kam. „Verdammt“, stammelte Matt, „das könnte weh tun.“ „Ich fürchte, das wird es“, versprach Drazen. Dann erfolgte die unvermeidbare Explosion, als Ophion von der Faust getroffen und vernichtet wurde. Letztere machte aber nicht Halt, sondern steuerte geradewegs, hängend an den Energiesträngen, auf Matt zu. Das Schauspiel spiegelte sich in dessen weit aufgerissenen Augen wieder …     Turn 48 – Little Lies Drazens mächtigem Monster gegenüberstehend, muss Matt all sein Können aufbringen, um sich gegen die gnadenlosen Angriffe zu wehren. Obwohl all seine Versuche, [Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T] aus dem Weg zu räumen scheitern, findet er eine Schwachstelle in Drazens Strategie und … Kapitel 53: Turn 48 - Little Lies --------------------------------- Turn 48 – Little Lies     In Matts Augen spiegelte sich die gigantische Faust wieder, die seinen [Evilswarm Ophion] zerschmettert hatte und nun geradewegs auf ihn zu schoss. Dessen Besitzer Heavy T, ein gigantischer Stahltitan, feuerte sie von seinem Arm an elektrischen Strängen ab. Er würde diesen Angriff von den Lebenspunkten her überstehen, da er nur 1450 Punkte Schaden nehmen würde, schoss es Matt durch den Kopf …   [Matt: 1800LP / Drazen: 3750LP]   … aber da in diesem Ding unglaubliche Macht steckte, würde er zerquetscht werden wie eine Fliege – das durfte nicht geschehen! Geistesgegenwärtig schwang er den Arm aus. „Falle hoch! [Defense Draw], welche den Schaden annulliert und mich einmal ziehen lässt!“ Gerade noch rechtzeitig klappte seine Falle auf und positionierte sich genau zwischen Matt und der nahenden Faust, welche als Folge an der scheinbar stahlharten Karte nicht vorbei kam, als sie auf sie prallte. „Na sieh an“, staunte Drazen und klatschte in die Hände, „jetzt wird das langsam was.“ Matt zog dank des Effekts von [Defense Draw] auf und atmete tief durch. „Wer will schon gerne von einer riesigen Faust erdrückt werden?“ „Oh, ich kenne da einige“, scherzte sein Gegner. Im gleichen Zug streckte er den Arm aus. „Da Heavy T angegriffen hat, wechselt er leider in die Verteidigungsposition.“ Kaum zu glauben aber der hellblaue, vierhörnige Metallriese zog seine Faust zurück und kreuzte beide Arme über seine mit einem silbernen T verzierte Brust. Und mit einem Schlag fielen all die ausgerissenen Bäume, Moosfetzen, Steine und dergleichen, die zuvor über der Lichtung geschwebt hatten, einfach in die Tiefe – ziemlich lautstark wohlgemerkt.   Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T [ATK/4000 DEF/0 (10)]   Matt zog erstaunt die Augenbrauen hoch. „Er ist vollkommen ungeschützt in diesem Zustand.“ „Das weiß ich, weswegen ich diese Karte verdeckt ausspiele“, sagte Drazen und ließ jene vor seinen Füßen erscheinen, „und da ich jetzt meinen Zug beende, verliert Heavy T außerdem die 1000 Angriffspunkte, die er bei seiner Synchrobeschwörung erhalten hat.“   Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T [ATK/4000 → 3000 DEF/0 (10)]   Sofort zog Matt auf vier Handkarten auf und hatte damit eine mehr als sein Gegner. Er war derart beschäftigt mit dem Riesen, wodurch er ganz vergessen hatte, dass Drazen ja noch ein zweites Monster besaß – den Schrottvogel [Scrap Searcher], an dessen ganzem Körper Scheinwerfer angebracht waren.   Scrap Searcher [ATK/100 DEF/300 (1)]   Neben seiner neuen verdeckten Karte war das alles, was Drazen derzeit auf dem Feld liegen hatte. „Ich werde nicht den Fehler machen und blindlings angreifen“, sagte der ehemalige Dämonenjäger und schwang den Arm aus, wodurch seine einzige Karte auf dem Feld, die offen liegende Falle [Infestation Infection], aufzuleuchten begann, „einmal pro Zug kann ich einen Schwärmer von meiner Hand oder dem Spielfeld mit einem aus meinem Deck austauschen.“ Er schob zunächst seinen [Evilswarm Golem] zurück in sein Deck, ehe er dieses aus der Halterung seines D-Pads nahm und die gewünschte Karte heraussuchte, bis er schließlich seinen Kartenstapel wieder an seinen angestammten Platz brachte. „Diese hier nennt sich [Evilswarm Kerykeion] und ich werde sie auch beschwören!“ Eine schwarze, humanoide Gestalt tauchte vor Matt auf. Ihre Schwingen waren aus Kristall gemacht und die Kreatur schwang gleich zwei Zauberstäbe, nämlich einen, der das Wappen der Gishkis trug und einen, der eigentlich aus zwei wie Schlangen in umeinander gewundenen Hölzern bestand, von schwarzer beziehungsweise goldener Farbe. Evilswarm Kerykeion [ATK/1600 DEF/1550 (4)]   „Ich benutze Kerykeions Effekt, der besagt, dass ich einen Schwärmer von meinem Friedhof verbannen kann, um einen von dort auf meine Hand zu bekommen“, rief Matt und streckte den Arm aus, „ferner kann ich noch einen Schwärmer in diesem Zug als Normalbeschwörung rufen.“ So verbannte er [Evilswarm Thunderbird], um sich [Evilswarm Mandragora] aufs Blatt zu nehmen, doch statt ebenjener beschwor er eine andere Kreatur. „Und diese nennt sich [Evilswarm Salamandra]!“ Kerykeion stieg hoch in die Luft auf und ließ dabei mit nach unten gestreckten Zauberstäben einen Runenzirkel vor Matt erscheinen, aus dem besagtes Monster entstieg – ein pastellgrüner Dinosaurier in blau-schwarzer Panzerung, von welchem eine dunkle, bösartige Aura ausging.   Evilswarm Salamandra [ATK/1850 DEF/950 (4)]   Der junge Mann spürte wie sein Herz schneller schlug, als er auf sein Blatt starrte. Es bestand jetzt aus [Evilswarm Mandragora], [Creeping Darkness] und [Xyz Regret]. Demnach wäre es ein Leichtes, -es- zu beschwören. Genau davor fürchtete Matt sich aber – genau das Monster zu beschwören, das für alles verantwortlich war. Das alles war, was- „Ist es nicht ein schöner Anblick?“ Matt ließ die Hand mit den Karten sinken und sah den in einen orangen Poncho gehüllten Drazen fragend an. „Das Abendrot. Immer wenn ich es sehe, werde ich daran erinnert, dass es wenige so perfekte Kreisläufe gibt wie Tag und Nacht.“ Drazen grinste verträumt. „Sie lassen sich durch nichts unterbrechen. Man weiß immer, dass auf die Sonne der Mond folgen wird. Das Leben ist da deutlich wählerischer mit seinen Aufs und Abs.“ Was Matt mit einem Stirnrunzeln quittierte. „Ich will nicht unhöflich sein, aber was hat das mit unserem Duell zu tun?“ „Eine Menge. Mehr als du denkst“, zwinkerte ihm Drazen zu. Im Endeffekt konnte Matt aber nicht entschlüsseln, was sein Gegner ihm sagen wollte. Und irgendwie wollte er das auch nicht, denn dieser Mann wusste mehr als gut für sie beide war. Er sollte das hier hinter sich bringen, sagte sich der Schwarzhaarige und streckte die Hand nach oben. „Ich erschaffe das Overlay Network! Meine beiden Stufe 4-Schwärmer werden zu einem Rang 4-Monster!“ Inmitten des Feldes öffnete sich ein schwarzer Wirbel. Gleichzeitig verwandelten sich Kerykeion und Salamandra in violette Lichtstrahlen, die von besagtem Strom absorbiert wurden. „Erscheine, [Evilswarm Bahamut]!“, brüllte Matt über die Lichtung hinweg. Sofort wand sich der schwarze, schlangenhafte Drache aus dem Überlagerungsnetzwerk und zog eine Bahn um Matt. Der zur Hälfte aus Eiskristallen bestehende, ansonsten schwarze Körper der Bestie wirkte unnatürlich. Er machte vor Matt Halt und bäumte sich auf, spreizte seine Schwingen, deren Innenhäute ebenfalls aus purem Eis waren. Zwei Lichtsphären umkreisten ihn dabei.   Evilswarm Bahamut [ATK/2350 DEF/1350 {4} OLU: 2]   „Wie schon gesagt, werde ich nicht den Fehler machen und blindlings angreifen. Zumindest nicht mit meinem Monster!“, verkündete Matt und zeigte [Evilswarm Mandragora] von seiner Hand vor. Sein Gegner lächelte hocherfreut. „So gefällst du mir, Bursche!“ „Effekt von [Evilswarm Bahamut]!“ Matt zog unter dessen Karte [Evilswarm Kerykeion] hervor und rammte diesen zusammen mit Mandragora in den Friedhofsschlitz seines schwarzen D-Pads. „Einmal pro Zug kann ich einen Schwärmer abwerfen und ein Xyz-Material abhängen, um die Kontrolle über eines ihrer Monster zu gewinnen!“ Matt zeigte auf den Titanen hinter Drazen. „Spread Infection!“ Der ehemals als [Brionac, Dragon Of The Ice Barrier] bekannte Bahamut öffnete sein Maul und lud darin einen schwarzen Strahl auf. Doch tatsächlich waren es Millionen winziger Insekten, die er schließlich in Heavy Ts Richtung ausstieß. Matt verschränkte dabei die Arme. „Sie wollten, dass ich alles gebe! Dann sehen Sie mit an, wie ich Sie mit Ihrem eigenen Monster besiege!“ Aber Drazen grinste nur verschmitzt, wie er da regungslos inmitten der Lichtung stand und darauf wartete, dass sein Monster getroffen wurde.   ~-~-~   Während Matt sich vermutlich wunderbar mit diesem Drazen amüsierte, stand Anya wie bestellt und nicht abgeholt vor der Holzfällerhütte und sah über das Dickicht, welches sich in einigen Metern Entfernung in all seiner Pracht präsentierte. „Sag mir jetzt nicht, dass wir da durch müssen!“, raunte sie herüber zu Alastair, der gerade aus dem Laderaum des VW-Busses in gebückter Haltung sprang. In seiner Hand hielt er ein Schrotgewehr, denn anscheinend hatte sich die Waffenkiste auf mirakulöse Weise wieder angefunden. „Ich fürchte, genau das müssen wir.“ Anya drehte sich herüber zu Zanthe, der am Türrahmen lehnte. „Kannst du nicht irgendwas tun? Bisschen mit deiner Wolfsnase schnüffeln?“ Der Kopftuchträger verdrehte genervt die Augen. „Bind mir doch gleich'n Halsband um.“ „Gute Idee! Aber das ist nicht, wonach ich gefragt habe!“ Mit der Zunge schnalzend stieß Zanthe sich ab. „Dann probier' es doch mal mit einem Nein! Schon mal versucht-“ Anya verzog ihre Augen zu kleinen Schlitzen. „Nein. Komm zum Punkt.“ „Wenn er sich wie ein Normalsterblicher verhalten und Drazen hinterher gerannt wäre, würde ich ihn sofort finden. Aber da er sich teleportiert hat und das scheinbar auch noch ziemlich weit weg, überdecken die Gerüche des Waldes den seinen.“ Zanthe latschte träge zu Anya und schlug ihr fest auf die Schulter. „Wenn du möchtest, kannst du ja mal deine Nase benutzen.“ „Ich rieche hier nur Tod, wenn du mich noch einmal anfässt!“, fauchte sie und trat ihm gegen das Schienbein, oder zumindest versuchte sie das, doch Zanthe wich ihr mit einer Drehung um das Mädchen herum aus und legte den Arm um ihre Schulter, nahm sie kumpelhaft in den Würgegriff. „Bist wohl angespannt, weil dein kleiner Prinz weg ist.“ Was ihm prompt einen Ellbogenstoß in seinen 'kleinen Prinzen' einbrachte. Und während Zanthe sich keuchend den Schritt hielt und rückwärts torkelte, beobachtete Alastair das Schauspiel gewohnt humorlos. „Unterlasst das gefälligst! Matt muss sich in der Nähe befinden.“ Anya zuckte mit den Schultern. „Oh, was du nicht sagst? Erst justiert er den Bannkreis total falsch und statt ihn auf die Hütte zu beschränken, können wir jetzt den halben beschissenen Wald absuchen. Dann vergisst er natürlich, uns den Zauber mitzugeben, mit dem wir ihm folgen können, falls Drazen den Zauber doch durchbricht. Und jetzt duelliert er sich vermutlich mit dem Kerl, der selbst Brainiac-Nick geschlagen hat? Hab ich irgendwas ausgelassen?“ Die Blondine stieß einen tiefen Seufzer aus. „Man, dafür, dass ihr nicht mehr als Deppenduo auftretet, seid ihr immer noch Experten, wenn es darum geht, Missionen zu verkacken!“ Wie ein Gewittersturm sauste Alastair an ihr vorbei. „Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass Matt versehentlich den Bannkreis falsch justiert hat …“ Anya glotze ihm verwirrt hinterher, wie der Hüne auf die Bäume zusteuerte, dabei die Schrotflinte geschultert. „Was?“ „Er sagt, es war Absicht. Und seiner Laune nach zu urteilen weiß er nicht warum“, half Zanthe ihr auf die Sprünge, als er ebenfalls an ihr vorbeiwanderte. „Komm jetzt, oder muss ich dir noch erklären wie man läuft?“ Unter einem wütenden Zischen folgte Anya den beiden schließlich.   ~-~-~   Unaufhaltsam bahnte sich der schwarze Partikelstrahl von [Evilswarm Bahamut] seinen Weg zum Titanen Heavy T, der seine Arme über Kreuz hielt und einen Schritt zurück nahm. Doch mit erhobener Hand gebot Drazen seinem Monster Einhalt, ganz als würde dieses die Geste verstehen. „Weißt du, was das Problem am Altern ist, Bursche?“, wollte der Weißhaarige von seinem Gegner wissen. „Man vergisst so vieles. Schlimmer ist es noch, wenn das schon in jungen Jahren anfängt.“ In diesem Moment sprang Drazens verdeckte Karte auf, eine Falle namens [Memory Loss]. „Nehmen wir doch deinen [Evilswarm Bahamut]. Eben will er noch seinen Effekt aktivieren und die Kontrolle über Heavy T gewinnen, dann vergisst er mittendrin was er tat und wechselt plötzlich in die offene Verteidigungsposition.“ Matt biss sich auf die Lippen, als der Strahl sich auflöste und sein schwarzer Eisdrache seine Schwingen schützend über sich hielt, während er vor Matt hernieder sank.   Evilswarm Bahamut [ATK/2350 DEF/1350 {4} OLU: 1]   Damit hatte er nicht gerechnet. Ganz offensichtlich war Drazen ein außerordentlicher Stratege, welcher genau wusste, dass Matt Heavy T über einen Monsterkarteneffekt aus dem Weg zu räumen versuchen würde. „Wirklich gut … für jemanden, der so alt ist wie Sie“, gab Matt offen zu. „Vielen Dank. Du musst wissen“, sagte Drazen und seufzte plötzlich leise, „wenn man in einer Stadt gelebt hat, in der niemand altert, vergisst man auch nicht.“ Matt wurde hellhörig. „Sie reden von Eden?“ „Scheinbar hat der gute Nick kein Detail ausgelassen, als er über mich ausgepackt hat“, gluckste der alte Mann, „natürlich hast du Recht, ich spreche von Eden. Aber ich möchte dich nicht mit den Erinnerungen eines alten Bocks quälen. Sie würden dir nicht weiterhelfen bei dem, was du für deine Freundin erreichen willst. Außerdem ist das alles Vergangenheit.“ „Und jetzt sind Sie hier in der Gegenwart. Trotzdem scheinen Sie nicht zu altern.“ Bärbeißig lachte Drazen los. „Wie kommst du denn darauf?“ „Der heimatlose Wanderer … Geschichten unter Dämonenjägern beschreiben, wie er bereits seit mehreren Jahrzehnten hier und da auftaucht und ihnen manchmal bei der Arbeit hilft, meist durch sein Wissen.“ Der junge Mann sah Drazen fest an. „Und jetzt, wo ich länger darüber nachdenke, passen Sie perfekt auf deren Beschreibungen.“ Sein Gegenüber schloss mit angezogenen Mundwinkeln die Augen. „Du musst dich irren, ich helfe nur gegen Bezahlung und wie jeder weiß, seid ihr Dämonenjäger chronisch pleite.“   Als die kleine Konversation verebbte, stand Matt wieder am Anfang. Sein Versuch, Heavy T aus dem Weg zu räumen, war gescheitert. Selbstverständlich könnte er es mit einem Angriff versuchen, die Mittel dazu hatte er – aber Drazen würde nicht zulassen, dass sein Riesenspielzeug so einfach kaputt ging. Oder genau das war sein Ziel, weshalb Matt erst recht davor zurückschreckte, es zu probieren. Die einzige Alternative die ihm jedoch blieb war das Unaussprechliche. -Es- zu beschwören. „… ich weiß“, murmelte er vor sich hin. Keine andere Wahl. Es war nicht so, dass er etwas -davon- zu befürchten hatte. Mehr ging es Matt darum, unliebsame Erinnerungen nicht wieder wachrütteln zu wollen. „Selbstbetrug?“ Irgendwo stimmte es. Manchmal ertappte Matt sich dabei, wie er an den Tag zurückdachte, als Livington von der Immateriellen Urila angegriffen wurde. Der Tag, an dem seine geliebte Tara zu ihrem Opfer wurde und die einzige Möglichkeit, sie zu retten, gewesen war, ihr für immer Lebwohl zu sagen – auf Geheiß des Collectors. Das war der Tag gewesen, als sich für Matt alles verändert hatte. „Also schön“, zischte er, „was bleibt mir anderes übrig, wenn ich es so machen will? Ich aktiviere eine Zauberkarte, [Xyz Regret]. Sie splittet ein Xyz-Monster auf meiner Spielfeldseite in zu ihm passende Materialien von meinem Friedhof auf, aber dafür kann ich das Xyz-Monster für den Rest des Duells nicht mehr beschwören!“ Bahamut löste sich in schwarzen Partikeln auf, als Matt es von seinem D-Pad nahm und ins Extradeck zurückschob. Stattdessen materialisierten sich vor ihm [Evilswarm Kerykeion] und das weißhaarige Riesengewächs [Evilswarm Mandragora], dessen erdig-brauner Körper in stummeligen Armen und Beinen endete, an deren Spitzen Blätter wuchsen auf denen winzige schwarze Insekten krabbelten.   Evilswarm Kerykeion [ATK/1600 DEF/1550 (4)] Evilswarm Mandragora [ATK/1550 DEF/1450 (4)]   Im Anschluss zeigte Matt noch eine Zauberkarte vor. „Danach aktiviere ich [Creeping Darkness], mit der ich zwei Finsternis-Monster von meinem Friedhof entferne und dafür eines der Stufe 4 von meinem Deck erhalte. Matt entledigte sich [Evilswarm Salamandra] und [Evilswarm Heliotrope], nahm sich dann die gewünschte Karte aus seinem Deck hervor und knallte sie umgehend auf sein D-Pad. „Ich wähle [Evilswarm Dullahan], den ich sofort spezialbeschwören kann, da ich einen Schwärmer mit mindestens 1500 Angriffspunkten besitze!“ Zwischen seinen anderen Monstern entstieg aus einem finsteren Nebel eine kopf- und beinlose Gestalt, eine Maschine, die mit massiven, goldenen Armen ausgestattet war.   Evilswarm Dullahan [ATK/1150 DEF/1550 (4)]   Übelkeit stieg in Matt auf, er atmete stoßweise. Dann verkündete er atemlos, kurz angebunden: „Ich erschaffe das Overlay Network.“ Jenes öffnete sich erneut vor ihm und absorbierte gleich alle drei Monster des jungen Mannes als violette Energiestrahlen. Wie ein Blitz durchzog es Matt, der sich krümmte. Erst ragte ein Drachenkopf aus dem Galaxienwirbel hervor. Bestückt mit einer halb weißen, halb schwarzen Maske, wurden seiner erst zwei und anschließend drei. Mit einem Ruck erhob sich der finstere Drache aus dem Overlay Network und hielt sich über Matt, peitschte mit einem langen Schweif, an dem eine Art Schild mit roter Insignie in dessen Mitte befestigt war, aus dem drei kurze Klingen ragten. „[Evilswarm Ouroboros]“, keuchte Matt und hielt sich die Brust, senkte den Kopf, „Mächtigster von allen.“   Evilswarm Ouroboros [ATK/2750 DEF/1950 {4} OLU: 3]   Drazen sah Matt irritiert an. „Junge, geht es dir gut?“ „Sollten Sie sich das nicht selber fragen?“ Überrascht von seiner tonlosen Antwort wich der Ponchoträger zurück, als um ihn herum finsterer Nebel aufstieg. Dieser bildete Auswüchse, Tentakeln gleich, die nach Drazen langten – und zerfetzt wurden, als ein gleißendes Licht ihn umgab. Ausgehend von Heavy Ts Karte auf seiner Duel Disk. „Diese Karte ist gefährlich!“, erkannte jener. „Daher also-!“ Matt sah ruckartig auf, in seinen Augen spiegelte sich wilde Entschlossenheit wieder. Und vielleicht noch mehr. „Sie wollten es nicht anders! Effekt des mittleren Kopfes aktivieren! Ich gebe eine Ihrer Karten auf die Hand zurück! Infestation's Viciousness!“ Um jeden der drei Köpfe Ouroboros' kreiste eine Lichtsphäre. Der mittlere schnappte nach seiner und verschlang diese, ehe er anschließend einen schwarzen Partikelstrahl auf Heavy T abfeuerte. Dieser wurde in die überkreuzten Arme getroffen. Sofort begannen diese sich zunehmend dunkel zu verfärben, selbst die Energiestränge die jene zusammenhielten waren betroffen. Drazen sah dem Ganzen mit in den Nacken gelegten Kopf unruhig zu, dann schrie er: „Nein! Effekt von Heavy T aktivieren! Safety Bit!“ Der Titan streckte seine Arme nach vorn aus und ließ sich damit bewusst treffen. Das T auf seiner Brust begann plötzlich zu leuchten. Die Szenerie wurde umso merkwürdiger, als Drazens anderes Monster, [Scrap Searcher], um Heavy T kreiste und schließlich in genau jenem leuchtenden T verschwand. Dieses sendete direkt im Anschluss einen frontalen, aus dutzenden Waben bestehenden Energieschild aus, der den Strahl zurückdrängte, während Heavy Ts Arme und Brust wieder zu alter Farbe fanden. Mit einem Knall verpuffte Ouroboros' Attacke schließlich.   Evilswarm Ouroboros [ATK/2750 DEF/1950 {4} OLU: 3 → 2] Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T [ATK/3000 DEF/0 (10)]   Matt stand dem allen mit offenem Mund gegenüber. „Ouroboros' Effekt abgewehrt und zudem-!? Wie!?“ Drazen erklärte: „Das ist Heavy Ts letzter Effekt. Er kann sich selbst jederzeit wieder in Angriffsposition bringen und zudem vor Monstereffekten schützen. Das kostet jedoch eines meiner anderen Monster. Des Weiteren ziehst du als Ausgleich jedes Mal eine Karte, wenn er das tut.“ Mit einem Blick voller Erkenntnisse sah Matt sein Deck an. Das war alles Drazens Plan gewesen. Wenn er jederzeit dafür sorgen konnte, dass Heavy T die Position wechselt, dann war es die ganze Zeit seine Absicht gewesen, Matt in dem Glauben zu lassen, es würde sich eine Falle in der schwächlichen Verteidigung verbergen. Und die gab es auch, nur sah sie ganz anders aus, als Matt letztlich erwartet hatte: Ressourcenverbrauch. Matt hatte alles aufgegeben, um einen imaginären Feind loswerden zu wollen! Keuchend griff er nach seinem Deck. „Sie haben mich echt an der Angel. Wollten Sie das? Dass ich Ouroboros beschwöre!? Ihretwegen-!“ „Zumindest hat der Schatten, der dich umgibt, jetzt eine Form“, erwiderte Drazen ernst, „aber was du getan hast, hast du aus eigenem Antrieb getan.“ Der alte Mann zeigte mit dem Finger auf den dreiköpfigen Drachen. „Du hast Angst davor. Aber nicht, weil seine Finsternis Unglückselige vernichten könnte. Sondern weil du dich nach ihm verzehrst!“ „Nein!“, polterte Matt. „Wie kommen Sie auf die Idee!?“ „Weil du dir selbst eine scheinbar gefährliche Situation vor Augen gehalten hast, für die es keine Beweise gab.“ Drazen sah ihn fest an. „Und echtes Zögern sieht anders aus.“ Matt senkte seine Stimme. „Glauben Sie was Sie wollen, ich kenne die Wahrheit. Ich muss noch durch Ihren Effekt ziehen, also …“ … tat er dies auch und legte jene Karte sofort in sein D-Pad ein. Woraufhin sie sich vor seinen Füßen materialisierte. Ohne Handkarten verlautete er: „Zug beendet.“   Gleich im Anschluss riss Drazen seinerseits eine Karte von seinem Blatt und schenkte ihr für einen kurzen Augenblick mit einem verschmitzten Grinsen Aufmerksamkeit, ehe er eine andere aus seinem Blatt mit dem Daumen vorschob und diese auf seine Duel Disk klatschte. „Komm zu Daddy, [Scrap Chimera].“ Matt fasste sich stöhnend an die Stirn. „Stimmt, die hatte er ja auch noch … verdammt!“ Es bedarf wenig Erklärung, warum auf Drazens Spielfeldseite gleich zwei statt einem Monster auftauchten. Das linke war die eben beschworene Schimäre, ein beflügelter Löwe bestehend aus Altmetall. Neben ihm setzte sich aus um Drazen herum auftauchendem Schrott ein zweiköpfiger Hund zusammen. „Natürlich“, sagte Matt dazu grimmig, „[Scrap Chimera] kann bei ihrer Beschwörung einen Scrap-Tuner wie Orthros reanimieren. Sie haben sie extra dafür im letzten Zug recycelt.“ Drazen nickte grinsend.   Scrap Chimera [ATK/1700 DEF/500 (4)] Scrap Orthros [ATK/1700 DEF/900 (4)] Im Anschluss erwiderte der Weißhaarige und streckte dabei bewusst den Arm in die Höhe: „Ich denke du weißt, was jetzt kommt. Ich stimme meinen Stufe 4-Orthros auf meine Stufe 4-Chimera ein!“ Beide Monster stiegen ebenfalls in die Luft auf, etwa auf Höhe von Heavy Ts Kopf. Dort zersprang der zweiköpfige Schrotthund in vier grüne Lichtzirkel, die die Schimäre passierte und sich dabei selbst in gleich viele grüne Sphären verwandelte. Drazen zitierte: „From within a pile of junk a heart of steel is born! The embodiment of the discarded! Synchro Summon!“ Ein greller Blitz durchschoss die Ringe. „Tear them appart, [Scrap Dragon]!“ Unter einem metallisch hohl klingendem Schrei verkündete ein imposanter Drache sein Kommen. Bestehend aus dunklen Schrottteilen, waren seine Schwingen nichts weiter als zusammengeschweißte, verschieden große Metallplatten. Bedrohlich leuchteten seine Augen rot auf.   Scrap Dragon [ATK/2800 DEF/2000 (8)]   Während das Monster über Drazen verharrte, zeigte der Matt eine Karte mit dem Rücken vor. „Die da setze ich verdeckt und aktiviere anschließend den Effekt [Scrap Dragons].“ Er legte die Falle [Scrap Rage] in seine Duel Disk ein, doch kaum materialisierte diese sich vor ihm, zerplatzte sie schon in tausend Stücke. „Einmal pro Zug erlaubt es mir mein Monster, eine meiner Karten zu zerstören, um im Gegenzug dasselbe mit einer von deinen zu tun.“ Drazen streckte den Arm aus und zeigte auf Matts dreiköpfigen Drachen. „Los, Scrap Burst Salvo!“ [Scrap Dragon] saugte die entstandenen Partikel der zerstörten Karte in sein Maul auf, um im Anschluss ein ganzes Geschwader an, aus allen möglichen Schrottteilen bestehenden, Raketen in Ouroboros' Richtung abzufeuern. Kurz vor dem Einschlag schnappte der linke Kopf nach dem um ihn kreisenden Xyz-Material. Sofort darauf wurde der Drache an mehreren Stellen seines Körpers gleichzeitig getroffen und demnach in Explosionen regelrecht eingedeckt. „Das zum Thema dunkle Kräfte …“, flötete Drazen fröhlich. „Dunkle Kräfte haben die dumme Angewohnheit, sich nicht so leicht vertreiben zu lassen, finden Sie nicht?“ Drazen gab ein überraschtes „Hmm?“ von sich und sah nach oben, wo der Rauch sich lichtete. Und Matts finstere Kreatur, als wäre nichts geschehen, weiter über ihm flog. „Nicht nur Sie können Ihre Monster schützen!“, raunte Matt und nickte zu seiner offen stehenden Schnellzauberkarte. „Ich habe es [Xyz Shift Break] zu verdanken. Denn diese Karte erlaubt es, für einen Zug den Effekt mit einem gleichrangigen Monster von meinem Extradeck zu tauschen.“ Matt präsentierte eigens dafür [Evilswarm Thanatos], den er zwischen Zeige- und Mittelfinger hielt, ehe er diesen zurück in sein Extradeck schob. „Der da kann sich auch im Gegnerzug vor Monstereffekten immun machen, indem er auf eines seiner Xyz-Materialien verzichtet. Kommt Ihnen sicher bekannt vor?“ Passend dazu kreiste nur noch um den rechten der Köpfe des maskierten Drachen eine Lichtkugel. „Das ist nichts, was man nicht durch einen gepflegten Angriff richten könnte“, erwiderte Drazen unbesorgt und befahl: „Greif [Evilswarm Ouroboros] an, [Scrap Dragon]! Scrap Burst Stream!“ Ohne Umschweife feuerte der Schrottdrache einen heftigen, blauen Laserstrahl auf seinen Kontrahenten ab. Matt wich zurück, als jener mitten in der Brust getroffen wurde und explodierte. Eine Schockwelle entstand, die den ehemaligen Dämonenjäger noch weiter zurückdrängte, doch er hielt sich kämpferisch auf den Beinen.   [Matt: 1800LP → 1750LP / Drazen: 3750LP] Dort, wo Ouroboros zerstört worden war, breitete sich derweil ein dunkler Nebel aus, welcher Drazen keinesfalls entging. Abwartend beobachtete er, wie sich das ganze Feld seines Gegners damit füllte – und jener zu keuchen begann. Was nicht zuletzt daran liegen konnte, dass das Gras und Moos, welches von dem Nebel berührt wurde, in Sekundenschnelle einging. „Wie es scheint geht das Ableben deines Monsters mit einigen unschönen Nebeneffekten einher“, sagte der Weißhaarige mit einer Spur Besorgnis, „Bursche, du solltest so eine Karte nicht spielen, wenn du sie nicht-“ „Sie irren sich!“, fauchte Matt und ballte vor ihm eine Faust zusammen. „Sehen Sie genau hin!“ Plötzlich zog sich der ganze violett-schwarze Nebel in atemberaubender Geschwindigkeit an einem Punkt über ihm zusammen und bildete den dreiköpfigen Drachen, der wütend aufschrie. Um ihn rotierte ein Xyz-Material, während er seine Schwingen schützend vor die Köpfe hielt.   Evilswarm Ouroboros [ATK/2750 DEF/1950 {4} OLU: 1]   Matt hielt die Karte von [Evilswarm Dullahan] zwischen den Fingern. „Wenn ein Schwärmer-Xyz zerstört wird, während Dullahan noch sein Xyz-Material ist, kann er jenes Xyz-Monster nur einmal während des Duells reanimieren und erneut zu seinem Xyz-Material werden.“ „Und du dachtest, ihn in Verteidigung zu beschwören würde etwas bringen?“ Drazen seufzte und fasste sich kopfschüttelnd an die Stirn. „Na ja, du lernst es auch noch. Heavy T, greif Ouroboros an und benutze Gravity Reverse!“ Matt weitete die Augen, als der Metallgigant einen seiner Arme ausstreckte, in dessen Handinnenfläche eine blaue Energiesphäre eingesetzt war. Diese wirkte eine Kraft aus, die den dreiköpfigen Drachen ohne Vorwarnung Richtung jener sich rot verfärbenden Kugel riss.   Evilswarm Ouroboros [ATK/2750 DEF/1950 {4} OLU: 1]   „Verdammt“, murmelte Matt, der alles mit halb zu Schlitzen geschlossenen Augen beobachtete. „Wann immer Heavy T angreift, kann er die Position seines Gegners wechseln“, erklärte Drazen dazu. Derweil hatte Ouroboros sein unfreiwilliges Ziel fast erreicht. Sein gigantischer Gegner holte mit der anderen Faust aus und schlug zu. Es folgte eine gewaltige Explosion, die Matt beinahe von den Füßen riss.   [Matt: 1750LP → 1500LP / Drazen: 3750LP]   ~-~-~   Sie hatte genug, was sie mit einem Schnaufen lautstark kundtat. Einem bockigen Kleinkind gleich blieb Anya einfach stehen und wurde entsprechend laut. „Mir reicht's! Wie lange wollen wir noch planlos durch diesen kack Wald latschen?“ Die beiden vor ihr antworteten synchron, etwas, das sie seit einer gefühlten Ewigkeit perfektioniert zu haben schienen. „So lange wie es dauert.“ „Mein Bauchgefühl sagt, wir sollten genau in die entgegengesetzte Richtung! Seid ihr sicher, dass es hier lang geht?“ Es war deutlich zu herauszuhören, wer hier das letzte Wort haben wollte. Zanthe, der sich durch einen Busch schob, drehte sich genervt um. „Natürlich. Dich am Waldrand auszusetzen ist zu riskant, du könntest zurückfinden.“ Der schwarzhaarige Hüne, der die Dreiergruppe anführte, ignorierte die Streitigkeiten, was ihm aber sichtlich schwer zu fallen schien. Seine Mimik sprach Bände. Selbst die bitterste Zitrone könnte nicht solch verzogene, durch die Narben besonders schiefe Lippen hervorbringen. Aber er hatte etwas, was die beiden vermissen ließen: ein geringes Maß an Selbstbeherrschung. „Scheiße, wie weit wollen wir noch hinaus? Es dämmert bereits!“, zeterte Anya weiter. Zanthe drehte sich um und murmelte verschwörerisch. „Sag, für wen tun wir das noch gleich?“ Stille. „Dacht' ich's mir doch.“ Der Werwolf setzte seinen Weg fort. „Das Einzige, was hier dämmert ist deine geistige Umnachtung. Also sei doch -bitte- endlich still und-!“   Die Erde wurde erschüttert. Zu schwach, um irgendwelchen Schaden in ihrer Umgebung anzurichten, aber wiederum stark genug, dass es jeder der Drei bemerkte. Anya rutschte gar den kleinen Hang hinab, den die Drei beschritten und stieß fast in Zanthe. Sofort drehte das Mädchen sich um. Zunächst war sie sich nicht ganz sicher, doch irgendetwas war da. Etwas, das die Bäume überragte und in der untergehenden Sonne glänzte. Etwas, das nach Triumph roch. In einer voller Selbstgefälligkeit triefenden Umdrehung grinste Anya ihre beiden Weggefährten altklug an, die sich bereits mit vielsagender Miene zu ihr wandten und dank Fingerzeig unmittelbar auf das aufmerksam gemacht wurden, was Anya entdeckt hatte. „Wie war das? Diese Richtung ist die Richtige? Ja, ist sie das immer noch, huh!?“ Zanthe ließ im Affekt den Kopf hängen, als wäre gerade jede Hoffnung gestorben, ihn von seinem Werwolffluch zu befreien. „Blinde Hühner und Körner, Anya. Blinde Hühner und Körner …“ Die aber stierte geradewegs an ihm vorbei, schließlich musste noch ein anderer Anwesender seine Niederlage eingestehen. „Also Big Al, hast du wenigstens die Eier es auszusprechen? Wer hatte Recht, wer?“   Diejenige, die vermutlich eines grausamen Todes sterben wird, wenn sie ihre beiden Begleiter weiterhin so terrorisiert.   Levriers Stimme aus dem Off wurde gekonnt von Anya ignoriert. „Könnte mir jetzt einer von euch gefälligst Recht geben, damit in wir -die andere Richtung- können!?“   Du meine Güte, mir dünkt, du willst dich für irgendetwas an den beiden rächen, Anya Bauer. Allerdings hätte ich dir schon vorhin sagen können, in welche Richtung du musst, wenn du Matt Summers finden willst. Dieses Monster befindet sich schon seit geraumer Zeit dort, geschweige denn von den Schwingungen, die selbst bis hierher reichen …   Die bereits vom breiten Grinsen überstrapazierten Mundwinkel Anyas krachten metaphorisch gesprochen Meter tief in die Erde. „ … Levrier …?“   Was? Du hast nicht gefragt. Das ist meine heutige Lektion für dich. Oh, eigentlich ist das eine gute Idee, dir auch in Zukunft ein paar grundlegende Kniffe im Umgang mit der Realität beizubringen. Ich fürchte nur, es wäre vergebene Liebesmüh.   In Anyas Augen traten bereits die roten Äderchen hervor. Ihre Faust knallte gegen den nächstbesten Baum, der zum Glück nicht vor Schmerz schreien konnte. Aber selbst wenn er es doch könnte, würde er in diesem Moment ohnehin von Anya übertönt werden. „Levrier!?“   Er will es alleine austragen, Anya Bau-   Doch mitten in seiner mit einem wesentlich ernsteren Ton untermalten Rechtfertigung wurde Levrier vom Bimmeln eines Mobiltelefons gestört, welches sich in der Innentasche des roten Mantels von Alastair befand. Der fischte es raus und legte es ans Ohr. „Ja?“ Dann geschah eine Weile nichts, bis der Hüne murmelte: „Komme sofort.“ Schon legte er auf und stürmte geradewegs an den anderen beiden vorbei, die gar nicht wussten, was überhaupt los war. „Ihr müsst ohne mich weiter … es gibt ein Problem.“   ~-~-~   Drazen verzog ärgerlich die Mundwinkel. „Zähes Biest …“ Obwohl der Angriff seines Heavy Ts voll ins Schwarze getroffen hatte, wurde Ouroboros lediglich von der Explosion zurück zu Matt geschleudert, ohne aber sichtbare Schäden genommen zu haben. Mitten im Flug spreizte Ouroboros die Schwingen und konnte sich so verlangsamen, bis er schließlich zum Halten kam. „Ahja, das hatte ich vergessen zu erwähnen. Nach dem Einsatz von [Evilswarm Dullahans] Effekt wird das Monster, welches er reanimiert hat, im Kampf unzerstörbar.“ „Das ist ärgerlich. Aber wie sagt man so schön? Es gibt keine Probleme, sondern nur Herausforderungen“, Drazen rieb sich den Hinterkopf, „und ich habe deine angenommen, also muss ich da wohl durch.“ Derweil kreuzte sein Stahltitan die Arme über das T auf seiner Brust. Dazu sagte Drazen: „Ah, natürlich, da Heavy T angegriffen hat, wechselt er die Position.“   Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T [ATK/3000 DEF/0 (10)]   Der Weißhaarige nahm eine seiner verbliebenen beiden Handkarten und aktivierte sie. „In meiner Main Phase 2 spiele ich diese hübsche Zauberkarte aus. Sie nennt sich [Monster Reincarnation] und lässt mich eine Handkarte abwerfen, um ein Monster von meinem Friedhof zu erhalten.“ Er schob seinen [Scrap Soldier] in den Friedhofsschacht seiner Duel Disk und präsentierte [Scrap Chimera], die er fest umschlossen hielt. „Damit du weißt, was dir im nächsten Zug blüht. Du bist dran, Kleiner.“ Matt stöhnte ärgerlich. „Nicht schon wieder … nächste Runde [Scrap Twin Dragon], oder was?“   Ohne langes Zögern griff Matt nach seinem Deck und zog. Jene neue Handkarte entlockte ihm ein zufriedenes Lächeln, ehe er sich an Drazen wandte und den Arm ausstreckte. „Ich aktiviere den Effekt des linken Kopfes von [Evilswarm Ouroboros]! Infestations Rejection!“ Das um den Drachen kreisende Xyz-Material hielt vor besagtem Kopf und wurde umgehend verschlugen. Sofort spie dieser eine pechschwarze, aus winzigen Partikeln bestehende Wolke direkt auf Drazen ab. Jener wurde an seiner Hand getroffen und ließ [Scrap Chimera] fallen, da seine Haut sich zusammenzog und dampfte, als wäre sie von Säure getroffen worden. „Infestations Rejection sorgt dafür, dass Sie eine Handkarte abwerfen müssen“, erklärte Matt, „und da Sie nur eine hatten, war das Resultat offensichtlich.“ Der Weißhaarige, welcher sich den verätzten Handrücken hielt, verzog die Augen. „Clever.“ „Und jetzt befehle ich Ouroboros, Ihren Heavy T anzugreifen! Infestation Absolute MAX!“ Alle drei Köpfe bündelten gleichzeitig schwarze Energie in ihren Mäulern, ehe sie diese simultan auf Heavy T abfeuerten. Drazen schwang den Arm aus. „Mein Monster ist nicht daran gebunden, wann es seinen Effekt aktivieren muss. Von daher opfere ich jetzt [Scrap Dragon], um Heavy Ts Position zu wechseln und ihn immun vor Monstereffekten zu machen. Safety Bit!“ Während sich die drei Strahlen auf ihrem Weg zum Titanen vereinten, streckte dieser seine Hände aus und ließ ein aus vielen Waben bestehendes Kraftfeld vor sich erscheinen, während der Schrottdrache sich in weiße Partikel auflöste, welche vom T in der Brust des Riesen absorbiert wurden.   Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T [ATK/3000 DEF/0 (10)]   Matt grinste. „Da sich Ihre Monsterzahl verändert hat, entsteht ein Replay. Und ich entscheide mich, nicht weiter anzugreifen.“ Sofort lenkte sein Drache den Angriff an seinen massiven Gegner vorbei und ließ ihn stattdessen weit entfernt im Wald einschlagen, wo eine düstere Explosion entstand. „Dank Heavy Ts Effekt darf ich jetzt ziehen“, sagte Matt verheißungsvoll und tat auch dies, „ich setze eine Karte verdeckt. Sie sind.“ Seine andere Karte nehmend, ließ er diese vor seinen Füßen erscheinen. Drazen stand absolutes Unverständnis ins Gesicht geschrieben. Nicht, weil er überrascht war von Matts strategischem Geschick, ihm sowohl [Scrap Dragon], als auch [Scrap Chimera] zu nehmen. Nein, es lag daran, dass der junge Mann keine Sekunde damit verbracht hatte, auch nur darüber nachzudenken, wie er vorgehen sollte. Es geschah alles in einer beängstigen Geschwindigkeit, dass Drazen nicht mehr an seinem Gefühl zweifelte. „Du bist nicht alleine“, mutmaßte er frei heraus. „Hat er, sie oder es dir gesagt, was du tun musst, um mich am effektivsten zu bekämpfen?“ „Ich weiß nicht wovon Sie reden“, wies Matt ihn ab. Der alte Mann kratzte sich resignierend am Kopf. „Du bist ein ganz schöner Sturkopf, wenn du das Offensichtliche nicht aussprechen willst. Aber wie du meinst, schließlich ist es dein gutes Recht, mit deinem Leben zu tun, was immer du willst. Es ist nicht meine Aufgabe, dich zu belehren.“ Der scharfe Tonfall Matts ließ ihn aufschrecken. „Und warum tun Sie's dann?“ Allerdings enthielt Drazen ihm eine Antwort vor und rückte stattdessen mit geschlossenen Augen seine Brille zurecht.   Dann rief er: „Ich bin am Zug! Draw!“ In einer halbmondartigen Bewegung riss er die Karte von seinem Deck und drehte sie noch während des Schwungs um, betrachtete sie aus den Augenwinkeln. Und grinste. Sofort legte er sie in seine Duel Disk ein. „Ich aktiviere [Monster Reborn]! Hmm … welches nehm' ich …?“ Als er seinen Friedhof aus der Duel Disk nahm, fiel ihm sofort der [Scrap Dragon] ins Auge, welcher ganz oben lag. Allerdings müsste er für seinen Effekt eine seiner eigenen Karten zerstören, um Ouroboros loszuwerden und da er sonst nur Heavy T besaß, erschien ihm dies zu riskant. Letztlich erkannte er beim genauen Durchsehen seiner Karten, dass er gar nicht auf [Scrap Dragon] angewiesen war. Es gab einen viel einfacheren Weg. „Das Monster, was ich wiederbelebe, ist [Scrap Golem]!“, verkündete er und legte dessen Karte auf die Monsterkartenzone links neben Heavy T. Vor Drazen erhob sich ein massives Konstrukt, bestehend aus einem Kühlschrank als Körper, einer Mikrowelle als Kopf und Ventilatoren als Händen. Ein richtiger Schrottgolem.   Scrap Golem [ATK/2300 DEF/1400 (5)]   Dessen Besitzer streckte den Arm aus. „Bist ja noch jung, vielleicht erinnerst du dich also noch, wie unser Duell begonnen hat? Einmal pro Zug kann [Scrap Golem] einen seiner Freunde der Stufe 4 oder weniger reparieren, wobei es keine Rolle spielt, auf wessen Spielfeld das Monster erscheint.“ Sein schwarzhaariger Gegner in dem dunklen Ledermantel zeigte keine Regung. „Nun, ich wähle [Scrap Searcher]. Und du weißt, wird der spezialbeschworen, zerstört er alle Monster seines Herren, die nicht aus Schrott bestehen.“ Drazen zückte die Karte des Scheinwerfervogels und war bereits im Begriff, sie Matt zuzuwerfen, als dieser abwehrend die Hand hob. „Nicht nötig. Es mag eine nette Idee sein, aber ich aktiviere meine Falle!“ Vor ihm sprang die violett umrandete Karte auf. Und ohne Vorwarnung gab Ouroboros einen gebieterischen, dreifach widerhallenden Schrei von sich, während Matt sich nebenbei seiner Handkarte [Evilswarm O'lantern] entledigte. Aus dem Nichts ging ein Blitzschlag auf [Scrap Golem] hernieder und zerlegte ihn kurzerhand in seine Einzelteile. Drazen überspielte seinen Schreck mit einem anerkennenden Pfeifen. „Das kam unerwartet …“ „Der Effekt von [Xyz Wrath] erlaubt es mir, sofern ich ein Xyz-Monster kontrolliere, durch das Abwerfen einer Handkarte die Aktivierung von Monstereffekten zu annullieren und dessen Auslöser zu zerstören, solange dieser mindestens auf Stufe 5 ist“, erklärte Matt und fügte hinzu: „und da es eine dauerhafte Falle ist, kann ich sie mehrmals benutzen.“ „Solange du Handkarten hast. Aber du hast keine mehr, genau wie ich“, merkte Drazen findig an. Matt erwiderte das mit einem selbstbewussten Grinsen. „Nein, im Moment nicht. Aber Sie sind auch nicht in der besten Position. Natürlich können Sie noch angreifen, werden [Evilswarm Ouroboros] aber nicht zerstören. Und da Sie keine anderen Monster besitzen, können Sie Heavy Ts Position nicht in meinem Zug ändern, nachdem er angegriffen hat.“ Auch Drazen zeigte jetzt sein Pokerface und lächelte trügerisch. „Also bin ich gezwungen, auf meinen Angriff zu verzichten. Aber vergiss nicht, dein Ouroboros besitzt kein Xyz-Material mehr und ist auch so nicht stark genug, um Heavy T zu besiegen.“ „Das muss er auch gar nicht“, erwiderte Matt unbeeindruckt, „nächste Runde ziehe ich nach und selbst wenn ich die Karte nicht gebrauchen kann, werden Sie ab diesem Punkt Heavy Ts Effekt nicht mehr einsetzen können, wenn Sie ihn nicht an meine Falle verlieren wollen.“ Drazens Grinsen wurde breiter. „Gut durchdacht. Warst das du oder dein kleiner Mann im Ohr? Dann wollen wir doch mal sehen, was du mit deiner nächsten Karte anstellst. Ich gebe ab.“ Die beiden standen sich engstirnig auf der Lichtung gegenüber. Über Matt flog der dreiköpfige, pechschwarze Drache, während Drazen sich vor seinem Mecha-Titanen Heavy T befand. Ersterer kontrollierte zudem die offenen Fallen [Infestation Infection] und [Xyz Wrath].   Evilswarm Ouroboros [ATK/2750 DEF/1950 {4} OLU: 0] Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T [ATK/3000 DEF/0 (10)]   Matt zog auf. Die Karte in seiner Hand ansehend, zeigte sein missmutiger Blick, dass er nicht zufrieden war. Ein Schwärmer wäre jetzt sehr praktisch gewesen, denn den hätte er mit einem nützlicheren dank [Infestation Pandemic] austauschen können. Aber so war es eine nutzlose Zauberkarte. „Ich passe“, verkündete er nichtsdestotrotz selbstbewusst. Der Plan würde Erfolg haben, Drazen waren im Angesicht von [Xyz Wrath] die Hände gebunden.   Dieser ließ ihn nicht lange warten und zog ebenfalls auf. Etwas veränderte sich schlagartig in seinem Blick, das bemerkte Matt sofort. Drazen kräuselte die Stirn und starrte ihn intensiv an, ernst, als wolle er allein dadurch ausdrücken, dass Schluss mit lustig war. „Du fühlst dich sehr sicher hinter deinem Drachen.“ Matt korrigierte: „Ich verstecke mich nicht hinter ihm, wenn Sie das meinen.“ „Das würde ich an deiner Stelle auch nicht. Er bringt nichts Gutes.“ „Wann tun solche das jemals?“, lautete Matts vielschichtige Gegenfrage. Was Drazens Mundwinkel zumindest einen kurzen Augenblick hochzucken ließ. „Der Punkt geht an dich. Dummerweise ist der Sinn des Spiels aber, sie dir zu nehmen. Also bin ich ein braver Duellant und tue genau das!“ Im gleichen Atemzug rammte er eine Zauberkarte in seine Duel Disk. „Ich rüste Heavy T mit der Zauberkarte [Axe Of Fools] aus!“ Nicht schlecht staunte Matt, als in der rechten Hand des Titanen eine riesige, silberne Axt erschien. Inmitten des Klingenblattes war eine aus Gold bestehende, gackernde Fratze eingebaut, die tatsächlich Geräusche von sich gab.   Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T [ATK/3000 → 4000 DEF/0 (10)]   „Falls du dachtest, ich würde mich mit Angriffen zurückhalten, täuscht du dich“, rief Drazen mit ausgestrecktem Arm, „los Heavy T, schlag zu!“ Sein stählerner Riese holte mit der Axt weit aus, ehe er seinen Arm nach vorne schwang. Dabei wurde dieser immer länger dank der elektrischen Stränge, die die einzelnen Komponenten verbanden. So reichte er mühelos über das gesamte Spielfeld und ließ die Axt einem Henker gleich auf Ouroboros niedergehen, welcher über Matt verharrte. Als sie Kontakt mit dem dreiköpfigen Drachen herstellten, sauste sie durch ihn durch, wobei sich die Konturen des Biests für einen Moment verzerrten. Stattdessen peilte die Klinge gleich Matt an, der ihr mit Schweiß auf der Stirn entgegensah. Er nahm zwei Sprünge rückwärts, um nicht erschlagen zu werden, als die Axt den Erdboden vor ihm spaltete. Doch Matt hatte nicht damit gerechnet, dass anschließend eine Schockwelle folgen würde. Noch mitten in seinem zweiten Sprung wurde er von dieser erfasst und fortgerissen, landete meterweit entfernt, vorbei an Bäumen in den Wald geschleudert. „Urgh!“   [Matt: 1500LP → 250LP / Drazen: 3750LP]   Drazen stand derweil mit seinen Armen verschränkt inmitten der Lichtung. Sein Poncho wurde von einer etwas stärkeren Brise angehoben, während er beobachtete, wie Matt sich zurück zu seiner Spielfeldseite schleppte. „Wie du sicher schon bemerkt hast, hat Heavy T seine Position nicht gewechselt“, erklärte er seinem Kontrahenten nebenbei, „das liegt daran, dass [Axe Of Fools] seinen Effekt negiert. Dachtest du wirklich, ich wäre nicht auf Situationen vorbereitet, in denen es mir an Monstern zum Opfern mangelt?“ Matt, wieder in Ausgangsposition, wischte sich ein Rinnsal Blut mit dem Handrücken von der Wange. „Ich wäre enttäuscht, wäre das nicht der Fall.“ „Du nimmst das alles viel zu leicht“, klagte Drazen seinen Gegner plötzlich lautstark an, „Zug um Zug verlierst du mehr Lebenspunkte, ohne eine geeignete Gegenoffensive zu starten, selbst mit den Kräften, derer du dich bedienst! Bist du dir im Klaren, worum es hier geht!?“ „Einer Freundin zu helfen“, antwortete er nicht sehr überzeugend. Drazen stampfte wütend auf. „Warum tust es dann nicht!?“ Als sein Gegner nichts sagte, straffte sich der Ponchoträger, als wäre die Sache für ihn damit beendet. Unterkühlt sprach er: „Ich werde dich töten, wenn du verlierst. Als Hüter kann ich nicht zulassen, dass dir Heavy T in die Hände fällt. Du hättest mich nie beschwören sollen. Zug beendet.“ Matt zog lasch von seinem Deck und schenkte der Karte gar keine Beachtung. Stattdessen senkte er den Blick. „Wann habe ich jemals behauptet, dass ich mit allem kämpfe, was ich bieten kann?“ „Hmm?“, horchte Drazen auf. „Sie unterschätzen mich maßlos.“ Matt hob langsam seinen Kopf. „Ich habe genug Gründe, hier als Sieger herauszugehen und glauben Sie mir, das werde ich auch.“ In seinen Augen leuchtete etwas auf. Und es war nicht etwa brennender Kampfgeist, sondern etwas Sichtbares. Ein Symbol, in seiner rechten Pupille, zu klein, als dass Drazen es erkennen konnte. „Und irgendwo haben Sie die ganze Zeit gewusst, dass Sie nie eine Chance hatten, habe ich recht? Zwar wollen Sie selbst bestimmen, -wie- es geschieht, aber diese Wahl haben Sie nicht. Nicht alles im Leben ist eitel Sonnenschein.“ Ruckartig streckte Matt die Faust nach oben. „Und nun sollen Sie wissen, wovon ich spreche! Rank-Up-Incarnation Summon!“ Sein Drache schrie gleich dreifach wütend auf, als sich über ihm das Overlay Network bildete …   ~-~-~   Anya und Zanthe strichen eilig durch das Dickicht, an Bäumen und Wurzeln vorbei, mit dem Blick fest Richtung auf den Titanen gerichtet, der nicht mehr weit entfernt sein konnte. Die Blondine führte die mittlerweile nur noch zwei kleinen Jägermeister missmutig an. „Kann nicht glauben, dass er uns einfach zurückgelassen hat!“ „Schien wichtig zu sein“, hörte sie Zanthe hinter sich mutmaßen, „an seiner Stelle hätte ich auch die Flucht vor dir ergriffen.“ Mit geweiteten Augen wirbelte das Mädchen zu ihm um. „Was hast du gerade gesagt!?“ „Putz dir die Ohren!“, zeigte sich der Kopftuchträger unbeeindruckt und rückte ihr mit seinem Gesicht so nahe, dass sie seinen Atem auf der Haut spüren konnte. Die beiden stierten sich Stirn an Stirn derart feindselig an, bis Zanthe unvermittelt von ihr zurückschreckte. Doch nicht etwa, weil Anya den Wettbewerb gewonnen hatte, sondern aus einem anderen Grund, auf welchen er mit dem Finger zeigte. „Grundgütiger, was geht denn da ab!?“ Den Kopf zur Seite drehend, folgte Anyas Blick seinem Arm. Tatsächlich, nicht weit entfernt stiegen dutzende schwarzer Blitze aus dem Wald auf. Der ganze Wald wurde erschüttert, nur den Bruchteil einer Sekunde, dann drang ein grässliches, schrilles Gebrüll zu ihnen durch. „Scheint, als würde Summers endlich in die Puschen kommen! Los, mir nach!“   Die beiden rannten los. Anya musste zugeben, sich ziemlich verschätzt zu haben. Es sah zwar nicht so aus, aber der Weg war doch noch länger als gedacht. Zumal er durch einen immer steiler werdenden Hang erschwert wurde. Sie kämpfte sich geradezu vorwärts. Bis etwas Seltsames geschah. Einen Moment lang fühlte sich ihr ganzer Körper taub an, sie verlor den Halt und stürzte rückwärts. Zanthe reagierte umgehend und fing sie ab, hielt sie an den Schultern fest. „Alles in Ordnung?“ Anya brauchte einen Moment, ehe sie ihre Lage überhaupt erfassen konnte. Das Gefühl in ihren Gliedern kehrte wieder, doch ihr Herz raste. „I-ich denke schon.“ „Ich werd' dich nicht tragen, dafür gibt’s Vampire“, spielte Zanthe auf einen gewissen Roman an und ließ sie los. „Ist nicht mehr weit, ich rieche sie schon …“   Und tatsächlich, als sie den Hang erst nach oben geschafft hatten, gestaltete sich der restliche Weg wesentlich einfacher. Wenige Minuten später erreichten sie eine Lichtung – und erschraken. Überall waren Löcher und Spalten im Boden, entweder von Einschlägen oder anderen Methoden herrührend. Selbst einige Bäume waren ausgerissen und lagen wahllos am Rand der Lichtung verteilt übereinander. Und mitten drin Matt. Ihnen den Rücken zugekehrt, regungslos auf der Schulter liegend, allein. „Was ist … ?“ Anya stockte der Atem. „Wo ist der andere?“, wunderte sich ihr Begleiter nur, als würde ihn der Anblick des tatsächlich Anwesenden gar nicht berühren. „Seltsam, ich hätte schwören können, eben …“   Die Blondine aber hörte gar nicht mehr zu, rannte herüber zu Matt und schlitterte das letzte Stück regelrecht, da sie eine astreine Blutgrätsche hinlegte. Sofort fasste sie ihn an den Schultern und drehte ihn auf den Rücken. Auf den ersten Blick konnte sie keinerlei Verletzungen feststellen. „Ist er tot!?“, schrie sie Zanthe an, als wäre er am Zustand des Dämonenjägers Schuld. Der aber, noch einige Meter entfernt, schlenderte seelenruhig auf die beiden zu und zuckte dabei mit den Schultern. „Weiß nicht. Kannst ja mal Mund-zu-Mund-Beatmung probieren.“ Wie hätte der Werwolf auch ahnen können, dass sein Scherz derart für voll genommen wird, dass Anya sich über Matt schwang und kurzerhand ihre Hände übereinander auf seine Brust legte? Und zudrückte. Ihr Trommelfell war im Anschluss geneigt zu platzen, als Matt hoch fuhr und derart laut aufschrie, dass sie regelrecht von ihm herunter purzelte. Keuchend hielt er sich die Stelle nahe seines Herzens und betrachtete das völlig verdatterte Mädchen, als wäre sie eine Wahnsinnige. „Was soll das!?“ „D-das ging aber schnell“, stotterte die sonst so taffe Anya überrumpelt. „Man bin ich gut, call me Jesus oder so!“ „Anya … er war nicht tot, sondern nur bewusstlos“, seufzte Zanthe resignierend, „das war nur ein Scherz gewesen.“ „Hast du eine Ahnung wie weh das getan hat und immer noch tut!?“, fuhr Matt sie weiter an. Nun schaltete sich Anyas üblicher Trotz ein, gepaart mit der ebenso lästigen Eigenschaft des Mädchens, abrupt das Thema wechseln zu wollen. Sie richtete sich auf und schnaufte wütend. „Nicht annähernd so doll wie das, was ich dir antun werde, wenn du mir nicht gleich sagst, was hier abgegangen ist! Wir wären ja früher hier gewesen, aber du hast vergessen, uns den Zauber mitzugeben, mit dem wir dir folgen können!“ Matt funkelte sie böse an und drehte ihr seine rechte Handfläche zu, in der Heavy Ts Karte lag. „Beantwortet das deine Frage?“   Einen Moment hockte das Mädchen mit offenem Mund da. Diese Zeit nutze Matt, sich der weißen Handschuhe zu entledigen und sie Anya zusammen mit der Karte in die Hände zu drücken. „Da“, raunte er in einem geradezu bösartigen Tonfall, „damit hab ich getan, was du wolltest.“ Verdutzt nahm sie sie entgegen. Matt streckte seinen Arm in die Höhe, Richtung Zanthe, welcher ihn verwirrt anblickend aufhalf. „Das ist wohl jemand sauer, weil er den Boden geknutscht hat“, scherzte der Werwolf. Sofort als der ehemalige Dämonenjäger auf den Beinen war, stieß er jenen von sich und lief davon, nur um wieder herumzuwirbeln und Anya strafend anzustarren. „Du sagtest, er würde nicht-!“ Das Mädchen schwang sich ebenfalls auf. „Würde was nicht?“ „Sterben! Du hattest es versprochen! Wenn ich gewinne, würde ihm nichts passieren!“ „J-ja, wieso-“ „Er ist tot, Anya!“, polterte Matt. Jene drehte sich zu Zanthe, welcher einen ebenso entsetzten Gesichtsausdruck hatte wie sie selbst.   ~-~-~   Der Weißhaarige glitt mit einem milden Lächeln durch die Luft, ehe er auf dem Boden aufschlug und noch ein ganzes Stück weiter rutschte.   [Matt: 250LP / Drazen: 3750LP → 0LP]   Drazen blieb liegen, schloss die Augen. Ein Augenblick verging, in dem nichts geschah. Weiter von ihm entfernt stand Matt, mit gesenktem Haupt. Hologramme befanden sich bereits nicht länger auf dem Spielfeld. „Das kam unerwartet“, lachte der Ponchoträger leise, „du bist wirklich 'ne Marke …“ „Geben Sie mir die Karte, dann können Sie gehen“, drang Matts feste Stimme an sein Ohr. „Die kannst du dir selbst nehmen. Deine Freundin besitzt die Conqueror's Soul und du bist mit ihr verbunden. Es sollte kein Problem für dich sein.“ Als wäre das das entsprechende Signal gewesen, streckte Matt ungewollt den rechten Arm aus. Und aus Drazens Brust stiegen dutzende Lichtstrahlen auf, die sich zwischen Matts Fingern sammelten und schließlich Heavy Ts Karte bildeten. Jener betrachtete die Karte vor sich aufmerksam, ließ dann aber den Arm sinken. Und erschrak zutiefst, als er mit ansah, was dort drüben mit Drazen geschah.   Er löste sich auf. Seine Haut hatte einen ungesunden, braunen Ton angenommen und zerbröselte Stück für Stück. Ein Windzug, der durch die Lichtung ging, trug seine Überreste zunehmend fort. „Leider werde ich nirgendwo mehr hingehen können“, krächzte Drazen, bei dem sich selbst dessen Kleidung und Duel Disk auflöste. „Was passiert mit Ihnen!?“, wollte Matt aufgebracht wissen. „Jetzt, wo ich nicht länger ein Hüter bin, kann ich in Frieden sterben. Aber ich wollte es so, du musst dich nicht schuldig fühlen.“ Drazen lachte bärbeißig auf. „Ha ha, jetzt weißt du, warum ich deinem Ruf gefolgt bin.“ Der Schwarzhaarige schüttelte erschüttert den Kopf, streckte die Arme aus. „Das war nicht, was-!? Das ist nicht, was ich wollte!“ Fast der ganze Körper des alten Mannes war bereits fort, als er sprach: „Natürlich nicht, du bist kein schlechter Mensch. Nur fehlgeleitet. Ich hoffe, dass du das selbst eines Tages einsiehst, bevor es zu spät ist …“ Und als er sich schließlich ganz aufgelöst hatte und vom Wind davongetragen wurde, stand Matt mit einem Gefühl am Rande der Lichtung, welches er noch nie verspürt hatte und unmöglich beschreiben konnte. Schuld, Reue, Wut, Schmerz, Hilflosigkeit – es war ein bösartiger Cocktail, der seine Sinne regelrecht benebelte. Bis zu dem Moment, als eine eisige Kälte ihn durchzog. Und alles dunkel wurde …   ~-~-~   Als Matt das komplette Duell rekapitulierte, ließ er bestimmte Stellen bewusst außen vor. Die beiden anderen standen mit fassungslosen Gesichtsausdrücken vor ihm. Es war der Werwolf, der als Erster das Wort ergriff. „Ich glaube, ich weiß, warum er gestorben ist.“ Matt sah ihn mit scharfem Blick an. „Ahja? Sag schon.“ „Er war jemand, dessen innere Uhr durch diesen Zauber von Eden aufgehalten wurde. Er konnte nicht mehr altern, solange er in dieser Stadt war“, mutmaßte Zanthe, der sich am Kinn kratzte, „als er die Stadt verlassen hat, hätte er es aber müssen, zumindest gehe ich davon aus. Aber das ist nicht passiert. Vielleicht hat sein Status als Hüter ihn davor bewahrt. Und nachdem du ihn besiegt hast, hat die Uhr ihn eingeholt.“ „Tch!“   Anya wandte sich von den beiden ab. Niemals hätte sie damit gerechnet, dass diesem Drazen etwas Derartiges widerfahren würde. Der Sammler hatte es versprochen! Niemand würde sterben! Was, wenn es dasselbe bei den anderen Hütern war!? Das wären dann noch fünf Leute, die sie auf dem Gewissen hätte! Das war alles ihre Schuld und Matt hatte sie da auch noch mit reingezogen! Als sie sich zu den anderen beiden umdrehte, war ihr gar nicht bewusst, dass ihr Tränen in den Augen standen. In diesem Moment dachte Anya Bauer nicht daran, eine gefühlskalte, selbstsüchtige Jägerin zu sein. Sie war ein Mensch, der zutiefst darüber entsetzt war, was die eigenen Absichten angerichtet hatten. „Anya …“, murmelte Zanthe ungewöhnlich mitfühlend. „Gib dir nicht-“ „Fuck!“, brüllte die los und stampfte auf. „Das hätte nicht passieren dürfen! Fuck!“ Matt sah sie hingegen wesentlich weniger emotionsbeladen an und mahnte sie: „Bleib ruhig, wir können auch noch später trauern.“ „Heißt das, dir macht das nichts aus!?“, fuhr sie ihn an. „Er war sich der Konsequenzen bewusst. Mehr noch, er hat selbst zugegeben, es so gewollt zu haben.“ Ehe Matt sich versah, fiel Anya ihn an, packte den Kragen seines Mantels und riss ihn regelrecht zu sich. „Ahja!? Und weil du sein OK hast, ist die Sache für dich erledigt!?“ „Schluss jetzt, das bringt nichts!“, ging Zanthe dazwischen und stieß die beiden mit seinen Handflächen voneinander weg. Als hätte Matt gar nicht weiter Notiz von Anyas Anklage genommen, fragte er den Werwolf: „Wo ist Alastair?“ „Ist zurück zum Waisenhaus gefahren. Alector hat angerufen, irgendetwas ist passiert, aber wir haben keine Ahnung was.“ Der Kopftuchträger zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, ob er uns überhaupt abholen wird.“ „Nicht gut“, erwiderte Matt mit Blick gen Himmel, „es ist fast dunkel. Und wir werden eine Weile brauchen, um zurückzufinden. Vielleicht …“   Während er grübelte was sie tun sollten, betrachtete Zanthe den jungen Mann eingehend. Irgendetwas an seinem Anblick störte ihn. Der Ledermantel, sein Hemd und die schwarze Hose, sie alle waren beschädigt, wiesen Risse und Löcher auf. Aber etwas fehlte. Die Wunden! Matt selbst sah aus wie das blühende Leben, als hätte es nie einen Kampf gegeben. Völlig widersprüchlich zu seiner äußeren Erscheinung, nach der er Bekanntschaft mit einem Reißwolf gemacht haben müsste. Zanthe drehte sich herüber zu Anya. Aber die stand abseits von ihnen und kämpfte immer noch mit dem Schock, dass Drazen tot war. Vermutlich hatte sie von Matts optischem Zustand gar keine Notiz genommen.   Es irritierte ihn, das Mädchen so betroffen zu sehen. Er hatte sie nicht so eingeschätzt, dass sie sich den Tod jenes Mannes so zu Herzen nahm, obschon sie sich nur kurz begegnet waren. Immerhin musste sie gewusst haben, welche Risiken in ihr Unterfangen involviert waren. Zumal es genauso Matt hätte erwischen können. Was wäre dann? Aber Zanthe sah davon ab, ihr das jetzt an den Kopf zu knallen. Es würde auch nichts besser machen. Dennoch würde er mit ihr darüber reden müssen, schließlich schien sie noch nicht begriffen zu haben, dass solche Dinge noch häufiger geschehen könnten. Es war einfacher, wenn nur das eigene Leben betroffen war und nicht das anderer … das verstand Zanthe schon. Aber hier war das nicht der Fall.   Er hob die Hand und betrachtete jene betrübt, ballte sie zu einer Faust. Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen, mit ihr mitzukommen, wenn sie innerlich nicht vorbereitet auf die Konsequenzen ihres Handelns war. Doch Zanthe ließ von diesen Gedanken ab, als er bemerkte, wie sich dünner Nebel, einer Schlange gleich, um seine Füße wand. Die ganze Gegend war von ihm erfüllt.   „Sagt mal“, wandte er sich an die anderen und sah sich auf der mittlerweile vom Mond beleuchteten Lichtung nachdenklich um, „dieser Nebel, der war doch vorhin noch nicht hier.“ Dies bemerkte auch Anya, die sich neben ihn stellte und dabei unter Stirnrunzeln die Arme verschränkte. „Jetzt wo du es sagst, nein. Aber wen interessiert das jetzt schon … “ Auch war es kälter geworden, deutlich kälter. „Wir sollten lieber von hier-“ Matt kam nicht weiter, denn eine unheimliche Stimme unbekannten Ursprungs unterbrach ihn. Verheißungsvoll flüsterte sie in ihrem kratzenden, seltsam mechanisch klingenden Tonfall: „Wenn das erste Siegel gebrochen ist, erwachen wir aus unserem endlosen Schlaf …“ Anya wirbelte erschrocken herum. „Was war das!?“ „Wenn das zweite Siegel gebrochen ist, sprechen wir eine Warnung aus.“ Die Drei, Rücken an Rücken, sahen sich irritiert um, konnten jedoch die Quelle der Stimme nicht ausmachen. Da waren keine Schatten, die zwischen den Bäumen hin und her huschten oder irgendwelche Lichter. Gar nichts. „Alter, treib deine Horrorshow woanders! Ich hab jetzt grad' echt keinen Bock auf so'ne Scheiße!“ „Und beim dritten Siegel … töten wir.“ Matt weitete die Augen, als er herüber zur Blondine guckte. „Anya, pass' auf!“ Die bekam gar nichts mit. Stattdessen starrte sie nur verwirrt den Dämonenjäger an, der sich ihr allen Ernstes entgegen warf und sie umriss. Keine Sekunde später schoss ein spitzer Pfeiler ganz aus Gestein gemacht genau dort aus dem Boden, wo noch einen Moment zuvor das Mädchen gestanden hatte. Mit ihr im Arm landete er im Moos. „Oh Mist!“, schrie Zanthe und sprang geschickt erst nach links, dann rollte er sich nach vorn, um so gleich zwei dieser Attacken zu entkommen, die sich wie von Zauberhand wieder in den Erdboden zurückzogen. „Nicht liegenbleiben! Achte auf die Vibrationen!“, schrie Matt Anya an und riss sie regelrecht am Arm hinauf, zog sie weg, da unter ihr schon wieder ein solcher Stalagmit emporschoss. Sie stolperte und knallte gegen Matt, der sie wegschubste und den entstandenen Schwung dazu zu nutze, sich ebenfalls wegzubewegen, da auch er angepeilt wurde. „Tanzt, tanzt um euer Leben, Kinder der Vergänglichkeit!“ Zanthe, der dank seiner athletischen Fähigkeiten mühelos allen Angriffen ausweichen konnte, brüllte über die Lichtung hinweg: „Wer zum Teufel ist da!?“ „Ein Wächter der ewigen Ordnung.“   Schlagartig hörte es auf. Stattdessen trat aus dem Schatten zweier Bäume eine Gestalt hervor, von der Anya nie geglaubt hätte, dass es sie überhaupt gab. Auch Matts Augen weiteten sich, denn was er dort sah, war ihm nie zuvor begegnet. Selbst der sonst so unerschrockene Zanthe brachte kein Wort raus. „Die Narren haben etwas Unentschuldbares getan“, sagte die über zwei Meter hohe Gestalt, „nunmehr zum zweiten Male. Und nun ist es an der Zeit, dass der Undying seine Warnung ausspricht.“     Turn 49 – Declaration Of Superiosity Das Wesen namens Stoltz, welches sich Anya, Matt und Zanthe in den Weg stellt, bezeichnet sich selbst als Undying, ein unsterblicher Hüter der sogenannten ewigen Ordnung. Er bezichtigt Anya und Matt, jene Ordnung durch ihre Verbrechen zu gefährden. Anya, durch Drazens Tod labil, greift ihn als Kurzschlussreaktion an, doch selbst mit der Unterstützung von Matt und Zanthe scheint es, als können sie ihm tatsächlich nichts anhaben. Mit vereinter Kraft stellen sie sich ihm in einem Duell, doch … Kapitel 54: Turn 49 - Declaration Of Superiosity ------------------------------------------------ Turn 49 – Declaration Of Superiosity     Deutlich konnte man an Anyas, Matts und Zanthes irritierten Gesichtern ablesen, dass sie nicht damit gerechnet hatten, einem derartigen Angreifer gegenüber zu stehen. Dieser bewegte sich aus den Schatten der Bäume und betrat die Lichtung. „W-was ist das!?“, stammelte Anya. Matt und Zanthe konnten ihr keine Antwort geben. Sie wussten es einfach nicht. Wie bei einer höflichen Form der Vorstellung legte ihr Gegenüber den unglaublich langen, dürren Arm auf die von einer weißen Panzerung bedeckte Brust. Es war abstrakt. Die Glieder des Wesens waren so lang, dass es jeden normalen Menschen überragte und doch so dürr, was die Vermutung nahelag, die Knochen würden jeden Moment unter ihrer Last brechen. „Dieser ist ein Undying. Stoltz wird er genannt und ist ein unsterblicher Hüter der ewigen Ordnung. Einer Ordnung, die diese beiden Menschlinge durch ihre Verbrechen stören.“ Er zeigte auf Matt und dann auf Anya. Die aber konnte sich gar nicht von seinem Anblick lösen. Um die verschrumpelte, gebräunte Haut waren weiße Bandagen gewickelt, aber nicht sorgfältig genug, um alles zu verdecken. Dasselbe war im Gesicht der Fall, dessen gesamte rechte Hälfte betroffen war inklusive Auge. Über jenem verdeckten Auge lag ein Visier, welches seinerseits an dem dünnen, weißen Helm befestigt war, den dieser Stoltz trug. In Anyas simplen Worten gefasst: er war eine merkwürdige Mischung aus Mumie und Ritter und dabei sicher über zwei Meter groß.   Matt derweil trat vor. „Was soll das heißen!?“ „Die Menschlinge sind Feinde der ewigen Ordnung, die zwei ihrer Siegel gebrochen haben.“ Stoltz hob seinen langen Arm und zeigte direkt auf Anya. „Und das Mädchen weiß es. Es ist der Quell des Chaos.“ Die Blonde zitterte, doch nicht wegen der eisigen Kälte. Der Finger, der auf sie gerichtet war, machte ihr wieder bewusst, was mit Drazen geschehen war. Deswegen war dieses Ding hier, um sie zu bestrafen! Der dichte Nebel waberte derweil geradezu friedlich über den Boden der Lichtung, unscheinbar, als wäre er nur ein Gast auf Durchreise. Keinesfalls war er natürlichen Ursprungs, genau wie diese Kälte. Zanthe stellte sich schützend vor Anya. „Hey, ist ja schön, dass du uns warnen willst, aber leider hören wir nicht sonderlich gern auf so dubiose Gestalten wie dich.“ Ein fieses Grinsen bildete sich auf den vertrockneten Lippen des dürren Mannes. „Ein Werwolf beschützt einen Menschen. Ob er mehr kann, als nur zu reden?“ „Ich kann dir gerne die Kehle aufschlitzen, wenn du möchtest“, bot Zanthe an und drehte sich zu Anya, „der Typ ist nicht zum Spielen hier. Schnappt dir deinen Lover und hau ab!“ Doch die hörte ihm nicht zu. Anyas trüber Blick machte deutlich, dass sie in Gedanken versunken war. Sicherlich keine guten. „Dieser hier ist ein Undying“, meinte Stoltz derweil grinsend und legte wieder eine seiner Hände auf die Brust, „er kann nicht sterben. Anders als der Hüter, den das Mädchen auf dem Gewissen hat.“   „Was hast du gesagt?“ Ehe Zanthe sich versah, hatte Anya sich an ihm vorbei gedrängt. Sie wirkte geradezu manisch, zitterte, aber ballte dennoch entschlossen eine Faust. „Sag das nochmal!“ „Die Mörderin hat offenbar ein schlechtes Gehör?“, giggelte Stoltz. Anya kniff ihre Augen zusammen. „Was weißt du von solchen Dingen … verpiss dich!“ „Dieser süße Zorn. Woher rührt er wohl?“ Der Undying streckte ihr den Arm entgegen. „Er kann nichts als zerstören. Und das ist sie, ein Werkzeug der Zerstörung, das nur den Tod bringen kann.“ Etwas in Anya wurde in diesem Moment entfacht. Ein Inferno, Sinnbild dafür, dass sie sich weigerte, jemandes Werkzeug zu sein. Verantwortung für ihre Taten zu übernehmen. Es übermannte sie, dieses Gefühl, das die Hilflosigkeit wegfegte und in unbändigen Tatendrang umwandelte. Oder konkrete Zerstörungswut. „Dir zeig' ich's!“, schrie sie außer sich und rannte auf ihn zu. Matt wollte sie greifen, doch kam zu spät. „Anya, nicht!“ Doch die streckte bereits ihrerseits im Lauf den rechten Arm aus und rief: „Angel Wing!“ Was sich in ihrer Hand materialisierte, war nicht etwa die Karte des Drachen. Nein, es war die eigentliche Form seines Artefakts. Ein langer, weißer Speer, dessen Spitze aus einem Drachenmaul ragte. „Die bringt uns nur noch mehr in Schwierigkeiten!“, zischte Zanthe genervt und begann, ihr hinterher zu rennen. Matt seinerseits wich zurück und griff in die Innentasche seines schwarzen Mantels. „Ich glaube nicht, dass wir um einen Kampf herum gekommen wären. Sie verkürzt nur das Vorspiel.“ Unter einem gellenden Schrei holte Anya mit ihrer Waffe aus, packte sie mit beiden Händen fest an und rammte sie in Stoltz' Richtung. Dieser bewegte sich nicht einen Millimeter. Seine Rüstung war so dünn, dass das Klingenblatt sie mühelos durchbohrte. Die Spitze schoss aus seinem Rücken heraus, und Anya starrte den Undying hasserfüllt an. Doch der grinste. Ehe Anya reagieren konnte, wurde sie am Hals gepackt und in die Höhe gehievt, wodurch sie den Speer losließ. Daraus resultierend knallte dessen Ende des Schafts auf den Boden. „Ein Undying kann nicht sterben, Kind der Vergänglichkeit.“ Anya krallte sich mit den Fingern in seine Hand fest, ohne aber etwas damit zu erreichen. Im Gegenteil, Stoltz' Griff wurde fester, nahm Anya jegliche Möglichkeit nach Luft zu schnappen. „Lass sie los!“, fauchte Zanthe. Anya sah sie über sich, die wölfischen Pupillen. Dann fiel sie, zusammen mit einem Teil von Stoltz' Arm. In gebückter Haltung landete ihrer Freund vor ihr, hatte mit seinen Klauen einfach den Arm des Undying durchtrennt und schlug ihm in einer Halbdrehung noch eine tiefe Wunde in den Teil der Brust, der nicht von der Rüstung bedeckt war, ehe er sich Anya zu wandte, sie an der Hüfte packte und wegriss. Keine Sekunde zu früh, denn unter ihr schoss bereits eine spitze Steinsäule aus dem Boden. Stoltz' Mundwinkel huschten nach oben, aber nur für einen kleinen Moment. Als an ihm etwas vorbei surrte und in einem Baum hinter ihm stecken blieb, drehte er sich überrascht um. Drei Messer, fein auf engstem Raum untereinander steckend. Der Undying fasste sich an den Hals, der ebenfalls tiefe Schnitte aufwies – direkt an der Halsschlagader. Matt hatte die Klingen geworfen, während das Wesen mit den beiden anderen beschäftigt war.   Zanthe schleppte Anya zurück zu Matt, schon längst wieder völlig zum Mensch geworden. Das Mädchen streckte schnaufend den Arm aus, woraufhin sich der Speer in Stoltz' Abdomen in gleißendes Licht verwandelte, welches sich einfach durch die Steinsäule fraß und in Anyas Hand zur Karte Angel Wings wurde. In dem Moment zerbarst der Stalagmit. „Unmöglich!“, keuchte Zanthe. Stoltz stand da. Mit zwei Armen, unversehrtem Hals, Magen, keinem Kratzer auf der Brust. Anya weitete die Augen, dann brüllte sie: „Mit dir bin ich noch nicht fertig! Heavy T!“ An ihren Händen materialisierten sich massive Panzerhandschuhe, von sehr schlichter Aufmachung. Das Mädchen kreuze die Arme über die Brust und stieß einen unmenschlichen Schrei aus. Aus dem Boden in ihrem Umfeld wurden dutzende Erdbrocken und Steine gerissen, die um sie herum levitierten. Anya schlug mit der Faust in die Richtung ihres Feindes und schleuderte damit jene Stücke wie einen Bombenhagel auf Stoltz. Dieser wurde voll erfasst und von jedem einzelnen der nicht kleinen Brocken getroffen. Doch wie Regen prasselten sie an ihm ab, während er nur seine gelben Zähne blitzen ließ. Matt griff Anyas Schulter und riss sie zu sich herum. „Hör auf, das bringt nichts!“ „Lass mich, Summers!“ Gegen ihren Willen verschwanden jedoch die Panzerhandschuhe, wodurch es sich für sie zunächst ausgekämpft hatte. „Ich habe eine Idee“, meinte Matt zu seinen Mitstreitern, „wenn wir ihn nicht töten können, dann müssen wir ihn anders loswerden. Aber dazu muss ich mich mit ihm duellieren.“ Zwar wollte Matt gar nicht daran denken, dass er -es- gleich zweimal an einem Tag beschwören musste, aber was für eine Wahl hatte er schon im Angesicht dieser Kreatur? Seinen Plan B wollte er jetzt noch nicht umsetzen, solange sie nicht wussten, womit sie es genau zu tun hatten … Zanthe schüttelte verständnislos den Kopf. „Ein Duell? Jetzt? Hast du dir vorhin den Kopf zu hart gestoßen!?“ „Vertrau mir, ich weiß, was ich tue.“ Anya sah über die Schulter zu den beiden. „Mir ist es egal, wie wir diesen Dreckskerl fertig machen, Hauptsache wir tun es!“ Schulterzuckend resignierte Zanthe. „Na wenn ihr meint … dann wir drei gegen den.“ „Die Verbrecher wünschen ein Duell?“ Stoltz zeigte seine widerlichen, gelben Zähne. „Der Undying ist offen für jede Art von Bestrafung.“   Überrascht von der Kooperationsbereitschaft des Undying, platzierten Anya, Matt und Zanthe sich in genauer jener Reihenfolge am Rande der Lichtung, in einer Linie. Ihnen gegenüber die hagere Gestalt, deren Herkunft sie nicht kannten. „Nun zu eurer Bestrafung“, sagte jene und ließ an ihrem Arm eine goldene, an ihrem Ansatz leicht gekrümmte Duel Disk erscheinen. Dabei drehte er seinen Kopf einmal um 360°, was bei seinen Gegnern ein breites Spektrum an Emotionen, hauptsächlich Ekel und Fassungslosigkeit hervorrief. „Nun werden die ahnungslosen Tölpel den Terror erleben, die sie Feinde der ewigen Ordnung sind!“ „Was willst du überhaupt von uns, du Freak!?“, fauchte Anya und trat vor. „Wenn du glaubst, mir Angst zu machen mit deinen Tricks, bist du schief gewickelt! Und das meine ich wörtlich, du verdammte Mumie!“ Stoltz' unbedecktes Auge begann rot aufzuleuchten. „Was der Undying will, fragst du? Nur eins. Euer Verderben.“ „Duell!“, hallte es anschließend im Chor von der Lichtung.   [Anya: 4000LP Matt: 4000LP Zanthe: 4000LP //// Stoltz: 4000LP]   „Der erste Zug gehört dem Undying“, verkündete Stoltz und zog sogleich sechs Karten auf einmal. Matt, dessen Kleidung von seinem Duell gegen Drazen übel zugerichtet war, stand nur wackelig auf den Beinen. „Mach jetzt nicht schlapp!“, mahnte ihn Zanthe, allerdings mit einem skeptischen Unterton. „Gegen diesen Typen da war dein Gegner eben nur die Aufwärmrunde.“ Der schwarzhaarige Dämonenjäger biss die Zähne zusammen. „Geht schon.“ Woher sollte Zanthe auch ahnen, dass es nicht physische Strapazen waren, die ihn belasteten? „Was soll der überhaupt darstellen?“, motzte Anya, die ihre düsteren Gedanken offenbar verdrängt zu haben schien. „Ist das ein Mensch, ein Dämon oder eine Maschine?“ Mit den Schultern zuckend, erwiderte Zanthe: „Von jedem ein bisschen würde ich sagen.“ „Er ist ein Undying“, erwiderte der über zwei Meter große Mann, „also zollt ihm Respekt, Feinde der ewigen Ordnung. Und er beendet seinen Zug.“ Eine kalte Brise zog über die Lichtung hinweg, das Laub der Bäume raschelte unheimlich, fast einem Omen gleich. Von dem niemand Notiz zu nehmen schien. Anya legte den Kopf schief. „Huh!?“ „Er spielt keine einzige Karte aus?“, wunderte sich auch der Werwolf der Gruppe. Gleichzeitig beschäftigte Matt etwas anderes. Abwesend murmelte er: „Undying …?“   „Na dann bin ich jetzt eben dran!“, fauchte Anya und zog ebenfalls auf sechs Karten auf. „Ich beschwören [Gem-Knight Amber]!“ Vor ihr tauchte ein Ritter in goldener Rüstung auf. Aus seiner linken Handfläche zog er einen knisternden Dolch, ganz aus Blitzen bestehend, hervor.   Gem-Knight Amber [ATK/1600 DEF/1400 (4)]   Anya grinste bitterböse in sich hinein. Drei gegen einen? Pah! Sie würden die Mumie überrollen, so viel stand schon mal fest. Und zwar mit allem was sie hatten. Der Spinner konnte sich unmöglich um sie alle drei gleichzeitig kümmern, dazu müsste er noch stärker sein als Isfanel. Und wenn man sein Feld so ansah, war er das gewiss nicht! „Amber wird aber nicht lange bleiben!“, rief die Blondine und streckte den Arm aus. „Ich aktiviere den Effekt des [Angel Wing Dragons] in meinem Extradeck. Indem ich ein Licht-Monster von meinem Deck auf den Friedhof schicken, kann ich es als Empfänger für Angel Wings Beschwörung benutzen!“ Die gewählte Karte schob sich aus dem von Logan geliehenen, schwarzen D-Pad hervor. Anya zeigte [Alexandrite Dragon], ein normales Monster der Stufe 4 vor. „Damit komme ich zusammen mit Amber auf Stufe 8!“ Ein goldener Ring materialisierte sich über dem Mädchen. „From the light of a different world, the herald of starlight decends upon the ravaged land! By discarding a single star, I call upon you!“ Ihr Ritter derweil begann in die Höhe zu schweben, zerplatzte in vier grüne Lichtkugeln, die von hinten nach vorne durch den goldenen Ring schossen. „Synchro Summon! Shine forth!“ Ein gleißender Blitz durchdrang den Ring, von dessen Rändern sich vier weiße Schwingen zu strecken begannen. „[Angel Wing Dragon]!“ Durch einen Dimensionsspalt schob sich nach hinten weg der massive Schweif des weißen Drachen, nach vorne hin drang der Kopf des Ungetüms hervor, welcher dank des goldenen Kragens stark einer Kobra ähnelte. Die beiden Körperhälften traten solange aus der wässrigen Oberfläche im Ring hervor, bis sie sich perfekt aneinander schmiegten und den kompletten Körper ergaben.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   Ihr hünenhafter Gegner begann plötzlich zu gackern. „Ist das alles, was das Mädchen aus dem Artefakt der Hüter hervorbringen kann? Der Undying kommt nicht umher, sie als erbärmlich zu bezeichnen. Nur ein Schatten der wahren Kraft.“ Anya schnaubte wütend. „Keine Ahnung wovon du redest, Schrumpfhirn! Ich für meinen Teil bin zufrieden!“ Was selten genug vorkam. Sie schnappte sich eine Fallenkarte von ihrer Hand und schob sie in die Duel Disk. „Mit der wirst du noch ganz viel Spaß haben! Zug beendet!“ Die Karte materialisierte sich vor Anyas Füßen, welche stolz die Brust nach vorn streckte. Diesmal würde es kein Desaster geben wie damals im Turm mit Isfanel. Dafür würde sie schon sorgen. Und die anderen beiden Flachzangen würden gefälligst mithelfen. „Los, Summers, gib ihm die volle Ladung!“   „Das geht nicht, wir können erst ab unserem jeweiligen nächsten Zug angreifen“, belehrte Matt sie und zog nebenbei. „Als ob ich das nicht wüsste!“ „Ist ja ein Wunder, dass sie es nicht trotzdem probiert hat“, murmelte Zanthe in die Richtung des Dämonenjägers, der aber nicht in Lästerlaune war. Tatsächlich war Matt froh, dass Anya ihre Probleme im Moment mit Bravour verdrängte und sie nicht noch mehr in Schwierigkeiten brachte. Nachdenklich betrachtete er sein Blatt. Wie er Anya allerdings kannte, würde sich das bald ändern und sie nächste Runde wie ein Stier ins Rote rennen. Und Zanthe schätzte er als die Art von Duellant ein, die sich eher auf Technik, statt auf rohe Gewalt verließ. Was dann noch blieb, war ein eher defensiver Stil. Er warf noch einmal einen Blick auf seine Handkarten. Wenn jeder von ihnen diesem Stoltz mit einer anderen Strategie begegnete, konnte dieser unmöglich alle drei auf einmal aushebeln. Also würde er die Rolle der 'Wall' übernehmen. „Ich beschwöre [Evilswarm Castor]!“, rief Matt und legte jenen auf sein schwarzes D-Pad. „Er lässt mich einmal zusätzlich einen Schwärmer als Normalbeschwörung rufen.“ Es materialisierte sich auf seiner Spielfeldseite ein Krieger, dessen linke Hälfte der Rüstung schwarz, die rechte hingegen weiß war. An seinen Schultern hing ein zerfetzter, roter Umhang.   Evilswarm Castor [ATK/1750 DEF/550 (4)]   „Moment mal, den kenne ich doch“, schoss es aus Zanthe heraus, als er auf das Monster mit dem Finger zeigte, „das ist mein [Constellar Pollux]!“ Als Beweis zeigte der junge Mann Matt Pollux' Karte, die er zufällig auf dem Blatt hatte. Und tatsächlich, das Artwork war fast identisch zu Castors Erscheinung. Einzig dass Pollux ganz in Weiß gekleidet und sein Umhang nicht zerschlissen war. „Interessant. Mein Schwärmer-Deck ist das Resultat eines … Zaubers“, erklärte Matt mit skeptischem Blick auf die Karte, die Zanthe daraufhin wieder in sein Blatt nahm, „alle meine Monster sind korrumpierte Versionen von Monstern meiner Bekannten. Was für ein Zufall, dass eines deiner Monster dazugehört, noch bevor wir uns kannten.“ „Ja. Wirklich komisch“, murmelte Zanthe mechanisch. „Egal, zurück zum Duell!“, wandte sich Matt an deren gemeinsamen Gegner. „Ich nutze Castors Effekt und beschwöre jetzt [Evilswarm Heliotrope]!“ Der Dämonenjäger im schwarzen Ledermantel knallte besagte Karte auf sein D-Pad. Und Anya pfiff spöttisch, als neben Pollux ein in dunkelgrüner Rüstung steckender Ritter auftauchte. Ihr [Gem-Knight Emerald], entsprechend generalüberholt durch finstere Kräfte.   Evilswarm Heliotrope [ATK/1950 DEF/650 (4)]   Matt schwang den Arm aus. Seine Monster lösten sich in violette Lichtstrahlen auf, die in die Höhe stiegen. „Ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 4-Finsternis-Monstern wird ein Rang 4-Monster! Xyz Summon! Erscheine, manipulative Schattengewalt!“ Über dem jungen Mann öffnete sich ein schwarzer Wirbel, der die beiden Lichtstrahlen in sich aufsog. Anschließend landete mit einem Satz ein dunkler Krieger auf den Knien vor Matt. „[Evilswarm Nightmare]!“, titulierte jener sein neues Monster. Es handelte sich dabei um einen Ritter in dunkler Stahlrüstung, ebenfalls umhüllt von einem roten Umhang. In der Hand hielt er eine Klinge, die sich wand wie die Spitze einer Bohrmaschine. Um diese kreisten zwei Lichtkugeln.   Evilswarm Nightmare [ATK/950 DEF/1950 {4} OLU: 2]   „Das Vieh kenn' ich auch“, maulte Anya, „das ist eines dieser Monster von der dämlichen Lügenbaronin Nina Placatelli. Woher kennst du die denn, Summers?“ „Gar nicht“, erwiderte Matt steif, „aber ihr. Vielleicht besitze ich deshalb eines ihrer Monster?“ „Pft. Ist ja auch egal.“ Der Dämonenjäger nickte. „Völlig richtig. Ich aktiviere jetzt den dauerhaften Zauber [Xyz Wall]!“ Um Matts Teil des Spielfelds herum bildete sich ein bunter Schleier, den Nordlichtern nicht unähnlich. In ihm spiegelte sich das Antlitz von [Evilswarm Nightmare] dutzende Male wieder, als handle es sich um die Scherben eines zerbrochenen Spiegels. „Weiter geht’s mit [Xyz Shift Break]! Für einen Zug tauscht dieser Zauber den Effekt Nightmares mit einem gleichrangigen Xyz-Monster aus meinem Extradeck aus.“ Matt zückte bereits ein Monster namens [Evilswarm Ophion]. „Und jetzt aktiviere ich [Evilswarm Nightmares] neuen Effekt. Indem ich ein Xyz-Material abhänge, füge ich meiner Hand von meinem Deck eine Infestation-Karte hinzu! Expand Infection!“ Schwarze Schwingungen begannen aus allen Richtungen Nightmares Körper zu verlassen. Sie resonierten mit denen, die Matts Deck zeitgleich aussendete, aus welchem im Anschluss eine einzelne Karte schoss. „Ich nehme [Infestation Pandemic]! Und jetzt, da ich ein Xyz-Material von Nightmare durch Aktivierung seines Effekts abgehangen habe, kommt [Xyz Wall] ins Spiel! Diese erhöht jetzt die Verteidigung aller Monster in offener Verteidigungsposition um 1000!“ Der bunte Schleier um Matt herum wurde dichter. So dicht, dass man meinen konnte, es würde sich tatsächlich um eine echte Mauer handeln.   Evilswarm Nightmare [ATK/950 DEF/1950 → 2950 {4} OLU: 2 → 1]   Das getan, schob Matt eine seiner Handkarten in den mittleren Zauber- und Fallenkartenschlitz seines D-Pads. „Diese hier setze ich und gebe an Zanthe weiter. Damit erhält Nightmare seinen ursprünglichen Effekt zurück.“ Perfekt, dachte er dabei noch. Sein Monster würde jedem Versuch, es zu Fall zu bringen, standhalten. [Xyz Wall] beschützte zusätzlich Monster in Verteidigungsposition vor anderen Monstereffekten, während seine gesetzte [Infestation Pandemic] ihn gegen Zauber und Fallen absicherte. Und sollte Stoltz auf die Idee kommen, ein stärkeres Monster spezialbeschwören zu wollen, würde Nightmare es in die verdeckte Verteidigungsposition bringen. So leicht würde man seine Verteidigung nicht knacken! Trotzdem schien Stoltz belustigt, denn er kicherte unentwegt und zeigte mit dem langen, dürren Finger auf Matt. „Der Junge glaubt, sich hinter seinen Karten verstecken zu können. Der Junge irrt.“ „Wir werden sehen“, blieb dieser selbstbewusst. „Der Immaterielle irrt sich auch“, erwiderte Stoltz grinsend und sah abwechselnd von Anya zu Matt herüber. Anya verzog amüsiert die Mundwinkel. „Hast wohl gehört, was Levrier gesagt hat? Dass du keine Chance gegen uns drei hast.“ Hinter ihr erschien [Gem-Knight Pearl], Levriers durchsichtiger Avatar. Um genau zu sein sagte ich, er würde es sehr schwer haben. Deine Interpretation meiner Worte weicht von der Realität ab, Anya Bauer. Wie immer.   „Und trotzdem irrt der Immaterielle“, sagte Stoltz nur frohlockend.   Während das Geplänkel zwischen der 'Mumie' und Anya stattfand, griff Zanthe nach seinem Deck, doch zog er nicht. Etwas beunruhigte ihn. Damals, als er gegen Anya verloren und [Angel Wing Dragon] abgegeben hatte, fand eine Veränderung statt. Mit ihm, mit Angel Wing – und noch mehr, da war eine Kraft gewesen, welche er nicht begreifen konnte. Unscheinbar nur, für normale Menschen wie Anya nicht zu bemerken. Der Fluss der Energien wich im Moment seiner Niederlage von seinem Kurs ab, nur einen kurzen Augenblick. Nur ein flüchtiges Gefühl war es gewesen, dessen er sich selbst erst jetzt vollständig gewahr wurde. Als wäre mit seiner Niederlage etwas aus einem langen Schlaf erwacht. Und nun, da Drazen ebenfalls seinen Hüterstatus und darüber hinaus noch sein Leben verloren hatte, war diese Kraft, deren Repräsentant Stoltz war, endgültig auf sie aufmerksam geworden. Zanthe war sich sicher, noch mehr über Stoltz' Hintergründe zu wissen. Selbst den Namen glaubte er schon einmal gehört zu haben. Doch die Erinnerungen schienen so weit entfernt, dass er sie nicht erfassen konnte.   Unsicher, ob er die anderen beiden darauf hinweisen sollte, zog Zanthe auf sechs Karten auf. Er betrachtete sie. Vielleicht irrte er sich aber auch. Nein … Stoltz schien zu wissen, was Angel Wing war – und dass er offenbar nicht sein volles Potential entfaltete. Eines, um das selbst Zanthe bisher nicht wusste. „Ich beschwöre [Constellar Algiedi]“, rief er gedankenversunken und legte gleich zwei Karten in seinen Duellhandschuh ein, „und kann durch deren Effekt ein Stufe 4-Constellar spezialbeschwören. Also folgt [Constellar Kaus].“ Dabei war er derart mit Grübeln beschäftigt, dass er die beiden Schlüssel, die in seiner offen gehaltenen Handfläche erschienen, einfach zur Seite warf. Dort bildeten sich zwei Runentore, aus denen die beiden weißen Krieger brachen. Die linke, Algiedi, war eine Hexe in blauem Umhang, die einen Zauberstab schwang. Ihr Helm mit den nach hinten gebogenen Hörnern zeichnete sie zum Stern des Steinbocks aus. Ihr Partner, Kaus, war ein bogenschießender Zentaur, der Schütze. Constellar Algiedi [ATK/1600 DEF/1000 (4)] Constellar Kaus [ATK/1800 DEF/700 (4)]   „Stoltz“, grübelte Zanthe leise, „wo habe ich den Namen bloß schon einmal gehört?“ „Der verräterische Werwolf hat seine Pflicht vergessen“, gackerte Stoltz belustigt, „oder kennt er diese gar nicht? Wurde er nicht aufgeklärt darüber, was die Hüter beschützen?“ Zanthe sah ruckartig auf. „... nein. Ich glaube nicht. Ich habe Angel Wing noch nicht lange besessen und ich weiß nur, dass ich ihn niemals hergeben durfte. Mehr nicht.“ „Lügt der Werwolf? Oder will er wirklich nichts wissen?“ Stoltz legte seinen Kopf wortwörtlich auf die Schulter, da sein Hals bei der Bewegung einknickte. „Nun, es ist einerlei. Einem toten Wolf nützt das Wissen der Lebenden nicht.“ Jener zuckte unbedarft mit den Schultern. „Nicht so voreilig, noch lebe ich. Also sprich schon.“ „Der Wolf, der lebt, ist ein Fehlschlag. Die Undying teilen ihr Wissen nur mit denen, die ihnen ergeben dienen.“ Stoltz rückte seinen Kopf mit den Händen wieder in die richtige Position. Es war, als wäre sein Hals innerhalb einer Sekunde wieder stabil. „So einer ist der Werwolf nicht.“ „Dann kann ich dir auch nicht helfen“, wies Zanthe ihn ab, „also werde ich, der unwürdige Werwolf und Feind der ewigen Was-auch-immer, einfach meinen Zug fortsetzen!“ Dabei streckte er den Arm aus. „Bis zu zweimal pro Zug kann [Constellar Kaus] seine Stufe oder die seiner Mitstreiter um eins erhöhen. Los, bring euch beide aufs nächste Level!“ Kaus spannte seinen goldenen Bogen und schoss zwei gleißende Pfeile kerzengerade gen Himmel. Es verstrichen einige Sekunden, bis sie direkt auf ihn und Algiedi niedergeschossen kamen und beide bei Kontakt in goldene Auren hüllten.   Constellar Algiedi [ATK/1600 DEF/1000 (4 → 5)] Constellar Kaus [ATK/1800 DEF/700 (4 → 5)]   Der jung gebliebene Mann streckte den Arm aus. Seine Finger umschlossen den Griff eines langen, goldenen Schlüssels, der noch während der Bewegung entstanden war. Dabei sprach Zanthe, als er sich das seltsame Gebilde an die Stirn hielt: „Open a gate to the Sacred Star Knights! To the Overlay Network! Aus zwei Stufe 5-Lichtern wird ein scheinender Stern! Rang 5! Xyz Summon!“ Mit einer flinken Bewegung rammte er den Schlüssel in den Boden. Genau an der Stelle, in der jener versank, entstand ein sich weit ausbreitender Runenzirkel. Als dieser auch Algiedi und Kaus einschloss, versanken jene in ihm. Und als sie gänzlich verschwunden waren, trat vor Zanthe ein stolzer, weißer Krieger aus dem Kreis, der sein massives Goldschwert nicht etwa aufrecht führte, sondern falsch herum mit sich trug. „[Constellar Pleiades]!“, rief Zanthe seinen Namen. Um jenen rotierten seine beiden Xyz-Materialien.   Constellar Pleiades [ATK/2500 DEF/1500 {5} OLU: 2]   Matt sah fragend herüber zu Zanthe, der den Blick bemerkte und unter stillem Verständnis nickte. Dann schob er zwei Fallenkarten in seinen Duellhandschuh. „Damit dir auch nicht langweilig wird, setze ich diese beiden Schätzchen verdeckt.“ Zu beiden Füßen materialisierten sich die Karten vergrößert vor Zanthe. „Dein Zug, oh Undying Stoltz, hoher Herr von was auch immer und Verfechter von irgendwas, was du uns aber nicht so recht verraten willst! Mein Respekt ist dir gewiss!“ Zanthe macht noch einen damenhaften Knicks.   „Der verräterische Wolf mag Späße“, sagte Stoltz und zog schwungvoll auf, „der Undying auch. Deswegen soll der Wolf nicht der Erste sein, der stirbt.“ Den Kopf wieder bedrohlich schief legend, sah die groteske Gestalt ihr Blatt an. Dann zupfte sie mit ihren dürren Fingern eine Karte heraus und legte diese auf die goldene Apparatur an seinem Arm. „Der Undying beschwört [Centurion Atlas]!“ Ein kalter Wind fegte durch die Lichtung. Diesmal wurde er bemerkt, war sein Ursprung doch nicht zu übersehen. Hinter Stoltz baute sich eine mehrere Meter hohe Kreatur auf. Vier massive Beine aus Stahl stützten den Zentaur, dessen Körper aus unzähligen Würfeln bestand, die sich hin und her bewegten. In seiner Brustmitte war eine blaue Kugel eingelassen, die grell leuchtete. Sein Kopf war von einem Helm bedeckt, unter dem ein rotes Auge hervor stach. Centurion Atlas [ATK/2500 DEF/2500 (10)]   „Nicht im Ernst.“ Anya stand mit offenem Mund da. „Krasses Teil.“ Stoltz lachte bitterböse. „Der Centurion ist harmlos, da es ihm an einer geeigneten Energiequelle mangelt. So kann er auch ohne Tribute das Schlachtfeld betreten, doch verliert er in dem Fall ohne andere Monster der Stufe 10 mit genau 0 Angriffskraft die seine.“ Und so verdunkelte sich erst der Kern des riesigen Zentaurs, dann auch sein Auge. Die Bewegungen der Würfel stoppten augenblicklich.   Centurion Atlas [ATK/2500 → 0 DEF/2500 (10)]   Die gewaltige Kreatur sank auf die Vorderbeine, ließ leblos die Arme hängen und drohte in diesem Zustand, Stoltz unter ihrem massiven Gewicht zu begraben. „Der Undying setzt eine Karte verdeckt“, verkündete jener und ließ sie vor sich erscheinen. „Doch das markiert nicht das Ende seines Zuges, im Gegenteil. Der Undying aktiviert [Age Of Termination].“ Nichts tat sich um ihn und sein Monster herum, außer dass ein leises Klappern aus Atlas' Innerem zu vernehmen war.   [Anya: 4000LP Matt: 4000LP Zanthe: 4000LP //// Stoltz: 4000LP → 2000LP] „Ahja? Und was macht die?“, hakte Anya der Form halber nach. „Ein Centurion vermag nun jeden Feind anzugreifen, wenn er dafür im Austausch ein Leben mal 2000 erhält.“ Zanthe sah sofort herüber zu Matt. „Dann wird es sicher nicht bei 0 Angriffspunkten bleiben.“ „Nie im Leben“, erwiderte der aus Erfahrung, „mach dich bereit.“ „Der Werwolf hält sich für schlau“, kommentierte Stoltz dies und zückte eine weitere Zauberkarte, „vielleicht ist er es sogar? Der Undying aktiviert [Age Of Change]. Sie stellt vollkommen verbrauchte Energie wieder her und verdoppelt sie obendrein. Mit dem Zusatz, nun jede Verteidigung mit Durchschlagschaden zu strafen.“ Anya, Zanthe und Matt gaben überraschte Laute von sich, als [Centurion Atlas] sich mit einem Ruck wieder aufrichtete. Dabei glühte sein Kern nun nicht mehr blau, sondern rot auf, im Einklang mit seinem Auge.   Centurion Atlas [ATK/0 → 5000 DEF/2500 (10)]   „Okay, genug davon!“, polterte Zanthe. „Hier ist Endstation für dich und deine Schrottkiste! Ich aktiviere [Constellar Pleiades'] Effekt! Indem ich ein Xyz-Material abhänge, gebe ich eine deiner Karten auf die Hand zurück!“ Der weiße Krieger absorbierte eine der Lichtsphären um ihn herum mit dem verkehrt gehaltenen Schwert, welches er nun mit beiden Händen anpackte und in einer 360°-Drehung ausschwang.   Constellar Pleiades [ATK/2500 DEF/1500 {5} OLU: 2 → 1]   Dabei schickte er eine Schockwelle los, die direkt auf die Brust des Titans zusteuerte – und an einem unsichtbaren Schild abprallte. „[Age Of Termination] verhindert im Zug der Aktivierung die Auswirkungen aller zielenden Karteneffekte“, erklärte Stoltz und kicherte böse, „vielleicht ist der Werwolf doch nicht so klug wie er dachte.“ Alarmiert drehte sich Zanthe zu Matt um und machte mit den Händen eine ausholende Bewegung, die ausdrücken sollte: „Was nun!?“ Matt nickte herüber zu Anya, die auch noch eine verdeckte Karte besaß. Zanthe schüttelte wiederum skeptisch den Kopf, woraufhin der Dämonenjäger zustimmend seufzte. Stoltz indes schwang den dürren Arm aus. „Damit ein Centurion angreifen kann, muss zuvor eine verdeckte Nicht-Monsterkarte geopfert werden. So geschehe es mit [Age Of Wonders], die sich durch ihren eigenen Effekt zurück auf das Feld setzt.“ Die Karte vor seinen Füßen löste sich in bunten Partikeln auf, die vom Kern des Maschinenwesens absorbiert wurden. Gleichzeitig dazu entstand sie wieder vor Stoltz' Füßen. Dieser war aber längst damit beschäftigt, sich seiner übrigen drei Handkarten zu entledigen. „Und der Effekt von [Centurion Atlas] erhöht seine eigene Stärke um 500 für jede Karte, die sein Herr abwirft.“ Nun begann dessen 'Herz' regelrecht zu pulsieren.   Centurion Atlas [ATK/5000 → 6500 DEF/2500 (10)]   Der Blondine stand der Mund weit offen. „Alter … und das Vieh kann uns alle angreifen! Scheiße!“ „Und das wird der Centurion auch!“, versprach Stoltz düster. Anya weitete die Augen beim Anblick des riesigen, vierbeinigen Zentaurwesens, das sich wie ein Turm über der Lichtung erstreckte und die Bäume um sie herum winzig erschienen ließ. Langsam hob es seine Vorderläufe an. „Seht die Macht eines Undying! [Centurion Atlas], dreifacher Angriff!“, befahl der Bandagierte, der vor seinem Monster stand und brach in hysterisches Gelächter aus. „Sterbt! Sterbt, sterbt, sterbt, sterbt, sterbt!“ „Nein!“, schrie Anya aufgeregt. „Verdeckte Falle! [Negate Attack]!“ „[Draining Shield]!“, fauchte Zanthe in derselben Sekunde. „Falsch, falsch, falsch! Während eines Kampfes ist ein Centurion unantastbar!“, gackerte Stoltz und sah gen Himmel. „Die Feinde der ewigen Ordnung sollen den Schmerz spüren!“ Anyas und Zanthes aufgesprungene Fallenkarten klappten sich wieder zu. Letzterer weitete die Augen, denn er würde den Angriff nicht überstehen, wenn dieser jetzt durchkam! So aktivierte er seine zweite Karte, die sofort aufsprang. „Dann [Reinforced Space]! Wenn ich dieses Ding nicht beeinflussen kann, dann wenigstens andere! Xyz-Monster erhalten 300 Angriffspunkte für jedes ihrer Materialien, bis zum Ende des Zuges!“ Sein Monster und auch Matts [Evilswarm Nightmare] schrien stolz auf.   Evilswarm Nightmare [ATK/950 → 1250 DEF/2950 {4} OLU: 1] Constellar Pleiades [ATK/2500 → 2800 DEF/1500 {5} OLU: 1]   „Der Werwolf wird das Unvermeidliche nur hinauszögern! Leide!“ „Nur damit du's weißt, Angel Wing-“ „Wird den Kampfschaden nicht verhindern, da ein unter dem Einfluss von [Age Of Termination] stehendes Centurion dies unterbindet! Ihr werdet“, sagte Stoltz, „alle leiden! Und sterben! Sterben, sterben, sterben!“ Damit ließ Atlas seine Vorderläufe hinunter sausen. Aus der Vogelperspektive sah man, wie die Erde vom Monster ausgehend in Form eines Dreiecks tiefe Risse bekam, ehe das gesamte erfasste Gebiet unter lautem Getöse einfach in sich zusammenbrach. Dabei erklang der Schrei eines Mädchens und zweier Männer.   [Anya: 4000LP → 200LP Matt: 4000LP → 450LP Zanthe: 4000LP → 300LP //// Stoltz: 2000LP] Eine dichte Wolke aus aufgewirbeltem Staub überzog die gesamte Lichtung, die kaum noch als solche zu identifizieren war. Alles lag in Trümmern. Das finstere Gelächter des Undying durchdrang die Stille und als sich der Schleier lichtete, erblickte er vor sich zwei junge Menschen, die auf den eingebrochenen Stücken der Erde lagen und sich nicht regten. Aber Anyas Augen waren offen, obwohl sie drohte, in ihrer schrägen Lage auf dem angewinkelten Stück Boden in ein metertiefes Loch zu rutschen. Was für eine Macht! Sie hatte noch gesehen, wie der Angriff Angel Wing zerfetzt hatte, ohne dass dieser sie hätte vor dem Kampfschaden bewahren können. Gut, dass Levrier es nicht gewesen war, der diesen Angriff entgegen genommen hatte! Sie schielte in ihrem mitgenommenen Zustand herüber zu Matt, der auf dem Rücken lag und gen Himmel sah. Auf seinem blutverschmierten Gesicht stand das pure Entsetzen geschrieben. Nur Zanthe neben ihm war es gelungen, sich nicht der schieren Macht [Centurion Atlas'] zu beugen. Er hockte auf einem großen Stein, der durch den Angriff aus der Erde gehoben worden war und sah herüber zu Stoltz. Allerdings war auch seine Kleidung zerschlissen und an einigen Stellen rot getränkt. „Der hat's drauf, das muss man ihm lassen“, staunte er leise vor sich hin. „Wir müssen hier verschwinden, sofort!“ Zanthe blickte herüber zu Matt, der sich langsam aufrappelte. „Glaubst du nicht, dafür ist es etwas zu spät?“ Der Dämonenjäger kam schwankend auf die Beine und rannte herüber zu Anya. „Komm her, ehe er seinen Zug beendet! Höchste Zeit für Plan B!“ „Wa-“ „Mach schon!“ Widerwillig sprang Zanthe von seiner erhöhten Position und hüpfte von den Steinen und aufgerissenen Bodenplatten herüber zu Matt, der die völlig planlose Anya am Handgelenk packte. „Gib mir deine Hand!“, wandte jener sich zu Zanthe um und streckte die seine nach ihm aus. „Zug-“ Die beiden berührten sich schließlich. Ein grelles Licht begann von Matt auszugehen. „-beendet.“ Und die ganze Lichtung ging in einer heftigen Explosion unter. Stoltz legte den Kopf schief, als ihn die Schockwelle erfasste, aber nicht mitriss. Als jene vorbei war, betrachtete er sein Werk der Zerstörung grinsend. Nun war die Lichtung vor ihm zu nichts weiter als einem riesigen Krater verkommen. „Die Vögelchen sind entkommen. Aber nicht für lange. Ein Undying hat Zeit und weiß Rat. Wir werden uns wiedersehen, wenn das nächste Siegel gebrochen wird. Und vielleicht sogar schon davor.“   ~-~-~   Matt lehnte sich keuchend an einen Baum, am Straßenrand vor dem Waisenhaus. Plan B – die Flucht durch Teleportation, sie war geglückt. Er hatte es gesehen, während sie angegriffen worden waren. Stoltz' Friedhof hatte aufgeleuchtet. Irgendetwas darin, etwas dass er mit [Centurion Atlas'] Effekt abgeworfen hatte, wäre ihnen zum Verhängnis geworden. „… gut geschaltet“, murmelte er leise vor sich hin.   Nicht weit von ihm lagen Anya und Zanthe mit ausgestreckten Gliedmaßen mitten auf der Straße, völlig erschöpft. „Ich kann's nicht glauben“, murmelte die Blondine, „was war das für ein Freak?“ „Wenn ich das wüsste“, erhielt sie eine wenig hilfreiche Antwort. Einen Moment ruhten sie sich still von den Strapazen aus, bis Matt schließlich an sie heran trat. In seinem Gesicht stand die Anspannung geschrieben. „Wir müssen Alector von dem in Kenntnis setzen, was eben passiert ist.“ Mit einem Ruck hatte Anya sich kerzengerade aufgerichtet. „Spinnst du!? Der wird mir die Schuld dafür geben!“ „Und, ist das etwa nicht die Wahrheit?“ Die Blondine verstummte. Dann drehte sie den Kopf weg. „Yeah … Tch, meinetwegen, sagen wir's ihm. Hab eh keine Wahl, was?“ „Wird schon halb so wild.“ Zanthe raffte sich auf und half Anya dabei, es ihm gleich zu tun. „Bisschen Geschleime und vielleicht lässt er uns leben.“ Matt drehte sich in Richtung des Waisenhauses. Im Dunkel der noch jungen Nacht leuchtete es aus allen Fenstern hell wie eine Sonne. „Bin gespannt, was Alastair dazu bewegt hat, uns zurückzulassen …“ Mit diesen Worten ging er die Straße entlang, gefolgt von den beiden anderen. „Stimmt, da war ja auch noch was“, grummelte Anya, „der Tag ist schon so scheiße genug, ich hab keine Lust auf noch mehr schlechte Nachrichten.“ Zanthe neben ihr schnalzte mit der Zunge. „Schlimmer geht immer, liebe Anya. Gewöhn' dich dran, dann kannst du nicht enttäuscht werden.“   Als sie das Waisenhaus betraten, wurden sie auf dem Weg in Alectors Büro von dutzenden großer Augen beobachtet. Einige der Kinder steckten bereits in Schlafanzügen. Die Stufen ins nächste Stockwerk nehmend, sah Anya betrübt zu ihnen herunter. Es war Alectors gutes Recht zu erfahren, was passiert war. Von diesem Stoltz ging eine ernsthafte Gefahr aus, über die er informiert werden musste. Was, wenn dieses Monster zurückkehrte? Anya wollte nicht wissen, was dieser Undying den Kindern antun könnte. Sie folgten dem Gang, bogen dann um die Ecke und wenig später klopfte Matt schon an Alectors Tür. Als er sie zu öffnen versuchte, bemerkte er jedoch, dass sie abgeschlossen war. „Nanu …?“ „Bist du das, Matt?“, hörte er Als Stimme durch das Holz dringen. Irritiert davon, dass sein Freund in Alectors Büro eingeschlossen war, erwiderte er: „Ja. Warum ist-!?“ Das Klicken eines sich öffnenden Schlosses ertönte. Schon schwang die Tür auf. Alastair, immer noch in seinem roten Mantel, sah kurz auf den Gang und stellte fest, dass außer den Dreien niemand sonst hier war. Mit einem Kopfnicken nach rechts forderte er sie auf, das Büro zu betreten und als sie alle drin waren, schloss er hinter ihnen wieder ab.   Anya verstand sofort, was das alles sollte. Vor seinem Schreibtisch stand der erstaunlich kleine Alector und neben ihm ein alter Bekannter, eingekerkert in ein schmales, gelbes Kraftfeld. Langes, schwarzes Haar, eine Butleruniform. „Kyon …“, brummte sie. „Ich habe ihn dabei erwischt, wie er hier herumgeschnüffelt hat“, bellte Alector sofort, „aber er will mir nicht sagen, was er sucht.“ Der Blondine entglitt ein erleichtertes Stöhnen. „Und ich dacht' schon, jemand wie der Sam-“ Matt stieß das Mädchen von hinten an, sodass es jäh unterbrochen wurde. Die kapierte erst jetzt, dass sie Alector lieber nicht sagen sollte, wessen Vasallen er da gefangen hielt. Sofort richtete sie sich erschrocken auf. „Alter, lass den sofort frei!“ „Ich danke dir, Anya Bauer. Endlich jemand mit etwas Verstand“, sagte Kyon, der wie immer seine Sonnenbrille trug und nickte ihr anerkennend zu. Anya wurde kreidebleich beim bloßen Gedanken daran, was der Sammler mit ihr anstellen würde wenn er erfuhr, dass sein Handlanger wegen ihr festgehalten wurde. Was natürlich die Frage aufwarf, warum der überhaupt hier war. Die beschäftigte scheinbar auch Alector brennend. „Ihr kennt euch? Dann erklärt's mir! Der Drecksack tut geradezu so, als hätte er seine Zunge verschluckt!“ „Wie ich bereits sagte, mich zu foltern erzielt nicht den gewünschten Effekt“, sprach Kyon derart unbeeindruckt, als wären die garantiert unangenehmen Stunden mit Alector spurlos an ihm vorbei gezogen. „Keine Ahnung, so gut kenn' ich ihn auch nicht.“ Aber Anya fiel dabei etwas ein. Da gab es doch jemanden, der eine Karte von Kyons Deckthema spielte. Schelmisch schielte sie herüber zu Zanthe, der den direkten Blickkontakt mit dem Gefangenen mied. Zufall? „Warum sagst du nicht etwas dazu, Flohpelz?“   Überrascht zuckte Zanthe zusammen. Nur sehr widerwillig trat er unter den strengen Blicken der anderen Anwesenden vor und kratzte sich nervös am Kopf. „Ich? Wieso ich?“ „Tu doch nicht so“, schnarrte Anya. „Ich wette, ihr kennt euch!“ „Nein.“ „Aber natürlich.“ Der Werwolf weitete seine Augen, als ausgerechnet Kyons gleichzeitiger Ausruf den seinen übertönte und ihm darüber hinaus noch in den Rücken fiel. Die Unruhestifterin höchstpersönlich verschränkte triumphierend die Arme. „So so, sieh an. Und?“ Zanthe drehte den Kopf zur Seite. „Ist kompliziert und geht euch nichts an.“ „Eigentlich kennt er nicht mich, sondern mein Gefäß. Oder was mal mein Gefäß war, denn die Seele, die sich in diesem befand, ist bereits lange vor meiner Ankunft in diesem Waisenhaus fort“, erklärte der Immaterielle Kyon bereitwillig, „ihr müsst wissen, ich habe den Pakt geschlossen, weil in diesem Körper kein Bewusstsein mehr steckte. Ich denke, das ist besser, als ein denkendes Wesen zu bedräng-“   Plötzlich brach es aus Zanthe heraus. Er stürmte auf Kyon zu und schlug mit seinen Fäusten gegen den gelblichen Energieschirm, der den Butler umgab. „Und da musstest du dir ausgerechnet diesen Körper aussuchen!? Huh!?“ „Vorsicht!“, schrie Alector. Dampf stieg unter Zanthes Fäusten auf, die von der Energie versengt wurden. Jener ließ sich erst mit Gewalt von Alastair wegzerren. Zischend riss der Werwolf sich los und wandte sich von der ganzen Gruppe ab. Es brauchte einen Moment, ehe er seine Stimme wieder fand. „... er ist ungefährlich, soweit ich das beurteilen kann. Lassen Sie ihn bitte gehen.“ Alector sah mit misstrauischem Blick herüber zu Zanthe. Matt ergriff das Wort. „Tu was er sagt. Er ist zwar kein Freund, aber auch kein Feind.“ „Nein“, knurrte Alector, „der geht nirgendwo hin.“ Sofort stampfte Anya auf den pensionierten Dämonenjäger zu. „Besorg' dir'n Hörgerät, Opa! Wir sind uns alle einig! Also mach hinne!“ Gänzlich unbeeindruckt von der Blonden, sah Alector zu Matt und Alastair herüber. Während Letzterer keinen Hehl daraus machte, dass er die Meinung seines Mentors teilte, nickte Matt entschlossen. „Wenn wir ihn hier behalten, haben wir am Ende nur denjenigen an der Backe, der hinter ihm steht. Ich weiß, wie gerne du ihn umbringen möchtest, aber … lass es, okay? Das sorgt nur für mehr Probleme.“ Alector zischte wütend, lenkte aber trotz wegwischender Handbewegung ein. „Ich hoffe, du weißt, was du da tust …“ Er schnippte mit dem Finger und schon verschwand Kyons Käfig. Dieser verneigte sich höflich. „Ich bedanke mich, Matt Summers und entschuldige mich für den Ärger, den mein unbedachtes Handeln verursacht hat. Ich bürge dafür, dass es keine Konsequenzen bezüglich meiner Gefangenschaft für euch geben wird. Damit empfehle ich mich.“ „Hau bloß ab“, raunte Anya gallig. Das tat Kyon auch. Vor ihm öffnete sich ein ovales, schwarzes Portal mit spiegelnder Oberfläche, welches er durchschritt und das schließlich mit ihm verschwand.   Matt atmete tief durch. Die Frage, was der Kerl hier wollte, musste jetzt hinten anstehen. Zum Glück hatte sich Alector erstaunlich kooperativ gezeigt, ein Zeichen, dass er Matts Urteil vertraute, was bei dem alten Kauz selten genug vorkam. Aber es gab noch einen anderen Grund, warum Matt Kyon gehen ließ. Er wollte nicht, dass jener womöglich etwas von dem mithörte, was sie zu berichten hatten. Schließlich war es nicht auszuschließen, dass dieses Wissen über welchem Weg auch immer an den Sammler geriet, selbst wenn sie Kyon töteten. Bekanntlich konnte der Sammler Tote wiederauferstehen lassen. Es war das Beste so, zumindest hoffte Matt das. „Alector, wir haben ein Problem“, begann er dann. „Ich weiß. Etwas ist im Wald … war im Wald.“ Der pensionierte Dämonenjäger strich sich über den grauen, kurz geschnittenen Bart. „Die Resonanzchronosphären, die ich überall in der Gegend verteilt habe, sind mir durchgebrannt.“ „Das ist ein Werkzeug um Dämonenaktivitäten zu messen“, erklärte Alastair der unwissend dreinblickenden Anya. Daraufhin schilderte Matt, wie es zu der Begegnung mit Stoltz gekommen war. Zu Anyas Erleichterung änderte er die Geschehnisse so ab, dass nicht offensichtlich wurde, wessen Tun den neuen Feind auf den Plan gerufen hatte. Stattdessen ließ er Stoltz eher wie ein Monster wirken, dass von Anyas bloßer Existenz angezogen wurde. Und von seiner. Als er geendet hatte, saß Alector an seinem Schreibtisch. Der Lichtpunkt der Lampe im Zimmer spiegelte sich auf seiner Glatze zwischen dem Haarkranz. Über diese strich er nachdenklich. „Undying. Nein, das ist kein Begriff, den ich in meiner Laufbahn jemals gehört habe“, sagte er schließlich. „Kind, was für einen Stein hast du da ins Rollen gebracht?“ „Ich weiß es nicht“, seufzte Matt. „Aber ich glaube, wir haben ihn nicht zum letzten Mal gesehen. Er ist hinter mir und Anya her. Also sollten wir diesen Ort so schnell wie möglich verlassen.“ Umgehend stürzte sich Alastair dazwischen und riss Matt an den Schultern zu sich. „Das kann nicht dein Ernst sein, Matt!“ Jener drehte den Kopf zu Alector. „Du weißt, dass es nicht anders geht, oder?“ Der alte Mann legte seinen Kopf auf den Handrücken, während er seine Arme mit den Ellbogen vom Tisch abstützte. Er sagte nichts, doch in seinen Augen stand es auch so geschrieben: er sah ebenfalls keine andere Möglichkeit. „Al“, richtete sich Matt an seinen Freund, „wir müssen an die Kinder denken. Bleibe ich hier, riskiere ich nur, dass ihnen etwas geschieht.“ Langsam ließ Alastair ihn los. „Lass uns das alles in Ruhe bereden, Matt …“ Und das taten sie auch. Lange und ausführlich, während ihre Wunden von Alector versorgt wurden.   ~-~-~   Als sie kurz vor Mitternacht geendet hatten, waren Anya und Zanthe auf ihr 'Zimmer' zurückgekehrt – den Dachboden. Nebeneinander saßen sie auf den Kisten, die in der Ecke des engen Raumes standen und schwiegen sich gegenseitig an.   Die Gruppe hatte sich nach langer Diskussion geeinigt, wenigstens noch die Nacht hier zu verbringen. Am Morgen würden sie dann mit dem Zug wieder Richtung Anyas Heimat fahren, mit Matt im Gepäck. Jener war zwar alles andere als glücklich darüber, zeigte sich aber dennoch gefasst, Alastair, Alector und die anderen für eine Weile verlassen zu müssen. Denn jene würden hier bleiben, da sie die Kinder nicht alleine lassen konnten. Anya hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Sie hatte zwar das Artefakt, Heavy Ts Karte, aber zu welchem Preis? Drazen war tot, einen neuen Feind gab es auch und zu allem Überfluss hasste Matt sie jetzt wahrscheinlich dafür, dass er wieder in ihre Probleme hineingezogen worden war.   „Ist echt alles scheiße gelaufen, seit wir angekommen sind, huh?“, wandte sie sich an Zanthe. Der hatte ein Bein angezogen und legte sein Kinn auf dessen Knie, während er auf der Kiste hockte und ins Leere starrte. „Ist dir das auch schon aufgefallen, ja?“ „Tch, wenn du jetzt Schiss hast und nicht mehr mit mir reisen willst, kannst du gerne gehen“, erwiderte Anya trotzig. Zanthe zuckte lustlos mit den Schultern. „Vielleicht, mal sehen.“ Diese Antwort erschrak Anya mehr, als ihr lieb war. Er erwog tatsächlich zu gehen? Was würde dann aus seinem Heilmittel werden!? Und ihr? Immerhin wusste er eine Menge, was sie nicht wusste, besonders da er einer der Hüter gewesen war. Ganz zu schweigen davon, dass es dann niemanden gab, mit dem sie sich ordentlich zanken konnte! In dem Moment wurde ihr klar, dass sie Zanthe nicht ausschließlich als Nervensäge betrachtete. Eigentlich war sie recht froh, dass er sie begleitete, vielleicht weil er ihr irgendwie ähnelte und deswegen mit ihr mithalten konnte. „Hab ich nicht ernst gemeint“, brummte sie deswegen versöhnlich. „Ahja.“ Nicht gerade, was sie sich als Reaktion erhofft hatte. Schnaufend blickte sie weg und überlegte, ob sie es für heute nicht gut sein lassen sollte. Womöglich sagte er das auch nur, weil er ebenso erschöpft von dem Kampf war wie sie, so ging es ihr durch den Kopf.   Nein! Sie wollte es nicht dabei belassen. Ihre eigene Vergangenheit hatte sie gelehrt, dass es unendlich gut tat, wenn andere einem aufmunternd die Hand reichten. Nun war sie wirklich nicht die Art von Mensch, die so etwas sonderlich gut konnte. Um ehrlich zu sein, verschwendete sie an solche Gesten normalerweise keinen müden Gedanken. Aber so, wie sie sich Trost wegen ihres Fehlers wünschte, könnte das auch gerade bei Zanthe der Fall sein. Denn ja … Anya wünschte sich gerade nichts mehr, als dass jemand zu ihr sagte, dass es nicht ihre Schuld war, was mit Drazen geschehen war. Natürlich wäre das gelogen, darüber war sie sich im Klaren. Doch allein die Geste und das Gefühl, nicht verurteilt zu werden, waren, wonach sie sich sehnte. Gleichzeitig erkannte sie auch, dass sie niemals mit der Schuld hätte leben können, wenn sie damals im Turm von Neo Babylon ihre Freunde geopfert hätte. Auch wenn ein solches Leben ihr nie in Aussicht gestellt worden war. Dennoch … sie war froh, es nicht getan zu haben.   Sie schwang sich von der Kiste und drehte sich zu Zanthe um, der nur mit einer Augenbewegung zu ihr aufsah. „Hey, Flohzirkus … was ist los?“, fragte sie frei heraus. „Du bist sonst nie so depri und ich glaube kaum, dass das mit der Gruselmumie zusammenhängt.“ „Ich möcht' nicht drüber reden“, kam eine lasche Antwort. Anya fasste sich genervt an die Stirn. „Mir doch egal, ich will drüber reden! Glaubst du, es wird besser, wenn du vor dich hin schmollst? Wohl kaum!“ Zanthe ließ sein Bein sinken, saß jetzt aufrecht vor ihr. „Ich weiß es zu schätzen, dass du dir Sorgen um mich machst. Um ehrlich zu sein wusste ich gar nicht, dass du das überhaupt kannst. Aber diese Sache ist etwas, worüber ich nicht reden möchte, okay?“   Etwas Dunkles flackerte in Anyas Augen auf. Eine Art von Überlegenheit, die selbst Zanthe unheimlich war. Und er sollte auch wissen warum, als sie sagte: „Kyons Körper. Du bist schuld an dem Zustand desjenigen, der da vor ihm drin gesteckt hat, richtig?“ Zwar war Zanthe immer etwas blass um die Nase gewesen, doch Anya glaubte zu erkennen, wie sich der Farbton um noch ein paar Nuancen aufhellte. Der Mund des jungen Werwolfs stand offen, aber kein Ton kam über seine Kehle. Anya setzte sich daraufhin wieder neben ihn. „Hab ich den Jackpot geknackt?“ Keine Antwort. Das Mädchen legte behutsam ihre Hand auf seine Schulter. „Keine Ahnung was da zwischen dir und Pre-Kyon passiert ist, aber … es ist passiert. Ob du schuld bist oder nicht, es ist nicht mehr rückgängig zu machen. Wenn ich jetzt Abby wäre, würde ich so etwas sagen wie 'man muss lernen, sich selbst zu verzeihen' und solche Kacke. Da ich aber nicht Abby bin, musst du dir diesen Part selbst denken.“ Sie seufzte. „Er war dein erster Freund oder sogar mehr als das, nicht wahr? Du kannst mir ruhig erzählen, was passiert ist. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie es ist … wenn man Fehler macht.“ Langsam drehte Zanthe seinen Kopf in ihre Richtung und begann unvermittelt zu kichern. Ein kleines Äderchen zuckte an Anyas Schläfe. „Was ist daran so lustig!?“ „Alter, Anya, du-!“ Aber weiter kam er nicht, da er von einem ernsthaften Lachkrampf geschüttelt wurde. Die Blondine, die nicht verstand was jetzt los war, fuhr sich über die Haare und über das Gesicht in der Annahme, dass vielleicht irgendetwas auf ihr herumkrabbelte. Dem war aber nicht so, weshalb sie langsam ungehalten wurde. „Was ist denn!?“ „Du laberst so einen Schwachsinn und glaubst den dann auch noch“, prustete Zanthe und verstellte seine Stimme, so dass sie etwas tiefer klang, „ich habe meinen Freund ins Koma geprügelt, ich böser Junge. Aber jetzt ist Anya da und rettet mich!“ Der platzte der Kragen, sodass sie kurzerhand Zanthe von der Kiste schubste und sich auf ihn schmiss. „Du elende Kackratte, wie kannst du es wagen, dich über mich lustig zu machen!? Sei froh, dass sich überhaupt jemand für deinen kümmerlichen Werwolfarsch interessiert! Alter, wenn ich mit dir fertig bin, gibt’s einen mietbaren Körper mehr für die Immateriellen!“ Dabei drohte sie ihm mit erhobener Faust, doch Zanthe lachte weiter und drückte sie mit den Füßen von sich weg.   „Ist doch nur Spaß“, meinte er im Gerangel versöhnlich, „aber so daneben lagst du noch nie mit dem, was du so vor dich her blubberst!“ Anya aber hörte nichts mehr. Wäre Rot ein Ton, würde jetzt vermutlich eine Melodie namens Blutmarsch in ihrem inneren Ohr dudeln. Doch wenn man ehrlich war, tat sie das eigentlich immer, nur die Lautstärke variierte. „Vielleicht erzähl ich's dir irgendwann.“ Zanthe drehte kurzerhand den Spieß um, umklammerte Anyas Hüfte mit seinen Beinen und wälzte sie zu Boden. „Aber nicht heute. Und sicher auch nicht morgen.“ Ihren Fäusten ausweichend, nahm er an, dass sie ihn schon verstanden haben würde.   Wenig später lagen sie fix und fertig in ihren Schlafsäcken. Die einzelne Glühbirne, die das Zimmer zuvor erhellt hatte, war mittlerweile ausgeknipst. „Flohpelz?“, fragte Anya neugierig. „Meinst du, Summers hasst mich jetzt?“ Zanthe lag auf der Seite und hatte bereits die Augen geschlossen. „Nö, denn wenn er ehrlich mit sich selbst ist, ist er selber schuld, dass er dir geholfen hat.“ „Ich hab nur keinen Bock auf diese griesgrämige Masche, die er neuerdings an den Tag legt, damit das klar ist!“ Unvermittelt richtete Zanthe sich auf. Anya, die auf dem Rücken lag, konnte seine Umrisse dank des durch ein kleines Fenster in den Dachboden einfallenden Mondlichts deutlich sehen. Er trug sein schulterlanges, schwarzes Haar offen, was Anya insofern erstaunte, dass er sein Kopftuch wenigstens zum Schlafen mal abnahm. „Anya“, begann er ernst, „da gibt es noch etwas, was ich dir sagen muss.“   Er berichtete ihr von seiner Beobachtung bezüglich Matts Wunden beziehungsweise dem Fehlen ebenjener. Denn dasselbe war ihm abermals aufgefallen, als sie sich vom Schlachtfeld zurück zum Waisenhaus teleportiert hatten. Matts Kleidung war lädiert gewesen bis zum Geht-nicht-mehr, aber er selber? Kein Tropfen Blut, keine Schramme, nichts. Als Alector ihre Wunden versorgt hatte, war ihm nicht entgangen, dass Matt sich aus dem Zimmer gestohlen hatte unter dem Vorwand, mal eben auf die Toilette zu müssen. Eine halbe Stunde lang wohlgemerkt. Danach kam er in frischen Klamotten wieder und behauptete, ihn habe es nicht so schlimm erwischt, alles sei in Ordnung.   Als er geendet hatte, hatte sich Anya ebenfalls aufgerichtet. „Ne, ist mir nicht aufgefallen.“ „Vielleicht … hat er gelogen.“ „Inwiefern?“ Zanthe brauchte einen Moment, um seine Anschuldigung vor Anya auszusprechen. „Vielleicht ist Drazen nicht zu Staub zerfallen.“ „Du meinst, der hat sich nur verduftet? Aber warum sollte Matt uns deswegen anlügen?“ Der Werwolf klatschte sich die Hand gegen die Stirn, denn so viel Dummheit musste kompensiert werden und das ging nur durch Schmerz. „Anya! Du denkst in die falsche Richtung! Ich meinte, was ist, wenn er Drazen bewusst getötet hat?“ Jetzt, wo er es ausgesprochen hatte, merkte er selbst, wie schwerwiegend sein Vorwurf überhaupt war. So extrem, dass Anya einem Moment gar nichts herausbrachte. „... geh schlafen, Idiot“, zischte sie böse, „hast dich wohl noch nicht ganz von deinem komischen Werwolf-Rausch erholt.“ Zanthe war jedoch niemand, der einmal etwas Gesagtes nachträglich herunterspielte, weshalb er erwiderte: „Ich weiß, es ist verrückt, aber wir waren nicht anwesend. Und irgendwas Schräges ist da vorgegangen. Du hast doch diese schwarzen Blitze selbst gesehen, die waren doch äußerst ungewöhnlich, meinst du nicht?“ Anya schnaubte. „Ahja? Fragen wir Levrier, der kennt sich in so etwas am besten aus! Also los, raus mit der Sprache!“ Vor den beiden materialisierte sich [Gem-Knight Pearl] mit verschränkten Armen, direkt vor dem Fenster. Das Mondlicht drang durch seinen durchsichtigen Körper hindurch.   Ich komme nicht umher, Zanthe Montinari insofern zuzustimmen, dass ich ebenfalls eine merkwürdige Präsenz während des Duells gespürt habe. Diese lässt sich jedoch ganz einfach dadurch erklären, dass Matt Summers Deck von der dunklen Magie der Immateriellen Urila geschaffen wurde und jene immer noch in sich tragen könnte.   Anya warf sich regelrecht in ihren Schlafsack und drehte sich um. „Hörst du? Das hast du vermutlich gesehen. Ich kenne das Deck, ist halt etwas crazy! Matt würde nie jemanden kaltblütig ermorden.“ Seufzend sah Zanthe Levrier an. „Danke. Ich hoffe, du hast Recht.“ Überzeugt klang er dabei nicht.   Das kann ich dir nicht versprechen. Doch wie Anya Bauer sagte, ist Matt Summers ein gewissenhafter, ehrlicher Mensch. Seine derzeitige seelische Verfassung mag zerrissen sein, aber solch dunklen Gedanken ist er erhaben.   „Und die Wunden?“, fragte Zanthe, als wolle er nicht so leicht klein beigeben.   Sprich ihn selbst darauf an. Mehr kann ich dir dazu nicht sagen.   Levrier verschwand. „Können wir gerne morgen machen“, schlug Anya vor, „aber jetzt will ich pennen! Gute Nacht!“ „Nacht“, murmelte Zanthe, der immer noch aufrecht saß. Vielleicht wäre es tatsächlich das Beste, Matt einfach zu fragen? Am Ende sah er wirklich nur Schatten, die ihm einen Streich spielten …     Turn 50 – Mercy Anya, Matt und Zanthe verabschieden sich am nächsten Morgen von Alector und Alastair. Jener fährt sie noch zum Bahnhof, doch als er zurückkehrt, bemerkt er, dass ein Bannkreis um das Waisenhaus gesponnen wurde. Alarmiert betritt er diesen, nur um … Kapitel 55: Turn 50 - Mercy --------------------------- Turn 50 – Mercy     Der nächste Morgen begann für alle zunächst mit einem gemütlichen Frühstück. So gemütlich es eben ging, wenn man mit über 60 Kindern im selben Raum verweilte. Wie üblich ging es in der riesigen, ausgebauten Küche hoch her. Die drei langen Tafeln der Kinder waren bis auf den letzten Platz besetzt, lautes Geschnatter und Gekicher drang zu dem kleinen Tisch der Erzieher.   An jenem saßen auch Anya und Zanthe, aßen zusammen mit den beiden Erzieherinnen sowie Matt und Alastair Rührei und etwas Toast. Während die anderen vier sich über die finanzielle Lage des Waisenhauses unterhielten – offenbar ein echter Dauerbrenner – warfen Anya und Zanthe sich immer wieder verschwörerische Blicke zu. Letzterer nickte in Matts Richtung, als wolle er Anya auf etwas aufmerksam machen. Matt hatte bereits aufgegessen und seine Ellbogen auf den Tisch abgestützt. Erstaunlich ausgelassen scherzte er mit Alastair, wie der nur ohne seine Hilfe in dem Frauenhaushalt zu recht kommen würde. Anya drehte irritiert den Kopf zu Zanthe. „Was denn!?“ „Guck doch mal seine Arme an!“, flüsterte Zanthe, auch wenn es schon mehr nach einem Zischen klang. Das Mädchen musterte Matt erneut. Die Ärmel seines schwarzen Hemdes hatte er hochgekrempelt, weil er zuvor in der Küche geholfen hatte. Keine Narben waren an ihnen, keine Kratzer, gar nichts. „Da ist nichts!“ „Eben“, erwiderte Zanthe eindringlich, „was haben diejenigen, die sich mit Immateriellen vergnügen?“ Anya ging ein Licht auf. Natürlich, ein Paktmal! Sie selbst und ihre Freunde hatten solche besessen, darunter auch Matt. Als die Immateriellen, von denen sie sie hatten, dann das Zeitliche segneten, verschwanden die Male. Es war also nicht ungewöhnlich, dass Matt kein Paktmal- moment! Darauf wollte Zanthe hinaus! Wegen Matts unglaublichem Heilungsprozess hatten sie vorhin beim Aufstehen die Vermutung angestellt, ob er nicht vielleicht einen Pakt geschlossen haben könnte. Offensichtlich nicht. „Sackgasse“, nuschelte Anya. „Ich sagte doch, er-“   Unvermittelt sah der Schwarzhaarige mit dem nach hinten gekämmten, etwas nach oben stehendem Haar seine Gegenüber fragend an. „Was tuschelt ihr die ganze Zeit?“ „Nichts“, log Zanthe, „wir finden nur dein Hemd total schick.“ „Erzähl das deiner Großmutter“, murrte Matt und kniff die Augen zusammen. „Lästert ihr über mich?“ Anya grinste keck. „Klar, Summers! Wir sind total erstaunt darüber, wie fit du im Vergleich zu uns bist. Aber wen wundert das, du hast ja auch total auf Nummer sicher gespielt.“ Darauf wusste Matt im ersten Moment nichts zu erwidern, blinzelte nur verdutzt. „Sieh an, wer da spricht“, fiel ihr Zanthe unvermittelt in den Rücken. „Wer war denn von uns am wenigsten vorbereitet? So wirst du nie Duel Queen werden. Und sowieso, du bist derart eingerostet, dass du dem Typen kein Haar krümmen konntest in deinem Wutanfall. Andererseits, ob du nun dabei warst oder nicht, es hätte wohl eh nichts geändert …“ Den Kopf ganz langsam, fast schon in Zeitlupe zu ihm drehend, traten aus dem Weiß in Anyas Augen bereits deutlich die Äderchen hervor. „Was hast du gerade gesagt?“ Plötzlich lachte Alastair schallend auf. „Ich wäre an deiner Stelle auch wütend, wenn die einzige Qualität, die ich besitze, derart herabgestuft wird.“ Damit hatte Anya endgültig das Nachsehen und wurde von allen Seiten auf äußerst fragwürdige Art und Weise aufgemuntert.   Während sie sich den Seitenhieben der anderen ausgesetzt sah, traten zwei Kinder an ihren Stuhl heran, kaum älter als zehn Jahre. „Du“, begann der Junge schüchtern, „willst du mit uns spielen?“ „Wir haben gesehen, dass du ein Deck hast“, plapperte das Mädchen dagegen drauf los, „vielleicht-“ Die beiden verstummten abrupt, als Anya ihren Kopf in beängstigender Geschwindigkeit zu ihnen drehte. Das eine Auge von ihrem Pony verdeckt, sah sie die beiden geradezu manisch an. „Ä-äh vielleicht gehen wir besser“, stammelte der Junge erschrocken. „Nicht doch“, murmelte Anya und ein gehässiges Grinsen bildete sich auf ihren Lippen, „ich liebe Kinder. Lasst uns spielen.“ Damit stand sie auf und ließ sich wegführen, wobei die Kinder alles andere als glücklich dabei anmuteten. Zanthe sah ihnen mit gemischten Gefühlen hinterher. „Ich glaube, das wird in einer Katastrophe enden.“ „Immerhin beschäftigt sie sich mit ihnen“, brummte Alastair, „das rechne ich ihr hoch an.“ „Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass sie dabei keinen Hintergedanken hat?“ Matt seufzte. „Das da ist Anya.“ Zanthe nickte. „Da wird jemand einfach sein angeknackstes Ego aufpolieren wollen …“   ~-~-~   Wesentlich später als ursprünglich vorgesehen machte sich die Gruppe schließlich abreisefertig. Hauptsächlich lag dies an Anya, die ein Kind nach dem anderen zu einem Duell herausforderte, offenbar regelrecht in einem Rausch verfallen war. Am liebsten hätte sie sich gleich mehrere auf einmal zur Brust genommen, doch da die Kinder nur eine Duel Disk hatten, war dies nicht möglich. Dennoch hatten die Kinder Spaß dabei, da sie es mal mit einem anderen Gegner zu tun bekamen. Denen, die gegen Anya gewannen, verging der Spaß allerdings ganz schnell. Dann schrie sie so lange nach einer Revanche, bis die Kinder panisch zustimmten. Anya war nach einer etwas längeren Serie von Niederlagen – zwei Stück um genau zu sein – schon drauf und dran, ihre neue schwarze Weste zu verwetten, hätte Matt sie nicht aufgehalten.   Am späten Vormittag hatten Anya und Zanthe ihre Koffer schließlich gepackt. Jene lud Alastair in den vor dem Waisenhaus stehenden VW-Bus, während Matt noch auf sich warten ließ. Das Duo wartete im Türrahmen auf das fehlende Gruppenmitglied. Zu ihrer Überraschung trat aber nicht Matt, sondern Alector zwischen sie und betrachtete Alastair nachdenklich. Dann richtete er sich an Anya. „Kann ich kurz mit dir reden? Unter vier Augen?“ Die sah verwirrt Zanthe an, während der sich hämisch hinter Alectors Rücken mit dem Finger über die Kehle fuhr. Der warf daraufhin dem Werwolf einen scharfen Blick aus dem Augenwinkel zu. „Lass das!“ Mit der Zunge schnalzend, zuckte Zanthe mit den Schultern und rannte herüber zu Alastair, vermutlich um ihn wieder einmal erfolglos anzuflirten. „Was ist?“, wollte Anya wissen. „Sind Sie böse auf mich, weil ich ihren Liebling mitnehme?“ Alector fuhr sich über den Bart. „Böse trifft es nicht einmal annähernd. Du hast ihn in etwas hineingezogen, aus dem er womöglich nicht so leicht wieder herauskommt. Mach mir nichts vor, es hängt mit dem Gefallen zusammen, den du von ihm eingefordert hast. Er ist ein schlechter Lügner.“ „Keine Ahnung, sieht ganz danach aus“, gestand Anya, da sie keinen Sinn darin sah, es abstreiten zu wollen. „Da er jetzt mit dir reist, hast du die Verantwortung, ihn ebenso zu beschützen wie er dich beschützen wird. Ich hoffe, dessen bist du dir bewusst.“ Alector sah sie scharf von der Seite an. Sie erwiderte den Blick unerschrocken. „Gibt Schlimmeres.“ Der alte Mann trat einen Schritt vor. „Glaub mir, das gibt es. Und höre ich davon, dass ihm etwas geschehen ist, während er mit dir zusammen war, werde ich dich finden und dir zeigen, von welcher Art von 'schlimm' ich rede.“ Anya lachte plötzlich belustigt und schlug ihm unvermittelt auf die Schulter. „Bevor das passiert, zeig ich Ihnen erstmal, was ich unter 'schlimm' verstehe, 'kay?“ Er drehte sich, etwas aus dem Konzept gebracht, perplex zu ihr um, doch starrte er nicht etwa in ein vergnügtes, sondern sehr ernstes Gesicht. „Aber das ist doch gar nicht, worüber Sie wirklich reden wollten, oder? Dieselbe Predigt haben Sie uns gestern schon gehalten.“ „Nein“, erwiderte er schließlich, „ich habe eine Frage an dich. Ich hoffe, du kannst mir die Antwort geben, die Matt mir nicht geben konnte.“ „Und worum geht’s?“ „Es dürfte dich nicht überraschen, dass dein Name mir schon bekannt war, noch bevor du hierher gekommen bist. Wie du dich sicher noch erinnern wirst, hat Matt mich bezüglich deines damaligen Problems um Hilfe gebeten.“ Zur Verdeutlichung zeigte er auf ihren nackten Unterarm. „Es ging um den Pakt, aus dem du dich lösen wolltest.“ Das Mädchen hob jenen Arm und betrachtete ihn. „Ja, da war doch diese Geschichte mit dem Jinn. Sie haben uns diese Lampe geschickt. Natürlich ist alles schief gegangen … das war alles Ihre Schuld, wenn man's recht betrachtet!“ Alector überhörte den Kommentar und sah sie eindringlich an. „Anya, du warst gefangen, während der Jinn sich deines Körpers bemächtigt hat. Warst du da alleine? Oder waren da noch andere, die mit dir eingesperrt waren und jetzt vielleicht frei sind?“ Blinzelnd sah sie von ihrem Arm auf und schüttelte den Kopf. „Nein, ich war alleine, in meinem Elysion.“ Daraufhin ließ Alector den Kopf hängen. „Schade … ich hatte gehofft, dass du vielleicht auf einen Mann getroffen wärst. Du musst wissen, ich habe lange gebraucht, um diese Lampe ausfindig zu machen. Alastairs Großvater ist ebenfalls auf der Suche nach ihr gewesen und verschwunden. Ich habe alles in dem Brief erklärt gehabt, der dem Paket beilag.“ Das Mädchen kratzte sich am Kopf. „Sorry, aber da war kein Brief. Vielleicht 'ne Notiz, aber kein Brief, in dem etwas über Big Als Opa stand.“ „Das hat Matt mir auch gesagt.“ Alector drehte sich um und ging an ihr vorbei. „Gut, dass ich Alastair nichts davon erzählt habe, er hätte sich nur falsche Hoffnungen gemacht. Nun habe ich Gewissheit. Bitte behalte das für dich.“ Auf der Türschwelle drehte er sich ihr noch einmal zu. „Gute Reise und viel Glück. Du wirst es brauchen …“ Damit ließ er sie zurück und verschwand ins Innere des Waisenhauses. Mitten auf dem Gang traf er auf Matt, aber Anya entschied sich außer Hörweite zu gehen, damit die beiden sich ungestört voneinander verabschieden konnten.   Zanthe kam ihr vom VW-Bus aus entgegen, die Mundwinkel erwartungsgemäß tief nach unten gezogen. Anya grinste dreckig. „Na, haste wieder festgestellt, dass er nichts von dir will?“ „Ein Wort, Anya, und ich stell dich dem Erdboden vor“, erwiderte er griesgrämig, „und glaub mir, eure Beziehung wird sehr intim werden.“ Das Mädchen winkte ab und rückte dann ihre Weste zurecht. „Hey, der Spruch könnte von mir sein. Tch, nimm's nicht so schwer. Mach lieber was kaputt, das hilft.“ „Und was?“ Matt trat unvermittelt hinter Anya hervor. „Das kannst du meinetwegen machen, wenn wir in Livington sind.“ „Hat der Alte dir nochmal 'ne Tracht Prügel verpasst?“, fragte Anya hoffnungsfroh, während sie zu dritt zum Wagen liefen. Matt nickte. „Verbal, ja.“ „Sag mal, Summers“, fiel Anya noch etwas ein, „wieso heilen deine Wunden eigentlich so schnell? Der Flohpelz meint, die würden verschwinden, noch bevor sie richtig zu bluten anfangen?“ Matt blieb abrupt stehen. Zanthe auch, der Anya umgehend einen Jetzt-wälzt-du's-auf-mich-ab-was?-Blick zuwarf. Die zeigte ihm ungekünstelt den Mittelfinger. Matt drehte sich zu Zanthe um, in seinem Blick lag dabei etwas Undeutbares. Dann schob er den Ärmel seines schwarzen Mantels und anschließend den seines gleichfarbigen Hemdes hoch. „Was ist da?“, fragte Anya, die nur gesunde Haut sah. „Nichts“, erwiderte Matt und zupfte seine Sachen wieder zurecht, „wo ich nicht verletzt werde, kann ich logischerweise auch keine Wunden haben. Einleuchtend, oder?“ Ohne sich weiter mit ihnen abzugeben, schritt Matt herüber zu Alastair und unterhielt sich noch kurz über die Zukunft des Waisenhauses. Zanthe legte den Kopf schief. „Das Thema war für ihn aber schnell erledigt.“ „Na ja, klingt doch logisch. Nur weil seine Kleidung zerfetzt wird, heißt das ja nicht, dass dasselbe auch mit seiner Haut passiert.“ Der Kopftuchträger stöhnte. „Anya … wirklich jetzt?“ Wirklich jetzt, wie sie ihm dadurch ausdrückte, dass sie ihn ebenfalls stehen ließ. „Das stinkt doch alles zum Himmel“, zischte er frustriert.   Schließlich fuhren sie los, nachdem sie sich noch einmal von den Erzieherinnen und Kindern verabschiedet hatten, die ihnen wild hinterher winkten. Anya hatte dieses Mal nicht das Glück, vorne zu sitzen und durfte sich die Ladefläche mit Zanthe teilen, während Alastair den Wagen fuhr. Der Weg zum Bahnhof war derselbe, den sie letztes Mal genommen hatten. Sie fuhren durch das kleine Dorf San Augustino, über eine Landstraße vorbei an der kleinen Kapelle, bis sie letztlich den Bahnhof mit dem Uhrenturm erreicht hatten.   Anya öffnete die beiden Türen des VW-Busses und wartete darauf, dass Matt ihr seinen Koffer abnahm. Danach sprang sie von der Ladefläche, mit dem ihren in der Hand und wartete auf Zanthe, der die ganze Zeit vor sich hin schmollte und erst gar nicht daran dachte, dass er jetzt aussteigen musste. Derweil umarmten sich Matt und Alastair fest. Letzterer klopfte seinem Freund sanft auf den Rücken. „Halt die Ohren steif, Matt. Wenn etwas ist, du etwas brauchst, sag uns unbedingt Bescheid.“ „Ach, die Telefonrechnungen sind schon bezahlt?“, gluckste der. „Mach ich.“ Die beiden lösten sich voneinander. Der Hüne drehte sich zu Anya und reichte ihr seine Hand, die jene eher zögerlich annahm, da sie sich noch nicht so recht dran gewöhnt hatte, nicht mehr die Schlangenzunge zu sein. „Du gib ebenfalls auf dich Acht. Und auf Matt.“ „Wenn's sein muss“, nölte sie. Zanthe stellte sich neben sie und reichte ihm ebenfalls die Hand, aber ein böser Blick Alastairs reichte aus, damit er sie prompt wieder wegzog. „Alter, was hast du zu ihm gesagt?“, wollte Anya fasziniert von der Reaktion wissen. Dass ihr Begleiter sich darüber ausschwieg ließ viel Raum für Interpretationen. Alastair stieg in den VW-Bus und winkte ihnen aus dem offenen Fenster noch einmal zu, ehe er losfuhr und dabei noch einmal kräftig auf die Hupe drückte. Die Hände in die Hüften stemmend, meinte Anya: „Tja, ohne ihn wird’s wohl nicht dasselbe sein. Ach ja“, fiel ihr da ein und sie wandte sich an die anderen beiden, „kann ich Nick noch schnell anrufen? Muss da was klären.“ „Meinetwegen, aber beeil' dich, der Zug dürfte gleich kommen“, willigte Matt ein.   ~-~-~   Währenddessen saß Alastair am Lenker des schwarzen VW-Busses und war in Gedanken versunken. Ob es wirklich richtig war, diese Kinder und Matt alleine losziehen zu lassen? Wenn es nicht für das Waisenhaus wäre, hätte er sie begleitet. Aber er wurde dort gebraucht, Alector konnte die Arbeit nicht ohne ihn bewältigen. Matts Verlust war schon schlimm genug.   Er schaute aus dem Fenster nach links, wo er die kleine, weiß gestrichene Kapelle sah. Für die Drei hatte er sogar gebetet, obwohl sein Glaube an Gott seit Anothers Taten zunehmend ins Wanken geraten war. Manchmal fürchtete er, dass Gott tot war und nur noch Böses diese Welt heimsuchte. Matt hatte es ihm erzählt. Was der Sammler Anya antat, indem er sie erpresste. Allein der Gedanke, dass der Collector nicht einmal das einzige Wesen seiner Größenordnung war, ließ ihn zutiefst erschaudern. Und er konnte verstehen, dass Matt Anya nichts von den anderen erzählen wollte, denn mit ihnen zu verkehren würde die Sache mit Sicherheit nur komplizierter machen. Keiner von denen würde ihr ohne Gegenleistung helfen. Wenn sie es überhaupt täten. Als Alastair das Dorf erreichte, fühlte er sich mit einem Male unwohl. Es war nur ein Bauchgefühl, aber etwas stimmte nicht. Draußen gingen die wenigen Leute, die man sah, ihrem gewohnten Tagesablauf nach. An einer Straßenecke stand ein kleiner Fischstand, aber irgendetwas störte Alastair und er konnte nicht beschreiben, was es war.   Die Gedanken durch das Schütteln seines Kopfes vertreibend, durchquerte er das Dorf und nahm die Straße Richtung des Waisenhauses. Je näher er diesem kam, desto stärker wurde das Unwohlsein. Bis er es begriff. Einige Meter vor der Auffahrt bremste er den Wagen und stieg hastig aus. Er konnte das weiße, leicht marodierte Haus bereits sehen. Nichts. Kein Kind draußen, etwas, das ganz gewiss nicht normal war. Niemand war hier, das spürte Alastair. Noch ein paar Schritte ging er vorwärts, dann blieb er stehen. Und streckte den Arm nach vorne aus, welcher von rosafarbenen Entladungen heimgesucht wurde. Keuchend riss er die Hand weg. „Bannkreis … Alectors!“, erkannte er und versuchte, sich selbst Einlass zu schenken. Er kannte die Art, wie sein alter Lehrmeister seine Schutzfelder aufbaute. Täte er das nicht, gäbe es keine Chance für ihn, den Bannkreis zu betreten. Er brauchte eine Weile, aber dann gelang es. Regelrecht hinein gezogen wurde er in den von außen her unsichtbaren Kasten. Innen jedoch konnte er erkennen, wie sich die Mauern rund um das Grundstück erhoben und es in eine künstliche Dimension verschoben hatten. Wie abgeschnitten, in einem rosafarbenen Kasten sah es hier aus, denn nach den Barrieren hörte das Blickfeld abrupt auf. Alastair konnte keine Kampfspuren sehen, während er sich dem großen Gebäude näherte. Und dass der Bannkreis noch funktionierte, bedeutete, dass Alector noch am Leben war. Aber weshalb hatte er diesen überhaupt errichtet? Mehr noch, etwas irritierte den Hünen im roten Mantel. Es hatte ihn ungewöhnlich viel Zeit gekostet, sich Eintritt zu verschaffen. Fast, als wäre der Bannkreis von doppelter Intensität, was allerdings jeglicher Logik entbehrte – ein normaler war für gewöhnlich völlig ausreichend und besonders die von Alector waren ohnehin so stark, dass niemand sie ohne Weiteres durchbrechen konnte, wenn er nicht genau wusste wie.   Er sah herüber zu dem kleinen Schuppen. In dem Moment drang ein Surren an ein Ohr. Ohne nachzudenken sprang Alastair zur Seite. Seine weit offen stehenden Augen verfolgten den hellblauen Energiestrahl, wie er sich seinen Weg an ihm vorbei bahnte und regelrecht in den Boden fraß. Sofort sah er nach oben, zur Quelle. Dort stand sie, eine Gestalt, wie sie absurder nicht sein konnte. Bandagiert waren ihre unglaublich langen Gliedmaßen, gekleidet in eine weiße Panzerung samt Helm. Eines der Augen war ebenfalls eingewickelt, das anderen hingegen leuchtete rötlich. „Er ist endlich gekommen, der Dämonenjäger, der den Feinden der ewigen Ordnung hilft.“ Anstatt von der Dachkante zu springen, tauchte die Gestalt wie aus dem Nichts vor dem Eingang des Waisenhauses auf. „Wer bist du!?“, wollte Alastair wissen, der seitwärts ging, da er es nicht wagte, diesem unbekannten Wesen zu nahe zu kommen. „Dieser ist ein Undying namens Stoltz. Gekommen, um …“, aber statt den Satz zu beenden, kicherte jener nur geheimnisvoll. Sofort erkannte Alastair ihn als denjenigen aus Matts Berichten wieder. Ein unsterbliches Wesen. Also waren die Befürchtungen berechtigt gewesen, es war hinter Matt und Anya her. „Die, die du suchst, sind nicht mehr hier!“, polterte er. „Oh doch, er ist genau hier. Vor des Undying Nase.“ Der Hüne weitete die Augen. „Von wem sprichst du …? Wo ist Alector!?“ Ein bösartiges Grinsen huschte über Stoltz' spröde Lippen, als er seinen langen Arm anhob und präsentierte. Er war voller Blut. „Jener Mann hat tapfer gekämpft, doch am Ende verloren. Und doch weigert er sich zu vergehen. Hat den Undying in einen separaten Bannkreis eingesperrt. Narr. Dachte er, er würde den Undying damit aufhalten können?“   Alastairs Kinnlade klappte herunter. Sein Mentor war schwer verwundet!? Ein zweiter Bannkreis? Natürlich, jetzt begriff es Alastair. Alector musste erkannt haben, dass er diesen Stoltz unmöglich besiegen konnte und sperrte ihn daher in einem sich mit dem anderen Bannkreis überlagerndem Gefängnis ein! Deshalb war es so schwer gewesen, hier einzudringen, in die zweite Ebene.   Plötzlich schlug Alastair die Hände zusammen und schrie auf. Die quaderförmige Barriere, die das Waisenhaus umgab, leuchtete grell auf, verfärbte sich grünlich. „Du wirst hier nicht rauskommen!“, knurrte Alastair. Stoltz kicherte. „Der Dämonenjäger benutzt seinen eigenen Bannkreis als zusätzliches Siegel. Also muss der Undying erst ihn töten, bevor er hoffen kann, dass das Leben des anderen gänzlich schwindet …“   Alastair stand der Schweiß auf der Stirn. Spätestens jetzt musste sein Mentor bemerkt haben, dass er wieder zurück war und Stoltz festhielt. Inständig hoffte der Hüne, dass Alector verstehen und sich daran machen würde, die Kinder zu evakuieren, die sich vermutlich in seinem ersten Bannkreis befanden. Er würde diesen Dämon aufhalten, egal was es kostet-   „... aber genau deswegen ist er doch hier. Und ein Exempel an den Feinden der ewigen Ordnung zu statuieren.“ Der Schwarzhaarige horchte auf. „Was!?“ „Dies ist die Warnung, die der Undying seinen Feinden noch nicht hat zukommen lassen.“ Stoltz streckte den langen Arm aus, an dem eine goldene, am Ansatz des Spielplans zur Seite gerichtete Duel Disk erschien. „Du bist wegen uns hier“, erkannte Alastair, „widerliche Kreatur! Statt dich deinen Feinden zu stellen, greifst du lieber ein Waisenhaus an! Dafür wirst du bezahlen!“ Unter einem wütenden Aufschrei holte er aus seinem roten Mantel ein schwarzes D-Pad hervor und rüstete sich damit aus. Die gelben Zähne zeigend, rief Stoltz zusammen mit Alastair im Einklang: „Duell!“   [Alastair: 4000LP / Stoltz: 4000LP]   Alastair atmete hastig. Sein Bannkreis beschützte das Waisenhaus vorerst vor Schäden, doch nur solange er lebte. Würde er sterben, hieße das, dass alle Schäden innerhalb des Bannkreises sich auf die Realität übertragen würden. Denn den Worten dieses Wesens entnahm er, dass sein Meister es nicht schaffen und sein Bannkreis damit bald schwinden würde. Dann gab es nur noch den seinen. Er durfte also nicht verlieren! Das konnte nicht sein! Alector konnte doch unmöglich …   „Ich beginne!“, polterte er und zog sein Startblatt. „Draw!“ Sein Gegner kicherte nur bösartig. „Dem Undying macht das nichts aus.“ Sofort zeigte Alastair eine Karte vor, nachdem er die aufgezogene in sein Blatt gesteckt hatte. „Schnellmagie! [Celestial Transformation]! Sie beschwört einen Engel als Spezialbeschwörung von meiner Hand, doch sein Angriffswert wird halbiert und der Ende des Zuges ist auch sein Ende. Erscheine, [Vylon Stigma]!“ Vor ihm tauchte eine beinlose, mechanische Gestalt auf. Der schwarze Körper war mit Gold verziert, selbst die jeweils vier Klauen, die sich an den beiden schlauchartigen Armen befanden.   Vylon Stigma [ATK/1600 → 800 DEF/1000 (4)]   Sofort legte Alastair noch eine Karte auf seine Duel Disk. „Als Normalbeschwörung rufe ich [Vylon Cube]!“ Noch eine der seltsamen Kreaturen erschien. Es war ein weißer Würfel mit goldenen Armen und einem kleinen Auswuchs, der als Kopf diente.   Vylon Cube [ATK/800 DEF/800 (3)]   Alastair streckte die offene Handfläche in die Höhe. „Da [Vylon Cube] ein Empfänger ist, stimme ich ihn auf [Vylon Stigma] ein!“ Seine beiden Monster stiegen in die Luft auf. Der Würfel zersprang in drei leuchtende, grüne Energieringe, die die andere Maschine durchquerte. „Level 3, [Vylon Cube] und Level 4, [Vylon Stigma]! Infinite potential lies within the heart of steel. Cover this infected world with your sacred wings! Synchro Summon! [Vylon Delta]!“ Ein greller Lichtblitz schoss durch die Ringe. Und aus ihnen flog schließlich eine weiße Gestalt mit stählernen Flügeln, die stark an einen Engel erinnerte. Ihr Leib endete in einer rot glühenden Spitze, eingerahmt von drei schwebenden, goldenen Ringen. Delta legte schützend die Schwingen vor seinen Körper, während es über Alastair verharrte.   Vylon Delta [ATK/1700 DEF/2800 (7)]   Alastair nahm sein Deck aus der Halterung. „Wenn [Vylon Cube] für die Synchrobeschwörung eines Licht-Monsters verwendet wird, erhalte ich eine Ausrüstungsmagie von meinem Kartenstapel. Und da ich meinen Zug gleichzeitig beende, erhalte ich eine weitere durch [Vylon Deltas] Effekt.“ So nahm er gleich zwei, [Vylon Material] und [Vylon Filament], und zeigte sie vor.   Stoltz indes gab sich gänzlich unbeeindruckt und zog auf. „Der Dämonenjäger möchte das hier schnell beenden, aber er weiß nicht wie. Ist dem nicht so?“ „Ich bin kein Dämonenjäger mehr!“, erwiderte Alastair ungehalten. „Ich habe keine Absichten, irgendjemandem zu schaden!“ „Der ehemalige Dämonenjäger nicht, seine Freunde jedoch schon. Und er riecht nach ihnen. Nein, stinkt förmlich danach.“ Stoltz zeigte seine fauligen, gelben Zähne. „Widerlicher kleiner Mensch.“ Der Hüne schnaubte. „Welchen Verbrechens beschuldigst du Matt!?“ „Namen sind unwichtig, genauso das, was mit ihnen verbunden wird. Einzig das Resultat ist entscheidend. Die Feinde der ewigen Ordnung sind entwischt, aber um die Botschaft zu verdeutlichen, wird der Undying ein Exempel statuieren. Jeder soll wissen, was geschieht, wenn man die Undying herausfordert.“ Was Alastair dazu brachte, wütend den Arm auszuschwingen, hatte er das Gefühl, als würden sie völlig aneinander vorbeireden. „Selbst wenn sie Unrecht tun, wie kannst du es wagen, mich ausgerechnet hier dafür zur Rechenschaft zu ziehen!? Ich bin bereit zu verhandeln, wenn es nötig ist. Ich werde mit ihnen reden-“ Stoltz grinste noch breiter, als es ohnehin schon möglich für ihn schien. „Der Undying hat kein Interesse. Die Botschaft wird zu seinen Konditionen übermittelt. Und nun: Beschwörung, [Centurion Atlas]!“ Alastair wurde von einem kalten Wind erfasst, der entstand, als hinter seinem bandagierten Gegner ein mehrere Meter großer, mechanischer Zentaur auftauchte, bestehend aus unzähligen Würfeln, die sich hin und wieder zurück bewegten, um die Umrisse des Wesens zu korrigieren. Unter seinem Helm stach ein rot leuchtendes Auge hervor.   Centurion Atlas [ATK/2500 → 0 DEF/2500 (10)]   Alastair keuchte irritiert, als er Zeuge wurde, wie der in Atlas' Brust leuchtende Energiekern sich verdunkelte und das Wesen plötzlich den Oberkörper hängen ließ und wie tot da stand. „Der Undying hat [Centurion Atlas] ohne Tribut beschworen, obwohl keine passende Energiequelle vorhanden ist, weshalb die Stärke seines Monsters auf 0 fällt.“ Allerdings zeigte Stoltz bereits eine Zauberkarte vor, die dies ändern sollte. „Aber das ist nur ein Vorteil, denn er kann dadurch [Age Of Change] aktivieren, die die Stärke eines Monsters verdoppelt, wenn seine Angriffskraft auf 0 reduziert wurde. Zusätzlich fügt es durchschlagenden Kampfschaden zu.“ Mit einem Ruck richtete sich Atlas wieder auf. Der Kern in seiner Brust leuchtete nun bedrohlich rot.   Centurion Atlas [ATK/0 → 5000 DEF/2500 (10)]   „Centurions können allerdings nur angreifen, wenn der Undying eine verdeckte Zauber- oder Fallenkarte als Kompensation anbietet. Alles hat seinen Preis“, kicherte Stoltz und setzte eine Zauberkarte, die vor ihm erschien und sich sofort auflöste, „doch manchmal zahlt das Schicksal ihn zurück.“ Ganz zu Alastairs blankem Entsetzen materialisierte sich die eben geopferte Karte zurück aufs Feld. „[Age Of Wonders] setzt sich zurück aufs Feld, wenn sie durch einen Karteneffekt des Undying auf den Friedhof gelegt wurde.“ Stoltz grinste und streckte die Hand aus. „Und nun erlebe den Zorn eines Undying am eigenen Leib! Angriff!“ Im rot leuchtenden Auge des Zentauren sammelte sich Energie an, die dieser in Form eines gebündelten Strahls auf [Vylon Delta] gerichtet entlud. Dieses wurde getroffen und explodierte in einem ohrenbetäubenden Knall. Seine Trümmerteile gingen wie ein Regen nieder und schlugen unter anderem in das Dach des Waisenhauses ein. Alastair wurde von der Druckwelle auf den Boden gepresst und schrie fassungslos, als er die Zerstörung mit ansah, die sein Monster gebracht hatte. „Nein!“ Ein herabfallendes, spitzes Teil drohte ihn aufzuspießen, doch Alastair rollte sich instinktiv zur Seite und entging seinem sicheren Tod in letzter Sekunde. Dann zersprangen die umliegenden Trümmerteile.   [Alastair: 4000LP → 1800LP / Stoltz: 4000LP]   Zufrieden grinste Stoltz und legte seinen Kopf schief. Dabei griff er eine Karte aus seinem Blatt und setzte sie neben [Age Of Wonders] verdeckt, wo jene sich dann auch materialisierte. „Der Undying beendet seinen Zug. Armer kleiner Dämonenjäger, erkennt er doch den Ernst der Lage nicht.“ Er spielte darauf an, dass der inzwischen aufgeraffte Alastair mehr mit den Schäden an Haus und Hof der Anstalt beschäftigt war, denn mit seinem eigenen Wohlbefinden. „Du Monster!“, bellte er und wandte sich an Stoltz, zeigte mit dem Finger auf ihn. „Dort drinnen sind vielleicht noch Kinder! Weißt du was geschehen könnte, wenn du mich jetzt tötest!?“ Stoltz leckte sich über die Lippen. „Der Undying ist neugierig …“ Sein Gegenüber keuchte, fassungslos vom Blutdurst der grotesken Gestalt.   „Draw!“, brüllte Alastair im Anschluss außer sich und riss eine Karte von seinem Deck. Umgehend schnappte er sich eine Zauberkarte aus seinem Blatt und zeigte sie vor: „Dafür wirst du büßen! [Monster Reborn], eine Magie, die gefallene Soldaten wieder kämpfen lässt!“ Schon erhob sich über dem Hünen der riesige Mechaengel.   Vylon Delta [ATK/1700 DEF/2800 (7)]   Das Wesen war noch gar nicht vollständig erschienen, da knallte Alastair bereits ein Monster auf sein schwarzes D-Pad. „Und dieses hier wird zu deinem Untergang beitragen! Normalbeschwörung, [Vylon Stella]!“ Eine Gestalt in Form eines sechszackigen, weißen Sterns mit Armen tauchte vor dem fliegenden Delta auf. Die drei goldenen Ringe, die um jede zweite Spitze levitierten, begannen grün zu leuchten, als Alastair verkündete: „Ich stimme mein Stufe 3-[Vylon Stella] auf mein Stufe 7-Synchromonster [Vylon Delta] ein!“ Er streckte den Arm in die Höhe. Sein Stern zersprang in drei grüne Lichtringe, die der geflügelte Metallkoloss durchflog. „Infinite evil, waiting for the purge! Be the voice of his justice! Synchro Summon! Purify this twisted world! [Vylon Ultima]!“ Ein greller Blitz schoss durch die Ringe, als Delta den letzten passiert hatte. Die neue Kreatur stellte alles in den Schatten. War das vorherige Synchromonster schon groß gewesen, machte Ultima seinem Superlativ alle Ehre. Es kreiste mit seinem langen, kreuzartigen Körper um Alastair, bis es über diesem verharrte. Insgesamt sechs mechanische Schwingen hielten es in der Luft, der Querbalken des Kreuzes war gleichzeitig das massive Paar goldener Arme. Aus ebendiesem Edelmetall war auch das Kragengestell, das um den kugelrunden, einäugigen Kopf des Wesens aufgebaut war, welcher auf der Spitze der Figur saß.   Vylon Ultima [ATK/3900 DEF/3500 (10)]   Ein funkelnder Lichtschimmer stieg von Alastair aus in die Höhe. „Der Effekt von [Vylon Stella] aktiviert sich jetzt, wodurch ich mein Leben um 500 verringere, um es zu einer Ausrüstungsmagie für Ultima zu machen.“ Jenes verschwand in einer der Schwingen des Wesens, welche rot aufzuleuchten begann.   [Alastair: 1800LP → 1300LP / Stoltz: 4000LP]   Alastair zeigte mit einem Schlag gleich drei Ausrüstungszauberkarten von. „Nun werde ich mit diesen Magien [Vylon Ultima] zu weiterer Macht verhelfen! [Vylon Material], die es um 600 Punkte stärkt, [Vylon Filament] und [Vylon Segment]!“ Drei weitere grelle Lichter flogen von der Duel Disk des ehemaligen Dämonenjägers in die einzelnen Schwingen des Monstrums, wodurch nunmehr nur noch zwei derer nicht rötlich leuchteten.   Vylon Ultima [ATK/3900 → 4500 DEF/3500 (10)]   „Jedes Mal, wenn [Vylon Ultima] eine Ausrüstungsmagie erhält, versiegelt es für beide Spieler eine Beschwörungsart“, erklärte Alastair, „und ich benenne Xyz-, Synchro-, Fusions- und Tributbeschwörung! Doch das spielt im Moment keine Rolle.“ Stoltz reckte den Kopf auf seinem dürren Hals im Takt von links nach rechts und zurück, wobei es gelegentlich unangenehm knackte. Dabei grinste er still vor sich hin. Alastair verzog von diesem Verhalten angewidert den Mund, streckte aber zielstrebig den Arm aus. „Mein Monster wird deines jetzt attackieren! Und du wirst nichts dagegen tun können, da [Vylon Filament] während eines Kampfes Aktivierungen deiner Karten unterbindet! Holy Extermination Beam!“ Zwischen seinen Händen bündelte Ultima eine rote Lichtsphäre, aus der ein greller Strahl abgeschossen wurde. [Centurion Atlas] konterte, indem er aus seinem Auge einen eigenen Laserstrahl abfeuerte, welcher ohne Probleme den seines Widersachers zurückdrängte und in jenen einschlagen ließ. Alastair wurde von der dadurch entstandenen Druckwelle erwischt, hielt sich schützend den Arm vors Gesicht. „Ugh!“   [Alastair: 1300LP → 800LP / Stoltz: 4000LP]   Über ihm explodierte Ultima und verschwand in einer Rauchwolke. Genau in dem Moment schwang Alastair den Arm aus. „Effekt meiner Kreatur! Bevor sie zerstört wird, werden zunächst alle Ausrüstungsmagien geopfert! Gleichzeitig aktiviert sich [Vylon Stellas] Fähigkeit: nach einem Kampf wird der Feind automatisch vernichtet, wenn Stella als Ausrüstungsmagie für eines meiner Monster diente.“ Der Qualm verzog sich und unbeschadet schwebte Ultima über seinem Herrn, auch wenn seine Schwingen verdunkelt waren. Es absorbierte den letzten Rest von [Centurion Atlas'] Angriff in der roten Sphäre zwischen seinen Händen und feuerte mit nun doppelter Wucht erneut auf den riesigen Maschinenzentaur. Und diesmal hatte der nichts entgegen zu setzen und ging nach dem Treffer in seiner Brust lichterloh in Flammen auf, ehe er unter einem unsäglich lauten Donnern explodierte. Dieses Mal war es Stoltz' Spielfeldseite, die in Rauch eingedeckt wurde. Alastair führte derweil seinen Zug ungerührt fort und zeigte die drei Ausrüstungszauberkarten, die er auf den Friedhof schicken musste. „Wenn eine Vylon-Magie zerstört wird, kann ich mit ihrer Fähigkeit eine weitere aus meinem Kartenstapel meiner Hand hinzufügen. Kurz gesagt ersetze ich damit die drei verlorenen Magien einfach durch exakt dieselben Exemplare!“ Mit einem siegessicheren Schmunzeln suchte sich Alastair [Vylon Material], [Vylon Segment] und [Vylon Filament] aus seinem Deck und rüstete sie alle an Ultima aus. Drei seiner Schwingen leuchteten nun wieder, nur [Vylon Stella] fehlte jetzt, da dieses verbannt werden musste, sobald es als Ausrüstungsmagie nicht länger gebraucht wurde. Alastair erklärte abschließend: „Nun versiegele ich erneut verschiedene Beschwörungstechniken. Synchro-, Xyz- und Tributbeschwörung sollen es sein.“ Dazu schob er seine letzte Handkarte in einen Backrow-Slot seines D-Pads. Die Falle materialisierte sich vor seinen Füßen. „Nun wird es schwer für dich, etwas zu beschwören, das [Vylon Ultima] übertrumpfen kann. Mein Zug ist beendet!“   Vylon Ultima [ATK/4500 DEF/3500 (10)]   Genau in jenem Moment lichtete sich auch der Rauch auf Stoltz' Spielfeldseite und zu Alastairs Schrecken war dort etwas. Ein kleiner, hellblau leuchtender Zylinder. Sein Gegner kicherte böse. „Wenn ein Centurion versagt, hinterlässt es seine Energiequelle für die Nachwelt.“   Centurion Core-Spielmarke [ATK/0 DEF/0 (10)]   Eine Schweißperle rann über Alastairs Stirn. Umso grimmiger wurde sein Ausdruck, als sein mumifizierter, halb androidischer Gegner leise kichernd zog und aufsah. „Dank der neuen Energiequelle ist es dem Undying nun möglich, Centurions als Normalbeschwörung zu rufen, ohne dass sie dabei ihre Stärke verlieren. Also ruft er [Centurion Meridias]!“ Die Erde gab nach, als sich ein Riese aus dunklen Partikeln bilde und niederkniete. Wie Atlas bestand auch er aus tausenden winziger Kuben, die seinen Körper formten. Dabei setzte sich der blaue Zylinder, welchen Stoltz meinte, wie von Zauberhand in seine Brust ein. Mit beiden Händen hielt der rotäugige Gigant dabei eine Kugel fest, die auf seinem Rücken lagerte und aus horizontal und vertikal verlaufenden, blauen Energielinien bestand. Alastair verfolgte angespannt, wie dessen Gewicht sich auf den Hof des Waisenhauses auswirkte, welcher zunehmend nachgab.   Centurion Meridias [ATK/2400 DEF/2700 (10)]   Stoltz streckte die flache Hand aus. „Einmal pro Zug ist es dem Undying erlaubt, mit dem Effekt des [Centurion Meridias] ein Centurion aus dem Deck auf seine Hand zu erhalten, doch am Ende des Zuges muss er eine Karte abwerfen.“ Aus denselben Partikeln, die zuvor Meridias gebildet hatten, entstand nun eine Duel Monsters Karte, die über Stoltz' Hand schwebte und welche jener sich schnappte. „Die Wahl des Undying fällt auf [Centurion Hemis]. Und um es zu beschwören, aktiviert er die Zauberkarte [Lost Age]. Er opfert die Energiequelle, um für diesen Zug ein Centurion ohne Tribut und Werteverlust als zusätzliche Normalbeschwörung beschwören zu können.“ Der Zylinder innerhalb der Brust des Riesen löste sich auf. Alastair hörte ein unangenehmes, hohes Surren und sah nach oben. Über Stoltz und Meridias flog eine Art goldene Kugel, aus der genau in der Mitte zwei lange Tragflächen ragten, die nach hinten verliefen. Ebenso befand sich an ihrer Unterseite etwas, das wie ein Teleskop aussah und sich automatisch auf Alastair richtete. Dieser erkannte darin ein orangefarbenes Auge leuchten.   Centurion Hemis [ATK/2600 DEF/2800 (10)]   Stoltz beugte sich vor und streckte die langen, spindeldürren Arme aus. „Na, fühlt der ehemalige Dämonenjäger schon die Furcht?“ Alastair wollte nicht antworten. Nicht weil es ihm peinlich war, denn ja, er empfand Angst – Angst um die Kinder, die sterben könnten, wenn er diesen Irren nicht zurecht wies. Nein, solchen Wesen gestand er nicht zu, durch Emotionen Besitz von ihm zu ergreifen. Stoltz war das, was Alastair als Dämonen bezeichnete. Und denen schuldete er keine Antwort. „Kehehe … der Narr glaubt, durch Schweigen den Undying belügen zu können“, gurrte Stoltz und schnüffelte mit seiner verkümmerten Nase, „doch der riecht es. Die Angst. Der Duft unterscheidet sich nicht von denen, die Angst um das Wohl ihres Planeten haben.“ „Geht es dir darum!? Was tun Anya und Matt, um dieses Wohl zu gefährden!?“, verlangte Alastair zu wissen. „Siegel brechen“, lautete die knappe Antwort, „und der Dämonenjäger sollte wissen, warum man das nie tun sollte, egal was versiegelt wurde. Es hat immer einen Grund.“ Stoltz richtete sich wieder auf. Sein verspielter Ton wurde merklich härter. „Doch den soll er nie erfahren. Der Undying aktiviert den Effekt von [Centurion Hemis]. Durch das Abwerfen einer Handkarte kann es direkt angreifen. Stirb, Helfer des Chaos!“ Es traf Alastair so unvorbereitet, dass er sichtlich zusammenzuckte. Die linke gesetzte Karte von Stoltz löste sich plötzlich auf und der erklärte abermals: „Centurions brauchen viel Energie zum Angreifen, deshalb opfert der Undying [Age Of Wonders], welches sich durch dessen eigenen Effekt zurück aufs Feld setzt.“ Wie sie verschwunden war, so setzte sich die Karte wie durch Zeitumkehr wieder vor Stoltz' Füßen zusammen. Dann leuchtete es nur noch grell und ein roter Lichtstrahl schoss von der Kanone der geflügelten Goldkugel auf Alastair herab. Eine Explosion folgte. „Der Dämonenjäger hat sicher nicht damit gerechnet, dass keine Karte einen Centurion aufhalten kann, wenn dieser erst angreift“, gurrte Stoltz wieder diabolisch süßlich, „bestimmt hat er-“ „Nein, ich wusste es!“ Der Rauch verzog sich und Alastair stand unbeschadet vor seiner aufgedeckten Falle [Delta Shield] und genau wie auf dem Artwork, hatten drei fliegende Drohnen ein dreieckiges Kraftfeld über ihm erschaffen, das den Angriff abgewehrt hatte. So verging Stoltz das Grinsen schlagartig. „Er missachtet die Regeln …?“ „Nein, aber Matt hat mir genau erzählt, wie ihr Duell mit dir abgelaufen ist“, widersprach Alastair, „und so wusste ich, dass ich die Karte vor dem Angriff aktivieren muss. Dank [Delta Shield] bleibt mein Monster bis zur End Phase dank seiner hohen Stufe nicht nur vor all deinen Tricks sicher, nein, ich habe auch den Schaden abgewehrt und darf eine Karte ziehen.“ Was der schwarzhaarige Hüne auch tat und dabei zufrieden lächelte. Ganz zu Stoltz' Ärgernis, welcher einen deutlich schlechter gelaunten Tonfall annahm. „Keiner entkommt den Undying auf Dauer. [Centurion Hemis] wechselt nach Nutzung seines Effekts in die Verteidigungsposition.“ Die Tragflächen und das Laserteleskop wurden in das Innere der Sphäre hineingezogen, die sich nun vollkommen zu einer perfekten Kugel umfunktionierte.   Centurion Hemis [ATK/2600 DEF/2800 (10)]   „Da der Undying keine Karten mehr auf der Hand hält, kann er auch keine solche mehr abwerfen“, sagte jener wieder beherrschter, „so gilt sein Zug als beendet.“ Alastair war bewusst gewesen, dass Stoltz versuchen würde, den Effekt von [Centurion Meridias] zu umgehen. Das taten sie doch alle.   Der Hüne warf einen besorgten Blick zur Seite, betrachtete das Waisenhaus. So wie er Alector kannte, musste der hoffentlich bemerkt haben, dass sein Bannkreis durch Alastair verstärkt wurde, selbst wenn er ihn nicht sehen konnte. Ein alteingesessener Dämonenjäger wie dieser alte Kauz musste doch längst dabei sein, die Kinder zu evakuieren, besonders in seinen letzten Atemzügen. Alector hatte immer für dieses Waisenhaus gekämpft und würde bis zum Ende dafür sorgen, dass keinem Kind ein Leid geschah. Sie waren bereits auf der Flucht, sie mussten einfach! Auch fragte sich Alastair, was er tun sollte, wenn er Stoltz besiegt hatte. Gefangen nehmen mithilfe des Bannkreises? War dies überhaupt auf Dauer möglich und wenn nicht, wäre er dann dazu gezwungen, ihn entkommen zu lassen? Was wiederum nur bedeutete, dass dieser Bastard erneut angreifen würde, womöglich mit fatalen Folgen. Alastair durfte nicht zulassen, dass Matt, Anya oder jemand anderes zu Schaden kam. Musste er dann dafür …? Ohne es zu realisieren, griff der Hüne in die Innentasche seines roten Mantels, zog daraus ein Wurfmesser und schleuderte es geschickt in Stoltz' Richtung. In dessen linker Brusthälfte blieb es stecken, hatte die dünne, weiße Panzerung mühelos durchbohrt. Stoltz sah an sich herab, dann grinste er über beide Backen. „Es steckt wohl doch noch etwas Dämonenjäger in ihm. Er wollte sicher testen, ob ein Undying wirklich unsterblich ist.“ Als würde er den ultimativen Beweis erbringen, zog Stoltz die Klinge heraus und ließ sie fallen. Kein Blut. Der Schwarzhaarige wusste in dem Moment nicht, ob ihm nun heiß oder kalt war. Das Loch schloss sich vor seinen Augen einfach von selbst. Dort, wo das Herz sein musste.   „Draw!“, rief Alastair ärgerlich und riss eine Karte von seinem Deck, während bei Stoltz immer lauter werdendes, höhnisches Gelächter einsetzte. „Es gibt nichts, das einen Undying töten kann“, flötete jener. „Nicht alles muss mit dem Tod enden“, widersprach Alastair, „Unsterblichkeit ist kein Geschenk, sondern ein Fluch. Das werde ich dir beweisen!“ Während er aus seinem zwei Karten starken Blatt einen Zauber herausnahm, überlegte er, welche Tricks Stoltz lange genug beschäftigen würden, um zumindest Alector etwas Extrazeit zu verschaffen. Doch das Problem war, dass Alastair keinen seiner Dämonenjägerzauber dabei hatte, schließlich war er seit Monaten nicht mehr interessiert daran gewesen, jene mit sich zu führen, geschweige denn neue herzustellen. Diesbezüglich war er unbewaffnet, abgesehen von dem Messer, das er geworfen hatte und zu Selbstverteidigungszwecken mit sich führte. „Magiekarte, [Vylon Matter]“, raunte er aufgeregt ob dieser ernüchternden Erkenntnis, „ich mische drei Ausrüstungsmagien von meinem Ablagestapel in meinen Kartenstapel, um entweder eine Karte zu ziehen oder eine auf dem Feld zu zerstören.“ Zunächst die Kopien von [Vylon Material], [Vylon Filament] und [Vylon Segment] aus seinem Friedhof nehmend und ins Deck schiebend, schwang Alastair im Anschluss wie ein Richter den Finger aus und zeigte auf Stoltz' linke gesetzte Karte. Der verstummte in seinem Spott schlagartig. „Diese da ist die wahre Energiequelle deiner Centurions“, brachte Alastair es auf den Punkt, „dauernd Karten für Angriffe zu opfern würde deine Ressourcen im Nu erschöpfen. Solange du jedoch [Age Of Wonders] hast, ist das kein Problem. Damit ist jetzt Schluss!“ Von der Fingerspitze des Hünen entlud sich ein Blitz, der auf Stoltz' gesetzte Karte geschleudert wurde und diese in tausend Stücke zerbersten ließ. Zu Alastairs Entsetzen sprang schon im nächsten Augenblick die rechte Karte seines Gegners auf, eine Falle namens [Age Of Grotesque]. „Er überschätzt seine Fähigkeiten“, gurrte Stoltz, „jedes System hat seine Schwächen, auch der Undying ist sich dessen bewusst und hat dementsprechend vorgesorgt. Nicht nur setzt [Age Of Grotesque] die verlorene Karte wieder zusammen, nein, sie verbannt nun auch ein Monster des Feindes!“ Genau wie Alastair einen Moment zuvor, streckte der Bandagierte seinen langen, dürren Finger aus und schoss einen Kugelblitz auf [Vylon Ultima] ab. Und sorgte dafür, dass diesmal Alastair in höhnisches Gelächter ausbrach, da besagter Kugelblitz einfach abprallte. „Nicht nur du sorgst vor. [Vylon Segment] schützt Ultima davor, das Ziel von Monsterkarten- und Falleneffekten zu werden“, erklärte der Hüne triumphierend. „Diese Kreatur wirst du nie wieder los.“ Trotzdem war sein Versuch fehlgeschlagen, die wahre Energiequelle der Centurions zu vernichten, dachte Alastair ärgerlich und wischte sich mit dem Ärmel seines Mantels über die Stirn. „Im Gegenteil, gleich hast du zwei von der Sorte am Hals!“, versprach er grimmig. „Ich aktiviere meine letzte Handkarte, die Magie [Battle Waltz], die eine perfekte Kopie eines meiner Synchromonster erschafft!“ Eine durchsichtige Silhouette Ultimas schoss aus jenem nach rechts und verfestigte sich dort zu einer absolut identischen Kopie der riesigen, kreuzförmigen Engelsmaschine, von denen Alastair nun zwei kontrollierte.   Waltz-Spielmarke [ATK/4500 DEF/3500 (10)]   „Der einzige Unterschied zu seinem Original ist, dass die Nachahmung keinen Effekt besitzt und ebenso keinen Kampfschaden zufügen kann“, erklärte Alastair und streckte die Hand aus, „aber da du sowieso nur ein Monster in Angriffsposition besitzt, macht das nichts! Los meine Ultimas, doppelter Angriff auf seine Kreaturen. Holy Extermination Beam!“ Gleichzeitig bündelten die beiden Maschinenwesen zwischen ihren massiven Händen rote Sphären, aus denen sie Laserstrahlen abfeuerten. Zuerst wurde die goldene Kugel am Himmel getroffen, die lautstark explodierte. Dann wurde der Riese vom originalen Ultima zerfetzt. Alastair schnaubte dabei, denn da er sein übliches Equipment nicht benutzte, fügte er Stoltz auch keinen realen Schaden zu.   [Alastair: 800LP / Stoltz: 4000LP → 1900LP]   Jener wusste das nur zu gut und grinste hämisch. Als die letzten Trümmer sich auflösten, schwebten vor ihm zwei blau leuchtende Zylinder – die Überbleibsel seiner Centurions.   Centurion Core-Spielmarke x2 [ATK/0 DEF/0 (10)]   Alastair runzelte die Stirn. Er hätte mit Ultimas Effekt die generellen Spezialbeschwörungen versiegeln müssen, dann wäre Stoltz nicht imstande, dauernd Spielmarken zu beschwören. Aber dann wäre er auch nicht in der Lage gewesen, [Battle Waltz] zu aktivieren. Trotzdem, hätte er das früher gewusst … aber vermutlich war Matt gar nicht so weit gekommen, diesen Nebeneffekt der Centurions kennenzulernen, sonst hätte er ihm sicher davon berichtet. Aus Ermangelung an Handkarten knurrte der Hüne: „Ich gebe ab.“   Sein Gegner bewegte seine dürren Finger hin und her, als er nach seinem Deck griff, als könne er es kaum abwarten zu sehen, was er ziehen würde. Als er sich die gezogene Karte dann ansah, kicherte er und zeigte sie vor. „Der Undying aktiviert [Age Of Miracles]. Sie lässt ihn eine Karte ziehen, wenn sich ein Centurion auf seinem Friedhof befindet. Aber mehr noch, er kann dazu Monster der Stufe 10 opfern, um für jedes eine weitere Karte dazu zu addieren.“ Einer der Zylinder vor Stoltz löste sich in blauen Funken auf. Das nahezu vollständig einbandagierte Wesen zog daraufhin zwei Karten von seinen Deck, die er im Anschluss sofort vor sich setzte, je eine rechts und links neben der verdeckten [Age Of Wonders]-Zauberkarte, die Alastair nach wie vor ein Dorn im Auge war. „Der Undying beendet seinen Zug damit“, gab jener mit seinen drei verdeckten Karten und leerer Hand ab.   Gerade wollte Alastair ziehen, da spürte er einen heftigen Schmerz in seiner Brust und verkrampfte. In gebeugter Haltung fasste er sich an die Stelle, wo sein Herz lag, die Augen weit aufgerissen. „Alector ist …“ Es war, als würde eine unsichtbare Macht ihn erdrücken wollen. Passend dazu wurde der quaderförmige Bannkreis, der den Hof des Waisenhauses einschloss, von heftigen Fluktuationen heimgesucht. Es entstanden Risse in der grünen Schicht, die sich nur sehr langsam von selbst wieder schlossen, aber gleich wieder aufplatzten. An anderen Stellen flackerte er auf, dann fraßen sich regelrechte Löcher in ihn hinein. Alastair legte die Hände aufeinander und konzentrierte sich. Ein Bannkreis war menschengemachte Magie. Besonders talentierte Jäger konnten sie auch ohne Karten als Katalysator wirken. Der Hüne gehörte zu ihnen. Er musste seine Energien darauf fokussieren, die Lücken zu schließen, sonst würde die Zerstörung, die in dieser künstlichen Zwischendimension entstanden war, die Realität heimsuchen. „Leb' wohl“, murmelte er dabei leise. Es bestand kein Zweifel daran, dass Alectors Tod den Bannkreis instabil gemacht hatte. Nun lag die Verantwortung für diesen allein auf Alastairs Schultern. Eine, die umso schwerer wog, da er sich gleich um zwei Bannkreise kümmern musste. „Ich hoffe, du hast die Kinder in Sicherheit bringen können.“ „Des Narren letzter Herzschlag ist vorüber. So wie der dieses Menschlings im Antlitz des Undying.“ Hasserfüllt sah Alastair auf. „Du wirst mich niemals unterwerfen, dämonische Brut!“ Zunehmend schlossen sich die Risse und Löcher durch dessen Einwirken, bis der Bannkreis seine ursprüngliche, stabile Form zurückgewonnen hatte.   Keuchend griff Alastair nach seinem Deck und riss in einer schwungvollen Bewegung die oberste Karte fort. In der Bewegung schwang sein schwarzer Zopf mit, der narbengesichtige Hüne warf nur einen kurzen Blick auf die Karte, ehe er den Arm ausstreckte. „Ich befehle meiner Ultima-Kopie den Angriff! Holy Extermination Beam!“ Der kreuzförmige Mechaengel rechts von Alastair aus gesehen konzentrierte zwischen seinen Händen eine rote Energiesphäre, aus der er einen grellen Strahl abfeuerte. Stoltz' verbliebener Energiekern wurde zerfetzt, doch dessen Besitzer bedauerte dies nicht im Geringsten – er grinste unentwegt, wie er es immer tat. Indes hielt Alastair den Arm weiterhin aufgerichtet nach vorn und zeigte mit dem Finger auf Stoltz. „Dies ist deine Niederlage, Undying! Direkter Angriff, [Vylon Ultima]! Holy Extermination Beam!“ Das Original tat es ihrer Kopie gleich und bündelte eine Kugel aus roter Energie, welche ihrerseits einen mächtigen Lichtstrahl abfeuerte. Jenem sah Stoltz geradezu sehnsüchtig entgegen. „Falle!“, rief er und ließ eine seiner drei verdeckten Karten aufklappen. „[Ultima Ratio]! Der Undying zahlt die Hälfte seiner Lebenspunkte, um ein Rang 10-Monster von seinem Extradeck zu beschwören und ein Centurion auf seinem Friedhof zu dessen Xyz-Material werden zu lassen.“ Alastair schwang energisch den Arm aus. „Unmöglich, [Vylon Ultima] unterbindet jegliche Xyz-Beschwörungen!“ „Aber das ist keine“, kicherte Stoltz. „Also wähle ich [Centurion Atlas] als Xyz-Material.“   [Alastair: 800LP / Stoltz: 1900LP → 950LP]   Sein Gegner ließ den Arm sinken. Die Erde bebte. Dann schoss etwas aus ihr, weit hinter Stoltz entfernt hervor. Ein riesiges schwarzes Gebilde, höher als jedes Monster, das Alastair kannte. Zehn Meter, zwölf Meter, immer größer wurde es. Die Bäume des angrenzenden Waldes wurden ausgerissen, Erde, Steine, Dreck, alles was über dieser Kreatur gelegen hatte wurde aufgewühlt, flog im hohen Bogen durch die Luft. Das Waisenhaus wurde von einem fliegenden Baum durchbohrt, was Alastair einen entsetzten Schrei entlockte. Steine und aufgerissene Erde schlugen neben ihm ein. Und da stand er, der Riese, schwarz wie die Nacht. Aus massiven, glänzendem Gestein geformt, Arme und Beine so breit wie der Schuppen des Waisenhauses. Zwei Köpfe besaß er, ohne einen Hals ragten sie direkt aus den Schultern der Kreatur. Jedoch leuchte nur eines der Augenpaare goldgelb auf. „Der [Centurion Titan] ist all seinen Feinden erhaben“, kicherte Stoltz bösartig.   Centurion Titan [ATK/4000 DEF/3500 {10} OLU: 1]   Alastair musste seinen Kopf in den Nacken legen, um das Monstrum in seiner ganzen Größe zu erfassen. Dieses reichte bis an den Rand des Bannkreises und vermutlich würde es noch darüber hinaus wachsen, wenn es nur könnte. Ruckartig wandte sich Alastair an seinen Gegner. „Ein beeindruckender Anblick, fürwahr. Aber er hat ein wesentliches Manko! Er ist zu schwach! [Vylon Ultima], zerstöre ihn! Holy Extermination Beam!“ „Heh …“ Nachdem ihr erster Angriff einfach vor Stoltz verpufft war, feuerte die Engelsmaschine im Anschluss gleich einen weiteren ab. Dieser sauste mehrere Meter über den Undying hinweg und schlug direkt in der Brust des Titanen ein. Bis auf ein paar schwarze Steinbrocken, die aus seinem Körper brachen, geschah jedoch gar nichts.   [Alastair: 800LP / Stoltz: 950LP → 450LP]   „Der [Centurion Titan] ist im Kampf unzerstörbar, solange er sich in Angriffsposition befindet“, ließ Stoltz verlauten und begann hysterisch zu lachen, warf zwischendurch ein: „wer wird an wem scheitern, fragt der Undying?“ „Meine einzige Karte setze ich verdeckt! Zug beendet!“ Vor Alastair materialisierte sich jene Falle. Dem Hünen stand der Schweiß auf der Stirn: er war nur noch einen Angriff vom Sieg entfernt, doch was kam dann? Wäre es richtig zu fliehen? Nicht, solange er nicht sichergestellt hatte, dass alle evakuiert waren!   Stoltz derweil zog auf und kicherte noch immer unentwegt hämisch. Er streckte seinen langen, dürren Arm aus und ließ seine Handfläche über eine seiner verdeckten Karten gleiten. „Der Undying aktiviert [Age Of Wonders]. Sie stellt nicht nur eine Energiequelle für Centurions dar, sondern auch für ihren Herren. So heilt sie diesen auf Befehl um 1000 Lebenspunkte.“ Die Karte löste sich in grünen Partikeln auf, welche von Stoltz' hageren Körper aufgenommen wurden.   [Alastair: 800LP / Stoltz: 450LP → 1450LP]   Er gibt freiwillig eine seiner wichtigsten Karten auf, wunderte sich Alastair. Das verhieß gewiss nichts Gutes. Und er sollte richtig liegen, denn Stoltz streckte seinen langen Arm gen Himmel. „Erfahre den Zorn des Titanen! Der Undying aktiviert seinen Effekt! Im Austausch für 1000 Punkte seines Lebens und ein Xyz-Material vernichtet der Titan jede andere offene Karte auf dem Spielfeld, indem er die Hälfte seiner Macht opfert. Leide. Leide!“ Alastair weitete die Augen. An einigen Stellen platzten Stoltz' Bandagen ab, tiefe Risse schnitten sich in seinen Körper und verheilten sofort wieder. Dazu begann um ihn herum eine durchsichtige Aura zu entbrennen, die zunehmend dafür sorgte, dass er vor Alastairs Auge verschwamm. Gleichzeitig trat aus dem Kopf mit dem leuchtenden Augen eine gleißende Energiesphäre aus, welche [Centurion Titan] zu umkreisen begann. „Leide!“   [Alastair: 800LP / Stoltz: 1450LP → 450LP]   Die Lichtkugel wurde von dem Titanen mit seiner Faust geschnappt und zerquetscht. Dann begann gleißendes Feuer um sie zu schlagen, ehe der Centurion ausholte und [Vylon Ultima] anpeilte.   Centurion Titan [ATK/4000 → 2000 DEF/3500 {10} OLU: 1 → 0]   Alastair spürte den Windzug, der ihm entgegen kam. Dann prallte die gigantische Faust zunächst auf die Kopie seines Ultimas, welche sich schützend vor das Original positioniert hatte. Doch sie gab der gewaltigen Kraft umgehend nach und zersprang, sodass als Nächstes das richtige Synchromonster an der Reihe war. Die Engelsmaschine über ihm wurde von der flammenden Faust erfasst, hielt dem Druck aber stand. Jedoch wurde dadurch eine Druckwelle erzeugt, die den Hünen fortschleuderte. Dabei rief er noch: „Nicht so schnell! Effekt [Vylon Ultimas]! Bevor er zerstört wird, werden all seine Ausrüstungs-!“ „[Declaration Of The Maker]. Ein beliebiger Effekt wird mit der Macht der Centurions unterbunden.“ Noch während Alastair in den Schuppen hinter ihm einschlug, sah er von Stoltz' Finger ausgehend einen Lichtblitz Richtung Ultima schießen, welcher jenes Wesen traf. Vor dem Undying stand seine letzte Falle aufgeklappt. Die kreuzförmige Engelsmaschine leuchtete kurz bläulich, dann löste sie sich auf wie Papier, das in ein Kaminfeuer gehalten wurde.   Der ehemalige Dämonenjäger wurde durch die hölzerne Wand des Schuppens geschmettert und krachte in den Kaninchenstall, der sich in dessen Innerem befand. Halb liegend, gab er dem metallischen Geschmack auf seinen Lippen nach und spuckte Blut. Er raffte sich auf, knickte aber wieder ein und stieß gegen die Ställe. Erst jetzt bemerkte er, dass sich ein Stück Holz durch den Unterschenkel seines rechten Beins gebohrt hatte. Während er hinab sah, spürte er nur einen leichten Windzug. Stoltz stand direkt vor ihm. „He he …“ „Ich bin noch nicht … am Ende“, keuchte Alastair. „Ich aktiviere den Effekt vo-!“ Ehe er das tun konnte, führte der über zwei Meter große Undying mit seiner Hand eine ausholende, quer verlaufende Bewegung aus. Die Augen des Dämonenjägers folgten ihr und wanderten dann dorthin, wo sein D-Pad war. Nur dass dieses zusammen mit einem großen Stück seines Unterarms fehlte und stattdessen auf dem Boden lag. Blut spritzte. Alastair öffnete den Mund, doch Stoltz kam ihm zuvor. „Und wie will der Menschling das tun?“ „Du elender-!“ „Das Gesetz der Undying ist absolut“, sagte ebenjener unter einem süffisanten Grinsen, „jeder, der es bricht, wird bestraft. Die ewige Ordnung muss gewahrt werden. Wer sie gefährdet, kann keine Gnade von den Undying erwarten.“ Stoltz sah gebieterisch auf seinen verstümmelten Gegner herab. „Die Warnung ist ausgesprochen. Der [Centurion Titan] wird nun das Ende herbeiführen.“ Mit diesen Worten verschwand Stoltz so schnell vor Alastairs Augen, wie er gekommen war.   Stille. Dann das ohrenbetäubende Getöse gigantischer Fäuste, die einfach alles in ihrem niederhagelnden Zorn zerstörten. Unter ihrer Wucht gab das Waisenhaus wie Pappe nach, die Erde wurde zerschmettert. Und der Schuppen. Der Bannkreis flackerte unruhig auf, ehe er wie ein Spiegel in tausend Stücke zerbarst.   ~-~-~   Das schwarze Portal schloss sich hinter Stoltz, als der magere Hüne einen kreisrunden, dunklen Raum betrat. Um ihn herum leuchteten verschiedene, holografisch dargestellte Anzeigen auf, größtenteils von hellblauer Farbe. „Wir haben dich erwartet, Stoltz“, hallte eine weibliche, leicht mechanisch klingende Stimme zu seiner Rechten durch den Raum. „Zed“, erwiderte Stoltz und kicherte böse, „die Undying ist auch endlich erwacht. Wie schön.“ Sein Blick war jedoch auf den Thron gerichtet, der sich inmitten des Saals befand. Auf diesem saß eine in Dunkelheit gehüllte Gestalt. „Ricther“, säuselte Stoltz weiter belustigt, „der Undying hofft, seine Mission zur Zufriedenheit aller ausgeführt zu haben.“ Dessen Silhouette ließ zumindest erahnen, dass er ebenfalls großer Natur war, wenn auch nicht so extrem wie Stoltz. Dafür war er deutlich kräftiger gebaut. Neben den Thron trat die Gestalt namens Zed. Es war eine Frau von normaler Statur, mit bis zum Boden hängenden, schwarzen Haar. Das Markante an ihr war nicht etwa die weiße, ärmellose Robe mit Goldverzierungen und Umhang. Nein, es war die Maske, die weit über ihren Scheitel hinausragte und wie ein Turm anmutete, der ihr gesamtes Gesicht ab den Augen verdeckte. „Wieso bist du so spät zurück?“, fragte sie scharf. „Die Undying weiß doch, warum. Der Undying hat ein Exempel statuiert.“ Das sagend, schloss sich sein Griff fester um das in Leinen gehüllte Bündel in seiner Hand. „Das war nicht Teil deiner Aufgabe“, erwiderte Zed ungehalten, welcher dies nicht entgangen war. „Was ist das?“ Stoltz verneigte sich in bester Butlermanier. „Nur ein wenig Lektüre zur Unterhaltung. Der Undying entschuldigt sein Verfehlen. Es geschah in der Hoffnung, dass der Tod des Dämonenjägers Alastair van Hellsing die anderen Menschlinge davon abhalten wird, weitere Siegel zu brechen.“ „Trotzdem hattest du nicht das Recht, Unschuldige in-“   Ricther, der auf seinem Thron saß, hob die Hand und brachte die einzige Frau in der Runde sofort zum Schweigen. Seine tiefe Stimme hallte durch den kleinen Raum. „Was geschehen ist, kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Wenn die Warnung ihren Sinn erfüllt, wurde dadurch zumindest weiteres Blutvergießen verhindert.“ Gleichzeitig erhob sich Stoltz wieder aus seiner Verneigung und zeigte sich demütig. „Der Anführer der Undying sieht wie immer klarer als seine Hände. Er erinnert sich genau an die Regel.“ So begann der Bandagierte zu rezitieren: „Das erste gebrochene Siegel weckt die Undying. Das zweite beschwört sie zum Ort der Sünde, damit sie ihre Warnung aussprechen. Und ab dem dritten … töten sie.“ Gerade die letzten beiden Worte betonte er dabei besonders. „Uns obliegt es, ob wir dieser Regel und allen anderen Folge leisten. Zumindest solange das Wohl der ewigen Ordnung nicht gefährdet ist“, antwortete Ricther streng, „du hast deine Mission erfüllt, Stoltz, ohne eine davon zu brechen. Geh jetzt und lade dich auf. Deine Kraft muss fast verbraucht sein.“ Sein Gegenüber nickte. „Wie der Anführer wünscht.“ Damit drehte er sich um und verließ den Raum durch eine nahezu unsichtbare Tür, die sich automatisch vor ihm öffnete. Zed wandte sich umgehend an Ricther. Dabei strich sie über einen der Schläuche, die von der Decke hingen und überall am Körper des Undying angeschlossen waren. „Was er getan hat, wird ihn tagelang außer Gefecht setzen“, sagte sie und sah zu Ricther auf, „es kommt mir vor, als wären wir nur fehlerhafte Kreaturen, die für wenige Momente-“ „Rede nicht weiter, Zed. Wir sind Undying. Wenn alles zerbricht, sind wir es, die für Ordnung im Chaos sorgen.“ „Ein Chaos, das von einem der unseren heraufbeschworen wird“, erwiderte sie und wurde nun trotz ihrer mechanisch anmutenden Stimme eindringlicher, „willst du es ihm etwa durchgehen lassen!?“ „Er hat keine der Regeln gebrochen, auch wenn sein Vorgehen nicht ideal war.“ Ricthers Stimme wurde leiser und gewann einen nachdenklichen Ton. „Du wirst ihn im Auge behalten, während ich abwesend bin. Ich will über alles, was er tut, im Bilde sein.“ Die Frau an seiner Seite nickte. „Dann hast du es auch bemerkt. Dass er sich verändert hat … blutrünstiger geworden ist.“ „Noch ist es zu früh, um ein Urteil zu fällen. Stoltz' gesamte Natur unterliegt seiner Herkunft. Und ein unendlich scheinender Schlaf kann selbst die stärksten Geister aus dem Gleichgewicht bringen.“ Ricther drehte seinen Kopf zu Zed. „Aber wenn er jenes nicht wiederfindet, werde ich da sein. Und ein Urteil fällen. Denn das ist meine Aufgabe.“     Turn 51 – Into The Abyss Während Anya und Co den Weg zur Heimreise antreten, bringen Nicks Recherchen erschreckende Erkenntnisse zutage. Darüber hinaus erhält er einen Brief von Kali, die ihn auffordert, sie in einer leer stehenden Lagerhalle zu treffen. Eine Falle witternd, macht Nick sich dennoch auf den Weg … Kapitel 56: Turn 51 - Into The Abyss ------------------------------------ Turn 51 – Into The Abyss     Man konnte es geradezu als Hämmern bezeichnen, wie Anya in die Tasten des öffentlichen Münztelefons schlug, welches sich vor dem beschaulichen kleinen Bahnhof von San Augustino befand. Matt und Zanthe warteten mit gepackten Koffern an der Treppe, die direkt zum Bahngleis führte. Angespannt hielt Anya sich den Hörer ans Ohr, war sie schließlich erst jetzt dazu gekommen, Nick anzurufen. Und es dauerte eine schiere Ewigkeit, bis der sich bequemte abzunehmen. „Das hat aber gedauert“, hörte sie ihn schnarren. Die Blondine runzelte ärgerlich die Stirn. „Woher willst du wissen, dass ich es bin?“ „Habe ich das etwa behauptet? Aber schön, dass du es trotzdem bist. Wie ist es gelaufen?“ Anya sah am Telefon vorbei zu ihren beiden Begleitern, deren Blessuren für das bloße Auge zwar nicht mehr sichtbar, deswegen aber noch längst nicht vergessen waren. Anya mahlte mit dem Kiefer. „Ich würde sagen nicht so gut.“ „Hast du die Karte etwa nicht?“ „Doch, das schon“, erwiderte sie zögerlich, „aber der Typ ist jetzt so'n bisschen … tot.“ Es dauerte einen Moment, bis Nick reagierte. Ziemlich geschockt, sogar für seine Verhältnisse. „Er ist -was-!?“ „Zu Staub zerfallen.“ Anya zuckte mit den Schultern und stöhnte. „Keine Ahnung wieso. Der Flohpelz meint, sein Status als Hüter könnte seinen Alterungsprozess aufgehalten haben und nun, da er keiner mehr war, ging's rapide bergab.“ Zugegeben, was sie da wiedergegeben hatte, entsprach nur bedingt der eigentlichen Erklärung, aber wen juckten schon Details? Die änderten eh nix mehr daran, dass der Typ tot war. Sie hörte, wie Nick schluckte. „Und das ist okay für dich …?“ „Hab ich das behauptet!?“, brauste sie sofort auf. „Aber Matt sagt, dieser Drazen habe es selbst so gewollt, sonst hätte er sich nicht beschwören lassen. Wusstest du, dass er mal ein Bewohner der heiligen Stadt Eden war? In der niemand je stirbt?“ „Ja … das wusste ich.“ Anya stöhnte abermals und legte, an den Telefonmast lehnend, ihre Hand auf die Stirn. „Ich will nicht sagen, dass mir egal ist, was mit dem Typen passiert ist. Aber …“ „Schon gut, Anya. Ich verstehe schon, worauf du hinaus willst.“   Das Mädchen sah wieder herüber zu Matt, der mit dem Kopf nickte. Gerade fuhr der Zug unter lautem Getöse ein. „Harper, das ist nur die Spitze des Sahnehäubchens“, fuhr Anya eilig fort, „gleich als Summers ihn besiegt hatte, tauchte plötzlich so'ne uralte Mumie auf. Nannte sich Undying oder so. Weißt du zufällig, was das ist?“ Am anderen Ende der Leitung gab Nick ein nachdenkliches Geräusch von sich. „Undying? Ich weiß nicht, kommt mir irgendwie bekannt vor. Aber wie auch immer, es klingt ziemlich … unsterblich.“ „Sag mir was, was ich noch nicht weiß. Der Spinner hat damit unentwegt geprahlt und mich provoziert, also hab ich's so'n bisschen ausprobiert! Und naja“, Anya schnaubte wütend, „er hat wohl nicht gelogen. Jedenfalls hat der uns angegriffen und selbst zu dritt hatten wir keine Chance. Das war der totale Freak!“ „Warte einen Moment, ich checke mal kurz etwas. Vielleicht kann ich herausfinden, wo er sich jetzt aufhält. Wann war das Duell ungefähr und wo?“ „Gestern Abend, vielleicht ein paar Kilometer von San Augustino entfernt, in einem Wald.“   An einem weit entfernten Ort legte Nick den Hörer seines Schnurlos-Telefons neben sich auf die Bettdecke und öffnete bei seinem, vor ihm aufgeklappten, Laptop ein Programm, auf welches er eigentlich gar keinen Zugriff haben dürfte. Schnell tippte er ein paar Tastenkombinationen ein, gab dann den Namen der von Anya genannten Ortschaft ein und dazu ein Zeitfenster. Jedoch wurde ihm ein leerer Bildschirm präsentiert. Die angewinkelten Beine aufs Bett niederfallen lassend, griff er nach dem Hörer und sagte: „Nichts. Da sind keine Aufzeichnungen von eurem Duell auf den Servern der AFC.“ „Bist du sicher?“, quakte Anya. „Guck noch mal, aber beeil' dich, der Zug fährt gleich los!“ „Warte.“ Nick legte den Hörer noch einmal beiseite und gab diesmal in einem anderen Fenster die ID-Nummer von Anyas Duel Disk ein. Doch das letzte Duell, das vor dem gestrigen Datum in der Registratur fand, war jenes mit Abby am Flughafen gewesen. In dem Moment erinnerte sich Nick, dass Anya inzwischen Logans D-Pad benutzte und ihr Log dementsprechend nutzlos war. Kurzerhand, da er Logans ID nicht kannte, schwenkte er auf Matts um. Aber auch hier wurde deutlich, dass dieser sich nach seinem Kampf mit Drazen nicht mehr duelliert hatte. „Was immer dieser Undying getan hat, seine Spuren verwischt er gut“, sprach Nick schließlich mit unter dem Ohr geklemmten Hörer. Währenddessen hatte längst etwas anderes seine Aufmerksamkeit erregt – Matts vorletzter Zug im Duell gegen Drazen. Denn dort fand er etwas, das mit Sicherheit nicht da sein sollte. Nicks Augen weiteten sich, als er begriff, was er da vor sich hatte. „Anya? Nimm dich-“ „Sorry Nick, muss Schluss machen, der Zug ist gleich weg. Bin irgendwann abends zuhause. Hol' uns ab, bye!“ Schon hatte sie aufgelegt. „-vor Matt in Acht“, beendet er übergangen seinen Satz.   Das schnurlose Telefon rutschte ihm von der Schulter und fiel auf die Tastatur. Nick schob ihn beiseite und öffnete die Datei der einen Karte Matts, die ihn so unvorbereitet getroffen hatte. „Keine Daten vorhanden“, murmelte er fassungslos. Sich aufrichtend, fuhr sich der junge Mann durchs zerzauste Haar, fasste sich dann mit beiden Händen an die Wangen. Unmöglich, wie konnte das sein? Was hatte Matt da angestellt, dass er so eine Karte besaß? Eigentlich kannte Nick die Antwort, fürchtete sich jedoch davor, sie auszusprechen. Denn sie ließ ihn an den guten Absichten des Dämonenjägers arg zweifeln.   Schließlich rollte sich Nick über sein Bett und watete durch sein unordentliches Zimmer, in dem sich die Klamotten nur so übereinander stapelten. Mit nichts als einer Boxer Short bekleidet, schnappte er sich wahllos ein dunkelgrünes T-Shirt, roch dran, verzog eine angeekelte Miene, nur um es sich dann trotzdem anzuziehen. Dabei sah er, das Shirt halb übergezogen, einen Augenblick lang an seinen hageren Körper hinab, der auf den ersten Blick unscheinbar wirkte, doch auf den zweiten deutliche Ungleichmäßigkeiten aufwies … Brandnarben. Unzählige. Nick schüttelte den Kopf. Kurz darauf hatte er auch noch eine graue Hose gefunden, die er sich überzog und warf sich dazu eine dünne, hellgrüne Jacke über. Es war Zeit für einen kleinen Stadtbummel. Das Undying-Problem ordnete er derzeit als größer ein als Matts kleines Geheimnis, weshalb er sich zuerst darum kümmern wollte. Was aber nicht hieß, dass er sich nicht Sorgen um Anya diesbezüglich machte. Ausgerechnet Matt …   -~-~-   Die abgeblätterten Lettern waren tatsächlich übermalt worden. Nur leider nicht mit passender Farbe, sondern Graffiti, stellte Nick mit bedauernder Mimik fest, als er über die Straße der großen Kreuzung ging, direkt auf die kleine Stadtbibliothek zu.   Es brannte Nick unter den Fingernägeln, Anya von seinem Fund zu berichten, wusste er doch nicht, was er daraus schließen sollte. War Matt gefährlich? So oder so, selbst wenn er sie jetzt kontaktierte, würde er den Dämonenjäger im Schlimmstfall aufmerksam machen und das wollte er vermeiden. Zumindest, solange er sich der Sache nicht selbst angenommen hatte. Dementsprechend musste er sich wohl oder übel darauf verlassen, dass Zanthe solange auf sie aufpasste. Was seine ohnehin schon große, innere Nervosität alles andere als linderte. Solange er auf seine Freundin warten musste, sagte sich Nick, konnte er wenigstens versuchen, etwas über diesen neuen Feind, die Undying, herauszufinden. Und obwohl man es nicht glauben wollte, zog der hagere junge Mann in dem Fall alte Wälzer moderner Technologie vor. Aus einem ganz bestimmten Grund.   Nick betrat das orange gestrichene, mit silbernem Grafitti übersäte Gebäude. Sofort kam ihm ein muffiger Geruch entgegen, als er die Tür hinter sich schloss. Er wandte sich rechts an den Holztresen und stellte unmittelbar fest, dass sich auch im Inneren der Bibo seit seinem letzten Besuch nichts getan hatte. Der uralte, angegilbte PC, den die Bibliothekarin Mrs. Wilson benutzte, fing immer noch Staub. Jene, ein grauhaariges Reptil, saß auf ihrem Stuhl und schien vor sich hin zu dösen. Selbst das hatte sie schon letztes Mal getan. „Entschuldigung“, sprach Nick sie an. Die Alte öffnete ihre Augen und zischte: „Vergiss es, wir haben keine Pornos und auch keine Comics.“ „Daran erinnern sie sich noch?“ Nick staunte nicht schlecht. „Alt zu sein bedeutet nicht automatisch an Alzheimer zu leiden“, krähte sie ärgerlich, „du kleiner Perverser hast nur Unruhe gestiftet.“ Abwehrend hob Nick die Hände. „Und das tut mir auch unendlich leid.“ Er neigte sich über den Tresen. „Aber ich verspreche, heute keinen Ärger zu machen. Ich suche ein ganz bestimmtes Buch. Der Titel lautet 'Thirty Legends – The Whole Truth'“ Aus ihrer Hornbrille sah Mrs. Wilson ihn verständnislos an. „Für diesen Plunder interessiert du dich?“ „Ich will eine Parodie darüber schreiben“, log Nick, ohne rot zu werden. „Für mehr taugt es auch nicht“, erwiderte sie abfällig, „du findest es im dritten Regal von rechts, ganz hinten.“ Der zerzauste brünette Bursche zog sich vom Tresen zurück und bedankte sich artig.   Keine fünf Minuten später saß er an einem der Tische zwischen den Regalen und machte eine der Bankerleuchten vor ihm an. Dabei blätterte er bereits in dem Schinken, den ein Verwandter der regionalen Trash-Reporterin, Nina Placatelli, geschrieben hatte. Warum war dieses Buch so wichtig? Nun, Nick wusste, dass der Autor unter anderem ein Interview mit Drazen geführt und das Erfahrene in einem der Kapitel niedergeschrieben hatte. Erst durch diese Umstände hatten Nick und Drazen sich kennenlernen können. Der größte Teil des Kapitels drehte sich um die Stadt der Unsterblichen, Eden, in der Drazen einst gelebt hatte. Sie galt als Utopia der Menschen, eine künstlich erschaffene Welt inmitten des Nexus, erbaut, um seine Bewohner vor den Fängen des 'wahren Feindes' zu schützen. Niemand wusste genau, wer oder was der 'wahre Feind' war, von dem Another gesprochen hatte. Fest stand, dass Eden bereits vor über einem Jahrtausend errichtet worden war und sich nun irgendwo im Nexus befand, abgeschottet und unerreichbar. Doch darum ging es Nick gar nicht. Eher um eine Aussage Drazens, die sich in dem Buch befand und sich auf diejenigen bezog, die zusammen mit den Menschen und Immateriellen Eden erschaffen hatten. „Die Undying“, fand Nick den Absatz dazu schließlich. Jedoch wurden sie nur ein einziges Mal erwähnt, als unsterbliche Wächter der ewigen Ordnung, die mit ihrer Macht die Stadt der Allerheiligsten, Eden, aufgebaut haben. Mehr hatte Drazen nicht über sie verloren.   Nick schloss das Buch und schob es beiseite, stützte seine Ellbogen auf dem Tisch ab und legte sein Kinn auf die mit beiden Händen geballte Faust. Nun, das war weniger als er erhofft hatte zu finden. Im Grunde sagte es nichts aus, was ihm bezüglich ihrer Motive weiterhelfen könnte. Und doch ratterte es in seinem Inneren. „Sie beschützen die ewige Ordnung“, murmelte er, „also bedroht Anya diese.“ Und sie waren die Schöpfer der Stadt Eden. Könnte das bedeuten, dass sie sich auch dort aufhielten? Zumindest schienen sie nicht prinzipiell feindlicher Natur zu sein, wenn sie den Menschen und Immateriellen halfen. Im Gegenteil, anscheinend beschützten sie diese. Umso dunkler wurde Nicks Ahnung, dass das Tun des Sammlers nicht im Interesse der Allgemeinheit war. „Du bist der 'wahre Feind'“, schloss er kurz darauf. „Es ergibt Sinn! Urila sagte, einer von ihnen wäre in dieser Welt gestrandet. Und niemand kommt an deine Macht heran …“ Die Erkenntnis traf ihn wie einen Schlag. Es passte auf abstruse Weise, auch wenn er sich nicht hundertprozentig sicher sein konnte. Aber … Anya stand im Dienste des 'wahren Feindes'. Wenn dem so war, würde sie sterben, ob sie ihre Mission erfüllte oder nicht. Sofort sprang Nick auf, auch wenn er nicht einmal wusste, was er jetzt tun sollte. Wie er dagegen vorgehen konnte. Nick Harper verspürte in diesem Augenblick dieselbe Machtlosigkeit wie damals, als er Anya hinterher sah, wie sie sich zum Turm von Neo Babylon aufmachte.   -~-~-   Zuhause angekommen, stürmte Nick umgehend in sein Zimmer. Er musste irgendwie Anya kontaktieren und warnen, aber die war nicht erreichbar, solange sie mit Matt und Zanthe im Zug saß. Unter Umständen könnte er Alastair anrufen, aber das würde genauso wenig nützen und im Schlimmstfall nur für mehr Ärger sorgen. Aber er kannte vielleicht noch eine Möglichkeit, Anya die Botschaft sofort zukommen zu lassen. Warum hatte er ihr kein neues Handy besorgt!? … richtig, weil sie die letzten zwei binnen Rekordzeit in ihre Einzelteile zerlegt hatte. Großartig!   Nick sah sich aufgeregt in seinem völlig zugemüllten Zimmer um, auf der Suche nach seinem Festnetztelefon. Da fiel ihm ein flacher Umschlag auf, der auf seinem Schreibtisch in der Ecke des Zimmers lag. Er war sich sicher, ihn vorhin noch nicht dort gesehen zu haben. Höchstwahrscheinlich war er von seiner Mutter, die hoffentlich verkündete, ein neues Leben in Alaska anzufangen! Neugierig ging er auf den Schreibtisch zu, schnappte sich den unbeschrifteten Umschlag und holte den Brief daraus hervor.   Triff dich heute um 14 Uhr mit mir im Gewerbegebiet nahe der Müllhalde. Lager 17, das leer stehende. Dort werde ich dir Rede und Antwort stehen. Keine Lügen. Kali   Die relativ kurze Botschaft versetzte Nick in erstauntes Schweigen. Hatte er richtig gelesen, Kali? Die, die ihn angegriffen hatte!? Und Anyas geliebte Battle City-Duel Disk gestohlen hatte? Warum sollte sie ihn jetzt treffen wollen, wenn sie auf Rache nach Anya aus war? Das roch nicht nur nach einer Falle, das stank förmlich danach. Aber wieso ausgerechnet zu diesem ungünstigen Zeitpunkt? So blieb ihm nur noch knapp eine halbe Stunde, wie ihm ein Blick auf seine Armbanduhr verriet. Und er hatte gerade andere Probleme!   Nick überlegte, ob er der Aufforderung nachkommen sollte. Einerseits bot sich so die Möglichkeit, mehr über sie herauszufinden und zudem war das Ganze doch etwas zu offensichtlich. Sie musste damit rechnen, dass er es durchschaute. Bloß wieso machte sie sich dann die Mühe? Dass sie wiederum einen so abgelegenen Ort aussuchte, deutete durchaus daraufhin, dass sie ihn entsorgen wollte. Dort würde sie niemand stören. Aber selbst wenn das der Fall war … er konnte ihr zuvor kommen. Er musste es zumindest versuchen. Dann hatte Anya ein Problem weniger, mit dem sie sich herumärgern musste. „No risk, no fun“, lautete seine Devise.   Zwar gefiel es ihm nicht, aber vielleicht wäre es sogar das Beste, Anya noch nicht sofort über die Herkunft des Sammlers in Kenntnis zu setzen. Zumal er für seine Theorie noch keine handfesten Beweise hatte. Am Ende tat Anya nur etwas, das sie am Ende bereuen würde. Was den Sammler und auch Matt anging, wäre es am besten, das Mädchen vorerst im Unwissenden zu lassen. Was die beiden anging, würde er sich noch früh genug mit ihnen auseinandersetzen. Zunächst war aber Kali an der Reihe.   Er nahm aus der Innentasche seiner grünen Jacke ein altmodisches Handy und betrachtete das Display. Er schnappte sich den Laptop von seinem Bett, trug ihn herüber zu seinem Schreibtisch und setzte sich, während er den Apparat aufklappte. Mit der Intention, im Falle des Falles eine ganz eigene Überraschung für Kali vorzubereiten.   -~-~-   Etwa eine dreiviertel Stunde später fand Nick sich auf einem riesigen Gelände wieder. Die meisten Lagerhallen vor ihm wurden nicht länger genutzt, da die Firmen entweder zugrunde gegangen beziehungsweise aufgekauft worden waren oder schlichtweg umgezogen sind. Nick verstand selbst nicht, warum niemand hier Gewerbe betrieb, obwohl die Lage eigentlich recht gut war.   Er marschierte weiter geradeaus. Vor ihm befand sich das riesige, heruntergefahrene Tor, über dem die Zahl 17 in roter Farbe prangerte. Die vergleichsweise kleine Tür nebenan stand einen Spalt weit offen. Das hier war sein Ziel.   Ohne Umschweife trat Nick ein. Durch die Fensterreihe an der Hinterseite des Gebäudes drang genug Tageslicht, um einigermaßen gut sehen zu können. Die Halle selbst war komplett leergefegt. Zur linken Seite gab es eine Stahltreppe, die zu den im oberen Geschoss liegenden Büroräumen führte. Vier massive Säulen stützten das Lager. Nick war allein. „Ich bin da, wenn auch etwas verspätet“, verkündete er das Offensichtliche, doch keine Reaktion folgte. Bissig fügte er noch hinzu: „Ich hoffe, nicht zu spät für den Nachtisch.“ Er schritt vorsichtig durch das Lager, sah sich um. Etwa auf der Hälfte des Weges zum anderen Ende bemerkte er einen Schatten. Hinter einer der Säulen auf der rechten Seite trat eine komplett in schwarzer Kutte verhüllte Gestalt vor. Es war dieselbe, die Kali getragen hatte, ohne Zweifel. „Wie schön, dass -du- pünktlich bist“, schnarrte Nick, „also, was willst du von mir?“ Keine Antwort. Stattdessen hob Kali den Arm, an welchem eine blaue Duel-Disk angebracht war und aktivierte diese. „Im Ernst?“ Nick schnalzte mit der Zunge. „Ich dachte wir wollten nur reden?“ Er sah auf den Apparat an seinem Arm. Immerhin hatte er mit so etwas schon gerechnet, doch das hier war ihm etwas zu plump. Sein Blick richtete sich wieder auf Kali. „Komm schon, so eine armselige Falle?“ Wieder gab es keine Reaktion ihrerseits. Nick seufzte. „Na schön … aber ich warne dich. Ich bin vorbereitet. Wenn du mich auch nur versuchst umzubringen, wirst du diesen Raum selbst nicht lebend verlassen.“ Dafür hatte er gesorgt.   So standen er und Kali sich in der leeren Lagerhalle gegenüber. Nick griff unter seine Duel Disk und deaktivierte die Sicherheitsmechanismen des Solid Vision-Systems, welches dafür sorgte, dass die Spieler keine Verletzungen durch die Duelle erlitten. Denn er war sich sicher, dass Kali ebenfalls mit harten Bandagen kämpfen würde. „Wenn du offenbar nur hier bist, um mich endgültig aus dem Weg zu räumen, dann gut!“, rief Nick zornig. „Aber heute wird es nicht so enden wie letztes Mal! Duell!“ Seine vermummte Gegnerin schwieg, wie sie es schon die ganze Zeit getan hatte.   [Nick: 4000LP / Kali: 4000LP]   Umgehend zogen beide der Reihe nach fünf Karten. Bevor Nick das Wort ergreifen konnte, kam ihm Kali zuvor, indem sie stillschweigend eine sechste Karte zog und damit offiziell das Duell begann. Selbst ihre Hände steckten in schwarzen Handschuhen. Ihr erster Zug sah dabei erstaunlich kurz aus: sie legte ein Monster verdeckt auf ihre Duel Disk und verharrte dann, nachdem es auf dem Spielfeld erschienen war, solange, bis Nick irritiert nachzog.   „Nicht mal im Duell sagst du was?“, fragte jener missmutig und setzte seinerseits ebenfalls ohne Ankündigung ein Monster, welches in horizontaler Lage vor seinen Füßen auftauchte. „Na gut, ich setze die da und beende.“ Noch eine Falle gesellte sich verdeckt hinter seinem Monster dazu.   Kali zog erneut auf und wiederholte die Prozedur ihres letzten Zuges, indem sie ebenfalls wieder ein Monster setzte, dessen Karte sich neben dem anderen materialisierte. Danach blieb sie regungslos stehen, bis Nick sagte: „Gut, wenn du nichts mehr tust, bin ich dran!“   Sofort riss er die nächste Karte von seinem Deck. Jetzt war es an der Zeit, ihre Verteidigung zu durchbrechen. „Ich beschwöre [Wind-Up Knight]!“ Vor dem großgewachsenem jungen Mann tauchte ein etwa anderthalb Meter großer, weißer Spielzeugritter mit Aufziehschlüssel auf dem Rücken auf.   Wind-Up Knight [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   „Zum Angriff!“, befahl Nick lautstark. „Nimm das Monster, das sie als Erstes gesetzt hat!“ Sein Krieger stürmte auf die von Kali aus linke gesetzte Karte zu. Jene wirbelte herum und präsentierte eine gar groteske Gestalt. Ganz aus schwarzer, schlammiger Masse bestehend, hockte dort etwas, das entfernt an die Form eines jungen Mädchens mit langem Haar und Priesterhaube erinnerte. Dabei hielt das Wesen einen ebenfalls mit jener dunklen Flüssigkeit überzogenen Zauberstab fest in den Händen.   ??? [ATK/1000 DEF/800 (4)]   Mit einem Schwerthieb zerteilte Nicks Ritter die Kreatur. Kali streckte den Arm aus, ohne jedoch etwas zu sagen. Aus ihrem Deck schob sich automatisch eine Karte, die sie auf den Friedhof legte. Nick stand der Mund offen. Dieses Monster eben, das erinnerte nicht im Entferntesten an die Celestial Gears, die Kali bei ihrem letzten Aufeinandertreffen benutzt hatte! Und jetzt, wo er genauer hinsah – ihre Duel Disk war eines der typischen, blauen Standardmodelle des letzten Jahres. Kali hingegen benutzte eine rote V-Duel Disk unbekannter Bauart. „Du bist nicht Kali!“, schloss er verblüfft. „Aber wer bist du dann!?“ Keine Reaktion. Was Nick dazu brachte, die Stirn zu kräuseln. „Wenn du nicht freiwillig reden willst, werde ich dich eben zwingen! Ich aktiviere meine verdeckte Falle, [Zenmairch]!“ Die Karte klappte vor ihm hoch und Nick nahm seinen Ritter von der Duel Disk, welcher im Folgenden auch vom Spielfeld verschwand. „Diese Falle tauscht eines meiner Spielzeuge mit einem gleicher Stufe von meiner Hand aus! Ich beschwöre [Wind-Up Juggler]!“ Vor ihm tauchte ein grüner, auf einer Feder springender Spielzeug-Jongleur auf, dessen unbekümmertes Katzengesicht nicht darüber hinwegtäuschte, wie gut er mit seinen Bällen jonglieren konnte.   Wind-Up Juggler [ATK/1700 DEF/1000 (4)]   Nick streckte den Zeigefinger aus und deutete auf das andere verdeckte Monster seines Gegenüber, wer auch immer unter der Kutte stecken mochte. „Vernichte es!“ Der Jongleur tat dies sogleich und befehligte seine insgesamt fünf Bälle in Richtung jenes Monsters, welche wie von Zauberhand Kanonenkugeln gleich auf die Karte zuschossen und sie bombardierten. Jene wirbelte um, präsentierte ebenfalls eine annähernd humanoide, schwarze Schleimgestalt mit knochigen Auswüchsen auf dem Rücken, welche gnadenlos durchlöchert wurde. ??? [ATK/1750 DEF/1000 (4)]   Nichts geschah, nachdem die Kreatur vernichtet worden war. Was Nick zum Anlass nahm, sein Handy aus der Innentasche seiner Jacke zu ziehen und damit per Remotesteuerung die Daten des Duells aufzurufen, die sein Rechner zuhause aufnahm. Doch zu seinem Entsetzen konnte er keinerlei Infos über Kalis oder wessen Karten auch immer einholen. Es war, als duelliere er sich alleine. „Wer oder was bist du!?“, wollte er nun deutlich aufgeregter wissen. Wie üblich erfolgte keine Reaktion seiner- oder ihrerseits. „Ich habe dich was gefragt! Was soll das hier? Wieso hast du mich hierher gerufen?“ Nichts. Nick atmete tief durch. So kam er nicht weiter! „Also schön, ich setze eine Karte verdeckt und beende meinen Zug.“ Jene materialisierte sich vor seinen Füßen und ließ Nick mit drei Handkarten zurück.   Sein Gegner zog derweil auf sechs auf und tat nun endlich etwas anderes, als nur Monster zu setzen. Allerdings missfiel Nick zutiefst, dass jene Person ihm im übertragenen Sinne plötzlich kommentarlos einen Ritualzauber vor die Nase hielt, dessen Name er nicht lesen konnte. Und auch als sein Gegenüber die Karte in die Duel Disk schob und jene sich vergrößert auf dem Spielfeld zeigte, schien sie irgendwie verschwommen. Nick konnte lediglich das Artwork erkennen, eine Art schwarzen Schlund mit mehreren Ebenen, in denen sich immer wieder Spiegel befanden. Plötzlich stieg ein schwarzes Licht aus dem Friedhof der blauen Duel Disk auf, der oder die Fremde nahm ein hochstufiges Monster von dort und platzierte es in die Verbannungszone. Zahlte er so etwa die Kosten für die Ritualbeschwörung!? Nick wich zurück, als sich derselbe Schlund vor seinem Gegner auftat, der auf der Karte zu sehen war. Und ihm entstieg eine schier grauenhafte Kreatur. Größtenteils bedeckt von Teer und einer anderen, bläulichen Flüssigkeit, waren die sichtbaren Stellen des Körpers dieser zweibeinigen, knapp zweieinhalb Meter hohen Kreatur nur Knochen. Zwischen ihren Fingern befanden sich gelbliche Schwimmhäute, genau dasselbe konnte man auch vom Kopfansatz an bis zum Rücken in Form eines Kamms beobachten.   ??? [ATK/2600 DEF/2400 (8)]   Plötzlich streckte die verhüllte Gestalt den Arm aus und zeigte auf Nicks Monster. Dabei entstieg die eben erst verbannte Kreatur ihrer Verbannungszone und glitt als leuchtende Kugel zurück in den Friedhofsschlitz der blauen Duel Disk. Nick war bewusst, dass sein Gegner wohl zur Aktivierung des Effekts ein verbanntes Monster zurück auf den Friedhof legen musste – es ergab nur Sinn, da dies insgesamt eine gute Kombo darstellte. Die Kreatur öffnete das Maul ihres knochigen Schädels und verspritzte ein blaues Sekret in Richtung seines Jongleurs, weshalb Nick reflexartig den Arm ausschwang. „Wenn das ein zielender Effekt ist, werde ich ihn abwehren! Ich aktiviere meine verdeckte Falle [Zenmailstrom] und opfere Juggler, um dafür ein Spielzeug von meiner Hand zu rufen!“ Er knallte jenes auf seine Duel Disk. „Erscheine, [Wind-Up Knight]! Und wenn ich dies getan habe, darf ich vom Deck ein weiteres Wind-Up mit gleicher Angriffskraft rufen! Los, [Wind-Up Soldier]!“ Vor ihm materialisierten sich zwei Gestalten. Eine war der weiße Spielzeugritter und die andere ein gleichgroßer, hellgrüner Roboter, dessen Kopf die Form eines Magneten hatte.   Wind-Up Knight [ATK/1800 DEF/1200 (4)] Wind-Up Soldier [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   Die Flüssigkeit schoss an ihnen vorbei ins Leere und fraß, unbemerkt von Nick, ein Loch in die Wand der Lagerhalle hinter ihm. Derweil war er froh, dafür gesorgt zu haben, dass es kein legitimes Ziel mehr für den Effekt gegeben hatte und dieser somit verpufft war. Umso überraschter war er, als sein Gegner oder seine Gegnerin schließlich ein anderes Monster vom Friedhof vorzeigte und verbannte: es war das mit 1750 Angriffspunkten, welches er zuvor im Kampf zerstört hatte. Sein Gegenüber zeigte im Anschluss die groteske Ritualzauberkarte vor, die er seinem Ablagestapel entnahm und fügte sie seiner Hand hinzu. Nur um dann den Effekt des Ritualmonsters vor ihm erneut zu aktivieren, ganz zu Nicks Entsetzen. Denn nachdem jener sein 1750-Angriffspunkte-starkes Monster wieder von der Verbannung auf den Friedhof gelegt hatte, ging das Ganze von vorne los. Und diesmal konnte Nick sich nicht wehren. So schoss die riesige Kreatur ihr blaues Sekret auf [Wind-Up Knight] und verätzte ihn derart, dass Plastik und Metall zu schmelzen begannen und er am Ende völlig deformiert war.   Wind-Up Knight [ATK/1800 → 900 DEF/1200 → 600 (4)]   Nick schluckte. „Nicht gut …“ Damit schwang sein stiller Feind den Arm aus und befahl offenbar den Angriff. Seine schlammige Kreatur mit dem Rückenkamm rollte sich zu einem einzigen Matschball zusammen und fegte über das Feld, wobei der Kamm dabei den Boden regelrecht zersägte. Sein Ziel war Nicks geschwächter Ritter, obschon er noch ein gesetztes Monster kontrollierte. Der junge Mann streckte den Arm aus. „Effekt vom [Wind-Up Knight] aktivieren! Nur einmal solange er offen liegt kann er einen Angriff abwehren!“ Doch anstatt dem etwa Folge zu leisten, rührte sich bei dem verätzten Spielzeug gar nichts. Sein Effekt musste negiert worden sein, erkannte Nick fassungslos und sah zu, wie sein Ritter einfach überrollt wurde. Dabei spritzte ein wenig vom Teer der Kreatur durch die Gegend und erwischte Nick am Arm, fraß sich durch seine hellgrüne Jacke. Dieser fackelte nicht lange und zog diese hastig aus, warf sie weg, ehe er noch verletzt wurde. Fassungslos betrachtete er das Kleidungsstück vor ihm am Boden, welches sich immer mehr zersetzte.   [Nick: 4000LP → 2300LP / ???: 4000LP]   Zeitgleich nahm sein Gegenüber eine Handkarte und setzte sie in die Duel Disk ein, womit sie zischend vor dessen Füßen erschien. Der Zug galt damit als beendet, wobei Nick einen Moment brauchte, um sich vom Anblick seiner Jacke loszureißen.   Schließlich zog er auf und verfiel in grüblerisches Schweigen. Das lag an der simplen Tatsache, dass er mit der wohl größten, vielleicht einzigen Schwäche seines Decks konfrontiert sah: starken Monstern. Keines der Monster in seinem Deck kam über 2600 Angriffspunkte hinaus, weshalb Nick auf Zauber und Fallen zurückgriff, um jene zu verstärken. Ferner benutzte er Karteneffekte, wenn er doch einmal stärkeren Feinden gegenüber trat, da es in der Regel seine Strategie war, den Gegner in ein bis zwei Zügen mit Monstern zu überrennen. Allerdings verfügte er im Moment weder über stärkende Karten, noch über Feldsäuberer. Was ihm im Grunde nur eine Wahl ließ … „Ich beschwöre [Wind-Up Dog]!“, verlautete er und legte jenen auf seine Duel Disk. Vor ihm tauchte ein kleiner, blauer Spielzeughund auf, der in einer Tour ein mechanisch klingendes Kläffen von sich gab.   Wind-Up Dog [ATK/1200 DEF/900 (3)]   Nick legte Zeige- und Mittelfinger an die Stirn, erkläre: „Ich aktiviere die Effekte von Soldier und Dog. Sie erhöhen nur einmal ihre Stufe und Angriffspunkte um ein gewisses Maß, solange sie auf dem Feld liegen.“ Die beiden Aufziehschlüssel, die sich auf den Rücken der Spielzeuge befanden, begannen sich rapide zu drehen.   Wind-Up Soldier [ATK/1800 → 2200 DEF/1200 (4 → 5)] Wind-Up Dog [ATK/1200 → 1800 DEF/900 (3 → 5)]   Das erledigt, schwang Nick den Arm weit aus. „Jetzt erschaffe ich das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 5-Monstern wird ein Rang 5-Monster!“ Beide lösten sich in braune Lichtstrahlen auf. Gleichzeitig öffnete sich inmitten von Nicks Spielfeld ein schwarzer Wirbel, der die beiden Energien absorbierte und schließlich einen mannshohen Robokrieger ausspuckte. „Erscheine, [Wind-Up Arsenal Zenmaioh]!“ Die rote Maschine bezog vor Nick Position. Bewaffnet mit einem Bohrkopf als rechte Hand und einer vom Körper getrennten, frei schwebenden Faust machte er einen imposanten Eindruck im Vergleich zum Rest von Nicks Monstern. Dabei wurde er von zwei Lichtsphären umkreist, die hinter sich gelbe Schlieren zogen.   Wind-Up Arsenal Zenmaioh [ATK/2600 DEF/1900 {5} OLU: 2]   Nick sah eine Fallenkarte auf seinem aus zwei Karten bestehenden Blatt an und überlegte, ob er sie setzen und durch Zenmaiohs Effekt zusammen mit der verdeckten Karte seines Gegners zerstören sollte. Aber er brauchte seine eigene und wollte nicht das Risiko eingehen, dass diese Person dort drüben ihre Karte ankettete. So streckte er den Arm zum Befehl aus. „Los, greife dieses Ding an! Wind-Up Power Punch!“ Ja, dachte er dabei, er würde dadurch Zenmaioh verlieren. Aber eine andere Möglichkeit zur Bekämpfung des Ritualmonsters sah er derzeit nicht. So schoss sein Roboter seine Faust ab, direkt auf die Teerkreatur zu, welche ihrerseits mit dem Spucken von Säure antwortete. Zwei Explosionen erfolgten am Ende und das Feld war monsterfrei. „Ich setze die hier verdeckt und beende meinen Zug!“ Vor Nick tauchte die Karte auf. Ein diebisches Grinsen umspielte dabei seine Lippen.   Nach wie vor stumm zog sein Gegner eine Karte auf, nur um sofort im Anschluss die Hand über die verdeckt liegende Karte vor sich fahren zu lassen. Jene normale Falle klappte auf und zu Nicks entsetzen war dort der mit Spiegeln bedeckte Abgrund abgebildet, aus welchem ein ganzes Bündel violetter Lichtstrahlen Richtung des Betrachters schoss, die von der schattenhaften Gestalt des 1750-Angriffspunkte-Monsters dieses Themas ausgingen. Passend dazu zeigte Kali oder wer auch immer die Ritualzauberkarte vor, die sie im vorigen Zug auf die Hand genommen hatte. Aus ihrem Deck schob sich eine blau umrandete Karte, die sie umgehend ihren Blatt hinzufügte. „Noch ein Ritual?“, fragte Nick. „Verstehe, damit holst du Nachschub!“ Wortlos bestätigte sein Gegner die Annahme mit der Aktivierung der Ritualzauberkarte und verbannte das Stufe 8-Monster vom Friedhof, wie er es schon bei der letzten Beschwörung dieser Art getan hatte. Vor ihm erschien der Schlund in die Tiefe, dem eine weitere dieser merkwürdigen Kreaturen entsprang. Ein knorriges, dürres Gebilde in gebückter Haltung, überzogen mit dem schwarzen Teer. An seinen Armen hingen riesige Beutel gefüllt mit einer gelben Flüssigkeit.   ??? [ATK/2400 DEF/1800 (8)]   „Gut, der ist nicht ganz so stark“, überlegte Nick laut und strich sich übers Kinn. Zu seinem Erstaunen aktivierte sein Gegner eine weitere Zauberkarte, eine dauerhafte. Auf ihr war das zuvor zerstörte Ritualmonster mit dem Kamm abgebildet, wie es die violetten Strahlen aus dem Abgrund empfing. „Eine Geschichte?“ Nebenbei versuchte Nick den Kartennamen zu lesen, um einen Anhaltspunkt über das Thema zu finden, doch egal wie sehr er sich konzentrierte, es war, als habe er einfach das Lesen verlernt. Derweil legte der Kuttenträger das verbannte 'Ritualopfer' wieder auf den Friedhof, um offenbar den Effekt des Ritualmonsters auf dem Feld zu aktivieren. Dieses biss in einen der gelben Beutel an seinem Arm und spuckte die Säure auf Nicks gesetzte Karte. „Falle aktivieren, [Xyz Reborn]! Die kriegst du nicht!“, donnerte Nick, der ahnte, dass sein Gegner sie zerstören wollte. „Sie reanimiert ein Xyz-Monster auf meinem Friedhof und wird gleichzeitig zu seiner Overlay Unit!“ Aus dem Boden vor ihm brach sein Zenmaioh, während sich die Falle in eine leuchtende Kugel verwandelte, die um ihn zu kreisen begann.   Wind-Up Arsenal Zenmaioh [ATK/2600 DEF/1900 {5} OLU: 1]   Plötzlich leuchtete die dauerhafte Zauberkarte seines Gegenübers auf, um die plötzlich ebenfalls eine finstere Energiekugel rotierte. Nick schloss daraus: „Zählmarken? Aber wofür? Und wie hast du sie bekommen?“   ??? [???-Zählmarken: 0 → 1]   Plötzlich verbannte sein Gegner wieder das Ritual-recycelnde Monster auf seinem Friedhof, um dementsprechend den Abgrundzauber wieder auf seine Hand zu bekommen. Diesen aktivierte er sofort im Anschluss und verbannte dafür das Stufe 8-Monster von seinem Friedhof. Ein zweites Mal in diesem Zug öffnete sich der dämonische Spiegelabgrund und würgte regelrecht ein weiteres Ungetüm hervor. Dieses neue war eine Art vierbeiniger Knochenkäfer, ebenfalls mit Teer überzogen und dazu noch mit einem riesigen Gefäß auf dem Rücken beladen, in dem eine schwarze Flüssigkeit brodelte.   ??? [ATK/0 DEF/3000 (8)]   Um dessen Effekt zu aktivieren, legte der Verhüllte das eben verbannte Ritualsubstitut wieder auf den Friedhof und schwang den Arm dabei aus. Der Käfer beugte sich daraufhin vor und vergoss einen Teil seiner Flüssigkeit, die sich wie ein Schatten über den Boden schlängelte und dann um Zenmaioh wand, um den sofort Blitze schlugen. Er ging in die Knie, während der Schatten herüber zu dem Säurebeutel-Monster schlich und in ihm verschwand. „Was!?“, keuchte Nick. „Zenmaioh wechselt in-!?“   Wind-Up Arsenal Zenmaioh [ATK/2600 DEF/1900 {5} OLU: 1] ??? [ATK/2400 → 2900 DEF/1800 (8)]   Zusätzlich dazu gesellte sich eine weitere violette Kugel zur Zauberkarte seines Gegners, weshalb Nick vermutete, dass immer eine neue dazu kam, wenn eines dieser Ritualmonster seinen Effekt aktivierte. Aber wozu dienten sie? Nein, anders gefragt: Was wäre das Schlimmste, womit er nicht rechnen würde?   ??? [???-Zählmarken: 1 → 2] „Automatischer Sieg …?“, konnte er eine heimliche Vermutung nicht unterdrücken. Wenn ja, wie viele brauchte diese Person dann!? Oder vielleicht war es doch etwas ganz anderes? Er hatte jedoch keine Gelegenheit, sich weitere Gedanken zu machen, denn sein Gegner zeigte auf Zenmaioh. Nick wusste: „Der Angriff kommt …“ Und er musste den kompletten Effekttext der Karten dort drüben nicht kennen um zu wissen, was ihn erwarten würde. So streckte das Monster seines Feindes die Arme aus, aus denen schlauchartige Auswüchse direkt an seinen Hals schossen und die Säure von seinen Beuteln ins Maul pumpten. Es spie einen Säurestrahl auf Nicks Roboter, der sofort zerschmolz wie Eis in der Wüste. Nick wich mit einem Seitwärtsschritt der Attacke rechtzeitig aus. Und diesmal konnte er aus den Augenwinkeln beobachten, wie die Wand hinter ihm ein neues 'Fenster' verpasst bekam. „Ugh“, stöhnte er dabei, auch wenn er nicht überrascht war, von durchschlagendem Kampfschaden erwischt zu werden. Sonst hätte der Wechsel seines Zenmaiohs in Verteidigungsposition keinen Sinn ergeben.   [Nick: 2300LP → 1300LP / ???: 4000LP]   Doch was dann folgte war selbst für ihn ein Schock. Die dauerhafte Zauberkarte seines Gegners leuchtete auf und prompt spie die Kreatur noch einen Strahl Säure – auf Nicks verdecktes Monster. „Noch ein Angriff!?“ Der junge Mann erblasste, als seine Karte getroffen wurde und um die eigene Achse wirbelte. Aus ihrer Vorderseite entstieg eine putzige, mechanische Spielzeugbiene, die regelrecht zerfetzt wurde. Wind-Up Honeybee [ATK/100 DEF/300 (1)]   Nick aber dachte in diesem Moment nicht an ihr Schicksal, sondern nur an das seine. Der durchschlagende Kampfschaden, er würde ihn-! Doch zu seinem Erstaunen wurde er nicht von der Säure angegriffen. Die Quelle seines Schmerzes sollte von ganz woanders herrühren: der Zauberkarte. Denn die beiden Sphären, die um sie kreisten, wurden schlagartig mobil und schossen auf Nick zu. Wie dünne Klingen wirbelten sie dutzende Male um ihn und zerfetzten seine Kleidung. Er schrie panisch auf, ehe die Tortur stoppte und der junge Mann in die Knie sackte.   [Nick: 1300LP → 700LP / ???: 4000LP]   Nick verstand die Welt nicht mehr. Der sogenannte Trampelschaden hätte ihn auslöschen müssen, doch stattdessen wurde ihm viel weniger Schaden berechnet. Oder vielleicht … vielleicht gab es auch nie Kampfschaden und stattdessen rührte jener vom letzten Angriff von einem Effekt? Aber wie sollte er das wissen, wenn er die Kartentexte nicht lesen konnte!? Langsam begriff er, wie sehr er doch im Dunkeln tappte. Schließlich sagte er keuchend: „Da du [Wind-Up Honeybee] durch einen Kampf zerstört hast, kann ich jetzt ein Spielzeug von meinem Deck beschwören. [Wind-Up Magician] in Verteidigungsposition!“ Er knallte vor Wut die Karte heftiger als nötig auf seine Duel Disk. Vor ihm tauchte ein Spielzeugmagier auf, der einen Zauberstab in seinen Kneifzangenhänden hielt.   Wind-Up Magician [ATK/600 DEF/1800 (4)]   Im Gegenzug zeigte sein Gegenüber plötzlich selber ein Monster vor und legte es auf die Duel Disk, woraus Nick schloss, dass er eine Normalbeschwörung durchführte. Vor ihm tauchte eine weitere, mehr humanoid wirkende Teerkreatur auf, die statt auf Beinen auf acht Knochenauswüchsen ging, was ihr ein spinnenhaftes Äußeres verlieh.   ??? [ATK/0 DEF/0 (4)]   Zunächst bemerkte Nick es nicht, doch als sich in der Magengegend der Kreatur ein Maul öffnete, verschlug es selbst ihm die Sprache. Jenes sog plötzlich Luft in sich auf, wobei gleichzeitig ein violetter Lichtball aus dem Schlund schoss. Analog öffnete dazu der Magier gegen seinen Willen den Mund und spuckte seinerseits eine rote Kugel aus. Und während die sinistre Kreatur die rote verschlang, verleibte sich [Wind-Up Magician] die violette seines Gegners inne. Woraufhin sich seine Augen schwarz wie die Nacht verfärbten.   Wind-Up Magician [ATK/600 → 0 DEF/1800 → 0 (4)] ??? [ATK/0 → 600 DEF/0 → 1800 (4)]   Als dem seltsamen Schauspiel nichts mehr folgte, galt der Zug als beendet und das giftige Ritualmonster spuckte das schwarze Wasser in das Behältnis seines käferartigen Kameraden zurück.   ??? [ATK/2900 → 2400 DEF/1800 (8)]   Sofort im Anschluss erhob sich Nick langsam und hielt sich den linken Arm, der am meisten von dem Angriff abbekommen hatte. Das würde ein paar tolle Narben geben, dachte er dabei ärgerlich, was wiederum keine Rolle spielte, da ohnehin … nein, daran wollte er jetzt nicht denken! „Draw!“, rief er nichtsdestotrotz wütend und zog auf. Froh über seine neueste Errungenschaft, zeigte er zunächst seine andere Handkarte vor. „Ich beschwöre [Wind-Up Rat]! Nur einmal, solange sie auf dem Feld ist, kann ich sie in Verteidigung wechseln und ein Spielzeug von meinem Friedhof ebenfalls in Verteidigung reanimieren!“ Zu seinen Füßen eine kleine, blaue Spielzeugratte auf, die auf Rädern im Kreis rollte. Dabei drehte sich der Aufziehschlüssel auf ihrem Rücken wie verrückt.   Wind-Up Rat [ATK/600 DEF/600 (3)]   Vor ihm entstieg aus einem sich öffnenden Runenzirkel der Spielzeugsoldat mit dem Magnetkopf, welcher augenblicklich in die Knie ging.   Wind-Up Soldier [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   Er streckte den Arm aus, erklärte: „Da sich jetzt der Effekt eines Wind-Ups aktiviert hat, beschwört [Wind-Up Magician] nur einmal einen Kameraden vom Deck! Los!“ Doch zu seinem Erstaunen geschah gar nichts. „Wieso-!? Ah … natürlich.“ Nick fasste sich kopfschüttelnd an die Stirn. Der Seelenaustausch zwischen seinem Spielzeugmagier und dieser Spinnenkreatur eben, vermutlich wurden nicht nur die Werte ausgetauscht sondern auch die Effekte negiert. Großartig … „Dann muss es eben ohne funktionieren! Ich erschaffe das Overlay Network und lasse meine beiden Stufe 4-Monster zu einem Rang 4-Monster werden!“ Den Arm in die Höhe reißend, ließ er den dunklen Galaxienwirbel inmitten seiner Spielfeldseite erscheinen. Magician und Soldier wurden als rote beziehungsweise braune Lichtstrahlen in ihn hineingezogen. „Erscheine, [Wind-Up Zenmaister]!“ Aus dem Schwarzen Loch baute sich vor Nick ein großer Roboter auf. Von weißgrüner Lackierung, besaß Zenmaister vier Düsenantriebe statt Beinen und ballte seine mächtigen Fäuste. Die zwei Lichtsphären, die um ihn rotierten, gaben regelmäßig elektrische Entladungen an ihn ab. Hierzu erklärte Nick: „Zenmaister bekommt für jedes Xyz-Material 300 Angriffspunkte spendiert.“   Wind-Up Zenmaister [ATK/1900 → 2500 DEF/1500 {4} OLU: 2]   Zwar würde Nick am liebsten das schwache Spinnenmonster angreifen, doch war es wichtiger, zunächst das offensive Ritualmonster loszuwerden. So zeigte er auf jenes. „Zenmaister, dort ist dein Ziel! Wind-Up Armored Fist!“ Zenmaister fuhr einen seiner Arme an einer Zugfeder aus und schlug damit aus der Distanz die Säurekreatur seines Gegners wortwörtlich zu Brei. Doch plötzlich drehte das Xyz-Monster sich um, die Augen schwarz leuchtend und ehe Nick sich versah, bekam er die andere Faust in den Magen und wurde von den Beinen gerissen.   [Nick: 700LP → 600LP / ???: 4000LP → 3900LP]   Vor sich hin hustend, drehte sich der auf dem Rücken liegende Nick um und hielt sich, abgewandt von seinem Gegner, den Bauch. Seine Augen geweitet, konnte er nicht fassen, dass sein eigenes Monster ihn angegriffen hatte. Doch ihm ging ein Licht auf … [Wind-Up Magician] war besessen worden und nun Teil Zenmaisters. Kein Wunder, genau das hatte sein Gegner beabsichtigt und offenbar gehofft, er würde die schwächere Kreatur angreifen, was seine Niederlage bedeutet hätte. „... aber dem kann ich Abhilfe leisten!“, stieß er stur hervor und richtete sich auf. „Ich aktiviere [Wind-Up Zenmaisters] Effekt und verdeckte damit [Wind-Up Rat] bis zur End Phase.“ Bewusst seinen Magier unter dem Xyz-Monster hervor ziehend, ließ er seinen Roboter mit einer sanften Kopfnuss dafür sorgen, dass die Maus sich unter ihrer Karte verkroch.   Wind-Up Zenmaister [ATK/2500 → 2200 DEF/1500 {4} OLU: 2 → 1]   Doch Nick haderte. Xyz-Materialien galten ohnehin nicht als auf dem Feld, ergo besaßen sie keine eigenen Effekte mehr, was bedeutete … sein Monster stand immer noch unter dem finsteren Einfluss seines Gegners! Aber wie konnte er sich sicher sein? Nick legte seine letzte Handkarte in die Duel Disk ein. „Mit [Pot Of Avarice] mische ich fünf Monster von meinem Friedhof in mein Deck zurück und ziehe dann zwei Karten.“ Er entschied sich für die Wind-Ups Magician, Knight, Juggler, Honeybee und Zenmaioh, schob sie in sein Deck, ließ dieses durchmischen und zog dann zwei Karten auf. Eine davon setzte er sofort in seine Zauber- und Fallenkartenzone, wodurch diese sich vor ihm materialisierte. Mit seiner letzten Handkarte sagte er unruhig: „Ich beende den Zug.“ Ihm gefiel gar nicht, eine tickende Zeitbombe auf dem Feld zu haben. Nicht, wenn er so wenig Lebenspunkte besaß. Derweil wirbelte die verdeckte Karte seiner [Wind-Up Rat] wieder herum und präsentierte das kleine, blaue Spielzeug auf Rädern.   Wind-Up Rat [ATK/600 DEF/600 (3)]   Ohne Umschweife zog sein stiller Gegner und legte ein Monster auf seine Duel Disk, vermutlich als Normalbeschwörung. Vor ihm tauchte eine mit Teer überzogene, humanoide Gestalt auf, die einen pechschwarzen Schleier trug und sich rückwärts beugte. Aus ihrem Abdomen wuchsen sechs Knochenarme, die gen Himmel gerichtet waren und der ganzen Kreatur eine bedrückende Note der Verzweiflung verliehen.   ??? [ATK/1900 DEF/500 (4)]   Allerdings löste die Kreatur sich zusammen mit ihrem spinnenartigen, seelentauschenden Artgenossen unter einem klagenden Schrei plötzlich in schwarze Lichtpartikel auf, welche vom Deck ihres Besitzers absorbiert wurden. Aus diesem schoben sich dann zwei Karten. Nick erkannte eine weitere Kopie des Ritualzaubers und dazu ein blau umrandetes Monster. „Runde 4 … was kommt diesmal, ein Matschgolem?“, fragte er zynisch. Er sollte es schnell herausfinden, denn sein Gegenüber aktivierte den Ritualzauber und ließ den Schlund voller Spiegel vor sich erscheinen. Dieser absorbierte das violette Licht, das vom Friedhof ausgesendet wurde, als der Kuttenträger sein Stufe 8-Ritualsubstitut wieder einmal von dort verbannte. Dem Abgrund entstieg eine geflügelte Gestalt, einem Drachen nicht unähnlich, wie alle Monster dieser Art pechschwarz. Zwischen seinen knorrigen Schwingen befand sich nichts außer dichtem, weißem Nebel.   ??? [ATK/2500 DEF/2300 (8)]   Der Unbekannte streckte den Arm aus: sogleich kehrte das verbannte Stufe 8-Monster auf seinen Friedhof und der Nebel durchzog binnen Sekunden die gesamte Lagerhalle. Nick verspürte aus dem Nichts einen Stich in seiner Hand und als der Nebel sich verzog, war seine letzte Handkarte verschwunden. Dafür umkreisten nun drei violette Sphären die dauerhafte Zauberkarte auf der Spielfeldseite seines Gegners.   ??? [???-Zählmarken: 2 → 3]   „Ich hätte mehr erwartet“, spottete Nick, „diese Karte habe ich ohnehin nicht gebraucht.“ Sein Gegenüber aber hielt den Arm weiterhin ausgestreckt und lenkte ihn lediglich herüber zu dem Teerkäfer samt dessen riesigem Behälter mit der schwarzen Flüssigkeit darin. Sein verbanntes Ritualzauber-Recycling-Monster mit den 1750 Angriffspunkten stieg als holographische Version seiner Karte auf und verschwand in seinem Friedhofsschlitz. Daraufhin beugte sich der Käfer über und vergoss einen Teil seiner Ladung, die wie ein Schatten über den Boden schlich, kurz Nicks Zenmaister umschlängelte, kurzschloss und in die Verteidigungsposition zwang, ehe es zum geflügelten Ungetüm sprang und in dessen Maul verschwand.   Wind-Up Zenmaister [ATK/2200 DEF/1500 {4} OLU: 1] ??? [ATK/2500 → 3000 DEF/2300 (8)] ??? [???-Zählmarken: 3 → 4]   Gleichzeitig war um die dauerhafte Zauberkarte eine vierte Lichtsphäre dazugekommen, die bedrohlich mit den anderen wie ein Bienenschwarm um die Karte zog. Nick schwante Böses. So streckte sein Gegner nun den Zeigefinger aus und deutete auf das Monster des zerzausten jungen Mannes. Die geflügelte Teerkreatur öffnete ihr Maul und stieß eine dichte, weiße Nebelwolke in Richtung des lahmgelegten Zenmaisters aus. „Du bist ein Idiot“, grinste Nick, „es war ein Fehler, seine Position zu wechseln!“ Natürlich war es im ersten Moment ein logischer Schritt, schließlich war der Durchschlagschaden das Ziel seines Gegners. Aber hatte jener vergessen, dass Zenmaister besessen war und den Kampfschaden zurück geleitet hätte, wenn er einfach mit dem Seelenräuber angegriffen hätte? Oder funktionierte das in diesem Fall nicht? So oder so, er würde nicht nur den Schaden abfangen, sondern einen zweiten Angriff sponsored by weird Spellcard aufhalten! „Falle aktivieren! [Overwind]! Sie verdoppelt die Werte meines Monsters, schickt es aber während der End Phase ins Extradeck zurück.“ Der Aufziehschlüssel auf dem Rücken seines Monsters begann sich derart rapide zu drehen, dass schon Rauch aus allen Öffnungen Zenmaisters aufstieg, welcher sich noch einmal aufrappelte und den Nebelstrahl mit gekreuzten Armen abwehrte.   Wind-Up Zenmaister [ATK/2200 → 4400 DEF/1500 → 3000 {4} OLU: 1]   „Kein Schaden!“, jubelte Nick. „Und lass mich raten? Da du mein Monster nicht zerstören konntest, darfst du auch nicht noch einmal angreifen, richtig?“ Sein Blick fiel dabei auf [Wind-Up Rat], die ihm mit ihrer niedrigen Verteidigung das Genick brechen würde, wenn er sich irrte. Da sein Gegner aber keine Regung zeigte und auch keinen neuen Angriff befahl, ging Nick davon aus, im Recht zu sein. Trotzdem stand ihm der Schweiß auf der Stirn, denn so einem derart schwierigen Gegner hatte er noch nie gegenüber gestanden. Zu seinem Erstaunen löste sich sein Roboter plötzlich in leuchtende Partikel auf, während das geflügelte Ungetüm die schwarze Flüssigkeit zurück in den Behälter des Käfers spuckte. Der Zug war also beendet, ohne dass sein Gegner eine Karte setzte?   ??? [ATK/3000 → 2500 DEF/2300 (8)]   Sofort griff Nick nach seinem Deck, hielt aber inne, als ihm mit einem Schlag etwas klar wurde. Sein Mund öffnete sich langsam, doch kam kein Ton daraus hervor. Dann ballte er eine Faust. Er konnte gar nicht gewinnen. Die Lage war aussichtslos für ihn. Seine Ressourcen waren verbraucht und egal was er zog, er würde niemals beide Monster loswerden können. Die Verteidigung dieses Teerinsekts war einfach zu hoch. Und es würde nur dafür sorgen, dass er nächste Runde wieder durchschlagenden Kampfschaden erleiden würde. Sein Gegner besaß noch eine Handkarte und war sicherlich in der Lage, wieder ein Ritualmonster zu beschwören. Als Nick das erkannte, ließ er die Arme kraftlos sinken. Wie hatte er das all die Zeit übersehen können, ausgerechnet er!? Diesen Kampf darum, wer länger mit seinen Ressourcen zurecht kam, ein Kampf, den er nur hatte verlieren können, weil er nicht seinem Duellstil entsprach. Er war am Ende seines Lateins. „Gut gemacht“, murmelte er abwesend, „wirklich gut.“ Er schritt auf die zerschmolzene Jacke zu, die vor ihm lag. Und trotz der Säure nahm er sie in die Hand, verätzte sich und holte dort sein auf den ersten Blick unmodern wirkendes Handy hervor, das zum Glück nur am Gehäuse etwas Schaden genommen hatte. „Ich werde jetzt einen Anruf tätigen“, sagte er, „mich verabschieden.“ Ohne eine Reaktion zu erwarten, wählte er eine Nummer und legte den Apparat ans Ohr. Seine Hand war rot und voller Blasen. Dabei sah er seinen Gegner entschlossen an. „Hi Mum. Du weißt schon, Farewell. Episode 911.“ Mehr sagte Nick nicht und legte wieder auf. Dann griff er nach seinem Deck. „Tut mir leid, aber das musste sein. Draw.“ Völlig gelassen zog er seine Karte. Dann streckte er den Arm aus. „Ich wechsle [Wind-Up Rat] in den Angriffsmodus und aktiviere ihren Effekt. Da sie kurzzeitig verdeckt lag und somit ihr Effekt zurückgesetzt wurde, kann ich nun erneut ein Wind-Up von meinem Friedhof beschwören. Erscheine, [Wind-Up Hunter], welchen du eben durch den Effekt deines Monsters hast abwerfen lassen! Dazu erschaffe ich das Overlay Network!“ Die Maus drehte sich wild im Kreis, dann verwandelte sie sich schon anlässlich des sich öffnenden Schwarzen Lochs in einen braunen Energiestrahl. Das andere Spielzeug erschien gar nicht erst, sondern stieg gleich als violetter Strahl aus dem Boden auf und wurde ebenfalls verschluckt. „Aus meinen beiden Stufe 3-Monstern wird ein Rang 3-Monster! Xyz Summon! Erscheine, [Wind-Up Carrier Zenmaity]!“ Aus dem Wirbel tauchte ein längliches Spielzeugschiff auf, das größer als alles war, was Nick zu bieten hatte. Um genau zu sein war es ein Flugzeugträger, nur dass dort verschiedene Wind-Up-Monster in Reihe an Deck standen. Zwei Lichtkugeln umkreisten das gewaltige Boot.   Wind-Up Carrier Zenmaity [ATK/1500 DEF/1500 {3} OLU: 2]   Das Handy fest in der Hand umklammert, streckte er den Arm aus. „Indem ich einmal pro Zug ein Xyz-Material abhänge, kann ich direkt ein Spielzeug vom Deck aufs Feld beschwören! [Wind-Up Kitten]!“ Der Flugzeugträger schoss eine kleine, goldene Spielzeugkatze in Richtung des Teerkäfers ab, welche in der Luft wild mit ihren Gliedmaßen fuchtelte. Dabei drehte sich auf ihrem Rücken ihr Aufziehschlüssel.   Wind-Up Carrier Zenmaity [ATK/1500 DEF/1500 {3} OLU: 2 → 1] Wind-Up Kitten [ATK/800 DEF/500 (2)]   „Diese kleine Mieze kann nur einmal, solange sie offen liegt, eines deiner Monster zurück auf die Hand geben. Damit ist dein 'Tank' Geschichte!“, verlautete Nick, als Kitten in ebenjenen Teerkäfer krachte und dafür sorgte, dass dieser sich in Luft auflöste. Damit stand er jetzt nur noch dem geflügelten Etwas gegenüber, das aber stärker als seine beiden Monster war. In der einen, herabhängenden Hand das Handy haltend, zeigte Nick seine verbliebene Handkarte vor und drückte klammheimlich den Abnehmen-Knopf seines Mobiltelefons. „Diese Karte nennt sich [Generation Force].“ Nick verzog plötzlich die Augen, setzte eine grimmige Miene auf. „Damit übernehme ich für einen Zug die Kontrolle über dein Monster. Komm her!“ Die Kreatur schwang sich herüber zu Nick und bezog über ihm Stellung. Nick schnaubte, weil sein Gegner keine Reaktion zeigte und nur die Ritualmonster-Karte herüber warf, die er zwischen den Fingern auffing. Wusste er es nicht besser? Dass Nick gerade alles auf den Kopf stellte, die AFC-Server veralberte und einen völlig anderen Effekt ausgelöst hatte als auf der Karte stand? Den von [Change Of Hearts], einer der wenigen verbotenen Karten Duel Monsters. Leise murmelte er: „Wenn es ums Überleben geht, hat jeder seine eigenen Methoden. Und wer kann, der wird. Ich kann. Also nimm's mir nicht übel, aber ich lebe lieber und verzichte dafür auf Ehre und Gewissen! Los meine Monster, gemeinsamer direkter Angriff!“ Während sein Flugzeugträger Raketen auf den Feind abfeuerte, stieß die geflügelte Kreatur einen weißen Odem aus. Beide erfassten gleichzeitig die verhüllte Figur und sorgten mit einer Explosion dafür, dass jene im hohen Bogen durch die Luft geschleudert wurde. Dabei lockerte sich die Kapuze und verlor gänzlich den Halt. Und Nick stockte der Atem.   [Nick: 600LP / ???: 3900LP → 0LP]   Schwarzes Haar peitsche um ihr Gesicht, als die Gestalt sich mitten in der Luft fing, eine Rückwärtsdrehung machte und auf beiden Beinen in kniender Haltung landete. Rehbraune Augen starrten Nick ausdruckslos an. Ein bekanntes Gesicht. Valerie Redfield. Ehe Nick auch nur begriff, mit wem er es zu tun hatte, machte diese noch einen Sprung zurück und verschwand in einem schwarzen Portal, das sich hinter ihr geöffnet hatte und sogleich wieder schloss. Und Nick war plötzlich alleine in der Lagerhalle, die Hologramme verschwanden.   „Valerie“, stammelte Nick fassungslos. „Warum ausgerechnet-!?“ Er sah auf seine Duel Disk und betrachtete das Ritualmonster, das auf dieser lag. Nun konnte er endlich den Namen lesen. „[Ateritus Mist]. Ater … böse.“ Jetzt wurde ihm klar, woher er diesen Erzählstil der Artworks und die Funktionsweise des Decks kannte: Valeries Gishkis! Nick sank in die Knie. Niemals hätte er erwartet, dass Valerie seine Feindin wäre. Nein, viel eher glaubte er, dass sie Anyas Feindin war. Was einerseits Sinn ergab, hatte sie schon in der Vergangenheit Anyas Pläne torpediert und sie sogar angegriffen. Aber dass sie so weit gehen würde! Bloß woher hatte sie diese Kräfte? Durch einen Pakt? Oder steckte sie mit jemandem unter einer Decke? Wer würde … der Sammler! Natürlich! Die Falle galt ihm, weil er zu viel wusste! Wusste, dass der Sammler höchstwahrscheinlich der 'wahre Feind' war. Also schickte er Valerie, die ohnehin gegen Anyas Vorhaben war, um ihn zu beseitigen. Welche Lügen er ihr auch immer erzählt haben mochte. Es gab nur einen Weg, Klarheit zu schaffen.   Nick raffte sich auf und betrachtete die Karte. Valerie wollte laut eigener Aussage noch bis Ende der Woche in Livington bleiben, angeblich um sich von dem Schock der ruinierten Hochzeit zu erholen. Plötzlich sah Nick das alles in einem ganz anderen Licht. So konnte Valerie insgeheim die Order des Sammlers ausführen. Vermutlich hatte sie sich zurückgezogen, um ihre Wunden zu lecken. Dann würde er ihr einen netten Empfang bereiten!   -~-~-   Keuchend stand Nick vor den Toren des Redfield-Anwesens. Vor ihm erstreckte sich hinter den Gittern ein riesiger Garten, der seit seinem letzten Besuch vergangenen Herbst um einige farbenprächtige Blumensorten erweitert worden war. Dahinter erhob sich die weiße Villa, deren Vorbild nur das Weiße Haus gewesen sein konnte.   Notdürftig hatte er seine Hand mit Bandagen versorgt und sich umgezogen, trug jetzt Jeans und ein weißes, zerknittertes Hemd. Im Blick des jungen Mannes stand eine unheimliche Entschlossenheit geschrieben, die etwas Gefährliches barg. Wenn Valerie Redfield sein Feind war und ihn ausschalten wollte, würde er ihr zuvor kommen. Nichts anderes sollte dieses Funkeln in seinen Augen ausdrücken. Nicks Hand glitt in seine Hosentasche und holte das Handy hervor. Zwei Knopfdrücke später und das Tor zog sich automatisch nach links zurück, ohne dass im Haus jemand dazu die Genehmigung gegeben hatte. Der brünette junge Mann schlenderte gelassen den Kiesweg geradeaus entlang auf die Villa zu, sah dabei zur linken Seite, wo ein Weg um das Anwesen herumführte. Dort befand sich die pompöse Garage, deren Fuhrwerk aus mehreren sündhaft teuren Wagen und einer blauen Yamaha bestand, die direkt vor einem der insgesamt drei Toren stand. Dementsprechend war es sehr wahrscheinlich, dass Valerie hier war, gehörte schließlich ihr das Motorrad. Seelenruhig schritt Nick herüber zur weiß gestrichenen Haustür aus Holz. Ohne Schlüssel kam er dort nicht rein, doch auch hier spielte ihm der Fortschritt des 21. Jahrhunderts in die Hände. Eine Familie wie die Redfields vertraute auf allen möglichen technischen Schnickschnack, um sich vor dem ungeliebten Pöbel zu schützen. Dazu gehörte auch ein elektronisches Schloss samt Alarmanlage, die Nick kurzerhand mit einem weiteren Knopfdruck seines Handys lahmlegte. Dieses Haus gehörte jetzt ihm. Einfach mit der Hand die Tür aufstoßend, verschaffte er sich Einlass in den eher bescheiden eingerichteten Flur. Von innen wirkte das Haus gleich ganz anders, viel rustikaler und gemütlicher, nicht so pompös wie von außen. Und dunkel. Von weiter vorne drang lautes Gerede an Nicks Ohr. Er schlich sich zum Wohnzimmer, wo er Marc entdeckte, der auf der halbmondförmigen Couch saß und sich auf dem Flachbildfernseher gerade ein Football-Spiel laut mitgrölend ansah. Umso besser, war der wenigstens abgelenkt und würde sich nicht einmischen. Nick drehte sich wieder um und ging auf leisen Sohlen zur Treppe, die er nahm, um sich schließlich nach einigem Suchen vor der Tür von Valeries Zimmer wiederzufinden. Sie war geschlossen. Sollte er das wirklich tun? Nick kamen Zweifel. Er hatte 'so etwas' noch nie getan und wusste nicht, ob er wirklich das Zeug dazu besaß. Solche Dinge regelte im Normalfall Anya. Aber die war nicht hier und ahnte nichts vom Verrat ihrer Erzrivalin. Und Nick war nicht gewillt zu warten, bis sie zurück war. Er musste die Sache selbst klären.   Zögerlich umschloss seine Hand die Klinke und drückte sie behutsam herunter. Ob sie ihn schon bemerkt hatte? Wer wusste schon, über welche Fähigkeiten sie noch verfügte. Langsam öffnete Nick die Tür und sah in das Zimmer. Tatsächlich, da saß sie, an ihrem Schreibtisch und verfasste offenbar einen Brief. Für den Sammler? Oder eine weitere Falle, für wen auch immer? Nick schlich sich vorsichtig hinein und setzte einen Fuß vor den anderen. Der Lärm unten kam ihm dabei zugute, so würde Valerie ihn womöglich erst hören, wenn es schon längst zu spät war. Beim Anschleichen fiel ihm auf, wie bescheiden auch Valeries Zimmer eingerichtet war. Ziemlich klein erschien es für so eine große Villa, kaum größer als das von Anya. Nie würde jemand auf die Idee kommen, dass hier ein stinkreiches Mädchen wohnte. Beziehungsweise vor Kurzem noch gewohnt hatte. Schließlich hatte Nick sie erreicht, stand direkt hinter der Schwarzhaarigen, die ihn offenbar nicht bemerkt hatte. In seinen Augen breitete sich ein bitterböses Funkeln aus. Er legte seine Hände vorsichtig über ihre Augen. Valerie kicherte vergnügt, nichts ahnend. „Marc, lass das, ich muss den noch fertig kriegen. Mutter-“ „Oh“, hauchte er in ihr Ohr, „ich glaube, das kann warten.“ Damit riss er sie herum und drückte das vollkommen aus dem Konzept gebrachte Mädchen brutal gegen ihren Schreibtisch. „Nick!?“, keuchte sie. „Was machst-!? Was soll das!?“ „Ich stelle jetzt die Fragen“, zischte er und verlagerte sein Gewicht so, dass sie ihm nicht so einfach entfleuchen konnte. Für Außenstehende musste der Anblick der beiden eine sehr eindeutige, widerwärtige Absicht Nicks ausdrücken, auch wenn dem nicht so war. „Lass mich los!“, forderte Valerie lautstark. „Wer hat dir gesagt, du sollst mich umbringen!? Sag es!“ „Ich weiß nicht, wovon du redest!“ Nick erhöhte seinen Druck auf ihre Schultern, spürte anhand ihres aufzuckenden Körpers, dass ihr das weh tun musst-   Ein infernaler Schmerz breitete sich in seiner Lendengegend aus. Nick krümmte sich zwangsweise, ließ nur kurz von Valerie ab, sodass diese ihn kurzerhand am Arm packen und ihm diesen auf den Rücken drehen konnte. „Marc!“, schrie sie mit aller Kraft. „Komm, ich brauche Hilfe! Schnell!“ Obwohl Nick versuchte sich zu befreien, fügte er sich mit jeder Bewegung nur mehr Leid zu, da Valerie nicht weniger zimperlich war als er. „Du hast zehn Sekunden mir zu erklären“, flüsterte sie und wurde schlagartig sehr laut, „was du hier machst!“ „Tu doch nicht so, du wolltest mich tot sehen!“, erwiderte er zornig, hörte nebenbei, wie jemand mit polternden Schritten die Treppe hoch eilte. Sie gab ihm einen Stoß und rammte ihn gegen den Schreibtisch, sein Gesicht wurde auf das Kiefernholz gedrückt. „Warum sagst du so etwas? Warum sollte ich!?“ Keuchend presste er hervor: „Sag du es mir doch!“   Im gleichen Augenblick kam Marc hereingeschneit, der beim Anblick seiner mit Nick ringenden Verlobten kurz die Sprache verlor. Dann aber wurde auch er äußerst ungehalten. „Was hat der hier zu suchen!?“ „Er sagt, ich hätte versucht ihn umzubringen!“ „So ein Schwachsinn, du warst die ganze Zeit hier!“ Nick funkelte über den Schreibtisch herüber Marc an. „Das würde ich an deiner Stelle auch sagen. Wieso sollte ich gerade dir glauben? Du bist doch der Erste gewesen, der solche krummen Dinger-“ Sofort stürmte Marc auf ihn zu, sodass Valerie gezwungenermaßen von Nick ablassen musste, um Schlimmeres zu verhindern. Trotzdem beugte der schwarzhaarige, kernige Mann sich über ihren ausgestreckten Arm und hielt Nick den Zeigefinger unter die Nase. „Vorsicht Freundchen!“ Nick, der endlich frei war, richtete sich sofort auf und wich zurück, stieß dabei gegen eins von Valeries Bücherregalen. Er musste sich eingestehen, dass er körperlich gesprochen leider schlechte Karten hatte. Das war eben das Manko eines Meisterhackers – keine Zeit für die Muckibude. Er schüttelte die Gelenke, sich darauf vorbereitend, trotzdem kämpfen zu müssen. Valerie, die ihr Haar offen trug, stellte sich zwischen die beiden und funkelte Nick mit einer Missbilligung an, die selbst Anya hätte vor Neid erblassen lassen. „Nick“, begann sie scharf, „was immer du gesehen hast, ich war es nicht! Das solltest du wohl am besten wissen!“ „Ich weiß was ich gesehen habe!“, verharrte er beharrlich auf seinen Standpunkt. „Und ich weiß, dass du gleich für lange Zeit nichts mehr sehen wirst-!“ Wieder musste Marc von seiner Freundin gezügelt werden, damit er dem hageren Zwei-Meter-Mann nicht den Hals umdrehte. „Ich habe einen Beweis!“, fauchte Nick unbeirrt zurück und zückte kurzerhand die [Ateritus Mist]-Karte aus seiner Hosentasche. Zwar riss Valerie sie ihm aus der Hand, doch gab sie binnen weniger Sekunden zurück. „Solche Monster spiele ich nicht und das weißt du!“ Nick wollte sofort widersprechen, sah jedoch ein, dass sein Argument keines war. Natürlich hätte sie ein anderes Deck für diese Aktion verwenden können, aber wie wollte er ihr das nachweisen?   „Vielleicht hast du etwas gesehen, was wie ich aussah, aber nicht ich war“, versuchte Valerie trotz ihrer eigenen Wut objektiv zu bleiben, „erzähl uns genau passiert ist. Dann sehen wir weiter.“ Nick funkelte die beiden böse an. „Also schön …“ Was Nick dann auch tat. Und es half ihm, sein eigenes Temperament ein wenig in den Griff zu bekommen, denn je mehr er berichtete, desto klarer wurde ihm, dass die Valerie vor ihm vielleicht gar nicht so Unrecht haben könnte.   „Aber wenn du es nicht warst“, meinte Nick schließlich und lehnte sich mit verschränkten Armen an ihren Schreibtisch, „wer dann? Oder eher was?“ Marc war immer noch hochrot vor Wut aufgrund von Nicks Beschuldigungen. „Was spielt das für eine Rolle? Hast du eine Ahnung, was du eben tun wolltest!?“ „Es tut mir leid, okay!?“ Um ehrlich zu sein, nein, hatte Nick nicht. Er wusste ja nicht einmal, was er mit Valerie angestellt hätte, wenn sie geständig gewesen wäre. Was ihm ein wenig Angst vor sich selbst einflößte und schmerzhaft bewusst werden ließ, dass er sich nicht zu solchen Affekttaten hinreißen lassen durfte. „Wer könnte ein Interesse daran haben, meine Gestalt anzunehmen?“, fragte Valerie, ohne eine Antwort auf Marcs Frage abzuwarten. Sie stand noch immer vor ihm, was Nick in diesem Moment erst richtig zu schätzen lernte. Marc hätte ihn längst zu Brei geschlagen, jede Wette. „Praktisch jeder, der Anya scheitern sehen will“, antwortete Nick, „also allen voran Kali. Sie will Rache, wofür auch immer und hat auch den Brief signiert. Aber ich glaube, jemand benutzt sie nur als Sündenbock. Eher denke ich-“ „Fragen wir mal anders“, schnitt Marc ihm das Wort ab, wenn auch in einem etwas ruhigerem Tonfall als zuvor, „wer könnte überhaupt Vals Gestalt annehmen?“ „Der Sammler.“ „Exakt“, konnte Nick seinen Hauptverdächtigen endlich benennen, „der Sammler. Und er hat gute Gründe, mir an die Gurgel zu wollen. Denke ich jedenfalls.“ Plötzlich ließ Valerie die Arme sinken, sah mit einem Mal ziemlich erschrocken aus. Sie drehte sich zu Marc um. „Er hat meinen Namen.“ „Das heißt?“, fragte Nick.   Kurz darauf erklärte sie ihm, wie sie Marc durch einen Handel mit dem Collector zurück ins Leben gerufen hatte. Und dass ihr Preis dafür ihr Name gewesen war, durch den der Sammler Informationen sammeln konnte. Nick hing am Ende die Kinnlade hinunter. Er fasste sich an die Stirn und lachte leise, dann immer lauter. „Natürlich … was für ein perfider Plan. Darauf hätte ich kommen müssen.“ „Worauf hättest du kommen müssen?“, fragte Valerie irritiert. „Tut mir leid, ich muss los“, meinte Nick plötzlich kurz angebunden und schnellte an ihr vorbei. Jedoch stieß Marc ihn mit der Hand zurück. „Du gehst nirgendwo hin! Wir holen die Cops!“ „Tu das, aber bitte warte damit noch wenigstens, bis ich mehr herausgefunden habe, okay?“ Valerie nickte zögerlich. „Wir werden es uns überlegen.“ „Es tut mir leid, dass ich euch zu Unrecht verdächtigt habe“, gab Nick aufrichtig, aber gleichzeitig auch nicht sehr überzeugend klingend aufgrund seiner Eile von sich. Es half auch nicht, dass er unruhig zur Tür blickte. „Solange ich mir nicht sicher bin, was das alles sollte, ist es das Beste, wenn ihr nicht mehr wisst.“ Damit war Valerie hingegen nicht einverstanden, wild gestikulierte sie mit den Händen. „So lasse ich mich aber nicht abspeisen. Nicht, nachdem du mich in meinem eigenen Haus angegriffen hast. Was hat das alles zu bedeuten!?“   Er konnte es ihnen nicht sagen. Dass der Sammler hinter dem Mordversuch steckte. Denn der schien tatsächlich bestens darüber Bescheid zu wissen, dass Nick ihm auf die Schliche gekommen war und versuchte nun sofort, ihn mit allen Mitteln loszuwerden. Der 'wahre Feind', der sich Valeries Namen bediente, um damit offenbar eine Art Double zu erschaffen, welches er für seine Zwecke verwenden konnte. Zum Beispiel ungeliebte Mitwisser zu beseitigen, um dann dieser Kali die Schuld in die Schuhe zu schieben. Wer wusste schon, was er noch alles mit diesem Klon anzustellen vermochte!? Aber wenn Nick den beiden dies anvertraute, besonders da Valerie unter permanenter Beobachtung stehen könnte, würde er sie zu Mitwissern machen. Den nächsten auf der Todesliste des Sammlers. Und das konnte er nicht verantworten.   „Nein, Valerie“, widersprach Nick scharf, „das hat nichts mit dir zu tun.“ „Und ob es das hat!“ Plötzlich trat er so rasch auf sie zu, dass selbst die taffe Valerie vor Schreck gegen ihren Schreibtisch stieß. „Du willst nur glücklich sein, nicht wahr?“, fragte Nick leise, während er von ihr abließ. „Wenn dir an diesem Wunsch etwas liegt, dann stell keine Fragen, die dafür sorgen könnten, dass du für immer unglücklich wirst.“ Er konnte ihrer entgeisterten Mimik entnehmen, dass ihr schlichtweg die Worte fehlten. Und Nick nutzte den Moment aus, als Marc seiner Verlobten entgegen kam und sie ihn den Arm nehmen wollte. So stahl er sich an ihnen vorbei. „Tut mir leid, dass ich euch so viel Ärger gemacht habe …“ Ehe sie reagieren konnten, flitzte er aus dem Zimmer und rannte die Treppen zum Erdgeschoss hinunter, unsicher, was er von nun an tun sollte. Der Sammler wollte ihn tot sehen und das war sicher nicht sein letztes Attentat auf ihn. Er musste also einen Weg finden, sich gegen den nächsten Angriff zu wehren, egal was es ihn kostete …   Turn 52 – Demise Nachdem Anya zurück in Livingon ist und es schon zu lange hinausgezögert hat, verabredet sie sich schließlich mit Logan, um endlich ein Freundschaftsspiel gegen ihn auszutragen. Nick, der zusieht, erhält überraschend einen Anruf, der dunkle Erinnerungen weckt und ihn dazu zwingt, sich seiner Vergangenheit in Form eines ihm alten Bekannten zu stellen … Kapitel 57: Turn 52 - Demise ---------------------------- Turn 52 – Demise     Am späten Nachmittag erreichte der Zug, in dem Anya und ihre Freunde saßen, den Livingtoner Bahnhof. Mit ihren Koffern beladen stiegen die Drei, angeführt von der Blonden, aus dem Waggon und schlenderten über den Bahnsteig. Von Nick war weit und breit keine Spur zu erkennen, aber Anya überraschte das nicht. Wer wusste schon, was der Chaot während ihrer Abwesenheit alles angestellt hatte?   Vor der Treppe, die hinunter ins Erdgeschoss des Bahnhofs führte, blieb Matt plötzlich stehen. Anya und Zanthe drehten sich neugierig zu ihm um, als sie bemerkten, dass seine Hand zwar auf dem Geländer lag, welches die Treppe teilte, er aber nicht weiterging. „Ist was, Summers?“, fragte Anya irritiert. „Über ein halbes Jahr ist es jetzt her“, murmelte der mit gesenktem Blick, „hier habe ich Tara Lebwohl gesagt.“ Zanthe spitzte die Ohren. „Tara? Wer ist-?“ Doch Anyas plötzlicher, fester Griff um seinen Oberarm unterbrach ihn. „Stell keine Fragen, Nervensäge. Er will einen Moment allein sein.“ „Wenn du meinst“, seufzte Zanthe und zuckte mit den Schultern, bevor er sich unter Anyas Führung wieder den Stufen zuwendete. Nicht zuletzt weil sie ihn unsanft in deren Richtung stieß. Das Mädchen sah noch kurz zu Matt zurück, der ihr als Zeichen seines Dankes zunickte. Sie sagte zwar nichts, aber ihr Blick sprach Bände. Zerbrich' dir nicht den Kopf darüber, teilte sie ihm still mit. Dann drehte sie sich auch um und folgte Zanthe nach unten.   Draußen vor dem Bahnhof befand sich ein Parkplatz. Während Matt seiner Schweigeminute nachkam, erklärte Anya dem Werwolf was damals vorgefallen war. „Es war kurz nachdem der Turm von Neo Babylon durch uns zerstört wurde“, sprach sie angespannt, da sie für gewöhnlich ungern alte, dazu noch unschöne Erinnerungen mit anderen teilte, „eine Immaterielle namens Urila wurde dadurch aus ihrem Gefängnis befreit und wollte die ganze Stadt umbringen. Hat die Leute in Dämonen verwandelt.“ „Wie geht denn so etwas?“, staunte Zanthe nicht schlecht. Die beiden schlenderten zu einem Hot Dog-Stand unweit des großen Flügeltors aus Eiche, welches in das Innere des Bahnhofs einlud und immer offen stand. Während sie Zanthe zuerst bestellen ließ, erzählte sie die Geschichte weiter. „Keine Ahnung, sie hat wohl einen Zauber aus so'nem komischen Buch genommen, das sich in Matts Besitz befindet.“ Sie machte eine Kunstpause. „Jedenfalls war zufällig Matts Freundin Tara zu diesem Zeitpunkt in Livington. Komischer Zufall. Urila hat sie zu ihrem Gefäß gemacht und sie dabei ziemlich übel zugerichtet.“ Sie unterbrach die Story kurz, als sie selbst bestellte und allen Ernstes feststellen durfte, dass Zanthe keinen müden Cent mit sich führte. Nur sehr widerwillig für beide bezahlend, beließ sie es bei einem blöden, vor sich hin genuschelten Kommentar. Mit ihren Hot Dogs in der einen und den Koffern in der anderen Hand, stellten sie sich etwas abseits auf den Parkplatz. Herzhaft biss Anya in die längst überfällige Mahlzeit und redete schließlich mit vollem Mund weiter. „Ih hae keie Ahnun wie Matt ie ieder in einem Stü-“ „Anya, man redet nicht mit vollen Mund“, belehrte Zanthe sie genervt, „ich verstehe kein Wort.“ Das Mädchen schluckte den Bissen herunter und funkelte ihr Gegenüber böse an. „Also ob mich das juckt. Ich esse wie ich will.“ „Wie ein Schwein?“ Matt trat hinter Zanthe hervor, womit für die beiden die Erzählstunde automatisch beendet war. Anklagend sagte er: „Ihr hättet mir ruhig auch einen mitnehmen können.“ Anya nickte nach links. „Da drüben. Aber sag mir, dass wenigsten du dich nicht bei mir durchschnorren musst.“   Die beiden Jungs aber reagierten nicht mehr. Sie sahen jemanden hinter Anya an und als diese sich umdrehte, stand sie Nick gegenüber. Welcher ihr nebenbei bemerkt viel zu nah auf die Pelle rückte. Sofort trat sie ihm gegen sein Schienbein. „Wie oft noch, Harper!? Nicht von hinten anschleichen, wenn dir deine Knochen lieb sind!“ Der verzog nur schmerzhaft das Gesicht und hielt sich kurz die getroffene Stelle, ehe er die Drei knapp begrüßte. „Warum hat das so lange gedauert?“, motzte Anya sofort drauf los. „Wir warten hier schon seit einer gefühlten Ewigkeit.“ Zanthe und Matt hinter ihr hoben synchron die Hand hoch und zeigten Nick mit ihren gespreizten Fingern, dass gerade einmal fünf Minuten vergangen waren. „Heute war'n stressiger Tag“, meinte der hoch gewachsene, zerzauste junge Mann gleichgültig, „können wir los? Ich habe noch was zu erledigen und eigentlich keine Zeit. Mein Wagen ist da drüben.“ Als Nick über die parkenden Wagen zum Straßenrand zeigte, fiel Anya ein blutdurchtränkter Verband um seine rechte Hand auf, der bis weit über sein Gelenk reichte. „Aber ihr könnt meinetwegen noch aufessen.“ „Harper, was hast du denn da gemacht?“, warf sie ein. Sofort zog Nick den Ärmel seines ungebügelten, weißen Hemdes über den Verband, um zumindest den größten Teil der Verletzung zu verbergen. „Mich vorhin geschnitten.“ „Biste jetzt unter die Ritzer gegangen oder was?“ „Nein, es ist … komplizierter“, erwiderte ihr Freund aus Kindheitstagen und sah herüber zu den beiden Jungs. Besonders Matt nahm er ins Visier. „Manchmal passieren Unglücke, nicht wahr?“ Der schwarzhaarige Dämonenjäger nickte zustimmend. „Solange es nur Unfälle in der Küche sind, ist es ja halb so wild.“ „Natürlich.“ Nicks Stimme hatte einen seltsamen, schneidenden Ton angenommen. „Andererseits, die eigenen Missgeschicke hält man am liebsten geheim.“ Matt bemerkte es scheinbar gar nicht. „Mir ist so etwas nicht peinlich. Als Küchenhilfe im Waisenhaus hab ich mich irgendwann dran gewöhnt.“ Schließlich wandte sich Nick vielsagend mit den Augen rollend von den anderen ab und trottete bereits zum Wagen. Die Hot Dogs hinunter schlingend, folgten Anya und Zanthe ihm eilig, mit Matt als Schlusslicht. „Der ist ja heute mal wieder ganz komisch drauf. Grassiert im Moment irgendwas, dass all meine Freunde neuerdings total launisch oder gleich fucking Weirdos sind?“, murmelte Anya zu Zanthe, der ihr aber auch keine befriedigende Antwort liefern konnte.   -~-~-   Nick fuhr den weißen Chrysler Neon die Einfahrt hinauf, direkt in die offen stehende Garage hinein. Kurz darauf stiegen die Vier aus dem Wagen und es dauerte keine fünf Sekunden, da platzte Anya bereits der Kragen. „Harper!“, fauchte sie ihn von der Beifahrerseite an. „Was wollen wir hier!? Du solltest mich nachhause fahren. Heißt so viel wie zu mir, nicht zu dir!“ Nick sah sie über das Dach des Wagens in der dunklen Garage abwartend an. „Und weiter?“ „Bring mich-!“ Scharf schnitt er ihr ins Wort. „Hast du je einen Gedanken daran verschwendet, dass es im Moment nicht die beste Idee ist, bei dir Zuhause zu wohnen?“ Verdutzt blinzelte das Mädchen. „Was meinst-“ „Du wirst von einem unsterblichen Dämonen verfolgt, der nichts lieber täte, als dich und alle in deiner Nähe in klitzekleine Stückchen zu schneiden.“ Nick schnalzte mit der Zunge. „Ich bin mir ziemlich sicher, wenn er an der Tür klingelt, wird deine Mutter ihm mit ihrem wundervollen Lächeln aufmachen. Willst du das?“ Leider verstand Anya nicht ganz, worauf er hinaus wollte. Also übernahm das Zanthe, der hinter ihr stand. „Was er sagen will: Es ist das Beste für deine Mum, wenn du dich eine Weile von ihr fern hältst, um diesen Stoltz nicht auf sie aufmerksam zu machen.“ „Oh!“ Anya ging ein Licht auf. „Daran habe ich gar nicht gedacht!“ Der Werwolf hinter ihr seufzte mitleidig. „Natürlich nicht …“ Im Gegensatz dazu war Matt erstaunt von Nicks eigenem Handeln. „Aber es ist okay, wenn du stattdessen deine Eltern in Gefahr bringst?“ „Was mit denen geschieht, ist mir völlig gleichgültig“, erwiderte der Größte in der Gruppe in einer Eiseskälte, die selbst die beiden Streithähne erschaudern ließ, „abgesehen davon ist mein Vater im Moment auf einer Tagung und kommt so schnell nicht wieder. Bedankt euch bei seiner Affäre. Und Mum wird sich freuen, mal anderen Leuten als mir auf die Nerven gehen zu können.“   Die Drei verdutzt hinter sich lassend, ging Nick ungestört um die Motorhaube, an Anya vorbei und öffnete eine Tür, die ins Innere des Hauses führte. Nebenbei drückte er auf einen Schalter und ließ das Garagentor hinunter fahren. „Tolle Familienverhältnisse“, staunte Zanthe, als es zunehmend dunkler wurde. Matt gesellte sich neben ihn. „Bin ich froh, nicht sein Bruder zu sein.“ Selbst Anya pfiff anerkennend. „Wow Harper, aus dir wird ja doch noch'n Mann. Aber im Ernst, in meinem Freundeskreis ist das total normal.“ Der Kopftuchträger – heute strahlte besagte Kopfbedeckung in knalligem Rot – musste auflachen. „Echt?“ „Na ja“, begann Anya schulterzuckend und folgte nun mit den anderen beiden im Gepäck Nick ins Haus, „überleg' mal. In Nicks Familie hassen sie sich gegenseitig, Abbys leibliche Eltern sind tot, genau wie Big Als, dann haben wir noch Matt, dessen Schwester seinen Dad umgenietet hat …“ „Musste das sein?“, brummte Matt, der verständlicherweise nicht so gerne an seine Vergangenheit erinnert werden wollte. „Oh, Redfields Mutter lebt auch in Paris als Designerin. Aber die zählt nur halb, weil die Ehe intakt ist, nur sehen die sich eben nicht so häufig“, plapperte Anya einfach weiter. „Ah ja und ich? Dad hab ich auch schon bestimmt'n Jahr nicht mehr gesehen. Die Einzigen, bei denen es wirklich läuft, sind Butchers Familie und eventuell noch das Pennerkind-Imperium.“ Zanthe kam nicht umher, ein amüsiertes Glucksen von sich zu geben. „Hast wohl'n Händchen dafür, dir solche Freunde anzulachen.“ „Wem sagste das?“ „Und deine Familie, Zanthe?“, hakte Matt neugierig nach, während sie einen kleinen Vorraum durchquerten, in dem Waschmaschine, Trockner und ein Schrank voll mit Putzmitteln und Ähnlichem standen. Der Werwolf winkte ab und blieb kurz stehen, sodass der Dämonenjäger ihn überholte. „Meine Eltern waren okay, auch wenn ich mich kaum noch an sie erinnern kann. Sind schon lange tot.“ „Wie alt bist du eigentlich?“ Interessiert drehte sich Matt im Laufen zu Zanthe um. „Du fragst mich Sachen“, lachte der vergnügt auf, „geboren 1871. Rechne es dir aus.“ Anya kam nicht umher, einen galligen Kommentar abzugeben. „Wow, seit über 100 Jahren in der Pubertät. Das hat bisher nur Levrier geschafft.“ Strike, gleich zwei Seitenhiebe auf einmal! Anya bekam gleich bessere Laune. Und scheinbar wollte die ewige Nervensäge in ihrem Ohr ihr beweisen, dass sie falsch lag, indem sie allen Zweifeln erhaben reagierte. Nämlich gar nicht.   Ausgelassen gegenseitige Sticheleien austauschend, durchquerten die Drei einen Flur. Nick war schon vorgegangen, um die Sache mit seiner Mutter zu klären. Als Anya sie kurz darauf in das Wohnzimmer führte, saßen Mutter und Sohn auf dem Sofa und sahen zusammen Fernsehen. „Ihr könnt bleiben“, meinte Nick lässig. „Ja! Setzt euch!“ Seine Mutter drehte sich zu den Neuankömmlingen um und winkte sie mit einer Tüte Chips in der Hand herüber. Kurze, dunkelrot gefärbte Haare, eine böse Hakennase, erinnerte sie Anya immer wieder an einen Geier, der um seine Beute kreiste. „Das große Millionen-Quiz fängt gleich an!“ „Hi, Mrs. H!“, grüßte Anya sie träge. „So schnell ging das?“, flüsterte Matt ihr erstaunt ins Ohr, während Zanthe die Einladung prompt annahm und sich zu der Frau aufs Sofa warf. Anya antwortete ebenso leise. „Frag nicht, Summers. Denk dir deinen Teil einfach.“ „Na ja, ganz nett scheint sie wohl zu sein.“ Kurz mit der Schulter zuckend, gesellte sich Matt ebenfalls zu den anderen. „Schon lange her, dass ich ferngesehen habe. Ein bisschen Entspannung tut jetzt sicher gut. Für heute lassen wir es gut sein, oder?“ Zanthe lud sich seine Futterluke bereits mit Chips voll. „Da kannst du Gift drauf nehmen.“ Seinerseits erhob sich Nick, den Blick auf den Flachbildfernseher gehaftet, über den gerade der Vorspann der Quizsendung flackerte. „Anya, kann ich dich kurz-“ „Nicht jetzt, Harper, die Show fängt an!“ Verdutzt durfte er im selben Atemzug feststellen, dass Anya ebenfalls auf dem Sofa saß, oder besser gesagt dessen Lehne, und sich von Matt die Chips geben ließ. Seit wann verbrachte Anya Bauer freiwillig Zeit mit seiner Mutter!? Anya hasste Mrs. Harper wie die Pest! „Ist wichtig“, startete er einen neuen Versuch. „Ich will das jetzt sehen!“, keifte die zurück. „Dachte, du hast sowieso noch was Wichtiges vor!?“ „Ja!“, nickte seine Mutter mit diebischem Vergnügen grinsend. „Lass die arme Anya, sie ist erschöpft von der langen Reise!“ Resignierend seufzte der junge Mann. Da war nichts zu machen. Musste er Anya eben später von seinen ganzen Entdeckungen berichten, sofern sie jene überhaupt interessierten. Manchmal könnte er sie-! Verstimmt drehte er sich um und verließ die Wohnstube. „Ich bin oben in meinem Zimmer, falls mich jemand sucht.“   -~-~-   Ganz zu Nicks Ärgernis hatte ihn niemand gesucht. Bis spät in die Nacht vergnügten sich die Vier dort unten, machten ausgelassen sprich lautstark zusammen Essen, schauten fern, machten sich einen Mitternachtssnack, schauten weiter fern, und immer so weiter. Irgendwann früh morgens kam seine Mutter dann auf die Idee, ihre Gäste auch mal einzuquartieren. Zanthe und Matt teilten sich das Gästezimmer, während Anya freiwillig das Sofa nahm – um näher bei der Glotze zu sein, wie sie unverhohlen zugab.   Als Nick gegen 8 Uhr des nächsten Tages die Treppen hinunter stieg, sah er schon, dass Anya mit ausgestrecktem Arm auf dem Sofa lag und vor sich hin schnarchte. Die Decke war verrutscht, das Mädchen lag auf dem Rücken und träumte vermutlich gerade von irgendwelchen Orks, die sie niedermetzelte, wenn man den unregelmäßig auftretenden, grunzenden Geräuschen aus ihrem Mundwerk trauen konnte. Der dünne junge Mann, noch in Boxer Shorts und weißem Shirt, trat an sie heran und zog ihr die Bettdecke ordentlich über den Körper. Sie hatte sich nicht mal umgezogen, lag in schwarzen T-Shirt und ihrer Weste da. Aber Nick lächelte versöhnlich. Er konnte ihr einfach nicht böse sein, so sehr er es wollte. Womit er vermutlich der einzige Mensch auf Erden war, sogar noch Abby hinter sich zurücklassend.   Doch sein Blick verhärtete sich. Für ihn gab es eine Sache zu klären und er hoffte, dies möglichst unauffällig über die Bühne bringen zu können. Nick drehte sich um, schlich durchs Wohnzimmer, ging an der Treppe vorbei und betrat einen kleinen Flur mit nur zwei Zimmern. Das rechte war lediglich ein kleines Bad für Besuch, wohingegen das linke das dazugehörige Gästezimmer war. Nick öffnete vorsichtig die Tür. Er spähte hinein, sondierte angespannt die Lage. Das Zimmer war recht klein und hell gehalten, in jenen Pastelltönen, die seine Mutter am liebsten überall sehen würde. Die beiden Koffer der Jungs lagen offen auf dem Boden, allerdings herrschte trotzdem eine erstaunliche Ordnung, wenn man bedachte, dass zwei junge Chaoten darin hausten. Sie hatten das Doppelbett auseinander gezogen, um nicht unmittelbar nebeneinander liegen zu müssen. Ihnen gegenüber befand sich ein großer Schrank mit Spiegel, dazu zu beiden Seiten der Betthälften Nachttische, auf denen die Decks und in Matts Fall auch dessen Brieftasche lagen.   Auf leisen Sohlen stahl sich Nick hinein. Zanthe lag im rechten Bett, die Decke weit über sich geschlagen. Matt hingegen mochte es offenbar auf dem Bauch zu schlafen, genau wie bei Anya hing auch sein linker Arm die Bettkante hinab. Zu diesem beugte er sich hinab, hob ihn vorsichtig an, konnte jedoch nicht entdecken, wonach er suchte. Und den Rest seines Körpers abzuchecken erschien Nick zu riskant. So ließ er den Arm behutsam wieder sinken. Vorsichtig schlich er daraufhin an Matt vorbei, machte einen Bogen um dessen Arm und erreichte seinen Nachttisch. Matts schwarze Deckbox in die Hand nehmend, öffnete Nick sie neugierig. Er musste es mit eigenen Augen sehen. Doch während er die Karten eine nach der anderen nach oben schob, wurde er zunehmend unruhiger. Wo war sie!? Sie musste doch darunter sein! Doch als Nick mit dem Extradeck fertig war, traf ihn die Erkenntnis: Die gesuchte Karte war hier nicht zu finden. Was ihn dazu brachte, über Inkarnationen zu grübeln. Er hatte Anya nie gefragt, ob jene nur dann eine feste Form annahmen, wenn sie gebraucht wurden oder ob sie, nachdem sie geboren worden waren, kontinuierlich existierten. Sie hatte ihm nur erzählt, dass die Inkarnationen nach dem Tod der Immateriellen verschwunden waren, aber das konnte auf diese Situation bezogen vieles heißen. Allerdings gab es doch etwas, das Nicks Aufmerksamkeit beim zweiten Durchlauf erregte. So stieß er zwar nicht auf -jene- Karte, dafür bemerkte er aber, dass Matt eine andere integriert hatte. „[Steelswarm Roach]?“, wunderte er sich im Flüsterton. Waren nicht alle Steelswarm-Monster Matts verschwunden, nachdem Urila den Dämonenjäger kurzzeitig kontrolliert hatte? Wieso besaß Matt dieses dann noch? Lag es daran, dass es seine alte Paktkarte gewesen war und dementsprechend einen besonderen Status innehielt? Wie auch immer, Nick war nicht gewillt, Matts Treiben einfach nur mit anzusehen. So nahm er die Karte [Evilswarm Ouroboros] und entfernte sie kurzerhand aus dem Deck des Dämonenjägers, indem er sie sich unbemerkt in die Tasche seiner Boxer Shorts steckte. Er spürte nichts. Da war kein unangenehmes, unerklärliches Gefühl irgendeiner Dunkelheit, wie Anya sie während des Duells mit Urila beschrieben hatte. Vielleicht war damals jene Immaterielle die Quelle gewesen, doch mittlerweile müsste es einen anderen Grund dafür geben. Kurzum: Wenn es dieses Dunkelheit noch gab – und dessen war sich Nick ziemlich sicher – dann ging sie von Matt aus, nicht von der Karte. Daher war es das Beste und einzig Richtige, sie ihm abzunehmen. Ohne Ouroboros würde er keine Inkarnation mehr durchführen können und genau das war auch Nicks Absicht. „Was machst du da?“ Es kam so unvermittelt, dass Nick zurückschreckte und dabei gegen die Wand stieß, wobei er die Deckbox schnell auf den Nachttisch zurücklegte. Nur einen Sekundenbruchteil später hob Matt seinen Kopf an und musterte sein Gegenüber aus halb zusammengekniffenen Augen. Nick fackelte gar nicht lange. Er griff nach etwas, das im Bund seiner Boxershorts steckte, versetzte Matt einen Stoß mit seiner bandagierten Hand und drückte ihn konsequent auf den Rücken. Und ehe der sich versah, hatte er ein blitzblank geputztes Küchenmesser an der Kehle. „Ich weiß ganz genau, was mit dir los ist“, zischte Nick voller Verachtung den verdutzten Matt an. „Red' dich gar nicht erst raus. Was hast du gemacht, um so eine Karte in deinen Besitz zu bringen!?“ Matt blickte in Nicks funkelnde Augen, wobei er die seinen nun weit aufriss. „Wovon redest du!?“ „Sei leise!“, drohte ihm Nick. Zanthe sollte nichts davon mitbekommen. Im Flüsterton fügte er hinzu: „Tu nicht so. Ich rede von deiner Inkarnation!“ Der zerwühlte Schwarzhaarige weitete die Augen noch ein Stück. „Was erzählst du da?“ „Ich habe sie gesehen, während des Duells mit Drazen. Du hast sie belogen, nicht wahr!? Drazen ist nicht zu Staub zerfallen, du hast ihn umgebracht!“ „Nein!“, widersprach Matt, blickte Nick selbst dann widerspenstig an, als dieser die Klinge so fest in die Haut des jungen Mannes drückte, dass Blut über dessen Hals rann. Doch Nick löste den Druck, als Zanthe ein Geräusch von sich gab, das irgendwo zwischen „Ja“ und „Mjam“ einzuordnen war. Dabei machte der vollkommen in seine Bettdecke Verhüllte Anstalten, sich umzudrehen. Nick ließ daher von Matt ab, aber hielt ihm das Messer unter die Nase. „Egal was du vor hast, wenn du Anya schaden willst, wirst du es mit dem schlimmsten Dämon von allen zu tun bekommen. Mir! Ich weiß mehr über dich und deine Familie als dir bewusst ist und ich werde dieses Wissen benutzen, sollte es auch nur den geringsten Anlass geben, deine Loyalität gegenüber Anya infrage zu stellen.“ „Du bist doch völlig durchgedreht“, erwiderte Matt zornig, obschon man seiner völlig perplexen Mimik entnehmen konnte, dass er Nick gar nicht recht folgen konnte. Der drehte sich von ihm ab. „Wir reden ein anderes Mal weiter. Und dann wirst du die Wahrheit sagen.“   Damit verschwand der Hausherr aus dem Zimmer. Matt fasste sich an seinen Hals, der Angstschweiß stand ihm auf der Stirn geschrieben. Nie hätte er damit gerechnet, dass Nick derart durchdrehen konnte. „Wieso hast du mich nicht gewarnt?“, flüsterte der Schwarzhaarige immer noch erschüttert von dem eben Erlebten. „Weil ich keine Ahnung hatte, dass er so ein Freak ist?“ Zanthe richtete sich auf, das lange, schwarze Haar über die Schultern liegend. „Junge, wenn der und Anya jemals ein Kind kriegen, haben wir den neuen Fürst der Hölle gefunden.“ Der Dämonenjäger sah völlig überrascht, geradezu erschrocken herüber zu dem Werwolf, der vielsagend zurück starrte. Im Anschluss nickte Matt zögerlich. „Allerdings … kein Wort davon zu Anya, hast du mich verstanden? Ich regele das alleine, offenbar hat er etwas missverstanden.“ „Hat er das?“, fragte Zanthe zu Matts eigener Überraschung erstaunlich misstrauisch. „Hat er. Oder glaubst du ihm etwa?“ Die Augen des jungen Mannes verengten sich zu Schlitzen. „Denkst du, ich würde Anya vor einem irren, unsterblichen Dämon retten, wenn ich ihr in Wirklichkeit schaden will?“ Ein Schulterzucken später hieß es: „Ich glaube, hier hat jeder so seinen Dreck am Stecken. Meinetwegen, ich halte die Klappe. Aber nur unter einer Bedingung …“ „Und die wäre?“, fragte Matt skeptisch.   -~-~-   „Was ist denn mit dir passiert, Summers?“, fragte Anya belustigt, als die ganze Sippe zu viert am langen Frühstückstisch saß. Sie spielte auf den Schorf an, der sich an Matts Hals befand. Der rieb darüber und log: „Bin beim Rasieren abgerutscht.“ Gleich daraufhin warf die Blonde Zanthe einen 'Ich-hab-dir-doch-gesagt-du-bildest-dir-was-ein'-Blick zu, den jener mit undeutbaren Kopfschütteln zur Kenntnis nahm. Nick, der neben Anya saß und gerade sein Brötchen mit Senf beschmierte – ja, Nick Harpers Geschmack trieb so manch Unwissendem die Tränen in die Augen – funkelte den jungen Mann ihm gegenüber feindselig an und schwieg. Anya rührte in ihrem Joghurt herum und erwähnte beiläufig: „Ich habe heute übrigens etwas vor, weshalb ich euch Knalltüten eine Weile allein lassen muss.“ Sofort begann Zanthe zu kichern. „Hat es was mit -ihm- zu tun?“ Das Mädchen, welches gerade den Löffel im Mund stecken hatte, zog diesen schlagartig heraus. „Woher weißt du das!?“ „Nur so ein Gefühl“, antwortete ihr Gegenüber und zwinkerte verschwörerisch. Nick wurde hellhörig. „Von wem redet ihr?“ „Von Anyas neuem Freund.“ „Er ist nicht mein Freund!“, betonte Anya sofort sauer. „Nur ein Bekannter, der mir mal geholfen hat. Ich habe ihm ein Duell versprochen. Und meine Therapeutin hat neulich gesagt, Versprechen soll man halten.“ Matt konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Lass mich raten, sie heißt nicht zufällig Abby mit Vornamen?“ Die zusammengekniffenen, vor Ärger gefährlich aufblitzenden Augen des Mädchens drücken aus, dass es sich sehr wohl um ihre beste Freundin handelte. Wer sagte schließlich, dass Moralpredigten nicht auch am Telefon ausgesprochen werden konnten? Wobei Anya zugeben musste, im Vorteil zu sein: Noch nie hatte Abby es bisher geschafft, jene auch zu Ende zu bringen, ehe Anya aufgelegt hatte. „Und wer ist das?“, bohrte Nick nach. „Kenn' ich ihn?“ „Keine Ahnung, ein Mechaniker, Logan heißt er … Was geht dich das überhaupt an, Harper!?“ „Hast du was dagegen, wenn ich mitkomme?“, fragte Nick mit einem Male deutlich aufgeschlossener. „Ich würde gerne zusehen.“ Anya starrte ihn wenig begeistert von der Seite an. „Muss das sein?“   „Nimm's ihm nicht übel“, scherzte Matt böse und sah Nick dabei ebenfalls an, jedoch deutlich provozierender, „er ist eben eifersüchtig.“ „Irgendwer muss schließlich auf sie aufpassen“, erwiderte der stets zerzaust aussehende, junge Mann an den Dämonenjäger gewandt. „Klar, er wird sie bestimmt vergewaltigen, wenn du nicht hinsiehst.“ „Deswegen sehe ich hin.“ „Siehst du auch was anderes als Hirngespinster?“ „Sag du es mir, Matt.“ Während die beiden sich zunehmend aggressiver gegenüber einander verhielten, löffelte Anya genüsslich ihren Joghurt aus. So gefiel ihr das, Zank und Zoff schon zum Mittag. Fast wie in den guten, alten Zeiten, als sie noch durch die Gänge der Livington High schlurfte und den Urin roch, der so manches Bein herablief, wenn sie ihre Runde machte. Was war nur aus der glorreichen High School-Zeit geworden, dass sie es jetzt genoss, mit solchen Deppen an einem Tisch zu sitzen? Einerseits vermisste sie es, andere nach Herzenslust zu tyrannisieren, auf der anderen Seite fühlte sie, wie sie sich immer mehr von ihrem alten Selbst entfernte. Eine Veränderung, von der sie sich nicht sicher war, ob sie ihr behagte.   Zanthe stieß ihr, genervt von dem Streit zwischen Matt und Nick, mit der Fußspitze gegen das Schienbein und riss sie aus ihrer Nostalgie. „Mach was!“ Augenblicklich trat Anya mit doppelter Wucht zurück und sorgte so dafür, dass der ganze Tisch erschüttert wurde, weil ihr Gegenüber so vor Schmerz zusammenzuckte, dass seine Knie von unten gegen das Holz stießen. Sofort war Ruhe. Das schmerzende Bein an den Stuhl ziehend und festhaltend, raunte Zanthe: „Ghar! Doch nicht so!“ „Wieso, hat doch funktioniert?“, zuckte Anya unbedarft mit den Schultern. Immerhin, es hatte ihr Spaß gemacht, ihn zu treten. Vielleicht war sie doch noch nicht ganz in der Spießerliga angelangt und ein Comeback als Livingtons Terminatrix nicht völlig ausgeschlossen? Trotzdem sah sie ein, dass es das Klügste wäre, die beiden Streithähne für eine Weile zu trennen, ehe sie sich noch wie die Tussifreundinnen von Redfield die Augen auskratzten. Anya stöhnte genervt. Sie wollte doch heute einfach mal einen Tag für sich haben! Aber unter diesen Umständen wäre es besser, wenn sie Nick mitnahm. „Okay, sperrt die Lauscher auf!“, verkündete sie und sprang auf. „Summers und Flohpelz, ihr habt für heute die ehrenvolle Aufgabe, diese Pseudo-Michonne für mich ausfindig zu machen. Wie hieß sie doch gleich, Eddy?“ „Edna. Und wie sollen wir das anstellen?“, fragte Zanthe wenig erfreut. Anya zuckte mit den Schultern. „Summers, du bist auch ein Dämonenjäger. Telefonier' 'n bisschen 'rum oder so.“ „Ich kenne keine Edna“, erwiderte der jedoch perplex. „Dann mach dich schlau! Ich bin jetzt jedenfalls weg! Harper, du kommst mit! Irgendwer muss mich ja hinfahren.“ Immerhin ein halbwegs guter Grund, den Deppen mitzunehmen, sagte sich Anya. Oh wie sie hoffte, auf dem Weg zu Logans Werkstatt auf irgendeine barbusige Schrulle zu treffen, um Nick loszuwerden. Egal wie hoch sein IQ war, seine Perversionen stellten jenen locker in den Schatten.   -~-~-   Nick hielt auf der weiten, leerstehenden Fläche vor der kleinen Werkstatt, die direkt am Stadtrand lag. Das linke Garagentor dieser stand weit offen, gewährte den Blick auf einen weißen Porsche. Anya fielen beinahe die Augen raus, als sie ausstieg und den Wagen ihrer Träume erblickte, wenn man von der Farbe mal absah. „Was zum-!? Wer würde dem Zwerg so ein teures Teil anvertrauen!?“, staunte sie, als sie die Tür zuschlug. „Dagegen stinkt die Karre deines Alten ab, Harper.“ „Wenigstens gehört sie ihm dafür auch“, erwiderte der unbeeindruckt. „Wo ist er denn nun, dein sogenannter neuer 'Freund'?“ Selbst der sonst eher gleichgültigen Anya entging die schon fast höhnische Bemerkung Nicks nicht, aber sie machte sich nichts daraus. Es gab noch viele Seiten, die sie an Brainiac-Nick nicht kannte, vermutlich gehörte diese besitzergreifende dazu, jetzt, da er sie ausleben konnte. Was sie wiederum doch störte, denn die Vorstellung, dass Nick sie als sein 'Revier' betrachtete, war für Anya mehr als nur irritierend. Abstoßend traf den Nagel am ehesten auf den Kopf, denn der junge Mann war nun wirklich nicht das, was sie sich unter einem Beschützer vorstellte, der ihrer ebenbürtig war. Nicht Nick, und wenn er noch so viele Millionen von reichen Promikonten abstauben konnte. Hirn ersetzte keine Muskelmasse, etwas, das Anya immer bevorzugen würde.   Deswegen lachte sie sich auch leise ins Fäustchen, während die beiden über den leeren Parkplatz schlenderten. Nick im Fitnessstudio, das wär's! Nein, selbst wenn er einen Körperbau wie Logan besaß, das … nein. Einfach nein. „Igitt“, nuschelte sie leise, als sie sich erst richtig bewusst wurde, -worüber- sie gerade allen Ernstes nachdachte. „Was ist?“, fragte er sie, ihre Rechte flankierend. „Nichts“, log Anya verstimmt, „hab nur gerade Gedanken an Beziehungen verschwendet. Du weißt schon, mit Liebe und diesem Kack.“ Nick kam nicht umher, nun selbst aufzulachen. „Du weißt gar nicht, wie froh es mich macht, dass sich deine Einstellung diesbezüglich nicht verändert hat.“ Anya blieb abrupt stehen und drehte sich zu ihm um. „Huh? Wieso?“ „Nur so. Weil wir da einfach gleich denken“, meinte er gut gelaunt und schlurfte an ihr vorbei.   Zusammen betraten sie schließlich das Innere der Werkstatt. Es stank nach Öl und anderem Zeug, das Anya nicht definieren konnte. Verbrannter Gummi vielleicht? Sie sah zur Werkbank, die links an der Wand stand, dann zum Porsche, herüber zu einer leeren Hebevorrichtung weiter hinten im Inneren. „Wo ist der Kerl?“ „Wenn er nicht hier ist, können wir ja gehen“, schlug Nick umgehend vor. Anya schüttelte aber den Kopf. „Harper, der wandelnde Meter muss irgendwo hier sein. Denkste, der lässt dieses Teil hier einfach so unbeaufsichtigt rumstehen?“ Zur Verdeutlichung trat sie näher an den Porsche. „Ich frag' mich, wem der wohl gehört. Ob es demjenigen was ausmacht, wenn ich da ein paar Kratzer reinritze? Natürlich erst -nach- einer kleinen Spritztour.“ Sofort zierte ein bitterböses Grinsen ihre Lippen. Wenn sie ihre alte Boshaftigkeit schon nicht mehr an den Leuten aus ihrem Umfeld ausließ, dann wenigstens an ihrer Umwelt. Nicht, dass sie am Ende noch völlig ihr Mojo verlor! Wäre doch geil, GTA mal mit realistischer Grafik zu spielen! „Keine gute Idee“, vermieste Nick ihr tonlos die Laune, „wenn er dich erwischt, bist du bestimmt nicht mehr seine 'Freundin'.“ Da war es, schon wieder! Was hatte Nick für ein verdammtes Problem!? Jetzt ging es ihr doch auf die Eierstöcke.   Aber ehe Anya ihre entbrannte Wut in eine entsprechende Form wenig unterhaltsamer Schimpftiraden verwandeln konnte, wurden die beiden unterbrochen. Unvermittelt kam Logan von irgendwoher hinter dem Porsche hervor. In dreckigem Blaumann gekleidet, schulterte er ein schmutziges Handtuch. „Du hier? Dachte, du wolltest 'ne Weile Urlaub machen?“ „Der ist ja wirklich so klein, wie du ihn mir beschrieben hast“, stichelte Nick unvermittelt drauf los. Anya verspürte den dringenden Zwang, ihren Freund ohne Apostrophe dafür zu schlagen. Aufgrund eines Gefühls, mit dem sie selbst noch so gar keine Erfahrungen gemacht hatte. Peinliche Berührtheit. „Ich hab gesagt, so groß wie ich“, knurrte die im Vergleich zu Nick einen Kopf kleinere Anya, fügte dann noch für Logan hinzu: „Wollte ja nicht lange weg sein.“ Zu ihrer Beruhigung zeigte sich Logan wie üblich von derartigen Scherzen unbeeindruckt. „Und wer ist der da?“ „Anyas Freund.“ Diesmal hatte er es ordentlich, ja fast schon zu ordentlich betont. „'Ein' Freund“, korrigierte sie ihn reflexartig, „wollte zusehen. Ich hoffe nämlich für dich, dass du Zeit hast. Ich hab nämlich wenig, also sei zufrieden, dass ich sie für dich erübrige!“ Der Schwarzhaarige mit den, Zitat Anya 'Mörderkoteletten', zog erstaunt die Augenbrauen hoch. „Redest du von dem Duell?“ „Von was denn sonst!?“, regte sich das Mädchen auf und stemmte die Hände in die Hüften. „Also, was ist?“ Logan zuckte mit den Schultern. „Meinetwegen, viel zu tun ist im Moment ohnehin nicht. Ich will mich nur schnell umziehen.“ „Dann beeil' dich!“   Wenige Minuten später standen die beiden sich auf dem Vorplatz der Werkstatt gegenüber. Auf der Straße neben ihnen herrschte reger Betrieb, sie befanden sich unweit der Stadtausfahrt Süd, wie sie inoffiziell hieß. Nick lehnte etwas abseits an seinem weißen Chrysler Neon und beobachtete Anya und Logan, wie sie die Apparate an ihren Armen aktivierten. Es waren beides schwarze D-Pads identischer Bauart. Sein Blick wanderte herüber zu dem schwarzen Motorrad, welches ebenfalls auf dem Parkplatz stand und Logan gehörte, denn von dort hatte er den Apparat geholt. Er musterte die Maschine mit einem missbilligenden Blick.   Logan hatte sich ein kariertes Shirt und eine schwarze Lederjacke angezogen, passend zu seinen bereits abgetragenen Jeans. Er fixierte Anya. „Bin überrascht, dass du so scharf auf dieses Duell bist. Hatte bisher den Eindruck, du würdest dich drücken wollen.“ Mit einer abwinkenden Geste grinste Anya ihn frech an. „Ich? Eine Anya Bauer drückt sich vor gar nichts.“ Im Gegenteil, insgeheim hatte Anya sich zunehmend auf dieses Duell gefreut. Was nicht immer so war, anfangs empfand sie den Gedanken daran wirklich als lästig. Aber Logan war kein übler Typ, wie sie zugeben musste. Da er außerdem noch Anfänger war, würde sie ihre eigenen Fähigkeiten durch ihn besser einzuschätzen lernen. Es gab also nichts gegen ein kleines Spielchen einzuwenden. „Hoffen wir es“, murmelte der Schwarzhaarige. „Duell!“, riefen beide anschließend synchron. Nick verschränkte derweil die Arme und behielt Logan im Auge. Seine abwartende Haltung wirkte auf den ersten Blick gespannt, doch wenn man genauer hinsah, wurde anhand von Mundwinkeln und den leicht zugekniffenen Augen deutlich, dass er nicht allzu viel von Logan leistungstechnisch erwartete. So als würde er sagen: „Mechaniker … na klar.“   [Anya: 4000LP / Logan: 4000LP]   „Hey, Zwergnase“, raunte Anya erhaben, bereits völlig im Geschehen vertieft, „weil du noch'n Noob bist, kannste meinetwegen anfangen.“ Logan stieß einen gedämpften Lacher aus. „Ganz so unerfahren bin ich nicht. Aber nehm' das Angebot an.“ Nick derweil ließ perplex seine Arme sinken. Murmelte: „Das hat sie doch noch nie-!?“ Beide Kontrahenten nahmen fünf Karten auf, ehe der dunkelhaarige Mann schließlich nachzog. Ein kurzer Blick auf sein Blatt genügte, um ihn ein Monster auswählen zu lassen, welches er auf sein D-Pad legte. „'beschwöre [Battlin' Boxer Headgeared]!“ Zu Logans Rechten baute sich ein schlanker Boxer auf, dessen dunkelblauer Oberkörper derart durchtrainiert war, dass jener wie Stein anmutete. Sein Kopf wurde durch einen roten Kopfschutz abgedeckt, welcher ihm seinen Namen gab.   Battlin' Boxer Headgeared [ATK/1000 DEF/1800 (4)]   „Bei seiner Normalbeschwörung schickt er einen Boxer von meinem Deck auf den Friedhof“, erklärte Logan weiter, nahm aus jenem ein passendes Ziel und schob es konsequent in den entsprechenden Schacht seiner Duel Disk. „Kannst weitermachen, Kleine.“ „Wer ist hier klein!?“, fauchte Anya sofort wutentbrannt und riss die nächste Karte von ihrem Deck, welches immerhin in Logans D-Pad steckte. Was Anya aber nur allzu gerne vergaß. „Schau dich mal an! Kommst du überhaupt in irgendwelche Clubs rein? Außer, du gehst aufrecht unter dem Türschlitz durch!?“ Logan reagierte gar nicht, was Anya umso fuchsiger machte. „Schön, ignorier' mich ruhig, Gimli! Mal sehen, was du dazu sagst! Ich aktiviere [Gem-Knight Fusion] und verschmelze damit [Gem-Knight Garnet] mit [Gem-Knight Crystal] von meiner Hand!“ Über Anya tat sich ein Strom aus aberdutzenden Edelsteinen auf, in den die Abbilder ihrer beiden Krieger gezogen wurden. „[Gem-Knight Garnet], du bist das Herz, [Gem-Knight Crystal], du die Rüstung! Vereint euch!“ Ein grelles Leuchten trat aus dem Wirbel aus, dann landete mit einem Satz ein Ritter in knallroter Rüstung und blauem Umhang vor Anya. Er schwang stolz seine Lanze. „Lass es krachen, [Gem-Knight Ruby]!“   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)]   „Hau ihn aus dem Ring!“, befahl Anya und zeigte auf Logans Monster. „Sparkling Lance Thrust!“ Gehorsam sprintete Ruby los und holte mit der Lanze nach Headgeared aus. Doch dieser wich mit einem flinken Schritt zur Seite aus und lenkte den Angriff mit einem geschickt platzierten Boxschlag von sich weg. „Was geht'n hier ab!?“ Auf Anyas Frage hin antwortete ihr Gegner: „Bisschen Training. Einmal pro Zug wird [Battlin' Boxer Headgeared] nicht durch Kampf zerstört, wenn er in Angriffsposition liegt.“ Funken flogen von Rubys Lanze und erwischten Logan, der jedoch nicht einmal mit der Wimper zuckte.   [Anya: 4000LP / Logan: 4000LP → 2500LP]   „Oh, wie schön für dich“, raunte Anya zynisch, „Zug beendet!“   Logan zog sofort auf und legte anschließend eine andere Karte auf seine Duel Disk. „[Battlin' Boxer Glassjaw]!“ Im Gegensatz zu Headgeared war der nun erscheinende Boxer ein wahrer Hüne von äußerst muskulöser, grüner Gestalt. Anya runzelte argwöhnisch die Stirn bei seinem Anblick.   Battlin' Boxer Glassjaw [ATK/2000 DEF/0 (4)]   Logan nickte in ihre Richtung. „Angriff, [Battlin' Boxer Glassjaw]!“ Trotz seiner klobigen Statur war Glassjaw erstaunlich flink zu Fuß und holte mit der Faust aus, als er Ruby erreicht hatte. Die begann mitten im Hieb zu brennen. Als Antwort hob der Ritter seine Lanze und wehrte den Schlag spielend leicht mit jener ab. „Pah, was soll das denn werden?“, tönte Anya großkotzig. „Indem ich [Battlin' Boxer Counterpunch] von meinem Friedhof entferne, verstärke ich temporär den Angriff eines Boxers um 1000.“   Battlin' Boxer Glassjaw [ATK/2000 → 3000 DEF/0 (4)]   Die Flammen um Glassjaws Boxhandschuh schienen in diesem Moment regelrecht zu explodieren, was dazu führte, dass Rubys Lanze unter der Wucht des Schlages in der Mitte durchbrach und er die volle Ladung direkt in die Brust geschlagen bekam. Anya fluchte dabei laut. „Shit!“ Kaum hatte sie geendet, wich sie erschrocken zurück, da ihr völlig entgangen war, wie sich [Battlin' Boxer Headgeared] an sie herangeschlichen hatte. Seine Faust ging durch ihren Unterleib hindurch, ohne aber Schmerzen zuzufügen. Trotzdem krümmte sie sich rein aus Reflex. „Das war dann der direkte Angriff“, sagte Logan nebenher.   [Anya: 4000LP → 3500LP → 2500LP / Logan: 2500LP]   „D'nke“, knurrte das Mädchen und richtete sich auf. „Hab ich auch gemerkt! Dafür brech' ich dir mindestens einen Knochen, Mistkerl!“ Spätestens jetzt hatte sie längst verdrängt, dass ihr das Duell eigentlich Spaß machte. Platt gerollt vom Ehrgeiz persönlich, gefüllt mit Anyas Ego und garniert mit einer saftigen Priese Boshaftigkeit. Ungefähr das wäre ihr Duellstil, würde man ihn mit einer Frühlingsrolle vergleichen. Logan aber schreckte das nicht ab, er streckte den Arm weit aus. „Da es unklug wäre, Glassjaw auf dem Feld zu behalten, wenn nur ein Angriff ihn durch seinen negativen Effekt automatisch zu Fall bringt, werde ich eine Xyz-Beschwörung durchführen. Ich erschaffe das Overlay Network!“ Seine beiden Monster lösten sich in flammenrote Lichtstrahlen auf und stiegen in die Höhe, wo sich ein schwarzer Wirbel öffnete und sie willkommen hieß. „Aus meinen beiden Stufe 4-Boxern wird ein Rang 4-Monster! Xyz Summon! [Battlin' Boxer Lead Yoke]!“ Mit einem Satz landete aus dem Galaxienstrom vor ihm eine hünenhafte Gestalt, noch kräftiger als sogar Glassjaw, vor ihrem Besitzer. Dabei war es erstaunlich, dass die Kreatur überhaupt so gebeugt stehen konnte, waren sein Hals und die Arme doch fixiert von massiven Stahlpfeilern, die er auf dem Rücken trug und mit Handschellen an ihnen gefesselt war. Wie ein Gefangener mutete er an. In jedem der beiden Träger befand sich eine Leuchtsphäre.   Battlin' Boxer Lead Yoke [ATK/2200 DEF/2000 {4} OLU: 2]   Logan schmunzelte. „Kannst weitermachen … Kleine.“ Seine Gegnerin mahlte regelrecht mit ihrem Kiefer. „Alter … du traust dich was! Jeder andere wäre jetzt längst tot!“ „Und warum nicht ich?“ Anya reckte erstaunt den Kopf nach hinten. Das war, so ungern sie es auch zugab, eine berechtigte Frage. Wieso zur Hölle verschonte sie ihn vor der Anya Bauer-Premium-Wut!? Es gab keinen größeren Volltrottel! Selbst Summers war da noch unterwürfiger. Und Big Al zählte sowieso nicht, der lief eh nicht richtig im Oberstübchen. Dieser Typ da gehörte mit Boy George-Musik gefoltert für seine Dreistigkeit, sich ihr permanent zu widersetzen! „Keine Ahnung“, brummte sie träge, ihren inneren Monolog wie immer auf das Wesentliche reduzierend. „Keine Lust heute.“ „Hm“, bekam sie nur als Antwort zurück. „Deswegen verlierst du jetzt trotzdem!“, fauchte sie sofort im Anschluss, wieder zu ihrem liebgewonnenen Freund zurückfindend, der schlechten Laune. „Draw!“ Schwungvoll zog sie und zeigte im Anschluss sofort die Karte vor. „Kannst dich auf ein Date mit einem alten Bekannten freuen! Zauberkarte [Monster Reborn]!“ Sie legte jene sofort in ihr D-Pad ein und keinen Moment später stieg aus dem Boden ihr [Gem-Knight Ruby] hervor, frisch dem Grabe entsprungen.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)]   „Sparkling Lance Thrust!“, befahl sie auf der Stelle und zeigte auf Logans unterdrückten Boxer. Unter lautem Kampfgeschrei rannte ihr roter Ritter auf Lead Yoke zu und schlug mit seiner Lanze nach ihm. Sein Gegner wandte sich dabei ab, sodass einer der Metallpfeiler getroffen und zerstört wurde – nicht aber Lead Yoke selbst. Um den entbrannte stattdessen eine flammende Aura.   [Anya: 2500LP / Logan: 2500LP → 2200LP]   „Wieso lebt der noch!?“ Logan zeigte [Battlin' Boxer Headgeared] vor, welchen er unter seinem Xyz-Monster hervorgezogen hatte und nun in den Friedhofsschacht bugsierte. „Auf Kosten eines Xyz-Materials kann ich verhindern, dass [Battlin' Boxer Lead Yoke] oder einer seiner Trainingspartner zerstört wird. Obendrauf gibt’s 800 Angriffspunkte.“   Battlin' Boxer Lead Yoke [ATK/2200 → 3000 DEF/2000 {4} OLU: 2 → 1]   Anya nahm irritiert einen Schritt zurück. „Uh, so war das nicht geplant …“ Sofort sah sie eindringlich ihr Blatt an. „'kay, dann eben anders! Ich setze ein Monster und zwei Karten verdeckt! Zug beendet!“ Neben ihrem Ruby materialisierte sich in horizontaler Lage das verdeckte Monster, hinter ihnen die anderen beiden Karten. Damit hatte Anya ihr gesamtes Blatt ausgespielt.   Nick indes beobachtete nur mäßig interessiert, wie die beiden sich in ihrem 'Freundschaftsspiel' gegenseitig übertrumpften. Dabei war schon seinem abweisenden Blick, den er immer dann aufsetzte, wenn er Logan betrachtete, anzumerken, wie wenig er von Anyas neuem Freund hielt. Es war nicht etwa so, dass er Anya keine anderen Freunde gönnte, im Gegenteil. Aber da war etwas, was er an Logan nicht mochte. Nicht die Tatsache, dass er sich von ihren Gebärden unbeeindruckt zeigte, dafür verdiente er sogar eine Auszeichnung. Nein, was Nick so an ihm störte, war die Tatsache, dass … er Anya gefallen könnte. Mehr noch, dass er ihr längst gefiel. Denn seine Sandkastenfreundin hatte es in ihrem Blick, auch wenn sie es selbst noch gar nicht zu begreifen schien. Dieses Funkeln in den Augen, wenn Logan sie ignorierte. Diese ungewohnte Zurückhaltung, wenn er ihr frech kam. Und die Tatsache, dass sie sich für das interessierte, was er erzählte, wie sie selbst auf der Fahrt hierher zugegeben hatte. Etwas, das man einer Anya Bauer höchstens im Alkoholrausch zutrauen würde – Gott schütze uns, wenn sie erst volljährig wurde! Das letzte Mal, als sie einem Mann derart viel Aufmerksamkeit zukommen ließ, wurde sie am Ende mit gebrochenem Herzen und Blut an ihren Händen zurückgelassen. Und Nick ahnte, dass zumindest Ersteres wieder passieren würde. Denn was sollte ein Mann wie Logan schon mit ihr anfangen können? Spätestens dann, wenn er die Wahrheit über sie erfuhr, würde er sie zurückweisen, ungeachtet seiner Haltung zum Übernatürlichen. Das hatte Nick im Blut. So biss er sich verbittert auf die Lippen, wissend, dass er nichts dagegen tun konnte, ohne alles nur noch schlimmer werden zu lassen. Hoffentlich täuschte er sich. Bis vor Kurzem hätte er noch damit leben können, wenn es wenigstens Matt wäre, für den Anya sich interessiert. Bei dem war er sich sicher gewesen, dass sie ihm nicht scheißegal war. Doch seit seiner Entdeckung war er froh, dass die Beziehung der beiden rein platonisch war. Denn Matts Motive und Hintergründe waren für ihn ein Rätsel. Wieso eine Inkarnation und woher? Immer wieder ging es ihm durch den Kopf. Wer stand hinter Matt, oder eher, was? Kaum ein anderer hatte Anya so oft geholfen, damals wie heute. Das erkannte Nick an. Umso mehr musste er hinter Matts Geheimnis kommen, unbedingt. Ob es richtig gewesen war, ihm so frei heraus im wortwörtlichen Sinne ein Messer an die Kehle zu legen? Das hatte Nick nicht geplant gehabt, er wollte ursprünglich nur die Inkarnation von [Evilswarm Ouroboros] mit eigenen Augen sehen und an sich nehmen. Das Messer hatte er nur mitgenommen, falls Matt aufwachen und ihn angreifen sollte. Zumindest Ersteres war auch eingetreten, doch … Nick gestand sich selbst ein, in letzter Zeit ziemlich impulsiv zu handeln. Er musste vorsichtiger werden, denn diese Aktion war, genau wie die mit Valerie, viel zu undurchdacht gewesen. Umso mehr lasteten all seine Erkenntnisse und Erlebnisse auf Nicks Schultern, da er sie bisher niemandem anvertraut hatte. Würde er Anya davon erzählen was Matt getan hat oder was der Sammler -wirklich- war, so könnte sie das am Ende nur dank ihres Dickschädels ins Verderben reißen. Sie war einfach nicht der Typ für eine vorsichtige Herangehensweise … was sollte er tun? Dass Nick derart vor sich hin grübelte bekamen die anderen beiden gar nicht mit.   Logan zog und analysierte kurz das Spielfeld, ehe er sagte: „Muss zugeben, das Duell ist in Ordnung. Aber wirklich gut bist du nicht.“ „Ach ja!?“ Man konnte den Farbwechsel in Anyas Gesicht regelrecht mitverfolgen. „Und du!? Kriegst es ja nicht mal fertig, was anderes außer Monster zu spielen!“ „Habe ich schon gewonnen?“ Der knapp Eins-sechzig große Mann zuckte mit den Mundwinkeln, als Anya ihn verwirrt anstarrte. „Eben. Bin auch nicht besser als du.“ Baff davon, dass kein überheblicher Spruch gekommen war, blieb Anya glatt die Spucke weg. Indes machte Logan weiter. „Ich beschwöre [Battlin' Boxer Rabbit Puncher].“ Ein eher hagerer Boxer betrat den Ring, dessen markantestes Merkmal neben den durchwühlten, roten Haaren der gasmaskenähnliche Kopfschutz war, den er an hatte.   Battlin' Boxer Rabbit Puncher [ATK/800 DEF/1000 (3)]   Befehlend streckte Logan den Arm aus und zeigte auf Anyas gesetztes Monster. „Wenn [Battlin' Boxer Rabbit Puncher] Gegner in Verteidigungsposition angreift, zerstört er sie, bevor der Schaden berechnet wird.“ Anya sah ihn zunächst perplex an, begriff aber schnell, was dies bedeutete, als der Boxer des Schwarzhaarigen grazil über das Spielfeld huschte und seine Faust in der Karte ihres Monsters versenkte. Diese zersprang in tausend Stücke. Wohlgemerkt ohne aufgedeckt zu werden. „Fuck“, entfuhr es ihr, „wieso wurde [Morphing Jar] nicht geflippt!? Was ist das für ein Scheiß!?“ So konnte sie die fünf Karten nicht ziehen, die er ihr vermacht hätte. Von wegen Anfänger, dieser Typ duellierte sich fast besser als Redfield oder das Pennerkind und das wollte was heißen! Wenigstens bekam er jetzt auch keine fünf neuen Karten, selbst schuld! „Nennt sich Regeln. Kennste wohl nicht besonders gut“, stichelte Logan und rief sofort im Anschluss: „beim zweiten Mal tut es nicht mehr so weh. [Battlin' Boxer Lead Yoke], zerstöre [Gem-Knight Ruby]!“ Den nun vom Gewicht der Metallsäule freigewordenen Arm schwingend, stürmte der gebeugt laufende Boxer auf Anyas Ritter zu und zerschmetterte ihn regelrecht mit seinem Hieb. Anya wich keuchend zurück.   [Anya: 2500LP → 2000LP / Logan: 2200LP]   „Da's dir wohl zu langweilig ist, wenn ich nur Monster spiele, setze ich diese Karte verdeckt“, verkündete Logan, „mach dein Ding, Kleine.“ Deren Feld war nur noch mit zwei gesetzten Karten gefüllt, anders als ihre Hand, die leer war. Wie sollte sie da ihr Ding machen, fragte sich Anya wütend. Er hatte auch gut reden, hatte er ein noch fast volles Blatt mit vier Karten. Und dann dieses 'Kleine' …! „Ich bin verdammte Durchschnittsgröße“, fauchte sie bis aufs Blut provoziert, „du bist ein Fall fürs Kuriositätenkabinett, Mini-Me. Ich hab Ameisen gesehen, die waren größer als du!“ „Komisch, wieso interessiert dich meine Größe so?“, erwiderte er über alle Beleidigungen erhaben. „Möchtest du, dass ich mich für dich auf einen Hocker stelle?“ „Ja, damit ich dich runterstoßen kann, Mistkerl!“, zischte Anya und griff nach ihrem Deck. „Fucking-Mega-Draw!“ In einer ausholenden Bewegung zog sie und betrachtete die neue Karte im Anschluss, welche ihr zumindest ein diebisches Grinsen entlockte. Dann schwang sie den Arm über ihre verdeckten Karten aus, von denen die linke aufsprang, eine Zauberkarte, auf der ein Rubin, ein Topaz und ein Saphir abgebildet waren, die aus einem Wirbelsturm voller Edelsteinen in Richtung des Betrachters schossen. „Ich brauch noch mehr! Und zwar dank [Gem-Trade]. Mit dieser Zauberkarte verbanne ich ein Gem-Knight-Fusionsmonster, wenn eine Karte auf meinem Friedhof liegt, die ein solches beschwören kann.“ Unnötig zu erwähnen, dass [Gem-Knight Fusion] diese Karte war. Das Bestmögliche erwartend, nein sogar insgeheim einfordernd, griff Anya erneut nach ihrem Deck. „Und für jeden Intervasall von drei Stufen des verbannten Gem-Knights darf ich eine Karte ziehen, muss dafür aber auch jeweils eine Draw Phase aussetzen!“ Da sie sich von [Gem-Knight Ruby] trennte, dessen Stufe 6 war, durfte sie zweimal aufziehen. Als Symbol dieses Akts tauchte auf Anyas Brusthöhe ein faustgroßer Rubin auf, der in zwei Teile zerbrach. Sie riss die Karten förmlich vom Deck, während er verschwand. Und spätestens jetzt, da sie schon auf ganze drei Handkarten kam, war ihr Grinsen derart bösartig und vielsagend, dass vermutlich in ganz Livington alte Opfer Anyas spüren konnten, wie ihre physischen und Schrägstrich oder emotionalen Narben zu schmerzen begannen. Unvermittelt holte sie zwei Karten aus ihrem Friedhof hervor und präsentierte sie in kämpferischer Haltung. „Ich bin noch nicht fertig mit Aufstocken! Indem ich [Gem-Knight Crystal] vom Friedhof verbanne, erhalte ich [Gem-Knight Fusion] von dort zurück!“ Dementsprechend landete das normale Monster in ihrer Hosentasche, während sie [Gem-Knight Fusion] zu ihrem restlichen Blatt steckte. Schließlich atmete sie tief durch, hielt ihre nunmehr vier Handkarten vor der Brust. „Alter, wenn ich mit dir fertig bin, wirst du nochmal'n Stück geschrumpft sein, auch wenn das nicht mehr möglich ist!“, protzte sie kurz darauf überheblicher denn je und war dabei schon im Begriff, wieder den Arm auszuschwingen. Logan regte sich kaum, brummte nur: „Hmm.“ „Ganz recht, widersprech' gar nicht erst! Verdeckte Falle! [Return From The Different Dimension], welche jetzt möglichst viele von mir verbannte Monster beschwört, auch wenn ich dafür die Hälfte meiner Lebenspunkte zechen muss!“   [Anya: 2000LP → 1000LP / Logan: 2200LP]   Zwei Dimensionslöcher öffneten sich vor Anya, in ihnen sah man nur ein Gemisch bunter Farben. Doch dann sprangen aus ihnen [Gem-Knight Ruby] und [Gem-Knight Crystal], ein Ritter in weißer Rüstung mit kristallinen Schulterplatten, hervor.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)] Gem-Knight Crystal [ATK/2450 DEF/1950 (7)]   „Die beiden gehen mir in der End Phase zwar wieder flöten, aber wen juckt's? Bis dahin bist du sowieso nur noch Pampe unter meinem Schuh!“, prahlte Anya ungehemmt weiter. Sie streckte den Arm weit aus. „Ich aktiviere Rubys Effekt und opfere damit Crystal, um Rubys Power um Crystals zu erhöhen!“ Der weiße Ritter löste sich in weißen Funken auf, die sein Kamerad mit seiner Lanze absorbierte.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 → 4950 DEF/1300 (6)]   Indes konnte sich Nick ein verschmitztes Schmunzeln nicht verkneifen. Unter seinem Alter Ego hätte er jetzt sicher einen lahmen Crystal Meth-Witz gerissen, aber er war froh, es nicht mehr zu müssen. Niemand ahnte, wie anstrengend es war, sich permanent als dämlichster Mensch der Welt auszugeben. Er fragte sich insgeheim, ob es noch Verwendung für jenen Nick gab, nun da die wichtigsten Menschen in seinem Leben eingeweiht waren. „Heh … man kann nie wissen“, lautete sein Schluss. Aber Anya hatte nicht übertrieben. Sie würde Logan mit dem nächsten Angriff auseinander nehmen, vorausgesetzt, er konnte nichts tun um das zu verhindern. Es machte ihn stolz zu sehen, welche Fortschritte sie bereits gemacht hatte, auch wenn sie ihre Kopf-durch-die-Wand-Philosophie wohl nie ablegen würde. Gerade wollte er Anya anfeuern, während sie befahl, [Battlin' Boxer Rabbit Puncher] und damit Logan den Gnadenstoß zu versetzen, da klingelte sein altes Handy. Erschrocken holte er es aus der Innentasche seiner Jacke hervor. Während es in seiner Hand vibrierte, starrte der junge Mann es entgeistert an, wurde zunehmend blasser, was sowieso kaum möglich war. „Willste nicht rangehen?“, raunte Logan mit leicht genervtem Unterton. Nein, wollte Nick ihm sagen. Nicht, wenn er sich absolut sicher war, dass niemand die Nummer des Geräts kennen sollte. Es hörte nicht auf. Nick entschloss sich, den Wagen zu Umrunden, damit die anderen beiden ungestört vom Telefonat ihr Duell fortsetzen konnten. Und nicht mithören würden. Er hob ab.   „Wie ich gerade sagte, nachdem Harpers nerviger Bimmelkasten aus dem letzten Jahrhundert mich unterbrochen hat: Du bist erledigt!“ Anya streckte den Arm aus. „Dein Rabbit Puncher wird jetzt wirklich zum Hasenfuß! Ruby, beende es! Sparkling Lance Thrust!“ Mit seinen gerade einmal 800 Angriffspunkten konnte der Gasmasken tragende Boxer den Angriff nicht genug abfangen, um Logans Niederlage zu verhindern, dachte Anya zuversichtlich. Ihr Krieger ließ seine Waffe einmal über dem Kopf kreisen, ehe er auf den Boxer zu schnellte. Nur leider den falschen, wie Anya erschrocken feststelle, als ihr Ritter ausholte und nach [Battlin' Boxer Lead Yoke] schlug. „[Shift]!“, rief Logan, dessen Fallenkarte aufgesprungen war. „Sie ändert das Ziel deiner Effekte und Angriffe.“ Lead Yoke drehte dem angreifenden Ruby den Rücken zu, dessen Lanze daraufhin in den übrig gebliebenen Pfeiler gerammt wurde und diesen zum Zerbersten brachte. Logan regte sich nicht im Angesicht der Spitze jener Waffe, die ihren Weg in seine Richtung fortsetzte und einen halben Meter vor seiner Brust in ihrer Bewegung verharrte.   [Anya: 1000LP / Logan: 2200LP → 250LP]   Mit der gigantischen Fessel verschwand das Xyz-Material darin, das Logan abhing und erklärte: „Lead Yoke schützt sich vor dem KO und wird wieder um 800 Angriffspunkte stärker. Außerdem habe ich Glassjaw auf den Friedhof geschickt, wodurch ich jetzt einen Boxer vom Friedhof erhalte.“ Er zeigte Anya [Battlin' Boxer Headgeared], den er seiner Hand hinzufügte. Das Mädchen knirschte mit den Zähnen, als der nun völlig freie Lead Yoke seine Muskeln anspannte und Ruby mit einem Faustschlag wegstieß.   Battlin' Boxer Lead Yoke [ATK/3000 → 3800 DEF/2000 {4} OLU: 1 → 0]   Das Heulen eines Motors erklang. Anya und Logan drehten sich überrascht zur Seite, sahen wie Nick das Fenster der Fahrertür herunter fahren ließ und sie ansah. In seinen Zügen stand tiefste Anspannung geschrieben. „Ich muss dringend weg. Sorry Anya, du musst leider zu Fuß nachhause. Oder lass dich von deinem neuen 'Freund' fahren.“ Was er wieder mit dieser gewissen Prise Abneigung betonte. „Huh!? Aber sonst geht’s dir gut, Harper!?“, fauchte das Mädchen baff. „Was soll der Scheißdreck denn, hat deine Mu-!?“ Doch Nick ignorierte sie und setzte seinen Chrysler in Bewegung, drehte auf dem Parkplatz und verschwand ohne Erklärung.   Der Mechaniker lachte bitterböse auf. „Scheinbar hat's dem nicht gefallen, wie wir spielen.“ Unter einem ärgerlichen Stirnrunzeln wandte sich Anya ihrem Gegner zu. „Tch! Mich einfach sitzen zu lassen. Der kann was erleben! Dem ramme ich meine Faust so tief in den Arsch, bis er freiwillig mit mir als Bauchrednerin auftritt!“ Oh ja, und das war nur der Auftakt zu Nicks persönlicher Hölle, sponsored by Anya Bauer. Wie konnte der es wagen, mitten in ihrem Duell abzuhauen!? War sie wirklich so schlecht, dass es ihn langweilte oder hatte da gerade irgendeine Bank angerufen, die seine Betrügereien aufgedeckt hatte? Sie wollte es wissen, verdammt! Logan zuckte mit den Schultern. „Bringt nichts, sich jetzt darüber aufzuregen. Lass uns weitermachen.“ Er erntete ein ärgerliches Schnaufen. „Ja …“   Anyas Laune besserte sich auch nicht gerade dadurch, dass Logan ihr die Suppe versalzen und den Angriff knapp überstanden hatte. Mit dem Unterkiefer mahlend, betrachtete sie angestrengt ihre Handkarten. Sie musste etwas tun, denn Ruby würde am Ende des Zuges wieder in die Verbannung verschwinden. Energisch zog sie [Gem-Knight Fusion] aus ihrem Blatt und rammte diese in das D-Pad an ihrem Arm. „Ich verschmelze Ruby und [Gem-Knight Alexandrite] von meiner Hand und lasse sie zu [Gem-Knight Citrine] werden!“ Wie immer, wenn das Mädchen äußerst erbost war, vergaß sie dabei ihren selbst ausgedachten Beschwörungsspruch und ließ lediglich durch einen gen Himmel gerichteten Schwenk mit der Hand einen Strudel aus Edelsteinen erscheinen. Ruby stieg in die Luft auf und ließ sich mit ausgestreckten Armen einsaugen, danach folgte ihm der in silberner Rüstung steckende Alexandrite. Keinen Moment später flatterte ein blauer Umhang durch die Luft, dessen Träger mit einem Satz vor Anya landete. Glühend rot erstrahlten die Oberarme des Ritters in bronzener Rüstung, der lässig ein Breitschwert, bestehend aus ebenso flackerndem Magmagestein, schulterte.   Gem-Knight Citrine [ATK/2200 DEF/1950 (7)]   „Heute nur ein Kurzauftritt für dich, Citrine!“, verlautete Anya autoritär und schwang den Arm weit aus. „Denn ich benutze den Effekt meines [Angel Wing Dragons] im Extradeck und schicke das Licht-Monster [Kuriboss] von meinem Deck auf den Friedhof! Damit wird [Kuriboss] als Empfänger behandelt, der gerade für eine Synchrobeschwörung benutzt wird!“ Nachdem sie die Karte ihres [Kuriboss'] in den Friedhofsschlitz geschoben hatte, ballte sie eine Faust und streckte jene in die Höhe. „Stufe 1 und Stufe 7 ergeben Stufe 8! From the light of a different world, the herald of starlight decends upon the ravaged land! By discarding a single star, I call upon you!“ Weit über dem Mädchen glänzte es und ehe Logan sich versah, erblickte er einen riesigen, goldenen Ring, in dessen Innerem eine wässrige Oberfläche schimmerte. Citrine stieg in die Luft auf und durchquerte jene Masse, ohne auf der anderen Seite wieder aufzutauchen. „Synchro Summon!“ Stattdessen streckten sich von dem Ring vier weiß befiederte Schwingen. Gleichzeitig schoss von vorne ein schlanker Drachenkopf hervor, an dessen Nacken ein goldenes Kragengestell befestigt war. Aus der anderen Seite schnellte sein langer, weißer Schweif, bis beide Parteien einen ganzen Körper ergaben. „Shine forth, [Angel Wing Dragon]!“ Unter majestätischem Gebrüll verkündete der Drache, nun einsatzbereit zu sein und richtete dabei wie eine Kobra sein Haupt auf.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   Derweil kniff Logan die Augen zusammen und kratzte sich am Kinn. „Könnte schwierig werden.“ „Oh das wird es“, versprach Anya sehr überzeugt von sich, „und fertig bin ich auch noch nicht! Da ich noch gar keine Normalbeschwörung getätigt habe, hole ich das jetzt nach und rufe [Gem-Armadillo]!“ Ohne lange zu zögern knallte sie jenen auf ihr D-Pad. Unter Angel Wing tauchte ein beinloses Gürteltier auf, das mithilfe von Düsenantrieben vom Erdboden abhob. Anya derweil griff nach ihrem Deck und suchte eine Karte von dort hervor, die sie Logan zeigte. „Wenn der beschworen wird, erhalte ich einen Gem-Knight auf mein Blatt!“   Gem-Armadillo [ATK/1700 DEF/500 (4)] Dieser war kein geringerer als [Gem-Knight Turquoise]. Und Anya grinste plötzlich wieder so diabolisch, wie sie es immer tat, wenn sie sich im Vorteil wähnte. Wenn alles andere fehlschlug, würde Turquoise sie retten! Doch dazu brauchte sie etwas. „Effekt von [Gem-Knight Fusion] auf meinem Friedhof! Ich erhalte sie zurück, indem ich Citrine verbanne!“ Sie steckte das Fusionsmonster in ihre Hosentasche und ihre Zauberkarte wieder ins Blatt zurück. Nur um dann eine andere von dort zu nehmen und in das D-Pad einzulegen. „Die da setze ich. Jetzt bin ich aber durch!“ Zischend materialisierte sich der Schnellzauber vor ihren Füßen. Das Grinsen wurde noch breiter. Der würde sich wundern, freute sich Anya. Niemand trotzte ihr, wenn sie erst ihre Turquoise-Kombo durchzog!   Davon schien Logan gar nichts zu ahnen. Sein Blick haftete an [Angel Wing Dragon], den er interessiert betrachtete. „Netten Brummer hast du da.“ „Jep“, erwiderte Anya unter stolz geschwollener Brust, „mein Ass-Monster!“ „In einem Deck voller Fusionsmonster ist er dein Ass-Monster?“, staunte Logan und richtete seinen fragenden Blick auf Anya. Dann zuckte er die Schultern. „Nun, was auch immer für dich am besten funktioniert.“ Plötzlich sah Anya auf ihr D-Pad. So lange hatte sie Angel Wing noch nicht, aber es machte Spaß, ihn zu beschwören, weil es so einfach und nahezu immer möglich war. Er machte ihr Deck noch abwechslungsreicher, was ihr gut gefiel. Was sie wiederum selbst ein wenig überraschte, war sie doch sonst kein Freund von Veränderungen. Der Anflug eines Lächelns stand ihr im Gesicht geschrieben. Und verschwand augenblicklich, als sie sich gewahr wurde, warum sie Angel Wing überhaupt besaß. „Wenn er nicht funktioniert, werde ich sterben“, murmelte sie geistesabwesend vor sich hin. „Du meinst, du verlierst“, korrigierte sie Logan. Anya sah auf, dann aber mied sie seinen Blick, indem sie zur Seite starrte. „Is' doch dasselbe.“ „Hm. Nein.“   Es dauerte einen Moment, ehe sie sich ihm wieder zu wandte und mit einem kurzen Nicken bedeutete, er solle seinen Zug endlich beginnen. Das tat er auch, ohne weiter auf ihre Worte einzugehen und zog auf sechs Handkarten auf. Eine davon legte er sofort auf sein zu Anya identisches, schwarzes D-Pad. „Den habe ich vorhin zurückbekommen, wenn du dich noch erinnerst! [Battlin' Boxer Headgeared]! Und er schickt bei seiner Beschwörung einen Trainingspartner auf den Friedhof: [Battlin' Boxer Rib Gardna].“ So tauchte der blaue, drahtige Boxer mit dem roten Kopfschutz wieder auf.   Battlin' Boxer Headgeared [ATK/1000 DEF/1800 (4)]   Logan nahm eine Karte, die unvermittelt aus seinem Deck hervorstand und schob sie in den Friedhofsschlitz. Anschließend zeigte er eine Zauberkarte vor: „Jetzt aktiviere ich [Batllin' Boxing Spirits]! Im Austausch gegen die oberste Karte meines Decks kann ich einen Boxer in Verteidigung reanimieren!“ So nahm er eine Karte ab und schickte sie auf den Ablagestapel, ehe er mit einer Handbewegung [Battlin' Boxer Rib Gardna] erscheinen ließ: Einen massiven Boxer in einem braunen Bodysuit, dessen klobiger, unförmiger Körper eine erstaunlich gute Zielscheibe abgab.   Battlin' Boxer Rib Gardna [ATK/100 DEF/1400 (3)]   Unerwartet streckte Logan den Arm in die Höhe. Sein eben erst beschworener Boxer und dazu noch der kleine, flinke [Battlin' Boxer Rabbit Puncher] verwandelten sich in rote Lichtstrahlen. „Ich öffne das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 3-Monstern wird ein Rang 3-Monster! Xyz Summon!“ Beide wurden in ein schwarzes Loch gezogen, welches sich inmitten des Feldes auftat. „[Battlin' Boxer Cheat Commissioner]!“ Aus dem Wirbel heraus trat eine dubiose Gestalt, gekleidet in einem schwarzen Mantel. In der einen Hand einen Schlagstock für disziplinarische Maßnahmen, hielt er in der anderen ein grünes Megafon, dessen Ende mit spitzen Zähnen gespickt war. Um den Schiedsrichter kreisten zwei leuchtende Lichtsphären.   Battlin' Boxer Cheat Commissioner [ATK/0 DEF/1300 {3} OLU: 2]   Logan betrachtete einen Moment sein Blatt, als ob er sich über seine nächste Aktion nicht ganz schlüssig war, ehe er entschlossen nach zwei nebeneinander steckenden Karten griff und jene vorzeigte. „Ich aktiviere zwei Exemplare dieser Karte. Sie nennt sich [Solidarity] und erhöht die Angriffskraft meiner Monster eines bestimmten Typs, wenn all ihre gefallenen Kameraden auf dem Friedhof denselben besitzen.“ Überrascht verschränkte Anya die Arme. Der Hände haltende Kreis der fünf Ojama-Geschwister auf dem Artwork der Karten entlockte ihr bestenfalls ein müdes Grinsen. „Übst wohl schon den Zwergenaufstand, was? Komm sag schon, um wie viel werden sie stärker?“ „Pro [Solidarity] um 800. Wie du dir sicher denken kannst, besteht mein Deck nur aus Kriegern.“ Da klappte der Blondine dann doch die Kinnlade hinunter, als sie sich unter Mühen ausrechnete, was das wirklich bedeutete. „So viel!?“ Logan legte die beiden Karten in sein D-Pad ein, woraufhin jene sich vor seinen Füßen in aufgedeckter Lage materialisierten. Seine drei Boxer begannen in roter Aura aufzuleuchten.   Battlin' Boxer Lead Yoke [ATK/3800 → 5400 DEF/2000 {4}] Battlin' Boxer Headgeared [ATK/1000 → 2600 DEF/1800 (4)] Battlin' Boxer Cheat Commissioner [ATK/0 → 1600 DEF/1300 {3}]   „Shit“, fluchte Anya leise vor sich hin. „Der will mich platt walzen!“ „Selbst die Schwächsten können stark sein, wenn sie die richtigen Freunde haben“, sinnierte Logan geradezu philosophisch, was zu einem auf den ersten Blick eher bodenständigen Mann wie ihm gar nicht passen wollte. Seine Gegnerin wiederum sann eher danach, erst mit einem patzigen Spruch zu kontern, doch unverhofft fing sie an, die Bedeutung seiner Worte und der Karte auf sich zu beziehen. Ohne den Beistand anderer wäre sie jetzt nicht hier. Hieß das wiederum, dass sie schwach war? Als würde Logan ihre Gedanken in jenem Moment erahnen, sagte er: „Man ist nicht schwach, weil man Hilfe annimmt. Und du brauchst welche, stimmt doch, oder?“ Blinzelnd sah Anya ihn an. Dann ballte sie mit ihrer herabhängenden Hand unbewusst eine Faust. Sie löste jene jedoch recht schnell wieder und grinste gelassen. „Pft, jetzt auch noch unter die Pfarrer gegangen oder was!? Wir duellieren uns hier aus Spaß, nicht um meine Seele zu retten!“ Logan lachte kurz auf und nickte dann knapp. „Bah, hast natürlich recht.“ Und obwohl er davon abließ, blieb bei Anya ein fader Beigeschmack. Schwäche … was war das überhaupt für sie, jetzt wo sie darüber nachdachte?   Sie hatte jedoch keine Möglichkeit, alsbald zu einem Ergebnis zu kommen, denn Logan streckte den Arm aus. „Dann zeig mal was du noch so drauf hast, Kleine!“ „Ich bin beschissene Durch-schnitts-grö-ße!“, keifte Anya unverzüglich zurück. Gekonnt ignorierte er ihren Einwurf und rief: „[Battlin' Boxer Lead Yoke], greife ihren [Gem-Armadillo] an!“ Nun frei von seinen Fesseln, schlug der größte und massigste der Boxer nur einmal in die Luft, um eine Druckwelle zu erzeugen, die Anyas fliegendes Gürteltier voll erfasste. Dessen Herrin schwang panisch den Arm aus. „Verdammter Kackmist, ich bin erledigt, wenn der durchgeht! [Angel Wing Dragon], nimm du den Angriff dank deines Effekts entgegen!“ Elegant glitt der schlangenhafte Drache hinab und platzierte sich schützend vor Anyas anderem Monster. Die Druckwelle traf ihn und schleuderte ihn in Anyas Richtung, doch bevor er sie mit ins Unglück riss, zersprang er fünf vor zwölf in tausend Teile.   [Anya: 1000LP / Logan: 250LP]   „Sorry Kumpel, Angel Wing verhindert auch, dass du mir Schaden in Kämpfen mit ihm zufügst.“ Trotzdem zog Anya die Stirn kraus. So stark, wie Lead Yoke jetzt war, gab es kaum mehr etwas, das ihn noch aufzuhalten vermochte. Sein nächster Angriff würde fatal enden, das stand fest. „Bin noch nicht fertig. Effekt von [Battlin' Boxer Cheat Commissioner] aktivieren!“, rief Logan plötzlich und riss die beiden Xyz-Materialien unter besagtem Monster hervor.   Battlin' Boxer Cheat Commissioner [ATK/1600 DEF/1300 {3} OLU: 2 → 0]   Jener saugte die leuchtenden Kugeln durch sein Megafon ein, ehe er eine ohrenbetäubende Schimpftirade in einer unbekannten Sprache zum Besten gab. Anya presste vor Schreck beide Hände auf die Ohren und war umso überraschter, als sie dabei beobachtete, wie sich auf Logans Feld eine gesetzte Zauber- oder Fallenkarte materialisierte. Noch entsetzter aber war sie anschließend, als Logan ihr entgegen kam und kurzerhand ihre [Gem-Knight Fusion] aus dem Blatt riss, während sie noch damit beschäftigt war, ihre Lauscher zu verdecken. „Hey, was soll der Mist!?“ „Die wird konfisziert“, erwiderte er gelassen, „so ist das eben, wenn ein Boxer kämpft, während der korrupte Schiedsrichter dabei ist. Eine der Zauberkarten auf deiner Hand wird auf mein Feld gesetzt.“ Prompt drehte er sich mit Anyas Karte in der Hand um, die er der Form halber noch einmal in sein D-Pad einlegte. Seine Gegnerin sah ihm hinterher, als hätte er ihr gerade Barbie für immer weggenommen. „Du verdammter-!?“, kreischte sie außer sich. „Was soll ich denn jetzt machen, ich brauch die!“ „Denk dir was aus.“ Logan war auf seine alte Position zurückgekehrt. „Außerdem, hast du nicht andere Sorgen? So zum Beispiel den Angriff meines [Battlin' Boxer Headgeared]?“ „Häh?“ Zur Verdeutlichung zeigte er auf Anyas Gürteltier mit Düsenantrieb. „Diesen Angriff da.“ Ehe Anya aber schalten konnte, tauchte schon aus dem Nichts ein Boxhandschuh samt Besitzer auf und verpasste [Gem-Armadillo] eine heftige Linke. Der zersprang mit Tränen in den Augen und eingedrückter Wange unter jämmerlichem Quieken.   [Anya: 1000LP → 100LP / Logan: 250LP]   Anya wich den umherfliegenden Partikeln mit Seitwärtsschritt aus. Dabei knirschte sie mit den Zähnen. „Großartig …“ Nicht zuletzt deshalb, weil Logans Zeigefinger auf sie gerichtet war, der ihrer Bewegung unbarmherzig folgte. „Sieht nach 'nem Sieg für mich aus. Gutes Spiel, Kleine.“ „Sei nicht so vorlaut, noch steh ich!“ „Direkter Angriff, [Battlin' Boxer Cheat Commissioner]!“, befahl ihr schwarzhaariger Gegner jedoch ehrgeizig. So stürmte der bestechliche Schiedsrichter auf Anya zu und schwang seinen Schlagstock hysterisch lachend in ihre Richtung. „Mich knockst du nicht aus!“, schrie die und griff nach ihrem Friedhof. „Ich verbanne [Kuriboss] von meinem Friedhof und negiere den Kampfschaden!“ Kurz bevor Anya den schwarzen Stab mit voller Wucht in die Seite gepfeffert bekam, tauchte genau dort ein brauner Fellball auf und wurde stattdessen erwischt, während Anya die Flucht nach hinten antrat. Die Sonnenbrille des Anführers der Kuribohs flog im hohen Bogen durch die Luft, als der wie ein Baseball mit flatterndem, grauem Cape davon geschlagen wurde. „Könnte 'nen Home Run werden“, scherzte Logan und sah dem kreischenden Knäuel hinterher. Anya stemmte wütend die Hände in die Hüften, nachdem sie [Kuriboss'] Karte in ihre Hosentasche gesteckt hatte. „Zu blöd aber auch, da ich meinen eigenen Kampfschaden negiert habe, darf ich keine Karte durch seinen Effekt ziehen.“ „Ist deine geringste Sorge“, reagierte Logan lässig. „Bist.“ „Du bist der Falsche, um von Sorgen zu reden, Grumpy!“, rief Anya daraufhin und streckte den Arm in die Höhe. „Sieh her! Ich verbanne zwei Stufe 4-Monster von meinem Friedhof und reanimiere [Angel Wing Dragon]!“ So entledigte sie sich auch noch des [Gem-Armadillos] und [Gem-Knight Garnets], während über ihr der goldene Ring erschien, aus dem kurzerhand der weiß-goldene Drache geschossen kam und wütend aufschrie.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   Gerade wollte Anya die oberste Karte ihres Decks greifen, da machte Logans strenges Kopfschütteln sie darauf aufmerksam, dass sie aufgrund des Effekts von [Gem-Trade] gar nicht ziehen durfte. Für einen kurzen Moment verharrte Anya. Auf ihrer Hand war nur noch [Gem-Knight Turquoise], aber der war komplett nutzlos, solange ihre [Gem-Knight Fusion] verdeckt vor den Füßen ihres Gegners lag. Also konnte sie [Gem-Knight Pearl] nicht beschwören und stärker machen. „Schade“, nuschelte sie, rang sich dann aber doch ein grimmiges Lächeln ab, „nur zu dumm, dass ich ihn gar nicht brauche.“ Ihr Blick lag dabei auf der verdeckten Karte zu ihren Füßen. Lead Yoke würde sie zwar nicht im Zweikampf besiegen, aber dafür einen anderen Boxer. „Zu dumm, dass du die beiden kleinen Fische so schutzlos zurückgelassen hast“, flötete sie und spielte darauf an, dass Logan keine Karten neben ihrer [Gem-Knight Fusion] gesetzt hatte. Doch der ließ sich nicht einschüchtern und winkte ab. „Musst wissen, [Battlin' Boxer Cheat Commissioner] kann nicht angegriffen werden, solange andere Boxer im Ring sind. Also kein Ding.“ Zuckte demonstrativ mit den Schultern. „Na und? Zu dumm nur, dass das Rotkäppchen auch noch da ist!“ Sie hob den Zeigefinger und richtete ihn unter einem gehässigen Grinsen auf [Battlin' Boxer Headgeared]. „Der da reicht völlig. Los, [Angel Wing Dragon], beende das Duell! Seraphim Judgment!“ Der majestätische Drache öffnete sein Maul und lud darin weiße Energie auf. Logan zuckte mit den Schultern. „Reicht nicht, um mich zu besiegen.“ „Reicht wohl! Verdeckte Schnellzauberkarte, [Forbidden Chalice]!“, übertönte Anya ihn und schwang den Arm über jene Karte aus. „Sie verstärkt- Huh!?“ Vor ihren Augen verschwand der Boxer mit dem roten Kopfschutz einfach. Wie eine Illusion, die nie da gewesen war. Angel Wing stieß derweil ungehindert seinen weißen, flammenden Energiestrahl aus, um den eine goldene Lichtspirale kreiste. Der Angriff war direkt auf die Lücke zwischen den beiden Xyz-Monstern gerichtet. Fassungslos breitete Anya die Arme aus. „Was soll der Kackmist!? Ich habe-!? Wo ist dieser Bastard hin!?“ „Verbannt auf Zeit durch [Battlin' Boxer Rib Gardnas] Effekt“, erklärte Logan, „den kann ich vom Friedhof entfernen, um ein bisschen Katz' und Maus zu spielen. Sieht so aus, als gäbe es jetzt nur noch ein legales Ziel für deinen Angriff.“ Mitten in der Luft machte [Angel Wing Dragons] Lichtstrahl eine Kurve und steuerte geradewegs auf [Battlin' Boxer Lead Yoke] zu. Anya stand der Mund offen.   Los, benutze jetzt endlich deine Zauberkarte, Anya Bauer!   Die aber hatte nur ihren gescheiterten Plan vor Augen. [Forbidden Chalice] erhöhte die Angriffskraft eines Monsters um 400, was gereicht hätte, Logans Lebenspunkte mit einem Angriff auf Rotkäppchen auszulöschen. Aber was brachten ihr die schon, wenn plötzlich der übermächtige Lead Yoke das Ziel war!? „Das ist viel zu wenig“, knurrte sie leise, „denk dir was Besseres aus, Levrier!“ Sie hörte ihn, wie er schon fast niedergeschmettert stöhnte.   … Anya Bauer, hängst du eigentlich an deinem Leben?   „W-was!?“ Und was sie dann hörte, war der wohl erste Wutausbruch Levriers in der Geschichte ihrer Bekanntschaft.   Denkst du nicht mit deinem eigenen Kopf!? Liest du dir nicht durch, was auf den Karten steht, die du benutzt!? Wie viele Kämpfe auf Leben und Tod hast du bis heute ausgetragen, um zu wissen, dass jede Unachtsamkeit das Ende bedeuten könnte!?   Bei der sich überschlagenden Stimme in ihrem Kopf zuckte selbst Anya zusammen. „Was ist auf einmal dein Problem!?“   Du bist das Problem, Anya Bauer. Du kämpfst wie die Versagerin, die du nicht mehr sein wolltest! Jetzt ist es zu spät. Game Over, wie du-!   Anya ließ noch einmal den Arm über ihre verdeckte Karte gleiten, mit einem zutiefst erschütterten Gesichtsausdruck. „Falle! I-ich meine Zauberkarte, [Forbidden Chalice]! Sie erhöht- nein, sie negiert den Effekt eines Monsters auf dem Feld, gibt ihm aber 400 Angriffspunkte dafür.“ Das Megafon in der Hand des Schiedsrichters löste sich plötzlich auf und wurde durch ein Glas gefüllt mit Rotwein ausgetauscht, nachdem Anyas Karte aufgesprungen war. Nur ein Schluck reichte, um ihn zum Würgen zu bringen.   Battlin' Boxer Cheat Commissioner [ATK/1600 → 2000 DEF/1300 {3}] Sehr gut. Und nun beende es!   „Da der Effekt dieses Typen negiert wurde, kann ich ihn als Ziel des Angriffs auswählen!“ Nur wenige Zentimeter bevor der Lichtstrahl in Lead Yokes Brust einschlug, machte er abermals wie von Zauberhand eine Kurve und traf unvermittelt auf dessen Mitstreiter. Logan wich erstaunt der nachfolgenden Explosion aus.   [Anya: 100LP / Logan: 250LP → 0LP]   Anya stand der Mund offen, denn sie war nicht imstande, das Geschehene sachgerecht zu verarbeiten.   Das war eine schlechte Leistung für ein unnötiges Duell, Anya Bauer. Ich kann nicht glauben, dass du wieder in deine alten, ignoranten Muster verfallen bist.   Das unerwartete, abrupte Ende des Duells traf sie nicht weniger hart als die Worte Levriers. Plötzlich hörte er sich nicht mehr wie ihr Freund an, sondern wie dieser Immaterielle von damals, der sie herumkommandieren wollte. „I-ich …“ „Alles in Ordnung?“, fragte Logan überrascht und deaktivierte sein D-Pad. Die Hologramme verschwanden. Anya sah ihn an, nahm wie in Trance die [Gem-Knight Fusion] entgegen, die er ihr zurückgab. Und plötzlich fühlte sie sich unendlich hilflos. Dumm. Schwach. Alles was sie gewollt hatte, war Spaß zu haben. Einen normalen Tag mit einem normalen Menschen zu verbringen. Ausgerechnet Levrier musste ihr das vermiesen. Wieso!? „Ich … weiß es nicht.“ Sich gegenüberstehend, legte Logan seine Hand auf Anyas Schulter. „Siehst definitiv nicht danach aus. Das Angebot mit der Hilfe steht noch.“ Unvermittelt riss sie sich von ihm los, sah ihm aufgelöst in die Augen. „Wie könntest du mir jemals helfen, huh!? Ich werde krepieren, wenn ich nicht besser werde! Und mir läuft die Zeit davon, verstehst du!? Schwach! Verdammte scheiße, ich bin … schwach.“ „Wovon zur Hölle redest du?“ Verwirrung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Natürlich konnte er ihr nicht folgen. Etwas, das Anya zu ändern gedachte. „Das willst du wissen? Fein! Dann sperr mal schön die Lauscher auf!“   Impulsiv zischte sie an ihm vorbei und packte seinen Arm, schleifte Logan hinter sich her. Er ließ es widerstandslos geschehen. „Alles ist scheiße!“, fluchte sie dabei. „Dieser beschissene Traum, ich hätte nie daran denken dürfen!“ Sie steuerte das offene Garagentor an. „Und statt meine Zeit hier zu verschwenden, sollte ich vermutlich irgendwo im Nirgendwo sein und jemanden ordentlich verdreschen. Weil das nun mal so läuft, seit die ganze Scheiße angefangen hat. Fuck!“ Als sie ins Innere der Werkstatt gelangten, sprang unweigerlich der weiße Porsche in Anyas Blickfeld. Logan wurde losgelassen, ebenso ein wütender Aufschrei. Der erste Tritt galt dem Nummernschild, das solange beharkt wurde, bis es auf dem Boden lag. Danach schnappte Anya sich aus einem unweit stehenden Werkzeugkoffer einen schweren Schraubenschlüssel und begann, auf die Windschutzscheibe einzuschlagen. Zunächst erschuf sie ein schönes Spinnennetz, ehe sie nach mehrmaligem Zulangen schließlich einen Scherbenhaufen folgen ließ. Keuchend warf sie den Schraubenschlüssel beiseite, nahm Abstand und betrachtete ihr Werk. „Wird teuer für dich“, merkte Logan trocken an. Anya winkte ab. „Mir doch egal. Nick bezahlt das.“ „Und, geht es dir besser?“ „Nein.“   Sie drehte sich zu ihm um, den Kopf gesenkt haltend und setzte sich auf die Motorhaube des ramponierten Wagens. Dann kam die Stille. Sich neben sie setzend, starrte Logan geradeaus und wartete darauf, dass sie das Wort ergriff. „… ich stecke in Schwierigkeiten“, begann sie plötzlich tonlos, „ganz tief in der Scheiße.“ „Hast wohl den falschen Leuten ans Bein gepinkelt?“ Anya schüttelte den Kopf. „Ne. Nur mein Leben verkauft. Unwissentlich, damit das ja mal gleich klar ist!“ Sie reckte das Kinn vor, in ihrem Blick stand unbändige Wut geschrieben. „Was glaubst du wohl, wie leicht es ist, jemanden auszunutzen, der glaubt, bald sterben zu müssen? Fuck …“ Dann ließ sie den Kopf wieder hängen. „Jetzt sitze ich in derselben Scheiße wie letztes Mal.“ Logan sah sie forschend von der Seite an. „Klär mich auf.“ Als Reaktion darauf entfuhr Anya ein bitteres Kichern. „Sicher? Wenn ich dir das erzähle, wirst du mich in Victim's Sanctuary einweisen wollen. Und wenn du mir glaubst, dann werde ich dich dort einweisen müssen, weil du dann der größte Idiot auf diesem Planeten wärst, noch vor Harper.“ Er zuckte mit den Schultern. „'bilde mir meine eigene Meinung. Und selbst wenn ich ein Idiot wäre, solche Leute muss es auch geben, damit freche Mädchen wie du sich abreagieren können, wenn sie Probleme haben.“ Anya sah ihn verdutzt von der Seite an. „War das ein Kompliment?“ „… nein.“ Trotzdem gelang ihm das Unmögliche. Anya lachte. Nur ganz kurz, aber er entlockte ihr ein, für ihre Verhältnisse, ziemlich authentisches Lachen. Welches sie, als sie es bemerkte, sofort unter ihren gefühlten hundert Kilo schweren Mundwinkeln begrubt. „Arschloch!“ „Erzähl's, bevor ich das Interesse verliere.“ Anyas Finger krallten sich um den Rand der Motorhaube. „Ich kann's nicht.“ Sie zuckte anschließend zusammen, als sie seine Hand auf der Schulter spürte. „Du kannst. Werd' auch nicht lachen, versprochen.“ „'kay. Wenn du's tust, ramm' ich dir 'nen Schraubenzieher in den Hals und dreh solange, bis du deine Eier schmecken kannst!“ Anya sah ihm tief in die Augen. „Glaubst du an das Übernatürliche?“ „Bin mir nicht ganz sicher. Eher nicht.“ Logan hielt ihrem Blick locker stand. „Sollte ich etwa?“ „Wenn's nach mir geht, nicht. Hab ich das bis vor knapp einem Jahr nämlich auch nicht. Aber blöderweise hat selbst eine Anya Bauer nicht immer das Sagen, schon gar nicht in solchen Angelegenheiten.“   Welche sie ihm im Anschluss fast zwei Stunden lang ausbreitete, mit allen Details. Einfach allem, selbst einigen Dingen, die ihre Freunde so nicht kannten. Wie sie Levrier zuerst begegnete, was sie fühlte, als sie den Pakt schloss, wie sie davon erfuhr, was ihr widerfahren würde, wenn sie nicht zu Eden würde und dem Plan des Sammlers, der aus der ganzen Sache seinen eigenen Nutzen zog. Sie gestand sogar, indirekt verantwortlich für Drazens Tod zu sein. Und für Marcs, welcher zumindest wieder lebte.   Als sie geendet hatte, war Logan längst aufgesprungen, hatte sich vor Anya aufgebaut und sah sie mit verschränkten Armen an. Sein tadelnder Blick sprach Bände. „Schöne Geschichte hast du dir da ausgedacht.“ Anya sah beleidigt zur Seite. Wie sie das gewusst hatte! Natürlich würde er ihr nicht glauben, egal wie sehr sie auf das Gegenteil gehofft hatte. Sich ihm zu öffnen war so befreiend gewesen, weil er ein Außenstehender war, den sie dazu noch kaum kannte. So gut es auch war um den Beistand ihrer Freunde zu wissen, so wollte sie nicht jedes Mal dieselben Versprechen und Gebete hören. „Ist nicht ausgedacht“, brummte sie düster. „Erzähl das jemandem, der'n Huhn nicht von 'nem Pferd unterscheiden kann.“ Täuschte sich Anya, oder klang Logan irgendwie enttäuscht. Fast so, als hätte er Erwartungen gehegt, die sie nicht erfüllt hatte. Was bildete der sich eigentlich ein!? Wutentbrannt sprang sie ebenfalls auf, stand ihm direkt gegenüber. „Was hast du für ne Ahnung, huh? Levrier könnte mit dir den Boden wischen, wenn ich nur wollte.“ Ich will aber nicht.   Die Stimme der Vernunft konnte sich gepflegt verpissen, dachte sich Anya sauer über Levriers unproduktive Worte und schnaubte. „Du hast doch selber gesehen, wie Zach mit dieser verfickten Kali abgezischt ist!“ „Ich weiß nicht, was ich dort gesehen habe! Entweder hast du mich damals belogen oder jetzt. Soll ich mich jetzt glücklich schätzen? Was für'n Spiel ist das hier, die versteckte Kamera?“ Anya stampfte mit dem Fuß auf, um wenigstens ein bisschen Wut abzulassen, nachdem aus dem Porsche nicht mehr viel herauszuholen war. „Ach und du? Du tust so, als wärst du der größte Anfänger auf Erden, hast aber ein D-Wheel, greifst in ein Spiel ein, von dem ich nicht mal wusste, dass ich es verlieren würde und duellierst dich besser als ich es je könnte! Wer ist hier der Lügner?!“ Das kalte Aufblitzen in seinen Augen ließ sie verstummen. „Wann habe ich jemals behauptet, ein Anfänger zu sein?“ Es nahm ihr glatt den Wind aus den Segeln. Gar nicht. Davon war sie selbst ausgegangen, nachdem er um ein Duell gebeten hatte. In Ermangelung eines passenden Konters fauchte sie: „Bitteschön, ich bin weder dir noch sonstwem Rechenschach schuldig!“   Rechenschaft.   Logan schüttelte langsam den Kopf. „Is' richtig. Dasselbe gilt aber auch für mich. In den zwei Stunden, in denen du meine Zeit mit diesem Mist verschwendet hast, hätte ich etwas Sinnvolles tun können. Wie dieses Chaos zu beheben, das du angerichtet hast.“ Dabei richtete er die flache Hand auf den demolierten Porsche. Es war ein Stich ins Herz für Anya. Den sie unkommentiert ließ, weil ihre Unerfahrenheit in Sachen Gefühlspolitik erneut verhinderte, dass ihren Gehirnwindungen eine passende Antwort entsprang. Anya Bauer, lass es gut sein.   Levrier erschien neben ihr und sah in seiner schwebenden Haltung auf sie herab. Sein weißer Helm und das blaue Augenpaar brachten, wie immer, keinerlei Gefühle zum Ausdruck. Doch sein Tonfall drückte, selbst für Anya unmissverständlich, Mitgefühl aus.   Du kannst nicht erwarten, dass ein normaler Mensch, dem nie etwas Außergewöhnliches widerfahren ist, dir Glauben schenkt. Er will dich sicher nicht verletzen. Die Blonde sah zerrissen zu Logan herüber, um festzustellen, dass er sich längst abgewandt hatte und die Garage verließ. Ohne es zu wollen, setzten sich ihre Füße in Bewegung. Levrier folgte ihr. Im Gegenteil, ich denke, du hast ihn verletzt. Für ihn ist es eine Lüge, auch wenn du die Wahrheit kennst. Du solltest davon ablassen, ihn einweisen zu wollen. Denn wenn er einmal in diesem Sog steckt, kommt er nie wieder heraus.   Anya blieb direkt unter dem Garagentor stehen, sah Logan dabei zu, wie er sich auf sein draußen stehendes Motorrad schwang und sich den Helm umschnallte. Sie wollte es ihm beweisen. Einfach nur zeigen, dass sie keine Lügnerin und er im Unrecht war, sie als solche zu bezeichnen. Es wäre genug, Angel Wing in seiner Waffenform zu beschwören.   Ist es nicht zuletzt diese Unbefangenheit, die du an ihm schätzt? All die Leute, die du kennst, sind bereits Mitwisser deiner Tragödie. Das verbindet. Aber manchmal ist es auch ein Fluch, du weißt es besser als jeder andere.   Anya hob langsam die Hand an, spreizte die Finger auseinander.   Beschütze ihn vor deiner Vergangenheit und Gegenwart, Anya Bauer. Zieh ihn nicht in des Sammlers Spiel hinein. Wenn er dir erst glaubt, wird er versuchen wollen, dir zu helfen. Das ist die Sorte Mensch, die er ist.   Auf Höhe ihrer Hüfte ließ sie ihren Arm verharren. Es war sowieso zu spät, Logan trat in die Pedale und fuhr unter lautem Motorengeheul einfach los. Ohne sich noch einmal umzudrehen oder etwas zu ihr zu sagen. „Idiot …“, stammelte sie leise. Glaub mir, ich will nur das Beste für euch beide, Anya Bauer. Deswegen werde ich mich auch nicht für meine Worte von vorhin entschuldigen.   „Doch nicht du“, murmelte Anya niedergeschmettert, „ich bin der Idiot …“   -~-~-   Die beiden Türhälften bewegten sich automatisch beiseite, als Nick das mehrstöckige Firmengebäude von Micron Electronics betrat, dem größten Computer-Chip-Hersteller in der ganzen Region, mit Hauptsitz in Livington. Nein, hiermit hatte Nick nicht gerechnet. Er kannte die Firma aus der Zeitung, aus Medienberichten, aber er hätte nie gedacht, einmal hierher zu kommen. Ungestüm durchquerte er das schlichte, weiße Foyer und fegte regelrecht an der Empfangsdame hinter dem gläsernen Tresen vorbei. „Sie können nicht-!“ „Ich kann“, widersprach Nick resolut, als er einen der Fahrstühle weiter hinten anvisierte. Die adrett in Uniform gekleidete, junge Frau stöckelte ihm unbeholfen hinterher. „Haben Sie einen Termin?“, fragte sie, nur um dann selbst zur einzig richtigen Erkenntnis zu gelangen: „Natürlich haben Sie nicht. Sie sind Nick Harper!“ Vor dem Fahrstuhl angelangt, wirbelte er mit eisigem Blick zu ihr herum, während er noch in der Bewegung gegen die Aufwärtstaste hämmerte. „Und wenn ich es wäre?“ „Er wartet in seinem Büro auf Sie, 8. Stock“, sagte die Empfangsdame mit fester Stimme. Ohne zu antworten drehte Nick sich wieder um und stieg wenige Sekunden später in den Aufzug.   Besagte acht Stockwerke später stieg er wieder aus, sah sich kurz um. Überall gläserne Türen, in die man erst etwa auf Brustbeinhöhe hinein starren konnte, denn alles darunter war mit matter Glasdekorfolie beschichtet. Auf jeder Tür war mit schwarzen Lettern der Besitzer des Büros samt seiner Stellenbeschreibung angegeben. Anhand einer Wegbeschreibung neben dem Aufzug fand Nick heraus, dass er nach rechts gehen musste, wenn er den Obersesselpupser sehen wollte. Wobei von wollen gar keine Rede sein konnte. Er folgte dem Gang nach rechts und fand sich bald vor einer Tür mit Aufschrift „Aiden Reid, CEO“ wieder. Ohne auch nur anzuklopfen riss er die Tür auf. Je schneller er das hier hinter sich brachte, desto besser.   Nick fühlte sich schlagartig unwohl, als er das Büro betrat. Das lag aber nicht an der Inneneinrichtung, die tatsächlich sehr geschmackvoll gewählt war mit den dunklen Holztönen und Wohnzimmer tauglichen Möbeln. Es war ein sehr einladendes Büro. Nein, was Nick so schwer im Magen lag war der Mann, der ihn hierher bestellt hatte und bereits, angelehnt an seinen Schreibtisch, hinter diesem auf ihn wartete. Der erste und vor ein paar Wochen noch einzige Mensch, der über seine Geheimnisse Bescheid wusste. „Aiden“, brummte Nick beim Anblick des Mannes und das in einem Tonfall, der stärksten Würgereiz ausdrücken sollte. „Was verschafft mir die zweifelhafte Ehre?“ „Du und Ehre? Das wäre mir neu“, scherzte der brünette Mittdreißiger von Micron Electronics auf eine nicht weniger bissige Art und Weise und verschränkte dabei die Arme. Nick schloss auf einen Wink Aidens hin die Tür und betrachte den Mann, der für ihn Anyas Valerie war. Er hatte sich kaum verändert seit damals, mit Ausnahme davon, dass er Chef eines millionenschweren Unternehmens geworden war. Ein Wissen, das selbst Nick bisher entgangen war. Kurzes, braunes Haar, fein gegelt, die Andeutung eines Barts um den Mund und klare, graue Augen, die binnen kürzester Zeit die noch so cleversten Lügen entlarven konnten. Nur Satan war noch heimtückischer als dieser Mann. „Ich habe nicht viel Zeit. Was willst du?“, raunte Nick missgelaunt. „Wenn du schon so direkt fragst … dich.“ Ein chauvinistisches Lächeln begleitete die Worte des CEOs. Nick lachte auf. „Bedauere, ich mag meine Männer etwas … weiblicher, du verstehst?“ „Ich mag meine kompetent. Wie soll ich anfangen? Sagen wir einfach, ich habe dich vermisst und dachte, es wird Zeit, dir die Einladung zu schicken, die ich schon seit einer gefühlten Ewigkeit loswerden möchte. Immerhin sind mir deine derzeitigen Aktivitäten in der Szene nicht entgangen“, sagte Aiden, stieß von seinem Schreibtisch ab und stellte sich hinter jenen, „nur kann ich mir keinen Reim daraus machen. Wonach suchst du? Planst du eine Reihe von Attentaten?“   Eine zornige Falte bildete sich auf Nicks Stirn. Aiden spielte auf die Personen an, die Nick für Anya versuchte ausfindig zu machen. Wie naiv von ihm zu glauben, dass Aiden das Hinterherspionieren aufgegeben hatte, nachdem er ihn vor Jahren dafür fertig gemacht hatte. Zwar hatte er befürchtet, nie ganz aus seinen Fängen entkommen zu sein, aber ausgerechnet heute? Ganz schlechtes Timing. „Wenn, dann würde ich es dir ganz sicher nicht sagen.“ „Ach bitte, Nick.“ Der versöhnliche Ton rief in Nick Gefühle hervor, die er sonst nur von Anya kannte. Und nein, es waren keine guten. „Das würde doch noch zu deinen harmloseren Sünden zählen.“ „Unseren Sünden“, korrigierte Nick ihn steif. „Unseren Sünden“, bestätigte Aiden ihm lächelnd und faltete die Hände ineinander, „andererseits, dagegen ist dein neuester Affront … traurig. Für ein Genie wie dich sogar jämmerlich.“ „Wovon sprichst du?“ Aiden drehte den Laptop auf seinem Schreibtisch mit einer Handbewegung um. Auf dem Bildschirm war ein Duel Monsters-Spielfeld abgebildet. Dort zu sehen war der letzte Zug von Nicks Duell mit Valeries Klon, oder was auch immer es war. Ihre Seite war komplett leer, es gab keine Daten ihres Decks. „Und was sehe ich da?“ „Die Frage habe ich mir auch gestellt, Nick. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet du kleines Wunderkind jemals in die Lage gerätst, faule Tricks anzuwenden.“ Aiden tippte auf die [Change Of Heart]-Karte, die der virtuelle Nick gerade aktivierte. „Schäm' dich, mein Junge. Das habe ich dir nicht beigebracht.“ „Stimmt. Dagegen ist das noch harmlos.“ Zu seinem Erstaunen bemerkte Nick nebenbei, dass die Ateritus-Karten nun deutlich dargestellt wurden, als hätte es sie schon immer gegeben … „Dir ist doch klar, dass das hier unser Geheimnis bleiben sollte, oder?“, fragte Aiden plötzlich nach und stützte sich mit beiden Händen auf die Tischkante. „Du weißt, unsere Szene ist sehr eigenwillig. Hat ihren Stolz.“ Nick kam nicht umher, den Kopf zu schütteln. „Wegen so einer Lappalie bestellst du mich hierher? Pft. Ich gebe nichts auf Stolz. Im Moment ist Stolz etwas, das ich mir nicht leisten kann.“ „Oh, dem stimme ich zu.“ „Was soll das heißen?“ Ein siegessicheres Lächeln schmückte Aidens ansehnliches Gesicht. Wie es das immer tat, wenn er glaubte, alle Karten auf der Hand zu haben. „Nun, du wärst sicher nicht sehr erfreut darüber, wenn diese Aufzeichnung ihre Runden macht. Die Konkurrenz schläft nicht und würde das sicher dazu benutzen wollen, deinen Ruf in der Szene zu torpedieren.“ „Ist das dein Ernst?“ Der zerzauste junge Mann lachte halb fasziniert, halb irritiert auf. „Ich sehe nicht, warum ein kleiner Hack mit einer verbotenen Karte-“ „Es geht nicht darum, was man da sieht. Sondern was man nicht sieht, Nick.“ Aiden stieß sich von seinem Schreibtisch ab und trat langsam an Nick heran. „Du bist in der Vergangenheit einigen Leuten böse auf die Füße getreten. Gib ihnen Angriffsfläche und sie werden nur allzu gerne deine Leichen ausgraben. Ganz zu schweigen davon, was geschieht, wenn jemand aus falschem Stolz die Öffentlichkeit von deinen Aktivitäten in Kenntnis setzt. Hiermit hätten sie den ultimativen Beweis, Schwarz auf Weiß. Einfacher geht es gar nicht. Willst du das?“ Der größere Nick legte den Hals schief, als sein Mentor sich vor ihm aufbaute. Sein zynischer Ton war allen Zweifeln erhaben. „Bedaure, habe gerade nicht ganz zugehört. Hab ich da etwas von Erpressung gehört?“ „Selbstverständlich. Anders würdest du ja nicht freiwillig mit mir reden.“ Nick schnalzte genervt mit der Zunge. „Und was muss ich tun, um die Verbreitung des Videos zu verhindern?“ „Ich sagte bereits“, murmelte Aiden und stieß Nick mit der Faust gegen die Brust, „ich will dich. Ich habe noch eine Stelle zu besetzen und du bist der ideale Mann. Kreativ, kompromisslos-“ „Abgelehnt“, wies Nick ihn eiskalt zurück und schob Aidens Faust beiseite, „eher steige ich mit dem Teufel ins Bett als mit dir.“ Aiden lachte stumm auf und zog seine Hand, die er vorher kurz betrachtete, langsam zurück. „Ich habe nichts anderes erwartet. Scheinbar kannst du dir doch noch ein bisschen Stolz leisten.“   Nick, der sich Aidens Nähe mit einem flinken Seitenschritt entzog, eilte auf die Tür zu. Als er schon die Klinke in der Hand hielt, drehte er sich noch einmal um. „Wenn es um dich geht hat mich die Vergangenheit eines gelehrt. Gib Aiden Reid den kleinen Finger und er benutzt ihn, um einen Regen der Zerstörung auf die Welt niedergehen zu lassen.“ Aiden schloss die Augen und nickte. „Schade. Das letzte Mal, als ich einen deiner Finger genommen habe, hätte beinahe ein Ring dran gesteckt.“ „Das Gespräch ist beendet“, flüsterte Nick unterkühlt, fügte anschließend noch hinzu: „Tu was du willst, meinetwegen fang' einen Krieg mit mir an. Aber den verlierst du.“ Und riss die Tür weit auf. Aiden blieb stumm, drehte sich zum Schreibtisch und klopfte mit dem Fingern nachdenklich darauf herum, als jener junge Mann davon eilte. „Denk an deine Sünden“, sagte er dabei vor sich hin, laut genug, dass Nick es noch vernehmen konnte, bevor die Tür ins Schloss fiel.   Und so verließ Nick schnellstmöglich das Micron Electronics-Gebäude. Froh, seinem Fast-Verlobten zu entkommen. Dem einzigen Menschen neben Anya, dem es jemals gelungen war, ein Gefühl namens Liebe in Nick zu wecken. Und der Mensch, der ihn im Stich gelassen hatte, als er ihn am meisten gebraucht hatte.   -~-~-   „Abby“, flüsterte Nick einige Stunden später in den Hörer, nachdem er sich in seinem Zimmer verbarrikadiert hatte, „ich muss reden.“ „Worum geht es denn?“, hörte er sie besorgt fragen. Der schlaksige junge Mann setzte sich an den Rand seines Bettes, zerrte nervös am Laken. „Du erinnerst dich doch sicher noch an die Zeit im Kindergarten. Anya und ich, ich habe immer versucht, sie durch mein albernes Verhalten zum Lachen zu bringen.“ „J-ja?“ „Es ist alles eine Lüge. Dieser Junge von damals … das war jemand anderes. Ich bin nicht Nick Harper.“     Turn 53 – Never Fall Forever Nick fasst den Mut, Abby von seiner Vergangenheit zu erzählen und eröffnet ihr in diesem Zug Wahrheiten, die niemand je für möglich gehalten hätte. Am nächsten Tag findet ein Treffen zwischen ihm, Aiden und Anya statt, welcher ein besonders für Anya sehr interessantes Angebot unterbreitet. Kurze Zeit später hat diese jedoch ganz andere Sorgen, denn … Kapitel 58: Turn 53 - Never Fall Forever ---------------------------------------- Turn 53 – Never Fall Forever     „W-wie bitte? Oh Nick“, fauchte Abby Masters wütend durch den Hörer, „deine Scherze waren auch schon mal besser! Ich dachte, das gehört jetzt der Vergangenheit an!“ Nicks Stimme zitterte. „Abby, das ist kein Scherz. Ich bin nicht Nick Harper. Nicht … gebürtig.“ Eine Weile schwieg die Chefsirene in all ihrer Strenge. Nick wagte es nicht zu fragen, ob sie noch dran sei. Dann kam die zweifelhafte Erlösung, in ihrer eisigsten Form. „Erkläre.“ „Die komplette Geschichte kann ich dir nicht erzählen, nicht am Telefon. Es ist keine schöne, wie du dir sicher denken wirst.“ „Ist jemand gestorben?“, fragte sie scharf. „Ja. Aber nicht gewaltsam“, brach Nick augenblicklich ein, „es war … ich war … ah … Weißt du, wie man Eltern nennt, die ihre eigenen Kinder nicht erkennen? Die nicht merken, dass ihr Sohn plötzlich anders aussieht, sich anders benimmt. Sehr ähnlich, aber doch nicht wie immer?“ „Worauf willst du hinaus?“ Nick schluckte. „Dass meine … 'Stiefeltern' … nicht wissen, dass ihr richtiger Sohn bereits seit über fünf Jahren tot ist. Und dass sie mich seither für ihn halten, aufgrund unserer Ähnlichkeit.“ Abby schwieg wieder. „Ich weiß, ich hätte es dir früher sagen müssen … euch.“ „Vor fünf Jahren? Als du ziemlich lange im Krankenhaus gelegen hast, weil du in eurem alten Haus warst, als es abgebrannt ist? Das ging doch beinahe ein Jahr, oder? Du wurdest deswegen zurückgestuft, in unseren Jahrgang.“ Abbys Stimme verlor nun auch ihren Halt. „W-willst du mir sagen, dass … dass ab dem Zeitpunkt … du …?“ „Ja. Der echte Nick ist damals in dem Feuer gestorben. Ich war mit ihm zusammen, als es passierte. Keiner wusste es. Dass wir beide an dem Tag im Haus waren. Sie haben mich … für ihn gehalten. Die Brandwunden haben es versteckt.“ Man konnte Abbys Sprachlosigkeit am anderen Ende förmlich greifen. Nick erzählte weiter. „Dank meiner geheimen Einnahmequellen habe ich den Harpers Geld zugespielt, damit sie sich die plastischen Operationen für mich leisten können. Die Ärzte haben mich natürlich zu ihm gemacht.“ „I-Ich versteh gerade gar nichts mehr. Was zum Teufel ist passiert!? Wer bist du!?“ „... Eli … Bauer.“ Nick hörte nur noch einen Piepton. Abby musste in ihrer aufkommenden Fassungslosigkeit kurzerhand aufgelegt haben.   Fünf Minuten später klingelte das Telefon, das neben ihm lag. Nick, der die ganze Zeit wie erstarrt da gesessen und ins Nichts gestarrt hatte, griff mit zitternder Hand den Hörer. „Abby?“ „Du willst mir erzählen, dass du Anyas Bruder bist? Aber sie hat nur einen und der heißt Zachariah!“ „Nein, sie hat zwei“, erwiderte Nick, „einen richtigen. Und einen Halbbruder. C'est moi.“ „Aber- aber-!“ „Kennst du die Geschichte, warum sich Anyas Eltern getrennt haben? C'est moi.“ Nicks Stimme war mittlerweile sehr kratzig geworden. „So trug es sich an einem schönen Mai-Tag zu, dass die holde Misses Stevens den potenten Mr. Bauer traf. Aus ihrer recht kurzweiligen Verbindung entstand ein Bastard, dessen Existenz sein Vater sieben Jahre versuchte zu leugnen, bis Mrs. Bauer dahinter kam.“ „Oh Gott, Nick … ich, ich meine Eli …“ „Nenn' mich Nick um Himmels Willen“, forderte der klamm. „Eli gibt es nicht. Ich bin der Grund, warum Anya unglücklich sein musste. Der echte Nick Harper war tatsächlich nur ein Idiot. Aber er war mein Freund, ich mochte ihn. Er erzählte mir viel von eurer Freundschaft. Als er starb und ich in seine Rolle schlüpfen konnte, da …“ Er schniefte. „War ich ihr endlich mal nahe. Ihre Mutter hatte mir zuvor jeden Kontakt untersagt. Vermutlich auf Drohung von Mr. Bauer hin. Es war eine Fügung des Schicksals, dass Nick und ich uns so ähnlich sahen, auch wenn er zwei Jahre nach mir geboren wurde.“ „Dann bist du schon …?“ „Dreiundzwanzig, ja.“ Abby fand langsam ihre Fassung wieder. „Dann … ich hab das die ganze Zeit falsch verstanden. Ich dachte, du wärst verliebt in Anya. Aber dann ist das ja …“ „Bruderliebe. Oder … Schuldgefühle. Vielleicht was dazwischen.“ „Nick, du brauchst deswegen keine Schuldgefühle zu haben!“ Der großgewachsene junge Mann, dem eine Träne die Wange hinunterlief, lachte bitter auf. „Das hat mir Aiden damals auch gesagt.“ „Wer ist Aiden?“ „Aiden Reid, CEO von Micron Electronics. Der Mann, der mir gezeigt hat, wozu ich mit meinem Hackerwissen wirklich in der Lage bin. Neben dir der einzige Mitwisser. Jemand, der vor anderthalb Jahren um meine Hand angehalten hat. Und neuerdings mein Erpresser.“ Nicks Stimme klang wieder belegt. „Abby. Dieser Mann kann mich zerstören mit all seinem Wissen. Mit einem Knopfdruck. Jetzt ist er zurück aus der Versenkung erschienen und will, dass ich für ihn arbeite.“ Abby klang verwirrt. „U-und was will er von dir?“ „Sicher nichts Gutes. Stell dir Anya in weniger aggressiv, dafür aber absolut skrupellos vor. Dann weißt du, wie Aiden tickt.“ „Ach du scheiße“, entfleuchte es völlig untypisch für Abby. „I-ich versteh langsam gar nichts mehr. Nick, das wird mir zu viel!“ Nick aber hörte sie kaum noch in seiner Panik. „Er hat es mir nie verziehen, dass ich ihn im letzten Moment habe abblitzen lassen. Wahrscheinlich hat er mich die ganze Zeit ausspioniert und durch eine Lappalie einen Grund gefunden, wieder Kontakt aufzunehmen.“ „I-ich nehme nicht an, dass Anya weiß, dass sie noch einen zweiten Bruder hat?“ „Nein. Und wenn sie es erfährt, dann weiß ich nicht, was sie tun wird.“ Nick wischte sich die Träne ab. „Stell dir vor, was passiert, wenn Aiden sie aufklärt …“ Abby musste plötzlich auflachen. „Dann wäre das Problem wenigstens gelöst, denn das Erste, was Anya brauchen wird, ist ein Sündenbock. Wenn sie ihm überhaupt glaubt.“ Nick grinste nun auch. Wie ungemein erheiternd so ein kleines bisschen Galgenhumor sein konnte, besonders wenn er von Abby kam. „Also bleibt das hier erstmal unter uns?“, fragte diese dann wieder ernst. „Ich bitte darum. Ich … als ich ihn, Aiden, heute gesehen habe, da ist alles wieder hochgekommen. Alles, was ich dachte überstanden zu haben.“ Abby seufzte. „Nick, du bist der größte Lügner auf diesem Planeten. Aber ich verstehe dich. Es muss schrecklich gewesen sein, all das die ganzen Jahre mit sich herum zu tragen. Und wenn ich ehrlich bin, komischerweise bist du mir auch erst seit fünf Jahren einigermaßen sympathisch.“ Nick beugte sich lächelnd nach vorne. „Wie ich sagte, das Original war wirklich nur ein Hohlschädel, den ich über euch ausgefragt habe. Es ist tragisch, was mit ihm geschehen ist.“ „Aber eins muss ich noch wissen.“ Nun klang Abby wieder nervös. „Das Feuer von damals … euer Haus. Also Nicks Haus, das alte Harper-Haus. War das wirklich nur ein Unfall?“ „Ja.“ „O-okay, sorry, dass ich gefragt habe.“ „Das ist dein gutes Recht.“ Nick schloss die Augen. „Wo hast du dann vorher gelebt, als du noch nicht Nick warst? I-ich weiß gar nicht, was ich dich zuerst fragen soll.“ Er öffnete sie wieder. „Das ist eine lange Geschichte. Ein anderes Mal vielleicht.“ „Ist mir nur recht. Puh … das muss ich erstmal verdauen.“ „Es tut mir leid, Abby. Vielen Dank, dass du mir zugehört und … und mich nicht sofort verurteilt hast. Das bedeutet mir sehr viel.“ Abby sagte leise: „Ich tue was ich kann. Weil ich daran glaube, dass du ein guter Mensch bist, dem nur … sehr viel Schlechtes widerfahren ist.“ „Danke, Abby. Dann … gute Nacht. Ich werde mir überlegen, was ich wegen Aiden unternehme. Sei dir sicher, dass er mich nicht davon abhalten wird, Anya zu retten.“ „Ich glaube an dich. Wenn einer das alles kann, dann du. Dir auch eine gute Nacht, Nick.“   Nick legte auf. Dann holte er das Handy aus seiner Tasche hervor und las noch einmal die Nachricht, die er auf dem Nachhauseweg erhalten hatte.   „Eli,   ich habe eben ein nettes Telefonat mit deiner Schwester geführt. So sehr das eben geht. Aber schön, dass sie bei dir wohnt, so hast du sie immer im Auge. Ich habe sie mir von deinen Beschreibungen her anders vorgestellt. Du wirst überrascht sein zu hören, dass ich morgen um 13 Uhr mit ihr zum Lunch verabredet bin. Du kannst uns gerne besuchen, wir sind im Trahison Culinaire.   Grüße, Aiden“   Nicks Hand zitterte, als er die Zeilen wieder und wieder las. Wie um Himmels Willen hatte er Anya dazu gebracht mit ihm Essen zu gehen!? Und was bezweckte er damit!? Eins stand fest. Wenn er Aiden darin aufhalten wollte, sein Leben und womöglich auch das von Anya und Gott allein wusste wem noch zu ruinieren, dann brauchte er Unterstützung. Und wenn es überhaupt jemanden gab, der seinem ehemaligen Geliebten die Stirn bieten konnte, dann Abigail 'The Justice' Masters … aber bevor er sie dazu benutzte, würde er selbst sein Möglichstes tun!   -~-~-   Zu dritt saßen sie am nächsten Morgen vor dem Fernseher im Wohnzimmer der Familie Harper. Anya in der Mitte, links neben ihr Matt, rechts Zanthe. Sie verfolgten eine Krankenhausserie, an der sich besonders der Kopftuchträger mit dem schwarzen Haar erfreute, seit er letzte Nacht die Wiederholung der vorherigen Episode gesehen hatte. So meinte er: „Eigentlich ist das cool, so zusammen auf der Couch zu sitzen.“ „Hmm“, erwiderte Anya desinteressiert, die ihre Arme verschränkt hielt. Matt rieb sich über die rechte Gesichtshälfte. Seine halb geschlossenen Augen, die tiefen Falten auf seiner Stirn, der abwesende Blick, sie alle sprachen Bände. „Sicher …“ „Nein, ernsthaft“, plapperte Zanthe weiter, „ich hab ganz vergessen, wie es ist, unter Leuten zu sein. Wir sollten öfter etwas zusammen machen.“ „Hmm.“ Derselbe, monotone Tonfall von Anya. Diesmal antwortete Matt sogar gar nicht.   Was Zanthe dazu brachte, sich den beiden zuzuwenden und sie verärgert anzustarren. „Okay, offenbar ist es euch egal, dass ich euch gerade mein Herz öffne. Wenn ihr mir jetzt noch sagen würdet, was ich ausgefressen habe?“ Die junge 'Dame' in der Mitte schnalzte genervt mit der Zunge. „Haben wir behauptet, dass das was mit dir zu tun hat, Flohpelz?“ „Ich habe den ganzen Tag und die halbe Nacht über telefoniert, um diese Edna ausfindig zu machen“, erklärte Matt ebenfalls gereizt, „ohne wirklich Erfolg gehabt zu haben. Sorry, wenn ich gerade etwas unempfänglich bin für Sentimentalitäten …“ „Ach, und was genau -hast- du herausgefunden?“, hakte Zanthe beleidigt nach. „Mit wem Anya gestern telefoniert hat vielleicht? Denn -das- würde mich auch mal interessieren.“ Die reckte den Kopf zur Seite, fixierte ihren Freund mit dem berüchtigten Todesblick. „Geht dich'n Feuchten an! Frag erst gar nicht, 'kay?“ „Hat es etwas damit zu tun, dass Nick erst ziemlich spät nachhause gekommen ist? Habt ihr euch gestritten?“, ließ Zanthe nicht locker. Ohne Vorwarnung stieß Anya ihren Ellbogen in seine Seite. „Frag nicht!“   Der Dritte im Bunde verdrehte kopfschüttelnd die Augen. „Mit wem Anya telefoniert hat weiß ich nicht. Was ich weiß ist, dass Edna und ihr Freund in der Dämonenjägerszene recht unbekannt sind. Lange dabei sind sie jedenfalls nicht, vielleicht ein oder zwei Jahre. Kaum einer meiner Bekannten kannte überhaupt ihre Namen.“ „Für Noobs waren die eindeutig zu gut ausgerüstet“, widersprach die Blonde umgehend, ohne wirklich zu wissen, was überhaupt zum Equipment eines Dämonenjägers gehörte. Zanthe richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Serie, die vor ihnen flimmerte. „Das sagt nicht viel aus.“ „Nein, sie hat schon Recht. Es dauert Jahre, überhaupt zu lernen, wie man als Mensch Zauber webt und darüber hinaus haltbar macht“, erklärte Matt, „mal abgesehen davon waren ihre Methoden ziemlich ungewöhnlich. Womöglich haben sie sich erst gründlich vorbereitet, ehe sie dieses Leben gewählt haben.“ „Und was weißt du noch über sie?“, wollte Anya wissen. „Nur, dass sie es tunlichst meiden, mit anderen Dämonenjägern zusammenzuarbeiten.“ Zanthe zuckte mit den Schultern. „Ist das so ungewöhnlich?“ „Eigentlich nicht. Aber je nach Auftrag lässt es sich manchmal nicht vermeiden. Auch ich und Alastair haben schon mit anderen Dämonenjägern zusammengearbeitet.“ Matt beugte sich vor, faltete die Hände ineinander. „So eine Verbindung funktioniert natürlich nicht immer, aber wenn doch, können die Parteien viel voneinander lernen. Aber egal. Diese beiden haben jedenfalls nichts erreicht, das ihnen einen Namen verschafft hat.“ „Das heißt aber nicht automatisch, dass sie kleine Fische sind.“ Auf Zanthes Einwand hin nickte Matt. „Nein … sie verwischen ihre Spuren sehr gut und das macht mir Sorgen. Ich möchte nicht wissen, wie Valeries Hochzeit noch hätte enden können. Aber zumindest wissen wir dadurch, dass auch sie Fehler machen.“ „Ja“, raunte Anya, „den, sich mit mir anlegen zu wollen.“ „Ruf sie doch einfach hierher mit deinem Zauberbuch“, schlug Zanthe vor, korrigierte sich dann aber, „wobei, nein, die würden sicher nie auf deinen Ruf antworten.“ „Wenn ich das Grimoire hier hätte, würde ich es auf einen Versuch ankommen lassen“, antwortete Matt, „aber ich habe es bei Alastair gelassen. Wie du sagtest, es würde uns ohnehin nichts nützen.“   Sich wieder zurücklehnend, seufzte Matt resignierend. „Wie es aussieht, tappen wir zurzeit ein wenig im Dunkeln, was die beiden angeht.“ „Vielleicht kann Anya wenigstens für etwas Licht sorgen, indem sie uns sagt, mit wem sie da gestern telefoniert hat“, versuchte Zanthe erneut, seine immense Neugierde zu befriedigen. Anya ruckte demonstrativ den Kopf zur Seite, von ihm weg. „Komm schon, sei keine Memme. War es der Zwerg? Hat er dich abblitzen lassen? Sei ehrlich, als du gestern zurückgekommen bist, hast du jede einzelne Blume im Garten von Mrs. Harper zertreten.“ Zanthe beugte sich verschwörerisch zu ihr herüber. „Wenn du mir sagst, was passiert ist, werde ich sie anlügen und behaupten, Nick sei es gewesen.“ „Hmpf!“ „Oder war es etwa schon ein neuer Lover? Sei ehrlich, du hast doch bestimmt mehrere Feuer im Ofen. Ich mein, da wäre der gute Matt hier …“ Der schreckte sofort auf, bekam in rasender Geschwindigkeit eine ganz neue Gesichtsfarbe. „W-wie bitte!?“ „… dann wäre da noch Nick, der dir ja nur so hinterher lechzt. Und was sich liebt, das neckt sich, also ist der Zwerg sicher auch ganz hoch oben im Kurs. Die Stimme war auf jeden Fall männlich, und ich möchte sagen, ich kannte sie nicht. Also, wer ist Nummer Vier?“ „Das hast du gehört!? Du warst doch gar nicht im selben Zimmer!“, staunte Anya mit offener Kauleiste. Zanthe grinste schelmisch. „Da staunste, was?“ „Tch, okay, ich sag's dir! Aber nur, wenn du aufhörst, solchen Mist zu erzählen! Ich stehe weder auf Summers, noch auf Harper und schon gar nicht auf den Kleinwüchsigen!“ „Gottseisgedankt …“, nuschelte der Erstgenannte leise in seinen nicht vorhandenen Bart und sank noch tiefer in das Sofa, sodass er schon fast wegrutschte. „Okay. Also?“   Bevor sie zu erzählen begann, machte Anya zunächst eine langgestreckte Kunstpause. „Irgendein Firmenboss. Will mich heute zum Mittagessen treffen, weil er nach einem neuen Gesicht für irgendeine Werbekampagne sucht. Ehrlich gesagt hab' ich kaum zugehört, war mit den Gedanken woanders. Aber scheinbar hat sich 'rumgesprochen, wer hier in Livington das Sagen hat. Kannte mich ziemlich gut, der Spinner.“ Zanthe zog die Augenbrauen hoch. „Und, gehst du hin?“ „Vielleicht. Hab heute eh nix Besseres zu tun. Nick ist nicht da. Keine Ahnung, wo der sich 'rumtreibt, hat mich gestern mitten im Duell sitzen lassen und glänzt seither durch Abwesenheit. Ohne ihn wäre es sinnlos, Recherchen anzustellen. Wenn Matt nix herausfinden kann, dann bleibt uns nur noch der Spinner.“ „Na ja okay. Aber ist das eine gute Idee, da hin zu gehen? Auch auf die Gefahr hin, dass du mal wieder schön verarscht wirst?“, fragte Zanthe und begann zu kichern. „Ich meine, für was sollst du bitteschön werben? Mobbing-Hotlines?“ Anya zuckte mit den Schultern. „Mir egal, mir geht’s nur um das Essen. Ist so ein ganz teurer Laden.“ Was ihre beiden Freunde dazu brachte, in lautstarkes Gelächter auszubrechen. „Was denn!?“, fauchte Anya. „Wenn der mich verarscht, prügel' ich den solange durch, bis man mit ihm einen Kuchen backen kann! Den Bloody Sunday, 'ne Eigenmarke von mir.“ „Klingt eher nach 'nem Cocktail“, scherzte Zanthe, „man sollte seine Rezepte des Terrors schon auswendig kennen. Aber im Ernst, bist du kein bisschen misstrauisch?“ „Wie gesagt, wenn er mich verarscht, spendiere ich ihm ein One-Way-Ticket direkt in seinen eigenen Anus.“ Anya beugte sich vor, sah Zanthe von der Seite an. „Tut er es nicht, könnte er noch nützlich für mich werden. Nick fällt dazu sicher was ein.“ Der Schwarzhaarige verzog den Mund. „Denkst du auch mal mit deinem eigenen Kopf?“ „Mein eigener Kopf sagt mir, dass ich mich jetzt fertig machen muss“, zischte Anya zurück, „und wenn du es unbedingt wissen willst: Nein, manipulative Machenschaften sind Nicks Revier.“ Die Hände von den Oberschenkeln abstützend, richtete sich das Mädchen langsam auf, drehte sich um und sah die beiden Jungs der Reihe nach an. „Ich muss mal schnell nachhause, hab nicht die passenden Klamotten hier. Will ja nach was aussehen.“ „Schlägerbraut?“, gluckste Zanthe und lehnte sich zurück. „Schlägerbraut“, bestätigte Anya ihm mit diabolischem Lächeln. „Was steht bei euch heute auf dem Programm?“ „Wir sind auch verabredet“, meldete sich Matt auch mal wieder zu Wort, allerdings alles andere als euphorisch, „mit Nicks Mutter. Ein Stadtbummel. Zanthes Idee, bevor du fragst …“ Anya sah den Werwolf überrascht an. „Was hat dich denn geritten?“ „Ich dachte, sie könnte ein wenig Gesellschaft vertragen.“ Zanthe grinste vergnügt. Allerdings wurde sein Tonfall bedrückter, als er erklärte: „Weißt du, ihr Mann ist ein Idiot, etwas, das er eindeutig an seinen hochtalentierten Sohn weitervererbt hat. Keiner der beiden kümmert sich wirklich um sie. Da dacht' ich mir, hey, mache ich ihr doch eine kleine Freude. Und da Matt mir ohnehin noch einen Gefallen schuldete …“ Sichtlich erstaunt verschränkte Anya die Arme. „'kay, du wirst mir gerade richtig unheimlich.“ „Das, was er da hat, nennt man Empathie“, brummte Matt, „und nein, das ist keine ansteckende Krankheit. Was du wissen würdest, wenn du das schon mal gefühlt hättest.“ „Hast du von meiner Schlechte Laune-Frucht genascht, Summers!?“ Das Mädchen schnaufte und schüttelte sichtlich genervt den Kopf. „Tch, was auch immer, ich bin sozusagen weg … viel Spaß oder was auch immer.“ Wütend stampfte sie um das Sofa herum zur Haustür, wobei Zanthe ihr noch hinterher rief: „Er ist sauer, weil du ihm einen Korb gegeben hast!“ Noch während Anya die Tür hinter sich zuschlug, schickte sie dem verhassten Flohzirkus per eindeutiger Fingergestik übelwollende Grüße. Als sie außer Reichweite war, atmete Matt lautstark auf. „Ich weiß nicht, wie lange ich diese Fassade noch aufrecht erhalten kann.“ „Du musst es ihr sagen“, riet ihm Zanthe besserwisserisch, „je länger du es hinausschiebst, desto schlimmer wird es, wenn die Wahrheit ans Licht kommt. Und das wird sie.“ Matt stand ruckartig auf, sah mit hasserfüllter Miene den anderen jungen Mann an. „Mit jemandem wie Nick in ihrem Umfeld ganz bestimmt …“   -~-~-   Anya sah sich in dem französischen Restaurant um. Und verspürte sofort den Drang, möglichst schnell das Weite zu suchen. In ihrer gewohnt düsteren Kleidung sah sie im direkten Vergleich mit dem eigentlichen Klientel des Edelrestaurants wie das sprichwörtliche schwarze Schaf aus. Nicht, dass sie das störte. Es war nur, dass jeder dieser Sesselfurzer hier mit Besteck zu essen schien, das mehr wert war als Anyas ganze Zimmereinrichtung. Was sie zu der Frage brachte, was ein elitärer Firmenboss, der ja ganz offensichtlich jener höheren Schicht angehörte, von ihr wollen könnte.   An der Garderobe am Eingang ihre geflickte Lederjacke abgebend, ließ sie sich von einem Kellner zum Tisch geleiten. „Oh, Miss Bauer“, hörte sie da schon die Stimme des Mannes, die sie vorher nur am Telefon gehört hatte. „Wie schön, dass Sie meiner Einladung doch noch gefolgt sind.“ Aiden kam ihr entgegen, in feiner schwarzer Hose mit dazu passendem Sakko. Er reichte ihr die Hand, als wolle er sie zum Tanzen auffordern. „Ja, schon kapiert, ich bin zu spät!“, nölte Anya, ließ ihn eiskalt stehen und setzte sich an den viel zu kleinen, runden Tisch. Aber vermutlich waren die Teller auch darauf abgerichtet, denn solche Nobelschuppen waren eh nur was für Magermodels und soziale Auslaufmodelle. Und wehe, der Fraß hier schmeckte nicht! Der CEO von Micron Electronics zog sich das Sakko aus, ließ es von einem Kellner zur Garderobe bringen und setzte sich Anya gegenüber. Die starrte ihn mit einem derart übelgelaunten Blick an, dass es selbst ihm für einen Moment die Sprache verschlug. Was bei Aiden Reid äußerst selten der Fall war. „Also wie gesagt, danke, dass Sie hier sind.“ „Dürft ich auch erfahren, warum ich hier mit dir Froschschenkel mampfen soll, Milchbubi?“ „Temperamentvoll. Gefällt mir“, versuchte er ihr zu schmeicheln und strich sich dabei mit den Fingerspitzen nachdenklichen Blickes über die Stirn. Fataler Fehler, dachte sich Anya bereits mit diebischer Zufriedenheit. Er hatte ihr gerade Tür und Angel geöffnet, ihn nach allen Regeln der Kunst zu beleidigen. Zumindest war das ihre Auffassung seiner Worte. „Oh ja, Froschschenkel, mhmmm …“ Die beiden sahen überrascht auf, als unvermittelt Nick sich einfach einen Stuhl von einem der anderen Tische schnappte und sich heran setzte. Gekleidet in einen feinen, rot-blau karierten Designeranzug. Ein echter Hingucker. „Was willst du denn hier, Harper?“ Nick lehnte sich mit dem Ellbogen auf den Tisch, legte die Hand provokativ gelangweilt an die Wange und sah herüber zu Aiden, dem nun schon zum zweiten Mal an einem Tag die Worte fehlten. „Das würde ich auch gerne wissen. Aber das musst du Milchbubi fragen, nicht mich.“   Aiden nahm eine von drei Gabeln auf seinem Tisch und begann, sie in mit seinen Fingern zu drehen. Dabei sah er bewusst nur Nick an. „Gut, dann kommen wir gleich zum Geschäftlichen. Mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie am Legacy Cup teilnehmen wollen, Miss Bauer.“ „... huh?“ „Ja, das wird sie“, bestätigte Nick knapp. „Und? Gibt es ein Problem?“ „Meine Firma, Micron Electronics, sucht noch nach einem Repräsentanten. Und wer wäre da besser geeignet als jemand aus Livington, wo sich der Hauptsitz von ME befindet?“ „Du willst also, dass Anya dein Logo trägt, während sie am Turnier teilnimmt?“ Nick klang alles andere als begeistert. Und Anya wusste gar nicht, worum es ging. „Legacy Cup?“ „Später, Anya“, wiegelte Nick sie ab. „Und die Gegenleistung, Mr. Reid?“ „Abhängig vom Erfolg von Miss Bauer“, erwiderte er und sah herüber zu Anya, „kann ich mir vorstellen, neben dem eigentlichen Preisgeld eine großzügige Wiedergutmachung für die entstandenen Umstände auszuzahlen. Ich war so frei und habe bereits einen Vertrag aufsetzen lassen, in dem alles dazu geschrieben steht.“ „Bedauere, wir sind nicht interessiert“, gab Nick eiskalt zu verstehen. Anya aber war sehr wohl interessiert. Und eine Anya Bauer musste nicht wissen, worum es ging, wenn am Horizont die Scheinchen winkten. „Wie viel?“ „Im Falle eines Titels eine Million“, antwortete Aiden mit einem geschäftsmännischen Lächeln auf den Lippen. „Wo muss ich unterschreiben!?“, schrie Anya förmlich und beugte sich derart vor, dass es Nick ein Leichtes war, sie schnell wieder auf den Stuhl der Realität zu stoßen. „Anya, nein! Glaub mir, das ist keine gute Idee.“ Eine imaginäre Zielscheibe erschien auf Nicks Stirn, die Anya mit ihrem Todesblick augenblicklich versuchte zu durchbohren. „Alter, Harper, hast du deine eigene Wichse in den Ohren? Eine Million!“ „Im Falle eines Titels“, wies Aiden sie auf das Kleingedruckte hin. „Pft, das Ding gewinn' ich locker. Harper, eine Million!“ Nick hielt ihrem Blick stand. „Wenn du auf Blutgeld stehst, klar, warum nicht? Ist ja nicht das erste Mal, dass du deine Seele verkaufst.“ Getroffen, verstummte Anya sofort mit großen Augen. „Nick war schon immer ein Scherzkeks“, lachte Aiden amüsiert, „mein Vertrag ist sehr fair. Mir geht es in erster Linie darum, meine Firma bekannter zu machen.“ „Indem du die Konkurrenz als Werbeplattform benutzt?“ Nick drehte sich zu Aiden und lächelte plötzlich bitterböse. „Wie überaus gerissen.“   Der brünette Mann beugte sich zu Nick vor, so nah, dass man meinen könnte – würde man den Hass der einen Seite außen vor lassen – dass sie sich jeden Moment küssten. „Mir scheint, du weißt bereits von meiner Partnerschaft mit der AFC.“ Nick legte den Kopf hin zur Seite, demonstrativ von Aiden weg und schnalzte genüsslich mit der Zunge. „Oh, ich wusste nicht, dass das bisher nur intern bekannt war. Die AFC und Micron Electronics schließen sich zusammen, um unter Benjamin Henry Ford ein Konkurrenzprodukt für Duel Monsters zu entwerfen.“ Nun drehte sich Nick wieder zu Aiden. „Wie erzürnt Industrial Illusions sein muss, wenn sie davon erfahren. Was dann wohl passieren würde? Gar nicht auszudenken. Ein Verlust der Markenrechte an Duel Monsters könnte im Schlimmstfall zum Ruin der AFC führen. Denn wir alle wissen ja, dass sie außer Duel Monsters in der Vergangenheit nicht viel richtig gemacht haben.“ „Das zu ändern ist meine Aufgabe als Geschäftspartner“, erklärte Aiden, „ich hoffe, ich kann auf deine und Miss Bauers Unterstützung zählen.“ „Dazu müsstest du erstmal die Investoren davon überzeugen, dass etwas Werbung für deine Firma im Turnier sinnvoll erscheint“, erwiderte Nick majestätisch, „und dann noch mit Anya.“ „Darum musst du dir keine Sorgen machen“, versicherte Aiden ihm selbstbewusst. „Das habe ich bereits.“ Anya indes bemerkte gar nichts von dem Kleinkrieg der beiden, der nur so von den Drohungen triefte, die sie um einiges einfacher auszudrücken vermochte. Die Blonde hatte nur eins vor Augen, dass sie vergessen ließ, Nicks Verbindung zu diesem Aiden und überhaupt seine reine Anwesenheit zu hinterfragen. Eins Punkt null null null Punkt null null null. Und dafür hatte sie nur ein beklopptes Turnier zu gewinnen? Wie geil war das bitte? „Hoffen wir, dass diese Details nicht durchdringen, solange das Produkt noch in Planung ist“, lamentierte Nick, als wäre er ernsthaft um Aidens Erfolg besorgt. „Der Image-Schaden wäre zweifelsohne beträchtlich. Für beide Firmen. Man würde hinterfragen, mit welchen Geldern das alles finanziert wird.“ „Ich bin mir sicher, außer dir weiß kein Außenstehender davon. Und ich bin mir sicher, dass du mit diesem Wissen sehr vertraulich umgehen wirst“, sagte Aiden zuversichtlich und nahm das Glas Wein, das er sich zwischenzeitlich bestellt hatte. Lächelnd hob er es an, obschon seine beiden 'Geschäftspartner' nichts zu Trinken bestellt hatten. „Zum Wohl.“ „Zum Wohl“, erwiderte Nick freundlich und doch so heimtückisch zugleich.   Und so speisten sie in stiller Feindseligkeit. Anya verfolgte nur mäßig interessiert, wie der unterschwellige Schlagabtausch nach der Vorspeise, leckeren Canapé, in die nächste Runde ging. Jener setzte sich auch über Hauptgang und Nachtisch hinweg fort, redeten die beiden ununterbrochen in dieser seltsamen Sprache, die dem Mädchen völlig fremd war. Schließlich wurde es ihr aber zu viel, nämlich als Nick seine alte Freindin Nina Placatelli mit ins Boot zu holen drohte. „Okay, keine Ahnung wie ihr das seht, aber ich bin voll“, murrte sie und lehnte sich zurück, gab sogar ein lautstarkes Bäuerchen zum Besten. „Kann ich jetzt gehen?“ Aiden zog überrascht die Augenbraue hoch. „Interessantes Mädchen. Sag Anya, hast du eigentlich Geschwister?“ Sofort verkrampfte Nick, während Aiden eine vorbeigehende Kellnerin um die Rechnung bat. „Nur einen Bruder, aber das ist ein Spacko der Sonderklasse“, brummte sie, „kann ich jetzt den Vertrag unterschreiben und die Kohle haben?“ Den Kopf leicht zur Seite nickend, schmunzelte der CEO von Micron Electronics. „Das überrascht mich. Wie schön, dass du dich so schnell entschieden hast, mit uns zusammenzuarbeiten.“ „Du hast dich verhört, sie überlegt noch“, ging der größte der Drei sofort wieder missbilligend dazwischen. „Ein bisschen hat das noch Zeit. Nicht wahr, Anya?“ „Hat es, Harper? Seh' ich anders!“ „Siehst du nicht“, zischte er nun äußerst verärgert. Aiden zahlte nebenbei und gab dazu ein äußerst großzügiges Trinkgeld, während er amüsiert verfolgte, wie die beiden sich anfingen zu streiten. Schließlich erhoben sie sich. Nick nahm all seinen Mut zusammen, indem er den Arm um Anyas Schulter legte und sie fester an sich drückte, während sie zu dritt zur Garderobe schlenderten, wo Anya und Aiden ihre Jacken abgegeben hatten.   Als die Dame am Tresen ihnen die guten Stücke reichte, schulterte Aiden das seine und reichte Anya die Hand. „Ich verstehe es, wenn du erst überlegen musst. Daher bekommst du eine Kopie des Vertrages mit der Post zugeschickt, dann kannst du dich in Ruhe damit auseinandersetzen. Immerhin birgt ein Vertrag auch Pflichten, aber das weißt du sicher.“ Wusste sie nicht, wollte Nick am liebsten losschreien, denn genau das wusste sein ehemaliger Geliebter nur allzu gut. Weswegen sonst wäre es so leicht für ihn, Anya ausnutzen? Instinktiv presste er sie noch fester an sich. Die blickte die Hand nur an, ohne sie zu nehmen. „Was auch immer. Eins will ich aber wissen.“ „Nur zu, frag“, bot Aiden mit einem freundlichen Lächeln an. „Eigentlich sind es zwei Fragen. Erstens: Warum ich?“ „Durch meine Geschäftsbeziehungen mit der AFC bin ich imstande, die Duellstatistiken der Spieler dieser Region auszuwerten. Und du warst erstaunlich weit vorne mit dabei.“ Anya kräuselte die Stirn. „Wie weit genau?“ „Das darf ich nicht sagen, aber ziemlich weit. Die, die vor dir waren, sind … langweilig.“ Aiden lächelte. „Ich suche nach jemandem mit Ecken und Kanten. Wenn du dir die Pro-Szene ansiehst, wirst du so etwas kaum finden, zumindest nicht ohne Skandal als Anhang, der die Karriere binnen weniger Wochen völlig ruiniert.“ Er hielt ihr die Hand immer noch hin. „Sie sind Marionetten, nichts weiter. Sagen sie etwas Kontroverses, dauert es keine 24 Stunden, ehe eine geheuchelte Entschuldigung folgt. Du bist echt und das ist etwas, was sicherlich viele schätzen würden.“ Nick, der immer noch Anya gegen ihren Willen an sich gedrückt hielt, verzog keine Miene. „Und woher willst du das beurteilen können?“ „Ich sehe es einfach“, erwiderte er selbstsicher, zog letztlich aber seine Hand zurück. „Nun, ich muss mich von euch verabschieden, habe noch einige wichtige Termine. Denk über mein Angebot nach. Wir hören voneinander.“ Zusammen traten sie zum Ausgang des Restaurants. Sich verabschiedend, trat Aiden aus der Tür und wurde prompt von einer schwarzen Limousine empfangen, in die er einstieg. Dabei warf er Nick ein letztes Lächeln zu, ehe er die Tür hinter sich zuschlug und verschwand. Auch die beiden verließen den teuren Laden.   „Nick“, schoss es aus Anya, nachdem er sie losgelassen und beide nur einen Schritt an die frische Luft getan hatten, „Turnier? Warum weiß ich nichts davon?“ Nick, der die Führung übernahm und nur so über den Bürgersteig flog, drehte sich nicht einmal zu ihr um. „Weil es noch recht neu ist. Der Legacy Cup ist die einzige Chance für dich, um an Claire Rosenburg heranzukommen. Eine der Zielpersonen. Ich bin derzeit im Begriff, dich dort einzuschleusen. Auf meine Weise.“ „Wow“, staunte die Blondine und holte zu ihm auf, „danke, denk ich. Aber die Arbeit kannst du dir sparen. Ich mein, eine fucking Million, um dann noch meine Mission zu erfüllen? So gefällt mir das.“ „Freu' dich lieber nicht zu früh. Dieses Turnier ist eigentlich eine Privatveranstaltung für aufstrebende Duellanten.“ Nick blieb abrupt stehen und wirbelte zu ihr um. „Dass du auf normalem Wege eine Einladung dazu erhältst ist in etwa so realistisch wie die guten Absichten unseres vermeintlichen Geschäftspartners. Du solltest nicht auf das Angebot eingehen, Anya. Der Vertrag wird nur so von Fallen gespickt sein. Lass mich das regeln! Es gibt dutzende Gründe, sein Angebot nicht anzunehmen.“ „Und es gibt eine Million Gründe, es sehr wohl anzunehmen! Sieh's ein, ich bin zahlenmäßig im Vorteil!“ Er packte sie eindringlich am Arm, weil er schon genau sah, wie sie aus Trotz aufhörte ihn wahrzunehmen. „Der Mann ist schlimmer als jeder Dämon, mit dem du es bisher zu tun hattest. Entscheide dich nicht für ihn, ich bitte dich!“ „Was mich zu Frage zwei bringt, die ich nun dir stelle: Warum zur Hölle hasst du ihn so!?“ Dabei befreite sie sich mit einem Ruck aus seinem Griff. „Weil er genau das ist, was du an den Menschen verabscheust“, konterte Nick verbittert. Anya gluckste. „Er ist ein Mensch, schon klar. Aber ein reicher. Und er hat sein Geld wenigstens wirklich verdient.“ Unvermittelt getroffen von dieser unbedachten Äußerung ließ Nick den noch nach ihr ausgestreckten Arm sinken. Dann breitete er ihn und sein Gegenstück im Anflug eines Wutanfalls weit aus. „Weißt du was? Fein! Wenn es das ist, was du willst, werde ich dir nicht im Wege stehen! Aber sage später nicht, ich hätte dich nicht gewarnt!“   Anya rief ihm noch etwas hinterher, was weniger wie eine Entschuldigung, denn mehr als eine fiese Beleidigung klang, als Nick die Flucht ergriff. Das Rauschen seines Bluts in den Ohren ließ ihn dafür jedoch taub werden. Wie konnte sie nur so verblendet sein!? Sah sie denn nicht, dass die ganze Geschichte von hinten bis vorne erstunken und erlogen war!? Anya war nicht einmal ansatzweise so hoch im Ranking der AFC positioniert wie Aiden behauptete! Aber wenn sie der Meinung war, sich mal wieder unnötig ins Verderben stürzen zu müssen, dann würde er dafür sorgen, dass jemand anderes vor ihr stürzen würde. „Ich werde dich vernichten, Aiden“, zischte er hasserfüllt, „zähl' schon mal die Stunden …“   Derweil stand Anya vor einem Blumengeschäft auf verlorenem Posten. Sie blickte herüber zu den Körben, in denen sich die farbenprächtigsten Pflanzen befanden, die sie jemals gesehen hatte. Ja, dachte sie, danke für die Blumen … Was war denn nun in ihn gefahren? Wenn er ihr wenigstens erklären würde, woher er diesen Typen kannte und weshalb dieser Aiden Reid offenbar seine persönliche Valerie Redfield war! „Idiot!“, schrie Anya dem sich längst außer Reichweite befindenden Nick frustriert hinterher. „Wehe, der entschuldigt sich nicht bei mir …!“ Sie begann langsam in dieselbe Richtung zu laufen wie er. Heute war echt der Wurm drin. Erst Matt, jetzt auch noch Nick! Und wetten, wenn sie Abby anrief und ihr von alldem erzählte, würde die am Ende ebenfalls auf ihr herumhacken? Keinem konnte man es recht machen. Nicht, dass sie sich diesbezüglich Mühe gab, aber langsam bekam sie den Eindruck, im Vergleich zu ihren launischen Freunden regelrecht harmlos zu sein. Es war frustrierend! Wütend trat sie einen Stein vor sich her, während sie den Bürgersteig entlang schlenderte. Noch vor einigen Monaten wäre ihr das alles egal gewesen, sollte doch jeder tun und lassen was er wollte. Diese Anya war sie jedoch nicht mehr, wie sie sich eingestehen musste. Und sie wusste nicht, ob sie das gut oder schlecht finden sollte. Denn eins stand fest: Damals war alles viel einfacher gewesen.   Es passierte so plötzlich, dass Anya nach Luft schnappte. Ohne Vorwarnung durchzog ein heftiger, ziehender Schmerz ihren ganzen Torso. Das Mädchen kippte beinahe vorneüber und presste ihre rechte Hand auf die Brust, in der es regelrecht zu pulsieren schien. „Nicht jetzt!“, ächzte sie. War das ein Wink des Sammlers, dass ihre Zeit zunehmend knapper bemessen war? Egal, es sollte aufhören. „Hgn!“ Es war, als würde ein Sturm in ihrem Inneren wüten und ihre Organe mitreißen. Anya war hart im Nehmen, doch selbst sie konnte dieses Mal nicht an sich halten und ächzte jämmerlich, während sie in die Knie sackte. Selbst das Atmen fiel ihr zunehmend schwerer, schmerzte jeder noch so kleine Zug nach Luft unsäglich in ihrer Brust. „Scheiße …!“ Warum ging es nicht weg!? Im Gegenteil, es wurde immer schlimmer. Ihr wurde heiß, dann eisig kalt, während sich ihre Gedärme munter zusammenzogen, um eine Rave-Party zu feiern. „Fuck …“ Kleine schwarze Punkte bildeten sich vor ihren Augen, während sie auf die grauen Pflastersteine des Bürgersteigs starrte.   Unvermittelt aber wurde Anyas Wunsch erhört. Der Druck in ihrem Inneren schwand langsam, doch sie wagte es nicht, richtig durchzuatmen. Zu groß war die Angst, damit einen erneuten Anfall auszulösen. Nie hatte sie etwas so Schönes verspürt wie dieses Gefühl des schwindenden Schmerzes. Das Mädchen stützte sich mit beiden Händen vom Boden ab, durchnässt vom Schweiß, der ihr zwischenzeitlich ausgebrochen war. „Brauchst du einen Krankenwagen!?“ „Hast du einen Herzinfarkt!?“ Das junge Pärchen, welches geradewegs mit besorgten Mienen auf sie zu eilte, wies sie scharf zurecht: „Was glotzt ihr so!? Haut ab, bin nur gestolpert!“ Allerdings ließ sich der junge Mann, den Anya nur verschwommen wahrnahm, nicht so leicht abwimmeln. „Du siehst aber nicht gut aus.“ „Verpisst euch!“ „O-okay“, stammelte die junge Frau, „wir wollten doch nur helfen.“ Ihr Freund fand da eindeutigere Worte. „Wenn du meinst … blöde Kuh!“ Sie schritten an ihr vorbei, nicht ohne sie dabei im Weggehen noch zu betrachten. „Ich brauche keine Hilfe“, murmelte Anya zu sich selbst und stemmte sich langsam vom Boden ab, das Bild vor ihren Augen wurde langsam wieder klarer. Es war demütigend, so machtlos zu sein. Und die würden das jetzt bestimmt überall herum tratschen, um sie zur Lachnummer ganz Livingtons zu machen.   Gerade wollte Anya zu ihnen umwirbeln, da spürte sie einen weiteren Stich in der Brust. Alles wurde schwarz vor ihren Augen, doch das war keine Ohnmacht und auch nicht ihrem Zustand geschuldet. Die Farbe kehrte innerhalb eines Herzschlages zurück. Erschrocken von diesem plötzlichen Impuls drehte sich Anya langsam um die eigene Achse. Die ganze Straße war völlig verändert. Der Himmel war in düsteres Rot getaucht, mehr noch, das Pärchen war nicht mehr zu sehen oder besser gesagt, gar kein Mensch mehr. Aber wäre es nur das gewesen, hätte Anya nicht einmal anerkennend die Augenbrauen angezogen. Dass ihre Umgebung aber aussah, als hätte ein Amateur unter Nutzung Photoshops erfolglos versucht, sich am Ausschneiden bestimmter Abschnitte der Straße zu üben, hob das alles auf ein ganz anderes Level. Es war, als wären Stücke der Realität einfach herausgeschnitten und an irgendeiner anderen Stelle völlig verquer wieder hingesetzt worden. So fehlte dem kleinen Café gegenüber des Blumenladens ein Tisch samt Stühle und Sonnenschirm, nur um etwas weiter in der Luft inklusive seinem gewohnten Hintergrund auf dem Kopf zu stehen. Dabei war alles nur noch ein Bild, es waren keine dreidimensionalen Gegenstände mehr. Als Anya fertig damit war, sich umzusehen, seufzte sie schicksalsergeben. „Okay, wer will mich heute umbringen?“ „Ob du heute stirbst oder nicht, hängt von deiner Entscheidung ab, Anya Bauer.“ Das Mädchen traute ihren Augen kaum, als sie sich zum Ursprung der tiefen Stimme umdrehte. Da stand er, direkt vor ihr. In all seiner Pracht. Nahezu einen ganzen Meter größer als sie, starrte er unter der Maske an seinem Helm auf sie herab. „Noch so ein Freak“, knurrte Anya, ohne einen Millimeter zurückzuweichen. „Ein Undying, wenn man dem Gestank der Arroganz trauen darf.“ Levriers Abbild erschien hinter ihr. Aus welchem Film hast du dieses Zitat geklaut, Anya Bauer? Aber es besteht kein Zweifel, er ist einer von ihnen. Seine Präsenz ist überwältigend, wenn man bedenkt, wie er uns eben noch unbemerkt in die Falle locken konnte.   Beide betrachteten ihn, den Hünen. Von seinen Schultern reichte ein roter Umhang bis zum Boden, befestigt an der goldenen Panzerung, die über einer zweiten, silbernen lag. Auch der Helm war aus jenem Edelmetall, verziert mit einem aus roten Fasern bestehenden Kamm. An seiner Hüfte befand sich ein Waffengurt samt massivem Schwert. „Was verschafft mir die Ehre?“, zischte Anya angespannt. „Und wer bist du?“ Sie verzog ärgerlich die Augen, denn der Helm wurde von einer metallischen Maske verdeckt, aus der nur die braunen Augen andeuteten, dass sich etwas Lebendes unter dieser Rüstung verbarg. „Ich werde Ricther genannt. Der, der über die Feinde der ewigen Ordnung urteilt.“ „Das schon wieder …“ Vor ihren Augen streckte Ricther seine Hand aus. „Ich halte mich kurz, denn die Zeichen der Zeit zwingen mich, vom gewohnten Kurs abzuweichen.“ „Soll heißen … ?“ Er will deinen Tod. Erinnerst du dich noch, als Stoltz sagte, beim zweiten Mal sprechen sie nur eine Warnung aus? Wie du sicherlich noch weißt, wäre diese schon beinahe tödlich für uns ausgegangen. Aber soweit ich mich erinnere, ist das dritte Siegel noch nicht gebrochen …   Der mechanisch, Anyas Meinung nach römisch anmutende Hüne ballte eine Faust vor ihrer Nase. „Stoltz' Taten sprechen für das Verbrechen, was du im Begriff bist zu begehen. Wir haben bereits einmal eine Katastrophe abwenden müssen, die durch das Brechen der Siegel entstanden wäre. Und so habe ich mich entschieden, dass die Regeln nicht länger gelten. Und du an Ort und Stelle dein Urteil erfahren wirst, bist du schließlich nicht diejenige, die zum Brechen der Siegel berechtigt ist.“ Nun wich Anya zurück. „Ahja, und wie sieht dieses Urteil aus!?“ „Wähle: Entweder gibst du die Artefakte zurück und verzichtest auf die weitere Jagd danach, oder ich beende es mit Gewalt.“ „Das muss ich wohl gar nicht erst beantworten, oder!? Was ist das hier überhaupt!?“, wollte Anya wütend wissen. „Warum müsst ihr Freaks immer so'ne Show abziehen, wenn ihr mir auch einfach 'ne beschissene Kugel durch die Rübe jagen könntet!?“ „Wir befinden uns in einem zerbrochenen Pfad. Unfertig, ist er nur das Konzept dessen, was geschehen könnte. Du selbst müsstest am besten wissen, wovon ich rede.“ Das machte Anya hellhörig. „Meinst du die Pfade des Schicksals? Die, die ich mit meinem Cheat Draw ändern kann?“   Musst du das immer so nennen, Anya Bauer? Es ist so viel mehr als das.   „Levrier spricht die Wahrheit.“ Ricther nickte. „Nur Undying und Immaterielle sind unter normalen Voraussetzungen imstande, diese Kraft zu nutzen. Weswegen es jene gibt, die die Immateriellen ausgelöscht wissen wollen.“ Anyas beseeltes, ehemaliges Paktmonster schwebte ein Stück vor, auf die Höhe des Mädchens.   Und wer wäre das?   Bevor der Hüne jedoch antworten konnte, kam ihm die Nase rümpfende Blonde zuvor: „Na wer wohl? Der 'wahre Feind'. Denk dran, was er mit deiner Welt gemacht hat.“   Ich selbst war nicht Teil davon, wie du weißt. Ich bin nur ein Abkömmling eines echten Immateriellen.   „Trotzdem war das deine Familie!“, pochte Anya auf ihren Punkt. „Und nun bist du im Begriff, etwas zu tun, das die deine in Gefahr bringt, Anya Bauer. Für sie bist du ihr -wahrer Feind-.“ Ricther schwang den linken Arm zur Seite. „Zerbrochen wie dieses Bild auch ist, können deine Aktionen es zur Realität werden lassen. Genauso verhält es sich mit deinem Körper: Du bist nur ein Avatar in dieser noch nicht existierenden Möglichkeit. Doch wenn er hier vergeht und dieser Pfad zur Realität wird, schwindet deine Existenz, entsprechend der Geschichte, die jetzt geschrieben wird.“ Anya blinzelte zweimal. „Huh?“ Anya Bauer, was er damit sagt ist, dass dein Körper in diesem Moment auf demselben Was-wäre-wenn?-Szenario basiert wie der noch unfertige Pfad. Und wenn du hier stirbst, wirst du es auch in der Realität, sollte dieser Pfad vollendet werden.   „Und dieser Mistkerl hat genau das vor, oder?“ Als Antwort griff Ricther nach dem Schwert an seinem Waffengurt und zog es, streckte es in die Höhe, nur um dann dessen Spitze auf Anya zu richten. „Dein engstirniges Verhalten und die Unfähigkeit, die Konsequenzen deines Handelns zu erfassen zwingen mich dazu, dir deine Entscheidung abzunehmen. Kraft meines Amtes als Wächter der ewigen Ordnung verurteile ich dich ob deiner Taten zum Tode, Anya Bauer!“ In diesem Moment ummantelte das Schwert Ricthers Arm und verband sich problemlos mit ebendiesem, wobei sich der Griff automatisch einzog. Die Klinge wiederum fuhr ebenfalls ein ganzes Stück zurück, bis sie nur noch etwa einen halben Meter lang war. Dafür öffneten sich kleine Schlitze – im Handumdrehen hatte der Hüne nicht nur eine Klinge am Arm, sondern auch eine Duel Disk. Das Mädchen nahm noch einige Schritte zurück, dabei seitwärts über die Straße gehend, doch hielt sie Ricther mit ihrem Blick geradezu gefangen. Dieser folgte ihr im selben Tempo. „Oh, jetzt sprichst du dein Urteil, huh? Hoffentlich ist das nicht alles heiße Luft! Nur damit du's weißt, du bist nicht der Erste, der sich das falsche Urteil über mich bildet, Blechbirne. Du willst Krieg? Dann sollst du ihn haben! Ich gehe meinen eigenen Weg und niemand wird mich davon abbringen!“ „Dann soll es so sein!“ Anya aktivierte ihr D-Pad und beide riefen: „Duell!“ [Anya: 4000LP / Ricther: 4000LP]   Anyas Atem ging stoßweise. Das letzte Mal, als sie sich gegen einen dieser Undying hatte behaupten müssen, war sie unangespitzt in den Boden gerammt worden. Dabei war sie nicht einmal alleine gewesen! Hatte sie überhaupt eine Chance? Selbst Levrier schien zu zweifeln, schüttelte er gedankenversunken den Kopf. Dann sagte er: Das wird womöglich dein härtester Kampf, Anya Bauer. Hätten wir die Möglichkeit zur Flucht, würde ich sie dir unbedingt ans Herz legen. Aber so bleibt uns nur der Kampf. Möge er nicht aussichtslos sein.   Aussichtslos? Sie war Anya Bauer! Sie hatte schon mehr aussichtslose Kämpfe ausgetragen als Deutschland während der Kriege und das wollte was heißen! Noch dazu hatte -sie- ihre auch gewonnen! Meistens … „Ich komme schon klar! Pass auf, dass dir deine Perlen nicht wegfliegen!“, knurrte sie angespannt und schrie kurz darauf: „Hey, Blechbüchse, ich mache den ersten Zug! Draw!“ Sofort riss sie sechs Karten auf einmal von ihrem Deck und musste entsetzt feststellen, dass das Glück ihr nicht gerade hold war. Aber vielleicht konnte sie trotzdem aus dem Blatt etwas machen. Wenn nicht, würde sie zumindest vor allen anderen auf ihrer Schwarzen Liste erfahren, wie 'die andere Seite' aussah – und was man dort alles so anstellen konnte. Anya fischte ein Monster aus ihrem Blatt und rief: „[Gem-Knight Garnet], ready and waiting!“ Auf ihrer Spielfeldseite erschien ein bronzener Ritter, in dessen Brust ein Granatstein eingelassen war. Zwischen seinen Handflächen erzeuge er demonstrativ eine Flamme.   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   „Zug beendet“, verkündete sie.   Das massive Schwert an seinem Handrücken mühelos hochhebend, griff Ricther mit der anderen nach dessen Unterseite, nahe des eingezogenen Hefts. Dort befand sich eine Einlassung, in der sein Deck zu finden war und von dort nahm er eine Karte auf. Diese legte er sogleich in die stumpfe Seite der Klinge ein. Und es wurde plötzlich unheimlich kühl in der starr gewordenen, verzerrten Welt. Karte um Karte flog aus dem Deck des Hünen, entlang des Klingenblatts und löste sich vor seinen und Anyas Augen an der Spitze auf. „Zehn Karten werden verdeckt verbannt, um sie zu beschwören“, erklärte er und streckte den Arm in die Höhe, „erscheine, [Different Dimension Deity – Lastelise]!“ Überall um Ricther herum brachen riesige, pinke Kristallfragmente aus dem Boden hervor und stiegen in die Luft. Einer flog an der Spitze. In ihm war ein blauer Kern eingelassen, der wie ein Auge wirkte. An seinem hinteren Ende platzierten sich drei weitere, die eine Art Kragen dazu bildeten. Je rechts und links verbanden sich die restlichen Kristalle zu gigantischen Händen, bestehend aus drei Fingern, die abseits des 'Kopfes' ihre Position einnahmen. Dem Mädchen blieb die Luft weg bei dem seltsamen Anblick, der sich ihr bot.   Different Dimension Deity – Lasteliste [ATK/3000 DEF/3000 (10)]   „Solange Lastelise über den Raum herrscht, kann ich keine anderen Kreaturen beschwören. Dies wird auch nicht von Nöten sein.“ Erhaben streckte Ricther den Arm aus und zeigte auf Anyas Krieger. „Vernichte! Declaration of D!“ Die beiden 'Arme' der körperlosen, riesigen Gestalt begannen sich wie Bohrer zu drehen und schossen parallel aus der längsten Spitze gelbe Laserstrahlen auf Garnet. „So stark!? Da reicht nicht mal-!“, stammelte Anya, doch schon explodierte der Ritter vor ihr. Von der entstandenen Schockwelle wurde sie mitgerissen und flog im hohen Bogen über die Straße, kam hart auf dem Rücken auf und rutschte noch ein Stück weiter. „Argh!“, keuchte sie dabei.   [Anya: 4000LP → 2900LP / Ricther: 4000LP]   „Ich erkläre meinen Zug als beendet“, verkündete Ricther. Anya richtete sich schwankend auf und hielt sich die linke Schulter, die Einiges bei ihrem Fall abbekommen hatte. Es war alles so schnell geschehen, dass sie kaum den Ablauf hatte erfassen können. Levrier drehte sich, am Rand ihres Spielfeldes verharrend, zu ihr.   Er steht Stoltz im Nichts nach. Im ersten Zug ohne Aufwand ein so starkes Monster zu beschwören? Das wird noch nicht das Schlimmste sein, was er besitzt, Anya Bauer.   „Was du nicht sagst, Einstein“, ätzte Anya und schleppte sich zurück zum Duellfeld. Was wollten diese Undying bloß von ihr!? Feindin der ewigen Ordnung? Das war sie ja nun nicht gerade erst seit gestern! Sie hasste alle Art von Ordnung, damit das mal klar war! Wenn die jetzt schon so ausflippten, weil sie zwei dieser Siegel oder was auch immer gebrochen hatte – technisch gesehen nur eins, Matt war genauso schuld! – dann wollte sie gar nicht wissen, was diese Undying unternahmen, wenn sie alle Siegel gebrochen hatte. Gäbe es dann einen Undying-Gangbang?   „Draw!“, raunte sie, angefacht von ihrer Wut auf den Sammler, der ihr das alles eingebrockt hatte. Es war falsch, was sie da tat, das wusste Anya instinktiv. Siegel zu brechen war nie eine gute Idee, da musste man nur die Winchester-Brüder fragen. Bloß scheiße, sollte sie stattdessen freiwillig in die Kiste springen!? Solange sie – sprich Nick – keinen Ausweg aus dem Schlamassel gefunden hatte, würde sie einen Teufel tun, egal wer ihr in die Quere kam! „Was? Hast wohl plötzlich deine Zunge verschluckt, huh?“, hakte Anya nach und beäugte nebenbei ihr Blatt. „Dein Kumpel war da witziger. Der Vollpfosten hat wenigstens gar nicht erst so getan, als hätte er keinen Spaß daran, uns zu quälen. Und ein kleiner Hinweis an dich, Robocop: Du wirst's genauso versemmeln wie er!“ Im Feuereifer knallte sie ein Monster verdeckt auf Logans schwarzes D-Pad und schob anschließend eine Falle hinterher. „Viel Spaß mit den beiden! Zug beendet!“ In horizontaler Lage beziehungsweise vertikaler Lage materialisierten sich jene Karten vor Anya. Und ja, dieses defensive Spiel war reine Strategie und nicht etwa ein hilfloser Versuch, sich über den nächsten Zug zu retten, weil es sonst keine Optionen gab!   „Du bist Stoltz nur entkommen, weil mehrere Individuen dich schützten, Anya Bauer“, erklärte Ricther und zog nebenbei von unterhalb seiner Schwert-Duel Disk, „doch keines von ihnen kann jetzt eingreifen. Gib mir die Artefakte zurück, dann verschone ich dich.“ Unterstreichend streckte er fordernd die freie Hand mit der gezogenen Karte zwischen Mittel- und Zeigefinger aus. Wäre jene in Anyas Reichweite, würde sie sie sofort wegschlagen. „Verschonen? Entweder krepiere ich, weil ich auf dich höre oder weil ich es nicht tue. Bei Letzterem habe ich größere Erfolgsaussichten, also verpiss' dich!“ „Ganz wie du willst.“ Ricther zog den Arm zurück und fügte die Karte seinem Blatt hinzu, schob anschließend eine andere mit seinem Daumen ein Stück weit daraus hervor. „Dann musst du mit den Konsequenzen rechnen. Ich aktiviere die Zauberkarte [Dimensions Reach]. Ein damit ausgerüstetes Monster erhält für jede verdeckt verbannte Karte 100 Punkte auf seinen Angriff.“ Er legte die Karte mit der anderen Hand in den Schlitz direkt unter der Zone seines Monsters ein. Das Innere der pinken Kristalle Lastelises begann daraufhin zu glühen. Und Anya schluckte.   Different Dimension Deity – Lasteliste [ATK/3000 → 4000 DEF/3000 (10)]   „Tch, dann wird das ja wieder nichts.“ Ricther streckte den Arm wieder befehlend aus. „Vernichte das gesetzte Monster! Declaration of D!“ Wieder drehten sich die aus drei Kristallen bestehenden 'Hände' des göttlichen Wesens rapide um die eigene Achse und feuerten gelbe Lichtstrahlen auf Anyas horizontal liegende Karte. Die wirbelte herum und offenbarte einen Ritter in hellblauer Rüstung, welcher mit nur einer Handbewegung vor sich eine Eismauer errichtete. „Pech gehabt, [Gem-Knight Sapphire]“, murmelte Anya wenig mitfühlend. Gem-Knight Sapphire [ATK/0 DEF/2100 (4)]   Schon schossen die Strahlen durch Sapphires Brust und trafen Anya direkt in die ihre. Jene weitete erschrocken die Augen, ehe sie hustete und Blut ausspuckte. An sich herab sehend, sah sie nur zwei dunkle, verkohlte Stellen auf ihrem T-Shirt und an den Rändern ihrer geflickten Lederjacke. Entgeistert schaute sie anschließend auf, in Ricthers Richtung.   [Anya: 2900LP → 1000LP / Ricther: 4000LP]   „[Dimensions Reach] ermöglicht es, jede Verteidigung zu durchdringen und durchschlagenden Kampfschaden zuzufügen“, erklärte Ricther emotionslos und legte eine weitere Karte in die Klinge an seinem Arm ein. „Diese Karte wird verdeckt ausgespielt. Ich erkläre meinen Zug hiermit als beendet.“ Sofort setzte diese sich vor ihm aus dutzenden Partikeln zusammen. Indes blickte die Blondine wieder an sich herab und berührte die verbrannten Stellen, die furchtbar schmerzten. Genau genommen war das mit ihrem ganzen Brustkorb der Fall. Sie hatte keine Ahnung, ob irgendwelche Organe verletzt waren. Wenn ja, war das … schlecht. Blut rann ihr von den Mundwinkeln. „Kacke …“, hustete sie, das Blut spritze nur so aus ihr. Etwas Unsterblichkeit wie zu Edens Zeiten wäre jetzt wirklich nicht verkehrt.   Reiß dich zusammen, Anya Bauer. Das ist nicht dein Blut! Zumindest noch nicht!   Verwirrt sah sie nach rechts zu Levrier. [Different Dimension Deity – Lastelise] verzerrt Raum und Zeit. Es hat nicht dir den Schaden zugefügt, sondern deinem Ich, welches das Duell verlieren wird. Vergiss das nicht. „Der Abkömmling hat Recht“, bestätigte Ricther, „es ist eine Warnung an dich, was mit dir geschieht, wenn du dich uns widersetzt. Der Schmerz und das Blut sind echt, aber zur selben Zeit noch nicht geschehen, weshalb du noch lebst. Überlege gut, was du tust. Solange du lebst, steht mein Angebot.“ Anya ließ den Kopf hängen, das Atmen fiel ihr ziemlich schwer unter diesen seltsamen Bedingungen. „Wenn ich die Karten zurückgebe … hilfst du mir dann?“ „Nein. Die Angelegenheiten der Sterblichen sind nicht die unseren“, antwortete Ricther kühl, „unsere Aufgabe ist es allein, die ewige Ordnung aufrecht zu erhalten. Ist dies getan, versinken wir in einen tiefen Schlaf, der nicht eher endet, bis die ewige Ordnung erneut in Gefahr ist.“ Anya schwang wütend den Arm aus, als sie sich wieder straffte. „Du bist ja ein toller Vogel! Ich soll auf so'ne scheiß Ordnung Rücksicht nehmen, biete sogar meine Kooperation an und du? Du speist mich bestenfalls mit 'nem verfickten 'Danke' ab!?“ „Ich wiederhole mich: Die Angelegenheiten der Menschen gehen uns nichts an. Deine bisherigen Taten sind bereits Sünde genug und bedrohen diese Welt.“ Ricther ballte demonstrativ vor ihr eine Faust. „Mehr davon und du wirst sterben, Anya Bauer. Denn auch wenn ich meine Gnade als Angebot bezeichne, bin ich kein Bittsteller!“ „Ach ja!? Sterben muss ich so oder so, wenn das hier schief geht! Dann aber lieber kämpfend!“ Anya zeigte ihm als Antwort den Stinkefinger. „Also fuck off!“   Sofort im Anschluss griff sie nach ihrem Deck und zog schwungvoll. „Draw! Jetzt gibt’s auf die Fresse, Freundchen!“ Sich die neue Karte ansehend, zog Anya den Mund schief. Dann streckte sie die Hand über die vor ihr liegende Falle aus. „Los, [Fragment Fusion]! Zwei Gem-Knights werden im Friedhof durch ihr Verbannen miteinander verschmolzen! [Gem-Knight Garnet], du bist das Herz, [Gem-Knight Sapphire], du die Rüstung! Vereint euch!“ Plötzlich tauchten vor Anya die verschiedensten Edelsteine auf. Zwischen ihnen bildeten sich weiße Linien, zeichneten nach und nach ein Netz, in dessen Mitte eine Art Portal entstand. Aus diesem tauchte schließlich ein Krieger in roter Rüstung und wehendem, blauen Umhang auf, der sich vor Anya positionierte. „Wurde auch Zeit, [Gem-Knight Ruby]!“ Die Blonde verschränkte die Arme. „Dummerweise kratzt er am Ende des Zuges ab, weil er mit [Fragment Fusion] beschworen wurde.“   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)]   Sie löste ihre überhebliche Haltung und legte noch ein Monster auf ihr D-Pad. „Jetzt als Normalbeschwörung: [Gem-Knight Emerald]!“ Die Karte, die sie in diesem Zug gezogen hatte. Neben Ruby materialisierte sich sein blassgrüner Kamerad mit dem runden Armschild, der Herr der Smaragde.   Gem-Knight Emerald [ATK/1800 DEF/800 (4)]   Sofort streckte Anya den Arm aus. „Zu dumm für ihn ist allerdings, dass er nur als Kanonenfutter für Ruby herhält! Indem ich ihn durch dessen Effekt opfere, erhält Ruby seine Angriffspunkte!“ So löste sich der Ritter augenblicklich in grüne Lichtpartikel auf, die der rote Krieger mit seiner Waffe, einer Lanze, absorbierte.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 → 4300 DEF/1300 (6)]   „Gib's dem Riesenklunker!“, fauchte Anya und zeigte nach oben über Ricther, wo [Different Dimension Deity – Lastelise] verharrte. „Sparkling Lance Thrust!“ Wie eine Rakete löste sich Ruby vom Boden und schoss durch die Luft, die Lanze nach vorne gerichtet. Sein Ziel war der Kern inmitten des Kopfs. Als er diesen erreichte, rammte er seine Waffe bis zum Anschlag hinein. Was folgte war eine gewaltige Explosion, die eine rosafarbene Staubwolke zur Folge hatte, die Ricthers komplettes Feld verhüllte und selbst noch Anyas erreichte.   [Anya: 1000LP / Ricther: 4000LP → 3700LP]   „Rest in pieces, Bitch!“, jubelte Anya, als Ruby zu ihr zurückkehrte. Der Rauch verzog sich und – es war noch da! Über Ricther schwebte Lastelise mit seinen beiden, aus drei Kristallpfeilern bestehenden Händen und dem Kopfkragen, als wäre nie etwas geschehen. Anya stand der Mund offen. „Aber ich habe doch-!?“   Different Dimension Deity – Lasteliste [ATK/4000 → 3000 DEF/3000 (10)]   „Der Effekt von [Dimensions Reach] hat sich aktiviert“, erklärte Ricther, „würde das ausgerüstete Monster zerstört werden, kann ich stattdessen [Dimensions Reach] opfern und zehn verdeckt verbannte Karten in mein Deck zurückschicken, um [Different Dimension Deity – Lastelise] bis zur End Phase vor Zerstörungen aller Art zu wahren.“ Vor dem Hünen öffnete sich ein kleiner Spalt, aus dem die Karten geflogen kamen und sich zurück zum Heft seines Schwertes begaben, um im Deck dort drinnen zu verschwinden. Gleichzeitig sprang Ricthers gesetzte Karte auf. „Ich aktiviere als Reaktion darauf [Dimensions Downfall]. Wenn verdeckt verbannte Karten in mein Deck zurückkehren, kann ich den Fluss umkehren und während der End Phase eine Zauber- oder Fallenkarte von meinem Friedhof auf die Hand nehmen. Dafür darf ich bis zum Ende meines nächsten Zuges nur diese eine Karte aktivieren.“ Kaum waren alle zehn Karten wieder in seinem Deck, welches automatisch durchgemischt wurde, da schossen zehn neue genau in die andere Richtung und verschwanden wieder in dem Riss vor Ricthers Schwertspitze. Anya hatte alles mit großer Irritation beobachtet.   Anya Bauer! Er wird mit großer Wahrscheinlichkeit [Dimensions Reach] auf die Hand nehmen. Du musst etwas unternehmen!   Levriers geisterhafte Gestalt an ihrer Seite war keine große Hilfe, denn das wusste sie auch selbst! Aber was sollte sie tun mit diesem Rotzblatt!? Ruby würde sowieso krepieren, dann stand sie ohne Monster da! Sie hatte im Grunde gar keine andere Wahl. So zückte sie widerwillig die einzige Zauberkarte auf ihrer Hand. „Ich aktiviere [D.D.R. - Different Dimension Reincarnation]!“ Um die Kosten zu zahlen, legte Anya den [Labradorite Dragon] aus ihrer Hand auf den Friedhof, ehe sie erklärte: „Damit beschwöre ich ein verbanntes Monster auf meine Spielfeldseite und rüste es mit dieser Karte aus! Kehre zurück, [Gem-Knight Sapphire]!“ Vor ihr öffnete sich ein mannshoher Spalt, welcher in seinem Inneren ein weißes Energiegitter zeigte. Daraus zwängte sich der hellblaue Ritter, welcher, als er die Verzerrung überwunden hatte, vor Anya auf die Knie ging und eine schützende Eisbarriere um sich schuf.   Gem-Knight Sapphire [ATK/0 DEF/2100 (4)]   Anya hielt sich die schmerzende Schulter und schluckte, sah wieder auf ihre Brust herab, durch die sich zwei Löcher gebrannt hatten. Sie war machtlos gegenüber diesem Typen! Nicht einmal [Angel Wing Dragon] konnte sie beschwören, da sie dafür [Alexandrite Dragon], sozusagen der Ersatz-Empfänger für Angel Wings Beschwörung, vom Deck auf den Friedhof schicken müsste. Aber genau der gammelte seit Beginn des Duells auf ihrer Hand herum! Scheiße! „Zug beendet“, murmelte sie verbittert mit ihren letzten beiden Handkarten, wodurch Ruby in tausend Teile zersprang. Ricther streckte den Arm aus. „Damit erhalte ich durch [Dimensions Downfall] eine Nicht-Monsterkarte von meinem Friedhof. Ich wähle [Dimensions Reach].“ Er nahm sie aus seinem Friedhofsschacht, steckte sie in sein Blatt, das er unterhalb der Klingen-Disc festhielt und besaß damit ganze fünf Karten.   Sofort im Anschluss nahm er noch eine weitere von seinem Deck auf. Dabei fixierte er seinen Blick auf Anya, die unter all den Schmerzen ihre Schwierigkeiten hatte, aufrecht zu stehen. „Ein letztes Mal frage ich dich: Wirst du kooperieren und die Artefakte zurückgeben?“ „Nur wenn du mir hilfst“, erwiderte sie stur, „mach den kalt, der mich dazu zwingt eure beschissenen Siegel zu brechen, dann kannst du meinetwegen meine ganze Sammlung haben.“ Levrier neben ihr räusperte sich. „Sogar den da!“, raunte sie böswillig und zeigte auf ihren Partner. „Na ja, 'kay, eher nicht …“ „Meine Stellung dazu ist dir bereits bekannt, Anya Bauer. Wir Undying mischen uns nicht in die Angelegenheiten der Sterblichen ein.“ Anyas Mundwinkel zuckten nach oben. „War ja klar. Dann tu, was du nicht lassen kannst, Mistkerl.“ Ricther nahm eine Karte aus seinem Blatt. „Wie du willst. Ich aktiviere [Dimensions Reach]!“ Das Innere der Kristalle Lastelises begannen wieder unheimlich zu glühen, als Ricther es mit seiner Karte ausrüstete.   Different Dimension Deity – Lasteliste [ATK/3000 → 4000 DEF/3000 (10)]   Ricther streckte erhaben den Arm aus. „Dann empfange jetzt mein Urteil! Für das Brechen zweier Siegel der ewigen Ordnung soll dich der Tod ereilen, Anya Bauer! Greife [Gem-Knight Sapphire] an und lösche Anya Bauers verbliebene Lebenspunkte dank Durchschlagschaden aus, [Different Dimension Deity – Lastelise]! Declaration of D!“ Anya nahm einen Schritt zurück, der Schweiß stand auf ihrer Stirn geschrieben. Wie bei den letzten beiden Malen drehten sich die Kristallhände der gewaltigen Dimensionsgottheit wie Bohrmaschinen und feuerten auf ihren Ritter zwei gelbe Laserstrahlen ab. „Shit …“ Jener wurde zerfetzt, als sich die Strahlen durch seine Brust bohrten. Dabei trafen sie auf den Asphalt, rissen diesen anschließend auf ihren Weg zu Anya auf. Jene wandte sich schnell an Levrier. „War schön, dich gekannt zu haben! Irgendwie jedenfalls …“   Anya Bau-!   Dann wurde sie erfasst, alles um sie herum explodierte. Ihr Schrei hallte durch die ganze Straße und wurde doch von niemandem vernommen.     Turn 54 – Matches Nicht ahnend, welchem Gegner Anya gegenüber steht, hat Nick sich in der Zwischenzeit zu Aidens Firma begeben. Dort auf seinen Ex-Freund wartend, ist er bereit, sich ein für allemal von ihm loszureißen. Doch … Kapitel 59: Turn 54 - Matches ----------------------------- Turn 54 – Matches     Ricther streckte erhaben den Arm aus. „Dann empfange jetzt mein Urteil! Für das Brechen zweier Siegel der ewigen Ordnung soll dich der Tod ereilen, Anya Bauer! Greife [Gem-Knight Sapphire] an und lösche Anya Bauers verbliebene Lebenspunkte dank Durchschlagschaden aus, [Different Dimension Deity – Lastelise]! Declaration of D!“   [Anya: 1000LP / Ricther: 3700LP]   Different Dimension Deity – Lasteliste [ATK/4000 DEF/3000 (10)] Gem-Knight Sapphire [ATK/0 DEF/2100 (4)]   Anya nahm einen Schritt zurück, der Schweiß stand auf ihrer Stirn geschrieben. Die Kristallhände der gewaltigen Dimensionsgottheit drehten sich wie Bohrmaschinen und feuerten auf ihren Ritter zwei gelbe Laserstrahlen ab. „Shit …“ Jener wurde zerfetzt, als sich die Strahlen durch seine Brust bohrten. Dabei trafen sie auf den Asphalt, rissen diesen anschließend auf ihren Weg zu Anya auf. Jene wandte sich schnell an Levrier. „War schön, dich gekannt zu haben! Irgendwie jedenfalls …“   Anya Bau-!   Dann wurde sie erfasst, alles um sie herum explodierte. Ihr Schrei hallte durch die ganze Straße und wurde doch von niemandem vernommen.   Aufrecht stand der über zwei Meter große Ricther in seiner gold-silbernen Rüstung und wartete darauf, dass der Rauch und aufgewirbelte Staub sich legte. Sein weißer Umhang flatterte in dem Wind, den die pinkfarbene Kristallkreatur über ihm entfacht hatte. Leises Gestöhne drang an sein durch den Helm nicht sichtbares Ohr. Ein Schatten lag dort drüben auf dem Boden und rührte sich nicht. Sie lebte, und wie er bemerkte, als der Rauch sich verzog, mehr schlecht als recht. Auch wenn es im Angesicht dieser verzerrten Dimension, jenes ungeschriebenen Pfades bedeutungslos erschien.   [Anya: 1000LP → 100LP / Ricther: 3700LP]   Anya lag auf dem Bauch, quer auf der Straße und sah ihn kämpferisch aus einem blauen Auge an. Die Stirn blutete, ihre Kleidung mehr Fetzen denn alles andere, aber sie lebte – und grinste. Von Levrier alias [Gem-Knight Pearl] war keine Spur mehr. Die ganze, der Realität entfremdete Einkaufsstraße war durch Ricthers Magie leergefegt, wirkte verzerrt unter dem rötlichen Licht seines Bannkreises oder auch dem potentiellen Pfad der Zukunft, wie er ihn nannte. „Na? Hab ich dir die Suppe versalzen, Blechbüchse?“, krächzte sie in ihrer regungslosen Haltung. „Anscheinend.“ „Ha ha. Willst sicher auch wissen wie, huh?“ Anya streckte den Arm aus und tippte auf eine Karte, die vor ihr lag. „[Gem-Merchant]. Kann normale Erd-Monster wie [Gem-Knight Sapphire] um 1000 Punkte in Angriff und Verteidigung stärker machen, wenn ich ihn abwerfe.“ „Also hast du den Schaden verringert? Deine Entschlossenheit ist lobenswert“, erkannte Ricther ebenjene an, „aber du bist nicht mehr imstande weiterzukämpfen.“ „Halt's Maul. Und wenn ich mich im Liegen duellieren muss“, fauchte Anya, „dann tu' ich's!“ Ricther nickte. „Ich habe nichts anderes erwartet. Nun, da ich für diesen Zug keine weiteren Karten aktivieren kann, erkläre ich ihn für beendet.“   Schwer atmend nahm Anya ihren [Gem-Merchant] und presste sich mit ihm zwischen den Fingern von Boden ab. Langsam erhob sie sich, drohte kurz wieder zusammenzusacken, schaffte es dann immerhin auf die Knie. Neben den zwei Löchern in ihrer Brust gesellten sich nun auch tiefe Einschnitte, die das Resultat des letzten Angriffs waren. Der ganze Torso war voll von Anyas Blut, welches auf den Asphalt tropfte. Wenn sie dieses Duell verlor, würde dieser zukünftige Körper Realität werden. Und eins hatte Anya begriffen: Der letzte Angriff hatte dessen Leben ausgehaucht. Ihr Herz schlug nicht mehr, was sie durch das Auflegen ihrer Hand spürte. „Ich geb' nicht auf“, sagte sie zu sich selbst, setzte einen ihrer Füße auf den Asphalt und stand schwankend auf, „ganz egal, ob du ein Undying oder meinetwegen Gott höchstpersönlich bist. Dafür bin ich zu weit gekommen!“ Wie durch ein Wunder hielt sie sich auf den Beinen. Und ein solches forderte sie jetzt auch ein, als sie nach ihrem Deck griff. „Levrier! Einmal Cheat-Draw zum Mitnehmen!“ Obwohl er nicht erschien, konnte sie zumindest seine Stimme vernehmen. Nur leider hatte er keine guten Nachrichten. Unmöglich. Ich habe nicht genug Kraft übrig, um jetzt dem Schicksal einen neuen Pfad hinzuzufügen.   „Dann fang' an zu sammeln, du Volltrottel!“   Was denkst du, was ich die ganze Zeit tue? Anya Bauer, muss ich dich daran erinnern, dass ich längst kein immaterieller Abkömmling mehr bin, dessen Kraft an die der Originale heranreicht? Im Gegenteil, ich spiele mittlerweile eher in der Schattengeist-Liga.   „Was auch immer das jetzt heißt!“, pflaumte Anya zurück. „Was auch immer, beeil' dich gefälligst, lange stehe ich das hier nicht mehr durch, ohne deine Hilfe!“ Schnaubend umschloss sie die oberste Karte ihres Decks. Also keine Spielereien mit dem Schicksal, vorerst. Musste es eben so gehen! Immerhin stand sie ja auch, obwohl sie technisch gesehen tot war. Sie würde das Beste draus machen. Schwungvoll zog sie jene dann und warf noch in der Bewegung einen Blick auf sie. „Tch, mehr nicht!?“, beklagte sie sich lauthals. Dann sah sie zu Ricther auf. „'kay, mal sehen was du hierzu sagst. Ich setze ein Monster und diese da noch dazu! Zug beendet!“ Vor ihr materialisierten sich die beiden Karten in horizontaler beziehungsweise vertikaler Lage, wobei letztere direkt vor ihren Füßen auftauchte.   Zwar zog Ricther sofort auf, beachtete seine neue Karte jedoch gar nicht und steckte sie ins Blatt unter seinem Schwertarm, zu den anderen. Er hob die frei gewordene Hand und spreizte die Finger. „Egal wie hoch die Verteidigungspunkte deines Monsters sein mögen, sie werden niemals genügen, um [Different Dimension Deity – Lastelises] Angriff vollständig abzuwehren! Füge dich deinem Urteil, Anya Bauer! Declaration of D!“ Anya aber grinste diesmal, statt erschrocken zurückzuweichen. „Ne.“ Die aus drei spitzen Kristallen bestehenden Arme der Dimensionsgottheit begannen um die eigene Achse zu drehen und feuerten aus der längsten Spitze zwei gelbe Lichtstrahlen. Die Karte von Anyas gesetztem Monster wirbelte um. Aus ihr entstieg ein weißer Drache, dessen ganzer Körper mit einer Schicht von funkelnden, durchsichtigen Edelsteinen bedeckt war.   Alexandrite Dragon [ATK/2000 DEF/100 (4)]   Plötzlich aber sprang auch Anyas andere gesetzte Karte auf. Während die beiden Laserstrahlen auf den Drachen zusteuerten, fegte unter ihnen ein Wirbelsturm hinweg, direkt in Ricthers Richtung. Dieser sah erstaunt mit an, wie seine offene Zauberkarte [Dimensions Reach] von besagtem Zyklon zerrissen wurde. „Oh, hat der [Mystical Space Typhoon] dir einen Strich durch die Rechnung gemacht?“, feixte Anya. „Damit habe ich [Dimensions Reach] zerstört, also nix mit Durchschlagschaden!“ Deswegen überlebte ihr [Alexandrite Dragon] den Angriff trotzdem nicht und implodierte bei Kontakt mit den Strahlen.   Different Dimension Deity – Lasteliste [ATK/4000 → 3000 DEF/3000 (10)]   „Du schindest nur Zeit, Anya Bauer“, sprach Ricther und schob eine Fallenkarte in die entsprechende Zone der stumpfen Seite seiner Schwertarm-Duel Disk, „diese setze ich und erkläre den Zug für beendet.“ Zischend materialisierte sie sich vor seinen Füßen. Damit war Anya komplett blank. Kein Feld, keine Handkarten, nichts. „Levrier, Statusbericht!“, forderte sie daher.   Nichts, was du hören willst.   Eine zornige Falte bildete sich im Anschluss auf ihrer Stirn. „Na ganz klasse!“ Sie musste sich eingestehen, dass sie noch nicht stark genug war, um ohne jene sagenhafte Fähigkeit Levriers auszukommen. Der Weg zur Duel Queen war dementsprechend noch sehr lang. Aber wenn sie überhaupt etwas von ihrem Traum haben wollte, musste sie eben solche Vorsätze wie das Verzichten auf Schicksalsbeeinflussung vorübergehend außen vor lassen. Plötzlich spürte sie einen Stich in ihrem nicht mehr schlagenden Herzen, als sie sich an den gestrigen Tag und den Streit mit Levrier und Logan erinnerte. Sie wurde sich ihrer eigenen Hilflosigkeit, ihrer Schwäche wieder bewusst. Die Schwäche, die sie an ihrem Traum zweifeln ließ. „Wie konnte ich … jemals …“   Gib nicht auf, noch hast du nicht verloren, Anya Bauer! Eine Duel Queen zeichnet sich gerade dadurch aus, sich ihrer Fehler bewusst zu sein!   Levriers Worte schreckten Anya auf. Hatte er ihre Gedanken gehört!? Oder kannte er sie mittlerweile einfach zu gut um zu wissen, was in ihr vorging. Das Mädchen seufzte. Selbst wenn, im Endeffekt änderten seine Worte nichts an ihrer Abhängigkeit von ihm. „Was auch immer …“ Es half aber alles nichts, zur Zeit stand das sowieso nicht zur Debatte. Kämpfen würde sie trotzdem bis zum Schluss, so viel stand fest. Nervös griff sie nach ihrem Deck. Kacke, ihr ganzer Körper schmerzte. Wenn das nicht noch schlimmer werden sollte, musste sie unbedingt etwas Gutes ziehen! „Komm schon!“, flehte sie ihr Deck an und riss die oberste Karte fort. „Draw!“ Würde ihr Herz noch schlagen, hätte es in diesem Moment regelrecht gegen ihre Brust gehämmert, als sie die Karte zwischen ihren Fingern umdrehte und tatsächlich [Pot Of Avarice] erkannte. „Hell yeah!“, jubelte sie und legte jenen sofort in das schwarze D-Pad ein. „Guck dir den an, du Psycho! Dieser nette Zauber namens [Pot Of Avarice] mischt fünf Monster auf meinem Friedhof in mein Deck zurück und lässt mich zwei Karten ziehen.“ Anya entschied sich für [Gem-Knight Sapphire], [Gem-Knight Emerald], [Gem-Merchant], [Alexandrite Dragon] und ihre neueste Errungenschaft, den [Labradorite Dragon], der wohl in diesem Duell nicht mehr glänzen würde. Als durchsichtige Abbilder tauchten die Karten über ihr auf, bis Anya sie auf ihr Deck legte und jenes durchmischen ließ. Danach legte sie Zeige- und Mittelfinger auf ihr Deck fuhr mit dem Fingernagel ihres Daumens von unten nach oben über den Kartenstapel, bis sie genau die zwei obersten Karten im Griff hatte. Und zog. „Heh“, gluckste sie beim Anblick der neuen Karten, „das wird lustig!“ Sofort zeigte sie eine davon vor, um sie anschließend auf die Duel Disk zu klatschen. „Ich beschwöre [Gem-Knight Alexandrite], einen Kumpel von meinem Drachen!“ Tatsächlich materialisierte sich ein weißer Ritter vor ihr, in dessen Rüstung die gleichen Edelsteine eingelassen waren wie auf der Haut des [Alexandrite Dragons].   Gem-Knight Alexandrite [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   Anya streckte den Arm weit aus. „Aber leider ist seine Screentime eher kurz bemessen, denn durch seinen Effekt opfere ich ihn, um einen normalen Gem-Knight von meinem Deck zu beschwören. Mach Platz für [Gem-Knight Tourmaline]!“ In funkelnden Partikeln löste sich ihr Ritter auf, welche sich sofort wieder zusammensetzten und einen Krieger in goldener Rüstung bildeten, der zwischen seinen Handflächen elektrische Ladungen austauschte.   Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)]   Natürlich hatte Anya bei all dem einen Hintergedanken – den Friedhof mit Stufe 4-Monstern zu füllen. Denn gleich würde dieser Spinner ihre neue Lieblingskarte kennenlernen! Die Blonde nahm ihr Deck aus der Halterung. „In meinem Extradeck gibt es ein ganz besonderes Synchromonster, das ich beschwören kann, wenn ich ein Lichtmonster von meinem Deck auf den Friedhof lege. Und egal ob es ein Empfänger ist oder nicht, durch diesen Effekt wird es dann als einer behandelt, der gerade für die Beschwörung des [Angel Wing Dragons] auf den Friedhof gelegt wurde!“ Endlich konnte Anya ihren [Alexandrite Dragon] nehmen und in den Friedhofsschacht rammen. Über ihr erschien ein massiver, goldener Ring mit über einem Meter Durchmesser. Das Mädchen reckte die Hand nach oben, als wolle sie das Gebilde berühren. „From the light of a different world, the herald of starlight decends upon the ravaged land! By discarding a single star, I call upon you! Synchro Summon! Shine forth!“ Während ihr Tourmaline zersprang und in Form vierer grüner Lichtkugeln durch den Ring glitt, begannen sich vier weiße, federbesetzte Schwingen von ebenjenem zu spannen. „[Angel Wing Dragon]!“ Innerhalb des Gebildes befand sich eine wässrige Oberfläche, ein Tor in eine andere Dimension, aus dem nach vorne ein weißer, schlangenhafter Drachenkopf mit Goldgestell um den Kragen schoss. Aus der anderen Seite drang ein peitschender Schweif, bis beide Seiten perfekt aneinander passten und die komplette Kreatur ergaben.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   Anya ballte eine Faust, während ihr majestätischer Drache über ihr verharrte. „Zeit zum Gegenangriff, Angel Wing! Los, Seraphim Judgment!“ Jener öffnete sein Maul und feuerte umgehend einen weißen Lichtstrahl auf den Kopf des Kristallgottes ab, wobei der Strahl noch von einer goldenen Flamme wie eine Spirale umkreist wurde. „Du greifst ein stärkeres Monster an?“, wunderte sich Ricther. „Sicher nicht ohne Hintergedanken.“ „Was denkst du denn!? Sieh dir die hier an!“, raunte Anya und schob einen Schnellzauber in das D-Pad. Vor ihr klappte die Karte hoch und zeigte eine junge, brünette Frau in weißer Tunika, die ausgiebig einen Speer in ihren Händen betrachtete. „[Forbidden Lance]!“ Genau jene Waffe schoss plötzlich mit wahnsinniger Geschwindigkeit aus der Karte, überholte spielend leicht den Lichtstrahl Angel Wings und traf genau in den blauen Kern des Kopfes von Lastelise. Um den schlugen sofort blaue Blitze.   Different Dimension Deity – Lasteliste [ATK/3000 → 2200 DEF/3000 (10)]   „Das war also deine Absicht.“ „Pft!“ Anya reckte stolz das Kinn. „Nicht nur der Angriffsmalus von 800, mir geht’s auch darum, dass dein Monster jetzt von Zauber- und Fallenkarten unberührt bleibt. Also kannst du es nicht wieder stärker machen!“ Ricther zeigte keine Regung. In diesem Moment schlug Angel Wings Angriff genau dort ein, wo auch die Lanze steckte. Eine heftige Explosion folgte, tausende pinker Kristallsplitter flogen durch die Gegend. Der Hüne wehrte sie ab, indem er einfach seine Schwert-Duel Disk über sich hob. Deren Klinge breitete sich weitflächig aus und war nun mehr ein Schild, denn eine todbringende Waffe. Wie ein Hagel gingen die Splitter auf diesen nieder und prasselten laut klirrend ab.   [Anya: 100LP / Ricther: 3700LP → 3200LP]   Anya atmete tief durch, als es aufhörte. Diesmal war tatsächlich nichts mehr von dem Monster zu sehen. Sie hatte es geschafft! „Der Effekt von [Different Dimension Deity – Lastelise] setzt nun ein!“, erklärte Ricther plötzlich und riss sie aus ihrem voreiligen Triumph. „Wenn er das Feld verlässt, wird eine meiner verdeckt verbannten Karten gewählt und wenn ein selbiges Exemplar davon sich in meinem Deck befindet, erhalte ich es.“ Im Bruchteil einer Sekunde war Ricthers Schutzschild wieder zu einem Schwert geworden. Aus dem Nichts stieg vor seiner Spitze eine einzelne Karte auf, die er sich schnappte und zwischen den Fingern zu Anya umdrehte. „Diese Falle nennt sich [Dimensions Foreboding] und in der Tat befindet sich noch ein Exemplar davon in meinem Deck.“ Aus jenem, welches sich am zurückgezogenen Heft des Schwertes befand, schob sich eine Karte hervor, während Ricther das vorgezeigte Exemplar wieder ins Nichts hinab fallen ließ. „Na ganz toll“, stöhnte Anya, die wieder blank auf der Hand war. „'kay, Zug beendet.“   Ricther zog und besaß nun ganze sieben Handkarten, was einen schier unwirklichen Kontrast zu Anya bildete. Eine davon nahm er und legte sie in seine Klinge ein. „Ich erwecke [Different Dimension Deity – Astellante] aus seinem Schlaf. Genau wie [Different Dimension Deity – Lastelise] muss ich zehn Karten von meinem Deck verdeckt verbannen, um ihn zu beschwören. Wie jede Dimensionsgottheit duldet er keine anderen Monster auf meinem Feld während seiner Anwesenheit.“ Verblüfft sah Anya mit an, wie sich nach und nach zehn Karten aus Ricthers Deck lösten und um die Klinge wirbelnd in einem schwarzen Loch an ihrer Spitze verschwanden. Damit hatte er die Hälfte seines Decks verbannt und vielleicht noch zehn oder so übrig. Wenn sie lange genug durchhielt, würde er sich am Ende selbst besiegen … Jedoch vergaß Anya jenen Gedanken, als aus dem Asphalt um Ricther herum zehn grüne Kristallsäulen geschossen kamen und in die Luft aufstiegen. Zwei davon führten die anderen an und flogen parallel nebeneinander, bis sie etwa zehn Meter über dem Erboden abrupt stehen blieben. Zwischen ihnen bildete sich eine feuerrote Entladung, aus der plötzlich eine schmale Iris drang. Die anderen Kristalle schwebten in zwei Vierergruppen neben den beiden Hauptsäulen und bildeten etwas, das entfernt an Flügel erinnerte. „Uh. Da guckt jemand zu viel Herr der Ringe“, kommentierte Anya gallig das Auge, was auf sie gerichtet war.   Different Dimension Deity – Astellante [ATK/? DEF/? (10)]   „[Different Dimension Deity – Astellantes] Werte richten sich danach, wie viele meiner Karten verdeckt verbannt sind“, erklärte Ricther. „Sie entsprechen dem Zweihundertfachen.“ Weitere Ladungen wurden zwischen den 'Schwingen' der Kreatur ausgetauscht.   Different Dimension Deity – Astellante [ATK/? → 4000 DEF/? → 4000 (10)]   „Oh shit!“, keuchte Anya, die damit nicht gerechnet hatte. „Die Dinger werden ja immer stärker!“ Ricther schwang den Arm aus. „Vernichte [Angel Wing Dragon]! Judgment of D!“ Die acht Kristalle, die eben noch Flügel gemimt hatten, richteten sich ruckartig auf Anyas Drachen und gingen dann wie ein Kugelhagel auf diesen nieder. Überall neben ihr schlugen sie ein und letztlich durchbohrte einer von ihnen Angel Wing. „Aus Kämpfen mit Angel Wing erhalte ich keinen Schaden!“, rief Anya aufgeregt. Jener explodierte schließlich. Und genau so schnell, wie die spitzen Kristalle gekommen waren, flogen sie wieder zurück zu Astellante, als hätte jemand einfach ein Video rückwärts gespult. Erst in diesem Moment bemerkte Anya die dauerhafte Fallenkarte, die vor Ricther offen stand. „Wie du siehst, habe ich vor dem Angriff [Dimensions Twilight] aktiviert, was nur möglich ist, wenn mindestens zehn meiner Karten verdeckt verbannt sind“, berichtete ihr Gegner, „wenn ein Stufe 10-Monster nun einen Feind im Kampf schlägt, bleibt es bis zum Ende deines Zuges vor deinen Zaubern und Fallen immun.“ Anya glaubte sich verhört zu haben. „Was!?“ Dann war dieses Ding ja beinahe unantastbar, solange sie nichts besaß, was stärker war! Das wusste auch Ricther, der eine weitere Karte nahm und in die Armklinge einlegte. „Du kannst nur scheitern, Anya Bauer. Diese Karte setze ich und erkläre meinen Zug für beendet.“ Vor ihm materialisierte sich seine Falle. Und Anya schwang den Arm aus. „Jetzt kann ich zwei Stufe 4-Monster von meinem Friedhof verbannen und [Angel Wing Dragon] reanimieren! Komm zurück!“ Sie schob [Gem-Knight Alexandrite] und [Gem-Knight Tourmaline] in ihre Hosentasche, wobei gleichzeitig der goldene Ring über ihr auftauchte. Aus ihm schoss der imposante, kobraähnliche Drache.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   Die Hand über ihrem Deck verharren lassend, verzog Anya schmollend die Lippen. „Lass mich raten, Levrier. Diese Runde wird es wieder nichts?“   Ich muss meine Machtlosigkeit entschuldigen, Anya Bauer. Hätte ich gewusst, dass uns ein Undying auflauert, hätte ich vorher den hiesigen Walmart aufgesucht und ein dutzend schicksalsändernder Donuts gekauft. Was glaubst du wohl!?   Anya zuckte zusammen. So wütend hatte sie Levrier selten erlebt, dass er sogar eine für seine Verhältnisse moderne Sprache benutzte. War das jetzt bei ihm Dauerzustand, ihr so ans Bein zu pissen!? „Ist ja schon gut!“ Grimmig zog sie eben ohne übernatürliche Hilfe ihre Karte, ihr doch egal, würde schon irgendwie passen. … oder auch nicht. „Na toll.“ Kurz überlegte sie, ob sie die Karte ausspielen sollte, entschied sich letztlich auch dafür. Nicht, dass ihr Gegner am Ende auf die dumme Idee kam, mehr als einmal angreifen zu wollen. „Ich aktiviere [Silent Doom]! Dieser Zauber belebt einen Vanilla vom Friedhof in Verteidigungsposition, allerdings kann der nicht angreifen. Da dort sowieso nur noch [Alexandrite Dragon] liegt, nehm' ich den.“ Vor ihr setzte sich aus funkelnden Partikeln der weiße Drache zusammen, dessen Haut von schimmernden, farblosen Edelsteinen überzogen war, die durch Lichteinwirkung trotzdem bunt anmuteten. Schützend legte er seine Schwingen um den schlanken Körper.   Alexandrite Dragon [ATK/2000 DEF/100 (4)]   Anya verschränke, mal wieder ohne Blatt, die Arme. „Dein Zug, Fettsack!“ Ihr gingen langsam die Optionen aus, dachte Anya aufgeregt. Wenn sie weiterhin so beschissen zog, würde sie verlieren und elendig krepieren! Und das so gar nicht Duel Queen-haft.   Der Undying in seiner gold-silbernen Rüstung und der helmartigen Maske zog und ließ Anya dabei nicht aus seinen dunklen Augen. Mit dem Ausschwingen seines Arms ließ er seine gesetzte Karte schließlich aufspringen. „Ich aktiviere [Dimensions Foreboding].“ Anya erinnerte sich, die hatte er vorhin seiner Hand zugefügt. Da kam sicher nichts Gutes bei raus. „Benötigt werden zunächst fünf verdeckt verbannte Karten, ehe ich sie aktivieren kann. Dann wähle ich eine Karte in meinem Friedhof als Ziel und wenn sich eine desselben Namens unter meinen verdeckt verbannten Karten befindet, erhalte ich das Ziel auf die Hand.“ Demonstrativ zeigt Ricther [Dimensions Reach] vor und erntete augenblicklich von Anya entnervtes Gestöhne. Aus dem Boden schossen die insgesamt zwanzig verbannten Karten Ricthers und staffelten sich in zwei Reihen á zehn Karten vor ihm auf. Die meisten waren Zauber und Fallen, aber Anya sprang sofort die eine Karte ganz rechts in der oberen Reihe ins Auge, die sie nicht sehen wollte. „Großartig … der luckt mich hier weg!“ „Wie du siehst, befindet sich [Dimensions Reach] unter ihnen, wodurch ich das Exemplar von meinem Friedhof erhalte und sofort aktiviere.“ Während die zwanzig Karten wieder im Asphalt verschwanden, begannen die beiden Hauptkristalle Astellantes, zwischen denen sich das Auge befand, grell aufzuleuchten. „Wie du weißt, erhöht [Dimensions Reach] [Different Dimension Deity – Astellantes] Angriffspunkte um ein Hundertfaches meiner verdeckt verbannten Karten“, erklärte Ricther, „und lässt ihn Durchschlagschaden zufügen.“   Different Dimension Deity – Astellante [ATK/4000 → 6000 DEF/4000 (10)]   Anya sagte dazu gar nichts mehr, so sehr stand ihr das Wasser bis zum Hals. Gebieterisch streckte ihr Gegner den Arm aus. „Ich befehle dir, [Alexandrite Dragon] zu vernichten und Anya Bauers Lebenspunkte ein für allemal auf 0 fallen zu lassen! Judgment of D!“ Clever, dachte sich Anya. [Alexandrite Dragon] war nicht vor Durchschlagschaden gefeit, anders als sein großer Bruder Angel Wing. Aber leider wusste Ricther eines nicht. „Pech für dich, [Angel Wing Dragon] kann sich zum Ziel des Angriff machen, wenn mir danach ist!“ Wie beim letzten Mal feuerte Astellante seine insgesamt acht Kristallsäulen auf Anyas Spielfeldseite ab. [Angel Wing Dragon] drängte sich dabei vor den wesentlich kleineren [Alexandrite Dragon] und war es schließlich, der einen der Pfeiler direkt ins Herz bekam und explodierte. „Der zweite Effekt von [Dimensions Foreboding] wirkt“, rief Ricther, „solange diese Falle auf dem Friedhof liegt, werden alle Monster sofort verbannt, sollten sie den Friedhof betreten.“ Die Nase rümpfend, nahm Anya das Synchromonster von ihrer Duel Disk und stopfte es in die linke, hintere Hosentasche ihrer Jeans. Dann sagte sie: „Is' sowieso egal, habe keine Monster mehr auf dem Friedhof, die für Angel Wings Reanimation herhalten könnten.“ Pfeilschnell flogen derweil die Kristalle zurück zu Astallante und bildeten je zu viert dessen Flügel. Zwischen ihnen entluden sich rote Blitze. „Der Effekt von [Dimensions Twilight] wirkt und macht [Different Dimension Deity – Astellante] immun vor feindlichen Zauber- und Fallenkarten, bis dein nächster Zug verstrichen ist, Anya Bauer.“ „Oh wie toll“, ätzte die aufgebracht und runzelte ihre Stirn, „ein Monster, das nicht durch Zauber und Fallen besiegt werden kann, trampelt und mal eben 6000 Kilo auf die Waage bringt. Ich Glückspilz!“ „Du zögerst das Unvermeidliche nur hinaus“, sagte Ricther, „Zug um Zug. Aber deine Lage bessert sich nicht, im Gegenteil. Einerseits ist deine Hartnäckigkeit bewundernswert, aber …“ Anya horchte auf. „Aber was?“ „Nichts. Vergiss, was ich gesagt habe. Meinen Zug erkläre ich für beendet.“   Jetzt hatte sie nur noch [Alexandrite Dragon], überlegte Anya. Ihre beste 'Wall' war weg und würde nicht wiederkommen. Und der Typ hatte noch ganze sechs Karten, um ihr das Leben schwer zu machen und dazu noch genug Lebenspunkte, um selbst einer billigen Verzweiflungstat zu entkommen, sollte Anya irgendeine einfallen. Sie kam nicht umhin sich zu fragen: Wie zur Hölle sollte sie ihn besiegen? Ewig würde sie seinen Angriffen nicht entkommen, das wusste er genauso gut wie sie. War das alles, zu was sie alleine imstande war? Unsicher, ob dieser Kampf überhaupt noch Sinn ergab, sah sie ihr D-Pad an. Beziehungsweise Logans. Der würde ausrasten, wenn er … wenn er erfuhr, dass sie tot war. Toll! Wahrscheinlich würde ihn das nicht mal jucken, nachdem sie sich ja zerstritten hatten. Gott, dieser Idiot!   Du wirst ihn wiedersehen, Anya Bauer. Halte noch ein bisschen durch.   „Darum geht’s doch gar nicht, Levrier“, murmelte sie betrübt, „ich …“ Sie sah zu Ricther auf, welcher sie die ganze Zeit genau beobachtet hatte. „Wieso? Wieso seid ihr so scharf darauf, dass ich ins Gras beiße? Ich dachte, wir Menschen interessieren euch nicht!“ „Das Brechen aller sieben Siegel hat zur Folge, dass ein Schlüssel geboren wird. Nur mit ihm kann der Narthex betreten werden.“ Anya runzelte die Stirn. „Ist das so etwas wie der Nexus?“ „Nein. Der Narthex ist Teil dessen, was alle Welten vereint.“ Ricther sah gen Himmel. „Wer den Narthex betritt, vermag den Nexus zu lenken.“   Ist es das, was der Sammler vorhaben könnte?   Die Blonde zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ist das was Schlechtes?“ „Wenn jene Person sinistre Absichten hegt, ja.“ Ricther richtete sich wieder an Anya. „Das, was sich noch im Narthex befindet, ist nicht weniger gefährlich. Deswegen darf niemand ihn betreten.“ „Und lass mich raten, du sagst mir sicher nicht, -was- genau sich noch im Nardings befindet?“ Ihr Gegner schüttelte den Kopf. „Es ist besser, wenn du das nicht weißt.“ „Wer hätte das gedacht“, gab Anya ärgerlich von sich. Dann griff sie nach ihrem Deck. „Aber fein, hatte eh nicht vor, jetzt noch einen Rückzieher zu machen. Ich werd' dir 'ne Karte aus dem Nardings schicken, wenn ich fertig bin und dann werden wir ja sehen, wer zuletzt lacht! Draw!“ Anya schloss dabei die Augen. Sie spürte nichts, kein Netz aus Pfaden, welches sie zu ihrem Ziel beschreiten musste. Aber Levrier hatte sie ja vorgewarnt, dass es noch dauern würde. Die Augen öffnend, entlockte ihr die gezogene Zauberkarte einen erstaunten Seufzer. „Huh? Die kommt gerade recht!“ Sofort rammte sie sie in ihr D-Pad. „Lauscher aufgesperrt! [Gem-Trade]! Um sie aktivieren zu können, muss sich zunächst [Gem-Knight Fusion] oder zumindest irgendwas, was Gem-Knight-Fusionen beschwören kann, auf meinem Friedhof befinden.“ In diesem Fall dachte Anya an [Fragment Fusion], war ihr das Original ja in diesem Duell verwehrt geblieben. „Dafür darf ich dann ein Gem-Knight-Fusionsmonster verbannen und für jede drei Stufen eine Karte ziehen. Allerdings muss ich dann für dieselbe Zahl an Zügen meine Draw Phase überspringen.“ Sie zeigte [Gem-Knight Ruby] vor und schob sich diesen dann in die hintere Hosentasche, ehe sie zwei Karten aufzog.   Anya Bauer! Beschwöre mich!   Anya, die unter anderem ein Monster gezogen hatte, sah sich verwirrt um. Levrier war aber nicht erschienen. „Warum!? Ich sollte eher mehr Monster rufen, damit er mich nicht klein kriegt! Vielleicht halte ich durch, bis er keine Karten mehr im Deck hat!“ So viel Zeit hast du nicht, deine Mittel sind nicht unerschöpflich, um seinen Angriffen auszuweichen. Vertraue mir!   Was leichter gesagt als getan war. Ricther würde Levrier sofort überrennen und Anya wollte sich nicht ausmalen, was dann mit ihm geschah. Schließlich wusste sie nicht, ob dieses Zukunftspfaddingens nur für sie galt oder für alles, was sich in dieser verzerrten Welt befand. „Bist du sicher?“, fragte sie skeptisch. „Du weißt, was dich erwartet, wenn …“   Wie ich sagte, vertraue mir.   Sich an die Stirn fassend, lenkte Anya skeptisch ein. „Also schön, aber wehe das geht schief. Ich beschwöre [Gem-Knight Turquoise]!“ Neben ihrem Drachen erschien ein Ritter in hellblauer Rüstung, die mit gleichfarbigen Edelsteinen gespickt war. Mit sich führte er einen Bogen.   Gem-Knight Turquoise [ATK/1400 DEF/2000 (4)]   In die Verteidigungsposition.   Das wusste sie selbst, dachte Anya, sie war schließlich nicht lebensmüde! Zumindest nicht mehr als sonst! Selbstbewusst streckte sie den Arm gen Himmel aus. „Ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster!“ Ihre beiden Monster verwandelten sich in einen gelben und einen braunen Lichtstrahl und verschwanden in dem Schwarzen Loch, das sich inmitten des Spielfelds auftat. Aus diesem entstieg ein weißer Ritter. „Erscheine, [Gem-Knight Pearl]!“ Dieser schwebte sofort zu Anya herüber und baute sich zusammen mit seinen sieben riesigen Perlen sowie den beiden Overlay Units vor ihr auf. Unter seinem Helm leuchteten blaue Augen. Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4} OLU: 2]   Gut gemacht, Anya Bauer. Du wirst es nicht bereuen.   „Das hoffe ich auch für dich!“, schnauzte sie Levriers physische Gestalt nervös an. Dabei zückte sie ihre letzte Handkarte und schob sie in den schwarzen Apparat an ihrem Arm. „Die da setze ich verdeckt und beende meinen Zug.“ Mit einem Zischen tauchte die Falle vor ihren Füßen auf.   Ricther nahm stillschweigend die nächste Karte von seinem Deck, verharrte anschließend einen Moment, bis er sie wegsteckte und den Duel Disc-Arm anhob. Zwar mochte sein Kopf seinem Blatt zugewandt sein, doch sein Augenmerk lag allein auf Anya. Die fühlte sich regelrecht durchbohrt von seinem nachdenklichen Blick, was ätzender war als jeder seiner Angriffe. „Was ist!?“ Er murmelte etwas, doch Anya konnte nicht verstehen, was es war. Schließlich ergriff er lautstark das Wort. „[Different Dimension Deity – Astellante], vernichte [Gem-Knight Pearl]! Judgment of D!“ „Levrier!“, schrie das Mädchen aufgeregt, als der Kristallgott seine acht unbenutzten, spitzen Säulen auf ihren Partner richtete. Alles wird gut. Du bist nicht schwach, Anya Bauer!   Ehe sie antworten konnte, schossen die Kristalle nacheinander in ihre Richtung. Zwei von Ihnen trafen Levrier direkt in die Brust, spießten ihn auf. Dabei entglitt ihm ein grauenhafter Schrei, der Anya erschaudern ließ. Vergiss … die … Falle nicht …!   „Ah! Ja, Falle aktivieren!“ Zerstreut schwang Anya den Arm aus. „[Magic Deflector]! Für diesen Zug setzen die Effekte aller dauerhaften Zauber, Ritualzauber, Schnellzauber und Ausrüstungszauber aus. Also kein Trampelschaden!“ Aus der magenta-farbenen Karte schwebte ein Satellit, der mit seiner Antenne grüne Wellen aussendete. Diese erreichten Ricther gerade rechtzeitig und ließen um seine offen stehende [Dimensions Reach] Funken schlagen. Das innere Leuchten von Astellante erlosch.   Different Dimension Deity – Astellante [ATK/6000 → 4000 DEF/4000 (10)]   Eine Sekunde später explodierte Levrier bereits. Von einem heftigen Windstoß erfasst, schütze Anya sich mit ihren Armen gegen die Schockwelle und konnte sich gerade so auf den Beinen halten, während sie zurückgedrängt wurde. „Da [Dimensions Foreboding] auf meinem Friedhof liegt, werden all deine Monster verbannt, Anya Bauer“, sagte Ricther.   Jetzt! Die Zeit ist gekommen!   Plötzlich befand sie sich nicht mehr inmitten der puzzlehaften Einkaufsstraße, sondern in einer dunklen Welt, die nur noch aus dem bunten Mosaik der Erde bestand, in dessen Mitte sie stand – ihr Elysion. Um sie herum schwebten die sieben Perlen von [Gem-Knight Pearl], doch sie leuchteten nicht, waren seltsam farb- und glanzlos. „Ich … erinnere mich …“, stammelte sie. Vor ihr materialisierte sich Pearl, dessen weiße Rüstung an allen Ecken und Enden aufgeplatzt war. „Wir haben unseren Pakt damals neugeschrieben, Anya Bauer.“ „Willst du damit sagen, dass-!? Ich meine, ich wusste, dass du irgendwas vorhast, aber-“ Ihre Stimme überstürzte sich regelrecht. „Aber ich dachte, -die- gibt es nicht mehr!? Und außerdem, zwischen uns besteht kein Pakt mehr, wie kannst du da-?“ Levrier streckte ihr die Handfläche aus, hielt sie ihr entgegen. „Indem ich lebe.“ Der Gedanke an das Kommende gefiel Anya gar nicht. „Aber wird das nicht all deine Kraft verbrauchen?“ „Dann sei es so. Ich lasse dich nicht sterben, Anya Bauer!“ Das Mädchen biss sich auf die Lippen, rang mit sich selbst. „Ich dich auch nicht!“ Dann legte sie ihre Handfläche auf die seine. Von dort begann ein grelles Licht zu leuchten …   … und Anya war zurück in der noch nicht geschriebenen Realität. Sofort streckte sie den Arm mit gehobenem Zeigefinger in die Höhe. „Mach dich auf was gefasst und diesmal meine ich es so! Ich rekonstruiere das Overlay Network!“ Vor Anya öffnete sich der schwarze Wirbel, doch gab es nichts, was er hätte absorbieren können. Dies überraschte selbst den sonst so gestandenen Ricther derart, dass er zurückwich. „Du tust was?“ „Ich zeige dir die Inkarnation, die jede Regel missachtet! Du hast Pearl zerstört, also wirst du jetzt den Preis dafür zahlen!“ Anya atmete tief durch. „Wenn der letzte Krieger fällt, wird das Licht der Hoffnung in ihm erwachen! Eine neue Kraft wird geboren, geformt von Kameradschaft und Stolz! Steige wie Phönix aus der Asche!“ Mit einem Mal schoss eine gewaltige Energiesäule aus dem Überlagerungsnetzwerk bis in den Himmel. In ihr war eine schattenhafte Gestalt wahrzunehmen. Anya nannte sie: „[The Last Gem-Knight – Pearl Radiance], zeig dich!“ Gleichzeitig explodierte die Lichtsäule regelrecht und löste eine Schockwelle aus, die sämtliche aus dem Gefüge gerissenen Teile ihrer Umgebung zerspringen ließ und selbst den Hünen beinahe von den Füßen riss. Und da war er dann schließlich. In pechschwarzer, mit allen nur erdenklichen Edelsteinen gespickter Rüstung trat der neue Pearl aus dem Overlay Network hervor. Hinter seinem Rücken schwebten die sieben Perlen, verbunden durch Energielinien in einer Formation, mit der sie an Engelsflügel erinnerten. Die bunten Federn an seinem Helm wippten ob seiner kaum wahrnehmbaren Aura hin und her. Und in seiner Brust gab eine achte Perle goldenes Licht frei.   The Last Gem-Knight – Pearl Radiance [ATK/2600 DEF/1900 {4} OLU: 1]   Ich hoffe, das Ergebnis meines Walmart-Besuchs ist zu deiner Zufriedenheit ausgefallen, Anya Bauer.   „Abso-fucking-lut.“ Anya grinste wie ein Honigkuchenpferd. „Da du Pearl vernichtet hast, hast du seine Inkarnation ausgelöst. Dabei bekommt Levrier seine alte Version obendrein als Xyz-Material, egal ob er durch deine Falle verbannt wurde oder nicht.“ Diese stieg als Licht aus Anyas D-Pad auf und verschwand in der goldenen Perle in Levriers Brust. „Eine interessante Wendung“, kommentierte Ricther dies und nahm eine Karte aus seinem Blatt, „diese Karte setze ich und erkläre meinen Zug für beendet.“ Die Verdeckte erschien vor seinen Füßen, ganz zu Anyas grimmiger Freude. Ihr Gegner erklärte: „Da der Zug nun beendet ist, verliert dein [Magic Deflector] seine Wirkung. Darüber hinaus verbannt sich [Dimensions Foreboding] nun, nach der dritten End Phase ihrer Aktivierung, verdeckt von meinem Friedhof. Zudem ist mein Monster vor deinen Zauber- und Fallenkarteneffekten geschützt, da es wieder einen Feind niedergerungen hat.“   Different Dimension Deity – Astellante [ATK/4000 → 6300 DEF/4000 (10)]   „Oh guck mal Levrier, der ist ja noch stärker geworden“, gab Anya hämisch zum Besten. Auch wenn rote Entladungen zwischen den Kristallsäulen stattfanden, war es ihr egal, ob das Ding nun vor ihren Zaubern und Fallen sicher war – sie hatte und brauchte ohnehin keine.   Stattdessen verschränkte sie hochmütig die Arme und legte den Kopf schief. „So, da ich [Gem-Trade] letzte Runde aktiviert habe, darf ich nicht ziehen. Sei's drum, für mich ist die Standby Phase sowieso viel wichtiger!“ Ricther fragte: „Aus welchem Grund?“ „Weil du ein Trottel bist“, zischte sie voller Genugtuung, „dank deiner blöden Falle hast du so viele meiner Monster verbannt, dass Levrier jetzt ein wahres Festmahl an Xyz-Material erhält!“ Insgesamt sieben Lichter traten plötzlich aus ihrem D-Pad aus. Sie gehörten zu den Gem-Knights Alexandrite, Tourmaline, Garnet, Ruby, Turquoise sowie zu [Angel Wing Dragon] und [Alexandrite Dragon]. Sie alle verschwanden in Pearl Radiances Brust.   The Last Gem-Knight – Pearl Radiance [ATK/2600 DEF/1900 {4} OLU: 1 → 8]   „Ganz richtig, in meiner Standby Phase erhält Levrier alle verbannten Monster zu seiner freien Verfügung. Oh, und er wird verfügen! Zeig's ihm doch mal!“ Anya zog zwei Xyz-Materialien unter Pearls Karte hervor. „Der chronologisch zweite Effekt von meinem Buddy besagt, dass ich jetzt alle Karteneffekte für diesen Zug lahmlegen werde, außer sie gehören zu Gem-Knights!“ Levrier streckte seine Arme weit aus. An seinem rechten Panzerhandschuh war ein Rubin angebracht, am linken ein Saphir. Mit ihnen absorbierte er zwei Lichtstrahlen, die aus seiner Brust austraten.   The Last Gem-Knight – Pearl Radiance [ATK/2600 DEF/1900 {4} OLU: 8 → 6]   Anya schwang den Arm aus. „Chains of Virtue!“ Ihr Krieger ballte zwei Fäuste, nur um diese wieder zu öffnen. Aus ihnen schossen dutzende Kristallketten, die zu Ricthers verdeckter Karte, seiner offenen [Dimensions Reach] und hin bis Astellante flogen und diese fest umwickelten. Sogar er selbst wurde zum Opfer, schlangen sich gleich vier davon um seinen ganzen Körper. „Ist nicht so angenehm, huh!?“ Ricther wehrte sich allerdings gar nicht weiter gegen seine Fesseln, was Anya ein wenig aus dem hochmütigen Konzept brachte. Drum wollte sie umgehend eins drauf setzen. „Jetzt pass' mal auf, was Levrier noch drauf hat! Ich hänge ein weiteres Xyz-Material ab und aktiviere seinen nächsten Effekt! Half Gem!“ Mit seiner Faust schlug sich Pearl Radiance in die Brust, genauer gesagt in die Perle dort, welche in zwei Teile zerbarst und ein grelles Licht freigab. Jenes begann auch von Innen heraus aus den Kristallen Astellantes zu glühen, welcher daraufhin begann, sich durch ruckartiges Hin-und-her-Bewegen mit aller Macht gegen seine Fesseln zu wehren – vergebens.   Different Dimension Deity – Astellante [ATK/6300 → 3150 DEF/4000 (10)] The Last Gem-Knight – Pearl Radiance [ATK/2600 → 5200 DEF/1900 {4} OLU: 6 → 4]   „Half Gem halbiert die Angriffskraft deines Monsters“, erklärte Anya und zeigte noch ein Xyz-Material vor, welches sie zwischendurch abgehangen hatte, „und [Gem-Knight Turquoise] verdoppelt die von Levrier, da ich ihn abhängen kann, wenn ein Gem-Knight als Xyz-Material entfernt wurde, um meinem Kumpel ein bisschen stärker zu machen.“ Tja, das wusste niemand, dachte sich Anya zufrieden. Dass man Turquoises Effekt auch dann aktivieren konnte, wenn er nicht selbst dafür sorgt, dass er und ein Gem-Knight abgehangen wurden. „Sieht ganz so aus, als wäre ich dir jetzt so'n bisschen überlegen“ meinte sie stolz und schwang den Arm aus, „noch irgendwelche letzten Wünsche?“   Anya Bauer, sei nicht so voreilig. Wir haben noch lange nicht gewonnen!   Allerdings juckte Levriers Mahnung sie überhaupt nicht. Der gefesselte Ricther erwiderte knapp: „Ich habe dir alles gesagt, was es für dich zu wissen gilt.“ „Blechbüchse“, begann sie dann plötzlich in einem völligen Stimmungswechsel und sah ihren beinahe einen Meter größeren Gegner fest in die Augen, „falls du überleben solltest, dann … hilf mir. Egal ob du es darfst oder nicht, ist mir scheißegal.“   Anya Bauer, was sagst du da!?   „Ganz egal was ich tue, wenn ich wirklich alle Siegel breche“, erklärte sie weiter, „wird der Sammler mich wegwerfen. Oder weiter benutzen, falls das nur der Anfang war. Aber du hättest vielleicht eine Chance gegen ihn.“ Ricther schwieg. „Ich werde nicht vor dir auf Knien drum flehen, klar!? Wenn du mir nicht hilfst, such ich mir jemand anderes!“ Der hatte ja keine Ahnung, wie schwer ihr es fiel, diese Worte überhaupt auszusprechen. Um Hilfe zu bitten. Das letzte Mal dieser Größenordnung war, als sie im Turm von Neo Babylon festgesteckt und sich alle ob ihres Verrates von ihr abgewandt hatten. Und doch hatten ihre Freunde ihr am Ende versucht beizustehen. Aber ob das bei dem auch funktionieren würde …? Eher nicht. „'kay, wenn du nichts zu sagen hast, beende ich das hier jetzt! [The Last Gem-Knight – Pearl Radiance], greife [Different Dimension Deity – Astellante] an! Divine Sword of Purity!“ Ihr schwarzer Ritter streckte den Arm aus. Ein gleichfarbiger Blitz fuhr über seine gespreizte Handfläche und erzeugte eine düstere Klinge, in die das komplette Arsenal der Gem-Knight-Edelsteine eingelassen war. Würdevoll umschlossen seine Finger den Griff, da schoss er auch schon pfeilschnell vom Boden in die Luft, mitten auf das Auge zwischen den beiden Hauptkristallen zu. „Mach es kalt!“, knurrte Anya. Und das tat Levrier. Mit zwei Hieben über Kreuz zerstörte er die beiden Kristalle und sorgte so dafür, dass das projizierte Auge zwischen ihnen explodierte. Die anderen Kristalle verloren ihre Kraft und fielen wie abgeschossene Vögel in die Tiefe – dorthin, wo Ricther stand.   [Anya: 100LP / Ricther: 3200LP → 1150LP] „Jetzt lernst du den letzten Effekt von Pearl Radiance kennen!“, schrie Anya aufgeregt. „Vier Xyz-Materialien kostet er, wenn er ein Monster besiegt. Und wenn du jetzt genau so eins nicht von deiner Hand abwerfen kannst, habe ich automatisch gewonnen! Los, Levrier, The Last Strike!“   The Last Gem-Knight – Pearl Radiance [ATK/5200 DEF/1900 {4} OLU: 4 → 0]   Unmöglich, schoss es ihr dabei durch den Kopf. Das würde nie funktionieren, Ricther hatte ganze sechs Handkarten. Da würde mit Sicherheit ein Monster drunter sein. Aber wenn er dieses wenigstens verlor, war ihr schon gut geholfen …   Levrier indes machte einen Bogen und flog an den in die Tiefe fallenden Kristallsäulen vorbei, auf den gefesselten Ricther zu. Die Klinge vor sich gerichtet, rammte er diese direkt in seines Feindes Nacken. Es folgte eine finstere Explosion, die Rauch aufwirbelte. Keine Sekunde später krachten zwei der Kristalle genau in die Stelle, an der der Hüne gestanden hatte. Die anderen schlugen rings um ihn ein. Anya stockte der Atem. Vielleicht musste sie gar nicht gewinnen? Würde es nicht reichen, wenn diese Teile Ricther erschlugen? Nein … er war unsterblich. Vermutlich würde selbst Levrier ihn mit all seiner Macht nicht töten können, weshalb sie überhaupt erst um Hilfe gebeten hatte. Und doch, ein Funken Hoffnung war da.   Ihr Fuß wippte aufgeregt, wartete sie darauf, dass der Rauch sich legte. Wo zur Hölle blieb Levrier? Der Lebenspunktestand änderte sich auch nicht mehr, was war da los? Hatte er tatsächlich ein Monster abgeworfen? Wieso meldete sich die Schrottkiste dann nicht? Jene Ungewissheit zerrte derart an ihren Nerven, dass sie sich auf den Daumen biss. Dann löste sich der Rauch langsam auf, Anya streckte sich kerzengerade. Da war eine schattenhafte Gestalt und stand aufrecht. Aber wer war es, Levrier oder Ricther? Sie konnte es nicht genau erkennen. „Lass es Levrier sein“, murmelte sie. Wenn er es nicht war, konnte sie davon ausgehen, dass ihr Partner das Zeitliche gesegnet hatte. Wortwörtlich … Schließlich hatte sich der Qualm ganz verzogen. Um die Gestalt herum lagen die zerborstenen Kristalle. Ein Schwert in ihrer Hand wurde sichtbar, als sie sich Anya zu wandte. Aber ihre Größe verriet sie. Denn Pearl Radiance war bestenfalls so groß wie Nick! Es war Levrier, der dort stand!   [Anya: 100LP / Ricther: 1150LP → 0LP]   Anya begann zu rennen. Ihre Beine wollten sie kaum tragen, so wabbelig fühlten sie sich an. Doch das hielt das Mädchen nicht davon ab, ihrem Freund um den Hals zu fallen. Der schwarze Ritter brach ob jener unerwarteten Geste fast unter Anyas Umarmung ein. „Der Mistkerl ist weg! Du hast ihn in die Hölle geschickt, wo sein unsterblicher Kadaver hoffentlich für immer schmoren wird!“   Er ist nicht tot, sondern hat die Flucht ergriffen.   Etwas unbeholfen, nicht zuletzt weil er es nicht gewohnt war, eine physische Form zu besitzen, tätschelte Levrier den Rücken der Blondine. Die sah enttäuscht zu ihm auf, auch wenn es sie nicht überraschte. „'kay, hätte ja sein können …“ Ich fürchte, ich muss jetzt für eine lange Zeit ruhen. Du hörst von mir, Anya Bauer.   „D-danke“, murmelte sie verhalten und ließ ihn los. Vor ihr löste er sich in schwarzen Partikeln auf. Als er weg war, erlaubte Anya ihren Beinen endlich nachzugeben. Sie sank auf die Knie und sah gen Himmel. „Tch … wieder einmal davongekommen, huh?“   Das Rot um sie herum verflog zunehmend. Stimmen drangen an ihr Ohr, die Einkaufsstraße war wieder belebt, ja geradezu überfüllt mit Menschen. Alles sah wieder normal aus, der Blumenladen, das Café gegenüber. Und sie? Saß mitten auf der Straße. Und wurde fast überfahren, als unvermittelt hinter ihr ein Wagen mit quietschenden Bremsen hielt und hupte. In dem Moment spürte sie, wie ihr Herz schlug. Anya sprang auf und streckte dem Fahrer noch den Mittelfinger entgegen, während sie planlos über die Straße eilte.   Was sollte sie jetzt tun? Matt und Zanthe davon erzählen? Musste sie wohl oder übel. Es war kaum zu glauben wie viel Glück sie gehabt hatte. Wer hätte gedacht, dass sie Ricther tatsächlich besiegen konnte? Ohne Levrier wäre ihr das nie gelungen, ein weiterer Beweis dafür, dass sie … schwach war. Aber das war jetzt nebensächlich. Hoffentlich hatte das Duell Levrier nicht zu sehr geschafft. Dagegen sah sie selbst ganz gewiss nicht mehr so aus, als ob sie gerade einen ihrer schwersten Kämpfe ausgetragen hatte. Dieser zukünftige Pfad, er war nicht zur Realität geworden, nichts verriet mehr von ihren Wunden. Aber was sollte sie jetzt tun? Am besten wäre es, wenn sie jetzt erstmal nachhause ging und dort nach dem Rechten sah, nur für alle Fälle. Außerdem war es an der Zeit, einen alten Langzeitplan aufzutauen. Eins war so sicher wie das Amen in der Kirche: Diesen Deppen hatte sie nicht das letzte Mal gesehen! Aber nächstes Mal würde sie vorbereitet sein! Wie schön für Zanthe und Matt, dass die beiden Napfsülzen sich mit Nicks Mutter vergnügten und so schön um den Kampf drumherum gekommen waren. Denen würde sie die Hölle heiß machen, dachte Anya grimmig und überlegte schon, wie sie die beiden am besten als Bodyguards missbrauchen konnte.   Und doch … so sehr sie versuchte, einen auf taff zu machen, ihre Beine waren immer noch weich wie Pudding, als sie den Bürgersteig entlang lief. Die Undying waren schlimmer als alles, was sie bisher kennengelernt hatte. Konnten die denn wirklich nicht sterben? Wie sollte sie dann mit ihnen fertig werden? Gedankenverloren rannte sie dabei durch Livington, rempelte unbeholfen Leute an und beschimpfte sie nicht einmal dafür.   -~-~-   Eine halbe Stunde später war Anya zuhause angekommen, doch ihre Mutter traf sie nicht an. Die Stufen ins obere Stockwerk nehmend, fragte sich Anya, ob sie nicht im Büro ihrer Mum anrufen sollte, nur um sicherzugehen, dass es ihr gut ging. Aber als sie ihr Zimmer betrat, um nach dem Telefon zu suchen, wurde sie bereits erwartet. Der rothaarige Sammler stand am Fenster neben ihrem Schreibtisch und sah hinaus in die Ferne. „Du hast überlebt. Damit bist du eindeutig die richtige Wahl“, sinnierte er zufrieden und drehte sich zu ihr um, „aber ich fürchte, das war nicht der letzte Angriff seiner Art.“ Anya krallte sich am Türrahmen fest, nur um nicht sofort auf ihn loszugehen. „Ein bisschen Hilfe hätte nicht geschadet!“ „Wenn ich dir helfe, werden sie wissen, dass ich dein Auftraggeber bin. Und das kann ich nicht gebrauchen.“ Er strich sich mit angewidertem Blick einen Fussel von seinem schwarzen Sakko. „Keine Sorge, ich unterstütze dich bereits auf andere Weise. Schließlich ist mir dein Wohl sehr wichtig.“ Die Zähne zusammenbeißend, versuchte Anya ihre ohnehin sehr sparsam bemessene Geduld nicht zu verlieren. „Laber' keinen Schwachsinn! Ich bin dir scheißegal! Dir geht’s um den Narsonstwas, sonst nichts!“ „Oh?“ Der Rothaarige zuckte mit den Augenbrauen. „Wer hätte gedacht, dass der Gute so mitteilungsfreudig ist. Nun, ob dem so ist, überlasse ich allein deinem Urteil.“   Dies gesagt, trat er auf sie zu. Anya wich keinen Millimeter zurück, obwohl sie wusste, dass dieser Dämon sie auf ein Himmelfahrtskommando geschickt hatte. „Du bist hier in ernster Gefahr, Anya Bauer“, sagte er, als sie sich näher waren, als ihr lieb war, „im Moment ist Ricther mit sich selbst beschäftigt, das Duell muss ihn erschöpft haben. Aber wenn er erst wieder bei Kräften ist oder eine seiner beiden Hände schickt, dann solltest du bereits an einem weit entfernten Ort sein, wenn du leben willst.“ „Ahja? Und wo soll ich hin?“ Leise fügte sie hinzu: „Der Job erledigt sich nicht von allein …“ „Nicht umsonst habe ich dir mehr als ein Paar meiner Handschuhe überlassen.“ „Ach, meine Freunde sind gut genug, um für dich zu sterben, ja!?“, fauchte Anya ihn wutentbrannt an, aber er winkte ab. Stattdessen lächelte der Sammlerdämon geheimnisvoll. „Es ist deine Entscheidung. Wie du weißt, findet bald der Legacy Cup statt. Eines deiner Ziele, Claire Rosenburg, wird dort ebenfalls zugegen sein.“ „Also soll ich sie dort einschleusen, huh?“ Das erinnerte die Blonde an etwas. „Nick hatte auch so etwas erwähnt. Kannst du vergessen, wenn jemand daran teilnimmt, dann ich!“ „Betrachte meine Worte als gut gemeinten Ratschlag: Du solltest das Angebot von Aiden Reid ausschlagen und einen anderen Weg finden, sie zu stellen.“ Der Collector verengte seine Augen. „Dieses Turnier wird in allen erdenklichen Medien übertragen werden. Sie – und andere – würden dich sofort entdecken.“ Plötzlich legte er seine Hand auf die ihre am Türrahmen, auch wenn er einen Moment zögerte, höchstwahrscheinlich aufgrund seiner Bakterien-Phobie. Welche bei Anyas, für gewöhnlich nicht gerade pflegeleichtem, Erscheinungsbild vermutlich schon für innere Panikattacken bei ihm sorgte. „Und weil mir dein Wohl so sehr am Herzen liegt, gebe ich dir noch einen Rat. In deinem jetzigen Zustand wirst du sie nicht besiegen können. Egal wie gut du glaubst zu sein, kein Mensch könnte es. Also rate ich dir, dich nach einem neuen Paktpartner umzusehen.“ Nun reagierte Anya doch und riss sich von ihm los, stolperte rückwärts aus dem Zimmer. „Nie im Leben! Eher sterbe ich, als noch einmal diese Scheiße mitzumachen!“ Der Sammler nahm einen Schritt zurück. „Oh, glaube mir, das wirst du auch. Claire Rosenburg ist anders als alle deiner bisherigen Gegner. Aber es war nur ein Rat, die Entscheidung liegt letztlich bei dir allein.“ Hinter ihm öffnete sich ein schwarzes Portal. „Wir werden uns zu gegebener Zeit wiedersehen. Aber jetzt solltest du deine Koffer packen und so schnell wie möglich verschwinden.“ Dann drehte er sich um und verschwand in dem Tor, welches sich sofort hinter ihm schloss.   Anya stand nur sprachlos im Flur und wusste nicht, wohin ihre Gedanken als Erstes gehen sollten. Abhauen? Jetzt sofort? Was würde dann aus ihrer Mutter werden? Und ihrem Job? Mr. Palmer würde sie umbringen, wenn sie wieder eine Auszeit nahm! Wenn sie das Nick, Abby und den anderen erzählte, würden die durchdrehen. Langsam trat Anya wieder in ihr unaufgeräumtes Zimmer ein, welches mit einem Mal befremdlich auf sie wirkte. Orientierungslos ließ sie sich auf ihr Bett fallen und begann, so sehr sie sich auch dagegen strebte, nachzudenken.   Einige Zeit verging, da stürmten plötzlich Matt und Zanthe in ihr Zimmer. „Was ist passiert?“, fragte Ersterer sofort. „War jemand hier?“ Abwesend erwiderte Anya: „Was macht ihr denn hier?“ „Ich hab irgendwas gerochen, was mir bekannt vorkam“, meinte der Werwolf, „es stank ganz schön arrogant. So sehr, dass es selbst über tausende Meter hinweg bis hierher verfolgen konnte.“ Anya brummte: „Der Sammler …“ Und erzählte ihnen im Anschluss von ihrem ach-so-tollen Tag.   -~-~-   Als Aiden Reid sein Büro betrat, hatte er am allerwenigsten damit gerechnet, dass sein Chefsessel bereits von einem anderen in Beschlag genommen wurde. Der Sessel, den er sich erst vor einem Jahr schwer erarbeitet hatte. Und derjenige, der auf diesem Stuhl saß, war imstande, all diese Mühen innerhalb kürzester Zeit zunichte zu machen. Das wusste Aiden auch ohne zu sehen, wer auf dem ihm abgewandten Stuhl Platz genommen hatte. Ungeachtet dessen war es die Art des brünetten Geschäftsmanns immer zu lächeln. In dem Fall fiel ihm das aber nicht außergewöhnlich schwer. „Du erzböser kleiner Teufel“, sagte Nick und drehte sich zu ihm mit einem zuckersüßen Lächeln um, „du wartest nicht einmal vierundzwanzig Stunden und ziehst schon meine Familie in deine Abgründe. Verhöre ich mich oder tickt da die biologische Uhr?“ Aiden grinste. „Seit wann bist du so spitzzüngig?“ „Das habe ich mir von einer guten Bekannten abgeschaut.“ „Und du? Du lässt keine vierundzwanzig Stunden verstreichen und hackst dich schon in unseren Main Server.“ Aiden schloss die Tür hinter sich, ohne Nick dabei aus den Augen zu lassen. „Man möchte meinen, du hörst eine Bombe ticken.“ Nick erwiderte das Grinsen. „Oh ja. Tick tack … tick tack …“ „Du hast die Dateien nicht gefunden, die dich belasten, nicht wahr? Oder vielleicht hast du es auch, weißt aber, dass es längst Kopien davon gibt, die sich deiner Kontrolle entziehen. Sonst wärst du jetzt nicht hier.“ „Ich arbeite daran“, versprach Nick gut gelaunt, „aber ich habe dafür etwas ganz anderes gefunden, Aiden.“ Jener durchschritt das Büro und setzte sich auf seinen Schreibtisch. „Deinen Arbeitsvertrag?“ „Nein.“ Nick beugte sich vor und verlor plötzlich all sein Strahlen. „Monochrome.“ Ebenso Aiden. Der sah sofort weg.   „Tu nicht so, Aiden. Du wolltest, dass ich es finde“, sagte Nick mit schnarrender Stimme, „jemand wie du würde sonst niemals riskieren, dass etwas von dieser Tragweite von einem der besten Hacker auf diesem Planeten entdeckt wird.“ Nick lehnte sich entspannt zurück. „Die Frage ist nur, warum? Warum sollte ich Monochrome sehen?“ „Um dich zu erinnern, was wir uns einst versprochen haben“, sagte Aiden steif. „Die Welt verändern, richtig? Ich bitte dich“, gab Nick voller Verachtung wieder und beugte sich aufs Neue vor, „dafür ist es zu spät und das weißt du. Ich kann dir nur den 'freundschaftlichen' Rat geben, dieses Programm zu zerstören.“ „Dein Baby zerstören?“ Aiden sah Nick liebevoll an. „Das würde ich nie tun und das weißt du.“ „Das solltest du aber“, erwiderte der junge Mann eiskalt, „bevor jemand herausfindet, was -du- damit angestellt hast.“ Aiden sah Nick fragend an, also nahm sich dieser seinen Laptop und drehte ihn so um, dass Aiden sehen konnte, was dort schwarz auf weiß stand. Und es ließ ihn erblassen. „Leb' wohl, Aiden“, hauchte Nick mit unterschwelliger Endgültigkeit, richtete sich sprunghaft auf und watete durchs Zimmer. Sein Ex-Freund aber lachte plötzlich vergnügt. „Wie berechenbar du bist, Eli.“ „Nenn' mich nicht so“, verlange Nick und drehte sich um. Er spürte, wie sich sein Magen zusammenzog. „Papi schmeißt dir ein paar Brotkrumen hin und du folgst brav der Spur“, Aiden nickte, „ja, Eli, du bist wirklich außer Form. Dachtest du, ich wüsste nicht, dass du das Programm starten würdest?“ Nicks Lippen umspielten plötzlich ein zuckersüßes Lächeln. „Hast du überhaupt nachgesehen, wer der Empfänger ist?“ „Das war gar nicht nötig. Denn das wusste ich schon bevor du überhaupt den ersten Tastenschlag getätigt hast. Und -er- auch.“ „Das ist unmöglich!“, verlor Nick die Fassung. „Er würde-“ „Er ist genau wie alle anderen, Eli. Und du hättest ihn getötet, ohne mit der Wimper zu zucken, hätte ich nicht vorher Kontakt mit ihm aufgenommen und gewarnt.“ Aiden sah Nick eindringlich, gleichwohl herausfordernd an. „Wer ist jetzt das böse kleine Teufelchen von uns?“   Nick verlor den Halt und sackte gegen die Tür, sah Aiden in einer Mischung von Entsetzen und aufrichtiger Bewunderung für so viel Hinterlist an. Jetzt hatte Aiden noch ein Druckmittel mehr in der Hand. Und jemanden auf seiner Seite, den Nick niemals als Feind gewollt hatte. Mr. Bauer höchstpersönlich. Welcher jetzt womöglich von Monochrome wusste und dass Nick es gegen ihn eingesetzt hätte …   „Nimm mein Angebot an und ich sorge dafür, dass dein Vater ein Auge zudrückt. Und Gott allein weiß, wie oft er schon Augen und sämtliche anderen Körperöffnungen für dich zugedrückt hat“, sagte Aiden mit einer Spur Triumph in der Stimme, „noch weiß er nicht, wer genau ihm da an die Gurgel wollte. Wenn er erfährt, wessen Identität du angenommen hast, dann wirst du dir wünschen, in dem Feuer umgekommen zu sein. Er hält dich für tot, genau wie der Rest der Welt.“ „Und dafür gehst du das Risiko ein, dass er von Monochrome weiß? Obwohl ich es von deinem Rechner abgeschickt habe? Du hast keine Beweise, dass ich es war!“, fauchte Nick verzweifelt. „Sieh mal neben dem Bild nach“, wies Aiden ihn an und deutete auf die Stelle. Nick eilte wieder herüber hinter den Schreibtisch. Erst jetzt bemerkte er es. Das eingerahmte Bild von ihm und Aiden vor drei Jahren, als er noch inoffiziell für die Firma gearbeitet hatte. Beide nebeneinander, die Arme um die Hüften gelegt und in die Kamera lächelnd. Nick nahm es in die Hand, es weckte ungewollt die schöneren Erinnerungen ihrer Beziehung. „Das will ich zurückhaben, Eli“, sagte Aiden. Nick sah neben das Bild und entdeckte eine Katzenfigur aus Porzellan. Erstaunlich, da Aiden solchen Kitsch verabscheute. „Eine Kamera“, murmelte er, ohne sich das alles genauer anschauen zu müssen. Wieso hatte er nicht auf so etwas geachtet!? „Damit kann ich beweisen, dass du an meinem Rechner warst. Du bist so verdammt unvorsichtig geworden“, tadelte Aiden ihn. Und es klang ernsthaft besorgt. Nick schluckte und sah zu Aiden auf, während er das Bild wieder wegstellte. „Glaub mir, das passiert mir kein zweites Mal.“ „Dann nehme ich an, dass du weiterhin deiner eigenen Wege gehst?“ Der hochgewachsene junge Mann straffte sich. „Nein. Du kannst annehmen … dass ich jetzt deinen Weg beschreite.“ Dann streckte Nick die Hand nach ihm aus. Aiden nahm sie zufrieden. „Das höre ich gerne. Willkommen zurück.“ Der einzige Gedanke, der Nick in diesem Moment noch Halt gab, war der an Rache.   -~-~-   Als das Portal sich hinter ihm schloss, befand sich Ricther in dem kreisrunden, finsteren Raum, umgeben von dutzenden holografisch dargestellten Bildschirmen und dem mechanischen Thron in dessen Mitte. Sofort spürte er, dass er nicht alleine war. „Der Anführer kehrt unverrichteter Dinge zurück.“ Es war Stoltz' kratzende Stimme. „Der Undying möchte wissen, warum der Richter Gnade gezeigt hat.“ Der Hüne drehte sich zu der dürren Gestalt um, die regungslos nur wenige Schritte von ihm entfernt stand und schief grinste. „Mein primäres Ziel war es nie, sie zu töten“, erwiderte Ricther unterkühlt, „aber mein Einschüchterungsversuch ist zweifelsohne erfolglos gewesen, ebenso wie deiner.“ Stoltz kicherte. „Ist das auch die Wahrheit?“ „Die Wahrheit ist, dass ihr Tod bedeutungslos wäre. Wir würden das Unvermeidliche nur verzögern, denn das Mädchen ist lediglich Mittel zum Zweck und würde nach ihrem Tod durch ein neues Opfer ersetzt werden.“ „Fürwahr, der Gedanke erscheint einleuchtend. Doch wie lange noch, bis das Mädchen ihr eigenes Todesurteil unterschreibt?“, gurrte Stoltz und streckte seine langen Arme einladend aus. „Auch wenn dem Undying das Gefühl beschleicht, dass sein Anführer nicht aufrichtig handelt.“ Ricther fragte daraufhin: „Woher kommen deine Zweifel?“ Sein Gegenüber sah bewusst zur Decke. „Wie konnte er das Mädchen finden, wenn doch all die Versuche der anderen beiden Undying gescheitert sind? Ihre Augen sind trübe, das Bild wird von geheimnisvollen Mächten verschleiert.“ „Hast du solange geschlafen, dass du nicht mehr in der Lage bist, deinen Verstand einzusetzen?“, fragte Ricther scharf. „Wir sind Undying und sollten uns nicht auf die Mittel beschränken, die nicht einmal unserer eigenen Hand entstammen.“ Stoltz nahm wieder eine aufrechte Haltung an. „Natürlich nicht. Trotzdem ist es erstaunlich. Unwissende könnten zu dem Schluss kommen, der Anführer selbst würde das Werk seiner rechten Hand behindern.“   „Du gehst zu weit, Stoltz!“, donnerte es. Eine mechanische Tür öffnete sich, die mit bloßem Auge nicht zu erkennen gewesen war. Die Frau mit dem schwarzen, beinahe bodenlangen Haar in der weißen Robe trat herein. Zed stellte sich zwischen die beiden und richtete sich an den bandagierten Undying. „Ricther des Verrats zu beschuldigen ist selbst für deine Verhältnisse vermessen. Zügle deine Zunge!“ „Der Undying wird den Rat beherzigen“, erwiderte jener und verneigte sich. „Seine Zweifel sind unbegründet, haben aber einen berechtigten Hintergedanken“, schlichtete Ricther, „es gibt neben uns nur fünf Wesen, die in der Lage wären, unserem allsehenden Auge zu entkommen.“ Die Frau mit der turmartigen Maske in der Runde nickte. „Ohne die Eine sind es vier.“ „Der Undying würde nicht ausschließen, was vielleicht ausgeschlossen werden will.“ Sich zu Stoltz drehend, erwiderte Zed: „Die Möglichkeit besteht. Aber ich bezweifle, dass sie dahinter steckt.“ „Um das herauszufinden werde ich euch zunächst zu zwei von ihnen schicken. Zusammen solltet ihr keine Schwierigkeiten haben, die Wahrheit herauszufinden“, ordnete Ricther an und drehte sich um, schritt in Richtung seines Throns. „Undying brauchen sich vor ihresgleichen nicht zu fürchten“, widersprach Stoltz, „einer der unseren ist mehr als genug.“ „Ihr werdet zusammen gehen. Ihre Macht ist während unseres Schlafes gewachsen, weshalb selbst wir vorsichtig sein müssen.“ Ricther drehte sich um und nahm Platz. Automatisch schossen aus der Decke mehrere Schläuche und verbanden sich mit seinen Armen und Beinen. Zed trat vor. „Es soll so geschehen, wie du es sagst. Wer sind die Ziele?“ „Die 'Gelehrte' und derjenige, der für das Verschwinden der 'Botschafterin' verantwortlich ist.“ „Dann wird der Undying sich umgehend aufladen“, zeigte sich Stoltz nun gefügig, verneigte sich und verschwand dann durch die Tür, die hinter Zed noch offen stand. Als die beiden alleine waren, seufzte Zed. „Du weißt genau, dass diese beiden gewiss nicht in Anya Bauers Feldzug involviert sind. Die 'Gelehrte' aus Prinzip nicht und 'er' wird vermutlich nicht einmal wissen, dass es die Siegel gibt.“ „Dein Verstand ist scharf wie immer. Nein, ich kaufe mir dadurch nur Zeit“, gestand Ricther, „und Abstand von Stoltz. Deine Befehle bleiben dieselben, behalte ihn unbedingt im Auge, während ich die Sache kläre.“ Seine tatsächliche rechte Hand nickte. „Natürlich. Aber du wirst dein Geheimnis nicht ewig vor Stoltz verbergen können. Er weiß jetzt, dass du imstande bist, Kontakt mit Anya Bauer herzustellen, selbst ohne unsere üblichen Methoden.“ „Sollte er sich einmischen, werde ich ihn unverzüglich vernichten, auch wenn er Stoltz ist.“ In seinem Ton lag eine Endgültigkeit, die ihresgleichen suchte. „Es ist von äußerster Wichtigkeit, dass das Problem ohne großes Aufsehen gelöst wird. Dazu müssen wir es an den Quellen anpacken. Etwas, zu dem Stoltz nicht imstande ist.“ „Er mag die Brutalität bevorzugen, weil er nicht an Diplomatie glaubt, aber-!“ Ricther's gehobene Hand unterbrach Zed. „Wann habe ich behauptet, mich nur auf Diplomatie zu beschränken?“ Ruckartig wirbelte Zed um, klang plötzlich verstimmt. „Es ist deine Entscheidung, wie du von hier an vorgehen willst. Aber was immer du zu tun gedenkst, tu es schnell.“ Mit diesen Worten verließ sie ebenfalls den kleinen Raum. Ricther fasste sich an die Stirn, als sie weg war. „Warum …?“     Turn 55 – Metropolis Of Duelists Über eine Woche ist vergangen. Anya, die den Rat des Sammlers befolgt und Livington verlassen hat, schmuggelt sich zusammen mit Zanthe und Matt in eine Veranstaltung der Abraham Ford Company, die den Auftakt zum Legacy Cup darstellt. Dort sollen alle Teilnehmer über den Ablauf des Turniers informiert werden. Leider entdeckt Henry, dass Anya sich unrechtmäßig auf die Teilnehmerliste gesetzt hat und denkt nicht im Traum daran, es dabei zu belassen … Kapitel 60: Turn 55 - Metropolis Of Duelists -------------------------------------------- Turn 55 – Metropolis Of Duelists     „Was soll das heißen, ihr werdet nicht mitkommen!?“ Anya warf das T-Shirt in ihrer Hand in den Koffer zurück, welcher vor ihr auf dem Bett ausgebreitet lag. Sich von ihm weg drehend, starrte sie erst Matt an, der auf dem seinen lag und die Arme hinter dem Kopf verschränkt hielt, dann Zanthe, welcher auf einem Stuhl am Tisch ihr gegenüber saß und seelenruhig ein Buch von Goethe las. Es war auch der Werwolf, der ihr antwortete, ohne sich dabei die Mühe zu machen, sie anzusehen. „Diese Veranstaltung ist nur für Teilnehmer des Turniers. Sind wir das?“ Anya schnaubte. „Nein, aber man darf Begleitung mitbringen!“ „Solltest du dir nicht mehr Sorgen darum machen, was passiert, wenn sie herausfinden, dass du dich auf die Gästeliste gemogelt hast?“ Unter einem abfälligem Pfeifen wirbelte Anya herum und schritt zu dem großen Panoramafenster ihres Hotelzimmers. „Das wird nicht passieren.“   Sie legte ihre Hand gegen das Glas und sah nach draußen. Vor ihr bot sich ein unglaublicher Anblick. Dutzende Stadien verschiedener Größen füllten den Stadtkern, zwischen ihnen ragten mindestens genauso viele Hochhäuser aus dem Boden. Über den normalen Straßen waren auf massiven Steinpfeilern diverse Rennstrecken gebaut. In Schleifen und engen Kurven verliefen sie, verpassten dem Anblick dank unzählbarer elektronischer Werbemonitore an den Begrenzungen einen futuristischen Anstrich – schließlich waren es Riding Duel-Strecken, die es sonst nirgendwo in den Staaten gab. In der Ferne konnte man ein Flugzeug zum Landeanflug ansetzen sehen, dort, wo auch Anya und ihre beiden Begleiter vor einigen Stunden in Ephemeria City angekommen waren – der Stadt der Duellanten. Anya kniff böse die Augen zusammen, als am Hochhaus gegenüber auf einer riesigen, digitalen Werbefläche die Gestalt einer schlanken, jungen Frau eingeblendet wurde. Geradezu lasziv, aber doch mit beneidenswerter Lässigkeit saß sie auf ihrem Motorrad und hielt ihren Helm in der Hand. Gekleidet in einen weiß-silbernen Motorradanzug, blickte sie mit ihren strengen, grünen Augen fest in die Kamera. Geradezu überheblich selbstbewusst könnte man meinen. Das blonde Haar zu einem Bob geschnitten, stachen die beiden langen Strähnen hervor, die sich links und rechts von ihrem Pony bis zum Busen erstreckten. „Claire Rosenburg“, knurrte Anya.   Wegen ihr allein war sie hier. Sie war eine der Zielpersonen, deren besondere Karte sie abnehmen musste, um ihr gestohlenes Leben vom Sammler zurückzuerhalten. Und der angeblich einzige Weg, sich mit ihr zu duellieren war der, als Sieger des Legacy Cups hervorzugehen. Denn neben einer Einladung in die Pro-Liga, einem Batzen Preisgeld und einem fetten Pokal bekam der Gewinner jenes Turniers die einmalige Möglichkeit geboten, sich mit der Weltmeisterin zu duellieren. Einer Frau, die bereits jetzt trotz ihrer relativ kurzen Karriere als beste Duellantin in der Geschichte Duel Monsters gehandelt wurde. Noch nie hatte Claire ein Duell verloren, so hieß es. Was mehr als genug Gründe für Anya waren, unbedingt an diesem Turnier teilnehmen zu wollen. Geld, Ruhm, die Pro-Liga, die sie näher an ihren Traum bringen würde und am wichtigsten, diese dämliche Hüter-Karte.   Matt raffte sich derweil von seinem Bett auf. „Und du hast dir das gut überlegt, Anya?“ Das Mädchen drehte sich zu ihm um, als Claires Werbung für eine große Motorradmarke durch eine für Duel Disks ersetzt wurde. Sie nickte heftig. „Was glaubst du denn? Jetzt sind wir hier, also gibt es kein Zurück mehr. So eine Chance kriege ich nie wieder. Ich will nicht das 'Hintertürchen' nehmen, wenn du verstehst?“ „Sie werden dich wieder angreifen“, prophezeite der Dämonenjäger düster.   Er sprach von den Undying, die bereits zweimal versucht hatten, Anya ins Jenseits zu schicken. Sie wollten verhindern, dass sie die sieben Karten sammelte, weil damit das Tor zum Narthex geöffnet werden konnte – das Ziel des Sammlers. Anya wusste nicht, was der Narthex genau war oder was der Sammler mit ihm beabsichtigte, aber er hatte sie davor gewarnt, an dem Turnier teilzunehmen. Da sämtliche Medien über das Ereignis berichteten, würden diese unsterblichen Kreaturen früher oder später unweigerlich auf sie aufmerksam werden. Aber genau das wollte Anya.   „Wir haben das doch alles schon durchgesprochen“, raunte sie wütend, „wenn einer dieser Spinner es versucht, nehmen wir ihn gefangen und quetschen ihn aus.“ Zanthe lachte erheitert auf und klappte sein Buch zu. „Du hast wohl vergessen, dass wir uns nicht so recht einig waren, wie wir diese Psychos einkerkern wollen?“ „Ich bezweifle, dass normale Dämonenjäger-Techniken da reichen werden“, sagte Matt, was er schon mehrmals in den vergangenen Tagen betont hatte. „Die Idee ist ja nicht schlecht, etwas, das man nicht töten kann, stattdessen zu versiegeln. Aber wie stellen wir das an?“ Anya stöhnte ob des leidigen Themas genervt. „Lass das mal meine Sorge sein, ich denke mir schon etwas aus.“ „Genau das habe ich befürchtet“, kam es zweifelnd aus Zanthes Richtung.   Trotzig stampfte sie wieder zu ihrem Bett in der Ecke des Zimmers und nahm erneut das dunkelblaue T-Shirt aus ihrem Koffer hervor, welches ganz oben auf ihren Sachen lag. Gerade mal mit den Fingerspitzen hielt sie es fest, drehte es zu Matt und sagte: „Vergesst die Undying, das Ding hier ist viel schlimmer.“ „Werbung für deinen Shop?“, fragte Matt, der sich durchlas, was auf der Rückseite des Kleidungsstücks stand. „Nico's Card Shop? Sogar eine Adresse hat er angegeben.“ „Tch, Mr. Palmer lässt mich nur teilnehmen, wenn ich das da während der Live-Duelle anhabe. Wenn nicht, feuert er mich. Glaub ich.“ Zanthe kicherte voller bösartiger Genugtuung. „Tja Anya, du hättest eine Million haben können, aber lieber nimmst du das T-Shirt.“ Als Reaktion bekam er es ins Gesicht gepfeffert. „Nicht witzig, Flohpelz! Das habe ich nicht selbst entschieden, falls du es vergessen hast!“   Es hätte alles so schön sein können. Anya erinnerte sich noch genau an den Tag, an dem sie sich mit diesem Aiden Reid zum Essen verabredet hatte. Aus irgendeinem Grund hatte er ihr eine ganze Million Dollar geboten, wenn sie unter dem Banner seiner Firma, Micron Electronics, am Turnier teilnahm. Ganz zu Nicks Ärgernis, welcher alles getan hatte, um Anya von diesem Deal abzuhalten. Aiden sei gefährlich und würde ihr früher oder später einen Dolch in den Rücken rammen. Irgendwann hatte Anya nachgegeben, nachdem Nick angeboten hatte, ihr eines Tages das Doppelte zu zahlen. Ihr war es nur recht und wenn Anya ehrlich mit sich selbst war, nahm sie das Geld lieber von Nick an, als von irgendeinem Typen, den sie gar nicht kannte. Solange der Zaster in ihre Flossen wanderte, konnte sie damit leben. Zumal Nick wirklich alles tat, um ihr auf ihrer Mission zu helfen. Ohne ihn wäre sie nie bis hierher gelangt, dessen war sie sich mittlerweile bewusst geworden und es war auch der Grund, warum sie ihm endlich seine Schauspielerei und Lügen verziehen hatte. Zugegeben, er wusste davon noch gar nichts, aber auch das hatte Zeit. So konnte sie die Lage unter Umständen noch etwas ausreizen. Da sie allerdings ohne Aidens Hilfe nicht offiziell am Turnier teilnehmen konnte, hatte sie Nick damit beauftragt, sie nachträglich einzuhacken. Und er hatte wirklich gute Arbeit geleistet.   Um sich diese noch einmal vor Augen zu halten, zog Anya aus der Innentasche der geflickten Lederjacke an ihrem Leib einen Briefumschlag heraus. Die Einladung für die Veranstaltung morgen Abend, die nur Teilnehmern des Turniers und einigen Sponsoren vorbehalten war. Nick hatte es irgendwie geschafft, eine auf ihren Namen ausstellen zu lassen. Ironisch, denn sie kam direkt vom Veranstalter höchstpersönlich – der Abraham Ford Company, Vertreiber von Duel Monsters in den Staaten. Es konnte also gar nichts schief gehen, Anya war im System als Teilnehmerin vermerkt und besaß obendrein einen schriftlichen Beweis. Der einzige Nachteil war, dass Nick nur sie hatte eintragen können, nicht Matt und Zanthe. Alle Einladungen waren bereits verschickt worden, doch aufgrund eines 'glücklichen Umstands' konnte Nick den Brief plus E-Mail an eine der Teilnehmerinnen abfangen und zumindest diese nachträglich durch Anya ersetzen. Bei den beiden Holzköpfen war das leider nicht drin gewesen, was natürlich ärgerlich war, hätten drei Teilnehmer vom Team Anya ihre Chancen auf einen Kampf mit Claire sicher erhöht. Zumindest konnte Anya selbst teilnehmen, hatte also die erste Hürde bereits genommen.   Aber immer noch keinen Begleiter für diese kack Party! „Einer von euch kommt gefälligst mit! Wie sieht das aus, wenn ich da alleine hingehe, huh!?“ Matt, aufrecht auf dem Bett sitzend, zuckte unbedarft mit den Schultern. „Ich würde mir nichts dabei denken.“ Dagegen fand Zanthe wesentlich spitzere Worte. „Ich würde auch nicht allein gehen wollen, wenn ich Angst hätte, die Hälfte von dem, was man mir dort sagt, nicht zu kapieren. Mindestens.“ „Als ob!“, fauchte Anya, doch das leichte Zögern in ihrer Stimme verriet sie. „Was soll da schon groß erzählt werden!?“ „Oh zum Beispiel die neue Duel Monsters-Mechanik“, kam Zanthe ihr sofort altklug zuvor, „oder wie die neuen, Betrugs-geschützten D-Pads funktionieren, die ihr für das Turnier bekommt. Mir fällt da einiges ein.“ Anya knurrte verstimmt: „Schön für dich.“ Dann ließ sie sich auf dem Bettrand nieder. „Aber fein, wenn ihr nicht mitkommen wollt, gehe ich eben alleine.“   Unvermittelt erhob sich Zanthe mit einem diebischen Grinsen und wand sich einer Schlange gleich herüber zu Anya, legte den Arm um die Schulter der Blonden, als er sich neben diese fallen ließ. „Ich könnte mich ja dazu erweichen, doch mitzukommen.“ Matt wurde sofort hellhörig und starrte herüber zu den beiden. „Und was muss ich dafür tun?“, schnarrte Anya grimmig. „Shoppen.“ „Huh?“ Zanthe ließ sie los, stöhnte kopfschüttelnd. „Anya, das ist eine Veranstaltung für aufstrebende Talente. Will sagen: reiche, aufstrebende Talente. Betonung auf reich. Die AFC lädt nicht jeden ein, sondern vor allem Duellanten, deren Mommys und Daddys mit ihren Brieftaschen gewinkt haben.“ Anya neigte den Kopf schief zur Seite. „Und das hat jetzt was mit Shopping zu tun?“ „Denk doch mal nach! Die rennen dort sicher nur in den feinsten Fummeln 'rum. Wenn du dich nicht noch vor dem ersten Duell zur Lachnummer machen willst, musst du optisch mithalten!“ Zanthe zupfte bewusst provokativ an ihrer Lederjacke. „In dem Ding lassen sie dich selbst mit Einladung nicht rein.“ „Ich sehe das mit den reichen Teilnehmern zwar etwas anders“, meinte Matt und legte sich zurück auf sein Kissen, „aber Recht hat Zanthe. Wir können da nicht in unserer Alltagskleidung auftreten.“ Anya wiederholte erstaunt: „Wir?“ „Wenn er schon mitkommt, was für 'ne Wahl habe ich dann? Außerdem würde ich mich hier ohnehin nur langweilen, während ihr weg seid.“ Zanthe hingegen sprang auf. Erstaunen und auch ein gewisser Verdruss schwangen in seiner Stimme mit. „Was meinst du damit, dass du das mit den reichen Teilnehmern anders siehst?“ „Dass ich der Meinung bin, dass sie mehr nach Talent und weniger nach der dicksten Geldbörse bei der Auswahl der Teilnehmer gehen.“ Der Schwarzhaarige, dessen Haupt heute mal ein grünes Bandana zierte, lachte abfällig. „Erzähl das deinem Alector. Ich hab mir die Liste der ausgewählten Teilnehmer angeschaut, die Nick uns gegeben hat. Viele von denen kommen aus gutem Hause!“ „Und woher willst du das wissen?“ „Recherche? Anya muss wissen, mit wem sie es zu tun bekommt und da sie selbst keinen Finger krumm macht und Nick nicht die ganze Arbeit machen sollte, hab ich selbst ein bisschen gestöbert, bevor wir losgefahren sind“, verteidigte sich Zanthe bissig. Matt erwiderte: „Und deswegen können sie nicht trotzdem talentiert sein?“   Anya stöhnte und stieß sich von der Bettkante ab, lief wieder zum Fenster, während sich im Hintergrund eine handfeste, von vorn herein zum Scheitern verdammte Diskussion anbahnte. Sie wusste es ja zu schätzen, dass Zanthe trotz seines frechen Mundwerks ebenfalls bemüht war, ihr zu helfen. Aber Nick konnte er nicht ersetzen. Das Mädchen verstand nicht, warum ihr bester Freund in Livington geblieben war. Sein neuer Job verbot es ihm, hatte er gemeint. Bloß, seit wann scherte Nick sich darum? Mit seinen Hackerfähigkeiten konnte er alles haben, er brauchte keinen Job! Doch egal was sie gesagt hatte, mehr war aus ihm nicht herauszubekommen gewesen. Endlich selbst was schaffen, blah blah, als ob sie ihm das abnahm!   „... ist doch purer Idealismus!“, war Zanthe derweil schon bei einer beachtlichen Lautstärke angekommen. Matt stand ihm direkt gegenüber und verschränkte die Arme. „Und was ist daran falsch? Wenigstens sehe ich nicht in allem nur das Schlechte!“ „Wo tu ich das bitte!?“ „Frag doch Anya, der hältst du ja nichts anderes vor als ihre Fehler.“ Zanthes Kopf ruckte in einer derart raschen Bewegung zu Anya herum, dass gute Ohren ein ganz leises Knacken vernehmen konnten. Sein verkniffener Blick forderte absolute Rückendeckung von der Blonden, aber die schnaufte bloß verärgert. „Haltet die Klappe, alle beide!“ Um sicherzustellen, dass sie auf andere Gedanken kamen, fügte sie noch höchst widerwillig hinzu: „Wir gehen jetzt shoppen!“   ~-~-~   Ephemeria City erwies sich als wahres Labyrinth. Die Straßen der Neustadt waren lang und breit, kreuz und quer, sodass es besonders Anya schwer fiel, sich zu orientieren. Anders als Matt kam sie nicht auf die Idee, ihr über 50 Stockwerke hohes Hotel als Orientierungspunkt zu nutzen. Selbst seine Idee, der über den kleineren Gebäuden verlaufenden Riding Duel-Strecke zu folgen traf bei Anya auf Unverständnis, denn wieso einfach, wenn es auch kompliziert ging? Unter Zanthes Führung jedoch gelang es ihnen erstaunlich schnell, die ersten Geschäfte ausfindig zu machen. Nicht weit von den Dreien weg gab es einen renommierten und unheilig preisintensiven Anbieter für Herrenmode. Die perfekte Gelegenheit für Anya, den beiden Jungs ein paar von Nicks ergaunerten Scheinen in die Hand zu drücken und sich von ihnen abzukapseln. Das letzte, was das Mädchen wollte war, wie Zanthe ihr Ratschläge in Punkto Mode gab. Zumal sie auch keine Lust hatte, der immer noch unterschwellig vorhandenen Spannung zwischen den beiden Streithähnen ausgesetzt zu sein. Gedankenverloren wanderte sie den Gehweg entlang, der erstaunlich voll war. Vermutlich alles Touristen beziehungsweise Zuschauer, die sich auf das anstehende Turnier freuten. Ihr Blick wanderte nach oben. Direkt über ihr verlief einer dieser Highways für Riding Duels. Das massive Konstrukt wurde regelmäßig von Säulen, so breit wie Limousinen, getragen. In Anyas Laufrichtung verlief die Neigung jener hoch gelegenen Straße ein wenig nach oben, ehe sie bei der nächsten Kreuzung in eine nach links gehende Kurve überging.   Siehst du dich auch schon dort oben?   Levriers Stimme in ihrem Kopf ließ Anya aufschrecken. Sie nickte fest. „Jup. Motorradfahren und sich dabei duellieren? Was gibt’s Besseres?“   Nacktfotos von Valerie Redfield an das Playboy-Magazin verkaufen?   „Außer das!“ Anya beschleunigte ihren Schritt. An der Straßenecke hatte sie eine kleine Boutique erspäht, in der sie ihr Glück bezüglich geeigneter Festkleidung versuchen wollte. In ihrem Lauf gelangte sie aus dem Schatten der Riding Duel-Strecke und ehe sie sich versah, eilte sie die drei kleinen Stufen zur Tür hinauf und betrat unter Glockenbimmeln das Geschäft. Derweil machte sich Levrier daran, Modeberater zu spielen.   Ich habe mir überlegt, dass dir dunkle Kleidung sehr gut steht, Anya Bauer. Sicherlich möchtest du auf zu formelle Kleidung verzichten, weshalb-   „Halt die Klappe, Levrier“, brummte sie mit einem spitzbübischen Grinsen auf den Lippen, „ich hab schon so'ne Vorstellung, was ich anziehen werde.“ Hier kannte sie niemand. Matt und Zanthe waren auch nicht da, um ihren Senf abzugeben. Also konnte Anya Dinge tun, die sie zuhause niemals erwägen würde …   Das verspricht lustig zu werden.   ~-~-~   Als Anya am späten Abend ins Hotelzimmer zurückkehrte, erkannte sie, dass sie die letzte des Gespanns war. Wobei von Zanthe jede Spur fehlte, lediglich seine Einkaufstüten lehnten an dem vordersten der drei Betten des länglichen Zimmers. Auch Anya war gut beladen mit zwei großen, weißen Tüten.   Matt lag auf seinem Bett in der Mitte, auf seinem Bauch ein Laptop. „Wo hast'n den her?“, fragte Anya irritiert, die sich sicher war, ihren Freund bisher nicht mit dem Ding gesehen zu haben. „Vom Restgeld gekauft“, erwiderte er gleichgültig, „ich hoffe, das ist okay.“ „Bist du irre!?“ Ehe Matt sich versehen konnte, schmiss sich Anya neben ihn aufs Bett und betrachtete das neue Gerät begeistert. „Kann man damit zocken?“ „Glaube schon.“ Matt sah sie unsicher von der Seite an. „Hab ihn gekauft, um ein wenig im Netz recherchieren zu können, während wir hier sind. Frag nicht, was Herr Werwolf mit dem Geld anstellen wollte.“ „Noch mehr Kopftücher und so'n Scheiß kaufen?“, fragte Anya hämisch. Matt schüttelte den Kopf. „Nein, ein paar Hotelmitarbeiter in der Umgebung bestechen, um Deckinfos über deine Gegner zu besorgen.“ Gleichzeitig tippte er den letzten Satz in dem offenen Fenster zu Ende und drückte die Enter-Taste. Anya bemerkte, dass es sich um eine E-Mail an Alector handelte, in der Matt Alastair und die Kinder grüßte. „Denkst du, die lesen das?“, fragte die Blonde skeptisch. Der Dämonenjäger im schwarzen Hemd neben ihr zuckte schmunzelnd mit den Schultern. „Wenn sie endlich ihre Telefonrechnung zahlen, dann bestimmt. In 'nem Monat oder so. Würde sie ja gerne mal an die Strippe bekommen, aber das klappt ja schon seit über zwei Wochen nicht mehr.“   Anya erhob sich vom Bett und drehte sich zu Zanthes nahe der Tür um. „Wo ist unser Flohzirkus eigentlich?“ „Hatte keinen Bock auf mich und stellt sicher gerade irgendetwas an, für das wir uns am Ende schämen müssen.“ „Klingt, als hätte ich Konkurrenz bekommen“, stellte Anya erstaunlich selbstironisch fest. Matt musste leise auflachen. „Sieht so aus.“   Das Mädchen schlenderte zum Panoramafenster und betrachtete die nächtliche Stadt. Die ganzen Werbeanzeigen an den Hochhäusern waren so grell, dass sie Jalousien brauchen würden, um überhaupt schlafen zu können. Die Riding Duel-Strecken hatten eine eigene Beleuchtung, sogar die Straßenmarkierungen auf ihr waren erhellt. Ephemeria City ließ sich wirklich Einiges dafür kosten. Und irgendwo da draußen könnte schon Claire Rosenburg lauern. Oder ein Undying, der ahnte, dass Anya hier sein würde. „Ist das wirklich eine gute Idee, Levrier? Sie versiegeln zu wollen?“ Sie fasste sich an die Stirn, einen Hauch von Zweifel an der eigenen Entscheidung äußernd. „Nicht, dass ich das will, aber undercover zu agieren wäre vielleicht doch sicher …“   Womöglich ist es das, aber ich bezweifle, dass wir damit dauerhaft Erfolg haben werden. Unsere Feinde werden uns früher oder später finden, also kommen wir ihnen zuvor, indem wir sie zuerst stellen, wenn sie am wenigsten damit rechnen.   „Aber warum?“   Da wir sie nicht töten können, müssen wir sicherstellen, dass wir sie dennoch dauerhaft aus dem Weg räumen. Dank meiner Abstammung von Isfanel kenne ich eine Möglichkeit, sie in einer separaten Dimension einzusperren. Es funktioniert ähnlich wie der Turm von Babylon, nur in viel kleinerem Rahmen. Außerdem habe ich noch eine andere Absicht …   „Das höre ich zum ersten Mal!“ Anya runzelte die Stirn und drehte sich zur Seite, wo sie Levriers Anwesenheit am ehesten vermutete, auch wenn das bei Immateriellen natürlich Quatsch war. Sie waren nirgendwo … und überall.   … Ricther. Eine Kooperation mit ihm könnte sich als letzter Anker erweisen, sollten wir mit dem derzeitigen Plan scheitern und die sieben Karten nicht rechtzeitig sammeln. Doch dafür müssen wir etwas haben, um ihn unter Druck zu setzen.   „Wir sperren ihn ein und holen ihn raus, wenn wir ihn brauchen …“   Richtig. Ich bezweifle, dass wir Stoltz auf diese Weise benutzen können. Deshalb muss er es sein. Ich bin mir sicher, dass er genug Ehre besitzt, ein einmal gegebenes Versprechen nicht zu brechen.   „Du hast vielleicht Ideen. Das ist so verrückt, das könnte sogar klappen“, meinte Anya belustigt. Matt sah vom Laptop auf. „Was sagt er denn?“ Die Blonde drehte sich kess grinsend zu ihm um. „Dass wir Versager sind, die die Hilfe der Undying benötigen werden.“ „Wenn er meint“, zeigte sich Matt gleichgültig und richtete seine Aufmerksamkeit wieder dem teuren Spielzeug auf seinem Schoß zu, „warn' mich nur rechtzeitig vor, wenn ihr irgendetwas ausheckt.“ Was Anyas Mundwinkel noch weiter auseinander rückte. Dummer Matt, als ob man ihn vor so etwas vorwarnen könnte. Nicht mal sie selbst würde wissen, wann der Zeitpunkt gekommen ist, bevor es bereits zu spät war.   ~-~-~   Ungeduldig pochte es am nächsten Abend, nach einem Tag voller Zank, Sticheleien und Cup Cakes gegen die Badezimmertür. „Anya, was dauert das so lange? Hast du endlich entdeckt, dass du ein Mädchen bist, oder warum wirst du einfach nicht fertig!?“ Konzentriert blickte Anya in den Spiegel über dem Waschbecken und führte vorsichtig -es- Richtung ihrer Augen. Aber sie zögerte, nicht zuletzt auch deshalb, weil Matts ebenfalls ungeduldige Stimme durch die weiße Tür drang. „Das Taxi wartet bereits! Wir müssen los!“ „Scheiße, dann fahrt doch vor, wenn ihr unbedingt wollt!“, raunte sie. „Ist mir sowieso nur recht!“ „Für wen machen wir das doch-“, begann Zanthes typische Leier, die diesmal ein jähes Ende fand. „Ich sag dir gleich, was du nicht mehr machst, Flohpelz!“, überschlug sich ihre Stimme förmlich, ein Zeichen ihrer Überforderung. „Leben! Und jetzt schnapp' dir Summers und fahr vor, ich komme nach, sobald ich kann. Die werden euch schon reinlassen, ich steh immerhin auf der Gästeliste!“ Zumindest ging sie stark davon aus. Wenn Nick Mist gebaut hatte, dann gab's Kloppe! „Na schön …“ „Dann bis nachher“, verabschiedete sich Matt skeptisch. Sie hörte, wie die beiden leise irgendwas tuschelten und schließlich die Zimmertür ins Schloss fallen.   Jetzt konnte Anya sich endlich wieder dem widmen, was sie bisher nur getan hatte, wenn sie absolut sicher war, dass niemand in der Nähe war, um sie zu beobachten. Wohlgemerkt niemand außer ihren Opfern, welchen der Akt bisher immer gegolten hatte. Aber diesmal war sie selbst an der Reihe. „... Gott, ich hasse Make-Up!“   Ich liebe Clowns.   Eine beängstigend große Zornesfalte bildete sich auf der Stirn des Mädchens. „Jetzt reicht's! Du-bleibst-hier!“ Um ihren Worten Taten folgen zu lassen, schnappte sie sich ihre Deckbox, die neben ihrer Jeans auf dem Rand der Badewanne lag und holte [Gem-Knight Pearl] aus dem Extradeck hervor. „Drei von euch ertrage ich nicht!“, fauchte sie und stopfte Pearl in die Hosentasche der Jeans. Umso wütender wurde sie, als nur träge kam:   Dein Verlust …   „Tch!“ Anya wirbelte um und hoffte, nun endlich ungestört 'ihr erstes Mal' zu Ende bringen zu können. Hätte sie sich doch bloß nie auf diese ganze Kacke von wegen 'hübsch machen' eingelassen!   ~-~-~   Das Taxi hielt an. Matt und Zanthe stiegen aus, Letzterer gab dem Fahrer noch ein großzügiges Trinkgeld, ehe sie sich ihrem Ziel widmeten. „Ich kann nicht glauben, dass wir noch so viel Kohle haben“, staunte Zanthe und steckte seine Brieftasche weg. „Schade, dass Nick so besessen von Anya ist. Mit mir hätte er viel mehr Spaß.“ „Dazu sage ich besser nichts“, nuschelte sein Begleiter, der keine Lust auf Streit hatte.   Er und Zanthe kamen so gestriegelt und gebürstet daher, wie man es von einer Veranstaltung dieser Art erwartete. Zanthe trug einen feinen, weißen Designeranzug samt silberner Krawatte, unter der ein schwarzes Hemd zum Vorschein kam. Einzig sein neuestes Kopftuch hatte er sich auch hier nicht nehmen lassen, war dieses doch farblich perfekt angepasst an sein übriges Auftreten. Matt hingegen hatte sich die Haare nach hinten gekämmt und gegelt, trat in einem schlichten, schwarzen Nadelstreifenanzug und weinrotem Hemd auf. Während das Sakko Zanthes mit schwarzen, unebenen Streifen verziert und daher mit dessen flippigen Charakter harmonisierte, war das von Matt gleichfarbig zu seiner Hose.   Die beiden standen vor einem riesigen, offenen Bogentor, das Eintritt zu einem kunstvollen Garten samt Springbrunnen gewährte. „Dass es mitten in einer so technologisierten Stadt einen so konservativen Ort gibt …“, staunte Matt, während sie über den fein gepflasterten Weg liefen, vorbei an einem zu beiden Seiten verlaufenden Minihecken-Labyrinth. „Aber das ist eben die Altstadt von Ephemeria City.“ „Der Besitzer des Anwesens ist einer der Sponsoren des Turniers, hab ich gelesen“, erklärte Zanthe die Zusammenhänge, „er hat ein Faible für Schlösser und sich daher selbst eins gebaut, mitten in der Stadt der Duellanten.“ Beim Anblick des riesigen, dreistöckigen Gebäudes vor ihm stellte Matt bereits eine Vermutung an, welches Schloss es besagtem Sponsor besonders angetan hatte. „Versailles?“ Zanthe drehte sich zu ihm um und grinste breit. „Dein Ernst? Meep!“ Er deutete auf die Glaskuppel des mit dutzenden Scheinwerfern angeleuchteten Gebäudes. „Es hat keine konkrete Vorlage. Ein bisschen von Sanssouci, natürlich auch etwas Versailles, aber auch gotische Elemente wie diese dutzenden Bogensäulen, die du beim Eingang siehst.“ „Interessierst du dich für so etwas?“ „Ein bisschen.“ Zanthe schloss im Alleingang zu der Menschenschlange auf, die vor dem Eingang des Halbschlosses auf den Einlass wartete. Der zurückgelassene Matt musste schmunzeln. „Der ist immer wieder für 'ne Überraschung gut.“   Kurz darauf waren sie drinnen und wurden in einen riesigen, ovalen Ballsaal geführt, in dem die Veranstaltung stattfinden sollte. Matt war erstaunt darüber, wie gut alles geklappt hatte. Tatsächlich hatte man sie ohne großes Aufsehen hineingelassen, als sie sich als Anyas Begleiter per Personalausweis identifiziert und das verspätete Kommen der Chefin entschuldigt hatten. Allerdings beschlich Matt der Verdacht, dass Nick bereits im Vorfeld die Anmeldungen der beiden vorgenommen haben musste, da die wirklich überall befindlichen Security-Leute sicher niemanden allein auf sein Wort einlassen würden.   Der Saal war gut gefüllt mit sicher weit über hundert Leuten und einige würden sicher noch dazukommen. Über ihnen erstreckte sich die ganz aus bunten Gläsern bestehende Dachkuppel, welche religiöse Bilder wie die Geburt Jesu zeigten. „Er ist etwas verrückt, sagt man“, gluckste Zanthe und meinte damit den Besitzer des Anwesens, „liebt solchen Kram. Schick sieht's ja aus, ist aber nicht mein Ding.“ Über zwei Stockwerke erstreckte sich der Saal. Abgehend vom Eingang verliefen zwei schier endlos wirkende Wendeltreppen zu einer Galerie, die schließlich in einem großen Balkon mündete. Sie mussten sich im hinteren Ende des Schlosses befinden, aber Matt hatte keine Ahnung, ob er damit richtig lag.   „Wie lange, bis es losgeht?“ Zanthe schob den Ärmel seines Sakkos weg und sah auf seine brandneue Armbanduhr. „Noch genug Zeit, über 'ne halbe Stunde. Prinzesschen wird schon kommen, mach dir da keine Sorgen.“ „Wir reden hier von Anya“, stellte Matt trocken klar. Ein belustigtes Kichern war die Antwort. Sowie: „Stimmt. Mach dir Sorgen.“ Der junge Mann im schwarzen Anzug sah sich um. Überall waren kleine, runde Tische aufgebaut, an die sich die Gäste stellen konnten. Umrandet waren sie von edlen Barhockern, falls jemand dabei sitzen wollte. Dazu verteilten dutzende Kellner Champagner. Im hinteren Teil des Ballsaals, wo die Treppen zusammenliefen, war ein riesiger Monitor aufgebaut. Unter ihm befand sich eine kleine Tribüne mit Rednerpult, die aber noch leer war. Rechterhand dieser sorgte eine eigens bestellte Band, bewaffnet mit klassischen Instrumenten, für die akustische Untermalung des Abends. „Wollen wir uns ein wenig unter die Leute mischen?“ Aber Zanthe war Matts Vorschlag längst zuvor gekommen und hatte sich in ein Gespräch mit zwei jungen Männern verwickelt. Matt verzog die Augen zu Schlitzen. „Wieso habe ich das Gefühl, dass er nicht mit ihnen redet, weil er ihre Decks sehen will?“ Das Wort, welches er Zanthe tatsächlich im Gedanken unterstellte, unterschied sich nur um einen Buchstaben von dem, welches er laut aussprach. Und das amüsierte Gekicher des Werwolfs, das an sein Ohr drang, bestätigte ihn in seiner düsteren Ahnung.   Etwas verloren kam sich der junge Mann schon vor. Um nicht wie bestellt und nicht abgeholt auszusehen, stellte er sich an den nächstbesten Tisch, der bereits von einer jungen Dame besetzt war. Sie tippte an der Tischkante gelehnt auf ihrem Smartphone herum und nahm keine Notiz von ihm, weshalb er sie genauer betrachtete. Ihr aschblondes Haar war gefärbt, was er an den ganz minimal hervorstechenden, brünetten Ansätzen bemerkte. Etwas über die Schultern hinaus gehend, klemmte es hinter ihren Ohren, an denen zwei knallrote, an kurzen Ketten hängende Kugelohrringe hingen. Dieselbe Farbe wie ihr knielanges Cocktailkleid. Um den Hals trug sie einen Presseausweis. Matt spürte, wie sich die Farbe seiner Wangen unter einem flüchtigen Brennen der ihres Kleides anpasste. Sie war eine der attraktivsten Frauen, die er je gesehen hatte. Und jetzt bemerkte sie ihn. Ihre hellgrauen Augen drangen regelrecht durch ihn durch, als wüssten sie genau, was er dachte. Dann schenkte sie ihm ein einladendes Lächeln.   Doch ehe Matt dieses erwidern konnte, spürte er, wie sich eine Armbeuge um seinen Nacken schlang. Zanthe hauchte ihm mit Blick auf die Journalistin ins Ohr: „Na, Lover Boy?“ „Was soll das!?“, fauchte er unter dem belustigten Gekicher der Blondine. „Ich dachte, was ich entdeckt habe, willst du dir sicher nicht entgehen lassen. Komm.“ „Sorry“, nuschelte Matt knallrot angelaufen und zog unfreiwillig dem Werwolf hinterher. Die Journalistin hauchte ihm ein „Bye!“ zu. Als sie außer Reichweite war, wandte Matt sich an seinen Begleiter. „Was ist denn, siehst du nicht, dass ich beschäftigt war!?“ „Mit ihrem Ausschnitt?“ „Nein!“ Was die Wahrheit war, den hatte Matt tunlichst vermieden anzusehen, obschon die Verlockung dagewesen war. „Und sowieso, wo bleibt überhaupt Anya?“ „Na das will ich dir doch zeigen!“   Zanthe führte Matt zu der rechten Wendeltreppe. Mit ausgestrecktem Finger deutete er auf eine junge Frau, die auf halber Höhe zur Galerie am Geländer entlang nach oben ging und nebenbei das Geschehen unten betrachtete. „Sie dachte wohl, sie könne sich an uns vorbei nach oben verkrümeln. Die Gute hat wohl der Mut verlassen, sich -so- zu zeigen.“ Matt verzog auf Zanthes Kommentar hin den Mund. „Niemals, das ist nicht Anya.“ „Bleib stehen“, rief der aber schon triumphierend, „wir haben dich entdeckt. Flucht ist zwecklos!“ Abrupt blieb Anya-Fragezeichen stehen. Undeutlich kam die Antwort: „Ist sicher 'ne Verwechslung. Schönen Abend noch.“ Zanthe zeigte jedoch einen Vogel. „Als ob! Du siehst zwar nicht so aus, aber du riechst definitiv nach Bauerntölpel.“ Die vor Wut geballte Faust war Antwort genug. „Also dreh dich schön um, damit wir dich ansehen können“, forderte der Werwolf feixend.   Anya murmelte leise vor sich hin: „Das wirst du bereuen, Flohpelz!“ Es hätte alles so schön sein können. Sie stahl sich nach oben und wohnte der Rede von den anderen beiden unbemerkt bei, verschwand vor ihnen und niemand würde jemals erfahren, dass sie … dass sie … was hatte sie bloß dazu getrieben!? Auf dem Absatz drehte Anya sich langsam um. Schritt für Schritt nahm sie die Treppen nach unten, ihre weißen Stiefel strahlten regelrecht im Lichte der dutzenden elektrischen Kronleuchter, die im Saal angebracht waren. „Das kann nicht- träum ich?“, staunte Matt atemlos. Was er da sah, das waren Anyas Beine. Nackte Beine, von den Knien an bis zu diesem kurzen, engen, elfenbeinfarbenen Kleid, welches an ihrer linken Schulter gehalten wurde. Von ihrem Brustansatz herab ging eine Schleppe, die fast bis zum Boden reichte und dem Kleid den dezenten Eindruck eines Morgenmantels verschaffte. Anya war bereits Rot wie eine Tomate, als sie die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte. Sie hatte es vollbracht, sich dezent eines Kajalstiftes und Wimperntusche zu bedienen. Und scheinbar war sie auch nicht ungeschickt darin, wenn es darum ging, ihr Haar hochzustecken. „Siehst du bescheuert aus“, feixte Zanthe und krümmte sich vor Lachen. „Ich hasse euch! Ich hasse euch alle“, fluchte diese wütend. „Wieso ausgerechnet ich!?“ „War doch deine eigene Entscheidung!“, erwiderte der Unruhestifter daraufhin patzig und giggelte weiter vor sich hin. „Haltet die Klappe, alle beide“, murmelte Matt mit fasziniertem Blick.   Als Anya die letzte Stufe nahm, zögerte sie gar nicht lange und rammte ihren weißen Stiefel mit derartiger Wucht in Zanthes Erzeugerorgan, dass dessen Tonfall gefühlte zwei Oktaven nach oben schnellte. Trotz der Schmerzen keuchte er: „Vorsicht, man sieht deine Boxer-Shorts …!“ Sofort stellte sich Matt zwischen die beiden, ehe einer der Securitys etwas mitbekam. Anyas Augen drohten aus ihren Höhlen zu ploppen. „Hätte ich doch bloß nie auf euch gehört! Shoppen gehen, am Arsch!“, schrie sie aufgebracht. „War doch klar, dass ihr es scheiße findet!“ „Ich finde, du siehst umwerfend aus!“, beteuerte Matt sofort aufrichtig, wenn er sich auch bewusst war, dass Anya ihm kein Wort glauben würde. „Betrachte mich umgeworfen“, meldete sich Zanthe mit erhobener Hand böse kichernd hinter Matt.   Anya war im Begriff ihre zum Kleid passenden Stulpen hochzuschieben, um ihn tatsächlich 'umzuwerfen', als hinter Matt die eine Person auftauchte, mit der Anya am allerwenigsten gerechnet hatte. „Also ich finde es auch toll“, sagte Valerie Redfield lächelnd, „endlich traust du dich mal zu etwas anderem, als zu deinen normalen Klamotten.“ Anya sah die Schwarzhaarige vor ihr an. Valerie sah sie an. Anya blinzelte. Valerie wartete auf eine Reaktion. Sie bekam eine. „... hat wer 'ne Pistole?“, fragte Anya schlaff. „Ach komm schon, lass dich nicht von den Jungs ärgern“, versuchte Valerie sie aufzumuntern und hakte sich uneingeladen bei ihrer selbsternannten Erzrivalin ein. Ehe die überhaupt begriff, was gerade geschah, zog Valerie sie schon mit bestimmender, aber sanfter Gewalt davon. „Marc ist auch hier, kommt doch zu uns an den Tisch.“   Erst jetzt konnte Anya den unverhofften Informationsinput 'Redfield' verarbeiten und riss sich prompt von jener los, wich geradezu von ihr weg, als wäre sie der Teufel, während die Jungs im Hintergrund dem Spektakel neugierig zusahen. „Was-zur-Hölle-willst-du-hier-Redfield!?“, brachte sie stoßartig hervor, ohne Luft zu holen. „Ich bin eingeladen?“, erwiderte die salopp. „Anders als du, nehme ich an.“ „'türlich bin ich eingeladen!“ Geradezu missbilligend warf Anya einen kurzen Blick auf ihr Gegenüber. Violettes, hauchdünnes Glitzerkleid, bis zu den Füßen reichend, dämonisch böser Ausschnitt, vermutlich extra für die Veranstaltung gelocktes, offenes Haar, eine dezente Halskette, gepaart mit protzigen Goldarmreifen. Wo war doch gleich die bestellte Pistole!? „Anya, erzählt das jemandem, der dich nicht kennt“, mahnte Valerie sie streng, „wie du es angestellt hast, ist mir egal. Sei bloß vorsichtig.“ Die Blonde blinzelte verdutzt. „Huh? Du willst mich nicht anscheißen?“ „Für wen hältst du mich?“, empörte sich Valerie und griff sie wieder am Arm. Leiser sagte sie zu Anya, als sie einen der dutzenden Tische ansteuerte: „So etwas würde ich nie tun. Im Gegenteil, ich hatte es sogar im Gefühl, dass du hier sein würdest. Wegen -ihr- nehme ich an.“ Im Gehen winkte Valerie den beiden noch bei der Treppe stehenden Jungs zu, sie mögen ihr doch bitte ebenfalls folgen. Derweil antwortete Anya verdrießlich. „Na wie schön, dass das so offensichtlich ist. Ja, bin ich. Aber woher weißt du das?“ Valerie starrte stur geradeaus. „Nick und ich hatten ein … kleines Gespräch, wegen so einer Sache, aber das ist nicht so wichtig. Er hat mir vor Kurzem verraten, wen du als Nächstes anpeilst. Um ihn gleich in Schutz zu nehmen, er hat nicht gesagt, dass er dich hier reinschmuggeln will, aber anders kommst du wohl kaum an Claire Rosenburg ran.“ Das erklärte Anya aber nicht, wieso Miss Glanz und Gloria überhaupt hier sein konnte. Etwas, das Valerie ihr von den verkniffenen Augen ablesen konnte. „Erinnerst du dich an das Tag Duell-Turnier damals an der Livington High? Turniere dieser Art wurden letztes Jahr an vielen Schulen in den USA durchgeführt, aber nur wenige der Gewinner erhielten auch tatsächlich eine Einladung für den Legacy Cup. So wie ich und Marc.“ Wie ein Schlag traf diese Nachricht Anya, der die Kinnlade hinunter klappte. Hätte sie das gewusst, wäre dieses beschissene Turnier damals anders gelaufen! Denn sie und Nick waren Zweite! Tch!   Endlich angekommen, wartete der Kinnbart tragende Marc in einem schwarzen Anzug auf seine noch-nicht-ganz Ehefrau. Er hielt zwei Gläser Champagner in der Hand und staunte nicht schlecht, als er erkannte, wen Valerie da mit sich schleppte. „Und wieder hast du Recht“, beglückwünschte er sie, „hätte ich dir mal gleich glauben sollen, dann könnt ich jetzt jedem was anbieten.“ „Ich will eh nix“, raunte Anya und stellte sich dazu. Kurz darauf folgten auch Matt und Zanthe. „Seid ihr Teilnehmer?“, fragte Valerie und bekam die Antwort als Kopfschütteln. „Nur sie“, deutete Matt auf Anya. Valerie stützte ihre Ellbogen am Tisch ab und legte ihren Kopf in geneigter Haltung gegen die Hände, nachdem sie sich auf einen der Hocker gesetzt hatte. „So hätte das nicht laufen dürfen …“ Marc erklärte dazu: „Wir wollten es für dich tun, Anya. Als Nick uns sagte, dass Claire eines dieser Artefakte hat, wussten wir, dass wir die Chance haben sie zu stellen.“ Das blonde Mädchen traute ihren Ohren kaum. „Ihr wolltet-!? Für mich!?“ Ihre grübelnde Pose aufgebend, nahm Valerie die Arme vom Tisch und trank einen Schluck Champagner, ehe sie antwortete. „Warum nicht? In der Zeit hättest du dich um jemand anderen kümmern können. Aber Nick hat dir wohl nicht gesagt, dass wir hier sein werden.“ Anya schüttelte den Kopf. „Nein, hat er nicht.“ Unvermittelt packte Valerie Anya am Arm und sah sie eindringlich an. „Mit dir sind wir jetzt drei Leute, die die Möglichkeit haben, sich mit Claire zu duellieren. Aber …“ „Aber?“, fragte Anya irritiert und sah Matt und Zanthe an, als ob die wüssten, was Valerie wollte. „Du kannst Claire nicht besiegen. Lass uns das machen.“ Sofort riss Anya ihren Arm weg. „Was soll das denn heißen-!?“ „Sie ist auf einem ganz anderen Level als du“, setzte die Schwarzhaarige ihre Erklärung fort, „als wir alle. Sie hat noch nie verloren. Und viele hier sind fast so stark wie sie. Ich will nicht, dass du deine Zeit hier verschwendest, um zwischendrin aus dem Turnier auszuscheiden. Genau die rennt dir davon, du solltest eher nach Edna such-“ Sofort schlug Anya mit der Faust auf den Tisch. „Du spinnst wohl, Redfield! Denkst wohl, weil du mal besser als ich warst, kannst du dich jetzt aufspielen, huh!? Ich hab dich nicht darum gebeten, mir zu helfen, sofern ich mich recht erinnere! Das hier ist mein Ding, klar!?“ Marc seufzte. „Was habe ich dir gesagt, Valval?“ „Aber Anya, ich sage das doch nicht, um dich zu verspott-!“   Lautes Geklatsche ertönte. Während Anya und Valerie stritten, betrat ein junger Mann in weißem Anzug die Bühne. Unter dem Arm des brünetten Henrys eingehakt war seine Schwester Melinda, die sich ihre Haare feuerrot gefärbt und zu zwei Pferdeschwänzen gebunden hatte. Sie trug ein marineblaues Abendkleid, hatte sich ein lavendelfarbenes Tuch um ihre Hüfte gebunden. Zusammen traten sie an das Rednerpult. „Guten Abend und vielen Dank, dass ihr alle so geduldig gewartet habt“, verkündete Henry stolz über das Mikrofon, „ich bin Hendrik Benjamin Ford und das ist meine Schwester Melinda Ford.“ Der Applaus wurde intensiver. „Wir beide sind heute die Vertreter der Abraham Ford Company und begrüßen alle Teilnehmer sowie Sponsoren des Legacy Cups und auch alle anderen Anwesenden zu dieser Feier.“ Etwas zu Melinda murmelnd, machte er ihr Platz. Voller Freude strahlend, sah sie in die große Runde. „Guten Abend. Lasst mich damit beginnen zu sagen, dass wir froh sind, euch endlich zu diesem Event einladen zu können. Wie ihr wisst, musste der Legacy Cup um ein Jahr verschoben werden, aber endlich ist die Zeit gekommen. Eure Zeit!“ Die Gäste klatschten, einige hoben sogar die Gläser an und bekundeten ihre Dankbarkeit sowie die Hoffnung, die Geschwister haben sich endlich von ihrer langen Krankheit erholt. Die wenigstens wussten, dass es keine Krankheit war, die der Grund für den Aufschub des Turniers darstellte … Melinda bedankte sich und sprach weiter: „Aber was feiern wir wirklich? Natürlich den Auftakt des Turniers in einer Woche. Aber auch den Beginn einer neuen Ära von Duel Monsters.“ Lautes Gemurmel ging durch den Saal. Einige Vermutungen bezüglich dieser Worte kamen von allen Seiten. Das Wort 'Pendel' fiel immer wieder. „Was wir euch heute vorstellen, ist für die Öffentlichkeit erst kurz vor dem Start des Turniers gedacht, wenn das nächste Erweiterungsset von Duel Monsters erscheint. Was in genau drei Tagen der Fall ist. Henry wird euch dazu mehr sagen.“ Wieder ertönte Applaus, als die beiden die Position tauschten und der junge Mann erneut ans Mikrofon trat. „Heute gewähren wir euch einen ersten Einblick in die Funktionsweise der Pendelmonster, einer völlig neuen Art von Karte. Darüber hinaus wird es einige gravierende Regeländerungen am Spiel selbst geben, die mit dem Auftakt des Turniers weltweit eingeführt werden.“ Noch lauteres Geraune hallte von den vielen kleinen Tischen. Henry sagte: „Doch bevor wir darauf eingehen, möchte ich daran erinnern, dass die Siegerin oder der Sieger des Legacy Cups neben einem Preisgeld von 500.000$ und der Einladung in die offizielle Profi-Liga auch die Chance erhält, sich mit der amtierenden Weltmeisterin zu duellieren. Und sie ist bereits heute extra für dieses Event angereist! Einen herzlichen Applaus für Claire Rosenburg.“   „... das ist nicht wahr, Anya! Du verstehst das völlig falsch! Unglaublich, wie kannst du nur so verbohrt sein!?“, schimpfte Valerie beleidigt. Doch die Unruhestifterin selbst achtete gar nicht mehr auf ihre Erzrivalin, sondern blickte, wie alle anderen, herüber zur Bühne. Zwei Leute betraten diese in jenem Augenblick. Drei Stufen nahm 'sie'. Völlig gelassen, als wäre dies für sie nichts Besonderes. Und das war es vermutlich auch nicht. Sie sah etwas anders aus als in der Werbung, noch größer. Fast so groß wie Matt. Ihr blondes Haar hatte sie am Hinterkopf kurz rasiert, trug einen Bob. Ihr Pony ging bis zur Höhe ihrer grünen Augen und von ihm reichten ihr zwei einzelne, im Gegensatz zu der Werbung von gestern grün gefärbte Strähnen bis zur Brust. Und Claire Rosenburg sah merkwürdig aus. Das limettenfarbene, knielange Kleid stand ihr nicht besonders gut, denn ihre sehnigen, nackten Arme gaben einen unschönen Kontrast zu dem feinen Stoff. Auch ihre schwarzen Lederstiefel wollten einfach nicht zum Rest passen. Begleitet wurde sie von einem rothaarigen Mann in einem schwarzen Designeranzug. Nicht nur saß eine Sonnenbrille auf seiner Nase, nein, über seinem rechten Auge befand sich eine tiefe Narbe, die die Braue zerteilte. Dazu trug er einen Vollbart, lediglich das Kinn hatte er rasiert. Nebenbei murmelte Marc zu Zanthe und Matt: „Ihr Manager. Unheimlicher Typ.“ „Hörst du mir überhaupt zu!?“, beklagte sich Valerie lauthals. Anya wandte sich tolldreist entrüstet zu ihr um. „Natürlich nicht!“ Und der Streit ging in die nächste Runde.   Nachdem Henry Claire auf die Bühne geholt hatte, erklärte er weiter: „Ihr Duellstil war eine große Inspirationsquelle für uns, was die Entwicklung der Pendelbeschwörung betrifft.“ Plötzlich sprang der riesige Bildschirm über ihnen an. Auf ihm war der komplette Spielplan von Duel Monsters abgebildet. „Wie kann man etwas toppen, das so flexibel ist wie Claire, so die Kernfrage“, sagte Henry und tippte auf den Touchscreen in seinem Pult, „simpel, wir fügen eine völlig neue Komponente ein.“ Plötzlich veränderte sich der Spielplan, Deckzone und Friedhof sowie Extradeck und Spielfeldkartenzone schoben sich auseinander. Und zwischen ihnen tauchten zwei neue Zonen auf. „Daher seht nun die Zukunft von Duel Monsters! Die Pendelzonen, ein Platz für die Monster einer neuen Generation, die Pendelmonster! Es sind doch Monster, oder?“ Tosender Applaus, aber auch viel irritiertes Gemurmel, als er den letzten Satz mit einem Zwinkern beendete.   Im Anschluss begann Henry zu erklären, wie diese neuen Karten funktionierten. Sie waren sowohl Monster, als auch Zauber, was durch ihren halb orangefarbenen, halb grünen Kartenrand deutlich wurde. Als letztere konnten sie ausgespielt werden, indem man sie in die Pendelzonen legte. Dort besaßen sie einen völlig anderen Effekt. Aber mehr noch, jedes Pendelmonster besaß einen neuen Wert, den Pendelbereich, der mit einem Wert von 1 bis 12 bemessen war. Besaß man zwei Pendelmonster in jenen Zonen, durfte man einmal pro Zug eine Pendelbeschwörung durchführen und beliebig viele Monster von der Hand rufen, deren Stufe zwischen dem Pendelbereich-Wert der linken Pendelzone und des Wertes der rechten lag. Dies zeigte er anhand einiger simpler Beispiele am Bildschirm. Einige Gäste lachten dabei, andere tuschelten aufgeregt. Dann erklärte Henry, dass Pendelmonster noch eine weitere Besonderheit aufwiesen. Wenn sie vom Feld auf den Friedhof gelegt wurden, gingen sie stattdessen aufgedeckt ins Extradeck – und konnten von dort ebenfalls per Pendelbeschwörung gerufen werden. Auch das zeigte er durch Beispiele, die nun unter großem Jubel aufgenommen wurden. Er schloss seine Rede mit der Hoffnung ab, vielleicht schon erste Spieler mit Pendelmonstern während des Turniers zu sehen. „Außerdem wird uns bald ein weiterer, spannender Umschwung in der TCG-Szene erwarten“, waren seine letzten Worte. „Vielen Dank!“ Danach überließ er Melinda das Feld, die zunächst ankündigte, dass neue D-Pads zum Start des neuen Sets bereit stehen und für das Turnier sogar Pflicht sein würden, die alten aber weiterhin benutzt werden dürfen, wenngleich sie auch nicht mit den Pendelmonstern kompatibel waren. Teilnehmer würden ihre in den nächsten Tagen oder spätestens zu Beginn des Turniers erhalten. Anschließend klärte sie über die neuen Regeländerungen auf, derer es neben den Pendeln zwei gab: Der Spieler, der den ersten Zug machte, würde fortan seine Draw Phase überspringen müssen. Ein regelrechter Aufschrei seitens einiger entsetzter Gäste war die Folge. Die zweite Änderung erlaubte es nun beiden Spielern, eine Spielfeldzauberkarte gleichzeitig zu kontrollieren. In diesem Moment verstummte Melinda.   Anya bekam davon allerdings nichts mit, sie schrie Valerie hinterher, die mit Marc im Schlepptau wutentbrannt das Weite suchte: „Gib einfach zu, dass du mir das nicht alleine zutraust, Redfield!“ Zunächst fiel es Anya gar nicht auf, aber ihr Streit hatte die Aufmerksamkeit sämtlicher Anwesender erregt. Inklusive Henry, der etwas aus dem Konzept geraten ans Mikro trat. „Wie ich sehe, haben wir einen ungebetenen Gast. Guten Abend, Anya.“ Die wirbelte herum und bemerkte erst jetzt, wie alle Augen nur auf sie gerichtet waren. Wütend schimpfte sie: „Pah, kümmere dich lieber um deine Angelegenheiten, ich hab ne' Einladung.“ „Da muss ein Missverständnis vorliegen, denn die hast du garantiert nicht. Und selbst wenn du eine hättest, das Sicherheitspersonal wird dich allein für die Störung mit nach draußen begleiten.“ Sofort war sie von zwei Schränken in Schwarz umzingelt, die sie ergreifen wollten. Ihnen ausweichend, schrie sie sie an: „Pfoten weg!“ Die Ersten fingen bereits wild an zu tuscheln und zu spekulieren, was es mit Anya auf sich hatte. Jene rannte ein Stück vor und steckte den Finger aus, richtete ihn direkt auf Henry. „Ach ja? Dann schau doch in deiner Datenbank oder was auch immer nach!“ „Wie du willst.“ Zur Demonstration tippte er auf seinem Pult etwas ein und öffnete, für alle Anwesenden sichtbar, auf dem großen Bildschirm eine Liste. Er scrollte hinunter, jeder Duellant war mit gewissen Grunddaten und Profilfoto versehen. Valerie, Marc, ein blasser Junge mit hellem, langen Haar, ein brünetter junger Mann, dann Anya. Frech grinsend starrte ihr Antlitz in die Runde. „Das kann nicht sein!“, schoss es aus Henry heraus. „Was hast du da angestellt!?“ „Mich qualifiziert, was sonst!?“   Erzürnt sprang Henry in seinem weißen Anzug von der Bühne und ging schnellen Schrittes auf Anya zu. „Niemals, das wäre uns aufgefallen. Hier muss ein großer Fehler vorliegen!“ Melinda eilte ihm hinterher, musste dabei den Saum ihres Kleid anheben. „Warte, ich glaube, ich weiß warum.“ Als sie bei ihm ankam, reichte sie ihm ein Blatt Papier, das sie sich nebenher vom Rednerpult geschnappt hatte. „Hier! Das ist die Liste derer, die in die engere Auswahl kamen. Sie muss irgendwie durchgerutscht sein.“ Ihr Bruder riss ihr das fragwürdige Beweismittel aus der Hand. Zornesfunkelnd sah er auf: „Sie hat Recht. Wer auch immer so dumm war, er hat dich als Teilnehmerin vorgeschlagen.“ Anya streckte ihre flache Brust vor. „Und nun? Willst du mich rausschmeißen?“ „Dieser Fehler würde einen anderen seinen Platz kosten. Sicher siehst du ein, dass das keineswegs fair wäre?“, lautete seine Antwort. Nein, tat sie nicht. „Quatsch nicht 'rum, du würdest doch alles tun, nur um mir eins auszuwischen!“ Sich dazwischen drängend, sagte Melinda: „Na wenn das so ist, musst du dir den Platz eben verdienen. Indem du dich zum Beispiel gegen jemanden duellierst.“ „Melinda!“ Sofort hielt jene sich ertappt die Hände vor den Mund, hatte sie ihrem Bruder eben unbedacht ein Messer in den Rücken gerammt. „Kein Problem, ich nehme Claire Rosenburg!“, schlug Anya ohne Umschweife vor. Lautes Gelächter, welches das fein gekleidete Mädchen aufstampfen ließ. „Was!?“ Henry schüttelte den Kopf. „Abgelehnt, dein Platz wird seinem rechtmäßigen Besitzer zugewiesen.“ „Den gibt’s doch gar nicht, wen wollt ihr bei dieser riesigen Liste nehmen!?“ Anya schwang den Arm aus. Sie durfte sich diese Chance, ihrem Traum ein Stück näher zu kommen, auf gar keinen Fall nehmen lassen. „Komm schon, wenn nicht die Weltmeisterin, dann ihr beide. Mit euch werde ich doch locker fertig und würde so beweisen, dass ich die Richtige für euer Turnier bin! Was sagt ihr!?“ Sie richtete sich dabei an die Gäste, traf aber auf gemischte Reaktionen. Einige nickten, andere hingegen sagten frei heraus, dass sie davon nicht viel hielten. „Abgemacht“, grinste Melinda, „du gegen uns beide? Wenn du -so- gut bist, hast du dir den Platz wirklich verdient!“ Sie wandte sich an die beiden Männer von der Security. „Bitte holen Sie die neuen D-Pads.“ „Melinda, was soll das!?“, zischte Henry. „Du kannst doch nicht einfach-!?“ Seine Schwester aber bestand darauf. „Sie ist immerhin vorgemerkt gewesen, also hat sie diese Chance verdient.“ „... meinetwegen“, ließ der Erbe der AFC sich breitschlagen, „aber nur, weil du es bist.“ Sie fiel ihm um den Hals. „Bist der Beste.“ Sich dann an die aufgewühlte Allgemeinheit wendend, rief sie: „Auch wenn sich einige von euch auf den Schlips getreten fühlen, als Entschädigung bekommt ihr einen Vorgeschmack auf die neuen Pendelmonster! Versprochen!“ Damit konnten einige leben, andere nicht. Eine Wahl hatten sie ohnehin nicht, zum Glück für Anya.   So stellten die Drei sich in der Mitte des Saals auf. Anya mit dem Rücken zum Ausgang, den sie wohl oder übel nehmen musste, wenn sie verlor. Henry und Melinda ihr gegenüber. Während sie auf die D-Pads warteten, schielte Anya herüber zur Bühne, die sich hinter den Geschwistern befand. Claire Rosenburg stand dort, regungslos mit versteinerter Miene. Und als sich die Blicke der beiden kreuzten, begann Anya zu frösteln. Ein Blick aus den grünen Augen, taxierend und erhaben. Als würde eine Göttin auf sie herabsehen. Unheimlich! Einen Moment später bekamen die Drei ihre D-Pads, die schlicht in Rot daher kamen und sich ansonsten kaum von den alten Modellen unterschieden. „Dann mal los!“, leitete Anya das Duell ein. Synchron riefen sie: „Duell!“ Die drei D-Pads klappten sich aus. Neben den Monsterkartenzonen befanden sich nun die Slots für die Pendelmonster.   [Anya: 4000LP //// Henry: 4000LP Melinda: 4000LP]   „Bevor wir anfangen, sollte noch eine Sache geklärt werden“ verkündete Henry und sah sich unter den Gästen beziehungsweise Zuschauern um, damit auch jeder genau zuhörte, „auch die Regeln für Tag-Duelle wurden überarbeitet. Im Gegensatz zu einem Duell einer gegen einen ist es hier die Partei in der Überzahl, die nicht in ihrem ersten Zug ziehen darf. Welcher wie gewohnt erst nach demjenigen stattfindet, der alleine kämpft. Das hat sich nicht geändert.“ Die hübsche Journalistin, die unvermittelt neben Matt auftauchte, hob den Arm. Der Erbe der AFC streckte ihr demonstrativ den seinen entgegen. „Ja?“ „Und wenn beide Gruppen aus zwei Spielern bestehen?“ „In dem Fall setzen alle ihre erste Draw Phase aus. Auch hier bleibt gleich, dass keiner in seinem ersten Zug angreifen darf.“ Derweil schnaubte Anya wütend und hielt die Arme verschränkt. „Ist ja hochinteressant. Können wir endlich anfangen, oder muss ich dir erst ein paar Knochen brechen um zu zeigen, wie ernst mir das ist, Schnöselkind?“ „Wie du willst“, murrte Henry und positionierte sich. Seine Schwester tat es ihm gleich, wobei er noch hinzufügte: „Tu dein Schlimmstes.“ „Kannste Gift drauf nehmen!“   Im Anschluss zogen alle drei ihr gewohntes Startblatt von fünf Karten. Und da fing das Drama schon an, denn eine dumme Angewohnheit Anyas war es, dass ihre Aufmerksamkeit bei ihrer Meinung nach uninteressanten Themen schnell abdriftete. Doch im dem Fall hätte sie besser genau zugehört, denn nun wusste sie nicht, ob sie überhaupt ziehen durfte oder nicht. Verwirrt starrte sie dieses neue, rote D-Pad an, welches angenehm leicht, dafür aber grottenhässlich war. Statt rechteckig zu sein, waren die Kanten des flachen Apparats abgerundet. „Uh …“ „Anya, du darfst ziehen. Die Regel, dass du es nicht darfst, gilt für normale Duelle.“ Sofort erntete Melinda einen bösen Blick von ihrem Bruder, sah er es schließlich gar nicht gerne, dass sie ihr auch noch half. „Weiß ich doch! Draw!“ Nachdem Anya nun ihre sechs Karten in der Hand hielt, schloss sie aus reinem Trotz aus, sich in Zukunft an diese neuen Regeln zu gewöhnen. Spielfeldzauberkarten waren ihr egal, aber niemand nahm ihr -ihren- ersten Zug-Zug! „Fein, ich setze dieses Monster. Mach was, Ford, aber mach es schnell!“ In vergrößerter Form materialisierte sich die Karte vor ihr. Henry machte sogleich weiter, allerdings, wie er erklärt hatte, ohne aufzuziehen. Genau wie Anya legte er ein Monster horizontal auf das D-Pad. „Ich setze auch ein Monster, da ich nicht angreifen kann. Melinda, dein Auftritt.“ Noch während es vor ihm mit nach oben gerichtetem Kartenrücken auftauchte, legte auch Melinda ohne vorher zu ziehen ein Monster von ihrer Hand mit dem Kartenbild nach unten zeigend auf das D-Pad. Zischend materialisierte es sich vor ihr. „Soll das'n beschissener Scherz sein oder gibt’s jetzt auch 'ne Regel, die vorschreibt, mir alles nachmachen zu müssen!?“, brüskierte Anya sich gewohnt wenig herzlich. Melinda zwinkerte verschwörerisch. „Nein, wir sind nur nicht so dumm, dich zu unterschätzen. Aber ganz mache ich dich nicht nach, ich setze nämlich noch eine Karte.“ Jene tauchte hinter ihrem Monster auf. „Du bist wieder dran.“   „Draw!“, fauchte Anya aufgewühlt und drehte das Monster auf ihrem D-Pad um, indem sie es mit dem Bild nach oben legte. „Flippbeschwörung, [Gem-Turtle]. Wird die so aufgedeckt, fliegt 'ne [Gem-Knight Fusion] direkt vom Deck in mein Blatt.“ So geschah es, dass ihre holografische Karte um die eigene Achse wirbelte und eine große Schildkröte hervorrief, deren Panzer aus einem einzigen, riesigen Smaragd bestand.   Gem-Turtle [ATK/0 DEF/2000 (4)]   Bereits kurz nachdem Anya es verkündet hatte, stand eine einzelne Karte aus ihrem Deck hervor, die sie nur noch aufzunehmen brauchte. Zugegeben, diese verbesserte Stimmenerkennung in den neueren Duel Disks und D-Pads hatte sie immer an ihrem alten Battle City-Modell vermisst. Aber niemals würde sie diese gegen eines dieser Teile eintauschen, sobald sie sie erst zurück hatte! Das Mädchen zückte ihre neue Karte und hielt sie in die Höhe, über ihr entstand ein kunterbunter Wirbel aus den verschiedensten Edelsteinen. „Dann los, Fusionsaction! [Gem-Knight Tourmaline], du bist das Herz, [Gem-Knight Obsidian], du die Rüstung! Vereint euch!“ Ein Ritter in goldener und einer in schwarzer Rüstung wurden in den Sog über dem Mädchen gezogen. Dort entstand ein Lichtblitz und ehe das Geschwisterduo sich versah, landete vor dessen Gegnerin ein anderer Ritter, dessen wehender, schwarzer Umhang einen starken Kontrast zu seiner goldenen Rüstung darstellte. Er schwang zwei Dolche, deren Klingen aus Blitzen bestanden. „[Gem-Knight Topaz]!“   Gem-Knight Topaz [ATK/1800 DEF/1800 (6)]   Überraschenderweise tauchte neben dem noch ein Ritter auf, nämlich derjenige, der als erster in den Wirbel gezogen wurde. Von gleicher Farbe, aber ohne Umhang, ließ er zwischen seinen Handflächen regelmäßige Entladungen entstehen. „Wenn Obsidian von der Hand auf den Friedhof wandert, ruft er von dort ein normales Monster wie Tourmaline aufs Feld! Sofern es unter Stufe 5 liegt, natürlich!“   Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)]   Anya war jedoch schon längst dabei, ihre Schildkröte von dem D-Pad zu nehmen. „Macht euch schon mal frisch! Tributbeschwörung! Mein neues Prachtstück, extra für ein ganz spezielles Monster in meinem Deck ausgewählt: [Labradorite Dragon]!“ In dunklen Funken löste sich [Gem-Turtle] daraufhin auf, welche sich zu einem schwarzen Drachen formten, der in seiner lauernden Haltung fast so groß wie Anya war. Seine Haut war besetzt von ovalen, verschieden großen Edelsteinen, die einen grünlichen Schimmer von sich gaben.   Labradorite Dragon [ATK/0 DEF/2400 (6)]   Mit einem Ruck streckte Anya den Arm in die Höhe. „Labby mag zwar ein normales Monster ohne Angriffspunkte sein, dafür ist er aber ein Empfänger. Und diesen stimme ich jetzt auf Tourmaline ein! Stufe 6 und Stufe 4!“ Plötzlich ließ sie den Arm sinken und guckte einen Moment verdutzt. „... shit, für das Ding habe ich bisher ja gar keinen Spruch.“ Sie schüttelte den Kopf. Egal, dann musste es eben ohne gehen, auch wenn die Verlockung groß war, gerade wo Levrier nicht dazwischenreden konnte. Doch auch wenn einer Anya Bauer nahezu nichts peinlich war, wollte das winzige bisschen Selbstachtung in ihr sich nicht vor diesen ganzen Profiduellanten blamieren. Also rief sie schlichtweg: „Synchro Summon! Level 10, [Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T]! Und er ist nicht nur groß, sondern bekommt für diesen Zug auch noch 500 Angriffspunkte pro Synchromaterial! Erschei- Was!?“ Als der sogenannte Titan vor ihr auftauchte, konnte von groß jedoch gar keine Rede sein. Er sah genauso aus, wie auf der Karte abgebildet: Von hellblauer Farbe, prangte auf der Brust des Robokriegers ein fettes, silbernes T. Sein Helm war mit vier kompliziert ineinander verworrenen Hörnern bespickt, die geradeaus zeigten.   Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T [ATK/3000 → 4000 DEF/0 (10)]   Aber verdammt, der ging ihr nicht mal bis zum Knie! „Was soll das!?“, kreischte sie aufgelöst. „Als er gegen Matt gekämpft hat, muss er doch mindestens zehn Meter groß gewesen sein! Du solltest cool sein, kein beschissenes Spielzeug!“ Indes brach Zanthe am Tisch in frenetisches Gelächter aus. Matt schüttelte beschämt den Kopf, teilte Anya mit: „Denk doch mal nach. Der passt hier nicht rein, deswegen ist er … geschrumpft.“ Empört zeigte das Mädchen mit dem Finger auf den Roboter. „Aber so sehr!? Das ist nicht fair!“ „Krieg dich wieder ein“, raunte Henry. „Krieg dich ein!?“, wiederholte Anya, ihre Lippen bebten. „Ich -stampf'- dich ein! Zauberkarte [Silent Doom]! Die reanimiert 'n normales Monster auf meinem Friedhof im Verteidigungsmodus!“ Unter den Gästen gab es neugieriges Gemurmel von allen Seiten. Wenige achteten auf [Gem-Knight Tourmaline], welcher in kniender Position vor Anya auftauchte.   Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)]   Ihr Augenmerk galt viel eher ihrem Heavy T, der zwar harmlos aussah, aber durchaus Interesse weckte. Schließlich kannte keiner dieses Monster, wie konnten sie auch, war er doch eine Hüterkarte und damit einzigartig. „Und jetzt schicke ich ein Licht-Monster direkt von meinem Deck auf den Friedhof und simuliere damit einen Empfänger! Der Stufe 4-[Alexandrite Dragon]!“ Welchen Anya sofort in den Friedhofsschacht des D-Pads rammte. Dann streckte sie den Arm in die Höhe. „Und Tourmaline, auch Stufe 4! From the light of a different world, the herald of starlight descends upon the ravaged land! By discarding a single star, I call upon you!“ Dort, wo ihre Finger hinreichten, entstand ein großer, goldener Ring. Ihr Ritter zerplatzte in vier grüne Lichter, die jenes Gebilde durchquerten. Dabei entstand in ihm eine wässrige Oberfläche. „Oh oh, jetzt ist sie richtig sauer“, gluckste Melinda vergnügt, „was sie wohl diesmal serviert?“ Henry runzelte die Stirn argwöhnisch. Flüsterte: „Noch so eine Karte, die garantiert -nicht- in unseren Datenbanken drin ist.“ Ein greller Lichtblitz schoss durch den Ring. „Synchro Summon! Shine forth, [Angel Wing Dragon]!“ Ein weißer Drachenkopf schoss aus der seltsam schimmernden Oberfläche nach vorne, während aus der anderen Seite sein Schweif heraus schnellte. Von dem Ring selbst begannen sich vier weiße Federschwingen zu strecken. Beide Körperhälften ergaben einen schlangenhaften Drachen, dessen goldenes Kragengestell ihm den Hauch einer Kobra verlieh.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   „Jemand muss jetzt bestraft werden“, schnaubte Anya und visierte bereits Henry an. Das erstaunte Getuschel der Zuschauer ob ihres Drachen nahm sie gar nicht wahr. „Und da du für diesen Kackmist verantwortlich bist, kriegst du die volle Dröhnung! Heavy T, greif sein Monster an! … wie heißt seine Attacke?“ „Gravity Reverse“, rief Matt ihr gelangweilt zu. Anya schnippte unter der Erleuchtung unnützen Wissens den Finger. „Genau! Die! Attacke!“ Ihr Spielzeugroboter streckte seine rechte Handfläche aus, in der eine blau strahlende Kugel eingelassen war. Die begann plötzlich Henrys gesetztes Monster anzuziehen, welches aus der Karte hervortrat und sich als grünhaariger Junge in beigefarbenem Umhang samt gelbem Halstuch präsentierte. „Das ist [Kamui, Hope Of Gusto]! Wenn er-!“ „Falsch, das ist Matschepampe! Sieh hin, Schnöselkind!“   Kamui, Hope Of Gusto [ATK/200 DEF/1000 (2)]   Henry bemerkte es. „Wie hat er die Position gewechselt!?“ „Na dank Heavy Ts Gravity Reverse! Mit dem kann er bei seinem eigenen Angriff die Position des Monsters ändern! Jetzt gibt’s auf die Fresse!“ Immer stärker wurde der Sog, der den grünhaarigen Burschen anzog, der durch Rückwärtslaufen dagegen ankämpfte. Schließlich verloren seine Füße den Halt unter dem Parkett und er flog direkt auf den Spielzeugroboter zu, welcher mit der Linken ausholte und zuschlug. Eine heftige Schockwelle entstand, die Henry erfasste und auf den Rücken warf. Erschrockenes Raunen hallte durch den Saal.   [Anya: 4000LP //// Henry: 4000LP → 200LP Melinda: 4000LP]   Vorsichtig richtete er sich unter den verwirrten Ausrufen der Gäste auf und starrte Anya perplex an. „Wie hat sie das gemacht!?“ „Die Sicherheitseinstellungen sollten so etwas doch verhindern!“ „Was für Monster spielt sie da!?“ Anya klatschte sich gegen die Stirn. „Ups, ganz vergessen, der kann das ja …“ Die Hände beschwichtigend erhoben, erklärte Melinda hektisch: „Sorry Leute, ihr D-Pad muss spinnen. Wir benutzen noch die ersten Prototypen, da kommt so etwas vor, ahaha!“ „Ja“, murmelte Henry und stand wankend auf. „Natürlich doch.“ Heavy T, als wäre es ihm diese Aufregung zu peinlich, verschränkte die Arme vor der Brust.   Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T [ATK/4000 DEF/0 (10)] „Klar, wenn er kämpft, wechselt er danach die Position …“ Für Anya war Heavy T noch Neuland. Entsprechend unbeholfen drehte sie ihn auf ihrem D-Pad in die Horizontale, hatte sie daran gar nicht mehr gedacht. „Interessantes Mädchen. Voller Überraschungen“, flüsterte derweil die hübsche Journalistin Matt zu, gestikulierte dabei mit einem Martiniglas, welches ein Kellner ihr serviert hatte. Der Schwarzhaarige rümpfte die Nase. „Nicht die Sorte Überraschungen, die man sich wünscht.“ „Oh, das kommt immer auf den Blickwinkel des Betrachters an.“ „Bei Anya gibt’s nur einen, den toten Winkel“, schnarrte Zanthe gewohnt spitzzüngig.   „Wir können weitermachen, ist ja nichts passiert“, verkündete Henry, der zur Sicherheit seinen Anzug noch einmal von allen Seiten ansah, „und ich hoffe, dass es auch so bleibt, nachdem wir die Sicherheitseinstellungen -extern- wiederhergestellt haben.“ Jene scharfen Worte waren unmissverständlich für Anya gedacht. Die aber war zu sehr damit beschäftigt, das Monster zu betrachten, das unerhörterweise just in diesem Moment vor ihrem Widersacher erschienen war. „Wo kommt das denn her!?“ Der türkisgrüne Vogel, der mit Brustpanzerung und Stachelhelm aufwartete, flatterte auf Henrys Schulter. Jener sagte dazu: „Das wollte ich dir vor deinem Angriff erklären. Kamui ist ein Flippmonster, das einen Gusto-Empfänger beschwört, wenn es aufgedeckt wird. [Gusto Gulldo].“   Gusto Gulldo [ATK/500 DEF/500 (3)]   „Was auch immer, du bist eh gleich aus'm Rennen! Topaz, steck' ihm einen deiner Dolche dahin, wo die Sonne niemals scheint! Thunder Strike First!“ Henry hielt entspannt dagegen: „Mach ruhig, greif so oft an wie du willst, aber sei dir im Klaren darüber, dass jedes Gusto-Monster ein anderes an seiner Stelle beschwören kann. Du kommst nicht nochmal an meine Lebenspunkte.“ Schnippisch erwiderte Anya: „Beschwöre -du- doch so viel wie -du- willst. Hast wohl vergessen, dass Topaz deinen Lebenspunkten schaden kann, wenn er ein Monster zerstört. Nämlich für jeden einzelnen Angriffspunkt deines toten Monsters.“ „Oh, ich erinnere mich noch an unser erstes Duell.“ Henry grinste plötzlich. „Damals hatte ich keine Ahnung, dass du so viel Ärger bedeutest. Aber ich habe ein gutes Gedächtnis und werde deshalb nicht verlieren. Melinda?“ Die nickte wie auf Knopfdruck. „Richtig. Leider muss ich deine Angriffe umlenken, ich aktiviere meine gesetzte Karte [Hippo Carnival]!“ Der Schnellzauber klappte vor ihr auf. Auf ihm waren je ein gelbes, oranges und blaues, übergewichtiges Nilpferd abgebildet, die im Outfit brasilianischer Tänzerinnen den berühmten Karneval nachtanzten. Jene entsprangen aus der Karte und begannen mit ihren gewagten Hüftschwüngen vor Henrys Monster. Hippo-Spielmarke x3 [ATK/0 DEF/0 (1)]   Anya klappte die Kinnlade hinunter beim Anblick der geschminkten Trampeltiere. „Ihr verarscht mich doch!“ „Nicht doch. Technisch gesehen gehören sie zwar Melinda, aber im Zuge ihrer Beschwörung bist du gezwungen, sie anzugreifen.“ Henry verschränkte die Arme. „Noch Fragen?“ „Ja, eine. Wieso!? Wer hatte die Idee zu diesen Missgeburten!?“ Ohne es zu einer Antwort kommen zu lassen, streckte Anya den Arm aus. „Aber fein, massakrieren wir diese … Dinger! Topaz, Thunder Strike First und Second! Angel Wing, Seraphim Judgment!“ Ihr goldener Ritter schnellte mit gezückten Dolchen auf die Hippos zu, die sich erschraken und umdrehten, hastig weiter die dicken Hinterteile kreisen lassend, als würde dadurch irgendetwas besser werden. Gleichzeitig lud der majestätische Drache über Anya eine weiße Flamme in seinem Maul auf, die er abfeuerte. Um sie kreiste eine kleinere, goldene Spirale. So fielen zwei der fragwürdigen Gestalten Topaz' Dolchen zum Opfer, während die dritte im Bunde geröstet wurde. Anya runzelte nur verärgert die Stirn. „Ernsthaft, welche Drogen waren da im Spiel …“ Viel wichtiger aber war: Wegen seiner Schwester hatte Anya es nicht geschafft, Henry postwendend aus dem Spiel zu werfen! Dabei hatte sie so gut vorgelegt! Wenigstens konnte Topaz zweimal pro Battle Phase angreifen, sonst wäre jetzt immer noch so ein Etwas auf dem Feld. Äußerst verstimmt verkündete die Blonde im elfenbeinfarbenen Kleid daher: „Meine letzten beiden Handkarten setze ich! Zug beendet!“ Vor ihren Füßen materialisierten sie sich unter einem leisen Zischen. Damit verlor Heavy T auch seinen Angriffsbonus, noch etwas, das Anya nicht mit einkalkuliert hatte. „Bah …“   Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T [ATK/4000 → 3000 DEF/0 (10)]   Sofort im Anschluss zog Henry auf, steckte die Karte in sein Blatt und legte dafür eine andere auf sein D-Pad. „Ich beschwöre [Winda, Priestess Of Gusto]! Damit stimme ich [Gusto Gulldo], Stufe 3, auf meine Stufe 2-Winda ein!“ Während der kleine Vogel von seiner Schulter flog, erschien vor Henry ein grünhaariges Mädchen in einem weißen Kleid, über das sie einen beigefarbenen Mantel trug. Winda, Priestess Of Gusto [ATK/1000 DEF/400 (2)]   Der brünette Erbe der Abraham Ford Company streckte den Arm in die Höhe. „The feather of hope is blown away by divine winds! A storm embraces the lost valley!“ Anstatt in grüne Lichtringe zu zerspringen, flog der Vogel davon zur Bühne hinter Henry, machte dann eine Kehrtwende und wuchs dabei rapide. Winda sprang aus dem Stand in die Luft und in diesem Moment fegte Gulldo unter ihr hinweg und fing sie auf. „Synchro Summon! Reverberate, [Daigusto Gulldos]!“ Kurz vor Anya stoppte der riesige Vogel samt Reiterin mit starken Flügelschlägen, sodass Anya eine grimmige Fratze zog im Anblick des Federviehs, dessen Pupillen nun rot waren, genau wie die neuen Stacheln an seinem Brustpanzer.   Daigusto Gulldos [ATK/2200 DEF/800 (5)]   Henry zeigte die Karten von [Kamui, Hope Of Gusto] und [Winda, Priestess Of Gusto] vor. „Ich aktiviere den Effekt Gulldos'! Dafür, dass ich zwei Gustos von meinem Friedhof ins Deck schicke, darf ich ein offenes Monster zerstören! [Angel Wing Dragon]!“ Das Gespann stieg auf und machte dabei einige Schrauben, ehe es unerwartet hinab stürzte und beinahe auf das Parkett knallte. Panisch flatterte der Vogel, um wieder an Höhe zu gewinnen. Dessen Besitzer schielte zunächst abwesend an Anya vorbei, bemerkte dann aber, dass eine von Anyas verdeckten Karten aufgeklappt stand. Die erklärte: „Zu dumm, deine Winda ist besoffen. Sie hat aus dem [Forbidden Chalice] getrunken. Das negiert ihren Effekt und macht sie zeitweise um 400 Punkte stärker.“ Und tatsächlich, die grünhaarige Reiterin torkelte auf dem Rücken des Vogels mit einem goldenen Kelch in der Hand.   Daigusto Gulldos [ATK/2200 → 2600 DEF/800 (5)]   „Na gut, ich habe noch etwas anderes in der Hinterhand. Ich aktiviere die Zauberkarte [Double Summon] und kann mit ihr eine zusätzliche Normalbeschwörung durchführen!“ Henry rammte die Karte in sein D-Pad und legte danach ein Monster hinterher. „Erscheine, [Pilica, Descendant Of Gusto]!“ Das tat sie auch, ein kleines Mädchen in dunkelgrünen Shorts und hellgrünem Mantel. Ihr ebenso grünes Haar war an den Spitzen rötlich eingefärbt. Mit sich führte sie einen Zauberstab aus Holz, in dem ein Vogel eingeritzt war.   Pilica, Descendant Of Gusto [ATK/1000 DEF/1500 (3)]   Diesen schwang sie einmal zur Seite aus und ehe Anya sich versah, landete auf seiner Spitze der kleine, grüne Vogel Gulldo, völlig aus dem Nichts.   Gusto Gulldo [ATK/500 DEF/500 (3)]   „Na klasse …“, grummelte die Blonde. „Für mich ist sie definitiv eine Offenbarung, denn sie reanimiert bei ihrer Beschwörung einen Wind-Empfänger.“ Henry schwang den Arm aus. „Mach dich bereit! Ich stimme den Stufe 3-Gulldo auf meine Stufe 3-Pilica ein!“ Der kleine Vogel hob vom Zauberstab der Zauberin ab und zersprang in drei grüne Lichtringe, die sich wie ein Schleier um Pilica legten, während sie die Arme weit ausstreckte. „The winds gather to celebrate the descent of the mistress of cardinal directions! Synchro Summon! Walk on air, [Daigusto Sphreez]!“ Die Kleine stieg in die Höhe auf und wuchs dabei, wurde älter. Das Haargummi, welches ihren zu einem Pferdeschwanz gebundenen Schopf zusammen hielt, platze. Grelles Licht ging von Pilica aus, als sie sich schließlich als junge Erwachsene präsentierte, die in der Luft stand, gekleidet in grüner Robe mit schwarzen Stiefeln und einen neuen, dunkleren Zauberstab schwang.   Daigusto Sphreez [ATK/2000 DEF/1300 (6)]   „Bei ihrer Synchrobeschwörung erhalte ich ein Gusto-Monster von meinem Friedhof“, erklärte Henry und zeigte Pilicas Karte vor. „Damit greife ich deinen Heavy T mit Sphreez an! Calmanize!“ Seine Magierin schwang ihren Zauberstab und schoss eine grüne Energiekugel ab, um welche dutzende Windklingen rotierten. „Effekt von Angel Wing! Ich mache ihn zum Ziel des Angriffs!“ Der schlangenhafte, weiße Drache schob sich schützend vor den kleinen Roboter und antwortete auf die Attacke mit seinem weißen Flammenstrahl, um den eine goldene Spirale rotierte. Doch statt Sphreez zu erreichen, wurde er von der Sphäre einfach zerteilt. Die schoss geradewegs durch [Angel Wing Dragon] hindurch und traf niemand Geringeres als Anya selbst, die entgeistert zurückwich. „Was zum-!?“   [Anya: 4000LP → 3300LP //// Henry: 200LP Melinda: 4000LP]   Anya musste schon zweimal hinsehen, um zu verstehen was da gerade passiert war. Ihre Lebenspunkte waren gesunken, obwohl Angel Wing Kampfschaden verhinderte? Aber wie war das überhaupt möglich, schließlich waren Sphreez' Punkte gar nicht erst gestiegen!? Und wieso lebte die eigentlich noch!? „Deinem dummen Gesichtsausdruck nach zu urteilen hast du nicht begriffen, dass Sphreez Kampfschaden, den ich erleiden würde, auf dich zurückwirft.“ Henry lächelte tückisch. „Das gilt für jeden Gusto, solange sie hier ist. Und das wird sie wohl sehr lange sein, denn sie kann nicht durch Kämpfe zerstört werden. Willst du noch eine Kostprobe? Los, Gulldos, greife Heavy T an! Twin Cyclone!“ Der immer noch benommene Riesenvogel stieg in die Luft auf, wobei seine Reiterin beinahe hinab fiel, und löste von seinen Schwingen zwei Wirbelstürme, die ebenfalls in Heavy Ts Richtung davon fegten. Da Angel Wing noch vor jenem verharrte, antwortete er auf Anyas Befehl hin mit seinem Feuerstrahl. „Dummkopf, das kostet dich nur dein Monster!“ Gleichzeitig schwang Sphreez ihren Zauberstab und ließ ein unheimliches Funkeln um die Wirbelstürme erscheinen, die an [Angel Wing Dragon] vorbei sausten und Anya erfassten. Dabei setzte ihr Drache den Angriff dennoch fort und traf Gulldos in der Brust, woraufhin dieser samt Reiterin explodierte.   [Anya: 3300LP → 3200LP //// Henry: 200LP Melinda: 4000LP]   Der brünette, junge Mann streckte die Arme aus. „Wie du siehst, wirst du jetzt jedes Mal Schaden kassieren.“ „Pah, für diese lausigen 100 Punkte hast du dein Monster verschleudert? Idiot!“ „Fängt das jetzt an?“, murrte Henry und zeigte eine Zauberkarte vor. „Wenn ich mich recht entsinne, bin ich mit Duel Monsters wesentlich vertrauter als du. Demnach hatte das durchaus einen Grund! Ich aktiviere [Contact With Gusto]!“ Seine Sphreez hob ihren Zauberstab mit beiden Händen in die Luft. Um ihn begannen Blitze zu schlagen, als Henry Gulldo und Gulldos zurück ins Deck beziehungsweise Extradeck mischte. „Da ich zwei Gustos auf meinem Friedhof brauche, um diese Karte zu aktivieren, musste ich vorher etwas nachhelfen! Mit dieser Karte werde ich Angel Wing nun sofort zerstören!“ Damit schleuderte Sphreez den Blitz auf den Drachen. „Das kannste sowas von vergessen, der bleibt! Schnellzauberkarte [Forbidden Dress] aktivieren!“ Mit einem Knopfdruck löste Anya die Karte aus, die vor ihr aufsprang. „Sie reduziert Angel Wings Angriffskraft für diesen Zug um 600, macht ihn aber immun gegen zielende Karteneffekte!“ Angel Wing machte große Augen, als zumindest der Teil vor seinem Ring plötzlich in einem nicht passenden, weißen Kleid steckte. Aber das Ganze hatte auch etwas Gutes, denn es absorbierte den elektrischen Angriff Sphreez'.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 → 2100 DEF/2000 (8)] „Hmpf, hartnäckig warst du ja schon immer“, gestand Henry seiner Gegnerin zu und schob seine vorletzte Karte in sein D-Pad. „Ich setze die hier und gebe an Melinda ab.“ Seine Falle tauchte vor den Füßen ihres Besitzers auf. Anya, die ihrerseits nun nichts mehr in der Backrow hatte, erwiderte barsch: „Damit bekommt Angel Wing seine Punkte wieder zurück!“ Und das Kleid verschwand auch, ganz zur Erleichterung seines Trägers.   Angel Wing Dragon [ATK/2100 → 2700 DEF/2000 (8)]   Die hübsche Schwester des jungen Unternehmers zog schwungvoll auf und zeigte ihr schönstes Strahlen. „So Anya, bist du bereit für die neue Pendelbeschwörung?“ „Wenn's sein muss“, zischte die gallig zurück, „kann ja kaum schlimmer sein als das, was Schnöselkind vorhin gezeigt hat!“ „Da täusche dich mal nicht.“ Melinda drehte das Monster auf ihrem D-Pad in die Vertikale. „Erst wechsle ich allerdings [Performapal Sword Fish] in den Angriff!“ Ihre Karte wirbelte um die eigene Achse und ließ einen blauen, langen Fisch hervorspringen, welcher nicht nur mit Sonnenbrille und Fliege daher kam, sondern auch eine Klinge als Kammflosse besaß, die sogar über seinen Kopf hinausragte. Performapal Sword Fish [ATK/600 DEF/600 (2)]   „Jetzt geht’s los! Ich aktiviere meine beiden Pendelmonster als Zauber! [Performapal Turn Toad] mit dem Pendelbereich 3 und [Performapal Silver Claw] mit dem Pendelbereich 5! Pendulum Scale Set!“ Links neben ihr tauchte ein kleiner, grüner Frosch in blauem Frack mit Zylinder auf dem Kopf und zu ihrer Rechten ein silbergrauer Wolf auf, der ebenso wie die Amphibie eine rote Fliege mit gelben Punkten um den Hals trug. Unter beiden brachen hellblaue Lichtsäulen aus dem Boden, die sie in die Höhe hievten. Dabei flackerte unterhalb des Frosches eine verzerrte Drei auf, bei seinem vierbeinigen Begleiter eine Fünf. „Wunderschön“, hauchte eine Zuschauerin, als sich passend dazu der Ballsaal verdunkelte. Auch andere Gäste bestaunten die bisher unbekannte Beschwörungsweise.   Melindas Pendelbereich <5>   „Und jetzt kann ich so viele Monster von meiner Hand beschwören, deren Stufe im Pendelbereich liegt, ohne dabei einen der Grenzwerte zu berühren!“ Melinda streckte die flache Hand in die Höhe. „Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum! Erscheint, meine beiden Stufe 4-Monster! [Performapal Skeeter Skimmer] und [Performapal Whip Snake]!“ Hoch oben, unter der Glaskuppel des Ballsaals zwischen den beiden Pendelmonstern, öffnete sich ein dunkles Loch, das von dutzenden Energieschleifen umgeben war, sodass es wie die Mitte eines Sterns anmutete. Im Hintergrund schwang ein riesiges Pendel aus Kristall. Aus dem Loch zwischen den beiden Monstern schossen zwei rote Blitze und schlugen direkt vor Melinda ein. Wenig überzeugt von dieser Vorstellung fasste Anya sich an die Stirn.. „'kay? Das ist alles?“ Vor ihrer Gegnerin verharrten eine geflügelter Wasserläufer von der Größe eines Tretboots und eine violette Kobra, die einen Zylinder und mitsamt Fliege trug.   Performapal Sword Fish [ATK/600 → 900 DEF/600 (2)] Performapal Skeeter Skimmer [ATK/500 → 800 DEF/1600 (4)] Performapal Whip Snake [ATK/1700 → 2000 DEF/1000 (4)]   „Du wirst überrascht sein“, kicherte Melinda geheimnisvoll und zwinkerte ihrer Gegnerin zu, „auf dich wartet eine Menge Spaß.“ „Das wage ich zu bezweifeln!“ Anya schnaubte. Wenn sie mit Pippi Langstrumpf dort drüben fertig war, würde die AFC es sich zweimal überlegen, ob sie diese Dinger veröffentlichen wollten oder nicht!     Turn 56 – Godslayer Während Anya um ihre Teilnahme am Legacy Cup kämpft, sieht sich andererorts ihre Feindin Kali einer ganz anderen Herausforderung ausgesetzt. Angegriffen von einem völlig unbekannten Wesen, versucht sie standzuhalten, doch … Kapitel 61: Turn 56 - Godslayer ------------------------------- Turn 56 – Godslayer     Während in Ephemeria City ausgelassen gefeiert wurde, stampfte dutzende Kilometer entfernt ein Paar schwarzer Stiefel durch hohes Gras. Das Plätschern eines kleinen Bachs war zu vernehmen, ebenso verschiedene Geräusche wie das Heulen einer Eule, das Rascheln von Blättern, das Zirpen von Grillen. Der Wald schlief nie. Kali trat an den Lauf des Wassers heran. Selbst im Schutze der Nacht zog sie es vor, in schwarzer Kutte samt weißer Maske aufzutreten, obschon sie nicht damit rechnete, dass jemand sie sehen würde. Es wäre töricht, um diese Uhrzeit noch im Wald unterwegs zu sein, besonders so tief.   Die selbsternannte Dämonengöttin sah durch ihre starre Porzellanmaske hinab in das dunkle Wasser. Die Sichel des Mondes wurde regelrecht zerteilt, es sah aus, als tanzten viele kleine Lichter auf der Oberfläche. Verschwanden und tauchten an anderer Stelle wieder auf. Kali griff nach etwas am Gürtel ihrer Kutte. Nach ihrer Deckbox. Diese vor sich haltend, öffnete sie sie und betrachtete die Karten darin. Bei der Dunkelheit war es nahezu unmöglich etwas zu erkennen, aber die Frau wusste ohnehin, welche Karte oben auflag. Sie herausziehend, befestigte sie ihr übriges Deck wieder an seinem Platz. „Sayonara“, murmelte sie düster und streckte den Arm mit der Karte in der Hand über den Bach aus. Gerade wollte sie loslassen, da knackte etwas im Gebüsch.   Alarmiert wirbelte Kali herum, vergaß kurzerhand ihren Plan, sich jener Karte zu entledigen. Das Geräusch war direkt aus dem Gebüsch ihr gegenüber gekommen, bestenfalls sieben Meter von hier entfernt. Ein Tier? Sie hatte jetzt keinen Nerv für-   Es passierte so schnell, dass es sie – hätte sie schlechtere Reflexe gehabt – den Kopf gekostet hätte. Aus dem Nichts war -es- direkt vor ihr erschienen, hatte mit seinem unmenschlich langen Schwert nach ihr geschlagen. Nur indem sie sich im allerletzten Moment weggeduckt hatte, war sie dem sicheren Tod entkommen. Den nächsten Hieb konnte sie mit der inaktiven V-Duel Disk an ihrem Arm blocken. Sprachlos stand sie diesem Ding gegenüber. Eine hässliche, weiße Fratze, mit roten Markierungen im Gesicht, die der Farbe seiner Augen entsprachen. Vom ziemlich spät beginnenden Haaransatz streckte sich eine Mähne, die fast bis zum Boden reichte. Fast wie etwas aus dem japanischen Kabuki-Theater. „Ein Dämon!?“, keuchte sie. Jener riss sein langes Katana von ihr fort, doch statt einen erneuten Angriff zu starten, schob er dieses in die Scheide an seiner Hüfte. Kali wich zurück, wobei sie am Rande des Bachs angelangte. „Was bist du!?“ Auch ihr Gegenüber nahm einige Schritte rückwärts, doch statt dabei eine Antwort zu geben, hob es den Arm. Und ließ eine grell leuchtende, rote Energie-Duel Disk ausfahren. „Was …?“ Kali starrte gebannt auf die Duel Disk. Durch das Licht konnte sie jetzt die ebenfalls mit rötlichen Mustern versehene, schwarze Stoffhose ihres Angreifers erkennen. Die zu einem dunklen Kimono gehörte, den das Wesen trug. Seine Züge waren starr und das Licht spiegelte sich in ihnen wieder, sodass ihr bewusst wurde, dass es wie sie eine Maske trug. War es also menschlich? Nein … dazu war die Luft zu sehr erfüllt mit einer förmlich greifbaren Spannung. Etwas, das Kali noch nie zuvor gefühlt hatte und das, obwohl es bei weitem nicht der erste Dämon war, dem sie gegenüber stand. Nämlich nichts. Es war die Umgebung, die das ausglich, an was es diesem Wesen mangelte. Unweigerlich erinnerte sich Kali an die Worte ihrer Lehrerin. Etwas, dessen Präsenz man spürt ist harmlos im Vergleich zu dem, dessen Präsenz einem verborgen bleibt. Denn das Unsichtbare vermag außerhalb des eigenen Wahrnehmungsbereichs liegen …   Geduldig wartete der Dämon auf eine Reaktion. „Du forderst mich heraus, nachdem du mich beinahe umgebracht hast!?“ Kali streckte schließlich den Arm nach vorne und ließ ihre Duel Disk zu einem langen V ausfahren. „Was immer der Sinn dahinter ist, meinetwegen. Duellieren wir uns!“ Sie war sich nicht sicher. War dieses Wesen darauf aus, sie zu töten? Nein … das hätte es längst getan. So ungern sie es sich auch eingestand, gegen so ein Schwert hätte sie auf Dauer nicht bestehen können. Und wer oder was immer auch dort drüben stand, er wusste dies ebenso gut wie sie. „Ich werde nicht wegrennen!“, stellte Kali angriffslustig klar. Ihr Gegenüber reagierte nicht.   [Kali: 4000LP / ???: 4000LP]   Kaum hatte der unbekannte Dämon sechs Karten gezogen, legte er eine davon auf seine Energie-Duel Disk. Und sprach in diesem Sinne auch zum ersten Mal. „Monster-Set. End Phase.“ Kali verkrampfte. Die Stimme passte perfekt zum Erscheinungsbild jenes Wesens, war sie verzerrt und unmenschlich, keinem Geschlecht zuzuordnen. Abgelenkt von jenem mechanischen Klang, achtete sie kaum darauf, dass sich eine horizontal verdeckt liegende Karte vor ihrem Gegner manifestierte.   „Also kannst du sogar sprechen! Gut für dich!“ Ungestüm griff die Kuttenträgerin nach ihrem Deck und zog voller Schwung die oberste Karte. Den Arm mit der V-Duel Disk vor sich ausstreckend, rief sie: „Normalbeschwörung, ich rufe [Celestial Gear – Synthetic Owl] im Angriffsmodus!“ Deren Karte auf die mittlere Monsterkartenzone schmetternd, ließ Kali über sich ein komplexes Muster aus leuchtenden Kugeln erscheinen. Jene verbanden sich via Lichtstrahlen miteinander und zeichneten den Umriss einer metergroßen, mechanischen Eule. Die sich ständig bewegenden Zahnräder in ihrem Inneren konnte man gut durch die durchsichtige, braune Energiehülle sehen, die den Vogel umgab.   Celestial Gear – Synthetic Owl [ATK/1000 DEF/1100 (4)]   Kali streckte den Arm aus. „Einmal, solange ich Owl kontrolliere, kann ich zusätzlich zu meiner regulären Normalbeschwörung ein weiteres Celestial Gear als solche von meiner Hand rufen. Erscheine, [Celestial Gear – Synthetic Albatross]!“ Noch mehr Lichtsphären erschienen über Kali und zeichneten zusammen die Umrisse eines riesigen Mechavogels mit gebogenem Schnabel, der seine Schwingen spreizte. Sein Inneres wurde von einem rötlichen Feld zusammengehalten.   Celestial Gear – Synthetic Albatross [ATK/500 DEF/0 (4)]   Mit einem hochmütigen Schnauben ließ Kali ihre Hand nach oben fahren. „Und jetzt pass mal gut auf! Ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster!“ Es öffnete sich ein Schwarzes Loch auf Kalis Spielfeldseite. Ihre zwei Monster wurden als gelbe Lichtstrahlen davon absorbiert und färbten das Phänomen golden. „Nun wirst du es sehen!“, versprach die Dämonengöttin finster. Aus dem Wirbel heraus trat nicht etwa ein Monster, sondern vier grün leuchtende Sphären. Um den Strom legten sich vier grüne Lichtringe. Nicht die geringste Reaktion von ihrem Gegner, trotz des ungewöhnlichen Verlaufs der Dinge. „Sieh hin“, schrie Kali zornig, „Incarnation Fork Summon! Ich stimme die für die Xyz-Beschwörung genutzten Materialien aufeinander ein! White light creates the path to supremacy! Divine arises! Xyz-Summon, Herald of Salvation, [Celestial Gear – Synthetic Armored Nightingale]! Synchro Summon, Herald of Damnation, [Celestial Gear – Synthetic Armored Hawk]! Arise!“ Ein greller Blitz schoss durch den bunten Strom und ging durch die Sphären hindurch. Eine Explosion aus dem Overlay Network folgte, die drohte, die umstehenden Bäume zu entwurzeln. Zwei Mechavögel stiegen empor, beide mit einem weißen Brustpanzer geschützt, wodurch der Blick ins Innere deutlich eingeschränkter war als bei ihren Artgenossen. Der linke Vogel war von schlanker Figur. Eine violette Aura umhüllte ihn, wie er seine weiten Schwingen von sich spreizte, um jede von ihnen eine Lichtkugel kreisend. Der andere war wesentlich größer und kräftiger, verschleiert von orangefarbener Präsenz und erzeugte mit seinem beständigen Flügelschlag jedes Mal kleine Druckwellen, die Staub aufwirbelten.   Celestial Gear – Synthetic Armored Nightingale [ATK/2400 DEF/2600 {4} OLU: 2] Celestial Gear – Synthetic Armored Hawk [ATK/2600 DEF/2400 (8)]   „Mal sehen, was du so drauf hast!“, spottete Kali und hob den Arm an. „Ich hab nämlich verdammt schlechte Laune!“   ~-~-~   Das wilde Getuschel der anderen Gäste machte Anya nervös. Der ganze Ballsaal war voll von diesen lästernden Biestern und es erschien ihr, als wären all deren Blicke auf sie gerichtet. Niemand von denen wollte, dass sie am Legacy Cup teilnahm! Aber diesen Mistmaden würde sie zeigen, dass es um sie kein Drumherum gab! Ihr gegenüber standen Henry und Melinda, mit deren Niedergang sich die Sache entscheiden würde. Letztere hatte zum ersten Mal die neue Beschwörungsart vorgestellt: Die Pendelbeschwörung. In zwei blau leuchtenden Säulen standen weit über ihr ein kleiner, grüner Frosch und ein Wolf in der Luft, beide mit gelb gepunkteter, roter Fliege am Hals. Gleich zwei Monster auf einmal hatte die Frau im blauen Abendkleid durch diese neue Technik beschworen, drehte nun einen ihrer beiden, roten Pferdeschwänze verspielt um den Finger. Sie kontrollierte einen Fisch mit Schwertkamm, einen bootsgroßen Wasserläufer und eine violette Kobra, allesamt mit derselben Fliege am Hals. Ihr Blatt fasste immerhin noch eine Karte.   Melindas Pendelbereich <5>   Performapal Sword Fish [ATK/900 DEF/600 (2)] Performapal Skeeter Skimmer [ATK/800 DEF/1600 (4)] Performapal Whip Snake [ATK/2000 DEF/1000 (4)]   Anyas Blick schwenkte herüber zu Henry, bei dem eine verdeckte Karte auf dem Feld lag. Und natürlich die Windzauberin Sphreez, die Melinda nicht ganz unähnlich sah, auch wenn ihre grünen Haare nur an den Spitzen rötlich gefärbt waren. Wie seine Schwester, hielt auch er eine Karte auf der Hand und Anya wusste auch genau, welche das war: [Pilica, Descendant Of Gusto], welche er durch Sphreez vom Friedhof erhalten hatte.   Daigusto Sphreez [ATK/2000 DEF/1300 (6)]   Und sie selbst? Sie hatte das beste Feld, wenn auch im Gegensatz dazu keine Handkarte. Über ihr flog Angel Wing, zu ihrer Rechten stand der Miniroboter Heavy T mit über der Brust gekreuzten Armen – verflucht sei er – und neben ihm lauerte noch [Gem-Knight Topaz].   Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)] Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T [ATK/3000 DEF/0 (10)] Gem-Knight Topaz [ATK/1800 DEF/1800 (6)]   Auch was die Lebenspunkte anging, war es diesmal nicht die Blonde, die langsam den sagenumwobenen 'Kick' spürte – zumindest bis jetzt noch nicht. Anya war mehr als zufrieden damit, Henry schon so früh in eine derart brenzlige Situation gebracht zu haben. Der nächste Treffer war unweigerlich sein Ende. Und Anya würde dieses herbeiführen, koste es, was es wolle. Sie schmeckte die Genugtuung bereits förmlich auf ihrer Zunge.   [Anya: 3200LP //// Henry: 200LP Melinda: 4000LP]   In ihrem elfenbeinfarbenen, nach hinten bis zum Boden reichenden Kleid steckend, verschränkte das Mädchen die Arme. „Nun, diese Pendelbeschwörung eben war erstaunlich … lahm.“ Henry, ganz in Weiß, schnalzte mit der Zunge. „Weil du nicht begreifst, welche Tore sie öffnet.“ Einige der Gäste stimmten ihm lauthals zu. Selbst jetzt war das Staunen um die Beschwörung nicht verstummt, einige bewunderten noch immer die blauen Lichtsäulen zu jeder von Melindas Seiten, welche Turn Toad und Silver Claw empor gehoben hatten. „Ach ja!? 'Woohoo, ich habe gerade zwei Monster auf einmal beschworen, fallt vor mir auf die Knie!' Weil das ja auch nicht jedes zweite Deck kann! Hmpf!“ Das Mädchen rümpfte die Nase. Belehrend hob Melinda den Zeigefinger. „Weißt du, Pendelmonster haben viele Vorteile. Sie können als Monster oder Zauberkarten gespielt werden und haben als Letztere in der Regel auch Effekte. Wie du siehst, verstärkt Silver Claw alle Performapals um 300 Punkte.“ Passend dazu heulte jener über Melinda stolz auf. „Aber auch dass sie viele Monster auf einmal rufen können ist ein Vorteil, denn ältere Themen ohne diese Möglichkeiten werden genauso davon profitieren, genauso wie zukünftige. Ich könnte jetzt zum Beispiel ein Xyz-Monster beschwören.“ Sie hätte jedoch genauso gut gegen eine Wand reden können, denn Anya erwiderte stur: „Das können Summers, der Flohzirkus, Marc und Nick, pft, sogar Redfield auch ohne diesen Shit!“ „Gib es auf Melinda“, wandte sich Henry an seine Schwester. „Wie wollen wir sie denn-!?“ Die junge Frau seufzte mit erhobenen Armen, die sie letztlich kraftlos sinken ließ. „Schon gut. Das kommt sicher noch. Also schön, weiter im Text! Die Pendelbeschwörung hat in diesem Moment noch einen Vorteil: [Performapal Sword Fishs] Effekt! Denn der kann jetzt alle deine Monster schwächen, da ich spezialbeschworen habe!“ Schlagartig vervielfachte sich der Fisch. Die Kopien schossen auf Anyas Spielfeldseite zu und verwandelten sich in echte Schwerter, die überall rund um ihre drei Monster einschlugen und im Boden stecken blieben.   Gem-Knight Topaz [ATK/1800 → 1200 DEF/1800 → 1200 (6)] Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T [ATK/3000 → 2400 DEF/0 → 0 (10)] Angel Wing Dragon [ATK/2700 → 2100 DEF/2000 → 1400 (8)] „Kch!“ Anya winkte ab. „Dafür brauche ich auch keine Pendel!“ „Aber ich! Und auch Turn Toad kann mit den Werten anderer Monster spielen! Ich vertausche Skeeter Skimmers aktuelle Punkte!“ Der kleine Frosch stieß ein kehliges Quaken aus, wodurch der Wasserkäfer wild mit den Flügeln zu schlagen anfing. Auch begann sein langes Stechwerkzeug undeutlich zu glimmen.   Performapal Skeeter Skimmer [ATK/800 → 1600 DEF/1600 → 800 (4)]   „Dasselbe kann auch Whip Snake, aber diesmal mit deinem Angel Wing! Sorry!“, kicherte Melinda vergnügt. Die echte Kobra wickelte sich im Anschluss um den viel größeren Look-a-like und biss diesem frech in den Nacken, ehe sie wieder zu Melinda zurückkehrte.   Angel Wing Dragon [ATK/2100 → 1400 DEF/1400 → 2100 (8)]   Mit einem verheißungsvollen Schmunzeln streckte Melinda den Zeigefinger aus. „Jetzt ist es Zeit für ein wenig Action! Skeeter Skimmer, pieks' den bösen Drachen!“ Das Insekt flog voraus. Als Gegenantwort spie [Angel Wing Dragon] seinen verhängnisvollen, weißen Spiral-Odem, doch jenem wurde ausgewichen. Nach dem Kobrabiss wurde der weiße Drache nun auch noch in den Hals gestochen. Was zur Folge hatte, dass er explodierte. Etwas, das Anya ihm am liebsten gleichgetan hätte. „Hrgh, kein Kampfschaden wenn Angel Wing kämpft!“ „Umso länger dauert das Duell, ist doch auch toll“, strahlte Melinda und richtete ihren Finger auf Heavy T, „der ist der nächste, Sword Fish!“ „Das kannst du aber mal voll vergessen!“ Anya schwang ihren Arm aus. „Effekt Heavy Ts! Ich kann ein Monster opfern und ihn in Angriffsposition bringen, was ihn gleichzeitig für den restlichen Zug immun gegen Monstereffekte macht. Leider darfst du im Gegenzug ziehen.“ [Gem-Knight Topaz] löste sich in blitzenden Funken auf. Der Roboter nahm seine Arme von der Brust, damit das T in jener sie absorbieren konnte. Um ihn begann eine helle Aura zu glühen.   Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T [ATK/2400 DEF/0 (10)] „Warum hat sie das nicht gemacht, bevor der Fisch seinen Effekt benutzt hat?“, fragte Zanthe leise, der zusammen mit Matt und der in Rot gekleideten Journalistin an einem der vielen im Saal verteilten Cocktailtischen stand. Jener zuckte mit den Schultern. „Es ist Anya, schon vergessen? Zumal sie Heavy T kaum kennt.“ „Oh man, so wird sie doch nie Duel Queen, wenn sie sich nicht mal die Texte durchliest …“ Melinda zog auf und hielt ihre Arme anschließend über Kreuz. „Replay! Angriff abbrechen! Stop!“ „Greif mit Whip Snake an“, sagte Henry und verengte seine Augen zu Schlitzen. „Vertrau mir.“ „Teamwork!“, jubelte Melinda und streckte beide Arme nach vorne aus, „Du hast es gehört, los!“ Sofort flog die violette Schlange auf Anyas einzig verbliebenes Monster zu. Die zischte gallig: „Mit euch werde ich trotzdem fertig!“ „Dein Spielzeug da aber nicht“, konterte Henry eisig, „Falle aktivieren, [Miniaturize]! Sie schwächt es um 1000 Angriffspunkte und eine Stufe!“ Anya klappte die Kinnlade herunter, als ihr Heavy T noch weiter schrumpfte und kaum mehr größer als ein Legomännchen war …   Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T [ATK/2400 → 1400 DEF/0 (10 → 9)]   … und mit einem Happs verschlungen wurde. Man konnte mitverfolgen, wie er seinen Weg durch den Magen der Kobra fand. Die, geradezu höhnisch, Anya noch eins mit ihrem Schweif verpasste.   [Anya: 3200LP → 2600LP //// Henry: 200LP Melinda: 4000LP]   Diese lief rot an. Besorgnis erregend rot, denn dieses Terrorteam raubte ihr den letzten Nerv. „Da ich dank meiner Pendelbeschwörung noch gar nicht normalbeschwören brauchte, hole ich das jetzt nach. Ich biete Sword Fish als Tribut an und setze ein Monster.“ Der blaue Fisch löste sich auf und wurde durch einen nach oben gerichteten Kartenrand ersetzt. Melinda verkündete: „Damit werden Skeeter Skimmers Werte wieder normal.“   Performapal Skeeter Skimmer [ATK/1600 → 800 DEF/800 → 1600 (4)]   Unerwartet richtete Anya den Arm nach oben. „Und Angel Wing kehrt zurück, indem ich die Stufe 4-Monster [Gem-Turtle] und [Alexandrite Dragon] von meinem Friedhof verbanne!“ Über ihr erschien der goldene Ring, der sich drehte, dann seine Flügel ausspannte und schließlich den weißen Drachen zum Vorschein brachte. Anya entsorgte die Monster durch einen Schlitz unter dem Friedhof, den ihre alte Duel Disk nicht besaß.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   „Ich werde euch sowas von vernichten!“, fauchte Anya und griff nach ihrem Deck. „Draw!“ Sofort im Anschluss knallte sie das Monster auf ihr D-Pad. „Erscheine, [Gem-Knight Turquoise]! Dazu aktiviere ich [Gem-Knight Fusions] Effekt auf meinem Friedhof und verbanne Tourmaline, um sie auf die Hand zu bekommen!“ Ein türkisfarbener Ritter mit entsprechenden Edelsteinen an seiner Rüstung erschien vor ihr und spannte seinen Bogen. Gem-Knight Turquoise [ATK/1400 DEF/2000 (4)] Doch statt [Gem-Knight Fusion] aufzunehmen, erklärte sie: „Da ich sie aber jetzt abwerfe, um meinen verbannten Tourmaline zurückzurufen, kann sie gleich dort bleiben. Und noch was: Ich führe gleich mit beiden eine Xyz-Beschwörung durch!“ Es tat sich ein Galaxienwirbel inmitten von Anyas Spielfeldseite auf. Kaum erschien der goldene Ritter vor ihr, wurde er zusammen mit seinem Kumpan zu einem braunen Lichtstrahl, der von dem Schwarzen Loch absorbieren ließ. Anya verkündete feierlich. „Los, Lev … oh.“ Der lag ja im Hotelzimmer! Einen kurzen Moment aus dem Konzept gebracht, schüttelte sie den Kopf. „Los, [Kachi Kochi Dragon]!“ Aus dem Overlay Network stieg ein Drache auf, ganz aus silbernem Kristall bestehend. Um ihn kreisten seine beiden Xyz-Materialien.   Kachi Kochi Dragon [ATK/2100 DEF/1300 {4} OLU: 2]   Anya überlegte kurz. Das Pennerkind anzugreifen war keine gute Idee, da bekam sie nur selbst auf die Mütze. Irgendwie würde sie sein dämliches Synchromonster loswe- oh wieso hatte sie daran nicht gleich gedacht!? Sie hatte doch [Gem-Knight Prismaura] für solche Jobs. Jetzt war es zu spät, seine Fusionsmaterialien lagen unter [Kachi Kochi Dragon] als Overlay Units! Anya schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. Heute war echt der Wurm drin! Egal, dafür würde seine Schwester gleich ihre dämlichen Pendel einpacken können. „Los-!“ „Halt! Effekt der [Performapal Whip Snake]! Sie kann auch im Gegnerzug Werte vertauschen!“ Das letzte Wort war noch gar nicht gesprochen, da hing die Kobra schon am weißen Drachen wie ein Blutegel und biss ihm in den Hals.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 → 2000 DEF/2000 → 2700 (8)]   „Trotzdem greift [Kachi Kochi Dragon] jetzt deine beschissene Riesenmücke, Wasserläufer oder was auch immer an! Primo Sciopero!“ Der Drache vor Anya visierte das Insekt an und begann, nach ihm zu schlagen. Flink wie es jedoch war, wich es erst einem Hieb mit der Pranke aus, dann dem nächsten. [Kachi Kochi Dragon] verfolgte sein Ziel eine Weile, flog ihm quer durch den ganzen Saal hinterher, versagte dennoch kläglich. Melinda grinste keck: „Dein Drache braucht dringend ein Insektenspray. Ansonsten kommt er an [Performapal Skeeter Skimmer] nicht vorbei, denn es kann den Angriff einfach negieren und die Position wechseln.“ Beide Monster kehrten zu ihren Besitzern zurück, wobei rote Äderchen aus Anyas Augäpfeln traten.   Performapal Skeeter Skimmer [ATK/800 DEF/1600 (4)] „Kann … nicht … zweimal … angreifen …!“ Womit sie den Effekt ihres Drachen meinte, der nur dann funktionierte, wenn er ein Monster im Kampf zerstörte. Fuchsteufelswild zeigte sie auf den Wasserläufer. „Scheiß auf Insektenspray, brenn' es nieder, Angel Wing! Seraphim Judgment!“ Ihr anderer Drache spie seinen weißen Odem, den eine goldene Flammenspirale umkreiste. Da Skeeter Skimmer seinen Effekt nicht zweimal aktivieren konnte, zerfiel es augenblicklich zu Asche. Verdammt, sie hätte Melinda besiegen können! „Zug beendet!“   Angel Wing Dragon [ATK/2000 → 2700 DEF/2700 → 2000 (8)]   „Ich bin am Zug!“, verkündete Henry und zog auf. Die Karte eine ganze Weile betrachtend, blickte er schließlich herüber zu Melinda. Die nickte ihm geheimnisvoll zu, woraufhin er es ihr gleichtat. Dabei verfinsterte sich sein Blick jedoch, als er ein Monster auf sein D-Pad legte. „Erscheine, [Pilica, Descendant Of Gusto]. Da kein Gusto-Empfänger mehr auf meinem Friedhof liegt, kann sie folglich auch keinen beschwören.“ Den Holzstab mit der Vogelfigur an der Spitze schwingend, tauchte vor ihm ein grünhaariges, kleines Mädchen auf.   Pilica, Descendant Of Gusto [ATK/1000 DEF/1500 (3)]   „Greift beide [Angel Wing Dragon] an“, befahl er erstaunlich desinteressiert, „den Kampfschaden kassierst dank Sphreez' Effekt du. Double Calmanize!“ Sowohl die ältere Version, Sphreez, als auch die junge Pilica erschufen mit ihren Zauberstäben zwei grüne Energiekugeln, um die mehrere Klingen aus purem Wind kreisten. Synchron schleuderten sie diese auf Anyas weißen Drachen, der mit seinem Flammenangriff konterte. Auf dem Weg trafen die beiden Sphären aufeinander, verschmolzen zu einer und zerteilten Angel Wings Odem wie Butter. Pilica wurde dabei von einem Blindschläger der goldenen Spirale getroffen und explodierte, aber Anya war die wirkliche Leidtragende. Sie wurde von der riesigen Kugel erfasst und wäre sicherlich in ihren Sog geraten, hätte es sich nicht um ein Hologramm gehandelt. Doch so glitt jene durch sie hindurch.   [Anya: 2600LP → 900LP → 200LP //// Henry: 200LP Melinda: 4000LP]   „Melinda …“, gab Henry träge ab. „Ist gebongt! Draw!“, rief die erwartungsvoll und zog.   Matt lehnte mit dem Ellbogen gegen den kleinen Tisch und seufzte. „Irgendwie wird’s immer schwerer, zwischen Show und Realität zu unterscheiden.“ „Was meinst du?“, fragte Zanthe. „Henry hätte gerade gewinnen können. Wären durch [Performapal Whip Snakes] Effekt die Werte von [Daigusto Sphreez] vertauscht worden, hätte Anya zu viel Schaden eingesteckt.“ Der Werwolf gab ein nachdenkliches Geräusch von sich. „Ich glaube nicht, dass Melinda es einfach nur vergessen hat“, überlegte Matt weiter, „bisher hat sie sich sehr geschickt mit diesen Monstern angestellt. Eher …“ Zanthe zog erstaunt die Augenbraue hoch. „Eher was?“ „Eher scheint es so, als würden sie absichtlich verlieren wollen. Oder zumindest einer der beiden“, mischte sich die blonde Journalistin an ihrem Tisch ein. Allerdings schüttelte Matt den Kopf, als er zu ihr herüber blickte. „Nein, das glaube ich nicht. Nicht Henry. Eher will er das Duell in die Länge ziehen, damit Melinda die Pendelmonstern in ein besseres Licht rücken kann. Wenn er die Leute überzeugen will, muss da mehr kommen.“ Die Journalistin nippte kurz an dem Martini in ihrer Hand, dabei besonders Anya interessiert im Blick behaltend. „Möglich.“   „Ohhhh, ausgerechnet jetzt“, quengelte Melinda enttäuscht von ihrer Karte, sah dann aber entschlossen auf, „aber was soll's. Flippbeschwörung, [Performapal Kaleidoscorp]!“ Die gesetzt liegende Karte wirbelte um und offenbarte einen purpurnen Skorpion, mit zwei pinken Schilden bestückt, der nicht etwa einen Stachel, sondern einen himmelblauen Schweif aus drei zylindrischen Komponenten besaß. Seine Besitzerin rief: „Und Turn Toad wechselt mal gleich seine Werte!“ Der Frosch in der blauen Lichtsäule links über ihr begann ein Lied aus Gequake anzustimmen.   Performapal Kaleidoscorp [ATK/100 → 2300 → 2600 DEF/2300 → 100 (6) PSC <4 /4>]   „Und wie immer der Effekt meiner Whip Snake auf deinen [Angel Wing Dragon]!“, flötete Melinda und zeigte auf diesen. „Mehr noch, Effekt von Kaleidoscorp hinterher! Er kann ein Monster bestimmen, das in diesem Zug alle spezialbeschworenen Gegner angreifen kann.“ Da der fast menschenhohe Skorpion selbst bunt aufleuchtete, hatte sie offensichtlich ihn dafür bestimmt. Derweil wurde Angel Wing nun schon zum dritten Mal gebissen.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 → 2000 DEF/2000 → 2700 (8)]   „Attacke auf Angel Wing!“, rief Melinda mit ihrem wie stets ausgestreckten Zeigefinger. Der letzte Zylinder am Schweif ihres Monsters öffnete sich und schoss einen kunterbunten Energiestrahl ab, welcher den Drachen traf und ebenfalls in verschiedensten Farben auflöste. „Pah! Ich bekomme keinen Kampfschaden, wenn [Angel Wing Dragon] kämpft!“ „Aber wenn [Kachi Kochi Dragon] dran ist, schon! Mach weiter, Kaleidoscorp!“ Unvermittelt huschte ein böses Grinsen über Anyas Lippen. „Da wäre ich mir nicht so sicher …“ Ihr Kristalldrache hatte sich zwischenzeitlich vor Anya im Untergrund verborgen und nur sein Kopf ragte aus dem Parkett. Als dieser ebenfalls von dem bunten Lichtstrahl erfasst wurde, öffnete er sein Maul und schoss einen Pfeil daraus ab.   Kachi Kochi Dragon [ATK/2100 → 4200 DEF/1300 {4} OLU: 2 → 0]   In seinem Flug zog er beide Xyz-Materialien hinter sich her und absorbierte diese, zerteilte gleichzeitig den Lichtstrahl und traf direkt in den Schweif des Skorpions, welcher daraufhin explodierte.   [Anya: 200LP //// Henry: 200LP Melinda: 4000LP → 2400LP]   „Whoops! Da ist wohl was schief gegangen“, staunte Melinda nicht schlecht. „Und ob es das ist! [Gem-Knight Turquoise] ist ein Xyz-Material gewesen, was heißt, dass ich ihn und einen anderen Gem-Knight abhängen kann, um Kachi Kochis Angriffswert zeitweilig zu verdoppeln!“, schrie Anya förmlich. „Das war's dann wohl- huh!?“ Ein rotes Licht drang vor Melinda aus dem Parkett und schoss in die Luft. Zwischen ihrem Frosch und [Performapal Silver Claw] öffnete sich ein von unzähligen blauen Ellipsen eingeschlossenes Portal und nahm den Strahl in sich auf. „Kann mir einer sagen, was das jetzt war!?“ „Ganz einfach“, reagierte Henry gelassen, „Pendelmonster werden auf das Extradeck gelegt, wenn sie vom Spielfeld auf den Friedhof geschickt werden würden.“ Altklug hob seine Schwester den Zeigefinger. „Das ist vielleicht der größte Vorteil der Pendel, denn sie können von dort ebenfalls als Pendelbeschwörung gerufen werden. So kommen sie wieder und wieder!“ „Was auch immer.“ Anya bohrte sich gelangweilt mit dem kleinen Finger im Ohr. „Ich denke du bist durch, denn deine falsche Schlange kommt nicht über meinen Drachen drüber.“ „Da hast du leider Recht, du bist dran.“ „Dann verbanne ich jetzt zwei Stufe 4-Monster und reanimiere Angel Wing!“ Zur Verdeutlichung zeigte Anya die Gem-Knights Turquoise und Tourmaline vor. Es materialisierte sich über ihr ein goldener Ring, von dem sich vier weiße Schwingen spreizten.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)] Kachi Kochi Dragon [ATK/4200 → 2100 DEF/1300 {4} OLU: 0]   Und während ihr weißer, schlangenhafter Drache zurück aufs Spielfeld fand, verkündete sie in einem abwertenden Tonfall: „Eure Pendel sind doch bescheuert! Kann ja sein, dass du sie beschwören kannst, aber hast du mal die Stufe deines Skorpions angeschaut? Die ist nämlich 6, also liegt sie nicht mehr zwischen den beiden Pendelbereichen!“ „Ahahaha, da hast du allerdings auch Recht“, gestand Melinda verlegen ein und zuckte mit den Schultern. „Aber die Idee der Pendel ist doch nicht schlecht, oder?“ Nie hatten Anyas herabhängende Mundwinkel so sehr 'nein' geschrien wie jetzt. Aber sie war nicht die einzige, verfielen viele der anwesenden Gäste in zustimmendes Gemurmel. Melinda warf daraufhin Henry einen geheimnisvollen Blick aus den Augenwinkeln zu, welcher das mit einem Nicken zur Kenntnis nahm.   Am Tisch gluckste Zanthe derweil belustigt. „Also hat sie sogar zugehört. Es gibt doch noch Wunder.“ „Vielleicht hat ihr Levrier geholfen“, überlegte Matt und sah neugierig herüber zu der blonden Frau an ihrem Tisch, die abwesend etwas in ihr Smartphone eintippte. Um ins Gespräch zu kommen, fragte er: „Ich dachte, hier herrscht striktes Verbot für Netzwerk-fähige Geräte?“ Sie sah auf und lächelte schelmisch. „Ich breche gerne hin und wieder ein paar Regeln.“ „Alles für eine gute Story, was?“ Auf seine Spitze hin wurde ihr Grinsen regelrecht diebisch. „So ist das in meinem Gewerbe.“   Anya legte ihre Finger aufs Deck und schloss die Augen. Sie hatte sich einen kleinen Sieg erkämpft gegen die beiden, aber wenn sie jetzt nichts Brauchbares zog, würde Henry sie mit seinem nächsten Angriff besiegen. Damit wäre ihr die größte Chance genommen, gegen Claire Rosenburg zu kämpfen, ihres Zeichens die nächste Hüterin. Die junge Frau warf einen Blick herüber zur amtierenden Weltmeisterin, die seit Henrys Rede zusammen mit ihrem rothaarigen, bärtigen Manager auf der Bühne im hinteren Teil des Saals stand und mit teilnahmslosem Ausdruck das Duell verfolgte. Da wollte sie stehen, sagte sich Anya. Genau da, wo Claire jetzt stand. Ihren Blick auf Henry richtend, murmelte sie: „Jetzt geht’s ums Ganze, Schnöselkind, also mach dich schon mal frisch. Draw!“ Mit mächtig Schwung zog sie von ihrem Deck. Selbst wenn Levrier jetzt hier wäre, hätte sie ihn vermutlich nicht gebeten, seine Kräfte einzusetzen. Ach wen wollte sie verarschen, natürlich hätte sie! Dazu war ihre derzeitige Lage zu ernst und sie würde sich frühestens von ihnen losreißen können, sobald all das vorbei war. Trotzdem verspürte sie einen gewissen Stolz, ganz auf sich allein gestellt zu sein. Und Dankbarkeit für ihr Glück, welches ihr eine Karte bescherte, die sie noch nie zuvor eingesetzt hatte. „Huh? Die hab ich doch dieser hohlen Nuss Caroline Mayfield abgetauscht“, nuschelte sie und weitete die Augen, während sie den Effekttext durchlas. „Monstereffekt von [Performapal Whip Snake]! Sie wechselt die Werte deines Angel Wings!“ Melindas Ausruf rüttelte Anya aus ihren Gedanken wach und ließ sie aufschauen, als Zanthes ehemalige Hüterkarte wieder gebissen wurde.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 → 2000 DEF/2000 → 2700 (8)]   „Was auch immer! Los, [Angel Wing Dragon], greif [Daigusto Sphreez] an! Seraphim Judgment!“ Henry öffnete den Mund erstaunt. „Bist du wahnsinnig!?“ „Nein, nur scharf auf den Sieg!“ „Du weißt genau, dass Sphreez nicht durch Kämpfe zerstört werden kann!“ „Mir doch egal!“ Ihr Drache spie seine weiße Flamme, umkreist von einer goldenen Spirale. Gerade wollte die junge Windmagierin zum Gegenangriff ansetzen, dann ging eine Schockwelle durch den Saal und kehrte die Farben sämtlicher Karten auf dem Spielfeld mit Ausnahme des Angel Wings für einen kurzen Augenblick ins Negative um. Vor Anya stand eine Schnellzauberkarte offen: „[Forbidden Scripture]! Sie negiert während des Kampfes alle aktivieren Karteneffekte und lässt die Monster mit ihren Originalwerten kämpfen!“ Die Augen weit aufgerissen, blickte Henry dem Flammenstrahl entgegen.   Angel Wing Dragon [ATK/2000 → 2700 DEF/2700 → 2000 (8)]   Seine Sphreez ging in dem Flammenmeer unter, welches auf ihren Besitzer übersprang. Jener schrie erschrocken auf, auch wenn Anya die wahren Kräfte des Angel Wings nicht entfesselte. Die kleine Show zu Beginn des Duells musste sich nicht wiederholen.   [Anya: 200LP //// Henry: 200LP → 0LP Melinda: 2400LP]   Kaum war Anya mit ihm fertig, schwang sie ihren ausgestreckten Zeigefinger herüber zu Melindas violetter Schlange. „Die da ist die Nächste! [Kachi Kochi Dragon], Primo Sciopero!“ Der Drache, dessen Kopf allein aus dem Parkett ragte, brüllte einmal auf, dann schossen schon dutzende silberne Kristallspitzen aus dem Boden. [Performapal Whip Snake], die noch auf ihrem Weg zurück zu ihrer Besitzerin war, schlängelte panisch über den Boden, doch konnte ihrem Untergang nicht entkommen. Melinda seufzte traurig.   [Anya: 200LP / Melinda: 2400LP → 2300LP]   „Einer weniger“, rümpfte Anya in ihrem Kleid die Nase bis zum Anschlag, „Zug beendet!“   Die meisten Anwesenden waren in wildes Getuschel vertieft und Anya genoss es, zur Abwechslung nicht diejenige zu sein, die dessen Mittelpunkt darstellte. Henry, ganz verdattert von seiner plötzlichen Niederlage, sah sich nervös um. „Wie hatte er so unspektakulär verlieren können? Ein freches Mädchen hatte ihn besiegt! Wieso hatte er nicht, genau wie seine Schwester, Pendelmonster gespielt? Hielt er sie für zu schwach?“ Fast tat er Anya leid, wie er den sensationsgierigen Blicken ausgesetzt war. Dem Getuschel. Aber nur fast, denn das hatte er sich selbst eingebrockt. Und sie würde ihm bestimmt auch nicht leidtun, wenn sie sich erst in einem Stadion voller Menschen um ihr Leben duellierte.   Melinda derweil legte Mittel- und Zeigefinger auf ihr Deck und strahlte. „Jetzt gilt es! Draw!“ Ebenso schwungvoll wie ihre Widersacherin zog sie, betrachtete die Karte, bevor sie schließlich verkündete: „Ich … geb' auf.“   [Anya: 200LP / Melinda: 2300LP → 0LP]   Man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören können. Anya stand da wie bestellt und nicht abgeholt, als die Hologramme ihrer beiden Drachen verschwanden. „Eh? Ehhhhh?“ Und ihre Gegnerin rieb sich verlegen den Kopf. „Tja, was will man machen? Ich hab nur die hier.“ Sie zeigte die Karte eines pinken Nilpferds, [Performapal Hip Hippo], und eine andere, die aber hinter ihrem Monster komplett verborgen lag. Fassungslos schüttelte Henry den Kopf. „Wieso hast du es nicht wenigstens versucht!?“ „Man muss doch so etwas nicht unnötig in die Länge ziehen“, antwortete Melinda. Damit deaktivierte sie ihr D-Pad und rannte auf Anya zu. Die konnte ihr zweifelhaftes Glück noch gar nicht fassen, da packte die Rothaarige sie schon am Arm und riss diesen empor. „Seht her Leute, wenn das mal keine angehende Profiduellantin ist!? Obwohl wir zu zweit waren, hat sie uns gnadenlos in die Enge getrieben! Applaus für Anya Bauer!“ Allerdings kam jener eher verhalten. Die über hundert Gäste starrten die Drei an, teilweise fasziniert, andere dagegen deutlich ablehnender. Mit so etwas hatte keiner gerechnet. Henry trat ebenfalls auf Anya zu und reichte ihr die Hand. „Glückwunsch. Gemäß unserer Vereinbarung bist du offiziell dabei, denn du hast dein Können bewiesen.“ Einige Proteste seitens der Gäste wurden laut, viele richteten sich weniger gegen Anya, sondern viel eher gegen Melinda, die es nicht bis zum Ende durchgezogen hatte. Letztere versuchte die Leute zu beschwichtigen, dabei den immer stärker werdenden Lärmpegel gekonnt ausblendend.   Anya hatte gewonnen, aber es fühlte sich so dumpf, so … falsch an. Es war ein Gefühl, das sie so noch nie verspürt hatte. Man hatte ihr das Recht genommen, für sich selbst einzustehen. Das war nicht, wie es hätte laufen sollen! Und Anya begriff nicht einmal, wieso es sie überhaupt so verletzte, nicht selbst den letzten Schlag ausgeführt zu haben.   „Akzeptiere es“, hörte sie Henry sagen, „so wie ich es auch muss.“ Anya starrte nur seine Hand an. Jedes Mal, wenn er sie ihr angeboten hatte, hatte sie sie fort geschlagen. Nichts würde sie lieber tun, als ihm ihre eine ins Gesicht zu pfeffern für diese lahme Performance, die er und seine Schwester da abgeliefert hatten. War sie so unbedeutend, dass sie es nicht einmal verdient hatte, ihr Duell aus eigener Kraft zu gewinnen!? War das die Art, wie die beiden sich in letzter Sekunde an ihr rächen wollten für ihre ungeplante Teilnahme am Turnier!? Sie spürte, wie sich ihre Kehle immer mehr zuschnürte.   Bisher hatte sie seine Hand jedes Mal abgelehnt. Aber nicht dieses Mal. Diesen Sieg würde sie ihm nicht gönnen. „Gut gespielt“, zischte sie abfällig in Henrys grimmige Visage. In dem Moment begannen die Gäste, die Drei zu umringen. Viele wandten sich an den Ford-Spross, während Anya ein paar Schritte zurück nahm. Sie blickte herüber zur Bühne, doch Claire und ihr Manager waren nicht mehr dort. „Tch … ihr fandet es auch lächerlich, oder?“   Gerade wollte sie sich nach ihren Freunden umsehen, um sich bei ihnen auszulassen, da stieß jemand seitlich gegen sie. Eine hübsche blonde Frau in einem roten Abendkleid, die es offenbar sehr eilig hatte. „Entschuldigung!“ Wütend schrie Anya ihr hinterher: „Pass doch auf, Dumpfralle!“ Doch die Frau reagierte gar nicht, sondern eilte Richtung Ausgang davon. Anya überlegte bereits, ihr hinterher zu rennen, da trat Henry neben sie. „Kommst du bitte kurz mit?“ „Nein! Zieh Leine, ich hab keinen Bock mehr auf dich oder deine Schwester!“ Der Bitte kam er jedoch nicht nach, sondern starrte sie ernst an. „Es ist wichtig.“ Anya grunzte genervt. Was wollte er jetzt noch von ihr? Sollte er doch endlich einsehen, dass er verloren hatte und sie in Ruhe lassen! Es reichte doch wirklich schon, dass seine Schwester ihr den Sieg versaut hatte! „Bitte“, setzte er mit Nachdruck noch einmal an und reichte ihr die Hand. Dieses Mal schlug sie sie weg, zischte aber: „Na schön, aber wenn du dich über mich lustig machst, wirst du hier vor versammelter Mannschaft Bungeespringen. Und du möchtest wirklich -nicht- wissen, was ich mir als Seil überlegt habe!“ Damit rauschte sie an ihm vorbei.   Henry und Melinda führten Anya quer durch den ganzen Saal, über die Wendeltreppe hin zum Balkon, von dem man aus das riesige Gartengelände des hinteren Teils des Anwesens bestaunen konnte. Erstaunlich wenige Gäste standen ebenfalls hier oben und sahen sich dieses schiere Labyrinth aus Hecken an, in dessen Mitte sich ein Springbrunnen von der Größe eines Schuppens befand. Regelmäßig erleuchteten kleine Laternen den Weg. Einige Leute gingen dort spazieren. „Hach, schön ist das hier“, erfreute sich Melinda daran und streckte weit beide Arme aus, als sie zum Geländer schlenderte, „das hat ja alles prima geklappt.“ „Was hat geklappt!? Dass ihr mich blamiert, indem ihr mir die Chance nehmt, mich selbst zu verteidigen!?“, fragte Anya sofort zornig. Wie sie es doch gewusst hatte! Der brünette Henry führte sie an das Geländer und lehnte sich darüber. „Dass wir dich ins Turnier einschleusen natürlich.“ „Was?“ Anya blinzelte irritiert und trat näher an ihn heran. „Ich glaube du verwechselst da was! Nick hat sich eingehackt, um mir einen Platz zu sichern!“ Sofort hätte sie sich auf die Zunge beißen können. Das war ihr einfach so herausgerutscht! Melinda drehte sich am Geländer stehend zu ihnen um. Statt aber Alarm zu schlagen, kicherte sie verschwörerisch. „Na ja … so ganz richtig ist das nicht. Guck mal.“ Sie schob zwei Karten über das Geländer, damit Anya sie sich ansehen konnte. Völlig aus dem Konzept gebracht von dieser so gar nicht wütenden Reaktion eilte sie zum etwas abseits stehenden Rotschopf, um die Karten zu betrachten. „[Performapal Hip Hippo] und …?“ „Jep“, gluckste Melinda, „mit den beiden hätte ich dich locker besiegen können. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie furchteinflößend Pendel sein können, wenn man nur etwas Geduld hat.“ „Und wir hatten auch vorher schon genug Gelegenheiten gehabt“, stimmte Henry seiner Schwester zu, als er sich neben Anya stellte. „Allerdings hätten wir dann gegen die Abmachung verstoßen.“ Anya fiel aus allen Wolken. „Hab ich mich grad' verhört!? Ihr habt absichtlich verloren!? Also, gewollt absichtlich? Absichtlich gewollt!? Hrg, ich wisst, was ich meine!“ Melinda strich ihr sanft über den nackten Rücken. „Nicht traurig sein, du warst wirklich gut, aber gegen uns beide hast du eben keine Chance.“ „Scheiß drauf, was sollte das!?“, fluchte Anya und stieß den Arm der jungen Frau von sich weg. „Wollt ihr mich auf diese Weise demütigen oder was!?“   Henry drehte sich zu ihr, sein Blick verfinsterte sich. „Nick hat sich nicht bei uns eingehackt, er hat uns um Hilfe gebeten.“ Grimmig sah Anya ihn an, verlangte still nach einer Erklärung. Melinda sagte: „Hast du es schon vergessen? Wir wissen, in welchem Schwierigkeiten du steckst, also wollten wir dir helfen.“ „Aber das war nicht so einfach wie du glaubst. Unser Vater hat die Teilnehmer des Legacy Cups eigenhändig ausgewählt. Das heißt, du wärst sofort aufgeflogen, wenn Nick versucht hätte dich digital einzuschleusen.“ Henry sah herüber zum Garten. Plötzlich fing es an zu zischen und zu donnern. Über dem Garten entfachte sich ein kunterbuntes Feuerwerk. Eine Rakete nach der anderen wurde gezündet, während immer mehr Besucher der Party den riesigen Balkon betraten, um zuzusehen. „Nick hat uns vorgeschlagen, einen anonymen Erpresser zu mimen, der heikle Firmeninterna an die Presse weitergibt, sollten wir uns weigern, dich ins Turnier mit aufzunehmen.“ Selten genug kam es vor, doch Anya ging ein Licht auf, als sie das Puzzle zusammensetzte. Nick hatte doch beim Treffen mit diesem Aiden Irgendwer so etwas erwähnt, er wüsste da um Dinge, die der AFC sehr schaden könnten. So hatte er sie also ins Turnier geschleust! „Wenn das, was er weiß, bekannt würde, wäre unsere Firma ruiniert“, erklärte Melinda weiter, „also hatte Paps keine Wahl. Ihm sind die Hände gebunden.“ Henry fügte an: „Natürlich mussten wir dafür sorgen, dass das in dieser Form nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Wir mussten einen Weg finden, dich so zu integrieren, dass es glaubwürdig rüber kommt. Deshalb habe ich auch lediglich von einem Fehler gesprochen, der bei deiner Einladung passiert sein muss. Und damit die Presse und das Turnier-Gremium deine Teilnahme akzeptiert, musstest du deine Stärke in Form eines besonders schweren Duells beweisen.“ Melinda kicherte: „Ich wünschte, wir hätten das anders regeln können, aber leider wurde intern bemerkt, dass dein Name plötzlich auf der Liste stand …“ „Also haben wir uns das hier einfallen lassen. Übrigens nicht ganz uneigennützig, denn etwas negative Presse schadet nie“, schloss Henry sachlich. „Und jetzt sind unserem Vater endgültig die Hände gebunden. Mit dieser öffentlichen Abmachung kann er nicht länger von hinten herum gegen dich vorgehen. Er würde es nicht wagen, das Wort der Ford-Familie zu brechen.“   Sprachlos stand Anya zwischen den beiden und sah sie abwechselnd entgeistert an. „I-ich dachte ihr hasst mich?“ „Tue ich auch“, gestand Henry, „ein wenig. Aber ohne dich wären Melinda und ich jetzt vielleicht nicht hier. Mir doch egal, ob die Pendelbeschwörung jetzt schlecht weg kommt bei den Profis, ich kann sie ohnehin nicht ausstehen.“ Melinda zwickte Anya glucksend in die Seite. „Weil er lieber seine eigene Mechanik an deren Stelle sehen würde. Aber die wird wohl ewig unter Verschluss bleiben.“ Die Blonde senkte den Kopf, während das Feuerwerk mit dutzenden explodierenden Raketen seinen Höhepunkt erreichte. So viel Aufwand und das nur, damit sie eine Chance erhielt, sich das nächste Artefakt zu erkämpfen? Aber … Wie dumm sie sich plötzlich vorkam. Die beiden hatten sie nicht verspottet, sondern sich ihretwegen zurückgenommen. Damit sie als Teilnehmerin akzeptiert wurde, obwohl es den Ruf der Geschwister dank des für Außenstehende blamablen Endes gewiss schaden würde. Es kam nicht oft vor, aber ihr fehlten glatt die Worte. Nein, eines, nur ein einziges war da. „Danke.“ „Gern geschehen“, sagte Henry, „aber mehr können wir nicht für dich tun, ohne dass unser Vater Verdacht schöpft, dass wir mit Nick unter einer Decke stecken. Der Rest liegt also bei dir.“ „Und du wirst alles Glück dieser Welt brauchen. Wir haben sogar für dich versucht anzufragen, ob man dir ein Duell mit Claire gewährt, aber ihr Management blockt gnadenlos ab.“ Melinda klang auf einmal gar nicht mehr heiter. „Tut mir leid, das macht alles viel schwieriger für dich. Und selbst wenn du das Turnier gewinnen solltest … Claire Rosenburg gilt als unbesiegbar.“ Tief durchatmend, sah Anya auf. Das Feuerwerk spiegelte sich in ihren Augen. Ihre Finger krallten sich in das Geländer. „Die werde ich so fertig machen, dass sie nie wieder Duel Monsters spielen will.“ Das war das Mindeste, was sie für die beiden als Dank für ihre Mühen tun konnte.   ~-~-~   Ein kalter Wind fegte über den Bach hinweg, versetzte ihn in Wallung, ließ die Blätter rascheln. Mit ihren beiden Mechavögeln auf dem Feld fühlte sich Kali sicher. Doch das allein genügte ihr nicht. Dieser Dämon war gefährlich, also durfte sie es nicht dazu kommen lassen, dass er überhaupt irgendeine Aktion durchführte! Sie musste ihn besiegen, noch in diesem Zug! Sie griff nach einer Karte in ihrem Blatt und legte sie in ihre V-Duel Disk ein. „Ich aktiviere den Zauber [Celestial Gear Grinding] und hänge damit die beiden Xyz-Materialien von [Celestial Gear – Synthetic Armored Nightingale] ab!“ Die beiden Lichtkugeln, die um die Flügel der riesigen, mechanischen Nachtigall kreisten, stiegen in die Höhe und verformten sich dabei zu Zahnrädern aus purem Licht. Auf ihrem Weg nach oben näherten sie sich einander immer mehr an, bis sich ihre Zähne ineinander verkeilten. „Die abgehangenen Monster mussten Celestial Gears sein“, erklärte Kali derweil, „denn das ist ausschlaggebend für das Folgende: Mit ihnen kann ich jetzt jede besondere Form der Spezialbeschwörung durchführen, sofern sich noch kein Vertreter dieser Art auf dem Feld befindet!“ Abrupt blieb das Lichtgetriebe in der Luft stehen und begann sich zu drehen. Dabei sendete es auf konstanter Basis Energiewellen aus, die dem ganzen Feld ein rätselhaftes Nachleuchten verlieh. Kali reckte den Arm in die Höhe. „[Celesial Gear – Synthetic Owl] und [Celestial Gear – Synthetic Albatross]! Fusionsbeschwörung! Zeig dich!“ Ein Wirbel bunten Lichts öffnete sich hinter den sich bewegenden Zahnrädern, die daraufhin verschluckt wurden. Aus ihm schoss wenig später … „[Celestial Gear – Synthetic Armored Finch]!“ … ein riesiger Maschinenfink, geschützt von einer weißen Panzerung. Nur seine Beine und der Mittelteil seiner Schwingen waren von einer gelben Lichtschicht überzogen, die Einblick in sein Innenleben gewährten.   Celestial Gear – Synthetic Armored Finch [ATK/2000 DEF/0 (4)]   Während jener noch zwischen Hawk und Nightingale seine Schwingen schützend vor sich schob, nahm Kali bereits eine weitere Karte aus ihrem Blatt. „Und da die Overlay Units von der Stufe her auch ausreichend waren für dieses Celestial Gear, jetzt noch eine Ritualbeschwörung!“ Damit knallte sie das blau umrandete Monster auf ihre Duel Disk. Weit über ihr tauchten die zwei miteinander verbundenen Zahnräder wieder auf und begannen erneut, leuchtende Wellen auszusenden. Gleichzeitig schossen aus dem Himmel vier lange Stäbe, an deren Enden große Kristalle in einer Metallfassung angebracht waren. In der Konstellation eines Trapez im Erdboden versinkend, begann ein Kristall nach dem anderen pink zu glühen. „Raus mit dir, [Celestial Gear – Synthetic Armored Halcyon]!“ Der Boden zwischen den Stäben brach auf. Daraus empor schoss ein Mechavogel mit unglaublich langem Schnabel und schlankem Körperbau, der ebenso gepanzert war wie seine Kameraden auf dem Feld. Auch er gab nur an den Flügeln durch eine rosafarbene Barriere seine Mechanik preis.   Celestial Gear – Synthetic Armored Halcyon [ATK/1000 DEF/2200 (4)]   Mit nun insgesamt vier Monstern auf ihrer Seite verschränkte Kali erhobenen Hauptes die Arme. „Überrascht? Ganz recht, [Celestial Gear Grinding] kann mühelos mein Feld füllen, auch wenn die Monster in Verteidigung beschworen werden müssen.“ Sie hob belehrend den Zeigefinger. „Dumme Menschen würden sicher sagen, dass ich mir das auch sparen könnte, werden dabei doch die Effekte meiner Monster negiert. Aber …“ Langsam richtete die maskierte Kuttenträgerin jenen auf ihren Gegner. „… jedes so beschworene Monster richtet trotzdem Schaden an! Nämlich 200 Punkte pro Kopf!“ Die beiden Neuankömmlinge, die in der Mitte ihrer Monsterarmee die Flügel schützend vor sich hielten, spreizten jene nun und öffneten die Schnäbel. Zusammen schossen sie daraus zwei Blitzspiralen ab, die direkt im Körper des Dämons einschlugen. Statt aber von der Wucht des Angriffs davon geschleudert zu werden, geschweige denn auch nur die kleinste Erschütterung über sich ergehen zu lassen, verharrte jener regungslos. Als wäre das alles gar nicht geschehen.   [Kali: 4000LP / ???: 4000LP → 3600LP]   „Unmöglich …“, stammelte Kali erschüttert. Zwar dampfte ihr Gegner an der Brust ein wenig, schien jedoch nicht einmal einen Kratzer abbekommen zu haben! Dabei benutzte sie doch ihre Kräfte! Und ihr Gegner? Von ihm ging nicht einmal der Hauch einer Präsenz aus, die ihn vor den Verletzungen wahrte. „Hätte ich mir denken können“, zischte sie ärgerlich, „du bist niemand, mit dem man so leicht fertig wird, was?“ Keine Antwort war bekanntlich auch eine Antwort, wie sich an seinem Beispiel deutlich zeigte. Ein Wesen wie dieses schien sich allein dadurch ausdrücken zu können, indem es genau das nicht tat. So interpretierte es zumindest Kali. Was auch einen der Gründe darstellte, warum sie sich gar nicht erst widersetzt und sofort in das Duell eingewilligt hatte. Andernfalls würde diese 'Begegnung' jetzt vermutlich ganz anders laufen. Ebenso spielte jedoch auch Neugier mit. Wer immer er war, dass er um ihre Existenz wusste, hieß, dass er genau wusste, -wer- sie war. „Wirst du Fragen beantworten, wenn ich dich besiege?“, fragte sie, ohne darauf eine Gegenreaktion zu erhalten. Daher fügte sie an: „Spielt es eine Rolle, ob ich dich besiege?“ Nichts. Also schön … Dass sie ihrem Gegner nicht mit ihrem üblichen Repertoire begegnen konnte, war zwar ärgerlich, jedoch kein Grund den Schwanz einzuziehen. Im Gegenteil. Kali hatte noch etwas in der Hinterhand. Eine Macht, der sich selbst jenes 'Ding' beugen musste! Ganz langsam, geradezu in Zeitlupe zog sie eine ihrer zwei verbliebenen Handkarten hervor. Dabei sprach sie bedacht: „Im Ritual liegt das Opfer der Beschwörung.“ Hinter dem schlanken Mechavogel Halcyon öffnete sich eine Art Spalt, in die dieser hineingezogen wurde. „Durch das Überlagern verbinden sich zwei Seelen, zwei Welten.“ Jener bunt flackernde Riss im Dimensionsgefüge weitete sich nach links aus, wo er die Nachtigall verschlang. Und Kali zitierte weiter: „Abgestimmt aufeinander, agieren sie synchron.“ Eine zweite Öffnung tat sich auf und verschlang [Celestial Gear – Synthetic Armored Hawk]. „Und verschmelzen zu einer Einheit!“ Auch das letzte Monster, der Fink, wurde von den beiden sich verbindenden Öffnungen mitgerissen. Wie eine Narbe hing das Gebilde jetzt in der Luft. Und wuchs dabei zunehmend an. „Die mächtigste Gottheit greift in den Kampf ein!“, schrie Kali unvermittelt und hielt besagte Karte hoch in die Luft. „Ritual, Xyz, Synchro und Fusion; verbannt; ihre Opfergabe! Vernichte, [Sophia, Goddess Of Rebirth]! Du kannst nicht entkommen!“ Da drang es aus dem Spalt. Ein lautes, unmenschliches Röhren. Riesige Hände mit langen, spitzen Fingern huschten aus dem Dimensionsriss, packten seine Ränder und schoben sie weiter auseinander. Ein tiefer Schatten, gelblich, fiel über Kalis Gegner, der an jenem meterhohen Monster hoch sah, welches sich durch das Loch kämpfte. Zumindest seinen Torso konnte es in die hiesige Dimension zwängen. Die Haut weiß wie Schnee, flammte der lange, rote Schopf der ziegenhaften Göttin auf, als sie den Weg in die Freiheit gefunden hatte. Zu ihrer Rechten flackerte eine stilisierte, goldene Energieschwinge, zur Linken war es eine violette.   Sophia, Goddess Of Rebirth [ATK/3600 DEF/3400 (11)]   Die selbsternannte Dämonengöttin stieß ein selbstherrliches, kurzes Lachen aus und verkündete: „Das hier ist vorbei. Egal was du gedenkst zu tun, das Kommende kann nichts und niemand mehr aufhalten!“ In Sophias rechter Hand entstand eine flammende, violette Energiemasse, genauso wie es in ihrer linken eine goldene tat. Kali streckte den Arm aus. „Die Göttin duldet nichts und niemanden! Alles, was zu diesem Zeitpunkt im Spiel ist, egal ob auf dem Feld, auf der Hand oder dem Friedhof, wird unweigerlich verbannt! Also füge dich! Genesis Waves!“ Das Paktmonster des Tores Eden hievte jene beiden Sphären in die Höhe und ließ sie in alle Richtungen Energiewellen aussenden. Es war wie ein Feuerwerk, wie die halb zwischen der einen und der anderen Dimension steckende Sophia die Zerstörung walten ließ. Eine violette Welle traf Kalis letzte Handkarte, eine andere zerteilte das gesetzte Monster ihres Gegners. Weitere fegten sogar weit über das Spielfeld hinweg, andere wiederum trafen die Duel Disks der beiden Spieler. Nachdem die letzte des Dämons Handkarten beseitigt hatte, war es nur noch Sophia, die über allem thronte. „Vielleicht wirst du ja doch etwas redseliger, was deine Absichten angeht, sobald dieses Duell vorbei ist“, sagte Kali mit forderndem Unterton, „und genau das wird es jetzt!“ Hinter der weißen Maske ihres Gegners blitzten die sonst roten Augen für den Bruchteil einer Sekunde hellblau auf. Und noch während er in eine gebeugte Haltung ging, die Hand an den Tsuka, den Schwertgriff seines Katanas legend, befahl Kali: „Direkter Angriff! Lösche seine Lebenspunkte vollkommen aus! Two Worlds Collision!“ Sophia stieß einen unnatürlich tiefen Schrei aus und führte die beiden Lichtsphären über ihren Handflächen langsam zusammen. Gleichzeitig nahm der Dämon unerwartet Anlauf. „Was!?“ Kali sah nur noch, wie die Klinge gezogen wurde und ihr Gegner noch weit von ihr entfernt in einer Halbmonddrehung ausholte. Ein lautes Sirren hallte durch den Wald. Der Dämon stand mit dem Rücken zu ihr gewandt und schob das Katana wieder in die Scheide.   [Kali: 4000LP → 0LP / ???: 3600LP]   Seine Gegnerin verstand es nicht. Sophia verharrte regungslos und still über ihr, die Sphären in ihren Händen nur noch wenige Zentimeter von einander entfernt. Kali hob langsam ihre V-Duel Disk und sah auf das Display, das ihre Niederlage verkündet hatte. „… wie?“ Und dann fiel im sprichwörtlichen Sinne alles auseinander. Ganze Teile der Göttin rutschten auseinander, wie ein Bild, das mit einer Schere zerschnippelt worden war. Dabei blieb es aber nicht. Weit hinter Kali geschah dasselbe mit den Bäumen. Den Steinen. Und gewissermaßen auch mit ihr selbst. Ein stechender Schmerz ließ sie aufschreien, ausgehend von ihrer Stirn. Ihre Porzellanmaske rutschte ihr vom Gesicht, in der Mitte glatt durchtrennt. Und als sie langsam zusammensackte, bemerkte sie aus den Augenwinkeln, dass selbst Sophias Karte nicht mehr in einem Stück auf ihrer ansonsten unbeschädigten Duel Disk lag. „Unmöglich …!“ Kali sank auf die Knie, dabei eine ihrer in schwarzen Handschuhen steckenden Hände an die Stirn pressend. Vor ihr im Gras lag ihre Maske, mit Blut benetzt, das ihren Arm entlang lief und auf das Porzellan tropfte. Das Krachen, das Prallen von Baumstamm auf Baumstamm, das ganze Chaos, das der unerwartete Angriff ihres Gegners angerichtet hatte, nahm sie kaum wahr. Als das Hologramm der gefallenen Sophia sich auflöste, begann jener Dämon auf sie zuzugehen. Und zog dabei das lange Katana wieder aus seiner Scheide. Vor Kali angelangt, senkte diese ihr Haupt. Die Spitze der Klinge dicht an ihren Hals gelegt. „Beende es“, zischte sie verächtlich, „das wolltest du doch von Anfang an. Wozu überhaupt das Duell!?“ „Du hast nun einen Teil meiner Kräfte erhalten.“ Völlig von dieser unerwarteten Antwort erschrocken, sah Kali auf. Ihr Gegner sprach weiter. „Mit ihnen eine Verantwortung, derer du dich nicht entziehen kannst. Wirst du es doch, werde ich zurückkehren und zurückholen, was ich dir gegeben habe.“ Aufgebracht erwiderte sie: „Deine Kräfte!? Was für-!? Etwa durch meine C-!?“ „Du wirst den Umgang mit ihnen lernen. Und sobald du bereit bist, deiner Verantwortung nachkommen.“ Das unbekannte Wesen hob das Katana über Kalis Kopf an. „Entscheide nun. Was du tun musst ist …“ Die blauen Augen Kalis, welche zwischen ihren Fingern hindurch schauten, folgten dem Lauf der Klinge, die unweigerlich ihren Schädel spalten würde, traf sie die falsche Wahl.   Ein Rascheln. Schwungvoll riss der Dämon das Schwert über Kalis Haupt in einer Drehung herum und richtete es auf den Neuankömmling, welcher ihm direkt gegenüber stand. „Du bist doch-!?“, schoss es aus der Demaskierten. „Der Diener des Sammlers!“ Womit sie zweifelsohne richtig liegen musste. Nur einer trug selbst mitten in der Nacht eine Sonnenbrille sowie einen Butleranzug. Der Mann mit dem schulterlangen, auf den Millimeter genau geschnittenen Haar stand dem Dämon gegenüber. Die Klinge des Schwertes nur eine Handbreite von seinem Hals entfernt. „Endlich habe ich dich gefunden“, sagte er ruhig. „Was willst du hier!?“, fauchte Kali aufgelöst. „Willst du … mir etwa helfen!?“ „Mitnichten. Deine Existenz tangiert mich nicht im Geringsten.“ Kyon legte die in einem weißen Handschuh steckende Hand auf die Schwertschneide und schob sie beiseite. „Ich bin nur gekommen, um um einen Gefallen zu bitten. Du …“ Sein Augenmerk lag allein auf dem Dämon. „… führe mich in den Limbus.“     Turn 57 – Mind Evangelion Am nächsten Tag muss Anya zu ihrem Entsetzen feststellen, dass sie ihr Deck verlegt hat. Nachdem sie es nicht im Hotelzimmer finden kann, gehen sie und Levrier davon aus, dass sie es auf der Party verloren haben muss. Doch während der Suchaktion wird Anya von Zed, einer Undying angegriffen und das auf eine Weise, die sich von allen bisherigen Konfrontationen unterscheidet. Letztlich kann nur Levrier Anya beschützen und … Kapitel 62: Turn 57 - Mind Evangelion ------------------------------------- Turn 57 – Mind Evangelion     Zu dritt standen sie am Frühstücksbuffet an. Eins musste man diesem Schuppen lassen, so gestand sich Anya ein, seine vier Sterne standen ihm gut zu Gesicht. Dieses Hotel war wesentlich besser als das in Dice. Allein hier, im Restaurant, konnte man den ganzen Tag verbringen. Es war riesig, hell, in ganzen Reihen standen die Tische beieinander und waren bereits gut besetzt. Direkt in der Mitte des Saals, über der Bar, führte eine mit rotem Teppich ausgelegte Treppe in ein oberes Stockwerk, wo es sogar VIP-Bereiche und einen Balkon gab, auf dem man ebenfalls speisen konnte. Zanthe hatte sich lediglich eine Scheibe Lammkotelett, ein paar Kartoffeln und etwas Mischgemüse aufgetan. Anya neben ihm schlug sich den Teller regelrecht mit allem Möglichen voll, anders als Matt, der sich eher auf Müsli, Toast und dergleichen beschränkte. Mit einer Hähnchenkeule im Mund, weil sie natürlich nicht hatte warten können, schmatzte sie im Gehen mehr als sie redete. „Schmeckt escht gutscht hia.“ „J-ja, Anya.“ Der leicht angewiderte Ausdruck des Dämonenjägers sprach Bände.   Zusammen setzten sich die Drei an einen freien Tisch bei einem der im halben Dutzend vorhandenen Fenster, durch die man auf die draußen stehenden Tische und die Straße blicken konnte. „Ist das geil, warme Küche zum Frühstück!“, freute sich Anya wie ein Schnitzel, derer auch eins auf ihrem Teller lag. „Du hast gestern echt für Gesprächsstoff gesorgt“, meinte Matt nebenher und bestrich sich seinen Toast mit Marmelade. „Und das nicht gerade im positiven Sinne.“ „Ach“, zeigte sie sich unbeeindruckt, „lass doch diese abgehobenen Pros labern. Mir doch egal, ob einigen von ihnen nicht passt, dass ich mir meinen Platz im Turnier verdient habe.“ Matt sah sie mitleidig an. „Anya … es sind nicht nur ein paar. Vielleicht ist es dir entgangen, aber ein paar von denen haben eigene Blogs, manche sogar Kanäle auf Videoplattformen.“ „Was er damit sagen will“, sagte Zanthe, während er sein Kotelett schnitt, „die ganze Welt hasst dich jetzt. Was er dir verheimlicht: Er stalkt dich geradezu.“ „Halt die Klappe“, brummte Matt daraufhin grimmig. „Ich sag's ja bloß.“ Scheinbar hatten die beiden ihre Streitigkeiten noch immer nicht ganz beigelegt. Was Anya aber nicht scherte, sie ballte grinsend eine Faust. „Strike! Sollen sie doch heulen, die Pissnelken.“ Ihre Freunde sahen sich nur vielsagend an und schüttelten die Köpfe.   Nach dem Frühstück begaben sie sich ohne Matt zurück auf ihr Zimmer, denn jener wollte ein wenig Nachforschungen in Anyas Sache betreiben und hatte scheinbar einen ersten Anhaltspunkt, dem er nachgehen wollte. Zanthe seinerseits hatte darum gebeten, dass Anya ihm das neue D-Pad zeigte. Auf dem Weg zu ihrem Nachttisch, auf dem es lag, kam Anya am Panoramafenster vorbei und musste einen Blick auf den Wolkenkratzer werfen, auf dem Claire Rosenburgs Werbung gezeigt wurde. Da war sie wieder, perfekt auf ihrem D-Wheel. Die Göttin, die auf alles und jeden herab zu starren schien. Zischend wandte Anya sich ab und nahm das rote D-Pad, warf es dem Werwolf zu. Der fing es mit einer Hand auf und betrachtete es. „Hmm, Monster die auch Zauberkarten sind. Die Idee ist gar nicht so dumm.“ „Mag ja sein, aber ich verzichte drauf. Meine Duel Disk hat diese Zonen nicht und ich werde 'nen Teufel tun und sie in Rente schicken, sobald ich sie erst wieder habe.“ Der Junge mit dem blauen Kopftuch warf sie ihr zurück. „Find' ich gut. Man muss nicht jedem Trend hinterher rennen. Was sagste, haste Lust auf ein Übungsduell?“ „Na klar doch! Ah! Warte kurz.“ Ihr war etwas eingefallen. Sie steckte ihre Hand in die hintere Hosentasche ihrer Jeans und zog daraus [Gem-Knight Pearls] Karte hervor. „Stimmt, den hattest du ja hier gelassen“, erinnerte sich Zanthe an Anyas Geschichte dazu.   Oh, und ich dachte schon, ich würde in diesem muffigen Loch verrotten.   „Du kannst doch gar nicht riechen!“, brauste Anya sofort auf. „Zeig gefälligst etwas Dankbarkeit!“ Wütend wollte sie ihn in ihr Deck stecken, da fiel ihr etwas auf: Es befand sich gar nicht in seinem Schacht. „Huh?“ „Was ist los?“, fragte Zanthe. „Mein Deck ist nicht da.“ Schulterzuckend erwiderte er: „Dann hast du es vermutlich zurück in dein anderes D-Pad gesteckt.“ Dem ging sie sofort nach und schnappte sich das schwarze Modell von Logan auf ihrem Nachttisch, aber Fehlanzeige, auch dort wurde sie nicht fündig. „In der Schublade?“ Anya riss diese auf. „Nein.“ „Deinem Kleid?“ „Hat keine Taschen.“ „… wo hast du dann dein Deck verstaut, du hattest doch gar keine Handtasche-“ Aufgewühlt schnitt Anya ihm ins Wort: „Das ist jetzt nicht wichtig!“ Ihr Blick wanderte durch den Raum. Auf den Fensterbrettern konnte es nicht liegen, denn die gab es gar nicht, schließlich reichte das Glas bis zum Fußboden. Auch auf dem Tisch lag nichts außer Zanthes 'Faust'-Exemplar. Sie eilte, nun leicht in Unruhe versetzt, an ihm vorbei ins Bad. Hatte sie es, warum auch immer, dort liegen lassen? Auf dem Waschbecken? Nichts. Dem Abstellbrett auch nicht, ebenso wenig im Inneren des kleinen Spiegelschranks. Die Badewanne, die sie gestern nach der Party noch benutzt hatte? Leer! Anya streckte ihren Kopf durch den Türrahmen, sah Zanthe panisch an: „Ich find's nicht.“ „Meine Güte, kannst du nicht auf deine Sachen aufpassen?“, tadelte er sie und bückte sich, sah unter seinem Bett nach, dem äußersten der drei nebeneinander aufgereihten. „Hier ist es nicht.“ Auch unter Matts in der Mitte fand er nichts, ebenso wenig unter Anyas, welches sich in der Ecke des Zimmers befand. „Verdammt, wo ist es bloß!?“, verlor Anya langsam die Fassung, als sie aus dem Bad kam.   Du hast es doch nicht etwa verloren!?   Levrier erschien neben ihr in Pearls Form und sah sich um, während seine Karte zurück in Anyas 'muffigem Loch' verschwand. „Warte kurz“, meinte Zanthe derweil, trat an Matts Reisetasche vor seinem Bett und durchstöberte sie seelenruhig. Die Augenbrauen anziehend, fragte Anya: „Summers? Nie im Leben würde der es wagen!“ „Offensichtlich, denn hier ist es auch nicht.“ Er rechtfertigte sich: „War ja nur 'ne Idee, so komisch wie er manchmal drauf ist.“   Was das angeht, kann ich dich beruhigen. Weder Matt Summers noch Zanthe Montinari haben irgendetwas dergleichen getan. Als ewig Schlafloser weiß ich solche Dinge.   Anya kam gar nicht auf die Idee, dafür Mitleid zu empfinden. Jenes hatte sie gerade ausschließlich für sich selbst übrig. „Oh scheiße, scheiße, scheiße! Es ist weg!“ „Dann hast du es wohl verloren. Oder irgendwo liegen lassen? Denk nach, wann hast du es das letzte Mal gesehen?“ Das Mädchen legte beide Hände an die Stirn. „Hmm, verdammter Kackmist. Nein, beim Frühstück hatte ich es nicht mit. Ich kann mich auch nicht erinnern, es gestern nach der Party noch irgendwann in der Hand gehabt zu haben.“ „Also musst du es dort verloren haben“, schloss Zanthe daraus. „Vielleicht ist es aus der Halterung gerutscht?“ Anya warf bereits einen hasserfüllten Blick auf das rote D-Pad, das sie zwischenzeitlich auf ihr Bett geworfen hatte, als wäre das die einzig logische Antwort. „Verdammter Prototyp! Nur Schrott stellen die bei der AFC her!“ Ich würde vorschlagen, wir statten Henry Ford einen kleinen Besuch ab. Dort sollten wir beginnen.   „Und was ist, wenn ich es auf der Rückfahrt im Taxi verloren hab? Oder irgendjemand es gefunden hat und für sich selbst behält!?“ Anya war blass wie lange nicht mehr, wie sie anfing orientierungslos durch das Zimmer zu wandern. Zanthe zuckte mit den Schultern. „Dann kaufst du dir die Karten neu, meine Güte.“ Sofort fiel sie ihn an und schüttelte ihn regelrecht durch. „Du kapierst das nicht, Flohpelz! Das sind nicht einfach nur Karten, das sind -meine- Karten! Die habe ich seit ich angefangen habe, die kann man nicht ersetzen! Da sind so viele Karten drin, die keiner außer mir besitzt!“ Zanthe blinzelte und begriff, was sie meinte. „Angel Wing und Heavy T!“ „Und [Kuriboss], [Gem-Knight Master Diamond]. Oder auch der seltene [Gem-Knight Zirconia], den ich von Matt habe!“ Anya war den Tränen nahe. „Alle, einfach alle!“ „Wir finden sie!“, versprach Zanthe plötzlich unerwartet sanft. „Ich suche das Hotel ab, nur für den Fall. Du gehst zurück und sprichst mit Henry. Vielleicht hat einer seiner Partygäste oder Mitarbeiter das Deck ja gefunden und abgeben?“ Aufgelöst wie lange nicht mehr, nickte Anya zittrig. „Okay …“   ~-~-~   Während der Taxifahrt krallte Anya sich unentwegt in ihrem Sitz fest. „Geht das nicht schneller!?“, schrie sie den indischen Fahrer neben sich an. „Nein“, erwiderte der in gebrochenem Englisch, „sei geduldig, Mädchen.“ Gerade fuhren sie über eine lange Brücke, unter welcher sich ein Fluss seinen Weg ins Meer am Horizont bahnte. Anya blickte aus dem Fenster und folgte seinem Lauf, dann schnaubte sie. Wieder zum Fahrer wirbelnd, presste sie zwischen den Zähnen hervor: „Wenn du nicht gleich auf die Tube drückst, spielen wir 'ne Runde GTA und danach fahre ich, Fettsack! Also dalli!“ Es war, als hätte er gar nicht bemerkt, dass sie ihn angesprochen hatte. Stattdessen begann er vergnügt ein Lied zu summen. Sein letztes, wie Anya sich mit weit aufgerissenen Augen sicher war.   ~-~-~   Die Beifahrertür knallte zu und Anya stand vor dem Anwesen, in dem gestern die Party stattgefunden hatte. Mit quietschenden Reifen ergriff der Taxifahrer die Flucht. Und das Beste: Nachdem Anya mit ihm fertig gewesen war, hatte er sogar auf seine Bezahlung verzichtet! „Tch, wäre noch lustiger gewesen, wenn er nicht die ganze Fahrt über geschrien hätte!“   Aber wen interessierte das überhaupt, schließlich hatte sie ganz andere Probleme. Das Bogentor des Anwesens stand nämlich verschlossen da. Anya watete herüber zur linken Seite und betätigte die Sprechanlage. „Ja bitte?“, drang eine unbekannte, männliche Stimme aus dem weißen Apparat. „Hey! Ich muss dringend mit dem Schnö- mit Henry sprechen. Henry Ford.“ „Mr. Ford war lediglich ein Gast unseres Hauses. Versuchen Sie es in seinem Hotelzimmer.“ Anya runzelte ärgerlich die Stirn. „Mir egal, dann gib mir denjenigen, der diese dämliche Party gestern ausgerichtet hat.“ Der Kerl am anderen Ende der Leitung gab ein nachdenkliches Geräusch von sich. „Ich befürchte, Mr. Walton, der Eigentümer dieses Anwesens, ist leider auch nicht anzutreffen. Darf ich erfahren, was Sie überhaupt hierher führt und wer Sie sind?“ „Was geht dich das an!? Eine Anya Bauer ist niemandem Rechenschaft schuldig! Lass mich einfach rein, Idiot!“ „Bedaure, ich fürchte ich kann dieser Bitte nicht nachkommen. Guten Tag.“ Es knackte aus dem Sprecher und der Typ war weg. Und Anya puterrot im Gesicht.   Wirst du jemals dazulernen, Anya Bauer? Wobei, du hast dir den Begriff Rechenschaft endlich aneignen können. Wie schön.   „Wirst du jemals die Klappe halten, Levrier!?“ Anya stemmte wütend die Hände in die Hüften und stampfte um das Tor herum zu dem schwarzen Zaun, der sich von ihm erstreckte. Ob man da wohl drüber klettern konnte? Zugegeben, der war fast zwei Meter hoch und spitz am Ende, aber sie wäre nicht Anya Bauer, wenn sie das beeindrucken würde. Solche Dinger hatte sie doch schon tausendmal erklommen! Schon hatte sie eine der Palisaden gepackt und stand mit einem Fuß auf der ersten Haltestange. Sie würde nicht eher abhauen, bis sie ihr Deck wieder hatte! Mit viel Schwung stieß sie sich ab und versuchte die nächst höher gelegene zu erreichen, was sich als ziemlich anstrengend entpuppte, da zwischen den Palisaden äußerst wenig Platz für einen Fuß war. Trotzdem ließ Anya sich nicht beirren und kletterte unentwegt weiter, bis sie ein Bein bereits vorsichtig über die Spitzen des Zaunes schwang. Es schepperte. Verdattert sah Anya in ihrer unbequemen Lage nach unten und sah dort ein brandneues Smartphone liegen. -Ihr- Smartphone. Oder was jetzt noch davon übrig war. „Oh shit, wieso passiert mir das immer!?“, fluchte das Mädchen außer sich vor Wut.   „Anya, was machst du da!?“ Die blinzelte überrascht in ihrer stark an einen pinkelnden Hund erinnernden Haltung und entdeckte eine junge Frau bei dem Springbrunnen im Garten vor dem Anwesen. Rotes, offenes Haar, ein weißes Sommerkleid – Melinda Ford. „Hi“, rief Anya ihr etwas verblüfft zu und schwang sich schließlich über den Zaun, landete in der Hocke auf der anderen Seite. Sofort kam ihr Henrys Schwester entgegen gerannt. „Ich glaub, ich seh' nicht richtig! Wieso hast du nicht geklingelt!?“ Als Anya sich vor ihr aufrichtete, zischte sie böse: „Hab ich doch, aber das Schwein hat mich nicht reingelassen! Hat gesagt, dein Bruder wäre nicht da!“ „Ist er auch nicht, weil er noch gestern wegen eines Termins die Stadt verlassen musste. Ist doch auch völlig Banane.“ Melinda seufzte tief, konnte sich aber ein Grinsen nicht verkneifen. „Also, was ist so wichtig, dass du unbedingt wegen Hausfriedensbruchs festgenommen werden willst!?“ „Mein Deck! Es ist weg!“, beklagte Anya sich wild gestikulierend. „Ich muss es irgendwo auf der Feier gestern verloren haben.“ Melinda tippte ihren Zeigefinger gegen das Kinn. „Du bist doch bereits kurz nach dem Duell gegangen. Sicher, dass du es bei uns verlegt hast?“ „Absolut! Hilf mir, Schnöselschwester!“ Die musste belustigt glucksen. „Schnöselschwester? Das ist mal was Neues. Aber wenn du meinst, komm mit. Und versuch nie wieder, hier einzubrechen … zumindest nicht am helllichten Tag!“   Melinda führte Anya durch den Blumengarten am Springbrunnen vorbei ins Anwesen, bis hin in den Ballsaal. Dieser war bei Tageslicht nicht halb so beeindruckend, besonders deswegen nicht, da ein halbes dutzend Möbelpacker damit beschäftigt war, die Tische, Stühle und die Bühne wegzuräumen, wofür sie einen Seiteneingang benutzen. „Hat jemand mein Deck vielleicht abgegeben?“, fragte Anya und sah sich um. „Dann hätte ich mich schon bei dir gemeldet.“ Melinda schüttelte betonend den Kopf. „Wir haben zwar ein, zwei Sachen gefunden, aber das waren Ohrringe oder Mobiltelefone.“ Offenbar Grund genug für Anya, die Sache selbst anzugehen. Sie stampfte durch den Saal und steuerte direkt dessen Mitte an, wobei sie den Blick gen Boden gerichtet hielt. Weiter vorne waren zwei Techniker auf Leitern damit beschäftigt, den unter der zusammenlaufenden Wendeltreppe befindlichen Monitor zu demontieren. „Shit! Wo ist es!?“ Melinda eilte ihr hinterher. „Na da sicher nicht, das wäre uns längst aufgefallen!“ Sofort wirbelte Anya zu ihr um. „Und wo dann, Einstein!?“ „Woher soll ich das wissen?“, erwiderte die Rothaarige nun langsam an ihre Grenzen der Geduld getrieben. „Ich glaube nicht, dass du es hier überhaupt finden wirst. Vielleicht hat es ja wirklich jemand entdeckt und dann mitgenommen?“ Allein die Lippenbewegungen lösten in Anya ein klammes Gefühl aus, was sich nur umso schneller in neue Wut umwandelte. „Wenn das so ist, finde ich diese Mistmade und erwürge sie mit ihrem eigenen Magen! Gibt’s hier vielleicht Kameras!?“ Melinda zögerte bei ihrer Antwort. „Schon, aber …“ Bevor sie den Satz zu Ende brachte, unterbrach sie sich selbst mit einem schicksalsergebenen Seufzen und machte eine ausholende Handbewegung in die andere Richtung. „Komm mit!“   Henrys Schwester führte das Mädchen in den Keller, wo sich das 'Sicherheitszentrum' des Anwesens befand. Der Raum war dunkel, klein und roch irgendwie muffig. Vielleicht wegen dem fetten Wachmann, der ihn besetzte. „Hallo Hank“, grüßte Melinda diesen beim Eintreten. „Melly!“ Extra für sie stand der dickliche Mann in Dunkelblau auf, nur noch ein grau-braune, dünner Kranz war ihm von seiner Haarpracht geblieben. Auf diversen Monitoren wurden hier in schwarz-weiß die Bilder der Überwachungskameras wiedergegeben. Am Schreibtisch befand sich zudem ein Laptop, mit dem Hank arbeitete. „Kennt ihr euch?“, fragte Anya, als sie Melinda hinein folgte. „Ja, unsere und Mr. Waltons Familie sind gut befreundet“, erwiderte Melinda und stellte sich zu Hank, fasste ihn auf die Schulter und strahlte Anya förmlich an, „früher, wenn wir hier zu Besuch waren, hat Hank oft mit mir und Henry gespielt.“ „Schön für euch“, gab sich Anya desinteressiert, „was ist nun!?“ „Hank“, richtete sich Melinda an den Wachmann, „kannst du uns bitte einen Moment allein lassen? Wir müssen kurz ein wenig die Aufnahmen von gestern durchgehen, es gab einen … Vorfall.“ Der bullige Mann nickte knapp. „Natürlich. Hast du wieder was angestellt, Melly?“ Die zwinkerte ihm nur verschwörerisch zu, als sie sich an den Schreibtisch setzte. Lachend verließ Hank den Sicherheitsraum.   Anya stellte sich hinter die rothaarige Frau und sah zu, wie sie sich am Laptop zu schaffen machte. „Kannst du das Teil denn bedienen?“ Mit einem äußerst pikierten Blick drehte sich Melinda zu ihr um. „Machst du Witze? Seit ich acht war, hab ich hier mein Unwesen getrieben.“ „Klingt ja so, als wärst du früher 'ne ganz Wilde gewesen, Schnöselschwester.“ Jene kicherte vergnügt. „Wenn du wüsstest. Was denkst du, warum Henry sich manchmal so über dich ärgert? Er kennt das alles bereits von seiner großen Schwester.“ Dies entlockte nun Anya ein bösartiges Grinsen. „Wir sollten mal was zusammen machen.“ „Nicht, dass ich nicht wollte, aber die Zeiten sind leider vorbei“, gab sie sich wehmütig, während sie mit der Maus über einen Ordner fuhr, „tada. Das sind die Aufnahmen von gestern Abend.“   Es dauerte allein schon ein paar Stunden, überhaupt Mitschnitte zu finden, die nach dem Duell stattfanden. Die verschiedenen Einstellungen waren teilweise im ganzen Saal verteilt, oft war Anya gar nicht im Bild. Ihr erster Anhaltspunkt, der Aufenthalt auf dem Balkon, hatte sich als Niete entpuppt. Bis sie schließlich einen fanden, in dem sie gerade vom oberen Bildrand in dessen Mitte stürmte. „Das war, als du nach deinem Sieg wütend davon gebraust bist.“ Gerade stieß Anya mit der Journalistin zusammen. „Hey!“, schrie diese plötzlich und tippte mit dem Finger gegen den Bildschirm. „Mach mal zurück und pausiere das dann!“ Und tatsächlich! Die Hand der Journalistin lag nur für einen kurzen Augenblick auf Anyas D-Pad! „Die hat mein Deck! Wer ist das!?“ „Keine Ahnung, kann ich auf dem Bild nicht erkennen“, sagte Melinda nachdenklich. „Aber wir können gerne die Gästeliste durchgehen, da muss sie zu finden sein.“   Was sie dann auch am Laptop taten. Nur fanden sie zu Anyas Entsetzen niemanden, der der Frau auch nur ansatzweise ähnlich sah und das, obwohl jeder Gast eine eigene Datei samt Bild besaß. „Sie hatte 'nen Presseausweis!“, erinnerte sich Anya. „Welche Reporter waren denn eingeladen?“ Melinda zeigte ihr die überschaubare Liste. „Nur Leute, mit denen wir gute Kontakte pflegen. Aber wie du siehst, sind das alles Männer.“ „Und wie ist sie dann reingekommen!?“ Melinda sah über den Rand des Stuhls zu ihr. „Na vielleicht bist du nicht die Einzige, die mit gefälschter Einladung hier hereingekommen ist?“ „Meine war nicht gefälscht, nur 'umgeschrieben'!“ Auf diesen Einwurf hin richtete der Rotschopf wieder sein Augenmerk auf den Laptop. „Anscheinend hatten wir einen ungebetenen Gast. Die Frage ist: Warum?“ „Na, weil sie mein Deck wollte natürlich!“ Anya schnaubte. „Hey, Schnöselschwester. Am besten schickst du das ganze Zeug an Nick, der kann sicher mehr damit anfangen als du.“ „Danke?“ „Ich muss los“, quengelte Anya, die von einer plötzlichen Eile ergriffen worden war, „muss selbst mit Nick reden. Und mit den anderen.“   Sie ließ Melinda Nicks E-Mail-Adresse aufschreiben. Jene war zwar der Meinung, selbst genauso gut Nachforschungen anstellen zu können, fügte sich aber Anyas gereizter Ungeduld. Und versprach, Nick sämtliches wichtiges Material zukommen zu lassen.   So geschah es, dass Anya schließlich wieder vor dem Tor des Anwesens stand und mit drei Erkenntnissen konfrontiert wurde. Die erste: Nach ihrer Duel Disk hatte man ihr nun auch das Deck gestohlen. Die zweite: Sie musste sich jetzt ein Taxi rufen. Woraus die dritte entstand: Sie hatte kein Geld für eins. Was nicht das Problem gewesen wäre, würde es ihr nicht auch an einem Smartphone mangeln, um jenes zu rufen. Fuck! Warum musste ihr das Scheißteil auch aus der Tasche rutschen. War das jetzt der neue Trend mit ihren Sachen oder was!?   Sie drehte sich zum Tor um und überlegte, noch einmal Melinda um Hilfe zu bitten. Aber da die sowieso schon sauer war, aus dem Fall unfreiwillig ausgeschieden zu sein, wollte Anya ihr nicht noch wegen so einer Lappalie zu Kreuze kriechen. Was eines hieß: laufen. Und der Weg zum Hotel war … lang. „Tch!“, schnaubte Anya und begann sich in Bewegung zu setzen. Umso besser, so konnte sie wenigstens ihre Wut durch ein wenig Sport abbauen. Und sie war wütend, verdammt wütend!   ~-~-~   Irgendwann war Anya so erschöpft, dass sie eine Pause einlegen musste. Inzwischen dämmerte es bereits. Sie stand am Geländer der riesigen Brücke, die etwa den Mittelpunkt ihres Weges markierte. So vieles war ihr während dieser Zeit durch den Kopf gegangen. Steckte die Diebin mit Kali unter einer Decke? Mit den Undying, die zurückhaben wollten, was ihnen gehörte? Oder gar mit jemand anderes? Wenn nicht, hatte sie es trotzdem von Anfang an auf ihr Deck abgesehen? Erschöpft hielt sich Anya in gebeugter Haltung mit einer Hand an dem Geländer fest. Neben ihr, getrennt von einer Leitplanke, herrschte reger Verkehr. Nicht weit entfernt ragte ein großes Tor über der Brücke.   Keuchend beugte sich Anya über. „Scheiße … wieso passiert so was immer mir?“ Alles ging schief, seit sie für den Sammler arbeitete. Es war nicht nur die Tatsache, dass ihr erst die Duel Disk und nun auch das Deck gestohlen worden waren. Oder dass immer neue Feinde auf den Plan traten. Nein, durch diese ganze Scheiße wurden Menschen verletzt. Nick, Redfield, Marc und schlimmer noch, wegen ihr war einer der Hüter tot. Ihre Finger krallten sich bei dem Gedanken um das Geländer. Aus den Augenwinkeln betrachtete sie den Fluss, wie sich das Abendrot in ihm spiegelte. Sie musste einen Ausweg finden. Und Anya wurde bewusst, was der Unterschied zwischen damals und heute war. Zwischen der alten und der neuen Anya. Denn die neue wollte nicht, dass andere in Mitleidenschaft gerieten. So ein Mensch war sie nicht mehr.   Seine sanfte Berührung auf ihrer Schulter ließ sie auffahren. Es war schön, dass Levrier selbst jetzt ihren Gedanken folgen konnte und sie darin bestärken wollte. Als Anya sich aufrichtete und umdrehte, musste sie jedoch erkennen, dass es nicht ihr Freund war, der seine Hand nun zurückzog. Es war Nick. „Was machst du denn hier!?“, platzte es aus Anya heraus. „Die Frage könnte ich dir auch stellen“, erwiderte er ruhig, „was machst du hier?“ Langsam ging er an ihr vorbei. „Ich will ins Hotel …“ Irgendetwas stimmte nicht, das spürte Anya sofort. „Seit wann bist du hier?“ „Bist du es nicht leid?“, fragte Nick, als er neben ihr stand und sich ihr zudrehte. „Immer wieder dieselben Fehler zu begehen?“ Die Blonde geriet ins Stocken und wich zurück, stieß gegen das Geländer. „Was soll das?“ „Du hast kein Recht hier zu sein“, kam es mit einem Male hasserfüllt aus Nicks Mund, „du hättest im Turm sterben sollen. Das wäre das Mindeste für deine Sünden gewesen.“ Entgeistert schrie sie: „Hör auf damit, Harper!“ „Aber was nicht ist“, murmelte er leise und versetzte ihr einen Stoß, „kann noch werden!“   Anyas Welt überschlug sich, als sie über das Geländer der Brücke rutschte und in die Tiefe fiel. Eisige Kälte hüllte sie ein, als sie die Oberfläche des Flusses durchdrang und mit ausgestreckten Gliedmaßen in die Tiefe sank. Es dauerte einen Moment, ehe sie überhaupt begriff was geschehen war. „Lass diese Welt los, Anya. Du gehörst nicht hierher“, hörte sie Nicks Stimme klar und deutlich. Jene war es auch, die sie zurück zu Sinnen brachte. Anya begann mit den Armen auszuholen und zu schwimmen. Sie konnte die Oberfläche des Flusses noch erahnen, sah das gold-orangene Licht dort über sich. „Nein, du kommst nicht mehr zurück. Der Abgrund wartet auf dich. Du wolltest es so.“ Egal wie sehr sie sich bemühte, es schien, als käme sie nicht weiter. Im Gegenteil, das Licht rückte in weite Ferne. Panik stieg in ihr auf, sie wollte um Hilfe schreien, doch im Wasser hörte sie niemand. Sie versank in der Finsternis.   ~-~-~   Anya Bauer, was ist mit dir los!? Antworte!   Levrier schwebte neben dem Mädchen, das sich in gebeugter Haltung am Geländer fest hielt und keinen Millimeter rührte. Eben hatte sie etwas sagen wollen, war jedoch mitten im Satz verstummt. Geht es dir nicht gut!?   Er näherte sich ihr von der Seite, doch sie verharrte starr, als wäre die Zeit angehalten worden. Der als [Gem-Knight Pearl] wiedergeborene Levrier wusste nicht, was er tun sollte. Er streckte die Hand nach ihr aus, doch fasste durch ihren Kopf hindurch, statt ihn zu streicheln. Anya Bauer!   Er ahnte nicht, dass oben auf der Spitze des Tores inmitten der Brücke eine in weiß gekleidete Gestalt stand und das Ganze von oben herab beobachtete.   ~-~-~   Hustend rollte sich Anya auf den Rücken. War sie irgendwie an Land gespült worden? Doch als sie die Augen öffnete, sah sie nur Finsternis. Und Nick, der auf sie herabblickte. „Es ist zu spät.“ „Für was!?“ Sofort richtete sich das Mädchen auf und wich von ihm zurück. „Sich zu ändern.“ Erschrocken wirbelte das Mädchen um. Abby!? Ausdruckslos starrte jene an ihr vorbei. „Du bist der Abgrund. Und ein Abgrund kann nun mal nichts anderes, als andere in die Tiefe zu ziehen.“ „Das ist nicht wahr!“ Mit ausholenden Handbewegungen beteuerte Anya verzweifelt, was sie dachte. „Wenn das so wäre, hättet ihr mich längst im Stich gelassen! Ihr glaubt doch an mich!“ „Nicht mehr.“ Von seinen Worten gelähmt, drehte sich Anya zu Nick um. Es war, als hätte man ihr einen Dolch in die Brust gerammt. So sehr schmerzte es. „Nein …!“ „Wir sind nicht mehr deine Freunde.“ Die Blonde beteuerte, panisch zwischen den beiden hin und her wechselnd: „Ich habe mich geändert!“ „Menschen können sich nicht ändern, Anya“, sagte Nick kaltherzig, „nicht wirklich. Sie können lästige Angewohnheiten abstreifen, aber ihr Kern wird immer derselbe sein.“ Abby drehte den Kopf zur Seite. „Und du bist innerlich verdorben und rücksichtslos. Das weißt du auch.“ Die plötzlich auftauchende Stimme Valeries hinter Anya ließ diese zusammenzucken. „Deswegen möchtest du gehasst werden. Weil es der einzige Weg ist, mit anderen in Kontakt zu treten.“   Anya keuchte und wirbelte herum. Sie breitete die Arme weit aus, als würde sie damit überzeugender wirken, auch wenn sie wusste, dass dies nicht der Fall war. „Bullshit! Ich will nicht gehasst werden!“ „Warum tust du dann alles in deiner Macht stehende, um das Gegenteil zu erreichen?“ Matt! Anya drehte sich schockiert um, jetzt auch noch ihn zwischen Nick und Valerie zu sehen. „Du bist nicht imstande, Gefühle für deine Mitmenschen zu hegen“, sprach er monoton, „und ohne diese kannst du auch keine Gefühle für dich wecken. Deswegen erzeugst du Schmerz, dürstend nach irgendeiner Reaktion deiner Umwelt.“ „D-das stimmt nicht!“ Valerie neben ihm setzte ein. „Wie heuchlerisch du bist, Anya. Zwar willst du niemanden in dein Chaos hineinziehen, doch genau das tust du. Immer und immer wieder.“ „Wegen dir wurde ich angeschossen und wäre fast gestorben“, klagte Abby. Nick sah sie herablassend an. „Du kannst dich nicht einmal für all das bedanken, was ich bisher für dich getan habe.“ „Deinetwegen kann ich jemanden, den ich sehr liebe, nie wieder sehen!“, tönte Matt lauter. „Du willst die Heldin sein? Warum sind es dann wir, die leiden müssen?“ Abby trat einen Schritt auf Anya zu, was diese instinktiv zurückweichen ließ. „Die Geschichte wiederholt sich und wieder bist es du, die droht, uns alle ins Verderben zu stürzen!“ Nick tat es ihr gleich und setzte einen Fuß vor den anderen. „Du kannst nur zerstören.“ Auch Matt zog mit. „Und wenn du dieses Mal zu weit gehst, wird es kein Happy End geben.“   Die sonst so taffe Anya brachte es nicht fertig, sich gegen ihre Freunde aufzulehnen und wich immer weiter zurück. Bis sie gegen Valerie stieß, die geradezu hasserfüllt zu ihr herab starrte und so viel größer als gewöhnlich wirkte. „Ohne unsere Hilfe wärst du verloren, Anya.“ „Du kannst nicht alleine existieren“, sagte Abby vorwurfsvoll, „aber alle anderen dürfen vor dir fallen, nur damit du am Ende überlebst.“ Matt lächelte bitter. „Weil dir letztlich doch unser Schicksal egal ist, solange du dich in Sicherheit wiegen kannst.“ „Wir sind deine Bauernopfer, die du bereit bist wegzuschmeißen, wenn du vor die Wahl gestellt wirst.“ Nick funkelte sie böse an. „Sieh in dich hinein und du wirst erkennen, dass das die Wahrheit ist.“ „Am Ende ist sich jeder selbst am nächsten“, stimmte Valerie zu. Anya sank in die Knie und hielt sich die Hände über die Ohren. „Hört auf! Das stimmt alles nicht!“ „Tut es wohl.“ „Hör auf, dich selbst zu belügen.“ „Du bist niederträchtig, sieh's doch ein.“ „Falsche Schlange!“ Mit all ihrer Kraft schrie Anya: „Haltet alle euer Maul! Ich bin nicht so!“   Wie bist du dann? Weißt du überhaupt, wer du bist?   Diese verzerrte, weibliche Stimme kannte Anya gar nicht. Als sie aufsah und die Hände von den Ohren nahm, bemerkte sie, dass ihre Freunde verschwunden waren. Weißt du, wer du sein möchtest?   Anya antwortete nicht. Plötzlich drangen sie in ihren Kopf ein. So viele Antworten, gegeben von ihr bekannten Personen, dass sie unter der Überlastung anfing qualvoll zu schreien.   Heldin   Stark   Monster   Geliebt   Attraktiv   Böse   Lebendig   Furchteinflößend   Ehrlich   Sicher Duel Queen   … alleine!   Nichts …   „So ist es richtig! Sei niemand. Denke nichts. So kannst du niemandem wehtun.“ „So werden die Stimmen verstummen.“ „Keiner wird es bemerken.“ „Wenn du weg bist. Es wird sie nicht stören.“   Anya trieb im Nichts vor sich her, die Augen leer. Musik spielte im Hintergrund, ein trauriges Klavierstück.   „Was hindert dich daran, einfach zu existieren aufzuhören?“ „Warum klammerst du dich an etwas fest, das du selbst als wertlos erachtest?“ „Bist du deine eigenen Lügen nicht leid?“ „Sehnst du dich nicht nach Frieden?“   Das tat sie, dachte Anya. Es sollte vorbei sein, das ewige Kämpfen. Tausend Dämonen schienen hinter ihr her zu sein, dabei wollte sie doch nur …   „Sterben?“ „Tu's doch einfach.“ „Du willst sowieso wissen, was danach kommt. Nach dem Leben.“ „Nicht einmal der Sammler weiß es. Willst du ihm nicht einen Strich durch die Rechnung machen und einmal die Stärkere sein?“ „Du musst dich dafür nicht schämen.“   Anya blinzelte, dann formten ihre Lippen einen stummen Satz.   Ihr könnt mich alle mal kreuzweise, ihr Wichser!   „Dein Wille ist schwer zu brechen“, hörte sie die fremde Frau in der Ferne des Nichts sagen, „aber in einer Welt, in der Zeit keine Rolle spielt, hast du keine Chance, Anya Bauer.“ Plötzlich vernahm jene ein Surren in ihrem Gehörgang und presste die Hände wieder auf die Ohren. Und die Stimmen kamen wieder … „Wir sind die Boten Zeds“, war unter ihnen immer wieder klar zu verstehen, „die, die die Wahrheit spricht.“   ~-~-~   Fürchterliche Erschütterungen suchten Anyas Elysion heim. Die große Schreibe in seiner Mitte, das bunte Mosaik der Erde, bekam langsam Sprünge, die sich in tiefe Risse verwandelten. Und am Rande der Plattform, zur Schwelle der endlosen Dunkelheit, stand eine Frau, gekleidet in einer weißen, ärmellosen Robe. Bis zum Boden reichte ihr schwarzes Haar. „Hartnäckig“, murmelte sie vor sich hin. „Das ist sie in der Tat.“ Erschrocken wirbelte Zed um. Auf der anderen Seite der Plattform stand jemand, eine Gestalt in weißer Rüstung. Ihre Augen leuchteten blau. „Levrier. Ich habe mit dir gerechnet.“ Jener sah sein Gegenüber, welches vor dem Gesicht eine weiße Maske trug, die weit über die Stirn hinausragte und schon einem Turm glich, ausdruckslos an. „Wie gut, dass ich hierhergekommen bin und dich gefunden habe. Du versuchst ihre Gedanken zu verschmutzen und zum Selbstmord zu treiben.“ „So ist es und du kannst nichts dagegen tun. Jeder Versuch, mit ihr in Kontakt zu treten, wird sofort von mir unterbunden.“ „Ich bin nicht hier, um mit Anya Bauer zu reden“, sagte er und streckte den Arm aus. An diesem materialisierte sich eine Imitation ihrer alten Battle City-Duel Disk, „sondern das Problem bei der Wurzel zu packen.“ Zed entfuhr ein arrogantes Lachen, als sie ein paar Schritte vortrat. „Ich bin eine Undying, du kannst mir nichts anhaben. Verschwende nicht deine Zeit.“ „Dessen wäre ich mir nicht so sicher. Ich kenne nicht die Methode, mit der du dir Zugang zu Anya Bauers Elysion verschafft hast“, sagte er selbstsicher, „aber ich weiß, dass es einen Unterschied zwischen einer unsterblichen Hülle und der Manifestation des eigenen Willens gibt.“ Seine Gegnerin schürzte die roten Lippen, antwortete aber nicht. Wozu auch, als sie den Arm ausstreckte und eine silberne, sichelförmige Duel Disk an jenem erschien. Levrier nickte. „Gut so. Zumindest bist du keine Närrin.“ „Da du dich mir in die Quere stellst, musst auch du beseitigt werden.“ „Duell!“, hallte es anschließend im Chor über das Elysion hinweg.   [Levrier: 4000LP / Zed: 4000LP]   „Da dies Anya Bauers Zuflucht ist, gebührt mir als ihr Vertreter der erste Zug“, bestimmte Levrier und zog sechsmal hintereinander. Seine schwarzhaarige Gegnerin nickte. „Ich erlaube es.“ Die blauen Augen des [Gem-Knight Pearls], Levriers Avatar, blitzten auf. „Du befindest dich nicht in der Position, solche Zugeständnisse zu machen. Egal ob du eine Undying bist oder nicht, dieser Ort steht nicht unter deiner Herrschaft.“ Zed blieb regungslos. „Aber er wird es, sobald Anya Bauers Wille gebrochen ist.“ „Das lasse ich nicht zu!“ Wütend knallte Levrier ein Monster auf seine Duel Disk, die der originalen von Anya bis ins letzte Detail glich. „Dieses spiele ich verdeckt. Dazu setze ich eine weitere Karte als Absicherung. Führe deinen Zug durch, Undying.“   Jene Frau mit der hohen, weißen Maske brauchte dafür keine Aufforderung. Noch während sich die Karten vor Levrier in horizontaler beziehungsweise vertikaler Lage materialisierten, riss sie eine Karte von ihrem Deck. Diese steckte sie in ihr Blatt und nahm stattdessen eine Zauberkarte aus jenem hervor. Die Spielfeldzauberkartenzone ihrer sichelförmigen Duel Disk fuhr automatisch aus, sodass sie die Karte nur noch einzulegen brauchte. „Ich aktiviere [Aura Dominion].“ Das Mosaik der Erde unter ihren Füßen löste sich mitsamt der es umgebenden Dunkelheit auf. Stattdessen befanden die beiden Duellanten sich nun auf einer grell leuchtenden Ebene, umgeben von riesigen Säulen aus purem Licht. In der Ferne ging in jeder der vier Himmelsrichtungen eine Sonne am rosafarbenen Horizont auf. Dazu umhüllte ein seichter Nebel das Spielfeld. Jenes wurde als offener Tempel dargestellt, in dessen Mitte sich eine Vertiefung befand, die von jeder Seite durch drei Stufen aus sandfarbenem Gestein erreicht werden konnte. Zed erklärte: „Einmal pro Zug erlaubt diese Spielfeldmagie es mir, eine Karte von meinem Deck auf den Friedhof zu schicken. Danach erschafft sie mir drei Spielmarken, die mir für diesen Zug frei zur Verfügung stehen.“ Sie nahm die oberste Karte ihres Decks und schob jene in den Friedhofsschlitz der Duel Disk. Vor ihr bildeten sich drei gleißende Kugeln aus weißem Feuer, die in einer Reihe vor ihr schwebten.   „Soul Aura“-Spielmarke x3 [ATK/0 DEF/0 (1)]   Zwei von ihnen lösten sich im Anschluss sofort wieder auf. „Ich führe eine Tributbeschwörung durch. Erscheine, [Demigod Of Purging Fire, Efreet]!“ Unter lautem Getöse schoss eine meterhohe Feuersäule vor Zed aus dem Boden. Aus ihr ragten erst vier lange, klauenbesetzte Arme, ehe die Kreatur aus dem lodernden Inferno sprang. Von bestialischer Gestalt, stand sie auf zwei Beinen und sah einer Mischung aus Eber und Humanoid noch am ähnlichsten. Von weißem, leuchtenden Fell und dementsprechend erhabener Natur, verschränkte sie zwei ihrer Arme. Die schwarzen Hörner ragten in die Höhe, in der Schweinenase hing ein goldener Ring. Stolz brüllte Efreet seinen überraschten Gegner an.   Demigod Of Purging Fire, Efreet [ATK/2900 DEF/2300 (10)]   Zed streckte den Arm aus. „Da alle geopferten Monster für Efreets Beschwörung Spielmarken waren, aktiviert sich sein Effekt: Er fügt meinem Gegner umgehend 1500 Punkte Schaden zu! Aura Meteor!“ Über den gen Himmel ausgestreckten, flachen Händen der Bestie entstanden zwei lodernde, goldene Flammenkugeln, die Efreet ohne zu zögern auf Levrier schleuderte. Der hielt schützend den Arm mit seiner Duel Disk vor den Oberkörper und Kopf, doch als die Geschosse ihn erreichten, explodierten sie vorzeitig.   [Levrier: 4000LP → 2500LP / Zed: 4000LP]   Statt am Boden zu liegen, stand Levrier unbekümmert da. Derweil schwang Zed ihren ausgestreckten Arm zur Seite. „Danach aktiviere ich den zweiten Effekt Efreets. Indem ich eine Spielmarke opfere, kann keines meiner Monster bis zur End Phase des Feindes als Ziel eines Zauber- oder Fallenkarteneffekts werden! Pillars of Protection!“ Sogleich streckte Efreet einen seiner Arme nach rechts und schnappte sich damit die verbliebene Feuerkugel, zerquetschte sie mühelos. Unter ihm schoss augenblicklich eine goldene Flammensäule empor, die ihn komplett einhüllte. „Und jetzt befehle ich dir anzugreifen!“, rief Zed mit ausgestrecktem Arm. Der dämonische Lichtgott öffnete, umgeben von dem goldenen Feuer, sein Maul und spie eine Stichflamme in Richtung von Levriers verdecktem Monster. Dessen Karte wirbelte herum und präsentierte einen maskierten Krieger in grünem Mantel, der eine gezackte Klinge mit sich führte. Er konnte dem Angriff nicht im Geringsten standhalten und verwandelte sich umgehend in Asche.   ??? [ATK/0 DEF/0 (1)]   Die eigene Überraschung unterdrückend, murmelte Zed: „Kein Gem-Knight?“ Levrier musste auflachen. „Anya Bauer duelliert sich regelmäßig mit ihnen. Es ist ihr Deck und auch wenn ich die Form eines ihrer Monster annehme, so bestehe ich doch darauf, dass auf meine eigene Identität Rücksicht genommen wird.“ „Und was sollen diese Monster sein? Söldner, gar Helden?“, fragte Zed abfällig. „Anscheinend fühlst du dich selbst wie einer. Narr, du hättest dich nicht einmischen sollen.“ „Aber es kommt doch so selten jemand hierher, wie könnte ich nicht?“, fragte Levrier gespielt kleinkindhaft. „Ich setze diese Karte“, verkündete Zed erhaben und schob jene in ihre Duel Disk, „damit beende-“ Noch während jene sich vor ihren weißen Stiefeln materialisierte, hob Levrier die Hand. „Halt! Bevor du das tust, aktiviere ich meine Falle [Limit Reverse]. Sie reanimiert ein Monster mit höchstens 1000 Angriffspunkten von meinem Friedhof in Angriffsposition.“ Ein dunkler Runenzirkel öffnete sich vor Levrier. Aus diesem entstieg sein etwas kleinwüchsiger Krieger, dessen grüner Mantel unruhig vor sich her flatterte. Die gezackte Klinge hielt er hinter dem Rücken versteckt. „[Heroic Challenger – Ambush Soldier]“, benannte Levrier ihn, „willkommen zurück.“   Heroic Challenger – Ambush Soldier [ATK/0 DEF/0 (1)]   „Wie du meinst“, zeigte sich Zed gleichgültig, „es ist nun dein Zug.“   Nachdem Levrier aufgezogen hatte, begann sein Krieger plötzlich geheimnisvoll zu kichern. Dann pfiff er plötzlich und warf eine Rauchbombe, die binnen eines Herzschlages Levriers komplettes Feld in schwarzen Rauch einhüllte. „Was sollen diese Tricks!?“, fauchte Zed ärgerlich. „Keine Tricks, nur ein Effekt“, hallte es aus dem Qualm. Jener löste sich auf und statt des Soldaten, standen zwei neue Monster vor Levrier. Zum einen war da ein dunkelblau gepanzerter Krieger, der einen mächtigen Eisenhammer schwang. Neben ihm dagegen ein weißer, an dessen rechten Arm eine ausklappbare Schwertklinge befestigt war. „In der Standby Phase hat sich lediglich [Heroic Challenger – Ambush Soldiers] Effekt aktiviert: Er bietet sich als Tribut an und beschwört im Gegenzug zwei seiner Kameraden von meiner Hand, namentlich [Heroic Challenger – War Hammer] und [Heroic Challenger – Clasp Sword].“   Heroic Challenger – War Hammer [ATK/2100 DEF/1300 (6)] Heroic Challenger – Clasp Sword [ATK/300 DEF/100 (1)]   Letzterer streckte seine Armklinge in die Höhe. Levrier zeigte seine Duel Disk vor. „Dies löst Clasp Swords Effekt aus, denn sobald er durch ein Heroic-Monster gerufen wird, schickt er ein solches von meinem Deck aufs Blatt. Und dieses beschwöre ich sogleich als Normalbeschwörung, [Heroic Challenger – Extra Sword]!“ Levrier knallte die Karte auf seine Duel Disk und ließ zwischen seinen anderen beiden einen Krieger in grün-weißer Rüstung erscheinen, welcher zwei Schwerter mit sich führte.   Heroic Challenger – Extra Sword [ATK/1000 DEF/1000 (4)]   Zed schnalzte mit der Zunge, als ihr Gegner eine Zauberkarte vorzeigte. „Wie du sehen kannst, verfügt keines meiner Monster über eine identische Stufe, um eine Xyz-Beschwörung durchzuführen. Es fehlt sozusagen die Harmonie unter ihnen, aber das wird diese Karte ändern: [Harmonic Waves]! Mache Clasp Sword zu einem Stufe 4-Monster.“ Jener, welcher neben Extra Sword stand, strecke die Klinge an seinem Arm in die Höhe, was sein Kamerad ihm gleich tat, sodass ihre Schwerter sich in der Luft kreuzten.   Heroic Challenger – Clasp Sword [ATK/300 DEF/100 (1 → 4)]   Levrier streckte den Arm nach vorne. Vor ihm öffnete sich ein schwarzer Wirbel. „Ich errichte das Overlay Network! Nun werden meine Stufe 4-Krieger zu einem Rang 4-Monster!“ Jene verwandelten sich in braune Energiestrahlen, welche in jenes Loch gezogen wurden, aus welchem daraufhin eine Explosion folgte. „Xyz Summon! Kämpfe für mich, [Heroic Champion – Gandiva]!“ Aus dem Überlagerungsnetzwerk kam ein Rappe gesprungen, geschützt durch eine rote Körperpanzerung. Sein Reiter war ein blauer Krieger mit zweigehörntem Helm, welcher einen Bogen spann. Jener wurde von zwei Lichtkugeln umkreist.   Heroic Champion – Gandiva [ATK/2100 → 3100 DEF/1800 {4} OLU: 2]   Zed keuchte erschrocken. „Seine Punkte steigen!“ „In der Tat. [Heroic Challenger – Extra Swords] Effekt ist dafür verantwortlich, denn wird jener für eine Xyz-Beschwörung als Material benutzt, erhält dieses Xyz-Monster 1000 Angriffspunkte.“ Im gleichen Zuge rammte Levrier eine Zauberkarte in die Duel Disk, die Anyas nachempfunden war. „Und Gandiva ist nicht der Einzige, dessen Punkte steigen werden! Zauberkarte [Heroic Chance]! Sie verdoppelt War Hammers Wert für einen Zug!“ Seine Gegnerin schrie regelrecht auf, als der Hammer des riesigen Kriegers neben dem Reiter Gandiva derart grell zu leuchten begann, dass es den Anschein erweckte, er würde lediglich aus roter Energie bestehen. Heroic Challenger – War Hammer [ATK/2100 → 4200 DEF/1300 (6)]   Levrier streckte den Arm aus. „Ich sage es nur noch einmal, Undying! Deine Anwesenheit hier wird nicht geduldet. Gehe jetzt in Frieden und ich werde davon absehen, dir irreparablen Schaden zuzufügen.“ Seinem Angebot zum Trotz schnalzte Zed selbstgefällig mit der Zunge. „Du überschätzt deine Fähigkeiten, Abkömmling.“ „Dann habe ich dir nichts mehr zu sagen“, erwiderte Levrier gleichgültig. „Greife ihr Monster an, War Hammer!“ Jener ließ seine Waffe scheinbar mühelos über dem Kopf kreisen, stürmte dann auf den weißen, wildschweinartigen Halbgott in seiner Feuersäule zu und zertrümmerte diesen mit einem einzigen Hieb. Eine Schockwelle wurde dabei losgelassen, als die Waffe mit Efreets Kopf unter sich auf den Boden knallte. Zed wurde erfasst und meterweit fort geschleudert, über die kleine Insel hinweg in das hellrosa-farbene Feld. Dabei entfuhr ihr ein greller Schrei.   [Levrier: 2500LP / Zed: 4000LP → 2700LP]   Heroic Challenger – War Hammer [ATK/4200 → 7100 DEF/1300 (6)]   Plötzlich wuchsen Efreets Hörner aus dem Kopf des Hammers. Levrier erklärte: „Wie du sehen kannst, lernt War Hammer dazu und verleibt sich wortwörtlich die Kraft deines Monsters ein. Aber die wird er nicht länger brauchen, denn dieses Duell ist vorbei.“ Dabei streckte er den Arm in die Höhe. „Greife sie direkt an, Gandiva!“ Gnadenlos, genau wie sein Herr, spannte der Reiter seinen Bogen und ließ einen Pfeil von der Sehne. Zed, die auf dem Rücken lag, richtete sich keuchend auf. „Niemals! Falle aktivieren, [Dekagon Gate]!“ Plötzlich wurde die Zeit wie von Zauberhand verlangsamt, sodass Gandivas Pfeil in Zeitlupe durch die Luft schoss. Aus der aufgeklappten Karte der Schwarzhaarigen schossen zehn Sterne, wie sie auf den Duel Monsters-Karten abgebildet waren und bildeten zwischen einander Energielinien, welche alle zusammen ein Tor formten. „[Dekagon Gate] erlaubt es mir, ein Stufe 10-Monster als Spezialbeschwörung zu beschwören! Erscheine, [Demigod Of Eternal Winter, Northgrimm]!“ Die Sterne schossen auseinander und machten das Portal somit zunehmend größer. Aus ihm heraus trat schließlich eine gut fünf Meter große Kreatur. Weiß war ihr bis zum Boden reichender Bart, aus Eis die doppelköpfige Axt in ihren Händen. Der Riese, welcher in seiner kriegerischen Aufmachung nicht zuletzt wegen der Hörner an seinem Helm wie ein Wikinger anmutete, ging vor Zed in die Knie …   Demigod Of Eternal Winter, Northgrimm [ATK/3000 DEF/2500 (10)]   … und wurde anschließend, als die Zeit wieder ihrem alten Fluss folgte, von Gandivas Pfeil durchbohrt. Er explodierte.   [Levrier: 2500LP / Zed: 2700LP → 5200LP]   Unvermittelt stand Zed dort, wo sie gestanden hatte, bevor Levriers Angriff sie erfasst hatte. Sie zeigte Northgrimms Karte vor. „Ein durch [Dekagon Gate] beschworenes Monster kehrt unabhängig davon, ob es zerstört wurde oder nicht, letztlich auf mein Blatt zurück. Da du aber so töricht warst es anzugreifen, habe ich Leben in Höhe seiner Verteidigung erhalten.“ „Du verzögerst nur das Unausweichliche. Zug beendet“, verkündete Levrier unbeirrt. „Damit schwindet der [Heroic Chance]-Effekt.“   Heroic Challenger – War Hammer [ATK/7100 → 5000 DEF/1300 (6)]   Zed neigte den Kopf ein wenig nach unten und obwohl sie eine Maske trug, wirkte es, als würde sie Levrier hasserfüllt anstarren. „Ich kann jemanden, den ich als Feind betrachte, unmöglich um etwas bitten. Aber dennoch … verfolgt den Pfad nicht weiter, der euch vorgegeben wurde.“ „Der Pfad, der zum Narthex führt?“ Hörte er da Zweifel, fragte sich Levrier insgeheim. „Nein, das ist mir gleich. Mir geht es nur um ihn.“ Der als [Gem-Knight Pearl] verkörperte Levrier gab ein nachdenkliches Geräusch von sich. „Um Ricther. Ich will nicht, dass er sich noch länger mit diesem Mädchen beschäftigt. Es hat bereits angefangen.“ Zeds Stimme wurde leiser. „Sie verdirbt ihn, er handelt nicht wie er sollte.“ Levrier lachte leise. „Was könnte verdorbener sein als ein Mädchen in den Wahnsinn treiben zu wollen? Du hast Recht, Undying, als Feindin steht es dir nicht frei, uns um etwas zu bitten.“ Zed reckte das Kinn nach vorne. „Als Feindin nicht. Aber ich bin eine Undying und besitze das Recht, meinen Willen mit meiner gottgegebenen Macht durchzusetzen! Draw!“   Schwungvoll zog sie, nur um dann mit der Karte zwischen den Fingern ihre Hand nach vorne zu stoßen. „Ich erschaffe mit dem Effekt von [Aura Dominion] drei Spielmarken!“ Nachdem sie die Karte in ihr Blatt gesteckt hatte, nahm sie die oberste von ihrem Deck und führte sie ihrem Friedhof zu. Vor ihr begannen drei weiße Flammen aufzulodern, die eine nach der anderen durch einen Pfeil zum Verpuffen gebracht wurden. Abgeschossen von Gandiva.   Heroic Champion – Gandiva [ATK/3100 DEF/1800 {4} OLU: 2 → 1]   „Deine Absichten sind vorhersehbar“, sagte Levrier mit verschränkten Armen, „deshalb habe ich mich für Gandiva entschieden. Einmal pro Zug kann er für ein Xyz-Material alle Monster mit Höchststufe 4 zerstören, die durch ein und denselben Effekt spezialbeschworen wurden.“ Zed stöhnte leise auf, gab sich aber weiterhin hochmütig. „Du denkst, indem du mir die Spielmarken nimmst, kannst du mich übertrumpfen? Klug, aber auf so etwas bin ich vorbereitet! Für die Hälfte meines Lebens aktiviere ich [Divine Sacrifice]!“ Die Schwarzhaarige in weißer Robe streckte die Arme weit aus. Von ihrem Rücken erstreckten sich weiße Lichtschwingen, von denen sie sich in die Höhe hieven ließ.   [Levrier: 2500LP / Zed: 5200LP → 2600LP]   Während sie aufstieg, legte sie ihre Hand auf die Mitte ihrer Brust. „Mit dieser Karte kann ich den Effekt von [Aura Dominion] ein zusätzliches Mal aktivieren! Dieses Mal kannst du es nicht stoppen! Ha!“ Sie schwang ihren Arm nach unten gerichtet aus und schoss daraus drei Lichtkugeln ab, die auf ihrer Spielfeldseite zu den weißen, lodernden Seelenflammen wurden.   „Soul Aura“-Spielmarke x3 [ATK/0 DEF/0 (1)]   „Ein kostspieliges Vergnügen“, kommentierte Levrier dies ungerührt. „Jeden Lebenspunkt wert“, hielt Zed dagegen und schnippte mit dem Finger, „Tributbeschwörung! Bringe die Kälte, [Demigod Of Eternal Winter, Northgrimm]!“ Hinter Zed schoss eine riesige Säule aus massivem Eis hervor, in welche zwei der flackernden Flammen verschwanden. Dies brachte das Gebilde zum Zerbersten und offenbarte den darin eingeschlossenen, bärtigen Riesen mit seiner Eisaxt. Sein himmelblauer Umhang war von einem leichten Nebel umgeben. Zed flog rückwärts zu ihm und ließ sich sitzend auf seiner Schulter nieder.   Demigod Of Eternal Winter, Northgrimm [ATK/3000 DEF/2500 (10)]   Von ihrer hohen Position aus zeigte sie auf Levrier. „Waren seine Tribute Spielmarken, friert Northgrimm alle Karten meines Gegners ein und annulliert ihre Effekte. Dies betrifft auch Wertveränderungen! Aura Freeze!“ Der mächtige Wikinger öffnete seinen Mund und hauchte daraus einen nebligen Odem, welcher das gesamte Spielfeld mit Eis überzog und Levriers Monster darin einschloss. Jener nahm es gelassen und erwiderte geradezu schnippisch: „Hätte ich das gewusst, hätte ich einen Schal mitgenommen.“   Heroic Champion – Gandiva [ATK/3100 → 2100 DEF/1800 {4} OLU: 1] Heroic Challenger – War Hammer [ATK/5000 → 2100 DEF/1300 (6)]   Wie sie da auf der Schulter des Riesen saß und auf Levrier herabsah, wirkte Zed wahrlich wie eine Göttin. Einer solchen gleich, ließ sie ihre Hand sinken, als wolle sie sie ihrem Gegner reichen. Doch ihre Worte spiegelten das genaue Gegenteil wider. „Northgrimms zweiter Effekt: Ich biete eine Spielmarke an und darf dafür in diesem Zug ohne Tribut beschwören.“ „Dann heißt das bestimmt, dass gleich eine Karte folgen wird, die dich noch ein Monster rufen lässt, Undying“, mutmaßte Levrier. Aber ihr scharfer, hochmütiger Tonfall sollte ihn eines Besseren belehren. „Falsch, jene Karte wurde längst gespielt. [Divine Sacrifice] erlaubt eine zusätzliche Normalbeschwörung. Und nun erscheine, [Demigod Of Rising Currents, Albion]!“ Northgrimm streckte seine Hand nach der einzelnen Seelenflamme aus und ließ sie über seiner Handfläche verharren. Er verleibte ihr seinen eisigen Hauch inne und ließ sie aufsteigen. In der Luft begann sie regelrecht zu gleißen, je zwei Flügelpaare zu jeder Seite wuchsen aus ihr, während sie sich verformte und einen länglichen Körper bildete. Aus diesem wuchsen zwei Adlerköpfe, deren pupillenlose Augen in die Ferne starrten.   Demigod Of Rising Currents, Albion [ATK/2600 DEF/2900 (10)]   „Nun greift an!“, befahl Zed und zeigte erbarmungslos mit dem Finger auf die gefrorenen Monster ihres Gegners. Northgrimm holte mit seiner Axt aus und zerschmetterte War Hammer. Zeitgleich spreizte Albion seine Schwingen und schoss von ihnen hunderte spitze, weiße Federn ab, die Gandiva und sein Ross durchbohrten. Eissplitter und verstreute Federn schlugen Levrier entgegen und beim ersten Kontakt wurde dieser von einer heftigen Explosion heimgesucht.   [Levrier: 2500LP → 1100LP / Zed: 2600LP]   Doch als der Rauch verflog, stand Anyas Freund noch immer völlig unbeschadet da. Zed zischte ärgerlich ob ihres scheinbar erfolglosen Angriffs. „Wie kann das sein …?“ „Du wirst dir etwas anderes ausdenken müssen, fürchte ich.“ „Dazu besteht kein Anlass, schließlich bist du es, der mit dem Rücken zur Wand steht!“ Energisch nahm sie ihre letzte Handkarte und legte sie in ihre sichelförmige Duel Disk ein. „Zug beendet.“ Vor den Füßen Northgrimms materialisierte sich jene Karte.   Als hätte er alle Zeit der Welt, zog Levrier seelenruhig seine nächste Karte und studierte sie eingehend. Eines hatte er inzwischen erkannt: Er konnte nicht länger einen direkten Konfrontationskurs mit seinen Monstern fahren. Zwar waren diese Experten, was Kämpfe anging, doch gegen die schiere Masse an hochstufigen Monstern, die Zed zu beschwören imstande war, konnten sie auf Dauer nichts ausrichten. Eine andere Strategie musste her. „Ich beschwöre [Heroic Challenger – Chakram Master]“, verkündete er daher. Die Karte, die er auf seine Duel Disk legte, offenbarte sich vor ihm als orientalisch angehauchter Krieger in dünnem, rotem Stoff. Nicht nur verhüllte ein Schleier seinen Mund, auch befanden sich auf seinem Rücken zwei klingenbesetzte Ringe.   Heroic Challenger – Chakram Master [ATK/1800 DEF/500 (4)]   Nach jenen griff er schließlich auch und zückte sie. Ganz Levriers Befehl entsprechend. „Greife [Demigod Of Eternal Winter, Northgrimm] an!“ Zed erschrak lauthals, als das Monster ihres Gegners wie ein Diskuswerfer ausholte und seine Klingen nach ihr und ihrem Halbgott warf. „Ganz egal, was du vorhast, ich lasse es nicht zu!“, rief sie aufgeregt und schnippte mit dem Finger, woraufhin die gesetzte Karte weit unter ihr aufsprang. „[Chains Of Immortality]! Sie verhindert einmal pro Zug, dass das ausgerüstete Monster, sofern es mindestens Stufe 10 erreicht hat, zerstört wird!“ Die auf der Falle abgebildete, goldene Kette schoss aus der Karte und richtete sich steil nach oben, wobei sie sich immer wieder um den Oberkörper Northgrimms wand, ehe sie bei Zed ankam, die ihrerseits den rechten Arm ausstreckte und jenen ebenfalls umwickeln ließ. „Mir schwebt nichts dergleichen vor“, kommentierte Levrier die Befürchtungen seiner Gegnerin. Wie kreisende Sägeblätter flogen Chakram Masters Ringe auf ihr Ziel zu. Eine schlitzte eine tiefe Wunde in den Arm des Riesen, die zweite zischte knapp an Zeds Wange vorbei ins Leere.   [Levrier: 1100LP / Zed: 2600LP → 1400LP]   „Ich habe Schaden genommen!?“, schoss es aus jener, nachdem sie dies bemerkte. „Was für ein Trick ist das!?“ „Das solltest du doch längst erkannt haben. Wenn Chakram Master angreift, wird er nicht zerstört und mein Feind trägt den Kampfschaden.“ Mit der Duel Disk an seinem Arm vor sich gerichtet, sagte Levrier: „Wenn ich deine Monster nicht besiegen kann, richte ich ihre Stärke gegen dich. Und nun sieh zu, wie du dagegen vorgehen willst. Zug beendet.“   Einen selbstgefälligen Zischlaut von sich gebend, riss Zed eine Karte von ihrem Deck. „Simpel! Ich werde dein Monster angreifen, dann kann es seinen Effekt nicht aktivieren! Battle Phase! Dies wird dein Ende!“ Wütend schwang sie den Arm aus, zeigte auf [Gem-Knight Pearl]. „Angriff! Löscht sein Monster und seine restlichen Lebenspunkte aus!“ Der zweiköpfige Vogel Albion spreizte seine Schwingen, während Northgrimm mit der Axt ausholte. Beide wurden zeitgleich von etwas in den Rücken getroffen und stockten, wobei Zed beinahe von der Schulter des Riesen geworfen wurde. Laut surrend kehrten die Chakrams zu ihrem Besitzer zurück, welcher jene auffing und wieder hinter seinem Rücken verstaute. „Ich fürchte, das war die falsche Herangehensweise“, tadelte Levrier sie mit erhobenem Zeigefinger, „sobald [Heroic Challenger – Chakram Master] durch seinen Effekt Schaden zufügt, können sämtliche zu diesem Zeitpunkt anwesende Monster meines Gegners in dessen nächstem Zug nicht angreifen. Du hättest nicht so voreilig sein dürfen, Undying.“ „Wenn du denkst, mich überlistet zu haben, irrst du dich“, zischte die und streckte den Arm mit der goldenen Kette um ihr Handgelenk hervor, welche auch um Northgrimm gewickelt war. „Ich benutze den Effekt von [Chains Of Immortality]. Damit kann ich einen Wert des ausgerüsteten Monsters auf 0 setzen und die Hälfte davon meinem Leben hinzufügen.“ Der riesige, weiße Wikinger schrie kurz darauf schmerzerfüllt auf, als violette Entladungen von der Kette ausgehend ihn zu peinigen begannen. Jene krochen hoch hin bis zu Zed, in welche die Stromstöße ohne Schaden anzurichten verschwanden.   Demigod Of Eternal Winter, Northgrimm [ATK/3000 DEF/2500 → 0 (10)]   [Levrier: 1100LP / Zed: 1400LP → 2650LP]   „So macht man sich keine Freunde“, bemängelte Levrier. Zed hingegen zeigte ihre weißen Zähne, bevor sie den Arm zur Seite ausschwang. „Ich brauche nichts dergleichen! Undying haben zu funktionieren, mehr nicht! Effekt von [Aura Dominion] aktivieren! Ich beschwöre drei Spielmarken, indem ich die oberste Deckkarte ablege.“ Sie zog jene und schob sie in ihren Friedhofsschlitz. Über ihr und dem Riesen flammten drei weiße Kugeln auf.   „Soul Aura“-Spielmarke x3 [ATK/0 DEF/0 (1)]   Zwei davon lösten sich aber augenblicklich auf. So rief Zed: „Nun die Effekte von [Demigod Of Rising Currents, Albion] und [Demigod Of Eternal Winter, Northgrimm]!“ Als Erstes kam der zweiköpfige, weiße Riesenvogel zum Zug. Seine goldenen Schnäbel öffneten sich und zusammen sangen sie im Chor eine helle Melodie, die die gesamte Umgebung scheinbar zum Vibrieren brachte. „Albions Effekt, Aura Disharmonia, wird dafür sorgen, dass das nächste Monster, das du beschwörst, automatisch zerstört wird. Bedingung hierfür ist, dass ich zuvor ein sich auf dem Feld befindendes zerstöre und das neue Monster dieselbe Stufe besitzt.“ Damit schnippte Zed mit dem Finger. „Und Northgrimms Effekt kennst du bereits.“ Levrier verschränkte die Arme. „Monster ohne Tribut zu beschwören.“ „Korrekt! Daher lasse ich jetzt ihn erscheinen“, schrie Zed und knallte das Monster auf ihre Duel Disk, „[Demigod Of Ravaging Sea, Bismarck]!“ Unter lautem Geheul formte sich neben Albion eine gut anderthalb dutzend Meter lange Kreatur, von relativ flacher Gestalt. Einem Pottwal nicht unähnlich, schwebte die weiße Gottheit ohne erkenntliche Gesichtsmerkmale mit ihren dutzenden Flossen in der Luft. In ihrem Rücken waren riesige, blaue Edelsteine eingelassen, die zusammen ein kreisförmiges Muster ergaben.   Demigod Of Ravaging Sea, Bismarck [ATK/2800 DEF/2200 (10)]   Zed streckte den Finger aus. „Ich benutze sofort seinen Effekt! Durch das Opfern einer Spielmarke kann ich eine zweite Battle Phase durchführen, wenn auch ohne die Möglichkeit direkter Angriffe. Aura Dominance!“ Der Riesenwal gab ein regelmäßiges Klickgeräusch von sich, welches sich optisch als Schallwellen widerspiegelte. Als jene die Flamme über Zed erreichten, lösten sie sich mit ihr auf. „Greife [Heroic Challenger – Chakram Master] an!“, befahl jene aufgebracht. Da nur Bismarck nicht von dessen Effekt betroffen war, konnte auch nur er agieren. Was er auch tat, denn plötzlich riss die gesamte vordere Front seines Körpers auf und offenbarte einen Schlund, der bis zur Hälfte seines Torsos reichte. Aus diesem ließ er einen ganzen Wasserfall auf Levriers Monster los, welches in der reißenden Strömung, die dabei entstand, weggerissen wurde.   [Levrier: 1100LP → 100LP / Zed: 2650LP]   „Effekt Bismarcks!“, verkündete Zed. „Wird in der zusätzlichen Battle Phase ein Monster zerstört, muss sein Besitzer entsprechend seiner Stufe eine Anzahl von Deckkarten ablegen! In der Hoffnung, es mögen deine besten sein, Feind der ewigen Ordnung!“ Als die Flut verebbte, stand Levrier einmal mehr unberührt auf demselben Fleck und hob die obersten vier Karten seines Decks ab. Es waren [Reinforcement Of The Army], [Heroic Challenger – Spartan], [Heroic Gift] und [The Warrior Returning Alive]. Er sagte: „Keine Einzelkarte kann je besser sein als eine andere, wenn die Situation es nicht zulässt. Genau wie ein Lebewesen nie über einem anderen stehen sollte.“ Damit führte er die Karten seinem Friedhof zu. „Sind das tatsächlich die Worte desjenigen, der sein Gefäß opfern wollte, um Eden zu werden?“ Zed reckte das Kinn nach oben. „Heuchelei. Und Naivität noch dazu. Eine Rangfolge bedeutet Struktur, Ordnung.“ Levrier sah in seiner ausdruckslosen Form zu ihr hinauf. „Auch ich glaubte das einst, ehe meine Zeit mit Anya Bauer mich eines Besseren belehrte. Es sind nicht die, die in der Hierarchie ganz oben stehen, die Großes vollbringen. Es sind die in den unteren Kasten. Und warum? Weil sie nicht alleine sind.“ „Wieso erzählst du mir das?“, wollte Zed skeptisch wissen. „Weil du als Teil der obersten Kaste außer Arroganz keine nennenswerten Eigenschaften besitzt“, erwiderte Levrier scharf, „weil du alleine bist. Das Wort Undying allein löst in mir keine Furcht aus und weil das so ist, bist du machtlos.“ Die Schwarzhaarige schüttelte den Kopf. „Zusammenhangslose Gedankengänge! Urteile nicht über das, was du nicht verstehst. Kümmere dich lieber um deinen Zug, denn der meine ist beendet!“   Levrier zog. Es stimmte, es waren zusammenhangslose Gedankengänge. Was wohl daran lag, dass es so vieles gab, was er Zed mitteilen wollte. Sie begriff nicht, in welcher Lage sie sich befand und versteifte sich darauf, eine Undying und damit automatisch unantastbar zu sein. Über allen anderen zu stehen und das Recht zu besitzen, Anya Bauer zu töten. Wie falsch sie damit lag. Und wie naiv sie war zu glauben, dass es so leicht werden würde. Wie blind sie war, nicht die Armee hinter Anya Bauer zu sehen. Ihre Freunde, die im Falle des Falles nicht mit Gegenwehr zögern würden. Und von all jenen ist Zed an den schlimmsten von allen geraten, ohne es zu ahnen.   „Draw“, verkündete Levrier besonnen und überlegte noch einmal. Sie fühlte sich überlegen, dabei hatte sie den Zenit ihres Potentials unwissentlich überschritten. Doch noch konnte Levrier ihr dies nicht beweisen. An ihre Worte zurückdenkend, bezüglich Albions Effekt, wusste Anyas ehemaliger Paktpartner, dass das Vogelwesen ein Problem darstellen würde. Chakram Master war Stufe 4 gewesen, was bedeutete, dass sein nächstes Stufe 4-Monster unweigerlich verenden würde. Und da Zed den Zeitraum des Effekts nicht eingegrenzt hatte, galt jener vermutlich solange, bis er ausgelöst wurde. Er stand also unter Zugzwang. „Glücklicherweise habe ich dieses Monster. Ich beschwöre [Heroic Challenger – Night Watchman].“ Jenen legte Levrier auf seine Duel Disk und ließ gleich die Hand über der Karte verharren. Denn sofort als der dunkle, in violettem Mantel gehüllte Krieger erschien und seine Laterne anhob, schwang Zed den Arm aus.   Heroic Challenger – Night Watchman [ATK/1200 DEF/300 (4)]   „Damit hast du den Effekt von [Demigod Of Rising Currents, Albion] ausgelöst! Aura Disharmonia!“ Die beiden Augenpaare des Vogels begannen blau aufzuleuchten, als jener sich zu krümmen begann. Es war, als würde ein Krampf seinen ganzen Körper heimsuchen. Dann zuckte er zusammen und für einen Sekundenbruchteil schoss jenes Glühen regelrecht aus seinen Augen heraus. Im selben Augenblick zerplatzte Levriers Monster in tausende blauer Funken. „Gut, damit setze ich meine letzte Karte und gebe an dich ab“, sagte Levrier und ließ die Falle vor sich erscheinen.   Zed zog umgehend auf und betrachtete ihre einzige Handkarte. Dann keuchte sie ärgerlich. „Das war zu erwarten gewesen.“ Levriers Worte ließen sie aufhorchen. „Nun, da du drei Monster kontrollierst, sind nicht mehr genug Zonen frei, um neue Spielmarken zum Opfern zu beschwören“, führte der seinen Gedanken fort. „Natürlich könntest du jetzt zwei deiner Monster als Tribut für die Beschwörung anbieten, doch dies löst den Primäreffekt deines Monsters nicht aus, da sie keine Spielmarken sind.“ Während sie das hörte, drückte sie die Karte zwischen ihren Fingern zusammen. Levrier wusste, dass sie einen weiteren Demigod nachgezogen hatte. „Du hast dein Potential ausgeschöpft, Undying.“ „Und es ist mehr als genug, dich endgültig loszuwerden!“, fauchte sie aufgebracht und schwang den Arm aus. „Ich befehle dir, ihn direkt anzugreifen, [Demigod Of Ravaging Sea, Bismarck]!“ Der fliegende, weiße Riesenwal öffnete erneut sein Maul und ließ einen ganzen Wasserfall von dort auf Levriers Spielfeld niederregnen. Jener verschwand in der Flut. „[Pinpoint Guard].“ Mitten in der ihn überragenden Strömung stehend, ließ er seinen Arm über die Falle fahren, die daraufhin aufsprang. Und aus ihr kam ein kleinwüchsiger Krieger in grünem Mantel gesprungen, der sich schützend vor seinen Besitzer positionierte.   Heroic Challenger – Ambush Soldier [ATK/0 DEF/0 (1)]   Wie ein Fels in der Brandung ließ dieser sich nicht fortspülen, was zur Folge hatte, dass Bismarck seinen Angriff schließlich unverrichteter Dinge beendete. „Hartnäckig!“, zischte Zed. „Genau wie das Mädchen!“ „Wie bereits erwähnt, hast du dir die falschen Gegner ausgesucht. Und auch mein wiedergeborener Ambush Soldier wird dir nicht viel Freude bereiten, denn in diesem Zug ist er unzerstörbar.“ Zed erhob sich aus ihrer sitzenden Position und stand nun auf Northgrimms rechter Schulter. Dessen Karte drehte sie wortlos auf ihrer Duel Disk in die Horizontale. Dann schnippte sie mit dem Finger, woraufhin abermals violette, elektrische Ladungen die goldene Kette entlang fuhren, welche sie mit ihrem Riesen verband. Jener stöhnte und knurrte, als er langsam in die Knie sackte. Die Stromstöße indes schossen zurück zu ihrer Auslöserin und verschwanden in ihrem Handgelenk.   Demigod Of Eternal Winter, Northgrimm [ATK/3000 → 0 DEF/0 (10)]   [Levrier: 100LP / Zed: 2650LP → 4150LP]   „Du schwächst dein Monster weiter mit [Chains Of Immortality], nur um ein paar Lebenspunkte zu erhalten?“, erkundigte sich Levrier. Seine Gegnerin rümpfte die Nase, hielt Northgrimm an der goldenen Leine wie einen Hund. „Seine Dienste als Krieger werden nicht länger von mir benötigt. Dementsprechend nützen mir seine Punkte am meisten, wenn ich sie meinem Leben hinzufüge. Außerdem ist er immer noch einmal pro Zug unzerstörbar.“ Levrier nickte knapp. „Damit hast du ihn aber all seiner Kraft beraubt. Aber du wirst wissen, was das Richtige für dich ist, Undying.“ „Ich weiß, was das Richtige ist und bin unlängst im Begriff, es in die Tat umzusetzen. Zugende!“   Levrier schloss die Augen, als er die Finger an sein Deck legte. Der nächste Zug könnte womöglich alles entscheiden. Als er zog, riss er sie weit auf und betrachtete die Karte in seiner Hand. Dann sah er herüber zu Zed und ihren Monstern. Dabei trafen sich sein und Northgrimms Blick. Die weißen, ausdruckslosen Augen zogen Levrier ungewollt in ihren Bann. Sie starrten einander an, als würden sie ein stummes Gespräch miteinander führen. Levriers blaue Augen, die nicht weniger leblos anmuteten, begannen sich in ein helles Rot zu verfärben. Aus den Augenwinkeln begann er erst Bismarck, dann Albion zu betrachten. Und kam unerwartet zu einem Schluss, während er mit der Hand seines herabhängenden, rechten Armes eine Faust bildete. „… unverzeihlich.“ Mit für ihn ungewohntem Eifer schwang er den Arm aus und brüllte förmlich: „Ich aktiviere [Heroic Challenger – Ambush Soliders] Effekt und beschwöre zwei Heroic-Monster von meinem Friedhof als Spezialbeschwörung, indem ich ihn als Tribut anbiete!“ Jener warf eine Rauchbombe vor sich auf den Boden und verschwand darin. Aus ihr tauchten der dunkle Krieger mit der Laterne in der Hand und ein Kämpfer, wie man ihn am ehesten in einem Kolosseum erwarten würde: Bewaffnet mit Rundschild und Speer, lag ein roter Umhang um seine Schultern.   Heroic Challenger – Night Watchman [ATK/1200 DEF/300 (4)] Heroic Challenger – Spartan [ATK/1600 DEF/1000 (4)]   Levrier hob die geballte Faust. „Das ist also deine wahre Natur, Undying!? Dafür werde ich dich nicht gehen lassen können, Zed!“ Die schwarzhaarige Frau, wie sie auf der Schulter ihres Monsters stand und es wie einen Hund an der Leine hielt, sah geradezu abfällig auf ihren Gegner herab und schwieg. Dies provozierte Levrier nur umso mehr, sodass er den Arm wutentbrannt nach oben riss. „Ich erschaffe das Overlay Network!“ Jenes entstand auch über ihm als Schwarzes Loch, während dunkle Wolken über den pinken Traum aus einer anderen Welt zogen und die vier Sonnen zu verdecken begannen. „Aus meinen Stufe 4-Kriegern wird ein Rang 4-Krieger!“ Spartan und Night Watchman verwandelten sich in braune Energiestrahlen, die über Levrier in die Höhe schossen und vom Überlagerungsnetzwerk absorbiert wurden. Sowohl aus diesem, als auch aus den Wolken am Himmel begannen Blitze niederzugehen. „Xyz Summon! Schlage sie nieder, [Heroic Champion – Excalibur]!“ Einer der Blitze aus dem schwarzen Strom schlug direkt vor Levrier ein. Im Hintergrund donnerte es, das Feld wurde für einen Sekundenbruchteil in nahezu vollständige Dunkelheit gehüllt. Ein Schatten stand vor Levrier, viel größer als er selbst. Selbst jetzt konnte man die Silhouette des langen, breiten Schwertes erspähen, das Excalibur in der rechten Hand hielt. Dann schwand das Dunkel und erlaubte es Zed, einen Blick auf Levriers letzte Hoffnung zu werfen.   Heroic Champion - Excalibur [ATK/2000 DEF/2000 {4} OLU: 2]   Zwei Energiekugeln umkreisten jene. Silberschwarz war die Rüstung an Bauch und Beinen des Kriegers, überall sonst metallisch-rot. Spitz wie sie waren, ragten die Schulterplatten in die Höhe, genau wie ein goldener Stern am Helm des Kriegers. „Das ist das Ende!“, rief Levrier und streckte dabei den Arm nach seiner Kreatur aus. „Ich benutze Excaliburs Effekt und verdopple seine Angriffspunkte im Gegenzug für sein Xyz-Material!“ Sein Ritter streckte die legendäre Waffe und seinen Namensgeber in die Höhe und ließ unter tosendem Donner einen Blitz und die beiden Lichtsphären in sie einschlagen.   Heroic Champion - Excalibur [ATK/2000 → 4000 DEF/2000 {4} OLU: 2 → 0]   „Das wird nicht reichen!“, widersprach Zed herrisch. „Leider irrst du dich, Undying!“ Levrier rammte seine letzte Karte in die Duel Disk. „Denn ich aktiviere [Heroic Chance] und verdopple Excaliburs Wert ein weiteres Mal!“ Das Abbild der Karte, die Levrier schon einmal während des Duells benutzt hatte, sprang vor ihm auf. Sein Krieger streckte den anderen Arm ebenfalls in die Höhe und ließ in seiner Hand ein rötliches Abbild seines Schwertes erscheinen.   Heroic Champion - Excalibur [ATK/4000 → 8000 DEF/2000 {4} OLU: 0]   Levrier richtete den Zeigefinger auf Zed. „Vernichte sie! Double Shock Sword Slash!“ Wie ein Pfeil schoss sein Monster quer durch die Luft, den drei riesigen Halbgöttern entgegen. Dabei schwang er seine Schwerter mehrere Male vor sich aus und schleuderte damit auf alle drei von ihnen blitzende, kreuzförmige Schockwellen. Zed keuchte erschrocken, als sie die Attacken auf sich zukommen sah. Zuerst wurde Albion zerfetzt, anschließend der fliegende Wal Bismarck. Und zuletzt wurde Northgrimm getroffen. Die Kette, welche ihn mit Zed verband, brach dabei auseinander. Die Explosion direkt unter ihren Füßen schleuderte die schreiende Undying fort.   [Levrier: 100LP / Zed: 4150LP → 0LP]   Im hohen Bogen flog sie durch die Luft, während sich das Spielfeld drastisch veränderte. Das rosafarbene Nebelfeld löste sich auf und transformierte sich zurück zu Anyas innerer Zuflucht, dem Mosaik der Erde. Auf diesem schlug Zed auf und rutschte über es hinweg weiter bis an den Rand des von Dunkelheit umgebenen Elysions. Stöhnend blieb sie liegen. Derweil ertönte das klackende Geräusch von Stiefeln über dem Mosaik. Zed richtete sich schließlich auf, erhob sich aus der Hocke, doch schwankte nur einen Moment, ehe sie wieder in die Knie sank. Erschöpft keuchte sie: „Wie kann das sein!? Ich bin eine Undying!“ Sie schrie auf, als Levrier direkt vor ihr erschien und mit seiner rechten Hand ihren Kopf packte. Mühelos riss er sie vom Boden, hielt sie in die Höhe. „Vielmehr bist du eine Närrin“, flüsterte er, „lass mich dir erklären, dass in diesem Übergang zwischen materieller und immaterieller Welt andere Gesetze gelten, in welcher die Macht des Körpers keine Rolle spielt. Darauf habe ich dich mehr als einmal hingewiesen.“ Sie zappelte wild und versuchte sich zu befreien, doch war sie Levrier nicht gewachsen. „Die Unsterblichkeit des Körpers ist nicht gleichzusetzen mit der des Geistes. Allein jener befindet sich in diesem Moment in Anya Bauers Elysion.“ „Was willst du mir damit mitteilen!?“, presste Zed angestrengt hervor. Plötzlich begann Levriers Hand, die ihren Kopf festhielt, hellviolett aufzuleuchten. „Dass ich diesen nur zerstören muss, um Anya Bauer zu retten.“ Wie Elektrizität in einem Stromkabel zischten bunte Energien von Levriers Körper direkt in den Kopf der Undying, die schmerzerfüllt aufschrie. Immer wilder strampelte sie, ohne aber etwas damit zu erreichen. „Du hast den größten Fehler begannen, den jemand wie du begehen kann“, setzte der weiße Ritter seine Ansprache inzwischen seelenruhig fort, „du hast die sichere Wiege der materiellen Welt verlassen und bist hierher gekommen, wo ich am stärksten bin.“ „Ahhhhhh!“ „Und dafür wird deine Seele ausgelöscht werden!“   Levriers ganzer Körper begann aufzuleuchten, überall aus dem zersplitterten Elysion kamen kleine Partikel geflogen, die er absorbierte. Er wusste, dass das, was er gerade tat, nur aus einem Grund möglich war. Etwas, das er erst jetzt begriff: Anya Bauer. Es waren ihre Kräfte, derer er sich bediente. Die Conqueror's Soul, welche es ihm immer öfter ermöglichte, das Schicksal für sie zu manipulieren, ohne dabei selbst Schaden zu nehmen. Etwas wuchs in Anya heran, verlieh ihr ungeheure Machte und sie selbst ahnte es nicht einmal. Zeds Gegenwehr wurde schwächer, ebenso ihr Schrei. Sobald ihr Bewusstsein ausgelöscht war, war ihr Körper nur noch eine leere Hülle. Und dann …   Er spürte es. Ein eisiger Windhauch und etwas, das nur wenige Millimeter von seinem Nacken entfernt war. Die Spitze einer Klinge. „Wie es aussieht, haben wir einen weiteren Gast“, sagte Levrier unbesorgt und sah über seine Schulter. Dort stand er, hielt sein Breitschwert mit einer Hand, jener zwei Meter große Hüne in seiner gold-silbernen Plattenrüstung und dem roten Umhang – Ricther. Der aus roten Federn bestehende Kamm an seinem maskenbesetzten Helm wippte leicht hin und her. „Ich bin gekommen, um Zed zu holen.“ Jene rührte sich mittlerweile nicht mehr, war verstummt. „Im letzten Moment. Vorbildlich.“ Damit wirbelte er um und schleuderte ihren leblosen Körper in Ricthers Richtung. Jener ließ sein Schwert fallen und fing die Schwarzhaarige mit beiden Händen auf, sackte in die Knie. Levrier drehte sich vollends zu den beiden Undying um. „Und? Suchst du auch den Kampf?“ „Nein, nicht heute. Beide Parteien sollten sich um ihre Verwundeten kümmern.“ „Weise Worte“, lobte Levrier, „ich bin damit einverstanden.“ Sich erhebend, drehte sich Ricther mit Zed in seinen Armen um. „Missverstehe dies nicht für Feigheit. Sicherlich spürst du, dass ich eine weitaus größere Herausforderung darstelle als sie.“ [Gem-Knight Pearl] verschränkte die Arme. „Keine, vor der ich mich fürchte. Nicht hier.“ Der Undying schritt vorwärts. In der Mitte des Elysions öffnete sich ein Portal aus schwarzer Energie, in der sich die Umgebung verzerrt widerspiegelte. Kurz vor ihm blieb Ricther stehen. „Was sie getan hat, war entgegen meiner Order. Sie hat ihre gerechte Strafe dafür erhalten und nur deshalb verzichte ich darauf, diesen Kampf fortzusetzen. Ich kann nur betonen, was ich bereits Anya Bauer ans Herz gelegt habe.“ „Und das ist alles?“, fragte Levrier skeptisch. „Jetzt, wo es ein Leichtes für dich gewesen wäre, sie in der materiellen Welt hinzurichten, während ich mit Zed beschäftigt war?“ „Es hätte ihre Seele zerstört.“ „Wäre es das nicht wert gewesen?“ Ricther zögerte. „Nein.“ Dann trat er durch das Portal, verschwand. Levrier sah ihm ausdruckslos hinterher.   ~-~-~   Als er selbst Anyas Elysion verließ und sich an ihrer Seite materialisierte, sah er sie inzwischen halb zusammengesackt am Geländer der Brücke hängen. Erschöpft keuchte sie und starrte ins Leere, aber zumindest befand sie sich auf der richtigen Seite und atmete noch.   Kannst du mich hören, Anya Bauer?   „Mir geht’s gut“, nuschelte sie entgegen ihrer erschreckenden Blässe. „Endlich sind diese beschissenen Stimmen weg …“   Es tut mir leid, dass ich nicht mehr tun konnte. Wäre Ricther nicht aufgetaucht, dann …   Langsam zog Anya sich an dem Geländer hoch. Dabei erwiderte sie teilnahmslos: „Ist jetzt eh nicht mehr zu ändern. Danke für deine Hilfe … ich hab alles mit angesehen, sie wollte mir … zeigen, wie sie dich vernichtet … Bist du okay?“ Levrier nickte. Damit drehte sie sich um und blickte in die Ferne, über den Fluss hinweg in das Abendrot. Eine Weile schwiegen sie. Jene Stille wurde erst durchbrochen, als Anya schwer seufzte. „Glaubst du, die Undying haben mein Deck?“ Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht war das der Grund, warum Zed in dein Elysion eindringen konnte? Die emotionalen Schwankungen durch deinen Verlust haben dich angreifbar gemacht.   Betrübt fragte Anya: „Aber du glaubst nicht, dass sie es wirklich waren, nicht wahr? Dass dieses Zed-Miststück sich als Reporterin getarnt hat.“ Die Möglichkeit besteht und ergibt sogar Sinn, denn so hätten sie die Artefakte wieder in ihrer Hand. Aber mein … Bauchgefühl sagt mir, dass sie unschuldig ist und nur zur rechten Zeit am rechten Ort war.   Anya ließ ihre Arme auf dem Geländer niedersinken und legte dann den Kopf auf sie. „Was auch immer. Wenn sie mir nochmal über den Weg läuft, kriegt sie ein paar aufs Maul.“ Wie sie es so sagte, träge, lustlos, konnte man schwerlich glauben, dass es Anya war, die diese Worte gesprochen hatte.   Ich verspreche dir, du wirst dein Deck zurückbekommen.   „Yeah …“ Levrier betrachtete das Mädchen still, wie es sich nicht mehr rührte und in die Ferne starrte. Hinter ihr schossen die Autos nur so über die Brücke. Schließlich löste Levriers Avatar sich auf.   Die Wahrheit ist, ich weiß nicht, wie ich dieses Versprechen einlösen soll. Wie so vieles, das ich gerne für dich tun würde, aber nicht kann.   Das Mädchen richtete sich auf. „Wovon redest du?“   Anya Bauer, ich … ich …   Ihre halb geöffneten Augen hoben die Lider bis zum Anschlag. Sie hatte Levrier noch nie so zögerlich erlebt, was allein Grund genug war, sich Sorgen zu machen. „Was?“   Ich sehne mich nach einer eigenen Identität. Einem Körper.   Das Mädchen öffnete langsam den Mund. Er dauerte zunächst einen Moment, bis sie diese Information aufgenommen und verarbeitet hatte. Was das nächste Problem mit sich brachte: Was zur Hölle sollte sie darauf erwidern? „'kay …?“   Nachdem Zed geschlagen war, habe ich nicht versucht, sie zu versiegeln. So, wie wir es ursprünglich besprochen hatten. Ich wollte ihre Seele auslöschen und ihren Körper als Gefäß benutzen. Das war von Anfang an mein Plan für die Undying.   Anya wirbelte mit dem Rücken zum Geländer. Da [Gem-Knight Pearl] nicht mehr da war, sah sie automatisch nach oben, wie sie es immer tat, wenn Levrier keine sichtbare Form angenommen hatte. „Du wolltest was!?“   Es tut mir leid, dass ich dir das verschwiegen habe. Es ist … mir unangenehm. Aber auch wenn Ricthers Eingriff mich unterbrochen hat, so fürchte ich, wären meine Bemühungen vermutlich vergebens gewesen. Ich denke nicht, dass es eine Möglichkeit für mich gibt … ein Mensch zu sein.   Anya schüttelte nur den Kopf und fasste sich dabei an die Stirn. Was hatte dieser Idiot bloß für verrückte Ideen? Einer Undying den Körper stehlen? Das war so verrückt, dafür verdiente er eigentlich einen Orden! Auch wenn Anya verstand, warum es ihm unangenehm war, denn für dieses Vorhaben müsste er ein anderes Leben auslöschen. Und auch wenn er, als er noch unbedingt Eden werden wollte, notfalls nicht davor zurückgeschreckt wäre, war es doch nicht seine Art. So vermutete sie, dass das der Grund war, warum er es nicht konnte – weil sein Gewissen ihn daran hindern würde. Sie ließ den Kopf hängen und strich sich mit der Hand über die linke Gesichtshälfte. „Du bist wirklich bescheuert, Levrier. Aber …“ Sie sah auf, während die Finger ihr Auge verdeckten. „... wenn du einen Körper willst, wirst du auch einen kriegen. Dafür sorge ich schon, irgendwie, irgendwann.“   … ich befürchte, Zeds Angriff hat deinem Verstand doch ernsthaften Schaden zugefügt. Du machst mir Angst, Anya Bauer. Was du gerade gesagt hast, war geradezu liebenswürdig.   „Tch, ich will nur, dass du einen eigenen Körper hast, damit du auch mal anderen auf den Sack gehen kannst! Mehr nicht!“ Doch ihr schelmisches Grinsen verriet sie und zu Anyas eigener Überraschung störte sie das auch gar nicht. „Und mach dir keine Sorgen um mein Deck! Ich werde einfach Nick auf diese Schlampe hetzen, egal ob sie nun diese Zed war oder jemand anderes“, verkündete sie mit neugewonnenem Mut, „und wenn er sie gefunden hat, werde ich ihr erst Angel Wing in den Arsch rammen und dann solange mit Heavy T auf sie einkloppen, bis wir'n Schnitzel aus ihr machen können!“   Klingt vielversprechend.   „Darauf kannst du wetten!“ Damit drehte Anya sich zum Gehweg um. „Und jetzt ab zum Hotel, wir haben noch viel zu tun!“ Was Anya in ihrer Euphorie verdrängt hatte: Bis zum Hotel war es ein ganzes Stück und sie nach wie vor pleite. Dies begreifend, begann sie loszurennen. Und zu schimpfen.   Völlig unbemerkt von den beiden standen zwei Personen auf dem Torbogen der Brücke, nicht weit von Anya entfernt und verfolgten das Gespräch. Der riesige Ricther stützte die kleinere Zed, indem er seinen Arm um ihre Hüfte gelegt hatte und sie an sich geschmiegt hielt. „Es tut mir leid“, murmelte jene reumütig, „ich weiß, ich habe gegen meine Anweisungen gehandelt. Aber ich musste. Wenn das so weiter geht …“ Ricther aber schenkte ihr keine Antwort. Stattdessen öffnete sich hinter ihm ein ovales, spiegelndes Schattenportal, in das er mit Zed im Schlepptau verschwand.   ~-~-~   Das Knarzen des Chefsessels wurde von dem Knarren der sich öffnenden Tür übertönt. Nick, gekleidet in einem förmlichen Businessanzug hatte die Beine übereinander auf seinem gläsernen Schreibtisch gelegt und starrte Aiden an, welcher gerade das Büro seines neuen Mitarbeiters betrat. „Wie ich sehe, hast du dich bereits eingelebt“, kommentierte der brünette CEO von Micron Electronics den Anblick schelmisch. Nick winkte ab. „Ach, so schlimm ist es hier gar nicht. Das Essen in der Kantine ist besser als alles, was meine Mutter mir jemals vorgesetzt hat, die Sekretärinnen sind heiß, die Einrichtung und das Equipment kann sich auch sehen lassen.“ Er ließ den Arm ausschweifen, als würde er Aiden das Büro präsentieren, welches eine moderne Glasoptik aufwies. Was zu der riesigen Fensterfront passte, die Nicks Schreibtisch direkt gegenüber lag. „Zumindest würde ich das gerne sagen, aber leider hasse ich dich und damit auch alles, was dir gehört“, fügte Nick geradezu beiläufig an. Was Größe anging, machte es dem seines Vorgesetztem durchaus Konkurrenz, schließlich gab es eine ganze Sitzecke mit Sofa und Tisch auf der gegenüberliegenden Seite. „Ich denke, du wirst deine Meinung diesbezüglich früher oder später ändern“, erwiderte Aiden zuversichtlich, aber ebenso förmlich wie er es immer war. Nicks Ton wurde deutlich härter. „Wenn du nicht hier bist, um mir meine Kündigung auf den Tisch zu legen, dann habe ich dir nichts zu sagen.“ Er machte eine verscheuchende Geste unter einem ebenso eindeutigen: „Und jetzt shoo!“ „Ich muss dich leider enttäuschen. Als mein Angestellter hast du auch Pflichten und die nennen sich Arbeit“, blieb Aiden im Türrahmen stehen, „in einer halben Stunde ist ein Meeting angesetzt. Dort wirst du unseren Auftraggeber kennenlernen. Sei pünktlich. Für Anya.“ Damit schloss er die Tür hinter sich und ließ einen Nick zurück, welcher verärgert die Stirn runzelte. In kindischer Manier rief er Aiden hinterher: „Aber ich bin doch immer so vergesslich!“   Eine halbe Stunde später allerdings stellte sich heraus, dass Nicks Gedächtnis doch zu funktionieren schien. Der junge Mann musste zugeben, doch ein wenig neugierig zu sein. Solange er nicht wusste, was Aidens Pläne für ihn waren, konnte er zumindest jedes bisschen Information nutzen, um seine eigenen zu entwickeln.   Nick saß daher bereits im ansonsten leeren Konferenzsaal, als Aiden schließlich mit dem angekündigten Gast hereintrat. Es war niemand Geringeres als Henry Ford, der einen dicken Aktenordner in den Händen hielt. „Du?“, staunte Henry irritiert. „Du bist … ?“ „Ihr kennt euch?“, wunderte sich Aiden. „Ja“, sagte Nick schnarrend, ohne die beiden anzusehen, „man kann sagen, wir haben viel zusammen erlebt.“ „Die Geschichte musst du mir erzählen“, bat Aiden interessiert und geleitete Henry herein. „Träum' weiter“, kam es als gelangweilte Antwort. „Also, worum geht’s?“ Henry trat zu Nick vor und warf ihm den Aktenordner hin. „Darin ist das Grundkonzept des Spiels, das ich entwickelt habe. Es handelt sich um ein TCG, das den Begriff Virtual Reality neu definieren wird.“ „Du sollst eine tragbare Apparatur entwickeln, mit der man es jederzeit an jedem Ort spielen kann“, fügte Aiden noch hinzu. Nick beugte sich vor, öffnete den Ordner und lachte gehässig. „Oh Gott, du hast nicht gelogen, als du sagtest, du willst einen Duel Monsters-Klon entwerfen.“ „Ein innovatives Konkurrenz-Produkt, das waren meine exakten Worte“, korrigierte Aiden ihn bestimmend, den Brünetten flankierend.   Nick überflog die Akten einen Moment, dann stieß er den Ordner genervt von sich. Henry derweil stand da wie auf einem Begräbnis, angespannt und bemüht, seine Beherrschung zu wahren. „Das ist Schrott“, beurteilte Nick den Versuch des Ford-Sprosses, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen, „viel zu kompliziert. Ich bitte dich, zwei zusätzliche Ressourcen-Systeme für ein Kartenspiel? Versuchs noch einmal. Am besten, du fragst deinen Daddy um Rat.“ „Nein, ich denke, die Idee ist vom Prinzip her sehr gut“, stand Aiden seinem Geschäftspartner bei. „Dann wirst du mir sicher erklären, wie ich all das in ein Gerät packen soll, das in die Hosentasche passt?“, konterte Nick und sah seinem ehemaligen Geliebten dabei über Henrys Schulter hinweg bestimmend in die Augen. „Die Käufer werden mit den ganzen Regeln Schwierigkeiten bekommen. Duel Monsters ist schon keine leichte Angelegenheit. Etwas noch Komplizierteres hat auf dem Markt keine Chance.“ Henry drehte sich unsicher zu Aiden. Dieser stichelte: „Nun, ich wusste nicht, dass unser Chefentwickler auch Ahnung von Wirtschaft hat. Vielleicht sollten Sie das Konzept in der Art etwas ausarbeiten, um es zugänglicher zu machen, Mr. Ford. Was meinen Sie?“ „Ich kann es versuchen“, antwortete Henry merkbar zerknirscht und nahm den Aktenordner wieder an sich. „Aber vorher will ich es den anderen Vorstandsmitgliedern und Sponsoren vorstellen, wenn Sie gestatten.“ Aiden legte ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter. „Natürlich, wenn Sie darauf bestehen. Aller Anfang ist schwer. Sie werden Ihrem Vater beweisen, dass Sie ein würdiger Erbe für seine Firma sind. Das versichere ich Ihnen.“ „Danke“, murmelte Henry ohne ihm dabei in die Augen zu sehen. „Nun denn, ich bin nochmal kurz weg. Nick, bitte hilf Mr. Ford in Zukunft dabei, das Spiel anzupassen. Wenn jemand das kann, dann du.“ Aiden nickte den beiden zu und verschwand dann aus dem Konferenzsaal.   Nick sah Henry abwartend an, der still vor sich her grübelte. Dann ergriff der Ford-Spross das Wort, doch was er sagte, überraschte seinen Geschäftspartner. „Dein Chef ist ein Blender.“ „Wie meinst du das?“, hakte Nick nach. Henry lehnte sich neben ihn an den ovalen Tisch. „Seine Konditionen für eine Zusammenarbeit waren derart gut, dass mein Vater alles daran gesetzt hat, mit Micron Electronics zusammenzuarbeiten. Obwohl wir bereits mit einem europäischen Handelspartner Verträge geplant hatten.“ „Ich erinnere mich. Bulgarien?“ „Hat Abby dir davon erzählt?“ Nick schüttelte den Kopf. Tatsächlich wusste er schon seit geraumer Zeit davon, wie sonst hätte er versuchen können, Aiden zu erpressen, bevor der ihm Monochrome unter die Nase hielt? „Nein, Aiden hatte mal so etwas erwähnt. Aber wenn die Konditionen für euch so günstig sind, ist das doch gut.“ Doch der Blick des brünetten jungen Mannes verdunkelte sich. „Ganz sicher nicht. Mit den Zahlen macht eure Firma herbe Verluste. Es entbehrt jeglicher Logik.“ „Aiden hat sicher einen Plan, wie er das Geld wieder reinholt.“ „Oh ja, das befürchte ich auch“, erwiderte Henry gallig, „wenn es nach mir ginge, hätten wir diese Verträge nicht geschlossen. Es ist eine Farce. Einerseits soll ich selber ein Projekt übernehmen, andererseits bestimmt mein Vater, mit welchen Leuten ich dabei zusammenarbeite. Tch …“   Nick indes hörte kaum noch zu. Ihm war sofort klar, warum Aiden alles daran gesetzt hatte, diesen Auftrag zu bekommen. Monochrome. Es war so sicher wie das Amen in der Kirche, dass er plante, das kleine Killerprogramm in jede der neuen Apparaturen einzuschleusen. Sozusagen Monochrome massentauglich zu machen. Denn niemand würde es je durchschauen, wenn er nicht genau wusste, wonach er im Programmierungscode suchen musste. Das war Monochromes größte Stärke – die Diskretion. Mit Monochrome konnte sich Aiden Zugriff auf alle netzwerkfähigen Geräte im Haushalt des Besitzers machen. Ein kleiner Spion als Haustier. Und darüber hinaus wäre er in der Lage, jeden auszuschalten, der ihm in die Quere kommt. Völlig unbemerkt. Mit diesem Programm war es Aiden möglich, eine geheime Weltherrschaft aufzubauen. Vorausgesetzt, sein Produkt verkaufte sich gut genug …   „Keine Sorge“, wandte sich Nick freundlich lächelnd an Henry, „ich kann mich voll für Aiden verbürgen. Also, dann lass uns mal darüber reden, wie wir dein Spiel möglichst nahe an der Ursprungsidee umsetzen können. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr gefällt mir dein Ressourcen-System. Überlass' die Sesselpupser nur mir.“     Turn 58 – Paradigms Um ihr gestohlenes Deck zurückzubekommen, schaltet Anya Nick ein. Obwohl sie mit den Aufnahmen der Überwachungskameras einen Anhaltspunkt haben, gelingt es Nick nicht, die Diebin zu finden. Die Tage vergehen, sodass Anya gezwungen ist, sich ein Ersatzdeck zu beschaffen. Und da fangen die Probleme erst richtig an. Da sie Anya aufheitern will, geht Valerie mit ihr auf ein Fest in der Altstadt. Dort treffen sie auf Marc, der sich mit einem jungen Mann im Rollstuhl duelliert und … Kapitel 63: Turn 58 - Paradigms ------------------------------- Turn 58 – Paradigms     In Dubio pro Reo. Im Zweifel für den Angeklagten. Etwas, wovon Anya nicht viel hielt, als sie völlig erschöpft in ihrem Hotelzimmer ankam. Der lange Fußmarsch hatte selbst sie ziemlich ausgezehrt, zumindest den Teil ihrer Kraft, der nach der unfreiwilligen Begegnung mit Zed noch übrig gewesen war. „Wo warst du so lange!?“, klagte Zanthe, der von seinem Bett direkt neben der Tür aufsprang. „Hast du dein Deck gefunden? Hier ist es definitiv nicht, ich habe alles abgesucht.“ „Ich weiß wer mein Deck hat“, zischte sie und stieß ihn beiseite, als er ihr entgegen kam, „es wurde gestohlen.“ Verdutzt wurde er zurückgelassen. „Gestohlen? Von wem?“ „Keinen Blassen, wie das Miststück heißt, aber ich werde sie finden. Wo ist der Laptop, den Matt gekauft hat?“ Unter einem wütenden Schnaufen setzte sich Anya an den kleinen Tisch vor dem Panoramafenster und ließ sich von Zanthe den Apparat vor die Nase setzen. „Was hast du vor?“, fragte er neugierig.   Während sie ihn aufklappte und anschaltete, erzählte sie Zanthe, was ihr alles widerfahren war. Dass sie und Melinda herausgefunden haben, dass die junge Frau im roten Kleid keine Journalistin sein konnte, da nur männliche Vertreter der Fachpresse eingeladen waren. Und demnach ihre Einladung gefälscht gewesen sein musste, sie sich als jemand anderes ausgegeben hatte. Dazu gesellte sich dann noch etwas Undying-Spaß. „Jetzt gibt es also schon drei von denen“, kommentierte Zanthe, „aber cool. Jetzt wissen wir, wie wir sie fertig machen können. „Ich glaube, die Masche funktioniert kein zweites Mal.“ Schließlich öffnete Anya ihr Postfach und zeigte Zanthe die E-Mail von Melinda mit den Kameraaufnahmen. „Egal, die sind jetzt nebensächlich. Sieh dir das an.“ „Jap, die war doch an unserem Tisch“, erkannte der sie wieder. „Hat nicht viel geredet, sondern viel lieber mit ihrem Smartphone gespielt. Ich glaube, sie hat auch Fotos gemacht, wenn keiner hinsah.“ „Ich schicke das Zeug jetzt Nick, soll der sich darum kümmern.“ Anya öffnete ihr Skype-Programm und sah nach, ob in ihrer sehr 'übersichtlichen' Freundesliste Nicks Name grün unterlegt war. Was er war, im Gegensatz zu Abbys. Sofort schrieb Anya ihn an und schickte die Datei.   Fünf Minuten später hatte sie einen Anruf, den sie prompt entgegen nahm. Sie sah Nicks übergroßes Gesicht, wie er in die Kamera starrte, hinter ihm ein Schrank voller Akten. „Hallo Darling“, flirtete er sie sofort an, „vermisst du mich jetzt schon so sehr, dass du mich auf Arbeit anschreibst?“ Anya runzelte verärgert die Stirn. Obwohl es hier bereits Abend war, musste Nick wohl dank Zeitverschiebung noch im Büro hocken. „Nein, aber viel zu tun kannst du ja nicht haben, wenn du skypen kannst. Ich hab ein Problem.“ Nick machte mit der Schulter eine Bewegung, vermutlich benutzte er gerade seine Maus. Nachdenklich sah er an der Kamera vorbei, dann gewannen seine Züge eine leichte Boshaftigkeit. „Ah, ich seh' schon, sie ist hübsch. Eifersüchtig?“ „Nicht diese Sorte von Problem“, sagte Zanthe und beugte sich über Anyas Schulter, „die Gute ist ein Langfinger und hat Anyas Deck gestohlen.“ Sofort schreckte Nick auf, wurde ernst. „Sag das nochmal.“ „Die Tante war nicht auf der Party eingeladen, auf der wir gestern waren. Sie hat sich unter falscher Identität reingeschmuggelt“, erklärte Anya, „der Flohpelz sagt, sie habe während meines Duells mit den Schnösel-Geschwistern Fotos gemacht.“ „Davon habe ich bereits gelesen. Mein Plan hat wunderbar funktioniert, nicht wahr?“, lobte sich Nick selbstherrlich. „Du bist drin, ohne dass es jemand wagen wird, das ändern zu wollen.“ „Ja ja, gut gemacht“, überging Anya den Punkt mit der Dankbarkeit wie gewohnt, „jedenfalls, nach dem Duell ist sie mit mir zusammengestoßen. Da muss es passiert sein.“ Er hakte nach: „Und du bist dir da völlig sicher?“ „Seitdem ist es verschwunden. Eine andere Erklärung gibt es dafür nicht.“ Anya schlug auf den Tisch. „Nick, finde diese Ratte für mich. Egal wie!“ Der legte seine Ellbogen auf den Tisch und faltete die Hände. „Nur mit diesen unscharfen Aufnahmen? Das wird nicht leicht, selbst für mich nicht.“ „Wenn es dir weiterhilft: Außer mir scheint keiner etwas besonders Wertvolles zu vermissen. Melinda wird mich aber informieren, falls noch jemand sein Deck verloren hat.“ „Du meinst also, man kann einen Massendiebstahl ausschließen?“ Nick schloss die Augen. „Also bist nur du das Opfer. Zumindest etwas.“ Zanthe fiel dazu noch etwas ein: „Vielleicht Kali?“ „Nee, die ist kleiner gewesen als diese Dumpfralle. Außerdem würde diese Schnepfe das nicht hinter meinem Rücken tun, denk an die Male zuvor“, schloss Anya jene sofort aus. „Die hat mich immer wissen lassen, dass sie es war.“ Was Nick mit einem Kopfschütteln quittierte. „Ich würde sie nicht gleich von der Liste streichen, aber du hast nicht Unrecht. Es wäre untypisch für sie, jetzt wo sie sich dir offenbart hat. Anya, beantworte mir eine Frage.“ „Ja?“ Nick öffnete seine Lider. „Hast du Karten benutzt, von denen nicht jeder weiß?“ Da das Mädchen ihn nur fragend ansah und nicht verstand, übernahm Zanthe die Antwort. „Hat sie und das nicht zu knapp. [Angel Wing Dragon] und Heavy T, die beiden Artefakte.“ Anya ging ein Licht auf. „Ach so! Und [Gem-Knight Turquoise], die Karte vom Jinn.“ „Vielleicht handelt es sich hierbei gar nicht um ein gezieltes Verbrechen, sondern eine Affekttat. Du sagtest, sie hat Fotos gemacht? Nur von dir?“ Der schwarzhaarige Werwolf nickte. „Definitiv. Melindas Pendelmonster haben sie kalt gelassen, das hat man ihr angemerkt. Sie hat aber keine Fragen gestellt.“ „Natürlich nicht, das wäre dann doch zu auffällig“, überlegte Nick, „nun gut, sie ist unsere Hauptverdächtige. Ich werde sehen, was ich für dich tun kann.“ Anya sah ihn eindringlich, aber gleichwohl gebieterisch an. „Beeil' dich! Bis zum Turnierauftakt sind es nur noch sechs Tage.“ „Könnte knapp werden. Anya, du solltest dir ein Deck besorgen, falls du deins nicht rechtzeitig wiederbekommst“, riet ihr Sandkastenfreund. „Ich krieg' es doch wieder, oder?“ Nick nickte. „Natürlich wirst du. Das verspreche ich dir. Ich würde gerne noch länger mit dir reden, aber mein 'Arbeitgeber' steht in der Tür und da er mich mit seinen Rehaugen so herzzerreißend ansieht, kann ich gar nicht anders als ihm meine ungeteilte Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.“ Seine Worte trieften nur so vor Zynismus. Anya stöhnte. „Kann der sich nicht einfach verpissen? Tch! Aber okay, danke für deine Hilfe. Mal wieder …“ „Stets zu Diensten. Bis später.“   Damit beendete er die Konversation, Anya schloss den Chat und das Skype-Programm. „Also eins muss man ihm lassen“, sagte Zanthe und es klang, als fielen ihm seine Worte schwer, „wenn du ihn brauchst, kümmert er sich um dich.“ Die Blonde starrte auf das Display des Laptops. „Yeah …“ Plötzlich spürte sie, wie die Hand des Werwolfs auf ihrer Schulter lag. „Zerbrich' dir nicht deinen Hohlkopf. Wenn einer es schaffen kann, dann Mr. Neurotisch. Eigentlich wäret ihr ein richtig süßes Paar, wenn man's recht bedenkt.“ „Huh!? Spinnst du!? Wie kommst du denn jetzt da-“ Anya gähnte mitten im Satz. „-rauf.“ Anstatt ihr eine Antwort zu geben, grinste Zanthe lediglich schelmisch. „Ist doch egal. Kümmere dich lieber um wichtigere Sachen. Du stinkst nämlich schon genauso wie er. Geh duschen.“ „Hmpf!“ Anya stand auf und schubste den schwarzhaarigen Kopftuchträger beiseite. Zugegeben, er hatte schon fiesere Kommentare vom Stapel gelassen, aber nichtsdestotrotz gehörte er allein für den Gedanken, dass sie und Nick … oh Gott, er gehörte wirklich …! „Ich geh duschen und leg mich dann pennen. Ich bin stundenlang gelaufen!“ Sie steuerte das Badezimmer an. „Wenn Summers kommt, erzähl ihm ruhig alles. Aber wenn eine von euch Pappnasen mich dabei weckt …“ Vor der Tür ins Bad drehte sie sich noch einmal zu Zanthe um und fuhr sich vielsagend mit dem Finger über die Kehle. „Ja ja“, winkte er ab, „hab's kapiert. Wir lassen dir deinen Schönheitsschlaf. Auch wenn's für den längst zu spät ist.“ Wofür er die an diesem Abend letzte Aussage Anyas vor den Bug geknallt bekam: Ihren Lieblingsfinger. Zu interessanteren Reaktionen war sie in diesem Moment einfach zu müde gewesen.   ~-~-~   „… und wieso fragen wir nicht gleich den Sammler?“, wollte Zanthe in einem engstirnigen Tonfall wissen. Matt erwiderte genervt: „Er war es, durch den wir überhaupt die Adresse haben. Wüsste er mehr, hätte er uns das längst mitgeteilt.“ Während Anya träge mit ihrem Frühstückstablett in den Händen auf den gemeinsamen Tisch zusteuerte, nicht wissend, wieso die beiden schon wieder im Begriff waren, sich in die Wolle zu kriegen, drehten sich schon die ersten anderen Gäste des Hotels zu ihnen um. „Was bringt dich dazu, das zu glauben? Vielleicht spielt er nur ein Spiel mit uns?“ „Weil es in seinem Interesse wäre, wenn wir schnell an die nächste Karte kommen.“ Matt funkelte Zanthe an. „Das ist doch wirklich nicht so schwer zu verstehen.“   Als Anya sich an den Tisch setzte, demselben wie gestern, welcher durch die gläserne Fassade zu ihrer Rechten den Blick auf die Straße gewährte, gab sie ein langgezogenes Stöhnen von sich. „Will ich überhaupt wissen, worum es hier geht?“ „Deine nächste Zielperson“, antwortete Matt ihr direkt und biss in sein Marmeladenbrötchen. Zanthe fügte bissig hinzu: „Unsere hübsche Hälfte des Deppenduos hat ein bisschen was herausgefunden. Wer der Kerl ist, den du suchst. Oder war. Oder was auch immer.“ „Und?“ Anya schnitt nebenbei unter quietschendem Teller ihr Steak. Generell widmete sie ihrem Frühstück den größten Teil ihrer Aufmerksamkeit, so schien es. „Ich habe den Namen herausgefunden. James Carrington, 71, niederem Adels, stammt ursprünglich aus Großbritannien, ist aber vor einigen Jahren übergesiedelt“, zählte Matt die Fakten auf. „Okay?“ Die Blonde sah mit einem Stück Fleisch im Mund auf. „Dann schnapp' dir das Artefakt?“ „Erstens: Wieso ich?“ „Na du kümmerst dich doch schon drum, oder?“ So wie Anya es formulierte, klang es wie eine Selbstverständlichkeit. „Nach dem letzten Mal verzichte ich darauf, nochmal deine Duelle auszutragen.“ Die Kälte, mit der Matt dies gesagt hatte, lockerte glatt Anyas Lippen, sodass ihr Steakhappen auf den Teller fiel. Unangenehmes Schweigen machte sich breit. Anya ließ den Kopf hängen. Drazen … musste sie ausgerechnet jetzt daran erinnert werden? „... war nicht so gemeint“, lenkte Matt versöhnlich ein, als er sie so sah, „ich habe nur Angst, dass wieder etwas passieren könnte. Der ist immerhin auch nicht mehr der Jüngste.“ Zanthe indes hielt sich lieber aus dem Gespräch heraus, so schien es. Er sah lediglich abwechselnd die beiden anderen an, wobei er seinen Ellbogen auf die Tischkante gestemmt hatte und sein Kinn auf der Faust abstützte. „Ich auch“, gestand Anya leise, „aber ...“ „Ich weiß. Wir müssen es auf einen Versuch ankommen lassen.“ Matt legte sein Brötchen auf den Teller zurück. „Lass mich das machen, solange du dein Deck nicht wieder hast. Zanthe hat es mir vorhin erzählt.“ „D-danke.“ „Es gibt nur ein Problem“, fand der Schwarzhaarige schließlich die Überleitung zum Streit zwischen ihm und dem Werwolf, „Mr. Carrington wurde seit Jahren nicht mehr gesehen. Es gehen Gerüchte herum, er sei erkrankt und würde das Haus nicht verlassen, aber …“ Jetzt setzte Zanthe doch ein: „Matt hat mit einigen Mitarbeitern gesprochen, aber die wissen auch nichts darüber. Nur dass vor einigen Jahren alle mit einem Schlag entlassen wurden.“ „Ungefähr zu der Zeit, als man Mr. Carrington das letzte Mal gesehen hat“, fügte Matt hinzu. Der Werwolf schnalzte mit der Zunge. „Also -ich- finde, wir sollten den Sammler dazu befragen. Irgendetwas wird er uns sicher sagen können, immerhin wird er eine Menge an Nachforschung betrieben haben, um uns überhaupt die Infos zu diesem Typen zu beschaffen.“ Sofort schnellte Anya auf, klatschte die Hände auf den runden Tisch. „Nie im Leben! Dem krieche ich nicht in den Arsch! Wir kriegen das auch ohne ihn hin!“ „Du meinst, Matt kriegt das hin. Du hast bisher erstaunlich wenig dafür getan, einen der Hüter zu finden“, versetzte Zanthe ihr sofort einen Seitenhieb. Anyas Finger krallten sich in die Tischdecke, doch die harten Fakten, welche auf die Namen Nick, Matt und Alastair hörten, vielleicht auch mit der ein oder anderen Zanthe-Silbe dazwischen, verhinderten unmittelbare Kollateralschäden. Stattdessen ließ sich Anya wieder in den Stuhl fallen und funkelte den Kopftuchträger zornig an. „Was denn, ist doch so!“, blieb der ebenso stur wie sie. „Ich werde für ein paar Tage wegfahren“, erklärte Matt, nachdem abzusehen war, dass Anya wieder Notiz von ihrer Umwelt nahm. Die beiden drehten sich zu ihn um. „Zwei Leute habe ich noch, mit denen ich gerne vorher sprechen würde.“ Der Ex-Dämonenjäger griff nach der Kaffeetasse neben seinem Teller. „Der Gärtner meinte, dass die Carringtons sich plötzlich über Nacht eigenartig verhielten, besonders Mr. Carrington. Wenig später sind sie hierher umgezogen, wie gesagt ohne ihre Angestellten.“ Anya schnaubte. „Der Gärtner war's! Nur falls der Alte bereits tot sein sollte.“ „Wie lange willst du denn wegbleiben?“, hakte Zanthe nach. „Nur ein paar Tage, vielleicht eine Woche, länger nicht.“ Anya verschlang nebenbei den Rest ihres Steaks mit einem Happs. Noch beim Kauen sagte sie: „Bisch schum Start desch Turniers sind esch noch ein paar Tage. Wäre cool, wenn ich bisch dahin mein Deck schamt der dritten Wäschterkarte hätte.“ Die beiden sahen sie nur stumm mit einem leichten Anflug von Ekel an, nicht zuletzt weil ihr der Speichel beim Sprechen nur so um die Ohren flog. „Ich hab die Handschuhe noch, die du mir gegeben hattest. Wenn es also zu einem Duell kommen sollte, bin ich vorbereitet.“ Matt sah auf sein halbes Brötchen, das etwas von Anyas 'Manieren' abbekommen hatte. Mit Fingerspitzen schob er den Teller von sich weg. „Ich, ähm, bin dann mal oben, meinen Rucksack packen.“ Kaum war er aufgestanden, rückte auch Zanthe seinen Stuhl nach hinten. „Dann gehe ich an dieser Stelle auch mal.“ Als die Blonde mehr als irritiert zu ihm aufschaute, erwiderte er glucksend: „Den Hundeblick kannste dir sparen, du kommst nicht mit. Ich will die Stadt alleine unsicher machen! Bye bye!“ Sprachs, hob die Hand noch zum Gruß und huschte dann eiligen Schrittes aus dem Restaurant des Hotels. „Und was mach ich jetzt!?“, rief Anya ihm sauer hinterher. Beantwortete sich die Frage aber selbst, indem sie sich Matts angefangenes Brötchen schnappte.   ~-~-~   Ganz zu Anyas Ärgernis blieb Matt länger weg als erwartet und gab auch keine Rückmeldung, wie denn der aktuelle Stand bezüglich des Hüters war. Und auch Zanthe schien lieber alleine unterwegs zu sein und nahm Anya nur gelegentlich zu seinen Ausflügen mit. Die entweder in Klamottenläden, Buchhandlungen oder irgendwelche Clubs führten, die Anya entweder gar nicht erst reinließen – nicht, dass sie eine Wahl gehabt hätten – oder spätestens nach fünf Minuten rausschmissen. Das Mädchen war ja froh, dass der Flohpelz sich derart schnell in das alltägliche Leben einfügte und aus sich und dem Hotelzimmer herausging, aber irgendwie blieb sie dabei mächtig auf der Strecke. Was Anya tierisch ärgerte, da -ihr- dadurch verdammt langweilig war. Was sicher anders wäre, wenn sich Nick, dieser Trottel, mal bei ihr melden würde. Aber wie Matt schien der es mit Kontakt halten neuerdings nicht allzu genau zu nehmen.   Als Anya auch drei Tage nach ihrem Kriegsrat immer noch keine Rückmeldung von Nick erhalten hatte, entschied sie sich, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. So saß sie am späten Nachmittag von Zanthe flankiert am runden Tisch in ihrem Hotelzimmer, den Laptop vor der Nase. Es dauerte eine Weile, bis Nick auf ihre Videoanrufe reagierte, aber schließlich schaltete sich seine Webcam ein und Anya konnte sein Gesicht auf dem Bildschirm betrachten. „Hallo Schatz, vermisst du mich so sehr, dass du mir gleich 57 Anfragen schickst?“, fragte Nick um Humor bemüht. „Harper, wo ist mein-“ „Pro Minute!“, fügte er gleich weitaus weniger beherrscht hinzu. Anya saß mit offenem Mund da. „... Deck?“ „Autsch, da ist jemand zur Abwechslung mal gar nicht in Flirtstimmung“, hörte sie Zanthe hinter sich sticheln. „Sag bloß, er hat jemand Neues kennengelernt?“ Nick schnalzte auf den Kommentar hin genervt mit der Zunge. „Nein, es gibt nur Menschen, die müssen für ihr Geld schwerer arbeiten als andere und haben deswegen wenig Zeit.“ Die Blonde klackerte ungeduldig mit ihren Fingerspitzen auf dem Mouse Pad. „Sehr interessant, Harper, wirklich. Wir finden es toll, dass du endlich einen Job hast. Aber das ist jetzt nicht das Thema!“ Nick blinzelte genau einmal. Nein wirklich, es war erstaunlich, wie lange er die Augen offen halten konnte, ohne die Lider auch nur minimal zu bewegen. So sehr, dass selbst Anya mulmig zumute wurde. „Und?“, fragte sie herrisch. „Hast du es? Ist es schon unterwegs hierher?“ „Anya“, murmelte er und faltete die Hände vor der Kamera ineinander, „ich habe dein Deck noch nicht ausfindig machen können.“   Man hätte eine Stecknadel auf den Boden fallen hören können. „Sag was!“, forderte Zanthe den jungen Mann auf. „Irgendwas! Ich glaube, ihre Festplatte ist schon wieder abgestürzt!“ Einen tiefen Seufzer von sich gebend, griff Nick nach seiner Maus. „Es ist nicht so, dass ich völlig erfolglos war. Seht euch das an.“ Vor den beiden öffnete sich ein kleines Fenster. In ihm wurde ein Video abgespielt, genauer gesagt Aufnahmen von der Feier. Zu sehen war ein großes Bogentor, dahinter schien ein Taxi zu parken. „Kannst du uns verraten, was wir da sehen?“ Doch die Frage Zanthes erübrigte sich, als eine undeutlich zu sehende Gestalt in einem Abendkleid auf das Taxi zu kam und in der Beifahrerseite verschwand. Genau als das Taxi losfuhr, stoppte Nick das Video. „Was ihr da seht“, antwortete Nick, „ist unsere diebische Elster, wie sie die Party verlässt. Schaut euch das Taxi an.“ „Ja, und?“, fragte Anya nun grimmig. „Mein Deck wird wohl kaum noch da drin sein!“ „Nein, aber man kann das Nummernschild lesen. Darüber konnte ich das Taxiunternehmen ausfindig machen, zu dem es gehört.“ Nick lehnte sich zurück und schlug die Beine über den Tisch übereinander, direkt in die Kamera gerichtet. „Und damit konnte ich wiederum per GPS die Route des Taxis verfolgen. Sie ist zum Hotel Adversary gefahren und hat dort zweifelsohne genächtigt.“ Zanthe beugte sich über Anyas Schulter. „Ich hab's! Von dort kannst du sie weiterverfolgen, da sie mit Kreditkarte gezahlt hat und du jetzt ihre Transaktionen überwachen kannst.“ „Gar nicht dumm. Richtig. Wenn sie wieder mit jener etwas bezahlt, werde ich sofort wissen, wo sie sich befindet. Und entsprechende Gegenaktionen einleiten.“ Ein böses Schnauben drang aus Anyas Nase. „Und wo ist dann das Problem?“ „Das Problem“, wiederholte Nick besonders stark betont, „ist, dass sie seitdem nicht mehr mit Karte gezahlt hat. Und solange sie das nicht tut, wird es schwer bis unmöglich für mich, sie zu finden.“ Er nahm die Füße wieder vom Tisch und beugte sich nach vorn. „Anya, ich sage es nur ungern, aber du solltest dich langsam um eine Alternative bemühen.“ „Eine was?“ Das Wort gab es in ihrem Wortschatz nicht! „Du brauchst ein Ersatzdeck, solange dein altes MIA ist.“ Nick zeigte mit dem Finger direkt über den Bildschirm auf Anya. „Also wirst -du- dir heute neue Karten kaufen. Lass dir von Levrier und Zanthe beim Deckbau helfen.“ Bei diesen Worten entglitt die Miene des schwarzhaarigen Werwolfs glatt. „Oh bitte nicht! Alles nur das nicht!“ Auch das durchsichtige Abbild [Gem-Knight Pearls] schaltete sich ein, welches Nick weder hören noch sehen konnte.   Irgendeiner von uns wird dabei sterben. Ich weiß es!   Zu ihrer beider Glück kämpfte Anya noch mit der Einsicht, dass Nick vielleicht Recht haben könnte. Was, wenn sie ihr Deck nicht rechtzeitig zurückbekam? Dann … Nein, sicher würde diese dumme Schnepfe sich bald irgendein Handtäschchen mit extra viel Platz für Diebesgut kaufen! Und dann würde Nick sie finden! Es musste so sein!   ~-~-~   Zwei Tage später, Matt war inzwischen mit keinerlei hilfreichen Hinweisen zurückgekehrt, musste Anya sich der Erkenntnis stellen: Die diebische Elster war anscheinend nebenbei Stripperin, so viel Bargeld musste die haben, um ihren Lebensstandard oder was auch immer aufrecht zu erhalten. Nichts, gar nichts! Keine Spur von ihr. Die war bestimmt schon irgendwo in Mexiko untergetaucht, mit -ihrem- Deck! Da die Vorrunde des Turniers morgen beginnen würde, blieb Anya keine Wahl mehr. Sie musste sich von irgendwoher Karten beschaffen. Anstatt aber Nicks Ratschlag zu befolgen und sich welche zu kaufen, hatte Anya eine weitaus effektivere Methode im Sinn, um konkurrenzfähig zu bleiben …   So fand sie sich auf der Dachterrasse eines Nobelhotels wieder, auf welcher dank des schönen Wetters und des Pools hier oben reger Betrieb herrschte. Valerie blickte von ihrer Liege auf, nahm die Sonnenbrille ab. „Ich soll dir mein Deck leihen?“ „Nur solange ich meines nicht zurückhabe“, erwiderte Anya verloren, wie sie da vor ihr stand. Ja, dachte sie sich nebenher, reck deine dicken Euter doch noch mehr in mein Blickfeld in diesem engen, weißen Badeanzug, der so viel verhüllte und doch kaum Raum für Spekulationen zuließ. Als ginge es ihr nicht schon dreckig genug! Dämliche Schnepfe! „Ich find's schön, dass du hierher zu uns gekommen bist, aber …“, zögerte Valerie, nach den richtigen Worten suchend. Um Himmels Willen, die dumme Kuh sollte endlich nein sagen, dann war das Ding gegessen. Wäre ja auch schlimm genug, ausgerechnet in ihrer Schuld zu stehen. Fast schon hoffte Anya daher auf jene Antwort. „Ich meine, da wir uns schon das ein oder andere Mal duelliert haben, weißt du ja, wie meine Gishkis funktionieren. Zumindest, wenn du es nicht längst wieder vergessen hast … Aber das geht leider nicht, ich nehme auch am Turnier teil, wie du weißt“, erlöste Valerie sie kurz darauf, „tut mir wirklich leid, Anya.“ Marc, in seiner roten Badeshorts und mit einem Strohhut auf dem Kopf, neben ihr auf einer zweiten Liege sitzend hob die Hand. „Dasselbe gilt auch für mich, fürchte ich.“ „Großartig“, brummte Anya und wandte sich von ihnen ab. „Eure Decks könnten meins sowieso nie ersetzen …“ Betrübt sah Valerie der Blonden nach, wie sie frustriert von dannen schlürfte.   „Unmöglich!“, weigerte sich Matt etwa eine Stunde später, als sie zusammen auf ihrem Hotelzimmer waren und nebeneinander auf Matts Bett in der Mitte saßen. „Die Evilswarm sind von dunkler Macht erfüllt, schon vergessen? Die kann ich nicht in fremde Hände geben.“ „Wäre doch genau das Richtige für mich!“, protestierte Anya wütend und legte ihren Arm um seine Schulter. „Komm schon, Kumpel, tu's für die gute alte Anya.“ „In deinen Händen will ich sie am allerwenigsten wissen!“, ließ der sich aber nicht beirren und sprang auf. „Das ist für dich das Beste, glaub mir!“ „Ui, Mommy und Daddy streiten sich!“, stichelte Zanthe amüsiert, während er am kleinen Tisch im Zimmer saß und seinen Faust Band 1 weiterlas. Anya schnaufte. „Dann leih du mir eben mein Deck, Flohzirkus. Etwas anderes außer viele Monster zu beschwören tun deine Sternenritter eh nicht, das kann selbst ich mir merken!“ Der Kopftuchträger legte das Buch beiseite und sah sie altklug an. „Deine Selbsteinschätzung in allen Ehren, aber diese Karten kriegt niemand in die Hände. Sie haben einen genauso persönlichen Wert wie deine Gem-Knights, wenn nicht sogar einen noch größeren. Ich hoffe, du verstehst das.“ Tat das Mädchen nicht. Stattdessen blinzelte sie verdutzt ob der für Zanthes Verhältnisse ziemlich eisigen, statt der erwarteten frechen Absage. Wenn er so verbissen reagierte, musste da wohl etwas dran sein. Also konnte sie ihn auch vergessen.   Als Nicks Gesicht über den Bildschirm flimmerte, machte Anyas Herz aus Stein einen ungewollten Hüpfer. Er, ihr Mann für alles, würde sie auch diesmal nicht im Stich lassen. Bestimmt! „Was gibt’s denn? Ich habe gleich ein Meeting“, sagte er ungewohnt nervös. „Nur eine Bitte, Harper! Ich brauch dein Deck!“ Er sah sie verständnislos an. „Anya, ich habe dir genug Geld zukommen lassen, damit du einen ganzen Kartenladen leerkaufen könntest. Kauf dir deine Gem-Knights einfach neu, dann hast du sogar dein Deck.“ Anya schüttelte aber vehement den Kopf. „Nein, das wäre nicht dasselbe. Ich brauch dein Deck. Es ist extrem stark, du hast mich damals mühelos plattgewalzt.“ „Anya, dieses Deck ist zu kompliziert für dich. Bitte, wenn du Karten brauchst, besorg' sie dir selbst.“ „Aber-!“ „Ich muss jetzt los. Wir hören uns später. Bye.“ Und ehe Anya sich versah, wurde das Skype-Gespräch beendet. Zanthe, der ihr gegenüber am Tisch saß, klappte demonstrativ vor ihrer Nase das Buch zu und zog wortlos, aber breit grinsend von dannen.   „Oh? Aber natürlich helfe ich dir!“, kam da schließlich von Abby die Erlösung. Anya streichelte überglücklich den Hörer in ihrer Hand, als sie wenig später in einer Nische der Hotellobby vor dem alten, schwarzen Münztelefon stand. „Danke. Wenigstens eine, auf die man sich verlassen kann.“ „Ich schicke meine Karten gleich mit der Post los. Aber werden sie auch rechtzeitig zum Turnierbeginn ankommen?“ Plötzlich machte Anya große Augen. „Uhm … wie lange dauert das denn?“ „Naja, also, von London nach Ephemeria City …“ Kurzum: Nein, das Paket würde es vermutlich nicht rechtzeitig schaffen.   „Mein Deck?“, fragte Melinda wenige Minuten später etwas verdutzt am anderen Ende der Leitung. „Dann hast du deines wohl nicht mehr gefunden, huh?“ „Noch nicht, aber das kommt noch. Aber da das Turnier bald beginnt, brauche ich zumindest vorübergehend Ersatz.“ Melinda lachte betreten. „Naja, ich würde dir gerne meine Performapals leihen, aber als Turnierorganisatorin gäbe es da nur Probleme.“ „Muss doch keiner wissen, dass es ausgerechnet deine sind.“ „Doch. Vater wird es sofort merken. Im Moment sind sie noch Einzelexemplare.“ Vorsichtig fragte sie: „Meinst du, dass Henry …?“ „Der ist zurzeit in Livington und kommt erst zum ersten Spiel der Hauptrunde wieder. Tut mir leid, Anya.“ Wütend zischend beendete die das Gespräch kurz darauf. Wieder zwei Personen weniger! Langsam gingen ihr die Optionen aus!   Selbst ihr eigenes Elysion suchte Anya in ihrer Verzweiflung auf. So stand sie Levrier in Form [Gem-Knight Pearls] auf dem Mosaik der Erde gegenüber und sah ihn flehend an. „Kannst du deine Heroics für eine Weile verborgen?“ „Schön, dass du endlich auf die Idee kommst, mich zu fragen, Anya Bauer“, erwiderte er eine Spur gekränkt und verschränkte die Arme. Anyas Miene hellte sich hoffnungsfroh auf. „Kannst du?“ „… nein. Außer natürlich Nick Harper erfindet einen Elysion-kompatiblen 3D-Drucker.“ Doch schon mitten im Satz war Anya in einer dichten Rauchwolke verschwunden, so schnell hatte sie ihre innere Zuflucht wieder verlassen.   Ihre Faust neben das Münztelefon gegen die Wand schlagend, stieß Anya einen unmenschlichen Wutschrei aus. „Verdammte Scheiße, das gibt’s doch nicht!“ Sich von dem Apparat abwendend, rauschte sie wie ein Sommergewitter an der Rezeption vorbei, auf den Ausgang zu. Tolle Freunde waren das!   Wo willst du hin?   Levrier erschien an ihrer Seite und folgte dem Mädchen. „Muss-zerstören! Irgendwas!“   Zu schade, dass Zed uns schon angegriffen hat. Ich bin mir sicher, du würdest ihr das Un aus dem Undying prügeln, Anya Bauer. Habe ich Recht?   „Mrgh!“ Anya nahm den Aufheiterungsversuch ihres Freundes gar nicht wahr. Gerade als die große Tür des Hotels sich öffnete und sie wütend heraus stampfen wollte, kam ihr jemand entgegen und stieß beinahe mit dem Mädchen zusammen. Das zischte aber einfach weiter, an jener in einem weißen Kleid gekleideten Person vorbei, auf deren Haupt ein gleichfarbiger Sommerhut thronte. Mit sich trug sie zwei Einkaufstüten. „Anya!“ Die Gerufene erkannte die Stimme sofort, flüchtete am Pagen vorbei in die nächstbeste Richtung, doch die junge Frau rannte der Blonden bereits hinterher. „Warte doch!“ „Halt die Klappe, Redfield! Ich will allein sein. Geh jemand anderem mit deinem Schicki-Micki-Scheiß auf die Nerven!“ Während Valerie ihr trotzdem folgte, nahm sie ihre Sonnenbrille ab. „Bist du noch sauer wegen vorhin? Hör mal-!“ Doch Anya hörte nicht mehr. Sie rannte förmlich davon, sodass Valerie es schließlich unter lautem Seufzen aufgab, ihre Freundin zu verfolgen. Levrier drehte sich zu ihr um und zuckte in einer um Entschuldigung bittenden Geste mit den Schultern. Die Schwarzhaarige seufzte. „Dabei wollte ich doch nur …“ Sie warf resignierend einen Blick in die Tüte, die voller Duel Monsters-Produkte war.   ~-~-~   Als Anya am frühen Abend in ihr Hotelzimmer zurückkehrte, durfte sie feststellen, dass Valerie an dem runden Tisch in der Ecke saß und scheinbar auf sie wartete. Von Matt und Zanthe dagegen war keine Spur zu sehen. „Na endlich!“, sprang die junge Frau ungeduldig auf. Und erschrak mitten auf ihrem Weg zu Anya, dass deren rechtes Auge geschwollen war. Als die Blonde das bemerkte, drehte sie ab, rauschte an Valerie vorbei. „Was hast du gemacht!?“, fragte die ihr hinterher. „Geht dich nichts an, Redfield! Geh nachhause!“ Anya stellte sich vor das Panoramafenster mit dem Blick auf die Stadt. Wütend funkelte sie den Wolkenkratzer gegenüber an, der wieder einmal Claires Werbung für Motorräder zeigte. „Eigentlich wollte ich mit dir zusammen ein neues Deck bauen, aber da du nicht zurückgekommen bist, habe ich die Sachen, die ich dafür eingekauft habe, wieder zurückgebracht“, stellte Valerie erbost klar. Anya schnalzte mit der Zunge. „Schön für dich …“ „Du verhältst dich verdammt undankbar, Anya! Keiner von uns kann etwas dafür, dass dir dein Deck gestohlen wurde!“ Valerie wurde lauter. „Und du kannst nicht von uns erwarten, dass wir dir unsere geben.“ Als ihre Freundin daraufhin nichts erwiderte, näherte sich Valerie ihr vorsichtig. „Hör zu. Ich bin hier, weil ich etwas mit dir unternehmen möchte. Vielleicht weißt du es bereits, aber heute findet in der Altstadt ein kleines Fest statt, um den Start des Turniers zu feiern.“ Mit abweisendem Blick drehte sich Anya zu ihr um. „Und?“ „Ich will, dass du mich begleitest“, forderte Valerie sie auf, „dort gibt es auch Stände, die Duel Monsters-Karten verkaufen. Es ist deine letzte Chance, jetzt noch ein Deck zu bekommen.“ „Nie im-!“ „Wenn du nicht mitkommen willst, schön“, unterbrach Valerie sie scharf und verschränkte die Arme, „ich zwinge dich nicht. Aber anstatt dich hier zu verkriechen und dich über deinen Verlust selbst zu bemitleiden, solltest du vorwärts blicken. Spaß haben.“ Die beiden schauten einander tief in die Augen, was in einen regelrechten Anstarr-Wettbewerb ausartete. Den Valerie schließlich gewann, als Anya sich wegdrehte. „Tch. Meinetwegen …“ „Sehr gut. Vielleicht bringt dich das auf andere Gedanken.“   ~-~-~   Als Anya zusammen mit Valerie aus dem Taxi stieg, musste sie insgeheim staunen. Vor ihr offenbarte sich eine schmale Straße. Zwischen den Häusern hingen bunte Girlanden, Lichterketten, sogar Planen mit verschiedenen Aufschriften die die Leute zum Spaß haben aufforderten. Und dutzende Leute, die sich an den kleinen Ständen erfreuten, die vor den Häusern aufgebaut waren.   Nachdem Valerie den, aus ihr völlig unverständlichen Gründen, leicht verängstigten Taxifahrer bezahlt hatte und dieser umdrehte, zeigte sie geradeaus. „Das hier ist nur der Anfang. Dort hinten gibt es noch viel mehr.“ „Hmpf!“ Zwar zog Anya mit, als ihre Erzrivalin voraus ging, doch Lust hatte sie auf dieses dämliche Fest keine. Hin und wieder sahen sie sich kurz an, was so verkauft wurde. Schmuck, Andenken, der übliche Kram halt. Sie liefen die Straße entlang mit dem Ziel, den Hauptplatz der Altstadt zu erreichen. Normalerweise war es ein riesiger Markt mit Springbrunnen, so erzählte Valerie, der sich gleich neben einer Kirche befand. Aber heute war er das Zentrum der Festivitäten. „Ich lade dich nachher auf einen kleinen Besuch bei einem der Imbisse ein“, bot die Schwarzhaarige in ihrem weißen Sommerkleid gut gelaunt an. Anya nickte nur knapp. All die Leute, die an ihnen vorbeizogen … welche von denen würden ihre Gegner sein, so ging es ihr durch den Kopf. Unterwegs kamen sie auch an ein paar Kartenhändlern vorbei. Sie alle boten neben dem regulären Zeug auch besondere Promokarten an, wenn man bei ihnen kaufte. Extra erschaffen für diesen Tag. Anya zeigte kein Interesse und lief jedes Mal stur weiter, wenn Valerie vor einem dieser Stände halt machte.   Die beiden gingen schließlich eine ganze Weile nebeneinander her, ohne ein Wort miteinander zu wechseln. Mittlerweile hatte Valerie anscheinend ihr Ziel geändert, denn sie schlurften nun zusammen durch einen grünen Park, der ebenfalls bunt erstrahlte durch aufgehängten Lampions zwischen den Laternen und all den anderen Attraktionen wie Hüpfburgen für Kinder, Lotterieständen und anderen Attraktionen. Sie beobachteten die vielen verschiedenen Stände, die die Straße füllten und die Besucher, die für das Fest vor dem eigentlichen Turnierbeginn angereist waren. Es wurden zunehmend mehr. „Ob die hier Hot Dogs haben?“, wunderte sich Anya nach einer Weile, weil sie bisher keinen solchen Stand entdeckt hatte. Valerie sah zu ihr herüber. „Bestimmt. Aber bevor wir danach suchen, habe ich eine Bitte.“ Erstaunt wirbelte Anya herum. „Egal was es ist, die Antwort lautet nein.“ „Wie gut dass ich dich darum bitten wollte, unbedingt -kein- Foto mit mir hier zu machen.“ Ohne dass die Blonde ihre Zustimmung gegeben hatte, hakte sich ihre Erzrivalin vergnügt bei ihr ein und zerrte sie mit sich. „Was soll das!?“ „Wie schade, dass du nein gesagt hast“, gluckste Valerie, „nun kommen wir nicht drum herum.“ Mit sanfter Gewalt, die Anya mit einem erfolglosen Tritt nach dem Fuß der Schwarzhaarigen vergelten wollte, schleifte Letztere das Gespann zu einer kurzen Schlange, die sich vor einer Leinwand aufgebaut hatte. Dort wurden von einem Fotografen Bilder geschossen, mit dem Panorama von Ephemeria City als Hintergrund. In seiner Mitte die riesige Arena, in welcher das Turnier stattfinden würde. „Ich dachte, das wäre ein schönes Andenken für uns“, meinte Valerie. Da bemerkte sie, dass Anya den Kopf hängen ließ. „Dass du keine Lust hast ist mir klar, aber danach fragt jetzt keiner.“ „Du musst dir keine Mühe geben, Redfield …“ „Natürlich muss ich das. Wir sind Freundinnen, auch wenn dir das hin und wieder entfällt. Da ist es nur natürlich, dass ich dich aufheitern möchte.“ Valerie hielt Anya am Arm fest und stellte sich vor sie. „Ersetzen wird es dein Deck nicht. Aber das Wichtigste hast du noch nicht verloren.“ Trotzig sah die Kleinere auf. „Und das wäre!?“ „Uns! Uns alle. Mich, Matt, Zanthe, Nick, natürlich auch Marc, Abby sowieso … und selbst Levrier ist noch da.“ Plötzlich riss Anya sich von ihr los. „Ach ja!? Und wieso helft ihr mir dann nicht!? Keiner von euch will mir sein Deck leihen! Und die, die es wollen, schaffen es nicht rechtzeitig. Abgesehen davon waren zwei der Artefakte in meinem Deck und die sind jetzt weg! Ohne sie werde ich sterben!“ Irritiert von dem Ausbruch, begannen andere Leute hinter ihnen zu tuscheln.   Statt darauf einzugehen, wiederholte Valerie ihren Griff und zerrte Anya mit sich. Sie waren mittlerweile die Nächsten in der Schlange. Ehe Anya widersprechen konnte, legte Valerie an dem kleinen Kassentresen eine 5-Dollar-Note hin und nahm die Blonde mit zur Leinwand. „Seit wann bist du eine Dramaqueen, Anya?“, fragte sie dabei ernst. „Gar nicht!“ „Dann verhalte dich nicht wie eine. Wir werden dein Deck zurückbekommen, da bin ich mir absolut sicher. Nick arbeitet dran“, sagte sie und bekam einen grimmigen Unterton, „und wenn er will, kann er ziemlich … verbissen sein.“ „Schon, aber-!“ Valerie schnitt ihr ins Wort. „Und wir anderen helfen dir auch, jeder auf seine Weise. Dass es nicht immer so laufen kann, wie du es willst, musst du akzeptieren. Ohne Melinda hättest du jetzt nicht mal einen Anhaltspunkt. Wo wärst du jetzt, wenn Matt und Zanthe dir nicht dauernd beistehen würden? Hat Abbys Rat dir jemals geschadet? Will Levrier nicht immer nur dein Bestes?“ Kleinlaut gab Anya zu: „N-nein, also, ich weiß nicht …“ „Dann sag nie wieder, wir würden dich im Stich lassen.“ Mit einem Stoß ins Kreuz sorgte Valerie dafür, dass Anya gerade neben ihr stand. Dann legte sie ihren Arm um die Hüften des Mädchens und lächelte glücklich in die Kamera. „Also lächle.“ „Tch, meinetwegen …“ Es blitzte schließlich.   Die beiden warteten einen Augenblick und holten sich dann das Foto am Kassenstand ab. Natürlich war es Anya nur mäßig gelungen, ein Lächeln aufzusetzen. Ihre grimmige Art konnte eben nichts und niemand so leicht in die Schranken verweisen, auch eine strahlende und mit den Fingern ein V formende Valerie nicht. „Sieht doch gut aus“, meinte die dennoch zufrieden. „Beim nächsten Mal wird’s bestimmt noch besser.“ Anya, die ihr Bild in den Händen hielt, schnaufte. „Wenn's eins gibt …“ „Wird es“, versicherte ihr Valerie fest.   Die beiden zogen weiter, sahen sich die Stände etwas genauer an. Valerie kaufte ein Souvenir für ihren Vater und noch einigen anderen Kram für Bekannte. Davon in Versuchung geführt, überlegte auch Anya langsam, ihrer Mutter ebenfalls etwas mitzubringen. Aber was? Der Stand, vor dem sie gerade standen, verkaufte neben Postkarten, Mützen und einigen Duel Monsters-Figuren nichts wirklich Interessantes. Gerade wollte sie nach einer „Red Eyes Black Dragon“-Figurine greifen, da stieß ihr Valerie in die Seite. „Guck mal.“ „Lass das, Redfield“, fauchte Anya, folgte aber der Aufforderung. Sie drehte sich zur Seite und bemerkte, dass ein Vorankommen mittlerweile kaum noch möglich war, da lauter Leute mitten auf und um den Gehweg standen und irgendetwas beobachteten. Die Mädchen lösten sich von dem Verkaufsstand und gesellten sich zu den Leuten. „Das ist ja Marc!“, staunte Valerie nicht schlecht. „Ich hab mich schon gewundert wo er bleibt!“   Tatsächlich, ihr inoffizieller Ehemann stand mit aktivierter Duel Disk inmitten eines kleinen Platzes und schien mitten in einem Duell zu stecken. Neben ihnen befand sich ein großer Springbrunnen, der selbst um diese Uhrzeit noch hohe Fontänen aus den dutzenden Fischmäulern schoss, die gen Himmel gestreckt waren. „Wer ist sein Gegner?“, fragte Anya, die aufgrund ihrer Körpergröße Schwierigkeiten hatte, etwas zu sehen. „Ich glaube … oh! Das ist doch …!“ „Ach warte, lass mich mal!“ Ein paar Stöße, Fußtritte und Beleidigungen später hatte Anya den beiden einen Platz in der ersten Reihe verschafft. Nun sahen sie deutlich, wer sich da duellierte.   In einer blauen Sportjacke stand der schwarzhaarige Marc einem jungen, strohblonden Jungen gegenüber. Dieser, zum Erstaunen Anyas, saß im Rollstuhl und wurde von einer ebenso blonden Frau begleitet, die in einem schwarzen Kostüm steckte. Er selbst hatte Krankenhauskleidung an, mehr noch, wurde er zusätzlich mit einem Beatmungsgerät durch die Nase am Leben gehalten. An seinem Rollstuhl war eine Duel Disk befestigt, die er vor sich ausgebreitet hatte. „Wer ist das denn?“ „Othello Nikoloudis. Er hat auch eine Einladung zum Turnier erhalten“, antwortete Valerie plötzlich mit belegter Stimme. „Er war auf der Feier nicht dabei gewesen. Keiner wusste bisher, ob er wirklich teilnehmen wird.“ Anya runzelte die Stirn. „Pah, von der Intensivstation aufs Siegertreppchen, huh?“ Darauf erwiderte Valerie nichts. „Du bist dran“, meinte Marc derweil und nickte seinem Gegner freundlich zu. Vor ihm befand sich ein Monster, das Anya schon lange nicht mehr gesehen hatte – [Lavalval Ignis], seine alte Paktkarte von Isfanel. Es war ein düsterer Krieger, dessen Kopf nichts anderes als eine lodernde Flamme war. Da keine Lichtkugeln um ihn kreisten ging Anya davon aus, dass er sein Xyz-Material bereits verbraucht hatte. Zu Marcs Füßen befanden sich zudem zwei gesetzte Karten. Sein Blatt war leer.   Lavalval Ignis [ATK/1800 DEF/1400 {3} OLU: 0]   [Marc: 3500LP / Othello: 3800LP]   „Wie lange geht das Duell schon?“, fragte Valerie neugierig. „Schon eine ganze Weile. Die beiden machen es sich ziemlich schwer“, antwortete ein Zuschauer ihr beiläufig. Anya verschränkte abwartend die Arme. „Aber dein Lover ist im Vorteil.“ Damit spielte sie auf Othellos Feld an, das leer war. Dieser zog in jenem Moment auf eine fünfte Handkarte auf. Seine Begleiterin flüsterte ihm etwas ins Ohr, doch er schüttelte so vehement den Kopf, dass sein schulterlanges, glattes Haar hin und her wippte. „Hey, helfen ist unfair!“, fauchte Anya wütend.   Sie wollte ihm nicht helfen, sondern hat ihn gebeten aufzuhören.   Als Levriers Stimme in Anyas Kopf erklang, zuckte diese ungewollt zusammen, hatte sie überhaupt nicht mit ihm gerechnet. „Huh? Warum?“ Sieht so jemand aus, der um diese Uhrzeit draußen sein sollte?   Anya warf einen skeptischen Blick auf den jungen Mann. Er zeigte gerade zwei Karten vor und verkündete mit kratzender, schwacher Stimme. „Ich aktiviere zwei Pendelkarten. Den Magier, der die Sterne liest: [Stargazer Magician] mit dem Pendelbereich 1! Und den Magier, der die Zeit versteht: [Timegazer Magician] mit dem Pendelbereich 8!“ Zwei menschliche Gestalten tauchten links und rechtens neben ihm auf. Der eine Magier war ganz in Weiß gekleidet, trug einen Hut und verhüllte seinen Mund. In der Hand hielt er einen langen Stab, den er in der Mitte festhielt. An seinen Enden befanden sich kurze Auswüchse. Der rechte Magier kam dagegen komplett in Schwarz daher, trug ebenfalls einen Hut und verdeckte seinen Mund durch ein rotes Halstuch. An seinem rechten Arm befand sich ein Klingenblatt, das einmal um ihn herum führte und fast einen perfekten Kreis schloss.   <1> Othellos Pendelbereich <8>   Beide wurden von blauem Licht erfasst, das unter ihnen in die Höhe schoss und sie mit sich trug. „Moment, das kenne ich doch!“, murmelte Anya. „Der will-!“ Als die beiden Magier weit über Othello schwebten, erklärte der: „Pendulum Scale set! Pendulum Summon! Erwache, Odd-Eyes!“ Ein regelrechtes Effektfeuerwerk begann. Ein Loch bildete sich zwischen den Magiern, um welches dutzende Energieellipsen leuchteten. Aus ihm schoss ein roter Blitz, der vor Othello einschlug und die Form eines gleichfarbigen Drachen annahm. Dieser war nicht nur größer als ein Mensch, nein, er besaß auch keine Schwingen, sondern lediglich metallische Auswüchse, die jenen ähnelten. An ihnen befand sich auf jeder Seite eine Kugel. Die linke rot, die rechte grün, waren sie spiegelverkehrt zur heterochromen Augenfarbe des Monstrums.   „Odd-Eyes“ [ATK/2500 DEF/2000 (7)]   Valerie tat es Anya gleich und verschränkte die Arme, auch wenn ihre Körperhaltung viel eleganter ausfiel. „Da die Stufe im Pendelbereich liegt, war die Beschwörung rechtens. Wer hätte gedacht, dass schon jetzt jemand diese neuen Karten wirklich nutzen würde. Besonders nach der Vorstellung neulich …“ „Soll er doch. Marc macht ihn trotzdem platt!“ „Du hast Recht“, nickte die Schwarzhaarige und streckte die Faust in die Höhe, „los Marc, davon lässt du dich doch nicht beeindrucken, oder?“   Der bemerkte die beiden daraufhin und zeigte ihnen mit erhobenem Daumen, dass er guter Dinge war. Was Valerie dazu brachte, ihn noch mehr anzufeuern. Derweil verkündete Othello leise. „Odd-Eyes greift [Lavalval Ignis] an. Spiral Strike Burst!“ Augenblicklich begann der Drache in seinem Maul rote Energie aufzuladen, peitschte wild mit seinem dornigen Schweif. „Nicht so hastig, Freundchen!“ Marc schwang den Arm über eine seiner gesetzten Karten aus, die sich erhob. „Dein Drache hat heute noch nicht in den Spiegel geschaut! Sonst wäre ihm nämlich aufgefallen, dass ihm ein paar Angriffspunkte fehlen. Ich aktiviere [Mirror Wall] und-!“ Zu Marcs Erstaunen tauchte unerwartet der schwarze [Timegazer Magician] vor Othello auf. Dieser streckte sein Klingenblatt nach vorn, wodurch für einen kurzen Moment der Eindruck entstand, das Ziffernblatt einer Uhr würde in ihm aufflackern. „Du kannst keine Fallenkarten aktivieren, solange [Timegazer Magician] in meiner Pendelzone liegt und ein Pendelmonster gerade angreift“, lautete Othellos Erklärung dazu. Marc aber grinste nur neckisch, als die Falle sich postwendend wieder selbst verdeckte. „Dann liegt er dort eben nicht mehr. Ich aktiviere meine zweite verdeckte Karte, [Twister]!“ Vor dem schwarzen Magier erschien plötzlich der weiße und drehte in hoher Geschwindigkeit seinen Stab gegen den Uhrzeigersinn. Die Karten vor Marcs Füßen rührten sich keinen Millimeter. „Auch das geht nicht, denn [Stargazer Magician] verhindert unter derselben Bedingung Zauberkartenaktivierungen.“ Dementsprechend wich Marc einen Schritt zurück. „Mist, der geht dann wohl durch!“ Und das tat er. Der Drache feuerte einen roten Energiestrahl, umhüllt von schwarzen Flammen auf den von Anya getauften 'Ghostrider' [Lavalval Ignis] ab. Othello rief kehlig: „Reaction Force!“ Die Kugeln an den metallischen Auswüchsen seines Drachen begannen zu leuchten und ehe Marc sich versah, wurde der Angriff durch eine goldene Flamme verstärkt. Ignis wurde zerfetzt. Schützend hielt sich der schwarzhaarige Kinnbartträger den Arm vors Gesicht, als er anschließend zum Ziel des Angriffs wurde.   [Marc: 3500LP → 2100LP / Othello: 3800LP]   Als dieser dann auf seine Duel Disk starrte, traf ihn der Schlag. „Unmöglich! Ich habe viel zu viele Lebenspunkte durch diesen Angriff verloren!“ „Nein. Odd-Eyes fügt im Kampf mit Monstern doppelten Schaden zu.“ „Doppelten!?“, fiel Marc aus allen Wolken. Der junge Mann im Rollstuhl nickte knapp. „So ist es, das ist Reaction Force. Ich setze meine vorletzte Handkarte und beende diesen Zug.“ Jene schob er in seine vor ihm befindliche Duel Disk, welche sich vor seinen Füßen materialisierte.   Plötzlich begann er unkontrolliert zu husten, sodass seine Begleiterin ihm eindringlich zuredete. Doch mit erhobener Hand wies er ihre Einwände ab. „Es geht schon.“ „Ich will dich ja nicht zum Aufgeben animieren, aber vielleicht wäre es wirklich das Beste, wenn wir an dieser Stelle aufhören“, schlug auch Marc besorgt vor. Othello schüttelte den Kopf. Freundlich, aber mit Nachdruck antwortete er: „Danke, aber die letzten paar Züge schaffe ich auch noch.“ „Was hat er denn?“, fragte Anya derweil Valerie. Die überlegte kurz. „Ein Unfall, soweit ich mich recht entsinne. Vor einigen Jahren, aber ich kenne keine Details. Seitdem sitzt er im Rollstuhl.“ „Aha“, erwiderte die Blonde mäßig beeindruckt. „Wen juckt's, soll er froh sein, dass er noch lebt.“   Marc derweil zog seine nächste Karte und betrachtete sie überrascht. Dann sah er herüber zu den beiden Mädchen und zeigte ihnen den erhobenen Daumen. Valerie winkte strahlend zurück. Dagegen verstand Anya erst, warum er ausgerechnet sie dabei angesehen hatte, als der Schwarzhaarige die Karte auf sein D-Pad legte. „Seht alle her! Da genau fünf Feuer-Monster auf meinem Friedhof liegen, kann ich ihn beschwören: [Pyrorex The Elemental Lord]!“ Eine wahre Feuerexplosion ereignete sich hinter Marc, tauchte den gesamten Brunnenplatz in rotes Licht. Hinter ihm erhob sich eine gar furchteinflößende Kreatur, über drei Meter groß. Vom Kopf an über den Rücken hin bis zum Schweif stand der gepanzerte T-Rex in Flammen.   Pyrorex The Elemental Lord [ATK/2800 DEF/2200 (8)]   Valerie staunte nicht schlecht. „Die Karte kenne ich gar nicht! Moment! Sag bloß, die hast du ihm zu unserer Hochzeit geschenkt?“ „Ja … du hast die Wasser-Version, Abby das Erd-Pendant“, nuschelte Anya verlegen. Mussten die beiden das jetzt noch hinausposaunen? Umso schlimmer noch, als Redfield ihre Hand um Anyas Schulter legte. „Wer hätte gedacht, dass du auch eine derart großzügige Seite an dir haben kannst?“ „Klappe, Redfield!“ Während sich Anya versuchte loszureißen, begann die Zuschauermeute zu tuscheln. Grund dafür war, dass Marc plötzlich regungslos verharrte und seinen Zug nicht fortsetze. Auch Valerie fiel dies schließlich auf, nachdem Anya sie unsanft von sich geschubst hatte. „Marc? Was ist los?“, rief sie ihm zu. Der reagierte im ersten Moment gar nicht, schüttelte dann aber den Kopf und sah fragend zu ihr herüber. „Hm?“ „Dein Zug“, erinnerte sie ihn. „Oh! Ja, natürlich!“ Marc wandte sich an seinen an den Rollstuhl gebundenen Gegner. „Tut mir leid, ich war gerade mit den Gedanken woanders. Da ich Pyrorex beschworen habe, aktiviert sich jetzt sein Effekt!“ Die Bestie hinter ihm streckte ihre Klaue aus und ließ darüber einen Feuerball erscheinen. Zu diesem erklärte Marc: „Er zerstört sofort ein Monster auf dem Feld und teilt dessen Angriffspunkte auf uns als Schaden auf! Los!“ Unter einem tiefen Ausruf schleuderte Pyrorex den Feuerball auf seinen Feind, den roten, flügellosen Drachen. Im Flug wuchs die Flamme auf die Besorgnis erregende Größe eines Medizinballes an und löste bei Kontakt eine donnernde Explosion aus, die sich bis zu Marcs Spielfeldseite ausweitete.   [Marc: 2100LP → 850LP / Othello: 3800LP → 2550LP]   „Damit kann ich dich jetzt direkt angreifen!“, hallte es durch den Rauch. „Gut gespielt, Kleiner, aber das war's! Direkter Angriff, Pyrorex!“ Noch während den Zuschauern der Blick auf das Spielfeld durch den Rauch verwehrt blieb, sahen sie auf Marcs Seite etwas Rotes, Großes leuchten. Es waren die Flammen an Pyrorex' Körper, welcher über Marc hinweg sprang und die andere Seite anzielte. Mitten im Lauf machte er offenbar eine 180°-Drehung und schlug mit seinem Schweif nach Othello. In jenem Moment lichtete sich der Rauch durch den entstandenen Luftzug. Der Schweif des Dinosauriers prallte an einer blauen Energiekuppel um den jungen Mann ab, initiiert von drei Priesterinnen in ebenso blauer Robe, die leise eine Formel immer und immer wieder wiederholten. „[Waboku]“, benannte Othello die vor ihm aufrecht stehende Falle, „sie verhindert, dass ich diesen Zug über Kampfschaden erleide.“ „Da war ich dann wohl etwas zu vorlaut, was?“, grinste Marc und rieb sich verlegen den Hinterkopf. Derweil kehrte sein Monster zu ihm zurück. „Gut abgewehrt. Du bist gleich am Zug. Aber erst aktiviere ich meine verdeckte Karte [Twister]!“ Die links vor ihm liegende Karte sprang auf, offenbarte sich als Schnellzauberkarte, aus der ein Wirbelsturm geschossen kam. „Für 500 Lebenspunkte zerstöre ich eine offene Zauberkarte.“ Sofort wurden verwirrte Ausrufe aus dem Publikum laut, während der Wirbel über das Spielfeld fegte. Othello besaß gar keine offenen Zauberkarten. Doch sie wurden eines besseren belehrt, als der Sturm plötzlich in die Höhe schoss und den in der rechten Energiesäule befindlichen [Timegazer Magician] anvisierte. Der in Schwarz gekleidete Magier wurde mitgerissen, das blaue Licht um ihn herum schwand augenblicklich. „Keine Pendelbeschwörungen mehr für dich“, schloss Marc letztlich zufrieden.   [Marc: 850LP → 350LP / Othello: 2550LP]   Einige der Zuschauer gaben erstaunte Laute von sich, hatten sie nicht begriffen, dass [Timegazer Magician] in Othellos Pendelzone ebenfalls als Zauberkarte behandelt wurde.   Der junge Mann im Rollstuhl zog im Anschluss mit abwesendem Blick eine zweite Handkarte auf und betrachtete sie nachdenklich. Dann zeigte er sie vor. „Ich beschwöre den [Doomstar Magician].“ Damit legte er dessen Karte auf die Monsterkartenzone vor sich. Dementsprechend erschien vor ihm ein Magier, komplett in schwarzem Ledermantel samt dazu passender Hose und Hemd gekleidet.   Doomstar Magician [ATK/1800 DEF/300 (4)]   Jener hob auf Befehl Othellos hin den langen Zauberstab in die Höhe, welcher in einem blauen Kristall mündete. So erklärte der junge Mann: „Sein Effekt lässt mich durch das Abwerfen einer Karte von meinem Blatt ein Monster in den Pendelzonen zerstören.“ Er entledigte sich seiner letzten Handkarte, indem er sie in den Friedhofsschlitz auf der linken Seite der vor ihm liegenden Duel Disk schob. Gleichzeitig stieg von der anderen Hand des Magiers rötlicher Nebel auf, welcher vom Kristall an seinem Zauberstab absorbiert wurde. „Aber …?“ Marc sah irritiert auf. Es gab nur ein Pendelmonster auf dem Feld, den [Stargazer Magician]. Und jeder wurde schließlich auch wie ein Vogel vom Himmel geschossen, als der [Doomstar Magician] eine Lichtkugel aus der Spitze des Stabs auf ihn abfeuerte. Der weiße Hexer zersprang in tausend Stücke, die blaue Lichtsäule um ihn schwand. Othello sagte dazu: „Als Nebeneffekt darf ich eine Karte ziehen.“   Gleichzeitig dazu murrte Anya: „Pah! Zu mehr sind diese Pendeldinger echt nicht gut, huh?“ Es kam selten genug vor, aber Valerie stimmte ihrer Freundin nachdenklich zu. „Ich muss zugeben, dass sie mir neulich auch der Party auch etwas … schwach erschienen. Aber …“ Ihre Miene gewann etwas Nachdenkliches und es geschah, was geschehen musste. Sie widersprach Anya doch in gewisser Hinsicht. „Das Potential ist da. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das alles ist.“ Dafür erntete sie von Anya nur ein skeptisches Schnaufen.   Alldieweil hatte Othello wie angekündigt eine Karte gezogen und zeigte diese vor. „Sehr gut. Ich aktiviere die Zauberkarte [Pendulum Restoration].“ Sein Magier begann bläulich aufzuleuchten und stieg ebenfalls in einer Säule aus Licht auf. Anstatt aber seinen nicht existierenden Pendelbereich preiszugeben, löste er sich in weißen Funken auf. Die Zuschauer staunten lautstark. „Ich muss ein Monster opfern, um zwei 'zerstörte' Pendelmonster mit demselben Attribut zurückzuerhalten. Dafür darf ich in diesem Zug nur sie in den Pendelzonen aktivieren.“ Marc verkrampfte sich. „Moment … das heißt-!“ „Oh nein!“, stieß auch Valerie besorgt hervor. Der junge Mann im Rollstuhl zeigte, was die beiden und vermutlich ein Großteil der Anwesenden sans Anya längst erkannt hatten. Er hielt [Stargazer Magician] und [Timegazer Magician] in den Händen und legte beide auf die Zonen am äußersten Rand seiner Duel Disk aufs Feld. „Richtig … sie kehren wieder! Pendulum Scale set!“, rief Othello und anhand seiner leisen, leicht zittrigen Stimme merkte man, wie erschöpft er zu sein schien. In blauen Lichtsäulen stiegen der weiße und der schwarze Hexer in die Höhe, stellten damit die Ausgangssituation wieder her.   <1> Othellos Pendelbereich <8>   „Wo ist da der Sinn!?“, beschwerte sich Anya derweil, die all die Aufregung nicht verstand. „Er hat keine Monster mehr auf der Hand, wie will er da noch welche beschwören!?“ „Oh Anya …“, murmelte Valerie neben ihr mitleidig. „Du hast es wirklich schon vergessen, oder?“ Die Blonde blickte sie grimmig von der Seite an. „Was?“ „Hast du denn nicht darauf geachtet, -woher- er die beiden Magier genommen hat?“ „Na vom Friedhof!“ Valerie schüttelte den Kopf. „Nein … nicht von da …“   Der junge Mann im Rollstuhl streckte den Arm in die Höhe, während die Hand der Frau an seiner Seite auf seiner Schulter lag. Auch wenn sie stolz lächelte, brachten ihre ins Leere starrenden Augen doch nur Trauer zum Ausdruck. „Pendulum Summon! Kehre von meinem Extradeck zurück, Odd-Eyes!“ Großes Staunen unter den Zuschauern. Zwischen den beiden Magiern begann ein riesiges, blaues Kristallpendel zu schwingen. Über seinem Ursprung öffnete sich ein schwarzes Loch, das von aberdutzenden Energieellipsen umrandet war, die einander überlagerten. Selbst Anya stand der Mund weit offen. „Was macht der da!? Seit wann kann man etwas, das weder Fusions-, Synchro- oder Xyz-Monster ist, im Extradeck verstauen!? Geschweige denn von dort beschwören, ohne-!?“ Valerie seufzte. „Anya, du hast nicht gut aufgepasst bei dem, was Henry erklärt hatte. Pendelmonster werden ins Extradeck geschickt, wenn sie das Spielfeld verlassen. Und können von dort per Pendelbeschwörung zurückgerufen werden. Auch seine beiden Magier waren dort, bevor er sie sich zurückgeholt hat.“ Daraufhin erinnerte sich Anya daran, dass Melinda auch irgendetwas in der Art erwähnt hatte. „'kay, das ist dann wohl kacke für Marc.“ Aus dem geöffneten Loch schoss ein einzelner, roter Blitz, der vor Othello einschlug und zu dem roten Drachen wurde, an dessen hornartigen Auswüchsen auf dem Rücken die unterschiedlich gefärbten Kugeln befestigt waren.   „Odd-Eyes“ [ATK/2500 DEF/2000 (7)]   Othello hob seine Handfläche über den Spielplan vor ihm. „Spiral Strike Bur … st!“, befahl er, wobei ihm die Stimme versagte. Sein Drache lud einen roten Energiestrahl in seinem Maul auf. „Das reicht nicht, um den Badass-Dino zu besiegen!“, protestierte Anya. „Das Ding ist zu schwach!“ Der allgemeine Konsens der Zuschauer war derselbe. Sie alle sahen voller Verwunderung dabei zu, wie der Drache in seinem Maul Energie auflud. Anstatt auf ihre Einwürfe einzugehen, hielt der junge Mann mit dem dunkelblonden, schulterlangen Haar seine Hand über den Friedhofsschlitz. Eine einzelne Karte schoss daraus hervor, die er aufnahm und vorzeigte. Es gab erstaunte Ausrufe aus dem Publikum. Sich noch einmal zusammenreißend, brach Othello hervor: „Ich verbanne … [Dreamgazer Magician] … von meinem Friedhof. Erhöhe den Angriff eines pendelbeschworenen Monsters um … 500.“ Wie aus dem Nichts tauchte hinter seinem Drachen ein transparenter, weiblicher Magier auf, gekleidet in einer himmelblauen Robe, an dessen Saum in regelmäßigen Abständen weiße Bänder hingen. An seiner gleichfarbigen Haube war ein weißer Schleier angebracht, welcher seinen Mund verdeckte.   „Warte!?“, keuchte Anya und zeigte auf das Monster, während sie Valerie ansah. „Ist das nicht auch ein Pendelmonster!? Eben sagst du noch, die gehen statt auf den Friedhof ins Extradeck und nun das!?“ Valerie schlug die Hand vors Gesicht. „Anya … Das gilt nur, wenn Pendel vom Feld auf den Friedhof geschickt werden. Der ist aber durch [Doomstar Magicians] Effekt abgeworfen worden ...“   Die Traumseherin streckte derweil ihre Hände aus, zwischen denen eine Glaskugel schwebte. Auf ihr befand sich ein rot leuchtendes, quer liegendes Auge, von dem sich in alle Richtungen Schlangenlinien ausbreiteten. Gleichzeitig dazu begann auf der blauen Kugel in Odd-Eyes Stirn besagtes Auge ebenfalls zu leuchten. In dem Moment stieß dieser seine rot-schwarze Energieattacke aus und feuerte sie auf Pyrorex.   „Odd-Eyes“ [ATK/2500 → 3000 DEF/2000 (7)]   Anya breitete wütend die Arme aus. „Trotzdem wird das nicht reichen, um Marc zu besiegen!“ Valerie aber wusste es besser. Erstickt entgegnete sie: „Doch, wird es …“ Der Strahl schlug in die Brust des Flammendinosauriers ein und löste eine dunkle Explosion aus, wobei die Begleiterin Othellos erklärte: „Der Effekt von Odd-Eyes wirkt! Es wird doppelter Kampfschaden ausgeteilt, genannt Reaction Force!“ Aus der Explosion schoss eine dunkle Schockwelle, die Marc erfasste und im wahrsten Sinne des Wortes durchflutete.   [Marc: 350LP → 0LP / Othello: 2050LP]   Während die Zuschauer zu applaudieren begannen und die Hologramme sich auflösten, stand besonders Anya mit offenem Mund da. „Alter Falter, diese Pendelviecher sind ja doch zu was nütze!“ „Melinda hat eben nur die Light-Variante präsentiert. Mit genug von ihnen kannst du jede Runde eine ganze Armee beschwören.“ Valerie schien sich gefangen zu haben und klatschte ebenfalls. „Ich bin gespannt, wie sich das noch entwickeln wird.“   Zeitgleich war Marc auf den jungen Othello zugegangen und reichte ihm lächelnd die Hand. „Gut gespielt, Kleiner. Da hab' ich mich wohl etwas überschätzt.“ Wortlos nickte der Strohblonde und schüttelte sie kurz und schwächlich, ehe seine Managerin sich einmischte. „Danke, aber er sollte sich jetzt wirklich ausruhen.“ Othello senkte sein Haupt, als seine Begleiterin den Rollstuhl wendete und mit ihm abzog.   Während Marc noch ein paar Worte des Abschieds loswurde, kamen Anya und Valerie ihm entgegen. Letztere fiel ihrem Liebsten schließlich um den Hals, was Anya mit einem genervten Augenrollen quittierte. „Das war doch nicht schlecht“, lobte seine Verlobte den Schwarzhaarigen, als sie ihn losließ. „Aber wie kommst du dazu, dich ausgerechnet mit ihm zu duellieren?“ Marc strich sich über die Stirn. „Ach, das war seine Idee, er hat mich angesprochen. Konnte ihm das nicht abschlagen.“ Neckisch erwiderte Valerie: „Deswegen musst du aber nicht gleich absichtlich verlieren!“ „Habe ich nicht! … Tut mir Leid, Valval, ich habe mich echt blamiert, kann das sein?“ „Quatsch!“, schalt diese ihn harsch. „Du hast dein Bestes gegeben.“ „Wenn das mein Bestes ist, komme ich im Turnier nur nicht sehr weit, fürcht' ich. Stimmt doch, oder Anya?“ Die Blonde wirbelte zu ihnen um, da sie sich zwischenzeitlich mit den Händen in den Hosentaschen abgewandt hatte. „Huh? Nee, so überstehst du nicht mal die Vorrunden.“ Marc grinste bestätigt. „Da hast du's.“ Anders als Valerie, die ihre Freundin tadelnd ansah. „Sagt genau die Richtige. Die, die nicht mal ein Deck hat.“   Jene ließ den Kopf hängen. „Immer noch Salz in die Wunde, huh, Redfield?“ Sofort hatte sie wieder den unliebsamen Arm der Größeren um ihre Schultern liegen. Jene piekste sie dazu noch mit dem Zeigefinger in die Seite. „Kopf hoch. Deswegen bin ich doch überhaupt erst mit dir hierher gekommen, schon vergessen? Wir kaufen dir jetzt eins!“ „Will keins …“, brummte Anya. „Sollen wir uns lieber nach einem Sarg umschauen?“, wurde Valerie nun deutlicher. „Glaub mir, Anya, du willst eins. Und du brauchst eins, wenn du Claire herausfordern willst.“ Mit einem Schritt zur Seite löste Anya sich, drehte sich ihrer Erzrivalin zu. „Weiß ich selbst. Aber ich hasse es! Etwas, das ich nicht kenne …Aber ich kann nicht einfach das Deck von einem von euch nachbauen. Das wäre … falsch. Und ihr wusstet das.“ Valerie begann auf den kreisrunden Springbrunnen in der Mitte zuzulaufen. In alle vier Himmelsrichtungen gingen schmale Wege von ihm ab, die zu kleinen Marktständen führten. Damit war er sozusagen das Zentrum des Parks und des Festes. „Schön, dass du das einsiehst. Ich kann mir vorstellen, dass du kein Freund von Veränderungen bist. Aber es muss sein.“ Anya zuckte mit den Schultern, als sie und Marc ihr folgten. „Ja ja … Meinst du, ich könnte es mit Pendelviechern probieren?“ Zu dritt setzten sie sich an den Rand des Brunnens, während Valerie sich bereits mit ausgestrecktem Hals nach einem Kartenstand umsah. „Davon würde ich dir abraten. Sie sind ziemlich kompliziert und auch wenn ich nicht bezweifle, dass du das Konzept -irgendwann- verstehst, ist -irgendwann- doch ein bisschen zu spät.“ „... war das gerade eine Beleidigung?“, fragte Anya trocken. „So ähnlich“, zwinkerte Valerie ihr zu, „aber im Ernst, du brauchst doch etwas Einfaches, in dem du aufgehen kannst.“   Einfach, begann das Mädchen nachzudenken, während Valerie ihre Gedankengänge erklärte. Hieß das, sie war zu dumm für umfangreichere Strategien? Zugegeben, mit den Ritualmonstern ihrer Erzrivalin würde sie vermutlich selbst jetzt nicht klarkommen, obwohl sie sie bereits mehrfach in Aktion erlebt hat. Die Laval-Monster von Marc erschienen da auf den ersten Blick einfacher, doch wenn Anya ehrlich war, musste sie zugeben, dass das täuschte. Marc musste genau drauf achten, wann er welche Monster auf den Friedhof schickte. So rekapitulierte sie die Decks ihrer Freunde der Reihe nach und kam zu der Erkenntnis, dass tatsächlich hinter jedem mehr steckte, als die reinen Effekte vermuten ließen. Bei Matt war entscheidend, welchem seiner Xyz-Monster er Vorrang geben sollte, Nicks Deck verstand sie sowieso nicht so recht und selbst Henrys erschien ihr auf einmal viel komplizierter. Zwar bereute sie nicht, die anderen um Hilfe gebeten zu haben, aber es stimmte schon. Sie brauchte etwas Eigenes, etwas, das ihren Stärken entsprach. Wenn sie nur wüsste, welche das überhaupt waren …   „… magst du Dinos?“, fragte Marc sie nebenbei. „Wenn ja, hätte ich da eine Idee.“ „Ich glaub, das könnte zu ihr passen“, stieg Valerie in die Überlegung mit ein. In dem Moment stach Anya etwas ins Auge. Unter den vielen Leute, die an den Ständen warteten, fiel eine Person besonders auf. Und es war, als wäre dieser Moment von Gott selbst geplant gewesen, denn genau in diesem Moment drehte jene sich zu Anya um. Kleiner als die meisten anderen dort, war er es, der Zwerg. Logan. Mit einem Schaschlik-Spieß in der Hand, am Mund angesetzt. Ihre Blicke trafen aufeinander. Anya wurde eiskalt, kamen doch sofort die Erinnerungen an ihren Streit hoch. Seitdem hatten sie nichts mehr voneinander gehört. „Ich muss mal kurz wohin“, stotterte sie benommen und erhob sich. Valerie und Marc, die nebeneinander auf dem Brunnen saßen und Händchen hielten, blickten verdutzt zu ihr hoch. Letzterer fragte: „Haben wir was Falsches gesagt?“ „Wir sagen immer was Falsches“, stichelte Valerie, „aber ich glaub, ich versteh schon.“ Anya aber hörte gar nicht mehr hin, sondern steuerte bereits immer schneller werdenden Schrittes auf Logan zu, der sie beobachtete und sich nicht von der Stelle rührte. Dass Anya auf ihrem Weg ein paar Besucher aus dem Weg stoßen musste war ihr nur recht. Denn in dieser Zeit hatte sie die Gelegenheit, all ihren angestauten Frust wieder hochkochen zu lassen und, und-!   Als sie direkt vor ihm stand, der er mit seinen knapp einem Meter fünfundsechzig Körpergröße nur wenige Zentimeter größer als Anya war, blieben dem Mädchen die Worte im Halse stecken. Einzig ein klammes „Hi“ brachte sie hervor. Was natürlich ausschließlich an dem leckeren Geruch gebratenen Fleisches lag! „Hi“, erwiderte er von genauso mangelndem, diplomatischem Geschick. „Machst'n du hier?“ Als wäre nichts gewesen! Anya traute ihren Ohren kaum! Wie konnte der Zwerg es wagen, sie völlig gleichmütig, absolut nicht nachtragend, einfach zu fragen- „Sicher, dass du dich nicht verlaufen hast, Kleine? Bist'n bisschen weit weg von Zuhause.“ „Kleine!?“, überschlug Anya sich völlig. Es war nur eine Eingebung, ein Reflex, nein, ein gottgewollter Impuls, aber Anyas Fuß krachte derart fest in den Grillstand neben den beiden, dass der Holztresen vor ihnen einfach nachgeben musste. Noch während der Verkäufer das Unheil erfasste und seine Stimme zu heben begann, übertönte Anya ihn mühelos. „Alter, was läuft in deiner Liliputanerwelt nicht rund!? Erst haust du ab und stellst mich als Lügnerin hin, dann meldest du dich nicht und jetzt fragst du mich, was -ich- hier zu suchen habe!?“ „Junges Fräu-“ Anyas Genick knackte, als sie den Kopf zum Verkäufer herum ruckte und ihn mit gefährlich weit geöffneten Augen anvisierte. „Was!?“ „Sie-!“ „Ich habe jetzt keine Zeit für deinen Fraß, Spatzenhirn! Such dir jemand anderes, den du mit dem Zeug vergiften willst!“ Anya packte ganz nebenbei Logan am Arm. Dabei zog sie noch den bereits liebevoll angestauten Rotz in der Nase hoch und spuckte ihn vor den Stand. „Arrivederci, Schweinebacke!“   Ihr unfreiwilliger Begleiter wurde abrupt fortgerissen, als sie begann, ihn über den halben Marktplatz zu zerren. Dabei natürlich lauthals fluchend, schimpfend, klagend. Willenlos ließ Logan es über sich ergehen, auch wenn der Schweiß auf seiner Stirn davon zeugte, dass die erstaunten Blicke seiner Mitmenschen ihm dennoch unangenehm waren. Irgendwann blieb Anya kurz vor dem Eingangstor des Parks stehen und atmete tief durch, da ihr zwischenzeitlich sogar die Stimme weggeblieben war. So viel gezetert hatte sie schon lange nicht mehr, verdammt, sie kam wirklich aus der Übung. „Fertig?“, hakte Logan nach. Anya sah ihn über die Schulter böse funkelnd an. „Nein! Scheiße, was willst -du- hier!?“ „Was denkst du wohl? Dem Legacy Cup beiwohnen. Hab' eine Freikarte für alle Spiele geschenkt bekommen.“ Zur Demonstration zog er diese aus seiner braunen Lederjacke. Anya riss sie ihm aus der Hand, betrachtete sie kurz, ehe sie ihm postwendend unsanft gegen die Brust stieß. „Schön für dich!“ „Nachtragend wegen neulich, was?“ „Du bist einfach abgehauen!“ Er erwiderte trocken: „Und du hast den Porsche in seine Einzelteile zerlegt.“ „Was hat das damit zu tun? Nick hat das längst bezahlt, oder nicht?“, beklagte Anya sich nun in einem erstaunlich humaneren, gar verletzten Tonfall. „Ich hatte … ich hatte keine Ahnung, was ich danach machen sollte.“ „Einfach keine Lügen mehr erzählen, in Ordnung? Mach das mit Kindern, aber nicht mit Erwachsenen.“ Trotzdem reichte er ihr die Hand. „Frieden?“ Anya aber hatte bereits den Mund geöffnet, um alles andere als Worte der Versöhnung loszuwerden. Jedoch hielt Levriers Stimme in ihrem Kopf sie glücklicherweise zunächst davon ab.   Denk an das, was ich dir gesagt habe. Er ist unschuldig. Du kannst ihn nicht in deine Welt hineinziehen. Nutze lieber die Chance, die sich ohne diese Wahrheiten bietet, Anya Bauer.   Die stieß die angesammelte Luft durch ihren Mund aus. Der Typ sah sie nicht gerade lächelnd an, aber dieses leicht Grimmige war bei Logan eben Standard. Man, sie musste ja doch zugeben, seine buschigen Koteletten vermisst zu haben. Ein wenig. Unbedeutend wenig, natürlich. Aber Anya wusste darüber hinaus nicht, ob sie ihrer oder Levriers Eingebung folgen sollte. So ließ sie die Zeit verstreichen, bis Logan seine Hand wegzog. „Wie du meinst“, murmelte er in einem nicht zu deutenden Tonfall. „Es ist nur“, begann Anya wieder leicht ins Stottern zu geraten, als ihre viel höher als sonst klingende Stimme sich zu überschlagen drohte, „ich wollte cool sein.“ Ich wollte cool sein, wiederholte Anya in ihren Gedanken und hätte in diesem Moment am liebsten ihren Kopf auf eine der Steinplatten unter ihnen geschlagen. „Du bist cooler, wenn du bei der Realität bleibst“, sagte Logan, „und deine ist auch so ungewöhnlich genug. Denk nicht, dass der Typ eben das mit seinem Stand auf sich sitzen lässt.“ „Pah, soll er doch!“ Stolz reckte Anya ihre mangelhaft ausgeprägte Brust vor. „Eine Anya Bauer wird doch wohl noch mit so einem Loser fertig!“   Und wie sie da standen, voreinander auf dem Gehweg, im Licht der Laternen, fühlte Anya sich seltsam befreit. Logan hatte ihr verziehen, ohne zu ahnen, dass es nichts zu verzeihen gab. Doch Levrier hatte wohl Recht: Die Wahrheit war zu viel für ihn. Zumindest ein Teil davon, denn eins musste Anya schließlich schelmisch grinsend loswerden: „Ach ja, nur damit du's weißt, ich bin für den Legacy Cup qualifiziert.“ „Weiß ich. Hat deine Freundin mir erzählt.“ „Welche Freundin!?“, fiel Anya aus allen Wolken. „Abby hieß sie. Sie hat mich vorgestern angerufen und gebeten, ein Auge auf dich zu werfen, da sie befürchtet, du könntest in diesem ganzen Rummel etwas untergehen. Von ihr habe ich auch das Ticket.“   Die Blonde traute ihren Ohren kaum. Abby hat das alles arrangiert? Völlig unmöglich! Das hieß, natürlich war das möglich, denn Abby war genau die Sorte Mensch, die hinter ihrem Rücken solche Dinge ausheckte. Bestimmt hatte sie auch auf Logan eingeredet und ihn besänftigt. Natürlich, jetzt ergab das alles einen Sinn! Aber woher hatte Abby so ein Ticket? Und woher wusste sie überhaupt von Logan!?   „Kann echt nicht glauben, dass du dich für den Legacy Cup qualifiziert hast“, gluckste jener derweil, „wenn deine Freundin nicht so derart penetrant gewesen wäre, hätte ich das für eine weitere Spinnerei gehalten.“ Anya war aber in diesem Moment meilenweit weg. Nicht zuletzt, weil Levrier längst den Gedanken aussprach, der noch mühevoll ihren eigenen Gehirnwindungen entschwinden musste.   Abigail Masters hat sicherlich keinen Zugang zu so einer Karte. Eine solche kostet über 1.000$, wie du vor der Abreise in der „Weekly Duel“ gelesen haben dürftest, die ihr in eurem Kartenladen verkauft. … tu nicht so, ich weiß, dass du dich an ihnen vergreifst, wenn Mr. Nico Palmer dich alleine lässt.   Mal wieder hatte Anya nicht mit derart viel Input von Levrier gerechnet, besonders hinsichtlich ihrer Freizeitgestaltung auf der Arbeit. Aber er traf den Nagel auf den Kopf, denn so viel Geld hatte Abby nicht mal eben in der Tasche, auch wenn kein Zweifel bestand, dass sie es in der Not für Anya ausgeben würde. „Das ist Warenkunde!“, nuschelte Anya leise und wandte sich von Logan ab, „Irgendwo muss ich doch den ganzen Scheiß auswendig lernen, den ich verkaufe!“ Sich kurz zu ihrem Begleiter umdrehend, rief sie: „Muss mal kurz telefonieren.“ „Dann geh ich kurz noch etwas erledigen.“ Während er ebenfalls abdrehte, wirbelte Anya wieder herum.   Und wieso lernst du dann nichts dazu? Wie auch immer, worauf ich hinaus will ist, dass jemand anderes die Karte gekauft haben muss. „Jemand wie Nick“, sprudelte es aus Anya heraus. „Na logo, er kennt den Zwerg. Aber wieso, er hasst ihn doch!?“   Dich hasst er nicht. Zumal ich den Eindruck habe, als wolle er neben Zanthe Montinari und Matthew Summers noch jemanden um dich wissen, der Acht auf dich gibt. Wissend, dass Abigail Masters geschickter darin ist, Menschen zueinander zu führen, hat er ihr diese Aufgabe überlassen.   Anya sah herüber zu Logan, der derweil an den ersten Stand am Rand des Weges gegangen war und dort scheinbar etwas kaufte, während er an seinem Schaschlik-Spieß nagte. „Diese beiden …“ Manchmal frage ich mich, was du getan hast, um ihre Freundschaft zu gewinnen. Bevor du minimal erträglich wurdest.   Unerwarteterweise zuckte Anya nur mit den Schultern und gluckste. „Weiß ich auch nicht so genau.“ Schließlich entschied sie sich zu Logan zurückzukehren. Jener kam ihr mit etwas in seiner Hand entgegen, als sie zu den Ständen herüber schlendern wollte. „Hab 'ne Bitte. Sag deiner Freundin nicht, was ich dir eben erzählt habe“, meinte er, „sollte eigentlich unter uns bleiben.“ „Tch! Typisch Abby. Spielt Friedenstaube und will nicht mal Lob dafür.“ Als Anya bemerkte, dass Logan sie streng anstarrte, da damit seine Frage nicht beantwortet war, raunte sie: „Fein, meinetwegen, wenn's euch glücklich macht!““ Für einen kurzen Moment zierte ein zufriedenes Lächeln seine Lippen. Dann reichte er Anya jenes Etwas – eine Deckbox. „Für dich. Von deiner misslichen Lage hat sie mir nämlich auch erzählt.“ Völlig verdattert gaffte Anya ihr Gegenüber zunächst wortlos an, ehe sie die rote Box entgegennahm und öffnete. Dort drin war ein Deck! Und dazu noch eines, das sie bereits kannte, war doch die oberste Karte dort drinnen [Battlin' Boxer Lead Yoke]. „Das ist deins!“ Für jemand wie Anya, die sonst Besitztümer ausschließlich mit 'meins' angab, war jener überraschte Ausruf praktisch unvorstellbar. Und sie setzte sogar noch einen drauf, dass selbst Levrier sprachlos blieb. „Das kann ich nicht annehmen!“ „Du sollst es ja nicht behalten. Ich leihe es dir nur aus, solange du dein altes Deck nicht zurück hast.“ Seine Mundwinkel zuckten, während er die Blonde betrachtete. „Kommt mir vor, als hätte ich das schon mal gesagt.“ Anya senkte den Kopf und betrachtete die Deckbox in ihrer Hand. Ihre Finger drückten sich fest in das Plastikgehäuse. „… danke.“     Turn 59 – Glory Der große Tag ist gekommen. Das Turnier beginnt und die Teilnehmer finden sich in der größten der Arenen von Ephemeria City ein. Anyas Vorrunden zeigen einen unerwarteten Verlauf und darüber hinaus erwartet sie noch eine alles andere als willkommene Überraschung in Form eines Kontrahenten, mit dem sie nicht gerechnet hätte. Derweil begegnet Zanthe … Kapitel 64: Turn 59 - Glory --------------------------- Turn 59 – Glory     Der nächste Morgen kam für Anya viel zu früh. Völlig zerzaust stieg sie in Shirt und Boxershorts aus dem Bett, während Matt und Zanthe längst zum Frühstück runter ins Restaurant gegangen waren. Ihr Blick fiel auf die rote Deckbox auf ihrem Nachttisch. Sie griff sie sich und musste dem Drang widerstehen, unwillkürlich zu lächeln. Dieser Depp Logan. Hatte er doch gestern wirklich noch versucht, die Sache mit dem Anya-bedingten, ruinierten Imbissstand zu regeln. Ihre Finger schlossen sich fester um die Box. Eigentlich war sie davon abgekommen, das Deck eines anderen zu benutzen. Aber warum auch immer, fühlte sie sich den Battlin' Boxern gewachsen. Mit ihnen konnte sie kämpfen. Und sie würde das Turnier gewinnen, das hatte sie dem Zwerg versprechen müssen.   Nachdem Anya zum Frühstück dazugestoßen war, hatte die kleine Gruppe nicht mehr viel Zeit. Matt bestellte ein Taxi, das sie direkt zu der Arena bringen würde, in der die Vorrunden stattfinden würden. Während der Fahrt warnte Zanthe das Mädchen, dass jene den ganzen Tag überdauern würden und sie damit für einen langen Zeitraum konzentriert sein müsse. Etwas, das der Werwolf ihr anscheinend nicht zutraute. Nach etwa zwanzig Minuten Fahrt und einer seltsam unruhigen Taxifahrerin waren sie endlich da.   Anya stieg als Erste aus dem Taxi. Der Anblick, der sich ihr bot, raubte selbst einer so egozentrischen und ewig grimmigen Person wie ihr den Atem. Das ovale Stadion, gebaut im Zentrum der Stadt, mitten im Wasser, übertraf in seiner Größe spielend leicht das Einkaufszentrum in Livington. Sie hatte gelesen, dass die Fläche im Inneren etwa dem anderthalbfachen eines Footballfeldes entsprach. Und auch von der Höhe her machte das moderne Gebäude seinem Status als Touristenattraktion alle Ehre, überragte es alles andere in der näheren Umgebung. In dem silbrig metallischen Stadion hatten über 50.000 Zuschauer Platz. Die Duelle wurden im Freien abgehalten, auf insgesamt 72 Feldern. Sollte es regnen, fuhren über der Tribüne gläserne Platten aus, die dem Wetter trotzten. „Man, deine Augen funkeln ja richtig“, kicherte Zanthe vergnügt. Die Blonde zuckte zusammen, hatte sie gar nicht mehr gemerkt, dass die anderen auch ausgestiegen waren und die Taxifahrerin bereits bezahlt hatten. Ungewöhnlich freundschaftlich legte der Werwolf seine Hand auf Anyas Schulter. „Das ist der erste Schritt zur Verwirklichung deines Traums. Da darfste schon mal etwas glotzen.“ „Ja“, nickte auch Matt zu ihrer Linken, „genieße den Anblick ruhig einen Moment.“ Was Anya auch tat.   Von ihrer Position aus hatten sie den perfekten Blick auf die Front. Eine extra angelegte Brücke führte herüber zum Eingang, über den in leuchtenden, blauen Lettern „Ephemeria Bridge Stadium“ stand. Das Metall spiegelte das Licht der Sonne, sodass es wirkte, als würde es strahlen. Hunderte Leute warteten bereits vor dem Stadion auf den Einlass. „'kay, genug geglotzt.“ Anya lief geradeaus über die Straße und wurde dabei noch fast angefahren, weil sie nicht auf den Verkehr achtete. Dem Beinahe-Unfallbauer zeigte sie abwesend ihren besten Mittelfinger, während ihre beiden Begleiter sich lauthals mit peinlich berührter Mimik entschuldigen und hinterher eilten. Denn Anya zog das Tempo immer mehr an, bis sie die Spannung auf das Kommende nicht mehr aushielt und zu rennen begann. Während sie so über die Brücke stürmte, sah sie herüber zu einer anderen zu ihrer Linken, die weiter am Ende der Stadt die beiden Bezirke verband. Dort drüben war es gewesen, wo sie von Zed angegriffen worden war. Ob die Undying wohl heute auftauchen würden? Anya konnte es nicht beschreiben, aber der Gedanke ließ sie kein bisschen erschaudern. Denn heute konnte sie jeden besiegen, das spürte sie einfach.   Schließlich hatten sie den Eingangsbereich erreicht, das Stadion war umgeben von Grünflächen mit Bänken. Hier und da boten kleine Stände Snacks an, um die Wartezeit vor dem Einlass zu verkürzen. Ein paar Stufen führten hinauf zum Platz vor dem Haupteingang, an dem sich unzählige Leute tummelten. Sie alle gingen einen, durch regelmäßige Abgrenzungen gekennzeichneten, Weg entlang durch eine Schlange, welche sie direkt zu den Ordnern am Eingang führte. Dort wurden die Tickets überprüft. „Ich fürchte, hier trennen sich unsere Wege“, meinte Matt und stellte sich an das Ende der Schlange, „du musst da lang.“ Er zeigte zu einem Extrabereich etwas abseits, der ebenfalls von mehreren, in blauen Uniformen steckenden, Mitarbeitern des Stadions bewacht wurde. Auch hier tummelten sich ein paar Zuschauer, da sie hofften, den ein oder anderen Blick auf die Teilnehmer zu erhaschen. „'kay, wir sehen uns später“, murmelte Anya und peilte den rechten Fronteingang des Gebäudes an. „Viel Erfolg!“, rief Matt ihr hinterher. Zanthe dagegen flötete: „Blamier' mich nicht!“ Anya zeigte ihm im Weggehen ihren heute besonders nach Aufmerksamkeit haschenden Mittelfinger. Kurz darauf drängte sie sich an irgendwelchen hyperaktiven Fangirls irgendwelcher Wannabe-Pros vorbei und baute sich vor den Ordnern auf. Nachdem sie Turnier- und Personalausweis vorgezeigt hatte, wurde sie hineingelassen und staunte noch einmal Bauklötze. Sie war weniger in einem Stadion, denn mehr einer Art Einkaufsstraße gelandet. Zu ihrer Linken befand sich eine Wand mit Postern diverser Berühmtheiten der Szene. Dahinter lag der Zuschauereingang samt Ticketschalter und vermutlich auch diversen Shops, die Fanartikel en masse verkauften. Zumindest wenn sich dort genau wie hier die Läden nur so aneinander reihten. Deckboxen, Kartenhüllen, für alles gab es praktisch einen, ach was, drei verschiedene Läden. Der in einer leichten Kurve verlaufende Gang wurde zudem durch regelmäßige Rolltreppen in seiner Mitte unterbrochen, die in die oberen Stockwerke führten. Zu Anyas Erleichterung war hier nicht so viel los, nur vereinzelt fanden sich vor den Läden ein paar Spieler ein. Andere gingen den scheinbar gar nicht enden wollenden, in allen nur erdenklichen Farben leuchtenden Konsumtunnel entlang. Die Blonde folgte ihnen mangels fehlender Eingebung, wo sie denn hin musste. Andererseits, was gab es schon für Optionen? Raus ins Innere natürlich!   Schnell stellte sich allerdings heraus, dass die Dinge doch nicht so einfach waren. Bevor Anya offiziell teilnehmen konnte, musste sie sich zunächst noch einmal einschreiben, was an einer Rezeption in einem Vorbereitungsraum geschah. Dort saßen einige Duellanten und bearbeiteten ihr Deck, denn jede Karte musste in einem Formular angegeben werden. So setzte sich auch Anya mit dem Bogen in der Hand in einen der bequemen, weißen Ledersessel innerhalb des mit marinefarbenen Marmorplatten ausgelegten Raumes. Sie musste sich Logans Deck genau ansehen und führte nebenbei noch einige Änderungen durch, bevor sie krakelig die Karten aufschrieb und das Dokument am Tresen abgab. Auch ihr rotes D-Pad wurde mit einem Scanner registriert, sodass sie sich wie an der Kasse eines Supermarkts vorkam. Schließlich durfte sie auf Handschwenk der Mitarbeiterin den Raum Richtung einer einfachen Tür zu ihrer Rechten verlassen.   ~-~-~   „So früh schon auf Arbeit?“, staunte Aiden nicht schlecht, als er Nicks Büro betrat. Der junge Mann in buntem Hawaiihemd saß an seinem gläsernen Schreibtisch und war anscheinend eifrig dabei, etwas zu programmieren. Er sah nicht auf, als er erwiderte: „Dir auch keinen guten Morgen.“ „In etwa einer Stunde gehen die Vorrunden des Legacy Cups los. Willst du nicht zusammen mit den anderen im Pausenraum zusehen?“ Nick richtete sich mit angezogener Augenbraue auf. „Welchen Teufelspakt mussten die armen Dinger dafür eingehen, dass sie, statt zu arbeiten, die Übertragung ansehen dürfen?“ Der immer im Anzug gekleidete Geschäftsmann ließ sich zu einem verschmitzten Lächeln hinreißen, als er um den Schreibtisch herumging. Wie eine Hyäne, so kam es Nick vor, schlich Aiden hinter ihn, tat aber nichts Unüberlegtes. „Solltest du nicht auch zusehen? Ich meine, deine Schwester feiert dort sozusagen ihr Debüt und das ganz ohne meine Unterstützung.“ Er beugte sich über Nicks Schulter, flüsterte in sein Ohr. „Das ist eine außergewöhnliche Leistung für jemanden wie sie. Wie hast du es angestellt?“ „Ich bin mir sicher, dass Anya auch zurecht kommt, wenn ich nicht zusehe und ihren Namen in regelmäßigen Intervallen schreie.“ Aiden richtete sich auf. „Wollen wir es hoffen.“ Sich nun vom Bildschirm abwendend, drehte sich Nick auf seinem Stuhl zu Aiden. Mit dem Ausdruck maßloser Genugtuung sagte er: „Und ich hoffe, du weinst dich nicht in den Schlaf, weil du sie nicht unter deine kleinen, erzbösen Fittiche bekommen hast.“ Sein Beinahe-Verlobter winkte ab. „Nicht doch. Ich habe rechtzeitig Ersatz gefunden.“ Nick drehte sich wieder um. „Um den wird sich schon jemand aus Team VAM kümmern, wenn einer von ihnen die Gelegenheit bekommt.“ „Willst du gar nicht wissen, wen ich ins Rennen geschickt habe?“ Wenn sein Chef das so formulierte, war Nick sich sicher, dass er es tatsächlich nicht wissen wollte. Was wiederum bedeutete, dass er es wissen musste, weil es nichts Gutes bedeutete. „Du wirst nicht gerade glücklich sein, aber …“ Aiden unterbrach sich selbst. „Nein. Ich bin mir sicher, Team 'VAM' wird schon damit klar kommen. Wofür steht das eigentlich?“ Damit zog er an Nick vorbei, aber nicht, ohne ihm vorher ein letztes Lächeln zu schenken, obwohl seine Nachfrage unbeantwortet blieb.   Als er die Tür hinter sich schloss, stöhnte Nick: „Ich habe keine Zeit, mich auch noch um deine Spielchen zu kümmern …“ Trotzdem wäre es wohl das Beste, wenn er sich die Teilnehmerliste etwas genauer ansah.   ~-~-~   Als Anya das Tor zum Inneren des Stadions durchquerte, hatte sie vieles erwartet. Eine riesige Halle unter freiem Himmel. Zugegeben, die hatte sie auch bekommen, schließlich waren nur die Zuschauerränge der ovalen Arena überdacht – auch wenn deren Dach bei Bedarf komplett sogar komplett über das Spielfeld geschlossen werden konnte. Aber so wie es aussah, an diesem schönen Sommertag, brauchten sich die Zuschauer keine Sorgen um Regen machten. Was weniger an dem Wetter selbst, sondern an relativ leeren Sitzreihen lag. Denn dies war das erste, was dem Mädchen beim Eintritt ins Innere auffiel.   Von beiden Seiten der Arena fluteten die Duellanten in dessen Mitte. Anya lag goldrichtig, die Veranstaltungsfläche war wesentlich größer als ein Footballfeld. Aufgeteilt in sechs mal zwölf kleinere Felder, die abwechselnd in den Farben blau, gelb, grün, rot, orange und violett sowie durch eine Nummer gekennzeichnet waren. Bereits jetzt huschten überall Kameramänner und Assistenten herum, auf den dutzenden Bildschirmen oberhalb der Tribünen sah man Animatoren, die das Publikum anheizten, welches gerade einmal etwas mehr als ein Drittel der vorhandenen Plätze ausfüllte.   Anya begriff, dass die Vorrunden nicht so interessant zu sein schienen. Dennoch würden einige ausgewählte Duelle auch im Fernsehen übertragen werden. Es war ein fremdartiges Gefühl, wie sie mit dutzenden anderen ins Innere strömte, ohne zu wissen, was auf sie zukam. Bisher hatte sie es noch nie mit so vielen Feinden gleichzeitig zu tun gehabt, wie Anya die anderen Teilnehmer insgeheim titulierte. Viele von denen sahen so harmlos, herkömmlich aus. Vermutlich war sie aber einfach nur Schlimmeres gewöhnt. Big Al, Isfanel, Another, Urila, Kyon, der Sammler, die Undying. Gegen die waren das hier doch alles Napfsülzen!   Und doch! Jetzt, wo sie sich einigermaßen Überblick verschafft hatte, musste Anya insgeheim schlucken. Das mussten trotzdem über hundert Duellanten sein, die sich unter dem freien Himmel der Arena zum ultimativen Stelldichein versammelt hatten. Wie viele von denen waren wohl so gut wie Redfield? Oder besser? Nervös?   Levrier erschien an ihrer Seite, hielt die Arme verschränkt. „Yep“, antwortete Anya ungewohnt ehrlich. Fügte flüsternd hinzu, aus Angst, dass jemand mithörte: „Denk dran, wie ich mich qualifiziert hab und wie das bei den anderen Pfeifen der Fall war.“   Das ist wahr. Du solltest jedoch nicht an dir zweifeln. Zwar hast du dir nicht mit rechten Mitteln einen Platz erkämpft, aber du bist nicht mehr das Mädchen, das ich vor etwa einem Jahr kennengelernt habe.   Er schwebte vor Anya. Und Anya war sich sicher, könnte er unter seinem Helm lächeln, würde er dies jetzt ganz gewiss tun. Was sie zum Grinsen brachte. „Yeah …“ Doch sofort bohrte sich etwas Spitzes in ihr Herz. Zweifel. War sie wirklich so stark wie Levrier glaubte? Wenn sie doch nach wie vor nicht aus eigener Kraft gegen die Schnöselgeschwister gewinnen konnte? Wenn Ricther mit ihr den Boden gewischt hätte, wäre Levrier nicht inkarniert? Sie ließ den Kopf hängen. Wie wollte sie in diesem Haifischbecken überleben, wenn sie nicht mal ihr eigenes Deck besaß?   Das Mädchen schreckte auf, als sich eine Hand auf ihre Schulter legte. Marc war zu ihr gestoßen. „Kinn nach oben richten. Sonst denken die Leute am Ende noch, Anya Bauer wäre nicht selbstbewusst.“ Er war offensichtlich alleine, denn von Valerie fehlte jede Spur. „Vor den Leuten hier musst du keine Angst haben. Wenn solche wie ich hier mitspielen dürfen, kann es nicht so schwer für dich sein, die Hauptrunde zu erreichen.“ Anya pfiff durch die Zähne. „Als ob ich Schiss hätte, Butcher! Anders als Redfield, wie's aussieht. Wo ist sie?“ „Tummelt sicher auch irgendwo hier herum. Eben war sie noch bei mir“, antwortete er und nahm die Hand von Anyas Schulter, „aber sie hat irgendjemanden gesehen, den sie kennt und-“   In dem Moment flackerten die dutzenden Monitore auf, die am äußeren Rand der nach innen verlaufenden Tribünenüberdachung angebracht waren. Zu sehen war dort eine rothaarige Frau, die eine lavendelfarbene Schleife im Haar trug. Melinda! „Es fängt an!“, stellte Anya richtigerweise fest.   Gib dein Bestes! Und schone mich bitte!   Mit diesen Worten verschwand Levrier. Gleichzeitig beobachtete Anya, wie Melinda, dabei ein Mikrofon in der Hand haltend, in die Kamera starrte. Da hinter ihr bunte Animationen von Duel-Monsters-Karten durch das Bild huschten, konnte man nur vermuten, dass sie sich vor einem Greenscreen in einer gläsernen Lounge am oberen Ende der Tribünen befand, wie es sie dort in mehrfacher Ausführung gab. In einer von ihnen trieb während großer Turniere auch der Kommentator Mr. C sein Unwesen, wie Anya wusste.   „Hallo Leute!“, begrüßte Henrys Schwester die Duellanten und das Publikum locker. „Vielen Dank, dass ihr so zahlreich zu diesem besonderen Tag erschienen seid.“ Sie lächelte geradezu hinreißend, sodass man ihr ihre Worte ohne Zweifel abnahm. „Die Teilnehmer kennen den Ablauf des heutigen Tages bereits, doch für euch da draußen erkläre ich es noch einmal kurz.“ „Huh? Ich weiß von gar nichts!“, klagte Anya an Marc gewandt. Der zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es auch nur von Valval.“   „Wie ihr wisst, werden die Vorrunden heute in einem Rutsch ausgetragen“, erklärte derweil Melinda, wobei ihr Antlitz zur rechten Seite des Bildschirms verschoben wurde, „und zwar in acht Runden, bestehend aus einem Einzelduell, für das die Teilnehmer 40 Minuten Zeit haben. Jedem Duellant wird per Zufallsverfahren ein Gegner zugewiesen. Die Duelle werden zu jeder vollen Stunde stattfinden, beginnend um 10 Uhr. Die Channel DL 2 bis 10 werden übrigens verschiedene Featured Duels übertragen. Hier, auf Channel 1, folgt im Anschluss eine Vorstellung der Teilnehmer.“ Das von ihr Gesagte wurde noch mal in Form eines sich zunehmend vervollständigenden Zeitplans in der linken Hälfte des Bildschirms dargestellt.   Marc sah auf seine Armbanduhr. „Also haben wir noch eine halbe Stunde Zeit.“ Neben ihm mahlte Anya mit dem Kiefer. „Ich will, dass es -jetzt- losgeht!“   „Um 14 Uhr wird es eine Pause von einer Stunde geben, in der sich die Spieler innerhalb des Stadions frei bewegen können und bestimmt auch das ein oder andere Autogramm verteilen.“ Melinda zwinkerte verschmitzt. „Liebe Duellanten, denkt aber bitte daran, es nicht zu verlassen, denn in diesem Fall werdet ihr disqualifiziert.“ Ein kleines Männchen erschien neben Melinda, das von einem roten Kreuz regelrecht erschlagen wurde. „Die Duelle werden mit Punkten bewertet. Für einen Sieg gibt es drei, für ein Unentschieden einen und letztlich für Niederlagen null Punkte.“ Der Rotschopf grinste plötzlich bereit. „Aber es gibt noch einen Faktor, der ebenfalls Punkte verleiht: Lebenspunkte. Hat ein Spieler während des Duells nicht einen Punkt verloren, gibt es einen Extrapunkt.“ Es gab nicht nur im Publikum erstaunte Aufrufe. Auch einige der Teilnehmer sahen sich verwirrt an, als wäre ihnen das völlig neu. Melinda fuhr fort: „Aber es gibt auch Punkte für zugefügten Schaden. Kann jemand mit einem einzigen Angriff mindestens 3000 Punkte austeilen, gibt es einen Bonuspunkt. Das ist unabhängig davon, ob er am Ende gewinnt oder verliert.“   „Hey, das ist gut für dich, Anya.“ Die Blonde wirbelte um. Valerie trottete auf die beiden zu, bestens gelaunt mit einem frechen Grinsen auf den Lippen. Missbilligend musste Anya feststellen, dass ihre Erzrivalin sich heute besonders in Schale geworfen hatte. Denn ihre marineblaue Hose passte perfekt zu ihrem weißen Shirt, über das sie eine graue Weste trug. Garniert mit einem Pferdeschwanz, der in Volumen und Länge den Anyas bei weitem übertraf. „Dann wirst du für's Draufkloppen sogar belohnt“, gluckste Valerie neckisch. „Oh, wie ich hoffe, dir heute das selbstgefällige Grinsen aus dem Gesicht zu wischen, Redfield!“, zischte Anya bitterböse und drehte sich ruckartig um. „Vorher wisch' ich dich vom Platz, meine Liebe“, konterte Valerie selbstbewusst.   „Die 16 Duellanten mit der höchsten Punktzahl ziehen in die Endrunden ein“, erklärte Melinda derweil. „Sollte am Ende ein Gleichstand herrschen, kommen der oder diejenige weiter, die die größte Differenz zwischen zugefügtem und erlittenem Schaden aufweisen.“ Plötzlich hielt sie das rote D-Pad in die Kamera, in seinem ausgefahrenen Zustand, wo es aus einem Bildschirm und den Kartenzonen bestand. „Wie bereits erwähnt, haben die Spieler 40 Minuten für ein Duell. Jedes, das danach nicht beendet wurde, wird nach dem Lebenspunktestand bewertet. Im Anschluss gibt es eine kurze Verschnaufpause.“ Plötzlich flackerte auf dem Bildschirm des Apparats eine Ziffer auf, die 17. „In dieser wird auf den D-Pads die Nummer des Feldes angezeigt, auf dem die Spieler sich als Nächstes duellieren. Sollte jemand nicht pünktlich zum Stundenwechsel dort warten, wird das als Niederlage ohne Zusatzpunkte gewertet, also behaltet stets die Uhr im Auge, Duellanten!“ Sie ließ den Arm sinken. „Jeder Teilnehmer dürfte jetzt bereits eine Nummer zugeteilt bekommen haben. Die Übertragungen der Spiele werden pünktlich um 10 Uhr beginnen.“   Anya aktivierte das hässliche, rote Ding an ihrem Arm. Es dauerte einen Moment, dann flackerte eine weiße 19 auf dem Bildschirm. „2“, sagte Marc mit Blick auf den Apparat an seinem Arm. „Feld 65“, stimmte Valerie mit ein, „mal sehen, wem ich als Erstes die Laune verderben muss.“ Marc lachte auf. „Was ist los mit dir, den Spruch hätte ich eher von Anya erwartet?“ Die drehte sich noch weiter ab. Bah, das wollte sie gar nicht miterleben, wie die sich da gegenseitig beweihräucherten. Hatte Redfield sich vorher einen angetrunken, oder wieso war sie so gut drauf!? „Tch. Ich geh schon mal vor!“, raunte Anya missmutig und zog an den beiden vorbei. Ihr Duellfeld lag genau auf der anderen Seite der riesigen Arena, im letzten Drittel. Genau wie Redfields, die ihr folgte. Vor ihnen lagen die Felder 1 bis 6 nebeneinander, danach folgte die nächste Reihe mit 7 bis 12 und so weiter. So war es selbst für sie ein Leichtes, ihren Bestimmungsort zu finden. „Dann mache ich das mal auch. Viel Erfolg, Liebling!“, rief Valerie Marc zu. „Dir auch, Valval“, entgegnete ihr Verlobter, wobei er praktischerweise schon vor seinem Feld stand. Bei dem ganzen Süßholzgeraspel wurde Anya regelrecht schlecht. Grässlich, nichts wie weg! Sie zog eilig an anderen Duellanten vorbei, von denen einige ebenfalls ihr Feld zu suchen begannen. Feld 19 befand sich am Rand, zu ihrer Linken, wie Anya anhand der fortlaufenden Nummerierungen der Felder wusste. „Denkst du, du wirst das packen mit dem Deck?“, fragte Valerie neugierig. „Klar!“, antwortete Anya, ohne sich umzudrehen. Stattdessen zeigte sie weiter geradeaus, als sie gerade Fuß auf Feld 8 setzte und anhielt. „Du musst in diese Richtung, ich mehr nach links.“ Hoffentlich würden sich ihre Wege hier trennen! Anya wollte jetzt allein sein. Was Valerie zu bemerken schien. „Okay, dann wünsche ich dir viel Glück. Du schaffst das schon.“ Als die beiden Mädchen nebeneinander standen, sah Anya zu ihrer Erzrivalin und gelangte zu der Einsicht, dass sie ihre schlechte Laune nicht an ihr auslassen durfte. Zumindest nicht immer, nur manchmal. Und Redfield meinte es immerhin gut mit ihr, kämpfte sie doch für ihre Sache. „Natürlich, eine Anya Bauer wird durch Rückschläge nur stärker. Du gib dir auch Mühe, verstanden? Wehe, ich sehe dich nur einmal verlieren!“ „Wirst du nicht“, zwinkerte Valerie zuversichtlich. „Bis später.“ So bewegten sie sich in unterschiedliche Richtungen weiter. Anya steuerte auf ihren Ausgangspunkt zu. Es war ein rechteckiges Feld, bei dem – wie auch bei allen anderen – sämtliche Monster- und Backrowzonen markiert waren mit weißen Linien. Selbst für die Pendelkarten gab es spezielle Felder. Anya musste grinsen. Sie hatte eines der blauen Felder erwischt. Ihre Lieblingsfarbe, also hoffentlich ein gutes Omen. Wenn sie an so etwas glauben würde, verstand sich. In dessen Mitte befand sich ein Kreis, in dem in beide Richtungen die Ziffer 19 eingelassen war.   Sie stellte sich an den Rand der unteren Seite und verschränkte die Arme. Aber kaum hatte sie überhaupt angefangen zu warten, trat von der anderen ein junger Mann auf das Feld. Etwa in ihrem Alter, war sein braunes Haar am Pony spitz nach oben geformt. „Hi“, sagte er, „du bist meine Gegnerin?“ „Siehst du doch“, erwiderte Anya sofort ranzig und musterte ihn kritisch. Der gewann jedenfalls keine Modenschau, so wie er in einer simplen Jeans und einem hellblauen T-Shirt mit dem Aufdruck „Genuine“ auftrat. „Ich bin Kakyo. Kakyo Sangon. Und du heißt …?“, blieb er trotz der schroffen Begrüßung höflich. Er bekam ein Knurren als Antwort. „Anya Bauer.“ „Der Name kommt mir bekannt vor.“ Oh Gott, dachte das Mädchen erschrocken. Hoffentlich hatte der Typ nicht auf irgendeinem dieser Blogs etwas über sie gelesen! Um ihn gar nicht erst zu animieren, darüber genauer nachzudenken, erwiderte sie gar nichts. Obwohl sie verlockt war, einen abfälligen Kommentar über Kakyos seltsamen Namen zu machen. Der sah nebenbei auf sein D-Pad. „Hmm, wir haben noch ein paar Minuten. Erzähl doch etwas über dich.“ „Warum sollte ich!?“, pflaumte Anya ihn an. „Wir sind Gegner, schon vergessen?“ Der Brünette seufzte resignierend. „Ich meinte ja bloß. Etwas Smalltalk ist immer ganz gut, um das Eis zu brechen. Du tust ja so, als müssten wir uns gegenseitig in dem Duell umbringen.“ Wenn der wüsste, wie oft sie schon in solchen Situationen war, dachte sich Anya dabei. Sie löste die Arme aus ihrer Verschränkung. „Was erwartest du denn, huh? Das hier ist ein Wettstreit, kein Kaffeekränzchen.“ Kakyo gab ein genervtes Stöhnen von sich. „Du bist wohl -die- Sorte, was? Na ja, dann eben nicht.“ Und tatsächlich schaffte Anya es im Anschluss, ihn bis zum Start der ersten Runde komplett zu ignorieren. Als jene dann begann, gab ihr D-Pad ein penetrantes Piepen von sich. Auch hörten sie Melinda noch etwas sagen, doch das Mädchen rief bereits: „Duell!“   [Anya: 4000LP / Kakyo: 4000LP]   „Ich beginne!“, entschied sie und zog ihr Startblatt.   ~-~-~   Es war Nick schwer gefallen, sich von seiner 'Arbeit' zu lösen, doch die Neugier hatte ihn letztlich übermannt. Gemächlich schlenderte er in den gemütlichen Pausenraum von Micron Electronics, nur um die halbe Belegschaft dort anzutreffen. Der mit Sofa und Sesseln ausgestattete, orangefarbene Raum war zum Brechen voll. Maya von der Rechtsabteilung, O'Donell und Wellington aus der Buchhaltung und diverse andere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, deren Namen Nick sich nicht merken wollte, saßen oder standen vor dem Flachbildfernseher an der Wand und sahen dabei zu, wie Melinda den Ablauf erklärte. Im Anschluss würde eine Vorstellung der Duellanten folgen.   In einer Ecke bemerkte Nick zu seinem Ärgernis, dass auch Aiden und seine persönliche Assistentin Chrystina – eine dunkelhäutige, stets mit Klemmbrett in der Hand herum wuselnde, überambitionierte Mittzwanzigerin – mit von der Partie waren. Ohne Zweifel hoffte Ersterer seinen Schützling in Aktion zu sehen. Der brünette CEO bemerkte Nick und winkte ihn zu sich herüber. Widerwillig schloss der die Tür und leistete der Einladung Folge. In der voller tropischen Topfpflanzen stehenden Ecke bei den Fenstern angelangt, steckte der zerzauste Kerl im Hawaii-Hemd die Hände in die Taschen. „Du kommst ja doch“, strahlte Aiden. „Nun ja, wir alle brauchen hin und wieder etwas Zerstreuung, nicht wahr, Mr. Reid?“, fragte Nick mit trügerischer Zunge. Er vermied es in Anwesenheit anderer ihn beim Vornamen zu nennen. „Ich hoffe, wir werden deine Freundin und unseren Vertreter zu sehen bekommen.“ Aiden gab nebenbei seiner PA mit einem Nicken zu verstehen, dass sie sie alleine lassen sollte. Während jene kommentarlos gehorchte und davon stakste, sah Nick ihr mit Blick auf das pralle Hinterteil, das sich unter dem grauen Kostüm hervor wölbte, interessiert hinterher. „Sie ist verheiratet“, erinnerte Aiden ihn freundlich. „Oh, ist da jemand eifersüchtig?“ Nick wandte sich ihm wieder zu und lächelte falsch. „Wenn ja, muss ich dir leider sagen, dass ich auch verheiratet bin.“ „Mit wem denn?“ „Mit meiner Hand. Und wir sind einander seit über 20 Jahren treu. Du hast leider keine Chance“, hauchte Nick zuckersüß und blinzelte dazu passend. „Aber ich kann dich gerne verkuppeln. Ich kenne da nämlich einen notgeilen Italiener.“ Aiden musste aufrichtig amüsiert auflachen. „Okay, sag mir eins“, wurde Nick schlagartig ernst und rückte Aiden so nah auf die Pelle, dass der seinen Atem riechen konnte. „Wen hast du da eingeschleust?“   Entgegen seinem ursprünglichen Vorhaben hatte Nick sich die Teilnehmerliste nicht näher angesehen. Es war ohnehin zu spät, noch etwas zu unternehmen. Stattdessen hatte er seine Energien drauf verwendet, den Verbleib von Anyas Deck und dessen Diebin ausfindig zu machen. Allerdings ohne nennenswerte Erfolge. Langsam stieg die Sorge in ihm an, dass jenes vielleicht schon außerhalb seiner Reichweite lag. Statt direkt auf Nicks Frage zu antworten, forderte sein Chef ihn mit dem Wackeln seines rechten Zeigefingers dazu auf, sich herab zu beugen. Was der Größere auch tat. Und als Nick weit genug war, um etwas ins Ohr geflüstert zu bekommen, murmelte Aiden den erfragten Namen. Was dazu führte, dass der hochgewachsene Bursche erschrocken zurückwich. „Du bist widerlich!“, zischte er hasserfüllt. „Hast du eine Ahnung, was du da getan hast!?“ Die ganze Belegschaft drehte sich erschrocken von dem Ausruf um.   ~-~-~   Mittlerweile war das Duell zwischen Anya und ihrem Gegner auf dem Höhepunkt angelangt. „Dein Zug!“, verkündete Anya mit einer gebieterischen Handbewegung. So wie die Dinge standen, würde sie gewinnen.   [Anya: 2000LP / Kakyo: 200LP]   Und was noch besser war: Dank ihres Hünen [Battlin' Boxer Lead Yoke], welcher vor ihr in seiner befreiten Form verharrte, hatte sie sich einen Extrapunkt für hohen Schaden verdient!   Battlin' Boxer Lead Yoke [ATK/3800 DEF/2000 {4} OLU: 0]   Hoffnungsfroh griff Kakyo nach seiner Duel Disk und zog mit Schwung auf. „Das hier ist noch nicht vorbei, Draw!“ „Natürlich ist es das!“ Weder er, noch sie besaßen auch nur eine einzige verdeckte Karte. Und mit der aufgezogenen hielt er auch nur zwei auf seiner Hand, Anya hatte noch eine über. Doch als ihr Gegner hoffnungsfroh zu strahlen begann, schwante Anya Böses. Umso mehr, als er die gezogene Karte vorzeigte. „Endlich! Ich aktiviere [Dark Magic Curtain]. Er halbiert meine Lebenspunkte.“ Was der Blonden natürlich sofort einen garstigen Spruch entlockte, „Oh wie toll, hilfste mir noch beim Gewinnen, ja?“ Sie bereute den Spruch jedoch, als ihr auffiel, dass ein Kameramann hinter Kakyo auftauchte und sich auf sie fokussierte. Keine Sekunde später konnte sie sich auf mehreren Bildschirmen sehen, wie sie perplex ins Bild starrte, im Hintergrund fanden andere Duelle statt. „Shit …“, murmelte sie leise. Gleichzeitig tauchte vor Kakyo ein dunkler Vorhang auf, an der Oberseite festgehalten von einem Skelett. Jenes zog den Stoff langsam beiseite.   [Anya: 2000LP / Kakyo: 200LP → 100LP]   Anya mahnte sich, nicht auf den Kameramann zu achten. Doch irgendwie war es cool, mal im Rampenlicht zu stehen. So wurde ihr Blick immer wieder von der Linse angezogen, statt etwa von dem Monster, das langsam hinter dem Vorhang zum Vorschein kam. „Da das ein Preis ist, den ich zahlen muss, bekomme ich auch etwas als Ausgleich.“ Kakyo verstummte. Leicht genervt fragte er: „Hey, hörst du mir überhaupt zu!?“ „Ja ja!“ Die Stirn runzelnd, schien er dies nicht recht zu glauben. Eine einzelne Karte schob sich aus seinem Deck, die er zwischen die Finger nahm und vorzeigte. „[Dark Magic Curtain] kann mühelos mein Assmonster vom Deck rufen, auch wenn es für diesen Zug meine letzte Beschwörung war. Komm hervor …“ Mit einem Ruck zog das Skelett das letzte Stück des Vorhangs weg. Und da war er, in violetter Robe, mit Zauberstab bewaffnet. Der Hexer, der gerne seine Hand auf den spitz zulaufenden Hut hielt. „[Dark Magician]!“ Jener wirbelte mit seiner grünen Waffe in der Hand und nahm vor Kakyo eine kämpferische Haltung ein.   Dark Magician [ATK/2500 DEF/2100 (7)]   Nun gelang es selbst Anya, ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Duell zu lenken. Was sie jedoch mit gewohnt wenig liebenswürdigen Worten abtat. „Was ist das!? Haste den in der Mottenkiste deiner Oma gefunden!?“ „Hey, das ist ein ganz besonderes Monster!“, erwiderte Kakyo ärgerlich und strich liebevoll über die gelb umrahmte Karte auf seinem D-Pad. „Das ist die erste Duel Monsters-Karte, die je gedruckt wurde.“ „Du meinst ein Nachdruck, das Original vergammelt in einem Museum!“ Selbst Anya wusste darum. [Dark Magician] wurde vor vielen, vielen Jahren als erste Karte in Japan gedruckt. Seitdem hatte er viele Inkarnationen erlebt, mit diversen Artworks. Anhand ihres Bildschirms am D-Pad konnte Anya sehen, dass Kakyos Version tatsächlich eine mit der allerersten Illustration war, der 'Hutpose'. Es gab noch mindestens fünf weitere. Jede davon besaß einen gewissen Seltenheitswert. „Was du nicht sagst?“ Kakyo klang zunehmend gereizter. „So oder so, mein Magier ist imstande, deinen Boxer endlich unschädlich zu machen.“ Anya zischte selbstsicher: „Das will ich sehen!“ Tatsächlich gefiel ihr das gar nicht. Lead Yoke besaß keine Overlay Units mehr, konnte sich ergo nicht mehr schützen. Hoffentlich ging das nicht ins Auge. Musste der beschissene Kamerafuzzi sie ausgerechnet jetzt filmen!? „Hau ab!“, fauchte sie an ihn gerichtet, doch der schien sie gar nicht zu hören. Kakyo war es jedoch, der reagierte, hatte er sie ganz offensichtlich missverstanden und ihre Worte auf sich bezogen. „Das Duell ist sowieso gleich vorbei, reg dich ab! Meine letzte Karte: [Thousand Knives]!“ Noch während er sie in sein D-Pad einlegte, schnippte sein Magier mit dem Finger. Um ihn herum materialisierten sich dutzende Messer, die in der Luft schwebten. Der unscheinbare, junge Mann richtete Zeige- und Mittelfinger auf Anyas Boxer. „Mit dieser Karte kann [Dark Magician] jeden Feind zerstören. Instant Kill!“   Anya Bauer, konzentriere dich!   Entgegen Levriers Mahnung war die jedoch wie gelähmt und starrte das Objektiv der Kamera an, welche hinter Kakyo auf sie gerichtet war. Der Hexer schwang den Zauberstab in seiner anderen Hand nach vorn. Die Messer flogen. Und dort, wo sich bereits abgefeuerte befunden hatten, tauchten neue auf. „Klasse, das haben wir drin!“, rief der Kameramann. Scheinbar kommunizierte er per Headset mit der Produktionsleitung. Anya war so perplex und abgelenkt, dass sie nicht auf ihre letzte Handkarte achtete. Was fatal endete: [Battlin' Boxer Lead Yoke] wurde binnen Sekunden in einen überdimensionalen Messerblock verwandelt und zersprang in tausend Teile. Kakyo gab dem Mädchen gar keine Zeit für eine Reaktion. „Direkter Angriff mit Black Magic!“ An der Spitze seines Stabes lud der dunkle Magier eine violette Energiekugel auf, die er mit Schwung auf Anya schleuderte. Die ging, einen erschrockenen Schrei ausstoßend, darin unter.   [Anya: 2000LP → 0LP / Kakyo: 100LP]   Als der Rauch verpuffte und das Hologramm des Hexers verschwand, stand Anya da wie bestellt und nicht abgeholt. Der Kameramann zog derweil ab. „Warte-! Meine-!“ Hilflos starrte sie auf ihre Handkarte. Die hätte es doch wenden können! Kakyo indes deaktivierte sein D-Pad und schritt auf Anya zu. „Das ist nicht fair!“, platzte die plötzlich, sodass er auf halbem Wege stehen blieb. „Verdammte Scheiße, ich wurde abgelenkt!“ „Wenn du Profi werden willst, wirst du mit so etwas klarkommen müssen“, sagte Kakyo mit unterschwelliger Gereiztheit. „Schieb' deine eigene Unkonzentriertheit nicht auf andere!“ Anya wollte sofort etwas darauf erwidern, doch verharrte im Luftholen. Er hatte Recht. Sie musste schleunigst lernen, ihre Emotionen zu kontrollieren und sich zu sortieren, sonst würde sie hier nicht weit kommen. „... sorry“, murmelte sie daher kleinlaut und sah zur Seite. „Bin keine gute Verliererin.“ „Einsicht und so“, meinte er schulterzuckend und setzte nun seinen Weg fort. Als er ihr gegenüber stand, reichte der einen halben Kopf Größere ihr die Hand. „Trotzdem, gutes Spiel.“ Anya schlug ein, auch wenn sie innerlich selten so aufgewühlt war. Sie hatte diesen sicheren Sieg in den Sand gesetzt! Verdammt nochmal! Wenn sie noch einmal verlor, würde sie es vermutlich nicht in die Endrunde schaffen! Dabei war das gerade einmal das erste Spiel gewesen! „Dann wünsche ich dir noch viel Erfolg. Vielleicht sieht man sich ja nochmal“, meinte ihr Gegner und wandte sich ab. „Cya.“ „Bye“, murmelte Anya deprimiert. Das fing ja toll an!   ~-~-~   Oben in den Zuschauerrängen war nicht allzu viel von der Euphorie zu spüren, die Melinda über die Bildschirme verbreitet hatte. Neben Zanthe und Matt waren die Plätze frei, nur hinter ihnen wohnte eine Großfamilie dem Spektakel bei. „Großartig, sie hat verloren“, zeigte sich Zanthe mittelschwer erschüttert und zog nebenbei den Finger über den Bildschirm des an einem dünnen Kabel hängende Tablet in seiner Hand, „meinst du, es gibt Trostpreise? Einen Sarg zum Beispiel?“ Sofort schwanden die letzten Bilder von Anyas Niederlage, die Szene wechselte zu einem Duell Valeries, welche gerade einen Angriff befahl. Tablets wie diese fand man unter jedem Sitzplatz, um die Spiele besser verfolgen zu können. Matt verschränkte die Arme und sah dem Werwolf interessiert über die Schulter. „Entspann dich. Das Turnier hat doch gerade erst angefangen. Noch kann sie es reißen.“ „Erde an Matt, das da ist Anya!“ Zur Verdeutlichung seines Unglaubens ließ der Werwolf den Finger um die Schläfe kreisen. „Das hier wird nicht mehr besser. Eher schlimmer!“ „Du immer und dein Pessimismus …“ Zanthe schürzte die Lippen, als er seinen Sitznachbarn kritisch ansah. „Als ob deine Naivität besser wäre. In so einem Turnier gibt es immer genug Spieler, die ohne Niederlage durchwandern. Sie hat schon die erste. Spätestens bei der zweiten ist Schluss und es sind noch sieben Spiele bis dahin.“ „Dann geh du doch runter und-“ Weiter kam Matt nicht, denn ein leises Bimmeln unterbrach ihn. Seinen Ursprung fand es in der Innentasche des schwarzen Mantels, aus welcher Matt sich sein Handy fischte. „Ja?“, fragte er beim Abnehmen. „Seid ihr im Stadion?“ Nick. Und er klang nervös. „Sind wir“, bestätigte ihm Matt tonlos. Ihm lag nicht besonders viel daran, ausgerechnet jetzt mit diesem Psychopathen zu sprechen. Und auch sonst nicht. „Was ist?“ „Ihr müsst sofort zu Anya und sie warnen!“ Zanthe machte spitze Ohren, denn selbst ohne jene selbst an das Handy zu legen, verstand er jedes Wort. „Wovor denn? Matts schlechter Laune? Der Zug ist längst abgefahren. Ach und sag ihm, sie hat ihr erstes Duell mit Bravour verloren!“ Matt drehte sich böse funkelnd zu dem Kopftuchträger. Und fragte Nick: „Ist es etwas Ernstes?“ „Würde ich dich sonst anrufen? Natürlich ist es ernst! Unter den Teilnehmern da unten ist jemand, der ihr schaden will!“ Mit einem Schlag verflog Matts Abneigung gegenüber Nick. „Ein Undying!?“ „Nein. Je nach Betrachtungswinkel könnte man sagen, dass es schlimmer ist als das.“ „Will dieser jemand ihr etwas antun!?“ „Lass mich ausreden!“, verlangte Nick zornig. „Was er will, das weiß ich nicht genau, sicher nichts Gutes. Hör zu-!“ „Wir können da jetzt nicht runter!“, widersprach derweil Zanthe mit ausgestreckten Händen. „Nicht, ohne unsere Doof-Queen in Schwierigkeiten zu bringen.“ Nicks Stimme überschlug sich förmlich vor Wut. „Dort unten ist …!“   ~-~-~   Anya ahnte nicht, wovor Nick sie überhaupt warnen wollte. Noch weniger ahnte sie, dass Matt und Zanthe die Hände gebunden waren, bedeutete ihr Einmischen schließlich, den Turnierablauf zu stören und damit ihre Disqualifikation zu riskieren. Nichtsdestotrotz verliefen die nächsten Runden ohne größere Vorkommnisse. Mit ein wenig Schützenhilfe von Levrier gewann sie ihre nächsten drei Duelle in Folge, mehr noch, bei jedem staubte sie den Extrapunkt für maximalen Schaden ab, dank [Battlin' Boxer Lead Yoke]. Einmal gelang es ihr sogar, keinen Lebenspunkt einzubüßen, wodurch sie noch einen Extrapunkt gewann und somit nun bei 14 stand. Kein schlechtes Ergebnis, wenn man sich den Start des Turniers vor Augen hielt.   Dies schlug sich erstaunlich effektiv in ihrer Laune wieder, als sie während der Pause in einem der Cafés des Stadions saß, zusammen mit Valerie und Marc. Sie hatten einen Tisch direkt an der gläsernen Fassade neben dem großen Gang, der an den Geschäften entlang führte. „14!“, grinste Anya über beide Backen und biss in ihr Sandwich. „Hmm, ich habe nur 13“, gestand Marc ihr gegenüber. „Ach ihr zählt?“, staunte Valerie neben ihm. Dann nahm sie einem Schluck aus ihrer Tasse Kaffee und starrte aus dem Fenster. Die Blonde beugte sich bedrohlich zu ihr herüber. „Wie viele, Redfield?“ „... 16.“ „Sehr gut!“, lobte Marc und streichelte ihr die Schulter. „Wenn du so weiter machst, bist du garantiert in der Hauptrunde.“ Als Anya mit ihrem Sandwich im Mund den Todesblick aufsetzte, fügte er noch hinzu: „Und du natürlich auch!“ Die Blonde riss förmlich den Bissen fort, als sie im Kopf nachrechnete. Wenn Redfield 16 Punkte hatte, musste sie nicht nur jedes Duell gewonnen, sondern auch in jedem einen Bonuspunkt gesammelt haben. Garr, wie machte Misses Überflieger das bloß!? „Pah!“, raunte sie aus Trotz. „Hätte ich Angel Wing oder Heavy T, wäre ich garantiert noch besser!“ Was dazu führte, dass Marc und Valerie verschwörerische Blicke miteinander austauschten.   Während Anya über die wirklich wichtigen Dinge im Leben grübelte, eilte weiter draußen im ringförmigen Gang Zanthe an den zuhauf vorhandenen Besuchern und Teilnehmern vorbei und sah sich in alle Richtungen um. An den Geschäften vorbeirauschend, ließ er das Geschehene Revue passieren. Um Anya nicht in Schwierigkeiten zu bringen, hatten er und Matt bis zur Pause gewartet, bevor sie sich auf die Suche nach ihr begaben. Da das Stadion riesig war, hatten sie sich aufgeteilt. Er war von Matt für den Haupteingang eingeteilt worden. Dummerweise konnte Zanthe Anya nicht wittern, dazu überlagerten sich einfach zu viele Gerüche. Nicks Warnung hatte sich zwar ernst angehört, aber wieso sollte ausgerechnet-!?   Er blieb stehen. Da war sie! Durch die Glasscheibe eines kleinen Cafés konnte er die Blonde sehen, wie sie mit dem Rücken zu ihm gewandt am Tisch saß und sich mit Valerie und deren Verlobten unterhielt. „Da bist du ja“, murmelte er und war im Begriff einen Schritt nach vorne zu machen, da bemerkte er etwas aus den Augenwinkeln. Eine Silhouette. Aber ihr Geruch war vertraut. Zanthe drehte sich in der Bewegung zur Seite, wo er durch die Fenster hinaus über den Fluss und die Brücke sehen konnte. Er sah ihn, aus dem Augenwinkel, hinter einem älteren Mann stehen. Keine zwei Meter von sich entfernt. Nur für einen kurzen Moment, eine Millisekunde. Aber bevor er diese eine, ihm wichtige Person ins Visier nehmen konnte, lief eine Gruppe von Besuchern zwischen ihnen durch – und der Mann war verschwunden. Aber sein Geruch war noch da, wenn auch schwächer werdend.   Irritiert wirbelte Zanthe herum, sah in die Fensterscheibe des Cafés. Er musste Anya warnen, aber wenn er jetzt lange zögerte, würde er entwischen. Der Diener des Sammlers, sein-! Aufgeregt schaute der junge Mann wieder zurück, nur um seine Richtung erneut zu ändern. Anya oder Kyon!? Viel Wind um nichts oder Antworten!? Niemand würde sie stören … „Sorry Anya“, nuschelte er, da die Entscheidung doch so nahe lag.   Ohne noch einen Gedanken an seine Freundin zu verschwenden, sprintete er los. Den Gang entlang, immer dem schwindenden Geruch nach. Dabei stieß er gegen verschiedene Leute, ignorierte ihre wütenden Rufe und entschuldigte sich nicht einmal. Es führte ihn zum Haupteingang, durch den er und Matt vorhin gekommen waren. Anstatt sich an den mit Absperrungen vorgegebenen Weg aufzuhalten, schwang er sich einfach darüber hinweg, stieß dabei noch fast jemanden von der Security um und rannte durch eine der offen stehenden Türen.   Das Sonnenlicht blendete ihn, aber er musste nur seiner Nase folgen. Es führte ihn nach rechts, einen asphaltierten Weg entlang, der um das riesige Gebäude herum führte. Am äußeren Rand war eine Rasenfläche angelegt, wo man sich unter großen Bäumen auf eine der Bänke setzen konnte. Dort zog es ihn hin. Hinter einer dieser Bänke angelangt, blieb Zanthe stehen. Von hier konnte man herüber zu Ephemeria City sehen, ihre Riding Duel-Strecken und Wolkenkratzer bewundern. Aber Zanthe hatte keinen Blick dafür. Sein Herz pochte aufgeregt. Weiter vorne führte ein Hang zur unteren Ebene der künstlichen Insel. Und dort, unter dem Schatten der Brücke sah er eine Gestalt verschwinden. Mit einem Satz landete er gebeugt auf dem gepflasterten Weg, direkt vor dem Geländer. Das Rauschen des nahen Wassers sowie seines Blutes in den Ohren, sprintete er aus der Hocke los. Doch als er unter der Brücke angelangte, war dort nichts und niemand. Nur der Geruch.   „Macht es dir Spaß, mir wie ein verliebtes Mädchen überall hin zu folgen?“, fragte eine helle, klare Männerstimme amüsiert. Zanthe spürte einen leichten Windzug. Etwas wurde gegen seinen Hals gehalten. Aus den Augenwinkeln erkannte er, dass es sich um eine Klinge mit Sägezähnen an einer Seite handelte, wobei die andere von einer dicken, weißen Abdeckung umgeben war. „Ich dachte, du wärst jemand, den ich kenne“, sagte der Kopftuchträger mit unterdrückter Enttäuschung. „Du kannst das Ding wegnehmen, ich tue dir nichts. Außer du legst es drauf an.“ „Pass lieber auf, dass ich dir nichts tue.“ Trotzdem ließ der Fremde seine Waffe sinken, sodass Zanthe sich vorsichtig zu ihm umdrehte. Zwar standen sie im Schatten der Brücke, doch er konnte ihn gut erkennen. So sah er dem Butler des Sammlers von der Größe und Kopfform her ähnlich, doch Zanthe begriff, dass seine Fantasie ihm einen Streich gespielt hatte. Allein diese strahlend blauen Augen, sie passten nicht zu Kyons braunen. Der Geruch hatte ihm einen Streich gespielt … „Eine Verwechslung also?“, fragte der einen halben Kopf Größere und legte ebenjenen in den Nacken. Um seinen Hals lag ein Paar beeindruckender Kopfhörer, die über ein Kabel mit einem kleinen Apparat an seinem Gürtel verbunden waren. Der Werwolf musterte ihn, während er die Frage mit einem Laut bejahte. Wer färbte denn bitte seinen Pony blond, den man darüber hinaus zu kleinen Zöpfen geflochten hatte und band diese zu einem langen Pferdeschwanz zusammen, während die Seiten kurz rasiert und dunkel waren? „Du kannst nicht -er- sein“, stellte Zanthe ärgerlich fest, „so wie du rumläufst.“ Damit spielte er auf die für den Sommer unnötig dicke, ärmellose Weste über dem T-Shirt des anderen Mannes an. „Und du bist wohl kaum ein normaler Mensch, wenn du mir bis hierher folgen konntest und das, obwohl ich – ach egal“, erwiderte der genauso schnippisch und hielt Zanthe seine Waffe unter die Nase. „Also, dann erzähl mal.“   Jetzt konnte Zanthe es sehen, dieses seltsame Schwert. Von einer blau-weißen Metallfassung umgeben, war nur eine Seite mit dem gezackten Klingenblatt bestückt. Dafür war es massiver und länger, als Zanthe es sich vorgestellt hätte. Und dieser Kerl hielt es mit nur einer Hand. „Du hast einen Geruch an dir, den ich kenne“, meinte er, „daher habe ich dich verfolgt. So einfach ist das.“ „Du … riechst mich?“ Zur Verdeutlichung schnüffelte der Typ unter seinen Armen und zuckte mit den Schultern. „Also ich riech' nichts. Zum Glück!“ „Ich bin ein Werwolf, natürlich rieche ich so etwas. Also, kennst du einen Kyon? So heißt der Typ, von dem ich rede.“ Der Fremde blinzelte verdutzt. „Ein was bist du?“ „Werwolf.“ Der Blondschopf sah sich zu allen Seiten um, ehe er sich vorbeugte und mit vor den Mund gehaltener Hand fragte: „Und was ist das? Trifft man solche hier häufiger?“ Zanthe traute seinen Ohren kaum. „Werwölfe!? Klingelt es da nicht bei dir? Oder hast du wirklich noch nie von uns gehört!?“ Das aufrichtig ahnungslose Gesicht seines Gegenüber verriet ihm prompt die Antwort, wodurch der Kopftuchträger abwinkte. „Ach, vergiss es und antworte mir einfach.“ „Ich kenne keinen Kü-ohn.“ Zanthe ballte eine Faust. Wären hier nicht noch andere Leute und hätte dieser Lügner nicht diese seltsame Waffe in der Hand, wäre er ihm schon längst an die Kehle gesprungen. Denn er irrte sich nicht, das war definitiv -sein- Geruch an ihm! Es schien, als würde der junge Mann Zanthes Anspannung bemerken, denn er legte einen Zeigefinger ans Kinn und schien nachzudenken. „Nun, von deinem Freund habe ich noch nie gehört. Der, den du riechst, heißt vielleicht Kakyo. Hilft dir das weiter?“ „Kakyo!?“, wiederholte Zanthe ungläubig. „Bist du dir sicher?“ „Ja, Kakyo hieß er. Hat mir … aus der Patsche geholfen, neulich. Mit anderen Menschen hatte ich seitdem keinen Kontakt.“ Auch wenn er dabei unbekümmert klang, verfinsterte sich der Blick des Blonden für einen Augenblick. Schließlich ließ er die Waffe in seiner Hand einfach verschwinden, indem sie sich in weißes Licht auflöste. „Nun“, sagte er und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, „sonst noch Fragen?“ „Wann war das?“, wollte Zanthe wissen. „Vor zwei Tagen.“ „Und er hieß wirklich Kakyo, nicht Kyon?“ Sein Gegenüber nickte stumm. Seufzend ließ Zanthe den Kopf hängen. Er verstand es nicht. Dieser Name sagte ihm irgendetwas, aber wie konnte es sein, dass dieser jemand genauso roch wie Kyon? Als er aufblickte, hatte sich der andere längst umgedreht. „Was bist du eigentlich für einer? Schwingst dieses komische Teil am helllichten Tag herum …“ Der Fremde sah über seine Schulter zu ihm herüber. „Ist das ungewöhnlich? Ich wollte mich nur verteidigen. Aber wenn du meinst, dann lasse ich das in Zukunft besser.“ „Was ist das überhaupt für eine Waffe? Wer bist du!?“ Grinsend drehte er sich wieder um. „Schön, dass du endlich mal danach fragst. Dachte schon, wir stellen einander gar nicht mehr vor! Ich bin Exa und meine Waffe war … meine Waffe eben.“ „Bist du so eine Art Dämonenjäger?“, hakte Zanthe skeptisch nach und verschränkte die Arme. Als Antwort formte Exa mit den Fingern eine Pistole. „Bingo! Ich bin hier, um ein paar Übeltäter zu stellen!“ „Aber nicht mich, oder?“ „Bist du denn einer?“ „Ich bin Zanthe Montinari. Ein vegetarischer Werwolf, wenn du es wissen willst! Ich tue keiner Fliege etwas zuleide … solange sie mir nichts tut zumindest.“ Zanthe nahm Exa scharf ins Visier. „Sind hier denn hier irgendwelche Dämonen aufgetaucht?“ Der junge Mann zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht. Sieht nicht so aus. Also dann, Zanthe, viel Spaß noch mit diesem komischen Kartenturnier. Vielleicht läuft man sich ja mal wieder über den Weg.“ Exa wirbelte herum, winkte zum Abschied mit der Hand, setzte seine Kopfhörer auf und begann zu laufen. Der Werwolf sah ihm ungläubig hinterher. Wie eilig dieser Kerl es mit einem Mal hatte! Der war ganz sicher nicht hier, weil er nach Dämonen Ausschau hielt! Dazu müsste er erstmal wissen, was Dämonen überhaupt sind, so weltfremd wie er offensichtlich war … Aber Zanthe beschäftigte dies weniger als die Frage, wer dieser Kakyo war. Er hatte den Namen doch schon mal gehört oder sogar gelesen, irgendwo, vor gar nicht allzu- natürlich! Einer der Teilnehmer des Turniers hieß doch so!   ~-~-~   Typisch für Anya, ahnte sie nichts von den Irrungen und Wirrungen, in die sie verwoben war. Stattdessen absolvierte sie nach der Pause die nächsten drei Duelle. Welche sie allesamt für sich entscheiden konnte. Die Hoffnungen auf eine Platzierung unter den sechzehn Besten stiegen dementsprechend.   Anderenorts saß Matt alleine im Publikum und wippte nervös mit dem Fuß, mit einem Tablet in der Hand, das Nicks Warnung mit Bildern bestätigte. Wo blieb Zanthe bloß? Hatte er Anya Bescheid gegeben? Denn er selbst hatte das Mädchen nicht rechtzeitig ausfindig machen können. Der schwarzhaarige Dämonenjäger beobachtete, wie sich die Duellanten nach und nach auf die Suche nach ihrem letzten Duellpartner machten. Inzwischen war es bereits kurz vor 18 Uhr, ein Ende war langsam in Sicht. Auch Matt war guter Dinge, dass Anya in die Hauptrunde einziehen würde – vorausgesetzt sie gewann das letzte Duell. Ansonsten könnte es knapp werden.   ~-~-~   „Warum bist du vorhin zurückgekommen?“, fragte Zanthe neugierig und beugte sich nach vorne. Er und Exa saßen auf einer der Bänke vor dem Stadion und beobachteten die Stadt, die sich hinter dem Wasser erstreckte. „Um ehrlich zu sein brauche ich etwas Geld. Du hast nicht zufällig welches? Immerhin hast du mir da vorhin die Tour vermasselt.“ Der Werwolf drehte sich zu seinem größeren Sitznachbarn und funkelte ihn missmutig an: „Du wolltest den Mann bestehlen? Tss. Also war dieses ganze seltsame Gespräch über Duel Monsters, Politik und so weiter nur, weil du dir was von mir pumpen willst?“ Sein blonder Banknachbar grinste verlegen. „Jap.“ „Seh' ich so aus als hätte ich Geld? Ich komme nicht mal mehr ins Stadion, weil meine Karte durch dessen Verlassen ungültig geworden ist, schon vergessen?“ „Das stresst.“ „Und wie.“ Die beiden begannen zu lachen. Dann tat es Exa Zanthe gleich und beugte sich vor. „Hier ist es wirklich schön. Auf gewisse Weise. Alles ist so friedlich.“ Mit angezogenen Augenbrauen wurde er von der Seite angesehen, wie er die Hände ineinander faltete und sich mit dem Kinn auf ihnen abstützte. Einfach in die Ferne blickend. „Wenn du nicht gerade aus dem Nahen Osten kommst, ist das Standard.“ „Naher was? Was ist da?“ Exa richtete sich auf. „Oh mein Gott …“ Zanthe klatschte sich die Hand gegen die Stirn. „Dass ich jemals jemanden treffen würde, der noch weltfremder ist als -sie-!“ Der andere zuckte mit den Schultern. „Na und? Kann man ja ändern. Auf Freunde kann man sich immer verlassen, oder? Selbst wenn man Fehler macht, richtig?“ Mit ungläubigem Blick ließ Zanthe den Zeigefinger zwischen sich und Exa hin und her schwenken. „Du, ich, Freunde? Sind wir das?“ „Ab heute schon.“ Obwohl Zanthe zunächst ein flotter Spruch auf den Lippen lag, verzichtete er darauf, ihn auf Exa loszulassen. Denn der Gedanke, einen Freund gefunden zu haben, der nicht zu Anyas Gruppe gehörte, erfüllt ihn mit Stolz. Und Wärme. „Cool. Aber Geld habe ich trotzdem keins.“ „Macht nichts, ich komme schon klar“, grinste sein blond-schwarzhaariger Freund zuversichtlich.   ~-~-~   Mittlerweile hatte das letzte Vorrunden-Duell begonnen. Und Anya wusste nicht, ob sie glücklich über ihren Gegner sein sollte. Denn bereits seit einigen Zügen stand sie dem schwarzhaarigen, jungen Mann mit Kinnbart gegenüber, der ihr bei ihrem letzten gemeinsamen Duell mächtig an die Gurgel gehen wollte – Marc. „Mein Zug!“, rief dieser und riss die oberste Karte von seinem Deck. Vor ihm hatte sich ein großer Krieger positioniert, dessen Körper aus rotem und dunkelblauem Magmagestein bestand. Von seinen Armen gingen klingenartige Auswüchse ab, die lichterloh brannten.   Laval Dual Slasher [ATK/2400 DEF/200 (5)]   Anya ihrerseits kontrollierte ein Monster, den mit einem Stahlpfeiler auf dem Rücken gefesselten Hünen, [Battlin' Boxer Lead Yoke], dessen verbliebenes Xyz-Material sich noch in jenem Pfeiler befand, welcher ihn so schwer belastete.   Battlin' Boxer Lead Yoke [ATK/3000 DEF/2000 {4} OLU: 1]   Die Life Points beider waren bereits recht angeschlagen.   [Anya: 1500LP / Marc: 900LP]   „Was jetzt?“, fragte Anya herausfordernd. Auch wenn die Anspannung sie seither nicht losgelassen hatte, genoss sie dieses Duell doch. „Willste mich wieder ankokeln, so wie damals?“ Marc blickte im ersten Moment pikiert drein, dann lachte er heiser. Scheinbar hatte sie einen wunden Punkt getroffen, nämlich den seiner Schuldgefühle. „Nein, nichts dergleichen diesmal.“ „Sei mal locker, Butcher! Ist doch Schnee von gestern!“ Er nickte. „Natürlich, tut mir leid. Mir behagt es nur nicht, dass du gleich sehr böse auf mich sein wirst. Denn ich verbanne [Kayenn, The Master Magma Blacksmith] von meinem Friedhof, um die Angriffskraft aller Lavals um 400 zu erhöhen.“ Anya runzelte die Stirn, als die Konturen der Klingen an den Armen des Dual Slashers rötlich zu glühen begannen und im Hintergrund das Klirren von Hammer auf Stahl erklang.   Laval Dual Slasher [ATK/2400 → 2800 DEF/200 (5)]   „Trotzdem zu schwach“, rümpfte Anya unbeeindruckt die Nase. Marc aber zeigte eine Zauberkarte vor, seine einzige Handkarte. „Nicht unbedingt! Denn ich rüste dein Monster mit [Spirit Burner] aus, mit dem ich sofort seine Position wechseln kann.“ Gar nicht mehr gelassen stand Anyas Mund offen, als ihr Hüne kurzerhand in die Knie ging, sich den Kopf mit einer Hand festhielt, um den dunkler Nebel entstanden war.   Battlin' Boxer Lead Yoke [ATK/3000 DEF/2000 {4} OLU: 1]   „Und jetzt Angriff!“, befahl Marc mit ausgestrecktem Zeigefinger. „Cross Slash!“ Wie ein Pfeil schoss der Krieger auf den Boxer zu und holte von unten mit den Klingen aus, die er aufwärts über Kreuz schlug. Sein Feind wandte ihm rechtzeitig den Rücken zu, sodass stattdessen der Pfeiler zerstört wurde, der ihn niederdrückte.   [Anya: 1500LP → 700LP / Marc: 900LP]   Die Blondine schnaubte. „Tch, Durchschlagschaden!?“ „Ja. Drei verschiedene Laval-Monster müssen auf meinem Friedhof liegen, damit das klappt.“ „Was auch immer, ich habe das letzte Xyz-Material von Lead Yoke abgehangen, um seine Zerstörung zu verhindern. Damit wird er um 800 Rachepunkte stärker!“   Battlin' Boxer Lead Yoke [ATK/3000 → 3800 DEF/2000 {4} OLU: 1 → 0]   Verschmitzt grinste Marc und straffte sich. „So? Vermutlich um mich im Anschluss zu besiegen?“ „Genau so ist es, Butcher!“ „Aber du hast die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Zwei Laval-Monster auf meinem Friedhof lösen seinen anderen Effekt aus!“ Der Schwarzhaarige mit dem Kinnbart schlug mit der Faust in die Handfläche. „Da [Laval Dual Slasher] ein Monster in Verteidigung angegriffen hat, schlägt er nochmal zu! Double Cross Slash!“ Seiner Gegnerin entglitten die Gesichtszüge. „Huh!?“ Panisch hob sie beide Hände. „H-hey, Butcher, du willst mir doch helfen, oder!? Können wir nicht-!?“ Konnten sie nicht. Sein Monster, welches sich noch vor Anyas Boxer befand, wirbelte um die eigene Achse und schlug dutzende Male in schneller Abfolge mit seinen Klingen zu und trieb Lead Yoke damit in die Richtung des Mädchens, bis deren Monster zersprang und sie den letzten Hieb abbekam. „Nein“, lautete Marcs trockene, verspätete Antwort. „Das war dafür, dass du mich mal umgebracht hast.“   [Anya: 700LP → 0LP / Marc: 900LP]   Fassungslos stand Anya auf ihrer Seite des Feldes und begriff, dass sie nun schon zum zweiten Mal verloren hatte. Verdammter Kackmist! Was würde jetzt aus den Finalrunden werden!? Sie spürte, wie die liebgewonnene Wärme des Zorns in ihre Wangen stieg und stampfte umgehend auf Marc zu, gewillt, jene Wut an ihm auszulassen. „Scheiße, Butcher, was sollte das!? Wenn du Rache wegen damals willst, dann ein anderes Mal!“ Marc zeigte sich unbeeindruckt, als sie sich vor ihm mit ihren knapp 160 Zentimetern Körpergröße aufbaute. Besänftigend gestikulierend sagte er: „Das war nur ein Spaß gewesen. Aber vergiss nicht, wir sind hier eigentlich Gegner und ich für meinen Teil werde dich nicht gewinnen lassen.“ „Du willst also weiter machen, wie Redfield es vorgesehen hat, huh!?“, raunte Anya missbilligend. „Statt mich um meine Angelegenheiten selbst kümmern zu lassen, wollt ihr unbedingt was von der ollen Rosenburg auf die Nase.“ Er nickte. „Genau so ist es. Gutes Spiel übrigens.“ Trotzig nahm sie schließlich die Hand, die ihr angeboten wurde und schüttelte sie, ohne jedoch Marcs Phrase zu wiederholen. Stattdessen murmelte sie: „Mit Angel Wing wäre mir das nicht passiert …“ „Angel Wing?“, fragte Marc. „Dein Drache, von dem du schon den ganzen Tag redest?“ „Mein Assmonster!“, korrigierte Anya ihn, was ihr Gegenüber mit einem Stirnrunzeln quittierte. „Ich dachte, das wäre [Gem-Knight Pearl]?“ Die beiden begannen sich vom Spielfeld zu entfernen. Anya winkte ab. „Der? Pft. Der ist bestenfalls Begleitwerk.“ „Und was ist mit [Gem-Knight Master Diamond]?“ „Der ist nur für die Trottel reserviert, die der Meinung sind, mir eins aufs Maul geben zu wollen.“ Marc stieß einen mitleidsvollen Seufzer aus. „Oh Junge, Valerie hat echt nicht übertrieben.“ „Womit?“, fragte Anya scharf und ruckte ihren Kopf in seine Richtung. Ihr Begleiter zuckte mit den Schultern. „Dass dir deine neuen Karten wichtiger geworden sind als deine alten.“ „Das stimmt doch gar nicht!“, stritt Anya dies sofort ab. „Wann hat sie das gesagt!?“ „Als wir das Café verlassen haben und du vorgegangen bist.“ Wütend fragte die Blonde: „Wie kommt sie überhaupt auf so etwas Bescheuertes!? Ich vermisse mein Deck genauso sehr wie meine Duel Disk!“ „Frag sie das lieber selbst.“ „Tch, wie du willst. Das klären wir jetzt auf der Stelle!“, entschied Anya schnaubend. „Ich habe keinen Bock auf solchen Quatsch, bring mich zu Redfield!“ Marc rollte genervt mit den Augen, war ihm anscheinend nur allzu bewusst, dass das Mädchen sehr wohl 'Bock auf diesen Quatsch' hatte. „Wenn's sein muss. Sie ist da hinten, Feld 7.“   Zusammen zogen sie an anderen Spielfeldern vorbei, manche bereits verlassen, auf anderen dagegen war noch die Hölle los. So explodierte direkt neben Anya beispielsweise ein goldener Riesenvogel namens [Simorg, Bird Of Ancestry]. Das Mädchen dachte derweil weniger über Valeries Aussage, sondern mehr über ihren Punktestand nach. Dank Butcher hatte sie jetzt zwei von acht Duellen und damit wichtige Punkte verloren! Der kann sich frisch machen, wenn sie wegen ihm die Finalrunden verpasste! Andererseits hatte sie so gut vorgelegt, dass die Wahrscheinlichkeit hoch war, trotzdem knapp reinzurutschen. Wie vielen hier gelang es schon, permanent Bonuspunkte zu sammeln!? Mittlerweile waren die Tribünen noch leerer als zum Beginn der Vorrunden, wie Anya nebenbei beim Umsehen bemerkte. Ob das wohl auch so sein würde, wenn es erst richtig losging?   Inzwischen hatten sie es an den anderen Feldern vorbei geschafft und ihr Ziel erreicht. Sie hielten am Rand von Feld 7 an und wohnten dem Schauspiel bei, das sich ihnen bot. Auch Marcs Verlobte war noch mit ihrem Gegner beschäftigt, der kein Geringerer war als der junge Mann im Rollstuhl, gegen den Marc während des Festes angetreten war. Othello. Welcher dieses Mal nicht von seiner Mutter beziehungsweise Managerin begleitet wurde. Vals Situation sah nicht so gut aus, sie kontrollierte nur eine gesetzte Karte und hielt dazu eine auf ihrer Hand. Ganz im Gegensatz zu Othellos Feld, welches von seinem T-Rex-ähnlichen, roten Drachen dominiert wurde – Odd-Eyes. Zu beiden Seiten standen zudem blau leuchtende Lichtsäulen in der Luft, in denen sich der weiße [Stargazer Magician] und der schwarze [Timegazer Magician] befanden.   „Odd-Eyes“ [ATK/2500 DEF/2000 (7)]   Auch die Lebenspunkte der beiden waren bereits ziemlich weit von Ausgangswert entfernt, besonders in Valeries Fall. Es erschien offensichtlich, dass Othello sie ziemlich unter Druck gesetzt haben musste.   [Valerie: 1100LP / Othello: 1600LP]   „Hey, Redfield“, rief Anya ihr zu, „mach hinne, wir haben etwas zu klären!“ Die Schwarzhaarige warf ihr einen kurzen Seitenblick zu, dann konzentrierte sie sich wieder auf ihren Gegner. „Jetzt nicht, Anya!“ Den jungen Mann im Rollstuhl adressierend, schwang sie den Arm über ihre gesetzte Karte aus. „Also gut, ich aktiviere meine Falle [Aquamirror Illusion], welche mich ohne Umschweife ein Gishki-Ritualmonster rufen lässt und das ohne Kosten, aber dafür darf es nicht angreifen und kehrt am Ende des Zuges auf meine Hand zurück.“ Die Falle klappte auf und begann Schwingungen auszusenden, die aussahen wie die Oberfläche eines Sees, in den ein Stein geworfen wurde. Immer weiter breiteten sie sich aus und ehe sich die Anwesenden versahen, stand an ihrer Statt ein riesiges, schwarzes Monster, das die Wellen von dem roten Stein in seiner Brust auslöste. Vier Arme besaß es, das Horn auf seinem Haupt und die Schwingen auf seinem Rücken verliehen ihm etwas Dämonisches, gleichwohl auch Insektoides aufgrund der Tatsache, dass seine Vorlage der Herkuleskäfer war. „Das ist doch [Gishki Zielgigas]!“, staunte Anya nicht schlecht.   Gishki Zielgigas [ATK/3200 DEF/0 (10)]   Den hatte Redfield damals eingesetzt, als sie sich zusammen mit der falschen Joan of Arc in Anyas Elysion gegen Anya und der Schattengeist-Pornozwiebel des Sammlers, Orion, duelliert hatte. Seitdem hatte man ihn nie wieder gesehen, was Anya auch unter vorgehaltener Hand Marc zuflüsterte. „Sie zieht wohl auch alle Register, um weiterzukommen, huh!? Ich dachte, den hat sie eingemottet.“ „Anya, das hier ist immer noch ein Wettbewerb“, belehrte Marc in einem fragenden, ungläubigen Tonfall, „es wäre seltsam, wenn sie auf ihre stärksten Karten verzichten würde, findest du nicht?“ Das Mädchen verschränkte die Arme und ruckte den Kopf zur Seite. „Hab's ja kapiert, pft!“ Valerie, die das gar nicht mitbekommen hatte, streckte ihren Arm aus. „Ich aktiviere [Gishki Zielgigas'] Effekt! Für 1000 Lebenspunkte ziehe ich eine Karte und wenn es ein Gishki-Monster ist, gebe ich eine Karte von deinem Feld in dein Deck zurück!“ Ihr Gegner mit dem hellblonden, schulterlangen Haar starrte regelrecht abwesend an ihr vorbei und reagierte nicht. Valerie legte die Finger an ihr Deck und schloss die Augen. Murmelte: „Bitte ein Monster!“   [Valerie: 1100LP → 100LP / Othello: 1600LP]   Dann riss sie die Karte von ihrem Deck und zeigte sie vor. Eine Zauberkarte namens [Forbidden Arts Of The Gishki]. Da nichts passierte, sah sich Valerie die Karte selbst an und seufzte. „Das war's dann. Zug beendet.“ „Wie jetzt!?“ Anya machte große Augen. „Sag bloß-!?“ Das Ritualmonster ihrer Erzrivalin verschwand. Schon zog Othello eine Karte von seinem auf dem Spielplan vor ihm liegenden Deck. Sie gar nicht erst ansehend, murmelte er schwächlich: „Direkter Angriff, Odd-Eyes! Spiral Strike Burst!“ Sein Drache feuerte aus seinem Maul einen rot-schwarzen Feuerstrahl, der die schutzlose Valerie erfasste. Eine im Anschluss erfolgende Explosion verkündete das Ende des Duells.   [Valerie: 100LP → 0LP / Othello: 1600LP]   Odd-Eyes Hologramm dematerialisierte sich. Valerie trat aus dem Rauch hervor an den Rollstuhl und reichte ihrem Gegner lächelnd die Hand. „Gut gespielt.“ „Du auch“, erwiderte Othello lächelnd, als er annahm. „Unglaublich, wie schnell du die Pendelbeschwörung zu beherrschen gelernt hast.“ Auf das Lob des Mädchens hin strahlte der Junge förmlich. „Das ist doch nichts Besonderes. Du hast doch genauso schnell verstanden, wie man sie unschädlich machen kann.“ „Seid ihr bald fertig!?“, hallte es zu ihnen herüber. Valerie ließ Othellos Hand los. „Ich wünsche dir, dass du die Finalrunden erreichst und irgendwie deinen Traum erfüllst, auch wenn ich ihn eigentlich zerstören muss.“ „Du musst dich nicht schuldig fühlen.“ Der Junge hustete mehrmals. „Dir auch viel Erfolg im Turnier.“   Während sich die beiden verabschiedeten, stemmte Anya die Hände in die Hüften. Othello verließ sein Feld dank elektronischen Rollstuhls in die entgegengesetzte Richtung von Valerie, welche auf ihren Verlobten und dessen Anhängsel zu schritt. „Tut mir leid für dich“, sagte der Schwarzhaarige sofort. „Macht nichts, man kann nicht immer nur gewinnen. Und du bist ja schließlich auch nicht mit ihm fertig geworden. Ganz schön ehrgeizig, der Gute.“ Valerie strahlte neckisch. „Aber halb so schlimm. Wie lief es bei euch?“ „Bevor dein Stecher aufgetaucht ist? Gut!“ Anya mahlte wütend mit dem Kiefer, besonders als Marc hinzufügte: „Wir wurden in der letzten Runde gegeneinander gepaart. Sie hat verloren.“ Da Valerie bereits Anyas Körperfarbe rapide ins Rote überwechseln sah, verzichtete sie auf eine Stichelei und versuchte stattdessen sie zu beschwichtigen. „Und wenn schon, wir Drei sind trotzdem weiter.“ Allerdings war das nicht das Thema, das Anya geklärt haben wollte. „Redfield, was soll das heißen, mir wären die Hüterkarten neuerdings wichtiger als meine Gem-Knights!?“ „So habe ich das nicht gesagt“, verteidigte sich Valerie mit erhobenen Händen und wandte sich an ihren Verlobten. „Marc!“ „Du hast das genau so gesagt“, zischte der zwischen den Zähnen gereizt aufgrund des empörten Tonfalls. „Das war aber nicht für ihre Ohren bestimmt, da waren wir uns einig!“, kam es in gleicher Manier zurück. Anya stampfte auf. „Mir doch egal! Das ist totaler, geistiger Dünnschiss, Redfield! Schreib dir das hinter deine operierten Ohren!“   Im Affekt wirbelte sie um und rauschte davon. Kurz Marc ansehend, schüttelte Valerie enttäuscht über das lose Mundwerk des Schwarzhaarigen den Kopf, nur um Anya dann hinterher zu rennen. „Warte doch, Anya! Ich wollte keinen Streit vom Zaun brechen!“ „Ich brech' dir gleich was!“, ignorierte Anya die Bitte und stieß jeden um, der nicht rechtzeitig auswich. Hinter ihr entschuldigte sich Valerie kleinlaut bei den am Boden liegenden Duellanten. Auch Marc hatte die Verfolgung aufgenommen. „Wo willst du denn hin? Die geben jeden Moment die Platzierungen bekannt!“ Wie könnte es auch anders sein, war Anya in ihrem Wutschub taub für jegliche Form von Versöhnung. Erst als Valerie sie eingeholt und umrundet hatte, kam die Blonde zum Stehen. „Stell dich nicht so an!“, tadelte ihre Erzrivalin sie und packte ihre Schultern. „Wenn du hier bestehen willst, musst du dich langsam mal an Kritik gewöhnen!“ „Also gibst du zu, dass-!“ „… nun der Effekt von [Artorigus, King Of The Noble Knights]! Für jede seiner Noble Arms zerstört er eine Zauber- oder Fallenkarte auf dem Feld!“ Anya verstummte mitten im Satz. Diese Stimme! Mechanisch drehte sie ihren Kopf nach rechts. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie nur noch, wie ein Blitz auf dem Spielfeld neben ihr gleich dreimal einschlug. Und sie sah jemanden, der ihr sehr bekannt vorkam: Der brünette junge Mann, ihr Gegner aus der ersten Runde. Kakyo. Wie er völlig schutzlos da stand und in kämpferischer Haltung das D-Pad vor sich hielt. „Anya, das ist doch-!“, hörte sie Valerie sagen. Die Blonde wusste, wer derjenige war, welcher das Xyz-Monster auf der anderen Seite kontrollierte. Den sagenumwobenen König Artus, der je in der linken und rechten Hand ein Schwert hielt. Und über ihm schwebte ein weiteres, bestehend aus zwei zusammenlaufenden Klingen, einmal in rot, einmal in blau. Plötzlich sackte der Ritter für einen kurzen Moment in die Knie.   Artorigus, King Of The Noble Knights [ATK/3500 → 2500 DEF/2000 {4} OLU: 1]   „Du denkst also, du kannst mithilfe von [Shrink] das Unausweichliche verhindern?“, fragte der blonde Zachariah mit schnarrender Stimme. „Tut mir leid, die Grundangriffspunkte meines Monsters für diesen Zug zu halbieren reicht nicht.“ Kakyo erwiderte: „Es reicht, um den Zug zu überstehen!“   [Zachariah: 5500LP / Kakyo: 3100LP]   Anya gefror förmlich das Blut in den Adern, wie sie ihren Bruder sah, der sich bereits von dem Duell abwandte. Fein gekleidet in einen roten Anzug, samt Goldkette um den Hals und hochgegelter Mähne. „Denk lieber nochmal darüber nach“, meinte Zach und schnippte im Weggehen mit dem Finger. „Artorigus greift direkt an. Das war's.“ Mit gewaltigem Tempo sprintete der Ritterkönig voran. Das Schwert über seinem Haupt folgte ihm dabei. Kakyo hielt schützend die Arme übereinander und bekam erst eine links-rechts-Hiebkombination mit den Schwertern in Artus Händen ab, ehe jener nach oben griff und die riesige Klinge schwang. Eine gewaltige Energieexplosion entstand, als jene den jungen Duellanten berührte.   [Zachariah: 5500LP / Kakyo: 3100LP → 0LP]   Mit einem leisen Surren verschwanden die Hologramme und Kakyo stand da wie ein begossener Pudel, betrachtete im Anschluss den Bildschirm an seinem roten D-Pad, sich den Effekt der von Zach benutzen Karten durchlesend. „Was ist da passiert!?“, staunte Marc, der die Mädchen inzwischen eingeholt hatte. „Dasselbe wollte er mit mir machen!“, erinnerte sich Anya, die nur dank Logans Eingreifen damals nicht gegen ihren verräterischen Bruder verloren hatte. Jener hatte sie offenbar gehört, denn er drehte sich zu Anya, Marc und Valerie um. Und begann siegessicher zu lächeln. „Na wenn das mal nicht mein 'Schwesterherz' ist. Hast du es tatsächlich bis hierher geschafft?“ Lässig mit den Händen in den Hosentaschen schlenderte er auf die Gruppe zu. „Ich hoffe, du machst deiner hübschen Freundin da keinen Ärger.“ „Was machst du hier!?“, fauchte Anya. Zach antwortete im Laufen unbekümmert: „Wonach sieht es denn für dich aus?“ „Du weißt genau was ich meine, Arschfresse!“ Derweil war ihr Bruder bei den Dreien angelangt. „Wie hast du dich qualifiziert?“ „Über einen Sponsor. Wie so ziemlich jeder hier, der nicht gerade ein albernes Schulturnier gewinnen muss. Nicht wahr?“ Mit einem chauvinistischen Lächeln auf den Lippen, nickte er Valerie zu, die jedoch ihre Lippen fest zusammenpresste und nicht reagierte. „Gut gemacht“, zischte Anya hasserfüllt. „Sehr gut“, verbesserte Zachariah sie arrogant. „Ich habe noch kein Duell bisher verloren. Wie sieht's bei dir aus, 'Schwesterherz'?“ Sie blieb ihm die Antwort schuldig und forderte stattdessen eine eigene ein. „Warum zum Teufel bist du hier!? Ich kapiere es nicht!“ Der blonde Mann zuckte mit den Schultern. „Ich sagte doch, ich bin hier, weil ich gesponsort werde.“ „Von wem!?“ Langsam zog er an Anya vorbei, lächelte tückisch. „Von dem Mann, dessen Angebot -du- ja abgelehnt hast. Aiden Reid. Eine ganze Million bekomme ich, wenn ich gewinne. Doppelt so viel wie das Preisgeld, das von offizieller Seite verliehen wird.“ „Aiden Reid? Das ist doch der CEO von Micron Electronics!“ Valerie hatte ihre Stimme nun doch wiedergefunden. „... dieser Scheißkerl, Nick hatte Recht!“ Sofort kamen all die warnenden Worte in Anya hoch, die ihr bester Freund gesprochen hatte. „Verräterschwein!“ Im Kontrast zu Anya, die verkrampft da stand und in die Leere starrte, neigte sich Zachariah schon regelrecht nach vorne, als sie auf derselben Höhe standen. „Was ist daran verräterisch, die Interessen seiner Firma zu verfolgen? Denkst du, du bist die Einzige, die man fragen darf, ob sie für einen antritt?“ Anya erwiderte nichts. „Aber tröste dich, die Million ist mir eigentlich scheißegal“, sagte er und flüsterte seine letzten Worte mit besonderer Boshaftigkeit, „in Wirklichkeit bin ich nur hier, weil ich dir die Tour vermasseln will. Also bete, dass ich nicht so bald dein Gegner werde.“   Zufrieden vor sich hin pfeifend, zog er an der Gruppe vorbei. Vergessen war der Streit mit Redfield. Anya zitterte leicht, konnte sich nicht rühren. Ihr Bruder, hier, in diesem Turnier!? Dieser Mistkerl, der mit Kali unter einer Decke steckte!? „Geht es dir gut?“, fragte Valerie sie von der Seite besorgt. „Wie kommt dieser Arsch dazu, einfach hier aufzutauchen!?“ Kurz davor, vor Wut zu platzen, wirbelte Anya herum. Heute verlief ja mal wieder alles nach Plan! „Habe ich das richtig verstanden?“, fragte Marc verwirrt. „Er hat gesagt, er würde von Aiden Reid gesponsort werden, nachdem du abgesprungen bist? Wie kommt der dazu, dich anheuern zu wollen?“ „Das würde ich auch gerne wissen“, pflichtete Valerie ihrem Verlobten bei. Die genaue Antwort konnte Anya ihnen nicht geben, da sie selbst kaum schlauer war als die beiden. Aber sie begriff langsam, dass Nick vielleicht Recht haben und Reid gefährlich sein könnte. Wieso sonst sollte er ausgerechnet ihren Bruder für sich ins Turnier schicken, wo es mit Sicherheit wesentlich bessere Kandidaten gab? „Ihr wart halt schon vergeben und er wollte jemanden aus Livington“, log Anya, „aber fragt mich nicht, wieso es jetzt ausgerechnet diese Kackratte sein muss!“ Valerie legte einen Zeigefinger an die Wange. „Hmm. Ich denke, du solltest vorsichtig sein. Da ist vermutlich etwas Persönliches im Spiel.“ „Ich hab davon gehört, dass ihr beide euch nicht versteht“, sagte Marc, „aber was hätte jemand wie Reid davon, das auszunutzen?“   Während die beiden ihre Vermutungen anstellten, welche Anya aufgrund ihrer eigenen kaum wahrnahm, endeten immer mehr Duelle. Die Teilnehmer des Legacy Cups verstreuten sich in der riesigen, offenen Halle, da sie jene bis zur Verkündung der Finalisten nicht verlassen durften. Und schließlich war es soweit: Melindas Haupt flackerte auf jedem der riesigen Bildschirme oberhalb der Tribünen auf. Es befand sich in der rechten Hälfte, in der linken war stattdessen eine leere Tabelle zu sehen. Sie bestand aus sechzehn Zeilen und zwei Spalten, Name und Punktzahl. „Hallo Leute!“, grüßte das älteste Kind der Ford-Sippe fröhlich in die Kamera. Doch anders als noch während der Begrüßung wirkte es falsch, denn ihr Mund mochte zwar lächeln, ihre Augen jedoch nicht. „Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch an euch alle! Ihr habt euch fantastisch geschlagen!“ Allgemeines Gemurmel füllte das Stadion. Anya, Marc und Valerie standen nebeneinander und betrachteten einen der Bildschirme. „Viele Schlachten sind heute geschlagen worden. Doch leider konnten sich nur die besten Spieler durchsetzen, um in die Hauptrunde des Legacy Cups zu gelangen.“ Melinda zeigte mit ausgestreckter Hand zur Tabelle. „Ohne lange drum herum zu reden, werden jetzt ihre Namen erscheinen.“ Kaum hatte die Rothaarige dies gesagt, tauchte der erste Name in der Liste auf. Dann der zweite. Und während Anya mitlas, wusste sie nicht, ob ihr heiß oder kalt war.   Bauer, Zachariah – 40 Montinari, Alessandro – 40 Yu-liang, Jiang – 38 Leonhart Jr., Jack – 37 Nikoloudis, Othello – 35 Mitchell, Sandy – 32 Kingston, William – 30 Slater, Allison – 28 Sangon, Kakyo – 28 Walker, Justin – 28 O'Donell, Samantha – 27 Redfield, Valerie – 26 Guerri, Valmiro – 25 Butcher, Marc – 24 Morisaki, Saeko – 24   Anya bekam Panik. Sie hatte 23 Punkte! Sie hatte doch 23, oder nicht? Demnach müsste sie auf der Liste erscheinen, sofern …   Powell, Elaine – 24   Dem Mädchen gefror das Blut in den Adern. Sie hatte es nicht geschafft. Ihr fehlte der entscheidende Punkt! „Herzlichen Glückwunsch“, hörte sie am Rande Melindas Stimme, „ihr seid mit dabei.“     Turn 60 – Path Of Most Resistance Ganz zu Anyas Entsetzen entwickeln sich die Dinge in eine Richtung, die ihr gar nicht schmecken will … Kapitel 65: Turn 60 - Path Of Most Resistance --------------------------------------------- Turn 60 – Path Of Most Resistance     Der Regen prasselte auf sie herab. Mitten auf einer leblosen Straße standen sie sich gegenüber – Anya und Zanthe. Die Blonde hielt in beiden Händen Angel Wing in seiner Speerform. Doch er sah anders aus als beim Kampf gegen Stoltz. Die Spitze gehörte nicht mehr direkt zum Speer selbst, sondern ragte aus einer simplen Öffnung hervor, nicht etwa aus einem Drachenmaul. Dagegen war Zanthe mit zwei Eisenstangen bewaffnet, herausgerissen aus einem nahen Geländer, das Straße von Bürgersteig trennte. „Ich habe dir vertraut!“, zischte Anya. „Ich dachte wir wären Freunde!“ „Wir waren nie Freunde“, erwiderte Zanthe bösartig. Einen letzten feindseligen Blick austauschend, begannen beide aufeinander zu zu rennen.   Kaum trafen sie aufeinander, stach Anya, den Speer in der rechten Hand, nach Zanthe. Der wich mit einem Rechtsschritt mühelos aus. Die Blonde drehte den Schaft in ihrer Hand und ließ den Speer im Anschluss über ihren Kopf wirbeln, doch ein Schlag mit einer der Stangen brachte den Angriff aus seinem Konzept, sodass Zanthe ihr spielend leicht mit der anderen einen Hieb ins Gesicht verpassen konnte. Der Treffer war so hart, dass es Anya fast umriss, doch sie nutze den Schwung zu ihren Gunsten, drehte sich um die eigene Achse und schmetterte den Speer gegen Zanthes Nieren. Dem durchnässten Kopftuchträger entfuhr ein schmerzerfüllter Schrei. Anya nutze diese Sekunde der Unachtsamkeit und ließ einen Tritt folgen, der nur aufgrund ihrer geringen Körpergröße nicht sein Gesicht, sondern nur Zanthes Oberkörper traf. Schnell stellte sie fest, dass sie sich bei dieser Aktion jedoch verkalkuliert hatte, denn der Werwolf nahm nun die Stange in seiner linken Hand und zog ihr derart eins über, dass es sie diesmal von den Füßen riss. Sie rutschte über die nasse Straße bis zum Bürgersteig, welcher direkt in eine Seitengasse voller kleiner Geschäfte führte. Beide Seiten ihres Schädels bluteten. Zanthe stand mit erhabenem Blick bestenfalls drei Meter von ihr entfernt und ließ seine Waffen in den Händen rotieren. Dann stürmte er auf sie zu.   ~-~-~   48 Stunden zuvor …   „Nein …“, brachte Anya bitter beim Anblick der Tabelle hervor, in der ihr Name nicht auftauchte. Valerie und Marc standen links neben ihr inmitten der riesigen Arena und starrten genau wie sie gebannt auf den Bildschirm, der neben dem Ergebnis der Vorrunde auch Melindas Antlitz zeigte. „Großartige Leistungen, mit so etwas haben wir nicht gerechnet“, lobte diese gerade strahlend. „Alles … ich dachte, ich wäre-!“ Die Schwarzhaarige packte ihre Freundin bei den Schultern und zog sie zu sich herum. „Beruhige dich! Wir sind schließlich auch noch da!“ „Genau. Überlass' das uns, wir besiegen Claire für dich“, pflichtete Marc ihr optimistisch bei. Entgegen ihrer aufmunternden Worte jedoch wuchs die Panik in Anya nur noch. Sie konnte es nicht begreifen. Sie hatte so hart gekämpft, sie war so gut gewesen, obwohl sie nicht einmal ihr eigenes Deck benutzte. „Ich hatte 23 Punkte! Das ist nur ein Punkt weniger, als wenn man jedes Duell ohne Bonuspunkte gewinnt!“, steigerte sie sich immer mehr in ihre Verzweiflung herein. „Wie kann das sein!?“ Valerie weitete bei dem Anblick der Blonden die Augen, denn aus den ihren liefen Tränen. „Anya?“ „Das ist nicht fair!“, schrie die und stieß das Mädchen ruckartig von sich. Aufgelöst rannte Anya an jenem vorbei. „Was ist denn mit ihr, so habe ich sie ja noch nie gesehen!?“ Marc wollte bereits Anstalten machen, ihr zu folgen, doch Valerie hielt ihn mit ausgestrecktem Arm zurück. „Nicht. Sie muss jetzt allein sein“, sagte sie streng. Fragend sah er seine Verlobte an. „Bist du dir sicher? Das endet garantiert in Sachbeschädigung.“ Valerie nickte knapp. „Sie hat sich völlig überschätzt. Hier werden die besten Duellanten gesucht. Jene, die der Profiliga würdig sind. Einfach nur jedes Duell zu gewinnen heißt, im unteren Drittel zu spielen …“ Dies sagte sie mit einer derartigen Kälte, dass es Marc glatt die Sprache verschlug. Täuschte er sich, oder war selbst Valerie erschrocken von der allgemeinen Leistung der Teilnehmer? „Das hat sie nicht begriffen. Aber ihr das jetzt zu erklären würde nichts ändern, sie wird jetzt niemanden an sich heran lassen.“ Valerie seufzte. „Wir müssen das jetzt aussitzen.“   ~-~-~   Gegenwart …   Funken flogen. Es fiel Anya zunehmend schwerer, Zanthes Hiebe zu parieren. Immer weiter wurde sie durch die Seitengasse gedrängt, an Tischen und Stühlen kleiner Cafés vorbei. Wie ein Sturm wirbelte der Werwolf und hämmerte seine Waffen gegen Anyas Speer. Sie musste eine Schwachstelle finden, aber wie sollte sie das anstellen!? Er war ein Werwolf, viel schneller und stärker als sie. Und dazu noch nicht einmal verwandelt! Der nächste Schlag erwischte das Mädchen unvorbereitet, sodass es mitsamt seinem Speer über einen der Tische flog. Nein! So durfte es nicht enden! Mitten im Fall streckte Anya die Arme über sich hinaus, legte sie bei der Landung auf den gepflasterten Boden auf und machte einen Handstützüberschlag rückwärts. Dabei hob sie noch in der Bewegung ihren Speer auf. Sie sah Zanthe, wie er auf der anderen Seite stand und einen Moment vor Überraschung zögerte. Anya holte aus, verlagerte ihr Gewicht nach vorne und warf Angel Wing mit all ihrer Kraft in seine Richtung. Im Flug zog sich seine Spitze in den Schaft zurück, kurz bevor die Waffe in Zanthes Brust einschlug, nur wenige Zentimeter über der Stelle, die er mit seinen Armen zu schützen versucht hatte. Es gab einen heftigen Knall und eine Explosion, die den Werwolf schreiend nach hinten katapultierte. Der Speer federte seinerseits ab und flog im hohen Bogen nach oben.   In seinem Rückwärtsfall sah Zanthe, dass Anya aus dem Nichts auftauchte. In der Luft, die Hand an den Speer gelegt. Er schlug mit dem Rücken auf den Boden auf, folgte mit seinem Blick den Lauf des Speers, aus dem schlagartig wieder die Spitze schoss. Anya stürzte mit einem Kampfschrei nach unten, doch kurz bevor sie ihren Gegner aufspießte, rollte der sich zur Seite weg und verpasste dem aufschlagenden Mädchen in der Bewegung einen Tritt, der sie glatt durch die Schaufensterscheibe eines Modegeschäfts schleuderte.   Der junge Mann erhob sich und versuchte in dem Dunkel des Geschäfts etwas zu erkennen. Er nahm eine Bewegung bei den Mannequins wahr. Und dann kleine Flächen in der Luft, die funkelten. Dann surrte es. Schnell schaltete Zanthe und machte einen Sprung nach hinten auf einen der Tische, um sich von dort weiter zu einem Balkon zu katapultieren. Dutzende Glasscherben flogen durch die Luft in alle möglichen Richtungen. In gehockter Position wartete Zanthe, der seine Waffen beim Fall verloren hatte, auf dem steinernen Geländer besagten Balkons. Bis Anya schließlich aus dem Geschäft trat. Ihre Hände steckten zu seiner Überraschung in metallisch anmutenden, dünnen Handschuhen. Mit Angel Wing im Schlepptau, schwang sie ihre leere Hand in seine Richtung aus. Zanthe stieß sich vom Geländer ab und sah die verschiedensten Körperteile der Puppen über sich fliegen. Mit einem Satz landete er wieder in der Seitengasse, wo Anya ihn bereits erwartete. Sie zielte mit ihrem Speer auf ihn und schoss eine Ladung Schrot aus dem Schaft. Er rollte sich darunter hinweg. Sie schoss erneut, dabei einen Schritt zurück nehmend. „Wie du willst!“, schrie Zanthe im selben Moment. Die Haut um sein Gesicht verfärbte sich schwarz, seine grünlichen Pupillen verengten sich zu Schlitzen. Mühelos sprang er über den nächsten Schuss hinweg, doch Anya grinste dreckig. „Reingefallen.“ Sie schwang den Speer aus, welcher sich in der Luft in dutzende kleiner Segmente an einer Kette zerteilte, ähnlich einem Nunchaku. Die neue, peitschenartige Waffe schleuderte Zanthe im Sprung entgegen und schmetterte ihn mit derartiger Kraft zurück, dass er über die ganze Seitengasse flog. Spielerisch zog Anya Angel Wing zurück, welcher sich in Sekundenschnelle wieder in seine Speerform zurückverwandelte. Zanthe schlug in einer Pfütze auf, rollte rückwärts und gelangte wieder auf die Beine. Sich über den blutenden Mundwinkel wischend, meinte er: „Gar nicht schlecht.“ „Ich habe gerade erst angefangen“, verkündete Anya düster. „Glaub mir: Ich auch.“ In atemberaubender Geschwindigkeit stürmte er wieder auf sie zu.   ~-~-~   Anya biss sich auf die Lippen, wie sie an den anderen Teilnehmern vorbei rannte. Jetzt hatte sie den ultimativen Beweis: Sie war schwach. Wenn solche Überflieger wie Redfield und Marc gerade einmal so durch die Vorrunde gerutscht sind, wie hatte sie sich da überhaupt Chancen ausrechnen können!? Das Mädchen spürte einen schrecklichen Schmerz in der Brust. Einen, den sie nur sehr vage in Erinnerung hatte: Selbstzweifel. „Mein Traum … mein Traum ist damit …!“ Sie hielt an. Im Hintergrund hörte sie Melindas Stimme über die Lautsprecher irgendetwas über eine Überraschung erzählen. Levrier tauchte neben dem Mädchen auf.   Du wirst noch mehr Gelegenheiten haben, die Duel Queen zu werden.   Eine Faust ballend, ließ Anya den Kopf hängen. „Warum? Warum sind die alle so gut?“ Nur weil sie gut sind, heißt das nicht, dass du deswegen schlecht bist. Anya Bauer, dies bedeutet noch lange nicht das Ende.   Wütend wirbelte sie zu [Gem-Knight Pearls] durchsichtigem Ebenbild herum, breitete die Arme so weit es ging aus. „Kapierst du es nicht!? Wenn das hier nur die Aufwärmrunde ist und ich hier schon verkacke, wie soll ich dann-!?“ Sie konnte gar nicht so schnell reagieren, da rauschte Levriers Hand durch ihr Gesicht. Sie verstummte augenblicklich.   Du bist nicht du selbst, Anya Bauer! Seit wann lässt du dich von Niederlagen entmutigen!?   Anya fasste sich an die Wange, wo Levriers Hand sie hätte berühren müssen, würde er über einen realen Körper verfügen. „Weil ich … schwach bin …“   Nein. Du bist nicht stark genug. Das ist ein Unterschied, den du bisher immer ausgleichen konntest.   Mit geröteten Augen sah Anya ihren Freund an. Er spürte es nicht, den Schmerz in ihrer Brust, dieses Gefühl des Versagens. Es war nicht nur, dass sie ein paar Duelle verloren hatte. Sie hatte unter Beweis gestellt, dass sie ohne fremde Hilfe aufgeschmissen war. Wären Marc und Valerie nicht hier, gäbe es keine Chance, um an Claire heranzukommen. Sie würde sterben, weil sie zu schwach war, sich selbst zu helfen! Wieso begriff er das nicht!?   „... ich habe gerade den Namen des Teilnehmers erfahren, der freiwillig ausgestiegen ist.“ Melindas Stimme klang ganz aufgeregt, zitterte förmlich. Selbst Anya bemerkte dies und sah nach oben zu den Bildschirmen auf. „Es ist Alessandro Montinari“, verkündete der Rotschopf von jedem der über den Tribünen angebrachten Bildschirme, „das heißt, jemand muss für ihn nachrücken.“ Plötzlich erschien noch jemand im rechten Bildschirmrand. Es war eine junge Frau mit Headset, die Melinda etwas ins Ohr flüsterte. Die drehte sich zu ihr um. „Was!? Können wir das überhaupt machen!?“ Auf die Frage hin zuckte die Assistentin nur mit den Schultern. Daraufhin atmete die Repräsentantin der Ford-Familie tief durch und wandte sich wieder den Zuschauern zu. „Nun, anscheinend gibt es mehrere potentielle Kandidaten für diese Stelle.“ Anya war zu benebelt, um ihr folgen zu können. „Da es keinen weiteren Teilnehmer mit 24 Punkten gibt, muss jemand mit 23 Punkten nachrücken.“ Langsam dämmerte dem Mädchen, dass damit sie gemeint war. Sie hatte 23 Punkte! „Dafür kommen insgesamt sieben Teilnehmer infrage“, zerstörte Melinda sogleich ihre Hoffnung, „für diesen Fall haben wir ein System entwickelt, das den geeignetsten Kandidaten ermittelt.“   Wer ist Alessandro Montinari!? Das ist doch die zweite Namenshälfte von-!   Jedoch hörte Anya ihn gar nicht. Sie war so fixiert auf Melinda, die plötzlich ziemlich verunsichert wirkte. Schweiß stand ihr auf der Stirn, als sie verkündete: „Hierbei wird es sich jedoch nicht um ein Duell handeln. Stattdessen wird bei diesen Sieben, wie zu Beginn angekündigt, das Verhältnis aus zugefügtem und erlittenem Kampfschaden während des Turniers entscheiden. Der oder diejenige mit dem höchsten Wert ist dabei.“ Melinda senkte ihren Kopf. Man konnte sehen, wie sie ihre Arme bewegte, anscheinend tippte sie etwas vor sich ein. Plötzlich schreckte sie auf und sah in die Kamera. „Unglaublich! Mit großem Abstand gewonnen hat …!“ Und Anya sah auf der linken Seite des Bildschirms nur noch ihren Namen und ihr Portrait darunter.   Mir fehlen die Worte. Du hast dich mit stupidem Draufgekloppe nachträglich ins Finale gekämpft!   ~-~-~   Statt Anya direkt anzugreifen, machte Zanthe auf halbem Wege Halt und holte mit seinem Fuß aus. In einer schnellen Abfolge trat er zu seiner Rechten stehende Stühle in ihre Richtung, die das Mädchen jedoch mit diversen Bewegungen ihrer freien Hand mitten in der Luft abfing und gegen die Wände krachen ließ. Parallel dazu feuerte sie mit ihrem Speer auf Zanthe, sodass dieser bei seinen Tritten gleichzeitig tänzelnd ausweichen musste. Immer mehr Möbel flogen auf Anya zu, doch die blieb selbstbewusst stehen und schwang ihre Hand hin und her. Als Zanthe die Munition aus ging, stieß er sich von einer Wand zur anderen ab, um an Höhe zu gewinnen. „Nicht mit mir!“, schrie Anya und machte ihren Speer wurfbereit. Dabei richtete sie ihn so aus, dass er letztlich mitten in Zanthes Sprung über diesen hinweg schoss. Ein grelles Licht schoss von Anya zu Angel Wing, bis ebenjene plötzlich mit der Waffe in der Hand direkt über Zanthe auftauchte.   Der drehte sich in der Luft und holte zum Tritt aus. Gleichzeitig griff Anya ihren Speer mit beiden Händen und stieß ihn Richtung des Werwolfs unter ihr, den unvermeidlichen Treffer in Kauf nehmend. Es klirrte. Zanthes Fuß war an einer riesigen, rosafarbenen Perle abgeprallt. Anyas Speer verfehlte sein Ziel um wenige Zentimeter. Die Schwerkraft setzte ein, beide fielen. Anya spürte ihn. Levrier, direkt hinter ihr. Jener, in seiner allseits bekannten Pearl-Form, streckte die Hand aus. Drei der sechs um ihn schwebenden Perlen lösten sich aus der Gruppe und bombardierten Zanthe förmlich, der weggeschleudert wurde. Mehrmals prallte er auf dem Boden auf, flog wieder in die Luft, nur um wieder aufzuschlagen. „Levrier!?“, stieß Anya mehr als geschockt in ihrem Fall hervor. „Wie-!? Egal, gut gem-“ „Wer hat je behauptet“, sagte er und drehte sich zu ihr um. Seine blauen Augen blitzten rot, „dass ich dein Verbündeter bin, Anya Bauer?“ Mit einem Schwenk seiner Hand schossen die übrigen Perlen auf das Mädchen zu und pfefferten es in das Obergeschoss eines Ateliers. Es polterte, um das Mädchen herum flogen Gemälde und leere Leinwände.   Gleichzeitig machte Zanthe, bevor er wieder aufschlug, einen Rückwärtssalto und grub seine Klauen tief in die Pflastersteine, um sich abzubremsen. „Du!“, fauchte er. „Wie bist du-!?“ Sich mit den Hinterbeinen abstoßend, stürmte er im Anschluss auf den in der Luft schwebenden Levrier zu. Mit seinen Klauen versuchte er ihn im Sprung zu erfassen, doch Levrier teleportierte sich nach rechts, dann links, dann hinter ihn, als Zanthe es mit den Füßen probierte. Es knallte, doch Levrier war verschwunden, ehe Anya vom Fenster aus weitere Schüsse mit Angel Wing abfeuern konnte. Er tauchte hinter ihr auf, doch das Mädchen hatte damit gerechnet und sprang aus dem zweiten Stock, allerdings nicht ohne sich dabei umzudrehen. Was auch nur richtig war, denn Levrier hatte seine Perlen wieder um sich vereint und feuerte sie allesamt auf sie ab. Zwar konnte Anya die Geschosse mit dem Speer abwehren und wegschlagen, doch hatte sie Zanthe völlig vergessen, der unter ihr lauerte und bereits nach oben mit seiner Klaue ausholte. Anya warf den Speer zu seiner Linken in den Boden und erschien kurzerhand neben dem Werwolf, dem sie in duckender Position ein Bein mit dem eigenen weg zog und zu Fall brachte. „Verdammtes Miststück! Dafür bring ich dich um“, keifte er, als Anya sich mit ein paar Rückwärtssprüngen aus seiner Reichweite brachte. Levrier schwebte herab, etwa in die Mitte der beiden und verschränkte die Arme. Der Werwolf und Anya funkelten sich gegenseitig böse an, dann stürmten sie beide auf Levrier zu. Unter wütenden Schreien holten sie mit ihren Fäusten aus, die den Helm des immateriellen, weißen Ritters anzielten. Der schüttelte den Kopf. Kurz bevor er getroffen wurde, teleportierte er sich davon, sodass sich Zanthe und Anya gegenseitig mit aller Kraft ins Gesicht schlugen und von der Wucht weggeschleudert wurden.   Zanthe krachte in einen Eisstand kurz vor dem Ausgang der Seitenstraße, während Anya durch eine Pfütze schlitterte. Oben in der Luft verharrte Levrier. „Das reicht. Können wir jetzt aufhören, so zu tun, als wären wir Filmstars?“ „Ich bitte darum“, raunte Zanthe und hielt sich die Wange. „Du warst gar nicht im Drehbuch vorgesehen!“ Anya schnaubte. „Fein!“ Und kurzerhand flackerte Ephemeria City wie ein defektes Hologramm auf und ließ nichts als Dunkelheit zurück. Und die Mosaikplattform, auf der die Erde stilisiert war. Anya und Zanthe befanden sich am jeweils anderen Ende von Anyas Elysion.   „Das hat Spaß gemacht“, sagte Levrier, der in der Mitte verharrte. „Ihr wart gar nicht schlecht.“ „Meinst du, dass Angel Wing und Heavy T wirklich so funktionieren werden, wenn ich sie erst zurückhabe?“ Das Schwarze wich aus Zanthes Gesicht, als er sich erhob und den Nacken rieb. „Hoffentlich nicht, das war ja furchtbar!“ „Hey!“, fauchte die blutende Anya und sprang auf. „Das war doch voll genial, was ich aus ihnen gemacht habe! Viel besser als ein langweiliger Speer! Also, ist es möglich oder nicht!?“ Zanthe zuckte mit den Schultern. „Das hängt davon ab, ob diese Hüterarktefakte sich wirklich dem Willen ihres Besitzers beugen und verformen lassen. Ich dachte, darin wären wir uns längst einig?“ „Niemand kann mit Gewissheit sagen, ob diese Simulation den Originalen in ihren Möglichkeiten gleich kommt“, stimmte Levrier dem zu, „alles was wir durch Stoltz wissen ist, dass du ihr wahres Potential nicht für dich entdeckt hast, Anya Bauer.“ „Ich muss schleunigst mein Deck zurückbekommen und es ausprobieren! Ansonsten muss ich mir jemanden suchen, der mir diese Badass-Waffen baut!“ Anya rümpfte die Nase und schloss die Augen. „Aber jetzt muss ich los, sonst komme ich zu spät zu meinem Duell!“   ~-~-~   24 Stunden zuvor …   Zusammen mit Zanthe sah Anya dabei zu, wie Matt seinen Koffer packte. „Wie lange wirst du wegbleiben?“, fragte sie schließlich, was ihr schon eine Weile auf der Zunge lag. „Höchstens eine Woche“, antwortete er, ohne dabei davon abzulassen, seine nicht ganz akkurat zusammengelegten Hemden zu verstauen. Anya, die an der Fensterfassade lehnte, drehte den Kopf zu Zanthe, der am Tisch saß. „Also? Was wolltest du uns vorhin beim Frühstück so Dringendes sagen, bevor du den Kellner erfolglos angebaggert und uns vergessen hast?“ „Ich war nicht erfolglos“, erwiderte der und zupfte aus seiner Hosentasche eine Serviette mit einer Handynummer darauf. „Es geht um Kakyo Sangon und des Sammlers Speichellecker, Kyon.“   Kurz darauf erzählte er den beiden von seiner Begegnung mit einem mysteriösen, jungen Mann und was dieser über Kyon gesagt hatte. Dass er Kyons Geruch an sich getragen, aber steif und fest behauptet hatte, nur jemanden namens Kakyo zu kennen. Exas Namen ließ er dabei nicht fallen, denn er wollte seinen neugewonnenen Freund nicht in Schwierigkeiten namens Anyas bringen. „Das ist doch mein erster Gegner gewesen, diese freche Napfsülze!“, stellte die empört fest, nachdem Zanthe geendet hatte. „Was hat der mit diesem Kyon zu schaffen!?“ „Wer weiß. Ich werde mich an seine Fersen heften und ihn beobachten.“ Zanthe sah sich die Serviette genauer an und grinste schelmisch. Matt drehte sich zu ihnen um. „Ja, lass Zanthe das machen. Du solltest dich voll und ganz auf das Turnier konzentrieren, das du um ein Haar verpasst hättest.“ „Nur noch mehr Salz in die Wunde, Summers!“ „Ist doch wahr“, stimmte Zanthe dem Dämonenjäger zu. „Hmm. Meint ihr, ich soll ihn noch etwas zappeln lassen, bevor ich ihn anrufe?“ Anya überhörte ihn. Kakyo und der Diener des Sammlers … in welcher Beziehung standen ausgerechnet diese beiden? Oder hatte dieser Fremde, von dem Zanthe erzählt hatte, gelogen? So selten Anya an andere Menschen glaubte, so unwirklich erschien es ihr, dass dieser Kakyo in irgendeiner Form gefährlich war. Besonders nach dem, was er ihr gesagt hatte, nachdem die erste Paarung des Achtelfinales bekannt gegeben worden war …   Anya zitterte am ganzen Leibe. Sie war nie ein Mensch gewesen, der an Wunder geglaubt hatte, doch ein solches war heute geschehen. Die Hauptrunde würde mit ihr stattfinden. Und trotzdem … sie stand seit gut zehn Minuten hier wie versteinert. Sie hörte die Rufe von Valerie und Marc, die ihr entgegen liefen. Aber sie freute sich nicht. Das Strahlen der beiden steckte nicht an. Da waren keine frechen Sprüche wie 'Fuck yeah, bitches, diese Scheiße steigt entweder mit mir oder gar nicht'. Wieso sollte ihr auch nach Feiern zumute sein, wenn dieser Triumph nicht ihrem eigenen Tun entsprungen war? „Glückwunsch!“, fiel ihr Valerie um den Hals. Marc grinste über beide Backen. „Welchen armen Kerl hast du verprügelt, um das möglich zu machen?“ „Ja. Glückwunsch auch von mir.“ Die drei drehten sich um. Da stand Kakyo Sangon, der unscheinbare brünette Kerl, dem Anya vorhin am liebsten an die Gurgel gegangen wäre. Diese Rachegedanken waren jedoch im Angesicht des eigenen Versagens erloschen. „Danke“, brachte Anya mit Mühe mechanisch hervor. „Da. Jetzt geben sie die Paarungen für die erste Runde bekannt.“ Kakyo zeigte nach oben.   Die Hauptrunde, ausgetragen im KO-Format, wurde als nach oben verlaufendes Diagramm dargestellt. Die sechzehn Namen tauchten der Reihe nach nebeneinander auf, wurden durchgemischt und schließlich an je eine der Linien gesetzt. Valerie ließ Anya daraufhin los. Der klappte schließlich der Mund auf. Da war ihr Name, gleich als erster. Und gepaart wurde sie mit …! „Zach!“, nannte Valerie ihn beim Namen. Sie wirbelte zu Anya herum. „Dein Bruder!“ „Bruder gegen Schwester? Das ist ja unheimlich“, staunte Kakyo hinter ihnen und schlenderte schließlich an Anya vorbei. Als er direkt neben ihr war, sagte er leise, „kleiner Tipp für dich: Werd' das Schwert los, mit dem er mich besiegt hat. Dadurch kannst du es drehen.“ Damit zog er von dannen. „Oh, ich bin Spalte D“, stellte Valerie fest, „also treffe ich erst im Halbfinale auf Anya, wenn alles glatt läuft.“ Marc gluckste. „Ich bin Paarung G. Steht für Gewinner.“ „Zach … das kann doch kein Zufall sein!“, platzte es schließlich aus Anya heraus, die in einen regelrechten Schreianfall verfiel. „Du verdammter Scheißkerl von Bruder!“   Unbewusst ballte Anya eine Faust. Irgendwie hatten ihre Freunde es hinbekommen, sie einigermaßen aufzuheitern. Allen voran Zanthe, der sich geradezu unheimlich fürsorglich verhalten und ihr gut zugeredet hatte.   Matt indes verengte die Augen zu Schlitzen und nahm den Werwolf ins Visier. „Bevor du zu deiner Tagesgestaltung kommst, schuldest du uns noch eine Erklärung.“ „Er war halt süß“, rechtfertigte sich der Kopftuchträger schulterzuckend. Anya klatschte sich die Hand ins Gesicht. „Doch nicht das, Flohpelz! Ich hab's dir doch gestern schon gesagt. Der Typ, der freiwillig ausgestiegen ist, trug deinen Familiennamen.“ „Komischerweise musstest du, als Anya das erwähnte, plötzlich auf Toilette“, fügte Matt noch hinzu und verschränkte die Arme, „für vier Stunden …“ Zanthe winkte unbekümmert ab. „Zufall. Und Durchfall, falls ihr's wissen wollt.“ „Sicher nicht. Ich bezweifle, dass es viele Montinaris in den Staaten gibt.“ „Vielleicht ein entfernter Cousin?“ Matt stöhnte, genervt davon, wie leichtfertig sich der Werwolf gab. Der sprang mit einem Male ruckartig auf, sodass der Stuhl lautstark umkippte. „Hey! Wieso werde ich jetzt verhört!?“ „Weil du uns etwas verschweigst“, brachte der Schwarzhaarige es auf den Punkt. „Das musst du gerade sagen!“ Zanthe zeigte mit dem Finger auf den Dämonenjäger. „Du, dessen Wunden schneller heilen als Anyas Gehirnzellen absterben!“ Die Blonde blinzelte dämlich. „Hey!“ „Ich habe keine Lust darauf, mich mit euch zu streiten!“, schnappte Zanthe beleidigt. Wie ein Sommergewitter zischte er an dem Mädchen und Matt vorbei, doch bevor Letzterer ihn mit seinen Worten aufhalten konnte, knallte schon die Tür ins Schloss. Anya drehte sich zu Matt. „Gut gemacht, Summers.“ „Der kommt schon wieder“, meinte jener miesepetrig, „aber das ist doch der beste Beweis, dass ich Recht habe, oder nicht?“   Das Mädchen drehte sich herum und starrte aus dem Fenster. Es war ein trüber Tag. Und sie war wieder da, Claire Rosenburg, deren Werbung auf dem riesigen Wolkenkratzer flackerte. „Sag bloß, du glaubst ihm etwa!?“, hörte sie, wie Matt sich hinter ihr empörte. „Weiß nicht, was ich glauben soll und was nicht. Aber ohne seinen Pseudo-Cousin wäre ich jetzt nicht im Turnier.“ Anya senkte den Kopf. „Ich glaube, ich halte mich da raus. Der Flohpelz ist älter als wir beide zusammen. Er wird schon wissen, was das Richtige ist.“ „Älter vielleicht, aber nicht reifer“, widersprach Matt engstirnig. „Es ist nicht so, dass ich ihm nicht vertraue. Wenn er jedoch nicht ehrlich mit uns ist, könnte uns das später auf die Füße fallen.“ „Wenn wir ihm vertrauen“, murmelte Anya und richtete ihr Haupt wieder auf, „müssen wir auch akzeptieren, dass es Dinge gibt, die er ohne uns angehen möchte.“ Sie drehte sich zu Matt um, der sie erstaunt ansah. „Genau wie wir beide auch Probleme haben, mit denen wir uns alleine auseinandersetzen müssen.“   Am liebsten hätte sie sich sofort den Mund zugehalten. Was hatte sie denn da plötzlich für einen Quatsch von sich gegeben!? Es war nur ein Gedanke gewesen, weil sie damals auch versucht hatte, Nick und Abby aus der Eden-Geschichte herauszuhalten. Andererseits, wie gut das im Endeffekt geklappt hatte, hatte sie ja damals in der Zelle gesehen, als Abby angeschossen wurde. War es das, was Matt meinte?   Matt sah sie nachdenklich an. Dann wandte er sich wieder seinem Koffer zu. „Ich weiß nicht …“ „Was ist los mit dir, Summers?“, platzte es plötzlich aus Anya heraus, die einen Schritt nach vorne ging. „Wieso bist du neuerdings so … anders?“ „Ich … weiß es nicht.“ Er machte eine Kunstpause. „Bitte … gib mir etwas Zeit, okay?“ Plötzlich spürte er einen stechenden Schmerz auf der Schulter, welche Opfer von Anyas nicht selten schmerzhaften Aufmunterungsversuchen geworden war. Die klatschte gleich noch einmal drauf. „Kopf hoch, Summers. Dich kriegen wir schon wieder hin.“ Vor Selbstmitleid seufzend erwiderte er nur: „Ja.“ Anya reckte neben ihm den Kopf hervor und sah ihn von unten herauf an. „Sag mal, kann ich dich um einen Gefallen bitten, sobald du wieder zurück bist?“ „Schieß los.“ Ein wenig überrascht blinzelte er sie an. „Kannst du mir beibringen wie man kämpft? Also so richtig?“ Im ersten Moment wusste Matt darauf nichts zu entgegnen. Anya vor ihm stemmte die Hände in die Hüften und verzog ihre Augen zu Schlitzen. Ein Hinweis, dass sie alles andere als ein 'Ja' nicht akzeptieren würde. „K-kann ich machen. Aber wozu?“ „Hör mal, Summers.“ Belehrend hob sie den Zeigefinger. „Bisher haben wir unsere Konflikte immer mit Duellen gelöst. Was, wenn das irgendwann mal nicht geht? Du und der Flohpelz, ihr könnt euch wehren.“ Noch immer überrumpelt, entgegnete Matt: „Du bist doch auch nicht gerade ohne …“ „Ich will auf die nächste Stufe, verdammt!“, maulte Anya und stampfte mit dem Fuß auf. „Wenn ich schon diese scheiß Artefakte sammeln muss, dann kann ich auch mit ihnen kämpfen, oder!?“ Zögerlich nickte der Dämonenjäger. „Schätze schon, aber … wieso dieser Sinneswandel?“ Anya stöhnte genervt. „Hast du denn nie drüber nachgedacht? Was passiert, wenn wir jemandem gegenüber stehen, der sich nicht duellieren will? Was machen wir dann?“ „Ich glaube-!“ „Und ist es nicht seltsam“, plötzlich gewann ihr Tonfall eine dunkle Nuance, „dass bisher alles so glatt gelaufen ist? Dass immer ein Duell entschieden hat, statt eines direkten Kampfes auf Leben und Tod?“ Ehe Matt wieder etwas sagen konnte, fuhr Anya in gehobener Lautstärke fort. „Das stinkt doch. Glaubst du, dass das bloßer Zufall ist?“ Verloren stand Matt ihr gegenüber und wusste nicht, was er darauf antworten sollte. „Du kannst Bannkreise erschaffen“, ließ die Blonde ihn daher an ihren Gedankengängen unfreiwillig teilhaben, „damit können wir ungestört trainieren. Und der Flohpelz war immerhin mal ein Hüter, sicher kann er-!“ Darf ich mich kurz einmischen?   Levrier materialisierte sich neben den beiden. Der weiße Ritter Pearl legte eine zur Faust geballte Hand an den nicht existierenden Mund und räusperte sich.   Zanthe Montinari war ein Hüter, korrekt. Doch ist den Aussagen des Undying Stoltz zu trauen, dann ist selbst ihm das wahre Potential der Artefakte nicht bewusst gewesen. Was deine Theorie angeht, Anya Bauer, so hat mir dies auch schon Einiges an Kopfzerbrechen bereitet.   Die beiden sahen ihn fragend an.   Ob dies nun Zufälle sind oder nicht, es kann durchaus nicht schaden, sich auf das Schlimmste vorzubereiten.   „Und wie soll das aussehen?“, fragte Matt nun skeptisch. „Wir haben die Artefakte nicht mehr, sie wurden gestohlen, schon vergessen?“ Als ob mich jemand das je vergessen lassen könnte …   Der Schwarzhaarige begann mit den Händen zu gestikulieren. „Aber wie soll Anya sich dann in ihrem Umgang üben?“ Jene zuckte ebenso unwissend mit den Schultern. Dürfte ich hierzu einen Vorschlag machen. Denn ich wüsste einen Ort, der noch besser dafür geeignet ist, als ein Bannkreis …   ~-~-~   Sie öffnete ihre Augen. Levrier war schon eine Marke. Das Elysion zu nutzen, um Kämpfe zu simulieren, so etwas konnte nur ihm einfallen. Letztlich hatten sie es vorhin doch noch probiert. Der Flohpelz war am gestrigen Abend wesentlich besser gelaunt als erwartet zurückgekehrt und hatte sich bereit erklärt, mitzumachen. Sein Vorschlag, einfach die Fantasie spielen zu lassen, was die Artefakte anging, war auch gar nicht schlecht. Wenn es wahr war und die Kraft jener von ihren Besitzern abhing, so hieß das im Umkehrschluss, dass jene die Artefakte nach ihrem Willen formen konnten. Zumindest interpretierten Anya und Zanthe das so und das Mädchen konnte kaum erwarten, es in der Realität auszuprobieren.   Sie verhärtete ihren Blick. Jetzt galt es aber erst einmal ihren Bruder in die Schranken zu weisen. Ihre Schritte hallten durch den schier niemals endenden, trostlosen Gang, den Anya entlang schritt. Über ihr flackerte nervös einer der sparsam verteilten Halogen-Leuchter. Scheinbar hatten die Architekten echt an dieser Ecke der Arena gespart, schoss es ihr durch den Kopf. Oder es war beabsichtigt, dass all jene, die diesen Weg beschritten, sich seltsam klein und unbedeutend vorkommen sollten – wovon Anya wiederum dank eingebautem Ego-Airbag verschont blieb.   Zu ihrem Ärgernis war sie jedoch nicht die Einzige, die auf dem Weg zum Spielfeld war. Etwa zehn Meter von ihr entfernt stieß sich ihr Gegner von der Wand ab und kam ihr in gemäßigtem Schritttempo entgegen. Zachariah! Anya sagte gar nichts. Sie beschleunigte lediglich ihren Gang und wollte an ihm vorbei, doch als sie ihn passierte, versperrte ihr der blonde, junge Mann in hellblauem Hemd und schwarzem Sakko den Weg. „Verpiss' dich! Deine Prügel kannst du dir dort drüben abholen!“, raunte sie. „Nanu, wer übt sich denn neuerdings in Zurückhaltung?“, stichelte ihr ein Kopf größerer Bruder mit schnarrender Stimme. „Am liebsten würdest du die Rechnung doch gleich hier begleichen, oder?“ „Worauf du dein Goldkettchen verwetten kannst, Schmierlappen!“ „Zu dumm, dass ein solcher Akt der Gewalt dich sofort disqualifizieren würde.“ Er lachte auf. „Nicht, dass es einen Unterschied macht, das Finale erreichst du so oder so nicht.“ Die Arme verschränkend, erwiderte Anya: „Sagt wer? Dir ist klar, dass du dieses Mal nicht versuchen kannst, mich durch ein Duell umzubringen. Wer ist jetzt der Loser, huh?“ „Das kommt drauf an, ob du mein Angebot annimmst oder ablehnst.“ Zach streckte ihr die Hand entgegen. „Lass uns doch einen Deal machen. Du bekommst deine Duel Disk wieder, steigst aber freiwillig aus dem Turnier aus.“ Anya weitete die Augen. Hatte sie gerade richtig gehört!? „Was sagst du?“   Anya Bauer, das ist nur ein Trick! Lass dich nicht von ihm hinters Licht führen, du weißt, was auf dem Spiel steht!   Natürlich wusste sie das, das brauchte Levrier ihr nicht ins Ohr zu flüstern! „Was sagst du? Nicht gut?“ Anya schlug die Hand beiseite. „Verarschen kann ich mich alleine!“ Um ihrer Wut über seinen Spott Form zu verleihen, stampfte sie geradewegs in seine Richtung und rempelte ihn mit derber Wucht zur Seite. „Wir sehen uns auf dem Spielfeld, Mistkerl!“ Zachariah jedoch lachte nur, während er gegen die Wand sackte. „Wenn du gewinnst, werden wir die Duel Disk zerstören!“ Einen kurzen Moment blieb Anya stehen. Dann schritt sie stumm weiter Richtung des Lichts. „Das meine ich ernst!“, rief Zachariah ihr hinterher, zwecklos.   Es brodelte in Anya. Gewaltig. So war es ihr unmöglich einen klaren Gedanken zu schöpfen. Was vielleicht auch seine Vorteile hatte, denn als sie aus dem Dunkel ins Licht trat, blieb sie von den überwältigenden Eindrücken verschont. Zwar mochte dieses Stadion kleiner sein als das von den Vorrunden, doch dafür ging das runde Gebäude viel mehr in die Höhe. Aberdutzende Sitzreihen, angeordnet wie in einem Kolosseum und voll bis auf den letzten Platz. Dezenter Jubel ertönte, als Anya auf das Spielfeld in der Mitte zu schritt. Oben gab es eine gläserne Lounge, in der der Kommentator Mr. C hauste, ebenso die Ehrengäste und VIPs, zu denen zweifelsohne auch die Ford-Geschwister zählten. Anders als das Brückenstadion war dieses komplett überdacht. Grelle Scheinwerfer waren auf das Duellfeld gerichtet, an dem das Mädchen sich, abwesend nach ihren Freunden in der Menge suchend, platzierte. „Denk an deine Duel Disk“, mahnte Zachariah, der neben ihr vorbei ging und sich auf der anderen Seite aufstellte.   „Ladies and Gentleman“, schrie der schwarzhaarige Kommentator in rotem Anzug von der erhöhten Lounge aus, als beide Duellanten sich positioniert hatten, „endlich ist es soweit. Das große, das einzigartige, das allererste Achtelfinale des Legacy Cups!“ Die Zuschauer in der kreisrunden Halle tobten förmlich. „Und welch Ironie des Schicksals, stehen sich doch Bruder und Schwester gegenüber! Zachariah Bauer, der sich mit der höchsten Punktzahl qualifiziert hat! Und Anya Bauer, unsere Nachzüglerin!“ Die Stimmung flachte bei der Nennung der beiden Namen abrupt ab, stattdessen entstand durch wildes Gemurmel und das ein oder andere Pfeifen eine angespannte Stimmung. Die Anya prompt mit dem Mittelfinger quittierte, nur um lautstark ausgebuht zu werden. „Fickt euch!“, schnarrte sie angespannt und es war ihr dabei völlig egal, dass sie zuvor mit einem Mikrophon verkabelt worden war. „Na na na, da gehört jemandem wohl der Mund mit Seife ausgewaschen!“, empörte sich der schwarzhaarige Kommentator mit Elvistolle vor der Glasscheibe, nur um den Arm auszuschwenken. „Vielleicht ja von ihrem Bruder?“ Jene Idee wurde vom Publikum jubelnd aufgenommen, während Zachariah seinen 'Fans' lächelnd zunickte. „Doch reden wir nicht länger um den heißen Brei herum, beginnen wir mit dem Duell, welches den neuen Regeln der AFC folgt. Nur zur Erinnerung: Der Spieler, der es beginnt, muss seine Draw Phase überspringen. Auch dürfen nun beide Spieler gleichzeitig Spielfeldzauber kontrollieren.“ Mit in die Höhe gestrecktem Zeigefinger schrie er: „Zeit für ein Duell!“ Zeitgleich aktivierten Anya und Zach ihre roten D-Pads und funkelten sich böse an.   [Anya: 4000LP / Zachariah: 4000LP]   „Ich fange an!“, bestimmte Anya umgehend und riss ihr Startblatt von ihrem Deck. Als hätte sie gar nicht zugehört, wollte sie bereits die nächste Karte ziehen, da hallte die altbekannte, nicht immer liebgewonnene Stimme in ihrem Kopf:   Konzentriere dich, Anya Bauer!   „O-oh, shit, stimmt ja!“ Zum Glück hatte sie noch nicht gezogen, sonst wäre das Duell vielleicht jetzt schon vorbei. Das hämische Grinsen ihres Bruders verschlimmerte die Sache nur noch, dem Mädchen stand bereits jetzt der Schweiß auf die Stirn geschrieben. Aus dem Konzept gebracht, warf sie einen skeptischen Blick in ihr Blatt. „Wie fange ich die Scheiße am besten an? Shit!“ Hast du dich doch noch nicht an dieses Deck gewöhnt? Brauchst du Rat?   Um nicht den Eindruck zu erwecken, mit jemandem zu reden, schüttelte Anya kaum merklich den Kopf und nahm dann instinktiv ein Monster aus ihrem Blatt. „Ich beschwöre [Battlin' Boxer Headgeared]!“ Aus einer roten Lichtsäule stieg vor ihr ein Boxer empor, von hagerer, doch trainierter und vor allem dunkelblauer Gestalt. Namensgebend war sein roter Kopfschutz.   Battlin' Boxer Headgeared [ATK/1000 DEF/1800 (4)]   Sofort griff Anya, dieses Mal gerechtfertigt, nach ihrem Deck. „Wenn er normalbeschworen wird, schicke ich umgehend einen seiner Trainingspartner direkt vom Deck auf den Friedhof.“ Jenen zeigte sie kurz vor, ehe sie ihn in den Friedhofsschlitz schob. Doch sie war noch nicht fertig, klatschte sie doch kurzerhand noch ein Monster auf die freie Monsterkartenzone neben Headgeared. „Spezialbeschwörung! Wenn ich einen Boxer kontrolliere, kann ich [Battlin' Boxer Sparrer] als Sparringspartner rufen!“ Neben ihrem bereits vorhandenen Kämpfer tauchte ein weiterer, in grauer Montur gekleideter auf, an dessen Oberarmen sich große, rote Schienen befanden.   Battlin' Boxer Sparrer [ATK/1200 DEF/1400 (4)]   Anya schnalzte mit der Zunge. „Tja, da ich ihn beschworen habe, muss ich die Battle Phase überspringen. Aber das ist kein Problem, im ersten Zug kann ich sowieso nicht angreifen!“ Ohne weitere Worte schwang sie ihre Hand nach oben aus. „Ich erschaffe das Overlay Network!“ Inmitten des Spielfeldes öffnete sich ein schwarzes Loch. Auch wenn das Publikum scheinbar schon damit gerechnet hatte, gab es doch vom ein oder anderen Zuschauer positive Zurufe. „Aus meinen zwei Stufe 4-Boxern wird eine Rang 4-Kriegsmaschine!“, verlautete Anya stolz, angespornt von der Resonanz der Zuschauer, „Xyz Summon!“ Beide Boxer verwandelten sich in rote Lichtstrahlen, die vom Überlagerungsnetzwerk absorbiert wurden. Aus diesem erfolgte eine Explosion. „Ab in den Ring mit dir, [Battlin' Boxer Lead Yoke]!“ Schließlich stieg der mit zwei Stahlpfeilern fixierte Boxer vor Anya empor, dessen Xyz-Material sich in besagten Fesseln befand.   Battlin' Boxer Lead Yoke [ATK/2200 DEF/2000 {4} OLU: 2]   Nachdem ihr Kämpfer erschienen war, lugte Anya ein weiteres Mal nachdenklich in ihr aus nur noch drei Karten bestehendes Blatt. Da war sie, ihre Geheimwaffe in Form einer bestimmten Falle. Immer wieder sah sie vor ihrem geistigen Auge, wie Zachariah während ihres letzten Duells und auch bei Kakyos mit seinen Schwertern ihre gesetzten Karten zerstört hatte. Unweigerlich würde er es diesmal wieder versuchen, da war sie sich sicher. „Jetzt ist es noch zu früh für dich“, murmelte Anya, um dann laut zu verkünden: „Zug beendet!“   Einige Leute klatschten. Während der Kommentator noch über den Zug der Blonden sinnierte, zog Zachariah eine sechste Karte und schmunzelte. „Du willst das also durchziehen, was? Meinetwegen.“ Anya blies ihre Wut geradezu durch die imaginären Nüstern, mit denen sie nur zu gerne Feuer spucken würden. „Worauf du deinen hässlichen Arsch verwetten kannst!“ Buhrufe waren die Folge ihrer giftigen Antwort. Allerdings störte sich ihr Bruder nicht daran, im Gegenteil, er begann noch breiter zu grinsen. Dazu nahm er die erste Karte aus dem Blatt. „Ich beschwöre den angehenden König der Legende, [Noble Knight Artorigus]!“ In glänzender, mit Fellen verzierter Rüstung tauchte vor ihm ein großer Krieger von rotem Haar auf.   Noble Knight Artorigus [ATK/1800 DEF/1800 (4)]   Der Ritter streckte die Hand von sich. Die Finger spreizend, wartete er darauf, dass Zach seine nächste Karte in die Zauberfallenzone schob. „Was wäre der König ohne sein treues Schwert? Ich rüste ihn mit [Noble Arms – Caliburn] von meiner Hand aus und mache ihn damit um 500 Punkte stärker!“ Ein Lichtblitz schoss von der Decke direkt vor Artus' Füße, wo nun ein Schwert im Boden steckte. Dieses zog er beidhändig heraus und hielt es triumphierend in die Höhe.   Noble Knight Artorigus [ATK/1800 → 2300 DEF/1800 (4)]   Die Augenbrauen zu einem einzigen Strich verziehend, erinnerte sich Anya nur zu gut an dieses beknackte Schwert, welches sich wie alle Edlen Waffen an ein anderes Monster ausrüsten konnte, sollte es zerstört werden. Und dieses Ding war besonders lästig, denn … „... einmal pro Zug erhalte ich mit seinem Effekt 500 Lebenspunkte!“ Blaue Energielinien begannen nach Zachariahs Ausruf vom Heft der Klinge hin bis zur Spitze aufzuleuchten. Ein Regen aus blauen Funken ging auf den blonden Mann hernieder.   [Anya: 4000LP / Zachariah: 4000LP → 4500LP]   „Wollen doch mal sehen, woraus dein Boxer so gemacht ist“, philosophierte Zach und schwang den Arm aus. „Angriff!“ Unter einem Kriegsschrei stürzte sich Artorigus auf Lead Yoke. Weit ausholend beabsichtigte der Ritter seinen Feind mit einem diagonalen Schlag zweizuteilen. Rechtzeitig jedoch wich der Boxer aus und wandte sich mit dem Rücken zu seinem Feind, welcher unfreiwillig einen der beiden Pfeiler zerschlug, die Lead Yoke fesselten. Aus diesem trat das Xyz-Material hervor und wurde von jenem absorbiert, der in roter Aura aufleuchtete und Artus mit einem Faustschlag gegen die Klinge zurückwarf.   [Anya: 4000LP → 3900LP / Zachariah: 4500LP]   Anya verschränkte altklug die Arme. „Pah! Du magst mir zwar Schaden zugefügt haben, aber statt Lead Yoke zu zerstören, hast du ihn dank seines Effekts stärker gemacht!“ Dieser vermochte ein Xyz-Material abzuhängen, um sein Ableben zu verhindern. Und wann immer er von der Last einer solchen Overlay Unit befreit wurde, erhielt er 800 Angriffspunkte.   Battlin' Boxer Lead Yoke [ATK/2200 → 3000 DEF/2000 {4} OLU: 2 → 1]   Mit den Schultern zuckend, meinte Zachariah gleichgültig. „Schön für dich. Mach was draus, dein Zug.“ „Werd' ich, darauf kannst du Gift nehmen! Oh und ich bitte dich, nimm welches!“, tönte Anya gallig. „Oh, was ist das!? Zerrüttete Familienverhältnisse!?“ „Schnauze!“, fauchte Anya den Kommentator an und gab ihm eine Dosis ihres Lieblingsfingers. „Kümmere dich um deinen eigenen Mist, du gehst mir jetzt schon auf die Eierstöcke, du-!“   Genug, Anya Bauer. Denk dran, hier sehen hauptsächlich deine Landsmänner zu. Deine Fäkalsprache und unangebrachten Gesten könnte ihnen bleibende Schäden zufügen.   „Was? So was wie das?“, fragte Anya aufrichtig irritiert und zeigte überall ihre Mittelfinger herum. „Aber wie soll ich sonst 'fuck you' zum Ausdruck bringen? Ich kann ihn ja schlecht als 'beschissene Wichskacke' beschimpfen, denn zu ihm passt mehr ein 'hinterfotziges Verräterschwein'!“ Sie legte besagten Finger an die Lippe. „Aber das ist mir zu lang. Wieso soll ich mir was Neues ausdenken?“   Warte … neckst du gerade zur Abwechslung mich?   Die Blonde zwinkerte. „Jep! Nicht wahr, Mr. C?“ Wobei die Frage nur dazu gedacht war, von dem Gespräch mit Levrier abzulenken. Welcher prompt erwiderte: „S-so etwas habe ich noch nie in meiner neunundzwanzigjährigen Karriere als Moderator erlebt! Wie gut, dass die Übertragung um wenige Sekunden zeitversetzt ist!“ Dann jedoch verhärteten sich Anyas Züge wieder, als sie nach ihrem Deck griff. „Was auch immer, der Spinner stampft sich nicht von alleine ein, also Schnauze jetzt! Draw!“ Schwungvoll zog sie und betrachtete sofort die Zauberkarte, die sie in den Händen hielt und welche anschließend in ihr Blatt wanderte. „Ich rufe [Battlin' Boxer Big Bandage]!“ Ein, von den roten Shorts mal abgesehen, vollkommen einbandagierter Kämpfer gesellte sich zu Anyas anderem Monster.   Battlin' Boxer Big Bandage [ATK/1100 DEF/1400 (2)]   „Sein Level ist scheiße, deswegen aktiviere ich jetzt seinen Effekt!“ Anya zeigte den [Battlin' Boxer Headgeared] von ihrem Friedhof vor. „Den habe ich eben abgehangen, als ich Lead Yokes Effekt benutzt habe. Jetzt wird Big Bandage seinen Level übernehmen.“ Einige der Bandagen lösten sich von den Armen ihres Boxers und begannen von einer unsichtbaren Kraft angetrieben wie ein Schleier um ihren Besitzer zu kreisen, wobei sie in Flammen aufgingen.   Battlin' Boxer Big Bandage [ATK/1100 DEF/1400 (2 → 4)]   „Aber da man mit einem Monster noch kein Xyz beschwören kann, reanimiere ich Headgeared gleich noch.“ Hinter dessen Karte, die Anya zwischen Mittel- und Zeigefinger hielt, schlüpfte eine weitere hervor. „Und zwar hiermit, dem Zauber [Battlin' Boxing Spirits]. Dafür muss ich nur die oberste meiner Deckkarten ablegen.“ Jene schob sich ein Stück nach vorne, damit Anya sie mühelos greifen und sich ihrer entledigen konnte. Kurz darauf schoss eine flammende Säule zwischen ihren beiden Monstern aus dem Boden und brachte den Boxer mit dem roten Kopfschutz zum Vorschein.   Battlin' Boxer Headgeared [ATK/1000 DEF/1800 (4)]   Anya richtete die Hand nach vorne, hörte kaum noch, was um sie herum vor sich ging. „Das ist es. Jetzt kannst du zeigen, dass du mehr drauf hast als freche Sprüche zu klopfen!“ Anya ballte die Finger zu einer Faust. „Ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster! Xyz Summon!“ Das schwarze Loch öffnete sich inmitten des Spielfelds und absorbierte die beiden Boxer als rote Lichtstrahlen. „Stehe mir bei, [Gem-Knight Pearl]!“ Unter dem Staunen der Zuschauer entstieg aus dem Wirbel eine weiße Gestalt. Die Arme majestätisch verschränkt, kreisten neben den beiden obligatorischen Lichtsphären auch sieben kohlkopfgroße Perlen um den Ritter, den Levrier verkörperte.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4} OLU: 2]   Elegant schwebte er zu Anyas Seite des Feldes und bezog neben ihr Stellung.   Soll ich deinen Bruder ein wenig erziehen, Anya Bauer? Mir scheint, als hätte er schon länger keine Tracht Prügel mehr bekommen.   Es bildete sich ein Grinsen um Anyas Mundwinkel, dessen Ausmaß befürchten ließ, alsbald schmerzhafte Krämpfe in ihren Gesichtsmuskeln auszulösen. „Ich verlasse mich auf dich!“, flötete sie, froh, dass der Mistkerl endlich mal auf ihrer Seite war. „Bevor du dich jedoch austoben kannst, ist erstmal Lead Yoke dran! Verpass' seinem Ritter eine Kopfnuss, die sich gewaschen hat! One-Hit KO!“ Der hünenhafte Boxer sammelte leibhaftiges Feuer in seiner Faust, ehe er auf Artorigus zu stürmte und diesem ebenjene ins Gesicht rammte. Damit brachte er den Ritter zu Fall, welcher kurz darauf explodierte und mit ihm auch sein Schwert.   [Anya: 3900LP / Zachariah: 4500LP → 3800LP]   Nachdenklich betrachtete Anya Zachariahs leeres Feld. „Seltsam … beim letzten Mal hat er extra versucht, diese blöden Schwerter weiterzureichen.“   Denk an sein Assmonster. Es kann auch vom Friedhof auf sie zugreifen.   Anya sagte nichts, erinnerte sich aber noch gut daran. Dann war wohl offensichtlich, was er als Nächstes vorhatte. „Tch, das macht mir keine Angst. Im Gegenteil“, murrte sie, „ich bin so aufgeregt wie noch nie. Kannst du dir denken warum, Arschgesicht?“ „Aber sicher doch. Du willst mich mit -ihm- direkt angreifen“, sagte Zachariah mit einem heimtückischen Grinsen und breitete die Arme aus. „Nur zu. Wenn du mit den Konsequenzen leben kannst.“ Anya zuckte ungewollt zusammen. Sie zweifelte nicht daran, dass ihr verhasster Bruder seine Drohung wahr machen würde. Unbewusst ballte sie eine Faust und senkte den Kopf. Sie musste das hier durchziehen, ansonsten würde sie womöglich ihre einzige Chance verlieren, sich mit Claire Rosenburg zu duellieren. Wäre es doch bloß nicht diese eine Duel Disk, mit der er sie versuchte zu erpressen! Mit den Zähnen knirschend, wollte ihre Zunge bereits nachgeben, als ein plötzlicher Impuls sie wie ein Blitz durchfuhr. Den Kopf nach oben reißend, schwang sie den Arm aus. „Weiß nicht was du meinst!“ Die Erkenntnis war zum Glück rechtzeitig gekommen, auch wenn sie sehr schmerzhaft war: Sie würde ihre Duel Disk nicht wiederbekommen. Dafür würden Zach und seine Freundin Kali sorgen. Wieso sollten sie sich auch an Abmachungen halten, wenn die beiden sie tot sehen wollten!? Anya richtete den ausgestreckten Zeigefinger auf ihren Bruder. „Jetzt kriegst du die volle Breitseite! Lev- [Gem-Knight Pearl], direkter Angriff auf seine Lebenspunkte! Shining Knuckle!“   Unbemerkt von allen anderen stand eine in dunkler Kutte verhüllte Person im Gang, der zum Spielfeld führte, und wohnte dem Schauspiel stumm bei. Die Kapuze tief über das von der weißen Maske verdeckte Gesicht gezogen, rümpfte Kali die Nase, bevor sie sich wegdrehte. Ihre Schritte hallten im Weggehen durch den Gang.   Levrier schoss wie ein Pfeil auf Zachariah zu, anstatt seine Perlen zu kommandieren, welche regungslos auf Anyas Spielfeldseite verharrten. Er hatte genau verstanden, was sie von ihm erwartete und auch wenn er Einwände hatte, würde er sie in diesem Fall nicht äußern. Nicht zuletzt auch deshalb, da er selbst eine gewisse Genugtuung dabei empfand, als er mit voller Wucht seine Faust in Zachariahs Magen rammte und seinen zusammenzuckenden Körper spürte. Speichel tropfte auf den Boden. Einige Zuschauer bemerkten diese, aus ihrem Betrachtungswinkel, unerwartete Reaktion und schrien auf.   [Anya: 3900LP / Zachariah: 3800LP → 1200LP]   Du wirst Stillschweigen hierüber bewahren, Zachariah Bauer. Wenn nicht, wirst du schnell feststellen, dass dies nur der Anfang war und nicht jeder Konflikt durch ein Duell gelöst werden muss.   Langsam zog Levrier seine Faust aus dem Bauch des blonden Mannes. Dieser hustete, flüsterte dann aber: „Denk nicht, dass ich das auf sich beruhen lassen werde, mein lieber Levrier …“   Dann behalte diesen Schmerz im Gedächtnis, denn es wird nicht das letzte Mal sein, dass du ihn fühlst.   Damit zog sich Levrier zu Anyas Spielfeldseite zurück. Gleichzeitig streckte Zachariah breit lachend die Hand nach oben. „Sah doch täuschend echt aus, was!?“ Sein verzerrter Gesichtsausdruck strafte seiner Worte jedoch Lügen, auch wenn er das Publikum mit dieser Scheinvorführung damit auf seiner Seite hatte. Derweil nickte Anya ihrem Ritter anerkennend zu. „Besser hätte ich das auch nicht hinbekommen!“   Ich fühle mich geehrt, auf eine Stufe mit dir gestellt zu werden- warte!   Doch Anya hörte schon gar nicht mehr zu, da sie versuchte, ihre schier grenzenlose Schadenfreude davon abzuhalten, ihre von Natur aus nur mäßig ausgeprägte Konzentration nicht zu stören. Sie blickte sich noch einmal im Publikum um und entdeckte endlich Zanthe, der ihr mit erhobenen Daumen gratulierte. Auf der gegenüberliegenden Seite konnte sie schließlich auch Logan ausmachen, der mit grimmiger Miene und verschränkten Armen da saß. Und sicherlich waren Redfield und Marc auch noch irgendwo. Aber genug davon! Immerhin hatte sie das Duell noch nicht gewonnen. „Ich jage jetzt einen Zauber hinterher!“, verkündete sie, „[Xyz Gift]! Wenn ich zwei Xyz-Monster kontrolliere, kann ich von einem zwei Overlay Units abhängen und dann zweimal ziehen!“ Die um Levrier kreisenden Lichtsphären lösten sich von ihrem Besitzer und flogen in hohem Bogen auf Anya zu, besser gesagt auf das Deck in ihrem roten D-Pad. Jenes leuchtete auf und Anya riss umgehend daraus die zwei Karten fort. Eine davon nehmend, schmetterte sie sie in die Duel Disk. „Diese hier gesetzt, Zug beendet!“   Noch immer nicht der richtige Zeitpunkt für die Geheimwaffe?   Anya nickte kaum merklich. Diese würde sie erst ausspielen, wenn Zachs Assmonster auf dem Feld war. Vorher erschien ihr das zu riskant. „Du bist dran!“, raunte sie mit zwei verbliebenen Handkarten. Den Kopf zur Seite legend, fragte sie provokativ: „Na, kannste noch stehen?“ Zach, der nebenbei seine Hand auf den Bauch legte, musste auflachen. „Für wen hältst du mich? Du warst schon immer gut daran, Schwächere zu … beeindrucken. Aber bei mir klappt das nicht.“ „Noch nicht“, versprach Anya unheilverkündend.   Weit von ihnen entfernt befand sich die kleine VIP-Lounge am höchsten Punkt der Arena. Ganz aus Glas bestehend, hatte man von hier einen guten Blick auf das gesamte Spielfeld. Fast schon gemütlich mutmaßte das Innere an, gab es doch einen Tisch gefüllt mit vielen leckeren Speisen am hinteren Ende des Raums und eine breite Couch direkt hinter dem Kommentatorenplatz, an dem Mr. C fleißig seinen Senf zum Duell gab. Geradezu gelangweilt lehnte sich Melinda in einem weißen Kleid an eine der roten Lehnen und seufzte. Doch die Pose täuschte. „Hoffentlich macht sie das nicht nochmal. Wenn einer merkt, dass sie Levrier benutzt, um ihren großen Bruder zu vermöbeln …“ Henry, der die Arme verschränkt hielt, nickte knapp. „Was denkt sie sich nur dabei? Fühlt sie sich sicher, weil man es nicht auf die Solid Vision-Technologie schieben kann? Dämliche Pute, das ganze Turnier wird gestoppt werden, wenn etwas schief geht.“ Eine Hand an die Wange führend und sich daran abstützend, wunderte sich Melinda: „Was er ihr wohl getan hat?“ „Oder sie ihm. Scheint ja auf Gegenseitigkeit zu beruhen.“ Derweil schrie vorne der schwarzhaarige Mr. C in sein Mikrofon: „Was für ein Schlagabtausch. Diese beiden schenken sich nichts!“ „Geht der nur mir auf die Nerven?“, flüsterte Melinda hinter vorgehaltener Hand ihrem Bruder zu. Ein Surren unterbrach das Gespräch der Geschwister jedoch. Henry zog aus der Brusttasche seines Anzugs ein Smartphone hervor und legte es ans Ohr. „Ja?“ Er machte eine kurze Pause. Als Melinda ihn fragend ansah, nannte er bloß einen Namen. „Nick.“ Was seine rothaarige, ältere Schwester die Augen verdrehen ließ. Umso mehr, als Henry aufgeregt wiederholte: „Erster Prototyp schon in etwa einem Monat?“ Sein Mund stand sperrangelweit offen, der seltene Anflug eines Lächelns überzog sein Gesicht. „So schnell? Du bist ein Genie!“ Melinda, die Nick als liebenswerten Volltrottel kennengelernt hatte, stand ihm mit gemischten Gefühlen gegenüber, seit er indirekt Henrys rechte Hand bezüglich seines neuen Spiels geworden war. Solche Leute, die sich verstellten, hatten nur allzu oft etwas zu verbergen. Etwas Gefährliches. Als Henry das Gespräch beendete, lächelte sie ihm trotzdem freundlich zu. „Klingt ja gut.“ „Ja, er kümmert sich höchstpersönlich um die Plattform. Wenn er den Zeitplan wirklich einhalten kann, schaffen wir es vielleicht noch dieses Jahr.“ „Toll!“, log Melinda ohne rot zu werden. „Ich bin mir sicher, dass 'mein' Monochrome Duel Monsters zerstören wird!“   Zachariah zog mit Schwung die nächste, fünfte Handkarte auf und kniff dabei für einen kurzen Moment die Augen fest zusammen, was Anya mit deutlicher Genugtuung beobachtete. Im Gegensatz zu Levrier, der neben ihr verharrte.   Anscheinend war ich ein wenig zu enthusiastisch.   „Was auch immer.“   Ich kenne deine Gefühle diesbezüglich. Allerdings habe ich Bedenken, was passieren könnte, wenn wir ihn hier und jetzt ausschalten. Zum Einen würdest du die Aufmerksamkeit der Autoritäten auf dich ziehen. Und die von Kali … welche Verbindung die beiden auch immer haben mögen.   „Kch!“ Anya wusste selbst gut genug, dass ihr verdammter Bruder das Glück hatte, in einem offiziellen Duell gegen sie anzutreten, dem Millionen Zuschauer beiwohnten. Natürlich durfte sie ihn da nicht vor einem Weltpublikum aus dem Verkehr ziehen. Aber ein klein wenig leiden lassen konnte sie ihn und im Moment wollte sie nichts mehr als das. Und was Kali anging? Die war so oder so hinter ihr her. Sollte sie sich halt hinter den Undying, irgendwelchen verrückten Dämonenjägern und anderem Gesocks anstellen!   Derweil nahm Zach eine Karte aus seinem Blatt und legte sie auf die Duel Disk. „Ich beschwöre die [Lady Of The Lake]!“ Das Spielfeld vor dem hochgewachsenen, blonden Mann verwandelte sich in klares, schimmerndes Wasser. Aus diesem stieg eine Klinge empor, breit und mächtig, durch deren linke Hälfte rote Energielinien verliefen und durch die rechte hellblaue. Wie ein Geist tauchte plötzlich eine blonde Frau auf, die jenes sagenhafte Schwert fest umklammert hielt: Viviane, die Herrin des Sees, gekleidet in einem fliederfarbenen Mantel.   Lady Of The Lake [ATK/200 DEF/1800 (1)]   Zach griff nach seinem Friedhof. „Wenn sie beschworen wird, kann sie einen normalen Noble Knight vom Friedhof zurück aufs Feld bringen. Artorigus!“ Sie streckte elegant den Arm zur Seite aus, als wolle sie jemandem die Hand reichen und tatsächlich: Aus der Oberfläche des Wassers tauchte der rothaarige Artus auf und nahm die Hand der Herrin des Sees.   Noble Knight Artorigus [ATK/1800 DEF/1800 (4)]   „Da [Lady Of The Lake] eine Empfängerin ist, kann ich sie auf Artorigus einstimmen!“, rief Zach und streckte den Arm in die Höhe. „Stufe 1 auf Stufe 4!“ „Synchro!?“, überschlug sich Anyas Stimme. Viviane löste sich in Luft auf, ebenso ihr See, an dessen Statt nun ein weiter, grüner Ring von unten um Artus herum aufstieg. „Ganz richtig! Synchro Summon! Stufe 5, erscheine, [Ignoble Knight Of High Laundsallyn]!“ Ein rotes Licht schoss aus dem Boden und ließ Artorigus verschwinden. Stattdessen schwebte vor Zachariah plötzlich eine schwarzhaarige, in roter Aura gehüllte Gestalt in anthrazitfarbener Rüstung, welche von roten Energielinien durchzogen war – der Verräter Lancelot, mit dem Anya, wenn auch in anderer Form, schon in ihrem letzten Duell Bekanntschaft geschlossen hatte.   Ignoble Knight Of High Laundsallyn [ATK/2100 DEF/900 (5)]   Dieser streckte die Hand nach vorne aus und lachte. „Bei seiner Synchrobeschwörung rüstet er sich sofort mit einer Waffe von meinem Deck aus.“ Zach seinerseits hielt jene schon zwischen den Fingern und zeigte sie. „[Noble Arms – Gallatin]!“ In Lancelots Hand tauchte ein schlichtes Schwert mit leuchtend grüner Klinge auf. „Sie stärkt das ausgerüstete Monster um 1000 Punkte.“   Ignoble Knight Of High Laundsallyn [ATK/2100 → 3100 DEF/900 (5)]   Mit einem Schlag bekam Zachs Ausdruck etwas Heimtückisches. „Und dann rüste ich ihn noch mit einer weiteren Karte von meiner Hand aus: [Gwenhwyfar, Queen Of Noble Arms]!“ Was Anya ziemlich verblüffte, handelte es sich bei der Karte um ein Monster. Jenes tauchte in Form eines jungen Mädchens auf, dessen zu zwei Zöpfen geflochtenes, braunes Haar wild umher flatterte, genau wie ihr weißes Kleid, als sie wie ein Geist herabstieg und sich an Lancelot zu klammern begann. Anschließend verschwand sie, was die Aura des Kriegers verstärkte und ihr schwarze Nuancen hinzufügte.   Ignoble Knight Of High Laundsallyn [ATK/3100 → 3400 DEF/900 (5)]   Anya kniff die Augen zusammen, sodass ihre böse funkelnden Pupillen nur noch aus Schlitzen hervorlugten. „Noch stärker, huh?“ „Noch viel stärker“, versprach ihr Bruder unheilvoll und streckte sogleich den Arm aus. „Stark genug, um deinen geliebten Pearl in die ewigen Jagdgründe zu schicken! Und wenn das passiert, erhalte ich eine Noble-Karte von meinem Deck.“ „Der große Bruder dreht auf! Kann Anya Bauer sich gegen ihn zur Wehr setzen?“, fragte der Kommentator ins Publikum. Während jenes in der groben Überzahl verneinte, hob Lancelot seine Klinge in die Höhe. Rotes Feuer begann um sie zu brennen. Die Stirn runzelnd, ignorierte Anya die johlende Pro-Zachariah-Fraktion und schwang den Arm aus. „Natürlich würdest du ihn angreifen! Aber das kannste knicken, Falle: [Shift]! Sie macht [Battlin' Boxer Lead Yoke] zum Ziel!“ Ohne dem weißen Ritter der Perlen überhaupt Beachtung zu schenken, schleuderte dessen dunkler Rivale eine flammende Welle auf den Boxer. Jener drehte sich von der Attacke weg und schützte sich dank des Pfeilers auf seinem Rücken, welcher zerbarst. Seine Brocken flogen in Anyas Richtung, die sich instinktiv mit den Armen schützte.   [Anya: 3900LP → 3500LP / Zachariah: 1200LP]   Sofort als die Attacke überstanden war, zog sie das letzte Xyz-Material unter Lead Yoke hervor und schob es in den Friedhofsschlitz. „Zu dumm, da hast du wohl nichts durch einen Kampf zerstört. Lead Yoke benutzt seine Overlay Unit, um sich am Leben zu erhalten und zu stärken.“ Nun war der Boxer völlig frei von seinen Fesseln und begann, ähnlich wie Lancelot, in roter Aura aufzuleuchten.   Battlin' Boxer Lead Yoke [ATK/3000 → 3800 DEF/2000 {4} OLU: 1 → 0]   Als Zach allerdings mit der Zunge schnalzte, schwante Anya Böses. „Das war also alles, was du da hinten liegen hattest? Enttäuschend … aber gut, dass es jetzt weg ist.“ Plötzlich begriff Anya. Ihr Bruder hatte -absichtlich- den zweiten Effekt dieses blöden Ritters preisgegeben, damit sie ihre Falle aktiviert, um zu verhindern, dass jener zum Einsatz kommt! Und wenn er nur darauf spekuliert hatte, [Shift] aus dem Weg zu räumen, hieß das … „Jetzt habe ich freie Bahn hierfür“, meinte er und zeigte zwischen Mittel- und Zeigefinger einen Schnellzauber vor, „ein nettes kleines Präsent einer gemeinsamen Bekannten. [Galaxy Storm]!“ Seine Gegnerin atmete schwer ein und wich einen Schritt zurück. Alles um sie und ihre Monster herum wurde dunkel, pechschwarz, nur einzelne Lichtpunkte durchdrangen jene Finsternis – sie befand sich im All! „Du hast dich bemüht, deinen Pearl zu schützt, was? Die Logik würde gebieten, dass ich das stärkste Monster auf deinem Feld anziele mit dem Effekt von [Galaxy Storm].“ „Was für ein Effekt!?“ Anya wurde immer unwohler zumute. Irgendetwas näherte sich ihrem Spielfeld aus den Tiefen des Alls, lauter dunkle Schatten, es war unmöglich zu sagen, um was es sich dabei handelte. „Mit dieser Karte vermag ich sofort ein Xyz-Monster ohne Overlay Units zu zerstören. Wie gesagt, die Logik würde Lead Yoke als Ziel bestimmen. Aber …“ Ein Stich. Anya keuchte auf, als sie glaubte, von jener Karte in Zachs Hand eine dunkle Aura ausgehen zu sehen. Irgendjemand hatte das Teil bearbeitet – Kali! „Oh nein, das wirst du-!“ „Doch, ich werde. Wie würdest du sagen? Revenge Menge! Pearl ist das Ziel!“ Jener sah sich unsicher um.   Sieht nicht gut aus. Das wird wehtun …   „Nein!“, schrie Anya panisch, die jetzt erkannte, was aus allen Richtungen auf ihren Partner zugeschossen kam – dutzende Kometen. Aber es war zu spät. Wie ein Hagel schlugen sie um Levrier ein, lösten eine Explosion nach der anderen aus.   Ahhhhhhh!   Es wollte einfach nicht aufhören. Und als wäre das allein nicht schon schlimm genug, sammelte sich die Energie der kleineren Explosionen, um ein gewaltiges Finale zu entfesseln. Unter einem ohrenbetäubenden Knall wurde eine Super Nova-ähnliche Entladung ausgelöst, die Levrier in Fetzen riss und das eigentliche Spielfeld wiederherstellte.   Gyaaaah!   Anya stockte der Atem. Unsicher flüsterte sie: „Le- Pearl?“ Keine Reaktion. Zach lachte hämisch. „Der kommt so schnell nicht wieder zu sich. Beste Grüße von Kali! Kannst ja versuchen dich zu rächen, dein Zug.“ Während Anya noch versuchte zu begreifen, kommentierte der MC: „Was war das!? Wieso hat Zachariah das schwächere Monster ausgewählt? Führt er etwas im Schilde!?“   Wie in Trance griff Anya nach ihrem D-Pad, das sie lasch vor sich hielt und zog auf. Die Karte betrachtend, sah sie unvermittelt mit zornesroter Fratze auf und schmetterte das Monster heftiger auf den Apparat als nötig gewesen wäre. „[Battlin' Boxer Glassjaw]!“ Vor ihr tauchte ein grüner, stämmiger Boxer aus, dessen Anblick glatt vermuten ließ, er wäre ein aus Stein gemeißelter Hulk.   Battlin' Boxer Glassjaw [ATK/2000 DEF/0 (4)]   Als Anya den Arm ausstreckte und den Zeigefinger mit aufgerissenen Augen auf Zach richtete, schrie sie: „Macht ihn alle! Lead Yoke, schlag auf diesen verdammten Ritter ein, bis nichts mehr von ihm übrig ist! One-Hit KO!“ Selbst danach schrie sie noch derart kriegerisch, als wäre sie diejenige, die den Schlag austeilte. Mit flinken Schritten näherte sich der Boxer und schmetterte seine Faust gegen Lancelots rot entflammte Klinge. Jener kicherte geheimnisvoll. „So wird das nichts. Effekt von [Gwenhwyfar, Queen Of Noble Arms]! Du weißt schon, das Klammeräffchen.“ Mit Schrecken beobachtete Anya, wie jene hinter Lancelot auftauchte und sich kreischend in Luft auflöste. Im nächsten Moment schleuderte Letzterer Lead Yoke erst davon, um eine messerscharfe, vertikal gerichtete Welle hinterher zu schicken, die den Boxer durchtrennte.   Ignoble Knight Of High Laundsallyn [ATK/3400 → 3100 DEF/900 (5)]   Wie versteinert stand Anya da, ließ den Arm sinken. Zach schloss die Augen und grinste zufrieden. „Sicher, ich muss die Königin opfern, aber das macht doch jeder dunkle Ritter, um einen mächtigeren Feind einfach so zu töten. Richtig?“ „Jetzt hat er beide Xyz-Monster besiegt, unglaublich!“, schrie Mr. C begeistert. Anya hörte jedoch nicht hin. Jetzt stand sie nur noch mit Glassjaw und zwei Handkarten da. Dieser verdammte Bastard, er spielte mit ihr wie mit einem Kind! Darüber hinaus hatte er sich an Levrier vergangen, der Feigling! Und sie wusste nicht einmal, wie es ihm ging. Panisch sah sie in ihr Blatt. Jetzt musste sie ihren Trumpf ausspielen, wenn sie hier heil durchkommen wollte! Sicherlich würde Levrier ihr auch dazu raten. „Das hier ist noch lange nicht vorbei!“, fauchte sie, immer noch knallrot im Gesicht. „Diese da verdeckt, Zug beendet!“ Zischend materialisierte jene Falle sich vor ihren Füßen.   Geradezu lässig zog Zachariah auf, als läge es nun an ihm, Anya den Gnadenstoß zu versetzen. Nebenbei erklärte er: „Während jeder Standby Phase verliert der Träger Gallatins 200 Angriffspunkte, aber das macht nichts.“ Tatsächlich trübte es nicht die finstere Aura, die Lancelot umgab.   Ignoble Knight Of High Laundsallyn [ATK/3100 → 2900 DEF/900 (5)]   „Du hast eindeutig noch zu viele Lebenspunkte. Das müssen wir ändern.“ Er legte eines seiner Monster auf das D-Pad. „Erscheint, [Noble Knight Brothers]! Wenn sie gerufen werden, kann ich bis zu zwei weitere Edle Ritter rufen. Aber ich brauche nur diesen hier, [Noble Knight Borz]!“ Zunächst stellten sich drei junge Männer blonden Haares vor ihrem Besitzer auf. Der älteste Bruder mit schulterlangem, der mittlere mit etwa einer Handbreit langem Haar und zu guter Letzt der jüngste mit vergleichsweise kurzer Pracht. Neben ihnen gesellte sich ein weiterer Ritter mit braunem Haar und in rotem Umhang – Bors der Jüngere, Sucher des Heiligen Grals.   Noble Knight Brothers [ATK/1200 DEF/2400 (4)] Noble Knight Borz [ATK/1700 DEF/900 (4)]   Anya entfuhr ein aufgeregtes Keuchen. Zwei Monster gleicher Stufe auf dem Feld zu haben war nicht gut! Das Problem war nicht, dass er eine Xyz-Beschwörung durchführen konnte. Die Frage war, -wann- würde er es tun? „Ich denke, ein Schwert würde Borz gut zu Gesicht stehen. Drum rüste ich ihn mit der Klinge der Legenden aus, [Noble Arms – Excaliburn]!“ Zu Anyas Überraschung materialisierte sich in der Hand des Ritters ebenjene Klinge, die die Herrin des Sees so fest umschlossen gehalten hatte. Doch ihre zweifarbigen Energielinien leuchteten nicht auf. „Hups“, gluckste Zach da, als würde er ihre Gedanken lesen und fasste sich demonstrativ an die Stirn, „Borz ist ja gar nicht der wahre Träger Excaliburs.“ Was sich auch darin zeigte, dass sich sein Angriffswert nicht veränderte. Woraus der blonde Duellant schloss: „Naja, es reicht zumindest, damit Borz jetzt seinen Effekt aktivieren kann. Solange er mit einer Edlen Waffe ausgerüstet ist, bestimmt er einmal pro Zug drei weitere jener Schwerter – und was sonst noch dazugehört – und überlässt mir von denen eine zufällige. Die anderen landen auf dem Müll.“ Zach nahm sein Deck aus der Halterung und durchsuchte es nach den dreien, die ihm im Sinn standen. Er zeigte sie vor, doch Anya konnte nur den Namen der obersten Karte lesen: [Noble Arms – Excaliburn II]. Zusammen mit den anderen beiden tauchte sie anschließend in vergrößerter Form mit dem Rücken zu Anya gewandt auf. „Du entscheidest“, gurrte er verheißungsvoll. Es war die mittlere, auf die Anya nach praktisch nicht vorhandener Überlegung deutete. Jene nahm Zach auf und ließ die anderen beiden in seinem Friedhof verschwinden. „Diese Karte …“, murmelte die Blonde derweil nervös. Mit der hatte Zach letztes Mal versucht sie zu besiegen und es war dieselbe Karte, vor der dieser Kakyo sie gewarnt hatte. „Shit …“ Umso weniger überraschte es sie, als Zach seine beiden Noble Knights vom D-Pad nahm und übereinander legte. „Ich erschaffe das Overlay Network!“ Wie schon die beiden Male bei Anyas Xyz-Beschwörung zuvor öffnete sich inmitten des Spielfelds ein schwarzes Loch. Die drei Brüder und Borz lösten sich in goldgelbe Lichtstrahlen auf, die in die Mitte jenes Netzwerks schossen und verschwanden. „Zwei Stufe 4-Monster! Xyz Summon! Herrsche, [Artorigus, King Of The Noble Knights]!“ Eine Lichtexplosion erfolgte aus dem finsteren Schlund. Daraus empor stieg der gereifte König Artus, nun in einer blau aufleuchtenden Rüstung gehüllt. Von seinen Schultern flatterte ein Umhang gemacht aus Fell und zwei Lichtkugeln umkreisten ihn dabei, wie er zu Zach herüber glitt.   Artorigus, King Of The Noble Knights [ATK/2000 DEF/2000 {4} OLU: 2]   Jener famose König streckte beide Hände vor sich aus. Zachariah erklärte dazu: „Bei seiner Xyz-Beschwörung rüstet er sich mit drei Noble Arms von meinem Friedhof aus.“ Nacheinander schnellten jene aus seinem Friedhof hervor, sodass der Blonde sie nur vorzuzeigen brauchte. Es waren [Noble Arms Of Destiny], ein leuchtender Schild, der sich an Artorigus' rechtem Handgelenk manifestierte, [Noble Arms – Arfeudutyr], ein düsteres Schwert, das in Anya böse Erinnerungen weckte und [Noble Arms – Caliburn], das in des Königs rechter Hand erschien. Welches auch gleich in die Höhe gestreckt wurde.   Artorigus, King Of The Noble Knights [ATK/2000 → 2500 DEF/2000 {4} OLU: 2]   „Du weißt ja, einmal pro Zug erhalte ich dank Caliburn 500 Lebenspunkte.“ „Tch, geht das wieder so los!“ Der von Caliburn gerufene, schimmernde Regen ging auf Zach nieder.   [Anya: 3500LP / Zachariah: 1200LP → 1700LP]   „Jetzt ist es Zeit, sich um ein paar Zauber- und Fallenkarten auf dem Spielfeld zu kümmern“, verkündete Zachariah und zog eines der Xyz-Materialien unter Artus weg. Jener absorbierte mit Caliburn eine der um ihn kreisenden Lichtkugeln. „Pro Noble Arms kann ich eine Zauber- oder Fallenkarte auf dem Feld vernichten!“ Zach ballte demonstrativ eine Faust, die er anhob. Gleißendes, blaues Licht begann von Caliburn auszustrahlen, dann feuerte Artus einen kreischenden Lichtblitz auf Anyas gesetzte Karte, sodass diese sich die Ohren zuhielt – und in einer dumpfen, hellblauen Explosion verschwand. Im selben Augenblick zersprang das heilende Schwert in der Hand seines Besitzers.   Artorigus, King Of The Noble Knights [ATK/2500 → 2000 DEF/2000 {4} OLU: 2 → 1]   „Ich habe deine Falle und Caliburn gewählt“, erklärte Zach, „und wie du schon weißt, können Noble Arms, wenn sie zerstört werden, einmal pro Zug neu ausgerüstet werden.“ So schnell wie das Schwert in des Königs Hand verschwunden war, so tauchte es auch wieder auf. Irritiert blinzelte Anya durch den hellen Rauch. Sie hatte damit gerechnet, dass er – wie schon im letzten Duell – Arfeudutyr benutzen würde, um ihre gesetzte Karte zu zerstören. Aber das hier war noch viel schlimmer, denn … „... da [Noble Arms – Caliburn] kurzzeitig vom Spielfeld gegangen ist, kann ich ihren Effekt nun erneut aktivieren!“ Siegesgewiss streckte Artus die Klinge in die Höhe und ließ auf Zach einen bunten Lichterregen niedergehen.   [Anya: 3500LP / Zachariah: 1700LP → 2200LP]   Der Rauch löste sich langsam in Luft auf und Anya stand mit verschränkten Armen da – und ohne Monster. Etwas, das Zachariah nicht erwartet hatte. „Wo ist-!?“ Anstatt ihn ausreden zu lassen, zeigte die Blonde stumm auf Zachs Monster. Welche beide erschöpft in die Knie sanken.   Ignoble Knight Of High Laundsallyn [ATK/2900 → 0 DEF/900 (5)] Artorigus, King Of The Noble Knights [ATK/2000 → 0 DEF/2000 {4} OLU: 1]   „Seht ihr das!? Was hat Anya Bauer gemacht, um die Angriffspunkte ihres Gegners auf 0 zu bringen!?“, staunte selbst der Kommentator. Anya nahm die Falle von ihrem Friedhof und zeigte sie vor. „Werd' ich dir sagen, Saftsack. [Zero Force]! Bevor mein Trottel von Bruder sie zerstören konnte, habe ich sie aktiviert. Wenn von meiner Spielfeldseite ein Monster verbannt wird, kann ich sofort den Angriff aller anderen Monster auf dem Feld auf 0 setzen.“ Widersprechend schwang Zach den Arm aus. „Ich habe aber kein Monster verbannt! Und dir fehlten die Mittel dazu!“ „Sicher? Ich hatte doch [Battlin' Boxer Rib Gardna] auf dem Friedhof!“ Jenen holte Anya aus der Verbannungszone, um ihn zum Beweis vorzuzeigen. „Wenn ich den von dort verbanne, kann ich temporär auch einen Boxer aus dem Ring nehmen.“ „Aber wie – !? Mit großem Genuss konnte Anya ihrem Bruder ansehen, wie er sich an ihren ersten Zug erinnerte.   Anya schüttelte kaum merklich den Kopf und nahm ein Monster aus ihrem Blatt. „Ich beschwöre [Battlin' Boxer Headgeared]!“ Aus einer roten Lichtsäule stieg vor ihr ein Boxer empor, von hagerer, doch trainierter und vor allem dunkelblauer Gestalt. Namensgebend war sein roter Kopfschutz.   Battlin' Boxer Headgeared [ATK/1000 DEF/1800 (4)]   Sofort griff Anya nach ihrem Deck. „Wenn er normalbeschworen wird, schicke ich umgehend einen seiner Trainingspartner direkt vom Deck auf den Friedhof.“ Jenen zeigte sie kurz vor, ehe sie ihn in den Friedhofsschlitz schob.   Die Stirn runzelnd, lachte er urplötzlich auf. „Nicht schlecht. Ich war wohl etwas unachtsam, weil du meine Gegnerin bist. Du hast gewartet, bis ich die großen Geschütze aufs Feld bringe, ehe du deine Falle setzt. Aber ich sag dir was …“ Anyas Augen weiteten sich, als Caliburn in Artus' Händen zu glühen begann. „... der Effekt von [Zero Force] wurde aufgelöst, bevor [Noble Arms – Caliburn] zurück aufs Spielfeld kam. Also hat mein Monster ein paar Angriffspunkte!“   Artorigus, King Of The Noble Knights [ATK/0 → 500 DEF/2000 {4} OLU: 1]   Unbedarft zuckte Anya mit den Schultern. „Na und? Das reicht kaum aus, um mir einen Kratzer zuzufügen.“ „Wenn du dich da mal nicht täuscht, 'liebstes Schwesterherz'.“ Während er das sagte, drehte Zach seinen Lancelot in die Horizontale. Dadurch ging dieser ganz in die Knie und schützte sich mit seinem Schwert.   Ignoble Knight Of High Laundsallyn [ATK/0 DEF/900 (5)]   ~-~-~   Innerhalb Ephemeria Citys wurde das Duell auf den vielen Bildschirmen übertragen, welche an Gebäuden, Fassaden und dergleichen befestigt waren. Die Straßen waren gefüllt mit Menschen, die zusahen. Eigens hierfür hatte die Polizei bestimmte Abschnitte der Stadt gesperrt. Die hellen Lichter der Laternen tauchten das spätabendliche Ereignis in warmes Licht. Doch wo Kali sich befand, gab es kein Licht, nur Schatten. Niemand durfte jemals wissen, was sich hinter ihrer Maske verbarg. Niemand durfte wissen, dass es sie gab, bis auf wenige Ausnahmen. Aus diesem Grund hatte sie die Arena verlassen müssen, denn zu groß war die Gefahr, einem der Freunde -jenes Mädchens- über den Weg zu laufen. Es reichte schon, wenn jemand ihre Anwesenheit spürte. Was nichts daran änderte, dass Kali gerne dem Duell beigewohnt hätte. So saß sie im Schatten eines Treppenhäuschens, das sich auf der Spitze eines der Bürogebäude befand, nicht weit von der Arena entfernt. Unter ihr fand eines der Public Viewing-Events statt, sodass sie das Spektakel zumindest auf dem Bildschirm verfolgen konnte. Als Zachariah seinen Lancelot in die Verteidigung drehte, Artus jedoch nicht, verspürte Kali ein unangenehmes Kribbeln in der Magengegend. Was hatte er vor? Über die Lautsprecher, die ebenfalls überall innerhalb der Stadt verteilt waren, konnte sie ihn hören.   Jetzt ist es Zeit, 'Anya'.   Wie er ihren Namen betonte, voller Abscheu. In dieser Hinsicht war er noch extremer als sie selbst, was Kali kaum für möglich gehalten hatte. Der Kameramann machte einen guten Job, sah man den blonden, jungen Mann in der Frontansicht, wie er eine Zauberkarte in sein D-Pad schob. Und diabolisch grinste. Das konnte nur eines bedeuten.   Ich rüste Artorigus mit [Noble Arms – Excaliburn II] aus.   Auch wenn sie damit gerechnet hatte, keuchte Kali auf. Jetzt wurde der Ritterkönig gezeigt, der sein Caliburn und Arfeudutyr vor sich verschmelzen ließ und daraus ein großes, goldenes Breitschwert schuf. In ihm verliefen sich überkreuzende Lichtlinien, blauer und roter Natur. Es war so riesig, dass kein Mensch es mit nur einer Hand führen konnte, doch Artus belehrte die Zweifler eines Besseren und griff mit einer Hand danach.   Was für ein Scheiß! Die Punkte deines Monsters sind nicht gestiegen. Mal wieder!   Die Perspektive schwenkte zu Anya um, der entgegen ihrer unbekümmerten Worte der Schweiß auf der Stirn geschrieben stand. Sie wusste nicht, womit sie es zu tun hatte, ahnte jedoch selbstverständlich, dass es nichts Gutes sein konnte. „Wirst du wirklich so weit gehen?“, fragte Kali leise. „Zach?“ Eine Antwort blieb er ihr nicht lange schuldig. Ihr Partner schwang den Arm aus und zeigte auf die völlig schutzlose Anya. Jetzt bekommst du eine längst überfällige Kostprobe von dem, zu was Excaliburn II imstande ist.   Einem inneren Impuls folgend, erhob sich Kali ruckartig. Sie musste zurück! Was er da tat, war nicht in ihrem Sinne, denn …   ~-~-~   Gleichzeitig war auch Henry aufgesprungen, allerdings aus ganz anderen Gründen. „Was ist das für eine Karte?“, fragte er aufgeregt. „Es gibt kein [Noble Arms – Excaliburn II]!“ Melinda sah verwirrt zu ihm auf. „Wie kommst du darauf?“ „Die Noble Knights sind keine Karten von I², sondern stammen von uns. Ich habe selbst den Zeichner für die Artworks beauftragt!“ Zornig, aber ebenso verwirrt sah er auf das Spielfeld herab. „Wir müssen das Duell stoppen und ihn disqualifizieren!“ Seine Schwester stand ebenfalls auf, legte besorgt ihre Hand auf seine Schulter. „Henry, die Karte ist in der Datenbank, sonst würde sie nicht funktionieren.“ Er wirbelte aufgeregt zu ihr um und flüsterte: „Du weißt, wie wenig das in unserer Welt bedeutet!“ „Vielleicht hast du Recht. Aber vorher lass uns erstmal den Eintrag überprüfen, vielleicht erklärt-!“ Weiter kam Melinda nicht, denn Zachariah hatte soeben den Angriff befohlen.   „Direkter Angriff auf ihre Lebenspunkte!“, schrie der Blonde im schwarzen Sakko. Sein Artus, der das Schwert mittlerweile lässig mit einer Hand schulterte, schwang es nun in einer halbmondförmigen Drehung aus. Wodurch sich von der Klinge eine Schockwelle löste. Von strahlender, blauer Energie, zischte sie über das Feld und erfasste Anya. Jener blieb die Luft weg, als sie getroffen wurde, auch wenn sie äußerlich nichts spürte. Nichts geschah. Zach kicherte. „Oh? Denkst du gerade, du würdest nur 500 Lebenspunkte verlieren?“ Anya reagierte nicht. Irgendetwas stimmte hier nicht, ihr war mit einem Mal so schwindelig. „Ich muss dich enttäuschen. [Noble Arms – Excaliburn II] verleiht seinem Träger eine besondere Fähigkeit.“ Während Anyas Sicht zunehmend verschwamm, bekam sie noch mit, wie eine rote Energielinie von Zachs Brust direkt zum Breitschwert verlief. „Sie fügt nicht den Angriffswert des Monsters als Schaden zu …“ Jene Verbindung zwischen Schwert und ihrem Bruder begann regelrecht zu pulsieren. „… sondern den Lebenspunktewert desjenigen, der im Hintergrund die Fäden zieht! Mein Leben und das ist weitaus stärker als 500!“ Ohne Vorwarnung schwang Artus sein Schwert noch einmal, doch dieses Mal entfesselte er eine rote Schockwelle, die Anya durchfuhr wie ein Blitz. Und mit ihm kamen die Schmerzen. Anya schrie auf und kippte rückwärts um.   [Anya: 3500LP → 1300LP / Zachariah: 2200LP]     Turn 61 – Do Your Worst Trotz der heftigen, anhaltenden Schmerzen, die Zachariahs Angriff verursacht, kämpft Anya weiter. Die wahre Bedrohung in [Artorigus, King Of The Noble Knights] erkennend, versucht sie alles in ihrer Macht stehende, um ihn zu zerstören. Jedoch gelingt es Zach stattdessen sogar, ihn noch mächtiger werden zu lassen. Ihre einzige Hoffnung in eine der Karten setzend, die sie von Henry erhalten hat, holt Anya zum Gegenangriff aus. Und an ihrer Seite ist … Kapitel 66: Turn 61 - Do Your Worst ----------------------------------- Turn 61 – Do Your Worst     Die glühend rote Schockwelle erfasste sie und rauschte durch sie hindurch. Rückwärts umkippend, konnte sie ihren Fall im letzten Moment verhindern, indem sie das rechte Bein nach hinten schob und ihm damit entgegenwirkte. Keuchend fasste Anya sich an die Brust, verkrümmte sich, taumelte zurück. Wie tausend Wespenstiche fühlte es sich an, überall, kein Teil ihres Körpers wurde verschont. „Gnnnnn!“, versuchte sie einen Schrei zu unterdrücken, während sie sich kaum auf den Beinen halten konnte. Jedoch biss sie die Zähne zusammen und kämpfte dagegen an, vom Schmerz übermannt zu werden. Nur verschwommen sah sie ihren Bruder, wie er überheblich grinste. Vor ihm seine beiden Monster, der kniende, schwarze Ritter Lancelot und der stolze König Artus, der ein riesiges, goldenes Breitschwert schulterte, in dessen Klinge rote und blaue Energielinien miteinander verwoben waren. An seinem Arm leuchtete ein bunter Energieschild, um ihn herum rotierte eine leuchtende Kugel.   Ignoble Knight Of High Laundsallyn [ATK/0 DEF/900 (5)] Artorigus, King Of The Noble Knights [ATK/500 DEF/2000 {4} OLU: 1]   „Du bist dran, Anya“, hauchte Zachariah zufrieden. Das Feld ebenjener war leer, wodurch sein Angriff direkt durchgegangen war. Schwankend versuchte sie, die Balance zu halten. Der Schmerz klang allmählich ab, wurde zu einem unangenehmen Kribbeln. Wie hatte er das gerade gemacht!? Wäre etwas mit dem Solid Vision-System nicht in Ordnung, hätte längst irgendjemand das Duell unterbrochen, hier wurde alles auf Schärfste überwacht! Woraus Anya schloss, dass irgendetwas Übernatürliches involviert war. Klasse! „Noch so ein Treffer und du bist erledigt“, meinte Zach mit ausgebreiteten Armen, „das, oh ja, garantiere ich dir.“   [Anya: 1300LP / Zachariah: 2200LP]   „Was war das denn!?“, fragte sie hektisch. „Ich würde sagen, ein harter Schlag, oder was meint das Publikum!?“, kommentierte Mr. C Anyas missverstandene Frage von der Glaslounge am oberen Ende des kreisrunden Stadions aus. Und die Zuschauer johlten und grölten, was das Zeug hielt. Zwar versuchte das Mädchen dies zu überhören, doch es war geradezu höhnisch, wie sie alle lachten und nicht wussten, was wirklich geschehen war. Doch die Antwort blieb man Anya schuldig. Ihr Bruder stand nur da und grinste süffisant, während Levrier scheinbar immer noch außer Gefecht gesetzt war. „Noch so ein mieser Trick!“, zischte Anya wutentbrannt und griff nach ihrem Deck. „Bist dir wohl für nichts zu schade, was!?“ „Etwas, das wir schon immer gemeinsam hatten.“ Was hatte sie auch anderes von ihm erwartet, fragte sich die Blonde und riss unter einem gellenden Schrei eine Karte von ihrem Deck. Plötzlich flimmerte vor ihr die Silhouette einer zwei Meter großen und kräftig gebauten Gestalt. „Erinnerst du dich noch an [Battlin' Boxer Glass Jaw]? Den hab ich in deinem Zug mit Rib Gardnas Effekt verbannt gehabt“, erklärte Anya, „und jetzt steigt er wieder in den Ring!“ So geschah es auch. Der grüne, muskulöse Boxer, der ein bisschen so aussah, als wäre er aus Stein gemeißelt, gewann feste Gestalt.   Battlin' Boxer Glassjaw [ATK/2000 DEF/0 (4)]   Nervös sah Anya herüber zum Feld ihres Bruders. Zum Glück waren seine Monster geschwächt, sodass sie sowohl mit Lancelot, als auch Artus fertig werden würde. Es gab nur ein Problem an der Sache: Ihre Hand gab es nicht her, beide zu vernichten. Sie musste sich für einen entscheiden! Unsicher wanderte ihr Blick weiter zum rechten Teil der nach oben verlaufenden Tribüne. Dort drüben, in einer der letzten Reihen, hockte er. Der, dem das Deck gehörte, ohne das Anya jetzt vielleicht nicht hier stünde – Logan. Und er zeigte ihr einen Daumen nach oben, wenn auch für ihn gewohnt ausdruckslos. Trotzdem fühlte sich Anya gleich besser, obwohl ihr noch schwindelig war. Es war doch klar, um wen sie sich kümmern musste. Zielstrebig streckte das Mädchen den Zeigefinger aus. „Los Glass Jaw, schnapp' dir den Thron! Angriff auf Artorigus!“ Sie biss sich auf die Lippe, als sie sich an die Effekte der Noble Arms erinnerte. Artorigus war mit den Schwertern Caliburn, Arfeudutyr und Excaliburn II sowie dem Schild [Noble Arms Of Destiny] ausgerüstet. Welche allesamt auf Laundsallyn übertragen werden würden, sobald Artorigus im Kampf fiel. Und der hielt noch Gallatin in der Hand, auch wenn dessen Angriffsboost nach [Zero Force] ohnehin hinfällig war. „Kann man nix dran ändern“, murmelte sie dennoch verstimmt. Zumindest würde Zach eine Menge Schaden erleiden! Ihr Boxer stürmte auf seinen Feind zu und griff mit einem gezielten Kinnhaken an. Den der brünette, edle König jedoch gekonnt mit seinem Schild abwehrte.   [Anya: 1300LP / Zachariah: 2200LP → 700LP]   „Unglaublich! Sein Monster steht noch!“, rief der Kommentator aufgeregt. Anya ballte eine Faust, die sie nur gerne in Richtung des Kameramanns hielt, der gerade damit beschäftigt war, die Szene aufzunehmen. „Was zur Hölle soll das jetzt!?“ „Denkst du, [Noble Arms Of Destiny] ist nur Deko?“, fragte ihr Bruder reißerisch. „Einmal pro Zug entgeht sein Träger dem sicheren Tode.“ Sich auf die Lippen beißend, knurrte Anya: „Wie schön für ihn! Zug beendet!“ Jetzt saß sie so richtig in der Patsche!   Zum selben Schluss kam weiter oben Zanthe, welcher sich in einer der mittleren Zuschauerreihen befand. Nach vorne gebeugt, hielt er sich die Hand an die Stirn und murmelte: „Gib mal'n bisschen Gas, Anya!“ Das konnte doch unmöglich alles sein, was sie auf Lager hatte! War ihr der Dämpfer aus der Vorrunde nicht genug gewesen!? Wenn sie wüsste, -wem- sie ihr Weiterkommen zu verdanken hatte, würde ihr Ego-Airbag wahrscheinlich platzen … Zanthe, der am äußeren Rand direkt neben der Treppe saß, die nach unten zu den Ausgängen führte, seufzte schwer. Es wäre wohl am besten gewesen, wenn Nick ihn statt Anya eingeschleust hätte. Aber dem das zu verklickern wäre ohnehin vergeudete Liebesmüh gewesen, so fixiert wie er auf den Giftzwerg war. Anscheinend unterhielten sich Anya und Zachariah gerade, denn Letzterer führte seinen Zug nicht durch. Aber aufgrund der schlechten Akustik im Stadion und der lärmenden Fans, konnte er trotz oder gerade wegen seines feinen Gehörs nahezu nichts davon verstehen, obwohl alles per Lautsprecher übertragen wurde.   Neben ihm nahm jemand die Treppen herab zum Ausgang. Und als jene Person an Zanthe vorbeizog, erkannte er diese als Kakyo, den brünetten, etwas langweilig gekleideten Duellanten wieder. „Der gehst schon?“, murmelte er überrascht, was Kakyo auf seinem Weg nach unten jedoch nicht bemerkte. Ebenso wie Anya war jener einer der Duellanten, die es in die Hauptrunde geschafft hatten. Höchstwahrscheinlich wollte er sich ein Bild von der Konkurrenz machen. Zanthe hatte ihn den ganzen Tag über im Auge behalten und war nicht überrascht davon gewesen, dass jener ebenfalls hierher gekommen war. Doch wieso wollte der jetzt verschwinden, gerade wo das Duell seinen Höhepunkt erreicht hatte? Zanthe sah herüber zum Duellfeld, wo Anya immer noch mit ihrem Bruder redete. Sollte er Kakyo folgen? Demjenigen, den Exa als seinen 'Retter' bezeichnet hatte? Wovor, das hatte er nicht gesagt, aber sicherlich war es nicht unbedeutend. Vielleicht konnte der Werwolf mehr herausfinden, wenn er sich an Kakyos Fersen heftete. Andererseits wollte er auch Anya nicht alleine lassen.   Leider gab es dieser Hinsicht jedoch eines, das man über Zanthe Montinari wissen musste: Seine Neugier war beizeiten grenzenlos. Anders als seine Treue, die bei bestimmten Individuen hin und wieder zur Nebensache wurde. Für Zanthe war seine Anwesenheit bei Anyas Duell letztlich nicht mehr als eine Trivialität. Ob sie gewann oder nicht hing von ganz anderen Faktoren ab, als das wiederholte Schreien ihres Namens. So war es letztlich in seiner Natur begründet, dass Zanthe aufstand und ebenfalls die Treppen herunter schlurfte. Plötzlich jedoch blieb er einen Moment lang stehen, als ein Windhauch an ihm vorbeizog. Wo kam der her!? Als er sich umsah, jedoch niemand anderes auf den Stufen entdeckte, zuckte er mit den Schultern. War wohl nur Einbildung gewesen, sagte er sich. Und setze seinen Weg fort.   Zur selben Zeit fragte Zachariah plötzlich: „Warum kämpfst du eigentlich?“ „Was ist das für eine dämliche Frage!?“ Anya verzog die Augen zu Schlitzen. „Ich wette, du weißt ganz genau, warum ich hier bin. Hier sein muss.“ „Das stimmt. Aber … ich hätte irgendwie gedacht, -sie- würde dir mehr bedeuten.“ Zach schnalzte mit der Zunge. „Andererseits, was überrascht es mich? Du würdest doch alles und jeden wegschmeißen, wenn es darum geht, deinen Hintern zu retten.“ „Tch! Vielleicht war ich wirklich mal so … aber heute bin ich anders.“ Ihr Bruder sah sie nachforschend an und fasste sich ans Kinn. Es war Anya zutiefst unangenehm, so von Zach gemustert zu werden, besonders, wenn sie dank ihres dämlichen, dunkelblauen Werbe-T-Shirts lächerlich aussah. Doch selbst in einem Panzer wäre sie vermutlich nicht vor diesen blauen Augen gefeit, die sie zu gerne mausetot sehen wollten. Plötzlich sagte ihr Bruder: „Vielleicht ähnelst du ihr weniger als ich dachte.“ „Wem?“ „Kali natürlich. Ich bin bisher davon ausgegangen, dass du genauso bist wie sie.“ Er lachte amüsiert auf. „Denn glaub mir, wenn nötig, würde sie mich 'opfern'. Nicht, dass ich es ihr einfach machen würde, käme es dazu.“ Anya fuhr sich durch das blonde Haar und warf betont desinteressiert ihren Pferdeschwanz in den Nacken. Dabei sagte sie: „Was weiß ich. Ich kenne die Schnalle nicht mal …“ „Ich würde dir gerne mehr über sie erzählen, aber dazu habe ich nicht das Recht. Eines Tages wirst du jedoch wissen, wer sich hinter ihrer Maske verbirgt.“ Seine nächsten Worte formte er jedoch nur mit den Lippen, sprach sie nicht laut aus. Aber auch so verstand Anya aus dem Kontext heraus. „Dann ist es jedoch zu spät.“   Die Blonde schwieg und verfiel in Gedanken. Eigentlich war es ihr egal, warum Kali sie hasste oder wer sie überhaupt war. Aber das mit Nick und ihrer gestohlenen Duel Disks sowie die kaputte Krone, dafür konnte sie sie nicht einfach davon kommen lassen. Waren die beiden sich ähnlich? Das sollte Nick ihr beantworten, der hatte schließlich mit ihr gesprochen. Aber wenn diese Kali auch nur ansatzweise so versiert wie Anya darin war, ihre Feinde zu bestrafen, würde diese Konfrontation einen durchaus vielversprechenden Lauf nehmen. Ein wenig wünschte sich Anya diesen Nervenkitzel sogar herbei.   „Nun, auf jeden Fall solltest du gut überlegen, ob du das hier wirklich durchziehen willst“, riss sie Zachariah aus ihren aufkeimenden Fantasien des Terrors und streichelte dabei demonstrativ über seine Duel Disk. Anya zuckte nur teilnahmslos mit den Schultern. „Und? Von einer Duel Disk lebt man auch nicht länger.“ „Kannst du dich wirklich von ihr trennen?“, fragte der größere Zachariah neugierig. „Das glaube ich dir nicht.“ Sie gab einen gedämpften Lacher von sich. „Ach ja? Hab ich dir je erzählt, warum mir diese Duel Disk so wichtig ist? Kannst du es dir denken?“ Wie erwartet schüttelte Zach den Kopf. „Nein.“ Daraufhin schloss Anya die Augen. Sollte sie tun, was Matt ihr vor seiner Abreise geraten hatte? Einfach … mit ihm reden? Eine Versöhnung ansinnen? „Wie du weißt, ist Dad gegangen, als ich gerade mal vier war. Dich hat er damals mitgenommen. Seitdem habe ich ihn kaum gesehen. Er … vergisst regelmäßig meine Geburtstage, ruft so gut wie nie an. Zu Besuch kommt er schon gar nicht.“ Ihr Bruder schwieg dazu und sah das Mädchen an, ohne nur einen Gesichtsmuskel zu bewegen. „Daher habe ich nicht viel von ihm. Praktisch nur die Dinge, als er noch da war. Seine Jacke, seine Duel Disk … sonst nichts. Wenn wir uns doch mal sehen, ist er zwar da, aber ich sehe nicht einmal meine eigene Reflexion in seinen Augen.“ Anya öffnete schlagartig die ihren. „Verstehst du jetzt? Ich habe Dad nur in Form der Geschenke, die er mir gemacht hat.“ Zach sagte gar nichts. Für einen Moment jedoch, so schien es, als würde er ihr betroffen in die Augen sehen. Allerdings straften seine anschließenden Worte jenem Eindruck lügen: „Wer würde auch so eine missratene Tochter wie dich sehen wollen? Schlimm genug, dass er dauernd seinen Einfluss nutzen muss, um dich aus der Scheiße zu holen.“ Ebenso feindselig erwiderte sie: „Lieber bin ich ein Miststück, als so ein aalglatter Möchtegern wie du!“ „Deine Worte tun mir weh, 'Schwesterherz'“, erwiderte Zachariah keineswegs verletzt, „ein Möchtegern bin ich ganz bestimmt nicht mehr. Draw!“   Das Gespräch abrupt beendend, riss er eine Karte von seinem Deck. Es war damit die einzige, die er auf der Hand hielt. Gleichzeitig entschloss sich jetzt auch Mr. C, sich wieder ins Geschehen einzumischen. „Was für eine tragische, geheimnisvolle Geschichte! Dieses Duell ist wahrlich ein Aufeinanderprallen zweier Geschwister, die unterschiedlicher nicht sein könnten! Ist das Schicksal!?“ Als ob, sagte sich Anya innerlich. Irgendwie hatte Zachariah das so hingebogen, dessen war sie sich sicher. „Ich benutze den Effekt von [Noble Arms – Caliburn] und erhalte 500 Lebenspunkte“, verkündete Zach. Sein Ritterkönig Artus streckte sein riesiges, goldenes Schwert in den Himmel – es war die vereinte Form von Arfeudutyr und Caliburn. So strahlten die blauen Lichtlinien in der Klinge stärker denn je und ein Regen aus gleichfarbigen Partikeln ging über Zachariah hernieder.   [Anya: 1300LP / Zachariah: 700LP → 1200LP]   Der griff unter die Karte seines Artus und zog das letzte Xyz-Material darunter hervor, welche als leuchtende Kugel von Excaliburn II absorbiert wurde.   Artorigus, King Of The Noble Knights [ATK/500 DEF/2000 {4} OLU: 1 → 0]   „Wusstest du, dass Artorigus' Effekt auch einen anderen Nutzen hat? Ich kann Zauber- und Fallenkarten bis zur Anzahl an offenen Noble Arms zerstören.“ Anya konnte ihm jedoch nicht folgen, schließlich besaß sie gar keine Zauber- und Fallenkarten auf dem Feld! Zach ließ sie jedoch nicht lange im Dunkeln tappen und erklärte: „Dein Blick spricht tausend Bände. Schon mal daran gedacht, dass ich auch meine eigenen Karten zerstören kann?“ „Ah!“, begriff sie nach einem Moment, in dem sie sicherstellte, dass sie gar keine Zauber- und Fallenkarten besaß. Dieser Dreckskerl! Und es war genau, wie sie es vermutet hatte. Nacheinander tauchten vor ihrem Bruder die Hologramme der tatsächlichen Zauberkarten auf. Arfeudutyr, Caliburn, Excaliburn II und die [Noble Arms Of Destiny] von Artus sowie Lancelots Gallatin. Der Ritterkönig wirbelte herum und schleuderte von seinem Breitschwert drei kreischende Lichtblitze, die die Karten von Arfeudutyr, Caliburn und Gallatin vernichteten. Letztes verschwand aus Lancelots Hand und wurde durch ein rot glühendes ersetzt. Doch keine Sekunde später manifestierten sich zwei der Schwerter wieder und schwebten wie schützende Schilde um Artus herum in der Luft. Es waren das goldene Caliburn und das schlichte Gallatin.   Artorigus, King Of The Noble Knights [ATK/0 → 1500 DEF/2000 {4} OLU: 0]   „Das ist der Vorteil der Noble Arms, die sich einmal pro Zug nach ihrer Zerstörung erneut ausrüsten lassen“, sagte Zachariah und steckte die Hände in die Hosentaschen, „nun, für Arfeudutyr habe ich keine Verwendung. Ich brauche die freie Zone, verstehst du?“ Anya knirschte mit den Zähnen. Ihr beknackter Bruder war klug genug, nicht seine ganze Backrow zu verstopfen. Zumindest war es jetzt leichter für sie, einen Überblick zu wahren, welcher der beiden Ritter welche Waffe besaß: Artus alle, Lancelot keine. Mit nach vorne gestreckter Hand verkündete Zach derweil: „Da Caliburn kurz auf dem Friedhof lag, ist ihr 'einmal pro Zug'-Effekt zurückgesetzt worden. Also erhalte ich nochmal 500 Lebenspunkte.“ Wieder schüttete es blaue Partikel über ihm, was Anya schnaufend zur Kenntnis nahm.   [Anya: 1300LP / Zachariah: 1200LP → 1700LP]   „Dass ich die freie Zone brauche hat seinen Grund.“ Er ballte die Hand zu einer Faust. „Er hört auf den Namen [Gwenhwyfar, Queen Of Noble Arms].“ An jene erinnerte sich Anya sofort. Diese kindliche Königin mit den zu zwei Zöpfen geflochtenem, braunen Haar hatte dafür gesorgt, dass ihr Lead Yoke draufgegangen war! Und genau diese Königin tauchte plötzlich als Geist hinter dem schwarzen Ritter auf und umklammerte ihn, während er sich aus seiner Hocke erhob. „Sie lässt sich nicht nur von der Hand, sondern auch vom Friedhof aus an einen Noble Knight ausrüsten. Jede Runde einmal.“   Ignoble Knight Of High Laundsallyn [ATK/0 → 300 DEF/900 (5)]   Nervös drehte Anya den Kopf in Hoffnung auf stillen Beistand zur Seite, doch erschrak, als sie in den mittleren Reihen, bei einer der Treppen, Zanthes Platz leer vorfand. „Wo ist-!?“ „Hier spielt die Musik!“, raunte Zachariah streng. „Wenn auch nur noch für einen kurzen Augenblick, also höre lieber gut hin! [Ignoble Knight Of High Laundsallyn], greife [Battlin' Boxer Glassjaw] an!“ Erschrocken drehte Anya den Kopf in Richtung des Duellfeldes und sah nur noch, wie der schwarze Ritter mit gezückter Klinge auf den hünenhaften Boxer zu stürmte. Die Klinge direkt auf dessen Brust gerichtet, war Lancelot bereit, den Todesstoß zu versetzen. Völlig unerwartet jedoch zersprang Glassjaw, noch bevor er überhaupt getroffen wurde. Zach legte den Kopf schief. „Hm?“ „Das war der negative Effekt meines Monsters: Es wird sofort zerstört, wenn er angegriffen wird. Daher auch sein Name, Glassjaw!“, erklärte Anya angespannt. „Na wenn das so ist? Direkter Angriff!“, befahl ihr Bruder unbekümmert. Sein unedler Ritter rannte einfach weiter, stieß sich vom Boden ab und versuchte Anya durch einen Sprungangriff niederzustrecken. Die hob ihr rotes D-Pad und parierte, woraufhin eine Explosion folgte.   [Anya: 1300LP → 1000LP / Zachariah: 1700LP]   Noch während der Rauch sie umhüllte, huschte Lancelot aus diesem hervor und positionierte sich wieder vor seinem Besitzer. Der schnalzte mit der Zunge. „Dann kommt jetzt das große Finale. [Artorigus, King Of The Noble Knights], lösche ihre letzten Lebenspunkte aus!“ König Artus, der das riesige Schwert bisher mit einer Hand führte, umschloss es nun mit beiden und begann auf die Rauchwolke zu zu rennen. Wie sein finsterer Kamerad, stieß er sich etwa in der Mitte des Spielfeldes vom Boden ab, hoch in die Luft. Das Publikum hielt den Atem an. Das Schwert weit ausholend, stürzte er sich hinab. „Das wird nicht gut ausgehen!“, prophezeite der Kommentator aufgeregt. In die Wolke eindringend, ließ Artus seine Klinge nach unten fahren. Das laute Donnern von Metall auf Metall war zu hören. Und der Qualm verzog sich. „Och nö“, nölte Zachariah. Nicht etwa Anya war es, die den Angriff abgewehrt hatte, sondern ein Monster auf ihrer Spielfeldseite. Es war ein mit rotem Brustpanzer und Beinschienen versehener Boxer, an dessen Unterarmen zwei Hälften eines runden Metallschildes befestigt waren, welche er zu einem perfekten Ganzen zusammenhielt. Die sichtbare Einkerbung darin zeigte, dass Artus' Schwert daran abgeprallt war. In gebeugter Haltung verharrte der König vor seinem Widersacher.   Battlin' Boxer Veil [ATK/0 DEF/1800 (4)]   „Pech für dich“, raunte Anya, „du hättest nicht mit Lancelot angreifen sollen, nachdem Glassjaw sich zerstört hat. Damit hast du nämlich seinen zweiten Effekt ausgelöst …“   Gleich als dieser zersprang, schob sich eine Karte aus Anyas Friedhof hervor. Jene nahm sie in ihr aus zwei Karten bestehendes Blatt auf. Sofort im Anschluss schnellte auch schon der schwarze Ritter auf sie herab, den sie mit ihrer Duel Disk abwehrte. Gleich nachdem er die Rauchwolke verließ, legte Anya die eben erst erhaltene Karte auf ihre Duel Disk, wodurch der Boxer vor ihr erschien.   „Glassjaw kann einen KO gegangenen Battlin' Boxer von meinem Friedhof auf meine Hand zurückholen.“ Das Mädchen deutete dabei auf ihr Monster. „Das war er, der vorhin durch [Battlin' Boxing Spirits] dort landete.“ Zach zuckte unbekümmert mit den Schultern. „Nochmal Glück gehabt, was?“ „Yeah. Da sich [Battlin' Boxer Veil] nur spezialbeschwören lässt, wenn du mir Schaden zufügst, wäre es ohne deinen ersten Angriff nicht gut gegangen“, erklärte Anya, „aber wenigstens gleicht er auch den Schaden aus, wenn er beschworen wird.“   [Anya: 1300LP / Zachariah: 1700LP]   „Was für ein unerwartetes Manöver von Anya Bauer!“, schrie Mr. C ins Mikrofon. „Damit kommt ihr Bruder nicht mehr an ihre Lebenspunkte heran!“ „Ein Replay also. Ich stoppe den Angriff natürlich“, murmelte Zach verstimmt. Einige der Zuschauer pfiffen und jubelten, andere wiederum buhten das Mädchen schamlos aus. Jenes mahnte sich, bloß nicht darauf zu achten, auch nicht auf die Kameramänner, die sie jetzt von allen Seiten umlagerten. „So funktionierst du eben. Einmal in die Ecke gedrängt, versuchst du mit aller Macht, dir etwas Zeit zu verschaffen“, stichelte Zach und griff nebenbei nach seinem Friedhof. Anya runzelte die Stirn. „Was soll ich sonst machen, mich besiegen lassen!? Lern' erstmal das Spiel, du Amateur!“ Der Spruch hätte auch von Zanthe stammen können, fiel ihr nebenbei auf. Und wenn sie ihren Bruder nur halb so nervten wie sie manchmal, war es nur gut, dass der Flohpelz abfärbte! „Das würde dir zumindest ein unangenehmes Erlebnis nach dem anderen ersparen. Aber du willst es ja so“, erwiderte er und zeigte eine Karte vor, „erinnerst du dich an die hier noch?“ Anya betrachtete die Zauberkarte, [Noble Arms – Excaliburn]. Es war ein goldener Einhänder, bestehend aus einer roten und einer blauen Klingenhälfte – das originale Excalibur. „Die hattest du an Borz ausgerüstet gehabt.“ „Oh? Hast du dein Gedächtnis trainiert?“ Zachariah lachte spöttisch. „Ja, das war diese Waffe. Warum glaubst du, habe ich sie nicht wieder ausgerüstet?“ Anya zuckte mit den Schultern. „Um mir dumme Fragen stellen zu können?“ „Weil sie im Friedhof einen Effekt hat, der jedoch nicht im selben Zug aktiviert werden kann, in dem sie dort landet. Main Phase 2 …“ Der große Blonde schob die Karte in die Verbannungszone seines D-Pads. Plötzlich verwandelte sich der Boden um seinen König Artus in die Oberfläche eines Sees. Aus diesem stieg jene sagenumwobene Klinge hervor, nach der der brünette Ritter griff. „Excaliburn setzt die wahre Kraft von [Artorigus, King Of Noble Knights] frei.“ Schlagartig riss Zach den Arm in die Höhe. „Ich rekonstruiere das Overlay Network!“ Anya stieß einen entsetzten Schrei aus, als sich der See in den schwarzen Wirbel des Überlagerungsnetzwerks verwandelte und Artus als goldenen Lichtstrahl in sich zog. „Rank-Up Incarnation! Rang 5, erscheine, [Sacred Noble Knight Of King Artorigus]!“ Ein gleißender Lichtblitz schoss aus dem Schwarzen Loch. Als er abklang, schwebte der sichtlich gereifte Artus über dem Boden, nun in einer blau leuchtenden Silberrüstung steckend. Um ihn kreiste eine Energiekugel.   Sacred Noble Knight Of King Artorigus [ATK/2200 DEF/2200 {5} OLU: 1]   Mit einem strengen Blick betrachtete der Ritterkönig Anya, deren leicht geöffneter Mund mehr aussagte als tausend Worte. Hatte ihr Bruder gerade-!? „Wie du siehst, ist Artorigus unbewaffnet. Da ich die Effekte von Gallatin und Caliburn schon einmal benutzt habe, können sie sich nicht noch einmal an ein neues Monster ausrüsten“, erklärte Zach derweil unbeschwert weiter, „daher rüste ich sie mit dem Effekt meines Monsters aus: Bei seiner Xyz-Beschwörung erhält es drei Noble Arms.“ Genau wie seine Vorstufe, schoss es Anya durch den Kopf. Das Monster ihres Widersachers streckte zu beiden Seiten die Arme aus und öffnete die Hände. In der einen tauchte das goldene Schwert [Noble Arms – Caliburn] auf, in der anderen der eigentliche Zweihänder [Noble Arms – Excaliburn II]. Zusätzlich manifestierte sich an seinem Arm der leuchtende Schild, die [Noble Arms Of Destiny].   Sacred Noble Knight Of King Artorigus [ATK/2200 → 2700 DEF/2200 {5} OLU: 1]   Zachariah legte eine Hand ans Kinn und neigte den Kopf seitwärts. „Soll ich? Oder soll ich nicht?“ „Was!?“ „Ach, nichts. Ich warte noch. Aber da Caliburn kurzzeitig auf dem Friedhof war, ist sein Effekt zurückgesetzt worden. Also heile ich mich um 500 Punkte!“ Artus streckte sein erstes Schwert in die Höhe und ließ über Zach einen blauen Energieregen niederprasseln.   [Anya: 1300LP / Zachariah: 1700LP → 2200LP]   Mr. C war völlig aus dem Häuschen und brüllte: „Unglaublich! Nicht nur hat Zachariah Bauer ein Rank-Up vollzogen, er hat auch die Ausgangssituation des letzten Zuges wiederhergestellt!“ Oh, am liebsten würde Anya diesen Spinner erwürgen! Als ob sie das nicht wüsste! Wie es dieser elenden Kackratte aber auch gelang, sich über Wasser zu halten! Die ihrerseits verschränkte die Arme. „Nun, heben wir uns die nächste Überraschung für dich doch noch etwas auf. Zug beendet.“   Gerade griff Anya nach ihrem Deck, da fragte Zachariah neugierig: „Weiß Dad überhaupt, dass du hier bist?“ „Warum willst du das wissen!?“ Auf Anyas Stirn bildete sich eine zornige Falte. „Ich wette, der hat keine Ahnung …“ Ihr Bruder zuckte unbedarft mit den Schultern. „Schon möglich, hab auch schon länger nicht mehr mit ihm gesprochen.“ „Tja, Dad kümmert sich eben nicht um seine Kinder.“ „Vielleicht sind wir drei einfach zu viel für ihn gewesen?“ „Tch!“ Entgegen der Hausordnung des Stadions spuckte Anya zur Seite aus. „Mum konnte nichts für das, was Dad getan hat. Das war allein sein Fehler!“ Zach brach plötzlich in schallendes Gelächter aus. Er fasste sich sogar an den Bauch und die Stirn, ehe er Anya belustigt ansah. „Ich möchte behaupten, das schon einmal gesagt zu haben, aber: Zu so etwas gehören immer zwei Seiten, liebes 'Schwesterherz'. Außerdem: Wann habe ich je behauptet, dass Mum Teil der Gleichung ist?“ Als das Mädchen ihn aber nur mit ihrem typischen, manche würden sagen leicht debilen Gesichtsausdruck ansah, fügte er hinzu: „Ich rede von unserem Halbbruder. Dem letzten Nagel im Sarg unserer Familie.“   ~-~-~   Zanthe musste unweigerlich in sich hineingrinsen. Schon wieder hatte er das Turnier vorzeitig verlassen, weil er jemanden verfolgte. Wenigstens war es diesmal die richtige Person, wie ihm ein Blick quer durch die Straßenbahn verriet. Weiter drüben saß er in dem überfüllten Verkehrsmittel, mit dem Rücken zum Fenster: Kakyo, vertieft in eine Zeitschrift.   Der Werwolf war schon die ganze Zeit am überlegen, aus welchem Grund der brünette Bursche Anyas Duell beigewohnt hatte. Bloße Neugier? Die Konkurrenz in Aktion sehen? Oder war da mehr im Spiel? Etwas, das mit seiner Verbindung zu Kyon zu tun hatte? Während Anya sich die letzten zwei Tage auf ihr Duell mit Zachariah vorbereitet hatte, war Zanthe dem jungen Mann so oft wie möglich auf Schritt und Tritt gefolgt. In der Hoffnung, dadurch etwas herauszufinden. Doch Fehlanzeige, Kakyo war so normal, normaler ging es gar nicht. Er telefonierte stundenlang mit seiner Freundin, kaufte sich lieber in einem Supermarkt Essen, statt teure Restaurants zu besuchen und bereitete sich auf seine Spiele vor, indem er mitten in der Nacht seine Karten vor sich auf dem Tisch ausbreitete und über ihre Verwendung lauthals grübelte. Und der sollte Kyon kennen? Zanthe zweifelte langsam daran. Vielleicht hatte er Exa missverstanden oder womöglich war der auch mit den Namen durcheinander gekommen, weil er Kakyos irgendwo aufgeschnappt hatte. Doch das würde sich erst klären, wenn er mit jenem ein Wort wechselte. Und diese Gelegenheit wollte Zanthe nun abpassen. Wenn keiner zusah. Für den Fall, dass doch etwas Unnormales geschah.   Die Straßenbahn hielt an der Ecke Covet Street. Kakyo erhob sich von seinem Platz und verstaute im Gehen zur Tür sein Magazin in seiner Umhängetasche. Auch Zanthe stand auf und schob sich an den anderen Fahrgästen vorbei. Kaum war er draußen, wartete er einen Moment. Den Geruch des jungen Mannes hatte er sich inzwischen eingeprägt. Es war besser, ihm nicht so dicht auf den Fersen zu sein, am Ende wurde er nur vorzeitig bemerkt. Solange er seiner Spur mit der Nase folgen konnte, musste er ihm nicht direkt am Hintern kleben. Nachdem er einen Moment gewartet hatte, bog er, wie Kakyo, an der Kreuzung rechts ab. Dort in der Ferne sah er ihn unbekümmert geradeaus laufen. Zanthe setzte zur Verfolgung an. Er musste sich etwas überlegen, schließlich würde sein Ziel kaum in eine dunkle Gasse abbiegen und darauf warten, verhört zu werden. Zanthe wusste, wohin der junge Mann unterwegs war: Sein Hotel. Das machte er immer. Statt ein Taxi zu nehmen, benutzte er lieber öffentliche Verkehrsmittel. Allerdings musste er auch mit den zehn Minuten Fußweg leben, die damit verbunden waren. Zehn Minuten, in denen sich Zanthe etwas einfallen lassen musste, wie er ihn ganz für sich hatte. Ohne störende Zeugen. Nur gab es dieser hier mehr als genug.   Schritt um Schritt folgte Zanthe dem linearen Pfad, ohne einen passenden Angriffspunkt zu finden. An dunklen Ecken mangelte es diesem Teil der Stadt zwar nicht, doch wie sollte er Kakyo unbemerkt in eine jener locken? Gerade als er sich dazu durchrang, von der Verfolgung vorerst abzulassen, riss ihn jemand beinahe von hinten um. „Na, Kumpel?“ Exa hatte seinen Arm um Zanthes Schulter gelegt. „Was machst du denn hier!?“, fragte Letzterer erschrocken und sah auf zu dem jungen Mann, dessen blond gefärbter Haarschopf zu Dreadlocks geflochten und zu einem Pferdeschwanz gebunden war, während die beiden Seiten kurz rasiert und von Natur aus schwarz waren. Wie immer trug er seinen Kopfhörer um den Hals, aus dem seltsame Musik dudelte. „Wohl dasselbe wie du.“ „Du … du verfolgst ihn?“ „Jap“, nickte Exa.   Zanthe hatte ihm gestern davon erzählt. Nachdem er vor dem sich anbahnenden Streit geflüchtet war, hatte er sich mit seinem neuen Freund getroffen und ihm sein Leid geklagt. Exa war ein sehr verständnisvoller, wenn auch nicht immer ernsthafter Zeitgenosse. Statt einen Rat zu geben, wie sich Zanthe in der Situation verhalten sollte, lautete sein Vorschlag, lieber den süßen Kellner anzurufen und sich die Zeit mit ihm zu vertreiben. Etwas, das Zanthe aus mehreren Gründen niemals getan hätte und über jeden davon hatte sich Exa lustig gemacht. Trotz allem war es ein heiterer Tag geworden, auch wenn Zanthe nicht gelungen war, besonders viel über Exa in Erfahrung zu bringen. So lebte er sehr abgeschieden vom Rest der Welt in, Zitat, 'mericuh, zog aber öfter los und jagte Dämonen. Hauptsächlich Hybrids, von denen Zanthe noch nie in irgendeinem Zusammenhang gehört und über die der Blonde auch nicht wirklich reden wollte. Während sie Ephemeria Citys Straßen unsicher gemacht hatten, war auch die Sprache auf Kakyo und Kyon gekommen.   Als Exa den Kopftuchträger schließlich losließ, fragte der: „Und? Ist er der, der dir neulich geholfen hat?“ Der Größere brach in schallendes Gelächter aus. „Der? Nein! Noch nie gesehen.“ „Aber sein Name ist Kakyo.“ „Vielleicht gibt es mehrere mit diesem Namen?“ Zanthe schüttelte den Kopf. „Glaub ich nicht.“ Irgendwie erinnerte ihn das an gestern, wo er dieselbe Ausrede verwendet hatte. War das so eine Art Karma, dass das jetzt auf ihn zurückfiel und er nicht wusste, wie er das Geheimnis um diesen Namen lösen sollte? „Wieso verfolgst du ihn überhaupt? Ich habe dich nicht darum gebeten“, murrte Zanthe trotzig. „Er könnte gefährlich sein, weißt du?“ „Mach dir keine Sorgen um mich, ich kann auch gefährlich sein“, gluckste Exa unbekümmert und zuckte mit den Schultern, „ich dachte nur, da du heute Anya beim Kartenspielen zugucken wolltest, dass irgendjemand in der Zeit den da im Auge behalten sollte.“ Er zeigte in Kakyos Richtung, welcher unbekümmert seiner Wege zog. Gerade trat er in den Schatten einer Brücke, die Bestandteil einer der Riding Duel-Strecken dieser Stadt war. „Heißt das, du warst auch im Stadion?“ „Könnte man so sagen“, meinte Exa geheimnisvoll und zwinkerte. „Ich habe dich gar nicht bemerkt! Nicht mal gerochen.“ Zanthe verschränkte die Arme. „Okay, da waren viele Gerüche, aber-!“ „Die ganze Zeit stand ich neben dir.“ Der Schwarzhaarige blieb abrupt stehen, als die beiden ebenfalls unter die Brücke traten.„Was!? Das kann nicht sein!“ Exa lief noch ein Stück weiter und hielt genau dort, wo der Schatten der Brücke ihn regelrecht verschluckte. Mit einem diebischen Grinsen drehte er sich zu seinem Freund und holte etwas aus seiner Hosentasche. „Fang.“ Zanthes Brieftasche landete auf dessen ausgestreckten Handflächen. Mit geweiteten Augen sah er zu seinem Freund auf, ehe er mit Mühe und Not seine Beherrschung wahrte. „Was soll das!?“ „Ich wollte nur testen, ob Werwölfe mich noch wahrnehmen, wenn ich das hier mache.“ Plötzlich hielt er sich die Hand vors Gesicht – und war verschwunden.   Verloren starrte Zanthe in die Leere, die eben noch ein großer, junger Mann gewesen war. Ein Auto fuhr an ihnen vorbei. „Buh!“ Unter einem entsetzen Schrei wich Zanthe zurück, als Exa direkt vor ihm wieder auftauchte. Nicht der Laut an sich war jedoch, was den Schwarzhaarigen so erschreckt hatte. Dort, wo sein Gesicht war, leuchtete ein hellblaues Symbol und verdeckte den größten Teil davon. Wie ein Schmetterling mutete es in seiner absolut symmetrischen Form an, mit dem Unterschied, dass die flügelartigen Auswüchse spitz zuliefen. „Was in aller Welts Namen ist das!?“ „Ein kleiner Trick!“ Plötzlich streckte Exa die flache Hand vor Zanthes Gesicht aus. Ein Blitzlicht blendete jenen kurz. „Hey!“ Für einen kurzen Moment sah Zanthe noch unscharf Teile desselben Musters vor seiner Nase, welches jedoch sofort verschwand. „So, jetzt wirkt er auch auf dich. Damit sieht uns niemand, solange wir nicht direkt vor der Person stehen“, erklärte Exa belustigt und zwinkerte, „so, wollen wir uns jetzt um ein kleines Verhör kümmern? Die Gelegenheit ist günstig.“ Er zeigte in Kakyos Richtung, der gerade aus dem Schatten der Brücke trat. Wenige Meter von ihm entfernt führte eine schmale Gasse an einer Kneipe vorbei. Zanthe war sich nicht sicher, ob er beeindruckt oder alarmiert sein sollte. „Wo hast du das gelernt?“ „Ist doch egal, solange es uns hilft. Komm.“ Exa drehte sich um und begann zu rennen, doch bemerkte sofort, dass Zanthe ihm nicht folgte. Kurz hielt er an. „Wenn du nicht willst, ziehe ich das auch alleine durch. Deine Entscheidung.“ „Wieso tust du das?“ Das Gesicht unter dem Schleier des Zaubers verborgen, sah Exa über seine Schulter. „Weil wir Freunde sind. Und du meine Hilfe brauchst.“ Zanthe stieß einen trockenen Lacher aus. „… du hast echt 'ne Meise.“ Er setzte sich in Bewegung und als er zu Exa aufgeholt hatte, fügte er aufrichtig hinzu: „Danke.“   ~-~-~   Es war mucksmäuschenstill im Stadion. Man musste sich in der Szene nicht gut auskennen, um zu begreifen, dass es so etwas noch nie gegeben hatte. Ein Familiendrama während einer Fernsehübertragung. Anya starrte ihren Bruder mit einer gefährlichen Mischung aus Faszination und Ekel an. Dann winkte sie grimmig ab. „Der war gut, Drecksack! Um ein Haar hätte ich es geglaubt!“ „Es ist die Wahrheit. Dad hat ein drittes Kind.“ Geradezu höhnisch fragte Anya: „Und wie soll es heißen? Wenn du jetzt Redfield sagst, muss ich dich leider töten. Nicht, dass mir das was ausmachen würde, aber-!“ „Nun, da du mir ohnehin nicht glaubst, brauche ich dir den Namen auch nicht zu nennen“, gab sich Zach plötzlich gleichgültig. Das stank doch zum Himmel, dachte Anya insgeheim. Der wollte sie bloß durcheinander bringen, damit sie Fehler machte. Wenn da auch nur im Entferntesten etwas dran wäre, hätte Mum ihr das längst gesagt. Ihre Mutter hatte keine Geheimnisse vor ihr, auch wenn dieses Vertrauensverhältnis schon immer eher einseitiger Natur war. Nie im Leben hatte Dad ein drittes Kind, redete sich Anya ein. Fauchend griff sie letztlich nach ihrem Deck und zog schwungvoll auf. „Dafür gibt’s jetzt ein paar aufs Maul, du elende Kackbratze!“ „Ich fasse es nicht, was sich uns hier für Abgründe auftun, liebe Zuschauer!“ „Du halt ja die Klappe!“, schnauzte Anya in eine der Kameras an den Kommentator gerichtet. „Wehe, ich höre noch ein Wort davon! Dieser Dreckskerl da schauspielert nur! Kapische?“ Mit dem Zeigefinger deutete sie auf Zach, der abwesend ins Leere starrte.   Wenn sie sich vor Augen hielt, was allein auf den Szeneblogs losgewesen war, weil sie sich ihren Weg ins Turnier gekämpft hatte, wie würde dieses Schauspiel dann erst einschlagen? Vermutlich gab es in den Klatschblättern nichts anderes mehr zu lesen, als Berichte über den Familienstreit der Familie Bauer. Gott, wie sie ihren Bruder dafür hasste! Aber selber schuld, immerhin war sie darauf eingegangen, tadelte sich Anya ungewohnt selbstkritisch. Was auch nur daran lag, dass genau so etwas in ihrem Bild einer perfekten Duel Queen nicht vorkam. Die Duel Queen hatte über allen anderen zu stehen. Sie machte die Ansagen, sie dominierte jeden! Das Duellfeld war ihr Schlachtfeld und auf dem hatte Privates nichts zu suchen. Und, nicht zu vergessen, sie konnte ihre Gegner und alle anderen nach Herzenslust zur Schnecke machen! Schon der Gedanke daran, dass Zach ihr das nehmen wollte, ließ das Blut in ihren Adern kochen. So verwunderte es nicht, dass sie nach einer längeren Pause schließlich unvermittelt ein Monster auf ihr D-Pad knallte und damit sicherlich den ein oder anderen Zuschauer wachrüttelte. „Ich beschwöre [Battlin' Boxer Shadow]!“, schrie sie förmlich. Sofort tauchte neben ihrem [Battlin' Boxer Veil] ein in Schwarz gehaltener Boxer auf, der in so schneller Folge mit der Linken und Rechten in die Luft schlug, dass man seinen Bewegungen kaum folgen konnte. Dabei flatterten zwei Schale um seinen Hals.   Battlin' Boxer Shadow [ATK/1800 DEF/1400 (4)]   Mit scheelem Blick sah sie von einem Krieger zum anderen. Denn sie hatte noch eine kleine Überraschung für ihren Bruder parat. „Ich erschaffe das Overlay Network!“, verkündete Anya und streckte den Arm in die Höhe. „Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster!“ Ihre beiden Boxer lösten sich in rote Energiestrahlen auf. Gleichzeitig öffnete sich inmitten des Spielfelds der schwarze Wirbel und absorbierte die verwandelten Monster. „Xyz Summon!“, donnerte Anya und formte die nach oben gerichtete Hand zu einer Faust. „Träger der Hoffnung, zeige dich! [Daigusto Emeral]!“ Aus dem Überlagerungsnetzwerk schwebte eine grüne, humanoide Gestalt empor. Sie ähnelte stark Anyas [Gem-Knight Emerald], doch fehlten an ihrer glänzenden Rüstung die entsprechenden Edelsteine. Stattdessen verfügte der Ritter jetzt über, an den Rändern gezackte, Schilde sowie ein paar metallischer Flügel, welche in organische, grüne Federn übergingen. In gebeugter Haltung positionierte sich der Krieger vor Anya, wobei ihn zwei Lichtkugeln umkreisten.   Daigusto Emeral [ATK/1800 DEF/800 {4} OLU: 2]   In Zachs weit aufgerissenen Augen stand deutlich der Schock geschrieben. „Was ist das? Das ist kein Gem-Knight, aber-!?“ „Das ist ein Monster, das mir einst sehr geholfen hat, auch wenn es noch nie in einem Duell benutzt wurde“, erklärte Anya. Und dachte im Zuge dessen zurück an den Tag von Valeries geplatzter Hochzeit, als Henry ihr die drei Karten – geschaffen durch seinen Deal mit dem Sammler – gegeben hatte. Jene, die sie einst im Turm vor Neo Babylon vor den lähmenden Kräften des Tores Eden beschützt hatten. „Ich finde, es ist nur fair, ihm jetzt etwas Screentime einzuräumen!“ Sie hatte die Monster nie in ihr Deck integriert, weshalb sie nicht zusammen mit ihren anderen Karten gestohlen worden waren. Und jetzt waren jene ihr Trumpf!   Auch Henry in der gläsernen Lounge ganz am oberen Ende des Stadions wusste darum und war von dem Sofa aufgesprungen. Vor ihm saß Mr. C, ein bereits in die Jahre gekommener, schwarzhaariger Mann mit Elvistolle, an einem Pult und schrie ins Standmikrofon: „Was ist das für ein Monster? Davon habe ich noch nie gehört!“ „Sehr gut!“, strahlte Henry und sah über einen Laptop an Mr. Cs Platz Anyas Gesicht, wie sie kampflustig in die Kamera grinste. „Enttäusch' mich jetzt nicht, Anya!“ Die rothaarige Melinda neben ihm strahlte nicht weniger. „Da werden Erinnerungen wach. Auch wenn ich damals Angst hatte, war es doch irgendwie auch … aufregend.“ „Sei froh, dass du rechtzeitig aus dem Kristallsaal fliehen konntest. Wir hatten nicht so viel Glück“, murrte Henry schon im nächsten Moment wieder in seiner gewohnten, miesepetrigen Art. Seine Schwester schlug die Beine übereinander und lachte. „Da hast du auch wieder Recht.“ „Egal“, sagte Henry mit Blick auf den Bildschirm, „hoffen wir, dass sich das Wunder von damals wiederholt.“   Von Anyas Entschlossenheit aus zu urteilen, hätte man durchaus der Meinung sein können, dass dem so war. Denn als sie unter ihr neues Monster griff und eines seiner Xyz-Materialien hervorzog, stand das wahrhaftige Feuer in ihren Augen. „Jetzt wirste dein blaues Wunder erleben!“ Emeral hielt daraufhin einen der Schilde an seinen Armen in die Höhe und absorbierte eine der leuchtenden Sphären damit.   Daigusto Emeral [ATK/1800 DEF/800 {4} OLU: 2 → 1]   Anya rief: „[Daigusto Emerals] Effekt lässt ihn ein Nicht-Effekt-Monster von meinem Friedhof beleben!“ „Wann hast du so eins jemals gespielt?“, fragte Zachariah daraufhin irritiert. „Hat mein Angriff vorhin ein paar deiner Synapsen verkohlt?“ „Bist wohl doch nicht so schlau wie du dich gibst. Denk mal scharf nach, welches meiner Monster könnte ich wohl meinen?“ Zwar stieß Zach im Anschluss einen Laut der Erkenntnis aus, doch Anya lieferte ihm bereits die Antwort, indem sie die Karte aus ihrem Friedhof nahm und vorzeigte. „Bingo!“ Sie schmetterte Levrier mit voller Wucht auf das D-Pad. Neben ihrem [Daigusto Emeral] öffnete sich ein Runenportal, aus welchem der weiße Ritter stieg, von seinen sieben Riesenperlen umgeben.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4} OLU: 0]   „Für gewöhnlich mag er zwar nutzlos und schwach sein“, stichelte Anya mit diebischem Grinsen, „aber hin und wieder hat selbst er seine fünfzehn Minuten Ruhm! Willkommen zurück!“ Erwartungsvoll beobachtete die Blonde ihre Signaturkarte. Doch als diese sich weder rührte, noch einen frechen Spruch abließ, verging dem Mädchen das Lachen. Nervös fragte sie: „Was ist los?“ Als wieder keine Antwort kam, richtete sie sich zornig an ihren Bruder. „Was hast du ihm angetan!?“ „Nichts?“, mimte der vor dem Publikum den Ahnungslosen. „Dein Pearl ist doch auf dem Feld, alles bestens? Oder erwartest du ernsthaft, dass er dir antwortet?“ Rote Äderchen traten aus Anyas Augapfel hervor, als Zach den Satz mit einem zuckenden, rechten Mundwinkel beendete. Er wusste genau, was sie von ihm wissen wollte und selbst ohne weitere Worte gab er ihr mit einem Blick zu verstehen, dass er Levrier nicht einfach mit seiner Zauberkarte zerstört hatte. Ihr Partner war langfristig außer Gefecht gesetzt worden. Oder schlimmer … „Du …!“, knurrte Anya und ballte eine Faust. Dabei lag ihr Augenmerk auf seinen beiden Monstern, dem schwarzen Ritter Laundsallyn und König Artus. Und sie wusste, wie sie -es- anstellen musste! „Ganz egal was du ihm antust, er ist immer bei mir“, rief sie und schwang den Arm zur Seite aus, „deswegen werde ich ihn beschützen, egal was es mich kostet! Ich greife deinen Gothic-Ritter mit [Daigusto Emeral] an! Emerald Storm!“ Der beflügelte Ritter stieg in die Höhe und streckte beide Hände nach vorne aus, geballt zu Fäusten, genau wie bei seiner Besitzerin: Dann schoss er die beiden Schilde ab, die sich in der Luft wie die Sägeblätter einer Kreissäge drehten. Zach griff nach seinem D-Pad. „Das ist keine gute Idee! Denk an [Gwenhwyfar, Queen Of The Noble Arms]! Mit ihr kann ich sofort das Monster zerstören, das mit Laundsallyn kämpft.“ Seine Schwester verzog keine Miene. Die Finger des Blonden berührten schon den Rand der Karte, als die tödlichen Waffen von beiden Seiten im hohen Bogen auf den Ritter zuschossen. Doch plötzlich ließ er von der Karte ab. „Verstehe! Genau das willst du!“ Und sie schlugen in Laundsallyn ein, welcher lautstark explodierte.   [Anya: 1300LP / Zachariah: 2200LP → 700LP]   Anya keuchte angespannt. „Dachtest du ernsthaft, ich falle auf so etwas herein? Hätte ich deinen Emeral jetzt zerstört, hättest du mit Pearl den finalen Schlag ungehindert durchführen können, da Laundsallyn danach völlig schutzlos gewesen wäre“, erklärte Zachariah den Plan seiner Gegnerin, „deshalb hast du auch nicht mit Pearl angegriffen.“ „Falsch!“, widersprach Anya. Zwar wäre dies der Idealfall gewesen, doch sie hatte nie damit gerechnet, dass er wirklich eintritt. „Ich habe lediglich dafür gesorgt, dass beide meiner Monster überleben. Wie du richtig festgestellt hast, hättest du Pearl sofort zerstört. Da ich aber mit Emeral angegriffen habe, warst du praktisch dazu gezwungen, auf den Effekt von dieser Sumpfkuh zu verzichten, eben weil du verhindern musstest, dass Pearl danach Laundsallyn angreift!“ „Das wird immer spannender! Nicht nur hat Anya Bauer die Lebenspunkte ihres Bruders wieder auf ein Minimum gesenkt, nein, es scheint, als würde sie ein starkes Band mit [Gem-Knight Pearl] verbinden!“ Wie immer war der Kommentator außer sich, selbst wenn es um das Offensichtliche ging. Anya runzelte die Stirn. Irgendwie musste sie hier heil wieder herauskommen. Artus konnte sie nicht angreifen, der war um lächerliche 100 Punkte zu stark für Pearl. Sie sah ihr Blatt an. Zwei Karten standen ihr noch zur Verfügung. Sie nahm eine davon und legte sie in das D-Pad ein. „Die setze ich. Zug beendet!“ Zischend materialisierte sich die Karte vor ihren Füßen.   „Ein starkes Band, hm?“ Als Zach zog, legte er ein hässliches Grinsen auf. „Mal sehen, ob ich es durchtrennen kann!“ Anya verzog eine grimmige Fratze. „Das kannst du nicht!“ „Wart's ab!“ Mit den beiden Karten in der Hand, griff er nach Artus' Karte und zog das einzelne Xyz-Material darunter hervor. „Ich aktiviere [Sacred Noble Knight Of King Artorigus'] Effekt!“ Jener streckte die beiden Schwerter in seinen Händen in die Höhe und hielt sie über Kreuz. Dunkle Wolken zogen inmitten des Stadions auf, welche die Zuschauer in lautstarkes Staunen versetzten. „Death Penalty“, hauchte Zachariah eisig. Ein Blitz schlug in das Caliburn-Excaliburn II-Duo ein, den Artus schnurstracks auf Pearl schleuderte, indem er die Klingen nach vorne schwang.   Sacred Noble Knight Of King Artorigus [ATK/2700 DEF/2200 {5} OLU: 1 → 0]   Anya schloss die Augen. „Als ob …“ Blind ließ sie die Hand über ihre gesetzte Karte fahren, die unmittelbar aufsprang. „Dein Artorigus hat Alzheimer.“ Kurz vor Levriers Brust verpuffte der Blitz. Irritiert betrachteten sowohl der Ritterkönig, als auch Zachariah die Karte namens [Memory Loss], ehe Ersterer plötzlich in die Knie ging.   Sacred Noble Knight Of King Artorigus [ATK/2700 DEF/2200 {5} OLU: 0]   Die Augen wieder öffnend, erklärte Anya: „[Memory Loss] ist eine coole Falle, die mir Summers nahegelegt hat. Sie negiert einen Monstereffekt auf dem Feld und wechselt dessen Position.“ „Hmpf!“, schnaubte Zachariah ärgerlich. „Dann benutze ich jetzt Gwenhwyfars Effekt vom Friedhof und rüste sie an Artorigus aus.“ Blasse, fast geisterhafte Arme legten sich um die Schultern des Königs, als sich die junge, brünette Königin mit den Zöpfen an ihn schmiegte und anschließend verschwand.   Sacred Noble Knight Of King Artorigus [ATK/2700 → 3000 DEF/2200 {5} OLU: 0]   In seiner knienden Position hob jener plötzlich sein kürzeres Schwert Caliburn in die Höhe, sodass über Zach ein blauer Energieregen niederging. „Du kennst das ja mittlerweile …“   [Anya: 1300LP / Zachariah: 700LP → 1200LP]   Eindringlich betrachtete er eine Falle auf seiner Hand. Dann schnalzte er mit der Zunge und schob sie in den letzten freien Schlitz seines D-Pads. „Ich setze diese Karte und beende den Zug.“ Während sich die Karte vor ihm materialisierte, kommentierte Mr. C: „Ein ewiges Hin und Her ist das! Obwohl Zachariah Bauer seine Schwester so unter Druck setzt, lässt diese sich keinen Millimeter zurückdrängen!“ Einige schenkten ihr sogar einen Applaus dafür. Anya bemerkte es nicht einmal, sondern tauschte einen feindseligen Blick mit ihrem Bruder aus. Keiner der beiden gab dabei nach. Bis er eine einzige Silbe auf den Lippen formte, ohne sie jedoch auszusprechen. Die Blonde, die im Lippenlesen nicht sehr versiert war, kannte nur zwei Worte in dieser Richtung. Und beide bedeuteten mehr oder weniger dasselbe … „Du elender-!“, schrie sie aufgewühlt. „Jetzt reicht's endgültig! Draw!“ Sie zog mit derartigem Schwung, dass es sie dabei beinahe eine Drehung um sich selbst machte. Die neue Karte kurz betrachtend, sah sie anschließend auf. „Effekt von [Daigusto Emeral]. Der andere, um genau zu sein! Ich darf drei Monster vom Friedhof ins Deck mischen, um eine Karte zu ziehen. Lead Yoke, Shadow, Glassjaw!“ Jene drei Karten schoben sich automatisch aus ihrem D-Pad hervor, sodass Anya sie nur auf das Deck legen und jenes mischen lassen brauchte. Gleich im Anschluss zog sie noch einmal, jedoch ohne diesmal eine unfreiwillige Pirouette hinzulegen. „Ich wollte es nicht glauben. Irgendwie habe ich es die ganze Zeit verdrängt, obwohl ich es gewusst habe“, gestand Anya niedergeschlagen, „wollte mir einreden, dass du das damals alles nicht so gemeint hast. Aber … du bist wirklich nur -deswegen- hier, oder?“ Zachariah antwortete nicht, sondern wich ihrem Blick zur Seite aus. „Alles nur, damit ich nicht weiterkomme, richtig? Denn wenn das passiert, werde ich vielleicht … und du weißt es. Und du willst es so. Wie du es schon bei unserem letzten Duell versucht hast.“ Wieder kam keine Reaktion seinerseits. Ohne dass Anya es kontrollieren konnte, rann eine einzelne Träne über ihre Wange. „Aber das klappt nicht“, schwor sie ihm bitter, „du wirst mich nicht aufhalten. Ich hab' dich genau da, wo ich dich haben will!“ Überrascht horchte er auf und blickte wieder in ihre Richtung. Unwillkürlich fuhr seine Hand zum Auslöser seiner Falle, nur damit er sie letztlich wieder zurückzog. Anya kniff die Augen zusammen. Sie hatte es nicht bemerkt, war sie doch zu fixiert auf seinen emotionslosen Gesichtsausdruck. „Mach dich schon mal frisch! Ich beschwöre [Battlin' Boxer Rabbit Puncher]!“ Ein hagerer Boxer betrat das Spielfeld, dessen markantestes Merkmal neben einer zerzausten, roten Mähne sein gasmaskenähnlicher Kopfschutz war.   Battlin' Boxer Rabbit Puncher [ATK/800 DEF/1000 (3)]   „Attacke!“, befahl Anya plötzlich mit ausgestrecktem Finger. „Egal was passiert, du wirst mein Held sein, Rabbit Puncher!“ „Was ist das!?“, überschlug sich Mr. Cs Stimme. „Wieso greift sie mit diesem Monster an!?“ Selbst ihr Bruder war überrascht davon. „Du wirst doch nicht etwa-!?“ Regelrecht formvollendet tänzelte der kleinwüchsige Boxer über das Spielfeld und war im Begriff, dem König die Faust ins Gesicht zu drücken. „Du hast es erfasst! Rabbit Puncher vernichtet Monster im Verteidigungsmodus automatisch!“ Und es geschah letztlich genau das, was Anya erwartet hatte: [Gwenhwyfar, Queen Of Noble Arms] stellte sich mit ausgestreckten Armen in den Weg des Kriegers und würde jenen zerstören. Womit Anya jedoch grundlegend falsch lag, als die hübsche Königin den Hieb einsteckte und zersprang, nur damit Artus wutentbrannt seine massive Goldklinge Excaliburn II schwang und eine blaue Schockwelle in Richtung des Mädchens schleuderte.   Sacred Noble Knight Of King Artorigus [ATK/3000 → 2700 DEF/2200 {5} OLU: 0] „Ah!“, schrie die perplex. „Du hast scheinbar damit gerechnet, dass die gute Gwenny notgedrungen dein Monster zerstört“, spottete Zachariah übermütig, „dabei opfert sie sich, um ihren Liebsten zu schützen. Das ist der Unterschied darin, ob sie ein Finsternis- oder ein Lichtmonster ausrüstet.“ Gleichzeitig wurde Anya von den Ladungen erfasst und schrie auf. Ihr Bruder setzte noch eins drauf: „Du hast dich derart verkalkuliert, dass du selbst den Treffer einstecken musstest. Denn da der Effekt deines Boxers nie zum Tragen kam, ging der Kampf ganz normal weiter.“   [Anya: 1300LP → 100LP / Zachariah: 1200LP]   Anya wurde ganz schwindlig. Nur verschwommen nahm sie ihren Bruder war, spürte ihren taub gewordenen Körper nicht mehr. Diese verdammte Klinge! Und doch! „Tch, Trottel“, raunte sie nicht weniger selbstbewusst als ihr Bruder, „dein ach so tolles Schwert hat mir diesmal den Hintern gerettet. Wie war das doch mit Kampfschaden gleich der eigenen Lebenspunkte? Pech für dich, du hast 100 zu wenig!“ Das Gefühl kehrte wieder. In Form von Schmerzen, die das Mädchen in allen Gliedern, jedem Muskel, jeder Faser zu peinigen begannen. Doch sie biss die Zähne zusammen. „Du … kriegst mich … nicht klein!“ Zachariah zog eine Augenbraue an. „Was auch-“ „Los!“, schrie sie da schon mit letzter Kraft. „Pearl, werd' endlich zum Königsmörder! Angriff auf [Sacred Noble Knight Of King Artorigus] mit Blessed Spheres of Purity!“ Sie stürzte vorne über, aber nicht, ohne dabei die Hand auszustrecken. Im Fall sah sie, wie ihr weißer Edelsteinritter die seine ausschwang und die sieben Perlen um ihn herum auf seinen Feind hetzte. Wie ein Bombenhagel gingen sie auf Artus nieder. Das Mädchen landete schmerzhaft auf dem Bauch, den Kopf dennoch nach oben gerichtet, wollte sie jede Sekunde -davon- miterleben. „Geh endlich sterben- Ah!“ Sie weitete die Augen. Das konnte nicht sein! Die Perlen schlugen zwar um den Ritter ein und lösten Explosionen auf, aber wann immer eine ihn direkt ansteuerte, wehrte er sie mit dem Schild aus Licht an seinem Arm ab. „Die [Noble Arms Of Destiny]“, sprach Zachariah Anyas Gedanken aus, „die hast du in deinem Eifer wohl ganz vergessen, oder?“ Sie verhinderte einmal pro Zug die Zerstörung ihres Trägers. Anya ließ den Kopf erschöpft sinken.   ~-~-~   „Guter Junge“, nuschelte Exa Kakyo ins Ohr, während er ihn tiefer in die dunkle Seitengasse schleifte. Seine Hand lag auf dem Mund des jungen Mannes, denn auch wenn niemand sie sehen würde, so war es dennoch möglich sie zu hören. Zanthe bildete die Nachhut und achtete darauf, dass niemand hier einbog und Kakyo bemerkte. „Ein Mucks und du bist Geschichte“, sagte Exa und schleuderte seine Geisel schließlich gegen die Außenwand der Kneipe, neben einen Müllcontainer. Kraftlos sank Kakyo an jener auf den Hosenboden herab. „Ich hab's kapiert …“ Angst schwang in seiner Stimme mit. Zanthe bemerkte, wie er mit seinem Blick nach Exa suchte, welcher sich nun außerhalb der Sichtweite des Zaubers befand und daher unsichtbar war. „Keine Sorge, wir sind noch hier“, sagte der Werwolf daher drohend. „Was wollt ihr von mir!? Ich habe nicht viel Geld und wenn ich ehrlich bin, habe ich auch nicht vor, es euch zu geben.“ Ohne mit der Wimper zu zuckten stampfte Exa mit dem Fuß auf die Brust des Brünetten, der schmerzerfüllt aufkeuchte. „Lass uns den ganzen 'Wer seid ihr!?'-Kram überspringen und gleich zur Sache kommen, okay? Die eigentliche Frage lautet nämlich, wer du bist.“ „Kakyo Sangon.“ Zanthe trat neben seinen größeren Freund. „So viel wissen wir längst. Welche Verbindung hast du zu einem Mann namens Kyon?“ Erschrocken horchte Kakyo auf, sodass Exa ihn sofort wieder gegen die Wand presste. „Antworte einfach.“ „Ich kenne keinen Kyon“, murmelte der Verhörte und senkte den Kopf. „Deine Lippen sagen nein, dein Fleisch sagt ja“, erwiderte Zanthe daraufhin ärgerlich, „du riechst förmlich danach. Nach Angst.“ „Und wenn schon … Werde ich jetzt verprügelt?“ „Ja.“   Selbst bei Zanthe stellten sich die Nackenhaare auf, wie sein Freund dies mit einer absoluten Eiseskälte bestätigte. Mehr noch, er setzte eins drauf: „Ich denke, ich bin recht gut darin, Leuten ihre Geheimnisse zu entlocken. Also überleg' dir deinen nächsten Schritt ganz genau.“ „Willst du ihn etwa foltern!?“, stieß Zanthe erschrocken hervor und packte Exa an der Schulter. Der nickte. „Wenn's nötig ist.“ „Das kannst du nicht!“ Exa bedachte Zanthe hinter dem gezackten Schmetterlingssymbol mit einem eisigen Blick. „Möchtest du Gewissheit haben? Denkst du, sie wird zu dir kommen, wenn du nett 'bitte' sagst? So läuft das in dieser Welt nun mal nicht.“ Mit zitternder Stimme mischte sich Kakyo ein: „Tut, was ihr nicht lassen könnt.“ „Wenn du schon so tapfer dein Schicksal herausforderst, hast du eindeutig etwas zu verbergen“, sagte Exa. Er hob das Bein auf Kakyos Brust an, sodass die Spitze seines Stiefels unter dessen Kinn fasste und dieses nach oben drückte. „Ist es das wirklich wert?“ Entgegen seiner spürbaren Angst, sah der junge Mann ihm mit einem kämpferischen Blick entgegen. „Nein, aber ich habe etwas versprochen. Und ich breche keine Versprechen!“ „Hast du Kyon etwas versprochen!?“, fragte Zanthe aufgeregt und stieß Exa dabei zur Seite, sodass dessen Fuß unter Kakyos Kinn wegrutschte. „Bitte sag es mir! Wir tun dir nichts, versprochen!“ Neben ihm fasste sich der Größere seufzend an die Stirn. „Ich glaub's nicht. Kumpel…“ „Ist das hier so ein 'Guter Cop, böser Cop'-Spiel!?“, schnappte Kakyo und richtete sich an der Wand entlang tastend auf. „Ganz egal was ihr sagt oder womit ihr mir droht, dieses Versprechen ist wichtiger als mein Leben!“ „Warum halten wir uns dann überhaupt noch an dir auf?“, fragte Exa plötzlich mit diesem unterkühlten Tonfall. Zanthe verstand sofort, worauf er anspielte. Außerdem sah er es auch, als in der Hand seines Freundes weißes Licht zu strahlen begann und der anschließend seine seltsame Waffe auf Kakyo richtete.   Ebenso verstand Kakyo, der, als er wieder auf beiden wackligen Beinen stand, seinen Arm ausschwang. „Ganz einfach. Weil ich es verlange. Einer von euch duelliert sich mit mir, jetzt, hier!“ „Keine Chance, Kumpel!“ Zanthe runzelte die Stirn. „Und was soll dir das bringen?“ „Gewinne ich, lasst ihr mich gehen. Gewinnt ihr, könnt ihr mit mir machen was ihr wollt!“ Exa stieß einen derben Lacher aus. „Du bist ja einer! Wir spielen Karten um dein Leben? Was ist das für ein Unsinn!?“ Plötzlich streckte Zanthe den Arm zur Seite aus, um Exa zurückzuhalten. „Nur, wenn du im Falle deiner Niederlage sprichst wie eine Friseurin während der Arbeitszeit.“ „Und du willst auch noch einwilligen!?“, empörte sich der Blonde fassungslos. Sein Freund warf ihm aus den Augenwinkeln einen scharfen Blick zu. „Solange es uns weiterbringt, ist mir das nur recht.“ „Dann lass mich ran.“   Überrascht wirbelte Zanthe um. Exa warf seine seltsame Waffe mit Schwung nach oben, wo sie sich zu einem hellblauen Blitz verformte, der wiederum steil nach unten zischte. Den Arm vor den Oberkörper haltend, ließ Exa beim anschließenden Treffer an jenem eine weiß-blaue Duel Disk erscheinen, die mit ihrer äußeren, dicken Hülle seinem Sägeschwert nicht unähnlich sah. „Oha!“ Zanthe wich vor Schreck von ihm zurück, machte dann aber beim Anblick der Duel Disk große Augen. „Du spielst Duel Monsters!? Seit wann!?“ „Seit eben.“ „Was habe ich da gerade gesehen?“, fragte Kakyo heiser. Dann jedoch wurde seine Stimme fester. „Wie auch immer, dann bist du mein Gegner!“ „Nein! Ich duelliere mich!“, widersprach Zanthe zornig. Exa erwiderte kühl: „Wenn das hier -so- laufen soll, dann nur, wenn du mir das überlässt. Oder vertraust du mir nicht?“ Darauf wusste der Schwarzhaarige nichts zu erwidern. Es gab mehr als genug Gründe, die dagegen sprachen. Sollte er jedoch nur einen davon äußern, würde er mit Sicherheit einen Keil zwischen ihre noch junge Freundschaft treiben. Also schwieg Zanthe notgedrungen und senkte das Haupt.   Mit schlottrigen Knien stellte sich Kakyo an einem Ende der Seitengasse auf, Exa wiederum am anderen. Nebenbei griff der nach der Illusion vor seinem Gesicht und ließ sie verschwinden, sodass sein Gegner ihn auch auf Distanz sehen konnte. Und somit auch jeder, der durch die Hintertür der anliegenden Kneipe verschwinden wollte oder hier vorbeikam. „Mach nichts Unüberlegtes“, konnte Zanthe seinem Freund nur ans Herz legen, nachdem er ihn flankierte. Ohne sich zu ihm umzudrehen, sagte Exa plötzlich: „Verstehst du nicht? Er ist ein Verbündeter deines Feindes. Ihm Gnade zu zeigen bedeutet potentiellen Verlust. Es mag grausam sein, aber diese Welt ist nun mal grausam und erbarmungslos.“ Der Werwolf schnappte bereits nach Luft, um etwas darauf zu erwidern, aber Exas autoritäre Stimme gebot ihm Einhalt. „Es gibt einen Grund, warum ich mich duellieren will.“ „Welchen!?“ „Mein Gesicht kennt er bereits, deines noch nicht. Sollte das hier in die Hose gehen …“ Mit einem Schlag verstand Zanthe plötzlich, was all das sollte. Exa wollte ihn beschützen, deshalb auch … „Aber“, sagte jener plötzlich scharf, „dazu wird es nicht kommen.“ Kakyo stand der Schweiß auf der Stirn geschrieben. Schließlich riefen beide: „Duell!“     Turn 62 – Determination Während Anya erbittert mit ihrem Bruder kämpft, stellt sich Kakyo notgedrungen Exa in einem Duell. Sofort wird klar, dass Exa zu unerfahren ist, um sich mit einem angehenden Profi wie Kakyo zu duellieren. Und dennoch löst er eine Kette von Ereignissen aus, die Zanthe in seinen Grundfesten erschüttert … Kapitel 67: Turn 62 - Determination ----------------------------------- Turn 62 – Determination     Ungefähr drei Stunden vor dem ersten Viertelfinalspiel des Legacy Cups …   Anyas, Zanthes und Matts Hotelzimmer war verlassen. Während Letzterer bereits am gestrigen Tage seine Reise angetreten hatte, um mehr über den nächsten Hüter in Erfahrung zu bringen, befanden sich die anderen auf dem Weg zum Frühstücksbuffet. Mittlerweile hatte das ein wenig trist erscheinende Zimmer mit den drei nebeneinander stehenden Betten eine gewisse Note von Anya angenommen, was nicht zuletzt daran lag, dass deren Klamotten überall verteilt lagen. Eine ihrer durchlöcherten Jeans lag mitten auf dem runden Tisch in der Ecke, ein gefühltes Dutzend schwarzer T-Shirts dekorierte wahlweise den Boden, Anyas Bett und sogar die Klinke zum Badezimmer.   Könnte ihre Kleidung sprechen, würde sie einen konzentrierten, spitzen Schrei der Warnung ausstoßen. Aber es waren eben nur T-Shirts und Jeans, die nie verraten würden, dass sich mitten im Hotelzimmer ein schwarzes, ovales Portal öffnete. Seine reflektierende Oberfläche spiegelte die Unordnung wieder, bis zwei Personen daraus hervor traten. Die erste war gehüllt in eine schwarze Kutte und verbarg ihr Gesicht hinter einer weißen Porzellanmaske. Bei der anderen hingegen handelte es sich um niemand Geringeren als Anyas Bruder Zachariah. Nachdem beide das Portal verlassen hatten, schloss sich jenes und Zach sah sich neugierig und mit leicht angewidertem Gesichtsausdruck um. Seine wesentlich kleinere Begleiterin Kali fragte mit gedämpfter Stimme: „Hier sind wir. Mach was du willst, aber beeile dich.“ „Nicht so kratzbürstig“, murmelte Anyas älterer Bruder im blauen, karierten Hemd unter schwarzem Sakko und fixierte seinen Blick auf deren Nachttisch. „Da ist es.“ Besser gesagt galt dem D-Pad, welches dort lag, sein Augenmerk. Gemütlich schlenderte er herüber zum letzten Bett der Reihe, welches sich am weitesten von der Tür entfernt befand, und nahm den Apparat in seine Hand. Kali derweil war an das Panoramafenster herangetreten. „Verrätst du mir, was du vorhast?“ „Gib' mir ein paar Minuten“, erwiderte er und nahm das Gerät mit sich zum kreisrunden Tisch neben dem Fenster, wo er zuerst Anyas Jeans vom Stuhl nahm und wegwarf, ehe er sich setzte. Er zog aus der Brusttasche seines Hemds einen Schraubenzieher heraus und löste nach und nach eine Abdeckung unterhalb des roten D-Pads, bis er dessen Inneres vor sich offenbarte. „Ich will nur kurz dieses kleine Baby hier verstecken“, sagte er und holte noch etwas aus der Tasche. Es handelte sich um ein rechteckiges, schwarzes Stück Plastik, nur unwesentlich größer als eine Batterie. „Das dauert einen Moment.“ Während er ein paar Drähte innerhalb des D-Pads löste und mit seinem Mitbringsel verband, warf Kali ihm aus ihrer starren Maske einen Seitenblick zu. „Das ist eine Bombe.“ „Was dagegen?“, fragte Zachariah abwesend, ohne dabei aufzusehen. „Ich weiß nicht …“ „Mach dir nicht ins Hemd. Das ist nur Plan C, falls die anderen beiden scheitern.“ Kali gab ein nachdenkliches Geräusch von sich. „Unser Ziel ist es lediglich, ihre Teilnahme am Legacy Cup zu beenden. Wir müssen verhindern, dass sie an Claire Rosenburg herankommt. Möglichst ohne Blutvergießen.“ Nun sah Zach doch auf, mit ernstem Gesichtsausdruck. „Denkst du, mir fällt das leicht? Aber hast du jemals darüber nachgedacht, dass selbst wenn wir sie von Claire fernhalten, ihr Blut dennoch an unseren Händen kleben wird?“ „Ich denke jeden Tag daran.“ Die Maskierte legte ihre Hand gegen das Fenster. Genau vor ihr flimmerte die Werbung der amtierenden Duel Monsters-Weltmeisterin über den Bildschirm des Wolkenkratzers, welcher gegenüber dem Hotel stand. „Aber sie soll nicht unwissend sterben. Das ist alles.“ „Ist es das wirklich?“, fragte Anyas Bruder skeptisch. Dann schnalzte er mit der Zunge. „Aber es ist in Ordnung. Dass du zweifelst, meine ich. Sieh es doch mal so: Wir verbinden deinen Rachefeldzug gleichzeitig mit einer guten Tat.“ Kali stieß sich vom Fenster ab und wandte sich Zachariah zu, der gerade damit beschäftigt war, das Gehäuse wieder zuzuschrauben. „Wie soll Plan C überhaupt funktionieren?“ „Hiermit“, antwortete er und zückte eine Karte aus seiner Brusttasche. Es war eine Falle namens [Avalon]. „Sie ist der Zünder, den ich jederzeit bei Bedarf ziehen kann. Wenn ich [Avalon] aktiviere macht es 'Boom'!“ Als Kali jedoch nichts erwiderte und nur die Karte anstarrte, verzog der Blonde eine säuerliche Miene. „Jetzt bleib mal locker. So weit wird es gar nicht kommen.“ „Unterschätze sie nicht, nur weil du sie zu kennen glaubst“, mahnte Kali ihn streng. „Ich weiß, sie hat Levrier. Aber auch um den werde ich mich kümmern.“   Nachdem die Duel Disk wieder in ihren vermeintlichen Ausgangszustand zurückgebracht war, erhob sich Zach und schritt auf Anyas Nachttisch zu. „Keine Sorge. Die Bombe brauchen wir nicht, denn ich werde sie so oder so vom Platz fegen.“ Den Apparat wieder zurücklegend, zwinkerte er seiner Partnerin verschwörerisch zu. „Vertrau mir, du bekommst deine Rache. Oder willst du plötzlich nicht mehr?“ „Es gibt nichts, was ich mehr will, als sie zu vernichten“, verkündete Kali düster, „aber auf meine Weise. Überleg' dir gut, ob du Plan C durchziehen willst.“ Nicht weniger ernst erwiderte er: „Vergiss nicht, dass ich auch ein Wörtchen in der Sache mitzureden habe.“ „Du hättest schon einmal beinahe alles durch dein überstürztes Handeln verdorben“, warnte sie ihn nichtsdestotrotz und streckte den Arm aus. Ein schwarzes Portal öffnete sich neben ihr. „Du solltest sie nur ablenken, aber stattdessen wärst du ihr beinahe ans Leder gegangen.“ Der Blonde schlürfte lässig auf sie zu und winkte dabei ab. „Aber, aber, wer ist denn da nachtragend? Ist doch alles bestens.“ „Und so soll es auch bleiben. Bis ich anders entscheide.“ Daraufhin zwinkerte ihr Zachariah nur zu, ehe er das Portal betrat. Kali warf einen letzten Blick zurück in das unaufgeräumte Hotelzimmer, ehe sie ebenfalls in die Dunkelheit eintauchte und verschwand.   ~-~-~   Erstauntes Raunen ging durch die Ränge der Zuschauertribünen. Einige sprangen von ihren Sitzen auf, um besser das Mädchen sehen zu können, das vorne über auf dem Boden lag. Mit einem Schlag wurde es ganz still in der kreisrunden Arena. Anya sah mit zornesrotem Gesicht auf. „Du-!“ Direkt vor ihr verharrte [Gem-Knight Pearl], der weiße Ritter, um den sieben kohlkopfgroße Perlen schwebten. Neben ihm zur Rechten der geflügelte Smaragdkrieger [Daigusto Emeral], zur Linken dagegen der kleine, rothaarige Boxer mit der Gasmaske auf, [Battlin' Boxer Rabbit Puncher].   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4} OLU: 0] Daigusto Emeral [ATK/1800 DEF/800 {4} OLU: 0] Battlin' Boxer Rabbit Puncher [ATK/800 DEF/1000 (3)]   Es erschien Anya, als gäbe es keine Faser ihres Körpers, die nicht schmerzte. Durch den gescheiterten Angriff Rabbit Punchers auf Zachs in blau strahlender Rüstung steckenden König Artus hatte sie fast all ihre Lebenspunkte eingebüßt.   Sacred Noble Knight Of King Artorigus [ATK/2700 DEF/2200 {5} OLU: 0]   Dazu war sie noch von [Noble Arms – Excaliburn II] getroffen worden, dem riesigen, goldenen Schwert in des Königs rechter Hand, durch welches rote und blaue Energielinien über Kreuz verliefen. Auch wenn der fixe Schaden der Klinge ihr gleichzeitig den Hintern gerettet hatte, waren die dadurch verursachten, unerklärlichen Schmerzen vermutlich mehr als Kompensation genug aus der Sicht ihres Bruders.   [Anya: 100LP / Zachariah: 1200LP]   Anya biss die Zähne zusammen. Und doch! All ihre Attacken hatten versagt. Rabbit Puncher war an dieser Nervensäge von Königin, Gwenirgendwas gescheitert, Pearl dagegen an [Noble Arms Of Destiny], dem leuchtenden Schild an Artus' linken Arm. „Was ist mit ihr!?“, schrie der Kommentator Mr. C von seiner Lounge aus besorgt ins Mikrofon. „Sanitäter, schnell!“ Unter einem leisen Keuchen stützte Anya sich vom Boden ab. Alles, bloß das nicht. Wackelig auf die Beine kommend, winkte sie ab. „Schon gut, bin nur ausgerutscht. Alles okay!“ Eine schlechte Ausflucht, aber besser als gar keine. Wenn die Zuschauer erfuhren, mit was für Bandagen hier gekämpft wurden, wer wusste schon, was dann geschah und welche Konsequenzen es nach sich zog. Anya wollte sich das gar nicht ausmalen. Mit zusammengekniffenen Augen hielt sie sich den Magen. Er schmerzte besonders und Anya vermutete, dass dies nicht nur an ihrem Bruder, sondern auch ihrer eigenen Kondition lag. Jedoch bereitete ihr das weniger Sorgen als Levrier … Wie es ihm wohl ging? Hoffentlich war er okay und nur bewusstlos, oder was auch immer Immaterielle waren, wenn sie ausnahmsweise mal nicht ihre große Klappe aufreißen konnten. „Für dich ist hier Endstation“, sagte Zachariah und machte mit seiner Hand eine Bewegung, als wolle er sie an sich vorbei durchwinken, „mach jetzt bitte Platz für die nächsten Duellanten, ja?“ „Nope …“ „Pardon?“ Anya setzte schlagartig ihr durchtriebenstes Grinsen auf. „Ich sagte nein! Schon vergessen? Du bist genau da, wo ich dich die ganze Zeit haben wollte!“ „Was soll das jetzt heißen!? Jeder deiner Angriffe ist erbärmlich gescheitert!“ „Jeder? Wenn ich richtig sehe, habe ich noch ein Monster, mit dem ich angreifen kann“, erwiderte Anya altklug und beäugte dabei die Karte auf ihrem roten D-Pad, die sie von Henry erhalten hatte, „also sollten du und dein Artorigus sich schon mal frisch machen! Volle Fahrt voraus, [Daigusto Emeral]! Emerald Storm!“ Ihr Ritter des Emeralds mit den blassgrünen Flügeln der Gusto stieg in die Luft auf. Dabei streckte er seine Arme nach vorne und schoss die beiden kreissägenhaften Schilde an ihnen in breitem Bogen auf den brünetten König Artus ab. „Du bist doch vollkommen durchgeknallt!“, schimpfte Zach auf einmal gar nicht mehr ruhig und unbesorgt. „Genau! Deswegen funktioniert diese Karte auch so gut mit mir!“ Anya drehte mit süffisantem Grinsen einen Schnellzauber zwischen ihren Fingern um. „Kennst du die schon? [Ego Boost]! Sieh hin, was passiert. Und sieh gut hin!“ Während sie die Karte noch in ihren Apparat einlegte, schwoll die Brust Emerals vor Stolz geradezu an. Aus beiden Richtungen flogen die sich rapide drehenden Waffen auf Artus zu.   Daigusto Emeral [ATK/1800 → 2800 DEF/800 {4} OLU: 0]   Und trafen ihn mitten in die Brust. Mit weit offen stehenden Augen beobachtete Zachariah, wie sein Monster in einer gewaltigen Explosion niederging. „Booyah!“, jubelte Anya inmitten eines aufgeregten Publikums. „Endlich ist die Ära der Tafelrunde zu Ende, Mistkerl! Also auch keine Schwerter mehr!“ Der Rauch lichtete sich und alles, was ihrem Bruder noch geblieben war, war seine verdeckte Karte. Mit offenem Mund stand er da, brachte keinen Ton heraus. „Schade, dass der [Ego Boost] nur einen Zug anhält, aber das reicht schon“, sinnierte Anya und nahm ihre letzte Handkarte, welche sie ebenfalls in das D-Pad schob, „Zug beendet.“ Sogleich nahm ihr Krieger wieder eine normale Körperhaltung an. Die Falle materialisierte sich vor Anya, die sich wieder den Bauch zu halten begann. „Ugh!“   Daigusto Emeral [ATK/2800 → 1800 DEF/800 {4} OLU: 0]   „Du bist“, murmelte Zach und sein Gesicht wurde plötzlich zu einer zornigen Fratze, „die größte Plage, die man sich überhaupt vorstellen kann. Lerne endlich, wo du hingehörst! Auf die Knie! Draw!“ Mit von ihm ungewohnten Elan zog er eine Karte. „Du hast eins nicht beachtet, wertes 'Schwesterherz'! Ich brauche dich nur noch anzuhauchen, damit du-!“ Plötzlich stiegen von seiner Duel Disk gleißende Blitze grünlicher Färbung auf, die um sich schlugen und den Blonden taxierten. Der schrie schmerzerfüllt auf.   [Anya: 100LP / Zachariah: 1200LP → 200LP]   Anya begriff die Welt nicht mehr. Sie hatte nichts gemacht!   Werd' das Schwert los, mit dem er mich besiegt hat. Dadurch kannst du es drehen.   Sich an Kakyos Worte erinnernd, benutzte sie erstmals den Bildschirm ihres D-Pads oberhalb der Kartenzonen und durchforstete Zachariahs Friedhof. An den Tipp des jungen Mannes hatte sie gar nicht mehr gedacht! Und tatsächlich: Dieser Stromschlag eben war [Noble Arms – Excaliburn II] zuzuschreiben, das sich jede Runde dafür rächte, auf dem Friedhof zu liegen! Das Mädchen blickte auf. Dampfend stand ihr Bruder dort drüben, in gebeugter Haltung, doch er sah zu ihr herüber. „Nochmal überstehst du das nicht!“, rief Anya ihm zu. „Danke für die Warnung, aber sie ist unnötig“, erwiderte er leise, „denn dazu kommt es nicht mehr. Ich beschwöre ein Monster! [Noble Knight Peredur]!“ Im selben Moment, in dem er dessen Karte auf die mittlere Monsterkartenzone legte, tauchte vor ihm ein wunderschöner Rappe auf, dessen glänzendes Fell nur von der blonden Haarpracht seines Reiters übertrumpft wurde. Der edle Ritter Percival führte sein Pferd erhobenen Hauptes einmal auf der Stelle im Kreis und bezog vor seinem Herrn Stellung.   Noble Knight Peredur [ATK/1900 DEF/300 (4)]   Zach streckte den Arm aus. „Und ich rüste ihn mit [Gwenhwyfar, Queen Of Noble Arms] vom Friedhof aus, was ihn sowohl stärker macht, als auch durch seinen eigenen Effekt eine Stufe steigen lässt!“ Missmutig beobachtete Anya, wie sich die brünette, kindliche Königin auf dem Sattel des Rappen an dessen Reiter schmiegte und verschwand.   Noble Knight Peredur [ATK/1900 → 2200 DEF/300 (4 → 5)]   „Willst wohl ganz sicher gehen, huh?“, fragte Anya grimmig. Die dämliche Pute konnte sich selbst opfern, um Lichtritter wie Percival vor dem Tod durch Karteneffekte zu bewahren. Zach starrte seine Schwester unentwegt finster an. „Ist auch in deinem Interesse, glaub mir.“ Damit streckte er die Hand nach vorne aus. Geradezu flehend murmelte er vor sich hin: „Bitte … es muss irgendwann Schluss sein!“ Um dann lautstark fortzufahren. „Angriff auf [Battlin' Boxer Rabbit Puncher]! Lösche ihre restlichen Lebenspunkte aus, [Noble Knight Peredur]!“ Der Ritter nickte und straffte die Zügel. Sein Rappe setzte sich in Bewegung, sodass der Blonde mit einer Hand losließ, um sein Schwert zu ziehen. Im wilden Galopp näherte er sich dem kleinwüchsigen Boxer. „Du-kapierst-es-nicht!“ Anya schwang den Arm über ihrer gesetzten Karte aus. „Du bist längst in meiner Falle! Und hier kommst du nicht mehr raus! [Soul Strike]!“ Die Karte sprang auf und plötzlich begann ihr Boxer in flammend-roter Aura aufzuleuchten. Zach zuckte zusammen. „Denkst du, ich habe nicht mit so etwas gerechnet, Blödmann?“, raunte Anya. „Alles, was ich habe, geht in diesen letzten Gegenangriff! So auch die Hälfte meiner Lebenspunkte!“ Ebenso wie um ihr Monster entstand auch um Anya besagte Aura, die wie ein Herzschlag regelmäßig pulsierte.   [Anya: 100LP → 50LP / Zachariah: 200LP]   „Diese Falle macht [Battlin' Boxer Rabbit Puncher] stärker, genau genommen um die Differenz zwischen meinen derzeitigen Lebenspunkten und 4000!“ „Das gibt’s nicht!“ Der Kommentator war völlig aus dem Häuschen, als die Angriffspunkteanzeige des schwächlich anmutenden Boxers förmlich zu explodieren schien.   Battlin' Boxer Rabbit Puncher [ATK/800 → 4750 DEF/1000 (3)]   „Wirst du denn nie damit aufhören!?“, ereiferte sich Zachariah, der den Ritt seines Kriegers nicht mehr aufhalten konnte. Er riss die Karte der edlen Königin aus seinem D-Pad. „Effekt von [Gwenhwyfar, Queen Of Noble Arms]!“ Mit einem Male leuchteten Percivals Augen rot auf. „Ich kann sie zerstören, um das Monster zu vernichten, mit dem ihr Liebster kämpft!“ Anya klappte die Kinnlade hinunter. „Aber das geht nur bei Finsternis-Rittern!?“ „Und genau das ist [Noble Knight Peredur], solange er mit einer Noble Arms-Karte ausgerüstet ist, wozu auch die Königin selbst zählt!“ Im Licht der Scheinwerfer funkelte das Schwert, als Percival damit vor dem Boxer angekommen ausholte. Jener hob die Faust zum Gegenschlag.   Noble Knight Peredur [ATK/2200 → 1900 DEF/300 (5 → 4)]   Ein ekelhaftes Surren durchdrang die plötzliche Stille. Anya sah nur noch die Gasmaske ihres Rabbit Punchers fliegen, an der noch dessen Kopf haftete. Eine tiefe, zornige Falte bildete sich auf ihrer Stirn. „Wirklich, dass du selbst jetzt noch so etwas abziehst …“ Zachariah stand aufrecht auf der anderen Spielfeldseite. Sein Gesicht war versteinert. Und Anya wusste genau warum. „Aber selbst wenn du dich wieder gerettet hast, Schaden konntest du mir nicht zufügen. Nächste Runde wird dich dein Schwert holen. Ich habe gewonnen!“ Der Blonde neigte den Kopf nach unten. „Richtig. Es gibt nichts mehr, was ich noch tun kann, um das zu verhindern. Aber …“ So wie er sprach, so völlig emotionslos, es bereitete Anya eine Gänsehaut. Irgendetwas stimmte da nicht. „... das heißt nicht, dass ich nicht noch etwas in der Hinterhand habe. Einen letzten Trumpf …“   Gleichzeitig im spärlich beleuchteten Gang, der zum Duellfeld des Stadions führte …   Aus einem Portal mitten im Gang erscheinend, rannte Kali dem Licht des Ausgangs entgegen, welches sie von den beiden Duellanten noch trennte. Viel Zeit blieb ihr nicht mehr, denn Zachariah würde das hier durchziehen, dessen war sie sich inzwischen sicher. Sie musste ihn aufhalten und eine Katastrophe verhindern! Nur noch wenige Schritte vom Ausgang entfernt, ertönte hinter ihr eine tiefe, weibliche Stimme, welche der Maskierten sofort Einhalt gebot. „Du solltest dich nicht einmischen.“ Kali stöhnte ärgerlich. „Gardenia …“ Sich umdrehend, konnte Kali gerade so im dunklen Gang die Silhouette einer Person sehen, die einen braunen Umhang trug. Die Halogenleuchte über ihr war defekt, die Frau daher in Schatten gehüllt. „Wenn er -diese- Karte aktiviert, wird er sie umbringen!“ „So lautet der Plan.“ „Nein!“, widersprach Kali zornig. „Der Plan lautet, sie aus dem Turnier zu schmeißen! Damit sie nicht an Claire herankommt!“ Tadelnd bekam sie als Antwort: „Deine Naivität steht dir einmal mehr im Weg. Der Sammler wird einen anderen Weg finden, Anya zu ihrem Ziel zu führen. Zachariah weiß das.“ „Und riskiert dafür für immer hinter Gitter zu kommen!“ Kali wirbelte herum. „Das werde ich nicht zulassen!“ „Also willst du dein größtes Begehren hinten anstellen?“ Die Frage war so provokativ gestellt, dass Kali schnaubte. Gardenia fügte hinzu: „Gehst du jetzt durch dieses Tor, wird es sich womöglich für immer hinter dir schließen.“ Die Maskierte sah dem Licht entgegen. „Das nehme ich in Kauf. Wenn dir das nicht passt, sorg' dafür, dass er ihr nicht mehr schaden kann. Ich werde mich um sie kümmern, aber zu -meinen- Bedingungen!“ Jene, die Gardenia genannt wurde, hielt jedoch in derselben Schärfe wie schon zuvor dagegen und erwiderte: „Du bist unsicher. Hin und her gerissen zwischen deinem Gelüst nach Rache und deinem Gewissen. Zwei mögliche Wege. Wisse, dass keiner davon weder als gut, noch als böse bezeichnet werden kann.“ Kali schwieg währenddessen und hörte aufmerksam zu. „Genauso wenig, wie Lebewesen in gut oder böse eingeteilt werden können. Es gibt nur verschiedene Betrachtungswinkel. Stellst du dich Zachariah in den Weg, würde es zweifelsohne jene geben, die dich dafür bewundern.“ Draußen waren lautstarke, aufgewühlte Reaktionen vom Publikum zu vernehmen. „Andere hingegen werden dich für deine Entscheidung anklagen. Es gibt kein Richtig oder Falsch, egal wie du dich entscheidest. Aber du weißt ebenso, was getan werden muss. Nicht wahr, Dämonengöttin Kali?“ Jene gab nur trotzig wieder, als sie einen Schritt Richtung Ausgang trat: „Ich weiß, dass das nicht das ist, was ich mir vorgestellt habe!“ „Ich habe dich nicht gelehrt, derart töricht zu handeln.“ Plötzlich ertönte noch eine Stimme, quietschig, von Gardenias Schulter. Auf welcher eine etwa kopfgroße Gestalt mit leuchtend violetten Augen saß. „Keine Sorge, Oma-dono, ich passe schon auf sie auf!“ Gardenia seufzte schwer. „Also gut. Ich hoffe, dass es nichts an deiner Entscheidung zu bereuen geben wird, Kali.“ „Darauf kannst du Gift nehmen!“, hielt jene an ihrer Vorstellung fest. „Niemand hat das Recht, ihr das Leben zu nehmen. Niemand außer mir!“   „Meine letzte Karte: [Avalon]!“ Eine eisige Kälte durchfuhr Kali, als sie die Stimme Zachariahs aus der Arena vernahm. „Ich verbanne fünf Monster von meinem Friedhof, darunter mindestens eine Form von König Artus und Lancelot“, erklärte er den Effekt, „um im Gegenzug das gesamte Spielfeld zu vernichten. Um -dich- zu vernichten!“ Orion, seines Zeichens ein Schattengeist, hielt sich die Stummelärmchen über den Kopf und kauerte sich zusammen. „Oh oh …“ Wutentbrannt wirbelte Kali herum. „Gardenia!“ „Es war sein Wunsch. Für den sehr wahrscheinlichen Fall, dass du dich einzumischen versuchst, bat er mich darum, Zeit für ihn zu schinden.“ Die im Schatten stehende Gardenia drehte sich mit Orion auf der Schulter um. „Nichtsdestotrotz waren meine Worte aufrichtig gemeint, Kali. Es gibt kein Richtig oder Falsch.“ Ein ohrenbetäubender Knall drang von der Arena zu ihnen.   ~-~-~   „Duell!“, riefen Exa und Kakyo unison.   [Exa: 4000LP / Kakyo: 4000LP]   Etwas am Rand des engen Duellfelds stand Zanthe und verschränkte angespannt die Arme. Um sein Gesicht flackerte ein blaues, zackiges Symbol, einem Schmetterling nicht unähnlich. Durch Exas Zauber konnte Kakyo ihn nicht sehen, solange er nicht unmittelbar vor ihm stand. Ohne diesen hätten sie Kakyo nicht unbemerkt in die Seitengasse neben einer Kneipe zerren können. „Mach nichts Dummes“, flüsterte Zanthe noch einmal seine Worte von zuvor. Er begriff jetzt, dass Exa es nicht wirklich darauf anlegte, Kakyo zu töten. Alles bis hierher hatte nur der Einschüchterung gedient, um seine Zunge zu lockern. Wenn der brünette, unscheinbare Bursche das Duell gegen Exa verlor, würde dies auch geschehen.   Beide zogen schließlich ihr Startblatt. Und es war der langgewachsene Exa, der schließlich mit autoritärem Tonfall entschied: „Ich fange an. Und beende den Zug.“ Der Kopftuchträger blinzelte verdutzt. „Wie … wie bitte?“ „Im ersten Zug kann man doch eh nichts machen“, rechtfertigte sich der Blonde mit dem Rasterzopf und drehte sich zu seinem Freund um. „Hast du mir doch gestern selbst beigebracht.“   „Draw!“, schrie Kakyo aufgewühlt, während Zanthe sich die Hand gegen die Stirn schlug. „Du hast nicht zugehört“, fauchte der Werwolf im Anschluss wütend, „man kann nicht im ersten Zug angreifen und eine Karte ziehen, mehr nicht.“ Exa legte eine Hand auf den Kopfhörer um seinen Hals und tippte abgelenkt gegen das Gehäuse. „Ich dachte das gilt für-!“ „Ich aktiviere [Spell Economics]“, übertönte Kakyo seinen Gegner lautstark. Vor ihm klappte die permanente Zauberkarte auf, aus der ein alter Lederwälzer samt Schreibfeder erschien. „Solange ich sie besitze, werden sämtliche Lebenspunkte bedingten Aktivierungskosten von Zauberkarten unwirksam. Wie zum Beispiel bei [Instant Fusion]!“ Der junge Mann legte sogleich noch eine Karte in sein D-Pad ein: Das Buch vor ihm klappte von selbst auf, die Feder neben ihr setzte am oberen Rand der linken Seite zum Schreiben an. „Normalerweise müsste ich 1000 Lebenspunkte bezahlen, um [Instant Fusion] benutzen zu dürfen.“ Eine Klappe an seinem D-Pad seitlich der Monsterkartenzonen sprang auf. Sie verbarg ein Fach voller Karten, von dem sich Kakyo die oberste nahm und vorzeigte. „Jetzt aber sind die Kosten gleich 0. Von daher beschwöre ich jetzt ein Fusionsmonster mit maximal Stufe 5 von meinem Extradeck: [Flame Swordsman]!“ Exa drehte sich erschrocken wieder zu seinem Gegner um. Vor dem stand bereits besagtes Monster: Ein Krieger in blauer Robe, um dessen Hüfte sich ein roter Umhang breit machte. Von gleicher Farbe waren auch sein breiter Hut und die Klinge, die er mit sich führte.   Flame Swordsman [ATK/1800 DEF/1600 (5)]   „Da ich nicht mit ihm angreifen kann, opfere ich ihn für ein stärkeres Monster!“ Kakyo nahm seine Karte sofort wieder vom D-Pad und tauschte sie mit einer anderen von seinem Blatt aus. Der Flammenschwertkämpfer löste sich in einer weißen Lichtsäule auf, wobei sein Besitzer rief: „Zeig ihm, was du drauf hast, [Dark Magician Girl]!“ Dem Licht entstieg eine wunderschöne, blonde Magierin in blauer Robe, die sich ihren spitz zulaufenden Hut hielt und dabei zwinkerte. In der anderen Hand schwang sie ihren Zauberstab.   Dark Magician Girl [ATK/2000 DEF/1700 (6)]   „Black Burning!“, befahl Kakyo und deute mit aneinander gelegtem Zeige- und Mittelfinger auf seinen Gegner. Sofort streckte seine Magierin den Arm mit dem Zauberstab in der Hand nach vorne und schoss daraus eine violette Energiekugel, die mitten in Exas Brust einschlug und explodierte. „Halt-!“, schrie der, wurde aber von dem Knall übertönt.   [Exa: 4000LP → 2000LP / Kakyo: 4000LP]   Zanthe schüttelte fassungslos den Kopf. „Hast du es jetzt kapiert!? Wenn du dir nicht mal die Grundregeln merken kannst, dann lass mich lieber ran!“ Wieso hatte er bloß zugelassen, dass sich Exa mit einem angehenden Profi wie Kakyo duellierte!? Zweifelsohne war sein Freund ein kluger Mensch, aber er hatte ihm die Regel nur kurz in einer Bar erläutert! In einer Bar, die sehr viel Alkohol an den Blonden ausgeschenkt hatte! „Geht schon“, sagte Exa wieder ernster, mit Blick auf Kakyo, „war nur die Aufwärmrunde.“ „Dasselbe gilt auch für mich“, erwiderte jener entschlossen und schob eine Karte unter die Monsterzone seines [Dark Magician Girls]. „Ich spiele eine Karte verdeckt aus und gebe an dich ab.“ Nachdem die Karte vor seinen Füßen vergrößert erschien, hielt er nun lediglich zwei Karten auf der Hand. Bei Exa waren es dagegen, kaum hatte er wortlos aufgezogen, immerhin sechs. Der drehte sich schließlich mit sichtbar ratlosem Gesichtsausdruck Zanthe zu. „Und jetzt?“ „Du musst ein Monster beschwören, das stärker ist als seines“, riet der ihm genervt. „Ich hab keins!“ „Dann zerstöre [Dark Magician Girl] durch einen Karteneffekt.“ Sich daraufhin seinem Blatt widmend, zuckte der Blonde mit den Schultern. „Da ist nichts. Ah! Aber ich hab doch ein Monster, das stärker ist!“ Zanthe legte seine Hand an die Stirn und schüttelte den Kopf. „Worauf wartest du dann?“ „Alles klar“, rief sein Freund mit wiederkehrender Ernsthaftigkeit, „ich beschwöre ein Monster. [Satellarknight Rigel]!“ Es war, als würde ein Blitz Zanthes ganzen Körper durchfahren. Der Klang dieses Namens ließ ihn augenblicklich erstarren. Über Exas Spielfeldseite begann eine helle, weiße Sphäre zu strahlen, die ihr Licht in Form einer Säule hinab sandte. Dort, wo der Kegel den Boden traf, stieg eine edle, humanoide Gestalt aus dem Nichts empor.   Satellarknight Rigel [ATK/1900 DEF/700 (4)]   Es war ein Ritter mit blonder, wallender Mähne, welcher in einer weiß-goldenen Rüstung steckte. In einer Hand hielt er seinen Umhang fest, den er scheinbar nicht tragen wollte, wohingegen er mit den Fingern der anderen einen weißen Schlagstock führte. Zudem drehte sich ein Ring aus Gold auf Hüfthöhe um ihn, an welchem der strahlende Stern in Miniaturversion hing. „Das … kann nicht sein …“, stammelte Zanthe fassungslos und ließ die Hand von seiner Stirn sinken. Als der Sternenritter vollkommen aufgetaucht war, schwanden die Sphäre und das Licht über ihm. „Dieses Monster hat auch einen Effekt“, erklärte Exa ungerührt, „und der macht ein Satellarknight-Monster stärker. Ich hab nur eins, von daher …“ Kakyo ballte seine leere Hand zu einer Faust. „Nicht gut.“   Satellarknight Rigel [ATK/1900 → 2400 DEF/700 (4)]   Mit dem Finger auf die blonde Hexerin deutend, befahl Exa seinem nun in gelber Aura leuchtendem Monster: „Greif an!“ Augenblicklich holte Rigel mit seiner Waffe aus und richtete sie auf das [Dark Magician Girls]. Schlagartig wurde der Stab immer länger und schoss auf die Magierin zu. Jene wich erschrocken zurück und sah hilfesuchend zu ihrem Herrn. „Nichts da! So leicht kriegst du sie nicht“, verteidigte jener sein Monster umgehend und schwang den Arm aus. Seine Falle klappte auf. „[Black Illusion]!“ Die Magierin nickte und verschwand plötzlich. So verfehlte sie der Angriff und traf stattdessen Kakyo an der Wange, welcher von der Wucht glatt auf die Knie gezwungen wurde. „Ahhh!“, stieß er dabei schockiert hervor und hielt sich den Schnitt an der Wange, um welchen sich ein roter Film sowie leichter Dampf bildete.   [Exa: 2000LP / Kakyo: 4000LP → 3600LP]   Kurz darauf tauchte das Magiermädchen wieder vor ihm auf und fasste ihm mit mitleidigem Blick auf die Schulter. Kakyo nuschelte etwas und erhob sich wieder. Gleichzeitig stand Zanthe der Mund weit offen. Nicht nur spielte Exa -diese- Monster, nein, er fügte seinem Gegner realen Schaden zu. Wer … wer war er!? „Ist nur ein Kratzer“, murrte der Brünette unter dem strengen Blick seines Gegners, „solange ich [Dark Magician Girl] beschützen konnte, war es den Schmerz wert. [Black Illusion] behütet sie einen Zug lang davor, im Kampf zerstört oder von Karteneffekten beeinflusst zu werden!“ „Aber er bewahrt dich nicht vor Schäden aus dem Kampf, wie es aussieht“, stellte Exa richtigerweise fest. In dem Moment stieß Zanthe einen erschrockenen Schrei aus. „Exa! Du musst sofort etwas tun, sonst stehst du am Ende des Zuges ohne Monster da!“ „Was!?“, drehte der sich mit verwirrtem Gesichtsausdruck um. „Wenn du Rigels Effekt benutzt, verlierst du das Monster, das davon betroffen war!“, erklärte der Kopftuchträger wild gestikulierend. Sein Freund machte große Augen. „Oh Mist, das wusste ich gar nicht!“ So suchte er sein Blatt nach einer hilfreichen Karte ab. „Monster … Falle, also … ah, wie wär's mit der hier? Die dürfte doch funktionieren, oder? Ich wechsele in die Main Phase 2 und aktiviere [Satellarknight Skybridge]!“ Vom Himmel herab schoss ein leuchtender, bunter Pfad in die Seitengasse, direkt vor Exas Füße. Während sein Rigel damit begann, jenem schwebend entlang zu folgen, passierte er einen anderen Ritter, der gerade auf dem Weg nach unten war. Dieser war jedoch nicht mehr als eine blau leuchtende Silhouette. „Ja, das ist gut“, meinte Zanthe nachdenklich, „aber du kannst Schnellzauberkarten wie diese auch in deiner Battle Phase von der Hand aktivieren, schon vergessen?“ Der Blonde rieb sich verlegen den Hinterkopf. „Irgendwie schon. Ist auch egal. Dank dieser Karte darf ich einen Satellarknight von meiner Spielfeldseite mit einem aus meinem Deck austauschen, wenn man es so ausdrücken möchte. Und meine Wahl fällt auf, hmm, ah! [Satellarknight Capella]!“ Als der blau leuchtende Ritter vor Exa ankam, gewann er die Form eines weiß-goldenen Ritters, der in einem Streitwagen saß und Zügel aus gleißendem, gelbem Licht führte. Mit der Besonderheit, dass es gar kein Pferd gab, welches den Wagen zog. Genau wie bei Rigel, drehte sich auch um ihn ein goldener Ring.   Satellarknight Capella [ATK/1100 DEF/2000 (4)] „Großartig!“, jubelte Exa sich selbst an Zanthe gewandt zu. „Da kommt seine Magierin nicht drüber!“ „Yeah“, kam es zögerlich zurück. „Aber ich hab auch noch eine Falle. Die sollte ich auch noch ausspielen, da ich sie sonst nicht benutzen kann“, murmelte der junge Mann nachdenklich und mit einer gewissen Vorfreude. „Also setze ich sie!“ Er führte die Karte in seiner weiß-hellblauen Duel Disk ein, sodass sie zischend vor seinen Füßen auftauchte. Zanthe schnalzte mit der Zunge. „Du solltest so etwas nicht hinausposaunen! Jetzt weiß er, dass er vorsichtig sein muss!“ „Halb so wild“, winkte Exa jedoch unbekümmert ab. Seinem Gegner hingegen zeigte er kurz darauf wie gewohnt seine eisige Seite. „Ich bin hier fertig.“   Zanthe atmete beruhigt aus. Immerhin hat der Dummkopf es geschafft, nicht gleich zu verlieren und war jetzt hoffentlich abgesichert. Dafür, dass er ihm nur das Grundprinzip kurz erklärt hatte, machte sich Exa gar nicht so schlecht. Aber mit Kakyo als Gegner? Zumindest besaß Exa ein starkes Deck. Sofort war es wieder da: Dieses beklemmende Gefühl in seiner Brust, ein Kampf zwischen Hoffnung und der Furcht vor der Gewissheit. Eine, die er erlangen musste, egal was es kostete. „Woher hast du dieses Deck?“, fragte er Exa scharf, während Kakyo stillschweigend aufzog. „Weiß nicht“, antwortete der schulterzuckend, ohne sich umzudrehen. Was dem Werwolf alles andere als gefiel. „Das glaube ich dir nicht!“ „Ich weiß es nicht, okay!?“, wirbelte Exa nun erzürnt zu ihm herum. „Vor ein paar Minuten hatte ich noch gar keins. Du wolltest mir eins besorgen, schon vergessen?“ „Aber es muss doch irgendwie in deinen Besitz geraten sein!“, blieb Zanthe beharrlich wie zunehmend verzweifelt zugleich. „Ohne Deck kann man sich nicht duellieren, aber genau das wolltest du, also-!“ Exa breitete aufgeregt die Arme aus. „Ich weiß nicht, wie -das- genau funktioniert! Nenn' es Instinkt oder was auch immer. Dieses Deck habe ich mir nicht ausgesucht, das hat- egal, das erkläre ich dir später. Zumindest falls ich bis dahin schlauer bin als du ...“ „Versprich es mir!“, forderte Zanthe. Sein Freund nickte fest. „Versprochen.“   Indes nahm Kakyo eine Zauberkarte aus seinem Blatt hervor und legte sie in das rote D-Pad ein. Das Blut, das seine Wange entlang rann, beachtete er gar nicht. Doch auch wenn er entschlossen klang, so hörte man in seinen Worten auch eine unterschwellige Furcht durchklingen. „Ich aktiviere [Dark Magic Curtain], für den ich die Hälfte meiner Lebenspunkte zahlen müsste, aber …“ Seine andere offen stehende Zauberkarte, [Spell Economics], leuchtete auf. Das magische Buch vor dem jungen Mann bekam einen weiteren Eintrag durch die schwebende Feder. „... ich muss sie nicht zahlen, wie ihr seht“, erklärte Kakyo. Unterdessen tauchte vor ihm ein dunkelblauer Vorhang auf, dessen oberes Ende von einem Skelett gehalten wurde. „Zwar kann ich den Rest des Zuges über nicht mehr beschwören, dafür wird aber sofort mein Assmonster aus dem Deck herbeigerufen!“ Mit einem Ruck riss das Skelett den Vorhang beiseite. „Erscheine! [Dark Magician]!“ Ebenjener war es auch, der schließlich hinter dem Stoff auftauchte und in abwartender Pose verharrte. Ganz in violett gekleidet, umklammerte der Magier seinen grünen Zauberstab. Das Magiermädchen neben ihm strahlte vor Freude und die beiden nickten einander zu. Dark Magician [ATK/2500 DEF/2100 (7)]   „Dein Monster hat keine Chance“, verkündete Kakyo aufgeregt und zeigte auf den Streitwagenführer Capella, „greif es an, [Dark Magician]! Black Magic!“ „Er ignoriert die Falle einfach!?“ Zanthe weitete die Augen. Erbarmungslos streckte der Hexer seinen Zauberstab nach vorne und schoss aus dessen Spitze eine violette Energiekugel ab, die durch die Seitengasse fegte und den Sternenritter zerfetzte. „Und gleich darauf greift [Dark Magician Girl] direkt an!“, befahl der Brünette mit bebender Stimme. „Black Burning!“ So tat es die blonde Magierin ihrem Meister gleich und lud an der Spitze ihres Zauberstabs eine flammend-violette Lichtkugel auf, die sie auf Exa abschoss. „Der will unbedingt gewinnen, komme was wolle!“, stellte jener erhitzt fest. „Aber nicht mit mir, ich habe die Falle nicht umsonst gesetzt! Los!“ Besagte Karte namens [Stellarnova Wave] sprang auf. Aus ihr traten ein blauer und ein roter Schwarm funkelnden Staubs in die Höhe und formten dort das Symbol eines Sechsecks, aus dem in alle Himmelsrichtungen Lichtstrahlen abgingen. „Diese Falle kann ich nutzen, um während deiner Battle Phase einen Satellarknight aus meinem Blatt zu rufen!“ Im Antlitz der violetten Energiekugel schmetterte Exa sein Monster auf die Duel Disk. „Spezialbeschwörung, [Satellarknight Alsahm]!“ Aus der Mitte des Hexagons schoss ein weiterer Lichtstrahl nach unten und schlug dort in Form eines kleinen, weiß-goldenen Ritters ein, der dank abgerundeter, Flügeln nachempfundener Triebwerke über der Luft schwebte …   Satellarknight Alsahm [ATK/1400 DEF/1800 (4)]   … und sofort im Anschluss von einer Explosion zerstört wurde. Plötzlich schoss aus dem Rauch jedoch ein goldener Strahl, der zwischen den beiden Magiern hindurch flog und Kakyo direkt in die Brust traf. Jener wurde von den Füßen geholt und durch die Luft geschleudert.   [Exa: 2000LP / Kakyo: 3600LP → 2600LP]   Unter einem schmerzerfüllten Aufschrei prallte er mit dem Rücken auf den Boden und rutschte noch ein Stück weiter an den Mülltonnen vorbei. „Geschieht dir recht“, sprach Exa unterkühlt, „du musst wissen, wenn Alsahm beschworen wird, fügt er dem Gegner 1000 Schadenspunkte zu. Hättest du mich nicht angegriffen, hätte ich ihn nicht beschwören müssen.“ Kakyo hob den Oberkörper an und sah seinem Gegner trotzig entgegen. „So funktioniert das Spiel aber. Und ich hätte ihn auch beschworen, wenn es nicht nötig gewesen wäre …“ Damit erhob er sich, indem er sich an einer der Mülltonnen hochzog. In seinem T-Shirt klaffte ein faustgroßes Loch, die Haut dahinter war sichtbar blutig und gerötet. „Wenn ich dir einen Tipp geben darf: Rede. Das wäre die einzige Chance, hier lebend herauszukommen.“ Aber Kakyo winkte das Angebot mit einem ungläubigen Lachen ab. „Nein danke. Außerdem darf ich gehen, sollte ich das hier gewinnen, oder hältst du dich etwa nicht an Abmachungen?“ „Wer weiß“, erwiderte Exa vielsagend. „Dann habe ich erst recht keinen Grund, frühzeitig das Handtuch zu werfen.“ Der junge Mann nahm seine vorletzte Handkarte und ließ sie in das D-Pad ein. „Ich spiele die hier verdeckt aus und gebe an dich ab.“ Mit einem Zischen materialisierte sie sich Stück für Stück vor Kakyo, welcher sich an die schmerzende Brust fasste. „Denk an deine Gesundheit!“, mahnte Zanthe und versuchte es mit einem etwas freundlicherem Tonfall. „Wir wollen nur wissen, wer Kyon ist und wie du mit ihm in Verbindung stehst.“ Allerdings blieb der Brünette stur und nickte zu Exa herüber. „Dazu müsste er mich schon besiegen. Aber wenn das passiert, wer weiß, ob ich dann noch lebe!“   „Das finden wir bald heraus“, prophezeite der düster und zog seine nächste Karte, womit er bei drei Stück angelangt war. „Hmm … jetzt wird es wirklich schwierig.“ Zanthe seufzte. Er schlenderte herüber zur Außenwand der Kneipe und lehnte sich an ebenjene, verschränkte dabei die Arme. Neben ihm befand sich die Hintertür. Das Symbol vor seinem Gesicht berührend, fragte er sich, wie das alles hier wohl ausgehen mochte. Hätte er doch bloß das Ruder in die Hand genommen … „Denk dran, dein Deck ist nicht die einzige Quelle von starken Monstern“, sagte er dabei in Exas Richtung. „Oh, richtig!“ Der nahm eine Karte aus seinem Blatt. „Ich brauch drei, richtig?“ „Ja. Aber woher weißt du das, ohne nachgesehen zu haben?“, hakte Zanthe skeptisch nach. „Instinkt“, erwiderte Exa ernst, „und ich weiß sogar, was ich dafür tun muss. Als ob …“ „... du dieses Deck bereits benutzt hast.“ „Ja. Nur ist das völlig unmöglich.“ Der Blonde nahm eine Karte aus seinem Blatt. „Aber vielleicht lösen wir dieses Rätsel, wenn wir den da zum Sprechen bringen.“ Zanthe schloss die Augen und nickte. „Ja …“ Das Monster auf seine Duel Disk legend, rief Exa: „Dann tun wir es! Normalbeschwörung, [Satellarknight Vega]! Und wenn sie gerufen wird, kann ich noch einen spezialbeschwören: [Satellarknight Altair]!“ Gleich im Anschluss legte er noch ein Monster von seiner Hand auf den Apparat an seinem Arm. Zwei grelle Sterne begannen über dem Feld zu leuchten und schickten ihr Licht in die Gasse hinab. Als die Kegel den Boden erreichten, stiegen dort zwei Krieger auf. Die eine trug ein weiß-rosanes Kleid und eine goldene Metallstola. Altair dagegen war ein blau-weißer Ritter mit leuchtend blauen Energieflügeln. Wie bei allen ihrer Art, drehten sich auch um ihre Hüften goldene Ringe mit einem Miniaturplaneten daran.   Satellarknight Vega [ATK/1200 DEF/1600 (4)] Satellarknight Altair [ATK/1700 DEF/1300 (4)]   Exa streckte den Arm nach unten gerichtet aus. „Und Altair besitzt auch einen Beschwörungseffekt. Er holt einen Sternenritter vom Friedhof, im Verteidigungsmodus, aufs Feld!“ Sein Monster imitierte die Pose und ließ eine goldene Lichtsäule vor sich aus dem Boden brechen, die den Bogen schießenden Krieger mit sich brachte.   Satellarknight Alsahm [ATK/1400 DEF/1800 (4)]   Jener spannte seine Waffe unverzüglich und schoss einen Pfeil ab, welchem Kakyo mit einem Hechtsprung zur Seite ausweichen konnte. Dabei stieß er gegen die Mülltonnen und musste sich an ihnen festhalten, um nicht umzukippen. Nicht weit hinter ihm knallte es.   [Exa: 2000LP / Kakyo: 2600LP → 1600LP]   „Nochmal passiert mir das nicht!“ Kakyo stieß sich von der Mülltonne ab. „Aber trotzdem, gut gespielt. Dafür, dass du offenbar ein Anfänger bist, hast du Einiges auf dem Kasten.“ „Spar' dir die Schmeicheleien“, schmetterte sein Gegner diese eiskalt ab. „Abgesehen davon kommt der wirklich schlimme Teil erst jetzt!“ In diesem Moment riss Exa seinen Arm in die Höhe. „Ich führe eine Xyz-Beschwörung durch!“ Zanthe musste in sich hineingrinsen, wie ungekünstelt sein Freund mit dem Duellieren doch umging. Was das anging, hatte er recht wenig mit -ihm- gemeinsam. Sofort durchbohrte ein bitterer Schmerz sein Herz. „Alessandro …“ Ein Schwarzes Loch öffnete sich vor Exa, dessen drei Ritter sich in gelbe Lichtstrahlen verwandelten und in es hineingezogen wurden. „Erscheine, Herr des Winterdreiecks! [Stellarknight Triverr]!“ Gleißendes Strahlen drang aus dem Overlay Network. Diesem entstieg ein weißer Ritter, prachtvoller als seine Vorgänger es je hätten sein können. Unbeständig flatterte der weiße Umhang um seine Schultern, als er sein Lichtschwert zog. An seinem anderen Arm hingegen befand sich ein Schild, geformt aus den drei Ringen der Satellarknights. Zwischen ihnen spannte sich ein Dreieck aus purem Licht, welches die eigentliche Schutzfunktion einnahm. Jene drei Ringe drehten sich und mit ihnen auch die Miniplaneten daran, in denen sich die leuchtenden Overlay Units befanden.   Stellarknight Triverr [ATK/2100 DEF/2500 {4} OLU: 3]   „Dieser sagenhafte Sternenritter hat einen besonderen Effekt, der dich zu Fall bringen wird“, drohte Exa seinem Gegner an und schwang den Arm aus, „bei seiner Beschwörung schickt er alle anderen Karten auf dem Feld ins Blatt ihrer Besitzer zurück!“ Kakyo erwiderte trocken: „Aha …“ „Great Southern Triangle!“, befahl Exa lautstark. Der weiße Ritter begann sich in um die eigene Achse zu drehen. Dabei ließ er sein Schwert nach links und rechts ausschwenken, bei jeder Bewegung löste sich eine eisige Schockwelle von der Klinge. Es war wie die Aufführung eines Balletts, wie Triverr tanzte. Eine der Wellen erfasste Exas [Stellarnova Wave]-Fallenkarte, eine andere dagegen Kakyos [Spell Economics]-Zauber. Auch auf das Magiergespann schossen die weißen Lichtklingen zu. Und durch sie hindurch, da sie plötzlich verschwanden. Womit es Kakyo war, der beide Angriffe abbekam.   [Exa: 2000LP / Kakyo: 1600LP → 600LP]   „Ahhh!“, schrie der, von dessen Schultern nun blutige Schnitte klafften. Seine freie Hand auf den einen legend, sagte er: „Ich hab dir gesagt … du kriegst sie nicht. Keinen der beiden!“ Vor ihm stand die Falle [Trap Of Darkness] offen. Kakyo erklärte: „Sie lässt mich eine Falle in meinem Friedhof kopieren, aber das kostet 1000 Lebenspunkte. [Black Illusion]!“ Seine beiden Magier tauchten wieder an genau derselben Stelle auf, an der sie eben verschwunden waren. Zusammen hielten sie ihre Zauberstäbe vor Kakyo über Kreuz, als ob sie zum Ausdruck bringen wollten, dass Exa erst an ihnen vorbei musste, um den jungen Mann zu bekommen. „Der Trick bringt dir auch nur so viel“, murrte der fast zwei Meter große Exa, „Effekt von Triverr! Ich hänge ein Xyz-Material ab, damit du eine durch den Zufall bestimmte Karte abwerfen musst!“ Besagter Sternenritter hielt seinen Schild schützend vor sich. An dessen oberem Ring verschwand der Planet.   Stellarknight Triverr [ATK/2100 DEF/2500 {4} OLU: 3 → 2]   Infolge dessen schoss aus der Mitte des Energiedreiecks ein Strahl, der an den erschrockenen Magiern vorbei zischte und Kakyo in die Hand traf. Der schrie schmerzhaft auf und ließ eine Karte fallen, die mit der Vorderseite nach unten auf dem Boden landete. Blut tropfte auf sie hinab. „Gut, ich kann deine Magierin nicht zerstören. Aber dir Schaden zuzufügen reicht mir völlig.“ Exa streckte die Hand nach vorn. „Angriff auf [Dark Magician Girl]! Southern Cross!“ Um seinen Winterritter peitschten plötzlich sturmartige Winde, die Schneeflocken mit sich wirbelten. Dann schoss er wie ein Pfeil auf die blonde Magierin zu, drehte sich dabei in der Luft einmal um die eigene Achse und verpasste ihr schließlich zwei entgegen gesetzte Hiebe, sodass aus der kreischenden Hexerin spitze Eisspeere in alle Richtungen schossen. Kakyo, welcher sich gerade nach seiner verlorenen Karte bückte, sah einen nur knapp über seinen Kopf hinweg fegen.   [Exa: 2000LP / Kakyo: 600LP → 500LP]   Kaum war das getan, zog sich Triverr zurück. „Ich setze die hier“, meinte dessen Besitzer und schob die Karte in seine Duel Disk, „Zug beendet.“ Schließlich zersprang das Eis und die Magierin atmete erleichtert auf. Zeitgleich tauchte die gesetzte Falle vor Exas Füßen auf. Insgeheim musste Zanthe staunen, wie er das alles aus den Augenwinkeln mit ansah. Für einen Anfänger machte sich sein Freund immer besser. Ob das auch in Zusammenhang mit der Tatsache stand, dass er -dieses- Deck besaß? Alessandros Deck …   „Was ist das für ein Krach!?“, donnerte plötzlich eine tiefe Stimme und die Tür neben Zanthe wurde aufgerissen. Ein bulliger, bärtiger Mann stampfte heraus, in weißem Hemd und dunkler Weste steckend. Scheinbar der Barkeeper, wenn man dem Geschirrtuch an seinem Hosenbund trauen konnte. „Ihr da!“, fauchte er die beiden Duellanten an, als er sie bemerkte. „Was treibt ihr da!?“ Von Zanthe nahm er keine Notiz, obwohl dieser direkt neben ihm an der Wand lehnte und sich aufgeschreckt von dieser abstieß. „Locker bleiben, wir duellieren uns doch nur“, äußerte sich Exa dem Barkeeper gegenüber heiter, wobei er ihn dabei dennoch nicht einmal ansah. Jener bemerkte plötzlich, dass Kakyo verletzt schien. „Bursche, du blut-!“ In dem Moment krachte schon Zanthes flache Hand gegen seinen dicken Hals. Der Bärtige fiel bewusstlos vorne über, ganz zum Schrecken des angehenden Profiduellanten. Unruhig betrachtete Zanthe seine Tat. „Wo der her kommt, gibt’s bestimmt noch mehr.“ „Egal, das hier dauert nicht mehr lange. Gut gemacht“, wurde er dabei noch von Exa gelobt. „Wie könnt ihr so etwas tun? Der Mann hat euch nichts getan!“ Auf Kakyos Empörung hin erwiderte der Blonde: „Dazu wäre es gar nicht erst gekommen, wenn du gleich auf unsere Forderung eingegangen wärst. Daran bist du schuld. Ach, und du mach die Tür zu.“ Zanthe wusste nicht so recht, was er davon halten sollte, tat aber wie ihm geheißen und stieg über den Barkeeper hinweg. Als er die Tür zu schob, warf er einen Blick über die Schulter zu Exa herüber. Ob es ihm überhaupt etwas ausmachte? Dann wunderte er sich, ob es -ihm- etwas ausgemacht hatte, diesem Mann sofort einen Schlag zu verpassen. Es war eine instinktive Reaktion gewesen, denn hätte der Kerl Alarm wegen Kakyos Wunden geschlagen, hätten sie das hier abbrechen müssen …   „Ihr seid wirklich das Letzte!“, ereiferte sich jener zornig und griff nach seinem Deck. „Hoffentlich bekommt ihr dafür eure gerechte Strafe! Draw!“ Mit Schwung zog er eine Karte nach. Zunächst warf er seinem Gegner einen abweisenden Blick zu, bis er schließlich leise vor sich hin murmelte: „… kein Risiko eingehen …“ Zu Exas und Zanthes Überraschung streckte er seinen Arm mit dem D-Pad aus, um dann auf den oberen Bildschirm zu tippen, welcher die feindliche Spielfeldseite abbildete. Besser gesagt war es Triverrs Karte dort, welche er berührte. „... dacht' ich's mir doch, das Ding hat noch einen Effekt!“ Sein Gegenüber blinzelte erstaunt. „Was? Worum geht es hier?“ „Das weißt du genau!“, erwiderte Kakyo und nahm seine beiden Handkarten und schob sie parallel in den Apparat. „Klappen wird das jedoch nicht! Ich aktiviere [Diffusion Wave Motion]! Und natürlich auch [Spell Economics], wodurch ich keine 1000 Lebenspunkte zahlen muss, um Erstere zu aktivieren!“ Gleichzeitig sprangen beide Zauberkarten vor ihm auf. Sein violetter Magier streckte im Anschluss unvermittelt den Zauberstab in die Höhe. „Das ist doch …“, nuschelte derweil Zanthe nachdenklich. „Dieser besondere Zauber wirkt nur auf besonders hochstufige Hexer“, erklärte Kakyo zeitgleich und zeigte auf [Stellarknight Triverr], „damit wird der Effekt jedes Monsters annulliert, das von ihm im Kampf vernichtet wird. Los! Black Magic Wave!“ [Dark Magician] schwang den Zauberstab nach vorne und schickte von ihm eine wellenförmige Schockwelle los, die geradewegs auf den Sternenritter zuschoss. Es folgten drei weitere. Wie sie sich ihren Weg durch die Gasse bahnten, fingen sie hellblau-schwarze Flammen und durchtrennten ihr Ziel schließlich an mehreren Stellen des Körpers. Exa wich schnaufend zurück.   [Exa: 2000LP → 1600LP / Kakyo: 500LP]   Vor ihm öffnete sich im Boden unerwartet ein goldenes Portal. „Ah, das ist-!“ Der Blonde sollte den Satz jedoch nicht beenden, da tosende Blitze aus jenem Runenzirkel schlugen, welcher sich sogleich wieder schloss. „Wie ich sagte“, sprach Kakyo entschlossen, „[Diffusion Wave Motion] lässt den Hexer die Effekte der zerstörten Monster negieren. Also kann dein Triverr kein Monster vom Friedhof beschwören, wie du es gerne hättest. Eines wie [Satellarknight Alsahm] zum Beispiel …“ Im selben Moment kam auch Zanthe zu dieser Erkenntnis und sah auf. „Natürlich! Damit hättest du ihn besiegen können! Alsahm hätte ihm genug Schaden zugefügt.“ „Hätte ich?“, schien sich Exa da jedoch gar nicht so sicher zu sein und drehte sich um. Dann zuckte er mit den Schultern. „Wäre ich nie drauf gekommen.“ Was den Werwolf zurückgiften ließ: „Vielleicht solltest du seinem Beispiel folgen und die Effekttexte deiner Karten auch mal durchlesen!“ Jedoch wirbelte sein Freund bereits wieder herum. „Mach ich. Aber wenn ich jetzt nichts unternehme, wird seine üppige Magierin dort mir eins überbraten. Effekt von [Stellarnova Wave]!“ Seine Falle klappte auf. Seine letzte Karte vorzeigend, rief Exa Kakyo entgegen: „Damit beschwöre ich [Satellarknight Sirius], in die Verteidigung!“ Ein Lichtstrahl schoss aus dem Sechseck am Himmel und schlug vor Exa ein. Mit der Hand über die Duel Disk fahrend und dabei das Monster ablegend, ließ der große Blonde einen Ritter vor sich erscheinen, der vor ihm in die Knie ging. Auffallend an ihm war sein Helm, der mit seinen Ohren und dem einer Schnauze ähnelndem Visier dem Kopf eines Wolfes nachempfunden war. Auch um ihn kreiste ein Ring mit einem Stern daran.   Satellarknight Sirius [ATK/1600 DEF/900 (4)]   „Damit aktiviere ich auch gleich den Effekt dieses Monsters“, rief Exa. Nach und nach schoben sich fünf Karten aus seinem Friedhof, die er vorzeigte und dann aufs Deck legte, „ich mische Rigel, Altair, Alsahm, Vega und Triverr in mein Deck zurück. Und ziehe anschließend eine Karte! Draw!“ Noch während er im Begriff war zu ziehen, schüttelte Kakyo kaum merklich den Kopf. „Unnötige Aktion …“ „Hm?“, wunderte sich Exa, ohne seine neue Handkarte anzusehen. „Du hättest ebenso nachschauen sollen, was [Diffusion Wave Motion] bewirkt. Sie lässt nur das von ihr betroffene Monster in diesem Zug angreifen“, erklärte sein Gegner und formte mit Daumen und Zeigefinger eine Pistole, „dafür aber darf es jedes Monster meines Gegners angreifen!“ Zanthe schlug sich kopfschüttelnd die Hand vor die Stirn. „Ist nicht wahr …!“ „Nochmal lasse ich dich kein Xyz beschwören! [Dark Magician], Black Magic Wave!“ Kakyo machte mit seiner Hand eine Bewegung, als würde er eine Kugel auf Exas Sternenritter abfeuern. Sein Hexer aber schickte mehrere der violetten Energiewellen in dessen Richtung, die Sirius in seine Einzelteile zerlegten. „Das gibt’s doch nicht! Und ich dachte-!“, schnaubte Exa verärgert. „Da sie nicht angreifen kann, wechsle ich [Dark Magician Girl] in den Verteidigungsmodus. Du bist dran“, wurde er von Kakyo übertönt, der besagte Karte auf seinem D-Pad in die Horizontale drehte. Sogleich hielt die hübsche, blonde Magiern schützend ihren Zauberstab vor den Körper.   Dark Magician Girl [ATK/2000 DEF/1700 (6)]   „Ugh!“ Unvermittelt sackte der Brünette beinahe zusammen, fand nur dadurch Halt, dass er sich Richtung der Mülltonnen fallen ließ und sich an einer davon abstützte. „Du bist nicht der Verfassung, noch weiter zu kämpfen“, quittierte Exa dies mit einem geradezu herrischen Blick, „also mach es nicht noch schlimmer. Beantworte einfach-!“ „Nein!“, presste Kakyo durch seine Zähne. „Gut, wie du willst?“ Gar nicht lange fackelnd, riss Exa eine zweite Karte von seinem Deck und sah sie neugierig an. „Oh …“ Alarmiert horchte Zanthe auf. „Was ist? Kannst du mit den Karten nichts anfangen?“ „Nicht wirklich“; erwiderte sein Freund abwesend. „Dann gib auf und lass mich gehen. Ich werde niemandem von dieser Begegnung erzählen, versprochen!“ Doch Kakyos Bitte wurde mit einem Kopfschütteln abgetan. „So schnell kann sich das Blatt wenden“, sinnierte Exa und sah plötzlich gen Himmel, „sollte ich wirklich …?“ Mit nachdenklichem Blick senkte er den Kopf wieder und warf einen Blick auf seine Duel Disk, wobei er flüsterte: „Schätze, eine andere Wahl bleibt mir nicht. In dem Fall hätte ich auch gleich sein Angebot annehmen können. Aber das ist nicht meine Art, schätze ich. Wenn ich so etwas benutze, bestimme ich selbst, wie es auszusehen hat …“ Zanthe, der dank seiner übermenschlich ausgeprägten Sinne jedes Wort verstanden hatte, verkrampfte. Hatte sein Freund noch ein Ass im Ärmel? Jener ballte urplötzlich eine Faust und presste sie gegen seine Brust, wobei er die Augen schloss. „The stars have decided! Summoning contract established!“ Wie in Zeitlupe nahm er die Hand und streckte sie in die Höhe. Sieben Lichter stiegen aus seiner Brust auf, kreisten umeinander und positionierten sich dann über ihm in einem ganz bestimmten Muster. Jedes erwies sich als Bestandteil eines bestimmten Kreises, die wie die Wellen einer Wasseroberfläche ineinander lagen. „Witness the creation of the eternal gate!“ Die Lichter erloschen und kurzerhand verwandelten sich die Kreise in verschiedene Schichten einer Steintafel. Jede drehte sich dabei entweder im oder gegen den Uhrzeigersinn, und dort, wo einst das Licht schien, leuchtete stattdessen eine Rune mit einem unbekannten Symbol. Der Anblick des riesigen Tores verunsicherte den sonst so bodenständigen Zanthe endgültig. „Was zum Henker ist das!? Kein Synchro, aber auch kein Xyz!?“ Nicht weniger gebannt starrte Kakyo die insgesamt sieben ineinander liegenden Steinkreise an. Er war sichtbar sprachlos, wenngleich sein Mund auch offen stand. „The contract is established!“ Schlagartig riss Exa die erhobene Hand wieder herunter und präsentierte seinem Gegner den Handrücken, auf dem ein kompletter, türkis leuchtender Schriftzug eingraviert war. Es handelte sich um die sieben Runen in den Kreisen. „Open the eternal gate! Excel Summon!“ „Excel Summon!?“, wiederholten Zanthe und Kakyo im selben Atemzug entgeistert. In diesem Moment schoss aus Kakyos Sicht der innerste Steinkreis nach hinten, in die Ferne, in das Nichts einer bunten Raumverzerrung. Ihm folgte der nächstgelegene, dann wiederum der nächste. Als ob sie einen Pfad in eine andere Welt bildeten, bis nur noch der äußerste Ring übrig blieb, „Grade 7! Rule indefinitely, [Cosmic Enforcer – Event Horizon]!“ Der Pfad über ihm weitete sich in alle Richtungen aus, ganz an seinem Ende sah Kakyo ein strahlendes Licht. Das direkt aus dem Tor schoss. Ein dunkler Schatten legte sich über die Gasse. Alle drei legten ihre Köpfe in den Nacken, um das Monster zu sehen, was dort mehr über Kakyo, denn über seinem eigentlichen Besitzer schwebte. Jener pfiff anerkennend. „Das kommt also dabei heraus, wenn ich Excelsior direkt ins Spiel bringe? Coole Sache!“ Etwas, das Kakyo mit Sicherheit anders sah, konnte man seiner versteinerten Miene Glauben schenken. Mit geweiteten Augen betrachtete er das riesige Schlachtschiff, welches sich nun im Rückwärtsflug über Exa positionierte. Der Schwerpunkt der Maschine befand sich ganz an deren hinterem Ende in Form einer sphärischen Hauptkomponente mit vier in jeder Richtung abstehenden Tragflächen, wobei der innere Teil besagter Zentrale ausgehöhlt und mit einem leuchtenden Kern versehen war. Von dort an befanden sich in regelmäßigen Abständen spitz zulaufende Mini-Tragflächen vor den eigentlichen Tragflächen, die jedoch in keinster Weise mit dem Schiff verbunden waren. Selbst Zanthe war sprachlos bei diesem Anblick.   Cosmic Enforcer – Event Horizon [ATK/2500 DEF/2000 X7]   ~-~-~   Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Einige der Zuschauer erhoben sich von ihren Sitzen, dennoch konnten sie nicht durch den Rauch sehen, der Anyas ganze Spielfeldseite einnahm. „Das war ein lauter Knall!“, durchbrach Mr. C die Stille, klang dabei ungewöhnlich verloren. „Ist, also ist …?“ Zachariah stand regungslos da, sein Finger lag noch auf dem Auslöser unterhalb der Fallenkarte, die aufgeklappt vor ihm stand. Abgebildet war ein bewusstloser König Artus, wie er inmitten einer grünen Wiese nahe einer Klippe lag und von der blonden Herrin des Sees, Viviane, sowie Königin Gwenwhyfar umsorgt wurde. Ansonsten war sein Feld leer. Der Schweiß rann seine Stirn hinab. Der Rauch verzog sich nicht. Aber es wurde auch kein Feueralarm ausgelöst. Hatte es geklappt? War sie wirklich tot? Er wollte dem nachgehen, doch sein Körper rührte sich nicht. Gelähmt wie er war, vom Gedanken an die eigene Tat, konnte er nur dort stehen und warten. „Zach!“, hörte er jemanden seinen Namen rufen. Er drehte sich um, blickte zu dem Gang, durch den die Duellanten in die kreisrunde Arena geführt wurden. Dort stand sie, Kali, in ihrer schwarzen Kutte und verharrte ebenso erstarrt wie er. Sein Name war alles, was sie herausgebracht hatte, ihm folgten keine weiteren Worte. Der große Blonde wollte etwas erwidern. Dass er es geschafft hatte, sie von ihrem Leid befreit hatte, aber … es ging nicht. Wieso konnte er sich nicht freuen!?   „Ist Anya Bauer in Ordnung?“, wunderte sich der Kommentator schließlich aufgeregt. „Immer noch keine Reaktion!“ Zach spürte die erwartungsvollen, teils unsicheren Blicke des Publikums, wie sie sich in seinen Nacken bohrten. Er musste etwas tun, und sei es nur, um nicht aufzufallen. Daher verkündete er, mit aller Fassung, die er aufbringen konnte: „Zug beendet.“   „Na endlich, ich dacht' schon, ich muss hier noch drei Stunden warten!“ Mit nur einer Handbewegung von der anderen Spielfeldseite wurde der Rauch regelrecht davon geblasen. Anya stand völlig unversehrt dort, mit deutlich hervorstechender, pochender Ader auf der Stirn und ebenso wie Zach mit keiner einzigen Karte unter ihrer Kontrolle. Der Mund ihres Bruders öffnete sich, doch es kam nur ein ersticktes Geräusch daraus hervor. „Was!? Dachtest du, ich gehe vor Schreck drauf oder was?“, giftete das Mädchen scheinbar ahnungslos. „Was sollte diese dämliche Aktion überhaupt!?“ Nur eine Frage hämmerte in diesem Moment im Kopf des ältesten Bauer-Sprosses. Wie hatte sie die Explosion überlebt? Nein … Das D-Pad an ihrem Arm war intakt. Demnach war die Bombe nie hochgegangen …   „Was hast du gemacht!? Hast du es gewusst!?“ „Was gewusst? Dass ich jetzt gewinnen werde?“, hakte die deutlich Kleinere grantig nach und griff nach ihrem Deck. Anders als ihr Bruder hielt sie auch keine Karten auf der Hand. „Natürlich weiß ich das! Als ob ich an jemandem wie dir scheitern werde! Draw!“ Voller Schwung zog sie, sich dessen bewusst, dass dies die entscheidende Runde war – und die Sache war entschieden, denn [Noble Arms – Excaliburn II] würde Zach ins Verderben stürzen. Aber Anya wollte mehr. Sie wollte in ihrem Zug gewinnen. Und nur ein Blick auf die nachgezogene Karte verriet ihr, dass ihr dieser Wunsch erfüllt wurde. „Ich aktiviere [Monster Reborn]!“ Zachariah zuckte zusammen. „Machst du Witze!?“ „Könnte das die alles entscheidende Aktion sein!?“, überschlug sich Mr. C derweil. „Jetzt komm und hol dir, was schon längst überfällig ist!“, stieß Anya einen Schrei in die Luft aus, als sich vor ihr ein Runenzirkel öffnete. „Eine mächtige Tracht Prügel! Kehre zurück, [Gem-Knight Pearl]!“ Unter den aufgeregten Zurufen des Publikums entstieg dem Lichtkreis der weiße Ritter mit den blauen Augen, welcher wie so oft die Arme verschränkt hielt. Um ihn herum schwebten die sieben Riesenperlen.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4} OLU: 0]   Zeitgleich wich Zach immer mehr zurück. „D-du warst das, nicht wahr!?“ Er zeigte mit dem Finger auf Pearl, der sich jedoch nicht regte. Was auch Grund genug für Anya war, vorsichtig nachzufragen, obwohl sie das eigentlich nicht in aller Öffentlichkeit tun sollte. „Bist … bist du in Ordnung?“ Nichts. Das Mädchen schluckte. Jedoch mahnte sie sich, dass sie gleich noch genug Zeit haben würde, um sich mit Levrier zu beschäftigen. Zuerst musste sie ihren verdammten Bruder einstampfen. Und das würde sie jetzt auch, endgültig! Den Arm ausschwingend, kniff sie fest die Augen zusammen und befahl: „Los, [Gem-Knight Pearl]! Lösche seine restlichen Lebenspunkte aus! Direkter Angriff mit Sacred Spheres of Purity!“ Wie ein Puppenspieler hob der weiße Ritter seine rechte Hand und musste nur ein wenig die Finger bewegen, damit die kohlkopfgroßen Perlen um ihn herum wie Kanonenkugeln auf Zachariah zu schossen. „Sayonara, Arschloch!“, feixte Anya dabei bitterböse grinsend. Dann wurde ihr Bruder schon von den Perlen erfasst, die um ihn herum im Boden einschlugen und mehrere kleine Explosionen verursachten. Alles, was sie noch hörte, als ihr Bruder im daraus resultierenden Qualm verschwand, war „Scheiße!“.   [Anya: 100LP / Zachariah: 200LP → 0LP]   „Das ist es, das Ende dieses fantastischen Duells! Wer hätte gedacht, dass die kleine Schwester am Ende als Siegerin hervortreten würde!?“ Anya nahm Mr. Cs aufgeregte Worte und den anschließend einsetzenden, teilweise schon tosenden Applaus des Publikums, aber auch deutlich daraus hervorstechende Buhrufe kaum wahr. Sie sah nur auf den Ergebnisbildschirm oberhalb der Zuschauerränge zu ihrer Rechten, wo eindeutig stand, wer dieses Duell gewonnen hatte. Mit einem Schlag überkam es sie. Sie hob die Faust in die Luft und schrie: „Booyah! Wer ist hier der Boss, Mistkerl!?“ Die Hologramme verschwanden und mit ihnen auch der Rauch, der Zach kurz zuvor noch umgeben hatte. Jener steuerte bereits festen Schrittes auf den dunklen Gang am Ende des Spielfelds zu, ohne seiner Gegnerin überhaupt zu gratulieren. Anya sah ihm nachdenklich hinterher. „Zach … tch!“   Wie ein … geprügelter Hund …   Levrier, schoss es Anya durch den Kopf und ihre Miene hellte sich schlagartig auf. „Du bist-!?“ Tatsächlich sollte sie nicht dazu kommen, sich nach dessen Befinden zu erkundigen, da sie plötzlich von allen Seiten von Kameraleuten und Reportern mit Mikrofonen in der Hand umzingelt wurde. So sehr, dass die Leute ihr glatt auf die Pelle rückten. „Wie fühlt sich der Sieg an?“, fragte eine Journalistin. „Erzählen Sie uns etwas über ihre Familientragödie, Mrs. Bauer!“, ein anderer, der ihr glatt mit seinem Mikrofon gegen die Wange stieß. Anya, die kaum mehr Luft zum Atmen bekam, stammelte verloren: „H-hey, macht mal halblang!“   ~-~-~   Kyon schob seine Sonnenbrille mit der Spitze des Zeigefingers zurück auf die Nase. Der ganz in Schwarz gekleidete Butler des Sammlers sah auf zu dem riesigen Raumschiff, das sich über der Seitengasse befand. „Beeindruckend“, flüsterte er für sich, „aber ich habe nichts Geringeres von dir erwartet.“   Völlig von den Ereignissen abgelenkt, bemerkte Zanthe nicht, wie der Mann mit dem schulterlangen, schwarzen Haar auf dem Dach der Kneipe stand und ihn beobachtete. Auch er hatte seinen Kopf in den Nacken gerissen, betrachtete die seltsame Maschine mit diesen von ihren vier Tragflächen abstehenden, regelmäßig auftauchenden Spitzen. Dieses Ding, Exa hatte es aus dem Nichts beschworen. Ohne dafür etwas zu tun! Excel Summon hatte er es genannt!? Was für eine Art Monster war das dann!? „Exa!“, wollte er seinen Freund umgehend dafür zur Rede stellen, doch der winkte mit erhobener Hand ab. „Nicht jetzt.“   Der Blonde drehte den Kopf leicht zur Seite und sah aus den Augenwinkeln zum Dach der Kneipe, vor dessen Außenwand Zanthe stand. Anders als der Werwolf, hatte er Kyon sehr wohl bemerkt, wandte sich jedoch wieder ab, ohne dies kundzutun. Also war seine Eingebung richtig gewesen, dass sein Retter auftauchen würde, wenn man diesen Knirps dort bedrohte. Ab wann würde er sich preisgeben, fragte sich Exa. Vielleicht, wenn man den Druck auf seinen Schützling oder was auch immer erhöhte? Der stand da wie angewurzelt, hatte ebenfalls nur Augen für jenes unbekannte Monster. Exa warf daraufhin ebenfalls einen Blick auf seine Duel Disk, wo die Karte lag. Anders als andere Monsterarten, fehlte ihm ein farblicher Rahmen. Stattdessen war die komplette Karte mit dem dunklen Artwork von Event Horizon ausgefüllt, mit Ausnahme des Effekttextes, dessen Abschnitt davon deutlich blasser hervorgehoben war. „Excel Summon, huh?“, nuschelte er selbst ein wenig fasziniert. „Das wolltest du mir also andrehen?“ Dann aber blickte er zu Kakyo auf. „So, genug gegafft! Das Duell geht weiter!“ Keuchend riss sich sein brünetter Gegner von dem Anblick los. „Was ist das!?“ „Etwas, das nicht jeder zu sehen bekommt“, erwiderte Exa bestimmend. Plötzlich streckte er den Arm vor, „wie wäre es also mit einer Kostprobe seines Effekts? [Cosmic Enforcer – Event Horizon]! Black Hole Distortion!“ Sowohl Kakyo, als auch Zanthe stießen erschrockene Seufzer aus, als sich die verschiedenen, vor dem Schiff schwebenden Spitzen zu allen Seiten ruckartig ausbreiteten. Unvermittelt schoss aus jeder der über ein dutzend Maschinen ein weißer Lichtstrang, die allesamt dasselbe Ziel hatten: [Dark Magician]. Jener wurde erfasst und gefesselt, und trotzdem er sich mit aller Kraft zu wehren versuchte, wurde er von Kakyos Spielfeldseite fortgerissen. „Nein!“, schrie der mit ausgestreckter Hand. Auch [Dark Magician Girl] sah ihrem Lehrmeister verzweifelt hinterher. In der Innenseite des Raumschiffes schob sich derweil aus jeder Tragflächen eine Antenne, die zusammen unter großer Spannung einen dunklen Riss generierten, der rasend schnell anwuchs. Und in genau jenen wurde [Dark Magician] hineingeführt, bis er vollständig verschwand. Kakyo weitete die Augen. „W-was hast du getan!?“ „Keine Bange, dein [Dark Magician] ist nicht wirklich verloren. Du bekommst ihn wieder.“ Dies ließ seinen Gegner aufhorchen. „W-was?“ Vor Exa tauchte plötzlich drei Reihen a fünf Karten auf, wobei in der letzten eine fehlte. Manche mit violettem Rand, andere mit schwarzem. Zanthe erkannte sie als Kakyos Extradeck wieder. „Nun ja, nicht in seiner ursprünglichen Form zumindest“, erklärte der Blonde derweil und überflog mit einem kurzen Blick die Karten. „Sondern als eine der Karten in deinem Extradeck, die mithilfe deines Magiers beschworen werden kann. Ah! Die nehm' ich, die sieht schwach aus!“ Er hob seine Hand in die Höhe. „White Hole Emission!“ Plötzlich änderte das Schwarze Loch inmitten des Schiffes seine Farbe und wurde weiß. Aus ihm schoss ein gleichfarbiger Strahl direkt vor Kakyons Füße und gab ein völlig neues Monster preis. „[Dark Flare Knight]!?“, nannte der den schwarzen Ritter beim Namen, welcher einen rot umrandeten Schild sowie eine glühende Klinge mit sich führte.   Dark Flare Knight [ATK/2200 DEF/800 (6)] Dark Magician Girl [ATK/2000 → 2300 DEF/1700 (6)]   „Genau“, bestätigte ihm Exa nickend, „schließlich ist [Dark Magician] eines seiner Fusionsmaterialien. Und da die Umwandlung geglückt ist …“ Die Spitzen des Raumschiffes formierten sich wieder vor den Tragflächen in einer geraden Linie, woraufhin es selbst weiß aufzuleuchten begann. „… erhält Event Horizon bis zur End Phase die Hälfte der Angriffspunkte des Originalmonsters.“   Cosmic Enforcer – Event Horizon [ATK/2500 → 3750 DEF/2000 X7]   Kakyo stieß einen erschrockenen Seufzer aus, sah sofort auf sein D-Pad. Dann murmelte er: „Für jeden [Dark Magician] auf meinem Friedhof erhält [Dark Magician Girl] 300 Punkte …“   [Exa: 1600LP / Kakyo: 500LP]   „Letzte Chance. Sprich“, forderte Exa mit scharfem Tonfall. Sein Gegner blickte mit widerspenstigem Gesichtsausdruck auf. „Nein!“ „Dann nicht. Aber sage nicht, ich hätte dich nicht gewarnt“, erwiderte der Blonde und hob seinen ausgestreckten Zeigefinger in die Höhe, „greif [Dark Flare Knight] an, Event Horizon! Planet Obliteration!“ „Hör auf!“ Ohne Vorwarnung packte Zanthe den Arm seines Freundes. Mit eindringlichem Blick sah er zu ihm auf. „Willst du etwa wirklich-!?“ Doch es war bereits zu spät für solche Aktionen, der Angriff war befohlen. Die Spitzen des Raumschiffes gingen wieder auseinander und schossen allesamt gleichzeitig orangefarbene Laserstrahlen auf Kakyo ab. In der Seitengasse gab es eine gewaltige Explosion. Entgeistert sah Zanthe Feuer und Rauch aus Kakyos Richtung schlagen. Selbst Exas diesbezüglich hartherzige Fassade bröckelte, als er das sah. Mit offenem Mund stand er da, mit erhobenem Arm, der von Zanthe festgehalten wurde. Dann aber sagte er leise: „Er hat nicht eingegriffen.“ „Wer hat nicht …?“ Aber da nickte Exa schon gen Dach, sodass Zanthe der Richtung nur folgen brauchte, um Kyon dort oben stehen zu sehen. „Unser kleines Duell hat ihn auf den Plan gerufen“, fügte Exa hinzu, „er ist es. Der, für den du mich gehalten hast.“   „Um den kümmere ich mich!“ Blitzschnell ließ Zanthe von seinem Freund ab, rannte quer durch die Gasse, nur um von einer Wand zur anderen zu springen, damit er aufs Dach gelangte. Exa sah ihm erstaunt nach. „PPKM.“ Irritiert drehte sich der großgewachsene Mann um. Der Rauch hatte sich verzogen, jedoch war in einer der offen stehenden Mülltonnen lichterloh Feuer ausgebrochen. Kakyo stand noch dort, unverletzt, zumindest wenn man den letzten Angriff als Ausgangspunkt nahm. Und vor ihm ein Ritter in glänzender, weißer Rüstung. „PPKM“, wiederholte er seine Worte, „Persönliches Pech, kein Mitleid. Von allen Monstern, die du aus meinem Extradeck auswählen konntest, hast du ausgerechnet [Dark Flare Knight] genommen.“ Exa verzog keine Miene. „Und das ist schlecht für mich?“ „Sein Effekt hat dafür gesorgt, dass ich keinen Kampfschaden erleide. Und, dass nach seinem Tod [Mirage Knight] beschworen wird.“ Kakyo nickte besagtem weißen Ritter zu, um dessen Schultern ein blauer Umhang wehte. Eine violette Haarsträhne in seinem Gesicht verriet, welches Monster dort in der Rüstung steckte. Mit sich führte der gepanzerte [Dark Magician] eine riesige Sense, dessen massives Klingenblatt allein jedem Gegner Furcht einflößte.   Mirage Knight [ATK/2800 DEF/2000 (8)] Jedem außer Exa. Geradezu unbeeindruckt entgegnete er: „Vielleicht sollte ich wirklich anfangen, Karteneffekte durchzulesen. Zumindest eine Karte setze ich noch, bevor ich an dich abgebe.“ Jene schob er in seine Duel Disk, sodass sie neben der offen stehenden [Stellarnova Wave] in verdeckter Position erschien. Damit klang auch das Leuchten seines riesigen Raumkreuzers ab.   Cosmic Enforcer – Event Horizon [ATK/3750 → 2500 DEF/2000 X7]   „Draw!“, schrie Kakyo sofort im Anschluss und riss die Karte von seinem Deck. Ohne sie überhaupt anzusehen, zeigte er gen Himmel. „Du hättest -wirklich- besser aufpassen sollen! Dieses Duell ist zu Ende! [Mirage Knight], greif [Cosmic Enforcer – Event Horizon] an! Illusion Breaker!“ Der Ritter stieß sich vom Boden ab und schoss wie ein Pfeil quer durch die Luft, Richtung seines anvisierten Ziels. Dabei zischte er unmittelbar an Zanthe vorbei, der am Rande des Dachs direkt vor Kyon stand.   „Also ist es wahr“, sagte er leise und zerbrach das Schmetterlingssymbol vor seinem Gesicht mit der Hand, „du und er, zwischen euch besteht eine Verbindung.“ Kyon folgte mit seinem Blick dem Flug des weißen Ritters. „Ja.“ „Mehr nicht!? Ja!?“ Zanthe ballte eine Faust. „Ich will Antworten, verdammt! Wer ist dieser Kakyo!?“ „Ein Mensch, wie du siehst. Und nichts weiter.“ Daraufhin weitete der Werwolf die Augen. Seine aufkochenden Emotionen nicht unter Kontrolle halten könnend, stürmte er auf sein Gegenüber zu und packte es am Kragen der Butleruniform.   Gleichzeitig war [Mirage Knight] hoch genug aufgestiegen, um direkt vor dem Inneren des Schiffes zu schweben. Mit seiner Waffe ausholend, warf er sie mit aller Kraft in Richtung des Kerns. Wie ein Chakram kreiste sie dabei um ihre eigene Achse. Unten, am Boden, erklärte Kakyo: „[Mirage Knight] ist besonders. Nur einmal, wenn er kämpft, kann er sich um die Grundangriffskraft seines Gegners stärken. Aber das bedeutet seinen Tod.“ „Und den bist du bereit einzugehen?“, fragte Exa ungerührt. „Nein. Weil das Duell vorbei sein wird, ehe es dazu kommt!“ Ruckartig sah Kakyo nach oben zu seinem Monster. „Gib alles! Mirror Resonance!“ Sogleich strahlte sein Ritter regelrecht von Innen. Und die fliegende Sense duplizierte sich einmal, dann zweimal, bis eine ganze Horde jener Waffen auf den Kern zuflog.   Mirage Knight [ATK/2800 → 5300 DEF/2000 (8)]   „Illusionen“, erwiderte Exa ungerührt, „sind leider nur das. Illusionen.“ Statt eine massive Explosion auszulösen, die mit Sicherheit den ganzen Stadtteil erschüttert hätte, prallte die originale Sense einfach am Metall des Schiffes ab. Die anderen verschwanden gar. Kakyo klappte die Kinnlade hinunter. „Du hättest auch etwas Recherche betreiben sollen, Kurzer“, fügte Exa noch an, „dann wüsstest du, dass Event Horizon den Effekt des von ihm beschworenen Monsters kopiert und grundsätzlich nicht durch Kämpfe zerstört werden kann.“ Fassungslos sah der angehende Profiduellant nach oben. „Dann habe ich …“ „Dein Monster doch ins Verderben geschickt.“ „Noch bin ich nicht am Ende!“, zeigte sich Kakyo trotz allem noch kämpferisch. Er nahm seine einzige Handkarte und schob sie in die Duel Disk. „Ich rüste mein [Dark Magician Girl] mit [Wonder Wand] aus.“ Deren Zauberstab wurde kurzerhand durch einen neuen ausgetauscht, dessen Spitze in einer grässlichen Silberfratze endete, auf deren Kopf ein grüner, runder Edelstein thronte.   Dark Magician Girl [ATK/2300 → 2800 DEF/1700 (6)]   „Vergib mir …“, murmelte Kakyo traurig. Seine Magierin drehte sich zu ihm um, lächelte ihn jedoch aufmunternd an. Woraufhin er verkündete: „[Wonder Wand] lässt mich das ausgerüstete Monster opfern, um zwei Karten zu ziehen.“ Exa verschränkte die Arme. „Jetzt musst du schon über die Leichen deiner Monster gehen, um noch mitzuhalten.“ „Ihr Opfer wird nicht vergebens sein!“, konterte Kakyo mit derartiger Inbrunst, als würde es sich bei der Magierin um einen echten Menschen handeln. „Draw!“ Die obersten zwei Karten von seinem Deck ziehend, betrachtete er sie konzentriert. „Dein 'Freund' oder 'Meister' oder was auch immer ist hier. Jetzt ist die Frage, ob er redseliger ist als du“, sagte Exa und deutete mit dem Daumen zum Dach. Für einen Moment blickte der junge Mann erstaunt drein, verzog dann aber zornig das Gesicht. „Das ist seine Sache. Ich für meinen Teil halte mein Versprechen. Zwei Karten verdeckt, du bist dran!“ Er schob beide Karten in sein D-Pad, sodass sie je links und rechts neben seiner [Spell Economics]-Zauberkarte erschienen. Als Resultat jener Ankündigung löste sich [Mirage Knight] sang- und klanglos auf.   „Mal sehen“, murmelte Exa und zog auf eine zweite Handkarte auf. Mit großem Erstaunen betrachtete er sie einen Moment, ehe er sich wieder seinem Gegner widmete. Der schwang den Arm aus. „Ich aktiviere [Eternal Soul]!“ Sogleich sprang die linke gesetzte Karte auf und erwies sich als dauerhafte Falle, auf der eine Steintafel abgebildet war. Jene schob sich aus dem Artwork hervor und manifestierte sich in vergrößerter Form auf Kakyos Spielfeldseite. Die Umrisse eines Monsters begannen auf ihr zu funkeln. „Diese Karte lässt mich [Dark Magician] vom Friedhof beschwören!“ Dessen Silhouette war es schließlich auch, die auf dem braunen Gestein eingemeißelt war. Wie von Kakyo angekündigt, drang aus der Tafel ein Licht, welchem schließlich sein violetter Magier entsprang. Jener schwang seinen Zauberstab und fasste sich an den spitz zulaufenden Hut.   Dark Magician [ATK/2500 DEF/2100 (7)]   „Ganz egal, wie oft du ihn vernichtest, er kehrt immer wieder zu mir zurück!“, rief Kakyo ehrgeiziger denn je. Exa quittierte das mit einem schelmischen Grinsen. „Das muss man ihm lassen. Aber ich habe nicht vor, ihn zu vernichten. Event Horizon, Black Hole Distortion!“ Gnadenlos zeigte er auf den Hexer. Die metallischen Spitzen, die vor dem Raumkreuzer flogen, schossen weiße Lichtstränge auf [Dark Magician] ab, wie es schon beim letzten Mal der Fall gewesen war. Doch plötzlich ging ein grelles Licht von der immer noch hinter dem Magier verharrenden Steintafel aus, welches die Fesseln kurz vor ihrem Ziel zum Bersten brachten. „Also das hab ich mir anders gedacht“, staunte Exa nicht schlecht und blinzelte verdutzt. „[Eternal Soul] hat noch einen Effekt, der [Dark Magician] vor Effekten meines Gegners beschützt. Und zwar vor allen!“ Einen tiefen Seufzer ausstoßend, zuckte Exa mit den Schultern. „Im Ernst jetzt? Musst du es uns so verdammt schwer machen? Wenn Duelle immer so sind, machen sie mir keinen Spaß …“ „Das sind wir schon zwei“, erwiderte Kakyo. „Duelle sind nicht dazu da, anderen weh zu tun.“ „Sei froh, dass es Duelle gibt, sonst hätte ich dir auf andere Weise weh getan.“ Exa kniff die Augen zusammen. „Außerdem solltest du eines nicht vergessen. Event Horizon kann nicht durch Kämpfe zerstört werden, weshalb ich kein Problem damit habe, deinen [Dark Magician] anzugreifen.“ „Darauf bin ich vorbereitet!“ Der Blonde grinste wieder verschlagen. „Ich habe auch noch ein Ass im Ärmel.“ Womit er die vor ihm liegende, gesetzte Karte neben [Stellarnova Wave] meinte.   Gleichzeitig stieß Zanthe Kyon von sich fort. „Das ist alles, was du mir zu sagen hast!?“ „Ja.“ „Es war noch nie gut, jemanden vor Wissen zu beschützen!“, widersprach Zanthe aufgebracht und schwang den Arm aus. „Wer bist du, dass du dir anmaßt-!?“ „Planet Obliteration!“, hallte Exas Stimme plötzlich durch die Gasse. Erschrocken wirbelte der schwarzhaarige Kopftuchträger herum und sah nur noch, wie sich die kleinen Spitzen vor dem Raumschiff über ihnen bereits in orangem Licht aufluden. „Das reicht jetzt!“, donnerte Kyon plötzlich ungewohnt zornig und schnippte mit dem Finger. „Dein Freund wird uns nur in Schwierigkeiten bringen!“   Exa, der seine Hand nach vorne ausgestreckt hielt, sah Kakyo ehrgeizig entgegen. Jener war gerade im Begriff, seine letzte gesetzte Karte zu aktivieren, da tauchte direkt unter seinen Füßen ein schwarzes Portal auf. „Was-? Ah!“, stieß der einen erschrockenen Schrei aus, wie er immer tiefer in der sich spiegelnden, schwarz-violetten Oberfläche verschwand. Aber nicht nur ihm ging es so, auch Exa steckte in einem vergleichbaren Phänomen fest. Statt seine Laserstrahlen abzufeuern, löste sich das riesige Raumschiff in Luft auf. Genau wie sein Besitzer und dessen Gegner, die spurlos verschwunden waren. Zanthe, der all dies beobachtet hatte, wirbelte zu Kyon herum. „Was hast du mit ihnen gemacht!?“ Erstaunt musste er feststellen, dass sich zwischen ihm und dem Butler des Sammlers ebenfalls ein Portal öffnete, doch jenes war in seiner Form um die zwei Meter hoch. „Sie vor so einigen Problemen gerettet. Genau wie uns, wohlgemerkt.“ „Wirst du jetzt abhauen?“, verlangte Zanthe zu wissen. „Dann sag mir wenigstens, wo Exa jetzt ist!“ „Nichts dergleichen habe ich vor.“ Kyon schritt an dem Portal vorbei, streckte jedoch seinen Arm danach aus, als wolle er es seinem Gegenüber präsentieren. „Deine Worte sind wahr. Dir essentielles Wissen vorzuenthalten ist falsch. Aber ich kann es dir nicht überlassen, ohne sicherzugehen, dass es dich nicht zerstört.“ Zanthe nickte mit verzogenen Mundwinkeln. „Verstehe schon. Also gut, ich komme mit …“   ~-~-~   Völlig erschöpft trat Anya über die Schwelle, die das Stadion von dem dunklen Gang trennte. Irgendwie war es ihr gelungen, diesen Nervensägen von Reportern zu entkommen, was nicht zuletzt mit ein paar nicht TV-tauglichen Schimpfwörtern verbunden war. Und kaum war sie außerhalb der Sichtweite des Publikums, kippte sie zur Seite und musste sich an der Wand abstützen. Von weiter vorne hörte sie Stimmen, verstand aber nicht, was sie sagten. Doch es war ihr gleich, denn in diesem Moment zähle nur eines: Sie hatte gewonnen. Aus eigener Kraft, ohne Levriers Hilfe! Und es ging ihm gut!   „… wirst du immer eine Gefangene sein …“ „… dich nicht darum gebeten!“   Anya schleppte sie sich weiter voran. Dabei wurden die Stimmen deutlicher und ihre Besitzer traten zunehmend in ihr Blickfeld. Als Anya sie erkannte, blieb sie abrupt stehen. Dort standen sie, ihr Bruder Zach und Kali in ihrer schwarzen Kutte. Beide diskutierten heftig und schienen keine Notiz von ihr zu nehmen. „Hör' auf mich zu verarschen“, zischte der wesentlich größere Zach und schlug seine flache Hand gegen die Wand, direkt neben Kalis maskiertes Gesicht, „du bist die Einzige, die davon wusste!“ „Ich war es nicht!“, beteuerte die und stieß den Arm mit ihrer eigenen Hand weg. „Wann hätte ich das tun sollen!?“ „Du? Gar nicht. Aber Gardenia, die bringt so etwas mit Sicherheit fertig!“ Zach drehte Kali den Rücken zu und hielt sich die Stirn, senkte das Haupt. „Ich habe Kopfschmerzen …“ Mit ihrer von der weißen Porzellanmaske gedämpften Stimme redete Kali hitzig auf ihn ein. „Mach dich nicht lächerlich! Gardenia wollte, dass du diese Schnapsidee durchziehst! Sie hat mich mit ihrem Gequatsche aufgehalten, damit ich mich nicht einmischen kann!“ „Und wer soll es dann gewesen sein?“ „Ich kenne jemanden … Nick Harper. Aber der ist meilenweit von hier entfernt, er hätte unmöglich -da- herankommen können, schon gar nicht so kurz vor dem Duell.“ Wieder wirbelte Zachariah herum, doch blieb diesmal mitten in der Bewegung mit offenem Mund stehen. Er hatte Anya bemerkt, die sich ein paar Meter von ihnen entfernt von der Wand abstieß und auf sie zusteuerte. Kali hingegen schien sie nicht bemerkt zu haben, mutmaßte sie wild weiter. „Möglicherweise war sie es selbst? Aber … nein, das ist unmöglich. Dazu fehlen ihr die nötigen Fähigkeiten.“ „Vielleicht kann die gute Anya uns selbst ein wenig auf die Sprünge helfen?“, sprach der große Blonde an seine Schwester gewandt.   Die gab ihr Bestes, beim Laufen einen selbstbewussten, festen Eindruck zu erwecken. Es bestand kein Zweifel daran, dass sie in ihrer jetzigen Kondition kein Gegner für die beiden war. „Worum geht es denn, huh?“, zischte sie bitterböse. „Ein vereiteltes Mordkomplott etwa? Pech für euch Kackratten, ich lebe nämlich noch.“ Kali trat daraufhin vor Zachariah. „Misch dich nicht in unsere Angelegenheiten ein.“ „Da es um mich geht, sind es sehr wohl auch meine Angelegenheiten, dämliche Pisskuh!“ Entgegen ihres Zustands konnte Anya ihre ureigenen Angewohnheiten einmal mehr nicht unterdrücken. „Lass uns doch hier und jetzt darüber entscheiden, ob du deine Rache an mir bekommst!“ „Die ist so sicher wie das Amen in der Kirche“, versicherte ihr Kali jedoch unbeeindruckt, „dich mir jetzt vorzunehmen wäre nicht besonders befriedigend.“ Anya grinste hässlich. „Hast du etwa Schiss, weil du mir jetzt höchstpersönlich gegenüber stehst?“ „Denk was du willst …“ Ihre verhasste Feindin drehte sich um. „Seid dir nur im Klaren darüber, dass du nächstes Mal -mir- gegenüber stehen wirst. Vielleicht solltest du ja Schiss haben?“ Das gesagt, streckte Kali die Hand aus. Direkt hinter Zachariah öffnete sich ein schwarzes Portal, das das schwache Licht der Lampen über ihnen spiegelte. „Hey, warte!“, wollte Anya ihr hinterher, doch verlor die Kontrolle über ihren Körper und sackte gegen die Wand. „Bleibt stehen!“ Auch Zach drehte sich um und folgte Kali, wie sie auf das schwarze Loch inmitten des Ganges zuschritt. „Nichts für ungut, aber … nein.“ „Gebt mir gefälligst mein Zeug wieder!“, forderte Anya zornig. „Es gibt nichts in dieser Welt“, entgegnete Kali plötzlich und blieb vor dem Portal stehen, „das dir gehört.“ „Wenigstens mein Deck“, flehte die Blonde jedoch plötzlich. Kali schwieg erst eine Sekunde, bis sie sagte: „Davon weiß ich nichts.“ Dann trat sie ein, kurz darauf auch Zach, und mit ihnen verschwand auch die Krümmung im Raum. Anya rutschte an der Wand entlang auf die Knie. Und schlug mit der Faust auf den metallischen Boden. „Scheiße!“     Turn 63 – Day Of The Ghost Durch Kyons Einmischen sind Exa und Kakyo verschwunden. Stattdessen will Zanthe jetzt ein Duell mit dem Immateriellen austragen, um die Wahrheit über ihn zu erfahren. Sich darauf einlassend, bringt Kyon sie beide an einen anderen Ort, wo sie ungestört duellieren können. Und beginnt sich im Verlauf ihrer Konfrontation, ganz zu Zanthes Verblüffung, zu öffnen … Kapitel 68: Turn 63 - Day Of The Ghost -------------------------------------- Turn 63 – Day Of The Ghost     Das schwarze, ovale Portal öffnete sich und voran trat Zanthe heraus, der sich im Gehen umsah. Sofort fiel ihm die Umzäunung auf, die seine Umgebung in alle Richtungen abgrenzten, kurz darauf ein kleines Treppenhäuschen hinter ihnen. „Hier sind wir ungestört“, sagte Kyon, als sich das Portal schloss. Jubel drang an Zanthes Ohr, sodass er abgelenkt an den Zaun heran schlenderte. Sich mit einer Hand darin festkrallend, blickte er hinab zur Straße, in der sich das Gebäude befand, auf dessen Dach Kyon sie geführt hatten. Dort unten standen ein paar Jungs vor einem Elektronikgeschäft, das um diese Uhrzeit noch geöffnet hatte. Auf dutzenden Fernsehern wurde das Duell zwischen Anya und ihrem Bruder Zachariah übertragen. Die Kinder standen in dem Lichtkegel einer der Straßenlaternen. „Wo ist Exa?“, fragte Zanthe tonlos, ohne seinen Blick abzuwenden. „Ganz in der Nähe. Ich musste ihn von Kakyo Sangon trennen“, versicherte ihm Kyon. Der Werwolf löste seine Finger aus dem Maschendraht und drehte sich um. „Exa, Kakyo, der Sammler … und mittendrin du. Ich will Antworten.“   Kyon streckte seinen Arm vor. Dort befand sich seine flügelähnliche Duel Disk, die mit einem leisen Klacken ausfuhr. „Und du sollst sie bekommen. Sofern du dich mit mir duellierst.“ „Und wenn ich verliere, gehe ich leer aus?“, hakte Zanthe misstrauisch nach. Sein Gegenüber schüttelte den Kopf. „Nein. Wenn du verlierst, weiß ich, dass ich noch besser auf dich Acht geben muss. Dann bist du noch nicht bereit für-“ „Was soll das alles!?“, brach es plötzlich aus dem immer zorniger werdenden Werwolf heraus, der die Arme weit von sich streckte. „-Du- willst auf mich aufpassen!? Bist du mein Vater!? Meine Mutter!? Ach nein, du steckst ja im Körper meines Bruders Alessandro! Aber du bist nicht er!“ „Dennoch habe ich es ihm versprochen, bevor seine Seele in den Limbus überging.“ Zanthe weitete die Augen, als er dieses Wort hörte. Erinnerungen wurden wach, die er sofort wieder unterdrückte.   Aus der Ferne hallte ein mächtiges Donnern bis zur Lichtung. Zanthe hockte auf den Knien, stützte sich mit den Händen im Moos ab. Unter ihm lag eine einzelne Karte, [Angel Wing Dragon]. Die Augen fest zugekniffen, fielen von ihnen die Tränen hinab. „Geh weg“, presste er mühsam mit zitternder Stimme hervor. Inmitten dieser schicksalsträchtigen Nacht ragte über die Bäume hinaus ein riesiger Turm. Von Explosionen heimgesucht, stürzte er langsam ein, doch verschwand inmitten dieses Prozesses urplötzlich. „Er hat dich als seinen Nachfolger auserwählt, Zanthe Montinari“, sprach Kyon, der hinter dem jungen Mann stand. Sein Erscheinungsbild damals war gänzlich anders als heute, so trug auch er sein langes, schwarzes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Gehüllt war er in einen weißen Mantel, auf eine Sonnenbrille verzichtete er. „Ich will das nicht! Und jetzt verschwinde!“, wimmerte Zanthe. Kyon sah auf seinen vor sich ausgestreckten Arm herab, an dem ein Duellhandschuh derselben Machart wie Zanthes befestigt war. Diesen griff er und zog ihn von der Hand. „Dein Bruder-!“ Mit einem Ruck sah der Kopftuchträger mit geweiteten Augen über seine Schulter. „Auch wenn du im Körper meines Bruders steckst, werde ich-!“ Er verstummte, als etwas Nasses seine Wange streifte. Doch es waren nicht seine eigenen Tränen, sondern die des Himmels.   Zanthe zuckte zusammen, als er sich bewusst wurde, woran er sich gerade erinnerte. Zu allem Überfluss benetzte plötzlich eine winzige Wasserperle seine Wange. Dann noch eine. Beide blickten nach oben, in den wolkenverhangenen Nachthimmel. Es begann zu regnen. Genau wie damals, als Zanthe um Kyons Existenz erfuhr – und seinen Bruder verlor. Er war es auch, der als Erster den Kopf wieder senkte. „Ich werde mich mit dir duellieren, alles klar? Aber nicht, weil ich von dir beschützt werden will. Deine Hilfe brauche ich gewiss nicht!“ „Mir ist gleich, aus welchen Beweggründen du zusagst. Zeig mir, wie viel Hüter noch in dir steckt!“, rief Kyon streng und schwang seinen Arm aus. „Zanthe Montinari!“ Ebenjener drückte mit dem Daumen das Juwel in seinem Armreif, welcher sich umgehend um seine Hand schloss und zu dem Handschuh wurde, welchen er für seine Duelle verwendete. In diesen schob er sein Deck, welches er aus der Hosentasche zauberte. „Gut“, war alles, was Kyon dazu zu sagen hatte. Zanthe nahm es jedoch kurzerhand wieder aus der Halterung seines Duellhandschuhs und begann es nach einer Karte zu durchsuchen. „Bevor wir beginnen, gibt es noch etwas, das ich dir zurückgeben muss.“ Als er sie gefunden hatte, warf er sie Kyon unvermittelt zu. Der fing sie zwischen Zeige- und Mittelfinger auf, drehte sie zwischen ihnen und lächelte geheimnisvoll. „Oh, [Spellbooks Of Tetrabiblos]. Ich nehme an, du brauchst sie nicht länger?“ „Ich habe sie nie gebraucht! Ich weiß ja nicht einmal, wie sie in mein Deck gelangt ist!“, stellte Zanthe nicht ganz wahrheitsgemäß klar, denn gegen Edna hatte sie ihm auf Valeries Hochzeit sehr wohl geholfen. „Wie dem auch sei, es ist deine, also nimm sie.“ Dem folgte Kyon auch, indem er die Karte ins Deck seiner flügelartigen Duel Disk steckte. „Also gut. Bist du bereit?“ „Und wie ich das bin! Klären wir das ein für alle Mal, Duell!“   [Zanthe: 4000LP / Kyon: 4000LP]   Kyon streckte einladend den Arm aus. „Der erste Zug ist deiner.“ „Ja, weil er nicht mehr so viele Vorteile wie vor der Regeländerung birgt, nicht wahr?“ Der Kopftuchträger rümpfte die Nase. „Aber wenn du meinst, dann fange ich an.“ So zogen beide fünf Karten von ihrem Deck. „Dieses Monster setze ich!“, verkündete er und ließ es in horizontaler Position mit nach oben zeigendem Kartenrücken vor sich in vergrößerter Form erscheinen. „Dazu setze ich was. Du bist.“ Noch eine Karte materialisierte sich auf seiner Spielfeldseite, allerdings in vertikaler Lage.   „Alles geschieht zur rechten Zeit unter den rechten Bedingungen. Dieses Duell war lange vorhergesehen.“ Kyon lächelte geheimnisvoll, als er nach seinem Deck griff. „Draw!“ Die sechste Karte zu seinem restlichen Blatt steckend, zückte er jene neben ihr und zeigte den Spielfeldzauber vor. „Ich aktiviere [The Grand Spellbook Tower]!“ Die Umgebung veränderte sich. Plötzlich standen beide auf einer breiten, schier unendlich langen Straße, die zu einem riesigen Turm führte, indem gerade ein blitzender Wirbelsturm einschlug. Ihr Umfeld flackerte kurz auf, dann standen beide wieder auf dem Dach des mehrstöckigen Bürogebäudes. Zanthe hielt die Hand gespreizt vor seiner offen stehenden Schnellzauberkarte. „Das kannst du vergessen, es gibt kein Heimspiel für dich. [Mystical Space Typhoon] hat deinen Turm zum Einsturz gebracht.“ „Aber einer seiner Einwohner konnte sich retten“, meinte Kyon unbesorgt. „Und je höher die Zahl der Spellbooks auf meinem Friedhof war, nachdem der Turm zerstört wurde, desto größer auch die Stufe des Hexers, den ich vom Deck beschwöre.“ In einer abwertenden Geste winkte Zanthe ab. „Kann ja nicht viel sein, denn außer dem Turm gibt es da rein gar nichts.“ „Deswegen ist jenes Monster auch der Stufe 1-[Stoic Of Prophecy].“ Zwei lange Stäbe knallten vor Kyon in den Boden. Zwischen ihnen tauchte ein rothaariger Zauberer auf, der sie mit je einer Hand aufnahm. Die Kristalle an ihren Spitzen begannen zu glimmen.   Stoic Of Prophecy [ATK/300 DEF/200 (1)]   „Sicherlich wirst du mir zustimmen, dass dieses Monster zu schwach ist, um auf dem Feld zu verweilen“, sagte Kyon und nahm es von seiner Duel Disk, „deswegen biete ich es als Tribut für [Prophecy Destroyer] an.“ Der Stoiker löste sich in Luft auf. An seiner Statt entstand ein dunkler Nebel, aus dem eine gehörnte Gestalt trat. Über zwei Meter groß, lief der geflügelte, teuflische Dämon aufrecht. In der Hand hielt er ein rot leuchtendes Kurzschwert.   Prophecy Destroyer [ATK/2500 DEF/1200 (6)]   Nebenbei schoss eine einzelne Karte aus Kyons Deck, welcher jene vorzeigte und dann in sein Blatt aufnahm. „Selbstverständlich hat es einen tieferen Sinn, warum ich [Stoic Of Prophecy] gerade jetzt geopfert habe. Wird er auf den Friedhof geschickt, erhalte ich einen Stufe 3-Magier wie [Temperance Of Prophecy] von meinem Deck. Jeder meiner Züge ist exakt geplant.“ „Schön für dich“, zischte Zanthe gehässig zurück, „du hast ja auch geplant, -seinen- Körper zu übernehmen, nachdem er … nachdem er …“ Der junge Mann senkte den Kopf. „Nachdem er -fortgegangen- ist.“ „Es war seine Entscheidung. Alles. Das habe ich dir bereits mehr als einmal versucht ans Herz zu legen.“ Ruckartig richtete Zanthe sich auf. „Ach ja!? Also behauptest du, nichts von dem sei deine Schuld gewesen!?“ Während er wild zu gestikulieren begann, regte sich der Sonnenbrillenträger keinen Millimeter. Er antwortete geradezu berechnend: „Das ist korrekt. Ich habe ihn über alles im Vorfeld aufgeklärt.“ „Als ob ich dir das jemals glauben würde!“ Der Butler des Sammlers rückte die kreisrunde Sonnenbrille auf seiner Nase mit dem Handrücken zurecht. „Ich fürchte, dir bleibt nichts anderes übrig, Zanthe Montinari. Aber das ist eins, mein Zug das andere. Diesen setze ich fort, indem ich [Spellbook Of Secrets] aktiviere und damit ein neues Spellbook von meinem Deck erhalte: [Spellbook Of The Master].“ Dieses zeigte er vor und aktivierte es im Anschluss sogleich, während er dabei einen blau leuchtenden Wälzer in der anderen Hand hielt. „Es imitiert den Effekt eines bereits genutzten Spellbooks und funktioniert dementsprechend. So wähle ich [Spellbook Of Secrets] und erhalte ein neues Buch von meinem Deck.“ Die Farbe seines Buches änderte sich, wurde violett. Auch der Einband, die Form, sie wechselten kaum merklich ihre Erscheinung. „Dieses Mal fällt die Wahl auf [Spellbook Of Wisdom].“ Und Zanthe schnaubte bereits, gefiel ihm nicht, dass sein Gegner scheinbar für irgendetwas seinen Friedhof mit diesen Büchern füllte. „Also dann, ich deklariere einen Angriff auf dein gesetztes Monster. [Prophecy Destroyer], Prophecy #15 – Road to One's Demise!“ Der teuflische Dämon schwang nur einmal seine Klinge in Richtung von Zanthes gesetzter Karte, aus der im selben Moment ein weißer Krieger mit orange leuchtenden Zangenarmen erschien.   Constellar Acubens [ATK/800 DEF/2000 (4)]   Von der Waffe löste sich ein Lichtstreifen, der durch die Luft glitt und Acubens zerteilte. Dessen zwei Hälften zersprangen dann in tausend Einzelteile. Kyon nahm eine Karte aus seinem Blatt und schob sie in seine Duel Disk. „Ich setze wie du es getan hast eine Karte. Zug beendet.“ Zischend materialisierte jene sich vor ihm.   Aufgeregt zog Zanthe nach und präsentierte die neue Karte sogleich. „Ich aktiviere den permanenten Zauber [Constellar Star Chart]. Was er bewirkt dürftest du wissen!“ Weit über den Dächern begann ein goldenes Symbol zu leuchten, ein Kreis, der in sich einen Windrosen ähnlichen Stern einschloss. „Ich beschwöre [Constellar Algiedi] und durch ihren Effekt noch [Constellar Pollux] hinterher, da er genau Stufe 4 ist.“ Er hielt Kyon die beiden Karten geradezu demonstrativ entgegen, ehe er sie in seinen Duellhandschuh schob. Zu beiden Seiten neben ihm tauchten kleine Schlüssel aus Kupfer auf, die er nahm und zwischen den Fingern geklemmt ausschwang. Zwei runenverzierte Portale bildeten sich daraufhin zu seiner Linken und Rechten. „Open a door to the goat! Open a door to the twins!“ Beide zersprangen und somit stand links neben Zanthe eine in Weiß gekleidete Hexe in blauem Cape und mit Zauberstab bewaffnet, rechts ein maskierter Schwertkämpfer, ebenfalls ganz in Weiß, welcher ein Schwert mit zwei parallel zueinander verlaufenden Klingen führte.   Constellar Algiedi [ATK/1600 DEF/1400 (4)] Constellar Pollux [ATK/1700 DEF/600 (4)]   Beide wurden aber sogleich wieder von Zanthe aus dem Handschuh genommen, übereinander gelegt und in die Luft gehalten. „Aus meinen beiden Stufe 4-Sternen wird ein großer Stern.“ In seiner Hand materialisierte sich ein fast ein Meter langer, massiver Goldschlüssel, den er gegen die Stirn legte. „Open a gate to the Sacred Star Knights! To the Overlay Network!“ Vor ihm öffnete sich ein schwarzer Galaxienwirbel, welcher seine beiden Monster in sich aufsaugte. Zanthe rammte den Schlüssel unter einem ehrgeizigen Aufschrei in den Boden. Unter ihm breitete sich daraufhin ein gewaltiger Runenzirkel aus, der von den Symbolen der Sternzeichen geprägt war. „Xyz Summon! Erstrahle, [Constellar Praesepe]!“ Der Schlund verschwand. Stattdessen wuchs vor Zanthe aus dem Boden ein in weiß-goldener Rüstung gepanzerter Krieger, der massive Schlagringe aus purem Gold schwang. Auf seinem Rücken befand sich ein metallischer Umhang, der verschieden lange Spitzen in alle Richtungen aufblitzen ließ. Um Praesepe kreisten zwei Lichtkugeln.   Constellar Praesepe [ATK/2400 DEF/800 {4} OLU: 2]   Das über den Dächern leuchtende Symbol begann zu pulsieren. „Einmal pro Zug, wenn ein Constellar-Xyz unter der [Constellar Star Chart] beschworen wird, darf ich eine Karte ziehen.“ Zanthe riss die oberste Karte von seinem Deck und schob sie im Anschluss in seinen Handschuh, die sich vor ihm materialisierte. „Setzen wir sie doch gleich.“ Dann streckte er den Arm aus und zeigte mit dem Finger auf den Dämonen. „Komm Praesepe, der ist doch ein gefundenes Fressen für dich! Angriff, Sacred Star Raid!“ Zunächst hielt der Krieger seine Rechte hoch in die Luft, welche eine der Lichtkugeln absorbierte.   Constellar Praesepe [ATK/2400 → 3400 DEF/800 {4} OLU: 2 → 1] Er verschwand im Folgenden so schnell, dass selbst Kyon einen erstaunten Laut von sich gab. Denn sein Dämon sah nur noch die Faust auf sich zufliegen, ehe er in einer Explosion unterging. Der schwarzhaarige Butler wich zurück. „Eine interessante Wendung.“   [Zanthe: 4000LP / Kyon: 4000LP → 3100LP] „Praesepe kann sich oder andere Constellar im Kampf temporär stärken, wenn ich dafür ein Xyz-Material locker mache“, erklärte Zanthe, „dein Zug, Kyon.“   Constellar Praesepe [ATK/3400 → 2400 DEF/800 {4} OLU: 1]   „Interessant, doch nicht völlig unerwartet“, sinnierte dieser weiter und zog auf. Der Gegensatz konnte nicht krasser sein, hielt er doch fünf Karten fest, sein Gegner dagegen nur eine einzige. Der schwarzhaarige Butler überlegte eine ganze Weile, in welcher Zanthe bereits ungeduldig mit der Fußspitze auf den Boden tippte, ehe er sich für eine Vorgehensweise entschied. „So soll es sein: Ich beschwöre [Temperance Of Prophecy].“ Ein hellblauer Dampf stieg von den beiden goldenen Kelchen auf, die zuerst das Spielfeld betraten. Zwischen ihnen gewann eine in brauner Kutte verhüllte Schamanin Gestalt, welche Hand an die wertvollen Stücke legte.   Temperance Of Prophecy [ATK/1000 DEF/1000 (3)]   Schlagartig stieg ein wesentlich dunklerer Nebel vor Kyon auf und ehe Zanthe sich versah, kam daraus mit erhobenem Schwert der [Prophecy Destroyer]. Rot glühte seine Klinge wie je her. „Der Teufel kommt immer wieder, solange man für ihn drei Spellbooks vom Friedhof verbannt“, erklärte Kyon mit einem spitzbübischen Grinsen, während er [Spellbook Of Secrets], [Spellbook Of The Master] und [The Grand Spellbook Tower] in der Hand hielt.   Prophecy Destroyer [ATK/2500 DEF/1200 (6)]   Der Werwolf verschränkte argwöhnisch die Arme voreinander. „Dafür also …“ „Es wird noch besser, denn mein Vorhaben ist brillant. So aktiviere ich jetzt [Spellbook Of Power].“ In der freien Hand des Dämons tauchte ein roter, leuchtender Wälzer auf, welcher jenen aufmerksam durchlas. Das neu errungene Wissen stellte sich als glühende Aura dar, welche um den Zerstörer aufflackerte.   Prophecy Destroyer [ATK/2500 → 3500 DEF/1200 (6)] „Derjenige Magier, der das [Spellbook Of Power] liest, erhält 1000 Angriffspunkte für einen begrenzten Zeitraum“, erklärte Kyon und streckte den Arm aus, „mehr noch, wird ein Spellbook gelesen, vermag [Temperance Of Prophecy] ihren Effekt zu aktivieren.“ Jene schrie plötzlich hysterisch auf und ließ die Kelche fallen. Während sie sich ebenfalls in blauen Nebel verwandelte und mit dem aus den Kelchen verschmolz, nahm Kyon eine hervorstehende Karte aus seinem Deck und legte sie auf die Duel Disk. „So opfert sie sich für eine andere Weissagung. Diese ist [Wheel Of Prophecy]!“ Der Nebel zog sich zusammen und bildete den Körper eines humanoiden Löwenkriegers, der einen mächtigen, runenverzierten Schild mit sich führte.   Wheel Of Prophecy [ATK/2700 DEF/1700 (8)]   „Und da das Rad durch den Effekt eines Magiers beschworen wurde, beginnt es sich nun zu drehen“, verkündete Kyon. „Es schickt nun eine beliebige Anzahl an verbannten Spellbooks in mein Deck und den Rest auf meinen Friedhof.“ Genau das tat der kräftige Löwenmann auch: Er drehte seinen Schild in der Hand im Uhrzeigersinn, aus dem dutzende Symbole durch die Luft schossen. Kyon schob [The Grand Spellbook Tower] zurück in sein Deck, danach legte er die anderen beiden auf seinen Friedhof zurück. Zanthe stand der Schweiß auf der Stirn. „Natürlich, du willst deinen Teufel auf dem Feld halten.“ „Ich denke viel vorausschauender als das. Nun, ich greife deinen [Constellar Praesepe] an! [Prophecy Destroyer], Prophecy #15 – Road to One's Demise!“ Zanthe ballte eine Faust mit seinem Handschuh und schlug diesen direkt über seine gesetzte Karte in die Luft aus. „Vergiss es! Falle aktivieren, [Draining Shield]! Dein Angriff wird annulliert und direkt meinen Lebenspunkten gutgeschrieben!“ Die Karte klappte auf. Am Arm seines Sternenkriegers materialisierte sich ein spiegelnder Schild, den er erhob, als sein Feind die rote Klinge ausholend schwang und damit einen roten Lichtstreifen auf ihn schleuderte. Plötzlich nahm dieser einen purpurnen Ton an und zerschmetterte Schild und Träger gleichermaßen. Zanthe keuchte auf. „Du machst wohl Witze …!“ „Mitnichten. Auch ich habe eine Karte aktiviert, mein verdecktes [Spellbook Of Wisdom]. Es beschützt einen Magier wahlweise vor dem Einfluss feindlicher Zauber oder Fallen. Der Angriff ging also durch …“ Zanthe zuckte mit den Schultern. „Und wenn schon. Lebenspunkte bekomme ich trotzdem, da jener Teil des Effekts von [Draining Shield] mich betrifft und nicht dein Monster.“ Die leuchtende Energieklinge schoss an ihm vorbei, denn Zanthe wich ihr aus, indem er den Kopf zur Seite neigte. Trotzdem strich sie seine Wange, aus der ein Rinnsal an Blut über die Haut trat und krachte anschließend durch den Zaun, welcher jetzt durch einen leicht schräg verlaufenden Schnitt gezeichnet war.   [Zanthe: 4000LP → 7500LP → 7400LP / Kyon: 3100LP]   Kyons Deck begann plötzlich rötlich zu strahlen. Eine einzelne Karte stand daraus hervor und Zanthe rollte nur noch mit den Augen. „Zusätzlich zum stärkenden Effekt des [Spellbooks Of Power] kommt, dass es, sollte sein Wissen korrekt angewendet werden, ein neues Buch ins Leben ruft. Und du kennst es.“ Der Sonnenbrillenträger drehte jene Karte zwischen seinen Fingern. „[Spellbooks Of Tetrabiblos]. Bereust du jetzt, mir die Karte zurückgegeben zu haben?“ Zanthe schüttelte trotzig den Kopf. „Du solltest aber. Nicht jede Entscheidung ist die richtige, schon gar nicht, wenn sie aus Trotz getroffen wurde. Doch noch ist nicht der rechte Zeitpunkt, dir diese Lektion zu erteilen. Zunächst befehle ich einen direkten Angriff. [Wheel Of Prophecy], Prophecy #10 – Motion of the Stars!“ Zunächst drehte der Löwenkrieger seinen Schild vor sich, dann nahm er ihn und warf ihn wie einen Diskus auf Zanthe. Dieser wich nach hinten aus und duckte sich so unter dem Angriff geschickt hinweg. Kopfüber sah er, wie der Schild kurz vor dem abgrenzenden Zaun einen Bogen machte und zurückkehrte, dieses Mal tiefer fliegend. Schnell richtete er sich auf und machte einen Sprung aus dem Stand über die Waffe hinweg, die sicher in die Hände ihres Besitzers zurückkehrte, welcher sie in gebückter Haltung auffing.   [Zanthe: 7400LP → 4700LP / Kyon: 3100LP]   „Kinderspiel“, flötete der junge Mann selbstbewusst. „Für deinesgleichen unbedingt.“ Kyon rückte seine Sonnenbrille zurecht. „Zug beendet.“ Die rote Aura um seinen Teufel legte sich schließlich.   Prophecy Destroyer [ATK/3500 → 2500 DEF/1200 (6)]   Die Augen zusammenkneifend, bewegte Zanthe seine Hand in Richtung Deck. „'Meinesgleichen'? Was ist denn 'meinesgleichen'!?“ „Ein Werwolf natürlich. Eure athletischen Fähigkeiten werden nur von wenigen anderen Dämonen übertroffen.“ „Nur bin ich kein Dämon!“, protestierte Zanthe erzürnt, hatte er mit genau dieser Antwort gerechnet. „Ein Werwolf ja, noch! Aber kein Dämon!“ „Ich habe lediglich simple Fakten genannt.“ „Dann nenne ich dir jetzt auch einen! Du steckst im Körper meines toten Bruders und besitzt die Dreistigkeit, -mich- zu beleidigen!“ Zanthes Pupillen leuchteten für einen kurzen Augenblick golden auf. „Ich kann dir nur raten, dieses Duell zu gewinnen und mich zu töten, denn lieber sehe ich meinen Bruder unter der Erde, als mit dir darin über ihr!“ „Also bist du bereit, dich mit so einem Schicksal abzufinden?“ Ehe sein Gegenüber etwas darauf erwidern konnte, schnitt ihm Kyon das Wort ab. „Kannst du deinen Bruder nach all der Zeit nun endlich gehen lassen? Das überrascht mich.“ „Was weißt du?“ Zanthe versuchte mühsam, seine Fassung zu wahren. „Mein Bruder ist tot. Alles, was von ihm übrig ist, ist sein Körper. Ich habe jetzt andere Verpflichtungen. Anya, Matt, Exa …!“ „Dieser Mann bedeutet dir sehr viel, obwohl ihr euch erst wenige Tage kennt“, erwiderte Kyon und sah gen Himmel in den Regen, welcher seine Sonnenbrille mit dicken Tropfen benetzte, „weißt du auch, warum das so ist?“ Zanthe, dessen Hand bereits vor seinem Deck angelangt war, hielt in der Bewegung inne. Er ließ den Arm sinken und zuckte mit den Schultern. „Weil er … irgendwie der erste Mensch ist, der sich mit mir anfreunden wollte. Und nicht etwa umgedreht.“ „Er hat dich nicht erkannt, du ihn aber. Dieser Mensch ist für dich ganz besonders, ohne, dass du davon weißt. Als du ihm zum ersten Mal begegnet bist, hast du ihn für mich gehalten, nicht wahr? Oder eher …“ Der Werwolf keuchte, als er sich zurückbesann. „Alessandro … Moment!“ Sein Gegenüber nickte. „Es ist, wie du vermutest. In Exa schläft die Seele deines Bruders. Mir ist es gelungen, Alessandro Montinaris Seele aus dem Limbus zu befreien. Dein Bruder ist noch nicht tot, deshalb solltest du deine Worte in Zukunft mit mehr mit Bedacht wählen.“ Mit offenem Mund starrte Zanthe Kyon an. Das konnte nicht sein! Er log, so hämmerte es förmlich im Kopf des Schwarzhaarigen. Der Limbus war der Ort, wo all jene Seelen landeten, die einen Pakt mit einem anderen Wesen brachen oder die unter besonderen Umständen den Tod fanden. Alessandro gehörte zu Ersteren, er verlor seine Seele, da er seinen Pakt mit Kyon nicht erfüllen konnte. Obwohl nicht viel über den Limbus in Erfahrung gebracht werden konnte, so galten zwei Dinge als gesichert: Er galt als das, was die Menschen sich unter der Hölle vorstellten. Und es gab kein Entkommen. Nicht einmal einem Dämon vom Kaliber des Sammlers war es je gelungen, in den Limbus einzudringen!   „Ich weiß, was du jetzt denkst“, sagte Kyon, der plötzlich nach seiner Sonnenbrille griff und sie abnahm. Dahinter traten braune Augen hervor, die den Werwolf genau musterten. „Doch glaube mir, es gibt eine 'Person', die den Limbus betreten kann. Ich habe sie ausfindig machen und um Hilfe bitten können.“ Zanthe aber schüttelte vehement den Kopf. „Du lügst!“ „Es ist die Wahrheit. Hör mir zu.“ Der Butler streckte beide Arme zur Seite aus. „Sobald ich mein Ziel erreicht habe, werde ich diesen Körper verlassen. Bis dahin jedoch musst du Exa unter allen Umständen beschützen.“ „Was beabsichtigst du hiermit, huh!?“ Zanthe wurde zunehmend lauter. „Ich glaube dir kein Wort!“ „Exa ist ein Hüter, genau wie du einer warst“, überging Kyon die Frage glatt, „er darf unter keinen Umständen mit Anya Bauer in Kontakt treten! Wenn sie ihre Conqueror's Soul benutzt, um seine Kräfte zu absorbieren, wird Alessandro Montinaris Seele zerstört werden. Und darüber hinaus wird Exa dabei sterben!“ Zwar hörte dessen Bruder jene Worte, doch glitten sie an ihm vorbei, als wären sie nichts als Wind. Er vermochte in diesem Moment nicht, sie überhaupt zu erfassen. Da es nur eines gab, was er wissen wollte. „Was verdammt noch mal willst du erreichen!? Wer bist du!?“ „Hör mir zu, Zanthe Motinari!“, übertönte Kyon ihn jedoch mit voller Lautstärke. „Verhindere, dass Anya Bauer deinen Freund konfrontiert! Es gibt noch etwas, was du über ihn wissen solltest, aber das musst du unter allen Umständen für dich behalten! Exa ist …“   ~-~-~   Mühsam schleppte sich Anya durch den dunklen Gang. Immer noch litt sie unter den Nachwirkungen von Zachs Angriffen, welche sich als besonders fiese Gliederschmerzen äußerten. Aber auch allgemeine Erschöpfung machte es ihr zunehmend schwerer, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Allerdings konnte sie bereits die Tür sehen, welche zurück zum Vorbereitungsraum führte. Genau davor gingen noch zwei Gänge nach links und rechts ab, welche sich wie ein Ring um das Gebäude zogen und hauptsächlich vom technischen Personal benutzt wurden.   Kaum hatte Anya die Tür erreicht, ließ sie eine bekannte Stimme innehalten. „Gut gespielt, Kleine“, lobte sie Logan, der an der Wand des linken Ganges lehnte und die Arme verschränkt hielt. Die Blonde drehte träge den Kopf zur Seite, konnte sich aber trotz der natürlich-absolut-böse-gemeinten Anspielung auf ihre Körpergröße ein Grinsen abringen. „Danke. War doch gar nicht so schwer, wie ich dachte.“ „Trotzdem siehst du aus wie jemand, der jetzt eine Pause braucht.“ Der Schwarzhaarige mit den buschigen Koteletten löste sich von der Wand. „Ich bring' dich zurück ins Hotel.“ „Ich schaff das-!“ Nein, tat sie nicht, wie sie selber merkte, als sie in seine Richtung kippte und von dem gleichgroßen Mann aufgefangen werden musste. „War kein Angebot“, stellte Logan daraufhin klar und half dem Mädchen, wieder gerade zu stehen. „M'kay“, willigte Anya ein, da sie zu müde war, um ihrem Drang zum Widersprechen nachzugeben. „Hab 'ne Idee“, meinte er plötzlich, als er völlig unerwartet seinen Arm um sie schlang und so abstützte. „Könnten ja deinen Sieg feiern. Kenne da 'ne gute Bar.“ „W-was!? L-lass mich los!“, stammelte Anya, die in Windeseile knallrot anlief. Als würde er sie gar nicht hören, zog er sie regelrecht zum Ausgang. „Ohne Alkohol für dich versteht sich, bist ja noch minderjährig. Lad' ruhig alle deine Freunde ein, geht alles auf mich.“   Verblüfft betrachtete das Mädchen ihn von der Seite. Er strahlte mit einem Male förmlich. So hatte sie ihn noch nie gesehen. Und irgendwie steckte es an. „M'kay …“ „Aber erstmal gönnste dir 'ne Mütze Schlaf.“ „War ich denn … gut?“, fragte Anya verlegen. „Mhm“, brummte er nachdenklich, „du wärst besser, wenn du deine Familienangelegenheiten außen vor gelassen hättest. Oder vielleicht warst du gerade deswegen gut?“ Die beiden blieben direkt vor der metallischen Tür stehen. Anya fragte: „Wohl eher Letzteres. Die Leute werden jetzt über mich reden, was?“ „Werden sie“, versicherte Logan ihr ernst, „so läuft das in dieser Branche. Aber davon darfst du dich nicht beeindrucken lassen, sonst machen sie mit dir, was sie wollen.“ „'kay …“, gab Anya müde zurück.   Sei froh, dass sie mich nicht interviewen können, Anya Bauer. Ansonsten wäre das Erste, was ich den Reportern sagen würde, dass du eine verdammt dämliche Kuh bist!   Vor Schreck stieß Anya einen spitzen Schrei, wodurch selbst Logan zusammenzuckte und fragte: „Bin ich dir auf den Zeh getreten?“   Selbst wenn, wäre das nicht halb so schmerzhaft wie die Hölle, durch die ich gehen musste! Hast du eine Ahnung …   Glücklich schloss Anya die Augen. Dem schien es wohl wieder gut zu gehen, wenn er meckern konnte …   ~-~-~   „… lächerlich.“ Zanthe zog geradezu lasch von seinem Deck, nahm dann eine Karte aus seinem Blatt. „Und selbst wenn es wahr wäre, warum ist er dann hier?“ „Wegen mir. Ein anderer kam nicht infrage.“ „Natürlich. So ein Zufall aber auch“, spottete Zanthe grimmig. „Erspar' mir deine Lügen! Es sagt doch schon alles, dass du dich nur ins Turnier gemogelt hast, um Anyas Position zu sichern! Damit alles so läuft, wie der Sammler sich das vorstellt!“ Kyon regte sich nicht. „Es war eine Anweisung.“ „Natürlich war es das“, zischte der Bruder seines Wirtes ärgerlich und schob die Zauberkarte in seinen Handschuh. „Wie auch immer, ich aktiviere [Constellar Star Cradle]!“ Das über den Dächern hängende Symbol der Sternenkundler schoss zwei Lichtstrahlen ab, deren Weg direkt in Zanthes Hand führte. Der erklärte dazu: „Dafür, dass ich diese Runde nicht angreifen darf, bekomme ich zwei gefallene Sterne zurück, nämlich [Constellar Pollux] und [Constellar Algiedi]. Genau Letztere beschwöre ich jetzt auch!“ Zwischen seinen Fingern tauchte ein einfacher Schlüssel aus Kupfer auf, den er zur Seite ausschwang. „Open a door to the goat! Erscheine, [Constellar Algiedi]. Und ihr Effekt erlaubt es mir, ein Stufe 4-Constellar aus meiner Hand zu rufen!“ Noch während neben ihm, dort wo der Schlüssel mündete, ein Energieportal verziert mit astronomischen Symbolen entstand, tauchte in seiner anderen Hand ein weiterer dieser Schlüssel auf, den er ebenfalls weit zur Seite streckte. „Open a door to the archer! [Constellar Kaus]!“ Als die weiße Hexe bereits aus ihrem Siegel brach, bildete sich das zweite erst noch, bis schließlich ein weißer Zentaursoldat, welcher einen goldenen Bogen mit sich führte, neben Zanthe erschien. Constellar Algiedi [ATK/1600 DEF/1400 (4)] Constellar Kaus [ATK/1800 DEF/700 (4)] Jener Krieger richtete seine Waffe gen Himmel und schoss zwei gelb glühende Pfeile in gerader Linie ab. „Zweimal pro Zug kann Kaus die Stufe eines belieben Constellars um eins verändern.“ Beide Monster auf Zanthes Spielfeldseide wurden schließlich von jenen getroffen und erstrahlten in derselben, grellen Farbe wie die Pfeile.   Constellar Algiedi [ATK/1600 DEF/1400 (4 → 5)] Constellar Kaus [ATK/1800 DEF/700 (4 → 5)]   „Du weißt, was jetzt kommt“, kündigte der Werwolf grimmig an und streckte die Hand aus. Zwischen seinen Fingern materialisierte sich ein goldener Schlüssel von der Größe eines Schwertes, den er ergriff und gegen die Stirn legte. „Aus meinen beiden Stufe 5-Monstern wird ein gleißender Stern. Open a gate to the Sacred Star Knights! To the Overlay Network! Xyz Summon!“ Seine Monster verwandelten sich in gelbe Lichtstrahlen, die von dem Schlüssel in Zanthes Hand absorbiert wurden. Jenen rammte er mit der Spitze voran in den Boden. „[Constellar Pleiades], erscheine!“ Unter Zanthe bildete sich ein neuer Zirkel, aus dem ruckartig ein großer Krieger brach. Wie alle seine Monster kam er ganz in Weiß daher, wobei die dunkle, siebenzackige, schwarze Platte auf seinem Rücken einen deutlichen Kontrast dazu bildete. Seine zwei Xyz-Materialien zogen ihre Bahnen um den Hünen, der seine Klinge verkehrt herum hielt, sodass ihre Spitze gen Boden zeigte.   Constellar Pleiades [ATK/2500 DEF/1500 {5} OLU: 2]   Über Zanthe begann das Sternensymbol zu pulsieren. „Da ich wieder ein Constellar-Xyz gerufen habe, darf ich diese Runde einmal aufziehen.“ Sogleich tat er das, betrachtete die Karte zufrieden und steckte sie dann in eine für Handkarten vorgesehene Halterung an seinem Duellhandschuh. „Die behalte ich für später.“ Mit ausgestreckter Hand leitete er den nächsten Schritt seines Zuges ein: „Wie gesagt, angreifen kann ich diese Runde wegen [Constellar Star Cradle] nicht mehr. Aber für etwas Unfug ist immer Zeit. Also benutze ich Pleiades' Effekt!“ Jener absorbierte mit seiner Klinge eine der Leuchtsphären, die um ihn rotierten und warf die Waffe dann in die Höhe. Sie aufrecht auffangend, drehte er sich einmal um 360° und schleuderte so eine Schockwelle in Kyons Richtung. „Hmm“, gab der nur von sich. Es war sein [Prophecy Destroyer], der letztlich getroffen wurde und sich auflöste. „Jetzt kannst du ihn nicht mehr reanimieren, da ich ihn durch Pleiades' Effekt auf deine Hand zurückgegeben habe“, erklärte Zanthe, „Zugende!“ Kyon war noch dabei, die Karte seines Monsters von der Duel Disk zu nehmen. Dabei sagte er: „Du hast das schwächere Monster gewählt? Interessant. Doch im Endeffekt weiß ich bereits, was passieren wird, weshalb ich dir dennoch einige Schritte voraus bin.“ „Glaub was du willst. Duelle werden nicht nur durch akribisches Planen gewonnen.“ Zanthe schlug sich mit der Faust gegen die Brust. „Sondern auch mit Herz.“   Als der Butler des Sammlers zog, entgegnete er: „Dein Bruder glaubte ebenfalls daran. Vielleicht spiegelte sich dieser Glaube sogar in dem Duell wieder, das Exa und Kakyo Sangon ausgetragen haben.“ Plötzlich verdunkelte sich Zanthes Miene jedoch. Statt seinen Freund lobend hervorzuheben, sagte er: „Soll ich ich dir verraten, warum Exa das Duell gewonnen hätte? Weil er einen unfairen Vorteil besaß. Dieses … Ding!“ „Wahre Worte. Hätte er sein Artefakt nicht zu einem Excel-Monster umgeformt, wäre seine Niederlage unvermeidlich gewesen.“ Kyon neigte den Kopf ein wenig nach unten, schob mit dem Zeigefinger seine Sonnenbrille zurecht. Zanthe wich mit einer Kopfdrehung seitwärts dem Blick aus, den der Immaterielle ihm dabei über die Ränder der Brille hinweg zuwarf. „Yeah … aber das ist schließlich das Privileg eines Hüters, oder? Dennoch …“ Er wandte sich letztlich doch an Kyon. „Was sind Excel-Monster?“ „Nichts, worum du dir Sorgen machen musst. Außer mir, Exa, dem Collector und dem Schöpfer der Excel-Monster gibt es niemanden, der solche Karten besitzt. Es ist ironisch, dass Exa die meine abgelehnt hat, nur um später eine eigene zu erschaffen.“ Kyon nahm eine gerade Haltung an. „Ich mag Exa“, gestand Zanthe, „aber in ihm steckt kein Duellant. Und er weiß vermutlich nicht mal, dass er eine Karte dieses Kalibers gar nicht besitzen dürfte.“ „Deswegen musste ich das Duell unterbrechen.“ Zanthe schnaufte wütend. „Dann muss ich dir wohl am Ende doch danken, was?“ „Wenn du das möchtest? Ich fürchte nur, nach meinem Zug wird von deinem Dank nicht mehr viel übrig sein.“   Dies gesagt, zog er in einer zackigen Bewegung seine nächste Karte. Obschon er im Angesicht der anderen fünf auf seiner Hand kaum nötig hatte. So landete sie letztlich auch in seinem Blatt, denn Kyon entschied sich dafür, stattdessen eine andere auszuspielen. „Wissen ist Macht, Zanthe Montinari. Aber Macht ist auch Zerstörung in der Hand eines Narren. Diese Karte ist der Beweis: [Fool Of Prophecy]!“ Er legte das Monster auf seine flügelartige Duel Disk, woraufhin sie vor ihm in Gestalt eines Jünglings in Erscheinung trat. Ein goldenes Zepter schulternd, erweckte der Bursche im gelben Mantel mit seinem vergnügten Grinsen auf den Lippen einen unbeschwerten Eindruck.   Fool Of Prophecy [ATK/1600 DEF/900 (3)]   „Da er nie die Grausamkeit dieser Welt kennengelernt hat, weiß er nicht, wie töricht sein Effekt ist“, philosophierte Kyon und griff nach seinem Deck, „alles was er damit bewirkt, ist das Ablegen eines Spellbooks auf meinen Friedhof.“ Eine einzelne Karte schob sich aus dem Stapel und wurde von Kyon vorgezeigt, [Spellbook Organization], die sogleich im passenden Schlitz entsorgt wurde. Der schwarzhaarige Butler streckte den Arm nach vorn aus. „[Wheel Of Prophecy], kümmere dich um das Problem. Prophecy #10 – Motion of the Stars!“ Schon war der Löwenkrieger im Begriff, seinen radähnlichen Schild wie einen Diskus auf [Constellar Pleiades] zu schleudern, doch genau dieser war es, der als Erster sein Schwert zückte. „Nicht so hastig!“, gebot Zanthe seinem Widersacher Einhalt. „Wenn du dich so gut auskennst, weißt du, dass Pleiades' Effekt jederzeit eingesetzt werden kann! Aus dem Angriff wird also nichts!“ Der Krieger warf seine Waffe in die Luft, begann sich um die eigene Achse zu drehen und fing sie mitten in der Bewegung auf. Was folgte war eine gewaltige Schockwelle, die über das Dach fegte und Kyons Monster trotz gezücktem Schild mit voller Wucht traf. Wortlos, aber mit einem geheimnisvollen Lächeln auf den Lippen, nahm der Butler des Sammlers daraufhin [Wheel Of Prophecy] von seiner Duel Disk.   Constellar Pleiades [ATK/2500 DEF/1500 {5} OLU: 1 → 0]   „Ein Jammer“, sagte er, „demnach muss ich meinen Zug beenden.“ Zanthe rümpfte die Nase. „Schwache Leistung dafür, dass du so große Töne spuckst.“ „Mit Verlaub, nur weil ich den Zug beendet habe, ist das letzte Wort dazu noch nicht gesprochen.“ Unerwartet begann der [Fool Of Prophecy] in goldenem Licht zu erstrahlen. Dies ließ den Werwolf augenblicklich verstummen, was Kyon wiederum nutzte, um das Phänomen zu erklären. „Hat der Narr seine Macht genutzt und das fünfte Spellbook auf den Friedhof gelegt, entfesselt er die wahre Tragödie.“ „Aha. Und welche wäre das?“, gab sich Zanthe betont desinteressiert, obschon seine verkrampfte Körperhaltung eine andere Sprache sprach. Der Narr löste sich auf. Und dort, wo er gestanden hatte, begann dunkler Nebel aufzusteigen. „Er beschwört das größere Übel. Einen Hexer der Finsternis, mit nicht weniger als fünf Stufensternen.“ Mit dem Dunst erhob sich eine schattenhafte Gestalt. „Die Prophezeiung, die niemand gerne hört. Gesprochen vom [Reaper Of Prophecy]!“ Als Kyons Monster sich vor ihm aufgerichtet hatte, festigte sich der Nebel um ihn herum als sein Mantel. Von violetter Farbe, schwang der Hexer eine massive Sense.   Reaper Of Prophecy [ATK/2000 → 2600 DEF/1600 (6)]   Beim Anblick der Punkte gab Zanthe ein gedämpftes Stöhnen von sich. „Sieh dir an, was das törichte Handeln des Narrs bewirkt hat: [Reaper Of Prophecy] erhält für jede Art von Spellbook einen besonderen Effekt, beginnend ab einer Anzahl von drei, bis hin zu fünf verschiedenen.“ Kyon schnippte mit dem Finger. „Effekt Nummer 1: Ein Angriffsboost von 600. Nummer 2: Ein Spellbook für mich, direkt von meinem Deck. Und der letzte: Die Beschwörung eines weiteren Finsternis-Hexers.“ Zwei Karten schoben sich aus Kyons Deck. Die eine präsentierte er, einen Zauber namens [Spellbook Of Fate]. Die andere legte er auf seine Duel Disk. „Erscheine, [Emperor Of Prophecy]!“ Ein Thron erschien. Auf ihm saß ein Magier in violetter Robe, der sich unter einem äußerst gelangweilten Gesichtsausdruck Luft mit seinem Fächer zuwedelte.   Emperor Of Prophecy [ATK/2300 DEF/2000 (5)]   „Was soll das?“, hakte Zanthe schließlich nach. „Denkst du, die beiden da beeindrucken mich?“ „Ich kenne dich und dein Deck. Dachtest du, du könntest aufhalten, was nicht aufgehalten werden kann?“, stellte Kyon stattdessen eine seelenruhige Gegenfrage. „Sieh dir das an.“ Er präsentierte ihm seine Hand, natürlich mit dem Kartenrücken voran. Allerdings fiel Zanthe nichts Ungewöhnliches daran auf. So forderte sein Gegner: „Zähle sie.“ „Eins, zwei, drei, hmm, fünf, sechs … sieben?“ „Exakt. Da es immer noch meine End Phase ist, muss ich eine Karte abwerfen, um das maximale Handkartenlimit einzuhalten.“ Kyon zog sie zwischen Zeige- und Mittelfinger aus der Menge heraus und drehte sie dann um. Zanthe klappte der Mund auf, als er begriff. „[Prophecy Destroyer]!“ „Von Anfang an war ich mir im Klaren darüber, wie du [Constellar Pleiades] einsetzen würdest. Dies ist das Resultat.“ Damit schob Kyon die Karte in seinen Friedhofsschlitz. „Nichts hat sich geändert.“   Beim Klang dieser Worte weitete Zanthe die Augen. Was sollte das heißen!? Dass er zu unfähig war, einen einfachen Immateriellen zu besiegen? Selbst Anya hatte das geschafft! Glaubte er, nur weil er ein paar Züge durchgeplant hat, schon das ganze Spiel gewonnen zu haben? Allein der Gedanke an so viel Hochmut, nicht zuletzt ihm gegenüber, brachte den jungen Mann regelrecht zum Kochen. „Manchmal muss sich nichts ändern“, konterte er zorniger denn je und riss schwungvoll eine Karte von seinem Handschuh. „weil die Dinge gut so sind, wie sie sind. Du beschwörst deinen [Prophecy Destroyer] jede Runde? Dann zerstöre ich ihn jede Runde! Genau, nichts hat sich geändert!“ Kyon nahm das alles mit angehobener Augenbraue zur Kenntnis. Sein Gegner schmetterte förmlich eine Karte in den Handschuh. Seinen Arm zur Seite ausstreckend, erschien in Zanthes Hand ein kleiner Schlüssel. „Open a door to the twins! Normalbeschwörung, [Constellar Pollux]!“ Dort, wo die Zähne des Schlüssels mündeten, entstand ein aus diversen Kreisen und astronomischen Symbolen bestehendes Portal, aus dem der weiße Krieger regelrecht herausbrach. Wie zuvor, führte er ein Schwert mit zwei parallel zueinander verlaufenden Klingen mit sich.   Constellar Pollux [ATK/1700 DEF/600 (4)]   „Pollux gestattet mir eine zusätzliche Normalbeschwörung für einen Constellar“, rief Zanthe inbrünstig aus und schwang mit der anderen Hand den nächsten Schlüssel aus. „Open a door to the dragon!“ Noch ein Runenportal entfaltete sich neben Zanthe, doch dieses wirkte ein wenig anders als seine Vorgänger. Zwar bestand es auch aus mehreren Kreisen, doch statt Symbolen der Astronomie, wurden sie mit griechischen Buchstaben gefüllt. „Verlorener Tänzer! [Constellar Alrakis]!“ Das Tor zersprang und gab einen weißen Krieger preis, dessen Helm in einem schier unendlich langen, goldenen Federschweif endete. Statt eines Visiers, verhüllte ein goldener Schleier sein Gesicht. Er führte zwei Schellenringe mit sich.   Constellar Alrakis [ATK/1200 DEF/1500 (4)]   Zu Zanthes Überraschung musterte Kyon jenes Monster skeptisch. „Es gehört nicht zu den Tierkreiszeichen, ganz im Gegensatz zu den restlichen Monstern deines Main Decks. Ein Außenseiter.“ „Er kommt in keiner der Geschichten der Constellar vor“, erklärte Zanthe daraufhin. „Weil er eigentlich gar nicht existieren sollte.“ „Wie du. Ein Fremder, der in die Gruppe aufgenommen wurde. Sind das die Gedanken, die du mit dieser Karte verbindest?“ Der Werwolf schnaubte. „Nein. Meine Gedanken drehen sich hierum!“ Seine Hand in einem Stoß ausstreckend, rief er: „Open a gate to the Sacred Star Knights! To the Overlay Network!“ In ihr materialisierte sich ein aus purem Gold gemachter, schwertgroßer Schlüssel, den er gegen die Stirn legte. „Xyz Summon!“ Mit voller Wucht rammte er diesen in den Boden, woraufhin sich das Schwarze Loch vor ihm öffnete und sowohl Alrakis, als auch Pollux als gelbe Lichtstrahlen absorbierte. „Zeig dich uns, [Constellar Omega]!“ Über das Overlay Network zog sich ein weitflächiger Runenzirkel. Sogleich zerbarst dieser und brachte einen weißen Zentaur hervor. War sein Körper der eines Schimmels, begann ab der Hüfte der gepanzerte Krieger, aus dessen Rücken darüber hinaus ein Gestell aus schwarzen Metallplatten wuchs, Flügeln nicht unähnlich. Zwei Lichtkugeln rotierten dabei um ihn. Constellar Omega [ATK/2400 DEF/500 {4} OLU: 2]   Am Himmel begann das Wappen der Sternenkundler zu leuchten. Zanthe riss eine Karte von seinem Deck. „Einmal pro Zug, wenn ich einen Xyz-Constellar rufe, darf ich ziehen. Beim zweiten Mal nicht mehr. Wie zum Beispiel jetzt!“ Unvermittelt faltete er beide Hände auf Kopfhöhe zusammen. „Denn jetzt rekonstruiere ich das Overlay Network!“ Als er sie wieder auseinander zog, manifestierte sich ein Platinschlüssel desselben Kalibers wie der goldene in seinen Händen. „Aus meinem Rang 5-Pleiades wird ein Rang 6-Monster!“ Besagter Sternenritter verwandelte sich in einen goldenen Lichtstrahl, der von dem noch immer vor Zanthe wirbelnden Schwarzen Loch absorbiert wurde. „Rank-Up Incarnation Summon!“, schrie der aus voller Lunge und schmetterte den Schlüssel, auf dass sich erneut ein Runenzirkel über das Overlay Network legte, in den Boden. „Lass alles um dich herum verblassen!“ Ein ohrenbetäubender Schrei drang aus dem Inneren des Phänomens. Begleitet wurde er durch rote, schwarze und goldene Blitze, die letztlich auch den Kreis zum Explodieren brachten. „[Constellar Ptolemy M7]!“ Mit einem Ruck schoss ein gewaltiger, weißer Drache aus dem sich schließenden Loch empor. Von gold-weißer Farbe, positionierte er sich über Zanthe. In seinen schwarzen Energieschwingen war ebenfalls ein Teil des Constellar-Wappens eingelassen.   Constellar Ptolemy M7 [ATK/2700 DEF/2000 {6} OLU: 1]   Die goldene Sphäre, die um ihn kreiste, flackerte unruhig. „Wenn ich Messier 7 inkarniere, kann er seinen Effekt im selben Zug nicht mehr nutzen. Was nur gut für dich ist!“ Kyon sah an dem Drachen empor und nahm dafür sogar die Sonnenbrille ab. Geradezu ehrfürchtig murmelte er: „Das ist er … wunderschön.“ „Glaubst wirklich, dass ich dir alles abnehme?“, fragte Zanthe geradezu hasserfüllt. „Dir? Dem Diener des Sammlers? Ich wette, selbst das hier ist nur Schauspielerei!“ Kyon setzte seine Sonnenbrille wieder auf. „Du wolltest Antworten, ich habe sie dir gegeben.“ „Ach so? Eine fehlt immer noch.“ „Meine Ambitionen werde ich dir nur mitteilen, wenn du mich in diesem Duell besiegen kannst.“ Der Werwolf rümpfte die Nase. „Eigentlich sind es dann zwei. Da ist immer noch dieser Kakyo.“ „Diese Wahrheit ist Teil der Antwort, die du dir erkämpfen musst.“ Verächtlich kam es wieder: „Falls irgendetwas von dem überhaupt der Wahrheit entspricht. Was nicht heißt, dass ich nicht trotzdem kämpfen werde!“ Er nahm seine vorletzte Handkarte und zeigte sie vor. Und sein Gesichtsausdruck hellte sich für einen Moment auf, gewann etwas Melancholisches. „Die hier kennst du bestimmt noch nicht! Ich aktiviere [Xyz Scales]!“ Plötzlich stiegen [Constellar Omega] und M7 in die Höhe, aufgetrieben von weißen Lichtsäulen, die rechts und links von Zanthe aus dem Boden schossen. Unter dem Zentaur leuchtete eine verzerrte Ziffer auf, die 4, dagegen war es bei dem Drachen die 6. „Mit dieser Zauberkarte kann ich eine Art Pendelbeschwörung für Xyz-Monster durchführen“, erklärte Zanthe und schloss lächelnd die Augen, „ein Xyz-Monster, dessen Rang zwischen den Rängen der beiden Ziele liegt, kann damit direkt aus meinem Extradeck beschworen werden …“   Die Lichter der Geschäfte um sie herum blendeten Zanthe und Exa regelrecht, wie sie durch die Shopping Mall zogen. Über ihnen der klare Sternenhimmel. Trotz fortgeschrittener Stunde waren immer noch viele Leute unterwegs. Besonders an der offenen Mall war, dass in ihrer Mitte durchgehend Blumen und Bäume gepflanzt waren, deren Beete regelmäßig durch Sitzbänke unterbrochen waren. Die Gebäude der Geschäfte dagegen standen auf engstem Raum nebeneinander. „Wow!“, staute Exa nicht schlecht, der sich mit hinter dem Kopf verschränkten Armen umsah. „So etwas habe ich noch nie gesehen.“ „Kommst wohl nicht oft raus, huh?“, stichelte Zanthe neben dem großen Blonden vergnügt. „Kann man so sagen. Ist mein erstes Mal in einer so großen Stadt. Dagegen kommt mir meine Heimat so winzig vor.“ Zanthe nickte. Er kannte das Gefühl nur zu gut, auch für ihn war das alles hier Neuland. Gerne hätte er die Stadt mit Anya und Matt erkundet, aber so wie die im Moment drauf waren, hätte er auch gleich ein Rudel tollwütiger Pitbulls mitnehmen können. Gerade Anya dürfte jetzt nicht ansprechbar sein. Er fragte sich, ob sie sich für die Finalrunden des Legacy Cups qualifiziert hatte, schließlich waren Zweifel daran durchaus berechtigt. „Sag mal“, begann er schließlich neugierig, um den Gedanken zu vertreiben, „du sagtest vorhin, du hast noch nie Duel Monsters gespielt?“ Ein Schulterzucken war die Antwort. „Glaube nicht. Aber es kommt mir bekannt vor.“ „Soll ich es dir beibringen?“ Zanthe blieb stehen und sah sich links und rechts um. Dann deutete er auf ein Geschäft schräg gegenüber. „Dort verkaufen sie Duel Monsters-Karten. Ich besorg' uns ein paar und zeige dir dann, wie's geht.“ „Ich dachte, du hättest kein Geld?“, hakte Exa grimmig nach. „Für Duel Monsters hat man immer Geld“, erwiderte Zanthe grinsend und war schon im Begriff, sein Vorhaben umzusetzen. Seufzend, aber mit einem Lächeln auf den Lippen, nickte Exa mit dem Kopf Richtung des Geschäfts. „Eigentlich habe ich keine Lust. Aber ok, kurz zeigen kannst du es mir ja mal. Na los, geh schon.“ Zanthe rannte zufrieden strahlend los, da rief ihm Exa hinterher: „Aber lass uns das woanders machen. In einer Bar oder so, ich habe Durst.“   Über Zanthe öffnete sich ein Portal, um das sich dutzende, hellblaue Ellipsen zogen. Der Werwolf riss die Augen auf und nahm die aus seinem Extradeck hervorstehende Karte zwischen Mittel- und Zeigefinger. „Komm zu mir, [Constellar Pleiades]!“ Aus dem rosafarbenem Loch am Himmel schoss ein einzelner, gelber Lichtstrahl, der vor Zanthe im Dach einschlug. Aus diesem erhob sich der weiße Ritter, der seine Klinge mit der Klinge nach unten zeigend führte. Wie gut, dass er zwei Kopien davon besaß, dachte Zanthe dabei zufrieden.   Constellar Pleiades [ATK/2500 DEF/1500 {5} OLU: 0]   [Xyz Scales] war eine der Karten gewesen, die der Werwolf letztlich aus den an diesem Tag gekauften Boostern gezogen hatte. Er musste, wie er so an den Abend zurückdachte, über Exas teilweise sehr dummen Fragen lächeln, da er manche Spielmechaniken einfach nicht verstanden hatte. Kaum zu glauben, wie gut er sich trotz seiner Unerfahrenheit gegen Kakyo angestellt hatte. Aber das lag dann wohl an … „Oh! Stimmt ja!“ Neben den Boostern hatte er einen kostenlosen Werbeprospekt erhalten, den er unbedingt Anya zeigen musste. Die würde ausflippen! Aber zuerst musste er dieses Duell zu Ende bringen. Indes hatten sich die Lichtsäulen aufgelöst und die Monster ihren Weg zurück zu Zanthe gefunden. Dessen Gegner sagte: „Tatsächlich. Damit habe ich nicht gerechnet. Jedoch ändert das nichts an dem, was ich für dich zurecht gelegt habe.“ „Das werden wir ja sehen!“, erwiderte Zanthe zornig und riss den erhobenen Zeigefinger gen Himmel. „[Constellar Omega], [Constellar Pleiades] und Messier 7! Greift Kyons Monster und ihn alle zusammen an! Unison Star Raid!“ Erstgenannter streckte seine Brust vor, auf der das Wappen der Sternenkundler zu leuchten begann. Daraus schossen dutzende Lichtpfeile, die allesamt den in Violett gekleideten [Emperor Of Prophecy] anvisierten. Messier 7 dagegen feuerte aus seinem Maul einen orangefarbenen Lichtstrahl ab, der von goldenem Schimmer begleitet wurde. Sein Ziel war der Sensen schwingende [Reaper Of Prophecy] Während beide Hexer zeitgleich getroffen wurden und explodierten, zischte etwas an Kyon vorbei. Dieser drehte sich noch um, sah aber nur noch, wie Pleiades wieder verschwand und hinter ihm auftauchte. Kurz darauf wurde der Butler von allen Seiten mit Hieben eingedeckt.   [Zanthe: 4700LP / Kyon: 3100LP → 3000LP → 2900LP → 400LP]   Jedoch gänzlich unbeeindruckt, drehte sich Kyon schließlich wieder Zanthe zu, dessen Krieger bereits zu ihm zurückgekehrt war. „Unglücklicherweise war das nicht ausreichend.“ „Aber ich habe immer noch diese hier!“, erwiderte der Kopftuchträger grimmig und schob seine letzte Handkarte in den Handschuh. „Du bist dran.“ Zischend materialisierte sich die Karte vor seinen Füßen.   Zwar stand Kyon jetzt mit völlig leerem Feld da, was angesichts der Zahl seiner Handkarten unerheblich war, nachdem er auf eine siebte aufgezogen hatte. Sie zu den vielen anderen steckend, nahm er die beiden Karten ganz rechts aus seinem Blatt und spielte sie aus. „[Monster Reborn]. Ich hole den [Emperor Of Prophecy] aus dem Reich der Toten zurück. Dazu [Strength Of Prophecy] als Normalbeschwörung.“ Vor ihm öffnete sich ein Runenzirkel, aus dem der violette Hexer auf seinem Thron hervor schwebte und sich dabei desinteressiert Luft zu fächerte. Neben ihm materialisierte sich eine rothaarige Kriegerin in gleichfarbiger Robe, die ihre riesige Axt mit dem Schaft voran in den Boden rammte, ehe sie ihre Hände auf das brusthohe, diamantenbesetzte Mordinstrument abstützte.   Emperor Of Prophecy [ATK/2300 DEF/2000 (5)] Strength Of Prophecy [ATK/1500 DEF/1400 (4)]   Kyon schob bereits noch eine Karte in seine Flügel-Duel Disk. „Nun, da ich wieder über Hexer verfüge, kann ich das [Spellbook Of Fate] aktivieren. Durch das Verbannen von drei anderen Büchern auf meinem Friedhof …“ Diese zeigte er vor, es waren die Spellbooks Of Secret, Master und Wisdom. Gleichzeitig erschien in des Emperors freier Hand ein gelb leuchtender Wälzer, aus dem er in einer fremden Sprache zu zitieren begann. „... vermag ich augenblicklich eines deiner Monster ebenfalls ins Exil zu schicken.“ Er streckte den Arm aus und deutete auf den Drachen M7. Selbiges tat auch sein Magier, der seinen Fächer mit einem herrischen Schrei ausschwang. Von dessen Spitze löste sich ein gelber Blitz. „Netter Versuch, aber vergebens!“, konterte Zanthe und riss ein Xyz-Material unter [Constellar Omega] hervor. „Omega kann meine Constellare immun gegen Zauber und Fallen machen! Star of Protection!“ Sogleich streckte der Zentaur beide Arme weit aus und ließ das Wappen der Sternenkundler in riesiger Form vor Zanthes Spielfeld erscheinen. An dem leuchtend weißen Symbol prallte der gelbe Blitz hoffnungslos ab.   Constellar Omega [ATK/2400 DEF/500 {4} OLU: 2 → 1]   „Interessante Reaktion“, gestand Kyon seinem Gegner zu. „Ich war unvorbereitet.“ Dieser erinnerte sich plötzlich. Natürlich! Damals, da hatte er Omega nicht ausgespielt … also kannte Kyon diesen auch nicht. „Dieser Rückschlag ist jedoch vernachlässigbar“, relativierte dieser plötzlich, „Effekt von [Strength Of Prophecy]. Sie schickt ein benutztes Spellbook zurück in mein Deck, um selbst Kraft daraus zu gewinnen.“ Jene magische Kriegerin schloss die Augen und murmelte etwas. Ein roter Lichtfunke stieg von ihrer Axt auf und wurde von Kyons Deck absorbiert. Dieser zeigte [Spellbook Of Power] von seinem Friedhof vor und legte es auf den Kartenstapel, der anschließend durchgemischt wurde.   Strength Of Prophecy [ATK/1500 → 2000 DEF/1400 (4 → 5)]   Nicht völlig unerwartet für Zanthe, öffnete sich vor Kyon ein Schwarzes Loch. Als violette respektive rote Lichtstrahlen wurden Emperor und Strength vom Überlagerungsnetzwerk absorbiert. Kyon rief: „Werde Zeuge, wie ich das Overlay Network erschaffe! Aus meinen Stufe 5-Hexern wird ein Rang 5-Monster!“ Ein gelbschwarzer Blitz brach aus diesem hervor. „Xyz Summon! Erhebe dich, Herrin des Schicksals! [Empress Of Prophecy]!“ Auf einem steinernen Thron sitzend, tat jene in Weiß gehüllte Magierin das auch. Die Finger ihrer linken Hand umklammerten fest einen goldenen Zauberstab, an dem dünne Stoffbänder gebunden waren. Dagegen lehnte zu ihrer Rechten ein massiver Schild mit rosafarbenen Perlen am Thron, die zusammen mit der goldenen Randverzierung das Symbol der Venus ergaben. Zwei der Edelsteine leuchteten besonders stark.   Empress Of Prophecy [ATK/2000 DEF/1700 {5} OLU: 2]   Kyon zeigte aber längst seine nächste Handkarte vor. „Nun rufe ich durch [Spellbook Of Life] einen gefallenen Hexer zurück. Zuvor muss ich jedoch ein Spellbook vorzeigen.“ Dieses nannte sich [Spellbooks Of Tetrabiblos]. Stimmt, erinnerte sich Zanthe dabei, das Teil besaß er ja auch noch! „Außerdem muss erst ein Opfer gebracht werden. Also verbanne ich [Stoic Of Prophecy]“, sagte er, wodurch ein weißes Grimoire auf dem Spielfeld erschien und wie von Zauberhand durchgeblättert wurde, „damit [Prophecy Destroyer] zurückkehrt.“ „Was!? Aber das ergibt keinen Sinn!“, kommentierte Zanthe dies verwirrt. Wieso sollte er das tun, wo jener sich ohnehin durch seinen Effekt wiederbeleben konnte!? Darauf hatte er es doch die ganze Zeit abgesehen! Noch während Zanthe darüber rätselte, erschien der dämonische Krieger vor Kyon. Welcher plötzlich die Hand ausstreckte. „Du wirst es gleich verstehen. [Spellbook Of Life] erhöht die Stufe des beschworenen Monsters um die des verbannten. Und nun …“   Prophecy Destroyer [ATK/2500 DEF/1200 (6 → 7)]   Zanthe nahm ihm jedoch die Erklärung ab, als er geschockt rief: „[Spellbooks Of Tetrabiblos]!“ „Exakt“, nickte Kyon und legte die Zauberkarte ein. Um den Zerstörer begannen insgesamt vier Bücher zu rotieren, wobei sie rosafarbend aufleuchteten. Plötzlich öffnete sich unter dem [Prophecy Destroyer] erneut das Overlay Network, welches jenen als violetten Energiestrahl verschlang. Mehr noch, folgten die vier Bücher diesem in das Schwarze Loch. Kyon erklärte: „Wie du weißt, werden die [Spellbooks Of Tetrabiblos] ebenfalls zu einem Xyz-Material, wenn das andere ein Hexer ist. Und nun erlebe, wie das mächtigste Zauberwesen seine Weissagung spricht! Xyz Summon!“ Erneut schlugen schwarze und gelbe Blitze aus dem Überlagerungsnetzwerk. Durch Kyons Jacke hindurch schimmerte ein weinrotes Symbol, eine Rose. Jenen Arm riss er in die Höhe. „Erhebe dich, [Hierophant Of Prophecy]!“ Begleitet von den Blitzen stieg aus dem Wirbel ein groß gewachsener Magier empor. In eine schwarze Robe gehüllt, flatterten unzählige weiße Stoffbänder mit Zaubersprüchen darauf von ihr durch die Luft. Dabei hielt er seinen langen Zauberstab fest umklammert, um welchen zwei Lichtkugeln kreisten.   Hierophant Of Prophecy [ATK/2800 DEF/2600 {7} OLU: 2]   Mit einem Male schwang der Hexer besagten Stab aus, ganz zu Zanthes Argwohn. „Das Wissen der Vergangenheit nutzend, wird der Hierophant die Zukunft beeinflussen“, sagte Kyon und zog unter dessen Karte eine Overlay Unit hervor, „für jedes auf dem Friedhof liegende Spellbook vermag er eine Zauber- oder Fallenkarte zu zerstören.“ Entgeistert schnappte Zanthe: „Nicht im Ernst!“ „Wie erwartet …“, murmelte Kyon. Sein Magier absorbierte mit der Spitze seines Stabes eines der darum kreisenden Xyz-Materialien, ehe er ihn nach vorne richtete. Grünes Licht strahlte vom Stab, von dem sich dann ein schwarzer Feuerball löste. Jener schlug in Zanthes gesetzte Karte ein und pulverisierte sie im wahrsten Sinne des Wortes. Kyon aber schwang bereits den Arm aus. „Nun das, was ich dir versprochen habe: Ich verbanne drei Spellbooks, damit der [Prophecy Destroyer] zurückkehrt.“ Die Abbilder der Spellbooks Of Fate, Life und der [Spellbook Organization] tauchten vor Kyon auf und verschwanden im Nichts. An ihrer Statt machte sich dunkler Nebel vor Kyon breit, aus dem der teuflische Krieger mit seiner rot-glühenden Klinge in der Hand erschien, zwischen seinen beiden Kameraden.   Prophecy Destroyer [ATK/2500 DEF/1200 (6)]   Drei gegen drei, dachte Zanthe nervös. Sein Omega, Pleiades und M7 gegen Kyons Hierophant, Empress und Destroyer. Dummerweise waren zwei der Monster seines Gegners stark genug, um mit den Sternkundlern kurzen Prozess zu machen. „Zweifelsohne glaubst du, aufgrund deiner hohen Lebenspunkte nichts zu befürchten zu haben. Doch ich muss dich enttäuschen“, gab Kyon geheimnisvoll zu bedenken, „dem ist nicht so. Effekt von [Empress Of Prophecy]! Sie lässt mich die obersten fünf meiner Deckkarten ansehen, um für jedes Spellbook darunter ein Monster zu zerstören.“ Besagte Magierin schnippte nur einmal mit dem Finger und schon flogen nacheinander fünf holografische Karten von Kyons Deck und bauten sich mit dem Rücken zu Zanthe gewandt auf, wobei sie automatisch vergrößert worden. Parallel dazu erlosch das Licht einer der Perlen im Schild der Empress. Starker Wind begann plötzlich zu wehen, der Regen schlug den beiden nur so entgegen. Kyon sagte: „Eine verhängnisvolle Prophezeiung.“ Dann wirbelten die Karten nacheinander herum, sodass der Werwolf sie sehen konnte. Links ein Monster namens [Hermit Of Prophecy], daneben ebenfalls eines, [Charioteer Of Prophecy]. Erschrocken bemerkte Zanthe, dass sich in der Mitte der Zauber [Spellbook Of Judgment] befand. Dann kamen die Monster [World Of Prophecy] und [Justice Of Prophecy]. „Wohl eher für dich, als für mich“, konterte der junge Mann schließlich schnippisch und hob den Arm, um sich vor der Windbö zu schützen. Kyon dagegen stand unbeeindruckt da, rührte sich nicht. „In der Tat ein enttäuschendes Ergebnis. Aber es reicht, um [Constellar Ptolemy M7] zu zerstören.“ Aus dem Zauber in der Mitte schoss ein silberner Blitz, der in der Brust des edlen Mechadrachen einschlug und ihn zerstörte. Gleichzeitig legte Kyon, der die fünf Karten die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, diese auf sein Deck. „Nach der Prophezeiung schreibt [Empress Of Prophecy] die Zukunft neu, sodass ich die Karten frei anordnen kann.“ „Also weißt du, was du nächste Runde ziehen wirst …“ „So ist es.“ Kyon hob den Zeigefinger und deutete damit auf die Magierin zu seiner Rechten. „Eins solltest du noch wissen, bevor ich zum Kampf übergehe. [Empress Of Prophecys] Potenz steigt, je mehr Xyz-Materialien sich auf meiner Spielfeldseite befinden, de facto um 300.“ Sowohl die Perle im Schild der Hexerin, als auch die Lichtkugel, die um des Hierophants Stab kreiste, begannen zu pulsieren.   Empress Of Prophecy [ATK/2000 → 2600 DEF/1700 {5} OLU: 1]   Also wäre es so oder so ein Leichtes für Kyon gewesen, seine Constellare auszuschalten, begriff Zanthe ärgerlich. Hatte er das alles von Anfang an so geplant? Spielte das Schoßhündchen des Sammlers ein Spiel mit ihm, dass er nur gewinnen konnte? Der junge Mann ballte eine Faust und sah weg, als Kyon befahl: „Los, [Empress Of Prophecy] und [Prophecy Destroyer]! Greift [Constellar Pleiades] und [Constellar Omega] gleichzeitig an! Prophecies #3 und #15!“ Der Teufel schwang seine Klinge nur einmal, damit sich von ihr ein dünner Lichtstreifen löste. Dieser schoss so schnell am Zentaur vorbei, dass nur der abgetrennte, herabrutschende Kopf des Monsters davon zeugte, dass jener überhaupt getroffen worden war. Zeitgleich schlug die Empress mit dem Ende ihres Zauberstabs auf den Boden, was dazu führte, dass um Pleiades vier riesige, gelbe Portale entstanden, allesamt aus dutzenden, ineinander fassenden Kreisen und Symbolen bestehend. Und aus jedem davon schoss ein Lichtstrahl, welche sich überkreuzten und vom jeweils gegenüberliegenden Portal wieder absorbiert wurden. „Ugh“, keuchte Zanthe, der nebenbei noch mit dem heftigen Regenschauer zu kämpfen hatte. „Und jetzt der direkte Angriff“, verkündete Kyon gnadenlos. „[Hierophant Of Prophecy]! Prophecy #5 – Road To The Stars!“ Mit einem Ruck riss der schwarzhaarige Hexer seinen Stab in die Höhe, ehe er ihn nach vorne stieß und dutzende winziger Lichtsterne auf Zanthe abfeuerte. Der wurde unter dem Hagel zurückgeschleudert und stieß gegen den abgrenzenden Zaun, der in diesem Moment verhinderte, dass der Werwolf in die Tiefe stürzte.   [Zanthe: 4700LP → 4600LP → 4500LP → 1700LP / Kyon: 400LP]   „Ich überlasse dir den nächsten Zug. Eins ist bereits gewiss: Es ist dein letzter“, ließ Kyon ihn wissen.   „Mein letzter Zug, was?“, flüsterte Zanthe vor sich hin. Seinen Arm mit dem Duellhandschuh vor sich ausstreckend, griff er nach seinem Deck. „Ist doch logisch. Den letzten Zug macht der, der gewinnt. Draw!“ Mit vollem Schwung riss er die Karte vom Stapel, etwas, das er sich wohl unbewusst von Anya abgeschaut haben musste. Was ein deutliches Zeichen dafür war, dass er zu viel Zeit mit ihr verbrachte. Andererseits gab es wohl Schlimmeres als das. Zum Beispiel ihre Wortwahl! Als Zanthe die Karte betrachtete, musste er jedoch ungewollt schlucken. Die allein würde ihm nicht helfen. Es sei denn … „Ich aktiviere eine Ausrüstungszauberkarte!“ Zanthe schob jene in den passenden Schlitz an seinem Handschuh. Daraufhin brach der Beton vor ihm auf, ein nicht unwesentliches Loch entstand direkt vor seinen Füßen. „[Premature Burial]! Zuerst muss ich 800 Lebenspunkte zahlen. Im Gegenzug kann ich jedoch ein Monster aus meinem Friedhof wiedererwecken, was mit ihr ausgerüstet wird.“ Mit einem schrillen Schrei brach der weiß-goldene Maschinendrache mit den schwarzen Energieschwingen aus dem Dach und stieg in die Lüfte.   [Zanthe: 1700LP → 900LP / Kyon: 400LP]   Constellar Ptolemy M7 [ATK/2700 DEF/2000 {6} OLU: 0]   Seine Bahnen über den Köpfen der beiden Duellanten ziehend, stieß Messier 7 ohne Unterbrechung laute, stolze Schreie aus. Noch weiter am Himmel begann das Wappen der Constellare wieder zu leuchten. „Du hast einen Fehler gemacht!“ Zanthe nickte der permanenten Zauberkarte vor sich, [Constellar Star Chart], zu. „Anstatt alle Zauber- und Fallenkarten mit deinem Hierophanten zu vernichten, hast du nur Augen für die gesetzte gehabt und die hier ganz vergessen.“ „Anscheinend.“ Kyons tonlose Antwort sprach Bände. Er senkte sogar den Kopf. „Jetzt darf ich, da ein Constellar-Xyz beschworen wurde, eine Karte ziehen!“ Mit brennendem Ehrgeiz in den Augen sah Zanthe auf sein Deck. Etwas Starkes, irgendetwas, flehte er still im Geiste und umfasste die Karte mit seinen Fingern. „Los!“ Er riss sie von seinem Deck. Sein Atem ging schneller und schneller, als er sie vor sich hielt und begriff. „W-was?“ Damit hatte er nicht gerechnet. Der Anflug eines Grinsens begann um seine Lippen zu spielen. „Das dürfte reichen. Messier 7, nimm dir [Hierophant Of Prophecy] vor!“ Passend dazu streckte Zanthe den Arm aus. „M7 Star Launcher!“ Mit einem Ruck hob Kyon den Kopf an. „Das ist deine Lösung? Hast du es vergessen? Den zweiten Effekt von [Spellbooks Of Tetrabiblos]?“ Sein Gegner weitete die Augen. Die Bücher konnten nicht nur als Xyz-Material verwendet werden. Nur einmal gaben sie dem beschworenen Xyz-Monster die Kraft, einen angreifenden Feind unverzüglich zu vernichten! Er selbst hatte damals, als Valeries Hochzeit gecrasht worden war, versucht die Dämonenjägerin Edna und ihren [Mermail Abyssgaios] in genau diese Falle zu locken! Allerdings wurde das Duell vorzeitig unterbrochen, ehe es dazu kam. Oben am Himmel öffnete der majestätische Drache jedoch schon sein Maul und schoss einen orange-roten Lichtstrahl hinab, der von goldenen Partikeln umgeben war. Kyon streckte den Arm aus. „[Hierophant Of Prophecy], wirf den Angriff zurück auf deinen Feind. False Prophecy!“ Besagter, schwarzhaariger Hexer hob seinen Zauberstab und ließ schräg über sich ein grünlich schimmerndes Loch im Raumgefüge erscheinen, das den Angriff absorbierte, um ihn dann eine Sekunde später mit doppelter Intensität zurück auf den Absender zu feuern. Weit über Zanthe gab es eine gewaltige Explosion. „Ein Jammer“, murmelte der mechanisch. Kyon schwieg. „Aber ich hab's nicht vergessen! Im Gegenteil, ich wollte es so! Schnellzauberkarte!“ Mit grimmiger Genugtuung rammte Zanthe seine letzte Karte in die Duel Disk. Diese sprang vor ihm auf und präsentierte einen weißen Engelskrieger und einen schwarzen, dämonisch wirkenden Krieger, wie sie aus einem roten Abgrund in Richtung des Betrachters flogen. „[Xyz Double Back]!“, benannte sie dessen Besitzer zufrieden. „Du musstest meinen M7 zerstören, verstehst du? Nur dadurch kann ich diese Karte ausspielen, die mich das zerstörte Xyz-Monster zurückrufen lässt.“ Als würde jemand ein Video zurückspulen, zog sich der Rauch der Explosion über ihnen wieder zusammen, verschwand und hinterließ einen unversehrten Drachen, der auf der Stelle verharrte. „Du denkst jetzt, dass das nicht reicht, aber du irrst“, sprach Zanthe leise. Er nahm eine aus dem Friedhofsschlitz hervorstehende Karte und zeigte sie vor. „[Xyz Double Back] trägt das Doppel nicht umsonst im Namen. Sie lässt mich ein zweites Monster reanimieren, solange es von den Angriffspunkten her schwächer ist als M7.“ Zanthe legte das Monster auf die Duel Disk. „Erinnerst du dich noch an den hier? Du hast ihn ganz am Anfang des Duells zerstört. Open a door to the crab! [Constellar Acubens]!“ Besagter weißer Krieger brach neben Zanthe aus dem astronomischen Rundenzirkel und klackerte gefährlich mit seinen orangefarbenen Scherenarmen. „Acubens hat einen Effekt, der sich bei seiner Beschwörung aktiviert“, rief Zanthe und sah zu seinem Drachen hoch, „er gibt allen Constellaren einen Angriffsbonus von 500!“ Sowohl der Sternenkundler im Zeichen des Krebses, als auch Messier 7 in der Luft begannen in einer orangefarbenen Aura aufzuleuchten.   Constellar Ptolemy M7 [ATK/2700 → 3200 DEF/2000 {6} OLU: 0] Constellar Acubens [ATK/800 → 1300 DEF/2000 (4)]   „Und jetzt frag mich noch einmal, ob das meine Lösung ist!“, schnauzte Zanthe seinen Gegner förmlich an. Erbarmungslos richtete er den Zeigefinger auf ihn beziehungsweise den schwarzen Hierophanten. „M7 Star Launcher!“ Sein gold-weißer Drache holte tief Luft, um dann einen gewaltigen, orangefarbenen Lichtstrahl abzufeuern. Kyon machte sich nicht einmal die Mühe, dem Angriff entgegen zu blicken, sondern verharrte regungslos. Und diesmal schlug der Strahl im wahrsten Sinne des Wortes wie eine Bombe ein. Es gab eine Explosion, zu allen Seiten stieß Rauch und aufgewirbelter Staub über das Dach.   [Zanthe: 900LP / Kyon: 400LP → 0LP]   Acubens und M7s Hologramme lösten sich auf. Mit ihnen auch der Rauch. Und Kyon stand immer noch da, ohne seine Hexer. „Gut gemacht.“   „Ist das alles!?“, fauchte Zanthe zornig. „Ist das alles, was du kannst!?“ „Hast du mehr erwartet?“ Allein die Art, wie er das fragte, brachte das Blut des Werwolfs in Wallung. Geradezu provozierend, als wäre all das auf seinem Mist gewachsen! Sich auf die Lippen beißend, konnte Zanthe seine Fassung letztlich nicht wahren und fuhr Kyon wild gestikulierend an. „Du bist ein Immaterieller! Durch Anya weiß ich, dass ihr eure Paktmonster inkarnieren könnt! Wieso hast du das nicht getan!?“ „Sollte ich etwa“, fragte Kyon langsam und deutete nach oben, „das Monster meines Gegners inkarnieren?“ Sein Finger war genau auf die Stelle gerichtet, wo M7 eben noch verharrt hatte. Zanthe folgte der Richtung des Arms und begriff zwar, aber war in diesem Moment nicht imstande, die Information zu verarbeiten. „Und warum dann kein Excel-Monster!?“, schrie er stattdessen ungehemmt weiter. „Du sagtest, du hättest eins!? Warum hast du das nicht benutzt!?“ Bevor Kyon auch nur den Mund zum Antworten geöffnet hatte, fuhr ihm der Werwolf schon über diesen. „Ist das deine Vorstellung davon, mich zu prüfen!? Indem du fair bist!? Oder sogar nachlässig? Wolltest du die ganze Zeit, dass ich gewinne?“ Der Immaterielle stieß ein leises Lachen aus und griff den Bügel seiner Sonnenbrille. „Wer weiß. Nur eins ist gewiss. -Diese Erinnerungen- schlafen noch in dir, trotz unseres Duells. Anscheinend bin ich selbst noch nicht bereit …“ „Bereit oder nicht, jetzt gibt es keine Ausflüchte mehr!“ Zanthe nahm einen Schritt nach dem anderen auf sein Gegenüber zu. In seiner gebeugten Haltung wirkte er dabei, als plane er fest ein, Kyon an die Gurgel zu gehen, sobald er ihn erreicht hatte. Seine Worte sprach er jedoch mit plötzlich einkehrender, aber bitterböser Ruhe aus. „Was ist dein Plan, Speichellecker des Sammlers?“ „Seine Auslöschung.“   Stille. Mitten auf der Strecke verharrte Zanthe in seinen Bewegungen. „Meine Ambition ist es, dieses Wesen zu töten. Und dich zu beschützen, wie ich es deinem Bruder versprochen habe.“ „Du willst … was?“ Kyon sah gen Himmel. Erst jetzt bemerkte Zanthe, dass der Regen ausgesetzt hatte. Im Dunkel der Nacht hatten sich die Wolken über ihnen aufgelöst. Ein voller, strahlender Mond hing über ihnen. „Der Sammler ist der Feind allen Lebens.“ „Also weißt du, was er mit Anya vorhat!?“, überschlug sich die Stimme des Jüngeren der beiden förmlich. „Sag es mir!“ Allerdings schüttelte Kyon den Kopf. „Das geht nicht. Du würdest es ihr sagen und dann wäre alles umsonst.“ „Und damit willst du mich abspeisen!?“ Zanthe schüttelte den Kopf vehement. Damit wollte er sich nicht abfinden. Plötzlich aber, völlig ungewohnt für ihn, wurde Kyon laut. „Die Mühen vieler Individuen werden vergebens gewesen sein, wenn der Sammler davon erfährt! Du musst mir vertrauen, Zanthe Montinari! Genau wie ich dir vertraue, indem ich dir bereits diese entscheidenden Informationen zuteil werden lasse! Bringe mich nicht dazu, dies zu bereuen!“ „Er ist das mächtigste Wesen auf diesem Planeten!“, argumentierte Zanthe jedoch weiter. „Wenn er es wissen will, weiß er bereits davon! Genauso gut könntest du einen Elefanten hinter einer Mücke verstecken!“ „Deshalb habe ich Kakyo Sangon ins Spiel gebracht“, erwiderte Kyon nun wieder ruhig, „oder sollte ich ihn bei seinem richtigen Namen nennen? Kyon Sangon.“   Für einen Moment verharrte Zanthe schweigend, ehe er die Arme verschränkte und trocken anmerkte: „Jetzt wird’s albern.“ „Es ist die Wahrheit. Du wolltest wissen, was dieser Junge für mich ist.“ Der Butler hob die Hand und streckte sie nach vorne aus, in Zanthes Richtung. Dabei spreizte er die Finger so weit es ging auseinander. „Erinnerst du dich nicht an meinen wahren Namen?“ Obschon Zanthe den Sinn dieser Worte nicht verstand, verließ doch ein einzelnes Wort seine Lippen. „Kakyo …“ Schlagartig erinnerte er sich. Diesen Namen, er hatte ihn schon einmal gehört, aus dem Mund seines Bruders. Und der Immaterielle, der jetzt in dessen Körper steckte – das war Kakyo! Wie hatte er-!? „Ja. Die Erinnerungen kehren wieder, nicht wahr? Begreifst du es? Ich und Kyon Sangon, wir haben unsere Namen getauscht.“ „Aber … aber warum?“ Kyon, oder eher Kakyo, ließ den Arm sinken. „Alles liegt meinem Wunsch zugrunde, den Sammler zu töten. Doch um ihm nahe zu sein, muss ich gleichzeitig außerhalb seiner Reichweite sein.“ Der Kopftuchträger hob eine Hand und fasste sich ans Kinn, dabei sein Gegenüber nicht aus den Augen lassend. „Und das hast du erreicht, indem du Namen mit diesem Jungen tauscht? Lass mich raten … um zu seinem Diener zu werden, musstest du …?“ „So ist es. Ich musste ihm meinen Namen versprechen. Und damit absolute Kontrolle. Während man mit einer Seele über alle zukünftigen Inkarnationen einer Person herrscht, so verleiht einem der Name die Macht über die Person der Gegenwart.“ Kyon faltete die Hände vor seinen Schoß ineinander. „Mehr noch, gebietet der Besitzer des Namens auch über alles, was in unmittelbarem Zusammenhang jenes Namens steht. Die Excel-Monster sind ein Beispiel für solch ein Vorkommnis.“ „Also benutzt du Kakyo ... oder Kyon, keine Ahnung, wie ich ihn nennen soll, als Schutzschild?“ „Er weiß um seine Rolle. Und wie gefährlich es für ihn wird, wenn der Sammler dahinter kommt. Du musst wissen, er sieht alles. Durch die Augen desjenigen, dessen Name er besitzt.“ Plötzlich tippte Kyon gegen seine Sonnenbrille. „Solange ich jedoch die hier habe, wird er durch die Augen einer der Personen sehen, die ich bestimme. Mich selbst eingeschlossen.“ Zanthe reckte den Kopf zur Seite. „Schön hast du das alles geplant. Und feige.“ „Ich muss verhindern, dass er Macht über mich gewinnt. Soviel solltest selbst du verstehen.“ „Das geht doch niemals gut!“, schrie Zanthe jedoch unerwartet an Kyon gewandt. „Du ziehst andere da mit rein und gefährdest auch ihr Leben! Ist Exa etwa auch einer davon!? Oder vielleicht sogar ein anderer meiner Freunde!?“   Statt aber eine Antwort darauf zu geben, drehte sich Kyon plötzlich um und streckte die Hand nach vorne aus. Es entstand ein schwarzes, ovales Portal, das in verzerrter Form das Ebenbild des in Schwarz gekleideten Butlers widerspiegelte. „Entschuldige, aber ich habe nicht mehr viel Zeit. Ich kann diesen Dämon nicht ewig glauben lassen, er würde durch meine Augen sehen, wenn es tatsächlich die eines anderen sind.“ „Warum gerade dieser Junge!?“ „Sein Name und meiner sind sich sehr ähnlich. Das ist die Voraussetzung für so einen mächtigen Zauber. Und“, fügte Kyon dabei noch an, „weil er ein reines Herz besitzt. Aber das ist nur ein Bonus.“ „Warte-!“, rief Zanthe und begann dem Schwarzhaarigen hinterher zu rennen, welcher langsamen Schrittes auf das Portal zuging. Der meinte: „Ich denke, ich habe deine Fragen hiermit beantwortet. Dennoch sind wir beide nicht bereit, uns schon jetzt einem so mächtigen Feind zu stellen. Aber wisse: Ich werde immer auf dich Acht geben. Und alles, was geschehen wird, wurde von mir zurecht gelegt.“ Zanthe, der Kyon beinahe erreicht hatte, streckte die Hand nach ihm aus. „Denn nicht nur der Sammler ist imstande, Pläne zu schmieden. Also bitte ich dich“, sagte jener und drehte sich lächelnd zu dem jungen Mann um, „um etwas Geduld. Und um dein Vertrauen. Vergiss nicht das Versprechen, das ich dir gegeben habe.“ Damit trat er durch das Portal, welches binnen eines Herzschlags verschwand. Und Zanthes Hand griff ins Leere.   Du bist nicht mehr allein.   Plötzlich stand er allein auf dem Dach und seine Gedanken rasten. Vertrauen, Zweifel, Hoffnung, Angst, alles kreuz und quer in seinem Kopf. Nur eins kristallisierte sich heraus. Etwas, das er ihm noch mitteilen wollte. „Planen?“ Zanthe seufzte mit gesenktem Kopf. Dabei betrachtete er seine Finger, um die schwarze Schlieren aufstiegen, Überreste des Portals. „Das hat doch schon im Duell nicht funktioniert …“     Turn 64 – Lee And Lie Anderenorts ist Matt auf der Suche nach dem nächsten Hüter. Sein Weg führt in zu einer abgelegenen Villa, wo sich der nächste von ihnen, ein Mann namens James Carrington aufhalten soll. Bevor er jedoch in das Gebäude gelangen kann, wird er von einem Bediensteten namens Lee Anderson entdeckt. Welcher sich als äußerst schwierig entpuppt … Kapitel 69: Turn 64 - Lee And Lie --------------------------------- Turn 64 – Lee And Lie     Der Bus war unangenehm voll. Matt hätte sich in den Allerwertesten beißen können, ausgerechnet dieses öffentliche Verkehrsmittel gewählt zu haben, um zu seinem Ziel, Greenville, zu gelangen. Es gab keinen freien Sitzplatz mehr, mit Ausnahme einiger weniger, die von den Handtaschen und Rucksäcken egoistischer Jugendlicher und junger Erwachsener belegt waren. Matt, der neben einer alten Frau saß, seufzte. Hätte er sich doch lieber irgendwo ein Auto geschnappt …   Dazu musste man wissen, dass Matt eine leichte klaustrophobische Veranlagung besaß. Spätestens seit dem Tag, als er während einer Mission mit Alastair für mehrere Tage hinweg in einer dunklen Höhle eingeschlossen war, mied er enge Räume so gut es ging. Nicht nur die Enge selbst und die Dunkelheit hatten ihn an seine Grenzen getrieben, sondern vor allem der Geruch und die nicht mehr ganz so frische Luft. So wurde Matt hin und wieder übel, wenn jene Erinnerungen aufkeimten. Natürlich bedauerte er es, dass er Anya während ihres Duells gegen ihren Bruder nicht anfeuern konnte, andererseits vermisste er das Stadion kein bisschen. Wie er aus der Zeitung von heute Morgen jedoch erfahren hatte, war sie siegreich aus der Begegnung hervor gegangen, auch wenn dabei unschöne Details aus ihrem Privatleben an die Öffentlichkeit gelangt waren. Aber so brauchte er kein schlechtes Gewissen zu haben, sie hatte es geschafft und war eine Runde weiter. Und es war ja nicht so, als wäre er hier zum privaten Vergnügen unterwegs. Einen Blick auf das deaktivierte D-Pad werfend, verriet es ihm, dass es kurz vor 16 Uhr war. Seit vorgestern hieß es von einer Bushaltestelle in die nächste umzusteigen. Er war teilweise sogar etwas trampen gewesen, dort, wo kein direkter Anschluss herrschte. Ein Zugticket hatte er sich nicht leisten können und Nick um finanzielle Unterstützung zu bitten kam für ihn seit der Sache mit dem Messer nicht mehr infrage. So war er nun unterwegs mit dutzenden Menschen, die sich im Gang des Busses auf Kuschelkurs befanden. Allein der Gedanke, vielleicht noch zwischen ihnen stehen zu müssen, ließ Matt erschaudern. Lieber nahm er es mit mehreren Dämonen gleichzeitig auf, als das!   Je näher der Bus an den Stadtrand gelangte, desto mehr Leute stiegen aus. An der Endstation, vor einem großen Busbahnhof, verließ ihn letztlich auch Matt. Von hier aus musste er nur unter einer Brücke zu seiner Rechten hindurch, um aus der Stadt zu gelangen. Als er sie passierte, rauschte ein Zug über ihn hinweg. Sein Ziel lag etwas außerhalb der Stadt, im Wald. Dort hatte der reiche Mr. Carrington vor einigen Jahren eine Villa erbauen lassen. Vom Highway nach Westen aus führte eine kleine, gepflasterte Nebenstraße zum nahegelegenen Greenville Forest. Zu Fuß war es sicher eine dreiviertel Stunde bis dorthin, aber das störte Matt nicht. Er hatte ohnehin vor, erst im Schutze der Dunkelheit aktiv zu werden.   Daher ließ er sich auch Zeit und schlenderte seelenruhig am Wegesrand entlang. Zu seiner Linken erstreckte sich eine endlose, triste Graslandschaft, die durch den Highway geteilt wurde. Doch die enge Straße führte von diesem weg, am Waldrand vorbei. Dort sollte sich auch das Anwesen der Carringtons befinden. Matt hatte zwar nicht allzu viel Recherche anstellen müssen, um herauszufinden, wo der nächste Hüter lebte, doch die Hintergründe durchzuchecken hatte ein paar Tage und einige Gespräche mit ehemaligen Angestellten gekostet. Letztlich wusste er aber immer noch nicht, mit wem genau er es am Ende zu tun bekommen würde. Aber der junge Mann fühlte sich der Aufgabe gewachsen.   Wie er die Straße entlang lief, seinen Rucksack geschultert, merkte er zunehmend, dass es keine gute Idee war, in einem schwarzen Ledermantel unterwegs zu sein, wenn einem die Sonne nur so im Nacken brannte. So zog er diesen schließlich aus, klemmte ihn unter den Arm und setzte seinen Weg nur im weißen Hemd fort. Nebenbei überlegte er, was wohl geschah, wenn er erst auf Mr. Carrington traf. Ein Duell war ohnehin unausweichlich, die Frage war, was danach geschah. Der Gedanke an Drazens Schicksal bereitete ihm Unbehagen.   Die Zeit verstrich und Matt hatte das Ende der Straße erreicht, welches in einer Auffahrt mündete, die hinter einem zwei Meter großen Eisentor verschwand. Matt hielt sich hinter einem Baum verborgen, da er nicht von den Kameras gefilmt werden wollte. Jene befanden sich direkt über der großen Flügeltür der Villa, aber auch an anderen Schlüsselpunkten. Er hatte überlegt, einfach zu klingeln, aber da eine Konfrontation unvermeidlich erschien, wollte er das Überraschungsmoment auf seiner Seite wissen. Passend zum Tor zog sich ein Zaun im gleichen Stil um das Grundstück, das sowohl eine mehrstöckige, weiße Villa beherbergte, als auch einen kleinen Schuppen und eine Garage im hinteren Teil. Jenen wollte sich Matt genauer ansehen. Ein Blick gen Himmel verriet ihm, dass es schon dämmerte.   Um nicht entdeckt zu werden, machte der Schwarzhaarige einen großen Bogen um das Anwesen. Schlussendlich war Matt an der hinteren Seite des Grundstücks angelangt, dort wo der Wald erst richtig begann. Sich hinter einem der massiven Nadelholzbäume verbergend, spähte er herüber zu dem Flügel, welcher wohl das Esszimmer darstellte. In regelmäßigen Abständen gewährten hohe Bogenfenster den Blick ins Innere, auf eine lange, hölzerne Tafel. Jeder der Stühle dahinter war mit rotem Saum bezogen und verlieh dem ansonsten auch mit roten, gemusterten Teppichen versehenem Zimmer ein klassisches Auftreten. Aber auch hier, so stellte Matt fest, gab es Kameras. Befestigt an der weißen Fassade der Villa, würde man ihn sofort entdecken, wenn er sich dem Gebäude näherte. Mit Sicherheit wäre es kein Problem, diese zu umgehen, allerdings waren die Kameras nur der Anfang. Das wahre Problem war die Alarmanlage. Matt hatte keinen Anhaltspunkt zu dieser bei seinem Rundgang entdecken können, bezweifelte jedoch nicht, dass es eine gab. Ohne Verteilerkasten, den es lahmzulegen galt, würde es schwierig werden, unbemerkt das Anwesen zu betreten. Und das Letzte, was er brauchte, war die Polizei an seinen Fersen. Nach wie vor wurde Matt wegen Mordes an seinem Vater gesucht, auch wenn tatsächlich seine Schwester Sophie diesen begangen hatte. Auf seinem Weg hierher hatte er weder besagten Verteilerkasten, noch Strommäste entdecken können, die in den Wald führten. Vermutlich liefen die Leitungen unterirdisch, wodurch es ihm unmöglich war, auf herkömmlichem Wege für einen Stromausfall zu sorgen.   Matt seufzte und holte aus der Innentasche seines schwarzen Mantels ein Handy. „Hilft wohl alles nichts“, murmelte er und wählte eine Nummer. Kaum hatte er den Apparat ans Ohr gelegt, zischte es genervt aus dem Hörer: „Ich bin beschäftigt.“ „Guten Abend, Nick. Nach Feierabend noch so umtriebig?“, stichelte Matt. „Mein 'Boss' besteht darauf. Was willst du?“ „Ich bin gerade in Sachen Anya unterwegs.“ Der schwarzhaarige Dämonenjäger hoffte, damit wenigstens ein Minimum an Kooperation herausschlagen zu können. „Allerdings stehe ich sozusagen vor verschlossenen Türen. Ich muss da-“ „Du musst in dieses Anwesen, nahe Greenville? Lass mich raten, du machst dir wegen der Alarmanlage in die Hosen. Ist doch so, oder?“ Matt verstummte erschrocken. Er hatte noch gar nichts weiter gesagt, woher wusste Nick dann, wo er sich befand!? Umgehend spürte er, wie ihn die Antwort darauf das Blut in den Adern gefrieren ließ. „Beobachtest du mich etwa?“ „Ja“, kam die schonungslos trockene Antwort, „ich will kein Risiko eingehen.“ Matt schnaubte bei dieser eindeutigen Implikation. Und mahnte sich, gar nicht erst darauf einzugehen, sondern einfach bei der Sache zu bleiben. „Kannst du's?“ Sein Gesprächspartner rümpfte hörbar die Nase. „Willst du mich beleidigen? Wenn ich nur die Alarmanlage ausschalten soll, bist du in fünf Minuten drin. Allerdings könnte ich dir auch anbieten, das ganze Stromnetz der Region lahmzulegen, aber das dauert etwas länger.“ „Damit kann ich leben.“ So wäre es möglich im Dunklen zu agieren, zumal es ohnehin noch dämmerte. „Er ist da drin, also gib dir Mühe.“ „Um etwaige Probleme wirst du dich selbst kümmern müssen“, meinte Nick provokant angehaucht. „Kriegst du es hin, notfalls mit Gewalt zu arbeiten? Doch sicher, oder?“ Die Antwort blieb ihm Matt jedoch schuldig, da er einfach auflegte. Um den Baum auf das Grundstück schauend, konzentrierte er sich lieber darauf, nach Anhaltspunkten zu suchen, wo dieser Hüter sich aufhalten könnte. Die Schlafzimmer waren garantiert in einem der oberen beiden Stockwerke. Was nichts daran änderte, dass er innerlich trotzdem brodelte und Nick am liebsten eine reinpfeffern würde. Verdammt, Anya färbte zunehmend auf ihn ab!   Matt staunte wirklich nicht schlecht, als nicht einmal zwanzig Minuten später sämtliche Lichtquellen des Anwesens versiegten. Mit einem Schlag war es stockdunkel, passend zum Tageszeitenwechsel. „Nicht schlecht“, lobte Matt Nick leise. Und nahm darüber hinaus zur Kenntnis, wie gefährlich doch jemand mit seinen Fähigkeiten war. Das Telefon würde er definitiv früher oder später entsorgen und sein D-Pad austauschen.   Bevor Matt sich ins Abenteuer stürzte, lauschte er aufmerksam. Er hörte keine Geräusche, wenn man das gelegentliche Knarzen der Bäume oder den Ruf eines Tieres außen vor ließ. Scheinbar war niemand der Belegschaft nach draußen gegangen. Gute Voraussetzungen für eine Infiltration.   Vorsichtig stahl sich Matt hinter dem Baum hervor und huschte vorbei zu dem kleinsten der drei Gebäude, das vermutlich ein Geräteschuppen oder dergleichen war. Zum Zaun hin gab es dort keine Fenster, aus denen jemand schauen und ihn zufällig entdecken konnte. Dort angelangt, schaffte es Matt in erstaunlich leisen und agilen Bewegungen, sich über den Zaun zu ziehen und mit einem Satz auf dem Grundstück zu landen. Er war jetzt auf der Ostseite, nicht weit befand sich ein Seiteneingang für die Bediensteten. Direkt neben dem Schuppen lag die Garage, deren weißes Tor heruntergefahren war. „Dann mal los“, flüsterte Matt sich selbst ermutigend zu.   ~-~-~   Anyas Augen hatten Schwierigkeiten, sich an die schlechten Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Die Kneipe oder was auch immer war größtenteils in rötliches Licht getaucht, ausgehend von der Bar, die sich direkt gegenüber dem Eingang befand. „Da drüben“, meinte Logan an ihrer Seite und deutete auf die hintere Ecke, „hab sozusagen die VIP-Lounge gebucht.“ „Das ist 'n Ecksofa, mehr nicht“, brummte Anya, die der schwarzen Ledercouch auf den ersten Blick nicht viel abgewinnen konnte.   Hier sollte also ihr Sieg gefeiert werden? In einer lausigen Bar, in der sie garantiert nicht einmal ein Bier bekommen würde, weil sie noch nicht volljährig war? Es fiel der Blonden äußerst schwer, ihr Missfallen für sich zu behalten. Was auch nur daran lag, dass sie immer noch müde war. Immerhin war es nicht ihre Schuld, dass sie bis zum späten Nachmittag durchgeschlafen hatte. So erschöpft war sie noch nie gewesen, das Duell gegen Zach hatte ihr alles abverlangt. Als Zanthe sie dann irgendwann gegen 15 Uhr weckte und das mit einer Laune, die sie sonst nur von sich kannte, da ahnte Anya schon, dass der Tag beschissen werden würde. Aber als dann ein halbes Dutzend Reporter vor ihrer Zimmertür auf sie lauerte, da -wusste- sie es. Und die loszuwerden war erstaunlich schwierig gewesen.   Und jetzt war sie also hier. Zusammen mit dem Zwerg, einem unberechenbaren Werwolf, Redfield und Marc. „Anya …“, sprach Valerie das Mädchen von hinten an und legte ihre Hand auf deren Schulter. Jene drehte sich zu ihrer Erzrivalin um und musste den wenig begeisterten Ausdruck gar nicht deuten. „Ich weiß Redfield. Aber da musst du jetzt durch.“ Ohne es zugeben zu wollen, brachte Anya es nicht übers Herz, Logans Wahl der Location zu kritisieren. Wie auch, wenn er bereits vorging und sie in Richtung der Sitzecke winkte. Der Laden war außer ihnen komplett leer, was vielleicht noch daran liegen konnte, dass die Kernzeit eines solchen Etablissements noch nicht angebrochen war. „Sieht doch ordentlich aus“, kommentierte Marc, der an den beiden Mädchen vorbei zog und sich dabei umschaute. Sich auf die leeren Barhocker fixierend, zuckte Anya mit den Schultern. „Yeah.“ „Ich dachte eigentlich, wir würden essen gehen“, murmelte Valerie noch immer leicht unterwältigt. „Und plötzlich ist das hier gar nicht so schlecht“, erwiderte die Blonde, welcher allein beim Gedanken an ein Candlelight Dinner zu fünft schlecht wurde. Womit sie ihre Freundin auch stehen ließ.   ~-~-~   Vorsichtig schlich sich Matt am Schuppen vorbei, Richtung der Garage. Dabei fixierte er seinen Blick auf den Bediensteteneingang quer gegenüber, welchen er nehmen würde, um in die Villa zu gelangen. Sich an der weißen Fassade der Garage anlehnend, blickte er um die Ecke. Niemand war zu sehen. Auch die Fenster nahm er ins Visier, doch er konnte nirgendwo die Silhouette eines ungewollten Zeugen entdecken. Dann war es soweit, eine dunkle Wolke zog vor den jungen Mond.   Tief durchatmend, ließ Matt sein Versteck hinter sich und rannte auf die Tür zu. Er ahnte nicht, dass auf dem Dach der Garage unlängst jemand Notiz von ihm genommen hatte. Ebenso wenig ahnte er, dass dieser jemand bereits mit ausgestreckten Gliedmaßen in seine Richtung flog. Und ihn letztlich in den Boden rammte. Etwas knackte laut, aber da war kein unmittelbarer Schmerz. „Argh!“ Der Schwarzhaarige fackelte nicht lange. Obschon sein Gesicht in das Gras gepresst wurde, verpasste er seinem Angreifer eine Kopfnuss, rammte dann seinen Ellbogen in dessen Bauch. Der Mann keuchte und ließ von ihm ab, sodass Matt die Gelegenheit nutzte, sich in die andere Richtung wegzurollen. In einer wirbelnden Umdrehung gelangte er auf die Beine. Wesentlich unbeholfener versuchte dies auch sein Gegenüber, was jedoch erst beim zweiten Versuch eher schlecht als recht gelang.   Matt traute seinen Augen kaum, als sein Angreifer sich vor ihm aufbaute. In diesem Moment zog die graue Wolke schon wieder am Vollmond vorbei, sodass der Dämonenjäger sein Gegenüber gut erkennen konnte. Kurzes, schwarzes Haar, das hinten erstaunlich lang war. Eine Rotzbremse vom Feinsten. Eine Lederweste über einem weißen Muskelshirt, nur dass es kaum erkennbare Muskeln an dem schlanken, langen Körper gab. Dazu eine Sonnenbrille. Der junge Mann musste ein Grinsen unterdrücken. Vor ihm stand ein waschechtes Relikt der 90er. „Hab' ich dich, Einbrecher!“, zeigte der schon etwas ältere Mann mit dem Finger auf ihn. „Sprich dein letztes Gebet, bevor ich deinen Arsch eigenhändig in den Knast katapultiere.“ „Was bist du denn für einer?“, kratzte sich Matt am Kopf. Soviel dazu, hier unbemerkt hineinzukommen. Breit grinsend mit dem Daumen auf sich zeigend, antwortete der Kerl tatsächlich so stolz, als hätte er nur auf diese Frage gewartet. „Ich bin Lee Anderson, der Wachhund der Carrington-Familie. Der Krieger im Dunkeln, der Streiter für Gerechtigkeit, der beste Dämonenjäger des Planeten. Ein Prototyp, der nie in Serie ging! Und ich habe ganz gewiss nicht die ganze Nacht vor der Alarmanlage gesessen und gewartet, dass irgendetwas passiert, nein, habe ich nicht!“ „Hast du doch“, entfleuchte es Matt, welchem es schwerfiel, diesen Lee ernst zu nehmen. Jener stampfte überführt auf den Boden. „Dammit! Das bleibt unter uns, verstanden!?“ „Hör mal … Lee.“ Der Schwarzhaarige hob beschwichtigend die Hände. „Ich will keinen Ärger machen. Genau wie du bin ich ein Dämonenjäger und-“ „Du Grünschnabel nennst dich Dämonenjäger!? Haaah!“ Der Typ rotzte vor ihm auf den Boden. Matt dachte ärgerlich, dass er genau dasselbe über ihn sagen könnte. Unvermittelt begann sich der Typ in Bewegung zu setzen. Wie ein Raubtier zog er seinen Kreis um Matt, ihn nicht aus den Augen lassend. „Worauf hast du es abgesehen, häh? Den Schmuck meiner Herrin? Oder gar-!?“ „Was?“, hakte Matt missmutig nach, Lees Bewegungen aus den Augenwinkeln folgend. Ahnte er, weshalb es ihn wirklich hierher verschlagen hatte? „Nie im Leben!“, keuchte Vokuhila-Lee aufgebracht. „Du kannst unmöglich davon wissen!“ Matt schmunzelte und erwiderte leise, als der Größere sich direkt hinter ihm befand: „Was, wenn doch?“ „Ihre Unterwäsche wirst du nicht entweihen!“ Ohne Vorwarnung stürzte sich Lee auf den Dämonenjäger … und stürzte nur noch, als jener ihn mit einem Griff und einer flinken Drehung aufs Kreuz legte. Auf den verdutzten Kerl herabblickend, murmelte Matt: „So einer bin ich nicht …“ Sofort sprang Lee wieder auf und torkelte erst einmal rückwärts, spuckte Gras und Erde, dabei die Arme kämpferisch in Kung-Fu-Haltung erhoben. „Noch bin ich nicht besiegt, Tiger!“, raunte er dabei atemlos.   Matt biss sich auf die Lippe, dabei aus den Augenwinkeln das Grundstück musternd. Niemand schien diesem Verrückten zu Hilfe zu kommen. Vielleicht hatte noch niemand im Anwesen bemerkt, dass es einen 'Einbrecher' gab. Sein Fokus richtete sich wieder auf Vokuhila-Lee. Es erschien ihm sinnlos, dem noch weiter irgendwelche Informationen entlocken zu wollen. Der war das fleischgewordene Gegenstück zu Anya. Wenn er ihn ohne Aufmerksamkeit zu erregen ausschalten könnte … Ohne lange darüber nachzudenken, griff Matt in die Innentasche seines Mantels. Wie gut, dass er sich vorbereitet hatte. Denn kaum hatte er die weiße Karte gezückt, schoss aus ihr ein silbernes Licht. Nur einen Moment später befanden die beiden sich in einer quadratischen Barriere, die gerade groß genug war, um das Grundstück samt Villa einzuschließen. Danach sah man nur noch die Unendlichkeit. In Schweinchenrosa. Man musste Abstriche machen, das hatte Al ihn früh gelehrt, dachte Matt und gluckste in sich hinein. „Was hast du getan!?“, kreischte Lee mehr, als dass er sprach. „Das, was richtige Dämonenjäger tun, wenn sie ungestört sein wollen. Ich habe einen Bannkreis errichtet.“ Matt musste ein Auflachen unterdrücken. Wieso überraschte es ihn nicht, dass sein Gegenüber scheinbar keine Ahnung hatte, was gerade geschehen war?   Entscheidender war allerdings, ob Mr. Carrington den Zauber bemerken würde. Diese Art Bannkreis war für viele übernatürliche Wesen unsichtbar und präsenzlos, aber wie verhielt es sich mit Hütern? So oder so, er hatte jeden der hier Anwesenden eingesperrt, wenn der alte Mann also nicht schon im Bett war und schlief, würde er auf Kurz oder Lang etwas bemerken müssen. Spätestens wenn er aus dem Fenster sah …   „Du hast jetzt-“ „Ich duelliere mich mit dir!“, stotterte Lee, bevor Matt aussprechen konnte. „Nei-“ „Doch!“ „Ne-“ „Doch!“ „N-“ „Doch!“ Matt öffnete den Mund fasziniert. Dann seufzte er. „Und warum?“ „Warum nicht? Oder bist du nicht nur ein Einbrecher, sondern auch ein Feigling!?“ Dass der Typ dabei noch den Zeigefinger erhob, zerrte bedrohlich am immer dünner werdenden Geduldsfaden des Schwarzhaarigen.   Aber wieso eigentlich nicht? Könnte sich hinter dieser Masche vielleicht mehr verbergen, als es den Anschein hatte, so fragte sich Matt? Vielleicht war dieser Lee derjenige, nach dem er wirklich suchte? Wer würde in ihm schon den neunten Marquise Exeters, bürgerlich William Theodore James Cecil, auch Marquise James Carrington genannt, vermuten? Es wäre so perfide, dass Matt es fast für denkbar hielt. Und sich sogleich die weißen, fingerlosen Handschuhe aus seiner Manteltasche zog und überstreifte. Einen Versuch war es allemal wert!   Als Matt jedoch einen Blick auf sein D-Pad am linken Arm warf, weitete er erschrocken seine Augen. Nicht nur auf auf dem Display ein tiefer Sprung zu sehen, nein, genau dort war eine deutliche Delle zu sehen. „Verdammt!“, fluchte der junge Mann und aktivierte das Gerät, das jedoch nicht reagierte. „Sag bloß nicht-!“ Er versuchte es wieder, allerdings ohne Erfolg. Der Apparat fuhr nicht einmal hoch. „Wegen dir ist mein D-Pad jetzt im Eimer“, fuhr Matt Lee an. So viel dazu, dass er sich bald ein neues besorgen müsse. Der junge Mann verfluchte das Pech, das ihn Zeit seines Lebens zu verfolgen schien. Der nicht ganz so clevere Vorschlag Lees lautete: „Dann schmeißen wir mit Karten um uns!“ „Nein. Das geht auch anders! Zeit für einen alten Klassiker!“ Matt zückte grimmig dreinblickend eine weitere weiße Karte und fuhr in einer geraden Linie direkt auf Brusthöhe vor sich mit dem Arm nach rechts. Dabei zog er eine schwarze Schliere nach sich. „Gott, wie lange ist das her, dass ich das das letzte Mal benutzt habe …“ Schwarzer Staub wirbelte genau auf der Stelle, wo das dunkle Licht von seiner Hand entlang geglitten war. In wahnsinniger Geschwindigkeit setzten sich jene Partikel zu einem Duel Monsters-Spielplan zusammen, gemacht aus einer festen Marmorplatte. Matt grinste frech. „Etwas gewöhnungsbedürftig. Normalerweise wird die für … andere Zwecke eingesetzt. Aber das weißt du sicher.“ Wusste Lee nicht, wie man anhand seines weit offenen Mundwerks und den bis zum Anschlag aufgerissenen Augen ablesen konnte. So starr wie er da stand, machte er glatt den Eindruck einer Statue. Vielleicht war er doch nur ein Holzkopf … „Da der Strom ausgefallen ist, musste ich hierauf zurückgreifen“, erklärte Matt, „aber du kannst deine Duel Disk oder was auch immer trotzdem benutzen. Es reicht, wenn der Zauber von einer Spielfeldseite wirkt.“ Keine Reaktion von Statuen-Lee. Auch nicht nach einer Minute. Matt lehnte leicht den Kopf zur Seite und wollte gerade fragen, ob sein Gegenüber noch am Leben sei, da schnellte dessen Zeigefinger derart unerwartet nach vorn, dass es den Dämonenjäger glatt erschrak. „Jetzt hab ich's!“ Lees Blick war geradezu fixiert auf den marmornen Spielplan vor Matt. „Ich weiß, was du bist!“ „Ein Dä-!“ „Ein Dämon! Du willst mich in die Hölle zerren!“ Unter einem Wutschrei streckte Lee den Arm aus. An dem wohlgemerkt keine Duel Disk befestigt war. „Aber da bist du an der falschen Adresse! Diesen Kampf verlierst du, dich schicke ich in die Hölle zurück, denn -ich- bin ein Dämonenjäger! Der beste!“ Sich an der Wange kratzend, fragte sich Matt, ob sein Gegner auch nur ein Wort von dem verstanden hatte, was er gesagt hatte. Seufzend redete er sich ein, dass es ohnehin egal war, solange er erstmal diesen Typen nur loswurde, ob nun Hüter oder nicht … „Dann zeig mir, was du drauf hast“, forderte Matt und winkte demonstrativ mit der Hand zu sich, dabei ein gehässiges Grinsen nicht unterdrücken könnend. Denn unabhängig von seinem Status würde Lee sein blaues Wunder erleben. „Duell!“, schrien beide schließlich synchron.   [Matt: 4000LP / Lee: 4000LP]   „Ich fange an!“, entschied Lee kurzerhand. Matt schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn, als sein Gegner tatsächlich sein Startblatt direkt aus der Deckbox an seinem Gürtel zog. Wo wollte er überhaupt die Karten platzieren, wenn er keine Duel Disk dabei hatte!? Die Antwort kam prompt, als sich Idioten-Lee kurzerhand in den Schneidersitz begab und den Rasen als Spielfläche nutzte. „Ich setze zwei Karten, Monster und Falle! War'n nettes Spiel, Dämon! Und jetzt geh sterben!“ Er legte die Karten vor sich in den entsprechenden Positionen hin, in vergrößerter Form tauchten sie weiter vor ihm auf, wie bei einem normalen Duell.   Matt kratzte sich am Kopf. „Oh man …“ Es war wirklich nicht seine Art, seine Gegner beleidigen zu wollen, aber seit der ersten Sekunde war es schier unerträglich, dem Drang in Lees Fall zu widerstehen. Verdammt, Anya färbte -wirklich- auf ihn ab! Sich möglichst rasch durch das Schütteln des Kopfes von diesen wenig erheiternden Gedanken befreiend, griff er nach dem Deck auf seinem Spielplan und zog. Nein, er würde Lee respektieren, auch wenn er etwas … seltsam war! Außerdem durfte er nicht vergessen, dass dies vielleicht nur eine Fassade war, wenngleich ein nicht geringer Teil in ihm dies immer mehr bezweifelte. „Draw!“, rief er in der Bewegung und sah die Karte an. „Cool, die spiele ich gleich aus! Erscheine, [Evilswarm Zahak]!“ Unter lautem Gebrüll stieg über Matt ein schwarzer, dreiköpfiger Drache auf. Zwar nicht so eindrucksvoll wie sein Ourorobos, hatte jener dennoch etwas für sich – die messerscharfen Klingen auf jedem seiner Häupter.   Evilswarm Zahak [ATK/1850 DEF/850 (4)]   „Es ist wirklich erschienen!“ Lee sprang auf und machte Augen wie ein Politiker nach seiner Wiederwahl. Was Matt mehr als verwunderte, hatte der Typ nicht reagiert, als seine eigenen Karten erschienen waren. Dessen Staunen hielt jedoch nur kurz an, denn wieder zeigte er ungeniert mit dem Finger auf den Dämonenjäger. „Okay, was für ein Dämon bist du genau!? Eine Hexe!?“ „Eine ... was!?“ „Oder ein Vampir!?“ „N-nein! Verdammt, ich bin kein-!“ Lee hielt beide Arme über Kreuz. „Nein, mich kannst du nicht täuschen, dreckige Brut!“ Genervt durchatmend, schluckte Matt den zunehmend wachsenden Kloß an Beleidigungen in seinem Hals herunter. Schon jetzt wusste er, dass er seine Beherrschung irgendwann in diesem Duell verlieren würde. Was für Lee schmerzhaft enden würde. Vielleicht gelang es ihm aber auch, das Duell schnell zu beenden. Den Arm ausstreckend, zeigte er auf das gesetzte Monster. „Los Zahak, schauen wir mal, was sich da drunter versteckt!“ Einem Dreizack gleich, flog der Drache mit den Köpfen voran Richtung Lees Spielfeldseite. Zeitgleich wirbelte die Karte des gesetzten Monsters um die eigene Achse und die angekündigte Falle sprang auf. Zahak bekam es mit einem weißen, schlangenhaften Drachen zu tun, der eindeutig chinesisch angehaucht war. Solche Wesen sah man oft auf Paraden, aber nur als Puppen oder Seidenhüllen. Besonders an diesem hier war zudem sein leicht durchscheinender Körper, als wäre er nur ein Trugbild. Was nichts daran änderte, dass er von Zahak durchbohrt wurde und sein Schmerzschrei hörte sich durchaus real an.   Chiwen, Light Of The Yang Zing [ATK/0 DEF/0 (1)]   Gerade stemmte Matt zufrieden eine Hand in die Hüfte, da verging ihm sein Grinsen. Zwei leuchtende Funken, Sternen gleich, stiegen aus Lees Deck auf. Jener hatte von Matt unbemerkt zwei Karten von dort aufgenommen und legte sie nun vor sich auf den Boden. Keine Sekunde später tauchten über ihm ein roter, vierbeiniger Drache mit wallender, schwarzer Mähne und ein finsteres, ebenfalls auf vier Beinen gehendes Biest auf. Während ersterer sich dank seiner Schwingen in der Luft hielt, landete der zweite auf dem Boden, streckte die beiden Arme, die er im Gegenzug besaß, weit aus und stieß einen schrillen Schrei aus. Beiden mangelte es ebenfalls an einer festen Gestalt. Suanni, Fire Of The Yang Zing [ATK/1900 DEF/0 (4)] Taotie, Shadow Of The Yang Zing [ATK/2200 DEF/0 (5)]   „Na, verschlägt es dir die Sprache? Huh!?“, bellte Lee, welcher es sich inzwischen wieder im Schneidersitz bequem gemacht hatte. „Du hast Chiwen auf dem Gewissen, du Schwein! Aber zumindest konnte er mit seinem letztem Atemzug ein anderes Yang Zing beschwören.“ Gerade wollte Matt Lee darauf hinweisen, dass er noch einmal nachzählen sollte, da sprang ihm die Falle ins Auge, die zu dessen Linken offen stand. „[Yang Zing Creation] …“, las Matt den Namen vor. „Ahja, und die auch. Die macht dasselbe nochmal, halt einmal pro Zug, weißte“, fasste sein Gegner den Effekt äußerst knapp zusammen. Matt stöhnte. „Großartig, die Hydra in Drachengestalt also. Irgendwie habe ich keine Lust, da irgendwelche Köpfe abzuhacken …“ Was sich wohl leider nicht vermeiden ließ, wie Matt befürchtete. Er nahm eine Karte aus seinem Blatt und positionierte sie direkt unter Zahaks. „Die hier setze ich. Du bist am Zug.“ Zischend tauchte sie vor seinen Füßen auf.   „Oh, das bin ich!“ Unter einem kehligen Kampfschrei, oder was auch immer jener schiefe Ton darstellen sollte, zog Amazonen-Lee eine Karte. „Okay, Dämon! Bete schon mal zu Gott!“ Und Matt schüttelte einmal mehr an diesem Tag mit dem Kopf. „Dämonen beten nicht zu Gott …“ „Dann … mach was anderes! Egal! Ich aktiviere eine Zauberkarte, [Yang Zing Prana]!“ Der Vokuhilaträger schmetterte die dauerhafte Zauberkarte in den Boden – wortwörtlich. Und während er sich darüber ärgerte, dass jene dadurch dreckig geworden war, schreckte Matt zurück. Denn überall auf dem Grundstück spaltete sich die Erde und gelb leuchtende Energiekanäle kamen zum Vorschein. Auch das Spielfeld selbst wurde zerteilt, die dadurch entstandenen Plattformen drifteten auseinander. Einzig die Villa sowie der Schuppen und die Garage waren davon nicht betroffen. „Was ist das für eine Karte!?“, grübelte Matt. „Nun empfange dein Urteil, Hexe! Ich beschwöre [Bixi, Water Of The Yang Zing]!“ Lee streckte mit viel zu sehr angezogenem Kinn den Finger aus. „Attacke!“ Zunächst bildete sich der Panzer, dann tauchte der Rest der vierbeinigen, bärtigen Drachenkreatur auf, die einer Schildkröte nicht unähnlich war. Das blau leuchtende Wesen öffnete sein Maul.   Bixi, Water Of The Yang Zing [ATK/0 DEF/2000 (2)]   „Er greift an!? Warte …!“ Matts Blick richtete sich auf Lees Fallenkarte. „Du willst dein Feld mit Monster fluten!“ Die Stirn kraus ziehend, schwang der richtige Dämonenjäger unter ihnen den Arm aus. „Gar nicht so dumm, dafür ein wenig Schaden einzustecken! Aber daraus wird nichts, Falle!“ Seine Karte sprang auf. Von dauerhafter Natur, war auf ihr ein älterer Mann in rot-orangener Robe abgebildet, der über eine Masse an vor ihm niederknienden Menschen gebot. Aus der Karte selbst kam jedoch nicht er, sondern ein ganzes dutzend stählerner Ketten hervorgeschossen. „[The Regulation Of Tribe] lässt mich einen Monstertypen wählen, welcher, solange diese Karte auf dem Spielfeld liegt, nicht angreifen kann!“, erklärte Matt den Effekt. Wie Schlangen bewegten sich die Ketten in der Luft und bahnten sich ihren Weg zu den drei Drachen, die sich auf Lees Plattform befanden. Matt grinste. „Da du scheinbar nur einen Typen spielst ist die Wahl nicht weiter schwierig. Drache!“ In Bixis Maul quoll derweil eine regelrechte Flut als die Ketten ihn erreichten – und durch ihn hindurch glitten. Selbiges geschah mit dem dunklen Taotie und dem über ihn fliegenden Suanni. Dann schoss Bixi eine Fontäne aus seinem Maul in [Evilswarm Zahaks] Richtung. Der dreiköpfige Drache wich der Attacke jedoch problemlos aus, setzte zum Sturzflug an und zerteilte den vermeintlichen Drachen mithilfe der Klingen an seinen Häuptern. Lee kicherte geheimnisvoll dabei.   [Matt: 4000LP / Lee: 4000LP → 2150LP]   „Besitzen deine Monster einen Effekt, der sie vor Fallen schützt!?“ Matt war fassungslos darüber, dass die seine nicht funktioniert hatte. Wild gestikulierte er mit dem Armen. „Verdammt, antworte!“ Lee grinste breit und erhob sich aus seinem Schneidersitz. „Nein, da liegst du völlig daneben, Dämonenhexe.“ „Uh …!“ Stolz schlug sich sein Gegner auf die Brust. „Meine Monster sind keine -einfachen- Drachen. Sie sind Phantome, mächtiger als es -bloße- Drachen je sein könnten. Sie sind vom Typ Wyrm.“ Matt horchte erstaunt auf. „Typ was? Moment, so einen gibt es nicht!“ „Oh doch!“ Zum Beweis hob Lee Bixis Karte auf und warf sie Matt zu, welcher sie zwischen den Fingern auffing. Und tatsächlich, als er die Karte betrachtete, war dort definitiv besagter Wyrm-Typ angegeben. Aufgebracht blickte der junge Mann auf. „Das kann nicht sein, ich habe noch nie davon gehört!“ Überheblich verschränkte Lee die Arme. „Natürlich nicht, Amateure wie du werden nie in den Genuss der Wyrm kommen. Jene Karten sind so selten, dass sie nur der absoluten Überelite vorbehalten sind.“ Er setzte sein schmierigstes Grinsen auf. „Wyrm-Monster werden als Preiskarten auf großen Turnieren verteilt. Nur so bekommt man sie, nicht anders! Und ich hab meine bestimmt nicht von einem Profi-Duellanten oder so gestohlen!“ Genervt erwiderte Matt mit zusammengekniffenen Augenlidern: „Hast du wohl.“ „Verdammt!“, schrie Lee ertappt und hielt sich die Hände vor den Mund. Drohend richtete er zum x-ten Male den Finger auf Matt. „Wage es nicht, das irgendwem zu erzählen! Petzen mag ich gar nicht!“ Schlaff entgegnete Matt, als er die Karte zurückwarf, die seinen Gegner nicht völlig unabsichtlich ins Gesicht traft: „Ich … werde es in Erwägung ziehen …“ „Was auch immer!“ Lee nahm zwei Karten von seinem Deck, das er seither auf seinem Handrücken balancierte und schmiss sie mit aller Kraft auf den Boden. „Da Bixi fixi ist, darf ich dank seines Effekts ein Yang Zing in Verteidigung beschwören. Und mithilfe von [Yang Zing Creation] ein weiteres noch dazu!“ Es tauchte ein kreischender, grüner Drache auf, der seine spitzen Zähne aufblitzen ließ. Neben ihm materialisierte sich sein gehörnter Kamerad, länglich wie eine Schlange, mit der Farbgebung eines Tigers. Doch noch etwas geschah in diesen Moment. Überall innerhalb der aufgerissenen Erde stieg gleißende, gelbliche Energie empor, welche die gesamte Umgebung erleuchtete. „Pualo, Bi'an, Suanni und Taotie erhalten dank [Yang Zing Prana] endlich den wohlverdienten Angriffsboost von 500, jetzt da zwei Yang Zing unterschiedlichen Attributs unter der Erde liegen.“ Matt fiel aus allen Wolken. „Wie bitte!?“ Jeder der vier Phantomdrachen begann ebenso gelblich aufzuleuchten wie die Energieadern, die das Grundstück durchzogen.   Pualo, Wind Of The Yang Zing [ATK/0 → 500 DEF/1800 (1)] Bi'an, Earth Of The Yang Zing [ATK/1600 → 2100 DEF/0 (3)] Suanni, Fire Of The Yang Zing [ATK/1900 → 2400 DEF/0 (4)] Taotie, Shadow Of The Yang Zing [ATK/2200 → 2700 DEF/0 (5)]   „Das ist mehr als genug, um dich deines Platzes zu verweisen, Dämonenhexenfinsternismensch!“ Lee streckte den Arm ruckartig nach vorn, wobei die Deckbox auf seinem Handrücken gefährlich hin und her kippte. „Mach dich bereit exkommuniziert zu werden!“ „Du meinst exorziert …“ „Ja! Das! Angriff auf den Loserdrachen, Bi'an!“ Unter einem majestätischem Brüllen tauchte der Tigerdrache kurzerhand unter der Erde ab, nur um wenige Sekunden später direkt unter [Evilswarm Zahak] wieder aufzutauchen. Jener konnte nicht rechtzeitig reagieren und wurde von einem Prankenhieb niedergestreckt.   [Matt: 4000LP → 3750LP / Lee: 2150LP]   Matt stieß einen leisen Seufzer aus. Zum Glück hatte er nicht mit seinem Finsternisdrachen, Taotie, angegriffen. Denn so erfüllte Zahak zumindest noch einen Zweck … „Effekt meines Monsters!“, bellte Matt. „Bei seiner Zerstörung reißt er ein anderes Monster mit sich, vorausgesetzt es wurde spezialbeschworen und ist mindestens Stufe 5!“ Besagter Taotie war es schließlich auch, der aus dem Nichts von drei ihn heimsuchenden Klingen aufgeschlitzt wurde und explodierte. „Dämlicher Hexendämonendepp!“, ereiferte sich Lee wutentbrannt. „Das bringt dir gar nichts, denn Taotie lässt mich ein Yang Zing vom Deck in Verteidigungsposition rufen.“ Zunächst manifestierte sich am Boden ein auf vier Beinen laufender, finsterer Drache, dessen schildkrötenartiger Panzer mit blauer Panzerung versehen war. Doch plötzlich erschien neben ihm noch ein weiterer, weiß leuchtender, der mit seiner Flosse am Ende des Schweifes einem Fisch nicht unähnlich war – Chiwen, der Drache, den Matt ganz am Anfang besiegt hatte. „Ja, du siehst richtig! Wenn ein Yang Zing ins Gras beißt, kann ich Chiwen zurück aufs Feld bringen! Der andere ist übrigens Jiaotu, nur so zur Info.“   Jiaotu, Darkness Of The Yang Zing [ATK/0 → 500 DEF/2000 (2)] Chiwen, Light Of The Yang Zing [ATK/0 → 500 DEF/0 (1)]   Matt traute seinen Augen kaum: Lees ganze Spielfeldseite war voll von diesen Drachen oder Wyrm, was auch immer. Am Boden der finstere Jiatou, in der Luft Chiwen, der rote Suanni, der Windbeherrscher Pualo und Bi'an, der über das Element Erde gebot. „Direkter Angriff, Suanni!“; befahl Lee aus voller Kehle. Und Matt musste nicht lange überlegen um zu wissen, welche Suannis Waffe war. Eine fiese Stichflamme, die ihn voll erfasste und sein ganzes Feld in ein einziges Inferno verwandelte.   [Matt: 3750LP → 1350LP / Lee: 2150LP]   „Lausiger Amateur, nächste Runde bist du erledigt!“ Lee verschränkte selbstbewusst und fest nickend die Arme, fing dabei seine herunterfallende Deckbox auf. „Mach deinen letzten Zug, Xenu!“ „… wer?“   Matt hatte andere Probleme, als permanent die seltsamen Bezeichnungen verstehen zu wollen, die ihm sein Gegner an den Kopf knallte. Eins hatte er begriffen: Der Typ war ein Volltrottel ohne nennenswertes, strategisches Geschick. Aber das brauchte er auch nicht, denn sein Deck war derart mächtig, dass wohl selbst ein Neugeborenes es erfolgreich spielen könnte. Es ließ gar nicht erst zu, dass eine Lücke sowohl in der Offensive, als auch Defensive seines Besitzers entstand. Wie konnte er diese ewig anhaltende Flut an Monstern bloß stoppen!?   Als Matt nach seinem Deck griff, kam er zu der Erkenntnis, dass er womöglich mit härteren Bandagen als eigentlich beabsichtigt kämpfen musste. Und das, obwohl es in diesem Duell mit immer größerer Wahrscheinlichkeit um nichts ging. Keiner würde verletzt werden, auch wenn ein Bannkreis die beiden im Moment einschloss. Darum ging es auch gar nicht. Es ging um Matts Ehre, seinen Stolz. Wenn er schon an einem von Lees Sorte scheiterte, wo würde das Ganze am Ende hinführen? Seine eigentlichen Gegner waren die Undying, Kali und nur Gott wusste wer sonst noch auf dem Plan stand. Außerdem musste er sich noch um Mr. Carrington kümmern. Er durfte nicht verlieren. Nicht gegen Lee!   „Draw!“, schrie Matt angestachelt von der drückenden Vorstellung, womöglich ganz unten am Ende der Duel Monsters-Nahrungskette zu stehen. Mit Schwung riss er die Karte von seinem Deck und sah sie hoffnungsfroh an. Nur um sie wieder umzudrehen und den Kopf hängen zu lassen. „Wieso immer ich … vollkommen nutzlos.“ In der Zwischenzeit zersprang seine dauerhafte Falle [The Regulation Of Tribe], da Matt kein Monster zu ihrer Erhaltung opfern konnte und es auch nicht tun würde, da sie ohnehin den falschen Monstertypen unterdrücken würde. Trotz der Enttäuschung war Matt noch lange nicht bereit das Handtuch hinzuwerfen. Energisch klatschte er eine Karte auf den marmornen Spielplan. „Normalbeschwörung! [Evilswarm Castor]!“ Ein Krieger, halb weiß, halb schwarz, manifestierte sich vor dem jungen Mann.   Evilswarm Castor [ATK/1750 DEF/550 (4)]   „Sein Effekt ermöglicht es mir, noch einen Schwärmer als Normalbeschwörung aufs Spielfeld zu bringen“, erklärte Matt und legte neben sein Monster ein weiteres mit gelbem Rahmen. „Los, [Evilswarm Heliotrope]!“ Schwarze Partikel sammelten sich neben Castor und bildeten einen grünlichen Ritter mit Schwert in der Hand und eingesetztem Smaragd in der Mitte seiner Rüstung.   Evilswarm Heliotrope [ATK/1950 DEF/650 (4)]   Matt griff gerade in sein Blatt, da geschah etwas, mit dem er nicht gerechnet hatte. Lee bückte sich, schnappte sich drei seiner Monster auf dem Feld und zeigte sie vor. „Jetzt hat dein letztes Stündlein geschlagen, Dracula!“ Hinter ihm stieg sein Chiwen in die Höhe und zersprang in einen grünen Lichtring. Der Feuerdrache Suanni und Bi'an mit den Tigerstreifen folgten ihrem Lichtgegenstück. Und Matt wollte nicht wahrhaben, was er dort sah: „Synchro!? In meinem Zug!?“ „Hast du gut erkannt! Jedes Yang Zing kann das und es nennt sich … keine Ahnung wie das heißt!“ Die beiden Nicht-Empfänger passierten den Ring und wurden zu in der Summe sieben Lichtkugeln. „Stufe 1-Chiwen plus Stufe 4-Suanni und Stufe 3-Bi'an ergibt …!“ Ein greller Lichtblitz schoss durch den Ring. Das schrille Gebrüll eines Drachen erklang, während Matt noch gar nicht begriff, was ihm da gerade widerfuhr. „Synchro Summon! Beiß' ihn, [Baxia, Brightness Of The Yang Zing]!“ Ein schier unendlich lang erscheinender, schlangenhafter Drache breitete sich auf Lees Spielfeldseite aus. Sein Körper war gezeichnet vom Tigermuster Bi'ans und endete in einem flossenartigen Schweif, dem von Chiwen nicht unähnlich. Auch der schwarze Schopf und der dazugehörige Bart waren Matt nicht ganz unbekannt, gehörten sie doch zu Suanni.   Baxia, Brightness Of The Yang Zing [ATK/2300 DEF/2600 (8)]   „Wie du siehst hat er das gute Aussehen seiner Synchromaterialien geerbt“, grinste Lee breit wie ein Nilpferd. „Aber nicht nur das. Auch ein paar ihrer Effekte, gewissermaßen. Doch erst …“ Es passierte so schnell, dass Matt nicht darauf reagieren konnte. Und selbst wenn, hätte er in diesem Moment nicht gewusst, was er dagegen unternehmen sollte. Baxias Augen leuchtenden gleißend weiß auf und schossen Lichtstrahlen auf seine Spielfeldseite. Die Monster des Dämonenjägers wurden in die Brust getroffen und lösten sich unvermittelt in glänzenden Partikeln auf. „Gut, was!?“, feixte Lee. „Baxias Synchrobeschwörung führt dazu, dass ich für jedes verwendete Wyrm-Monster mit unterschiedlichem Attribut eine deiner Karten ins Deck schicken darf!“ „Wie bitte!?“ Matt wich zurück. „Verdammt, dann-!?“ Während Lee Chiwens Karte in die Hosentasche schob, scheinbar ein negativer Effekt der einsetzte, wenn er vom Friedhof aufs Spielfeld geholt wurde, rief er: „Ach das war doch noch lange nicht alles! Suannis Kraft geht auf Baxia über, wodurch er 500 Angriffs- und Verteidigungspunkte erhält! Und vergiss nicht, dass Baxia auch durch [Yang Zing Prana] noch stärker wird!“ Eine feurige Aura schlug um den weißen Drachen, der hysterisch brüllte. Matt lief bei seinem Anblick der Schweiß von der Stirn.   Baxia, Brightness Of The Yang Zing [ATK/2300 → 2800 → 3300 DEF/2600 → 3100 (8)]   Mehr mit sich selbst redend, grübelte er: „Das kam völlig unvorbereitet. Was tun …?“ Seine übrigen drei Handkarten ansehend, schien eigentlich nur noch eine Vorgehensweise sinnvoll und zwar ausgerechnet die, die er eigentlich hatte vermeiden wollen. Andererseits konnte eine kleine Lektion für Lee sicherlich nicht schaden, zumal sie niemand von Bedeutung beobachte. Nicht einmal Nick konnte in seinen Bannkreis spähen. Zumindest hoffte Matt das … „So wird’s gemacht!“, entschied er sich mit einem unterstreichenden Nicken. „Ich aktiviere die Zauberkarte [Monster Reborn]! Sie ruft [Evilswarm Zahak] zurück auf mein Feld!“   Evilswarm Zahak [ATK/1850 DEF/850 (4)]   Noch während der dreiköpfige Drache seinem Grabe entsprang, tönte Vokuhila-Lee: „Renn' ruhig in Baxia rein, Hexe, wirst doch nur verlieren! Meinetwegen beschwör' sogar ein stärkeres Monster, dank Bi'an kriegst du Baxia sowieso nicht durch reines Angreifen klein!“ Matt blinzelte mehrmals hintereinander. „Danke für die Warnung.“ „Scheiße!“, fluchte Lee und schlug die Hand vor den Mund. „Völlig egal, ich habe sowieso etwas anderes vor! Da ich einen Schwärmer mit mindestens 1500 Angriffspunkten besitze, kann ich diesen hier von meiner Hand rufen: [Evilswarm Dullahan]!“ Matt pfefferte dessen Karte auf die Marmorplatte und ließ damit eine kopf- wie beinlose, düstere Kreatur erscheinen, deren massive Goldarme in noch kräftigeren Fäusten endeten.   Evilswarm Dullahan [ATK/1150 DEF/1550 (4)]   Matt nahm die Karten seiner beiden Monster vom Spielplan, legte sie übereinander und platzierte sie sogleich wieder in die mittlere Zone. „Ich erschaffe das Overlay Network!“ Inmitten des Spielfelds öffnete sich ein schwarzer Galaxienwirbel, der seine Kreaturen als violette Lichtstrahlen absorbierte. „Aus zwei Stufe 4-Schwärmern wird ein Rang 4-Monster!“ Eine finstere Explosion erschütterte das Überlagerungsnetzwerk und darüber hinaus das gesamte Spielfeld. Aus dem Loch inmitten des Stroms spreizten sich zwei von Eis durchzogene Schwingen. „Xyz-Summon!“, brüllte Matt nun. „Steige empor, [Evilswarm Ophion]!“ Ein pechschwarzer Drache erhob sich, wild mit seinem langen Schweif peitschend. Mit einem Satz vor Matt landend, stieß er ein verächtliches Gebrüll aus, blickte gierig nach den beiden Lichtkugeln, die ihn wie kleine Monde umkreisten.   Evilswarm Ophion [ATK/2550 DEF/1650 {4} OLU: 2]   Mit ihm als einzige Karte auf dem Feld und einer weiteren auf der Hand sagte Matt: „Du bist dran.“ Und ließ dabei ein geheimnisvolles Schmunzeln aufblitzen.   Lee, der dies nicht bemerkte, zog ruckartig auf. Wieder warf er eine Karte zu Boden. „Dich mach ich fertig, [Burial From A Different Dimension]!“ In durchsichtiger Form stieg sein Lichtdrache Chiwen aus einem Dimensionsspalt empor und verschwand sogleich im Erdboden. Matt kannte den Effekt von Lees Zauberkarte, welcher es ihm ermöglichte, verbannte Monster zurück auf den Friedhof zu legen. Zweifelsohne würde er Chiwen erneut vom Friedhof rufen, sollte Matt ein Yang Zing zerstören. Statt sich darüber jedoch den Kopf zu zerbrechen, blieb Matt unerwartet gelassen. Er stemmte eine Hand in die Hüfte, als Lee rief: „Jetzt kannst du einpacken!“ Unter den riesigen Rissen im Erdboden, die das Grundstück in nahezu ein Dutzend Teile spalteten, begann plötzlich die gelbliche Aura zu schwinden. Matt wurde nun doch etwas unruhig. „Was ist das?“ Sein Gegner kicherte böse. Unvermittelt schossen ganze Lavafontänen an allen möglichen Ecken und Enden aus den Spalten. „Das Ende von allem!“ Die Erde begann zu erzittern, sodass Matt auf seiner Plattform ungewollt hin und her stolperte. „Ich aktiviere [Yang Zing Pranas] Effekt, der nur funktioniert, wenn fünf verschiedene Attribute der Yang Zing auf dem Friedhof liegen.“ Lee bückte sich nach der Karte, nahm sie zwischen Zeige- und Mittelfinger auf und präsentierte sie prahlerisch. „Das ganze Feld wird damit zerstört!“ Matt weitete die Augen: „Was!?“ „Ganz recht! Zwar kostet mich das Baxia, aber du weißt ja, die anderen Yang Zing stört das überhaupt nicht!“ Womit er Jiaotu und Pualo meinte, die nur andere dieser Wyrm-Monster an ihre Stelle rufen würden. So ungern Matt es auch zugab: Dagegen war er machtlos. Zumindest unter normalen Umständen. Doch dies waren keine normalen Umstände … „Ich werde“, murmelte er und ballte vor sich eine Faust, nur um sie wieder zu öffnen, „dich nicht verletzen. Versprochen.“ Langsam streckte er die Hand nach oben und schloss die Augen. „Ich rekonstruiere das Overlay Network …“ Statt etwa in der Mitte der Duellzone, öffnete sich der schwarze Wirbel weit über dem Dämonenjäger. Ophion zersprang in drei violette Lichtkugeln, die quer nach oben schossen. Lee klappte die Kinnlade hinunter. „Du bist nicht der Einzige, der im gegnerischen Zug vom Extradeck beschwören kann“, murmelte Matt vor sich hin. „Aus meinem Rang 4-Schwärmer wird die erste Saat geboren. Rank Up-Incarnation!“ Die drei herrenlosen Overlay Units zerschmetterten das Schwarze Loch förmlich, als sie auf seinen Sog trafen. Finstere Blitze begannen um sich zu schlagen. Und dann erhob sie sich hinter Matt, riesig, absolut. Der schwarzhaarige Vokuhila-Träger nahm Schritt für Schritt rückwärts, als der oder besser gesagt die Schatten, die jene Kreatur warf, zunehmend seine Spielfeldseite einnahmen, oder nein, gar verschlangen. Besagte Schatten bewegten sich in ihren scheinbar unberechenbaren Bahnen wie lange, massive Schlangen, bis sie Lees Feld völlig verdeckten. „… Scheiße“, lauteten die erstickten Worte des Hofhüters. „Dominiere, [Primalswarm Yggdrasil]!“, schrie Matt im selben Augenblick. Und eine sämtliche Farben ins Negative umkehrende Schockwelle erfasste Lee, welcher als Einziger in seinem direkten Umfeld von diesem Effekt verschont blieb. „Inkarnationseffekt: Chain Annihilator!“ Jener schwang den Arm aufgebracht aus. „Toller Trick, Dämonenhexe, aber trotzdem wird dein Fe-!“ Doch blieben Lees Worte in seinem Halse stecken, als er bemerkte, dass seine dauerhafte Karte die einzige war, die zersprang. In jenem Moment fand das Innere des Bannkreises zu seiner alten Form zurück. „Chain Annihilator negiert alle Effekte in derselben Kette, in der [Primalswarm Yggdrasil] beschworen wurde, beendet die Kette und zerstört alle anderen Karten darin“, erklärte Matt mit einem verschmitzten Grinsen. Die Kreatur über ihm brüllte mit verschiedenen Stimmen, teils sehr hohe hin bis extrem niedriger Natur. Plötzlich begann alles im Bannkreis zu vibrieren. Matt stolperte rückwärts und sah mit aufgerissenen Augen, wie die schlangenhaften Auswüchse Yggdrasils wild um sich schlugen. Das konnte doch nicht-!   Es passierte jedoch bereits. Einen letzten, unsäglichen Schrei ausstoßend, sendete die Inkarnation eine Schockwelle in alle Richtungen aus. Matt hielt die Arme über Kreuz, sein Mantel flatterte im immer stärker werdenden Wind. Im Gegensatz zu ihm konnte Lee seine Position nicht halten und wurde von den Füßen gerissen, flog direkt in Richtung des Speisesaals der Villa. Eine Erschütterung suchte den Bannkreis anheim und ließ ihn wie eine Seifenblase zerplatzen. Binnen eines Herzschlags zog sich die gesamte Umgebung wieder zu ihrer ursprünglichen Gestalt zusammen. Es gab ein dumpfes Geräusch, als würde ein Ballon platzen. Matt, der über seinen Arm lugte, sah es. Sah, wie sein schwarzer Marmorspielplan zu Staub zersprang.   [Matt: 1350LP → 0LP / Lee: 2150LP]   Der immer noch anhaltende Wind wirbelte die Karten darauf in seine Richtung, welche er auffing. Im gleichen Moment schepperten lautstark Glasscherben, sodass Matt erschrocken aufsah. „Das kann doch nicht wahr sein!“, schrie er entsetzt und rannte auf das Gebäude zu. Gleichzeitig rutschte der Körper des nicht ganz so taffen, selbsternannten Dämonenjägers über den Teppich neben der langen Tafel und rollte diesen unter einem ekelhaft klingenden Schleifen auf. Als Lee auf dem Rücken liegend zum Stehen kam, streckte er die Hand in die Höhe. „Mir … geht’s prächtig …“ Der Arm kippte zur Seite, ebenso sein Kopf. „Wirklich … uh!“   Keine Sekunde später bahnte sich Matt seinen Weg durch den Scherbenhaufen des zertrümmerten Fensters, mit dem Ausdruck tiefster Erschütterung im Gesicht. Das hatte er nicht erwartet! Er sah den Mann in einiger Entfernung liegen, vor der offen stehenden Flügeltür. War er tot!? Matt sah an sich herab. Sein Hemd und der Mantel waren weißgrau vom Staub, den die explodierende Marmortafel aufgewirbelt hatte. Dass Yggdrasils Macht so enorm war, dass es einen Standard-Bannkreis mit seiner bloßen Anwesenheit vernichten konnte und ihm dadurch automatisch eine Niederlage einbrachte, weil es theoretisch er war, der das Duell abgebrochen hatte … Matt fühlte sich einmal mehr von seinem Schicksal auf die Schippe genommen. Bevor er sich Lee überhaupt nähern konnte, kam unvermittelt ein grelles Licht um die Ecke in den Speisesaal gebogen. Eine Person trat an Lee heran, mit einem Kerzenständer in der Hand. „Oh je …“, murmelte die Frau bei seinem Anblick. Matt verharrte erstarrt auf der Stelle. Ohne Zweifel war sie von dem Lärm wach geworden. Um ihren dunklen Schopf lag ein Haarnetz, die Dame trug über ihrem Nachthemd einen violetten Bademantel. Und als sie aufblickte entdeckte sie Matt. Sofort schoss es aus ihm heraus: „Das wollte ich nicht! Er-! Ich-!“ „Wieso bist du hier?“, hauchte sie unterkühlt. „Ich bin kein Einbrecher oder dergleichen!“, beteuerte Matt aufgeregt. „Ich wollte nur jemand Bestimmtes treffen.“ Hinter ihren dick umrahmten Brillengläsern funkelte etwas für einen kurzen Moment auf. „Wen?“ „Einen Mann namens James Carrington.“ „Du bist zu spät“, erwiderte sie nun weniger eisig als zuvor, „mein Mann ist bereits vor etwa einem Jahr verstorben.“ Matt verschlug es die Sprache. Wieso hatte er das nicht gewusst!? War dies das Geheimnis, das diese Familie hütete? Tausende Fragen schossen ihm in diesem Moment durch den Kopf. „Es … es tut mir leid“, stammelte er. „I-ich wollte nur mit ihm reden, unter vier Augen, aber- und dann ist …“ „Du musst jemand sein, der James kannte, wenn du nicht weißt wie man eine Türklingel benutzt.“ Es klang wie ein missglückter Witz, der an der steifen Darbietung seiner Erzählerin scheiterte. „Nein, ich kannte ihn nicht persönlich. Aber ich habe von ihm gehört. Dass er … anders ist. Ich wollte keine Aufmerksamkeit erregen, deshalb … das hier.“ Er schwenkte die Hand zum Fenster. „Gute Arbeit bisher“, erwiderte die Dame des Hauses scharf. Dann machte sie ihrerseits eine einladende Geste. „Setz' dich. Wir werden reden.“ Den immer größer werdenden Kloß in seinem Hals hinunterschluckend, nickte Matt. Die Frau trat an die Spitze der Tafel und stellte dort den Kerzenständer ab. Zögerlich näherte sich der Schwarzhaarige der Frau. „Und er?“, fragte er dabei und deutete auf den regungslos daliegenden Lee. „Ihm geht’s gut“, versicherte Mrs. Carrington in resoluter Zuversichtlichkeit. „Unkraut vergeht nicht.“   Als Matt das Ende des Tisches erreicht hatte, zog er den ersten Stuhl zu sich und nahm Platz. Sein Gegenüber tat es ihm an der Spitze der Tafel gleich. „Ist er Ihr Sohn?“, fragte Matt vorsichtig. Er hatte mit vielem gerechnet aber nicht mit dem schallenden Gelächter, das ihm entgegenschlug. Äußerst amüsiert fragte Mrs. Carrington: „Erst brichst du in mein Haus ein und jetzt beleidigst du mich noch?“ „Ah nein!“ Matt hob beschwichtigend die Hände. „Ich wollte nicht unhöflich sein, ich dachte nur-!“ „Tu uns beiden einen Gefallen und lass das Denken zu so später Stunde.“ Die Frau schürzte die Lippen. „Lee ist nicht mein Sohn, obwohl er einem solchen in gewisser Hinsicht sicherlich gleichkommt. Offiziell ist er jedoch mein Hausmädchen, Koch, Gärtner und Wachmann in Personalunion.“ In diesem Moment konnte sich Matt einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen. „Dann hat er bisher ja einen guten Job geleistet.“ Im Kerzenschein erkannte er, wie sich die Krähenfüße um die Augen der Frau daraufhin zusammenzogen. Sie schmunzelte. „Tja, leider bin ich nicht so reich wie es den Anschein hat.“ Matt wurde leiser. „Im Ernst. Es tut mir leid dass ich einfach so hier eingedrungen bin. Ich wusste nicht, womit ich es zu tun bekomme und wollte auf Nummer Sicher gehen. Sie wissen, dass ihr Mann besonders war?“ „Das war er in der Tat, in vielerlei Hinsicht.“ Mrs. Carrington sah Matt fest in die Augen. „Was ist der Grund warum du ihn sprechen wolltest?“ „Seine Kräfte. Ich brauche sie. Hätte sie gebraucht …“ „Warum?“ „Um einer Freundin von mir das Leben zu retten. Doch um das zu erreichen hätte ich sie ihm abnehmen müssen, notfalls mit Nachdruck.“ Matt erschien es wichtig, von Anfang an ehrlich an die Sache heran zu gehen. „Es tut mir leid.“ Die Frau legte ihre Ellbogen auf den Tisch und faltete die Hände ineinander. „Das ist seltsam. Du bist nicht der Erste, der genau dasselbe Anliegen hat.“ „Jemand war vor mir hier!?“ Matt beugte sich ruckartig vor. „Wer!?“ „Eins nach dem anderen“, gebot sie seiner Wissbegierde Einhalt. „Vorher erzählst du mir, wer genau du eigentlich bist und warum deine Freundin Hilfe benötigt.“   Was Matt auch im Großen und Ganzen wahrheitsgemäß tat. Einige Details ließ er aus, insbesondere die Tatsache, dass es der Sammler war, der Anyas Lebenskraft an sich gerissen hatte. Es wäre nicht gut für alle Beteiligten, wenn sich dieses Wissen verbreitete.   „Verstehe“, sagte Mrs. Carrington und nickte. „Ich bin mir sicher, mein Mann hätte dir geholfen. Er war gütig vom Grunde seines Herzens. Aber wie gesagt, du kommst zu spät.“ Matt seufzte. „Ich weiß nicht ob ich das fragen sollte, aber wann ist Ihr Mann gestorben? Und … wie?“ Unvermittelt ließ die Dame ihre Hand über die Flammen der einzelnen Kerzen gleiten. „Schon vor einigen Jahren. Er wurde nicht ermordet sondern ist seinem Krebsleiden erlegen.“ „Das tut mir leid.“ „Braucht es nicht.“ Da Matt von sich aus nichts erwiderte, fragte sie: „Gibt es sonst noch etwas, das du wissen möchtest?“ Der Schwarzhaarige nickte. „Hat ihr Mann jemals über seine Kräfte gesprochen?“ „Nicht viel. Ich weiß nicht einmal, wie genau sie ausgesehen haben. Aber ich wusste, dass er sie besaß. Du siehst aus wie ein Kämpfer.“ Sie musterte Matt eindringlich, wandte dann aber den Blick ab. „James war keiner. Er hat mir hin und wieder ein wenig von den verborgenen Konflikten dieser Welt erzählt, sich jedoch stets aus ihnen herausgehalten. Er sagte, als Hüter wäre es wichtig, sich nicht in fremde Angelegenheiten einzumischen.“ Matt rieb sich angespannt über die Stirn. Er hatte Kopfschmerzen. „Erwähnte er, was genau die Aufgaben eines Hüters sind? Oder vielleicht … wie man zu einem wird?“ „Nein. Und ich habe auch nicht danach gefragt.“   Deprimiert ließ Matt den Kopf hängen. Dann gab es wohl keine Möglichkeit herauszufinden, wer nach James Carrington den Platz des Hüters eingenommen hatte. Es sei denn … „Sie haben erwähnt, dass es noch jemand anderes gab, der nach ihrem Mann und seinen Kräften gefragt hatte.“ Jetzt sah sie ihn wieder an und wenn auch nur für einen kurzen Moment, so glaubte Matt doch ein von Hass erfülltes Funkeln in ihren Augen zu erkennen. „Ja, das war etwa zwei Jahre vor seinem Tod. Also vor drei Jahren.“ „Erzählen Sie mir die Geschichte“, bat Matt.   Die Frau atmete tief durch. Ihr verbitterter Gesichtsausdruck sprach Bände. Sie starrte in die Flamme der mittleren Kerze und begann zu erzählen. „Zu diesem Zeitpunkt lebten wir noch in London.“ Matt erinnerte sich, davon hatte ihm auch einer der ehemaligen Angestellten erzählt, welcher ebenfalls mit der Familie Carrington in die Staaten ausgewandert war. „Es war mitten in der Nacht als es an der Tür klingelte. Ich persönlich habe geöffnet.“ Die Frau schürzte die Lippen. „Da stand er, draußen im Regen. In einen gelben Regenmantel gehüllt, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen.“ „Was wollte er?“ „Dasselbe wie du. Ohne Umschweife bat er darum, mit meinem Mann zu sprechen. Ich … versuchte ihn abzuwimmeln, aber er blieb hartnäckig.“ Sie seufzte. „Er fiel sogar auf die Knie. Und als er sagte, er wisse wer James wirklich ist, da konnte ich ihn nicht länger fortschicken.“ Der Schwarzhaarige gab ein nachdenkliches Geräusch von sich. „Weshalb?“ „Weil mein Mann … so etwas erwartet hatte. Ich weiß nicht, ob es dieser Bursche oder jemand anderes war, aber er sagte, er würde jeden Gast empfangen, der um sein Geheimnis wusste.“ Es war ein verrückter Gedanke, doch Matt sprach ihn aus. „Vielleicht wusste er, dass es unvermeidbar war.“ Die Frau nickte. „Das denke ich auch. James war kein Kämpfer, aber auch kein Feigling.“ „Gab es denn einen Kampf?“ „Nein. Nicht dass ich wüsste.“ Matt lehnte sich zurück. „Was ist dann geschehen?“ „Ich weiß es nicht. Sie haben die ganze Nacht durch geredet, schätze ich. Der junge Mann ist kurz nach Tagesanbruch gegangen. Er schien … zufrieden.“ Die Lider schließend, fragte Matt: „Hat sich Ihr Mann danach verändert? In irgendeiner Form?“ „Nein. Obwohl … auch er schien danach erleichtert. Als ich ihn jedoch danach fragte, hat er abgeblockt. Und ich habe seitdem nie wieder den Versuch unternommen, mehr über dieses Treffen herauszufinden.“ „Können Sie sich noch an seinen Namen erinnern?“ Mrs. Carrington lachte spitz auf. „Hast du mir deinen genannt als du hier eingebrochen bist?“ „N-nein.“ Matt verneigte sich vor ihr. „Es tut mir leid!“ Amüsiert kicherte sie plötzlich. „Du bist ziemlich höflich für einen Dämonenjäger. Wie gesagt, einen Namen hat er nicht fallen gelassen.“ Als Matt sich aufrichtete, fragte er: „Wissen Sie wenigstens noch wie er aussah?“ „Nein … ich kann mir Gesichter nicht sehr gut merken. Er wirkte recht erwachsen, aber ich glaube, er war etwas jünger als du. Ich erinnere mich nur an ein paar rote Haarsträhnen, die ihm im Gesicht hingen, nass vom Regen.“   Alarmiert schreckte Matt auf. „Rotes Haar?“ „Ja.“ Könnte das der Sammler gewesen sein!? Die Idee war nicht abwegig. Der Sammler war hinter den Hütern her, wieso sie also nicht persönlich aufsuchen? Vielleicht hat er während des Gesprächs erkannt, dass er selbst nicht dazu in der Lage war, die Artefakte zu versammeln? „Sonst noch irgendetwas, das außergewöhnlich an ihm war?“ „Er wirkte wie ein normaler Mensch. Nicht übernatürlich. Aber ich bin die Falsche um das zu beurteilen“, antwortete Mrs. Carrington. „Ich weiß nur, dass mein Mann nach seinem Auftauchen umziehen wollte.“ Matt, der ihr ansah, dass sie selber nicht zufrieden mit James' Entscheidung gewesen war, fragte: „Anders als Sie.“ „All meine Freunde, Bekannten und Familienmitglieder im Vereinten Königreich zurücklassen? Was glaubst du wohl?“   Wollte Mr. Carrington vor etwas fliehen? Auch das passte, wenn es der Collector war, der James damals besucht hatte. Andererseits: Wie sehr war Mr. Carrington mit dem Übersinnlichen vertraut gewesen? Jemand wie dem Sammler entkam man nicht durch bloßes Wechseln des Wohnorts. Das hätte er wissen müssen. Und vielleicht hat er dies auch. Was wiederum gegen seine Vermutung sprach, generell gegen einen feindlich gesinnten Besucher. Und nicht zuletzt hatte jener auch um Hilfe gebeten, sie nicht eingefordert – und Mr. Carrington schien in irgendeiner Form geholfen zu haben, machte er doch nach dem Treffen einen erleichterten Eindruck.   Plötzlich hatte Matt eine seltsame Eingebung. „Haben Sie einen Sohn?“ Mrs. Carrington sah ihn fragend an. „Heißt er Strife Carrington?“, hakte Matt nach, ohne zu wissen, wie er auf diesen Namen kam oder warum er überhaupt fragte. „Nein. James und ich führten eine kinderlose Ehe.“ Doch Matt gab nicht nach. „Haben Sie unter Um-“ Ihr Ton wurde merkbar schärfer. „Ich bin unfruchtbar, Mr. Summers.“ Matt verschlug es zum wiederholten Male an diesem Tag die Sprache. „Es tut mir leid …“ Er stampfte munter von einem Fettnäpfchen ins nächste. Was war eben überhaupt in ihn gefahren!? Verdammt, nie hätte er sich vorgestellt, dass es so laufen würde. Aber doch war es seltsam, diese ganze Geschichte. Matt wusste nur eins: Es war jetzt ein anderer an James Carringtons Stelle als Hüter getreten. Womöglich dieser ominöse Besucher. Vielleicht aber auch nicht. Dies ließ den jungen Mann erkennen, dass sie unbedingt herausfinden mussten wie man zu einem Hüter wurde.   „Deswegen bin ich ihr einziger Sohn, Hexe!“ Matt fiel fast vom Stuhl als Lees angeschlagene Fratze unter dem Tisch, direkt zwischen seinem Schritt hervorlugte und ihn feindselig anstarrte. Derart erschrocken von seinem unerwarteten Auftauchen kippte der Schwarzhaarige samt Stuhl schreiend hintenüber. Über den Dämonenjäger krabbelnd, funkelte Lee jenen böse an. „Am besten du gehst jetzt!“ Matt drängte ihn mit dem Arm beiseite und erhob sich. Da der Klügere jedoch nachgab, sah er Mrs. Carrington tief in die Augen und nickte. „Ich denke, das wäre wohl das Beste. Aber erlauben Sie mir noch eine Frage.“ „Frag“, erwiderte diese mit einer ausschweifenden Bewegung ihrer Hand. „Erinnern Sie sich, ob Ihr Mann jemals davon gesprochen hat, wer nach ihm den Platz des Hüters einnimmt?“ Die Frau schüttelte den Kopf. „Auch das ist etwas, das ich nicht beantworten kann. Wie so vieles was -das- angeht, haben wir nie darüber gesprochen.“ Resignierend rieb sich Matt über die Stirn. „Schade …“ Den Stuhl aufstellend, neben dem Lee noch auf dem Rücken lag und ihn voller feindseliger Inbrunst anstarrte, streckte Matt Mrs. Carrington die Hand entgegen. „Ich bedanke mich für das Gespräch und möchte mich noch einmal für die Unannehmlichkeiten entschuldigen, die ich verursacht habe.“ Statt ihn zu verabschieden, erwiderte sie unterkühlt: „Ich fürchte, eine Entschuldigung reicht mir nicht.“ Verdutzt zog Matt die Hand zurück. Hinter seinem Rücken schnellte Lee hervor und flüsterte in sein Ohr: „Du wirst den Schaden bezahlen, den du angerichtet hast, Hexe!“ Entgeistert drehte sich Matt zu ihm um, wurde sogleich von Lees überlegener Körpergröße gegen den Tisch gedrängt. „W-warte mal, das-!“ Mrs. Carrington fügte hinzu: „Ich denke, wir sind uns einig, dass das das Mindeste ist.“ Matt drehte sich panisch zu ihr um. „Aber das kann ich mir gar nicht leisten!“ „Dann hoffe ich für dich, dass dein handwerkliches Geschick deinem 'magischen' in Nichts nachsteht.“ Dass sie sich bei diesen Worten keinen Millimeter rührte war Beweis genug, dass sie es ernst meinte. Schicksalsergeben ließ Matt den Kopf hängen. Alastair wäre so etwas gewiss nicht passiert. Was hatte er sich da nur eingebrockt!?   ~-~-~   Mit zunehmender Stunde lockerte sich die Stimmung unter Anyas 'Partygästen'. Inzwischen hatte sich die schwach beleuchtete Bar gefüllt und auch, wenn die Blonde sich nicht an alkoholischen Getränken erfreuen durfte, machten das die von Logan empfohlenen Mixgetränke wett. „Und, wie findest du es nun?“, fragte er, der neben ihr am Rand der Eckcouch saß und sich eben noch ausgelassen mit Marc am anderen Ende der Couch über Football unterhalten hatte. Das Mädchen musste grinsen. Hier wurde Metal aufgelegt. „Ich liebe es!“ „Ich nicht“, schmollte Valerie neben ihr mit verschränkten Armen. Marc neben ihr tätschelte seiner Verlobten die Schulter. „Komm schon, seit wann bist du die Spaßbremse?“ „Schon immer“, stand für Anya sofort fest. „Hör' auf dich zu beklagen, Redfield.“ „Noch eine Runde Billard ertrag ich nicht!“ Mit vorgehaltener Hand flüsterte Logan ins Ohr der Blonden: „Ich auch nicht …“ Was wollte die eigentlich, fragte sich Anya grimmig!? Bisher hatte sie jedes Spiel mit Ausnahme des ersten gewonnen! Anfangs hatte es der Ziege auch ansatzweise Spaß gemacht, aber scheinbar war es ziemlich schwierig, Redfield dauerhaft bei Laune zu halten. Blöde Kuh!   Anya schlürfte bewusst laut an ihrem grünen, alkoholfreien Cocktail, weil sie genau wusste, wie sehr dies ihrer Erzrivalin auf die Nerven ging. Die verkrampfte augenblicklich und warf Anya einen Noch-einmal-und-ich-gehe!-Blick zu, den Anya grinsend mit einem Na-endlich!-Blick konterte. Inzwischen war sie etwas munterer geworden, auch wenn der typische, verrauchte Kneipengeruch sie etwas benommen machte. Als Logan und Marc jedoch zum wiederholten Male mit Football anfingen und die beiden Mädchen komplett ausblendeten, dämmerte es Anya, warum Valerie so schlecht gelaunt war. Warum unterhielt sich der Zwerg nicht mit ihr!? Also, in Redfields Fall nicht der Zwerg und auch nicht mit ihr, also Anya! Langsam ging ihr das auch auf den Zeiger!   Gerade wollte Anya das Gespräch unterbrechen, da bemerkte sie aus den Augenwinkeln Zanthe, der einsam vor der Jukebox in der Ecke des Ladens stand. Der hatte sich den ganzen Abend schon abgekapselt und kaum ein Wort mit den anderen gewechselt. „Geh mal zu ihm“, sagte Valerie, die Anyas Blick bemerkte und nickte in seine Richtung. Jene rollte mit den Augen. „Wieso sollte ich?“ „Meinst du nicht, ihn bedrückt irgendetwas? Ich würde ja selbst gehen, aber ich kenne Zanthe nicht besonders gut“, erwiderte die Schwarzhaarige mit klagendem Unterton, fügte noch grimmig und ganz leise hinzu: „Dann hätte ich wenigstens was zu tun …“ Den beiden lautstark lachenden Kerlen an den jeweiligen Enden der Sitzecke sich einen genervten Blick zuwerfend, kam Anya zu der traurigen Erkenntnis, dass die auch für einen Moment ohne sie auskommen würden. So stöhnte sie leidig: „Also schön, ich schau mal nach dem Flohpelz.“   Sprachs und schob sich am Tisch vorbei, auf dem kaum mehr Platz war, so wild wie Marc und Logan das Getränke-Angebot der Bar durchprobierten. Schlendernden Ganges näherte sich Anya dem Kopftuchträger, der immer noch mit der Jukebox beschäftigt war. „Hey“, rief sie ihm dabei zu. „Hey“, kam es träge zurück, „weißt du, ich versuche die ganze Zeit herauszufinden, wer diese bekloppte Musik aufgelegt hat. Bis ich festgestellt hab, dass dieses Ding nur zur Deko rumsteht.“ Ein kurzes Lachen konnte Anya sich nicht verkneifen. „Diese Teile sind schon seit Jahren out.“ Zanthe beugte sich vor und stützte seine Hände dabei an den Kanten der Jukebox ab. „Schade.“ „Ist alles in Ordnung?“, fragte das Mädchen schließlich ernst. „Was hat sie gemacht, dass du dich tatsächlich danach erkundigst?“ Er gluckste. „Ich hab alles gehört, Anya …“ Grimmig warf sich jene an die Wand neben der Jukebox, um ihren Freund ins Gesicht sehen zu können. Er wirkte müde, lächelte aber. Sie schnalzte genervt mit der Zunge. „Gar nichts, mir ist auch aufgefallen, dass dir irgendwas quer sitzt.“ „Gestern war ein langer, anstrengender Tag. Nicht nur für dich.“ „Hab ich gemerkt. Irgendwann warst du nicht mehr im Publikum“, erwiderte Anya plötzlich ungewöhnlich streng für ihre Person, „wo warst du? Und wenn du jetzt sagst, du hast dich mit irgendeinem Kerl getroffen, muss ich dich leider eines qualvollen Todes sterben lassen.“ „Das schaffst du ni-“   Weiter kam Zanthe nicht, denn in diesem Moment drangen Schimpfworte und Geschrei zu ihnen. Er drehte sich um und zusammen mit Anya sah er, wie der Türsteher von zwei Männern ins Innere der Bar zurückgedrängt wurde. Der glatzköpfige Schrank hatte seine lieben Mühen, die anderen beiden im Zaun zu halten. Beide hatten Kameras um ihren Hals hängen. Und noch mehr Fotografen verschafften sich Einlass, wie sie schnell feststellen mussten. Eine weibliche Journalistin mit Hornbrille auf der Nase erspähte Anya. Und zeigte konsequent mit dem Finger auf sie: „Da ist sie!“   Es passierte so schnell, dass das Mädchen kaum Zeit zum Reagieren hatte. Binnen weniger Sekunden hatte sich eine ganze Wand an Fotografen, kniend, hockend, stehend aufgebaut, die sie ablichteten und wild durcheinander mit Fragen bombardierten. „Was ist das denn!?“, beklagte sich Zanthe, der sich die Hand vor das Gesicht hielt. Anya tat dasselbe. „Was wollen die hier!?“ „Miss Bauer, stimmt es, dass Ihr Vater wegen … vor Gericht stand und …“ „Uns ist zu Ohren gekommen, dass Ihnen Ihr Deck während der …“ „... Sie uns kurz schildern, was Sie dazu bewogen hat …“ Das Mädchen traute ihren Ohren kaum, wie sie nur Wortfetzen und unvollständige Sätze verstand, die aber allesamt nicht gerade zu Dingen gehörten, über die sie gerne redete. Manche davon auch noch komplett unwahr! Wo kamen diese Spinner plötzlich her!? „Haut ab!“, fauchte das Mädchen wütend, aber als sie in die Masse an Fotografen sah, vom Blitzlichtgewitter geblendet, fühlte sie sich plötzlich hilflos. Denen durfte sie kein Haar krümmen, sonst stand das morgen überall in den Zeitungen! „Wurden Sie als Kind vernachlässigt?“ „Wie würden Sie das Verhältnis zu Ihrem Bruder beschreiben?“ Panisch wich das Mädchen zurück und stieß gegen die Wand, hektisch von einem Journalisten zum anderen blickend. Was sollte sie jetzt tun!? Sie saß in der Falle! Die würden sie nicht eher gehen lassen, bis-!   „Schluss mit der Autogrammstunde!“, donnerte Logan, der unvermittelt neben ihr auftauchte und Anya unsanft am Arm packte. „Sie hat euch nichts zu sagen.“ Auch Marc und Valerie gelangten neben sie, schirmten die Blonde ab, als Logan sie kurzerhand durch die Gruppe der Reporter Richtung Ausgang schleifte, mit Zanthe als Nachhut. Ihre Freunde verstanden es, und Anya wusste in der Hektik beim besten Willen nicht wie, diese Typen in Schach zu halten.   Kaum waren sie an der frischen Luft, eilte Valerie zum Straßenrand und hob auffällig die Hand. „W-was war das!?“, stammelte Anya panisch, als sich ein Taxi nährte, gerufen von der Schwarzhaarigen. „Die Schattenseiten des Ruhms, wie man so schön sagt“, meinte Marc, der sich dann aber von der Gruppe löste, um zusammen mit Zanthe zwei Fotografen aufzuhalten, die gerade den Laden verlassen wollten. Logan legte seinen Arm um Anyas Schulter. „Komm.“ Zusammen mit Valerie stiegen sie in das Taxi, Letztere gab dem Fahrer konkrete Anweisungen, sie zu Anyas Hotel zu bringen. Zanthe und Marc wehrten derweil konsequent die Reporter ab. Erst jetzt merkte das blonde Mädchen, wie schnell ihr Herz klopfte. Und sie begriff es nicht. Vorhin hatten die Typen ihr auch schon aufgelauert, aber da war sie spielend leicht mit ihnen fertig geworden, es waren nur drei oder vier gewesen. Aber das eben … „Die sind jetzt natürlich scharf drauf, alles Mögliche aus dir herauszukitzeln, nach deinem Duell gegen deinen Bruder“, erklärte Logan der in der Mitte sitzenden Anya. Die stand völlig neben sich. Murmelte: „Woher wissen die das mit Dad …“ „Du glaubst gar nicht, was die alles so ausgraben können“, sagte Valerie ärgerlich. „Was ist, wenn die wegen dem Tu-“, schoss Anya da ein erschreckender Gedanke durch den Kopf, den sie aber unterbrach, als sie Logan ansah. Nein, das Thema war in seinem Beisein tabu! Hoffentlich kapierte Redfield auch so, worauf sie hinaus wollte. „Ich glaube, die Einzige, die jemals auf diesen Zug aufspringen wird, ist Nina Placatelli.“ „Hör zu, Kleine, in Zukunft musst du wohl vorsichtiger sein“, redete Logan gleich darauf auf sie ein. „Wenn du was reißen willst als Duellantin, musst du dich darauf gefasst machen, dass so etwas zu deinem Alltag dazugehören wird.“ Anya versank tiefer und tiefer im Sitz, als sie das hörte. Denn so sehr er auch Recht hatte, war dies nichts, worüber sie sich je Gedanken gemacht hatte. Was es bedeutete, Duel Queen zu sein, eine Person des öffentlichen Interesses. Solche Verhöre sollten nicht Teil ihres Traums sein!     Turn 65 – Xiphos Völlig unerwartet tappt die Diebin von Anyas Deck in Nicks Falle, sodass es ihm endlich gelingt, ihren Standort ausfindig zu machen. Jedoch wird er unvermittelt von einer anderen Entdeckung abgelenkt, die sich ihm im Zuge seiner Recherchen bezüglich der Undying eröffnet. Zusammen mit einer alten Feindin nimmt er einen nicht ganz risikofreien Umweg in Kauf, um … Kapitel 70: Turn 65 - Xiphos ---------------------------- Turn 65 – Xiphos     Jedes Mal, wenn Nicks Blick bei der Wand neben der Tür seines Büros landete, breitete sich ein zutiefst von Wonne erfülltes Lächeln auf seinem Gesicht aus. Eingerahmt, hing dort ein Zeitungsartikel. Mit dem Bild Anyas, wie sie [Gem-Knight Pearl] den finalen Angriff auf die Lebenspunkte ihres Bruders befahl. Zugegeben, der Inhalt besagten Artikels war Mist, aber darum ging es nicht. Das Bild würde ihn für die nächsten Wochen immer wieder an den Triumph erinnern, den sie beide vor zwei Tagen über Aiden genossen hatten. Allein deshalb war es ihm wichtig, ihn genau dort hängen zu haben. Fröhlich vor sich hin pfeifend, widmete sich Nick wieder seinem PC. Dabei tippte er nachdenklich mit einem Kugelschreiber auf einem linierten Papierblock, der neben der Tastatur auf dem gläsernen Tisch lag. Auf dem Bildschirm war eine Blaupause von Henrys Projekt abgebildet. Genau jenes, das eines Tages eine ganze Halle füllen sollte. Zumindest diese Version, die 'kompaktere' dagegen stand auf einem anderen Blatt Papier. Die grobe Zeichnung, die angab, wo welche Maschine positioniert war, bereitete Nick einiges an Kopfzerbrechen. Es galt noch so vieles zu optimieren. Zwar plante der zerzauste, junge Mann nicht im Entferntesten, sein Versprechen an Henry einzuhalten, welches besagte, einen Prototyp möglichst bald fertig zu stellen. Aber da er inzwischen eine gewisse Hassliebe für dieses Mammutprojekt entwickelt hatte, ließ es ihn auch in seiner spärlichen Freizeit nicht los.   Nick lehnte sich in seinem Sessel zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Dabei ließ er in seinem Hawaiihemd den Blick aus der vor ihm liegenden Fensterfront schweifen, sah vor sich andere Bürogebäude. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, gefiel ihm dieser Job sogar ein wenig. Gut, Henry war ein überambitionierter Idiot, aber der Gedanke an ein völlig neues TCG mit einzigartiger Technologie machte selbst ihn von Zeit zu Zeit ein wenig hibbelig. Es schmerzte regelrecht, dass er dieses Projekt eines Tages eigenhändig zerstören musste. Und das nur wegen Aiden. Und Monochrome. Der Blick des jungen Mannes verfinsterte sich. Er hatte es versucht. Versucht, Aiden diesen Quatsch auszureden, aber der hielt an seinem Plan fest. Sobald sich Monochrome über das neue TCG verbreitet hatte, würde alles besser werden, betete der ihm immer wieder vor. Aber Nick wusste es besser. Kein Computerprogramm dieser Welt konnte die Herzen der Menschen kontrollieren …   Seufzend widmete sich Nick wieder dem Bildschirm, als ihm etwas auffiel. Eines seiner Programme blinkte in der Taskleiste auf. Als er es öffnete, bot sich ihm nur ein schwarzer Bildschirm mit dutzenden Textzeilen mit scheinbar willkürlichem Inhalt. Aber Nick wusste diese zu lesen und öffnete ungläubig den Mund. Sie hatte sich verraten! Diese kleine, dreckige Diebin hatte vor wenigen Minuten ihre Kreditkarte benutzt. Sofort machte Nick sich ans Werk. In wahnsinnigem Tempo tippte er auf der Tastatur herum, gab Befehle ein. Jetzt wusste er, wo sie sich gerade befand! Also musste er sich nur noch ihr Smartphone hacken, um dafür zu sorgen, dass dies auch so blieb. Aber dafür musste er erst einen Zugang finden und viel Zeit blieb ihm hierfür nicht. Sein Herz schlug schneller und schneller. War dieses Miststück noch im Besitz von Anyas Karten? Er hoffte es für sie, denn er wollte nicht in ihrer Haut stecken, wenn dem nicht so war. Nicht zuletzt, weil nicht Anya die Erste sein würde, die sie dafür entsprechend bestrafte … Da er die Meldung rechtzeitig bemerkt hatte, überraschte es Nick nicht im Geringsten, dass sein Vorhaben mit Erfolg gekrönt wurde. Kaum hatte er die letzte Taste gedrückt, öffnete sich ein neues Fenster mit einer Landkarte, auf der die diebische Elster mit einem Fadenkreuz markiert war. „Jetzt gehörst du mir“, murmelte er bitterböse. Nebenbei öffnete er seinen Webbrowser und googlete ihren derzeitigen Aufenthaltsort, Garland.   Eine texanische Stadt, von der er noch nie gehört hatte. Livington befand sich im Südosten der USA, genauer gesagt Mississippi. Ephemeria City dagegen weit im Westen, Oregon. Demnach war sein Weg dorthin kürzer, als wenn jemand aus Anyas Gruppe die Verfolgung aufnahm. Sofort ratterte es in Nicks Kopf. Wie lange würde er brauchen, um dorthin zu gelangen? Mindestens einen Tag. Dann musste er noch einrechnen, dass Miss Langfinger die Stadt verlassen könnte …   Weiter kam Nick in seinen Gedanken nicht, als es an der Tür klopfte und Aiden hereintrat. „Jetzt nicht“, lautete die Begrüßung seines Mitarbeiters. „Ich wollte mich nur erkundigen, ob du mich heute zum Essen begleiten möchtest?“, fragte sein brünetter Boss höflich. Der Mann im grauen Anzug wartete auf eine Antwort. Aber Nick weitete die Augen, als ihm einfiel, dass er bereits verabredet und darüber hinaus auch noch zu spät war. Schnell schloss er alle Programme und sprang auf, dem seitwärts von ihm wartenden Aiden regelrecht entgegen. „Ist das ein Ja?“, fragte der mit einem Schimmer Hoffnung in der Stimme überrascht. Als Nick direkt vor ihm stand, blinzelte er Aiden verständnislos an. „Wie lange arbeite ich jetzt hier?“ „Die Frage war auch eher rhetorischer Natur“, entgegnete ihm jener, ohne Platz zu machen. „Ich wollte nur mal schauen wie es so läuft.“ „Wie gesagt, keine Zeit. Ich habe einen Termin.“ „Mit wem? Du hast nichts in deinen Kalender eingetragen.“ Nick schnalzte mit der Zunge. „Trägst du denn ein, wann du deine PA bumst?“ Ein verschmitztes Lächeln kam daraufhin als Reaktion, doch entgegen Nicks unausgesprochener Forderung, verharrte Aiden auf der Stelle. „Was?“, raunte der Größere verärgert. „Immer noch beleidigt, weil mein Bauer deinen geschlagen hat? Ich hab's eilig, also geh aus dem Weg, sonst schlägt gleich noch ein Bauer um sich!“ Als Aiden von seinem ehemaligen Verlobten regelrecht zur Seite gedrängt wurde, hob er noch den Zeigefinger und lobte diesen: „Gutes Wortspiel. Und nein, ganz und gar nicht. Es freut mich für Anya, wirklich.“ „Keine Zeit für deine Lügen“, lautete Nicks knappe Verabschiedung, wie er durch den Korridor hastete und den CEO von Micron Electronics hinter sich zurückließ.   ~-~-~   Wenig später betrat ein schweißnasser, keuchender Nick den Italiener zwei Straßen weiter. Obwohl es noch nicht einmal 13 Uhr war, wirkte es hier durch die schweren, roten Vorhänge an den Fenstern und der schwächlichen Beleuchtung so, als wäre der Abend längst angebrochen. Dem herannahenden Kellner sagte Nick: „Ich habe auf den Namen Harper reserviert.“ „Bitte der Herr, dort drüben“, erwiderte dieser freundlich und zeigte mit der ausgestreckten Hand zu einem Platz am Fenster. Nick zog am Tresen aus dunklem Eichenholz vorbei. Die Tische waren im selben Stil gehalten. Eine Reihe aus fünf Stück zog sich an den Fenstern vorbei, Nicks Ziel war der vorletzte. Und wie er es befürchtet hatte, saßen seine zwei Gäste bereits dort, ihm den Rücken zugewandt. Als er den Tisch erreicht hatte und den Stuhl zurückzog, entschuldigte er sich zunächst. „Tut mir leid, ich wurde im Büro aufgehalten.“ „Kindchen, hat deine Mutter dir nie beigebracht, dass man eine Dame nicht warten lässt?“ „Ich sehe keine, also wo ist das Problem?“, ließ Nick provokativ eine Gegenfrage und sich selbst auf den Stuhl fallen. Er blickte geradewegs in die grünen Augen Nina Placatellis, Livingtons Klatschkolumnistin #1, die immer wieder durch ihre verrückten Artikel zum Übernatürlichen auffiel und ihm letztes Jahr die Begegnung mit Drazen ermöglicht hatte. Die gereifte Frau hatte sich kein bisschen verändert. Ihr Haar war immer noch lang, gelockt und vor allem feuerrot, genauso wie ihr Lippenstift und die dicke Hornbrille auf ihrer Nase. Sie trug ein schwarzes Kostüm, passend zu ihrer Seele, zumindest wenn es nach Nick ging. Selbst ihre riesige, giftgrüne Riesenhandtasche hatte sie dabei. Nina schürzte die Lippen. „Ich sehe, du bist noch genauso frech wie letztes Mal.“ „Ich mag den Kerl“, gluckste der Mann neben Nina. „Hallo. Sie sind dann wohl Brody?“, wurde der sogleich freundlich gefragt. Jener bestätigte dies mit einem Nicken. Brody Jenkins war ungefähr im selben Alter wie Nina, trug einen bereits leicht grau werdenden Schnäuzer und Kinnbart sowie ein braunes Barett auf dem rothaarigen Kopf. Seines Zeichens war er Ninas Cousin. Und Autor von 'Thirty Legends – The Whole Truth', dem Buch, das Nick erst auf Drazens Spur – und nun auch die der Undying – gebracht hatte.   „Damit eins klar ist“, schnarrte Nina, vor der bereits ein halb geleertes Rotweinglas stand, „wenn du unsere Hilfe willst, dann nur, wenn ich daraus eine Story machen darf.“ Zu ihrer sichtbaren Überraschung nickte Nick. „Geht klar. Sie können schreiben, was immer Ihr pechschwarzes Herz begehrt. Solange keine Namen fallen.“ Wer Nina kannte, wusste, dass sie sich nur selten an den Tatsachen und vielmehr an ihrer eigenen Fantasie orientierte, wenn es um ihre Artikel ging. „Sehr schön“, schnurrte das Reptil, wie Nick sie insgeheim titulierte, versöhnlich und beugte sich vor. „Dann schieß' mal los. Was bringt dich dazu, meinen lieben Cousin Brody den ganzen Weg hierher zu beordern? Geht es um das Schicksal der Welt? Ich will alle Details.“ In diesem Moment trat jedoch ein Kellner an den Tisch heran, sodass die Drei zunächst ihre Bestellungen aufgaben, ehe sie sich wieder dem geschäftlichen Teil zuwendeten.   Nick war innerlich unruhig wie selten zuvor. Jetzt war ihm die diebische Elster endlich ins Netz gegangen. Nur ein wenig mehr und er würde sie zwischen seinen Fingern zerquetschen wie eine reife Tomate und Gott, nach allem, was Nick wegen dieser Hexe durchgemacht hatte, sehnte er sich geradezu danach, auch mal Anyas Form der 'Stressbewältigung' auszuprobieren! Aber dieses Treffen war wichtig, er hätte es unmöglich absagen können. Er musste mehr herausfinden über das, was die Undying so verzweifelt versuchten zu wahren. Und der einzige Mensch, der etwas darüber wissen könnte, war dieser Brody, der einst Drazen interviewt und seine Geschichte in besagtes Buch aufgenommen hatte.   „Also?“, horchte Nina gespannt auf, kaum war der Kellner verschwunden. „Erzähl endlich! Mit was nehmen wir es diesmal auf?“ „Wir nehmen es mit gar nichts auf“, wies Nick sie sogleich unterkühlt zurecht. „Es geht nur darum, Informationen zu sammeln.“ Brody warf ein: „Und ich kann dabei helfen?“ „Ja. Lassen sie mich Ihnen eine Frage stellen. Wie viele Geschichten aus 'Thirty Legends' sind wahr?“, fragte Nick frei heraus. Dabei nahm er den Mann, der ihm schräg gegenüber saß, scharf ins Visier. Trocken entgegnete der: „Eine.“ „Und wie viel davon haben Sie nicht niedergeschrieben?“ „Ein paar kleinere Details, aber nichts Wichtiges.“ Nick kniff die Augen fest zusammen. „Für mich kann jedes kleine Detail entscheidend sein. Fangen wir bei Eden an. Was genau ist das?“ Auch Nina drehte sich gespannt zu ihrem Cousin um. Dabei griff sie nebenbei nach der Tasche, die an ihrer Stuhllehne hing und wühlte kurz darin herum, bis sie einen kleinen Notizblock samt Stift fand. Dabei murmelte sie: „Jetzt geht’s los.“ Brody aber zögerte und sah aus dem Fenster auf die Straße. Nicks Augen folgten dem ausweichenden Blick. „Ich zahle Ihnen eine Menge Geld dafür, dass Sie heute hier sind. Lassen Sie mich das nicht bereuen.“ „Drazen hat sie als eine künstlich erschaffene Welt beschrieben, die niemand ohne Weiteres betreten kann.“ Brody sah Nick dabei nicht an. „Eine Zuflucht für Menschen, aber auch für andere Wesen. Verfolgte. Ich glaube, er nannte sie Immaterielle.“ „Wer hat sie erschaffen?“ Natürlich wusste Nick das längst, schließlich stand das alles in dem Buch geschrieben. Aber er wollte es aus Brodys Mund hören. Jener haderte wieder einen Moment, bevor er sagte: „Die Undying. Aber fragen Sie mich nicht, was es mit denen auf sich hat. Darüber wollte Drazen nicht reden. Oder eher … er konnte nicht, durfte nicht.“   Inzwischen wurde Nick sein bestelltes Wasser gebracht, was er aber nicht weiter beachtete, nachdem es neben ihm abgestellt wurde. „War das Ihr Eindruck oder hat er das wortwörtlich so gesagt?“, lautete seine nächste Frage. Nina indes notierte sich Einzelheiten des Gesprächs aufgeregt und legte eifrig ihre Zunge an die Oberlippe. „Mein Eindruck.“ Brody starrte geradezu fest entschlossen aus dem Fenster, als wolle er Nick nie wieder ansehen. „Noch etwas, das Sie wissen wollen?“ Nick, der schon damit gerechnet hatte, nicht viel aus dem Mann herauszubekommen, lachte plötzlich leise. „Sicherlich, aber ich denke, das würde, bezogen auf Ihr Buch, zu nichts führen. Stattdessen beantworten Sie mir doch Folgendes: Wie kommt jemand wie Sie dazu, einen Mann wie Drazen zu interviewen?“ „Zufall. Er wollte sich jemandem mitteilen und ist dabei zufällig auf meine Annonce gestoßen.“ „Wohl kaum.“ Nick lehnte sich zurück, verschränkte genau wie in seinem Büro die Hände hinter dem Kopf. „Zu der Zeit hatten Sie die Arbeiten an dem Buch bereits aufgenommen, ergo waren Sie auf der Suche nach Quellen.“ Brody gluckste. „Habe ich das abgestritten?“ „Nein. Aber Sie reden auch nicht gerne darüber, habe ich Recht?“ Nick war nicht danach, erst um den heißen Brei herumzutanzen. Demnach schoss er bewusst ins Blaue, als er sagte: „Fast so, als hätten Sie Angst. Vor was?“ „Sie sehen Gespenster“, tat Brody die Frage gelangweilt ab. Nick ließ die Arme sinken. „Ich habe schon wesentlich Schlimmeres als Gespenster gesehen.“ Dabei wanderte sein Augenmerk unwillkürlich auf Nina, die aber zu abgelenkt mit ihren Kritzeleien war, um den versteckten Seitenhieb zu bemerken. „Glauben Sie mir“, hauchte Nick anschließend leise und beugte sich vor. „Wenn es um dieses 'Gewerbe' geht, ist immer Angst im Spiel. Ich habe meine Hausaufgaben gemacht, Brody. Ihren Lebenslauf überprüft. Ich habe sogar Zugriff auf Ihre alten Manuskripte.“ In diesem Moment wirbelte der Rothaarige erschrocken herum, brachte aber keinen Ton heraus. „Ich weiß im Grunde genau, wovor Sie Angst haben“, log Nick, denn hundertprozentig sicher war er sich dessen nicht, „davor, ihr Schweigen zu brechen. Ein erzwungenes Schweigen.“ Der Mann schluckte schwer. „Sie sind kein Dämonenjäger, Brody“, redete Nick weiter auf ihn ein, „niemand, der sich wehren kann. Aber Sie kennen Wahrheiten, die nicht an die Öffentlichkeit dringen dürfen, weil sie die Welt ins Chaos stürzen könnten. Sie hatten Beweise.“ Je mehr er sprach, desto eindringlicher wurde er dabei. „Wen haben Ihre Nachforschungen auf den Plan gerufen? Wer hat Ihnen den Maulkorb verpasst, der dazu geführt hat, dass nie eines dieser Manuskripte veröffentlicht wurde?“   Aber Brody Jenkins starrte ihn nur ausdruckslos an. Und dann geschah etwas Unerwartetes. Er schnappte sich Ninas Stift und Zettel aus deren Hand, riss ihre beschriebene Seite ab, nur um die nächste mit einem einzigen Wort zu füllen. „H-hey!“ Als er den Block zu Nick schob, war dieser im Begriff, von diesem vorzulesen. Doch ein Tritt gegen sein Schienbein hinderte ihn daran und als er aufsah, hielt Brody den Zeigefinger auf den Lippen und schüttelte den Kopf. „Sprechen Sie nie diesen Namen aus, oder er wird sie für immer verfolgen.“ Also las Nick ihn still ab: 'Xiphos'. Er blickte auf und fragte: „Wer ist das?“ „Einer der fünf mächtigsten Dämonen auf diesem Planeten. Er sorgt dafür, dass das Übernatürliche im Dunkeln bleibt.“ Brody atmete schwer. „Und er war damals sehr überzeugend.“ Nick schloss die Augen. „Wo finde ich ihn?“ „W-was?“ Sein Gegenüber wartete einen Moment, als ob er sich verhört haben könnte. So stieß ihm Nina kichernd mit dem Ellbogen in die Seite. „Schätzchen, jetzt mach dir nicht gleich in die Hose. So schlimm kann dieser Xiphos doch nicht sein. Wir sind Schlimmeres gewöhnt, nicht wahr, Nick-Darling?“   Mit Sicherheit, erwiderte der im Gedanken spöttisch. Ob sie sich noch daran erinnerte, wie sie als Harpyie Livington letzten November unsicher gemacht hat? Wohl kaum. Andererseits war Nina die Art Mensch, die wohl noch während ihres letzten Herzschlags den Ernst der Lage nicht begriff. Gerade seufzte er, da sprang Brody leichenblass auf. Mit geweiteten Augen sah er seine Cousine an, die immer breiter grinste. „Jetzt wird’s melodramatisch!“ „Was hast du getan!?“ „Beruhigen Sie sich“, gebot ihm Nick. „Sie hat seinen Namen genannt! Wissen Sie, was das bedeutet!?“, geschah jedoch genau das Gegenteil. Mit ausgestrecktem Finger zeigte Brody auf die rothaarige Frau. Der zerzauste junge Mann ließ die Schultern zucken. „Nein, aber wenn es Sie tröstet: Es ist kein Verlust für die Welt, wenn Nina diesen Namen nennt. Und jetzt sagen Sie mir, wo ich dieses Wesen finden kann.“   Xiphos hatte Nicks Interesse geweckt. Ein Dämon, der in etwa auf einer Stufe mit dem Sammler stand? Nach so etwas hatte er schon seit einer Weile nebenbei gesucht, aber selbst für jemanden wie ihn war es bisher ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, tatsächlich ein Wesen dieser Art ausfindig zu machen. Es gab eben Dinge, die fand man selbst in den Tiefen des Netzes nicht. Und seine einzigen anderen Quellen waren Abby, die in solchen Dingen auch wenig Ahnung hatte und die Dämonenjäger, die er ganz bestimmt nicht in alles einweihen wollte. Selbst Zanthe kam nicht infrage, denn auch ihm traute Nick nicht. Daher war es ein Geschenk Gottes, dass Brody ihn in diesem Augenblick auf so eine aussichtsreiche Spur gebracht hatte. Er musste ihr folgen, unbedingt. Wenn er den 'wahren Feind', den Collector, besiegen wollte, brauchte er einen Verbündeten! Selbst wenn das hieß, die Diebin erstmal ziehen zu lassen!   „Sie sind doch völlig durchgedreht!“, schrie Brody, sodass sich die Leute spätestens jetzt nach ihm umdrehten. Er ließ seine Hand um die Schläfe kreisen. „Völlig plemplem! Nie im Leben sag ich Ihnen, wo er sich versteckt! Es ist zu Ihrem eigenen Besten, glauben Sie mir!“ „Also wissen Sie es.“ „N-nein!“ Nick öffnete seine Augen und funkelte den Mann gefährlich drohend an. „Brody. Ich weiß um Ihre finanzielle Lage Bescheid. Als Autor haben Sie versagt und daran ist Ihr 'Freund' sicher nicht unschuldig. Wie lange haben Sie Ihre Miete schon nicht mehr bezahlt?“ Brody öffnete mit entrüstetem Blick den Mund, aber Nick fuhr ihm scharf über diesen. „Ich biete Ihnen einen Ausweg, Brody. Und alles, was ich dafür will, ist eine Adresse.“ „Oh-oh!“, hyperventilierte derweil Nina förmlich beim Bekritzeln ihres zurückerlangten Notizblocks. „Der große Moment! Wie wird er sich entscheiden? Geld für eine unmoralische Antwort oder seinen ziemlich wertlosen Stolz!?“ Wie ihr Cousin so auf Nick herab sah, schluckte er. Dann ließ er sich wieder in seinen Stuhl fallen und atmete tief durch. „Er lebt in einer ganz normalen Wohnung. Warten Sie, ich schreib Ihnen die Adresse auf.“ Prompt war Nina ihren Block wieder los. Nick staunte. Selbst den Wohnort nannte Brody nicht beim Namen? Hatte er solche Angst vor Xiphos? „Sie sollten da dennoch nicht hinfahren“, rief ihm Brody während des Schreibens. „Sie sind nur ein Mensch. Sein Spielball. Tun Sie das nicht, Nick.“ „Ich habe keine Wahl“, entgegnete er wahrheitsgemäß.   Sein Gegenüber riss den Zettel ab und reichte ihn herüber, doch als Nick danach griff, zog Brody die Adresse wieder weg. „Was haben Sie vor, wenn Sie ihn gefunden haben?“ Nick wich seinem Blick plötzlich aus, indem er sich auf den Kellner konzentrierte, der gerade Ninas Pizza und Brodys Spaghetti Carbonara servieren wollte. „Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Aber es ist von derartiger Wichtigkeit, dass ich bereit bin, mein Leben aufs Spiel zu setzen, wenn nötig.“ Als er das hörte, schob Brody die Adresse letztlich herüber. „Sie sind ein mutiger Mann, Nick.“ Ich bin verzweifelt, korrigierte dieser ihn ernst in Gedanken.   Damit erhob er sich. „Nun, ich muss los.“ „Aber wir haben doch noch gar nicht gegessen“, klagte Nina sofort und ließ Gabel und Messer sinken. Allerdings wurde ihr Kommentar ungerührt abgewunken. „Das war Singular, Nina.“ Jene sprang ebenso auf. Und plötzlich gewann ihre Stimme einen drohenden Unterton, der selbst Nick ein wenig imponierte. „Nie im Leben lass ich dich kleinen Scheißer alleine ziehen, wenn so etwas Großes wartet! Also denk nicht mal dran, ohne mich loszufahren!“ Ihren rot lackierten Zeigefinger unter der Nase sehend, rollte Nick mit den Augen. Wenn er sie mitnahm, würde sie ihn nur in Schwierigkeiten bringen. Genau wie damals, als sie sich Drazen in einem Duell gestellt hatten. „Das geht nicht, Nina.“ „Oh doch!“, krächzte die, wobei Brody bereits nervös zwischen beiden hin und her blickte. „Du könntest mir eine Milliarde schenken und ich würde trotzdem nicht davon ablassen.“ Gerade wollte er widersprechen, da fasste sie sich mit beiden Händen auf die Brust. Diesmal flehend, sah sie ihn eindringlicher denn je an: „Versteh' doch! Dafür lebe ich!“ Dem hochgewachsenen Brünetten ging jedoch etwas anderes in diesem Moment durch den Kopf. Geschenke? Vielleicht wäre es nicht schlecht, im Antlitz von Xiphos etwas anzubieten zu haben. Nur für den Fall. Nina ahnte in diesem Moment nicht, dass der plötzlich interessierte Blick ihres Gegenüber in keinster Form ihren eigenen Bedürfnissen zugrunde lag. „Also schön“, gestand Nick ihr zu, sodass sie glatt einen Freudenschrei ausstieß. Damit wandte er sich an Brody. „Ich kann es kaum erwarten, zu sehen, wie viel an ihrer Geschichte dran ist.“ „Beten Sie lieber, es nicht herauszufinden“, erwiderte dieser eisig. „Ich bete nie, Brody“, lauteten Nicks letzte Worte, bevor sie sich verabschiedeten.   ~-~-~   Der Jubel war in Anyas Ohren geradezu unerträglich. Als wäre es nicht schon genug, dass sie vom gestrigen Abend immer noch Kopfschmerzen hatte. Logan, dieser Volltrottel! Es war allein seine Schuld, dass sie bis um 3 Uhr nachts in der Bar abgehangen hatten, nur um dann von tollwütigen Paparazzi vertrieben zu werden. Obwohl die Leute um sie herum schrien und pfiffen und Anya am liebsten jeden einzelnen von ihnen vermöbeln wollte, musste sie insgeheim grinsen. Der Zwerg hatte mächtig für Stimmung mit seinen wilden Geschichten gesorgt, so viel stand fest. Wie sie Marc neben sich betrachtete, der genauso müde neben ihr saß, gluckste sie. Und wenn der Schwarzhaarige mit dem Kinnbart schon seine dunklen Augenringe für alle sichtbar heraushängen ließ, wie ging es dann erst Redfield da unten?   Oh wie sie sich wünschte, die dumme Nuss verlieren zu sehen. Allein ihre schlaffe, von Übermüdung zeugende Haltung. Die konnte sich doch bestimmt kaum konzentrieren, dachte Anya mit Blick auf den Duellring. Dort stand ihre Erzrivalin, heute ein marineblaues, knielanges Kleid ausführend, das an den Trägern mit hässlichen Rüschen ausgestattet war, und legte gerade ein Monster auf ihre dazu farbig passende Duel Disk. „Ritualbeschwörung!“, rief sie träge. „Kristallkaskaden … [Evigishki Soul Ogre].“ Überall um sie herum schossen Wassersäulen aus dem Boden, bis aus jener direkt vor ihr eine dunkle Silhouette trat. Die riesige, auf zwei Beinen stehende Amphibie positionierte sich vor dem Mädchen. „Und das ist dann wohl ihr Assmonster!“, rief Mr. C von seiner speziellen Lounge im oberen Teil des kreisrunden Stadions aufregt.   „Gib alles, Valval!“, grölte Marc und sprang auf, wobei er die Faust in die Luft streckte. Anya dröhnten davon glatt die Ohren. Sie waren alleine hier. Der Flohpelz wollte lieber in der Stadt unterwegs sein und Logan kurierte seinen Kater aus. Anya rümpfte die Nase. Sie vermutete nämlich, dass Zanthe heimlich einen Lover traf, so selten wie er sich in letzter Zeit blicken ließ. Ob das der war, den er mit seinem Rückruf warten lassen wollte? Blöder Kackmist, warum schwieg sich diese dumme Töhle nur so aus, wenn es um ihr Privatleben ging!? Sie wollte es wissen, verdammt! Wenigstens würde Summers sehr bald zurück sein, immerhin etwas.   Bevor Anya sich weiter ereifern konnte, drang plötzlich ein penetranter Klingelton an ihr Ohr. Marc fasste überrascht in seine Hosentasche und holte ein weißes Smartphone hervor. Sich auf seinen Platz fallen lassend, legte er das Gerät an sein Ohr: „Hallo?“ Einen kurzen Moment später staunte er: „Woher hast du meine Nummer? … okay?“ Dann reichte er Anya irritiert das Telefon. „Ist für dich.“ Die Stirn runzelnd, riss sie es ihm aus der Hand und schnarrte: „Wer ist da? Ich kaufe nichts von Pennern, auch nicht übers Telefon.“ Als sie jedoch Nicks Stimme vernahm, machte sie große Augen. „Dir auch einen schönen, guten Tag. Und herzlichen Glückwunsch zu deinem Sieg. Alles okay bei dir?“ „D-danke. Und ja. Wieso willst du das wissen?“ „Nur so. Hör mal, Anya.“ Jedoch war genau das das Problem. Sie verstand ihn nur sehr schlecht, da er so leise war und irgendein Rauschen ihn zu übertönen drohte. „… gefunden.“ „Huh? Was hast du gefunden?“, ranzte sie ihn an. Es half auch nichts, dass in diesem Moment das Publikum förmlich ausflippte, weil Redfield dort unten irgendeine tolle Kombo hinlegte. Und Anya damit indirekt einen Hörsturz bescherte. „Dein …“ „Was?“ „Dein Deck!“, schrie Nick scheinbar schon, aber diesmal verstand sie ihn wenigstens. Und sie glaubte, ihr Herzschlag setzte einen Moment aus. „Sofern unsere diebische Elster es noch hat. Bin schon dran, sie zu verfolgen, aber es dauert noch eine Weile, bis ich sie erreiche. Muss noch einen Umweg machen.“   Anya wusste gar nicht, was sie sagen sollte. In den letzten Tagen hatte sie schon fast die Hoffnung aufgegeben und sich mit dem Gedanken abgefunden, ihre Karten vielleicht nie wieder zu sehen, besonders nachdem sie Zach auch ohne jene besiegt hatte. Auch wenn ihr immer klar gewesen war, was dies für sie bedeutete: Ohne Angel Wing und Heavy T würde sie … „Ich melde mich, wenn ich … und mehr sagen kann“, verstand sie ihn plötzlich wieder nur abgehackt. Leicht durcheinander stammelte sie zurück: „D-das ist … genial. Wehe, du vergeigst es! Du darfst sie nicht entkommen lassen!“ „Werd' ich nicht“, versprach Nick. „Und wenn sie es nicht mehr hat, dann …“ Ihr Freund vollendete den Satz: „Sorge ich dafür, dass du sie in die Finger bekommst. Gott stehe ihr bei, wenn das passiert.“ „Sollte es dazu kommen, will ich die Exklusivrechte an der Story!“, krähte da plötzlich eine weibliche Stimme, die Anya unangenehm bekannt vorkam. Ehe sie aber nachhaken konnte, sagte Nick: „Ich muss jetzt Schluss machen. Wir hören voneinander. Bye.“ „C-ciao“, nuschelte sie perplex. Da hatte er aber schon aufgelegt. Geistesabwesend reichte sie Marc sein Smartphone, welches jener gähnend entgegen nahm. „Gute Nachrichten?“ „Wird sich noch zeigen“, murrte Anya und runzelte ärgerlich die Stirn, verschränkte die Arme und ließ sich in den Sitz fallen. „Für diese Sumpfkuh, die mein Deck gestohlen hat, jedenfalls nicht!“ Sie bekam gar nicht mehr mit, dass Valerie gerade erfolgreich den finalen Angriff ausgeführt und damit ihr Achtelfinalspiel gewonnen hatte. Die Zuschauer tobten. Bis auf einer, der zwei Reihen hinter den beiden saß und der sein Gesicht mit einer tief über die Stirn gezogenen, schwarzen Mütze sowie einer Sonnenbrille verbarg. Nur die dunklen Haare, die ihm ausschließlich über dem Nacken hingen, mochten ein Indiz auf seine Identität sein …   ~-~-~   „Wie weit ist es noch?“, quengelte Nina auf dem Beifahrersitz. Der weiße Neon Chrysler fegte geradezu über die Interstate. Nick spielte mit dem Gedanken, sich nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung zu halten. Das Risiko, von etwaigen Cops angehalten zu werden, war ihm aber zu groß, weshalb er das Tempo letztlich drosselte. Selbst er würde nicht so ohne Weiteres aus einer Zelle ausbrechen können, wenn er ungehemmt Beamte provozierte. Er warf einen Blick auf die Freisprechanlage, die sich unterhalb des stumm geschalteten Radios befand. Also ging es Anya gut. Leider war es ihm nach ihrem Achtelfinalspiel nicht gelungen, sie zu erreichen, weil sie das Telefon auf ihrem Zimmer ausgestöpselt hatte. So war sie eben, wenn sie nicht gestört werden wollte. Dabei war er ziemlich in Sorge um sie gewesen, da sie bei der Siegesverkündung blass und zerbrechlich gewirkt hatte. Was man ihr nach dem, was sein widerlicher Halbbruder gesagt hatte, auch nicht verdenken konnte. Allerdings kannte er seine Schwester gut genug um zu wissen, dass sie dieser Ratte kein Wort glauben würde. Und da er ebenso gut wusste, dass Mrs. Bauer das Geheimnis seiner Existenz nie lüften würde, wog er sich im Moment noch in Sicherheit. Doch insgeheim fragte er sich, wie lange diese 'eine Wahrheit' an Anya noch vorbeigehen würde? Es war unausweichlich, dass er früher oder später einen Plan zurechtlegen musste, wie er ihr begegnete, wenn sie erst wusste, dass in ihren Venen dasselbe Blut floss.   „Ich warte immer noch auf eine Antwort“, zischte Nina neben ihm und drang auf diese Weise ungebeten in seinen Wahrnehmungsbereich vor. Nick brummte: „Vielleicht zwei, drei Stunden.“ „So viel!? In der Zeit könnte ich locker ein halbes Dutzend Artikel schreiben!“ „Sie wissen, wo die Tür ist. Und wenn Sie nett fragen, halte ich sogar an“, entgegnete Nick trocken. Beleidigt verschränkte Nina die Arme. „Oh Brody, wenn das hier eine Niete ist, bring ich dich um.“   Der Großteil ihrer Fahrt beschränkte sich auf die Interstate. Als Nick die von Ninas Cousin angegebene Stadt schließlich erreichte und die Abfahrt nahm, beschlich ihn schon ein ungutes Gefühl. Würde er hier finden, was er suchte? Einen Verbündeten? Oder einen Feind? Oder am Ende gar nichts? Was konnte er tun, um Xiphos davon zu überzeugen, mit ihm gegen den Sammler zu agieren? Ihm gefiel es nicht, daran zu denken. Viel konnte er im Gegenzug nicht anbieten. Bestenfalls das, was da auf dem Nebensitz seit Stunden nichts anderes tat als Textnachrichten zu verfassen. Nick sah aus dem Augenwinkel zu Nina, die zu seiner eigenen Überraschung eher zurückhaltend geblieben war und nur hin und wieder ein Wort mit ihm wechselte. Entweder hatte sie begriffen, wer hier die Ansagen machte, oder so etwas wie Zurückhaltung gelernt. Der junge Mann fühlte sich schlecht. Dass Nina unbedingt mitkommen wollte kam ihm letztlich doch sehr gelegen. Denn so stand er nicht ganz mit leeren Händen da. Auch wenn er hoffte, sie nicht für seine eigenen Ambitionen opfern zu müssen. Aber er würde es tun, käme es darauf an. Hatte sich seine Schwester auch so gefühlt, als sie ihre Freunde damals dem Turm von Neo Babylon und dem Tor Eden überließ? Nein, sagte sich Nick. Denn, anders als Valerie und der Rest, war Nina nicht seine Freundin. Sie war … entbehrlich.   Während er so darüber nachdachte, fuhr er durch ein Industriegebiet und erreichte schließlich das Wohnviertel. Es wirkte heruntergekommen. Überall waren Wände mit Graffiti besprüht. Nirgendwo Menschen auf den Straßen. Der Putz der Reihenbauten war teilweise abgesprungen. Und irgendwo in der Nähe versteckte sich vermutlich einer der mächtigsten Dämonen dieses Planeten.   Erst nach mehrmaligem Umkreisen der Wohnblöcke fand Nick schließlich in die richtige Straße. Er hielt den Wagen im Anschluss vor einem fünfzehnstöckigen Wohnhaus, das genauso wenig einladend wirkte wie der Ort an sich. Zusammen mit Nina stieg er aus und betrachtete das Gebäude, welches in einem fließenden Übergang direkt neben anderen Wohnhäusern eingepfercht war. „Hier soll es sein?“, fragte die Reporterin abfällig. „Pah! Allein beim Anblick bekomme ich schon eine Geschlechtskrankheit.“ Nick ignorierte sie und schlenderte auf die Eingangstür zu. Er betätigte wahllos eine der dutzenden, daneben liegenden Klingeln, sodass die Tür unter einem Surren aufsprang. „Merkwürdig“, sinnierte er beim Eintreten. „Es wird nicht einmal gefragt, warum wir hier sind?“ Er hatte bewusst nicht die Klingel desjenigen benutzt, der auf Brodys Zettel stand. „Nicht jeder ist so misstrauisch wie du“, merkte Nina spitz an. Ein Punkt für sie.   Schon als Nick das Gebäude betrat, überkam ihn ein eisiger Schauder. Vor ihm erstreckte sich ein schwach beleuchteter Flur, zu seiner Rechten gab es ein ganzes Bataillon an Briefkästen, manche davon völlig überfüllt. Das Laminat unter seinen Füßen schmatzte unangenehm, schien es nicht richtig verlegt worden zu sein. „Also das ist überhaupt nicht aufregend“, beschwerte sich Nina und ließ die Tür hinter ihnen ins Schloss fallen. „Hat dieser Dämon kein Geld für etwas Besseres?“ „Ich glaube, Geld spielt im Leben eines Dämonen eine eher untergeordnete Rolle“, erwiderte Nick schnippisch und ging weiter. Gleichstand. Er betrat das Treppenhaus, das ebenfalls nicht gerade einladend wirkte, da es schmutziger war als seine zehn Tage getragene Unterwäsche. Und das wollte etwas heißen. „Wir nehmen den Aufzug“, entschied Nina und deutete mit ihrem roten, lackierten Zeigefinger beziehungsweise der Kralle, die jenen vermutlich darstellen sollte, auf die Tür links neben sich. „Außer Betrieb“, las ihr Begleiter düster von einem kleinen Aufsteller ab, der neben der Tür stand und welchen Nina offenbar übersehen hatte. „Wir müssen wohl die Treppen nehmen.“ Sofort klagte es hinter ihm entrüstet: „Das sind fünfzehn Stockwerke! Bis wir da oben angekommen sind, bin ich eine alte Frau!“ „Was eine Verbesserung darstellt“, konterte Nick gehässig. Schon nahm er die erste Stufe.   Hätte er geahnt, was das für Konsequenzen mit sich ziehen würde, hätte er Nina gleich unten gelassen. Während sie bis zum dritten Stockwerk nur leise vor sich hin meckerte, fluchte sie lauthals ab dort weiter. Sofern sie nicht damit beschäftigt war, lautstark Luft zu holen. Ab dem achten Stockwerk hatte sie dazu keine Kraft mehr, stattdessen hallte nun ihr rasselnder Atem durch das Gebäude, während sie immer weiter zurück fiel. Nick, der kurz davor war, seine Beherrschung zu verlieren, ließ sie einfach links liegen – im wahrsten Sinne des Wortes, siehe elftes Stockwerk – und schritt alleine weiter. Auch er hatte Schweißperlen an der Stirn kleben, aber anders als sie beklagte er sich jedoch nicht. Sein Ehrgeiz trieb ihn an. Dabei bemerkte er, dass es still war. Zu still. Müsste man nicht von wenigstens einer der Wohnungen, die sie passierten, irgendwelche Laute hören? Aber nichts. Als würde niemand hier leben.   Als er schließlich an seinem Ziel angelangt war, weitete er die Augen. Keine Türen. Nur Wände. Irritiert umrundete er das Treppengeländer und sah nach oben, wo sich die Stufen um so einige Ebenen fortsetzten. Aber das war unmöglich! Mehr Stockwerke konnte es gar nicht geben, dies hier müsste das letzte sein. Dann wusste Xiphos bereits, dass er wegen ihm hier war. Unschlüssig, ob er seinen Weg fortsetzen sollte, blieb er vor der nächsten Stufe stehen. „Bin … gleich … da!“, hörte er Nina von weiter unten erschöpft röcheln. „Sparen Sie sich die Kraft. Hier ist nichts.“ „W-was?“ Nick seufzte ärgerlich. „Nur noch mehr Treppen. Er spielt mit uns.“ „Oh-mein-Gott! Wenn das so weitergeht, bekomme ich noch einen Herzinfarkt.“ Zwar zweifelte Nick nicht daran, dass es verwerflich war, an dieser Vorstellung Gefallen zu finden, doch das hielt ihn nicht davon ab, es auf einen Versuch ankommen lassen zu wollen. Auch wenn es sinnlos war, noch weiter zu gehen. Vermutlich würden sie nie am Ziel ankommen.   „Lass die Spielchen“, rief er deshalb lautstark. Erstaunlicherweise gab es sogar ein Echo. „Wenn du uns empfangen willst, dann zeig dich. Unserer beider Zeit ist zu kostbar, um sie für Taschenspielertricks zu verschwenden.“ Keine Reaktion. Nur Nina, die tatsächlich die letzten Stufen hoch kroch, so erschöpft war sie. Ihr rotes Haar klebte ihr im Gesicht, die Brille auf ihrer Nase war leicht verrutscht. „Herzchen“, schnaufte sie und rappelte sich mühselig auf, „denkst du wirklich, dass ein mächtiger Dämon wie er auf -dich- hören wird?“ Die Treppe vor Nick begann zu flackern, ebenso die Wände hinter ihm. Zwar verschwand die Treppe nicht, änderte jedoch ihre Form und führte nun lediglich zu einer Tür, die ans Dach anzuschließen schien. Ebenso erschien plötzlich genau dort eine Tür an der kahlen Wand, wo zuvor keine gewesen war. Nina stand der Mund sperrangelweit offen. „Tue ich“, sagte Nick schnippisch und wandte sich der Wohnung zu. „Aber nur, weil ich weiß, dass er etwas von uns will.“ „Und was soll das sein?“ „Finden wir's heraus“, entgegnete Nick ihr entschlossen und drückte die Klingel neben der grünen Tür.   Welche kurz darauf von alleine aufschwang. Und Nina ein schrilles Kreischen entlockte, auf welches beinahe noch eines von Nick folgte, als sie sich um ihn schlang. „I-ich bin Profi in solchen Angelegenheiten, aber das ist unheimlich!“, beteuerte sie, rückte ihre Brille zurecht und ließ ihn augenblicklich wieder los, weil sein finsterer Blick Bände sprach. Doch so düster der auch anmutete, war er nichts im Vergleich zur Dunkelheit, die im Flur herrschte. Nur vorsichtig wagten die beiden sich ins Innere der Wohnung vor. Das Erste, was Nick auffiel, war, dass nirgendwo Schuhe standen. Aber ein Dämon brauchte vermutlich auch keine. Zusammen zogen sie an dem Spiegel vorbei und landeten in einem kleinen Gang. Links war eine verschlossene Tür, die Nina sofort öffnete. Aber zu ihrer Enttäuschung fand sie nur ein kleines Badezimmer, das man auch nur Anhand der Silhouetten im Inneren als solches erkannte. Aber Nicks Augen hatten Licht erspäht, direkt geradeaus. Dort flackerte etwas. Und leise Geräusche drangen an sein Ohr. Schüsse. Und leise, rockige Musik. Er bedeutete Nina mit einem Nicken ihm zu folgen.   Sie gingen den Gang weiter entlang, zogen an einer Küche und einem Schlafzimmer vorbei. Ihr Weg führte sie in das Wohnzimmer. Die Vorhänge waren allesamt zugezogen, was auch der Grund war, warum man in der Wohnung kaum die eigene Hand vor Augen sehen konnte. Schräg gegenüber gab es einen alten Röhrenfernseher auf einer Kommode. Er war es, der die Geräusche auf minimaler Lautstärke produzierte. Es flackerten Bilder von schießenden Soldaten in einer militärischen Einrichtung über den Bildschirm, am unteren Rand hielten zwei Arme ein Maschinengewehr in der Hand. Nina stieß Nick in die Seite. Er folgte ihrem Blick und richtete sein Augenmerk auf den Jungen, der vor der Flimmerkiste saß und den schwarzen Controller einer Videospielkonsole in der Hand hielt. „Da seid ihr ja endlich“, sagte er mit seltsam schiefer Stimme. Scheinbar war er im Stimmbruch. „Ihr habt mich ganz schön lange warten lassen.“ „Und da wolltest du uns bis in alle Ewigkeit Treppen steigen lassen?“, fragte Nick frei heraus. Sein Blick schweifte durch das Zimmer, entdeckte aber bis auf einem Sofa, einem Sessel und einem Schrank links von ihm keine nennenswerten Einrichtungsgegenstände. „Das war zur Bestrafung.“ Der brünette Junge lachte. „Wie dumm von mir. Hätte ich das durchgezogen, hätte ich noch länger auf euch warten müssen. Also hab ich's gelassen.“ Nick fragte misstrauisch: „Du hast uns erwartet?“ „Nina hat meinen Namen gesagt. Also wusste ich, dass ihr kommt.“ Also war das der Grund, warum Brody ihn nicht aussprechen wollte? Weil der Knirps offenbar ein übersinnliches Radar besaß, das ihn sofort alarmierte, wenn man über ihn sprach? „Es ist komplizierter, Nick. Aber im Wesentlichen hast du Recht.“   Ihm gefror förmlich das Blut in den Adern. Nina blinzelte ihn bloß dämlich von der Seite an. „Wie kommt er jetzt darauf? Hast du etwas gesagt?“ „Nein“, erwiderte der Zwei-Meter-Mann leise. „Aber gedacht.“ Xiphos, der scheinbar gar keine Anstalten machen wollte, sein Spiel zu beenden, lachte wieder in kindlicher Unschuld. „Ha ha. Du hast Angst, aber das ist okay. Ich kann nichts dafür. Ich höre sie einfach. Eure Gedanken. Und nein, Nina. Du wirst nichts hiervon veröffentlichen.“ Jene keuchte empört. „D-das werden wir ja sehen!“ „Weißt du dann auch, warum ich hier bin?“, wollte Nick wissen. Auch wenn die Frage im Grunde genommen überflüssig war. Der spielende Junge lachte erneut. „Natürlich. Zu schade, dass ich dir nicht helfen werde.“ Nick verschlug es einen Moment die Sprache. Der entschied darüber, ohne ihn überhaupt angehört zu haben? Wusste er so viel? Gab es nichts, das Nick ihm im Gegenzug bieten konnte? „So einfach ist das nicht“, erklärte Xiphos abwesend, „entgegen weitläufiger Meinung bin ich niemand, der für den eigenen Vorteil arbeitet. Mein Job ist es, die Dämonen vor der allgemeinen Bevölkerung verborgen zu halten. Damit kein Chaos ausbricht.“ „Aber es gibt Menschen, die über die Existenz des Unerklärlichen Bescheid wissen.“ „Nichts ist unerklärlich, Nick“, belehrte Xiphos ihn jedoch. „Mir geht es nicht darum, jeden einzelnen Menschen unwissend zu lassen, sondern die Allgemeinheit. Stell dir vor, was passiert, wenn die Existenz von Vampiren, Werwölfen, Sirenen und anderen Lebewesen ans Licht kommt.“ Sie würden vermutlich verfolgt werden, lautete Nicks erster Gedanke, was als Gegenreaktion wahrscheinlich einen Krieg heraufbeschwören würde. Menschen gegen Dämonen … „Exakt. Und das zu verhindern ist meine Aufgabe. Dafür muss ich neutral bleiben. Du siehst also, Nick, ich kann dir nicht helfen. Und selbst wenn ich es könnte, würde ich es nicht.“ Fest entschlossen, nicht so leicht das Handtuch zu werfen, fragte Nick: „Warum?“ In diesem Moment verpasste Xiphos einem feindlichem Soldaten auf dem Fernseher per Scharfschützengewehr einen Kopfschuss. „Weil ich ein Freund des Sammlers bin.“   Zum zweiten Mal an diesem Tag hatte Nick das Gefühl, ihm würde das Blut in den Adern gefrieren. Xiphos, ein Freund des Sammlers? Er hätte mit vielem gerechnet, aber nicht damit. Konnte so etwas zwischen diesen fünf großen Dämonen denn existieren? In seiner Vorstellung waren sie Konkurrenten, die die Kontrolle über die Unterwelt … und über die Menschen anstrebten. Darüber hinaus hieß das … dass er wieder in eine Falle des Sammlers getappt war …   „Diese Freundschaft hat schon immer zwischen uns existiert, Nick“, sagte Xiphos. Plötzlich schaltete sich der Fernseher aus und es wurde mit einem Schlag stockdunkel im Wohnzimmer. „Vielen halten uns für das, was du aus uns machst. Aber wir sind keine Fürsten. Wir sind ja nicht einmal mehr zu fünft. Wir waren auch nie fünf. Das habt ihr euch zusammengereimt.“ Nick bemerkte, wie sich Xiphos' Silhouette langsam erhob. „Aber das ist unerheblich. Es spielt keine Rolle. Wenn es diese Welt zusammenhält, dann lasse ich euch in dem Glauben.“ „Und was der Sammler beabsichtigt, bringt das die Welt nicht in Gefahr!?“, platzte es da aus dem jungen Mann heraus. „Seine Taten haben die Undying geweckt!“ Der Junge lachte wieder. „Die Undying sind nicht ganz unschuldig an der derzeitigen Situation. Auf sie ist kein Verlass. Ich glaube an Strife und daran, dass er das Richtige tut. Selbst wenn ich nicht weiß, was genau das letztlich sein wird.“ Xiphos drehte sich zu ihnen um. Er war einen ganzen Kopf kleiner als Nick, welcher spürte, wie Nina schon wieder seinen Arm umklammerte. „Welcher Situation?“ „Sie sehen zu, wie andere Welten zerstört werden. Sie unternehmen nichts dagegen.“ „Aber der Sammler schon?“ Von wegen, sagte sich Nick. Es würde ihn nicht verwundern, wenn der Collector selbst dafür verantwortlich ist, dass irgendwo im Nexus der 'wahre Feind' besagte Parallelwelten vernichtete. Sofern er es nicht sogar selbst tat. Xiphos brach in schallendes Gelächter aus. „Glaubst du das wirklich? Oh man …“ „Hör zu! Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Freundschaft blind machen kann.“ „Du meinst, weil Anya beinahe ihre Freunde geopfert hätte, obwohl sie ihr am Herzen lagen?“, fragte er. „Du hast Recht, Freundschaft ist kein Garant dafür, dass dein Freund nicht niedere Absichten hegen kann. Aber wenn ich nicht an Strife glauben kann, woran dann?“   Plötzlich schnippte er. Nick und Nina wurden durch ein von ihm ausgehendes, grelles Licht geblendet und schrien auf. Sie wandten sich mit erhobenen Armen ab. „Weißt du was? Ich werde dir zeigen, dass wir nicht das sind, für das du uns hältst. Machen wir einen Deal aus. Besiege mich in einem Duell und ich schenke dir eine Kraft, die dich stärker macht“, sagte er, relativierte jedoch im Anschluss: „Du wirst aber nicht imstande sein, Strife oder einen der Undying zu vernichten. Dafür reicht meine Macht nicht aus und selbst wenn sie es täte, würde ich dir nichts in der Art verleihen. Im Gegenzug erwarte ich nichts von dir als Gegenleistung.“ Als das Licht langsam schwand, öffnete Nick sein rechtes Auge einen Spalt breit und nahm im ersten Moment nur ein saftiges Grün wahr. Und Xiphos' Gestalt, die vor ihnen stand. „Und wenn ich verliere?“ „Dann gehst du, mehr nicht.“ Wieso sollte er ihm trauen, fragte sich Nick innerlich. Das klang doch geradezu nach einer Falle, so ähnlich hatte der Sammler schließlich schon Anya einst in seine Intrige eingesponnen! Xiphos hörte diese Gedanken natürlich. „Er hat seine Gründe, sie für sich arbeiten zu lassen. Ich bin mir sicher, dass er dies nur getan hat, da nie eine Chance auf die freiwillige Mithilfe Anyas bestand.“   Jetzt, wo sich Nicks Augen an die Helligkeit gewöhnten, öffnete er sie vollständig. Und fand sich auf einer endlosen, grünen Wiese unter strahlend blauem Himmel wieder. Fast wie in diesem alten Windows-Desktopbild, nur dass die Landschaft komplett eben war. Da stand er vor ihm, der höchstens 16-jährige Junge mit dem handbreit langen, nach oben stehenden Haar. Genauso blassbraun wie sein T-Shirt. Sein Gesicht war nichts Besonderes, etwas pickelig. Auffälliger war vielmehr, dass er barfuß dort stand. „Bin ich dir zu langweilig?“, stichelte Xiphos grinsend. „Sorry, aber ich kann nichts für mein Aussehen. Ich habe die Pubertät halt nie verlassen.“ „W-wo sind wir hier?“, fragte Nina ängstlich. Nick musste insgeheim schmunzeln. Jetzt, wo sie wirkliche Magie erlebte, war sie überhaupt nicht mehr darauf aus, sich realitätsfremde Notizen zu machen. Vielleicht hatte sie sich ja ein wenig gebessert seit ihrer letzten Begegnung? „Nirgendwo. Ich wollte nur eine etwas ansprechendere Umgebung für uns schaffen“, entgegnete Xiphos ihr gut gelaunt. „Also Nick? Dass du in meine Fänge geraten könntest, war dir von Anfang an bewusst gewesen. Du willst nicht kneifen.“ „Nein“, erwiderte jener fest. „Aber was du mir anbietest reicht mir nicht.“ „Wie gesagt, ich werde nicht mit dir kooperieren, wenn es darum geht, den Sammler aufzuhalten.“ Nina stieß dem Größeren mit missbilligendem Blick in die Seite. „Sei nicht gierig, Kindchen! Besser ein kleines Upgrade als gar keins! Wenn du nicht willst, -ich- nehme gerne deinen Platz ein.“ Passend dazu legte Xiphos schmunzelnd den Kopf schief. Nick atmete tief durch. Sie hatte Recht. Er selbst hatte nichts im Gegenzug zu bieten, denn scheinbar hielt sich Xiphos' Interesse an Nina in argen Grenzen. Wenn er also an Macht gelangen wollte, wäre dies immerhin ein Schritt. Seine Position erlaubte es nicht, nach mehr zu verlangen. Und war er nicht hierher gekommen, damit sich etwas änderte? Damit er sich änderte?   „So ist es“, sagte Xiphos, „du hast Glück, einer friedliebenden Person wie mir gegenüber zu stehen. Andere hätten dich sofort vernichtet. So aber steht es dir frei, mein Angebot anzunehmen oder nicht.“ Nick biss die Zähne zusammen und trat einen Schritt vor. „Also schön.“ „Gute Wahl“, lobte sein Gegenüber und streckte die Hände zu beiden Seiten aus. „Ich will mitmachen.“ „Nein!“, donnerte Nick sofort alarmiert, als Nina sich an ihm vorbeidrängen wollte. Allein der Gedanke an das Desaster vom Duell gegen Drazen ließ ihn erschaudern, noch bevor es überhaupt an den eigentlichen Feind ging. Nie und nimmer würde er noch einmal ein Team mit ihr bilden. „Hören Sie, Nina“, versuchte er es daher diesmal auf die versöhnliche Tour, „ich will nicht, dass Ihnen etwas geschieht. Er mag vertrauenerweckend wirken, aber er ist ein Freund desjenigen, der all die Fäden im Hintergrund zieht. Wenn ich in diesem Duell sterben sollte, muss jemand Anya warnen. Und das können nur Sie, Nina.“ Einen Moment blieb die Rothaarige sprachlos. Gerührt wischte sie sich ein Tränchen aus den Augenwinkeln hinter ihrer Hornbrille, ehe sie erwiderte: „Pft, als ob die Masche zieht, Kleiner!“ Nick verzog die Augen zu Schlitzen. „Es ist die Wahrheit, auch wenn ich die Emotionen dahinter gerade nur vorgetäuscht habe. Sie halten sich da raus, verstanden?“ „Hmpf, meinetwegen“, giftete sie beleidigt.   „Dann rufe ich jetzt die Schiedsrichter“, lenkte Xiphos wieder die Aufmerksamkeit auf sich. Von seinen beiden nach oben gerichteten Handflächen begannen schwarze Flammen zu brennen. „Kommt, meine Schattengeister! Snuggly! Sparkly!“ Besagte Feuerkugeln schossen in die Höhe und verwandelten sich in zwei schwarze Krähen, die um die beiden ihre Kreise zogen. Alle drei sahen gebannt in den Himmel, bis eine Krähe auf Nicks Schulter landete und die andere auf Xiphos'. „Keine Angst. Sie sollen uns nur davon abhalten unfair zu spielen“, versicherte der seinem Gegner. Verständlicherweise war Nick alles andere als begeistert, wusste aber, dass Widerspruch sinnlos war. Die Krähe auf seiner Schulter fühlte sich seltsam an. So leicht, als würde sie nicht mehr als eine Feder wiegen. Obwohl sich ihre Krallen in Nicks Schulter bohrte, schmerzte es nicht. Wenn das Schattengeister waren, sahen diese aber nicht im Geringsten Orion ähnlich, der zur selben Spezies zählte. „Leg dich nicht mit uns an, krah!“, raunte das Federvieh auf Nicks Schulter plötzlich. Jener schreckte zusammen. Xiphos indes kehrte seinem Gegner den Rücken zu, wobei sich seine Krähe wiederum Nick zudrehte. „Genau. Hör auf das, was Sparkly sagt, rraaah!“ „Sprechende Vögel, was?“ Nick fasste sich stöhnend an die Stirn. „Mir bleibt wohl nichts erspart.“ Nachdem der Junge ein paar Meter weiter Position bezogen hatte, grinste er Nick frech an. „Sie sind nicht so schlimm, wie sie auf den ersten Blick wirken.“ „Snuggly schlau!“, röhrte jene auf Xiphos' Schulter. „Eher nicht“, kam Nicks blinder Passagier dagegen altklug daher. Auch Nina hatte sich inzwischen gefasst und war längst dabei, sich Stichpunkte zu notieren. Dabei redete sie leise mit sich selbst, ohne überhaupt noch auf ihr Umfeld zu achten. „Wollen wir?“, fragte Xiphos schließlich mit unterschwellig forderndem Unterton. An den Armen der beiden erschienen die typischen, mittlerweile eingestellten Standardmodelle des Battle City-Turniers. Nick nahm sein Deck aus seiner Hosentasche und schob es in den passenden Schacht. Was für eine seltsame Wahl, ging es ihm dabei durch den Kopf. „Bin bereit!“ Dann schrien sie synchron: „Duell!“   [Nick: 4000LP / Xiphos: 4000LP]   „Ich beginne!“, entschied Nick grimmig. „Wie du weißt, darfst du dann jedoch nicht mehr ziehen, laut der Regeländerung“, unterwies Xiphos seinen Gegner. Wodurch diesem bewusst wurde, dass er schon länger kein Duell mehr ausgetragen hatte. Nick zuckte dennoch oder wohl eher gerade deswegen nicht einmal mit der Wimper. „Das nehme ich in Kauf.“ Stattdessen zog er fünf Karten von seinem Deck und zeigte gleich zwei davon auf einmal vor. „Ich rufe [Wind-Up Hunter] und, da ich ein Wind-Up-Toy beschworen habe, auch noch [Wind-Up Shark] als Spezialbeschwörung.“ Beide Monster tauchten im Anschluss vor ihm auf der grünen, endlosen Wiese auf. Das linke war ein violetter, etwa ein Meter großer Spielzeugzentaur, der eine Armbrust mit sich führte. Neben ihn gesellte sich ein blauer, mechanischer Hai, nicht viel größer und genau wie bei seinem Kameraden, ragte aus seinem Rücken ein goldener Aufziehschlüssel.   Wind-Up Hunter [ATK/1600 DEF/500 (3)] Wind-Up Shark [ATK/1500 DEF/1300 (4)] „Du gibst dir besser mehr Mühe als beim letzten Mal“, stichelte Nina nebenbei gehässig, „um eine Dame wie mich zu beeindrucken musst du dich schon etwas ins Zeug legen!“ „Und immer noch sehe ich hier nirgendwo eine Dame“, konterte Nick, der froh war, diesmal alleine antreten zu können. Dann fixierte er sich auf Xiphos. „Und Sie sind es nicht, die ich beeindrucken muss, Nina.“ Dies entlockte dem jugendlichen Dämon ein vergnügtes Grinsen. „Effekt von [Wind-Up Shark]“, rief Nick daraufhin lautstark aus und streckte den Arm nach vorne. „Er reduziert seine Stufe um 1.“ Dies sorgte dafür, dass sich der goldene Schlüssel auf dem Rücken des Hais in hoher Geschwindigkeit zu drehen begann.   Wind-Up Shark [ATK/1500 DEF/1300 (4 → 3)] Kaum war das geschehen, verzog Nick die Augen zu Schlitzen und schwang den Arm aus. „Ich errichte das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 3-Monstern wird ein Rang 3-Monster!“ Ein Schwarzes Loch öffnete sich in der Mitte des Spielfelds und zog den Jäger als violetten und den Hai als blauen Lichtstrahl in sich. „Xyz Summon! [Wind-Up Carrier Zenmaity]!“ Ein riesiger Flugzeugträger erhob sich aus dem Überlagerungsnetzwerk. Im Gegensatz zu Nicks üblichen Monstern war es mehrere Meter lang und überragte den jungen Mann um mindestens einen Kopf. Um das Schiff kreisten zwei leuchtende Sphären.   Wind-Up Carrier Zenmaity [ATK/1500 DEF/1500 {3} OLU: 2] „Effekt von Zenmaity! Im Austausch gegen ein Xyz-Material ruft er ein Wind-Up-Monster von meinem Deck!“, rief der hochgewachsene, junge Mann energisch, zog den Hunter unter Zenmaity hervor und knallte stattdessen ein anderes Monster auf die Duel Disk. „Zeig dich, [Wind-Up Rat]!“ Wenn er schon gegen einen der mächtigsten Dämonen kämpfen musste, sollte dieser nicht ohne beträchtliches Handycap ins Duell starten, dachte Nick dabei ehrgeizig. Eine der Lichtsphären um der Kriegsmaschine verschwand in ebenjene, wodurch diese einen leuchtenden Signal-Torpedo abschoss, weit über Xiphos hinweg. Unterhalb des schwebenden Flugzeugträgers materialisierte sich daraufhin eine blaue Ratte auf Rädern, die geradezu winzig im Vergleich erschien.   Wind-Up Carrier Zenmaity [ATK/1500 DEF/1500 {3} OLU: 2 → 1] Wind-Up Rat [ATK/600 DEF/600 (3)] „Effekt von [Wind-Up Rat]“, führte Nick seinen Zug mit exakt denselben Worten wie zuvor fort, drehte das Monster auf seiner Duel Disk in die Horizontale. „Ich wechsle den Nager in Verteidigung, um ein Wind-Up vom Friedhof zu rufen, in selbiger Position!“ Auch der goldene Aufziehschlüssel der Ratte begann sich zu drehen. Genau wie jene selbst, die immer schneller einen Kreis im Gras zog, aus dem schließlich der Zentaur auftauchte und sich zunächst am Schiffsträger über ihm den Kopf stieß.   Wind-Up Rat [ATK/600 DEF/600 (3)] Wind-Up Hunter [ATK/1600 DEF/500 (3)]   „Effekt von [Wind-Up Hunter]“, ratterte Nick sein Programm weiter herunter. „Ich kann ein anderes Wind-Up opfern, um meinen Gegner eine durch Zufall bestimmte Handkarte abwerfen zu lassen.“ Nina weitete die Augen, als ausgerechnet der riesige Flugzeugträger zu einem winzigen, blauen Lichtpfeil zusammenschrumpfte, welcher sich in des Jägers Armbrust einlegte. Und prompt abgefeuerte wurde. Von den fünf Karten, die der vor sich hin schmunzelnde Xiphos hielt, wurde die mittlere getroffen. Eine Falle, die der Bursche daraufhin herauszog und in den Friedhofsschacht schob. Plötzlich schwang Nick den Arm wieder aus. „Ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinen Stufe 3-Monstern wird ein Rang 3-Monster. Xyz Summon!“ Wieder öffnete sich das Schwarze Loch und absorbierte seine beiden Monster als violette beziehungsweise braune Lichtstrahlen. Und einen Moment später schob sich ein neuer Flugzeugträger daraus empor, um den zwei Lichtkugeln kreisten.   Wind-Up Carrier Zenmaity [ATK/1500 DEF/1500 {3} OLU: 2]   Nick rief: „[Wind-Up Carrier Zenmaity]! Und ich nutze seinen Effekt! Ein Xyz-Material für ein Wind-Up von meinem Deck.“ Wie sein Vorgänger, schoss dieser Zenmaity ebenfalls einen Torpedo in den strahlend blauen Himmel. Eine zweite Kopie der Ratte erschien, als Nick diese von seinem Deck auf die Duel Disk legte. „Effekt der Ratte. Du weißt bereits, was passiert.“ Xiphos lächelte geheimnisvoll, als das Nagetier auf Rädern wieder einen Kreis zog, aus dem diesmal ein geduckt stehender Spielzeugzentaur erschien. Nicht umsonst hing Nick diesen jedes Mal bei Zenmaitys Beschwörung ab.   Wind-Up Carrier Zenmaity [ATK/1500 DEF/1500 {3} OLU: 2 → 1] Wind-Up Rat [ATK/600 DEF/600 (3)] Wind-Up Hunter [ATK/1600 DEF/500 (3)]   „Muss ich dir noch erklären, wie es weitergeht?“, hakte der hagere Brünette nach. Er ging stark davon aus, dass Xiphos die Kombo – anders als Anya damals – sehr wohl verstand. Und er lag richtig, als jener abwehrend die Hand hob. „Nicht nötig.“ „Dann Hunters Effekt.“ Woraufhin sich der Flugzeugträger wieder in einen leuchtend blauen Pfeil verwandelte, der aus der Armbrust des Jägers abgeschossen wurde. Dieses Mal kostete er Xiphos ein Monster. Oder einen Zauber? Nick konnte nicht genau erkennen, worum es sich handelt. „Xyz Summon!“, kürzte er das Folgende zur Zeitersparnis einfach ab. „[Wind-Up Carrier Zenmaity].“ Dadurch war das Overlay Network jedoch noch nicht einmal erschienen. Es öffnete sich erst nachdem er den Namen längst gerufen hatte, absorbierte das violett-braune Lichtstrahlduo und spuckte einen dritten Flugzeugträger aus.   Wind-Up Carrier Zenmaity [ATK/1500 DEF/1500 {3} OLU: 2]   Schon im nächsten Augenblick riss Nick die unter diesem liegende Karte des [Wind-Up Hunters] hervor, behielt diese aber zwischen Ring- und kleinem Finger, als er anschließend die dritte Kopie seiner [Wind-Up Rat] auf die Duel Disk legte. „Dasselbe Spiel“, merkte er wortkarg an, als diese ein weiteres Mal ihre Kreise unterhalb des Flugzeugträgers zog und den geduckt stehenden Plastikzentaur zurück beschwor, den Nick nur noch auf die Monsterkartenzone legen sollte. Jener füllte seine Armbrust mit der blauen Essenz, in die sich Zenmaity verwandelte und feuerte einen Pfeil auf Xiphos' Hand ab. Von den drei übrigen Karten, die er geradezu demonstrativ vor sich hielt, traf es die ganz rechts außen: Wieder fiel es Nick schwer, sie zu identifizieren, aber er ging von einem Monster aus. Derweil sah Nina zwischen beiden mit offenem Mund hin und her. Offenbar konnte sie sich nicht entscheiden, ob sie von Nicks Kombo oder Xiphos' unbesorgter Miene beeindruckt sein sollte. Dann zückte sie Zettel und Stift und begann wieder zu notieren, was garantiert nicht geschehen war. „Jemand wie du verkraftet sicher ein paar verlorene Handkarten. Bestimmt bist du erleichtert, da ich alle Exemplare meiner beiden Schlüsselkarten aufgebraucht habe“, hauchte Nick gefährlich, zückte jedoch entgegen des angedeuteten Friedens eine Zauberkarte aus seinem Blatt, „aber täusch' dich nicht, diese Kombo ist erst beendet, wenn du blank bist. [Pot Of Avarice]!“ Nick rammte ebenjene förmlich in seine Duel Disk und nur einen Moment später stand diese vor ihm aufgerichtet. Aus der Karte schob sich ein violetter, juwelenbesetzter Krug mit einem Gesicht, das breit grinste und seine lange Zunge heraus steckte. In diesem verschwanden drei Kopien des [Wind-Up Carriers Zenmaity] und zwei der [Wind-Up Rat]. „Wie du zweifelsohne weißt, lässt dieser Schatz mich fünf Monster vom Friedhof ins Deck zurückmischen“, erklärte Nick nichtsdestotrotz und griff nach seinem Deck, „und dann zwei ziehen.“ Mit Schwung stockte er sein Blatt auf vier Karten auf. „Du weißt, wie das jetzt weitergeht …“ Keinen Moment später öffnete sich das Schwarze Loch, diesmal sogar ohne Ankündigung, ein weiteres Mal und absorbierte die Ratte und den Jäger auf dem Feld, um einen der recycelten Flugzeugträger auszuspucken.   Wind-Up Carrier Zenmaity [ATK/1500 DEF/1500 {3} OLU: 2]   „Effekt Zenmaitys!“, donnerte Nick mit ausgestreckter Hand. Die Ratte erschien, reanimierte den Jäger, welcher wiederum das Xyz-Monster in einen leuchtend blauen Pfeil verwandelte und auf Xiphos abfeuerte. Dem blieb nur noch eine Handkarte. „Xyz Summon!“, rief sein Gegner, dabei immer lauter werdend. Seine beiden Monster auf dem Feld verschwanden in dem Schwarzen Loch und ließen Zenmaity nunmehr zum fünften Male erscheinen.   Wind-Up Carrier Zenmaity [ATK/1500 DEF/1500 {3} OLU: 2]   Und danach [Wind-Up Rat]. Und [Wind-Up Hunter]. Ninas Kinnlade klappte herunter, während sie dabei zusah, wie Nick seinem Gegner systematisch die Handkarten nahm. „Effekt des Hunters!“, rief Nick lautstark aus. „Das ist die letzte!“ Der riesige Flugzeugträger verwandelte sich in hellblaues Licht, das als Pfeil in des Zentaurs Armbrust eingelegt wurde. Diese feuerte ihn zielgenau auf die letzte Handkarte Xiphos' ab, die damit ebenfalls verschwand. Doch der Junge, entgegen des gewaltigen Nachteils, in dem er sich nun befand, lächelte unbesonnen. „Du bist … gut!“, musste Nina dagegen atemlos zugeben. „Danke. Ich dachte mir einfach, wir gestalten das Ganze etwas mehr nach meinen Regeln“, erwiderte Nick wesentlich entspannter, als er die Hand dennoch in die Luft hob, „trotzdem erschaffe ich noch ein weiteres Mal das Overlay Network! Aus meinen Stufe 3-Monstern wird ein Rang 3-Monster!“ Die Ratte als brauner und sein Jäger als violetter Lichtstrahl, sie beide stiegen hoch in die Luft auf. Analog dazu öffnete sich das Schwarze Loch nun zum sechsten Male im selben Zug und absorbierte beide. Nick donnerte. „Xyz Summon! Beschütze mich!“ Diesmal ging das Overlay Network förmlich in einer Explosion auf, als sich eine jetartige, violette Kriegsmaschine erhob, von deren Schultern Flugzeugflügel abgingen, an denen sich wiederum Propeller drehten. Vor dem Kampfbomber schwebten zusätzlich zwei massive Zangenhände, die bedrohlich ins Nichts schnappten. Zwei Lichtsphären tanzten um ihn wie Glühwürmchen. „[Wind-Up Zenmaines]!“, benannte jener diesen schließlich.   Wind-Up Zenmaines [ATK/1500 DEF/2100 {3} OLU: 2]   „Damit gebe ich an dich ab“, verkündete der zerzauste Mann im Hawaiihemd, nachdem sein Zug so einige Zeit gekostet hatte. Nina schnaufte durch die Nase. „Na endlich! Ich will sehen, wie der Knirps sich da wieder herauswinden will.“ Jener lächelte nur geheimnisvoll vor sich hin. Nicht eine Karte hatte Nick ihm gelassen. Ob es Xiphos gelingen würde, überhaupt ins Spiel zu finden? „Wir werden sehen“, sagte dieser, die Gedanken seines Gegners hörend. „Egal was es mich kostet“, versprach Nick ihm düster, „ich werde gewinnen.“ Dabei warf er einen finsteren Blick auf die Krähe, Sparkly, auf seiner Schulter. Würde sie ein Hindernis darstellen? Er konnte sich nicht vorstellen, dass Xiphos seine Schattengeister nur der Fairness halber gerufen hatte. Was also beabsichtige dieses Wesen wirklich mit ihm?     Turn 66 – Eli Trotz seines erheblichen Nachteils gelingt es Xiphos binnen weniger Züge, ins Spiel zurückzufinden. Obwohl Nick mit allen Mitteln versucht, die größte Schwäche seines Decks auszugleichen, muss er in seiner zunehmenden Verzweiflung auf unerwartete Hilfe zurückgreifen… Kapitel 71: Turn 66 - Eli ------------------------- Turn 66 – Eli     „Was sollte ich mit dir beabsichtigen?“, fragte Xiphos offen heraus, als er nach seinem Deck griff und aufzog. Noch immer sah er Nick mit diesem neugierigen, dennoch geheimnisvollen Gesichtsausdruck an. Als wüsste er die Antwort auf dessen Gedankengänge nur zu genau.   Die von ihm erschaffene Illusion einer endlosen, flachen Wiesenlandschaft an einem wolkenlosen, blauen Sommertag täuschte. Tatsächlich war es bereits früher Abend, vor einem Moment hatten sie sich noch in Xiphos trister, dunkler Wohnung befunden. Nina, die dem Geschehen zu Nicks Rechten beiwohnte, strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Sie konnte es kaum erwarten, den barfüßigen, brünetten Teenager in Aktion zu sehen. Noch dazu, weil er so normal wirkte, harmlos. Aber das war er nicht, wusste Nick. Nicht, wenn er sich selbst als Freund des Sammlers bezeichnete.   Daher hatte Nick von Anfang an mit vollem Einsatz kämpfen müssen. So hatte seine [Wind-Up Carrier Zenmaity]-Schleife Xiphos sämtliche Handkarten gekostet, sodass er nach seiner Draw Phase nur eine einzige besaß. Dazu verfügte Nick über den violetten Kampfbomber mit den Zangenarmen vor den Tragflächen, um welchen dazu noch zwei leuchtende Sphären rotierten. Wind-Up Zenmaines [ATK/1500 DEF/2100 {3} OLU: 2]   Anders als Xiphos hielt er vier Karten auf der Hand. Da bisher nur Nick am Zug gewesen war und seinem Gegner keinen Schaden zugefügt hatte, blieb der Lebenspunktestand bisher noch unberührt.   [Nick: 4000LP / Xiphos: 4000LP]   „Du hast mich wirklich in Schwierigkeiten gebracht“, gestand der Bursche, dessen hellbraunes T-Shirt bereits deutlich abgetragen war. Seine ganze Erscheinung wirkte verwahrlost, wie Nick sich erst jetzt gewahr wurde. „Du musst dir keine Sorgen um mich machen“, lächelte Xiphos ihn an, „mir geht es gut. Und auch wenn ich im Nachteil bin, bekommst du einen würdigen Gegner.“ Er nahm seine einzige Karte und legte sie auf die Duel Disk. „Ich beschwöre normal: [Qliphort Helix].“ Ein grelles Licht begann weit über ihm zu leuchten. Es formte sich zu einer mehr als merkwürdigen Gestalt. Das hintere Ende wirkte wie eine Glühbirne, von welcher aus sich zwei Stränge wie eine Spirale nach vorne arbeiteten, einer golden, der andere metallisch. Oberhalb der Spitze befand sich an der merkwürdigen, zeppelinartigen Maschine eine Kommandozentrale, die einer Sänfte nicht unähnlich war. „Die sehen alle so seltsam aus, aber keine Bange. Wenn ich Qliphorts ohne Tribute beschwöre, sind sie harmlos und sinken auf 1800 Angriffspunkte sowie Stufe 4 ab.“   Qliphort Helix [ATK/2400 → 1800 DEF/1000 (6 → 4) PSC: <9/9>]   „Da das leider nicht genug ist, um die Verteidigung deines Monsters zu überwinden, beende ich meinen Zug“, sagte Xiphos und fügte noch an, „enttäuschend. Tut mir leid, Nina.“ Die rothaarige Reporterin in ihrem schwarzen Kostüm war so überrascht, dass es ihr glatt die Sprache verschlug. Dann winkte sie heiser ab. „N-nicht doch, so war das gar nicht gemeint!“ Erstaunlich, vor Dämonen hatte sie also Respekt, schoss es Nick grimmig durch den Kopf. „Anders als du, krah!“, hallte es von Nicks Schulter, auf welcher die schwarze Krähe Sparkly saß, tatsächlich aber ein Schattengeist war. Genau wie Snuggly, jenes Federvieh, die auf Xiphos' linker Schulter hockte. „Ja, respektlos, raw!“ Ihre Daseinsberechtigung hatte Nick nach wie vor nicht durchschaut. Doch das interessierte ihn in diesem Moment weniger als die Tatsache, dass sein Gegner ziemlich wenig aus seinem Zug gemacht hatte. Lag es an den nicht vorhandenen Optionen? Zumindest muteten diese Qliphorts ihm seltsam an, wenn sie alle Tributmonster waren, die für Angriffseinbußen in geschwächter Form gerufen werden konnten. Sich davon nicht verunsichern lassend, griff der zerzauste, junge Mann in seinem Hawaiihemd nach der Battle City-Duel Disk an seinem Arm und zog. „Draw!“ Die aufgezogene Falle betrachtend, schob er sie sogleich in den Apparat, sodass sie zischend vor seinen Füßen erschien. „Du bist also ein Freund des Sammlers?“ „Ja“, nickte Xiphos. „Überrascht?“ „Ich wusste nicht, dass der Sammler Freunde hat.“ „Dummerchen. Jeder hat Freunde“, kicherte der Jugendliche, korrigierte sich dann aber grinsend: „Fast jeder.“ Als Nick die nächste Karte ausspielte und auf eine Monsterzone legte, fragte er: „Und über welche Art von Freundschaft reden wir? Gegenseitiger Profit, gute Geschäftsbeziehungen-“ Der Junge unterbrach ihn: „Freundschaft. Du weißt welche Art gemeint ist.“ „Verstehe“, murmelte Nick kaum hörbar, nur um dann zu verkünden: „Normalbeschwörung, [Wind-Up Warrior].“ Jener tauchte vor ihm in Form eines gebeugt stehenden, orangefarbenen Roboters auf, dessen Panzerfäuste größer als sein Kopf waren. Ein goldener Aufziehschlüssel befand sich auf seinem Rücken. Noch während er sich materialisierte, drehte Nick die Karte seines anderen Monsters in die Vertikale. Wind-Up Warrior [ATK/1200 DEF/1800 (4)] Wind-Up Zenmaines [ATK/1500 DEF/2100 {3} OLU: 2]   „Den Modus meines Zenmaines habe ich nicht grundlos gewechselt“, klärte Nick seinen Gegner unterkühlt auf, während Nina mit Zunge an der Oberlippe jedes Detail auf ihrem Notizblock aufschrieb. „Effekt des [Wind-Up Warriors]: Er erhöht den Angriffswert eines Spielzeugs zeitweilig um 600. Und die Stufe um 1, wenn es eine geben sollte …“ Da es aber der Kampfbomber war, der bunt aufzuleuchten begann, hätte sich Nick diesen Hinweis ebenso gut sparen können. Eigentlich hatte er das auch nur gesagt, da Nina es garantiert festhalten und ihre Finger damit nur umso mehr glühen würden.   Wind-Up Zenmaines [ATK/1500 → 2100 DEF/2100 {3} OLU: 2] Als Xiphos den Kopf leicht in den Nacken legte, schnappte Nick: „Kein Wort dazu. Wir wollen doch ihre Gefühle nicht verletzen.“ Kurz huschte ein breites Lächeln über Xiphos' Lippen. Vielleicht weil er in diesem Moment genau hörte, wie Nick seine eigene Entscheidung infrage stellte, Nina mitgenommen zu haben. Wenn er sie hier offensichtlich nicht gegen Macht eintauschen konnte, hätte er sie auch gleich in Livington lassen können … „Mieses Stück, kraw!“, krächzte Sparkly von seiner Schulter, sodass der hochgewachsene Mann zusammenfuhr und Xiphos entschuldigend mit den Schultern zuckte, als Nick ihn böse anstarrte. „Damit kann ich leben“, murrte dieser und schwang den Arm aus, „vielleicht solltest du dein Augenmerk eher auf deinen Meister richten. Angriff, Zenmaines! Wind-Up Air Strike!“ Jener stieg in einer immer steiler verlaufenden Kurve in die Luft auf und fegte schließlich über das seltsame Gebilde, das [Qliphort Helix] darstellte, hinweg. Aber nicht, ohne einen Gruß in Form eines Bombenhagels dazulassen. Eine heftige Explosion erschütterte die Idylle. Und Xiphos lächelte geheimnisvoll.   [Nick: 4000LP / Xiphos: 4000LP → 3700LP]   Kaum war der Jet zurückgekehrt, zeigte Nick bereits mit ausgestrecktem Finger auf seinen barfüßigen Gegner. „Direkter Angriff, [Wind-Up Warrior]!“ Nun vollkommen schutzlos, ließ der brünette Junge den Faustschlag über sich ergehen, den ihm der Krieger in die Magengrube versetzte. Und auch wenn Nick sich nicht einmal die Mühe gemacht hatte, die Sicherheitsvorkehrungen an seiner Duel Disk zu deaktivieren, sah es doch so schmerzhaft aus, dass Nina ein leiser Aufschrei entfuhr.   [Nick: 4000LP / Xiphos: 3700LP → 2500LP]   Und seine übrigen drei Handkarten und die gesetzte Falle vor sich begutachtend, entschied Nick, dass er fürs Erste genug Druck ausgeübt hatte. Xiphos befand sich immer noch in derselben, unangenehmen Lage. Und das würde sich nie wieder ändern … „Zug beendet.“ Damit verlor Zenmaines über ihm seinen bunten Glanz.   Wind-Up Zenmaines [ATK/2100 → 1500 DEF/2100 {3} OLU: 2]   „Und wie wird man zum Freund des Sammlers?“, fragte Nick provokativ nach und verschränkte dabei die Arme. „Was machen solche wie ihr zusammen? Geht ihr ins Kino und seht euch Filme an wie: 'Die Zerstörung der Welten' oder 'Wie werde ich sie in 100 Tagen los'?“ Xiphos zog seelenruhig auf. Er lächelte nicht mehr. Und gerade als Nick erwartete, eine nicht weniger schnippische oder wenigstens eine drohende Antwort zu erhalten, bekam er … gar nichts. Seine aufgezogene Karte zwischen Zeige-, Mittel- und Ringfinger hin und her drehend, senkte der Jugendliche sein Haupt. „Habe ich deine Gefühle verletzt?“, konnte Nick die seinen nicht im Griff halten. Stattdessen wurde er immer lauter und aggressiver, bis er förmlich schäumte. „Wenn ja, hoffe ich, dass es in dir brennt wie Feuer. So wie es in mir, in Abby, in Valerie, in Zanthe und in allen anderen brennt, weil wir Angst um unsere Freundin haben!“ „Ich kann dir nicht helfen, sie zu retten“, sagte Xiphos leise. „Ein Versuch wäre Verrat an meiner Freundschaft mit Strife.“ Nick, der schwer atmete, strich sich über die Stirn und sagte nichts. Und als beide nicht mehr den Ansatz machten, das Gespräch aufzunehmen, streckte der Kleinere plötzlich seine Duel Disk vor sich aus. Und wie aus dem Nichts schossen zwei zusätzliche Kartenzonen an den Enden der Monsterzonen heraus, welche Nick noch nie gesehen hatte. „Ich aktiviere [Qliphort Scout] als Zauberkarte“, rief Xiphos plötzlich so gut gelaunt, als wäre nichts gewesen. Es handelte sich dabei um eine gelb-grüne Karte, die in der rechten der neuen Zonen platziert wurde. Zu seiner Rechten schoss eine blaue Lichtsäule aus dem Boden, welche eine nicht weniger seltsame Kreatur als die vor ihr in die Luft hievte: ein ovales Flugschiff, das vorne spitz zulief und nur ganz an seinem Ende je zwei spitze Ausläufe besaß, die aber kaum Flügel sein konnten. Eine goldene Sphäre war in seiner Mitte eingelassen und strahlte beständig. „Das ist …“, murmelte Nick nachdenklich.   Xiphos' Pendelbereich <9>   Wie selbstverständlich brachte Xiphos seine Überlegungen zu Ende. „Neu für dich, ich weiß. Ich benutze Scouts Effekt und zahle 800 Lebenspunkte, um an eine Qli-Karte aus meinem Deck zu kommen.“ Inzwischen hatte das Konstrukt seinen Höhepunkt erreicht, sodass nun unter ihm eine verzerrte 9 aufzuflackern begann. Genau wie das ganze Schiff, als Xiphos seine Worte gesprochen hatte.   [Nick: 4000LP / Xiphos: 2500LP → 1700LP]   Ohne Vorwarnung schob sich eine einzelne Karte aus dem Deck des Burschen hervor, welche dieser aufnahm. „Es ist [Qliphort Monolith] und auch ihn aktiviere ich wie eine Zauberkarte.“ „Pendel“, raunte Nick ärgerlich, als links neben seinem Gegner eine zweite, blaue Lichtsäule aus dem Boden brach und dieses Mal eine unglaublich riesige, längliche Steintafel nach oben hob, die mit einem rot strahlenden Zickzack-Muster versehen war.   <1> Xiphos' Pendelbereich <9>   Zwischen den beiden obskuren Maschinen in der Luft bildete sich ein kreisrundes Loch, umgeben von dutzenden Energieellipsen. Xiphos rief: „Pendulum Scale set!“ Ein einzelner, roter Lichtstrahl schoss aus dem Portal und manifestierte sich über dem jungen Mann. „Pendulum Summon! Vom meinem Extradeck: [Qliphort Helix]!“   Qliphort Helix [ATK/2400 → 1800 DEF/1000 (6 → 4) PSC: <9/9>]   „Wahnsinn! Das ist das erste Mal, dass ich das sehe!“, staunte Nina ehrfürchtig. Er hätte es wissen müssen, tadelte sich Nick selbst, schon als er sich nicht sicher gewesen war, was für Karten sein Gegner vorhin abgeworfen hatte. Nun hatte er die Antwort dazu. Zwar kannte er die Pendelmonster nur in der Theorie, war sich ihrer Stärken aber durchaus bewusst. Dieses Duell war gerade um einiges anspruchsvoller geworden … „Natürlich“, schnarrte er, um seine Anspannung zu überspielen, „es mir einmal einfach zu machen wäre auch zu viel verlangt gewesen.“ „Nichts im Leben ist einfach“, kommentierte sein Gegner dies mit Nachdruck. „Außer man macht es sich leicht, indem man die Augen verschließt“, setzte Nick nach. „Manche Bilder verschwinden selbst dann nicht.“ Der brünette Jugendliche lächelte geheimnisvoller denn je. Dann legte er den Kopf leicht schief. „Also dann, ich greife mit [Qliphort Helix] deinen [Wind-Up Warrior] an. Spiral of Avarice!“ Nick war aber schneller, betätigte er doch den Knopf an seiner Duel Disk, welche die Falle hochklappen ließ. „Mach das, aber nicht mit meinem Krieger. [Zenmaiday]! Diese Karte lässt mich einmal pro Zug eines meiner Wind-Ups zu einem Xyz-Material für ein Maschinen-Xyz-Monster machen!“ Und noch während sich die Energie in dem Flugschiff entlang der beiden Spiralen auflud, verwandelte sich der orangefarbene Warrior in eine leuchtende Sphäre, die sich zu den anderen beiden gesellte, welche um den Kampfjet kreisten.   Wind-Up Zenmaines [ATK/1500 DEF/2100 {3} OLU: 2 → 3]   „Was ist?“, fragte Nick provokativ mit ausgestreckten Armen, als Xiphos stumm lächelnd da stand und schwieg. „Da sich die Zahl meiner Monster auf dem Feld verändert hat, erfolgt ein Replay. Und wenn ich das richtig sehe ist mein Monster von den Werten her im Nachtteil.“ „Vergiss es, Xiphi greift nicht an, kraw!“, raunte die Krähe Sparkly auf Nicks Schulter. „Nie. Nie, raw!“, blies Snuggly auf der seines Gegenüber ins selbe Horn. Jener winkte letztlich auch mit der Hand ab. „Nein, Nick. Wir wissen doch beide, dass das genau das ist, was du willst. Dazu muss ich nicht einmal deine Gedanken hören. Ich beende meinen Zug.“ „War das so offensichtlich? Jammerschade“, gab sich ebenjener nicht einmal Mühe, seine mangelnde Überraschung zu verbergen. „Aber Feigheit ist wohl das, was dich auszeichnet.“ Sofort holte Nina mit dem Fuß aus und trat Nick gegen das Schienbein. Jener wich unter einem Schmerzschrei zurück und sah sie irritiert an. „Willst du uns umbringen, du Trottel!? Das ist ein Dämonenlord! Beleidige ihn gefälligst nicht, nur weil du nicht bekommst was du willst!“ „Ist schon okay, Nina“, schenkte Xiphos ihr ein vergnügtes Grinsen. „Du hast es treffend zusammengefasst. Ich sage nicht, was er hören will, also ändert er seine Strategie. Eindringliche Anschuldigungen, nun das Provozieren von Rechtfertigungen durch Beleidigung. In diesem Moment dürfte er bereits nach einem Weg suchen, wie er mich erpressen könnte.“ Gerade wollte Nick wutentbrannt widersprechen, da hob der Bursche den Zeigefinger. „Und nein, Nick, denk nicht einmal dran. Sparkly ist nicht so harmlos wie du denkst.“ „Genau!“, beteuerte die nickend. Schnaubend wandte sich Anyas Halbbruder daraufhin von Nina ab, die ihn mit ihrem strengen Blick regelrecht durchbohrte. „Sind wir jetzt hier, um ein Psychoprofil von mir zu erstellen?“ „Vielleicht ist unser Treffen aus genau diesem Grund erfolgt“, überlegte Xiphos mit einem geheimnisvollen Unterton. „Hast du jemals daran gedacht, dass du vielleicht das bist, was du selbst als 'böse' bezeichnest?“ Nick blieb ihm die Antwort darauf schuldig und starrte den Dämon nur sprachlos an. „Was du anderen Menschen bereit bist anzutun, nur um deine selbstsüchtigen Ziele zu verfolgen, stellt so manchen 'Dämon' in den Schatten.“ Dass Xiphos' Blick bewusst auf Nina lag, versetzte dem Größeren einen kleinen, aber feinen Stich in die Magengegend. Trotzdem konnte er das nicht so stehen lassen. „Ich bin nicht selbstsüchtig! Alles was ich tue, tue ich allein für Anya!“ „Eben. Nicht für die ganze Welt, wie du es mir gegenüber vorgeben wolltest. Es ist schade, dass ausgerechnet du hierher finden solltest.“ Plötzlich schwang in Xiphos' Worten Enttäuschung mit. Aufrechte Enttäuschung. „Mit dir konnte ich mich schon immer am allerwenigsten identifizieren.“ „Mit wem du dich identifizieren kannst ist mir scheißegal. Mir zu helfen und den Sammler zu stürzen bedeutet, der Welt einen Gefallen zu tun. Wen schert es, ob ich es aus egoistischen Gründen will oder nicht? Das Ergebnis ist dasselbe.“ Der Junge schüttelte den Kopf. Ernst erwiderte er: „Das ist es nicht, Nick. Und weil du das nicht begreifst, kann ich dir nicht helfen, selbst wenn ich wollte. Aber was ist mit dir? Weißt du noch, wer du wirklich bist? Wo ist die Grenze zwischen Nick Harper und Eli Bauer?“ Ohne es zu wollen, weckten Xiphos' Worte Erinnerungen. Eine Szene, die Nick mit aller Macht aus seinem Gedächtnis hatte verdrängen wollen.   Er biss die Zähne so fest zusammen wie nur irgendwie möglich. Obwohl er das Schmerzmittel bereits eingenommen hatte, entfaltete sich dessen Wirkung noch nicht. Das Brennen an seinem Arm, dort wo er die Säure vom Angriff der 'anderen' Valerie abbekommen hatte, es brachte ihn fast um den Verstand. Nick beugte sich von dem Rand seines Bettes nach vorn, wippte dann aber nach hinten zurück. Von unten drang die nervige Dudelmelodie des Vorspanns der Show 'Das große Millionenquiz' an sein Ohr. Anya, Matt, Zanthe und seine Mutter vergnügten sich bereits seit Stunden köstlich vor der Flimmerkiste. In seinem weißen Hemd aufrecht sitzend, betrachtete er den von Blut durchtränkten, linken Ärmel, sich einredend, dass es nicht so schlimm war wie es auf den ersten Blick aussah.   Nick erhob sich ruckartig und eilte zur Tür, mit dem Entschluss, Anya von seinen Entdeckungen zu berichten. Doch als schon die Hand auf der Klinke lag, zögerte er. Weil etwas ganz anderes sich in sein Herz schlich. Zweifel. Ihr von einer Valerie-Kopie zu erzählen würde ihm leicht fallen. Aber eines Tages, eines Tages musste er die Wahrheit sagen. Über sich. Und dass auch er gewissermaßen nur eine Fälschung war. Wie würde sie dann reagieren? Mit Hass und Zurückweisung, denn das war die einzig logische Schlussfolgerung. Anya war keine Abby, sie war nicht so naiv und vergebend. Er hatte ihr damals, als sie sich ausgesprochen hatten, gesagt, er habe ihr die ganze Wahrheit über sich erzählt. Noch einen Vertrauensbruch würde seine Schwester nicht verkraften. Und so ließ Nick die Klinke wieder los, schlurfte zurück und setzte sich an den Rand seines Bettes.   Alles, was ihm blieb, war Nick zu bleiben. Eli gab es nicht mehr. Eli war tot. Langsam legte er seine Hände an den Kopf. Versuchte sich an all das zu erinnern, was der echte Nick ihm über dessen Zeit mit Anya erzählt hatte. Bilder entstanden vor Nicks innerem Auge, wie er sich begann einzureden, er selbst habe all das erlebt. „Ich bin Nick Harper“, murmelte er und begann vor und zurück zu wippen. Da waren sie, als kleine Kinder. Er schenkte ihr einen bunten Strauß Blumen, den er aus dem Garten seiner Mutter gerupft hatte. Die Wurzeln waren noch dran. Anya sagte ihm, dass sie Blumen hasste. „Ich bin Nick Harper.“ Sie waren im Unterrichtsraum für Biologie und er zog die damals zwölfjährige Anya damit auf, dass sie niemals Brüste haben würde. „Ich bin Nick Harper.“ Feuer. Überall. „Ich bin Nick Harper.“ Er ließ den Benzinkanister sinken. Der Körper, der vor ihm lag, stand bereits lichterloh in Flammen. „Ich bin Nick Harper.“ Da saß er. Sein Ebenbild. Und erzählte, dass er Anya bald gestehen wolle, wie verliebt er in sie war. „Ich bin Nick Harper.“ So ein Idiot hätte nie eine Chance bei jemandem wie Anya. Aber der hatte das nicht begriffen, denn er war ja ein dummer, dummer Junge. „Ich bin Nick Harper.“ Und alles, was dieser Typ jemals gefühlt hatte, das fühlte jetzt er an seiner Statt. Denn … „Ich bin Nick Harper.“ In diesem Moment ließ Nick sich mit einem glücklichen Lächeln rückwärts aufs Bett fallen. Und selbst der Sammler würde das nicht ändern können, egal ob er versuchte ihn zu ermorden oder nicht. „Ich bin Nick Harper.“   Nur nebenbei bekam Nick mit, wie Nina ihn verwirrt ansah. „Wovon redet er da, wer ist Eli Bauer?“ „Nick“, erklang im selben Augenblick Xiphos' Stimme, „wenn Strife dich tot sehen wollte, wärst du es längst.“ Ruckartig blickte der optisch Ältere auf, war wieder in der Realität angelangt. Und setzte ein unterkühltes Lächeln auf. „Im Moment verlasse ich mich darauf, dass ich ihm für seinen Plan nützlich bin. Aber irgendwann werde ich entbehrlich sein. Und dann weiß ich zu viel.“ Xiphos sah ihn mitleidig an. „Du weißt gar nichts, Nick Harper.“   „Ich bin am Zug“, erwiderte dieser vollkommen von seiner vorherigen Wut losgelöst und zog blitzschnell auf. Für ihn war der Fall klar. Dieser Dämon versuchte ebenfalls, seinen Willen durchzusetzen. Durch Ablenkung. Also entschied Nick, dass es an der Zeit war, die Ohren auf Durchzug zu stellen und mit dem zu kämpfen, was ihn wahrlich ausmachte: Seine Fähigkeiten. „Nick Harper besitzt solche nicht. Nur Eli Bauer.“ Doch selbst Xiphos musste in diesem Moment wissen, dass diese Worte an Nick abprallten wie Regen an einer Fensterscheibe. Leider musste Nick beim Anblick seiner vier Handkarten feststellen, dass Fähigkeiten allein manchmal nicht ausreichten. Er sah sich einem alten Problem gegenüber gestellt: Keines seiner verfügbaren Monster würde mit [Qliphort Helix] im Kampf fertig werden. Aber Nick wäre nicht Nick, wenn er nicht trotzdem einen Vorteil aus so einer Situation ziehen könnte. Wenn die Offensive zu wünschen übrig ließ, so dachte er mit einem verschmitzten Grinsen gegenüber Xiphos, musste eben die Verteidigung perfekt sein. Und schwupp war sein Zenmaines in die Verteidigungsposition gedreht.   Wind-Up Zenmaines [ATK/1500 DEF/2100 {3} OLU: 3]   „Ich führe eine Normalbeschwörung durch“, verkündete Nick gut gelaunt, „[Wind-Up Bat].“ Während die schwarze Spielzeugfledermaus über ihm wild flatternd auftauchte, warf Nina dem jungen Mann einen fragenden Blick zu. „Kindchen, ist alles in Ordnung mit dir?“ „Alles bestens, Nina.“ „Wieso bist du plötzlich so …“ „Fröhlich?“, beendete Nick die Frage und legte seine Finger auf die Karte seines neuen Monsters. Die Rothaarige nickte mit skeptischem Gesichtsausdruck. Und der Hochgewachsene riss [Wind-Up Bats] Karte förmlich in die Horizontale. „Einfach so.“ „Einfach … so …“, wiederholte Nina die Worte ungläubig. „Einfach so“, tat es Nick ihr gleich und richtete das Wort an Xiphos. „Ich kann, nebenbei bemerkt, meine Fledermaus in die Verteidigung drehen. Dafür erhalte ich eines meiner Spielzeuge aus der Mottenkiste.“   Wind-Up Bat [ATK/300 DEF/350 (1)]   Kaum hatte sich die Fledermaus den [Wind-Up Shark] von Nicks Friedhof mit ihren Fängen geschnappt und jenem überreicht, schwang ihr Meister den Arm aus. „Und jetzt der Effekt von [Zenmaiday]!“ Womit das Spielzeug sich in eine nunmehr vierte Lichtkugel verwandelte und Zenmaines zu umkreisen begann.   Wind-Up Zenmaines [ATK/1500 DEF/2100 {3} OLU: 3 → 4]   „Was wird das!?“, beklagte sich Nina über Nicks Handhabung seiner Karten. „Willst du nicht auf ihn losgehen, er ist doch fast wehrlos!“ „Alles Strategie, Nina“, versicherte Nick ihr freundlich. Damit nahm er eine Fallenkarte aus seinem Blatt und legte sie in die Duel Disk ein, sodass sie zischend neben seiner aufrecht stehenden erschien. „Die lasse ich hier. Zug beendet.“   Xiphos schmunzelte. Und sagte während des Ziehens: „Wie du meinst. Draw.“ Sofort im Anschluss streckte er den Arm in die Höhe, deutete mit dem Finger auf das ovale Flugschiff in der blauen Lichtsäule rechts neben ihm. „Für 800 Lebenspunkte erhalte ich eine Qli-Karte von meinem Deck.“ „[Qliphort Shell]!“, krächzte Snuggly auf seiner Schulter. Die Karte schob sich aus der Battle City-Duel Disk hervor, wodurch der einen Kopf Kleinere sie nur noch aufzunehmen brauchte.   [Nick: 4000LP / Xiphos: 1700LP → 900LP]   „Er erholt sich ziemlich schnell von deinem Schlag, Kindchen“, zischte Nina ihrem Begleiter nervös zu, betrachtete die beiden Handkarten des Jungen aus den Augenwinkeln. „Auf Kosten seiner Lebenspunkte. Wieso soll ich die Schlacht schlagen, wenn er das selbst übernimmt?“ Auf Nicks unbekümmerte Aussage hin verschränkte die Reporterin die Arme. „Hmpf! Übernimm dich bloß nicht. Egal wie clever du bist, der da … ist cleverer. Das hab ich im Urin.“ „Und den behalten Sie bitte in sich, Nina“, verwies Nick sie mit klarem Unterton, „alles ist bestens.“ „Das soll es aber nicht, Herrgott!“, explodierte die urplötzlich und stampfte auf. „Ich bin hergekommen, um etwas Action zu sehen, keine verdammte Seifenoper!“ Das schallende Gelächter des Jungen auf der anderen Spielfeldseite unterbrach den kleinen Streit der beiden prompt. Xiphos sagte: „Für ein wenig Unterhaltung kann ich gerne sorgen.“ Sogleich streckte er den Arm aus. Zwischen den beiden Lichtsäulen öffnete sich das Portal, um welches sich die unzähligen Ellipsen schlossen. „Pendulum Summon! Von meiner Hand!“ Ein roter Lichtblitz schoss aus dem Portal und manifestierte sich neben dem [Qliphort Helix] als flaches Flugschiff, einem Diskus gleich, dessen Oberfläche in den Farben des Regenbogens strahlte. „Stufe 7, [Qliphort Disk]!“, benannte es Xiphos.   Qliphort Disk [ATK/2800 → 1800 DEF/1000 (7 → 4) PSC: <1/1>]   „Oh, jetzt hat er zwei Monster derselben Stufe“, giggelte Nina aufgeregt und machte sich wieder mit der Hüfte wackelnd ans Notieren, „Xyz-Boss incoming!“ „Leider nicht, Nina“, stellte der Dämon jedoch freundlich klar, „solange ein Qli-Pendelmonster aktiv ist, kann ich nichts anderes beschwören, außer den Bestandteilen des Qliphots. Und da es keine Qli-Xyz-Monster gibt …“ Nick stöhnte. „Ich weiß längst, was du vorhast. Das da ist nicht das Monster, welches du deiner Hand hinzugefügt hast.“ Und es gab nur eine Form der Beschwörung, bei der diese Kreaturen ihre Kraft beibehielten. „Richtig“, entgegnete Xiphos und nahm die beiden Monster von seiner Duel Disk, „ich biete meine Monster als Opfer dar!“ Statt sie in den Friedhofsschlitz zu jagen, schob er Helix und Disk in den Extradeck-Slot, wie es sich für Pendelmonster gehörte. Beide lösten sich am Himmel auf, wurden zu blauen Funken. „Tributbeschwörung! Erhebe dich, [Qliphort Shell]!“ Jene stieg hinter Xiphos in die Höhe. Es handelte sich um ein muschelförmiges Gebilde, eine Maschine, an der sich zu allen Seiten spitz zulaufende Fortsätze befanden.   Qliphort Shell [ATK/2800 DEF/1000 (8) PSC: <9/9>]   Eine interessante Mischung, befand Nick. Ein Deck, das Tributbeschwörungen benutzte, obwohl es mit einem so großen Pendelbereich davon völlig unabhängig sein sollte. „Es ist gewissermaßen ein Widerspruch des Konzepts“, befand auch Xiphos, „aber gerade das macht dieses Deck so eindrucksvoll. Sieh her.“ Als schemenhaftes Gebilde tauchte [Qliphort Helix] über dem neuen Schiff auf und feuerte einen Lichtstrahl quer hinab auf Nicks gesetzte Karte, die sofort explodierte. Der junge Mann wich erschrocken zurück. „Diese Monster haben verschiedene Funktionen. [Qliphort Helix] ist beispielsweise dafür geschaffen, als Tribut angeboten zu werden. Wenn das passiert, zerstört es eine Zauber- oder Fallenkarte auf dem Spielfeld.“ Nick runzelte ärgerlich die Stirn, wie vor ihm der Rauch seiner verlorenen Karte aufstieg. „Und dann gibt es diejenigen unter ihnen, die am besten funktionieren, wenn sie per Tribut gerufen wurden“, erklärte Xiphos weiter und hob die flache Hand, „wie [Qliphort Shell]. Greife [Wind-Up Zenmaines] an! Rejection Sequence!“ „Jetzt geht’s endlich lo-hos!“, fieberte Nina dem Angriff entgegen. Anders als Nick, der schluckte. Was würde ihn erwarten, ein fataler Schlag, wie damals im Duell gegen Valerie 2.0? Das war vermutlich noch ein sanftes Streicheln im Vergleich zu dem, was Xiphos anzurichten vermochte. Ihm gefiel jedenfalls nicht, dass diese mechanische Kampfmuschel sich um die eigene Achse zu drehen begann. Und einen pinkfarbenen Laserstrahl auf seinen Kampfbomber abfeuerte! Zwar kreuzte Nick die Arme vors Gesicht, verkündete jedoch selbstbewusst: „Wenn du denkst, dass dieser Angriff Zenmaines zerstören wird, liegst du falsch. Stattdessen kann ich-!“ „Ich weiß“, erwiderte Xiphos ihm lächelnd. Schon schlug der Lichtstrahl in dem Kampfbomber ein, der zurückgeschleudert wurde, doch ansonsten unbeschadet blieb. Dabei absorbierte er eines seiner vier Xyz-Materialien.   Wind-Up Zenmaines [ATK/1500 DEF/2100 {3} OLU: 4 → 3]   [Nick: 4000LP → 3300LP / Xiphos: 900LP]   Ziemlich überrascht starrte Nick das Display seiner Duel Disk an, welches seine Lebenspunkte angab. „Ich hätte es vermutlich erwähnen sollen, aber [Qliphort Shell] fügt Durchschlagschaden zu.“ Der zerzauste Zwei-Meter-Mann im Hawaiihemd aber schnalzte nur abfällig mit der Zunge. „Und sie kann zweimal pro Battle Phase angreifen, kraw“, fügte Sparkly belehrend hinzu, sodass Nick doch ein überraschter Laut entwich. Die Maschine in der Luft drehte sich munter weiter und feuerte von seiner unteren Spitze einen zweiten, pinken Laserstrahl auf den Bomber ab. Dieser absorbierte wieder eine der um ihn kreisenden Sphären, ehe er in einer Explosion unterging.   Wind-Up Zenmaines [ATK/1500 DEF/2100 {3} OLU: 3 → 2]   [Nick: 3300LP → 2600LP / Xiphos: 900LP]   Und unversehrt vor Nick wieder auftauchte, welchem der ganze Rauch entgegen schlug. Zu seiner eigenen Überraschung musste der junge Mann jedoch feststellen, dass er unverletzt geblieben war. „Habe ich je eine Absicht dieser Art angedeutet?“, fragte Xiphos geradezu unschuldig grinsend. Nein, dachte Nick säuerlich. Aber er wünschte sich, dass sein Gegner es getan hätte. Es fühlte sich nicht richtig an, irgendetwas stimmte da nicht! „Das ist deine Meinung, Nick. Es ist nicht das eingetreten, was du erwartet hast. Statt aber froh darüber zu sein, dass deine Vorurteile nicht erfüllt wurden, suchst du krampfhaft nach einem Weg, sie auf andere Weise zu bestätigen. Warum?“ „Ich kenne eure Methoden! Und ich wäre nicht hier, würdest du nicht irgendetwas mit mir beabsichtigen!“ „Was kennst du denn? Wie vielen von uns bist du begegnet, um dir ein Urteil erlauben zu können?“ Nick schnappte nach Luft, aber Xiphos ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Und bist du nicht aus eigenem Antrieb hier? Habe ich dich zu mir befohlen oder warst du es, der mich gesucht hat?“ Er konnte nicht anders, musste eine Faust bilden. Denn um eine Antwort auf diese Fragen war er verlegen. Und dieser Junge, er lächelte. Wie immer. „Ich verstehe es. Als du nichts hattest, hat der Hass dich angetrieben. Das ist immer so, wenn du nicht weiter weißt. Dann lässt du den Hass sprechen, weil er dich immer am Leben gehalten hat. Daher hasst du mich an -seiner- Statt.“ Luft durch die Nase blasend, murmelte Nick: „Ich würde es vorziehen, wenn wir unser Gespräch auf das Duell beschränken könnten.“ Wieder diese Mundwinkel, die immer nach oben verzogen waren. „Es tut mir leid, dir das zu sagen, Nick. Aber … keine Kraft der Welt könnte dir helfen, deine wahren Probleme zu lösen. Ich beende meinen Zug.“ Sofort schwang sein Gegner energisch den Arm aus. „Im Moment habe ich nur ein Problem und das wäre dein Monster. Aber darum kümmert sich jetzt [Wind-Up Zenmaines]!“ Plötzlich löste sich der Kampfbomber mit einem Ruck von seiner Position und fegte in hoher Geschwindigkeit auf das muschelförmige Gebilde über Xiphos zu. „Wenn Zenmaines es geschafft hat, der Zerstörung dank seines Effektes zu trotzen, kann -ich- am Ende eine Karte zerstören!“ In seinem Flug über das seltsame Objekt ließ Zenmaines in seinen Zangenhänden Torpedos mit Gesichtern erscheinen, die er direkt über [Qliphort Shell] fallen ließ. Doch bevor sie jene überhaupt erreichten, schlug sie auf einem unsichtbaren Energiefeld auf und explodierten. Nick stand wie angewurzelt da. „Ich weiß, Nick. Aber Qliphorts sind immun gegen die Effekte aller Monster, deren Rang oder Stufe unterhalb ihrer eigenen liegt. Es gibt also nicht eine Monsterkarte in deinem Deck, die es in dieser Hinsicht mit meinen aufnehmen könnte.“ Nick knirschte regelrecht mit den Zähnen, als sein Spielzeug-Jet zu ihm zurückkehrte. „Und noch etwas“, fiel es Xiphos ein. Im selben Augenblick begann ein rotes Licht entlang der gezackten Linien des [Qliphort Monoliths] zu seiner Linken zu verlaufen. „Für jedes als Tribut angebotene Qliphort darf ich während der End Phase eine Karte ziehen, solange Monolith in einer Pendelzone liegt.“ In seiner garantiert unechten, kindlichen Unbekümmertheit zog der Bursche zwei Karten und grinste breit. Erst jetzt begriff Nick, dass seine Kombo im ersten Zug keine Bedeutung mehr hatte. Und da dieser Bengel Zug um Zug die geopferten Pendelmonster zurück aus seinem Extradeck beschwören konnte … „… musst du dieses Duell so schnell wie möglich gewinnen. Sonst bist du es bald, dem nichts mehr bleibt. Einen kleinen Vorgeschmack bekommst du bereits: Ich aktiviere den Schnellzauber [Space Cyclone].“ Die Karte wurde von Xiphos' in dessen Duel Disk geschoben und prompt zischte ein blauer Wirbelsturm vom Himmel über Nicks Spielfeld hinweg. Dabei nahm er eine der zwei verbliebenen Lichtsphären mit, die um [Wind-Up Zenmaines] kreisten.   Wind-Up Zenmaines [ATK/1500 DEF/2100 {3} OLU: 2 → 1]   Nick biss sich auf die Lippe. Wirklich clever, den Schnellzauber zu aktivieren, solange er noch die Zeit dazu hatte, dachte er dabei. Das machte die ganze Sache noch komplizierter, denn er brauchte jede einzelne Overlay Unit. „Ich weiß. Deswegen habe ich es ja getan“, strahlte Xiphos ihn an. „Natürlich“, knurrte Nick und griff nach seinem Deck. Mit Schwung zog er seine vierte Handkarte auf. „Draw!“ Seine Hand betrachtend, erkannte Nick, dass ihm mit diesem einen Xyz-Material die Chance zum Sieg genommen worden war. Zwar besaß er noch eine ganz bestimmte Zauberkarte, aber die würde er nicht benutzen können, da sie die Aktivierung des Effekts eines Xyz-Monsters vorschrieb. Und genau daran würde es letztlich scheitern. Nick durchlief verschiedene Szenarien in seinem Kopf, aber sie alle endeten in einer Sackgasse: Er würde die Bedingungen, die Karte zu aktivieren, nicht erfüllen. In manchen gar nicht, in anderen nicht rechtzeitig. Nein, so konnte er die Sache nicht angehen. „Ich beschwöre [Wind-Up Shark]“, entschied er sich daher für sein einziges Monster auf dem Blatt, welches in Form eines blauen Metallhais vor ihm auftauchte. Und Sekunden später schon die Gestalt einer leuchtenden Kugel annahm, die um Zenmaines kreiste. „Dank [Zenmaiday] transformiere ich ihn in eine Overlay Unit. Und da man davon nie genug haben kann, aktiviere ich [Overlay Regen].“ Kaum hatte Nick den Zauber in die Duel Disk gerammte, sprang jene vor ihm auf und verwandelte sich ebenfalls in ein Xyz-Material, sodass diese nun zu dritt den Kampfbomber umschwirrten wie die Motten das Licht.   Wind-Up Zenmaines [ATK/1500 DEF/2100 {3} OLU: 1 → 3] Xiphos kniff kurz die Augen zusammen. „Ist nicht so einfach, stimmt's?“ „Ja. Weil du alles versuchst, um mir in die Quere zu kommen“, schnarrte Nick missbilligend. „Aber ich verrate dir etwas: Immer wenn jemand glaubt, mich am Boden zu wissen, zaubere ich noch ein Ass aus dem Ärmel.“ „Und wenn keines mehr übrig ist, erschaffst du dir ganz einfach welche.“ Nick wusste genau, worauf dieser kleine Mistkerl anspielte. Umso wichtiger war es, nicht drauf einzugehen. Er hatte schon viel zu lange geredet! „Bis dahin ist noch Zeit. Versuchen wir es zunächst mit meinem ersten Ass: Den zweiten Effekt von [Zenmaiday]! Und der rekonstruiert das Overlay Network für mich!“ Ein schwarz-goldener Galaxienwirbel öffnete sich inmitten des Spielfelds. Nicks Zenmaines manövrierte sich oberhalb des Stroms und tauchte in diesen ein, bis er vollkommen verschwunden war. Elektrische Entladungen stiegen empor und mit ihm ein großer Roboter, weißgrün lackiert. „Damit wird das alte Xyz-Monster zu einer Overlay Unit für ein neues Wind-Up-Xyz-Monster, dessen Rang um 1 höher liegt als der des alten. Sieh her, Xyz Summon! Zeige deine Stärke, [Wind-Up Zenmaister]!“, brüllte Nick förmlich. Kaum war seine Kriegsmaschine dem Wirbel entsprungen, schloss dieser sich. Der Zenmaister besaß vier Düsenantriebe als Beine und ballte seine Hände zu Fäusten. Ganze vier Lichtkugeln umkreisten ihn dabei, verpassten ihm hin und wieder stärkende Stromstöße. Wind-Up Zenmaister [ATK/1900 → 3100 DEF/1500 {4} OLU: 4]   Xiphos sah ihn nachforschend an. „Du hast viel in dieses Monster investiert.“ „Du kannst mich sabotieren so oft du willst, ich finde immer einen Weg, mich zurückzukämpfen“, schnarrte Nick entschlossen, „du hast ein Monster, das stärker ist als alles, was mein Deck zu bieten hat? Dann finde ich einen Weg, ein noch besseres zu rufen! Zenmaister ist schwach, ja, aber er erhält 300 Punkte für jedes Xyz-Material, das er besitzt. Deshalb der ganze Aufwand!“ Ziemlich überrascht von der Ansprache, zischte Nina ihm zu: „Wem willst du was beweisen? Wir alle wissen doch, dass du gut bist.“ „Ach ja!?“ Wen gab es denn schon, der das wusste, fragte sich Nick bitter. Er hatte sich bisher immer nur denen beweisen müssen, die stärker waren als er: Drazen, Kali, die 'andere' Valerie, Xiphos … und außer Anya und Abby wusste vermutlich niemand, wie geschickt er sein konnte. „N-natürlich“, stotterte Nina erschrocken, wie er ihr den Kopf zuwendete und ansah, als würde er ihr gleich an die Kehle springen, „d-damals, als wir uns mit Drazen duelliert haben, hast du nur wegen mir verloren.“ Sofort wich der Zorn aus Nicks Zügen. Nina seufzte und zuckte mit den Schultern: „Ja, ich weiß, ich bin eine schlechte Duellantin und hätte mich nicht einmischen dürfen! Deswegen habe ich es diesmal auch gelassen. Konnte ja nicht ahnen, wie das an deinem Ego kratzt …“ Ein schwaches Lächeln huschte über die Lippen ihres Gegenüber. „Ich … wusste es auch bis eben nicht. Mir ist nur klar geworden, dass es wenige gibt, die mich je in Aktion gesehen haben.“ „Das muss doch nicht immer so bleiben“, nuschelte Nina, für ihre Verhältnisse erstaunlich einfühlsam. Gewann aber schnell die alte Kratzbürstigkeit zurück. „Also was ist jetzt!? Fang endlich damit an, mach den da platt, ich schlage schon Wurzeln!“ Der zerzauste, junge Mann wandte sich an Xiphos. „Du hast die Dame gehört. Ich greife [Qliphort Shell] an! Wind-Up Armored Fist!“ Der Kampfroboter holte augenblicklich mit der Faust aus und ließ jene an einer Sprungfeder befestigt durch die Luft sausen, den ganzen Weg hin bis zu dem Muschelgebilde über Xiphos. Der Treffer zerschmetterte jenes, wodurch es explodierte.   [Nick: 2600LP / Xiphos: 900LP → 600LP]   Mit unbedarfter Mimik nahm der Dämon [Qliphort Shells] Karte von der Duel Disk und schob sie in seinen Extradeck-Schacht. Jedes Pendelmonster würde zurückkehren können, wenn es vom Feld beseitigt wurde, so wusste Nick. Und drei davon befanden sich jetzt bereits in Xiphos' Extradeck. „Ich setze diese hier verdeckt“, verlautete er und ließ die Falle, welche er aufgezogen hatte, in den dazugehörigen Slot ein. Das Zischen ihrer Materialisierung übertönend, rief er: „Zug beendet.“   Wortlos nahm Xiphos eine Karte von seinem Deck auf und fügte sie seiner anderen Handkarte hinzu, welche er auch gleich stattdessen zückte. Mit ihr zwischen Zeige- und Mittelfinger, hob er die Hand in die Luft. „Du hast es richtig erkannt, Nick.“ Das kreisförmige Portal öffnete sich zwischen [Qliphort Scout] und [Qliphort Monolith] erneut, umspannt von dutzenden Lichtellipsen. „Pendulum Summon!“ Drei rote Lichtstrahlen schossen daraus nach unten und nahmen die Formen von … „[Qliphort Helix], [Qliphort Disk] und [Qliphort Shell]!“ … an. Geradezu gefährlich muteten die drei Flugschiffe, angelehnt an eine DNA-Spirale, einen Diskus und eine Muschel, an, obwohl sie alle Angriffspunkte und Effekte einbüßten.   Qliphort Helix [ATK/2400 → 1800 DEF/1000 (6 → 4) PSC: <9/9>] Qliphort Disk [ATK/2800 → 1800 DEF/1000 (7 → 4) PSC: <1/1>] Qliphort Shell [ATK/2800 → 1800 DEF/1000 (8 → 4) PSC: <9/9>]   Das Lächeln, das Xiphos seinem Gegner im Anschluss schenkte, unterschied sich von denen davor. Es war eines jener Sorte, die Nick noch nie zuvor gesehen hatte. Mitleidig, aber auch enttäuscht. Ein unausgesprochenes 'Vielen Dank für deine Bemühungen, und tschüss'. Sein rechter Nasenflügel zitterte, als diese Erkenntnis zu ihm durchdrang. Mit einem Wisch nahm Xiphos all seine Monster von der Duel Disk, nur um in entgegengesetzter Richtung die gezückte Karte auf ebenjene zu legen. Eins nach dem anderen lösten sich die Qliphorts in blauen Funken auf. „D-drei Tribute!?“, keuchte Nina und ließ den Arm mit dem Block in der Hand sinken. „Du hast es begriffen, nicht wahr, Nick?“, erkundigte Xiphos sich freundlich. „Das, was jetzt kommt, kannst du nicht besiegen. Tributbeschwörung, [Apoqliphort Towers]!“ Mit leerem Blick nahm Nick keine Notiz davon, dass ein gleißender Laserstrahl ihn erfasste, ausgehend von der Silhouette des [Qliphort Helix']. Dann gewannen Nicks Augen ihre engstirnige Entschlossenheit zurück und schnurstracks bewegte er die Hand zum Auslöser, genau in dem Moment, als der Strahl in seine gesetzte Karte einschlug. Für einen kurzen Augenblick war Nick von Rauch umgeben, bis jener sich verzog. „Oh große Güte“, stammelte Nina beim Anblick von dessen Erzeuger. Auch Nick legte den Kopf in den Nacken. Da war es also, das vermeintlich mächtigste von allen. Ein schwebender Turm, von dem vier Tragflächen ausgingen, aufgebaut wie die Beine eines Wasserläufers. Je zwei waren schwarz mit weißem Zickzack-Muster, bei den anderen beiden verhielt es sich umgekehrt.   Apoqliphort Towers [ATK/3000 DEF/2600 (10)]   Plötzlich begann ein grünes Licht an der Unterseite des Turms aufzuleuchten. Und ehe Nick sich versah, kippte sein Kampfroboter leblos zur Seite. Auch er erstrahlte in smaragdfarbenem Licht, das sich wie eine Schicht um ihn legte. Dabei entstanden durch die Partikel an der einen oder anderen Stelle des Metalls immer wieder für einen kurzen Moment Symbole, die Nick nicht vertraut waren.   Wind-Up Zenmaister [ATK/3100 → 2600 DEF/1500 → 1000 {4} OLU: 4]   „Das sind die Apocrypha. Sie schwächen sämtliche Monster, die spezialbeschworen wurden, um 500 Punkte auf beiden Werten.“ Nick brachte nichts hervor. Wieder war sein Monster unterlegen. Dabei hatte er alles versucht, um es so stark wie möglich zu machen! „Nimm es mir nicht übel, Nick, aber das allein reicht nicht aus. Gegen die Apocrypha bist du machtlos.“ Wieder bedachte Xiphos ihn mit diesem mitleidigen Blick. „Ich benutze einen weiteren Effekt!“ In jenem Augenblick leuchtete die obere Spitze seines riesigen Himmelsgebildes rötlich auf, woraufhin sich um Nick und seinen Roboter verschiedene Linien zogen und ihn umkreisten. Es war das Sephiroth, der kabbalistische Lebensbaum, mehrmals aneinander gereiht. „D-das ist unheimlich“, stotterte Nina und nahm einen respektvollen Schritt Abstand von ihrem Begleiter. Dann begann sie wild Notizen zu machen. „Wieso nicht gleich so, verdammt!?“ „Du musst dich jetzt entscheiden, Nick“, erklärte ihm Xiphos freundlich, „auf ein Monster wirst du verzichten müssen. Entweder auf das auf dem Feld, oder eines in der Hand. Welches opferst du?“ Ein Auflachen unterdrückend, betrachtete Nick seine einzige Handkarte. „Als ob du das nicht wüsstest …“ Der Ring zog sich zusammen, drang durch Nick hindurch und verschluckte kurzerhand den am Boden liegenden Zenmaister. „Es war mir ein Vergnügen, Nick“, sagte Xiphos abschließend und hob eine flache Hand in die Höhe, „direkter Angriff, Discard Materialism!“ Die Zackenlinien auf [Apoqliphort Towers] 'Beinen' begannen rosafarbend aufzuleuchten. Dann löste sich das Licht von ihnen. Es spiegelte sich in Ninas Brillengläsern wieder, dieses Gewitter, das auf Nick zuzog. Aberdutzende Strahlen, die im hohen Bogen den jungen Mann anpeilten. Jener stand stocksteif da, als der Regen sich über ihn ergoss. Überall in und um ihn herum schlugen sie ein, lösten eine Explosion nach der anderen aus. Nina wich noch weiter zurück, ihr fiel vor Schreck der Stift aus der Hand, wie sie all dies miterlebte. „Netter Versuch. Aber mehr auch nicht …“ Der Klang von Nicks Stimme sorgte dafür, dass gleich darauf auch noch der Notizblock im Gras landete. Das Bombardement hörte schlagartig auf. Der junge Mann stand unversehrt auf der Stelle, ohne den Hauch einer Emotion zu zeigen.   [Nick: 2600LP → 1100LP / Xiphos: 600LP]   „Natürlich musste es so kommen.“ Vergnügt kicherte Xiphos, als er das sagte. „Du hast [Damage Diet] gerade noch rechtzeitig aktiviert. Nur eine Sekunde später, und sie wäre durch den Effekt von [Qliphort Helix] wirklich zerstört worden.“ „Aber so habe ich dafür gesorgt, dass ich diesen Zug über nur den halben Schaden erleide“, beendete Nick die Erklärung für Nina. Der Bursche mit seiner Krähe Snuggly auf der rechten Schulter zuckte mit ebenjenen. „Leider war das schon dein zweites Ass. Viel bleibt dir nicht mehr.“ „Du könntest es genauso gut auch lassen, kraw“, schimpfte Sparkly in Nicks Ohr. Welcher eisig konterte: „Ich könnte dir auch genauso gut den Hals umdrehen. Wollte schon immer wissen, ob Schattengeister dadurch sterben.“ Er dachte an Orion, den Schattengeist des Sammlers, mit dem er damals einige Tage verbracht hatte. Ein fürchterlich nerviges, verfressenes Wesen, das den ganzen Tag an nichts außer weibliche Rundungen, Schlammpfützen und japanische Cartoons dachte. Wie gern hätte er diese schwarze Knolle damals lebendig begraben, aber seine Maskerade als Idioten-Nick hatte ihm dies untersagt. „Ich mochte Orion schon immer. Er ist auf seine Weise sehr liebenswert“, tadelte Xiphos sein Gegenüber. „Und das, obwohl er mit einer so großen Bürde geboren wurde. Ah, wie auch immer, ich beende den Zug.“ Kaum hatten die Worte seine Lippen verlassen, leuchtete das Muster auf [Qliphort Monolith] in der blauen Lichtsäule auf. Nick klappte beinahe die Kinnlade hinunter, als Xiphos ganze drei Karten zog. Daran hatte er gar nicht mehr gedacht, aber ja, sein Gegner hatte drei Qliphort-Monster als Tribut angeboten. Jetzt kam Xiphos auf vier Handkarten. „Scheint, als habe sich das Blatt im wahrsten Sinne des Wortes gedreht“, versetzte dieser ihm noch einen Seitenhieb.   „Es gibt immer vier Asse“, erinnerte Nick seinen Gegner schnaubend an jene allseits bekannte Tatsache und riss die oberste Karte von seinem Deck, „Draw!“ Sein Gesicht war zu einer grimmigen Fratze verzogen. Er hatte keine Zeit mehr, denn im nächsten Zug würde dieses dämonische Kind ihn besiegen, ohne Zweifel. Seine gezogene Karte, [Wind-Up Magician], war in Kombination mit -dieser- Zauberkarte nutzlos. „Gib schon auf!“, krächzte Sparkly auf seiner Schulter. „Du kannst Xiphi nicht besiegen.“ „Ja. Verloren, verloren!“, gackerte auch Snuggly. „Ich bin nicht einmal ansatzweise daran, zu verlieren“, widersprach Nick zornig und streckte unvermittelt den Arm aus. „Effekt meiner Fallenkarte!“ Sofort überschlug sich Nina vor Fassungslosigkeit, begann wild mit den Händen zu fuchteln. „Hast du jetzt völlig den Verstand verloren!? Da ist keine Falle auf deinem Spielfeld! Kindchen, für dich ist es ge-lau-fen! Sieh's ein!“ Der junge Mann blickte allerdings stur geradewegs seinen Gegner an. „Du weißt, wovon ich spreche, oder?“ „[Zenmaistery]. Eine Falle, die nicht nur Monster zerstören, sondern auch recyclen kann“, erwiderte der Knirps mit einem Lächeln. „Aber ich musste sie zerstören.“ „Stimmt, trotzdem kann ich sie jetzt, da ich keine Karten kontrolliere, von meinem Friedhof verbannen“, erklärte Nick an eine überraschte Nina gerichtet, „und erhalte von dort [Wind-Up Shark] zurück.“ „O-oh“, machte die rothaarige Reporterin, als besagte Karte sich aus Nicks Friedhof schob und von diesem aufgenommen wurde. Statt sie seiner Hand hinzuzufügen, nahm Nick gleich noch das andere Monster aus seinem Blatt und legte erst dieses und gleich darauf den Hai auf die Duel Disk. „Du weißt was jetzt kommt! Ich beschwöre [Wind-Up Magician] normal und als Antwort darauf auch gleich [Wind-Up Shark] spezial!“ Nebeneinander materialisierten sich ein violetter Spielzeugmagier mit Zauberstab in den Händen und das blaue Meerestier, nicht weniger metallisch glänzend als sein Kamerad.   Wind-Up Magician [ATK/600 DEF/1800 (4)] Wind-Up Shark [ATK/1500 DEF/1300 (4)]   „Aber das ist noch nicht alles: Da ich den Effekt eines Wind-Ups dank Shark aktiviert habe, kann mein Magician jetzt noch eines aus meinem Deck beschwören!“, verlautete Nick ehrgeizig und knallte jenes bereits auf seine Duel Disk. „[Wind-Up Knight]!“ Der Aufziehschlüssel auf dem Rücken des Magiers rotierte förmlich, als jener den Zauberstab neben sich ausschwang. Ein etwa anderthalb Meter großer, weißer Spielzeugritter mit Schwert und Schild in der Hand erschien daraufhin zu seiner Linken.   Wind-Up Knight [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   Unvermittelt ballte Nick seine freie Hand zu einer Faust und hob sie langsam in die Luft. „Ein Ass habe ich noch im Ärmel. Eines, mit dem du nicht gerechnet hast. Ich erschaffe das Overlay Network!“ Der schwarze Sog öffnete sich in der Mitte des Spielfeldes. Wie Nick es inzwischen von Xiphos gewohnt war, verzog dieser keine Miene. Ob er es etwa ahnte? „Aus meinen drei Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster!“, schrie Nick förmlich und riss seine Faust in die Höhe. Als roter Strahl wurde der Magier vom Schwarzen Loch absorbiert, es folgten der Hai als blauer und schließlich der Ritter als gelber. Dann erfolgte eine gewaltige Explosion aus dem Überlagerungsnetzwerks. So stark, dass eine Schockwelle die endlose Wiese anheim suchte und eine schreiende Nina glatt von den Füßen riss. „Wa-wa-wa-was ist das!?“, quiekte sie panisch. Der Himmel verdunkelte sich zunehmend. Selbst Xiphos' Lächeln war inzwischen verklungen und einer nicht zu deutenden Mimik gewichen. Stattdessen waren es jetzt Nicks Mundwinkel, die nach oben zuckten. So hauchte er leise: „Xyz Summon …“ Ein grässlicher, schriller Schrei erklang aus der Mitte des Sogs. Dann erhob er sich, der erste Kopf des Drachen. Schwarz war er, von einer Maske bedeckt und gehörnt. Ebenso die beiden anderen, die nach diesem auftauchten. Als sich die Kreatur langsam erhob, entfuhr Nina noch ein Schrei. Aber nicht, weil der majestätische Drache mit seinen aus gefrorenem, schwarzen Eis bestehenden Flügeln so furchteinflößend war. Nein. Livingtons meist gehasste Klatschkolumnistin hatte Angst. Denn die Schatten, die sich auf Nicks Haut immer weiter ausbreiteten, waren dunkler als alles, was sie je gesehen hatte. „[Evilswarm Ourorobos]“, nannte der nahezu unbekümmert das Biest beim Namen. Um jeden Kopf dieser Kreatur kreiste ein Xyz-Material. Doch noch ehe es richtig abhob, riss eine unsichtbare Kraft den Drachen kurzerhand wieder auf den Boden der Tatsachen zurück, wortwörtlich. Er schlug mit seinem massigen Körper dort ein, wo sich das Overlay Network gerade geschlossen hatte.   Evilswarm Ouroboros [ATK/2750 → 2250 DEF/1750 → 1250 {4} OLU: 3]   Das riesige Gebilde über Xiphos war schuld daran. Ganz an seiner unteren Spitze leuchtete ein grünes Licht, das sich ebenfalls kaum merkbar um Ouroboros wie einen Schleier gelegt hatte. „Ah, die Apocrypha wieder“, summte Nick förmlich vor guter Laune. Sein halbes Gesicht hatte sich binnen Sekunden pechschwarz in Schatten gelegt. Und der Teil, bei dem das noch nicht der Fall war, wurde zunehmend 'gefressen'. Kurzerhand ergriff Sparkly die Flucht. Sich von Nick abstoßend, flog die schwarze Krähe zu Xiphos zurück und landete auf dessen freier, linker Schulter. Der brünette Jugendliche sagte: „Diese Karte gehört nicht dir, Nick. Sie wurde nie für dich gemacht.“ „Nein“, erwiderte dieser eisig. „Ich habe sie demjenigen genommen, bevor er mir etwas nimmt.“ „Du kannst ihre Kraft nicht kontrollieren“, prophezeite Xiphos seinem Gegner. „Also ich fühle mich erstaunlich gut.“ Nina indes rappelte sich langsam auf. „Bist du dir sicher, Kindchen? Schau in den Spiegel und sag das nochmal!“ Sie öffnete ihre giftgrüne Riesenhandtasche und holte einen kleinen Spiegel daraus hervor, näherte sich Nick aber nur mit gehörigem Respekt, als sie ihm diesen vors Gesicht hielt. Zwar warf der junge Mann tatsächlich aus den Augenwinkeln einen Blick auf sein Ebenbild, zuckte aber nur mit den Schultern. „Und wenn schon. Wenn dieses Ding mir zum Sieg verhilft, ist es das wert.“ „Das ist es nicht“, widersprach Xiphos bestimmend. „Hast du etwa Angst?“, fragte Nick herausfordernd. „[Evilswarm Ouroboros] ist von einer Immateriellen erschaffen worden. Sag bloß, so eine Kreatur könnte sogar dir gefährlich werden?“ Xiphos allerdings entgegnete: „Weißt du noch, warum du ursprünglich hierher gekommen bist?“ „Wenn ich nicht bekommen kann, wofür ich 'ursprünglich hierher gekommen bin'“, sagte Nick und seine Augen verengten sich zu Schlitzen, „habe ich keine Verwendung mehr für dich.“ In diesem Augenblick riss er den Zeigefinger nach oben. „Ich aktiviere den Effekt von [Evilswarm Ouroboros]! Durch das Abhängen einer Overlay Unit kann ich [Apoqliphort Towers] auf die Hand zurückgeben!“ Der am Boden liegende Drache schnappte mit seinem mittleren Kopf nach der leuchtenden Sphäre, die diesen umkreiste. Nick brüllte: „Infestation's Viciousness! Besagtes Haupt sammelte in seinem Maul zunächst schwarze Partikel an, ehe es diese quer in die Höhe spie, in Form einer mächtigen Flamme.   Evilswarm Ouroboros [ATK/2250 DEF/1250 {4} OLU: 3 → 2]   Doch es waren in Wahrheit winzige Insekten, die, als sie in das riesige Himmelsgebilde einschlugen, damit begannen, es regelrecht zu verseuchen. Binnen weniger Herzschläge hatten sie sich auf die vier Beine ausgebreitet. „Hm“, kam es von Xiphos bloß nachdenklich. „Apocrypha!“ Schlagartig stieß [Apoqliphort Towers] eine grüne Schockwelle von seinem ganzen Körper aus, die die winzigen Insekten im Nu absterben und von ihm herabfallen ließ. Wie ein schwarzer Regen gingen sie auf Xiphos nieder, der sagte: „Die Apocrypha haben mehrere Wirkungsbereiche. Einer davon besagt, dass kein Monstereffekt auf [Apoqliphort Towers] Wirkung hat, solange die Stufe oder der Rang des Verursachers niedriger ist.“ „Kommt mir bekannt vor“, sagte Nick und schnippte mit dem Finger, „ah, stimmt ja. Dann verfügen alle Qliphorts über diese Fähigkeit, selbst die Nicht-Pendelmonster.“ „Du hast keine Chance mehr, kraw!“, krächzte Snuggly. Was ihre Schwester genauso sah. „Gib schon auf!“ Selbst Nina, die ihren Spiegel inzwischen wieder in der Handtasche verstaut hatte, redete eindringlich auf Nick ein: „Sie haben Recht. Mit so einem schlappen Drachen kommst du nicht gegen ihn an. Gib lieber auf, bevor dir noch etwas passiert.“ „Sehe ich so aus, als würde mir etwas passieren?“, fragte Nick Nina scharf. Als sie verschreckt zurückwich, fügte er hinzu: „Ehrlich gesagt hätte ich, nach Anyas Schilderungen, erwartet, dass auch ich ein Opfer dieser Karte werde. Dass sie mich in ihren Bann zieht. Aber …“ Er wandte sich an Xiphos, der die Arme voreinander verschränkte. „… meine eigene Dunkelheit ist mehr als ausreichend, um diese hier im Keim zu ersticken.“ Zeitgleich nahm er seine letzte Handkarte und legte sie in die Duel Disk ein. „Was auch der Grund ist, warum ich so enttäuscht bin. Ich verfüge über keine eigenen Kräfte. Aber ich hätte etwas mehr von [Evilswarm Ouroboros] erwartet. Vielleicht sollte ich versuchen, ihn zu inkarnieren?“ „Das geht nicht. Dazu brauchst du die Kraft eines Immateriellen, Nick“, sagte Xiphos. „Technisch mag das sogar stimmen. Aber … ich brauche diese Kraft gar nicht. Ich kann dich auch so besiegen, ohne magischen Hickhack.“ Vor ihm sprang eine Zauberkarte auf. „Indem ich diese hier aktiviere: [Xyz Overload]. Da mir [Evilswarm Ouroboros] nicht mehr nützlich ist, zerstöre ich ihn stattdessen.“ Der geschwächte, dreiköpfige Drache begann panische Schreie auszustoßen, nahm all seine verbliebene Kraft zusammen, um sich panisch hin und her zu bewegen. Parallel dazu überzogen die Schatten auf und um Nick ebenjenen völlig, hüllten ihn in eine dunkle Wolke ein. Ninas Mund stand so weit offen, dass ein Golfball darin Platz finden würde. Wie von magischer Hand wurde Ouroboros in die Höhe gehievt, ließ letztlich vor Erschöpfung Köpfe und Schwingen schlapp herab herabhängen. Sein Körper begann in einem langsamen Intervall gelblich zu flackern. „Bist du verrückt!?“, überschlug sich Nina, die ihre Stimme zurückgefunden hatte. „Ich kenne diese Karte! Ihr werdet beide verlieren! Dafür bist du nicht hergekommen!“ Aus dem finsteren Wirbel, der Nick umgab, hallte es entschlossen heraus: „Es ist entschieden, Nina. [Xyz Overload] zerstört ein Xyz-Monster, welches in diesem Zug seinen Effekt aktiviert hat und dessen Angriffsstärke größer als meine Lebenspunkte ist und fügt beiden Spielern die Hälfte davon als Schaden zu.“ „Das sind 1125 Punkte!“, stieß Sparkly und schlug dabei panisch mit ihren Flügeln. „Zu viel. Zu viel! Tu was, Xiphi!“, ermahnte ihn auch Snuggly. Aber der Brünette verharrte regungslos mit versteinerter Mimik. Der Takt des Aufleuchtens von Ouroboros wurde zunehmend schneller. Genauso wie die Schreie des Drachen immer schriller und ängstlicher wurden. Unterkühlt sagte Nick: „Matt braucht dich vielleicht, um seine Duelle zu gewinnen. Ich nicht. Leb' wohl.“ Und in diesem Augenblick brach das Wesen in einer tosenden Explosion förmlich auseinander. Wellen von schwarzen Flammen überzogen die gesamte Wiese, sodass Nina kreischend davon rannte. Aber auch sie wurde erfasst und mitgerissen.   Als die Rothaarige zur Besinnung kam, merkte sie, dass sie am Boden lag. Die Augen vorsichtig klimpernd öffnend, sah sie den Himmel. Er war wieder strahlend blau. Das Gras neben ihr jedoch verschwommen. Ihre Brille war fort. Sich auf die Knie rollend, tastete sie das Grün ab, fand aber nicht, wonach sie suchte. „N-Nick?“, rief Nina orientierungslos und sah sich nach ihm um. Sie entdeckte diesen auch. Er stand wohl noch da, zu ihrer Linken, wo er vor der Explosion gestanden hatte. Die dunkle Wolke um ihn existierte nicht mehr, was sie insgeheim aufatmen ließ. Dem Strubbelkopf, den sie nur im Profil sah, stand auf einige Meter Entfernung Xiphos gegenüber. „So etwas aber auch!“, fluchte sie und griff kurzerhand in ihre Tasche, wo sie ein Brillenetui hervorzauberte. „Immer gut, Ersatz dabei zu haben.“ Kaum hatte sie das Modell mit den schwarzen Bügeln aufgesetzt, erkannte sie die beiden besser. Nicks Hautfarbe hatte sich normalisiert. Xiphos lächelte. „Glückwunsch.“   [Nick: 1100LP → 537LP / Xiphos: 600LP → 0LP]   Die verblieben Hologramme verschwanden. „Nicht mal ein Kratzer“, ärgerte sich Nick leise. Nina stellte fest, dass der Jugendliche trotz der heftigen Explosion unversehrt geblieben war. Ebenso die Graslandschaft selbst, die doch inzwischen einem Krater hätte ähneln müssen. Auffällig war auch, dass die Krähen mit Abwesenheit glänzten. Viel mehr aber wunderte die Journalistin eins: „Wie zur Hölle hast du gewonnen!? Und das mit so einem seltsamen Lebenspunktewert!?“ „Er hat sich Zunutze gemacht, dass [Damage Diet] einen zweiten Effekt besitzt“, erklärte ihr Xiphos freundlich. „Sie aus dem Friedhof zu verbannen sorgt dafür, dass Effektschaden, den er erleidet, halbiert wird.“ „O-oh!“ Nina straffte ihre Schultern. „G-gut gemacht.“ „Ich weiß“, gab sich ihr Begleiter wieder betont distanziert. Seinen Blick starr auf Xiphos fixiert, begann er unerwartet zu schmunzeln. „Wenn ich ehrlich bin, hätte ich mit einem anderen Ausgang gerechnet. Du scheinst ein vernünftiger, fairer Dämon zu sein. Du hast nicht einmal versucht, in das Schicksal einzugreifen.“ Xiphos grinste breit. „Das hätte sonst auch keinen Spaß gemacht.“ „Mag sein.“ Nick wurde wieder deutlich ernster. „Aber das heißt auch, dass du dich an die Abmachung halten musst.“ Statt etwas daraufhin zu erwidern, hob der Dämon seinen Zeigefinger und deutete auf Nick. Besser gesagt dessen Gesicht. Nina bemerkte, wie der junge Mann verwirrt die rechte Augenbraue anhob und sich dann mit einem fragenden Ausdruck zu ihr drehte.   Als Nick die Klatschreporterin so sah, wie sie mit ihrem durcheinander geratenem Haar da stand und die Hände vor den Mund schlug, wusste er nicht, warum sie das tat. Und das erfüllte ihn mit einer gewissen Unruhe. „Was ist?“ „D-dein linkes Auge.“ Nick fuhr instinktiv mit der Hand über das Lid, aber dort war nichts. „Da sind zwei Krähen-Tattoos. Direkt neben dem Auge!“ „Was!?“, stieß er hervor und wirbelte zu Xiphos herum. „Das ist die Kraft, die ich dir geben kann. Von nun an gehören Snuggly und Sparkly dir.“ Xiphos lächelte geheimnisvoll. „Keine Sorge, Nick. Niemand außer dir und Nina wird die Veränderung an dir sehen können. Diese beiden Schattengeister sind besonders. Ich bin überzeugt davon, dass sie dir gute Dienste leisten werden.“   Nick breitete die Handfläche seiner linken Hand vor sich aus. Er stellte sich vor, irgendetwas damit zu bewirken. Eine Flamme erscheinen zu lassen, oder eine Waffe. Oder wenigstens eines dieser Viecher, aber nichts geschah. „Du wirst schon noch dahinter kommen“, versicherte Xiphos ihm. „Snuggly und Sparkly sind eigenwillig. Aber sie werden da sein wenn du sie brauchst.“ „Wieso habe ich das Gefühl, dass ich mir damit keinen Gefallen getan habe?“, stellte Nick die vorletzte Frage, die er Xiphos zu stellen gedachte. „Du wirst ihnen – und mir – vertrauen müssen.“ Nick hob die Handfläche und strich sich mit den Fingerspitzen über die Stelle, die Nina ihm beschrieben hatte. „So wie du dem Sammler vertrauen musst, weil ihr Freunde seid.“ „Wir sind jetzt ebenfalls Freunde, Eli.“ „Ich bin Nick Harper“, murmelte jener leise und schloss die Augen, „aber sind dein Strife und der Sammler überhaupt ein und dieselbe Person?“   Dann lauschte er nach der Antwort. Es kam keine. Und als der junge Mann die Lider wieder anhob, fand er sich zusammen mit Nina in der verdunkelten Wohnung wieder. Der Fernseher flimmerte schwarz-weiß, als würden Ameisen darüber krabbeln. Von Xiphos fehlte jegliche Spur. „Das weißt wohl nicht einmal du“, flüsterte der junge Mann vor sich hin. Nina ihrerseits fasste das Erlebte für sich zusammen. „Okay … okay! Das war … eine seltsame Begegnung. Und etwas enttäuschend.“ Sich noch einmal im Wohnzimmer umsehend, entschied Nick: „Das wird sich wohl erst zeigen. Ich weiß nicht, ob ich wirklich das bekommen habe, was ich wollte. Und Sie?“ „Ich glaube nicht, dass ich darüber schreiben werde. Mit so einer Geschichte gewinne ich bestimmt keine neuen Leser.“ Nick musste auflachen. „Sicher, dass Sie nicht einfach nur Angst haben, weil Xiphos Ihnen untersagt hat, damit an die Öffentlichkeit zu gehen?“ „N-nein, überhaupt nicht. Wo denkst du hin?“ Die Nase rümpfend, stürmte Nina aus dem Zimmer hinaus. „Komm jetzt, Bürschlein, ich will hier nicht eine Minute länger meine Zeit verschwenden!“ Nick folgte ihr aus der Wohnung. Sich dabei immer wieder fragend, was er durch diese Begegnung genau gewonnen hatte. Und was im Gegenzug verloren …   ~-~-~   Nick ließ die Tür seines Motelzimmers hinter sich ins Schloss fallen. Endlich war er diese verdammte Nina los! Hatte sie ernsthaft erwartet, dass er sie mitnahm, um die Diebin von Anyas Deck zu stellen? Sie mochte sich minimal gebessert haben, aber in diesem Fall wäre sie nichts weiter als ein Klotz am Bein. Also hatte er sie am nächsten Bahnhof mit ein paar Scheinen abgesetzt, auf dass sie allein ihren Weg nach Livington zurückfand. Letztlich hatte er sich dann hier abgesetzt.   Nick ließ sich rückwärts gegen die Tür fallen und rutschte an ihr hinab bis auf den Hosenboden. Das kleine Motelzimmer war spärlich eingerichtet. Die beigefarbenen Wände und die hölzerne Einrichtung versprühten einen gewissen Charme, sofern man auf Seitensprünge stand. Nick fühlte sich hier nicht wohl. Was wiederum eher an dem Erlebten lag. Sofort fasste er wieder die Stelle neben seinem linken Auge an, welche nun von zwei stilisierten Krähen gezeichnet war. So vieles war ihm seitdem durch den Kopf gegangen. Sparkly und Snuggly … waren sie wirklich seine Verbündeten? Oder Spione für Xiphos und den Sammler? Andererseits, so etwas brauchten Wesen wie diese beiden überhaupt nicht. Und dann die Frage, über welche Kräfte sie und damit im weiteren Sinne auch er verfügten? Nick überlegte hin und her, ob er die Krähen rufen und bitten sollte, ihn im Umgang damit zu schulen.   Langsam richtete er sich auf. Zunächst musste er etwas anderes erledigen. Seit seinem letzten Anruf war inzwischen einiges an Zeit verstrichen und Abby war bestimmt schon sauer deswegen. Gemächlich schlenderte er daher um das Bett herum zu einer Kommode, auf dem das Telefon stand, welches er sich nahm. Die Schnur bis zum Bett ziehend, setzte er sich auf dessen Rand. Nachdem er Abbys Mobilfunknummer aus dem Kopf gewählt hatte, dauerte es einen Augenblick, bis sie auch abnahm. „Masters?“ „Hi Abbs.“ „Nick? Seit wann nennst du mich Abbs?“ Er grinste verlegen. „Mir war einfach danach.“ „Na wenn du meinst“, kicherte sie und er sah sie geradezu vor sich, wie sie- Nick blinzelte. Er -sah- sie vor sich! Abigail Masters stand direkt neben ihm, vor dem großen Eichenschrank. Sie hielt ihr Smartphone am Ohr und sah gen Boden. Ihr brünettes Haar war hochgesteckt, dazu trug sie ein farbenfrohes Shirt mit Spagettiträgern. Und natürlich ihre dezente Brille, nicht das gefärbte Monsterteil von damals. Sie war hübsch anzusehen, wenn man davon absah, dass er ganz offensichtlich halluzinierte. „Ähm, Abby … ich“, stotterte er verwirrt. Ihre Erscheinung war verschwommen und transparent, sodass sich Nick mit der freien Hand die Augen rieb. Indes summte sie förmlich: „Ja, Nick?“ Als der zerzauste Mann im Hawaiihemd fertig und sie immer noch da war, konnte jener nur müde lächeln. „Das ist kein Zufall, dass ich dich sehe, oder?“ „Ja!“, strahlte sie ihn an, während ihre Stimme aus dem Hörer kam. „Das kann ich jetzt auch! Sirenenkräfte sind so abgefahren!“ Allein, dass er sie noch nie so reden gehört hatte, versetzte Nick ins Staunen. „Ist das eine Astralprojektion?“ „Glaube schon“, sagte sie und nickte dabei. „Ich habe erst vor Kurzem entdeckt, dass ich das kann. Weißt du, Timothy, einer aus meinem Psychologie-Kurs, hatte mich neulich so auf die Palme gebracht. Er hat doch tatsächlich Tierversuche damit gerechtfertigt, dass-“ Okay, sie war immer noch die alte Abby, atmete Nick erleichtert auf. „Ja, ja, ja, wie konnte er das nur tun, dieser Mistkerl.“ „Genau, und da war mir mit einem Mal danach – nachdem er jedes meiner wirklich guten Argumente ignoriert hat! – so richtig aus der Haut zu fahren.“ Nick musste auflachen und strahlte das geisterhafte Mädchen vor ihm an. „Und das ist dir gelungen, nehme ich an.“ „Jap. Vor mindestens zehn Mitkommilitonen. Ich habe sie sofort glauben lassen, sie wären Bananen.“ „Biobananen?“ „Fair Trade-Biobananen.“ Nick taten schon die Mundwinkel beim Grinsen weh. „Sieht dir ähnlich. Sie haben es danach vergessen, richtig? Oder denken sie immer noch, sie wären für eine bessere Welt angebaut worden?“ Abby zwinkerte ihm verschwörerisch zu. „Nein, neun von ihnen geht es wieder gut. Aber genug von mir und meinen unnötigen Sirenenupgrades, wie geht’s dir?“   Das breite Lächeln wich sofort aus Nicks Gesicht. „Das hab ich gesehen“, klang Abby am Hörer sofort besorgt, „also ich sehe dich nicht richtig vor mir, eher wie vor so einem inneren Auge. Was ist los? Hat Aiden wieder versucht, an Anya heranzukommen?“ Ihr Freund stockte. „N-nein, ich denke, den habe ich unter Kontrolle. Sagen wir einfach, du bist nicht die Einzige, die ein, wie soll ich es nennen, Upgrade erhalten hat.“ Die Abby-Projektion ließ erschrocken das Smartphone in der Hand sinken. Nur um es dann hastig wieder ans Ohr zu legen. „Sag nicht, du-!?“ „Ich habe schon seit einiger Zeit nach einem Dämon gesucht“, erklärte Nick und sah das durchsichtige Mädchen bewusst nicht mehr an, „der mir Kräfte verleiht. Siehst du das an meinem linken Auge?“ Das flimmernde Ebenbild seiner Freundin schlug erschrocken die Hand vor den Mund. „N-nein, w-was ist da? Oh Nick, das hättest du nicht tun dürfen! W-was ist passiert?“ „Letztlich bin ich der Spur eines der fünf mächtigsten Dämonen auf diesem Planeten gefolgt: Xiphos. Und ich habe ihn gefunden.“ Das Mädchen vor ihm ging in die Knie, als wolle sie in sein Gesicht blicken. Auch wenn sie ihn, wie sie selber gesagt hatte, gar nicht direkt sehen konnte. „Was ist passiert Nick? Geht es dir wirklich gut? Ist … ist jemand verletzt worden?“ „Nein“, schüttelte der den Kopf, „aber Xiphos hat sich als Freund des Sammlers herausgestellt.“ Vor Schreck sprang Abby wieder auf. Für einen Moment verzerrte sich ihr Ebenbild derart stark, dass es sich drohte aufzulösen. „Das Duell, das über mein Anliegen entscheiden sollte, habe ich gewonnen. Also hat er mir bestimmte Kräfte verliehen“, redete Nick in seiner monotonen Art weiter. Erst als die Astralprojektion sich einigermaßen wieder in seinem Motelzimmer gefestigt hatte, erwiderte Abby aufgebracht: „Nick, sag, dass du mich nur aufziehen willst! Wenn er ein Freund des Sammlers ist, dann war das eine Falle! Vielleicht hat er jetzt Macht über dich!?“ „Möglich“, entgegnete Nick, „aber ich bezweifle es.“ Abby legte ihre Hände auf die Brust, fragte eindringlich: „Wieso!? Wieso hast du so etwas Dummes getan!?“ „Weil ich machtlos bin“, erwiderte ihr Freund bemüht darum, seine Fassung zu wahren.“ Die Brünette schüttelte vehement den Kopf. „Aber so etwas sieht dir nicht ähnlich! Der Nick, den ich kenne, würde sich doch nicht waghalsig in so große Gefahr stürzen. Es hätte sonst etwas passieren können. Oder vielleicht ist es das sogar und du weißt es nicht. Nick!“ „Manchmal muss man Risiken eingehen. Weißt du“, ruckartig drehte er sich zu ihr um, sodass sie glatt noch einmal zurückschreckte, „ich bin der Überzeugung, dass Xiphos nicht unser Feind ist. Ich will jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen, aber seinen Worten nach ist er nicht einfach nur ein guter Bekannter des Sammlers. Er ist sein Freund. So wie wir beide Freunde sind.“ Ihre Brille von der Nase nehmend, legte das Mädchen ihr Smartphone außerhalb des Bereiches der Astralprojektion ab und rieb sich die Augen. „Das macht mir Kopfschmerzen. Und Bauchschmerzen. Alle möglichen Arten von Schmerzen. Oh verdammt, Nick!“ „Lass mich zu Ende erklären“, verlangte dieser in einem besänftigenden Tonfall, „Xiphos hat von Anfang an klar gemacht, dass er nicht mehr für mich tun kann und will. Aber ich habe eine Theorie.“ Als Abby sich die Brille wieder aufsetzte, fragte sie streng: „Und die wäre?“ „Er will, dass ich ihn rette. Also den Sammler.“ „I-ist das dein Ernst!?“, fiel das leicht leuchtende Abbild seiner Freundin aus allen Wolken. „Weil er es nicht kann. Weißt du noch, was Anya uns berichtet hat, als sie Anothers Beweggründe erklärte? Er sagte, der 'wahre Feind' nahm zunächst die Form der Immateriellen an, bevor er ihre Welt vernichtete.“ Je mehr er sagte, desto schneller sprach er und erhob sich sogar mit dem Telefon in der einen und dem Hörer in der anderen Hand von seinem Bett, sah Abby derart flehend an, dass diese ihren durchbohrenden Blick nicht aufrecht erhalten konnte. Er breitete sogar die Arme weit aus, als er sagte: „Dieser 'wahre Feind' ist der Sammler. Aber was, wenn er nicht eine beliebige Form imitiert, sondern stattdessen übernimmt?“ „Von was redest du da?“, fragte Abby halb fasziniert, aber auch genauso ängstlich. „Xiphos hatte seine Unarten und wirkte unnahbar, aufgesetzt. Meine Vermutung: Er war einmal ein Mensch wie wir. Und“, begann er leise zu flüstern, „ebenso der Sammler. Es wäre denkbar, dass der 'wahre Feind' eine parasitäre Lebensform ist. Aber es gibt zu viele offene Fragen, als dass ich diesen Schluss schon als plausibel bezeichnen würde. Möglich, aber nicht definitiv.“   Nachdem er das ausgesprochen hatte, zog sich der Mantel der Stille um die beiden. Nick wusste, dass dies nur eine Hypothese war, basierend einzig auf seinem subjektiven Empfinden. Aber er hatte sich schon länger gefragt, wie solche mächtigen Wesen wie der Sammler oder Xiphos überhaupt entstanden waren? Oder welchen Pfad man beschreiten musste, um dort anzugelangen.   „Was wirst du jetzt tun?“, fragte Abby verunsichert. „Dass du … so weit gehst, um … ich habe Angst um dich, Nick.“ „Sag niemandem davon ein Wort. Bitte. Ich muss das in Ordnung bringen, irgendwie. Und dazu muss ich vielleicht zu jemandem werden, der ich nicht sein will.“ Nick nahm langsam den Hörer vom Ohr. „Aber einer muss es tun.“ Dann legte er auf, ließ den Apparat neben sich auf das Bett fallen. Und Abbys Astralprojektion löste sich überraschenderweise auf.     Turn 67 – Ordeals Einige Tage sind seit Anyas Sieg über Zachariah vergangen und das erste Viertelfinale steht an. Doch ihr Gegner Jack Leonhart Jr., welcher die Vorrunden mit fast perfekter Punktzahl absolviert hat, ist nicht die einzige unangenehme Überraschung, die Anya erwartet … Kapitel 72: Turn 67 - Ordeals ----------------------------- Turn 67 – Ordeals     Mittlerweile war es vier Tage her, dass Anya in das Viertelfinale des Legacy Cups eingezogen war. Zusammen mit Matt und Zanthe lagen sie der Länge nach auf Anyas Bett am rechten Ende des Hotelzimmers, das Mädchen zwischen den beiden. Vor ihnen war Matts Laptop aufgeklappt. „Live Streams sind schon was Tolles“, meinte Zanthe vergnügt. Einen solchen verfolgten sie in diesem Moment: Das sechste Spiel des Achtelfinales. „Yeah“, bestätigte Matt und kratzte sich nebenbei am Hinterkopf, „hier ist es wenigstens nicht so laut.“ „Und es gibt keine Reporter“, fügte Anya mürrisch hinzu. Den Schock von neulich hatte sie immer noch nicht ganz verdaut, zumal sie seitdem ständig den Eindruck hatte, beobachtet zu werden. „Tja“, gluckste Zanthe belustigt, „für morgen sind die letzten beiden Spiele angesetzt. Das heißt, Montag musst du wohl oder übel wieder ran. Denk dran, immer lächeln.“ Anya schnaubte wütend. Heute war Samstag, also blieb ihr noch genug Zeit, sich ausgiebig vorzubereiten. Auch wenn sie das sowieso nicht tun würde, so ehrlich war sie zu sich selbst. Und doch, wer hatte diesen beschissen engen Zeitplan des Turniers ausgearbeitet, doch bestimmt Melinda, die blöde Schnepfe! Kein Tag ohne Duellübertragungen war wohl deren Leitmotto! Um daran keinen Gedanken verschwenden zu müssen, zischte sie: „Pscht, es geht weiter!“   Dort, auf dem Bildschirm, standen sich zwei Duellanten gegenüber. Der brünette Kakyo Sangon, in einen violetten Pullover gekleidet und ein Chinese namens Jiang, einer der Bestplatzierten in den Vorrunden. Gerade zog Kakyo auf. „Mal sehen, ob er das noch drehen kann“, murmelte Zanthe verschwörerisch. Die anderen beiden waren erstaunt darüber, dass der Werwolf sich so sehr für das Duell interessierte. Schließlich war er es gewesen, der erst den Vorschlag gemacht hatte, es sich anzusehen. Warum er so neugierig war, verriet er ihnen jedoch nicht. Wie konnten sie auch ahnen, dass Zanthe mehr über Kakyo wusste und ihnen dies absichtlich vorenthielt? Aber für ihn spielte das keine Rolle, solange er damit Exa schützte.   Kakyo kontrollierte sein Assmonster [Dark Magician] und befahl den Angriff, obwohl sein Gegner das wesentlich stärkere Fusionsmonster [Gaia Drake, The Universal Force] kontrollierte, einen Lanzenträger, der auf einem Pegasus ritt. Der violette Magier lud Energie an der Spitze seines Zauberstabs auf. „Den Rest kann man sich schenken“, meinte Zanthe urplötzlich förmlich desinteressiert und rollte sich seitwärts vom Bett. „Ist klar, wie das ausgehen wird.“ Matt und Anya sahen ihn verwirrt an. Letztere fragte: „Sag bloß, du gehst schon wieder alleine weg?“   Es gab praktisch keinen Tag mehr, seit sie hier waren, an dem er nicht über Stunden hinweg irgendetwas unternahm. Anya hegte den Verdacht, dass er sich heimlich mit diesem Typen traf, den er nach eigener Behauptung erst zappeln lassen wollte. Ohne es zugeben zu wollen, störte sie das zunehmend mehr. „Ich hab jemandem versprochen, ihm ein wenig in Sachen Duel Monsters auszuhelfen“, antwortete Zanthe fröhlich und schlenderte an den Betten vorbei. Matt sah ihm hinterher. „Wir könnten ja mitkommen und Anya gleich mittrainieren.“ „Hey!“, empörte die sich beleidigt und stieß ihm sogleich den Ellbogen in die Seite. An der Tür angelangt, winkte der junge Mann, dieses Mal ein quietschgelbes Kopftuch tragend, wenig begeistert ab. „Nein danke. Ich glaube kaum, dass ich ihm das zumuten kann.“ „Pah! Wenn du mich fragst, solltest du lieber mit uns abhängen, als mit deinem Lover!“ „Er ist nicht mein Lover“, erwiderte Zanthe trocken auf den Einwand seiner Freundin, „und abgesehen davon fragt dich keiner.“ „Schon mal was von Meinungsfreiheit gehört!?“ Zanthe blinzelte genau einmal. „Anya … das Gesetz der Meinungsfreiheit sieht vor, dass dich der Staat nicht politisch für deine Meinungsäußerung verfolgen darf. Es heißt aber nicht automatisch, dass dir irgendein Arsch zuhören muss. In dem Sinne: Bis nachher.“ Schon war die Tür auf und der Werwolf weg. „Autsch, der hat gesessen“, gluckste Matt. Denn tatsächlich war Anya so still, dass es schon glatt unheimlich war. Als sich das aber immer weiter hinzog und Kakyo nebenbei im Stream das Duell gewann, fragte der Dämonenjäger vorsichtig: „Anya? Ist alles in Ordnung?“ „Tch! Sicher …“, brummte sie und ruckte demonstrativ den Kopf von ihm weg. „Sag bloß, du bist eifersüchtig?“ Matt klang beim Aussprechen des letzten Wortes geradezu fasziniert. „Als ob!“, wurde er sofort angefaucht. „Soll der sich doch 'rumtreiben, wo und wie er will! Mir doch egal!“ Damit sprang auch sie auf und stampfte durchs Zimmer. „Ich gehe jetzt auch frische Luft schnappen. Und du mach dich lieber an die Arbeit!“ „Ich bin an dem Fall dran“, erwiderte Matt ärgerlich und setzte sich dabei an den Rand des Bettes, „aber die Aussagen von Mrs. Carrington und ein paar Mitarbeitern reichen nicht, um denjenigen zu finden, der die Rolle des Hüters von Mr. Carrington übernommen hat. Wenn es überhaupt so war.“ „Du machst das schon“, blieb das Mädchen stur und riss die Tür auf. Als sie zurück zu ihm sah, gewann ihr Blick etwas Trauriges. „Und … yeah, vielleicht bin ich doch eifersüchtig …“ „Dann wäre es eine gute Idee, ihm zu zeigen, dass du gerne mit ihm zusammen bist“, schlug Matt vor. Das Mädchen verzog eine grimmige Fratze: „Wie denn, wenn er kaum noch hier ist? Ist ja schön, dass er neue Freunde gefunden hat, aber ...“ Sie wollte einfach nicht, dass er -sie- dabei vergaß. Denn er war ihr ans Herz gewachsen, dieser altkluge, freche, arrogante, Sprüche klopfende, nervige, zickige Volltrottel. Warum auch immer … „Ich brauch frische Luft“, beendete sie das Gespräch, bevor Matt einsetzen konnte. Und knallte die Tür hinter sich zu. Der ärgerte sich leise vor sich hin: „Toll … wie wäre es, wenn du auch mal etwas für -deine- Rettung tun würdest? Immer bleibt der Dreck an mir stecken …“   ~-~-~   Indes befand sich Nick auf der Interstate 30 Richtung Garland. Entgegen seiner Absichten, unmittelbar nach seinem Treffen mit Xiphos die Verfolgung der diebischen Elster aufzunehmen, hatte ein Motorschaden an dem weißen Chrysler Neon ihn in seinem Zeitplan arg zurückgeworfen. Glücklicherweise war es Nick nun möglich, das Miststück jederzeit zu orten, wodurch er wusste, dass sie sich noch in der Gegend befand. Andernfalls hätte er sich um einen Leihwagen bemühen müssen. Und seinem Vater zu erklären, warum sein geliebtes Baby in einem anderen Bundesstaat zusammengeflickt wurde, dem wollte Nick lieber aus dem Weg gehen.   Während er nur mäßig auf den mittelstark ausgeprägten Verkehr achtete, gingen ihm immer wieder allerlei Dinge durch den Kopf. Wurde er nicht im Endeffekt genauso beobachtet wie jene junge Frau? Zwar waren sie nicht hier, doch Nick spürte die Anwesenheit der beiden Schattengeister Snuggly und Sparkly. Es fühlte sich anders an als damals mit Orion. Denn mit der kleinen Knolle war er auf einer Wellenlänge gewesen, zumindest im Ansatz, anders als bei den beiden Krähen. Andererseits, wenn er jetzt so darüber nachdachte, war es wohl kein Zufall, dass Orion bei ihm gelandet war. So hatte der Sammler ihn ausspionieren können, wusste vermutlich schon seither um Nicks wahre Natur. „Geschichte wiederholt sich, huh?“, murmelte er in Gedanken versunken. „Nicht immer, rawww!“ „Scheiße!“, stieß Nick einen erschrockenen Aufschrei aus, als die beiden Biester unvermittelt auf seiner Schulter erschienen. Durch die heftige Reaktion verriss er das Lenkrad, der Wagen scherte in Schlangenlinien aus. Jedoch konnte Nick ihn wieder unter Kontrolle bringen, allerdings nicht ohne von zwei anderen PKWs ausgehupt zu werden. „Was sollte das!? Ihr hättet mich umbringen können!“, schrie er aufgebracht. „An so etwas denkt Snuggly nicht“, sagte offensichtlich Sparkly, die auf seinem linken Schulterblatt hockte. Nick lief zunehmend rot an. „Ist mir egal! Verschwindet!“ „Erst willst du uns, dann verscheuchst du uns. Snuggly versteht das nicht“, krähte das Federvieh zu seiner Rechten enttäuscht und löste sich wieder auf. „Ich wollte vieles, aber definitiv nicht -euch-!“, stellte Nick verärgert klar. „Wir sind nicht deine Feinde, kraw!“ Und schon war auch Sparkly wieder verschwunden. Aber der zerzauste, junge Mann schnaubte bloß. „Das wage ich langsam zu bezweifeln.“   In dem Moment gab das alte Handy, welches auf dem Beifahrersitz lag, ein doppeltes Piepen von sich. Erstaunt griff Nick mit der rechten Hand danach, ohne den Verkehr aus den Augen zu lassen. „Ausgehender Anruf“, las er vom dunkelgrünen Display vor. Aber es war nicht er, der jemanden anrief. Sondern das Mobiltelefon derjenigen, in das sich der Apparat mit der leicht verschmorten Außenhülle infiltriert hatte. Die Diebin nahm mit irgendjemandem Kontakt auf. „Interessant“, murmelte Nick und drückte die Abnehmen-Taste.   ~-~-~   Zeitgleich in einem Lagerhaus in Garland watete eine junge Frau vor einem schmalen Tisch auf und ab. Um sie herum standen bergeweise Kisten gestapelt. Durch die Dachfenster fiel das Sonnenlicht sanft neben die kleine Sitzecke, die sich Alexandra Russo hier eingerichtet hatte. „Gehst du wohl endlich ran?“, murmelte sie nervös in ihr Smartphone. Sie sah anders aus als noch auf der Einführungsveranstaltung der Fords. In Wirklichkeit besaß ihr gewelltes Haar einen honigblonden statt hellblonden Ton und reichte ihr bis weit über die Schulter. Von der Eleganz an diesem Abend war nicht viel übrig geblieben. Statt eines aufreizenden Cocktailkleids, verhüllten einfache Jeans und ein pinkfarbenes Tank-Top ihre durchaus ansprechende, schlanke Figur. Doch ohne das Make-Up sah man deutlich die dunklen Ringe um ihre Augen. Gerade als sie herum wirbelte, nahm ihr Gesprächspartner mit leicht gebrochenem Akzent ab. „Ah, Alexandra, Sweetheart.“ „Hören Sie auf, mich anflirten zu wollen, Diego“, erntete er eine unterkühlte Antwort. Die junge Frau lehnte sich rückwärts an den Tisch. Dabei warf sie einen Blick auf die darauf verteilten Karten. „Und, haben Sie noch Interesse?“ „Immer, Teuerste.“ „An den Karten, versteht sich.“ Neben ihr lagen sie. [Angel Wing Dragon], [Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T], die Gem-Knights Diamond, Seraphinite und Turquoise sowie Kuriboss und auch [Gem-Knight Zirconia]. Der Rest von Anyas Karten lag abseits auf einem Stapel. „Natürlich.“ Besagter Diego seufzte. „Aber für diesen Preis kann ich sie nicht abnehmen.“ „Darunter sind echte Sammlerstücke, die es nur einmal auf der Welt gibt“, beteuerte Alex aufgebracht und stieß sich wieder vom Tisch ab, „für zehn Millionen gehören Sie Ihnen.“ Der Mann lachte künstlich. „Für das Geld kann ich meine ganz eigenen Karten erschaffen lassen.“ „Die verfügen aber nicht über besondere Kräfte“, erinnerte sie ihn. Dabei drehte sie sich den Karten zu und grinste.   Er würde anbeißen, sie hatte es im Blut. Für Menschen wie Diego de la Rosa spielte Geld eine sehr untergeordnete Rolle, wenn es darum ging, sich mehr Macht anzueignen. Und dieser Mann gierte danach wie kein anderer. All die seltenen Artefakte, Masken, Zauberstäbe, die er ihr in den letzten zehn Jahren abgekauft hatte, ohne überhaupt zu wissen, was er da in seinen Besitz gebracht hatte …   „Süße Alexandra“, hauchte Diego wehmütig, als habe er dies gehört, „du hast so viel für mich getan. Und ich für dich. Aber was ich brauche, sind keine mystischen Karten …“ Die Frau nickte. „Ich weiß, was Sie brauchen. Und ich denke, ich habe es endlich gefunden. Sie müssen sich vor dem Älterwerden nicht mehr fürchten.“ „Das hast du schon oft behauptet.“ „Diesmal bin ich mir sicher.“ „Dann beweise es“, lautete seine Forderung. Wenn es nur das war, dachte sie sich und schloss die Augen. „Okay. Übermorgen um Mitternacht an den Lake Ray-Docks, Pier 15. Aber ich zeige es Ihnen nur, wenn Sie das Geld dabei haben. Sollten Sie den Deal dann nicht eingehen, suche ich mir einen anderen Interessenten. Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass es davon reichlich gibt.“ „Abgemacht.“ Ein Knacken in der Leitung folgte.   Für was hielt der Typ sich eigentlich, dachte sich die junge Frau schnaubend und steckte das Smartphone in die Hosentasche. Dabei sah sie noch einmal die Karten an, die ihr endlich ein Leben in Reichtum ermöglichen sollten. Dieser eine Coup noch und sie konnte die vergangenen Jahre voller Abenteuer und Verbrechen hinter sich lassen. „Ich sollte dir wirklich danken, Kleine“, murmelte sie vergnügt vor sich hin. Dass sie jemals in den Besitz von gleich zwei Hüterkarten gelangen würde … Dabei hatte sie sich eigentlich auf die Party geschlichen, um ein bisschen Industriespionage zu betreiben und nebenbei vielleicht das ein oder andere Schmuckstück mitgehen zu lassen. Aber dann hatte diese Anya ihre Monster ausgepackt und damit ohne es zu wissen Alexandras ungeteilte Aufmerksamkeit erregt. Jene ahnte in diesem Moment jedoch nicht, dass auch sie jemandes Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Die eines Racheengels, der nur zu gerne ebenfalls am Treffen im Mondschein teilnehmen wollte …   ~-~-~   Zwei Tage später stand Anya zusammen mit Zanthe im kargen Vorbereitungsraum, welcher direkt ins Stadion führte. Der Werwolf lehnte an einer der rot gestrichenen Wände und blätterte in einer Zeitschrift. Etwas abseits von ihnen stand Logan vor einem Getränkeautomaten, aus dem in diesem Augenblick eine Wasserflasche ausgeworfen wurde. „Und, aufgeregt?“, fragte Matt die Blonde behutsam, welche die Arme verschränkt hielt und stur auf die Tür starrte. Jeden Moment würde ihr Name durch die Lautsprecher in der oberen Ecke neben der Tür verkündet werden und dann hieß es Abmarsch. „Als ob“, schnaubte Anya grimmig. „Hast du dir gemerkt, was ich dir über diesen Jack erzählt habe?“, stieß der Zwerg zur Gruppe in der Ecke. Anya sah ihn verständnislos an. „Nein? Sollte ich etwa?“ Unter lautem Knistern senkte Zanthe seine Zeitschrift und bedachte Anya eines Blickes, der selbst dem sonst so taffen Mädchen eine Gänsehaut bescherte. „Was ist! Wieso guckst du mich so an!?“ „Weil da, wo dein Kopf sein sollte, ein hohler Kürbis sitzt.“ Sofort zuckte er zusammen, als Anyas Fuß nur Millimeter unterhalb seiner primären Fortpflanzungsorgane gegen die Wand stieß. Matt fasste sich kopfschüttelnd an die Stirn. „Ernsthaft, Anya. Jack hatte in den Vorrunden 37 Punkte und war vor Claire Rosenburg Weltmeister.“ Logan nahm einen Schluck aus der Flasche und zeigte auf die Blonde. „Ihr Bruder hatte 40 und wir beide wissen, wie das ausgegangen ist.“ „Genau“, pflichtete Anya ihm nickend bei und ließ den Fuß sinken. „Wie gut kann einer sein, der so tief abgestiegen ist, dass er sogar die Profiliga verlassen musste? Ich sag euch, das war das Jahr der Luschen, als der seinen Titel bekommen hat.“ Matt gab einen tiefen Seufzer von sich. „Na offensichtlich will er zurück ins Rampenlicht. Unterschätze ihn einfach nicht, du weißt, wie er seine Spiele für gewöhnlich zu beenden versucht.“ Diesmal war es Zanthes Bein, das hoch schoss und nur kurz vor Anyas spezieller Zone zum Stoppen kann. Unterkühlt gab er zu verstehen: „So nämlich.“ „Ich hab's kapiert!“, wurde er sofort angefaucht.   „In wenigen Minuten ist es soweit. Das erste Viertelfinale des Legacy Cups beginnt“, hörten sie in diesem Moment aus dem Lautsprechern Mr. Cs Stimme. Logan löste sich von der Gruppe, hob Anya die Hand zum Gruß. „Sieht so aus, als müssten wir jetzt gehen. Viel Erfolg, Kleine!“ „Ja, du schaffst das schon“, sagte Matt und klopfte ihr auf die Schulter. Auch Zanthe löste sich von der Wand. Doch entgegen Anyas Erwartungen, gab es von seiner Seite keinerlei aufmunternde Worte. Er schloss sich einfach den anderen beiden an, die gerade an einem Putzmann und dessen Wagen vorbeiliefen. In einer Mischung von Enttäuschung und Anya Bauer-Premium Wut sah sie ihm offenen Mundes hinterher. Und nur Mr. C war es zu verdanken, dass an diesem Tag kein Unglück ungeahnten Ausmaßes vorfiel. „Heute begegnen sich Anya Bauer und der Weltmeister aus dem Jahre …“ „Das gibt’s doch nicht“, knurrte Anya und stierte ihren Freunden hinterher, wie sie gerade in einen Gang nach rechts abbogen. Der Putzmann sah sie hinter einer dicken Sonnenbrille an. Anya bemerkte das und schenkte dem Typen mit seinem dämlichen Baseball-Cap der New York Yankees einen bösen Blick. Wie sah der überhaupt aus, Schnauzbart und Vokuhila, als ob er gerade von einer Zeitmaschine ausgekotzt worden war. „… Jack Leonhart Jr.!“ In diesem Augenblick öffnete sich die Schiebetür hinter Anya. Das war dann wohl ihr Signal …   ~-~-~   Wie nicht anders erwartet, herrschte an den Docks von Garland eine Menge Lärm. Riesige Frachtschiffe ankerten an den Piers, wurden von blauen Kränen mit Containern beladen. Eine gewaltige Fläche, ähnlich der eines Parkplatzes, wurde allein von diesen zu Nicks Linker eingenommen. Neben Öl, Abgasen und anderem roch es hier auch nach Fisch, denn ebenso legten in diesem Bereich Fischerkähne an. Gelassen schlenderte Nick am Rand des Hafens entlang, nahm die Bilder seiner Umgebung in sich auf. Weiter vor ihm standen drei Lagerhäuser dicht beieinander. Aus einem von diesen war das ausgehende Telefonat dieser Alexandra gekommen. Inzwischen hielt die sich in einem Motel am Stadtrand auf. Nick ging davon aus, dass ihr Kreditkartenschwindel bemerkt worden war, da sie jene seitdem nicht mehr benutzt hat. Zuerst hatte er überlegt, sie noch vor dem Treffen zu stellen. Doch nach etwas Recherche hatte er ihren Geschäftspartner als Diego de la Rosa, einen mexikanischen Millionär entlarvt, welchem Verbindungen mit der La Cosa Nostra nachgesagt wurden. Der Gedanke, dass ein Mafioso indirekt mit Anya in Verbindung stand, missfiel Nick zutiefst und wenn diese auch noch so klein war. Alex zu erledigen würde im schlimmsten Fall nur diesen Mann auf den Plan rufen, deshalb musste er gegen beide vorgehen.   Unwillkürlich griff Nick hinter seiner Windjacke an das Bund seiner Hose, in dem inzwischen eine Pistole steckte. Seine freie Zeit hatte er genutzt, um den Umgang damit zu erlernen, doch das allein würde nicht reichen, so viel wusste Nick. Er musste die Beteiligten des heute stattfindenden Treffens auslöschen. Alle. Und das ging nur mithilfe der Schattengeister. „Snuggly, Sparkly“, murmelte er, sich weiter umsehend. Ihm fiel auf, dass einige der Hafenarbeiter vor oder auf den Schiffen ihn argwöhnisch beobachteten. Beide Krähen tauchten auf seinen Schultern auf. „Was ist?“, krähte die kluge Sparkly auf seiner linken. „Ich möchte, dass ihr das Gebiet aus der Luft analysiert. Heute Nacht werdet ihr Patrouille fliegen und jeden ausschalten, der zu Diegos Stab gehört.“ Verwirrt fragte Snuggly: „Nick will töten, raw?“ Der junge Mann blieb abrupt stehen. „Diese Schweine haben nichts anderes verdient. Wenn es darum geht, zukünftige Verbrechen zu verhindern, nehme ich in Kauf, selbst solche zu begehen.“ Er musste diese Menschen von Anya fern halten. Seine Finger ließen von der Waffe ab. Solange er unentdeckt blieb, würde er die Krähen die Drecksarbeit machen lassen. „Verschont niemanden, außer diese Alexandra und De la Rosa.“ „Das ist nicht, was Xiphos wollen würde, kraw!“, protestierte Sparkly, als Nick sich wieder in Bewegung setzte. Der lachte kaltherzig. „Nein. Es ist, was ich will. Wenn euch das stört, könnt ihr gerne zu eurem Meister zurückkehren.“ Woraufhin sich die beiden Krähen auf Nicks Schulterblättern hinter dessen Rücken ansahen. Sparkly zuckte mit den Flügeln. Keine der beiden sagte etwas.   ~-~-~   Erhobenen Kinns schritt Anya direkt auf die Mitte des kreisrunden Stadions zu. Dabei bemüht, dem Kameramann, welcher ihr unauffällig folgte, keine Beachtung zu schenken. Ihr Gegner wartete bereits auf sie. Ein recht großer Mann, vielleicht 25 Jahre alt. Seine Züge waren sehr fein, kein einziges Barthaar zierte das spitze Kinn. Sein hellblonder Pony verdeckte alles bis zu den Augenbrauen, obschon er den unteren Teil des Haars auf wenige Millimeter kurz geschoren trug. „Oh Gott“, stöhnte Anya jedoch, als sie bemerkte, dass er in einem grauen Anzug gekommen war. Mit Krawatte! Das Publikum johlte bereits regelrecht. Als Mr. C dann auch noch das Wort übernahm, brach endgültig ein lautes Durcheinander aus. „Hier sind sie, die beiden, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Anya Bauer, die durch ihren ungewöhnlichen Einstieg ins Turnier und ihr gefürchtetes Mundwerk bekannt geworden ist.“ Einige klatschten sogar für sie, bemerkte Anya, wenn auch kaum einer es wagte, ihren Namen laut auszurufen. Statt den wenigen Fans zuzuwinken, die sie hatte, starrte sie bewusst Jack an, welcher sie interessiert musterte. Und dabei grinste. Sie hasste ihn jetzt schon! „Mit beinahe voller Punktzahl hat er den Einzug in die Hauptrunde geschafft! Allison Slater war keine Herausforderung für ihn“, rief Mr. C plötzlich wesentlich begeisterter ins Mikrophon, „der Duellant, der dieses Jahr sein großes Comeback feiern will: Jack Leonhart Jr.!“ Sofort streckte ebendieser beide Hände in die Luft und winkte scheinbar -wirklich jedem- auf den Zuschauerrängen freudestrahlend zu. Was Anya dazu brachte, etwas zu tun, das noch nie jemand in diesem Stadion getan hatte. Sie rülpste. Die nachfolgende Stille, die entgleiste Mimik ihres Gegenüber und ein Gefühl der endlosen Erleichterung zauberten ein friedliches Lächeln auf Anyas Lippen. „Nun, also“, haderte Mr. C von seiner Lounge am oberen Ende der Tribüne peinlich berührt, „dann gebt euch die Hand, Duellanten.“ Der Ex-Weltmeister gewann sein aufgesetztes, charmantes Lächeln zurück und reichte Anya die Hand. „Viel Spaß. Übrigens, ich muss dieses Duell gewinnen, wenn du also so freundlich wärst und schnell verlieren würdest? Aber gib dir ruhig Mühe, die Leute wollen trotzdem eine gute Show.“ „Was du nicht sagst“, schlug die Blonde angriffslustig ein, „immerhin hast du die letzten zwei Jahre eine solche nicht mehr geboten, Milchgesicht.“ „Wenn es danach geht, müssen wir die Zuschauer wohl auf ein besonders enttäuschendes Viertelfinale vorbereiten“, erwiderte Jack auf Anyas Aussage hin mit einem müden Lächeln, doch sein Griff um ihre Finger wurde unangenehm fest, „denn wie wir seit den Vorrunden wissen, wird Talentlosigkeit in Bauer gemessen.“   Ein Teil der Zuschauer brach daraufhin in tosendes Gelächter aus. Etwas, das Anyas ohnehin schon leicht reizbare Natur praktisch genügend Nährboden für ihre in letzter Zeit abgeflachten Fantasien gab. „Was!?“ Der Speichel flog ihr nur so um die Ohren. „Wiederhol' das!“ „Du solltest nicht hier stehen und das weißt du. Sicher, du bist nachgerutscht, aber nur weil einer der anderen Teilnehmer nicht wusste, was er überhaupt wollte. Wie man das nennt? Zweite Wahl.“ Als er das sagte, zischten jedoch auch einige Leute aus dem Publikum oder buhten ihn sogar aus, während andere dies lautstark unterstützten. Letztlich löste er auch den Handschlag, aber nur aus einem Grund: So konnte er eine verscheuchende Handbewegung ausführen. „Also mach husch, ich habe andere Probleme als dich.“   Beruhige dich. Tätliche Angriffe werden mit Disqualifikation geahndet. Nimm ein paar Schritte zurück, zähle bis zehn und wenn du ihn dann immer noch umbringen willst … tu's einfach nicht.   Mit geweiteten Augen wirbelte Anya um die eigene Achse und stampfte davon. Eins! Ja, mit einem Ei würde es sich schlecht leben! Zwei! Genau so viele Rippen würde sie ihm brechen. Nein, mach drei draus! Vier? War im Japanischen mit dem Tod gleichzusetzen! Fünf!? Wenn er mehr als fünf Minuten mit ihr alleine in einem dunklen Raum aushielt, würde sie ihm eine Medaille schenken. Was wahrscheinlich der letzte Preis war, den dieser Typ jemals gewinnen würde, sobald sie erst mit ihm fertig war. Und fuck auf die anderen Zahlen, denn jetzt würde sie-!   Sich umdrehen, ihm auf dem Feld gegenüberstehen und für den Rest des Duells auf eine Weise anstarren, die sehr deutlich machte, dass sie für die restlichen Zahlen mehr als genug Ideen parat hatte! „Lasset das Spiel beginnen!“, rief Mr. C inbrünstig aus. Und die Kontrahenten riefen unter lautstarkem Jubel: „Duell!“   [Anya: 4000LP / Jack: 4000LP]   „Ich mache den ersten Zug“, entschied Anya herrisch. Ihr fein gekleideter Gegner sah sie gar nicht an, sondern winkte lieber irgendwelchen Schnepfen aus dem Publikum zu. Plötzlich aber wandte er sich an das Mädchen. „Hör zu, ich muss dieses Duell -unbedingt- gewinnen, verstehst du? Deine kleinen, süßen Träume von Berühmtheit berühren mich zutiefst …“ Wie er auch verdeutlichte, als er seine Hände aufs Herz legte. „ … aber ich werde sie gnadenlos zertrampeln müssen. Außer, du kommst mir entgegen und machst das selbst. Ist weniger schmerzvoll, glaub mir.“ Das passende Zwinkern dazu gab seiner Gegnerin den Rest. Kurz drohten ihre Augen aus den Höhlen zu ploppen, sodass sie schnell nach unten starrte, um sie zur Not aufzufangen.   Stell dir einfach vor-!   „Schon dabei!“, knurrte Anya abgelenkt. Voller Inbrunst starrte sie in ihr Blatt, gewillt, es diesem Idioten mit aller Macht heimzuzahlen. Was war das überhaupt für ein abgehobener Dreckskerl!? Allein der Spruch mit ihrem Nachnamen qualifizierte ihn für einen Dauerplatz in einem Pflegeheim für Schwerbehinderte. Und Gott, würde er schwerbehindert sein, sobald sie erst mit ihm fertig war. Womit -nicht- das Duell gemeint war. „Was denn, Blondie? Ich warte hier“, drängelte Jack sie, ihren Zug auszuführen. Binnen Sekundenbruchteilen lief Anya gefährlich rot an. Wenn doch bloß nicht diese beschissenen Kameramänner wären. Sonst würde sie jetzt da rüber gehen und ihn … aber sie konnte nicht! Korrektur, durfte nicht. Selbst vor Schimpfwörtern hatte Logan sie eindringlich gewarnt. Aber was zum Teufel waren seines Verständnisses nach unangebrachte Wörter!? Wenn es nach Anyas ging gab es keine! „Tch. Das ist doch zum Heulen!“, ereiferte sie sich aufgebracht. Was natürlich sofort den Kommentator Mr. C in seiner am oberen Ende der Arena befindenden VIP.-Lounge auf den Plan rief. „Es sieht ganz danach aus, als hätte Anya Bauer Probleme, eine Strategie zu finden.“ Sofort fingen auch erste Leute aus dem Publikum an, ihr zuzurufen, sie möge doch irgendetwas machen … oder gleich aufgeben. Hatten die eins an der Waffel!? In ihrem letzten Duell hatte sie teilweise mehr mit Zach gestritten, als sich duelliert! „Hmpf, na schön“, entschied sie schließlich. „Ich beschwöre [Battlin' Boxer Headgeared]!“ Unvermittelt materialisierte sich vor ihr ein durchtrainierter, dunkelblauer Kämpfer mit rotem Kopfschutz, dessen Hände in gleichfarbigen Handschuhen steckten.   Battlin' Boxer Headgeared [ATK/1000 DEF/1800 (4)]   Sie nahm das Deck aus ihrem D-Pad und erklärte: „Er schickt einen Trainingspartner auf den Friedhof.“ Ein solcher Battlin' Boxer war es auch, den sie anschließend in den Friedhofsschacht schob. „Wie schön für dich“, spottete Jack ungehemmt weiter, „und weiter?“ „Das wirst du gleich sehen! Da ich einen Boxer kontrolliere, kann ich [Battlin' Boxer Sparrer] von meiner Hand spezialbeschwören, dafür aber nicht in diesem Zug angreifen.“ Neben Headgeared erschien ein weiterer Boxer in Grau, an dessen Armen dicke Schienen angebracht waren.   Battlin' Boxer Sparrer [ATK/1200 DEF/1400 (4)]   „Wow, und das im ersten Zug!?“, schauspielerte ihr Gegner hämisch mit einer ausschweifenden Handbewegung sein nicht vorhandenes Erstaunen. Die Hände sinken lassend, fügte er sarkastisch hinzu: „Kombos für Dreijährige. Fortschrittlich!“ Die Zornesfalte auf Anyas Stirn pulsierte bereits gefährlich. Was bildete sich dieser schmierige Wichskopf eigentlich ein!? Da schon ihre verkrampfte Haltung jedem mit einem Fünkchen Verstand verriet, dass ein Verbrechen im Begriff war zu entstehen, tauchte Levrier neben Anya auf.   Lass dich nicht von seinen Sprüchen ablenken. Er muss dein Duell mit deinem Bruder gesehen haben und versucht nun, dich auf die gleiche Weise zu verunsichern wie Zachariah Bauer.   Die Blonde aber schnaubte nur stoßartig hintereinander weg.   Konzentriere dich! Anders als dein Bruder, ist Jack Leonhart Jr. ein erfahrener Duel Monsters-Spieler. Du darfst dir keine Fehler erlauben, Anya Bauer!   Um sie zu beruhigen, legte Levrier ihr seine durchsichtige Hand auf die Schulter. Anya atmete ein letztes Mal tief durch, ehe sie nickte. Dann setzte sie ein freches Grinsen auf. „Bessere Sprüche hast du nicht auf Lager?“ „Doch, aber die spare ich mir für deine Niederlage auf.“ „Ich wette, das hast du zu Claire Rosenburg auch gesagt, bevor sie mit deiner Fresse die Riding Duel-Strecke geputzt hat“, konterte Anya und spielte auf die Niederlage an, die sie ihm im Kampf um den Weltmeistertitel einst zugefügt hatte. Sofort vereiste sich die Miene ihres Gegners. Anya gluckste bösartig. „Jackpot! Got it?“ „Nein.“ Niemand, um genau zu sein, so still wie das Publikum war. Davon ließ Anya sich aber nicht beirren und streckte den Arm nach vorne aus. „Mir doch egal. Ich bin übrigens noch nicht fertig. Ich habe noch eine kleine Überraschung für dich. Ich erschaffe das Overlay Network!“ Vor ihr öffnete sich ein Schwarzes Loch, umgeben von einem leuchtenden Sternenwirbel. In jenes wurden ihre beiden Boxer als rote Lichtstrahlen hineingezogen. „Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster“, rief das Mädchen. Oh ja, damit rechnete bestimmt niemand. „Xyz Summon!“ Eine Explosion erfolgte aus dem Überlagerungsnetzwerk. Und empor stieg eine amphibische Gestalt, dürr und von dunkler Natur. Die Haut glühte an manchen Stellen rot, was kein Wunder war, brannte die Kreatur vom Schopf an bis zum langen Schweif lichterloh. Zwei Leuchtsphären umkreisten diese wie kleine Monde einen Planeten. „Zeig dich, [Lavalval Chain]!“, röhrte dessen Besitzerin. Und der sogenannte Anya-Block sprang jubelnd auf. Zu dumm, dass er im Vergleich zum Rest des Publikums im kreisrunden Stadion geradezu winzig wirkte. Genauer gesagt, bestand er nur aus Matt, Logan, Valerie und Marc. Letztere hatten sich bereits vor dem Stadion von ihr getrennt gehabt. Alle anderen Zuschauer, inklusive Zanthe, blieben beharrlich still.   Lavalval Chain [ATK/1800 DEF/1000 {4} OLU: 2]   Anya sah stolz zu ihren Freunden herüber. Besonders Marc und Valerie hatte sie dabei im Visier, denn diese Karte hatte der Sammler einst auf Basis ihrer Liebe erschaffen. Ohne die magischen Kräfte dieses Monsters wären sie alle im Turm von Neo Babylon drauf gegangen. Du solltest dich nicht zu sehr auf diese Karte verlassen. Denk daran, dass der, der sie erschaffen hat, dein Schicksal in den Händen hält.   Auf Levriers Warnung hin verhärtete sich Anyas Gesichtsausdruck. „Yeah …“ Dasselbe galt dann wohl für [Daigusto Emeral], der ihr gegen Zach gute Dienste geleistet hatte. Sich ihrem Gegner zuwendend, riss sie in der Drehung ein Xyz-Material unter [Lavalval Chain] hervor. „Pass gut auf! Ich kann eine Overlay Unit abhängen, um ein Monster von meinem Deck nach oben auf ebenjenes zu legen, damit ich es beim nächsten Mal ziehen kann.“ Seit sie ihm den Seitenhieb mit Claire verpasst hatte, stand Jack nur noch mit verschränkten Armen da und sagte gar nichts. Aber umso besser. Derweil schnappte ihr Monster nach einer der beiden Lichtkugeln und verschlang sie, nur um dann eine Stichflamme in die Luft auszustoßen.   Lavalval Chain [ATK/1800 DEF/1000 {4} OLU: 2 → 1] Als Anya gewählt hatte, schob sie die Karte oben auf ihren Stapel. Im Anschluss daran nahm sie noch zwei Karten aus ihrem Blatt und schob sie unter Chains Karte in das D-Pad. „Die setze ich. Zug beendet!“ Zischend tauchten sie zu ihren Füßen auf.   Anyas Block sprang auf und spendete dem bereits jetzt bis zum Anschlag gereizten Mädchen Applaus. Alle bis auf Zanthe, welcher lieber den Zeigefinger an die Zunge legte und seine Zeitschrift umblätterte. Als Matt dies bemerkte, stieß er den Werwolf mit dem Fuß an. „Hmm?“ Zwar hatte das Nicken in Anyas Richtung eine eindeutige Botschaft, die Zanthe jedoch geflissentlich ignorierte. „Gibt es ein Problem?“, beugte sich Logan hinter Matt hervor. Auch Marc und Valerie neben ihm schauten schon fragend herüber. Betont abweisend antwortete der Werwolf: „Nein. Sollte es?“ „Du könntest wenigstens so tun, als wärst du auf ihrer Seite“, brummte Matt. „Reg' dich ab, sie guckt sowieso nicht hierher.“ „Trotzdem gehört sich das so!“ Mit einem Ruck stand Zanthe und sah Matt strahlend in die Augen, welcher die Geste mit einem Lächeln honorierte. Welches alsbald in sich zusammenfiel, als der Kopftuchträger sich durch die Reihe an Zuschauern bahnte, um sich zu entfernen. „Wo willst du hin!?“, rief der Dämonenjäger ihm fassungslos hinterher. „Weg hier, siehst du doch. Sie wird das auch ohne meine 'Ahs' und 'Ohs' schaffen, ganz bestimmt.“ Als Zanthe die Treppen erreichte, rannte er sie hinab zum weiter unten liegenden Ausgang. „Langsam verstehe ich, warum die Kleine so ist wie sie ist“, gluckste Logan. Matt ließ sich in den Sitz zurückfallen. „Das kann doch nicht wahr sein …“ „Ich geh ihm mal nach“, schlug Logan vor und marschierte hinter dem Schwarzhaarigen im Ledermantel vorbei. „Bring' ihm ein paar Manieren bei.“ Doch der Jüngere winkte bloß ab. „Dafür kommst du ein Jahrhundert zu spät …“ „Hm?“ „Nichts. Red' ruhig mit ihm, aber beeil' dich, denn wenn Anya merkt, dass ihr beide fehlt, bin garantiert ich der Leidtragende …“   Doch der fiel überhaupt nicht auf, dass nun auch Logan sich durch die Zuschauerreihen hin zur nächstgelegenen Treppe bewegte. Sie fixierte sich allein auf Jacks Stirn, in der Hoffnung, eine Neuauflage des Todesblicks zu starten. Und verdammt, sie glaubte, da tatsächlich schon einen winzigen, roten Punkt zu sehen!   In einer geradezu formvollendeten Bewegung zog Jack die Karte, was überspitztes Gekreische von seinen Fangirls in den ersten Reihen mit sich brachte. Er hatte Fangirls, stellte Anya fest. Als ob es nicht schon genug Gründe gab, ihn zu hassen! Wie sie aus den Augenwinkeln bemerkte, hielten einige sogar Banner mit Bildern von ihm hoch. „Ich bin in der Hölle gelandet“, stellte sie ernüchtert fest. „Schön, dass wir uns endlich in etwas einig sind“, schenkte Jack ihr sein Strahlemannlächeln. Dabei sprang das Fach für Spielfeldzauber an seinem roten D-Pad auf. „Sie nennt sich übrigens [Dragon Ravine].“ Überall innerhalb der Duellfläche schoben sich massive, durchsichtige Felswände aus dem Boden. Die Dachkuppel verfärbte sich in einen gelben Sonnenuntergang, welcher durch umher kreisende, schattenhafte Drachensilhouetten noch betont wurde. „Gleich zu Beginn spielt Jack seine Schlüsselkarte aus!“, kommentierte Mr. C dies begeistert unter dem Jubel des Großteils der Zuschauer. Ein leichter Nebel waberte inzwischen bis etwa auf Kniehöhe innerhalb des Spielfelds. Der blonde Duellant im Anzug schob eine Handkarte in den Friedhofsschlitz. „Genau. Und jeder, der mich schon einmal hat spielen sehen, weiß, dass ich durch das Abwerfen einer Karte zwischen zwei Effekten wählen kann: Entweder schicke ich einen Drachen von meinem Deck auf den Friedhof oder ich erhalte ein Dragunity-Monster von meinem Deck.“ Anya erinnerte sich, dass Zanthe vor dieser Karte gewarnt hatte. War sie erst im Spiel, würde es nicht lange dauern, bis Jack das Duell gewann. Außer seine Gegnerin hieß Claire Rosenburg und verdammt, Anya war in diesem Moment -so- kurz davor, sich umzubenennen! „Ich wähle letzteren Effekt“, verkündete ihr Gegner, „und bekomme [Dragunity Dux].“ Die Karte schoss aus seinem Deck hervor und wurde sofort auf den Spielplan gelegt. „Erscheine!“ Was die humanoide Gestalt auch tat. Verhüllt in einer weißen Tunika mit Schulterplatten, machte der Mann dank der Flügel an seinem Rücken und der Haube samt Schnabel daran tatsächlich den Eindruck, als wäre er ein Vogel.   Dragunity Dux [ATK/1500 DEF/1000 (4)]   Dank des siegessicheren Lächelns auf den Lippen fiel es Jack nicht schwer, vielen weiblichen Besuchern ein Seufzen zu entlocken, als er erklärte: „Mein Freund hat auch einen Effekt, den ich dir nicht vorenthalten will, liebe Anya. Er rüstet sich bei seiner Beschwörung mit einem Dragunity-Drachenmonster von meinem Friedhof aus. Woher das wohl kommt?`“ Anya überhörte den gespielt verwunderten Tonfall des letzten Satzes gekonnt. „Du hast es eben abgeworfen, Schwachkopf.“ „Natürlich habe ich das.“ An das Publikum gewandt, sagte er: „Es handelt sich um [Dragunity Phalanx]!“ Ein kleinwüchsiger, dunkelblauer Drache, der in einer goldenen Ganzkörperrüstung steckte, stieg aus dem Nebel empor, direkt unter Dux, welcher befehlend die Geißel in seiner Hand nach vorne streckte. „Nicht umsonst habe ich mich für ihn entschieden“, schwärmte Jack weiter, „Phalanx hat einen Effekt, der ihn jetzt sofort von der hinteren in die erste Reihe befördert.“ Der Ex-Weltmeister grinste, als Anya ihn nur skeptisch anstarrte. „Das heißt, dass Phalanx aus der Zauberkartenzone spezialbeschworen wird.“ „Erzähl mir was Neues“, zischte das Mädchen zurück, als der Reiter wieder von seinem Drachen sprang und sich neben ihm positionierte.   Dragunity Phalanx [ATK/500 DEF/1100 (2)]   Währenddessen eilte Logan durch den verlassenen Gang und erreichte eine Gabelung. Gerade wollte er dem Pfeil folgen, der da sagte 'Exit', da bemerkte er Zanthe alleine stehen. Zumindest für einen Moment, bis direkt vor diesem ein etwas größerer, junger Mann auftauchte. „Was …?“, staunte der knapp 162 cm große Mann und zog sich hinter der Wand zurück. „Warum bist du abgehauen?“, fragte Exa derweil überrascht. „Ich dachte, sie wäre deine Freundin?“ Zanthe zog an ihm vorbei, sodass der junge Mann mit dem blonden, zu Braids verknüpften Haupthaar mit den Schultern zuckte und ihm nacheilte. Logan hörte die Unterhaltung interessiert durch den Korridor mit an. Frustriert aufstöhnend, erwiderte Zanthe seinem Freund: „Ich habe keine Lust, verstehst du? Seit heute morgen versuche ich ihr zu erklären, wie dieser Jack kämpft. Glaubst du, sie merkt sich etwas davon?“ „Klingt nicht danach.“ „Eben. Und ich hab's satt. Wenn sie meint, das Ganze verhauen zu müssen, dann ohne mich.“ Vorsichtig spähte Logan um die Ecke, sah die zwei jungen Männer nebeneinander her laufen. Sein Blick verfinsterte sich zunehmend. Nichts davon ahnend, zuckte Exa mit den Schultern. „Erwartest du denn, dass sie die Botschaft versteht, wenn sie dich nicht unter ihren Freunden entdeckt?“ „Sie wird es nicht einmal bemerken. Es ist schließlich Anya. Und es ist mir inzwischen egal, ich bin nicht dazu da, sie zu erziehen.“ Erst als die beiden den in einer Kurve verlaufenen Gang soweit passiert hatten, dass sie sich nicht mehr im Blickfeld des Mechanikers befanden, trat dieser aus seiner Deckung hervor. „Sieh einer an“, murmelte er düster. Und begann ihnen langsamen Schrittes zu folgen.   Anderenorts stiegen der geflügelte Dux und sein Drachenpartner nebeneinander in die Luft auf, als Jack mir dem Finger schnippte. „Jetzt, meine verehrten Zuschauer, stimme ich den Stufe 2-Empfänger [Dragunity Phalanx] auf [Dragunity Dux] ein.“ Statt in zwei grüne Synchroringe zu zerspringen, veränderte Phalanx stattdessen seine Form, wurde zu einem langen, schlangenhaften Drachen von weißer Farbe, der seine Schwingen weit ausspannte. „Filled with pride and blessed with victory to become the next in line of divinity!“ Der Drachenreiter Dux stieg mitten in der Luft auf dem wachsenden Drachen auf. „Synchro Summon! Soar, [Dragunity Knight – Gae Bulg]!“ Von dem Gespann ging ein greller, grüner Blitz aus. Und die Menge tobte. Was auch der Grund war, warum Anya betont eine Hand vor den Mund hielt und gähnte, als Gae Bulg hinab stieg und sich vor Jack positionierte. Dragunity Knight – Gae Bulg [ATK/2000 DEF/1100 (6)]   „Du siehst nicht gerade beeindruckt aus. Ein ziemlich schwaches Monster, nicht wahr?“ Anya gelang es zunehmend besser, ihren Gegner einfach nur wortlos anzustarren. „Nun, nicht mehr lange“, räusperte sich Jack, als kein abfälliger Kommentar folgte, „ich habe noch die hier: [Dragon Mastery], ein dauerhafter Zauber.“ Jene stellte sich vor ihm auf und bildete [Dragunity Phalanx] ab, an dessen Horn sich ein grüner Vogelmann festhielt. „Sie lässt mich von meiner Hand ein Dragunity-Monster an eines vom Feld ausrüsten und solange das der Fall ist, erhält Letzteres 500 Angriffspunkte.“ „[Dragunity Brandistock], hab ich Recht?“, fragte Anya nach, noch bevor ihr die Karte gezeigt wurde. Für den Bruchteil einer Sekunde fror Jacks Mimik ein, ehe er genau diese Karte in sein D-Pad schob. „Gut geraten.“ Die durchsichtige Gestalt eines dunkelblauen Babydachens in himmelblauer Rüstung verschwand im Drachenreiter, welcher daraufhin eine silberne Aura auszustrahlen begann.   Dragunity Knight – Gae Bulg [ATK/2000 → 2500 DEF/1100 (6)]   „Könnte das etwa das Ende bedeuten!?“, überschlug sich Mr. C bereits völlig. Anya hörte, wie das Publikum wild zu tuscheln begann. „Was regen sich alle so auf, so viel stärker ist es doch gar nicht geworden?“ „Anya“, sprach Jack sie mitleidig an, „du hast ja keine Ahnung.“ „Ach ja? Und wenn schon, ich hab zwei gesetzte Karten, das reicht locker!“ Geradezu abfällig war das schwache Lächeln, das der blonde Mann seiner Gegnerin daraufhin schenkte. „Nein, das wird es nicht. Versuch' ruhig, mein Monster zu zerstören, nur zu.“ Er blickte dabei siegesgewiss in sein aus zwei Karten bestehendes Blatt, von der die obere Karte [My Body As A Shield] war. Dann widmete er sich wieder Anya in aller Eiseskälte. „Ansonsten tu mir endlich den Gefallen und zieh dich in das Loch zurück, aus dem du gekrochen bist. Gae Bulg, Angriff auf … das Ding da. Dragunity Majestic Lance!“ Dux, dessen Geißel zwischenzeitlich durch einen dünnen, langen Speer ausgetauscht worden war, schwang diesen über den Kopf, ehe sein Drache den Sturm nach vorn antrat. „Eins solltest du wissen“, rief Jack dabei entschlossen, „Brandistock verleiht dem ausgerüsteten Monster zwei Angriffe. Und …“ Er griff gerade nach seinem Friedhof, als Anya den Arm ausschwang und ihren Gegner damit unterbrach. „Falle!“ Sofort huschte dessen Hand daraufhin zum Blatt, griff bereits die angedachte Zauberkarte. „[Half Unbreak]!“ Doch etwas überrascht davon, verfolgte Jack mit, wie aus Anyas aufrecht stehender Karte eine riesige Seifenblase stieg, die ihre brennende Amphibie in sich einschloss. Und selbst ein Stich mit Gae Bulgs Lanze brachte diese nicht zum Platzen, geschweige denn [Lavalval Chain] ins Grab.   [Anya: 4000LP → 3650LP / Jack: 4000LP]   „[Half Unbreak] macht eines meiner Monster für den Zug unzerstörbar und halbiert sämtliche Schäden, die ich im Kampf mit ihm erleide!“ Jack klatschte sich vor die Stirn. Wie in Zeitlupe zog er die Hand übers Gesicht hinab und sah dann auf. „Ist das dein Ernst? Ist das wirklich dein Ernst?“ Dagegen war Mr. C vollkommen aus dem Häuschen. „Da ist sie gerade noch einmal davon gekommen! Aber ihre Hartnäckigkeit hat Anya Bauer bereits zuvor oft genug bewiesen!“ Den Kopf schüttelnd, schwang Jack den Arm aus. „Danke für meine gestohlene Lebenszeit. Noch ein Angriff, Gae Bulg …“ Auch der zweite Stich nach [Lavalval Chain] führte zu nichts.   [Anya: 3650LP → 3300LP / Jack: 4000LP]   „Was weißt du von gestohlener Lebenszeit?“, schnaubte Anya. „Bist du jetzt fertig oder was?“ Jack nahm seine Schnellzauberkarte und legte sie in sein D-Pad ein, woraufhin sie zischend zu seinen Füßen auftauchte. „Ja.“ Und die Seifenblase platzte endlich.   Als Anya sich mit einem verstohlenen Grinsen zur Seite drehte und ihren Freunden zuwinken wollte, stellte sie fest, dass zwei davon fehlten. Die Plätze rechts neben und hinter Matt waren unbesetzt. Das Mädchen legte den Kopf schief, woraufhin der Dämonenjäger nur entschuldigend mit den Schultern zuckte. Das Ganze wurde auch dadurch nicht besser, dass Redfield den Kopf schüttelte. Okay, sagte sich Anya, dass der blöde Flohpelz mit Abwesenheit glänzte, war ein Problem. Aber der Zwerg auch!? Vielleicht waren sie nur zusammen auf Toilette, wenn Mädchen das so machten, warum auch nicht Jungs … Oh Gott, hoffentlich nicht! Anya war noch dabei, den Gedanken aus ihrem Kopf zu vertreiben, da drang Jacks Stimme an ihr Ohr. „Was ist los, vermisst du zwei deiner Fans? Wie traurig, das sind ja 40% Verlust innerhalb von wenigen Minuten. Das hat bisher keiner geschafft, Glückwunsch.“   In Zeitlupe drehte sich Anyas Kopf in Jacks Richtung. Und sie hauchte: „Draw …“ Oh ja, sie brodelte innerlich. Es gab allerdings nur eine Person in ihrem unmittelbaren Umfeld, die in diesem Augenblick den Geschmack der Anya Bauer-Premium Wut auskosten konnte. Und sie würde, entschied das Mädchen kurzerhand. „[Battlin' Boxer Switchitter]!“, rief sie grimmig und knallte die gezogene Karte auf das D-Pad. Ein Umhang flog und da stand er, ein metallischer Cyborg-Boxer, der seinen Kopf unter einer beigefarbenen Kapuze versteckt hielt.   Battlin' Boxer Switchitter [ATK/1500 DEF/1400 (4)]   Anya legte ein fieses Grinsen auf. „Der trainiert nicht gern alleine, deswegen ruft er einen Boxer vom Friedhof aufs Feld!“ Neben ihrem Kämpfer öffnete sich ein Runenzirkel auf dem Boden, aus dem der blaue [Battlin' Boxer Headgeared] aufstieg.   Battlin' Boxer Headgeared [ATK/1000 DEF/1800 (4)]   „Ich errichte das Overlay Network!“ Ein schwarzer Galaxienwirbel öffnete sich vor Anya, als diese den Arm nach vorne streckte. Beide Boxer verwandelten sich in rote Lichtstrahlen, die absorbiert wurden. „Aus meinen beiden Stufe 4-Battlin' Boxern wird ein Rang 4-Brocken!“ Eine Explosion erfolgte aus dem Schwarzen Loch, aus dem im Anschluss eine gar furchteinflößende Gestalt entsprang. „Xyz Summon! Mach ihn alle, [Battlin' Boxer Lead Yoke].“ Anyas Hüne hielt sich gebeugt, was an den Stahlpfeilern lag, die auf seinem Kreuz befestigt waren und in denen sich seine beiden Xyz-Materialien befanden, die man nur schwach durchleuchten sah.   Battlin' Boxer Lead Yoke [ATK/2200 DEF/2000 {4} OLU: 2]   Die noch immer ausgestreckte Hand ließ Anya zur Seite schwenken, hin zu ihrem brennenden Ungeheuer. „Ich nutze den zweiten Effekt von [Lavalval Chain]! Damit kann ich direkt eine Karte von meinem Deck auf den Friedhof schicken!“ Was sie nur zu gerne tat. Statt aber den Namen zu nennen, zog sie bewusst provozierend ihr Deck aus dem Schacht und überlegte. So lange, dass Jack ungeduldig mit der Fußspitze auf dem metallischen Boden zu tippen begann. Und Anya überlegte weiter, wodurch die ersten Leute schon zu tuschelnd begannen. „Anscheinend ist die Gute etwas unentschlossen“, stammelte Mr. C verloren. „Wird das bald was!?“, fauchte Jack das Mädchen letztlich an, nachdem sie es endlich geschafft hatte, seinen Geduldsfaden zum Reißen zu bringen. Unschuldig mit den Schultern zuckend, nahm Anya eine Karte aus dem aufgefächerten Deck. Nur um sie dann zurückzustecken. „Nein.“ Sie genoss den Anblick der Faust, die ihr Gegner daraufhin ballte. Und entschied sich, dass sie ihn noch ein paar Minuten zappeln lassen würde. Aber als das Geraune der Zuschauer zunehmend penetranter und nerviger wurde, entschloss Anya, dass es Zeit für den nächsten Schritt auf dem Weg zu Jacks persönlicher Bestrafung war. „Die hier“, murrte sie, zeigte das Monster kurz vor und schob es in den Friedhofsschacht. Ihr Gegner atmete sichtbar erleichtert auf. „Na endlich …“ „Angriff auf seinen [Dragunity Knight – Gae Bulg]“, befahl die Blonde völlig unerwartet und löste damit erstaunte Reaktionen aus. „Du hast [Battlin' Boxer Counterpunch] abgeworfen“, schlussfolgerte Jack. Genau dieser schob sich in diesem Moment aus Anyas Friedhof, sodass sie ihn wieder aufnehmen und diesmal überall herumzeigen konnte. Ihr Boxer ging in eine geduckte Haltung, aus der er auf den Drachenreiter vor Jack zu sprintete. „Gut erkannt, Einstein!“, rief Anya. „Den muss ich nur verbannen, damit mein Lead Yoke ein nettes Punkte-Upgrade bekommt, nämlich ganze 1000 für diesen Zug!“ Im Lauf hob der Hüne seine Rechte, die in lodernden Flammen aufging.   Battlin' Boxer Lead Yoke [ATK/2200 → 3200 DEF/2000 {4} OLU: 2]   Stille. Alle sahen Jack an, der unbedarft mit den Schultern zuckte. „Wenn du meinst? Immerhin spielst du mir damit genau in die Hände. Dank des Effekts von Gae Bulg.“ Ebenjener ließ die Lanze wieder über seinem Kopf kreisen, richtete sie jedoch diesmal gen Sonnenuntergang. Wo sie plötzlich golden aufzuleuchten begann. Jack zog eine Karte aus seinem Friedhof hervor, die von [Dragunity Dux]. „Pech für dich, du hättest dich informieren sollen. [Dragunity Knight – Gae Bulg] kann sich genau wie dein Lead Yoke stärken, aber anders als der, bekommt er gleich den kompletten Wert des Geflügelten Ungeheuers gutgeschrieben, das ich für den Effekt vom Friedhof verbanne. Du rennst gerade in dein Verderben.“ Entschlossen richtete der Vogelritter seine Lanze nach vorn und befahl seinem Reittier, ebenfalls in die Offensive zu gehen.   Dragunity Knight – Gae Bulg [ATK/2500 → 4000 DEF/1100 (6)]   Anya weitete die Augen. Die beiden Monster rasten aufeinander im nebligen Tal zu und tauschten die Angriffe aus. Die flammende Faust wurde ins Gesicht des Vogelmanns gerammt, wohingegen die Lanze ihr Ziel verfehlte und gegen einen der Pfeiler stieß. Eine gewaltige Explosion erfolgte und wirbelte sowohl Rauch als auch Nebel auf. „Ich weiß natürlich bestens Bescheid darüber, dass Lead Yoke sich durch das Entfernen einer Overlay Unit schützen kann“, meinte Jack nebenbei, „aber nächste Runde bringt ihm das auch nichts mehr.“ Die Blonde senkte das Haupt. „Sicher?“ „Hm?“ „So wie ich das sehe“, murmelte Anya leise und ließ genau das Grinsen aufblitzen, das einst Patricia Kinsky dazu gebracht hatte, aus dem zweiten Stock der Livington Middle School in einen Busch zu springen. Nur dass das Grinsen von damals lediglich einen gebrochenen Arm bezweckt hatte. -Dieses- hingegen war für so viel mehr bestimmt, wie sich zeigen sollte, als Anya mit funkelnden Augen aufblickte, „gibt es keine nächste Runde mehr.“ In genau diesem Augenblick entflammte der Rauch auf dem Spielfeld. Lead Yoke schoss aus der Wolke auf einen erschrockenen Jack zu, der die volle Dröhnung abbekam. Die Faust wurde in sein Gesicht geschlagen und trotzdem es sich um ein Hologramm handelte, kippte der blonde Schönling aus den Latschen und landete über einen Meter weit entfernt auf dem Bauch.   [Anya: 3300LP / Jack: 4000LP → 800LP]   „Ich weiß nicht, wie sie das angestellt hat, liebe Damen und Herren, aber sie hat Jack Leonhart Jr zu Fall gebracht!“, überschlug sich Mr. Cs Stimme. Die Antwort stand aufrecht vor Anya in Form einer Fallenkarte. Das Mädchen genoss den entsetzten Blick, den ihr Gegner ihr vom Boden zuwarf. „Du dachtest, ich wäre zu blöd, um über dich Bescheid zu wissen, huh?“, spottete sie bitterböse und sah auf ihn herab. „Dachtest, du wärst mir von Hause aus überlegen. Aber nicht ich bin es, der dich unterschätzt hat, sondern du mich. Das da ist [Jolt Counter].“ Der flammende Rauch verzog sich vom Spielfeld und von Gae Bulg war keine Spur mehr zu sehen. „Mit dieser Konterfalle hebelt ein Boxer jeden Effekt aus, der in der Battle Phase aktiviert wird und zerstört dessen Auslöser.“ „Oh …“, brach es aus Jack hervor. „Ich habe mir alles gemerkt. Wie du versuchst, die Angriffskraft deines Gae Bulgs zu erhöhen, um dann mit Brandistock zweimal für einen One Turn Kill anzugreifen“, erklärte Anya stolz. „Und was du versuchst, wenn das scheitert. So ein Pech bloß, dass ich dich das gar nicht erst ausprobieren lassen werde, nicht?“ Erbarmungslos hob sie den Zeigefinger und deutete auf ihren am Boden liegenden Gegner. Keine Ahnung, wie er überhaupt dort gelandet war, aber umso besser. Das war sozusagen das Sahnehäubchen auf dem Kuchen seiner Bestrafung! „Direkter Angriff, [Lavalval Chain]! Burning Vision!“ Einen Arm nach dem anderen schwang das Reptil aus und schleuderte damit Wogen puren Feuers in Jacks Richtung, der den Arm über den Kopf hielt und in den Explosionen unterging, die um ihn herum stattfanden.   [Anya: 3300LP / Jack: 800LP → 0LP]   Es dauerte einen Augenblick, bis der erste Zuschauer klatschte. Nach und nach folgte mehr Applaus für Anya, die stolz die Brust nach vorne reckte. Die Hologramme verschwanden, sodass sie sich wieder in der kreisrunden Arena befanden. „Das gibt es nicht!“, flötete Mr. C begeistert. „Anya Bauer hat den ehemaligen Weltmeister Jack Leonhart Jr. eiskalt abserviert. Sollte es noch eine Person im Stadion geben, die an den Fähigkeiten dieses Mädchens zweifelt, so möge sie ihn bitte umgehend verlassen.“ Die Blonde konnte kaum glauben, was sie da hörte. Dieser dämliche Kommentator lobte sie, sie, Anya Bauer, die Quereinsteigerin, die Niete, die Lachnummer des Turniers, der niemand etwas zutraute! Während Jack sich aufrichtete, blickte Anya zu den Zuschauertribünen. Viele Leute waren für sie aufgesprungen, darunter auch ihre Freunde. Doch ihr Lächeln verlor sich, als die Plätze neben Matt immer noch leer waren und er sowie Redfield und Butcher die einzigen aus ihrem Kreis waren, die ihren Sieg live miterlebt hatten. Von der Ernüchterung zurückgeworfen, bemerkte sie Jack erst, als er direkt vor ihr stand. „Habe“, begann er heiser, aber hörbar aggressiv, „ich dir nicht gesagt … dass ich … unbedingt gewinnen muss?“ Das Mädchen pfiff abfällig. „Hast du aber nicht. Zieh Leine.“ „So kommst du mir nicht davon“, presste er hervor und hob die Faust, die auf Anyas Gesicht zu schnellte. Es gab einen Aufschrei unter den Zuschauern.   Entgegen ihrer heimlichen Hoffnung, der Treffer würde sie zu einer entsprechenden Antwort berechtigen, blieb der Schmerz aus. Stattdessen starrte Anya die Knöchel an, die ruckartig von ihrem Gesicht weggezogen und stattdessen leicht gegen ihre Schulter getippt wurden. Dann reichte Jack ihr strahlend die Hand. „Nur Spaß. Glückwunsch für den Einzug ins Halbfinale.“ Grimmig nahm Anya an. Weil sie ihm selbst diesen letzten Triumph nicht gönnen würde, den, dass sie aus Stolz nicht einschlug. Gerade weil sie aber letztlich seine Hand nahm, konnte Jack sie für einen kurzen Augenblick zu sich ziehen. Und ins Ohr flüstern. „Denk nicht, dass ich das vergessen werde. Wir sehen uns wieder.“ Sofort riss sich Anya von ihm los. Er starrte sie an, aufgesetzt freundlich, aber aus seinen Worten war der pure Hass gequollen. „Anya Bauer ist damit unsere erste Halbfinalistin!“, schrie Mr. C aufgeregt. Die Blonde machte auf dem Absatz Kehrt und ließ Jack hinter sich zurück. Der Spinner war nur einer von vielen, die heute bestraft werden mussten.   ~-~-~   Zu viert schlenderten sie den Gehweg entlang, an den verschiedensten Geschäften vorbei. Das Abendrot schien bereits auf Ephemeria City hinab, als Anya, Matt, Valerie und Marc sich auf den Weg zurück zum Hotel der beiden Erstgenannten machten. Denn von der Ephemeria Duel Arena war es nur ein Fußweg von zwanzig Minuten bis dorthin. „Du hast ihn ziemlich vorgeführt“, meinte Matt, dessen Hände in seinen Manteltaschen steckten. Seit sie zusammen losgegangen waren, hatte Anyas miese Stimmung jedes Gespräch sofort im Keim erstickt. Valerie hatte sogar noch kein Wort außer einer knappen Beglückwünschung von sich gegeben. Sie und Marc liefen stumm hinter den beiden her. „Sag mir was, das ich noch nicht weiß“, schnaubte Anya, „zum Beispiel wieso sich die dumme Töle und der Zwerg verpisst haben?“ „Keine Ahnung, was in Zanthe gefahren ist“, beteuerte Matt zum wiederholten Male, „Logan wollte nur kurz hinterher. Vielleicht sind sie raus und danach nicht mehr ins Stadion reingekommen?“ „Dann hätten sie wenigstens auf uns warten können“, warf Marc hinter ihnen ein. Anyas Nasenflügel zitterten. „Ganz genau …“ „Du solltest wirklich mit ihm reden“, schlug der Dämonenjäger neben ihr vor. Marc pflichtete ihm bei. „Scheinbar gibt es ja ein Problem zwischen euch.“ „Mal sehen …“ Als sie danach wieder in kollektives Schweigen zu verfallen drohten, drehte Matt sich um und lief rückwärts. „Was ist eigentlich mit dir, Valerie? Du bist so still, geht es dir nicht gut?“ Die Schwarzhaarige blieb abrupt stehen, genau wie Marc und ein erstaunter Matt. Nur Anya lief abwesend weiter und musste durch ein Schnalzen des Dämonenjägers zum Halten gebracht werden. Als auch sie sich dann mit düsterem Gesichtsausdruck Valerie zuwendete, krallte die sich fester in den Gurt ihre weiße Handtasche, die sie über der linken Schulter trug. „Scheinbar ist es euch noch nicht aufgefallen, aber das nächste Viertelfinale findet morgen statt. Mit mir und Valmiro Guerri.“ „Oh“, gab Matt betroffen von sich. Anya hingegen rollte mit den Augen. „Und was ist daran so schlimm, Redfield? Der hat in den Vorrunden schlechter abgeschnitten als du und nur mit Ach und Krach das Achtelfinale überstanden.“ Valerie hielt ihren Blick gesenkt, starrte auf die weißen Pumps, die zu ihrer Hose passten. „Vor Valmiro habe ich keine Angst, wenn du darauf anspielst. Ich bin mir ziemlich sicher, ihn besiegen zu können.“ „Was Valerie damit sagen will ist“, meinte Marc und kratzte sich am Kinnbart, „dass sie dann im Halbfinale auf dich treffen wird.“ „Oh“, machte jetzt auch Anya, jedoch in einer wesentlich weniger mitfühlenden Tonlage. „Danach kämpft Marc gegen Kakyo Sangon. Die letzte Paarung ist Othello Nikoloudis versus irgendeinen Typen mit Walker als Nachnamen“, verdeutlichte Matt seiner Freundin die Situation. Valeries Verlobter ließ die Schultern hängen und blickte betreten zur Seite. „Es war doch klar, dass wir früher oder später gegeneinander ran müssen.“ „Was auch immer“, brummte Anya und nahm Valerie fest ins Visier, die nun ihrerseits den Blick von ihren Schuhen löste, „mir ist egal, gegen wen ich mich duellieren muss. Claire gehört mir.“ Ihre Erzrivalin atmete tief durch. „Anya … ich möchte dich eins wissen lassen. Sollte ich gegen Valmiro gewinnen, und das werde ich, wirst du im Halbfinale gegen mich ausscheiden.“ Das gesagt, stürmte sie plötzlich geradeaus zwischen Anya und Matt vorbei. Leicht aus dem Konzept gebracht, entschuldigte sich Marc und eilte seiner Verlobten hinterher.   Da sich ihre Wege sowieso trennen würden, da Valerie und Marc in einem anderen Hotel untergebracht waren, machte sich Anya gar nicht erst die Mühe, den beiden zu folgen. Matt sah die Blonde nachdenklich an. „Willst du wissen, was ich denke?“ „Schieß' los, Summers …“ „Sie hat gehofft, dass du heute verlierst. Damit sie nicht mit dem Gefühl leben muss, eventuell diejenige zu sein, die dich aus dem Turnier kickt.“ „Wird sie nicht.“ Anya wandte sich ihm zu. „Ich habe mehr als einmal gegen sie gekämpft. Das Halbfinale wird der ultimative Test sein, der entscheidet, wer von uns beiden besser ist. Und den werde ich bestehen, nicht sie.“ Der Schwarzhaarige konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, als sie wieder begannen, nebeneinander her zu laufen. „Vielleicht sollte sie dann nicht so große Töne spucken. Der Letzte, der das getan hat, hat es bereut …“ Auch Anya gluckste. „Yeah. Ich hatte so gehofft, dass er mir zum Schluss eine reinhaut.“ „Damit du auf Notwehr plädieren kannst?“ „Bingo!“ Zusammen liefen sie immer weiter die Straße hinab, zunehmend munterer über die Teilnehmer des Turniers herziehend. Anya war froh, dass sich wenigstens die Lage zwischen ihr und Matt ein wenig beruhigt hatte. Die letzten Tage war er wieder etwas besser drauf. Zu schade, dass es jetzt Zanthe war, der scheinbar alle um sich herum herunterziehen musste. Als die beiden an einer Polizeiwache vorbeikamen und Anya davor ein Münztelefon entdeckte, hielt sie an. „Sag mal Summers, könntest du schon vor gehen? Ich will mal eben Abby anrufen.“ „Das kannst du doch auch im Hotel?“, wunderte der sich. „Weiß ich. Aber es muss jetzt sofort sein. Sonst vergesse ich noch, was mir gerade eingefallen ist.“ Sie konnte ihm ja schlecht erzählen, dass sie beabsichtigte, sich bei ihrer besten Freundin auszuheulen. Allein der Gedanke daran war ihr so unbehaglich, dass sie ihn am liebsten sofort verwerfen wollte „Ganz ehrlich“, sagte Matt und hielt auch an, „ich hatte schon im Nachhinein ein schlechtes Gewissen, dich vorgestern alleine gehen zu lassen. Nach dem, was Zed dir neulich versucht hat anzutun.“ „Ich kann auf mich alleine aufpassen, Summers“, versicherte Anya ihm grimmig. „Aber trotzdem danke.“ Plötzlich grinste er. „Man, seit wann bedankst du dich eigentlich?“ „Gar nicht. Und jetzt zisch ab, das hier ist eilig!“ „Okay“, seufzte er mit einer Spur Sorge in der Stimme, „aber halte dich von Ärger fern.“ „Es ist nur ein Telefonat, keine Kriegserklärung an die Undying!“ Nachdem sie ihm das versichert hatte, ließ Matt endlich locker und zog von dannen. Von hier waren es sowieso nur noch ein paar Minuten bis zum Hotel. Allerdings wandte sich Anya erst dem Telefon etwas abseits des Präsidiums zu, als Matt außer Sichtweite war. Ein paar Münzen aus der Hosentasche ihrer Jeans suchend, warf sie diese ein und tippte Abbys Handynummer in die Tasten. Kaum erklang das erste Freizeichen, hallte schon aus dem Hörer: „Abby hier.“ „Hi Masters“, nuschelte Anya nahezu unhörbar. „Anya! Oh mein Gott, herzlichen Glückwunsch, das war fantastisch!“ Die Blonde war erstaunt. „Du weißt schon Bescheid?“ „Natürlich! Ich habe es im Fernsehen mitverfolgt.“ „Aber hast du keine Vorlesungen?“ Ihre Freundin kicherte. „Es ist etwas knapp geworden, aber ich habe es rechtzeitig in meine WG geschafft. Übrigens ist Amanda, meine Mitmieterin, jetzt dein Fan!“ „Oh toll, dann bin ich ja wieder bei vier angelangt“, grummelte Anya und drehte sich um. Gerade lief eine alte Frau mit ihrem Hund an der Leine an ihr vorbei. Mit einem Zischen und einer verscheuchenden Handgeste machte Anya klar, dass es nichts zu lauschen gab. „F-freust du dich nicht über deinen Sieg?“ Man konnte förmlich Abbys Alarmglocken hören, so dachte Anya insgeheim. „Deine Leistung wurde nicht schlecht gemacht, falls du …“ Das Mädchen am anderen Ende der Leitung rollte mit den Augen. War ihr doch egal, was die jetzt im Fernsehen über sich brachten. „Darum geht es nicht. Es ist nur …“   Anya haderte. Wie sollte sie Abby bloß verständlich machen, was genau das Problem war? Wenn sie direkt aussprach, dass Zanthes Verhalten ihr in letzter Zeit auf die Nerven ging, dachte Abby am Ende bloß, sie käme damit nicht zurecht. Aber das tat sie! Auch wenn es sie wirklich getroffen hatte, dass er weggegangen war. Das hatte er schon in den Vorrunden gemacht! Und er war in letzter Zeit so … Und natürlich war das sowieso ihr einziges Problem, denn eine gewisse andere Person würde sie definitiv mit keinem Wort erwähnen!   Als Anya den Satz nicht beendete, hakte Abby selbst nach: „Was?“ „Stell dir einfach vor“, versuchte Anya eine geeignete Parallele zu finden, damit keine garantiert falschen Vermutungen angestellt wurden, „Greenpeace beschützt … Bäume. Liebend gern. Aber auf einmal kommt keiner mehr zu den Greenpeace-Treffen. Und die armen Bäume …“ „Ich kann dir nicht ganz folgen.“ „Verdammter Kackmist, stell' dich nicht so an, Masters! Bäume, Greenpeace, klingelt's da nicht!?“ Abby schluckte deutlich. „Nein? Oh, warte! Sag bloß, du spielst auf den Mitgliederschwund an und du willst jetzt beitreten, um-!“ Da Anya schon einen Zug sah, der vor ihrem geistigen Auge mit 200 km/h auf sie zuraste, entschied sie sich kurzerhand, von den Gleisen zu springen, solange noch die Zeit dazu war. Indem sie einfach aussprach, was anlag. „Zanthe hasst mich und ich weiß nicht, wie ich das ändern soll. Ist ja toll, dass ich immer mehr Freunde finde, aber könnte mir bitte jemand verraten, wie ich die auch behalte?“ „Ah-ach so.“ Täuschte sich Anya oder klang die Chefsirene ein bisschen enttäuscht? „A-also das ist nicht so leicht zu erklären, Anya.“ „Du hast noch zwei Minuten und ich keine Vierteldollarstücke mehr. Mach hinne!“ „Moment. Bist du etwa in ihn verliebt!?“ „Und du!? Bist du auf Drogen!?“ Anya spürte bereits, wie ihre Gehirnzellen bei dem Gedanken daran ins vorzeitige Grab hüpften. „Lieber ertränke mich in einem Sumpf aus Scheiße! Und falls du es nicht weißt, ich stand schon mal kurz davor!“ Abby kicherte künstlich. „Darüber sollten wir vielleicht auch mal reden … Also willst du einfach die Freundschaft erhalten? Dann … musst du ihm zeigen, dass sie dir auch etwas bedeutet.“ „Und wie?“ „Unternehmt ihr nichts zusammen?“ „In letzter Zeit nur die notwendigen Sachen. Er ist ja in unserer Freizeit immer weg“, schnaufte Anya wütend. „Ich glaube, er hat einen Freund …“ „Dann frag ihn, ob du ihn kennenlernen darfst. Macht alle etwas zusammen, du kannst ja Matt mitnehmen. Zeig Interesse an Zanthes Gefühlen. Fluche vielleicht etwas weniger und beleidige ihn nicht bei jeder Gelegenheit. Ansonsten folge einfach deinem Herzen.“   Frustriert trat Anya gegen den Metallpfeiler, an dem die offene Telefonkabine befestigt war. Das hatte sie doch schon probiert, aber die Dreckstöle war lieber für sich. „Noch andere Vorschläge?“ Ein Tuten. „Na toll“, schnaubte Anya und hakte den Hörer ein. Nein, falsch! Sie nahm ihn nochmal ab und rammte ihn derart fest in die Halterung zurück, dass das Plastik abbrach und er knapp über den Boden an der Strippe baumelte. Zufrieden nickte sie und spähte von der Kabine zum Eingang des Präsidiums, ob da irgendwelche Bullen herumlungerten.   Da sie keine entdecken konnte, löste sie sich vom Telefon und setzte bereits einen Schritt geradeaus, als sie innehielt. Und umdrehte. Etwas hatte ihre Aufmerksamkeit erregt. Nicht durch ein Geräusch oder einen Schatten, nein, es war eine innere Eingebung. Anya lief zu der Seitengasse, die sich zwischen dem dreistöckigen Polizeipräsidium und einem zweistöckigen Verwaltungsgebäude befand. Sie endete in einer Sackgasse. Niemand war dort. „Ist klar“, raunte, „die Falle ist älter als Madonna. Und die ist fast so alt wie Jesus.“ Sie spürte es. Da war etwas, irgendwo. Es gab keine Mülltonnen, hinter denen sich ein Angreifer verstecken konnte. Das Aufregendste hier waren ein paar dünne, abgenutzte Rohre, die zusammen mit ein paar Metallblechen am Boden lagen. Eines davon las Anya auf, als sie sich ihren Weg in den Zwischenraum der beiden Gebäude bahnte. Als sie drei Meter von der Sackgasse entfernt stand, meldete sich ihr selbsternanntes Gewissen zu Wort. Nimmst du etwas wahr, das ich nicht bemerke?   Die irritierte Art, wie Levrier das fragte, machte Anya nur umso nervöser. So war es doch auch bei den Undying. Die waren erst bemerkbar, wenn es schon zu spät war. „Mach dich auf einen Kampf-“ Weiter kam sie nicht. Aus der Mauer schnellte sie, wie ein Geist. Eine Kreatur, die Anya noch nie gesehen hatte. Sie holte mit ihrem Katana nach ihr aus. Anya duckte sich rückwärts darunter hinweg, machte einen gebeugten Seitenschritt, um dem nachfolgenden Aufwärtshieb zu entkommen. Instinktiv wusste sie, dass ihr Rohr sie nicht beschützen konnte. Sie hatte keine Zeit, auch nur etwas zu dem Dämon mit der weißen Fratze zu sagen. Seine Angriffe wurden schneller, Anya warf sich von einer Seite zur nächsten, nur um nicht getroffen zu werden. Plötzlich knickte sie bei einem Ausweichmanöver rückwärts um. In ihren Augen spiegelte sich die Klinge, wie sie auf ihre Brust zu schnellte. Metall schepperte auf Metall. Die Blonde stieß gegen etwas Großes, Hartes. Vor ihr hatte ein riesiges Breitschwert das Katana niedergeschlagen. Mit weit geöffneten Augen starrte Anya hoch und sah die silber-goldene Plattenrüstung Ricthers, diesen römisch angehauchten Helm mit den Federn daran. „Halt dich dicht hinter mir!“, sprach er in seinem tiefen Tonfall zu Anya. Nur ihrer mangelnden Fähigkeit, die gegebenen Fakten korrekt zu verarbeiten, war es zu verdanken, dass sie gehorchte und sich regelrecht um ihn herum schwang. Sein roter Umhang löste sich von den Schultern, als der Undying einen Schritt vortrat. „Ich hätte nie gedacht, dich-!“, redete er den Dämon im schwarzen Kimono an. Welcher sein Katana anhob, die flache Hand an den Griff presste und dann zustach. Was sich im Anschluss vor Anyas Augen abspielte, konnte nur als Feuerwerk aus Hieben und Funken bezeichnet werden. Präzise parierte der Hüne jeden Schlag, scheute sich jedoch eines Gegenangriffs. Immer weiter wurde er zurückgedrängt und Anya, die sich völlig perplex hinter ihm verborgen hielt, mit ihm. „Was tust du da!?“, polterte der Undying erschrocken im Angesicht seines Angreifers, doch wurde weiter belagert. Es gelang dem Dämon, zwischen die Armpanzerung und der Hauptrüstung einen Schnitt anzusetzen, der in einer Fontäne Blut aus der Schulter Ricthers spritzen ließ.   Täusche ich mich, oder hat er dir das Leben gerettet!?   Anya starrte das Rohr in ihrer Hand an. Wenn das so weiterging, dann war die Antwort auf die Frage definitiv nein! Immer öfter wurde der massive, aber ungelenke Hüne an scheinbar empfindlichen Stellen wie Gelenken getroffen. Und auch wenn das Blut kurz darauf versiegte, reichte ein Moment der Schwäche aus, um ihn zu überwältigen. Es erstaunte Anya selbst, dass sie zu diesem Schluss kam, aber vielleicht wäre es keine schlechte Idee, ihm etwas zur Hand zu gehen. So hob sie das Rohr über ihren Kopf, drängte sich an dem Undying vorbei und stieß bereits ihren gefürchtetsten Kampfschrei aus, da rief jemand: „Wusste ich doch, dass du das bist, Ricther!“   Die drei Kämpfenden drehten ihre Köpfe zum Dach der Polizeiwache. Ein junger Mann stand dort, wirkte in seiner dunkelblauen Strickjacke, die Anya seltsam bekannt vorkam, geradezu harmlos. Sein blondes Haar war an den Seiten kurz rasiert, während das Haupthaar zu Braids verknüpft und einem Zopf gebunden war. Und er hielt etwas in der Hand, das wie ein hellblauer Cricketschläger aussah, nur etwas voluminöser. „Exa!?“, überschlug sich Ricther förmlich. „Wie kommst du-!?“ Er war noch gar nicht fertig, da schwang sich der Blonde bereits in einer Halbdrehung mindestens sieben Meter in die Tiefe. Während er um die eigene Achse wirbelte, schwang sich seine Waffe von ganz alleine auf und präsentierte sich als eine Art Langschwert mit scharfen Reißzähnen. Oder war es eine Kettensäge, Anya konnte das alles nicht schnell genug erfassen. Ricther stieß sie mit dem ausgestreckten Arm weg und wich ebenfalls aus, als der junge Mann nach ihm schlug und seine Waffe daher in den Boden rammte. Er wirbelte so schnell um die eigene Achse und holte dabei zu einem Schlag aus, dass Anya nicht mehr mitkam und wie angewurzelt stehen blieb. Ricther parierte den Treffer, während das Mädchen erschrocken zurückwich und gegen die Wand des Verwaltungsgebäudes stieß.   Exa bemerkte sie überrascht und ehe Anya sich versah, hatte er ihren Arm gepackt und zu sich gezogen. „Keine Sorge, der tut dir nichts mehr.“ „Ich mache mir mehr Sorgen um den da!“, schrie sie jedoch aufgeregt den einen Kopf Größeren an, denn von der anderen Seite der Sackgasse lauerte noch die Gefahr des Dämons. Welcher scheinbar nach einem Moment der Überraschung wieder bereit war zuzuschlagen. Ein diagonaler Hieb sollte Anya den Tod bringen, jedoch gelang es Exa durch eine präzise Drehung, das Katana aus der Hand seines Besitzers zu schlagen. Gleich darauf trat er so fest in den Bauch des Angreifers, dass dieser zurückgeworfen wurde. „Keine Ahnung wer das ist, aber ich habe Wichtigeres zu tun. Kümmere du dich um den Verrückten in der Maske.“ Schon ließ Exa Anya einfach stehen und schnellte wieder auf Ricther zu. Fassungslos verfolgte Anya mit, wie der junge Mann den Undying angriff und mit heftigen Hieben mit dieser seltsamen Waffe so weit zurückdrängte, dass er glatt auf die Straße geworfen wurde. Noch besser wurde es, als Exas Waffe sich in eine kompaktere Version verformte, ähnlich einer Wurfaxt, nur dass es eher eine Wurfkettensäge war. Von der es Exa sich offenbar nicht nehmen ließ, sie auf Ricther zu schleudern. „Hast du eine Ahnung, was du getan hast!?“, schrie er hasserfüllt, als die Funken auf dem Brustpanzer des getroffenen Undying nur so sprühten. „Du hast alle im Stich gelassen!“ Im hohen Bogen prallte die Klinge schließlich von dessen Rüstung ab, sodass Exa sie gezielt mit einem Rückwärtsschritt auffangen konnte. Anya Bauer, hinter dir!   „Scheiße, stimmt ja!“ Sie hatte diesen Drecksdämon glatt vergessen. Anya wirbelte um und sah bereits, wie jener sich nach dem Katana beugte, welches nahe der Wand zum Polizeipräsidium lag. Ohne lange nachzudenken, sprintete sie auf den Feind zu und schlug nach ihm. Aber leider wich der Bastard aus, wehrte sich sogar noch mit einem Tritt, den Anya mit ihrem Rohr parierte. Unglücklicherweise schleuderte sie das ein ganzes Stück zurück. Das Gleiche geschah im selben Augenblick auch mit Exa, welcher einen zerstörerischen Hieb von Ricther abbekommen hatte. Die beiden Menschen in der Runde stießen mit dem Rücken aneinander. „Was ist hier los, verdammter Kackmist?“, keuchte Anya panisch, als sie den sich bückenden Dämon sah, dessen Schwert sich durch eine unsichtbare Kraft vom Boden löste und förmlich in dessen Hand landete. „Sieht aus wie ein Treffen von alten Freunden“, atmete auch Exa hinter ihr schwer und hielt seine Waffe im Angesicht des nahenden Ricthers aufrecht. „Übrigens, ich bin Exa. Wer bist du, du kommst mir irgendwie bekannt vor?“ „Batgirl“, nahm Anya ihn grimmig auf die Schippe. Was ging ihn das an!? „Keine Sorge, Batgirl, ich werde schon aufpassen, dass einem hüb- … netten Mädchen wie dir nichts geschieht.“ „Ich bin nicht nett“, stellte Anya trotz der misslichen Lage klar. Ricther blieb stehen. „Solltest du das zu jemandem sagen, der die Artefakte der Hüter jagt, Exa?“ Augenblicklich wirbelte der von Anya weg und sah sie perplex an, ließ seine Waffe sinken. „Stimmt das!?“ Sein Gegenüber stöhnte schicksalsergeben. „Wow. Meine neueste Freundschaft hat gerademal ein paar Sekunden gehalten. Whoop-de-fucking-doo!“     Turn 68 – Four Sides Nach einem kurzen Wortgefecht beginnt eine Battle Royal zwischen Anya, Ricther, Exa und dem maskierten Dämon. Anya, die sich um deren Ausgang sorgt, versucht unter ihren Gegnern einen Verbündeten zu finden. Gleichzeitig ist für Nick endlich der Zeitpunkt gekommen, um Anyas Deck zurückzubekommen. Um dies zu erreichen, nutzt er alle Mittel, die ihm zur Verfügung stehen … Kapitel 73: Turn 68 - Four Sides -------------------------------- Turn 68 – Four Sides     „Ist das wahr!?“, fragte Exa fassungslos. „Du -jagst- die Hüter!?“ Anya schluckte. Sein Blick hatte sich schlagartig so verfinstert, dass sie befürchtete, gleich noch einen Feind mehr zu haben, wenn sie seine Frage bejahte. Im Affekt hob sie den Arm und zeigte auf Ricther, der am Ausgang der Sackgasse verharrte. „Wenn der mir helfen würde, denjenigen festzunageln, der mich dazu zwingt, müsste ich keines dieser dämlichen Artefakte sammeln!“ Mit einem geradezu manischen Blick wandte sich der große Blonde an den Undying. „Meine Position diesbezüglich hat sich nicht verändert“, sprach der zu Anya. „Hah, natürlich. Du kannst nie das tun, worum man dich bittet“, zischte Exa, „du tust nicht einmal deine Pflicht. Wegen dir ist …“ „Ich weiß. Es tut mir leid.“ „Mir tut es leid“, knurrte der junge Mann und hob das seltsame Kettensägenschwert an, richtete es wie einen erweiterten Zeigefinger auf den Hünen, „um all die Leben, um meine Freunde, meine Familie … meine Welt!“   Wovon spricht er da? Anya indes beachtete Levrier nicht, sondern drehte sich zu dem Dämon um, der immer noch am Ende der Sackgasse zwischen dem Polizeirevier und dem Verwaltungsgebäude lauerte. Still verharrte er auf der Stelle, statt etwa seine Angriffe fortzusetzen. Eine Tatsache, die Anya in diesem Moment als wesentlich wichtiger empfand.   „Es gab nichts, was ich hätte tun können, um das zu verhindern.“ „Lügner!“, schrie Exa den Undying sofort an. „Du bist mit der Aufgabe betraut, für Gerechtigkeit, für Sicherheit zu sorgen! Aber was hast du getan!? Gar nichts!“ Anya übertönte ihn jedoch plötzlich und formte mit den Händen ein T. „Auszeit! Ich will wissen, warum hier scheinbar jeder jeden umbringen will! Fangen wir mit dir an, Fratzenfresse!“ Sie fixierte sich auf den Dämon im Kimono, dessen weißer, mit roten Linien versehener Kopf klobig und unproportioniert anmutete. Nur schwieg das Wesen seit seinem Auftauchen beharrlich. „Mir geht es nur um Ricther“, sagte Exa hinter ihr, „was ich von dir halten soll, weiß ich nicht.“ „Ich hätte nie gedacht, das mal zu sagen, aber dann bin ich wohl die Einzige, die keinem von euch an die Gurgel will.“ Anya pfiff höhnisch durch die Zähne. „Kranke, verdrehte Welt.“   Verdrehte Welt ist das Stichwort. Sieh dich um.   Erst auf Levriers Wink mit dem Zaunpfahl begann Anya genauer auf ihre Umgebung zu achten. Einige der Backsteine des Verwaltungsgebäudes fehlten, stattdessen war dort nur eine schwarze Leere zu sehen. An anderer Stelle dagegen schwebten ganze Stücke der Wand in zweidimensionaler Form. Ihr ganzes Umfeld sah aus, als wäre es aus den Fugen geraten, als hätte jemand Dinge aus einer Zeitung geschnitten und woanders wieder draufgeklebt. „Das ist doch dein komischer Trick mit den ungeschriebenen Pfaden!“, wirbelte Anya herum zu Ricther. „Mir blieb keine Wahl. Die Realität darf keinen Schaden aus Konflikten wie den unseren nehmen, gemäß der ewigen Ordnung.“ „Er hat die Phasen schon verlagert, als du dich noch mit dem da rumgeschlagen hast“, mischte sich Exa ein und zeigte auf den regungslos verharrenden Dämon. Ricther gab einen erstaunten Laut von sich. „Wie ist es dir gelungen, hier einzudringen?“ „Das weißt du genau.“ Exa schob ein Bein ein Stück zurück, ging in eine gebeugte Haltung. Sein Schwert mit beiden Händen umschließend, machte er sich bereit für einen Angriff. „Ich habe viel dazugelernt, seit wir uns das letzte Mal begegnet sind. Mehr als dir lieb ist, möchte ich wetten.“ Parallel dazu ging auch der Dämon wieder in eine kämpferische Haltung, besser gesagt nahm er die Ausgangspose in der Kunst des Kendo an. Beide Hände lagen am Katana, das etwa auf Hüfthöhe leicht angewinkelt nach oben gehalten wurde. „Hey!“, schrie Anya panisch, „Ihr wollt euch alle gegenseitig umbringen!? Fein, aber lasst mich da raus!“ „Wenn ich mit Ricther fertig bin, helfe ich dir … vielleicht“, gab Exa zu verstehen. „Bis dahin passe ich längst in Tupperware!“ Nervös sah sich Anya um. Die Gasse war zu eng, selbst wenn sie an Exa vorbeikam, würde Ricther an ihrem Ausgang auf sie lauern. Flucht war ohnehin keine Option, ohne die Hilfe des Undying kam hier vermutlich keiner raus. Das Mädchen biss sich auf die Lippe. Verdammt, sie war die Schwächste unter ihnen, nahezu unbewaffnet, da ja eine blöde Schnalle, deren Name sie nicht kannte, der Meinung gewesen war, ausgerechnet ihre Hüterkarten stehlen zu müssen! Ob Ricther etwas davon ahnte? Ich sehe da nur eine Möglichkeit, vielleicht heil herauszukommen. Und sie wird mit einer Menge Hohn einhergehen.   „Okay, Vorschlag zur Güte!“, rief Anya laut aus. „Wir …“ „Nein!“, donnerte Ricther plötzlich und streckte den Arm aus. „Nicht-!“ „… duellieren uns darum, wer hier unbeschadet gehen darf. Oder wer nicht, ist mir eigentlich egal, solange ihr aufhört, mit den beschissenen Schwertern herumzufuchteln!“ Exa sah mit angezogenen Augenbrauen über seine Schulter zu ihr herüber. „Ist das dein Ernst? Ein Duell, jetzt, um zu entscheiden, wer leben darf? Wie kommst du auf so etwas!?“ „Hast du eine Ahnung, was du gerade getan hast, Anya Bauer!?“, schrie Ricther jedoch völlig aus der Fassung gebracht, etwas, das Anya nie für möglich gehalten hätte. Die zuckte mit den Schultern. „Nö. Aber klär' mich auf. Ist ja nicht so, als ob ihr einwilligen müsst, oder?“ Als der Undying jedoch schwieg und der maskierte Dämon seinen Arm ausstreckte, an dem eine grell leuchtende, rote Duel Disk aus purer Energie wie aus dem Nichts ausfuhr, gelang das Mädchen zu einer einzigartigen Erkenntnis. „Warte mal … ihr müsst! Levrier, wieso müssen sie?“   Ich habe keine Ahnung. Die einzige Erklärung wäre, dass Ricthers ungeschriebene Zukunft auf irgendeine Weise beeinflusst werden kann. Vielleicht führt deine Aufforderung zu einer Art Zwang?   „Das ist das Seltsamste, das ich je erlebt habe“, murmelte Exa. Seine Klinge verformte sich, zog sich zusammen und wurde innerhalb einer Sekunde zu einer abgerundeten, weiß-blauen Duel Disk, die sich an seinem Arm befand. „Aber das wäre eine gute Gelegenheit zu sehen, ob seine Hilfe sich schon bezahlt gemacht hat.“ Anya weitete die Augen, als Exa sich um 90° der Wand des Verwaltungsgebäudes zu drehte, darauf zu zu sprinten begann und ein paar Schritte die Fassade hinauf lief. Als der Schwung nachzulassen drohte, stieß er sich einfach ab und sprang so im hohen Bogen auf die gegenüberliegende Mauer des Polizeipräsidiums. „Wie … macht der das?“, staunte Anya mit offenem Mund, als sie mit ansah, wie Exa von einer Wand zur anderen sprang, bis er letztlich auf dem Dach der Bullen landete und sich dort oben an dessen Rand positionierte. „Ich bin bereit“, sagte der junge Mann in der blauen Strickjacke fest entschlossen. Die Blonde betrachtete ihren eigenen Arm, an dem noch das rote D-Pad befestigt war. Welches sie kurzerhand ausfahren ließ. „Ich auch!“ Demonstrativ hob der Dämon im Kimono noch einmal die rote Energie-Duel Disk an. „Es liegt nicht an dem ungeschriebenen Pfad“, murmelte Ricther leise, „sondern an einer Entscheidung, die niemand mehr rückgängig machen kann …“ Seinen kryptischen Worten zum Trotz, schloss sich das Schwert in seiner Hand um seinen Arm, wobei die Klinge ein Stück zurückgezogen wurde. Kurz darauf war es zu einer Duel Disk, aber nichtsdestotrotz gefährlichen Armklinge umfunktioniert worden. „Duell!“, riefen alle außer dem maskierten Dämon laut aus.   [Anya: 4000LP / Ricther: 4000LP / Exa: 4000LP / ???: 4000LP ]   Wo war sie da bloß hineingeraten, ging es Anya halb fasziniert, halb mulmig durch den Kopf. Zu ihrer Linken ein Undying, der sich vollkommen anders verhielt als bei ihrer letzten Begegnung. Anya drehte den Kopf geradeaus und sah hinauf auf den Rand des Daches, wo der großgewachsene Mann namens Exa stand. Ein Krieger, der Ricther ebenbürtig schien. Dann war da noch rechterhand in der Sackgasse dieser mysteriöse Dämon, oder was auch immer es überhaupt war. Dieses Ding mochte zwar mit dem Rücken zur Wand stehen, aber Anya hegte nicht den leisesten Zweifel, dass dies nicht den Tatsachen entsprach. Und mitten in diesem Kampf der Monster eingekesselt war sie. Doch wenn diese Freaks dachten, das allein würde sie einschüchtern, täuschten sie sich!   „Wenn keiner von euch will, beginne ich!“, entschied sie kurzerhand. Mittlerweile wusste sie, dass in einer Battle Royale niemand in seinem ersten Zug angreifen durfte, soweit nichts Neues. Doch auch die Draw Phase musste mit der vor Kurzem eingeführten Regeländerung jeder analog dazu einmal überspringen. Also betrachtete Anya gleich ihr Startblatt. „Sah schon mal besser aus“, knurrte sie ärgerlich und nahm ein Monster hervor, „das hier setze ich.“ Unter einem Zischen tauchte die Karte in horizontaler Lage vor ihr stark vergrößert auf. Gleich danach geschah dasselbe noch einmal mit einer vertikal ausgerichteten. „Und eine Verdeckte. Zug beendet!“ „Die Regeln besagen, dass nach dem Uhrzeigersinn vorgegangen wird. Demnach bin ich der Nächste“, verkündete Ricther und legte sogleich eine Monsterkarte auf die Schwert-Duel Disk an seinem Arm. „Um dieses Monster zu beschwören, müssen zunächst zehn Karten von meinem Deck verdeckt verbannt werden …“ Kaum hatte er dies gesagt, flog eine Karte nach der anderen von seinem Deck an der Unterseite des Schwertes in einen sich vor Ricther öffnenden Spalt, der sich mit der letzten wieder schloss. Pechschwarze, matte Kristallsäulen brachen in einer Reihe um ihn herum aus dem Boden und flogen hoch in die Luft. „Erscheine, [Different Dimension Deity – Ubriq]!“ Die spitz zulaufenden, fast zwei Meter langen Kristalle reihten sich aneinander wie eine Blüte, insgesamt acht Stück waren es. Zwei weitere positionierten sich in einem langen Balken in der Mitte des Gebildes, welches sich wie ein Rad zu drehen begann. Genau zwischen den beiden Teilstücken besagten Balkens bildete sich ein kleines, aus blauer Energie bestehendes Zentrum, aus dem die Pupille eines Auges durchschimmerte.   Different Dimension Deity – Ubriq [ATK/0 DEF/3500 (10)]   „Der ist neu“, murmelte Anya, die bei ihrem letzten Aufeinandertreffen mit Ricther nicht das 'Vergnügen' gehabt hatte, gegen jene Kreatur anzutreten. Dafür aber gegen andere, denen diese bestimmt in Nichts nach stand. Ricther streckte den Arm nach vorne aus. „Ich setze [Different Dimension Deity – Ubriqs] Effekt ein und biete diesen als Tribut an.“ Erst lösten sich die acht 'Blütenblätter'-Kristalle in leuchtenden Funken auf. Dann begannen die letzten beiden sich wahnsinnig schnell wie ein Rotor zu drehen, ehe auch sie verschwanden. Ricther zog eine Karte aus seinem Deck hervor und zeigte sie. „Damit erhalte ich eine andere Different Dimension Deity. Diese beschwöre ich sofort.“ Wie zuvor bei Ubriq, schossen zehn Karten von Ricthers Deck in einen Dimensionsspalt vor ebendiesen und verschwanden. „Erscheine, [Different Dimension Deity – Vem].“ Ebenso brachen weitere, dieses Mal strahlend weiße Kristallsäulen aus dem Boden. Anders als bei ihrem Vorgänger, bildeten diese jedoch zwei parallel zueinander verlaufende Schwingen, bestehend aus fünf Kristallen. Zwischen den beiden Fragmenten wurden permanent Entladungen ausgetauscht, deren Form hin und wieder die eines Augapfels annahm.   Different Dimension Deity – Vem [ATK/500 DEF/0 (10)]   „Abscheulich“, kommentierte der blonde Exa den Anblick von seiner erhöhten Stellung abfällig. Ricther ignorierte ihn und sprach, Richtung des maskierten Dämons gewandt, der ihm in der Seitengasse direkt gegenüber stand: „[Different Dimension Deity – Vem] besitzt einen Effekt, der nur einmal pro Duell genutzt werden darf. Ohne Umschweife fügt er einem Spieler meiner Wahl Schaden in Höhe meiner verdeckt verbannten Karten multipliziert mal 100 zu.“ Der Undying riss den erhobenen Finger in die Höhe, da rechnete Anya noch. Als sie zum Ergebnis kam, stockte ihr ein wenig der Atem. Das waren 2000 Tacken! Verdammter Kackmist, der würde doch bestimmt auf sie losgehen, immerhin war sie die personifizierte Anti-ewige Ordnung! „Gaze Of D!“, stieß Ricther aus und richtete den Finger auf den mysteriösen Dämon. Vom elektrischen Auge des Kristallbildnisses in der Luft wurde eine gewaltige Ladung ausgestoßen, die quer durch die Gasse schoss. Haarscharf an Anya vorbei, rauschte sie auf den Fremden zu und schlug in diesem so fest ein, dass dieser gegen die Wand geschmettert wurde. Wie Pappe gab diese soweit nach, dass sich einem Spinnennetz gleich ein Einschlagkrater bildete.   [Anya: 4000LP / Ricther: 4000LP / Exa: 4000LP / ???: 4000LP → 2000LP]   „Vergib mir“, bat Ricther völlig konträr zu seinen Taten. Anya verstand die Welt langsam nicht mehr. Wieso hatte er diesen Typen angegriffen und nicht etwa sie!? Aufgelöst sah sie von Ricther zurück zu der maskierten Gestalt, die gerade die eingebrochene Wand hinunter auf die Füße rutschte und unbekümmert einen paar Schritte nach vorn nahm, als wäre nichts geschehen. „So etwas wie Vergebung hast du nicht verdient!“, warf Exa hasserfüllt ein. Der stählerne Hüne nickte. „Du magst Recht haben. Näher betrachtet ist Vergebung jedoch nichts, das für einen Undying von Nutzen oder gar Bedeutung ist.“ Sofort änderte er das Thema: „Der zweite Effekt von [Different Dimension Deity – Vem] setzt ein. Einmal pro Zug erhöht sich seine Angriffskraft entsprechend des Effektschadens, den ein Spieler erlitten hat.“ Für einen kurzen Moment wurden zwischen allen Kristallen der beiden Flügelseiten Ladungen ausgetauscht. Dabei rief Ricther: „Und ich aktiviere eine Zauberkarte namens [Dimensions Reach], die die Stärke meines Monsters noch weiter erhöht, um die Zahl meiner verdeckt verbannten Karten mal 100.“ „Noch mehr!?“, keuchte Anya ungläubig, während vor ihren Augen das Ding in der Luft jeden Moment vor der Spannung, unter der es stand, zerbersten musste.   Different Dimension Deity – Vem [ATK/500 → 2500 → 4500 DEF/0 (10)]   Ricther schob eine seiner verbliebenen drei Handkarten in den dafür vorgesehenen Schlitz seiner Schwert-Duel Disk. „Diese Karte wird gesetzt. Damit erkläre ich meinen Zug für beendet.“ Genau wie in Anyas Fall, nahm sie unter einem Zischen vor ihm Gestalt an.   Der blonde, junge Mann mit der seltsam abgerundeten Duel Disk an seinem Arm kniff die Augen so fest zusammen, dass sie nunmehr Schlitze waren. „Dann bin ich wohl …“ Sofort knallte er eine Karte auf seine Monsterkartenzone. „Los, [Satellarknight Unukalhai]!“ Weit über Exa begann eine grelle Kugel aus weißen Licht zu strahlen, fast wie es ein Stern tat. Sie sendete ein Licht hinab, direkt vor ihn auf den Rand des Daches. Aus diesem entstieg die edle Gestalt eines Ritters in gold-weißer Rüstung, die über einem dunkelblauen Anzug lag. Am hinteren Teil des Waffenrock jenes Kriegers erstreckte sich ein langer, spitz zulaufender Schweif, welcher ihm zusammen mit dem, an einen Kobrakopf angelehnten Helm, etwas Schlangenhaftes verlieh. Um Unukalhai herum kreiste zudem ein Ring, an dem an einer Stelle ein Miniaturplanet angebracht war.   Satellarknight Unukalhai [ATK/1800 DEF/1000 (4)]   „Dank dir bin ich schon viel besser geworden“, murmelte Exa nachdenklich vor sich hin und Anya wunderte sich, warum er das zu seinem Monster sagte. Dann rief er aber lautstark: „Unukalhais Effekt besagt, dass er pro Zug einmal bei seiner Beschwörung einen anderen Satellarknight von meinem Deck direkt auf den Friedhof schickt.“ Ohne den Namen nur zu nennen, schob sich eine Karte aus Exas Deck hervor, die er sogleich vorzeigte und anschließend dem Friedhof zuführte. „Aber da wird der nicht allzu lange bleiben. Ich aktiviere von meiner Hand den Schnellzauber [Satellarknight Skybridge]!“ Ein roter, schimmernder Pfad wandte sich vom Himmel, so schien es, hinab bis zu Unukalhai, der diesem schwebend entlang nach oben folgte. „Im fliegenden Wechsel wird ein Satellarknight auf meinem Feld mit einem anderen von meinem Deck ausgetauscht“, erklärte der schlanke, junge Mann mit fester Stimme. Auf seinem Weg passierte sein Krieger einen Artgenossen, der strahlend blaue Engelsflügel besaß und seinerseits dort ankam, wo Unukalhai einst gestartet war. Exa nannte den neuen Ritter: „[Satellarknight Altair].“ Auch um dessen Hüfte schwebte ein großer Ring, an dem sich ein einzelner Stern befand.   Satellarknight Altair [ATK/1700 DEF/1100 (4)]   Ebenjener streckte seinen Arm zur Seite aus, von dem ein grelles Leuchten auszugehen begann. Exa erklärte konzentriert: „Altair ruft bei seiner Beschwörung einen Satellarknight von meinem Friedhof in die Verteidigung aufs Feld. Erwache, [Satellarknight Vega].“ „Also deswegen“, begriff Anya nun leise vor sich hinmurmelnd, wieso Exa erst Unukalhai ausgespielt hatte. Wie eine Taschenlampe ließ Altair das Licht von seiner Hand neben sich auf den Dachrand scheinen. Daraus entstand eine goldene Lichtsäule, aus welcher wiederum eine Ritterin schoss, die ein weiß-rosafarbenes Kleid sowie eine goldene Metallstola am Leibe trug. Hinter jener verbarg sie schließlich auch ihr Antlitz. Satellarknight Vega [ATK/1200 DEF/1600 (4)]   „Zuletzt der Effekt Vegas, der mich noch einen Sternenritter von der Hand rufen lässt“, fuhr Exa immer noch fort und legte diesen nun dritten Krieger auf seine Duel Disk. „[Satellarknight Alsahm]!“ Einmal mit dem Finger schnippend, ließ Vega neben sich einen kleineren, gold-weißen Ritter auftauchen, der einen Bogen gespannt hielt und sich dank Flügeln nachempfundenen Triebwerken in der Luft hielt.   Satellarknight Alsahm [ATK/1400 DEF/1800 (4)]   „Der ist ja noch schlimmer als der Flohpelz mit diesen ganzen Beschwörungen!“, empörte sich Anya lautstark. Der Blonde nahm dies wahr und zog eine Augenbraue an. „Hm?“ Dann aber richtete er seine Aufmerksamkeit auf Ricther und erklärte diesem: „Alsahm fügt einem Spieler 1000 Punkte Schaden zu, sobald er gerufen wurde.“ Mehr musste er dazu nicht sagen, denn es reichte, dass er seinen Arm ausschwang und auf den Undying deutete. Der leicht an Amor angehauchte Sternenritter löste seinen Pfeil von der Sehne, welcher in einem goldenen Strahl Ricther erfasste … und von dessen Schwertarm beiseite geschlagen wurde, wo er unweit über dem Hünen in das Verwaltungsgebäude einschlug und deutliche Schäden hinterließ.   [Anya: 4000LP / Ricther: 4000LP → 3000LP / Exa: 4000LP / ???: 2000LP]   Der Blonden brach beim Anblick des Lochs in der Wand langsam der Schweiß aus. Fast schon panisch wandte sie sich an den nahezu teilnahmslosen Dämon. „Verdammter Kackmist, sag bitte, dass du nicht auch so drauf bist … shit, wem mach' ich was vor, natürlich bist du!“   Vielleicht können wir die gegenseitige Antipathie dieser Drei zu unserem Vorteil ausnutzen? „Und die Reste beseitigen?“ Anya konnte sich trotz ihrer misslichen Lage ein böses Grinsen nicht verkneifen. „Klingt nach 'nem Plan.“ Alleine werden wir das jedoch nicht schaffen.   Sie wusste, was er meinte. Und ihr Blick huschte unwillkürlich zu Exa. „Yeah.“ Gleichzeitig rief Ricther: „Ein Spieler hat Effektschaden erlitten, weshalb sich [Different Dimension Deity – Vems] Angriffspunkte um dieselbe Summe erhöht.“ Erneut wurden zwischen dem ganzen Kristallgebilde am Himmel elektrische, rötliche Ladungen ausgetauscht.   Different Dimension Deity – Vem [ATK/4500 → 5500 DEF/0 (10)]   „Was auch immer“, zeigte sich Exa gänzlich unbeeindruckt. Mit seiner Hand fuhr er über die Monsterkartenzonen seiner Duel Disk und las die Karten darauf auf. Gleichzeitig öffnete sich ein Schwarzes Loch vor ihm. „Ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinen drei Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster!“ Altair, Vega und Alsahm verwandelten sich in gelbe Lichtstrahlen, die von dem Wirbel absorbiert wurden. „Xyz-Beschwörung ausführen! Zeige dich, Herr des Sommerdreiecks!“ Aus dem Überlagerungsnetzwerk drangen grelle Lichtstrahlen, unter denen sich der wohl bisher prachtvollste von Exas Kriegern erhob. Golden leuchteten die dünnen, spitzen Auswüchse seiner Flügel von seinem Rücken, nicht anders als der aus drei Ringen bestehende Schild an seinem Arm. Zwischen jenen drei Einzelteilen zogen sich Energielinien und formten ein aufrecht stehendes Dreieck. „[Stellarknight Delteros]!“ Unter einem stolzen Ausruf schwang besagter Ritter sein Schwert in der anderen Hand aus.   Stellarknight Delteros [ATK/2500 DEF/2100 {4} OLU: 3]   Erst jetzt bemerkte Anya, dass an jedem der Ringe, die den Schild bildeten, diese kleinen Planeten hingen und vor sich hin leuchteten. Also das waren die Overlay Units. Plötzlich aber erlosch einer davon, als Exa eine der Karten unter Delteros' hervor riss. „Ich benutze auch sofort seinen Effekt! Mit dem Abhängen eines Xyz-Materials zerstöre ich-“ Anya, die gleich begriff, was ihm im Sinn stand, schrie aufgebracht dazwischen: „Nicht! Das-!“ „-ein Monster auf dem Spielfeld! Vem! Navigator's Strike!“ „-wird nicht funktionieren“, beendete sie ihren Satz zu spät.   Stellarknight Delteros [ATK/2500 DEF/2100 {4} OLU: 3 → 2]   Schon richtete Delteros sein Schwert gen Himmel und ließ es sich erst in greller Aura aufladen, ehe er es in Richtung der Kristallflügel hielt und einen bohrenden Strahl von der Spitze abfeuerte. „Das wird nicht funktionieren“, wiederholte Ricther gelassen das, wovor Anya den Blonden versucht hatte zu warnen. Die aufrecht stehende [Dimensions Reach]-Zauberkarte vor dem Undying zersprang in tausend Stücke. Und der Lichtstrahl schlug in Vem ein, ohne Schaden anzurichten. Während sich vor Ricther ein Dimensionsriss bildete, aus dem nach und nach zehn Karten in einem Fluss zurück in sein Deck fanden, erklärte inzwischen Anya: „Du Idiot! Er kann [Dimensions Reach] zerstören und zehn seiner verdeckt verbannten Karten ins Deck scheffeln, um zu verhindern, dass das ausgerüstete Monster in diesem Zug gekillt wird! Hör nächstes Mal besser zu, ich weiß wovon ich rede! Immerhin habe ich schon mal gegen den Spinner gekämpft!“ Doch als Exa ihr nur einen eisigen Blick aus seinen blauen Augen schenkte, unterließ Anya erschrocken weitere Kritik. Umso mehr, als er entgegnete: „Hätte ich lieber dein Monster als Ziel bestimmen sollen?“ „Tch! Mach doch, was du willst!“ Inzwischen war die letzte Karte in Ricthers Deck zurückgekehrt.   Different Dimension Deity – Vem [ATK/5500 → 3500 DEF/0 (10)]   „Aber komm ja nicht zu mir angeheult, wenn der sich nächste Runde mit dem Teil an dir rächt“, setzte sie nach und deutete auf die Kristalle am Himmel. „Damit werde ich schon fertig.“ Unerwartet lächelte Exa für einen kurzen Moment heiter. „Trotzdem danke für die nette Warnung.“ Damit schob er seine letzten beiden Handkarten in die Duel Disk, sodass sie sich vor seinen Füßen materialisierten. Wieder ernst und mit versteinerter Mimik fuhr er fort: „Damit ist mein Zug am Ende angelangt. Jetzt du, Schönheit.“   Die anderen drei Duellanten richteten gleichzeitig ihre Aufmerksamkeit auf den Dämon in der Maske, welcher sich bisher an keiner ihrer Konversationen beteiligt hatte. „Der ist am gefährlichsten“, brummte Anya. Exa weiter oben stimmte ihr nickend zu. „Ganz bestimmt.“ „Du ahnst gar nicht wie sehr, Anya Bauer“, pflichtete ihr selbst Ricther bei.   Mächtiger als ein Undying? Das fragte sich Anya ebenso wie Levrier. Egal was dieses Wesen war, wenn Ricther Respekt vor ihm hatte, dann vielleicht auch … Mit einer unmenschlichen, verzerrten Stimme sagte der Dämon schließlich: „Monster-Set.“ Damit legte er eine Karte mit dem Bild nach unten auf die rote Energie-Duel Disk an seinem Arm. Genau wie bei Anya, tauchte jene in vergrößerter Form horizontal ausgerichtet vor ihm auf. „Zauberfalle-Set“, gab der Maskierte im Anschluss zum Besten. Noch eine Karte, diesmal direkt zu seinen Füßen, betrat das Spielfeld. „End Phase.“   Belustigt platzte es aus Exa heraus: „Wow. Du bist ja echt nicht auf den Mund gefallen.“ „Mach dir nicht die Mühe, mit 'ihm' zu sprechen, Exa“, mischte sich Ricther ein, „egal was du sagst, 'er' … wird es nicht verstehen.“ Nicht nur der großgewachsene, junge Mann wandte sich dem gut gepanzerten Hünen zu.   Auch Anya blickte den Undying fragend an. Der schien den Freak da drüben wohl ziemlich gut zu kennen. Langsam aber sicher bestätigte sich damit ihr Verdacht, dass Ricther vielleicht gar nicht ihretwegen hier war. Sondern wegen dem da … Aus den Augenwinkeln warf sie dem Dämon einen skeptischen Blick zu. Welches Geheimnis verbarg er wohl, wenn er einen Undying wie Ricther so … sorgenvoll klingen ließ?   „Ich bin dran! Draw!“, entschied sie in Gedanken versunken und zog unüblich lasch für ihre Verhältnisse. Die Karte ansehend, frage sie sich, was sie jetzt tun sollte. Auf wen sollte sie sich konzentrieren? Ging sie auf Ricther los, würde der sie sofort zu Kleinholz verarbeiten. Selbiges galt vermutlich für den Fremden. Unweigerlich sah sie wieder zu Exa auf. Er war der einzige halbwegs Normale hier. Und, so recht betrachtete, auch ein potentieller Verbündeter. Immerhin hasste er Ricther wie die Pest. Das war doch ein guter Ansatzpunkt. Vielleicht konnte sie ihn auf ihre Seite ziehen, wenn sie ihre Energien ebenfalls auf den Undying fokussierte? „Hgnnn“, presste sie unsicher durch die Lippen hindurch. Sollte sie es versuchen oder nicht? Wenn das schief ging, hatte sie die Brille auf. Andererseits war es sowieso nur eine Frage der Zeit, bis Mr. Ewige Ordnung auf den Trichter kam, dass er noch eine Rechnung mit ihr offen hatte. Also blieb ihr ohnehin nichts anderes übrig, als ihn anzugreifen. „Ach scheiß drauf!“, entfuhr es Anya genervt. Ihren Arm über die verdeckte Karte ausschwingend, rief sie ziemlich zerknirscht: „Falle aktivieren, [Forced Ceasefire]!“ Besagte, purpur umrandete Karte sprang auf. Und Anya entledigte sich einer Handkarte, die sie dafür als Kosten zu zahlen hatte. „Für diesen Zug ist nix mehr mit Fallenkarten aktivieren!“ „Nicht fair!“, protestierte Exa geradezu kindisch. Von denen besaß jeder mindestens eine, besagter Schreihals sogar zwei. Dafür war sein Monster das vermeintlich schwächste auf dem Feld. Noch hatte sie Zeit, sich ein Ziel für ihre Offensive zu überlegen. „Flippbeschwörung“, verkündete sie derweil und deckte ihr Monster auf dem D-Pad nicht nur auf, sondern drehte es um 90° auf ebenjener, „[Battlin' Boxer Big Bandage]!“ Exakt in derselben Abfolge wirbelte die vor ihr liegende, horizontal verdeckte Karte einmal um die eigene Achse und drehte sich nach rechts. Ihr entsprang ein Boxer, der komplett einbandagiert war, mit Ausnahme seiner roten, kurzen Trainingshose und dem muskulösen Bauchbereich.   Battlin' Boxer Big Bandage [ATK/1100 DEF/1400 (2)]   „Und hinterher als Normalbeschwörung [Battlin' Boxer Rabbit Puncher]!“ Kaum hatte sie die Karte auf das D-Pad geknallt, manifestierte sich neben ihrem Big Bandage eine gebeugt stehende Gestalt, schmal und mit wuschigem, rotem Schopf. Der kleine Boxer hielt sein Gesicht hinter einer Ledermaske versteckt.   Battlin' Boxer Rabbit Puncher [ATK/800 DEF/1000 (3)]   Anya hatte Big Bandage vorsorglich gesetzt, da dieser nicht so leicht im Kampf zu zerstören war. Dafür war seine niedrige Stufe hinsichtlich Xyz-Beschwörungen ein Problem. Eigentlich, denn … „Effekt von Big Bandage! Er kann die Stufe eines Boxers in meinem Friedhof wählen, die dann von denen auf dem Feld angenommen wird!“ Grinsend nahm sie [Battlin' Boxer Headgeared] aus dem Friedhof und zeigte diesen vor. Gleichzeitig begannen sich die Bandagen um dessen Träger zu lösen, nur um ihn dann komplett einzuwickeln. Und ebenso Rabbit Puncher, als ein paar von ihnen auf diesen übersprangen.   Battlin' Boxer Big Bandage [ATK/1100 DEF/1400 (2 → 4)] Battlin' Boxer Rabbit Puncher [ATK/800 DEF/1000 (3 → 4)]   „Ihr wisst, was jetzt kommt“, verkündete Anya und streckte den Arm in die Höhe, „ich erschaffe das Overlay Network!“ Ebenjenes öffnete sich vor ihr in einem dunklen, schwarzen Schlund und zog ihre Krieger in sich hinein, welche zuvor die Form roter Lichtstrahlen angenommen hatten. „Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster! Xyz Summon!“ Aus dem Schwarzen Loch erfolgte eine gewaltige Explosion. Und dieser entstieg eine weiße Gestalt, die ihre Arme verschränkt hielt. Neben den zwei Xyz-Materialien war Levrier, wie immer, von sieben Kohlkopf-großen Perlen umgeben. „Lass es krachen, Kumpel! [Gem-Knight Pearl]!“   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4} OLU: 2]   Nur wenige Sekunden, nachdem der weiße Ritter mit den strahlend blauen Augen das Feld betreten hatte, fasste er sich vor Selbstmitleid stöhnend an den Kopf.   Musste das sein, Anya Bauer?   Die blinzelte verständnislos, fragte grimmig: „Was!?“   Dass ich der Leidtragende sein werde, der wieder die Prügel einstecken darf.   „Hör auf, so'ne Pussy zu sein“, schlug es ihm umgehend von einer leicht perplexen Anya entgegen, die gleich ihr Blatt fester umklammerte, „ich brauch deine Karte nun mal! Wenn's dir nicht passt, zieh doch in eine andere!“   Glaubst du, das [Dark Magician Girl] von Kakyo Sangon ist noch frei?   „Wenn's nach deren Fanboys geht, gibt’s von der kein Loch mehr, das nicht schon 'besetzt' ist. Und jetzt Schluss damit! Du hast viel zu tun.“   Was meinst du damit, kein 'Loch' wäre mehr frei? Anya, die das beim besten Willen nicht vor drei Männern näher ausführen wollte – denn ja, in diesem Moment über'mann'te sie tatsächlich so etwas wie Schamgefühl – lief stattdessen puterrot an. Hätte sie das doch bloß nicht gesagt! „S-sie hat Ohrenschmalz! Und Popel! Und kriegt die Zähne nicht auseinander! In die kommst du garantiert nicht rein!“   Ich kenne noch mindestens- „Ruhe!“, schrie Anya, der es endgültig zu viel wurde. Warum hörte Levrier nicht damit auf, nachzubohren!? Das machte der doch mit Absicht, der Penner! Exa dort oben kicherte bereits viel zu ungehalten für ihren Geschmack. Mit weit aufgerissenen Augen schwang sie den Zeigefinger in Ricthers Richtung. „Kümmere dich lieber um den da, statt so'n Schweinskram zu fragen!“ Also bleibst du dabei?   „Uh-huh!“ Mit düsterer Mimik nickte das Mädchen zur Untermalung. „Greif [Different Dimension Deity – Vem] an! Blessed Spheres of Purity! Und vergesst ja nicht, dass keiner von euch Fallenkarten benutzen kann!“ Sonst wäre sie auch nie in die Offensive gegangen! Levrier wandte sich dem Undying ebenfalls zu und streckte, ähnlich seiner Freundin, den Arm nach vorne aus. Nacheinander schossen die sieben Perlen um ihn herum in die Luft, mit dem Ziel, die kristallenen Flügel am Himmel zu stutzen. Anya wartete. Aber es kam kein Spruch von wegen 'dein Monster ist doch viel zu schwach'. Und das ärgerte sie tierisch, denn immer, wenn sie mal so etwas unternahm, wusste sofort jeder, dass sie einen Hintergedanken dabei hatte. „Wenn keiner von euch was sagt, mach ich's eben selbst!“, ranzte sie die anderen Teilnehmer der Battle Royale giftig an und rammte dabei zeitgleich einen Schnellzauber von ihrer Hand in das D-Pad. „[Ego Boost]! Damit wird Pearl um 1000 Punkte stärker! Kapierst du nun, warum ich dich für den Job brauche!?“   Klar, die anderen Napfsülzen sind zu erbärmlich, um meiner Größe gleichzukommen.   Anya klappte die Kinnlade hinunter, als Pearl demonstrativ seine Muskeln anspannte und vor den anderen posierte wie ein Bodybuilder. „Hör' auf mich zu verarschen! [Ego Boost] ist nur eine Karte!“   Genau wie ich. Und nun stör' mich nicht, ich muss noch Autogramme schreiben.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 → 3600 DEF/1900 {4} OLU: 2]   Mit Zornestränen in den Augen biss sich Anya so fest auf die Lippe, dass diese anfing zu bluten. Was ging denn mit dem ab!? Da war es fast nebensächlich, dass seine Perlen in diesem Moment in Vem einschlugen und das ganze Gebilde zertrümmerten. Ein Nieselregen aus Kristallstaub fiel auf Ricther hinab.   [Anya: 4000LP / Ricther: 3000LP → 2900LP / Exa: 4000LP / ???: 2000LP]   Plötzlich hallte Levriers Stimme in ihrem Kopf, obwohl er doch auf dem Feld war.   Hör zu, Anya Bauer. Ich benehme mich nicht ohne Grund so, wie du es sonst tust.   Ehe sie den Mund aufmachen konnte, fuhr er fort:   Sieh dir Exa an. Die anderen beiden sind bereits unsere Feinde, er hingegen noch nicht. Wenn wir ihm beweisen können, wie menschlich und natürlich wir sind, dass wir keine sinistren Absichten hegen, könnten wir ihn vielleicht auf unsere Seite ziehen.   Und das sollte funktionieren, fragte sich Anya unweigerlich. Ihrer Meinung nach musste man Exa beweisen, dass sie einen gemeinsamen Feind namens Ricther hatten. So würde die Allianz entstehen, nicht durch ein paar alberne Verrenkungen.   Ich glaube daran, dass ein Lächeln den Pfad in das Herz eines Menschen öffnet. Es mag nicht der einzige sein. Aber vielleicht der sicherste. Nicht ganz freiwillig begann das Mädchen über die Worte nachzudenken. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, wusste sie nicht, wie man einen 'Pfad in das Herz eines Menschen' fand. Bei Abby und Nick war er einfach da gewesen, warum auch immer. Ihre Erfahrungen beschränkten sich eher darauf, sich von Menschen zu entfernen. Ihnen das Lächeln zu nehmen, wie sie es vor knapp einem Jahr noch regelmäßig mit ihren Mitschülern zu ihrer Unterhaltung getan hatte. Nicht, dass sie es wirklich bereute, aber … war das so ein Gegensatz-Ding? Wenn das eine von den Menschen weg führte, würde sie das andere dann zum Herz von Z- Sofort verwarf sie den aufkeimenden Gedanken wieder unter heftigstem Kopfschütteln. Nein, sie war nicht der Typ für so etwas! Außerdem ging es nur darum, Exas Unterstützung zu gewinnen, mehr nicht! Und das würden sie auf ihre Art erreichen, damit das mal klar war! „Ich setze eine Karte verdeckt“, rief Anya, ihre letzte Handkarte ausspielend, dabei an den Blonden auf dem Dach gewandt, „wenn du willst, helfe ich dir gerne, die Blechbüchse da loszuwerden!“ Die Karte erschien zu ihren Füßen. Exa drehte den Kopf Richtung des Dämons. Aber er sagte nichts zu ihrem Vorschlag. „Fein“, knurrte Anya verärgert, „aber lass dir nicht zu lange mit dem Überlegen Zeit, sonst ist vielleicht einer von uns beiden bald weg vom Fenster. Zug beendet!“   Sie bemerkte gar nicht, wie Ricther sie schon die ganze Zeit über beobachtete und nun wortlos aufzog. Dann richtete er sich nach vorne aus, wandte sich ebenfalls dem Maskierten gegenüber zu. „Durch das Verbannen von 10 Deckkarten in verdeckter Lage kann ich dieses Monster beschwören“, rief er aus und zeigte die Karte zwischen seinen, von dicken Silberhandschuhen bedeckten, Fingern vor, „[Different Dimension Deity – Astellante]!“ Anya musste schluckten. Das Mistding hatte sie noch gut in Erinnerung. Aus dem Boden um Ricther brachen zehn grüne Kristallsäulen, flogen nacheinander in die Luft. Zwei davon führten parallel nebeneinander die restlichen an, welche sich nacheinander wie Blätter eines Zweiges je zu viert an sie reihten. Ein wenig erinnerte das Gebilde auch an zwei paar aufrecht stehender Flügel, abgesehen von der Farbe dem Bildnis von Vem sehr ähnlich sehend. Anders als bei diesem jedoch, bildeten sich zwischen den beiden Hauptsäulen rote Entladungen, die eine Iris bildeten. Hatte Vem in seiner Haltung jedoch mehr an einen Vogel erinnert, so wirkte Astellante eher wie ein Schmetterling.   Different Dimension Deity – Astellante [ATK/? DEF/? (10)]   In der Zwischenzeit hatte sich auch die letzte der zehn Karten von Ricthers Deck losgelöst und war im wieder erschienen Dimensionsspalt verschwunden, der sich anschließend schloss. „[Different Dimension Deity – Astellantes] Werte richten sich nach der Menge an verdeckt verbannten Karten im Faktor 200.“ Eine gefährlich rote Aura begann um das Kristallwesen zu glühen.   Different Dimension Deity – Astellante [ATK/? → 4000 DEF/? → 4000 (10)]   Dem Mädchen brach beim Gedanken daran, was dieser Riesenklunker anrichten konnte, der Schweiß aus. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, Ricther mit einem Angriff zu provozieren. „H-hey“, rief sie ihm daher unbeholfen zu, „wenn du mich vornehmen willst, dann vergiss das gleich wieder, klar? Ich meine, ja, ich hab dich vielleicht angegriffen, aber dadurch auch Platz für deinen richtigen Klopper gemacht, oder nicht?“ Levrier schlug sich die Hand vor die Stirn.   Wunderbar, du hast ihn gerade erst recht auf uns aufmerksam gemacht. Immer, wenn ich denke, du machst Fortschritte, erweist du dich als Paradebeispiel dafür, was die Evolution so alles falsch gemacht hat …   Tatsächlich sahen sie hinter Ricthers maskiertem Helm kurz dessen rechtes Auge, wie es Anya ins Visier nahm, jedoch gleich wieder geradeaus zu starren begann. Und wieder ignorierte er sie. Die Zauberkarte, die er aus seinem Blatt nahm und vorstellte, war eindeutig für den mysteriösen Dämon bestimmt. „[Dimensions Disturbance].“ Unmittelbar nach Ausruf des Namens der Karte tauchten hintereinanderweg alle zwanzig verdeckt verbannten Karten in einem weiten Kreis vor Astellante auf, der sich zunehmend schneller gegen den Uhrzeigersinn zu drehen begann. Der Maskierte umklammerte seine Handkarten fester. „Ich benötige mindestens zwanzig verdeckt verbannte Karten, um diesen Zauber über eine Different Dimension Deity wirken zu können“, sagte Ricther tonlos, „dadurch verbannt jener die Hand eines meiner Gegenspieler bis zum Ende seines nächsten Zuges. Was immer du planst, du wirst warten müssen, At-“ Eine der sich drehenden Karten ging in einer blauen Flamme auf, welche sich schnell auf den Rest ausbreitete, dann zu einem einzigen Feuerball zusammenzog und in Richtung des Dämons von einer unsichtbaren Kraft abgefeuert wurde. Jener hielt der brennenden Kugel demonstrativ das Blatt entgegen, welches gerade getroffen wurde, als Ricther den Namen seines Gegenüber nennen wollte. Doch der verstummte, als nur ein Sekundenbruchteil später die verdeckte Karte des Fremden aufsprang. „Du hast einen Fehler gemacht“, rügte jener Ricther in seiner unmenschlichen, verzerrten Stimme emotionslos, „durch das Verbannen meiner ...-Karten hast du die Aktivierung von [Divine ...-Saber Ragnarök] ausgelöst.“ Anya legte verwirrt den Finger ans Ohr. Sie war sich sicher, dass der Typ seine Karten irgendwie bezeichnet hatte, aber wie genau, das hatte sie akustisch nicht verstanden. Ehe sie genauer darüber nachdenken konnte, zog der Dämon schon das ellenlange Katana aus der Scheide. „Was geht denn mit dir ab!?“, keuchte die Blonde erschrocken. „Wir hatten uns auf ein Duell geeinigt!“ Doch entgegen ihrer Erwartungen, wurde niemand angegriffen. Stattdessen hielt At-wer-auch-immer die Klinge gen Himmel gerichtet in die Luft. Es geschah gar nichts. „Dieser Schnellzauber lässt mich für jedes in diesem Zug verbannte ...-Monster ein Monster auf dem Spielfeld verbannen.“ Schon wieder! Das war kein Ohrenschmalz, der sie daran hinderte, die Namen richtig zu verstehen, nein, irgendetwas blockierte dieses eine Wort regelrecht! Immerhin tauchten über dem Dämon die drei Karten auf, die Ricther erwischt hatte. Alles Pendelmonster, wie Anya erstaunt feststellte. Zwei Drachen und ein- Moment, das ganz rechte sah doch aus wie Matts-!?   Anya wurde in ihren Gedanken einmal mehr unterbrochen, als plötzlich Exa lautstark erschrocken zurückwich. Den Blick gen Himmel gerichtet, der sich komplett mit schwarzen Wolken eingedeckt hatte. Und irgendetwas schob diese nach und nach auseinander, in einem gewaltigen Radius. „Oh shit“, fluchte Anya, als sie ebenfalls den Kopf in den Nacken legte. Nur Ricther regte sich nicht. Dort oben durchbrach ein grelles Licht die Wolkendecke. Ausgehend von einer Schwertspitze, die glatt mit der Größe eines Hochhauses konkurrierte. Nach und nach drang aus aberdutzenden, gar hunderten Lichtzirkeln über den Wolken eine Klinge ungeahnten Ausmaßes in das Sichtfeld der Anwesenden. Da es sich so hoch oben befand, war es schwer, Details zu erkennen. Aber Anya kam es so vor, als würde das Heft des Schwertes an verschiedenen Stellen aufleuchten, welche sich dann aber wieder verdunkelten. Als wäre es eine Art Maschine. „Oh shit!“, stieß sie noch intensiver hervor, als sie begriff, dass die blau leuchtende Schneide direkt auf das Duellfeld gerichtet sein musste. In dem Moment lösten sich bereits drei Schüsse in Form von Energiestrahlen von deren Spitze. Sie schlugen wie Bomben ein. Erst erwischte es [Stellarknight Delteros], wobei glatt ein Teil des Dachs vor Exa weggesprengt wurde. Der junge Mann wich mit einem Satz nach hinten zurück, um nicht auch getroffen zu werden. Gleich darauf traf der zweite Strahl Astellante, die in alle Himmelsrichtungen zerbarst. Ricther schützte sich mit erhobenem Arm und wehendem Umhang vor den Folgen. Anya sah mit geweiteten Augen nach oben, ebenso wie Levrier. Fassungslos hauchte sie: „Erwähnte ich schon fuck?“   Nein. Das wäre eher mein Part.   „Falle, [Dimension Gate]!“, schrie Anya geistesgegenwärtig. Levrier tauchte noch in das sich über ihm öffnende Portal ein, da regnete der Strahl schon auf Anya herab. Den Ritter um nicht einmal eine Millisekunde verfehlend, schlug er vor dem Mädchen ein und schleuderte es so hart gegen die Wand hinter sich, dass es keuchte und vom Gemäuer rutschte wie eine Fliege, die Bekanntschaft mit einer Fliegenklatsche gemacht hatte. Als sie vorneüber auf den Boden fiel, hustete sie unkontrolliert. Der Druck hatte ihr die Luft zum Atmen geraubt. Erst durch stoßartiges Hecheln und Husten konnte sie wieder Luft in sich aufnehmen. „Nicht schlapp machen, Sonnenschein“, mahnte Exa angespannt, der hockend vor dem Einschlagkrater im Dach verharrte. Sich mit den Ellbogen abstützend, hob Anya ihr Haupt. „Halt die Klappe!“ Danach drehte sie den Kopf in Richtung des Auslösers für ihre Lage. „Und du! Wenn einer Levrier in den Arsch tritt, dann wohl nur ich, klaro!? Ehe du ihn verbannst, mache ich das lieber selbst mit meiner Karte [Dimensions Gate]!“ Ebenjene Falle stand direkt vor ihr aufgerichtet. Einmal mehr an diesem Tag sollte Anyas Einwand völlig unbeachtet bleiben. Noch immer hielt der Maskierte sein Schwert zum Himmel gerichtet und sagte nun: „Nach diesem Effekt folgt ein zweiter. Für jedes verbannte ...-Monster erleidet mein Gegner Schaden entsprechend der Gesamtsumme an Stufen multipliziert mit 400.“ Zur Verdeutlichung tauchten die drei Karten, die Ricther so unbedacht entsorgen wollte, noch einmal auf. Der eine Drache war Stufe 6, der andere 3 und dann -das- auf Stufe 4. Also über 5000 Punkte Schaden, rechnete sich Anya erschrocken aus. Wer würde den abkriegen, etwa Ricther!? „In einer Battle Royale wird dieser Effekt auf all meine Gegner angewandt. Dieses Duell ist entschieden.“ Im selben Moment ließ der Dämon sein Schwert niederfahren. Und das riesige Gegenstück im Himmel setzte sich analog dazu ebenfalls in Bewegung. „Scheiße! Ist der irre!?“, kreischte Anya und rappelte sich hastig auf. Diesmal blickte selbst Ricther der drohenden Katastrophe entgegen. „Die Macht, das Ende der Welt zu beschwören …“   Unerwartet zersprang das riesige Schwert am Himmel in tausende Stücke. Anya wusste nicht warum, aber sie atmete erleichtert auf. Okay, wer hatte da jetzt zwischengefunkt? Ein Blick auf Ricthers und Exas Spielfeldseiten verriet er jedoch: Niemand. Entsetzt sah sie wieder nach oben. Ragnarök war nicht zerstört worden … die Klinge hatte sich lediglich vom Heft abgekoppelt und war in tausende kleinerer Fragmente zersplittert. Fragmente, die sich ihnen wie ein Heer aus Pfeilen unweigerlich näherten! Die würden sie aufspießen wie Käsehäppchen!   Mit zunehmender Panik rief sie den beiden anderen Bald-Cocktailkirschen zu: „Jetzt ist der Punkt erreicht, an dem eine von euch Pappnasen etwas dagegen unternimmt!“ Exa erhob sich mit gen Himmel gerichtetem Blick aus seiner Hocke. „Da muss ich passen …“ „Und du!?“, wandte sich die Blonde aufgelöst an Ricther. „Du bist ein verdammter Undying! Sag mir nicht-“ Der Hüne ließ die Hand über seine gesetzte Karte fahren, welche aufsprang und sich als Schnellzauber entpuppte. „[Dimensions Divergence].“ Nach und nach öffneten sich über ein dutzend Risse im Raum-Zeit-Gefüge um Ricther, welcher der abrupt verstummten Anya erklärte: „Diese Karte kann nur aktiviert werden, wenn mindestens 15 meiner Karten verdeckt verbannt sind. Und sie bewirkt, dass die Schadensverhältnisse eines Spielers umgekehrt werden.“ Exa verschränkte die Arme und fragte scharf: „Heißt im Klartext?“ „Schaden, der für besagten Spieler vorgesehen war, wird stattdessen denjenigen zugefügt, die diesen verursachen wollten.“ Anya schluckte, sah sie die Lichtpunkte am Himmel immer näher kommen. „Aber das hält diese Kacke da nicht auf! Damit beschützt du dich nur selber!“ „Während Mystery Demon dort drüben seine eigene Medizin schlucken muss“, fügte der junge, blonde Mann leise hinzu, „geschickt eingefädelt.“ „Du irrst dich, Exa. Ich wende [Dimensions Divergence] nicht auf mich selbst an.“ Sowohl er, als auch Anya horchten überrascht auf. Langsam hob Ricther den Arm mit der Klingen-Duel Disk und zeigte damit auf Anya. „Sondern auf dich.“   In dem Moment verschlug es ihr endgültig die Sprache. Sie begriff, was er da tat. Aber sie verstand nicht das Warum. Der Undying, der sie vor wenigen Wochen noch tot sehen wollte, der sich nicht für ein einzelnes Menschenleben interessierte, beschützte … sie!? Diejenige, die die Siegel brach? Die Feindin der ewigen Ordnung!?   Die Risse um Ricther verschwanden wieder. Stattdessen trat das Phänomen nun um Anya auf, die davon aber kaum Notiz nahm. Selbst der in Sicherheit gebrachte Levrier konnte in diesem Moment nicht zu ihr durchdringen.   Was hat das zu bedeuten!? „Du bist wirklich das Letzte“, zischte Exa verächtlich. Ricther sah ihn mit erhobenem Haupt an. „Vergib mir.“ „Nein! So leicht mache ich es dir nicht!“ Das Gesicht des Mannes verzog sich zu einer zornigen Fratze, als er ebenfalls den Arm über seine gesetzten Karten schwang. „Nimm's mir nicht übel Sonnenschein, aber ich will hier genauso wenig sterben wie du! Falle aktivieren!“ Die linke der beiden Verdeckten sprang auf und riss die Blonde aus ihrer Trance. „[Mystical Refpanel]“, benannte Exa schon ebenjene. Hinter ihm stieg eine blauhaarige Elfe empor, die einen kugelrunden Spiegel vor sich schweben ließ. In jenem entstand das Bild von Ricthers aufrecht stehendem Schnellzauber. „Diese Karte transferiert den Effekt eines Zaubers, der auf einen bestimmten Spieler wirkt, auf einen anderen.“ „Ah!“ Jetzt verschwanden die kleinen, rötlich leuchtenden Spalten auch um Anya, nur um im Anschluss Exa in sich einzuschließen. „Auf mich. Aber keine Sorge …“ Mit einem Mal streckte er seinen Arm mit der Duel Disk nach vorne aus. Diese schob sich zu einer Einheit zusammen und drehte sich auf ihrer Halterung um 180°. Die Spielfeldkartenzone klappte aus. „... ich lass dich nicht im Stich“, zwinkerte der junge Mann Anya verschwörerisch zu. In diesem Moment schoss ein Enterhaken aus der Öffnung und verankerte sich weit über dem Mädchen in einem Wassertank, welcher auf der höher gelegenen, staatlichen Einrichtung stand, welcher sie den Rücken zugekehrt hatte. „Viel Spaß noch“, wünschte Exa dem Undying und auch dem Dämon böswillig, ehe er Anlauf nahm und über das Dach sprang. Anya sah nur noch, wie er sich herab schwang und auf sie zu schnellte, dabei an dem Seil hängend. In seinem Fall streckte er den freien Arm aus. Das Nächste, was sie fühlte, war ein ekelhafter Schmerz im Unterleib, als Exa sie mit Schwung packte und mitriss. Geschickt stemmte der sich mit beiden Füßen gegen die Wand, um sich und Anya abzufedern. Jene schulterte er sich kurzerhand mit den Beinen voran über, ehe er sich von seiner Duel Disk automatisch hin zum Wassertank ziehen ließ. Von Natur aus bedingt ausdruckslos sahen ihm Ricther und der Maskierte hinterher. „Lass mich runter!“, schrie Anya in einer Mischung aus Panik und Scham, wie sie da einfach mit den Beinen voran 'abgeschleppt' wurde. Auch sie war jetzt von den Dimensionsrissen umgeben, die Exa schützen. „Das willst du nicht“, erwiderte er streng. Kaum hatte er den Rand des Daches erreicht, löste er den Enterhaken, ehe dieser ihn komplett zum Wassertank hochzog. Das Mädchen absetzend, zeigte er geradeaus. „Renn!“ „Wa-!?“ „Los!“, schrie er. Nebeneinander nahmen sie die Beine in die Hand, dabei immer mehr in ein hellblaues Licht getaucht. Ohne zurück zu sehen, rannten sie über das Dach. Noch bevor sie dessen Ende erreicht hatten, rief Exa: „Wir müssen springen!“ „Was!?“ Anya sah geradeaus. Das nächste Gebäude lag um einiges tiefer als dieses und dazwischen befand sich, so wie sie das abschätzen konnte, eine schmale Gasse. Die plötzlich gar nicht mehr so schmal wirkte, je näher sie ihr kamen. Ihr Begleiter, der ihr einige Schritte voraus war, setzte direkt am Ende des Gebäudes zum Sprung an. Und er rauschte so elegant durch die Luft, dass Anya sich davon angestachelt fühlte, es ihm gleich zu tun. So etwas konnte sie auch! Als sie sich ebenfalls vom festen Boden losfederte, landete er bereits geduckt auf der anderen Seite. Über seine Schulter sehend, weitete er die Augen. In ihnen spiegelten sich die aberdutzenden Lichtpfeile wieder, die unweit von Anya einfach überall einschlugen. In der Seitengasse, auf der Straße, in den umliegenden Gebäuden, einfach überall. Die Blonde war noch mitten im Sprung, da wurden sie von einer Schockwelle sondersgleichen erfasst. Ohne eine Chance zum Landen gehabt zu haben, wurde Anya von ihr mitgerissen. Auch Exa erwischte es, sodass sie beide weggeschleudert wurden. Alles drehte sich und sie war taub. Da war nur noch dieses grelle Licht gewesen, dann der Druck, der sie weggefegt hatte wie ein Staubkorn. Anya hielt die Augen fest geschlossen. Sie befand sich noch mitten in der Luft, doch ihre Lage hatte sich verändert. Arme über den Kopf haltend, versuchte sie sich irgendwie zu schützen. Dann kam der Aufprall. Er war hart, aber irgendetwas musste ihn gedämpft haben, etwas Weiches. Aber sie bewegte sich weiter, konnte jedoch nicht einordnen, wohin es ging. Oder war sie gar tot?   [Anya: 4000LP → 0LP / Ricther: 2900LP → 0LP / Exa: 4000LP / ???: 2000LP → 0LP]   „Du … bist schwer …“ Orientierungslos öffnete das Mädchen die Augen. Sie sah kaum etwas, nur dunkles Blau. Erst jetzt bemerkte sie, dass sich zwei Arme um ihren Rücken gelegt hatten. Dieser … sie lag … er hielt sie fest umschlossen! Sofort stieß Anya sich los. Beide lagen auf der Seite. Exas Lider waren noch fest geschlossen, doch ein Rinnsal an Blut rann von seiner Stirn. Er lächelte freundlich. „Alles okay?“ Erst jetzt wurde sie sich ihrer Umgebung gewahr, die sie über die Schulter des Größeren im Blickfeld hatte. Vor ihr erstreckte sich ein weiteres Gebäude, höher als das, auf dem sie sich befanden und mit verspiegelten Fensterreihen versehen. Auf weißen Lettern wurde für ein Fitnessstudio geworben. Anya hob leicht den Kopf an. „Ah!“ Sofort umschloss sie seine Arme mit ihren Händen. Beinahe direkt unter ihnen befand sich eine stark befahrene Straße. Gerade schaltete eine Ampel auf Rot um, die Autos kamen zum Stillstand. Sie und Exa lagen direkt am Rand des Daches, Letzterer ragte schon leicht darüber hinaus.   Schnell reagierend, griff Anya ihn am Kragen seiner blauen Strickjacke und hievte ihn über sich hinweg, bevor er noch in die Tiefe fiel. Der Kerl war erstaunlich leicht, stellte sie dabei fest und rollte sich in derselben Bewegung über den Blonden hinweg, denn sie wollte garantiert nicht diejenige sein, die mit dem Rücken zum Abgrund stand. Kaum lag sie neben ihm, raffte sie sich auf. Kurz an sich herabsehend, stellte sie bis auf ein paar Schrammen an den Händen und einem aufgescheuerten Knie keine sichtbaren Verletzungen fest. Stöhnend kam auch Exa langsam zur Besinnung. „Das war ganz schön knapp“, murrte sie, als der junge Mann sich aufrichtete und erstmal den Hinterkopf rieb. Dann sprang er auf, wandte sich dem Mädchen zu.   Anya schluckte beim Anblick des Blutes an seiner Stirn, denn die Wunde hatte er sich nur zugefügt, weil er seinen Körper genutzt hatte, um ihren Aufprall zu dämpfen. Den Blick bemerkten, strich Exa mit den Fingerspitzen über die Stelle und sah sich das Rot an seiner Hand erstaunt an. Dann grinste er breit. „Ups.“ Etwas ungläubig wiederholte Anya: „Ups? Alter, das muss genäht werden!“ „Mach ich nachher“, winkte er ab, doch seine unbekümmerte Mimik schwand, wurde ersetzt von einer schon fast furchteinflößenden. Sein Blick schien das Mädchen regelrecht zu durchbohren, als er fragte: „Und jetzt Hand aufs Herz, welche Rolle spielst du in dem Ganzen eigentlich?“ „Ich bin unschuldig!“, stellte Anya sofort klar. „Der Typ aus der Geisterbahn hat mich zuerst angegriffen!“ „Warum?“ „Woher soll ich das wissen, ich kenne die Fratze nicht mal! Dann kam Ricther dazu, aber statt mich zu killen, wie er und seine Speichellecker es sonst versuchen, beschützt er mich plötzlich!“ Anya ließ ihren rechten Zeigefinger um die Schläfe kreisen. „Abgedrehteren Scheiß gibt’s nur in Buffy-Fanfictions. Und glaub mir, die willst du nicht lesen.“   Sein strenger Ausdruck wich einem verwirrten, ganz offensichtlich wusste der Trottel nicht, wer Buffy war. Nämlich ihr Fernseh-Idol, als sie noch jünger war, zumindest bis Anya eines Tages dahinter kam, wie bescheuert die Serie eigentlich und dass das einzig Übernatürliche in dieser Welt Nicks Dämlichkeit war. In beiden Fällen wurde sie Jahre später eines Besseren belehrt, aber hey, immerhin wurde in der Serie damals regelmäßig jemand verprügelt, viel besser als alles, was damals auf Nickelodeon lief …   Anya, die immer mehr in Nostalgie abdriftete, wurde abrupt aus dieser gerissen, als Exa ihre Schulter fester als nötig packte. „Du jagst du Hüterartefakte, nicht wahr? Dann ist es offensichtlich, warum er dich beschützen wollte.“ „Huh?“ „Denkst du, sie sind unzerstörbar, nur weil sie keine festgeschriebene Form haben? In dem Fall sind die Prioritäten klar.“ Anya schlug seinen Arm mit ihrem Handrücken beiseite. „Pfoten weg!“ Das ist eine interessante Information. Vielleicht können wir dieses Wissen eines Tages nutzen, um den Sammler zu erpressen, wenn alle Stränge reißen?   Levriers Stimme ließ Anya nachdenklich grunzen. Stimmte schon. Mehr noch, lieferte das zeitgleich einen möglichen Grund dafür, dass der Dämon sie angegriffen hat. Denn ganz offensichtlich war er kein Undying, sonst hätte er sich nicht gegen Ricther gestellt. War es sein Ziel gewesen, die Artefakte zu zerstören? Damit waren die möglichen Motive zweier Streithähne geklärt. Bliebe nur … „Und du?“, fragte Anya provokativ. „Wieso hast du dich mit Sir Klapp-a-lot angelegt?“ „Das ist meine Sache. Sei lieber dankbar dafür, dass ich niemals ein Mädchen im Stich lassen würde, selbst wenn sie ganz offensichtlich nichts Gutes im Schilde führt!“ „Tch!“ „Du solltest aufpassen. Nach den Hüterartefakten zu suchen ist kein Spaziergang. Du wirst vermutlich sterben, bevor du die Hälfte davon überhaupt zusammengesammelt hast“, sagte Exa und Anya gefror förmlich das Blut in den Adern, wie er sie aus seinen dunkel umrandeten Augen mit dem Blut im Gesicht so überlegen anstarrte, „was auch der einzige Grund ist, warum ich mich nicht um dich kümmern muss.“ Sie schnaubte grimmig und drehte sich weg. „Wenn ich es -nicht- versuche, bin ich erst recht tot, Einstein. Denkste, ich mach das freiwillig?“ „Dann sollte ich dir wohl raten, dir genau zu überlegen, was du mit deinen letzten Tagen anstellen willst.“ Auch er wandte sich ab, trat an den Rand des Dachs. Anya sah ihm aus den Augenwinkeln nach und verschränkte die Arme. „Kämpfen.“ „Heh. Gute Antwort. Übrigens bitte ich dich um ein wenig Diskretion, was deine Begegnung mit mir angeht. Es gibt bestimmte Gründe, warum niemand wissen darf, dass ich hier bin. Oder überhaupt existiere.“ Nachdenklich sah Anya herüber zum Dach des Verwaltungsgebäudes eine Straße weiter. Er hätte sie auch zusammen mit Ricther und diesem Dämon sterben lassen können. Demnach schuldete sie ihm etwas. Und wenn sie Matt oder Zanthe davon erzählte, was in der Seitengasse geschehen war, würde sie vermutlich nicht einmal mehr alleine auf die Toilette gehen können.   „Abgemach-“, drehte sie sich ihm wieder zu. Und stellte fest, dass er weg war. Mit ihrem Blick das Dach absuchend, konnte sie Exa nirgendwo entdecken. So stellte sie sich dort hin, wo er eben noch verharrt hatte und sah auf die Straße unter sich hinab, aber auch auf dem Bürgersteig oder sonstwo war keine Spur mehr von dem Typen zu entdecken. Er hat sich getarnt und ist dann von hier heruntergesprungen. Um genau zu sein läuft er gerade gen Westen vor dir davon.   „Du kannst ihn sehen!? Wieso ich nicht!?“   Ein einfacher Zauber, mehr nicht. Scheinbar wirkt er auf Immaterielle nicht.   „Sollen wir ihm folgen?“, überlegte Anya laut. Ich fürchte, er würde darauf nicht besonders angetan reagieren. Es wäre unsinnig, das Leben aufs Spiel zu setzen, das er gerettet hat.   Die Blonde zuckte mit den Schultern. „Meinetwegen. Den sehen wir früher oder später sowieso wieder, wollen wir wetten? Ich hab's im Urin.“ Irgendetwas verband ihn schließlich mit den Hütern. So wie er kämpfte, war er vermutlich selbst einer, auch wenn seine Feindseligkeit gegenüber Ricther schon seltsam anmutete. Schlagartig senkte Anya den Blick. Stimmte es denn, dass der sie nur wegen der Hüterkarten versucht hatte zu beschützen, Karten, die sie nicht einmal mehr besaß? So etwas müsste jemand wie er eigentlich wissen, der hatte doch in seinem Helm bestimmt ein Radar für solche Angelegenheiten eingebaut! „Denkst du, die Blechbüchse ist im Eimer?“   Es wäre ironisch, wenn sein eigener, ungeschriebener Pfad dafür gesorgt hat, dass er sein Ende findet. Andererseits, er ist und bleibt ein Undying. Niemand kann wissen, wie sich seine Magie auf ihn selbst auswirkt …   Anya sah über die Schulter zurück. „Und der andere Kerl?“   Dasselbe gilt für ihn … oder es.   „Ich hoffe, Ricther lebt. Vielleicht … ach egal.“ Anya wollte Levrier nicht sagen, dass sie sich an die Hoffnung zu klammern begann, der Undying könnte einen Sinneswandel gehabt haben und ihr nun helfen wollen. „Wir müssen los. Wetten, Summers dreht durch, weil ich so lange weg war?“   ~-~-~   Inzwischen war der Hafen verlassen, eingetaucht in das Licht eines Vollmonds. „Ihr wisst, was zu tun ist“, wies Nick die Krähen auf seinen Schultern an. Beide stießen sich mit starkem Flügelschlag von ihm ab und verschwanden in der Nacht. Der junge Mann zog die Kapuze seiner Windjacke tief ins Gesicht. Er hielt sich hinter der Reihe von drei nebeneinander stehenden Lagerhäusern verborgen. Genau im mittleren von ihnen hielt sich Alexandra in diesem Moment auf und bereitete alles vor. „Auf mein Kommando schalten wir 'die Kameras um'“, murmelte er leise vor sich hin. „Jetzt.“   Und mit einem Mal verschwand die Wand aus gewelltem Blech vor ihm. Stattdessen sah er den Hafen von oben, aus den Augen Sparklys, die in etwa zweihundert Metern ihre Kreise zog. Noch war nichts zu sehen von dem geheimen Treffen. Die abgerundeten Dächer der Lagerhäuser betrachtend, wartete Nick darauf, dass Alexandra jene verließ. „Umschalten“, verlangte er leise. Schlagartig sah er den Hafen aus der Perspektive Snugglys, die auf einem der mobilen Krangestelle saß, mit Blick auf die Straße, die am Hafen vorbei führte. Und sie sah, wie das Scheinwerferlicht einer einzelnen, schwarzen Limousine sich näherte. Der Wagen passierte ein Tor, dessen Schranke sich nach einer kurzen Wartezeit anhob, sodass er das Innere des Hafens betreten konnte. Die Diebin hatte den Wachmann bestochen. „Umschalten“, murmelte Nick erneut. Er sah wieder die Lagerhäuser, aus dem in diesem Moment eine winzige Gestalt trat. Dunkelblondes Haar, schwarze Hosen und eine schwarze Lederjacke. An ihrem Hosenbund befand sich Anyas Deckbox. Schnellen Schrittes marschierte sie zum betonierten, riesigen Anlegeplatz. Bis sie ins Scheinwerferlicht eingetaucht wurde. Der Wagen hielt einige Meter vor ihr an. „Na endlich“, gurrte Alexandra, als der erste Mann ausstieg, „man lässt eine Dame nicht warten. Und ich habe schon sehr lange gewartet.“ Dem Glatzkopf folgten noch drei weitere Männer einschließlich Fahrer, allesamt in schwarzen Anzügen. Einige hielten die Arme vor dem Schritt verschränkt. Mit Waffen in der Hand. Erst dann folgte De la Rosa. „Da bist du ja, du Schwein“, murmelte Nick hasserfüllt. Er hob sich von seinen Schergen ab, trug einen weißen Anzug, passend zu seinem Haar. Der Mafioso war groß und schlank, viele Ringe zierten seine Finger, sein Bart war getrimmt und verlief lediglich am Unterkiefer entlang. Nick hätte ihn gerne näher ins Visier genommen, aber dazu müsste Sparkly näher ran, was nicht klug wäre. Aber er würde ihm noch von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen …   „Alexandra, meine Liebe!“, begrüßte der braungebrannte Mann und schritt auf die junge Frau mit ausgestreckten Armen zu. „Schön, dich wiederzusehen.“ Zu Nicks Erstaunen ging sie darauf ein und ließ sich drücken. Als die beiden voneinander abließen, fragte die Diebin in kindlicher Neugier: „Und? Wie groß ist der Koffer, den Sie für mich haben?“ „Das hängt davon ab, was du für mich hast“, ging er wie ein lachender Onkel darauf ein. Dann schnippte er mit dem Finger. Einer seiner Schergen trat um die Limousine herum und holte aus dem Kofferraum einen metallischen Koffer, den er auf beiden Handflächen tragend zu De la Rosa brachte. „Wie viel?“, fragte Alexandra angespannt. „Zehn Millionen.“ Als Beweis öffnete sein Angestellter den Koffer, in dem fein aneinander gereiht die blassgrünen Scheinchen auf ihre neue Besitzerin warteten. „Was ist los? Ich hatte Sie spendabler in Erinnerung“, scherzte Alex mit einer Spur Missgunst in der Stimme. „Bisher hast du gar nichts auf den Tisch gelegt, mein Täubchen“, wies er sie freundlich, aber bestimmend zurecht. Und ließ den Koffer mit einem Nicken wieder zuklappen. Alexandra griff an ihre Deckbox. „Vermutlich kennen Sie die Geschichte nicht, aber in dieser Welt existieren sieben Individuen, die Hüter genannt werden. Und jeder von ihnen beschützt ein Artefakt mit besonderen Kräften. Eines davon lässt die biologische Uhr seines Besitzers anhalten.“ „Es verleiht Unsterblichkeit?“, fragte De la Rosa skeptisch. „Wie kommt es, dass ich von dieser Geschichte zum ersten Mal höre?“ „Machen Sie sich nicht lächerlich. Was denken Sie denn?“ Sie kicherte. „Was werden Sie staunen, wenn ich Ihnen sage, dass ich sogar zwei Artefakte der Hüter besitze …“   Nick rümpfte die Nase, als er sah, wie Alexandra den Verschluss bereits öffnete. Das war ihm genug Vorspiel. „Macht euch zum Angriff bereit. Los!“ In dem Moment trennte sich seine Verbindung mit Sparkly und er blickte wieder auf das gewellte Blech der Lagerhäuser vor sich.   Gerade als Alexandra ihre Finger an die vorderste Karte des Decks legte, schoss eine Art schwarzer Pfeil wie aus dem Nichts auf den Glatzkopf links neben De la Rosa hinab. Es passierte so schnell, dass die junge Frau nicht einmal aufschreien konnte. So hatte sie nicht einmal erkannt, dass es eine Krähe war, die den Hinterkopf des Mannes regelrecht durchbohrte und ihn damit zu Fall brachte. Im selben Moment wurde weiter hinten beim Wagen ein anderer von einer zweiten getötet, die ihm das rechte Auge aushackte. „Was ist-!?“, stammelte De la Rosa. „Wo kommen die her!? Erschießt sie!“ Die verbliebenen Gefolgsleute zückten ihre Waffen und begannen auf die Krähen zu zielen, welche aber zu schnell waren. Jeder Schuss, der ihnen galt, verfehlte sie. Im großen Bogen mähte Sparkly den nächsten Mann nieder. Panische Schreie begannen den Hafen in Aufruhr zu versetzen. Gerade als auch Diego seine Waffe zückte, stieß einer sein Fahrer gegen ihn, als er Snuggly auswich. Der alte Mann wurde zu Boden geworfen.   In all dem stand Alexandra wie angewurzelt da. Vor ihren Füßen lag der tote Scherge mit dem Koffer. Nach dem sie kurzerhand griff. Und anfing, davon zu laufen. Die Schritte hörend, sah der am Boden liegende De la Rosa ihr hinterher, wie sie Richtung der Lagerhäuser flüchtete. „Warte!“   Die junge Frau warf einen Blick über die Schulter und sah De la Rosa, wie er sich aufrappelte und an die Verfolgung machte. Die Krähen dagegen kämpften mit den zwei verbliebenen Schergen des Mafioso, welcher hoffentlich lang genug andauern würde, um aus ihrem Blickfeld zu verschwinden. „Bleib stehen!“, hörte sie den Mann rufen. Zwischen ihnen waren mindestens fünfzehn Meter Abstand, aber er holte zum Schrecken Alexandras auf. Aber es wunderte sie nicht, denn dieser Mann hatte allerlei Experimente an sich durchgeführt, um sein Haltbarkeitsdatum zu verlängern. Ihr entfuhr ein leises: „Verdammt!“ Sie hatte die Lagerhäuser inzwischen fast erreicht. Dort gab es genug Kistenstapel, um sich für einen Hinterhalt zu verstecken – aber die Tür neben dem Tor war zu! Dabei hatte sie diese extra offen gelassen, wie-!? Dann blieb ihr keine Wahl …   „Bleib stehen!“, schrie Diego der jungen Frau zum wiederholten Male hinterher. Und dieses Mal beließ er es nicht dabei, sondern feuerte einen Schuss aus seiner Pistole ab. In diesem Moment huschte Alexandra zwischen die schmale Lücke der beiden Lagerhäuser linkerhand. Der nahezu lautlose Schuss ging daneben und prallte an der Ecke des Gebäudes ab. Zeitgleich war Nick nach einem kleinen, aber wenig aufschlussreichen Abstecher in Alex' Versteck wieder auf der anderen Seite der Lagerhäuser angelangt. Dank seiner neuen Kräfte spürte er, wie die beiden sich näherten, die Diebin voran. Mittlerweile hatten Snuggly und Sparkly die Handlanger De la Rosas besiegt, denn die Schüsse waren verklungen.   Mit dem Koffer in der Hand, hastete Alexandra durch den Gang. Ein weiterer Schuss zischte über sie hinweg. Sie wurde immer langsamer, konnte das Tempo nicht mehr aufrecht erhalten und stürzte vorne über, sich die brennende Lunge haltend. Wenig später hatte Diego sie erreicht, seine mit einem Schalldämpfer ausgestattete Pistole auf die junge Frau gerichtet. „I-ich war das nicht“, keuchte sie über die Schulter sehend. „Sicher“, erwiderte er in seinem gebrochenen Akzent. „Deswegen hältst du auch mein Geld in deiner Hand.“ „Sie wollten mich von Anfang an umlegen!“, fauchte Alexandra verächtlich. „Ja. Aber du wärst mir beinahe zuvorgekommen.“ Die Dunkelblonde lachte zynisch. „Bestimmt, ich bin nebenberuflich Kampfvogeltrainerin.“ „Einer wie dir würde ich das ohne Zweifel zutrauen.“ In seinen Worten war der Anflug von Faszination versteckt. Dann machte er mit seiner Waffe eine zu sich winkende Bewegung. „Den Koffer, wenn du gestattest.“   Es knallte. Blut spritzte in Alexandras Gesicht, gefolgt von einem gellenden Schrei Diegos, der sich mit dem lautstarken Schreck der jungen Frau vermischte. Fassungslos hielt sich der Mafioso die Hand, der nun zweieinhalb Finger und die Waffe fehlten. Beiden war während ihres Streits entgangen, wie sich die vermummte Gestalt Nicks hinter dem Lagerhaus mit gezückter Waffe hervor geschoben hatte. Wimmernd klammerte sich Diego de la Rosa um seine stark blutende Hand. „Was hast du getan!?“ Auch Alexandra sah entgeistert dem großgewachsenen Angreifer entgegen. „Dieselbe Frage könnte ich Ihnen stellen, De la Rosa“, erwiderte Nick unterkühlt, dabei seine Waffe auf sein Gegenüber gerichtet. „Weißt du, wer ich bin!?“, schrie dieser manisch. „Natürlich.“ „Du warst das“, hauchte im selben Moment Alexandra fassungslos, jedoch ohne beachtet zu werden. De la Rosa verstummte. Leise frage Nick: „Haben Sie sich je gefragt, was all diejenigen gefühlt haben, deren Angehörige Sie haben töten lassen?“ „Ich habe nie-!“ Ohne einzulenken, schnitt der Vermummte ihm das Wort ab. „Und haben Sie jemals Reue gespürt? Schuldgefühle empfunden für das, was -Sie- getan haben?“ Der ergraute Mann wich einen Schritt zurück. „Bist du etwa wegen Rache hier?“ „Nein. Antworten Sie einfach auf meine Fragen“, forderte Nick, dem jedoch tatsächlich relativ wenig an jenen lag. Ihn interessierte mehr, was er dabei fühlte. Gar nichts … Beunruhigt sah Alexandra zwischen beiden hin und her. Ihr Griff um den Koffer mit Geld festigte sich. Eine grimmige Entschlossenheit bildete sich in ihren Gesichtszügen.   Es dauerte einen Moment, ehe der Mafioso gedämpft antwortete. „Ja, das habe ich. Aber damit die einen leben, müssen manchmal andere sterben.“ „Das ist richtig.“ Nick drückte ab, es gab einen lauten Knall. Mit einem schmalen Loch in der Stirn stürzte De la Rosa hintenüber und blieb regungslos liegen. Alexandra unterdrückte einen Schrei, wimmerte stattdessen bloß und wandte den Blick ab. Als Nick ihr mit einer Bewegung seiner leeren Hand befahl, sich zu erheben, folgte sie dieser Anweisung kommentarlos. Dabei drehte sie sich nur minimal dem Mann seitlich zu, sodass er ihre eigene, leere Hand hinter ihrem Körper nicht sehen konnte. „Was willst du? Das hier?“, fragte sie provokativ und hielt ihm den Koffer entgegen. „Vielleicht?“, sagte Nick und richtete langsam seine Waffe auf ihren Kopf. In diesem Augenblick kamen von beiden Seiten Snuggly und Sparkly angeflogen und landeten wie gewohnt auf seinen Schultern. „Aber sagen Sie mir, Alexandra, wenn das Geld De la Rosas Teil des Deals ist. Was ist dann Ihrer?“   Sie zögerte einen Moment und biss sich auf die Lippen. Von irgendetwas hatte er sie gerade abgehalten, erkannte Nick sofort. Alexandra griff nach der Deckbox an ihrem Gürtel und zeigte sie, genau wie den noch immer erhobenen Koffer, vor. „Das da. Hier sind Karten drin, die es nur einmal auf der Welt gibt. De la Rosa war ein Sammler, der bereit war, alles für sie zu zahlen“, log Alexandra. Nick wusste es besser. Der Mafioso hatte nicht nach den Karten, sondern der in ihnen enthaltenen Macht gesucht. „Fallen lassen“, befahl Nick und legte seine andere Hand an die Waffe, um besser zielen zu können. Im Antlitz des Vermummten und seinen beiden Krähen entfuhr Alexandra ein bitterböses Lachen. „Also bin ich jetzt die Nächste, ja? Du würdest dich einfach so an einer hilflosen Frau vergreifen?“ „Sie sind nicht hilflos.“ Ein Glucksen von sich gebend, ließ sie sowohl Deckbox, als auch den Koffer fallen. Analog dazu hauchte sie: „Da könntest du Recht haben.“ Noch bevor Nick reagieren konnte, ließ sie den linken Arm, in dessen Hand sie die Karten gehalten hatte, nach vorne schnellen. Er erkannte lediglich eine Art goldenes Schmuckstück, das in einer gewundenen Form vom Mittelfinger unter ihrer Jacke verschwand. Als er begriff, schoss von dessen Spitze bereits eine grelle, hellblaue Lichtkugel auf ihn zu. Die Nick mit seiner flachen, orange aufleuchtenden Hand weg schlug. Sie krachte in die Wand oberhalb eines der Lagerhäuser und riss einen ganzen Teil davon in Stücke.   Alexandra, die Hand noch nach vorne gerichtet, stand da wie eine Salzsäule. Es war zu offensichtlich, dass sie nicht mit den übernatürlichen Fähigkeiten ihres Gegenüber gerechnet hatte. Nicht weniger erstaunt war sie dann, als Nick die Waffe sinken ließ. „Im Grunde bin ich nur hier, um das zurückzuholen, was Sie gestohlen haben.“ „Die Karten?“, fragte Alexandra und sah hinab zur Deckbox auf dem Boden. „Wieso?“ „Ich weiß mehr als Sie denken. Über Sie, die Hüter-Artefakte … aber Sie wissen vielleicht noch viel mehr. Was genau sind Sie?“, wollte Nick mit einem Hauch Faszination in der Stimme wissen. Sein Herz klopfte vermutlich nicht weniger schnell als das ihre, hatte er zwar mit einem Angriff dieser Art gerechnet, doch ihn tatsächlich zu erleben war noch einmal etwas ganz anderes. „Eine Schatzjägerin, wenn du so willst.“ Beim Sprechen hob sie betont den Arm mit dem goldenen Handschuh hoch, dessen formlosen Windungen sich mindestens bis zu ihrem Ellbogen erstreckten. „Mit guten Kontakten, nehme ich an.“ Nick verfrachtete die Waffe hinter seinem Hosenbund. „Den besten“, nickte sie bestimmend. Ihre grünen Augen funkelten, als wären sie Smaragde, etwas, das der junge Mann noch bei niemandem sonst je wahrgenommen hatte. Sie setzte ein wissendes Lächeln auf. „Wenn du nicht zum Punkt kommst, dann übernehme ich das für dich: Wie wäre es mit einem Deal?“ Sparkly spreizte die Flügel auf Nicks Schultern, doch sie sagte nichts. Nick wusste, dass sie ihm davon abraten wollte, aber diese Entscheidung war längst getroffen. „Deine Hilfe gegen …?“ „Deine Hilfe. Und den Koffer“, hauchte sie und setzte ihren Fuß auf ebenjenen ab. „Hilfe wobei?“ „Dasselbe könnte-“ Doch Alexandra wurde unlängst vom Schrillen mehrerer Sirenen unterbrochen. Beide schreckten auf. Die Blonde fluchte. „Scheiße, der Wachmann hat die Bullen gerufen.“ „War doch zu erwarten“, gab sich Nick gleichgültig. Und streckte ihr seine Hand aus. „Zurück zum Wesentlichen. Jemand mit Kontakten ist genau wonach ich suche. In Angesicht dessen kann ich über den Diebstahl wohl hinwegsehen. Also, wollen wir gegenseitig voneinander profitieren?“ Sie lachte auf. Unterkühlt, mit einem Hauch Arroganz, aber gleichzeitig überrascht. Dann schlug sie ein.     Turn 69 – Names To Cross Off Am nächsten Morgen erhält Anya völlig unerwartet ihr verloren geglaubtes Deck zurück. Doch die Wiedervereinigung mit Nick dauert nur kurz an, da dieser seinen eigenen Plänen nachzugehen gedenkt. Und auch Anya, die sich an Exas Worte zurückerinnert, kommt zu der Erkenntnis, dass es eine ganz besondere Liste gibt, die es abzuarbeiten gilt. Weshalb sie Melinda mit ganz bestimmten Absichten aufsucht. Womit sie jedoch nicht die Einzige ist … Kapitel 74: Turn 69 - Names To Cross Off ---------------------------------------- Turn 69 – Names To Cross Off     Es war ein gewöhnlicher Mittwochmorgen, als Nick Harper seiner Freundin und Schwester Anya Bauer die Hand reichte. In dieser Hand befand sich eine kleine, schwarze Box. Für Außenstehende hatte sie keinerlei Bedeutung, doch Anya bedeutete sie die Welt. In ihr befanden sich nicht nur Karten, sondern auch Erinnerungen. Und als das Mädchen die Box entgegen nahm, schenkte sie Nick das, wonach er sein ganzes Leben gesucht hatte: Ein aufrichtiges, glückliches Lächeln.   „Ich habe nachgesehen“, sagte der junge, zerzauste Mann, der seine Windjacke anbehalten hatte, „keine fehlt, zumindest keine von der ich weiß.“ Anya, die aufrecht vor ihm neben dem runden Frühstückstisch stand, strahlte wie ein Honigkuchenpferd. „Danke.“ Direkt neben ihr schnitt Zanthe seinen Pfannkuchen. „Ende gut, alles gut.“ Und das Lächeln wich schlagartig aus Anyas Zügen. „Einen Teil des Satzes hat der Flohpelz vergessen. Diebin tot?“ „Nein. Sie ist entkommen. Aber sie wird es nicht nochmal versuchen, davon bin ich überzeugt.“ „Wo ist sie?“, verlangte Anya zu wissen und rückte Nick so nah auf die Pelle, dass sie aufsehen und den Popel in seinem linken Nasenloch sehen konnte. „Ich will Vergeltung!“ „Ich weiß es nicht, sie hat ihr Smartphone weggeschmissen, also kann ich sie nicht mehr orten.“ Matt, der Zanthe gegenüber saß, mischte sich ein: „Willst du es nicht gut sein lassen?“ Wie ein verschrecktes Huhn riss er den Kopf in den Nacken, als Anya den ihren zu ihm herum ruckte. „Im Ernst, Summers!? Nach allem, was ich wegen ihr durchmachen musste!?“ „Ja, die vielen Duelle, die du mit einem geliehenen Deck besser bestritten hast, als du es vermutlich mit deinem eigenen getan hättest. Das Deck des Mannes, der dich eiskalt abserviert hat und dessen Existenz du es indirekt verdankst, dass ihr euch wieder vertragen habt“, murmelte Zanthe schnippisch vor sich hin, „ganz zu schweigen von deiner Qualifikation fürs Halbfinale. Böse Diebin, wirklich …“ „Schnauze, Flohpelz!“ „Ich mein ja bloß. Und übrigens, wenn selbst die Rückkehr deines Decks dich nur für magere fünf Sekunden glücklich macht, dann bedaure ich den armen Tropf, der eines Tages für deine Orgasmen zuständig ist.“ Matts Messer fiel laut klimpernd auf den Teller. Es war mucksmäuschenstill im Restaurant des Ephemeria Grand Hotels. Und auch wenn Zanthe spürte, wie alle Blicke auf ihn gerichtet waren, aß er doch mit regelrechtem Genuss weiter, als wäre nichts geschehen. Was sowieso seine neue Strategie zu sein schien.   Nick räusperte sich und drehte Anya an den Schultern in seine Richtung, versuchte ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, ehe ein tragisches, bewusst provoziertes Unglück geschah. „Hey, ich würde gerne noch länger bleiben, aber ich muss zurück nach Livington.“ Anya sah ihn abwesend an. Ihr Gehirn hatte offensichtlich noch nicht rebootet, wahrscheinlich hatte es sich am Input 'Orgasmus' aufgehangen. „Das Projekt geht langsam in die nächste Phase über und die brauchen mich dort. Sollte es also irgendetwas geben, wobei ich dir helfen kann …“ „So wie den Werwolf umbringen?“, fragte Anya in einem völlig untypischen, zuckersüßen Tonfall und tastete nebenbei den Tisch nach einem Messer ab. Was Nick unterband, indem er ihre Hand schnell in die seine nahm. „Ich meinte eher Geld oder andere …“ „Geld für eine Waffe ist auch gut.“ „Keine Waffe!“ Nick seufzte. „Wenn ich etwas für dich tun kann, was ich später nicht bereuen muss, sag es mir am besten jetzt.“ Als sie ihn immer noch ansah, halb in Trance, welche eigentlich nur die tatsächliche Mordlust verbarg, richtete sich Nick tonlos an Matt. „Oder falls ihr etwas braucht …“ „Kennst du gute Bestattungsunternehmen?“, fragte der scherzhaft und nickte zu Zanthe herüber. Sofort wurde er deutlich daran erinnert, dass Nick ihn nicht leiden konnte. „Nein. Also, Anya, kann ich dich ruhigen Gewissens mit den beiden alleine lassen?“ Sie zuckte förmlich zusammen, ihr Blick wurde schlagartig klar. „Ja, kein Problem. Dieses Turnier hab ich so gut wie in der Tasche, jetzt wo ich meine Karten zurück habe.“ Nicht vollständig überzeugt, nickte der zerzauste, junge Mann und sah die Drei der Reihe nach an. „Also dann, viel Erfolg. Meldet euch hin und wieder, ich will auf dem Laufenden bleiben.“ „Ganz sicher ...“, raunte Matt mürrisch und nahm das Messer von seinem Teller wieder auf, um sein Brötchen zu beschmieren. Zu guter Letzt legte Nick noch einmal die Hand auf Anyas Schulter. „Pass auf dich auf, okay?“ Mit fettem Grinsen im Gesicht, deutete sie mit dem Daumen auf ihre Brust. „Ich bin Anya Bauer. Aufpassen müssen nur die anderen.“   Das gesagt, verabschiedete Nick sich und schritt von dannen. Er wusste bereits, dass er keine drei Schritte getan haben würde, bis seine Schwester explodierte. Das Klimpern von Besteck war zu hören und wie dieses mit voller Wucht in einen Teller gerammt wurde, sodass dieser zerbrach. Das Knacken deutete daraufhin, dass besagtes Messer – etwas anderes konnte es nicht sein – glatt durch den Tisch gejagt wurde. Die entsetzten Schreie eines Werwolfs erklangen, als eine Furie sich auf seinen Schoß schwang und würgte. Der Knall eines nach hinten gefallenen Stuhls rundete den Vorfall schließlich ab, welcher am nächsten Tag für Schlagzeilen sorgen würde.   Und als Nick Harper das Restaurant verließ und in der Lobby des Hotels angelangte, wartete bereits eine Alexandra Russo auf ihn, die erstaunt die Augenbrauen angehoben hatte. „Ignorier' den Krach“, sagte er ihr friedlich, als sie nebeneinander zum Ausgang schritten. „Solltest du sie wirklich allein lassen? Das sah böse aus, wie sie versucht hat, ihm mit der Gabel die Nase auszureißen“, fragte die Blonde verunsichert, welche ihre Augen hinter einer Sonnenbrille verbarg. „Der kann das ab.“ Seine Gefährtin zog ihre beige Jacke enger um sich, als sie in die Drehtür eintraten. „Deine Freunde sind unheimlich und das sagt jemand, dem schon viele unheimliche Personen begegnet sind.“ Nick sah sie von der Seite her künstlich lächelnd an. „Und ich bin darunter die schlimmste.“ Sie rümpfte die Nase. „Zweifelsohne. Und jetzt?“ „Nutzen wir deine Beziehungen aus. Die der unheimlichen Sorte.“ Zusammen traten sie auf die Straße, wo Nick sich erst einmal streckte und tief durchatmete. Der Tag hatte wirklich gut begonnen, also sprach nichts gegen ein paar 'Unterhaltungen'.   ~-~-~   Wenig später, Nick und Alexandra waren schon fort, fanden sich Anya, Matt und Zanthe vor dem Eingang des Restaurants neben ihrem Hotel wieder. „Großartig“, schnaubte Zanthe und hielt Anya sein in der Mitte durchgerissenes Kopftuch vor die Nase, „sieh' es als Metapher unseres Rufes an.“ Sein schwarzes Haar war durcheinander, genauso wie Anyas blondes. Nur noch einzelne Strähnen ihres Pferdeschwanzes wurden von Haargummi gehalten, der Rest stand kreuz und quer ab. Matt, der einzig unversehrt Gebliebene von ihnen, merkte betrübt an: „Ich glaube, da brauchen wir uns jetzt nicht mehr blicken lassen.“ „Mir doch egal!“, stampfte Anya wütend auf. „Mir aber nicht!“, donnerte Matt unerwartet zurück. „Was zum Henker ist los mit euch!?“ Keiner bemerkte, dass die Leute hinter der Fensterfassade sie in einer Mischung aus Furcht und Neugier beobachteten.   Abwechselnd starrte er die beiden auffordernd an, besonders die Blonde, da er zumindest bei ihr wusste, wo ihr Frust begraben lag. Dementsprechend harsch richtete er seine Worte an sie: „Sag ihm, was dir auf der Seele liegt, sonst müssen wir uns irgendwann noch nach einem neuen Schlafplatz umsehen!“ Wie man es aber von Anya erwarten konnte, verzog die nur die Lippen. „Ich habe nichts zu sagen!“ „Und du?“, wandte sich Matt an den Werwolf, der mit der Hand sein Haar glatt zu streichen versuchte. Ihm fiel auf, dass dieser ungewöhnlich blass wirkte. „Dito.“ „Anya“, wirbelte Matt wieder scharf zu ihr herum und machte ihr mit einer nickenden Kopfbewegung mehr als deutlich, wer den ersten Schritt zu machen hatte.   Frustriert seufzend ließ jene sich auf einen der leeren Stühle fallen, da sich hinter ihnen mehrere Tische befanden, die von Schirmen vor der grellen Sonne geschützt wurden. Auch hier gab es Gäste, die den Streit drinnen wie draußen gespannt verfolgten. Und es war Anya auch egal, dass an diesem, -ihrem- Tisch bereits ein älteres Ehepaars saß, das verschreckt die Augen weitete. „Können -wir- nicht mal wieder etwas zusammen unternehmen?“, fragte sie an Zanthe gewandt. „Wieso? Wir haben doch eben gefrühstückt.“ „Ich meinte etwas Richtiges. Wo man Spaß hat. Nicht, dass mir das eben keinen Spaß gemacht hat, aber …“ Matt, der schon kommen sah, wie dieses Gespräch ohne 'Leitung' verlaufen würde, sprach aus, wofür Anya noch mindestens eine halbe Stunde brauchen würde. „Uns ist aufgefallen, dass du dich immer mehr zurückziehst. Wir machen uns Sorgen um dich, insbesondere Anya.“ Für einen Moment verloren sich Zanthes grimmige Gesichtszüge. Dann lächelte er gutmütig. „Braucht ihr nicht. Mir geht es gut.“ „Wann hast du das letzte Mal … du weißt schon?“, fragte Matt ernst. „Du bist schneeweiß.“ „Hört zu. Es gibt da jemandem, dem ich helfen muss. Und er hilft im Gegenzug mir“, versuchte Zanthe seine Freundschaft mit Exa zu umschreiben. Anya lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. „Warum treffen wir uns dann nicht zusammen, huh? Ist ja schön, dass du auch andere Freunde hast, aber scheiße, vergiss uns dabei nicht!“ Für einen kurzen Moment wandte Zanthe den Blick ab, suchte nach den passenden Worten. „Es ist kompliziert. Ohne mich ist er … gewissermaßen verloren. Ich bringe ihm Duel Monsters bei, damit er sich etwas Geld in Untergrund-Duellen verdienen kann.“ Als er sich wieder Anya zudrehte und die entsetzten Blicke der beiden Senioren bemerkte, fügte er noch bestimmend hinzu: „Das haben Sie nicht gehört!“ „Warum helfen wir ihm dann nicht gemeinsam?“, fragte Anya voller Unverständnis. „Das geht nicht!“ „Warum!?“ Zanthe schnappte zurück: „Weil er es so will und das muss ich respektieren! Und nebenbei bemerkt, ich bin gleich mit ihm verabredet. Also bis dann!“ Der Schwarzhaarige nutzte die Gelegenheit und ließ die verdutzte Anya einfach sitzen, rauschte quer über die Straße und wäre dabei fast noch angefahren worden.   Völlig unfähig, seinen Ausbruch zu verarbeiten, saß Anya mit geweiteten Augen da. Matt stellte sich neben sie und sah dem Werwolf hinterher, der die andere Straßenseite erreichte. „Wow. Willst du ihm nach?“ „Tch“, zischte das Mädchen, wieder zu Sinnen kommend, „der würde sofort bemerken, wenn wir ihm folgen.“ „Ja, würde er. Wirklich schlauer sind wir nicht geworden. Wobei die Sache mit den Untergrund-Duellen nicht gerade gut klingt. Und meine Frage hat er glatt ignoriert.“ Anya sprang auf. „Mir doch egal. Wenn er meint, dann soll er doch! Pft!“ Kurzerhand schnappte sie sich das Stück Kuchen, das auf dem Teller ihres Tischnachbarn lag, und warf ihm einen eisigen Blick zu, der in etwa sagte: „Ich brauch das jetzt, wenn dir das nicht passt, können wir das gerne in einem Zweikampf klären! Keine Waffen, nur Fäuste!“ Sich das ganze Stück mit einem Mal in den Rachen schiebend, stampfte Anya in die von Zanthe entgegengesetzte Richtung davon. Was sagte dieser blonde Weirdo von neulich doch gleich? Sie solle ihre letzten Tage genießen. Und genau das würde sie jetzt auch tun! „Wo willst du hin?“, rief Matt ihr hinterher. Anya schluckte erst hinunter, ehe sie erwiderte: „Es wird Zeit, endlich meine „Pitchest Black“-Liste abzuarbeiten. Ich muss mich jetzt nämlich dringend abreagieren! Und frag gar nicht erst, das ist ein Geheimnis!“ Sprachs und ließ Matt einfach so stehen. Der warf dem älteren Ehepaar einen um Entschuldigung bittenden Blick zu, die ihm ihrerseits mit versteinerten Minen sehr deutlich machten, dass seine Anwesenheit keine Sekunde länger toleriert wurde. „Und was soll ich jetzt machen?“, fragte er verloren vor sich hin. Anya würde ihn auf der Stelle umbringen, wenn er ihr hinterher rannte. Zumal er gar nicht wissen wollte, was diese Liste genau war …   ~-~-~   Etwa eine halbe Stunde später hielt ein Taxi vor dem Anwesen an, in dem die Eröffnungsveranstaltung des Legacy Cups stattgefunden hatte. Von der Fahrerseite stieg niemand Geringeres als Anya aus, wirbelte einmal um den Wagen und riss die Tür des Beifahrers auf. „Wir sind da!“ Völlig verängstigt kauerte dort ein schwarzer Mann mittleren Alters und wagte es nicht einmal, seine Chauffeurin nur anzusehen. Stattdessen schlug er die Hände über dem Kopf zusammen und das in einer Haltung, die stark an die eines Fötus im Mutterleib erinnerte. „Man, das habe ich echt mal gebraucht“, schwärmte Anya von der Fahrt, „oh und keine Sorge, die Cops haben wir abgehängt, als wir uns im U-Bahn-Schacht versteckt haben.“ Was dem Mann ein entgeistertes Quieken unterdrückter Erinnerungen entlockte. „Also“, raunte Anya und hielt ihm die offene Handfläche vor die Nase, „das macht dann 100$.“ Prompt hatte sie gleich die ganze Brieftasche des eigentlichen Taxifahrers in der Hand, welcher sich schnell auf den Fahrersitz schob, schreiend aufs Gaspedal trat und mit Vollgas das Weite suchte. „Das wär' doch nicht nötig gewesen“, rief Anya ihm hinterher, mit der Geldbörse winkend.   Anya Bauer, dir ist doch klar, dass du ihm die zurückgeben wirst, oder? … Aber um seiner eigenen, mentalen Sicherheit Willen gib sie bitte in einem Fundbüro ab. Ich glaube nämlich nicht, dass sein Herz noch einer Begegnung mit dir standhalten wird.   „Ich sollte echt überlegen, das beruflich zu machen“, stellte Anya zufrieden mit sich selbst fest und stopfte sich das gute Stück in die hintere Hosentasche ihrer Jeans. Melinda ist also die Nächste auf deiner 'Pitchest Black'-Liste?   Anya trat zu dem hohen Tor mit der Freisprechanlage heran. Sie erinnerte sich noch, wie sie sich beim letzten Besuch über die Spitzen des zwei Meter hohen, schwarzen Zauns hinweg geschwungen hatte. Sie war schon im Begriff, eine der speerartigen Zaunlatten zu packen, da hallte es in ihrem Kopf:   Nein. Du benutzt die Tür.   „Da komme ich aber nicht rüber?“, erwiderte Anya verwundert.   Ich bitte dich, genug Straftaten für einen Tag! Denk dran, die Presse hat ein Auge auf dich geworfen! Du klingelst gefälligst!   Missmutig ließ Anya vom Zaun ab und machte einen Schritt zur Freisprechanlage. „Schon gut …“ Nachdem sie geklingelt hatte, hallte eine irgendwie vertraute, männliche Stimme freundlich zu ihr. „Ja bitte?“ „Den kenn' ich doch. Hank?“, erinnerte sich Anya an den dicklichen Wachmann. „Ja. Wer spricht da?“ „Ich bin's, Anya Bauer, Schnöselschw- Melindas Freundin von neulich. Die, die ihr Deck verloren hat. Ist sie da?“ Hank lachte. „Du bist das. Ja, Miss Ford befindet sich derzeit im Garten. Warte, ich mache dir auf.“ Kurzerhand schwang das Flügeltor auf und Anya konnte passieren. Sie schritt eilends vorbei an den Blumenfeldern, direkt auf das Anwesen mit seinen Bogensäulen zu. Gerade erreichte sie den Eingang, da tauchte der Mann in Blau mit der Halbglatze zu ihrer Linken auf. Dabei hielt er ein Smartphone an sein Ohr. „Ja, sie steht gerade vor mir. Okay, Melly, sag ich ihr.“ Dann legte er auf. „Sie wartet auf dich, hinten beim Eingang des Parks.“ „Cool, danke“, erwiderte Anya. Siehst du, wie einfach man mit ein wenig Freundlichkeit bekommt, was man will?   „Beängstigend“, schnarrte Anya leise, während sie dem untersetzten Mann ins Anwesen folgte. Er führte sie durch den leeren Ballsaal zu einer Terrasse nach draußen, wo Melinda bereits auf sie wartete.   Geradezu euphorisch stürmte der Rotschopf auf sie zu. In einer himmelblauen Stoffhose und weißer Bluse steckend, fiel das ältere der Ford-Geschwister Anya um den Hals. „Wie schön dich zu sehen!“ Vor Freude strahlend, schob sie Anya ein Stück weit an den Armen von sich weg, um sie zu betrachten. Die starrte mit weit geöffneten Augen zurück. „Hi, Schnöselschwester … Lässt du mich freiwillig los, oder muss ich dir erst ein paar Knochen brechen?“ Sofort kam Melinda der eindeutigen Aufforderung nach. „'tschuldige.“ „Hast du gekokst, dass du so gut drauf bist?“, fragte Anya unverblümt wie immer. „Nein, ich nehme keine Drogen mehr, seit ich 25 bin“, winkte die ab und deutete mit ausgestreckter Handfläche an, dass ihre Freundin ihr bitte folgen möge. Sie nahmen ein paar Stufen der Marmorterrasse herab und hielten auf die riesige Parkanlage zu. Von hier aus sahen die Hecken, die die Außenlinien beschrieben, gar nicht so hoch aus. In der Mitte der Wiese befand sich ein großer Springbrunnen, umgeben von vier Statuen von Reitern, allesamt auf das Wasserspiel gerichtet. „So lange kann das noch nicht her sein, oder?“, fragte Anya verspätet auf die etwas seltsame Antwort der Rothaarigen. Die winkte ab. „Ich verarsch' dich doch bloß. Darf ich mich nicht freuen, dass du mich besuchst?“ Normale Menschen freuen sich nicht darüber. Sag ihr das, Anya Bauer.   „Kommt drauf an? Du weißt, dass ich nur komme, wenn ich etwas von dir will, oder?“ Die beiden liefen einen Kiesweg am Rande der Anlage entlang. Melinda reagierte gar nicht auf Anyas Frage, sodass diese ungehalten wurde. „Willst du gar nicht wissen, was es ist?“ Mit einem Schlag blieb ihre Freundin stehen und wirbelte zu ihr herum. „Ganz egal, was es ist, mir ist so verdammt langweilig, also sag einfach Hü und ich sag Hott! Immer nur Papierkram, Anrufe von Investoren, Gespräche mit Reportern … ich dreh langsam durch!“ Anya zog eine Augenbraue an, was nicht unerheblich an ihrem angezogenen Sprechtempo lag. „Ich dachte, dir macht dieser Kram Spaß?“ „Ist ja auch so. Aber ich brauche eine Pause, etwas Abwechslung! Ich hab mich schon so gefreut, als … egal, jetzt sag, warum bist -du- hier?“ Erwartungsvoll wurde die Blonde angesehen. Die hielt sich gewohnt knapp. „Ich will 'ne Revanche. Außerdem … will ich lernen, wie man gegen Pendel kämpft. Ihr habt die Scheiße jetzt auf den Markt geschmissen und ich fürchte, irgendwann kommt der Tag, an dem ich dagegen ran muss. Dann würde ich gerne gleich wissen, womit ich es zu tun habe.“ Das ist so erstaunlich voraussehend, ich glaube, mir kommen glatt die Tränen. Wie du dein eines selbstsüchtiges Anliegen mit diesem unerwarteten zweiten verbunden hast, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, ob Melinda Ford überhaupt Zeit dafür opfern kann. … zu schade, dass ich nicht weinen kann.   Anya wollte das -wirklich- kommentieren, aber als sie sah, wie in Melindas Gesicht förmlich die Sonne aufging, tat sie es jener stattdessen einfach gleich. Melinda Fords Name würde noch heute von der 'Pitchest Black'-Liste gestrichen werden. Der Liste, auf der der Name eines jeden stand, den sie einmal in einem Duell besiegen musste.   „Natürlich helfe ich dir!“, sprach Melinda aufgeregt, „Komm, ich zeig dir was!“ Sie führte sie über den Kiesweg zum hinteren Teil der Anlage. Und Anya musste bei dessen Anblick staunen. So hohe Hecken hatte sie noch nirgendwo gesehen, an die drei Meter mussten sie mittlerweile erreicht haben. Die waren ihr gar nicht aufgefallen. Angeordnet in einem Quadrat, gab es zu jeder Himmelsrichtung in der Mitte eine große Öffnung, durch die man ins Innere des abgegrenzten Gebiets gelang. „Insgesamt ist die Fläche innerhalb der Hecke fünfundzwanzig mal fünfundzwanzig Meter groß, also mehr als 600 Quadratmeter.“ Das Mädchen neben ihr runzelte die Stirn beim Anblick dessen, was sich hier befand. Nämlich nichts außer einer Rasenfläche. „Und wozu das Ganze?“ Mit einem Ruck streckte die Rothaarige ihre Arme aus und tänzelte einmal um die eigene Achse vorwärts, dann rückwärts, als schwebe sie auf einer Wolke. Einige Schritte von Anya entfernt, wandte sie sich ihr grinsend zu. „Eines Tages soll hier ein Labyrinth gepflanzt werden. Aber bis alles fertig ist, dauert es noch Jahre. Ich hoffe, irgendwann mit meinen Kindern hier durchlaufen zu können.“ „Du hast Kinder!?“, fiel Anya aus allen Wolken. „Nein, Dummerchen. Aber irgendwann möchte ich welche haben. Am besten zwei Jungen und zwei Mädchen“, schwärmte die Ältere, blinzelte jedoch verwundert, als sie Anyas verstörten Gesichtsausdruck bemerkte, „hast du noch nie daran gedacht, wie es ist, Mutter zu werden?“ Anya schüttelte mechanisch mit dem Kopf.   Und wir sind dir auch sehr dankbar dafür.   „Das kommt noch.“ „Wir beenden dieses Gespräch auf der Stelle“, forderte Anya und streckte panisch den Arm nach vorne, an dem sich ihr D-Pad befand – das schwarze von Logan wohlgemerkt! „Lass uns lieber das tun, wofür ich hergekommen bin. Nicht, dass ich am Ende noch Ausschlag vom bloßen Gedanken an … wusstest du eigentlich, dass ich Kinder hasse? So richtig? Nein? Dann weißt du's jetzt!“ Das beruht ganz gewiss auf Gegenseitigkeit.   Melinda nahm noch ein paar Schritte zurück, bestückte ihren Arm jedoch bereits mit ihrem eigenen D-Pad, der roten Hausmarke. „Irgendwann siehst du das sicher anders. Aber du hast Recht, wir sollten jetzt erstmal zusehen, unser eigenes Kind auszuleben. Und glaub mir: Darin bin ich besser als du denkst.“ „Wehe wenn nicht“, murrte Anya mit dem Anflug eines Grinsens, „nochmal lasse ich dir eine Performance wie auf dieser dämlichen Party nicht durchgehen.“   Während die beiden sich gegenseitig anheizten, näherte sich noch eine weitere Person dem leeren Heckenlabyrinth. Melinda bemerkte sie, doch wurde durch die Geste eines Zeigefingers auf der Lippe des Neuankömmlings zum Schweigen aufgefordert. Dann verschwand jener hinter der Hecke.   „Duell!“, rief Anya deshalb alleine, da Melinda etwas verloren an ihr vorbei starrte.   [Anya: 4000LP / Melinda: 4000LP]   „Ich fange-“ „-nicht an“, kam der Rotschopf Anya nur einen Moment später frech in die Quere und schob schnell eine Zauberkarte in ihr D-Pad. „Nimm's mir nicht übel.“ Der missmutigen Fratze ihrer Gegnerin zu urteilen, nahm jene ihr es durchaus übel. Doch das störte Melinda nicht, im Gegenteil, sie streckte Anya frech die Zunge heraus. Dann sagte sie: „Tja, da du das letzte Mal so enttäuscht von den Performapals warst, müssen wir einige Änderungen an der Besetzung vornehmen.“ Die Zauberkarte stellte sich aufrecht vor ihr auf. Das ältere der Ford-Geschwister nahm drei ihrer vier Handkarten und zeigte sie Anya. Es waren [Performapal Hip Hippo], [Performapal Skimmer Skeeter] und [Performapal Sword Fish]. „Das erreiche ich durch [Performapal Recasting]. Sie schickt beliebig viele meiner Freunde ins Deck zurück, um mich dann genauso oft und einmal mehr aufziehen zu lassen. Also viermal insgesamt.“ Die Gestalten eines rosa Nilpferds mit Zylinder, eines überdimensionierten Wasserläufers und eines Fischs mit der Frisur eines Schwertes tauchten vor Melinda auf, nur um hinter einem roten Vorhang wieder zu verschwinden. Jene zog auf fünf Handkarten auf und grinste. „Na, das hätte besser ja gar nicht laufen können. Du willst also lernen, gegen Pendelmonster zu kämpfen?“ „Ach, das hast du auch endlich kapiert? Glückwunsch!“, zischte Anya zynisch. „Dann werde ich mich gar nicht erst mit langen Erklärungen aufhalten“, störte sich Melinda nicht an der kratzbürstigen Ader ihrer Freundin. Stattdessen nahm sie zwei Karten aus ihrem Blatt und legte sie ganz auf die äußersten Randzonen ihres D-Pads. „Ich aktiviere [Performapal Pendulum Sorcerer] mit dem Pendelbereich 2 und [Performapal Lizardraw] mit dem Pendelbereich 6! Pendulum Scales Set!“ Zwei blaue Lichtsäulen schossen links und rechts neben Melinda aus dem Boden. In der einen befand sich ein Zirkusmagier in rotem Mantel, welcher ein an einen Traumfänger erinnerndes Pendel vor sich ausschwingen ließ. Dagegen tauchte in der von der Rothaarigen aus rechten eine orangefarbene, aufrecht stehende Echse auf, die in einem Dompteurkostüm steckte, dessen Kragen aus Duel-Monsters-Karten bestand. „Die sind immer noch genauso lächerlich wie letztes Mal“, meckerte Anya, während beide Monster in die Höhe stiegen.   <2> Melindas Pendelbereich <6>   „Pendulum Summon!“, rief Melinda diese jedoch mit nach oben gestrecktem Arm aus. Ein Portal öffnete sich weit über ihr, umschlungen von dutzenden Lichtellipsen. Zwei rote Lichtstrahlen schossen daraus nach unten, direkt vor die Füße des Mädchens. „[Performapal Silver Claw], [Performapal Camelump], los!“ Jene gewannen vor ihr die Formen eines silbergrauen Wolfes mit gepunkteter Fliege um den Hals und eines gelben Kamels mit Melone auf dem Kopf, während der Rotschopf beider Karten auf das rote D-Pad legte.   Performapal Silver Claw [ATK/1800 DEF/700 (4) PSC: <5/5>] Performapal Camelump [ATK/800 DEF/1800 (4) PSC: <2/2>]   „Das ist -auch- noch genauso langweilig wie letztes Mal!“, beschwerte sich Anya ungeduldig. Melinda nahm ihre letzte Karte und legte sie in das D-Pad ein. „Ich habe dir letztes Mal eine Menge Spaß versprochen, aber mich nicht daran gehalten. Diesmal wird das anders laufen, glaub mir.“ Die gesetzte Karte materialisierte sich zischend vor ihren Füßen. Honigsüß zwinkerte der Rotschopf ihr zu: „Du bist dran.“   „Draw!“, raunte Anya grimmig und zog auf eine sechste Handkarte auf. Dann hielt sie mit den Karten zwischen den Fingern geklemmt ihrer Gegnerin sozusagen die Pistole in Form ihrer Hand vor die Nase. „Das hoffe ich auch für dich, Schnöselschwester! Was ihr für mich getan habt war echt cool, aber wenn du nicht 200% gibst, geb' ich dir für jedes fehlende Prozent eine Nackenklatsche!“ Melinda streckte ihr kess die Zunge raus. Was Anyas Mimik sofort aufhellte. Genau so wollte sie ihre Gegnerin, unnachgiebig und gefälligst besser als sie selbst! „Sieh' her, das habe ich eine verdammt lange Zeit nicht mehr gemacht“, verlangte Anya dann und riss eine Zauberkarte aus ihrem Blatt, „ich aktiviere [Gem-Knight Fusion]!“ Über ihr entstand ein Sog, in den aus allen Richtungen aus dem Nichts auftauchende Edelsteine gezogen wurden. Der Rotschopf machte zunächst große Augen, dann klatschte sie fröhlich in die Hand. „Du hast es wieder!“ „Das ist kein Grund zur Freude, nicht für dich! Ich verschmelze [Gem-Knight Iolite] und [Gem-Knight Lazuli] von meiner Hand!“ Zunächst tauchte ein in Hellblau gerüsteter Ritter über Anya auf, welcher eine Wasserklinge schwang, danach eine lehmfarbene Kriegerin, von deren Helm zwei lange Stoffbänder herabhingen. Beide wurden in den Strom gezogen, aus dem im Anschluss ein heller Blitz drang. „Fusion! Erscheine, [Gem-Knight Amethyst]!“, donnerte Anya. Aus dem Vortex heraus sprang ein violetter Ritter, welcher sich mit einem kreisrunden Schild und einer Armklinge wappnete, beide komplett aus Eis.   Gem-Knight Amethyst [ATK/1950 DEF/2450 (7)]   Anya zeigte indes schon die Karte von [Gem-Knight Iolite] vor. „Weißt du, was praktisch ist? [Gem-Knight Lazulis] Effekt. Wenn sie auf dem Friedhof landet, bekomme ich von dort ein normales Monster wieder.“ „Und da Iolite ein Zwillingsmonster ist und diese auf dem Friedhof als normale Monster behandelt werden, funktioniert deine Kombo wunderbar“, erklärte Melinda das Ganze aus für Anya nicht nachvollziehbaren Gründen. Daher schnarrte die auch: „Das weiß ich selbst.“ „Ich wollte nur sichergehen“, erwiderte ihre Gegnerin und zwinkerte dabei den unerwarteten Zuschauer zu, der zur Hälfte von der Hecke hinter Anya verborgen lag. „Und ich geh sicher, dass ich dich fertig mache! Effekt von meinem Extradeck!“, bellte Anya und nahm ihr Deck auf, zeigte daraus eine ganz bestimmte Karte hervor. „Indem ich ein Licht-Monster von meinem Deck auf den Friedhof sende, kann ich es als Empfänger auf eines meiner Monster auf dem Feld abstimmen!“ Vor ihr tauchte ein braunes Fellknäuel auf, dessen Augen hinter einer Sonnenbrille versteckt lagen. Sein graues Cape flatterte unstet umher, obwohl es windstill war. „Stufe 1 [Kuriboss] auf Stufe 7 [Gem-Knight Amethyst]!“, rief Anya aus. Der Anführer der Kuriboh-Familie stieg meterweit in die Höhe und zersprang in einen transparenten, grünen Lichtring, der wiederum als goldener feste Form annahm, Vier schneeweiße Engelsschwingen spreizten sich von diesem. „From the light of a different world, the herald of starlight descends upon the ravaged land! By discarding a single star, I call upon you!“ Amethyst zerplatzte in sieben grüne Lichtkugeln, die in einer Reihe durch die wässrige Oberfläche innerhalb des goldenen Rings schossen und verschwanden. „Synchro Summon! Shine forth, [Angel Wing Dragon]!“ In dem Moment schoss ein greller Lichtblitz aus dem Gebilde hervor. Und im Anschluss zur Mitte des Feldes ein weißer, schlangenhafter Körper. Um den Kopf des Drachen befand sich ein goldenes Kragengestell, welches ihn wie eine Kobra aussehen ließ. Gleichzeitig verließ auch ein weißer Schweif nach hinten weg den goldenen Ring, bis die beiden Körperhälften perfekt aneinander passten. Kaum vollendet, stieß Angel Wing ein majestätisches Gebrüll aus.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   Plötzlich fror vor Anya das Gras ein. Der Effekt bewegte sich rasend schnell auf Melinda zu, die nur noch erstaunt schauen konnte, als ihre gesetzte Karte ebenfalls mit Eis überzogen wurde und zersprang. „Das ist der Effekt von [Gem-Knight Amethyst], wenn er auf den Friedhof geschickt wird. Dann gibt er alle gesetzten Backrow-Karten meines Gegners auf dessen Hand zurück.“ „Oh! Deshalb hast du dich für ihn entschieden, guter Plan!“, lobte Melinda und nahm ihre Falle aus dem entsprechenden Slot zurück aufs bis dato nicht existierende Blatt. Anya grinste keck. „Hör auf zu schleimen, Schnöselschwester! Oder eher, heb' dir das für später auf. Ich verbanne [Gem-Knight Lazuli] von meinem Friedhof, wodurch ich [Gem-Knight Fusion] recyceln kann!“ Erstgenannte landete prompt in Anyas Hosentasche, wohingegen sie ihre zurückgewonnene Zauberkarte zusammen mit zwei Monstern vorzeigte. „Zeit für noch eine Fusion! Ich verschmelze [Gem-Knight Garnet] und [Gem-Knight Iolite] von meiner Hand!“ Erneut öffnete sich zwischen ihr und Angel Wing ein wirbelnder Edelsteinstrom, welcher einen in bronzener Rüstung steckenden Ritter und den Wasserkrieger Iolite in sich aufnahm. „Fusion Summon!“, schrie Anya förmlich. „Gib alles, [Gem-Knight Ruby]!“ Grelle Funken schlugen aus dem Vortex, welcher einen roten Ritter in blauem Umhang ausspuckte. Jener landete mit einem Satz vor Anya und wirbelte stolz mit seiner Lanze in der Hand, welche er in einer gekonnten Bewegung auf Melinda und ihre beiden Monster richtete.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)]   Die heimliche Zuschauerin, die all dies hinter ihrem Versteck beobachtete, sprach leise vor sich hin: „Kein Beschwörungsspruch? Aber du hast doch sonst …“ Valerie Redfields Züge gewannen etwas Sorgenvolles. Die junge Frau, gekleidet in schwarzen Overknee-Stiefeln, einem brauen Rock und cremefarbenem, ärmellosen Top, musste zum zweiten Mal an diesem Tag staunen. Zuerst forderte ausgerechnet Anya Melinda am selben Tag wie sie aus offensichtlich denselben Gründen zu einem Duell heraus. Und jetzt stellte sich nicht nur heraus, dass sie endlich ihr Deck zurückbekommen hatte, nein, wenn Valerie es nicht besser wüsste, schien Anya jegliche Wertschätzung in dieser Hinsicht verloren zu haben. Zwar konnte die Schwarzhaarige es nicht recht erklären, aber sie spürte, dass etwas nicht stimmte. Anya vergaß nicht einfach so Beschwörungssprüche, schon gar nicht zweimal hintereinander, außer sie war emotional zerrissen. Was sie, da sie das Mädchen lange genug kannte, in diesem Moment getrost ausschließen konnte. „Sag mir nicht …“, murmelte Valerie unter dem Anflug wütender Enttäuschung. Kurz darauf verschwand ihr Antlitz wieder hinter der Hecke. Nicht ahnend, dass ihr Spiel mit kritischen Augen beobachtet wurde, schwang Anya unter einem selbstbewussten Grinsen den Arm aus. „Macht Platz für mein Assmonster! [Angel Wing Dragon], röste den bösen Wolf! Seraphim Judgment!“ Der schlangenhafte Drache öffnete das Maul und lud darin weiße Energie auf, die er sogleich als mächtigen Strahl abfeuerte, um den eine goldene Flammenspirale kreiste. Die Attacke schlug in Silver Claw wortwörtlich ein wie eine Bombe und löste eine Explosion aus, nach der von dem Zirkustier nichts mehr übrig blieb.   [Anya: 4000LP / Melinda: 4000LP → 3100LP]   „Hm?“, wunderte sich Anya, als sich zwischen dem Magier und der Dompteurechse in den Lichtsäulen das Dimensionsloch öffnete, aus dem die Pendelmonster vorhin erschienen waren. Es absorbierte einen roten Lichtstrahl, abgehend von Melindas D-Pad, ehe es sich wieder schloss. Das Mädchen schüttelte den Kopf. Denselben Mist hatte ihre Gegnerin doch schon letztes Mal abgezogen, ohne dass danach etwas passiert war. Schulterzuckend schwang die Blonde den Arm aus. „Und jetzt du, Ruby! Sparkling Lance Thrust!“ Mit gezückter Lanze schnellte der Ritter wie ein Pfeil auf das gelbe Kamel zu und spießte es gnadenlos auf, sodass es in tausend Teile zersplitterte. Die weiter in feinen Staub zersprangen, welcher den Ritter in sich einzuschließen begann, als dieser gerade mit seiner Waffe weiter ausholte und Melinda am Oberschenkel traf.   [Anya: 4000LP / Melinda: 3100LP → 2400LP]   „Ruby fügt Durchschlagschaden zu, falls du es nicht weißt.“ Als Anya bemerkte, wie ihr Ritter immer stärker zu husten begann, fügte sie hinzu: „Was ist jetzt los?“ „Oh, naja, [Performapal Camelump] bestraft das Monster, das es im Kampf zerstört, mit einem Angriffsmalus von 800.“ „Indem es Ruby mit Feenstaub vergiftet?“ Anya rollte mit den Augen. Ihr Ritter torkelte mehr als dass er lief zu ihr zurück. Gleichzeitig öffnete sich das Ellipsentor erneut über Melinda und zog einen weiteren Lichtstrahl von ihrem D-Pad in sich hinein.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 → 1700 DEF/1300 (6)]   „Ernsthaft, wer hatte die Idee zu diesen Witzfiguren?“ „Ich“, strahlte Melinda. Anya entfuhr ein tonloses: „Oh. Nichts für ungut. Zug beendet.“   Kaum hatte der Rotschopf aufgezogen, kicherte sie: „Keine Sorge, mein nächster Geniestreich wird ein Totenkopf-Thema, das dem Gegner das Blut, also die Lebenspunkte, aus den Knochen saugt.“ „Darf ich die Artworks designen?“, kam es von Anya wie aus der Pistole geschossen. „... nein, wir wollen nicht von wütenden Eltern verklagt werden.“ Als Melinda die Mundwinkel ihrer Freundin in den Boden krachen sah, fügte sie hinzu: „Ich könnte es mir aber noch einmal überlegen. Wenn du mir erzählst, was es mit der 'Pitchest Black'-Liste auf sich hat.“ „W-wann hab ich die erwähnt-!?“ „Gar nicht, aber deine Lippen haben dieses Wort geformt, als ich deine Herausforderung angenommen habe.“ Melinda grinste breit. „Das machst du öfter, also stumm mit dir selbst sprechen.“ Anya klappte die Kinnlade herunter. Das war ihr nie bewusst gewesen! Oh Gott, -deshalb- hatte Rosie Parks damals in der Middle School dieses Gerücht verbreitet, Anya würde heimlich auf Jonas Meyer stehen! Weil sie -dachte-, dass sie auf ihn stehen und jeden einzelnen seiner Wirbel mit ihren Zehen zum Brechen bringen würde! Jetzt wurde ihr einiges klar! „Ich warte.“ „Sorry, ich war grad' woanders.“ Melinda zog scheel die Augen zusammen. „Bei Rosie Parks?“ Erschrocken schlug sich Anya die Hände vor den Mund. Dann schüttelte sie verärgert den Kopf. Wenn sie das seit jeher tat, warum hatte Levrier ihr das nie erzählt!? Und wieso konnte die Schnöselschwester so verdammt gut Lippen lesen!? „Hör zu, eigentlich ist die 'Pitchest Black'-Liste mein Geheimnis. Aber da du das eh von den Lippen lesen kannst, meinetwegen, erzähl' ich's dir eben“, brummte Anya. Eigentlich war sie sogar ein kleines bisschen stolz drauf, wenn sie ehrlich mit sich selbst war. „Auf der Liste steht eine Reihe von Namen, Leute, die ich unbedingt besiegen muss. Ohne … fremde Hilfe. Nicht einmal, wenn es Kräfte wären, die mir gehören.“ „Das ist … schön“, erwiderte Melinda aus Ermangelung eines passenderen Wortes. Obschon sie aufrichtig dabei lächelte. „Und ich bin eine von denen?“ Anya nickte. „Cool. Wer noch?“ „Das bleibt geheim.“ „Komm schon“, bettelte Henrys Schwester jedoch sofort drauf los, „wenigstens ein Name!“ Im Anschluss kniff sie wieder die Augen fest zusammen und konzentrierte sich ganz offensichtlich auf Anyas Lippen, sodass die mit den Augen rollte und die Arme ausstreckte. „Fein, mein Bruder zum Beispiel! Ich hatte zwar Levrier, aber ich hab's geschafft, es ohne seine Hilfe durchzuziehen.“ „Das bedeutet dir viel, oder?“, fragte Melinda nachdenklich und ließ den Schabernack sein. Ihre Freundin senkte den Blick. „Yeah. Mein Traum wird erst erfüllt sein, wenn diese Liste leer ist.“   „Dann darfst du mich so oft herausfordern wie du willst“, strahlte Melinda und nur eine Sekunde darauf verhärtete sich ihr Gesichtsausdruck, „auch wenn du ein paar Anläufe brauchen wirst. Mein Zug!“ Anya sah mit einem Schmunzeln auf. Die Schnöselschwester hatte es verstanden. Da jene bereits aufgezogen hatte, streckte sie kurzerhand den Arm in die Höhe. „Mach dich bereit für ein Wiedersehen! Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum!“ Über ihr öffnete sich das kreisrunde Portal, umgeben von unzähligen Lichtellipsen. Aus ihm schossen drei rote Lichtstrahlen, die vor der Rothaarigen einschlugen. „Pendulum Summon! Von meinem Extradeck [Performapal Silver Claw] und [Performapal Camelump]! Und aus meiner Hand [Performapal Trumpanda]!“ Der Wolf mit der Fliege um den Hals sowie das gelbe Kamel mit der Melone auf dem Kopf nahmen vor ihr Gestalt an, zusammen mit einem Baby-Pandabären, der eine Tuba mit sich führte. „W-woher kommen die denn, ich dachte-!?“ Mit erhobenem Zeigefinger erklärte Melinda: „Anya, das hatte ich damals doch erwähnt. Pendelmonster, die vom Feld auf den Friedhof gelegt werden, landen stattdessen auf dem Extradeck. Und von dort können sie per Pendelbeschwörung zurückgerufen werden.“ „Was auch immer“, rümpfte ihre Gegnerin die Nase, „sieh' dir die Schwächlinge an! Selbst deine Silver Claw kommt höchstens gegen Ruby an. Aber das wird Angel Wing nicht zulassen, denn so funktioniert das: Die nützlichen Monster geben auf die weniger nützlichen Acht!“ Der Mundwinkel ihres Gegenüber zuckte ungewollt nach oben. „Und weil das so ist, wirst du jetzt gleich große Augen machen …“ Denn plötzlich ließ der in Rot gekleidete Magier in seiner Lichtsäule das Pendel in seiner Hand ausschwingen. Strahlende Funken regneten davon hinab auf Melindas Monster, um welche sich weiße Auren entfachten.   Performapal Silver Claw [ATK/1800 → 2800 DEF/700 (4) PSC: <5/5>] Performapal Camelump [ATK/800 → 1800 DEF/1800 (4) PSC: <2/2>] Performapal Trumpanda [ATK/800 → 1800 DEF/800 (3) PSC: /3>]   „Eh!?“, fiel Anya aus allen Wolken. „Aber-!?“ „Das ist der Effekt von Pendulum Sorcerer, solange er in einer Pendelzone liegt. Immer wenn eine Pendelbeschwörung auf meiner Seite durchgeführt wird, stärkt er sämtliche Performapals um 1000 Angriffspunkte bis zum Zugende.“ Melinda zuckte demonstrativ mit den Schultern. „Jetzt sind sie auf einmal gar nicht mehr süß und schwach, oder?“ „Süß waren diese Missgeburten noch nie!“ „Wir bringen dich schon noch auf den Geschmack“, zwinkerte Melinda ihrer Gegnerin zu und schwang den Arm aus. „Nicht wahr, [Performapal Silver Claw]? Angriff auf [Angel Wing Dragon]!“ Den Rücken durchdrückend und dabei in die Luft starrend, stieß der Wolf ein sentimentales Geheul aus …   Performapal Silver Claw [ATK/2800 → 3100 DEF/700 (4) PSC: <5/5>] Performapal Camelump [ATK/1800 → 2100 DEF/1800 (4) PSC: <2/2>] Performapal Trumpanda [ATK/1800 → 2100 DEF/800 (3) PSC: /3>]   … welches die weißen Auren der Zirkustiere in lodernde Flammen umwandelte. „Das ist der Effekt von Silver Claw, solange er ein Monster ist! Er und all seine Kumpel erhalten bei einem Angriff bis zum Zugende einen Stärkebonus von 300! Jetzt kann's losgehen!“ Anya, die auf Melindas Erklärung hin nur perplex blinzelte, bekam gar nicht so schnell mit, wie der Wolf zum Sprint ansetzte. Sie sah nur noch silbrig blaues Fell durch die Luft zischen, da wurde ihr Drache auch schon angefallen und mit einem Pfotenschlag zu Fall gebracht. Niedergerungen, explodierte er unter einem gequälten Schrei. „K-kein Kampfschaden für mich, wenn Angel Wing-“, stotterte Anya, wurde aber jäh unterbrochen. „Weiß ich! Camelump, nimm dir [Gem-Knight Ruby] vor!“ Die Blonde konnte gar nicht so schnell gucken, da wurde ihr Ritter von einem Geschoss getroffen und zersprang in alle Einzelteile seines Hologramms. Das blöde Kamel hatte ihn niedergespuckt und sie beinahe mit dazu!   [Anya: 4000LP → 3600LP / Melinda: 2400LP]   Ein gefährliches Funkeln lag in Melindas Augen, als sie befahl: „Aller guten Dinge sind drei! Direkter Angriff, Trumpanda!“ Jener blies in sein Musikinstrument, aus dessen Trichter nacheinander Schallwellen auf Anya abgefeuert worden – umgeben von bunten Musiknoten. Mit lächelnden Gesichtern! Als das Mädchen getroffen wurde, wusste sie nicht, ob sie vor Ekel einfach nur schreien oder gleich einen epileptischen Anfall bekommen sollte.   [Anya: 3600LP → 1500LP / Melinda: 2400LP]   „Ist doch cool, oder?“, fragte Melinda vergnügt. „Ganz egal, wie oft du Pendelmonster besiegst, sie kommen -immer wieder-!“ Dass sie den letzten Teil des Satzes bewusst düster betonte, war für Anya der ultimative Beweis, dass hinter der harmlosen Fassade purer Sadismus steckte! „Dann setze ich meine Karte aus der letzten Runde mal wieder, hm?“ Das gesagt, schob die Hauptorganisatorin des Legacy Cups die Falle wieder in das rote D-Pad, wodurch jene mit einem Zischen zu ihren Füßen auftauchte. „Das heißt dann wohl, mein Zug ist beendet, wodurch die Werteveränderungen verfallen.“ Die Flammen des Ehrgeizes erloschen um ihre drei Monster.   Performapal Silver Claw [ATK/3100 → 1800 DEF/700 (4) PSC: <5/5>] Performapal Camelump [ATK/2100 → 800 DEF/1800 (4) PSC: <2/2>] Performapal Trumpanda [ATK/2100 → 800 DEF/800 (3) PSC: /3>]   „Effekt von Angel Wing! In der End Phase kann ich zwei Stufe 4-Monster von meinem Friedhof verbannen, um ihn zurückzurufen!“, rief Anya und zeigte [Gem-Knight Iolite] und [Gem-Knight Garnet] vor, die beide in ihre Hosentasche wanderten. Kurz darauf stieg über ihr der goldene, von vier Flügeln besetzte Ring in die Höhe und begann sich zu drehen, ehe der weiße Drache aus der wässrigen Schicht in seiner Mitte herausschoss.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   „Gut, dich zurückzuhaben“, rief Anya dem Monster zu, welches jedoch nicht reagierte. Dann sah sie angespannt Melinda an. „In gewisser Hinsicht ist er mein ganz eigenes Pendelmonster …“ Entschlossen griff sie nach ihrem Deck. Jetzt hatte sie bekommen, was sie wollte: Eine Herausforderung. „Draw!“ Mit Schwung riss sie die oberste Karte von ihrem Deck und betrachtete sie nachdenklich. War doch eigentlich ein Vorteil für sie, wenn Melinda diese Kackbratzen jede Runde erneut beschwor. So konnte -sie- ihnen wieder und wieder aufs Maul geben! Und so schwach, wie sie jetzt waren, würde das eine Menge Spaß mit sich bringen, oh ja! „Normalbeschwörung“, verlautete Anya und knallte ein Monster auf ihr schwarzes D-Pad von Logan, „[Gem-Knight Alexandrite]!“ Ein in weißer Rüstung steckender Ritter entstieg vor ihr aus dem Boden. Seine Panzerung war an Armen und Beinen mit verschiedenfarbigen Edelsteinen versehen.   Gem-Knight Alexandrite [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   „Leider ist er nur für einen Kurzauftritt hier“, rief Anya und nahm seine Karte im selben Moment vom D-Pad, „denn ich opfere ihn durch seinen eigenen Effekt, um ein normales Gem-Knight-Monster von meinem Deck zu beschwören!“ Der Ritter löste sich in pures Licht auf, das als weiße Funken aufstieg. Anya nahm ihr Deck aus der Halterung und durchsuchte es. Und das, obwohl das Gerät über eine ziemlich genaue Spracherkennung verfügte, die sie selbst schon öfter genutzt hatte. Mit deinem Deck hast du auch deine alten Angewohnheiten zurückbekommen, hm?   Anya musste schmunzeln, da auch Levrier dies sofort aufgefallen war. Nichtsdestotrotz war sie hier in einem wichtigen Duell, also keine Ablenkungen mehr! „Ich beschwöre [Gem-Knight Crystal]!“, verlautete sie, nachdem sie dessen Karte gefunden und auf die Monsterkartenzone neben Angel Wing gelegt hatte. Eine Lichtsäule schoss aus dem Boden und brachte einen weißen Ritter mit sich, mit Kristallen an den Schulterplatten und den Enden seiner Handschuhe, welcher stolz seine Hände in die Hüften stemmte.   Gem-Knight Crystal [ATK/2450 DEF/1950 (7)]   „Verglichen mit Angel Wing ist er langweilig, aber hey, selbst mit ihm kann ich diese Dinger ordentlich vermöbeln!“ Anya streckte den Zeigefinger aus. „Los, greife den Panda an. Gott, ich hasse diese Viecher, wenn sie nicht gerade abgefahrene Mönchkrieger sind! Clear Punishment!“   Indes lehnte sich Valerie mit dem Rücken gegen die Heckenwand. Obwohl sie das Duell nicht mehr beobachtete, hatte sie einen Überblick über die Situation. Auch wenn diese sie weitaus weniger beschäftigte als so manche Aussage von Anya. Den blauen, wolkenlosen Himmel ansehend, stieß sie einen gedämpften Seufzer aus.   Crystal holte mit seiner rechten Faust aus und rammte sie in die Erde. Dort bildete sich ein schmaler Riss, der zunehmend wuchs und sich seinen Weg in [Performapal Trumpandas] Richtung bahnte. Immer schneller wurde er dabei, bis zahllose Kristallspitzen daraus hervor schnellten, unmittelbar auf das unscheinbare Wesen gerichtet. „Dir werd' ich den Marsch blasen“, kicherte Melinda und schnippte mit dem Finger, „Trumpanda, Effekt bitte!“ Einmal tief Luft holend, blies dieser in sein Instrument und sendete aus dessen Trichter eine einzelne, kunterbunte Schockwelle, die den nahenden Kristallstacheln entgegen schlug und sie zerbersten ließ. Anya setzte einen entgeisterten Blick auf, als wären es ihre Träume, die auf der gegenüberliegenden Spielfeldseite ineinander zusammenbrachen. „Huh!?“ „Dummerchen, Trumpanda kann einen Angriff auf ein Pendelmonster abwehren.“ „Tch! Wie nervig!“ Anya schnaubte. „Aber nur einen? Das ist einer zu wenig! Angel Wing, nimm es auseinander! Seraphim Judgment! Rest in pieces, Miststück!“ Der weiße Drache öffnete sein Maul und entfesselte daraus einen weißen Lichtstrahl, um den eine goldene Feuerspirale kreiste. Die Attacke schlug mit voller Wucht ein und wirbelte holografischen Staub und Rauch auf.   [Anya: 1500LP / Melinda: 2400LP → 500LP]   Als dieser sich legte, öffnete sich über Melinda das Himmelsportal und absorbierte einen roten Lichtstrahl von ihrem D-Pad. Anya zog die Stirn kraus. Langsam kapierte sie, worum es bei den Pendelmonstern ging. Sie waren nicht besonders stark, aber jede Runde aufs Neue verfügbar. Selbst eine Witzfigur wie dieser Panda hatte seinen Nutzen, wenn er jedes Mal erneut einen Angriff für seinen Besitzer abwehren konnte. Genau das würde in ihrem nächsten Zug auf sie warten, so wusste Anya jetzt schon. „Egal wie oft ich sie zerstöre, sie kommen immer wieder …“ Wie konnte sie dem entgegenwirken, fragte sich Anya verloren beim Anblick ihres Blatts. Diese Erkenntnis hatte sie noch nicht gewonnen. „Was auch immer, ich finde einen Weg! Die setze ich, Zug beendet!“ Sie rammte ihre vorletzte Handkarte in das schwarze D-Pad, sodass sie in vergrößerter Form vor ihren Füßen erschien.   „Du zerbrichst dir echt den Kopf was? Soll ich dir einen Tipp geben?“, fragte Melinda und zog nebenbei auf. Anya schüttelte jedoch vehement den Kopf. „Wenn ich nicht selber auf die Lösung komme, ist sie nichts wert! Mir fällt schon was ein! Außerdem ist das hier ein Pitchest Black-Duell, schon vergessen!?“ „'tschuldige!“ Der Rotschopf sah ihre einzige Handkarte an und legte dann den Zeigefinger mit nachdenklichem Gesichtsausdruck auf die Unterlippe. Welche sich in ein spitzbübisches Grinsen einfügte. „So wird'n Schuh draus! Effekt von [Performapal Lizardraw] in meiner Pendelzone!“ Der Kragen des Echsendompteurs, welcher aneinander gereihten Karten mit einem Fragezeichen in der Mitte nachempfunden war, begann bunt zu blinken. Vom Boden aus stieg eine Schockwelle die blaue Lichtsäule, in der er sich befand, entlang. „Er kann sich selbst in der Pendelzone zerstören, damit ich eine Karte ziehen darf!“, erklärte Melinda. In diesem Moment wurde die Echse getroffen und zerplatzte in ein kunterbuntes Feuerwerk. Unter diesem riss Melinda eine Karte von ihrem Deck.   <2> Melindas Pendelbereich   Anya weitete die Augen. „Dann kannst du nicht mehr- Moment mal!“ Das ist es, erkannte das Mädchen. Wenn sie die Pendelbeschwörung übertrumpfen wollte, durfte sie es erst gar nicht dazu kommen lassen! Zum Beispiel indem sie den Pendelbereich des Gegners dazu brachte, unvollständig zu sein! Die Errungenschaft ihrer Erkenntnis stand dem Mädchen so sehr ins Gesicht geschrieben, dass Melinda zufrieden grinste. Zumindest für einen kurzen Augenblick, denn ihre Stimme nahm einen ernsten Unterton an, als sie verkündete: „Tut mir leid, dass deine Freude nur so kurz anhalten wird. Jetzt, wo die Pendelzone frei ist, kann ich sie mit einem neuen Monster besetzen! Ich aktiviere [Performapal Cheermole] mit dem Pendelbereich 5! Pendulum Scale Set!“ Direkt neben ihr schoss eine neue, blaue Lichtsäule aus dem Boden. In ihr stieg ein kleines Maulwurfmädchen in die Höhe, das in einer grün-weißen Cheerleader-Uniform steckte und sich hinter ihren Pompons verbarg.   <2> Melindas Pendelbereich <5>   „Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum!“, rief Melinda und streckte den Arm in die Höhe. Über ihr öffnete sich das Himmelsportal und schoss zwei rote Lichtstrahlen hinab. „Pendulum Summon! Von meinem Extradeck, [Performapal Trumpanda] und [Performapal Lizardraw]!“ „Eh!?“, machte Anya große Augen. Zwischen Silver Claw und Camelump nahmen der Baby-Panda und der Echsendompteur Gestalt an. Gleichzeitig begann das Pendel des Zauberers in der Lichtsäule wieder auszuschlagen. „Da staunst du, was?“, kicherte Melinda und legte den Zeigefinger an die Wange. „Jep, auch wenn Pendelmonster in den Pendelzonen zerstört werden, werden sie aufs Extradeck gelegt. Und da sie gerade von dort beschworen wurden, gibt es jetzt dank [Performapal Pendulum Sorcerer] einen dicken 1000 Punkte-Boost.“ „Eh!?“, wiederholte Anya ihre letzte Aussage eindringlicher. „Ah, und weil [Performapal Cheermole] in einer Pendelzone liegt, bekommen alle Pendel nochmal 300 Punkte obendrauf.“ Es folgte eine schier unendlich lang gezogene Aussage. „Eh!?“ Die eine ganze Oktave in die Höhe schoss, als Anya das Ganze bildlich vor Augen hatte, wie die vier Zirkustiere in weißer Aura aufgingen, über ihnen der Magier sein Pendel drehen ließ und dazu noch ein nerviger, kleiner Maulwurf unverständliche Lobeshymnen sang und dazu tanzte.   Performapal Silver Claw [ATK/1800 → 3100 DEF/700 (4) PSC: <5/5>] Performapal Camelump [ATK/800 → 2100 DEF/1800 (4) PSC: <2/2>] Performapal Trumpanda [ATK/800 → 2100 DEF/800 (3) PSC: /3>] Performapal Lizardraw [ATK/1200 → 2500 DEF/600 (3) PSC: <6/6>]   „Aber, aber“, stammelte Anya mit Tränen purer Frustration in den Augen, „wie!? Und wieso!?“ Sie erntete ein verspieltes Zwinkern. „Die Macht der Pendel. Du wolltest sie sehen, also da, hier ist sie!“ Die Blonde stampfte mit dem Fuß auf. „Nicht fair!“ „Doch fair“, widersprach Melinda belustigt und streckte den Zeigefinger aus, „noch etwas Salz in die Wunde, hm? Silver Claw, greife [Angel Wing Dragon] an! Dafür gibt es noch einmal 300 Angriffspunkte für alle! Hopp!“ Woraufhin der dunkelblaue Wolf erst einmal die Sonne anheulte und das gesamte Ensemble in sichtbar feurigen Eifer versetzte. Im Anschluss sprintete er auf den majestätischen Drachen zu.   Performapal Silver Claw [ATK/3100 → 3400 DEF/700 (4) PSC: <5/5>] Performapal Camelump [ATK/2100 → 2400 DEF/1800 (4) PSC: <2/2>] Performapal Trumpanda [ATK/2100 → 2400 DEF/800 (3) PSC: /3>] Performapal Lizardraw [ATK/2500 → 2800 DEF/600 (3) PSC: <6/6>] Unnötig zu erwähnen, dass nur ein Schlag mit der Pfote ausreichte, um den wesentlich größeren Drachen quer über die Heckenwand hinweg zu fegen, als wäre er ein Tennisball. Und auch wenn Anya keinen Kampfschaden dank Angel Wings Effekt erlitt, sprachen ihre nach unten hängenden Mundwinkel Bände. Geschichten unverhohlenen Selbstmitleids. „Will nich' mehr …“ „Uh-uh-uhhu!“, ließ Melinda den Zeigefinger wackeln. „Jetzt nicht kneifen! Wir befinden uns hier in einer wichtigen Phase der Selbsterkenntnis.“ „Scheiße, jetzt hörst du dich schon wie Abby an!“ „Angriff aus allen Rohren, Lizardraw! Vernichte Crystal, stampf' ihn ein, mach ihn alle!“ Korrektur, dachte Anya grimmig, so hörte sich nur eine Schnöselschwester an, mit der gerade die Pferde und oder der Größenwahn durchgingen! Was auch nichts daran änderte, dass die kleine Echse die Karten von seinem Kragen griff und sie wie Messer auf den prächtigen Ritter schleuderte, der aufgespießt wurde und explodierte.   [Anya: 1500LP → 1150LP / Melinda: 500LP]   Mit scheelem Blick verschränkte Melinda die Arme. „Mal sehen, wie lange du meinen Angriffen standhalten kannst. Direkter Angriff, Trumpanda!“ Ohne Umschweife trötete jener eine chaotische Melodie, die sich in mehreren Schallwellen voller bunter Musiknoten und -schlüssel präsentierte. In einer Reihe nahmen sie Kurs auf Anya, die sich jedoch nicht so leicht ins Bockshorn jagen lassen würde. „[Kuriboss]!“, befahl sie jenen zu sich. Aus ihrem Friedhofsschacht schob sich dessen Karte, wodurch das braune Fellknäuel im Cape und mit Sonnenbrille auf der nicht existierenden Nase plötzlich vor Anya auftauchte. Panisch mit seinen Stummelarmen wedelnd, wurde der Anführer der Kuribohs zum primären Opfer des Lärms, welcher ihn zum Platzen brachte. Farbenfrohes Konfetti flog durch die Luft. „Hmpf“, schnaubte Anya und zeigte die Karte vor, „ich kann [Kuriboss] vom Friedhof verbannen, um Kampfschaden zu negieren.“ „Das klappt aber nur einmal, meine Liebe“, konterte Melinda ehrgeizig und setzte ein siegesgewisses Lächeln auf, „und ich kann noch mit [Performapal Camelump] angreifen. Also, wenn du noch eine Revanche willst, nur zu. Los!“ Das gelbe Kamel blähte die Backen auf, aber Anya winkte mit der flachen Hand ab. „Als ob ich darauf nicht vorbereitet wäre …“ Im selben Moment, als Camelump nach dem Mädchen spuckte, fuhr dessen verdeckte Schnellzauberkarte auf. Und ein unerwarteter Gast gewann erneut Gestalt vor ihr – [Kuriboss]. „Kuri!“, jammerte dieser, als er von dem Speichel getroffen und in alle Richtungen zu funkelnden Wasserfontänen zersprang. Anya schnarrte: „So viel dazu … [Burial From A Different Dimension] ist eine nette Karte, die mich verbannte Monster auf die Friedhöfe zurücklegen lässt.“ „Hm. Scheiße“, fluchte Melinda auf einmal leise vor sich hin. Jedoch fand sie ihr strahlendes Lächeln schneller wieder, als Anya lieb war. „Ach, eigentlich auch nicht so schlimm. Du bist.“ Die Ankündigung sorgte dafür, dass die brennenden Auren um ihre Monster sich wieder auflösten, die eigentlich unsichtbare um Anya wiederum nicht. Denn die streckte ehrgeizig den Arm gen Himmel. „Damit kann ich zwei Stufe 4-Monster von meinem Friedhof verbannen, um Angel Wing zu reanimieren! So leicht kriegst du den nicht klein!“ Tatsächlich waren es die Gem-Knights Iolite und Garnet, die in ihre Hosentasche wanderten. Jene hatte sie zusammen mit [Kuriboss] durch ihre Zauberkarte wieder friedhoftauglich gemacht, andernfalls wäre es ihr nicht möglich gewesen, ihren Liebling zurück aufs Feld zu holen. Dessen goldener Ring stieg in die Luft auf. Unter wütendem Gebrüll schoss der weiße Drache daraus hervor und bäumte sich wie eine lauernde Kobra weit über den im Vergleich dazu winzigen Zirkustieren auf, ganz als wolle er ihnen verdeutlichen, dass mindestens einer davon im nächsten Zug gefressen würde.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)] Performapal Silver Claw [ATK/3400 → 2100 DEF/700 (4) PSC: <5/5>] Performapal Camelump [ATK/2400 → 1100 DEF/1800 (4) PSC: <2/2>] Performapal Trumpanda [ATK/2400 → 1100 DEF/800 (3) PSC: /3>] Performapal Lizardraw [ATK/2800 → 1500 DEF/600 (3) PSC: <6/6>]   Die Blonde legte ihre Finger ans Deck und betrachtete das Spielfeld. Solange Melinda dieses Mistvieh von Panda kontrollierte, konnte sie einen Angriff abwehren. Also musste sie diesen zunächst aus der Reserve locken. „Verdammt, sind diese Dinger nervig“, knurrte sie vor sich hin. Pendelmonster in den Pendelzonen zu erledigen brachte nur etwas, wenn der Gegner keine neuen ausspielen konnte. Und wenn dessen Deck voll davon war, erwies sich diese Option als unzureichend. Aber was konnte sie dann tun, fragte sich Anya ratlos.   Erstmal ziehen, riet sie sich selbst mit einem festen Nicken und schrie, während sie schwungvoll ausholte: „Draw!“ Die aufgezogene Zauberkarte erstaunt betrachtend, blickte Anya nachdenklich auf. Tatsächlich hatte sie eine Idee, wie sie diese Biester aus der Reserve lockte – indem sie genau das nicht tat. Solange Melinda keine Pendelbeschwörung durchführte, konnte der Zauberer dort oben nichts unternehmen, um die Performapals zu stärken. Andererseits, wenn Melinda noch eines dieser Viecher in der Rückhand hielt, immerhin besaß sie noch eine Handkarte, oder wenn sie eines nachzog, dann war Anya geliefert … „Sorry, Schnöselschwester“, murmelte Anya enttäuscht, „aber ich habe keine Lösung gefunden, wie ich deine Pendelmonster besiegen kann.“ „Niemand erwartet das beim ersten Versuch. Auch V-“ Jedoch wurde dem Rotschopf harsch ins Wort geschnitten. „Ich habe gesagt 'deine Pendelmonster', nicht 'dich'! Aber das ist okay, schätze ich. Beim nächsten Mal mach ich's besser, das weiß ich.“ Anya zog die Augen zu Schlitzen zusammen. Wenn es nicht mit Strategie ging, half im Endeffekt nur eins: Rohe Gewalt. Und für die war sie mehr als qualifiziert. So schmetterte sie ihr letztes Monster förmlich auf das D-Pad. „Mach dich bereit, [Gem-Knight Tourmaline]!“ In goldener Rüstung stieg er aus einem Portal im Gras vor ihr auf, der Ritter, der zwischen seinen Händen elektrische Ladungen austauschte.   Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)]   „Du kannst einen Angriff abwehren? Schön für dich!“ Anya rammte ihre geballte Faust in die andere Handfläche. „Dann werd' ich dafür sorgen, dass es einer zu wenig ist! Tourmaline, Angriff auf [Performapal Trumpanda]!“ Ihr strahlender Krieger breitete die Handflächen so weit wie möglich auseinander, um über sich einen Bogen aus Blitzen zu bilden. Diesen bündelte er dann derart effektiv, indem er beide Handflächen zu seiner Linken aufeinander presste, dass er im Anschluss eine wahre Donnerkugel auf den Tuba spielenden Pandabären abfeuerte. Jener trötete panisch in das Instrument und schoss seine Schockwelle daraus ab, wodurch beide Angriffe in der Mitte des Feldes aufeinander prallten und eine blitzende, bunte Lichtshow erzeugten. „Das klappt nur einmal, Schnöselschwester!“, rief die Blonde ihrer Gegnerin zu und schwang den Arm aus. „[Angel Wing Dragon], streich' ihren Namen von der 'Pitchest Black'-Liste! Seraphim Judgment!“ Im Angesicht des sie bei Weitem überragenden Drachen, der in seinem Maul weiße Energie aufzuladen begann, konnte Melinda nur eins: Schmunzeln. „Ich glaube, ich habe ein Déjà-vu!“ „Ein was?“ Anya zog eine halb irritierte, halb ablehnende Grimasse. Im selben Augenblick entfesselte ihr Drache seinen mächtigen Lichtstrahl, wieder umkreist von einer goldenen Flammenspirale. „Die eine sagt, sie kann's“, erwiderte der Rotschopf keck und ließ den Arm ausschwenken, „die andere beweist das Gegenteil. Falle, [Performapal Pinch Helper]!“ Jene sprang sofort auf. Da es wieder der Panda war, der Anyas grenzenloser Abneigung ausgesetzt war und somit das Ziel von Angel Wings Angriff, war es auch er, um den sich plötzlich ein kuppelförmiges Kraftfeld bildete. „Diese Falle hilft mir, Performapals vor Kampfschaden zu schützen!“, erklärte Melinda ihr. Fröhlich begann [Performapal Trumpanda] seine Tuba zu spielen. „Auch wenn ich sie opfern muss. Und mit sie meine ich die Falle und den Performapal, denn eigentlich schützt die Karte mich, nicht sie.“ Das Seraphim Judgment prallte auf das Kraftfeld und wurde in alle Richtungen abgelenkt. Trotzdem brach es ein und eine Lichtexplosion blendete die Turnierorganisatorin für einen kurzen Augenblick. Als sie die Augen öffnete, war von ihrem Pandabären nichts mehr übrig. Sofort griff Melinda nach ihrem Deck und zog drei Karten. „Pech für dich! Das ist Lizardraws Monstereffekt. Wenn du einen seiner Kumpel ausrangierst, ziehe ich für jeden verbliebenen eine Karte. Hey, nimm's mir nicht übel, aber-“ Melinda brach mitten im Satz ab. Anya stand da. Nicht mit einem zornigen Gesichtsausdruck, weil man ihr die Tour vermasselt hatte. Sie stand da wie eine Gewinnerin, mit verschränkten Armen. Über ihr stand ein Vortex aus buntem Licht offenen, jedoch wurden in ihn keine Edelsteine hineingezogen. „Sorry, Schnöselschwester. Im Endeffekt gab es nur eine Lösung für das Pendelproblem“, sagte Anya tonlos, „sie zu ignorieren und das tun, was ich am besten kann: Einfach draufkloppen.“ „Das ist aber keine Lösung.“ Ihre Gegnerin sagte das mit einem betrübten Unterton. „Weiß ich. Aber was hätte ich sonst tun können? Ich bin nicht bereit, den Marsch dieser Dinger im Keim zu ersticken. Ich werde gerade so mit dir fertig.“ Auch Anya klang nicht gerade glücklich. „Aber ein Sieg ist ein Sieg. Und jetzt, da ich nichts mehr zu befürchten habe, kann ich das hier machen: [Flash Fusion]!“ Die Karte des Schnellzaubers stand bereits vor dem Mädchen in aufgerichteter, vergrößerter Form. „'ne saucoole Karte ist das. Sie verschmilzt zwei meiner Monster vom Feld. Scheiße, hätte nie gedacht, das zu sagen, aber Angel Wing ist sogar dazu gut, Teil einer Gem-Knight-Fusion zu sein.“ Melinda formte die Hände zu einem T. „Auszeit! Es gibt doch gar keine Gem-Knights, die mit Drachen fusionieren können!“ „Doch, eine gibt es!“ Anya streckte die Hand in die Höhe. Sogleich wurden der goldene Blitzritter Tourmaline und der mächtige Schlangendrache in den Vortex gezogen, der sie wie in einem Mixer durchwirbelte. „Mach dich bereit! Fusion Summon! Das Attribut Licht trifft auf den Edelstein, [Gem-Knight Seraphinite]!“ Mit flatterndem, weißem Umhang schoss sie aus dem Strom. Die Rüstung hatte einen leichten, grünlichen Schimmer an sich, wohingegen die durchsichtigen Flammenschwingen, die sich an ihren Schultern ausbreiteten, hellblau waren. Die Ritterin zog im Flug ihr kristallenes Rapier.   Gem-Knight Seraphinite [ATK/2300 DEF/1400 (5)] „Gem Cutting Edge“, murmelte Anya vor sich hin. Wie ein Pfeil rauschte die Kriegerin an dem gelben Kamel [Performapal Camelump] vorbei und rammte die Klinge direkt in die Brust der überrumpelten Melinda. Dann flog der Kopf ihres Monsters mit heraushängender Zunge an ihr vorbei …   [Anya: 1150LP / Melinda: 500LP → 0LP]   … und die Hologramme lösten sich auf. „Sorry“, murmelte Anya und sah den Boden verhalten an, „hätte gerne cooler gewonnen.“ Sie hob ihr Haupt wieder an und schritt mit ausgestreckter Hand auf Melinda zu. Die nahm sofort an. Gegenseitig sagten sie sich: „Gutes Spiel.“ Und damit war Melindas Name von der 'Pitchest Black'-Liste gestrichen. Eine Tatsache, die Anya entgegen ihrer ursprünglichen Erwartung nur ein schwächliches Grinsen abgewann. „Du bist nicht zufrieden mit dir selbst, oder?“, stellte Melinda auf den ersten Blick fest. „Nicht so richtig“, gestand Anya erstaunlich offen. Schon wurde sie an die Seite der jungen Frau gezogen, wie sie zusammen zum Ausgang des unfertigen Heckenlabyrinths wateten. Jenem, dem Anya den Rücken zugekehrt hatte. „Dann verrate ich dir mal was: Stimmt, die Pendelmonster hast du heute noch nicht absolut fertig gemacht. Aber du hast sie und mich besiegt. Sei nicht so streng mit dir selbst.“ Das fast einen Kopf kleinere Mädchen sagte nichts. Also ließ Melinda durch ihre Umarmung einen Ruck gehen, sodass Anya beinahe umkippte. „Mach nicht so ein Gesicht, das gibt Falten!“ Gerade hatten sie das Ende der Wiese erreicht, stimmte jemand von der Seite ein. „Den eigenen Ansprüchen nicht gerecht zu werden ist in Ordnung. Aber man sollte nie vergessen, dass man erst säen muss, bevor man ernten kann.“ Anya fuhr zusammen und beugte sich nach vorne. Dort stand Valerie, die linke Hand an die Hecke gelegt, und sah die beiden mit undurchschaubarer Mimik an. „Redfield!?“, platzte es sofort aus deren selbst erkorener Erzfeindin hinaus. „Den Spruch hast du von mir geklaut“, gluckste Melinda und ließ von ihrer Begleiterin ab. „Aber schön, du hast ihn dir gemerkt. Und Anya wird das bestimmt auch, gelle?“ Die war aber bereits viel zu sehr damit beschäftigt, haltlose Anschuldigungen zu erfinden. Wie: „Bist du mir etwa gefolgt!? Stalkst du mich etwa!? Klar, du willst auf mich vorbereitet sein, falls wir-!“ „Ich war vor dir hier, Anya“, stellte Valerie unterkühlt klar, ohne sich von der Stelle zu rühren. Was deren Vorwürfe vorzeitig im Keim erstickte. „Oh …“   „Wisst ihr was?“ Melinda, die zwischen den beiden stand, wirbelte um die eigene Achse und entfernte sich rückwärts auf Zehenspitzen laufend von den beiden. „Ich glaube, ich lasse euch beide alleine. Anya, tausch' dich doch mit Valerie aus, immerhin geht es ihr ähnlich wie dir.“ Sie zwinkerte verschwörerisch. „Wenn ihr mich entschuldigt, ich muss ganz dringend auf die Toilette!“ Dann drehte sie sich um und rannte ihnen schlichtweg davon. „Sie ist schon manchmal etwas komisch“, sah Valerie ihr schulterzuckend hinterher. „Yeah, definitiv. Denkst du, sie nimmt nicht vielleicht doch Drogen?“ Doch Anya erlebte einen geradezu erschreckend spontanen Sinneswandel, denn eine Sekunde später keifte sie schon: „Moment mal, was machst du dann überhaupt hier!?“ Die Schwarzhaarige atmete tief durch. „Ich schätze, wir beide hatten dieselbe Idee. Ich wollte auch gegen jemanden mit Pendelmonstern kämpfen.“ „Das gibt’s doch nicht!“ Vor Wut über die bloße Tatsache, dass ihre Erzrivalin das so offen zugab, stampfte Anya mit dem Fuß auf. Verdammte Mistkuh, die hatte alles mit angehört. Dann wusste sie auch von der Liste, und oh scheiße, hatte sie sonst irgendetwas gesagt, was nicht für die Ohren von Redfield bestimmt war!? „Reg' dich ab, ich hatte auch meine Probleme mit Melindas Deck. Ich hatte schon vorher einen Ansatz, der auch ganz gut ist, aber eben noch nicht ausgereift ist. Willst du ihn hören?“ Anya starrte sie an, als hätte Valerie gerade den Legacy Cup gewonnen. „… nein.“   Unter dem Anflug selbstsüchtigen Trotzes wirbelte Anya herum und rauschte den Kiesweg entlang wie ein frisches Sommergewitter. Was dachte die blöde Schnepfe sich bloß dabei!? Konnte man denn nirgendwo mehr hingehen, ohne dass die auftauchte und die Stimmung ruinierte!? Warum genau sie wütend war, wusste Anya nicht genau. Vermutlich, weil Redfield ihr mal wieder zuvor gekommen war. Weil sie nicht die Erste und Einzige war, die sich weiterentwickeln wollte, was auch immer. „Bist du jetzt ernsthaft sauer auf mich?“, hörte Anya sie schon hinter sich in ihrem typisch neunmalklugen, ach-so-coolen Ton rufen. Es dauerte keine zehn Sekunden, da hatte Valerie sie eingeholt. Aber Anya schenkte ihr nicht die Genugtuung indem sie zugab, dass sie voll ins Schwarze mit ihrer Aussage traf. Stattdessen stampfte sie wütend vor sich hin. Die Büsche und Blumenbeete flogen an ihnen vorbei, der Springbrunnen mit den Reiterstatuen. Anya drosselte nach und nach das Tempo, als der erste Frust durch die Bewegung abgebaut war.   Hin und wieder warf die Blonde ihrer Erzrivalin einen verstohlenen Blick zu. Obwohl sie selbst nicht erklären konnte warum, wurmte es sie tierisch, dass auch Valerie Melinda um eine Trainingsstunde gebeten hatte. Vielleicht lag es ja wirklich nur daran, dass sie sich das Gleiche dabei gedacht hatten. Was Anyas Ansicht nach Grund genug war, sich die nächste Brücke hinunter zu stürzen. Sie durften nicht einer Meinung sein, das verstieß gegen ungeschriebene Naturgesetze! „Hattest du Spaß beim Spionieren?“, stichelte sie daher in einem Anflug aus Frustration. „Schmollst du etwa immer noch? Du warst gut.“ Anya runzelte verärgert die Stirn. „Ich habe gewonnen!“ „Das war ein Kompliment, falls du es nicht bemerkt hast“, entgegnete die Schwarzhaarige tonlos. „Klang aber nicht danach. Was wolltest du überhaupt noch hier, nachdem du-?“ Anya blieb stehen. Als ihre Freundin ungehemmt weiter ging, rief sie wütend hinterher: „Hey!“ Valerie hielt an und sah über ihre nackte Schulter. „Ich musste es nochmal erleben. Wie sie funktionieren. Es ist immerhin möglich, dass Othello Nikoloudis ins Finale einzieht.“ Perplex blinzelnd, musste Anya das eben Gehörte erst verarbeiten. Wieso redete Redfield schon vom Finale, immerhin musste erst entschieden werden, wer überhaupt ins Halbfinale einzog!? „Denkst du etwa“, murmelte sie fassungslos, als sie deren Anwärter im Kopf durchging, „dass Marc es nicht schaffen wird? Gegen Kakyo?“ Ihr Gegenüber senkte den Kopf. Ein leichter Windhauch zog durch den Park und strich um ihr seidiges, schwarzes Haar. „Irgendwo ist für jeden Schluss.“ Anya wollte nicht glauben, was sie da hörte. Wütend stampfte sie auf Valerie zu und baute sich mit ihren 160 cm vor ihr auf wie ein Ausbilder der US-Army. Nur dass sie wesentlich emotionaler auf die Freundin einredete. „Ist das dein Ernst!? Er ist dein Verlobter, solltest du nicht an ihn glauben!?“ „Sei mir nicht böse“, meinte Valerie und das schlechte Gewissen stand in ihren traurigen Gesichtszügen geschrieben, „ich weiß, wie gut Marc ist. Aber die anderen sind …“ „Besser“, brachte Anya es grimmig auf den Punkt. „Ja und nein, es ist … komplizierter.“ „Weißt du Redfield, ich wollte gegen Pendelmonster kämpfen, weil ich in Zukunft vielleicht noch öfter gegen sie ran muss. Und wenn einer meiner Feinde sie benutzt – und wir wissen ja, wie die in letzter Zeit aus dem Boden ploppen – dann will ich wenigstens wissen, womit ich es zu tun habe. An den Krüppel habe ich dabei allerdings überhaupt nicht gedacht.“ Valerie biss sich auf die Lippe, als wolle etwas über ebendiese kommen, das nicht für fremde Ohren gedacht war. Nur war Anya keine Fremde mehr. Und das schlechte Gewissen letztlich zu stark. „Ich will nicht, dass Marc ins Finale einzieht.“ „Aber warum!?“, verstand Anya nicht und breitete die Arme aus. „Was ist daran so schlimm!?“ „Weil ich es nicht sein will, die seinen Traum beendet!“ Als die Blonde jedoch nur verwirrt blinzelte, fuhr Valerie sie verzweifelt an. „Mach dir doch nichts vor, wer würde das Turnier nicht gerne gewinnen wollen? Ich bin seine Verlobte! Ich will nicht diejenige sein, die ihm das zerstört!“ Es dauerte einen Moment, bis Anya dazu etwas sagen konnte. Aber als es soweit war, tat sie es mit einer von ihr selten erlebten Beherrschung. Eisiger Beherrschung. „Ich sag dir was, Redfield. Vor Marc komme erstmal ich. Und ich könnte ganz gut damit leben, -dich- aus dem Turnier zu schmeißen.“   Sprachs und stampfte davon. Verzweifelt eilte Valerie ihr nach. „Anya, warte! Es tut mir leid, so war das nicht gemeint!“ Doch die sagte kein Wort mehr, stürmte stur geradeaus auf das Anwesen zu, das nicht mehr weit entfernt lag. „Ich würde dir den Titel gönnen! Hauptsache einer von uns gewinnt das Duell mit Claire. Aber versteh doch, wenn es wirklich so kommt und Marc ausscheiden muss, dann doch lieber durch jemanden wie Kakyo oder Othello.“ Nein, widersprach ihr Anya im Stillen. Das war nur eine Ausflucht. In Wirklichkeit nahm Valerie sie nicht ernst, die dämliche Ziege spielte scheinbar nicht einmal mit dem Gedanken, gegen sie zu verlieren. Sie rechnete sich gleich aus, im Finale gegen den Rollstuhlheini zu kämpfen, weil der sie ja in den Vorrunden einmal abserviert hatte!   Es kam ganz plötzlich. Ein fürchterliches Stechen in ihrer Magengegend. Anya kam zum Stehen und hielt sich die schmerzende Stelle. „Anya, was ist los?“, fragte Valerie erschrocken und packte die Freundin von hinten an den Schultern. Doch die riss sich widerspenstig los. „Lass mich!“ Der Schmerz wurde immer schlimmer, er raubte ihr zunehmend die Luft zum Atmen. Ihre Beine fühlten sich mit einem Male an wie Pudding, sie gaben nach und Anya stürzte auf die Knie. „Oh Gott, wir müssen einen Krankenwagen rufen!“ Ihre Freundin hatte schon ihr weißes Smartphone gezückt, doch Anya, die über ihre Schulter blickte, raunte: „So'n Quatsch, mir geht’s gut. Pack das Ding weg.“ Sich mit einer Hand im Kies abstützend und mit der anderen den Bauch haltend, schloss Anya die Augen. Atmete tief durch und wartete, bis der Schmerz langsam nachließ. Gut … dieser Anfall war nicht ganz so schlimm gewesen. Als sie sich aufrichtete und erhob, geriet das Mädchen jedoch ins Schwanken. Valerie eilte unter ihre Schulter und stützte sie ab. „Anya, du bist kreidebleich, nichts ist in Ordnung!“ „Redfield, kein Arzt der Welt könnte etwas dagegen tun! Also lass es, verdammt!“ Erschrocken erwiderte Valerie: „Kommt das daher, dass dir die Lebenskraft genommen wurde!?“ „Wahrscheinlich … ich habe es erst seit einigen Monaten, nachdem dieser Dreckskerl von Sammler mich ausgesaugt hat wie … scheiße, mir fällt keine einzige Nicht-Vampir-Metapher dazu ein!“ Anya nahm selbstständig den Arm von der Schulter ihrer Freundin und ging ohne Hilfe weiter. „Tut mir leid, aber du hast mir gerade noch einen Grund gegeben, dich im Halbfinale fertig zu machen.“ Auf Valeries Aussage hin lachte Anya höhnisch auf. „Gewinn erstmal dein Viertelfinale heute.“ „Dessen wirst du dich nachher vor Ort überzeugen können.“ „Hatte nichts anderes vor. Immerhin will ich sehen, was für Tricks du inzwischen auf Lager hast“, sprach die Blonde mit einer Spur grimmiger Vorfreude, als sie die Terrasse der Villa erreichten. Und Valerie lachte nicht weniger selbstbewusst: „Ha ha. Glaub mir, es gefällt mir gar nicht das zu sagen, denn für dich habe ich etwas ganz Besonderes geplant. Aber sag mal … Wenn es eine Person gäbe, der du unbedingt beweisen willst, wie gut du bist. Welche wäre das?“   Irritiert drehte Anya sich zu ihr um, als sie die kleine Treppe hinauf beschritt. „Wieso fragst du das plötzlich?“ „Weil ich wissen möchte, ob es nur mir so geht.“ Erwartungsvoll starrte die Schwarzhaarige sie an. „Und? Gibt es da jemanden?“ Darüber hatte sie nie wirklich nachgedacht, grübelte Anya. Hauptsächlich kämpfte sie für ihre Ziele und im weiteren Sinne für ihren Traum. Also war es das Wichtigste, die eigens gestellten Anforderungen zu erfüllen. Ob sie jemandem 'gefallen' wollte?   And the winner is: Logan Carter!   Oh Gott, wieso musste sich dieser Trottel -jetzt- einmischen!? Die ganze Zeit war er so schön still gewesen! Sorry, Daddy Bauer, für dich reicht's nur für den zweiten Platz!   „Was für ein Schwachsinn! Halt die Schnauze, Levrier, du hast keine Ahnung!“ Sich an die von dem Ausbruch erschrockene Valerie wendend, fauchte Anya: „Nein, es gibt absolut niemanden! Kann ja nicht jeder einen Marc haben!“ Plötzlich brach Valerie in heiteres Gelächter aus. Um jedoch nicht von Anya erschlagen zu werden, die gleich darauf wie ein wütender Stier zu schnauben begann, fügte sie hinzu: „Kleiner Tipp: Ich habe eine solche Person. Und nein, es ist nicht Marc und es bist auch nicht du. Genau genommen kennst du diese Person vermutlich nicht einmal. Frag erst gar nicht, um wen es sich handelt.“ Anya blinzelte missmutig. „Hatte ich nicht vor.“ „Dann ist ja gut. Und da du bestimmt immer noch nicht zum Arzt willst, sollten wir uns ein Taxi rufen, damit wir pünktlich im Stadion sind.“ „Sag mal, Redfield, wenn ich vielleicht -doch- zum Arzt wollen würde … würdest du dann mitkommen?“ Jetzt war es ihre Freundin, die genau einmal mit den Augen klimperte. „Und vielleicht mein Spiel verpassen? … nein.“ „Shit, hätte ja klappen können!“ Und auch wenn sie sich wieder gegenseitig neckten, so würde Anya das, was Valerie über Marc gesagt hatte, nicht so schnell vergessen …   ~-~-~   Mit verschränkten Armen saß Anya neben Marc in der untersten Reihe der Arena. Gerade zog Valerie schwungvoll auf. Eines war Anya während des Duells aufgefallen: Weder Mr. C, noch das Publikum zeigten sich sonderlich begeistert von Valeries Performance. Der Schlagabtausch zwischen ihr und Valmiro Guerri, einem jungen Mann mit dunklem Teint und schulterlangem, schwarz gelocktem Haar, hatte sich bisher als sehr ausgeglichen herausgestellt. Jeder der beiden schaffte es Zug um Zug, den anderen zu übertrumpfen, ohne aber eine wirkliche Dominanz aufzubauen.   [Valerie: 400LP / Valmiro: 1200LP] „Könnte diese Karte endlich die Entscheidung bringen?“, hallte die Stimme des Kommentators durch das Stadion. Viele riefen Valmiros Namen, der in Texas, seinem Heimatstaat, eine kleine Berühmtheit zu sein schien. „Was finden die bloß an der Schmalzlocke?“, äußerte Anya ihre Gedanken dazu grimmig. „Er ist in einer Band. Kein Wunder, dass die Leute da kaum auf Valerie achten“, lieferte Marc ihr die passende Erklärung. „Aber mach dir nichts draus, sie kann das ab.“   Mit einem strengen Blick sah sich Valerie ihre drei Handkarten an. Dank des [Beast King Barbaros'], welcher in der Gestalt einer aufrecht stehenden, humanoid-angehauchten Mischung aus Pantherunterleib und Löwentorso mit Lanze und Schild daher kam, hatte sie in der letzten Runde ihr komplettes Feld verloren.   Beast King Barbaros [ATK/3000 DEF/1200 (8)]   Jedoch hatte auch Valmiro bis auf dieses Monster all seine Ressourcen verbraucht. „Ich aktiviere die Ritualzauberkarte [Forbidden Arts Of The Gishki]!“, rief Valerie aus und rammte jene in ihr rotes D-Pad. „Schon wieder ein Ritual!?“, beklagte sich Valmiro mit der Spur eines mexikanischen Akzents. „Ja, aber diesmal opfere ich dein Monster!“, verkündete die Schwarzhaarige konzentriert. Unter dem bestialischen Krieger des jungen Mannes öffnete sich ein Runenzirkel, der ihn in die Tiefe zog. „Ritualbeschwörung! [Evigishki Levianima]!“ Eine Wasserfontäne schoss vor Valerie aus dem Boden und als diese versiegte, befand sich vor ihr eine amphibische, drachenähnliche Gestalt, welche ein Schwert mit sich führte. Die dunkelblaue Haut wurde erstaunlicherweise von Kleidung bedeckt. „Ein durch die verbotenen Künste beschworenes Ritualmonster verliert die Hälfte seiner Angriffspunkte und verhindert, dass ich in diesem Zug angreifen kann“, erklärte dessen Besitzerin.   Evigishki Levianima [ATK/2700 → 1350 DEF/1500 (8)]   „Jedoch“, sprach sie weiter, „brauche ich das gar nicht mehr.“   Indes rieb sich Marc verwundert seinen Kinnbart. „Was hat sie vor?“ „Gewinnen, was sonst?“ Wobei Anya insgeheim selber nicht wusste, wie ihre Erzrivalin das anstellen wollte. Was das Ganze nur umso interessanter machte.   Ihre letzte Handkarte in das D-Pad einschiebend, atmete Valerie mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen tief durch. „Die hier habe ich mir bis zum Schluss aufgehoben. Ich aktiviere [Misfortune], eine Zauberkarte.“ Schwarze Entladungen begannen sich rund um den geflügelten Levianima auszubreiten. Erstaunte Ausrufe aus den Zuschauerrängen drangen von allen Seiten zum Spielfeld. „Heute ist dein Pechtag, Valmiro“, erklärte Valerie, „denn indem ich auf die Battle Phase verzichte, kann mein Monster dir die Hälfte seiner Angriffspunkte direkt als Effektschaden zufügen!“ Der gebürtige Mexikaner wich erschrocken zurück. Mr. C hingegen klang unsicher, als er rief: „Eine interessante Strategie von Valerie Redfield. Statt einen Nachteil daraus zu ziehen, dass ihre Ritualzauberkarte sie diese Runde am Angriff hindert, nutzt sie eine zweite Karte mit demselben Haken, um daraus einen Vorteil zu machen. Aber kann das funktionieren?“ „Nein!“, donnerte Valmiro Guerri überzeugt. „Dein Monster hat zu wenig Angriffspunkte übrig.“ „Ich fürchte nicht, denn die Berechnungsgrundlage ist der Originalwert, nicht der aktuelle.“ Das hübsche Mädchen legte ein bedauerndes Lächeln auf. „Tut mir leid.“ In diesem Moment öffnete Levianima sein Maul, welches die schwarzen Blitze um ihn herum in sich aufsog und entfesselte diese als mächtigen Strahl. Dieser schlug direkt in den Körper von Valeries Kontrahenten ein, welchem ein erschrockener Schrei entglitt.   [Valerie: 400LP / Valmiro: 1200LP → 0LP]   „Großartig!“, schrie Marc und sprang auf. Viele der Zuschauer applaudierten und riefen Valeries Namen, einige wenige hielten sogar Banner und Schilder mit Namen oder Bildern der Schwarzhaarigen in die Luft. Diese winkte ihren Fans bescheiden zu, drehte sich dann jedoch zu ihren beiden Freunden in der ersten Reihe um. „Gut gemacht, Redfield“, bewegte die sitzende Anya ihre Lippen, ohne jedoch einen Ton zu sagen. Und der entschlossene Blick der zweiten Halbfinalistin des Legacy Cups sagte: „Du bist die Nächste.“     Turn 70 – Clash Of Ambitions Während die zweite Paarung des Halbfinales schließlich feststeht, erfährt Nick durch Alexandra ein interessantes Detail über die Hüterartefakte. Für Anya hingegen ist der Tag, an dem sie Valeries Namen von ihrer Liste streichen will, endlich gekommen … Kapitel 75: Turn 70 - Clash Of Ambitions ---------------------------------------- Turn 70 – Clash Of Ambitions     Anya schloss die Augen und ballte eine Faust, die sie energisch in die Höhe streckte. Um sie herum die Dunkelheit eines Elysions, doch nicht etwa ihr eigenes, sondern das des hochgewachsenen, blonden Mannes mit dem aus einzelnen Braids bestehendem Zopf: Exa. Sie standen einander in feindseliger Haltung gegenüber auf einer kreisrunden Plattform, das Mosaik zeigte vom Rand ins Zentrum dringende Flammen. Alles, was sich hinter Exa befand, wurde von einem dunklen Schatten verborgen. „The fallen comrades become witnesses of a new beginning!“, rezitierte Anya und riss die Augen auf. „Summon contract established!“ Mehr als ein halbes Dutzend Lichter stiegen aus dem Friedhof von Anyas Battle City-Duel Disk auf und positionierten sich über dem Mädchen. Jedes davon war Bestandteil eines bestimmten Kreises, die perfekt ineinander lagen. „Open the eternal gate!“, schrie Anya aus voller Lunge. Die Energiekreise verwandelten sich in Fragmente einer runden Steintafel, dort wo einst das Licht geschienen hatte, glimmte stattdessen eine Rune unbekannter Herkunft. Jedes Teilstück des Portals drehte sich im oder gegen den Uhrzeigersinn, jeweils genau in die andere Richtung des darauf folgenden. Anya ballte eine Faust, auf der ebenjene Rune in den Farben des Regenbogens leuchtete und hielt sie Exa entgegen. „Excel Summon!“ Eine Raumverzerrung entstand. Das Mittelstück des Portals schoss meterweit nach hinten, die anderen Teile folgten ihm auf einiger Distanz. Ein Wurmloch wurde erzeugt, aus dem ein silbriger Schimmer drang. „Grade …! Rage onwards, [… … Excel Dragon]!“   „Anya!“ Die Blonde schreckte auf. Benommen nahm sie die angeregten Zurufe aus dem Publikum wahr, welches gespannt das Duell zwischen Marc und Kakyo Sangon verfolgte. Neben ihr saß Valerie und verschränkte unter einem tadelndem Blick die Arme, betrachtete sie in einer leicht nach vorne gebeugten Haltung. „Sorry, bin kurz weggenickt“, nuschelte Anya verschlafen und gähnte demonstrativ, „hab ich was verpasst?“ Matt, der eine Reihe hinter ihr saß, stöhnte genervt. „Das halbe Duell. Aber selber schuld, wenn du gestern auch die ganze Nacht am Laptop sitzt und Computerspiele spielst.“ „Hey, das musste mal wieder sein!“, drehte sie sich mit grimmiger Visage zu ihm um. „Hört ihr bitte auf damit? Ich möchte das Spiel verfolgen“, empörte sich Valerie und zeigte mit der flachen Hand Richtung des kreisrunden Spielfelds weiter unten. Sie saßen in der ersten Reihe. Verlegen nuschelte Matt: „Entschuldige bitte.“ Dagegen gab es von Anya nur ein Stirnrunzeln als Reaktion. Redfield, diese heuchlerische Mistmade. Tat ja gerade so, als hätte sie ihre eigenen Worte von neulich schon vergessen. Wütend verschränkte Livingtons Terrormaschine #1 die Arme vor der Brust und sank tiefer in ihren Sitz. Dabei innerlich Marc anfeuernd, denn -ihm- wollte sie im Finale begegnen. Allein, um es ihrer Erzrivalin richtig heimzuzahlen, auch wenn das hieß, den Kampf auf Marcs Rücken auszutragen. Aber hier ging es ums Prinzip! Welches auch immer …   Nicht nur Anyas Stimmung war erhitzt, auch das Publikum fieberte dem Duell mit. Dank seines [Laval Judgment Lords], eines Kriegers, dessen rote Haut von einer Skelettrüstung und einem zerfetzten, roten Umhang bedeckt war, war es Marc gelungen, Kakyo in arge Schwierigkeiten zu bringen.   Laval Judgment Lord [ATK/2700 DEF/1800 (7)]   Neben einer Handkarte besaß der Schwarzhaarige, welcher sich extra für das Duell den Bart abrasiert hatte und in einem schwarzen Blazer und dazu passender Hose auftrat, auch eine verdeckte Karte.   Doch es war Kakyo, der am Zug war und zuvor den [Skilled Dark Magician] in einem braunen Gewand beschworen hatte. Dieser hielt einen weißen Zauberstab, nicht länger als eine Rohrzange, in beiden Händen. Soeben hatte Kakyo eine Zauberkarte aktiviert, sodass ein grünes, dreieckiges Symbol unterhalb der Brust besagten Magiers aufzuleuchten begann.   Skilled Dark Magician [ATK/1900 DEF/1700 (4) SC: 1]   [Marc: 1100LP / Kakyo: 200LP]   Der Brünette nahm zwei seiner drei Handkarten, beides Zauber, und schob sie parallel nebeneinander in sein D-Pad. „Gleich darauf aktiviere ich noch [Emblem Of The Dragon Destroyer] und [Fusion Sage]! Beide erlauben es mir, ganz bestimmte Karten von meinem Deck auf die Hand zu nehmen!“ Zunächst tauchte vor dem brünetten Burschen ein goldener Pokal auf, dessen Fuß an eine Drachenklaue angelehnt war. In seiner Mitte funkelte ein himmelblaues Juwel, in dem das Symbol eines von einem Schwert aufgespießten Drachenschädels zu sehen war. „[Emblem Of The Dragon Destroyer] sucht mir ein Monster namens [Buster Blader]. Und [Fusion Sage] lässt mich die [Polymerization]-Fusionskarte meinem Blatt hinzufügen!“ Automatisch schoben sich beide an unterschiedlichen Stellen aus seinem Deck hervor, sodass Kakyo sie nur aufzunehmen brauchte. Zeitgleich begannen die beiden farblosen Kugeln an den Schultern des [Skilled Dark Magicians] grün zu leuchten.   Skilled Dark Magician [ATK/1900 DEF/1700 (4) SC: 1 → 3]   „Wie du siehst, hat mein Magier jetzt auch die restlichen beiden Zauberzähler bekommen“, rief dessen Besitzer energisch und streckte die Hand mit gespreizten Fingern aus, „damit kann er sich als Tribut anbieten, um die nächste Stufe zu erreichen! Erscheine, mein Assmonster!“ Der Hexer ließ seinen weißen Zauberstab vor sich im Kreis drehen. Jener verwandelte sich in ein längliches, schwarzes Modell. Ebenso färbte sich die Robe des Hexers ebenso pechschwarz, langes, weißes Haar begann unter einer spitzen Haube hervorzulugen. „[Dark Magician]!“, strahlte Kakyo unter lautem Beifall.   Dark Magician [ATK/2500 DEF/2100 (7)]   „Das ist die seltene Anniversary-Version!“, drang Mr. Cs erstaunte Stimme aus den Lautsprechern des kreisrunden Stadions. „Davon gibt es auf der Welt nur eintausend Exemplare!“ Sogar Marc klatschte anerkennend. „Ein echtes Prachtstück, dein schwarzer Magier.“ „Jeder der drei, die ich im Deck spiele, hat ein anderes Artwork“, erwiderte Kakyo stolz. Passend dazu wirbelte dieser finstere Zauberer mit seiner Waffen in der Hand, um die Menge zu begeistert. Was er auch schaffte. „Besonders lustig wird es jedoch, wenn ich das hier mache!“, rief Kakyo und rammte seine [Polymerization]-Zauberkarte in das rote D-Pad. „Ich verschmelze [Dark Magician] und [Buster Blader]!“ Mit einem ehrgeizigen Blick schlug Kakyo die Hände über den Kopf zusammen und ballte mit beiden zusammen eine Faust. Direkt darüber entstand ein blau-orangener Wirbelstrom, der zuerst den Hexer in sich hineinzog, dann ein zweites über Kakyo erscheinendes Monster, einen kräftiger Krieger in dunkelblauer Rüstung, der ein massives Breitschwert schwang. Als beide im Sog verschwunden waren, drang daraus ein grelles Licht hervor. Kakyo riss die Faust nach unten. „Fusion Summon! Die perfekte Verbindung aus Krieger und Magier betritt das Spielfeld! Erscheine, [Dark Paladin]!“ In schwarzer Robe, die glänzte wie eine Rüstung, landete jener mit einem Satz vor ihm. Das weiße Haar war noch länger geworden und lag ihm über den Schultern, wie er sein Doppelschwert schulterte, das von der Form her stark dem Zauberstab seines Vorgängers ähnelte.   Dark Paladin [ATK/2900 DEF/2400 (8)]   Die Menge im kreisrunden Stadion jubelte. In der ersten Reihe beugte sich Anya nach vorne, hin zum Geländer, welches sie mit ihren Händen umklammerte. „Jetzt wird’s interessant, Redfield.“ Jene saß verkrümmt neben dem Mädchen, den Arm angewinkelt auf dem Oberschenkel gestützt, sodass sie mit dessen Hand unter ihr Kinn streichen konnte. Ihr rechter Fuß tippte im regelmäßigen Takt aufs Parkett. Anya bemerkte es aus den Augenwinkeln, entschied sich aber dagegen, aufmunternde Worte zu sprechen. Wenn Valerie Redfield nervös war, hatte das meist einen guten Grund. So richtete Anya ihr Augenmerk wieder aufs Duell.   Gerade verkündete der brünette Kakyo selbstsicher: „Du hast einen fatalen Fehler begangen, [Lavalval Dragun] und [Lavalval Dragon] in diesem Duell einzusetzen.“ Marc verschränkte die Arme, erwiderte selbstironisch: „Wenn du damit meinst, dass du sie beide problemlos umgenietet hast, stimme ich dir zu.“ Die Lacher waren auf seiner Seite. Kakyo schwang mahnend den Zeigefinger. „Sie überhaupt zu benutzen war der Fehler. [Dark Paladin] erhält 500 Angriffspunkte für jeden Drachen, ob im Friedhof oder auf dem Spielfeld.“ Die Abbilder der beiden Synchromonster tauchten hinter dem finsteren Hexenkrieger auf. Es handelte sich dabei um einen Flugsaurier mit flammenden Schwingen und Schopf sowie um einen aus glühendem, braunem Gestein bestehenden Drachen. Beide verpufften, dagegen begann [Dark Paladin] in weißer Aura aufzuflammen.   Dark Paladin [ATK/2900 → 3900 DEF/2400 (8)]   „Na toll“, murmelte Marc angefressen. Sein Gegner ballte demonstrativ eine Faust. „Das dürfte dann wohl reichen, um deine restlichen Lebenspunkte auszulöschen! [Dark Paladin], greife [Laval Judgment Lord] an! Super Magical Shadowless Slash!“ Der finstere Krieger hob seine Doppelklinge in die Höhe. Dann zischte er innerhalb eines Sekundenbruchteils wie ein schwarzer Pfeil nach vorne, tänzelte auf den letzten Metern mit ausholenden Bewegungen seiner Waffe auf den Feind zu. „Das hättest du wohl gern!“, fauchte Marc ehrgeizig und betätigte den Knopf an seinem D-Pad, sodass seine gesetzte Karte aufsprang. „Ich aktiviere den Schnellzauber [Mirage Tube], die den Angriff umleiten und dich 1000 Lebenspunkte kosten wird!“ „Von wegen“, erhitzte sich auch Kakyo, „noch habe ich eine Handkarte übrig!“ Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so still wurde es im Stadion, als Kakyo besagte Karte in den Friedhofsschacht schob und rief: „Effekt von [Dark Paladin]! Black Magic Jammer! Für eine Handkarte negiere ich deine Zauberkarte!“ Die Zauberkarte, die vor Marc aufsprang, verfärbte sich von unten aufwärts pechschwarz. Der Schatten des dunklen Paladins hatte sich heimlich unter den Beinen des [Laval Judgment Lords] hinweg geschlichen und befiel Marcs letzten Trumpf, der in tausend Stücke zerbarst. Dann hallte ein Sirren durch die Arena. Mit einer Drehung versetzte [Dark Paladin] dem gleichgroßen Lavalord einen Kreuzhieb. Stille. Dann folgte die Explosion.   [Marc: 1100LP → 0LP / Kakyo: 200LP]   Es dauerte einen Moment, ehe die Menge zu jubeln begann. Marc stand etwas verloren da, regungslos. „Und der erste Teilnehmer des zweiten Halbfinales ist Kakyo Sangon!“, verkündete Mr. C aufregt. Marc gewann seine Fassung wieder und schritt erhobenen Hauptes auf seinen Gegner zu, nachdem die Hologramme verschwunden waren. Der tat es ihm gleich, sodass sie in der Mitte aufeinander trafen und die Hände schüttelten.   Indes waren Valerie und Anya gleichzeitig von ihren Plätzen aufgesprungen. „Herzlichen Glückwunsch“, zischte Letztere böswillig, „jetzt hast du, was du wolltest.“ Valerie senkte das Haupt und schwieg, als der Jubel im Publikum eintrat.   ~-~-~   Behutsam drehte Nick den goldenen Handschuh in seiner Hand. Er war tatsächlich so lang, wie er ihn geschätzt hatte, reichte einem durchschnittlichen Menschen bis zum Ellbogen. Vom Ende, der aus einem Ring bestand, wanden sich so drei goldene Schlangen den Arm entlang, bis sie in der Einstülpung endeten. Er war federleicht. Nick, mit nichts als weiß-blau gestreiften Boxershorts am Leib, legte das gute Stück auf die Kommode neben dem Fenster zurück. „Woher hast du den?“ Er drehte sich zum Himmelbett um, in dem Alexandra lag. Lasziv auf der Seite liegend, die Decke knapp über den roten BH gezogen, lockte sie ihn mit dem Zeigefinger zu sich. „Komm wieder ins Bett.“ „Ich mein's ernst.“ Die Dunkelblonde mit dem leicht welligen, schulterlangen Haar rollte mit den Augen, die von dunklen Ringen gezeichnet waren. „Bist du immer so neugierig?“ „Das ist der Deal. Du bist hier“, sagte Nick und deutete mit beiden Zeigefingern auf den Boden, wobei eigentlich das luxuriöse, ganz in Weiß gehaltene Hotelzimmer gemeint war, „und ich da.“ Seine Finger richteten sich auf die leere Betthälfte. Alexandra schnappte sofort: „Hältst du mich für eine Prostituierte!?“ „Genauer gesagt“, wollte Nick sie korrigieren, brach dann aber ab, da er es sich doch lieber verkniff, sie direkt als Werkzeug zu bezeichnen. „Nein. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.“   Sie stöhnte genervt und drehte sich auf den Rücken. „Das ist der Reif von Loiré.“ „Nie davon gehört. Aus welcher Mythologie …?“ „Gar keiner. Loiré war ein mächtiger Dämon, der die europäische Unterwelt vom 16. bis 18. Jahrhundert beherrscht haben soll“, erklärte die selbsternannte Schatzjägerin ihm altklug, „den da hat er sich schmieden lassen. Der Reif kanalisiert die verborgenen Kräfte seines Trägers und schleudert sie seinen Feinden entgegen.“ Nick kratzte sich am zerzausten Hinterkopf, ehe er langsam auf das Himmelbett zu schlenderte. Wie sie da lag, halb verborgen von den Schleiern, die an der Decke befestigt waren. So hatte er noch nie eine Frau gesehen, jedenfalls nicht in der Realität. Ein betörender Anblick, zweifellos, aber … nicht annähernd so sehr, wie er sich das vorgestellt hatte. Sie war es gewesen, die ihn verführt hatte. Und er hatte bewusst nachgegeben, um ihr ein trügerisches Gefühl von Macht zu verleihen.   „Halt“, gebot Alexandra ihm mit erhobener Handfläche, als er unter die Bettdecke kriechen wollte. „Um deine Frage zu beantworten: Ich habe ihn aus dem verfallenen Herrenhaus geborgen, in dem Loiré gelebt hat.“ Nick zog eine Augenbraue hoch. „Nicht gestohlen?“ Auf seine todernst gemeinte Antwort hin ließ die junge Frau den Arm entnervt seufzend sinken. „Nein. So, jetzt beantwortest du mir was. Woher kommen die da?“ Als der hochgewachsene Mann sie fragend ansah, ließ sie den Zeigefinger vor ihm demonstrativ kreisen, sodass er ihr, der Anweisung folgend, den Rücken zudrehte. Und damit die Narben an seinem Rücken präsentierte. „Die da.“ „Ich wäre vor Jahren beinahe in einem brennenden Haus gestorben“, erklärte Nick ihr und zeigte den rechten Arm vor, der ebenfalls Narben aufwies, „und da habe ich Säure abbekommen, ist noch gar nicht lange her.“ Alex grinste. „Würde ich dich nicht besser kennen, hätte ich rein vom Äußeren vermutet, dass du ein Weichei bist.“ „Du kennst mich nicht“, reagierte Nick kalt.   Ein Moment verstrich, an dem beide nichts sagten. Nick saß auf der Bettkante, der jungen Frau zugewandt und studierte sie eingehend. Sie hielt seinem Blick selbstbewusst stand, sogar der Anflug eines herausfordernden Lächelns umspielte ihre Lippen. „Können wir das Thema wechseln?“, gab Nick nach. „Ich fahre andere Menschen nicht gerne an.“ „Schon gut. Ich weiß, was ich wissen wollte und du auch.“ „Wann lerne ich deinen Informanten kennen?“, erkundigte sich der zerzauste Kerl. In dem Moment begann sein Handy, das auf dem weißen Nachttisch neben dem Bett lag, zu vibrieren. „Sobald die Zeit gekommen ist. Er ist ein sehr beschäftigter Mann.“ Nick wälzte sich über das Bett und landete neben ihr, Kopf an Kopf. „Besteht die Chance, dass das Treffen in Livington stattfindet? Ich muss bald zurück.“ Seine Gespielin kicherte. „Geh' ran, das ist jetzt schon das vierte Mal heute.“ Stöhnend taste Nick blind nach dem alten Mobiltelefon und schnappte es sich. Es sich vor die Nase haltend, überlegte er noch einmal kurz. Ewig würde er Aiden nicht aus dem Weg gehen können. Also warum es nicht endlich hinter sich bringen? Er nahm ab und legte das Handy ans Ohr. „Hi Schatz, du störst mich gerade beim Fremdgehen.“ Aidens Stimme klang beherrscht, aber sein ehemaliger Verlobter wusste nur zu gut, dass es in ihm brodelte. Allein die Wortwahl verriet ihn. „Nick, da wo ich herkomme, lässt man sich ungeplanten Urlaub vorher genehmigen.“ „Ich hab' ihn mir doch genehmigt“, mimte der den Ahnungslosen. „Du bist seit fast einer Woche weg. Wir warten alle auf dich. Mr. Ford ist außer sich, weil das Projekt ohne deine Hilfe praktisch auf Eis liegt!“ „Daddy Ford oder Henry?“ „Beide, wenn es dich glücklich macht. Ich erwarte, dass du spätestens übermorgen pünktlich im Büro erscheinst!“ Jetzt hörte man die Wut raus, stellte Nick mit Zufriedenheit fest. Daher fragte er geradezu provokativ: „Sonst?“ Aber statt die Frage zu beantworten, hatte Aiden aufgelegt. Das machte er gelegentlich. Statt seine Drohungen in Worte zu fassen, ließ er seine Opfer im Ungewissen. Allerdings funktionierte das nur bei denen, die nicht ahnten, womit genau er drohen wollte. Nick packte das Handy wieder auf den Nachtisch. „Dein Boss?“, hakte Alex nach und rollte sich an seine Seite. Mit dem Zeigefinger strich sie ihm über die hagere Brust. „Ja. Ich muss zurück, sobald ich hier noch eine Kleinigkeit erledigt habe. Und du kommst mit.“ „Ich denke, es sollte klappen, wenn du gut bezahlst. Nur würde mich interessieren, was genau du überhaupt wissen willst.“ Als er seinen Arm um ihre Schulter legte, erwiderte der junge Mann: „Alles. Und du?“ Wieder bedachte er sie von der Seite mit seinem nachforschenden Blick. „Wofür genau brauchst du meine Hilfe? Du hast es mir noch nicht verraten.“ „Das wirst du dann schon merken“, gab sie sich geheimnisvoll. Dann beugte sie sich vor, legte ihre Hand an seine Wange und küsste ihn.   „Eine Sache noch“, nuschelte Nick, dem es bedingt durch ihren fester werdenden Griff sehr schwer fiel, sich von ihr zu lösen, „woher weißt du von den Hüterkarten? Du warst hinter Claire Rosenburg her und hast nur durch Zufall Anya entdeckt.“ Unter einem ungläubigen Gesichtsausdruck riss sie abrupt den Kopf von ihm weg. „Ich frage das, weil du sagtest, dass eines von Anyas Artefakten die Lebenszeit verlängern kann.“ Sein Blick war völlig untypisch, bat förmlich um Entschuldigung, flehte um eine Antwort. „Denkst du, das könnte bei Anya auch klappen?“ „Ich habe keine Ahnung, woher du das weißt“, erwiderte sie unterkühlt. Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn, wischte ein paar Strähnen weg, aber sein Hundeblick wollte nicht aufhören. Den Kopf schüttelnd, fragte Alexandra schließlich: „Deine Freundin liegt im Sterben, so war das doch, oder?“ Nick schwieg, aber allein sein verkniffener Mund war Antwort genug. Was ihr ein Stöhnen entlockte. „Könnte sein. Jedes dieser Artefakte hat eine besondere Fähigkeit. Ich war hinter dem her, das das Leben seines Trägers verlängert. Ich dachte, Claire hat es, aber dann war da plötzlich deine Freundin. Den Rest kennst du.“ „Wer könnte mehr darüber wissen? Dein Kontakt?“ „Nein, aber er kennt jemanden, der es tut. So'n Treffen zu arrangieren wird aber nicht billig.“ Nick ließ sich in das Kopfkissen sinken. „Ist egal.“ „Gut“, nickte Alexandra, als ob das Thema damit endlich beendet wäre, „ich wollte sowieso noch einmal mit dem Kerl reden. Ich komme mit nach Livington. Und jetzt …“ Statt den Satz zu beenden, stürzte sie sich auf Nick …   ~-~-~   Am nächsten Morgen standen Matt, gekleidet in schwarzer Unterhose und gleichfarbigem T-Shirt sowie Zanthe, bereits in Jeans, weißem T-Shirt und orangenem Kopftuch steckend, gemeinsam vor Anyas Bett in der Ecke des Hotelzimmers. Dessen Besitzerin lag nichts ahnend darin, mit über der Kante ragendem Arm, und befand sich im Land der Träume. „Was macht sie da?“, fragte Matt fasziniert beim Anblick der Blonden. „Sie redet im Schlaf“, antwortete Zanthe mit erstickter Stimme. Denn das, was Anya da von sich gab, gefiel ihm gar nicht. „The fallen comrades become witnesses of a new beginning! Summon contract established! Grade …! Rage onwards, Arblexldagn!“ Vorsichtig beugte sich Matt über sie. „Klingt wie ein … Beschwörungsspruch. Aber von was?“ „Ist doch egal“, schnarrte Zanthe und trat mit voller Wucht gegen Anyas Arm. „Aufwachen, Zeit für's Frühstück!“   Anya schreckte aus ihrem Traum kerzengerade hoch. Es dauerte einen Moment, ehe sie ihre beiden Freunde überhaupt wahrnahm. Verschlafen fragte sie: „Was macht ihr hier?“ „Du hast im Schlaf irgendwas gefaselt“, klärte Zanthe sie auf, „was hast du geträumt?“ „Ich hab irgend'son cooles Monster beschworen, glaub ich. Was geht dich das überhaupt an!?“ Sofort sprang Anya aus dem Bett und baute sich mit ihren 1,60 m vor den beiden größeren Jungs auf. „Geht's eigentlich noch!? Wer hat mich getreten!?“ Mit einem Nicken deutete Matt sofort auf Zanthe, welcher nur grimmig: „Verräter!“ zischte. Im Anschluss bekam er einen Tritt gegen sein Schienbein spendiert. Dabei hatte er noch Glück, dass Anya inzwischen Wert auf Körperhygiene legte und ihre Zehennägel in regelmäßigen Abständen schnitt und sie so nur unwesentlich an seiner Haut entlang schabten. Ansonsten hätte er sich, wie schon Isabelle Boyd bei einem Klassenausflug im Schwimmbad vor einigen Jahren, jetzt vermutlich eine Infektion eingefangen. Damals hatte Anya damit geprahlt, dass in jedem Zeh eine andere 'versteckt' sei.   „Hat auch schon mal mehr weh getan“, grummelte Zanthe und bevor Anya es erneut versuchen konnte, zog er Leine. Im Weggehen fragte er beiläufig. „Was war denn das für ein Monster, von dem du geträumt hast?“ „Weiß nicht.“ Anya, in Boxershorts und Feinrip-Hemd, verschränkte die Arme voreinander. „Hab's ja nicht gesehen, dank dir!“ Der Werwolf, der an den Betten vorbei schlenderte, gab ein nachdenkliches Geräusch von sich. Auf das Bad zusteuernd, drehte er sich vor der Tür noch einmal um. Und sah Anya mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an. „Hast du diese Beschwörungsart denn schon mal irgendwo gesehen?“ „Nö, woher denn, es gibt keine Exe-Monster.“ Anya zeigte grinsend mit dem Daumen auf sich. „Das ist alles meinem genialen Geist entsprungen.“ „Wohl kaum“, zischte Zanthe leise, riss die Tür auf und ließ sie hinter sich laut zufallen. Matt kratzte sich am Hinterkopf. „Toll, ich wollte eigentlich ins Bad. Wieso macht er das, er ist doch schon fertig?“ Keine Sekunde später hörten sie ihn lautstark würgen. Und dann die Spülung. „Weil er schwanger ist“, kommentierte Anya das Ganze giftig.   ~-~-~   Für den Nachmittag hatten sich Anya, Matt und ausnahmsweise sogar Zanthe mit Valerie und Marc verabredet. In deren Hotel wurde das letzte Viertelfinal-Spiel übertragen. Da keiner der Fünf Lust auf das lärmende Stadion hatte, wollten sie es hier mitverfolgen.   So standen das Dreiergespann schließlich vor der weißen Tür von Valeries Hotelzimmer, obwohl eigentlich ausgemacht war, sich gleich in der Lounge zu treffen. Anya hämmerte mit der Faust gegen das Holz, bis eine sichtlich genervte Valerie die Tür öffnete. „Ihr seid eine halbe Stunde zu früh“, merkte sie wenig begeistert an. „Was' los, Redfield? Du siehst aus, als ob du gleich Falten bekommst“, fragte ihre Freundin und drängelte sich an ihr vorbei in das schneeweiße Zimmer. „Nicht, dass mich das stören würde.“   Natürlich, dachte Anya grimmig, als sie sich in dem luxuriösen Zimmer umsah. Es gab eine Sitzecke samt Fernseher, mit modernen, schwarzen Ledermöbeln. Irgendwie kam ihr das hier vor wie ein Schachbrett, obwohl sie von dem Spiel keine Ahnung hatte. Und dieses Himmelbett am anderen Ende des Raumes erst, oberster Kitsch!   Marc stand mit verschränkten Armen neben dem runden, schwarzen Tisch, auf dem auch die blaue Deckbox von Valerie lag. „Okay, Butcher“, murmelte sie beim Anblick des Schwarzhaarigen, auf dessen Stirn tiefe Falten geschrieben standen, „-du- siehst aus, als ob du gleich jemanden umbringst. Scheiße, wäre ich doch erst später gekommen. Man, wäre das lustig gewesen, dich zu sehen, wie du Redfield erwürgst.“ „Nicht witzig, Anya!“, wurde sie von der Schwarzhaarigen hinter ihr angemotzt.   Zanthe und Matt, die den Anstand besaßen, nicht ungefragt ein fremdes Hotelzimmer zu betreten, schüttelten nur mit den Köpfen. „Die haben sich gestritten, jede Wette“, vermutete Zanthe klatschfreudig. „Ne Ahnung wieso? Wären wir bloß früher gekommen, dann hätte ich vielleicht noch was mithören können.“ „Vielleicht wegen dem Turnier? Anya hat da so etwas Komisches fallen lassen …“ „Was denn?“ Matt zuckte mit den Schultern. „Na ja, es klang fast so, als ob Valerie gewollt hätte, dass Marc ausscheidet. Sicher bin ich mir aber-“ In dem Moment baute sich ebenjene in ihrem rosafarbenen Kleid vor ihnen auf. „Können wir jetzt bitte gehen?“   Wenig später schloss sich die Tür des Zimmers. Die Gruppe steuerte, inzwischen in eine Debatte vertieft, wer das Viertelfinale gewinnen wird, auf den Aufzug zu. Othello Nikoloudis oder Justin Walker? Anya war ganz klar Team Krüppel wegen des Mitleidsbonus, Valerie enthielt sich, obwohl ihre Freundin längst wusste, dass sie ebenfalls den Jungen im Rollstuhl als Sieger antizipierte. Die Jungs dagegen wogen hingegen noch die Stärken und Schwächen der beiden ab.   Das weiße Hotelzimmer mit den schwarzen Möbeln war verlassen. Zumindest sollte es so sein. Doch das änderte sich, als sich die Zimmertür öffnete. Abgetragene Turnschuhe schritten über das Parkett, blieben dann in der Mitte des Raums stehen. Dann bahnten sie sich ihren Weg zu dem kleinen Tisch in der Ecke. Valeries Deck, welches dort lag, wurde in eine Hand genommen und durchgesehen. Und wieder abgelegt. Die Hand zückte eine Karte und schob diese in die Mitte des Stapels. Damit solltest du gewinnen können, dachte die Person, welche sich anschließend von dem Tisch abwandte und das Hotelzimmer wieder verließ, vorsichtig die Tür schloss.   ~-~-~   „Wollen wir nach dem Duell in die Pizzeria um die Ecke?“, schlug Marc wenig später vor, als sie sich in der Lounge eingefunden hatten. Sie war nicht weiß wie Valeries Hotelzimmer, zumindest nicht die Wände. Diese waren mit dunklen Holzmustern versehen. Unregelmäßig unterteilten Säulen den Saal, an denen blau leuchtende Halogenröhren befestigt waren. Am Eingang, den das Fünfergespann passierte, befand sich eine Bar. „Können wir machen“, erwiderte Anya, „hab' eh Bock auf Pizza.“ „Ich muss nicht mitkommen, oder?“ Auf Zanthes Frage hin, fragte Matt neben ihm: „Ist dir immer noch übel?“ „Ja … und Kopfschmerzen habe ich auch. Warum weißt du sicher.“ „Yeah.“   Zusammen schlenderten sie weiter nach vorne. Dort befand sich eine riesige Fläche, wo mindestens ein Dutzend Tische mit Stühlen aufgestellt waren. Ganz am Ende gab es eine Leinwand, auf der das Duell übertragen wurde. „Können wir dorthin?“, fragte Valerie und zeigte nicht etwa geradeaus, sondern auf eine der Nischen, die mit Ecksofas ausgestattet waren. „Da ist mehr Platz für uns.“ „Schnappen wir uns die besten Plätze, bevor sie weg sind“, stimmte Matt ein. Sie nahmen zwei Stufen, die hinauf zur Sitzecke führten. Von dort hatte man auch einen guten Blick auf das Bild. Nacheinander ließen sie sich auf den cremefarbenen Möbeln fallen.   Eine halbe Stunde später begann das Duell. Die Bildqualität hätte besser sein können, aber es reichte aus, um die mittlerweile volle Lounge gut zu unterhalten. Am Tisch der Runde standen diverse Getränke und eine Schale voller Chips, derer Anya sich ein halbes Dutzend in den Mund stopfte. „Masch Pendelschummon“, richtete sie ihre Worte an den jungen Mann im Rollstuhl auf der Leinwand. „Ich würde unter normalen Umständen sagen, dass man nicht mit vollem Mund spricht“, seufzte Valerie ihr gegenüber, „aber mit dir sind es nie normale Umstände …“ Othello tat Anyas Worten derweil Geheiß, ließ blaue Lichtsäulen vor sich aufsteigen, in denen sich der weiße [Stargazer Magician] und der schwarze [Timegazer Magician] befanden. „Pendulum Summon“, rief er mit schwacher Stimme, „komm herbei, Odd-Eyes!“ Aus dem Portal über ihm schoss ein roter Strahl, der die Form des dinosaurierähnlichen Drachen annahm. Sein Besitzer befahl den Angriff auf die riesige [Mother Spider]-Spinne von Justin, einem hageren, blonden Jungen in schlabbrigen Klamotten. „Spiral Burst Strike!“   Bisher lieferten sie sich einen ausgeglichenen Schlagabtausch, überlegte Anya. Rollstuhl-Othellos Spiel war die meiste Zeit über eher defensiv gewesen, aber sie hatte genau gesehen, dass er einige schwächere Pendelmonster von seinem Gegner hat zerstören lassen. Wieso hatte er die nicht beschworen, sondern nur Odd-Eyes?   Je länger das Duell anhielt, desto mehr bestätigte sich Anyas Erkenntnis aus dem Duell mit Melinda: Pendelmonster waren der schlimmste Feind, wenn es um eine Materialschlacht ging. So konnte Justin Irgendwer zwar Othellos Odd-Eyes zerstören, aber der kam jede Runde wieder. Und dem zunehmend nervöser werdenden Teenager gingen die Optionen aus.   „Er verlässt sich echt nur auf den Drachen und seine beiden Funzelmagier“, stellte Anya fest, nachdem der Kampf zugunsten des kränklichen Othellos entschieden war. Ausgerechnet Valerie war es, die ironisch auflachen musste. „Dann habt ihr ja was gemeinsam.“ „Was soll das heißen?“, fragte Anya das Mädchen gegenüber verständnislos. Die Jungs, Marc neben seiner Verlobten sowie die anderen beiden neben Anya, hielten sich geschickt aus der Sache heraus. „Angel Wing?“ „Versteh' ich nicht. Du willst nur wieder auf mir rumhacken, Redfield.“ Die lächelte jedoch herausfordernd. „Ein bisschen, aber eine kleine Stichelei unter Rivalinnen wird doch wohl erlaubt sein, oder?“ „Wenn du auf das Halbfinale morgen anspielst“, murmelte Anya und beugte sich mit dem Arm auf ihrem rechten Schenkel abgestützt vor, „mach dich schon mal frisch.“ „Ich bin schon bestens vorbereitet“, verkündete das andere Mädchen selbstsicher. „Du auch?“ „Darauf kannst du …“   ~-~-~   „... Gift nehmen“, wiederholte Anya dieselben Worte, die sie am Vortag gesprochen hatte. Alleine schritt sie den schwach beleuchteten Gang entlang, der ins Innere der Arena führte. Das würde das beste Halbfinale aller Zeiten werden!   Hoffentlich kamen ihre Freunde pünktlich, denn Anya war diesmal alleine hierher gefahren. Zanthe ging es nicht so gut, weshalb er noch etwas schlafen wollte und Matt war schon weg gewesen, bevor sie aufgestanden war. Eine Notiz, wohin er gegangen war, hatte er nicht hinterlassen. Aber das war vielleicht auch gut so. Anya fühlte sich müde, angespannt. Nicht, dass ihr je etwas leid tat, das ihr über die Lippen kam, aber jede kleinste Reizung könnte sie in diesem Moment zum Explodieren bringen. Sie wollte Redfield besiegen, ein für alle Mal, ohne Hilfe. Denn sie stand ebenfalls auf ihrer 'Pitchest Black'-Liste und die bettelte förmlich darum, um einen Namen ärmer zu werden. Und es ging um die Chance, sich mit Claire Rosenburg zu duellieren, was Anya nicht vergessen durfte. Gut, davor käme noch das Finale, aber wenn sie Redfield aus dem Weg räumen konnte, würde der Rest auch kein Problem sein!   So schritt sie dem Licht entgegen. Nicht so zuversichtlich, wie sie es bei ihren vorherigen Gegnern gewesen war. Nein, Redfield war eine ganz eigene Hausmarke … „Mach dich schon mal frisch“, zischte Anya.   Als sie die Arena betrat, blieb sie sofort wie angewurzelt stehen. Der ganze Boden um die kreisrunde Duellfläche, er war nicht mehr metallisch wie noch zuvor. Offenbar war diese erste, obere Schicht eingefahren worden. Denn was Anya sah, war ein Feld voller viereckiger Mini-Monitore, durch die immer wieder die Paarung des ersten Halbfinales in gelben Lettern huschte und das gegen den Uhrzeigersinn. Abwechselnd wurden dann Szenen aus den vergangenen Duellen der beiden Mädchen präsentiert, welche das bereits aufgeheizte Publikum dank der erhöhten Lage der Zuschauerränge gut sehen konnte. Vor Anerkennung pfeifend, schritt Anya über ihr eigenes Gesicht, das gerade ihrem Bruder etwas entgegen schrie. Zeitgleich kam Valerie von der anderen Seite aus dem Gang. Auch sie schien merkbar überrascht, ihr Blick haftete am Boden. „Na klar, musstest dich mal wieder fein rausputzen, was?“, giftete Anya, obwohl ihre Erzrivalin das gar nicht hören konnte, schon gar nicht unter dem Lärm, den die da oben veranstalteten. Valerie trug ihr Haar hoch angesetzt zu einem Pferdeschwanz, gebunden von einer blauen Schleife. In himmelblauen Leggins und seidig-weißer, ärmelloser Bluse marschierte die Schwarzhaarige ihr entgegen. Dagegen mutete Anya, nicht zuletzt dank ihres peinlichen Werbe-T-Shirts für Mr. Palmers Shop, nicht gerade wie eine Halbfinalistin des Legacy Cups an. „Unglaublich, wie die Zeit vergeht“, hallte Mr. Cs Stimme durch das Stadion. Die Leute explodierten förmlich, pfiffen, brüllten, tröteten und trommelten sogar. „Heute findet das erste Halbfinale des Legacy Cups statt.“ Anya und Valerie erreichten zeitgleich die Stufe, die sie auf die Plattform führte. Die Bildschirme unter ihnen wechselten zu einer Verbildlichung der Lebenspunktezähler, beide versehen mit den Profilen ihrer Besitzer. „Es tritt Anya Bauer, dank ihrer Exzentrik und ihres zügellosen Gebrauchs von Schimpfwörtern die derzeit meistgesuchte Duellantin der bekannten Internetsuchmaschinen, gegen Valerie Redfield an, die inzwischen als geheime Favoritin auf den Titel gehandelt wird.“ Hatte sie da gerade richtig gehört, fragte sich Anya perplex. Sie war die meistgesuchte Duellantin, ihr Name!? Dann war sie berühmter als Claire Rosenburg, die Leute kannten sie, die wollten mehr von ihr, die-… wonach suchten die überhaupt? Ich weiß, was du denkst und glaub mir, Anya Bauer, denk nicht zu sehr darüber nach. Es ist wahrscheinlich, dass du die Antwort gar nicht wissen willst.   „Uh-huh“, nickte die klamm. Von ihrem zweifelhaften Ruhm überrascht, nahm sie die letzten Meter bis zur Feldmitte deutlich angespannter. Valerie hingegen winkte den Leuten zu, ganz so, als ob sie gleich Feenstaub versprühte. „Duellantinnen“, rief Mr. C, „gebt euch die Hand!“ Beide taten wie ihnen geheißen. Anya zischte leise: „Na, ist es schön im Mittelpunkt zu stehen?“ „Weiß nicht. Ist es schön zu wissen, dass im Internet nach Nacktbildern von einem gesucht wird?“ Auf das neckische Zwinkern hin biss die Blonde sich auf die Lippen. Nicht nur vor Wut, sondern auch wegen der Frage, ob das wirklich jemand machte. Und was er wohl fand!? „Du kannst loslassen“, bemerkte Valerie trocken, da Anya in ihren Gedanken vergaß, den Griff zu lösen. „Nehmt jetzt eure Positionen ein“, half auch Mr. C nach, da Anya abwesend an ihrer Gegnerin vorbei in die Leere starrte. Die beiden entfernten sich daraufhin voneinander und stellten sich am Ende ihres jeweiligen Feldes auf. „Bevor das hier losgeht, möchte ich, dass du eines weißt. Ganz egal wer von uns gewinnt, wir kämpfen trotzdem für dieselbe Sache“, verkündete Valerie mit einem verschmitzten Grinsen, das jedoch einem ernsteren Ausdruck schwand. „Also keine Verbitterung nach dem Duell, bei keinem von uns, okay?“ Anya rümpfte die Nase. „Ach ja? Wofür denn?“ „Um dich zu retten.“ Die Zuversicht, die dabei in der Stimme ihrer Rivalin mitschwang, stachelte auch Anya an. „Verdammt richtig, Redfield! Aber ich hab's schon zum Flohpelz gesagt: Manchmal muss man sich selbst retten! Ich brauche deine Hilfe nicht!“ Sie ballte eine Faust. „Und viel weniger brauch ich dich als Gegnerin, also mach's wie die Hunde und zieh Leine!“ Ihr Gegenüber schloss die Augen. „Ich habe es dir bereits einmal gesagt, Anya. Du bist nicht annähernd gut genug, um gegen Claire zu bestehen.“ Schlagartig riss sie die Augen wieder auf. „Und das werde ich dir jetzt beweisen!“ Damit fuhr ihr rotes D-Pad aus und die Schwarzhaarige stieß den berühmten Schrei aus. „Duell!“   [Anya: 4000LP / Valerie: 4000LP]   Sofort rissen beide Mädchen unter dem tosenden Gejohle der Zuschauer ihr Startblatt vom Deck und kamen so beide auf fünf Karten. „Das ist es, liebe Leute! Das erste Halbfinale des Legacy Cups beginnt! Was für eine hitzige Ansprache unserer zunehmenden Favoritin Valerie Redfield! Es scheint, als würde sie Anya Bauer kennen! Wovor will sie diese wohl retten? Einer peinlichen Niederlage?“ Fast das gesamte Publikum brach in hämisches Gelächter aus. Augenblicklich spürte Anya die liebliche Hitze grenzenloser Wut in sich aufsteigen. Da würde jemand nach diesem Duell keine Freude daran haben, in sein Hotelzimmer zu fahren. Nicht, wenn sie im Zimmer dieses Jemands saß und-! „Ignoriere ihn einfach, der ist ein Idiot“, versuchte Valerie sie mäßig erfolgreich zu beruhigen. „Konzentriere dich lieber auf mich, denn ich beginne jetzt!“ Unmittelbar danach legte sie eine Karte auf ihr rotes D-Pad. „Da ich nicht ziehen darf, rufe ich sofort ein Monster: [Gishki Abyss]!“ Während sowohl Publikum als auch Moderator noch geschockt von Valeries jüngster Aussage waren, tauchte vor dieser ein Fischmensch auf. So besaß er zwar Beine, dafür aber begann ab seinem Hals der Übergang in einen kompletten Hai samt Flossen.   Gishki Abyss [ATK/800 DEF/500 (2)]   Valerie hob den Arm mit ihrem D-Pad daran demonstrativ und griff nach ihrem Deck. „Bei seiner Beschwörung erhalte ich ein Gishki-Monster mit maximal 1000 Verteidigungspunkten.“ Zwischen ihren Fingern hielt sie die gewählte Karte. „[Gishki Vision]. Diesen kann ich abwerfen, um ein Gishki-Ritualmonster von meinem Deck zu bekommen.“ Zähneknirschend nahm Anya zur Kenntnis, wie über ihrer ewigen Rivalin die schattenhafte, durchsichtige Silhouette einer zweibeinigen, amphibischen Gestalt auftauchte, verhüllt in einem blauen Cape. Wie die Oberfläche einer Wasserlache verschwamm sie jedoch kurze Zeit später. „Tch. Von all deinen potthässlichen Mistviechern musstest du gerade dieses wählen?“, fragte die Blonde entnervt, als Valerie ihr die gesuchte Karte zeigte. „Sicher. Ich habe [Gishki Psychelone] schon lange nicht mehr benutzt“, nickte diese und fügte das blau umrandete Monster ihrem Blatt hinzu. Aus selbigem zog sie eine Zauberkarte hervor. „Außerdem brauche ich sie, um dir eine Ritualbeschwörung zu zeigen, die du so von mir noch nicht gesehen hast! Also pass' auf, Anya!“ Valerie wirbelte jene Magie um ihren Zeigefinger und rammte sie mit voller Wucht in ihr D-Pad. „Hier kommt der [Gishki Photomirror]!“ Eine grelle, golden schimmernde Lichtsäule schoss vor Valerie aus dem Boden. In deren Mitte stieg ein aus selbigem Edelmetall bestehender Spiegel empor, in dessen Innerem sich Valeries Antlitz widerspiegelte. Und dieses, ebenso wie das Original, sprach zu Anya. „Mit dieser Ritualzauberkarte beschwöre ich ein Gishki-Monster. Anders als bei den anderen muss ich hierfür jedoch kein Monster opfern.“ „Na fein! Gerade wo ich mir gemerkt habe, dass deine Missgeburten ganz einfach die Kosten decken können!“, beklagte sich Anya genervt. Valerie zwinkerte verschwörerisch. „Keine Sorge, das hier ist noch einfacher und wird dir sicher gefallen! Denn für jede Stufe des zu beschwörenden Monsters muss ich 500 Lebenspunkte zahlen.“ Unter einem erstaunten Ausruf Anyas – und des Publikums – knallte Valerie das erwählte Monster auf ihr D-Pad. „Zeit, dich aus der Mottenkiste zu holen! Erscheine, [Gishki Psychelone]!“ Das Glas des Spiegels zersprang und somit auch Valeries Gesicht darin.   [Anya: 4000LP / Valerie: 4000LP → 2000LP]   Stattdessen flackerte kurz der Kopf einer rothaarigen Hexe auf, ehe aus der goldenen Lichtsäule eine Kaskade empor schoss und ebenjene Kreatur mit sich brachte. Doch hatte diese etwas Insektoides, Unnatürliches an sich. Schwingen spreizten sich von ihrem schwarzen Körper, auf dessen Haupt der Helm eines Zangenkäfers thronte. Sie selbst, die einst Noellia hieß, saß auf dem abgetrennten Kopf eines Rieseninsekts.   Gishki Psychelone [ATK/2150 DEF/1650 (4)]   Anya lief eine einzelne Schweißperle von der Stirn. „Scheiße Redfield, wo hast du die denn ausgegraben? Das letzte Mal, als ich diese irre Psychohexe gesehen habe, war in-!“ „Exakt“, erinnerte sich auch Valerie an den Kampf gegen Anya und Orion in Anyas Elysion, damals als sie von der falschen Joan of Arc manipuliert worden war. „Für diesen Kampf ziehe ich alle Register! Und demnach aktiviere ich ihren Effekt!“ Valerie streckte den Arm nach vorne. „Einmal pro Zug benenne ich Typ und Attribut eines Monsters und wenn beides mit einer zufällig gewählten Handkarte deinerseits übereinstimmt, wird diese zurück in dein Deck geschickt.“ Die Zähne zusammengepresst, zischte Anya: „Na toll!“ „Das Attribut ist in deinem Deck leicht zu bestimmen, du benutzt fast nur Erd-Monster! Beim Typ wird es dagegen schwerer“, meinte Valerie, „daher gehe ich danach, welcher am häufigsten vorkommt: Fels!“ Schnaufend wurde Anya Zeugin davon, wie ihre fünf Handkarten mit dem Rücken zu Valerie gerichtet in holografischer Form über der Blonden auftauchten. Rasend schnell schoss eine rote Umrandung von einer Karte zur nächsten, bis sie schließlich genau in der Mitte Halt machte und jene Karte herumwirbeln ließ. Und ganz zu Anyas Entsetzen war jene ihr [Gem-Knight Alexandrite], dessen Eigenschaften perfekt zu Valeries genannten passten. Dementsprechend hob Psychelone ihre Hand nach oben und schleuderte hysterisch kichernd einen roten Energieball auf die Karte, welche daraufhin zersprang. Anya schob wütend Alexandrites Karte ins Deck, welches sich automatisch durchmischte. „So ein Schwein möcht' ich haben! Tch!“ „Unglaublich, schon im ersten Zug wird Anya Bauer von unserer geheimen Favoritin unter Druck gesetzt! Doch dafür hat Valerie Redfield die Hälfte ihrer Lebenspunkte eingebüßt. Ob es das wert war?“ Jene rollte jedoch nur genervt mit den Augen. „Unglaublich, wie einfallslos hier kommentiert wird. Wie dem auch sei, ich setze diese beiden verdeckt. Ich bin auf deine Antwort gespannt, Anya!“ Unter einem Zischen materialisierten sich die beiden Fallen vor der Schwarzhaarigen, die damit nur noch eine Handkarte besaß, dafür jedoch zwei Monster.   „Wie wird der Underdog darauf reagieren?“, fragte der Moderator von seiner erhöhten Position in der gläsernen VIP-Lounge hitzig. Anya zeigte es ihm per eindeutiger Fingergestik, ohne überhaupt in seine Richtung zu sehen. Dann griff sie nach ihrem Deck und zog unter einigen bösen Buhrufen, aber auch vereinzelten Zurufen schwungvoll auf. Dabei hatte sie sich einzig auf ihre Gegnerin fixiert, die stocksteif, beinahe schon verkrampft dastand. Als würde sie mit aller Macht ihren Rücken durchstrecken. „Verdächtig“, murmelte Anya vor sich hin. „Als ob das Rückenschmerzen wegen ihren riesigen Hupen sind, pah!“ Meinst du nicht, dass selbst eine Valerie Redfield aufgeregt sein kann?   Livingtons ureigene Terrormaschine musste gar bei Levriers Worten auflachen. Redfield? Aufgeregt? Selbst bei ihrer Hochzeit war sie nicht so angespannt! Da war irgendetwas im Busch und wie Anya ihre Erzrivalin kannte, war es sicherlich nichts, was ihr auch nur im geringsten Maße gefiel. Oder die Kuh ahnte schlichtweg, dass ihre Worte gegenüber Anya, besonders was Marc anging, noch nicht vergessen waren … Jedoch schob Anya die Gedanken beiseite, denn was jetzt wirklich wichtig war, ist Everybody's Darling keine Gelegenheit zu geben, sich entfalten zu können. Und Anya wusste genau, wie sie schnell und effektiv zuschlagen konnte. „Ich beschwöre [Gem-Knight Sapphire]!“, rief sie und pfefferte dessen Karte nur so auf das D-Pad. Schon stand er vor ihr, der Ritter des Saphirs und Herr über das Eis – der Edelsteinkrieger in der hellblauen Rüstung. Es folgte sogleich ein Kommentar von Mr. C. „Wie es aussieht, spielt Anya Bauer heute ein anderes Deck. Nun, wir befinden uns damit innerhalb der Regeln, doch was ist der Hintergrund dafür?“   Gem-Knight Sapphire [ATK/0 DEF/2100 (4)]   „Sperr' jetzt schön die Glubscher auf, Redfield!“, flötete Anya selbstherrlich, reckte die nichtexistente Brust vor und zeigte mit dem Daumen auf sich selbst. „Jetzt kommt mein Assmonster! Indem ich ein Lichtmonster von meinem Deck auf den Friedhof schicke, kann ich es mit der Stufe eines meiner Monster auf dem Feld verrechnen und als Empfänger behandeln!“ Das Mädchen streckte den Arm in die Höhe. Über diesem erschien in einigen Metern Höhe ein goldener Ring, von dem sich vier weiße Federschwingen erstreckten. Valerie zog die Stirn kraus. „Wie zu erwarten war … ach Anya …“ „Ich schicke den Stufe 4-[Alexandrite Dragon] auf den Friedhof!“ Diesen rammte Anya förmlich in den Friedhofsschacht und rief: „From the light of a different world, the herald of starlight descends upon the ravaged land!“ Ihr Ritter zersprang während des Spruchs in vier grüne Lichtsphären, welche allesamt in die Höhe stiegen und in einem leichten Bogen den goldenen Ring nacheinander durchquerten. „By discarding a single star, I call upon you! Synchro Summon!“ Aus dem goldenen Ring schoss nach hinten ein langer, weißer Schweif. Dagegen drang ein schlangenhafter Drachenkopf samt goldenem Krangengestell nach vorn, sodass allmählich der Körper Angel Wings den Ring in beide Richtungen verließ. „Shine forth, [Angel Wing Dragon]!“ Und mit lautem Gebrüll verkündete dieser schließlich, dass er komplett aus der wässrigen Oberfläche zwischen dem goldenen Ring erschienen war.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   Anya fasste sich bösartig grinsend ans Kinn. „Wen nehm' ich mir jetzt vor? Die Hexe oder den zahnlosen Hai? Hmm, wenn ich den angreife, wären deine Life Points runter auf 100, Redfield.“ Doch die grinste plötzlich verschlagen. „Ich fürchte, dieses Mal trifft es keinen der beiden. Ich aktiviere meine verdeckte Falle!“ Sie schwang den Arm aus und ließ die linke aufspringen. „Leider bist du ein wenig zu berechenbar geworden, Anya.“ Aus der purpur umrandeten Karte schoss der Rahmen eines leeren Portraits heraus. „Was wird das, 'ne verdammte Malstunde!?“, raunte Anya. „Ich hasse Kunst!“ „Ich liebe sie, besonders wenn ich von ihr profitiere. [Grisaille Prison] lässt sich dann aktivieren, wenn ich zum Beispiel ein Ritualmonster besitze.“ Psychelone kicherte dabei hinterlistig, war sie doch ein solches. Plötzlich schossen aus der weißen Leinwand des Bildes vier Lichtstränge, die Angel Wings Hals, Kragengestell und seinen Ring umwickelten. Zunehmend zogen sie diesen in das Portrait. „Mit dieser Karte kann ich bis zum Ende deines Zuges Synchro- und Xyz-Monsterbeschwörungen versiegeln und deren Angriffe von vornherein verhindern sowie ihre Effekte negieren!“, erklärte Valerie unter lautem Jubel des Publikums. Mit einem Ruck wurde Angel Wing in das Bild gezogen und zierte dieses nun, eingeschlossen darin wie er war. Anya weitete bei dem Anblick die Augen. „Fuck! Na toll, ich kann kein weiteres Monster beschwören! Tch, Zug beendet!“ „Vielleicht solltest du dich auf deine Wurzeln zurückbesinnen?“, sagte Valerie. „Was soll das denn heißen!?“ Doch die Schwarzhaarige winkte ab. „Nichts. Das wirst du selbst noch erkennen.“ Das Gemälde zerplatzte derweil und Angel Wing spreizte sich in voller Pracht über Valerie, ehe er zu Anya zurückkehrte und sich vor dieser aufbäumte.   Zerknirscht schielte Anya herüber zu den Zuschauertribünen, aber nirgendwo konnte sie auch nur einen ihrer Freunde auf Anhieb entdecken. Wo waren die alle!? Niemals würden sie es wagen, dieses wichtige Spiel zu verpassen … irgendwo mussten sie sein. Es versetzte ihr einen schmerzhafteren Stich als sie selbst zugeben wollte. Denn auch wenn sie Zanthes abfällige Kommentare zehn Meilen gegen den Wind hören konnte, war es nicht dasselbe, sie sich im Moment nur vorzustellen! Redfield hatte wenigstens Marc, aber selbst den sah sie nirgendwo! „Konzentriere dich!“, forderte die Schwarzhaarige, welche Anyas Abwesenheit bemerkte. „Was da draußen ist, interessiert jetzt nicht. Ich bin deine Gegnerin, deine Feindin! Die, die du vernichten willst! Da ist kein Platz für andere Gedanken, für Ablenkungen!“ Verblüfft von diesen strengen Worten blinzelte Anya. „Huh? Was geht'n mit dir ab, Redfield!?“ „Wirst du gleich sehen!“, verkündete diese selbstbewusst. „Draw!“ Schwungvoll zog sie die nächste Karte und grinste bei deren Anblick zufrieden, ehe sie sie direkt auf ihr D-Pad legte. „Ich beschwöre [Gishki Chain]! Dadurch aktiviere ich auch gleichzeitig deren Effekt, welcher mich die obersten drei Deckkarten ansehen lässt!“ Vor dem Mädchen materialisierte sich ein grünes, humanoides Amphibienmonster auf zwei Beinen, das eine Kette in seinen Händen über dem Kopf schwang. An deren Ende war ein Haken angebracht, welchen die Kreatur direkt auf Valerie beziehungsweise deren angehobenen Arm mit dem D-Pad schleuderte.   Gishki Chain [ATK/1800 DEF/1000 (4)]   Der Haken versank in ihrem Deck, woraufhin über ihr in vergrößerter Form besagte drei Karten erschienen. Es waren zunächst das Ritualmonster [Evigishki Soul Ogre], danach kam das Stufe 8-Effektmonster [Moulinglacia The Elemental Lord] und zuletzt der Zauber [Salvage]. Anya weitete die Augen beim Anblick des Hochzeitsgeschenks, das sie Valerie gemacht hatte. Also hatte die es tatsächlich in ihr Deck integriert. Die Blonde wusste nicht, ob sie fluchen oder schreien sollte. „Sollte unter jenen Karten eine sein, die mit Gishki-Ritualen in Verbindung steht, erhalte ich sie auf mein Blatt“, erklärte Valerie und zeigte Soul Ogres Karte vor, „die restlichen kann ich nach eigenem Ermessen auf meinem Deck anordnen.“ Was sie auch tat, ehe sie den Arm ausschwang. „Das bringt mich dazu, deine Karten noch mal durcheinander zu bringen! Effekt von [Gishki Psychelone]. Dieses Mal bestimme ich Erde und Donner, den gefährlichsten Typen deiner Gem-Knights!“ Psychelone hob unter einem diabolischen Grinsen ihre rechte Hand, über welcher ein roter Energieball entstand. Anyas vier Handkarten tauchten wie schon zuvor in vergrößerter Form über dem Mädchen auf, allesamt mit dem Kartenrücken entgegen Valeries Blickrichtung. Ein roter Cursor wählte in zufälliger Manier nacheinander die Karten durch, bis er bei der zweiten von rechts stehen blieb. Jene wirbelte um und präsentierte ein normales Stufe 6-Monster. Valerie las den Namen vor. „[Labradorite Dragon]?“ „Hah, der ist ein Drache vom Attribut Finsternis! Pech gehabt, Redfield!“, flötete Anya sofort höhnisch. „Raten allein reicht nicht, um eine Anya Bauer zu besiegen.“ Allerdings war deren Gegnerin gar nicht aufgelegt zuzuhören. Vielmehr murmelte sie: „Wenn sie schon den auf der Hand hält, kann -er- nicht mehr fern sein …“ Derweil ließ Psychelone frustriert ihre Hand sinken und verschränkte die Nase rümpfend ihre Arme. „Oh, dieses Mal ging der Versuch daneben. Was hat Valerie Redfield jetzt vor? Wie wird sie an [Angel Wing Dragon] vorbeikommen?“ Auf den Ausruf Mr. Cs hin streckte sich Valerie gerade, als hätte man sie regelrecht ermahnt, das eigentliche Duell nicht zu vergessen. Plötzlich richtete sie ihre von sich gestreckte Hand nach vorne. „Ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster!“ Zu Anyas großer Überraschung öffnete sich inmitten des Spielfelds ein finsterer Vortex. [Gishki Chain] und die mit dem Verz-Virus infizierte Hexe Psychelone verwandelten sich in blaue Energiestrahlen, die in dem Schwarzen Loch verschwanden. „Höre meinen Ruf, oh Wesen aus tausend Legenden! Zeige dich, [Evigishki Merrowgeist]!“, rief Valerie energisch und ließ ihre Hand nach oben fahren. Aus dem Overlay Network schoss eine fliegende Meerjungfrau. Wallend war ihr rotes Haar, wie Flügel muteten die Flossen auf ihrem Rücken an. Während sie und ihre zwei um sie kreisenden Lichtkugeln über Valerie Stellung bezogen, glänzte jede einzelne Schuppe ihres Körpers durch die starke Beleuchtung der Arena.   Evigishki Merrowgeist [ATK/2100 DEF/1600 {4} OLU: 2]   „Bist du jetzt völlig durchgeknallt!?“, übertönte Anya die überraschten Laute aus dem Publikum. „Zwei gute Monster für eines zu opfern, das noch weniger Angriffspunkte hat als deine Ritualschnepfe!? Das ist Harper-Niveau! Du weißt schon, der schlechte Harper!“ Valerie aber stierte Anya derart streng an, dass diese glatt verstummte. „Wann lernst du endlich deine Gegner ernst zu nehmen, selbst wenn ihre Vorgehensweise zunächst unlogisch erscheint? Willst du so Claire gegenüberstehen? Hochmütig und dumm!?“ Wütend rammte Valerie eine Zauberkarte in ihr D-Pad. „Immer wenn ich glaube, du hast dazugelernt, fällst du in dein bekanntes Muster zurück! Von so jemandem lasse ich mich nicht besiegen, Anya! [Aqua Jet]! Er erhöht Merrowgeists Angriff um 1000!“ Anya hatte noch gar nicht aufgenommen, was ihre Gegnerin ihr da an den Kopf knallte, da erschienen bereits zwei Düsentriebwerke unter den Flügelflossen ihrer Meerjungfrau.   Evigishki Merrowgeist [ATK/2100 → 3100 DEF/1600 {4} OLU: 2]   „Merrowgeist ist das beste Monster in dieser Situation!“, zeigte Valerie sich weiterhin aufgebracht und deutete auf Angel Wing. „Gleich wirst du wissen, warum! Angriff, [Evigishki Merrowgeist]! Sceptre of Foresight!“ Der Rotschopf schwang ihren Zauberstab über den Kopf, um anschließend eine nicht enden wollende Salve aus Wasserblasen auf Angel Wing abzufeuern. Jene zerplatzten bei Kontakt lautstark, sodass der Drache schmerzerfüllt aufschrie. „Tch, netter Versuch, Redfield! Aber Angel Wing beschützt mich vor Kampfschaden!“ Auf Anyas abfällige Aussage hin erwiderte Valerie: „Schaden auszuteilen war auch gar nicht meine Absicht. Mein Ziel war Angel Wing selbst.“ „Huh!?“ Die Blonde bemerkte es selbst. Merrowgeist hatte noch während des Angriffs damit begonnen, einen seltsamen Singsang von sich zu geben und zeichnete mit dem Zauberstab vor sich das Wappen der Gishki, eine Art blauer Spiegel mit Totenkopf darin. Jenes absorbierte auch eines der Xyz-Materialien Merrowgeists.   Evigishki Merrowgeist [ATK/3100 DEF/1600 {4} OLU: 2 → 1]   Dasselbe Symbol tauchte unter dem Kinn Angel Wings aus, breitete sich als transparentes Abbild in Sekundenschnelle um den ganzen Drachen aus. Und dann passierte es: Er war einfach verschwunden, weg! „Ganz richtig Anya, ich habe [Evigishki Merrowgeists] Effekt benutzt, um dein Assmonster dahin zurückzuschicken, woher es gekommen ist: das Extradeck!“ Valerie reckte das Kinn. „Demnach kannst du ihn nicht in der End Phase reanimieren!“ Anyas Mundwinkel krachten praktisch durch den Boden.   Obwohl sie [Angel Wing Dragon] nur zweimal in Aktion gesehen hat, hat sie seine Schwäche begriffen und gekonnt ausgenutzt. Du tätest-   „Schnauze!“, zischte Anya wütend auf Levriers Kommentar hin. „Mir doch egal, ich hab noch mehr in petto!“   Hoffentlich mehr als nur halbgare Sprüche. Gekonnt lässig stemmte Valerie eine Hand in die Seite, als wolle sie damit ihre Skepsis ausdrücken. Sie schloss dabei die Augen. „Ich auch. Direkter Angriff, [Gishki Abyss].“ „Shit, den hatte ich total vergessen!“ Der Haimann Anya hingegen nicht. Wie ein Pfeil schoss er durch die Luft und rauschte geradewegs durch das Mädchen hindurch, welches froh sein konnte, dass es nur ein gewöhnliches Duell war. Andernfalls hätte sie der Tackle vermutlich bis zum anderen Ende der Arena geschleudert.   [Anya: 4000LP → 3200LP / Valerie: 2000LP]   „Ich bin hier fertig“, sagte Valerie mit einer Spur Enttäuschung in der Stimme. „Oder eher habe ich gerade erst angefangen …“ „Was auch immer das jetzt heißt!“   Anya runzelte die Stirn. Lag es nur an der Aufregung oder war Redfield heute besonders ehrgeizig? Selbstbewusst war die dumme Pute ja schon immer gewesen, aber dieses hoheitliche Getue weckte in der Blonden die alten Fantasien vergangener Tage. Wie schön es doch jetzt wäre, auf ihrer Wirbelsäule Klavier zu spielen! „Hast du ein Glück, dass ich mich benehmen muss!“, raunte Anya, die keine Lust hatte, aufgrund eigentlich -ganz harmloser- Aussagen disqualifiziert zu werden. „Ich bin dran! Draw!“ Mit Schmackes riss sie die oberste Karte von ihrem Deck und betrachtete diese. Dann schob sie sie ins Blatt, um die Karte daneben zu zücken. „Die hier wird gesetzt!“ Vor ihren Füßen materialisierte sich jener Zauber. Einen weiteren nahm Anya aus dem Blatt und zeigte diesen vor: „Und jetzt werden wir beide unsere Karten abwerfen und dieselbe Zahl an neuen aufziehen: [Card Destruction]! Pech für dich, dein Assmonster Soul Ogre ist damit hinüber!“ Valerie quittierte dies mit einem Schnalzen und legte ihre einzige Handkarte auf den Friedhof, genau wie Anya es mit ihren eigenen drei verbliebenen tat. Beide zogen anschließend auf, Anya dreimal, Valerie nur einmal. „Tja, mein Plan ist perfekt! Verdeckte Zauberkarte, zeig dich!“ Stolz streckte Anya den Arm über diese aus und ließ sie auffahren. „[Silent Doom]! Damit kommt ein Vanilla zurück auf meine Spielfeldseite, im Verteidigungsmodus! Erwache, [Labradorite Dragon]!“ Ein Loch im Boden tat sich vor dem Mädchen aus. Aus ihm entstieg, empor gehoben von dutzenden knorrigen Händen ein eleganter, schwarzer Drache, in dessen Haut mehrere, ovale Edelsteine grünlicher Farbe eingelassen waren.   Labradorite Dragon [ATK/0 DEF/2400 (6)]   „Und dazu gibt’s noch [Gem-Knight Garnet] als Normalbeschwörung!“, donnerte Anya und knallte diesen auf ihr D-Pad. Neben ihrem Drachen tauchte der Bronzeritter und sowohl Herr über das Feuer, als auch des Granatedelsteins auf.   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   Gleichzeitig durchforstete Valerie auf dem Display oberhalb ihres roten D-Pads Anyas Friedhof und machte eine erstaunliche Entdeckung. „[Gem-Knight Fusion]? Aber willst du sie nicht-!?“ „Aufgepasst, Redfield“, verkündete Anya jedoch in diesem Augenblick und streckte den Arm in die Höhe, „jetzt lernst du mein stärkstes Monster kennen! Ich stimme den Stufe 6-Empfänger [Labradorite Dragon] auf meinen Stufe 4-Garnet ein!“ Der Drache erhob sich in die Luft und flog ein Stück geradeaus, ehe er in sechs grüne Lichtringe zersprang. Garnet folgte ihm dabei. „A heart of iron rests within the void of time and space! One beat, powerful enough to reverse the laws of nature!“ Ein Raunen ging durch das Publikum. Der Edelsteinritter schoss durch die Ringe, zersprang in vier Lichtkugeln, ehe ein Blitz durch das Gebilde schoss. Und Anya schrie: „Synchro Summon! Break loose, [Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T]!“ Erst geschah gar nichts. Die Leute verstummten, als Anyas Monster einfach verschwunden waren. Doch dann erhob er sich. Meterhoch, reichte er fast bis an die Decke des Stadions. „Was für ein Koloss! Ist das Anya Bauers Geheimwaffe, nachdem sie ihr Deck gewechselt hat?“, überschlug sich Mr. C am Mikrofon. Der cyan-farbene Roboter mit dem silbernen T auf der Brust verschränkte die Arme, deren Segmente scheinbar lose an elektrischen Energieseilen aneinander hingen. Er hatte etwas Teuflisches an sich, dank der vier ineinander gewundenen Hörner an seinem Helm. „Heh, diesmal hat er die richtige Größe“, stellte Anya zufrieden mit Blick nach oben fest, „passend dazu, dass er pro Synchromaterial für diesen Zug 500 Angriffspunkte bekommt.“   Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T [ATK/3000 → 4000 DEF/0 (10)]   Ihrer Gegnerin stand der Schweiß auf der Stirn. Trotzdem fragte sie, mit einem zweifelnden Unterton: „Du wählst lieber ihn als …?“ „Gib's zu, du hast Schiss, Redfield. Hätte ich auch, wenn das Ding mich mit nur einem Angriff besiegen kann“, prahlte Anya und streckte den Zeigefinger aus. „Was bist du auch so blöd, den da im Angriffsmodus zu lassen?“ Sie deutete auf den Haimenschen [Gishki Abyss]. „Wobei, dank Heavy Ts Effekt spielt es eh keine Rolle, in welcher Position der Feind liegt", fügte Anya dann hinzu. „Was für eine gefährliche Situation für Valerie Redfield“, heizte der Kommentator das Publikum dazu an, Valerie lautstark zu unterstützen. „Danke für das Gratisticket ins Finale. So musst du dir keine Sorgen machen, irgendjemanden, der dir nahe steht, aus dem Turnier zu kicken. Pech für dich, dass ich solche Gewissenskonflikte nicht habe“, zischte Anya plötzlich bitterböse. Ihre Gegnerin schüttelte leicht den Kopf. „Das war unangebracht, Anya. Du verstehst das nicht …“ „Was auch immer“, winkte die ab, „ich verstehe eins: Mein Heavy T ist meinem Duellstil wie auf dem Leib geschrieben! Er macht dich jetzt fertig! Los, Gravity Reverse auf [Gishki Abyss]!“ Valerie wich einen Schritt zurück, als der Titan seine rechte Faust ballte und sie an dem gleißenden Seil direkt auf ihren im Vergleich dazu winzigen Haimenschen abfeuerte. Dabei spreizten sich die Finger der Hand voneinander und offenbarten eine blaue Energiesphäre in der Handfläche. Heavy T wollte seinen Gegner zerquetschen wie eine Fliege. Mit Schwung ließ Valerie den Arm über ihre verbliebene gesetzte Karte gleiten. „Als ob ich es dir und deinem Größenwahn so leicht machen würde! Falle, [Destruct Potion]! Sie zerstört eines meiner Monster und heilt mich um dessen Angriffspunkte!“ Jene Falle sprang sofort auf. Die Hand war in etwa über das halbe Spielfeld geflogen, da zerplatzte ihr Ziel in roten Schimmer, der in einer schnellen Bewegung zu Valerie flog und sie umgab.   [Anya: 3200LP / Valerie: 2000LP → 2800LP]   „Hätt' ich mir ja denken können“, knurrte Anya wütend, auch wenn es nicht unerwartet kam, „dann musst du aber damit leben, dass ich deine kleine Meerjungfrau einstampfe! Neues Ziel: [Evigishki Merrowgeist]!“ Heavy T musste die Hand nur minimal umlenken, um die rothaarige Sagengestalt mit voller Wucht in den Boden zu rammen. Eine Schockwelle wurde ausgelöst, doch sie ging spurlos an Valerie vorbei.   [Anya: 3200LP / Valerie: 2800LP → 1900LP]   „Nach dem Kampf wechselt Heavy T leider seine Position“, murrte Anya. Ihr Titan ging in die Knie, als seine Hand zu ihm zurückkehrte. „Und da ich den Zug beende, verliert er auch den Punktebonus.“   Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T [ATK/4000 → 3000 DEF/0 (10)]   Aber was spielte das für eine Rolle? Redfield hatte ein leeres Feld und nur eine Handkarte übrig, Anya dagegen zwei, wobei eine davon eine nette Überraschung sein würde. Nächste Runde war die Nervensäge fällig!   Ebenjene seufzte schwer, als sie aufzog. „Weißt du, Anya, ich hatte eigentlich gehofft, gegen deine besten Monster anzutreten.“ „Tust du doch?“ „Ich meinte die, die du schon immer benutzt hast. Aber inzwischen verlässt du dich wohl mehr auf deine Synchromonster als alles andere.“ Die Schwarzhaarige senkte den Kopf. „Genau wie ich es befürchtet hatte, als ich deine Duelle gesehen habe … aber gut.“ Mit entschlossenem Blick sah sie wieder auf. „So muss ich kein schlechtes Gewissen haben, dich zu besiegen. Denn mit dieser Einstellung hast du keine Chance gegen Claire.“ Anya breitete fassungslos die Arme von sich aus. „Was soll das denn heißen!?“ „Das wirst du jetzt sehen“, lautete die unterkühlte Antwort. Valerie nahm eine Zauberkarte aus ihrem Blatt. „Wie du weißt, habe ich durch [Gishki Chains] Effekt mein Deck angeordnet. Derzeit befinden sich Moulinglacia und [Salvage] auf meiner Hand.“ Sie steckte die grün-umrandete Karte in ihr D-Pad. „Und dazu noch sechs Wasser-Monster auf meinem Friedhof, nämlich [Gishki Vision], [Gishki Chain], [Gishki Psychelone], [Evigishki Soul Ogre], [Evigishki Merrowgeist] und [Gishki Abyss]. Zwei davon bekomme ich dank [Salvage] jetzt zurück, aber sie dürfen nicht mehr als 1500 Angriffspunkte haben. Also kommen nur Abyss und Vision infrage.“ Zwei blau leuchtende Wassertropfen stiegen von ihrem Deck auf und wurden kurz zu Karten, ehe die Originale sich aus dem Friedhof schoben und von Valerie aufgenommen wurden. „Jetzt sind es nur noch vier Wasser-Monster“, fuhr Valerie fort, „was eins zu wenig ist. Aber dem kann ich Abhilfe schaffen, indem ich [Gishki Vision] abwerfe, um ein Gishki-Ritualmonster von meinem Deck zu erhalten. Ich wähle [Gishki Zielgigas].“ Auch dessen Karte stand mit einem Ruck automatisch aus ihrem roten D-Pad hervor, nachdem Valerie [Gishki Vision] dem Friedhof zugeführt hatte. Als sie das Ritualmonster ihrem Blatt hinzufügte, murmelte sie: „Damit sind es jetzt genau fünf.“ Plötzlich lief ein kalter Schauder Anyas Rücken entlang. Es war, als wäre die Temperatur um mehrere Grad gesunken. „Hätte ich dir das Teil bloß nie geschenkt“, murrte sie, wusste sie doch bereits, was auf sie wartete. „Ich bin dir dafür dankbar“, erwiderte Valerie eisig, „und ich finde es bezeichnend, dass -es- für deinen Untergang verantwortlich sein wird.“ Passend zu ihren Worten breitete sich von dem Mädchen ein kühler Nebel aus. Nicht allzu dicht, überzog er das Spielfeld mit einer dünnen Schicht Eis. Selbst die Bildschirme um die Plattform waren betroffen, fielen nacheinander aus. Anya fasste sich an die Stirn und schüttelte den Kopf. „Großartig.“ „Fünf Wasser-Monster liegen auf meinem Friedhof, also kann ich von meiner Hand als Spezialbeschwörung diese Kreatur rufen: [Moulinglacia The Elemental Lord]! Erscheine!“ Valerie schmetterte dessen Karte auf das D-Pad. Hinter ihr schoss eine gewaltige Eissäule aus dem Boden, fast so hoch wie der kniende Heavy T. Ein übernatürlicher Glanz schoss über ihre Oberfläche aufwärts und offenbarte, dass sich etwas darin verbarg. Anya konnte nur einen kurzen Blick erhaschen, da platzte die Säule auseinander. In alle Richtungen flogen Eisbrocken. „Shit“, fluchte Anya beim Anblick dessen, was eben noch geschlafen hatte. Eine fliegende, drachenähnliche Gestalt, welche aber gleichzeitig auch etwas von einem Vogel hatte. „Das hat man davon, wenn man einmal, uah, nett sein will. Mach' ich nie wieder!“ Der schlangenhafte Körper bestand aus weiß-goldenen Segmenten, die sich aufreihten zu der gewaltigen Kreatur und von deren mit je einem Horn besetzten Schultern Flügel spannten. Der Kopf verbarg sich hinter einer goldenen Maske.   Moulinglacia The Elemental Lord [ATK/2800 DEF/2200 (8)]   Die ganze Spielfeldseite Valeries wurde von einem nicht allzu dichten Wirbelsturm aus Schneeflocken umgeben. Jene verkündete: „Bei seiner Beschwörung vernichtet Moulinglacia zwei zufällig gewählte Handkarten meines Gegners. Instant Freeze!“ „Was!?“, keuchte Anya mit Blick auf ihr Blatt, das genau aus zwei Karten, [Gem-Knight Turquoise] und [Gem-Knight Iolite] bestand. Jene wurden schlagartig mit Eis überzogen. „Leg sie ab“, forderte Valerie so eisig wie das über ihr fliegende Monster. Wie gelähmt kam Anya dem nach und schob die Karten in den Friedhofsschacht des D-Pads. Ihr glasiger Blick war auf ihre Erzrivalin gerichtet. „Hat Valerie Redfield damit die Hoffnungen ihrer Gegnerin auf einen Schlag vernichtet?“, wunderte sich Mr. C und das Publikum tobte. Die schwarzhaarige, junge Frau, deren Pferdeschwanz im Sturm mit wippte, nahm eine ihrer verbliebenen beiden Handkarten und legte sie auf das D-Pad. „Ich beschwöre [Gishki Abyss] und erhalte von meinem Deck [Gishki Shadow], da seine Verteidigung gering genug ist.“ Der Haimann tauchte vor ihr auf.   Gishki Abyss [ATK/800 DEF/500 (2)]   Besagte Karte stand bereits aus dem Schacht leicht ab, sodass Valerie sie nur noch aufzunehmen brauchte. Anya stand dem fassungslos gegenüber, denn mit [Gishki Shadow] und [Gishki Zielgigas] auf dem Blatt ihrer Gegnerin hatte die nahezu alles bereit, um neben dem Eisdrachenvogel noch ihr bestes Ritualmonster zu rufen. „Angriff auf Heavy T, [Gishki Abyss]!“, befahl Valerie im Anschluss. Wie ein Pfeil schoss jener auf den riesigen, knienden Titanen zu. Dabei öffnete er sein mit spitzen Zähnen bespicktes Maul und biss sich kurzerhand durch die Brust Heavy Ts, welcher folgenschwer explodierte. „Verdammter Kackmist!“, schrie Anya panisch, die nun völlig schutzlos war. „Den hast du dir selbst eingebrockt. Direkter Angriff auf ihre Lebenspunkte, Moulinglacia. Neverwinter Blizzard!“ Valerie wandte den Kopf ab, als könne sie Anyas Anblick nicht länger ertragen. Über ihr holte der Eisvogeldrache mit seinen Schwingen aus und ließ einen Schneesturm los, der es in sich hatte. Anya konnte vor Weiß nichts mehr sehen, als sie erfasst wurde. Die Zuschauer staunten Bauklötze, als sie die Blonde sahen, wie sie sich mit Armen vor dem Kopf gegen den Blizzard aufbäumte.   [Anya: 3200LP → 400LP / Valerie: 1900LP]   Valerie, die immer noch abgewandt von dem Spielfeld stand, sagte: „Jetzt ist dir nichts mehr geblieben. Keine Handkarten, kein Feld mehr. Aber sicher wirst du ein glückliches Händchen beim Ziehen beweisen, oder? Du bist dran.“ Es klang beinahe wie eine Herausforderung. Nachdem der Schneesturm sich aufgelöst hatte, stand Anya mit weit aufgerissenen Augen auf der anderen Spielfeldseite. Dann knurrte sie zerknirscht: „Kannst du mir mal verraten, warum du plötzlich zur Eiskönigin mutiert bist?“ „Weil du mich enttäuscht hast …“ „Was hab ich denn jetzt schon wieder angestellt!?“, wollte Anya voller Unverständnis wissen. Aus den Augenwinkeln sah Valerie herüber und die Blicke der beiden trafen aufeinander. Und Anya hätte schwören können, wäre es irgendwie möglich, hätte es eine Explosion gegeben, so feindselig starrten sie einander an … Und Valerie murmelte: „Das musst du schon selbst herausfinden.“     Turn 71 – Resolve Valerie ist fest dazu entschlossen, Anya eine Lektion zu erteilen, doch diese erweist sich als genauso hartnäckig, wie man es von ihr gewohnt ist. Dennoch muss sie der Versuchung widerstehen, Levriers Kräfte einzusetzen. Doch nicht nur Anya steht vor einem Gewissenskonflikt … Kapitel 76: Turn 71 - Resolve ----------------------------- Turn 71 – Resolve     „Sicher wirst du ein glückliches Händchen beim Ziehen beweisen, oder? Du bist dran.“ Valeries Worte hallten durch Anyas Gedanken, immer und immer wieder. Die Schwarzhaarige stand ihr leicht abgewandt auf der anderen Spielfeldseite gegenüber, bedachte sie eines feindseligen Blickes und Anya wusste dieses Mal wirklich nicht warum. Dabei war sie doch eigentlich auf Redfield wütend und nicht etwa umgedreht!   „Anscheinend ist Anya Bauer wirklich verzweifelt“, erklang Mr. Cs Stimme im kreisrunden Stadion, „seit Valerie Redfield ihr gesamtes Feld samt Handkarten ausgelöscht hat, steht sie da wie eine Salzsäule! Denkt sie etwa darüber nach aufzugeben?“ Einige Zuschauer unterstützten diesen indirekten Vorschlag lautstark. Ein regelrechter Singsang entstand, der Anya dazu aufforderte, das Spiel zu schmeißen. Ihre Lage war schließlich mehr als schlecht.   [Anya: 400LP / Valerie: 1900LP]   Ihr war nichts geblieben. Alles hing jetzt davon ab, was sie zog. Valerie dagegen besaß den großen, weiß-goldenen Eisvogeldrachen Moulinglacia, der über ihr flog sowie den Haimenschen [Gishki Abyss], welcher vor ihr verharrte.   Moulinglacia The Elemental Lord [ATK/2800 DEF/2200 (8)] Gishki Abyss [ATK/800 DEF/500 (2)] Außerdem lauerten auf Valeries Blatt noch [Gishki Shadow], ein Ritualhelfer und das Ritualmonster [Gishki Zielgigas] – ihr stärkstes und fiesestes von allen. Anya schluckte. Wie sollte sie da bloß wieder heil rauskommen? Und dann wieder Valeries Worte. „Sicher wirst du ein glückliches Händchen beim Ziehen beweisen, oder?“ Vorsichtig legte die Blonde ihre Hand ans Deck. Redfield wusste genau, dass sie in solchen Situationen mithilfe Levriers das Schicksal zu verändern versuchte. Sie rechnete damit. Und forderte sie heraus, genau das zu versuchen. Aber wenn sie das tat, dann …   Du denkst an deine Liste, nicht wahr?   Kaum merklich nickte Anya. Die aberdutzenden Bildschirme, die die Duellplattform umgaben, schalteten sich plötzlich wieder ein. Alle zeigten ihr Stirn runzelndes Antlitz. Wenn sie jetzt den Cheat Draw benutzte, hatte sie ihr Recht verwirkt, bei einem Sieg Valerie von ihrer 'Pitchest Black'-Liste zu streichen. Andererseits, wenn sie es nicht tat und etwas Unbrauchbares zog, war es vorbei. Redfield würde ins Finale einziehen und Anyas Traum, Duel Queen zu werden, war damit vielleicht für immer zerstört. Was sollte sie tun!?   Verzweifelt suchte sie unter den Zuschauerrängen nach ihren Freunden, aber die waren nirgendwo zu entdecken. Kein Matt, kein Zanthe … kein Logan. Selbst von Marc fehlte nach wie vor jede Spur. Wo waren die bloß alle!?   Die Entscheidung liegt bei dir. Aber wenn du Valerie Redfield wirklich deine Freundin nennst, tu es nicht.   Levrier, der Unsichtbare, hatte Recht. Das wusste Anya. Was sie nicht wusste, war der Grund, warum sich Redfield plötzlich so abweisend verhielt. Wenn sie jetzt aber ein bisschen mit übernatürlicher Kraft nachhalf, würde das nur schlimmer werden. „Verdammter Kackmist!“, schrie Anya und schloss die Augen. Mit dem Entschluss, nicht den Fehler zu begehen, der von ihr erwartet wurde. „Draw!“   ~-~-~   Der Klang von Schritten hallte durch den Schacht. In unregelmäßigen Abständen waren kleine Scheinwerfer, Lampen, teilweise auch von der Decke hängende Glühbirnen aufgebaut, allesamt mit dem Zweck, den Besuchern der 'Temptation Lair' den Weg durch das dichte Netz an Tunneln zu weisen. Zanthe und Exa folgten nebeneinander den Schienen. Letzterer schluckte. „Gleich ist es soweit. Um ehrlich zu sein, bin ich etwas aufgeregt.“ „Du wirst das schon schaffen“, erwiderte Zanthe müde. „Und deine Freundin? Schafft die es?“ „Wie oft noch, ich finde es überbewertet, bei jedem ihrer Spiele dabei zu sein. Ich hab die Wiederholung vom Viertelfinale angesehen. Hätte nie gedacht, das mal zu sagen, aber sie braucht mich gar nicht.“ Der große Blonde sah seinen Freund von der Seite mit großer Skepsis an. „Wieso habe ich das Gefühl, zwischen euch zu stehen?“ „Weil sie mir das Gefühl gibt. Können wir nicht über etwas anderes reden?“, fragte der Werwolf mit dem orangefarbenen Kopftuch genervt. So sah sich sein Freund im engen Tunnel um. „Was ist das hier eigentlich?“ „Ein unbenutztes U-Bahn-Netzwerk. Sie hatten die Arbeiten daran fast fertig gestellt, aber dann hat der Senat den Geldhahn zugedreht und stattdessen in den Bau von Riding Duel-Strecken investiert.“ „Das war bevor diese Stadt zum Kartenspielhimmel erhoben wurde?“ „Genau. Dieses Netz ist weit ab vom Schuss, also sahen sie wohl keinen Bedarf, es jemals zu reaktivieren“, erklärte Zanthe, während sie den Lichtern folgten. Neugierig fragte Exa weiter: „Und so hat sich der Untergrund eingenistet?“ „Ja. Sie benutzen die Subway Stations als Austragungsort für die Duelle.“ Sein Freund neben ihm verschränkte die Arme. „Kaum zu glauben, dass die Behörden davon nichts ahnen.“ „Natürlich wissen sie Bescheid“, belehrte Zanthe ihn altklug eines Besseren, „aber das ist nicht offiziell. Viele reiche Leute, die auch zum Wachstum und Wohlstand der Stadt beitragen, schließen hier Wetten ab, machen Geschäfte. Das zu zerstören bringt mehr Schaden als Nutzen, besonders wenn man sich vor Augen hält, dass Ephemeria City viermal so hohe Ausgaben im Jahr hat als New York, obwohl sie kaum größer als die Bronx ist.“ „Ja, was auch immer“, winkte Exa ab, da er offensichtlich den Faden verloren hatte.   Schließlich gelangten sie ins Herz der Temptation Lair. Einer mittelgroßen U-Bahnstation, dunkel, nur von einigen Lichterketten und Scheinwerfern erhellt, die gen Decke gerichtet war. In neongrünen Lettern war der inzwischen etablierte Name über die ursprüngliche Bezeichnung der Station geschmiert worden, welche nicht mehr lesbar war. Die beiden hielten auf eine Holzrampe zu, die von den Gleisen hinauf zum Bahnsteig führte. Nicht wenige Menschen tummelten sich dort. Es gab ein paar kleine Holzstände, die mit allerlei Kram handelten. Doch wirklich voll waren nur jene, die Wetten auf den Sieger annahmen. „Die Quote steht 20 zu 1!“, rief ein breit gebauter Mann durch die Menge. „Wer hält dagegen?“ „Wow, glauben die, ich bin so gut?“, fragte Exa fast ein wenig naiv, als sie sich an den Leuten vorbei schoben, ins Innere der Station. „Nein. Genau das Gegenteil ist der Fall.“ „Autsch. Wieso?“ „Weil du das das erste Mal machst und dein Gegner sozusagen ein Star ist. Denk dran, du wolltest es ja so“, murmelte Zanthe schnippisch. Aber sein Freund erwiderte ernst: „Wenn die Alternative heißt, alte Frauen auszurauben, ist mir das nur recht. Ich hasse so etwas.“ „Deswegen habe ich dich ja hierher gebracht.“   Mit hierher meinte er mehr oder weniger das, was ihnen begegnete, als sie den Bahnsteig verließen und die daran anschließende Halle betraten. Sie war groß, gestützt von vier Säulen. Um diese war ein Stacheldrahtzaun bis hoch an die Decke gezogen, um sie herum waren Lichterketten gewickelt. Überall standen hohe Tische, an denen Menschen dem Alkohol frönten. Eine kleine Minibar war von den Jungs aus zu ihrer Rechten eingerichtet worden, in dem kleinen Raum, der ursprünglich für den Fahrkartenverkauf vorgesehen war. „Einladend“, kommentierte Exa den Anblick wenig begeistert und zeigte auf den abgesperrten Ring inmitten der vier Säulen, „und da muss ich rein?“ „Ja. Ihr werdet euch mit runter geschraubten Sicherheitseinstellungen duellieren“, erklärte Zanthe, „die Angriffe der Monster richten keinen großen Schaden an, aber mit etwas Pech knallst du gegen den Zaun. Und der steht unter Strom, wenn du noch mehr Pech hast.“ An den beiden vorbei stolzierte eine leicht bekleidete, blonde Dame im Hasenkostüm, die mit Tablett in der Hand die Getränke servierte. Exa kam nicht daran vorbei, ihr hinterher zu sehen. „In fünf Minuten fängt es an. Wenn du ihre Nummer willst, beeil' dich“, schnarrte Zanthe.   ~-~-~   Den Arm mit der gezogenen Karte in der Hand von sich gestreckt haltend, wagte Anya es nicht, sich das Ergebnis ihres Entschlusses anzusehen. Sie wusste, dass das, was sie getan hatte, richtig war. Und sie glaubte, den kurzen Anflug eines Lächelns auf Valeries Gesicht zu erblicken, welche sich ihr nun wieder zu wandte. „Ein Problem wäre wohl damit gelöst“, hörte Anya sie murmeln. Das musste sich noch zeigen, dachte sie dabei und sah sich die Karte nun an. „Tch.“ Sie schob sie in das rote D-Pad. „Ich setze diese da. Zug beendet!“ Zischend materialisierte sich die Falle vor ihren Füßen in vergrößerter Form.   „Draw!“ Valerie zog auf, doch runzelte die Stirn. Und Anya flehte innerlich: „Bitte, wechsle [Gishki Abyss] in den Verteidigungsmodus, bitte. Wenn du das tust, könnte ich …“ „Ich weiß, was auf deinem Friedhof liegt“, sagte Valerie jedoch, „ich werde also nicht auf Nummer Sicher gehen. [Moulinglacia The Elemental Lord], greife sie direkt an! Neverwinter Blizzard!“ Anya weitete die Augen. Woher wusste sie von-!? Der weiße Drachenvogel mit der goldenen Maske schlug heftig mit seinen Schwingen, von denen sich ein derart dichter Schneesturm löste, dass binnen kürzester Zeit die komplette Duellplattform davon eingehüllt war. Mr. C brachte die Lage auf den Punkt. „Wenn dieser Angriff durchgeht, haben wir unsere erste Finalistin!“ „Kannst du vergessen. Shit, habe ich eben keine Wahl“, fluchte Anya und schwang den Arm über ihrer verdeckten Karte aus, „Falle, [Negate Attack]! Sie stoppt den Angriff und beendet die Battle Phase!“ Kurz bevor sie drohte, im Schneegestöber unterzugehen, prallte dieses an einer unsichtbaren Barriere ab, ausgehend von der aufgeklappten Falle. „Ich wechsle [Gishki Abyss'] Position. Du bist dran“, verlautete Valerie und drehte dessen Karte auf ihrem D-Pad, sodass der Haimann in die Hocke ging.   Gishki Abyss [ATK/800 DEF/500 (2)]   Die wirbelnden Schneeflocken nahmen in ihrer Zahl rapide ab, bis sie ganz verschwunden waren. Anya wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Phew.“ „Dieses Mal konnte Anya Bauer der Niederlage entkommen, doch jetzt steht sie wieder vor der selben Ausgangssituation“, hallte Mr. Cs Stille durch das Stadion, „der nächste Zug wird über ihr Schicksal entscheiden.“   Die Blonde biss sich auf die Lippe. Der Schwachkopf ahnte ja gar nicht wie sehr er damit Recht hatte. Allein der Gedanke daran, Redfield gegen Claire Rosenburg in den Ring steigen zu lassen, verursachte bei ihr Magenkrämpfe. Nein, -sie- musste ihres Schicksals Schmied sein, niemand sonst! Für ihr Leben und für ihren Traum!   Valerie bemerkte den verkniffenen Gesichtsausdruck ihrer Gegnerin und seufzte schwer. „Anya …“ Jene packte die oberste Karte ihres Decks. „Du denkst, ich habe keine Chance gegen Claire? Du wirst dich umgucken! Fucking Mega-Draw!“ Für einen Moment rutschte Valeries Herz in die Hose. Würde Anya oder würde sie nicht … Als die mit Schwung zog, war sich Valerie für einen Moment nicht sicher. Etwas versetzte ihr einen Stich. Hatte sie …? „Ich setze mein Monster“, verkündete Anya. „Zug beendet!“ Die Zuschauer hielten gespannt den Atem an. In horizontaler Lage materialisierte sich die Karte des sogenannten Underdogs vor diesem. Valerie fuhr sich mit der rechten Hand über den nackten Oberarm. Wenn Anya Levriers Kräfte benutzte, versuchte sie für gewöhnlich das Duell im selben Zug zu drehen. Die grimmigen Gesichtszüge ihrer Gegnerin verrieten nichts.   ~-~-~   Zwei Männer öffneten jeweils eine der Türen, die ins Innere des Stacheldrahtrings führten. Zanthe klopfte Exa auf den Rücken, welcher sofort verkrampfte. „Viel Glück. Pass auf dich auf.“ „Hoffentlich blamiere ich mich nicht vor Candy“, stammelte Exa nervös und schritt vorwärts. Abseits von ihnen lief ein Mann mit Mikrophon durch die Massen. Mit dem Markenzeichen eines schwarzen Cowboy-Huts mit entsprechendem Outfit, war Roy McGilbert sozusagen der Manager der Temptation Lair.   Dieser Mann liebte den Kontakt mit seinen Kunden. Das hatte er mehr als deutlich gemacht, als er Zanthe und Exa vor Kurzem mit offenen Armen empfangen hatte. Natürlich ging es ihm in erster Linie um eine gute Show, doch entgegen der Annahme, ein Mann wie er hätte kein Herz, zeigte er sich Exas Lage gegenüber verbunden. Weshalb er in Absprache mit Zanthe ein Duell vorbereitet hatte, von dem niemand erwartete, dass der Neuling es bestand.   „Wer ist Candy?“, fragte Zanthe den Mann mit blondem Vollbart, als dieser sich neben ihn stellte. „Das Mädchen dort“, erklärte ihm Roy und zeigte mit dem Mikro auf die dunkelhaarige Kellnerin, die gerade Exa zuwinkte, welcher vor dem Eingang des Rings Halt machte. Der Werwolf rollte mit den Augen. Erst die Blondine, zwei Minuten später eine Candy … Zusammen beobachteten sie, wie Exa zögerlich als Erster den Ring betrat. Hinter ihm wurde die Tür geschlossen und mit einem Vorhängeschloss abgeriegelt. Von seinem Gegner fehlte bisher jede Spur. Die Stimmung wurde zunehmend gespannter. Immer mehr Leute versammelten sich um den Käfig, tuschelten aufgeregt und tauschten Wettgeschichten aus. Und ein Name fiel immer wieder: Jack Leonhart Jr., Exas heutiger Gegner. „Ist das nicht der ehemalige Weltmeister, der gegen diese Anya Bauer verloren hat?“, wandte sich Zanthe erschrocken an Roy. Natürlich wusste er das längst, aber nicht, was dieser Typ ausgerechnet hier verloren hatte. Der bedachte ihn aus seinen grünen Augen eines entschuldigenden Blicks. „Willst du, dass Exa seine finanziellen Schwierigkeiten in den Griff bekommt? Dann muss er einen starken Gegner besiegen.“ „Das ist ein Profi! Was hat der überhaupt hier zu suchen!?“ „Nach seiner schicksalhaften Niederlage gegen Claire Rosenburg hat er immer weniger Verträge angeboten bekommen. Dazu geht es seit Jahren mit der Firma seiner Familie abwärts, also musste er sich etwas überlegen, um an Geld zu kommen.“ Roy ließ ein bärbeißiges Lachen los. „Mittlerweile ist er sozusagen die Hauptattraktion. Auch wenn sein Ruf nach seinem Ausscheiden aus dem Legacy Cup gelitten hat. Deswegen war es so einfach, dieses Duell zu arrangieren.“   Zanthe verschränkte mit skeptischem Blick die Arme. Das konnte ja heiter werden. Er war sich zwar sicher, Exa gut vorbereitet zu haben, aber dennoch missfiel ihm dieser Einstieg in die Untergrundszene. Gäbe es eine andere Möglichkeit, hätte er diese gewählt, aber ohne festen Wohnsitz, Papiere und Green Card war es Exa nicht vergönnt, irgendwo Arbeit zu finden …   „Da ist er ja, unser Star!“, rief in dem Moment Roy und seine Stimme hallte durch die überall an der Decke angebrachten Lautsprecher. Zanthe musste zweimal hinsehen, um Jack als ebendiesen zu erkennen. Sein blondes Haar, das zuvor beim Duell gegen Anya bis zu den Augenbrauen reichte, war zu einer spitz zulaufenden Frisur hochgegelt, der Anzug war einer schwarzen Jeans mit dazu passender Motorradjacke gewichen. „Ich werde nie die Leute verstehen, die im Dunkeln Sonnenbrillen tragen“, schnarrte Zanthe beim Anblick des ehemaligen Weltmeisters, welcher wortlos den Käfig betrat. Roy legte seine Hand auf das Mikrophon und zwinkerte dem Werwolf zu. „So ist er eben, will jeden beeindrucken. Hoffen wir, dass ihm das heute nicht gelingt. Wir brauchen dringend einen neuen Star.“ Dann sprach er in das Mikro: „Wie es aussieht, sind unsere beiden Kontrahenten jetzt versammelt. Ihr kennt das Spiel ja inzwischen: Do or die! Wer die Angriffe des Gegners nicht ab kann, ist nicht für die Temptation Lair geschaffen.“ Die umstehenden Leute jubelten.   Während Roy noch einmal die Regeln erklärte und die Wettquoten wiederholte, standen sich Exa und Jack gegenüber in dem Käfig, der nun von beiden Seiten abgeschlossen war. „Viel Glück“, wünschte Exa seinem Gegner und schritt mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. Doch der Sonnenbrillenträger zischte: „Halt's Maul!“ Sofort blieb der Größere stehen, runzelte ärgerlich die Stirn. „Nur damit du es weißt: Ich habe keinen Bock darauf, einen Anfänger wie dich zu zerquetschen, aber Roy hat mir keine Wahl gelassen.“ Jack senkte leicht den Kopf, lugte über den Rand seiner Brille herüber. „Wenn du uns beiden einen Gefallen tun willst, wehr' dich nicht zu sehr. Dann ist es wenigstens schnell vorbei.“ Der Vorschlag traf jedoch auf taube Ohren. Exa wirbelte wortlos herum und kehrte zu seiner Ausgangsposition zurück. „... jetzt, wo alles geklärt ist“, rief Roy Gilbert erwartungsvoll, „lasst das Spiel beginnen!“ Exa streckte den Arm aus, an dem bereits seine abgerundete, weiß-blaue Duel Disk haftete, welche lediglich ein Stück weit ausfuhr. Dagegen spielte Jack mit einem schwarzen D-Pad, wie auch Matt eines besaß – Standardware vom Schwarzmarkt, da man sie nicht so leicht orten konnte. „Duell!“, schrien die beiden sich gegenseitig an.   [Exa: 4000LP / Jack: 4000LP]   ~-~-~   Als Valerie aufzog, stand ihr die felsenfeste Entschlossenheit ins Gesicht geschrieben. „Ich wechsle [Gishki Abyss] zurück in den Angriffsmodus“, entschied sie und drehte dessen Karte auf ihrem D-Pad wieder in aufrechte Position. Der blaue Haimensch erhob sich aus seiner niedergeknieten Haltung.   Gishki Abyss [ATK/800 DEF/500 (2)]   „Valerie Redfield will unter allen Umständen zum letzten Schlag ausholen“, ließ sich Mr. C es nicht nehmen, die Aktion zu kommentieren. „Wird es ihr diesmal gelingen, die verbliebenen 400 Lebenspunkte von Anya Bauer auszulöschen?“ Die Schwarzhaarige fuhr sich durch den hoch angesetzten Pferdeschwanz, der bis weit über die Schultern reichte, und schloss die Augen. Ganz als würde sie die Antwort schon kennen. „Angriff auf Anyas gesetztes Monster, Moulinglacia. Neverwinter Blizzard!" Wieder entstand ein Schneegestöber um die Duellantinnen, ausgehend von dem weißen Drachenvogel über Valerie, der mit seinen Schwingen in Anyas Richtung schlug. Dadurch entstand ein Schneesturm, der über das Feld wirbelte und die verdeckte Karte Anyas zerfetzte. Aus ihr entsprang ein steinerner Krug, in dessen Inneren sich ein Auge verbarg.   Morphing Jar [ATK/700 DEF/600 (2)]   Von tanzenden Schneeflocken umgeben, frohlockte Anya trotz ihrer ernsten Lage. „Pech für dich, Redfield! [Morphing Jar] ist ein Flippeffektmonster, das uns beide alle Karten aus der Hand abwerfen lässt, wenn er aufgedeckt wird. Danach ziehen wir beide fünf neue!“ Ihr Grinsen wurde breiter, als die Blonde die Hand an ihr Deck legte und Valerie kommentarlos ihre vier Handkarten, nämlich die Monster [Gishki Zielgigas] und [Gishki Shadow], den Zauber [Forbidden Arts Of The Gishki] sowie die in diesem Zug aufgezogene Falle [Aquamirror Cycle], in den Friedhofsschacht schob. „Sieht wohl so aus, als hätte ich dein miesestes Ritualmonster entsorgt, noch bevor du es überhaupt ausspielen konntest“, flötete Anya, „und mit meinem [Morphing Jar] finde ich sogar ins Spiel zurück! Fünffacher Fucking-Mega-Draw!“ Mit einem Mal riss sie fünf Karten von ihrem Deck und fächerte sie stolz vor sich auf, wohingegen Valerie besonnen eine nach der anderen zog. Dann lächelte sie kühl. „Du hast eins vergessen: Ich kann dich noch direkt mit [Gishki Abyss] angreifen. Los!“ … sie war noch nicht fertig, also … Der Haimann stieß sich vom Boden ab und flog mit hoher Geschwindigkeit auf Anya zu, nein, schwamm vielmehr durch die Luft. Sein mit spitzen, weißen Zähnen bestücktes Maul weit öffnend, wollte er nur eins: Anya bei lebendigem Leib verschlingen. Allerdings hatte die andere Pläne, als sie rief: „Pah, als ob mich das besiegen könnte! Effekt von [Kuriboss] auf meinem Friedhof!“ Abyss war nur noch etwa einen Meter von Anya entfernt, da tauchte vor ihr der braune Fellball mit dem grauen Cape und der Sonnenbrille auf der Nase auf. Panisch mit seinen Stummelarmen wedelnd, landete er genau zwischen den Zähnen des Haimanns, der seinen Ansturm abrupt stoppte. „Wenn ich [Kuriboss] vom Friedhof verbanne, kann ich Kampfschaden negieren!“, erklärte Anya. Und Mr. C staunte Bauklötze. „Sie hat den Angriff abgewehrt, aber wie ist diese Karte dort gelandet!?“ „Heh, das ist doch echt nicht schwer gewesen“, gab die Blonde im dunklen T-Shirt mit der Anschrift ihres Kartenladens auf dem Rücken großspurig an.   Anya nahm aus ihrem Blatt eine Zauberkarte und zeigte diese vor: „Und jetzt werden wir beide unsere Karten abwerfen und dieselbe Zahl an neuen aufziehen: [Card Destruction]! Pech für dich, dein Assmonster Soul Ogre ist damit hinüber!“ Valerie quittierte dies mit einem Schnalzen und legte ihre einzige Handkarte auf den Friedhof, genau wie Anya es mit ihren eigenen drei verbliebenen tat. Die letzte war [Kuriboss].   Während das Publikum begeistert applaudierte, verzog Valerie keine Miene. Sie starrte Anya an, wie sie sich im kurzen Ruhm ihrer vermiedenen Niederlage sonnte. Dann richtete sie ihr Augenmerk auf die fünf Karten, die sie durch [Morphing Jars] Effekt gezogen hatte. „Ich setze zwei Karten verdeckt“, entschied sie und schob beide nebeneinander in das rote D-Pad, wodurch sie vor ihren Füßen vergrößert Form annahmen. „Dein Zug, Anya.“   Jene grinste breiter denn je. „Sieht so aus, als würde es nochmal richtig spannend werden, nicht wahr, Redfield?“ „Ja“, antwortete diese knapp. Was Anya gar nicht schmeckte. „Was ist los? Hast du heute deine Tage oder was?“ Selbstverständlich reagierte Valerie gar nicht erst auf die Provokation. Was ihre Gegnerin nur umso fuchsiger werden ließ, welche mit Schwung zog. „Pah, dann schmoll' doch vor dich hin, Redfield! Draw!“ Ihre nun sechs Karten vor sich haltend, konnte Anya ihr Glück kaum fassen. Sie war bis hierher gekommen, ohne Levriers Kräfte zu benutzen! Jedenfalls nicht -diese Art- von Kräften. Aber hey, sie gönnte es ihm, wenn er das Spiel wenigstens für sie beendete! „Ich habe mit [Card Destruction] übrigens noch eine Karte abgeworfen, die ich jetzt zurückhaben will!“ Anya holte bereits zwei Karten aus ihrem Friedhof, um sie vorzuzeigen, da kam Valerie ihr zuvor. „Ich weiß. [Gem-Knight Fusion].“ „Huh!? … 'kay, dann bist du heute nicht nur besonders zickig, sondern auch besonders dämlich, wenn du die bemerkt hast, aber [Kuriboss] nicht.“ Anya runzelte argwöhnisch die Stirn, als sie die Zauberkarte zusammen mit dem durch Moulinglacias Effekt abgeworfenen [Gem-Knight Turquoise] präsentierte. „Was auch immer, ich bekomme [Gem-Knight Fusion] zurück, indem ich einen gefallenen Gem-Knight verbanne.“ Statt diese aber in ihr Blatt zu packen, zog sie noch eine Zauberkarte aus jenem hervor und schob die eben erst erhaltene [Gem-Knight Fusion] wieder in den Friedhofsschacht. „Indem ich eine Handkarte abwerfe, kann ich [D.D.R. - Different Dimension Reincarnation] aktivieren, sie an ein verbanntes Monster ausrüsten und dieses zurück aufs Feld rufen! Also komm, [Gem-Knight Turquoise]!“ All das beobachtete Valerie mit starrer Mimik. Vor Anya erschien ein Ritter in einer hellblauen, mit dutzenden himmel- bis grünblauen Edelsteinen besetzten Rüstung, der einen Bogen mit sich führte.   Gem-Knight Turquoise [ATK/1400 DEF/2000 (4)]   Noch bevor er den Bogen spannen konnte, hatte Anya schon ihre [Gem-Knight Fusion] sowie [Gem-Knight Iolite] aus ihrem Friedhof geschnappt, seines Zeichens ebenfalls ein Opfer Moulinglacias. „Ich verbanne Iolite, um [Gem-Knight Fusion] zurück auf die Hand zu bekommen, aber da wird sie nicht lange bleiben, denn ich werfe sie dank Turquoises Effekt ab, um einen verbannten Gem-Knight zu beschwören!“ Anya holte kurz Luft, da sie schneller gesprochen hatte, als man es je von ihr gewöhnt war. Dabei entledigte sie sich ihrer Zauberkarte wieder. „Und das ist der eben verbannte Iolite!“ Ihr Ritter des Türkis schoss einen Pfeil angewinkelt neben sich in die Luft, sodass er neben ihm einschlug und einen Runenzirkel um sich bildete. Aus diesem schwebte langsam ein blauer Krieger, welcher eine Wasserklinge mit sich führte.   Gem-Knight Iolite [ATK/1300 DEF/2000 (4)]   Mit fest entschlossenem Blick streckte Anya die Hand nach vorne aus. „Pass schön auf, Redfield, denn hier kommt dein Untergang! Ich erschaffe das Overlay Network!“ Ein Schwarzes Loch öffnete sich inmitten des Spielfelds. Die tausenden von Zuschauern gaben erstaunte Laute von sich, waren gespannt auf Anyas nächsten Schachzug. Beide Edelsteinritter wurden als braune Lichtstrahlen von dem Wirbel absorbiert. „Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster! Xyz Summon!“ Eine Explosion erschütterte das Überlagerungsnetzwerk. „Stehe mir bei, [Gem-Knight Pearl]!“ „Ich wusste es“, murmelte Valerie tonlos. Aus dem Lichtfeuerwerk entstieg ein weißer Ritter mit blau leuchtenden Augen, umgeben von sieben Perlen, so groß wie Menschenköpfe. Mit verschränkten Armen schwebte er rückwärts herüber zu Anya und positionierte sich vor ihr. Die Schwarzhaarige funkelte ihn fast schon böse an. „Hi.“   Guten Tag, Valerie Redfield.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4} OLU: 2]   Zwei Energiesphären umkreisten Levrier wie Motten das Licht, als er zur Verdeutlichung seines Grußes die Hand hob. „Dieses Monster hat Anya Bauer bereits in ihren vorherigen Duellen benutzt! Unsere Analysen ergaben, dass es sich hierbei um ein besonders seltenes Exemplar handelt, ein Fehldruck, um genau zu sein.“ Mr. C konnte sich dabei ein Lachen nicht verkneifen, genauso wenig wie viele Valerie-Fans. Anya verzog ein Gesicht, als hätte sie in eine Zitrone gebissen.   Ist das eine Geschichte von Henry Ford, um meine Existenz zu rechtfertigen? Wie überaus verletzend. Ich will nicht wissen, was er [Gem-Knight Master Diamond] unter diesen Umständen angedichtet hat.   Die Farbe von Anyas Gesicht schwang bereits deutlich ins Rote über. Andererseits sollten wir froh sein, dass er offenbar an so etwas gedacht hat. Das erspart uns lästige Fragen.   Aber es sorgte nicht dafür, dass Anyas Blutdruck sank. Im Gegenteil, die schnaufte wie ein Stier, weil dieser dämliche Schnöselprinz ihr mal wieder durch einen Tritt in die Eierstöcke zeigen musste, wie wenig er sie mochte. „Das wird er mir noch büßen!“, knurrte die Blonde außer sich. „Hoffentlich hat das Zeit“, drang sich Valerie ungebeten wieder in Anyas Wahrnehmungsbereich und zwar, indem sie eine ihrer Fallen auslöste. Wie schon seit Beginn des Duells, erklärte sie ziemlich unterkühlt: „Ich kenne den Effekt von Turquoise, solange er ein Xyz-Material ist. Du willst ihn mit Iolite abhängen, um Pearls Punkte zu verdoppeln. Aber das hat schon bei unserem letzten Duell nicht funktioniert und heute ebenso wenig! Ich aktiviere [Torrential Tribute]!“ Die Falle stellte sich vor Valerie auf. Zu sehen war ein mächtiger Wasserstrahl. Und genau das, Wasser, begann aus der Falle herauszusprudeln. „Huh!?“, gab Anya dümmlich zum Besten.   Sie will alle Monster auf dem Feld zerstören!   „Diese Karte ist ein zweischneidiges Schwert, denn bei der Beschwörung eines Monsters reißt sie alle auf dem Spielfeld ins Verderben“, bestätigte Valerie Levriers Aussage, „[Gishki Abyss], Moulinglacia … und Pearl. Nun Anya, was wirst du tun?“ Panisch sah die in ihr Blatt, hatte aber nichts auf der Hand, um das zu verhindern. Indes begann das Wasser aus der Falle regelrecht zu sprudeln. „Levrier“, kam Anya doch kurzerhand ein Geistesblitz, „ich habe eine Idee! Sie wird dich nicht direkt retten, aber …“   Du willst mich inkarnieren!? Vor allen Leuten!?   Als Valerie das mitbekam, kniff sie die Augen so fest zusammen, dass bestenfalls eine Rasierklinge zwischen die Lider passte. „Anya …“ Die bekam davon gar nichts mit. „Eine andere Wahl haben wir nicht!“   Aber-!   Weiter kam Levrier nicht, denn das Unumgängliche geschah. Aus [Torrential Tribute] schossen in alle Richtungen Wasserfontänen, die den weiß-goldenen Vogeldrachen, den Haimann und den Immateriellen mit sich rissen. „Los jetzt!“, befahl Anya schroff. Doch es passierte nicht das, was sie erwartet hatte. Die Zeit fror unvermittelt ein. Die Wassermassen hingen in der Luft, bewegungslos. In ihnen gefangen die drei Monster. Es war mit einem Male mucksmäuschenstill. Und die Umgebung verblasste, bis sie komplett schwarz wurde.   Dann drang ein goldenes Leuchten von unterhalb Anyas zu dieser. Jene sah erschrocken nach unten, entdeckte, dass sie sich in der Mitte eines Elysions befand. Doch war es nicht ihre eigenes, denn das Mosaik zeigte eine goldgelbe Sonne, groß, in alle Richtungen strahlend. „Wieso bin ich-!?“ „Hier können wir ungestört reden.“ Valerie stand dem Mädchen unvermittelt gegenüber. „Du bist in meinem Elysion, Anya.“ Die Blonde schreckte zurück. „Huh!? M-Moment, was ist los!? Wie komme ich hierher?“ „Ich erwarte nicht, dass du verstehst, warum ich jetzt sagen werde, was mir auf der Seele liegt, aber-!“ „Redfield, what the fuck!? Du bist ungefähr so magisch wie eine Polly Pocket-Puppe, wie hast du das hier geschafft!?“   Anya hatte die Phase der fünf W-Fragen ganz offensichtlich noch nicht überwunden, welche da lauteten: „Wo bin ich?“ „Warum bin ich hier?“ „Wer hat mich hierher gebracht?“ „Was will derjenige von mir?“ Und, ihre Lieblingsfrage: „Wie viele Schläge in die Nieren verträgt er, bis er mich freiwillig gehen lässt?“ Dementsprechend perplex breitete sie zur Untermalung ihrer eigentlichen Frage die Arme aus.   Valerie hob demonstrativ ihr D-Pad an, auf dem Anya [Moulinglacia The Elemental Lord] pulsieren sah. „Dass du sogar deinen Freunden solche Karten gibst“, murmelte Valerie zerknirscht, fand jedoch wieder zu alter, unnahbarer Form zurück. „Allerdings sollte ich dir wohl dankbar sein, denn ich denke, die Karte hat auf meinen Wunsch reagiert, hier mit dir zu reden. Aber das klären wir später.“ Anya schwang wütend den Arm aus. „Wo ist Levrier?“ „Das ist mein Elysion und ich will ungestört mit dir reden. Also hör zu. Ich möchte nicht, dass du ihn inkarnierst.“ Ihr Gegenüber ließ verwundert den Arm sinken. „Du ziehst so eine Show ab, um mir das zu sagen?“ „Versteh mich nicht falsch, es geht nicht darum, dass ich Angst vor dem Ausgang des Duells habe, falls du inkarnierst. Es ist nur …“ Valerie wandte sich von Anya ab. „Mir ist aufgefallen, dass du dich immer mehr auf diese … seltsamen Karten verlässt.“ „Meinst du Angel Wing?“ „Ja. Ich habe dich beobachtet, auf der Feier und wie du dich gegen Melinda ein zweites Mal duelliert hast. Auch Marc hat es bemerkt.“ Valerie seufzte schwer. „Seit du diese Karten jagst, verlässt du dich zunehmend auf übernatürliche Kräfte aller Art. Du benutzt in jedem Duell [Angel Wing Dragon], jetzt auch Heavy T und gegen Ricther hast du nur gewonnen, weil du Pearl inkarniert hast.“ Ihre Freundin sah sie mehr als verständnislos an. „Und du sagst mir das weil …?“ „Du bist abhängig davon geworden.“ Valerie wandte sich ihr wieder zu, ein bedauernder Ausdruck lag in ihren Zügen. „Du bist berechenbar wie nie zuvor. Deine Gem-Knights, die früher alles für dich waren, sind plötzlich nur noch schmückendes Beiwerk für deine Hüterkarten.“   Wie es nun mal in Anyas Natur lag, konnte sie diesen Informationsinput nicht so schnell verarbeiten und das schon gar nicht, wenn es um Dinge ging, über die sie sich noch nie Gedanken gemacht hatte. Demnach lautete die logische Konsequenz: „Das ist doch Schwachsinn, Redfield! Du willst doch bloß nicht verlieren!“ „Mit dieser Einstellung wirst du definitiv gegen Claire Rosenburg verlieren“, prophezeite Valerie düster und wandte sich vollends von Anya ab. „Ich habe dir schon bewiesen, wie leicht es ist, die Hüterkarten auszuschalten.“ Als sie über ihr Elysion zog, erhobenen Hauptes, hallten ihre Schritte durch die Dunkelheit. „Alles was ich dir sagen will ist, dass du wieder zu dir selbst finden musst. Als es noch keine Immateriellen und Hüterkarten gab.“   Mit Valeries Fortgang ins Nichts lösten sich auch ihr Elysion und die Dunkelheit auf. Anya stand wieder auf der Duellplattform, die Zeit fand wieder zu ihrem Fluss zurück. Pearl, Moulinglacia und [Gishki Abyss] wurden von der Flut aus Valeries Fallenkarte mitgerissen und zersprangen alle gleichzeitig. „Denk über meine Worte nach“, forderte Valerie eindringlich. Und Anya biss sich auf die Lippen. Denn nun musste sie entscheiden, ob sie [Gem-Knight Pearl] inkarnierte oder nicht. Falls sie das nämlich tat, hätte Redfield nur noch einen Grund, mal wieder auf sie herabzusehen und sie schlecht zu machen …   ~-~-~   „Jetzt aktiviert sich [Satellarknight Alsahms] Effekt“, verkündete Exa, welcher jenen als Auftakt des Duells beschworen hatte. „Das sind dann 1000 Punkte Schaden für dich!“   Satellarknight Alsahm [ATK/1400 DEF/1800 (4)]   Der kleine Ritter, der mit seinem gespannten Bogen Amor nicht ganz unähnlich war, löste von der Sehne seines goldenen Bogens einen Lichtpfeil. Jener schoss geradewegs auf Jack zu und traf diesen in die Brust. „Urgh!“, keuchte jener und wurde so weit zurückgeworfen, dass er beinahe gegen den mit Stacheldraht ausgelegten Käfig krachte. Aber da genau dies nicht geschah, hallten enttäuschte Pfiffe und Buhrufe durch die umfunktionierte U-Bahn-Station.   [Exa: 4000LP / Jack: 4000LP → 3000LP]   Der blonde Ex-Weltmeister hielt sich den schmerzenden Brustkorb. „Das büßt du mir, Frischling!“ Exa zuckte mit den Schultern. „Versuchs doch, es ist dein Zug.“   Zanthe, unter den Zuschauern, schüttelte fassungslos den Kopf. Roy war inzwischen abgezogen, denn der Leiter der Temptation Lair zog es vor, ganz im Gegensatz zu Mr. C, die Duelle an sich unkommentiert zu lassen. Also gab es niemanden, dem Zanthe in diesem Moment seinen Frust anvertrauen konnte. „Wow, du machst es ihm aber leicht, sich zu rächen“, rief er seinem Freund zu, auch wenn dieser es aufgrund des Lärmpegels wohl kaum hören würde. Dem Werwolf war überhaupt nicht mehr wohl bei der Sache, jetzt wo er Exa in Aktion sah. Immerhin schlummerte in dem die Seele seines Bruders. Und wenn der Dummkopf sich bei dem Duell verletzte, dann … „Wir sind Freunde. Und ich hab dich da hineingezogen“, sprach Zanthe seine verworrenen Gedanken laut aus. „Was hab ich mir bloß dabei gedacht …“   „Draw.“ Mit herabhängenden Mundwinkeln zog Jack auf. „Normalbeschwörung, [Dragunity Pilum]. Und wenn das geschieht, ruft er ein Vogel-Dragunity aufs Feld, welches sich mit ihm ausrüstet. Erscheine, [Dragunity Militum]!“ Zuerst erschien ein giftgrüner Drache in dunkler Ganzkörperpanzerung, an dessen Kopfende ein kurzer Speer steckte. Direkt über ihm tauchte kurz darauf eine Kriegerin mit langem, dunkelblondem Haar auf, die Schwert und Dolch schwang. Von ihrem Rücken erstreckten sich metallische Schwingen, die in ihrer Aufmachung eher an die eines Schmetterlings, denn an die eines Vogels erinnerten. Mit einem Satz landete sie auf dem Rücken des Drachen.   Dragunity Militum [ATK/1700 DEF/1200 (4)]   „Militum hat jedoch den Effekt, ihr Reittier zurück als Monster aufs Spielfeld beschwören zu können“, erklärte Jack ruhig. Die Reiterin stellte sich auf den Rücken Pilums, stieß sich ab und sprang hoch in die Luft. Dragunity Pilum [ATK/1400 DEF/1000 (3)]   Der junge Mann ballte eine Faust. „Damit kann ich den Stufe 3-Empfänger Pilum auf den Stufe 4-Vogeltyp Militum abstimmen!“ Ebenjenen Arm stieß er in die Höhe und zitierte: „Whispering winds are the envoys of a combinated assault! The valley of mist shaken upon your mighty presence!“ Kerzengerade nach oben schoss Pilum an Militum vorbei und legte eine unglaubliche Verwandlung hin. Statt einer normalen Synchro-Sequenz, wuchs der Drache, wurde seine Rüstung los und färbte sich hellblau. Ledrige, schwarze Schwingen spreizten sich von seinem Rücken, als auf jenem die Kriegerin landete. „Synchro Summon! Dominate, [Dragunity Knight – Trident]!“ Um die Leute ins Staunen zu versetzen, wirbelte der Drache einmal um die eigene Achse, ehe er Exa furchteinflößend anbrüllte.   Dragunity Knight – Trident [ATK/2400 DEF/1700 (7)]   „Los! Divine Trident Strike!“, befahl Jack mit ausgestrecktem Arm, dabei auf den kleinen Engel zeigend. Der Drache, dessen Unterkiefer golden war und an eine Speerspitze erinnerte, besser gesagt an einen Dreizack, wenn man die beiden Auswüchse rechts und links vom Maul dazu nahm, flog wie ein solcher auf Exas Monster zu. Dieses konnte dem nichts entgegensetzen, wurde aufgespießt und der junge Mann selbst an der linken Schulter gerammt.   [Exa: 4000LP → 3000LP / Jack: 3000LP]   Der Schwung der Attacke schleuderte Exa bis in den Stacheldraht, wo dieser sofort mit dem Rücken hängen blieb. Als wäre dies aber nicht schon schlimm genug, bekam er unmittelbar effektreich einen Stromschlag verpasst, welcher ihn aufschreien ließ. „Exa!“, rief Zanthe erschrocken dessen Namen. Jener riss sich sofort los, was an sich schon so manchen Zuschauer erstaunte. Seine blaue Strickjacke war im Eimer und der Rücken voller Kratzer. Keuchend murmelte der Blonde: „War doch gar nichts …“ „Sicher, spiel' ruhig den Taffen“, winkte Jack desinteressiert ab und nahm drei Handkarten, die er in sein schwarzes D-Pad schob. „Die drei verdeckt. Und nun Tridents Effekt. Ich kann bis zu drei Karten von meiner Spielfeldseite opfern …“ Jene tauchten in einer Reihe vor seinen Füßen auf, nur um sich allesamt in Millionen goldene Partikel zu spalten, die in [Dragunity Knight – Trident] verschwanden. „… um dieselbe Anzahl an Karten aus deinem Extradeck zu eliminieren. Da du Satellarknights benutzt, muss ich mir das Ganze gar nicht ansehen. Ich wähle [Stellarknight Delteros], [Stellarknight Triverr] und [Tellarknight Ptolemaeos]. Cease Existence!“ Sowohl im Maul des Drachen, als auch an den beiden Spitzen zu dessen Seiten entstanden goldene Entladungen, die er in Exas Richtung entfesselte. Der gebündelte Strahl traf dessen Duel Disk, aus der die genannten drei Xyz-Monster geflogen kamen. Geschickt fing Exa sie auf und schob sie zähneknirschend in den Friedhofsschlitz. „Der Rest ist nur eine Frage der Zeit. End Phase“, sagte Jack mit einer Spur Boshaftigkeit, die ihm einige begeisterte Zurufe bescherte.   Exa kniff die Augen zusammen, als er wortlos aufzog. Sein ganzer Rücken fühlte sich taub an, obwohl er hätte schmerzen müssen. Solche Untergrundduelle waren definitiv ungesund, aber davor hatte Zanthe ihn ja gewarnt. Mit halb geschlossenen Lidern nahm er Jack ins Visier. Der selbstherrliche Mistkerl war genau die Sorte Mann, der Exa nur zu gerne eine Lektion erteilte. Er brauchte nur seine Geheimwaffe rufen und das Duell war vorbei. Wäre da doch nur nicht sein Versprechen gegenüber Zanthe, genau dies nicht zu tun …   Die beiden schritten den ausgeleuchteten U-Bahn-Schacht entlang. „Dir ist doch klar, dass du vorsichtig sein musst?“, fragte Zanthe unvermittelt. „Bin ich doch immer.“ „Du darfst diese Karte, die du gegen Kakyo benutzt hast, auf keinen Fall ausspielen. Die sollte es gar nicht geben.“ Der Kopftuchträger blieb unvermittelt neben ihm stehen und sah seinen größeren Freund eindringlich an. „Versprich es.“ Exa seufzte. „Wenn's sein muss, okay.“ „Absolut niemand darf wissen, dass du so etwas hast. Es wirft bloß Fragen auf, die wir nicht gebrauchen können“, erklärte Zanthe ernst. „Oder schlimmer, es lockt Leute … oder Dinge an, mit denen wir uns nicht anlegen wollen.“ Um seine vorherige Aussage noch einmal zu betonen, nickte der Blonde. „Ich lass die Finger davon, Ehrenwort.“ Und der Schwarzhaarige vor ihm lächelte dankbar. Dann weitete er plötzlich die Augen, als wäre ihm etwas eingefallen. Und er griff in seine Hosentasche …   Exa schluckte seine Wut auf Jack herunter. Es war wichtiger, Zanthe nicht zu enttäuschen, also würde er auf das Excel-Monster verzichten. Auch wenn das hieß, vorerst den Schwanz einziehen zu müssen. Was nicht im Sinne der Zuschauer war, die in synchronem Zurufen forderten, dass Exa zum Gegenschlag ausholte. „Ich setze ein Monster und eine verdeckte Karte“, weigerte dieser sich allerdings, als er zwei der fünf Karten aus seinem Blatt auf die entsprechenden Zonen verteilte. Zischend materialisierte sich in horizontaler Lage zunächst ein Kartenrücken, dann dahinter in vertikaler noch einer. „Dein Zug, Abruelio.“ Jack runzelte die Stirn über seiner Sonnenbrille. „… was?“ „So nennen wir Angeber.“ Scheinbar hatte nie einer der Leute hier diesen Begriff schon einmal gehört, weshalb eine peinliche Stille sich verbreitete. Aber Exa zuckte nur mit den Schultern.   „Deine seltsame Sprache spreche ich nicht“, zischte Jack abweisend und zog auf, „Draw!“ Er nahm jene zusammen mit seiner verbliebenen Handkarte und zeigte beide vor. „Ich aktiviere [Dragon Mastery], mit deren Effekt ich [Dragunity Brandistock] an Trident ausrüsten kann. Das steigert zudem dessen Angriffskraft um 500!“ Der permanente Zauber stellte sich vor dem Blonden auf. Kurzerhand erschien die durchsichtige Gestalt eines dunkelblauen Drachens in saphirfarbener Rüstung, welche in der größeren Daddy-Version verschwand. Jene erstrahlte in weißer Aura.   Dragunity Knight – Trident [ATK/2400 → 2900 DEF/1700 (7)]   Jacks rechter Mundwinkel zuckte nach oben. „Trident, greife sein verdecktes Monster an. Divine Trident Strike!“ Wie ein Pfeil schoss der Drache, getrieben von seiner Reiterin, im Sinkflug auf Exas verdeckte Karte zu. Jene wirbelte um die eigene Achse, wodurch aus ihr ein weißer, fast noch kindlicher Ritter entsprang, dessen Helm dank der Edelsteine daran an einen Hund erinnerte. Satellarknight Procyon [ATK/1300 DEF/1200 (4)]   Jener wurde gnadenlos niedergemäht. Jack wandte sich höhnisch an Exa. „Denkst du, das reicht, um dich zu schützen? Ich zeig dir was! Dank [Dragunity Brandistocks] Effekt, solange dieser ein Monster ausrüstet …“ Der blaue Drache, welcher gerade eine Kehrtwende in dem engen Käfig machte und zurück zu seinem Herr wollte, zog einen Kreis und schoss abrupt auf Exa zu. „.. kann Trident jetzt zweimal angreifen. Das war's für dich. Divine Trident Strike!“ Der große Blonde stieß einen erschrockenen Laut aus, erwiderte dann aber bissig: „Rechnen ist wohl nicht-!?“ In dem Moment klappte vor dem grinsenden Jack eine Fallenkarte auf. Nur, dass dort nie eine gelegen hatte.   Dragunity Knight – Trident [ATK/2900 → 3700 DEF/1700 (7)]   „Was!?“ Exa weitete die Augen. „Und deswegen bist du ein Amateur.“ Sein Gegner strich sich über das hochgegelte Haar. „Dachtest du, ich hätte meine drei Karten vorhin einfach so geopfert, nur um dein Extradeck zu schwächen? Ich bitte dich. Diese Karten haben Effekte, die sich auch aus dem Friedhof aktivieren lassen, wenn man sie von dort verbannt.“ Exa las still den Namen der Falle, die sich vor Jack aufzulösen begann. Es war [Skill Successor] und sein Lesetempo reichte gerade so aus, um zu begreifen, dass er damit die Punkte Tridents bis zum Ende des Zuges um 800 erhöht hatte. Wenn dieser Angriff durchging-! „Das lasse ich nicht zu!“, musste Exa davor jedoch gar keine Angst haben. Er ließ die Hand über die eigene gesetzte Falle fahren, die aufsprang. „[Stellarnova Wave]!“ Vor ihm entstand ein Lichtsymbol, besser gesagt ein Sechseck, aus dem ein roter Strahl schoss. „Damit kann ich pro Zug einen Sternenritter von der Hand beschwören! [Satellarknight Deneb]!“ Er schmetterte dessen Karte auf die Duel Disk, wodurch der Strahl quer nach oben schlug und die Form eines Vogelritters annahm, der ein Schwert schwang, dessen Klinge aus zwei umeinander verschlungenen Spiralen bestand. Um ihn drehte sich ein weitläufiger Ring, an dem ein Miniaturplanet hing.   Satellarknight Deneb [ATK/1500 DEF/1000 (4)]   Der Krieger positionierte sich zwischen seinem Besitzer und dem herannahenden [Dragunity Knight – Trident], sodass er es war, der die Wucht des Dreizack-Kiefers abbekam. Unter einem lauten Schrei zersprang er in tausende gelber Funken. „Wenn Deneb beschworen wird, erhalte ich einen anderen Sternenritter vom Deck“, holte Exa in der Zwischenzeit den Effekt seines gefallenen Monsters nach, „und ich habe genau den Richtigen gefunden, um dich zu ärgern. Sirius …“ Dessen Karte schob sich automatisch ein Stück weit aus dem Deck und wurde von Exa zufrieden grinsend aufgenommen. Jack schnalzte mit der Zunge. „Und du glaubst wirklich, ich lasse dich einfach so deine verlorenen Xyz-Monster retten? Gut … wenn ich dir die nicht nehmen kann, dann das Mittel, das du für ihre Beschwörung benötigst.“ Er hob den Zeigefinger und deutete auf die offen stehende Falle vor Exa, die noch immer das Sechseck vor sich projizierte. In dem Moment klappte eine vorher nicht da gewesene Zauberkarte vor Jack auf. Mit einem Male öffnete sich ein Riss vor dessen Fingerkuppe, schwarz und funkelnd, als wäre er ein Wurmloch, das ins All führte. Und genau aus diesem Spalt fegte plötzlich ein strahlender Wirbelsturm übers Feld, der auf Exas [Stellarnova Wave] traf und sie zerfetzte. Verwirrt kratzte sich jener am Kopf. „Noch so ein Trick?“ „[Galaxy Cyclones] Effekt ist kein 'Trick', du hoffnungsloser Anfänger. Dieser Zauber lässt sich ebenso vom Friedhof aktivieren und verbannen, um eine deiner offenen Zauber- oder Fallenkarten zu vernichten.“ Der Sonnenbrillenträger lachte bitterböse auf. „Ich sagte ja, ich lasse auf keinen Fall zu, dass du Xyz-Beschwörungen durchführst. Aber du kannst es gerne probieren, es ist dein Zug.“   Dragunity Knight – Trident [ATK/3700 → 2900 DEF/1700 (7)]   Zur selben Zeit fasste sich Zanthe an die Stirn. Dieser elende, arrogante Dreckskerl von Jack, der spielte förmlich mit Exa! Von seiner Position aus sah er durch die Maschen des Zauns, wie dessen Rücken voller Wunden war. Dünne Rinnsale an Blut liefen aus jenen herab. Blut … Sofort wandte der Werwolf den Blick ab. Er durfte auf keinen Fall jetzt an -solche Dinge- denken, nicht hier, unter hunderten von Beobachtern! Allein deren Gestank, deren Lärm, deren Anwesenheit stellten Zanthes Geduld auf eine harte Probe. Und seine dauerpochende Stirn natürlich …   „Ist das dein ominöser Freund?“ Worte, die Zanthe zusammenfahren ließen. Gesprochen von einer Person, die er hier niemals erwartet hätte. Der Schwarzhaarige wirbelte sofort herum und sah sich Logan gegenüber, was an sich schon merkwürdig genug war, wo dieser doch fast 20 Zentimeter kleiner war als er. Der Zwerg, in brauner Lederjacke mit dunklem Shirt darunter unterwegs, verzog wie so oft keine Miene. „Wieso bist du hier!?“, fuhr Zanthe ihn sofort an. „Solltest du nicht Anya zugucken?“ „Sollt' ich. Mach ich aber nicht, wie du siehst. Muss ja irgendwie kompensieren, dass meine Werkstatt geschlossen hat.“ Und das tat er ausgerechnet hier, fragte sich Zanthe mehr als skeptisch. Als ob! Der spionierte ihm garantiert nach, vermutlich noch auf Anyas Geheiß! Wieso konnte sie sich nicht einfach aus seinen Angelegenheiten raushalten, auch wenn sie es – für ihre Verhältnisse – nur gut meinte!?   Logan deutete an Zanthe vorbei auf Exa. „Hab' übrigens auf den da gewettet. Wenn er also dein Freund ist, mach ihm ruhig etwas Dampf. Steht 'ne Menge Kohle auf dem Spiel.“ „Mach's selbst. Wäre das dann alles?“, murmelte Zanthe verstimmt. „Willste mich loswerden?“ Der Werwolf rollte genervt mit den Augen. „Nein, das ist meine unbeholfene Art, dir meine Zuneigung zu gestehen …“ „Du siehst blass aus“, wechselte Logan das Thema, „alles in Ordnung mit dir?“ „Mir geht’s gut! Ich stehe übrigens total auf die Aufmerksamkeit, die meine natürliche Blässe mit sich bringt. Wink verstanden? Ja?“ Er blinzelte böse. „Könntest du mich also bitte in Ruhe lassen?“   Exa ahnte nichts von Zanthes zunehmendem Ärgernis, das in Form Logans nicht so einfach verschwinden wollte. Er hatte inzwischen auf vier Karten aufgezogen und sah sich genau dem Problem gegenüber, das Jack ihm hatte verursachen wollen. Gut, die verlorenen Xyz-Monster konnte er mit [Satellarknight Sirius] zurück ins Extradeck verfrachten. Aber für die guten brauchte er mindestens drei Monster auf dem Feld. Er hatte sogar genau so viele auf der Hand … konnte aber höchstens zwei davon beschwören. Das dritte hätte durch seine nicht mehr existierende Falle kommen müssen. „Was ist am Duellieren nur so toll?“, brummte er ärgerlich. Ihm schwebten ganz andere Methoden der Konfliktlösung vor, aber ihm war eindringlich von Kyon-Kakyo-oder-wer-auch-immer geraten worden, sich den allgemeinen Moralvorstellungen anzupassen. So zog er eine säuerliche Schnute. Was sollte er jetzt tun!? Wenn er wieder defensiv spielte, würde der Aasgeier da drüben nicht nur mehr seiner unerträglichen Sprüche vom Stapel, sondern vermutlich auch Taten folgen lassen. Und Exa hatte für seinen Geschmack heute schon genug Narben davon getragen. „Sorry Zanthe, ich habe keine Lust mehr. Wird schon keiner Fragen stellen, wenn ich …“ Na ja, wenn er ehrlich war, glaubte er selber nicht daran. Sein Freund würde solche Warnungen niemals ohne Grund aussprechen. Aber nicht umsonst hatte der ihn einst 'one of the bad kids' genannt. Exa grinste, schloss die Augen, ballte eine Faust und schlug sie gegen die Brustmitte. „The stars have decided! Summoning contract established!“, murmelte er vor sich hin und konnte hören, wie die Zuschauer erstaunte Laute von sich gaben. Er wurde konsequent lauter. „Witness the creation of the eternal gate!“ Die Hand von der Brust in die Höhe streckend, rief er: „The contract is established! Open the eternal gate! Excel Summon!“   Mitten in einem schnippischen Spruch unterbrach Logan sich selbst und gluckste: „Was macht der da?“ Zanthe drehte sich erschrocken um. „Was!? Dieser Dummkopf! Hör-!“ Von allen Seiten stellten die Leute Fragen zu dieser seltsamen Beschwörungsformel.   „Grade 7! Rule indefinitely, [Cosmic Enforcer – Event Horizon]!“, beendete Exa seine Ansprach und riss die Augen auf. Jack stand ihm mit offenem Mund gegenüber. Nur einen Moment. Dann schloss er ihn und schwieg einen Moment. „Eh?“ Exa sah nach oben. Da war kein riesiges, an einen Satelliten erinnerndes Schlachtschiff. „Das war mit Abstand das Dümmste, das du heute verbrochen hast. Und entschuldige, wenn ich das sage, aber deine Quote hattest du eigentlich schon erfüllt.“ Jack entfuhr ein schier perplexes Lachen. In das viele Anwesende einstimmten. Selbst Roy Gilbert, der inzwischen an der Bar saß, war so verblüfft, dass er in das Duell eingriff und in das Mikro fragte: „Was sollte das? Ist alles in Ordnung mit dir, Frischling?“ Dem aufkommenden Spott zum Trotz, war Exa viel zu verwirrt, um die Auswirkungen seiner misslungenen Beschwörung vollends zu begreifen. „Wieso hat es nicht geklappt!? Letztes Mal hat es doch auch-!?“   Zanthe klatschte sich die Hand vor die Stirn. Selbst Logan konnte sich ein Kichern nicht verkneifen, wobei sein Kichern eher ein Knurren war und nur rudimentär als amüsierte Reaktion interpretiert werden konnte. Erleichtert atmete der Werwolf vor ihm aus. Wenigstens war Exa damit nicht aufgeflogen … „Was denkst du dir dabei!?“   Diesmal hörte Exa ihn und wirbelte mit verzweifeltem Gesichtsausdruck herum. „Was mach ich jetzt, es hat nicht funktioniert?“ „Mach etwas, das funktioniert?“ Exa nickte wenig schlauer als vorher. Das war wohl die Strafe dafür, sein Versprechen gebrochen zu haben. Moment mal, jetzt, wo er genauer darüber nachdachte … !   Zanthe zog unter dem grellen Licht des von allen Seiten beleuchteten U-Bahn-Schachts eine Karte aus der Hosentasche. „Da du auf die Excel-Beschwörung verzichten musst, dachte ich, ich gebe dir das als Ausgleich.“ „Hm?“ Erstaunt nahm Exa sie entgegen. „Ist das nicht eine von deinen?“ „Ich habe mir neulich eine zweite davon besorgt.“ Der Werwolf grinste verschlagen, aber versprühte auch eine gewisse Art der Wärme dabei. „Ich dachte mir, da du das Deck meines Bruders spielst und seine Seele in dir trägst, solltest du auch einen Teil von mir haben. Nicht zuletzt, weil mein Bruder mir mein Deck einst geschenkt hat.“ Nicht so recht wissend, was er darauf erwidern sollte, nickte der Blonde dankbar. „Ich werde sicher einen Weg finden, deine Karte zu nutzen.“ „Besser ist's“, zwinkerte sein Freund. „Komm jetzt, die warten nicht auf uns.“   Vielleicht war das weniger die Strafe, sondern ein Hinweis. Einer, dass es gar nicht nötig war, Event Horizon zu beschwören. Alles in seiner Hand war doch versammelt, um … Exa blickte zuversichtlich nach vorn. Jack kicherte abwesend vor sich hin. „Ich rufe [Satellarknight Vega]!“ Exa legte deren Karte auf die Duel Disk. Ein goldenes Licht trat vor ihm aus dem Boden aus und brachte eine Kriegerin in pinkfarbenem Kleid mit sich, welche ihr Antlitz hinter ihrer goldenen Stola verbarg. Satellarknight Vega [ATK/1200 DEF/1600 (4)]   „Wie bei jedem Satellarknight aktiviert sich Vegas Effekt bei deren Beschwörung. Sie lässt mich sofort noch einen Sternenritter aus der Hand rufen.“ Exa und sein Monster schnippten synchron mit dem Finger. Ohne Umschweife tauchte neben Vega ein schlanker, großer Krieger auf, dessen schwarzer Helm entfernt die Form eines Hundekopfs besaß. „Welcher [Satellarknight Sirius] wäre.“   Satellarknight Sirius [ATK/1600 DEF/900 (4)]   „Und bei dessen Beschwörung mische ich fünf Tellarknight-Karten ins Deck zurück, um eine Karte zu ziehen.“ Exa zeigte diese auch vor, wobei es sich um seine drei Xyz-Monster Delteros, Triverr und Ptolemaeus sowie um Procyon und Alsahm handelte. Den Regeln entsprechend verteilte er die fünf aufs normale und das Extradeck. Erst dann riss er schwungvoll eine Karte von seinem Deck. Jack, der sich entschieden hatte, dem Duell wieder beizuwohnen, grinste gehässig. „Oh? Du willst tatsächlich Ernst machen?“ „Und wie ich das will“, erwiderte sein Gegner grimmig und strecke die Hand aus, „ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster!“ Seine Ritter verwandelten sich in gelbe Lichtstrahlen, die von einem in der Mitte des Spielfelds entstehenden Schwarzen Loch absorbiert wurden. Eine Explosion erfolgte daraus. „Xyz Summon! Strahle, [Tellarknight Ptolemaeus]!“ Nach der Erschütterung schoss aus dem Wirbel eine Lichtsäule, die gleichzeitig eine imposante Kreatur empor hob. Es handelte sich um einen voll gepanzerten, schlanken Zentaur, ganz in Weiß und Gold gehalten. Von dem Rücken der menschlichen Hälfte erstreckten sich Flügel, die in langen, spitzen Enden mündeten und welche bunt leuchteten. Zwei Lichtkugeln umkreisten das Wesen dabei.   Tellarknight Ptolemaeus [ATK/550 DEF/2600 {4} OLU: 2]   „Was willst du mit dem? Der nützt dir nichts“, spottete Jack. „Du bräuchtest schon drei Overlay Units, um überhaupt-“ „Danke für den Tipp, aber darauf bin ich schon selbst gekommen! Ich aktiviere [Xyz Unit]!“ Exa schob den Ausrüstungszauber in seine Duel Disk. Kurzerhand umkreiste eine weitere Lichtkugel Ptolemaeus.   Tellarknight Ptolemaeus [ATK/550 → 1350 DEF/2600 {4} OLU: 2]   Anschließend erklärte der Größere: „Diese Karte hat zwei Nutzen. Einerseits verstärkt sie das ausgerüstete Xyz-Monster um seinen Rang mal 200. Und sie kann als zusätzliche Overlay Unit verwendet werden, auch wenn sie eigentlich keine ist. Macht drei.“ Demonstrativ zeigte Exa seinem Gegenüber den mittleren Finger seiner rechten Hand. Der war mit einem Mal verdächtig still geworden. Was Exa mit einer gewissen Genugtuung wahrnahm, denn könnten Blicke töten, wären die Gläser von seiner Sonnenbrille längst geschmolzen. „Da du dich so gut auskennst, muss ich dir den nächsten Schritt nicht erklären. Ich rekonstruiere das Overlay Network mit Ptolemaeus' Effekt!“ Der dunkle Wirbel öffnete sich erneut inmitten des Spielfels, direkt unter dem Sternenritter. Eine nach der anderen wurden die drei Lichtkugeln des Zentauer davon absorbiert, sodass es sich selbst in grellem Gelb verfärbte. „Mein Rang 4-Ptolemaeus inkarniert sich in ein Rang 5-Monster!“ Daraufhin tauchte letztlich auch Ptolemaeus in das Überlagerungsnetzwerk ein. „Rank-Up-Incarnation! Erscheine!“ Eine grelle Lichtexplosion entstand. Die Besucher der Temptation Lair grölten und riefen Exas Namen, feuerten ihn an. Und staunten, als aus dem gold-gelben Wirbel ein weißer Krieger erschien, auf dessen Rücken sich eine schwarze Platte befand, die mit ihren spitzen Ausläufen fast genauso aussah wie die Flügel Ptolemaeus'. „[Constellar Pleiades]!“   Constellar Pleiades [ATK/2500 DEF/1500 {5} OLU: 1]   Er war eines von Zanthes Aushängeschildern, sein Markenzeichen war das Schwert, das er mit der Klinge nach unten gerichtet führte. Nur eine Energiesphäre umkreiste ihn.   Beim Anblick des Monsters, das er Exa geschenkt hatte, begann Zanthe zu strahlen. Exa blickte in dem Moment über seine Schulter, sodass sein Freund ihm den ausgestreckten Daumen zeigte. „Damit wird er gewinnen“, war er sich sicher. Logan verschränkte mit grimmigem Gesichtsausdruck die Arme. „Jack ist vielleicht ein arroganter Scheißkerl, aber er war einer der besten Duellanten Amerikas.“ „Bis Claire Rosenburg kam. Jetzt ist er nicht mal mehr Anya-Level“, erinnerte Zanthe ihn altklug. „Hmm …“   Gleichzeitig drehte sich Exa seinem Gegner wieder zu und schwang den Arm aus. „Effekt von [Constellar Pleiades] aktivieren!“ Jener warf seine massive Klinge in die Höhe, welche im Flug das Xyz-Material absorbierte. „Damit kann ich eine Karte auf die Hand ihres Gegners schicken!“   Constellar Pleiades [ATK/2500 DEF/1500 {5} OLU: 1 → 0]   Pleiades setzte zu einer 360°-Drehung an, die begann, als er die Klinge auffing. Von ihr löste sich eine Schockwelle, die wie eine funkelnde Sternenflut auf [Dragunity Knight – Trident] zu schoss. „Heh … Amateur.“ Und konsequent abprallte, als aus dem Nichts eine Fallenkarte vor Jack erschien. Nicht nur Exa weitete in diesen Moment die Augen, als die Schockwelle quer gegen die Decke der U-Bahn-Station schlug und dort zerschellte. Nur Logan verzog keine Miene. „Wie erwartet …“   ~-~-~   Inkarnieren oder nicht inkarnieren? Das war hier die Frage und Anya wusste sie nicht zu beantworten. Was sie wusste war, wenn sie sich nicht gleich entschied, das Zeitfenster für eine Effektaktivierung vorbei sein würde. Planlos sah sie in ihr Blatt, dann wieder auf zu ihrer Gegnerin, die die Arme verschränkte und abwartete. Fast als wolle Valerie ihr sagen, dass egal wie sie sich entscheidet, leicht machen würde sie es ihr auf keinen Fall. „Anscheinend hat Valerie Redfield voraus gedacht und die potentielle Gefahr von Anya Bauer Xyz-Monster beseitigt, ehe diese einen Nutzen daraus zog“, hallte Mr. Cs Stimme durch das Stadion.   Anya bekam langsam Panik. Die blöde Schnepfe hatte bestimmt vorgesorgt! Wenn sie jetzt auf Pearl Radiance verzichtete, könnte das vielleicht das Ende des Duells bedeuten. Redfield hatte bereits bewiesen, wie scharf sie auf den Titel war, wieso sollte sie also überhaupt auf sie hören!? Wir können gar nicht inkarnieren, Anya! Ich habe nicht genug Kraft dafür gespeichert!   „Dann eben ohne das Oomph, nur die Karte!“   Das ist zu gefährlich. Wir könnten disqualifiziert werden, denn die Inkarnation befindet sich im Moment nicht einmal in deinem Extradeck!   „Aber ich habe keine Wahl!“, zischte Anya verzweifelt.   Man hat immer die Wahl. Sieh doch, links von dir, erste Reihe.   Anya reckte den Kopf verwirrt herum. Dort, von zwei leeren Sitzen umgeben, saß Matt und hielt ein selbstgemachtes Plakat in die Höhe, das „Go Anya!“ las. Bestehend aus verschiedenen Gem-Knight-Karten. Eine, [Gem-Knight Zirconia], war selbstgezeichnet und der Punkt des Ausrufezeichens. „W-wo kommt der denn jetzt her, ich dachte-!?“ Du hast nur noch ein paar Sekunden, also triff deine Wahl! Ich denke, wenn es nur um die Karte an sich geht, könnte ich das hinbekommen! Aber du musst entscheiden, ob es dir das wert ist!   Anya aber sah nur das Plakat an und den dazu grinsenden Matt. Ihr Blick gewann etwas Entschlossenes und sie betrachtete nur einmal kurz ihr Blatt. Und sagte nichts, sah kämpferisch zu Valerie auf, die zum ersten Mal an diesem Tag lächelte. Denn die Entscheidung war getroffen. „Sieht so aus, als könnte ich jetzt anfangen, das hier zu genießen“, strahlte Valerie zufrieden. „Ich muss erst darüber nachdenken, ob das, was du gesagt hast, wirklich stimmt“, erwiderte Anya grimmig, „aber mir ist selbst gerade aufgefallen, dass ich mich in etwas hineingesteigert habe.“ Sie nahm Pearls Karte sowie [Gem-Knight Fusion] von ihrem Friedhof, schob Erstere in ihre Hosentasche und Letztere in ihr Blatt, bevor sie fortfuhr. „Denn es sieht so aus, als müsste ich nichts mehr tun, als …“ Zusammen mit zwei Monstern zog sie die Zauberkarte wieder aus ihrem Blatt und hielt alle drei in die Höhe. Ein Wirbel entstand über ihr, der dutzende verschiedener Edelsteine aus dem Nichts in sich hinzog. „… als meine Lieblingskarte zu aktivieren! [Gem-Knight Fusion]!“ Über Anya tauchten zwei Ritter auf, einer in weißer Rüstung mit Kristallen an den Schulterplatten und einer in hellgrüner, welcher einen Rundschild mit sich führte, in dessen Mitte ein Smaragd platziert war. „[Gem-Knight Crystal], du bist das Element, [Gem-Knight Emerald], du der Ursprung! Vereinigt eure Kräfte“, schrie Anya, als beide in den Sog hineingezogen wurden, „Fusion Summon!“ Ein Lichtblitz schoss aus dem Vortex. Mit einem Satz landete ein massiver Krieger vor ihr, silbern gepanzert, dessen Arme so breit waren wie Laternenmäste, an ihren Enden prangerten pizzagroße, transparente Edelsteine. Ein blauer Umhang flatterte um seine Schulter. Als er sich vor Anya erhob, nannte diese ihn: „[Gem-Knight Zirconia]!“   Gem-Knight Zirconia [ATK/2900 DEF/2500 (8)]   Sofort wirbelte Anya herum zu den Zuschauersitzen, wo Matt aufsprang und das Plakat in die Höhe riss. Sie zeigte ihm beide Daumen, drehte sich dann aber sofort wieder zu Valerie um.   Gute Entscheidung.   Und auch wenn Anya Stolz verspürte, nagten auch Zweifel an ihr. Wieso hatte sie nicht gesehen, dass sie mühelos fusionieren konnte? Hatte Redfield etwa Recht? Die Fragen mit einem Kopfschütteln vertreibend, zeigte sie auf ihre Erzrivalin. „Ich hoffe, du bist gut gewappnet, denn jetzt gibt’s hart aufs Maul! Zirconia, direkter Angriff! Zirconia Smasher!“ Unmittelbar ihrem Befehl Folge leistend, stampfte der Ritter lautstark auf Valerie zu. Deren Lächeln nicht schwand, schon gar nicht, als sie den Arm über ihrer verdeckten Karte ausschwang. „Denkst du wirklich, dass es so einfach wird? Ich aktiviere [Call Of The Haunted]!“ Die Falle sprang auf, zeigte einen Friedhof bei Nacht. „Damit kann ich ein Monster von meinem Friedhof im Angriffsmodus reanimieren. Da das bei Moulinglacia leider unmöglich ist, wähle ich [Evigishki Merrowgeist]!“ Dutzende Grabsteine schoben sich aus dem Boden. Zwischen ihnen die rothaarige, fliegende Meerjungfrau mit dem blauen Zauberstab in der Hand.   Evigishki Merrowgeist [ATK/2100 DEF/1600 {4} OLU: 0]   Zirconia stoppte. Und Anya sah das Xyz-Monster perplex an. Wenn Redfield schon andere in ihr Elysion einladen konnte, war sie dann auch imstande zu inkarnieren!? Dann saß sie richtig tief in der Scheiße! … nein! Mit Ausnahme von [Gem-Knight Pearl] konnten die Paktmonster nicht im selben Zug inkarniert werden, in dem sie beschworen wurden! Das hatte sie vom Sammler erfahren, als er sie damals in sein perfides Spiel hineingezogen hatte! Damals, als sie auf der Suche nach Antworten war, wie man zu Eden wurde, damals, als dieser Scheiß hier anfing! „Es gibt nichts zu befürchten“, rief Anya ihrem Ritter grimmig zu, „hau mächtig drauf!“ Die einzige Person, die hier noch inkarnieren durfte, war sowieso sie, Anya Bauer! Ihr Monster setzte den Ansturm fort, hob seine Rechte und schmetterte diese mit aller Kraft in Richtung Merrowgeists, die von dem Treffer weggeschleudert wurde und in die Fassade unterhalb der Zuschauerränge hinter Valerie krachte, wo sie in tausend Teile zersprang.   [Anya: 400LP / Valerie: 1900LP → 1100LP]   Anya wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Dann nahm sie eine Fallenkarte, [Return From The Different Dimension], aus ihrem Blatt und schob sie in das D-Pad, sodass diese sich vor ihr materialisierte. „Die setze ich. Zug beendet! … phew, für einen Moment dachte ich echt …“   Ihre Gegnerin, die dabei war aufzuziehen, lachte vergnügt. „Wirklich? Wie kommst du auf so etwas?“ Doch ihre Stimme und ebenso ihr Gesichtsausdruck wurden schlagartig ernst. „Außer, in -dieser- Karte steckt noch mehr von dem ich nichts weiß. Anya?“ Jene verschränkte trotzig die Arme. „Heb' dir deine Fragen für später auf!“ „Na, wenn du es so eilig hast zu verlieren“, stichelte Valerie versöhnlich und nahm ein Monster aus ihrem Blatt, „das lässt sich arrangieren! Zunächst aber aktiviere ich [Pot Of Desires]!“ Plötzlich nahm die Schwarzhaarige einen ganzen Batzen an Karten von ihrem Deck auf. „Zwar muss ich dafür die obersten zehn Karten meines Decks verdeckt verbannen, darf aber danach zwei ziehen.“ „Bist du bescheuert!?“, herrschte Anya ihre Gegnerin verständnislos an. „Was, wenn dadurch wichtige Karten wie deine Ritualzauber verloren gehen!?“ „Seit wann kümmert dich so etwas? Aber keine Sorge, diese Karte kann strategisch ebenso eingesetzt werden, um mein Deck auszudünnen. Eigentlich benutze ich sie erst, wenn [Gishki Aquamirror] schon auf meinem Friedhof liegt, aber …“ Anya keuchte, als eine Vase vor Valerie erschien. Halb grün, halb violett, bestand sie aus den Töpfen der Gier und der Trägheit. Zehn symbolisch ließ Valerie die aufgenommen Karten in ihn hineinfallen, um dann zwei aufzuziehen. Und wenn sie schon ihre Strategie erklärte, dann … „… ist der Spiegel längst in ihrem Blatt“, begriff die Blonde. „Haha, wer weiß“, zwinkerte Valerie ihr zu. „Ich beschwöre [Gishki Marker], mit dessen Effekt ich ein Ritualmonster von meinem Friedhof ins Blatt nehmen kann!“ Vor der Schwarzhaarigen tauchte ein weiteres Seeungeheuer auf. Bei diesem handelte es sich um einen Humanoiden, dessen Kopf ein roter Tintenfisches war. Jener hielt in seinen Tentakeln zwei Schwerter, wohingegen der menschliche Teil mit einem Speer bewaffnet war.   Gishki Marker [ATK/1600 DEF/1200 (4)]   Genau diesen rammte das Wesen in den Boden. Valerie benannte das Ziel, dessen Karte sich infolge dessen aus ihrem Friedhofsschacht schob: „[Gishki Zielgigas]!“ „Ugh!“, keuchte Anya. „So leicht war es dann wohl doch nicht, ihn loszuwerden.“ Ihre Rivalin zückte eine Zauberkarte und zeigte diese vor. „Ich aktiviere [Gishki Aquamirror]! Um [Gishki Zielgigas] zu beschwören, muss ich Monster mit insgesamt zehn Stufen opfern! Das sind [Gishki Marker] von meinem Feld und [Evigishki Tetrogre] von meiner Hand!“ Ein goldener Spiegel tauchte aus dem Nichts vor Valerie auf. Seine runde Fläche bekam nach und nach Sprünge, bis der Spiegel in tausend Stücke zerbarst. „Erstehe auf aus der Finsternis des Ozeans! [Gishki Zielgigas]!“ Die vor ihr verteilt liegenden Scherben verflüssigten sich und bildeten eine wässrige Oberfläche, die die ganze, leicht erhöhte Duellplattform zu überfluten begann. Anya staunte nicht schlecht. „Wow Redfield, du zahlst zur Abwechslung mal die vollen Ritualkosten? Gerade jetzt, wo ich mir endlich gemerkt hatte, wie deine Substitut-Monster funktionieren! Tch!“ Diese erwiderte: „Man tut was man kann.“ Passend dazu erhob sich vor ihr eine düstere, drei Meter große Kreatur, die selbst Zirconia damit noch überragte. Dieses Monster glich mit seinen vier Armen und breiten Schwingen eher einem menschgewordenen Herkuleskäfer, denn einer Meereskreatur, aber das war nicht weiter verwunderlich, handelte es sich hierbei um eine wiedererweckte Form von [Steelswarm Hercules], einer Karte, die Matt einst gespielt hatte.   Gishki Zielgigas [ATK/3200 DEF/0 (10)]   Valerie schwang den Arm aus. „Das ist mein stärkstes Ritualmonster! Jetzt erlebe seinen Effekt! Für 1000 Lebenspunkte darf ich eine Karte ziehen und wenn diese ein Gishki ist, schicke ich deine gesetzte Karte postwendend ins Deck zurück!“ Die oberste Karte ihres Decks umfassend, riss die Schwarzhaarige sie förmlich davon und präsentierte sie stolz als das Effektmonster [Gishki Emilia].   [Anya: 400LP / Valerie: 1100LP → 100LP] „Huh!?“, staunte Anya Bauklötze. „Jetzt fängst du hier mit Cheat Draws an oder was!?“ „Nichts da, das war alles 100% ehrlich“, konterte Valerie, als ihr riesiges Insektenungeheuer alle vier Handflächen aufeinander legte und dazwischen eine schwarze Energiekugel auflud, die es wie eine Kanonenkugel auf die verdeckte Karte der Widersacherin seiner Herrin abfeuerte. Die weitete die Augen, als ihre Falle getroffen wurde und sich zersetzte, als wäre sie von Säure übergossen worden. Tosender Applaus und Jubel wurde Valerie zuteil, die eine kerzengerade Haltung annahm. Anya flüsterte fassungslos: „Das kann nicht sein … ich-!?“ „Nun benutze ich den Zauber [Double Summon] und rufe damit [Gishki Emilia] als zweite Normalbeschwörung!“, ließ Valerie sie nicht dazu kommen, die bittere Erkenntnis in ihrer Ganzheit zu erfassen und schob den Zauber in ihre Duel Disk. Zuerst war es nur eine Silhouette, die vor Valerie entstand, die eines Mädchens mit langem Haar. Erst nach und nach gewann diese an Gestalt, der rote Schopf wurde von einem Zauberhut bedeckt, der Körper steckte in einem Korsettkleid. Heiter drehte sich der immer noch leicht durchsichtige Geist Emilias einmal um die eigene Achse, ehe er energisch einen Zauberstab entstehen ließ und ergriff.   Gishki Emilia [ATK/1600 DEF/800 (4)]   Der Anblick der beiden Monster verschlug Anya die Sprache. Zielgigas war stark genug, um Zirconia zu vernichten. Emilia würde es danach beenden. Ihre verdeckte Karte war fort und konnte sie nicht mehr schützen … Schlaff sank Anya auf die Knie. „Sieht ganz danach aus, als hätte Anya Bauer ihre Niederlage vor Augen!“, röhrte Mr. C und das Publikum explodierte förmlich vor Enthusiasmus. Matt, der immer noch stand, ließ langsam Anyas Plakat sinken. „Tut mir leid Anya“, murmelte Valerie aufrichtig und senkte ihr Haupt, „aber wir wussten beide, dass es nur eine schaffen kann. Danke, dass du … auf mich gehört hast. Ich bin mir sicher, du-“ Dass Anya sie gar nicht schroff unterbrach, anfauchte, beleidigte, ließ das Mädchen verstummen. Sodass es sich schuldbewusst abwandte. „Dann ist das wohl das Ende. [Gishki Zielgigas], Infestation's Solitude Beam und Emilia, direkter Angriff!“ Der schwarze Insektenkoloss streckte seine Brust vor, in welcher das Wappen der Gishki in Rot eingelassen war … und fror ein, wurde binnen eines Herzschlags zu einer Eissäule. Emilia stoppte ebenfalls jegliche Bewegung und gab weißen Dunst von sich ab, als wäre sie von Innen tiefgefroren. „Nanu!?“, erschrak Valerie und wirbelte verwundert herum. Auch Anya sah überrascht auf, zeigte dann auf das D-Pad ihrer Erzrivalin. „Huh!? Redfield, da!“ Ein blaues Licht drang aus Valeries Friedhof, pulsierte in regelmäßigen Intervallen. Die bemerkte es auch und zog die eine Karte vorher, von der das Strahlen ausging: [Moulinglacia The Elemental Lord]. „Falls diese Karte das Spielfeld verlässt, überspringe die Battle Phase deines nächsten Spielzugs“, las Valerie den letzten Satz vor und sah ungläubig von der Karte hervor, „Anya! Dieser Satz stand dort vorhin noch nicht!“     Turn 72 – Dear Agony Exas Versuch, Jacks [Dragunity Knight – Trident] zu Fall zu bringen, ist gescheitert, wodurch er in eine gefährliche Lage gerät. Diese verschlimmert sich noch, als die Zankerei zwischen Logan und Zanthe aus dem Ruder zu laufen droht. Anderenorts erreicht auch das Duell zwischen Anya und Valerie seinen Höhepunkt … Kapitel 77: Turn 72 - Dear Agony -------------------------------- Turn 72 – Dear Agony     Die glitzernde Schockwelle, die der weiße Sternenkrieger [Constellar Pleiades] mit seinem massiven Zweihänder auf den fliegenden, hellblauen Drachen und seine metallisch gefiederte Reiterin, [Dragunity Knight – Trident], geschleudert hatte, prallte einfach an diesem ab und krachte gegen die Decke der stillgelegten U-Bahn-Station.   Constellar Pleiades [ATK/2500 DEF/1500 {5} OLU: 0] Dragunity Knight – Trident [ATK/2900 DEF/1700 (7)]   Exa stand da wie angewurzelt, als sich vor seinem Gegner eine Fallenkarte aus dem Nichts aufstellte. „[Skill Prisoner] ist eine weitere jener Karten, die sich auch aktivieren lassen, wenn sie auf dem Friedhof liegen. Man muss sie nur verbannen, um eine seiner Karten vor zielenden Monstereffekten zu schützen.“ Genüsslich rückte Jack seine Sonnenbrille zurecht und breitete danach die Arme aus. „Du wolltest doch hier dein Glück versuchen. Wie soll ich sagen? Du hast einfach Pech gehabt, an mich zu geraten.“ Der größere Exa funkelte ihn böse an. Sie befanden sich hier in diesem abgeschlossenen Stacheldrahtkäfig, der zu allem Überfluss auch noch Stromschläge austeilte, wenn man ihn berührte. Diese Erfahrung hatte er schon gemacht, wie die aufgerissene, blaue Strickjacke an seinem Rücken bewies. Dazu noch überall diese gaffenden Typen, die auf ihre Köpfe wetteten.   „Hab doch gesagt, der Junge mag arrogant wirken“, sagte Logan indes hinter Zanthe, der fassungslos zu Exa herübersah, „aber er ist und bleibt ein Profi. Kann nahezu jede seiner Karten zweimal benutzen, weshalb er sich nicht scheut, sie auch mal zu opfern.“ „Wenn du schon jemanden auf die Nerven gehen musst, dann doch bitte jemandem, der gerade nicht so blutdurstig ist wie ich“, schnarrte Zanthe, dabei böse über die Schulter blickend, „deine Organe werden's dir danken, glaub mir!“ Unbeeindruckt winkte der knapp einen Meter fünfundsechzig große Logan ab. „Witzig.“   Die Lage war ernst, mahnte Zanthe Exa in Gedanken und drehte sich diesem wieder zu. Jack kontrollierte ein Synchromonster, das dank der permanenten Zauberkarte [Dragon Mastery] 500 Angriffspunkte erhielt, solange es mit einer Dragunity-Karte ausgerüstet war. Und auch wenn der Schein trog, so war genau das der Fall: [Dragunity Brandistock] befand sich in Jacks Zauberkartenzone und erlaubte es Trident obendrauf noch, zweimal pro Battle Phase anzugreifen. Was im nächsten Zug reichen würde, wenn man sich die Lebenspunkte Exas genau ansah …   [Exa: 3000LP / Jack: 3000LP]   Immerhin hielt sein Freund noch zwei Karten auf der Hand, Jack nicht. Dafür kontrollierte Exa neben [Constellar Pleiades] keine anderen Karten. Wenn er nicht schon seit geraumer Zeit welche hätte, würde diese Situation Zanthe ziemliche Kopfschmerzen bereiten. Besonders, weil Exa längst noch nicht bereit war, es mit einem Profi wie Jack aufzunehmen, wie der Werwolf inzwischen begriffen hatte. Und am schlimmsten von allem, war alles hiervon seine Schuld …   „Uh, das ist jetzt schlecht“, murmelte Exa vor sich hin und betrachtete seine Handkarten, ein Monster und eine Falle. Da war es wohl offensichtlich, was zu tun war. „Ich setze eine Karte verdeckt.“ Die purpur umrandete Karte erschien vergrößert mit dem Kartenrücken nach oben zu seinen Füßen und stellte damit gleichzeitig seine letzte Hoffnung dar, irgendwie aus dieser Sache heil heraus zu kommen.   Jack fuhr sich mit beiden Händen über das blonde, hochgegelte Haar. „Bist du endlich fertig?“ Als Exa grimmig nickte, griff der arrogante Ex-Weltmeister nach seinem Deck und zog schwungvoll. Nachdem er sich die Karte kurz zu Gemüt geführt hatte, grinste er bitterböse. „Na das passt doch perfekt. Ich aktiviere den Ausrüstungszauber [Dragunity Divine Lance].“ Auch wenn der Name der Karte verriet, dass es sich um eine Lanze handelte, erschien in der Hand der grünen Reiterin Tridents vielmehr ein Schwert. Es bestand aus verschiedenen Körperteilen des Dragunity-Stamms: Insgesamt acht verschiedene, getrimmte Schwingen bildeten die Parierstange, wohingegen die Klinge selbst aus diversen Waffenteilen bestand, die man sonst an den Köpfen der Drachen fand – allen voran eine kurze, breite Lanze. „Dieses Prachtstück erhöht nicht nur die Angriffskraft des ausgerüsteten Monsters um das Hundertfache seiner Stufe“, erklärte Jack zufrieden, „nein, sie lässt mich auch einmal pro Zug einen Dragunity-Empfänger mit jenem Monster ausrüsten.“ Sowohl der himmelblaue Drache mit dem Dreizack-Unterkiefer, als auch seine Reiterin erstrahlten in goldener Aura.   Dragunity Knight – Trident [ATK/2900 → 3600 DEF/1700 (7)]   Anstatt einfach einen Namen zu nennen, nahm Jack sein Deck aus der Halterung des schwarzen D-Pads und fächerte es vor sich auf. Dabei grübelte er laut: „Welches nehm' ich denn? Ah, das ist gut!“ Der Kartenstapel wurde zurück in seinen Schacht gezogen und sein Besitzer präsentierte die Karte vor Exa. „[Dragunity Corsesca]! Wie gesagt, der wird jetzt auch an Trident ausgerüstet.“ Ein hautfarbener Drache mit breiten, ledrigen Schwingen und einem Mithrildreizack auf dem Kopf erschien kurz vor seinem Daddy, ehe er als geisterhafte Silhouette in ebenjenem verschwand. „Und was soll das bringen?“, fragte Exa und verschränkte die Arme. „Im besten Fall? Gar nichts.“ Jack setzte ein süßliches, falsches Lächeln auf. „Das kommt ganz auf dich an, mein Bester.“ Schlagartig stieß er seine Hand nach vorne. „Machen wir dem Trauerspiel ein Ende! [Dragunity Knight – Trident], greif' [Constellar Pleiades] an! Divine Trident Strike!“ Der Drache setzte sofort zum Sturzflug auf den weißen Krieger an, welcher schützend sein Schwert vor sich hielt. „Wessen Trauerspiel?“, fragte Exa bissig und betätigte den Auslöser seiner verdeckten Karte. „Meines sicher nicht! Ich aktiviere [Stellarnova Burst], eine dauerhafte Fallenkarte! Pro Zug kann ich ein Tellar-Monster, wozu auch Pleiades gehört, vor einem Angreifer bewahren …“ Die Falle sprang auf, zeigte die Silhouette eines Kriegers, von dem in alle Richtungen flammende Wellen ausgingen. Exa fügte hinzu. „… indem er direkt zerstört wird!“ Sein Pleiades imitierte die Körperhaltung seines Vorbilds auf der Fallenkarte, streckte sich voll durch und löste eine gewaltige Flammenwelle von sich, die dem Drachen und seiner Reiterin entgegen schlug. „... langweilig.“ Unbeschadet passierte [Dragunity Knight – Trident] den Gegenangriff. Auf dessen Rücken holte die Vogelkriegerin [Dragunity Militum] mit der heiligen Lanze ihres Stammes aus und köpfte Pleiades im Vorbeiflug. „Aber ich habe doch-!?“, schoss es aus Exa, welcher kurz darauf selbst zum Opfer ebenjener Waffe wurde. Militum streifte damit seine Schulter, wodurch der Blonde gequält aufschrie, nach hinten geworfen wurde und gegen das Gitter des Zaunes stieß.   [Exa: 3000LP → 1900LP / Jack: 3000LP]   Einige Zuschauer jubelten, andere buhten lautstark, wobei die Verschmähung noch eher Exa galt, als seinem Gegner. Umso lauter wurden die Zurufe noch, als der junge Mann von einem Stromstoß gepeinigt wurde. „Ahhh!“ Kraftlos fiel Exa vorne über und landete auf dem Bauch. Sein ohnehin schon geschundener Rücken dampfte regelrecht, sein Körper zitterte unkontrolliert. Zanthe weitete die Augen. „Exa!“ „[Dragunity Divine Lance] macht seinen Träger vor Fallenkarteneffekten immun“, erklärte Logan hinter ihm und strich sich von seiner rechten Kotelette hin über das Kinn, „sieht übel aus.“   Indes schob sich eine Karte aus Jacks Deck, die dieser aufnahm und vorzeigte. Es handelte sich um ein Effektmonster namens [Dragunity Darkspear]. „Unnützes Wissen: Wenn ein mit Corsesca ausgerüstetes Monster ein anderes im Kampf besiegt, bekomme ich ein Monster mit demselben Typ und Attribut seines Trägers. Also ist es in dem Fall ein Wind-Drache.“ Kaum war das gesagt, schnippte Jack provokant mit dem Finger und zeigte damit nach unten, ganz als würde er einem Hund das Sitz-Kommando geben. „Tu uns beiden einen Gefallen und bleib gleich liegen, ja?“ „Meine Falle hätte-!“ „Deine Falle ist ganz nett, aber nutzlos gewesen im Angesicht von [Dragunity Divine Lance]“, wurde Exa dasselbe wie Zanthe erklärt, „was wiederum heißt, dass ich dich ungehindert noch einmal dank des Ausrüstungseffekts von [Dragunity Brandistock] angreifen kann. Also, bye bye!“ Jacks Drache zog im Stacheldrahtkäfig seine Bahn, umkreiste den blonden Ex-Weltmeister und visierte anschließend den liegenden Exa an, welcher sich gerade in die Hocke aufgerichtet hatte. Passend zu seinen Worten winkte Jack und drehte sich um. Exa weitete die Augen, als der hellblaue Drache direkt auf ihn zugeflogen kam. Dann betätigte er noch einmal den Auslöser seiner Falle. „Zweiteffekt von [Stellarnova Burst]! Ich kann sie opfern, um direkten Kampfschaden zu halbieren.“ Die Karte löste sich auf und erzeugte einen weißen Schimmer um Exa, da wurde dieser auch schon vom Drachen erfasst und per Kopfnuss fortgeschleudert. Mit voller Wucht knallte er in den Zaun, stieß einen bestialischen Schrei aus, welcher jedoch verstummte, als der Stromschlag folgte.   [Exa: 1900LP → 100LP / Jack: 3000LP]   „Oh nein“, stammelte Zanthe beim Anblick seines Freundes, der sich nicht mehr vom Zaun lösen konnte und immer weiter gepeinigt wurde, „das ist alles …“ „Deine Schuld?“, beendete Logan den Satz für ihn und fasste sich an die Stirn. „Damit haste nicht ganz Unrecht.“ Sofort wirbelte der Werwolf um. „Was weißt du schon!?“ „Dass hierher zu kommen eine dumme Idee war.“ „Er hat kein Zuhause, kein Geld, gar nichts! Irgendwie muss er doch-!“ Der kleinere, aber ältere Mann schnitt ihm scharf ins Wort: „Seine Gesundheit aufs Spiel setzen? Großartiger Einfall, den du da hattest …“   Gleichzeitig kippte Exa leblos nach vorne und knallte auf den Marmorboden. Jack drehte sich ihm wieder zu, beäugte den Blonden abschätzig. „Hartnäckig wie eine Kakerlake, wirklich wahr. Na ja, ob du nun eine Runde länger vor dich hinschmorst soll mir auch egal sein. Effekt von [Dragunity Knight – Trident]. Ich opfere zwei meiner Karten …“ Die aufrecht stehende Zauberkarte [Dragon Mastery] löste sich in goldene Funken auf, ebenso die ausgerüstete Monsterkarte Corsescas. Zusammen wurden die Partikel von Trident absorbiert. „… um zwei aus deinem Extradeck zu eliminieren. Nur für den unwahrscheinlichen Fall, du verstehst? Cease Existence!“ Im Maul und an den daneben befindlichen Spitzen des Drachen entstanden goldene Entladungen, die dieser als gebündelten Strahl auf den regungslosen Exa abfeuerte. Dessen Duel Disk wurde getroffen und warf die Xyz-Monster [Stellarknight Triverr] und [Stellarknight Delteros] aus, welche vor dem jungen Mann auf dem Boden liegen blieben. „Da [Dragon Mastery] fort ist, verliert Trident die 500 Extrapunkte, die meine Zauberkarte ihm verliehen hat. Aber das ist nicht weiter schlimm …“   Dragunity Knight – Trident [ATK/3600 → 3100 DEF/1700 (7)]   „… ich weiß, wie es ist, alleine zu sein! Niemanden und nichts zu haben! Sich um sich selbst kümmern zu müssen, weil kein einziger Mensch sich um dich schert!“, brüllte Zanthe Logan regelrecht an. Seine Halsschlagader pochte wie verrückt. Logan funkelte den Kopftuchträger böse an. „Und da ist dir nichts Besseres eingefallen, als ihn hierher zu bringen? Warum hast du nicht selbst gekämpft?“ „Was!?“ Zanthe verkrampfte. „Du bist mit Sicherheit erfahrener als er, wenn du ihm das Spiel beigebracht hast, wie du eben sagtest. Warum bist du es nicht, der im Ring steht, wenn du schon so gute Einfälle hast?“ Es war pure Verachtung, die aus seinen Worten sprach. Der junge Mann, welcher tatsächlich viel älter als Logan war, biss sich auf die Lippen. Und ballte beide Hände zu Fäusten …   Exa hielt die Augen geschlossen, hörte aber verschwommen, wie die beiden sich stritten. Sein Körper gehorchte nicht mehr, war taub. Verdammt, ausgerechnet Elektrizität, sein geschworener Erzfeind! Lebte er überhaupt noch? Musste doch so sein, wenn man Zanthes Geschrei nicht überhören konnte. Und wenn er dieses richtig deutete, würde bald ein Unglück geschehen, sofern niemand etwas unternahm. Zanthe war längst an seinem Limit … „Du kleiner Scheißer“, murmelte Exa. Jack schnaubte. „Meinst du mich?“ „Wen sonst? Du hast noch nie richtig geblutet, nicht wahr?“ Exa öffnete das rechte Augenlid und bewegte mit größter Mühe seine Hand zum Deck. „Solche wie du sind hier fehl am Platz. Draw.“ Während er aufzog, herrschte sein Gegner ihn ungehalten an: „Was willst du mir damit sagen? Dass ein lausiger Amateur wie du-!?“ „Es tut mir leid, Zanthe. Aber ich muss mein Versprechen brechen. Einen anderen Weg gibt es nicht für mich.“ Exas blau-weiße Duel Disk leuchtete plötzlich in ihren eigenen Farben auf. Nur für einen kurzen Moment, unbemerkt von den Anwesenden. Oder nicht als das wahrgenommen, was es bedeutete. Denn diese Sekunde war es, in der Exa sich mit einem Schlag so schnell erhob, dass Jack vollends verstummte. Mit fester Entschlossenheit wurde der Blonde mit der Sonnenbrille angefunkelt. Dann ballte Exa eine Faust und presste sie gegen seine Brust, wobei er sein offen stehendes Augenlid wieder schloss. „The stars have decided!“ Jene Hand streckte er in die Höhe aus. Sieben Lichter stiegen aus seiner Brust auf, kreisten umeinander und positionierten sich. Um das erste schloss sich ein Energiering. Ein größerer schloss diesen ein, wobei sich an dessen Rand ein weiteres der Lichter positionierte. Das Ganze wiederholte sich noch fünfmal und Exa rief: „Witness the creation of the eternal gate!“ Die Lichter schwanden, die Kreise transformierten sich in verschiedene Schichten einer Steintafel, die sich abwechselnd im oder gegen den Uhrzeigersinn drehten. Wo die Lichter einst strahlten, hatten nun Runen ihre Position eingenommen. „Summoning contract established!“ Damit riss Exa die erhobene Hand herunter und präsentierte seinem Gegner den Handrücken, auf dem ein kompletter, türkis leuchtender Schriftzug eingraviert war. Es handelte sich um die sieben Runen in den Kreisen. „Open the eternal gate! Excel Summon!“ Ein Steinkreis nach dem anderen schoss schräg nach hinten, über Exa hinweg und öffnete damit ein Portal. Eines, das Einblick in das Weltall bot. „Grade 7! Rule indefinitely, [Cosmic Enforcer – Event Horizon]!“ Ein Licht schoss daraus hervor und blendete insbesondere die beiden Duellanten, wobei immer mehr geschockte Ausrufe seitens der Zuschauer laut wurden. Aber Zanthe bemerkte das gar nicht. Das Blut rauschte in seinen Ohren. „Du elender Bastard, wer glaubst du eigentlich, wer du bist?“ „Kannst du die Wahrheit nicht vertragen?“, herrschte Logan ihn ungewohnt zornig an. Wütend klopfte er gegen seine Brust. Zanthe hörte das Herz, das darin heftig schlug. „Ich habe auch alles verloren, als Claire Rosenburg meine Karriere beendet hat! Meine Freunde haben sich von mir abgewendet, das Geld wurde knapp! Aber ich habe nicht rumgewinselt wie ein Baby, nur weil die Zeiten schlechter wurden!“ Dieser Duft … es war Logans Schweiß. Etwas flackerte in Zanthes Augen auf. Er zeigte Zähne. „Das ist mir egal …“ Seine Fäuste lockerten sich. Weil seine Fingernägel sich in Krallen transformierten. Unbemerkt blieb im Dunkel der 'Temptation Lair' auch, dass sich seine Haut im Gesicht langsam schwarz verfärbte.   Einige der Anwesenden stießen Schreie aus, als sie sahen, was dort im Riss des Raum-Zeit-Gefüges über Exa lauerte. Ein riesiges, weißes Schlachtschiff, nicht unähnlich einem Satelliten. Das Heck bestand aus einer ausgehöhlten Sphäre, in welcher ein blauer Kern leuchtete und von der sich vier gigantische Tragflächen erstreckten, die spitz zuliefen. In regelmäßigen Abständen wurden diese fortgesetzt von spitzen Minitragflächen, die jedoch nicht mit dem Schiff verbunden waren. Wie Dornen ragten besagte Auswüchse nach vorn.   Cosmic Enforcer – Event Horizon [ATK/2500 DEF/2000 X7]   „Du willst mich verarschen, oder? Wo kommt die her?“ Jacks aufgerissene Augen hinter der Sonnenbrille waren einzig auf den Dimensionsriss über Exa gerichtet. „Was ist das für eine Karte!?“ Ebenjene nahm Exa von seiner Duel Disk und präsentierte sie. Statt eines farbigen Rands vorzuweisen, wie es alle anderen Karten taten, bestand diese vollständig aus ihrem Artwork. „Ein Excel-Monster. So etwas hast du noch nie gesehen, nicht wahr?“ „So etwas gibt es nicht!“ „Anscheinend schon. Frag mich nicht, wie sie funktionieren, vorhin ging es nicht. Aber“, sagte Exa, legte eine Pause ein sowie ein siegessicheres Grinsen auf, „ich schätze, sie stehen in Verbindung mit der-“   Er wurde von lautem Geschrei diverser Zuschauer unterbrochen. Noch einen kurzen Blick über die Schulter erhaschend, konnte er verfolgen, wie sich Zanthe auf Logan stürzte und ihn zu Fall brachte. Umgeben von einer Traube Männer, die die beiden Kämpfenden anfeuerten. Sofort wandte sich Exa seinem Gegner wieder zu. „Keine Zeit mehr für Spekulationen! Effekt von Event Horizon aktivieren! Black Hole Distortion!“ Die kleinen Spitzen vor den Tragflächen schwärmten aus und schossen, jede für sich, dutzende Lichtstränge ab, die aus dem Spalt drangen und den Drachen samt Reiterin fesselten. Dann leuchtete der blaue Kern des Schiffes auf, Trident verzerrte sich immer mehr zu einem einzigen Farbenbrei, wurde von den Strängen ins Loch des Raum-Zeit-Gefüges gezogen. „Was tust du da!?“, überschlug sich Jacks plötzlich erstaunlich heisere Stimme. Sein Drache tauchte auf 'der anderen Seite' wieder auf und wurde in den blauen Lichtkern Event Horizons geführt, in dessen Licht er endgültig verschwand. „Mit diesem Effekt wird dein altes Monster transformiert und zwar in eines, das aus ihm entstehen könnte. White Hole Emission!“ Just in diesem Moment tauchten drei Reihen weiß umrandeter Karten vor Jack auf, in der letzten fehlte jedoch die unterste rechte. Und sie alle verschwanden wieder. Im All bei Event Horizon passierte rein gar nichts. „Oh? Keines deiner Synchromonster könnte [Dragunity Knight – Trident] als Material gebrauchen?“ Exa lachte auf. „Das ist schlecht. Für dich. Denn unabhängig davon, erhält mein Monster die Hälfte der Angriffskraft deines absorbierten!“ Panisch wich Jack zurück, quiekte förmlich: „Du machst doch Witze!“ Während sich die Spitzen wieder vor den Tragflächen des Kampfschiffes formierten, begann der ganze Raumkreuzer weiß aufzuleuchten.   Cosmic Enforcer – Event Horizon [ATK/2500 → 3700 DEF/2000 X7]   „Für so etwas habe ich keine Zeit mehr! Beende es, Event Horizon! Direkter Angriff mit Planet Obliteration!“ Sofort verteilten sich die Mini-Tragflächen in alle Richtungen vor dem Mutterschiff, wie ein Wespenschwarm. Sie alle feuerten gleichzeitig orangefarbene Laserstrahlen ab, die dem Dimensionsriss bedrohlich näher rückten. Der Größere wirbelte um und streckte den Arm aus. „Viel Spaß noch …“   Indes hockte Zanthe auf Logan und schlug wiederholt in dessen Gesicht. Seine Augen leuchteten schwach grünlich. Blut spritzte ihm an die Wange. Der 'Zwerg' jedoch wehrte sich, obwohl er aus beiden Mundwinkeln stark blutete. So packte er kurz vor dem nächsten Treffer die Rechte des Werwolfs. Presste hervor: „Was ist los mit dir!?“ Doch es gab keine Antwort, nur ein Schnaufen. Zanthe versuchte sich loszureißen und schlug diesmal mit seiner Pranke über Logans Brust. Das schwarze Shirt riss, blutende Kratzer waren die Folge. „Hör auf!“, schrie Exa, der den beiden im Käfig zugewandt stand. Die abgerundete Duel Disk an seinem Arm ruckte ein Stück nach vorne, klappte an der Plastikverkleidung aus und offenbarte ein Sägeblatt an den Monsterkartenzonen. Dieses hob der Blonde über seinen Kopf, näherte sich noch einen Schritt dem elektrisierten Zaun. Indes schossen über ihm dutzende, nein hunderte Lichtstrahlen aus dem Dimensionsriss und schlugen in Jacks Umfeld ein. „Nein!“, schrie dieser panisch und wurde weggeschleudert, wobei er seine Sonnenbrille verlor. Mit voller Wucht krachte er in den Gitterzaun und wurde dafür sofort mit Stromschlägen bestraft, die ihn entsetzlich aufschrien ließen.   [Exa: 100LP / Jack: 3000LP → 0LP]   Und während der Dimensionsriss verschwand, ließ Exa den Arm herab schnellen. Funken sprühten, als sich das Sägeblatt an seiner Duel Disk in Bewegung setzte und die Maschen mühelos durchtrennte. Überall um ihn schlugen elektrische Ladungen, ohne den jungen Mann jedoch diesmal in irgendeiner Form zu behindern.   Zanthe verpasste Logan einen weiteren Hieb ins Gesicht. Seine Hände waren blutverschmiert, ebenso das Gesicht seines Gegners. Überall um sie herum standen Männer, die die beiden anfeuerten. Dass Exa durch ein unbekanntes Monster gewonnen hatte, war fast völlig in den Hintergrund geraten. Gerade wollte Zanthe wieder auf seinen inzwischen regungslosen Gegner einschlagen, da bemerkte er, wie blutig seine Klauen inzwischen waren. Fasziniert hob er sie auf Augenhöhe und drehte sie vor sich hin. Führte sie zu seinem Mund und streckte die Zunge danach aus.   Inzwischen hatte Exa es geschafft, ein kleines Loch in den Zaun zu sägen, welches er mit einem Fußtritt freilegte. Sich darunter hindurch duckend, eilte er auf seinen Freund zu, der gerade seine Finger ablecken wollte. Das musste er verhindern, sonst würde Zanthe nie wieder der sein, der er war! Unerwartet stellte sich ihm jedoch der Leiter der 'Temptation Lair', Roy Gilbert, in den Weg. „Was denkst du, tust du da!?“, fauchte er, mit Zeigefinger auf den zerstörten Käfig gerichtet, wo Jack im Hintergrund noch immer von wiederholten Stromstößen gefoltert wurde, sodass er inzwischen seine Hose 'benetzt' hatte. Exa schwang die Sägeklinge nach ihm, sodass der Mann mit dem Cowboy-Hut erschrocken zurückwich, auf dem Hosenboden landete und dem großen, jungen Mann wie gelähmt hinterher sah. Nur noch ein paar Zentimeter trennten Zanthe davon, ein Sklave seines Fluchs zu werden. So hatte er es einmal beschrieben, als sie sich darüber unterhalten hatten, was es bedeutete, ein Werwolf zu sein. Als sie Exa näher kommen sahen, wichen die Gaffer beiseite. Der Blonde schloss die Augen und setzte zum Sprung an. Er verlagerte sein Gewicht nach vorn und versetzte Zanthe einen derartigen Stoß, dass dieser zusammen mit ihm von Logan geschleudert wurde. Der kam seinerseits zu Sinnen und rollte sich von den beiden weg.   Nach einem kurzen Gerangel der beiden Freunde war es Exa gelungen, die Oberhand zu gewinnen, sodass er auf Zanthe hockte und ihn am Kragen seines Hemds festhielt. „Hör auf damit!“, schnauzte er ihn an. Der stieß jedoch nur unmenschliche Schreie aus und holte nach dem Blonden aus, welcher eine unschöne Backpfeife verpasst bekam. „Was ist mit ihm los!?“, fragte der unweit von ihnen am Boden liegende Logan, wobei er sich seine blutende Nase hielt. „Drogenentzug“, log Exa, ohne den anderen Mann anzusehen. Und verpasste Zanthe kurzerhand mit seiner inzwischen wieder eingefahrenen Duel Disk einen Schlag so hart ins Gesicht, dann noch einen und einen dritten, dass der Werwolf am Ende reglos liegen blieb. Das Dunkle aus seinem Gesicht schwand, die Klauen wurden wieder zu Händen – seine unvollständige Verwandlung war mit seiner Bewusstlosigkeit beendet worden.   Den Berserker damit endlich zur Ruhe gebracht habend, stand Exa auf, schnappte sich Zanthe und schulterte ihn sich, als wäre der nichts weiter als eine Strohpuppe. „Schnappt euch den Neuling und seinen Freund!“, hallte von irgendwo Roys Stimme durch die dunkle U-Bahn-Station. Kaum einer der Männer um sie herum rührte sich jedoch bei dem Anblick des großen, jungen Mannes, der mühelos einen mindestens 70 Kilogramm schweren Burschen wie Zanthe schultern konnte. „Ich habe keine Ahnung, was du zu ihm gesagt hast, aber … komm ihm noch einmal zu nahe und du endest wie der da“, zischte Exa hasserfüllt und deutete auf Jack, der mittlerweile im Käfig lag, ebenso bewusstlos wie Zanthe. Hinter ihm wurde gerade die Tür geöffnet. Logan versuchte sich aufzurappeln, doch ihm fehlte im ersten Moment schlichtweg die Kraft dazu. Er erwiderte mit einem grimmigen Lachen: „Der Kleine ist ganz schön kräftig dafür, dass er so unscheinbar ist. Verträgt nur die Wahrheit nicht sehr gut.“ Wortlos führte Exa seine freie Hand zu seinem Gesicht. „Hey, wenn du Arbeit brauchst … ich suche noch jemanden für meine Werkstatt“, bot Logan an, „ist besser, als hier wie ein Tier im Käfig behandelt zu werden.“ „Nein danke.“ Und dann war Exa einfach an Ort und Stelle verschwunden, gerade als Roy sich durch die Zuschauertraube gedrängt hatte und dazu gestoßen war. Zwei Männer, die hinter Logan standen, wurden plötzlich zur Seite geschmissen und schrien dabei erschrocken. Das Augenmerk der Anwesenden richtete sich mangels Alternativen auf den blutverschmierten KFZ-Mechaniker, der ironisch anmerkte: „Hab' mal wieder besonders viel Glück heute, was?“   ~-~-~   „Ich will eine Erklärung dafür, sofort!“, verlangte Valerie aufgebracht. Statt den finalen Schlag auszuteilen, war ihr drei Meter großer, vierarmiger Herkuleskäfer-Krieger zu einer Eissäule gefroren. Neben ihm verharrte ebenso erstarrt der Geist von [Gishki Emilia], einer rothaarigen Magierin mit Hut auf dem Haupt und Stab in der Hand.   Gishki Zielgigas [ATK/3200 DEF/0 (10)] Gishki Emilia [ATK/1600 DEF/800 (4)]   [Anya: 400LP / Valerie: 100LP]   Die Finger der Schwarzhaarigen mit dem voluminösen Pferdeschwanz klammerten sich um ihre letzte Handkarte und diese eine, wegen der sie jetzt in diese Lage geraten war. Verkrampft stand sie da, im Angesicht der auf die Knie gesunkenen Anya, die mit weit aufgerissenen Augen ihre Fähigkeit zu Sprechen eingebüßt zu haben schien. Vor der Blonden in dem dunkelblauen Werbe-T-Shirts stand ein massiver Ritter in silberner Rüstung, dessen Arme so dick wie Pfeiler waren, an deren Enden sich pizzagroße, durchsichtige Edelsteine befanden. Gem-Knight Zirconia [ATK/2900 DEF/2500 (9)]   Anya blinzelte. Was war da gerade geschehen? Redfield wollte sie angreifen und … auf der Karte von [Moulinglacia The Elemental Lord] war ein Satz erschienen, der ihre Battle Phase unterbrochen hatte? Das war doch Schwachsinn! „Du hast ihn bestimmt nur übersehen, weil du nur das Finale im Kopf hattest“, giftete Anya und erhob sich wieder. „Also erfinde keine Ausreden, Redfield!“ „Das ist keine Ausrede!“, donnerte die zurück und sah prüfend noch einmal Moulinglacias Karte in ihrer Hand an. „Nanu?“ Mr. Cs Stimme unterbrach die beiden Streitenden. „Offenbar gibt es dort unten ein Problem?“ Das Publikum war mucksmäuschenstill. Anya verschränkte mit ihren beiden Karten in der Hand provokativ die Arme und starrte ihre Rivalin herausfordernd an.   Jene biss sich auf die Lippen. Da ging doch etwas nicht mit rechten Dingen zu! Aber das konnte sie unmöglich beweisen, wenn der Effekttext von Moulinglacia sofort das Gegenteil bewies. Wütend rammte sie den wieder in ihren Friedhofsschacht. Außerdem durfte sie keine Aufmerksamkeit erregen, sonst zog das am Ende nur unangenehme Fragen nach sich. Valerie schluckte ihren Ärger hinunter. Nein … Anya war unschuldig, das wusste sie, immerhin hatte sie ihre Niederlage bereits vor Augen gehabt und war deswegen auf die Knie gesunken. Und da ihre Schauspielkünste miserabel waren, gab es auch keinen Grund, an dieser Reaktion zu zweifeln. Was aber nicht bedeutete, dass Valerie das so einfach hinnehmen würde. Dafür musste sie Anya nach dem Duell zur Rede stellen!   Ihre letzte Handkarte nehmend, schob sie diese in ihr rotes D-Pad. Zischend materialisierte sich die Falle zu ihren Füßen. „Diese setze ich und beende meinen Zug. Das heißt, dass [Gishki Emilia] wieder auf meine Hand zurückkehrt, da es sich bei ihr um ein Spirit-Monster handelt.“ Der tiefgekühlte Geist der rothaarigen Magierin verschwamm und löste sich in blauem Licht auf, als Valerie sie von der Monsterkartenzone nahm. Gleichzeitig platzte das Eis um [Gishki Zielgigas] weg, sodass der schwarze, vierarmige Insektenkrieger wieder zum Leben erwachte. „So ein Scheiß“, fluchte Anya lautstark, „dann kann ich das Miststück gar nicht angreifen!“ „Damit hat Valerie Redfield gleich einer potentiellen Niederlage vorgebeugt! Ich muss sagen, liebe Zuschauer, diese beiden Damen schenken sich nichts!“ Was die Zuschauer wohlwollend und unter lautstarken Zurufen begrüßten.   „Ich bin so weit gekommen, da werde ich mit dir auch noch fertig!“ Anya griff nach ihrem Deck und funkelte dabei Zielgigas an, welcher ihr mehr als nur ein Dorn im Auge war. „Draw!“ Schwungvoll riss sie die Karte vom Deck und identifizierte sie als [Gem-Knight Alexandrite], den Valerie zu Beginn des Duells von ihrem Blatt ins Deck geschickt hatte. Perfekt, genau was sie brauchte. „[Gem-Knight Turquoise] wird vom Friedhof verbannt, damit ich [Gem-Knight Fusion] von dort zurückerhalte“, erklärte Anya, steckte sich erstgenannte Karte in die Hosentasche und zückte letztere zusammen mit zwei anderen. „Jetzt zeige ich dir, wie man dein dämliches Ritualmonster noch toppen kann, Redfield!“ Voller eifriger Vorfreude nahm das Mädchen [Gem-Knight Zirconias] Karte vom D-Pad und hielt sie zusammen mit den anderen dreien in die Höhe. „Ich benutze [Gem-Knight Fusion], um Zirconia von meinem Feld mit [Gem-Knight Sardonyx] und [Gem-Knight Alexandrite] von meiner Hand zu verschmelzen.“ Über ihr entstand ein mächtiger Vortex, der dutzende Edelsteine, welche aus dem Nichts auftauchten, in sich hineinzog. Auch der massive Zirconia wurde in die Luft empor gehoben und schwebte rückwärts auf den Sog zu. Links neben ihm erschien ein Ritter in metallischer Rüstung, welcher einen Morgenstern aus rot-weißem Mineral an einer Kette schwang. Dagegen gewann zu seiner Rechten ein weißer, unbewaffneter Krieger Form, dessen ganze Rüstung mit bunten Edelsteinen besetzt war. Zu dritt wurden sie von dem Edelsteinwirbel absorbiert. Und Anya zitierte: „Drei Lichter kreuzen den Weg des Lichts! Körper, Seele und Herz verschmelzen und werden zu der Macht, die in ihrer Reinheit einem Diamanten gleicht! Werdet eins!“ Ein grelles Licht drang aus dem Mittelpunkt des Sogs, aus welchem eine massive Klinge geflogen kam und knapp zwei Meter vor Anya im Untergrund stecken blieb. „Werdet [Gem-Knight Master Diamond]!“ In dem Moment schwang Anya ihre rechte Hand zur Seite aus, die in violetten Flammen aufging. Die sieben Edelsteine, die in der Klinge des Schwertes befestigt waren, begannen einer nach dem anderen in den Farben des Regenbogens zu leuchten. Um die Waffe herum sammelte sich winziger, mit bloßem Auge kaum erkennbarer Diamantenstaub, der die Gestalt eines mächtigen, zwei Meter großen Ritters bildete. In silberner Rüstung, zog er das Schwert unter wehendem Umhang mit nur einer Hand aus dem Boden. „So sieht ein richtiger Boss aus!“, flötete Anya.   Gem-Knight Master Diamond [ATK/2900 DEF/2500 (9)]   „Anya Bauer hat offenbar ihr stärkstes Monster aufs Spielfeld gebracht! Was hat sie wohl dazu getrieben, gleich drei ihrer Gem-Knights zu fusionieren!? … und wieso brennt ihre Hand? Fragen, liebe Zuschauer, Fragen!“ Erschrocken schüttelte die Blonde ihre entflammte Hand, sodass das violette Feuer sich verzog wie Rauch im Wind. Mr. Cs Einwand war jedoch nicht der Grund dafür. Diese Flamme symbolisierte die Fähigkeit, anderen physisches Leid durch Master Diamond zuzufügen und das wollte Anya nicht. Auch wenn der Gedanke, dass Redfield ein paar Kratzer davontrug, durchaus verlockend war. Andererseits, es reichte ihr schon, ihre Erzrivalin aus dem Turnier zu kicken und damit deren Name von der 'Pitchest Black'-Liste zu streichen. „Ich hoffe, du bist bereit für ein wenig Action“, erkundigte sich Anya kampflustig. „Master Diamond kennst du ja noch von unserem letzten Duell. Für jeden Gem-Knight auf meinem Friedhof erhält er 100 Angriffspunkte. Und im Moment sind da genau acht!“ Mühelos nahm ihr strahlender Ritter das massive Breitschwert und schulterte es, seine Konturen begannen leicht zu verschwimmen.   Gem-Knight Master Diamond [ATK/2900 → 3700 DEF/2500 (9)]   Erschrockene Laute aus dem Publikum, die wie Musik in Anyas Ohren waren. Ihr Zeigefinger schnellte nach vorne, deutete auf [Gishki Zielgigas]. „Dein letztes Stündlein hat geschlagen und das deiner Herrin mit den riesigen Eutern gleich mit!“ „Anya!“, fauchte Valerie peinlich berührt und hielt sich die Arme vor die Brust. „Nicht Anya, 'aua' heißt das! [Gem-Knight Master Diamond], greif ihren hässlichen Mistkäfer an und hol' das Ding für mich!“ Anya holte tief Luft. „Shining Wave Breaker!“ Jener umfasste den Schwertgriff nun mit beiden Händen und holte zu einem geraden, horizontalen Schlag aus. Im Schwung löste sich feinster Diamantenstaub von der Klinge, der durch die Bewegung aufgewirbelt, von einer unsichtbaren Kraft aufgeladen und letztlich durch den symbolischen Schrei Diamonds in Form einer Schockwelle entfesselt wurde. Mit hohem Tempo raste der glänzende Schwall auf Valerie zu, was dieser aber nur das Zucken eines Mundwinkels entlockte. „Netter Versuch, aber das wird so nichts!“, konterte sie kurz darauf und ließ ihre Falle aufklappen. „[Poseidon Wave]! Sie negiert den Angriff!“ Anyas Kinnlade klappte hinunter. „Das kann nicht wahr sein! Oh, du-!“ Unter Zielgigas stieg eine mächtige Flutwelle empor, die Master Diamonds Schockwelle abfing oder besser gesagt in einem minimal abweichenden Winkel nach oben ablenkte. Um sich vor der Attacke zu schützen, drehte Valerie sich seitwärts ab und duckte sich. Die Schockwelle fegte über ihr hinweg, wobei das Haarband, welches ihren Pferdeschwanz zusammenhielt, aufplatzte. Wie ein Regen fiel ihr das schwarze, glatte Haar um die Schultern. „Ups“, grinste Anya frech. Und Valerie schmunzelte, weil sie genau wusste, wie sie sich revanchieren konnte. „[Poseidon Wave] hat noch einen zweiten Effekt. Erinnerst du dich noch an damals, auf dem Schulhof?“ Die ohnehin blasse Anya schien innerhalb eines Herzschlags kreidebleich zu werden. „Oh shit!“ „Diesmal wird dich kein Stromausfall retten! [Poseidon Wave] fügt nach dem Stoppen des Angriffs 800 Schadenspunkte pro Fisch-, Aqua- oder Seeschlangenmonster zu!“ Anya ließ die Schultern hängen und wartete auf den großen Knall.   [Anya: 400LP / Valerie: 100LP]   Welcher zur Überraschung aller jedoch ausblieb. „Ach ja“, schnippte Valerie gekünstelt mit dem Finger, als hätte sie sich gerade an etwas erinnert, „[Gishki Zielgigas] ist ja gar nicht von einem der drei Typen, er ist ein Unterweltler. Ups.“ Normalerweise müsste Anya von weißer zu roter Hautfarbe umschwenken, doch entgegen ihrem üblichen Muster, blieb die Blonde gelassen. „Keh, sieht dir ähnlich, Redfield. Nie bringst du es zu Ende. Aber glaub mir, ich werde es! Meine letzte Handkarte setze ich verdeckt!“ Jene erschien mit dem Kartenrücken nach oben zu deren Füßen.   „Draw!“, ließ Valerie ihr keine Zeit, noch einen Spruch zu bringen. Als jene die aufgezogene Karte allerdings betrachtete, weitete sie erschrocken ihre Augen. „W-woher kommt die denn!?“ Denn was sie dort gezogen hatte, war definitiv nie Teil ihres Decks gewesen! Verwundert betrachtete sie die Karte, fragte sich, was sie damit anstellen sollte. „[Unstable Evolution] …“ Es durchfuhr sie wie ein Blitz. Marc! Er musste die Karte heimlich in ihr Deck geschmuggelt haben! Sie hatten sich so oft darüber unterhalten, ob man Anya zutrauen konnte, gegen Claire anzutreten. Einmal hatte Marc gesagt, Anya hätte sich weiterentwickelt. „Ich habe dir widersprochen und gesagt, ihr Fortschritt würde immer wieder gebremst werden“, murmelte Valerie in der Erinnerung versunken vor sich her. Und Marc hatte erwidert, dass das manchmal auch auf die Beziehung der beiden zutraf. Diese Aussage hatte zu einem schlimmen Streit geführt, kurz bevor die anderen gekommen waren, um zusammen in der Lounge ihres Hotels das Viertelfinale zu verfolgen, aus dem Othello Nikoloudis erfolgreich hervorging. Was wollte Marc ihr mit dieser Karte sagen? Und wie sollte diese Ausrüstungszauberkarte ihr nützen, wo sie doch die Grundstärke eines Monsters auf 2400 setzte, wenn ihre eigenen Lebenspunkte niedriger als die des Gegners waren? „Was ist los, Redfield!?“, klagte Anya inzwischen nervös, weil es nicht weiterging. „Bist du eingeschlafen oder was?“ „Die Dinge können sich in mehr als eine Richtung entwickeln, Valerie“, wiederholte diese Marcs Worte abwesend. Und sah dann auf. Anya verschränkte grimmig die Arme, an ihrem Mittelfinger brannte die violette Flamme, welche zwischenzeitlich wieder von selbst entfacht worden war. Stolz stand [Gem-Knight Master Diamond] vor der Blonden, hatte sein Schwert in den Boden gerammt. „Die Dinge … können sich in mehr als eine Richtung entwickeln.“ Valeries Augen weiteten sich. Natürlich, das war die Lösung! Sofort rammte sie die Karte in ihr D-Pad. „Ich aktiviere [Unstable Evolution]! Das ausgerüstete Monster erhält eine Basisstärke von 2400, wenn meine Lebenspunkte unterhalb von deinen liegen.“ Ihre Gegnerin zog eine spöttische Fratze. „Huh!? Bist du dämlich, Redfield!? [Gishki Zielgigas] hat doch schon 3200 Angriffs-!“ Sie unterbrach sich mitten im Satz selbst, da ihr die Erkenntnis kam, dass vielleicht gar nicht Valeries Monster das Ziel war. „[Gem-Knight Master Diamond] wird sich bestimmt über das Geschenk freuen!“, rief Valerie ehrgeizig. Jener Krieger fasste sich plötzlich an den Kopf, als sei ihm schwindelig. Und mir nichts, dir nichts wuchsen ihm zwei braune Flügel aus dem Rücken und der Schwanz einer Echse aus … einer weniger angenehmen Stelle. Verwirrt von seiner Evolution sackte er in die Knie.   Gem-Knight Master Diamond [ATK/3700 → 3200 DEF/2500 (9)]   Was für eine fabelhafte Idee von Valerie Redfield! Damit hat sie die Grundstärke deines Monsters von 2900 auf 2400 herabgesetzt, wodurch sie-   „... ebenbürtig mit der von Zielgigas ist“, beendete Anya Levriers Satz erschüttert. „Was für ein kluger Schachzug, den Zweck dieser Karte einfach zu entfremden, um das gegnerische Monster zu schwächen!“, lobte auch Mr. C Valeries Einfall. Die war allerdings schon dabei, den nächsten Schritt zu gehen und überhörte die Worte schlichtweg. So rief sie: „Normalbeschwörung! Erscheine, [Gishki Emilia]!“ Erst war es ein dünner Nebel, nur halb so hoch wie der Insektenkrieger Zielgigas, der da neben diesem erschien. Doch dann gewann er Form und wurde zur durchsichtigen Gestalt der rothaarigen Hexe, die ihren Zauberstab auf Anya richtete.   Gishki Emilia [ATK/1600 DEF/800 (4)]   „Tja Anya, du wirst jetzt leider noch eine bittere Pille schlucken müssen“, verkündete Valerie und streckte bereits den Arm aus, „wenn Emilia im Beisein eines anderen Gishkis beschworen wurde, werden bis zur End Phase sämtliche Falleneffekte unwirksam. Was du da also auch liegen hast, es ist unbrauchbar!“ Die Blonde schreckte zurück. „Nicht dein Ernst, oder!?“ „Und wie es das ist! Jetzt bringe ihren [Gem-Knight Master Diamond] zu Fall, [Gishki Zielgigas]! Infestation's Solitude Beam!“ Und diesmal tat der drei Meter große, vierarmige Herkuleskäfermann, was man ihm sagte. Das rote Wappen der Gishki in seiner Brust leuchtete auf, absorbierte erst feine Lichtpartikel aus der Umgebung, ehe es einen kraftvollen, blutroten Laserstrahl abfeuerte. Anya kniff die Augen fest zusammen und streckte die Hand aus. „Gegenangriff, Master Diamond! Shining Wave Breaker!“ Ihr Ritter zog die Klinge mit beiden Händen aus dem Boden und schwang sie in einer horizontalen Linie aus. Von ihr löste sich Kristallstaub, der sich in eine gleißende Schockwelle verwandelte, welche auf Zielgigas zu und unter dessen Angriff hinweg raste. „Kch!“ „Nichts für ungut.“ Beide Monster wurden zeitgleich von der Attacke des jeweils anderen getroffen und explodierten lautstark, sodass die Felder beider Mädchen in dichten Rauch gehüllt wurden. Mr. C war ganz aus dem Häuschen. „Was für eine Schlacht, verehrte Zuschauer!“ Aus Valeries Richtung hallte es: „Jetzt kann ich dich direkt angreifen und das Spiel gewinnen! [Gishki Emilia], los!“ Und aus Anyas: „Kannst du knicken, Redfield!“ Ein kochend heißer Wasserstrahl schoss von Valeries Seite auf die ihrer Gegnerin zu, wobei sich der Rauch um die Schwarzhaarige damit auflöste. Den Ursprung fand der Strahl von Emilias Zauberstab. „Verdeckte Karte aktivieren!“, keifte Anya, die ebenfalls wieder auf der Bildfläche erschien. Was sofort ungebetenen Widerspruch auf den Plan rief: „Du kannst keine Fallen aktivieren, solange Emilia auf dem Feld ist!“ „Von wegen, Redfield! Das ist ein Schnellzauber, [Revenge De-Fusion]! Du killst eines meiner Fusionsmonster? Dann verlieren all deine Monster ihre Angriffspunkte!“ „Ah!“ Die Karte klappte vor der Blonden auf und zeigte ein unbekanntes, entflammtes Drachenmonster, wie es sich im Sturzflug auf einen erschrockenen Duellanten befand. Eben solche Flammen schossen Emilias Angriff entgegen und fingen ihn ab, wodurch es in der Mitte des Spielfelds eine mächtige Explosion gab.   Gishki Emilia [ATK/1600 → 0 DEF/800 (4)]   Valerie schmunzelte. „Wieso überrascht mich das nicht?“ „Spuck' nicht so große Töne, Redfield“, erwiderte Anya gallig, begann dann aber dreckiger denn je zu grinsen, „das ist nur eine Hälfte des Effekts. Der zweite wird dich am Ende des Zugs Lebenspunkte kosten und zwar genau so viele, wie deine Monster auf dem Feld verloren haben! Wer gewinnt das hier, huh?“ Ihre Erzrivalin weitete die Augen, als weißer Dampf von ihrer Geistermagierin auszutreten begann. Doch ganz schnell verwandelte sich der Schrecken in Zuversicht. „Wenn das so ist, beende ich den Zug.“ Mr. C staunte: „Was für eine Wende! Dami-“ Doch gerade wollte er Anya als Siegerin erklären, da löste sich Emilia in blauen Funken auf. Und nichts geschah. „Oh! Natürlich“, kam die Erkenntnis vom Kommentator, „[Gishki Emilia] ist ein Spirit-Monster, also kehrt sie auf die Hand Valerie Redfields zurück, bevor der Effekt von [Revenge De-Fusion] greifen kann!“ Anyas Nasenflügel bebten förmlich beim Anblick Valeries, wie sie ihr Monster vom D-Pad nahm und dabei ach so selbstherrlich in sich hineingrinste. „Oh, Redfield, du …!“   „Und wieder wurde Anya Bauer ein Schnippchen geschlagen! Dennoch hat sich der Vorteil [Gishki Emilias] gleichzeitig zu einem Nachteil entwickelt, denn Valerie Redfield ist jetzt vollkommen schutzlos!“ Mr. C hatte Recht, dachte Anya. Scheiß drauf, dass ihr Plan nicht funktioniert hat! Jetzt war ihre Chance! Mit Schweiß auf der Stirn griff sie nach ihrem Deck. Diese Karte könnte alles entscheiden! Bitte, wenn es einen Gott gab, dann sollte der gefälligst auf ihrer Seite sein! „Draw!“, schrie Anya in der Hoffnung, ein Monster zu ziehen. Doch es war keins. Schlimmer noch, es handelte sich um eine Karte, die einen verdammten Zug zu spät kam! Aber sie würde nicht aufgeben. „Eine verdeckt, Zug beendet!“ Zischend tauchte jene vor ihr auf.   Kaum hatte sie die Worte gesprochen, riss Valerie nicht weniger energisch ihre nächste Karte vom Deck. „Draw! Normalbeschwörung, [Gishki Emilia]!“ Der Geist der rothaarigen Magierin tauchte wieder vor ihr auf. „Direkter Angriff!“   Gishki Emilia [ATK/1600 DEF/800 (4)]   Sofort im Anschluss streckte jene ihren Zauberstab nach vorne und schoss daraus einen Strahl kochend heißen Wassers auf Anya, die den Arm über ihrer gesetzten Karte ausschwang. „Von wegen, ich aktiviere [Burial From A Different Dimension]! Damit lege ich bis zu drei meiner verbannten Monster zurück auf den Friedhof.“ Der weiße Ritter [Gem-Knight Pearl], sein türkisfarbener Kollege [Gem-Knight Turquoise] und zuletzt [Kuriboss], ein brauner Fellball mit Stummelarmen und -beinen, einer Sonnenbrille auf der Nase und einem grauen Cape über den nicht existierenden Schultern tauchten hinter Anya auf. Während die beiden Krieger sich in weiße Lichtkugeln verwandelten, die vom Ablagestapel des Mädchens absorbiert wurden, flog [Kuriboss] mit kreisenden Armen dem Strahl entgegen. „Du weißt, dass ich den Schaden jetzt abwehren kann.“ Valerie biss sich auf die Lippe, als Anyas kleines Monster getroffen wurde und explodierte. Vor Aufregung atmete sie viel schneller als sonst. Mit angespanntem Gesichtsausdruck nahm sie ihre aufgezogene Falle und schob sie in den mittleren der dazugehörigen Slots. „Eine verdeckt!“ Zischend nahm jene Karte vor ihr Gestalt an. „Ich gehe in die End Phase, also kehrt Emilia auf meine Hand zurück!“, rief Valerie entschieden. „Der Krimi geht weiter!“, tönte Mr. C aufgeregt, als sich der Geist wieder auflöste und Valerie ihn von dem D-Pad nahm. „Beide sind ohne Monster unterwegs und Anya Bauer ist am Zug!“   „Draw!“, schrie die. Diesmal! Diesmal musste es klappen! Genau das tat es auch, sie hatte ein Monster aufgezogen. Voller Eifer schmetterte sie dieses auf die mittlere Monsterkartenzone. „[Gem-Knight Tourmaline]!“ „Falle! [Torrential Tribute]!“, rief Valerie dazwischen, da war der Ritter in der goldenen Rüstung noch gar nicht vollkommen erschienen. Die Karte klappte hoch und schoss einen gewaltigen Wasserstrom auf den Krieger ab, welcher ungünstigerweise gerade zwischen seinen Händen elektrische Ladungen entstehen ließ. Die Wassermassen rissen ihn mit sich, er explodierte vor Anyas Nase. Die war einmal mehr sprachlos. Sie hatte gewonnen. Redfield hatte … gewonnen. Es gab nichts mehr, das Anya tun konnte, um das zu verhindern. „Zug beendet“, flüsterte das Mädchen tonlos.   Valerie senkte das Haupt. „Es tut mir leid, Anya. Aber ich verspreche dir, dass ich es zu Claire schaffen werde. Und sie für dich besiege.“ Nervös sah die Schwarzhaarige wieder auf. Ihre Freundin zeigte keine Regung, starrte an ihr vorbei in die Leere. Nachdem nichts geschah, Mr. C irgendetwas im Hintergrund sagte, griff Valerie nach ihrem Deck. „... tritt dem Miststück in den Arsch, Redfield.“ Deren Miene hellte sich auf, nachdem Anya damit deutlich gemacht hatte, dass sie ihre Niederlage verkraften würde. Valerie nickte entschieden. Dann zog sie schwungvoll auf.   Ein schrilles Hupen hallte durch das Stadion. Valerie fror in ihrer Bewegung ein, den Arm mit der aufgezogenen Karte von sich gestreckt. Einige der Zuschauer sprangen von ihren Sitzen auf, darunter auch Matt. Anya drehte sich verwirrt zu diesem um, welcher jedoch nur geradeaus zeigte – mit erstarrter Mimik. Die Blonde musste einen Moment suchen, ehe sie bemerkte, dass sein Finger auf den Bildschirm ihr gegenüber über den Zuschauertribünen gerichtet war. Jedoch wurde sie von rotem Licht abgelenkt, das um sie herum zu strahlen begann. Es ging von den dutzenden kleinen Bildschirmen aus, die den Weg hin zur Duellplattform pflasterten. „Huh!?“ Anya klappte die Kinnlade hinunter, als sie sah, was dort abgebildet wurde. Wie gelähmt ließ Valerie den Arm sinken und zog ihn zu sich, um die gezogene Karte anzusehen. Ihre Augen weiteten sich. Gleichzeitig sah ihre Gegnerin, die zur Seite auf die Bildschirme unter ihnen starrte, wie auf jedem von ihnen das Bild Valeries mit einem roten Kreuz durchgestrichen war.   [Anya: 400LP / Valerie: 100LP → 0LP]   Dasselbe wurde auf den großen Versionen über den Zuschauerrängen angezeigt. Anya wirbelte erschrocken zu ihrer Freundin herum. „Redfield, what the fuck!? Was hat das zu bedeuten!?“ „Ich … weiß es nicht …“, stammelte die zittrig und drehte die aufgezogene Karte zwischen ihrem Zeige- und Mittelfinger um, damit Anya sie sehen konnte. „Ich glaube, ich … wurde gerade disqualifiziert.“ Denn bei der Karte handelte es sich um [Change Of Heart], eine der mächtigsten Duel Monsters-Karten, die bereits seit Jahren von sämtlichen offiziellen Spielen ausgeschlossen war ob ihrer Stärke. Und Valerie hatte sie gezogen … „Das gibt’s nicht“, kommentierte Mr. C die Szene fassungslos, „Valerie Redfield wurde aufgrund eines Betrugsversuchs disqualifiziert!“   Eine eisige Stille legte sich über das Duellfeld, nein, das ganze Stadion. Bis die ersten Aufschreie der Entrüstung seitens der Zuschauer laut wurden. In all dem standen die beiden Mädchen wie gelähmt da. Bis eine weibliche Stimme durch die Arena hallte. Es war Melindas. „Valerie Redfield, bitte folgen Sie den Aufsehern in unser Büro.“ Aus dem Gang hinter Valerie tauchten zwei Männer in Dunkelblau auf, die sich dem Mädchen eiligen Schrittes näherten. Anya fand ihre Stimme wieder. „Redfield … was hast du getan?“ „Ich … war das nicht“, stammelte die aufgelöst. Als die Wachmänner sie erreichten und an den Schultern packten, schrie sie: „Anya, ich habe das nicht getan! Irgendjemand-“ Valerie verstummte und sah die Blonde an. Die Männer baten sie, mit ihnen zu kommen. Selbst als sie sie mit sanfter Gewalt in die andere Richtung drehten, blickte die Schwarzhaarige ihre Rivalin bis zuletzt erschüttert an. Bis sie fortgeführt wurde.   „Wie tragisch! Damit ist Anya Bauer die Siegerin dieses Duells und damit unsere erste Finalistin!“ Mr. C hatte in diesem Moment keine Ahnung, wie wenig Anya sich als Siegerin fühlte …   ~-~-~   Einige Stunden später stand Anya vor Valeries Hotelzimmer, wollte anklopfen, doch stoppte ihre Faust kurz davor. Nachdem Valerie abgeführt und zu einem Gespräch mit der Turnierleitung geladen worden war, hatte man Anya zur Siegerin erklärt gehabt. Seitdem hatte sich die AFC nicht zu dem Vorfall geäußert, aber bereits jetzt berichteten die einschlägigen Medien von nichts anderem mehr. Es gab kaum noch Duellanten, die nicht von Valeries vermeintlichem Betrugsversuch wussten.   Anya biss sich auf die Lippen, wenn sie an die Hetzkampagne dachte, die im Entstehen war. Redfield war unschuldig, verdammt! Jemand wie sie hatte es nicht nötig zu betrügen! Aber egal wie oft Anya versucht hatte, diese Wahrheit gegenüber den Reportern zu äußern, die vor dem Stadion gewartet hatten, niemand schien daran interessiert zu sein. Natürlich gab es auch andere Stimmen. Welche, die behaupteten, einer von Valeries Gegnern hätte ihr eine Falle gestellt. Womit natürlich niemand Geringeres als Anya gemeint war. Ja, auch diese Gerüchte machten die Runde. Und Valeries Blick, als sie abgeführt wurde … sie hatte dasselbe gedacht, garantiert! Damit war auch das Interesse an Anyas Person maßgeblich gestiegen. Es war die Hölle gewesen, von dort zu entkommen. Matt hatte seine liebe Mühe gehabt, sie von dort wegzubringen, aber irgendwie war es ihm gelungen. Am liebsten wäre er hierher mitgekommen, doch Anya wollte das nicht. Es war für sie schon schwer genug gewesen, sich an den Journalisten ungesehen vorbei zu mogeln, die das Hotel belagerten. Alles was sie jetzt wollte, war mit Valerie zu reden.   So fasste sich die völlig für sie untypisch aufgewühlte Anya ein Herz und klopfte gegen die Zimmertür. Ohne eine Antwort zu erhalten. „Redfield!?“, rief sie. „Ich weiß, dass du da bist! Lass mich rein, wir müssen reden!“ Nichts. „Wenn du nicht aufmachst, trete ich die Tür ein!“ Und Gott, würde sie diese Tür eintreten, wenn diese dumme Pute nicht gleich ihren fetten Arsch her schwang und sie öffnete! Die Drohung hatte scheinbar Wirkung, es waren Schritte zu hören. Als die Tür aufschwang, stand Anya einem blassen Marc gegenüber. Sie mussten keine Worte miteinander austauschen. Anya kam einfach herein.   Das weiße Hotelzimmer wirkte irgendwie befremdlich. Als wäre es irgendwie verdorben worden. Vielleicht lag es an der Stimmung, wunderte sich Anya. Valerie stand vor einem aufgerissen Vorhang am Fenster und sah hinab, beobachtete vermutlich die Reporter, die sich vor dem Eingang tummelten. „Hey …“, rief Anya ihr im Näherkommen zu. „Ich bin jetzt -wirklich- nicht in der Stimmung um mit irgendjemandem zu reden!“ Ihre Freundin erwiderte sofort nicht minder aufgebracht: „Redfield, ich weiß, was du denken musst! Aber ich war das nicht, ich schwör's!“ „Wen interessiert das jetzt noch?“ Sie klang so seltsam. So gebrochen. Anya sah, wie ihre Hand, die auf dem Fenster lag, regelrecht bebte. „Mich! Weil jeder denkt, dass ich das geplant habe!“ „Anya, geh jetzt! Ich will alleine sein!“ „Mir doch latte!“ Bei jenen Worten ballte Valerie eine Faust. „Wir müssen herausfinden, wer uns da-!“ Ehe der Satz zu Ende gesprochen werden konnte, wirbelte ihre Erzrivalin um. Anya hatte vieles erwartet, eine zornige Fratze, ein breites, kämpferisches Grinsen … aber keine tränennasse Valerie Redfield. „Wie kannst du die Nerven haben, hier von 'uns' zu reden!?“, klagte die vorwurfsvoll und schniefte. „Dir ist das doch alles egal. Was andere über dich denken! Du bist eine Runde weiter!“ Verständnislos erwiderte Anya in einem für sie ungewohnt ernstem Tonfall: „Und darüber soll ich mich freuen?“ Valerie verstummte. „Redfield … wir sind beide Verlierer. Die einen denken jetzt, ich hätte dir die Karte untergejubelt und die anderen, dass du eine Betrügerin bist.“ Anya verschränkte die Arme. „Dass sie meine Meinung dazu nicht interessiert hat war doch abzusehen.“ Etwas gefasster nickte Valerie. „Sie haben keine Wahl, der Beweis war in meiner Hand …“ „Jemand hat uns einfach ziemlich abgefuckt.“ Anya trat einen Schritt vor. „Wir müssen herausfinden wer es war und unsere Namen wieder reinwaschen! Auch wenn das bei mir eh nichts bringt, du weißt schon, Schimpfwörter und so. Aber-!“   Entgegen Anyas eigentlicher Absicht aber drehte sich ihre Lieblingsrivalin weg. „Lass es gut sein, Anya …“ „Warum!?“ „Ich bin's einfach“, begann Valerie unvermittelt zu schluchzen, „leid. Erst zerstört jemand meine Hochzeit, dann meine Aussichten auf einen Platz in der Profiliga, was kommt als Nächstes? Wird jemand Marc umbringen? Damit ich gar nichts mehr … gar nichts mehr habe?“ „Valval …“, rief dieser ihr betroffen von der Tür zu, der er alles bisher still beobachtet hatte. Die Schwarzhaarige vergrub ihr Gesicht in den Händen und begann bitterlich zu weinen. Anya stand da wie gelähmt, einerseits unfähig dem Mädchen Trost zu spenden, andererseits auch gar nicht gewillt dazu. Dass Valerie soeben indirekt zugegeben hatte, aus noch anderen Gründen am Turnier teilgenommen zu haben, abseits davon ihr zu helfen, versetzte ihr einen Stich. Redfield wollte also auch aufsteigen? Anya wurde bei diesem Gedanken übel. Als hätte man ihr plötzlich ein Stück ihres Traumes entrissen, Duel Queen zu werden. Es war irgendwie … falsch von Redfield, auch wenn Anya selbst nicht genau erklären konnte, warum sie so dachte.   Sich nun selbst umdrehend, murmelte sie missmutig: „Wenn du nichts unternimmst, wird nichts besser werden. Aber meinetwegen, kümmere ich mich eben alleine drum.“ Valerie sagte gar nichts, sondern schluchzte nur bemitleidenswert. Anya marschierte zur Tür mit dem Entschluss, trotz der möglichen Konsequenzen den Drahtzieher dieser Intrige zu finden und nach allen Regeln der Kunst windelweich zu prügeln. Nicht weil er ihren Namen in den Dreck gezogen hatte, sondern weil sie plötzlich das Gefühl hatte, ihr Traum wäre nichts Besonderes mehr. Wo er doch im Moment einer der wenigen Gründe war, warum sie trotz all des Drucks weiterkämpfen konnte. Und das wog tausendmal schlimmer als eine Niederlage, eine Disqualifikation oder weiß der Geier was noch. War es ungerecht, es Valerie nicht zu gönnen, ebenfalls eine anerkannte, berühmte Duellantin zu sein? Gewiss. Aber was im Leben war schon gerecht, fragte Anya sich verbittert und knallte die Tür hinter sich zu.   ~-~-~   Benommen öffnete Zanthe die Augen. Er hörte es knistern, der Geruch von brennendem Holz lag in der Luft. Unter seinem Kopf spürte er etwas Weiches, das, als er den Oberkörper erhob, wegrutschte. „Wo bin ich?“, fragte er leise. Exa saß ihm gegenüber an dem kleinen Lagerfeuer, das fröhlich unter dem klaren Nachthimmel einer Lichtung vor sich hin brodelte. Zwei Spieße hatte jener davor in den Boden gerammt, an dem bereits knusprig gebratene Fische steckten. „Weit weg von dieser stinkenden Stadt.“ „Wie weit?“ Zanthe fasste sich an die pochende Stirn. „Was ist überhaupt passiert?“ „Ein paar Meilen sind es schon, schätze ich. Du wärst beinahe zum Fleischfresser mutiert. Diesen Kerl hast du ziemlich übel zugerichtet.“ Exa seufzte. „Aber ich konnte dich davon abhalten, sein Blut von deinen Fingern zu lecken.“ Der Werwolf drehte sich dem Feuer zu. Neben ihm lag Exas Strickjacke, auf der er geruht hatte. Reumütig entschuldigte Zanthe sich bei seinem Freund. „Es tut mir leid. Ich habe dich an diesen schrecklichen Ort gebracht …“ „Du hast es gut gemeint. Geld konnte ich leider keins abgreifen.“ Trotzdem strahlte der Blonde. „Aber ich habe diesen Lackaffen fertig gemacht. Ist doch auch was.“   Plötzlich erinnerte sich Zanthe daran, dass Exa auch während des Duells zu Schaden gekommen war. Sofort sah er besorgt auf. „Dein Rücken!“ „Ach, nur ein paar Kratzer“, wurde sein Einwand abgewinkt. Plötzlich jedoch verfinsterte sich Exas Miene. „Dein Zustand hingegen verschlechtert sich zunehmend.“ „Hast du mich deswegen hierher gebracht?“, fragte Zanthe träge. „Natürlich. Du musst etwas jagen. So funktioniert das doch bei Werwölfen, oder?“ Ebenjener nickte knapp. Dann schloss er jedoch die Augen und presste bitterlich hervor: „Muss ich … wirklich … immer und immer wieder …“ „H-hey, jetzt fang' bloß nicht an zu weinen“, stotterte Exa, als Zanthe sich eine Träne aus dem Augenwinkel wischte. „Hier bemerkt uns keiner, wir-“ „Du verstehst das nicht! Als ich noch alleine war, da … aber jetzt, heute, habe ich beinahe jemanden … und dann noch Logan …! Ich hab's satt, ein Monster zu sein!“ Exa senkte sein Haupt. „Du bist kein Monster, Zanthe. Ich habe schon richtige Monster gesehen, welche, deren einziger Lebenssinn es war, anderen Lebewesen zu schaden. Jeden Tag habe ich gegen sie gekämpft. Mit meinen Freunden. Bis …“ Eine bedrückte Stille legte sich über die beiden. Das Feuer knisterte vor sich hin. Schließlich zog Exa einen der Fisch-Spieße aus dem Boden und reichte ihn Zanthe. „Du musst was essen.“ „Kein Hunger“, schob der das lecker riechende Fleisch von sich weg. „Trotzdem wirst du das jetzt essen.“ „Lass mich in Ruhe …“ Schmollend zog Exa den Spieß wieder zurück, bevor es noch Feuer fing, so nah wie es an der Flamme war. Er räusperte sich. „Wenn das so ist, musst du selbst jagen gehen. Hier gibt es bestimmt etwas, das deinen kulinarischen Ansprüchen gerecht wird.“ Zanthe schüttelte den Kopf. „Wenn ich das tue, wird der Kreislauf nie ein Ende finden.“ „Wenn du es nicht tust, wirst du garantiert zu dem, was nicht sein willst. Oder noch schlimmer, du stirbst. Und auch wenn du gerade sehr deprimiert bist“, sagte Exa mitfühlend, „das würdest du mir und deinen anderen Freunden nicht antun. Schlaf einfach noch die Nacht drüber. Morgen sieht die Zukunft dann schon gar nicht mehr so schlimm aus.“ Tatsächlich nahm sich Zanthe den Rat zu Herzen, drehte sich dem Feuer seitlich zu und legte sich zurück auf die zusammengerollte, weiche Strickjacke seines Freundes. „So ging es mir auch immer, wenn ich Liebeskummer wegen einem Mädchen hatte, weißt du?“ Was dem Werwolf sogar ein Lachen abrang. Welcher da erwiderte: „Fang nicht wieder mit deinen Weibergeschichten an, davon bekommt man ja Albträume.“ Wodurch beide in friedliches Gelächter ausbrachen. Und Zanthe dachte dabei, wie froh er doch sein konnte, dass die Seele seines Bruders ausgerechnet in einem Menschen steckte, welcher ihm ähnlicher nicht hätte sein können …     Turn 73 – Unforgiven Da Anya den Stand der Dinge nicht auf sich beruhen lassen kann, macht sie sich auf die Suche nach dem Schuldigen an Valeries Misere. Mit weitreichenden Folgen für alle Betroffenen. Gleichzeitig findet das zweite Halbfinale des Legacy Cups statt. Mit Kakyo Sangon und Othello Nikoloudis treffen zwei alte Rivalen aufeinander, die … Kapitel 78: Turn 73 - Unforgiven -------------------------------- Turn 73 – Unforgiven     Es schüttete in Strömen. Schon seit es draußen hell geworden war. Anya wusste das, sie hatte die Nacht kein Auge zu getan. Jetzt saß sie hier, in der Niederlassung einer einschlägig bekannten Fast Food-Kette mit Matt und aß Frühstück. Schließlich brauchte sie sich im Restaurant ihres Hotels nicht mehr sehen lassen und daran trug -ausschließlich- Zanthe die Schuld, der seit gestern spurlos verschwunden war. „Tch!“ Der Dämonenjäger im schwarzen Ledermantel biss genüsslich in seinen Double Cheeseburger. „Wie kannst du nur so gelassen sein?“, fuhr Anya ihn genervt an und warf sich ein Chicken Nugget ein. Er war in der Tat so ruhig geblieben während des ganzen Stresses mit den Reportern, den Fragen und Gerüchten rund um Valeries Disqualifikation, dass es glatt beängstigend war. Nicht einmal hatte er nachgehakt, ob Anya mehr wusste. „Ich bin eben froh, dass ich nicht an diesem Turnier teilnehmen muss. Dass die Dinge etwas aus dem Ufer gelaufen sind, tut mir leid, besonders für Valerie“, erklärte er, „aber ändern kann ich nichts daran. Außerdem habe ich im Moment ganz andere Dinge im Kopf.“ „Die wären?“ Matt seufzte schwer. „Ich kann Alastair einfach nicht erreichen. Bisher dachte ich, sie hätten einfach nicht das Geld, um die Telefonrechnungen zu bezahlen. Aber es ist jetzt schon fast einen Monat her.“ Noch ein Chicken Nugget flog im hohen Bogen in die Luft, direkt in Anyas Gierschlund. Zwei junge Frauen, die mit Regenschirm an der Fensterscheibe des Restaurants vorbeiliefen, guckten erstaunt. Nur um kurz darauf ihre Smartphones zu zücken und ein Foto von Anya zu machen, die das Ganze bemerkte und ihnen mit dem Mittelfinger eindeutig vermittelte, was sie davon hielt. „Bah!“, schnarrte sie, als die Weiber kichernd abzogen. „Wenn das jetzt zum Dauerzustand wird, muss ich mir etwas überlegen, um nicht erkannt zu werden.“ Dich wird man immer erkennen, Anya Bauer. Allein schon wegen deines großen Mundwerks.   Anya schlug wütend auf den Tisch. „Schnauze, Levrier! Das ist einfach nur nervig!“ Ihr Gegenüber zuckte, den Burger aufessend, mit den Schultern. „Was ist schon ein Monat?“, fragte die Blonde und lehnte sich schließlich zurück an die roten Polster ihrer Sitzecke. „Wenn sie wirklich keine Kohle haben, dann dauert das eine Weile. Ich meine, was soll er sonst tun, dir 'nen Brief schreiben? Der weiß doch gar nicht, dass wir hier sind.“ „Ich weiß. Trotzdem … ich mache mir Sorgen.“ „Mach dir die lieber um Redfield.“ Schon als sie den Namen aussprach, spürte Anya wieder diesen Stich. Die Erinnerungen an den gestrigen Nachmittag kamen wieder hoch, als klar wurde, dass es mehr als ein Mädchen gab, das davon träumte, Duel Queen zu werden. „Wie gesagt, ich kann nichts tun, um ihr zu helfen.“ „Du kannst gut mit Leuten reden.“ Zumindest ging Anya davon aus. Aber so naiv wie Matt war, konnte er sicher auch andere mit seiner positiven Weltanschauung anstecken. Etwas, das sie nicht konnte – nicht, dass das wirklich eine Fähigkeit war, um die sie ihn beneidete, aber genau das war jetzt eben gefragt. „Sprich mal mit ihr, wenn du Zeit hast.“ „Zeit habe ich viel“, merkte Matt missmutig an, „was die Suche nach den Hütern angeht, stecke ich in einer Sackgasse. Seit Tagen sitze ich 'rum, wenn ich nicht gerade die Spiele anschaue. Meine Kontakte sind ausgeschöpft.“ „Passt doch perfekt. Du munterst Redfield für mich auf. Und ich“, erklärte Anya und ihr Blick verfinsterte sich derart, dass Matt, der gerade einen Schluck Cola aus seinem Pappbecher nehmen wollte, glatt darauf verzichtete, „finde den Kerl, der sie zum Buhmann der Duel Monsters-Community gemacht hat. Irgendwer aus dieser Stadt muss es gewesen sein!“ Matt zog schließlich doch an seinem Strohhalm und stellte das Getränk wieder auf dem Tisch ab. „Da hast du dir ja etwas vorgenommen. Aber meinetwegen, ich rede nachher mal mit ihr. Dann bin ich immerhin nicht ganz nutzlos …“ „Auf dich kann man sich verlassen, Summers!“   Nachdem sie das Frühstück beendet hatten, trennten sich die Wege der beiden vor dem Fast Food-Restaurant. Mit Händen in den Hosentaschen ihrer Jeans schlenderte Anya über den Bürgersteig, einen Regenschirm schützend über sich haltend. Matt hatte versprochen, ihr eine Sonnenbrille und ein Barett zu kaufen, damit sie sich in Zukunft noch unauffällig auffälliger durch die Stadt bewegen konnte. Ob Anya das aber wirklich wollte, wusste sie selbst nicht genau.   Das Mädchen grübelte. Leider war detektivisches Denken nicht gerade ihre Stärke, sodass sie schon am Motiv der 'Tat' zu scheitern drohte. Einerseits war sie sich sicher, dass irgendwer Valerie schaden wollte und da kamen zunächst die restlichen Turnierteilnehmer in den Sinn.   Ich ahne, worüber du dir den Kopf gerade zerbrichst. Was glaubst du, wird passieren, wenn du den Schuldigen findest? „Ich sorg' für Gerechtigkeit“, kam die Antwort ganz klar.   Auch wenn das bedeuten könnte, dass das Halbfinale wiederholt wird? Oder dir gar der Sieg aberkannt wird?   „Dann ist's eben so. Immerhin hätte es sowieso so enden sollen.“   Sagt das Mädchen, das bei jeder Gelegenheit versucht, ihrem Schicksal zu trotzen.   „Genau das tue ich auch diesmal“, gab Anya grimmig zu verstehen. „Ich werde einen Weg finden, mich mit Claire auch ohne offizielle Genehmigung zu duellieren. Heh, vielleicht entführe ich sie ja?“ Wie schön, dass du dieser Idee nicht länger abgeneigt bist. Wäre das von Anfang an so gewesen, hätte uns das eine Menge Mühe und vergeudete Zeit erspart. Von der du nicht mehr besonders viel hast, wie ich anmerken möchte.   „Ja ja, schon klar. Jetzt sei still, ich muss mich konzentrieren!“ Also! Die Einzigen aus dem Turnier, die etwas von Valeries Disqualifikation hätten, wären neben ihr Kakyo und Othello. Andererseits waren die beide im anderen Halbfinale, was hatten sie denn davon, wenn Valerie disqualifiziert wurde? Unglücklicherweise kam Anya gar nicht erst auf den Gedanken, dass die beiden mir ihr die theoretisch schwächere Finalgegnerin gegenüberstehen hätten.   Sie sollte auch nie auf jene Fährte kommen, denn plötzlich kam zu ihrer Linken auf der Straße ein schwarzes Motorrad zum Stehen. Erstaunt blickte Anya herüber. Na toll, wahrscheinlich noch so einer, der sie erkannt hatte! „Hau ab, Autogramme gibt’s höchstens auf die Zähne“, fuhr sie den Fahrer an. Verstummte aber glatt, als jener den Helm abnahm und sich als Logan entpuppte. Bei seinem Anblick konnte sie sich jedoch nicht verkneifen zu sagen: „Okay, das haben offenbar schon andere für mich erledigt … was ist passiert!?“ Sein ganzes Gesicht war, wenn man mal von den riesigen Koteletten absah, von Kratzwunden und blauen Flecken übersät. Mal davon abgesehen, war es geschwollen wie Anyas Ego nach ihrem Sieg über Zachariah. „Dein Freund ist passiert“, murrte er, „ich habe dich gesucht. Wir müssen uns unterhalten.“ „Alter, du gehörst ins Krankenhaus. Wenn wir reden, dann da!“ Mäßig geschickt lenkte sie davon ab, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, -welcher- Freund da gemeint war. „Geht schon. Halb so schlimm.“ Logan winkte ab. Und Anya stampfte auf. „Verarschen kann ich mich alleine! Du fährst uns jetzt in die Notaufnahme, damit die dich zusammenflicken, klar?“ Verdammt, was, wenn er irgendwelche inneren Verletzungen davongetragen hatte? So'n Werwolf konnte ganz schön fest … oh scheiße, jetzt hatte sie ja doch drüber nachgedacht! Aber fuck, niemand sonst würde den Zwerg so sehr verdreschen können. Und die Abwesenheit des Flohpelzes warf kein gutes Licht auf die Sache.   Logan rollte mit dem Auge, das er noch einigermaßen gut öffnen konnte. „Meinetwegen. Bei dir muss eben der Kranke den Gesunden ins Krankenhaus fahren, richtig?“ „Laber' nicht.“ Anya schloss ihren Schirm und trat im prasselnden Regen an ihn heran. „Fahr einfach.“ Sie bemerkte gar nicht, wie unweit in einer Seitengasse der Deckel einer Mülltonne hochfuhr und der Kopf eines Mann mit Sonnenbrille, Schnauzbart und vorne kurzem, hinten langem Haar zum Vorschein kam, welcher beobachtete, wie Anya sich einen Helm aufsetzte und sich aufs Motorrad schwang.   ~-~-~   Sie lag auf der Seite, nahezu regungslos. Erst jetzt wurde ihr gewahr, wie taub sich ihr Körper inzwischen anfühlte. Ohne es zugeben zu wollen, hatte sie in der Nacht die Berichterstattung der Medien wie ein Schwamm aufgesaugt. Valerie lag da, in der Kleidung von gestern, auf ihrem weißen Himmelbett und hoffte immer noch, dass alles nur ein Albtraum war, aus dem sie bald erwachte. Auch wenn es eine falsche Hoffnung war. Sie hätte damit leben können, wenn Anya sie besiegt hätte. Aber das …   „Komm, steh auf“, hörte sie Marc sagen. Ihr schwarzhaariger Verlobter kniete sich nieder an ihre Seite. Einfühlsam, aber auch bestimmend, sagte er: „Das Leben muss weitergehen.“ „Ich kann nicht zurück“, flüsterte Valerie, „nicht an die Uni, nicht nachhause, nirgendwo hin. Jeder der mich sieht, wird jetzt das Mädchen erkennen, das im Halbfinale des Legacy Cups versucht hat zu betrügen.“ Sanft strich Marc ihr eine Strähne aus dem Gesicht. „Das stimmt nicht. Warte einfach eine Weile ab, bis sich die Wogen geglättet haben.“ „Nein. Wenn sie schon in Duellen schummelt, dann sicher auch bei ihren Noten. Das werden sie sagen.“ Valerie schloss die Augen. „Als das Turniergremium mich hat gehen lassen und ich das Stadion verließ, standen dort so viele Menschen und Reporter. Und sie alle haben mich angesehen, als hätte ich jemanden umgebracht.“ Marc rümpfte die Nase. „Die übertreiben ja auch maßlos. Für manche scheint Duel Monsters schon eine richtige Religion zu sein.“ Als Valerie die Lider wieder öffnete, war ihr Blick leer. „Ich wurde noch nie so angesehen.“   Liebevoll streichelte Marc die Wange des Mädchens. Sie sagte nichts mehr, aber bestimmt plagten sie noch ganz andere Gedanken. Was ihre Eltern davon hielten. Wie der Mann, der ihr Duel Monsters beigebracht hatte, ihr alter Lehrer, das Ganze aufnahm. Und wer sonst noch enttäuscht von ihr war. Der Schwarzhaarige ließ von Valerie ab und strich sich über das stoppelige Kinn. Könnte er sie doch nur irgendwie aufheitern, ihr Hoffnung schenken. „Die ganze Zeit frage ich mich, wer so feige war und das getan hat. Und warum“, äußerte er seine Gedanken. „Aber ich bin mir sicher, dass der oder die Schuldige gefunden und dein Name reingewaschen wird.“ Seine Verlobte antwortete nicht, sondern lag nur da, geradezu lethargisch. „Weißt du“, überlegte er weiter, „als ich die [Unstable Evolution]-Karte in dein Deck integriert hatte, wollte ich dir zeigen, dass du immer einen Weg finden kannst, die Dinge zu deinen Gunsten zu wenden. Seltsam, dass die Tat eines anderen genau das widerlegt hat.“ Plötzlich erhob sich der Schwarzhaarige. Seine Augen funkelten zornig. „Ich sage das nicht gerne, aber ich habe einen Verdacht, wer dahinter steckt.“ Seine Worte waren stark genug, Valerie aus ihrer Trance zu wecken. Sie richtete sich langsam auf, sah ihn fragend an. Dann drehte sie den Kopf weg. „Es war nicht Anya. Sie hatte sich damit abgefunden, das Duell zu verlieren. Und es ist nicht ihre Art.“ „Ich rede nicht von Anya“, widersprach Marc, „ich denke eher an Nick.“ Sofort wirbelte sie wieder zu ihm herum. „Was?“ Der Schwarzhaarige ging wieder in die Hocke, redete eindringlich auf seine Verlobte ein. „Überleg' doch mal! Er würde alles tun, um Anya gewinnen zu sehen. Und er war vor Kurzem noch in der Stadt. Für jemanden wie ihn wäre es doch ein Leichtes, sich in unser Zimmer zu schleichen.“   Entgegen seiner nicht von der Hand zu weisenden Argumente war Valerie jedoch nicht überzeugt von dieser Vermutung. Sie schüttelte den Kopf. „Nick ist ein seltsamer Mensch, in gewisser Hinsicht noch impulsiver als Anya. Aber wir hatten unsere Differenzen geklärt, mehr oder weniger.“ „Jemandem, der dich mitten am Tag in deinem eigenen Zimmer angegriffen hat, ohne je eine anständige Erklärung dafür abgegeben zu haben, würde ich absolut alles zutrauen“, zischte Marc jedoch böse. „Selbst wenn er es war, würde er sicherstellen, dass es keine Spuren gibt.“ Valerie schwang die Beine über die Bettkante. „Und es ändert sowieso nichts mehr an der Tatsache, dass die Menschen mich für eine Betrügerin halten.“ Sie stand neben ihrem hockenden Verlobten auf, welcher sich daraufhin erhob. Als er seine Hand auf ihre Schulter legen wollte, ging sie jedoch fort. „Bitte entschuldige, aber ich möchte … jetzt woanders sein. Alleine.“ Mit kurzen, trägen Schritten steuerte sie auf die Tür des komplett weißen Hotelzimmers zu und verließ dieses, ohne noch etwas zu sagen. Marc blickte ihr hilflos hinterher. Und trat dann, auf dem Höhepunkt seines Frusts, gegen das Bein des Himmelbetts. „Scheiße!“   ~-~-~   Er war es wirklich gewesen. Und er hatte nicht gelogen, schoss es Anya durch den Kopf. Zanthe hatte an Untergrundduellen teilgenommen, wenn auch nur als Zuschauer. Sein Freund, dessen Name Logan nicht kannte, war in Geldnot, schon klar. Aber das war doch kein Grund … schon gar nicht, wenn der Werwolf doch genau wusste, dass Nick jegliche finanziellen Sorgen verschwinden lassen konnte. Also warum?   Sie saß neben Logan in einem Raum, der eher wie das bunt bemalte Wartezimmer einer Arztpraxis anmutete, als einer Notaufnahme. Durch eine halb-offene, gläserne Front war es vom Eingangsbereich abgetrennt, die eigentliche Notaufnahme befand sich genau gegenüber. Sie warteten nun schon eine ganze Weile. Logans einzige Sorge waren die Kosten, die durch die Untersuchungen entstehen würden, die ihm noch bevorstanden. Er war nicht krankenversichert, aber das hielt Anya nicht davon ab, ihn trotzdem zumindest dazu zu zwingen, sich durchröntgen zu lassen.   „Also hast du ihn provoziert“, kam sie irgendwann zu dem einzig logischen Schluss, nachdem sie das von Logan berichtete Revue passieren ließ. Der rümpfte die Nase. „Hab ihm gesagt, dass er schuld daran ist, dass sein Freund verletzt wurde. Immerhin war es seine Idee. Mehr nicht.“   Ich denke nicht, dass du ihm die Schuld daran geben solltest, Anya Bauer. Zanthe Montinari reagiert für gewöhnlich nicht auf Provokationen. Ich vermute eher, dass sein Blut dafür verantwortlich ist. Werwölfe müssen alle zwei bis drei Wochen jagen, sonst …   Anya stöhnte und stemmte den Ellbogen auf den Oberschenkel, um das Kinn auf dem Handrücken abzustützen. Wenn das so war, wie sollte Zanthe in einer Stadt voller Menschen jagen? Zwar gab es in der näheren Umgebung den ein oder anderen grünen Landstrich, aber Wild? Sie glaubte nicht dran. Es gab nicht einmal einen Tierpark in Ephemeria City und wenn der eines Tages kam, dann höchstens mit sich duellierenden Affen.   „Ich rede mit ihm, wenn ich ihn gefunden habe“, versprach Anya, „und wenn er sich röchelnd bei dir entschuldigen muss!“ „Lass gut sein, bin nicht nachtragend.“ Anya musste grinsen. Denn dafür war sie sehr dankbar.   Gerade als sie aufsah, bemerkte sie einen Rollstuhl an dem Raum vorbeiziehen, der von einem schwarzhaarigen Mann geschoben wurde. Und dort drinnen saß niemand Geringeres als Othello, der kränkliche, junge Mann mit dem schulterlangen, strohblonden Haar. Anya sprang auf, eilte aus dem Raum und rief den beiden ein „Hey!“ zu. Erst drehte der Mann sich um, dann machte er dasselbe mit dem Rollstuhl. Das Gesicht des Mannes wies tiefe Furchen auf, wirkte alt und müde. „Du bist Anya Bauer“, stellte Othello fest und ein schwaches Lächeln huschte ihm über die Lippen, „meine nächste Gegnerin, sofern ich nachher gewinne.“ „Hoffentlich nicht“, brummte Anya scherzhaft, da sie Othello als gefährlicher als Kakyo einstufte. Im selben Moment flüsterte der Mann mit dem Schnauzer etwas in einer seltsamen Sprache – Griechisch? – ins Ohr des Jungen, der daraufhin eine wütende Grimasse verzog. „Dad!“   Er hat ihm dazu geraten, sein Deck vor dem Duell zu überprüfen.   Anya ignorierte die Spitze nur deshalb, weil sie wusste, dass sie dummerweise nicht ganz unbegründet kam – auch wenn nichts an den Vorwürfen ihr gegenüber dran war! „Was machst du hier?“, fragte sie, um abzulenken. „Eine Routineuntersuchung, nichts weiter.“ „Ach so …“ Anya wusste nicht, ob sie nachhaken sollte, was ihm überhaupt fehlte. Sie erinnerte sich, dass Redfield sagte, er wäre erst seit einem Unfall auf vier Rädern unterwegs. Als sie das Gespräch nicht mehr fortführte, sagte Othello freundlich: „War schön, dich außerhalb eines Duellfelds zu treffen, Anya. Wir müssen jetzt los, sonst komme ich zu spät.“ „Yeah. Viel Glück“, wünschte sie ihrem potentiellen letzten Gegner im Turnier. Der Vater sagte nichts, schaute sie nur grimmig an und fuhr seinen Sohn dann Richtung Hauptausgang. Und Anya trottete zurück zu Logan.   Es dauerte noch gut eine halbe Stunde, bis er endlich von einer Schwester für die Untersuchungen abgeholt wurde. Anya, die alleine zwischen hustenden, keuchenden und jammernden Menschen saß, versuchte ihre Gedanken wieder auf den 'Täter' zu fixieren. Nein, Othello war es definitiv nicht gewesen und Kakyo erschien ihr ein aufrichtiger, freundlicher Trottel zu sein. Aber wer kam dann überhaupt infrage? Es muss sich ja irgendwer in Redfields Zimmer geschlichen haben, kurz vor dem Duell. Oder zumindest irgendwann zwischen ihrem Viertelfinal- und dem Halbfinalduell, denn wie sie sie kannte, überprüfte die Schwanenprinzessin ihr Deck regelmäßig. Der Knackpunkt war, dass ein Einbruch Spuren hinterließ. Und es gab ja keine, davon hatte sie sich selbst überzeugen können, als sie zu Redfield geeilt war, um sie zu beruhigen. Der Typ musste also gut darin sein, Schlüsselkarten zu fälschen. Konnte man so etwas überhaupt fälschen? Verdammt, sie hatte hier kein Internet! Genervt stöhnte Anya auf. Vielleicht hatte der Typ ja gewusst, dass sie alle das Viertelfinalspiel von Othello in der Lobby ansehen wollten und war eingebrochen, als keiner da war? Ach so'n Quatsch! Vielleicht sollte man die Sache anders angehen, überlegte sie. Am besten, indem sie jemanden mit einbezog, der nur zu gerne seine Gedanken mit ihr teilte. „Wen würdest du verdächtigen, Levrier?“, fragte sie frei heraus und wurde von den anderen Patienten dafür merkwürdig angesehen, was sie aber nicht mal ansatzweise störte.   Oh, du hast tatsächlich Interesse an meiner Meinung? Dann bist du wohl an deine Grenzen gestoßen.   Er lachte in ihrem Kopf, als er das zerknirschte Gesicht des Mädchens sah. Oder wie auch immer er es überhaupt wahrnahm, denn so genau wusste sie das gar nicht.   Die Frage, die gestellt werden sollte, ist: Wer hat etwas davon, wenn du gewinnst?   „Ich?“, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen, doch mit einem Hauch Zweifel unterlegt. Anya kratzte sich am Hinterkopf. „Jemand, für den ich wichtig bin?“ Sie richtete sich kerzengerade auf. „Der Sammler!“   Naheliegend. Erinnerst du dich noch an Valerie Redfields seltsame Aussage?   Es dauerte einen Moment, bis Anya begriff was er meinte. Als sie mit ihren Monstern für den Sieg hatte angreifen wollen, waren diese durch [Moulinglacia The Elemental Lords] negativem Effekt eingefroren. Welcher angeblich vorher nicht auf der Karte gestanden hatte. „Ah, warte mal.“ Das war doch eine der Karten vom Sammler. Wenn Redfield sich das nicht eingebildet hatte, dann wäre dies wohl ein Beweis, der gegen ihn spräche. Aber … Anya griff in die Innentasche ihrer schwarzen Lederjacke und zückte die letzte der vier Karten heraus, die sie einst vom Collector-Dämon als Präsent für ihr erstes Hüter-Artefakt bekommen hatte. Es war ein vogelähnliches Monster namens [Windrose The Elemental Lord]. Und der letzte Satz seines Effekts war identisch mit dem, was Redfield gestern vorgelesen hatte. „Huh, ist sie sich wirklich sicher, dass das da vorher nicht stand?“   Schwer zu sagen. Einerseits ist sie eine gewissenhafte Duellantin, doch auch sie war sehr aufgeregt an diesem Tag. Und mein Gefühl sagt mir, dass der Sammler subtiler vorgehen würde. Wieso sollte er sich darauf verlassen, dass sie eine bestimmte Karte in ihrem Deck zieht? Oder Unruhe durch einen ergänzten Effekt verursachen, wenn diese Karten offiziell nicht einmal existieren? Jemand wie er wäre imstande, das komplette Duell nach seinem Ermessen zu steuern.   Anya nickte und steckte die Karte wieder weg. „Yeah. Irgendwie unheimlich, wenn man so drüber nachdenkt. Aber mal ehrlich, wieso dann überhaupt eine verbotene Karte in ihr Deck stecken? Das ist so plump, das passt wohl kaum zum Sammler. Ich meine, was, wenn sie die gar nicht gezogen hätte?“   Jemand hätte sie nachträglich melden können. Doch ich stimme dir zu, die Idee dahinter ist denkbar schlecht, denn nehmen wir an, Valerie Redfield hätte wirklich betrügen wollen, wäre sie beim Ausspielen der Karte ohnehin aufgeflogen.   „Und trotzdem kaufen die Leute die Story ab, ohne sie zu hinterfragen“, murrte Anya, „wirklich dämlich. Tch!“ Zumindest war sie sich jetzt sicher, dass ein Mensch dahinter stecken musste. Doch die Frage blieb, wer sie denn unbedingt gewinnen sehen wollte? Ihre Freunde, aber keiner von denen tat so etwas, dafür legte sie ihre Hand ins Feuer. Vielleicht musste sie die Frage dann anders stellen? Wenn es niemand war, der ihren Sieg herbeisehnte, dann womöglich jemand, der Redfield verlieren sehen wollte. Nur kannte sie deren Feinde nicht. Es gab ja auch keine, die dumme Kuh war bei jedem beliebt. Allenfalls Claire Rosenburg könnte etwas dagegen haben, aber wieso sollten ausgerechnet der die Knie schlottern? Eher in Anyas eigenem Umfeld machten alle eine Riesenwelle, unbesiegbar dies, unschlagbar das, alles Hirngespinste … Moment! Anya beugte sich keuchend mit geweiteten Augen nach vorne.   „Ich wette, Justin Walker gewinnt“, plauderte Zanthe nebenher, als er, Anya, Matt, Marc und Valerie auf dem Weg zur Hotellobby durch den weißen Gang mit rotem Teppich schritten. Anya neben ihm runzelte die Stirn. „Häh? Wie kommst du darauf?“ „Weil er eindeutig 'fitter' ist, wenn du weißt, was ich meine.“ „So'n Quatsch, der wird doch garantiert weich, weil sein Gegner im Rollstuhl sitzt“, wies Anya ihn kalt ab. „Das sagste nur, weil du ihn süß findest.“ „Und wenn schon“, giftete Zanthe zurück. „Justin hat noch keine nennenswerten Erfolge zu verbuchen“, überlegte Marc laut. Matt zuckte mit den Schultern. „Othello hat mal bei der griechischen Meisterschaft den dritten Platz belegt, ist aber nie in die Profiliga eingetreten, obwohl er gekonnt hätte.“ Valerie seufzte. „Denkt ihr denn, man kann die Qualität von jemandem nur anhand seiner Titel bewerten?“ „Wenn man sich Anya ansieht, würde ich glatt sagen 'nein'“, kicherte Zanthe bitterböse und stieß dem Mädchen seinen Ellbogen in die Rippen, die daraufhin nach ihm schlug – erfolglos natürlich. „Claire Rosenburg würde da gerne ein Wörtchen mitreden“, warf Matt jedoch ein. „Die unbesiegte Duel Queen. Ich frage mich, wie sie das anstellt.“ „Sie ist 'ne beschissene Hüterin. Vielleicht kann sie wie Levrier das Schicksal manipulieren?“, überlegte Anya. Der Dämonenjäger fasste sich während des Gehens ans Kinn. „Dann könnte es problematisch werden, mit ihr fertig zu werden.“ „Meint ihr, sie kann das wirklich?“, fragte Marc nachdenklich. Anya zuckte mit den Schultern, Matt seufzte. „Wer weiß. Möglich ist alles.“ „Siehst du, ich sag's ja“, richtete sich der angehende Profi-Sportler an seine Verlobte mit einem altklugen Tonfall. „Ist keine gute Idee, sich mit der anzulegen.“ „Nicht schon wieder“, beklagte sich Valerie. „Ganz Unrecht hat er nicht.“ Auf Zanthes Einwurf hin zischte Anya böse. „Tja, ihr seid eben Memmen. Ich musste schon mit Schlimmerem fertig werden. Wenn ihr Schiss habt, lasst es gleich bleiben.“ Eine ganze Diskussion entstand daraus, wie gefährlich die amtierende Weltmeisterin wirklich sein könnte. Fast am Ende des Ganges angelangt, blieb Marc plötzlich stehen. „Ich gehe nochmal kurz auf die Toilette. Bin gleich zurück.“   Anya war sich nicht sicher, ob sie ihren Verdacht überhaupt genau begründen konnte, aber eine innere Eingebung sagte ihr, dass jener nicht falsch sein konnte. Man brauchte kein Einbrecher sein, wenn man auch so Zugriff auf Redfields Deck hatte. Und die beiden hatten sich kurz vor der Verabredung zum Duellabend gestritten … Aber warum? Marc war derjenige, der Valerie am nächsten stand, wieso sollte er so etwas tun!? Sie musste mit ihm reden! Mit ihm und Redfield! Die Blonde sprang auf und hastete regelrecht durch den Warteraum. Dass Logan noch untersucht wurde und garantiert nicht erfreut sein würde, sie abwesend vorzufinden, musste sie in Kauf nehmen. Sie wollte Klarheit, jetzt!   ~-~-~   Anya rannte durch die Straßen, der Regen hatte schon seit Stunden aufgehört. Es war erstaunlich, wie gut sie ihr Tempo halten konnte, ohne aus der Puste zu kommen. Das Problem war nur, dass sie nicht wusste, wo sie Redfield und Marc antreffen könnte. Levrier meinte, sie irgendwo am anderen Ende der Stadt gespürt zu haben, zumindest Valerie. Aber da die inzwischen so übernatürlich wie ein Fisch im Wasser war, konnte er das nicht mit Gewissheit sagen. Das reichte Anya jedoch schon, denn wer dauernd seine Mobiltelefone zerstörte, hatte es nicht anders verdient, als durch die Stadt zu rennen, anstatt die Freundin einfach kurz anzurufen. Zumindest war das Levriers Meinung, aber wen interessierte die schon?   Gerade rauschte sie an einem Elektronik-Fachmarkt vorbei, da stieß sie auf eine Art kleinen Marktplatz, dessen fünf Zugangsstraßen allesamt mit Schranken abgesperrt waren. Dort, vor der Statue des Duos [Dark Magician] und [Dark Magician Girl], tummelten sich dutzende Menschen. Stühle waren auch aufgestellt, allesamt gerichtet auf die Wand eines Gebäudes, an dem ein riesiger Monitor befestigt war. Als Anya den Platz betrat, murmelte sie: „Stimmt, das Duell beginnt ja jetzt.“ Sie sah den brünetten Kakyo und Othello im Stadion, wie sie sich gerade die Hand gaben, ehe Letzterer rückwärts ans Ende der leicht erhöhten Duellplattform rollte, während Kakyo langsamen Schrittes zur anderen Seite zog. Wie üblich lullte Mr. C die Leute mit seinem belanglosen Gequatsche ein, ehe die beiden Kontrahenten letztlich riefen: „Duell!“   [Othello: 4000LP / Kakyo: 4000LP]   „Ich beginne, wenn du nichts dagegen hast“, sagte Othello, nachdem beide ihr fünf Karten umfassendes Blatt gezogen hatten. Sein brünetter Gegner nickte. Sofort zog Othello zwei Karten aus seinem Blatt und zeigte sie vor. „Ich aktiviere zwei Pendelkarten. Den Magier, der die Sterne liest: [Stargazer Magician] mit dem Pendelbereich 1! Und den Magier, der die Zeit versteht: [Timegazer Magician] mit dem Pendelbereich 8! Pendulum Scale set!“ Zwei hellblaue Lichtsäulen brachen vor ihm aus dem Boden. In der von ihm aus gesehen linken befand sich ein blonden Magier ganz in Weiß, mit spitzem Hut, welcher einen langen Stab waagerecht vor sich hinhielt. Auf der anderen Seite handelte es sich um einen brünetten Hexer in Schwarz, an dessen rechtem Arm sich ein Klingenblatt befand, das einmal um ihn herum führte und einen beinahe geschlossenen Kreis bildete.   <1> Othellos Pendelbereich <8>   „Othello Nikoloudis beginnt mit seiner typischen Eröffnung! Dann kommt jetzt gleich …!“, rief Mr. C aufgeregt und die Masse tobte. Als die Magier im Licht in die Höhe stiegen, rief Othello: „Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum! Pendulum Summon!“ Über ihm öffnete sich ein blaues Portal, von dutzenden Lichtellipsen umgeben. Aus diesem schoss ein roter Lichtstrahl und schlug vor dem Rollstuhlfahrer ein, welcher die Monsterkarte vor sich auf den Spielplan der Duel Disk legte. „Erwache von meiner Hand, Odd-Eyes!“ Vor ihm erhob sich ein roter Drache ohne Flügel, dafür aber mit knochenartigen Auswüchsen auf dem Rücken, in denen auf der linken eine rote und auf der rechten Seite zwei grüne Kugeln eingelassen waren.   „Odd-Eyes“ [ATK/2500 DEF/2000 (7)]   „Damit beende ich den Zug“, erklärte Othello mit zwei verbliebenen Handkarten. Und fing an stark zu husten. Kakyo, der gerade aufzog, rief: „Ist alles okay mit dir?“ „Ja, danke“, fing sich sein Kontrahent wieder. „Keine Sorge, nichts in der Welt wird mich davon abhalten, dieses Duell zu genießen.“ Als er das hörte, strahlte Kakyo zufrieden und nickte. „Was für eine Szene, liebe Zuschauer. Freunde und Rivalen!“   Anya, die immer noch auf dem Marktplatz auf den Bildschirm starrte, gab ein überraschtes Geräusch von sich. Die beiden kannten sich, waren sogar Freunde? Dann befanden sie sich ja in einer ähnlichen Situation wie sie und Redfield …   Seine sechs Karten fest umschlossen haltend, wartete Kakyo noch einen Moment, ehe er drei Zauberkarten hervorzog. „Ich aktiviere den dauerhaften Zauber [Spell Economics]. Jetzt muss ich keine Lebenspunkte mehr zahlen, um Zauberkarten zu aktivieren. Danach folgt [Dark Magic Chamber], auch ein dauerhafter Zauber! Normalerweise müsste ich 2000 Lebenspunkte dafür berappen, aber nun …“ Neben ihm tauchten zwei grün umrandete, aufrecht stehende Karten auf. Die erste zeigte ein Buch, samt Stift und Abakus, allerdings leicht übernatürlich angehaucht mit Augen daran. Dagegen war auf der anderen nur ein dunkler Raum abgebildet, in dem man an einer Wand einen grünen Zauberstab lehnen sah, eine große Kiste, auf der ein paar Messer und ein rot-oranger, spitz zulaufender Stein lagen und anderes Equipment eines ganz bestimmten Monsters. „Die nächste Karte, die ich aktiviere, ist [Dark Magic Curtain]“, erklärte Kakyo und schob den dritten vorgezeigten Zauber in das rote D-Pad. „Für die Aktivierung müsste ich die Hälfte meiner Lebenspunkte zahlen, aber dank [Spell Economics] ist das auch hier nicht der Fall.“ Vor Kakyo tauchte ein dunkler Vorhang auf, an der Oberseite festgehalten von einem Skelett. „Damit kann ich sofort [Dark Magician] aus meinem Deck beschwören, dafür aber keine anderen Monster mehr in diesem Zug.“ Das Skelett riss den Vorhang zur Seite und eröffnete den Blick auf einen Hexer ganz in Rot, der einen spitz zulaufenden Hut besaß und einen grünen Zauberstab schwang, wie der im Artwork der Zauberkarte.   Dark Magician [ATK/2500 DEF/2100 (7)]   „Liebe Zuschauer, wieder überrascht uns Kakyo mit seiner Vielfalt an Magiern. Dieses Exemplar ist der sogenannte Arkan-Magier, wie Fans ihn gerne nennen. Jetzt stehen sich die Assmonster der beiden Kontrahenten gegenüber!“ Die Zuschauer jubelten. Sogar Othello strahlte freudig beim Anblick des grauhaarigen Hexers. „Ich benutze den Effekt von [Dark Magic Chamber]. Einmal pro Zug, solange ich einen [Dark Magician] oder ein [Dark Magician Girl] kontrolliere, bekomme ich von meinem Deck eine Zauberkarte, in der einer ihrer beiden Name genannt wird. Ich entscheide mich für [Thousand Knives]!“ Sofort wurde die Karte aus dem Stapel vom D-Pad hervor geschoben, sodass Kakyo sie nur noch aufnehmen und in den entsprechenden Slot schieben musste, was er auch tat. Um seinen Magier tauchten dutzende Messer auf. „Mit dieser kann ich deinen Odd-Eyes jetzt zerstören! Instant Kill!“ Mit einer Handbewegung Richtung des Drachen sorgte [Dark Magician] dafür, dass die Messer wie ein Wespenschwarm auf seinen Kontrahenten zuschossen. Und immer wieder neue entstanden dort, wo die alten ihre Stellung verlassen hatten. Am Ende war der rote Drache nur noch ein winselnder Messerblock, der lautstark explodierte. In diesem Moment öffnete sich über Othello das blaue Portal und zog von dort, wo Odd-Eyes eben noch gewesen war, eine rote Lichtessenz in sich, ehe es sich wieder schloss. „Wenn ein Pendelmonster zerstört wird, kannst du es einfach wieder aus dem Extradeck beschwören, solange dein Pendelbereich das zulässt. Aber“, überlegte Kakyo laut in einem begeisterten Tonfall, welcher jedoch schlagartig ernst wurde, „wenn es keinen solchen gibt, wird das nichts. Und da deine Magier in den neuen Pendelzonen Zauberkarten sind, kann man sie auch ganz leicht zerstören. Hiermit: [Dark Magic Attack]!“ Sein Hexer ließ den grünen Zauberstab einmal in seiner Handfläche kreisen, ehe er ihn nach vorne richtete und zwei violett-blaue Feuerbälle abschoss. Jene rauschten über das Feld hinweg und trafen die beiden Hexer in den Lichtsäulen, die daraufhin verendeten. Wieder öffnete sich über Othello das blaue Portal, welches beide Magier als rote Essenzen absorbierte. „Was für eine gewitzte Strategie! Nun kann Othello Nikoloudis keine Pendelbeschwörungen mehr durchführen!“ Mr. C klatschte symbolisch in sein Mikrofon. „Wirklich gut gemacht.“ „Yeah, als ob das funktioniert“, murmelte Anya skeptisch. Sie wusste es, dank ihrer Erfahrung mit Melinda, besser. Und drehte sich in diesem Sinne um. Schließlich hatte sie schon viel zu viel Zeit hier vertrödelt!   „Direkter Angriff auf seine Lebenspunkte!“, befahl gleichzeitig Kakyo mit dem Finger auf den schutzlosen Othello gerichtet. „Black Magic!“ Sein Hexer schwang noch einmal den Zauberstab und feuerte einen weiteren Flammenball ab, diesmal auf den Rollstuhlfahrer selbst, welcher in einem Knall samt Rauchwolke unterging.   [Othello: 4000LP → 1500LP / Kakyo: 4000LP]   Mit zwei verbliebenen Handkarten verkündete Kakyo: „Du bist dran.“   ~-~-~   Langsamen Schrittes näherte sich Matt dem kleinen Café an der Ecke 19. Straße. Er wusste, dass er Valerie hier antreffen würde und tatsächlich – sie saß als einer von wenigen Gästen unter einem Sonnenschirm und las ein Buch. Was sicherlich nicht einfach war, hatte sie doch eine Sonnenbrille auf der Nase und ihr Haar unter einem weißen Hut versteckt. Wie ähnlich sie sich waren, dachte Matt grinsend und betrachtete im Laufen die weiße Tüte in seiner Hand, in der das Zeug für Anya steckte – ebenfalls eine Sonnenbrille und ein braunes Barett. Vorsichtig trat der junge Mann an ihren Tisch heran, auf dem ein Teller mit halb gegessenem Erdbeerkuchen und eine Tasse Tee standen.   Tief in ihren Roman versunken, bemerkte Valerie erst die Anwesenheit Matts, als dieser den Stuhl ihr gegenüber griff und zurückzog. Mit überschaubarer Begeisterung blickte die Schwarzhaarige auf und beobachtete ihn, wie er sich setzte. „Was tust du hier?“, fragte sie frei heraus. „Ich wollte mit dir reden“, begann Matt zögerlich. Valerie seufzte. Höflich klappte sie das Buch zu und erwiderte: „Danke, aber mir ist momentan nicht danach.“ „Nicht mal mit Marc?“ Matt spielte auf dessen Abwesenheit an. „Mein Verlobter ist momentan auch nicht sonderlich gut drauf. Und ich bin ehrlich gesagt ganz dankbar dafür, dass er mir meinen Freiraum lässt.“ Der Dämonenjäger nickte. „Ich kann mir vorstellen, wie belastend die Situation für euch beide sein muss.“ Völlig untypisch für sie, lachte Anyas Erzrivalin geradezu schnippisch auf. „Ach, dass man mit dem Finger auf mich zeigt, daran habe ich mich gewöhnt. Und wenn ich Anya das nächste Mal sehe, kann ich ihr das ein oder andere neue Schimpfwort beibringen.“   Matt blickte ihr tief in die braunen Augen hinter den dunkel getönten Gläsern, ohne sie wirklich sehen zu können. Waren sie traurig oder trotzig? Er seufzte. Egal wie sehr Valerie Redfield versuchte davon abzulenken, tief in ihrem Inneren war sie verletzt. Spätestens als sie seinem Blick ertappt auswich wusste er, dass sie sich dessen selbst wieder bewusst geworden war. „Darf ich dich bitten, mich jetzt alleine zu lassen?“ Sie griff nach ihrer Teetasse und nippte vorsichtig daran. Der Dämonenjäger sah zur Seite. Gerade zog ein Oldtimer an ihnen vorbei, laut und irgendwie so fremd in der Stadt der Duellanten, die vor Technik sonst nur so strotzte. Selbst hier, in der Altstadt, gab es große Bildschirme an Häuserfassaden, die die Duelle des Turniers übertrugen. „Nur eine Sekunde, bitte. Weißt du, Anya wäre selbst gekommen, aber sie ist sich nicht sicher, wie sie dir begegnen soll“, erklärte Matt, „und Zanthe kennt dich kaum, aber auch er macht sich Gedanken um dich.“ Okay, der Teil war dazu gedichtet, aber er schätzte den Werwolf durchaus so ein. Sofern der überhaupt etwas von dem Vorfall wusste … Seine Worte rangen Valerie ein Lächeln ab. „Das ist nett von euch. Aber ihr müsst euch um mich keine Sorgen machen.“ „Nun, auch wir beide haben in der Vergangenheit nicht viel miteinander zu tun gehabt, aber“, begann Matt und sah sie ernst an, legte eine Hand auf den Tisch, „ich denke, du solltest das nicht auf sich beruhen lassen.“ „Was geschehen ist, ist geschehen.“ „Unrecht ist geschehen“, blieb Matt beharrlich, „irgendjemand hat sich gegen euch beide verschworen und-“ Er verstummte, als Valerie ihm plötzlich unerwartet finster widersprach. „Nein, Matt. Wenn jemand gegen mich -und- Anya arbeiten würde, hätte diese Person sicher auch einen Weg gefunden, uns beide zu eliminieren. Nein. Diese Aktion galt allein mir.“ Matt überlegte einen Moment. Wie es schien, hatte Valerie sich dazu so einige Gedanken gemacht, aber wie könnte sie auch nicht? Zumindest klang sie sehr überzeugt von ihrer Version.   Deshalb fragte er, sich auf diesen Gedankengang einlassend: „Und wer käme infrage?“ „Eine Person, die“, begann Valerie, doch brach den Satz ab, „vergiss es.“ „Die?“ „Nein, schon gut, ich …“ Nervös griff sie nach ihrem Roman, doch bevor sie ihn in ihre Handtasche neben dem Stuhl stecken konnte, legte Matt seine Hand auf die ihre. Ernst, aber dennoch mit einem einladenden Lächeln auf den Lippen, sah er sie an. Valerie biss sich auf die Lippen, ehe sie schließlich einbrach. „Jemand, der Anya mit allen Mitteln vorne sehen will.“ „Derer gibt es nicht sehr viele.“ „Der Sammler, eventuell Anyas Boss Mr. Palmer …“ Sofort erkannte Matt an ihrem unterschwellig skeptischen Tonfall, dass das nicht die Leute waren, an die sie wirklich dachte. Tatsächlich war er sich ziemlich sicher, dass sie jemand völlig anderes verdächtigte. Dieselbe Person wie er, jene, die sich einem doch förmlich aufdrängte, kannte man sie nur gut genug. „Nick“, sprach er den Namen aus. Die Schwarzhaarige zuckte zusammen. „D-das hast du gesagt.“   „Was für ein Treffer“, hallte in diesem Moment von den Lautsprechern eines Monitors gegenüber des Cafés die Stimme Mr. Cs über die Straße. Zu sehen war Othello, um den sich eine Rauchwolke verzog.   [Othello: 1500LP / Kakyo: 4000LP]   Matt musste schmunzeln. „Ist das Zufall, dass du gerade jetzt hier bist, wo das letzte Halbfinale im vollen Gange ist?“ „Ja“, erwiderte Valerie knapp und fügte hinzu: „Vergiss bitte, was ich gesagt habe. Ich möchte nicht mit dem Finger auf jemanden zeigen. Es reicht schon, dass alle anderen das tun.“ Ihr Gegenüber nickte mit Verständnis. Eine Weile schwiegen sie und sahen dem Duell zu.   Gerade zog Othello auf. Dann nahm er zwei seiner drei Handkarten und zeigte sie vor. „Da du meine Magier zerstört hast, muss ich zwei neue ins Spiel bringen! Ich aktiviere den Magier, der die Welt überwacht: [Dharma-Eye Magician] mit dem Pendelbereich 2! Und den Magier, der das Wissen bewahrt: [Wisdom-Eye Magician] mit dem Pendelbereich 5! Pendulum Scale set!“ Die Zuschauer jubelten, als links und rechts vom blonden Rollstuhlfahrer zwei neue, hellblaue Lichtsäulen entstanden. Eine hievte einen Magier in dunkelblauer Lederkleidung empor, welcher mit beiden Händen eine massive, goldene Keule schwang, die andere einen Magier in schwarzem Umhang, welcher eine Laterne an einem Stab mit sich trug. Beide stiegen bis fast an die Decke des Stadions in die Höhe.   <2> Othellos Pendelbereich <5>   Kakyo musste auflachen. „Oje, hätte nicht erwartet, dass du einfach neue aktivieren kannst. Aber mit dem kleinen Pendelbereich kannst du nur Stufe 3 und 4-Monster beschwören.“ Auch sein Gegner grinste. „Stimmt. Deswegen sehe ich mich gezwungen, [Wisdom-Eye Magicians] Effekt zu benutzen. Ich kann ihn, wenn in der anderen Pendelzone ein Magier verweilt, zerstören. Danach wird er durch einen anderen Magier von meinem Deck ersetzt!“ Der Hexer hob seinen Stab mit der Laterne weit in die Höhe, von der ein grelles Licht zu strahlen begann. Er löste sich in grellen Funken auf, die von dem Pendelportal absorbiert wurden, welches sich wieder über Othello öffnete. „Ich aktiviere von meinem Deck die Magierin, die die Träume deutet: [Dreamgazer Magician] mit dem Pendelbereich 4!“ In der rechten, nun leeren Lichtsäule, tauchte ein weiblicher Magier auf, gekleidet in einer himmelblauen Robe, an dessen Saum in regelmäßigen Abständen weiße Bänder hingen. Ihr Gesicht war verschleiert, wie das einer Wahrsagerin, was auch die Kristallkugel erklärte, die vor ihr schwebte. Auf jener war ein rotes, um 90° gedrehtes, symbolisches Auge zu sehen.   <2> Othellos Pendelbereich <4>   „Aha“, gab Kakyo trocken von sich, „du tauscht deinen Magier aus, um deinen Pendelbereich zu verkleinern?“ Othello schüttelte den Kopf. „[Dreamgazer Magicians] Pendelbereich ist abhängig von der Stufe des Magiers, der sich in der anderen Pendelzone befindet. Ist dessen Stufe kleiner, wird ihr Pendelbereich zu 1, ist er dagegen größer, wird er zu 8. [Dharma-Eye Magician] ist auf Stufe 7, [Dreamgazer Magician] auf 4. Also …“ Die Hexe strahlte in blauer Energie auf, das Auge auf ihrer Kristallkugel schloss sich, wurde ebenfalls blau und öffnete sich wieder.   <2> Othellos Pendelbereich <4 → 8>   Der brünette, junge Mann schluckte. „Oha …“ Als Othello die Hand in die Höhe reichte, begann das Publikum zu rufen: „Pendulum! Pendulum!“ „Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum! Pendulum Summon!“ Über ihm öffnete sich das blaue Portal mit den dutzenden Ellipsen, doch diesmal schossen vier rote Strahlen auf einmal ab. „Aus meinem Extradeck: [Stargazer Magician] und [Timegazer Magcian] im Verteidigungsmodus und [Wisdom-Eye Magician] sowie Odd-Eyes im Angriffsmodus!“ Die Menge tobte, als die Strahlen vor ihm einschlugen. Erst waren da der schwarze Zeitmagier und der weiße Sternenmagier, die in die Knie gingen, dann der Hexer mit dem Laternenstab und zum Schluss, hinter ihnen, der rote, flügellose Drache.   Stargazer Magician [ATK/1200 DEF/900 (3) PSC: <8/8>] Timegazer Magician [ATK/1200 DEF/2400 (5) PSC: <1/1>] Wisdom-Eye Magician [ATK/1500 DEF/1500 (4) PSC: <5/5>] „Odd-Eyes“ [ATK/2500 DEF/2000 (7) PSC: <4/4>]   Mr. C überschlug sich förmlich vor Euphorie. „Das ist die Macht der Pendelbeschwörung, liebe Zuschauer! Jedes zerstörte Pendelmonster kehrt ins Extradeck zurück und kann von dort erneut beschworen werden! So ist es unserem Othello gelungen, gleich eine ganze Armee an Monstern aufzubauen!“ Jener zeigte auf den roten [Dark Magician]. „Angriff, Odd-Eyes! Spiral Strike Burst!“ „Gegenangriff, Black Magic!“, reagierte Kakyo angespannt. Zeitgleich luden der Drache und der Magier ihre Attacken auf, ehe Ersterer einen roten Energiestrahl mit schwarzem Flammenrahmen abfeuerte. Die Antwort des Magiers war seine Signaturattacke, der violette Feuerball. Die Angriffe zogen aneinander vorbei, statt sich zu treffen, sodass jeder der beiden im Anschluss mit voller Wucht erwischt wurde. Zwei Explosionen waren die Folge, doch während bei Kakyo nichts geschah, öffnete sich über Othello das Pendelportal und absorbierte die Überreste Odd-Eyes. Letzterer befahl sofort im Anschluss: „Direkter Angriff, [Wisdom-Eye Magician]! Lost Magic!“ Jener hob seine Laterne in die Höhe, deren Klappe sich öffnete, woraufhin aus ihr ein ganzes Geschwader kleiner Feuerbälle abgefeuert wurde. Kakyo hielt die Arme über Kreuz, als er erfasst wurde.   [Othello: 1500LP / Kakyo: 4000LP → 2500LP]   „Heh“, grinste der brünette Bursche dann verschmitzt. Ebenso wie Othello, der seine letzte Handkarte in die Duel Disk über seinem Schoß schob. „Die setze ich verdeckt. Du bist am Zug.“ Zischend materialisierte sich die Falle zu seinen Füßen.   ~-~-~   Die Farben flogen nur so an Anya vorbei, wie sie durch die Straßen Ephemeria Citys rannte, um Redfield die Wahrheit zu erzählen. Die Riding Duel-Strecke direkt über ihr warf einen dunklen Schatten auf die parallel dazu verlaufende Straße, doch nicht halb so düster wie die Gedanken, die dem Mädchen im Kopf herumschwirrten. Natürlich hatte Anya keinen handfesten Beweis, aber sie -wusste- einfach, dass es Marc gewesen sein musste, der Valerie verraten hatte. Niemand würde denjenigen verdächtigen, der dem 'Opfer' so nahe stand wie er. Bloß warum? Was könnte ausgerechnet er davon haben, dem Menschen, den er am meisten liebt, so zu schaden? Sie hatte bereits einen Verdacht, der das alles erklären könnte.   Anya Bauer, du solltest dringend eine Pause einlegen! Dein Brustkorb wird noch explodieren, wenn du so weiter rennst!   „Mir geht’s gut“, erwiderte Anya nicht im geringsten Maße erschöpft. Ihre Denkweise war einfach falsch gewesen. Vielleicht wollte Marc Valerie mit seiner Aktion nicht schaden, sondern beschützen. Schon einmal hatte er dafür alles riskiert, dabei sein Leben verloren, was ihm damals durchaus bewusst gewesen war. Ich meine es ernst! Du rennst seit geraumer Zeit ohne Unterbrechung, dein Körper kann dieser Belastung unmöglich noch länger standhalten!   „Stell dich nicht so an, von so'n bisschen Rennerei werde ich nicht gleich zusammenbrechen“, murmelte die grimmig, wich verschiedenen Menschen auf dem Bürgersteig aus, die ihr auf der Einkaufsstraße entgegenkamen. Was hatte der Trottel jetzt schon wieder? Sie war fit wie ein Turnschuh und mindestens so schnell wie einer, nein, sie hatte längst ihre Bestmarke übertroffen. Sollte Harper jemals wieder vor ihr weglaufen müssen, würden seine langen Beine ihn dann nicht mehr außerhalb ihrer Reichweite tragen!   Könnte das … Anya Bauer, ich glaube, du benutzt die Macht deiner Hüterkarte [Angel Wing Dragon]!   „Huh!?“ Jetzt bremste das Mädchen doch ab, was gar nicht so einfach war, wenn man so schnell unterwegs war wie sie. Ihr Bremsweg war so lang, dass sie beinahe mit jemandem zusammenstieß.   Sieh' dir dein Deck an!   Das Mädchen nahm besagte Box von ihrem Gürtel und holte Angel Wings Karte daraus hervor. Und tatsächlich, jene pulsierte regelrecht.   Du bist nicht einmal außer Atem! Wenn Drazens Karte seinen Alterungsprozess angehalten hat, dann könnte diese womöglich die körperlichen Fähigkeiten ihres Besitzers erweitern. Es passt, wenn man bedenkt, wie flink Zanthe Montinari damals war, als wir ihn gestellt haben.   Noch eine Sekunde das weiße Synchromonster betrachtend, landete dieses in der nächsten wieder in der Deckbox, die sich Anya wieder umschnallte. „Coole Sache, aber können wir später darüber reden? Ich muss jemandem nämlich dringend die Meinung geigen!“ Sprachs und begann weiter zu rennen.   Deine Prioritäten sind erschreckend … wenngleich auch faszinierend, wie eh und je. Du weißt nicht einmal, ob du in die richtige Richtung läufst. Valerie Redfield könnte überall in der Stadt sein, meine Ortungsfähigkeiten funktionieren nicht akkurat bei normalen Menschen.   „Sie ist ganz in der Nähe! Ich renne einfach dem Blauen entgegen, dann find' ich sie!“   Hm? Dem … Blauen? „Keine Ahnung, frag mich nicht. Ist halt so. Und jetzt halt die Klappe, ich muss nachdenken!“   ~-~-~   Das Duell eine Weile schweigend beobachtend, ergriff Matt schließlich das Wort. „Othello hat seine Magier in Verteidigung gespielt. Interessant.“ „Ihre kombinierte Angriffskraft wäre nicht ausreichend, um Kakyo zu besiegen“, erwiderte Valerie und nahm einen Schluck Tee. Sie fügte danach hinzu: „Er will kein Risiko eingehen.“ Mit unterschwelliger Traurigkeit murmelte Matt: „Genau wie du.“ „Selbst wenn es eine Möglichkeit gäbe, Nick das Ganze nachzuweisen“, sagte Valerie und starrte in den blauen Himmel, nahm die Sonnenbrille dabei ab, „würde ich das nicht tun.“ „Weil du Angst vor ihm hast?“ „Nein.“ Sie lachte plötzlich spitzbübisch. „Nick mag schlauer sein als so mancher denkt, aber wenn er alleine mit mir in einem Raum ist, käme er anschließend nicht aufrecht gehend wieder raus.“ „Sofern er kein Messer hat“, merkte ihr Gegenüber ärgerlich an. Sofort fuhr er sich unwillkürlich mit der Hand über die kleine Narbe an seinem Hals, die Nicks impulsives Handeln verursacht hatte. „Ich denke mir nur“, sagte Valerie zögerlich und sah ihn wieder an, ernst, geradezu verbittert gar, „wenn das die Profiliga ist, will ich gar nicht mehr Teil davon sein.“ Matt nickte, verstand er doch sofort, worauf sie hinaus wollte. „Stimmt, Intrigen wie diese sind dort sicherlich nicht neu, aber … nicht alle sind so.“ „Bestimmt nicht. Vielleicht-“   Ehe Valerie jedoch dazu kam, ihre Gedanken zu äußern, trat jemand neben sie. Die beiden sahen auf und erblickten Marc. Ungewöhnlich blass war er, hatte dunkle Ringe unter den Augen. Schweiß stand ihm auf der Stirn, kam er doch gerade vom Jogging, was sich auch anhand des durchnässten grauen Sportanzugs zeigte. „Hey.“ „Hey“, erwiderte Matt erstaunt. „Oh, du hier?“, begrüßte Valerie ihren Verlobten irritiert und stand auf. Marc schien es kaum wahrzunehmen, war sein Augenmerk auf Matt gerichtet. „Sorry, aber ich kam nicht umhin, etwas von eurem Gespräch aufzuschnappen. Du willst deine Unschuld beweisen, Valval?“ Jene schüttelte den Kopf. „Nein. Du weißt, das wäre …“ „Habt ihr daran gedacht, was das für Anya bedeuten würde? Und für Nick, wenn er es tatsächlich war!?“ Marc redete sich geradezu in Rage. „Was wolltest du ihr da einreden, Matt!? Diesen Typen sollte man nicht provozieren!“ Der Dämonenjäger, nicht weniger überrascht von dem Ausbruch als Valerie selbst, stand langsam auf. „Gar nichts. Ich-!“ „Wenn man nicht handfest beweisen kann, dass jemand anderes dahinter steckt, wird sich Valerie nur noch mehr vor aller Welt lächerlich machen. Die Leute reden schon genug!“ Der Schwarzhaarige mit dem Spitzbart kam gar nicht mehr zum Ende. „Willst du, dass es noch schlimmer wird, als es sowieso schon ist?“ In einem Anflug trotziger Wut breitete Matt die Arme aus. „Ach, willst du etwa nicht, dass sie ihren Namen reinwäscht? Wo es doch so offensichtlich ist, wer dahinter steckt!?“ „Ich will sie beschützen!“, fauchte Marc und trat an den etwas kleineren Dämonenjäger heran. „Sie hat genug gelitten, findest du nicht!?“ „Hört auf!“, forderte Valerie lautstark, ehe ihr Verlobter noch auf Matt losging. „Beide.“ „Pah!“ Schnaubend zog Matt an Marc vorbei, jedoch nicht, ohne ihn dabei bewusst mit der Schulter anzurempeln. Jener warf ihm als Reaktion einen mörderischen Blick zu, wahrte aber seine Beherrschung. Im Vorbeigehen sagte Matt mit Blick über der Schulter zu Valerie: „Wenn du es dir anders überlegst, werde ich dir gern helfen.“   „Draw!“, rief Kakyo im Hintergrund auf dem Bildschirm aus und betrachtete seine gezogene Karte. Welche ihn zum Strahlen brachte. Sofort im Anschluss nahm er eine der anderen beiden auf seiner Hand und legte sie auf das rote D-Pad. „Ich beschwöre [Legion The Fiend Jester]!“ Eine kniende Gestalt aus hellem Holz tauchte vor dem jungen Mann auf. Seine markante, lange rote Nase sowie die spitze, rote Mütze ließen ihn wie einen Gaukler erscheinen.   Legion The Fiend Jester [ATK/1300 DEF/1500 (4)]   Kakyo erklärte: „Legion kann mich sofort noch einen Hexer normalbeschwören lassen, aber es muss eine Tributbeschwörung sein. Also opfere ich ihn …“ Sein Monster löste sich in blauem Licht auf. „… und rufe das [Dark Magician Girl]! Denk dran, sie wird mit jedem [Dark Magician] auf meinem Friedhof stärker!“ Die Menge explodierte vor Jubel, als -die- Ikone der Duel Monsters-Gemeinde das Feld betrat. In ihrem engen, hellblauen Gewand für begeisterte Aufschreie sorgend, schob sie die blonde Magierin ihren Hut mit dem Zauberstab in ihrer Hand zurecht und zwinkerte. Dark Magician Girl [ATK/2000 → 2300 DEF/1700 (6)]   „Zweiter Effekt von Legion!“ Kakyo streckte den Arm mit dem D-Pad daran nach vorn. „Wenn er geopfert wird, bekomme ich ein normales Hexer-Monster von meinem Deck auf die Hand. Den zweiten [Dark Magician] in meinem Deck!“ Dessen Karte wurde daraufhin aus dem Kartenstapel gezogen. Kakyo zeigte ihn vor, es handelte sich um das schwarze Anniversary-Artwork. Kurz darauf verkündete er: „Ich bin aber noch nicht fertig. Schließlich ist [Dark Magician Girl] auf dem Feld und damit kann ich [Sage's Stone] aktivieren, den Stein der Weisen!“ Kaum schob Kakyo seine Zauberkarte ins D-Pad, umschloss das hübsche Magiermädchen mit beiden Händen ihren Zauberstab. Vor ihren Füßen öffnete sich ein Runenportal, aus dem ein winziger Stein, halb orange, halb rötlich aufstieg. „Mit ihrer Hilfe beschwöre ich meinen dritten [Dark Magician] aus dem Deck! Erscheine!“ Tobender Applaus aus dem Publikum hallte durch das Stadion, als der Stein zerplatzte. Kurz darauf, als wäre er schon immer da gewesen, tauchte neben [Dark Magician Girl] ihr Lehrmeister auf, der Hexer in violetter Robe, der seinen grünen Zauberstab schwang. Dark Magician [ATK/2500 DEF/2100 (7)]   „Unglaublich, wie mühelos Kakyo Sangon das bekannteste Magier-Gespann des Spiels beschwören konnte“, lobte Mr. C von seiner gläsernen Lounge aus begeistert. „Wie schön, ihnen beiden wieder gegenüber zu stehen“, strahlte Othello glücklich. Was seinen Gegner dazu beflügelte, den Arm mit gespreizten Fingern auszustrecken. „Sie freuen sich auch, dich wiederzusehen! Schade, dass es nur so kurz ist, aber ich habe keine Wahl! Ich aktiviere den Effekt von [Dark Magic Chamber].“ Seine dauerhafte Zauberkarte leuchtete violett auf. Kakyo erklärte: „Einmal pro Zug, sofern ich einen der beiden Magier kontrolliere, kann ich eine seiner Signaturzauberkarten vom Deck auf die Hand nehmen. Und wenn ich schon beide zusammen auf dem Feld habe, gibt es nur eine richtige Wahl: [Dark Burning Magic]!“ Ebenjene schob sich aus Kakyos Deck und wurde sofort von diesem aktiviert. „Jetzt knallt's!“ Meister und Schülerin legten ihre Zauberstäbe aneinander und richteten diese auf Othellos Feld, welcher die Augen weitete. „[Dark Burning Magic] lässt sich nur aktivieren, wenn ich die beiden kontrolliere“, erklärte Kakyo und schwang den Arm aus, „mit ihrer kombinierten Macht vernichten sie jede Karte auf deiner Spielfeldseite, Othello!“ An den Spitzen der beiden Zauberstäbe entstanden schwarz-violette Entladungen, die das Hexergespann unter einem synchronen Aufschrei abfeuerte. Im Flug zerteilten sich die beiden Energiekugeln in weitere, kleinere, welche von Runenkreisen umgeben waren. Zwei flogen hoch in die Luft, direkt auf [Dharma-Eye Magician] und [Dreamgazer Magician] in deren Lichtsäulen zu. Drei weitere galten jedem Monster auf der Spielfeldseite des blonden Jugendlichen. Kakyo hatte Recht: Es knallte fürchterlich. Fünf Explosionen suchten Othellos Spielfeldseite gleichzeitig heim. Über dem öffnete sich das Pendelportal und absorbierte drei rote Lichtstrahlen, als sich dichter Rauch um dessen Spielfeld ausbreitete.   „Ja, du hast vielleicht mit Nick ähnliche Erfahrungen wie wir gemacht. Ich sag es trotzdem nicht noch einmal“, murrte Marc derweil und funkelte Matts Rücken an. Hinter ihm stand Valerie und verzog keine Miene, als ihr Verlobter fortfuhr: „Stachele Valerie bitte nicht dazu an, in dieser Wunde herumzubohren. Da kommt nichts Gutes bei raus.“ „Das ist ihre Entscheidung. Und wenn wir ehrlich sind, die hat sie doch längst getroffen“, erwiderte der Dämonenjäger im Weggehen. Valerie verkrampfte. „Du verstehst das nicht, Matt …“   „Dann erklär's uns doch, Redfield!“ Alle drei wirbelten herum. Da stand sie, ein paar Meter vom Café entfernt und atmete einmal tief durch – Anya. Und wie sie die Stirn runzelte und im Anschluss auf die Gruppe zustampfte, hatte ihre Anwesenheit nichts Gutes zu bedeuten. Auch Anya war sich dessen nur allzu sehr bewusst. Der Knall im Hintergrund, vom Duell herrührend, war im Vergleich dazu, was nach ihrer Offenbarung geschehen würde, ein lauer Furz. „Oder besser“, knurrte sie, als keiner der Drei Anstalten machte, sie zu begrüßen, „erklär' du uns, was du dir dabei gedacht hast, Butcher!“ Der vom Joggen schweißnasse Marc machte große Augen. „Ich? Wobei denn?“ „Tu nicht so, ich habe zwar nicht viel von eurem Streit mitbekommen, aber offensichtlich macht ihr euch ja genauso viele Gedanken darum wie ich.“ Anya kniff die Augen fest zusammen, als sie zu Valerie aufgeschlossen hatte. „Also, Butcher: Hast du uns etwas zu sagen?“ „Sag bloß, du denkst, -er- hätte die Karte-!?“, schnappte ihre Erzrivalin, als ihr klar wurde, was sich hinter Anyas Worten verbarg. „Du beschuldigst mich?“ Marc öffnete den Mund, schloss ihn dann aber sprachlos wieder. Matt kehrte an dessen Seite zurück und schüttelte den Kopf. „Wirklich, Anya, so etwas gibt man nicht leichtfertig von sich.“   Anya spürte, wie die Blicke der anderen sie durchbohrten. Scheiße, wie sollte sie Redfield und Summers das bloß begreiflich machen? Es -war- Butcher! Und der Mistkerl wusste das! Warum musste der auch ausgerechnet jetzt hier sein!? Sie hätte vielleicht einen etwas besseren Zeitpunkt abwarten sollen, um ihren Verdacht auszusprechen, kam es Anya in den Sinn. Aber die Vorlage von eben war einfach zu gut gewesen, um sie verstreichen zu lassen. Aber jetzt musste sie sich dringend etwas einfallen lassen.   „Wie kommst du darauf?“, fragte Marc schließlich getroffen und fasste sich kopfschüttelnd an die Stirn. „Anya, bei allem nötigen Respekt …“ Valerie schwieg, während Matt fragte: „Hast du irgendeinen Anlass, das zu glauben?“ „Es war Nick, okay?“, warf der Beschuldigte ein und streckte die Arme aus. „Dein Freund ist ein Psychopath, falls du es nicht weißt. Erzähl's ihr, Matt. Was er mit dir gemacht hat!“ Anya spitzte die Ohren. „Huh?“ „Ich hatte dir eben gesagt, dass das unter uns bleibt. Hör' nicht auf ihn, Anya, beantworte lieber meine Frage“, grätschte Matt grimmig dazwischen und verschränkte die Arme.   Sie hatte keine direkten Beweise, verdammter Kackmist! „Keiner hätte es leichter, Redfields Deck zu manipulieren als du, elender Mistkerl“, zischte Anya den schwarzhaarigen Sportler an, „dafür, dass du Nick als Sündenbock vorschiebst, müsste ich dir eigentlich jeden Knochen einzeln brechen!“ „Ach, weil ich im selben Zimmer schlafe wie meine Verlobte, bin ich automatisch der Täter?“, schnappte Marc provoziert zurück. „Ist ja interessant. Dein sogenannter bester Freund hat-“ Matt donnerte dazwischen: „Marc!“ „Was hat Harper!?“ Anya schwang wütend den Arm aus. „Red' schon! Und du unterbrich' ihn gefälligst nicht, Summers!“   Im Hintergrund lief das Duell weiter. Einige der draußen sitzenden Gäste beschwerten sich bereits über den immer lauter werdenden Streit auf offener Straße. Othellos Spielfeldseite wurde zwar von Rauch eingehüllt, aber trotzdem erkannte man bereits, dass die Dinge nicht so gelaufen waren, wie Kakyo sich das vorgestellt hatte. Transparent, tauchte das Ziffernblatt einer Uhr schräg über der Rauchwolke auf und ließ die Zeiger rückwärts laufen. Kurz darauf durchdrang blaues Licht den Qualm – die Lichtsäulen der beiden Pendelmagier erstrahlten wieder, in ihnen [Dharma-Eye Magician] und [Dreamgazer Magician]. „Nanu?“, wunderte sich Kakyo. In dem Moment verzog sich der Rauch. Othello saß mit einem geheimnisvollen Lächeln da. Tatsächlich waren all seine Monster und seine gesetzte Karte verschwunden, was aber nicht erklärte, wieso die Karten in seinen Pendelzonen noch quietschfidel waren. Etwas, das Mr. C natürlich nicht unkommentiert lassen konnte. Während der sprach, sagte Kakyo zerknirscht: „Das hab ich ganz vergessen …“ „[Timegazer Magician] hat auch als Monster einen Effekt. Einmal pro Zug verhindert er die Zerstörung der Karten in meinen Pendelzonen.“ „Trotzdem bist du jetzt schutzlos!“ Kakyo schloss die Augen. „Tut mir leid, Othello. Wirklich.“ „Schon gut.“ Daraufhin riss der Brünette seine Lider wider auf. „Direkter Angriff auf seine Lebenspunkte, [Dark Magician]! Black Magic!“ Der violette Hexer schwang seinen Zauberstab und feuerte eine violette Feuerkugel auf den Rollstuhlfahrer ab, welche aber kurz vor diesem unvermittelt an einem hellblauen, kuppelförmigen Kraftfeld abprallte. Hinter ihm tauchten drei in blauer Robe steckende Priesterinnen auf, die im Chor seltsamen Singsang von sich gaben. „Eh“, stöhnte Kakyo kopfschüttelnd, „du hattest da [Waboku] liegen, richtig?“ „Jap“, grinste Othello, „ich hab's aktiviert, kurz bevor deine Zauberkarte sie zerstört hatte. Diese Runde kannst du mir keinen Schaden mehr zufügen.“ Sein Gegner zuckte mit den Schultern. „Aha. Na gut, ich gebe ab.“ Womit die Priesterinnen samt Kraftfeld verschwanden.   Bedächtig schloss Othello die Augen und griff nach seinem Deck. Dann zog er, dabei laut ausrufend: „Draw!“ Gleich im Anschluss streckte er den Arm in die Höhe. „Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum!“ Über ihm öffnete sich das blaue Portal und schoss vier rote Lichtstrahlen auf seine Spielfeldseite ab. „Pendulum Summon! Odd-Eyes, [Wisdom-Eye Magician], [Timegazer Magician] und [Stargazer Magician].“ Der rote, flügellose Drache erhob sich vor seinem Meister, davor der Magier mit der Laterne, jener mit der Uhrenblattklinge am Arm und der weiße Hexer mit dem langen Stab.   Stargazer Magician [ATK/1200 DEF/900 (3) PSC: <8/8>] Timegazer Magician [ATK/1200 DEF/2400 (5) PSC: <1/1>] Wisdom-Eye Magician [ATK/1500 DEF/1500 (4) PSC: <5/5>] „Odd-Eyes“ [ATK/2500 DEF/2000 (7) PSC: <4/4>]   Zuversichtlich hielt Othello seinem Gegner die aufgezogene Zauberkarte entgegen. „Ich verändere jetzt das Spielfeld zu meinen Gunsten! Spielfeldzauber [Sky Arc], erstrahle!“ Über dem gesamten Spielfeld entstand ein Portal, ähnlich jenem, das für Pendelbeschwörungen benutzt wurde. Doch dieses besaß keine dutzenden Ellipsen, die sich um es zogen, sondern wurde von einem bunten Lichtschleier umgeben. „Was für ein Schauspiel, werte Zuschauer!“, hauchte Mr. C ehrfürchtig. „Effekt von [Sky Arc]! Einmal pro Zug kann ich eine meiner offenen Karten zerstören, um einen Odd-Eyes zu bekommen.“ Plötzlich erhob sich der weiße [Stargazer Magician] unter Othellos Monstertruppe und stieg als roter Lichtstrahl in die Luft auf, nur um vom neuen Pendelportal absorbiert zu werden. „Ich entscheide mich für [Odd-Eyes Saber Dragon]!“, verkündete der Jugendliche im Rollstuhl. Ziemlich überrascht wiederholte Kakyo den Namen. „[Odd-Eyes Saber Dragon]!?“ Dessen Karte schob sich aus dem Deckschacht vor Othello und wurde von jenem aufgenommen.   „... du lügst doch, Butcher!“ Anya schüttelte kaum merklich den Kopf. „Nick würde nie-!“ „Es ist die Wahrheit, Anya“, murmelte Valerie neben ihr. „Er wurde angegriffen von einer Person, die genauso aussah wie ich und ist dann am helllichten Tag bei uns eingebrochen.“ Das war noch nicht alles. Marc fügte hinzu: „Er hätte ihr ohne mit der Wimper zu zucken sonstwas angetan, wenn ich nicht dazwischen gegangen wäre!“ „Dass er mich mit einem Messer bedroht hat, ist auch wahr“, beugte sich Matt schließlich der Wahrheit. Denn wenn er ehrlich war, hätte er ihr das alles viel früher sagen müssen. „Um ehrlich zu sein, glaube ich auch, dass Nick den vermeintlichen Betrug inszeniert hat. Für ihn wäre es ein Leichtes, in das Hotelzimmer zu kommen.“ „Er ist besessen davon, dich zu beschützen“, verdeutlichte Marc die Sachlage mit den Händen gestikulierend.   Anya nahm das alles nur unbewusst wahr. Wenn das wirklich alles stimmte, was sie da sagten, warum hatten sie ihr das nie erzählt!? Wieso hatte Nick nie erwähnt, dass er von etwas mit dem Aussehen von Redfield angegriffen worden war!? Jetzt ergab es alles einen Sinn! Die Wunde an seinem Arm, als er sie damals vom Bahnhof abgeholt hatte, sie stammte von diesem Kampf. Die Sache mit Matt konnte Anya noch nachvollziehen, denn Nick wäre nicht der Erste, der dem Dämonenjäger misstraut. Vielleicht wusste ihr Sandkastenfreund etwas, das sie nicht wusste? Doch ganz gleich, wie seltsam sich Nick auch verhielt, eins stand fest. „Er war es nicht. Du warst es, Butcher.“ Anya straffte sich. „Ich weiß, warum. Du wolltest Redfield nur beschützen, genau wie damals. Als du den Pakt mit Isfanel eingegangen bist. Du hattest Angst, das war alles.“ Marc zuckte zusammen, als die Blonde das für ihre Verhältnisse schon fast versöhnlich von sich gab. Dann schüttelte er den Kopf. „Schwachsinn! Akzeptiere die Tatsache, dass-“ „Claire Rosenburg ist eine Hüterin, die noch nie besiegt wurde. Sie weiß, dass ihr meine Freunde seid. Sie weiß, dass ich die Hüter jage, denn ich habe vor ihren Augen zwei Hüterkarten ausgespielt“, sprach Anya sachlich weiter, denn zu diesen Erkenntnissen war sie während ihrer Suche nach Valerie gelangt, „und würde deshalb jeden vernichten, der ihr zu nahe kommt. Du hast Angst, dass sie genau das mit Redfield gemacht hätte, wenn sie als Siegerin aus dem Turnier hervorgegangen wäre.“ Marc geriet ins Stottern. „Das ist nachvollziehbar, aber-“ „Die Karte, die Redfield gezogen hat, war [Change Of Heart]. So eine ist extrem selten, die bekommt man nicht einfach im nächstbesten Laden. Sollen wir mal deine E-Mails checken, ob du irgendwo angefragt hast?“ Anya fühlte sich nicht wohl dabei, so strategisch vorzugehen, aber sie kam der Sache wie von Zauberhand näher. „Außerdem müssten auf der Karte auch Fingerabdrücke sein. Keine Ahnung, wie viel es kostet, das freiwillig testen zu lassen. Aber mein Dad würde das sicher irgendwie hinbekommen.“ Die Blicke richteten sich auf den Schwarzhaarigen mit dem Spitzbart, der plötzlich verdächtig still geworden war. Anya formte stumm Worte auf ihrem Mund: „Danke, Levrier.“   Das hast du gut nacherzählt. Auch wenn das alles keine ultimativen Beweise sind.   Valerie sah ihren Verlobten fragend an. „Marc?“ Der schluckte. „Wenn das so ist, hat es wohl keinen Sinn mehr, es zu leugnen. Was Anya sagt, stimmt. Ich … habe es getan.“ „Du … lügst“, hauchte Valerie getroffen. „Sag, dass das nicht wahr ist!“   Indes nahm Othello den [Wisdom-Eye Magician] von der Duel Disk vor ihm. Jener verwandelte sich ebenfalls in einen roten Lichtstrahl, welcher vom riesigen Pendelportal über den Köpfen der beiden Duellanten absorbiert wurde. Das Publikum gab erstaunte Laute von sich. „[Odd-Eyes Saber Dragon] hat eine besondere Methode, um ihn zu beschwören“, erklärte Othello und griff nach seinem Deck, „erst muss ich ein Licht-Monster opfern, danach einen [Odd-Eyes Dragon] auf den Friedhof legen.“ Besagte Karte wurde automatisch aus dem Deck geschoben und von Othello entsorgt. „Und nun strahle, [Odd-Eyes Saber Dragon]!“ Neben dem originalen Odd-Eyes begann von allen Seiten grelles Licht zu erstrahlen. Eine exakte Kopie seiner selbst erschien, doch trug sie eine silberne Rüstung, die selbst den langen Schweif überzog. Von überall an seinem Körper ragten lange Klingen empor, die die Quelle des Lichts waren. Kakyo weitete die Augen. „O-okay, der ist zur Abwechslung wenigstens kein Pendelmonster. Ist er etwa deine Geheimwaffe?“   Odd-Eyes Saber Dragon [ATK/2800 DEF/2000 (7)] „Wer weiß?“ Sein Gegner zwinkerte ihm verschwörerisch zu. „Du zwingst mich eben dazu, alle Register zu ziehen!“ Passend dazu brüllte der neue Drache stolz. „Dann habe ich …“, murmelte Kakyo enttäuscht. „Leider ja.“ Othello seufzte traurig. „Aber so ist das eben, es kann nur einer gewinnen. [Odd-Eyes Saber Dragon], greife [Dark Magician] an! Spiral Saber Strike!“ Dank seiner Klingen am Körper, die gleichzeitig als Tragflächen zu fungieren schienen, konnte der leuchtende Drache in hoher Geschwindigkeit über den Boden gleiten und den violetten Magier ins Visier nehmen. Jener schoss einen violetten Feuerball nach ihm, welchem der Drache jedoch gekonnt auswich. Mit voller Wucht und sich dabei um die eigene Achse drehend, krachte er in den Hexer, was eine Explosion zur Folge hatte.   [Othello: 1500LP / Kakyo: 2500LP → 2200LP]   Die blonde Magierin, die alles erschrocken mit angesehen hatte, setzte einen grimmigen Blick auf, gerichtet auf die Rauchwolke neben ihr.   Dark Magician Girl [ATK/2300 → 2600 DEF/1700 (6)]   „Was ist das!? Natürlich, für jeden [Dark Magician] auf dem Friedhof wird sein weibliches Gegenstück stärker!“ Mr. Cs Stimme klang immer aufgeregter, als er fortfuhr. „Aber das heißt, dass sie stärker als der Rest von Othellos Monstern ist! Hat er nicht bedacht, dass er jetzt nicht mehr über diese Barriere hinweg kommt!?“ Der Junge hustete ein paar Mal, ehe er mit einem schelmischen Grinsen erwiderte: „Mit Barrieren kenne ich mich aus und das ist keine. Effekt von [Odd-Eyes Saber Dragon]! Wenn er ein Monster im Kampf zerstört, kann er sofort danach noch eines vernichten! Illumination Force!“ Grelle Strahlen drangen von allen Seiten aus der Rauchwolke. Die Magierin wich noch zurück, doch es war zu spät – ein Lichtstrahl erfasste sie und durchbohrte den üppigen Leib der Blonden, welche kreischend explodierte. „Gutes Spiel“, sagte Kakyo und rang sich ein Lächeln ab. „Ja. Gutes Spiel. Direkter Angriff auf seine Lebenspunkte, 'Odd-Eyes'! Spiral Strike Burst!“ Der rote Pendeldrache stampfte nun über das Spielfeld und öffnete im Lauf sein Maul, um daraus einen roten Energiestrahl abzufeuern, um den schwarze Entladungen schlugen. Sein Opfer schloss besonnen die Augen, kurz bevor der Treffer in ihn einschlug.   [Othello: 1500LP / Kakyo: 2200LP → 0LP]   „Das ist es, das Ende eines spannenden Duells“, rief Mr. C unter dem tosenden Applaus und Jubel der Zuschauer, „der zweite Finalist heißt Othello Nikoloudis und wird damit übermorgen auf Anya Bauer treffen!“   Valerie schlug schluchzend die Hände vor den Mund. „Das hätte ich dir nicht zugetraut“, gestand Matt und wich einen Schritt vom Schwarzhaarigen zurück, welcher entgegen seinem Geständnis nicht um Entschuldigung bat, sondern wehmütig lächelte. „Dafür, dass du Nick beschuldigt hast, müsste ich dir eine zimmern. Aber“, murrte Anya mit Seitenblick auf Valerie, die sichtbar zitterte, „du hattest deine Gründe, nicht wahr?“ „Es war dumm. Aber bitte, versteh' doch“, stotterte Marc plötzlich an seine Verlobte gewandt, „ich konnte nicht zulassen, dass du gegen Claire antrittst.“ „Red' nicht weiter!“, forderte die mit gebrochener Stimme. „Eine unbesiegbare Hüterin! Der Gedanke daran, was sie dir antun könnte, er kam mit einem Mal. Was, wenn sie weiß, dass wir hinter ihr her sind? Sie würde dich gnadenlos vernichten, du bist nur ein Mensch, du bist-!“ Valerie standen die Tränen in den Augen. „Schweig!“   Die anderen Gäste murmelten schon ungehalten, was Anya mit einem Blick aus dem Augenwinkel genervt zur Kenntnis nahm. Wenn die hier so weitermachten, landete das schneller in den Medien, als ihnen allen lieb war!   Zeitgleich schüttelte Matt erschüttert den Kopf. „Und das rechtfertigt so eine Aktion? Warum hast du nicht mit Valerie darüber geredet?“ „Habe ich!“, verteidigte sich Marc verzweifelt und zeigte auf das Mädchen. „Aber denkst du, dieser Sturkopf hat auch nur mit einem Ohr hingehört? Valerie, sei ehrlich, du warst nur noch auf eine Karriere in der Profiliga fokussiert!“ „Sag … sag kein Wort mehr!“ Gerade als Anya ihr in einem seltenen Moment der Nächstenliebe auf die Schulter fassen wollte, drehte Valerie sich um und rannte davon. „Valerie, warte!“, rief Marc ihr hinterher und setzte nur einen Fuß vor den anderen, da blockierte Matt ihm schon den Weg.   Du musst ihr hinterher, Anya Bauer!   „Nope“, erwiderte die und seufzte genervt, „sie will jetzt allein sein, Idiot.“ „Was hast du dir nur dabei gedacht!?“, fuhr Matt den größeren Marc sauer an. „Deine Freundin so zu verletzen! Nimmst du in Kauf, ihr Herz zu brechen, nur weil du mit deinen Worten nicht zu ihr durchdringen konntest!? Was bist du für ein Mensch!?“ Anya schnappte: „Summers, beruhig' dich, ist jetzt eh nicht mehr zu ändern!“ „Du halt dich da raus, Anya!“, fauchte der über die Schulter blickend zurück. Die funkelte den Dämonenjäger böse an. „Fein. Vielleicht gehe ich doch Redfield suchen. Ihr beide könnt euch ja überlegen, wie du das wieder gutmachen willst, Butcher. Tch …“ Es wäre ein Leichtes für sie, Valerie zu verfolgen, dachte die Blonde im Umdrehen. Aber was verstanden die beiden schon von den Gefühlen ihrer Erzrivalin? Den einen Traum in Trümmern zu sehen, durch die Hand desjenigen, der einem am wichtigsten war … Butcher war ein Idiot, wenn er glaubte, mit einer einfachen Entschuldigung wäre alles vergessen. Verdammter Kackmist. Sie sollte -wirklich- nach Redfield sehen und ihr anbieten, ihren Volltrottel von Verlobten nach allen Regeln der bauerischen Kunst zu vermöbeln.     Turn 74 – Snowing Season Mit Othellos Einzug ins Finale und damit das ihres Angstgegners, muss Anya einen Weg finden, seine Pendelmonster auszuschalten, wofür sie nur einen Tag zur Verfügung hat. Außerdem taucht Zanthe wieder auf, was eine Aussprache unausweichlich macht. Und dann ist es endlich soweit, das Finale beginnt … Kapitel 79: Turn 74 - Snowing Season ------------------------------------ Turn 74 – Snowing Season     Vorsichtig schloss Zanthe die Tür hinter sich. Das Hotelzimmer war stockfinster, sämtliche Rollos der Fensterfront heruntergelassen, sodass nur winzige Spalten des Lichts der Werbeanzeigen in den Raum drangen. Aber selbst wenn es hell gewesen wäre, könnte der Werwolf nichts sehen, da er fest die Augen zusammenkniff. Er hatte Kopfschmerzen und zwar gewaltige. Den ganzen Vormittag hatte er mit Exa gejagt und Junge, war das ein Anblick, diesen Typen jagen zu sehen. Selten waren Erinnerungen an eine Jagd so klar wie dieses Mal. Nachdem Zanthe danach eine Weile geruht hatte, waren sie nach Ephemeria City zurückgekehrt, was Stunden gedauert hatte.   Müde schlurfte der junge Mann zu seinem Bett, das der Zimmertür von den dreien am nächsten war. Dabei stieg ihm ein süßer Geruch von Lavendel in die Nase. Hatte Anya sich etwa gebadet oder gar Parfüm aufgetragen? Das war ja was ganz Neues! Falls er morgen aufwachte, bevor sie ihn mit einem Kissen erstickt hatte, würde er sich darüber lustig machen, nahm sich Zanthe vor. Er ließ sich auf die Bettkante nieder und legte sich der Seite lang hin. Dieser Trottel Exa, er würd-   Etwas stieß gegen seinen Rücken. Sofort schreckte Zanthe auf, betätigte in der Bewegung den Lichtschalter über dem Kopfende, um die Seitenbeleuchtung des Zimmers zu aktivieren. Kaum war er auf den Beinen und hatte die Augen aufgerissen, da sah er vor sich eine Schwarzhaarige in einem schwarzen Totenkopf-Nachthemd liegen. Jene öffnete die Augen benommen. „Valerie!?“, platzte es aus Zanthe heraus. „Oh“, nuschelte die verschlafen, „tut mir leid, ich wusste nicht, dass du …“ „Du bist zurück!“, stellte da noch jemand fest. Matt im mittleren Bett war aufgestanden und betrachtete den Werwolf erstaunt, trug dabei nur ein schwarzes T-Shirt und Boxershorts. „Wo warst du die ganze Zeit?“ „Werwolfangelegenheiten regeln“, antwortete jener wahrheitsgemäß. Sein Blick richtete sich wieder auf Valerie, die sich jetzt an die Bettkante setzte. „Was machst du hier?“ „Das ist etwas kompliziert“, antwortete Matt für sie, „Anya hat entschieden, dass sie heute bei uns bleibt. Wir erklären dir alles morgen, wenn dir das reicht.“ „Meinet-!“   Wenn man vom Teufel sprach, so kam er sprichwörtlich und holte einen. Jene Erfahrung machte in diesem Moment auch Zanthe, als hinter Matt ein Schatten aus dem Bett in der Ecke über jene gesprungen kam. Instinktiv und das trotz Migräne wich Zanthe nach hinten aus, als eine Speerspitze auf seine Kehle zielte. Da stand sie. Klein, grimmig und schlechter gelaunt denn je: Anya, in Boxershorts und Totenkopf-Shirt mit Angel Wing in seiner Speerform in den Händen. „Wie willst du sterben, Flohzirkus!?“ „Wie wär's mit gar nicht?“, erwiderte der gallig. „Steht nicht zur Auswahl!“ Demonstrativ ließ Anya den Speer ein Stück nach vorne schnellen, was Zanthe in etwa so beeindruckte wie die sekundären Geschlechtsmerkmale einer Frau. Sprich gar nicht. „Sag bloß, er hat schon gepetzt“, schnarrte Zanthe daraufhin entnervt. „Was hast du dir dabei gedacht, den Zwerg zu vermöbeln!?“, fuhr Anya ihren Freund verständnislos an und zog den Speer zurück, um ihn mit dem Ende des Schafts auf den Boden zu setzen. Matt murmelte im Hintergrund an Valerie gewandt: „Fragt diejenige, die ihn in der Notaufnahme hat sitzen lassen …“ „Ich habe mich schon dafür entschuldigt!“, schnauzte Anya zurück. Nur um den Werwolf im Anschluss wieder blutdurstig zu betrachten. „Was hat er dir getan, huh?“ „Mir hinterher geschnüffelt. Hast du ihn darum gebeten?“ Bevor Anya verblüfft verneinen konnte, seufzte Zanthe jedoch einsichtig: „Es tut mir leid. Ich werde mich morgen bei ihm entschuldigen, sofern er mich sehen will. Es ist mit mir durchgegangen …“ Der Dämonenjäger umrundete inzwischen Zanthes Bett und stellte sich neben Anya, gestikulierte mit der rechten Hand, als er meinte: „Ich habe dir ja gesagt, dass er überfällig war.“ „Hmpf“, schnaubte Anya, wandte sich ab und ließ Angel Wing verschwinden. „Was auch immer, ist mir egal. Wenn du hier bleiben willst, musst du wohl oder übel auf dem Boden pennen …“   Ohne es zugeben zu wollen, versetzte Anyas desinteressierte Art Zanthe einen Stich. Aber wen wunderte es, wenn man bedenkt, wie stiefmütterlich er sie und Matt in den letzten Tagen behandelt hatte. War es nun so weit, war er ihnen egal?   „Tut mir leid“, brachte er schweren Herzens an Anya gewandt hervor, „für das Verhalten, das ich seit Kurzem an den Tage lege. Aber dafür gibt es einen guten Grund.“ Anya, die vor ihrem Bett angelangt war, zuckte teilnahmslos mit den Schultern. „Was nützt mir das, wenn ich nicht mal weiß, was für ein Grund das sein soll.“ „Ich erzähl's dir, irgendwann. Versprochen.“ „Tch. Was auch immer …“ Damit legte sie sich wieder ins Bett und drehte ihm den Rücken zu.   ~-~-~   Am nächsten Tag saßen sie zu viert in einem kleinen Café um die Ecke. Zanthe sog jedes Wort in sich auf, das Matt neben ihm über Marcs Verrat verlor. Sie alle saßen über ihren Spiegeleiern, Toast Hawaii und anderen Speisen. In der Ecke des rustikalen Gebäudes, dessen Wände im Backstein-Look gehalten wurden, befand sich ein Fernseher, wo gerade auf einem der lokalen Duel Monsters-Channel über das Turnier berichtet wurde. „… und dann ist Anya ihr hinterher“, schloss Matt die Geschichte ab. „Yeah. Redfield wollte nicht zurück in ihr Zimmer, da hab ich sie mitgenommen. Konnte ja nicht ahnen, dass du nochmal auftauchst“, übertrieb Anya es wie gewohnt. Valerie schob ihren noch halb vollen Teller von sich. „Können wir bitte über etwas anderes reden?“ „Tut mir leid, dass dir das widerfahren ist“, sagte Zanthe, dem vom auf den Boden schlafen noch immer der Kopf schmerzte. „So etwas tut man nicht, egal wie nobel die Intention dahinter ist. Trotzdem solltest du mit ihm reden-“ „Bitte“, wurde Valerie deutlicher. „Das Letzte, worüber ich im Moment nachdenken möchte, ist Marc.“   Mit diesen Worten zog sich einen Schleier des Schweigens um den Tisch in der Ecke. Im Fernsehen wurde über Othellos gestrigen Sieg gesprochen. „Der ist ein harter Brocken“, kommentierte Zanthe das Ganze mit Schulterblick auf den Bildschirm gerichtet, da die Jungs mit dem Rücken zum Fernseher saßen. „Ich habe keine Ahnung, wie ich den Krüppel besiegen soll“, gestand Anya ungewohnt selbstkritisch und tunkte lustlos eine Fritte in den Ketchup auf ihrem Teller. „Pendelmonster sind scheiße. Wer hat diesen Mist doch gleich erfunden?“ „Melinda“, beantwortete Valerie die Frage tonlos. „Zur Hölle sollst du fahren, verdammte Schnöselschwester!“ Das sah Zanthe als die Gelegenheit, mit aufmunternden Worten bei Anya Boden wieder gutzumachen. „Ach, sei doch nicht so negativ. Was dir an Intelligenz fehlt, machst du mit unverschämt viel Glück wieder wett. Wenn du nicht weiter weißt, wird Levrier dir schon helfen.“ Selbst er musste allerdings erkennen, dass aufmunternde Worte anders klangen, als Anyas Spiegelei in sein Gesicht klatschte.   Während Zanthe grimmig damit beschäftigt war, sich das Ganze mit einer Serviette aus dem Gesicht zu wischen, sagte Matt: „Du hast noch einen Tag Zeit, dich vorzubereiten. Das Finale findest erst morgen statt.“ „Yeah“, brummte Anya, „aber was soll ich noch tun? Ich hatte mein Rematch mit Melinda schon, aber obwohl ich gegen sie gewonnen habe, konnte ich die Pendel an sich nicht besiegen.“ „Hast du keine Karten in deinem Deck, die seine Monster mit anderen Methoden als Zerstörung entsorgen?“, fragte Valerie, jedoch ohne wirklichen Elan dahinter. Sie verfolgte nebenbei die Berichterstattung. „Ne. Ich dachte, es reicht, die Monster in den Pendelzonen zu zerstören, um ihn daran zu hindern, seinen Pendelbereich aufzubauen.“ Anya schnaufte wütend. „Aber Othello hat in seinem Duell mit Kakyo bewiesen, was ich vermutet habe. Selbst wenn beide Pendelkarten zerstört werden, kann er trotzdem im nächsten Zug einen neuen Pendelbereich aufbauen und eine ganze Armee an Monstern aus dem Extradeck beschwören, weil die zerstörten Pendelkarten ebenfalls dort landen.“ „Vielleicht fällt dir noch was ein“, zeigte sich Matt optimistisch, „ich finde es gut, dass die Termine der ganzen Duelle so nah beieinander lagen. Dadurch hast du nicht allzu viel Zeit verloren. Ich meine, in der Profiliga musst du teils eine ganze Woche warten, bis das Finale der Saison stattfindet.“ Die Schwarzhaarige neben Anya überlegte: „Vermutlich haben die Fords das bewusst arrangiert, um dich nicht zu lange an diesen Ort zu binden. Du hast wirklich Glück, Anya …“   Zanthe, der endlich fertig damit war, sein Gesicht zu säubern, warf ein: „Also ich kenne mindestens eine Karte, die dir helfen könnte. Die hast du selber schon gegen mich eingesetzt.“ „Ach ja?“, fragte Anya skeptisch. „Welche soll das sein?“ Ihr in Ungnade gefallener Freund hob belehrend den Zeigefinger. „Erinnerst du dich noch an die Nacht, als du mich nach Livington mitgenommen hast?“ „Leider …“ „Wir haben uns mindestens zehnmal in deinem Zimmer duelliert“, ignorierte er ihren galligen Kommentar gekonnt und erklärte: „Du hast jedes Mal den gleichen Fehler begangen. Mindestens dreimal habe ich [Constellar Omega] beschworen, du hast deine Karte gespielt und siehe da: Mein Omega war plötzlich immun.“ Die Blonde richtete sich kerzengerade auf. „Sag nicht … An -die- hatte ich gar nicht mehr gedacht!“ Selbstherrlich grinste Zanthe das Mädchen an. „Wenn du die im richtigen Moment benutzt, kannst du seine Strategie vielleicht komplett lahmlegen.“   Gerade als er dem interessiert dreinblickenden Matt erklären wollte, worum es sich bei dieser Karte handelte, stellte irgendjemand den Fernseher lauter. Eine weibliche Stimme erklärte: „Wir unterbrechen unsere Berichterstattung über Othello Nikoloudis für eine Eilmeldung! Gerade wurde ein Interview von der AFC mit Marc Butcher veröffentlicht, seines Zeichens einer der letzten acht Teilnehmer des Legacy Cups.“ Sofort wandten sich alle vier in ihrer Ecke erschrocken dem Bildschirm zu, der noch für eine Sekunde das Bild einer adretten, brünetten Frau hinter einem Tresen zeigte, ehe in einen dunklen Raum mit zwei Sesseln gewechselt wurde. In einem davon saß Marc, gekleidet in weißem Hemd und schwarzer Hose. Im anderen ein älterer Mann, noch feiner angezogen. Doch was wirklich für erstaunte Blicke sorgte war die Schlagzeile, die unter den beiden durchscrollte. „Marc Butcher gesteht Betrugsversuch an Valerie Redfield!“   Die Augen der Schwarzhaarigen neben Anya weiteten sich, ihre Hände umklammerten das Ende der Tischdecke und wurden zu Fäusten geballt. Gleichzeitig begann der grauhaarige Reporter zu fragen: „Mr. Butcher, Sie sind sicher, damit an die Öffentlichkeit gehen zu wollen?“ „Ja“, erwiderte der junge Mann entschlossen. „Was haben Sie getan?“ „Meine Verlobte betrogen und damit ihren Ruf vielleicht unwiderruflich zerstört. Deshalb gehe ich jetzt an die Öffentlichkeit.“ „Um Ihre Verlobte zu entlasten? Man wirft ihr vor, im Halbfinalspiel des Legacy Cups gegen Anya Bauer betrogen zu haben.“ Die Worte des Mannes ließen Valerie sichtbar verkrampfen. „Sie hatte eine verbotene Karte in ihr Deck integriert.“ „Ich war es gewesen“, gestand Marc ohne große Umschweife. Große Schweißperlen standen auf seiner Stirn. „Ich habe die Karte heimlich hinzugefügt.“ „Warum haben Sie das getan, Mr. Butcher?“ Der senkte sein Haupt. „Wir hatten uns am Tag davor gestritten. Ich war neidisch, weil sie weitergekommen ist und ich nicht. Also habe ich dafür gesorgt, dass sie ausscheidet. Hätte ich gewusst …“   „Das ist doch eine glatte Lüge“, schoss es aus einem erstaunten Matt heraus, der ruckartig aufsprang, „was macht er da!?“ „Er versucht, ihren Ruf wiederherzustellen. Siehst du doch“, gab Zanthe trocken zurück. In diesem Moment sprang auch Valerie auf und eilte von dannen. Die Tür des Cafés fiel ins Schloss, da hatten die drei anderen aufgrund des Interviews noch gar nicht begriffen, was hier geschah. „Anya, du musst ihr hinterher“, meinte Matt sofort. Die erhob sich, doch als sie ihn ansah, war ihr Blick düster: „Nein, du übernimmst das diesmal. Mir ist gerade eingefallen, dass ich meinem 'eigenen Marc' noch Hallo sagen muss.“ „Du meinst“, fragte Matt erstaunt und sprach Nicks Namen nicht aus, nickte dann aber. „Na gut, vielleicht hole ich sie noch ein.“ Das Interview lief im Hintergrund weiter und sorgte im Café für großes Getuschel. Anya aber interessierte das herzlich wenig, denn wenn das Marcs Art war, Valerie um Vergebung bitten zu wollen, hatte er kläglich versagt. Was für ein Idiot, dachte er wirklich, ihr würde es besser gehen, wenn die Leute sie jetzt bemitleideten!? Sofern überhaupt einer diesen Bullshit glaubte!?   Anya schob sich aus der Ecke am Tisch vorbei, da rief Zanthe ihr hinterher: „Hey! Und was soll ich jetzt machen!?“ „Bezahlen“, erwiderte Anya tonlos, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Sie fügte noch eisig hinzu: „Und dich bei Logan entschuldigen.“ Zanthe erwiderte etwas darauf, doch Anya hörte es nicht mehr, denn ihre Gedanken waren bereits darauf ausgerichtet, Nick zur Rede zu stellen …   ~-~-~   „Hallo Sonnenschein“, strahlte Nick ihr etwa eine Dreiviertelstunde später vom Bildschirm des Laptops nichts ahnend entgegen. Seine freudige Mimik wich einer ernsten, als Anya ihrerseits keine Regung zeigte. „Ist etwas passiert?“, fragte er angespannt. „Ist Kali wieder aufgetaucht? Sag etwas, Anya!“ „Hast du Redfield in ihrem eigenen Haus angegriffen?“, fragte diese nach fast einer Minute Stille tonlos. „Und stimmt es, dass du Summers ein Messer an die Kehle gedrückt hast?“ Nick schloss die Augen. Er stützte sich mit den Ellbogen auf seinem gläsernen Tisch ab und faltete die Hände ineinander. „Ja, beides ist korrekt. Hat man dir gesagt, warum ich das getan habe?“ „Marc hat erzählt, du wärst von einem Redfield-Lookalike in eine Falle gelockt worden.“ „So ist es. Und ich habe genau den Fehler begangen, den unser Feind herbeigesehnt hat: Ich habe die echte Valerie verdächtigt.“ Nick öffnete die Augen. „Ich wollte dir nichts davon erzählen, solange ich nicht weiß, wer uns da hat auflaufen lassen. Du hattest und hast immer noch genug Probleme, als dich auch noch um so etwas zu kümmern.“ Anya verzog noch immer keine Miene. „Und das mit Matt?“ „Ich traue ihm nicht. Er ist irgendwie anders, seit er wieder in Livington ist.“ „Du bist auch anders, seit du nicht mehr so tust, als wärst du ein Idiot“, erwiderte Anya grimmig. „Nein, ich war schon immer so, habe es nur nie gezeigt. Matt dagegen … ich weiß nicht, ob er dich beschützen kann, wenn es drauf ankommt. Ob er es überhaupt wird.“ Trotzig zog Anya die Nase nach oben. „Niemand muss mich beschützen, ich kann auf mich selbst aufpassen!“ Zed würde da gerne ein Wörtchen mitreden.   Anya hörte Levriers Spitze gar nicht. Sie beugte sich nach vorne über den kleinen, runden Tisch in ihrem Zimmer und starrte Nick herausfordernd an.   „Kannst du nicht“, widersprach der ihr ebenso und ließ die Arme sinken, „aber ich kann es auch nicht. Matt verheimlicht uns etwas und ich wollte herausfinden was. Eins hat zum anderen geführt. Ich bin nicht stolz darauf, bereue es aber auch nicht.“ Seine Freundin schnaubte verärgert. „Ist ja kein Wunder, dass keiner meiner Freunde dich leiden kann, wenn du jedem bei der kleinsten Gelegenheit an die Gurgel gehst.“ Ein freches Grinsen huschte über ihre Lippen. „Wüsst' ich es nicht besser, würde ich glatt sagen, wir wären verwandt.“ Nick lachte düster auf. „Sag bloß, du glaubst den Mist, den Zachariah verbreiten wollte?“ „Nö.“ „Gut so.“ Der zerzauste, junge Mann lächelte zufrieden. „Dass sie mich nicht mögen ist verständlich, aber leider nicht zu ändern. Wenn sich die Wogen geglättet haben, werde ich Abby darum bitten, ein wenig ihren Charme spielen zu lassen.“ Anyas Grinsen verlor sich. „Der Flohpelz misstraut Summers auch und du hast Recht, irgendwie ist er … anders. Kann ich mich wirklich auf ihn verlassen?“ „Ich weiß es nicht, Anya“, gestand Nick, „aber im Moment brauchen wir jede Hilfe, die wir kriegen können. Behalte ihn einfach im Auge. So, ich muss Schluss machen. Meinen Arbeitgeber dürstet es nach meiner ungeteilten Aufmerksamkeit.“ Die Blonde nickte knapp. „Ist gut. Ich muss sowieso nach Summers und Redfield suchen.“ „Das Interview habe ich gesehen, kurz bevor du mich angeschrieben hast. Ich weiß nicht, ob ich ihn für seinen Mut, ein öffentliches Geständnis abzulegen, bewundern oder für diesen erbärmlichen Wiedergutmachungsversuch bemitleiden soll. Kümmere dich um Valerie, sie braucht dich jetzt“, riet Nick abschließend. „Yeah. Aber erstmal muss ich sie finden. Also gut, man sieht sich, Harper.“ „Meld' dich ruhig, sobald du sie gefunden hast.“ „Ah, und noch etwas“, fiel es dem Mädchen ein. Ihr Blick verdüsterte sich noch einmal merklich, als sie sich erhob, „beim nächsten Verdacht meldest du dich erst bei mir, ehe du handelst. Klar?“ Emotionslos erwiderte ihr Freund. „Verstanden."   Nachdem die beiden sich voneinander verabschiedet hatten, beendete Nick sein Skype-Programm. Wieder einmal hatte er seine Schwester angelogen. Aiden war gar nicht in seinem Büro und wartete auf ihn. Stattdessen lehnte Alexandra hinter ihm an der Wand, wohl gemerkt außerhalb des Winkels der eingebauten Kamera seines Laptops und hatte das Skype-Gespräch still mitverfolgt. Die Blonde war in einen braunen Trenchcoat gehüllt. Regentropfen prasselten gegen die Fensterfront von Nicks Büro. Es stürmte regelrecht in Livington. „Erstaunlich, wie eiskalt du sie anlügen kannst“, kicherte seine Partnerin, „zu mir hast du gesagt, dass dir ihre Freunde gleichgültig sind.“ „So ist es auch, aber das muss sie nicht wissen.“ Nick klappte den Laptop zu, erhob sich und wandte sich Alex zu. „Ich hoffe, du konntest deinen Informanten erreichen.“ „Ja, aber er kann sich erst morgen mit uns treffen.“ „Wann?“ Ein herausforderndes Lächeln zierte die roten Lippen der Schatzsucherin. „11 Uhr.“ „Also kann ich Anyas Duell nicht mitverfolgen?“ Nick funkelte sein Gegenüber finster an. „Gut eingefädelt.“ „Sei froh, dass ich dir helfe.“ „Sei froh, dass du noch dazu in der Lage bist.“ Schlagartig lachte die zierliche Frau mit dem leicht gewellten, dunkelblonden Haar vergnügt auf und stieß sich von der Wand ab. Sanft legte sie ihre Hand an Nicks Wange und küsste ihn auf die andere. „Bin ich.“ Sie zog an ihm vorbei und sagte: „Wir sehen uns nachher. Lass dich nicht von Reid ärgern.“   ~-~-~   Verspielt tänzelte das schwarze Haar um Valeries Gesicht. Sie stand über das Geländer gelehnt, das den gepflasterten Gehweg vom Fluss trennte. Nicht weit von ihnen spannte sich eine riesige Brücke von einer Hälfte Ephemeria Citys zur anderen. „Ganz schön windig. Zu windig für meinen Geschmack“, beklagte sich Matt außer Atem, als er das Mädchen endlich erreicht hatte.   Sie befanden sich am äußersten Rand einer der sechs Parkanlagen der Stadt, direkt unter dem Schatten einer der Bäume der Allee. Tatsächlich war die Erschöpfung des Dämonenjägers nur gespielt. Matt hätte Valerie schon viel früher einholen können, doch wollte er ihr zunächst ein bisschen Zeit mit sich selbst einräumen. Nachdenklich verharrte sie nun schon eine Weile dort. Erwiderte: „Ein Sturm zieht auf.“ „Wirklich? Ich höre nur selten den Wetterbericht.“ „Es ist nett, dass du mich aufmuntern möchtest, aber das ist nicht nötig.“ Er gesellte sich zu ihr. Entgegen seiner Erwartungen war ihr Gesicht nicht nass von Tränen, wie es gestern der Fall war, als er ins Hotelzimmer zurückgekehrt war und sie dort mit Anya vorfand, die Schwarzhaarige in den Armen der Blonden. Wie hilflos und unbeholfen Anya dabei ausgesehen hatte, fast zum Schießen, wäre der Anlass nicht so bedrückend gewesen. Doch dieses Mal strahlte Valerie eine seltsame Form von Ruhe aus. Hatte sie Marc vergeben? „Wir sind alle Freunde, das ist selbstverständlich“, erwiderte er gutmütig. „Danke. Richte bitte auch Anya aus, dass ich froh war, die Nacht bei euch im Hotel verbringen zu dürfen. Aber ich suche mir nachher ein eigenes.“ „Du willst nicht zu Marc zurück?“ „Ich“, sagte Valerie und ihre Stimme senkte sich, „werde nie wieder zu Marc zurückkehren. Sobald ich den Scherbenhaufen zusammengesammelt habe, der mal mein Herz war, werde ich die Verlobung lösen.“ Matt stand der Mund offen. „Was!? Aber er hat doch-!“ Das Mädchen senkte den Kopf. „Ich fühle gar nichts mehr, Matt. Gar nichts. Weder Schmerz noch Hass noch irgendetwas anderes. Es ist beängstigend, aber ich bin froh, dass es so ist, auch wenn ich es nicht verstehe.“ „Als wäre er gestorben und du durchläufst noch den Prozess des Begreifens?“ „Marc ist schon lange tot.“ Valerie drehte sich ihm zu, ihre Mimik war frei von irgendwelchen Emotionen, als ihr Haar das Gesicht verschleierte. „Er ist nur hier, weil ich ihn nicht gehen lassen konnte. Versteh' mich bitte nicht falsch, ich bereue es nicht, ihn ins Leben zurückgeholt zu haben. Aber für mich ist er jetzt wirklich … tot.“ Der Dämonenjäger drehte sich weg und lehnte sich nun seinerseits über das Geländer. „Sag so etwas nicht. Du bereust es später, glaub' mir. Das sind nur die ersten Tage, in denen du so viel fühlst, dass es dir vorkommt, als würdest du gar nichts empfinden.“ „Mag sein. Es ist noch etwas Zeit, ehe ich Marc ein letztes Mal gegenüber stehe. Wenn du Recht hast, werde ich meine Worte bis dahin überdenken.“ Valerie entfernte sich von ihm. „Danke, Matt.“ Betrübt sah er dem Mädchen hinterher, wie es alleine im Wind durch die Allee zog. Leise flüsterte er: „Wie kann man für so etwas dankbar sein?“   ~-~-~   Zum wiederholten Male klopfte Zanthe gegen die grüne Holztür. Dank Anya wusste er, dass Logan in einem kleinen Motel etwas abseits von Ephemeria City übernachtete. Draußen auf dem Parkplatz stand sein schwarzes Motorrad neben einigen, wenigen Fahrzeugen. Das gelbe, längliche Gebäude wirkte etwas heruntergekommen, da der Putz schon an einigen Stellen abgeplatzt war. „Ich weiß, dass du da bist, also hör' auf, dich unter dem Bett zu verstecken“, schnarrte der Werwolf ungeduldig. Er wollte das jetzt hinter sich bringen! Genervt nahm er einen Schritt zurück und verschränkte die Arme. In regelmäßigen Abständen gab es Türen, genau wie diese, bis zu seiner Linken ein Knick folgte, von wo aus es nach hinten noch weiterging. Der Parkplatz befand sich in der Innenseite des L-Schenkels.   „Dann eben nicht.“ Der Werwolf rollte mit den Augen und wollte schon abdrehen, da schwang die Tür auf und Logans demoliertes Haupt lugte durch den Schlitz. Zerzaustes, schwarzes Haar und Augen voller Schlaf sagten genug aus. „Was willste?“, brummte der Mann. Wie der größere, aber optisch jüngere Zanthe ihn betrachtete, mit den Pflastern an der linken Wange und Bandage um den Kopf, kam das schlechte Gewissen hoch. So ungern er es zugab, hatte Anya Recht, er schuldete Logan eine Entschuldigung. „Dich um Verzeihung bitten wegen dem, was vorgestern geschehen ist“, gestand er daher aufrichtig, „darf ich kurz reinkommen?“ „Nein.“ Als Logan den getroffenen Gesichtsausdruck des jungen Mannes sah, fügte er hinzu: „Sieht dort drinnen gerade wie auf einem Schlachtfeld aus. Ist besser, wenn du das nicht siehst. Nichts gegen dich.“ „Also wirst du keine Anzeige erstatten?“, fragte Zanthe vorsichtig. „Nein. Schnee von gestern.“   Dem Kopftuchträger in seiner blauen Jacke entfuhr ein erleichterter Laut, denn ein wenig hatte er sich doch davor gefürchtet. Aber es war erstaunlich. Er hätte Logan nicht als jemanden eingestuft, der so locker drauf war. Zumindest von dem zu urteilen, wie Anya ihn beschrieben hatte.   Allerdings war Zanthe ein Skeptiker, der lieber zweimal nachfragte. „Wirklich?“ „Ja.“ „Danke.“ „Kein Ding.“ Er traute es sich gar nicht, danach zu fragen, aber etwas ging ihm seit dem Weg hierher nicht aus dem Kopf. „Sag mal, war das Angebot ernst gemeint?“ „Welches?“ „Als wir abgehauen sind, da hast du gesagt, Exa könnte in deiner Werkstatt anfangen, sobald wir wieder in Livington sind. Oder habe ich mir das nur eingebildet?“ „Hast du nicht“, erwiderte Logan und trat nun vor die Tür. Sein unbekleideter Oberkörper war haarig, sehr haarig. Nicht Zanthes Geschmack, wie dieser insgeheim feststellte. Aber schön durchtrainiert, das musste man ihm lassen. Davon musste er Anya unbedingt erzählen, sofern die sich überhaupt etwas daraus machte. Manchmal glaubte er wirklich, sie war asexuell. Logan bemerkte die musternden Blicke, während er sprach. „Wenn er ein bisschen von Maschinen versteht, können wir es gerne versuchen. … wieso starrste mich so an?“ „N-nichts. Gegenfrage: Wieso bist du so nett zu uns? Du vergibst mir, obwohl ich dich krankenhausreif geschlagen habe, würdest Exa einstellen, obwohl du ihn nicht einmal kennst …“ „Weiß halt, wie es ist, ganz unten zu sein.“ Dem Schwarzhaarigen entfuhr ein betrübtes. „Oh“, gefolgt von: „Ich würde gerne mehr darüber erfahren. Anya redet nicht viel über dich und das, was sie sagt, naja …“ … war meist nur wütendes Gebrabbel, das eigentlich verliebtes Getuschel sein sollte. Wäre doch zu interessant zu erfahren, wie der Mann, der ihr Herz zu erobern schien, so drauf war. „Willst dir ein eigenes Bild machen, was?“ Er nickte und lachte dann bissig: „Warte kurz hier, ziehe mir nur schnell was über.“   ~-~-~   Als Zanthe ein paar Stunden später gut gelaunt, das Hotelzimmer der Drei betrat, war er nicht alleine. Anya saß an dem kleinen Tisch und sah aus dem Fenster eine Werbung Claire Rosenburgs am Wolkenkratzer gegenüber an, in der es um Motorradanzüge ging. „Na, denkste, die stellen solche auch in deiner Größe her?“, neckte der Werwolf sie und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen. „Mir doch egal“, murmelte Anya grimmig. „Du quillst ja mal wieder förmlich vor guter Laune über.“ Mit der Zunge schnalzend stellte sich der gebürtige Italiener neben seine Freundin. „Ich habe mich bei Logan entschuldigt, wie du es wolltest. Könntest du jetzt bitte aufhören 'rumzuschmollen und wieder damit anfangen, von mir genervt zu sein?“ „Hmpf.“   Zanthe zog hinter Anya vorbei, schnappte sich den anderen Stuhl und setzte sich ihr gegenüber. Abgewandt wie sie da saß, so nachdenklich drein blickend, wirkte sie irgendwie verloren. Der Schwarzhaarige ahnte warum. „Hast wohl Schiss, morgen zu verlieren, was?“ „Geht dich 'nen Feuchten an.“ „Du hast deinen Bruder, einen ehemaligen Weltmeister und beinahe auch Valerie besiegt.“ Zanthe seufzte. „Räum' dir ruhig bessere Chancen ein, so schlecht bist du nicht. Vielleicht etwas unbeholfen, aber du hast dich verbessert.“ „Nein, mein Deck hat sich verbessert, weil ich jetzt Hüterkarten besitze.“ „Oh man.“ Seufzend stützte Zanthe seinen Ellbogen auf den Tisch und seine Wange an der Handfläche ab, dabei Anya mitleidig betrachtend. „Dein Ego-Airbag ist tatsächlich geplatzt. Wer war's, Matt, Levrier oder gar Nick? Hast du ihn deshalb zur Rede stellen wollen?“ „Wenn ich morgen verliere, war alles umsonst. All das Leid, das dadurch entstanden ist, weil ich an diesem beschissenen Turnier teilnehmen muss.“ Anya betrachtete Zanthe kritisch aus dem Augenwinkel. „Und mein Traum, Duel Queen zu werden, wird mit mir sterben, wenn ich verliere.“   Sprachen da etwa Schuldgefühle aus ihr, fragte Zanthe sich erstaunt. So erlebte man das Mädchen äußerst selten. Aber anscheinend wurde selbst ihr der Druck mal zu viel. Wenn man bedachte, dass es wohl nie zum Zerwürfnis zwischen Valerie und Marc gekommen wäre, müssten sie nicht an Claire Rosenburg herankommen, war Anyas Aussage durchaus korrekt. Ohne das Turnier hätte er, Zanthe, vielleicht auch nie Exa kennengelernt und sich von seinen Freunden entfernt. Sie dachte wohl wirklich, alles wäre ihre Schuld …   Gerade wollte Zanthe ihr mit tröstenden Worten versichern, dass dem nicht so war, da flog die Tür auf. Matt schlurfte erschöpft atmend ins Zimmer. „Hey, Summers“, rief Anya ihm träge zu, stand auf und ließ Zanthe links liegen, „wie ist es gelaufen? Wo ist Redfield?“ „Valerie kommt nicht wieder.“ Im Anschluss erklärte er den beiden, was Anyas Erzrivalin gesagt hatte. Zumindest waren sich die Drei diesbezüglich einig: Valerie sollte sich Zeit nehmen, ehe sie entschied, wie es mit Marc weitergehen sollte. Zwar boten Zanthe und Matt Anya danach an, sich noch ein wenig mit ihr auf den morgigen Tag vorzubereiten, doch die lehnte ab, nahm ihr Deck mit ins Bad und schloss sich eine ganze Stunde darin ein. Man hörte sie ab und zu mit Levrier reden, aber es ging lediglich um Strategien. Als sie wiederkam, wollte sie nur noch eins: Ins Bett.   ~-~-~   Gähnend richtete sich Anya langsam auf. Sich den Schlaf aus den Augen reibend, schwang sie die Beine über die Bettkante und setzte sich an den Rand ebenjener. Obwohl sie nur zur Hälfte wach war, kreiste bereits ein grundlegender Gedanke in ihren noch lahmen Gehirnwindungen: Gewinnen. Das Gesicht in ihren beiden Händen begrabend, dachte sie über das nach, was sie in wenigen Stunden erwartete: Der womöglich härteste Kampf ihres Lebens. Sie musste der Welt beweisen, dass sie imstande war, jene Person zu besiegen. Ganz egal was es sie kostete, und das obwohl Anya bereits entschieden hatte, Levrier heute auf der Ersatzbank zu lassen. Das war ein Kampf, den sie aus eigener Kraft gewinnen musste. Nein, einer, den sie ohne sein Zutun gewinnen -konnte-! Einziges Problem daran war, dass sie sich davor fürchtete. Pendelmonster … Sie hatte nur einen Versuch, diese Dinger zu besiegen. Wenn der misslang, wenn sie nicht die richtige Karte im richtigen Moment zog, könnte ihr Traum für immer ein solcher bleiben.   Während sie bereits diverse Szenarien durchging, wie das Duell verlaufen könnte, schob sich von ihr unbemerkt ganz langsam ein Kopf unter dem Rand des Bettes hervor, direkt zwischen ihren Beinen. Die braunen Augen blinzelten neugierig, von unten das Mädchen ansehend. Dann nieste der Mann ungewollt. Anya riss die Hände überrascht von ihrem Gesicht und sah herab auf einen Mittdreißiger mit Oberlippenbart und Vokuhila. Sich gegenseitig einige Sekunden lang nur anstarrend, sagte keiner der beiden einen Ton. Bis Anya das Einzige tat, das eine Anya Bauer in dieser Situation tun würde: Den Eindringling mit dem nackten Fuß ins Gesicht stampfen! Unter einem lauten Aufschrei beiderseits huschte der Fremde zurück unter das Bett, nur um auf der anderen Seite stehend wieder aufzutauchen, mit blutender Nase. Während Anya von der Bettkante aufsprang und herumwirbelte, waren von dem Lärm auch Matt und Zanthe wach geworden, kerzengerade hochgefahren und starrten den 'Besucher' verblüfft an. „Wer zur Hölle bist du denn!?“, spie Anya Gift und Galle. Der Schwarzhaarige, der die beiden Jungs bemerkte, schluckte. „Ouh, nicht gut. Ich verschwinde! Und danke hierfür!“ Sprachs und winkte mit einem schwarzen Tanga, ehe er schnurstracks an den Betten vorbei rannte und durch die Zimmertür verschwand. „Was ist denn hier los?“, staunte Zanthe nicht schlecht und stieg aus dem seinen. Anya eilte bis zur Tür und wandte sich an Matt. „Was war das für ein Typ!?“ Der aber schien sich auf etwas anderes zu konzentrieren. „Die bessere Frage lautet: Wieso stiehlt er deine Unterwäsche?“ „Das war nicht meine!“ „Moment … hey!“ Noch ehe Anya überhaupt Zanthes wutentbrannten Schrei vernommen hatte, war der schon an ihr vorbei geflitzt. Schnell schaltend, haftete sich die Blonde an dessen Fersen. „Hey, der gehört mir! Also der Typ!“ Und während Matt im Bett sitzend nur dumm aus der Wäsche guckte, jagten die beiden ihrem Opfer über den Flur nach. Jenes erwies sich als erstaunlich schnell und erreichte vor den beiden den Fahrstuhl am Ende des Ganges. Schnell herumwirbelnd, hämmerte er gegen die Taste, die die Türen des Lifts schloss. Zwar sah er noch Zanthes Hand auf sich zuschnellen, doch zu spät. Zwei massive Metallplatten schoben sich schützend vor Lee Anderson. „Puh!“, wischte der sich den Schweiß von der Stirn und sackte langsam an der Wand hinab, dabei stolz das schwarze Stück Stoff in seiner Hand betrachtend. Dann wurde der Fahrstuhl von einer leichten Erschütterung getroffen. Es knirschte. Entgeistert starrte der selbsternannte Dämonenjäger der Tür entgegen, die sich vor ihm unter deutlichem Einfluss von Gewalt Millimeter für Millimeter wieder öffnete. Dann sah er die schwarzen Klauen, die sie auseinander schoben. „Schneller, Flohzirkus!“, forderte Anya auf der anderen Seite herrisch. „Den kauf ich mir!“, schwor Zanthe davon angestachelt, dessen beide Arme komplett verwandelt waren. Leichenblass sackte Lee nur noch an dem kalten Stahl auf den Hosenboden herab, als ihm zwei zornesrote Fratzen, kaum menschlicher Natur, mit weit aufgerissenen Augen entgegen blickten.   ~-~-~   „Gnade! Gnade!“, kreischte er zwanzig Minuten später weibisch. Wie ein kleines Kind hockte er in der Ecke von Anyas Hotelzimmer, umzingelt von der Herrin der Schmerzen persönlich, dem trotz Rückverwandlung nicht weniger dämonisch anmutendem Zanthe und Matt, der kommentarlos zusah. Allesamt inzwischen angezogen, verstand sich. „Sprich!“, forderte Anya und schlug abermals mit dem Gürtel in ihrer Hand gegen Lees nackten Oberarm. Generell gab es außer seiner Boxershorts nicht mehr viel, was der Gute noch am Leibe trug, dafür hatte Zanthe gesorgt. „Gnade!“, winselte der Mann nur. „Falsche Antwort!“ Anya ließ den Gürtel fallen und zückte aus dem Nichts einen Pin. Mehr als genug, um Lee ängstlich nach Luft schnappen zu lassen. „Wer zur Hölle bist du und warum stiehlst du Fuzzys Unterwäsche!?“ In sich hinein murmelnd, gluckste Matt: „Die bessere Frage ist doch, wieso seine Unterwäsche unter deinem Bett liegt.“ „Sprich, oder sie wird den Pin benutzen. Und Gott, sie weiß, wie man den Pin benutzt!“, drohte Zanthe derweil und hielt Anya die flache Handfläche hin, in die jene nickend abklatschte. Matt stellte belustigt fest, wie schnell ein gemeinsamer 'Feind' die beiden doch zusammenführen konnte. In einem plötzlichen Schub von Courage – oder purer Verzweiflung – sprang Lee auf und stellte sich in seiner typisch überheblichen Art vor. „Ich bin Lee Anderson, bester Dämonenjäger der Vereinigten Staaten und-“ Anya stierte ihn feindselig an. „Sitz!“ „Ja, Herrin!“, quiekte ihr neues Haustier sofort verschreckt und schrumpfte wieder in sich zu dem kümmerlichen Haufen Elend zusammen, den er eben noch abgegeben hatte. Endlich Erbarmen zeigend, stellte sich Matt beschwichtigend vor den Älteren. „Leute, der ist harmlos. Das ist der Kerl, mit dem ich mich neulich duelliert habe, als ich den Hüter besuchen wollte.“ Die Blonde stemmte skeptisch eine Hand in die Hüfte. „Scheiße, Summers, wo gabelst du nur immer diese Freaks auf!?“ Etwas, das jemand ganz Bestimmtes natürlich nicht unkommentiert lassen konnte. Fürwahr, dabei dachte er bestimmt, nach dir könne es nicht mehr schlimmer kommen.   „Schnauze, Levrier!“ „Wir fragen nicht nochmal, was willst du von uns?“, fragte Zanthe bitterböse. „Denk an den Pin!“ Welchen Anya zur Verdeutlichung mit düsterer Miene hoch hielt. Die Spitze spiegelte sich in Lees Augen wieder, der rückwärts gegen das Fenster krabbelte und zitterte wie Espenlaub. „Er sagt, er wäre ein Dämonjäger“, wandte sich Zanthe aufgrund mangelnder Kooperation an den aus ihrer Gruppe, „muss man ihn kennen?“ Matt grübelte einen Moment. „Nein. Der hat bestimmt noch nie einen echten Dämon gesehen.“ „Jetzt schon“, knurrte Anya und rückte Lee mit erhobenem Folterinstrument näher und näher. Der quiekte panisch. Sehr panisch. Wie ein Schwein beim Schlächter. Nur dass das Schwein sein trauriges, aber in diesem Fall auch erlösendes Ende gefunden hätte. Lee hingegen … nicht wirklich, denn auch wenn Anya etwas außer Übung war, kannte sie noch mindestens 31 verschiedene Arten, jemanden mit einem Pin zu foltern. Und von denen hatte sie bisher nur 19 ausprobieren können!   Sie würde mit dem Auge anfangen, entschied Anya, als sie sich mit dämonischer Fratze zu ihm herunter beugte. Lee konnte schon ihren stoßweise gehenden Atem auf seiner nackten Haut spüren. Das Auge, ein echter Klassiker. Man, die Leute ahnten ja nicht, wie gruselig es war, wenn man eine Spitze auf sich zukommen sah. Verdammt, wer immer der Typ auch war, wegen ihm hatte sie jetzt gute Laune. Dafür würde sie ihn nachher auch nur ein wenig mit dem Tanga vom Flohzirkus würgen! Moment … ! Anya schreckte auf. „Verdammt, wir müssen bald los!“ „Wie schön, dass dir das auch endlich auffällt“, schnarrte Zanthe spitz hinter ihr, „es sind noch zwei Stunden. Denk dran, wir haben noch nicht gefrühstückt und ich sehe schwarz für dich, wenn dein Magen so leer wie dein Kopf ist.“ „Dafür brech' ich dir nachher was, du Allergien auslösende Misttöle! Okay!“ Anya wirbelte wieder mit leuchtenden Augen zu Lee herum. „Sprich, du hast zehn Sekunden, sonst bist du der erste Kaktus, dessen Spitzen nach innen wachsen!“ „Gnade!“, schrie das schwarzhaarige Auslaufmodell der 90er abermals panisch und plapperte zusammenhangslos: „Meine Herrin hat mich beauftragt, euch zu helfen, aber ich helfe keinen Dämonenhexen und schon gar nicht, wenn sie so irre sind wie ihr. Ich habe euch genau beobachtet, ihr seid nicht nur ein bisschen gefährlich, sondern extrem hyper-gefährlich und solchen Leuten helfe ich bestimmumpf.“ Anyas Schuh unterbrach ihn erbarmungslos. „Die zehn Sekunden sind um.“ „Sind sie nicht“, lachte Zanthe trotz allem schadenfroh. „Ich würde sagen, wir verhören ihn später weiter.“ Matt watete zu seinem Bett in der Mitte, besser gesagt zu dem Koffer, der davor stand. „Wir fesseln und knebeln ihn, bis wir wieder zurück sind.“   Tatsächlich zückte er ein Seil aus dem Koffer, das er den anderen grinsend präsentierte. „Wieso hast du so etwas mit?“, fragte Anya baff, doch ihre Mundwinkel zuckten nach oben. „Yeah, machen wir es so!“ Und Zanthe murmelte: „Stell keine Fragen, deren Antworten du nicht hören willst …“ Denn seiner Meinung nach hatte Matt das Ding nur mitgenommen, um jemand ganz Bestimmtes im Raum ruhig zu stellen, sollte sie mal zu sehr über die Stränge schlagen.   Schon zum zweiten Mal innerhalb eines kurzen Zeitraums waren die Drei sich jedoch einig, was dazu führte, dass, als sie das Hotelzimmer verließen, ein halbnackter Lee gefesselt und geknebelt in der Badewanne lag. Und er weinte. Denn Anya hatte trotz allem noch ein paar Minuten Zeit gefunden, den Pin zu benutzen …   ~-~-~   Es war das letzte Mal, dass sie durch einen Gang wie diesen gehen würde, schoss es Anya durch den Kopf. Anders als im Stadion, in dem die vorherigen Spiele ausgetragen wurden, war dieser recht hell erleuchtet. In regelmäßigen Abständen standen Minipalmen in blauen Töpfen an den Wänden, um den schweren Weg nach vorn freundlicher zu gestalten. „Levrier?“, fragte Anya nachdenklich.   Immer noch nervös?   „Wenn ich keine andere Wahl habe, denkst du, ich sollte deine Kräfte benutzen?“ Die Blonde senkte das Haupt. „Ich meine, bisher habe ich im gesamten Turnier darauf verzichtet. Aber ich bin so nah dran, mich mit Claire Rosenburg zu duellieren.“   Das musst du entscheiden. Ich bezweifle, dass man den Betrugsversuch bemerken würde, immerhin wurde noch nie ein Duell deswegen vom System beendet: Die Frage ist, ob es das ist, was du willst? Besonders nach dem, was mit Valerie Redfield vorgefallen ist.   Anya verzog grimmig das Gesicht. „Sie sitzt im Publikum. Wenn ich das mache, denkt sie, ich hätte nichts dazugelernt. … nicht, dass mich das irgendwie juckt, klar?“   Natürlich und in der Sahara bauen sie Iglus. Du hattest in diesem Duell die Niederlage bereits vor Augen und akzeptiert. Kannst du das noch einmal? Wie dem auch sei, ich hatte genug Zeit mich zu erholen, insofern kannst du dich auf mich verlassen.   „Tch“, zischte das Mädchen, dem Licht entgegen laufend. Es würde gegen ihren Kodex verstoßen, den Cheat Draw zu benutzen. Sie wollte ihren Traum erfüllen, aber auf faire Art und Weise. Anders konnte man nicht Duel Queen werden. Jedoch ging es nicht nur darum, sie musste auch an ihre Zukunft denken, die ohne Claire und ihr Artefakt düster aussah. Othello war nicht wie ihre vorherigen Gegner, er benutzte eine neue Beschwörungsart, der sie nicht gewachsen war. Vielleicht musste sie wirklich …   Mit sich hadernd blieb Anya vor dem Ausgang stehen. Hoffentlich zwang er sie nicht dazu, so weit zu gehen. Von Valerie wusste sie, dass Othello ebenfalls den Traum hatte, Claire zu besiegen und, wenn auch nur kurz, als stärkster Duellant gefeiert zu werden. Ihre Situationen waren so ähnlich, dass es glatt unheimlich war. Darauf konnte Anya jedoch keine Rücksicht nehmen. Nur einer konnte gewinnen. Und das würde, nein, das musste sie sein!   Entschlossen trat sie ins Innere des Stadions. Und wurde überwältigt von den Eindrücken, die sich ihr boten. Überall an der Decke des kreisrunden Stadions befanden sich Scheinwerfer, fast doppelt so viele wie im alten. An dem Duellfeld in der Mitte hatte sich nichts geändert, es war ebenfalls eine kreisrunde Plattform, wenngleich der Weg dahin auch viel weiter war. Aber die Zuschauerränge! Im alten hatten vielleicht 20.000 Leute hineingepasst, wenn überhaupt. Hier waren es doppelt so viele und mehr. Reihe über Reihe ging es wie in einem Kolosseum nach oben, es war so unübersichtlich. Dazu kam noch ein kleiner Turm zu ihrer Linken, in dem sich diesmal die VIP-Lounge und der Kommentatorenplatz befanden. Anya schluckte ihre Nervosität herunter und schritt voran. Da hörte sie jemanden ihren Namen rufen und bemerkte ihre Freunde, wie sie in der ersten Reihe zu ihrer Linken saßen. Vorne Zanthe, Valerie und Logan, dahinter in der zweiten Matt, welcher wieder sein Plakat mitgebracht hatte. „Heh“, grinste Anya und zeigte ihnen einen Daumen nach oben. Ihren Weg stolz fortsetzend, sah sie nach oben und hielt erstaunt an. Das Dach bestand komplett aus Glas, auf das dicke Regentropfen prasselten. Der Himmel war grau, ganz anders, als sie mit dem Taxi losgefahren waren. „Schlechtes Wetter, huh? Dann ist man da oben wohl für mich“, schloss Anya und ging weiter. Von der anderen Seite sah sie schon Othello in seinem Rollstuhl näher rücken. Er trug ein weißes Hemd und eine weiße Hose, wirkte blass, vermutlich war er genauso nervös wie sie. Wenigstens musste er nicht dieses dämliche T-Shirt mit der Werbung von Mr. Palmers Shop tragen, dachte Anya ärgerlich.   Entschlossen nahm Anya die drei Stufen hinauf zur Plattform. Auf Othellos Seite war extra eine Rampe angebracht worden, welche dieser mit emotionsloser Mimik hochfuhr. „Was für ein Anblick!“, hallte in dem Moment Mr. Cs Stimme durch den Saal. Die insgesamt zwei Dutzend Bildschirme über den Tribünen zeigten sein Gesicht. Der schwarzhaarige Bartträger mit der Elvistolle grinste in seinem türkisen Anzug das Publikum hinter seinem Pult an. „Das sind sie, unsere beiden Finalisten. Das Mädchen, das niemand auf dem Plan hatte, der Underdog in diesem Turnier: Anya Bauer!“ Das Bild des Kommentators wich einem Portrait Anyas. Das Publikum jubelte und rief ihren Namen, viel lauter und intensiver als in den vorherigen Spielen. Es fühlte sich seltsam an, so gefeiert zu werden, ging es Anya dabei durch den Kopf. „Ihr Gegner ist jemand, der von Anfang an als einer der großen Favoriten galt: Othello Nikoloudis!“ Dachte Anya gerade noch, ihr Applaus war laut, so wirkte er gegen den, den der Junge im Rollstuhl erhielt, geradezu lächerlich. Sie schrien seinen Namen in regelmäßigen Abständen, klatschten, salutierten, ganze Blöcke bestanden nur aus seinen Fans, die Fahnen, Transparente und Banner in die Luft hielten. „Doch bevor dieses letzte, einzigartige Duell beginnt, noch kurz ein paar Worte unserer Organisatorin, Melinda Ford!“, ließ Mr. C verlauten. Das Portrait Othellos, das eben noch eingeblendet worden war, schwand. Stattdessen sah man den Rotschopf Melinda, dieses Mal mit Turmfrisur, knalligem Lippenstift und langen Ohrringen. Sie hielt ein Mikrofon in der Hand. „Hallo Leute, schön, dass ihr euch so zahlreich im Stadion eingefunden habt beziehungsweise den Fernseher eingeschaltet habt.“ Die Leute pfiffen fröhlich und klatschten, sodass die junge Frau glücklich strahlte. „Ha ha, keine Sorge, es geht gleich los. Aber davor möchte ich noch einmal allen danken, die dieses Turnier ermöglicht haben. Und das sind allen voran die Teilnehmer. Vielen Dank, ihr wart ohne Ausnahme Spitzenklasse!“ Noch lauterer Jubel entstand, doch auch Pfiffe waren vereinzelt zu vernehmen. Es stand außer Frage, gegen wen die gerichtet waren. Unglücklicherweise nicht gegen sie selbst, wusste Anya. „Wie ihr alle wisst“, fuhr Melinda fort, „erhält der Sieger dieses Turniers ein Preisgeld von 500.000 Dollar, ein Ticket in die erste Profiliga sowie die einmalige Chance, sich mit der amtierenden Weltmeisterin Claire Rosenburg zu duellieren.“   Plötzlich schwenkte die Kamera zur Seite, sodass man eine Person neben Melinda erkennen konnte: Es war tatsächlich die blonde, junge Frau mit dem kurzen, knapp bis über die Ohren reichendem Haar. Ihre zwei grünen, langen Strähnen lagen ihr im Gesicht, sie trug offenbar einen weiß-blauen Motorradanzug, wie in einer ihrer Werbungen. Anya gefror das Blut in den Adern bei ihrem Anblick, denn sie blickte stur geradeaus, kalt und berechnend, als würde sie sie – und nur sie – anstarren. „Ein paar kurze Worte für unsere Zuschauer und natürlich auch die beiden Finalisten, Claire?“, fragte Melinda mit einem aufgesetzten Grinsen. „Vielen Dank, dass ihr alle den Legacy Cup unterstützt habt“, sagte die Profiduellantin nahezu emotionslos, ohne der geringsten Form eines Lächelns auf den Lippen, „ich hoffe auf ein spannendes Finale und freue mich darauf, dem Sieger entgegentreten zu dürfen.“ Obwohl sie dabei nicht sehr überzeugend klang, jubelten die Leute trotzdem und brüllten den Namen der amtierenden Duel Queen. Jene wurde auch schon wieder ausgeblendet, sodass nun Melindas Antlitz im Vollbild zu sehen war. „Ihr habt es gehört“, rief diese wieder euphorisch wie eh und je, „damit ist das Finale des Legacy Cups eröffnet!“ „Lasst das Duell beginnen!“, überblendete sie kurz darauf Mr. C, bevor die Bildschirme aus verschiedenen Perspektiven die Duellplattform zeigten. Anya mahnte sich zur Konzentration, obwohl es hier inzwischen von Kameramännern nur so wimmelte. Jetzt gab es kein Zurück mehr! Sie aktivierte ihr rotes D-Pad, wohingegen die Duel Disk an der Seite von Othellos Rollstuhl hoch- und über seinen Schoß fuhr.   [Anya: 4000LP / Othello: 4000LP]   Statt wie üblich den berühmten Ausruf zu tätigen, schwiegen die beiden Finalisten, was das energetische Publikum etwas aus dem Konzept brachte. Anya fühlte sich unwohl wie nie in ihrer Haut. Einerseits war da die Aufregung. Ihr Herz schien förmlich aus ihrer Brust platzen zu wollen, denn nicht nur hatte sie es zu ihrer eigenen Überraschung bis hierher geschafft, nein, es ging nun um wirklich alles. Sie musste gewinnen, ansonsten könnte dies ihren Tod bedeuten, sollte kein anderer Weg gefunden werden, Claire herauszufordern. Aber dann war da dieser Junge, Othello. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet dieser Knirps so gut war? Dieser todkranke Knirps … „Ich muss gewinnen“, murmelte dieser plötzlich leise. „Ich auch!“, erwiderte Anya, doch zitterte ihre Stimme dabei kaum merklich. „Das hier ist jetzt nur noch etwas zwischen uns beiden. Und selbst wenn du am Abkratzen bist, werde ich keine Rücksicht nehmen und nichts zurückhalten!“ Othello nickte mit leblosem Blick. „Ebenso wenig werde ich das tun.“ „Dann fange ich jetzt an!“, schrie Anya und riss fünf Karten von ihrem Deck. Dasselbe tat auch der junge Mann im Rollstuhl. Sogleich begann der überdrehte Kommentator damit, seinen Job zu machen. „Wie wird dieses Duell wohl eröffnet werden? Die Wild Card, Anya Bauer, hat uns alle mit ihrer Performance überrascht! Wird sie heute den Sieg mit nachhause tragen, zusammen mit 500.000 Dollar Preisgeld, einem Platz in der Profiliga und der einmaligen Gelegenheit, sich mit der unbesiegten Weltmeisterin, Claire Rosenburg, zu duellieren!?“ Das Publikum jubelte, aber ebenso waren auch Buhrufe zu vernehmen. Trotzdem wiederholten so einige Anyas Vornamen im regelmäßigen Takt. „Oder wird es Othello Nikoloudis sein, der dieses alles entscheidende Duell gewinnt und somit seinen großen Traum erfüllt!?“ Wieder wesentlich lauter waren das Gekreische und die anfeuernden Ausrufe für den jungen Mann, als sie es bei Anya waren. Die Blonde schnalzte mit der Zunge. Als ob er der Einzige war, der Träume hatte! Sie würde nicht verlieren, niemals!   Sofort griff sie in ihr Blatt und legte eines ihrer Monster auf die Duel Disk. „Los, du beginnst das Duell, [Gem-Knight Alexandrite]!“ Vor ihr baute sich ein Krieger in silberner Rüstung auf, welche mit diversen Edelsteinen in verschiedenen Farben verziert war.   Gem-Knight Alexandrite [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   Unerwartet aber löste er sich in gleißendes Licht auf, als Anya rief: „Ich biete ihn durch seinen Effekt als Tribut an. Dadurch kann ich einen normalen Gem-Knight direkt vom Deck beschwören und ich entscheide mich für [Gem-Knight Crystal]!“ An die Stelle des verschwundenen Ritters trat ein größerer, in weißer Rüstung gekleideter Krieger, an dessen Schulterplatten durchsichtige Kristalle angebracht waren. Stolz stemmte er die Hände in die Hüften.   Gem-Knight Crystal [ATK/2450 DEF/1950 (7)]   Anya nahm zwei Handkarten und betrachtete sie mit scharfem Blick, ehe sie Othello ins Visier nahm. Wenn der Typ meinte, sich blind auf die neue Beschwörungsart verlassen zu müssen, würde sie ihn nicht daran hindern. Na ja, doch, genau das hatte sie vor, denn sie hatte -die- Karte gezogen, zu der Zanthe ihr geraten hatte. Fuck yes! „Diese zwei verdeckt! Zug beendet!“ Zischend materialisierten sich die Karten vor ihr. Während der Kommentator von seinem Turm zu ihrer Rechten wieder zu labern begann, keuchte sie. Verdammt, sie bekam kaum Luft! Und ihre Brust schmerzte auch! Alles, bloß nicht auch noch -das- jetzt! Oder war es am Ende nur die Aufregung? „… gönnt ihrem Gegner nichts. Unter diesen Voraussetzungen wird er es schwer haben, sie anzugreifen. Oder etwa nicht?“   Mit trägem Blick sah der junge Mann auf den Spielplan vor sich herab und griff mit zittriger Hand nach seinem Deck. Er zog und betrachtete die Karte in seiner Hand. Dann sah er wesentlich lebendiger auf, in seinen Augen stand die pure Entschlossenheit. „Ich aktiviere den Magier, der die Sterne liest, [Stargazer Magician] mit dem Pendelbereich 1. Und den Magier, der die Zeit versteht, [Timegazer Magician] mit dem Pendelbereich 8!“ Neben ihm schossen zwei Lichtsäulen in hellem Blau aus dem Boden. Aus ihnen empor gen Himmel stiegen ein Magier ganz in Weiß mit einer Stabwaffe in der Hand und ein schwarzer Magier, an dessen Arm eine um ihn herum verlaufende Klinge befestigt war, die entfernt an ein Zahnrad erinnerte. „Pendulum Scale set!“, rief Othello.   <1> Othellos Pendelbereich <8>   Unter dem weißen [Stargazer Magician] leuchtete eine verzerrte 1 auf, als er etwa auf der Höhe der Kommentatorenlounge stehen blieb. Dem entgegen eine 8 unter seinem Partner. Der junge Mann hielt eine Karte in die Höhe. „Damit kann ich Monster rufen, deren Stufe zwischen den Werten meines Pendelbereichs liegen! Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum! Stufe 7-[Odd-Eyes Dragon] von meiner Hand, erscheine! Pendulum Summon!“ Zwischen den beiden Magiern begann sich plötzlich ein riesiges Portal zu öffnen, um welches sich aberdutzende Ellipsen aus glänzendem Licht bildeten. Ein roter Lichtstrahl schoss aus jenem Loch heraus und schlug wie ein Blitz vor Othello ein. Anya weitete die Augen. „Da ist er!“ Der rote Drache, sein Assmonster! Weiße Auswüchse gingen von seinem Rücken hervor, dort wo normalerweise Flügel zu erwarten waren. In seiner ebenso weißen Brustpanzerung waren blaue Kugeln eingelassen, wild peitschte sein langer Schweif.   Odd-Eyes Dragon [ATK/2500 DEF/2000 (7)]   Anya grinste breit. „Darauf habe ich gewartet! Der ist Geschichte!“ Sie schwang ihren Arm über die linke verdeckte Karte. „Jetzt lernst du meine Anti-Pendel-Karte kennen! [Bottomless Trap Hole]!“ Wie aus dem Nichts verschwand der Boden unter den Füßen des Odd-Eyes. Sogleich begann er unter Anyas geradezu hysterischem Gekicher von finsteren Händen in die Tiefe gezogen zu werden. „Sorry, aber da er über 1500 Angriffspunkte besitzt, wird er sofort verbannt! Also kannst du ihn auch nicht aus dem Extradeck beschwören!“ „Unfassbar!“, rief der MC aufgeregt, während es seltsam wenig Reaktionen aus dem Publikum gab. Selbst Othello sah Anya nur ungläubig an, nachdem sein Drache verschwunden war.   Zur selben Zeit stand Valerie Redfields Mund offen, wie sie neben Logan in der ersten Reihe der Tribüne saß und Anyas Leistungen auf einem der dutzenden Bildschirme mitverfolgte, die über der Arena aufgebaut waren. Es donnerte, denn nachdem der Regen eingesetzt hatte und das gläserne Dach des Doms benetzte, begann nun auch ein Gewitter das Szenario zu unterlegen. Und genau so wie es draußen gelegentlich blitzte, glaube auch Valerie, vom Blitz getroffen worden zu sein. „Anya … was machst du da!?“, fauchte sie förmlich erbost, sprang von ihrem Sitz auf und rannte zum Geländer. Die Blonde hörte den Ausruf selbst aus der Entfernung zu den Zuschauerrängen und sah perplex zu ihr herüber. „Was willst du jetzt, Redfield!? Ich muss mich konzen-!“ „Bitte keine Konversationen mit den Zuschauern, ansonsten müssen wir Sie disqualifizieren, Miss Bauer“, unterbrach sie prompt die Durchsage einer jungen Frau. Valerie schüttelte nur den Kopf. Murmelte: „Das war der falsche …“ „Schade. Die Kleine hat's vergeigt“, hörte sie Logan im Hintergrund seufzen.   Othello indes nahm eine Karte aus seinem Blatt und legte sie auf eine der entsprechenden Zonen seines Spielplans. „Mein Zug ist beendet.“ Während er dies verkündete, materialisierte sich die Falle vor dem Rollstuhl. „Er hat kein Monster mehr beschworen, obwohl seine Normalbeschwörung noch nicht verbraucht war. Könnte dieses Duell schneller enden als erwartet!?“ Dieser Kommentar wurde vom Publikum mit lautem Gejohle und Buhrufen aufgenommen, wollten sie doch ein actionlastiges Finale erleben.   Etwas, das ihnen, wenn es nach Anya ging, verwehrt bleiben würde. Diese griff nach ihrem Deck im roten D-Pad und riss schwungvoll die oberste Karte von dannen. Jene drehte sie noch in der Bewegung zu sich und grinste, ehe sie das Monster auf die Duel Disk knallte. „Perfektes Timing, erscheine, [Gem-Knight Amber]!“ Es tauchte ein in goldener Rüstung steckender Ritter auf, in dessen Brust in Bernstein eingelassen war. Aus seiner Handfläche zog er einen Dolch aus purer, elektrischer Energie.   Gem-Knight Amber [ATK/1600 DEF/1400 (4)]   „Unglaublich! Das könnte reichen! Sie könnte Othello bereits in dieser Runde besiegen!“ Anya runzelte verärgert die Stirn. Dieser Kommentator ging ihr wie immer massiv auf die Eierstöcke! Als ob es so einfach wäre! Bei der wandelnden Krankenstation da drüben doch nicht! Trotzdem würde sie ihr Glück versuchen, dementsprechend energisch streckte sie die Hand aus und rief: „Direkter Angriff! Amber! Crystal!“ Zunächst stürmte ihr goldener Ritter auf den Feind los. Währenddessen schlug Crystal seine Faust in den Boden und ließ eine Schneise entstehen, die auf Othellos Rollstuhl zu schnellte und dabei immer wieder spitze Kristalldornen aus sich hervorschießen ließ. Lass es klappen, lass es klappen, lass es klappen! Immer wieder betete Anya diese Worte still hinunter. Vielleicht bestand ja Hoffnung darauf, dass er schlecht gezogen hatte. Aber wie von Anya ursprünglich erwartet, drehte der stetig müde wirkende Bursche seine gesetzte Karte auf dem Spielplan um. „[Waboku] schützt meine Lebenspunkte.“ Um ihn herum tauchten drei in Blau gewandte Priesterinnen auf, die durch ihren Gesang ein kuppelförmiges Kraftfeld erschufen, an der sowohl die Kristalldornen als auch Ambers Dolch scheiterten. „Um ein Haar! Aber es bleibt spannend, werte Zuschauer!“ Jene feixten und jubelten, nachdem Othello unbeschadet aus der Sache herausgekommen war. „Zug beendet“, verkündete Anya leise. „Fuck …“ Für einen Moment hatte sie wirklich gehofft, jetzt schon gewinnen zu können.   Othello zog auf und betrachtete die Karte kurz, ehe er herüber zu Anya sah. „Ich bin froh, dich als Gegnerin zu haben.“ „Huh? Wieso?“, verlangte Anya im schroffen Tonfall zu wissen. „Verzeih mir bitte wenn ich das so sage, aber von allen potentiellen Gegnern bist du diejenige, die ich am wahrscheinlichsten besiegen werde.“ Ein lautes Raunen ging durch Publikum. Anya stand für einen Moment der Mund weit offen, doch bevor sie ihn schließen beziehungsweise als Instrument verbalen Terrors einsetzen konnte, fügte Othello noch an: „Das soll nicht heißen, dass du schlecht bist. Aber vor dir muss ich keine Angst haben, verstehst du?“ „Wieso Angst!?“, platzte es aus Anya heraus, die ihre Arme ausbreitete. „Brauchst du das Geld, um 'ne Operation zu bezahlen oder was!?“ „Nein. Ich habe nicht mehr lange zu leben, daran ist nichts zu ändern. Doch bevor ich sterbe, möchte ich die stärkste Duellantin auf diesem Planeten besiegen. Duel Queen Claire Rosenburg. Denn wenn ich das schaffe …“ Anya schnaufte wütend. „Dann?“ „Wird man sich an mich erinnern. Selbst Menschen die ich gar nicht kenne.“ Aus den blauen Augen seiner Gegnerin blitzte es nur so, als sie ihn scharf anstarrte. „Wie tragisch! Erwarte bloß kein Mitleid deswegen, denn zurückhalten werde ich mich trotzdem nicht!“ Othello schloss die Augen. „Mitleid brauche ich nicht.“ „Umso besser, denn im Grunde ist heute dein Glückstag. Du stehst nämlich bereits vor der besten Duellantin überhaupt, der wahren, noch ungekrönten Duel Queen. Nur mit dem Besiegen sieht's ein bisschen schlecht aus.“ Fast das gesamte Publikum begann zu lachen. Selbst Othello musste kichern, als er das vernahm und sah Anya freundlich lächelnd in die Augen. „Nett, dass du das sagst, aber ich fürchte das bist du nicht.“ „Ach ja!?“ „Ja. Soll ich es dir beweisen? Sieh her!“ Er streckte seinen Arm in die Höhe. „Zwischen den Pendulum Scales 1 und 8 liegt die Stufe 7!“ Das blaue Pendelportal öffnete sich erneut zwischen seinen beiden Magiern. „Ich rufe den gefährlichsten aller Drachen! Pendulum Summon!“ Unzählige Ellipsen entstanden um das Loch im Raum-Zeit-Gefüge. Aus diesem schoss ein roter Lichtstrahl, der vor Othello im Boden einschlug und zu einem roten, flügellosen Drachen wurde. Weiß war seine Brustpanzerung und die Auswüchse aus seinem Rücken, an denen zur Rechten eine grüne Kugel und zur Linken eine rote befestigt war. Wütend peitschte er mit seinem Schweif und schrie schrill. Sein Besitzer rief stolz: „[Odd-Eyes Pendulum Dragon]! Das ist sein voller Name!“   Odd-Eyes Pendulum Dragon [ATK/2500 DEF/2000 (7) PSC: <4/4>]   „The fuck!?“, schoss es aus einer entsetzten Anya. „Aber ich habe ihn doch verbannt, der dürfte gar nicht zurückbeschworen werden!?“ Othello schüttelte den Kopf. „Ich habe ihn auch nicht aus dem Extradeck, sondern von meiner Hand beschworen. Was du eben vernichtet hast, war ein völlig anderes Monster.“ „Willst du mich verarschen!?“ Während das Publikum sich förmlich mit Zurufen für den jungen Mann überschlug, lächelte der nun verschmitzt. „Nein, Anya. Du hast dich selbst verarscht. Du hast schlichtweg nicht gut genug aufgepasst. Siehst du? Du bist nicht die beste Duellantin, denn Claire wäre dieser kleine Namensunterschied der beiden Odd-Eyes aufgefallen.“ Anya knirschte mit den Zähnen. „Claire-Schmär, ich bin aber nicht Claire!“ „Eben. Wie dem auch sei“, verkündete ihr Gegner und streckte die Hand nach vorn. „Odd-Eyes greift deinen [Gem-Knight Crystal] an! Spiral Strike Burst!“ Sein Drache schrie noch einmal, ehe er einen roten Lichtstrahl ausstieß. Dieser war umgeben von schwarzen Entladungen und steuerte geradewegs auf Anyas Ritter zu. Dessen Besitzerin schnaubte wütend, ehe sie per Knopfdruck ihre Fallenkarte aufspringen ließ. „Falle, [Justi-Break]! Sie-“ „[Timegazer Magician], Inverse Gears!“ Bevor überhaupt etwas geschah, klappte Anyas Karte nach Othellos Ausruf auf halbem Wege nach oben wieder zu. Gleichzeitig tauchte der in Schwarz gekleidete Magier über Odd-Eyes auf. Die goldene Klinge an seinem Arm fuhr aus und bildete um ihn einen Kreis, das Ticken einer Uhr war im Hintergrund zu vernehmen. „[Timegazer Magician] beschützt Pendelmonster vor Fallenkarten solange sie angreifen“, erklärte Othello dazu. „Er dreht die Zeit zurück und verhindert die Aktivierung. Deshalb geht der Angriff auch durch!“ Der Magier teleportierte sich zurück zu seiner ursprünglichen Position in der Lichtsäule. In dem Moment schlug der Angriff in Crystals Brust ein und brachte diesen zum Explodieren. „Jetzt wirkt die Reaction Force von 'Odd-Eyes' und verdoppelt den Kampfschaden!“ Anya hob den Arm mit ihrem D-Pad, um sich unsinnigerweise vor dem Angriff zu schützen. „Verdammter Kackmist!“   [Anya: 4000LP → 3900LP / Othello: 4000LP]   „Der erste Treffer, liebe Zuschauer! Aber wieso hat Othello das stärkere Monster angegriffen!? Hat er Angst, seine Gegnerin könnte es stärken und zurückschlagen!?“ „Du bist dran, Anya“, meinte der junge Mann freundlich. Jene schnaufte nur wütend. „Kaum zu glauben! So'n Knirps hat mich verarscht! Dafür allein gibt’s jetzt was aufs Maul!“   Zanthe, Matt, Valerie und Logan waren indes nicht mehr alleine. Neben Letzteren hatte sich niemand Geringeres als Kakyo Sangon gesetzt, seines Zeichens Drittplatzierter des Turniers, da Valerie durch ihre Disqualifikation trotz Marcs Geständnis nicht um Platz 3 hatte spielen dürfen. Nicht, dass sie dies je wirklich gewollt hätte. „Wieso hat sie nicht besser darauf geachtet?“, verstand Valerie es einfach nicht. „Das hätte ihre Chance sein können, ihn nachhaltig zu schwächen.“ „Das ist die Aufregung. Selbst eine Anya Bauer ist vor so etwas nicht gefeit, schon gar nicht, wenn es sprichwörtlich um alles oder nichts ging.“ Matt hinter ihr sah aus den Augenwinkeln skeptisch herüber zu Kakyo. Valerie seufzte bitter. „Vielleicht war es keine gute Idee, dass ich mir das Duell ansehe …“ „Doch, ist es“, widersprach der Dämonenjäger und legte unerwartet seine Hand auf ihre Schulter, was jene zusammenzucken ließ, „glaub mir.“ „J-ja.“ „Er hat sie einfach überlistet“, wandte sich Kakyo an Valerie. „Vom ersten Augenblick an hat er begriffen, wie Anya tickt und deshalb [Odd-Eyes Dragon] als Köder benutzt, die evolutionäre Vorstufe seines Assmonsters.“ Die Schwarzhaarige nickte und sah endgültig ein, dass ihre Freundin unschuldig an ihrer Misere war. „Anya hat Othellos Duellen auf dieser Ebene keine Beachtung geschenkt. Dieser kleine Unterschied im Namen und im Aussehen ist ihr gar nicht aufgefallen …“ „Genau das hat er beabsichtigt“, erklärte Kakyo. „Ich kenne Othello persönlich. Obwohl er nicht den Eindruck erweckt, spielt er sehr strategisch und bezieht auch die persönlichen Schwächen seiner Gegner in seine Duelle mit ein. Die Meisten wären wohl darauf reingefallen, weil er den [Odd-Eyes Dragon] nicht einmal während des Turniers ausgespielt hat.“ Valerie sah wieder herunter zum Duellfeld. „Anya ist aber auch nicht ohne. Und er weiß nicht, dass sie …“ „… noch dämlicher ist, als sie ohnehin schon den Eindruck erweckt“, schnarrte Zanthe dazwischen. … Levrier an ihrer Seite hatte, beendete Valerie den eigentlichen Satz im Gedanken. Der Schwarzhaarigen blieb nur zu hoffen, dass das ungleiche Gespann das Beste aus ihrer Lage machte. Wo Levrier anscheinend selbst nichts von der kleinen Täuschungsaktion mitbekommen hatte.   Anya schnaubte und friemelte dabei an ihrem dunklen T-Shirt mit dem Mikrophon daran herum, legte kurz die Finger darauf, als würde sie es zurecht rücken wollen. „Warum hast du mich nicht gewarnt!?“, knurrte sie dabei so leise es ging aus dem Mundwinkel, während sie nebenbei auf eine dritte Handkarte aufzog. Zwar konnte sie nicht mit Redfield kommunizieren, mit Levrier dagegen allemal. Und der hatte sich mal wieder als erstaunlich nutzlos erwiesen. So erschien er neben Anya in seiner altbekannten Form und verschränkte die Arme.   Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich ebenfalls darauf hereingefallen bin. Abgesehen davon hätte ich ohnehin keine Zeit zum Reagieren gehabt, so schnell wie du deine Falle aktiviert hast, Anya Bauer. Außerdem hattest du dich nicht mehr dazu geäußert, ob ich dir helfen soll oder nicht.   Das Mikrofon vermeintlich gerichtet, konnte Anya nicht mehr darauf antworten. Stattdessen sah sie herüber zu Levrier, der in seiner weißen Rüstung neben ihr schwebte. Dabei zog sie demonstrativ eine Karte aus ihrem Blatt hervor, den Stufe 4-[Gem-Knight Emerald].   Du willst eine Xyz-Beschwörung durchführen? Nun, dir fehlt deine wichtigste Karte, [Gem-Knight Fusion]. Ich würde dir aber eher dazu raten, [Angel Wing Dragon] zu beschwören. Er ist die perfekte Waffe gegen [Odd-Eyes Pendulum Dragon] und seinen Effekt.   Zu Levriers Erstaunen schüttelte Anya aber kaum merklich den Kopf. Denn sofort hatte sie wieder Valeries warnende Worte im Hinterkopf. Dass sie sich zu sehr auf die Karten verließ, die sie den Hütern abnahm und sich nicht von ihnen abhängig machen sollte. „Ich muss auf meinen eigenen Beinen stehen“, murmelte sie und knallte dann Emeralds Karte auf ihr rotes D-Pad. „Deshalb rufe ich dich, [Gem-Knight Emerald]!“ Neben ihrem Ritter des Bernsteins tauchte sein in hellgrüner Rüstung gekleideter Kamerad auf, an dessen Arm ein mit einem Smaragd besetzter Rundschild befestigt war.   Gem-Knight Emerald [ATK/1800 DEF/800 (4)]   Geradezu herrschaftlich schwang Anya ihren Arm nach oben, mit den Karten ihrer beiden Monster auf dem Feld zwischen den Fingern. „Du rufst dein Assmonster? Dann kommt jetzt als Antwort meins! Ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinen Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster!“ Inmitten des Spielfelds öffnete sich am Boden ein schwarzer Galaxienwirbel. Anyas Ritter verwandelten sich in hellbraune Lichtstrahlen, die in jenem Loch verschwanden, welches im Anschluss förmlich explodierte. „Zeig's ihm, [Gem-Knight Pearl]!“ Aus dem Überlagerungsnetzwerk schwebte die nun sichtbare Gestalt des weißen Ritters, um den nicht nur sieben hellrosafarbene Perlen kreisten, sondern auch zwei Lichtsphären. Selbst jetzt hielt er noch die Arme verschränkt, während er vor Anya Stellung bezog. Das durchsichtige Abbild Levriers neben ihr verschwand daraufhin.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4} OLU: 2]   Ich hoffe, du hast keinen Fehler damit begangen, mich zu beschwören …   Anya ignorierte den Einwand, ballte eine Faust und hob diese demonstrativ vor Othellos Augen. „Ich werde dieses beschissene Finale gewinnen, darauf kannst du deine überfällige Lebensversicherung verwetten!“ Sie drehte ihren Kopf herum zur VIP-Lounge, die sich in der Spitze des Turms des Kommentators befand. Ihr Blick brachte die gläserne Fassade geradezu zum Zerbersten. „Hörst du mich, Rosenburg? Ich bin deine Gegnerin und werde dir in den Arsch treten!“ Tatsächlich saß sie dort oben auf einem Sofa neben ihrem rothaarigen, bärtigen Manager sowie Melinda und starrte mit ausdrucksloser Mimik zurück. Das Publikum brach in schieres Gelächter aus. Die Blonde aber störte dies nicht, sie wandte sich wieder an Othello und seinen Drachen. „Ich habe auch einen Grund, warum ich mich unbedingt mit ihr duellieren muss. Du wirst dich hinten anstellen müssen!“ „Manchmal fahre ich den Menschen, hinter denen ich mich anstellen muss, in die Hacken“, erwiderte der sonst so träge Bursche schlagfertig. „Denn ich mag es nicht, mich anstellen zu müssen.“ „Dein Pech!“ Anya ließ die Hand nach vorne schnellen. „Dein Odd-Eyes kriegt jetzt ordentlich aufs Maul! Pearl, greif ihn an, Blessed Spheres of Purity!“   Ha!   Levrier schwang seinen Arm gebieterisch aus und kommandierte seine Riesenperlen, die wie ein Kugelhagel auf Odd-Eyes niedergingen. Wie Bomben schlugen sie in und um den roten Drachen herum ein und lösten Explosionen aus, in denen er schließlich unterging.   [Anya: 3900LP / Othello: 4000LP → 3900LP] Othello lachte leise, als sich über ihm das Pendelportal öffnete und die Überreste seines Drachens als einen roten Lichtstrahl absorbierten. „Der kommt schneller wieder als dir lieb ist.“ Ohne Vorwarnung jedoch begann er plötzlich zu husten. Obwohl er sich die Hand vor den Mund hielt, sickerte ein Rinnsal Blut zwischen seine Finger. „Das sieht nicht gut aus! Sollen-“ Bevor Mr. C jedoch mehr sagen konnte, hob Othello die andere Hand und richtete sich auf. „Mir geht es gut.“ „Kratz bloß nicht ab“, knurrte Anya. Erst rutschte sie nur durch die Vorrunden, weil einer der Endrunden-Teilnehmer absprang, dann wurde Redfield wegen Betrugs disqualifiziert. Wenn der Typ jetzt mitten im Duell abkratzte, würde sie -wirklich- in arge Erklärungsnöte geraten, ohne überhaupt etwas dafür zu können. Während der junge Mann ein Taschentuch zückte und seine Finger säuberte, sah er bewusst nicht zu dem Mädchen auf und versprach: „Werde ich nicht. Nicht heute.“ Und irgendwie fühlte das Mädchen sich ihm in diesem Moment verbunden. Ahnte er doch nicht, dass auch sie womöglich bald ins Gras beißen musste und sich aus diesem Grund duellierte.     Turn 75 – Memento Mori Der Schlagabtausch zwischen Anya und Othello wird zunehmend intensiver, keiner der beiden lässt sich von dem anderen in eine Ecke drängen. Othello erzählt Anya davon, weshalb er im Rollstuhl sitzt, was das Mädchen in ihrer Entschlossenheit schwanken lässt, doch … Kapitel 80: Turn 75 - Memento Mori ---------------------------------- Turn 75 – Memento Mori     Anya straffte sich. Ein Blitz fegte über den dunkelgrauen Himmel hinweg, den man durch den Glasdom des Stadions sehen konnte. Es donnerte. Und die Leute feuerten sie an. Mehr als jemals zuvor und obwohl Anya sich immer vorgestellt hatte, dass eine Duel Queen sich in einem solchen Moment unheimlich stolz fühlen musste, blieb dies aus. Eher war es ihr unangenehm, doch warum genau konnte sie nicht sagen. Lag es daran, dass es momentan einfach Wichtigeres gab?   Ihr gegenüber saß Othello in seinem Rollstuhl und zog schweigend auf eine dritte Handkarte auf. Von ihm aus zu seiner Linken befand sich die hellblaue Lichtsäule, in der sich der weiße [Stargazer Magician] befand, auf der anderen Seite hingegen schwebte der schwarze [Timegazer Magician] in der Luft.   <1> Othellos Pendelbereich <8>   Solange er diese beiden in den Pendelzonen kontrollierte, konnte sie keine Zauber- oder Fallenkarten – wie ihre verdeckte [Justi-Break]-Falle – aktivieren, wenn Pendelmonster angriffen. Aber sie musste an Othello vorbei, unbedingt! Er war das letzte Hindernis! Er war alles, was noch zwischen ihr und ihrer Zukunft stand, in vielerlei Hinsicht! Allein beim Gedanken daran schlug Anyas Herz wieder schneller.   Du darfst jetzt nicht den Kopf verlieren!   Levrier, der in Form des weißen Ritters [Gem-Knight Pearl] zusammen mit seinen sieben Perlen und den beiden um ihn kreisenden Overlay Units vor ihr verharrte, drehte sich nicht zu ihr um, als er das sagte. Trotzdem wusste er wohl, dass Anya darauf mit einem Nicken reagieren würde, denn er erwiderte darauf: So ist es richtig.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4} OLU: 2]   Anya umklammerte ihre beiden Handkarten fester. Zwar kontrollierte der Jugendliche mit dem schulterlangen, strohblonden Haar gerade keine Monster, doch das würde sich bald ändern … Ein Blick auf den Lebenspunkte-Stand auf ihrem roten D-Pad verriet ihr jedoch, dass sie sich keine Sorgen machen brauchte. Noch nicht zumindest …   [Anya: 3900LP / Othello: 3900LP]   „Wie wird Othello Nikoloudis jetzt wohl vorgehen? Sein 'Odd-Eyes' allein wird es nicht schaffen, [Gem-Knight Pearl] zu besiegen, liebe Zuschauer!“, erklang in diesem Moment Mr. Cs Stimme von dem kleinen Turm innerhalb des Stadions, welcher sich rechts von Anya befand. Othello seinerseits betrachtete die gezogene Karte und zeigte sie dann mit entschlossenem Gesichtsausdruck vor. „[Pendulum Call]. Auf Kosten einer Handkarte erhalte ich zwei Pendelmagier von meinem Deck.“ Er legte eine seiner beiden verbliebenen Karten auf den Ablagestapel seiner Duel Disk und zog das Deck aus deren Schacht. „Ich wähle [Dharma-Eye Magician] und [Dreamgazer Magician]!“ Seiner Gegnerin schwante dabei Böses. „Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum“, rief der blonde, junge Mann kurz danach aus und hob dabei die Hand in die Höhe. Über den zwei Magiern in den hellblauen Lichtsäulen öffnete sich ein Loch, umschlossen von unzähligen Lichtellipsen. „Aus meinem Extradeck der gefährlichste aller Drachen: [Odd-Eyes Pendulum Dragon]! Dazu von meiner Hand der Magier, der die Welt überwacht, [Dharma-Eye Magician] und die Magierin, die die Träume deutet: [Dreamgazer Magician]! Pendulum Summon!“ Gleich drei rote Lichter schossen aus dem Portal über Othello und schlugen vor diesem ein. In der Mitte der flügellose Drache, aus dessen weißem Brustpanzer metallische Auswüchse nach oben ragten. Zu seiner Linken erschien ein in dunkelblauer Kleidung steckender Magier, der eine massive Goldkeule mit beiden Händen führte. Auf der anderen Seite dagegen befand sich eine Hexerin in himmelblauer Robe, die zwischen ihren Händen eine Kristallkugel schweben ließ.   Odd-Eyes Pendulum Dragon [ATK/2500 DEF/2000 (7) PSC: <4/4>] Dharma-Eye Magician [ATK/2000 DEF/2500 (7) PSC: <2/2>] Dreamgazer Magician [ATK/1200 DEF/1500 (4) PSC: <4/4>]   „Na toll, jetzt legt er richtig los“, murmelte Anya vor sich hin. Zumindest sollte es für Außenstehende so wirken, tatsächlich aber waren ihre Worte an Levrier vor ihr gerichtet. Welcher prompt erwiderte:   Richtig? Anya Bauer, ich fürchte, das ist noch die Aufwärmrunde.   Wenigstens war keines seiner Monster stärker als – „'Odd-Eyes', greif' [Gem-Knight Pearl] an! Spiral Strike Burst!“, befahl Othello da mit ausgestrecktem Arm. „Huh!?“ Anya zuckte zusammen. „Sag nicht-!?“ Doch schon lud der Drache in seinem Maul rote Energie auf, die er als einen Lichtstrahl in Levriers Richtung entfesselte. Dabei schlugen schwarze Entladungen um den Angriff.   Zu Anyas Linken saßen Logan, Zanthe, Valerie, Kakyo nebeneinander in der ersten und hinter Valerie Matt in der zweiten Reihe der Zuschauerplätze. „[Dreamgazer Magician]“, murmelte die Schwarzhaarige vor sich hin, beobachtete, wie Pearl seine sieben Perlen per Handgestik zum Gegenangriff ausschwärmen ließ. Der Dämonenjäger erwiderte: „Hm?“ „Exakt“, gab der brünette Kakyo mit einem Nicken von sich, „er kann sie verbannen, um ein Pendelmonster zeitweilig zu stärken.“   „… macht ihn das um 500 Punkte stärker“, war derweil auch Othello an diesem Punkt angelangt, „los, [Dreamgazer Magician]! Future Warning!“ Einen entschlossenen Laut von sich gebend, löste die hellblaue Magierin sich auf. Auf der blauen, kleinen Kugel in der Stirn des Drachen tauchte ein quer liegendes Auge aus rotem Licht auf, von dem sich insgesamt acht Schlangenlinien abzweigten.   Odd-Eyes Pendulum Dragon [ATK/2500 → 3000 DEF/2000 (7) PSC: <4/4>]   Ein durchsichtiger Schleier legte sich um den Flammenstrahl, welcher Pearl fast erreicht hatte. Die letzten beiden Perlen, die sich ihm entgegen gestellt hatten, lösten sich bei Kontakt auf, sodass es nichts mehr gab, was Levrier vor dem Angriff hätte schützen können. Wieso immer ich …   Seiner trägen Jammerei wurde jäh ein Ende gesetzt, als die Attacke in seiner Brust einschlug und eine heftige Explosion verursachte. Othello streckte die Hand nach vorne: „Jetzt wirkt der Effekt von 'Odd-Eyes', der jeden Schaden aus einem Kampf mit einem anderen Monster verdoppelt! Reaction Force!“ Der Strahl bahnte sich seinen Weg zu Anya, die sich mit erhobenem D-Pad-Arm abwandte und getroffen wurde. „Shit, das auch noch!“   [Anya: 3900LP → 3100LP / Othello: 3900LP]   Dass das aber nur der Anfang war, wusste das Mädchen. Denn kaum war 'Odd-Eyes' Angriff verklungen, da befahl Othello bereits mit ausgestrecktem Arm: „Direkter Angriff, [Dharma-Eye Magician]! Burden Carrier!“ Anya blinzelte nur einmal, da hatte sich der Hexer in Dunkelblau schon direkt vor sie teleportiert und schwang seine gewaltige, goldene Waffe. Reflexartig hob sie wieder schützend den Arm mit dem roten D-Pad daran, auch wenn der Angriff letztlich durch sie hindurch glitt.   [Anya: 3100LP → 1100LP / Othello: 3900LP]   „Jetzt legt Othello Nikoloudis richtig los, liebe Zuschauer!“, tönte Mr. C aus dem Häuschen. „Ob Anya Bauer Angriffen wie diesen lange standhalten kann? Immerhin können Pendelmonster jede Runde zurückgerufen werden!“ Das Publikum feierte Othellos gelungenen Angriff, auch wenn Anyas 'Block' dem so lautstark wie möglich zuvor zu kommen versuchte. Der Bursche selbst hustete mehrmals, wieder klebte Blut an seinen Händen. Mit kratziger Stimme verkündete er: „Mein Zug ist beendet.“ Odd-Eyes Pendulum Dragon [ATK/3000 → 2500 DEF/2000 (7) PSC: <4/4>]   „Hm, zwei Monster der Stufe 7“, überlegte indes Matt hinter seinen Freunden, „warum hat er nicht versucht, ein Xyz-Monster zu beschwören?“ Kakyo wusste die Antwort und drehte sich zu ihm um. „Das ist ganz einfach. Pendelmonster werden nur durch das Portal gelassen, wenn sie das Spielfeld verlassen. Regeltechnisch sind Overlay Units aber nicht auf dem Feld.“ „Das heißt, er würde sie verlieren und damit seinen größten Vorteil“, fügte Valerie noch hinzu. „Nur, weil er dieses Mal darauf verzichtet hat, bedeutet das nicht, dass er nicht noch etwas in der Hinterhand hält.“ Zanthe seufzte. „Nie im Leben wird Anya mit so etwas rechnen und ehe sie sich versieht, heißt es Good Game.“ Logan ganz außen betrachtete den Schwarzhaarigen mit dem blauen Kopftuch, schwieg aber dazu. „Hoffen wir, dass sie es nicht so weit kommen lässt“, murmelte Valerie zweifelnd. Matt lachte unbekümmert. „Selbst wenn, hat sie selbst noch ein Ass im Ärmel.“ Worüber sich Valerie natürlich im Klaren war. Und sie war sich sicher, dass Othello ebenso gut Bescheid über [Angel Wing Dragon] wusste.   „Dann bin ich jetzt dran! Draw!“, bellte das gemeinsame Lästerobjekt und riss schwungvoll eine Karte von ihrem Deck. Als sie diese betrachtete, weitete sie freudestrahlend ihre Augen. „Hell yeah, das ist es!“ Ehrgeizig fügte sie den Zauber ihrem Blatt hinzu, um dann die Karte daneben herauszuziehen und auf das D-Pad zu legen. „Normalbeschwörung! [Gem-Armadillo]! Wenn er auf diese Weise gerufen wird, erhalte ich einen Gem-Knight von meinem Deck!“ Ein geisterhaftes, hellbraunes Gürteltier materialisierte sich vor Anya. An seinem Rücken befanden sich zwei Düsen sowie braune, kreisrunde Edelsteine. Ebenjene begannen in alle Richtungen licht auszustrahlen.   Gem-Armadillo [ATK/1700 DEF/500 (7)]   „Ich entscheide mich für [Gem-Knight Lazuli]“, rief Anya, wodurch besagte Karte aus ihrem Deck geschoben wurde. Das Mädchen nahm sowohl sie auf, als auch den eben ausgespielten [Gem-Armadillo] und hielt beide zusammen mit der gezogenen Zauberkarte in die Höhe. „Pass jetzt gut auf und stirb mir nicht mittendrin weg, klar!? Ich aktiviere [Gem-Knight Fusion] und verschmelze [Gem-Knight Lazuli] und [Gem-Armadillo]! [Gem-Armadillo], du bist das Element, Lazuli, du der Ursprung! Vereinigt eure Kräfte!“ Über dem Mädchen öffnete sich ein Riss, in den aus dem Nichts entstehende Edelsteine gezogen wurden, zusammen mit dem Gürteltier und einer zierlichen, beigefarbenen Ritterin. „Fusion Summon!“, schrie Anya ehrgeizig. „Erscheine, [Gem-Knight Zirconia]!“ Ein Lichtblitz schoss aus dem Sog und mit ihm ein Hüne von Krieger, welcher vor Anya landete. Dunkelblau war das Cape, das über der silbernen Rüstung lag, und massiv wie Pfeiler waren die beiden Arme Zirconias, an deren Enden sich die namensgebenden Edelsteine befanden, groß wie Pizzateller. In dem Moment riss Matt von den Zuschauerrängen sein Plakat mit Anyas Namen in die Höhe und rief ihren Namen. Etwas, das die anderen nicht taten.   Gem-Knight Zirconia [ATK/2900 DEF/2500 (8)]   „Effekt von Lazuli! Wenn sie durch einen Karteneffekt auf den Friedhof gelegt wird, beispielsweise durch eine Fusion, gibt sie mir ein normales Monster von dort zurück.“ Anya zeigte die gewählte Karte vor. „[Gem-Knight Amber]. Eigentlich ist er ein Effektmonster, wird aber dank seines Status als Zwillingsmonster als normales Monster behandelt, solange er auf dem Friedhof liegt.“ Plötzlich schob sie hinter seiner Karte eine weitere hervor: Ihre [Gem-Knight Fusion]. „Und da ich noch nicht fertig bin, lasse ich meine [Gem-Knight Fusion] einen Gem-Knight von meinem Friedhof verbannen, damit ich sie von dort zurückerhalte!“ Dafür landete der [Gem-Knight Alexandrite] aus Anyas erstem Zug in deren Hosentasche und das, obwohl die neuen D-Pads mit einer Verbannungszone ausgestattet waren. „Sieht so aus, als wolle nun auch Anya Bauer voll aufdrehen!“, hörte man Mr. C rufen. „Ganz genau, Opa! Ich aktiviere [Gem-Knight Fusion] und verschmelze [Gem-Knight Amber] und [Gem-Knight Sapphire]!“ Wieder hielt sie die drei Karten in die Höhe, der Edelsteinwirbel öffnete sich über ihr. „Amber, du bist das Element, Sapphire, du der Ursprung! Vereinigt eure Kräfte! Fusion Summon! [Gem-Knight Prismaura]!“ Diesmal schossen Blitzschläge aus dem Sog, welche einen weißen Ritter begleiteten, der elegant zum Spielfeld herunter schwebte. Bewaffnet mit einer Schwert-ähnlichen Lanze und einem Schild, knisterten elektrische Ladungen um die blauen Kristalle an den Schulterplatten des Kriegers.   Gem-Knight Prismaura [ATK/2450 DEF/1400 (7)]   Anya, die damit ihre komplette Hand ausgespielt hatte, streckte diese nach vorne. „Jetzt ist's Zeit für den Gegenschlag! Prismaura, greif' [Dharma-Eye Magician] mit Divine Lance Strike an! Zirconia, du nimmst dir den Drachen vor, Zirconia Smasher!“ Während Letzterer auf den etwa gleichgroßen Drachen zuzurennen begann, streckte Primsaura seine Waffe nach vorne. Jene, deren Klinge ebenfalls aus dem dunkelblauen Kristall bestand, lud sich elektrisch auf und schleuderte einen Blitzstrahl auf den Magier, welcher beim Einschlag der Entladung in tausend Teile zersprang. Gleichzeitig hatte Zirconia seinen Feind erreicht und schmetterte ihn mit nur einer Faust nieder.   [Anya: 1100LP / Othello: 3900LP → 3450LP → 3050LP] Unter einem Blitz am Himmel und dem darauf folgendem Gedonner verschränkte Anya stirnrunzelnd die Arme. „Hmpf.“ Grund dafür war das Pendelportal, das sich über Othello öffnete und die Überreste seiner beiden Monster als rote Lichtstrahlen absorbierte. Nächste Runde würden sie wiederkommen. Das hieß, wenn sie ihn ließ! „Main Phase 2!“, verkündete Anya und griff nach ihrem Friedhof. „Ich verbanne [Gem-Knight Lazuli], um [Gem-Knight Fusion] zurück zu erhalten!“ Jene landete bei ihrem Kameraden in Anyas Hosentasche. Kaum hatte diese ihren Zauber aufgenommen, schob sie ihn gleich wieder in den Friedhofsschacht. „Jetzt Prismauras Effekt!“ Wieder begannen elektrische Ladungen um dessen Schwertspeer zu schlagen. Seine Besitzerin hob den Zeigefinger und deutete auf den schwarzen Magier in der rechten Lichtsäule neben Othello. „Einmal pro Zug lässt er mich eine offene Karte zerstören, indem ich eine Gem-Karte abwerfe! Dein Odd-Eyes kehrt immer wieder zu dir zurück? Pah, das wollen wir erstmal sehen! Los!“ Jetzt war der beste Zeitpunkt dafür, dachte Anya zufrieden. Othello besaß nur eine Handkarte und bei der handelte es sich nicht um ein Monster, denn dann wäre das Duell schon vorbei! Wenn alles gut lief, musste er sich gleich eine neue Strategie ausdenken! Dem Befehl Folge leistend, schoss [Gem-Knight Prismaura] einen grellen, elektrisierten Lichtstrahl schräg nach oben, welcher ein Loch in [Timegazer Magicians] Brust bohrte. Jener explodierte stöhnend, wodurch sich das Pendelportal erneut öffnete und ihn absorbierte. Die Lichtsäule, in der er sich befunden hatte, verblasste, bis sie gänzlich verschwunden war.   <1 → 4> Othellos Pendelbereich   „Zug beendet“, murrte Anya und zog eine grimmige Fratze. Warum hatte sich der Pendelwert des weißen [Stargazer Magicians] plötzlich verändert? Wobei, das konnte man ja nachschauen, was sie auch anhand des Bildschirms über ihrem Spielplan tat. Solange kein Magician- oder Odd-Eyes-Pendelmonster in der anderen Zone liegt, ändert sich der Wert auf 4. Interessant.   „Hm“, gab Anya nachdenklich von sich. Ihr Gegner war gewiss klug genug, nur solche Monster im Deck zu spielen. Andernfalls könnte er sich seine Pendelbeschwörungen damit versauen. Sie sollte gar nicht darauf hoffen, das irgendwie für sich nutzen zu können. Besser gesagt hoffte sie darauf, dass Othello gar kein Pendelmonster mehr ausspielte.   ~-~-~   Anderenorts, im VIP-Turm, der zu Anyas Rechten stand, saß Mr. C, seines Zeichens optisch ein Elvis-Imitat mit Bart, vor seiner Konsole und schrie ins Standmikrofon: „Anya Bauer zielt ganz offensichtlich darauf ab, die Pendelbeschwörungen ihres Gegners zu versiegeln! Ob ihr das wohl langfristig gelingen mag?“ Hinter ihm befand sich eine bequeme, weiße Couch, zu deren beiden Seiten kleine Tische mit Getränken und Snacks standen. Auf ihr saß Melinda, die die Beine in ihrem gelb-weiß gepunkteten Kleid überschlagen hielt und eine der beiden Strähnen um den Finger drehte, welche ihr von ihrer Turmfrisur im Gesicht hingen. Doch sie war nicht allein. In der Mitte saß Claire Rosenburg, deren Hände ruhig auf ihrem Schoß lagen. Melinda hatte ihr geraten, sich umzuziehen, doch die Blonde mit dem kurzen, bis zum Ende der Ohren reichendem Haar und den zwei grünen Strähnen hatte sich entschieden geweigert, ihren hellblau-weißen Motorradanzug auszuziehen. „Und, wie findest du das Duell?“, fragte Melinda mit breitem Grinsen an die Weltmeisterin gewandt. Welches merklich zuckte, als die tonlos erwiderte: „Interessant.“   Melinda runzelte ärgerlich die Stirn und murmelte leise vor sich hin: „Hab schon bessere Lügen gehört …“ Tatsächlich war Claire eine unangenehme Person. Ein Eisklotz, der nur sprach, wenn er dazu aufgefordert wurde. Die ganze Zeit verfolgte sie das Duell nun schon ohne die geringste emotionale Regung. Und der rothaarige, bärtige Kerl neben ihr, ihr Manager namens Nigel McPherson, war genauso schlimm. Eigentlich noch schlimmer, denn immer wieder flüsterte er Claire etwas ins Ohr, woraufhin diese, wenn überhaupt, mit einem knappen Nicken reagierte. „Stimmt etwas nicht?“, fragte er höflich, als er den Blick Melindas bemerkte. Die hob abwehrend die Hände. „Nein, nein. Mir ist nur aufgefallen, dass unsere Claire heute besonders wortkarg ist.“ „Claire teilt ihre Gedanken ungern anderen mit“, sprach der Manager für sie und fuhr sich über das nackte Kinn, über das der fein geschnittene Bart nicht wuchs.   Dabei fiel Melinda wieder einmal die Narbe auf, die seine rechte Augenbraue zerteilte. Woher er sie wohl hatte? Darüber sprach dieser Nigel nicht. Denn er wusste, dass seine Erscheinung dadurch Respekt einflößender war, irgendwie unheimlich und das nutzte er seither zu seinen Gunsten. Er war die Mauer, die Claire von der Welt abschirmte. Wenn Anya Pech hatte, musste sie, bevor sie an Claire überhaupt heran kam, erstmal mit dem fertig werden …   „Tja, eine kleine Geheimniskrämerin eben“, plapperte Melinda und winkte mit der Hand mehrmals ab. Die waren beide unheimlich, vermutlich funktionierte ihre Zusammenarbeit deshalb so gut! Leise vor sich hin seufzend, erhob sich der Rotschopf und schritt herüber zu Mr. Cs Kommentatorenplatz, um mit ihm zu reden. Doch sie fror mitten auf dem Weg dorthin ein, als sie ein paar Wortfetzen vernahm, die Nigel McPherson seinem Schützling ins Ohr flüsterte: „… müssen die Bedrohung eliminieren … deine Karriere …“   ~-~-~   „Draw“, verkündete Othello und zog auf eine zweite Handkarte auf. Eine Weile sah er beide nachdenklich an, dann seufzte er bitter. „Leider habe ich keine andere Wahl. Ich aktiviere [Pot Of Riches]!“ Anya zog erstaunt eine Augenbraue hoch, als Othello besagten Zauber auf den Spielplan vor sich legte und damit einen Kürbis-großen Topf aus purem Gold vor sich erscheinen ließ. Besetzt mit Edelsteinen, grinste er Anya mit seinem breiten, teils zahnlosem Gesicht an. „Mit dieser Karte mische ich drei Pendelmonster von meinem Friedhof oder Extradeck ins Deck zurück und ziehe anschließend zwei Karten. Da sich keine auf meinem Friedhof befinden, muss ich die drei aus meinem Extradeck nehmen“, erklärte Othello und zeigte [Odd-Eyes Pendulum Dragon], [Dharma-Eye Magician] und [Timegazer Magician] vor. Mr. C konnte das nicht unkommentiert lassen. „Was ist das, liebe Zuschauer!? Othello Nikoloudis gibt seine Pendelmonster auf, um mehr Karten zu ziehen? Das kann nur eins bedeuten!“ Er konnte keinen neuen Pendelbereich aufbauen, dachte Anya mit grimmiger Zufriedenheit. Perfekt, das hätte gar nicht besser laufen können! Selbst wenn er jetzt ein Pendelmonster nachzog, waren die bisherigen verloren! Sie hatte seinen Vormarsch gestoppt! Othello indes legte die drei Monster mit nachdenklichem Gesichtsausdruck auf sein Deck, welches automatisch durchgemischt wurde. Nachdem er zweimal aufgezogen hatte, sah er die neuen Karten kurz an, ehe er beide ausspielte. „Ich beschwöre [Doomstar Magician] und aktiviere [Sky Arc], einen Spielfeldzauber!“ Während sich über dem gesamten Spielfeld eine viel größere Version des Pendelportals auftat, umgeben von einem bunten Lichtschleier, tauchte vor Othello ein Hexer in schwarzer Lederkleidung auf. Der Magier mit dem spitz zulaufenden Hut streckte den Zauberstab, welcher in einem blauen Kristall endete, hoch in die Luft.   Doomstar Magician [ATK/1800 DEF/300 (4)]   An den erinnerte Anya sich noch, denn er wurde schon im Duell gegen Marc von Othello ausgespielt. [Doomstar Magician] war kein Pendelmonster. Eher noch eine Anti-Pendel-Karte, denn indem sein Besitzer eine Handkarte abwarf, konnte er eine Karte in einer beliebigen Pendelzone zerstören und dann eine neue Karte ziehen. War er so verzweifelt, dass er jetzt auch noch seinen [Stargazer Magcian] opfern würde? „Ich benutze [Sky Arcs] Effekt“, sprach Othello und widerlegte damit Anyas Vermutung, „damit zerstöre ich eine andere meiner Karten auf dem Feld, um einen 'Odd-Eyes' von meinem Deck zu erhalten!“ „Huh!?“ Anya weitete die Augen. Der schwarze Hexer stieg mit voran gestrecktem Zauberstab in die Luft auf und wurde dabei von einem roten Blitz getroffen, der aus dem Pendelportal geschossen kam. Othello nahm sein Deck aus dem Schacht und fächerte es vor sich auf. „Welcher ist die bessere Wahl? Hmm …“ „Nanu?“, wunderte sich Mr. C und auch das Publikum wurde zunehmend leiser, je länger Othello überlegte. „Scheinbar hat der Gute Schwierigkeiten, sich zu entscheiden.“ In dem Moment aber zog der Jugendliche mit dem strohblonden, schulterlangen Haar eine Karte aus dem Deck, welches er wieder in den dazugehörigen Schacht schob. Er drehte die Karte zwischen seinen Fingern um: [Odd-Eyes Pendulum Dragon]. „Er wird immer an meiner Seite bleiben.“   Eigentlich hätte sie wütend sein müssen, dass es ihm wieder gelungen war, an sein Assmonster zu kommen, aber Anya lächelte kaum merklich. Denn in diesem Moment konnte sie sich nur zu gut in seine Gefühlslage versetze, gab es auch bei ihr ein bestimmtes 'Monster', auf das sie immer zählen konnte.   Anya fuhr aus ihren Gedanken hoch, als plötzlich eine hellblaue Lichtsäule rechts neben Othello aus dem Boden schoss und damit den Platz der alten eingenommen hatte. „Ich aktiviere den Magier, der die Karten liest: [Cardgazer Magician]!“ In der Säule stieg ein Magier von langem, weißem Haar auf, dessen rote Robe so lang war, dass sie weit über seine Beine hinausragte. Dabei war sie ab Hüfthöhe zweigeteilt, sodass sie in ihrer Form wie herab hängende Flügel aussah. Besonders aber waren die zwölf Duel Monsters-Karten, die er mit ausgestreckten Händen vor sich in einem Kreis rotieren ließ. „[Cardgazer Magicians] Pendelbereich liegt normalerweise bei 4, verändert sich aber in Abhängigkeit zur Höhe des Verteidigungswertes des Magiers in der anderen Pendelzone. Liegt dieser über 1200, wird sein Pendelbereich zu 8. Liegt er darunter, wird er zu 1. [Stargazers Magicians] Defensive liegt bei 2400, von daher …“ Anya sah es selbst anhand der verzerrten Ziffern, die unter beiden Magiern aufleuchteten.   <4 → 1> Othellos Pendelbereich <4 → 8>   „Zurück auf Anfang, huh?“ Anya fasste sich an die Stirn. Genau das hatte sie erwartet. „Ganz genau! Pendulum Scale set!“ Ihr Gegner hob den Arm mit seiner letzten Handkarte in die Höhe. „Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum! Aus meiner Hand: [Odd-Eyes Pendulum Dragon]! Pendulum Summon!“ Aus dem riesigen Portal schoss ein roter Lichtstrahl, welcher vor Othello die Gestalt des roten Drachen annahm, von dessen Brustpanzer metallische Auswüchse, Flügeln nicht unähnlich, nach oben ragten.   Odd-Eyes Pendulum Dragon [ATK/2500 DEF/2000 (7) PSC: <4/4>]   „Greife [Gem-Knight Prismaura] an! Spiral Strike Burst!“ Sofort öffnete Odd-Eyes sein Maul und schoss daraus einen roten Lichtstrahl ab, um den schwarze Entladungen schlugen. „Dank seines Effekts wird der Kampfschaden verdoppelt! Reaction Force!“ Der Ritter erhob seinen Schild, welcher dem Angriff jedoch nicht standhalten konnte. Sowohl er, als auch Anya verschwanden in einem roten Flammenmeer.   [Anya: 1100LP → 1000LP / Othello: 3050LP]   Othello hustete mehrmals. Indes tauchte Anya wieder aus den Flammen auf, welche nun lediglich [Gem-Knight Zirconia] kontrollierte. Nachdem der junge Mann sich gefasst hatte, verkündete er leise: „Du bist dran.“ „Na endlich! Draw!“ Voller Schwung riss Anya die Karte von ihrem Deck und identifizierte sie anhand des purpurnen Rands als Falle. Also nichts, was sie sofort nutzen konnte, um Othello zu schaden. Verdammter Kackmist!“ Ehrgeizig blickte die Blonde auf, nachdem sie sich die Karte angesehen hatte. „Du sagst, er wird dich nie verlassen, ja? Fein, ich sage, er kriegt jede Runde aufs Maul von mir! [Gem-Knight Zirconia], greif' ihn an! Zirconia Smasher!“ Mit wehendem, blauem Umhang stampfte der Hüne auf den roten Drachen zu und schmetterte ihn mit seiner massiven Faust in den Boden, sodass ein roter Lichtstrahl in die Luft aufstieg und vom nun permanent geöffneten Pendelportal absorbiert wurde.   [Anya: 1000LP / Othello: 3050LP → 2650LP]   Einige Zuschauer klatschten begeistert oder riefen Anyas Namen. „Er kommt wieder“, versprach Othello und es klang beinahe so, als würde er das eher zu sich selbst sagen, als zu seiner Gegnerin. Die zuckte mit den Schultern. „Soll er doch. Zirconia wartet. Eine Karte verdeckt, Zug beendet!“ Zischend materialisierte sich die Falle zu ihren Füßen, gleich neben ihrer [Justi-Break]-Karte. Er verlässt sich anscheinend mehr auf diesen Drachen, als auf jedes andere Monster in seinem Deck. Er hätte vorhin noch andere Optionen gehabt, doch er entschied sich für ihn …   Anya nickte aufgrund von Levriers Einwurf. Vielleicht war er genauso abhängig von Odd-Eyes, wie sie es von Angel Wing war. Mit dem Unterschied, dass -sie- sich nicht mehr nur auf dessen Kraft verlassen würde! Sie musste Redfield beweisen, dass sie sich in ihr irrte, unbedingt! Die Artefakte waren nichts weiter als Waffen für sie, um Undying und anderem Gesocks in den Arsch zu treten. Was Erinnerungen an ein Ereignis vor wenigen Tagen weckte …   „So“, sagte Matt und verschränkte die Arme voreinander. Er lehnte an einer Mauer, die den Park von der dahinter liegenden Straße abschirmte. Direkt dahinter befanden sich jedoch keine Gebäude, sondern lediglich eine pinkfarbene Barriere. „Dann bin ich mal gespannt.“ Der schwarzhaarige Dämonenjäger hatte auf etwa 100 Quadratmetern einen Bannkreis errichtet und das einzig auf Anyas Wunsch hin, ihre zurückerlangten Hüterartefakte auszuprobieren. „Ich will nur sehen, ob das Teil wirklich so funktioniert, wie ich es mir vorstelle“, erwiderte Anya passend dazu angespannt und fixierte sich auf den Baum, der etwa fünf Meter von ihr entfernt stand. Sie brauchten vermutlich Platz, den es in der Innenstadt nicht gab, weshalb sie Matt dazu überredet hatte, den Park als Trainingsstätte zu nutzen. Hier hatten sie und Valerie das Fest besucht, hier hatte Othello Marc besiegt. Außer besagtem Baum, einem Kiesweg direkt vor Matt und einer Bank nicht weit davon entfernt gab es hier nichts außer Gras.   Anya kniff die Augen bitterböse funkelnd zusammen und fixierte sich einzig auf den Baum. Der Krüppel mit seinen Pendelmonstern. Vielleicht würde er es sein, gegen den sie im Finale antreten musste. Der Knirps war verdammt gut, das ließ sich nicht abstreiten. Es war geradezu verlockend, sich sein Gesicht auf der Rinde vorzustellen, um in Fahrt zu kommen. „Hmpf!“ Anya schwang schnaufend den Speer aus, in der Hoffnung, er würde sich – wie in ihrem Elysion – in mehrere Segmente teilen, sodass sie ihn wie eine Mischung aus Peitsche und Nunchaku schwingen konnte. Aber Fehlanzeige: Gar nichts geschah. Matt, der sich abseits des Geschehens auf die Bank gesetzt hatte und alles von der Seite beobachtete, rief ihr zu: „Erwarte nicht, dass es beim ersten Mal klappt. Du warst so lange von den Artefakten getrennt, dass du dich erstmal wieder akklimatisieren musst.“ Seine Freundin warf ihm einen skeptischen Blick aus den Augenwinkeln zu. Sie wusste ja nicht mal, was dieses komische Wort bedeutete, das er eben benutzt hatte! Warum mussten immer alle mit ihrer Pseudointelligenz angeben, indem sie chinesisch redeten!? Nervig! Unter einem wütenden Aufschrei schwang sie den Speer noch einmal im Halbkreis vor sich aus. Und nochmal. Wieder und wieder, aber die Waffe weigerte sich beharrlich, ihrem Willen Folge zu leisten.   „Ach fuck, dann eben die Teleportationsnummer!“, schrie Anya, warf den Speer so in die Luft, dass sie ihn mit der Spitze voraus am Heft packen konnte und warf ihn volle Kanne Richtung des Baums. Jetzt! Gleich würde sie ihn in der Hand halten und vor dem Baum erscheinen! Jeden Moment, jeden-! Stahl krachte auf Holz, Holz barst, Speer prallte ab und fiel ins Gras. Anya sah die weiße Waffe wie ein begossener Pudel an, wie sie da im Gras lag. „Der hat ja nicht mal beim Aufprall einen Schuss abgegeben und sich abgefedert“, stellte sie aufrichtig enttäuscht fest. Matt musste kichern. „Das hast du dir vorgestellt, als du im Elysion gegen Zanthe und Levrier gekämpft hast? Was kommt als Nächstes, dass du ihn zur Schrotflinte umfunktionieren kannst?“ Seine Worte blieben ihm im Halse stecken, als Anya ihn in einer gefährlichen Mischung aus Frustration und Wut anfunkelte.   Anya runzelte ärgerlich die Stirn. Entgegen ihrem Vorhaben, hatte sie Angel Wings wahre Kräfte nicht entfesseln können – wenn es die überhaupt gab! All ihre tollen Ideen hatten sich als Hirngespinste erwiesen. Am liebsten würde sie Zanthe in die Nieren treten, weil er ihr so einen Floh ins Ohr gesetzt hatte! Andererseits würde sie dieser Rückschlag nicht davon abhalten, die Kräfte der Artefakte zu erforschen. „Ich werde immer darum kämpfen zu überleben“, schwor sich Anya leise. Etwas, das Othello zu hören schien, denn er fragte: „Überleben?“ „Für mich ist dieses Duell wie ein Kampf. Verliere ich, nun“, erklärte seine Gegnerin und zog sich mit herausgestreckter Zunge über die Kehle. „Oh. Aber es ist nur ein Duell. Wenn es vorbei ist, wirst du trotzdem noch da sein.“ Anya sah zur Seite. „Yeah. Weiß nicht.“ „Doch, du wirst noch da sein. Und du hast Zeit, kannst es ein zweites Mal versuchen.“ Othello senkte selbst betrübt das Haupt. „Ich nicht. Deswegen genieße ich dieses Turnier auch nicht, obwohl ich es gerne würde.“ „Huh?“ Anya horchte auf. „Hat das was mit deiner Gesundheit zu tun?“ „Ja. Kennst du die Geschichte, warum ich im Rollstuhl sitze? Wenn nicht, möchtest du sie hören? Dann würdest du verstehen, in welcher Lage ich mich befinde. Danach kannst du mir auch gerne von deinen Gründen und Zielen erzählen.“ Zwar wusste Anya nicht, ob sie das alles überhaupt interessierte und ob sie ihre Gedanken mit diesem Knirps da teilen wollte, aber warum ihn nicht ein wenig quasseln lassen? Vielleicht bekam sie bis dahin irgendeinen Geistesblitz, was sie gegen seinen 'Odd-Eyes' unternehmen konnte.   „Vor zwei Jahren, an meinem fünfzehnten Geburtstag, bin ich mit ein paar Freunden in die Stadt gefahren. Wir waren mit dem Fahrrad unterwegs. Ich war nur einen Moment abgelenkt, da wurde die Welt plötzlich schwarz“, erklärte Othello leise, aber gefasst. Das Publikum wurde still, auch wenn die Geschichte um den Unfall für die meisten Zuschauer nicht neu war. „Ein LKW hatte mich erfasst. Durch den Sturz wurden meine Beine mehrfach gebrochen. Aber das war nicht das Schlimmste. Ich bin gegen eine Mauer gerammt worden, wobei sich der Lenker meines Fahrrads durch meine Brust bohrte. Es war ein Wunder, dass ich überlebt hatte, aber mein Herz wurde dabei so schwer beschädigt, dass ich ein neues benötigte.“ Anya sah ihn streng an und schwieg. „Zwei Monate lang hing ich nur an Maschinen, bis endlich ein Spenderherz für mich freigegeben wurde. Für mich bedeutete das in erster Linie, dass ich nur weiterleben konnte, weil ein anderer gestorben war.“ Othello legte den Kopf in den Nacken. Draußen schüttete es nach wie vor wie aus Gießkannen, der Regen prasselte auf den gläsernen Dom. „Aber das sollte sich als falsch erweisen. Mein Körper hat das Herz abgestoßen, daran konnten selbst die Medikamente nichts ändern.“ „Aber du bist jetzt hier. Hast du ein neues bekommen?“, fragte Anya plump. „Herzen wachsen nicht auf Bäumen“, belehrte Othello sie und senkte sein Haupt, „nein, die letzte Alternative war ein komplett künstliches Herz. Solche tragen viele Risiken mit sich. Bei der Transplantation kam es zu einer Infektion, welche meine Lunge geschädigt hat. Gegen die Folgen kann man nichts unternehmen und da ich schon das Herz abgestoßen habe, komme ich für weitere Organspenden nicht mehr infrage.“   Die Blonde zuckte mit den Schultern. Sie wusste nicht so recht, was sie sagen sollte. Beileid zu bekunden erschien ihr heuchlerisch, wo sie doch keines empfand. Die Welt war eben nicht gerecht, was änderte Mitleid daran? Sie hasste Mitleid …   „Deswegen muss ich aus der Zeit, die mir noch bleibt, das Beste machen. Und das geht nur, indem ich der Beste werde.“ Othello sah ihr milde lächelnd in die Augen. „Die Welt ist nicht gerecht. Sie möchte, dass ich von ihrem Antlitz verschwinde. Aber wenn das schon so ist, dann zu meinen Bedingungen.“ In dem Moment fuhr Anya förmlich zusammen. Dieser Typ, der … dachte wie sie. Sie hatte sich so oft nachts Gedanken darüber gemacht, was geschehen sollte, wenn sie ihre Aufgabe nicht rechtzeitig erfüllte. Sich vor dem Sammler gesehen, wie sie ihn noch einmal herausforderte, auch wenn die Hoffnung ihn zu besiegen gleich null war. Nein, er dachte nicht wie sie, korrigierte Anya sich und umfasste dabei mit einer Hand ihr T-Shirt auf Brusthöhe. Othello hatte akzeptiert, dass sein Ende unausweichlich war, kämpfte aber trotzdem weiter. Er sah nicht das Ende, sondern das, was davor kam. Anya schluckte. Bilder schossen in ihr hoch, Erinnerungen an die Illusionen von Zed. Was würden ihre Freunde tun, fühlen, über sie sagen, wenn sie weg war? Dass sie nicht genug Zeit mit ihnen verbracht hatte, ihnen zu oft auf die Nerven gegangen und einfach zu selbstsüchtig gewesen war? Für sie gab es nur den Kampf gegen das Schicksal, alles andere musste hinten anstehen, alles außer ihr Traum. Aber sie, sie hatte eine Chance, es noch zu drehen. Othello nicht. Wenn sie Claire heute nicht stellen würde, dann an einem anderen Tag. Sie hatte Matt und Zanthe. Die dämliche Kuh würde erst bemerken, dass sie entführt wurde, wenn sie schon längst auf dem Verhörstuhl saß! Sie konnte Othellos Weg verkürzen, auch wenn ihrer dadurch länger wurde. Aber in einer Welt, die nicht fair war, konnte -sie- dem Schicksal trotzdem. Dem eines anderen. In diesem Moment konnte nur sie das tun, niemand sonst.   Anyas Hand bewegte sich von der Brust zu ihrem D-Pad. Wenn sie jetzt aufgab, musste sie sich noch mehr ins Zeug legen. Aber sie konnte das Blatt wenden, sie musste! Allein schon, um nicht vergessen zu werden, um dafür zu sorgen, dass die Bilder aus Zeds Illusion nicht irgendwann zur Realität wurden. „Nicht!“, mahnte Othello sie, als die Hand schon fast auf dem Deck lag. „Das möchte ich nicht!“ „Wieso?“, fragte Anya verwirrt. „Wenn ich jetzt aufgebe-“ „Du gibst aber nicht auf. Ich will keinen geschenkten Sieg!“ Trotz stand in seinen Augen. „Wer hätte ahnen können, dass ausgerechnet jemand wie du Mitleid empfindest? War wohl eine dumme Idee, dir davon zu erzählen. Gerade wo ich dachte, dass du mich verstehen würdest …“ Tatsächlich verstand Anya die Welt nicht mehr. Er war seinem Ziel zum Greifen nahe. Wieso wollte er nicht dort ankommen? Eine zweite Chance würde er womöglich nie bekommen! „Bist du vollkommen bescheuert, du dämliche Kackbratze!?“, fuhr sie ihn daher in einem spontanen Wutausbruch an. „Ich gebe dir das, was du haben willst und du sagst 'nein'!?“ Der Jugendliche im Rollstuhl funkelte Anya böse an. „Ein geschenkter Sieg ist das Letzte, was ich mir wünsche. Würdest du das denn wollen?“ Anya stampfte mit dem Fuß auf. „Und wie! Wenn ich bald sterben würde und keine zweite Chance hätte, keine Möglichkeit, das zu verhindern, dann fuck ja!“ Im Grunde genommen war ihr dies schon widerfahren. Sie hatte sich nie offiziell dafür eingesetzt, dass das Halbfinalduell zwischen ihr und Valerie wiederholt wurde. Davon geredet, ja, aber wenn Anya ehrlich zu sich selbst war, kam dieser unverdiente Sieg ganz gelegen. Er hatte ihren Stolz verletzt, aber nicht den Drang zu überleben unterdrückt. Bei der Erkenntnis biss Anya sich verbittert auf die Lippe. „Mein Ziel ist es, der stärkste Duellant zu werden. Dazu muss ich dich besiegen. -Ich- muss dich besiegen, nicht du selbst“, erklärte ihr Gegner streng. Und Anya nickte mit Tränen in den Augen. „Okay … aber denk nicht, dass du das schaffst.“   „Danke, Anya. Ich bin am Zug. Draw“, flüsterte Othello schon beinahe. Er betrachtete seine neue Karte und legte sie dann vor sich auf den Plan. „Diese hier setze ich verdeckt. Und nun schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum! Vom meinem Extradeck: [Odd-Eyes Pendulum Dragon]! Pendulum Summon!“ Aus dem Spielfeld umfassenden Pendelportal, um welches ein bunter Schleier lag, schlug ein einzelner roter Lichtstrahl vor Othello auf der Duellplattform ein. Welcher zum roten Drachen wurde, der Anya zur Abwechslung seine Rückansicht zeigte, einen stacheligen, roten Schweif.   Odd-Eyes Pendulum Dragon [ATK/2500 DEF/2000 (7) PSC: <4/4>]   Inzwischen hatte auch die verdeckte Karte vor Othellos Rollstuhl Gestalt angenommen. „Du bist wieder dran.“ Mr. C wunderte sich: „Geht Othello nach diesem tiefgründigen Gespräch nun in die Defensive!?“   Inzwischen hatte Anya wieder zu ihrer alten, kratzbürstigen Form zurückgefunden und rief energisch: „Mehr hast du nicht zu bieten und das bei all dem Gequatsche von eben? Wie langweilig, ich dachte schon, mich erwartet sonstwas! Draw!“ Nachdem sie die Karte aufgezogen hatte und als Falle identifizierte, streckte sie den Zeigefinger zielsicher aus. „Zirconia, gehe deiner neuen Lieblingsbeschäftigung nach: Drachen einstampfen! Zirconia Smasher!“ Es war die dritte Runde, in der der massive Ritter mit wehendem Umhang auf seinen Gegner zustürmte und mit seiner Faust in den Boden rammte. Schreiend löste sich 'Odd-Eyes' ein weiteres Mal auf und wurde vom Pendelportal absorbiert. „Anya Bauer kämpft mit aller Kraft, aber es scheint, als käme sie seither keinen Schritt weiter!“, wusste Mr. C dazu zu berichten. Wodurch er ungewollt den Mittelfinger erntete, den Anya zum Turm hochstreckte. „Schnauze da oben, das hier ist gleich sowas von vorbei!“ Sie wandte sich an Othello. „Sorry für eben. Keine Ahnung, warum ich solchen geistigen Dünnschiss gelabert habe.“   Wir verzeihen dir, liegt es doch in deiner Natur.   Sofort pochte auf Levriers Spitze hin eine Ader auf Anyas Stirn, welche sich jedoch beherrschte. Was war nur in sie gefahren, aufgeben zu wollen!? Wer wusste schon, ob es für sie noch eine Chance gab, an Claire heranzukommen, wenn sie jetzt versagte? Sie hatte noch Hoffnung, wollte aber nur einen kurzen Augenblick darauf für jemanden verzichten, der keine besaß. Warum …? Sie seufzte schwer und schüttelte den Kopf. „Was für ein Scheiß. Egal! Ich aktiviere meine Falle [Fragment Fusion]! Sie verbannt Fusionsmaterialien eines Gem-Knights von meinem Friedhof, um ihn für einen Zug zu beschwören!“ Anya nahm die Karten von [Gem-Knight Emerald], [Gem-Knight Sapphire] und [Gem-Knight Pearl] aus ihrem Friedhof und hielt sie in die Luft. Oh, ich bin auch Teil der Gleichung? Wie aufregend!   Othellos Hände umfassten die Lehnen seines Rollstuhls fester, als er mit ansah, wie verschiedenfarbige Edelsteine rund um Anya auftauchten. Zwischen ihnen zogen sich weiße Energielinien, die ein netzartiges Gewebe bildeten, in welchem sich ein schwarzer Sog öffnete. Anyas Karten landeten in der Hosentasche, ehe sie ausrief: „Drei Lichter kreuzen den Weg des Lichts! Körper, Seele und Herz verschmelzen und werden zu der Macht, die in ihrer Reinheit einem Diamanten gleicht!“ Ein riesiges Breitschwert flog aus dem Loch, landete im Stahlboden der Plattform. Weißer, feiner Staub folgte ihm, wirbelte um die Klinge. „Werdet eins! Fusion Summon!“, rief Anya und weitete die Augen. „Werdet zu [Gem-Knight Master Diamond]!“ Dieses Mal erschien die violette Flamme gar nicht erst an ihrer Hand und Anya konnte nur vermuten, dass es daran lag, weil sie für Othello nichts als Mitleid empfand. Mitleid … Der Diamantenstaub indes bildete die Gestalt des mächtigsten Gem-Knights. In silberner Rüstung, zog der Zwei-Meter-Hüne das mit diversen Edelsteinen besetzte Schwert unter wehendem Umhang mit nur einer Hand aus dem Boden.   Gem-Knight Master Diamond [ATK/2900 DEF/2500 (9)]   Der Kommentator zeigte sich geschockt. „Eine Fusion aus dem Nichts!“ „Für jeden verbliebenen, gefallenen Gem-Knight erhält Master Diamond 100 Angriffspunkte.“ Über Anya tauchten die Abbilder der Karten von [Gem-Knight Crystal], [Gem-Knight Amber] und [Gem-Knight Prismaura] auf. Ihr Anführer begann in weißer Aura aufzuleuchten.   Gem-Knight Master Diamond [ATK/2900 → 3200 DEF/2500 (9)]   „Du wolltest verlieren. Also, verliere!“ Anya schwang den Arm aus. „Los, Master Diamond! Beende es mit einem direkten Angriff! Shining Wave Breaker!“ Sorgfältig umschloss ihr Ritter sein Schwert mit beiden Händen und schwang es in einem Halbkreis vor sich aus. Das Publikum verstummte, als eine glänzende Schockwelle über den Boden rauschte. Anya schloss die Augen. Das musste das Ende sein! Sie konnte Othellos Pendelmonster nicht besiegen, aber sie konnte -ihn- besiegen. Sie musste! Erbarmungslos zischte der tosende Diamantenstaub näher. „Wird Othello Nikoloudis diesen Angriff abwehren können?“, rief Mr. C dazwischen. „Falle!“, lieferte der im letzten Moment die Antwort und ließ dabei seine Hand über den Spielplan vor ihm fahren, wobei er die gesetzte Karte umdrehte. „Ich wusste, es würde so kommen. [Punch-In-The-Box]!“ Die Karte klappte fuhr vor ihm auf. Gleich darauf schoss eine violette Kiste mit Smileys darauf aus der Karte, wie sie auch auf dem Artwork abgebildet war. Der kranke Junge erklärte: „Wenn mein Gegner einen direkten Angriff deklariert und dabei mindestens zwei Monster kontrolliert, wird eines der nicht angreifenden Monster auf den Friedhof geschickt und schwächt dabei den Angriff des Angreifers um seinen eigenen Wert.“ Erschrocken riss Anya die Augen auf. Sie sah nur noch, wie aus der Box zwei riesige, rote Fäuste an Federzügen befestigt auf ihre beiden Ritter zu schnellten. Beide durchdrangen dabei die Schockwelle und lösten sie nahezu auf. Die erste Faust traf Zirconia, welcher daraufhin in tausend Teile zersprang. Die andere Master Diamond, welcher geschwächt in die Knie sank.   Gem-Knight Master Diamond [ATK/3200 → 300 → 400 DEF/2500 (9)]   Nur ein paar Querschläger seines Angriffs waren verblieben, die an Othello vorbei zischten.   [Anya: 1000LP / Othello: 2650LP → 2250LP]   Anya knirschte mit den Zähnen. „Hartnäckiger Mistkerl!“ „Heh“, grinste Othello herausfordernd. „Tch! Main Phase 2! Ich verbanne Zirconia von meinem Friedhof, um [Gem-Knight Fusion] zurückzubekommen! Außerdem“, murmelte Anya im Anschluss und schob neben Matts einstigem Bestechungsgeschenk auch Prismauras Karte in ihre Hosentasche, „benutze ich Master Diamonds anderen Effekt! Ich kann ein Gem-Knight-Fusionsmonster verbannen, damit er bis zur End Phase dessen Effekt erhält!“   Gem-Knight Master Diamond [ATK/400 → 200 DEF/2500 (9)]   Der Ritter mit Schwertlanze und Schild tauchte kurz als Trugbild neben seinem niederknienden Kameraden auf, ehe er in diesem verschwand. „An Prismauras Effekt erinnerst du dich bestimmt noch! Ich kann eine Gem-Knight-Karte abwerfen“, was Anya auch gleich mit ihrem Zauber tat, „um eine deiner Karten zu zerstören!“ Sie hob den Finger und zeigte auf den [Cardgazer Magician] in der blauen Lichtsäule, welcher Karten vor sich rotieren ließ. „Ein erneuter Versuch Anya Bauers, Othellos Pendelbeschwörungen anzugreifen!“ Master Diamond streckte sein massives Breitschwert aus und feuerte einen Blitzstrahl ab.   „Das ist gut!“, meinte Matt derweil bei den Zuschauerrängen. „Beide haben nahezu all ihre Ressourcen verbraucht. Es wird jetzt immer schwerer für Othello, den Pendelbereich aufrecht zu erhalten.“ Kakyo neben Valerie drehte sich zu ihm um. „Die Idee ist gut, es gibt nur einen Haken …“   Welchen Othello sogleich verkündete. „Tut mir leid, Anya, aber das kannst du nicht! [Sky Arcs] Effekt verhindert, dass du Karten in den Pendelzonen als Ziel für Effekte auswählst!“ „Das gibt’s doch nicht!“ Anya biss sich auf die Lippe. „Dann bleibt mir nur der kack Spielfeldzauber selbst!“ Mitten auf seinem Weg zum Magier in Rot wechselte der Strahl seine Richtung, schoss quer nach oben und schlug in das riesige Pendelportal ein. Jenes schloss sich, die bunten Schleier um es herum verschwanden umgehend. Und Anya zuckte mit den Schultern. „Was auch immer. Ich setze eine Karte. Zug beendet! Damit wird Master Diamond jetzt durch [Fragment Fusions] negativem Effekt zerstört.“ Als der Ritter in tausend Teile zersprang, verzog Anya eine grimmige Miene. Zu gerne hätte sie gesehen, dass er das Spiel für sie entscheidet. Allein um Redfield für immer das Maul zu stopfen, was deren Anschuldigung anging! Die Falle materialisierte sich zu ihren Füßen. Sie war jetzt alles, was Othello noch daran hinderte, sein Vorhaben Wirklichkeit werden zu lassen. Hoffentlich würde er einen Fehler machen!   Jener, ergriffen von ähnlichem Ehrgeiz wie Anya, zog unüblich für seine sonstige Art schwungvoll auf. „Draw! Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum!“ Sofort streckte er den Arm in die Höhe. Zwischen seinem weißen und seinem blauen Magier öffnete sich das Pendelportal, um welche sich unzählige Lichtellipsen bildeten. „Kehre zu mir zurück, [Odd-Eyes Pendulum Dragon]!“ In Form des typischen roten Blitzes schlug der gleichfarbige Drache vor Othello ein, nur um sich stolz brüllend aufzubäumen und dabei wild mit dem dornigen Schweif um sich zu schlagen.   Odd-Eyes Pendulum Dragon [ATK/2500 DEF/2000 (7) PSC: <4/4>]   Der strohblonde Jugendliche streckte den Arm nach Anya aus. „'Odd-Eyes', direkter Angriff auf ihre Lebenspunkte! Bitte, hol' mir den Sieg! Spiral Strike Burst!“ Gehorsam öffnete der Drache sein Maul und lud darin rote Energie auf. Mr. C flötete: „Wird dieser Angriff durchgehen oder müssen wir weiterhin mit unseren Favoriten bangen!? Alles ist noch drin!“ Gleichzeitig feuerte Odd-Eyes seinen roten Lichtstrahl ab, um den schwarze Entladungen schlugen. Anya sah ihm kämpferisch entgegen und betätigte den Auslöser ihrer linken Falle. „Sei wiedergeboren, [Gem-Knight Crystal]! Die Falle [Birthright] reanimiert ein normales Monster von meinem Friedhof, solange es mit ihr verbunden ist!“ Ein dunkler Anker schoss weit über Anya aus dem Nichts in den Stahlboden und verschwand in einem Dimensionsriss. Es dauerte nur einen Moment, da zog er den weißen Ritter mit den Kristallschulterplatten am Kragen so weit hervor, dass dieser in der Luft hing und hinuntergelassen werden konnte.   Gem-Knight Crystal [ATK/2450 DEF/1950 (7)]   Der rote Lichtstrahl peilte Crystal geradewegs an. Und Anyas Finger lag bereits auf dem Auslöser ihrer zweiten Falle. „Stopp!“, befahl Othello alarmiert. „Die Replay-Regel greift, da sich deine Monsterzahl verändert hat! Angriff abbrechen!“ Kurz bevor Crystal getroffen wurde, verpuffte der Lichtstrahl. Anya knirschte förmlich mit den Zähnen. „Was ist da passiert? Othello bricht den Angriff ab, obwohl Anyas Monster schwächer ist!“ Mr. C verstand die Welt nicht mehr, wie es schien. Die Blonde hingegen schon. Grimmig verschränkte sie die Arme. „Du wusstest es, huh?“ Othello nickte. „Ich war vorgewarnt.“   [Odd-Eyes Pendulum Dragon] schrie stolz auf, ehe er einen roten Lichtstrahl ausstieß, umgeben von schwarzen Entladungen. Sein Ziel war [Gem-Knight Crystal]. Dessen Besitzerin schnaubte wütend, ehe sie per Knopfdruck ihre verdeckte Fallenkarte aufspringen ließ. „Falle, [Justi-Break]! Sie-“ „[Timegazer Magician], Inverse Gears!“ Bevor überhaupt etwas geschah, klappte Anyas Karte nach Othellos Ausruf auf halbem Wege nach oben wieder zu. Gleichzeitig tauchte der in Schwarz gekleidete Magier über Odd-Eyes auf. Die goldene Klinge an seinem Arm fuhr aus und bildete um ihn einen Kreis, das Ticken einer Uhr war im Hintergrund zu vernehmen. „[Timegazer Magician] beschützt Pendelmonster vor Fallenkarten während sie angreifen“, erklärte Othello dazu. „Er dreht die Zeit zurück und verhindert die Aktivierung. Deshalb geht der Angriff auch durch!“   „[Justi-Break] liegt seither verdeckt auf deiner Spielfeldseite“, erklärte Othello mit dem Anflug eines überlegenen Grinsens, „Ohne [Timegazer Magician] kann ich die Aktivierung nicht verhindern. 'Odd-Eyes' jetzt zu verlieren kann ich mir nicht leisten, verstehst du?“   Die Idee war gut, Anya Bauer! Da Othello Nikoloudis schon eine Pendelbeschwörung durchgeführt hatte und du durch [Justi-Breaks] Effekt alle Nicht-normalen-Monster vernichtet hättest, wäre er danach schutzlos gewesen, ohne Chance, seinen Drachen noch einmal im selben Zug zu rufen.   Anya ballte eine Faust hinter ihrem Arm. Alles, was sie danach noch hätte tun müssen, wäre mit Crystal anzugreifen. Sie war so nah dran! „Ich werde kämpfen, selbst wenn ich auf dem Zahnfleisch krieche!“, machte Othello Anya unmissverständlich klar. Doch die grinste. „Eins kannst du wissen: Ich auch! Und bei mir hat das bisher immer sehr gut funktioniert.“ „Ich erwarte nichts anderes“, strahlte ihr Gegner genauso ehrgeizig wie sie. Und doch fühlte Anya sich unwohl, denn auch wenn dieses Duell diesen gewissen Nervenkitzel aufleben ließ, nach dem sie sich sehnte: Es konnte nur einer von ihnen gewinnen. Einer von ihnen würde leer ausgehen, vor den Scherben seiner Träume stehen …   ~-~-~   Etwa eine Stunde vor Anyas Duell mit Othello …   Das Klacken von Alexandras Stiefeln hallte durch das Foyer, wie sie in Begleitung von Nick den Hauptsitz von Micron Electronics verließ. Letzterer erwiderte gar nicht den Gruß von der Dame an der Rezeption. Sein Augenmerk lag bereits vollständig auf den brünetten CEO der Firma, der gerade das Gebäude betrat und seinen Regenschirm zusammenzog. Draußen schüttete es wie aus Gießkannen. „Oh, willst du dich mal wieder vor der Arbeit drücken?“, fragte Aiden seinen wie üblich zerzaust aussehenden Angestellten im quietschgelben Hemd belustigt. „Ich habe sie schon bezahlt, also muss ich das jetzt durchziehen“, scherzte Nick träge zurück, ganz zum Ärgernis der blonden Alex, welche gekünsteltes Gelächter von sich gab und sich an seinen Arm schmiegte. Mit den leisen Worten: „Arschloch!“ „Dein Outfit -ist- nuttig“, flüsterte Nick zurück, anspielend auf ihren Trenchcoat und die hohen, schwarzen Stiefel.   Aiden betrachtete sie neugierig. „Darf man denn fragen, wer deine hübsche Begleitung ist?“ „Sascha Irving, eine alte Freundin von Nick“, log die Schatzjägerin und reichte ihm die Hand. „Sehr erfreut, Aiden Reid“, stellte sich jener charmant vor. „Ich bin nicht erfreut. Du vertrödelst gerade meine Zeit. Und wenn du willst, dass ich heute noch zu irgendetwas komme, dann husch, aus dem Weg“, machte Nick ihm angespannt und mit einer passenden Handbewegung klar, wie sehr ihm der Sinn nach etwas Smalltalk stand. Nicht, dass er je etwas davon gehalten hatte, seit er für seinen Ex-Freund arbeitete. Alexandra lächelte schelmisch, als Aiden demonstrativ zur Seite trat und die beiden ihren Weg fortsetzten. „So war er schon immer.“ „Ja“, erwiderte der CEO von Micron Electronics und reichte ihr seinen Regenschirm. „Kein Benehmen, der Gute. Nehmen Sie den.“ Dankend nahm die Blonde ihn an und schenkte Aiden ein verführerisches Lächeln, ehe sie den Schirm aufspannte und zusammen mit Nick die Firma verließ.   Von diesem Lächeln war etwa eine Stunde später nichts mehr zu sehen, als sie und Nick sich auf dem Livingtoner Friedhof mit ihrem Kontakt trafen. Inzwischen war der Hochgewachsene Gentleman genug, den Regenschirm selbst über sie beide zu halten. Tony Malroy hingegen musste mit seinem blauen Regencape Vorlieb nehmen, dessen Kapuze er so tief ins Gesicht gezogen hatte, dass man dieses Abseits eines dunklen Spitzbarts kaum erkannte. „Was soll das heißen, du hast ihn nicht erreichen können?“, fragte Alexandra verständnislos.   Nick indes sah sich abwesend um. Wie viele amerikanische Friedhöfe, war auch dieser einheitlich gehalten. In dutzenden Reihen standen weiße Steinkreuze auf grünem Rasen voreinander. Ab und zu lockerte ein Baum die ebene Landschaft auf, weiter Richtung Wald befand sich das Mausoleum des Stadtgründers Irvine Hammond. Es war eine kleine, weiße Baute mit zwei Steinsäulen am Eingang und kunstvollen Fenstern zu den Seiten. Und irgendwo hier hatte Aiden vor fünf Jahren die Knochen des echten Nicks in einer Nacht- und Nebelaktion vergraben. Wir werden uns vermutlich nie wieder sehen, wenn du das wirklich tun willst.   Das waren die letzten Worte seiner leiblichen Mutter Irene Stevens, gesprochen an seinem Bett im Krankenhaus, kurz nachdem er wegen des Feuers im alten Haus der Harpers dort eingeliefert worden war. Was sie ihm in nüchterner Art und Weise gesagt hatte, erwies sich letztlich als wahr. Denn seit seinen unzähligen Anpassungs-OPs war der Kontakt abgebrochen. Nicht, weil sie ihn verachtete, sondern weil sie es verstand. Er war jetzt Nick Harper, nicht mehr Eli Bauer. Und als solcher durfte er sich nicht mit ihr sehen lassen. Wie es ihr wohl ging? Nicht, dass es ihn wirklich interessierte …   „Hörst du überhaupt zu?“, fuhr Alexandra ihn in diesem Moment genervt an, sodass Nick aus seinen Gedanken schreckte. Sich ihr und Tony zuwendend, erwiderte er unterkühlt: „Heißt das, wir sind umsonst hierher gekommen?“ „Ganz offensichtlich.“ Alexandra verschränkte die Arme und betrachtete ihren Kontaktmann. Tony gestikulierte wild mit den Händen. „Ich verstehe das nicht, sonst hat Drazen immer auf meine Anrufe reagiert.“ Nick wurde hellhörig. Drazen!? Der Drazen, den Anya unfreiwillig ins Grab gebracht hatte? „Warum hast du uns nicht Bescheid gesagt?“ „Du weißt, wie Drazen ist“, verteidigte sich Tony gegenüber seiner Bekannten, „er kommt und geht wie er will. Ich dachte, er würde vielleicht schon hier auf uns warten!“ Die Blonde schnalzte augenrollend mit der Zunge und sah Nick aus den Augenwinkeln düster an. „Wenn uns jemand bezüglich der Artefakte weiterhelfen kann, dann Drazen. Er war es, durch den ich von ihnen erfahren habe.“   Nick fasste sich ans Kinn. Wieso sollte ein Hüter einer völlig Fremden von so etwas erzählen? Ihn beschlich der leise Verdacht, dass Alex diese Infos höchstens unter vollem Körpereinsatz und mit viel Alkohol erhalten haben konnte. Ironisch, dachte er sich, denn sie hatte nicht geahnt, dass eine der von Anya gestohlenen Karten einst in Drazens Besitz gewesen war.   Nick tat es seiner Begleiterin gleich und verschränkte die Arme. „Drazen wird nicht kommen, denn er ist bereits seit gut einem Monat tot.“ „Was!?“, fiel die Blonde aus allen Wolken. „Tot?“, wiederholte Tony ungläubig. „Das alte Unkraut? Wie-“ „Unwichtig“, schmetterte Nick seine Frage ab, „gibt es noch jemand anderes, der über die Artefakte Bescheid weiß? Und damit meine ich weder den Collector, noch Xiphos oder einen anderen Dämon dieser Größenordnung.“ Der Kerl im blauen Regencape zuckte regelrecht bei der Nennung dieser Namen zusammen, sprach Nick aber nicht darauf an. Er zuckte nur ahnungslos mit den Schultern. Alexandra fasste sich kopfschüttelnd an die Stirn. „Nicht soweit ich weiß. Der alte Drazen war der Einzige, aus dem man solche Infos herauskitzeln konnte.“ Also schien sich seine Vermutung zu bestätigen, dachte Nick grimmig. Da fuhr die Schatzjägerin ihn schon an: „Woher weißt du, dass er tot ist? Hast du etwas damit zu tun?“   „Joel“, warf Tony plötzlich einen Namen ein. „Joel könnte etwas darüber wissen.“ „Wer ist Joel?“, wollte Nick an Alexandra gewandt wissen, doch die schüttelte den Kopf. „Kein Mensch.“ Tony drehte sich von den beiden weg. „Ein alter Dämon, der einst vom Collector versiegelt wurde. Er ist ungefährlich. Ich kann euch sagen, wo ihr ihn findet.“ Alexandra sah Nick skeptisch an. „Ob das so eine gute Idee ist?“ „Wieso hat der Sammler ihn versiegelt?“, fragte der. Tony zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht.“ „Und wo ist er versteckt?“ Nick hörte die Einwürfe Alexandras gar nicht mehr. Die Sache mit Xiphos war riskant gewesen, aber wenn dieser Dämon versiegelt war, gab es keinen Grund zur Sorge. Sicherlich würde dieser Joel seine Infos nicht ohne Gegenleistung mit ihm teilen, aber wie hieß es so schön? Eine Hand wusch die andere. Der großgewachsene junge Mann fuhr sich mit den Fingern über die Stelle neben dem rechten Auge, wo sich für alle verborgen die Krähentattoos befanden. Bevor er jedoch etwas Gefährliches unternahm, sollte er die beiden vorschicken …   ~-~-~   Als sich die automatische Tür des dunklen Raums öffnete und Licht hineinströmte, wirbelte Zed, die bei Ricthers leerem 'Thron' stand, sofort um. „Stoltz!“ Tatsächlich stand der riesige, dürre Undying dort und schlenderte dann auf sie zu. Die Schwarzhaarige in der weißen Robe musterte ihren Kameraden, oder vielmehr, taxierte sie ihn. Denn Stoltz war nicht in einem Stück zurückgekehrt. „Du hast ihn gefunden“, stellte sie ernüchtert fest. Der bandagierte Undying streckte demonstrativ die Reste seines fehlenden Arms nach vorne. Dort, knapp unterhalb des Gelenks, war nichts mehr. Bläulicher Schimmer ging von dem Stumpf aus. „Fürwahr, der Undying konnte den 'Körper' aufspüren. Doch wie die Undying sehen kann, ist er mir entkommen.“ Stoltz kicherte bitterböse. „Selbst in diesem Zustand ist er uns gewachsen.“   Zed wirbelte zischend herum. Wenn selbst Stoltz dieses Stück Fleisch nicht in den Griff bekam, dann war die Sache noch viel schlimmer als erwartet! „Geh dich regenerieren, Stoltz“, sagte sie vor sich hin. „Wie die Undying wünscht“, erwiderte dieser im Türrahmen, verneigte sich und verschwand dann wieder durch die Tür aus der er gekommen war, ließ Zed in nahezu vollkommener Dunkelheit zurück. Nur die Lichter der Bildschirme an den Wänden des kreisrunden Raumes gaben etwas Licht von sich. Zed war froh, dass Stoltz keine weiteren Fragen gestellt hatte. Und dass er für eine Weile außer Gefecht gesetzt war, denn Wunden dieser Art waren selbst für Undying nicht so leicht wegzustecken. Ähnlich schlimm war schon Ricther zugerichtet worden, nachdem er unverhofft auf den 'Körper' getroffen war. Es war Anya Bauers Schuld, sie hatte das Duell initiiert, ahnungslos, wie gefährlich dieses … Ding überhaupt war. Zed ballte eine Faust. Wie war es dem 'Körper' vor einigen Wochen gelungen, von hier zu entkommen? Er sollte keinen eigenen Willen haben, er war eine Hülle, mehr nicht! Nachdenklich schritt Zed an Ricthers Thron vorbei, welcher mit diversen Schläuchen von der Decke verbunden war. An seiner Rückseite befand sich eine längliche Einkerbung, gesichert mit massivem Glas. In ihr befand sich ein gewöhnlich aussehendes Katana. Es war dem 'Körper' nicht gelungen, es mit sich zu nehmen, bevor die Undying sein Erwachen bemerkt hatten. Dennoch war es ihm in so kurzer Zeit gelungen, eine annähernd mächtige Kopie zu erschaffen, die selbst Stoltz in seine Schranken verwies. Was auch immer mit dem 'Körper' vor sich ging, sie mussten ihn finden und hierher zurückbringen, bevor jemand davon Notiz nahm. Zed dachte auch über Stoltz' Hinweis nach, als sie darüber diskutiert hatten, wer hinter Anya Bauer die Fäden zog. Dass die 'Seele' womöglich im Verborgenen agierte, während sie die anderen glauben ließ, der Sammler, die Weiße Hexe oder einer der anderen beiden würde Krieg gegen die ewige Ordnung führen. Aber Zed hatte sie sich angesehen. Nichts deutete darauf hin, dass die 'Seele' erwacht war. Und wieso sollte sie auch, entsprach es doch ihrem Wunsch, für immer zu ruhen? Die Undying strich mit ihrer Hand über das Glas, welches das Schwert abschirmte. Sie mussten den 'Körper' finden, unbedingt! Er durfte auf keinen Fall in die falschen Hände geraten! Den 'Körper', oder der 'maskierte Dämon', als den er sich ausgab. Ein seelenloses Stück Fleisch mit einem eigenen Willen … wie war das möglich?     Turn 76 – The Difference Mit aller Kraft treffen Anyas und Othellos Entschlossenheit aufeinander. Beide ziehen noch einmal alle Register, bis Othello einen ungewöhnlichen Gedanken ausspricht … Kapitel 81: Turn 76 - The Difference ------------------------------------ Turn 76 – The Difference     Ein roter Lichtstrahl schoss auf den weißen Ritter mit den Kristallschulterplatten zu. Doch bevor dieser in [Gem-Knight Crystal] einschlagen konnte, rief Othello: „Stopp! Die Replay-Regel greift, da sich deine Monsterzahl verändert hat! Angriff abbrechen!“ Augenblicklich verpuffte die Attacke aus [Odd-Eyes Pendulum Dragons] Maul, sodass Anya mit den Zähnen knirschte. Ihr Plan, ihre letzte, verdeckt liegende Falle [Justi-Break] zu aktivieren, die bei einem Angriff auf ein normales Monster alle Nicht-normalen-Monster zerstörte, war rigoros gescheitert.   Gem-Knight Crystal [ATK/2450 DEF/1950 (7)] Odd-Eyes Pendulum Dragon [ATK/2500 DEF/2000 (7) PSC: <4/4>]   [Anya: 1000LP / Othello: 2250LP]   Der rote Drache mit dem silbernen Brustpanzer, aus dem knorrige Auswüchse wie Flügel an Odd-Eyes Rücken emporragten, war das einzige Monster des Jugendlichen. Der strohblonde Bursche lächelte, als Mr. C ausrief: „Was ist da passiert? Othello bricht den Angriff ab, obwohl Anyas Monster schwächer ist!“ Anya, die ebenfalls nur ihren Crystal kontrollierte, verschränkte grimmig die Arme. „Du wusstest es, huh?“ Othello nickte mit dem leichten Anflug eines Grinsens. „Ich war vorgewarnt. [Justi-Break] liegt seither verdeckt auf deiner Spielfeldseite. Ohne [Timegazer Magician] kann ich die Aktivierung nicht verhindern. 'Odd-Eyes' jetzt zu verlieren kann ich mir nicht leisten, verstehst du?“ Nein, dachte Anya, konnte er tatsächlich nicht, weil er wusste, was ihm sonst blühte. Da er nur einmal pro Zug Pendelbeschwörungen durchführen konnte und jene in diesem bereits geschehen war, würde er das Mistvieh nicht gleich wieder aufs Spielfeld kriegen. Trotzdem waren die beiden Pendelmagier ihr ein Dorn im Auge. Zwei Lichtsäulen ragten neben Othello im riesigen Stadion empor, in denen besagte Magier verweilten. Das waren zum einen der weiße [Stargazer Magician] und zum anderen der blaue [Cardgazer Magician], wobei vor Letzterem zwölf Karten in einem Kreis rotierten.   <1> Othellos Pendelbereich <8>   Die Idee war gut, Anya Bauer! Da Othello Nikoloudis schon eine Pendelbeschwörung durchgeführt hatte und du durch [Justi-Breaks] Effekt alle Nicht-normalen-Monster vernichtet hättest, wäre er danach schutzlos gewesen, ohne Chance, seinen Drachen noch einmal im selben Zug zu rufen.   Anya ballte eine Faust hinter ihrem Arm. Alles, was sie danach noch hätte tun müssen, wäre mit Crystal anzugreifen. Sie war so nah dran! „Ich werde kämpfen, selbst wenn ich auf dem Zahnfleisch krieche!“, ließ Othello Anya unmissverständlich wissen. Doch die grinste. „Eins kannst du wissen: Ich auch! Und bei mir hat das bisher immer sehr gut funktioniert.“ „Ich erwarte nichts anderes“, strahlte ihr Gegner genauso ehrgeizig wie sie und nahm seine letzte Handkarte, die er vor sich auf den Spielplan legte. „Diese setze ich verdeckt. Du bist am Zug!“ Zischend materialisierte sich die Karte vor seinem Rollstuhl. Damit kontrollierten beide jetzt eine gesetzte Karte, hatten keine Handkarten mehr übrig und besaßen je ein Monster. „Mir scheint, dieser Krimi ist noch nicht so bald vorbei!“, rief der Kommentator wieder von seinem kleinen Turm aus, der sich zu Anyas Rechten befand.   Die griff nach ihrem Deck und sah herüber nach links, zur ersten Reihe der Zuschauerplätze. Dort saßen sie nebeneinander, Logan, der Flohpelz, Redfield, Kakyo – Was hatte ausgerechnet der dort zu suchen? – und hinter der Schwarzhaarigen Summers, der sein Plakat hochhielt. Anya kam nicht umher, ihren Daumen nach oben zu strecken. Sie würde auf den letzten Metern nicht schlapp machen, ganz bestimmt nicht!   Indes hatte sich die Stimmung unter ihren Freunden wieder normalisiert. Als Anya tatsächlich erwogen hatte aufzugeben, war greifbares Entsetzen unter ihnen ausgebrochen. Aus den verschiedensten Gründen. „Sie scheint sich wieder gefangen zu haben“, stellte Matt erleichtert fest, „ein Glück.“ „Entweder das oder Levrier kontrolliert sie.“ Zanthe schnalzte mit der Zunge. Nuschelte von Logan abgewandt: „Hoffentlich kontrolliert er sie, denn dann könnte sie das womöglich noch gewinnen.“ Der seinerseits hielt sich wie eh und eher wortkarg und reagierte nicht darauf. Anders als Valerie, die vor sich hinmurmelte: „Tu das bloß nie wieder …“ „Eure Freundin ist seltsam“, lautete Kakyos Kommentar dazu. Nur um von Zanthe korrigiert zu werden. „Nein, sie ist dämlich. Aber das ist je nach Betrachtungswinkel krankhaft. Und unheilbar. Definitiv unheilbar.“ „Musst du einen der wenigen Momente zerstören, in denen Anya mal Größe beweisen wollte?“, zischte Matt dem Werwolf angesäuert zu.   Anya, die gar nicht ahnte, dass schon wieder über sie gelästert wurde, griff nach ihrem Deck. Noch immer wusste sie nicht, was sie da vorhin geritten hatte. Mitleid … nein, niemand wurde davon glücklich. Sie sollte Othello dankbar sein, dass er sie auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt hatte. Dementsprechend ehrgeizig rief sie schließlich: „Draw!“ Und zog mit Schwung ihre nächste Karte. Diese betrachtete sie eine Weile. Sie hatte jederzeit die Option auf [Angel Wing Dragon] zu gehen, aber das hieße, dass [Justi-Break] ohne normales Monster wieder nutzlos wurde. Und Othello würde … Das Mädchen grinste. „Ich passe!“ Sofort erntete sie dafür erstaunte Ausrufe aus dem Publikum. „Hat unser Geheimtipp des Turniers eine schlechte Karte gezogen?“, wunderte sich Mr. C. Und er war ja so ahnungslos, dachte Anya dabei mit grimmiger Vorfreude.   ~-~-~   Im strömenden Regen standen Nick und Alexandra vor einem kleinen Gebäude an der Ecke einer Kreuzung. In neongrünen Lettern stand auf dem Schild über dem Eingang 'Internet Café', darunter dessen Name 'tRUE iDEOLOGY' mit kleinen Anfangsbuchstaben. „Was wollen wir hier?“, fragte die Blonde im braunen Trenchcaot mit einem Hauch Abneigung, als Nick die Holztür öffnete und, drinnen angekommen, den Regenschirm in einem dafür vorgesehenen Korb abstellte. „Uns Anyas Duell ansehen. Es würde zu lange dauern, zurück ins Büro zu fahren“, erwiderte er und lief mit der schönen Schatzjägerin im Schlepptau zum Tresen.   Nachdem sie sich für eine Stunde einen der PCs gemietet hatten, schlenderten sie in die hinterste Ecke des kleinen Cafés. Eine Wendeltreppe führte nach oben, wo man Kaffee trinken und ungestört eines der Bücher lesen konnte, die hier zu dutzenden in Holzregalen zu finden waren. Die beiden hatten Glück, denn an dem runden Tisch ganz hinten, an dem sich vier PCs befanden, getrennt durch blickhohe Wände, befanden sich keine 'Störfaktoren', wie Nick sie bezeichnete. Dieser setzte sich mit dem Rücken zur Wand an das Gerät, während sich Alex einen der Stühle vor den anderen PCs schnappte und an seiner Seite niederließ.   „Denkst du wirklich, sie hat eine Chance?“, fragte die Blonde zweifelnd. Nick, der den Live-Stream gerade öffnete, sah sie aus den Augenwinkeln düster an. „Natürlich.“ „Aber du glaubst nicht daran, dass sie die auch nutzt. Sonst würdest du nicht zusehen wollen.“ Ein überlegenes Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit. „So etwas tust du nicht, wenn du dir deiner Sache sicher bist. Ich habe dich beobachtet.“ Ihr zerzauster Begleiter wandte sich dem Stream zu, der immer noch im Begriff war zu laden. Anders als die Kommentare seiner Zuschauer, die niveauloser teilweise kaum sein konnten. Oft fielen negative Bemerkungen zu Anya, aber auch Othello wurde beschimpft, wobei es zum Glück auch jene User gab, die sich für die beiden einsetzten. „Hab ich ins Schwarze getroffen?“, bohrte Alexandra nach. „Anya ist schwierig. Zerrissen zwischen den Möglichkeiten, die sich ihr durch Levrier bieten und dem Willen, aus eigener Kraft ihre Ziele zu verwirklichen.“ Nick atmete tief durch. „Nicht einmal ich kann sagen, wie sie sich jetzt entscheiden würde, müsste sie wählen.“ Alexandra schlug ein Bein über das andere. „Sie wird sich entscheiden müssen. Und sie wäre dumm, nicht den einfachen Weg zu gehen.“ Inzwischen hatte der Stream geladen und zeigte gerade Anya, wie sie mit unbedarfter, fast schon herausfordernder Mimik passte. Die Kamera wechselte zu Othello, der aufzog.   Nick bemerkte, wie Alexandra ihn nachforschend beobachtete. „Was ist?“ „Ich frage mich, was du als Nächstes vor hast. Willst du wirklich noch einen Dämon aufsuchen? Wenn mich nicht alles täuscht, war deine letzte Begegnung schon sehr riskant.“ Sich nicht vom Stream abwendend, erklärte Nick: „Irgendwo musste ich anfangen. Wenn die eigenen Fähigkeiten nicht ausreichen, um die Kontrolle zu behalten, muss man Risiken eingehen.“ „Was hast du mit diesem Joel vor?“ „Das wird sich noch zeigen. Zuerst gilt es, mehr über die Struktur der Dämonenwelt zu erfahren, insbesondere ihrer Anführer. Joel könnte dabei nützlich werden.“ Nick warf ihr wieder einen Blick aus den Augenwinkeln zu. „Wenn der Sammler ihn versiegelt hat, heißt das, er konnte ihn nicht vernichten.“ Alex schloss die Augen. „Aber das bedeutet auch, dass er potentiell gefährlicher als der Sammler ist.“ „Das hoffe ich doch, andernfalls heißt es umdenken.“ Erstaunt öffnete sie wieder die Lider. „Sag bloß, du willst die großen Fünf gegeneinander ausspielen?“ „Nicht nur ausspielen. Ich will, dass sie sich gegenseitig vernichten. Solche wie der Sammler dürfen nicht existieren.“ Der hochgewachsene, junge Mann kniff die Augen fest zusammen. „Meine Aufgabe ist es, einen Anlass zu erschaffen, warum sie sich bekriegen werden.“ Was die hübsche Blonde zum Lachen brachte, wenngleich es auch düster und besorgt klang. „Dann möchte ich gar nicht wissen, welche Rolle ich in deinem Plan spiele.“ Nick antwortete nicht darauf. Denn er wusste es nicht. Alexandra … Er wusste nicht, was sie war. Was sie für ihn war. Aber er vertraute ihr nicht, weshalb er ihr nur den oberflächlichen Teil seines Plans verraten hatte.   ~-~-~   „Draw!“, verkündete Othello und zog auf. „Ich setze eine Karte verdeckt.“ Neben seiner im letzten Zug ausgespielten Karte tauchte eine weitere auf. Dann streckte er die Hand nach vorne aus. „Ich habe keine Wahl, ich muss deine Falle auslösen um weiterzukommen! 'Odd-Eyes', greif [Gem-Knight Crystal] an! Spiral Strike Burst!“ Kreischend lud der rote Drache seinen Signaturangriff auf und feuere ihn in einem Lichtstrahl ab, um den schwarze Entladungen schlugen. „Ein geschickter Schachzug von Othello Nikoloudis! Zwar muss er seinen Odd-Eyes opfern, aber dank der unbegrenzten Kraft der Pendelbeschwörung kann er ihn während seiner zweiten Main Phase einfach zurückbeschwören!“, legte Mr. C Othellos Absichten offen. Anya schwang den Arm aus und grinste dabei heimtückisch. „Wie du willst! Ich aktiviere den Effekt! Aber nicht von meiner Falle, sondern vom [Gem-Merchant] in meiner Hand!“ Der Grieche weitete seine Augen, als hinter dem weißen Ritter seiner Gegnerin eine kleine Gestalt erschien, aus nichts weiter bestehend als einem spitz zulaufendem Körper, zwei Armen und einem Spitzhut. „[Gem-Merchant] lässt sich abwerfen, um bis zum Ende des Zuges beide Werte eines normalen Erd-Monsters wie Crystal zu boosten!“ Anyas Grinsen wurde immer breiter, als sie die Karte in den Friedhofsschacht schob. „Und das um glatte 1000 Punkte!“ Das Zauberwesen verschwand in Crystal, dessen Kristalle an den Schulterplatten grelles Licht auszustrahlen begannen. Anya befahl mit ausgestrecktem Arm: „Gegenangriff! Clear Punishment!“   Gem-Knight Crystal [ATK/2450 → 3450 DEF/1950 → 2950 (7)]   Sofort schmetterte der Ritter seine Faust in den Boden, aus dem überall spitze Kristalldornen geschossen kamen. Odd-Eyes Angriff traf auf die rasend schnell näher kommenden Gebilde und wurde wie Licht in alle Richtungen gebrochen. Nur eine Sekunde später wurde der flügellose Drache aufgespießt und explodierte. Othello ächzte.   [Anya: 1000LP / Othello: 2250LP → 1300LP]   Aus dem Rauch stieg ein roter Lichtstrahl auf, welcher von dem sich öffnenden Pendelportal absorbiert wurde. „Anya Bauer holt langsam aber sicher auf!“, stellte Mr. C das Offensichtliche fest. „Der geht an dich“, gestand indes ihr Gegner dem Mädchen zu. Streckte aber nur eine Sekunde später die Hand in die Höhe. „Aber du weißt, dass [Odd-Eyes Pendulum Dragon] mich nie verlassen wird! Main Phase 2! Pendulum Summon!“ Das Pendelportal, das immer noch zwischen den beiden Magiern offen stand, schoss den Strahl direkt wieder auf das Spielfeld, wo er die Form des roten Drachen annahm, welcher kämpferisch aufschrie.   Odd-Eyes Pendulum Dragon [ATK/2500 DEF/2000 (7) PSC: <4/4>]   Damit hatte sie sich nicht nur Zeit erkauft, die Othello damit verschwenden musste, ihre Falle loszuwerden. Nein, sie hatte ihm auch noch eine Menge Schaden reingedrückt, dachte Anya zufrieden unter dem Applaus so einiger Zuschauer. Noch ein wenig mehr, nur ein wenig! Othello hustete ein paar Mal, bevor er mit einer Handgeste ausdrückte, dass sein Zug beendet war. Und auch wenn Anya es ungern zugab, fühlte sie sich schlecht, ihn so zu sehen. In so einem Zustand konnte man ein so anstrengendes Duell wohl kaum genießen, schoss es ihr dabei durch den Kopf, als sie sich an seine Worte erinnerte. Sie wusste es, denn auch sie konnte Duelle kaum noch genießen, so viel, wie inzwischen von ihnen abhing …   ~-~-~   Alexandra sah Nick in einer Mischung aus Bewunderung und Ablehnung an. Die fünf mächtigsten Dämonen und diesen Joel gegeneinander aufzuhetzen. Da hatte er sich einiges vorgenommen. Als er sie aus den Augenwinkeln ansah, lächelte sie. „Manchmal kannst du richtig furchteinflößend sein.“ „Findest du?“ „Ich habe noch nie jemanden so etwas Dummes von sich geben hören. Aber bei dir habe ich das ungute Gefühl“, erklärte sie und seufzte dabei, „dass du deine Vorhaben tatsächlich über die Bühne bringst.“ „Warte einfach ab. Du bist nicht Teil des Plans, falls es dich beruhigt.“ Nick richtete sein Augenmerk wieder auf den Bildschirm. Das Mädchen, seine Freundin, hatte ihren Gegner gerade in eine Falle gelockt mit ihrem Monster auf der Hand. „Stimmt, ich bin die Gefangene, deren Beziehungen du für deine Vorstellungen ausnutzt.“ „Du kannst jederzeit gehen. Den Rest schaffe ich auch ohne dich.“ Die Blonde lachte. „Nein, tust du nicht. Wenn Joel sich als unnütz erweist, wirst du meine Hilfe benötigen.“ Zwar sagte er nichts, aber Alexandra wusste, dass sie damit ins Schwarze getroffen hatte. Er mochte noch so ein Stratege und Technik-Genie sein, sein Wissen um die Unterwelt war begrenzt und seine Beziehungen dahingehend praktisch nicht vorhanden. Er brauchte sie. Und sie brauchte ihn. „Wie sieht es eigentlich mit deinem Boss aus?“, fragte sie. Aiden Reid. Sie konnte diesen Mann nicht einschätzen, wusste aber, dass Nick gezwungen war für ihn zu arbeiten, warum auch immer. „Nichts. Alles bestens“, log er dazu ganz offensichtlich.   Aiden konnte warten, dachte sich Nick. Sollte er ruhig denken, er hätte ihn in der Hand. Nachdem Zachariah erfolglos versucht hatte, die Bombe platzen zu lassen, war Aiden beinahe eines seiner Druckmittel durch die Lappen gegangen. Aber Anya hatte diesem Dummkopf zum Glück nicht geglaubt und wenn sie ihm nicht glaubte, dann erst recht nicht Aiden. Schon gar nicht da sie wusste, dass Zach für ihn gearbeitet hatte. Damit gab es nur noch zwei Personen, denen Anya glauben würde, dass es vor langer Zeit noch einen Bauer-Spross gegeben hatte: Ihren Eltern. Und beide wagten es selbst heute nicht, darüber auch nur ein Wort zu verlieren. Mrs. Bauer hauptsächlich vor Scham, Mr. Bauer … nun ja. Trotzdem sollte er den nicht aus den Augen lassen, mahnte sich Nick, immerhin war Aiden imstande mit ihm Kontakt aufzunehmen. Und was Monochrome anging, musste Nick sich gedulden. Aiden hatte das Programm zwischenzeitlich auf einen anderen, ihm unbekannten Server übertragen. Den könnte er sicherlich ausfindig machen, aber der junge, zerzauste Mann hatte auch für Aiden und Monochrome Pläne …   „Hörst du mir überhaupt zu?“, hörte er Alexandra eingeschnappt fragen. Er drehte ihr den Kopf zu. „Tut mir leid, war gerade in Gedanken versunken.“ „Du bist wirklich wie mein Ehemann.“ „Dein Ehemann?“ Alexandra winkte ab, mied auf einmal den Augenkontakt. „Ja, manchmal war er einfach ganz woanders.“ Nick bohrte nach. „Du sprichst in der Vergangenheitsform.“ „Er ist tot, schon seit Jahren. Ein Dämon hat ihn und seine Partner umgebracht.“ „Dein Mann war ein Jäger?“ Alexandra nickte. Nick stellte keine weiteren Fragen mehr. Alles Wichtige war schon gesagt worden.   ~-~-~   Anya sah zur gläsernen Kuppel des Stadions. Inzwischen war das Gewitter verklungen, doch nicht der Regen, der immer noch aus grauen Wolken herab prasselte. Ihre Augen zusammenkneifend, fokussierte sie sich auf Othello und legte die Finger an die oberste Karte ihres Decks. „Mach dich schon mal frisch! Draw!“ Den aufgezogenen Zauber identifizierte sie noch in der Bewegung als [Silent Doom]. Sofort ratterte es in ihr. Damit konnte sie ein normales Monster von ihrem Friedhof in die Verteidigung beschwören, auch wenn es danach nicht mehr aus dieser gewechselt werden konnte. Derzeit gab ohnehin nur [Gem-Knight Amber] als Auswahlmöglichkeit, der als Zwilling ein legitimes Ziel darstellte. Doch was sollte sie mit ihm anfangen?   Jetzt wäre der perfekte Zeitpunkt gekommen, um [Angel Wing Dragon] zu beschwören.   Levriers Rat erreichte Anya durchaus, aber es gab noch eine andere Möglichkeit. Amber besaß einen Effekt, den sie bei einer Dualbeschwörung auslösen konnte. Mit ihm konnte sie eine Gem-Knight-Karte abwerfen, um einen verbannten Gem-Knight zu recyclen. Einen wie Prismaura, der Othellos Pendelkarten zerstören könnte … „Ich aktiviere [Silent Doom]! Damit rufe ich [Gem-Knight Amber] vom Friedhof zurück!“, entschied Anya lautstark, ihre Karte erstmal auszuspielen. Othello nickte verständig. „Gute Idee.“ Ein klaffendes Loch öffnete sich vor dem Mädchen. Aus ihm stieg der Ritter in der goldenen Rüstung, welcher anschließend vor ihr in die Knie ging und einen Blitzdolch aus seiner Handfläche zog.   Gem-Knight Amber [ATK/1600 DEF/1400 (4)]   „Da Amber ein Zwilling ist, kann ich ihn als Dualbeschwörung rufen!“ Anya schwang den Arm aus, wodurch um ihren Krieger herum für einen kurzen Augenblick eine weiße Lichtsäule aus dem Boden aufstieg. „Damit ist meine Normalbeschwörung für diese Runde verbraucht.“ Das Mädchen ächzte. Es hatte sie viel Zeit gekostet zu kapieren, dass eine Dualbeschwörung nichts anderes war als die Normalbeschwörung eines Zwillings, der sich schon auf dem Feld befand. Und dass die die einzigen waren, die davon Gebrauch machten, wodurch sie immerhin ihre eigentlichen Effekte erhielten und damit keine normalen Monster mehr waren. „Ich verbanne [Gem-Knight Master Diamond] von meinem Friedhof, um [Gem-Knight Fusion] von dort auf die Hand zu nehmen.“ Besagtes Monster landete prompt in Anyas Hosentasche aka 'muffiges Loch'. Und kaum hatte Anya den Zauber aufgenommen, hielt sie ihn ihrem Ablagestapel schon zum Fraß hin. Doch sie zögerte noch.   Was sollte sie tun? Prismaura würde im Extradeck landen, andere Gem-Knights durch den Effekt von Amber auf ihrer Hand. Und sie brauchte jetzt so viele Ressourcen wie möglich. Eine Fusion würde zwangsweise Amber UND Crystal verschlingen. Dem gegenüber stand die wesentlich einfachere Beschwörung von [Angel Wing Dragon], welcher sie nur Amber kosten und gleichzeitig ihren Friedhof füllen würde. Anya schloss die Augen. Angel Wing wäre die perfekte Waffe gegen Odd-Eyes' zerstörerische Fähigkeit, doppelten Kampfschaden auszuteilen. Mit ihm konnte sie die Angriffe gleichzeitig umlenken, wenn sie musste. Levrier hatte Recht, sie sollte ihn ausspielen. Aber dann wäre sie wieder abhängig von einer Karte, die sie eigentlich gar nicht besitzen dürfte. Argh!   „Monstereffekt von [Gem-Knight Amber]! Ich werfe eine Gem-Karte ab, um einen verbannten Gem-Knight auf die Hand zu nehmen!“ Entschlossen schob sie den Zauber letztlich in den Friedhofsschacht. „Und ich entscheide mich für [Gem-Knight Alexandrite]!“ Amber rammte seinen Dolch in den stählernen Boden der leicht erhöhten Duellplattform und schnitt einen leichten Riss hinein, aus dem Blitze sprühten. Aus ihm entstieg eine leuchtende Kugel, die zu Anya flog und in der Karte Alexandrites verschwand, welchen sie aus ihrer Hosentasche gefischt hatte und nun vorzeigte. „Und jetzt schicke ich ein Licht-Monster von meinem Deck auf den Friedhof, um es auf Amber einzustimmen!“ Das Mädchen riss den Arm in die Höhe. Selbst wenn sie die Pendelmagier erneut angriff, würde Othello sowieso nur einen neuen Weg finden, seine Pendelbeschwörungen aufrecht zu erhalten. Es war das Beste, ihre Kräfte in Dinge zu stecken, die -sie- kontrollieren konnte! „Ich schicke [Alexandrite Dragon] auf den Friedhof! Der ist Stufe 4, abgestimmt auf Amber, ebenfalls Stufe 4!“ Über ihren Fingern stieg ein goldener Ring auf, bestückt mit vier weißen Federschwingen, die eng an das Gebilde angelegt waren. In ihm befand sich eine wässrige Oberfläche. „From the light of a different world, the herald of starlight descends upon the ravaged land! By discarding a single star, I call upon you!“, begann Anya dabei zu rezitieren. Amber stieg in die Luft auf, zerteilte sich in vier grüne Energiekugeln, die rückwärts durch den Ring glitten und verschwanden. Dann schoss ein greller Lichtblitz aus jenem. Anya schrie förmlich: „Synchro Summon! Shine forth, [Angel Wing Dragon]!“ Und mit einem Ruck schossen von hinten der Schweif und von vorn der Kopf des länglichen, weißen Drachen aus dem Ring, bis sie ein Ganzes ergaben. Majestätisch baute sich das Ungetüm auf, an dessen Kopf sich ein goldenes Kragengestell befand, welches ihm Ähnlichkeit mit einer Kobra verlieh.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   Mr. C staunte nicht schlecht, ebenso wie das Publikum. „Jetzt greift Anya Bauer tief in die Trickkiste! Angeblich handelt es sich bei diesem Drachen um ein seltenes Einzelstück, welches sich passenderweise in seiner ungewöhnlichen Art der Synchrobeschwörung widerspiegelt! Woher sie ihn wohl haben mag!?“ „Ist doch egal“, raunte die Blonde und streckte den Arm aus. Der Typ da oben sollte am besten schon mal damit anfangen, eine Lobeshymne für sie einzustudieren, denn dieses Duell könnte jeden Moment vorbei sein. „Angel Wing, zeig' ihnen, was du drauf hast! Seraphim Judgment auf [Odd-Eyes Pendulum Dragon]!“ Kreischend riss Erstgenannter sein Maul auf und sammelte darin weiße Flammen, die er im Anschluss als stechenden Strahl abfeuerte. Um diesen rotierte eine weitere, goldene Spiralflamme. Othello sah betrübt zur Seite, als sein roter Drache von dem Angriff getroffen wurde und explodierte. Über ihm öffnete sich das Pendelportal und absorbierte wie gewohnt die Reste Odd-Eyes'.   [Anya: 1000LP / Othello: 1300LP → 1100LP]   Anya steckte die Hände in beide Hosentaschen und scharte mit dem Fuß hin und her. Als Othello sie wieder ansah, sagte sie: „Sorry, aber du wolltest es so. Ich greife dich mit [Gem-Knight Crystal] direkt an.“ „Heh“, lächelte er glücklich, was Anya nur verwirrte. So rief sie genervt: „Verdammte Grinsebacke, hör' bloß auf damit! Clear Punishment!“ Ihr weißer Ritter schmetterte seine Faust in den Boden. Sofort bildete sich eine Schneise im Metall, die sich bis zum Rollstuhlfahrer hinzog, wobei immer wieder spitze Kristalldornen daraus in alle Richtungen schossen. „Ich grinse, weil ich froh bin, dass du wirklich alles gibst! Aber es reicht noch nicht! Verdeckte Falle: [Escape From The Dark Dimension]! Sie bindet sich an eines meiner Finsternis-Monster in der Verbannungszone und holt es aufs Feld!“ Othello hielt die Karte bereits in den Händen. Und da war es plötzlich, ein Funkeln voller Entschlossenheit und Stolz. „Darf ich ihn dir offiziell vorstellen? Mein Assmonster aus vergangenen Tagen! [Odd-Eyes Dragon]!“ Anya weitete die Augen, als die rechte seiner verdeckten Karten hochfuhr. Über Othello öffnete sich ein schwarzes Loch, aus dem eine rote Gestalt geschossen kam. Mit einem Satz landete sie vor dem Jugendlichen – [Odd-Eyes Pendulum Dragon]! Nein, nicht ganz. Dieser hier wirkte etwas simpler, seine Brustplatte war nicht so massiv wie die seines Gegenstücks und auch die Auswüchse daran waren kleiner, klingenartiger und es fehlten die farbigen Kugeln daran.   Odd-Eyes Dragon [ATK/2500 DEF/2000 (7)]   In dem Moment erinnerte sich Anya.   „Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum! Stufe 7-[Odd-Eyes Dragon] von meiner Hand, erscheine! Pendulum Summon!“ Zwischen dem weißen und dem schwarzen Pendelmagier begann sich plötzlich ein riesiges Portal zu öffnen, um welches sich aberdutzende Ellipsen aus glänzendem Licht bildeten. Ein roter Lichtstrahl schoss aus jenem Loch heraus und schlug wie ein Blitz vor Othello ein. Anya weitete die Augen. „Da ist er!“ Der rote Drache, sein Assmonster!   Odd-Eyes Dragon [ATK/2500 DEF/2000 (7)]   Anya grinste breit. „Darauf habe ich gewartet! Der ist Geschichte!“ Sie schwang ihren Arm über die linke verdeckte Karte. „Jetzt lernst du meine Anti-Pendel-Karte kennen! [Bottomless Trap Hole]!“ Wie aus dem Nichts verschwand der Boden unter den Füßen des Odd-Eyes. Sogleich begann er unter Anyas geradezu hysterischem Gekicher von finsteren Händen in die Tiefe gezogen zu werden. „Sorry, aber da er über 1500 Angriffspunkte besitzt, wird er sofort zerstört und verbannt! Also kannst du ihn auch nicht aus dem Extradeck beschwören!“   Gleichzeitig waren auch ihre Freunde überrascht davon, den roten Drachen wiederzusehen. „Wieso spielt er eine Karte, die verbannte Monster zurückholt?“, wunderte sich Matt. „Er spielt doch keine Karten, die Monster verbannen.“ Kyon drehte sich zu ihm um. „Gerade deswegen doch. Wäre Anyas Plan zu Beginn des Duells aufgegangen, hätte er [Odd-Eyes Pendulum Dragon] verloren und hätte ihn mit dieser Falle zurück ins Spiel bringen können.“ Neben ihm nickte Valerie. „Sozusagen als Rückversicherung. Gute Idee.“ „Nun, früher hat er diese Karte oft in Verbindung mit seinen anderen benutzt“, erklärte der brünette Bursche weiter, „aber seitdem hat er sein Deck angepasst und neue Einsatzgebiete für seine alten Karten gefunden.“ Anyas Erzrivalin nickte. Von Othello konnte Anya noch viel lernen …   „Tch, wieder nichts mit Sieg. Hätt' ich mir ja denken können! Aber egal, das ist also dein altes Assmonster?“, wunderte sich Anya, die zwischenzeitlich von derselben Regel wie Othello zuvor Gebrauch gemacht hatte, um [Gem-Knight Crystals] Angriff abzubrechen – dem Replay. „Wozu spielst du es noch, du hast doch jetzt [Odd-Eyes Pendulum Dragon]?“ „Würdest du deine alten Karten wegschmeißen, nur weil es jetzt bessere Versionen davon gibt? Mit ihm habe ich viele Duelle gewonnen“, sagte Othello stolz und nickte seinem Drachen zu. „Ich habe jetzt zwei Partner, auf die ich mich verlassen kann.“   Partner, auf die man sich verlassen konnte? Anya sah hinauf zu Angel Wing. Wenn das so war, könnte dies denn nicht auch für sie gelten? Langsam begriff sie, was Valerie ihr wirklich sagen wollte. Es war Quatsch, die Hüterkarten nie wieder benutzen zu wollen. Die Botschaft lautete, dass jene nicht ihre alten Streiter ersetzten, sondern die ganze Gruppe stärker machten. Keine One-Man-Show waren.   „Du bist ein komischer Vogel“, schmunzelte Anya, „aber das wird dich auf Dauer auch nicht retten. Zug beendet!“ Beinahe kam es dem Mädchen so vor, als würde der Knirps ihr helfen wollen. Und vielleicht war ihm das sogar gelungen. Denn … er war einer der wenigen Duellanten, für den sie – und es fiel ihr äußerst schwer das vor sich selber zuzugeben – Respekt empfand.   „Retten werden mich meine Fähigkeiten. Und etwas Glück, hoffe ich“, hielt Othello dagegen und griff nach seinem Deck. „Draw!“ Kaum hielt er seine neue Karte zwischen den Fingern, zeigte er sie nach einem kurzen Seitenblick zufrieden strahlend vor. „Damit lässt sich etwas anfangen. Sieh her, jetzt lernst du ein neues Pendelmonster kennen! Normalbeschwörung!“ Er klatschte die Karte auf den Spielplan über seinem Schoß. „[Archfiend Eccentrick]!“ Nicht nur Anya war beim Anblick des Monsters erstaunt, das vor Othello erschien. Auch das Publikum gab überraschte Laute von sich, als die violetthaarige, in einen Schleier und weißen Umhang gehüllte Dämonin das Spielfeld betrat. Archfiend Eccentrick [ATK/800 DEF/1000 (3) PSC: <7/7>]   „Keine Magierin?“, wunderte Anya sich offenkundig. „'kay, wenn du die spielst, muss sie ordentlich was auf dem Kasten haben.“ „Hat sie! Pass gut auf! Ich benutze [Archfiend Eccentricks] besondere Fähigkeit! Dafür muss ich sie opfern …“ Othello nahm ihre Karte vom Feld und legte sie neben sich auf das Extradeck, wo schon sein [Odd-Eyes Pendulum Dragon] lag. Die fliederfarbene Dämonin hielt sich daraufhin das kurze Mikrofon an den Mund, welches sie mit sich führte. „... um eines deiner Monster augenblicklich zu zerstören!“ „Huh!?“ Sich um die eigene Achse drehend, begann [Archfiend Eccentrick] in die Luft aufzusteigen, dabei ein gar grässliches Lied zum Besten gebend. In alle Richtungen schoss ihr Mikro den Ton gewordenen Terror in Form von Schallwellen in die Welt. Und eine davon traf [Angel Wing Dragon], der sich sofort in sich zusammenzog und implodierte. Kichernd löste sich die Teufelin daraufhin auf und ließ Anya mit weit geöffneten Augen zurück. „In der Tat eine mächtige Karte“, erklärte Mr. C derweil dem Publikum, „besonders, da sie jede Runde durch die Pendelbeschwörung gerufen werden und somit ein Monster beseitigen kann. Damit ist das Duell für Anya Bauer gerade um Einiges schwieriger geworden! Ein Glück für sie, dass dieser Effekt nur einmal pro Zug benutzt werden darf!“ Die aber blieb wie gewohnt stur. „Und wenn schon. Selbst wenn du jetzt all deine geliebten Pendelmonster auspackst, kommst du doch nicht an mich ran!“ Sie sah hinunter zu ihrer Falle, die noch immer unbenutzt zu ihren Füßen lag. „Leider.“ Othello senkte den Blick. „Es tut mir leid, 'Odd-Eyes', aber ich muss dich opfern. Angriff auf [Gem-Knight Crystal]! Spiral Flame!“ Aufgeschreckt sah Anya zu, wie der flügellose Drache einen wirbelnden, knallroten Flammenstrahl in [Gem-Knight Crystals] Richtung ausstieß. Er wollte also immer noch die Aktivierung von [Justi-Break] erzwingen, erkannte die Blonde grimmig. Na schön, eine andere Wahl blieb ihr eh nicht! „Falle aktivieren!“, raunte sie und schwang den Arm darüber aus, sodass die Karte aufklappte. „Du hast ein normales Monster angegriffen, also kann ich [Justi-Break] benutzen, um alle Nicht-Vanillas einzustampfen!“ Immerhin, dachte Anya für sich, wenigstens -einmal- konnte sie ihre Falle damit benutzen! Sonst wurde ihr ja jedes Mal ein Strich durch die Rechnung gemacht! Parallel dazu streckte ihr weißer Ritter beide Arme von sich. Schlagartig schlugen elektrische Ladungen um ihn, welche er mit einem Brunstschrei in Richtung seines Feindes ausstieß. Die Blitze trafen auf den Flammenwirbel, verschmolzen mit ihm und wurden zu einer grellen Lichtexplosion, die, als sie auf [Odd-Eyes Dragon] traf, alles in seinem näheren Umfeld in nichts als Staub verwandelte. Es donnerte heftig innerhalb des Stadions. Othello seufzte, nachdem sein altes Assmonster verschwunden war. „Danke, 'Odd-Eyes'. Aber dein Opfer wird nicht vergebens sein! Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum!“ Ruckartig stieß der Junge seine Hand in die Höhe und ließ über sich das Pendelportal erscheinen, um das sich dutzende Lichtellipsen bildeten. „Von meinem Extradeck in Verteidigungsposition: [Odd-Eyes Pendulum Dragon] und [Archfiend Eccentrick]! Pendulum Summon!“ Die beiden roten Lichtstrahlen, die aus dem Portal schossen, spiegelten sich in Anyas Augen, welche jene fest zusammenkniff. Odd-Eyes und die Dämonin nahmen vor ihrem Gegner Form an. Der Drache zeigte ihr seine Rückseite, seine Partnerin kniete nieder und hielt die Arme grinsend über Kreuz.   Odd-Eyes Pendulum Dragon [ATK/2500 DEF/2000 (7) PSC: <4/4>] Archfiend Eccentrick [ATK/800 DEF/1000 (3) PSC: <7/7>]   „Du bist dran, Anya“, sagte Othello und nickte jener zu. „Sehr gut! Während der End Phase, in der Angel Wing das Zeitliche segnete, kann ich zwei Stufe 4-Monster vom Friedhof verbannen“, kündigte Anya grimmig an und zeigte [Gem-Armadillo] sowie [Alexandrite Dragon] vor, die beide in ihrer Hosentasche verschwanden, „und ihn dann von dort reanimieren! Meine eigene Art der Pendelbeschwörung!“ Wie ihr Gegner es getan hatte, stieß das Mädchen die flache Hand in die Höhe. „Sei wiedergeboren, [Angel Wing Dragon]!“ Über ihr stieg der goldene, vier-geflügelte Ring auf. Die Fläche in seinem Inneren schimmerte und es dauerte nur einen Herzschlag, da schoss der weiße Drache daraus empor, bäumte sich gefährlich knurrend auf.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   Die beiden Rivalen tauschten ehrgeizige Blicke aus, ehe sie simultan grinsten. Dann zog Anya mit Schwung auf. „Draw!“ Sie hoffte auf ein Monster, wurde aber enttäuscht. Doch jene Karte war auf den zweiten Blick nicht weniger nützlich, als Anya erkannte, dass sie sie unwissentlich dringend gebraucht hatte. Dann nahm sie ihre andere Handkarte und legte die auf das rote D-Pad. .„Normalbeschwörung! Erscheine, [Gem-Knight Alexandrite]!“ Unter dem Drachen des Mädchens erschien neben Crystal ein Ritter in silberner Rüstung. Entlang dieser befanden sich in regelmäßigen Abständen Edelsteine, die je nach Betrachtungswinkel eine andere Farbe besaßen.   Gem-Knight Alexandrite [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   „Drei gegen zwei. Sieht schlecht aus für dich.“ Anya stemmte eine Hand in die Hüfte. Am besten wäre es, wenn sie Odd-Eyes mit Angel Wing angriff. Denn für den unwahrscheinlichen Fall, dass Othellos letzte Karte die Werte eines ihrer oder seiner Monster veränderte, würde sie durch Angel Wings Effekt dem Kampfschaden und der daraus resultierenden Reaction Force entgehen. So zeigte sie auf den roten Drachen: „Los, [Angel Wing Dragon], er will Nachschlag! Seraphim Judgment!“ Ihr Finger schwang herum zur fliederfarbenen, aufgebrezelten Dämonin. „Und die da ist sowieso nur Kanonenfutter für dich, [Gem-Knight Alexandrite]!“ Letzterer streckte seine Handläche aus und schoss daraus eine schier unendliche Salve funkelnder Edelsteine, die [Archfiend Eccentrick] im Handumdrehen vernichteten. Gleichzeitig stieß der kobraartige Drache seinen weißen Odem aus, um den eine goldene Flammenspirale kreiste. Odd-Eyes ging in einem Knall unter und sorgte damit bei Othello für eine verärgerte Miene, als dessen Kamerad und seine Partnerin als rote Lichtstrahlen vom Pendelportal absorbiert wurden. „Tja, einen Angriff habe ich noch frei“, verkündete Anya düster und zog dabei die Schultern an, während ihr [Gem-Knight Crystal] sich kampfbereit machte. Othellos Feld war abseits seiner gesetzten Karte und den Pendelmagiern links und rechts in den Lichtsäulen leer.   „Es kann nur einen Sieger geben“, erwiderte der junge Grieche nachdenklich, „aber was wäre, wenn es eine Möglichkeit gäbe, wie wir beide gewinnen könnten?“ Das Mädchen lockerte seine verkrampfte Haltung. „Huh?“ „Würdest du sie ergreifen?“ „Wie wir beide … Sieger sein können?“, wiederholte Anya seine Worte. „Wie soll das funktionieren?“ Verwirrtes Gemurmel machte sich im ganzen Stadion breit. Othello senkte seinen Kopf, nickte der verdeckten Karte zu. „Durch ein Unentschieden. Wir wären weder Gewinner noch Verlierer. Vielleicht lassen sie uns gemeinsam gegen Claire antreten.“ Sofort hatte Anya ein Bild vor Augen. Sie, neben dem Knirps, gegen die übermächtige Claire Rosenburg kämpfend. Ein schwächlicher Junge gegen eine Hüterin! „Meine gesetzte Karte ist [Ring Of Destruction]. Mit ihr kann ich ein beliebiges Monster zerstören, um uns beiden Schaden in Höhe seines Angriffswertes zuzufügen. Das wäre automatisch ein Unentschieden“, führte Othello seine Idee weiter aus. Anya sah ihn ungläubig an. Damit würden sie einen Präziirgendwasfall schaffen. Etwas, das es so noch nicht gegeben hatte. Mit ihm an ihrer Seite gab es eine reelle Chance, dieses Motorrad fahrende Miststück zu besiegen. Aber … „Nein“, entschied sich Anya dagegen, „das willst du nicht wirklich. Für so etwas wird man sich an dich erinnern, doch nicht als Duel King. Sondern als gutmütigen Trottel, der es nicht übers Herz brachte, den Traum seiner Gegnerin zu zerstören.“ Othello lächelte in sich hinein, während Anya den Zeigefinger ausstreckte. „Oder sagst du das bloß, weil du im Begriff bist zu verlieren? Tch, ist ohnehin egal, die Entscheidung triffst letztendlich du. Aber das hält mich nicht davon ab, auf Sieg zu spielen!“   Er würde doch jetzt nicht wirklich verlieren, oder? Nein, selbst wenn es so war, hieß das lediglich, dass er trotzdem noch nicht aufgegeben hatte. Es war seine Art, dem Schicksal zu trotzen. Wenn für dich kein Platz auf dem Siegertreppchen war, musste eben angebaut werden. Anya musste grinsen. Der Gedanke, sich mit ihm den Sieg zu teilen, war gar nicht so schlecht. Doch nicht der, ihn in die Schlacht gegen Claire mitzunehmen. Denn eines stand fest: Claire Rosenburg wusste genau, warum Anya hier war! Und ein Kampf mit ihr könnte Othello das restliche Leben, das noch in ihm steckte, kosten. Es durfte überhaupt gar nicht erst dazu kommen, dass diese beiden sich begegneten! Das war am sichersten!   „[Gem-Knight Crystal]“, schrie sie förmlich und weitete die Augen, „direkter Angriff auf seine verbliebenen Lebenspunkte! Diesmal schaffst du es!“ Er musste einfach! Vielleicht hatte Othello nur geblufft? „Clear“, hob sie ihre Stimme auf das Maximum an. Die Menge verstummte. „Punishment!“ Und sie ballte ihre Hand zu einer Faust, die sie gen Himmel rammte. Anders als ihr weißer Ritter, der die seine auf den harten Metallboden schmetterte und eine Schneise der Zerstörung auf Othello zuschnellen ließ. „Tut mir leid, Anya, aber ich habe dich angeschwindelt.“ „W-was?“ „Meine verdeckte Karte ist kein [Ring Of Destruction]. Jener würde sowieso nicht so funktionieren, wie ich es dir erklärt habe.“ Othello lächelte sanftmütig. „Ich wollte nur sichergehen, dass du keine Rücksicht auf mich nimmst. Denn die traurige Wahrheit ist: Unsere Träume können nicht nebeneinander koexistieren.“ Das Mädchen fasste sich entnervt an die Stirn. Gestand sich aber ein, dass er Recht hatte. „Du bist eine der interessantesten Gegnerinnen, die ich je hatte, deswegen möchte ich nicht, dass du irgendeine Form von Schwäche zeigst.“ Der Jugendliche im Rollstuhl setzte eine ernste Mimik auf, als riesige Kristallspitzen aus dem Riss im Boden schräg empor schießend auf ihn zukamen. „Tut mir leid, es ist selbstsüchtig, das weiß ich. Aber ich finde, sich für sich selbst zu entscheiden, muss nicht zwangsweise eine schlechte Eigenschaft sein.“ Der Junge schnippt plötzlich mit dem Finger. Und prompt tauchte vor ihm der blaue Hexer [Cardgazer Magician] aus seiner Lichtsäule vor ihm auf, streckte die Hände nach vorne und ließ die zwölf Karten vor sich schneller und schneller gegen den Uhrzeigersinn drehen. „Einen Wettstreit gewinnt man schließlich nicht durch Sympathie. Ich benutze [Cardgazer Magicians] Effekt. Nur einmal während des gesamten Duells kann ich einen direkten Angriff abwehren und den Angreifer zerstören, wenn ich erraten kann, von welchem Typ die oberste Karte meines Decks ist.“ „Na toll, ein Glücksspiel?“ „Glück gehört leider dazu. Es ist die eine Komponente, die wir nicht beeinflussen können, die, die uns Hoffnung und Verderben bringt.“ Othello legte Zeige- und Mittelfinger auf das Deck in der Duel Disk, die sich vor ihm befand. „Es gibt nur eine Person, die über all dem erhaben ist, für die selbst Glück keine Bedeutung hat.“ Anya sprach es aus. „Die Duel Queen …“ „Ja. Also werde ich das Schicksal überwinden, indem ich es selbst bestimme! Ich sage Zauber!“ Mit einem von ihm ungekannten Aufschrei riss Othello die Karte von seinem Deck. Wie es nicht anders zu erwarten war, hatte auch Mr. C seinen Senf dazu zu geben. „Jetzt gewinnt das Duell auch noch eine philosophische Note! Und Othello verleiht seinen Worten mit einem geschickten Manöver Geltung, denn Pendelmonster sind sowohl Monster-, als auch Zauberkarten. Das heißt, wenn er so eines zieht, greift [Cardgazer Magicians] Effekt trotzdem!“ Gleichzeitig hatten die Kristalldornen Othello fast erreicht. Einer schoss aus dem Ende der Erdspalte quer auf ihn zu, zielte auf den Hals. Doch mit klarer Stimme rief er ins Stadion: „Nicht nötig! Ich habe eine normale Zauberkarte aufgedeckt!“ Diese präsentierte er. Sein Cardgazer schwang beide Arme weit aus, ließ seine Karten in Crystals Richtung fliegen. Auf ihrem Weg dorthin brachten sie die Kristalle zum Zerbersten. Anya biss sich wütend auf die Unterlippe, als ihr Gem-Knight von den Karten getroffen wurde und explodierte. „Nachdem ich diesen Effekt aktiviert habe, kann ich bestimmen, ob ich die Karte auf oder unter mein Deck lege. Ich wähle Ersteres“, erklärte Othello ihr bestimmt, dessen blauer Magier wieder seine Stellung in der Lichtsäule eingenommen hatte. „Du musst es wohl auf einen weiteren Versuch ankommen lassen.“ „Unglaublich, wieder hat dieser Jungspund es geschafft, einer Niederlage effektiv aus dem Weg zu gehen!“, feuerte Mr. C das Publikum zu richtigem Sprechgesang an, dessen Mittelpunkt Othellos Name war. Aber Anya zuckte nur mit den Schultern. „Kannste Gift drauf nehmen! Aber vorher aktiviere ich [Gem-Knight Alexandrites] Effekt! Ich kann ihn opfern, um einen normalen Gem-Knight aus meinem Deck zu beschwören!“ Sie nahm dieses aus dem Schacht, obwohl sie es dank Sprachsteuerung nicht müsste, wobei sich Alexandrite in weißem Licht auflöste. Danach zeigte Anya den gewählten Ritter vor. „[Gem-Knight Garnet]!“ Die Lichtpartikel waren noch nicht vollständig verschwunden, da setzten sie sich zu einem neuen Krieger zusammen. In bronzener Rüstung stand er da, mit einem rotbraunen Edelstein in der Rüstung, und bildete eine Flammenkugel zwischen den Händen – der Ritter des Granats.   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   „Eine Karte verdeckt“, verkündete Anya sofort im Anschluss und schob sie in den Apparat an ihrem Arm, woraufhin sie sich zischend vor ihr in vertikaler, vergrößerter Form materialisierte. „Damit bin ich durch!“ Beim nächsten Versuch würde sie nicht scheitern, dachte die Blonde dabei grimmig. Und zwar weil Othello ihr dabei helfen würde!   „Sie spielt ihn im Angriffsmodus aus?“, wunderte sich indes Kakyo bei ihren Freunden und sah jene von der Seite an. Zanthe beugte sich vor. „Ja, eine furchtbar offensichtliche Falle, wenn du mich fragst.“ „Hoffen wir, dass sie funktioniert“, gab Matt hinter ihnen zum Besten und sprang dann auf, um Anyas Plakat in die Höhe zu halten.   Besonnen schloss Othello die Augen und griff nach seinem Deck. Offensichtlich dachte er kurz nach, dann riss er die Lider mit zuversichtlicher Miene wieder auf. „Draw!“ Natürlich war er nicht überrascht von der Karte, die sein [Cardgazer Magician] ihm bereits prophezeit hatte. Trotzdem war es nicht jene, die er ausspielte, sondern seine verdeckte Falle, die er auf seinem Spielplan umdrehte. „Sicher möchtest du wissen, welche Karte da nun wirklich lag.“ „Nein“, brummte Anya knapp. Ihr Pech, dass darauf herzlich wenig Rücksicht genommen wurde. Mit tendenziell steigender Anspannung musste sie beobachten, wie erst der weiße [Stargazer Magician] seine Arme weit ausstreckte, dann auch [Cardgazer Magician]. „Ich aktiviere [Pendulum Back]!“ Othello griff nach seinem Friedhof. Zeitgleich begann ein riesiges, metallisches Pendel zwischen den beiden Lichtsäulen seiner Magier hin und her zu schwingen. „Diese gibt mir zwei Monster von meinem Friedhof zurück, deren Stufen innerhalb meines derzeitigen Pendelbereichs liegen.“   <1> Othellos Pendelbereich <8>   Also von Stufe 2 bis 7 war hier die Rede, stellte Anya fest. Aber seine besten Monster waren doch Pendelmonster und die befanden sich im Extradeck … nein! Eines nicht! Aber die Rede war von zwei Monstern, also welches noch? Zwei grüne Lichtstrahlen schossen aus der Mitte des schwingenden Pendels, welches daraufhin verschwand. Othello zeigte die Karten im selben Augenblick vor, sodass das Licht in sie eintauchte und verschwand. „Ich wähle [Odd-Eyes Dragon] und [Doomstar Magician]!“ Verdammter Kackmist, erinnerte sich Anya, Letzteren hatte er ja auch ausgespielt gehabt und geopfert, um seinen [Odd-Eyes Pendulum Dragon] zurück ins Spiel zu bringen! „Es sieht ganz danach aus, als wolle Othello gleich eine ganze Armee an Monstern beschwören“, johlte Mr. C hibbelig, als Othello die Hand in die Höhe reckte. „Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum! Von meinem Extradeck [Odd-Eyes Pendulum Dragon] und [Archfiend Eccentrick]!“ Doch nicht nur die legte er aufs Feld. „Und aus meiner Hand [Odd-Eyes Dragon]!“ Zum wiederholten Male öffnete sich über ihm ein buntes Loch zwischen seinen Magiern, um welches dutzende Lichtellipsen lagen. Gleich drei rote Lichtstrahlen kamen diesmal daraus hervorgeschossen. „Pendulum Summon!“ In der Mitte stand die junge Dämonin, breit grinsend, flankiert von den zwei roten Drachen. Die Ursprungsform war im direkten Vergleich nicht so kräftig gebaut, wie Anya jetzt sehen konnte, und der Unterschied der Metallauswüchse von seinem Brustpanzer umso deutlicher. Es wurmte sie, davon getäuscht worden zu sein.   Archfiend Eccentrick [ATK/800 DEF/1000 (3) PSC: <7/7>] Odd-Eyes Pendulum Dragon [ATK/2500 DEF/2000 (7) PSC: <4/4>] Odd-Eyes Dragon [ATK/2500 DEF/2000 (7)]   Othello griff mit seiner Hand nach dem Spielplan. „Du weißt, was ich jetzt tun werde, Anya.“ „Uh-huh“, gab diese betont gelangweilt von sich und bohrte dabei zur Seite blickend mit dem kleinen Finger im Ohr herum. „Effekt von [Archfiend Eccentrick]!“, sprach Othello es für alle noch einmal aus. Die fliederfarbene Unterweltlerin im Divenkostüm stieg in die Luft auf. „Einmal in jedem Zug kann ich sie opfern, um ein anderes Monster zu zerstören! Ich wähle [Angel Wing Dragon]!“ Kichernd führte die Möchtegern-Sängerin ihr Mikrofon an den Mund, begann sich zu drehen und fing an zu trällern. Nur hörte sie keiner. Denn Anyas verdeckte Karte sprang auf. „Nein danke. Die soll lieber ein Leben als Rockstar führen“, winkte Anya lässig ab, „[Forbidden Chalice]! Sie annulliert den Effekt eines Monsters um gibt ihm 400 Angriffspunkte. Geh dir erstmal Mut antrinken, Miststück!“ Wie schon auf dem Artwork ihres Schnellzaubers, tauchte auch in [Archfiend Eccentricks] Hand ein goldener Kelch, mit Rotwein gefüllt, auf und ersetzte das Mikro. Neugierig nahm die Dämonin einen Schluck …   Archfiend Eccentrick [ATK/800 → 1200 DEF/1000 (3) PSC: <7/7>]   … nur um sich daran prompt zu verschlucken. Würgend stürzte sie, die Kontrolle offensichtlich verlierend, zu Boden und zersprang in ihre holografischen Einzelteile. „Das war ein erstaunlich guter Konter von Anya Bauer!“ Mr. C klang aufrichtig überrascht. „Zwar wird der Effekt von [Archfiend Eccentrick] aufgehoben, doch opfern musste Othello sie dennoch, da es sich um einen Kosteneffekt handelt, der vor allem anderen Priorität besitzt!“ Viele Zuschauer gaben verwirrte Laute von sich, da sie sich gar nicht der komplexeren Regeln von Duel Monsters, so wie dieser beispielsweise, bewusst waren. Und noch viel weniger hatten damit gerechnet, dass ausgerechnet Anya Bauer nicht dazugehörte.   Das war wirklich gut! Beachtlich, wie du dich inzwischen entwickelt hast, Anya Bauer!   Die Blonde zuckte mit den Schultern, als sie Levriers Stimme vernahm. „Kinderspiel.“ Sie konnte ihm ja jetzt schlecht sagen, dass sie davon ausgegangen war, dieses Miststück von Pendelmonster damit lediglich aufzuhalten, nicht gleich ganz loszuwerden. „Anya“, begann Othello und sah das Mädchen eindringlich an, „falls ich gewinnen sollte, dann muss es ein Sieg sein, auf den ich stolz sein kann.“ „Ich hab's kapiert. Aber noch hast du nicht gewonnen, also Klappe zu!“, winkte das Mädchen schroff ab. Tatsächlich fiel es ihr schwer, den Unterschied zwischen ihnen beiden zu akzeptieren. Dass er den langen, schwierigen Weg suchte, wohingegen sie in der Vergangenheit viel zu oft den einfachen gegangen war. Oder eher noch, gehen musste. Würde jemand wie er auf Levriers Kräfte zugreifen, wenn er keine andere Wahl hatte? „Stimmt, aber ich werde solange weitermachen, bis ich gewonnen habe! Also sieh' dich vor!“ Entschlossen blickte der Jugendliche von einem seiner roten Drachen zum anderen. Dann streckte er den Arm aus. „[Odd-Eyes Pendulum Dragon]! [Gem-Knight Garnet] ist ihre Schwachstelle! Besiege ihn und wir haben gewonnen! Spiral Strike Burst!“ Gehorsam lud der Drache rote Energie in seinem Maul auf. „Geht dieser Angriff durch, wird Anya Bauer durch den Effekt [Odd-Eyes Pendulum Dragons] doppelten Schaden erleiden und damit ihre restlichen Lebenspunkte verlieren!“, fasste Mr. C die Situation für alle noch einmal zusammen. Es stimmte, dachte Anya, als der eindrucksvollere der beiden Odd-Eyes den Strahl abfeuerte, um welchen schwarze Energie schlug. Ein dreckiges Grinsen machte sich auf ihrem Gesicht breit. Denn die Sache war: Genau das sollte Othello denken! „Tja, da habt ihr wohl alle eine Kleinigkeit übersehen!“ Anya blickte hinauf zu ihrem eigenen Drachen. „[Angel Wing Dragon] hat einen netten Effekt! Verteidige Garnet!“ Schlängelnd bewegte sich das weiße Monstrum hinab vor den Bronzeritter, welchem der immer näher rückende Lichtstrahl eigentlich galt. Die Blonde rief energisch: „Angel Wing kann sich zum Ziel jeder Attacke machen! Und jetzt wird der Gegenangriff eingeleitet! Seraphim Judgment!“ Entsetzte Schreie ertönten von den Zuschauerrängen. Manche sprangen auf, andere wiederum riefen die Namen der beiden Duellanten. Der weiße, kobrahafte Drache Anyas öffnete seinerseits das Maul und spie einen weißen Odem aus, um den sich eine goldene Flammenspirale drehte. Beide Attacken trafen auf Anyas Spielfeldseite aufeinander, doch es gelang Angel Wing mühelos, den Strahl seines Widersachers mit seinem eigenem zurückzudrängen. Othello zeigte keine Regung, als sein Drache überrumpelt wurde und in einer heftigen Explosion niederging. Er flüsterte nur, als [Odd-Eyes Pendulum Dragon] als roter Lichtstrahl von dem sich über ihm öffnenden Pendelportal absorbiert wurde: „Das letzte Mal …“   [Anya: 1000LP / Othello: 1100LP → 900LP]   Aufrichtig erkannte Mr. C an: „Ein gelungener Konter! Dagegen scheint Othello Nikoloudis machtlos!“ „Greife [Angel Wing Dragon] an, [Odd-Eyes Dragon]! Spiral Flame!“, befahl ebenjener urplötzlich. Die Rufe aus dem Publikum verstummten, als sein altes Assmonster einen roten, wirbelnden Flammenstrahl in Richtung des weißen Drachen ausstieß, welcher noch immer vor Anya und ihrem [Gem-Knight Garnet] verharrte. Anya blinzelte verdutzt: „Was wird das, huh?“ „Das werde ich dir zeigen! Kennst du diesen Schnellzauber?“ Othello zeigte ihn vor. „Es ist der aus [Cardgazer Magicians] Prophezeiung und er nennt sich [Swords At Dawn]! Damit statte ich ein Monster auf meinem Feld mit einer Ausrüstungszauberkarte von meinem Friedhof aus!“ Ein glänzender Schimmer legte sich um seinen Odd-Eyes. „Moment, du hast während des ganzen Duells keinen einzigen gespielt, wie kannst du-!?“ „Gespielt vielleicht nicht, aber sehr wohl abgeworfen“, widersprach Othello seiner Gegnerin. Welche dann von selbst darauf kam.   Othello betrachtete nachdenklich seine eben gezogene Karte und zeigte sie schließlich mit entschlossenem Gesichtsausdruck vor. „[Pendulum Call]. Auf Kosten einer Handkarte erhalte ich zwei Pendelmagier von meinem Deck.“ Er legte eine seiner beiden verbliebenen Handkarten auf den Ablagestapel seiner Duel Disk und zog das Deck aus dessen Schacht. „Ich wähle [Dharma-Eye Magician] und [Dreamgazer Magician]!“   „Die Karte auf meinem Friedhof nennt sich [Megamorph]!“ Und als Anya den Namen hörte, schrillten bei ihr alle Alarmglocken, benutze sie diesen Zauber doch selbst mit Vorliebe. „Damit verdoppelst du die Angriffskraft des Ziels, wenn deine Lebenspunkte niedriger sind als meine …“ Plötzlich entflammte um [Odd-Eyes Dragon] eine gewaltige Aura, ähnlich Hitzeflimmern, nur viel intensiver.   Odd-Eyes Dragon [ATK/2500 → 5000 DEF/2000 (7)]   Die Blonde weitete die Augen. Dann war der Angriff mit [Odd-Eyes Pendulum Dragon] kein Missgeschick … sondern pure Berechnung gewesen, um genug Lebenspunkte zu verlieren! „Unfassbar!“ Mr. Cs Stimme überschlug sich förmlich. „Damit hat Othello das Blatt wieder zu seinem Gunsten gewendet!“ „Tch, linke Bazille.“ Anyas Mundwinkel zuckten wieder nach oben. „Aber etwas kannst du trotzdem nicht wissen. [Angel Wing Dragon] beschützt mich vor Kampfschäden.“ Die roten Flammen schlugen in ihrem Drachen ein und versengten ihn erst, ehe er unter gewaltigem Druck explodierte. Das Mädchen atmete auf. Damit hatte sie das Ding im Kasten, denn Angel Wing würde wiederkommen und sich rächen … „Das war mir klar.“ Erschrocken horchte Anya auf. „Ich habe von deinem Duell gegen die Ford-Geschwister gelesen und wusste daher, wie [Angel Wing Dragon] funktioniert.“ Othello senkte sein Haupt. „Tut mir leid, aber ich habe gewonnen, nicht du. [Odd-Eyes Dragon] … mein Partner …“ Plötzlich wurde der Junge von einem heftigen Hustenanfall geplagt. Er hielt sich die Hand vor den Mund. Gleichzeitig öffnete besagter Drache noch einmal sein Maul, doch dieses Mal lud er pechschwarze Energie darin auf. „Er …“, hustete Othello, „fügt dem Gegner Schaden zu ... die der Hälfte ... der Angriffskraft des zerstörten Monsters entspricht. Disintegration Force!“   Die Zeit stand still, aber gleichzeitig auch nicht. Die Hälfte von Angel Wings Angriffspunkten? Das waren 1350. Sie besaß nur noch 1000 Lebenspunkte. Dann …! Anya begriff, dass sie dagegen nichts mehr unternehmen konnte. Das Duell war verloren. Sein altes Assmonster würde jeden Moment das Urteil sprechen, vielleicht über ihre Zukunft. Aber das Mädchen war nicht gewillt, sich dem so einfach zu beugen.   Anya begann zu rennen. Wenige Sekunden später feuerte Odd-Eyes einen schwarzen Strahl ab, bestehend aus elektrischen Ladungen. Jener fegte über die Plattform hinweg, direkt auf die Blonde zu, welche gerade die Grenze zwischen ihrer Spielfeldseite und der ihres Gegners passierte. „Was macht Anya Bauer dort!?“, donnerte Mr. C erschrocken. Anya sah die Attacke auf sich zukommen, von der sie sich aber nicht aufhalten lassen würde. Geschickt setzte sie zu einer Blutgrätsche an und rutschte darunter hinweg. Während die Disintegration Force unterhalb der Tribünen einschlug, sprang Anya wieder auf und nahm strauchelnd die letzten Meter zu Othello, welcher nicht weniger überrascht war als der Rest der Anwesenden.   [Anya: 1000LP → 0LP / Othello: 900LP]   Als sie ihn erreicht hatte, klatschte Anya mit beiden Händen auf die Duel Disk vor Othello, beugte sich vor und flüsterte ihm etwas in Ohr. „W-was?“ Erstaunt riss er den Kopf weg. „Später.“ Anya funkelte ihn mit einem undeutbaren Blick an, als sie sich aufrichtete. Dann reichte sie ihm die Hand entgegen. Es dauerte einen Moment, ehe Othello die Geste als solche erkannt. „Glückwunsch“, rang Anya um Fassung, „du hast mich besiegt. Der Pokal gehört dir.“ Zögerlich nickend nahm er ihre Hand. Und die große Halle explodierte förmlich vor Jubel. Jeder der Bildschirme zeigte sein Gesicht, die Zuschauer sprangen auf, waren so laut, dass Mr. C kaum zu hören war.   Und Anya? Sie hielt die Hand desjenigen, der nicht nur die ihre in seiner hielt, sondern so viel mehr, von dem er jetzt noch gar nichts ahnte. Es war so schnell gekommen, so unerwartet. Für einen Augenblick hatte sie geglaubt, gewonnen zu haben. Dann hatte er es mit seinem alten Partner gedreht, in allerletzter Sekunde …   Melindas Stimme über die Lautsprecher holte Anya aus ihrer versetzt eingetretenen Starre. „Was für ein großartiges Duell!“ Ihr Antlitz ersetzte das von Othello. Die Rothaarige mit der Turmfrisur wurde nun statt Othello gezeigt. Sie hielt ein Mikrofon in der Hand und strahlte über beide Backen. „Herzlichen Glückwunsch an dich, Othello! Und vielen Dank für diese spektakuläre Show!“ Nachdem Anya sich gefangen hatte, schnaubte sie wütend. Die blöde Kuh war ja verdammt gut drauf dafür, dass der Traum ihrer Freundin gerade zerstampft worden war. Vielleicht hatte sie ja vergessen, wer dringender gegen Claire Rosenburg antreten musste? Tch … „Bist du wenigstens glücklich?“, fragte Anya und drehte sich von Othello weg. Jener betrachtete seine Hand, an der Blut klebte. „Noch nicht.“ Die Blonde bemerkte erst jetzt, dass auch ihre Finger vom Rot benetzt waren. „Verstehe.“ „Du solltest nicht so ein Gesicht machen“, sagte Othello plötzlich und sah zu ihr auf, „auch als Zweitplatzierte des 'Legacy Cups' hast du in der Profiszene Chancen.“ Anya zuckte mit den Schultern. Erwiderte: „Sagt derjenige, der das Duell gewonnen hat. Du siehst aus wie …“ … ich, beendete Anya den Satz im Gedanken. Wie jemand, der das Duell eigentlich verloren hatte. Das Traurige aus seinen Augen wich nicht, als er versuchte zu grinsen. Anya ahnte, dass es mit seiner Gesundheit zusammenhing. Was hatte er doch gleich gesagt? Dass er den Legacy Cup deswegen nicht so genießen konnte, wie er es gern getan hätte? „In fünf Minuten beginnt die Siegerehrung!“, sprach Melinda derweil zu allen. Danach verschwand ihr Bild und wurde von den offiziellen Logos der AFC und des Legacy Cups, eines dünnen Männchens mit in die Höhe gehobenen Händen, ersetzt. Eine andere, weibliche Stimme hallte durch das Stadion: „Wir bitten Othello Nikoloudis, Anya Bauer und Kakyo Sangon sich auf dem Duellfeld zu versammeln.“   Nachdenklich blickte das Mädchen zum gläsernen Dom. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass das Wetter sich aufgeklärt hatte. Strahlend blauer Himmel, Sonnenschein …   ~-~-~   In einer Reihe standen sie auf der leicht erhöhten Plattform, zumindest zwei von ihnen. Kakyo rechts, in der Mitte Anya, dann Othello in seinem Rollstuhl sitzend ganz links. Aus den Augenwinkeln schielte das Mädchen zu dem brünetten Kerl. Es missfiel ihr, dass Valerie nicht um den dritten Platz gekämpft hatte, obwohl die Vorwürfe gegen sie zumindest von offizieller Seite aus der Welt geschafft worden waren.   Anya drehte den Kopf in die andere Richtung, als Melinda, vier Männer in schwarzen Anzügen und, zu ihrem Erstaunen, auch Claire Rosenburg in ihrem Motorradanzug die Plattform betraten. Im Hintergrund huschten Kameramänner und Produktionsassistenten um das Spielfeld. „Ich möchte noch einmal meinen Dank an euch aussprechen“, sagte der Rotschopf, welcher nun ein elegantes, schwarzes Kleid trug. Neben ihr stellte sich Claire auf, hinter ihnen die vier Schränke, von denen drei je einen gläsernen Koffer mit sich führten. Der letzte hielt einen riesigen Check in der Hand. „Ihr habt alle Großes geleistet. Obwohl das Turnier in einem vergleichsweise kleinen Rahmen stattfand, habt ihr ein gewaltiges Interesse daran geschürt.“ Melinda zwinkerte Anya verschwörerisch zu. Gleichzeitig folgte ein fünfter Mann in Schwarz, welcher ein Tablett in den Händen hielt. Darauf befanden sich drei Pokale. Anyas Augen wurden größer und größer. Ihre Freundin schritt herüber zum bronzenen, dessen Spitze aus dem Logo-Männchen des Legacy Cups bestand und nahm ihn vom Tablett. Zusammen mit einem der Männer trat sie an Kakyo heran und schüttelte erst seine Hand, ehe sie ihm mit ein paar Worten den Pokal und dann den Glaskoffer überreichte. „Herzlichen Glückwunsch.“ „Danke“, erwiderte der brünette, junge Mann freundlich.   Von ihm und Melinda wurden danach ein paar Aufnahmen gemacht, ehe sie den nächsten Pokal vom Tablett nahm – den silbernen. Anya schluckte. Das war ihrer. „Du hast uns ein paar tolle Momente beschert“, kicherte der Rotschopf, als sie Anyas Hand schüttelte und ihr dann den Pokal überreichte, „manche hätten ruhig weniger Presse involvieren können.“ „Was auch immer“, murrte Anya und betrachtete den Silberpokal. „Tch, was solls, Zweite ist auch nicht übel …“ „Hier, als kleiner Trostpreis.“ Ihre Freundin nahm den zweiten Glaskoffer entgegen, welchen Anya ihr wiederum etwas umständlich abnahm. Deren Augen weiteten sich, als sie darin ein Fusionsmonster eingeschweißt vorfand. „D-das ist-!“ „Eine kleine Aufmerksamkeit von uns. Es sind die einzigen Exemplare.“ Melinda hakte sich unter Anya ein und zog sie einen Schritt nach vorne, damit auch von ihr ein paar Aufnahmen gemacht werden konnten. Trotz ihrer Aufforderung weigerte sich die Blonde jedoch beharrlich zu lächeln.   Während Anya, genau wie Kakyo, die Karte in ihrem Koffer eingehend studierte, schritt Melinda herüber zu Othello. Jener blickte ausdruckslos zu ihr auf und schüttelte die Hand der jungen Frau. „Du hast allen bewiesen, wie mächtig die Pendelmonster sind. Und wie man alt und neu miteinander verbinden kann. Danke.“ Missmutig schielte Anya zu ihnen herüber. Schön, dachte sie sich grimmig, nur noch mehr Salz in die Wunde, Schnöselschwester!   In dem Moment streifte sie ein Luftzug. Claire Rosenburg zog an ihr vorbei. Und aus den Augenwinkeln warf sie ihr einen eiskalten Blick zu, der Anya regelrecht lähmte. Diese grünen, klaren Augen! Sie wusste es, sie wusste alles! Dass sie Feinde waren, worauf Anya es abgesehen hatte, einfach alles. Es dauerte nur einen kurzen Moment, aber Anya fühlte sich in diesem schwach und zerbrechlich. Erst als Claire sie passiert hatte und sich neben Melinda stellte, konnte Anya es wagen wieder zu atmen. Was war das eben gewesen!? „Herzlichen Glückwunsch. Du hast heute nicht nur den Legacy Cup gewonnen, sondern auch die Herzen vieler, vieler Duel Monsters-Fans“, sprach Melinda feierlich, „aber noch mehr, du hast dir den großen Preis verdient.“ Anya sah nicht hin, wie ihm nach und nach Pokal, eine eingeschweißte Karte und dann der riesige Check von der wie üblich wortkargen Claire überreicht worden. Viele Fotos wurden geschossen, die Zuschauer jubelten und klatschten. Das Mädchen wagte es nicht, in Claires Richtung zu sehen. Was musste das Biest froh sein, nicht gegen sie antreten zu müssen. Oder war sie gar der Typ, der eine Herausforderung suchte? Anya zog grimmig die Augen zusammen. Wenn dem so war, würde sie schon bald eine böse Überraschung erleben.   Nachdem die Siegerehrung vorbei war, hallte wieder die Stimme der Mitarbeiterin durch das Stadion: „Das Abschlussduell zwischen Othello Nikoloudis und Claire Rosenburg wird um 15 Uhr, also in einer Stunde, beginnen. Wir bitten alle Zuschauer das Stadion nicht zu verlassen, da Ihre Karten sonst ihre Gültigkeit verlieren.“ Erst als Melinda mit den Männern und Claire im Schlepptau abzog, wandte sich Anya wieder Othello zu. Bevor sie etwas sagen konnte, rauschte Kakyo an ihr vorbei. „Das war klasse!“, nahm der seinen Rivalen sofort in Beschlag. Die beiden schlugen ein, Othello hustete und ehe sich Anya versah, schob der Drittplatzierte seinen Freund Richtung Ausgang. Etwas verloren blieb das Mädchen einen Moment auf der Stelle stehen, ehe sie dem Sieger zurief: „Vergiss' es nicht, 'kay?“ Othello sah über den Rand seines Rollstuhls zu ihr zurück und nickte knapp. Das reichte Anya. Sie drehte sich um und rannte quer über das Feld zu den Zuschauertribünen. Genauer gesagt zu ihren Freunden, die dort auf sie warteten. Das Erste, was sie zu hören bekam, war Zanthes schnippische Bemerkung: „Oh, schaut, da kommt die Zweitplatzierte. Oder sollte ich eher sagen, die zukünftige Leiche?“ „Halt den Rand, Flohpelz“, zischte Anya und reichte ihm Pokal und Koffer hoch, „halt mal.“ Jener nahm beides entgegen und stichelte weiter. „Scheint dich ja nicht hart zu treffen, so kurz vor dem Ziel zu scheitern. Aber wen wundert's, wenn du sogar freiwillig für deinen Gegner ins Grab springen wolltest.“ Matt beugte sich hinter Valerie und Kakyos leerem Platz nach vorne. „Hör' nicht auf ihn. Ich finde, du hast wirklich Größe dadurch bewiesen.“ „Warst gut“, lautete Logans knapper Kommentar dazu. Nur Valerie sagte nichts, blickte abwesend zur Seite. Anya starrte sie abwartend an, bis sich ihre Blicke kreuzten. Die Schwarzhaarige nickte knapp, was ihrer Freundin genügte. „Keine Zeit, das Ganze jetzt auszuwerten.“ Sie musste sich beeilen. Er würde sicher nicht ewig auf sie warten, dachte Anya. „Summers, hast du die Handschuhe dabei, die ich dir mal gegeben habe?“ „Ja“, erwiderte Matt überrascht. „Warum?“ „Gib sie mir.“ Ohne weiter nachzufragen holte der Dämonenjäger die weißen, fingerlosen Handschuhe aus der Tasche seines schwarzen Ledermantels und reichte sie Valerie, die sie weiter an Anya gab, welche sich ganz schön strecken musste, um an jene heran zu kommen. „… du gerissenes Luder“, pfiff Zanthe plötzlich anerkennend, „deswegen bist du so gelassen. Ich hab mich schon gewundert.“ „Keine Zeit für Erklärungen“, entgegnete Anya auf die fragenden Blicke ihrer anderen Freunde und rannte mit den Handschuhen Richtung des Ausgangs, den Othello und Kakyo genommen hatten.   Anya atmete tief durch, als sie endlich den schützenden Gang betrat, der vom Duellfeld wegführte. Sie wusste nicht, wie sie sich fühlte, nun da die Siegerehrung vorbei war. Zweite. Ohne nur einmal während des Duells auf übernatürliche Kräfte zurückzugreifen, hatte sie es auf den Platz geschafft, welcher dem Sieger am nächsten war. Aber sie hatte den Titel nicht geholt. Ihren Traum, eine Profikarriere zu starten und Duel Queen zu werden, nicht erfüllt.   Ich weiß, ich wiederhole mich, aber du warst großartig. Du hast selten so gut gekämpft wie heute.   „Ich habe Fehler gemacht. Ich … habe auf dich gehört“, murrte sie und lief eiligen Schrittes durch den Gang, nahm bei einer Abzweigung den linken Weg. Sie musste Othello einholen. Ihre Finger umklammerten die Handschuhe, die sie sich von Matt eben geholt hatte, kurz nachdem die offizielle Übertragung des Finales für beendet erklärt worden war.   Wie meinst du das?   Levrier erschien als durchsichtiger [Gem-Knight Pearl] neben ihr und folgte dem Mädchen schwebend. Anya sah ihn nicht an. „Redfield hatte die ganze Zeit Recht. Diese Hüterkarten haben mir etwas zu sehr den Kopf verdreht. Ich hätte das Risiko eingehen müssen und statt Angel Wing zu rufen, lieber [Gem-Knight Prismaura] beschwören und die Pendelkarten Othellos zerschießen sollen. Er hätte keine Pendelbeschwörung mehr zustande bekommen, da [Archfiend Eccentrick] nicht gut mit seinen Magiern zusammenarbeitet, zumindest in den Pendelzonen.“   Niemand hätte das vorher wissen können. Ein Monster zu beschwören, das [Odd-Eyes Pendulum Dragon] nicht ohne Hilfe besiegen kann, wäre ein zu großes Risiko gewesen.   „Eines, das ich nicht eingegangen bin“, hielt Anya beherrscht dagegen. „Levrier …“ Das Mädchen blieb plötzlich stehen. „… du hast auch nicht immer Recht. Diesmal lagst du falsch und das hätte mich in einem Duell gegen die Undying den Kopf gekostet.“   Es tut mir leid.   Anya schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht wütend. Aber ich habe nicht gehandelt, wie ich es würde und das ist … falsch.“ Dann lief sie weiter. Levrier verschwand von ihrer Seite und sagte nichts mehr. Anya setzte sich wieder in Bewegung, nicht ahnend, dass ihr Freund und personifiziertes Gewissen ihr einen wichtigen Fakt vorenthalten hatte. Sie hätte eine Fusion nie zustande bringen können, da es auf ihrem Friedhof keinen Gem-Knight mehr gegeben hätte, den sie zum Recyclen für [Gem-Knight Fusion] hätte verbannen müssen.   Es dauerte nicht lange, da sah sie Othello vor sich, welcher auf sie wartete. Hinter ihm stand seine Mutter, die abwesend zur Seite blickte. Kakyo war inzwischen verschwunden. „Hey“, rief Anya ihm schon aus der Ferne zu, „danke, dass du auf mich gewartet hast.“ Die letzten Meter rannte sie regelrecht zu ihm. Der Junge sah sie neugierig an. „Worum möchtest du mich denn bitten?“ „Zwei Dinge.“ Die Blonde reichte ihm die Handschuhe. „Wenn du nachher gegen Claire kämpfst, wäre es cool, wenn du die hier tragen würdest.“ Sichtbar erstaunt nahm der Jugendliche im Rollstuhl sie entgegen. Die weißen, fingerlosen Handschuhe mit den goldenen Nähten, ihres Zeichens Werkzeuge, um an die Artefakte zu kommen. Davon ahnte Othello nichts, so hoffte Anya. Sie erklärte ihm: „Die wollte ich bei meinen Duellen tragen, sobald ich in die Profiliga aufgenommen werde. Da daraus so schnell nichts wird, sollst du sie haben.“ „Okay“, erwiderte der Junge mit dem schulterlangen, strohblonden Haar etwas verloren. „Hey.“ Anya zwinkerte ihm keck zu. „Die sind jetzt Symbol unserer Freundschaft, 'kay?“ Ziemlich verwirrt kam als Antwort: „Wir sind Freunde?“ „Klar. Das Duell mit dir war das beste, das ich je erlebt habe. Selbst Redfield sah gegen dich blass aus.“ Der Ton des Mädchens wurde ernster. „Außerdem hast du mir auch Dinge über mich selbst beigebracht. Dafür bin ich dir dankbar. Also, sind wir jetzt Freunde?“ Sie reichte ihm die Hand. Die der Junge griechischer Wurzeln lächelnd entgegennahm. „Natürlich! Danke, Anya! Ich verspreche dir, sie nachher zu tragen.“ Was dem Mädchen ein zufriedenes Grinsen entlocktes. „Sehr gut!“ „Und die zweite Sache?“, fragte seine Mutter. Auch sie strahlte förmlich, scheinbar hätte sie nie erwartet, jemanden wie Anya Bauer so zu erleben. „Du wolltest ihn um zwei Dinge bitten.“ Die nickte und sah dann Othello schlagartig ernst an. „Mach sie alle. Wenn es jemanden gibt, der Claire besiegen kann, dann du. Ich will, dass du der stärkste Duellant wirst, damit ich stolz darauf sein kann, gegen dich verloren zu haben!“   Für einen Moment sah er unentschlossen zu Anya auf, dann nickte er. Doch gerade als er etwas antworten wollte, begann er stark zu husten. Zwischen den Fingern der Hand, die er sich vor den Mund hielt, sickerte Blut hervor. „Entschuldige bitte, aber Othello muss sich dringend etwas ausruhen, bevor nachher das Duell beginnt“, sagte seine Mutter, während ihr Sohn noch im Begriff war, sich zu fangen. „Kein Ding, Mrs. N“, winkte Anya ab. „Ich werde dich von den Zuschauertribünen aus anfeuern.“ „Danke“, röchelte Othello mehr als er sprach. Damit verabschiedeten die beiden sich von Anya. Othellos Mutter schob ihren Sohn in die andere Richtung davon, da jener immer noch von Hustenanfällen geplagt wurde. Nachdenklich sah Anya den beiden hinterher, wie sie den gut beleuchteten Gang mit den Topfpflanzen entlang gingen, bis sie hinter einer Kurve verschwunden waren. Kaum waren sie weg, tauchte Levrier wieder neben ihr auf. Raffiniert, ihn zu so etwas zu überreden. Wenn er Claire Rosenburg besiegt, erhält er ihre Hüterkarte. Du musst sie dann nur noch von ihm einsammeln. Aber ist das nicht riskant, immerhin wird es vor laufenden Kameras geschehen?   „Besser als nichts“, erwiderte Anya kühl, „ist im Moment meine einzige Option.“ War das ernst gemeint, was du zu ihm gesagt hast? Dass ihr Freunde seid?   Anya senkte ihr Haupt. „Yeah, ich glaube schon. Ich weiß nur nicht, ob ich es richtig gemacht habe.“ Hast du.   Trotzdem fühlte sich Anya, als würde sie Othello nur benutzen, obwohl ihre Offerte aufrichtiger Natur war. Aber ihm in so kurzer Zeit zu erklären, wieso er sie besiegen musste und was für Anya auf dem Spiel stand war unmöglich. Selbst wenn, würde es nur genauso laufen wie bei Logan und das wollte sie nicht, nicht schon wieder.   Ich glaube, wir bekommen Gesellschaft. Und zwar von der eher fragwürdigen Sorte.   Überrascht drehte Anya sich um. Und da kam sie. Claire Rosenburg, flankiert von ihrem rothaarigen, bärtigen Manager mit der Narbe oberhalb des rechten Auges. Anya öffnete den Mund, doch bekam keinen Ton heraus. Majestätisch schritt Claire voran, bis sie abrupt einige Meter vor der Kleineren Halt machte. „W-was willst du?“, stotterte die sonst so taffe Anya, nachdem zumindest ihr Sprachzentrum wieder die Arbeit aufgenommen hatte. „Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Platzierung, Miss Bauer“, sprach jedoch Claires Begleiter an ihrer Statt. „Wir hätten nicht damit gerechnet, dass Sie so weit kommen.“ „Uh, danke?“ Die sind sicher nicht hier, um ein wenig zu plauschen.   Anya warf Levriers durchsichtiger Pearl-Form einen Seitenblick zu und nickte knapp. Dann richtete sie ihr Augenmerk einzig auf Claire, die mit starrer Miene da stand. „Aber das hättet ihr mir auch vorhin schon sagen können, nicht in einem dunklen Gang, wo niemand uns sieht.“ „Nigel“, sprach Claire monoton den Namen ihres Managers aus. Welcher daraufhin fortfuhr: „Sie haben Miss Rosenburgs Interesse geweckt, Miss Bauer. Dafür verdienen Sie meinen Respekt.“ „Komm zum Punkt“, forderte Anya zunehmend ungehaltener und scharte mit dem Fuß aus. „Für gewöhnlich wünscht Miss Rosenburg keine Duelle, die nicht in ihrem Terminplan vorgesehen sind. Aber in Ihrem Fall möchte sie eine Ausnahme machen.“ Die Blonde warf Anya wieder diesen Blick zu, diesen hoheitlichen, welchem sich jeder, der zu schwach war, unmittelbar beugen musste. Und sie sagte: „Übermorgen, Riding Strecke 02, zum Sonnenaufgang an der Startlinie.“ Damit drehte sich die Weltmeisterin um und lief an ihrem im schwarzen Anzug gekleideten Manager vorbei. Welcher Anya riet: „Bereiten Sie sich gut vor, Miss Bauer, sollten Sie mit den Regeln der Riding Duels nicht vertraut sein.“ Jene nahm die Worte kaum wahr, sondern sah Claire wie gelähmt hinterher. Hatte diese arrogante Schnepfe -sie- tatsächlich zu einem Duell herausgefordert? Da war doch was faul. Und mit faul meinte sie faul wie Nicks ungewaschene Socken! Auch dieser Nigel drehte sich jetzt um, sagte abschließend: „Seien Sie pünktlich, Miss Bauer.“ Dann hallten nur noch seine Schritte durch den Gang.   Das ist zweifelsohne eine Falle, Anya Bauer. Claire Rosenburg dürfte bereits seit der Abendgala wissen, dass du zwei Hüterkarten besitzt.   Anya erinnerte sich, Matt hatte sie mal davor gewarnt, dass Claire vermutlich im Groben über den Grund ihrer Teilnahme Bescheid wusste. Wenn Zanthe Ednas Artefakt hatte spüren können, dann war dies sicher auch bei Claire der Fall gewesen. „Wenn die wüsste“, brummte Anya und verschränkte die Arme, „dass ich es nicht nötig haben werde, mich in zwei Tagen noch mit ihr zu duellieren …“ Dieses hochnäsige Miststück würde nie damit rechnen, dass jemand viel Besseres ihr das Artefakt abluchsen würde!   ~-~-~   Die Tür schloss sich automatisch hinter ihr. Edna straffte die Schultern und trat noch einen Schritt in dem kargen, länglichen Konferenzsaal vor. Es war das erste Mal, dass sie ihren Vorgesetzten von Angesicht zu Angesicht begegnete. An dem länglichen Mahagonitisch saßen drei Personen. Dahinter befand sich in der weißen Wand ein Bildschirm, auf dem nur ein Logo eingeblendet wurde. Fünf Buchstaben: CLEAR. So lautete der Name ihrer Organisation. Jener, welcher das dunkelhäutige Mädchen nun etwa einem halben Jahr angehörte. „Edna Caines“, rief der hellblonde Mann an der rechten Seite des Tisches, „wie schön, dich endlich in Farbe zu sehen.“ Sofort wusste Edna, dass er kein Mensch war. Sein Alter war unmöglich zu bestimmen, er wirkte glatt wie ein Jugendlicher, aber hatte die Züge eines Erwachsenen. Blasse Haut, das Haar zu einem Pagenschnitt verunstaltet mochte man schon sagen, und ein neongrüner Anzug mit pinker Federboa um den Hals. Der war eindeutig Zyxx. „Ich wurde gerufen“, stellte Edna diszipliniert klar, warum sie hier war. Aus den Augenwinkeln betrachtete sie die beiden, die Zyxx gegenüber saßen. Ein Berg von Mann, ein Glatzkopf mit schwarzem Bart, welcher schon leicht angegraut war. Sicher auch kein Mensch, aber sie kannte seinen Namen nicht. Ebenso wenig den der Frau neben ihm, deren feuerrotes Lockenhaar ihr über die Schultern fiel. „Wir haben eine neue Aufgabe für dich“, sprach die letzte Person im Raum sie an. Es war eine Frau schwarzen Haares in einem eleganten, roten Kleid, die am Ende des Tisches stand und sich mit beiden Händen davon abstützte. Einige Strähnen fielen ihr dabei über die Schulter, ab dem letzten Viertel gingen sie von grauer in schneeweiße Farbe über. Kathea. Jene lächelte sie freundlich an. „Sicher wird es dich freuen, dass wir die Daten, die ihr auf Valerie Redfields Hochzeit für uns gesammelt habt, gut verwenden konnten, trotz eures kleinen Alleingangs. Unser AAS steht kurz vor der Vollendung.“ Eine kurze Kunstpause folgte. „Sag, wie geht es Harris?“ „Seine Wunden sind fast verheilt“, entgegnete Edna knapp. „Er wurde schlimm zugerichtet, habe ich gehört“, mischte sich Zyxx an Kathea gewandt ein, welche ihm mit bedauerndem Gesichtsausdruck zunickte. Dann stieß sie sich vom Tisch ab. „Bis er völlig genesen ist möchte ich, dass du ein paar Tests mit unserem Duel Enforcing-Modus durchführst. Wir werden dir ein paar der Neuzugänge dafür bereitstellen, sobald die letzten Kalibrierungen vorgenommen wurden.“ Die dunkelhäutige junge Frau mit den zu einem Zopf geflochtenen Rastern legte den Kopf schief, verzog die vollen Lippen. „Und deswegen bin ich hierher gebeten worden?“ „Ein schlaues Kind“, bemerkte Zyxx und drehte sich ihr auf seinem Stuhl zu, „nein, leider nicht nur deswegen, fürchte ich. Der DEM kann noch ein wenig warten.“   Kathea umrundete ihn, setzte mit ihren roten Lippen ein trügerisches Lächeln auf. „Die Undying haben den 'Körper' entwischen lassen.“ „Den was?“, fragte Edna unwissend. „Sie sollten ihn bewachen. Aber das freche Ding hat ein Eigenleben entwickelt und ist schwuppdiwupp ihren Fittichen entfleucht“, erklärte Zyxx mit gar ausschweifenden Handbewegungen, die kurzerhand aufhörten, als er erklärte: „Der 'Körper' wird als solcher bezeichnet, weil er von seiner 'Seele' getrennt ist. Für unser Vorhaben sind beide von entscheidender Bedeutung.“ „Die Undying haben Seraphix nun schon zum zweiten Mal einen Besuch abgestattet. Beim ersten ging es nur darum, abzuklären, ob er im Spiel des Sammlers involviert ist. Der zweite galt dem Körper.“ Kathea näherte sich geradezu schleichend, tänzelnd der etwas kleineren Edna. „Sie sind verzweifelt, wissen nicht, wo er sich versteckt, was er vorhat. Das ist unsere Chance.“ Edna verzog keine Miene. „Und ich soll ihn finden und in Gewahrsam nehmen?“ „Wenn du das schaffst? Aber nein“, winkte Kathea mit dem Zeigefinger ab, „der 'Körper' ist zu mächtig. Er würde dich zerstören, solltest du es wagen, ihn 'in Gewahrsam' nehmen zu wollen.“ „Und was ist dann meine Aufgabe?“ „Wir brauchen etwas, das es mit dem 'Körper' aufnehmen kann.“ Kathea stand der jungen Frau nun direkt gegenüber. „Etwas wie einen Undying. Hefte dich an ihre Fersen und besorg' uns DNA-Proben, vornehmlich von Stoltz. Die, die wir durch ihre Besuche gewonnen hatten, waren nicht ausreichend.“ Edna war es gewohnt, keine Emotionen zu zeigen, doch in diesem Moment hätte sie ihrer Vorgesetzten am liebsten ins Gesicht gelacht. Den Undying Proben entnehmen? Das war ein Himmelfahrtskommando! „Wenn jemand dazu in der Lage ist, dann du“, versicherte Kathea ihr lächelnd, legte ihr dabei die Hand auf die Schulter, „du bist eine Hüterin. Sie werden dir nichts tun.“ Entgegen ihrer Gedanken nickte Edna gehorsam. „Ich werde die Proben besorgen.“ „Sehr gut.“ Die Schwarzhaarige ließ sie los. „Du kannst wegtreten. Sämtliche für deine Mission nötigen Informationen werden wir dir in Kürze übermitteln.“ Damit drehte Edna sich um, war im Begriff, den Konferenzsaal zu verlassen, als Kathea ihr noch eine letzte Botschaft mit auf den Weg gab. „Denke bitte daran, dass die Existenz von CLEAR strengster Geheimhaltung unterliegt. Wir sind noch nicht bereit, uns der Welt zu offenbaren. Solltest du gefangen genommen werden oder etwas anderweitig Unerwartetes passieren …“ „Ich weiß, was ich in einem solchen Fall tun muss“, murrte Edna grimmig und verließ den Raum.     Turn 77 – Iron Durch seinen Sieg erhält Othello die Chance, sich vor einem Millionenpublikum mit Claire Rosenburg zu duellieren. Obwohl Anya sich um sein Wohlbefinden sorgt, setzt sie all ihre Hoffnungen in ihn. Und dann … Kapitel 82: Turn 77 - Iron -------------------------- Turn 77 – Iron     Anya kämpfte sich genervt durch die lange Reihe von Zuschauern in der ersten Reihe. Sie sah ihre Freunde bereits, wie sie gespannt auf sie warteten und peilte den leer gewordenen Platz neben Valerie an. Dabei ließ sie es sich nicht nehmen, auf ein paar Füße zu stampfen und jeden anzufahren, der sich darüber beschwerte.   Nachdem Anya endlich den leeren Platz erreicht hatte, ließ sie sich stöhnend fallen. „Oh man, ihr werdet nie erraten, wer mir gerade im Gang begegnet ist …“ „Der Sensenmann?“, fragte Zanthe drei Plätze weiter schnippisch. „Hab gehört, du bist neuerdings ganz oben auf seiner 'Absolutely Dead'-Liste.“ Anya beugte sich wütend keifend vor: „Schnauze, Flohpelz!“ „Claire. Wir haben gesehen, wie sie und ihr unheimlicher Manager dir in den Gang gefolgt sind“, traf Matt eine Reihe weiter oben hinter Anya ins Schwarze. „Denkst du, du kannst jemanden wie Othello mit der Aufgabe betrauen, eine unbesiegte Duellantin wie sie zu Fall zu bringen?“, fragte Valerie danach skeptisch. Schnaubend ließ sich Anya wieder auf ihrem Platz zurückfallen. „Was soll ich sonst tun? Ich habe das verdammte Turnier schließlich -nicht- gewonnen.“ „Dir das Blondchen schnappen, in 'kompakte Form' bringen und in deine Hosentasche stopfen, wo sie schon mal ungeschützt vor deiner Nase rumsteht?“ Zanthe schnalzte mit der Zunge. „Nur so ein Gedanke.“ Logan neben ihm mischte sich brummig ein. „Wovon redet ihr da?“ „Anya will sie unbedingt besiegen und wäre vor Kurzem noch vor nichts zurückgeschreckt, um ihr ein 'Duell' zu stehlen“, log sein Sitznachbar ohne rot zu werden. Und Logan verzog keine Miene. Auch dann nicht, als der Kopftuchträger noch grinsend eins drauf setzte: „Aber sie hat Schiss bekommen und wollte sogar im Finale aufgeben, wie du gesehen hast. Ist doch so, oder Anya?“ „Ich zeig dir gleich, vor wie wenig ich wirklich zurückschrecke!“ „Komm doch!“ Valerie sprach genervt ein Machtwort: „Hört auf!“ Und Matt fragte einfühlsam: „Ist es wirklich okay für dich, jetzt hier oben zu sitzen, statt in wenigen Augenblicken da unten zu stehen?“ „Yeah.“   Hier war sie wenigstens in Sicherheit vor dem alles einfrierendem Blick der Eiskönigin, dachte Anya dabei. Und es wäre gefährlich, selbst da draußen zu stehen, besonders wo diese Kuh doch genau wusste, worauf sie es abgesehen hatte. Weshalb sie auch nie damit rechnen wird, dass Othello, bewaffnet mit den Handschuhen des Sammlers, die eigentliche Gefahr darstellte.   „Wie lange noch bis es losgeht?“, fragte Anya ungehalten. Logan brummte: „Halbe Stunde.“ „Verrätst du uns auch, was die wahre Duel Queen von ihrer selbsternannten Nachfolgerin wollte, hm?“ Zanthe spitzte neugierig die Lauscher. Nicht vor Logan, mahnte sich Anya. Der musste nicht alles wissen. „Nichts, nur quatschen.“ „Eine Claire Rosenburg quatscht nicht. Böse Zungen behaupten, ihr Wortschatz befände sich im dreistelligen Bereich“, ließ ihr Freund das aber nicht durchgehen. „Also?“ Matt gluckste bitterböse. „Diese Zungen gehören nicht zufällig alle zu dir?“ „Nur ein paar. Nun sag schon, Anya!“ Valerie rollte nur mit den Augen. Und ihre Erzrivalin hätte es ihr zu gern gleich getan, aber das hätte bedeutet, genau dasselbe zu tun und das war absolut nicht drin! Also stöhnte sie und begann leise zu erzählen, wobei sie den Teil mit der Falle bewusst außen vor ließ. Denn Logan war schon skeptisch genug für ihren Geschmack …   ~-~-~   Anders als in Ephemeria City, hatte der strömende Regen in Livington mit dem Ende des Finales nicht aufgehört. Nick saß in einer Bücherecke des Internet-Cafés 'tRUE iDEOLOGY' vor dem Bildschirm eines Rechners. Die Übertragung des Turniers hatte vorübergehend ausgesetzt. „Oje“, seufzte die blonde Alexandra neben ihm nach einer Weile merkwürdigen Schweigens. „Jetzt ist die Sache erst richtig interessant geworden.“ „Nein, sie ist gerade um einiges leichter geworden“, lautete Nicks Kommentar dazu. „Othello ist ein weitaus fähigerer Duellant als Anya. Ich habe gesehen, wie sie sich von Matt die Handschuhe geholt hat. Kein Grund zur Sorge.“ „Der Junge ist sterbenskrank und muss sich mit einer Hüterin duellieren. Für mich wäre das ein Grund zur Sorge.“ „Es zählt nur das Ergebnis.“ Die Blonde im braunen Trenchcoat bedachte Nick eines mitleidigen Blickes. „Vor einem Ergebnis steht immer eine Gleichung. Und wenn die nicht passt, ist das Ergebnis falsch.“ Womit sie erstaunlicherweise Nicks Aufmerksamkeit gewann. Er lächelte sie an, aber nicht herablassend, sondern auf eine warme Art und Weise, wie Alexandra es nicht von ihm erwartet hätte. „Das kann ich wohl nicht abstreiten. Aber denkst du, Anya würde besser in die Gleichung passen?“ „Ich weiß nur, dass es auch unlösbare Gleichungen gibt. Und hoffe für dich, dass dies keine ist.“ „Wenn eine Gleichung unlösbar ist, muss sie umformuliert werden.“ Nicks Lächeln verschwand so schnell wie es gekommen war und mit ihm auch Alexandras Lust, das Gespräch fortzusetzen.   ~-~-~   Eine halbe Stunde später war Anyas Freundeskreis immer noch in der heißen Debatte vertieft, wie Anya auf einem D-Wheel aussah, wie sie an so eines herankommen sollte oder, Zanthes Liebling, wie lange sie sich überhaupt unfallfrei auf einem halten können würde. Natürlich war Anya selbst wenig angetan vom Gesprächsstoff ihrer Freunde und hielt sich daher, wie Logan, grimmig aus der Sache hinaus. „Hab'n D-Wheel. Kann's dir gerne leihen“, brummte der von der einen Seite. Von der anderen kam es ebenso mürrisch zurück: „Danke. Werd' vielleicht drauf zurückkommen, wenn ich Bock hab.“ „In wenigen Minuten beginnt das Abschlussduell“, erklang plötzlich eine Durchsage, „wir bitten Sie, sich jetzt zu Ihren Plätzen zu begeben.“   Unten auf dem Spielfeld hatte sich bereits das Produktionsteam breit gemacht. Gleich vier Kameramänner waren diesmal dabei. Anya konnte sich nicht erinnern, dass es bei ihrem Duell gegen Othello so viele gewesen waren. „Was für'n Rummel um dieses Miststück gemacht wird.“ Anya sah herüber zum gläsernen Turm auf der anderen Seite, wo sich die VIP-Lounge und Mr. Cs Kommentatorenkabine befanden. „Das 'Miststück' bringt eben Quoten“, erklärte ihr Zanthe schulterzuckend. „Sie ist halt irgendwie einzigartig.“ „Gab es eigentlich jemals Betrugsvorwürfe gegen sie?“, fragte Anya neugierig, jetzt wo sie darüber nachdachte, wie unwahrscheinlich es war, so lange unbesiegt durch die Profiszene zu marschieren. Valerie nickte. „Ja, aber die haben sich immer als haltlos erwiesen. Einmal hat sie zum Beweis mit einem ihr bis dato völlig fremden, von Kritikern bereit gestellten Deck ein Turnier bestritten. Ich muss wohl nicht ausführen, wie das für ihre Gegner ausging.“ „Also ein echtes Wunderkind?“ Matt grübelte lautstark. „Hmm, vielleicht ist es ganz gut, wenn Othello sich mit ihr duelliert und nicht Anya.“ Was die natürlich sofort persönlich nahm. „Noch so'n Spruch und mit dir passiert dasselbe wie mit diesem Freak von heute Morgen, Summers!“ „Welchem Freak?“, fragte Logan nach. „In Anyas Augen sind wir alle Freaks. Woher sollen wir wissen, wen sie meint?“ Zanthe warf seiner Freundin einen finsteren Blick zu, der ihr sagen sollte, diesen Lee nicht in Logans Anwesenheit zu erwähnen. „Punkt für dich“, nickte Logan mit verschränkten Armen. Und Anya konnte sich kaum noch auf ihrem Stuhl halten. Warum hackten immer alle auf ihr herum!?   „Meine Damen und Herren!“ Das Gezanke der Gruppe wurde jäh unterbrochen, als auf jedem der Bildschirme rund um die Zuschauertribünen Mr. Cs Konterfei erschien. Der bärtige Kommentator mit der Elvistolle strahlte über beide Backen. „Othello Nikoloudis hat den Kampf gegen Anya Bauer vielleicht gewonnen, doch die größte Herausforderung steht ihm noch bevor.“   Elektronische, basslastige Musik füllte das Stadion. Die Menschenmassen begannen lautstark auszuflippen. Von der einen Seite rollte Othello aus dem Gang zur Duellfläche. Er war blass, wirkte müde und Anya hoffte, dass es ihm nicht allzu schlecht ging. Zwar war es unwahrscheinlich, dass Claire sich vor einem Millionenpublikum an ihm vergriff, doch in diesem kränklichen Zustand bestand die Gefahr bei ihm, dass er Fehler beging. Und das durfte er gegen Rosenburg nicht! Und dann, als die blonde Claire von der anderen Seite über den Metallboden schritt, explodierte die Halle. Schreie, Gekreische, Getröte, alles, was das Trommelfell zum Platzen brachte. Nach wie vor steckte die junge Frau in ihrem weiß-hellblauen Motorradanzug und schritt gelassen voran. Man verstand Mr. C kaum bei dem, was er sagte. Der Jubel, die Anfeuerungsrufe, die begeisterten Schreie – dagegen wirkte die Aufregung, die während der vorherigen Duelle des Legacy Cups geherrscht hatte, wie ein Treffen tibetanischer Mönche. Dazu war das Stadion zum Brechen voll, was Anya zuvor gar nicht aufgefallen war. Diese hielt sich zeitweise die Ohren zu, denn immer wieder ertönten hinter ihr lästige Tröten. „Verdammt, das nervt“, murrte sie, war sich aber nicht sicher, ob ihre Freunde sie überhaupt hörten. Was zumindest Zanthe tat, doch seine Antwort war nur schwer vernehmlich unter all dem Lärm. „... immer so bei … Cla … osenburg … Duellen.“ „Was?“ Ehe der Werwolf überhaupt dazu kam, seine Antwort zu wiederholen, trötete es hinter ihnen und Anya sprang wutentbrannt auf. Sich umwirbelnd, fauchte sie den Übeltäter an: „Alter, leg das Ding weg, sonst leg ich dich weg!“ Der Typ, zwei Reihen über ihr, trötete breit grinsend in ihre Richtung. Ein Claire-Fan, wenn man bedachte, das sein T-Shirt ihr Abbild auf einem D-Wheel zeigte, er einen Schal mit Rosenburg-Aufschrift trug und nun laut ihren Namen schrie. „Setz' dich hin“, forderte Valerie seufzend, „das bringt nichts.“ „Dem werd' ich die Fresse so blitzeblank polieren, dass sie glänzt!“ Ihre Sitznachbarin zuckte mit den Schultern. „Bitte, wenn du von den Ordnungswächtern abgeführt werden möchtest.“ Anya ließ sich neben ihr frustriert in ihren Sitz fallen. „Pah!“ „Komm schon, das willst du dir doch nicht entgehen lassen, oder?“, fragte Matt hinter ihr beschwichtigend. „Immerhin sitzen wir in der ersten Reihe. Ich bin wirklich gespannt, da ich schon lange keines ihrer Duelle mehr mitverfolgt habe.“   Inzwischen standen sich Claire und Othello auf der Plattform gegenüber. Melindas Antlitz wurde nun auf den Bildschirmen gezeigt, welche gerade ihre Rede beendete. „… also liefert den Leuten eine einzigartige Show! Und an euch Zuschauer hier und da draußen: Viel Spaß!“ Mr. Cs Abbild wechselte ihres ab. „Ihr habt es gehört, Duellfans auf der ganzen Welt! Das letzte, das große, das spektakulärste Duell des Legacy Cups beginnt … jetzt!“, schrie der Kommentator in sein Mikrofon. Und die Halle explodierte, metaphorisch gesprochen. Anya hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Ohren zu, denn diesmal trötete nicht nur der Typ hinter ihr. Sie konnte nicht einmal hören, ob die beiden „Duell“ riefen oder nur Othello, da Claire sich vielleicht zu cool dafür hielt. Tch!   [Othello: 4000LP / Claire: 4000LP]   Da standen sie sich nun gegenüber, auf der einen Seite der Rollstuhlfahrer mit dem strohblonden, langen Haar und dann die blonde Duel Queen, wie Anya sie betitelte. Zugegeben, in ihrer jetzigen Aufmachung sah sie nicht so deplatziert aus wie damals auf der Einführungs-Veranstaltung. Die beiden grünen Strähnen standen geradezu symmetrisch von ihrem Gesicht ab, der Bob war kerzengerade geschnitten. Aber eins störte Anya an ihrem Anblick. „Man, die steht so … teilnahmslos da.“ „Ja. Macht bei normalen Duellen nicht die beste Figur. Weniger leblos, sondern einfach unbekümmert.“ Anya sah Logan fragend an. „Wieso? Sie weiß doch gar nicht, wie gut der Knirps ist.“ „Sieh es dir einfach selbst an, dann verstehst du, warum die Leute sie lieben, obwohl sie keine gute Performerin ist“, meinte Valerie daraufhin.   „Du kannst beginnen“, gestand Othello derweil seiner Gegnerin zu und huste leise. Diese nickte und zog fünf Karten von ihrem Deck. Eine von ihnen wählend, legte sie jene auf ihr D-Pad. „Ich setze ein Monster.“ Dazu schob sie gleich den ganzen Rest ihrer Karten in die Rückseite des Apparats. „Vier Karten verdeckt. End Phase.“ Zunächst materialisierte sich das Monster in Form eines horizontal liegenden, vergrößerten Kartenrückens vor ihr. Hinter ihm dann zischend die vier anderen Karten in vertikaler Lage.   Othello griff nach dem Deck auf seinem Spielplan und zog. „Draw! I-“ „Permanente Falle aktivieren“, schnitt ihm Claire gleich darauf das Wort ab, „[Cyber Summon Blaster].“ Die links außen liegende ihrer vier gesetzten Karten sprang auf. Hinter Claire öffnete sich eine Falltür, aus welcher, wie auf der Karte abgebildet, ein mannshohes Geschoss aus dem Erdboden fuhr, obgleich es mit seiner trichterförmigen Kanone auf den ersten Blick harmlos erschien. Sofort jubelte ihr beinahe das gesamte Publikum zu. „Das sieht böse für den Herausforderer aus“, gluckste Mr. C verschwörerisch. Nachdem jener die sechste Karte seinem Blatt hinzufügte, merkte er erst, wie sehr seine Hände doch zitterten. Wie schnell sein Herz schlug. Er sah auf zu Claire, die sich keinen Millimeter rührte und ihn anstarrte. Doch kam es ihm so vor, als würde sie eher durch ihn hindurchschauen, als wirklich wahrzunehmen. „Ich weiß, ich kann dich besiegen“, sagte er leise, „und dir einen spannenden Kampf bieten. Versprochen!“ „Hört ihr das!? Unser Othello will uns eine Show der Extraklasse bieten!“ Die Zuschauer überschlugen sich vor Zurufen für den jungen Mann förmlich, wobei der nur ein gequält lächelndes Gesicht verzog. De facto wusste er nicht einmal, ob er sein Versprechen einlösen können würde. Trotzdem nahm er schließlich zwei Karten aus seinem Blatt und zeigte sie vor. „Ich aktiviere den gefährlichsten aller Drachen, [Odd-Eyes Pendulum Dragon] mit dem Pendelbereich 4 und die Magierin, die die Träume deutet: [Dreamgazer Magician], Pendelbereich 4! Pendulum Scale set!“ Zwei Lichtsäulen schossen links und rechts neben ihm aus dem Boden. In Ersterer befand sich sein Assmonster, der rote, mächtige Drache, an dessen silbernem Brustpanzer sich flügelartige Auswüchse befanden. Auf der anderen Seite hingegen stieg ein weiblicher Magier auf, gekleidet in einer himmelblauen Robe. Sie ließ eine Kristallkugel mit quer liegendem, symbolischem Auge darauf vor sich schweben.   <4> Othellos Pendelbereich <4>   Verwirrte Gesichter im Publikum, betont durch Getuschel und verwirrte Ausrufe. Auch Anya verstand es nicht. Wie wollte er Pendelbeschwörungen durchführen, wenn seine beiden Monster denselben Wert besaßen!? „Wird vielleicht interessanter als ich dachte“, murmelte Logan nachdenklich, sodass sie zu ihm herübersah. „Hm?“ „Wart ab und sieh selbst“, erwiderte er, als er den neugierigen Blick bemerkte.   „[Dreamgazer Magicians] Pendelbereich ändert sich je nachdem, ob die Stufe ihres Partners größer oder kleiner als ihre eigene ist. Da 'Odd-Eyes' die Stufe 7 besitzt und damit über ihrer Stufe 4 liegt“, erklärte Othello angespannt, „wird [Dreamgazer Magicians] Pendelbereich zu 8!“ „Für einen Moment dachte ich schon, unserem Wunderkind wäre ein Fehler unterlaufen“, atmete Mr. C entsprechend auf. Eine blaue Aura begann um die Magierin zu leuchten, als sich das Auge auf ihrer Kristallkugel schloss, dieselbe Farbe annahm und wieder öffnete.   <4> Othellos Pendelbereich <4 → 8>   „Und jetzt“, verkündete Othello und streckte den Arm in die Höhe, „schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum! Aus meiner Hand beschwöre ich den Magier, der die Welt überwacht: [Dharma-Eye Magician]! Pendulum Summon!“ Ein gewaltiges Tor in eine andere Welt öffnete sich über Othello zwischen seinen beiden Monstern. Um das Pendelportal spannten sich aberdutzende, ovale Lichtringe, die ein Muster ergaben. Aus dem Loch schoss ein einzelner, roter Lichtstrahl, der vor dem Burschen im Rollstuhl einschlug. Dieser nahm am Boden die Gestalt eines in dunkelblauer Kleidung steckenden Magiers an, der eine massive Goldkeule mit beiden Händen führte.   Dharma-Eye Magician [ATK/2000 DEF/2500 (7) PSC: <2/2>]   Die Leute applaudierten ihm, aber längst nicht so euphorisch wie während des Duells mit Anya. Jene fasste sich an die Stirn, nachdem sie kurz über seinen Zug nachgedacht hatte. „Was macht der da!?“ Othello hätte genauso gut [Dharma-Eye Magician] in die Pendelzone platzieren können und dann [Odd-Eyes Pendulum Dragon] rufen können, ein wesentlich stärkeres Monster im direkten Vergleich. Zanthe seufzte. „Ach Anya, du hast dich vorher gar nicht informiert, was? [Dharma-Eye Magician] schützt Magician-Pendelmonster im Zug seiner Beschwörung vor Zerstörungseffekten.“ Ihre Erzrivalin nickte. „Bei so vielen verdeckten Karten muss er sicherstellen, nicht in eine Falle zu tappen. Da die Pendelbeschwörung nur einmal pro Zug zur Verfügung steht, wäre er aufgeschmissen, wenn er seinen Odd-Eyes jetzt verliert.“ Schmollend verschränkte Anya die Arme. Was auch immer, solange er nur das verdammte Duell gewann!   Othello zog die Augenbrauen an. Er hatte keine Angst vor ihr, mahnte er sich. Sie war der letzte Stein, der ihm noch im Weg lag, um seinen Wunsch zu erfüllen. „Angriff auf ihr verdecktes Monster, [Dharma-Eye Magician]! Burden Carrier!“ Von einem Augenblick zum anderen hatte sich der Magier direkt zur verdeckt liegenden Karte teleportiert, die daraufhin um die eigene Achse wirbelte. Ein riesiges Tankflugzeug mit aufgemaltem Hamstergesicht stieg daraus in die Höhe auf. Neben ihm entstanden unmittelbar zwei holographische, durchsichtige Versionen seiner selbst. „Das ist [Mecha Phantom Beast Hamstrat]! Also eine typische Rosenburg-Eröffnung!“, johlte Mr. C unter dem Lärm des Publikums.   Mecha Phantom Beast Hamstrat [ATK/1100 DEF/1600 (3)]   Doch [Dharma-Eye Magician] ließ sich davon nicht irritieren, folgte dem Metallkoloss quer durch die Luft und schaffte es mit einem gezielten Hieb, den Goliath zum Explodieren zu bringen. „[Mecha Phantom Beast Hamstrat] erschafft zwei Mecha Phantom Beast-Projektionen, wenn es aufgedeckt wird“, lautete Claires tonloser Kommentar dazu, als die letzten Trümmerteile ihres Tankers sich in Luft auflösten, anders als die beiden, bunten Hologrammen daneben, die dem Original 1:1 entsprachen.   Mecha Phantom Beast-Spielmarke x2 [ATK/0 DEF/0 (3)]   Eine Sekunde später stand [Dharma-Eye Magician] wieder vor Othello. Dessen Züge schienen ihm jedoch regelrecht entglitten zu sein, denn seine erschrockene Mimik sprach Bände. Plötzlich zischte es. In Claires Geschütz lud sich ein bläulicher Blitz auf, der aus der Kanone direkt auf den Jungen abgefeuert wurde. „Argh!“, presste er unter den um ihn schlagenden Entladungen heraus.   [Othello: 4000LP → 3700LP / Claire: 4000LP]   „Wenn ein oder mehrere Maschinen-Typ-Monster spezialbeschworen werden, erhält der Gegner 300 Punkte Schaden.“ Claire verzog dabei keine Miene.   Anya verschränkte missmutig unter dem lautstarken Jubel hinter ihr die Arme. „Die redet, als ob sie selber eine Maschine wäre.“ „Wer weiß, vielleicht ist sie sogar eine“, gluckste Zanthe bitterböse. Er sah Anya neugierig an. „Wie kommt es eigentlich, dass eine Kartenverkäuferin Claire Rosenburg nicht kennt?“ Die Blonde zuckte mit den Schultern. „Hab mich nie wirklich mit der Pro-Liga und dem ganzen Scheiß auseinandergesetzt. Wenn ich in Zukunft was reißen will, muss ich das wohl ab jetzt?“ „Wow, deine Ignoranz wird nur noch von deiner mangelnden Intelligenz übertroffen.“ „Schnauze, Flohpelz!“, fauchte Anya mit der Faust wedelnd, doch der Werwolf kicherte nur vergnügt. Ihre Sitznachbarin indes nickte. „Vieles hängt schon davon ab, wie du dich vorbereitest. Einige Duelle werden entschieden, noch bevor sie ausgetragen werden, Anya.“ Diese verzog ihre Augen zu Schlitzen und betrachtete dabei Claire. „Wirklich, huh?“   „Da ich noch keine Normalbeschwörung durchgeführt habe, setze ich ein Monster“, rief Othello entschlossen aus und legte die Karte auf seinen Spielplan, wodurch sie in vergrößerter Form in horizontaler Lage vor ihm erschien, „und dazu noch eine weitere Karte verdeckt!“ Hinter dem Monster materialisierte sich eine vertikal liegende Falle. In dem Moment meldete sich seine Gegnerin zu Wort. „Permanente Falle aktivieren: [Aerial Recharge]. Einmal pro Zug erschafft sie ein Mecha Phantom Beast-Projektion.“ Die purpur umrandete Karte sprang auf. Aus ihr schoss ein drittes Hologramm des zerstörten Lufttankers, welcher auch auf der Falle abgebildet war, und stieg in die Luft zu den anderen beiden auf.   Mecha Phantom Beast-Spielmarke [ATK/0 DEF/0 (3)]   „Da die Projektion vom Typ Maschine ist, erleidest du 300 Punkte Schaden“, erklärte die Blonde tonlos. Gleichzeitig begann die Kanone hinter ihr damit, sich aufzuladen, um einen Blitzstrahl auf Othello zu schießen. Jener stöhnte bei dem Treffer erschrocken.   [Othello: 3700LP → 3400LP / Claire: 4000LP] „Nicht schlecht! Ich gebe an dich ab, Claire.“ Der strohblonde Junge hustete, dann fügte er an: „In der End Phase aktiviert sich der Effekt von [Odd-Eyes Pendulum Dragon] in meiner Pendelzone!“ Der rote Drache in der Lichtsäule neben ihm begann laut aufzuheulen. Dann zersprang er in tausend Teile, was die Zuschauer verwirrt zurückließ. „Pendulum Cry! Ich erhalte ein Pendelmonster von meinem Deck, dessen Angriffskraft maximal bei 1500 liegt!“ Aus der Säule stiegen die restlichen Partikel als roter Lichtstrahl auf, welcher vom sich öffnenden Pendelportal absorbiert wurde. Othello zeigte indes die gesuchte Karte vor. „Ich wähle [Wisdom-Eye Magician]. Damit wird der Pendelwert von [Dreamgazer Magician] wieder zu 4.“ Das blaue Auge auf deren Kristallkugel schloss sich, wurde rot und öffnete sich wieder.   Othellos Pendelbereich <8 → 4>   „Während jeder End Phase muss ein Mecha Phantom Beast als Tribut angeboten werden, oder [Aerial Recharge] wird auf den Friedhof geschickt.“ Nach Claires Einwurf löste sich eines der drei Hologramme über ihr auf.   In der ersten Reihe beugte sich Zanthe grinsend nach vorne. „Nicht schlecht. Nächste Runde kann er sie nach Herzenslust ausspielen. [Wisdom-Eye Magician] kann sich in der Pendelzone zerstören, um einen beliebigen anderen Magier an seine Stelle zu setzen.“ Valerie verschränkte die Arme. „Wie die Magier, die während eines Angriffs Kartenaktivierungen unterbinden.“ „Und er hat dann auch Zugriff auf [Odd-Eyes Pendulum Dragon]“, stimmte Matt mit ein. Nur Anya wusste nichts Konstruktives dazu zu sagen, sondern fragte stattdessen: „Wieso ist das so wichtig?“ „Wir wollen dir nur veranschaulichen, wieso -du- nicht da unten stehst“, stichelte Zanthe und traf damit mal wieder Anyas wunden Punkt, welche beleidigt schnaubte. Am liebsten würde sie diesen vorlauten Pelzträger erwürgen, dachte Anya zerknirscht, wusste aber, dass sie sich auf das Duell konzentrieren sollte. Nur für den Fall …   „Draw“, rief Claire Rosenburg fast schon gelangweilt und zog mit einer entsprechend unspektakulären Bewegung eine Karte von ihrer grauen, halbmondförmigen Duel Disk, welche sonst Teil ihres D-Wheels war. „Effekt von [Aerial Recharge]. Diese Falle beschwört eine Mecha Phantom Beast-Projektion.“ Womit wieder ein Hologramm aus der Falle austrat und in die Höhe aufstieg. Gleichzeitig reaktivierte sich das Geschütz hinter der jungen Frau und feuerte eine elektrische Ladung auf Othello ab. „Eine Maschine wurde spezialbeschworen, also fügt [Cyber Summon Blaster] 300 Punkte Schaden zu.“ Als der Rollstuhlfahrer getroffen wurde, keuchte er angespannt.   [Othello: 3400LP → 3100LP / Claire: 4000LP]   „So kennen und lieben wir sie, unsere Claire Rosenburg“, lobpreiste Mr. C die Weltmeisterin, „obwohl sie noch gar nicht richtig aktiv geworden ist, hat sie Othello bereits einen beachtlichen Teil seiner Lebenspunkte genommen!“ Was ihre Fanboys und -girls auf den Plan rief, die in immer kürzer werdenden Intervallen den Namen der Blonden kreischten. Jene betätigte umgehend eine Taste an ihrer Duel Disk und ließ die dritte ihrer vier Backrow-Karten aufspringen. „Schnellzauber: [Scramble!! Scramble!!]. Wenn mein Gegner mehr Monster als ich kontrolliert, ausgenommen Spielmarken, opfert diese Karte sämtliche meiner Projektionen und ersetzt sie durch reale Mecha Phantom Beasts aus meinem Deck.“ Eine Alarmsirene erklang. Hintereinander lösten sich die drei Hologramme auf. Aus dem Nichts schossen aus der Glaskuppel des Stadions drei Flugzeuge. Das erste verfügte über zwei Rotoren, sein Cockpit besaß die Form eines stilistischen Pferdekopfs. In der Mitte hingegen befand sich ein goldener Düsenjet mit Löwenkopf-Cockpit, rechts außen dagegen eine taktischer Kampfjet, angelehnt an einen Velociraptor. „[Mecha Phantom Beast Coltwing], [Mecha Phantom Beast Harrliard], [Mecha Phantom Beast Megaraptor]“, benannte Claire sie der Reihe nach und fügte gleich hinzu: „Monstereffekt: Wenn Coltwing spezialbeschworen wird, wenn ich ein weiteres Mecha Phantom Beast kontrolliere, erschafft er zwei Projektionen.“ Neben dem Wandelflugzeug tauchten zwei bunte, durchsichtige Hologramme auf, die ansonsten absolut identisch zum Original waren.   Mecha Phantom Beast Coltwing [ATK/1600 DEF/1500 (4 → 10)] Mecha Phantom Beast Harrliard [ATK/1800 DEF/800 (4 → 10)] Mecha Phantom Beast Megaraptor [ATK/1900 DEF/1000 (4 → 10)] Mecha Phantom Beast-Spielmarke x2 [ATK/0 DEF/0 (3)]   „Uh, hat sie gerade mit nur einer Karte fünf Monster aufs Feld gebracht?“ Anya schaffte es nicht, ihren Mund danach wieder komplett zu schließen. „Wenn du wüsstest“, prophezeite der Kopftuchträger neben Logan düster. Mit Mühe wandte sich Anya kurz vom Duellgeschehen ab. „Wieso sind die Stufen dieser Dinger gestiegen?“ „Jedes Mecha Phantom Beast erhöht seine Stufe um die Gesamtstufe der sich derzeit im Spiel befindlichen Projektionen. Also in diesem Fall um 6“, erklärte Valerie ihr, „nicht, dass Claire jemals meines Wissens nach davon Gebrauch gemacht hat …“ Ihre Freundin richtete den Blick wieder auf das Spielfeld. „'kay …?“   Dort begann Claires Kanone sich wieder aufzuladen. „Ich habe zweimal hintereinander Maschinen-Typ-Monster spezialbeschworen, also fügt [Cyber Summon Blaster] dir 600 Punkte Schaden zu.“ „Ich weiß.“ Othello schloss die Augen, als das Geschütz hintereinander zwei Energieladungen abfeuerte, die links und rechts neben ihm einschlugen.   [Othello: 3100LP → 2800LP → 2500LP / Claire: 4000LP]   „Monstereffekt von Coltwing. Ich deaktiviere zwei Projektionen und konzentriere Energie in die Zerstörung einer Karte. [Dharma-Eye Magician]“, sprach Claire, ohne sich auch nur einen Millimeter dabei zu bewegen. Das Wandelflugzeug über ihr fuhr unterhalb des Cockpits ein Maschinengewehr aus. Seine beiden holografischen Abbilder lösten sich auf, im Anschluss folgte rapides Sperrfeuer, das den dunkelblauen Magier zerfetzte. Und die Blonde fügte an: „Die Karte wird verbannt.“ Entsetzte Ausrufe erklangen, als sich die Überreste von Othellos Monster auflösten, aber kein Pendelportal erschien, um sie zu absorbieren. Doch der konzentrierte Ausdruck des jungen Mannes vermittelte, dass ihn das nicht unvorbereitet getroffen hatte. „Monstereffekt: Wenn ein Monster durch einen Karteneffekt geopfert wird, erschafft [Mecha Phantom Beast Harrliard] pro Zug eine Projektion. Monstereffekt: Wenn eine Projektion aktiviert wird, erschafft [Mecha Phantom Beast Megaraptor] pro Zug eine weitere.“ Erst gewann die bunte, durchsichtige Gestalt des Löwen-Kampfjets an Form, gleich im Anschluss die des Raptorenjägers.   Mecha Phantom Beast-Spielmarke x2 [ATK/0 DEF/0 (3)]   „Zweimal hintereinander wurden Maschinen-Typ-Monster spezialbeschworen. [Cyber Summon Blast] fügt also 600 Punkte Schaden zu“, setzte Claire ihre Effektkette mechanisch fort. Das Geschütz hinter ihr feuerte nacheinander zwei Energiestrahlen ab, die wieder links und rechts um Othello einschlugen, welcher keuchend das Haupt senkte.   [Othello: 2500LP → 2200LP → 1900LP / Claire: 4000LP]   „Irre, wie sie ihn systematisch fertig macht, ohne bisher auch nur einmal angegriffen zu haben“, staunte Matt hinter Anya. Die knurrte etwas Unverständliches vor sich hin. Über die Hälfte der Lebenspunkte ihres neuen Freundes waren schon weg, verdammt! Diese dämliche Rosenburg durfte nicht gewinnen!   Erstaunlicherweise streckte die blonde Duellantin im weiß-hellblauen Motorradanzug den Arm aus und befahl: „Battle Phase: Megaraptor greift das verdeckte Monster an.“ Unterhalb des dunklen Jets befanden sich zwei Klauen, dort wo sich sonst das Fahrwerk befand. In ihnen tauchten aus dem Nichts zwei Raketen auf, die einfach losgelassen wurden und im Fall starteten. Anya biss sich auf die Unterlippe. Wenn sein Monster zu schwach war, würde Claire- „Falle! [Waboku]! Sie beschützt meine Monster und meine Lebenspunkte für den Rest des Zuges!“ Energisch drehte der junge Mann die Karte auf dem Spielplan vor ihm um. Drei Priesterinnen in blauen Roben tauchten um ihn herum auf und bildeten durch ein gemeinsames Gebet ein kuppelförmiges Kraftfeld. Gleichzeitig wirbelte die verdeckte Monsterkarte herum, aus der eine typische, verschleierte Wahrsagerin in rot-schwarzer Robe stieg. Die beiden Raketen prallten vor ihr an dem Kraftfeld ab.   Crystal Seer [ATK/100 DEF/100 (1)]   „Er hat den Angriff abgewehrt und gleichzeitig sein Überleben für diesen Zug gesichert“, rief Mr. C unter dem Applaus der Leute aus, „oder?“ Anya atmete erleichtert auf. „Der Flippeffekt von [Crystal Seer] wird jetzt ausgelöst!“ Othello nahm die obersten beiden Karten von seinem Deck und zeigte sie vor. „Eine der beiden darf ich mir aussuchen und behalten, die andere wird unter mein Deck gelegt.“ In vergrößerter Form erschienen über ihm die Monsterkarte [Odd-Eyes Dragon] und der Zauber [Gift Of The Martyr]. Der junge Mann im Rollstuhl entschied sich zum Erstaunen vieler für Letztere, fügte sie seiner Hand hinzu und legte dann sein altes Assmonster unter sein Deck. „Warum nicht dein Odd-Eyes?“, wunderte Anya sich leise. „Die Zauberkarte wird ihm viel mehr nutzen“, erwiderte Logan daraufhin. Gleichzeitig verkündete Claire: „Wechsel in Main Phase 2. Monstereffekt: Megaraptor deaktiviert eine Projektion, dafür wird ein Mecha Phantom Beast von meinem Deck meiner Hand hinzugefügt. [Mecha Phantom Beast Harrliard].“ Automatisch wurde eine zweite Kopie jener Karte aus ihrem Deck geschoben, kurz nachdem das Hologramm des Raptorjets sich auflöste. Aber die Blonde war noch nicht fertig. „Monstereffekt: Einmal pro Zug deaktiviert Harrliard eine Projektion, um ein Mecha Phantom Beast von meiner Hand spezialzubeschwören. [Mecha Phantom Beast Harrliard].“ Auch das bunte Ebenbild des Löwenjets verschwand. Stattdessen erschien an derselben Stelle das Original, wodurch die beiden Harrliards nebeneinander flogen.   Mecha Phantom Beast Harrliard [ATK/1800 DEF/800 (4)   Abermals begann das Geschütz hinter Claire zu rütteln. Dieses Mal sparte die sich die Erklärung gleich und sah ausdruckslos mit an, wie Othello unmittelbar von einem weiteren Energiestoß getroffen wurde.   [Othello: 1900LP → 1600LP / Claire: 4000LP]   „Verdeckte Schnellzauberkarte aktivieren“, rief Claire plötzlich aus und ließ die flache Hand über die letzte ihrer vier eingangs gesetzten Karten fahren, „[Vertical Landing]. Damit kann ich beliebig viele Wind-Monster als Tribut anbieten, um eine identische Zahl an Mecha Phantom Beast-Projektionen zu erschaffen.“ Der Löwenjet, den sie zuerst gerufen hatte, löste sich auf und an seiner Statt begann sein buntes Hologramm zu leuchten.   Mecha Phantom Beast-Spielmarke [ATK/0 DEF/0 (3)]   Und [Cyber Summon Blaster] bombardierte Othello erneut, welcher dieses Mal einen nervösen Laut ausstieß. Denn er wusste, dass er nur noch wenige dieser Treffer wegstecken konnte.   [Othello: 1600LP → 1300LP / Claire: 4000LP]   „Monstereffekt: Ein Monster wurde als Tribut für einen Karteneffekt angeboten, also erschafft das neue [Mecha Phantom Beast Harrliard] eine Projektion.“ Eine zweite Kopie des Kampfjets gesellte sich zur ersten, wodurch Claires Monsterzonen wieder allesamt mit Coltwing, Megaraptor, Harrliard und den zwei Spielmarken besetzt waren. Unnötig zu erwähnen, dass Othello gleich noch eine Energieladung abbekam.   [Othello: 1300LP → 1000LP / Claire: 4000LP]   Indes krallte sich Anya in die Plastiklehnen ihres Sitzplatzes und beugte sich vor. Fassungslos nuschelte sie: „Die nimmt ihn völlig auseinander! Er hat ihren Angriff abgewehrt, aber sie dezimiert seine Lebenspunkte trotzdem!“ „Verstehst du jetzt, warum ich lieber an deiner Stelle gegen sie gekämpft hätte?“, wurde das Mädchen von Valerie mitleidig gefragt. Klamm nickte Anya.   „Ich setze eine Karte“, sprach Claire nach wie vor ohne jegliche emotionale Regung und ließ zwischen ihren beiden dauerhaften Fallen eine verdeckte Karte erscheinen. „End Phase. Damit werden jetzt die negativen Effekte von [Scramble!! Scramble!!] sowie [Aerial Recharge] ausgelöst. Erstere schickt sämtliche Monster zurück ins Deck, die durch sie gerufen wurden.“ Sowohl Megaraptor, als auch Coltwing machten aus dem Stand einen Rückwärtslooping und verschwanden ins Nichts. „Und sollte ich kein Mecha Phantom Beast als Tribut anbieten, muss ich [Aerial Recharge] auf den Friedhof legen. Ich entscheide mich dafür, die Falle zu behalten.“ Sofort löste sich eines der bunten Hologramme auf, wodurch sie plötzlich nur noch den zweiten Harrliard sowie sein verbliebenes Ebenbild kontrollierte. „Was für ein Zug von unserer Weltmeisterin! Die Luft wird dünn für unseren Herausforderer und das nach bereits wenigen Zügen!“, fasste Mr. C die Situation unnötigerweise noch einmal zusammen.   „Noch habe ich nicht verloren!“ Entschlossen sah Othello auf sein Deck herab. Er wusste, dass Claire ihm keinen weiteren Zug mehr gestatten würde, also musste dieser die Entscheidung bringen. Aber er wusste, was zu tun war. So nahm er seine letzte Karte auf. „Draw!“ Sie zu den anderen dreien steckend, nahm er gleich im Anschluss eine andere aus seinem Blatt und zeigte sie vor. „Ich aktiviere den Magier, der das Wissen bewahrt: [Wisdom-Eye Magician] mit dem Pendelbereich 5! Pendulum Scale set!“ In der von [Odd-Eyes Pendulum Dragon] leer zurückgelassenen Lichtsäule neben Othello erschien ein Hexer, ganz in Schwarz gekleidet, welcher eine Laterne an einem Stab hängend mit sich führte, und stieg in die Höhe auf.   <5> Othellos Pendelbereich <4>   „Sowohl [Wisdom-Eye Magician], als auch [Dreamgazer Magician] sind auf Stufe 4, weshalb der Effekt Letzterer nicht greifen kann. Aber“, murmelte Othello leise, „dank seines Effekts kann ich ihn zerstören und einen anderen Pendelmagier an seine Stelle setzen.“ Der in Schwarz gekleidete Magier zersprang in tausend Teile. Othello nahm sein Deck in die Hand und suchte sich die Karte raus, von der er sich am meisten versprach. Denn wenn seine Offensive gelingen sollte, gab es wenige Optionen. „Ich aktiviere den Magier, der die Zeit versteht: [Timegazer Magician] mit dem Pendelbereich 8! Pendulum Scale set!“ Neben ihm in der Lichtsäule tauchte ein anderer, schwarzer Magier auf, an dessen Arm sich eine goldene Klinge, ähnlich einem Zahnradkranz, die sich beinahe einmal im Kreis um ihn schloss. Langsam schwebte der Hexer nach oben, wo seine Wahrsager-Kollegin auf der anderen Seite wartete. Auf ihrer Kristallkugel leuchtete das Auge grün auf.   <8> Othellos Pendelbereich <4 → 1>   „Da [Timegazer Magicians] Stufe kleiner als Dreamgazers ist, wird ihr Pendelbereich zu 1.“ Unmittelbar nach dieser Erklärung reckte der Rollstuhlfahrer mit dem strohblonden, schulterlangen Haar die Hand in die Höhe. „Und jetzt schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum!“ Über ihm öffnete sich das bunte Tor in eine andere Dimension, umgeben von vielen, vielen blauen Lichtellipsen. „Aus meinem Extradeck! [Odd-Eyes Pendulum Dragon]! [Wisdom-Eye Magician]! Pendulum Summon!“ Zwei rote Lichtstrahlen schossen aus dem Pendelportal und schlugen vor ihm ein. Zunächst erhob sich der rote, flügellose Drache zu voller Größe und schrie stolz. Neben ihm bezog der Magier mit dem Laternenstab neben der Wahrsagerin [Crystal Seer] Stellung.   Odd-Eyes Pendulum Dragon [ATK/2500 DEF/2000 (7) PSC: <4/4>] Wisdom-Eye Magician [ATK/1500 DEF/1500 (4) PSC: <5/5>]   Mr. C flötete: „Da ist es endlich, Othellos Assmonster! Ob es wohl eine unverhoffte Wendung mit sich bringen wird?“ Dessen Besitzer verzog konzentriert das Gesicht und legte eine Zauberkarte auf den Spielplan vor sich. „Ich aktiviere jetzt [Gift Of The Martyr]!“ Unerwartet streckte sein Laternenmagier beide Arme weit von sich und stieß einen energischen Schrei aus, ehe er sich in weiße Lichtpartikel auflöste. Dazu erklärte sein Besitzer: „[Gift Of The Martyr] ist eine Zauberkarte, die mich ein Monster opfern lässt, um seine Angriffskraft auf ein anderes bis zum Ende des Zuges zu übertragen. Sie ist wie gemacht für Pendelmonster, insbesondere Odd-Eyes!“ Die Wolke teilte sich in zwei. Während Odd-Eyes eine davon über sein Maul einsog, stieg die andere in die Höhe auf und wurde vom sich über Othello öffnenden Pendelportal absorbiert.   Odd-Eyes Pendulum Dragon [ATK/2500 → 4000 DEF/2000 (7) PSC: <4/4>]   „Wow“, staunte Anya, „das ist irgendwie genial! Der blöde Drache richtet doppelten Kampfschaden an. Das heißt, wenn das jetzt durchgeht …“ „… hat er Claire mit einem Angriff besiegt“, schloss Valerie den Satz für ihre Freundin ab. „Dazu kommt, dass sein [Timegazer Magician] während des Angriffs verhindert, dass sie Fallenkarten aktiviert.“ Logan seinerseits gab nur ein leises „Hmpf.“ von sich. Mit verschränkten Armen beobachtete er das Schauspiel dort unten.   Othello streckte den Arm aus. „Und jetzt greife ich dein [Mecha Phantom Beast Harrliard] mit meinem Odd-Eyes an! Bring' mir den Sieg!“ Sein flügelloser Drache öffnete sein Maul und sammelte darin rote und schwarze Partikel. Mr. C keuchte: „Ohne lange zu fackeln will unser Othello zum Finalschlag ausholen! Aber kann das gegen die stärkste Duellantin auf diesem Planeten wirklich funktionieren!“ „Spiral Strike Burst!“, donnerte der kränkliche Junge in diesem Moment und übertönte den Kommentator damit, begann dann aber zu husten. Sein Drache stieß einen roten Lichtstrahl aus, um den schwarze Energie schlug. Quer nach oben schoss er auf den Löwen-Kampfjet zu, welcher regungslos in der Luft verharrte. „Verdeckte Karte aktivieren“, sprach Claire ungerührt. „Effekt von [Timegazer Magician]! Er verhindert, dass du während des Angriffs eines Pendelmonsters Fallenkarten aktivierst! Inverse Gears!“ Doch zu Othellos Schreck geschah gar nichts, denn als die Karte seiner blonden Gegnerin aufklappte, musste er feststellen, dass es sich um einen Schnellzauber handelte. Einen, den er in diesem Duell schon einmal gesehen hatte. „[Scramble!! Scramble!!]“, nannte Claire seinen Namen. „Wenn mein Gegner mehr reale Monster kontrolliert als ich, werden sämtliche Projektionen mit Mecha Phantom Beasts aus meinem Deck ausgetauscht.“ Erschrocken betrachtete Othello das Feld. Sie kontrollierte Harrliard und ein Hologramm von ihm, wohingegen er Odd-Eyes besaß … und [Crystal Seer] im Verteidigungsmodus! Mist! Sogleich löste sich die Spielmarke auf Claires Seite in Luft auf. Und an genau der Stelle schoss aus dem Nichts ein Kampfjet hervor, den Othello ebenfalls bereits kannte. „[Mecha Phantom Beast Megaraptor]. Da ein Monster geopfert wurde, erschafft [Mecha Phantom Beast Harrliard] eine Projektion. Wenn eine Projektion erschaffen wird, aktiviert [Mecha Phantom Beast Megaraptor] eine weitere. “ Zwischen dem Jet mit dem Velociraptorkopf-Cockpit und seinem Kameraden tauchten zwei bunte Abbilder der beiden auf. Alle vier wichen [Odd-Eyes Pendulum Dragons] Angriff aus, da die Replay-Regel einsetzte.   Mecha Phantom Beast Megaraptor [ATK/1900 DEF/1000 (4 → 10)] Mecha Phantom Beast-Spielmarke x2 [ATK/0 DEF/0 (3)]   „Da ich drei Mal hintereinander Maschinen-Typ-Monster spezialbeschworen habe, fügt [Cyber Summon Blaster] dir entsprechenden Schaden zu.“ Die Kanone hinter Claire rüttelte wie verrückt, ehe sie hintereinander gleich drei Energiestrahlen auf den Jugendlichen im Rollstuhl abfeuerte. Der weitete die Augen und wurde zielgenau getroffen, verschwand in einer dunklen Rauchwolke.   [Othello: 1000LP → 700LP → 400LP → 100LP / Claire: 4000LP]   „Oh! Oh! Oh! Das sieht gar nicht gut aus!“, jaulte Mr. C. „Nochmal verkraftet Othello so einen Treffer nicht.“ „Effekt von [Aerial Recharge]. Sie erschafft eine Projektion.“ Auf Claires Geheiß materialisierte sich ein drittes, buntes Hologramm, in Form eines riesigen Lufttankers mit aufgemaltem Hamstergesicht auf dem Cockpit.   Mecha Phantom Beast-Spielmarke [ATK/0 DEF/0 (3)]   Das Publikum hielt den Atem an, als Claire tonlos erklärte: „Ein Maschinen-Typ-Monster wurde spezialbeschworen. Du erleidest durch [Cyber Summon Blaster] 300 Punkte Schaden.“ Daraufhin brachen nicht wenige Leute in wilden Jubel aus. Das Geschütz der Weltmeisterin warf sich erneut an und lud Energie auf. Othello senkte den Kopf. Und richtete ihn gleich darauf wieder mit engstirnigem Blick auf. „Nein! Soweit kommt es nicht! Effekt von [Dreamgazer Magician] in meiner Pendelzone!“ Die Wahrsagerin in hellblauer Robe teleportierte sich aus der Lichtsäule direkt vor Othello und streckte die Hände aus. Ihre Kristallkugel schwebte ein Stück nach vorne. „Nur einmal kann ich eine Kartenart benennen und wenn die oberste Karte meines Decks dazugehört, wird der nächste Schaden, den ich erleide, nichtig gemacht!“ Entschlossen griff der Junge mit dem schulterlangen Haar nach seinem Deck. „Defy Vision!“ Er schloss die Augen, das Publikum wurde still. Nur das Geräusch von Claires Kanone war noch zu vernehmen, die in den letzten Zügen des Aufladungsprozesses steckte. „Ich sage Zauberkarte, denn jedes Pendelmonster ist auch ein Zauber“, verkündete Othello konzentriert, riss die Augen auf und zog die oberste Karte von seinem Deck. In dem Moment feuerte der [Cyber Summon Blaster] seinen Strahl ab. [Dreamgazer Magician] ließ ihre Kristallkugel wachsen und wachsen, sodass sie Othello komplett verdeckte. Der drehte die Karte in seiner Hand um. „[Echo Oscillation] …?“ Der Lichtblitz traf auf die Kristallkugel, zerschmetterte sie, sodass ihre Bruchstücke dem Jungen um die Ohren flogen. Dem Jungen, der eine Fallenkarte gezogen hatte und dann von der Ladung erbarmungslos getroffen wurde. Ein lauter Knall und eine Rauchwolke waren das Resultat.   [Othello: 100LP → 0LP / Claire: 4000LP]   „U-unglaublich!“, stammelte Mr. C. „Unsere Claire hat gewonnen, ohne einmal Schaden zu nehmen, ohne überhaupt einmal erfolgreich angegriffen zu haben! Das ist unsere Weltmeisterin, die stärkste Duellantin auf diesem Planeten!“   Und der Jubel brach aus. So ohrenbetäubend, dass Anya sich die Hände auf die Ohren pressen musste. Auch die Tröten waren zurück. „Shit“, murmelte sie. Der Rauch um Othello verzog sich unten auf dem Feld, die Hologramme lösten sich auf. Er saß in seinem Rollstuhl leicht vorgebeugt, als wäre er gebrochen, stellte das Mädchen fest. Sein Traum war damit geplatzt … genau wie ihrer. Und mehr noch, er hatte es nicht geschafft, Claire deren Hüterkarte abzunehmen. Verdammt!   Jene schritt mit ausdrucksloser Miene auf den Jungen im Rollstuhl zu und reichte ihm der Form halber die Hand. Zwar nahm und schüttelte Othello sie, ohne dabei jedoch aufzusehen. Anschließend drehte er stumm ab und rollte zum Ausgang. Schlagartig sprang Anya von ihrem Platz auf und zwängte sich an ihren Freunden, dann anderen Besuchern vorbei. Sie musste zum Ausgang bei den Treppen, von dem man in den Gang zum Duellfeld gelangte und mit dem Knirps reden, ihm irgendetwas sagen. Shit!   ~-~-~   „Wie schade“, kommentierte Alexandra Othellos Niederlage bedauernd. Stuhl neben Stuhl, hatte sie ihren Kopf an Nicks Schulter angelehnt und verfolgte mit, wie er den Livestream beendete und sich dran machte, den PC herunterzufahren. Nick sagte nichts, aber sein verkniffener Gesichtsausdruck sprach Bände. „Ich kann mir denken, was du jetzt vorhast“, sagte sie leise und hob ihren Kopf an, „du willst dich persönlich mit ihr anlegen.“ Aus dem Augenwinkel warf er ihr wieder diesen Blick zu. Eiskalt und abgebrüht, stolz und selbstbewusst, aber auf merkwürdige Art auch verletzlich. Wie ein angeschossenes Tier. Eine Form der Verzweiflung, die niemand je sehen sollte. Aber auch wenn seine Worte voller Lügen waren, seine Augen waren es nicht. Alexandra seufzte und legte ihre Hand auf die seine. Mit einem traurigen Lächeln auf den Lippen bat sie: „Tu's nicht. Wir sind uns gerade erst näher gekommen. Ich habe keine Lust auf eine Beerdigung.“ „Ich schaffe das schon“, wies Nick ihre Bedenken jedoch sofort zurück und riss die Hand unter ihrer weg. Er stand auf. „Ich habe Xiphos besiegt, da sollte eine Claire Rosenburg kein Problem sein.“ „Du überschätzt dich“, mahnte Alexandra ihn, amüsiert und doch insgeheim erschrocken von so viel Selbstbewusstsein, „du hast diesen Dämon besiegt? Weißt du, Nick, manche Dämonen lassen ihre Opfer gerne in dem Glauben, sie hätten die Oberhand.“ „Ich weiß, dass er mich für irgendetwas benutzen will. Aber wenn ich dadurch Anya retten kann, lasse ich mich bereitwillig von ihm benutzen“, erwiderte er auf sie herab sehend. „Denn du hast Recht, manchmal sind es die vermeintlichen Opfer, die nachher die Fäden ziehen.“ Alexandra schenkte ihm ein falsches Lächeln. Wie konnte ein Genie wie er gleichzeitig so dumm sein?   Voller Tatendrang schob sich Nick zwischen ihr und dem Bücherregal vorbei, schritt Richtung Ausgang. Die blonde Frau erhob sich und zog hinterher. „Sprich wenigstens vorher mit ihr“, riet sie ihm. „Sag ihr, was du vor hast.“ „Sie würde sich nur Sorgen machen“, kam die erwartete, abweisende Antwort. „Oh, das hoffe ich“, gluckste Alexandra belustigt, „dann wäre wenigstens eine Person in deinem Umfeld normal.“ Indes zog Nick an der Kasse vorbei zur gläsernen Ausgangstür. Draußen regnete es immer noch in Strömen. Mit der Klinke unter den Fingern drehte er sich zu Alexandra um, die ihn daraufhin freundlich anlächelte. Er zögerte. Er wollte etwas sagen, das ihm widerstrebte. Dann drehte er sich wieder weg. „Einverstanden. Ich rede mit ihr. Aber ich werde ihr nur sagen, dass ich mich um die Sache kümmern werde. Dieses ganze Turnier war reine Zeitverschwendung.“ „Objektiv betrachtet ja“, erwiderte seine Partnerin, „aber trotzdem hast du sie nicht davon abgehalten teilzunehmen.“ „Es war ihr Traum. Aber Träume … sind bedeutungslos.“ Sprachs und schritt alleine heraus in den strömenden Regen. Alexandra sah ihm nachdenklich hinterher, wie er sich die Kapuze seiner Jacke überzog und mit Händen in den Hosentaschen eiligen Schrittes die Straße überquerte. Sie würde ihm nicht folgen. Er war ein interessanter Mann. Aber sie würde ihm nicht folgen …   ~-~-~   „Hey“, rief Anya dem Rollstuhlfahrer im Gang hinterher, als sie ihn endlich erreicht hatte. Anders als vorhin war er dieses Mal nicht in Begleitung seiner Mutter. Und er hielt auch nicht an, obwohl er das laute Organ des Mädchens vernommen haben musste. Die legte daraufhin grummelnd einen Zahn zu und holte den Jungen griechischer Wurzeln letztlich ein. „Nimm's nicht so schwer, 'kay? Du hast dein Bestes gegeben.“ Othello reagierte gar nicht. Zähneknirschend sprang Anya ihm daraufhin vor den Rollstuhl, sodass er notgedrungen anhalten musste. „Reiß dich zusammen!“, fuhr sie ihren neugewonnenen Freund an. „Sie hätte gewonnen, egal was du versucht hättest! Also steh' drüber!“ Völlig sicher war Anya sich mit der Aussage zwar nicht, aber ihr Bauchgefühl betrog sie in solchen Angelegenheiten selten. Das Miststück hatte von Anfang an viel zu viele Optionen gehabt. Der strohblonde Junge sah schließlich zu ihr auf. „Das ist es ja gerade. Ich hatte von Anfang an keine Chance.“ Anya konnte diese bittere Erkenntnis zu gut nachvollziehen. So weit gekommen zu sein, nur um am Ende vor einer undurchdringlichen Eisenmauer zu stehen. „Hier“, sprach Othello und streifte die fingerlosen, weißen Handschuhe von den Händen, „die haben mir leider kein Glück gebracht. Aber trotzdem danke.“ Wortlos nahm Anya sie entgegen und betrachtete sie, schloss sie dann aber mit kämpferischem Gesichtsausdruck in ihrer Faust ein. „Sie hat mich herausgefordert. Also Claire meine ich. Übermorgen früh. Und ich werde sie besiegen, für dich!“ „Viel Glück“, wünschte Othello und senkte das Haupt. Er wollte weiter, doch Anya versperrte ihm beharrlich den Weg. „Ich meine es ernst! Dieses Miststück bekommt eine heftige Abreibung dafür, dich so fertig gemacht zu haben. Und wenn ich erst Duel Queen bin, kannst du mich solange herausfordern, bis du mich besiegt hast. Deal?“ Obwohl er scheinbar dagegen ankämpfte, musste Othello auflachen. Schwach schmunzelnd blickte er zu Anya auf. „Du spinnst. Außerdem habe ich dich schon besiegt.“ „Die alte Anya vielleicht. Nicht die Duel Queen-Anya.“ „Dann wünsche ich dir viel Erfolg. Ehrlich. Oh, bevor ich es vergesse, wir reisen bereits morgen ab. Also sollten wir Telefonnummern austauschen, damit wir den Kontakt halten können.“ Die Blonde nickte. „Yeah. Warte, hast du was zum Schreiben?“   Oh, dass ich noch miterlebe, wie ein Junge um deine Telefonnummer bittet. Der arme Tropf hat keine Ahnung, worauf er sich da einlässt.   Anya knirschte nur zornig mit den Zähnen, während Othello in seiner Hosentasche nach irgendetwas Beschreibbaren suchte. Für den blöden Kommentar würde sie sich an Levrier rächen, eines Tages! Schade, dass ihr Plan, Othello in den Ring zu schicken letztlich nicht aufgegangen war. Andererseits, der Grundgedanke war gar nicht so übel, schoss es dem Mädchen durch den Kopf. Man müsste nur …   ~-~-~   „… er wohnt irgendwo in Oregon, den genauen Ort hab ich vergessen“, erzählte Anya ihren Freunden etwa anderthalb Stunden später vom Rest des Gespräches mit Othello. „Oh mein Gott, sie interessiert sich wirklich für jemanden anderen als sich selbst“, staunte Zanthe neben ihr übertrieben, wie sie zu dritt den immer ein wenig dunkel anmutenden Flur zu ihrem Hotelzimmer entlang schritten. Matt zu Anyas Rechten grinste. „Ist doch gut.“ „Ich find's bedenklich, weil es den Glauben vieler Amerikaner an Außerirdische, die Menschen entführen und austauschen, nur festigen wird.“ Verärgert biss Anya die Zähne zusammen. Immer sagten ihr alle, sie solle etwas mehr auf andere zugehen und sich gut mit ihnen stellen. Jetzt versucht sie es -einmal- und das ist auch wieder nicht recht! Bah! Vor der Zimmertür angelangt, zog sie mit mehr Schwung als nötig ihre ID-Karte durch den kleinen Apparat direkt daneben. Das rote Licht daran wechselte auf Grün, die Tür ließ sich öffnen. „Ich muss mich jetzt abreagieren“, schnaubte das Mädchen beim Eintreten, „und ich weiß auch schon ganz genau an wem!“ Denn da wartete noch immer jemand im Badezimmer auf sein Verhör! Und das würde die ganze Nacht in Anspruch nehmen, so viel stand schon mal fest!   Während Anya mit grimmiger Vorfreude ohne Umweg zum Bad zu ihrer Rechten stampfte, bemerkte Zanthe, dass auf der kleinen Kommode direkt neben der Tür ein quadratischer Notizzettel lag, den er beim Verlassen des Zimmers vor ein paar Stunden noch nicht gesehen hatte. „Hm?“ Er nahm ihn an sich. Seine Freundin riss ihres Zeichens die Badezimmertür auf, nur um ein langes Gesicht zu ziehen. Lees Fesseln lagen zwar noch in der Badewanne, aber von dem länglichen Vokuhila-Träger selbst fehlte jede Spur. „Scheiße!“, entfuhr es ihr. Zögerlich trat sie näher an die Badewanne und betrachtete besonders den Knebel interessiert, ein umfunktioniertes Stück Unterwäsche von ihr. Es war … durchgebissen … „Leute“, schnellte sie kurzerhand aus dem Bad, „unsere Geisel ist weg.“ „Was!?“, fiel Matt aus allen Wolken. „Schade“, zuckte Zanthe dagegen unbedarft mit den Schultern. „Naja, während Matt dir die Schuld dafür gibt, geh ich mal schnell an die Rezeption. Da wurde ein Päckchen abgegeben.“   Anya stand der Mund offen aufgrund der Tatsache, dass ihr Freund so gelassen blieb und einfach das Zimmer verließ. „U-uh. Wie ist der bloß entkommen?“ Matt zuckte mit den Schultern. „Vielleicht hast du die Fesseln nicht fest genug gezogen?“ „Ach, also hörst du auch noch auf den Flohpelz!?“, brauste Anya sofort auf. „Ich war gründlich, verdammt! Außerdem wäre das garantiert nicht passiert, wenn ich mein -übliches Equipment- gehabt hätte!“ Der unmissverständlich abweisende Gesichtsausdruck Matts sprach Bände darüber, dass er ihr weder glaubte, noch wissen wollte, wie Anyas -übliches Equipment- überhaupt aussah. Nachdenklich schritt er durch das Zimmer. „Hm. Er muss entkommen sein bevor der Zimmerservice die Nachricht hinterlassen hat. Ansonsten wären wir schon längst von Polizisten in Empfang genommen worden.“ „Was für eine Nervensäge“, brummte Anya und schnaubte. „Und nun?“ Matt drehte sich vor dem Panoramafenster zu ihr um. „Ich kann ihn verfolgen wenn du willst.“ Die Blonde machte ein überraschtes Gesicht, als sie zu ihrem Bett watete und sich sinken ließ. „Nennen wir es einfach Revanche. Durch ihn bin ich in ziemliche Schwierigkeiten mit Mrs. Carrington geraten“, erzählte Matt, „und gleich als wir diesen Spinner im Bad eingesperrt haben, habe ich ihn heimlich mit einem Zauber markiert. Nur für den Fall.“ „Cool“, gluckste Anya. Verschränkte dann aber die Arme. „Bloß was haben wir davon, den wieder zurückzuholen?“ „Nichts. Er ist ein Idiot.“ „Hm. Aber vielleicht weiß er was über die Hüter.“ „Wohl kaum. Wenn Mrs. Carrington nichts wusste, dann der erst recht nicht. Und Kooperation ist nicht gerade seine Stärke, wie du selber gemerkt hast.“ Matt seufzte. „Außerdem wird’s schwer, ihn hier langfristig unbemerkt festzuhalten.“ Seine Freundin verzog das Gesicht. „Und das fällt dir jetzt ein, wo wir ihn schon einmal eingesperrt haben?“ „Vielleicht trügt mich mein Erinnerungsvermögen, aber ich war derjenige von uns Dreien, der sich dagegen ausgesprochen hat.“ Matt kniff die Augen zusammen. „Aber die beiden rachsüchtigen Furien aka meine Zimmergenossen haben gar nicht zugehört.“ „Weiß nicht wovon du redest“, zuckte Anya mit den Schultern und sprang von ihrem Bett auf.   „Was auch immer“, nuschelte sie und reckte dabei den Kopf hin und her, „Summers, als ich von Othello die Handschuhe zurückbekommen habe, ist mir noch ein anderer Gedanke gekommen, wie ich mein Problem lösen könnte.“ Überrascht sah der schwarzhaarige Dämonenjäger sie an, wie sie auf ihn zu schlenderte. „Mit Claire?“ Wie selbstverständlich kam es zurück. „Überhaupt. Mit dem Sammler. Es gibt doch bestimmt noch mehr Dämonen seines Kalibers, oder?“ Einen Moment schwieg Matt und musste sich dem bohrenden Blick seines Gegenüber aussetzen, welcher zunehmend ungeduldiger auf eine Antwort wartete. Als Anya es nicht mehr aushielt, fragte sie genervt: „Und, ja oder nein?“ „Es gibt mit ihm fünf Wesen vergleichbarer Kräfte“, erklärte er schließlich, „aber ich-“ „Welche sind das?“ Resignierend zuckte Matt mit den Schultern. Schön, wie sie ihn immer so offen und höflich ausreden ließ. „Den Collector-Dämon, oder kurz Sammler, kennst du ja. Dazu kommt Gardenia, die Gelehrte oder auch die Weiße Hexe genannt, eine, nun ja, uralte Hexe eben. Dann wäre da noch Athena, die Botschafterin, aber die hat man seit fast zwei Jahrzehnten nicht mehr gesehen. Viele vermuten, dass sie tot ist.“ Es war erstaunlich, wie interessiert Anya ihm zuhörte, ging es Matt dabei durch den Kopf. „Und die übrigen zwei?“ „Anderslord oder auch Outsider Seraphix und ein Dämon, dessen Namen man nicht laut aussprechen darf, da er dich sonst für den Rest deines Lebens beobachten kann, so heißt es.“ Verständig nickte sein Gegenüber und kratzte sich am Hinterkopf. „Und, uh, könnte einer von denen den Sammler einstampfen?“ „Denkst du etwa daran, eines dieser Wesen um Hilfe zu bitten!?“ „Warum nicht?“, nickte Anya. „Bist du verrückt!?“ Matt packte sie unerwartet an den Schultern, wodurch Anya erschrocken zurückwich. „Wer sagt, dass sie dir helfen werden? Und woher sollen wir wissen, ob es außer dem Sammler überhaupt jemanden gibt, der dein gestohlenes Leben wiederherstellen kann? Du kannst ihn nicht töten, ohne damit dein eigenes Leben in Gefahr zu bringen!“ Anya schob mit grimmigem Gesichtsausdruck erst seine eine Hand, dann die andere mit ihrem Arm von den Schultern. „War doch nur ein Gedanke!“ „Den Sammler anzugreifen sollte unsere allerletzte Option sein. Schon so einige Dämonenjäger und Dämonen haben versucht, ihn umzubringen, ohne Erfolg. Und die sind besser als wir!“ Schmollend wandte sich die Blonde von ihm ab. „Deswegen habe ich auch nach den großen Geschossen gefragt. Geez!“ „Das würde nur nach hinten losgehen“, prophezeite ihr Matt, als sie wegging.   Im selben Augenblick flog die Tür auf und ein grinsender Zanthe schneite herein. „Anya, der Weihnachtsmann ist da!“ „Huh?“ „Und Matt hat Recht, das ist eine unglaublich dämliche Idee von dir. Wie immer.“ In den Händen hielt der Kopftuchträger ein kleines Päckchen, das ihm, als Anya ihn erreichte, schnurstracks entrissen wurde. „Für mich?“, fragte sie und betrachtete es neugierig. „Steht doch drauf, du hohle Nuss. Natürlich ist es für dich, oder heißt Matt neuerdings auch Anya?“ Etwas Verächtliches vor sich hin zischend, drehte sich Anya von ihm weg und schritt eilig zum kleinen Tisch. Der Werwolf folgte ihr dabei. „Mach's auf, ich will wissen, was da drin ist!“ Nicht weniger neugierig war auch die Empfängerin selbst, die das Päckchen ablegte und erst noch einmal genau ansah. Der Absender war … Mr. Palmer, ihr Chef! „W-wieso schickt der mir ein Paket?“, staunte Anya. „Die wichtigere Frage: Wieso schaust du nicht endlich nach was drin ist?“ Auf Zanthes permanentes Drängeln hin gesellte sich auch Matt interessiert dazu.   Etwas unbeholfen kämpfte Anya damit, es überhaupt aufzubekommen. Aber letztlich landeten in ihrer Hand drei Dinge. Ein noch völlig ungeöffnetes Structure Deck und zwei Zettel. Und Anya staunte Bauklötze, als sie den Namen des Decks las: 'The Dormant Gem-Knights'. Und darüber war ein Covermonster abgebildet, dass sie gar nicht kannte. Eine weibliche Ritterin, in blassgoldener Rüstung steckend, die ein einfaches Schwert mit sich führte. Doch ihr Brustpanzer und ihr Helm, sie bestanden fast vollständig aus Brillanten. „Oh! Das fällt mir ein! Verdammt, dass hatte ich wegen dem ganzen Stress völlig vergessen“, schoss es aus Zanthe heraus, welcher sofort Kehrt machte und zu seinem Bett rannte. Anya, völlig im Bann der Verpackung gefangen, legte die beiden Notizzettel beiseite, die sich Matt an ihrer Stelle nahm. „Der eine ist von deinem Chef. Ich les' mal vor“, sagte er und begann laut vorzulesen.   Hallo Anya,   ich hätte nie gedacht das zu sagen, aber ich bin stolz auf dich. Du hast es weit gebracht. Und du trägst das T-Shirt, wie ich es angeordnet hatte. Die Leute rennen mir seitdem praktisch die Bude ein. Danke!   Im Übrigen wurde ich von Mr. Benjamin Ford höchstpersönlich darüber informiert, dass du dein Deck kurz vor dem Legacy Cup verloren hast. Ich kann mir schwer vorstellen, wie schmerzlich dieser Verlust für dich ist. In Absprache mit ihm schicke ich dir daher dieses Deck, welches eigentlich erst in zwei Wochen offiziell auf den Markt gebracht wird. Aber du weißt ja, manche Läden brechen hin und wieder die Regeln und verkaufen verfrüht Ware. ;-)   Lass nie den Kopf hängen! Ganz Livington steht hinter dir. Oder beinahe ganz Livington. ;-)   Liebe Grüße Nico Palmer   Indes hatte Zanthe in seinem Koffer gefunden, wonach er gesucht hatte und war an Anyas Seite zurückgeeilt. „Hier, das wollte ich dir schon die ganze Zeit zeigen. Aber das hat sich dann wohl erübrigt.“ Er hielt ihr einen Prospekt vor die Nase, auf dem neben dem bald erscheinenden, neuen Duel Monsters-Set auch das Structure Deck in Anyas Händen abgebildet war, mit dem Zusatz 'Coming Soon'. Anya sah nur kurz wortlos hin, betrachtete stattdessen die ungeöffnete Verpackung in ihrer Hand und umklammerte sie fester. „Hm“, machte Matt und schnappte sich die Überreste des Pakets, „der Poststempel ist schon ein paar Tage alt. Das Deck sollte wohl spätestens zum Finale eintreffen. Schade, damit hättest du Othello sicher überraschen können.“ „Alles in Ordnung?“, fragte Zanthe das Mädchen, das sich zwischen den beiden jungen Männern befand. „Yeah.“ Unzufrieden mit ihrer abwesenden Antwort richtete sich der Werwolf an Matt. „Was steht auf dem zweiten Zettel?“ „Ist eine Rechnung. Oh, das Datum ist falsch.“ Matt nickte. „Verstehe, für den Fall, dass irgendjemand Anya des Betrugs anschuldigen will. Damit könnte man nachweisen, dass das Deck erst später hätte versendet werden sollen und aus Versehen … Anya?“ Jene murmelte in dem Moment: „Das Schnöselkind und Mr. Palmer, sie …“ „Sag einfach danke, wenn du sie das nächste Mal siehst“, schlug Zanthe ihr aufmunternd vor. Anya nickte fest. „Werd' ich. Und verdammt, was genau ist da jetzt drin!?“   Was dann folgte war ein Mädchen, das sich wie ein Aasgeier auf die Verpackung stürzte und die Karten wild über den Tisch verteilte. Während Matt zur Toilette entschwand, ließ Zanthe sich auf einen der drei Stühle nieder und betrachtete Anya vergnügt, wie sie die Karten vor sich verteilte. „Moment mal! D-das kann doch nicht wahr sein!“ Direkt vor ihr lagen ausgebreitet Ausführungen von [Kuriboss], [Gem-Knight Turquoise], dem Zauber [Gem-Knight Power Bracelet] sowie den Fusionsmonstern [Gem-Knight Seraphinite] und … [Gem-Knight Master Diamond]! Alles Karten, die sie vom Jinn erhalten hatte, ergo -einzigartige- Karten! Die jetzt ganz offensichtlich nicht mehr so einzigartig waren! „Dieser verdammte-!“, schnaubte Anya. „Das hat er doch mit Absicht gemacht! Wenn ich den erwische, reiß ich ihm das Rückgrat raus und stecke es verkehrt herum in sein verdammtes Maul! Argh!“ Zanthe kicherte nur amüsiert, wie sie die Karten hochrot zusammenpackte und auf einen Stapel legte, wo bereits die anderen Karten lagen, die Anya schon besaß. Wie ich sehe hat es meine Karte nicht in das Deck geschafft. Ich fühle mich einen Hauch beleidigt.   „Deine blöde Karte braucht eh kein Mensch! Aber er hat sich an meinem Deck vergangen, es entweiht! Es wird nie wieder dasselbe sein! Jeder kann es jetzt so spielen wie ich!“ Bissig erwiderte Zanthe: „Also du hast Pearl regelmäßig gebraucht.“ „Schnauze, Flohpelz!“ „Sei doch froh. Jetzt wird dich nie wieder jemand danach fragen, was das für Karten sind.“ „Hat auch so keiner gemacht!“ Mit der Zunge schnalzend und den Augen rollend, erwiderte ihr Freund: „Statt sich zu freuen … Das sind doch mindestens zehn neue Karten, die du dafür in dein Deck einbauen kannst. Nein, Quatsch, noch mehr sogar!“ Anya legte ihre Hand ans Kinn. „Tch, was auch immer, den knöpf' ich mir beim nächsten Mal vor! Aber bei so vielen Karten muss ich wohl mein Deck völlig neu bauen, schätz' ich.“ „Wenn du willst, kannst du es danach an mir testen“, schlug Zanthe vor, „es wäre ziemlich dämlich, ein ungetestetes Deck gegen Claire Rosenburg einzusetzen.“ „Uh-huh.“ „Warte! Mir fällt da gerade noch etwas ein!“   Zanthe sprang vom Tisch auf und eilte wieder zu seinem Bett in der Mitte des Raums, welches sich direkt neben der Zimmertür befand. Den sich darauf befindenden, offenen Koffer kurz durchwühlend, kam er mit einer Karte in der Hand zurück. „Hier“, reichte er sie Anya, „dann kannst du die gleich mit einbeziehen. Ich brauche sie nicht.“ Irritiert nahm die Blonde sie entgegen. „D-danke?“ „Oh, du kennst das Wort tatsächlich. Das muss ich mir rot im Kalender eintragen“, grinste der junge Mann mit dem zum Pferdeschwanz gebundenen, vom Kopftuch bedeckten Haar und setzte sich wieder. Im Hintergrund drang aus dem Bad der Klang der Spülung. „Hmpf. Wieso gibst du mir die überhaupt?“ „Habe sie neulich aus einem Booster gezogen. Weißt du“, sagte er und seine Gesichtszüge wurden ernst, „sieh' es als Entschuldigung an.“ Anya blinzelte verdutzt. „Wofür?“ „Oft kann ich der Versuchung nicht widerstehen, dir fiese Kommentare reinzudrücken.“ Zanthe sah betrübt auf die vor Anya ausgebreiteten Karten. „Obwohl ich das gerade heute eigentlich lassen sollte, nachdem dein Traum-“ „Schon okay“, schnitt Anya ihm da plötzlich das Wort ab. Ihr Freund blickte überrascht auf. „Was?“ Bewusst zur Seite, aus dem Fenster blickend, erwiderte sie: „Irgendwer muss mir die Fehler aufzeigen, die ich als zukünftige Duel Queen nicht mehr begehen darf. Und da du dich ungefragt dafür bereit erklärt hast, nun, dann mach halt. Kann dich sowieso nicht von abhalten. Hmpf.“ Woraufhin Zanthe regelrecht strahlte: „Ich wusste, du würdest es verstehen.“ Ich glaube, das hättest du nicht sagen dürfen. Jetzt wirst du den Stempel 'hohle Nuss' nie wieder los.   „Hrgh!“ Levrier hatte Recht! Elender Flohpelz, der wollte nur ein Freiticket für seine blöden Kommentare! In dem Moment kam Matt aus dem Bad. „Ich habe dich schreien hören und irgendwas mit Rückgrat. Will ich mehr wissen?“ „Nein, möchtest du nicht“, beantwortete Zanthe die Frage für Anya grinsend. „Nur ihre üblichen Zwangsneurosen, mehr nicht.“ „Schnauze! Hey Summers, du stehst gerade gut. Hol' mir mal den Koffer!“ „Welchen? Den etwa?“ Er zeigte auf den gläsernen auf der kleinen Kommode, wo die Notiz vom Hotelpersonal gelegen hatte und in dem Anyas Preiskarte eingebettet war. Die Blonde nickte. Als Matt sich ebenfalls an den Tisch gesetzt und Anya das gute Stück vor der Nase liegen hatte, schnaubte sie. „Dann kann der Deckbau ja beginnen.“ „Moment, du willst die doch nicht-?“ Aber Zanthes Einspruch wurde von einer ernsten Anya abgewiesen. „Wenn ich das Ding rumstehen lasse, besteht nur die Gefahr, dass Kali es sich unter ihre gierigen Krallen reißt. Also komme ich ihr zuvor und packe es in mein Deck, welches ich -nie wieder- unbeaufsichtigt liegen lassen werde!“ „Und der Pokal?“, fragte Matt. „Hab mich längst damit abgefunden, den zu verlieren. Und mal ehrlich, der ist aus Silber. Wer will 'nen beschissenen Silberpokal im Zimmer stehen haben, der einen ständig daran erinnert, dass man für Gold nicht gut genug war?“ Zanthe seufzte. „Was für eine naive Ansichtsweise.“ „Typisch Anya eben“, pflichtete Matt ihm bei. „Schnauze!“, wiederholte die sich und schlug dann die Faust in die flache Hand. „Helft mir lieber dabei, das Deck der zukünftigen Duel Queen zu bauen! Und zwar pronto!“   Du lässt dir tatsächlich helfen? Ich bin geschockt. Und ein kleines bisschen stolz.   Nicht nur er, dachte das Mädchen dabei glücklich. Mit den neuen Karten von Mr. Palmer, ihrem Trostpreis und vielleicht auch ein bisschen der vom Flohpelz würde sie endlich die nächste Stufe erreichen. Und dann war Claire Rosenburg fällig, aber sowas von!     Turn 78 – Encircled Anya nutzt den Tag vor dem Duell mit Claire dafür, sich die Grundlagen von Riding Duels anzueignen. Natürlich mit niemand anderem als Logan. Auch ihre Freunde nutzen die Zeit, um sich ihren Problemen zu stellen. Und plötzlich ist es soweit: Die aufstrebende versus die amtierende Duel Queen … Kapitel 83: Turn 78 - Encircled ------------------------------- Turn 78 – Encircled     Der nächste Morgen sollte für Anya mit einer Überraschung beginnen. Sie lag noch im Bett und hatte sich Matts Laptop geschnappt. Dessen Besitzer schnarchte noch leise auf dem Bauch liegend im mittleren Bett vor sich hin. Bei dem Flohpelz hingegen war sie sich sicher, dass er längst wach war. Mit scheelem Blick lugte sie herüber zum Bett, das der Tür am nächsten war. Sie sah nur schwarzes Haar. Er lag von ihr weggedreht. „Bist du schon wach?“, fragte sie leise. „Wie könnte ich nicht, bei dem Lärm, den der veranstaltet?“ „Yeah. Wenn er noch einmal dieses Geräusch macht, das wie ein verstopfter Abfluss mit Schluckauf im Stimmbruch klingt, dann schwöre ich dir, reiße ich ihm die Nase aus und nähe sie dort an, wo er sie bestimmt nicht haben will!“ Zanthe kicherte vergnügt und drehte sich auf den Rücken. Sein Kopf lugte unter der Decke hervor, er starrte die Zimmerdecke an. „Ich halte ihn fest. Aber nur weil ich seinen nackten Hintern sehen will.“   Genervt stöhnte das Mädchen auf und öffnete das Skype-Programm. Hätte sie dieses Gespräch bloß nie angefangen. Zu ihrem Erstaunen musste sie feststellen, dass Nick online war – und sie angeschrieben hatte. Kaum hatte sie jedoch die Nachricht geöffnet, bekam sie bereits eine Video-Chat-Anfrage. „Was will der denn jetzt schon von mir? Ist doch noch nicht mal 7 Uhr“, knurrte Anya und nahm an. „Ist doch klar, Matts Geschnarche hört man selbst in Livington noch“, klagte Zanthe und setzte sich aufrecht hin, „naja, dann viel Spaß mit Nick. Ich geh mal ins Bad. Was meinst du, wie hoch stehen die Chancen, dass er dich zur Schnecke macht?“ Sprachs und schritt schlaftrunken herüber zur Badezimmertür. Und Anya ahnte schon, dass er jedes Wort von dem Gespräch mitbekommen würde. „Guten Morgen, Anya“, sah diese sich aber plötzlich Nicks grimmiger Fratze entgegen. Um ihn herum war es stockdunkel. Etwas erschrocken stammelte seine Sandkastenfreundin: „W-was willst du schon so früh? Es ist praktisch noch mitten in der Nacht!“ Ohne überhaupt auf ihre Kritik einzugehen, kam er direkt zum Punkt. „Es tut mir leid, dass du so kurz vor dem Ziel gescheitert bist.“ „Danke. Jedes Mal, wenn ich den Satz höre, spüre ich das dringende Bedürfnis, demjenigen eine reinzupfeffern.“ „Natürlich, entschuldige. Aber ich muss mit dir darüber reden, wie es jetzt weitergehen soll. Dein Hotelzimmer ist nur noch bis zum Ende der Woche gebucht. Also, diesen mit inbegriffen, drei Tage.“ Plötzlich grinste das Mädchen bitterböse. „Du wirst es mir nicht glauben, aber kurz bevor die blonde Schnepfe sich mit Othello duelliert hat, ist sie zu mir gekommen und hat mich herausgefordert.“ „Was?“, fragte ihr Freund ungläubig. „Jep. Morgen bei Sonnenaufgang. Es soll ein Riding Duel werden.“ „Anya, sei nicht dumm, das ist eine Falle“, protestierte Nick sofort. „Halt dich von ihr fern. Ich übernehme-“ „Reg' dich ab, Harper, das weiß ich selbst. Aber das ist meine Chance, verstehst du?“ Anya schloss die Augen, erklärte ernst: „Ich werde mich heute den ganzen Tag mit Logan darauf vorbereiten.“ „Mit dem? Lass das lieber.“ Wie er es aussprach, so abwertend, dass selbst Anya es bemerkte. „Ein Tag reicht nicht, um zu lernen, wie man-“ „Doch“, erwiderte Anya stur, „halt dich da raus, Harper. Ich werde schon klar kommen. Wenn sie mir an die Gurgel will, werd' ich ihr zeigen, dass man sich besser nicht mit mir anlegen sollte. Sonst noch irgendwas?“ „Anya-“ „Nein?“ Grimmig fuhr das Mädchen mit ihrer Hand über das Mousepad. „Dann bis später.“ Und ehe der zerzauste Nick sich versah, sah er gar nichts mehr, denn Anya hatte das Gespräch sowie das Skype-Programm beendet. „Tch, warum muss der sich immer überall ungefragt einmischen“, murmelte Anya zerknirscht. Die Antwort kam prompt wie ungebeten aus dem Bad. „Weil du eine wandelnde Katastrophe bist.“ „W-wah?“ Matt schreckte auf. „Hat mich jemand gerufen?“ Während er von Anya eines vernichtenden Blicks gestraft wurde, drang hinter der Tür auf der anderen Seite des Zimmers nur gedämpft Zanthes frenetisches Gekicher zu ihnen.   ~-~-~   Als Nick aus dem Aufzug trat, gekleidet in einem schlabbrigen, weißen T-Shirt und zerschlissenen Jeans, zog er umgehend ein genervtes Gesicht. Er hasste den 8. Stock des Micron Electronics-Gebäudes, denn dort befand sich unter anderem Aidens Büro. Und in dieses war er, kaum dass er hier angekommen war, sofort beordert worden.   Entsprechend schlecht gelaunt schlurfte Nick an den verschiedenen Büros und dessen Glastüren vorbei, die bis zur Schulterhöhe einer normalen Person mit silbriger Glasdekorfolie versehen waren. Als er Aidens Büro erreichte, klopfte er gar nicht erst, sondern riss die Tür auf. „Guten Morgen, Sonnenschein“, schnappte er seinen Vorgesetzten an, der an seinem Schreibtisch zu Nicks Linker saß und gerade am PC beschäftigt war, „was willst du von mir?“ „Dir auch einen guten Morgen, Nick.“ Mit einer Handgeste deutete Aiden gleich auf den Stuhl, der sich vor seinem Schreibtisch befand. Trotzig ließ der großgewachsene junge Mann die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Er fühlte sich immer noch nicht wohl in diesem Büro, obwohl es einladend gestaltet war mit seinen dunklen Holzmöbeln und der Sitzecke hinter ihm. Aber vermutlich würde er sich nie wieder in der Gegenwart dieses Mannes wohlfühlen können.   Nachdem Nick sich gesetzt hatte, ließ Aiden vom Bildschirm ab und wandte sich seinem ehemaligen Geliebten zu. „Ich möchte gleich zur Sache kommen. Du glänzt in letzter Zeit immer öfter durch Abwesenheit.“ „Ich werde nicht gebraucht. Die Arbeiten an 'Monochrome' gehen auch ohne mich gut voran.“ „Trotzdem gilt für dich dasselbe wie für alle anderen Mitarbeiter.“ Gespielt schnappte Nick: „Aber Schatz, wie kannst du nur? Ich dachte, das zwischen uns beiden wäre besonders?“ Dann fügte er sarkastisch hinzu: „Ach wie konnte ich das nur vergessen, ich bin ja nur hier, weil du mich erpresst. Womit doch gleich?“ „Nick …“ „Ich frage mich, wer von uns beiden mehr geschwitzt hat, als Zachariah Bauer der Welt weiszumachen versucht hat, es gäbe mich wirklich.“ Nick grinste. „Ich wette, du warst es.“ „Du meinst, weil ich damit ein Druckmittel verloren hätte, sofern Anya ihm geglaubt hätte?“ Aiden sah aus dem Fenster zu seiner Linken. „Nein. Ich bin mir sicher, dir war dabei wesentlich unwohler als mir, denn ich hatte nichts zu verlieren. Nicht, solange ich nur deinem Vater-“ Nick beugte sich vor: „Er ist nicht mein Vater.“ „Biologisch gesehen schon. Aber ich möchte nicht, dass wir uns gegenseitig drohen.“ Aiden wandte sich ihm wieder zu. „Im Gegenteil. Ich mache mir Sorgen um dich. Wegen dieser Frau, die seit Neuestem immer an deiner Seite ist.“ Entspannter als zuvor lehnte sich Nick zurück. „Ach daher weht der Wind. Du bist eifersüchtig. Sie ist meine Freundin, ja.“ „Sie ist gefährlich“, sprach Aiden ruhig weiter, „sie hat hier herumgeschnüffelt. Ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass sie dich bloß benutzt.“ „Alexandra würde so etwas nie tun.“ Nick klang bewusst aufrichtig, obgleich er seinen eigenen Worten keinen Glauben schenkte. „Ich kann dir nicht vorschreiben, mit wem du dich triffst. Aber bitte, sei ihr gegenüber ruhig etwas skeptischer.“ Wie ernsthaft besorgt er klang. Erstaunlich zu sehen, dass Aiden immer noch etwas für ihn empfand, schoss es Nick durch den Kopf. Was musste er noch alles tun, damit dem nicht mehr so war?   „Inzwischen habe ich übrigens herausgefunden, warum du Zachariah Bauer als deinen 'Champion' ausgewählt hast“, wechselte Nick aus einer Laune heraus das Thema und schlug dabei ein Bein über das andere, „herzlichen Glückwunsch, du kannst jetzt jederzeit Duel Monsters crashen.“ „Es war nur ein Test um zu sehen, ob Monochrome funktioniert.“ „Und jetzt schlummert es auf den AFC-Servern. Schon eine Idee, was du damit als Erstes anstellen wirst?“ Natürlich wusste Nick, dass Aiden ihm darauf keine Antwort geben würde. Aber es war offensichtlich: Sobald das Spiel 'Monochrome' erst das Licht der Welt erblickt hat, wird es immer öfter zu Ausfällen der Duel Monsters-Server kommen und zu anderen technischen Schwierigkeiten, alle ausgelöst durch dieses kleine Programm, das Zach während des Legacy Cups bewusst oder unbewusst in die AFC-Server geschleust hatte. Das war typisch Aiden: Um sich selbst besser dastehen zu lassen, scheute er nicht davor zurück, andere in ein schlechtes Licht zu rücken.   „Ich habe nichts vor“, log Aiden wie erwartet, „ich bewundere nur das, was du geschaffen hast. Innerhalb weniger Minuten war es drin, hatte jede Firewall unbemerkt überwunden und sich seiner neuen Umgebung perfekt angepasst. Du könntest eine Revolution auslösen, Nick. Die Welt retten. Oder zerstören.“ All das war ohne Bedeutung für ihn und das wusste der brünette CEO von Micron Electronics auch nur zu gut, dachte Nick und schwieg. „Wobei, eine Sache gibt es, die ich bereits mit Monochrome erreicht habe“, korrigierte sich Aiden jedoch plötzlich. Nick wurde hellhörig. Sein Gegenüber fuhr fort: „Dir ist es wohl entgangen, aber jemand hat einen Sprengsatz in das D-Pad deiner Schwester eingebaut.“ Sofort versteinerte Nicks Gesichtsausdruck. „Was?“ „Ganz recht. Aber keine Sorge, Monochrome hat ihn aufgespürt. Ich konnte ihn rechtzeitig untauglich machen.“ „Wieso ….?“ „Weil du mir mehr bedeutest als irgendetwas anderes. Triff die richtige Entscheidung und-“ Schlagartig sprang Nick auf. „Ich bedaure es.“ Überrascht sah ihn sein Vorgesetzter an. „Ich bedaure es, mich nicht selbst klonen zu können und Selfcest zu betreiben. Der einzig wahre Partner für mich bin nämlich ich selber. Ein Jammer um all meine Bedürfnisse. Schade, aber unsere Zeit für heute ist damit wohl um.“ Mit diesen bewusst sehr spitz gewählten Worten drehte Nick sich um und verließ eiligen Schrittes das Büro, hörte aufgrund des Rauschens in seinen Ohren kaum, wie Aiden verwirrt seinen Namen rief. Aber die Vorstellung, dass Aiden ihm geholfen hatte, dass -er- Anya beschützt hatte, war so demütigend und niederschmetternd, dass Nick nicht länger im selben Raum wie er verweilen konnte. Eine Bombe … Zachariah!   ~-~-~   Kurz nach 9 Uhr klopfte es an der Tür. Anya saß inzwischen angezogen am Tisch und arbeitete an Matts Laptop, während dieser mit hinter dem Kopf verschränkten Armen auf dem Bett lag und in die Luft starrte. Zanthe schlenderte zur Tür und wollte gerade öffnen, da sauste Anya wie ein Blitz an ihm vorbei und riss die Tür auf. „Hey“, brummte Logan ihr entgegen. „Guten Morgen“, wünschte der Werwolf als Erster hinter seiner Freundin grinsend. Die hatte nur Augen für den in Plastik gehüllten, dunkelroten Motorradanzug und den Helm, den ihr der Zwerg in der linken Hand entgegen hielt. „Sollte deine Größe sein“, erwiderte der auf Anyas forschenden Blick hin. „Wo hast du den gekauft, in der Kinderabteilung?“, stichelte Zanthe und musste erstmal Anyas Fuß ausweichen, welche zornesrot nach hinten austrat. Danach riss sie Logan das gute Stück aus den Händen und betrachtete es mit einer Spur Ehrfurcht in den Augen. „Das werde ich tragen? Hm.“ „Zieh dich um. Wir haben keine Zeit zu verlieren“, wies Logan sie kurz angebunden an. „Kann ich mitkommen?“, fragte Zanthe hoffnungsfroh, welcher sich an die Wand neben der Tür lehnte. Und ein vernichtender Seitenblick des Mädchens ließ ihn kurz darauf aufseufzen. „Ach ja, auf seinem Motorrad ist ja nur Platz für zwei. Wie praktisch.“ Sprachs und löste sich wieder von der Wand, während Anya auch noch den Helm entgegen nahm, um ihn zu mustern. Heute würde sie den Grundstein für ihre Zukunft als Duel Queen legen, so viel stand schon mal fest! Und dafür brauchte sie den Flohpelz nicht!   „Dann schon mal viel Glück“, wünschte Matt ihr und raffte sich auf, „ich werd' jetzt erstmal frühstücken gehen und dann unseren kleinen Flüchtling aufspüren.“ „Huh?“, drehte sich Anya zu ihm um. „Nur um sicher zu gehen“, zwinkerte er ihr zu, zog an dem Mädchen vorbei, grüßte Logan und war auch prompt auf dem Gang verschwunden.   „Hey, du nimmst das ja tatsächlich ernst“, staunte derweil Zanthe, der sich an den Tisch gesetzt und eine Seite über D-Wheels vor Augen hatte. „Ich zieh mich um“, murrte Anya Logan zu und verschwand kurzerhand im Bad. Knurrte dabei noch: „Wehe, ich sehe darin albern aus …“   ~-~-~   Weiß. So grell, dass Valerie den Anblick kaum ertragen konnte. Auch wenn dies letztlich nicht an dem Hotelzimmer selbst lag, sondern an den Erinnerungen, die damit verbunden waren. Hier hatte alles seinen Anfang gefunden. Also war es nur richtig, es hier auch enden zu lassen. Leise schloss Valerie die Tür hinter sich. Marcs Koffer lag auf dem Doppelbett, der junge Mann davor. Er sah sie nicht an, wie er die letzten Kleidungsstücke einpackte. „Ich wollte mich verabschieden“, sagte Valerie entschlossen, „bevor du nach Livington zurückfliegst.“ „Nicht Livington“, kam eine knappe Gegenantwort zurück. „Gainesville?“ Valerie musste ihr Erstaunen unterdrücken.   Wollte er etwa direkt das Studium an der University of Florida wiederaufnehmen!? Aber dann würden sie sich dort schon bald jeden Tag über den Weg laufen!   „Nein.“ Er drehte sich ihr zu. „Neuseeland.“ Überrascht von dieser Wendung verschlug es der Schwarzhaarigen im hellblauen Sommerkleid die Sprache. Marc zuckte unbeholfen mit den Schultern. „Auf dem Campus brauche ich mich nicht mehr blicken lassen.“ „W-was willst du-?“ „Irgendwas. Ich habe noch keine genauen Vorstellungen. Aber da kennt mich wenigstens niemand.“ „Verstehe.“ Valerie senkte den Kopf. Dann kramte sie aus ihrer weißen Handtasche zwei einzelne Karten heraus. Zunächst zögernd, schritt sie auf Marc zu und reichte ihm die Zauber [Unstable Evolution] und [Change Of Heart] mit festem Blick. „Ich denke, die brauche ich nicht mehr. Sie haben ihren Zweck erfüllt.“ Marc nahm sie prompt und zerriss sie vor ihren Augen. „Sehe ich ähnlich.“   Unangenehmes Schweigen machte sich in dem schneeweißen Hotelzimmer breit wie eine Plage. Die beiden standen voreinander und sahen doch aneinander vorbei. Erst als Valerie dabei war sich wegzudrehen ergriff Marc noch einmal das Wort. „Ich werde mich nicht noch einmal dafür entschuldigen.“ „Verstehe“, kam es leise aus Valeries Mund. „Das würdest du auch nicht. Um ehrlich zu sein bin ich verdammt froh, dass es so gekommen ist. Auch wenn der Preis letztlich zu hoch war. Ich bin mir nicht einmal sicher, wieso ich es gerade auf diese Weise getan habe. Nur dass ich es wollte, unbedingt.“ „Verstehe“, wiederholte sich Valerie bitter. „Tust du nicht“, schüttelte ihr Ex-Verlobter jedoch betrübt den Kopf, „du verstehst nicht, dass ich es tun musste. Valerie … niemand ist perfekt. Selbst die größten Champs der vergangenen Jahre haben ab und zu auch mal ein Duell verloren. Claire nicht. Zu sehen, wie sie Othello pulverisiert hat, hat meinen Eindruck nur bestätigt.“ Valerie sah herüber zu den mit prächtigen Vorhängen versehenen Fenstern. Eines stand offen, sodass ein angenehmer Luftzug durch das Hotelzimmer ging und die Vorhänge zum Wehen brachte. „Ich bin verdammt stolz darauf, verhindert zu haben, dass du ihr gegenüberstehen musstest“, gestand Marc. „Anya wird sich morgen mit ihr duellieren.“ „Das ist ganz offensichtlich eine Falle. Claire hat sie durchschaut. Uns alle, von Anfang an.“ Marc seufzte, wandte sich von der abwesend da stehenden Schwarzhaarigen ab und drückte seinen Koffer zu. „Wenn du eine echte Freundin bist, solltest du sie davon abhalten. Sonst könnte Anya morgen ihren Tod finden.“ „Darum geht es doch. Wenn wir nichts tun, dann wird sie definitiv sterben.“ Seinen Koffer vom Bett ziehend, schritt Marc auf Valerie zu und wollte ihre Schulter berühren, doch jene wich prompt zurück. „Nicht.“ Marc ließ seine Hand sinken. „Man kann gegen sein Schicksal nicht ankämpfen.“ „Der Satz kommt mir bekannt vor. Als hätte jemand ihn irgendwann einmal zu mir gesagt.“ Valerie drehte sich zu ihm um. Sie lächelte nicht. „Ich weiß auch nicht, woher ich ihn habe. Aber es ist die Wahrheit. Wir haben getan was wir konnten, aber das ist zu wenig, um Anya eine wirkliche Hilfe zu sein. Und wir müssen auch an uns selbst denken.“ Die Schwarzhaarige schüttelte den Kopf. „Sprich für dich, Marc. Solange noch Zeit ist, werde ich einen Freund nicht im Stich lassen.“ „Verstehe“, nickte Marc, „leb' wohl, Valerie. Ich werde dich immer lieben, das weißt du.“   Sie mit diesen Worten zurücklassend, schritt der sportliche junge Mann an ihr vorbei und drückte bereits die Klinke der Tür hinunter, als Valerie leise flüsterte: „Nein. Du bist es, der nicht versteht.“ Dazu konnte Marc nur traurig nicken. „Vielleicht verstehen wir beide am Ende nichts.“   Valerie biss sich auf die Lippen, um nicht in Tränen auszubrechen, als die Tür letztlich ins Schloss fiel und damit auch ein Abschnitt ihres Lebens für immer fort war. Es dauerte einen Moment bis sie ihre Fassung fand und sich umdrehte, um das weiße Zimmer zu verlassen. Sie wurde jedoch jäh in ihrem Vorhaben unterbrochen, als das Smartphone in ihrer Handtasche zu klingeln begann. Überrascht kramte sie es heraus. Es war ein weißes Modell einer bekannten Marke, geschützt durch eine schwarze Hülle. Das Besondere an dieser war ein kleiner Anhänger, der daran befestigt war: Ein kleiner, schwarzer Würfel mit dem Gesicht eines Maulwurfs mit Schnurrbart, von dem kleine Stummelarme – und Beine abgingen. Jenen hatte Marc ihr damals auf dem Fest vor dem Turnierauftakt geschenkt, da er ihn mit seinem heimtückischen Blick an eine gewisse Person aus ihrem Freundeskreis erinnerte. Seitdem baumelte er von Valeries Smartphone. Jene betrachtete ihn einen Moment betrübt, ehe sie ein „Oh!“ von sich gab und endlich abnahm.   Und kaum hatte Valerie das Mobiltelefon ans Ohr gelegt, drang aus dessen Hörer bereits ungezügeltes Gezeter. „Auch endlich aufgewacht, Prinzessin!? Verdammter Kackmist, ich dachte schon das Teil ist defekt!“ „A-Anya?“ „Wer sonst, Hohlbirne? Ich wollte nur mal eben testen, ob ich mit meinem Helm wirklich telefonieren kann.“ Valerie blinzelte dabei verdutzt. „Und du rufst mich an?“ „Wen sonst, Einstein? Könnte vielleicht praktisch werden, auch wenn ich wohl kaum dich anrufen werde, sobald-“ „Anya, jetzt ist wirklich kein guter Zeitpunkt. Lass uns später reden, okay?“ Die schnaubte wütend. „Ich wollt eh nur testen, ob das funktioniert. Bild dir bloß nichts darauf ein, klar!?“ „Natürlich nicht“, reagierte Valerie distanziert, „also dann viel Spaß beim Training. Pass auf, dass du keinen Unfall baust, in Ordnung?“ „Was soll das denn heißen!?“ „Bis später.“ Schon hatte Valerie aufgelegt.   Das Smartphone vor sich halten, packte die junge Frau den Anhänger daran und wollte ihn im Anflug eines urplötzlichen Wutanfalls abreißen, doch es ging nicht. Der Maulwürfel, wie er genannt wurde, hatte Besseres verdient …   ~-~-~   „... blöde Kuh“, fluchte Anya noch hinterher, auch wenn ihre Erzrivalin längst aufgelegt hatte. Mit dem roten Helm auf dem Kopf drehte sie sich zu Logan um, der neben seinem schwarzen Motorrad Schrägstrich D-Wheel stand. „Okay, der Kram funktioniert tatsächlich. Damit werden wir morgen in Kontakt bleiben?“ „Jup“, nickte er.   Sie befanden sich am Stadtrand auf einem verlassenen Parkplatz, der zu einer inzwischen stillgelegten Textilfabrik gehörte. Das rote Backsteingebäude befand sich direkt hinter ihnen. „Hab gehört, du hast dich schon ein wenig informiert“, begann Logan, als Anya näher trat. „Ein bisschen“, zuckte die unbedarft mit den Schultern, „ich weiß, dass es zwei Wege zum Gewinnen gibt. Den klassischen via Duel Monsters … und den, als Erster die Ziellinie zu überqueren. Deswegen auch 'Riding Duel', ein Rennen.“ Wieder nickte der gleichgroße Mann mit den buschigen Koteletten. „Gibt noch weitere Regeln. Bevor wir jedoch darauf zu sprechen kommen, möchte ich dir einen Rat geben.“ „Schieß' los!“ „Lernst zwar heute, wie man Motorrad fährt, aber zu deiner eigenen Sicherheit sollteste den Autopiloten während des Duells nie deaktivieren.“ Anya verschränkte die Arme. „Yeah, der Autopilot. Das Teil fährt das D-Wheel für dich, solange du mit deinem Zug beschäftigt bist.“ „Nicht nur das. Er hält dich auf der Strecke. Natürlich kannst du Richtung und Geschwindigkeit bestimmen, aber in Gefahrensituationen übernimmt der Autopilot.“ Logan tat es dem Mädchen gleich und verschränkte die Arme voreinander. „Die wenigsten Duellanten verzichten darauf. Hat versicherungstechnische Gründe. Bauste einen Unfall, während du manuell gefahren bist, wird keine Versicherung für die Schäden aufkommen. Ist wirklich gefährlich, sich gleichzeitig zu duellieren und zu fahren. Merk dir das.“ Sein Gegenüber aber winkte typisch altklug ab. „Ja ja, mach dir nicht ins Hemd. Zeig mir lieber, wie man dieses Baby fährt!“   ~-~-~   „Puh!“, ächzte Zanthe, als er die heruntergekommene Bar betrat. Der Geruch, eine Mischung aus Alkohol, Zigarettenrauch und Schweiß, war stark genug, seine Sinne derart zu benebeln, dass er beinahe ins Schwanken geriet. Eins musste er Exa lassen. Er mochte Ironie. Wieso sonst sollte er ausgerechnet die Kneipe besuchen, dessen Besitzer Zanthe vor wenigen Tagen erst mit einem Schlag in den Nacken niedergestreckt hatte.   Der junge Mann, der wie immer nicht ohne Kopftuch aus dem Haus gehen konnte, erspähte seinen Freund jäh am Tresen. Neben ihm stand ein bereits geleertes Bierglas. Zwar kostete es ihn einige Mühe, bei diesem Gestank nicht sein Frühstück auf dem Boden zu verteilen, aber ein Gespräch war inzwischen unausweichlich. Er hatte Exa seit dem Vorfall im Untergrund nicht mehr gesehen. So setzte er sich wortlos neben diesen auf einen Barhocker und bestellte ein Glas Wasser, für das er auch noch spöttisch angeguckt wurde. Als Exa das Gespräch von sich aus partout nicht beginnen wollte, seufzte Zanthe: „Wo warst du?“ „Hab mich'n bisschen zurückgezogen. In den letzten Tagen habe ich dich nur in Schwierigkeiten gebracht.“ Das klang gar nicht nach dem sonst so unbekümmerten Exa, schoss es dem Werwolf durch den Kopf, welcher daraufhin mit der Zunge schnalzte. „Halb so wild. Um ehrlich zu sein hätte ich mich zu Tode gelangweilt, die ganze Zeit nur die Duelle des Legacy Cups zu verfolgen.“ „Zanthe … ich kann hier nicht bleiben.“ „Und wo willst du dann hin?“, fragte jener einfühlsam. „Deine Welt ist fort. Du musst dir ein neues Zuhause suchen.“ „Ich weiß … aber hier ist es nicht.“ Der Blonde mit dem Rasterzopf hob sein gesenktes Haupt sowie die rechte Hand. „Barkeeper, noch ein Bier für mich.“ Der bärtige Glatzkopf hinter dem Tresen, der gerade mit einem schmutzigen Handtuch ein Glas abwusch, nickte. Zanthe seinerseits hob die Augenbrauen. „Kannst du das überhaupt bezahlen?“ „Nein.“ „Dann kannst du es jetzt.“ Zanthe zückte aus der hinteren Hosentasche seiner Jeans eine Brieftasche und legte sie seinem Freund vor die Nase. Welcher darauf erwiderte: „Das ist nicht deine.“ „Nö, aber der, dem sie gehört, hat sicher genug Geld. Du brauchst es dringender.“ Exa aber drehte den Kopf ab und schob dabei gleichzeitig die lederne Börse dorthin zurück, wo sie hergekommen war. „Ich will nicht mehr stehlen …“   „Wie du bezahlst ist mir egal, nur tu es“, brummte der Barkeeper, der das alles mitbekommen hatte und setzte dem Blonden das Bier vor die Nase. Zanthe funkelte den Mann böse an. Am liebsten würde er ihm an den Kopf knallen, dass, wenn er sich nicht gleich verzog, noch eine Nackenklatsche bekommen würde. Aber der Blick reichte auch aus, der Glatzkopf verzog sich. „Dann nimm das Angebot von Logan an“, riet Zanthe ihm. „Logan? Ach der Typ, den du beinahe umgebracht hast.“ Sein Freund lachte bitter. „Ja klar, der wird mich mit offenen Armen empfangen.“ „Ich hab mit ihm gesprochen und mich entschuldigt. Du kannst jederzeit bei ihm anfangen.“ „Und was soll ich da machen? Diese … Autos reparieren?“ Zanthe nickte mit dem Anflug eines Grinsens. „Genau.“ „Die Fahrzeuge in meiner Welt sind dagegen viel komplizierter. Aber sie gingen ständig kaputt, weil sie teilweise sehr alt waren. Wir mussten den Schutz der Stadt oft verlassen, um Ersatzteile zu finden.“ Ein wehmütiges Lächeln zierte Exas Gesicht. „So war das, als meine Welt noch existiert hat.“ „Du hast nicht viel darüber gesprochen, als wir am Feuer saßen. Wie war deine Welt so?“ „Gefährlich.“ Exa gab ein nachdenkliches Geräusch von sich. „Ich habe dir ja erzählt, dass eine Seuche dazu geführt hat, dass Hybrids entstanden. Monster, halb Mensch, halb Pflanze. Sie haben die Menschen immer weiter zurückgedrängt, bis unsere Stadt die letzte war, die noch existiert hat.“ Betrübt von der Geschichte senkte Zanthe sein Haupt. „Yeah. Ihr musstet jeden Tag ums Überleben kämpfen.“ „Aber wir waren gut. Stärker als die Hybrids. Wir mussten manchmal fürchterliche Dinge tun, aber wir haben überlebt. Vielleicht gab es noch andere Überlebende, irgendwo da draußen, aber wir haben nie welche gefunden.“ Exa schluckte. „Doch gegen das, was meine Welt vernichtet hat, hätten wir nichts tun können.“ „Was war es, das deine Welt zerstört hat?“ „Der Planet Eater. Ein riesiges Ding, selbst ein Planet, nur viel größer.“ Exa nahm sein Bier in die Hand und trank es bis zur Hälfte leer. Dann fuhr er fort. „Er hat seinen riesigen Schlund geöffnet und meine Welt verschluckt. Alles wurde binnen weniger Minuten stockfinster. Ich weiß, dieser Kyon hatte nicht viel Zeit und konnte nur einen von uns retten … wieso mich?“   Diese Frage konnte Zanthe ihm auch nicht direkt beantworten. Theoretisch hätte Kyon die Seele seines Bruders an jeden der Hüter aus Exas Welt binden können, solange sie stark genug waren. Vermutlich hatte er einfach den stärksten unter ihnen ausgesucht, also Exa.   „Komm mit nach Livington“, bat Zanthe, um seinen Freund auf andere Gedanken zu bringen, „ich hab mich dort auch eingelebt. Ist ein netter Ort. Okay, die Autos sind dir vielleicht zu primitiv, aber du wirst dich eingewöhnen. Ein Freund von einer Freundin wird dir die nötigen Papiere verschaffen, damit du legal arbeiten darfst.“ Ernst fügte der schwarzhaarige Kopftuchträger noch hinzu: „Aber hör auf, dich schuldig zu fühlen, weil du lebst und deine Freunde nicht. Daran lässt sich nichts mehr ändern.“ Exa hob seinen Kopf und schenkte ihm ein erzwungenes Lächeln. „Das stimmt. Ich werde darüber nachdenken …“ Sprachs und wandte sich wieder deinem Bier zu. „Ach komm“, schlug Zanthe ihm seinerseits herzhaft auf den Rücken, „sobald du all meine Deppenfreunde kennen und lieben gelernt hast, wirst du gar nicht anders können, als Teil der Gemeinschaft werden zu wollen!“ So war es schließlich auch bei ihm gewesen …   ~-~-~   Kreise. Alles drehte sich. Aber Anya schrie förmlich vor Vergnügen, wie sie die schwarze Maschine im Kreis um den Parkplatz fuhr. Dieses Gefühl, sie konnte es kaum beschreiben. Fühlte sich so etwa Freiheit an? In einer mehr als waghalsigen Halbdrehung bremste sie vor Logan ab, welcher die Arme verschränkte. „Die Grundlagen sind dir recht schnell in Fleisch und Blut übergegangen.“ Anya nahm den Helm ab, wobei ihr blondes Haar offen über ihre Schultern fiel. Sie strahlte förmlich. „Yeah, als ob ich es schon immer gekonnt habe.“ „Vielleicht hast du das sogar. In einem früheren Leben.“ Das Mädchen blinzelte. „Huh? Glaubst du an sowas?“ „Nö.“ Sie musste bei der Antwort grinsen. Natürlich nicht, sonst wäre es ja nie zu dem Streit zwischen ihnen beiden gekommen. Und eigentlich war es auch ganz cool so, wie es jetzt war. „Gut, fahren kannst du jetzt einigermaßen. Jetzt müssen wir über die speziellen Regeln eines Riding Duels reden.“ Er zeigte ihr eine Hand mit drei Fingern. „Die musst du dir merken, wenn du gewinnen willst.“ „Yeah, die kann ich dir auch so sagen! Erstens: Wer als Erster durchs Ziel fährt, hat das Duell unabhängig vom Lebenspunktestand gewonnen. Zweitens: Wer zum Stehen kommt, hat automatisch verloren.“ Parallel dazu ließ Logan für jeden richtigen Punkt einen Finger sinken. „Und drittens … uh.“ „Drittens: Nur der Spieler, der in Führung liegt, kann Zauberkarten aktivieren.“ „Was!?“, platzte es aus Anya heraus. „Ist das dein Ernst!?“ „'türlich.“   Schnaubend blickte sie sofort in die andere Richtung, herüber zu dem Backsteingebäude, der stillgelegten Textilfabrik. Die Fenster waren teilweise eingeschlagen, das Gebäude voller Graffiti. „Würde dir empfehlen, nicht zu viele Zauberkarten in dein Deck zu packen. Ist unwahrscheinlich, dass du sie verwenden wirst.“ Eine zornige Falte bildete sich auf Anyas Stirn als sie sich ihm wieder zu wandte: „Danke für das Vertrauen!“ „Da ist keins. Kleine, ich kenne Claire Rosenburg. Du wirst Schwierigkeiten haben, überhaupt ihren Staub zu fressen. Also nimm dir meinen Rat zu Herzen.“ Anyas Finger bohrten sich tiefer in ihren Helm. „Ich muss vielleicht Staub fressen, aber sie wird den Asphalt küssen. Darauf kannst du wetten.“ „Werd' ich aber nicht.“ Logan kratzte sich am Hinterkopf. „Aber wenn du meinst. Nun, jetzt kannst du das Ding einigermaßen unfallfrei fahren und kennst die Regeln. Wie sieht's aus, willst du dich duellieren?“ Die Miene seines Gegenübers hellte augenblicklich auf. „Und mein neues Deck testen? Fuck yeah! Warte!“ Sie war schon im Begriff abzusteigen, da hielt Logan ihr im übertragenen Sinne die flache Hand vors Gesicht. „Nein. Auf dem D-Wheel. Du wirst mich während des Duells umkreisen.“ „Aber-“ „Schalte den Autopiloten ein, dann sollte es für den Anfang leichter werden. Wenn das klappt machen wir ohne weiter. Du musst lernen, dich gleichzeitig zu duellieren und zu fahren.“ Der Anflug eines Grinsens zierte seinen rechten Mundwinkel. Anya ihrerseits blinzelte verdutzt. „Huh? Ich dachte, du hast gesagt …“ „Ich weiß, was ich gesagt habe. Und ich weiß, dass du sowieso nicht auf mich hören wirst.“ Erst als sie einen intensiven Blick untereinander austauschten verstand Anya. Und nickte anschließend grinsend. „Mir gefällt wie du denkst! Also los, mach dich schon mal frisch!“ Sprachs und setzte den Helm wieder auf, trat in die Pedale und nahm das Deck aus ihrer Box am Gürtel des roten Motorradanzugs. Logan seinerseits ging in eine kämpferische Haltung und aktivierte Anyas rotes D-Pad an seinem Arm. Beide schrien unter Motorengeheul: „Duell!“   ~-~-~   Der junge Mann stieß einen voller Selbstmitleid erfüllten Seufzer aus und blickte auf die weiße Karte in seiner Hand. Auf ihr abgebildet war nichts weiter als ein schwarzer Punkt, welcher sich am oberen Rand des Papiers befand. „Wie lange willst du dich noch verstecken?“, murrte Matt, der gemächlich über den Bürgersteig schlenderte. An einer Kreuzung stoppte er vor einer Fußgängerampel, neben ihm staute sich der Verkehr.   Über eine Stunde suchte er nun schon nach Lee, aber bisher hatte er kein Glück. Solange der Punkt auf seiner Karte noch am oberen Rand war, war der selbsternannte beste Dämonenjäger noch weit entfernt – aber noch in Reichweite seines Zaubers, immerhin. Als die Ampel vor ihm von einer Hand zu einem Fußgängersymbol wechselte, überquerte Matt gedankenverloren die Straße. Was erhoffte er sich überhaupt von diesem Typen? Mrs. Carrington hatte Lee hierher geschickt, offensichtlich um ihm etwas Wichtiges mitzuteilen. Aber Matt zweifelte daran, dass diese Botschaft den Lee-Filter überstand. Geschweige denn überhaupt überbracht wurde, wenn man bedachte, wie bockig der Kerl sich ihm gegenüber verhielt.   Am anderen Ende der Kreuzung, welche gespickt war mit diversen kleinen Geschäften, schritt der Schwarzhaarige im Ledermantel stur geradeaus, wie es seine Karte ihm gebot. Wahrscheinlich wäre es klüger, seine Zeit in die aussichtslose Suche nach Edna zu investieren. Welche an sich schon ein Mysterium darstellte. Wer waren dieses Mädchen und sein Begleiter Harris? Keine Dämonenjäger, dessen war sich Matt inzwischen sicher. Irgendjemand hätte mehr von ihnen gehört als ein paar halbgare Geschichten, die man den beiden im Endeffekt nicht einmal mit absoluter Klarheit zuordnen konnte. Agierten sie auf eigene Faust, oder steckte mehr dahinter?   Gerade als Lee bereits Gefahr lief, aus Matts Gedankengängen verbannt zu werden, verschob sich der schwarze Punkt auf der Karte langsam Richtung Mitte. Erstaunt blieb Matt einen Moment stehen, denn das hieß, dass der Typ irgendwo in der Nähe war. Anschließend beschleunigte er seine Schritte, dabei den Blick abwechselnd auf den Weg vor sich und auf die Karte fixiert. Heute war viel los in Ephemeria City, es war Wochenende, die Leute tummelten sich auf den Straßen. So auch hier. Regelmäßig überholte er Fußgänger und wich dem 'Gegenverkehr' aus, seinem Ziel immer näher kommend. Und dann sah er ihn, besser gesagt seine Rückansicht, drei Gebäude von ihm entfernt. Keine Sekunde später verschwand Lee in einem Geschäft, welches sich, nachdem Matt es erreicht hatte, als Waschsalon entpuppte. Gar nicht lange fackelnd, öffnete der junge Mann die Tür und sah sich um.   In zwei gleichmäßigen Reihen befanden sich hier Waschmaschinen und Sitzbänke. Von Lee hingegen fehlte jede Spur, das Geschäft war leer. Aber es gab eine Tür im hinteren Teil des Salons, vielleicht war er also durch den Hintereingang geflüchtet. Matt warf einen prüfenden Blick auf seine Karte. Der Punkt war direkt in der Mitte der Fläche angelangt. Nein, Lee Anderson war nicht geflüchtet … er hatte sich versteckt. Was, angesichts seiner fragwürdigen Intelligenz, vielleicht gar nicht so dumm war. Sein Pech war nur, dass es hier nahezu keine Möglichkeiten zum Verstecken gab. Entspannt zog Matt an den beiden Waschmaschinenreihen vorbei und trottete herüber zur Tür, die er grinsend öffnete.   Kaum fiel diese ins Schloss, schob sich langsam die Klappe der Waschmaschine in der Mitte der rechten Reihe auf und die Visage eines ziemlich mitgenommenen Lees mit seinem Schnauzer schob sich daraus hervor. Er schielte zum Ausgang des Waschsalons, in der Hoffnung, schnell genug zu sein, bevor Matt zurück war. Und bemerkte nicht, dass der direkt neben ihm stand und zunächst mit der Faust gegen besagte Klappe donnerte. „Hab dich- Au!“, rief er, nur um dann schmerzhaft zu erfahren, dass er keine Anya war, deren Knöchel scheinbar aus Stahl zu bestehen schienen. Grimmig schüttelte er die Hand und hockte sich vor die wieder geschlossene Waschmaschine, in welcher Lee benommen und eingekauert hockte. Aber er war ja nicht so, also öffnete er die Tür wieder, statt dem Drang nachzugeben, das Ding stattdessen testweise mal anzuwerfen. „Unmöglich! Du hast einen faulen Zauber benutzt, Dämonenhexe!“, schrie dieser und zeigte aus seiner Wäschetrommel heraus auf den jungen Mann mit der sich auflösenden Karte in der Hand. Der funkelte Vokuhila-Lee bitterböse an. „Komm da raus. Wir müssen reden.“ „Mit dir rede ich kein Wort!“ Schon landete Matts, wohlgemerkt noch immer schmerzende, Hand neben der Einschalttaste. So viel zu seinen guten Vorsätzen. Aber bei Idioten-Lee war es schwer die Beherrschung zu wahren. „Und wenn ich dir eine kostenlose Grundreinigung spendiere. Dann vielleicht?“ Die Augen des bestimmt schon an die 40 herangehenden Mannes weiteten sich. Seine Lippen, nunmehr nichts als eine gerade Linie, pressten hervor: „Erpresser-Dämon!“ „Raus mit dir“, winkte Matt ihn zur Bank inmitten der beiden Waschmaschinenreihen.   Auf jene setzten sie sich schließlich auch zusammen. Schmollend verschränkte der Pseudo-Dämonenjäger die Arme, während der echte ihn von der Seite her forschend ansah. Er trug eine weiße Damenbluse unter einer Jeansweste, eine dreckige Cargohose und keine Schuhe, nur Socken. Vermutlich hatte er das alles irgendwo mitgehen lassen, nachdem Anya – und hier schieden sich die Geister, ob es aus reiner Boshaftigkeit oder Großzügigkeit – seine Klamotten vor ihrem Duell an ein paar Obdachlose verschenkt hatte. Etwas, das Lee ihm allen Anschein nach sichtlich übel nahm. Vorsichtig versuchte Matt das Eis zu brechen. „Tut mir leid, dass wir dich gestern bei uns im Bad eingesperrt haben. Ich war dagegen, nur damit du es weißt.“ „Geh sterben“, verlangte der und drehte sich beleidigt weg. Wenn Matt es nicht besser wüsste, hätte er jetzt das Gefühl mit einem 5-Jährigen zu sprechen. Ob behinderte Angestellte günstiger zu halten waren, fragte er sich unweigerlich, denn anders konnte er sich nicht erklären, warum der bei den Carringtons arbeitete. Apropos … „Du hattest gesagt, deine Herrin, Mrs. Carrington, hat dich geschickt um uns zu helfen. Das ist sehr nett von ihr.“ „Natürlich ist es das!“, fauchte der Schwarzhaarige seinen Sitznachbarn an, als er sich ruckartig wieder ihm zu wandte. „Ich habe sie angebettelt, dich anzuzeigen, aber stattdessen soll ich dir von dem Abend erzählen, an dem Mr. Carrington seine Kräfte verlor!“ „Ok?“ „Denk nicht, ich wüsste nicht, worüber ihr geredet habt! Über Vaters Tod und was er mit diesem rothaarigen Jungen gemacht hat! Als Mutter erwähnte, dass du danach gefragt hast, musste ich ihr unbedingt erzählen, dass ich damals hinter dem Fenster zugeschaut habe. Man, war die baff!“ Nicht weniger als Matt selbst, welcher Lee in einer Mischung aus Faszination und Mordlust anstarrte. Damit rückte er erst -jetzt- raus!? Mrs. Carrington war zwar etwas unterkühlt gewesen, hatte aber nicht den Eindruck erweckt, etwas vor ihm zu verbergen. Ergo musste diese Information auch für sie neu gewesen sein. Unwillkürlich packte der junge Mann das 80er-Jahre-Abwrackmodell am Kragen seiner 80er-Jahre-Jeansweste. „Und das fällt dir jetzt auf einmal ein!? Ein rothaariger Junge war derjenige, der euch in dieser Nacht besucht hat!?“ Anstatt zu antworten, biss Lee sich mit geweiteten Augen auf die Zunge. „Crap, das hätte ich nicht sagen dürfen.“   Da er sich aber längst in eine für ihn nicht sehr angenehme Situation manövriert hatte und Matt sowieso alles aus ihm herauskriegen würde, was er wissen wollte, ließ er Lee letztlich los. Rothaariger Junge? Meinte er etwa den Sammler?   „Wie genau sah der aus? Hatte er eine Narbe auf der Wange?“, fragte er daher sofort nach. „Dir sag ich-“ Aber als Lee eine weitere Sache an Matt kennenlernte, die dieser sich bei Anya abgeschaut hatte, sprach er. So im Angesicht des Todesblicks. „Nein, keine Narbe, aber Tattoos am linken Arm. Er war groß und sportlich und sehr aufbrausend, aber ich habe nicht viel von dem Gespräch verstanden. An das Meiste davon erinnere ich mich nicht mehr, nur, dass er am Ende gebettelt hat, zum Hüter gemacht zu werden!“ Erschrocken hielt sich Lee daraufhin beide Hände vor den Mund, weil er wieder hemmungslos seine vermeintlichen Geheimnisse ausgeplaudert hatte. Matt legte die Hand ans Kinn und überlegte. Die Beschreibung kam ihm bekannt vor, aber er- Harris! Edna war laut Zanthes Aussage eine Hüterin und Harris' Freundin. DIE Freundin. Welche er damals hatte retten wollen. Es ergab Sinn. „Hast du zufällig mitbekommen, wie der Typ hieß?“ „Ich rede nicht mehr mit dir!“ „Ja oder nein?“ „Nein“, quiekte Vokuhila-Lee unter einem weiteren Todesblick von der Seite. „Mehr weiß ich nicht, ich schwör's beim Leben meiner toten Großmutter! Und selbst wenn, würde ich es -dir- bestimmt nicht sagen!“   Die Beschreibung passte auf Harris. Zwar hatte Matt ihn selbst nie gesehen, da er nicht auf der Hochzeit anwesend war, doch Zanthe hatte ihn ziemlich genau beschrieben. Rote Haare, Tattoos, etwa Mitte 20. Zurückgerechnet wäre er damals ein Jugendlicher gewesen. Könnte er damit wirklich der fünfte Hüter sein?   „Kann ich jetzt gehen?“, fragte Lee vorsichtig, nachdem Matt seit geraumer Zeit nachdenklich in die Leere starrte. „Uh-huh“, nickte jener abwesend. Vorsichtig erhob sich der nicht mehr ganz so junge, schwarzhaarige Mann. „Danke für diese Informationen“, fügte Matt hinzu und sah zu ihm auf, „wenn das stimmt, gibt es jetzt einen Hauptverdächtigen.“ Aber konnte das sein? Hätte Zanthe Harris nicht ebenfalls als Hüter identifizieren müssen? „Sieh's ein, Rookie, ohne mich wärst du aufgeschmissen!“, prahlte Lee gleich darauf los, seine Angst von einer Sekunde zur anderen vergessend. Matt rang sich ein müdes Lächeln ab. „Vielleicht. Also, man sieht sich. Oder auch nicht, ich werde dich nicht mehr verfolgen. Und wäre im selben Zuge dankbar, wenn du auch davon ablassen könntest, uns hinterher zu schnüffeln. Deine Tarnung ist mies, wenn ich das so sagen darf.“ Erschrocken weitete Vokuhila-Lee die Augen, nur um dann zornesrot anzulaufen. „Die kannst du nur durch Hexenwerk durchschaut haben, eine andere Erklärung gibt es nicht! Und merke dir“, fauchte er und richtete seinen Zeigefinger ruckartig unter Matts Nase, „ich tue das nur, um zu verhindern, dass du die Welt zerstörst!“ „Was wir tun wird die Welt nicht zerstören“, widersprach jener ernst und sprang auf, „nur ein Menschenleben retten.“ Lee funkelte ihn an. „Nicht jedes Leben ist es wert gerettet zu werden.“ „Vielleicht“, hielt sein Gegenüber engstirnig dagegen, „aber wer entscheidet das?“   Der Diener der Carringtons schnaufte und wandte sich ab. Matt zog an ihm vorbei und klopfte ihm dabei auf die Schulter. „Nichts für ungut. Wenn du dich doch dazu entschließen solltest, uns zu helfen … such um Himmels Willen bloß nicht nach uns. Das wäre für alle Beteiligten das Beste.“ Damit ließ er Lee stehen und verließ den Waschsalon.   ~-~-~   Es musste schon weit nach Mitternacht sein, aber Anya konnte einfach nicht einschlafen. Zu überwältigt war sie noch von dem Gefühl, ein D-Wheel gefahren zu haben. Dazu Matts Vermutung, dass dieser dämliche Harris der fünfte Hüter ist und ihr damals somit gleich zwei von der Sorte durch die Lappen gegangen waren. Hrgh! Zanthe hatte beteuert, dass ihm an dem Kerl nichts aufgefallen war, aber schließlich hatte er auch bei Edna nur kurz etwas gespürt, als sie sich unmittelbar in seiner Nähe befand. Und dann war da immer wieder Claire Rosenburgs regungslose, arrogante Miene. Ob sie wohl heute Nacht in den Schlaf der Gerechten eintauchte? Bestimmt. Die Idee zu verlieren musste ihr doch vollkommen fremd sein.   Anya drehte sich auf die Seite. Die Vorhänge des Panoramafensters waren zugezogen, es war nahezu stockdunkel im Zimmer. Morgen würde sie mit Logan in aller Frühe aufbrechen. Aber würde sie auch wiederkehren? Wollte Claire sie aus dem Weg räumen, weil sie Bedrohung erkannt hatte oder nicht? Es musste so sein, denn einen anderen Grund gab es nicht für eine Weltmeisterin, sie, Anya Bauer, zu einem bedeutungslosen Duell wie diesem herauszufordern.   „Du solltest langsam mal einschlafen, findest du nicht?“ Zanthe seufzte. „Sonst bist du morgen völlig hinüber und das ist für jemanden, der von Hause aus wenig Denkkapazität besitzt, ziemlich gefährlich.“ Auch Matt im mittleren der drei Betten schien noch wach zu sein. „Jetzt beleidige sie nicht noch.“ „Hab mich schon gewundert, warum die Wände noch nicht wackeln“, stichelte Zanthe und spielte auf Matts Schnarcherei an. Anya kicherte bitterböse. „Denk dran, was wir besprochen haben, Flohpelz. Sobald er damit anfängt geht’s los.“ „Ouh, ich freu mich schon drauf.“ „Wegen der Gewalt oder seinem Hintern?“ Auf die Frage des Mädchens antwortete der Werwolf glucksend. „Beidem natürlich.“ „Ich drücke diese Nacht garantiert kein Auge zu“, beklagte sich der Gebeutelte verärgert. „Geht uns wohl allen so“, überlegte Zanthe laut. Matt seufzte und drehte sich seinerseits auf den Rücken. „Anya, wenn du morgen Probleme haben solltest, frag Levrier um Rat.“ „Oh ja, das solltest du“, pflichtete der Werwolf ihm bei. „Spiel' bloß nicht das stolze Mädchen, das alles aus eigener Kraft erreichen möchte. Nicht morgen.“ „Levrier -ist- schließlich ein Teil von dir. Hilfe macht einen nicht schwächer, sondern stärker.“ „Ein großes Hurra fürs Schummeln – ich meine die Freundschaft!“ Der Dämonenjäger schnalzte mit der Zunge. „Natürlich, -du- musst natürlich das Negative darin sehen.“ „Die Wahrheit ist neutral, nicht negativ“, murrte Zanthe. „Ja nachdem wie man sie auslegt, nein, ist sie nicht“, widersprach sein Zimmergenosse, „was meinst du, Anya?“ Von der kam jedoch keine Antwort. So wiederholte Matt: „Anya?“ „Herzlichen Glückwunsch, du hast sie zum Einschlafen gebracht“, gluckste Zanthe. Denn tatsächlich, das Mädchen lag mit einem Ausdruck voller Wonne auf der Seite und träumte vom Sieg.   ~-~-~   Es war noch halb dunkel, als Anya und Logan auf dessen schwarzem D-Wheel vor einem Torgitter zum Stehen kamen. Der Zwerg stieg ab und schritt herüber zu einem kleinen Wachhäuschen. Auf dem Weg hierher hatte er erklärt, dass Riding Duel-Strecken nur mit Genehmigung betreten werden durften. Nach einem kurzen Gespräch zwischen Logan und dem Wärter fuhr das Tor zur Seite und gewährte Einlass. Anya, gerade wach genug um nicht vom Motorrad zu fallen, sah durch das Visier ihres roten Helms, dass hinter dem Tor Scheinwerfer ansprangen. Sie alle beleuchteten eine Start- beziehungsweise Ziellinie sowie die Boxen daneben. Logan winkte sie herüber. Hinter ihrem Helm grinsend, griff Anya nach dem Lenker und fuhr langsam herüber zur Startlinie, an der sie sich platzierte. Von Claire war noch keine Spur zu sehen. Logan trat an Anya heran. „Werde alles von hier aus überwachen. Denk dran: Nicht zum Stehen kommen, sonst heißt es Game Over.“ Dabei zeigte er auf ein noch leeres Pult bei den Boxen. Sie nickte. „Gehe mal das Equipment aufbauen. Kannst dich schon mal sammeln, in ein paar Minuten geht die Sonne auf. Dann wird’s ernst.“ „Ich habe keine Angst vor Claire Rosenburg!“ „Gut so“, nickte der Mechaniker und grinste vergnügt, ehe er seine Ankündigung wahr machte und zu besagtem Pult herüber schritt. Dort schloss er einen Laptop via USB-Kabeln an ein Terminal an, welches sich darunter befand. Nachdem der Laptop hochgefahren war, erschien auf dem Bildschirm die vereinfachte Karte der Strecke, die aus mehreren Kurven bestand, welche ihr eine zu unregelmäßige Form gaben, um sie zu beschreiben. Durch farbliche Abweichungen der gelben Linie wurde deutlich, dass es auch Steigungen und Gefälle gab.   Aber dazu musste Anya nicht auf einen Laptop schauen, das sah sie auch von ihrer Position aus. Nach der ersten Kurve in der Ferne stieg die Strecke langsam aber stetig an, verlief über massive Säulen über der Stadt, in dessen südwestlichen Teil sie sich befand. Die nähere Umgebung war nicht bebaut, dafür aber alles, was hinter besagter ersten Kurve lag.   „Guten Morgen“, wurden Anya und Logan aus dem Nichts gegrüßt. Ganz am Ende der Boxen stand Claires Manager Nigel in seinem schwarzen Anzug und näherte sich langsam. Letzterer warf dem Geschäftsmann, welcher eine Sonnenbrille auf der Nase sitzen hatte, einen bösen Blick zu, als dieser das Pult erreichte. „Claire wird gleich hier sein. Sie ist pünktlich. Immer“, sprach der Bärtige mit Nachdruck. Inzwischen war der Himmel rötlich verfärbt, hinter ihnen stieg langsam ein grelles, gelbes Licht den Horizont empor.   Und tatsächlich: Wenige Minuten später drang Motorengeheul vom Eingang. Claire schoss durch denselben Eingang wie zuvor Anya und vollzog auf der Strecke eine Kehrtwende hin zur Startlinie. Das schneeweiße D-Wheel kam rechts neben dem Mädchen zum Stehen. Anya blickte stur geradeaus, über die Stadt, die in die Morgenröte getaucht war. Eine unheimliche Farbe, sie kam ihr intensiver als sonst vor, ganz als prophezeie sie eine blutige Schlacht. „Wir können beginnen“, drang Claires Stimme gedämpft hinter ihrem hellblauen Helm hervor, über den in der Mitte ein weißer Streifen vertikal vom Visier bis zum Nacken verlief. Wie immer verlor sie nicht gerade viele Worte, dachte Anya dabei und setze ihren eigenen, knallroten Helm auf. „Yeah. Wenn ich gewinne, bekomme ich dein Artefakt.“ Natürlich äußerte sich die amtierende Weltmeisterin gar nicht dazu, denn gewiss rechnete sie nicht damit, überhaupt zu verlieren. Aber Anya würde sie eines Besseren belehren. „Okay, kann losgehen“, sprach Anya in das Mikrofon, welches in ihren Helm eingebaut war.   Bei der Startlinie, wo sich die offenen Boxen befanden, saß Logan direkt an der Strecke vor dem Pult und arbeitete weiterhin am Laptop. Aus der Vogelperspektive konnte er Anyas und Claires Position auf der Minikarte sehen. „Mache das Startsignal bereit“, erwiderte er auf Anyas Worte hin. Dabei warf er aus den Augenwinkeln einen Blick zur Seite, wo der rothaarige, bärtige Manager von Claire sich gegen die Wand der kleinen Box lehnte. Zu dessen Rechten befand sich die Einfahrt in die Boxengasse. „Hmm.“   „Woah!“, schoss es aus Anya heraus, als plötzlich zu beiden Seiten der Strecke meterhohe, gläserne Absperrungen hochfuhren. Diese zogen sich um die erste, nach rechts verlaufende Kurve und darüber hinaus, vermutlich bis zur Zielgeraden, hin. Und so zerbrechlich sie wirken mochten, verbarg sich dahinter dickes Panzerglas. Plötzlich erschien auf jeder einzelnen davon eine durchsichtige Ampel. Claire trat in die Pedale, Motorengeheul erklang. Rot. Anya tat es ihr gleich und startete die Maschine. „Duel Modus, Autopilot, Standby“, drang von der vor ihr ausgebreiteten Duel Disk eine Computerstimme an ihr Ohr. Gelb. Bei ihrer verhassten Widersacherin geschah dies nicht. Aber wen wunderte es, sie war ja ein Profi, der keinen Autopiloten brauchte. Grün. „Riding Duel, Acceleration!“, schrien beide synchron und schossen mit ihren Maschinen nach vorn.   [Anya: 4000LP / Claire: 4000LP]   Zwar hatte Anya schon gestern während des Trainings mit Logan dieses wahnsinnige Gefühl von Geschwindigkeit verspürt, doch dieses Mal war es noch intensiver. Sie beugte sich nach vorn und drehte voll auf. Die erste Kurve war nicht mehr weit entfernt, wer sie nahm, würde das Duell beginnen. Sie blicke nach rechts, wo ihre Gegnerin etwa gleichauf lag. Nein, sie fiel sogar ein wenig zurück. Perfekt! Die beiden D-Wheels rasten über den Beton auf die nach rechts verlaufende Kurve zu. Anya gewann immer mehr an Vorsprung, zog während der Fahrt ihr Startblatt und steckte es in die Halterung hinter ihrer Duel Disk, da der Autopilot sie durch die Kurve geleiten würde. Zwar versuchte Claire Anya zu überholen, doch es war zu spät: Jene bog als Erste ein und hatte damit die Eröffnung sicher. „Ich aktiviere eine Zauberkarte“, rief jene sofort und schob jene in den entsprechenden Slot, „[Absorb Fusion]! Damit erhalte ich sofort eine Gem-Knight-Karte aus dem Blatt. Außerdem dürfte ich danach sofort fusionieren, aber das würde die Materialien verbannen. Das will ich nicht, also soll [Gem-Knight Fusion] übernehmen!“ Bunte Edelsteine entstanden um Anyas Fahrzeug während ihrer Fahrt um die längliche, leicht nach aufwärts verlaufende Kurve, welche in den Deckschacht vor ihr schossen. Aus dem schob sich besagte Zauberkarte, die das Mädchen nahm und sofort in die Höhe hielt. „Ich aktiviere [Gem-Knight Fusion] …“ Hinter ihr holte Claire mit beachtlichem Tempo auf. „… und verschmelze Gem-Knights von meiner Hand.“ Doch als Anya die Karte einlegte, erschien auf dem Display ihres D-Wheels der Schriftzug ERROR. Und das Mädchen schnappte: „W-was? Ah!“ Jetzt sah sie es. Ihre verhasste Widersacherin zog mühelos von der Innenseite der Strecke an ihr vorbei und verließ als Erste die Kurve. Und nur wer führte, durfte Zauberkarten aktivieren. „Shit!“, schoss es aus dem Mädchen da heraus. So war das nicht geplant! „Ist doch eine typische Strategie von ihr“, drang da plötzlich Logans Stimme zu ihr, „lässt ihren Gegner vor, um zu sehen was er vorhat, bevor sie ihm in die Parade fährt.“ Sofort schnauzte Anya zurück: „Hättest du mir das nicht früher sagen können!? Was soll ich jetzt machen!?“ „Haste dich nicht informiert? Denk selber nach.“ Anya zischte verstimmt. Die Strecke verlief nach oben, sie passierten gerade ein paar Wolkenkratzer zu ihrer Linken. Inzwischen führte Claire bereits um eine ganze Motorradlänge und der Abstand zu ihr vergrößerte sich zunehmend. Was sollte sie jetzt ohne ihre wichtigste Zauberkarte tun? Das Mädchen im schwarzen Motorradanzug stöhnte. „Verdammter Kackmist! Ich setze ein Monster. Zug beendet!“ Zischend materialisierte sich die Karte links neben ihr und verschwand dann.   Stillschweigend zog Claire auf. Da sie momentan geradeaus fuhren, musste sie nur mit einer Hand lenken. Mit der anderen nahm sie eine Karte aus der seitlich neben ihr platzierten Halterung und legte sie auf die Duel Disk daneben. „Normalbeschwörung: [Mecha Phantom Beast Tetherwolf].“ Ein weißblauer Helikopter erschien weit über ihr und folgte der jungen Frau, welche das Duell momentan anführte. Dabei besaß seine Vorderseite die unmissverständliche Form eines Wolfkopfes. Gleichzeitig besaß er zwei an langen Kabeln hängende Greifkrallen dort, wo sich sonst bei anderen Hubschraubern die Landevorrichtungen befanden. „Wenn Tetherwolf normalbeschworen wird erzeugt er eine Projektion“, erklärte Claire, woraufhin neben ihrem Monster ein buntes, holografisches Abbild von jenem auftauchte.   Mecha Phantom Beast Tetherwolf [ATK/1700 DEF/1200 (4 → 7)] Mecha Phantom Beast-Spielmarke [ATK/0 DEF/0 (3)]   Wütend knirschte Anya mit den Zähnen, da ihr dieser Schrotthaufen nichts sagte. Ihre Gegnerin hatte ihn im Duell gegen Othello nicht eingesetzt. Vielleicht hätte sie sich auch über deren Karten informieren sollen und nicht nur über Riding Duels an sich. „Tetherwolf greift das gesetzte Monster an“, verkündete Claire tonlos. Mitten im Flug schwenkte der Heli herum und ließ seine Greifkrallen auf Anya los. „Pah, dumm gelaufen!“, schnarrte die. Direkt vor ihr tauchte schlagartig ein Ritter auf, in einer abwechselnd smaragdgrün und hellblau schimmernden Rüstung steckender. Mit sich führte er einen langen Metallstab, bestückt mit gleichfarbigen Edelsteinen, den er über den Kopf kreisen ließ und welcher ihn daraufhin in dichten Nebel tauchte. „An der Verteidigung meines neuen [Gem-Knight Malachites] kommst du nicht vorbei!“   Gem-Knight Malachite [ATK/1000 DEF/1900 (4)]   „Monstereffekt: Wenn Tetherwolf kämpft, kann ich eine Projektion deaktivieren, um seine Angriffskraft temporär um 800 zu erhöhen.“ Anya schnappte erschrocken: „Huh!?“ Schon löste sich das Hologramm neben Claires Helikopter auf.   Mecha Phantom Beast Tetherwolf [ATK/1700 → 2500 DEF/1200 (7 → 4)]   Dessen Greifarme schnappten sich daraufhin den im Nebel steckenden Malachite und rissen ihn brutal auseinander. Ein roter Blitz drang aus dem Dampf, ehe dieser sich auflöste. „Shit“, fluchte Anya. „Ich setze drei Karten. End Phase“, verkündete Claire und steckte nacheinander besagte Karten in die Slots rechts neben sich. Alle drei erschienen in vergrößerter Form auf ebenjener Seite, tarnten sich jedoch anschließend und wurden wie zuvor Anyas Monster unsichtbar.   Mecha Phantom Beast Tetherwolf [ATK/2500 → 1700 DEF/1200 (4)]   Wie im letzten Duell, schoss es Anya durch den Kopf. Wer wusste schon, was die blöde Kuh da alles an Fallen liegen hatte. Einer Sache war sich das Mädchen aber bewusst: Sie würde es herausfinden, ob sie wollte oder nicht. „Ich werde nicht gegen dich verlieren“, knurrte sie. Inzwischen hatte Claire ihre Führung ausgebaut, fuhr nun mindestens drei Motorradlängen von Anya entfernt. Sie bog bereits in die nächste Kurve ein, wohingegen Anya wie eine lahme Ente versuchte mitzuhalten. Verdammt, wieso war die bloß auf einmal so schnell!? Als Anya einbog, wechselte sie auf den inneren Teil der Strecke, in der Hoffnung, ein bisschen Land wett zu machen. Solange sie hinten lag, war ihre [Gem-Knight Fusion] zur Nutzlosigkeit verdammt. „Kch, shit!“, keuchte sie, nachdem sie aus der Kurve raus schoss, aber Claire immer noch genauso weit entfernt war wie bisher. Der verdammte Autopilot sorgte dafür, dass sie nicht die volle Geschwindigkeit aus Logans Maschine herausholen konnte! Am liebsten würde sie es ohne ihn versuchen, aber davor hatte er sie mehrmals gewarnt. „So ein Kackmist! Draw!“, fluchte sie bei der Erkenntnis, Claire wohl so schnell nicht einholen zu können und riss ruckartig eine Karte von der Duel Disk vor ihr. Als sie die Falle erblickte, machte sich hinter ihrem Visier ein bösartiges Grinsen breit. „Die setze ich gleich mal“, entschied sie, sodass die Karte zu ihrer Linken auftauchte und dann unsichtbar wurde. Danach nahm sie ein Monster aus ihrem Blatt in der Halterung und schmetterte es auf die Monsterkartenzone. „Mal sehen, wie dir der hier gefällt! Noch ein brandneuer Kumpel aus meinem Arsenal! [Gem-Knight Jasper]!“ Auf der gegenüberliegenden Seite materialisierte sich ein Ritter in einer schwarz-roten, massiven Rüstung, welcher eine lange Hellebarde mit sich führte. In der Brustpanzerung war ein einzelner, rot-orangener Edelstein eingelassen.   Gem-Knight Jasper [ATK/1800 DEF/600 (4)]   Ohne Probleme konnte der schwebende Krieger mit seiner Herrin mithalten. Die zeigte geradewegs auf den Wolfshubschrauber in der Luft. „Der ist reif für den Schrottplatz! Angriff!“ Eine entsprechende Reaktion von Claire folgte auf dem Fuße. Ohne sich umzudrehen streckte sie die Hand zur Seite aus, wo gleich zwei ihrer Fallen aufsprangen. „Fallenaktivierung: [Aerial Recharge] und [Cyber Summon Blaster]. Letztere fügt meinem Gegner für jede spezialbeschworene Maschine 300 Punkte Schaden zu. Mit [Aerial Recharge] kann ich pro Zug eine Projektion eines Mecha Phantom Beast-Monsters erschaffen. Vom Typ Maschine.“ Anya keuchte, als zunächst am Rahmen über dem Hinterrad von Claires D-Wheel ein trichterförmiges Geschütz aufsetzte. Zwar war es viel kleiner als die Version im Duell gegen Othello, doch leider genauso gefährlich. Denn als neben Tetherwolf ein buntes Hologramm seiner selbst auftauchte …   Mecha Phantom Beast-Spielmarke [ATK/0 DEF/0 (3)]   … richtete sich die Kanone zielgenau auf Anya aus und feuerte eine blitzende Energieladung auf das Mädchen ab. Jene wich nach links aus und stieß ein erschrockenes Keuchen aus, als neben ihr der Asphalt vom Treffer zerbarst.   [Anya: 4000LP → 3700LP / Claire: 4000LP]   Für einen kurzen Moment kam Anyas Motorrad ins Stocken, fuhr in Schlangenlinien. Das Mädchen hatte ihre liebe Mühe, die Maschine wieder unter Kontrolle zu bringen. Verdammt, fluchte sie dabei in sich hinein. Nicht nur, dass ihre Gegnerin von Anfang an mit harten Bandagen kämpfte, nein, solche Treffer verlangsamten sie auch noch! Der Abstand zu Claire wurde größer! „Willst du mich umbringen, blöde Kuh!?“, fluchte Anya in ihrem Frust wütend, während die Strecke eine leichte Steigung nahm, die sie an diversen Bürogebäuden und Hotels vorbeiführte. „Replay-Regel. Die Zahl meiner Monster hat sich verändert.“ Ging ihre Gegnerin jedoch nicht darauf ein. „Wähle ein Monster, das du angreifen willst.“ Dadurch wurde Anya sich ihrer Lage erst gewahr. Claire kontrollierte Tetherwolf und dessen Ebenbild. Das hieß, wenn sie jetzt das Original angriff, würde dieses nur sein Abbild opfern, um sich auf 2500 Angriffspunkte zu bringen. Genau wie letztes Mal! Dann blieb ihr gar keine andere Wahl. „[Gem-Knight Jasper]! Nimm dir die Projektion vor!“ Mit atemberaubender Geschwindigkeit schoss jener an Anya vorbei. Dabei holte er mit der Hellebarde aus und ließ jene, kaum hatte er Claire und ihre Monster erreicht, durch das bunte Hologramm sausen, welches daraufhin auch verschwand. „Zug beendet“, knurrte Anya missmutig, als Jasper an ihre Seite zurückkehrte. „Zweiter Effekt von [Aerial Recharge]. Ich muss pro Zug ein Mecha Phantom Beast als Tribut anbieten oder aber diese Karte auf den Friedhof legen. Ich verzichte auf [Mecha Phantom Beast Tetherwolf].“ In bunten Funken löste sich der wölfische Helikopter auf. Was für Anya überraschender kam als es sollte. Sie erinnerte sich, dasselbe war ebenfalls im Duell gegen Othello geschehen. Vielleicht würde sich das noch als nützlich erweisen, wenn sie wirklich jeden Zug etwas opfern musste …   Wortlos zog Claire eine Karte auf. Übergangslos nahm sie eine andere aus der Halterung neben sich und legte sie auf die Duel Disk. „Normalbeschwörung: [Mecha Phantom Beast Harrliard].“ Über ihr tauchte aus dem Nichts ein Kampfjet auf, golden und anmutig, nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass sein Cockpit einem Löwenkopf nachempfunden war. Anya erkannte ihn wieder. „Dieses Teil!“, knurrte sie ärgerlich.   Mecha Phantom Beast Harrliard [ATK/1800 DEF/800 (4)]   „Effekt von [Aerial Recharge]. Sie erschafft eine Projektion meines Monsters.“ Besagte permanente Fallenkarte klappte wieder neben ihr auf. Aus ihrem Artwork schoss eine bunte, holografische Version von Harrliard, die sich hoch zu jenem gesellte.   Mecha Phantom Beast-Spielmarke [ATK/0 DEF/0 (3)] Mecha Phantom Beast Harrliard [ATK/1800 DEF/800 (4 → 7)]   Anya schnaufte nur wütend als der Kanonenaufsatz an Claires D-Wheel Energie aufzuladen begann. Sich auf den kommenden Treffer vorbereitend, begann Anya sich zunehmend nach links zu lehnen. „Eine Maschine wurde spezialbeschworen, also fügt [Cyber Summon Blaster] 300 Punkte Schaden zu“, drang Claires Stimme aus den Kopfhörern in Anyas Helm. „Denk dir was Neues aus“, brummte die, als der Schuss kam. Statt ihm einfach nur auszuweichen, duckte sie sich regelrecht in ihrer nach links geneigten Haltung hinweg. „Nochmal wirst du mich nicht damit verlangsamen, blöde Kuh!“   [Anya: 3700LP → 3400LP / Claire: 4000LP]   „Ich greife mit [Mecha Phantom Beast Harrliard] [Gem-Knight Jasper] an.“ Der Jet über Claire setzte zu einer langsamen Kehrtwende über Kopf an und schoss noch mitten in der Bewegung mehrere Raketen aus den krallenartigen Triebwerken an seinen Tragflächen. Sie auf sich und ihren Ritter zukommen sehend, stockte Anya innerlich. Ein Doppelkill!? War die jetzt völlig bescheuert? Wobei … „Pah, denkste! Falle aktivieren!“ Nicht mit ihr, sagte sich die Blonde und ließ ihre eigene gesetzte Karte neben sich aufspringen. „Wenn du denkst, meine Fusionen versiegeln zu können, täuscht du dich gewaltig! [Pyroxene Fusion]! Damit kann ich eine Gem-Knight-Fusion durchfü-“ „Konterfalle: [Do A Barrel Roll]. Ich opfere sämtliche Projektionen, um eine Kartenaktivierung zu vereiteln.“ „Huh!?“ Anya weitete die Augen während Claire in die nächste Kurve einbog. Das bunte Hologramm über ihr verschwand und die Raketen schlugen rings herum um Anya ein. Ihre Falle zersprang und [Gem-Knight Jasper] ebenso, jedoch nicht, ohne eine rötliche Explosion dabei auszulösen. „Das gibt’s doch nicht! Aber unsere Monster waren gleichstark, also …“ Hinter Anya, die nun ebenfalls einbog, schoss aus der zurück gebliebenen Rauchwolke die gewaltige Hellebarde ihres Ritters. Ihr Ziel: der in der Luft verharrende Löwen-Kampfjet. „… bist du deins auch lo-“ „Effekt meines Monsters. Wird eine Projektion aufgelöst, erschafft er einmal pro Zug eine neue.“ So schnell wie das bunte Hologramm Harrliards verschwunden war, tauchte an seiner Stelle augenblicklich ein neues auf.   Mecha Phantom Beast-Spielmarke [ATK/0 DEF/0 (3)]   Und Claires Kanone setzte sich wieder in Gang. Doch statt Anya anzuvisieren, schoss sie diesmal die fliegende Waffe ab.   [Anya: 3400LP → 3100LP / Claire: 4000LP]   „D-das gibt’s nicht“, stammelte die Jüngere fassungslos. „Aber wie-!?“ „Jedes Mecha Phantom Beast ist unzerstörbar, solange Projektionen auf dem Spielfeld existieren.“ Und zum ersten Mal sagte Claire etwas, das nicht zum absolut Nötigsten gehörte. „Dieser Angriff hätte mich nie mein Monster kosten können.“ Anya zuckte innerlich zusammen. Mit welcher Eiseskälte sie das ausgesprochen hatte, als hätte nie ein Zweifel daran bestanden. Frustriert blickte das Mädchen auf ihre Handkarten. So ein Kackmist, wie sollte sie jetzt fusionieren!? Ihre Zauber waren nutzlos, ihre Ersatz-Falle ausgehebelt – was blieb ihr da noch!? „Ich setze eine Karte. End Phase“, drang die nun wieder mechanisch klingende Stimme Claires an ihr Ohr. Parallel dazu verschwand gerade neben deren D-Wheel wieder eine verdeckte Karte. Gleichzeitig löste sich Harrliards buntes Ebenbild auf, da Claire es scheinbar als Tribut anbot, um [Aerial Recharge] nicht aufgeben zu müssen.   Sie musste aufholen, dachte Anya panisch. Irgendwie! Ansonsten würde sie dieses Duell verlieren, denn auch wenn jenes noch nicht lange lief, wurde eines bereits jetzt deutlich. Claire Rosenburg schien jeden ihrer Tricks mühelos kontern zu können …     Turn 79 – Absolute Configuration Durch Claires Führung ist es Anya unmöglich eine Fusionsbeschwörung durchzuführen, wodurch sie sich einmal mehr auf [Angel Wing Dragons] Stärke verlassen muss. Zur selben Zeit suchen Nick und Alexandra den versiegelten Dämonen Joel auf, welcher sich nicht nur als äußerst undurchsichtig, sondern auch gut informiert erweist … Kapitel 84: Turn 79 - Absolute Configuration -------------------------------------------- Turn 79 – Absolute Configuration     Anya stieß einen wütenden Schrei aus. Claire bog bereits in die nächste Kurve ein, von der sie noch weit entfernt war. Um sie herum die Wolkenkratzer von Ephemeria City im Glanz des Sonnenaufgangs. „Mein Zug! Draw!“, schnaufte das Mädchen, als sie sich der Kurve langsam näherte und riss eine Karte vom Stapel aus der Duel Disk vor ihr. Die Strecke führte minimal bergab, wurde von massiven Säulen gehalten, die überall in der Stadt verteilt waren. Anya betrachtete ihre neue, vierte Handkarte. Solange der Autopilot aktiviert war, konnte sie sich voll auf ihr Spiel konzentrieren, doch zum Preis von Kontrolle und Geschwindigkeit. Ihre Gegnerin im hellblauen Motorradanzug auf dem weißen D-Wheel war so weit entfernt, dass es nicht einmal mehr etwas brachte, ihren Windschatten ausnutzen zu wollen, da sie außerhalb jenes Bereiches lag.   [Anya: 3100LP / Claire: 4000LP] Das Feld der Livingtoner Terrorkönigin war leer, Claire hingegen kontrollierte den goldenen Kampfjet [Mecha Phantom Beast Harrliard], dessen Cockpit einem Löwenkopf nachempfunden war und welcher hinter der Weltmeisterin her flog.   Mecha Phantom Beast Harrliard [ATK/1800 DEF/800 (4)]   Dazu besaß sie noch die beiden permanenten Fallen [Aerial Recharge] und [Cyber Summon Blaster], wobei Letzterer in Form einer kleinen Kanone am Hinterteil ihres D-Wheels befestigt war. Außerdem hatte sie in ihrem letzten Zug eine dritte Karte gesetzt und hielt, laut dem Bildschirm an Anyas Lenker, noch eine Karte auf der Hand. Was sollte sie tun, fragte sich Anya verzweifelt. Sie konnte die [Gem-Knight Fusion] in ihrem Blatt nicht benutzen, solange sie hinten lag. Und auch ihre neue Karte war mehr oder minder nutzlos dadurch. „Was meinst du?“, stellte sie ihre Frage an Levrier.   Nun, besonders viele Optionen hast du nicht, Anya Bauer.   In Anbetracht der Tatsache, dass auch keines der Monster auf ihrer Hand über den Angriffswert von Harrliard kam, blieb Anya eigentlich nur noch eine Wahl. Eine, die sie sofort wieder an die Worte ihrer Erzrivalin erinnerte: Sie durfte sich nicht allein auf die Artefakte verlassen, die sie auf ihrer 'Mission' in ihren Besitz brachte. Doch welche Wahl hatte sie denn in diesem Augenblick? Keine! „Tch, also schön! Ich beschwöre [Gem-Knight Tourmaline]!“, rief sie und schmetterte dessen Karte auf den Spielplan vor sich. An der Seite ihres schwarzen D-Wheels erschien ein goldener Ritter, von dessen Handflächen Blitze sprühten. Nebenbei bemerkte Anya, dass die Strecke jetzt ebenerdig durch einen durch Gitterzäune abgesperrten Teil der Stadt verlief. Dort waren schon einige Passanten unterwegs, die dem Schauspiel erstaunlicherweise keinerlei Beachtung schenkten.   Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)]   Anya streckte einen Arm nach vorne. „Effekt aus meinem Extradeck! Indem ich ein Licht-Monster von meinem Deck auf den Friedhof schicke, kann ich es als Empfänger für eine Synchrobeschwörung für ein ganz besonderes Monster benutzen! [Alexandrite Dragon]!“ Die gelb umrandete Karte besagten Monsters schoss aus ihrem Kartenstapel und wurde dem Friedhof zugeführt. Über Anya stieg ein bunt schimmernder Drache in die Höhe, welcher sogleich in zahlreiche Funken zersprang, die ihrerseits über Anya einen riesigen, goldenen Ring mit vier weißen Federschwingen daran bildeten, welcher ihr während der Fahrt folgte. „From the light of a different world, the herald of starlight descends upon the ravaged land!“, begann Anya zu zitieren. Dabei zersprang ihr Ritter in vier grüne Lichtkugeln. Gleichzeitig bildete sich im Inneren des Rings eine wässrige Oberfläche, durch die die Sphären eine nach der anderen glitten. „By discarding a single star, I call upon you! Synchro Summon!“ Ein greller Lichtblitz drang durch den Ring. Im Anschluss schoss ein schlangenhafter Körper aus seinem hinteren Teil, ein weißer Drachenkopf samt goldenem Kragengestell aus dem vorderen, bis beide Hälften das komplette Ungetüm ergaben. „Shine forth, [Angel Wing Dragon]!“ Jener brüllte majestätisch, wie er über Anya verharrte und Claire ins Visier nahm.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   Plötzlich drehte sich ihre weit vorne liegende Gegnerin zu ihr um und streckte die Hand aus. „Fallenkarteneffekt: [Aerial Recharge]. Sie erschafft eine Mecha Phantom Beast-Projektion. Diese ist vom Typ Maschine, wodurch der Effekt von [Cyber Summon Blaster] einsetzt und meinem Gegner 300 Punkte Schaden zufügt.“ „Argh!“, keuchte Anya, als neben [Mecha Phantom Beast Harrliard] eine bunte, holografische Kopie von ebendiesem auftauchte und die Kanone am Heck von Claires D-Wheel einen elektrischen Energiestrahl in ihre Richtung abschoss. Mecha Phantom Beast-Spielmarke [ATK/0 DEF/0 (3)] Mecha Phantom Beast Harrliard [ATK/1800 DEF/800 (4 → 7)]   Mit einem geschickten Manöver wich Anya, der dank ihres Abstands zu ihrer Gegnerin genug Reaktionszeit eingeräumt wurde, zur Seite aus. Dabei platzte die vom Blitzstrahl getroffene Stelle des Asphalts auf. Dabei knallte einer der Splitter gegen ihren Helm, was das Mädchen fuchsteufelswild machte.   [Anya: 3100LP → 2800LP / Claire: 4000LP]   „Immer noch im Killmodus, huh!?“, fauchte die Blonde. Aber es wäre auch verwunderlich, wenn diese blöde Kuh plötzlich damit aufhören würde. Hinter dem Visier ihres Helms verfinsterte sich Anyas Blick jedoch. Jetzt besaß sie zwar ein starkes, schwer loszuwerdendes Monster, aber dasselbe war auch auf Claires Spielfeldseite der Fall. Solange die auch nur eine Projektion kontrollierte war Harrliard unzerstörbar. Das hieß, selbst wenn sie jetzt angreifen würde, würde ihre Gegnerin lediglich 900 Lebenspunkte verlieren, mehr nicht … Anyas Blick senkte sich auf den Bildschirm vor sich, auf dem Claires Feldsituation angezeigt wurde. Während jeder End Phase musste die entscheiden, ob sie ein Mecha Phantom Beast oder aber [Aerial Recharge] opferte, welche hauptsächlich dafür da war, jene Hologramme zu erschaffen – ein ziemlich hoher Preis. Anschließend spähte Anya herüber zu dem bunten Hologramm von Harrliard. Wenn sie dieses also loswurde, musste Claire zwischen ihrem Monster und ihrer Falle wählen – ein potentieller Schwachpunkt den sie ausnutzen könnte. Andererseits, wenn sie Claire Schaden zufügte, würde sie das verlangsamen und damit bestünde die Chance sie einzuholen. „Was soll ich tun?“, überlegte Anya laut.   Ich glaube nicht, dass es so einfach wird, Claire Rosenburg auszubremsen.   „Yeah … okay, der Fall ist klar!“, rief Anya schließlich und deutete mit dem Zeigefinger auf ihr Ziel. „Los, [Angel Wing Dragon]! Zerstöre die Projektion! Seraphim Judgment!“ Der über ihr fliegende, kobrahafte Drache öffnete sein Maul und stieß einen grellen Lichtstrahl aus, um welchen eine goldene Spirale kreiste. Die Flamme schoss über die Strecke hinweg und schlug in das bunte Hologramm über Claire ein, ohne dass diese überhaupt Notiz davon nahm.   Mecha Phantom Beast Harrliard [ATK/1800 DEF/800 (7 → 4)]   Eine Karte würde Claire damit auf jeden Fall verlieren, dachte Anya zufrieden. Egal welche es war, das war momentan besser als ein bisschen Kampfschaden! „Zug beendet!“, verkündete sie daher stolz. „Also, was wird es sei-“ „Ich biete [Mecha Phantom Beast Harrliard] als Kosten für die Erhaltung von [Aerial Recharge] an“, schoss es da so schnell aus Claires Mund, dass Anya verstummte. Der Kampfjet der Weltmeisterin löste sich schnurstracks ins Nichts auf.   Claire hatte inzwischen den nächsten, ansteigenden Teil der Strecke erreicht, welcher über ein Wohngebiet verlief. Von den flachen Dächern der Wohnhäuser hatte man einen guten Blick auf die Strecke, die parallel zu jenen gebaut war. „Draw Phase“, verkündete Claire monoton, „Normalbeschwörung: [Mecha Phantom Beast Sabre Hawk].“ Aus dem Nichts tauchte über ihr ein schwarzes Überwachungsflugzeug auf, dessen Tragflächen erst kurz vor dem Heck begannen. Wie all ihre Monster besaß auch es ein animalisches Cockpit, das eines Säbelzahntigers. „Fallenkarteneffekt: [Aerial Recharge]“, rief Claire danach aus und ließ neben ihrem Sabre Hawk einen zweiten, durchsichtig-bunten erscheinen. „Damit wird der Effekt von [Cyber Summon Blaster] ausgelöst.“   Mecha Phantom Beast Sabre Hawk [ATK/2100 DEF/100 (4 → 7)] Mecha Phantom Beast-Spielmarke [ATK/0 DEF/0 (3)]   Das Geschütz an Claires D-Wheel richtete sich wieder auf Anya, die gerade den Punkt der Strecke erreicht hatte, an dem man wieder über die Stadt blicken konnte. Inzwischen hatten sie gut ein Drittel hinter sich gebracht, wenn Anya der Minikarte neben dem Spielplan auf ihrem Bildschirm trauen konnte. Als schließlich der elektrische Energiestrahl auf sie zukam, wich Anya abermals gekonnt zur Seite aus. „Yeah, das liegt mir echt im Blut!“, prahlte sie dabei, als es hinter ihr zu einer weiteren kleinen Explosion kam. „Mich wirst du nicht so leicht los!“   [Anya: 2800LP → 2500LP / Claire: 4000LP]   „Fallenkartenaktivierung“, setzte ihre Gegnerin jedoch desinteressiert ihren Zug fort. Neben ihr klappte die gesetzte Fallenkarte hoch, „[Sonic Boom]. Sie schützt [Mecha Phantom Beast Sabre Hawk] in diesem Zug vor sämtlichen Karteneffekten, verdoppelt seine Stärke und verleiht ihm Durchschlagsfähigkeiten. Dafür zerstört diese Karte am Ende des Zuges sämtliche meiner Maschinenmonster.“ Anya weitete die Augen als Claires urzeitlich angehauchtes Flugzeug stark zu flimmern begann und eine Drehung in ihre Richtung vollzog.   Mecha Phantom Beast Sabre Hawk [ATK/2100 → 4200 DEF/100 (7)]   „Willst du mich verarschen!?“ „Angriff auf [Angel Wing Dragon]“, gab Claire ihr die passende Antwort dazu. Und dann knallte es nur noch. Sabre Hawk war mit einer derartig hohen Geschwindigkeit auf Anyas weißen Drachen zugeschossen, dass jene nur noch etwas Dunkles auf sich hatte zukommen sehen. Mit voller Wucht prallten die Monster aufeinander und lösten eine Druckwelle aus, die Anya samt D-Wheel zur Seite drängte. Dabei zerschmetterte die Wucht des Angriffs die gläsernen Absperrungen zu beiden Seiten der Strecke. Anya rief dabei: „Bist du irre!?“ Ihre Maschine kam ins Schlittern, wodurch das Mädchen dem Abgrund zu ihrer Rechten bedrohlich nahe kam. Auch ihr Visier hatte tiefe Sprünge davongetragen. Du musst bremsen!   Nie im Leben, dann war das Duell gelaufen, dachte Anya ehrgeizig. Stattdessen streckte sie den linken Arm aus und ließ Angel Wing in seiner Speerform erscheinen, welchen sie griff und kurzerhand in den Boden rammte, um ihren Kurs zu korrigieren. Dabei leuchtete Heavy Ts Handschuh für einen Moment kupferfarbig auf. Claire beobachtete das alles über die Schulter, drehte sich dann aber wieder wortlos dem zu, was vor ihr lag. „Ich sag doch, so schnell kriegst du mich nicht!“, fauchte Anya, die dadurch wieder ein ganzes Stück zurückgeworfen worden war. „Im Kampf mit [Angel Wing Dragon] erleide ich keinen Kampfschaden!“ „Schnellzauber: [Greed Grado]“, ignorierte Claire den Ausruf ihrer Gegnerin abermals und schob ihre letzte Handkarte in die Duel Disk neben sich, „da ich ein Synchromonster zerstört habe, kann ich nun zwei Karten ziehen.“ „Na prima! Kommt ja wie gerufen!“ Anya schnaubte, als ihre Gegnerin im hellblauen Motorradanzug zweimal aufzog. Gleich danach kündigte Claire an: „Phasenwechsel. Indem eine Projektion deaktiviert wird, kann [Mecha Phantom Beast Sabre Hawk] ein Monster auf dem Friedhof verbannen.“ „Wozu das denn?“, wunderte sich Anya, doch weitete die Augen, als sie den Sinn dahinter erkannte. Das holografische Abbild von Sabre Hawk verschwand. Aus dessen geöffnetem Maul schoss grelles Scheinwerferlicht, welches die hinten liegende Duellantin genau ins Visier nahm. Durch den Strahl wurde der Geist [Angel Wing Dragons] über dem Mädchen sichtbar, welcher sich letztlich in grelle Funken auflöste. Anya schrie: „Nein!“   Verbannt kann er nicht zurückbeschworen werden!   Levrier hatte vollkommen Recht, schoss es Anya durch den Kopf! Diese dämliche Ziege, es war nie ihre Absicht gewesen, Kampfschaden zuzufügen! Nein, Claire Rosenburg hatte es die ganze Zeit darauf abgesehen, ihren Trumpf aus dem Spiel zu nehmen. Womit sie ihrem Kurs, systematisch jede von Anyas Strategien zunichte zu machen, treu blieb und dabei kontinuierlich Schaden zufügte. Sie hatte das Spiel fest im Griff. „Ich setze eine Karte“, verkündete Claire und ließ jene links neben sich verdeckt erscheinen, wo sie kurz danach verschwand, „End Phase. Damit wird [Mecha Phantom Beast Sabre Hawk] zerstört. Da [Aerial Recharge] Kosten erfordert, werde ich diese mit jenem bezahlen und umgehe den negativen Effekt von [Sonic Boom].“ So löste sich das Überwachungsflugzeug einfach auf, statt etwa zu explodieren.   Damit mag sie zwar ihre Position weiter gefestigt zu haben, hat aber auch an Feldpräsenz eingebüßt. Wir sollten die Chance nutzen und zurückschlagen, Anya Bauer! Zumindest würde ich dir das gerne raten, aber ich wittere eine Falle.   Die war noch völlig weggetreten wegen des Verlustes von [Angel Wing Dragon]. „Logan“, murmelte sie in das Mikrofon in ihrem Helm, „was kann ich tun? Die macht mich kategorisch fertig!“ „Sag nicht, du hättest das nicht kommen sehen“, drang seine Stimme zu ihr. „Wie auch immer, bleib ruhig. Und werd' nicht unvorsichtig.“ Anya schluckte. Hätte Levrier nicht einfach unter die gesetzte Karte lugen können, als jene kurz erschienen war!? Verdammt, was sollte sie nur tun!?   Mit großem Abstand folgte sie Claire über den geradlinigen Abschnitt der Strecke, welcher einen Panoramablick über Ephemeria City bot. Unwissend, dass auf einem der Dächer Zanthe stand und alles mitverfolgte. „Das endet in einer Katastrophe, garantiert“, murmelte er skeptisch.   ~-~-~   Als Nick den weißen Neon Chrysler pünktlich zum Sonnenaufgang startete, schlief die Livingtoner Nachbarschaft noch und träumte von einer besseren Welt. Unwissend, dass der allgemein als verrückt, aber harmlos eingestufte Harper-Spross alles daran setzte, dies zu verhindern, indem er Anya Bauer vor dem sicheren Tod zu retten versuchte. Welche ihrerseits zu diesem Zeitpunkt noch vom Sieg träumte, ohne auch nur zu ahnen, was sie in weniger als zwei Stunden erwarten würde.   Alexandra, die auf dem Beifahrersitz saß, winkte lächelnd mit einem braunen Umschlag. „Gute Nachrichten?“, fragte er und fuhr die Auffahrt seiner Garage hinunter. „Vielleicht? Hängt davon ab was du hören willst“, erwiderte die schöne Blonde im Trenchcoat geheimnisvoll. „Ich finde sie beunruhigend.“ „Rück' raus damit“, forderte Nick. Die Augen verdrehend, ob seiner ihr gegenüber typisch herrischen Art, öffnete die Schatzjägerin den Umschlag und zog zunächst ein paar ausgedruckte Satellitenaufnahmen hervor. „Durch Tony wissen wir, dass dieser Joel in einem alten Schulgebäude versiegelt wurde, welches sich am Rand von Rockfort Hill befindet, einem alten Bergbaudorf. Dieses ist seit gut 60 Jahren eine Geisterstadt.“ Nick, der mit überhöhter Geschwindigkeit durch die Nachbarschaft düste, stellte fest: „So lange ist er dort also schon versiegelt.“ Alexandra grinste vergnügt. „Gut kombiniert. Ein Erdbeben hat dafür gesorgt, dass die Minenschächte eingestürzt sind. Das hat nicht nur vielen Minenarbeitern das Leben gekostet, sondern auch einige Bewohner in den Tod gerissen. Kurz darauf kam es zu einem Brand in besagter Schule, was dazu führte, dass die restlichen Bewohner Rockfort Hill verlassen haben.“ „Hm, fragt sich nur, ob das auf freiwilliger Basis geschah oder sie bei dieser Entscheidung unter irgendeinem Zauber standen.“ „Da die Minen ohnehin nahezu erschöpft waren, hat man das Dorf schließlich aufgegeben.“ Ihr Partner stöhnte. „Wann kommt der beunruhigende Teil?“ „Nun, keiner meiner Kontakte hat je etwas von einem Dämon namens Joel gehört.“ „Hm.“ Nick überlegte kurz. „Also hat der Sammler mit allen Mittel versucht, das Geheimnis zu bewahren.“ Die Blonde schwieg, denn sie wartete darauf, dass er es selbst aussprach. Was Nick auch leise flüsternd tat: „Woher weiß dein Tony dann davon?“ „Ich habe keine Ahnung.“   Völlig unerwartet tauchten auf Nicks Schultern in einer kleinen, schwarzen Rauchwolke die Krähen Snuggly und Sparkly auf. „Dorf abgeschirmt. Bannkreis, kraw“, schnatterte die etwas lahme Snuggly zu seiner Linken. „Irgendetwas ist dort versteckt“, bestätigte Sparkly gleich darauf. Nick, der schon auf die Rückkehr der beiden gewartet hatte, warf einen Seitenblick zu Alexandra herüber, welche ihn jedoch abwartend anstarrte. Scheinbar bemerkte sie die beiden Federviecher nicht, aber Nick wusste bereits, dass nicht jeder Mensch Schattengeister wahrnehmen konnte. Die Gangster von damals waren dazu in der Lage gewesen, sie hingegen nicht – warum? Was unterschied sie? Aber das war momentan zweitrangig.   „Scheinbar ist das ganze Dorf von einem abschirmenden Feld umgeben“, erklärte Nick, „wir müssen also einen Weg finden es zu durchbrechen. Irgendwelche Ideen?“ Etwas überrascht erwiderte die Abenteurerin: „Woher weißt du das?“ „Unwichtig. Also?“ „Es gibt viele Arten von Bannkreisen“, stotterte Alexandra noch immer irritiert und unzufrieden, „es ist allein schon ein Unterschied ob man etwas einsperren oder andere aussperren will. Oder beides.“ „Da wird sicher keine Fußmatte mit 'Welcome' liegen. Die Barriere ist vom Sammler.“ „Ach, warum hast du das nicht gleich gesagt? Lass uns doch umdrehen und den Sprit sparen.“ Nick reagierte nicht auf die schnippische Bemerkung seiner Begleiterin, während er langsam das Stadtzentrum erreichte mit dem riesigen, ovalen 'Kolosseum' direkt vor ihm, dem gläsernen Einkaufszentrum Livingtons. „Eine Möglichkeit, kraw“, schnatterte Snuggly. Deren Schwester fügte hinzu: „Jeder Bannkreis hat einen Punkt, an dem er am schwächsten ist. Xiphi kennt sie, raw.“ Xiphos? Der würde ihm niemals helfen, schoss es Nick durch den Kopf. Nicht, wenn es darum ging etwas zu erreichen, von dem der Sammler ganz gewiss wollte, dass es für immer verborgen lag. Aber er würde sicher nicht umkehren, ohne sich das Ganze zumindest einmal angesehen zu haben.   ~-~-~   Anya zog unter ihrem Helm die Stirn kraus. Das Duell lief noch gar nicht lange und sie wurde schon hoffnungslos in jedem ihrer Versuche, die Oberhand zu gewinnen, ausgebremst. Verdammter Kackmist, irgendetwas musste sie tun. Der Abstand zu Claire war inzwischen so groß, dass es hoffnungslos erschien, sie überhaupt noch einmal einzuholen. Unsicher warf das Mädchen einen Blick herunter zu ihrem Deckschacht. Eine Idee keimte auf, welche Anya jedoch kategorisch ausschloss. So war sie nicht mehr, so wollte sie nicht mehr sein – abhängig von irgendwelchen magischen Kräften, die das Schicksal lenkten. Sie wollte ihr Schicksal selbst bestimmen, aber nicht durch Betrug! Wie konnte sie sich sonst Duel Queen nennen?   Ihr Blick richtete sich geradeaus auf die Strecke. „Ich bin am Zug. Draw!“ Kein Cheat Draw! Nicht heute, nicht morgen, nie wieder! Mit Schwung riss sie die Karte von ihrem Deck und erschrak. Das war der Dank dafür, eine ihrer neuen Zauberkarten … nutzlos. „Kch!“ Was nun? Ihr Blatt bestand neben [Gem-Knight Fusion] und der neuen Zauberkarte noch aus zwei Monstern. Eines davon besaß zwar einen akzeptableren Angriffswert und Claire war vermeintlich ungeschützt, doch Anya wusste es im Grunde besser. Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder würde Claire einen direkten Angriff mit [Aerial Recharges] Projektion abwehren, was sie besagte Falle allerdings kosten würde, da sie danach nichts mehr als Tribut für ihre Erhaltung anbieten können würde. Oder aber sie ließ den Angriff durchgehen, beschwor die Projektion erst danach und opferte sie im Anschluss, damit sie [Aerial Recharge] behalten konnte. Anya nahm ein Monster aus ihrem Blatt. Inzwischen schossen die beiden Duellantinnen unter strahlend blauem Himmel über die Strecke. „Ich setze ein Monster! Zug beendet!“ Besagte Karte erschien in vergrößerter Form vor Anyas D-Wheel in horizontaler Lage, nur um dann zu verschwinden. Lieber baute sie eine Verteidigungslinie auf, dachte sich Anya, denn sie durfte das andere Monster nicht ausspielen, würde sie es sowieso nur im nächsten Zug verlieren … „Vor der End Phase Fallenkarteneffekt: [Aerial Recharge]“, ging Claire wie erwartet dazwischen, über ihr erschien eine bunte, holografische Version eines riesigen Lufttankers mit Hamstergesicht, welcher sich gleich wieder auflöste. „Fallenkarteneffekt: [Cyber Summon Blaster]. Ich habe ein Maschinen-Monster spezialbeschworen, wodurch mein Gegner 300 Punkte Schaden nimmt.“ Die Minikanone an Claires D-Wheel richtete sich wieder auf Anya, welche den blauen Blitzstrahl keine Sekunde später auf sich zukommen sah. Die Zeit stand für einen Moment still, so schien es. Denn Anya bemerkte es: Das Geschütz feuerte dieses Mal einen viel schnelleren Schuss ab als zuvor. Er würde sie treffen! Reflexartig streckte das Mädchen die flache Hand aus. „Heavy T!“ Während der Blitzstrahl über die Strecke fegte, materialisierte sich an besagter Hand ein massiver, metallischer Handschuh. Anya wusste gar nicht, was genau sie da tat, denn das Artefakt zog die Energieladung förmlich an, bündelte sie in Anyas ausgestreckter Handfläche. „Oh shit!“, fluchte die und schwang den Arm aus, schleuderte den Blitz damit in den Himmel.   [Anya: 2500LP → 2200LP / Claire: 4000LP]   Völlig entgeistert blickte Anya daraufhin ihre von Heavy T umschlossene Hand an. „Was zur Hölle!? Wie habe ich das gemacht!?“ Levriers Stimme wusste dazu eine Antwort.   Nun, bei [Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T] scheint das zentrale Thema Polarität zu sein. Du musst dieses Wissen instinktiv genutzt haben, um den Angriff abzulenken. … oder du hattest einfach nur Glück.   „Kch, ist auch egal, es hat funktioniert.“ Anya lehnte sich ein wenig vor. „Da muss der Eisklotz schon schwerere Geschütze auffahren, um mich umzunieten. Miststück, schreib dir das hinter deine Ohren!“ Keine Reaktion. „Hmpf. Ich glaube, der Flohpelz hat mit dem dreistelligen Wortschatz noch übertrieben.“   Wo wir gerade dabei sind. Ist es dir auch aufgefallen, Anya Bauer?   Anya gab ein nachdenkliches Geräusch von sich. Dann nickte sie. „Yeah, ich denke ich weiß was du meinst. Sie ist seltsam.“   In der Tat. Obwohl du eine Bedrohung für sie darstellst, spricht sie dich nicht darauf an. Sie greift dich an, aber nicht auf eine Art und Weise die suggeriert, dass sie etwas zu beschützen versucht. Vielmehr erscheint es so, als würde sie gar nichts empfinden.   Genau das war auch, was Anya so sehr an Claire Rosenburg störte. Kein Herzblut, keine Leidenschaft. Sie kämpfte ohne 'dabei' zu sein. Fast so als … „Denkst du, sie macht das nicht freiwillig?“, überlegte sie beim Einbiegen in eine Serpentine.   Wer weiß. Mir erscheint es auch so, als würde sie vielmehr Anweisungen folgen, anstatt aus eigenem Antrieb zu handeln.   „Tch. Bloß wer macht dann die Ansagen?“   Ihr Manager. Etwas an diesem Mann erscheint mir merkwürdig.   Anya schluckte. Ausgerechnet der Spinner war unten bei den Boxen. Beim Zwerg! „Hey Logan, alles klar bei dir?“ „Jep.“ „Pass auf dich auf, klar? Lass diesen Typen nicht aus den Augen, verstanden? Der ist mir suspekt!“ Ihr Freund gab ein verwirrtes Grunzen von sich. „Meinste Nigel? Ist eigentlich 'n netter Kerl.“ „Nicht so laut!“ Dieser Idiot, fluchte Anya innerlich. „Sei einfach vorsichtig!“   Gleichzeitig hatte Claire die Serpentine verlassen und keine Zeit verstreichen lassen, um aufzuziehen. „Draw Phase. Normalbeschwörung: [Mecha Phantom Beast – Megaraptor].“ In Form eines schlanken, taktischen Kampfjets tauchte das Monster über ihr auf. Sein Cockpit war dem Kopf eines Velociraptors nachempfunden, statt einem Landefahrwerk besaß er Klauen.   Mecha Phantom Beast Megaraptor [ATK/1900 DEF/1000 (4)]   „Falleneffekt: [Aerial Recharge]. Sie erschafft eine Projektion. Kette, Monstereffekt“, begann Claire ihr Programm förmlich herunterzurattern, „wird eine Projektion beschworen, erschafft Megaraptor einmal pro Zug eine weitere.“ Gleich zwei holografische Abbilder des urzeitlichen Flugzeugs manifestierten sich zu beiden Seiten von diesem.   Mecha Phantom Beast-Spielmarke x2 [ATK/0 DEF/0 (3)] Mecha Phantom Beast Megaraptor [ATK/1900 DEF/1000 (4 → 10)]   Und Claires Minigeschütz richtete sich wieder zielgenau auf Anya. „Gleich zwei diesmal, huh?“, murrte die, als die Waffe wie erwartet zweimal feuerte. Das Mädchen fackelte gar nicht lange, sondern schwang die Hand mit Heavy Ts Artefakt daran nach links und rechts, sodass die beiden Blitzstrahlen auf halber Strecke zu beiden Seiten abgelenkt wurden und stattdessen in die gläserne Panzerglasabsperrungen einschlugen, welche trotz ihrer stabilen Herkunft deutliche Sprünge bekamen.   [Anya: 2200LP → 1900LP → 1600LP / Claire: 4000LP]   „Monstereffekt: Ich deaktiviere eine Projektion und erhalte von meinem Deck ein Mecha Phantom Beast-Monster“, fuhr Claire derweil fort. Ihr Megaraptor leuchtete kurz bräunlich auf, dann ebenso das Hologramm links neben ihm, welches daraufhin verschwand. Eine Karte schob sich aus Claires Deck, welche jene kurz vorzeigte. „Ich wähle [Mecha Phantom Beast Blackfalcon].“ Plötzlich drehte sich die Weltmeisterin mit ausgestreckter Hand herum. „Battle Phase. [Mecha Phantom Beast Megaraptor] greift an.“ Eine Schraube drehend, ließ sich jener weit zurückfallen, bis er einige Meter vor Anya flog. In seinen Klauen erschienen zwei Raketen, die er fallen ließ und welche sich von da an selbstständig machten. „Oh so'n Dreck!“, keuchte jene, welche die explosiven Geschosse auf sich zukommen sah und bremste ab. Ihre verdeckte Karte erschien, aus welcher wiederum ein brauner Fellball in grauem Cape und mit Sonnenbrille auftauchte.   Kuriboss [ATK/300 DEF/200 (1)]   Wild mit seinen klauenbesetzten Stummelarmen zappelnd, wurde er zum unfreiwilligen Ziel des Angriffs und verendete in einer mächtigen Explosion, die den Asphalt aufriss. „Shit“, fluchte Anya, die sich mühsam einen Weg durch den Rauch und die beschädigte Strecke bahnte, dabei immer wieder stark ins Holpern geriet. „Fallenkartenaktivierung“, hörte sie Claires Stimme über die Kopfhörer in ihrem Helm, „dauerhafte Falle [Vic Formation]. Wenn ich genau zwei Mecha Phantom Beast-Monster kontrolliere, beschwöre ich ein weiteres von meiner Hand als Spezialbeschwörung. [Mecha Phantom Beast Blackfalcon].“ Zwischen Megaraptor und seinem Abbild erschien ein schwarzes, längliches Aufklärungsflugzeug, dessen Cockpit an einen Falken angelehnt war. In einer V-Formation führte es die anderen beiden Maschinen an.   Mecha Phantom Beast Blackfalcon [ATK/1200 DEF/1700 (4 → 7)]   Moment, hallte es Anya da durch den Kopf, welche sich mitten in der Rauchwolke befand. Eine Spezialbeschwörung? Dann würde [Cyber Summon Blaster] wieder nach ihr feuern! Und wie die Dinge gerade standen, würde sie den Angriff nicht sehen. Shit! Kaum war sie zu dieser Erkenntnis gelangt, hörte sie schon das Knistern des Blitzstrahls. Energisch streckte sie den metallischen Panzerhandschuh nach vorne aus. Da kam es, das blaue Licht! Statt in ihr einzuschlagen, wurde es mit aller Macht von Anya zurückgedrängt.   [Anya: 1600LP → 1300LP / Claire: 4000LP]   Doch die hatte eine Idee. „Nicht mit mir, Miststück!“ Während sie das rief schoss sie aus der Rauchwolke und zog den Arm nach hinten weg, wobei die gebündelte Energiekugel der Bewegung folgte. Unter einem gellenden Schrei schwang sie die Hand gleich darauf wieder aus und schleuderte die Entladung postwendend an den Absender zurück. Und dieses Mal reagierte Claire, sie drehte sich erstaunt um und wich gerade noch seitwärts aus. Da sie sich kurz vor der nächsten Kurve befand, musste sie abbremsen. Der Angriff schlug in die Absperrung vor ihr ein und zerschmetterte das Glas, welches ihr in glitzernden Splittern entgegenschlug.   Brillant! Damit hast du dir etwas Zeit zum Aufholen verschafft!   Das ging runter wie Öl! „Das werde ich jetzt jedes Mal machen, wenn sie mich abballern will!“ Anya grinste hinter dem Visier bösartig. „Sie wird schon sehen, was sie am Ende davon hat.“ Dabei hatte sie wirklich Glück. Hätte Heavy T nicht so funktioniert wie sie sich das vorgestellt hatte, dann wäre jetzt alles vorbei. „Direkter Angriff“, rief Claire jenen tonlos aus, während sie in die ramponierte Kurve einbog. Tatsächlich, der Abstand zu ihr war geringer geworden, stellte Anya zufrieden fest. Nur um dann einen gewaltigen Schreck zu bekommen als sich der schwarze Falkenjet zu ihr umdrehte und aus ihm heraus ein buntes Abbild fuhr und dem Original folgte. Zu seiner Rechten und Linken positionierten sich Megaraptor und dessen Kopie.   Mecha Phantom Beast-Spielmarke [ATK/0 DEF/0 (3)] Mecha Phantom Beast Megaraptor [ATK/1900 DEF/1000 (7 → 10)] Mecha Phantom Beast Blackfalcon [ATK/1200 DEF/1700 (7 → 10)]   Damit kontrollierte Claire nun vier Monster, die in einer V-Formation flogen. „Bei der Deklaration eines Angriffs erzeugt [Mecha Phantom Beast Blackfalcon] eine Projektion. Demnach wird der Effekt von [Cyber Summon Blaster] ausgelöst.“ Aus der Kurve heraus schoss Claires Geschütz einen Strahl auf Anya ab, welche gerade ihr Gewicht verlagerte, um in jene zu gelangen. Der resultierende Blitzstrahl verfehlte das Mädchen jedoch deutlich, schoss über ihr hinweg und schlug in die Absperrung ein.   [Anya: 1300LP → 1000LP / Claire: 4000LP]   Anya rümpfte die Nase. „Die hat doch absichtlich daneben geschossen!“   Natürlich. Sie will verhindern, dass du ihren Angriff erneut auf sie zurückwirfst. Aber das bedeutet im Gegenzug, dass du vorerst etwas entspannter fahren kannst.   „Witzig, ist ja nicht so, als ob sie diesen Effekt noch oft benutzen muss.“ Das herannahende Geschwader betrachtend, wusste Anya allerdings auch, dass ihre Widersacherin gar nichts mehr tun musste, wenn Blackfalcons Angriff durchging. Aber das würde sie nicht zulassen! In dem Moment, als Blackfalcons Augen aufleuchteten und zwei rote Laserstrahlen auf Anya abfeuerten, schwang die den Arm aus. „Ich verbanne [Kuriboss] von meinem Friedhof und negiere den Kampfschaden!“ Unmittelbar danach materialisierte sich das kleine Fellknäuel wieder vor ihr und wurde von beiden Strahlen erfasst. Wie ein Schwamm sog es die Energie in sich auf, schwoll dabei gefährlich an, nur um dann in einer dünnen Rauchwolke zu verschwinden. Anya kicherte böse. „Angriff erfolgreich abgewehrt.“   Mag sein, aber wenn du nicht bald selbst angreifst, wird sie kurzen Prozess mit dir machen, Anya Bauer! Der nächste Zug ist entscheidend!   Auf Levriers Hinweis hin zischte Anya angespannt. „Weiß ich selbst!“ Aber was sollte sie tun? Zwei ihrer drei Handkarten waren Zauber und das eine Monster darunter war genauso nutzlos. Selbst wenn sie einen Cheat Draw vollzog, was hätte sie davon? Eine Falle wäre zu langsam, ein Monster dagegen nicht ausreichend. „Shit!“ Sie steckte in einer beschissenen Sackgasse, aus der selbst Levrier sie nicht herauszuholen vermochte!   ~-~-~   Der weiße Chrysler Neon kam zum Stehen, wirbelte dabei Sand und Staub auf. Auf etwa 300 Meter Entfernung sah Nick es, das Bergbaudorf irgendwo im Nirgendwo. Um es herum eine einzige Steppe, viel Sand, wenig Grün. „Also wenn ich nicht genau wüsste, dass ich hierher will, würde ich nicht mal Notiz von diesem Ort nehmen“, überlegte Alexandra auf dem Beifahrersitz laut. Das Dorf war auf einem Hügel gebaut, durch den die Minenschächte verliefen. In unregelmäßigen Abständen waren kleine und große Holzhäuser verteilt, insgesamt vielleicht dreißig, an denen der Zahn der Zeit genagt hatte. „Genau das will der Sammler“, sprach Nick und öffnete die Tür. Alexandra tat es ihm gleich. Ihr Begleiter verschloss den Wagen mitten auf der Landstraße, während die hübsche Blonde sich die flache Hand über die Stirn hielt. Die grelle Sonne blendete die junge Frau. „Müssen wir den ganzen Weg laufen?“ „Ja. Der Bannkreis beginnt ganz in der Nähe. Näher kommen wir nicht ran“, erwiderte Nick und setzte sich in Bewegung. Zähneknirschend folgte Alex ihm.   Nach etwa zwanzig Metern stoppe Nick abrupt. „Hier ist die Stelle.“ „Ich sehe nichts.“ Die Schatzjägerin verschränkte die Arme. „Demnach muss er wirklich gut sein.“ Der großgewachsene, zerzauste Nick streckte die Hand aus. Doch sie berührte nichts. Überrascht wandte er sich seiner Begleitung zu. Die zuckte mit den Schultern und deutete mit einer Handbewegung an, einfach weiterzugehen. Aber Nick verharrte auf der Stelle. „Es ist hier. Wieso stoße ich nicht auf Gegenwehr?“ „Vielleicht gehört das dazu. Nicht jeder Bannkreis hat eine physische Form. Manche manifestieren sich durch Illusionen, die Außenstehenden etwas vorgaukeln um sie wegzuschicken.“ Nick aber glaubte nicht daran, dass es sich ausschließlich um so eine Art von Barriere handelte. Sparkly und Snuggly waren immun gegen solche Einwirkungen, waren jedoch während ihres Erkundungsflugs auf eine unsichtbare Mauer gestoßen, die sie nicht hatten durchdringen können. „Das ist eine Falle“, sprach Nick seinen Gedanken entsprechend laut aus. „Wir können gerne umdrehen“, schlug Alexandra vor. „Nein. Gehen wir weiter.“ Woraufhin sie schnippisch erwiderte: „Wir könnten ja nur sterben.“   Wenn es eine Falle war, waren sie ohnehin längst hinein getappt, dachte Nick und zog weiter durch das Ödland Richtung der Geisterstadt. Sollte dem also so sein, wäre der nächste Schritt, die Intentionen ihres Feindes zu erkennen und das ging nur, indem sie dieses Dorf unter die Lupe nahmen. Zumindest war das der Plan, doch als Nick hinter sich plötzlich ein Stöhnen hörte und sich umdrehte, sah er Alexandra den Kopf schütteln. „So viel dazu.“ „Was?“, fragte Nick desinteressiert. „Ich komme nicht weiter. Schön, dass du keine Barrieren spürst – ich schon.“ „Dann gehe ich alleine weiter“, entschied Nick kurzerhand. „Und ich soll hier in der Zwischenzeit vertrocknen!?“, empörte sich die Blonde fuchsig. „Nein, das kannst du vergessen! Gib mir wenigstens die Schlüssel!“ Nick schüttelte den Kopf. „Nein.“   Nimm ihre Hand.   Während die Schatzjägerin – inzwischen hatte sie ihren Trenchcoat abgelegt und ihr knappes, weißes Tanktop offenbart – wütend eine Diskussion anfangen wollte, zuckte Nick beim Klang dieser seltsam verzerrten Stimme in seinem Kopf zusammen. „Was …?“, murmelte er leise. Nimm ihre Hand, dann kann auch sie den Bannkreis betreten.   Dieses Phänomen, es war Nick nicht neu. Schon damals, als der Immaterielle Isfanel versucht hatte sich in ihm einzunisten, hatte er eine solche Stimme vernommen. Zwar war die Besessenheit nur von sehr kurzer Dauer gewesen, hatte Isfanel sich schließlich nicht in ihm verankern können, doch den Klang seiner Stimme würde er nie vergessen. „Wer bist du?“, fragte Nick, wobei er gleichzeitig zu Alexandra zurück lief und ihr die Hand reichte, dabei abgelenkt sagte: „Nimm sie.“ Skeptischen Blickes tat diese wie ihr geheißen, sodass Nick sie problemlos durch die scheinbar doch existierende Barriere hindurchziehen konnte. „W-was!? Aber eben-!“, stammelte die Blonde verwirrt und sah über die Schulter.   Was glaubst du wohl, Dummerchen? Aber lass uns nicht hier reden. Du weißt, wo du mich findest. Die Schule ist das Gebäude mit dem blauen Anstrich.   Indes wollte Alex in Erfahrung bringen, wie Nick sie durch gelotst hatte. „Woher wusstest du …?“ „Er ist hier. Joel“, kam es als Antwort. Der junge Mann ließ seinen Blick über das Dorf schweifen, das noch etwa zweihundert Meter entfernt lag, bis er besagte Schule ganz am rechten Ende, etwas abseits der anderen Gebäude, fand. Sie war ziemlich klein, zweistöckig, vermutlich gerade mal ausreichend für zwei Unterrichtsräume. „Dorthin müssen wir.“ Er zeigte auf das Gebäude. „Joel wartet auf uns.“   Zusammen zogen sie durch die Steppe. Besonders Alexandra sah sich immer wieder um, konnte jedoch nichts Ungewöhnliches entdecken. „Die am häufigsten verwendete Falle von Dämonen sind Verträge“, begann sie zu erzählen. Nick steuerte stur geradeaus. „Aha.“ „Darauf wird es hinauslaufen.“ „Mag sein.“ „Wieso bist du so?“ Alexandra konnte kaum mit ihm mithalten. „Wie bin ich denn?“ „Dumm.“ Sie lachte höhnisch. „Und damit meine ich wirklich dumm. Du versuchst dir zwanghaft Zutritt in eine Welt zu verschaffen, die dich auffressen wird. Doch du schmeißt dich mit ausgebreiteten Armen ins offene Feuer.“ Nick sah über die Schulter. „Und das fällt dir jetzt ein?“ Seine Partnerin lächelte herausfordernd. „Vielleicht ist es mir nicht mehr egal?“ „Und mir ist nicht egal, dass der Sammler Anya dafür missbrauchen will, dieser Welt zu schaden.“ „Dreht sich alles nur um dieses Mädchen? Und woher willst du wissen, was der Sammler genau vorhat?“   Eine Antwort blieb Nick ihr schuldig, was Alexandra argwöhnisch dreinblickend zur Kenntnis nahm. Letztlich hatten sie das kleine Bergbaudorf erreicht. Von Nahem sahen die Gebäude noch verfallener aus, aber zumindest in einem Stück. Mit Nick an der Spitze liefen sie die einzige Straße entlang in Richtung des Schulgebäudes, welches in einer Kurve an ihrem Ende lag. Weiter hinauf ging es zu noch mehr Hütten und den Minenschächten. Schon von Weitem konnte man Brandspuren erkennen, die die linke Hälfte der Schule zeichneten. „Ziemlich dürftige Kampfspuren“, stellte Alexandra fest, „scheint schnell vorbei gewesen zu sein.“ Auch dazu sagte Nick nichts.   Als sie vor der Schule standen, fragte er: „Alles dabei?“ „Natürlich. Meinst du, er wird es bemerken?“ Dabei griff sie in die Hosentasche ihrer Jeans, holte die angedeuteten Gegenstände aber nicht hervor. „Ja. Aber wenn er klug ist, hält er den Mund.“ Die blaue Farbe von den Außenwänden der Schule war bereits an einigen Stellen abgeplatzt, der rechts liegende Eingang ohne Tür. Jenen steuerten die beiden an.   Innen angekommen, landeten sie zunächst in einem kleinen Flur, an dessen Ende sich eine Treppe befand. Oder was noch davon vorhanden war, pechschwarz und verbrannt wie die noch übrig gebliebenen Dielen waren. Nick deutete mit einer Kopfbewegung zu einer Tür in der Mitte des länglichen Flurs, welche ins untere Klassenzimmer führte. Alexandra verzog ein grimmiges Gesicht. Seelenruhig schlenderte Nick durch den Gang. Die Tür stand einen Spalt weit offen, knarrte, als der junge Mann sie aufschob. Kaum hatte er den Raum betreten, fielen ihm die Holzpulte und -stühle auf, die in Zweierreihen nebeneinander standen. Alt und verstaubt. Dann bemerkte er ihn zu seiner Linken, den Jungen, der an einem Platz in der ersten Reihe saß, mit dem Blick auf die alte, grüne Tafel gehaftet. Genau vor einer Stelle, an der es ebenfalls gebrannt hatte. Das blondgelockte, eine Handbreit lange Haar stach sofort hervor. Es war so schön, hell und füllig, dass es glatt einem Mädchen hätte gehören können. Vorsichtig näherte sich Nick Joel, Alexandra blieb angelehnt im Türrahmen stehen.   „Grüße dich“, sprach der optisch höchstens 15-Jährige, als Nick ihn umrundete und sich vor der Tafel platzierte. Joel lächelte ihn freundlich an, seine Hände ruhten auf den Oberschenkeln. Er trug eine Schuluniform, bestehend aus einem hellblauen Hemd und dunklem Pullover mit einem Wappen darauf, das Nick bekannt vorkam, welches er aber nicht einordnen konnte. Die strahlend blauen Augen des androgynen Joels ruhten auf ihm. „Warum ich hier bin weißt du.“ Es war mehr eine Aussage denn eine Frage. Der Dämon in Gestalt eines Jungen nickte und erwiderte: „Ich kenne dich bereits, Nick. Xiphos' Fähigkeiten entspringen den meinen.“ Ein Gedankenleser also? Nick hatte so etwas schon befürchtet, nachdem er seine Stimme vernommen hatte. „Sehr gut, damit erspare ich mir lange Erklärungen.“ „Wie du siehst bin ich hier gefangen. Und solange das so ist, werde ich leider nichts für dich tun können.“ „Bist du stark genug den Sammler zu töten?“ Joel lächelte. „Denkbar.“ „Warum bist du dann hier?“ „Weil er besser vorbereitet war als ich.“   Nick verschränkte die Arme. „Das ist nur die eine Hälfte der Antwort. Warum?“ „Weil ich eine Bedrohung für ihn dargestellt habe. Für alles, was er begehrt. Aber was das ist, das fragst du ihn am besten selber.“ Joel seufzte. „Aber das zu gegebener Zeit. Um mich zu befreien wirst du dir selbst Kräfte aneignen müssen. Als Zeichen meines guten Willens werde ich einige Informationen mit dir teilen.“ Nick sah herüber zu Alex, die jedoch nur mit den Schultern zuckte. Sein Augenmerk richtete sich wieder auf den versiegelten Burschen. „Also?“ „Dazu muss ich ein wenig ausholen. Dir ist der Begriff 'Äther' in dem Zusammenhang, in dem ich ihn verwenden werde, nicht bekannt. Deiner Freundin schon.“ Wieder blickte der junge Mann zu der Blonden herüber, die sich vom Türrahmen abstieß, mit deutlich erstauntem Gesichtsausdruck. „Das sind nur Vermutungen, unbestätigte Thesen.“ „Der Äther existiert. Er ist die Grundlage allen Seins. Jedes Lebewesen trägt den Äther in sich, die einen mehr, die anderen weniger.“ Joel zwinkerte seinem Gegenüber zu. „Genau, Nick, es ist wie du es bereits vermutest: Die sogenannten Dämonen besitzen einen wesentlich höheren Ätherlevel als normale Menschen.“ Nick aber betrachtete noch seine Begleiterin: „Alexandra?“ „Allgemein anerkannt ist, dass Magie eine Grundlage besitzt, die nicht jedem Individuum zugänglich ist. Da die meisten Dämonen sie in irgendeiner Form verwenden können, Menschen jedoch nicht, hat man die Äthertheorie aufgestellt“, erklärte die etwas perplex, „eine Masse von Energie, die sich dem Willen ihres Trägers beugt. Dämonen sind in diesem Fall als Mutanten anzusehen, die auf unerklärliche Weise besonders viel Äther besitzen, der sie auch körperlich beeinflusst.“ Als sich der zerzauste, junge Mann stumm an Joel wandte, nickte der. „Das ist im Großen und Ganzen korrekt. Äther ist auch die Basis der Magie. Eine besonders hohe Menge an Äther kann das äußere Erscheinungsbild eines Lebewesens beeinflussen. Die Bezeichnung Mutation gefällt mir, sie passt.“ „Und warum erzählst du mir das?“ „Du weißt es doch schon längst“, lächelte Joel sein Gegenüber an, „denk nach, Nick.“ Jener atmete durch. „Der Sammler … sammelt durch seine Verträge Äther, richtig?“ Prompt kam ein Einwurf von Alexandra. „Durch Handeln macht man sein Opfer willig, da ihm die Aussicht geboten wird, die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.“ „So könnte man es beschreiben. Wieso nennen andere Dämonen ihn sonst Collector? Um ihn zu besiegen, müsste jemand auf eine ähnliche Stufe gelangen.“ Der hübsche Blonde machte eine kurze Pause, scheinbar um die Gedanken seines Gegenübers dazu zu analysieren. „Ganz genau. Ich bin auf dieser Stufe. Und du könntest es auch sein. Zusammen können wir ihn besiegen.“ Nick zog eine Augenbraue an. „Wie?“ „Du besitzt bereits die Grundvoraussetzung. Hast sie immer besessen.“ Joel kicherte schelmisch und legte den Kopf in den Nacken, um zur Decke zu sehen. „Du hast dich schon gefragt, warum du den Bannkreis betreten konntest. Weißt du, der Sammler mag ihn zwar erschaffen haben, doch die Kenntnisse dazu hat er von Xiphos erworben. Und Xiphos von mir. Dadurch, dass er einem Duell mit dir zugestimmt hat, hat er indirekt die Fähigkeit an dich weitergegeben, seine Bannkreise zu durchschreiten.“ „Ich wiederhole mich: Wie?“ Joel richtete wieder seinen Blick auf ihn. „Dummerchen. Durch deine latente Conqueror's Soul natürlich.“   Nick wirbelte herum, da er deutlich hörte, wie Alexandra nach Luft schnappte. Ihre Augen waren geweitet, der Blick lag auf Joel, welcher einladend lächelte. „Sie ist kein Mythos? Die Conqueror's Soul existiert wirklich?“ „Was ist das?“, fragte ihr Begleiter. Dann richtete er sich an den Dämon. „Warum besitze ich sie?“ „Jeder deines Blutes besitzt sie. Es ist eine vererbbare Gabe. Ich werde sie dir so einfach wie nur möglich versuchen zu erklären.“ Alexandra gesellte sich neben Nick und warf ihm einen vielsagenden Blick zu. Der nickte und versuchte zu begreifen, dass es in seiner Familie übernatürliches Potential gab. War das der Grund, warum der Sammler Anya als seine Sklavin ausgesucht hatte? „Denkbar“, bestätigte Joel ihm, sein Lächeln schwand plötzlich, „sie ist aufgrund ihrer Einfalt die am einfachsten zu Lenkende aus eurer Familie.“ „Conqueror's Soul“, murmelte Alex derweil und senkte den Kopf ein wenig. „Dass sie wirklich existiert. Kein Wunder, dass du den Bannkreis betreten konntest und die Schattengeister eines anderen zu kontrollieren vermagst …“ Nick verschränkte zunehmend genervt die Arme, denn den essenziellen Teil enthielten sie ihm vor. „Natürlich“, reagierte Joel darauf, „die Conqueror's Soul ist in ihrem Kern eine passive Fähigkeit, die ihren Besitzer den Äther anderer absorbieren lässt. Unbewusst. Je mehr Äther der andere freisetzt, desto mehr wird auch absorbiert.“   Eine Kraft, die Äther absorbiert? Wieso sollte der Sammler so etwas brauchen, wenn er durch seine Verträge im Endeffekt dasselbe erwirkte, schoss es Nick sofort durch den Kopf. Und er besaß diese Gabe ebenfalls? Wofür war sie gut, schließlich hatte er nie irgendwelche besonderen Kräfte an sich bemerkt? „Viele Fragen. Natürlich warst du bisher schwächer als Anya, du hast bisher nur ein paar Mal gegen Dämonen gekämpft. Anya dagegen viel öfter.“ Joel legte den Kopf in den Nacken, sah Richtung Decke. „Die Conqueror's Soul ist wie ein Magnet, der den Äther anzieht. Dadurch erklärt sich, warum Levrier sie ausgesucht und Isfanel versucht hat, dich als Paktpartner zu gewinnen.“ Nick löste die Arme aus der Verschränkung. „Das erscheint plausibel. Meine Kernfrage hast du nicht beantwortet.“ „Mit der Conqueror's Soul baut dessen Träger nach und nach eigene Kräfte auf. Je mehr Gegner er bekämpft, insbesondere je öfter er obsiegt, so stärker wird er auch.“ Joel lächelte. „Ich bin jedoch nicht ausreichend mit den Hütern vertraut, um dir beantworten zu können, warum der Sammler Anya braucht. Doch so gesehen ist sie ihr natürlicher Feind, da sie ihnen ihre Artefakte entreißen kann.“ Das war es, erkannte Nick! -Das- war der Grund, der Sammler selbst besaß keine Kraft, die die Artefakte zu seinem rechtmäßigen Eigentum machte! „Denkbar“, entgegnete Joel. „Jetzt weißt du genug. Wirst du mich befreien, damit wir den Sammler gemeinsam töten?“ Der zerzauste Zwei-Meter-Mann blickte Joel scharf aus den Augenwinkeln an, während er sich von ihm wegdrehte. „Was muss ich tun?“ „Genug Kraft ansammeln, um das Siegel zu brechen. Folge dem Ruf der Conqueror's Soul und bekämpfe Dämonen, eigne dir ihre Gaben an.“ Bevor Nick etwas darauf erwidern konnte, fuhr Alexandra plötzlich aufgebracht dazwischen. „Wie wird das enden!? Was geschieht mit denen, die immer mehr Macht durch die Conqueror's Soul ansammeln!? Werden sie irgendwann zu 'Mutanten'!?“ „Zu Schimären, wie man sie nennen würde.“ Joel lächelte wieder zuckersüß. „Deswegen solltest du nicht mehr Macht ansammeln als gut für dich ist, Nick. Zu viel, und du verlierst die Kontrolle. Das beantwortet auch deine Frage, ob du nicht genauso gut alleine gegen den Sammler antreten solltest, anstatt mich zu befreien. Denn nein, dieses Siegel zu brechen macht dich nicht automatisch stärker als den Sammler. Es wurde vor 60 Jahren erschaffen und ist seitdem schwächer geworden, anders als dein Feind, der in dieser Zeit genug Macht angesammelt hat, um keine Einmischung in sein Vorhaben zu dulden. Du wirst mich brauchen, Nick.“   Der funkelte Joel finster an. Schimären … zu so etwas würde Anya werden? War das des Sammlers Absicht bei dieser ganzen Aktion? Warum!? Warum sie, warum nicht er … Nick fuhr innerlich zusammen. Warum nicht Zach? Und wenn alle drei Bauer-Kinder diese Gabe besaßen, bedeutete das, dass die Quelle von all dem-!   Indes drehte sich Alexandra zur Tafel um. Mit dem Zeigefinger wollte sie etwas auf der staubigen Oberfläche zeichnen, doch Nick griff geistesgegenwärtig ihr Handgelenk. „Nicht.“ Keine sichtbaren Spuren hinterlassen. Nur das, was sie abgesprochen hatten, mahnte er sie dabei mit finsterem Blick. Die Blonde funkelte böse zurück. „Wir können ihm nicht trauen“, zischte sie. „Tony wusste, dass es ihn gibt. Also muss er in irgendeiner Weise Menschen kontrollieren können.“ „Nein, ich habe nur ein paar Samen gesät, um jemanden zu finden, der mich befreit. Keine Kontrolle.“ Joel kicherte. „Ich gebiete schließlich nicht über Namen, anders als der Sammler.“   „Indem ich Dämonen bekämpfe, werde ich also stärker und gewinne die Kraft, deine Ketten zu sprengen?“, fasste Nick das Gehörte zusammen, als er sich dem unheimlichen Jugendlichen wieder zudrehte. Da waren noch so viele Fragen, die jedoch unbeantwortet blieben, denn Nick wusste bereits jetzt: Heute hatte er Joel nicht zum letzten Mal besucht. Die wichtigsten Dinge waren ihm nun bekannt. „So ist es. Woher die Conqueror's Soul kommt, das kann ich dir nicht erklären, ebenso wenig, wieso sie in deiner Familie auftritt.“ Das Grinsen auf seinem Gesicht wurde breiter. „Schön, dass wir eine Abmachung haben.“ „Wir werden sehen“, entgegnete Nick kalt. „Dann möchte ich noch eine Information mit dir teilen. Sie betrifft Claire Rosenburg.“ „Claire?“, wiederhole Alexandra erstaunt, griff kurz hinter die Tafel, um sich dann ebenfalls umzudrehen. „Woher weißt du …?“ Der Lockenkopf sagte: „Ich habe Tony in freudiger Erwartung auf euren Besuch Nachforschungen anstellen lassen. Als Zeichen meines Wohlwollens.“ Plötzlich wurde Nick unwohl zumute. Anya dürfte sich inzwischen mit der amtierenden Weltmeisterin duellieren. Wieso rückte der nicht früher mit der Sprache raus!? Und Joel lächelte. „Weil es nichts ändert. Sieh, die Leute denken, es wäre ihr Schicksal zu gewinnen. Tatsächlich aber hat sie ihr Schicksal selbst in die Hand genommen.“ Er drehte den Kopf zu Alexandra, die mit den Schultern zuckte. „Es ist wie du sagtest. Der einfachste Weg für einen Dämonen, einen Menschen für sich zu gewinnen, ist durch einen Handel, einen Pakt.“ Geradezu strahlend richtete er sich wieder an Nick: „Was glaubst du wohl hat sie angeboten, um niemals eine Niederlage zu erleben? Kommst du drauf, Nick? Ich gebe dir einen Tipp: In dieser Hinsicht eiferst du ihr gewissermaßen nach.“ Jener weitete die Augen. „Doch nicht etwa ihre Seele?“ Und Joel lächelte, breiter denn je. So sehr, dass sein hübsches Äußeres schon wieder einer Fratze glich. Einen Moment später riet er: „Nicht ganz. Du solltest dich beeilen und Anya warnen. Wie du sagtest, sie dürfte inzwischen mitten in ihrem Duell stecken …“   ~-~-~   „Draw!“, fauchte Anya mit einer Spur Verzweiflung in der Stimme, zog schwungvoll während des Fahrens auf. Claire, die so weit vorne lag, hatte während der End Phase eine ihrer beiden Projektionen geopfert, um ihre Falle im Spiel zu halten. Damit kontrollierte sie wieder drei Kampfjets in einer V-Formation. Als das Mädchen die gezogene Karte sah, versetzte der Anblick ihr einen Stich. Gerade jetzt! Unbrauchbar! Sie steckte die Falle zu den anderen drei Karten und betrachtete diese nachdenklich.   Dann schaute sie wieder nach vorne. Und unerwartet hörte sie ein Klingeln von ihrem Helm ausgehen. „Nicht jetzt, Logan“, rügte die diesen genervt. „Anya“, erklangt stattdessen Nicks Stimme aufgeregt, „hör mir gut zu! Du musst das Duell sofort abbrechen, verstanden? Du kannst nicht gewinnen!“ Völlig überrascht von dieser Wendung stammelte die: „N-Nick? Wie bist du-!?“ „Dich kann man keine Sekunde aus den Augen lassen, also habe ich mich vorhin in das Riding Duel-Network gehackt, nur für den Fall. Aber das ist jetzt unwichtig! Tu, was ich dir gesagt habe!“ Voller Unverständnis erwiderte Anya: „Okay, es läuft grad' nicht so gut, aber-!“ „Sie ist einen Pakt eingegangen! Im Austausch für ihre Emotionen hat sie sich Unbesiegbarkeit erkauft!“   Was!? Ein Pakt!? Mit einem Immateriellen!? Aber ich fühle keine Präsenz in der Nähe!   So erschrocken hatte man Levrier selten erlebt. „Was sagst du da?“, wiederholte Anya, doch deutlich leiser, allerdings nicht weniger erschüttert. Sie schüttelte den Kopf. „Das hast du dir gerade ausgedacht, oder, Harper?“ Erstaunlich schnell gewann sie ihre Biestigkeit zurück. „Sorry, aber das Thema ist durch! Ich weiß, du willst mich nur beschützen, aber ich komme schon klar! Also lass-“ „Das ist keine Lüge! Ich habe zusammen mit einer erfahrenen Dämonenspezialistin Nachforschungen angestellt! Ihr Manager, dieser Nigel, ist ihr Paktpartner! Bevor wir einen Finger an Claire legen können, müssen wir ihn aus dem Weg räumen! Anya-“ Doch die hörte gar nicht mehr zu, sondern fragte: „Levrier … könnte … könnte er Recht haben?“   Die Möglichkeit besteht. Eine Siegesquote von hundert Prozent ist verdächtig, so viel haben wir schon immer gewusst. Dieser Mann als treibende Kraft hinter ihr … ich denke nicht, dass Nick Harper dich anlügt.   „Aber dann“, murmelte das Mädchen, während sie die Strecke nur noch unwesentlich wahr nahm. Dann war alles eine Lüge. Die größte Duel Queen aller Zeiten war nichts weiter als eine … „Betrügerin“, fuhr es aus Anya mit einem Male heraus. Sie richtete ihr Haupt auf und sah Claire hinterher. „Stimmt es? Du müsstest gehört haben, was Levrier gesagt hat. Dass du nur durch den Pakt deine Duelle gewinnen konntest. Ist das wahr!?“ Keine Reaktion. „Anya, das Wichtigste-“ Doch die ließ Nick gar nicht ausreden, sondern deaktivierte per Tastendruck an der linken Seite ihres Helms die Verbindung. „Antworte!“, verlangte das Mädchen zu wissen. Nichts. „Verteidige dich gefälligst!“ Trotzdem keine Reaktion.   Anya spürte, wie das Herz in ihrer Brust pulsierte. So etwas Niederträchtiges, Feiges, Verlogenes hatte sie noch nie erlebt. Der Zorn zog sich um ihren Verstand wie ein Nebel. Ohne zu wissen, was sie da tat, streckte sie den rechten Arm von sich. In dem keine Sekunde später Angel Wing in seiner Speerform erschien. Wie eine Lanze auf ihrem D-Wheel führte sie diesen mit sich. „Du hast alles nur erreicht, weil du deine Seele verkauft hast! Dein ganzes Image ist eine Lüge! Die Leute bewundern dich, obwohl du es gar nicht verdient hast! Weil du eine miese Betrügerin bist!“ Da drehte sie sich um. Sagte nichts, aber drehte sich um. „Soll ich dir was sagen!? Wenn das Ganze hier so ablaufen soll“, fauchte Anya und weitete dabei die Augen bis zum Anschlag. „Wenn du mich mit derselben Masche aufs Kreuz legen willst … Dann hab ich kein Problem -damit-!“ Sprachs und stieß im Anschluss einen gellenden Schrei aus. Von der Spitze des Speers löste sich ein Lichtblitz, der keine Sekunde später neben Claire im Asphalt einschlug und sie ins Schleudern brachte. „Gegen eine wie dich werde ich nicht verlieren!“, fauchte Anya derweil und schoss den nächsten Blitz ab, der diesmal knapp hinter ihrer Feindin einschlug, die sich alarmiert nach vorne umdrehte, da bereits die nächste Kurve wartete.   Anya Bauer, hör auf damit!   Doch Anya sah, dass sie genau das erreichte, was sie wollte. „Weißt du, wie man das nennt!? Schwach!“ Der nächste Treffer verfehlte Claire knapp, sauste beim Einbiegen in die Kurve an ihrem Rücken vorbei und zerschmetterte das Panzerglas der Absperrung, welches sich wie ein Scherbenregen über sie ergoss. „Verteidige dich!“, verlangte Anya, richtete den Speer neu aus und schoss diesmal direkt vor Claires Vorderreifen, sodass diese stark abbremsen musste. „Dich mach ich fertig, du elende Kackbratze!“   Du wirst sie töten!   „Nein, Levrier“, erwiderte Anya mit blitzenden Zähnen. „Ich sorge nur für Gerechtigkeit.“ Es ging dem Mädchen nicht darum, das Leben dieser miesen Made zu nehmen. Da stand sie drüber. Alles was sie wollte war dafür zu sorgen, dass wieder Chancengleichheit bestand. Und es klappte, Claire wurde langsamer, der Abstand zu ihr kleiner.   Anya Bauer, denk nach! Du kannst nicht wild um dich schießen! Auch wenn der Tag gerade erst begonnen hat, könnte jemand uns sehen! Wenn du sie überholen willst, dann warte nicht länger und benutze gefälligst das, was Logan Carter dir hinterlassen hat!   Anya schreckte zusammen. Was Logan …? Oh shit, daran hatte sie gar nicht mehr gedacht. „Tch!“ Nein, so nicht! Wieder nahm sie Claire ins Visier, doch ehe sie sich versah, lag [Gem-Knight Pearls] Hand auf Angel Wing. Er schüttelte den Kopf.   Wie willst du die wahre Duel Queen sein, wenn du genauso betrügst wie sie?   Anya sah ihn einen Moment an und ging in sich. „Yeah, hast Recht.“ Der Speer löste sich in gleißendes Licht auf. Das, was Levrier ihr riet, war legal. Und verdammt, warum war sie da nicht früher drauf gekommen, fragte sie sich, als sie in die Kurve einbog und an den auf der Strecke liegenden Glassplittern vorbeifuhr.   „Wir sind fast durch. Nur eins noch“, sprach Logan. Anya verharrte vor ihm auf dem Parkplatz vor der Textilfabrik und nahm strahlend den Helm ab. Dieses Gefühl, ein D-Wheel zu fahren, war unbeschreiblich. Wieso war sie nie auf die Idee gekommen, es zu probieren? „Was gibt’s?“ „Das Ding hat eine Geheimwaffe. 'Nen Turbo. So was haste noch nie gesehen. Hab ich selbst gebaut“, prahlte der Zwerg breit grinsend. Sein Gegenüber glaubte sich zu verhören. „Turbo? Das geht?“ „Ja, solange die Behörden eine Genehmigung erteilen.“ Sein Blick verfinsterte sich. „Wozu es nicht mehr kam, da ich aufgehört hab, kurz nachdem der Booster fertig gestellt war.“ Überrascht blinzelte Anya, deren Hände auf dem Helm vor sich ruhten. „Wieso? Was ist passiert?“ „Nicht so wichtig“, wiegelte Logan ihr Interesse an seiner Geschichte jedoch mit einer Handbewegung ab, „ich würde das Teil gerne mit dir testen, aber das geht nur auf einer geraden Strecke. Und eigentlich möchte ich nicht, dass du ihn benutzt.“ „Eh?“ Voller Unverständnis schürzte Anya die Lippen. „Erst machste mir den Mund ganz wässrig und jetzt sagst du, ich soll die Finger von ihm lassen?“ Der Schwarzhaarige verschränkte die Arme, sah das Mädchen eindringlich an. „Das Ding hat so'ne Wucht, dass du ihn nicht benutzen kannst, solange der Autopilot aktiv ist. Den müsstest du erst deaktivieren.“ „Und dann müsste ich mich aufs Fahren und aufs Duellieren gleichzeitig konzentrieren, was man der hohlen Nuss nicht zutrauen darf“, schnappte Anya beleidigt. „Sag mir einfach wie, 'kay?“ Sein Blick blieb streng. „Im Manual Mode bist du nicht versichert. Wenn etwas passiert …“   Anyas Nasenflügel blähten sich unter dem roten Helm. Von wegen, als ob! Wenn etwas bald passierte, dann Claire die Ziellinie. Vor ihr! Sofern das Duell überhaupt noch so lange dauerte. „Sorry Logan, da musst du jetzt durch“, knurrte die Blonde zornig, denn sie würde eine Betrügerin wie Claire niemals gewinnen lassen. Mit einer flinken Handbewegung auf dem Display oberhalb des D-Pads an ihrem Motorrad sorgte sie dafür, dass alles bereit war. Eine mechanische Stimme erklang. „Autopilot off. Switching to Manual Mode.“ Das sonst blaue Hintergrunddesign des Bildschirms änderte sich in rot, die durchgegebene Aussage überspielte für einen Moment den abgebildeten Spielplan. Und sofort merkte Anya, wie die Maschine an Geschwindigkeit sowie ihren Kurs verlor, da der Autopilot nicht mehr für sie mitsteuerte. Jedoch konnte sie das D-Wheel schnell in den Griff bekommen, sodass sie mit dem rechten Daumen entschlossen eine Abdeckung an der Innenseite des Lenkers hochschob. Die Strecke verlief im Moment gerade. Perfekt! Dann blieb nur noch eines. Anya drückte den darunter befindlichen Knopf so fest sie konnte. „Wir sehen uns in der Hölle, Miststück!“   Zwei längliche, zylindrische Apparaturen fuhren an beiden Seiten neben ihrem Hinterreifen aus einer bis dato nicht sichtbaren Abdeckung des Rahmens hervor und begannen blau zu glühen. Dann ging es los. Die Beschleunigung war gewaltig. Anya spürte, wie es sie vom Motorrad reißen wollte, sodass sie ihr ganzes Gewicht nach vorne verlegte und sich beinahe schon an die Maschine presste. Sie sah Claire, wie sie näher und näher kam. Die Betrügerin drehte sich aufgrund von dieser unerwarteten Wendung um, doch in dem Moment sauste Anya schon mit Pauken und Trompeten an ihr vorbei. Für einen Sekundenbruchteil fuhren sie nebeneinander und die Blicke der beiden Duellantinnen trafen sich, bis Anya sie überholt hatte.   Das hätten wir geschafft!   Levrier, der in seiner Pearl-Form durchsichtig wie ein fliegender Pfeil neben ihr flog, lachte so herzhaft, dass Anya für einen Moment glaubte, Logan zu hören statt ihn.   Haha! Das ist unterhaltsam! Aber wir haben nicht viel Zeit! Du musst deine Zauberkarten ausspielen, jetzt!   „Geht nicht“, schrie Anya, deren Stimme sich bei der Fahrt verlor. „So kann ich mich nicht duellieren! Ich muss warten bis der Turboboost abklingt!“   Deine Führung ist nicht besonders groß. Willst du das wirklich riskieren?   Anya schnaubte. Sie wusste, dass das ihre einzige Chance war, denn Logan hatte ihr erklärt, dass der Boost sich nach seiner Verwendung erst wieder aufladen musste, was vermutlich nicht mehr im selben Duell geschehen würde. Aber Levrier hatte Recht. In wenigen Sekunden würde die Beschleunigung nachlassen und dann war das blonde Drecksweib bestimmt schon zur Stelle, um ihre verlorene Führungsposition zurückzugewinnen. „Tch! Also schön!“ Da sie noch ein Stück gerade Strecke vor sich hatte, wagte Anya es, sich langsam aufzurichten. Alles musste jetzt so schnell wie möglich geschehen. Sie griff nach einer Karte in ihrer Halterung. „Jetzt gibt’s eine Premiere“, raunte sie und richtete die Hand mit der Karte darin in die Höhe, „zwar hasse ich diese Dinger, doch -diese- Idee ist wirklich genial, das muss man dem Schnöselkind lassen.“   Beeilung, du wirst schon langsamer!   „Tch!“ Anya nahm den Arm zurück und legte das Monster auf die Zone ganz links auf dem D-Pad vor sich. „Ich aktiviere [Gem-Knight Tiger's Eye] als Zauberkarte mit dem Pendelbereich 2!“ Selbst Claire musste überrascht die Augen weiten, als links neben Anya eine blaue Lichtsäule in die Höhe schoss, welche einen schlanken Ritter in goldener Rüstung mit Bronzeakzenten in die Höhe hievte. Dessen Helm erinnerte dank der entfernt dreieckigen Form an einen Tigerkopf. Dazu schwang der Krieger eine Peitsche, die in mehrere Segmente unterteilt war, in denen schwarz-gelbe Edelsteine steckten. „Effekt von Tiger's Eye“, bellte Anya, die merkte, wie abrupt die Maschine plötzlich an Geschwindigkeit verlor. „Ich kann eine [Gem-Knight Fusion] abwerfen, um ein normales Monster von meinem Deck zu erhalten!“ Während Tiger's Eye seine Peitsche über dem Kopf schwang, lehnte sich nun Claire nach vorn und setzte zur Verfolgungsjagd an. „Ich wähle [Gem-Knight Pyrite], den ich auch gleich ebenfalls aktiviere mit dem Pendelbereich 8!“ Nun schoss auch rechts neben Anya eine hellblaue Lichtsäule aus dem Boden, die einen weißen Ritter in sich trug, dessen Schulterplatten silbrige Würfel waren. An beiden Armen führte er je eine Hälfte eines riesigen, goldenen Schildes.   <2> Anyas Pendelbereich <8>   Anya strecke die Hand in die Höhe. „Und jetzt sieh gut hin! Pendulum Scales set! Pendulum Summon!“ Über ihr öffnete sich ein riesiges Portal, um das sich etliche Lichtellipsen schlossen. Zwei rote Blitze schossen daraus hervor. „Aus meinem Extradeck: [Gem-Knight Malachite] und [Gem-Knight Jasper]!“   Gem-Knight Malachite [ATK/1000 DEF/1900 (4) PSC: <2/2>] Gem-Knight Jasper [ATK/1800 DEF/600 (4) PSC: <2/2>]   Neben ihr tauchten ein Ritter in blau-grün schimmernder Rüstung mit einem Stab in der Hand sowie ein hünenhafter, roter auf, welcher eine mächtige, lange Hellebarde mit sich führte. Anya warf einen Blick über die Schulter und erschrak. Denn ihre Widersacherin rückte zunehmend näher. Hatte sie ebenfalls eine Art Turbo aktiviert oder wieso geschah das so schnell!? Verdammter Kackmist! „Kch!“, zischte das Mädchen und richtete den Blick nach vorne. „Effekt von Pyrite in meiner Pendelzone! Einmal pro Zug schickt er einen Gem-Knight von meinem Deck auf den Friedhof! Damit macht er den Nachtteil von Pendel-Gems wett, die nach der Zerstörung ins Extradeck gelangen statt auf den Friedhof, wo ich sie nicht verbannen kann, um [Gem-Knight Fusion]-“   Unwichtige Details! Konzentriere dich aufs Wesentliche!   Obwohl Anya Levriers Warnung nur mit großem Widerwillen annahm, konnte sie nicht abstreiten, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für Strategiegespräche war. Schon gar nicht mit der! „Ich schicke [Gem-Knight Lazuli] auf den Friedhof! Dadurch aktiviert sich auch gleich ihr Effekt!“ Als durchsichtige Gestalt tauchte eine kleine Ritterin neben ihr auf, in khakifarbener Rüstung, an deren Helm zwei Bänder befestigt waren. Sie verschwand, stattdessen schob sich eine andere Karte aus Anyas Friedhof, die jene sofort aufnahm und vorzeigte. „Durch den erhalte ich ein normales Monster von meinem Friedhof, [Gem-Knight Tourmaline]!“ Womit sie wieder auf drei Handkarten kam. Anya Bauer! Sie ist fast da!   „Was!?“ Anya drehte sich wieder um. Tatsächlich, diese blöde Schnepfe hatte sie fast erreicht. Aber wie!? Als wäre sie der Wind höchstpersönlich. Da ging Anya ein Licht auf: Der Windschatten ihrer Maschine, natürlich! Die hatte sich direkt an ihre Fersen geheftet! Sofort leitete Anya ein Ausweichmanöver ein, doch Claire folgte ihr so geschickt, dass auch die nächsten Versuche fehlschlugen, sie abzuwimmeln. „Shit!“ Unter dieses Umständen war die Zeit zu knapp, noch [Gem-Knight Fusion] zu recyclen! Sie hatte noch eine Zauberkarte auf dem Blatt. Dann eben die! „Bevor du dich wieder vor schummelst, habe ich noch eine Überraschung für dich!“, schrie Anya und rammte besagte Karte schon in den passenden Slot. „Mit freundlichen Grüßen vom Flohpelz! [Pendulum Fusion]!“ Das Pendelportal öffnete sich erneut über Anya, doch anstatt etwas auszustoßen, bildete sich im Dimensionsloch selbst ein bunter Wirbel, welcher zunächst Anyas Ritter auf dem Feld und schließlich den goldenen Tourmaline in ihrer Hand absorbierte. „Diese Karte funktioniert wie eine stinknormale Fusionskarte mit dem Unterschied, dass mindestens ein Pendelmonster unter den Materialien sein muss“, erklärte Anya und streckte eine Hand in die Höhe. Doch plötzlich ließ auch die andere den Lenker los, sodass das Mädchen beide über ihrem Kopf faltete, als ob sie bete.   Was machst du da!? Der Autopilot ist noch nicht wieder aktiviert! Hör auf damit, du baust sonst einen Unfall!   Nichts da, fauchte Anya still zurück. Erst würde sie das hier durchziehen! In genau jenem Moment holte Claire auf, sodass sie wieder nebeneinander fuhren. Anya funkelte ihre Feindin böse von der Seite an, als jene, ignorant wie sie war, stur an ihr vorbeizog. Aber die Karte war bereits gespielt, daran ließ sich nichts mehr rütteln! „Jetzt gibt’s die volle Ladung!“, prophezeite Anya finster. „Herz, Seele, Gefäß! Vereint euch zur reinsten aller Ritterinnen, deren Klinge jeden Hoffnungsstrahl zerteilt! Fusion Summon!“ In dem Moment riss sie die Hände energisch hinunter. „Strahle, [Gem-Knight Lady Brilliant Diamond]!“ Aus dem Pendelportal schoss ein glänzender, weißer Lichtstrahl, welcher neben Anya die Form einer edlen Kriegerin annahm. In einer blassgoldenen Rüstung steckte ihr neuestes Assmonster, von dessen länglichen Schulterplatten ein kurzer, roter Umhang hing. Brustpanzer und Helm waren von schimmernden Brillanten bedeckt. Und so schlicht ihr Schwert auch wirken mochte, so stark war es doch tatsächlich.   Gem-Knight Lady Brilliant Diamond [ATK/3400 DEF/2000 (10)]   Anya wusste, dass nun, da Claire wieder führte, ihre Chancen noch einmal eine Zauberkarte zu aktivieren bei 0 lagen. Aber sie hatte jetzt Lady Brilliant Diamond. Sie brauchte keine mehr! „Effekte von Jasper und Malachite!“, donnerte sie. Wieso aber sollte sie sich eigentlich damit abfinden? Wenn diese Schlampe den Windschatten ausnutzen konnte, warum nicht auch sie? Während sie besagte Effekte ihrer Pendelmonster erklärte, versuchte sie sich direkt hinter Claire zu positionieren. „Die Bedingung ist bei beiden dieselbe: Das Monster muss als Fusionsmaterial für einen Gem-Knight benutzt werden! Jasper stärkt das beschworene Monster um 600 Punkte! Und dank Malachite darf ich eine Karte ziehen! Ihre Ritterin begann umgehend in rotem Licht aufzuglühen.   Gem-Knight Lady Brilliant Diamond [ATK/3400 → 4000 DEF/2000 → 2600 (10)]   Indes bemerkte Claire Anyas Manöver, wich entsprechend zur Seite aus. Und da Anya noch nicht geübt genug war, gelang es ihr nicht, dauerhaft hinter Claire zu fahren, zumal diese langsam die Distanz zwischen beiden vergrößerte. Was Anya quittierte mit: „So ein Kackmist! Hmpf! Ich ziehe erstmal! Draw!“ Nach der schwungvollen Bewegung musste sie einsehen, dass Claire sie nicht noch einmal an sich vorbeiziehen lassen würde. Widerwillig gab Anya dementsprechend ihre Versuche auf. Stattdessen schmetterte sie unzufrieden das aufgezogene Monster auf den Spielplan. „Normalbeschwörung: [Gem-Knight Amber]!“ Sofort erschien neben ihr ein goldener Ritter, der aus seiner Handfläche einen Blitzdolch zog.   Gem-Knight Amber [ATK/1600 DEF/1400 (4)]   „Jetzt zeig' ich dir was richtig Cooles“, schnarrte Anya, deren Hand noch auf ihrem Monster lag, „sowas hast du noch nie gesehen! Effekt von [Gem-Knight Lady Brilliant Diamond]!“ Jene, die neben dem Neuankömmling her flog, richtete ihr Schwert auf ebenjenen. „Einmal pro Zug kann ich einen Gem-Knight auf den Friedhof legen, um im Gegenzug einen aus meinem Extradeck zu beschwören!“ Anya nahm Amber wieder vom Feld. „Contradiction Fusion!“ Hinter jenem öffnete sich ein bunter Edelsteinwirbel, welcher einzig den goldenen Krieger absorbierte, anstatt wie sonst mindestens zwei Monster. Anya schrie: „Auf sie mit Gebrüll, [Gem-Knight Prismaura]!“ An seiner Statt schoss ein weißer Ritter in rotem Cape aus dem Wirbel, welcher einen Schild sowie eine Mischung aus Lanze und Schwert mit sich führte, die aus blauem Kristall bestand.   Gem-Knight Prismaura [ATK/2450 DEF/1400 (7)]   „Da staunst du, was? Tch, natürlich nicht, deine Gefühle haste ja in eine Kiste gesteckt und deinem Dämonenfreund als Geschenk überreicht“, stichelte Anya grimmig. Keine Reaktion seitens Claire, womit sie allerdings auch nicht gerechnet hatte. „Was auch immer, ich verbanne Amber von meinem Friedhof, um [Gem-Knight Fusion] von dort zurückzuerhalten!“ Jene Karte schob sich automatisch aus dem Friedhofsschacht hervor, sodass Anya sie nur noch hervorziehen und zeigen musste. In dem Moment erwiderte Claire: „Effekt von [Aerial Recharge]: Sie erschafft eine Projektion. Effekt von [Mecha Phantom Beast Megaraptor]: Er erzeugt bei der Beschwörung einer Projektion eine weitere.“ Sie weiß, was sie erwartet, deswegen holt sie noch einmal alles heraus, was möglich ist.   Levrier, der neben seinen beiden sichtbaren Artgenossen schwebte, verschränkte die Arme, während zwei bunte Hologrammversionen des dinoartigen Kampfjets über Claire erschienen. Damit kontrollierte sie nun drei Projektionen und zwei reale Monster, die in einer V-Formation durch die Lüfte zogen.   Mecha Phantom Beast-Spielmarke x2 [ATK/0 DEF/0 (3)]   Sofort richtete sich das Geschütz an Claires D-Wheel auf Anya aus. „Effekt von [Cyber Summon Blaster]: Für jedes spezialbeschworene Maschinen-Monster fügt sie 300 Punkte Schaden zu.“ Schon lösten sich zwei Blitzstrahlen von der Kanone. Anya, die immer noch via Manual Mode fuhr, wich beiden Schüssen geschickt aus, neben ihr flog der aufgeplatzte Asphalt nur so durch die Luft.   [Anya: 1000LP → 700LP → 400LP / Claire: 4000LP]   Dennoch entschied sie sich im Anschluss, den Autopiloten wieder zu aktivieren. Voraus lag nämlich eine Reihe heikler Kurven. Und da sie für Claire so einiges geplant hatte, das ihre ganze Konzentration erforderte, blieb ihr kaum eine andere Wahl. „Mode Switch. Autopilot on“, drang die Stimme des Computers an ihr Ohr und der Hintergrundbildschirm wechselte seine Farbe wieder von rot auf blau. Sofort verlor sie etwas an Geschwindigkeit, aber das war inzwischen nebensächlich, da sie Claire ohnehin nicht noch einmal überholen würde. „[Gem-Knight Fusion] wandert aber gleich wieder auf den Friedhof, denn die werfe ich zur Aktivierung von Prismauras Effekt ab“, verlautete Anya und streckte die Hand nach vorne aus. Gleichzeitig lud sich in der Schwertlanze ihres Ritters elektrische Energie auf. „Damit kann ich sofort eine deiner Karten zerstören.“ Anya betrachtete nachdenklich den Spielplan vor sich. Entweder [Cyber Summon Blaster] oder [Aerial Recharge]. Würde sie Ersteren loswerden, müsste sie keinen Schaden mehr erleiden, doch Claire konnte weiterhin Spielmarken produzieren. Letztere waren die Hauptverantwortlichen für den ganzen Schaden, den sie schon genommen hatte, doch da es auch andere Methoden gab, um Maschinen-Monster spezialzubeschwören und sie maximal noch einen Treffer verkraftete, war die Wahl offensichtlich. Entschieden richtete Anya den Zeigefinger auf das Geschütz an Claires D-Wheel. „Ich zerstöre [Cyber Summon Blaster]!“ Mit einem gellenden Schrei schoss Prismaura den Blitzstrahl ab, welcher jedoch nicht Claires Motorrad traf, sondern stattdessen die aufrecht neben ihr stehende Fallenkarte. Als diese explodierte, verschwand die Waffe gleich mit.   Damit sind wir ein Problem los.   Mit einem Ruck stieß Anya ihre Hand nach vorn. „Mal sehen, was du dazu sagst! Ich greife mit [Gem-Knight Prismaura] dein [Mecha Phantom Beast Blackfalcon] an! Divine Lance Strike!“ Ihr Ritter warf die Schwertlanze in die Luft, fing sie am Griff auf und schleuderte sie mit aller Macht in Richtung des schwarzen, länglichen Falkenjets. Im Flug gab sie dabei elektrische Ladungen von ihrer Kristallklinge ab. Claire drehte sich um und schwang ebenfalls den Arm aus. „Effektaktivierung von [Mecha Phantom Beast Blackfalcon]. Einmal pro Zug kann es eine Projektion deaktivieren, um die Position eines Monsters zu wechseln.“ Von den drei bunten Hologrammen löste sich die Kopie des Blackfalcons auf. Jener sendete dann eine Art Schockwelle aus, welche den Flug der Lanze bremste und gleichzeitig Prismaura in eine kniende Position zwang, während er weiter neben Anya her flog.   Gem-Knight Prismaura [ATK/2450 DEF/1400 (7)]   Anya knirschte wütend mit den Zähnen. „Mal wieder Glück gehabt, was? Aber noch hab ich Lady Brilliant Diamond! Das Ziel ist immer noch Blackfalcon! Brilliant Fate Severing!“ Wie ein Pfeil flog die Ritterin voran und holte mit ihrer Klinge weit aus. Claire, die immer noch nach hinten sah, trotz der nahenden Kurven, erwiderte: „Effekt von [Vic Formation]. Ich schicke sie auf den Friedhof, um eine Projektion zum Angriffsziel zu machen!“ „Was!?“, donnerte Anya, als sich die Falle neben Claire auflöste. Lady Brilliant Diamond änderte den Kurs, schoss an Blackfalcon vorbei und schlug stattdessen nach einer der beiden Kopien Megaraptors, welche sich auflöste. „Das gibt’s doch nicht! Shit“, fluchte Anya, als ihre Kriegerin zu ihr zurückkehrte. Wie konnte diese dämliche Pute gleich beide Angriffe abwehren!? Hatte sie das geahnt oder war das Teil dieses verdammten Paktes!? Natürlich, denn wären beide durchgegangen, hätte sie das Spiel gewonnen! Wütend nahm Anya ihre letzte Handkarte und schob die Falle in den entsprechenden Slot. „Die hier setze ich verdeckt. Zug beendet, Miststück!“ Zischend materialisierte sich die Karte neben ihr und verschwand, ebenso wie die letzte verbliebene Projektion Claires, die jene opferte, um [Aerial Recharge] im Spiel zu behalten. Dann ging es schon in die Serie aus Kurven.   „Draw Phase“, rief jene monoton wie eh und je und richtete ihr Augenmerk wieder auf die Strecke, zog ihre Karte auf. Gleich im Anschluss verkündete sie: „Effekt von [Aerial Recharge]: Sie erschafft eine Projektion. Effekt von [Mecha Phantom Beast Megaraptor]: Er erzeugt bei der Beschwörung einer Projektion eine weitere.“ „Exakt dasselbe hat sie eben schon gesagt!“ Ganz zu Anyas Unzufriedenheit tauchten auch nacheinander die beiden Hologramme Megaraptors neben diesem und Blackfalcon auf.   Mecha Phantom Beast-Spielmarke x2 [ATK/0 DEF/0 (3)]   „Effekt von [Mecha Phantom Beast Megaraptor]: Ich deaktiviere eine Projektion und erhalte ein Mecha Phantom Beast-Monster von meinem Deck“, ratterte Claire ihr Programm weiter runter, während eines der beiden eben erst erschienenen Hologramme wieder verschwand, „[Mecha Phantom Beast Aerosguin]. Zauberkartenaktivierung: [Scramble!! Scramble!!]!“ Kaum hatte Claire ihr Monster aus dem Deck gezogen, sprang vor ihr schon besagte Schnellzauberkarte auf. Und Anya stöhnte: „Die kenn' ich! Shit!“ „Sämtliche Projektionen werden mit Mecha Phantom Beast-Monstern aus meinem Deck ausgetauscht“, erklärte Claire. Megaraptors zweites Ebenbild löste sich alsdann auf. „Spezialbeschwörung: [Mecha Phantom Beast Coltwing].“ Besagtes Monster war ein Kipprotor-Wandelflugzeug, dessen Cockpit einem Pferdekopf nachempfunden war. Neben ihm tauchten gleich zwei weitere Abbildungen seiner selbst auf.   Mecha Phantom Beast Coltwing [ATK/1600 DEF/1500 (4 → 10)] Mecha Phantom Beast-Spielmarke x2 [ATK/0 DEF/0 (3)]   „Erster Effekt von [Mecha Phantom Beast Coltwing]: Bei seiner Beschwörung erschafft er zwei Projektionen.“ Claire drehte sich wieder zu Anya um und das, obwohl sie in Schlangenlinien die Kurven nehmen musste. „Zweiter Effekt von [Mecha Phantom Beast Coltwing]: Im Austausch für zwei Projektionen kann er eine Karte meines Gegners zerstören und verbannen.“ Sie hob ihren Zeigefinger und deutete auf Anya, die ohnehin schon Mühe hatte, mitzuhalten. Parallel dazu verschwanden die beiden Abbilder Coltwings. Dann schwang Claire ihren Arm herüber zu der neben Anya fliegenden Ritterin Lady Brilliant Diamond. „Sie.“ Anya stieß einen wütenden Schrei aus. „Was!? Nein!“ Doch das Flugzeug ihrer Feindin eröffnete bereits breit gefächertes Sperrfeuer, welches den Asphalt vor dem Mädchen regelrecht zum Zerbersten brachte. In wahnsinniger Geschwindigkeit kam es näher. Und Anya wusste, dass selbst wenn sie das überlebte, sie ohne ihre Ritterin verloren war …     Turn 80 – Rage Unlimited Trotz ihrer misslichen Lage ist Anya fest entschlossen Claire zu besiegen und damit zu beweisen, dass ihr Pakt mit Nigel nicht absolut ist. Während des Duells wird zudem etwas Erstaunliches über Claires Deck enthüllt. Und … Kapitel 85: Turn 80 - Rage Unlimited ------------------------------------ Turn 80 – Rage Unlimited     „Anya?“, wunderte sich Nick, als plötzlich nur noch ein Tuten aus seinem alten, stellenweise verätzten Handy drang. „Anya!?“ Wunderbar, dachte er sich ärgerlich und nahm den Apparat vom Ohr. Irgendwo in Ephemeria City war seine Schwester gerade dabei, zum Berserker zu mutieren. Die Chance, dass sie jetzt noch für Vernunft offen war, und sei es auch nur Levriers, war schwindend gering. „Spielt es denn eine Rolle? Weiter mit ihr zu telefonieren wird nichts an dem Ausgang des Duells ändern“, sprach da der blonde Lockenkopf Joel. Die Stirn runzelnd drehte sich Nick, der in der Ecke des verstaubten Klassenzimmers stand, dem androgynen Burschen wieder zu. Alexandra, die genau auf der anderen Seite der Tafel stand und somit nur wenige Schritte von dem Jungen in der ersten Reihe entfernt, verschränkte die Arme. „Er hat Recht. Wenn der Pakt besagt, dass sie ihre Duelle immer gewinnt, dann lässt sich nichts daran rütteln.“ „Nicht mal mit der Kraft eines Immateriellen.“ „Soll das ein Witz sein!?“, platzte es aus Nick heraus. „Der Äther fließt zu ihren Gunsten. Immaterielle können nur ihren eigenen Ätherfluss manipulieren und den jener, mit denen sie verbunden sind, nicht jedoch den anderer.“ Joel schloss die Augen, öffnete sich dann aber gleich wieder. „Ich frage mich, was für ein Dämon Nigel ist, wenn er den Äther überhaupt beeinflussen kann. Davon habe selbst ich nie gehört.“   Nick packte das Handy weg und stürmte auf den Dämon zu, packte ihn wutentbrannt am Kragen und versuchte ihn hochzureißen, doch eine unsichtbare Kraft verhinderte dies. „Hey! Lass das!“, mischte sich die dunkelblonde Alexandra ein und griff seinen Arm. „Du wusstest das schon seit geraumer Zeit und hast mich nicht vorgewarnt!? Du hättest Tony schicken können! Denkst du, unter diesen Umständen werde ich dich befreien!?“ „Ich bin der Einzige, der deine Fragen beantworten kann. Und du hast noch viele. Manche sind dir noch nicht einmal bewusst.“ Joel lächelte. „Außerdem ist Tony tot.“ Jetzt war es Alexandra, die beinahe die Beherrschung verlor. „Was!?“ „Um Informationen für euch zu beschaffen musste ich ihn derart beanspruchen, dass der arme Tropf zwischendrin einfach gestorben ist. Menschen sind so zerbrechlich.“ Schnaubend ließ Nick ihn los, doch nicht, ohne Joel gewaltsam gegen die Lehne seines Stuhls zu stoßen. Aus den Augenwinkeln sah er den fassungslosen Blick seiner Partnerin, der ihm unmissverständlich mitteilte, dass er daran Schuld war. Nicht, dass ihn der Tod dieses Mannes berührte … Joel grinste. „Deswegen mag ich dich, Nick. Du bist skrupellos. Und das musst du sein, wenn du stark genug werden willst, um zu tun, was du tun musst.“ „Gibt es noch andere mit der Conqueror's Soul?“ „Ja. Aber die sind uninteressant für uns. Wichtig ist, dass -du- dir ein breites Spektrum an Fähigkeiten aneignest.“ Das Lächeln des blonden Dämons verschwand. „Und halt dich von Kali fern. Sie ist zwar vergleichsweise schwach, verfügt aber ebenfalls über die Conqueror's Soul. Du hattest Glück, weil deine eigene zu dem Zeitpunkt eures Kampfes noch latent war. Beim nächsten Mal könnte es ernsthafte Probleme geben.“ Es war also gefährlich, wenn zwei Träger dieser Gabe sich bekämpften. Dann galt diese Warnung auch für Anya, Zach und seinen Vater. Anya … gegen sie hatte er sich auch duelliert, kurz nachdem sie vom Sammler versklavt wurde. Vermutlich war auch hier nichts geschehen, weil seine Kräfte noch geschlafen hatten. Aber wann waren sie erwacht?   Darauf wusste Joel die Antwort. „Xiphos. Er sagte, er kann dir keine Kraft verleihen. Stattdessen hat er dir Snuggly und Sparkly geliehen, die dich 'geöffnet' haben.“ „Was hat Xiphos vor?“ „Dieser Junge ist unberechenbar. Wenn ich dir einen Tipp geben darf“, sprach Joel und lächelte süßlich, „sobald du glaubst stark genug zu sein, versuch ihn zu töten. Er könnte ein Problem werden.“ Dessen war Nick sich bewusst. Allerdings würde er nicht so leichtsinnig werden, sich mit einem der fünf großen Dämonen anzulegen, solange er sich nicht absolut sicher war, siegreich aus der Konfrontation hervorzugehen. Schließlich sollten sie sterben. Alle … „... und nur du kannst das erreichen. Ich glaube an dich, Nick. Das nächste Mal, wenn du kommst, habe ich vielleicht mehr Antworten für dich. Was der Sammler plant, was Xiphos plant, wer sonst noch im Hintergrund die Fäden zieht.“ Nick verzog den Mund. „Wir werden sehen. Alexandra, ich denke, wir sind hier fertig.“ „J-ja“, erwiderte die, war in der Zwischenzeit deutlich erblasst.   ~-~-~   Überall vor Anya platzte der Asphalt unter dem Sperrfeuer von [Mecha Phantom Beast Coltwing] auf, einem Wandelflugzeug, dessen Cockpit an einen Pferdekopf angelehnt war. Dessen Ziel war Anyas [Gem-Knight Lady Brilliant Diamond], welche sich schützend vor Anya positionierte und ihre schlichte Klinge mit beiden Händen fest umschloss. Doch das Mädchen hatte weiß Gott nicht vor zuzulassen, dass ihre verhasste Rivalin ihr ihren größten Trumpf nahm. So streckte sie die Hand nach vorn aus. „Nix da! Ich aktiviere meine verdeckte Falle! [Gem-Enhancement]!“ Jene sprang aus dem Nichts neben ihr auf. Sogleich begann Licht aus den Kristallen zu strahlen, die sich an Lady Brilliant Diamonds Schulterplatten und ihrem Brustpanzer befanden. „Damit biete ich einen Gem-Knight als Tribut an, um danach einen aus meinem Friedhof wiederzuerwecken!“ An Anyas Handschuh materialisierte sich ein zweiter von metallischer Natur. Das Leuchten an ihrer Kriegerin wurde stärker, so stark, dass sie damit verschmolz und schlagartig verschwand. Plötzlich sah sich die Jüngere dem Kugelhagel selbst ausgesetzt. „Das ist doch, was du wirklich willst“, knurrte Anya, „mich zu durchsieben, huh? Aber daraus wird nichts! Heavy T!“ Zum zweiten Mal nutze sie die Kraft der Hüterkarte in ihrer Panzerhandschuh-Form in diesem Duell, um sich das Leben zu retten. Kurz bevor der Kugelhagel sie erreichte, hob Anya die Hand an und ließ förmlich die Zeit für die Projektile anhalten – Heavy Ts Macht, die Schwerkraft zu beeinflussen, wirkte der Schusskraft entgegen. Grinsend fuhr Anya unter der Attacke hindurch. Wie üblich reagierte Claire auf ihrem weißen D-Wheel gar nicht. „So, und jetzt sieh her, wer dank meiner Falle zurückkehrt!“ Sprachs und keine Sekunde später strahlte über ihr erneut grelles Licht. Und sie war wieder da, die Ritterin des Brillanten.   Gem-Knight Lady Brilliant Diamond [ATK/3400 DEF/2000 (10)]   „Tja, den Angriffsbonus durch die Fusion von [Gem-Knight Jasper] hat sie zwar verloren, aber da [Gem-Enhancement] mir nicht untersagt, das geopferte Monster zurückzubeschwören, hast du effektiv versagt!“ Anya reckte das Kinn vor. „Denk dir was Besseres aus!“ Das gesagt, war es trotzdem noch der Zug ihrer Gegnerin. Welche neben ihrem Coltwing noch den an einen Velociraptor angelehnten Jet sowie den länglichen Falkenjet kontrollierte. Dazu kamen noch ihre Falle [Aerial Recharge], die Anya seither ein Dorn im Auge war und zwei Handkarten.   Mecha Phantom Beast Coltwing [ATK/1600 DEF/1500 (4)] Mecha Phantom Beast Megaraptor [ATK/1900 DEF/1000 (4)] Mecha Phantom Beast Blackfalcon [ATK/1200 DEF/1700 (4)]   Claire indes verkündete: „Battle Phase. [Mecha Phantom Beast Megaraptor] greift [Gem-Knight Prismaura] an.“ Jener schwebte neben Anya her, die dank des Autopiloten nicht allzu große Schwierigkeiten hatte, ihrer Gegnerin in einer schnellen Abfolge von Kurven zu folgen. Der kniende, weiße Ritter im roten Umhang hielt schützend seine blaue, kristallene Schwertlanze vor sich und hob zusätzlich dazu noch seinen anderen, den Schildarm, an.   Gem-Knight Prismaura [ATK/2450 DEF/1400 (7)]   In Megaraptors Klauen unterhalb des Bugs erschienen Zielsuchraketen, die jener einfach fallen ließ. Wenige Sekunden später fanden die ihr Opfer und zerfetzten dieses regelrecht in einer umfassenden Explosion, die Anya ins Schleudern brachte. „Shit!“ „Ich setze eine Karte. End Phase. Damit muss ich durch [Aerial Recharge] ein Mecha Phantom Beast als Tribut anbieten, wenn ich sie weiterhin im Spiel behalten will.“ Coltwing löste sich daraufhin in Luft auf, was Anya nur nebenbei wahrnahm. Sie hatte genug damit zu tun, ihre Maschine nicht gegen die Panzerglas-Absperrungen zu fahren. Clever. Da [Mecha Phantom Beast Coltwing] durch den Effekt von [Scramble!! Scramble!!] beschworen wurde, opfert sie ihn, ehe er durch den negativen Effekt ihres Zaubers ins schickt ins Extradeck geschickt wird.   Levrier, der ebenfalls noch neben Anya her glitt, legte eine Hand ans Kinn. Aber eines irritiert mich. Sie hat noch keine Normalbeschwörung durchgeführt. Mit dem Monster in ihrer Hand, [Mecha Phantom Beast Aerosguin] hätte sie eine zusätzliche Spielmarke beschwören und die Stufe all ihrer Monster auf 7 anheben können. Und dann …   Anya wusste genau, worauf er anspielte. Es. Das Bossmonster dieses verfluchten Themas, ein Rang 7-Xyz-Monster, das zerstörerisch und gleichzeitig schwer zerstörbar war. Damit hätte sie Lady Brilliant Diamond spielend leicht abschießen können und gleichzeitig war diese Tatsache eine der wenigen, über die Anya sich vorab informiert hatte. Solange man das Assmonster des Gegners kannte, war alles andere halb so schlimm. „Vielleicht spart sie sich das Ding noch auf“, mutmaßte Anya mürrisch, nachdem sie endlich wieder die volle Kontrolle über das schwarze D-Wheel zurückgewonnen hatte, „und ihre Hüterkarte hat sie auch noch nicht gespielt. Was, wenn sie ein und dasselbe sind?“   Ist es wirklich so einfach?   „Wer weiß? Ich weiß, dass wir noch lange nicht gewonnen haben.“ Sie warf einen Blick auf den Lebenspunktestand auf dem Monitor über ihrem Lenker.   [Anya: 400LP / Claire: 4000LP]   Und knirschte mit den Zähnen. „Falls wir überhaupt gewinnen können. Fuck! Ich habe noch nie von einem Pakt gehört, der nicht mit einem Immateriellen geschlossen wurde.“   Solche existieren. Ihr Dämon muss besonders sein, wenn er ihr die Fähigkeit verleihen kann, jedes Duell zu gewinnen. Sie muss ähnlich wie die Kräfte der Immateriellen funktionieren.   „Das Schicksal ändern, huh? Meinste, wir kriegen das auch dieses Mal hin?“ Dies kann ich dir nicht beantworten, Anya Bauer. Aber du weißt, dass du auf mich zählen kannst.   „Yeah“, erwiderte die und beugte sich kämpferisch nach vorn, um das maximale Tempo aus ihrer Maschine herauszuholen. Dann griff sie nach ihrem Deck. Neben [Gem-Knight Lady Brilliant Diamond] waren die einzigen Karten, die sie kontrollierte, die Gem-Knights Tiger's Eye und Pyrite, die weit über ihr in hellblauen, aufrecht stehenden Lichtsäulen schwebten und ihr darin auch folgten. Erstgenannter war ein goldener Ritter mit Kettenpeitsche in der Hand, Letzterer dagegen ein weißer mit silbrigen, würfelförmigen Schulterplatten, an dessen Armen sich die Hälften eines riesigen Rundschilds befanden.   <2> Anyas Pendelbereich <8>   Abseits von denen besaß Anya nicht einmal mehr Handkarten. Aber das sollte sich bald ändern! „Mein Zug, Miststück! Draw!“, fauchte Anya und riss die Karte von ihrem Deck. Wohlgemerkt ohne Levrier um Hilfe zu bitten. Denn -sie- würde nicht schummeln! Ohne Umschweife streckte sie die Hand in die Höhe. „Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum! Pendulum Summon!“ Über ihr öffnete sich ein riesiges Loch im Himmel, wie gewohnt mit dutzenden Ellipsen, die sich darum schlossen. Zwei roten Lichtstrahlen schossen aus dem Pendelportal. „Aus meinem Extradeck: [Gem-Knight Jasper] und [Gem-Knight Malachite]!“ Links und rechts neben ihr tauchten ein hünenhafter Ritter mit langer Hellebarde in der Hand sowie einer in blau-grün schimmernder Rüstung, welcher einen Stab mit sich führte.   Gem-Knight Jasper [ATK/1800 DEF/600 (4) PSC: <2/2>] Gem-Knight Malachite [ATK/1000 DEF/1900 (4) PSC: <2/2>]   Energisch blickte Anya nach oben, wo ihre Ritterin bereits mit der Schwertspitze auf Malachite zeigte. „Lady Brilliant Diamonds Effekt kennst du bereits! Sie kann einen beliebigen Gem-Knight auf dem Feld in ein Fusionsmonster transformieren. Leider ist das keine echte Fusionsbeschwörung, weshalb ich keine Boni von Jasper oder Malachite erhalte.“ Nun schwang sie den Arm aus. „Aber das ist es trotzdem wert! Ich wähle Malachite! Contradiction Fusion!“ Hinter dem blau-grünen Stabkrieger öffnete sich ein Edelsteinwirbel, welcher jenen regelrecht verschluckte. Dann drang grelles Licht daraus hervor. „Die hier hast du auch noch nie gesehen! Zeig uns deine Macht, [Gem-Knight Lady Lapis Lazuli]!“ Blaue Blütenblätter flogen plötzlich aus dem Wirbel und vermengten sich mit einem bräunlichen Schimmer, der ebenfalls aus dem Fusionssog drang. Zusammen formten sie eine humane Gestalt, gehüllt in eine dunkelblaue Rüstung, die dank ihrer langen Schleppe und den weiten Ärmeln stark an einen Kimono erinnerte.   Gem-Knight Lady Lapis Lazuli [ATK/2400 DEF/1000 (5)]   Inzwischen hatten die beiden Duellantinnen den Serpentinen-Abschnitt der Strecke verlassen und fuhren wieder auf gerader Strecke. Um sie herum gab es vereinzelt riesige Hochhäuser, meist Hotels, in der Ferne war der Flughafen samt seiner Landebahnen zu sehen. Anya streckte den Arm aus. „Natürlich besitzt Lady Lapis Lazuli auch einen Effekt, den du gleich schmerzhaft am eigenen Leib spüren wirst! Dazu muss ich zunächst einen Gem-Knight von meinem Deck oder auch von meinem Extradeck auf den Friedhof schicken. Topaz!“ Tatsächlich schob sich [Gem-Knight Topaz'] Karte aus Anyas Extradeck-Schlitz, nur um von dem Mädchen aufgenommen und wieder auf den Ablagestapel entsorgt zu werden. Mit dem Hintergedanken, dass er dort womöglich noch nützlich werden könnte. Plötzlich begann sich die neue Ritterin des Mädchens mit erhobenen Armen um die eigene Achse zu drehen, ganz, als führe sie einen Tanz auf, ohne sich dabei wirklich zu regen. Gleichzeitig schoben sich aus den Oberkörpern Jaspers und Lady Brilliant Diamonds kleine, blaue Edelsteine, die herüber zu Lady Lapis Lazuli flogen, um jene zu umkreisen. Aber nicht nur bei diesen beiden geschah dies, auch aus [Mecha Phantom Beast Megaraptors] Cockpit schoss so ein Edelstein. Und nicht zuletzt auch die Tänzerin selbst erzeugte einen Lapislazuli, womit sie insgesamt vier Stück mit ihrer Rotation bewegte. „Ich hoffe du magst Klunker, immerhin kannst du dir durch deine Betrügereien sicher genug leisten“, wurde Claire erneut von ihrer Gegnerin ohne Erfolg provoziert. Jene schnappte: „Dafür gibt’s jetzt die Quittung! Für jedes spezialbeschworene Monster auf dem Feld fügt [Gem-Knight Lady Lapis Lazuli] dir 500 Schadenspunkte zu! Das sind insgesamt 2000 Punkte! Shimmer Shards!“ Mit Schwung beendete die edle Kriegerin ihren Tanz und schleuderte ihre namensgebenden Edelsteine auf Claire, welche sich umdrehte. Wie Pfeile schossen die kleinen Schmuckstücke auf sie zu.   Gleichzeitig beobachtete Logan bei den Boxen über seinen Laptop, wo Anya und Claire sich inzwischen befanden. Etwa drei Viertel der Strecke hatten sie geschafft, wobei anzumerken war, dass sich das Ziel nicht direkt bei den Boxen befand, sondern bereits etwa einen Kilometer davor. Von dort ging es erst über eine letzte Kurve zu den Boxen. „Wieso antwortet sie nicht?“, knurrte der Schwarzhaarige wütend darüber, dass Anya ganz offensichtlich ihren Kommunikationskanal gekappt hatte. Der rothaarige, bärtige Nigel stand einige Meter hinter ihm und hielt die Arme verschränkt. Dabei warf er hinter seiner Sonnenbrille einen finsteren Blick auf den Mann vor sich, welcher am Pult saß und gerade den Spielplan des Duells aufrief, welcher in diesem Moment die Beschwörung von [Gem-Knight Lady Lapis Lazuli] darstellte. „Irgendwelche Kommentare zu den Vorwürfen?“, brummte Logan, ohne sich dabei umzudrehen. „Keine Ahnung, warum die Kleine auf einmal auf 180 ist und diese seltsamen Sachen von sich gibt. Hilf mir auf die Sprünge. Oder soll ich mir stattdessen ansehen, was ich hier gespeichert habe?“ Dabei deutete er auf einen USB-Stick, welcher am Laptop hing. Nigel strich sich abwesend mit der Hand über den feinen, schwarzen Anzug und ließ dann die Arme sinken. „Ein verletztes Tier brüllt bekanntlich am lautesten.“ „Sicher?“, kam es skeptisch zurück. „Ich kenne das Mädel inzwischen ganz gut. Schlechte Verliererin, das stimmt schon …“ Langsam begann der Manager auf den Mann vor ihm zu zu schreiten. Dabei schoss lautlos aus seiner Handfläche ein langes Schwert, dessen gezackte Klinge fast schon einem Blitz glich. Sorgsam war in ihrem inneren Bereich goldene Verzierung eingearbeitet. „… aber solche Anschuldigungen würde sie nicht in den Raum werfen, wenn es nicht irgendeinen Anhaltspunkt gäbe.“ Logan lehnte sich zurück und lachte laut. „Hah, vielleicht hat sich Mrs. Rosenburg ja beim Schummeln ausnahmsweise ungeschickt angestellt?“ „Mitnichten“, erwiderte Nigel tonlos, als er direkt hinter Logan stand. Und die Klinge über seinen Kopf erhob. „Ich kann Ihnen versichern, dass diese Vorwürfe völlig haltlos sind. Dürfte ich mir diese 'Aufzeichnungen' einmal ansehen?“   Claire konnte den fliegenden Edelsteinen rechtzeitig mit einem gewagten Manöver ausweichen, doch als jene sie verfehlten, explodierten sie wie ein Feuerwerk. „Was sagst du dazu!?“, triumphierte Anya hämisch.   [Anya: 400LP / Claire: 4000LP → 2000LP]   „Fallenkarte aktivieren“, kam die ungebetene Antwort prompt zurück. Neben Claire klappte aus dem Nichts eine violett umrandete Karte auf, aus dessen Artwork die dort abgebildete Maschine austrat. Es handelte sich um eine Art überdimensionalen, spitz zulaufenden Dynamo, von dem rote und blaue Kabel ausgingen, welche sich mit Claires D-Wheel verbanden. „[Damage Vaccine Ω MAX]. Sie macht eine Schadenseinwirkung ungeschehen.“ „Huh!? Das gibt’s doch nicht!“ Kaum war Claires Maschine mit holografischem Strom versorgt, verschwanden die Falle und jene seltsame Apparatur wieder.   [Anya: 400LP / Claire: 2000LP → 4000LP]   Für alles hat sie die passende Antwort parat. Das ist nicht gut.   Anya knirschte mit den Zähnen. Wie Recht Levrier neben ihr doch hatte. Sie wollte fusionieren? Claire konterte sie aus. Sie rief Angel Wing? Claire zerstörte ihn mühelos und verbannte ihn obendrein noch, damit er sich nicht reanimieren konnte. Fügte man ihr großen Schaden zu, machte sie diesen einfach ungeschehen. „Verdammter Kackmist!“, fluchte das Mädchen aus sich hinaus. Dann aber lehnte sie sich ehrgeizig wie eh und je nach vorn. „Aber ich bin noch lange nicht fertig mit dir! Hörst du mich!? Ich habe gerade erst angefangen! Los, [Gem-Knight Lady Brilliant Diamond]! Greif' [Mecha Phantom Beast Blackfalcon] an! Brilliant Fate Severing!“ Sofort folgte die Ritterin über ihr dem Befehl und flog mit erhobener Klinge in erstaunlichem Tempo voraus. „Effekt von [Aerial Recharge]“, rief Claire dagegen aus, „sie beschwört eine Projektion, welche durch [Mecha Phantom Beast Megaraptor] verdoppelt wird. Dazu der Effekt von [Mecha Phantom Beast Blackfalcon].“ Zunächst traten aus dem Velociraptorjet links und rechts bunte Hologrammversionen seiner selbst heraus, von denen eine jedoch alsbald wieder verschwand. „Mit ihm deaktiviere ich eine Projektion und ändere die Kampfposition eines gegnerischen Monsters.“ Der schwarze, längliche Falkenjet drehte sich seiner Angreiferin zu. Über seine aufgemalten Augen sendete er eine Schockwelle aus, die Lady Brilliant Diamond in ihrem Anflug stoppte und stattdessen schwebend in die Knie zwang.   Gem-Knight Lady Brilliant Diamond [ATK/3400 DEF/2000 (10)] Mecha Phantom Beast-Spielmarke [ATK/0 DEF/0 (3)]   Die Herausforderin schnappte nach Luft, denn wenn sie das nicht tat, würde sie vermutlich jeden Moment implodieren. Wie war das möglich!? Wenn dieser Angriff zusammen mit denen ihrer anderen beiden Monstern durchgegangen wäre, hätte der gesammelte Schaden punktgenau ausgereicht! Aber nein, Miss Cheato Cheap musste -natürlich- wieder die passende Antwort parat haben! „Garrr“, stieß Anya frustriert hervor und streckte den Arm nach vorne, „zerstöre die Projektion, Jasper!“ Pfeilschnell zischte ihr massiger Krieger nach vorn und schwang seine Hellebarde aus, um durch das bunte Hologramm Megaraptors über Claire durchzuschlagen. Es löste sich daraufhin auf. „Ohne Spielmarken kann ich deine Monster im Kampf besiegen!“ Anya ballte die ausgestreckte Hand zu einer Faust. Keine verdeckten Karten mehr, keine Handkarten, die sie auf mirakulöse Weise retten konnten. Der Angriff würde sitzen! „Dem kannst du nicht entgehen! [Gem-Knight Lady Lapis Lazuli], Attacke auf Blackfalcon! Luster Ray!“ Ihre fein gekleidete Ritterin legte beide Handflächen aufeinander und ließ darin Energielinien entstehen, die sich zu der Skizze eines komplizierten Vielecks verbanden. Aus jenem schoss keine Sekunde später ein lehmbrauner Lichtstrahl. Als der schwarze Falkenjet über ihr getroffen wurde und als Ergebnis in tausend Teile zersprang, reagierte Claire nur mit einem Schnalzen. Was mehr war, als Anya von ihr erwartet hatte.   [Anya: 400LP / Claire: 4000LP → 2800LP]   „Tch!“ Es hätte wirklich gereicht, trauerte Anya ihrem Sieg immer noch hinterher. Nichtsdestotrotz hatte sie es geschafft, sie hatte ihrer Gegnerin Schaden zugefügt. Endlich! Noch ein paar Treffer mehr! Sofern sie vorher keinen eigenen kassierte zumindest. „Ich setze eine Karte verdeckt!“ Ihre einzige Handkarte in den Kartenschlitz unter der Zone ihrer Chefritterin schiebend, rümpfte Anya die Nase. So leicht würde sie es dieser Schnepfe nicht machen! Zischend materialisierte sich die Falle neben ihr und verschwand. „Zug beendet!“ „Falleneffekt von [Aerial Recharge]. Entweder verzichte ich auf ein Mecha Phantom Beast-Monster oder auf [Aerial Recharge].“ Jede Runde dasselbe Spiel. Claires letztes verbliebenes Monster, [Mecha Phantom Beast Megaraptor], löste sich kurzerhand in Luft auf. Damit war die Falle die einzig verbliebene Karte auf der Spielfeldseite der Weltmeisterin, die außerdem nur noch [Mecha Phantom Beast Aerosguin] auf der Hand hielt, wie Anya wusste.   Was sich aber kurzerhand änderte, als Claire aufzog. „Draw Phase.“ Keine Sekunde später verkündete sie: „Normalbeschwörung: [Mecha Phantom Beast Aerosguin].“ Jener stellte sich als riesiges Luftschiff heraus, dessen Laderampe sich tatsächlich am Bug befand. Die obere Hälfte bestand aus etwas, das einen Heißluftballon glich – und einem Pinguin, dessen Kopf nach vorne starrte. „Definitiv das seltsamste ihrer Viecher“, kommentierte Anya den Anblick.   Mecha Phantom Beast Aerosguin [ATK/1600 DEF/400 (3)]   „Monstereffekt: Indem ich ein Mecha Phantom Beast vom Friedhof verbanne, erschafft [Mecha Phantom Beast Aerosguin] eine Projektion.“ Claire zeigte bereits [Mecha Phantom Beast Harrliard] vor und schob ihn in den speziellen Schlitz der Verbannungszone. „Falleneffekt: [Aerial Recharge] erschafft eine zweite Projektion.“ Gleich zwei riesige, bunte Abbilder des gigantischen Pinguinträgers tauchten links und rechts neben diesem auf.   Mecha Phantom Beast Aerosguin [ATK/1600 DEF/400 (3 → 9)] Mecha Phantom Beast-Spielmarke x2 [ATK/0 DEF/0 (3)]   Gleich im Anschluss schob Claire ihre letzte Handkarte, einen Zauber, in die entsprechende Zone und sprach: „Zauberkartenaktivierung: [Wingover]. Dazu muss die Zahl meiner Mecha Phantom Beast-Monster mit der meines Gegners übereinstimmen, wobei mindestens eines davon ein Original und keine Projektion sein muss.“ Schlagartig richteten sich ihre drei Träger steil nach oben aus und gewannen rasch an Höhe. Anya verfolgte das alles nervös, biss die Zähne zusammen, als die drei Schiffe in der Luft eine Kurve machten und allesamt rasend schnell wieder nach unten schossen – und ihren Weg dabei kreuzen würden! „[Wingover] zerstört im Anschluss alle Monster meines Gegners zusammen mit den Projektionen.“ Anya traute ihren Ohren kaum. Wie Pfeile flogen die Gigapinguine über ihr hinweg und ließen aus ihren Laderampen Bomben fallen. Bomben, die alles zerstörten. Ihre beiden Ritterinnen und Jasper, die halbe Strecke. Anya zischte jedoch rechtzeitig unter den Explosionen hinweg, um nicht noch selbst erfasst zu werden. „Das gibt’s doch nicht!“, fauchte sie ungläubig, als die beiden bunten Versionen Aerosguins sich auflösten und das Original zu Claire zurückkehrte. „Im Anschluss ziehe ich für jede verlorene Projektion eine Karte, muss aber die Battle Phase in diesem Zug überspringen“, fuhr jene seelenruhig mit ihrem Zug fort und riss zwei Karten von ihrem Deck, „ich setze zwei Karten. End Phase.“ Je links und rechts tauchte eine Falle neben ihr auf und verschwand, zusammen mit Aerosguin, den Claire ganz offensichtlich opferte, um ihre Falle zu behalten. Anyas Feld war monsterleer.   Nun, das ging noch einmal glimpflich aus. Dennoch, Zurückhaltung sieht anders aus. Spätestens jetzt muss jeder in der Stadt auf uns aufmerksam geworden sein.   Anya warf einen Blick über die Schulter. Ja, der Rauch, der von der bombardierten Stelle aufstieg, war wohl eindeutig. „Shit! Wir müssen hier schnell fertig werden! Wenn die mich erwischen …“   … und deine Polizeiakte lesen, meinst du? Herrje, deine letzten Tage in einer Zelle zu verbringen wäre in der Tat Verschwendung. Aber ich befürchte, der Sammler würde das nicht zulassen.   Die Stichelei gekonnt ignorierend, musste Anya grimmig nicken. „Yeah, vermutlich hast du Recht. Hoffen wir's einfach.“   Trotzdem sollten wir es nicht dazu kommen lassen. Konzentriere dich. Wir haben sie offensichtlich in eine Ecke gedrängt, wenn sie schon auf solche Mittel zugreifen muss. Ein gezielter Treffer und der Kopf der Königin rollt dir vor die Füße.   Anya beugte sich vor, leckte sich hinter dem gesprungenen Visier ihres Helms über die Lippen. Oh ja, sie schmeckte das Blut der ehemaligen Duel Queen schon. „Halt dich bloß gut fest, Levrier. Gleich geht’s rund!“   ~-~-~   Nebeneinander stampften Nick und Alexandra durch den Sand, hinter ihnen in der Ferne das verlassene Bergbaudorf. Entschlossen steuerte der große, zerzauste Mann auf den weißen Chrysler Neon zu. „Bist du damit einverstanden?“, fragte seine Begleiterin plötzlich ungläubig und blieb stehen. Streckte die Hand Richtung der Schule aus. Sie hatten die Barriere längst verlassen, also waren sie vermutlich vor Joels Gedankenlesekunst sicher. „Mit diesem Monster zusammenzuarbeiten?“ Auch Nick hielt an. „Das wird sich zeigen.“ „Wegen ihm ist Tony jetzt tot!“ „Bedauerlich. Aber nicht mehr zu ändern.“ Alexandra schnaufte aufgrund der gefühlskalten Antwort. Aber wirklich überrascht war sie von der nicht, wenn sie ehrlich war. Ob sie ihm nun die Schuld dafür gab oder nicht, es kam letztlich auf das Gleiche hinaus. Sie wartete einen Moment, bis sie sagte: „Es ist doch offensichtlich, dass er dich in eine Falle locken will.“ „Selbstverständlich ist es das. Wann immer das Gespräch in eine für ihn womöglich unvorteilhafte Richtung zu verlaufen drohte, hat er etwas gesagt, das ich hören will.“ Mit Unwohlsein blickte die Blonde zurück. „Auf mich und meine Gedanken hat er gar nicht reagiert. Vielleicht kann er sich nur auf eine Person gleichzeitig konzentrieren.“ Indes setzte Nick seinen Weg fort und zückte die Autoschlüssel. „Unwahrscheinlich. Du warst einfach nicht interessant genug.“ „Tu dir einfach selbst einen Gefallen und vergiss diesen Joel.“   Doch Nick sah das anders. Die Informationen dieses Dämons waren zweifelsohne hilfreich, besonders, weil er jetzt wusste, was er tun musste, um stärker zu werden. Er würde abwägen müssen, ob es sinnvoll war, Joel zu befreien. Aber wie ging der Spruch doch gleich? Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Eins stand jedoch fest: Er durfte Joel nicht eher wieder aufsuchen, bis er einen Weg gefunden hatte, seine Gedanken zu verschleiern. Ansonsten lief er Gefahr, seinen Plan ungewollt zu offenbaren.   „Und falls es dir nicht aufgefallen ist-“ „Die Uniform“, schnitt Nick ihr abwesend ins Wort, „sie -ist- mir aufgefallen.“ „Für jemanden, der dort seit über 60 Jahren sitzt, war sie viel zu modern.“ Alexandra umrundete den Wagen und öffnete die Beifahrertür. „Ich habe mir das Muster eingeprägt und werde ein wenig recherchieren.“ Analog zueinander stiegen beide ein. Nick jedoch ging längst etwas anderes durch den Kopf. „Was weiß die Unterwelt über die Conqueror's Soul?“ „Es gab vor etwa 20 Jahren einen legendären Dämonenjäger, der über Mächte verfügte, die ein einfacher Mensch nie hätte besitzen dürfen. Gerüchte besagen, er habe sie seinen Feinden abgenommen. Dieses Phänomen hat man Conqueror's Soul getauft.“ Alexandra schloss die Tür und schnallte sich an. „Aber das sind ungesicherte Informationen. Wir wissen, dass es diesen Mann tatsächlich gab, mehr jedoch nicht.“ Nick legte beide Hände ans Lenkrad und beugte sich vor. „Hast du einen Namen?“ „J.B.“ Ein Schnalzen entfuhr den Lippen des jungen Mannes. „Passt nicht. Hm. Es besteht die Möglichkeit, dass dieser Mann selbst ein Dämon war. Ich kann mir vorstellen, dass auch Dämonen Gründe haben, ihresgleichen zu jagen. Besonders wenn in ihnen auch ein Mensch steckt.“ Er musste dabei an Abby denken. Sie unterschied nichts von einem Menschen, auch wenn sie die Form einer Sirene annehmen konnte. „Ein Dämonenjäger-Dämon“, wiederholte Alexandra den Gedanken und lachte spitz, „ironisch. Er hätte seine Identität geheim halten müssen. Du kannst dir sicherlich denken, dass die meisten Jäger den 'Feind' in den eigenen Reihen nicht dulden würden.“ Der junge Mann reckte den Kopf nach oben und nickte. „Was ist aus ihm geworden?“ „Er ist einfach verschwunden. Ob untergetaucht oder getötet, das weiß keiner …“   Abwesend schob Nick den Schlüssel ins Zündschloss. Konnte dieser legendäre Dämonenjäger wirklich sein Vater sein? J.B. … das waren nicht seine Initialen, auch wenn das B für Bauer passte. Dagegen stand die Tatsache, dass dieser Mann schon immer nur eine Schattengestalt innerhalb seiner eigenen Familie war. Wochenlange Geschäftsreisen ins Ausland, Überstunden, vergessene Familienabende, von denen Anya oft erzählt hatte. Alles Lügen, um eine geheime Identität zu verbergen? Und dann war der Dämonenjäger einfach verschwunden. Etwa zu der Zeit, als Anya auf die Welt kam. Nick überlegte, ob es nicht an der Zeit war, sich seinem Vater nach über fünf Jahren zu stellen. Und damit auch Aiden, der Vergangenheit, allem … Nick dachte an den Tag zurück, als er Abby sein Geheimnis anvertraut hatte. Er hatte Tränen vergossen. Er wünschte, er könnte diesen Tag ungeschehen machen, denn er würde nie wieder vor irgendjemandem weinen. Seine Hände krallten sich fest in das Lenkrad. „Alexandra, ich möchte, dass du eine Liste mit allen dir bekannten Dämonen und ihren Fähigkeiten erstellst.“ Jene stöhnte jedoch nur genervt. Nickte trotzdem stumm, entgegen Nicks Erwartungen.   ~-~-~   „Mein Zug!“, schrie Anya förmlich, als es in eine leichte Rechtskurve ging. „Draw!“ Schwungvoll zog sie eine Karte – ihre einzige. Als sie sie betrachtete, musste Anya glucksen. Noch eine ihrer neuen Fallen? Na ob sie die noch brauchen würde? Immerhin lag schon die andere unbenutzt und unsichtbar neben ihr, Claire hatte sie nicht einmal dazu gezwungen, sie auszulösen. „Hm. Ha!“ Anya griff nach ihrem Friedhof. „Ich hoffe du magst unangenehme Überraschungen, denn davon habe ich noch mehr als genug für dich auf Lager. Wie diese! Ich verbanne [Pendulum Fusion] von meinem Friedhof durch ihren eigenen Effekt!“ Unerwartet öffnete sich zwischen ihren beiden Rittern weit oberhalb des Spielfelds das Pendelportal. Ein roter Lichtstrahl stieg von Anyas D-Wheel auf und wurde verschluckt, ehe sich das Loch wieder schloss. „Heh. [Pendulum Fusion] hat das Pendulum nicht umsonst im Namen. Nachdem ich sie verbannt habe, schicke ich ein Fusionsmonster von meinem Friedhof in mein Extradeck – als Pendelmonster!“ Anya grinste und zeigte [Gem-Knight Lady Brilliant Diamonds] Karte vor. Dann äffte sie die Stimme einer ahnungslosen, dummen Göre nach. „Aber Anya, dein Monster ist auf Stufe 10, das liegt doch gar nicht mehr in deinem Pendelbereich. Ha!“ In diesem Moment begann der weiße [Gem-Knight Pyrite] in der hellblauen Lichtsäule rechts neben Anya in dunkelblauer Aura aufzuleuchten. „Natürlich sorgt [Pendulum Fusion] dafür, dass ich mein Monster auch beschwören kann, indem es den Pendelwert von Pyrite bis zur End Phase auf 12 erhöht!“   <2> Anyas Pendelbereich <8 → 12>   „Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum!“, schrie Anya gleich darauf und richtete den Arm in die Höhe. „Pendulum Summon!“ Wieder öffnete sich das Pendelportal über ihr und stieß drei rote Lichtstrahlen aus. „Aus meinem Extradeck: [Gem-Knight Jasper], [Gem-Knight Malachite] und [Gem-Knight Lady Brilliant Diamond]!“ Links und rechts neben ihr gewannen der rote Hüne mit der Hellebarde sowie der grün-blau schimmernde Stabschwinger Gestalt, während über ihr ihre Schwert schwingende Brillantritterin Stellung bezog.   Gem-Knight Jasper [ATK/1800 DEF/600 (4) PSC: <2/2>] Gem-Knight Malachite [ATK/1000 DEF/1900 (4) PSC: <2/2>] Gem-Knight Lady Brilliant Diamond [ATK/3400 DEF/2000 (10)]   „Heh, ich muss schon sagen, dieser Pendelmist ist ziemlich nützlich“, grinste Anya hinter ihrem zersprungenen Visier und schwang dann den Arm aus, „aber Fusionen finde ich trotzdem cooler! Los, Lady Brilliant Diamond! Schnapp' dir Jasper! Contradiction Fusion!“ Prompt schwang ihre Kriegerin das Schwert aus und zeigte mit dessen Spitze auf Jasper, hinter dem sich ein Edelsteinwirbel öffnete und ihn verschluckte. Langsam hob Anya die ausgestreckte Hand an. Welche in violetten Flammen aufging. „Jetzt kommt die Abrechnung!“ Aus dem Wirbel flog ein einzelnes Schwert, in dem sieben Edelsteine in den Farben des Regenbogens eingelassen waren. Feiner, glitzernder Staub tanzte um dieses und formte sich zu einer gar eindrucksvollen Gestalt. Mit nur einer Hand schulterte der Ritter in silberner Rüstung seine Waffe und ballte mit der freien Hand eine Faust, in der dieselbe violette Flamme wie bei Anya entstand. „Strahle, [Gem-Knight Master Diamond]!“ Jener stieß einen entschlossenen Ruf aus. „Er erhält für jeden Gem-Knight auf meinem Friedhof 100 Angriffspunkte. Und weil dem so ist, schicke ich mit Pyrites Pendeleffekt gleich mal noch einen von meinem Deck auf den Friedhof! Ich wähle Garnet!“ [Gem-Knight Garnets] Karte schob sich automatisch aus Anyas Kartenstapel und wurde von dieser in den Friedhofsschlitz geschoben. Gleichzeitig begann um Master Diamond eine weiße Aura aufzuflackern.   Gem-Knight Master Diamond [ATK/2900 → 3500 DEF/2500 (9)]   „Aber das ist noch lange nicht alles!“ Stolz sah Anya zur Seite, wo ihr Ritter neben ihr schwebte. „Master Diamond kann ein Gem-Knight-Fusionsmonster der Stufe 7 oder niedriger vom Friedhof verbannen, um dessen Effekt kurzweilig zu erhalten!“ Sie konnte also zwischen Prismaura und Lady Lapis Lazuli wählen. Eine Karte zerstören oder Schaden zufügen. Letzteres erschien Anya in Angesicht der Tatsache, dass Claire am Ende noch einen Weg fand, den Schaden auf sie zurückzuwerfen, doch etwas riskant. Andererseits, wenn sie endlich [Aerial Recharge] loswurde, könnte sie die Strategie ihrer Gegnerin nachhaltig stören. „Heh, dann also [Gem-Knight Prismaura]!“ Besagter Ritter tauchte mit seiner kristallenen Schwertlanze in der Hand durchsichtig hinter Master Diamond auf und verschwand in jenem. „Aber da ich für seinen Effekt eine Gem-Karte abwerfen muss, verbanne ich [Gem-Knight Lazuli] von meinem Friedhof, um [Gem-Knight Fusion] zu recyclen!“ Anya nahm besagte Zauberkarte auf und entsorgte im Anschluss ihr Monster in die Verbannungszone. Dabei war ihr bewusst, dass ihr Co-Assmonster ein paar Punkte einbüßen würde, aber das war es wert.   Gem-Knight Master Diamond [ATK/3500 → 3300 DEF/2500 (9)]   „Und jetzt verabschiede dich von deiner beknackten [Aerial Recharge]! Ich werfe [Gem-Knight Fusion] ab, um sie zu zerstören! Master Diamond“, rief sie und streckte den brennenden Zeigefinger aus, „los!“ Jener hob sein riesiges Breitschwert in die Höhe, in welches ein aus dem Nichts kommender Blitz einschlug. Dann richtete er es nach vorne, bereit, die Ladung in gebündelter Form abzufeuern. Claire streckte während des Fahrens einen Arm von sich. „Kette: Ich aktiviere den Effekt von [Aerial Recharge], um eine Projektion zu erschaffen.“ „War klar“, knurrte Anya, denn natürlich würde ihre Gegnerin vorher noch einmal einen Nutzen aus ihrer Karte ziehen wollen. „Kette“, rief jene aber gleich noch einmal zu Anyas Erstaunen aus, „ich aktiviere [Powerful Rebirth]. Sie beschwört ein Monster mit maximal Stufe 4 von meinem Friedhof in Angriffsposition und verstärkt seine Stufe um 1 sowie seine Werte um 100. Ich wähle [Mecha Phantom Beast Megaraptor].“ Anya weitete die Augen, als hinter ihrer Gegnerin der Asphalt aufbrach und der Raptorenkampfjet sich in die Lüfte erhob. Ein exzellenter Schachzug. Ketten werden rückwärts aufgelöst, dass heißt, ihre [Powerful Rebirth] aktivieren ihren Effekt zuerst. Danach erschafft sie noch eine Projektion, bevor [Gem-Knight Master Diamond] [Aerial Recharge] erst zerstören kann. Du weißt, was das heißt?   Ganz sicher war sich Anya nicht, sicher nichts Gutes. Ihr mächtiger Krieger feuerte den Blitzstrahl von seinem Schwert auf die Falle neben Claire ab. Kurz bevor er traf, schoss eine bunte Version Megaraptors rechts aus diesem, um sich neben ihm zu platzieren. Dann wurde die Falle auch schon in Fetzen gerissen. „Monstereffekt: Da eine Projektion beschworen wurde, erschafft [Mecha Phantom Beast Megaraptor] eine weitere.“ Jetzt erkannte Anya den Sinn dahinter. „Ach so! Deswegen die blöde Kette, damit sie gleich zwei bekommt.“ Eine solche, zweite Hologrammkopie des Kampfjets schoss diesmal links aus diesem, sodass sie zu dritt nebeneinander her flogen.   Mecha Phantom Beast Megaraptor [ATK/1900 → 2000 DEF/1000 → 1100 (4 → 5 → 11)] Mecha Phantom Beast-Spielmarke x2 [ATK/0 DEF/0 (3)]   Nun hat sie wieder drei Monster, aber du nur zwei im Angriffsmodus. Das ist schlecht, Anya Bauer.   „Nicht wirklich“, antwortete Anya und wich dem Krater aus, den Claires Falle hinterlassen hatte, „mit irgendwas in der Art hatte ich schon gerechnet. Sehr gut.“   Was meinst du?   „Sie hat zwar noch eine gesetzte Karte, aber ich glaube nicht, dass ich mich vor der in Acht nehmen muss.“ Anya spähte dabei auf eine Anzeige über ihrem Tacho. Einem Balken, der gerade erst zur Hälfte gefüllt war. Dann setzte sie ihre Erklärung fort. „Ist dir aufgefallen, dass sie ihre Monster mit den Spielmarken beschützt? Die sind unzerstörbar, solange sie die Projektionen hat. Damit kann sie ihr Fallenrepertoire darauf ausrichten, den Gegner zu blockieren.“   Du denkst, sie wird nicht auf deine Angriffe reagieren können?   „Finden wir's heraus!“, entgegnete die Blonde angriffslustig und streckte den Arm nach vorne. „Der muss jetzt sitzen! [Gem-Knight Master Diamond], [Gem-Knight Lady Brilliant Diamond]! Euer Ziel ist diese beschissene Blechbüchse am Himmel! Das Original!“   Was!? Wäre es nicht klüger, die Projektionen aus dem Weg zu räumen, damit sie sie nicht für ihre Zwecke nutzen kann!?   „Vertrau mir, Levrier. Ich weiß, was ich tue! Shining Wave Breaker! Brilliant Fate Severing!“ Die Hand, die sie nach vorne gerichtet hatte und um welche die violette Flamme züngelte, ging regelrecht in einem lodernden Inferno auf. Neben ihr schwang Master Diamond seine massive Klinge und schickte eine von Diamantenstaub glitzernde Schockwelle Richtung Claire, welche den Asphalt regelrecht aufriss, sodass Anya sich an den Rand der Strecke begeben musste, um nicht versehentlich zu fallen. Gleichzeitig hob Lady Brilliant Diamond ihr Schwert in die Luft und schwang es dann ebenfalls in einem Halbkreis horizontal aus, wodurch sich ein weißer Lichtbogen von ihr löste, der wie ein Bumerang herumwirbelte. Dieser rauschte ebenso über die Strecke, schneller als Diamonds Angriff, sodass er auf diesen traf und mit ihm verschmolz. Das Ergebnis war ein regelrechter Sturm, der auf die Weltmeisterin zu raste. Erwartungsvoll beobachtete Anya, was geschah. „Heh, mal sehen, was du dazu sagst, Miststück.“ Denn als der Angriff in Claire einschlug, war die Gewissheit da, dass diese ihn nicht abwehren konnte. Ihr D-Wheel wurde in die Höhe gerissen und umher gewirbelt wie in einem Tornado. Der Diamantensturm reichte bis zum Kampfjet, konnte jedoch nur ein paar Kratzer im Lack anrichten, da dieser dank seiner Projektionen vor Zerstörung geschützt war. Anders als Claire, die immer noch in der Luft hing.   [Anya: 400LP / Claire: 2800LP → 1500LP → 100LP]   „Heh, das geschieht dir recht“, zischte Anya boshaft, während sie der Weltmeisterin unaufhaltsam näher kam. Der Sturm löste sich prompt auf, sodass Claire mit ihrem D-Wheel in die Tiefe fiel. Allerdings konnte die ihre Landung geschickt gestalten, sodass sie nur beim Aufprall ein paar Millisekunden verlor. Was jedoch genug war, dass Anya aufgeholt hatte und direkt neben ihr fuhr. „Na, hat's wehgetan?“, fragte Anya mit grimmigem Vergnügen die Gegnerin neben ihr. Natürlich ohne mit einer Antwort zu rechnen, welche auch ausblieb. „Dann zeig mir doch mal, wie toll dein Pakt funktioniert. Das heißt -wenn- er jetzt noch funktioniert …“ Da horchte Claire auf einmal auf. „Hm?“ „Ich setze eine Karte verdeckt. Zug beendet!“ Ihre letzte Karte in den Zauberfallen-Slot steckend, versuchte Anya ihr Bestes, gleichauf mit dem anderen D-Wheel zu bleiben. Die purpur-umrahmte Karte tauchte kurz zu ihrer Linken auf, ehe sie verschwand.   <2> Anyas Pendelbereich <12 → 8>   Das klingt ja fast, als würdest du hoffen, dass sie mit einer Gegenmaßnahme auffährt!?   Levrier, der immer noch in seiner [Gem-Knight Pearl]-Form transparent neben dem Mädchen her flog, schüttelte den Kopf, als jene erwiderte: „Darauf muss ich nicht hoffen, oder? Pakt-dies, Comeback-das, richtig?“ Doch bevor es dazu kam, musste die dämliche Ziege erstmal an ihr vorbei!   Während die zwei die gerade verlaufende Strecke entlang fuhren, bemerkten sie gar nicht, dass etwas versetzt dazu eine Straße durch die Stadt verlief. Ein einsamer LKW fuhr mit überhöhter Geschwindigkeit durch Ephemeria City und hielt gerade so mit den beiden Duellantinnen mit. Am Steuer saß niemand Geringeres als Exa, der fröhlich vor sich hin pfiff, während der tatsächliche Fahrzeugführer auf dem Beifahrersitz bewusstlos lag. Auf der Fahrerkabine hingegen hockte Zanthe, welcher nachdenklich zur Strecke hinauf starrte. „Gib dir bloß Mühe“, murmelte er zu Anya im Gedanken. Ihm war gar nicht wohl dabei, dass Exa den LKW 'ausgeborgt' hatte, damit sie das Duell verfolgen konnten. Ein Grund mehr, warum seine Freundin das Duell gewinnen musste, denn dann hätte sich diese Aktion wenigstens gelohnt.   Gleichzeitig zog Claire oben auf der Strecke ihre Karte. Und fuhr nebenbei langsam aber sicher an Anya vorbei, die einen entsetzten Schrei von sich gab. „Was zum Henker!?“ Aber dann begriff sie. Ihre Widersacherin hatte einen eigenen Turbo, den sie nun nutzte. Damit war sie zwar nicht so schnell wie Anya, jedoch hielt dieser vermutlich länger an und konnte schneller aufgeladen werden. Den hatte sie sich also die ganze Zeit aufgespart. „Tch!“ „Monstereffekt: [Phantom Beast Megaraptor] deaktiviert eine Projektion, damit ich ein Mecha Phantom Beast von meinem Deck erhalte“, verkündete Claire. Eines der beiden bunten Hologramme verschwand. „Ich wähle [Mecha Phantom Beast Hamstrat]. Normalbeschwörung: [Mecha Phantom Beast Hamstrat].“ Inzwischen hatte Claire es schon wieder geschafft, knapp einen Meter zwischen sich und Anya zu bringen, welche aber diesmal alles unternahm, um den Windschatten ihrer Gegnerin auszunutzen. Über der erschien ein riesiger Lufttanker, auf dessen Cockpit ein Hamstergesicht gemalt war.   Mecha Phantom Beast Hamstrat [ATK/1100 DEF/1600 (3 → 6)]   „Monstereffekt: [Mecha Phantom Beast Hamstrat] deaktiviert eine Projektion und beschwört ein Mecha Phantom Beast-Monster von meinem Friedhof.“ Unter jenem materialisierte sich plötzlich das Wandelflugzeug mit dem Pferdecockpit. „Monstereffekt: Wenn [Mecha Phantom Beast Coltwing] spezialbeschworen wird, erschafft es zwei Projektionen.“   Mecha Phantom Beast Coltwing [ATK/1600 DEF/1500 (4 → 10)] Mecha Phantom Beast-Spielmarke x2 [ATK/0 DEF/0 (3)]   „Nicht schon wieder!“, stöhnte Anya genervt auf, folgte mittlerweile wesentlich geschickter den Schlangenlinien, die ihre Feindin fuhr, um sie abzuschütteln. Dadurch war es Claire trotz des anhaltenden Boosts kaum möglich, Abstand von Anya zu gewinnen. „Monstereffekt: [Mecha Phantom Beast Coltwing] deaktiviert zwei Projektionen, um [Gem-Knight Lady Brilliant Diamond] zu verbannen.“ Die beiden Abbilder des Flugzeugs lösten sich auf, während dieser eine Kehrtwende vollzog und Anya samt ihrer Ritterin ins Visier nahm. Jene sahen sich kurz darauf breit gefächertem Sperrfeuer ausgesetzt. „Shit!“, fluchte Anya, die ihre Ritterin diesmal nicht retten konnte. Aber wenigstens sich selbst, indem sie wieder die Hand mit Heavy Ts Handschuh daran erhob und die Kugeln über sich zum Stehen brachte. Lady Brilliant Diamond hingegen konnte nicht von diesem besonderen Schutz profitieren und wurden regelrecht durchlöchert. „Sorry. Aber ich werde dich rächen, versprochen!“ Denn noch hatte sie Master Diamond und Malachite. Und ihre gesetzten Karten … Nachdem Anya die gefährliche Stelle passiert hatte, schossen die Kugeln abwärts und zertrümmerten den Asphalt hinter dem Mädchen regelrecht. Claire indes hatte längst ihre letzte Handkarte gezückt und schob diese in die Zauberfallenzone. „Schnellzauberkartenaktivierung: [Limiter Removal]. Sie verdoppelt die Angriffspunkte aller Maschinen unter meiner Kontrolle, zerstört sie jedoch zum Ende des Zuges.“ Hinter ihrem Helm klappte Anya die Kinnlade hinunter. „Willst du mich verarschen!?“ Nein, als Anya mit ansah, wie von allen drei Flugzeugen ihrer Gegnerin aus allen Ritzen Qualm aufstieg und sie rötlich vor Überhitzung zu glühen begannen.   Sie will es ein für alle Mal beenden!   Mecha Phantom Beast Megaraptor [ATK/2000 → 4000 DEF/1100 (11 → 5)] Mecha Phantom Beast Hamstrat [ATK/1100 → 2200 DEF/1600 (9 → 3)] Mecha Phantom Beast Coltwing [ATK/1600 → 3200 DEF/1500 (10 → 4)]   Anya ahnte, dass sie schnell sein musste. „Dann reagiere ich damit: Falle aktivieren, [Tri-And-Guess]!“ Jene hatte sie bereits während ihres vorletzten Zuges gesetzt, war zum Glück aber noch nicht in die Verlegenheit geraten, sie aktivieren zu müssen. „Diese Falle lässt mich eine Monsterart bestimmen, die im Extradeck zuhause ist. Danach wird verglichen, wer mehr Monster dieser Kategorie dort drinnen hat und der Gewinner erhält 3000 Lebenspunkte bar auf die Kralle.“ Während der Erklärung warf Anya einen Blick auf den Ladebalken auf dem Bildschirm, welcher inzwischen zu einem Dreiviertel gefüllt war. Dann sah sie wieder auf und sagte selbstsicher: „Niemand macht mir was bei Fusionsbeschwörungen vor, also wähle ich Fusionsmonster!“ Gleich im Anschluss tauchten drei Reihen vor ihr auf, die fast nur aus violett umrandeten Monstern bestanden. Bei Claire blieb jene Animation allerdings aus. „Huh!? Funktioniert meine Falle nicht, oder …?“ „Ich besitze kein Extradeck. Du gewinnst den Vergleich“, bekam sie eine kühle Antwort. Sie verzichtet freiwillig auf ein Extradeck!? Auf das Assmonster ihres Themas!?   Anya konnte es selbst kaum glauben. Erst als ihr Lebenspunktestand sich tatsächlich veränderte, begriff sie. Und wurde nur noch wütender. Denn das hieß im Endeffekt, dass ihre Gegnerin ein Extradeck gar nicht benötigte, warum auch, wenn sie sowieso jedes Duell nach Belieben gewinnen konnte!? „Arrogante Schnepfe!“, schimpfte sie Claire.   [Anya: 400LP → 3400LP / Claire: 100LP]   Anya Bauer, selbst mit dieser Erhöhung deiner Lebenspunkte wird es nicht genug sein, um ihren Angriff zu überstehen. Ich hoffe, du weißt, was du tust!   „Oh ja, darauf kannst du Gift nehmen. Gib mir nur etwas Zeit.“ Was Levrier sicherlich gerne getan hätte, schloss Claire dagegen kategorisch aus. „Battle Phase. Ich greife [Gem-Knight Master Diamond] mit [Mecha Phantom Beast Megaraptor] an.“ In dessen Klauen tauchten wieder zwei Raketen auf, die jener nur fallen lassen musste, damit sie von selbst ihr Ziel suchten. Anya blickte panisch auf den Ladebalken. Das dauerte zu lange, verdammt! Noch bevor ihr Ritter getroffen wurde, hob Anya die freie Hand mit dem Artefakt daran und schwang sie zur Seite aus. Master Diamond folgte der Bewegung nickend und flog über die Absperrung der Strecke hinweg, sodass die Raketen zur Verfolgung ansetzten. Damit ging sie sicher, dass die nahende Explosion sie nicht aus der Bahn warf. Und tatsächlich hatte ihr Ritter es geschafft, sich weit genug zu entfernen, bevor er getroffen wurde und unter einem Knall in einer Rauchwolke unterging.   [Anya: 3400LP → 2700LP / Claire: 100LP]   „Heh … dumme Kuh.“ Claire horchte auf und drehte sich um. Neben Anya klappte deren letzte Fallenkarte auf. „Danke, dass du Master Diamond zerstört hast“, kicherte die Blonde bitterböse, auch wenn sie insgeheim ein schlechtes Gewissen deswegen hatte. „Damit hast du die Falle ausgelöst, die deinen Untergang besiegelt: [Brilliant Spark]!“ Obwohl Anya in der Zwischenzeit den Windschatten ihrer Feindin verloren hatte, konnte diese ihren Vorsprung nicht mehr ausbauen. Scheinbar war ihr Geschwindigkeitsboost vorüber. Was hoffentlich keine Rolle mehr spielen würde. Denn wie Anya erklärte: „Damit nehme ich Rache für meinen gefallenen Freund und füge dir Schaden in Höhe seiner aufgedruckten Angriffskraft zu! Los!“ Weit von ihr entfernt, wo Master Diamond sein Ende gefunden hatte, sammelte sich in der Sonne glitzernder Diamantenstaub und formte sich zu einem spitzen Kristall, um den elektrische Ladung schlug. „Das sind 2900 Punkte! Dem kannst du nicht mehr-!“ „Konterfalle“, schnitt Claire ihr ins Wort und ließ ihrerseits die eigene, zuletzt verbliebene Fallenkarte aufspringen, „[Trap Jammer]. Dieser annulliert die Aktivierung einer Falle während der Battle Phase und zerstört sie.“ Mit offenem Mund warf Anya einen Blick über die Schulter, wo ihr Kristall zersprang, bevor er sich entladen konnte. Dann richtete sie ihr Augenmerk wieder auf Claire und beugte sich vor. „Schon wieder! Wie oft hast du dich jetzt schon durch deinen verdammten Pakt gerettet, huh!?“ Ihr Blick wanderte wieder auf den Bildschirm ihres D-Wheels, doch diesmal auf die Karte. Noch etwa zwei Kilometer gerader Strecke und eine große, U-förmige Kurve, dann kam das Ziel. Der Balken war fast voll. „Ich greife mit [Mecha Phantom Beast Hamstrat] [Gem-Knight Malachite] an.“ Der riesige Lufttanker machte, wie davor schon sein Kamerad, in der Luft eine Kehrtwende und droht auf Anya und ihr Monster herabzustürzen. Die schwang den Arm aus und befahl ihrem schimmernden Ritter, auf der Stelle zu verharren. Jener hielt prompt in der Luft an, sodass Hamstrat ihnen nicht folgen konnte. Stattdessen krachte er in die Strecke und brachte sie mit seiner Wucht zum Einsturz. „Scheiße!“, keuchte Anya über die Rücksichtslosigkeit ihrer Gegnerin. Dort unten waren Wohnhäuser! „Bist du irre!?“   Noch ein Kilometer und die verdammte Kurve. Aber der Balken … „Antworte mir!“, verlangte das Mädchen aufgebracht. „Willst du die Leute da unten umbringen!?“ „Meine Aufgabe ist es, dich zu besiegen. Mit allen Mitteln.“ Nur noch ein paar Sekunden …! „Aber du musst das nicht tun! Nicht so!“ „Mir wurde befohlen, dich mit all meiner Macht aufzuhalten. Also tue ich das. Ich greife …“ Voll! Anya drückte den Knopf, der ihr D-Wheel sprechen ließ. „Autopilot off. Switching to Manual Mode.“ Und das Mädchen gab Gas. Wieder schoben sich die beiden zylindrischen Vorrichtungen an der Rückseite ihres D-Wheels über dessen Hinterrad hervor und begannen blau zu glühen. Die Wucht der Beschleunigung riss das Mädchen fast vom Motorrad. Claire war noch dabei, ihren finalen Angriff zu befehlen, da zischte Anya auf sie zu. Und lenkte in ihre Richtung. Ehe die Weltmeisterin sich versah, wurde sie gerammt und an den Rand der Strecke gedrängt. „Du wirst mich nicht kriegen, elende Betrügerin!“, schnauzte Anya sie dabei an und schob sie immer mehr beiseite, bremste sie aus. „Nicht du!“ Als Claire drohte, gegen die Absperrung zu knallen, musste sie notgedrungen bremsen. Der Überraschungseffekt verhalf Anya dabei, die Führung zu übernehmen. Die Kurve war bereits nahe! „Direkter Angriff von [Mecha Phantom Beast Coltwing]“, sprach Claire trotz allem tonlos. Jenes Wandelflugzeug setzte zur Verfolgung an und eröffnete das Sperrfeuer, das den Asphalt hinter Anya aufplatzen ließ. Jene wusste, dass sie es nicht rechtzeitig schaffen würde. Zwar war das Ziel bereits kurz hinter der Kurve, aber um diese zu nehmen und die Linie zu überqueren würde mindestens zehn Sekunden kosten. So viel Zeit hatte sie nicht mehr. Es sei denn … Das Mädchen drehte sich um und erhob die Hand mit dem Artefakthandschuh daran. Solange sie nicht getroffen wurde, galt der direkte Treffer nicht. Und ehe das System die Sachlage korrekt ausgewertet hatte …   Ein Blitz. Anya sah es noch aus den Augenwinkeln auf sich zukommen, dieses riesige Etwas, das einem Blitz glich und doch so viel mehr war als das. Obwohl es sie nur streifte, reichte das schon aus, um absolutes Chaos auszulösen. Dann der Einschlag, die Erschütterung. Es schepperte lautstark und das Mädchen fühlte sich, als würde sich ihr Körper von der Welt loslösen. Ohne es zu wollen richtete sich ihr Blick gen Himmel, der erst näher kam, dann sich aber immer schneller entfernte.   [Anya: 2700LP → 0LP / Claire: 100LP]   Zusammen mit ihrem D-Wheel fiel sie im hohen Bogen von der Strecke, der Asphalt war aufgekratzt und verschmort von einer inzwischen unsichtbaren Kraft. Zur selben Zeit befand sich der LKW, den Zanthe und Exa gekidnappt hatten, noch in der letzten Kurve, doch auch so hatte der Werwolf den entsetzten Schrei des Mädchens und den schrecklichen Knall gehört. Sowie er auch gesehen hatte, was sie dort getroffen hatte. Ein riesiges, vierbeiniges Wesen. Doch so weit oben hatte er nicht alles sehen können und so schnell wie es gekommen war, war es auch wieder verschwunden. Der junge Mann beugte sich herunter zur Tür der Fahrerkabine und klopfte dagegen. Exa senkte die Fensterscheibe per Knopfdruck. „Das macht echt Spaß.“ „Hör zu, meine Freundin ist in irgendwas reingekracht. Bringt du das hier in Ordnung“, verlangte Zanthe kopfüber und nickte dem bewusstlosen Fahrer zu. „Ich knöpf mir Claire vor, bevor die noch abhaut.“ „Und deine Freundin?“ „Die ist hart im Nehmen.“   Was Zanthe jedoch nicht hatte sehen können ist, wie jene von der Strecke gerammt worden war. Anya fiel und sah noch, wie Claire an den Rand der Strecke fuhr, wo die gläserne Absperrung aufgebrochen war . Dann der Aufprall. Aber er war nicht hart, sondern fast schon sanft. „Was?“, stieß das Mädchen hervor. Sie sah nach unten, befand sich noch mitten auf dem Weg hinab, direkt zu einer kleinen Müllhalde im Schatten der Strecke. Moment, sie schwebte hinab!? Doch statt sich Gedanken darüber zu machen, wurde sie von dem an ihr vorbei sausenden D-Wheel abgelenkt. Sie sah das Unglück, sah, wie es neben der Müllhalde auf der Straße unter der Riding Duel-Strecke aufschlug und in aberdutzende Einzelteile zerbarst. „Nein!“, schrie das Mädchen zutiefst erschrocken.   Dann folgte ein Ruck, sie kam auf dem Boden an. Oder besser gesagt derjenige, der sie in seinen Armen trug und von dem Anya erst jetzt wirklich Notiz nahm. Sie starrte geradewegs den Helm Ricthers an. Anya öffnete den Mund, reagierte dann aber prompt und versetzte dem Undying mit beiden Händen einen Stoß, sodass der sie gezwungenermaßen losließ. Umzingelt von mannshohen Schrotthaufen wich Anya ein paar Schritte zurück und bemerkte erst jetzt, dass ihr Helm beim Aufprall ebenfalls verloren gegangen war. „Hast du“, sprach sie fassungslos, „hast du mich gerade gerettet!? Du!?“ „Du bist darauf hineingefallen. Nicht Claire Rosenburg allein ist die Hüterin, sondern ebenso ihr Manager. Sie war nichts als ein Köder.“ Warum sagte er ihr das!? Wieso hatte er nicht zugelassen, dass sie in den Tod stürzte!? Sie, seine Feindin!? „Ich bin eine Feindin der ewigen Ordnung“, stammelte Anya fast schon hysterisch, denn sie konnte und wollte es nicht begreifen, „warum erzählst du mir das?“ „Es ist ohnehin nicht mehr von Belang.“ Er richtete sein Haupt nach oben, Anya folgte dem Blick und sah Claire dort oben. „Ich habe mich entschieden. Das Urteil wird vollstreckt. Doch nicht gegen dich, Anya Bauer.“ Verwirrt wirbelte sie zu ihm herum. „Was?“ Der Hüne Ricther stand dort in seiner silber-goldenen Rüstung und betrachtete sie still. Dann sah er vorbei an ihr, nur für einen kurzen Moment. Wieder folgte sie seinem Blick, welcher nun auf dem D-Wheel lag, welches mitten auf der Straße lag in all seiner Zerstörung. „Oh shit, mein Deck! Oh shit, oh shit, Logan!“   Und als sie sich dem Undying wieder zu wandte, war dieser fort. Anya blinzelte noch einmal, dann machte es Klick. Sie musste ihr Deck dort rausholen, ehe das Ding noch hochging! Sofort wirbelte das Mädchen herum und stürmte auf den Maschendrahtzaun zu, welcher den kleinen Schrottplatz von der Straße trennte und kraxelte geschickt über diesen hinüber. Mit einem Satz landete sie auf dem Bürgersteig und eilte zu den Trümmern des D-Wheels, um zunächst die verstreuten Karten aufzulesen. Zum Glück war keine davon beschädigt oder mit Öl beschmiert, welches auslief. Im Gegensatz zu Logans D-Pad. „Shit“, fluchte sie wieder und nahm einen Schritt zurück, um das grauenhafte Bild noch einmal zu erfassen. Der Zwerg würde sie umbringen. Gefährlich langsam drehte Anya den Kopf und blickte hinauf zu der Stelle, von der sie hinab gestürzt war. Claire beobachtete das Geschehen immer noch, war inzwischen abgestiegen. Und Anya entschied, dass bevor -sie- umgebracht wurde, noch jemand vor ihr das Vergnügen haben würde, dem Tod ins Auge zu sehen. „Diesmal klappt es“, knurrte sie und wirbelte einmal um die eigene Achse. In der Bewegung erschien Angel Wing in seiner Speerform in ihrer rechten Hand. Anya hob die Waffe schräg an und schleuderte sie mit einem Schrei in Claires Richtung. Der Speer zischte durch die Luft und anstatt an Auftrieb zu verlieren, schoss aus dem Ende seines Schafts plötzlich weißes Feuer und verlieh ihm noch mehr Schwung. Claire sah die Waffe zielgenau auf sich zufliegen und wich mit einem Rückwärtsschritt zurück, sodass jene sie knapp verfehlte. Doch ehe sie sich versah, ging ein Schatten über ihr auf Konfrontationskurs. Anya hing an Angel Wing und holte mit dem Stiefel aus. „Ah!“ Von dem unerwarteten Auftauchen ihrer Gegnerin überrascht, konnte Claire den Tritt nicht mehr abwehren und wurde zurückgeschleudert, wobei es nur ihrem hellblauen Helm zu verdanken war, dass sie vergleichsweise unverletzt blieb. Anya landete vor ihr in geduckter Haltung, während die Weltmeisterin zurück torkelte. Dabei beließ es Livingtons Terrormaschine #1 aber nicht, sie wirbelte wieder um die eigene Achse und stach mit dem Speer in Claires Richtung. Die holte mit der Hand aus, in welcher keine Sekunde später eine lange, gezackte Klinge erschien und parierte den Angriff. Zumindest einen davon, denn Anya setzte ohne Zeit zu verlieren nach, wirbelte und schlug diesmal wie mit einer Stabwaffe zu. Mühelos duckte sich Claire unter dem Angriff hinweg, doch Anya wusste auch ihre Füße weiterhin einzusetzen und verpasste ihr einen Aufwärtstritt, der ihre Feindin zurückwarf. Einen Hieb später wurde diese entwaffnet und hatte die Speerspitze gegen ihren Hals gerichtet. „Wow, in einem richtigen Kampf bist du gar nicht so tough, was?“, schnarrte Anya etwas außer Atem. Die Waffe in ihrer Hand bebte förmlich. Mit der freien Hand zeigte sie zu der aufgerissenen Stelle der Absperrung. „Erstens: Du wirst dafür aufkommen und sämtliche Schuld auf dich nehmen, kapische?“ Ihre Gegnerin hob zwar die Hände, antwortete jedoch nicht auf die Forderung. „Zweitens: Du wirst mir dein Hüterartefakt geben. Mir egal wie, aber-“ „Das ist nicht möglich.“ „Huh!?“ Anya wich gerade noch rechtzeitig aus, als an ihr die gezackte Klinge vorbeiflog. Und da stand er vor ihr, wie aus dem Nichts. Dieser bärtige Rotschopf mit der Narbe, Nigel McPherson. Der Dämon! In dessen rechter Hand tauchte das Zackenschwert auf. Da fiel Anya auf, dass Claires Waffe immer noch etwas abseits der Drei am Boden lag. Zwillingsschwerter … das also hatte Ricther gemeint! „Entschuldige, dass ich das Duell so abrupt beenden musste.“ „Du warst das!?“, schnauzte Anya ihn gleich darauf an. „Ich musste sicherstellen, dass das Artefakt in unserem Besitz bleibt. Deine Kraft, sie zu sammeln, ist unnatürlich.“ Nigel ließ die Klinge verschwinden. „Du solltest sie nicht besitzen. Deswegen musste ich Claire anweisen, dich zu eliminieren.“   „Aber so ein riesiges Monstrum am helllichten Tag zu beschwören ist a-o-kay oder was?“ Anya wirbelte herum. Zanthe hockte gebeugt auf der Panzerglas-Absperrung zu ihrer Rechten und verschränkte die Arme auf den Knien. „Ich hab's gesehen. Kurz, aber es hat gereicht um zu wissen, dass Anya gewonnen hätte, wenn du dich nicht eingemischt hättest.“ Das gesagt, erhob er sich und landete mit einem Satz neben dem Mädchen. „Und was war das? Ich habe zwar nicht alles verstanden, während ich euch gefolgt bin, aber das mit dem Pakt klingt doch reichlich interessant.“ Levrier erschien auf der anderen Seite neben Anya. Welche da Nigel murmeln hörte: „Wie kann er …? Interessant.“   Leider muss ich euch beide enttäuschen. Ich habe die Geschwindigkeit des Angriffs berechnet und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass er Anya Bauer vor dem Überqueren der Ziellinie getroffen hätte.   Der Kopftuchträger zuckte mit den Schultern. „Spielt das eine Rolle? Er hat trotzdem geschummelt.“ Was Anya sofort benickte. „Yeah. Und jetzt gebt mir, was ich will.“ „Nicht jetzt.“ Nigel griff in die Innentasche seines schwarzen Sakkos und warf einen kleinen Gegenstand in Anyas Richtung. Welchen Zanthe vor ihrer Nase zwischen den Fingern auffing. Es war eine Visitenkarte. Der Dämon erklärte: „Ich wohne etwas abseits von Ephemeria City. Das ist die Adresse. Trefft mich heute Abend, dann sehen wir weiter.“ Im Hintergrund erklang unterstreichend Sirenengeheul. Derweil zückte Nigel noch etwas aus der Innentasche hervor. Einen USB-Stick. „Das hier jedoch bekommt ihr nicht zurück.“ Und zerbrach jenen in seiner Faust, bis er wortwörtlich zwischen seinen Fingern davon bröselte. „Was war das?“, wollte Anya wissen. „Dein Freund hat das Duell aufgezeichnet. Ich kann nicht dulden, dass solches Material Claires Karriere gefährdet. Selbst wenn die Anschuldigungen noch so haltlos sind.“ Der Mann senkte sein Haupt und blickte gefährlich funkelnd zu Anya herüber. „Also musste ich es deinem Freund abnehmen.“ Die Blonde weitete die Augen. „Logan? Was hast-“ Ihr Gegenüber hob die Hand. „Heute Abend. Wir erwarten euch.“ Keine Sekunde später flimmerte die ganze Umgebung um ihn und die still verharrende Weltmeisterin. Die Konturen der beiden vermischten sich mit dem Grau des Asphalts und wurden von jenem binnen eines Herzschlags verschlungen, bis nichts mehr von ihnen übrig blieb. Erst dann ließ der optische Effekt nach. Selbst Claires D-Wheel war fort.   „Was war das?“, murrte Zanthe. „Eine Kriegserklärung? Etwas spät, findest du nicht?“ Doch Anya rannte ihm glatt davon. „Shit, wir müssen zu Logan!“ Der Werwolf fasste sich an die Stirn. „Oh man, kaum ist ihr Lover in Gefahr, lässt sie alles stehen und liegen. Wer hätte das gedacht?“ Augenrollend machte er sich daran, ihr zu folgen.   ~-~-~   Bereits völlig außer Atem rannte Anya das letzte Stück der Strecke entlang Richtung der Boxen. Dort vorne sah sie die Ecke, von der das Duell überwacht wurde. Und Logan … Sie weitete die Augen. Regungslos lag er mit Kopf und Oberkörper auf dem Pult, drohte in seiner Haltung jeden Moment vom Stuhl zu rutschen. Ein dünnes Rinnsal Blut lief vom Tresen hinab. „Nein!“, stieß das Mädchen einen entsetzten Schrei aus. Und auch Zanthe, welcher nicht ansatzweise so erschöpft war wie Anya, riss den Mund auf. „Scheiße.“   Das Blut pumpte in Anyas Wesen, das Adrenalin verlieh ihr neue Energie, sodass sie die letzten fünfzig Meter wie im Fluge nahm und zu Logan eilte. „Hey“, flüsterte sie und streckte vorsichtig ihre Hand nach ihm aus, zog sie jedoch sofort wieder weg, „du … du bist doch nicht tot, oder?“ Keine Antwort. Zanthe war inzwischen an ihre Seite geeilt. „Ich kann ihn nicht atmen hören!“ Diesmal griff Anya beherzt zu und richtete den Mann vorsichtig auf, indem sie die eine Hand auf seine Brust legte und mit der anderen seinen Hals festhielt. Das Blut stammte aus einer Platzwunde an seiner Stirn. „I-ich spüre aber sein Herz schlagen“, stammelte Anya sich an Zanthe gewandt. „Atmet er?“, stellte Zanthe hektisch seine eigene Feststellung infrage. Das Mädchen schüttelte den Kopf. „Dann müssen wir uns beeilen, wer weiß, wie lange er schon in diesem Zustand ist.“ „Was soll ich tun!?“ „Leg ihn flach auf den Rücken“, wies Zanthe sie an. Panisch nickte Anya und zog den erstaunlich schweren Mann vom Stuhl. Als er vor ihr lag, mit geschlossenen Augen, spürte das Mädchen eine unangenehme Hitze in sich aufsteigen. „Kopf zurückbiegen. Pass auf, dass seine Zunge nicht im Weg ist.“ „Im Weg von was?“, stotterte Anya, während sie versuchte, Logans Kopf in den Nacken zu legen. „Mund-zu-Mund-Beatmung. Was denkst du, was wir hier machen!?“ Anyas innere Hitze verwandelte sich in eine Supernova. „Was!?“ „Willst du -jetzt- mit so was anfangen!? Die schüchterne Schlägerbraut kannst du danach noch-!“ „Wach auf, du elender Volltrottel!“, kreischte die ganz und gar schüchterne Schlägerbraut und rammte ihren Ellbogen dermaßen in Logans Brustkorb, dass dieser schreiend nach oben schnellte und sich keuchend die wunde Stelle hielt.   In einer Mischung aus Ehrfurcht und Angst betrachtete Zanthe die beiden. „… was war das?“ „Ja“, fauchte Anya wütend, „was war das!? Wir dachten, du wärst tot!“ „Schrei nicht so“, brummte Logan allerdings wenig begeistert von der Anwesenheit der Blonden und hielt sich die blutende Stelle. „Ich glaube, du hast mir 'ne Rippe gebrochen.“ „Du wurdest niedergeschlagen“, fasste Zanthe die Situation trocken zusammen, „und deine Atmung hatte ausgesetzt. Als die arme Anya dich beatmen sollte, hat sie kurzerhand entschieden, dich stattdessen umzubringen.“ Knallrot im Gesicht fauchte die: „Das stimmt doch gar nicht! Ich wollte das Ganze nur etwas abkürzen!“ Der grimmig dreinblickende Zwerg rieb sich wortlos über den Brustkorb. „Jedenfalls sind wir froh, dass es dir den Umständen entsprechend gut geht. Das hätte auch anders ausgehen können. Aber Nigel hat nur den USB-Stick geklaut“, erklärte Zanthe weiter. Dann huschte ein bitterböses Grinsen über sein Gesicht. „Oh, und Anya hat dein D-Wheel geschrottet.“   Binnen eines Herzschlags wechselte die Körperfarbe der Blonden von rot zu weiß, besonders, als Logan schleichend langsam den Kopf in ihre Richtung drehte. „I-ich kann das erklären“, stammelte sie, die immer noch neben ihm kniete. „Ist mir egal.“ Anya verschlug es die Sprache. Jetzt hatte sie es wohl endgültig geschafft, ihn zu vergraulen. „Es ist nicht ihre Schuld“, versuchte Zanthe schlechten Gewissens zu schlichten. „Nigel hat sie mit einem Fahrzeug von der Strecke gerammt. Um ein Haar wäre sie in den Tod gestürzt, wenn-“ „Egal.“ Keinen der beiden ansehend, stützte sich der Mann mit einer Hand auf seinem Knie ab und erhob sich langsam. Hastig tat Anya es ihm gleich. „E-es tut mir leid, ich-“ „Wo ist es?“ „In der Nähe von diesem kleinen Schrottplatz vor der letzten Kurve“, antwortete Zanthe für seine Freundin. Logan warf einen Seitenblick auf die immer kleiner werdende Anya. „Bringt mich dorthin.“ „Für den Schaden werde ich aufkommen. Versprochen!“ „Nein.“ Panisch sah sie zu Zanthe, welcher aber auch nur ratlos mit den Schultern zuckte. Der Mann mit den buschigen Koteletten drehte sich dem Mädchen zu und packte es an den Schultern. „Rosenburg und ihr Manager werden dafür aufkommen. Ich werde sie in die Besinnungslosigkeit klagen!“ Die Miene der Blonden hellte sich auf. „D-du bist nicht böse.“ „Wir müssen diesen Verbrechern das Handwerk legen. Hier sind Kameras, mit denen wir beweisen, dass Nigel mich angegriffen hat, um zu vertuschen, dass sein Schützling irgendwie betrügt.“ Zanthe derweil drehte den Kopf zur Wand der halboffenen Box. „Du meinst diese Kamera?“ „Das Ding hat alles aufgezeichnet. Wie er mich angegriffen hat“, knurrte der Mann zornig. „Hmm.“ Zanthe verschränkte die Arme voreinander. „Hoffen wir's. Unabhängig davon wette ich, die Schuld für die Schäden an der Riding Duel-Strecke wird er Anya irgendwie zuschieben wollen. Denn das können die Aufzeichnungen nicht eindeutig widerlegen.“ „Was!?“, kreischte Anya dazwischen. „Bringt mich zum D-Wheel“, verlangte Logan plötzlich. „Aber vorher ziehst du den Motorradanzug aus.“ „Was!?“ Anya wich von ihm zurück. „Spinnst du!?“ „Hast doch was drunter.“ „S-schon, aber was soll das alles!?“ Logan starrte sie finster an. „Siehst du dann.“ Die beiden Freunde tauschten einen verwirrten Blick aus, ehe sie mangels einer Erklärung für seine Forderung einander zunickten.   Zehn Minuten später näherten sich die Drei der Stelle, an der das schwarze, demolierte D-Wheel lag. Inzwischen umzingelt von einem Polizeiwagen und zwei Beamten, die gerade dabei waren, die entstandenen Schäden aufnehmen. Oberhalb davon, wo sich die Riding Duel-Strecke befand, stand ebenfalls ein Polizeiwagen. Das Loch in der Absperrung war mit gelb-schwarzem Absperrband abgeriegelt worden. „Also“, brummte Logan. Anyas Motorradanzug hing dabei über seinem Oberarm. Das Mädchen ihrerseits steckte inzwischen in zerschlissenen Jeans, einem schwarzen Shirt, mit Logans brauner Lederjacke darüber. „Werd' sagen, dass ich gefahren bin.“ „Was!?“, fielen sowohl Anya, als auch Zanthe zu seiner Linken aus allen Wolken. „Bist du irre!? Das glaubt dir doch kein Schwein!“ „Wir haben dieselbe Größe, etwa denselben Körperbau. Unter dem Ding hier würde man uns schwer auseinander halten können.“ Zur Verdeutlichung hob Logan den Anzug an. „Außerdem ist das D-Wheel auf meinen Namen gemeldet.“ Zanthe klatschte seine linke Hand gegen die Stirn. „Ist dir klar, was das bedeutet? Der entstandene Sachschaden ist beträchtlich. Ich wette, du wirst dir nicht mal die Kaution leisten können.“ Logan aber schritt voran und winkte dabei ab. „Dazu gehören immer zwei, vergesst das nicht. Bis später.“ Völlig erstarrt sah Anya ihm hinterher, wie er sich den Polizisten näherte. „Der ist doch völlig balla balla“, staunte Zanthe und drehte sich ihr zu, „was haste mit dem gemacht?“ „Nichts. Das ist ja das Problem.“ „Yeah.“ Schlagartig wechselte der Gesichtsausdruck des Werwolfs von einem faszinierten zu einem düsteren, fast schon feindlichen. „Der Kerl ist eindeutig zu nett. So viel Nachsehen hat doch kein normaler Mensch.“ Gleichzeitig drehte sich Logan noch einmal zu ihnen um. „Ach ja: Sieh zu, dass du mich so schnell wie möglich aus dem Kittchen holst, verstanden? Auf deine Kosten, versteht sich.“ Anya, die Zanthes Kommentar dadurch überhört hatte, nickte heftig. „Wird erledigt!“ Dann sprach der Mechatroniker die Beamten an. „Oh natürlich, wie konnte ich deine selektive Wahrnehmung bloß vergessen“, zischte Zanthe beleidigt. „Was?“, fragte Anya, die selbst das nicht wirklich mitbekommen hatte. Der Kopftuchträger aber winkte schicksalsergeben ab. „Nichts. Was jetzt?“ „Na was wohl? Wir nehmen uns das nächste Taxi, gehen auf unser Zimmer und bereiten uns vor“, erwiderte sie und mit jedem Wort wurde ihre Mimik bedrohlicher, „schließlich wurden wir eingeladen. Und es wäre doch wirklich unhöflich, uns unseren Gastgebern nicht von unserer allerschlimmsten Seite zu präsentieren.“ Zanthe sah herüber zu Logan, welcher gerade von einem Beamten abgeführt und mit Nachdruck in den Wagen geschoben wurde. „Wenn du meinst …“     Turn 81 – Each Of Their Battles (1) Anya und Zanthe treffen Vorbereitungen, um sich Nigel und Claire zu stellen. Doch eine unerwartet kommende Aufforderung ändert Anyas Pläne kurzfristig, sodass Zanthe sich alleine auf den Weg macht. Zeitgleich kommt es auch anderenorts zu interessanten Begegnungen … Kapitel 86: Turn 81 - Each Of Their Battles (1) ----------------------------------------------- Turn 81 – Each Of Their Battles (1)     Das Wasser schwappte beinahe über den Rand der Wanne, als Anya so tief darin untertauchte, dass nur noch ihr Gesicht aus der Decke voller Schaum hervorragte. Die Mundwinkel hingen ganz tief unten und drohten zu ertrinken. Zu baden war das Erste, was Anya wollte, nachdem sie ohne Logan ins Hotelzimmer zurückgekehrt waren. Matt hatten sie nicht mehr angetroffen, aber er hatte eine Nachricht hinterlassen, in der er schrieb, dass er Harris als fünften Hüter in Erwägung zieht und sich abermals daran machte, ihn und seine Freundin Edna zu finden. Anya tauchte noch weiter unter, damit sie mit dem Mund Blasen des Schmollens pusten konnte. Bestand also die Möglichkeit, dass ihr am Tag von Redfields Hochzeit nicht gleich ein, sondern zwei Hüter durch die Lappen gegangen waren? Verdammter Kackmist, wie unfair war das!? Allerdings war es merkwürdig genug, dass beide ausgerechnet in ihre Arme gelaufen kamen.   Doch auch wenn Anya sich mit diesen Gedanken abzulenken versuchte, war es eigentlich Logan, über dessen Lage sie sich seither den Kopf zerbrach. Inzwischen musste die Polizei ihn doch ausgequetscht haben wie eine rohe Tomate. Saß er hinter Gittern? Wie hoch war die Kaution? Was für eine Strafe folgte auf so schwerer Sachbeschädigung? Und warum hatte er das getan? Sich selbst beschuldigt, statt die Wahrheit zu sagen und sie dafür verantwortlich zu machen. Zanthe hatte ihr gesagt, dass er als Besitzer des D-Wheels ohnehin eine Teilschuld bekommen würde, weil ein potentieller Diebstahl des Motorrads seitens Anyas nicht nachweisbar war, aber gleich die ganze Schuld auf sich zu laden? Sie verstand es nicht. Oder wollte es nicht. Denn wenn sie so darüber nachdachte, tat es weh, jemanden zu kennen, der so viel für sie tat. Jemand, der nicht ahnte, welch schreckliche Dinge sie schon vollbracht hatte oder noch würde. Anya fühlte sich, als hätte sie Logans Freundschaft nicht verdient, denn sie konnte sich nicht erinnern, ihm irgendwann mal einen Gefallen getan zu haben. Immer war er es gewesen, der ihr aus der Patsche geholfen hatte, nicht umgekehrt. Der Blick des Mädchens festigte sich, sie tauchte mit dem Kopf wieder auf. Das blonde, nasse Haar lag ihr offen über den Schultern. „Levrier?“ Ja?   Der Edelsteinritter tauchte zu ihrer Linken auf, sitzend auf dem Waschbecken des kleinen Badezimmers, dessen Lichtquelle nur gedämpft leuchtete. Anya sah ihn nicht an, sondern blickte stur geradeaus zur weiß-gefliesten Wand gegenüber. „Wir müssen Logan da rausholen. Irgendwie.“   Ich fürchte, das wird nicht so einfach. Das Rechtssystem hat ihn erfasst. Du kannst ihn nicht ohne Weiteres wieder dort herausreißen, ohne dass noch schlimmere Konsequenzen entstehen.   Anya schluckte. Ihr Freund hatte Recht, wie so oft. Erstickt erwiderte sie: „Aber ich habe vielleicht … habe vielleicht … sein Leben ruiniert.“ Nein, diese Entscheidung hat er selbst getroffen. Wir sollten Nick Harper um Hilfe bitten.   Doch Anya fuhr weiter in ihrem gebrochenen Tonfall fort. „Was soll der schon tun? Wie du selbst sagtest, Nick kann nicht aus der Welt schaffen, was schon jeder weiß. Außerdem hasst er Logan. Ich glaube er hasst all meine Freunde und Bekannte. Wieso sollte er etwas für ihn tun?“   Weil er es für dich tut. Deswegen solltest du dich nicht sorgen, Anya Bauer. Vergiss nicht, es existieren Kameraaufnahmen des Ganzen, die ganz klar zeigen, von wem die Zerstörung herrührt. Wenn Logan Carter fällt, dann Claire Rosenburg und ihr Manager mit ihm.   Die warmen Worte spendeten Anya in der Tat ein wenig Trost, vermochten das schlechte Gewissen aber nicht zu unterdrücken. Sie musste sich trotzdem etwas einfallen lassen. Irgendwas …   ~-~-~   Nachdem Anya ihr Bad nach fast einer Stunde beendet hatte, suchten sie und Zanthe, der seltsam nervös war, ein bekanntes Fast Food-Restaurant auf, um das Frühstück nachzuholen, welches sie durch das Riding Duell verpasst hatten. Die Blonde ahnte nicht, dass ihr Freund ebenso von einem schlechten Gewissen geplagt wurde wie sie, denn ihm tat der LKW-Fahrer leid, dessen Wagen er und Exa sich 'ausgeliehen' hatten. Letzterer hatte sich von ihm getrennt, als Zanthe Anya direkt gefolgt war, um die Sache in Ordnung zu bringen. Doch bei dem Chaoten befürchtete der Werwolf, dass er alles nur noch schlimmer machen würde.   Während sie beide an einem roten Tisch neben der Wand saßen, schwiegen sie sich die meiste Zeit über nur an. Wechselten ab und zu ein Wort, als im Fernseher hinter Anya Berichte über das Turnier liefen oder als Anya voller schlechter Laune einem anderen Besucher des Schnellrestaurants beim Vorbeilaufen ein Bein stellte, nur um sich dann zuckersüß zu entschuldigen. Was Zanthe sehr amüsant fand. „Das eben war aber gar nicht deine Art.“ „Was?“, brummelte die und schob eine Fritte in sich hinein. „Einen auf Versehen machen. Sonst hättest du den Kerl noch beschuldigt, mit Absicht über deinen Fuß gestolpert zu sein.“ Natürlich interessierten ihn Anyas schlechte Angewohnheiten nur mäßig, aber irgendwie musste er endlich zu dem Thema kommen, das ihm neben Exas Fehltritt keine Ruhe ließ. Anya, ahnungslos wie eh und je, zuckte mit den Schultern. „Mag sein.“ „Sag bloß, da will an seinen Manieren feilen? Hat das was mit Logan zu tun?“ „Hör auf, Flohpelz“, murrte Anya mit finsterem Blick und tunkte eine weitere Fritte in die Ketchuplache auf dem Tablett vor ihr. „Das ist nicht witzig.“ Der zuckte mit den Schultern. Dumme Anya. Hatte sie angebissen, ohne es überhaupt gemerkt zu haben. „Stimmt schon. Ich merk doch, wie es in dir rattert. Was denkst du gerade?“ „Uh-!“ Ihr Gegenüber aber fuhr ihr schamlos übers Wort. „Du nimmst ihm das doch bestimmt auch nicht mehr ab, oder? Diese ganze 'I save Anya'-Nummer.“ Ebenjene spitzte die Ohren, verharrte mit dem Kartoffelstäbchen in ihrer Hand im Ketchup. „Huh?“ Die Arme hinter dem Hinterkopf verschränkend, lehnte Zanthe sich auf der gepolsterten Bank zurück. „Ach komm schon, so naiv kannst doch nicht mal du sein.“ „Willst du ihm etwa immer noch unterstellen, dass-!?“ Wieder schnitt ihr der Werwolf ins Wort, diesmal verärgert. „Nein, ich will nur sagen, dass-!?“ Ruckartig beugte sich Anya nach vorne. „Dass was!? Er irgendwelche Absi-!?“ „Dass er-!“ „Fahr mir nicht dauernd ins Wort!“ „Lass du mich doch erstmal ausreden, Anya!“ Woran jene aber nicht im Traum dachte. „Verdammt, Flohpelz, dann komm endlich zum Punkt!“   „Welcher normale Mensch würde nach dieser Katastrophe von Turnier auch noch den Kopf für dich hinhalten“, keifte Zanthe erhitzt zurück, „und die Betonung liegt dabei auf 'für dich'.“ Anya ballte beide Hände zu Fäusten, die prompt auf den Tisch gehämmert wurden. „Was soll das jetzt heißen!? Dass ich es nicht wert bin-!“ „Es soll heißen, dass da definitiv mehr im Spiel ist als ein 'normaler Mensch'!“, nahm Zanthe ihr sofort den Wind aus den Segel. Selbstverständlich würde er ihr niemals zugestehen, dass auch er fand, dass sie durchaus 'rettenswert' war. Nicht jetzt, vermutlich auch nicht in naher Zukunft. Sie sollte endlich ihren Staub fangenden Hohlschädel benutzten! „Denk doch mal nach. Was für eine Sorte Mensch würde so etwas tun?“, versuchte er, genau dies mit ruhigerer Stimme zu erreichen. Sein Gegenüber zuckte verstimmt mit den Schultern. „Was weiß ich, Freunde?“ Darüber konnte der Werwolf jedoch nur die Augen verdrehen. Und begann mit den Fingern aufzuzählen. „Er schenkt dir sein D-Pad. Er schenkt dir sein Deck. Er schenkt dir sein D-Wheel. Und er schenkt dir seine Freiheit.“ Demonstrativ zeigte er ihr den kleinen Finger seiner Hand, welcher noch gegen die Handfläche gepresst war. „Was wird er dir als Nächstes schenken, sein Leben? Also für mich kommt da nur eine Erklärung infrage.“ „Und die wäre!?“, verlangte Anya zu wissen und machte die Fritte in ihrer Hand schon wurfbereit. „Aus einem mir völlig schleierhaften Grund steht er auf dich.“ Welche daraufhin flog, wie noch nie eine Fritte geflogen war. Und Zanthe fing sie geschickt mit dem Mund auf, um sie genüsslich zu verspeisen. Zumindest bis er merkte, dass sie bereits eiskalt war. „Igitt!“ Als er aber Anyas betrübten, abwesenden Blick sah, erkannte er, dass er sie mit seiner Theorie lieber zu einem besseren Zeitpunkt konfrontieren sollte. Und doch würde er zu gern wissen, wie sie zu dem Thema stand. „Wer weiß“, murmelte sie schlechten Gewissens, „wenn ja, ist er auf jeden Fall bekloppt.“ „Amen.“ „Es ist nicht viel, aber ich habe überlegt, meine Preiskarte zu verkaufen. Die aus dem Turnier. Damit könnte ich vielleicht die Kaution bezahlen.“ Zanthe bedachte das Mädchen eines mitleidigen Lächelns. „Das ist unverhältnismäßig nobel von dir, aber glaubst du wirklich, dass das reichen wird? Solche Karten bringen vielleicht 1.000$ ein, mehr nicht.“ „Woher willst du das wissen!?“, schnappte Anya beleidigt. Und erntete gleich noch einen altklugen Blick obendrauf. „Weil -ich- meine Pausen genutzt habe, um die Duell-Zeitschriften zu lesen, die du in -deinen- Pausen einsortieren musstest, schon vergessen?“ Einen Moment sah das Mädchen ihn tatsächlich an, als wüsste sie nicht, dass er von ihrem eigentlichen Job sprach, der einer Kartenverkäuferin in Mr. Palmers Laden. Versöhnlich fügte er hinzu: „Anya, das ist lieb von dir, aber der falsche Weg. Die Karte ist eine Erinnerung an das, was du schon erreicht hast. Du solltest sie nicht verkaufen. Nicht, wenn du einen Freund hast, der dir praktisch die 'Du kommst aus dem Gefängnis frei'-Karte drucken kann.“ Dass Anya nicht begeistert von dem Gedanken schien, Nick um Hilfe bitten zu müssen, konnte Zanthe nachempfinden. Warum genau das so war, wollte sie ihm nicht verraten, was letztlich auch nicht wichtig war, solange auch ihr langsam ein Licht aufging, dass ihr Freund ein 'wenig' paranoid war. Wenngleich dies viel weniger der Fall war als sie tatsächlich ahnte … „Ich halt's nicht mehr aus. Wir müssen mit Logan reden!“, entschied Anya und sprang auf. Zanthe zuckte mit den Schultern. „Wir haben noch genug Zeit. Wenn Demon McCheatking uns schon zu sich einlädt, wird er wohl kaum weglaufen.“ „Dem würd' ich alles zutrauen“, knurrte die Blonde säuerlich, „der wird nicht wissen, wie ihm geschieht, wenn wir beide heute Abend seine Bude auf den Kopf stellen!“   ~-~-~   Der nächste Tagespunkt auf Anyas To-Do-Liste sah vor, Logan vom Polizeipräsidium abzuholen, wohin dieser abgeführt worden war. Wie ein freundlicher, junger Polizist ihr jedoch schon im Eingangsbereich mit Nachdruck klar machte, würde sie ihren Freund so schnell nicht zu sehen bekommen. Denn dieser konnte sich die angesetzte Kaution nicht leisten. Und schon gar nicht Anya.   So stand sie mit der gefürchteten Anya Bauer-Premium-Wut vor dem eierschalenfarbenen großen Gebäude und wusste nicht weiter. Neben ihr Zanthe, der sie bei der Diskussion mit dem blöden Bullen nicht mal unterstützt hatte, wo er doch sonst so schlagfertig war. „Scheiße!“, fluchte Anya. „Hast du wirklich geglaubt, ihn da so schnell rausholen zu können?“, fragte der Werwolf und betrachtete dabei interessiert das außer Betrieb genommene Münztelefon vor dem Polizeipräsidium. „Warst du das?“, wollte er mit Fingerzeig auf den herabhängenden Hörer wissen. „Nein“, log Anya auf die zweite Frage hin, da sie die erste ungern bejahen wollte. „Und jetzt?“ „Muss er warten, bis Nick das regelt.“ Anya schnaubte. „Das ist mir auch klar! Aber was dann?“ Ihr Freund wandte sich ihr zu. Irgendwas an seinem nachdenklichen Gesichtsausdruck gefiel dem Mädchen ganz und gar nicht. Und ihr Gefühl sollte sich bestätigten, als der Werwolf den Kopf schüttelte. „Anya, es sieht ganz schlecht aus. Du hast es eben nicht mitbekommen, aber ich, dank meiner spitzen Lauscher. Videomaterial, das beweisen könnte, dass du und nicht Logan sich mit jemanden duelliert hat, ist nicht vorhanden.“ „Was soll das heißen!? Ich dachte, die Strecken werden mit Videokameras überwacht!?“ „Werden sie auch, aber die Aufnahmen fehlen.“ Der Kopftuchträger trat einen Schritt zurück und legte eine Hand an sein Kinn, betrachtete den Boden, als wäre dort irgendetwas wahnsinnig Interessantes zum Vorschein getreten. „Und es gibt bisher keine Zeugen, die gesehen haben, was da abgegangen ist. Da hat jemand ganze Arbeit geleistet.“ „Das gibt’s doch nicht!? Zanthe, was machen wir jetzt!?“ „Ohne Beweise … erstmal gar nichts, fürchte ich.“ Anya zuckte hilflos mit den Schultern, hob nach einer Erklärung suchend die Hände. „E-es war früh am Morgen, die meisten haben noch geschlafen, a-aber …“ „Aber sicher nicht alle. Auch zu dieser Tageszeit sind schon Menschen unterwegs“, bekam sie ob ihrer Panik eine zustimmende Antwort. „Denk doch mal nach. Videomaterial würde Claire belasten, da man sie anhand ihrer Monster und ihres D-Wheels erkennen würde. So entschieden, wie dieser Nigel versucht, ihre reine Weste zu wahren, hat er bestimmt seine Finger im Spiel.“ Das Mädchen schluckte. Hatte dieser Typ irgendeinen Dämonenzauber über die Strecke gelegt, damit niemand etwas von dem Duell mitbekam? Wenn ja, hatten weder sie noch Levrier etwas davon bemerkt. Was hieß, dass dieser Freak noch viel mächtiger war als sie geglaubt hatte.   Zanthe sah zu seiner Freundin auf. „Tut mir leid, dir das so zu sagen, aber Logan hat sich sein eigenes Grab geschaufelt. Er hat gestanden, vermutlich in dem Glauben, das Videomaterial würde ihn zumindest teilweise entlasten. Aber da es im Moment weder Zeugen noch Beweise gibt, dass noch jemand anderes mit von der Partie war, ist er derzeit-“ „Halt!“ Anya wusste, was er ihr damit zu sagen versuchte. Aber sie wollte es nicht hören. Panisch versuchte sie etwas zu finden, das Logan entlasten könnte. „A-aber du hast das Duell doch auch beobachtet, oder nicht? Wenn ja, muss es doch noch andere Menschen gegeben haben.“ „Hmm.“ „Und sag mir nicht, es liegt daran, dass wir übernatürliche Fähigkeiten haben!“, setzte Anya nach. Ihr Gegenüber drehte sich von ihr weg, grübelte einen Moment vor sich hin, ehe er sich wieder an die Blonde richtete. „So plump die Idee dahinter ist, vielleicht ist genau das der Grund.“ „Aber“, versuchte sie trotzdem noch mit ausgebreiteten Armen zu widersprechen, „das ist doch nicht definitiv. Vielleicht hat sich bisher nur niemand bei den Bullen gemeldet.“ Zanthe seufzte schwer. „Anya … wie lange denkst du braucht der Durchschnittsbürger, um bei der Polizei durchzuklingeln, wenn vor seiner Nase ein ungenehmigtes Riding Duel stattfindet?“ Betreten wich sie daraufhin seinem Blick aus. „Die Bullen sind doch gekommen …“ „Weil die verdammte Strecke eingestürzt ist! Das merkt jeder, ob er nun getäuscht wird oder nicht.“   Wie es aussieht, gibt es momentan keine Möglichkeit zu beweisen, dass Claire Rosenburg ebenfalls Teil des Duells war. Wenn man bedenkt, dass Nigel McPherson vermutlich geplant hatte, dich dafür verantwortlich zu machen, wäre es für ihn nicht mehr von Nöten gewesen, dich durch einen Kampf aus dem Weg zu räumen.   Levrier erschien zwischen Anya und Zanthe, verschränkte die Arme. „Also können wir im Moment nichts tun?“, fragte Anya verzweifelt. Die beiden anderen nickten. „Kch!“ Mit geballter Faust wirbelte sie herum. „Die sperren den Zwerg einfach ein und …“ „... trotzdem ist er die Gelassenheit in Person“, beendete der Werwolf hinter ihr den Satz auf etwas andere Weise als angedacht. „Weil er weiß, dass ich ihn da irgendwie herausholen werde!“ „Wie denn? Willst du die Zeit zurückdrehen und sein Geständnis ungeschehen machen? Oder einen Handel mit dem Sammler schließen?“ Zanthe konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. „Falls du es vergessen hast: Dir geht die Lebenszeit aus, die du ihm aufschwatzen kannst. Und deine Seele wird er bestimmt nicht haben wollen.“   Der Sammler, dachte Anya fieberhaft. Wenn es hart auf hart kam, könnte der tatsächlich noch etwas daran drehen. Ihr schlimmster Feind … bloß was blieb ihr für eine Wahl? Die wollten Logan hinter Gitter bringen, vielleicht für immer! Das mussten immerhin Schäden in Millionenhöhe sein, die da entstanden waren, da kam er nicht mal eben mit ein paar Sozialstunden und einem Bußgeld davon! Sofort überlegte sie, was sie dem Sammler anbieten könnte. Ihre Seele? Oder etwa ihren Namen, wie Redfield es getan hatte, um Marc wieder ins Leben zu holen? Nein, rügte sie eine warnende Stimme in ihrem Kopf, der Sammler hatte sie schon einmal über den Tisch gezogen. Er war an allem hier schuld! Bat sie ihn um Hilfe, würde er noch mehr Macht über sie gewinnen, sie würde nie frei sein!   Entschlossen wirbelte Anya zu Levrier und Zanthe um. „Wir werden dafür sorgen, dass dieser Dreckskerl Nigel die Verantwortung dafür übernimmt, klar?“ Ihr Freund, der gerade sein blaues Kopftuch zurecht zupfte, nickte. „Keine Frage, ich helfe dir dabei, ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Aber selbst er wird wohl nicht alles einfach so ungeschehen machen können.“ Wieder ballte Anya eine Faust, die sie diesmal langsam anhob. Versprach düster: „Aber er wird sich wünschen, dass er es könnte. Und dann wird er sich wünschen, dass er es kann, egal zu welchem Preis, egal bei wem er diesen Wunsch auch äußern wird.“ Zanthe sah herüber zu Levrier, welcher mit Nachdruck den Kopf schüttelte. Doch keiner der beiden wagte es, dem wütenden Mädchen zu widersprechen.   ~-~-~   Die Wege der beiden trennten sich schließlich. Zanthe verabschiedete sich mit der Erklärung, noch etwas erledigen zu müssen, bis zum Abend. Matt indes war mit Valerie losgezogen, um seinen Nachforschungen nachzugehen. Dass ausgerechnet ihre Erzrivalin sich ganz plötzlich auch für solche Angelegenheiten interessierte, irritierte Anya zwar, doch war sie zu müde, um das Ganze zu hinterfragen. Schon gar nicht, da Redfield bereits einen Plan austüftelte, ihren Vater um Hilfe bei der Suche nach Harris und Edna zu bitten. Was wohl sicher nicht ganz uneigennützig war, wenn man bedachte, wer ihre Hochzeit gecrasht hatte.   So entschied Anya letztlich, sich noch ein paar Stunden aufs Ohr zu hauen, bevor der Kampf Anya Bauer und Fuzzy McFlohpelz VS Claire Cheatingburg und ihrem Pimp Demon in die nächste Runde ging. Doch ihr Schlaf war unruhig. Albträume von Logan, den sie nie wieder sehen würde, plagten das Mädchen, welches an ihrem eigenen Sterbebett stand und zusehen musste, wie sie dahinsiechte, ohne ihren Freund noch einmal wiederzusehen. Oder sie fiel einfach nur in ein endloses Loch.   Als Anya schließlich erwachte, geschah dies jedoch nicht durch das Ende ihrer Träume. Etwas klirrte in der Ferne, dann knackte es neben ihr. Die Blonde fuhr hoch. Es war inzwischen dunkel geworden. Es dauerte einen Moment, ehe Anya, die von der grellen Werbung an der Front des Wolkenkratzers gegenüber geblendet wurde, sich an die Lichtverhältnisse gewöhnte. Doch gleich das Erste, was sie sah, ließ sie augenblicklich auffahren. Ein Riss, direkt im Fenster, nicht breiter als eine halbe Hand. „Scheiße“, keuchte sie beim Anblick des gebrochenen Glases. Und sah neben sich, wo in der Wand eine Duel Monsters-Karte steckte. Sie ist eben wie ein Pfeil durch das Fenster geschossen. Dort drüben ist jemand, Anya Bauer!   Jene rappelte sich auf, eilte vom Bett zum Panoramafenster und sah sofort, was Levrier meinte. Dort, auf dem Rand der Werbeanzeige von Claire Rosenburg, stand eine düstere Gestalt. Jene verharrte still auf der Stelle, bis ein ovales, schwarzes Portal sich neben ihr öffnete und sie darin verschwand. „Kali!?“, keuchte Anya, die glaubte, in der Person ihre geschworene Feindin erkannt zu haben. Augenblicklich rannte sie zurück zu ihrem Bett in der Ecke des Zimmers und riss die Karte aus der Wand. Doch jene war an der Front komplett weiß, während der Kartenrücken seine normale, braune Färbung besaß. In den Händen hielt sie eine kurze Botschaft, geschrieben in krakeligen Lettern. „Die Zeit ist gekommen. Triff mich heute um Mitternacht im Ephemeria Bridge Stadium, alleine“, las Anya vor. „Das war eindeutig Kali!“   Auch wenn ich davon ausgehen sollte, dass du es selbst weißt: Das ist eine Falle.   „Yeah. Und ich hab schon was anderes vor.“ Anya dachte an Nigel, der seine Bestrafung momentan dringender brauchte als diese blöde Ziege. Trotzdem fragte sich das Mädchen, was ihre Feindin dazu bewogen hatte, sie gerade jetzt herauszufordern. Bisher hatte sie immer Zachariah vorgeschickt oder Nick als Sündenbock missbraucht, statt sich ihr selbst zu stellen. Dieser Einladung nachzugehen hieße, vielleicht mehr über die Beweggründe von Kali zu erfahren. Nicht, dass Anya daran Interesse hätte …   Als wenig später Zanthe zurückkam, zeigte sie ihm die Karte. „Das ist eine Falle“, meinte er, noch im Türrahmen stehend. „Um die Uhrzeit ist dort keiner. Da kann sie mit dir machen was sie will.“ Er gab ihr die Einladung zurück. Erst jetzt, im Licht der Deckenbeleuchtung, fiel Anya auf, dass die Oberseite der Karte nicht natürlich weiß war, sondern Artwork und Effektbox entfernt worden waren. Merkwürdig. „Ich weiß“, nickte sie auf den Einwand hin, „aber ich habe mir überlegt …“ „Oh nein!“ „Lass mich ausreden, verdammt!“ Anya schnaufte. Sie wusste, dass ihm nicht gefallen würde, was sie gleich sagen würde. „Ich gehe hin. Mag ja sein, dass wir dort ungestört sind, aber irgendwann muss ich sie doch loswerden.“ Zanthe ließ seinen Finger um die Schläfe kreisen. „Na klar, ungestört. Dein Bruder wird bestimmt nur auf der Bank sitzen und zusehen. Und was wird aus Nigel?“ „Du gehst hin.“ „Ich!?“, wiederholte Zanthe und fasste sich ungläubig mit beiden Händen auf die Brust. „Alleine!?“ „Yeah, wieso nicht? Ich geb' dir den Handschuh, damit du das Artefakt bekommst und ihm eine fegen kannst, dann brichst du ihm solange Knochen, bis er Logan entlastet und gut ist.“ Für Anya klang es wie eine Selbstverständlichkeit. Sie schlenderte zu ihrem Koffer vor der Bettkante, in dem irgendwo das Handschuhpaar lag. „Du wirst schon damit fertig, immerhin bist du fast so gut wie ich.“ „Der Sinn dahinter war aber, dass wir ihn zu zweit stellen“, beklagte sich der Werwolf und eilte ihr nach. „Die sind auch mindestens zu zweit, schon vergessen?“   Schlagartig wirbelte Anya herum. Doch statt wie sonst aufgrund gewohnten Widerstands die Beherrschung zu verlieren, blickte sie Zanthe auf eine Art an, die ihn für einen Moment glauben ließ, dass sie ihm wirklich vertraute. „Yeah, wir sind in der Unterzahl. Und ehe wir Summers und Redfield finden, hat sich der Zwerg aus seiner Zelle gebuddelt.“ Sie sah zur Seite, aus dem Fenster. „Außerdem will ich die beiden da raushalten, besonders Redfield. Aber wenn ich Kali nicht zuvor komme, tut sie euch irgendwann noch was an. Spätestens wenn ihr die Sachen ausgehen, die sie mir klauen kann.“ Zanthe folgte ihrem Blick, welcher an Claires Werbung haften blieb. „Ich verstehe, dass du dem nachgehen willst. Aber denkst du wirklich, dass du ihr gewachsen bist? Wir wissen viel zu wenig über sie.“ „Ich bin ja nicht ganz allein. Levrier ist noch da.“ Seufzend wandte der Schwarzhaarige sich ihr wieder zu. „Du hast es dir doch ohnehin schon in den Kopf gesetzt, also hab ich keine Wahl, oder?“ „Nicht wirklich“, grinste Anya keck. „Also gut. Und was soll ich machen? Denk dran, die sind beide Hüter.“   Dass Anya jedoch eine genaue Vorstellung davon hatte, was er alles mit den beiden anstellen sollte, überraschte Zanthe wenig. Doch ihr Hinweis, Claire mit anderen Mitteln als einem Duell auszuschalten, war gar nicht so dumm. Dann bliebe nur noch Nigel, von dem sie auch zu wenig wussten. Andererseits, so gluckste Zanthe in sich hinein, war Anya nicht die Einzige, die mit einer unsichtbaren Begleitung unterwegs war.   So setzten die beiden ihren, wie sie zugeben mussten, nicht ganz so gut durchdachten Plan in die Tat um. Anya bestellte sich ein Taxi und ließ sich zum riesigen Stadion fahren, in dem die Vorrunden des Turniers stattgefunden hatten. Auf einer künstlichen Insel inmitten der Stadt gebaut, konnte man es nur über eine lange Brücke betreten. Das ovale, metallische Stadion unbemerkt zu betreten würde nicht einfach werden, aber Anya besaß gewisse Erfahrungen, was das unbefugte Betreten öffentlicher Gebäude anging. Zanthe seinerseits musste noch auf seinen eigenen Fahrer warten …   ~-~-~   … neben dem er kurze Zeit später auf dem Beifahrersitz eines „geliehenen“ roten Aston Martins saß. Wo auch immer Exa diesen aufgetrieben hatte. Jener saß am Steuer und grinste breit, den Blick konzentriert auf die Lichtkegel der Scheinwerfer fixiert. Es war stockdunkel draußen, sie fuhren über eine Straße, zu deren Rechten sich ein Wald auf einem Hügel erhob. „Langsam werd' ich richtig gut darin“, gluckste Exa. „Im Fahren oder im Stehlen?“, fragte Zanthe neckisch, klang dabei aber eher gelangweilt. „Wir geben es doch zurück. Wo ist das Problem?“ „Ich habe kein Problem damit. Aber du auch nicht. Und das ist das Problem.“ Sein Freund mit den blonden Braids gab ein nachdenkliches Geräusch von sich. „Für dich sieht es so aus, als würde ich jemandem etwas wegnehmen. Das ist okay, hier wird das schließlich als Diebstahl betrachtet.“ „Und da, wo du herkamst, war das anders?“, wollte Zanthe neugierig wissen. „In gewisser Weise schon.“ Sein Freund nickte dabei. „Fahrzeuge waren für uns zweckmäßig. Sie haben niemandem gehört, sondern wurden benutzt, wenn sie gebraucht wurden. Das galt für Vieles. Aber es gab trotzdem auch private Besitztümer.“ Der Werwolf starrte aus dem Seitenfenster und schmunzelte. „Klingt, als wäre alles sehr harmonisch gewesen.“ „War es auch. Streit gab es selten und wenn, dann dauerte es nicht lange, bis man sich wieder vertragen hatte. Das mussten wir auch.“ Der Blick des jungen Mannes verhärtete sich, wie Zanthe aus den Augenwinkeln im Rückspiegel bemerkte. „Sonst wären wir ausgelöscht worden.“   Eine unangenehme Stille zog sich wie ein Vorhang um die beiden. Zanthe hatte eine Menge Geschichten von Exa, seinen Freunden und seiner Heimat erfahren, seit sie sich zum ersten Mal begegnet waren. Manchmal kam es ihm so vor, als hätte Exa zwei Persönlichkeiten. Der Freund und der Krieger. Letzteren wollte niemand näher kennenlernen, aber ohne diesen Teil seiner selbst, hätte es den Freund Exa nie gegeben. „Ich muss diesem Kerl vielleicht sein Artefakt abnehmen“, gestand Zanthe schließlich. Exa reagierte ruhig, obwohl der Werwolf ganz genau wusste, dass er sich mit dem Geständnis auf dünnem Eis bewegte. Sein Begleiter fragte: „Hast du dir das gut überlegt?“ „Nein. Ist nicht so, als ob ich nicht noch andere Anliegen hätte. Aber darauf wird es wohl hinauslaufen.“ „Du weißt, was passiert, wenn sie irgendwann auf den Trichter kommt, mich anzugreifen.“ „Yeah. Aber so weit wird es nicht kommen. Ich lasse nicht zu, dass noch einmal jemand, der mir nahe steht, sein Leben verliert.“ Der Schwarzhaarige schloss die Augen. „Weder du, noch Anya.“ Plötzlich musste sein Freund wieder glucksen. „Ich bin ihr übrigens schon mal begegnet. Neulich, als wir uns kurz getrennt haben. Die ist wirklich 'ne Nummer für sich.“ „Ist sie.“ Nachdenklich betrachtete der Kopftuchträger seine rechte Hand, welche er hob und die in dem weißen, fingerlosen Handschuh Anyas steckte. Wortlos ließ er ihn wieder sinken. „Wie besprochen, okay?“ „Wie besprochen“, nickte Exa ihm mit ernstem Gesichtsausdruck zu.   Etwa eine Viertelstunde später kam der Wagen vor einem kleinen Grundstück zu stehen, das sich auf einem Hang befand. Ein einzelnes Einfamilienhaus stand darauf, klassisch amerikanisch in weiß gehalten. Von hier hatte man einen guten Blick auf Ephemeria City, welches in der Nacht wie eine einzige Werbetafel leuchtete. So stark, dass es die Nacht zum Tage machte. Als Zanthe von der Fahrerseite ausstieg, erwartete Nigel McPherson ihn schon zusammen mit Claire vor seiner Haustür. Und doch zog er überrascht seine zerteilte Augenbraue hoch, als der junge Mann alleine näher kam. „Wo ist Anya Bauer?“ „Verhindert“, erwiderte Zanthe knapp, „ich bin die Vertretung.“ „Ein ehemaliger Hüter, der eine fehlgeleitete Irre unterstützt. Tiefer zu sinken ist kaum möglich“, kommentierte Nigel die Aussage abfällig.   Zanthe staunte. Woher wusste der, dass er mal ein Hüter gewesen war? Die beiden waren sich vor heute Morgen noch nie begegnet. Vielleicht spürte Nigel es noch … Anstatt nachzufragen, konzentrierte der Werwolf sich jedoch lieber auf seine Umgebung. Da waren viele Gerüche. Seiner, Exas, die beiden Spinner da vorne … aber noch mehr. Zwei Menschen befanden sich im Inneren des verdunkelten Hauses. Schliefen vermutlich. Hatte Nigel etwa eine menschliche Familie?   „Woher weißt du so viel über mich?“, fragte Zanthe zwischenzeitlich, um seine Umgebung ein wenig mehr zu erkunden. Die Straße hinter ihm verlief in einer Serpentine, etwa zwei Kilometer weiter folgte der nächste Ort. Grundstück und Haus waren von einem einfachen Lattenzaun umzogen. Hinter dem Haus gab es ein paar vereinzelte Bäume. „Drazen hatte einen Werwolf erwähnt, der zum Hüter geworden ist, nachdem sein Bruder …“ „Danke“, unterbrach Zanthe ihn sofort zerknirscht. „Der Name sagt mir was.“ Drazen, schoss es ihm durch den Kopf. Der Alte, der zweite Hüter, den Matt sich vorgenommen hatte? Was hatte der mit der ganzen Sache zu tun? Sein Gegenüber verschränkte die Arme. „Auch du bist Drazen bereits begegnet. Er ist der Hüter, der die Neulinge einweist, sobald sie auserkoren wurden. Der einzige unter den Hütern, der die Identitäten der anderen kennt.“ Und da traf es Zanthe wie ein Blitz. An dem Tag … an dem Tag, als er kniend im Regen seinen Verlust betrauerte, da war neben Kyon noch ein anderer da gewesen. Ein Mann mit weißem Haar, der lächelnd seine Hand ausgestreckt hatte, ihm aufmunternde Worte zusprach und von der Aufgabe berichtete, die Alessandro ihm übertragen hatte. Ja, übertragen. Zanthe erinnerte sich. Vor seinem Tod konnte der Hüter einen Nachfolger erwählen, hatte Drazen gesagt. So war er zum nächsten Besitzer von [Angel Wing Dragon] geworden.   „So ist das also“, erwiderte der Schwarzhaarige nach einer Zeit und warf einen Blick auf Claire, die stumm Nigels Rechte flankierte. Dann sah er dem Dämon direkt in die Augen. „Wie gesagt, ich bin in Anyas Namen hier. Und sie hat zwei Forderungen. Erstens: Sorg' dafür, dass ihr Freund auf freien Fuße kommt. Du weißt, wen ich meine.“ Nigel hörte sich still an, was Zanthe zu sagen hatte. „Und zweitens: Übergib uns dein Hüterartefakt. Dann lassen wir dich unbeschadet gehen.“ Schon verfiel der Bärtige in unverhohlenes Gelächter. Wovon sich Zanthe jedoch nicht im Geringsten beeinflussen ließ. Er wartete. Als der Anfall vorüber war, gab Nigel mit seinem normalen, monotonen Tonfall seine Antwort. „Nein. Was geschehen ist, kann ich nicht rückgängig machen. Ihr Freund ist selber schuld, wenn er die Bürde ihrer Taten auf sich nimmt.“ Zanthe erwiderte schnippisch: „Die ganze Schuld. Ich kann mich nicht entsinnen, dass Anya damit angefangen hat, die Strecke zu verwüsten. Das war dein Schützling.“ „Sie hat getan, was ich ihr aufgetragen habe.“ Nigel schüttelte den Kopf, wechselte unvermittelt das Thema. „Du weißt es nicht, nicht wahr? Was sie da wirklich tut.“ Gebieterisch verschränkte Zanthe die Arme. „Ich höre.“ „Deine Freundin ist keine Hüterin. Die Methode, mit der sie die Artefakte an sich reißt, ist mir nicht bekannt, doch eins zeichnet sich ganz klar ab. Jeder Hüter, den sie seiner Macht beraubt, wird nicht ersetzt.“ „Was?“ Mit offenem Mund ließ Zanthe seine Arme wieder sinken. „Der Kreislauf wird durch ihr Wirken unterbrochen. Es werden keine neuen Hüter auserwählt. Und sie selbst ist nicht dazu imstande, neue zu deklarieren.“   War das wahr!? Zanthes Blick wanderte zu Claire herüber, doch er starrte an ihr vorbei. Was hatte das zu bedeuten? Steckte der Sammler dahinter, war das Teil seines Plans? Zanthe wusste nicht, ob er jetzt, da er sich diesem Vorwurf gegenüber sah, noch duellieren konnte. Unsicher betrachtete er den blassgoldenen Armreif an seinem linken Handgelenk.   „Es ist die Wahrheit.“ Nigel streckte bei diesen Worten seinen eigenen, linken Arm aus. An dem ein rotes D-Pad steckte. „Als Hüter ist es meine Pflicht, mein Artefakt zu verteidigen, bis derjenige kommt, dem es wirklich zusteht. Und das ist nicht Anya Bauer.“ Wer? Wer war es dann? Aber Zanthe ahnte, dass selbst Nigel diese Frage nicht beantworten konnte, denn genau die gleiche hatte er vor etwa einem Jahr Drazen gestellt, als er klar machen wollte, dass dieser jemand das verdammte Artefakt behalten könne. „Du hast meine Antworten auf deine beiden Forderungen vernommen. Kehre um, und wir lassen dich ziehen. Begehrst du das Artefakt trotz allem noch, werde ich dich hier bekämpfen.“ Plötzlich änderte sich sein Ton jedoch, wurde ruhiger und menschlicher. „Bitte triff die richtige Wahl.“   Anya helfen und damit den nächsten Hüter seiner Kräfte für immer berauben? Oder es nicht tun? Dann jedoch würde sie vielleicht sterben. Ihre Zeit war bereits so knapp. Was, wenn sie nicht rechtzeitig einen Weg fanden, sie zu verlängern oder den Sammler zu besiegen? Jeden Tag telefonierte Matt mit seinen Bekannten aus Dämonenjäger-Zeiten, um hinter ihrem Rücken nach Möglichkeiten zu suchen, ihr ein paar zusätzliche Tage zu schenken, sollte alles fehlschlagen. Der Werwolf biss die Zähne zusammen. Anya sollte nichts davon erfahren, sonst verfiel sie am Ende nur in eine Panik, was angesichts der bisher ergebnislosen Suche auch angemessen wäre. Er konnte sie jetzt nicht im Stich lassen! Wieder landete sein Blick bei Claire. So weit waren sie schon gekommen. Zwei Hüter waren ohnehin fort. Machte es überhaupt noch einen Unterschied, wie viele es gab? Er musste das jetzt entscheiden. Einmal tief durchatmen …   Mit entschlossenem Blick streckte Zanthe den Arm aus. „Wem gegenüber bin ich mehr verpflichtet? Einer Welt voller Hass und Vorurteilen oder einer Freundin? Ich werde kämpfen …“ Seine Miene verfinsterte sich, als sich der Duellhandschuh von seinem Armreif vollautomatisch um die ganze Hand schloss und die verschiedenen Zonen ausfuhren. „… für meine erste Freundin seit einem ganzen Jahrhundert!“ „Am Ende verrätst du also doch deine ursprüngliche Bestimmung. Bedauerlich“, erwiderte Nigel und ließ das rote D-Pad an seinem Arm ebenfalls ausfahren. Beide schrien: „Duell!“   [Zanthe: 4000LP / Nigel: 4000LP]   Mit verschränkten Armen beobachtete Claire das Geschehen. Verstohlen sah Zanthe aus den Augenwinkeln zu ihr herüber. Auch konnte er dieses Mädchen nicht im Stich lassen. Irgendjemand musste diesen Fluch, diesen Pakt brechen. Aus eigener Erfahrung wusste er nur zu gut, dass es nichts brachte, die eigenen Emotionen auszuschließen. Sich selbst von der Welt abzuwenden. Die Realität blieb trotzdem bestehen, ob man wegrannte oder nicht. „Ich werd' dich mitnehmen. Versprochen“, sagte er zu ihr, ohne aber eine Antwort zu erhalten. „Das kann ich nicht zulassen.“ Der Einwand seines Gegners brachte den Werwolf jedoch nur dazu, höhnisch aufzulachen. „Seit wann entscheidest du darüber? Ach ja, du hast sie ja in eine willenlose Puppe verwandelt, mein Fehler. Wäre doch interessant zu erfahren, wie sie reagieren würde, wenn sie sie selbst wäre.“ „Sie -ist- sie selbst“, konterte der Bärtige, „diesen Zustand hat sie lange ersehnt. Was ist daran verwerflich, ihn ihr zu gewähren?“ „Alles! Das ist unmenschlich!“ Zanthe griff nach seinem Deck. „Wenn -du- über Emotionen verfügen würdest, wüsstest du das! Ich fange an!“ Mit einem Schlag zog er sein aus fünf Karten bestehendes Startblatt. „Und beginne gleich mit einem verdeckten Monster!“ Welches sich in Form einer vergrößerten, horizontal vor ihm liegenden Karte manifestierte. Zanthe atmete einmal tief durch. „Das war's fürs Erste.“   „Draw Phase“, rief sein Gegner bestimmend aus und zog auf. „Normalbeschwörung: [Phantom Beast Luster-Unicorn].“ Während ein weißes Einhorn erschien, das im Mondlicht regelrecht mit seiner voluminösen Walle-Mähne, dem Spiralhorn auf seiner Stirn und dem Goldschweif erstrahlte, stemmte Zanthe eine Hand in die Hüfte. „Wow, genauso ausdrucksvoll wie sein Schützling. Mir tun jetzt schon die Ohren weh.“ Nigels Monster wieherte majestätisch und stellte sich auf die Hinterläufe auf.   Phantom Beast Luster-Unicorn [ATK/400 DEF/1700 (4)]   „Monstereffekt: In dem Zug, in dem dieses Monster beschworen wurde, kann ich ein Phantom Beast von meinem Deck ablegen, um eines mit identischer Stufe von dort zu erhalten.“ Anstatt die Namen zu nennen, nahm der Rothaarige seinen Kartenstapel aus dem Schacht, fächerte diesen auf und zog zwei Monster von dort hervor. Ersteres landete sofort auf dem Friedhof. Das andere zeigte er im Gegensatz dazu vor. „[Phantom Beast Cross-Wing]. Zauberkarte: [Fusion Sage]!“ Gleich im Anschluss rammte er die Karte in sein D-Pad, wodurch jene aufrecht vor ihm aufklappte. Abgebildet war darauf ein alter, glatzköpfiger Mann, dessen oberer Teil des Kopfes mit vollständig grünen, aufrecht stehenden Augen bespickt war. „Damit erhalte ich die Fusionskarte, [Polymerization], von meinem Deck“, erklärte Nigel, wobei sich jene automatisch aus seinem Deck schob und sofort aufgenommen wurde, „die ich sofort aktiviere, um [Phantom Beast Luster-Unicorn] und [Phantom Beast Cross-Wing] zu verschmelzen.“ Vor ihm öffnete sich ein rot-blauer Vortex, in den zunächst das anmutige Einhorn, dann ein goldgelber Vogel mit vier Flügeln, zwei davon am Unterleib, gezogen wurde. „Fusion Summon“, donnerte Nigel dann doch wesentlich beteiligter an der ganzen Sache als Claire bei ihren Duellen. Der Wirbel spuckte sein Monster aus. „[Phantom Beast Ascension-Patron]!“ Vor ihm erhob sich der weiße Körper des Einhorns, welcher nun die vier goldenen Flügel von Cross-Wing besaß. Gleichzeitig waren auch die Hufe nun mit Miniflügeln besetzt. Am meisten hatte sich das Haupt verändert, denn der lange Hals war verschwunden. Statt eines Pferdekopfes, war dort nun ein Vogelkopf mit Spiralhorn auf der Stirn.   Phantom Beast Ascension-Patron [ATK/2000 → 2300 DEF/2500 (6)]   Zanthe kratzte sich an der Wange. „Ein gestandener Mannsdämon mit einem strahlenden Vogeleinhorn. Bist du zufällig ein Fan von Freddy Mercury?“ „Solange [Phantom Beast Cross-Wing] auf dem Friedhof liegt, erhalten alle Phantom Beasts 300 Angriffspunkte“, erklärte Nigel jedoch stattdessen und ignorierte die unterschwellige Andeutung seines Gegenüber. „Monstereffekt: [Phantom Beast Ascension-Patron] kann sämtliche Effekte der Phantom Beasts auf meinem Friedhof imitieren. Ich nutze [Phantom Beast Luster-Unicorns] Effekt, um ein Phantom Beast auf den Friedhof zu schicken, um eines mit derselben Stufe zu erhalten.“ „Oh man, kein Sinn für Humor“, murmelte Zanthe kopfschüttelnd, als Ascension-Patron auch noch wie ein Stern zu leuchten anfing, Nigel sein Deck wieder aufnahm und die gewählten Karten vorzeigte. „Ich erhalte [Phantom Beast Rock-Lizard].“ Der Werwolf konnte dabei erkennen, dass eine zweite Kopie davon auf den Friedhof wanderte. Keine Sekunde später streckte Nigel den Arm aus. „Ich deklariere einen Angriff auf dein gesetztes Monster. Radiant Lightning Horn!“ Seine Kreatur richtete sich auf, stieg ein wenig in die Höhe und ließ aus dem Nichts einen Blitz in sein Horn einschlagen, welches daraufhin zu glühen begann. Dann stürmte das Ungeheuer vorwärts, direkt auf Zanthes Karte zu, welche um die eigene Achse wirbelte. Aus ihr entsprang ein Krieger, dessen Helm mit einem Schleier bedeckt war. Um ihn gewickelt war der lange Federschweif besagten Helms, der durch das Verteilen goldener Energie die Verteidigung des Sternenkundlers zu stärken schien. „Bye bye, Alrakis“, winkte Zanthe zum Abschied … Constellar Alrakis [ATK/1200 DEF/1500 (4)]   … bevor jener von dem Horn seines Widersachers aufgespießt wurde. „Monstereffekt. [Phantom Beast Ascension-Unicorn] kopiert den Effekt von [Phantom Beast Rock-Lizard], welcher besagt, dass es nach jedem erfolgreichen Kampf 500 Schadenspunkte zufügt.“ „Ah!“ Zanthe wich zurück, als das Horn, welches durch den Angriff direkt auf ihn gerichtet war, noch stärker zu leuchten anfing. Mit einem Hechtsprung und anschließender Seitwärtsrolle wich er rechtzeitig aus, als Ascension-Patron einen grellen Lichtstrahl auf ihn abfeuerte. Und obwohl er dank seiner guten Reflexe nichts davon abbekommen hatte, spürte er dennoch die Hitze des Angriffs. „Also das ist nicht lustig!“   [Zanthe: 4000LP → 3500LP / Nigel: 4000LP]   „Kein Sinn für Humor?“, konterte Nigel und setzte den Anflug eines Grinsens auf, ehe er mit seinem Zug fortfuhr. „Ich setze eine Karte. End Phase.“ Die Falle erschien zu seinen Füßen, der Manager verschränkte abwartend die Arme voreinander, dabei seine verbliebenen drei Handkarten haltend.   Energisch zog Zanthe auf und zeigte seine neue Karte auch gleich vor. „Ich aktiviere den permanenten Zauber [Constellar Star Chart]!“ Über ihnen am Himmel zeichnete sich das gleißende Wappen der Constellar ab, dargestellt durch einen Kreis, der in sich einen Windrosen ähnlichen Stern einschloss. „Solange ich die besitze, kann ich einmal während jedes Zuges eine Karte ziehen, wenn ich das Overlay Network errichte.“ Und genau das hatte Zanthe auch vor. Er schob eines seiner Monster in den linken Klingenabschnitt seines Handschuhs und streckte diesen dann mit gespreizten Fingern nach vorne aus. Vor ihm erschien ein kleiner Schlüssel, den er schnappte und zur Seite ausschwang. „Open a door to the twins! Zeig dich, [Constellar Pollux]!“ Ein aus verschiedenen Schichten von Astronomiesymbolen bestehendes Portal entstand, das aufrecht neben Zanthe stand und wie Glas wirkte. Welches zerbarst, als ein stolzer, weißer Krieger wie aus dem Nichts daraus hervorbrach. Dieser schwang ein langes Schwert, aus dessen Parierstange zwei parallel verlaufende Klingen wuchsen, eine golden, eine weiß – genau wie die beiden Seiten seiner Maske. Constellar Pollux [ATK/1700 DEF/600 (4)]   „Damit kann ich sofort noch ein Constellar als Normalbeschwörung rufen“, erklärte Zanthe und platzierte jenes schon auf dem Handschuh, „Open a door to the serpent! Los, [Constellar Rasalhague]!“ Ein zweiter Schlüssel erschien vor Zanthe, welchen jener in derselben Prozedur griff und zur Seite ausschwang. Ein identisches Portal erschien und zerbrach mit der Ankunft eines kleinen, maskierten Jünglings in goldener Rüstung, welcher einen aus zwei Schlangen verwobenen Zauberstab mit sich führte.   Constellar Rasalhague [ATK/900 DEF/100 (2)]   „Ich benutze Rasalhagues Effekt und biete ihn sofort als Tribut an, um Alrakis vom Friedhof in Verteidigungsposition zu beschwören.“ Abermals streckte der Kopftuchträger den Arm aus, schnappte sich den vor ihm entstehenden Schlüssel. Gleichzeitig löste sich sein kleiner Krieger in weiße Funken auf, die ein neues Portal in der Luft bildeten, welches sich horizontal drehte und selbstständig auf den Boden presste. „Open a door to the dragon!“ Nunmehr ein drittes Runenportal entfaltete sich neben Zanthe, doch dieses wirkte ein wenig anders als seine Vorgänger. Zwar bestand es auch aus mehreren Kreisen, doch statt Symbolen der Astronomie, wurden sie mit griechischen Buchstaben gefüllt. „Verlorener Tänzer! [Constellar Alrakis]!“ Das Tor explodierte wie bei der Eruption eines Vulkans, als der Krieger mit dem langen Federschweif an seinem Helm daraus hervor brach.   Constellar Alrakis [ATK/1200 DEF/1500 (4)]   „Und jetzt das große Finale!“, verkündete Zanthe und legte die beiden Monster auf seinem Handschuh übereinander. „Open a gate to the Sacred Star Knights! To the Overlay Network!“ Stoßartig richtete Zanthe die Hand nach vorne. In ihr materialisierte sich ein aus purem Gold gemachter, schwertgroßer Schlüssel, den er gegen die Stirn legte. „Xyz Summon!“ Mit voller Wucht rammte er diesen in den Boden, woraufhin sich ein gewaltiger, schwarzer Wirbel vor ihm öffnete. Parallel dazu verformten sich Pollux und Alrakis zu gelben Lichtstrahlen, die zielgenau in jenem Strom verschwanden. Über das Overlay Network zog sich ein weitflächiger Runenzirkel. „Kämpfe, [Constellar Omega]!“ Sogleich zersprang das Gebilde in tausend Teile und brachte einen weißen Zentaur hervor, hinter dessen Rücken ein Gestell aus schwarzen Metallplatten hing, Flügeln dabei nicht unähnlich. Zwei Lichtkugeln kreisten dabei um ihn. Constellar Omega [ATK/2400 DEF/500 {4} OLU: 2]   „Und jetzt setzt [Constellar Star Charts] Effekt ein“, sagte Zanthe, deutete auf den Himmel, wo das Wappen seiner Monster grell wie nie pulsierte. „Also ziehe ich!“ Was er auch mit Schwung tat. Nachdem er die Karte zu den übrigen in seiner Hand hinzugefügt hatte, streckte er ebenjene mit dem Blatt nach unten gerichtet aus. „Ich greife dein Monster an! [Constellar Omega], Eye Of The Arrow!“ Sein Sternenkrieger kreuzte die Arme vor seiner Brust, bevor er sie gleich wieder wegriss und den Torso nach vorne streckte. Aus ihm schossen dutzende golden leuchtender Pfeile, die wie ein Wespenschwarm auf den Vogelpegasus zu steuerten. Doch kaum hatte Zanthe den Angriff befohlen, reagierte Nigel mit einem Knopfdruck an seinem D-Pad. Die gesetzte Karte vor ihm sprang auf. „Fallenaktivierung: [Mirror Force]! Sie reflektiert den Angriff und zerstört [Constellar Omega]!“ Kurz bevor Ascension-Patron getroffen wurde entstand um ihn herum eine halbrunde, spiegelnde Barriere, auf welche die Pfeile prallten. „Hmpf, 'ne mächtige Karte hast du da! Aber sie wird dir nicht helfen! Effekt von Omega!“, konterte Zanthe selbstsicher und riss eine Overlay Unit unter seinem Monster hervor. Im Anschluss wurde eine der beiden Lichtsphären, die um jenen kreisten, über dessen Brust absorbiert. „Star Of Protection! Dadurch werden alle Constellar bis zum Zugende immun gegen Karteneffekte!“ Die Pfeile begannen damit, eine grelle Schliere hinter sich herzuziehen. Statt an der Barriere abzuprallen, durchbrachen sie diese, was schlussendlich dazu führte, dass sie in alle Himmelsrichtungen zerbarst. Aber kurz bevor der Angriff in sein Ziel einschlug, ertönte von weit oben ein Wiehern. Ein Donner, dutzende Blitzschläge, die jeden Pfeil einzeln niederstreckten und die Silhouette eines zweiköpfigen Pegasus mit Blitzschwingen, die vor Ascension-Patron auftauchte waren genug, um Zanthes Offensive niederzustrecken. Jener starrte verdutzt Nigel an, welcher eine Karte aus seinem Friedhof aufnahm und vorzeigte. „Das ist [Phantom Beast Thunder-Pegasus]. Sie beschützt mein Monster davor, zerstört zu werden und mich, Schaden aus dem Kampf zu nehmen.“ „Wie ist die da hingekommen?“, begann Zanthe laut zu überlegen, kam jedoch schnell selbst zu der Erkenntnis, dass sie gleich zum Anfang des Duells von [Phantom Beast Luster-Unicorn] vom Deck abgelegt worden war. Er verschränkte die Arme. „Nicht übel. Sag mal, beeinflusst der Pakt eigentlich nur Claire oder auch dich?“ Der Manager grinste plötzlich finster. „Das wirst du selbst herausfinden müssen.“ „Hm. Dann zeig mal, ob das schon alles war, was du drauf hast.“   Zanthe schloss die Augen und ging in sich. War es theoretisch möglich, dass der Paktauslöser von seinen eigenen Kräften profitierte? Es sprach insofern nichts dagegen, da eine Leistung gegenüber des Paktnehmers nur erfolgen konnte, wenn die benötigten Fähigkeiten beim Auslöser von Anfang an vorhanden waren. Wieso sollte er sie also nicht selbst für sich verwenden können? Dazu kam noch, dass er mit Claire auf besondere Weise verbunden schien. Es war klug, ihn darüber im Unklaren zu lassen. Besonders, falls er die Unbesiegbarkeit nicht auf sich selbst anwenden konnte. So wollte er ihn aus der Ruhe bringen, damit Fehler entstanden, dachte Zanthe. Das Wichtigste war, dass genau dies nicht geschah. Anya hätte Claire beinahe besiegt … beinahe. Wenn es stimmte, was Levrier sagte und der finale Angriff sie vor dem Ziel getroffen hätte, wäre der Sinn des Paktes jedoch erfüllt worden. Was hieß, dass dieser wirklich absolut war und selbst äußere Einwirkungen, die nichts mit dem Duell zu tun hatten, nichts daran änderten. Sogleich biss Zanthe die Zähne zusammen. Wie war das doch gleich mit dem sich nicht verrückt machen lassen?   „Ich bin dran.“ Nigel zog schwungvoll und legte die Zauberkarte sofort in sein D-Pad ein. „[Pot Of Greed] lässt mich ohne Weiteres zwei Karten ziehen.“ Als das grüne, riesige Behältnis mit dem fiesen Grinsen vor dem Dämon erschien, weitete der Werwolf erschrocken die Augen. „Was!? Das ist eine der seltensten Karten, die es in Duel Monsters überhaupt gibt!“ Zwei holografische Karten stiegen aus dem Topf der Gier auf, Nigels Lebenspunkte-Anzeige änderte sich auf 'Draw Two'. Einer Aufforderung, der der Mann umgehend nachkam. „Du stehst vor dem Manager der Weltmeisterin“, belehrte er dabei seinen Gegner, „sollte sie jemals einen Wunsch haben, eine seltene Karte zu erlangen, werde ich ihr diese besorgen.“ Zanthe stichelte zurück: „Mit Geld oder Magie?“ „Mit einem guten Ruf. Einem, dem weder du noch deine vorlaute Freundin schaden werden.“ Nigel nahm sein Fusionsmonster von dem D-Pad, welches sich daraufhin vor ihm in blauem Licht auflöste. „Tributbeschwörung: [Phantom Beast Rock-Lizard]! Da ich ein Phantom Beast geopfert habe, ist nur ein Tribut notwendig!“ Vor dem Rothaarigen brach der Erdboden förmlich auseinander. Eine riesige, vierbeinige Kreatur erhob sich, an den Armen seines Oberkörpers sowie der Brust und den Beinen durch massive Felsen geschützt. Wütend peitschte die Echsenkreatur mit ihrem langen Schweif umher.   Phantom Beast Rock-Lizard [ATK/2200 DEF/2000 (7)]   „Auch dieses Monster erhält 300 Angriffspunkte, da [Phantom Beast Cross-Wing] auf dem Friedhof liegt“, erklärte Nigel mit ausgebreiteten Armen. Doch als Zanthe sah, wie die Echse eine gelbliche Energie auszustrahlen begann, erkannte er sofort, dass etwas nicht stimmte.   Phantom Beast Rock-Lizard [ATK/2200 → 2800 DEF/2000 (7)]   „Warte! Du hast von 300 Punkten gesprochen, nicht von 600!“ „Du erinnerst dich sicherlich, dass [Phantom Beast Ascension-Patron] die Effekte der Phantom Beasts auf dem Friedhof erhält?“ Nigel ließ die Arme sinken. „Das gilt selbst dann, wenn es selbst darunter ist.“ Das war mal etwas Neues, schoss es dem Kopftuchträger erstaunt durch den Kopf. Also war das Ding selbst dann noch nervig, wenn es längst erledigt war! „Dein Monster ist völlig ungeschützt! Angriff, [Phantom Beast Rock-Lizard]! Calamity Spikes!“ Mit seiner mächtigen Faust schlug das riesige Monstrum auf den Boden. Unter Zanthes fliegendem Zentaur schoss eine massive Felsspitze aus dem Boden, die dank ihrer Geschwindigkeit keine Chance auf ein Ausweichmanöver offen ließ. Als [Constellar Omega] aufgespießt wurde, brach eine kleine Nebenspitze des Steins ab und wirbelte auf Zanthe zu, welcher sich unter ihr hinweg duckte. Es krachte laut, als jene in Nigels teuren Porsche in der Einfahrt einschlug und ihn vollkommen demolierte.   [Zanthe: 3500LP → 3100LP / Nigel: 4000LP]   Überrascht drehte sich Zanthe um, als die Alarmanlage einen Moment aufheulte, aber gleich wieder verstummte, weil ihr die Energie ausging. Der Felsbrocken hatte den Wagen förmlich erschlagen, die Frontscheibe, Motorhaube, alles war eingedrückt. „Du musst ja Geld haben, wenn-“ „Hast du nicht etwas vergessen?“ Der junge Mann war noch im Begriff sich wieder umzudrehen, da traf ihn etwas unglaublich Hartes in den Rücken. Keuchend stürzte Zanthe vorne über und landete im Gras. „Argh!“   [Zanthe: 3100LP → 2600LP / Nigel: 4000LP]   Rock-Lizard hielt einen Arm nach vorne ausgestreckt. „Mein Monster fügt dir 500 Schadenspunkte zu, wenn es eine deiner Kreaturen besiegt.“ Nigel lachte finster. „Du tust mir leid, fehlgeleiteter Hüter. Deine Freundin hat dich zum Sterben hierher geschickt, anstatt selbst zu kommen. Wenn es dich beruhigt: Ich werde ihr einen Besuch abstatten, früher oder später, und dich rächen. Das heißt, wenn sie nicht als Erste nach Rache für deinen Tod sinnt.“ Mühsam presste Zanthe sich mit beiden Händen wieder nach oben, ein Felsbrocken rollte von seinem Rücken, welcher furchtbar schmerzte. Verdammt, er war nur einen Augenblick abgelenkt gewesen! „Du planst ja ziemlich weit voraus“, zischte er dabei, „aber eins solltest du wissen. Du bist nicht der einzige Hüter, der was auf dem Kasten hat!“   ~-~-~   Wiederholtes Surren. Der Klang von Stahl, der auf Stahl traf. Ab und zu Schreie, Befehle, dann wieder die Geräusche eines Kampfes. Edna Caines hörte. Sie lauschte. Verborgen kniete sie neben einem Baum innerhalb eines kleinen Waldes und wartete. Einen prüfenden Blick auf das Gerät in ihrer Hand werfend, bei dem es sich um ein modifiziertes Smartphone handelte, das gerade eine Art Radar laufen ließ, versicherte ihr, dass sie hier genau richtig war. Drei blaue Punkte, dicht beieinander, bildete das Programm ab. Das hellste Blau, Sinnbild für den stärksten Äther, war, wonach CLEAR eigentlich suchte. So aber nicht Edna, die andere Befehle bekommen hatte.   Die komplett in Schwarz gehüllte Afroamerikanerin mit dem Rasterzopf wartete auf den Moment, an dem der Kampf sein Ende fand. Vom Wald aus sah sie herüber zu einem Maschendrahtzaun, hinter dem sich eine Fabrik befand. In ihrem Sichtfeld befanden sich neben einem einstöckigen, grauen Gebäude auch drei Gastanks, vor denen sich die drei Zielobjekte einen unerbittlichen Kampf lieferten.   „Der Bannkreis wurde sofort zerstört“, keuchte Zed und parierte mit einem weißen, schlichten Stab den Hieb des Katanas. „Wir müssen etwas tun, Stoltz!“ Jener befand sich einige Meter von ihr und dem weiß-maskierten Dämon im Kimono entfernt und grinste bösartig. Er hob die bandagierte Hand, woraufhin sofort dutzende Felsspitzen unter dem Dämon empor schossen. Doch anstatt sich aufspießen zu lassen, wirbelte der herum und trat dabei Zed beiseite, die mit derartige Wucht in den Maschendrahtzaun krachte, dass jener beinahe aus den Trägern gerissen wurde. Elegant hüpfte der Einzelkämpfer von einem Stalagmiten zum anderen, wobei sein langes, schwarzes Haar wie ein Schleier hinter ihm her tanzte. Sein Ziel war der riesige, dürre Undying, welcher unbewaffnet war und stattdessen eine Mauer vor sich erscheinen ließ. Die mit einem diagonalen Hieb des langen Katanas prompt zerteilt wurde. Stoltz wich zurück, lachte aber. „Noch einmal entkommst du dem Undying nicht, Abnormität.“ Er schwang den Arm aus. In der Luft sammelte sich in rasender Geschwindigkeit Staub, der zu spitzen Projektilen wurde, die auf den Dämon zuschossen. Und mit tänzelnden Bewegungen abgewehrt wurden. „Wir dürfen den 'Körper' nicht verletzen!“, rief Zed Stoltz alarmiert zu. Jener musste nun den Schwerthieben ausweichen. „Der Undying ist sich dessen bewusst.“ Und packte, nachdem ein weiterer Schlag ihn verfehlt hatte, den nur kurz ungeschützten Dämon mit seinem unnatürlich langen Arm am Hals. Mühelos hievte er das Wesen vom Boden. „Zeit für die Abnormität, ihren Schlaf fortzusetzen“, gackerte Stoltz. Doch der Dämon dachte gar nicht daran, sich seinem Widersacher zu beugen, hob beide Beine an und stieß damit gegen dessen Brust, was dazu führte, dass er losgelassen wurde. Stoltz torkelte nur minimal zurück und griff erneut nach seinem Opfer, das diesmal nicht lange fackelte.   Ein Surren. Im hohen Bogen flog der abgetrennte Unterarm durch die Luft und landete ein paar Meter weiter weg, nahe der Wand des Gebäudes. Für einen Moment starrte Stoltz den übrig gebliebenen Stummel seines linken Arms an. Von der anderen Seite stürmte die Undying mit der hohen, weißen Haube, die ihr Gesicht verdeckte, auf den den Dämon zu, der sich samt seiner Klinge zu ihr drehte und eine Schockwelle von dieser aussandte, die die Angreiferin augenblicklich wieder zurückwarf. Der Maskierte sprang aus dem Stand auf den mittleren der drei Gasbehälter, hob das Katana über den Kopf. Zed indes wirbelte den Stab, mit dem sie wieder pariert hatte und richtete ihn auf den Dämon, woraufhin sich ein Loch in der Spitze ihrer Waffe öffnete. „Oh!“, keuchte sie jedoch, als sie erkannte, dass ein Angriff die gesamte Anlage in die Luft jagen würde. „Stoltz!“ Doch es war schon zu spät. Der Dämon riss sein Schwert in die Tiefe und öffnete damit einen Spalt, der sich zu einem großen, rot-schwarzen Loch ausweitete. Die Undying kamen von beiden Seiten angerannt, doch sie konnten nichts mehr tun. Ihr Widersacher floh durch das Portal, das sich augenblicklich wieder vor ihren Augen schloss. Doch nicht, bevor ein entsetzter, verzerrter Schrei daraus hervor drang.   Edna zuckte dabei glatt zusammen. „Was war das!?“, hörte sie Zed aufgelöst fragen. „Da war eine Silhouette, vor der Schwelle des Limbus.“ Der Undying namens Stoltz kicherte. „Es ist also noch jemand hinter dem 'Körper' her.“ Die dunkelhäutige, junge Frau sah die weibliche Undying, wie sie mit dem Ausschwenken ihrer Hand ein ovales, schwarzes Portal zwischen sich und ihrem Kameraden entstehen ließ. „Das darf nicht sein! Wir müssen sofort zurück! Du musst dich aufladen.“ „Ein enttäuschendes Ende. Unsereins kann den Limbus nicht ohne Weiteres betreten.“ „Aber wer dann!? Niemand außer ihm sollte das können!“ Mehr bekam Edna von der Konversation allerdings nicht mit, da die beiden Undying durch das Portal schritten, welches sich daraufhin schloss.   „Noch jemand?“, wiederholte sie erstaunt. Ob das einer von CLEARs Leuten, ihren Leuten, gewesen war? Nein, die Befehle lauteten, den 'Körper' solange zu meiden, bis der Inner Circle etwas anderes anordnete. Was, wenn man die Bedrohlichkeitsstufe dieses Dings betrachtete, eine kluge Entscheidung war. Nein, was immer ihm da aufgelauert hatte, gehörte weder zu CLEAR, noch zu den Undying.   Edna erhob sich, schlich vom Wald aus zum Zaun und kletterte wie eine Katze daran hoch, um nahezu lautlos auf der anderen Seite zu landen. Der 'Körper' war fürs Erste also außer ihrer Reichweite, dachte sie, während sie zum dem Gebäude herüber ging und ihren Rucksack dabei abstreifte. Doch sie würde trotzdem nicht erfolglos zurückkehren, beendete die junge Frau den Satz in Gedanken, kniete vor dem abgetrennten Arm Stoltz' nieder und zog aus ihrem Rucksack einen zylindrischen, gläsernen Behälter. Welcher, wenn sie darüber nachdachte, eigentlich viel zu groß für eine einfache DNA-Probe war. Anscheinend hatte man wirklich von ihr erwartet, gleich ein ganzes Gliedmaß mitzubringen, nach welchem Edna schließlich mit angewidertem Gesichtsausdruck griff. Sie hasste ihren Job. Aber wenn sie es nicht tat, wer dann?   ~-~-~   „… wirklich? Danke, Papa“, strahlte Valerie in das weiße Smartphone an ihrem Ohr, „ich hab dich lieb. Bye.“ Matt betrachtete die schwarzhaarige, junge Frau neben sich zufrieden, wie sie zusammen den Bürgersteig an verschiedenen, leicht heruntergekommenen Geschäften entlang gingen. „Und? Hilft er uns doch?“ „Er hat es sich überlegt und wird ein paar Privatdetektive anheuern.“ Zu so später Stunde war dieser Teil Ephemeria Citys nahezu verlassen, abgesehen von einem Bettler auf der anderen Straßenseite, dem sie ein paar Münzen in den Kaffeebecher gelegt hatten. Insgeheim musste Matt zugeben, dass er bezweifelte, wie nützlich sich jene erweisen würden, aber er sagte nichts. Valerie hatte ihn in den letzten Tagen immer wieder gefragt, ob sie vielleicht bei seiner Arbeit helfen könnte. Das wollte er ihr nicht kaputt machen.   „Schade, dass deine Bekannten immer noch nichts von diesen beiden gehört haben“, sprach Valerie weiter. Sie war bei den Gesprächen dabei gewesen und hatte sich erklären lassen, wie dieses Netzwerk funktionierte. „Inzwischen bin ich mir sicher, dass sie keine Dämonenjäger sind. Irgendjemand hätte von ihnen gehört. Unsere Welt ist kleiner als du denkst, Valerie.“   Ein ungeschriebenes Gesetz der Dämonenjäger besagte, dass Informationen hauptsächlich in Kneipen mit Namen ausgetauscht wurden, die etwas Dämonisches in sich hatten. Matt konnte selber nicht erklären, warum dies so war, fand es aber ganz unterhaltsam. Darüber hinaus arbeiteten die meisten von ihnen mit einer Computersoftware, über die Aufträge an einer Art schwarzem Brett ausgehangen wurden. Alastair, so hatte Matt ihr erklärt, war kein Freund dieser Technik und beschaffte sich seine Jobs lieber auf die traditionelle Weise, das Aufschnappen von Gerüchten. Die meistens von Alector kamen, der sehr wohl mit dem Programm arbeitete, was sein konservativer Freund jedoch nicht wusste.   Plötzlich hielt das Mädchen an. „Danke.“ „Wofür?“, wurde sie verwirrt gefragt. „Dass du mich ein wenig in das alles einbindest. Anya versucht ihr Möglichstes, mich da rauszuhalten.“ Deprimiert senkte Valerie ihr Haupt. „Seit der Sache mit Marc habe ich kaum ein Wort mit ihr gewechselt.“ „Ihr geht’s gut.“ Matt lag auf der Zunge, dass es doch die Schwarzhaarige war, die sich zurückgezogen hatte. Aber es gab Dinge, die man besser nicht aussprach. „Sie will nur, dass du nicht noch tiefer in ihre Angelegenheiten gezogen wirst.“ „Vielleicht möchte ich aber genau das“, gestand Valerie plötzlich so bestimmt, dass ihr Gegenüber zusammenzuckte. „Mein Verlobter ist fort, meine Karriere als Profi-Duellantin verbaut, mein Studienplatz weg. Mit irgendwas muss ich die Leere füllen. Matt, hilf mir dabei, eine-“   Weiter kam sie nicht. Einige Meter von ihnen entfernt öffnete sich ein schwarzes, ovales Portal, in dem sich das Antlitz der beiden widerspiegelte. Matt stieß vor Schreck gegen Valerie, die lautstark nach Luft schnappte. Schwarze Stiefel traten aus dem Portal vor ihm, ihnen voran eine schier endlos erscheinende Klinge, die zu einem Katana gehörte. Jene Kreatur, in einem schwarzen Kimono samt dazu passender Hose gekleidet, trat ihm gegenüber. Hinter der weißen, mit roten Streifen verzierten Maske konnte Matt nicht erkennen, um was es sich hierbei überhaupt handelte. „Kali!?“, mutmaßte er von einer früheren Schilderung Anyas. Valerie fragte erschrocken: „Das ist Kali?“ Aber nein, jene hatte die Maske anders beschrieben, denn eigentlich ging von jener kein fast bis zum Boden reichendes, strubbig-dunkles Haar aus. In einer langsamen Bewegung wurde die Klinge auf ihn gerichtet. Sofort wich Matt zurück, dabei schützend den Arm vor seine Begleitung haltend. „Hey, langsam, langsam. Du bist nicht Kali, oder? Wer dann?“ Das Katana wurde überraschenderweise gesenkt. Die ihm unbekannte Person ließ es zurück in die Scheide an ihrem Gürtel sinken. Matt atmete tief durch. „Danke.“ „Ich kenne einen Weg Anya Bauer zu retten, ohne dabei weitere Hüter zu verlieren.“ Die verzerrte Stimme ließ Matt zusammenzucken, jagte einen Schauder über seinen Rücken. So sehr, dass er die eigentliche Botschaft erst einen Moment später begriff. „Warte! Was!?“ Sein Gegenüber, dem so unmöglich ein Geschlecht zugeordnet werden konnte, verschränkte die Arme. „Ich sagte: Ich kenne einen Weg Anya Bauer zu retten, ohne-“ „Das habe ich schon verstanden.“ Matt löste sich nur zögerlich von Valerie und trat einen Schritt nach vorne. „Warum bittest du mich dann, mich zu wiederholen?“ „Ich-! Egal!“ Der Dämonenjäger trat näher an den Dämon heran. „Und was muss ich tun?“ „Du brauchst das.“ Um zu verdeutlichen, was jenes Wesen meinte, legte es seine Hand darauf. Auf die Schwertscheide. „Töte den Sammler. Ich bin dazu nicht mehr imstande.“   „Den Sammler töten!?“ Valerie eilte an Matts Seite. „Ist das möglich!? Mit diesem Schwert!?“ „Nein. Nicht mit diesem. Dieses ist nur eine Nachahmung.“ Der fremdartige Dämon legte den Unterarm auf den Schwertgriff. „Das Original befindet sich in der Zuflucht der Undying.“ „W-warte mal, das geht mir alles zu schnell …“ „Ich habe keine Zeit mehr. Und du auch nicht. Rufe nach Stoltz, finde das Schwert Ragnarok und töte den Sammler.“ Doch Matt kam nicht mehr dazu, seine Fragen zu stellen, denn das Wesen vor ihm wurde auf einmal wie Asche in einem Windstoß davon geweht. Unter einem merkwürdigen Geräusch, das klang wie ein weit entfernter, mechanischer Schrei.   „W-was war das gerade?“, fragte Valerie verwirrt. „Eine Astralprojektion, schätze ich. Wem immer sie gehörte, irgendetwas ist ihm zugestoßen.“ Matt schluckte. „Dieses Wesen. Woher kennt es ausgerechnet mich?“ „Was war das?“, wollte die junge Frau wissen. Wenn er das wüsste. Matt zuckte mit den Schultern. Als er die Schwarzhaarige neben sich jedoch ansah, platzte es aus ihr heraus. „Den Sammler töten … das ist doch verrückt!“ Auch Matt konnte sich nicht vorstellen, wie das mithilfe eines Schwertes möglich sein sollte. Und dass ausgerechnet die Undying im Besitz davon waren. Er wusste ja nicht einmal, wo ihr Versteck sich befand, geschweige denn, wie er unbeschadet dort hineinkommen sollte. Betonung auf unbeschadet. „Wir sollten den anderen davon erzählen“, meinte er. Zu seinem Erstaunen jedoch schüttelte Valerie den Kopf. „Oder wir gehen dem ohne sie nach.“ „Das ist viel zu gefährlich!“, protestierte Matt sofort, während hinter ihnen ein Auto über die Straße heizte. „Angenommen, dass es diese Waffe tatsächlich gibt, reden wir hier über die Undying! Gegen die haben wir keine Chance!“ Stur wie sie manchmal sein konnte, schüttelte Valerie den Kopf. „Der Dämon hat gesagt, dass du nicht viel Zeit hast. Vielleicht meint er damit, dass die Undying derzeit unterwegs sind. Das wäre die Gelegenheit für eine Infiltration.“ Der Dämonenjäger starrte sein Gegenüber erschrocken an. Sie meinte es tatsächlich ernst. Wusste sie nicht, wie gefährlich ihr Vorschlag war!? „Valerie, dein Tatendrang in allen Ehren, aber das geht nicht. Ohne zu wissen, wo sich-“ „Du bist vielleicht ein Dämonenjäger“, konterte Valerie neckisch und verschränkte die Arme, „red' dich nicht damit heraus, deren Versteck nicht ausfindig machen zu können.“ Matt machte Augen wie ein Mondkalb, besonders als sie fortfuhr. „Als Another sich als Joan ausgegeben hat, hat er mir erklärt, wie man Leute ausfindig machen kann. Eine Variante ist das Auspendeln. Eine weitere via Beschwörungsformeln.“ „Damit rufen wir die Undying, nicht das Schwert“, wurde ihr erklärt, doch Valerie schüttelte den Kopf. „Und der Riss im Zeit-Raum-Gefüge, der dabei entsteht, befördert uns direkt vor ihre Türschwelle. Rufe Stoltz, hat dieses Wesen gesagt“, sagte sie und ihr Blick gewann etwas Herausforderndes, „und genau das werden wir auch tun. So eine Chance sollten wir uns nicht entgehen lassen.“ Matt fühlte sich, als hätte ihn gerade ein Bus überfahren. Sie wussten ja nicht einmal, ob das nicht nur eine Falle war! Niemand konnte garantieren, dass das, was dieses Wesen ihnen gesagt hatte, überhaupt der Wahrheit entsprach. Und doch. Etwas Vertrautes hatte es umgeben. Nur konnte Matt beim besten Willen nicht sagen, was es damit auf sich hatte und ob das nicht nur Einbildung war …   ~-~-~   „… Blödian!“, schimpfte Anya vor sich hin. Das schwarze Mobiltelefon, welches sie sich unterwegs von irgendeiner blonden Schnepfe unbemerkt 'geliehen' hatte, landete zielgenau in einem Mülleimer neben dem Tor, das den Weg zu den Spielfeldern des Ephemeria Bridge Stadiums blockierte. Der Vorbereitungsraum war stockfinster. Dank Nick, welchem Anya ziemlich zeitaufwendig erklärt hatte, warum genau er dafür sorgen sollte, dass die Überwachungskameras den Geist aufgeben mussten. „Aber Anya, das ist eine Falle“, äffte sie ihn höchst erbost zum wiederholten Male nach. Mit dem Abgang des Telefons war auch ihre einzige Lichtquelle verloren gegangen. „Ernsthaft, wie lange machen wir diesen Job jetzt, Levrier?“ Es war ein Leichtes gewesen, im Dunkeln hier reinzukommen. Scheinbar gab es hier nicht mal Wachpersonal und wenn doch, taten sie alles außer das, was in ihrer Stellenbeschreibung stand.   Ich würde es nicht gerade als 'Job' bezeichnen. In deinem Fall viel eher als Berufung. Und damit beziehe ich mich auch nicht auf das Nachjagen unserer Feinde, sondern deine kriminelle Veranlagung.   „Kannst du nicht einmal auf meiner Seite sein?“, schnarrte Anya und positionierte sich nachdenklichen Blickes vor dem Tor. Irgendwie musste sie da durch, aber von wo aus öffnete man das verdammte Teil?   Ich könnte, aber das wäre nicht halb so unterhaltsam.   Das Mädchen sah ihm seinen trockenen Kommentar nach. Sie ahnte, dass er nur versuchte, ihr ihre Aufregung zu nehmen. Es gab dabei nur zwei Probleme. Erstens war sie nicht aufgeregt und zweitens regte sie das nur an, sich aufzuregen, was ihr die Anregung nahm, jegliche Regung von Kali mit angemessener Gewalt zu unterbinden. Hrgh! „Schnauze, wenn du nichts Konstruktives beizutragen hast!“   Stimmt. Hier ist dein destruktiver Typ gefragt. Denn wir wissen doch beide, dass du nicht den Umweg gehen wirst, um dieses Tor zu öffnen.   Nein, antwortete Anya ihm mit diabolischem Grinsen auf den Lippen, während um ihre rechte Hand Heavy Ts metallischer Handschuh erschien. Diese brauchte sie nur einmal nach vorne zu stoßen, um die ungewünschte Blockade aus ihren Angeln zu heben und fünf Meter weiter ins Innere des Stadions zu buxieren.   Als Anya mit einem erfüllten Lächeln auf den Lippen über das Tor schritt, blickte sie nach oben. Das Stadion war in seinem offenen Zustand, über ihnen herrschte eine klare Nacht. Die Sterne funkelten. Und Anya konnte förmlich die Botschaft in ihnen lesen, die irgendwo zwischen 'Kill Kali' und 'Drag her to hell' anzusiedeln war. Sie hatte noch nicht einmal die riesige Fläche erreicht, auf dem insgesamt 72 Duellfelder gezeichnet und nummeriert waren, da sah sie in deren Mitte bereits die dunkle Gestalt ihrer Widersacherin warten. Anya ließ sich Zeit dabei, sich ihr zu nähern. „Ich spüre nichts“, flüsterte sie leise, sah sich genau im Stadion um, das etwa anderthalb mal so viel Fläche einnahm wie ein Footballfeld. Nichts außer der selbsternannten Dämonengöttin zu sehen, aber das hieß nicht, dass sich nicht irgendwer auf den Zuschauertribünen verstecken könnte.   Ich auch nicht. Sie scheint wirklich allein gekommen zu sein. Und seit wann kannst du Präsenzen spüren?   „Keine Ahnung. Wenn ich mich auf eine gewisse Person konzentriere und die nicht allzu weit weg ist, sehe ich ihre Farbe.“ Anya dachte da nur an Redfield, die sie damals gespürt hatte. Blau wie das Meer. „Ist bekloppt. Seit wann kann man Farben erfühlen?“ Warum hast du nie etwas davon gesagt?   Unbedarft zuckte die Blonde mit den Schultern. „Wenn ich euch jeden Furz mitteile, der mir gerade quer liegt, darf ich irgendwann nicht mal mehr alleine kacken gehen.“ Prompt war Levrier still. Anya fragte sich aufrichtig warum.   Aber nachfragen war nicht mehr möglich, als sie Kali letztlich auf einigen Metern gegenüber stand. „Yo“, begrüßte sie die Kuttenträgerin grimmig. „Was willst du von mir?“ „Von dir? Nichts“, drang deren Stimme gedämpft hinter ihrer weißen Porzellanmaske hervor. „Ich will mir selber einen Gefallen tun. Und endlich einfordern, was mir zusteht. Meine Rache.“ Anya zuckte abfällig mit den Schultern. „Jetzt auf einmal? Hast dir ja ganz schön Zeit gelassen.“ „Sich auf jemanden wie dich vorzubereiten ist nicht ganz so einfach. Aber jetzt bin ich bereit.“ Kali hob den linken Arm an, an dem ihre rote V-Duel Disk, pardon, -Anyas- rote V-Duel Disk steckte. Die gluckste aber nur bitterböse. „'kay, wenn du meinst. Dann geb' ich dir jetzt genau eine Chance, mir zu sagen, was dein Problem mit mir ist und wie ich dich beseitigen kann.“ Und ja, Anya wählte bewusst 'dich' statt 'es'. Immerhin hatte der Beef nicht von ihrer Seite aus begonnen, damit das mal klar war! „Das erfährst du nur, wenn du verlierst“, antwortete Kali geheimnisvoll. „Und wenn ich gewinne?“ „Mache ich so lange weiter, bis du freiwillig aufgibst.“ Auf die düstere Drohung hin lachte Anya abfällig. „Sofern du noch dazu in der Lage sein wirst.“ Die Duel Disk an Kalis Arm fuhr zu beiden Richtungen aus. „Immer diese leeren Drohungen.“ Auch Anya aktivierte das rote D-Pad an ihrem Arm. „Komisch, dasselbe habe ich gerade auch über dich gedacht.“ „Duell!“, bellte Kali jedoch zornig. Anders als Anya, deren Ausruf zur Abwechslung anders ausfiel. „Idiot!“   [Anya: 4000LP / Kali: 4000LP]   „Ich beginne!“, entschied Kali sofort im Anschluss, ehe Anya dazwischenfunken konnte und riss ihr Startblatt aus ihrer V-Duel Disk. Nach einer kurzen Denkpause sagte sie: „Ich setze diese hier und beschwöre [Celestial Gear – Synthetic Quail]!“ Mit dem Kartenrücken nach oben zeigend materialisierte sich die Falle vor ihren Füßen. Gleichzeitig stiegen ein ganzes Dutzend Lichtpunkte über ihr in die Höhe, die sich durch Energielinien miteinander verbanden. Fast sah es aus, als würde dort ein Monster gezeichnet werden. Anya kommentierte den Anblick unbeeindruckt. „Hm. Das Ding ist neu.“ Tatsächlich hatte sie den dort oben entstehenden, dickbäuchigen Mechavogel nicht im Duell gegen Isfanel gesehen. Jener streckte seine schmalen, aber langen Schwingen von sich. Durch eine graue Lichtbarriere konnte man in sein Inneres sehen, sehen, wie sich Zahnräder über Zahnräder drehten.   Celestial Gear – Synthetic Quail [ATK/1600 DEF/1700 (4)]   „Zug beendet.“ Anya runzelte ärgerlich die Stirn. „Na endlich! Ich bin dran! Draw!“ Schwungvoll riss sie die Karte von ihrem roten D-Pad und sah sie an. Jedoch musste sie enttäuscht feststellen, dass diese nicht wie erhofft ein Pendelmonster war, um ihren Pendelbereich wirksam aufzubauen. Trotzdem sah sie entschlossen nach vorn. Es gab mehr als genug Strategien, die sie inzwischen verfolgen konnte, jetzt, da sie ihre wahre Stärke glaubte gefunden zu haben. Ein selbstbewusstes Lächeln blitzte auf. „Dann eben so! Ich beschwöre [Gem-Knight Alexandrite]!“ Vor ihr tauchte umgehend ein unbewaffneter Ritter in silberner Rüstung auf, welche mit bunten Edelsteinen gespickt war. Gem-Knight Alexandrite [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   „Ich weiß, was der kann“, raunte Kali hinter ihrer Maske, „mach's endlich.“ „Jeez, reg' dich ab.“ Widerwillig nahm ihre Gegnerin das Monster wieder vom D-Pad. „Er kann sich als Tribut anbieten, um einen normalen Gem-Knight aus meinem Deck zu beschwören. Und ich rufe [Gem-Knight Pyrite]!“ Kali zuckte regelrecht zusammen. „W-was?“ Derweil löste sich Alexandrite in weiße Funken auf, die sich an Ort und Stelle zu einem neuen Monster formten. Bei diesem handelte es sich um einen weißen Ritter mit würfelförmigen, silbrigen Schulterplatten, der an beiden Armen je eine Hälfte eines massiven Goldschildes befestigt hatte.   Gem-Knight Pyrite [ATK/0 DEF/2800 (6) PSC: <8/8>]   „Willst du etwa ernsthaft defensiv spielen?“ Es war das erste Mal, dass Anya Kali derart überrascht und skeptisch erlebte. Scheinbar kannte sie ihren Spielstil ziemlich gut, was wohl auch kein Wunder war, wen sie sie derart hasste. „Was wenn's so wäre? Würde das deine Strategie durcheinander bringen?“, stichelte die Blonde. „Niemals. Im Gegenteil.“ „Na dann habe ich eine gute Nachricht für dich. Oder auch nicht. Ich habe nämlich nicht vor, mich zu verteidigen!“ Anya nahm eine Karte aus ihrem Blatt und zeigte diese stolz vor. „Ich aktiviere [Polymerization] und verschmelze den [Gem-Knight Pyrite] auf meinem Feld mit dem [Gem-Knight Sapphire] in meiner Hand!“ Kali wich gar einen Schritt zurück. „Nicht [Gem-Knight Fusion]!? Was zur Hölle wird das!?“ Über Anya öffnete sich ein orange-blauer Wirbel, in den erst der weiße Ritter gezogen wurde, dann noch einer in hellblauer Rüstung. Anya hob entschlossen dreinblickend beide Hände über den Kopf und faltete sie zusammen. „Ein Schrei aus vergangenen Tagen erschüttert die Zukunft! Erster deiner Art, höre meinen Ruf! Fusion Summon!“ Regelrecht panisch fuhr Kali dazwischen: „Willst du mich verarschen!?“ Nein, dachte Anya mit grimmiger Genugtuung ob der offensichtlichen Ratlosigkeit ihrer Gegnerin und riss die Hände nach unten. „Dominiere, [First Of The Dragons]!“ Brüllend kam die Bestie aus dem Wirbel geschossen. Ihre mächtigen Schwingen, breit und mit mächtigen Schuppen bedeckt, wirbelten mit ihren Schlägen holografischen Staub auf. Zwar mangelte es dem Drachen an Gliedmaßen, was er jedoch mit den spitzen Hörnern an seinem langen Körper und den spitzen Zähnen wieder wett machte.   First Of The Dragons [ATK/2700 DEF/2000 (9)]   Kali keuchte wütend. „Woher hast du den!?“ „Gewonnen“, erwiderte Anya grimmig und sah stolz hinauf zu dem mächtigen Drachen über ihr, „er passt wunderbar in mein Deck, da man nur zwei beliebige normale Monster fusionieren muss. Aber mit [Gem-Knight Fusion] geht das leider nicht, deswegen habe ich die herkömmliche Fusionskarte in mein Deck integriert.“ Sich wieder an die selbsternannte Dämonengöttin wendend, verschränkte Anya die Arme. „Ich habe eine Menge beim Legacy Cup gelernt. Der hier ist die Belohnung dafür.“ „Trotzdem bist du dem Tode geweiht.“ „Keine Ahnung woher du das weißt, aber wenn dem so ist, wieso lässt du mich nicht einfach in Ruhe?“ Das Mädchen kniff die Augen fest zusammen. „Oder habe ich deinen Kopf in der High School einmal zu oft in die Kloschüssel getaucht, dass du es nicht abwarten kannst, bis ich in die Kiste springe?“ Gesammelt konterte Kali: „Ich bin keines deiner Opfer von damals. Meine Rache an dir basiert ausschließlich auf der Tatsache, dass es dich gibt.“ „Huh?“ Das verwirrte Anya doch ein wenig. „Nur weil es mich gibt? Ich hab dir nicht mal was getan!?“ „Du wirst es verstehen, glaub mir. Dafür werde ich sorgen.“ „Sorg' lieber dafür, dass du nicht dauernd einen Herzinfarkt bekommst, wenn ich eine Karte spiele, die du nicht kennst“, giftete Anya zurück und schwang den Arm aus; „und jetzt mach dich schon mal frisch! [First Of The Dragons], greif ihre komische Wachtel an! Burst Stream of Origin!“ Gierig schnappte jener nach Luft und sammelte in seinem Maul eine rötliche Energie an, die er dann in einem vernichtenden Odem abfeuerte. Der riesige Mechavogel über Kali wurde von der Attacke durchbohrt und explodierte in alle Einzelteile.   [Anya: 4000LP / Kali: 4000LP → 2900LP]   Wie in Zeitlupe fielen die Schrottteile auf die Maskierte herab, welche erklärte: „Du kennst die Effekte der Celestial Gears: Wenn sie zerstört werden, kehren sie stattdessen auf meine Hand zurück. Und in Quails Fall passiert noch etwas. Sieh gut hin!“ Ein Teil der Trümmer verwandelte sich in pures, gelbes Licht, welches sich in Kalis Hand zu einer Karte formte. Doch der Rest richtete sich wie von Geisterhand auf den mächtigen Drachen aus. Spitz wie sie waren, schossen sie auf Anyas Monster zu, mit der Absicht, es zu durchbohren. „Wenn Quail zerstört wird, zerstört sie die Karte, die für ihr Ableben verantwortlich war“, lautete Kalis Erklärung dazu. Anya sah mit gerunzelter Stirn zu, wie ihre wertvolle Preiskarte von den spitzen Trümmern getroffen und durchbohrt wurde. Eine Explosion folgte auf dem Fuß. „Das war ein kurzer Auftritt“, spottete Kali. „Ja, deine fette Wachtel war eben nicht gut genug.“ Anya grinste bösartig. „Siehst du?“ In dem Moment hallte wütendes Gebrüll von der Stelle über ihr und blies den Rauch fort. Und [First Of The Dragons] verharrte unverletzt über dem Mädchen und stierte Kali an, als wolle er sie jeden Moment zerfleischen. „W-was!?“ „Tja, Pech gehabt, denn mein Kumpel hier ist immun gegen Monstereffekte.“ Anya warf einen Blick auf ihr Blatt und konnte genau hören, wie ihre Feindin wütend schnaufte. „Naja, das soll's erstmal gewesen sein. Zug beendet!“   Das ließ sich die selbsternannte Dämonengöttin nicht zweimal sagen und zog von ihrer V-Duel Disk schwungvoll auf. „Draw!“ Gleich darauf streckte sie den Arm nach vorn. „Ich aktiviere meine Falle [Gear Crushing]!“ Nervös beobachtete Anya, wie zwei riesige Zahnräder links und rechts vor Kali erschienen. Und dazwischen die Karte eines Monsters, das sie im Gegenzug zur Falle bereits kannte: [Celestial Gear – Synthetic Albatross].“ „Diese Falle zerstört ein Celestial Gear in meiner Hand und erhöht meine Lebenspunkte um dessen Angriffswert“, bellte Kali förmlich. Ruckartig krachten beide Zahnräder zusammen, mit der Karte dazwischen, und zermahlten diese. Die daraus entstehenden Lichtfunken sprangen auf Kali über.   [Anya: 4000LP / Kali: 2900LP → 3400LP]   Doch mehr noch, zeigte Kali die eigentlich zerstörte Karte vor. „Wie du weißt, bekomme ich zerstörte Celestial Gears für gewöhnlich auf die Hand zurück. So wie dieses.“ Wodurch die restlichen Funken statt Kali zu berühren, stattdessen in der Monsterkarte verschwanden. „Klar“, schloss Anya daraus, „damit hast du es leichter, Rückbeschwörungen durchzuführen.“ Durch den Kampf mit Isfanel wusste sie bereits, dass diese Riesenvögel zusätzliche Effekte erhielten, wenn man sie nochmal von der Hand beschwor, nachdem sie auf jene zurückgekehrt waren. „Ganz recht. Ich beschwöre [Celestial Gear – Synthetic Quail] als Rückbeschwörung.“ Tatsächlich war es nur eine reguläre Normalbeschwörung, wusste Anya. Trotzdem keuchte sie ärgerlich, als über Kali diverse Lichtkugeln aufstiegen und zwischen sich die Form der eben erst zerstörten Mechawachtel zeichneten, ehe jene sich mit ihrem fetten Körper über Kali erhob.   Celestial Gear – Synthetic Quail [ATK/1600 DEF/1700 (4)]   „Quails neuer Effekt lässt mich noch ein Monster aus meiner Hand beschwören.“ Kali donnerte jene Karte auf ihre Duel Disk. „Rückbeschwörung, [Celestial Gear – Synthetic Albatross]! Durch dessen Rückbeschwörungseffekt kann ich zwei Karten ziehen!“ Und während sie das tat, zeichnete sich neben ihrem alten Vogel ein neuer von selbst, durch dessen rötliche Barriere man die mechanischen Innereien sehen konnte. Markant war besonders sein gebogener Schnabel.   Celestial Gear – Synthetic Albatross [ATK/500 DEF/0 (4)]   „Damit ist alles bereit“, verkündete Kali und hob ihren Arm in die Luft, „ich errichte das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster!“ Ein Schwarzes Loch auf ihrer Spielfeldseite öffnete sich, in das beide Vögel als gelbe Lichtstrahlen eintauchten. „Pass gut auf!“ Ihre Gegnerin giftete zurück: „Als ob ich nicht wüsste, was du vor hast!“ Anstatt ein neues Monster zu offenbaren, richtete sich das Phänomen auf, sodass es Anya wie ein Auge betrachtete. Und plötzlich verfärbte es sich rot-blau, wurde zu einem Vortex. „Tch, das ist neu. Aber ich kann mir denken, was es ist!“ „Incarnation Fork Summon! Ich verschmelze die für die Xyz-Beschwörung genutzten Materialien miteinander! Xyz-Summon, Herald of Purity, [Celestial Gear – Synthetic Armored Dove]! Fusion Summon, Herald of Clarity, [Celestial Gear – Synthetic Armored Finch]! Arise!“ Wieder wechselte der Wirbel seine Lage und richtete sich nach oben aus. Gleich zwei riesige Gestalten schossen aus ihm empor. Links handelte es sich um eine Mechataube, auf deren voluminöse Brust eine weiße Panzerung angebracht war, sodass nur an winzigen Spalten zwischen den spitz zulaufenden Flügeln weiße Energiebarrieren Einblick in ihr Innenleben gewährten. Neben ihr flatterte ein Maschinenfink, ebenfalls geschützt von weißen Platten am Körper. Einzig seine Beine und der Mittelteil seiner Schwingen waren von einer gelben Lichtschicht überzogen. Dabei wurde seine Partnerin von zwei goldenen Lichtsphären umkreist.   Celestial Gear – Synthetic Armored Dove [ATK/500 DEF/2500 {4} OLU: 2] Celestial Gear – Synthetic Armored Finch [ATK/2000 DEF/0 (4)]   „Dank Dove konnte ich ihre beiden Overlay Units fusionieren, ohne sie dabei zu verlieren.“ Anya verschränkte die Arme. „Schön für dich, aber mehr auch nicht. Als Isfanel das gemacht hat, war es noch cool. Bei dir? Reden wir lieber nicht drüber.“ Mit grimmigen Vergnügen vernahm sie, wie ihre Gegnerin schnaubte. Dabei ahnte die vermutlich nicht mal, dass Anya tatsächlich eine Fork Summon mit zwei gänzlich anderen Monstern erlebt hatte und diese beiden gar nicht kannte. Aber das würde sie ihrer Feindin gewiss nicht aufs Brot schmieren. Die streckte die geballte Faust mit der V-Duel Disk am Arm aus. „Dann weißt du sicherlich auch, dass Finch mir bei seiner Beschwörung eine Gear- oder Synthetic-Zauberkarte aus dem Deck zukommen lässt. Ich wähle [Destructo Gear]. Und aktiviere es auch gleich!“ Lauter Zahnräder erschienen um den Apparat und begannen daran zu reiben. Funken sprühten, als Kali erklärte. „Damit wird sofort eine Zauberkarte von meinem Deck verbannt. [Banished Power Gear]!“ „Nicht dein Ernst“, entfuhr es Anya da, bei der unschöne Erinnerungen an jene Karte geweckt wurden. Ein Abbild des Zaubers erschien und zersprang zusammen mit den Zahnrädern. „Du kennst sie offensichtlich schon. Dann weißt du auch, dass du sie nie wieder los wirst!“ Ja, das wusste Anya. [Banished Power Gear] verstärkte diese blöden Metallhühner während jedes Kampfes um 500 Angriffs- und Verteidigungspunkte, solange sie verbannt war. Auch wenn dieser Boost nur während des Kampfes anhielt, so gab es keine Karten, die Anya kannte, welche einen verbannten Zauber entsorgen konnten. Und sie besaß solche schon gar nicht, womit sie nichts gegen dieses Power-Up unternehmen konnte. Kali kicherte böse. „Dich so zu sehen war all die Qualen wert, die ich wegen dir ertragen musste.“ „Übertreibst du es nicht?“, konterte Anya giftig. „Seh' ich aus, als würde ich schon leiden? Das ist mein Standardgesicht.“ „Mal sehen wie lange noch! Ich aktiviere jetzt [Celestial Gear – Armored Synthetic Doves] Effekt! Für eine Overlay Unit erhält ein Monster auf dem Feld 500 Angriffspunkte!“ Anya machte große Augen, als sie das hörte. „Noch ein Boost!?“ Eine der beiden goldenen Sphären, die die riesige Mechataube umkreisten, verschwand in deren Brust. Im Anschluss sendete jene ein hohl klingendes Gurren aus, was den Vogel neben ihr in eine weiße Aura hüllte.   Celestial Gear – Synthetic Armored Dove [ATK/500 DEF/2500 {4} OLU: 2 → 1] Celestial Gear – Synthetic Armored Finch [ATK/2000 → 2500 DEF/0 (4)]   Demonstrativ ballte Kali eine Faust und hob diese an. „Ich werde …“ „Was?“ „Es mir zurückholen! Angriff auf ihren [First Of The Dragons]!“, bellte die Maskierte wie ein Berserker und stieß die Faust nach vorn. Über ihr öffnete der riesige Mechafink seinen Schnabel, aus dem ein von Blitzen umschlungener Wirbelsturm schoss. „Und vergiss eins dabei nicht: Mein verbanntes [Banished Power Gear] verstärkt den Angriff, sodass mein Monster das stärkere ist!“ Die Triebwerke in dessen Innerem begannen sich immer schneller zu drehen.   Celestial Gear – Synthetic Armored Finch [ATK/2500 → 3000 DEF/0 → 500 (4)]   Als ob sie das nicht wüsste, dachte Anya grimmig und bedeckte sofort ihr Gesicht mit überkreuzten Armen. Denn als der Drache getroffen wurde, bekam auch sie ein paar der Stromstöße ab. Doch die taten nicht einmal halb so weh wie befürchtet.   [Anya: 4000LP → 3700LP / Kali: 3400LP]   Hinter ihren Armen grinste die Blonde, als sie ihre Gegnerin nach Luft schnappen hörte. „D-das-!“   First Of The Dragons [ATK/2700 DEF/2000 (9)]   Der mächtige Drache thronte majestätisch über Anya und funkelte die Kuttenträgerin finster an, als wolle er ihr sagen, dass dieser Angriff keinesfalls ungesühnt bleiben würde. Langsam ließ dessen Besitzerin die Arme sinken. „Na sowas. Mein Drache ist ja gar nicht im Eimer. Was denkst du wohl, warum ich gerade den ins Rennen geschickt habe. Irgendne Idee, Einstein?“ Nein, nur ein Keuchen kam als Antwort. „[First Of The Dragons] lässt sich nur im Kampf mit normalen Monstern besiegen. Und jetzt zähl mal 2 und 2 zusammen.“ Anya unterbrach ihre Rede nur kurz, da sie ein leichtes Zwicken in der Magengegend verspürte. „Unberührt von Effekten, unbesiegbar im Kampf. Klingelt's da nicht?“ Es dauerte einen Moment, dann aber begann Kali düster zu lachen. „Verstehe … du hast Angst. Angst vor der Paktkarte Edens, [Sophia, Goddess Of Rebirth]. Natürlich. Dieses Mistvieh ist praktisch der perfekte Konter, da es nicht von Sophia verbannt oder besiegt werden kann.“ „Was ist daran so witzig?“, fauchte Anya, die sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Unterleib halten musste. Hatte sie doch mehr von dem Angriff abbekommen als gedacht? Oder … „Weil jene nicht mehr existiert.“ Kali griff in die Innentasche ihrer schwarzen Kutte und zeigte etwas vor, das Anya mit geweiteten Augen betrachtete. Zwei Hälften einer Karte. Jener Karte!   Ehe sie den Anblick aber infrage stellen konnte, wuchs der Schmerz so rasend schnell an, dass sie die Zähne zusammenbeißen musste, um nicht loszuschreien. Sie sah hinauf zu ihrem Drachen, der vor ihren Augen verschwamm. Nicht jetzt, verdammt! Wenn sie ohnmächtig wurde, konnte Kali mit ihr machen was sie wollte. Und diesmal war niemand da, der ihr helfen würde. Für einen kurzen Moment schloss Anya die Augen. Und sah Logan vor sich, der vermutlich in irgendeiner Zelle mit irgendwelchen Pennern steckte und auf ihre Hilfe wartete. Und die würde er bekommen, auch wenn Anya selber nicht genau wusste, was sie tun konnte. Aber egal was es war, sie schuldete es ihm. Sie schuldete ihm so vieles. Allen voran … ein friedliches Leben. Und das würde sie nur dann führen können, wenn ihre Feinde von ihr abließen. Auf die eine oder andere Weise. Ruckartig riss Anya die Augen wieder auf, in denen für einen kurzen Moment ein silbriger Ring um die Pupillen schimmerte. Der Schmerz war wie verflogen. „Umso besser für mich“, reagierte sie auf das Geständnis ihrer Gegnerin, „wenn du dich nicht hinter deiner Göttin verstecken kannst, sollte das ein Kinderspiel werden.“ Doch Kali beteuerte. „Ich brauche diese Karte nicht! Wenn ich mit dir fertig bin, brauche ich weder dieses Deck noch diese Maske. Dann kann ich endlich ein friedliches Leben führen!“ Für einen kurzen Moment war die Blonde erstaunt vom Ausruf ihrer Gegnerin, der ihrem stummen doch so ähnelte. „Das“, murmelte Anya dann aber unheilverkündend und legte ihr finsterstes Grinsen auf, „werden wir noch sehen …“     Turn 82 – Each Of Their Battles (2) Während Anyas und Zanthes Kämpfe anhalten, setzt Matt die Idee des maskierten Dämons, das Versteck der Undying zu infiltrieren, in die Tat um. Doch trotz Ricthers und Stoltz' Abwesenheit wird der Weg zum geheimnisvollen Schwert Ragnarok blockiert. Gleichzeitig verfolgt der Anführer der Undying einen ganz eigenen Plan, welcher ihn zu niemand Geringerem führt als … Kapitel 87: Turn 82 - Each Of Their Battles (2) ----------------------------------------------- Turn 82 – Each Of Their Battles (2)     Obwohl die Nacht längst über Hollow City hereingebrochen war, strahlte das Nobelviertel der Stadt mit seinen prächtigen Villen eine Eleganz aus, die es so nur an wenigen Orten auf der Welt gab. Unterschiedlichste architektonische Stile trafen aufeinander, verharrten Seite an Seite hinter wunderschönen Rosengärten, perfekt geschnittenem englischen Rasen oder sogar einem Palmenwald, über die die Gebäude wie Könige thronten. Ricther stand vor so einem Grundstück. Jenes war, im Gegensatz zu den meisten anderen, von einer hohen Hecke umgeben, größer noch als der Undying. Vom Tor der Einfahrt konnte man erkennen, dass jene in eine Tiefgarage führte. Doch Ricther wusste, derjenige, der hier residierte, hatte keine Verwendung für Kraftfahrzeuge. Als der Undying sich in Bewegung setzte, schwangen die Flügeltore der Einfahrt zur Seite und ließen ihn hinein. So groß wie die alte, im viktorianischen Stil erbaute Villa war, hatten darin mindestens zwei Einfamilienhäuser Platz. Seine Stiefel stampften über den gepflasterten Pfad zum Eingangsbereich des Gebäudes. Um ihn herum standen verschiedene Engelsstatuen, die allesamt so unecht waren wie ihr Besitzer. Ricther kannte den Sammler schon sehr lange. Und er hatte entschieden, sein Verhalten nicht länger zu tolerieren.   Der Besucher des mysteriösen Anwesens hatte die Stufen hinauf zur Haustür noch nicht erreicht, da öffnete diese sich bereits nach innen. Des Sammlers Diener Kyon hatte sie geöffnet. Wie üblich steckte er in seiner schwarzen Uniform, bedeckte seine Augen mit einer Sonnenbrille, deren kreisrunde Gläser das schulterlange, schwarze Haar auf merkwürdige Weise betonten.   „Also hast du dich entschieden, meiner Spur endlich zu folgen“, sprach Kyon leise, als Ricther durch die Eingangstür an ihm vorbei schritt. Der Immaterielle drehte sich nicht sofort um, sondern fügte noch hinzu: „Ich habe schon angefangen an dir zu zweifeln, Anführer der Undying.“ Während der Hüne ruhigen, aber beständigen Schrittes voran ging, schloss der Diener des Sammlers die Tür und begann dem Gast zu folgen. Jener antwortete: „Hierher zu kommen war keine leichtfertig zu treffende Entscheidung gewesen.“ „Aber die richtige. Er muss aufgehalten werden.“ „Er wird sich nicht aufhalten lassen.“ Der Butler räusperte sich. „Deswegen bist -du- hier. Folge mir.“   Ricther wurde überholt und zu seinem Ziel geleitet. Über diverse Gänge, vorbei an auffällig wenig Dekoration wie Bildern, Kommoden und Blumenvasen, erstreckte sich ihr Weg. Ricther wusste, dass es ein Labyrinth war, geschaffen, um potentiellen Feinden die Flucht zu erschweren. Solange er hier war, war es unmöglich Portale zu öffnen. Es sei denn, man war willkommen in dieser Domäne. Und das war er nicht.   Schließlich führte Kyon ihn in einen Ballsaal. Kreisrund, sich über zwei Stockwerke erstreckend, machte er trotz seiner geringen Fläche einen verlassenen Eindruck. Vor zog sich eine riesige, abgerundete Fensterfront entlang, doch gewährte sie nur Blick auf das Grundstücksinnere, besser gesagt, Rasen und Hecken. Vermutlich nur Illusionen, er dürfte sich nicht so nahe an potentieller Freiheit befinden. Zwei Wendeltreppen führten auf die obere Ebene. Aber alles wirkte so leer, unbewohnt, keine Möbel, nur das Parkett und ein festlicher Kronleuchter über ihm, welcher zumindest ein wenig Glanz ins Spiel brachte. Nicht, dass Undying auf so etwas Wert legten.   „Willkommen“, wurde Ricther schließlich begrüßt. Der rothaarige Sammler trat an die Galerie des oberen Stockwerks und sah auf seinen Gast herab. „Du kommst reichlich spät. Kyon, sei bitte so freundlich und bring -es- zu mir.“ „Sehr wohl“, reagierte sein Diener mit einer Verneigung und zog die Flügeltür hinter Ricther zu. „Es bedarf keiner Worte um zu erklären, was mich hierher bringt.“ Der Sammler schlenderte an der Galerie vorbei. „Selbstverständlich nicht. Früher oder später musstest du dahinter kommen, dass ich die Siegel der Hüter breche. Mich irritiert dabei nur, dass du dies bereits seit geraumer Zeit weißt, ohne jedoch Gegenmaßnahmen einzuleiten.“ Der rothaarige Brite erreichte die Treppe und nahm langsam Stufe um Stufe. „Ein paar lasche Angriffe auf meinen Schützling werte ich nicht als solche. Was hält dich zurück, alter Freund?“ Seinerseits schwieg der Hüne in der silber-goldenen Rüstung und dachte über seine Antwort nach. Erst nachdem der Sammler die letzte Stufe genommen hatte, gab er diese. „Eine Erkenntnis.“ „Ah, ich verstehe“, schmunzelte sein Gegenüber, das direkt auf die Mitte der Tanzfläche zusteuerte.   Sie verfielen beide ins Schweigen und warteten. Warteten, bis Kyon wieder durch die Flügeltüren geschritten kam und einen metallischen Koffer mit sich führte. Jenen nahm er im Lauf in beide Hände und klappte ihn auf. Beim Sammler angekommen, würdigte dieser ihn zunächst keines Blickes. Sagte aber: „Danke, Kyon.“ „Wir haben keine andere Wahl“, sprach Ricther. „Nein, die haben wir nicht. Aber das macht vieles leichter für mich.“ Schließlich betrachtete der Sammler den Inhalt des Koffers neben ihm. In einer Fassung aus samtenem Polster lagen dort eine schwarze Battle City-Duel Disk sowie drei durchsichtige Deckboxen. Zwei davon präsentierten die jeweils obersten Karten, [The Fabled Cerburrel], das mittlere [Fabled Raven]. Jenes Deck ganz rechts hingegen lag mit den Kartenbildern nach unten und genau jenes war es, das der Sammler ohne überhaupt richtig hinzusehen aus der Fassung nahm.   „Ich komme nicht umher, es als ironisch anzusehen“, sagte jener plötzlich mit einem geheimnisvollen Lächeln, „denn du bist nicht der Erste, der mich mit einem vergleichbaren Anliegen aufgesucht hat, Ricther.“ Der Undying schreckte auf. „Was? Wer!?“ „Ich hätte ehrlich gesagt erwartet, dass du vor -ihr- hier auftauchen würdest.“ Wütend aufgrund der nichtssagenden Antwort streckte Ricther den Finger aus. „Redest du etwa von-!? Sprich!“ Der rechte Mundwinkel des Sammlers zuckte. „Unserer gemeinsamen Freundin natürlich.“ Ricther schwang den eben noch nach vorne gerichteten Arm weit aus. „Was hast du ihr angetan!?“ „Angetan?“, fragte der Sammler unterkühlt und begann nach vorne zu schreiten, mit hinter dem Rücken verschränkten Armen. „Ich habe mich um sie 'angemessen' gekümmert.“ Der Undying griff nach dem Schwert an seiner Hüfte, doch der Sammler streckte eine flache Hand aus. „Willst du nicht sehen, was ich damit meine?“ Die Hand emporhebend, schnippte der rothaarige Brite. Über ihm blitzte es und ein schwarzes Portal öffnete sich. Aus ihm hervor schob sich ein prismatisches Behältnis, dessen Kanten aus purer Energie bestanden. In dessen Mitte, an einem Kreuz, hing eine leblose Gestalt. Den Kopf hängen lassend, fiel das schwarze Haar über die weiße, dämonische Maske – der 'Körper'. „Sie war schon lange vor dir hier“, sagte der Sammler und ließ das Gefängnis neben sich zu Boden sinken. Er legte eine Hand darauf, sodass deutlich wurde, dass zwischen den Kanten eine unsichtbare Barriere bestand. „Leider konnte ich sie nicht davon überzeugen, ein wenig zu bleiben. Wie du dir jedoch denken kannst, ist sie in diesem Zustand nicht wirklich imstande, sich zu artikulieren. Also musste ich die Initiative ergreifen und mich ihrer annehmen, während deine Untergebenen sie unwissentlich in ihrem Jagdeifer abgelenkt haben.“ „Du elender-!?“, schrie Ricther wutentbrannt. „Dafür werde ich dich eigenhändig bestrafen!“ „Angesichts unserer Lage, bin es da wirklich ich, der bestraft werden sollte?“, erwiderte der Sammler ungerührt. Indes trat der schwarzhaarige Butler neben ihn. „Die Duel Disk.“ „Natürlich. Vielen Dank.“ Der Sammler nahm den Apparat aus der Halterung und schnallte ihn sich um. Sein Diener nickte kurz und trat zurück. Sein Meister sagte, ohne ihn anzusehen: „Kyon. Ich möchte jetzt ein wenig mit unserem Gast alleine sein.“ „So soll es sein“, antwortete jener unter einer Verneigung. Seelenruhig lief er an Ricther vorbei. Und auch wenn es nur ein Gedanke war, war es doch einer, den der Undying klar und deutlich hörte. Verliere nicht!   Knarzend fielen die Flügel der Tür hinter ihm zu. Der Sammler lächelte stumm sein falsches Lachen vor sich hin. Ricther sah gebannt das schwebende Objekt an, auf dessen unsichtbarer Oberfläche die Hand des Rotschopfs gelegen hatte. Er konnte nicht begreifen, was er dort sah. War dieser Mann wirklich so tief gefallen? „Gib sie zurück.“ „Bedaure, aber sie darf mir nicht im Wege stehen. Oder sollte ich sagen: Er? Es?“ „Wie kannst du es wagen!?“, fauchte Ricther vor Zorn. „Du, der du in dieser Welt gar nicht existieren solltest!?“ Das Lächeln des Rothaarigen wurde einen winziges Bisschen größer. „Oh, aber ich existiere doch. Und du wirst daran auch nichts ändern können, Undying.“ „Nun“, sagte der Collector-Dämon schließlich und aktivierte den Apparat an seinem Arm, „auch wenn du nur ein Undying bist, so wäre es töricht, dich zu unterschätzen. Und ich bin kein Tor.“ Sanft schob er das Deck in den Apparat. Parallel dazu zog sein Widersacher endgültig dessen Schwert und ließ es sich automatisch zu einer Schwert-Duel Disk umfunktionieren, die sich an seinem linken Arm befestigte. „Dann lass uns überprüfen, ob sich seit damals etwas geändert hat“, verkündete der Sammler geheimnisvoll. Und Ricther erwiderte: „Ich werde dahinter kommen, was dich auf diesen Weg gebracht hat, Strife.“ Beide donnerten schließlich energisch: „Duell!“   [Ricther: 4000LP / Collector: 4000LP]   Beide zogen ihr Startblatt. Freundlich bot der Sammler an: „Du kannst gerne beginnen.“ Ricther überlegte kurz, ob sich dahinter eine Falle verbarg. Doch sein Gegner würde vermutlich unabhängig von der Entscheidung profitieren. Es war nichts als eine Farce. „Dann nehme ich den ersten Zug“, entschied der Undying trotzdem und legte sofort ein Monster auf die stumpfe Seite seiner Klinge. „Indem ich zehn Karten meines Decks verdeckt verbanne, vermag ich diese Kreatur zu beschwören. Erscheine, [Different Dimension Deity – Lastelise]!“ Von seinem Deck an der Unterseite des Schwertgriffs flogen zehn Karten in einer Reihe hoch in die Luft, direkt in einen Dimensionsspalt, welcher sich auf Brusthöhe Ricthers öffnete. Der Sammler betrachtete das Schauspiel still, doch mit einem wissenden Lächeln auf den Lippen. Rund um Ricther herum brachen insgesamt zehn riesige, pinke Kristallsäulen aus dem Parkett und bildeten über ihm eine seltsame Gestalt. Je drei dieser Pfeiler bildeten so etwas wie Schwingen, die an einer vertikal verlaufenden Säule verharrten, in welcher ein blauer Energiekern eingelassen war. Oberhalb jener formten die restlichen drei eine Art Kragen.   Different Dimension Deity – Lasteliste [ATK/3000 DEF/3000 (10)]   „Ich setze eine Karte und erkläre meinen Zug für beendet.“ Zischend materialisierte sich ein Kartenrücken vor ihm.   Als der Sammler aufzog, zierte ein wissendes Lächeln sein Gesicht. „Wirst du mich nicht fragen, was es ist, das ich durch das Brechen der Siegel beabsichtige?“ Ricther schwieg jedoch. „Nun gut, du sortierst noch deine Gedanken. Dann beginne ich mit meinem Zug.“ Ohne Zeit verstreichen zu lassen, führte der rothaarige Dämon im feinen Anzug eine Zauberkarte in seine schwarze Battle City-Duel Disk ein. „[Shaddoll Fusion].“ Sein Gegner gab einen überraschten Laut von sich, als sich über dem Sammler ein Wirbelstrom öffnete. Schatten waren es, die in sein Zentrum gezogen wurden. „Keine Bange, diese Karte funktioniert nicht anders als andere Fusionskarten. Mit ihr verschmelze ich [Shaddoll Falco] und [Shaddoll Dragon] vom Finsternis-Attribut in meiner Hand.“ Lächelnd hielt der jung erscheinende Mann die drei Karten in die Höhe. Über jenen tauchten ein an violetten Lichtfäden hängender, düsterer Babyfalke sowie ein schwarzhaariger, bärtiger chinesischer Drache auf, ebenfalls an violetten Strängen wie eine Marionette hängend. Beide verschwanden in dem sinistren Wirbel. „Fusion Summon“, verlautete der Sammler gerade laut genug, damit Ricther es vernahm, „[El Shaddoll Winda].“ Violetter Nebel schoss aus dem Vortex heraus. Ihm folgte ein größerer Drache mit weiten, runden Augen und einem Maul, das fast an einen Vogelschnabel erinnerte, jedoch mit fiesen Reißzähnen bespickt war. Doch wirklich hervor stach seine Reiterin, ein grünhaariges Mädchen, das wie der Drache selbst auch an Fäden hing, die irgendwo ins Nichts verschwanden.   El Shaddoll Winda [ATK/2200 DEF/800 (5)]   „Ich fürchte, durch die Fusion wurden die Effekte meiner beiden Monster [Shaddoll Dragon] und [Shaddoll Falco] aktiviert. Dazu müssen sie nur durch einen Karteneffekt auf den Friedhof gelegt werden.“ Ricther stieß noch einen überraschten Laut aus, als aus Winda die geisterhafte Form des bärtigen Drachen auf seine verdeckte Karte zuschoss und diese mit offenem Maul aufsog, ehe er mit ihr im Boden verschwand. Der Sammler schmunzelte. „Ersterer zerstört eine Zauber- oder Fallenkarte auf dem Spielfeld. Und was Letzteren angeht …“ Jener mechanisch anmutende Babyfalke tauchte neben der Drachenreiterin auf.   Shaddoll Falco [ATK/600 DEF/1400 (2)]   Unter seinen Füßen tauchte seine Karte auf, die sich wie ein Dach um ihn legte und in verdeckte Verteidigungsposition brachte, womit er, begraben von der Karte, verschwand. „… setzt er sich zurück aufs Feld.“ „Also hast du trotz einer aufwendigen Beschwörung aus jeder der Karten deinen Nutzen gezogen.“ Auf Ricthers Feststellung hin lachte der Sammler. „Richtig. So benutzt man Marionetten.“ Doch noch mehr beschäftigte den Undying die Tatsache, dass sowohl [Shaddoll Falco], als auch [El Shaddoll Winda] Monster waren, die denen von Henry Ford unheimlich ähnlich sahen. Mit diesem hatte er sich infolge seiner Forschungen nach Anya Bauers Umfeld beschäftigt, ihn jedoch als ungefährlich eingestuft. „Da ich noch keine Normalbeschwörung durchgeführt habe, verzichte ich direkt auf diese und aktiviere [Hidden Armory]. Sie kostet mich die oberste Karte meines Decks“, welche der Sammler zog, vorzeigte – es war der Zauber [Curse Of The Shadow Prison] – und in den Friedhof einführte, „sowie eben bereits genannte Normalbeschwörung, um mir Zugriff auf eine Ausrüstungszauberkarte von meinem Deck zu gewähren.“ Auch diese hielt er Ricther praktisch vor die Nase. „Du stimmt mir sicher zu, dass [El Shaddoll Winda] in ihrem derzeitigen Zustand keinen würdigen Gegner für dein Monster darstellt. Daher rüste ich sie mit [Fusion Weapon] aus.“ Der lange Holzzauberstab, den das grünhaarige Mädchen auf dem Drachen mit sich führte, wurde durch einen magischen, rot leuchtenden Elektroschocker ausgetauscht, zu dem sich ihr rechter Arm verformte.   El Shaddoll Winda [ATK/2200 → 3700 DEF/800 → 2300 (5)]   „Das sollte genügen“, sagte der Sammler mit einem Lächeln auf den Lippen, „daher befehle ich den Angriff auf dein Monster.“ Ricther, den der satte 1500-Punkte-Boost eiskalt erwischt hatte, hob schützend den Arm mit seiner Klingen-Duel Disk an. Denn Winda hob ihren transformierten Arm und schoss daraus dutzende Blitze, die überall um ihn und sein Kristallmonster herum einschlugen. Jenes explodierte lautstark und ganze Brocken drohten auf Ricther hinabzustürzen.   [Ricther: 4000LP → 3300LP / Collector: 4000LP]   Jener reagierte jedoch und hob seine Waffe über den Kopf, von der sich aus ein großer Rundschild ausbreitete, auf welchem die Trümmer laut polternd abprallten. „Hmpf“, schnaubte Ricther und ließ den Arm sinken, als alles vorüber war. Der Schild zog sich wieder zurück. „Wenn [Different Dimension Deity – Lastelise] zerstört wird, wählt sie eine verdeckt verbannte Karte aus. Sollte noch ein Exemplar davon in meinem Deck existieren, erhalte ich dieses.“ Aus seiner Schwertspitze stieg eine einzelne Karte auf, die er sich schnappte und betrachtete, bevor er sie seinem Gegner präsentierte. „[Different Dimension Deity – Vem]. Von ihm besitze ich nur eine Ausführung.“ „Daraus schließe ich, dass du das volle Potential dieses Effekts nicht erfasst hast. Nur ein Exemplar einer Karte zu spielen, wenn es Karten in deinem Deck gibt, die auf mehrere angewiesen sind“, sprach der Sammler, ohne jedoch dabei arrogant zu klingen, „erscheint mir leichtsinnig. Ich beende meinen Zug.“   Schnaubend zog Ricther auf. Ohne Vorwarnung lösten sich zehn Karten aus dem Deck an der Unterseite seines Schwertes und zischten der Reihe nach in die Höhe. „Durch das verdeckt Verbannen von zehn Karten aus meinem Deck“, begann der Undying, vor dem sich ein rötlicher Dimensionsriss öffnete, in dem seine Karten verschwanden, „kann ich dieses Monster spezialbeschwören. Erscheine, [Different Dimension Deity – Ubriq]!“ Zehn pechschwarze, matte Kristallpfeiler schossen um ihn herum aus dem Parkett in die Höhe, von denen sich acht wie eine Blüte aneinanderreihten. Zwei weitere positionierten sich in deren Mitte, wodurch das Gebilde sich im Anschluss wie ein Rad zu drehen begann.   Different Dimension Deity – Ubriq [ATK/0 DEF/3500 (10)]   Ricther streckte den Arm nach vorne aus. „Ich setze [Different Dimension Deity – Ubriqs] Effekt ein und biete diesen als Tribut an.“ Genau zwischen den beiden Teilstücken des Zentrums bildete sich ein blaues Energiefeld, aus dem die Pupille eines Auges durchschimmerte. Jenes blitzte auf. Dann lösten sich die 'Blüttenblätter' der Reihe nach in leuchtende Funken auf, während die zwei Pfeiler in der Mitte zu rotieren begannen. „Dadurch erhalte ich sofort eine andere Different Dimension Deity. Ich wähle Astellante.“ Unterhalb seiner Schwert-Duel Disk schoss eine einzelne Karte aus seinem bereits ziemlich ausgedünnten Deck, welche Ricther in einer umständlichen Bewegung zog und vorzeigte. Das unablässige Lächeln seines Gegners brachte ihn dabei nicht in Schwanken. „Für weitere zehn Karten meines Decks, die verdeckt verbannt werden, kann ich diesen sofort beschwören.“ Kaum hatte Ricther das gesagt, knallte er die Karte auf seine Klinge. Doch anstatt einer Animation, erwartete ihn eine Meldung auf seiner Lebenspunkteanzeige, welche kurzzeitig überblendet wurde: ERROR. „Das ist …?“ „Wie nachlässig von mir“, heuchelte der Sammler, „habe ich nicht erwähnt, dass [El Shaddoll Winda] die Spezialbeschwörungen, die ein Spieler pro Zug durchführen kann, auf eine einzige limitiert?“ Der Undying sah alarmiert auf. „Dann kann ich keine Monster mehr beschwören!“ „Natürlich nicht. All deine Gottheiten basieren auf Spezialbeschwörungen.“ Der Sammler sah an sich herab und bemerkte einen Fussel, den er mit verzogener Mimik von seiner Schulter weg schnippte. „Ich befürchte, ich habe gerade deinen One Turn Kill unterbunden.“ Mehr noch, erkannte Ricther. Denn jetzt war er vollkommen ungeschützt …   ~-~-~   Der stechende Schmerz in Anyas Magengrube nahm zu, doch das Mädchen biss die Zähne zusammen, kniff ein Auge zu und funkelte ihre maskierte Gegnerin Kali hasserfüllt an. Im riesigen Ephemeria Bridge Stadium, dort wo die Vorrunden des Legacy Cups stattgefunden hatten, standen sie einander gegenüber. Nur das Mondlicht erhellte das offene Stadion mit seinen Reihen von nummerierten Spielfeldern. „Zug beendet“, verkündete Kali grimmig. Über ihr flogen zwei riesige Mechavögel. Um den einen, eine fette, gepanzerte Taube, kreiste eine Lichtsphäre. Durch einige winzige Spalten an ihren Flügeln, geschützt von weißen Energiebarrieren, konnte man ihr mechanisches Inneres sehen. Neben ihr verharrte ein ebenso im Mondlicht glänzender Fink, vergleichbar gut gepanzert, an dessen Gliedmaßen gelbe Kraftfelder die Zahnräder und Getriebe abschirmten.   Celestial Gear – Synthetic Armored Dove [ATK/500 DEF/2500 {4} OLU: 1] Celestial Gear – Synthetic Armored Finch [ATK/2500 DEF/0 (4)]   Aber Anya musste sich nicht hinter ihrem eigenen Monster, einem riesigen Drachen, verstecken. Die Bestie war an ihrem langen Körper überall mit Hörnern bespickt, die nur durch ihre scharfen Fänge in den Schatten gestellt wurden.   First Of The Dragons [ATK/2700 DEF/2000 (9)]   Keine der beiden Duellantinnen kontrollierte eine verdeckte Karte, doch Kali hielt mit fünf Karten zwei mehr auf der Hand als Anya. Dafür lag jene in Punkto Lebenspunkte vorn.   [Anya: 3700LP / Kali: 3400LP]   „Mehr kannst du nicht?“, provozierte die sofort und riss eine Karte von ihrem Deck. „Langweilig! Mein Zug, Draw!“ Wieder ein Monster, wie sie aus den Augenwinkeln bemerkte. Ihr ganzes Blatt war voll von Monsterkarten. Doch Moment … „Heh. Damit lässt sich doch was anfangen.“ Schlagartig formte sich ein bitterböses Grinsen auf ihren Lippen. Wie in ihren schlimmsten Zeiten funkelte sie Kali an. „Schon mal von einem Hüter eins auf die Fresse bekommen? Nein? Das müssen wir ändern!“ Flink zog sie noch ein anderes Monster aus ihrem Blatt und zeigte beide zusammen vor. „Ich aktiviere [Gem-Knight Jasper] mit dem Pendelbereich 2 und [Gem-Tiger] mit dem Pendelbereich 8! Pendulum Scales set!“ Ihre Gegnerin fiel aus allen Wolken. „Was!? Seit wann gibt es solche Gem-Knights!?“ Voller Schrecken, wie es schien, folgte sie mit ihrem Blick den links und rechts neben Anya auftauchenden Monstern. Dies waren ein Ritter in rötlicher Rüstung, welcher eine lange Hellebarde führte und ein weißer Tiger, von dessen Rückgrat bis zum Schweif eine Spur aus Diamanten gezogen war. Beide stiegen in blauen Lichtsäulen gen Nachthimmel auf, bis sie mehrere Meter über dem Erdboden in der Luft verharrten. „Das muss ein Irrtum sein. Ich-“, keuchte Kali aufgelöst.   <2> Anyas Pendelbereich <8>   Während unter den beiden Monstern die Zahlen 2 und 8 in verzerrter Form erschienen, öffnete sich über ihnen ein riesiges Portal, um das sich dutzende Lichtellipsen schlossen. „Pendulum Summon!“, donnerte Anya majestätisch. „Von meiner Hand: [Gem-Knight Lapis]! Und aus meinem Extradeck: [Gem-Knight Pyrite]!“ Zwei rote Lichtstrahlen schossen aus dem Pendelportal und schlugen vor Anya ein. Dort nahmen sie die Gestalt des weißen Ritters an, der an jedem seiner Arme eine Hälfte seines riesigen Rundschilds führte sowie die einer kleinen Kriegerin, die in einer beigefarbenen Rüstung steckte und unbewaffnet war.   Gem-Knight Pyrite [ATK/0 DEF/2800 (6) PSC: <8/8>] Gem-Knight Lapis [ATK/1200 DEF/100 (3)]   Anya sog den Anblick ihrer entsetzten Gegnerin förmlich in sich auf. Scheinbar hatte sie das Miststück eiskalt erwischt. Die würde sich umsehen, denn das Mädchen war noch längst nicht fertig, wie sich zeigte, als sie noch ein Monster aus ihrem Blatt ausspielte. „Und als Normalbeschwörung [Kuriboss] hinterher, der mit seiner Stufe 1 nicht als Pendelbeschwörung gerufen werden konnte!“ Zwischen ihren beiden Rittern tauchte ein kleiner, brauner Fellball auf, um dessen Schultern ein graues Cape hing. Als Anführer der Kuribohs war es nur passend, dass er eine Sonnenbrille trug.   Kuriboss [ATK/300 DEF/200 (1)]   Demonstrativ streckte Kali ihre rote V-Duel Disk vor sich. „Was soll das werden? Seit wann spielt man ein Gem-Knight-Deck auf diese Weise!?“ „Bist wohl nicht auf dem neuesten Stand, was?“, feixte Anya. Scheinbar weiß sie nichts von dem neuen Structure Deck. Damit ist ihr Vorwissen praktisch nichtig.   Levrier, der es diesmal vorzog, nicht zu erscheinen, traf den Nagel auf den Kopf. Niemals rechnete Kali mit der Vielfalt, die Anyas Deck durch die zahlreichen Kämpfe und den Beistand ihrer Freunde gewonnen hatte. Ein Spektrum, das dem der Celestial Gears gleich kam! „Sieh hin, Miststück!“, forderte Anya und streckte den Arm nach oben. „Und sieh gut hin! Ich stimme meinen Stufe 1-Kuriboss auf meinen Stufe 6-Pyrite und meine Stufe 3-Lapis ein!“ Als Erstes flog ihr Fellball in die Höhe, gefolgt von den beiden Rittern. „A heart of iron rests within the void of time and space! One beat, powerful enough to reverse the laws of nature!“ [Kuriboss] zersprang in einen grünen Lichtring, der direkt nach oben flog. Im Gegensatz dazu verwandelten sich Pyrite und Lapis in insgesamt neun grüne Lichtkugeln, die den Kreis durchquerten. Ein Blitz schoss durch diesen hindurch und blendete Kali. „Synchro Summon! Break loose, [Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T]!“ Der Titan erhob sich hinter Anya. Mühelos ragte er durch das offene Dach des Stadions hindurch. Stolz schwoll Anya die Brust an, genau wie der Metallroboter, auf dessen Brust ein silbernes T prangerte. Sein Helm war mit vier Hörnern versehen, welche ineinander verworren nach vorne zeigte. Aber die Fäuste übertrafen alles, waren sie mit elektrischen Entladungen an den Armen gekoppelt und beinahe so groß wie Autos. Anya strahlte diabolisch. „Endlich zeigt er mal seine wahre Gestalt. Der Kumpel hier bekommt übrigens bis zur End Phase für jedes verwendete Synchromaterial 500 Angriffspunkte!“   Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T [ATK/3000 → 4500 DEF/0 (10)]   Ihre Gegnerin fiel aus allen Wolken. „Du machst wohl Witze!“ „Nope. Und was ich dir jetzt sage, wird noch viel weniger lustig für dich! Denn ich greife jetzt mit Heavy T dein fettes Xyz-Monster an! Gravity Reverse!“ Der cyanfarbene Riese streckte seine rechte Hand aus, in der eine Energiekugel eingesetzt war und bläulich glühte. Und ruckartig wurde Kalis [Celestial Gear – Synthetic Armored Dove] von ihrer Position in Richtung des Feindes gezogen.   Celestial Gear – Synthetic Armored Dove [ATK/500 DEF/2500 {4} OLU: 1]   „Nein!“, stieß Kali einen entsetzten Schrei aus, als sie bemerkte, dass ihr Monster die Position gewechselt hatte. „Was wird das!?“ „Gravity Reverse wechselt das angegriffene Monster automatisch in den Angriffsmodus.“ Anyas Grinsen verschwand überraschenderweise. „Selbst mit dem Punktebonus, den Dove von deinem verbannten [Banished Power Gear] erhält, wird das ausreichen. Sicher, dass du mir nicht sagen willst, warum du mich hasst?“ Wie von einem Magneten angezogen raste die Mechataube auf den Metallkoloss zu. Doch Kali schüttelte den Kopf. „Nur wenn ich dich besiege! Effekt von Dove! Ich hänge ein Xyz-Material ab, um die Angriffskraft eines Monsters um 500 zu erhöhen! Doves!“ „Hm!?“ Anya runzelte die Stirn, als die letzte Lichtkugel gerade noch in den Brustpanzer ihres Besitzers verschwand. Dann kam die Erkenntnis. „Shit!“ Aus dem Inneren des Monsters konnte man deutlich hören, wie die Getriebe auf Hochtouren liefen.   Celestial Gear – Synthetic Armored Dove [ATK/500 → 1500 DEF/2500 → 3000 {4} OLU: 1 → 0]   Kaum war sie in Reichweite, holte Heavy T mit der anderen Faust aus und schmetterte diese so fest in die Taube, dass diese in tausend Teile zerbrach, die überall um Kali herum das Spielfeld bombardierten. Die wich geschickt tänzelnd den Trümmern aus, die sie ansonsten erschlagen hätten.   [Anya: 3700LP / Kali: 3400LP → 400LP]   Schließlich sank der Titan in die Knie. „Die gute Nachricht für dich ist, dass Heavy T nach dem Angriff in den Verteidigungsmodus wechselt“, erklärte Anya grimmig, „nochmal Glück gehabt. Da dein Finch mit dem Boost deiner Zauberkarte stärker wäre als [First Of The Dragons], wechsle ich auch dessen Position.“ Anya drehte dessen Karte in die Horizontale, wodurch dieser hinter ihr auf der Schulter ihres anderen Monsters landete und schützend die Schwingen um sie beide legte. „Zug beendet, womit der Boost von Heavy T nachlässt.“   Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T [ATK/4500 → 3000 DEF/0 (10)] First Of The Dragons [ATK/2700 DEF/2000 (9)]   „Das war fast gut, aber von jemandem wie dir würde ich mich niemals besiegen lassen“, keifte Kali zornig und riss eine Karte von ihrem Deck. „Draw! Ich beschwöre [Celestial Gear – Synthetic Woodpecker]!“ Neben ihrem Mechafinken zeichnete sich mit Lichtlinien nach und nach ein schlanker Artgenosse, dessen spitzer Schnabel sowie der kleine Kamm von magentafarbenen Energiebarrieren umgeben waren, die das Innenleben abschirmten.   Celestial Gear – Synthetic Woodpecker [ATK/1800 DEF/1300 (4)]   „Einmal pro Zug kann ich mit ihm sofort eine Karte in meiner Hand zerstören. Und ich wähle [Celestial Gear – Synthetic Eagle]!“ Anya kannte dieses Monster bereits, es handelte sich um ein Stufe 5-Monster. Woodpecker drehte sich um und stieß mit seinem Schnabel nach der Karte, die Kali vorzeigte. Es lärmte dabei, als ob ein Presslufthammer am Werk war und die Karte in der Hand ihrer Gegnerin zersprang, ohne dabei paradoxerweise zu verschwinden. Das gefiel der Blonden nicht. „'kay, damit kann sie 'ne Menge Unsinn anstellen.“ „Du kennst mein Monster also. Dann weißt du ja, dass ich es als Spezialbeschwörung von meiner Hand rufen kann, indem ich ein anderes Celestial Gear auf dem Feld verbanne. Verschwinde, Woodpecker!“ Ihr gewaltiger Maschinenspecht löste sich in hellblauem Licht auf, welches dutzende, gleichfarbige Lichtpunkte über der selbsternannten Dämonengöttin bildete, die sich mit zahlreichen Linien miteinander verbanden und so ein neues Monster zeichneten. Die Spannweite der Flügel des neuen Mechavogels war noch breiter, der Körper gewaltiger und trotzdem unverkennbar agil. Durch eine himmelblaue, durchsichtige Schicht war auch bei ihm der Blick auf das mechanische Innenleben gewährt. „Wenn [Celestial Gear – Synthetic Eagle] durch seinen eigenen Effekt beschworen wird, nimmt er die Stufe des verbannten Monsters an“, erklärte Kali zufrieden.   Celestial Gear – Synthetic Eagle [ATK/2500 DEF/1000 (5 → 4)]   „Was konnte das Teil nochmal, wenn es per Rückbeschwörung gerufen wurde?“, überlegte Anya. „Eagle negiert für diesen Zug die Effekte aller offenen Monster und auch die jener, die im Friedhof liegen!“, bekam sie prompt eine Antwort. „Das bedeutet, dass auch dein [Kuriboss] dir nicht helfen können wird!“ Die Augen des Mechaadlers begannen rot aufzuleuchten, bis in regelmäßigen Abständen kaum sichtbare Wellen von ihnen ausgingen. Als jene Anyas Monster erreichten, sackten diese kraftlos in sich zusammen, wobei zumindest Heavy T in seiner knienden Position nicht auf das Mädchen herabstürzte. Der erste Drache hingegen konnte sich nicht mehr halten und fiel seitwärts von der Schulter des Riesenroboters. „Kch, das war's also.“ Anya runzelte die Stirn. Irgendetwas kam ihr an Kalis Reaktion merkwürdig vor. Natürlich! „Woher wusste sie, dass [Kuriboss] im Friedhof erst richtig nützlich ist? Sie hat nicht nachgeschaut.“   Vielleicht hat sie deine Duelle studiert. Bedenke, dass sie im Fernsehen übertragen wurden.   „Hmm. Stimmt …“ Ihre Gegnerin bezog dazu jedoch keine Stellung. Im Gegenteil, sie nahm eine Zauberkarte aus ihrem Blatt und führte sie in die V-Duel Disk ein. „Ausrüstungszauber [Conversion Fuse]!“ Vor ihrem Adler sammelten sich Lichtpartikel, die einen kleinen, zylindrischen Gegenstand bildeten. In seinem Inneren leuchtete das Licht, wobei die Unterseite dem Sockel einer Glühbirne ähnelte. Die Sicherung verschwand ruckartig in [Celestial Gear – Synthetic Eagles] Brust.   Celestial Gear – Synthetic Eagle [ATK/2500 → 3500 DEF/1000 (4)]   „Warte mal!“ Düstere Erinnerungen wurden wieder in Anya wach. Im Turm von Neo Babylon, dem Kristallsaal, sie sah dieses Vieh, wie es zwei grell leuchtende Wirbelstürme in Richtung des Schnöselkinds Henry losließ. „Shit!“ Dazu erklang Isfanels Stimme, seine Worte von damals, in ihrem Kopf.   [Celestial Gear – Synthetic Eagle] fügt, wenn er ein Monster angreift, Durchschlagschaden zu. Nach dem Mädchen folgt nun der Nächste. Los, Celestial Stormburst!   „Na, dämmert's dir endlich?“ Kali verschränkte die Arme voreinander. Geradezu majestätisch zählte sie Anya die Fakten auf. „Ganz recht, [Conversion Fuse] verstärkt ein Maschinenmonster um 1000 Angriffspunkte. Eagle fügt Durchschlagschaden zu. Heavy Ts Verteidigung ist gleich 0 und Eagle bekommt noch 500 Angriffspunkte obendrauf dank [Banished Power Gear].“ Die letzten Worte verließen voller Genuss ihre Lippen. „4000 zu 0. Sieht so aus, als würdest du gleich erfahren, was mich antreibt. Los, [Celestial Gear – Synthetic Eagle], greife ihren Megaschrotthaufen an und hol' mir den Sieg!“ Voller Schrecken verfolgte Anya mit, wie der Maschinenadler seine Schwingen bis zum Maximum spreizte, um dann dieselben zwei Wirbelstürme zu entfachen, die sie in ihren Gedanken auf Henry hatte zurasen sehen.   Celestial Gear – Synthetic Eagle [ATK/3500 → 4000 DEF/1000 → 1500 (4)]   Panisch sah Anya auf ihr rotes D-Pad, doch da waren keine gesetzten Karten, die ihr hätten helfen können. „Fuck! Was jetzt!?“ „Ganz einfach“, antwortete ihr Kali, „stirb, wie du es schon längst hättest tun sollen!“   ~-~-~   „Ich setze eine Karte. Damit ist mein Zug beendet“, verkündete Nigel, während zu seinen Füßen ein vergrößerter Kartenrücken auftauchte. Das Antlitz der mindestens zwei Meter großen, vierbeinigen Felsenechse, die vor dem rothaarigen Manager und Dämon verharrte, strahlte nicht weniger Ehrgeiz aus als das von Zanthe, welcher sich aufrappelte und eine kämpferische Pose einnahm.   [Zanthe: 2600LP / Nigel: 4000LP]   Er selber kontrollierte nur seine dauerhafte Zauberkarte [Constellar Star Chart]. Was angesichts des starken Monsters gegenüber nicht so bleiben durfte.   Phantom Beast Rock-Lizard [ATK/2800 DEF/2000 (7)]   Jedoch war es jetzt sein Zug und den würde er nutzen, um diesem selbstgerechten Dämon zu zeigen, dass er nicht umsonst als Hüter auserkoren wurde. Von seinem Bruder …   Betrübt blicke Zanthe herüber über den Hang, auf dem das Grundstück der McPhersons stand. Dort drüben, in der Ferne, funkelte Ephemeria City wie ein Edelstein im Sonnenlicht, obwohl es schon lange dunkel geworden war. Sein Blick wanderte herüber zu Claire Rosenburg, die etwa zwei Meter seitlich von ihrem Meister regungslos verharrte und nicht ahnte, dass sie dort nicht alleine war. Hinter ihnen lag das weiße, typisch amerikanische Haus des Dämons und seiner Familie. Was Zanthe zu der Frage brachte, um welche Art von Wesen es sich bei Nigel überhaupt handelte. Ihm erschien es zwar nicht als absurd, auch als Dämon eine Familie zu gründen, doch die wenigstens taten dies in der Realität. Die Gründe waren vielfältig. Manche vermochten es nicht ob ihres Aussehens, andere fürchteten um die Sicherheit ihres potentiellen Fleisch und Blutes, viele hatten auch einfach kein Interesse, da ihnen schlichtweg die emotionalen Komponenten für so ein Bedürfnis fehlten.   „Ich bin dran. Draw“, murmelte er leise vor sich hin, abgelenkt von seinen Gedanken. Erst als er die gezogene Karte betrachtete, fand er wieder in das Duell. Denn er spielte sie, und noch eine weitere von seiner Hand, gleich aus. „Da du Monster kontrollierst und ich nicht, kann ich dieses hier als Spezialbeschwörung beschwören. Und dazu kommt gleich noch eine Normalbeschwörung!“ Beide Monster wurden in seinen Duell-Handschuh eingelegt. Kurz darauf erschienen zwei kleine Schlüssel vor ihm, die er zwischen Mittel- und Zeigefinger sowie Ring- und Mittelfinger in die Hand nahm. „Open a door to the Water-Bearer! [Constellar Siat]! Open a door to the Archer! [Constellar Kaus]!“ Zanthe schleuderte die Schlüssel nach vorn. Im Flug bildeten sich von ihnen ausgehend kreisrunde Portale, in die diverse Schichten von Sternzeichensymbole eingelassen waren. Beide zersprangen zeitgleich und gaben die gerufenen Monster frei. So war Siat ein in Weiß gekleideter Jüngling, dessen Gesicht von einem Helm geschützt wurde und welcher einen riesigen Wasserkrug mit beiden Händen über den Kopf trug. Neben ihm landete ein ebenso weißer Zentaur, der einen goldenen Bogen spann.   Constellar Siat [ATK/100 DEF/1600 (1)] Constellar Kaus [ATK/1800 DEF/700 (4)]   Zanthe, dem durch das blaue Kopftuch eine schwarze Haarsträhne im Gesicht hing, streckte voller Ehrgeiz die Hand nach vorne aus. „Kaus kann dank seines Effekts bis zu zweimal pro Zug die Stufe eines Constellars erhöhen oder senken. Aber das wird er nur einmal, auf sich selbst. Danach nutze ich Siats Effekt, der Kaus' Stufe kopiert!“ Besagter Zentaur richtete seinen Bogen gen Himmel und schoss genau einen goldenen Pfeil ab, der nach ein paar Sekunden im steilen Sinkflug auf ihn herab sauste und in ihm verschwand. Gleich danach ließ Siat aus seinem riesigen Krug schimmerndes Wasser über sich laufen.   Constellar Kaus [ATK/1800 DEF/700 (4 → 5)] Constellar Siat [ATK/100 DEF/1600 (1 → 5)]   „Open a gate to the Sacred Star Knights! To the Overlay Network!“, rief Zanthe mit noch immer nach vorne gestreckter Hand aus. In dieser materialisierte sich ein schwert-großer, goldener Schlüssel. „Aus zwei Stufe 5-Lichtern wird ein gleißender Stern! Rang 5!“ Kaus und Siat verwandelten sich in gelbe Lichtstrahlen, welche von der Spitze der Waffe in Zanthes Hand absorbiert wurden. Jenen rammte er in den Boden und brach damit das um den Einstiegspunkt entstehende Runensiegel. „Xyz-Summon! [Constellar Pleiades]!“ Sofort schoss vor ihm ein weißer, eleganter Krieger von kräftiger Statur aus dem Portal, bewaffnet mit einem langen Schwert, das er aber mit der Klinge nach unten zeigend hielt. Auf seinem Rücken thronte eine Art Platte, die insgesamt sieben Spitzen aufwies und ein wenig wie ein Stern anmutete. Dabei wurde er von zwei leuchtenden Sphären umkreist.   Constellar Pleiades [ATK/2500 DEF/1500 {5} OLU: 2]   „Das löst den Effekt von [Constellar Star Chart] aus“, verkündete Zanthe. Über ihnen, am Sternenhimmel, leuchtete das Wappen der Constellar auf, welches aussah wie ein Stern, der in einem zweiten, größeren lag. „Denn da ein Constellar-Xyz beschworen wurde, darf ich ziehen!“ Gesagt, getan. Zanthe riss eine Karte von seinem Deck, womit er wieder drei auf der Hand hielt. „Ich habe Pleiades nicht umsonst gerufen“, sagte Zanthe entschlossen und zog eines der beiden Xyz-Materialien unter diesem hervor, „für eine Overlay Unit kann er eines deiner Monster zurück auf die Hand geben. Los!“ Eine der leuchtenden Sphären verschwand daraufhin in dessen Klinge.   Constellar Pleiades [ATK/2500 DEF/1500 {5} OLU: 2 → 1]   Sein heiliger, weißer Krieger warf seine Klinge in die Luft und fing sie mit der anderen Hand auf, doch nicht, ohne dabei eine 360°-Drehung durchzuführen. Dabei löste sich von seinem Schwert eine Schockwelle, die in die Felsechse einschlug und sie zum Explodieren brachte. Was Zanthe merkwürdig vorkam. „Moment, wurde-!?“ Weiter kam er nicht, den in diesem Augenblick schossen aus der Rauchwolke spitze Felsbrocken, die zuerst den Sternenkundler durchbohrten und sich dann ihren Weg zu Zanthe bahnten, der erschrocken den Arm hob. Einem strömenden Regen gleich, prasselten sie an jenem ab, hinterließen blutige Risse in seiner Jacke und auf der Hand. „Gahhh!“, schrie der Werwolf gequält und wich zurück, hielt sich den blutenden Arm. „Wie-!?“   [Zanthe: 2600LP → 600LP / Nigel: 4000LP]   Der Rauch löste sich auf und noch immer verharrte dort [Phantom Beast Rock-Lizard], doch verschwamm immer mehr vor Zanthes Augen. Was nicht an ebenjenen lag, denn der Kopftuchträger sah alles andere glasklar. Dementsprechend bemerkte er sie erst jetzt, die aufrecht stehende Falle von Nigel. Und die verschwommene Felsechse verschwand endgültig. An ihrer Statt tauchte ein anderes Monster auf, eines, das Zanthe bereits kannte – das weiße, mit vier goldenen Schwingen ausgestattete Vogeleinhorn. Es glühte in weißer Aura auf, da [Phantom Beast Cross-Wing] auf Nigels Friedhof dafür sorgte, dass jedes Phantomungeheuer 300 Angriffspunkte erhielt.   Phantom Beast Ascension-Patron [ATK/2000 → 2300 DEF/2500 (6)]   „[Phantom Illusion]“, betitelte Nigel seine Falle seelenruhig, „wird ein Wesen wie [Phantom Beast Rock-Lizard] zum Ziel eines Karteneffekts, wird dieser insofern überschrieben, dass sowohl Anwender, als auch das Ziel selbst zerstört werden.“ Demonstrativ ließ Claire Rosenburgs bärtiger Manager den Arm zur Seite ausschwenken. „Dadurch wird gleichzeitig [Phantom Beast Rock-Lizards] dritte besondere Fähigkeit aktiviert. Da es trotz allem deine Karte war, die sie zerstört hat, fügt sie dir 2000 Punkte an Schaden zu.“ Er ballte die ausgestreckte Hand zu einer Faust und zog jene wieder an sich. „Doch damit endet es noch nicht. Im Anschluss beschwört meine Falle ein Monster von meinem Friedhof, dessen Original-Angriffskraft schwächer ist als die des zerstörten Monsters. Einer Illusion gleich, die dich getäuscht und ins Verderben geführt hat.“ Deshalb, so dachte Zanthe, war Nigels Fusionsmonster also zurück. Und er, er hatte nicht nur massiven Schaden genommen, sondern auch noch Pleiades verloren. „Da hat wohl jemand nicht ganz fair gespielt“, schloss er grimmig aus der Tatsache, dass die ganze Aktion günstiger für Nigel kaum hätte ausgehen können, „gib's endlich zu, du nutzt die Kraft deines Paktes. Ist sie deshalb hier?“ Er deutete dabei auf Claire, die die ganze Zeit über noch nicht ein Wort gesprochen hatte. Als der Dämon jedoch nicht antwortete, schüttelte Zanthe den Kopf. „Was verbindet ausgerechnet euch beide eigentlich? Die eine macht sich selbst zu einem Zombie und du? Was hast du von diesem Handel?“ Bevor er Nigel antworten ließ, fügte er noch hinzu: „Ich setze eine Karte. Das war's erstmal!“ Seine Falle tauchte mit dem Bild nach unten vor ihm liegend auf. Sie war alles, was ihn noch vor der Niederlage bewahren konnte. Wodurch sie, sollte seine Annahme sich bewahrheiten, jeden Moment zerstört werden würde, bevor er sie einsetzen konnte …   „Draw Phase.“ Nigel McPherson zog auf eine vierte Karte auf. „Der Pakt basiert-“, begann Claire plötzlich in ihrer monotonen Stimmlage, als ihr Mentor den Arm in ihre Richtung ausstreckte und sie zum Schweigen brachte. „Nicht. Lass mich das erklären.“ Zanthe biss die Zähne zusammen und blendete den schmerzenden Arm aus, um sich auf die Worte seines Gegenübers zu konzentrieren. „Nicht jedes Wesen ist vollständig“, sagte Nigel an den Werwolf gewandt, „manchen fehlt etwas, etwas Essentielles.“ „Wovon sprichst du? Wir alle haben unsere Fehler“, verstand Zanthe nicht. „Claire wurde in eine arme Familie hineingeboren. Vor etwa drei Jahren hätten sie und ihre Familie beinahe alles verloren. Um das zu vermeiden, hat sie nach Hilfe verlangt.“ „Ich möchte wetten, dass sie damit nicht dich angesprochen hat“, kommentierte Zanthe die Geschichte ungewohnt gallig. Nigel schüttelte den Kopf. „Das mag sein, doch ich war der Einzige, der sie gehört hat. Und ich war imstande, ihren Wunsch nach Erfolg und Reichtum zu erfüllen.“ „Indem du ihr ihre Seele genommen hast?“ Um seine Anschuldigung zu unterstreichen, hämmerte sich Zanthe mit der unverletzten linken Hand, die in dem Duell-Handschuh steckte, gegen die Brust, „dank dir ist sie jetzt so! Nichts als eine Puppe, die deinen Kommandos folgt!“ „Sie hat eingewilligt, als Preis für den Pakt ihre Emotionen herzugeben.“ „Wozu!?“, wurde Zanthe lauter und lauter. „Wieso sollte jemand auf das verzichten, was ihn menschlich macht!? Und was hast du davon!?“ Der Mann im Anzug warf einen Blick über die Schulter. „Das.“ Er sah sein Haus an. Und lächelte. Doch als er sich Zanthe wieder zu wandte, war davon nichts mehr zu sehen. „Ich sagte bereits, manche Wesen sind unvollständig. Ich habe diese Welt als Mensch betreten, doch ich war nie einer. Mir fehlte eine wichtige Eigenschaft: Emotionen.“ „Emotionen?“, flüsterte Zanthe perplex. „Nicht mein einziger Makel. Aber mein größter. Die Welt um mich herum war grau. Es war mir unbegreiflich. Mein einziges Bestreben lag darin, mich selbst zu erhalten.“ Nigel sah zu Claire herüber. „Zwar wusste ich immer, dass Menschen zu Emotionen imstande sind, doch waren sie mir völlig fremd. Bis dieses Mädchen mir erklärte, dass ich, um diese Welt zu verstehen, Gefühle benötige.“   Langsam begann Zanthe zu begreifen. Und das Bild, das sich vor ihm zeichnete, schürte nur den Zorn auf Nigel. „Also hast du ihr die ihren genommen … um sie dir einzuverleiben?“ „Es war ihr Teil des Handels.“ „Und was hat sie dafür bekommen!? Reichtum, Ruhm!?“, fauchte Zanthe aufgewühlt. „Dinge, an denen sie sich nicht einmal mehr erfreuen kann, weil du ihr genau das genommen hast!? Jegliche Freude!?“ Zum ersten Mal funkelte Claires Manager Zanthe an, als stecke in ihm tatsächlich so etwas wie ein Mensch. Wut. Brennende Wut, die er jedoch geschickt unterdrückte. „Ein Pakt ist ein Geben und Nehmen. Die Entscheidung, ihn zu schließen, obliegt einzig den betroffenen Parteien.“ Zanthe schrie förmlich. „Das ist doch Schwachsinn! Red' dich nicht damit raus, einen Pakt geschlossen zu haben! Du hättest auch etwas anderes von ihr verlangen können! Stattdessen nutzt du sie aus, um dir selbst ein schönes Leben zu gönnen! Oder willst du mir erzählen, dass du nicht von ihrem Ruf profitierst?“ „Durch sie habe ich etwas gewonnen, dass ich sonst nie hätte haben können“, presste Nigel voller unterdrücktem Zorn hervor, „das werde ich mir nicht von dir oder Anya Bauer nehmen lassen.“ „Auf eins kannst du dich verlassen“, zischte Zanthe giftig, „wenn ich mit dir fertig bin, nehme ich das Mädel mit und kümmere mich um sie. Irgendjemand muss sie aus deinen Fängen befreien!“   „Das lasse ich nicht zu!“, donnerte Nigel aufgebracht. „Ich beschütze Claire, das war die Abmachung. Was du als verwerflich betrachtest, ist von uns beiden so gewollt!“ Zanthe schwang den gesunden Arm aus. „So will keiner leben! Das ist kein Leben!“ „Wer bist du, um das zu entscheiden!?“ „Ein Mensch!“ „Bin ich keiner!?“ „Wenn, dann nur durch sie!“, überschlug sich Zanthe förmlich und deutete auf Claire, die allem regungslos beiwohnte. „Aber sie lebt nicht, nur um dich anzutreiben! Sie hat ein eigenes Leben verdient!“ Der Rotschopf konterte: „ Etwa eines, das ihr nichts als Schmerz gebracht hat!?“   Für einen Augenblick verstummte Zanthe und schnappte nach Luft. Doch das war schon genug, damit sein Gegner den Streit in eine andere Richtung lenken konnte. Und zwar zurück zum Ursprung. „Wenn du mir etwas antust, fügst du meiner Familie Schmerz zu. Sie wissen nichts von meiner Herkunft.“ „Wenn ich nichts tue, verliere ich Anya“, erwiderte Zanthe bitter. Er sah wieder Claire an. „Und sie? Sie hat schon alles verloren.“ „Sie hat mich. Du wirst nicht gebraucht.“ Ohne Vorwarnung knallte Nigel ein Monster auf sein rotes D-Pad. „Normalbeschwörung! [Phantom Beast Wild-Horn]!“ Ein zwei Meter großer, aufrecht gehender Elchkrieger mit leuchtendem Geweih gesellte sich zum geflügelten Vogeleinhorn, welcher ebenfalls in weißer Aura aufzuleuchten begann.   Phantom Beast Wild-Horn [ATK/1700 → 2000 DEF/0 (4)]   „Dieser greift dich direkt an!“, rief Nigel aus und richtete seinen Zeigefinger auf Zanthe. Das humanoide Monstrum stampfte eiligen Schrittes auf sein Ziel zu, holte dabei mit seiner Handaxt zum Schlag aus. Der Werwolf wiederum versuchte sich mit seinem Duell-Handschuh zu schützen – an dem plötzlich ein glänzender, silberner Rundschild auftauchte. Stein traf auf Metall. „Danke“, grinste Zanthe verschmitzt, „mithilfe meiner Falle [Draining Shield] absorbiere ich den Angriff doch glatt!“ Tatsächlich wurden blaue Partikel aus dem Körper, insbesondere dem Arm des Kampfelchs, in Zanthes Schild gezogen.   [Zanthe: 600LP → 2600LP / Nigel: 4000LP]   Sein Gegner verschränkte die Arme. „Freu' dich nicht zu früh. Ich besitze noch ein Monster, das angreifen kann. [Phantom Beast Ascension-Patron], Radiant Lightning Horn!“ Im gleichen Atemzug wich Wild-Horn zurück. Der Schild an Zanthes Handschuh löste sich auf, womit dieser dem heran stürmenden Vogeleinhorn schutzlos ausgeliefert war. Im Flug schlug ein Blitz in dessen Horn ein. Statt aber in Panik zu geraten, nahm Zanthe eine leicht gebeugte Haltung an und rollte sich unter dem Angriff hinweg.   [Zanthe: 2600LP → 300LP / Nigel: 4000LP]   Kaum hatte er eine kniende Position angenommen, blickte er prüfend über die Schulter um sicher zu gehen, dass er nicht von hinten attackiert wurde. Doch Nigels Monster kehrte lediglich auf dessen Spielfeldseite zurück. „Ich setze eine Karte. Damit bist du am Zug.“ Während jene sich vor ihm materialisierte, erhob der Werwolf sich. „Whew, das hätte auch anders ausgehen können. Sag bloß, du hältst dich zurück?“   „Nein“, entgegnete ihm der Mann unterkühlt. „Du hast es nicht durchschaut, nicht wahr?“ „Deine Fähigkeiten?“ Zanthe fasste sich ans Kinn. „Du kannst andere täuschen. Claire besitzt durch den Pakt dieselbe Gabe, also-“ „So funktioniert das nicht. Es sind beide Seiten der Medaille, die es zu berücksichtigen gilt.“ Schulterzucken. „Wirklich?“ Nigel streckte daraufhin die Hand nach vorne aus. In ihr erschien wie aus dem Nichts ein Kurzschwert mit gezackter Klinge. Sein Protegé tat genau dasselbe und auch sie hielt schlagartig eine identische Waffe in der Hand. „Durch den Pakt wurde ihr nicht nur meine Gabe zuteil, mehr noch, habe ich sie zu einer Subhüterin erwählt.“ „Einer was?“ Erstaunt hob Zanthe die Augenbrauen an. „Davon habe ich noch nie etwas gehört.“ „Überrascht dich das? Wer teilt schon so eine Bürde freiwillig? … oder die damit einhergehende Macht.“ Nigel ließ die Waffe in seiner Hand sinken, ebenso Claire. „Ein Hüter kann einen Teil seiner Kraft auf eine andere Person übertragen, doch nicht mehr als die Hälfte. Sollte der Subhüter fallen, kehrt die Macht zu ihrem Ursprung zurück.“ War das der Grund, warum der Sammler Claire Rosenburg als Hüterin identifiziert hatte? Zanthe nickte. Natürlich! Aber das bedeutete auch … „Du hast sie benutzt … als Ablenkung.“ „Das mag sein, doch sie ist genauso stark wie ich. Sie ist eine Ergänzung, kein Sündenbock.“ „Von wegen“, winkte Zanthe zornig ab, „wieso solltest du sie mit so vielen Fähigkeiten vollpumpen?“ „Um ihren Traum zu erfüllen. Du selbst weißt, dass jedes Artefakt eine besondere Fähigkeit besitzt, Zanthe“, sprach Nigel und schwang die Klinge in seiner Hand in Claires Richtung aus, „meine angeborene Fähigkeit täuscht die Außenwelt. Doch mein Artefakt …“ Gespannt hörte der Werwolf zu. „… täuscht seinen Besitzer.“ „Was?“ „Wer diese Klingen besitzt, wird zu dem, was er sein will. Unbesiegbarkeit. Das hat sich Claire gewünscht. Und diese wird ihr vom Artefakt verliehen“, sprach Nigel düster, „doch so eine Form von Unbesiegbarkeit kann die Gesetze der Physik nicht ausschalten. Die innere Illusion muss mit einer äußeren einher gehen, damit sie sich vollkommen entfalten kann.“   Zanthe weitete die Augen und begriff. Claire war der Überzeugung, unbesiegbar zu sein und dadurch passte sich ihr Deck der Situation an, die für sie am günstigsten war. Aber eine Duel Disk würde sofort Alarm schlagen, wenn sich die Reihenfolge der Karten im Deck veränderte. Was jedoch durch Nigels Eingriff verhindert wird. So kann sie jedes Duell gewinnen, ohne dass jemand bemerkt, wie sie sich ihre Welt zurechtbiegt!   „Es ist alles eine Lüge“, presste Zanthe finster hervor. Jetzt, wo er die Zusammenhänge allmählich begriff, konnte er Anyas Enttäuschung nur zu gut verstehen. „Ihr macht den Menschen etwas vor, das gar nicht existieren kann.“ „Aber genau das tut es.“ „Aber es ist nicht echt! Alles ist gesteuert!“ Nigel verzog keine Miene. „Und trotzdem geschieht es. Claire hat jeden ihrer Gegner besiegt. Und sie hätte auch Anya Bauer besiegt, doch ich zog es vor, sie vor ihrer Niederlage zu töten. Den Angriffen wäre sie gewiss entkommen.“ „Und du hast dasselbe mit mir vor, was? Mich besiegen, indem du dir weismachst, dass du mich besiegen wirst!?“ Doch er bekam einen starren Blick als Antwort. „Zwei Seiten einer Medaille …“   Der Werwolf griff zähneknirschend nach seinem Deck. Dieser Mann, er war so skrupellos, dass es sein Blut zum Kochen brachte. Er nahm Claire ihre Gefühle, ihr Menschsein und benutzte sie zeitgleich als Ablenkungsmanöver, um potentielle Feinde in eine Falle zu locken, da sie glaubten, einer echten Hüterin gegenüber zu stehen. Unmöglich konnte diese junge Frau damit einverstanden sein, wäre sie Herrin ihrer Sinne. Und wenn niemand etwas unternahm, würde sie für immer so bleiben. Zanthe musste etwas tun. Er musste Nigel bezwingen! „Draw!“, schrie er aufgelöst und zog schwungvoll von seinem Deck. Sofort streckte er den Arm aus und rief: „Kennst du noch [Constellar Alrakis]? Der Tänzer hat eine zweiten Effekt und lässt sich damit vom Friedhof verbannen, um mich für diesen Zug Constellare, ohne dabei Tribute anbieten zu müssen, beschwören zu lassen!“ Die geisterhafte, transparente Gestalt eines weißen Sternenritters mit langem Federschweif am Helm tauchte vor Zanthe auf und löste sich in schimmernde Lichtpartikel auf. Zanthe streckte die rechte Hand zur Seite aus, in der ein kleiner Schlüssel erschien. „Open a door to the Fish!“ Von jenem erschloss sich ein kreisrundes, aufrecht stehendes Lichtportal, das verschiedene Ebenen astrologischer Symbole in sich eingearbeitet hatte. „[Constellar Alrescha]!“ Jener weiße Krieger brach in diesem Augenblick aus dem Portal hervor und bezog neben Zanthe Stellung. In beiden Händen hielt er Schwerter mit zwei Klingen, spitz wie Nadeln.   Constellar Alrescha [ATK/2200 DEF/1200 (6)]   „Der besondere Effekt von Alrescha lässt mich sofort noch einen Constellar von meiner Hand in die Verteidigung beschwören“, erklärte dessen Besitzer und richtete den Arm mit geöffneter Handfläche nach vorne aus. Auf dieser tauchte noch ein Schlüssel auf. „Open a door to the Scorpion!“ Zanthe warf den Schlüssel hoch in die Luft und fing ihn auf, um ihn zur Seite auszuschwingen, von wo aus sich noch ein Runenkreis bildete. „[Constellar Antares]!“ Dieser platzte, wie zuvor sein Kamerad, aus dem Portal hervor. Von hoher Statur und äußerst schlanker Gestalt, wirkte er mehr wie eine Maschine, was dadurch betont wurde, dass er einen roten Energiespeer schwang, dessen Ende in einen Schlauch überging, welchen er in der anderen Hand hielt.   Constellar Antares [ATK/2400 DEF/900 (6)]   Durch jenen wurde plötzlich eine seltsame Masse gepumpt. Das offene Ende des Schlauches spuckte eine Karte in Zanthes Richtung aus, welche jener geschickt auffing. „Wird Antares beschworen, erhalte ich einen Constellar vom Friedhof zurück.“ Er zeigte [Constellar Siat] vor. „Aber das ist noch lange nicht alles. Kennst du dich mit Inkarnationen aus?“ „Ein wenig. Sie sind die Evolution eines Paktes zwischen Mensch und Dämon.“ „Yeah. Aber was wäre, wenn es eine Inkarnation gäbe, die ohne eigene Vorstufe existiert. Und die dementsprechend nicht erst inkarniert werden muss?“ Zanthe funkelte Nigel an. Jener nickte. „So etwas kann nur existieren, wenn das Versprechen, auf dem der Pakt beruht, nicht erfüllt werden kann.“ Der Blick des Werwolfs verfinsterte sich. „Deshalb also … Aber schön für dich, dass du Bescheid weißt. Dann wird dich das hier nicht überraschen! Ich errichte das Overlay Network! Open a gate to the Sacred Star Knights!“ Alrescha und Antares verwandelten sich in gelbe Lichtstrahlen. Gleichzeitig öffnete sich vor Zanthe mitten auf dem Spielfeld ein Schwarzes Loch, das die beiden Energien in sich aufsaugte. „Aus meinen beiden Stufe 6-Monstern wird ein Rang 6-Monster!“ Eine mächtige Explosion erschütterte das Overlay Network. Schwarze und gelbe Blitze schossen daraus empor. „Xyz Summon! Kämpfe für mich …!“ Unter Zanthes entschlossenem Aufschrei stieg aus dem Wirbel der majestätische, weiß-goldene Mechadrache auf, der Zanthe auf ganz eigene Art und Weise gezeichnet hatte. Die edlen, schwarzen Metallschwingen wurden bis zum Anschlag gespreizt. „… [Constellar Ptolemy M7]!“ Und der Drache stieß einen wütenden Schrei aus. Wie es schien, heulte er das stark leuchtende Wappen der Constellar am Sternenhimmel an. Zanthe zog dank des Effekts von [Constellar Star Chart] nebenbei auf. Um seinen Drachen rotierten die goldenen Xyz-Materialien.   Constellar Ptolemy M7 [ATK/2700 DEF/2000 {6} OLU: 2]   Wortlos schob er die aufgezogene Fallenkarte in den Handschuh an seinem linken Arm. „Die setze ich erstmal.“ Noch während sie vor ihm mit dem Kartenrücken nach oben gerichtet auftauchte, nickte der Kopftuchträger seinem Gegenüber zu. Oder besser gesagt, dessen Monster. „Weg mit dir. Ich aktiviere Messier 7s Effekt! Da er nicht via Inkarnation aufs Feld kam, kann ich den sofort benutzen! Und egal wo es sich auch befindet, ein Monster kehrt damit sofort auf das Blatt seines Besitzers zurück!“ Um das Ganze noch einmal zu unterstreichen, zeigte er auf das Vogeleinhorn. „Wie ich sagte: Ab mit dir ins Extradeck, da Fusionsmonster nicht auf die Hand genommen werden können. Return Of The Star!“ Der mechanische Drache schnappte nach einer der Lichtsphären, die um ihn kreisten, und verschlang sie mit einem Happen. Gleich im Anschluss stieß er eine Mischung aus Heulen und seltsamen Singsang aus.   Constellar Ptolemy M7 [ATK/2700 DEF/2000 {6} OLU: 2 → 1]   Nigel gab ein wütendes Schnaufen von sich, als unter seinem Ascension-Patron ein Runenzirkel erschien, aus dem wiederum eine gleißende Lichtsäule stieß und jenen regelrecht zersetzte. „Bleibt noch einer.“ Grimmigen Blicks nahm Zanthe das andere Monster auf dem Spielfeld seines Gegners ins Visier. „Messier 7! Angriff auf [Phantom Beast Wild-Horn]! M7 Star Launcher!“ Der edle Drache öffnete sein Maul und stieß einen orangefarbenen Strahl aus, von gelblichem Schimmer umgeben. Zwar hob der aufrecht gehende Elch seine Axt zum Gegenangriff, doch wurde von der Attacke zerrissen, bevor er überhaupt dazu kam.   [Zanthe: 300LP / Nigel: 4000LP → 3300LP]   „Das war's erstmal“, sagte Zanthe mit zwei verbliebenen Handkarten.   „Draw Phase“, verkündete sein Gegenüber, zog auf und streckte sofort im Anschluss die Hand nach vorn, wodurch seine gesetzte Falle aufsprang, „Fallenaktivierung: [Fusion Reserve]. Damit erhalte ich ein Fusionsmaterialmonster, das von einem meiner Fusionsmonster im Extradeck aufgelistet wird.“ Vor ihm tauchte eine einzelne, vergrößert dargestellte Karte auf. Violett umrandet, erkannte der Werwolf sie als [Chimera The Flying Mythical Beast] wieder, eine zweiköpfige, geflügelte Schimäre. „Ich wähle [Gazelle The King Of Mythical Beasts].“ Sein D-Pad schob aber nicht nur die gelb umrandete Karte aus dem Deck hervor, sondern auch eine Zauberkarte aus dem Friedhof. Nigel nahm beide auf. „Zusätzlich gewährt [Fusion Reserve] mir noch Zugriff auf [Polymerization], sollte diese auf meinem Friedhof liegen.“ „Verstehe. Du willst also wieder eine Fusionsbeschwörung durchführen.“ Zanthe sah auf die verdeckte Karte zu seinen Füßen. „Nur zu.“ „Dazu musst du mich nicht auffordern. Ich aktiviere [Polymerization]!“ Ehrgeizig hielt der rothaarige Mann die Zauberkarte sowie die Karten von Gazelle und [Berfomet] in die Höhe. Über ihm öffnete sich ein rot-blauer Vortex, der zuerst das löwenartige Ungeheuer verschlang und direkt danach ein geflügeltes, gehörntes Dämonenwesen, das einer Ziege ähnelte. Doch dann geschah es. Zanthe, der damit gerechnet hatte, jeden Moment der Schimäre gegenüber zu stehen, beobachtete mit geweiteten Augen, wie eine dritte und vierte Karte in den Sog gezogen wurden – Zauber- und Fallenkarte respektive! „Ich verschmelze den Stufe 5-[Berfomet] mit dem Stufe 4-[Gazelle The King Of Mythical Beasts] sowie der Zauberkarte [Spiritual Forest] und der Fallenkarte [Horn Of The Phantom Beast]!“ Ein Blitz schlug in den Wirbel ein, welcher sich so stark ausweitete, dass er bis zum Erdboden reichte. Nigel trat ein paar Schritte zur Seite, um nicht direkt vor dem Zentrum zu stehen. „Fusion Summon! Zerstöre, [Murciélago The Thunderblade Bull]!“ „Eine Zauber- und Fallenkarte als Teil einer Fusion!? Warte! Das ist die Hüterkarte“, stellte Zanthe fest. Zum ersten Mal stand ihm Schweiß auf der Stirn, als das gerufene Wesen die Bühne betrat. Denn allein die massiven Hufe waren mit Klingen besetzt. Schwarz wie die Nacht war die Kreatur, deren kräftiger Körper von elektrischer Energie umgeben war. Das Rückenfell war zu Zöpfen geflechtet, die an ihm herab hingen. Doch das Auffälligste, neben den rot glühenden Augen, waren die Hörner … oder besser gesagt die gebogenen Klingen, welche jene ersetzten. Geradezu radioaktiv gelb strahlten sie.   Murciélago The Thunderblade Bull [ATK/0 DEF/0 (9)]   „Angriff auf Messier 7. Catastrophe Rampage“, befahl Nigel. Sein riesiger Stier begann mit dem linken Vorderhuf zu scharen. Ein Angriff mit einem Monster ohne Angriffspunkte? Zanthe schluckte. Irgendwas würde da kommen. Sofort streckte er den Arm nach vorn. „Nicht so schnell! Ich aktiviere [Constellar Meteor]. Jedes Monster, das mit einem Constellar kämpft, wird ins Deck zurückgeschickt!“ Das Ungetüm senkte sein Haupt, als die Falle vor Zanthe aufklappte. Aus ihr schoss ein Geschwader glühender Felsbrocken. Alles danach geschah so schnell, dass Zanthe es kaum erfassen konnte. Wie ein Blitz schoss der Bulle voran, zerschmetterte die Meteoriten mit seinen Hörnern und riss nebenbei ein verdammtes Gewitter aus Blitzschlägen hinter sich her, die [Constellar Ptolemy M7] trafen und explodieren ließen. Doch der wütende Stier rauschte weiter in seiner Unaufhaltsamkeit auf Zanthe zu, krachte in die aufrecht stehende Falle sowie den Zauber [Constellar Star Chart], bevor er den Werwolf rammte. „Argh!“, schrie jener, der nicht schnell genug ausweichen konnte. Er sah, wie die Welt Kopf stand. Über ihm sah er das Gras, in dem flammende Spuren zurückgelassen wurden. Plötzlich stand Murciélago wieder vor seinem Herrn. Und er krachte schmerzhaft auf dem Boden. „Urgh!“ Auf dem Rücken liegend, sah er den Sternenhimmel nur verschwommen. „Murciélago ist während der Battle Phase vor sämtlichen Karteneffekten geschützt, kann nicht durch Kämpfe bezwungen werden und ich erleide keinen Schaden dabei“, hörte er Nigel derweil erklären, „weder dein Drache, noch deine Falle hatten eine Chance. Denn mehr noch, nach dem Angriff zerstört der Donnerbulle noch zwei deiner Karten.“ Mühsam rollte sich Zanthe auf den Bauch. Tatsächlich, M7 und [Constellar Star Chart] waren fort! „Dieses Monster kannst du nicht bezwingen“, versprach Nigel ihm unheilvoll.   ~-~-~   „Wir sollten es versuchen!“, beteuerte Valerie ihren Glauben in die Worte des maskierten Dämons. Sie und Matt hatten sich auf Bitte der Schwarzhaarigen tief ins Innere des nahegelegenen Parks begeben. Zu dieser Zeit waren keine Menschen mehr unterwegs, doch um sicher zu gehen, nicht gesehen zu werden, waren sie vom Weg abgewichen und hatten sich tiefer in den Wald begeben, der an den Park angeschlossen war. Nur aus der Ferne zeugte das Licht der Laternen und die weit über den Park hinausragenden Hochhäuser davon, dass sie sich in einer Großstadt und nicht auf dem Lande befanden. „Hier wäre es doch ideal, oder?“ Valerie deutete auf eine kleine Lichtung, unregelmäßig von Bäumen umgeben. Matt schüttelte den Kopf. „Schon. Hier könnte ich eine Beschwörung durchführen. Aber wir sollten das nicht tun.“ „Wenn dieser Dämon uns hätte schaden wollen, hätte er uns nicht extra in eine Falle locken müssen“, argumentierte Valerie zum wiederholten Male und schritt an ihm vorbei auf die Lichtung zu, drehte sich zu ihm um, „ich glaube nicht, dass wir eine Chance gehabt hätten.“ Der Dämonenjäger fasste sich an die Stirn. „Valerie, das war nur eine Astralprojektion …“ „Matt, bitte! Das könnte unsere einzige Chance sein. Wieso sonst ist er ausgerechnet zu so später Stunde vor uns erschienen?“   Seufzend sah Matt auf. Sie war Feuer und Flamme und seine Einwürfe, wie gefährlich die Idee war, sich in das Versteck der Undying zu schleichen, schien sie gar nicht zu hören. Die Schwarzhaarige im weißen Kleid war wie ausgewechselt. „Nehmen wir an, dieses Wesen will uns wirklich helfen“, wagte er sich vorsichtig vor, „was, wenn die Beschwörung schief geht? Oder wenn sie gelingt?“ „Ich dachte du kannst Stoltz festhalten?“ „Aber nicht dauerhaft. Wie lange der Zauber wirkt, kann ich nicht sagen. Und sobald er frei ist, wird er uns folgen.“ Valerie aber hob die Hand. „Stopp! Du bist doch sonst nicht so pessimistisch. Wenn wir schnell genug sind, wird er keinen Grund mehr haben, uns zu töten.“ „Wir?“, staunte Matt und schwang energisch den Arm aus. „Valerie, vergiss es! Du kannst nicht mitkommen!“ „… werde ich nicht.“ Sie drehte sich von ihm weg. „Ich weiß, dass ich dir nicht helfen kann. Deswegen bleibe ich hier und passe auf Stoltz auf, solange du weg bist. Vielleicht kann ich dir etwas Zeit erkaufen, falls er sich befreit.“ „Nein!“ Eiligen Schrittes näherte er sich dem Mädchen und packte es an den Schultern. „Das ist Selbstmord.“ „Wenn wir nichts tun, ist es unterlassene Hilfestellung“, murmelte sie, ließ sich nicht von ihm herumdrehen, „falls Anya es nicht rechtzeitig schafft. Sie hat innerhalb von zwei Monaten gerade mal zwei Hüterkarten. Du weißt nicht, wo Edna ist, nicht, wo Harris ist, geschweige denn, wer die letzten beiden Hüter überhaupt sind.“ Schlagartig wirbelte sie von sich aus herum. „Meinst du nicht, dass wir uns einen Plan B zulegen sollten? Wir haben so viel Zeit verschwendet! Wenn du das Schwert findest und den Sammler beschwörst, könnte es noch in dieser Nacht enden. Anya wäre frei. Und du auch, oder nicht?“ „Valerie …“ „Bitte“, flüsterte sie und senkte das Haupt, „hilf ihr. Lass mich helfen, indem ich den Köder spiele.“   Insgeheim musste Matt sie bewundern für ihren Mut. Sie zitterte am ganzen Leib und doch war sie fest entschlossen, sich einem Undying zu stellen. Es wäre ihr Todesurteil, das wusste sie. „Du könntest sterben. Wir beide.“ Sie sah auf. Und lächelte. „Im Turm sind wir auch nicht gestorben, obwohl die Lage aussichtslos erschien. Wir werden es schaffen, Matt.“ Der junge Mann atmete beim Anblick ihrer klaren, braunen Augen tief durch. „… okay.“ „Danke, Matt.“ „Ich denke, ich kann auch ohne das Grimoire einen Beschwörungskreis erschaffen.“ Er griff in die Innentasche seines Mantels und zog ein Stück weißer Kreide hervor. „Aber ich muss ein paar Anpassungen vornehmen. Hier kann ich nirgendwo einen Kreis zeichnen. Außerdem muss das Portal lange genug geöffnet bleiben, damit ich hindurch kann.“ Sie nahm ihm die Kreide aus der Hand. „Sag mir, was ich tun muss.“ „Die Bäume. Wir nehmen sie als Katalysator. Ich denke, wenn das klappt, wird Stoltz eine böse Überraschung erleben.“ Er grinste verschmitzt. „Hoffe ich, ich hab sowas noch nie probiert.“   Kurz darauf zeichneten sie zusammen diverse Runen und Symbole auf die Rinde der Bäume, die die Lichtung umgaben. Die ersten machte Matt Valerie vor, die sich die Zeichen schnell einprägte und dann alleine weiterarbeitete, während er sich in die Mitte der Lichtung begab und mit dem Finger weitere Symbole in die Erde zeichnete.   Nachdem die Vorbereitungen erledigt waren, stellten sie sich zusammen an den Rand der Lichtung. „Bist du bereit?“ „Natürlich“, antwortete Valerie auf Matts Frage. Sie hob demonstrativ die blaue Duel Disk an ihrem Arm. „Falls er sich befreit, verwickle ich ihn in einem Duell. Das sollte dir etwas Zeit erkaufen.“ „Oder du rennst weg, sobald ich durch bin.“ Aber der junge Mann wusste, dass sie das nie tun würde. Am liebsten würde er sie mitnehmen, doch im Ernstfall, so wusste er, würde sie ihm eher im Weg stehen als alles andere, womit sie sie beide gefährdete. „Also schön, dann rufe ich ihn jetzt.“ Matt begann eine komplizierte, lateinische Formel aufzusagen, die Valerie jedoch nicht verstand. Die Symbole an den Bäumen begannen zu leuchten, ebenso die per Hand gezeichneten im Boden. Nach etwa einer Minute fiel der Name des Undying. Matt verstummte, doch das Mädchen wagte es nicht, nachzufragen, was jetzt geschehen würde. Sie warteten. Und dann geschah es. Ein schwarzes, ovales Portal öffnete sich direkt unter Matts Symbolen. „Er kommt tatsächlich“, hauchte Valerie fasziniert. Und das tat der riesige, bandagierte Undying. Stoltz schritt durch das Portal. Seine unsäglich langen Glieder, oder die, die noch übrig waren, sahen so unnatürlich aus, fand Valerie, die noch nie einen Undying gesehen hatte. Stoltz grinste. „Jemand ruft den Undying? Interessant.“ Als er Matt und Valerie bemerkte, zeigte er seine gelben Zähne. Bevor er aber dazu kam, einen Kommentar abzugeben, beugte sich Matt ruckartig nach unten und klatschte seine Handflächen auf den Boden. „Jetzt!“ Aus sämtlichen Symbolen von den Bäumen schossen leuchtende Ketten, die in rasender Geschwindigkeit den überraschten Undying umwickelten und festhielten. Jener war unter ihnen kaum mehr zu sehen. Doch nicht nur er wurde getroffen. Zwei Ketten wurden in das sich schließende Portal gezogen und hielten es mit aller Kraft offen. „Los, beeil' dich!“, rief Valerie. „Viel Glück!“ Matt rannte auf den Undying zu. Dabei blickte er noch einmal über die Schulter zu Valerie, die glücklich lächelte. „Pass auf dich auf.“ Dann sprang er in das Portal. Alles wurde schwarz.   Seine Füße berührten harten Boden, er musste rennen. Wenn der Tunnel kollabierte, bevor er ihn verlassen hatte, würde er für immer zwischen den Dimensionen feststecken. Der Dämonenjäger rannte und rannte in vollkommener Finsternis. Bis er eine Öffnung sah, einen kleinen Spalt, durch den er schlüpfen musste. „Hab dich!“ Als er ihn erreichte, erwies dieser sich als größer als gedacht. Mit einem Satz war er hindurch.   Dunkelheit erwartete Matt, nachdem er das Portal durchschritten hatte. Er drehte sich instinktiv um und bemerkte hinter jenem ein großes, zylindrisches Behältnis, das schräg hängend an einer Wand befestigt war. „Eine Stasiskammer?“, überlegte Matt laut. Neben dieser gab es ein Tastenfeld, von dem ein wenig Licht drang. Dadurch konnte Matt erkennen, dass er in einer kleinen Kammer gelandet war. Und hinter ihm befand sich der Ausgang.   Vorsichtig trat der Schwarzhaarige an jenen heran. Die Tür öffnete sich automatisch und führte in einen Gang, der geradeaus sowie nach links führte. Dieser war in sterilem Stahl gehalten, aber wenigstens ausreichend beleuchtet. „Und wohin nun?“, fragte er. Langsam schritt er geradeaus weiter. Hoffentlich hatte der maskierte Dämon die Wahrheit gesagt und die anderen Undying waren außer Haus. Was gleichzeitig zwei Fragen aufwarf: Wo waren sie dann? Und wo befand sich überhaupt dieses Versteck? Die nächste Tür, die sich vor ihm öffnete, führte wieder in einen dunklen, kreisrunden Raum. Überall an den Wänden waren Monitore angebracht, jedoch die meisten davon deaktiviert. Einige zeigten diverse Orte, die Matt bereits kannte. Das Stadion, in dem das Finale des Legacy Cups stattgefunden hatte, eine der Brücken von Ephemeria City, ein Park ebenjener Stadt und auch das Brückenstadion. „Was!?“, staunte Matt, als er dort ganz klein zwei Personen sah, die sich duellieren. Er eilte an das Pult vor dem Bildschirm. Eine davon war doch Anya! Und die andere? Der junge Mann kannte die Monster, die sie benutzte, nicht. Aber beim Anblick der mechanischen Vögel schloss er auf Kali. „Die beobachten alles von hier“, überlegte er und fasste sich nachdenklich ans Kinn, „dadurch erklärt sich einiges.“ Aber nicht alles. Denn wenn sie alles mitverfolgen konnten, warum griffen sie Anya dann nicht bei der erstbesten Gelegenheit an?   Ratlos drehte Matt sich um: Erst jetzt bemerkte er, dass sich in der Mitte des Raums ein riesiger Thron befand. Von der Decke über diesem hingen diverse dünne und dicke Schläuche. „Sind die Undying Maschinen?“, musste sich Matt zwangsweise wundern. Wozu brauchten sie sonst diese seltsame Stasiskammer oder das da. „Hm?“ Eiligen Schrittes näherte sich der Dämonenjäger dem Thron und umrundete ihn. Hinter diesem befand sich eine metallische Vitrine, so hoch wie der junge Mann selbst. Und hinter dickem Panzerglas erspähte er es. Ein langes Katana in einer Halterung hängend, neben ihm die Scheide. „Das ist es! Sehr gut!“ Zumindest hatte der maskierte Dämon nicht gelogen in der Hinsicht, dass sich hier ein Schwert befand. War nur die Frage, ob es den Sammler wirklich töten konnte. Matt suchte nach einem Griff, um das Behältnis zu öffnen, doch fand er weder das, noch irgendeine Form von Schloss. „Verdammt, wie geht das auf?“ Er drehte sich um. Der ganze Raum war voll von Konsolen, die vor den Bildschirmen standen. Jede davon könnte die Vitrine öffnen, doch woher sollte er wissen, welche das war? „Na toll“, grummelte er und näherte sich jener hinter dem Thron, „was, wenn das Ding mit einem Passwort gesichert ist?“   „Du würdest es nie knacken.“ Einen erschrockenen Schrei ausstoßend, wirbelte Matt herum und stieß bei einem Rückwärtsschritt gegen das Pult. Dort stand sie, direkt neben dem Thron, in weißer Robe. Die Augen wurden von einer Maske bedeckt, die weit über ihr Haupt mit dem langen, schwarzen Haar hinausreichte. „Du bist Zed!“, erkannte er sie von der Beschreibung Anyas her wieder. „Was machst du hier?“ „Fragt der Eindringling.“ Beschwichtigend hob Matt beide Hände. „H-hey, ich bin nicht hier, um gegen euch zu kämpfen. Im Gegenteil, ich brauche eure Hilfe.“ „Hilfe? Du bist ein Feind der Ewigen Ordnung“, sprach Zed eisig und trat einen Schritt näher. Matts Herz schlug schneller und schneller. Verdammt, wo war die überhaupt so plötzlich hergekommen? Er hätte sie doch bemerken müssen! „Dieses Schwert! Es kann jeden töten, nicht wahr?“, fragte er und deutete auf die Vitrine neben der Undying. „Wenn wir den Sammler damit erledigen, dann muss Anya keine Siegel mehr brechen.“ „Nein.“ Zed schüttelte den Kopf. „Eine solche Waffe würden wir niemals einem Fremden überlassen. Schon gar nicht dir, Matthew Summers.“ Verzweifelt sah Matt sich um. Links und rechts vom Raum gab es zwei Türen. Er war aus der linken gekommen. „A-ber-!“ „Du hast einen fatalen Fehler begangen, hier zu erscheinen“, drohte Zed und kam näher und näher. In ihrer Hand materialisierte sich ein langer Stab, den Matt jedoch nicht genau erkennen konnte.   Sie würde ihn töten, begriff Matt. Es gab keine andere Wahl, er musste fliehen. Kurzerhand wandte er sich nach rechts und eilte durch die Tür, die sich automatisch öffnete. „Bleib stehen!“, befahl Zed und folgte ihm erstaunlich schnellen Schrittes. Der stählerne Gang, durch den Matt schritt, flog förmlich an ihm vorbei. Jener knickte nach rechts ein, doch befand sich am Ende bereits eine Tür. Doch Matt ignorierte sie und nahm stattdessen die Kurve. Zu groß war die Gefahr, in noch so einem schmalen Raum mit einer Stasiskammer zu enden. „Gib auf“, hörte er Zed hinter sich, warf einen Blick über die Schulter und stellte überrascht fest, dass sie aufgehört hatte zu rennen, „du kannst nicht von hier entkommen.“ Sie hatte gerade erst die Kurve erreicht. Gegenüber von Matt befand sich lediglich ein großes Tor, welches sich ebenfalls automatisch öffnete, als er sich näherte.   Als er es durchschritt, schloss es sich sofort wieder. Matt war in einer großen, leeren Halle gelandet. Die Wände, wie all die anderen auch aus Stahl gemacht, ließen seine Schritte widerhallen. Voraus war eine Art Schleuse. Doch Matts Bauchgefühl sagte ihm, dass es besser wäre, diese nicht zu öffnen. Er wusste ohnehin nicht wie. „Nur ein paar Sekunden“, keuchte er, in der Mitte der Halle angelangt, „ich muss nur kurz ein neues Portal öffnen.“ Er zog aus der Innentasche seines schwarzen Mantels ein Stück Kreide, doch etwas stieß ihn in den Rücken. Matt stolperte vorwärts und ließ die Kreide fallen, wirbelte erschrocken herum. Zed stand vor ihm, mit erhobenem Stab. Der Anflug eines Grinsens spiegelte sich auf ihren roten Lippen wieder. „Ich sagte bereits, dass Flucht unmöglich ist.“ Matt nahm eilig ein paar Schrittes zurück, breitete die Arme aus. „Lass uns darüber reden.“ „Nicht nötig. Ich kenne die Fakten bereits. Du bist ein Werkzeug von Anya Bauer. Deswegen sollst du hier dein Ende finden.“ „Der Sammler ist dein Feind, nicht Anya! Er zwingt sie dazu, diese Dinge zu tun!“ „Ich weiß.“ Matt überschlug sich förmlich. „Warum helft ihr uns dann nicht!?“ „Das hat dich nicht zu interessieren.“ „Wow“, lachte Matt ironisch auf, „mit euch kann man echt prima verhandeln. Also schön, du lässt mir ja gar keine andere Wahl!“   Er streckte den Arm aus, an dem sein neues, schwarzes D-Pad hing, nachdem das alte durch einen gewissen Vokuhila-Träger ein jähes Ende gefunden hatte. „Duelliere dich mit mir.“ „Was!?“, keuchte Zed erschrocken. „Du wagst es!?“ „Angst vor einer Herausforderung?“ Zwar wusste Matt, dass er nicht so große Töne im Antlitz eines Undying spucken sollte, doch war dies die einzige Möglichkeit, sich ein paar Sekunden zu erkaufen. Wenn er Zed besiegte und sie kurzzeitig außer Gefecht setzte, würde er vielleicht ein Portal öffnen können. „Nein.“ Zed ließ den Stab in ihrer Hand verschwinden. „Du zögerst dein Ende nur hinaus.“ „Sagt die, die Anya nicht mal töten konnte, als sie bewusstlos am Boden war.“ „Sie hatte Levrier. Du hast niemanden. Und wir sind hier nicht in einem Elysion.“ Die Undying hob ihren Arm, an dem eine silberne, sichelförmige Duel Disk erschien. „Hier bin ich im Vorteil.“ „Wenn du meinst“, winkte Matt geheimnisvoll ab. Und beide schrien: „Duell!“   [Matt: 4000LP / Zed: 4000LP]   „Dir als Eindringling steht es nicht zu, den ersten Zug zu haben“, entschied Zed herrisch und zog ihr aus fünf Karten bestehendes Startblatt. Matt zuckte unbedarft mit den Schultern. „Okay.“ „Wohlan, füge dich deinem Schicksal. Ich beginne mit zwei Zauberkarten. [Aura Dominion], die das Spielfeld verändern wird und [Advent Of The Demigods]!“ Die riesige Halle löste sich binnen weniger Sekunden auf und verwandelte sich in eine grell leuchtende Ebene, umgeben von riesigen Säulen aus purem Licht. In jeder Himmelsrichtung ging eine Sonne am rosafarbenen Horizont auf. Der offene Tempel, in dem sie sich befanden, war neben dem seichten Nebel, der ihn umgab, durch eine kleine Vertiefung in der Mitte gekennzeichnet, zu der von allen Seiten drei Steinstufen führten. Abseits davon stand Zeds zweite Zauberkarte aufrecht vor ihr, war von dauerhafter Natur. „Mit dem Effekt von [Aura Dominion] erschaffe ich jetzt drei Spielmarken, was mich lediglich die oberste Karte meines Decks kostet.“ Zed nahm jene und schob sie in den Friedhofsschacht ihrer Sichel-Disk. Vor ihr ploppten drei weiße Feuerkugeln in einer Reihe auf.   „Soul Aura“-Spielmarke x3 [ATK/0 DEF/0 (1)]   Zwei von ihnen verpufften jedoch sofort wieder, als Zed rief: „Ich führe eine Tributbeschwörung durch. Erhebe dich, [Demigod Of Straining Desert, Ramses]!“ Die Fliesen vor ihren Füßen zerliefen zu schimmerndem Sand, welcher immer weiter in die Tiefe abdriftete. Als Matt schon nicht mehr daran glaubte, dass überhaupt etwas auftauchen würde, schoss eine riesige Pyramide aus dem Boden, von dessen Spitze der Oberkörper eines vierarmigen Skeletts abging. Jenes war mit Schwertern und Speeren bewaffnet und verdeckte mit seinem 'Unterleib' den Blick auf die Undying.   Demigod Of Straining Desert, Ramses [ATK/2600 DEF/3200 (10)]   Matt hörte seine Gegnerin hinter ihrem Monster sagen: „Da zwei Spielmarken als Tribut für die Beschwörung angeboten wurden, kannst du bis zum Ende deines Zuges keine Karten setzen.“ „Das ist schlecht …“ „Es geht noch weiter. Bei jeder Tributbeschwörung eines Demigods wird eine Zählmarke auf [Advent Of The Demigods] gelegt.“ Um ihre aufrecht stehende Zauberkarte begann eine kleine, weiße Flamme zu kreisen.   Advent Of The Demigods [Zählmarken: 1]   „Außerdem biete ich die letzte Soul Aura als Tribut an, um den zweiten Effekt meines Monsters zu aktivieren. Impenetrable Aura!“ Der Skelettgott samt seiner Pyramide begann in regelmäßigen Intervallen hellbraun aufzuleuchten. „Es ist dein Zug, Dämonenjäger Matthew Summers.“   Jener setzte ein keckes Grinsen auf. „Das lass ich mir nicht zweimal sagen. Draw!“ Voller Schwung riss er eine sechste Karte von seinem Deck und betrachtete sie gespannt. „Hm.“ Gerne hätte er [Evilswarm Ophion] beschworen, um sich verschiedene Vorteile zu sichern, doch leider war dieser zu schwach, um es mit Ramses aufzunehmen. Also musste er gleich sein großes Geschütz auffahren. „Also schön“, murmelte er vor sich hin und nahm gleich drei Karten auf einmal aus seinem Blatt, „da du mehr Monster als ich besitzt, kann ich [Evilswarm Mandragora] spezialbeschwören. Dazu kommt als Normalbeschwörung [Evilswarm Castor], der durch seinen Effekt noch ein Monster von meiner Hand beschwören kann, [Evilswarm Thunderbird]!“ Der Reihe nach tauchten die genannten Monster vor ihm auf. Das erste war ein braunes Wurzelmonster mit weißem Haar, dessen Arme in grünen Blättern endeten. Daneben materialisierte sich ein Schwertkämpfer, dessen eine Hälfte der Rüstung schwarz, die andere dagegen weiß und sein roter Umhang zerfetzt war. Und zuletzt erschien ein überdimensionaler, schwarzer Vogel, von dessen Haupt lange, dornenbesetzte Tentakel ausgingen.   Evilswarm Mandragora [ATK/1550 DEF/1450 (4)] Evilswarm Castor [ATK/1750 DEF/550 (4)] Evilswarm Thunderbird [ATK/1650 DEF/1050 (4)]   Zuversichtlich streckte Matt die Hand nach vorne aus. „Ich errichte das Overlay Network! Aus meinen drei Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster!“ Nichts geschah. Langsam ließ Matt den Arm wieder unter einem Seufzen sinken. „Lass mich raten, durch den Effekt deines Monsters kann ich keine Monster aus dem Extradeck beschwören, richtig?“ „Nein.“ „Was? Aber warum …?“ Verwirrt griff der Schwarzhaarige nach seinem neuen D-Pad, um das Extradeck daraus hervor zu ziehen. Und als er es durchging, stieg die blanke Panik in ihm hoch. Sie war weg! [Evilswarm Ouroboros'] Karte, sie war nicht mehr da! Noch einmal ging er die Reihe an schwarz-umrandeten Karten durch, ohne fündig zu werden. Wo war sie!? Aufgelöst blickte er zu seiner Gegnerin, besser gesagt deren Monster. War das ihr Werk? „Hm?“, machte er plötzlich und blieb einen Moment stumm. Bevor er richtig laut wurde. „Das kann doch nicht wahr sein!? Wieso!? Die ganze Zeit schon!? Du hättest mich-!“ Dann wieder eine Pause in der er tief durch atmete. „Der kann sich auf was gefasst machen. Das kann echt nicht wahr sein … Aber solange Ouroboros weg ist, muss ich es so machen. Eine andere Wahl habe ich ja nicht.“ Und trotzdem, in den falschen Händen war dieses Monster fatal! Ein Zustand, von dem er getrost ausgehen konnte. Zudem er ohne es einer mächtigen Waffe beraubt war! Verdammt! „Ich errichte das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 4-Schwärmern Mandragora und Castor wird ein Rang 4-Monster!“ Unzufrieden sah er dabei zu, wie sich vor ihm ein Schwarzes Loch öffnete. Besagte Monster verwandelten sich in violette Lichtstrahlen und wurden davon absorbiert. „Xyz Summon!“ Sofort wand sich ein schwarzer, schlangenhafter Drache aus dem Überlagerungsnetzwerk und zog eine Bahn um Matt, welcher rief: „Erscheine, [Evilswarm Bahamut]!“ Welcher prompt vor ihm Stellung bezog. Zur Hälfte bestand sein schwarzer Körper aus Eiskristallen. Die Bestie spreizte ihre Schwingen, deren Innenhäute ebenfalls aus purem Eis waren, und wurde dabei von zwei Lichtsphären umkreist.   Evilswarm Bahamut [ATK/2350 DEF/1350 {4} OLU: 2]   „Wenn ich es nicht durch Kampf zerstören kann“, begann Matt und zückte aus seinem Blatt die Karte von [Evilswarm Golem] vor, welche er in den Friedhofsschlitz schob, „übernehme ich es einfach …“ Sein Drache schnappte nach einer der beiden Lichtkugeln und verschlang sie, während Matt die Hand ausstreckte. Dabei schloss er die Erklärung ab. „… im Austausch für eine Overlay Unit und einen Schwärmer von meiner Hand! Spread Infection!“   Evilswarm Bahamut [ATK/2350 DEF/1350 {4} OLU: 2 → 1]   Bahamut öffnete sein Maul und sammelte darin schwarze Partikel, welche de facto Millionen winziger Insekten waren, die anschließend in einem mächtigen Odem in Ramses' Richtung ausgestoßen wurden. Als sie auf die Halbgottheit trafen, wurde diese binnen weniger Sekunden komplett umhüllt. Zumindest bis die Insekten wie tote Fliegen von ihr abfielen und verschwanden. Der Dämonenjäger seufzte. „Okay, -das- war dann wohl der Effekt von diesem Ding.“ „Das ist richtig“, bestätigte ihm Zed, „bis zum Ende deines Zuges sind sämtliche meiner Karten vor den Effekten deiner Monster gefeit.“ „Großartig“, murmelte Matt verstimmt vor sich hin. „Wieso habe ich nicht einfach nachgesehen? Und du sei still, ich finde das alles ganz und gar nicht lustig!“ Zed gab ein verwirrtes Geräusch von sich, reagierte aber nicht auf den erneuten plötzlichen Ausbruch. Grimmig widmete sich Matt seinem Blatt, welches er gerne nutzen würde. Aber die Falle darin durfte er nicht setzen. „Verdammt! End Phase!“   „Ich ziehe!“, ließ die schwarzhaarige Undying ihn wissen und zog, von ihrem Monster vor seinen Augen verborgen, eine Karte. „Nun der Effekt von [Aura Dominion]!“ Elegant hob sie die Hand in die Höhe. „Für meine oberste-! Was!?“ Sie sah es nicht, hörte es aber. Dieses Rauschen und Zischen. Irgendetwas geschah da. Geschickt sprintete Zed daher auf ihr Monster zu und sprang auf den unteren Teil, die Pyramide, um sich dann geschickt noch weiter hoch auf die Schulter des Skeletts von Ramses zu schwingen. Und wurde gerade noch so Zeuge davon, wie Matts Drache in das Schwarze Loch des Overlay Networks unter tosenden roten Blitzen eintauchte. „Sorry, aber bei einem Gegner wie dir darf ich mich nicht zurückhalten“, rief der, als er sie dort oben bemerkte. „Aus meinem Rang 4-Schwärmer wird die erste Saat geboren. Rank Up-Incarnation!“ Der Sog wurde regelrecht von Innen zerschmettert, die ganze Tempelanlage begann unkontrolliert zu vibrieren. „Dominiere, [Primalswarm Yggdrasil]! Inkarnationseffekt: Chain Annihilator!“ Seine inkarnierte Kreatur hatte sich noch gar nicht aus dem kurz vor einer Explosion stehenden Überlagerungsnetzwerk erhoben, da wurde das gesamte Umfeld in negative Farben getaucht. Und in Matts rechtem Auge begann ein rotes Symbol aufzuleuchten, die Zahl 2, unter der sich noch ein horizontaler Strich befand. „Ah! Unmöglich!“, keuchte Zed, doch eine Schockwelle riss bereits alles um sie herum auseinander. Sie befanden sich wieder in der großen Halle. „Chain Annihilator ist die Fähigkeit Yggdrasils“, sprach Matt, als sich aus dem Schwarzen Loch ganz langsam etwas vor ihm erhob, „die Kette, in die er hineinbeschworen wurde, komplett zu negieren und sämtliche anderen Karten darin zu zerstören.“ Zeds Aufmerksamkeit galt aber längst dem Ungetüm, das sich hoch wie ein Turm vor Matt entfaltete. Der Unterleib bestand aus neun Drachenköpfen an langen Hälsen, die wie Wurzeln von Yggdrasil herab hingen und, je höher der Blick wanderte, umeinander geschlungen waren. Ab der Hüfte begann nur noch ein schwarzer Torso einer humanoid wirkenden Kreatur, ausdruckslos, da sämtliche Merkmale eines Gesichts fehlten. Sie hatte Arme und an diversen Stellen zogen sich dünne Fäden in alle Himmelsrichtungen und verschwanden im Nichts. „Es bewegt sich“, stammelte Zed ungewöhnlich nervös. Womit sie die eigentliche Haut der Kreatur meinte, die an manchen Stellen manchmal unter der schwarzen Schicht violett hervor schimmerte. Denn das Schwarze, das waren winzige Insekten, dieselben, die Bahamut schon ausgeworfen hatte.   Primalswarm Yggdrasil [ATK/3050 DEF/1650 {12} OLU: 2]   Matt verschränkte die Arme. Sein schwarzer Donnervogel wirkte gegen dieses Biest geradezu winzig. „Drastische Situationen erfordern drastische Maßnahmen. So ging der Spruch doch, oder?“ Am liebsten hätte er seine Geheimwaffe lieber via Ouroboros inkarniert, aber wenn man bedachte, dass dieses Wesen über jede Schwärmer-Xyz gerufen werden konnte, sollte er wohl dankbar sein. Sein Blick lag auf den beiden pechschwarzen Sphären, die um die Wurzel allen Übels kreisten. Eine mehr wäre wirklich nicht verkehrt, aber was sollte er machen? „Du solltest so etwas nicht besitzen!“, stieß Zed unwirsch hervor. „Inkarnationen … nur Immaterielle sind dazu in der Lage. Aber ich spüre keinen in der Nähe!“ Schulterzuckend nahm Matt dies zur Kenntnis und erwiderte: „Er hat sich noch nicht gezeigt. Ich glaube, er mag dich nicht besonders.“ „Jetzt kann ich dich erst recht nicht gehen lassen!“ Panisch betrachtete Zed ihr Blatt, das ihren Worten aber scheinbar keinen rechten Nachdruck verleihen wollte. Denn kurz darauf drehte sie die Karte ihres Monsters in die Horizontale. „Ich versetze [Demigod Of Straining Desert, Ramses] in den Verteidigungsmodus. Zug beendet!“ Jener kreuzte zwei seiner vier Arme vor die Brust, während er die anderen beiden schützend vor Zed auf seiner Schulter hielt. Dabei ließ er einen Spalt zwischen seinen Knochenfingern, durch den sie hindurch sehen konnte.   Demigod Of Straining Desert, Ramses [ATK/2600 DEF/3200 (10)]   Die verschiedenen Drachenköpfe hoben und senkten sich, fauchten Matts Gegnerin böse an, während dieser aufzog. Und plötzlich einen betrübten Gesichtsausdruck gewann. „Ich muss dieses Duell so schnell wie möglich entscheiden. Demnach benutze ich Yggdrasils Effekt, mit dem ich pro Zug ein Monster aus meinem Deck wählen kann, das zu einer Overlay Unit für ihn wird. Black Law!“ Seine riesige Kreatur streckte den rechten Arm aus. Gleichzeitig nahm Matt eine Karte aus seinem Deck, [Evilswarm Coppelia], und schob sie unter die Karte seiner Inkarnation, über deren ausgebreiteter Handfläche eine dritte, schwarze Sphäre entstand.   Primalswarm Yggdrasil [ATK/3050 DEF/1650 {12} OLU: 2 → 3]   Matt öffnete den Mund, um zum Sprechen anzusetzen, schloss ihn jedoch wieder und senkte schuldbewusst das Haupt. Murmelte: „Sorry.“ Dann riss er mit entschlossenem Blick alle drei Xyz-Materialien unter seinem Monster hervor und hielt sie demonstrativ in die Höhe. „Jetzt der stärkste Effekt von [Primalswarm Yggdrasil]! Er verwandelt die gesamte Kraft seiner Overlay Units in einen vernichtenden Angriff um, der dir Schaden in Höhe der Summe der Angriffskraft besagter Monster zufügt.“ Jeder der neun Drachenköpfe erhob sich nun oder lugte unter dem Leib hervor, öffnete sein Maul und sammelte darin schwarze Partikel an, deren Ursprung die drei Lichtsphären waren, die sich auflösten.   Primalswarm Yggdrasil [ATK/3050 DEF/1650 {12} OLU: 3 → 0]   Die Undying ließ fassungslos die Arme sinken. „Das sind … zusammen 6550 Punkte!“ 2350 für [Evilswarm Bahamut], 2450 für [Evilswarm Coppelia] und immerhin 1750 für [Evilswarm Castor], der ursprünglich Bahamuts Xyz-Material und übernommen worden war. „Nicht ganz. Dein Monster ist im Weg“, entgegnete Matt leise, „und fängt mit dessen Angriffskraft entsprechend Schaden ab, wird dabei aber zerstört.“ Zed murmelte etwas von 2600, doch da streckte der Dämonenjäger schon erbarmungslos den Finger aus. „Blackening Infestation Stream Of Destruction!“ Synchron feuerten alle neun Drachenköpfe ihren Strahl in Zeds Richtung ab. Auf halber Strecke bündelten jene sich zu einem einzigen. Die Undying konnte nur noch schützend die Arme über den Kopf heben, da wurde sie schon fortgerissen. Für einen kurzen Augenblick war alles schwarz und weiß, als der Strahl auf Ramses traf und ihn wie Asche im Wind verwehen ließ. Im hohen Bogen flog Zeds Körper wie eine Strohpuppe durch die Luft, prallte mit dem Rücken voran auf das kalte Metall, überschlug sich mindestens dreimal, bis er rutschend endlich zum Stehen kam.   [Matt: 4000LP / Zed: 4000LP → 50LP]   Regungslos blieb Zed meterweit von ihrer ursprünglichen Position entfernt liegen. Matt rieb sich mit schuldbewusstem Blick über den Hinterkopf. „Das sah schmerzhaft aus.“ War sie tot, fragte er sich nervös. Nein, Undying konnten nicht sterben. Aber mit der Wucht eines solchen Angriffs hatte sie wohl nicht gerechnet. Doch solange das Duell noch nicht vorbei war, konnte Matt nicht nach dem Schwert suchen. „Du hättest es mir einfach geben sollen“, sagte Matt zu Zed. Welche sich langsam regte, mit den Händen vom Boden abstützte, wobei ihr langes, schwarzes Haar völlig durcheinander über ihren Rücken und die Schultern fiel. „So leicht … wirst du mich nicht besiegen … Matthew Summers … niemals!“     Turn 83 – Each Of Their Battles (3) Die Schlacht um Anyas Schicksal wird an vier Fronten gleichzeitig geführt. Durch Zed erfährt Matt, was die Immateriellen wirklich sind. Ricther kann sich nur mit Mühe verteidigen, sieht sich jedoch zunehmend in seiner Vermutung bezüglich des Sammlers bestätigt. Und Zanthe sucht nach einem Kompromiss. Anya hingegen nicht … Kapitel 88: Turn 83 - Each Of Their Battles (3) ----------------------------------------------- Turn 83 – Each Of Their Battles (3)     „Dieses Monster kannst du nicht bezwingen“, versprach Nigel McPherson unheilvoll. Und schwang die Hand aus. „Sieh. Wenn Murciélago Karten durch Kampf oder seinen Effekt zerstört, wird er für jede um 1000 Angriffspunkte reicher.“ Zanthe, auf dem Bauch liegend, sah erschrocken mit an, wie der schwarze Riesenstier von einem Blitz getroffen wurde und stolz aufheulte. Sein Rückenfell, das zu unzähligen Zöpfen geflochten war, flatterte wild aufgrund der Spannung. Seine Klingenhörner pulsierten in ihrem grellen, gelben Licht regelrecht.   Murciélago The Thunderblade Bull [ATK/0 → 2000 DEF/0 (9)]   „Du kannst gerne weiterkämpfen.“ Der rothaarige Manager von Claire Rosenburg zog die Hand zurück und verschränkte sie zusammen mit der anderen hinter seinem Rücken. „Nur zu.“ Die blonde Weltmeisterin stand ein paar Meter von ihm entfernt und beobachtete alles aus ihren grünen, ausdruckslosen Augen. Ihr Blick und Zanthes trafen sich, doch von ihrer Seite erfolgte keine Regung. Sie war im Grunde nichts als eine leere Hülle, ein Instrument für Nigel, um ein besseres Leben zu führen. „Ich habe dir gesagt“, ächzte der Werwolf und setzte einen Fuß nach vorn, erhob sich langsam, „ich gehe nicht ohne sie.“ „Dann gehst du gar nicht.“   „Pah! Ich bin dran!“ Voller Schwung zog der Kopftuchträger. Eine kalte Brise wehte über den Hang, auf dem Nigels Haus stand, hinweg. Für einen kurzen Moment flackerte ganz Ephemeria City im Hintergrund auf, als gäbe es ein Problem mit der Stromversorgung, doch erstrahlte gleich wieder in seinem üblichen Glanz. „Was war das?“ „Irgendetwas Mächtiges ist erschienen“, antwortete Nigel auf Zanthes Frage hin. Doch auch er klang überrascht. „Das hat jedoch nichts mit uns zu tun.“ Da war der Schwarzhaarige sich jedoch nicht so sicher. Wenn da draußen Ärger lauerte, war Anya garantiert nicht weit. Er grinste. Was nicht von langer Dauer war, als er sein Blatt aus drei Karten betrachtete. Zwei Monster, [Constellar Siat] und [Constellar Acubens] und der leider nutzlose Zauber [Constellar Tempest]. Zanthe überlegte. Er könnte mit den beiden Monstern [Constellar Praesepe] rufen, der mit seinem Effekt auf stattliche 3400 Angriffspunkte kam. Doch Murciélago war im Kampf unbezwingbar, mehr noch, nahm Nigel nicht einmal Kampfschaden, wenn das Biest kämpfte. „So ein Mist.“ Er nahm eine seiner Karten und legte sie horizontal in seinen Duell-Handschuh ein. „Das hier verdeckt. Zugende!“ In vergrößerter Form tauchte der Kartenrücken vor ihm auf. Es war nicht viel, aber vielleicht hielt es den Bullen wenigstens für den nächsten Zug auf. Wenn nicht war Zanthe verloren.   [Zanthe: 300LP / Nigel: 3300LP]   Wortlos zog Nigel auf, verzog ärgerlich das Gesicht. Also kein Monster. Oder zumindest keines, das er beschwören konnte. Der Werwolf wagte es aufzuatmen. „Ich setze diese Karte verdeckt“, nahm der Bärtige jene und schob sie in sein rotes D-Pad, woraufhin sie zu seinen Füßen auftauchte, „und greife dein Monster an! Catastrophe Rampage!“ Der Bulle scharte mit dem Vorderhuf aus. Dann schoss er wie ein Pfeil auf Zanthe zu. In seinem Rausch zog er eine ganze Reihe an Blitzen hinter sich her. Zanthes verdeckte Karte wirbelte herum und offenbarte einen weißen Krieger mit orange leuchtenden Scherenhänden, welcher gnadenlos überrannt wurde.   Constellar Acubens [ATK/800 DEF/2000 (4)]   Zwar versuchte Zanthe dem Biest noch auszuweichen, doch selbst seine Werwolf-Reflexe waren nicht gut genug, so großer Geschwindigkeit zu trotzen: Er wurde frontal gerammt und schreiend in die Luft katapultiert. „Da du nur eine Karte kontrollierst, hat Murciélago diese durch seinen Effekt zerstört. Das stärkt ihn nur weiter.“ Aus dem Nichts erschien der Bulle vor Nigel und vibrierte regelrecht vor Elektrizität.   Murciélago The Thunderblade Bull [ATK/2000 → 3000 DEF/0 (9)]   Zanthe gelang es, sich in der Luft zu fangen und zumindest aufrecht zu landen, wodurch er in die Hocke sank. „Urgh!“ Er spürte kaum etwas. Als das Biest ihn getroffen hatte, war sein ganzer Körper taub geworden. „Du bist dran.“ Der Werwolf biss die Zähne zusammen. Eine schwarze Strähne, welche sich durch sein verrutschtes Kopftuch gemogelt hatte, hing ihm im Gesicht. Schwankend erhob er sich und verfluchte diesen Stier. Der war jetzt schon so stark, dass er jedem Monster in seinem Deck trotzen konnte. Ihm musste etwas einfallen, das Ding loszuwerden!   „Draw!“, rief der Werwolf aus und zog schwungvoll. Und die Karte, die ihm das Schicksal geschenkt hatte, nahm er dankbar an. „Ich aktiviere [Constellar Star Cradle]! Die lässt mich zwar in diesem Zug nicht angreifen, dafür erhalte ich zwei Constellare vom Friedhof. Besser gesagt eins, denn das zweite ist ein Xyz-Monster und geht daher ins Extradeck zurück!“ Er suchte sich zwei Karten von seinem Friedhof und zeigte diese vor. Es waren [Constellar Kaus] und [Constellar Pleiades], wobei Letzterer wie angekündigt in den Extradeck-Schlitz geschoben wurde. Zwei goldene Symbole, eine Art Pfeil und ein siebenzackiger Stern, stiegen dabei von dem Handschuh in den Himmel auf. „Da ich noch [Constellar Siat] auf der Hand halte und du ein Monster kontrollierst, kann ich ihn als Spezialbeschwörung rufen! Dazu noch Kaus als Normalbeschwörung!“ Zwei kleine Schlüssel materialisierten sich in seiner freien Hand, genau zwischen den Fingern. Er schwang beide zur Seite aus. „Open a door to the Water-Bearer! [Constellar Siat]! Open a door to the Archer! [Constellar Kaus]!“ Zeitgleich entstanden zwei Portale neben dem Werwolf, aus mehreren Kreisen mit astronomischen Symbolen darin geformt. Beide zerbrachen und gaben einen kleinen, weißen Jüngling preis, welcher einen im Vergleich zu ihm riesigen Wasserkrug trug sowie einen gleichfarbigen, bogenschießenden Zentaur.   Constellar Siat [ATK/100 DEF/1600 (1)] Constellar Kaus [ATK/1800 DEF/700 (4)]   „Ich benutze den Effekt von Kaus! Er erhöht seine Stufe um 1. Danach kommt gleich Siats Effekt, welcher die Stufe von Kaus kopiert! Los!“ Sein Zentaur richtete seinen Bogen gen Nachthimmel und feuerte einen goldenen Pfeil ab, welcher kurz darauf im steilen Sinkflug auf ihn herab sauste und in ihm verschwand. Analog dazu begoss sich der kindliche Sternenkundler mit schimmerndem Wasser aus seinem Krug.   Constellar Kaus [ATK/1800 DEF/700 (4 → 5)] Constellar Siat [ATK/100 DEF/1600 (1 → 5)]   „Wenn ich dein Monster nicht im Kampf bezwingen kann, dann eben anders!“ Zanthe richtete den Arm nach vorne, in dessen Hand sich ein goldener Schlüssel von der Größe eines Schwertes manifestierte. Diesen lehnte er gegen seine Stirn. „Open a gate to the Sacred Star Knights! To the Overlay Network!“ Seine Monster verwandelten sich in gelbe Lichtstrahlen, die der Schlüssel absorbierte. „Aus zwei Stufe 5-Lichtern wird ein gleißender Stern! Rang 5!“ Mit voller Wucht rammte der Schwarzhaarige diesen in die Erde. Um ihn bildete sich ein weiteres Portal, viel größer als die aufrecht stehenden zuvor. „Xyz-Summon! [Constellar Pleiades]!“ Der Runenzirkel um ihn herum zerbarst in tausend Teile. Pleiades stieg aus dem Nichts vor Zanthe empor – ein stolzer, weißer Krieger mit einer schwarzen Schildplatte auf dem Rücken, welcher seine massive Klinge vom Heft an falsch herum, nach unten gerichtet, hielt. Dabei wurde er von zwei Overlay Units umkreist. Dabei dachte Zanthe sich, dass er nicht riskieren konnte, Pleiades im Angriffsmodus zu lassen, wenn nur ein Angriff des Bullen ihn auslöschen konnte.   Constellar Pleiades [ATK/2500 DEF/1500 {5} OLU: 2]   Eine davon wurde in ihrer Kartenform sofort unter der von Pleiades aus Zanthes Handschuh-Duel Disk hervor gerissen und entschlossen von diesem vorgezeigt. „Den Effekt kennst du sicher noch. Dein Stier macht jetzt einen Abstecher zurück in dein Extradeck! Los!“ Sogleich löste sich die gleißende Sphäre aus ihrer Umlaufbahn und wurde von Pleiades' Schwert absorbiert, welches jener in die Luft warf, richtig herum auffing und in einer 360°-Drehung eine Schockwelle in Richtung Murciélagos zu schleudern gedachte – und prompt in wahnwitzigem Tempo von den Füßen hin bis zum Kopf zu Stein erstarrte.   Constellar Pleiades [ATK/2500 DEF/1500 {5} OLU: 2 → 1]   Sprachlos starrte der Werwolf seine neue 'Statue' an. Und bemerkte erst jetzt, dass eine Fallenkarte aufrecht vor seinem Gegner stand. Jener sagte: „Daraus wird nichts. [Gorgon's Eye] negiert den Effekt aller Monster in Verteidigungsposition für einen Zug.“ „Das gibt’s doch nicht“, hauchte Zanthe erschüttert. Er sah seine letzte Handkarte an, seinen dummerweise nutzlosen Zauber. Zornig biss er sich auf die Lippen. „Zug beendet!“ Die oberste Schicht des Steins platzte von seinem Sternenkrieger ab, sodass dieser wieder freikam.   „Draw Phase“, rief Nigel die seine förmlich gelangweilt aus und zog eine Karte, seine einzige auf dem Blatt, welche er auch sofort ausspielte, „ich beschwöre [Phantom Beast Wild-Horn]!“ Ein zwei Meter großer, aufrecht gehender Elchkrieger mit leuchtendem Geweih, welcher mit einer Handaxt bewaffnet war, tauchte neben dem riesigen Donnerstier auf. Er begann in weißer Aura aufzuleuchten, ausgelöst durch [Phantom Beast Cross-Wing] auf dem Friedhof des bärtigen Managers von Claire Rosenburg.   Phantom Beast Wild-Horn [ATK/1700 → 2000 DEF/0 (4)]   Zanthe weitete die Augen. „Moment mal, dieses Ding-!?“ „Fügt durchschlagenden Kampfschaden zu, wenn es ein Monster angreift. Los, greife [Constellar Pleiades] an“, befahl Nigel und schwang den Arm aus. Der Werwolf wich erschrocken zurück, während das Ungetüm angestampft kam. So sollte das alles nicht laufen. Trotzdem musste er sich zur Wehr setzen, denn wenn ihn dieser Angriff traf … „Pleiades' kann seinen Effekt auch im gegnerischen Zug benutzen!“ Unzufrieden riss Zanthe das letzte Xyz-Material unter diesem hervor und deutete auf den Elchmann. „Der geht zurück auf dein Blatt! Los!“ Die letzte um Pleiades rotierende Lichtkugel verschwand in dessen Klinge, welche jener in einer kompletten Drehung einmal ausschwang. Eine Schockwelle wurde von jener losgelöst, die Wild-Horn erfasste und mitriss, bis dieser sich auflöste. Nigel nahm ihn von seinem D-Pad.   Constellar Pleiades [ATK/2500 DEF/1500 {5} OLU: 1 → 0]   „Eigentlich hatte ich mir das für den da aufgehoben“, murrte der Werwolf und nickte in Richtung des Bullen, der unruhig mit einem seiner Vorderläufe scharte. „Ich weiß“, sprach sein Gegenüber, „bedauerlich, dass du keine andere Wahl hattest.“ „Bedauerlich, dass du keine andere Wahl hast, als sie zu unterdrücken“, giftete der Werwolf zurück und richtete sein Augenmerk auf Claire, die regungslos da stand. War sie wirklich so leer in ihrem Inneren, dass sie auf nichts reagierte? „Sie hat bekommen, wonach sie sich gesehnt hat. Ich sehe nichts Verwerfliches darin.“ „Dann hast du ihr Gewissen wohl nicht automatisch übernommen. Ich weiß nicht, was damals geschehen ist, aber sie lebt inzwischen ein gutes Leben.“ Zanthe verschränkte die Arme. „Denkst du nicht, sie hat es verdient, das auszukosten?“ „Hast du eine Ahnung, was geschieht, wenn ich ihre Emotionen reaktiviere?“ „Du verlierst deine?“ Der Mann nickte. „Unter anderem. Ich werde meine Familie nicht mehr lieben können. Und …“ Aber weiter kam er nicht, da Zanthe ihn harsch unterbrach. „Ist das alles? Ganz oder gar nicht!? Gibt es nicht auch ein Dazwischen? Emotionen sind doch nichts, das es nur in geringen Mengen gibt!“ „Willst du damit sagen, ich solle … sie teilen?“ Die Miene des Werwolfs hellte sich auf. „Das wäre ein Kompromiss, oder nicht?“ „Angriff auf [Constellar Pleiades], Murciélago. Catastrophe Rampage!“ Und verzerrte sich zu einer entsetzten Fratze, als Nigel eiskalt den Vorschlag ignorierte. Der Bulle scharte noch einmal mit dem Vorderhuf aus, ehe er erneut mit wahnwitziger Geschwindigkeit auf Zanthe und dessen Sternenkundler zuraste und dabei brennende Spuren im Gras hinterließ. Letzterer wurde gnadenlos überrannt und auch wenn Zanthe mit einem Hechtsprung versuchte auszuweichen, wurde er von den überall um Murciélago einschlagenden Blitzen erfasst. „Gahhh!“ Dampfend fiel er bäuchlings auf den Boden, das Ungetüm erschien aus dem Nichts vor seinem Herrn. Welcher sagte: „Da mein Monster eine Karte zerstört hat, erhält es 1000 Angriffspunkte.“ Das zu Zöpfen gebundene Rückenfell ebenjenes flatterte regelrecht unter der Spannung und den Entladungen, die um seinen Körper umher schlugen. „End Phase.“   Murciélago The Thunderblade Bull [ATK/3000 → 4000 DEF/0 (9)]   Schwer atmend richtete sich der Kopftuchträger auf, dessen Glieder unangenehm taub waren. Diese Killermaschine wurde stärker und stärker, ohne, dass er sich effektiv zur Wehr setzen konnte. Wenn er weiterhin defensiv spielte, würde [Phantom Beast Wild-Horn] auf Nigels Hand kurzen Prozess mit ihm machen. Und eine effektive Offensive war nahezu ausgeschlossen, da das Biest unzerstörbar im Kampf war. Dieser Idiot, fluchte Zanthe innerlich. Begriff er denn nicht, was er seinem Schützling damit antat? Oder war es ihm am Ende gleich, weil er sein eigenes Wohl vorzog? Dann wäre er wirklich menschlich … „Draw“, rief Zanthe demotiviert aus und riss eine Karte von seinem Deck. Wenigstens war es eine halbwegs brauchbare. „Ich aktiviere [Double Spell]. Indem ich eine Zauberkarte wie [Constellar Tempest] abwerfe, kann [Double Spell] den Effekt eines Zaubers auf deinem Friedhof kopieren.“ „Und welcher soll das sein?“ „Wenn du schon so eine seltene Karte wie [Pot Of Greed] besitzt, hast du sicher nichts dagegen, wenn ich sie mir auch mal ausleihe! So funktioniert teilen!“ Zanthes Zauber klappte vor diesem auf, zeigte kurz das Original-Artwork zweier gegeneinander kämpfender Magier, ehe dieses sich veränderte und zu einem grünen Topf mit einem hässlichen Grinsen wurde. Jener drang aus der Karte hervor. „Damit ziehe ich zwei neue Karten!“ Energisch stockte Zanthe sein Blatt auf, das Gefäß verschwand im Anschluss. Die beiden neuen Karten ließen die Augenbraue des Werwolfs hochfahren. „Hmm?“   Es dauerte einen Moment, aber ihm kam eine interessante Idee. Doch bevor er sich zu früh freute, wollte er überprüfen, ob sie überhaupt funktionierte. Daher drückte er eine kleine Taste in seinem Duell-Handschuh ein, wodurch ein stilisierter Spielplan vor ihm auftat, mit dem aktuellen Stand der Dinge. Zanthe tippte auf Murciélagos Karte, die sich daraufhin vergrößerte und den halben Spielplan verdeckte. „Was sagt denn sein Effekt?“ Und tatsächlich! Da war sie, die Schwachstelle, die er vermutet hatte. Mit einem Wisch seiner Hand verschwand das ganze Hologramm wieder. Er nahm eine Karte aus seinem Blatt und legte diese in seinen Handschuh ein. Danach griff er nach einem Schlüssel, der vor ihm in der Luft auftauchte. „Open a door to the Spiral!“ Jenen richtete er gen Himmel. „[Constellar Sombre]!“ Über ihm entstand der typische Symbolkreis der Sternenkundler und zerbarst nach oben, um eine weiß leuchtende Gestalt freizugeben. Ihr Helm war mit goldenen Hörnern bespickt, der Rücken mit gezackten, blau leuchtenden Flügeln, die wie die eines Schmetterlings wirkten. Elegant glitt die Kriegerin hinab und landete vor ihrem Besitzer.   Constellar Sombre [ATK/1550 DEF/1600 (4)]   „Mit Sombres Effekt kann ich einen Constellar von meinem Friedhof verbannen, um einen anderen von dort zu erhalten und gleich aus meiner Hand zu rufen!“ Zanthe nahm [Constellar Siat] und [Constellar Kaus] von seinem Friedhof, ließ Ersteren in der Hosentasche verschwinden, nur um Kaus dann auszuspielen. „Open a door to the Archer!“ Den neuen Schlüssel, der zwischenzeitlich in seiner Hand aufgetaucht war, ausschwingend, ließ Zanthe neben sich ein weiteres Portal zerbersten, aus dem der Bogenschütze auf vier Beinen zurückkehrte.   Constellar Kaus [ATK/1800 DEF/700 (4)]   „Zwei Seiten einer Medaille“, wiederholte Zanthe nachdenklich. „Du und Claire. Ihr werdet nie gleichzeitig wahrgenommen werden. Ist es das, was du denkst?“ Nigel drehte sich zu seinem Haus um. „Ohne meine Illusionen wäre sie nie so weit gekommen. Und ich hätte ohne ihre Emotionen nie ein normales Leben führen können. Wir müssen zusammenarbeiten, weil wir ohneeinander nur halb sind. Das ist der Sinn meiner Metapher.“ „Ich kenne da die ein oder andere, die besser passt. Aber“, sprach Zanthe und sah Claire mitleidig an, „zumindest bist du ehrlich. Was nichts daran ändert, dass ich die Augen nicht vor deinem Egoismus verschließen werde!“ Ruckartig stieß er die Faust nach vorne aus. „Ich nutze Kaus' Effekt dieses Mal gleich zweimal, um die Stufen meiner beiden Monster zu verringern!“ Überrascht von dieser Aktion sah der rothaarige Mann auf, als der Zentaur zwei Pfeile in die Luft schoss, die kurz darauf abwärts rauschten und in Sombre und ihm verschwanden.   Constellar Sombre [ATK/1550 DEF/1600 (4 → 3)] Constellar Kaus [ATK/1800 DEF/700 (4 → 3)]   Entschlossen öffnete Zanthe die Hand und ließ in ihr einen riesigen, goldenen Schlüssel erscheinen, den er gegen seine Stirn lehnte. „Open a gate to the Sacred Star Knights! To the Overlay Network!“ Seine beiden Monster verwandelten sich daraufhin in gelbe Lichtsphären, die vom Schlüsselbart absorbiert wurden. „Aus zwei Stufe 3-Lichtern wird ein gleißender Stern! Rang 3!“ Schreiend rammte er das Schwert vor sich in den Boden. „Xyz-Summon! [Constellar Hyades]!“ Der Schlüssel wurde von der Erde förmlich verschluckt, öffnete aber im Gegenzug einen weiteren Runenzirkel. Wie durch einen Aufzug kam aus diesem ein Krieger in weiß-goldener Rüstung nach oben gefahren. Die zwei Klingen in seinen Händen zeigten nach unten, wobei rot glühende Ringe am Schwertknauf befestigt waren. Der goldene Helm war ebenfalls mit Hörnern bestückt. Um Hyades kreisten zwei Lichtsphären.   Constellar Hyades [ATK/1900 DEF/1100 {3} OLU: 2]   Zanthe riss derweil schon ein Xyz-Material unter seinem Monster hervor. „Ich benutze Hyades' Effekt auch gleich, um dein Monster in den Verteidigungsmodus zu zwingen!“ Jener überkreuzte seine beiden Klingen, absorbierte in dieser Haltung eine der Lichtkugeln und schwang seine Waffen im Anschluss weit aus, um ein grelles X in Richtung des riesigen Donnerstiers zu schleudern. Jener wurde am Kopf getroffen und von den Beinen gerissen, landete rutschend auf der Seite vor seinem erschrockenen Meister.   Constellar Hyades [ATK/1900 DEF/1100 {3} OLU: 2 → 1] Murciélago The Thunderblade Bull [ATK/4000 DEF/0 (9)]   „Mach sie wieder zum Mensch“, forderte der Werwolf, während er seine letzte Karte in seinen Handschuh einlegte, „bitte!“ Nigel sagte nichts, sondern sah nur herüber zu seinem Schützling, welcher in seiner apathischen Haltung da stand und keinen Mucks von sich gab. Dann richtete er sein Augenmerk auf Zanthe. Und der Blick verdüsterte sich. Jener rief indes: „Ich aktiviere jetzt den mächtigsten Zauber der Constellar! [Constellar's Ultimate Magic – VRANO METRIA]!“ Welche entgegen des Namens des Ausrüstungszaubers Urano Metria ausgesprochen wurde. Wie von Zauberhand wurde Hyades in die Luft gehoben, ein Ring aus insgesamt zwölf Symbolen tauchte um seine Hüfte herum auf. Es waren die Sternzeichen. „Urano Metria ist eine besondere Karte“, erklärte Zanthe, „denn je nachdem, wie viele Overlay Units das Ziel übrig hat, rüstet sie weitere Zauber von meinem Deck an es aus.“ Die um Hyades kreisende Lichtsphäre begann grell zu leuchten. „Eine hab ich zum Glück noch und das reicht auch! Ich aktiviere von meinem Deck [Stoic Challenge]!“ Jene wurde von Zanthes Handschuh ausgeworfen und sofort aktiviert. Was dafür sorgte, dass der Sternenkrieger selbst aufzuleuchten begann, in grellem Gold.   Constellar Hyades [ATK/1900 → 2500 DEF/1100 {3} OLU: 1]   „Neben einem 600-Punkte-Boost für jede Overlay Unit fügt Hyades auch noch doppelten Kampfschaden zu“, erklärte er, „was ihn jedoch am Ende des Zuges sein Leben kostet.“ Nigel kommentierte: „Jede Macht hat ihren Preis.“ „Richtig. Aber nicht jeder ist gerechtfertigt für das, was man bekommt“, kam die passende Antwort. „Hartnäckig … Du willst wissen, was geschieht, wenn ich ihr zurückgebe, was sie nie wollte!?“ Zornig funkelte Claires Manager seinen Gegner an. „Dann soll dein Wunsch in Erfüllung gehen!“ Das Gras unter ihren Füßen wippte in einer sanften Brise hin und her. Es wurde verdächtig still. Erwartungsvoll betrachtete Zanthe Claire, die wie eingefroren da stand. Schlagartig packte sie mit beiden Händen ihren Kopf und begann wie am Spieß zu schreien. „Was!?“, stieß der Werwolf hervor. „Was ist mit ihr!?“ „Sie erträgt es nicht“, rief Nigel über den manischen Schreien seines Schützlings hinweg, welcher sich vor beugte, die Finger im Haar verkrampfte. „Wer so lange ohne eigene Emotionen existiert, wird wahnsinnig, wenn er sie so plötzlich zurückerhält. Willst du ihr das wirklich antun?“ „N-nein, aber-“   „Beruhige dich doch.“ Nigel stieß einen überraschten Laut aus. Hinter Claire tauchte schlagartig eine größere, drahtige Gestalt auf und berührte sie sanft an den Schultern, was deren Qual jedoch nur zu verstärken schien. Die Blonde stolperte nach vorn. Exa, der seinen Tarnzauber beendet hatte, streckte die Hand nach ihr aus. „H-hey.“ „Wer bist du!?“, fauchte Nigel den unerwarteten Neuankömmling an. „Kümmere dich um sie“, wies Zanthe seinen Freund geistesgegenwärtig an, „ich beende das jetzt!“ Der Blonde im karierten Holzfällerhemd nickte und hob den Daumen. „Alles klar!“   Zanthe schwang den Arm aus. „Auch wenn ich Claire helfen will, bin ich auch wegen Anya hier. Es tut mir leid, aber ich muss dein Hüterartefakt an mich nehmen!“ Er kniff zerrissen die Augen zusammen. Ein ehemaliger Hüter, der seinesgleichen bekämpfte. Aber Freundschaften hatten Priorität. Zanthe lächelte. Ja, so einer war er wohl … stellte das Leben seiner Freundin über die Sicherheit des Planeten. Dumm … „Angriff auf Murciélago, [Constellar Hyades]! Red Star Raid!“   „Geh weg!“, fauchte Claire plötzlich, als Exa wieder nach ihr greifen wollte. Sie wirbelte mit ausgestrecktem, linken Arm zu ihm herum, was jener überrascht zur Kenntnis nahm und zurückwich. Doch was er nicht kommen sah, war die gezackte Klinge, die dabei in ihrer Hand auftauchte und wie ein Leuchtfeuer in der Dunkelheit strahlte. Zanthe hingegen bemerkte die Waffe sofort. Er rief noch: „Exa, pass' auf!“ Doch es war zu spät. Wie ein Berserker stach Claire in die Richtung des nur einen Augenblick unaufmerksamen jungen Mannes und durchbohrte seine Brust mit dem Schwert. „Exa! Nein!“, schrie Zanthe aus vollen Lungen, als er mit ansah, wie dessen Mund sich öffnete und er seinem Freund einen verwirrten Blick schenkte, als wüsste er gar nicht, was eben geschehen war. Selbst Nigel gab einen überraschten Laut von sich.   Nebenbei führte [Constellar Hyades] seinen Angriff aus, indem er wie ein Pfeil nach vorne schoss.   ~-~-~   Mit all ihrer Kraft stützte sich Zed in dem riesigen, leeren Hangar mit ihren Händen vom Boden ab. Das schwarze Haar der Undying fiel ihr dabei über Schultern und Rücken, war durcheinander geraten von der vernichtenden Attacke des Ungetüms auf Matts Spielfeldseite. „So leicht … wirst du mich nicht besiegen … Matthew Summers … niemals!“ Keuchend erhob sich die Frau, deren weiße Robe sichtbare Schäden davongetragen hatte. „Es tut mir leid“, murmelte der Dämonenjäger aufrichtig, welcher mit ansah, wie sie sich zurück zu ihrer ursprünglichen Position in der Mitte des Hangars schleppte.   Über ihm verharrte das riesige, dunkle Wesen, dessen Unterleib aus neun Drachenköpfen bestand, die wie Wurzeln in alle Richtungen wuchsen. Deren Enden waren um den Lendenbereich des humanoiden Torsos gewunden, der nicht nur schwarz wie die Nacht war, sondern auch sämtliche Merkmale eines Gesichts an seinem Kopf vermissen ließ.   Primalswarm Yggdrasil [ATK/3050 DEF/1650 {12} OLU: 0]   Von der schwarzen, an manchen Stellen immer mal wieder violett schimmernden Haut, zogen sich hier und da dünne Fäden ins Nichts. „Hmm. Yggdrasils Effekt kostet mich meine Battle Phase.“ Matt nahm zwei seiner drei Handkarten und legte sie in sein neues, schwarzes D-Pad ein. „Deshalb setze ich die hier und gebe ab.“ Zischend materialisierten sie sich vor ihm auf dem Spielfeld.   [Matt: 4000LP / Zed: 50LP]   Nur noch ein Zug, ein winziger Treffer und Zed war besiegt. Doch würde das reichen, um sich genug Zeit für das Öffnen eines Portals zu verschaffen? Er hatte so etwas noch nie getan. Und was war mit dem Schwert Ragnarok, wegen dem er gekommen war? Die Waffe, die selbst den Sammler angeblich zur Strecke bringen konnte? Jetzt abzuhauen hieße mit leeren Händen zurückzukehren, das Ding war noch hinter diesem Thron eingeschlossen. „Verdammt!“, fluchte er leise. Wieder einmal war etwas, das er angepackt hatte, gründlich schief gelaufen.   Zed kicherte bitterböse, als sie endlich ihre ursprüngliche Position eingenommen hatte. „Es gibt keinen Ausweg für dich. Ich ziehe!“ Schwungvoll fügte sie ihrer Hand eine vierte Karte hinzu, nahm kurzerhand eine andere aus dem Blatt hervor und schob sie in ihre sichelförmige, silberne Duel Disk. „Ich aktiviere [Aura Rejuvenation], da mein Leben unter 1000 Punkten liegt. Damit stelle ich nicht nur den Ursprungszustand wieder her, sondern erschaffe gleichzeitig auch noch drei Aura-Spielmarken.“ „Ursprungszustand?“, wiederholte Matt verwirrt. Doch er begriff mit Schrecken, was sie meinte, als eine goldene Präsenz um die Undying herum zu glühen begann. Ihre zerschlissene, weiße Robe wurde wie von Zauberhand zusammengeflickt, bis nicht ein Riss mehr darin zu sehen war. Das prächtige, lange Haar flatterte wild durch die Luft und legte sich angenehm glatt wieder über ihren Rücken. Und ihre hohe, die Augen verdeckende Maske, welche von Sprüngen übersät war, fügte sich zusammen, als wäre nie etwas geschehen. Dann schossen drei weiße Lichtkugeln aus Zeds Leib und positionierten sich wie kleine Flammen vor ihr.   [Matt: 4000LP / Zed: 50LP → 4000LP]   „Soul Aura“-Spielmarke x3 [ATK/0 DEF/0 (1)]   „D-das ist doch ein schlechter Scherz“, stammelte Matt leichenblass. „All die Mühen umsonst!?“ „Du vergisst, wen du vor dir hast“, belehrte seine Gegnerin ihn mit einem genüsslichen Grinsen auf den roten Lippen, „die Undying werden nicht vor einem Menschen wie dir in die Knie gehen, egal welcher Kräfte du dich bedienst!“ Matt keuchte, als die Schwarzhaarige ihren Arm ausschwang. „Ich opfere zwei meiner Auren, um dieses hier als Tributbeschwörung zu rufen: [Demigod Of Blooming Nature, Cernnua]! Und da beide Tribute Spielmarken waren, darf ich dank seines Effekts sofort zwei Karten ziehen!“ Buntes Gras spross vor der Undying aus dem Boden. In seinem Wachstum bewegte es sich immer weiter, bis ersichtlich wurde, woran das lag. Von unten nach oben wurden Hufe sichtbar, die zu dem schlanken Körper eines riesigen, eleganten Hirsches gehörten. An seinem prächtigen Geweih hingen Trauerweidenzweige, die im starken Kontrast zum silbernen Fell der Kreatur standen. Aus strahlend blauen Augen betrachtete diese den beeindruckten Matt.   Demigod Of Blooming Nature, Cernnua [ATK/2400 DEF/2500 (10)]   „Da wieder ein Demigod als Tributbeschwörung gerufen wurde, erhält [Advent Of The Demigods] eine weitere Zählmarke“, erklärte Zed derweil. Jene vor ihr aufrecht stehende Karte hatte Matt komplett ausgeblendet. Um die kreiste bereits eine kleine, weiße Flamme, die sich kurzerhand teilte.   Advent Of The Demigods [Zählmarken: 1 → 2]   Die Undying nahm eine weitere Karte aus ihrem Blatt und schob sie in ihre Sichel-Disk. „Nun statte ich mein Monster mit dem Ausrüstungszauber [Mark Of The Maker] aus, was nur bei Monstern der Stufe 10 oder höher möglich ist. Damit erhält es 500 Angriffspunkte.“ Ein kompliziertes Symbol aus ineinander verlaufenden Kreisen, die zusammen eine Art Rose zeichneten, tauchte auf der Stirn des Hirsches auf. Rötlich leuchtend, begann es zu pulsieren.   Demigod Of Blooming Nature, Cernnua [ATK/2400 → 2900 DEF/2500 (10)]   „Indem ich die letzte 'Soul Aura' opfere, aktiviert ich den Effekt von [Demigod Of Blooming Nature, Cernnua]! Das verdoppelt bis zum Ende des Zuges seine Angriffspunkte!“ Matt wurde aus seiner Faszination gerissen und weitete die Augen, als die letzte weiße Flamme in dem Hirsch verschwand und ihn in eine grüne Aura tauchte. An den Spitzen dessen Geweihs bildeten sich erst kleine Knospen, die sich zu prächtigen, weißen Blüten öffneten.   Demigod Of Blooming Nature, Cernnua [ATK/2900 → 5800 DEF/2500 (10)]   „Stell dich deinem Untergang!“, verkündete Zed und schwang den Arm aus. „Angriff!“ Zuerst wunderte sich Matt, warum Zed von Untergang sprach, wenn [Primalswarm Yggdrasil] den Großteil des Angriffs abfangen konnte. Dann aber fiel ihm ein, dass jener nicht das einzige Monster war, das er kontrollierte – da war noch [Evilswarm Thunderbird]! Neben dem riesigen Ungetüm geriet der düstere Vogel mit den dornenbesetzten Tentakeln an der Stirn fast in Vergessenheit.   Evilswarm Thunderbird [ATK/1650 DEF/1050 (4)]   Der Hirsch legte den Kopf in den Nacken, sein Geweih begann in goldenem Licht zu erstrahlen. „So leicht wird das nicht! Permanente Falle aktivieren, [Infestation Infection]! Damit kann ich einen Schwärmer vom Feld ins Deck zurückschicken, um von dort einen anderen aufs Blatt zu bekommen!“ Matts Karte sprang rechtzeitig auf und tauchte den Vogel in einen finsteren Nebel, bis jener sich mit diesem vermischte und verschwand. „Ich wähle [Evilswarm Kerykeion]!“ Noch während Matts D-Pad die genannte Karte ausspuckte, feuerte Cernnua von seinem Geweih ein ganzes Dutzend Lichtstrahlen ab. „Hmpf! Dann ist [Primalswarm Yggdrasil] das Ziel!“ Wie von einem Regensturm wurde das riesige, schwarze Unwesen mit den neun Drachenköpfen am Unterleib getroffen und ging in zahllosen Explosionen unter. Matt hielt sich den Arm vors Gesicht, wurde von den Druckwellen regelrecht weggedrückt. „Urgh!“ Schließlich wurde der Gegenwind zu stark und riss den Dämonenjäger von den Füßen. „Ahh!“   [Matt: 4000LP → 1250LP / Zed: 4000LP]   Hart schlug der Schwarzhaarige auf dem metallischen Boden auf und schrie schmerzerfüllt. Doch auch Zed stieß einen überraschten Laut aus. Denn als der Rauch der Explosionen sich lichtete, thronte Yggdrasil unversehrt mit verschränkten Armen über Matt. Jener presste mühsam hervor: „Überrascht? Inkarnationen können nur durch Xyz-Monster im Kampf besiegt werden. Als weise Undying solltest du das wissen.“ „Willst du mich beleidigen, Matthew Summers? Natürlich verfüge ich über diese Informationen.“ „Sah mir gerade eher nicht danach aus“, stichelte der jedoch belustigt und richtete sich auf, hielt sich den linken Arm, der den Aufprall am härtesten zu spüren bekommen hatte, zum Glück aber nicht gebrochen war. „Au!“ „Erfreue dich an deinem Hochmut, solange du noch kannst. Ich beende meinen Zug.“ Die Blüten an Cernnuas Geweih verwelkten und fielen wie Herbstlaub zu Boden.   Demigod Of Blooming Nature, Cernnua [ATK/5800 → 2900 DEF/2500 (10)]   „Mein Zug, Draw!“, verkündete Matt in einem derart forschen Tonfall, dass jener glatt von Anya hätte stammen können. Schwungvoll zog er auf und betrachtete sein Blatt. Doch nur für einen kurzen Augenblick, denn wieder zog der Demigod seine Aufmerksamkeit auf sich. Matt konnte es nicht beschreiben, aber irgendetwas erschien ihm seltsam an dessen Erscheinung. Diese Augen, so lebendig, so ausdrucksvoll. Ein Blick, der keinen Konflikt wünschte, aber dazu gezwungen wurde. Der Dämonenjäger schüttelte den Kopf. Was war mit ihm los, das war doch Unsinn! „Zuerst der Effekt von Yggdrasil, mit dem ich sofort ein Monster von meinem Deck als Overlay Unit an ihn anhängen kann! Ich nehme [Evilswarm Heliotrope]! Black Law!“ Seine riesige Kreatur streckte den linken Arm aus, über der eine schwarze Sphäre entstand, die um sie zu kreisen begann.   Primalswarm Yggdrasil [ATK/3050 DEF/1650 {12} OLU: 0 → 1]   „Normalbeschwörung, [Evilswarm Kerykeion]!“, setzte Matt seinen Zug umgehend fort. Eine schwarze, engelsgleiche Gestalt tauchte vor Matt auf. Sie stieg mit gespreizten Schwingen in die Höhe und hielt dabei an einem großen Stab fest, um den zwei goldene Linien gewunden waren.   Evilswarm Kerykeion [ATK/1600 DEF/1550 (4)]   Violett-schwarzer Nebel bildete sich ohne Vorankündigung am Boden unter dem beflügelten Wesen, das mit dem Stab darauf deutete. „Kerykeion hat einen besonderen Effekt, mit dem ich einen Schwärmer vom Friedhof verbannen kann, um einen anderen von dort zu erhalten.“ Matt zeigte bereits [Evilswarm Bahamuts] Karte vor und verstaute sie in der Innentasche seines Ledermantels, ehe sich ein vierbeiniger Mech aus dem Nebel erhob, halb weiß, halb schwarz. „Mit Kerykeions zweitem Effekt kann ich das erhaltene Monster auch sofort beschwören. Da [Evilswarm Golem] jedoch ein 5-Sterne-Monster ist, muss ich Kerykeion als Tribut anbieten.“ Jener löste sich in blauem Licht auf und machte der metallischen, schlanken Gestalt Platz, deren schwarze Hälfte organisch, besser gesagt insektoid war. So wirkte er in seiner Haltung wie ein Grashüpfer.   Evilswarm Golem [ATK/2150 DEF/1250 (5)]   „Golem hat auch einen besonderen Effekt, den ich dir nicht vorenthalten möchte.“ Ein roter Lichtpunkt tauchte plötzlich auf der Stirn des Hirsches auf, direkt in der Mitte des göttlichen Symbols. Er ging vom einzelnen Auge des Mechs aus. „Sofern es nicht gerade ein Finsternis-Monster ist, kann [Evilswarm Golem] das Ziel sofort zerstören, wenn es mehr als vier Stufensterne besitzt.“ Matt grinste verschlagen. „Ich mag vielleicht vom Pech verfolgt sein, aber duellieren kann ich mich ganz gut, schätze ich! Los!“ Schon stieß die insektoide Maschine einen Laserstrahl aus dem Auge aus, welcher Cernnua glatt den Kopf wegfegte. Tränen rannen dabei aus seinen Augen. Matt bemerkte dies nicht, zu abgelenkt war er davon, dass das magische Wappen an Cernnuas Stirn nicht mit dem fallenden Gott verschwand, sondern sich in eine aufrechte Position begab. Zed war es, die höhnisch lachte. „Wie berechenbar.“ „W-was wird das?“ Die diversen Kreise, aus denen das Muster bestand, bewegten sich von dessen Mitte weg, während sie wuchsen und wuchsen. So wurde das Gebilde bald größer als Zed. In jedem der mindestens zwanzig Zirkel flackerte ein fremdartiger Buchstabe auf. Nur in der Mitte, dort flackerte ein kompliziertes Strichsymbol. „Wird ein mit [Mark Of The Maker] ausgerüstetes Monster von meinem Gegner zerstört, beendet dieser Zauber sofort seinen Zug.“ „Was!?“ „Aber das ist nicht alles. Auch alle Monster meines Gegners werden dabei vernichtet.“ Zed reckte den Kopf hoch. „Das ist die Strafe Gottes dafür, seine Schöpfung entweiht zu haben!“ „Ah!“ Matt weitete die Augen, als alle Kreise zeitgleich wieder ineinander huschten und einen einzigen ergaben, aus dem ein gewaltiger, hellblauer Lichtstrahl geschossen kam. „Du willst es echt wissen, was!? Nicht mit mir! Verdeckter Schnellzauber, [Infestation Pandemic], schütze meine Monster!“ Seine zweite gesetzte Karte sprang auf, wodurch sich beide Schwärmer komplett in finstere Partikel hüllten. Als sie von dem Lichtstrahl erfasst wurden, konnte dieser zwar diese zusätzliche Schicht zerfetzen, doch nicht die beiden Monster an sich. Matt atmete erleichtert durch und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Phew, das war knapp. Du bist gut darin, den Spieß umzudrehen.“   Zed begann leise zu lachen. „Was ist?“, fragte Matt irritiert. „Das war ein Kompliment.“ „Du rügst mich, nichts über die Immateriellen und ihre Inkarnationen zu wissen und siehst nicht einmal das Offensichtliche?“ Jener verkrampfte. „Wovon redet sie …? … W-was? Sag nicht-!“ Wie gelähmt starrte er die leere Stelle an, wo der Hirsch aufgeschlagen und verschwunden war. Seine Lippen bebten. „D-das sind … das waren … deine Monster, sie …“ „Sind Immaterielle, ja.“ Erstarrt wie er war, blickte Matt zu Zed auf. „Wie … wie ist das möglich?“ „Aus welchem Grund sollte es nicht möglich sein? Es ist dasselbe Prinzip wie bei Anya Bauer und Levrier. Nur dass ich eine ganze Armee von Immateriellen kommandiere.“ „Warum!?“, fauchte der Dämonenjäger und schwang dabei den Arm aus. „Das sind Lebewesen! Du kannst sie doch nicht einfach in Karten sperren!“ Doch die Undying lachte weiter kalt und grausam. „Sie dienen einem höheren Zweck und das wissen sie. Niemand hat sie gezwungen. Alles geschieht freiwillig. Die Immateriellen leihen mir ihre Kräfte.“ „Du als Undying brauchst die Kräfte von Immateriellen?“, fragte Matt ungläubig. „Nein, für gewöhnlich nicht. Im Gegenteil. Ihr Dasein ist konträr zur ewigen Ordnung.“ Was meinte sie damit? Matt begann sich zu fragen, was genau die ewige Ordnung überhaupt sein sollte. Bisher waren sie alle davon ausgegangen, dass es ein Regelwerk der Undying war, um die Welt in gut und böse einzuteilen. Doch was hatten die Immateriellen damit zu tun?   „Dein hilfloser Gesichtsausdruck ist Beweis dafür, dass du gar nichts weißt, Matthew Summers. Die Äthergeister sind dir ein vollkommenes Rätsel und da wagst du es, mich belehren zu wollen? Absurd.“ Die schwarzhaarige Undying lachte auf. Matt hingegen wurde aus seinen Gedanken gerissen. „Äther? Das ist doch nur einer von vielen Begriffen für die Macht, die Dämonen und übernatürliche Phänomene besitzen. Es ist nicht einmal erwiesen-“ „Es ist die korrekte Bezeichnung für die Kraft, die alles ausmacht.“ In Ermangelung einer klügeren Reaktion fragte Matt leise: „Was ist die ewige Ordnung?“ „Du amüsierst mich. Die ewige Ordnung“, antwortete Zed ihm und verlor all ihren Hohn dabei, „ist den Ätherstrom so fließen zu lassen, wie es vorherbestimmt ist. Keine Änderung seiner Richtung zuzulassen. Und Immaterielle besitzen genau diese Kraft, denn sie sind nicht Teil des Ätherstroms.“ Matt öffnete den Mund, aber sein Gegenüber kam ihm zuvor. „Du begreifst es nicht? Der Ätherstrom ist nichts anderes als die Zukunft.“ „Dem Schicksal einen neuen Pfad hinzufügen … verändert den Ätherstrom?“ Zed nickte.   „Möchtest du es sehen?“, fragte sie plötzlich und griff nach ihrer Sichel-Disk. „Ich zeige es dir!“ Das Dröhnen einer Maschine erklang. Matt wirbelte erschrocken herum und stellte fest, dass das Tor des Hangars, vor dem er sich duellierte, langsam seine Pforten öffnete. Die Kinnlade des jungen Mannes klappte herunter, als er sah, was sich hinter den zwei zur Seite schiebenden Toren befand. Das All. Ein Meer aus Sternen … das Versteck der Undying befand sich im Weltraum! Aber nicht das war es, was den jungen Mann so faszinierte. Es war dieser riesige, hellblaue Strom, der gut sichtbar an der Basis vorbei zog. Wie ein Kometenschweif. „Siehe, was Leben wirklich ist“, hörte er Zed hinter sich sagen. Seine Füße waren schwer wie Blei, als Matt sich in Bewegung setzte und zu der Schleuse ging, die dank eines aus dutzenden sechseckigen Waben bestehenden Kraftfelds immer noch abgeriegelt war. Als er jene erreichte, bemerkte er erst, dass der Ätherstrom weder Anfang noch Ende zu kennen schien. Aber er bewegte sich. In seinem schönen, geraden Verlauf leuchteten hin und wieder weiße Stellen auf, manchmal aber auch lösten sich einzelne Stränge auf oder färbten sich kurzzeitig schwarz. In seiner Mitte jedoch gab es schwarze Stränge, die ihre Farbe konstant beibehielten. Fassungslos drehte Matt sich um. „Ist das … wirklich 'Leben'?“ Zed nickte. „Das ist, war wir als Undying beschützen. Der Strom darf nur in Ausnahmefällen verändert werden und das nur von den Undying.“ „Kann … kann dieses Ding denn beschädigt werden?“, kam die nächste Frage eher plump daher. „Nichts kann sich dem Ätherstrom nähern. Was ihn berührt, vergeht, unabhängig davon, woraus es gemacht ist.“   Zed griff nach ihrem Deck. „Ich zeige dir noch etwas. Das, was geschieht, -wenn- Einfluss auf den Ätherstrom gewirkt wird. Ich ziehe!“ Matt spürte es sofort, ein grauenhaftes Stechen in seiner Brust, das ihn beinahe in die Knie zwang. Das gesamte Deck seiner Gegnerin leuchtete, als diese schwungvoll zog. „Sieh hin!“ Der Aufforderung folgend, blickte Matt über die Schulter und erschrak. Ein dünner, roter Blitz schoss durch den Äther, ein einzelner Faden, der für einen Moment sichtbar blieb. Dann spaltete sich der Fluss vor seinen Augen. Und während die eine Hälfte von der Station wegbog und verging, wuchs die andere Hälfte an und floss ungehindert weiter, bis die ungefähre Form des Originals wiederhergestellt war. „Das ist die Macht der Immateriellen, 'dem Schicksal einen neuen Pfad hinzuzufügen'.“ Zed schnippte, die Schleuse schloss sich langsam. Womit Matt sich wieder aufrichtete, sprachlos von dem, was er erfahren und gesehen hatte. Als er wieder zu seinem alten Platz zurückkehrte, merkte er, dass sich seine Beine nun weich wie Pudding anfühlten. „Genug der Erklärungen“, sprach Zed streng und streckte die Hand aus, „ich benutze den Effekt von [Advent Of The Demigods] und schicke diesen Zauber auf den Friedhof, um meiner Hand genauso viele Demigods hinzuzufügen, wie Zähler auf ihm lagen.“ Zwei Karten schoben sich aus Zeds Deck, welche jene aufnahm und damit insgesamt sechs in den Händen hielt. „Meine Wahl fiel auf [Demigod Of Eternal Winter, Northgrimm] und [Demigod Of Purging Fire, Efreet].“ „Mehr Tributmonster?“ Matt schwante Böses. Was dann jedoch kam, damit hätte ier m Leben nicht gerechnet. Zed zeigte eine einzelne Karte vor, deren obere Hälfte orange-braun wie die eines Effektmonsters, die untere jedoch grün wie die eines Zaubers war. Ein Pendelmonster! „Siehe, welchen Pfad ich mit der Macht der Immateriellen erschaffen habe!“, rief Zed aus und hielt die Karte in die Höhe. „Ich aktiviere [The G.O.D. Pendulum]! Pendulum Scales set!“ „Huh!?“, platzte es aus Matt heraus, der noch nicht ganz auf der Höhe war. „Moment, braucht man für einen vollständigen Pendelbereich nicht zwei Monster!?“ Eine einzelne blaue Lichtsäule schoss hinter Zed aus dem Boden. Matt weitete beim Anblick des Wesens, das in ihr empor stieg, die Augen. Das Grundgerüst bildete ein einzelnes Zahnrad, an dem eine komplizierte Apparatur bestehend aus Rohren, Kesseln und anderen Behältnissen hing, aus denen kontinuierlich Dampf ausgestoßen wurde. „Das ist wahr“, antwortete Zed derweil auf Matts Frage, „wenn jedoch keine weitere Karte in meinen Pendelzonen liegt, besetzt [The G.O.D. Pendulum] beide.“ Über dem flach liegenden, sich drehendem Zahnrad befand sich eine weitere Plattform, auf der ein riesiger Thron stand. Dort saß eine mechanische Kreatur, deren unglaublich lange Arme zu beiden Seiten ausgestreckt waren. In den goldenen Händen hielt sie zwei Pendel, aus blauem und rotem Kristall bestehend. Eines drehte sich im, das andere entgegen dem Uhrzeigersinn. „Aber selbst wenn es beide Pendelzonen benutzt, nützt das doch nichts!“, protestierte Matt. „Da man unterschiedliche Pendelwerte braucht, um-“ „Verstehst du es nicht? Genau das zeichnet [The G.O.D. Pendulum] aus.“ Zed lachte arrogant. „Der blaue Pendelbereich ist 0, der rote dagegen 13. Abhängig davon, in welcher Zone mein Monster liegt, wird der entsprechende Wert aktiviert.“ Matt begriff endlich, als die Gottheit ihren Höhepunkt am Dach des Hangars erreicht hatte. Von ihren schwingenden Pendeln strahlten blaue Lichtkegel hinab neben Zed. „Und da es theoretisch in beiden liegt …“, schloss der Dämonenjäger leise.   <0> Zeds Pendelbereich <13>   „So ist es. Mit nur einer Karte kann ich eine Pendelbeschwörung durchführen. Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum!““ Zed streckte den Arm in die Höhe, wo ihre mechanische Kreatur verharrte. Das Zahnrad in ihrer Mitte begann sich schneller und schneller zu drehen, genau wie die Pendel in ihren Händen. Fast wirkte das humanoide Wesen auf dem Thron wie ein schwarzer Ritter, der schlief, während er die Pendel hielt. Und erwachte, als er den Kopf anhob. Unterhalb seines mechanischen Unterleibs öffnete sich ein Portal, um das sich dutzende Lichtellipsen schlossen. „Verdammt!“, fluchte Matt nervös. „Pendulum Summon!“, donnerte Zed dagegen und fuhr mit den fünf Karten ihrer Hand über ihre Sichel-Disk, um eine nach der anderen dort abzulegen. „Aus meiner Hand beschwöre ich die Demigods Efreet, Northgrimm, Bismarck, Luminez und Dremorah!“ Voller Schrecken beobachtete Matt, wie ganze fünf rote Lichtstrahlen unterhalb des Gottes hinab zu Zeds Füßen schossen und sich eine Kreatur nach der anderen erhob. Zuerst ein aufrecht stehender, weißer Mannseber mit gewaltigen, schwarzen Klauen und Hörnern, daneben ein bis zur Decke reichender Riese, bewaffnet mit einer doppelköpfigen Axt. Der Bart des an einen Wikinger erinnernden Kriegers reichte sogar bis zum Boden. In der Mitte folgte ein weißer, fliegender Pottwal, ziemlich flach, dafür aber mit blauen Edelsteinen am Rücken bestückt. Besonderes Augenmerk verdienten aber die beiden Göttinnen neben ihm, eine engelsgleich mit acht weißen Flügeln, über deren Kopf eine grelle Sphäre schwebte und eine mit sechs ledrig-schwarzen Fledermausschwingen, in deren nackten Bauch ein schwarzes Loch prangerte. Beide waren nur dürftig durch weiße beziehungsweise schwarze Ledergurte an den wichtigsten Stellen bedeckt.   Demigod Of Purging Fire, Efreet [ATK/2900 DEF/2300 (10)] Demigod Of Eternal Winter, Northgrimm [ATK/3000 DEF/2500 (10)] Demigod Of Ravaging Sea, Bismarck [ATK/2800 DEF/2200 (10)] Demigod Of Stellar Glow, Luminez [ATK/2700 DEF/2700 (10)] Demigod Of Crawling Darkness, Dremorah [ATK/2700 DEF/2700 (10)]   Beim Anblick der fünf Halbgötter konnte der Dämonenjäger nur noch schlucken und einen Schritt zurück stolpern. „Das ist doch nicht wahr, oder?“ „Dies ist die Realität. Und sie wird noch grausamer sein, als du es dir vorstellen kannst. Ich aktiviere den letzten Effekt von [Advent Of The Demigods] von meinem Friedhof und verbanne diese Karte, um die Werte meiner Monster um 400 zu erhöhen!“ „Was!?“ Die Augen eines Gottes nach dem andere, mit Ausnahme des gesichtslosen Bismarck, begannen so grell blau zu leuchten, dass man nicht lange hinsehen durfte, ohne dabei geblendet zu werden.   Demigod Of Purging Fire, Efreet [ATK/2900 → 3300 DEF/2300 → 2700 (10)] Demigod Of Eternal Winter, Northgrimm [ATK/3000 → 3400 DEF/2500 → 2900 (10)] Demigod Of Ravaging Sea, Bismarck [ATK/2800 → 3200 DEF/2200 → 2600 (10)] Demigod Of Stellar Glow, Luminez [ATK/2700 → 3100 DEF/2700 → 3100 (10)] Demigod Of Crawling Darkness, Dremorah [ATK/2700 → 3100 DEF/2700 → 3100 (10)]   Matt wusste sofort, was er tun musste. „Ich benutze den Effekt von [Infestation Infection]!“ Seine vor ihm aufrecht stehende Falle leuchtete kurz auf und schon verwandelte sich [Evilswarm Golem] in pechschwarzen Nebel, der sich auflöste. „Damit schicke ich einen Schwärmer in mein Deck zurück und erhalte einen anderen. Ich fürchte, für diesen Kampf werde ich [Evilswarm O'lantern] brauchen …“ Sein D-Pad spuckte die Karte aus, nachdem Matt die andere hineingemischt hatte. „Hör mal“, begann er mit erhobenen Armen. Beschwichtigend versuchte er auf die Undying einzureden. „Du musst das nicht tun. Wenn wir zusammenarbeiten, können wir den Sammler aufhalten. Es gibt so viele Fragen, die ich habe, die uns helfen würden, euch besser zu verstehen.“ „Und ich werde keine davon beantworten. Deine Zeit ist beinahe um, Matthew Summers.“ Zed hob die Hand wie ein Schiedsrichter, der dabei war, sein Urteil zu verkünden. „Genieße, was dir noch vom Leben bleibt. Schmerz! All meine Monster, greift [Primalswarm Yggdrasil] gleichzeitig an!“ Schweiß stand auf Matts Stirn geschrieben, als die Kreaturen sich eine nach der anderen bereit machten. Sein Monster würde die Angriffe zwar überstehen und er auch, doch dass das weh tun würde, stand völlig außer Frage.   Primalswarm Yggdrasil [ATK/3050 DEF/1650 {12} OLU: 1]   Er schluckte. Dann ging es los. Zuerst war der Riese Northgrimm an der Reihe, welcher seine gewaltige Axt horizontal in Yggdrasils Richtung schwang und dabei zwei der Drachenköpfe glatt abschlug. Der schneidende Wind zischte an Matt vorbei, hinterließ einen tiefen Schnitt vom rechten Oberarm an bis zur Schulter, der sich sogar über seine rechte Wange zog. Blut spritzte aus seiner Wunde, doch er hatte keine Zeit zum Durchatmen, als Efreet eine weiße Feuerkugel in der Luft entstehen ließ, die er mit einem Faustschlag auf Yggdrasil schleuderte. Zwar wurde Matt nicht von der Explosion getroffen, doch die daraus entstandenen, flammenden Winde machten ihm das Leben zur Hölle. „Argh!“, stöhnte er mit überkreuzten Armen vor dem Gesicht. Schon öffnete der flache Wal in der Luft sein riesiges Maul, was fast die Hälfte seines Körpers ausmachte und ließ eine Sturmflut aus seinem Rachen steigen. Jene riss Matt glatt von den Füßen.   [Matt: 1250LP → 900LP → 650LP → 500LP / Zed: 4000LP]   Meterweit wurde er von seinem ursprünglichen Standpunkt weggespült. Und das war längst nicht das Ende. Luminez, die engelhafte Göttin, schoss aus der Lichtsphäre über ihrem Kopf einen gewaltigen Strahl ab, der ein Loch in den Torso des ersten Schwärmers brannte und den liegenden Matt voll erfasste. „Gaaarh!“ Parallel dazu lud die dämonische Dremorah in dem schwarzen Loch in ihrem Bauch eine dunkle Sphäre auf, die sie abschließend abfeuerte. Jener zerfetzte in ihrem Flug den halben Unterleib Yggdrasils und explodierte, als sie mit Matt Kontakt herstellte. Sein Schrei ging dabei unter.   [Matt: 500LP → 450LP → 400LP / Zed: 4000LP]   In einer Lache aus Blut lag der geschundene, junge Mann am Boden. Und während sich sein Monster durch das Absorbieren schwarzer Partikel in der Luft binnen kürzester Zeit regenerierte, die verlorenen Drachenköpfe nachwachsen ließ, hatte er nicht so viel Glück. Matt lag auf dem Bauch, konnte sich kaum rühren. Alles war vor seinen Augen verschwommen. Sein Blick ging an den Monstern von Zed vorbei ins Leere, zu der Tür, die aus dem Hangar führte. Und er ahnte nicht, dass auf deren andere Seite noch jemand war. Jemand, der unsicheren Schrittes durch den Gang zog. Die schwarzen Stiefel stoppten ruckartig, als der Lärm weiter voraus verklungen war.   „Zug beendet“, kündete Zed autoritär an.   ~-~-~   Die Luft im Ballsaal vibrierte förmlich vor Spannung. Der Hüne Ricther in seiner gold-silbernen Rüstung stand da wie gelähmt im Antlitz der puppenhaften, grünhaarigen Drachenreiterin Winda, die an violetten Fänden hing. Durch ihren Effekt konnte er keine Monster mehr in diesem Zug spezialbeschwören, was sein Ende bedeutete, wenn er nichts unternahm. Nahezu unbemerkt lag weiter unter ihr eine horizontal liegende, verdeckte Monsterkarte, unter der sich ein schwarzer Falke befand.   El Shaddoll Winda [ATK/3700 DEF/2300 (5)] Shaddoll Falco [ATK/600 DEF/1400 (2)]   Ricthers Feld dagegen war komplett leer. Und auch wenn die Puppe es hauptsächlich ihrer Waffe, dem Ausrüstungszauber [Fusion Weapon], verdankte, dass sie so stark war, änderte das nichts an den Tatsachen.   [Ricther: 3300LP / Collector: 4000LP]   Das Licht des Kronleuchters über dem Saal flackerte kaum merklich. Wenn man ganz genau hinsah, konnte man über den Stufen der Wendeltreppen, die hinter dem rothaarigen Sammler hinauf zur oberen Ebene des Raums führten, ebenfalls Luftbewegungen erkennen. Irgendetwas geschah hier. Ricther, der mit dem Rücken zur riesigen Flügeltür stand, die aus dem Ballsaal hinausführte, keuchte und betrachtete sein aus vier Karten bestehendes Blatt. „Anstatt hier zu kämpfen, sollten wir nach einer Möglichkeit suchen, den Planet Eater zu vernichten, ehe er noch mehr Unheil anrichtet!“, richtete er seine Worte an den Mann im schwarzen Anzug. „Der Planet Eater?“, wiederholte der Sammler. Und lächelte dann. „Verstehe.“ „Er ist, was die Immateriellen als 'wahren Feind' bezeichnen. Nachdem das Tor einer Welt geöffnet wurde, kommt er und verschlingt sie.“ Ricther schwang den Arm mit der Schwert-Duel Disk daran aus. „Erst vor Kurzem wurde der Heimatplanet eines Schützlings von mir vernichtet!“   Sein Gegenüber schwieg und lächelte still. Der Undying kannte diese Haltung. Es bedeutete, dass dieser Mann mehr wusste. Doch das überraschte ihn nicht. Der Collector-Dämon war den Undying, was Informationsbeschaffung anging, inzwischen mindestens ebenbürtig. Sein Aufstieg zur Macht, so dachte Ricther, hätte keiner je für möglich gehalten. Was war mit ihm geschehen?   „Eines wissen wir inzwischen. Der Planet Eater frisst nicht wahllos nahegelegene Welten. Er geht einem System nach. Zuerst die Welt der Immateriellen, inzwischen ist er bei Exas Welt angelangt, einer, die einige der stärksten Hüter hervorgebracht hat.“ Ricther richtete seine Klinge auf den Sammler, hob seine Stimme. „Da dieses Wesen jedoch nicht wirklich lebendig ist, muss es jemanden geben, der es steuert. Ihm sein nächstes Ziel zuweist. Das Wurmlochnetzwerk, das wir den Nexus nennen, kennt.“ Wieder ein geheimnisvolles Lächeln auf den Lippen des rothaarigen Briten. „Und du denkst, das wäre tatsächlich ich?“ „Fest steht, dass nur sehr Wenige von den Toren wissen. Die Immateriellen sind damals geflüchtet und haben in jeder Welt, die sie erreichten, eines errichtet. Der Planet Eater kann diese nicht passieren und muss daher das All durchqueren, um eine Welt zu erreichen. Was Millennia dauert.“ „Also öffnet jemand diese Tore für ihn, um den Prozess zu beschleunigen.“ Ricther nickte. „Jemand, der alle sieben Hüterartefakte einer Welt zusammenträgt, öffnet ein Portal in den Narthex, von dem der Nexus gesteuert wird. Der Narthex vermag jedes der Tore zu öffnen, neue Pfade innerhalb des Nexus zu erschaffen und mehr noch, ist er der einzige Weg zur 'letzten Tür', aber das weißt du.“ Die Stimme des Undying bebte regelrecht beim letzten Satz. „Jemand, der nach der Kontrolle über den Narthex strebt, ist wahrlich ein Feind der ewigen Ordnung und mit aller Wahrscheinlichkeit auch die treibende Kraft hinter dem Planet Eater-“   Doch der Sammler unterbrach ihn pikiert. Es war allzu offensichtlich aufgesetzt. „Willst du etwa immer noch damit andeuten, ich wäre derjenige, der dieses Wesen kontrolliert?“ „Ich weiß nicht, was du wirklich bist. Nicht mehr.“ Ricther atmete tief durch „Du warst in die Geschehnisse des Turms von Neo Babylon verstrickt. Diese Sicherheitsmaßnahmen existieren nicht ohne Grund, aber du hast Anya Bauer dabei geholfen, sie zu umgehen. Beinahe wäre Eden geöffnet worden. Zu was macht dich das anderes, als den 'wahren Feind'?“ Plötzlich lachte der Sammler. Leise, aber deutlich genug, um selbst Ricther für einen kurzen Moment erschaudern zu lassen. Denn als der Brite dabei sprach, klang er nicht mehr so gespielt freundlich, sondern düster wie die Nacht. „Wer weiß? Je nach Betrachtungswinkel mag dies durchaus zutreffen. Aber ist jeder gleich ein Feind, nur weil er seinen Pflichten nicht nachkommt? Denn wenn das so wäre, nun, Ricther, müsstest du dich selbst vernichten.“ „Wie kannst du es wagen!?“ „Wir beide sind in dieser Hinsicht sehr ähnlich“, redete der Sammler in seinem üblichen, geschwollenen Tonfall weiter. „Du und ich, wir haben das persönliche Begehren der Pflicht vorgezogen. Denn der Grund, warum du hier bist, ist ein persönlicher. Du sehnst dich nach dem, was ich besitze.“ Voller Zorn stampfte Ricther auf, so stark, dass das Parkett unter seinen Füßen nachgab und in einen kleinen Krater verwandelt wurde. „Bist du schon so verkommen, dass du-!?“ „Ich habe dich immer respektiert. Aber mir war stets bewusst, dass du eines Tages ein Hindernis wirst, das ich aus dem Weg räumen muss.“ Ohne Vorankündigung schloss sich das Loch im Boden wieder, das Ricther verursacht hatte. Für einen kurzen Augenblick kniff der Sammler die Augen fest zusammen. „Bedauerlich, dass dieser Tag so früh kommen musste.“ „Du hast den Verstand verloren“, stellte Ricther erschrocken fest. „Nein, ich kenne lediglich die Tatsachen. Hier geht es nicht mehr nur um die ewige Ordnung, nicht wahr? Du willst Anya Bauer beschützen.“ „Ich werde nicht noch einmal zulassen, dass sie ein tragisches Schicksal ereilt. Von allen müsstest du das am besten verstehen, Strife Carrington. Wieso bist ausgerechnet du es, der sie jetzt ins Verderben stürzen will? Seit jeher hast du ein Auge auf sie geworfen, hast Levrier zu ihr geführt und sie-“ „-zu einer Kämpferin gemacht, ja. Dieses Mal wird sie nicht verlieren.“ „Was nicht verlieren?“ Aber der Sammler lächelte nur geheimnisvoll. Und schwieg.   Ricther überlegte. War der Sammler tatsächlich der 'wahre Feind' oder zumindest einer seiner Jünger? Dieser Mann? Unvorstellbar. Doch seine Handlungen sprachen eine andere Sprache. Es gab keinen Weg daran vorbei, wenn er sein Streben nach den Hüterartefakten nicht aufgab, musste er eliminiert werden.   „Du magst zwar meine Spezialbeschwörungen eingeschränkt haben, doch nur, solange dein Monster auf dem Spielfeld liegt!“ Entschlossen zog der Hüne eine Zauberkarte aus seinem Blatt und rammte sie in die stumpfe Seite seiner Klingen-Disk. „[Dimensions Collapse]!“ „Hmm?“ Der Sammler sah sich erstaunt in dem Ballsaal um. Überall auf der abgerundeten Fensterfront hinter ihm bildeten sich ovale Portale aus violettem Nebel. „Interessant.“ „Diese Karte lässt sich nur aktivieren, wenn zwanzig meiner Karten verdeckt verbannt sind und zerstört jedes deiner Monster.“ Der Sammler nickte lächelnd. Dann geschah es schon. Aus den Portalen schossen gleichzeitig dutzende Blitze, die in seinen Monstern einschlugen und gewaltige Explosionen hinterließen. „Damit kann ich jetzt [Different Dimension Deity – Astellante] beschw-“ „Nicht so schnell, bitte. Ich befürchte, du hast eine Kleinigkeit übersehen.“ Der Rauch verzog sich so schnell wie er gekommen war – und [El Shaddoll Winda] verharrte nach wie vor über dem Sammler, auf ihrem chinesischen Drachen stehend. Und auch sein anderes Monster tauchte auf – der kleine, düstere Falke, über den sich seine eigene Karte legte und so unter sich begrub. „[El Shaddoll Winda] durch Karteneffekte zu zerstören ist leider unmöglich. Und bedenke, wenn [Shaddoll Falco] durch einen Karteneffekt auf den Friedhof gelegt wird, setzt er sich automatisch zurück aufs Feld.“ Der Sammler klatschte in die Hände, die Portale hinter ihm lösten sich auf. Und Ricther war keinen Schritt weiter als vorher. „Ich setze eine Karte und erkläre meinen Zug für beendet“, murrte der Undying notgedrungen, während die Falle sich zu seinen Füßen materialisierte.   Der Sammler zog auf. „Sehr gut, Ricther. Dann zeige ich dir nun etwas. Ich wechsle [Shaddoll Falco] in den Angriffsmodus.“ Sogleich wirbelte die eben erst erschienene Karte um die eigene Achse und drehte sich dabei in die Vertikale, was den kleinen, an violetten Fäden hängenden Falken aus ihr hervor lockte.   Shaddoll Falco [ATK/600 DEF/1400 (2)]   „Zwar kann jedes Nicht-Fusions-Shaddoll-Monster nur einen seiner beiden Effekte im selben Zug aktivieren, aber auch der Flippeffekt von [Shaddoll Falco] ist sehenswert. Er setzt ein anderes Monster dieser Art sofort in verdeckter Position vom Friedhof aufs Feld.“ Der Vogel stieß einen schrillen, mechanischen Gesang aus, wodurch sich neben ihm ein kreisförmiges Portal auf dem Parkett bildete. Von der Decke des Ballsaals schossen violette Stränge und drangen in jenes ein, zogen eine bärtige Drachengestalt daraus hervor. „Siehe da, [Shaddoll Dragon] ist zurück“, sprach der Sammler genüsslich.   Shaddoll Dragon [ATK/1900 DEF/0 (4)]   Jener brüllte einmal, ehe sich seine eigene Karte wie eine Decke um ihn legte und er verschwand. „Nun rüste ich Falco mit [Nephe Shaddoll Fusion] aus. Dieser Zauber erlaubt es mir, sein Attribut zu ändern. Ich denke, Licht ist hier eine interessante Wahl“, sprach der Sammler und legte den Zauber in seine pechschwarze Battle City-Duel Disk ein. Die Fäden seines Vögelchens färbten sich gleißend gelb. „Aber das allein wird dem Begriff 'Fusion' im Namen natürlich nicht gerecht, nicht wahr?“ Wieder ein wissendes Lächeln auf seinen Lippen, das Ricther sofort vermittelte, dass ihn nichts Gutes erwarten würde. „Wohlan, ich benutze den anderen Effekt von [Nephe Shaddoll Fusion] und verschmelze [Shaddoll Dragon] und [Shaddoll Falco] vom Licht-Attribut auf meinen Spielfeld!“ Über ihm, neben seiner Drachenreiterin öffnete sich ein Vortex, der pechschwarze Schatten in sich aufzog. Auch die beiden genannten Monster wurden von ihren Positionen gerissen und verschwanden in dem Sog. „Fusion Summon“, verkündete der Sammler und richtete den Arm nach vorne. „[El Shaddoll Construct]!“ Der Strudel weitete sich aus. Und Ricther wich erschrocken zurück. Denn das, was ihm nun entgegen stand, füllte den gesamten zweistöckigen Ballsaal aus. Eine riesige, weibliche Puppe, um deren Hüfte eine Art Rock schwebte, aus glänzend violettem Metall. Von ihrem Rücken schossen unzählige rote Lichtfäden, die wie Flügel anmuteten und sich unruhig bewegten.   El Shaddoll Construct [ATK/2800 DEF/2500 (8)]   Ihr weißes Porzellangesicht war ausdruckslos. Doch kurz blitzten ihre pupillenlosen Augen auf, als der Sammler verkündete: „Zwei Effekte werden jetzt ausgelöst. Der erste gehört zu [Shaddoll Dragon]. Wenn er durch einen Karteneffekt auf den Friedhof gelegt wird, zerstört er eine Zauber- oder Fallenkarte meines Gegners.“ „Urgh!“, stöhnte Ricther erschrocken, als aus dem Nichts die geisterhafte Silhouette des Drachens auf ihn zuschoss und seine gesetzte Karte ins Verderben riss. „Der andere gehört natürlich zu [El Shaddoll Construct]. Sie lässt mich ein beliebiges Shaddoll-Monster direkt vom Deck auf den Friedhof legen.“ Der Sammler griff nach jenem, fächerte es vor sich auf und zog die Karte seiner Wahl daraus hervor. „Nehmen wir doch [Shaddoll Beast].“ Für einen kurzen Augenblick tauchte vor dem Rotschopf eine weiße Bestie auf, durch eine violette Panzerung an Rücken und Kopf gut geschützt. Der Tiger brüllte einmal mechanisch, ehe er sich auflöste. Und sein Meister zog auf. „Wird dieses durch einen Karteneffekt auf den Friedhof gelegt, darf ich meinem Blatt eine Karte hinzufügen, wie du siehst.“ Im Anschluss richtete er die flache Hand wieder nach vorn. „Ihr Undying besitzt große Macht, das erkenne ich an. Doch durch eure fehlerhaften Körper stoßt ihr viel zu schnell an eure Grenzen. Die wahre Macht liegt in den Menschen, nicht in euch.“ Ricther verkrampfte, als [El Shaddoll Winda] an ihrer riesigen Herrin vorbei flog und Kurs auf ihn nahm. Indes korrigierte der Sammler sich schmunzelnd. „Verzeih', in bestimmten Menschen. Direkter Angriff, [El Shaddoll Winda].“ Der Drache unter jener schrie auf und erhöhte merklich das Tempo. Während das Gespann immer näher rückte, nickte der Undying. „Dem ist nicht zu widersprechen. Mein Limit ist jedoch noch längst nicht erreicht! Falle, [Dimensions Crossing] von meinem Friedhof!“ Vor ihm öffnete sich eines der violetten Portale, aus dem die Karte hervor kam. „Ich kann sie vom Friedhof aktivieren und eine Different Dimension Deity von dort ins Deck zurückschicken, um den Angreifer auf ewig in den Verteidigungsmodus zu zwingen. Das funktioniert jedoch nur einmal.“ Weitere Portale öffneten sich entlang Windas Flugroute, während Ricther besagte Falle und [Different Dimension Deity – Lastelise] von seinem Friedhof nahm und Letztere auf das Deck legte, welches sich durchmischte. Schlagartig schossen aus jeder der Öffnungen pinke Kristallsäulen, die der Drachenreiterin den Weg blockierten. Konnte sie den ersten noch ausweichen, war direkt vor Ricther Schluss, vor dem gleich drei über Kreuz auftauchten. „Mir war bewusst, dass es nicht so leicht wird, dich zu besiegen. Weshalb ich meinen Sieg auch noch nicht ausgerufen habe“, hielt der Sammler seelenruhig entgegen, während seine Winda erfolglos zu ihm zurückkehrte.   El Shaddoll Winda [ATK/3700 DEF/2300 (5)]   „Doch wie lange wirst du dich noch verteidigen können? Direkter Angriff auf seine Lebenspunkte, [El Shaddoll Construct]!“ Nun war es an der riesigen Puppe, die Arme auszustrecken. Aus den Fingern ihrer Hände schossen dutzende roter Fäden, die den Undying erfassten und auf ihn einpeitschten, dass jener sich zusammenkauerte. Seine Rüstung konnte die Angriffe kaum abwehren, platzte an einigen Stellen sogar auf.   [Ricther: 3300LP → 500LP / Collector: 4000LP]   Der letzte Hieb traf den Undying am federbesetzten Helm, was dazu führte, dass Ricther von den Füßen gerissen und gegen die Wand neben dem Flügeltor geschleudert wurde. Jene brach beim Aufprall jedoch nicht etwa ein, sondern stieß den riesigen Körper wie einen Flummi von sich, sodass jener aufs Parkett donnerte und sich dort einmal überschlug. „Urgh!“ „Tut mir leid, aber ich kann unmöglich zulassen, dass hier Unordnung geschaffen wird. Du als Undying verstehst das bestimmt“, stichelte der Sammler ob der magischen Wände, „Zug beendet.“   Ricther erhob sich erstaunlich schnell. Aus einigen besonders tiefen Rissen in seiner Rüstung sprühte förmlich das Blut. Jedoch versiegte dieses mit einem Male, sodass nur noch das Rot auf dem Silber davon zeugte, dass jenes überhaupt geflossen war. Der Undying, der nun versetzt zu seiner ursprünglichen Position stand, schüttelte den Kopf. „Das ist zumindest von dir übrig geblieben.“ „Ich bin immer noch dieselbe Person. Lass unseren Konflikt nicht darüber hinwegtäuschen.“ „Der Strife Carrington, den ich kenne, würde so etwas niemals tun! Er würde nicht seine Freundin erpressen und dazu zwingen, die Drecksarbeit für ihn zu erledigen! Er würde den Hütern ihre Artefakte nicht entreißen, um den Narthex zu öffnen!“ Der Sammler lachte auf. Kalt und unnahbar. „Das ist das Traurige an dir. Du konntest Menschen nie wirklich einschätzen.“   Was Ricther verstummen ließ. Statt die Diskussion fortzusetzen, zog er eine dritte Handkarte und betrachtete sein Blatt. „Da ich diese Runde noch keine Spezialbeschwörung durchgeführt habe, kann nun auch deine [El Shaddoll Winda] mich nicht daran hindern, diese Kreatur zu rufen! Zehn Karten meines Decks müssen verdeckt verbannt werden!“ Von der Unterseite seiner Klingen-Disk, aus dem Deckschacht, lösten sich nach und nach zehn Karten, die in einer Reihe vor Ricther in einem schmalen Dimensionsloch verschwanden, das sich kurz vorher geöffnet hatte. Insgesamt zehn giftgrüne Kristallsäulen brachen um den Undying herum aus dem Boden und schwebten in die Höhe, bildeten zwei Paare bestehend aus je vier Pfeilern, die Flügeln in jener Haltung nicht unähnlich sahen. Zwischen sie schoben sich die beiden verbliebenen, die senkrecht standen und zwischen sich durch rote Entladungen eine schmale Iris bildeten.   Different Dimension Deity – Astellante [ATK/? DEF/? (10)] „Diese Gottheit erhält für jede verdeckt verbannte Karte 200 Punkte. Da bereits dreißig meiner Deckkarten auf diese Weise aus dem Spiel entfernt wurden, beläuft sich die Summe aus 6000!“ Tatsächlich konnte man sehen, dass nur noch einige wenige Karten in seinem Kartenstapel verblieben waren.   Different Dimension Deity – Astellante [ATK/? → 6000 DEF/? → 6000 (10)]   Ricther streckte den Arm nach oben, zu seinem Monster. „Doch hier endet es noch nicht! Ich rüste [Different Dimension Deity – Astellante] mit [Dimensions Reach] aus, was ihm weitere 100 Angriffspunkte pro verdeckt verbannter Karte gewährt!“ Die Entladungen um den Kristallgott wurden stärker, das Auge in dessen Mitte vibrierte.   Different Dimension Deity – Astellante [ATK/6000 → 9000 DEF/6000 (10)]   „Beeindruckend“, lobte der Sammler und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. „Nichts anderes habe ich von dem Anführer der Undying erwartet.“ „Erfahre dein Urteil, Strife Carrington, der Sammler!“ Ricther riss seine flache Hand hinunter. Er hatte seine Entscheidung getroffen. Dieser Mann musste vernichtet werden. „Das Ziel ist [El Shaddoll Construct]! Judgment of D!“ Ruckartig richteten sich die acht Kristallsäulen, die Teil der symbolischen Flügel waren, nach vorne. Parallel dazu streckte auch die riesige Puppe ihre Hände aus und schoss zahllose rote Fäden ab. Wie Pfeile lösten sich die Geschosse der Dimensionsgottheit und rauschten durch das Fadenwirrwarr. „Das war die falsche Wahl, Ricther“, lächelte der Sammler, „denn [El Shaddoll Construct] zerstört jedes spezialbeschworene Monster im Kampf, ohne dabei zu Schaden zu kommen.“ „Was!?“ Eine Säule nach der anderen wurde von den umherpeitschenden Fäden zerteilt und somit vorzeitig gestoppt. Ricther schwang den Arm aus. „Wenn das so ist, hast du auch etwas übersehen!“ Schlagartig öffnete sich vor ihm ein kleiner Dimensionsspalt, aus dem zehn Karten der Reihe nach geschossen kamen und sich unterhalb seiner Duel Disk auf seinem Deck platzierten. „[Dimensions Reach] kann sich zerstören und zehn verdeckt verbannte Karten zurück ins Deck legen, um die Zerstörung eines Monsters zu verhindern!“ Nur noch eine Säule war übrig, die zielgenau die Brust der riesigen Marionette ansteuerte. „Das kostet [Different Dimension Deity – Astellante] den Angriffsbonus sowie einige Punkte durch seinen eigenen Effekt. Doch dein Monster fällt trotzdem!“   Different Dimension Deity – Astellante [ATK/9000 → 4000 DEF/6000 → 4000 (10)]   Der letzte Kristall konnte der Gefahrenzone rechtzeitig entkommen und schoss durch die Brust der weißgesichtigen Puppe, brach aus ihrem Rücken hervor und prallte an den Fenstern des oberen Stockwerks ab. Während das Konstrukt rückwärts zu Fall kam, drehte sich der Sammler überrascht um und wurde von dem reflektierten Geschoss in seiner Gänze getroffen. Eine gewaltige Erschütterung suchte das Anwesen heim, das ganze Feld des Rotschopfs wurde in grünen Staub gehüllt.   [Ricther: 500LP / Collector: 4000LP → 2800LP]   Der Reihe nach entstanden an den aufrecht stehenden Säulen Astellantes je vier neue Kristallpfeiler mit spitzen Enden. Als der Rauch sich legte, klopfte sich der Sammler mit angewidertem Gesichtsausdruck etwas grünen Staub von der Schulter. „Ich muss schon sagen, dass deine Manieren zu wünschen übrig lassen. Man ruiniert nicht einfach den Anzug seines Gastgebers. Was, wenn ich allergisch auf dieses Zeug reagiere?“ Ricther musste auflachen. Einer der alten Züge Strifes … was es umso bitterer machte, ihm als Feind gegenüber zu stehen. „Wie dem auch sei.“ Eine Karte schob sich aus seinem Friedhof, die er vorzeigte. „Wird [El Shaddoll Construct] zerstört, bekomme ich eine Shaddoll-Zauberkarte vom Friedhof zurück. Ich nehme [Shaddoll Fusion].“ „[Dimensions Disturbance].“ Eine Zauberkarte stand bereits aufrecht vor dem Undying. Die zwanzig verdeckt verbannten Karten Ricthers tauchten gegen den Uhrzeigersinn wirbelnd aus einem kleinen Spalt vor diesem auf und bildeten einen Kreis. „Diese Karte erlaubt es einer Different Dimension Deity, bis zum Ende deines nächsten Zuges dein komplettes Blatt zu verbannen.“ Zum ersten Mal erlebte Ricther eine nicht gekünstelte Reaktion des Sammlers, als dieser kaum merklich zusammenzuckte. Schon schossen die zwanzig Karten in Fünfergruppen auf den Sammler zu, verwandelten sich in spitze Obsidiane, die nacheinander die vier Handkarten ihres Opfers aufspießten und mit ihnen zerplatzten. „Ich kann dich nicht gewinnen lassen“, drohte Ricther düster, „Feind der ewigen Ordnung. 'Wahrer Feind' Strife Carrington!“   ~-~-~   „Eagle negiert für diesen Zug die Effekte aller offenen Monster und auch die jener, die im Friedhof liegen!“, hallte Kalis Stimme durch das riesige, offene 'Ephemeria Bridge Stadium'. „Das bedeutet, dass auch dein [Kuriboss] dir nicht helfen können wird!“   „Na, dämmert's dir endlich?“ Kali verschränkte die Arme voreinander. Geradezu majestätisch zählte sie Anya die Fakten auf. „Ganz recht, [Conversion Fuse] verstärkt ein Maschinenmonster um 1000 Angriffspunkte. Eagle fügt Durchschlagschaden zu. Heavy Ts Verteidigung ist gleich 0 und Eagle bekommt noch 500 Angriffspunkte obendrauf dank [Banished Power Gear].“ Die letzten Worte verließen voller Genuss ihre Lippen. „4000 zu 0. Sieht so aus, als würdest du gleich erfahren, was mich antreibt. Los, [Celestial Gear – Synthetic Eagle], greife ihren Megaschrotthaufen an und hol' mir den Sieg!“ Voller Schrecken verfolgte Anya mit, wie der Maschinenadler seine Schwingen bis zum Maximum spreizte, um dann dieselben zwei Wirbelstürme zu entfachen.   Celestial Gear – Synthetic Eagle [ATK/3500 → 4000 DEF/1000 → 1500 (4)]   Panisch sah Anya auf ihr rotes D-Pad, doch da waren keine gesetzten Karten, die ihr hätten helfen können. „Fuck! Was jetzt!?“ „Ganz einfach“, antwortete ihr Kali, „stirb, wie du es schon längst hättest tun sollen!“   [Anya: 3700LP / Kali: 400LP]   Anya schluckte beim Anblick der beiden grünlichen Tornados, die auf ihren riesigen, knienden Roboter mit dem silbernen T auf der Brust zusteuerten. Auch der Drache, der vor dem Titanen kraftlos am Boden lag, würde nicht helfen können.   Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T [ATK/3000 DEF/0 (10)] First Of The Dragons [ATK/2700 DEF/2000 (9)]   Gib nicht so schnell auf! Denk' dran, dass nicht nur Monsterkarten auf deinem D-Pad liegen!   Verwirrt von Levriers Hinweis starrte die Blonde auf den roten Apparat an ihrem Arm und erkannte, dass er die Wahrheit sprach. Sofort sah sie kämpferisch auf. „Nichts da, Miststück! Ich aktiviere den Effekt von [Gem-Tiger] in meiner Pendelzone!“ Kali schaute erschrocken auf, zu den beiden blauen Säulen neben Anya, in denen sich ein Ritter in rötlicher Rüstung, welcher eine lange Hellebarde führte und ein weißer Tiger, von dessen Rückgrat bis zum Schweif eine Spur aus Diamanten gezogen war, befanden – [Gem-Knight Jasper] und besagter [Gem-Tiger].   <2> Anyas Pendelbereich <8>   Letzterer war es, der ein bedrohliches Heulen in Form einer Schockwelle von sich stieß. Anya erklärte dazu: „Wenn ich einen Gem-Knight wie Lapis vom Friedhof verbanne, kann ich einmal pro Zug einen Angriff abwehren!“ Sie zeigte die gelb-umrandete Karte vor und stopfte sie in die Hosentasche, kurz bevor die beiden Wirbelstürme und die Schockwelle aufeinander trafen, nur um sich gegenseitig auszubremsen. „Willst du mich verarschen!?“ Die maskierte Kuttenträgerin ballte eine Faust. „Seit wann benutzt -du- solche Karten freiwillig!?“ „Seit ich sie habe, Dumpfbacke. Aber das wirst du nie verstehen, denn du wirst 'solche Karten' nicht von deinen Freunden bekommen“, giftete Anya zurück. „Falls du überhaupt welche hast …“ „Sollte dem so sein, dann habe ich sie wegen dir verloren.“ „Was soll das denn heißen!?“ Die Blonde ballte eine Faust und schlug sich gegen die Brust. „Ich habe mir nichts vorzuwerfen, solange ich nicht weiß, wer du überhaupt bist!“ Kali lachte gedämpft hinter ihrer Maske auf. „Verlier' doch, dann findest du's ganz schnell heraus.“ „Als ob!“ „Zu dumm, dass ich da noch ein Wörtchen mitzureden habe! Ich greife mit [Celestial Gear – Synthetic Armored Finch] deinen Drachen an! Los! Und falls du denkst, dessen Effekt kann dich beschützen, irrst du dich. Dir ist es nicht aufgefallen, aber [Conversion Fuse] negiert die Effekte eines Monsters aus dem Extradeck.“ Gebieterisch hob Kali die Hand zum Signal. Blaues Licht drang dabei aus ihrem Metalladler, der es aus seinen Augen auf den Drachen strahlte. „Shit!“ Den gepanzerten Mechafink hatte Anya komplett verdrängt, nachdem sie beinahe Opfer des blöden Adlers geworden war. Und dann noch dessen blöder Ausrüstungszauber!   Celestial Gear – Synthetic Armored Finch [ATK/2500 → 3000 DEF/0 → 500 (4)]   Der vergleichsweise kleine Maschinenvogel zischte wie ein Pfeil nach vorne und krachte in [First Of The Dragons], welcher effektvoll explodierte. Anya knirschte mit den Zähnen, denn da sein Effekt unterdrückt wurde, war er auch nicht mehr im Kampf unzerstörbar. „Shit!“ Ihre Miene verdunkelte sich. Denn sie hatte immer noch Heavy T … „Denkst du, so einfach lasse ich dich davonkommen? Vergiss es! Ich benutze jetzt den Effekt von [Conversion Fuse], mit der Eagle ausgerüstet ist!“ Der stolze Metallalder begann regelrecht in blauem Licht zu pulsieren. „Damit kann ich jederzeit eine Ritualzauberkarte direkt aus meiner Hand spielen, was sonst nur während der Main Phasen möglich wäre.“ Kali zeigte die Karte vor. „[Celestial Gear Polymerization], los!“ Aus dem Himmel schossen vier lange, metallische Stäbe, an deren Spitzen Kristalle angebracht waren, und landeten um Kali herum angewinkelt im Boden. Sie alle pulsierten im Einklang mit dem Mechaadler. Anya blinzelte verdutzt. „Warte, hast du nicht von Ritualzauberkarte gesprochen? Die da ist eine Fusionskarte-“ „Sieh' genau hin. Es -ist- eine Ritualzauberkarte“, hauchte Kali bitterböse und tatsächlich war das Flammensymbol in der rechten, oberen Ecke der vor ihr aufrecht stehenden Karte zu sehen, „eine, die ebenso Rituale wie Fusionen durchführen kann. Ich wähle in diesem Fall Ersteres und biete meine beiden Monster als Opfer an, deren Stufen zusammen genau die benötigten acht ergeben.“ Beide Vögel lösten sich schlagartig in blaue Stichflammen auf, die gleichmäßig aufgeteilt in die vier Kristallspitzen der Stäbe gezogen wurden. Vor Kali bildete sich ein Riss im Boden. „Erwache aus deinem Schlaf, [Celestial Gear – Synthetic Armored Swan]!“ Anya keuchte erschrocken, als das Parkett letztlich aufbrach und ein riesiger Metallschwan mit erhobenen Flügeln daraus empor stieg. Der Übergang von Schnabel und Kopf war dabei transparent grau, zeigte das Innenleben der an der Brust besonders stark gepanzerten Kreatur.   Celestial Gear – Synthetic Armored Swan [ATK/2900 DEF/2800 (8)]   „Zerstöre ihren albernen Spielzeugroboter!“, befahl Kali mit einem Wink ihrer Hand. Angesichts der nicht existierenden Verteidigung des knienden Heavy Ts war es irrelevant, dass Kalis verbannter Zauber [Banished Power Gear] den Schwan während des Kampfes verstärkte.   Celestial Gear – Synthetic Armored Swan [ATK/2900 → 3400 DEF/2800 → 3300 (8)]   Jener öffnete seinen Schnabel und spie eine weiße Lichtflamme, die den Koloss hinter Anya binnen weniger Sekunden zum Schmelzen brachte. Die rümpfte nur wütend die Nase. Besonders da Kali noch nicht fertig war. „Wechsel in die Main Phase 2! Denn hier kann ich endlich Swans Effekt nutzen, um ein verbanntes Celestial Gear im Verteidigungsmodus spezialzubeschwören. Sollte es dabei seinen Rückbeschwörungseffekt in diesem Duell noch nicht genutzt haben, kann ich den sofort aktivieren.“ Unter ihrem Metallschwan zeichnete sich mit Lichtlinien nach und nach ein schlanker Vogel mit spitzem Schnabel und kleinem Kamm auf dem Kopf, dessen Inneres durch magentafarbene Barrieren geschützt wurde. „[Celestial Gear – Synthetic Woodpecker]! Wird der rückbeschworen, verbannt er alle Karten auf deinem Friedhof!“   Celestial Gear – Synthetic Woodpecker [ATK/1800 DEF/1300 (4)] „Was!?“ Anya sah das Vieh nur noch auf sie zustürmen und hob ihr D-Pad an, das letztlich wie von einem Presslufthammer bearbeitet wurde. „Shit!“ All ihre Karten wurden aus ihrem Friedhofschacht ausgeworfen. „Ich lasse dich [Kuriboss] bestimmt nicht als letzten Notnagel benutzen!“ Kali sah mit verschränkten Armen dabei zu, wie Anya zähneknirschend den Stapel in ihrer Hosentasche verstaute. „Eine Karte verdeckt, Zug beendet! Leider kommt damit der negative Aspekt der Rückbeschwörung zum Tragen, welcher das Monster verbannt.“ Hohl kreischend löste sich der eben erst gerufene Mechavogel wieder in blauen Lichtpartikeln auf. Gleichzeitig tauchte vor der selbsternannten Dämonengöttin ein vergrößerter Kartenrücken auf, was zur Folge hatte, dass sie keine Handkarten mehr besaß. Anders als Anya, die schreiend aufzog. „Draw!“ Sie besaß nun immerhin eine, die sie auch sofort ausspielte. „Hell yeah, genau das habe ich gebraucht! Ich aktiviere [Brilliant Fusion]! Mit der benutze ich Gem-Knights von meinem Deck als Fusionsmaterialien, dafür verliert das beschworene Monster aber seine Angriffspunkte!“ Kali zuckte zusammen. „Jetzt noch eine Fusion direkt aus dem Deck!?“ Über Anya öffnete sich ein funkelnder Wirbel. „Ich verschmelze [Gem-Knight Garnet], [Gem-Knight Malachite] und [Gem-Knight Tiger's Eye] von meinem Deck!“ Die drei genannten Monster tauchten nicht nur über ihr in Form eines bronzenen, grün-blau schimmernden und goldenen Ritters auf und wurden in den Vortex gezogen, nein, ihre Karten wurden auch aus dem Deckschacht geschoben, sodass Anya sie nur noch in den Friedhofsschlitz schieben musste. Dabei rief sie: „Herz, Seele, Gefäß! Vereint euch zur reinsten aller Ritterinnen, deren Klinge jeden Hoffnungsstrahl zerteilt! Fusion Summon!“ „Was!?“ Kalis Stimme überschlug sich förmlich. „Strahle, [Gem-Knight Lady Brilliant Diamond]!“ Aus dem Wirbel schoss eine Kriegerin, die in einer edlen Platinrüstung steckte und ein schlichtes, schmuckloses Schwert mit sich führte. Brustpanzer und Helm waren von schimmernden Brillanten bedeckt, von ihren Schultern hing ein kurzer, roter Umhang.   Gem-Knight Lady Brilliant Diamond [ATK/3400 → 0 DEF/2000 (10)]   „Langsam überrascht mich nichts mehr“, brummte Kali resignierend. „Fein, das wird mich auch nicht aufhalten.“ Anya dagegen sah das anders. „Yeah, natürlich wird es. Es fängt schon damit an, dass Malachite und Tiger's Eye Effekte besitzen, die aktiviert werden, wenn sie für ein Gem-Knight-Fusionsmonster als Material benutzt werden. Malachite lässt mich zum Beispiel ziehen.“ Mit allgegenwärtiger, grimmiger Mimik riss Anya die Karte von ihrem Deck, ohne ihr überhaupt Beachtung zu schenken. „Und dann ist da noch Tiger's Eyes Effekt. Sieh selbst.“ Ihre stolze Ritterin hob die Klinge in die Höhe. Die ohnehin schon von dunklen Wolken verhangene Nacht gab ein Donnern Preis, das tatsächlich aber erst erklang, als schon ein Blitz in Lady Brilliant Diamonds Schwert eingeschlagen war. Jene richtete dieses auf den weißen Mechaschwan. „Nun, haste dich schon mal gefragt, wie gegrilltes Schwanenfleisch schmeckt? Nein? Dein Pech, gleich erfährst du's, denn ich kann jetzt eine Karte auf dem Spielfeld zerstören!“ Unter einem Aufschrei schoss ihr neuestes Assmonster die Entladung ab. Kali aber kicherte nur finster. „Nett, aber mehr auch nicht. Ich kontere mit [Celestial Gear – Synthetic Armored Swans] zweitem Effekt! Im Austausch für 1000 seiner Angriffspunkte annulliert er einen Monstereffekt!“ Der Schwan öffnete im Angesicht des nahenden Blitzes seinen Schnabel und stieß ein ekelhaft klingendes Fauchen aus, das die Entladung kurzerhand zum Verschwinden brachte.   Celestial Gear – Synthetic Armored Swan [ATK/2900 → 1900 DEF/2800 (8)]   „Willst du mich verarschen!?“ Anya zog die Stirn kraus und betrachtete nun endlich ihre Karte, schüttelte dann aber den Kopf. „Fein, wenn du es so haben willst, dann mach ruhig weiter! Ich habe noch was für dich!“ Entschlossen richtete sie ihren Arm in die Höhe. „Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum!“ Über ihr öffnete sich das von dutzenden Lichtellipsen umgebene Pendelportal, aus dem ein einzelner, roter Lichtstrahl schoss. „Pendulum Summon! Aus meinem Extradeck [Gem-Knight Pyrite]!“ Jener gewann vor ihr an Form – ein weißer Ritter mit silbrigen, würfelförmigen Schulterplatten, an dessen Armen je eine Hälfte eines massiven Rundschilds befestigt war.   Gem-Knight Pyrite [ATK/0 DEF/2800 (6) PSC: <8/8>]   „Und jetzt sieh her, was dieses neue Monster so Tolles kann! Ich aktiviere Lady Brilliant Diamonds Effekt und benutze Pyrite als einziges Fusionsmaterial, um einen Gem-Knight von meinem Extradeck zu beschwören!“ Anya streckte den Arm nach vorn. „Contradiction Fusion!“ Hinter dem Mädchen öffnete sich ein Edelsteinwirbel, welcher den weißen Ritter in sich hinein zog. Doch nur ein Fauchen des Schwans reichte, um ihn wieder aufzulösen, bevor etwas Neues daraus entstehen konnte. „Als ob ich dich lassen würde! Effekt von [Celestial Gear – Synthetic Armored Swans]! Für 1000 seiner Angriffspunkte annulliert er deine Contradiction Fusion, da es ein Monstereffekt ist!“   Celestial Gear – Synthetic Armored Swan [ATK/1900 → 900 DEF/2800 (8)]   „Yeah, aber nochmal geht das nicht. Und ziemlich schwach ist er jetzt auch.“ Ein breites Grinsen bildete sich auf Anyas Lippen. „Praktisch prädestiniert dafür, von Lady Brilliant Diamond verkloppt zu werden.“ Kali schnaubte. „Was redest du da, dein Monster hat nicht einen einzigen Angriffspunkt?“ „Noch nicht. [Brilliant Fusions] negativer Effekt kann zeitweilig aufgehoben werden, wenn ich einen Zauber abwerfe.“ Keck grinsend zeigte Anya ihr Markenzeichen, die [Gem-Knight Fusion]-Zauberkarte, und ließ sie auf den Friedhof verschwinden. „Du bettelst doch regelrecht danach …“ Die Brillanten an der Rüstung ihrer Kriegerin begannen gleißendes Licht auszustrahlen. Kali schnaubte, verzichtete jedoch inzwischen auf andere Reaktionen.   Gem-Knight Lady Brilliant Diamond [ATK/0 → 3400 DEF/2000 (10)]   „Das sollte reichen! Na, noch 'nen klugen Spruch auf Lager?“ Anya wartete die Antwort gar nicht erst ab, sondern streckte die Hand mit gespreizten Fingern nach vorn. „Nein? Sehr gut, dann friss kalten Strahl! Los, Lady Brilliant Diamond! Brilliant Fate Severing! Hol' mir den Sieg!“ Ihre Kriegerin stürmte los. Statt zu laufen, schwebte sie wie ein Pfeil über das Spielfeld und holte mit ihrer Klinge weit aus. Die dunklen Wolken verzogen sich in diesem Moment vom Mond, sodass dessen Licht sie regelrecht glühen ließ. Kali schnalzte mit der Zunge. „Du willst in dein Verderben rennen? Gerne doch! Falle aktivieren, [Xyz Tuning]!“ Jene klappte vor ihr auf, zeigte einen weißen Engelskrieger, der von der unteren Hälfte nur noch aus einem grünen Gerüst bestand, welches die auffälligsten Merkmale seines Körpers skizzierte. „Diese Karte lässt mich ein Xyz-Monster von meinem Friedhof verbannen“, erklärte Kali und zeigte dabei [Celestial Gear – Synthetic Armored Dove] vor, „um einen Empfänger von meinem Deck zu rufen, dessen Stufe sich mit dem Rang des Xyz-Monsters deckt! Ich beschwöre also [Celestial Gear – Synthetic Owl]!“ Ein grünes Portal öffnete sich neben dem riesigen Mechaschwan. Aus diesem drang eine vergleichbar große Metalleule, deren offener Bauch von einem brauen Kraftfeld abgeschirmt war.   Celestial Gear – Synthetic Owl [ATK/1000 DEF/1100 (4)]   „Und was soll das jetzt? Ich greife trotzdem weiter an!“ „Das sollst du auch!“, erwiderte Kali auf Anyas trotzigen Ausruf berechnend. „Aber nicht einen von den beiden. Denn [Xyz Tuning] lässt mich den beschworenen Empfänger sofort einstimmen auf eines meiner anderen Monster! Sieh her!“ Ihre Stahleule zersprang in vier grüne Ringe, die in einer Reihe nach oben stiegen, über den Schwan hinweg. Welcher ihnen umgehend folgte. Dabei zitierte Kali: „Stufe 4 auf Stufe 8! Black light opens the gate to the nevermore! Reveal your eyes to the world!“ Der riesige Vogel verwandelte sich in insgesamt acht grüne Lichtkugeln, die die Ringe passierten. Ein greller Lichtblitz schoss durch jene. „Synchro Summon! Control, [Celestial Gear – Synthetic Armored Raven]!“ Rote Augen, die aufblitzten und die Dunkelheit durchdrangen. Anya gefror das Blut in den Adern beim Anblick des pechschwarzen Metallvogels, welcher sich dahingehend schon von den anderen unterschied. Der riesige Rabe jedoch wies auch keinerlei Öffnung auf, die durch Kraftfelder abgeschirmt waren, seine Panzerung war perfekt. Mit langsamen Schlägen seiner Schwingen ging er in den Sinkflug über, bis er kurz über Kali anhielt.   Celestial Gear – Synthetic Armored Raven [ATK/3500 DEF/3000 (12)]   „Ein Level 12-Synchro!?“, staunte Anya nicht schlecht, die einem solchen noch nie gegenüber gestanden hatte. „Shit ist der stark! Replay! Angriff abbrechen, Lady Brilliant Diamond!“ Der pechschwarze Vogel ließ seine roten Augen noch einmal aufblitzen. Und statt ihrer Aufforderung zu folgen, hob die elegante Kriegerin die Luft ab, die Klinge im Flug hinter sich führend. Die Blonde verstand die Welt nicht mehr. „Huh!? Ich sagte aufhören!“ „Da kannst du reden wie ein Wasserfall.“ Kali machte eine demonstrative Geste mit ihrer Hand, die dem Mechavogel über ihr galt. „Raven zwingt alle Monster dazu, ihn anzugreifen. Aus dieser Nummer kommst du nicht mehr raus.“ Voller Schrecken sah Anya dem drohenden Unheil entgegen. Doch ihre Panik verwandelte sich umgehend in Tatendrang, denn noch war diese Schlacht nicht geschlagen. So schwang sie energisch den Arm aus. „Ach ja, meinst du? Dann hast du die Rechnung ohne [Gem-Knight Jasper] in meiner Pendelzone gemacht! Fusion Divider!“ Der rote Ritter in der linken Lichtsäule neben Anya erhob seine Hellebarde und ließ sie in die Leere niedersausen. Mit verheerendem Effekt. Kurz bevor Lady Brilliant Diamond auf den Raben traf, welcher schon den Schnabel geöffnet hatte, zersprang sie in tausend Teile. Jene Partikel zischten in wahnwitziger Geschwindigkeit zurück zu Anya und materialisierten sich vor ihr zu drei niederknienden Rittern: Dem Flammenjongleur [Gem-Knight Garnet] in bronzener Rüstung, dem blau-grünen Stabschwinger Malachite und den mit einer Peitsche bewaffneten, dank seiner Helmform leicht animalisch wirkenden Ritter Tiger's Eye.   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)] Gem-Knight Malachite [ATK/1000 DEF/1900 (4) PSC: <2/2>] Gem-Knight Tiger's Eye [ATK/1600 DEF/1600 (4) PSC: <2/2>]   „Du hast die Fusion rückgängig gemacht“, erkannte Kali missmutig, „wie oft willst du deinen Kopf eigentlich noch aus der Schlinge ziehen?“ „Solange bis deiner drin steckt!“, giftete Anya und verschränkte die Arme „Yeah, ich musste Lady Brilliant Diamond opfern, um Monster vom Friedhof zu beschwören, die ihr als Fusionsmaterialien dienen. Aber hey, im Verteidigungsmodus können die wenigstens nicht angreifen.“ Ihre Gegnerin ballte eine Faust. „Kch!“   Jetzt wäre der ideale Zeitpunkt für eine Xyz-Beschwörung! Ruf' mich und wenn sie mich nächste Runde zerstört, inkarnierst du mich!   Anya fasste sich an die Stirn und überlegte einen Moment. Kein schlechter Plan. „Nope.“ Warum!?   „Schon vergessen? Sie steht auch auf der Liste. Also ist inkarnieren tabu. Außerdem könntest du dabei verletzt werden und ich brauch dich in Top Form.“   Ist das dein Ernst, Anya Bauer? Das ist nicht der Zeitpunkt dafür, deine 'Pitchest Black'-Liste abzuarbeiten! Für genau diese Art von Duellen benötigst du mich in Top Form!   „Yeah, yeah, was auch immer“, winkte die Blonde demonstrativ desinteressiert ab, „Zug beendet.“   „Hätte ich mir ja denken können“, zischte Kali hasserfüllt und zog schwungvoll von ihrer roten V-Duel Disk auf. „Aber eins verspreche ich dir: Du wirst es bereuen, Levrier nicht beschworen zu haben!“ Sie rammte ihre neue Karte förmlich in den entsprechenden Kartenslot. „Ich aktiviere [Gear Overlay Polymerization]! Damit kann ich Monster von meinem Friedhof verbannen, um eine Celestial Gear-Fusion durchzuführen! Albatross, Owl, Eagle! Verschmelzt zu einer Einheit!“ Neben ihrem pechschwarzen Mecharaben öffnete sich ein grauer Vortex, in den drei weiße Lichtstrahlen gezogen wurden. Sah man genau hin, konnte man als Zentrum ein Zahnrad erkennen, durch dessen Loch die Essenzen ihrer Monster absorbiert wurden. Kali richtete den Arm nach oben. „Fusion Summon! Reiß' alles an dich, [Celestial Gear – Synthetic Armored Vulture]!“ Ein langer Körper schob sich aus dem Wirbel. Anthrazitfarbend und damit etwas heller als der Rabe neben ihm, dafür aber auch wesentlich massiger. Der metallische Geier spreizte seine weiten Schwingen und reckte den gebogenen Hals zurecht, um Anya aus roten Augen anzufunkeln.   Celestial Gear – Synthetic Armored Vulture [ATK/2700 DEF/2700 (8)]   Die sparte sich inzwischen ihre Kommentare. Egal wie viele dieser blöden Federviecher sie auch vernichtete, Kali gelang es durch diverse Beschwörungsmethoden immer wieder, neue aufs Feld zu bringen. Eins musste Anya ihrer Feindin lassen, sie war vom Niveau her nicht weit von Isfanel entfernt. Doch … „… den hab ich längst überholt.“ „Hast du irgendetwas gesagt? Nein?“, kopierte Kali die Masche ihrer Gegnerin. „Dann tu mir den Gefallen und bleib auch still! Vulture, greife ihre Monster an! Los!“ Sogleich erglühte der Metallgeier in weißem Licht.   Celestial Gear – Synthetic Armored Vulture [ATK/2700 → 3200 DEF/2700 → 3200 (8)]   Anya glaubte sich verhört zu haben? Hatte sie gerade im Plural gesprochen!? Die Antwort kam vom Vogelvieh selbst, welches seine gespreizten Schwingen nach vorne ausschlug und einen Hagel an finsteren Lichtblitzen auf Anyas Spielfeldseite losließ. Überall um sie herum schlugen jene ein, zerfetzten erst Garnet, dann Malachite und schließlich Tiger's Eye. Über der Blonden öffnete sich das Pendelportal und zog letztere beide als rote Lichtstrahlen in sich auf. Doch Anya beachtete dies kaum im finsteren Blitzgewitter. „Was zur Hölle!?“ „Ganz recht, Vulture kann sämtliche deiner Monster auf einmal angreifen. Und jetzt kommt das große Finale: Direkter Angriff, [Celestial Gear – Synthetic Armored Raven]! Lösche ihre Lebenspunkte mit einem Schlag aus! Los!“ Die roten Augen des Raben blitzten auf und feuerten kurzerhand gewaltige Laserstrahlen auf das erschrockene Mädchen zurück. „Nix da!“, gewann die schnell genug die Fassung wieder. „Schon vergessen, [Gem-Tiger] kann einmal pro Zug einen Angriff stoppen, indem ich einen Gem-Knight von meinem Friedhof verbanne!“ In der Hand hielt sie dabei [Gem-Knight Garnet], der bei den anderen aus dem Spiel entfernten Karten in ihrer Hosentasche landete. Der weiße Tiger in der rechten Lichtsäule brüllte bedrohlich und sendete damit eine Schockwelle aus, die auf die Laserstrahlen traf – und durch sie hindurch glitt. „Was!?“, stieß Anya noch erschrocken hervor, dann wurde sie auch schon getroffen. Die Explosion war so stark, dass sie das schreiende Mädchen wie eine Puppe durch die Luft schleuderte. Jene sah den wolkenverhangenen Himmel, dann prallte sie hart auf das nächstgelegene Spielfeld des Stadions auf. Die Luft wich aus ihren Lungen, raubte ihr die Fähigkeit zu atmen. Anya hustete unkontrolliert und rollte sich auf die Seite. Ihre Jeans waren zerfetzt, voller Blut, das aus tiefen Wunden an ihren Beinen sickerte, wie sie aus den Augenwinkeln bemerkte. Womit auch der Schmerz eintrat. „Argh!“   [Anya: 3700LP → 1700LP / Kali: 400LP]   Wie sie nach Luft schnappte, streckte Anya die zitternde Hand nach dem linken Bein aus. Es wollte sich nicht rühren. Sie konnte es nicht bewegen! Und das rechte auch nicht! „Überrascht?“, fragte Kali höhnisch beim Anblick ihrer aufgelösten Gegnerin. Die sah mit geweiteten Augen zu ihr auf. „Nun, du hast den Angriff zwar abgewehrt, das stimmt schon. Aber damit gleichzeitig auch Ravens Effekt ausgelöst“, erklärte die selbsternannte Dämonengöttin hinter ihrer weißen Porzellanmaske süffisant, „weil du einen Karteneffekt in meinem Zug aktiviert hast. Raven mobilisiert dann die Kräfte aller Celestial Gear-Monster auf meinem Feld und fügt dir Schaden zu, der im hundertfachen Verhältnis der Stufen und Ränge jener Monster steht.“ Anya rechnete im Kopf nach. Stufe 8 und Stufe 12, das waren 20 mal 100, also ganze 2000 Punkte an Schaden. Angewidert presste sie hervor: „Du elende Schlange!“ „Sauer, weil du endlich bekommst, was du verdient hast?“ Kali rümpfte die Nase. „Tut sicher weh. Aber tröste dich, deine Beine brauchst du sowieso nicht mehr. Also bleib einfach liegen.“ Stöhnend legte das blonde Mädchen ihre Hand auf das Bein und schloss die Augen. Sie spürte den Schmerz, oh Gott, den konnte man gar nicht ignorieren. Aber sie konnte sie einfach nicht bewegen. „Komm schon“, würgte Anya förmlich hervor. Das konnte doch nicht sein. „Los.“ Aber nichts. Die Oberschenkel konnte sie frei bewegen. Aber alles darunter war schlapp, leblos. „Eine wie du braucht keine Beine“, hörte sie im Hintergrund Kali sagen. Bittere Tränen der Wut traten aus den Augen der Blonden. Welche sie feindseliger denn je aufriss und schwor: „Bete, dass ich das nicht überlebe, denn wenn doch, werde ich dir so viel mehr brechen, als nur ein paar Knochen!“ „Mein Herz zum Beispiel? Na dann, Glückwunsch, Dumpfbacke.“ Kali griff nach ihrer Maske, ließ jedoch wieder von ihr ab. „… nein. Die Belohnung gibt’s erst ganz zum Schluss. Deine letzte Erinnerung auf dieser Welt soll die meines Gesichts sein.“     Turn 84 – This Asylum Where I Sleep Was heute nicht geschieht, ist morgen nicht getan, Und keinen Tag soll man verpassen. Das Mögliche soll der Entschluß Beherzt sogleich beim Schopfe fassen. ~ Johann Wolfgang von Goethe Kapitel 89: Turn 84 - This Asylum Where I Sleep ----------------------------------------------- Turn 84 – This Asylum Where I Sleep     Anyas Schmerzensschreie hallten durch das riesige, leere Ephemeria Bridge Stadion. Das Mädchen saß auf dem Hosenboden und hielt ihren blutenden Unterschenkel. „Denkst du, dass ich mich von deinem dämlichen Gehabe beeindrucken lasse?“, keifte sie. Sie legte eine Hand auf den Boden des Spielfelds #39 auf, welches sie benutzten. Vorsichtig zog sie das taube Bein an. „Du willst mir erst sagen, wer du bist, wenn ich schon am Abnippeln bin?“ Nur mit zusammengebissenen Zähnen gelang es ihr, in eine hockende Position zu kommen. Der Schweiß auf ihrer schneeweißen Stirn rann ihr bis an die Wangen hinunter, als das Mädchen wie eine Sprinterin hockte und sich langsam erhob. „Ehrlich, wenn das so ist, kommen wir nie zu Potte!“ Auf wackeligen Beinen stand sie und grinste die maskierte Kuttenträgerin an. „Also streng deinen Grips ein wenig an und denk dir was Besseres aus. Denn ich verliere- Urgh!“' Sie knickte förmlich weg und schlug hart auf der Seite auf. Kali verfiel in eine regelrecht hysterische, bösartige Lache. „Nanu, ist deine große Rede vom schwachen Fleisch unterbrochen worden?“ Anya hielt sich den Schenkel und stöhnte. „Wie demütigend das sein muss, seinem Gegner nicht gegenüberstehen zu können. Für dich ganz besonders, das weiß ich. Du willst dich niemandem unterordnen, vor niemandem knien. Aber ich habe dich zu Fall gebracht.“ Kali verschränkte selbstherrlich die Arme. „Du wirst in deinem nur noch sehr kurzen Leben nie wieder aufrecht stehen. Deine letzten Atemzüge wirst du kauernd am Boden nehmen, da, wo ein Wurm wie du hingehört!“ „Kch. Jetzt schnappst du völlig über, dämliche Pissnelke. Beende lieber deinen Zug.“ Anya musste vor Schmerz die Augen zukneifen. „Mach schon!“ Ihr war schwindelig. Doch es waren nicht nur die Schmerzen, die ihr zu schaffen machten. Seit dem Angriff fühlte sie sich derart erschöpft, dass sie sich nur mit Mühe konzentrieren konnte. Das konnte doch nicht nur an dem Treffer an sich liegen. Irgendetwas hatte diese blöde Kuh mit ihr angestellt!   Kali sah nach oben zu ihren beiden schwarzen, gepanzerten Metallvögeln. Der linke war ein schlanker Rabe, sein Partner dagegen ein großer, stattlicher Geier.   Celestial Gear – Synthetic Armored Raven [ATK/3500 DEF/3000 (12)] Celestial Gear – Synthetic Armored Vulture [ATK/2700 DEF/2700 (8)]   Weder sie noch Anya besaßen Karten auf der Hand, die Blonde dafür noch zwei Monster in den beiden hellblauen Lichtsäulen, die sich auf einiger Entfernung neben ihr befanden. In jenem befanden sich ein roter Krieger, der eine lange Hellebarde mit sich führte und ein weißer Tiger, dessen Rücken mit einer bis zum Schwanz reichenden Reihe aus Diamanten bespickt war – [Gem-Knight Jasper] und [Gem-Tiger].   <2> Anyas Pendelbereich <8>   „Nun, da du so nett gefragt hast, werde ich meinen Zug für dich beenden. Was willst du auch noch großartig erreichen? Levrier mit deinen Pendelmonstern beschwören? Wenn du ihn in meinem Zug inkarnierst, wird Raven dich sofort mit seinem Effekt bis zum Mond jagen.“ Kali kicherte. „Was lästig wäre, denn dann könnte ich die Maske nicht mehr vor deinen Augen fallen lassen. Also denk dir etwas Besseres aus. Oder lass es gleich ganz.“   Anya schluckte. Das Miststück hatte Recht. Wenn sie in Kalis Zug einen Karteneffekt aktivierte, würde dieses beschissene Vogelvieh sofort Schaden rausdrücken, für jeden Stufenstern all ihrer Celestial Gears 100. Was nach momentanem Stand tödlich wäre.   [Anya: 1700LP / Kali: 400LP]   Mit der Pendelbeschwörung konnte sie Pyrite, Malachite und Tiger's Eye beschwören. Auf ihrem Friedhof lag noch [Gem-Knight Fusion]. Damit könnte sie Master Diamond rufen, doch der wäre nicht stark genug, um ausreichend Schaden für einen Sieg auszuteilen. Auch ihre anderen potentiellen Fusionsmonster waren zu schwach, um etwas zu reißen. „Crap!“, fluchte Anya und schlug mit der Faust auf das Parkett. Alles hing also von der Karte ab, die sie jetzt ziehen würde. Anya Bauer, noch können wir es wenden! Nutze meine Kraft und füge dem Schicksal einen neuen Pfad hinzu.   Levriers Stimme in ihrem Kopf ließ das Mädchen aufhorchen. Aber sie schüttelte den Kopf. „Ne. Wenn ich nicht mal die ohne Hilfe besiegen kann-“ Hör auf, ständig die Hilfe anderer abzulehnen! Deine Situation erlaubt es dir nicht, noch weiter wählerisch zu sein! Ohne Hilfe wärst du heute gar nicht hier!   Erschrocken presste sich Anya die blutbeschmierten Hände gegen die Ohren. „Geez, schrei' doch nicht so!“ „Wie erbärmlich. Die große Anya Bauer muss sich auf die Kraft eines verkrüppelten Immateriellen verlassen.“ Kali zuckte mit den Schultern. „Nur zu. Untermauere deine Schwäche ruhig noch ein wenig.“ Anya weitete die Augen und griff nach ihrem Deck. „Pah! Mit dir werde ich auch so fertig!“   Lass dich nicht provozieren!   Doch es war schon zu spät. Anya riss in ihrer halb liegenden Position eine Karte von ihrem Deck, ohne noch einmal darüber nachzudenken, Levriers Kräfte zu nutzen. Als sie ihre neue Karte sah, weiteten sich ihre Augen. Dann zeigte sie sie vor. „Na geht doch, ich aktiviere [Gem-Trade]! Damit verbanne ich ein Gem-Knight-Fusionsmonster von meinem Friedhof und ziehe für jede drei Sterne, die es besitzt, eine Karte.“ Vor ihr stieg ein strahlender Brillant in die Höhe, da sie [Gem-Knight Lady Brilliant Diamond] gewählt hatte, und zerbarst in drei Teile. „Stufe 10 bedeutet dreimal ziehen. Aber auch dreimal hintereinander das normale Ziehen auszusetzen.“ Anya bezweifelte jedoch, dass es noch eine weitere Runde für sie geben würde. Mit dem Fingernagel ihres Daumens fuhr sie über ihr Deck, bis genau drei Karten auf diesem auflagen. Das ist die perfekte Gelegen-   Stur wie Anya jedoch war, würde dieses Duell genau über den Pfad verlaufen, der von Anfang an vorherbestimmt war. Sie zog drei Karten und fächerte sie vor sich auf. Nur um bei ihrem Anblick zu erschrecken. Denn es waren die Falle [Gem-Enhancement] sowie die beiden Zauberkarten [Pendulum Fusion] und [Mystical Space Typhoon]. Nutzlos … „Du hättest vielleicht doch besser auf Levrier hören sollen“, höhnte Kali, als Anya wie gelähmt aufsah. „Deine typische Selbstüberschätzung wird dich das Leben kosten. Versprochen.“   ~-~-~   Die gezackte, leuchtende Klinge in Claires Hand ragte aus Exas Rücken, welcher mit geöffnetem Mund in Zanthes Richtung blickte. Jener war starr vor Schreck und nahm gar nicht mehr wahr, dass sein weißer Krieger den riesigen, schwarzen Stier angriff.   Murciélago The Thunderblade Bull [ATK/4000 DEF/0 (9)] Constellar Hyades [ATK/2500 DEF/1100 {3} OLU: 1]   Wie ein Komet schlug dieser in das am Boden liegende Wesen ein, das so massig war, dass Nigel es in dieser Lage gerade einmal mit dem Kopf überragte. Doch auch wenn der rothaarige, bärtige Manager der Weltmeisterin genauso erschrocken von den Geschehnissen war, bekam er sehr wohl mit, was in dem Duell geschah und wirbelte herum. In dem Moment explodierte Murciélago in einem heftigen Knall. Aus der Rauchwolken kamen nacheinander die zwölf Symbole der Tierkreiszeichen geschossen und begannen sich in einem Kreis um den Mann zu drehen. „Ah!“ Jener wich einen Schritt zurück, Richtung seines weißen Hauses. In ihrer Drehung rissen die glühend goldenen Zeichen die Realität regelrecht auseinander und erzeugten die Illusion, als befände sich Nigel im Weltall. „Exa!“, schrie Zanthe aufgelöst und begann in dessen Richtung zu rennen. Gleichzeitig lösten sich die Sterne aus dem All um Nigel und schossen von allen Seiten auf diesen zu, welcher erschrocken begriff. „Durchschlagschaden? Ah! Urano Metria!“ Kreuz und quer, von oben und unten wurde er bombardiert. Und dann sah er ihn auf sich zukommen, den weißen Krieger, welcher einen flammenden Schweif hinter sich her zog und mit gezückten, rot leuchtenden Klingen bereit zum letzten Schlag war. Über Kreuz verpasste er dem Mann einen Hieb, welcher diesen zurückwarf. „Doppelter Kampfschaden durch [Stoic Challenge]“, fügte jener das Puzzle im Fallen zusammen, verfolgte mit seinem Blick Zanthe, der seinen Freund fast erreicht hatte. „Brillant.“ Dann schlug er mit dem Rücken hart vor seiner eigenen Haustür auf.   [Zanthe: 300LP / Nigel: 3300LP → 0LP]   Hyades' Hologramm vor ihm verschwand in dem Moment, als Zanthe Claire und Exa erreicht hatte. Instinktiv machte der Werwolf mit seiner Hand eine wischende Bewegung, die die Klinge in der Hand der Blonden verschwinden und in einem grellen Lichtbogen in den Himmel aufsteigen ließ, welcher Richtung Ephemeria City davon zischte. Zanthe fackelte nicht lange und verpasste der jungen Frau einen Handkantenschlag gegen den Hals, welcher sie bewusstlos zusammenbrechen ließ. Exa legte die Hand auf sein kariertes Hemd und torkelte rückwärts, fiel und wurde gerade so von Zanthe aufgefangen. „Hey! Hey!“ Unbeholfen hielt der seinen Freund fest, welcher immer weiter hinab sank, bis er sanft auf den Boden gelegt werden musste. „Du darfst nicht sterben“, bat Zanthe den Tränen nah. „Bitte!“ Doch ihm fiel etwas auf. Dort, wo sein Freund die Hände aufgelegt hatte, sickerte kein Blut heraus. Unsicher, was er davon halten sollte, berührte er die Finger Exas und schob sie mit sanfter Gewalt weg, nur um das Loch in seinem Hemd zu sehen. Tatsächlich, kein Blut. „Was …?“ „Zanthe“, brachte Exa schwach hervor, „nicht.“ Doch entgegen der Bitte riss der Kopftuchträger das Hemd auf und sah mit geweiteten Augen den Grund dafür, dass kein Blut geflossen war. Denn dort, wo das Herz seines Freundes schlagen sollte, war durch einen winzigen Spalt eine Pumpe zu sehen, mit einem tiefen Riss in dem Gummiballon darüber. „Exa, du, du bist“, stammelte er und strich mit dem Finger über seine Haut. Dort, wo das Schwert ihn durchbohrt hatte, war sie abgepellt und gab eine dünne Metallschicht preis. „Keine Maschine“, unterbrach sein Freund ihn. „Ich bin aus Fleisch und Blut. Zumindest größtenteils.“ Zanthe sah ihn verwirrt an. „Aber dein Herz … wo ist es!?“ „Fort. Schon lange. Du weißt doch, meine Welt war von Natur aus ein gefährlicher Ort. Da kommt es schon mal vor, dass man das ein oder andere wichtige Körperteil einbüßt.“ Er lachte bitter auf.   Inzwischen gesellte sich auch Nigel zu den beiden und bückte sich nach Claire, die hinter Zanthe bewusstlos am Boden lag. Sanft strich er über ihre Wange. „Verzeih' mir.“ „Verschwinde“, zischte Zanthe, ohne ihn anzusehen. „Du verjagst mich von meinem eigenen Grundstück?“ Der Rothaarige erhob sich wieder. „Ich müsste derjenige sein, der euch fortschickt. Doch das spielt keine Rolle mehr, du hast bekommen, was du so sehr begehrt hast. Ich hoffe, du bist jetzt glücklich.“ Nun sah der Werwolf zornig funkelnd über seine Schulter. „Sehe ich so aus!? Das ist deine Schuld!“ „Hmm. Dein Freund, er lebt, obwohl sein Herz durchbohrt wurde.“ Mit einem gewissen Interesse kniete sich Nigel neben Zanthe und fuhr mit der Hand über Exas Haut, was dieser mit einem äußerst feindseligen Eindruck über sich ergehen ließ. „Diese Haut ist echt und das, obwohl sie über einer Metallschicht liegt. Interessant. Eine ganze Reihe von Organen ist synthetischer Natur. Ihm zu helfen wird nicht leicht sein.“ „Tja, eure Ärzte können wohl kaum mein gebrochenes Herz behandeln“, erwiderte Exa scherzhaft, klang dabei aber ziemlich erbärmlich. Zanthe wusste nicht weiter. „Und was sollen wir tun? Wir können dich doch nicht sterben lassen!“ „Die Nebenpumpen können mich noch ein paar Minuten versorgen, aber das Loch muss irgendwie geschlossen werden.“ Der junge Mann mit den blonden Braids schluckte. „Ich habe nur keine Ahnung womit.“ „Einen Moment.“ Nigel sprang auf und schritt an ihnen vorbei um das Haus herum.   Verwirrt fragte Exa leise: „Will er uns jetzt etwa helfen …? Ich sag dir, der Typ ist seltsam.“ „Er ist ein Dämon.“ Zanthe seufzte und sah zu Claire herüber. Sein Herz pulsierte förmlich und er wünschte, dasselbe wäre auch bei seinem Freund der Fall. „Aber offenbar sieht er keinen Sinn mehr darin, uns zu bekämpfen.“ Irgendetwas knallte hinter dem Haus. „Was macht der da?“, wollte Exa wissen. „Verschwinde lieber …“ Und bekam von Zanthe ein Kopfschütteln als Antwort. Der betrachtete wieder das höchstens acht Zentimeter weite Loch in seiner Brust. Exa war also so etwas wie ein Cyborg? Aber bei näherer Betrachtung ergab es Sinn. Seine Welt war viel fortschrittlicher gewesen als die Erde. Auch wenn es am Ende nur noch wenige Menschen gab, wussten die sich zu helfen und ersetzten verlorene Organe und Gliedmaßen. „Wie hast du dein Herz verloren?“ „Ich wurde von einem Hybrid aufgespießt, der sich als Mensch getarnt hatte. Es war ein Knochen, den er aus seinem Handrücken abgefeuert hat. Abartig, sag ich dir.“ Exa verzog das Gesicht, lächelte dann aber glücklich. „Naja, normalerweise lasse ich mich von sowas nicht treffen. Aber wäre ich nicht dazwischen gegangen, wäre eine gute Freundin gestorben.“ Ein schwaches Lächeln bildete sich auf Zanthes Lippen. „Sieht dir ähnlich. Das wird dich nochmal umbringen.“   Gespannt sah der Schwarzhaarige auf, als Nigel zu ihnen zurückkehrte. In seiner Hand trug er das Rad eines Fahrrads. Der eigentliche Reifen war bereits entfernt worden, womit der Schlauch freigelegt war. „Dieses Material sollte ausreichen.“ „Simpel, aber gar nicht schlecht“, sprach Exa überrascht. „Aber wie sollen wir an die Pumpe rankommen?“ Zanthe sah seinen Freund nervös an, welcher die Augen schloss. „Ihr werdet mich aufschneiden müssen. Und das wird nicht einfach.“ „Vielleicht sollten wir dich doch zu einem Arzt bringen? Irgendwie werden wir den schon dazu bringen, dich-“ Nigel schüttelte den Kopf. „Dazu bleibt keine Zeit mehr. Der Zustand deines Freundes verschlechtert sich bereits. Wir müssen ihn reinschaffen und eine Operation durchführen. Meine Ehefrau ist Krankenschwester. Sie wird uns helfen.“ „Das kann nicht dein Ernst sein!“, schoss es aus Zanthe. „Wie willst du das anstellen!?“ Als hätte er ihn gar nicht gehört, beugte sich der Mann zu Exa und schob einen Arm unter dessen Schulter, um ihm aufzuhelfen. „Ich werde dich nicht betäuben können.“ „Damit kann ich leben.“ „Da deine Haut nicht synthetisch ist, wirst du große Schmerzen erleiden. Falls du das überhaupt überlebst.“ Der Rothaarige zog ihn förmlich aus Zanthes Armen, welcher mit weit aufgerissenen Augen beobachtete, wie der Dämon ihn Richtung Tür schleppte. „Ich habe schon Schlimmeres überstanden. Solange ihr nicht an meine echten Organe rangeht. Der künstliche Teil ist gut vom organischen abgetrennt, da kommen so schnell keine Bakterien durch.“ Mit offenem Mund raffte Zanthe sich auf. „Du, kümmere dich um Claire“, wies Nigel ihn mit einem Blick über die Schulter an. „Warum tust du das für uns?“, wollte der Werwolf hilflos wissen und näherte sich der bewusstlosen Blonden, griff unter ihre Schulter und hievte sie hoch. Sein Gegenüber sah ihn eindringlich an. „Ich tue es für sie. Für meine Hilfe erwarte ich eine entsprechende Gegenleistung.“   ~-~-~   „Was ist los? Hat es dir die Sprache endgültig verschlagen?“ Anya starrte Kali hasserfüllt an. Sie würde auf keinen Fall den Kopf senken, selbst wenn ihre Lage aussichtslos war. Alles was sie tun konnte, war, ihre Pendelmonster als Schutzschilde zu beschwören. Doch selbst das war sinnlos, da der Mechageier [Celestial Gear – Synthetic Armored Vulture] jedes ihrer Monster angreifen konnte und mit [Banished Power Gear] auf 3200 Angriffspunkte kam. Und weder Levrier noch ihre Fusionsmonster würden ihr etwas nutzen, denn sollte sie einen Karteneffekt in Kalis Zug aktivieren, würde deren pechschwarzer Maschinenrabe sie sofort mit seiner Fähigkeit umnieten. „Crap!“, fluchte Anya leise. Und brach in einem Anflug zorniger Verzweiflung in wütendes Geschrei aus. „Fuck, was ist dein Problem mit mir!? Ich bin vielen Leuten auf die Füße getreten, aber keinem so sehr, dass er einen Rachefeldzug startet!“ Kali schnalzte mit der Zunge. „Das wag' ich mal zu bezweifeln, aber du hast Recht, ich gehöre nicht zu deinen Klassenkameraden. Doch wir kennen uns trotzdem. Und das schon sehr lange.“ „Ach ja?“ Anya zeigte die Zähne. „Dann rück' endlich raus mit der Sprache! Bevor ich das wenige Interesse, das ich an dir habe, komplett verliere.“ „Langweiliger Spruch. Du weißt, was zu tun ist, wenn du die Wahrheit hören willst.“   Anya sah auf ihr rotes D-Pad. Natürlich, wenn sie den Zug beendete oder gleich aufgab, würde ihre verhasste Feindin endlich reden. Aber das war es nicht wert. Eine Anya Bauer gab nicht einfach so auf. Es musste etwas geben das sie tun konnte. „Fick dich!“, fauchte die Blonde garstig und streckte den Arm in die Höhe. „Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum!“ Zwischen dem roten Ritter und dem weißen Tiger in den Lichtsäulen neben ihr öffnete sich ein riesiges Portal, umgeben von zahlreichen Lichtellipsen. „Von meinem Extradeck: [Gem-Knight Pyrite], [Gem-Knight Malachite] und [Gem-Knight Tiger's Eye]! Pendulum Summon!“ Aus dem Riss schossen drei rote Lichtstrahlen, die vor der auf der Seite liegenden Anya einschlugen. In einer Reihe stellten sich vor ihr ein weißer Ritter mit würfelförmigen, silbrigen Schulterplatten, welcher die beiden riesigen Schildhälften aneinander legte, ein blau-grün schimmernder mit langer Stabwaffe in der Hand und letztlich ein gold-bronze gestreifter Ritter, der eine Kettenpeitsche schwang, auf.   Gem-Knight Pyrite [ATK/0 DEF/2800 (6) PSC: <8/8>] Gem-Knight Malachite [ATK/1000 DEF/1900 (4) PSC: <2/2>] Gem-Knight Tiger's Eye [ATK/1600 DEF/1600 (4) PSC: <2/2>]   Anya überlegte fieberhaft. Sie könnte auch nur Tiger's Eye mit einem der anderen beiden fusionieren, um mit dessen Effekt den schwarzen Metallgeier zu zerstören. Den dritten nutze sie dann, um [Angel Wing Dragon] zu rufen, welcher zumindest ein wenig Schutz bot. Nein, das ging ja nicht, da der seinen Effekt auch aktivierte, wenn er sich zum Ziel eines Angriffs machte. Und wenn sie stattdessen den rotäugigen Raben vernichtete, würde der Geier trotzdem all ihre Monster angreifen können. „Verdammte Scheiße!“, fluchte Anya lauthals. Egal was sie sich ausdachte, es scheiterte letztlich immer an einem kleinen Detail. Und wie sie bereits gesehen hatte, würden diese Mistviecher sowieso aufs Spielfeld zurückkehren, wenn sie zerstört wurden. Zwar nur bis zum Ende von Kalis nächstem Zug, was aber mehr als ausreichen würde, um sie komplett zu vernichten. „Hoffnungslosigkeit ist ätzend, nicht wahr?“, stichelte Kali ungehemmt weiter. „Hier wird dich niemand vermuten und retten kommen. Und ich habe auch nicht vor, deine Leiche hier rumliegen zu lassen. Wenn es überhaupt eine geben wird, bei dir weiß man das nicht so genau.“ Anya schnappte gallig zurück: „Zanthe weiß wo ich bin!“ „Und wie soll er dir helfen, wenn er so weit weg mit einem Hüter kämpft? Denkst du, der Zufall hat mich dazu gebracht, dich ausgerechnet heute Abend herauszufordern? Idiotin.“ Also wusste Kali, dass sie und Zanthe eigentlich ein paar Hüter einstampfen wollten!? Dieses Miststück! Sie musste sie beide beobachtet haben, oder was auch immer. „Was soll das überhaupt heißen, du weißt nicht, ob es eine Leiche von mir geben wird!?“ „Oh, jetzt kommen wir der Sache langsam näher. Du weißt wirklich gar nichts über dich, oder?“ Irgendwie gefiel Anya nicht, wie Kali das sagte. Wenn ihr nicht sowieso schon ganz flau im Magen wäre, dann spätestens jetzt. „Was ist mit mir? Hat es was mit dem zu tun, was der Sammler mir angetan hat!?“ „Nein. Das hat allein damit zu tun, wie du entst-“   Kali reckte schlagartig den Kopf in die Höhe. Im hohen Bogen rauschte ein greller Lichtstrahl über das Dach des Stadions, machte eine Kurve nach unten und schlug direkt in Anyas rotem D-Pad ein. Die stieß einen entsetzten Schrei aus und hielt schützend die andere Hand vors Gesicht, um nicht geblendet zu werden. „Was war das!?“ Es dauerte einen Augenblick bis Anya begriff. Sie sah auf den Bildschirm ihres D-Pads. Und als sie sich die Informationen dort durchgelesen hatte, kehrte ihr Kampfgeist zurück. „Pech für dich“, zischte sie bitterböse, „sieht so aus, als ob meine Freunde mir doch helfen.“ „Moment! Das ist die Hüterkarte von-!“ „Bingo!“ Anya biss die Zähne zusammen und stützte beide Hände auf dem Parkett ab. Als sie in die Hocke wechselte, schmerzten ihre Beine bereits so sehr, dass es ihr ein leises Stöhnen entlockte, aber sie nahm all ihre Kraft zusammen und erhob sich langsam. „Mich bringst du nicht so schnell zu Fall wie du denkst“, presste sie schweißnass hervor und stand, wenn auch gefährlich schwankend, auf beiden Beinen. „Soll ich dir was sagen? Mir ist eigentlich völlig egal, warum du dich an mir rächen willst. Wenn du meinst, meine Feindin spielen zu müssen, nur zu. Aber das ist bisher niemandem gut bekommen!“ Sie griff eine Karte aus ihrem Blatt und hielt sie entschlossen in die Höhe. „Ich aktiviere [Pendulum Fusion] und verschmelze Pyrite, Malachite und den Zauber [Mystical Space Typhoon] sowie die Falle [Gem-Enhancement] von meiner Hand!“ Als sich über Anya das Pendelportal öffnete und sich in diesem wiederum ein blau-orangener Wirbel auftat, der zuerst den weißen und grün-blauen Ritter, dann die beiden letzten Handkarten des Mädchens absorbierte, verlor Kali die Beherrschung. „Eine Fusion von Monster, Zauber und Falle!? Ist das dein Ernst!? Warum kannst du dich nicht endlich deinem Schicksal fügen!?“ „Weil ich das nie tun werde!“ Ein gewaltiger Blitz schlug vor dem Mädchen ein und hüllte ihr ganzes Spielfeld in Rauch. „Fusion Summon! Zerstöre, [Murciélago The Thunderblade Bull]!“ Klingenbesetzte Hufe setzten vor ihr auf das Parkett auf. Der riesige, pechschwarze Stier röhrte so laut er konnte. Sein zu Zöpfen geflochtenes Rückenfell wurde durch die Entladungen, die ihn ohne Unterbrechung umgaben, regelrecht angehoben. „Hell yeah!“, grinste Anya über beide Backen, als sie die elektrischen Klingen an seinem Kopf bemerkte, welche wie Hörner gebogen waren.   Murciélago The Thunderblade Bull [ATK/0 DEF/0 (9)]   Anya warf einen Blick auf ihr D-Pad, wo sie die lila umrandete Karte platziert hatte. Seit er hier war, fühlte sie sich viel stärker. Und der Schmerz in ihren Beinen schien wie weggeblasen. Was auch immer dieses Artefakt bewirkte, es war verdammt cool! „Zeig ihr, was du drauf hast! Greif' [Celestial Gear – Synthetic Armored Raven] an!“ „Ein Angriff?“, staunte Kali. „Das ist nicht gut.“ Der Stier schabte mit seinem linken Vorderlauf und zischte wie ein Blitz über das Spielfeld, sprang kurz vor Kali in die Luft und krachte in den stählernen Vogel. Blitze regneten dabei über das gesamte Spielfeld der Kuttenträgerin, die von jenen und der anschließenden Explosion mitgerissen wurde. „Argh!“ Noch ein Blitz zischte vom Himmel und schlug in den Geier ein, welcher ebenfalls lautstark in die Luft ging. „Das ist doch was!“ Anya verschränkte zufrieden die Arme. „Tja, nach einem Kampf kann Murciélago bis zu zwei deiner Karten zerstören, ohne dabei selbst einen Kratzer abzubekommen. Und er bekommt dann für jede noch 1000 Angriffspunkte.“ Ein Lichtblitz vor ihr brachte den riesigen Bullen zurück, um den tosende Blitze schlugen.   Murciélago The Thunderblade Bull [ATK/0 → 2000 DEF/0 (9)]   „Wirklich? Du denkst, das reicht aus?“ Kalis Stimme drang selbstbewusst durch den Qualm auf ihrem Spielfeld. Welcher sich mit einer Handbewegung ihrerseits effektvoll verzog. Anstatt von den Trümmern ihrer Monster begraben zu werden, verharrten die Zahnräder und andere Reststücke um sie herum starr in der Luft. „Effekt von [Celestial Gear – Synthetic Armored Vulture]! Er bringt bis zum Ende meines nächsten Zuges alle Synthetic Armored-Monster, die ich gespielt habe, zurück aufs Feld!“ Anya weitete erschrocken die Augen, als sich die Zahnräder von Kali wegbewegten und in fünf Gruppen aufteilten. Ein Trümmerhaufen nach dem anderen setzte sich zu einem eindrucksvollen Vogel zusammen. Es waren der etwas kleinere Fink, die vollschlanke Taube, der elegante Schwan, der Rabe und zuletzt der Geier selbst. Wie eine eiserne Mauer flogen die fünf Monster über Kali.   Celestial Gear – Synthetic Armored Finch [ATK/2000 DEF/0 (4)] Celestial Gear – Synthetic Armored Dove [ATK/500 DEF/2500 {4}] Celestial Gear – Synthetic Armored Swan [ATK/2900 DEF/2800 (8)] Celestial Gear – Synthetic Armored Raven [ATK/3500 DEF/3000 (12)] Celestial Gear – Synthetic Armored Vulture [ATK/2700 DEF/2700 (8)]   Im Antlitz dieser unaufhaltsamen Monsterarmee sank Anya fassungslos in die Knie und ließ den Kopf hängen. „… Zug beendet.“   Kali, die wortlos aufzog und die neue Karte nicht betrachtete, bemerkte gar nicht, dass ihre verhasste Widersacherin in ihrer resignierenden Haltung tatsächlich grinste. „Selbst dein neues Monster kann nichts mehr ausrichten. Ich werde mir ein für alle Mal nehmen, was mir zusteht! Dein Leben!“ Kali streckte die Hand nach vorne und schrie: „Los meine Monster, greift an!“ Mit Ausnahme der Mechataube begannen die Riesenvögel in weißer Aura aufzuleuchten.   Celestial Gear – Synthetic Armored Finch [ATK/2000 → 2500 DEF/0 → 500 (4)] Celestial Gear – Synthetic Armored Swan [ATK/2900 → 3400 DEF/2800 → 3300 (8)] Celestial Gear – Synthetic Armored Raven [ATK/3500 → 4000 DEF/3000 → 3500 (12)] Celestial Gear – Synthetic Armored Vulture [ATK/2700 → 3200 DEF/2700 → 3200 (8)]   „Selbst wenn dein Murciélago noch über einen Effekt verfügen sollte, würde dich dieser zerreißen, da [Celestial Gear – Synthetic Armored Raven] dir insgesamt 3600 Schadenspunkte zufügen kann!“ Einem Pfeil gleich schoss zunächst der Fink auf den schwarzen Stier zu und krachte in ihn hinein, was eine mächtige Explosion auslöste. Gleich darauf öffnete der Schwan seinen Schnabel und feuerte eine weiße Lichtflamme in die Rauchwolke, was noch eine Explosion auslöste. Anyas Schreie waren daraus zu vernehmen. „Weiter!“, befahl Kali ungehalten. Die roten Augen des Raben blitzten auf und feuerten zwei mächtige Laserstrahlen ab, die die Blonde beim Treffer gequält aufheulen ließen. Zuletzt spreizte der schwarze Mechageier seine Schwingen und schleuderte daraus dutzende Lichtblitze mit der Gestalt von Federn in die Rauchwolke, wodurch mehrere kleine Detonationen durch das Stadion hallten. Anyas Schreie waren verklungen. „Ich hoffe, sie ist nicht vorzeitig gest-“, murmelte Kali vor sich hin, fasste sich dann aber plötzlich an die Stirn. Ihre Iriden hinter der weißen Porzellanmaske begannen unvermittelt in einem grellen, unnatürlichen Blau aufzuleuchten. „W-was ist das!? Wie-wieso-!? Ah!“ Die Kuttenträgerin sank in die Knie. Gleichzeitig verzog sich die dichte Rauchwolke um Anya, die gelangweilt eine der langen Strähnen ihres Ponys um den Finger wickelte. Vor ihr der schwarze Stier, völlig unversehrt. „Endlich fertig? Hast du meine Show genossen?“ „D-du! Ich habe es gesehen … du wirst …“, keuchte Kali beim Anblick ihrer Gegnerin. Welche sich wunderte, warum gar keine Fragen gestellt wurden. Verdammt, sie sollte jetzt fast einen Herzinfarkt kriegen, keine Kopfschmerzen! Anya nahm wankend ein paar Schritte vorwärts, gesellte sich neben ihr neues Monster, welches sie kumpelhaft tätschelte. „Na schön, wenn du nichts sagst, dann mach ich's. Murciélago ist während der Battle Phase unzerstörbar und wehrt auch jeden Kampfschaden für mich ab. Da das ein permanenter Effekt ist-“ „-musste ich ihn nicht extra aktivieren, was heißt, dass dein dämlicher Rabe mir keinen Schaden zufügen kann. Dumm gelaufen.“ Anya gefror das Blut in den Adern. Exakt diesen Wortlaut wollte sie verwenden! Woher wusste diese dämliche Schnepfe das, noch bevor sie den Satz beendet hatte!? „Ich weiß. Ich habe es gesehen. Nur leider zu spät.“ Kali lachte bitter auf. „Also -das- habe ich von diesem Ding bekommen. Lächerlich. Wie soll mir -das- jetzt noch helfen? Zug beendet. Frag einfach nicht.“ Entgegen ihrer Aufforderung, als ein Vogel nach dem anderen in weißes Licht aufging und verschwand, lagen Anya bereits ein halbes Dutzend Fragen auf der Zunge.   Es war ihr Zug, begriff sie. Aufgrund des negativen Effekts von [Gem-Trade] durfte sie keine Karte ziehen, was allerdings keine Rolle mehr spielte. Kali war vollkommen schutzlos. Sie hatte gewonnen. -Sie- hatte gewonnen! Langsam erhob sich die Maskierte wieder, atmete tief durch. „Es gibt nichts mehr zu sagen.“ „Yeah. Ich habe auch keinen Bock mehr.“ Anya kniff die Augen fest zusammen, dass ihre Pupillen wie kleine, schwarze Perlen durch die Schlitze funkelten. „Murciélago, beende es.“ Sie sagte es in einer Ruhe, die sie selbst überraschte. Ihr riesiger Stier scharte wieder aus und rauschte dann in wahnwitziger Geschwindigkeit über das Spielfeld, dass dabei flammende Spuren entstanden. Im Spurt zog er ein regelrechtes Blitzgewitter hinter sich. Kali breitete die Arme weit aus und wurde voll erfasst. Sie versuchte offensichtlich mit aller Kraft nicht zu schreien, als sie von dem Ungetüm gerammt wurde. So entglitt ihr ein gedämpftes Stöhnen, ehe sie im hohen Bogen von den Beinen gerissen wurde. Und dann geschah es. Im Flug löste sich die Kapuze ihrer Kutte, die Maske fiel von ihrem Gesicht, das Anya jedoch von ihrer Position aus nicht genau erkennen konnte. Was sie sah, war etwa schulterlanges, blondes Haar. Dann kam der Fall. „Was?“, murmelte Anya für den kurzen Moment, in dem sie die Züge ihrer Feindin erblicken konnte. Kali schlug so hart auf den Boden auf, dass man es knacken hören konnte.   [Anya: 1700LP / Kali: 400LP → 0LP]   „Nein!“, schrie eine männliche Stimme. Anya wirbelte erschrocken herum.   ~-~-~   Schwer atmete der schwarzhaarige Dämonenjäger durch und mobilisierte seine letzten Kräfte, um sich aus der Blutlache zu erheben. Dabei hielt er sich die besonders schwer verletzte, rechte Schulter. „Wow, das war fies“, scherzte er schwach im Angesicht von Zeds Götterarmee. Es stand einer gegen fünf. Matts finstere, humanoide Gestalt mit den neun Drachenköpfen als Unterleib, die von einer finsteren Lichtkugel umkreist wurde, war den zahlreichen Feinden hoffnungslos unterlegen. Zu diesen gehörten ein weißer, aufrecht gehender Eber, ein riesiger Wikinger mit doppelköpfiger Axt in der Hand und weißem, bis zum Boden reichenden Bart und ein ziemlich flacher, weißer Pottwal, der sich mit seinen Flossen in der Luft hielt. Neben diesem gab es dann noch ein Gespann aus Licht- und Finsternisgöttin, beide nur sehr spärlich mit weißen beziehungsweise schwarzen Lederriemen bekleidet. Über dem Haupt der Strahlengöttin befand sich eine riesige Lichtsphäre, wohingegen im Bauch ihrer düsteren Gefährtin ein Schwarzes Loch prangerte.   Primalswarm Yggdrasil [ATK/3050 DEF/1650 {12} OLU: 1] Demigod Of Purging Fire, Efreet [ATK/3300 DEF/2700 (10)] Demigod Of Eternal Winter, Northgrimm [ATK/3400 DEF/2900 (10)] Demigod Of Ravaging Sea, Bismarck [ATK/3200 DEF/2600 (10)] Demigod Of Stellar Glow, Luminez [ATK/3100 DEF/3100 (10)] Demigod Of Crawling Darkness, Dremorah [ATK/3100 DEF/3100 (10)]   Die Halbgötter waren allesamt noch durch einen Karteneffekt verstärkt worden, wodurch es Matt unmöglich war, sie im Kampf zu besiegen. Als wären die alle nicht schon riesig genug, thronte hinter ihnen noch [The G.O.D. Pendulum], eine Pendelkarte, die gleich beide Werte zur Verfügung stellte. Diese Gottheit bestand aus einem riesigem Zahnrad, auf dem sich ein Thron befand. Während darunter diverse Maschinen und Rohre in alle Richtungen Dampf ausstießen, saß auf besagtem Thron eine mechanische Kreatur, deren unglaublich lange Arme zu beiden Seiten ausgestreckt waren. In ihren Händen hielten sie ein rotes beziehungsweise blaues Pendel, die in unterschiedliche Richtungen ausschlugen.   <0> Zeds Pendelbereich <13>   Durch diese ganzen Ungetüme war die Undying in der weißen Robe gar nicht mehr zu sehen. Würden sie sich nicht in einem so großen, leeren Hangar duellieren, hätte sie vermutlich gar keinen Platz für all diese Götter. Matt schluckte beim Gedanken daran, dass sie sich irgendwo im All befanden. Und sich hinter der Schleuse, vor der er sich duellierte, das Phänomen mit dem Namen Ätherstrom, greifbar gewordene Zukunft, existierte. Ob in diesem Strom auch die seine festgehalten war? Über diese würde schon bald entschieden werden, da er nicht mehr lange durchhalten würde, wenn das so weiterging.   [Matt: 400LP / Zed: 4000LP]   „Mein Zug! Draw!“, verkündete er schließlich und riss eine Karte von seinem Deck. Damit hielt er vier in der Hand, Zed dagegen gar keine. Enttäuscht steckte der junge Mann seine neue zu den anderen. Wirklich viel war mit seinem Blatt nicht anzufangen. „Verdammt!“ Auch die vor ihm aufrecht stehende Falle [Infestation Infection] war gerade von wenig Nutzen. Matt drehte sich zur Seite, betrachtete die Schleuse. Wo waren sie überhaupt? Wie weit von der Erde entfernt? Konnte er überhaupt ein Portal zurück nachhause öffnen, wenn Millionen von Lichtjahren zwischen ihm und dem Zielpunkt lagen? Er wandte sich Zeds Monstern wieder zu. „Verdammt …“ Das Duell zu gewinnen würde schon schwer genug werden. Die Gesamtkraft dieser Wesen lag bei 16100. Um Yggdrasils Macht zu entfesseln würde er so einige Xyz-Materialien benötigen, weshalb er am besten gleich mit dem Sammeln anfangen sollte. „Ich benutze [Primalswarm Yggdrasils] Fähigkeit, sich einmal pro Zug eine Overlay Unit aus meinem Deck zu ziehen. Black Law!“ Seine schwarze, an manchen Stellen violett schimmernde Kreatur streckte den linken Arm aus, über der eine weitere, düstere Lichtkugel entstand, die um sie zu kreisen begann.   Primalswarm Yggdrasil [ATK/3050 DEF/1650 {12} OLU: 1 → 2]   Matt hatte sich für [Evilswarm Golem] entschieden und dessen Karte unter sein Xyz-Monster auf dem schwarzen D-Pad geschoben. Damit hatte Yggdrasil 4100 Punkte kumuliert. Viel zu wenig, es musste mehr sein als die Gesamtkraft von Zeds Monstern, vorher konnte er den Effekt nicht nutzen. „Aber die kann man ja verringern“, sprach er seinen nächsten Gedankengang aus, „ich beschwöre [Evilswarm O'lantern] und benutze seinen Effekt!“ Vor ihm materialisierte sich ein Hüne aus verhärtetem, violettem Magmagestein, um dessen Oberkörper und Beinen sich eine schwarze Panzerung schloss, die etwas Insektoides an sich hatte. Evilswarm O'lantern [ATK/1650 DEF/1250 (4)]   „Ich biete O'lantern durch seinen eigenen Effekt als Tribut an, damit dieser eines deiner Monster vernichtet!“ Matt hob den Zeigefinger und deutete auf den Wikinger. In dem Moment wurde er sich wieder gewahr, dass da drin irgendwo ein Immaterieller steckte. Bevor er sich das Ganze noch einmal überlegen konnte, verwandelte sich sein Krieger bereits in eine aus schwarzen Partikeln bestehende Flamme, die in Richtung Northgrimms zischte und in den Brustkorb traf. Erst begann der Bart in schwarzem Feuer aufzugehen, dann die ganze Kreatur. Schreiend ging sie in die Knie und löste sich auf, machte den Blick auf Zed wieder frei. Matt stand mit offenem Mund da. „Es … es tut mir leid.“ Die Undying mit dem glatten, schwarzen Haar schwieg schon seit zu Beginn seines Zuges beharrlich. Beschäftigte sie etwas? Sie schien gar keine Notiz mehr von ihm zu nehmen … Also widmete sich der Dämonenjäger wieder seiner Strategie. Es würde also noch eine ganze Weile dauern, ehe er Yggdrasils Macht entfesseln konnte. Doch diese Zeit konnte er sich erkaufen, denn zum Glück konnten Inkarnationen nur durch Xyz-Monster im Kampf besiegt werden. Was Zed wusste und längst eines beschworen hätte, besäße sie denn eines. „Ich wechsle [Primalswarm Yggdrasil] in den Verteidigungsmodus.“ Matt drehte dessen Karte auf seinem D-Pad in die Horizontale. Gerade als das humanoide Wesen seine Arme vor der Brust kreuzte, hallte arrogantes Gekicher durch den Hangar. Doch es kam nicht von Zed, sondern deren Finsternisgöttin. Aus ihrem Schwarzen Loch im Magen schossen fünf violette Energiestränge, die Yggdrasil am Hals, den Armen, dem Unterleib und einem Drachenkopf fesselten. Kichernd zog sie damit seine Arme wieder weit auseinander. „Unmöglich. Solange [Demigod Of Crawling Darkness, Dremorah] das Spielfeld dominiert, kannst du die Position deiner Monster nicht ändern“, erklärte Zed. „Was!?“ Matt traute seinen Ohren nicht. „Aber für die Effekte der Demigods benötigst du doch Spielmarken, wie-!?“ „Nicht für die Göttinnen des Lichts und der Finsternis. Sie funktionieren ein wenig anders.“ Der Puls des jungen Mannes beschleunigte sich. Wenn er nicht in die Defensive wechseln konnte, würde er den Schaden abbekommen. Und auch wenn er Northgrimm außer Gefecht gesetzt hatte, reichte die Kraft der restlichen Halbgötter trotzdem noch aus, um seine Lebenspunkte auf 0 zu setzen. Panisch sah er seine drei Handkarten an, aber zwei davon nutzten ihm gar nichts und die dritte, seine Falle [Infestation Terminus], konnte zwar zwei Monster auf das Blatt ihres Besitzers zurückschicken, kostete ihn jedoch einen Schwärmer vom Feld. Und er hatte nur Yggdrasil! „Das kann nicht sein“, stotterte er fassungslos. „So wendet sich das Blatt, Matthew Summers.“ Zed fuhr sich durch das lange Haar. „Siehst du, was die Einflüsse der Immateriellen anrichten können? Den Ätherfluss zu verändern ist eine Sünde.“ „Eine Karte verdeckt“, presste ihr Gegenüber mit Mühe hervor. Die Karte tauchte zu seinen Füßen in vergrößerter Form auf. „Das … das ist auch gar nicht, was wir wollen. Anya ist zwar ruppig, aber kein schlechter Mensch. Sie will-“ Harsch wurde er unterbrochen. „Worte. Nichts als leere Worte. Entscheidend sind ihre Handlungen und die sprechen eine deutliche Sprache.“ „Aber den Sammler zu beseitigen ist doch kein Verstoß gegen die ewige Ordnung“, protestierte Matt verzweifelt, „solange der Ätherfluss nicht verändert wird.“ Doch anstatt zurückgewiesen zu werden, erhielt er gar keine Antwort.   Ohne dass der junge Mann Notiz davon nahm, öffnete sich hinter Zed die automatische Tür, die in den Hangar führte. Schwarze Stiefel schritten selbstbewusst einige Meter nach vorn, ehe sie einen Bogen um Zed und ihre Monster schlugen.   Diese verbohrten Mumien, verfluchte Matt sie in seinen Gedanken. Wie konnten sie nur so taub gegenüber Argumenten sein? Sahen sie denn nicht, wer bei all dem die Fäden zog? Oder wollten sie es vielleicht gar nicht sehen? Er kniff die Augen zusammen, hielt sich die blutende Wunde. Reden war zwecklos. Er konnte jetzt nur noch seinen Zug beenden und damit sein Schicksal in die Hände der Undying legen. Und wie das enden würde, hatte sie bereits sehr deutlich gemacht … „Es … es tut mir leid, Leute“, murmelte er betrübt. „Mein Plan ist mal wieder gründlich nach hinten losgegangen. Sieht so aus, als müsstet ihr ab jetzt ohne mich weitermachen.“ Um zumindest sein letztes bisschen Würde zu wahren, sah er zu Zed auf. „Zug beendet. Bevor du jetzt tust, was du tun musst, verrate mir eins. Gibt es so etwas wie den Himmel oder die Hölle?“ „Viele Ebenen des Seins existieren. Welche die für dich nächste ist, entscheidet sich, nachdem du in den Äther zurückgekehrt bist. Mehr kann ich dir dazu nicht sagen, Matthew Summers.“ Der schluckte und presste die Augen fest zusammen. Es war, als würde ihm jemand die Luft zum Atmen rauben. Dabei war es nur seine Angst. Er wollte nicht sterben. „Okay“, würgte er hervor, „danke.“ Er wollte nicht sterben. Nichts von dem, was er sich für die Zukunft vorgenommen hatte, würde je in Erfüllung gehen. Da waren ja kaum genug Menschen, die sich langfristig an ihn erinnern würden. Matt sank in die Knie. „Bitte … beeil' dich.“ Je länger er diese Gedanken hatte, desto unerträglicher wurden sie.   „Hey, kein Grund zum Hetzen.“ Diese Stimme! Das war nicht Zed, das war … Ihre Stiefel klackerten laut, wie sie gelassen zu Matt herüber lief. Valerie Redfield lächelte verschmitzt, wie sie den jungen Mann auf den Knien ansah. „Der zweite Eindringling“, betitelte Zed sie missbilligend. Während die Schwarzhaarige ihren Weg beschritt, ließ sie die blaue Duel Disk an ihrem Arm mit einem einfachen Schwenk ausfahren. „Duel Mode – Battle Royale. Entry Penalty charged“, tönte eine Computerstimme aus jener. In dem Moment erreichte die junge Frau ihren Freund und stellte sich schützend vor ihn. „Damit kann ich leben.“   [Matt: 400LP / Valerie: 4000LP → 2000LP / Zed: 4000LP]   „Was machst du hier!?“, überschlug sich Matt förmlich und sprang auf. „Wie kommst du überhaupt hier rein!?“ Über ihre Schulter schauend, zwinkerte sie ihm zu. „Du hast dich wirklich unterschätzt. Das Portal stand so lange offen, dass ich irgendwann nicht mehr widerstehen konnte.“ „Und Stoltz!?“ „Immer noch an der Leine.“ Matt fehlten glatt die Worte. Was war bloß mit ihr los, so tollkühn war Valerie nie gewesen? „Tja, da ich rechtzeitig eingestiegen bin, kommt mein Zug noch vor deinem“, adressierte die ihre Worte derweil an Zed und hob ihre Duel Disk an. „Das sind die 2000 Punkte Eintrittsstrafe wert.“ Zed zischte nur verächtlich beim Anblick der jungen Frau, die gleich sechs Karten hintereinander zog und zufrieden lächelte. Auch wenn ihr Einschreiten ihm vielleicht das Leben retten würde, konnte Matt nicht zum Ausdruck bringen, wie sehr er sich um ihr Wohl sorgte. Valerie war ein normaler Mensch. Schon ein Treffer von Zeds Angriffen könnte sie umbringen. „Tu das nicht!“ „Zu spät.“ Valerie fixierte sich einzig auf die Undying. „Zeigen wir ihr doch einfach mal, wie Teamwork funktioniert. Vielleicht lernt sie ja etwas daraus.“ „Selbstherrliche Göre! Du wagst es mich belehren zu wollen!?“ „Wer ist hier selbstherrlich? Wir“, betonte die Schwarzhaarige entschieden, „können die Welt in mehr als nur Schwarz und Weiß einteilen. Wir sind imstande, aus unseren Fehlern zu lernen. Aber ich habe keine Lust, dieselbe Diskussion mit noch einem Undying zu führen.“ Sie griff nach zwei Karten in ihrem Blatt. „Außerdem lasse ich sowieso lieber Taten sprechen.“   ~-~-~   Kurz zuvor …   Es war mucksmäuschenstill. Ein Lichtbogen schoss über die kleine Lichtung im Park hinweg. Der bandagierte Undying Stoltz rührte sich nicht, war gefesselt von gut einem Dutzend an leuchtenden Ketten, die von den umstehenden Bäumen ausgingen. Beinahe sein ganzer Körper war von ihnen bedeckt. Stoltz beobachtete, wie sich der Strahl Richtung des Ephemeria Bridge Stadions bewegte. Und zeigte sein hässliches Grinsen, die fauligen Zähne.   Das ovale, schwarze Portal hinter ihm, das ebenfalls durch zwei Ketten aufgehalten wurde, die in seinem Inneren verschwanden, schrumpfte merklich. Unter einem leisen Klacken brachen die Fesseln schließlich, sodass es sich zusammenzog und verschwand. „Das Mädchen sehnt sich nach dem Tod“, mutmaßte Stoltz, zog die Schultern zusammen und brach mit ausgestreckten, langen Gliedmaßen von seiner Gefangenschaft frei, als wäre nichts leichter als das. Er drehte sich um, betrachtete die Stelle, an der das Portal sich geschlossen hatte. „Wird die Undying fallen? Wir werden sehen“, gluckste er, blickte dann nach oben in den Wolken verhangenen Nachthimmel. „Doch zuerst … Ricther.“ Und vor ihm öffnete sich ein neues, pechschwarzes Portal, in das er seelenruhig hinein schlenderte.   ~-~-~   „Ich aktiviere die Effekte von [Gishki Vision] und [Gishki Shadow] auf meiner Hand“, verkündete Valerie entschlossen, die sich schützend vor Matt gestellt hatte und schob beide Karten in den Friedhof. Vor ihr tauchten die durchsichtigen Silhouetten zweier aufrecht stehender, mannshoher Amphibien in kunstvollen, dunkelblauen Roben auf. Eine hielt sich an einem langen Zauberstab fest. „Damit erhalte ich sowohl ein Ritualmonster des Attributs Wasser, als auch eine Gishki-Ritualzauberkarte von meinem Deck!“ Beide Monster zerplatzten zeitgleich in Wasserblasen, die zurück in Valeries Deck gezogen wurden. „Ich wähle [Evigishki Soul Ogre] und [Gishki Aquamirror]!“ Automatisch wurden die beiden Karten aus ihrem Deck geschoben, sodass die Schwarzhaarige sie geschickt hinausziehen konnte, wobei sie gleichzeitig schon eine neue Zauberkarte zwischen ihren Fingern hielt. „Allerdings brauche ich Vision und Shadow noch. Mit [Salvage] berge ich zwei Wasser-Monster mit maximal 1500 Angriffspunkten von meinem Friedhof.“ Da Vision nur auf 700 Punkte kam und Shadow immerhin auf 1200, wurden sie sofort wieder aus dem Friedhofsschlitz ausgespuckt und landeten in Valeries vollem Blatt. Matt stand der Mund halb offen, wie souverän sie ihren Zug durchführte. Seine düstere Miene hellte sich auf. Vielleicht hatten sie zusammen eine Chance! „Natürlich möchte [Evigishki Soul Ogre] auch beschworen werden. Ich aktiviere [Gishki Aquamirror]!“ Die schöne, junge Frau schob den Ritualzauber in ihre Duel Disk. Vor ihr tauchte ein kreisrunder Spiegel mit goldener Umrandung auf. In ihm wurde die unbewaffnete Amphibie mit dem dunkelblauen Umhang widergespiegelt. „Normalerweise müsste ich Monster mit einer Gesamtstufe von 8 opfern, um Soul Ogre zu beschwören. Allerdings übernimmt [Gishki Vision] die vollen Kosten.“ Valerie hob die Hand in die Höhe. Aus ihrem Spiegel begann eine wahre Sturmflut zu laufen, die das Mädchen in einen Kreis aus Wasser einschloss. „Erscheine aus endlosen Kristallkaskaden!“ Überall um sie herum schossen Fontänen aus dem Boden. „Ritual Summon! [Evigishki Soul Ogre]!“ In jener direkt vor ihr tauchte ein riesiger, finsterer Schatten auf. Mindestens drei Meter groß, wurde die amphibische Kreatur erst sichtbar, als das Wasser verschwand. Von Kopf bis Schweif zog sich ein langer Kamm entlang. Evigishki Soul Ogre [ATK/2800 DEF/2800 (8)]   Zu Matts Erstaunen kreuzte der Hüne seine mit Schwimmhäuten bedeckten Hände vor sein Gesicht. „Im Verteidigungsmodus? Kann sie etwa nicht … ?“ Doch Valerie wirkte weiterhin zuversichtlich und schob gerade eine Handkarte in ihren Friedhofsschlitz. „Ich aktiviere [Evigishki Soul Ogres] Effekt und werfe [Gishki Shadow] ab, um eines deiner Monster ins Deck zu mischen. Ihn!“ Sie deutete auf den aufrecht stehenden, weißen Ebergott. Sogleich zog ihre Unterwasserkreatur Luft ein und spie einen gewaltigen Strahl auf sein Ziel, welches fortgerissen wurde und verschwand. Damit kontrollierte Zed nur noch ihr Göttinnenduo und den fliegenden Pottwal. „Ich setze zwei Karten verdeckt. Nun bist du am Zug, Undying“, verkündete Valerie, zu deren Füßen die beiden Karten auftauchten, womit sie nur noch eine auf der Hand hielt.   Jene zog auf und keuchte dann wütend im Angesicht der beiden aufsässigen Menschen. Es war offensichtlich, dass Valerie ihr die Möglichkeit genommen hatte, Matt in diesem Zug zu besiegen. Die drei Halbgötter waren zusammen nicht stark genug, all seine Lebenspunkte zu rauben. „Du hast einen fatalen Fehler begangen, dich hier einzumischen. Dafür wirst du mit deinem Leben bezahlen“, drohte Zed düster an. Keck hielt die junge Frau dagegen. „Daraus entnehme ich, dass du mich als Bedrohung erachtest? Vielen Dank für das Kompliment.“ „Tch!“ Die Undying in ihrer ärmellosen, weißen Robe legte den Kopf in den Nacken. „Eine Bedrohung würde sicherlich länger als einen Zug durchhalten. Testen wir, wie gefährlich du wirklich bist. Effektaktivierung von [Demigod Of Stellar Glow, Luminez]! Sie zwingt dein Monster in den Angriffsmodus!“ Zwar presste Valerie die Lippen aufeinander, gab aber keinen Laut von sich, als aus der gleißenden Sphäre über der spärlich bekleideten Halbgöttin sechs Lichtstränge schossen, die ihre Amphibie umschlungen.   Evigishki Soul Ogre [ATK/2800 DEF/2800 (8)]   „Vernichte es, [Demigod Of Ravaging Sea, Bismarck]!“ Zed nickte dem Monster ihres Feindes zu. Der fliegende, flache Wal über ihr öffnete seinen riesigen Schlund und ließ eine Flutwelle in Richtung der beiden Menschen los. „Feuer sollte man mit Feuer bekämpfen. Und Wasser mit Wasser! [Poseidon Wave]!“ Die linke Karte Valeries klappte auf, zeigte den Gott Poseidon, wie er auf einer Welle mit erhobenem Dreizack ritt. Auch hinter Valerie entstand eine Welle, die ihren Weg gen Zed bahnte. In der Mitte des Spielfeldes trafen beide aufeinander. „Damit wird dein Angriff annulliert“, erklärte Valerie. „Aber das war noch nicht alles …“ Denn die ihre wurde eins mit der schwächeren des Wals und schlug höher und höher, bis sie die Undying erreichte und über ihr niederging. Jene wich erschrocken zurück.   [Matt: 400LP / Valerie: 2000LP / Zed: 4000LP → 3200LP]   Da Valerie jedoch über keinerlei besondere Fähigkeiten besaß, ging Zed unbeschadet aus der Sache hervor. „Für jede Meereskreatur auf meiner Spielfeldseite erleidest du danach 800 Punkte Schaden.“ „Ist das alles?“, wurde sie provoziert. „Nicht einmal einen Kratzer konntest du mir zufügen. Nieder mit dir! [Demigod Of Stellar Glow, Luminez], attackiere ihr Monster!“ Valerie atmete tief durch. Die weiße Halbgöttin, die über Zed schwebte, schoss aus ihrer Lichtsphäre einen mächtigen Energiestrahl, der, als er auf [Evigishki Soul Ogre] traf, jenen vollkommen zersetzte. Mit standfestem Blick sah die Schwarzhaarige dem Licht entgegen, das auch sie erfasste. „Valerie!“, schrie Matt, als das Mädchen vor ihm getroffen wurde und aufschrie. Die Wucht des Angriffs warf sie so weit zurück, dass er sie mit seinem gesunden Arm an der Hüfte packen und auffangen musste, damit sie nicht noch auf dem Kopf aufschlug.   [Matt: 400LP / Valerie: 2000LP → 1700LP / Zed: 3200LP]   „Und jetzt verschwinde vom Antlitz dieser Welt!“ Zed hob die ausgestreckte Hand in die Höhe und ließ sie im Anschluss wieder niedersausen wie ein Henkersbeil. „Direkter Angriff auf ihre Lebenspunkte, [Demigod Of Crawling Darkness, Dremorah]!“ „Valerie!“, rüttelte Matt an jener, doch die war zu benommen, um sich zu regen. Verzweifelt murmelte der Dämonenjäger. „Verdammt, es hilft nichts, ich muss meine Falle aktivieren.“ Was ihn jedoch [Primalswarm Yggdrasil] kosten würde. Doch wenn es sie damit rettete … Die Halbgöttin in Schwarz begann damit, eine finstere Energiekugel in ihrem Bauch aufzuladen. „Ich aktiviere-!“ „Nicht nötig“, unterbrach Valerie Matt plötzlich, griff seine Hand, die bereits den Auslöser an seinem schwarzen D-Pad betätigen wollte und befreite sich sanft aus seiner Umarmung. „Mir geht’s gut“, log sie dabei, obwohl ihre Kleidung deutlich zerfetzt und blutgetränkt war. Sie nahm ein paar Schritte nach vorn. Im selben Moment beendete Dremorah das Aufladen der finsteren Sphäre und feuerte diese auf die junge Frau ab. „Nicht so schnell!“, konterte jene und löste ihre eigene, zweite Falle aus. „[Torrential Reborn]!“ Eine mächtige Wassersäule schoss vor ihr aus dem Boden und brachte [Evigishki Soul Ogre] mit sich, welcher den Treffer für Valerie entgegen nahm. Doch zunächst geschah gar nichts. „Mit dieser Falle kann ich zerstörte Wasser-Monster zurück aufs Feld rufen.“   Evigishki Soul Ogre [ATK/2800 DEF/2800 (8)] „Wie hartnäckig!“, zischte Zed verächtlich. „Darüber hinaus musst du wieder Schaden einstecken, 500 für jedes beschworene Monster!“ In diesem Moment explodierte ihr Monster von Innen heraus. Dabei stieß der Kopf noch einen letzten Wasserstrahl aus, der durch Zed hindurch glitt.   [Matt: 400LP / Valerie: 1700LP / Zed: 3200LP → 2700LP]   „Für einen Menschen gar nicht schlecht, was?“ Valerie zwinkerte ihrer Gegnerin zu. „Närrin. Denkst du, ein bisschen Schaden anzurichten reicht dafür, mich zu besiegen?“ Die junge Frau schüttelte den Kopf. „Nein, aber vielleicht ebnet es den Weg dorthin?“ „Im Gegenteil!“ Zed rammte ihre gezogene Karte in ihre Sichel-Duel Disk. „Du hast geradewegs in meine Hände gespielt! Schnellzauber [Soul Retribution]!“ Sie streckte beide Hände weit von sich aus, über denen weiße Flammenbälle zu brennen begannen. „Für jedes Mal, das ich in diesem Zug Schaden erlitten habe, beschwöre ich eine Seelenaura auf mein Spielfeld. Ha!“ Sie richtete die Arme nach vorn, schoss die Kugeln ab, welche sich daraufhin vor ihr positionierten.   „Soul Aura“-Spielmarke x2 [ATK/0 DEF/0 (1)]   „Das ist nicht gut“, stöhnte Matt nervös. „Ich biete beide Seelenauren als Tribut an für die Effekte von [Demigod Of Stellar Glow, Luminez] und [Demigod Of Crawling Darkness, Dremorah]!“ Zed rote Lippen formten sich zu einem düsteren Lächeln, als die beiden Göttinnen die Hand ausstreckten und je eine Flammenkugel zu sich beorderten. Kichernd zerquetschten sie diese kurzerhand. Plötzlich schlugen Blitze um Matts D-Pad. „Ah!“ Aber nicht nur er war betroffen, auch sein Dämon, dessen neun Drachenköpfe am Unterleib wie die Wurzeln eines Baumes aussahen, wurde von Entladungen heimgesucht. „Der Lichteffekt verbietet es dir, mit all den Monstern, die du kontrollierst, anzugreifen“, verkündete Zed, „der Schatteneffekt hingegen unterbindet deine nächste Draw Phase, solange du Monster kontrollierst.“ Der Dämonenjäger stieß einen entsetzten Schrei aus. „Was!?“ Auch Valerie drehte sich zu ihm mit geweiteten Augen um. „Matt!“ Kichernd legte Zed ihren linken Zeigefinger an die Wange. „Damit sind dir die Hände gebunden. Es ist dein Zug, Matthew Summers.“   Fassungslos starrte der junge Mann auf sein schwarzes D-Pad. Wenn er nicht ziehen konnte, dann gab es nichts, was er für Valerie tun konnte. Sie mochte vielleicht vor Zed am Zug sein, aber ihre Ressourcen waren fast aufgebraucht. „Valerie“, sagte er zu dieser, „es tut mir leid. Ich kann … es ist meine Schuld.“ Jene schüttelte den Kopf. „Nein.“ „Doch … vergib mir.“   ~-~-~   Wie Pfeile schossen die spitzen Obsidiane auf den Sammler zu und durchbohrten seine vier Handkarten, die mit den kleinen Edelsteinen zusammen zerplatzten. „Ich kann dich nicht gewinnen lassen“, drohte Ricther düster, „Feind der ewigen Ordnung. 'Wahrer Feind' Strife Carrington! Ich erkläre meinen Zug für beendet.“   [Ricther: 500LP / Collector: 2800LP]   Noch immer umspielte ein geheimnisvolles Lächeln die Lippen des rothaarigen Briten, der in seinem eleganten schwarzen Anzug vor den Wendeltreppen des Ballsaals verharrte, welche zur oberhalb gelegenen Galerie führten. Ein verschwommener Nebel rann die Stufen hinab, waberte über den Boden an Ricther vorbei. Was dieser argwöhnisch zur Kenntnis nahm. Doch zu fragen, worum es sich hier handelte, erschien ihm im Angesicht einer wenig aussagekräftigen Antwort sinnlos. Wortlos zog der Sammler auf und hob eine Augenbraue an. „Wie enttäuschend.“ Dank des Effektes von [Dimensions Disturbance] würde er seine verlorenen Karten erst zum Ende des Zuges wieder erhalten. „Ich setze eine Karte verdeckt“, sagte er, ließ jene vor sich erscheinen und sah von seiner Drachenreiterin Winda zu dem Kristallgott. Je vier grüne Kristallsäulen bildeten ein Flügelpaar, welche von den mittig gelegenen zwei Pfeilern abstanden. Zwischen jenen schlugen rote Entladungen um sich, die hin und wieder eine Iris aufblitzen ließen.   El Shaddoll Winda [ATK/3700 DEF/2300 (5)] Different Dimension Deity – Astellante [ATK/4000 DEF/4000 (10)]   „Und wenn ich enttäuschend sage, meine ich selbstverständlich unsere Differenzen.“ Sein Blick ging weiter zu dem prunkvollen Kronleuchter über ihnen. „Doch andererseits war nie etwas anderes zu erwarten.“ Der Hüne, dessen Rüstung an einigen Stellen bereits aufgerissen und blutverschmiert war, erwiderte autoritär: „Deine Taten sprechen eine deutliche Sprache. Wenn Worte dich nicht davon abhalten können, deinen Feldzug zu beenden, müssen Taten unsererseits folgen.“ „Ihr dürft mich nicht töten.“ Der Sammler räusperte sich mit vorgehaltener Hand. „Andererseits, wer will euch schon bestrafen? Ihr seid die Undying.“ „Und als solche ist es unsere Aufgabe, diese Welt zu beschützen.“ „Natürlich. Es ist nur so, dass sich dein Verständnis 'dieser Welt' grundlegend von dem meinen unterscheidet.“ Der Dämon breitete eine Hand zur Seite aus. Worauf der Undying erwiderte: „Und darin liegt die Quelle für diese Auseinandersetzung, jedoch nicht der Anlass. Willst du mir nicht sagen, was dich zu solchen Sünden bewegt?“ „Nein. Was ich dir zu sagen habe ist, dass wir 'dieser Welt' auch verschiedene Bedeutung beiwohnen.“ Er ballte die ausgestreckte Hand zu einer Faust, in der die vier verschwundenen Karten auftauchten. „So einfach ist das. Zug beendet.“   „Nichts in diesem Leben ist einfach, Strife“, entgegnete Ricther und zog schwungvoll von seinem Deck auf, „Entscheidungen können, einmal getroffen, nicht mehr rückgängig gemacht werden. Ich aktiviere [Dimensions Overlap]! Indem ich alle Karten, doch mindestens fünf von meinem Friedhof verbanne und dazu noch fünf verdeckt von meinem Deck, vermag ich zwei Karten zu ziehen.“ Er rammte den Zauber in seine Armklingen-Duel Disk und streckte die leere Hand aus. Insgesamt elf Karten tauchten vor ihm auf, darunter die Fallen [Dimensions Foreboding] und [Dimensions Crossing], [Different Dimension Deity – Ubriq] sowie die Zauber [Dimensions Disturbance], [Dimensions Collapse] und [Dimensions Reach]. Unter sie mischten sich noch fünf, die mit dem Rücken zum Sammler zeigten. Alle zusammen kreisten sie wie ein Rad vor dem Undying und wurden in seine Handfläche gezogen, in der sich ein rötlicher Dimensionsriss gebildet hatte. Mit jener Hand, die komplett rot aufzuleuchten begann, riss der Undying zwei Karten von seinem Deck. „Ha!“ Die Entladungen zwischen den Mittelsäulen seines Monsters wurden stärker.   Different Dimension Deity – Astellante [ATK/4000 → 5000 DEF/4000 → 5000 (10)]   „Ich fürchte, mir bleibt keine andere Wahl.“ Verheißungsvoll senkte der Hüne sein Haupt. „Dich zu töten schafft Chaos, doch dein Tun nicht weniger. Und die, die Chaos säen, werden vom Schöpfer persönlich bestraft. Ich aktiviere [Dimensions Molding]!“ Zum ersten Mal erlebte er eine aufrichtige Emotion seines Gegners, die sich in einem völlig überrumpelten „Was!?“ äußerte. Der Hüne streckte einen Arm in die Höhe, über ihm verwandelte sich sein Kristallgott in einen grünen Lichtstrahl. „Ich verschmelze eine Different Dimension Deity von meinem Feld mit einer aus meinem Blatt. [Different Dimension Deity – Lastelise]!“ Aus der Innenfläche seiner empor gestreckten Hand schoss ein pinker Lichtstrahl. Beide wirbelten umeinander und bildeten einen grellen Vortex. „Da sich nur noch fünf Karten in meinem Deck befinden, kann ich -es- rufen! Verkörperung der Parallelwelten, Schöpfer der Tore, Bote des Äthers!“ „Das wagst du nicht!“, keuchte der Collector-Dämon und wich mit geweiteten Augen zurück. Sein Blick haftete an dem Vortex über Ricther, aus dem zunehmend intensiver werdende, weiße Entladungen gestoßen wurden. Die Erde begann zu beben. „Erwache aus deinem Schlaf!“, brüllte der Anführer der Undying gnadenlos weiter und ballte nun die seine Hand zu einer Faust zusammen. Das Beben verklang abrupt. Es war geradezu mucksmäuschenstill geworden. Langsam zog der Hüne seinen Arm zurück auf Brusthöhe, ehe er regelrecht flüsterte. „[The Face Of D].“ Ganz langsam schob sich ein massives, schneeweißes Objekt durch den Vortex. Seine glänzende Oberfläche war transluzent, aus dem Inneren drang ein starkes Licht hervor. „Nicht von dieser Welt“, murmelte der Sammler beim Anblick der Kreatur. Oder besser gesagt im Antlitz des riesigen, kristallenen Gesichts, das ausdrucksloser nicht hätte sein können. Es glich einer unvollendeten Puppe, besaß keine Haare, dafür aber leere, pupillenlose Augen, die nahezu unbemerkt blieben, da sie sich farblich nicht von der Oberfläche abhoben. Der Mund des Gesichts war geschlossen. Eingebettet war der Kopf in eine längliche Tafel desselben Materials.   The Face Of D [ATK/5000 DEF/0 (12)]   Der Nebel im Ballsaal wurde dichter und wuchs an, erreichte die Höhe der Fersen des Sammlers. Welcher sein wissendes Lächeln zurückgewann. „Du gehst also bis zum Äußersten. Interessant. Oder sollte ich sagen 'verzweifelt'?“ „Wie auch immer du es nennst, es ist nicht von Belang.“ Ricther richtete den Arm nach vorne und rief: „Angriff auf [El Shaddoll Winda]! Absolute Judgment Gaze!“ Sofort blitzten die Augen des Kristallkopfes auf. Instinktiv huschte die Hand des Sammlers zum Auslöser seiner gesetzten Karte, doch zog er sie sofort wieder von der schwarzen Duel Disk zurück. Dann zerplatzte seine Drachenreiterin schon in tausend Teile. Ricther befahl zeitgleich: „Divine Karma!“ Als wäre das das Stichwort, schossen dutzende weißer Lichtstrahlen aus der Mini-Explosion hervor, visierten den überraschten Sammler an und durchbohrten seinen ganzen Leib. Die Wucht des Angriffs warf den jung wirkenden Mann so weit zurück, dass er gegen die Wand hinter ihm stieß. Blut schoss aus seinem Mund.   [Ricther: 500LP / Collector: 2800LP → 600LP]   Der Sammler torkelte mit herabhängendem Oberkörper nach vorn. Und kicherte. Als er sich erhob, war von den vielen Löchern an seinem Körper rein gar nichts mehr zu sehen. Ganz als hätten sie gar nie existiert. „[The Face Of Ds] Divine Karma fügt dem Gegner Schaden in Höhe des Original-Angriffswertes zu, sollte es eines seiner Monster durch einen Kampf zerstören“, erklärte Ricther gelassen, „was dich vorerst noch vor einer Niederlage bewahrt, denn [El Shaddoll Windas] liegt bei 2200.“ Der Rest kam durch ihren Ausrüstungszauber [Fusion Weapon]. „Wie ich sagte“, meinte der Sammler und griff nebenbei nach seinem Friedhof, „verzweifelt trifft es doch viel besser. Nun, da sie gefallen ist, erhalte ich eine Shaddoll-Zauberkarte von meinem Friedhof zurück.“ Zufrieden lächelnd präsentierte der Rotschopf [Nephe Shaddoll Fusion], fügte sie in sein Blatt ein. Majestätisch verschränkte Ricther die Arme voreinander. „Der Lauf des Schicksals ist entschieden. Ich erkläre meinen Zug für beendet.“   Insgeheim musste er sich um seine Fassung bemühen. Obwohl [The Face Of D] von absoluter Macht erfüllt war, hatte sein Angriff dem Sammler nichts ausgemacht. Nein. Er hatte ihn verletzt, doch die Wunden waren sofort wieder verschwunden. Selbst das Blut an seinem Mund. Ricther betrachtete den Nebel um sie herum, der einen zunehmend pink-gelben Schimmer gewann. War er dafür verantwortlich? Ihn beschlich ein unangenehmer Verdacht. Strife sollte nicht über die Kräfte verfügen, die er hier demonstrierte. Was heißt, dass das hier …   „Ah!“ Selbstsicher lächelte der Sammler und zog auf eine sechste Handkarte auf. „Draw.“   ~-~-~   „Gib nicht auf!“, mahnte Valerie den hoffnungslosen Matt hinter ihr. „Noch haben wir nicht verloren. Vergiss nicht, warum wir hier sind.“ „Anya …“, murmelte der Schwarzhaarige und betrachtete seine beiden Zauberkarten. Sie halfen ihm einfach nicht. Verdammt! Doch Valerie schüttelte den Kopf. „Nicht nur für sie. Irgendjemand muss den Sammler stoppen, ehe er noch mehr Menschen ins Chaos stürzt. Sind es denn nicht schon genug?“ „Du hast Recht.“ Er nickte, wenn auch nicht gänzlich überzeugt. „Aber … nein, du -hast- Recht.“   Konzentriert blickte er noch einmal die beiden Zauberkarten in seiner Hand an, [Xyz Wall] und [Exchange]. Während Erstere die Verteidigung von Xyz-Monstern erhöhen und sie vor Monstereffekten immun machen konnte, wenn sie ihre Effekte aktivierten, konnte er mit Letzterer eine Handkarte von sich mit der eines Gegners tauschen. Aber das Problem an der Sache war, dass Zed keine Karten mehr besaß. Nein … er würde sich auf Valerie verlassen müssen.   Die drehte sich zu ihm um und hob ihre einzig verbliebene Karte strahlend an. „Ich krieg' das schon gebacken. Wir sind schließlich ein Team.“ Matt weitete seine Augen. Natürlich! Sie -waren- ein Team, zumindest hatten sie sich als solches gegen Zed verbunden. Aber theoretisch war die junge Frau eine eigenständige Duellantin in dieser Partie und somit … „Wir kriegen das hin. Zusammen!“, nickte er ihr, erfüllt von neuer Zuversicht, zu. „Ich aktiviere [Exchange]! Damit tausche ich mit Valerie eine Handkarte.“ Zed gab einen überraschten Laut von sich. Voller Zuversicht drehte sich gleichzeitig die junge Frau zu ihm um und schenkte ihm ein verschmitztes Lächeln. „Geht doch.“ Dann reichte sie ihm zwischen Mittel- und Zeigefinger ihre Handkarte. Matt nahm sie entgegen und berührte dabei mit seinen Fingerkuppen die ihren. Als er es bemerkte, zog er die Karte hastig aus ihrem Griff und reichte ihr seine. „Danke“, sagte er nach dem Tausch, ohne überhaupt nachgesehen zu haben, was er da erhalten hatte. „Alleine hätte ich bereits aufgegeben.“ „Niemand ist alleine“, versicherte ihm die Schwarzhaarige ernst. „Du am allerwenigsten.“ „Ja … danke.“   Matt atmete tief durch. Auch wenn das Gefühl von Zusammenarbeit ihn beflügelt hatte, änderte es nichts daran, dass er jetzt derjenige war, der sie beide retten musste. Valerie waren endgültig die Hände gebunden und wenn ihre Karte ihm nicht weiterhalf … Seinen Kopf schüttelnd, verscheuchte er die Gedanken an die Konsequenzen. Er drehte die Karte zwischen seinen Fingern und musterte sie. Ein Zauber. „[Monster Reborn]?“ Mit ihr konnte er ein Monster wiederbeleben. Doch keines auf dem Friedhof wäre den drei Halbgöttern gewachsen. Aber vielleicht war das auch gar nicht nötig, wie er mit überraschtem Blick auf die vor ihm verdeckt liegende Karte feststellte. Sein Blick gewann eiserne Entschlossenheit, als er zu Zed aufsah. „Was uns Menschen stark macht, ist, dass wir nicht alleine sind. Ihr als Undying solltet zumindest das anerkennen.“ Doch jene rümpfte nur die Nase, anstatt ihm zuzustimmen. „Ich aktiviere den Effekt von [Primalswarm Yggdrasil], der es mit einer Overlay Unit von meinem Deck ausstattet. Black Law!“ Der humanoide Teil seines Wesens streckte den linken Arm aus, öffnete die Handfläche und ließ eine schwarze Lichtkugel erscheinen, die ihn zusammen mit den anderen beiden zu umkreisen begann. Matt legte parallel dazu [Evilswarm Salamandras] Karte unter sein Xyz-Monster.   Primalswarm Yggdrasil [ATK/3050 DEF/1650 {12} OLU: 2 → 3]   „Du wirst uns anerkennen“, sprach Valerie die Undying an, „weil wir sehr beharrlich sein können, wenn wir wollen. Denn Zed, warum beschützt du die Welt und ihre Ordnung?“ Überrascht sah die in Weiß gekleidete Undying auf. „Weil du sie liebst. Oder weil du es musst?“ „Anders als wir, bist du zeitlos“, warf Matt ein, „wir müssen handeln, wenn du noch am Nachdenken bist. Obwohl Anya eine Bedrohung für euch ist, lebt sie noch.“ „Nur der Richter entscheidet, welches Urteil zu welcher Stunde gefällt wird“, knurrte Zed provoziert von den Anschuldigungen, „wäre ich diejenige, die wählen muss, hätte das alles längst ein Ende.“ Valerie drehte sich mit verschwörerischem Blick zu Matt. Der verstand und nickte. „Das könntest du“, sagte jener zur Undying, „aber wenn du dich beharrlich weigerst, müssen wir es tun. Ich aktiviere [Monster Reborn] und beschwöre [Evilswarm O'lantern] vom Friedhof!“ Der am Arm mit einer Kanone bewaffnete, violette Magmahüne tauchte aus einem Loch im Boden wieder vor dem jungen Mann auf. Evilswarm O'lantern [ATK/1650 DEF/1250 (4)]   „Du willst noch eines meiner Monster zerstören? Nur zu“, forderte Zed ihn auf, „das wird nicht ausreichen, um den Effekt deines [Primalswarm Yggdrasil] aktivieren zu können.“ Matt schüttelte den Kopf. „Zweimal falsch. Und wir alle kennen das Sprichwort dazu. Aber ich lasse lieber Taten sprechen! Fallenkartenaktivierung, [Infestation Terminus]!“ Zed wich erstaunt einen halben Schritt zurück, als die Falle vor dem jungen Mann aufklappte. Sein Kanonier verformte sich von Kopf bis Fuß zu schwarzen Partikeln, die wie ein Insektenschwarm auf den Wal und die Göttin der Finsternis zugeschossen kamen. „Diese Falle verbannt einen Schwärmer“, erklärte Matt, während Zeds Monster befallen und zunehmend von den winzigen Insekten bedeckt wurden, „und schickt dafür zwei gegnerische Monster auf die Hand zurück.“ Wie vom Wind wurden die Halbgötter der Undying fortgeweht und tauchten als Karten in deren Hand auf. Jene schwang den Arm aus. „Absurd! Dank [The G.O.D. Pendulum] kann ich sie in meinem nächsten Zug als Pendelbeschwörung zurückrufen!“ Valerie betrachtete die seltsame Maschinenkreatur auf dem Thron über Zed. „Aber hast du nicht etwas dabei vergessen?“ „Die Overlay Units von Yggdrasil, [Evilswarm Golem], [Evilswarm Heliotrope] und [Evilswarm Salamandra] besitzen zusammen eine Stärke von 5950“, erklärte ihr Matt tonlos, zeigte auf die spärlich bekleidete Lichtgöttin, die als einzige verblieben war.   Demigod Of Stellar Glow, Luminez [ATK/3100 DEF/3100 (10)]   [Matt: 400LP / Valerie: 1700LP / Zed: 2700LP]   „'Zähle, Undying. Und zähle gut'“, zitierte Valerie beinahe bedauernd einen von Anyas Sprüchen. Jene öffnete erschüttert den Mund. „Unmöglich!“ Matt senkte das Kinn zur Brust. In seinem rechten Auge flackerte ein Symbol auf, welches seine Partnerin erschrocken bemerkte. Eine Zwei, unter der ein weiterer Strich lag. „Matt!?“ „[Primalswarm Yggdrasil]: Beende es!“ Alarmiert drehte sich die junge Frau zum Geschehen um. Die drei schwarzen Sphären um den ersten Schwärmer zersetzten sich. Die neun Wurzeln in Form der Drachenköpfe öffneten ihre Mäuler und absorbierten die so entstehenden Partikel. Voller Inbrunst schrie Matt: „Blackening Infestation Stream Of Destruction!“ Wodurch jeder einzelne Kopf einen pechschwarzen Strahl Richtung der entsetzten Zed abfeuerte. Auf ihrem Weg verschmolzen sie alle zu einem einzigen, der, als er auf die Lichtgöttin traf, alle Farben für kurze Zeit schwarz oder weiß werden ließ. Dann wurde sie wie vom Winde als Aschepartikel davon geweht. Das Farbspektrum normalisierte sich, Zed wurde von dem gewaltigen Strahl getroffen. Die nachfolgende Explosion riss sie von den Füßen, im Flug stieß sie einen gequälten Schrei aus.   [Matt: 400LP / Valerie: 1700LP / Zed: 2700LP → 0LP]   Voller Schrecken verfolgte Valerie das Schauspiel, wandte sich wieder Matt zu, dessen Yggdrasil über ihm sich als düstere Partikel auflöste. „Das in deinem Auge, das ist ein Paktsymbol!“ Der Dämonenjäger blinzelte überrascht, schloss die Augen und öffnete sie wieder. Die Zahl war daraufhin verschwunden. Beschämt drehte er den Kopf weg. „Yeah …“ „Warum … ?“ Doch statt einer Antwort, erhielt Valerie nur betretenes Schweigen. Als klar wurde, dass ihr der Dämonenjäger nichts darüber verraten würde, fasste sie einen Entschluss. „Ok. Falls du jemals darüber reden möchtest, bin ich für dich da. Und solange das nicht der Fall ist, werde ich dein Geheimnis bewahren.“ Erstaunt von dieser Aussage, sah er sie verwirrt an. Sie lächelte. Und so auch er. „Danke.“ Doch seine Miene verdunkelte sich sofort wieder. „Ich muss ein Portal öffnen, damit wir hier wegkönnen- Valerie!?“   Denn anstatt dass jene noch weiter zuhörte, wirbelte sie schlagartig um und rannte auf die Rauchwolke von Zeds Spielfeldseite zu. „Ist sie verrückt!?“, stieß Matt entsetzt hervor und eilte ihr hinterher. Gleichzeitig drang das Mädchen in den Qualm ein und suchte mit zusammengekniffenen Augen nach der Undying, die sie weiter weg auf dem Rücken liegen sah. Ihr ganzer Oberkörper war eine einzige, rote Masse, zerfetzt von dem Angriff der Inkarnation von Matts Paktmonster. Vorsichtig näherte sie sich Zed, wurde jedoch an der Schulter gepackt und weggezogen. „Was machst du da!?“, wollte ihr Begleiter aufgebracht wissen. „Wir müssen verschwinden!“ „Nein!“, schüttelte sie sich frei. „Wir sind nicht den ganzen Weg gekommen, um mit leeren Händen zurückzukehren.“ „Aber das Schwert ist eingeschlossen. Da kommen wir nicht ran.“ Valerie sah ihn über ihre Schulter eindringlich an. „Doch.“   Als Matt begriff, dass Widerrede zwecklos war, ließ er endgültig von der Schwarzhaarigen ab, welche ihren Weg zu der am Boden liegenden Undying fortsetzte. Vorsichtig kniete Valerie neben ihr nieder. „Es tut uns leid.“ Sie wusste nicht, ob Zed bewusstlos war oder nicht, da ihre weiße Maske, die sich wie ein Hut über ihren Kopf erstreckte, die Augen komplett verdeckte. Aber es war ihr ein großes Bedürfnis, einige Dinge noch einmal klarzustellen. „Ich weiß, dass es unangebracht ist, das zu diesem Zeitpunkt noch einmal zu fragen. Aber bitte, Undying Zed, Beschützerin der ewigen Ordnung und unserer Heimat, der Erde – hilf uns.“ Keine Regung. „Wir wissen nichts über euch. Vielleicht fällt es uns daher so schwer, eure Pflichten und Aufgaben zu verstehen.“ Valerie atmete tief durch. „Was aber deutlich geworden ist, ist, dass wir alle nur eines wünschen: Dass die Welt, wie wir sie kennen, fortbesteht.“ „Valerie“, murmelte Matt überrascht von deren Rede, doch sie unterband weitere Einmischung seinerseits mit erhobener Hand. „Und für uns gehört Anya Bauer dazu. Ich will nicht entschuldigen, was sie getan hat, aber wir dürfen eines nicht vergessen. Sie ist nicht die Quelle des Übels, sondern nur das ausführende Instrument. Der Sammler ist unser gemeinsamer Feind.“ Die Schwarzhaarige machte eine Pause, doch sie konnte immer noch keine Reaktion seitens der Undying erkennen. Also sprach sie mit gedämpfter Stimme weiter. „Und wenn Anya tot ist, wer garantiert uns, dass er nicht eine neue Marionette für sein teuflisches Spiel erschafft?“   „Es ist unmöglich.“ Die beiden erschraken lautstark ob ihrer plötzlichen Worte. Ganz leicht drehte Zed ihren Kopf in die Richtung des Mädchens und dem Dämonenjäger hinter ihr. „Wir sind unlängst dahinter gekommen, wer im Hintergrund die Fäden zieht. Doch den Sammler zu töten würde bedeuten, den Ätherfluss maßgeblich zu verändern.“ Da Valerie diese Aussage nicht einordnen konnte, drehte sie sich Matt zu. „Was meint sie damit?“ „Den Undying ist es verboten, den Ätherfluss zu verändern. Jener ist sozusagen die Zukunft“, erklärte ihr dieser. Doch angeregt von Valeries Worten, fand er es nun an der Zeit, ein paar eigene an die geschwächte Zed zu richten. „Wir wissen, dass es viel verlangt ist. Aber was ihr tut, ist nichts weiter als wegzusehen. Erscheint es euch denn nicht widersprüchlich? Ihr sollt eine Zukunft beschützen, die vielleicht direkt ins Chaos führt?“ Als die Frau in der weißen, ärmellosen Robe nichts sagte, fuhr er fort. „Du hast es doch bereits einmal getan. Du hast die Kraft der Immateriellen in deinen Monstern genutzt, um die Zukunft zu verändern. Noch einmal. Nur noch ein Mal.“ „Das ist nicht zu vergleichen mit der Sünde, die ich begehen würde, wenn ich den Sammler töte.“   Plötzlich reichte Valerie ihr entschlossen die Hand. „Dann tun wir es.“ Ehe sie sich versah, ging Matt mit einem Bein in die Knie und reichte der Undying auch seine Hand. „Der maskierte Dämon sagte, euer Schwert habe die Macht dazu.“ „Ihr seid dem 'Körper' begegnet!?“, fragte Zed erschrocken und richtete sich schlagartig auf. „Wird er so genannt? Ja.“ Matt nickte. Einen Moment verging, in dem kein Wort gesprochen wurde. Dann nickte die Undying. „Das ist also sein Begehr. Ich verstehe.“ Sie sah wieder zu den beiden auf. „Wenn das so ist, solltet ihr eines wissen: Das Schwert Ragnarok kann nicht durch die Hand eines Undying geführt werden. Allein die Menschen vermögen es zu schwingen.“ Sie griff mit jeder ihrer Hände nach einer der beiden ausgestreckten. „Nur dieses eine Mal werden die Undying den Menschen beistehen.“   Überrascht von ihrem plötzlichen Entschluss, zogen Matt und Valerie die blutende Zed wieder auf die Beine. Doch ohne Vorwarnung wich der junge Dämonenjäger von ihr zurück. „Aber nur mal angenommen, etwas geht schief. Der Sammler würde uns bestrafen.“ „Wie meinst du das?“, fragte seine Partnerin ihn irritiert. „Tara … und Marc. Sie sind nur wegen seines Handels …“ Voller Verzweiflung schüttelte er den Kopf. „Wir können das nicht tun! Wenn er erkennt, dass wir ihn umbringen wollen, wird er den Handel aufheben! Dann-!“ „Matt!“, wollte Valerie ihn mit erhobenen Händen beruhigen, doch der wich von ihr zurück. Auch Zed war vom unerwarteten Sinneswandel des Schwarzhaarigen überrumpelt worden. „Ich wiederhole mich, wenn ich sage, dass Undying Ragnarok nicht führen können. Wenn ihr beide es nicht tut, dann niemand.“ Matt aber blieb stur. „Das Risiko ist zu groß!“ „Dann mach ich es allein“, murmelte Valerie mit gesenktem Haupt düster.   ~-~-~   „Also hast du es erkannt?“ Der Collector lächelte verheißungsvoll. „Das hat außergewöhnlich lange gedauert. Dabei gibt mein Titel als 'Sammler' es doch so offenkundig preis.“ Ricther starrte die dichte Nebelschwade an, die ihm schon bis zur Mitte der Unterschenkel ging. Sein Helm verbarg seine Emotionen, doch nicht so seine Stimme. „Was hast du während all der Zeit getan, als wir geschlafen haben!?“ „Ist die Frage rhetorischer Natur?“ Sein Gegner seufzte. Und streckte die Hände gen Boden aus. „Gehandelt natürlich. Und das ist mein Reichtum.“ „Korrumpierter Äther … das ist …“, brachte Ricther abgehakt hervor. „Die Kraft desjenigen, der den Äther verformen kann. Und nun sag mir bitte nicht, dass das eine Sünde ist. Denn wenn dem so ist, hätte dein 'Herr' sie mir nie übertragen dürfen.“ Einer der Mundwinkel des rothaarigen Mannes zuckte hoch.   Dann nahm er eine Handkarte und legte sie auf seine schwarze Battle City-Duel Disk. „Beschwörung des [Shaddoll Hounds].“ Ein an violetten Fäden hängender, düsterer Schattenhund tauchte vor dem Sammler auf. Goldene Elemente verzierten das künstliche Wesen, in welchem Ricther eines von Exas Monstern erkannte.   Shaddoll Hound [ATK/1600 DEF/900 (4)]   „Diese Karten“, murmelte er, „alles willenlose Hüllen derer, die in deinem Spiel mitwirken …“ „Du übertriffst dich heute wirklich selbst mit deinen Schlussfolgerungen“, kommentierte der Sammler auf seine indirekt direkte Weise und nahm eine weitere Karte aus seinem Blatt, „und bist du auch schon zu der Erkenntnis gelangt, warum ich einen Teil meines 'Reichtums' versammle?“ Ricther hatte einen Verdacht, den er jedoch nicht laut aussprechen wollte. „Ich weiß, dass du es längst erkannt hast. In dieser Menge ist korrumpierter Äther selbst für einen Undying letal.“ Der Sammler lächelte wie eh und je. „Wir dürfen ja nicht vergessen, dass das hier kein Kaffeekränzchen ist. Denn die bedauerliche Wahrheit ist, dass ich dich niemals freiwillig zu einem Tee einladen würde.“ Er schob eine Zauberkarte in seine Duel Disk. „[Nephe Shaddoll Fusion]! Ich wechsle [Shaddoll Hounds] Attribut zu Feuer-“ „Word Of D!“ Der kristallene Kopf über Ricther öffnete schleichend langsam den Mund und stieß eine kleine, aber präzise Schallwelle aus. Der Sammler weitete die Augen, wurde erfasst und um mit erhobenen Armen um etwa einen halben Meter zurückgeschoben. Sein aufrecht stehender Zauber zerplatzte dabei wie eine Seifenblase. „Was?“ Eine Karte schob sich aus Ricthers Deck hervor. „Egal welchen Effekt du aktivierst, [The Face Of D] vermag ihn sofort zu annullieren, wenn ich eine Karte desselben Typs von meinem Deck verbanne.“ Die unter seinem Arm aus dem Kartenschacht hervor stehende Zauberkarte, [Dimensions Reach], löste sich in roten Funken auf. Der Sammler gewann einen grimmigen Gesichtsausdruck, hob den Kopf jedoch stolz an. „Natürlich.“ Unbeirrt griff er noch einmal in sein Blatt und zog [Pot Of Avarice] hervor. „Dann mische ich hiermit fünf Friedhofsmonster in mein Deck zurück, um zwei Karten zu ziehen.“ „Word Of D!“ Sofort stieß Ds Kopf noch eine Schallwelle aus, die erneut des Sammlers Zauberkarte vor dessen Augen zerfetzte. Aus Ricthers Deck schob sich ein Zauber namens [Dimensions Divergence] hervor und löste sich wie verbrennendes Papier auf. „Hartnäckig“, murmelte der Sammler und formte mit den Lippen dann stumm ein Wort. 'Drei'. Dann spielte er schon die nächste Zauberkarte aus. „[El Shaddoll Fusion]!“ „Word Of D!“ Die nächste Schockwelle zerfetzte auch den neuen Schnellzauber, der sich vor dem Sammler aufstellte. Wieder verbrannte eine Zauberkarte in Ricthers Deck, [Dimensions Seperate]. „Zwei“, flüsterte der Sammler lächelnd, der genau so viele Karten in der Hand hielt. „Was meinst du, Ricther? Zwei Karten in meiner Hand, zwei in deinem Deck. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass du auch meinen nächsten Versuch unterbinden kannst?“ Der Undying schwieg jedoch. „Ich kenne die Antwort bereits. Und aktiviere [Shaddoll Fusion]!“ Über dem Sammler öffnete sich ein Sog, in den kontinuierlich Schatten gezogen wurden. Fast wirkte es, als stammen sie aus dem Kopf des Sammlers, welcher abwartend die Arme verschränkte. Und nickte, als Ricther weiterhin nichts sagte. „Wie ich mir dachte, keine weiteren Zauberkarten mehr in deinem Deck. Dann werde nun Zeuge einer neuen Fusion. Allerdings …“ Er hob belehrend den Zeigefinger, als sein [Shaddoll Hound] sich ebenfalls in einen Schatten verwandelte und in den Vortex gezogen wurde. „Du solltest wissen, dass [Shaddoll Fusion] einen nützlichen Nebeneffekt besitzt, wenn mein Gegner ein Monster aus dem Extradeck kontrolliert. Wie dein [The Face Of D].“ Triumphierend lächelnd, hob er den Arm mit der schwarzen Duel Disk daran. Aus dem Kartenstapel darin schob sich eine einzelne Karte. „Dies ermöglicht es mir, direkt Monster aus meinem Deck als Fusionsmaterialien zu verwenden. Und ich verschmelze [Shaddoll Hound] mit [Apoqliphort Towers] vom Attribut Erde.“ Ricther wich erschrocken zurück. „Was!?“ Die Karte aus des Collectors Deck schoss in die Höhe und verschwand in dem Sog, aus dem kurzerhand eine gewaltige Erscheinung trat. Je vier Auswüchse besaß sie, die wie Beine wirkten – ein riesiges Flugobjekt. Darauf saß die mechanische Puppe, der Ricther schon in Form vom [El Shaddoll Construct] begegnet war. Violette Fäden verbanden sie mit ihrem Thron. „Fusion Summon: [El Shaddoll Shekhinaga]“, verkündete der Sammler süßlich und lächelte, anders als das weiße Porzellangesicht seiner Marionette, welche sich über ihm positionierte.   El Shaddoll Shekhinaga [ATK/2600 DEF/3000 (10)]   „Xiphos' Monster auch?“, fragte Ricther fassungslos, senkte dann aber seine Stimme. „Natürlich. Auch er ist Teil deines Plans, nicht wahr?“ „Das überlasse ich ganz deiner lebhaften Fantasie.“ Der Sammler streckte die Hand nach vorne. Plötzlich tauchte vor ihm die durchsichtige Gestalt des Jagdhundes auf. „Tatsache ist, dass [Shaddoll Hound] über die Fähigkeit verfügt, die Position eines Monsters zu wechseln, wenn er auf den Friedhof geschickt wird.“ Ohne Ankündigung begann das Biest zu rennen, setzte in der Mitte des Spielfeldes zum Sprung an und schoss mit geöffnetem Maul auf das Kristallgesicht über dem Undying zu.   The Face Of D [ATK/5000 DEF/0 (12)]   Ricther rümpfte die Nase. „Niemals. Word Of D!“ Wieder öffnete sein Gott den Mund und schoss eine Schockwelle auf den nahenden Hund ab, welcher durch den Schall zurückgedrängt wurde. Die vorletzte Karte in Ricthers Deck, [Different Dimension Deity – Vistae], verbrannte. Doch zu Ricthers Überraschung verschwand die Marionette nicht. Im Gegenteil, seine Herrin hob die Hand und schoss dutzende, rot-violette Fäden aus deren Fingern ab. Binnen Sekunden umschlungen sie den Kristallkopf. „Das war bedauerlicherweise ein wenig zu berechenbar“, erwiderte der Sammler amüsiert und legte seine letzte Handkarte, [Shaddoll Squamata], auf den Friedhof. „[El Shaddoll Shekhinaga] kann jeden Monstereffekt auf Kosten einer Shaddoll-Karte annullieren-“ „Word Of D!“, fauchte Ricther erzürnt. Sein Gott legte nach und spie noch eine Schockwelle aus, die nicht nur den Geisterhund endgültig zerfetzte, sondern ebenso die Fäden, mit denen die Puppe ihn zu fesseln gedachte. Die letzte Karte in Ricthers Deck, [Different Dimension Deity – Vem], flog als ein Haufen Asche an Ricther vorbei. „Nun“, stellte der Sammler lächelnd fest, „ich denke, das sollte alles sein. Der Spieler, der keine Karten mehr ziehen kann, wenn er es muss, verliert das Duell.“ Der Undying wollte ihm schon ins Wort fallen, da übertönte der rothaarige Brite ihn jedoch autoritär. „Doch! So etwas würde ein Wächter der ewigen Ordnung gewiss nicht außer Acht lassen. Sollte ich also davon ausgehen, dass etwas 'Gutes' geschehen wird, wenn ich nun an dich abgebe?“ „Wenn keine Karten mehr in meinem Deck sind und ich ziehen muss, wird [The Face Of Ds] letzter Effekt aktiv.“ „Und schenkt dir automatisch den Sieg, statt einer Niederlage. Ganz wie es ein neuer Pfad im Netz des Schicksals tun würde.“ Der Sammler lachte. „So ist es doch, nicht wahr, Ricther?“ Jener nickte mechanisch. Ihm gefiel nicht, wie wenig sein Gegner sich daran zu stören schien. Im Gegenteil, es klang eher so, als hätte er es die ganze Zeit gewusst. Was eigentlich nicht möglich sein sollte … „Das bedeutet, dass ich dieses Duell jetzt beenden muss.“   Die Flügeltüren hinter Ricther flogen sperrangelweit auf. Der Undying wirbelte erschrocken um, anders als der Sammler, welcher keine Regung zeigte, als Kyon eiligen Schrittes durch den Saal zog. „Ein weiterer Eindringling hat diese Domäne betreten.“ „Dessen bin ich mir bewusst“, nickte der Sammler, als sein Diener vor ihm Halt machte, „aber danke für den Hinweis.“ „Noch hat er das Labyrinth nicht durchquert. Wenn Ihr es wünscht, stelle ich ihn“, bot der Mann mit dem schulterlangen, schwarzen Haar in der Butleruniform pflichtbewusst an. Anstatt einer Erlaubnis, bekam er jedoch ein Kopfschütteln als Antwort. „Meister?“ „Nein Kyon. Im Gegenteil. Es wäre besser, wenn du diesen Ort jetzt verlässt.“ Jener aber verstand nicht. Selten hatte jener seinen Herrn derart ernst erlebt, als der hinzufügte: „Willst du deine eigenen Ambitionen weiter verfolgen, rate ich dir zur Flucht.“ Einen Moment sprachlos, verneigte sich Kyon schließlich. Hinter ihm öffnete sich ein schwarzes Portal. „Sehr wohl. Vielen Dank.“ Mit einem Rückwärtsschritt trat er in die glänzende, dunkle Oberfläche, doch nicht, ohne Ricther einen letzten, eindringlichen Blick zuzuwerfen. Der zeigte keine Reaktion. Und Kyon verschwand.   „Wer auch immer unser Störenfried ist, er hat einen denkbar schlechten Zeitpunkt für seinen Besuch gewählt“, sinnierte der Sammler, kaum dass sein Diener fort war. „Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, dieses Duell muss jetzt enden. Und das wird es. Ich befehle [El Shaddoll Shekhinaga], dein Artefakt antiquierter Denkweisen anzugreifen. Los.“ Dieses Mal streckte seine majestätisch sitzende Marionette beide Hände nach vorne und schoss zahllose Fäden aus ihren Fingerspitzen ab. Gleichzeitig schossen von unterhalb ihres Throns, aus dessen 'Beinen' insgesamt vier grüne Laserstrahlen. Auf der anderen Seite schwang Ricther den Arm aus. „Gegenangriff, [The Face Of D]! Absolute Judgment Gaze!“ Die leeren Augen seiner Kristallgottheit begannen grell aufzuleuchten. „Dann ist es jetzt an der Zeit“, sprach der Sammler feierlich und ließ seine ausgestreckte Hand über die vor ihm verdeckt liegende Karte fahren, „[Final Fusion]!“ Die Falle klappte vor ihm auf, zeigte die Schlacht zweier Monster in einer nächtlichen Stadt, getreu den alten Godzilla-Filmen. „[Final Fusion]!?“, wiederholte Ricther ungläubig. In der Mitte des Spielfeldes bildete sich ein kleiner Wirbel, der wie ein schwarzes Loch all den orange-pinken Nebel absorbierte, welcher sich während des Duells gebildet hatte. Dabei drehte er sich schneller und schneller. Doch nicht nur das, auch die Fäden und Laserstrahlen Shekhinagas fing er ab, gar das Licht Ds. Alles wurde Teil des immer größer werdenden Stroms. „Diese eine Karte habe ich mir aufbewahrt, bis ich sicher war, dass du sie nicht aufhalten kannst“, erklärte der Sammler zufrieden. Sein Gegner gestikulierte wild mit den Händen. „[Final Fusion] fügt beiden Spielern Schaden in Höhe der Gesamtstärke zweier kämpfender Fusionsmonster zu.“ „Richtig, das sind [The Face Of D] und [El Shaddoll Shekhinaga].“ „7600 Punkte Schaden, ohne Ausweg. Ein Unentschieden? Ist es das, wonach du strebst!?“, verlangte Ricther zu wissen, während in der Mitte des Spielfeldes aus dem Vortex langsam eine pulsierende Lichtkugel wurde, die langsam anwuchs. Der Sammler lächelte kühl. „Hast du es denn nicht durchschaut? Hier zählt nicht mehr, wer gewinnt oder nicht. Mit dieser Karte entfessele ich meine mühsam zusammengetragene Kraft.“ „Der korrumpierte Äther! Du willst ihn wirklich einsetzen!?“ „Gab es daran denn jemals Zweifel?“ Der Dämon schloss die Augen besonnen, als die Sphäre wuchs und wuchs, bereits das ganze Spielfeld einnahm. „Hier überlebt nicht derjenige, der den meisten Schaden austeilt. Sondern der, der synchron mit dieser geballten Masse Schicksal einher geht. Und wer anderes könnte das sein, als derjenige, der es lenkt?“ „Strife, nein!“ „Doch!“, fauchte jener plötzlich zornig und riss die Augen auf, die genauso orange leuchteten wie der Äther, den er gesammelt hatte. „Hinfort mit dir, Anführer der Undying. Du wirst mir nie wieder im Weg stehen!“ Mit einem zu einer wütenden Fratze verzerrtem Gesicht hob er den Arm mit der Duel Disk daran hoch und legte Mittelfinger und Daumen aufeinander. „Lebe wohl, Ricther.“ Dann schnippte er.   Ein ohrenbetäubendes Surren hallte durch den Ballsaal. Die Lichtsphäre breitete sich exponentiell aus, verschlang den Sammler und Ricther, fraß sich durch Wände und Dach, verschlang gar das ganze Anwesen. Dann folgte die eigentliche Explosion. Eine weiße Kuppel breitete sich binnen eines Herzschlags in der Großstadt Hollow City aus, tauchte die Stadt in ihr grelles Licht und vernichtete alles, was ihr in die Quere kam.   Was folgte war Stille. Rauch hatte sich über die Stadtmitte gelegt. Erst geschah gar nichts. Dann, irgendwann, erklang das Schrillen von Sirenen. Selbst die Wolken, welche zuvor direkt über der Stadt gelegen hatten, waren fortgerissen worden. Im Himmel klaffte ein Loch und so auch auf Erden.   Das Anwesen des Sammlers war nicht mehr. Der Rauch lichtete sich nach und nach. Halb Hollow City war nunmehr ein riesiger Krater, erschaffen von der Wucht eines einzigen Aufeinandertreffens. Nichts hätte dieses Aufeinanderprallen der Kräfte überleben können. Mit Ausnahme der Gestalt, die unversehrt inmitten des Kraters stand. Ein Lächeln zeichnete des Sammlers Lippen. Das jedoch unvermittelt schwand. Denn entgegen seiner Erwartungen gab es Überlebende.   Ricther sackte keuchend in die Knie. Doch er war nicht allein. Vor ihm stand eine über zwei Meter große Gestalt, dürr, deren rechter, langer Arm in einem Stumpf endete. Sie war bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Aber sie stand aufrecht. „Stoltz!“, keuchte Ricther perplex. „Es ist des Undying Pflicht, die ewige Ordnung zu wahren“, sprach jener. Plötzlich öffnete sich oberhalb seines Bauches eine Naht, aus der dutzende Bandagen schossen und ihn umschlangen. „Und er ist die Verkörperung jener, der Richter.“ Binnen weniger Sekunden hatte sich die ursprüngliche, mumienhafte Form des Undying wiederhergestellt. Der Sammler faltete vor sich die Hände ineinander. „Du bist also der unerwartete Besucher. Ich fürchte jedoch, ich kann dich nicht in mein Anwesen hineinbitten, Stoltz.“   „Hast du in all deinen Jahren das Zählen verlernt?“, fragte Ricther plötzlich und lachte finster auf. So war der Sammler im Begriff den Mund zu öffnen, doch es verließ kein Laut seine Lippen. Stattdessen bäumte er sich auf. Blut rann seinen Mundwinkel herab. Still starrte er an sich herab und sah die lange Klinge, die aus seinem Brustkorb ragte. „Die Undying sind stets zu dritt“, hauchte hinter ihm Zed. Doch sie war nicht allein. Ihre Hände lagen um Valeries und Matts Hüften, welche den tödlichen Stoß zusammen ausgeführt hatten. Hinter ihnen verschwand ein ovales, schwarz glänzendes Portal. Voller Inbrunst erwiderten die beiden den manischen Blick des Sammlers, als dieser über seine Schulter sah. „Du hast dich mit den falschen Leuten angelegt“, belehrte Matt den Sammler, stieß seinen linken Fuß gegen dessen Rücken und zog die Klinge heraus. Eine Fontäne aus Blut schoss aus beiden Seiten der Wunde. Nur war sie nicht rot, sondern hellblau. „Un … möglich“, brach der fallende Dämon tonlos hervor.     Turn 85 – The White Witch Die Dinge nehmen einen ungeplanten Verlauf, als ein Verbündeter des Sammlers auftaucht. Gleichzeitig muss Anya sich mit Zachariah auseinandersetzen, welcher nicht zulassen will, dass Kalis Identität aufgedeckt wird. Und damit ist er nicht alleine … Kapitel 90: Turn 85 - The White Witch ------------------------------------- Turn 85 – The White Witch     Halb Hollow City war zu einem riesigen Krater geworden. Als wäre ein Komet in die moderne Stadt eingeschlagen, nur dass es einen solchen niemals gegeben hatte. Sirenen tönten aus allen Himmelsrichtungen. Ein riesiger Wolkenkratzer, der am Rand des Kraters stand und von der Schockwelle beschädigt worden war, knickte um und stürzte ein.   Das Loch war so tief, dass die in seinem Zentrum Anwesenden davon gar nichts mitbekamen. Kalte Erde befand sich unter ihren Füßen. Zwei paar Hände hielten ein langes Katana, das im Mondschein bläulich schimmerte. So grell wie das Blut, das aus der Wunde des Sammlers schoss, die es diesem zugefügt hatte. Jener beugte sich im Antlitz des knienden Ricthers und des einarmigen Stoltz' vorne über, spuckte blaues Blut. Und begann zu lachen. Leise, dann immer lauter. Valerie und Matt, die zusammen mit Zed hinter ihm standen, tauschten entgeisterte Blicke aus, während sie mit dem Schwert in der Hand zurückwichen. „Das nenne ich eine Überraschung“, lachte der Sammler, ohne einen von ihnen dabei anzusehen, „dass ihr Ragnarok gegen -mich- einsetzt …“ Der Dämonenjäger hinter ihm keuchte, sah an der leicht gebogenen Klinge herab. „Er weiß davon!?“ „Selbstverständlich. Ich zähle ihren einstigen Besitzer zu meinen Freunden.“ Der Sammler drehte sich langsam zu ihm um, die Fontäne aus der Wunde in seiner Brust war abgeklungen, auch wenn das Blau noch aus ihr sickerte. „Leider habt ihr euch verkalkuliert.“ Matts Griff um das Katana festigte sich und Valerie, die das bemerkte, lies sofort los. Feindselig zischte der junge Mann: „Das wollen wir erstmal sehen.“ „Gib dir keine Mühe.“ Der Sammler streckte die Hand zur Seite, in der ein schlichter, schwarzer Gehstock mit gebogenem Griff erschien. „Meine Zeit ist noch lange nicht gekommen, Matthew Summers. Ich bin übrigens sehr enttäuscht.“ Sein Gegenüber horchte auf. „Ich dachte, wir wären uns einig gewesen“, sprach der rothaarige Brite mit der Narbe auf der Wange und setzte seinen Stock ab, stützte sich mit beiden Händen daran ab. „Was du getan hast könnte ich durchaus als Bruch unserer Vereinbarung werten. Dasselbe gilt für dich, Valerie Redfield.“ Auch die junge Frau starrte den mächtigen Dämon aufgelöst an. Jener schnalzte bloß mit der Zunge und rief: „David!“   „Zur Stelle!“, hallte eine enthusiastische, helle Stimme durch den tiefen Krater. Für den ersten Augenblick war ihr Ursprung ungewiss, bis Matt in der Ferne erkannte, wie eine das Mondlicht spiegelnde Spur aus Eis die Wölbung des Kraters hinabrann. Im wahnwitzigen Tempo zischte sie herunter und als sie näher kam, erkannte er eine Person, die sie mit ihren Händen nach unten gerichtet erschuf und darauf Richtung Zentrum rutschte.   Der ritterhafte Hüne Ricther und der bandagierte Stoltz bemerkten es auch und drehten sich um, doch in dem Moment stieß sich die Person von der Eisbahn ab – dank einer Eissäule, die unvermittelt aus jener schoss. Wie ein Pfeil flog er durch die Luft, drehte sich dabei und gelangte über die beiden Undying. Er drehte sich im Mondlicht, der junge Mann mit dem schwarzen Haar, dessen Pony zu einer kleinen, blauen Spitze nach oben verlief. „Wer ist das?“, stammelte Zed. David drehte sich in der Luft. In seinen Händen erschienen lange Eissäbel, die er in Richtung der beiden Undying hinab schleuderte. Ricther und Stoltz wichen beide gekonnt aus, wobei Ersterer dabei seine Schwert-Duel Disk in ihre massive Ursprungsform umfunktionierte. Der Widersacher der beiden landete zwischen ihnen in der Hocke, schnappte sich die vor und hinter ihm steckenden Eiswaffen und ging sofort wie ein Berserker auf Ricther los. „Man, Ihr seid wirklich vorausschauend, Meister“, sprach er dabei fast schon abwesend in Richtung des Sammlers, „wenn ich darüber nachdenke, dass wir erst kurz vorher unser ganzes Zeug ins neue Hauptquartier geschafft haben …“ Ricther, der die Hiebe nebenbei parierte, murmelte argwöhnisch: „Das war also alles von Anfang an vorausgeplant gewesen.“ Sein Gegner wandte sich ihm zu und zwinkerte neckisch. „Na logo, was denkst du, mit wem du es zu tun hast?“ „Einem Feind der ewigen Ordnung“, tauchte hinter ihm unvermittelt Stoltz auf und griff mit seinem übernatürlich langem Arm nach ihm. Unbeeindruckt davon, wirbelte David herum, verpasste dem mumifizierten Undying einen Tritt, der ihn mehrere Meter zurückschleuderte und warf eine seiner Klingen nach ihm. Welche in dessen Brust stecken blieb. Stoltz zeigte sein verfaultes Lächeln, das jedoch mit einem Male gefror. Wie er selbst, als er von Innen heraus zu einer waschechten Eissäule erstarrte.   Valerie, Matt und Zed stießen erschrockenes Keuchen aus. „Nun denn“, sprach derweil der Sammler seine Gegenüber autoritär an, „bedauerlicherweise bin ich nicht in der Stimmung für ein kleines Mordkomplott gegen mich. Wenn ihr mich also entschuldigen würdet.“ Er hob den Gehstock, auf dem er sich abstützte, mit der rechten Hand an und deutete zur Seite, wo sich ein schwarz-glänzendes, ovales Portal öffnete.   Parallel dazu ging der Schlagabtausch zwischen diesem David und Ricther in die nächste Runde. Ersterer beharkte seinen Gegner mit schnellen Hieben seines Eissäbels, welche jedoch allesamt vom Undying pariert wurden. Der stieß den letzten Schlag zurück und holte seinerseits zu einem vernichtenden Schwung aus. Als die Klinge des Schwarzhaarigen krachte, zerbarst jene in dessen Händen. Hätte David sich in diesem Moment nicht vorausschauend unter dem schräg nach oben gerichteten Hieb weggeduckt, wäre er einen Kopf kürzer gewesen. „Nicht schlecht“, meinte er dabei anerkennend und richtete seine flache Hand während des Ausweichmanövers gen Boden. Besser gesagt dorthin, wo Ricther gerade stand. Weißer Nebel stieß aus Davids Handfläche und ließ die Erde gefrieren. Es kam, wie es kommen musste: Durch den Schwung verlor Ricther das Gleichgewicht und schlug auf der Seite auf, verlor sein Schwert. Ehe er sich seiner Situation gewahr wurde, ließ David zwei neue Eissäbel in seinen Händen entstehen und rammte sie in Richtung des gepanzerten Hünen, welcher sie griff und festhielt, ehe sie ihm zu nahe kamen. So liegend, rang er mit dem unbekannten Handlanger des Sammlers, welcher ihm körperlich deutlich unterlegen war.   „Du willst abhauen?“ Matt funkelte den Sammler verächtlich an, schielte aus dem linken Auge zum geöffneten Portal herüber. „Vergiss es!“ Unvermittelt stürmte er alleine mit dem Katana in seiner Hand auf den rothaarigen Mann zu, was diesem jedoch nur ein müdes Lächeln abrang. Der folgende Hieb wurde gekonnt mit dem Gehstock pariert. Matt konnte gar nicht so schnell reagieren, da hatte sich dessen Haken um die Klinge geschlungen. Geschickt wand der Sammler den Stock und riss Matt das Schwert damit aus den Händen, zog ihn dabei gleichzeitig noch zu sich. Dann schlug er zurück, stieß mit dem Griff gegen Matts Brustbein, verpasste ihm anschließend einen Hieb gegen die Schläfe, sodass der Dämonenjäger im schwarzen Mantel zu Boden ging. „Waghalsig wie eh und je. Und nie zu deinem Vorteil“, höhnte er, als er auf den blutenden jungen Mann herabsah. Überraschenderweise verzichtete er jedoch auf weitere 'Disziplinierungsmaßnahmen' und schritt herüber zum Portal. „David, wir sind hier fertig.“   „Alles klar, Meister. Sorry“, ächzte der, noch immer mit seinem Gegner ringend. Und ließ die Klingen unvermittelt los, erschuf sofort zwei neue und rammte sie in die Brust des überraschten Undying. Keine Sekunde später gefror auch Ricther zu einer mächtigen Eisfigur. „Ricther!“, stieß Zed entsetzt hervor. Und versperrte in einer schnellen Bewegung mit ausgestreckten Armen dem Sammler den Weg zum Portal. „Dafür wirst du einen angemessenen Preis zahlen, Strife Carrington!“ Sie richtete eine Hand nach vorne, in der sich ein schlichter, weißer Stab materialisierte. Eine Spitze leuchtete rot, die andere blau auf, beide aus Kristall gemacht. Der Sammler fasste sich kopfschüttelnd an die Stirn. „Muss das sein?“ Doch unter einem wütenden Aufschrei stürmte die Undying mit dem seidigen, schwarzen Haar bereits auf ihn zu. Und wie bei Matt parierte er ihren Angriff, nutzte den Griff seines Gehstocks als Haken und zog Zed so nah an sich heran, dass sie glaubte, er würde direkt durch ihre hohe, weiße Maske in ihre Augen blicken. „Ich habe keine Angelegenheiten mit dir zu klären.“ Blitzschnell hakte er seine Waffe wieder aus und stieß ihr gegen die Brust. Statt sich zu regen, blieb sie plötzlich wie eingefroren stehen.   Seelenruhig spazierte der Sammler an ihr vorbei, näherte sich dem Portal. Parallel dazu war David mit seinem Kampf fertig geworden und rannte auf seinen Meister zu. Dabei warf er Valerie, die als Einzige noch unversehrt war, einen merkwürdig fröhlichen Blick zu. Jene folgte mit dem ihren den beiden mechanisch. Neben ihr hielt sich Matt mit beiden Händen den Kopf und keuchte, ächzte, als hätte er unerträgliche Schmerzen. Die beiden anderen Undying waren zu Eisstatuen erstarrt. Was um Himmels Willen geschah hier, fragte sich Valerie gelähmt.   Und dann sah sie die beiden, wie sie durch das Portal stiegen und verschwanden. Der Mann, der an allem die Schuld trug. Der Anya überhaupt erst zu seiner Marionette gemacht hatte, der Mann, der seither im Hintergrund die Fäden zog und indirekt für das Ende ihrer Beziehung verantwortlich war, für das Ende ihrer Karriere, bevor diese überhaupt begann. Valerie blickte nach unten. Das Katana lag direkt vor ihren Füßen. Und sie fasste einen Entschluss: Sie würde es zu Ende bringen. Der Sammler durfte nicht entkommen!   In einer schnellen Bewegung griff sie sich das Katana, dessen Scheide sie geschultert hatte und rannte zum Portal, welches bereits kleiner wurde. „Nicht!“, rief Matt ihr schwach zu, als sie an der erstarrten Zed vorbei zog, streckte einen Arm nach ihr aus. „Valerie, das ist Selbstmord!“ Doch sie hörte nicht auf ihn und verschwand wortlos im Portal, welches sich danach auflöste. Matt ließ den Arm auf den Boden sinken und seufzte schwer. Wenn ihr etwas geschah, war es seine Schuld …   ~-~-~   Es knackte laut, als Kali auf dem harten Parkett des Ephemeria Bridge Stadions aufschlug und regungslos liegen blieb. Blondes Haar verdeckte ihr Gesicht. Neben ihr zerschellte die weiße Maske, die sie im Fall verloren hatte. „Nein!“, hörte Anya jemanden schreien und wirbelte herum.   Ihr Bruder Zachariah rannte mit zornesrotem Gesicht auf den Schauplatz zu. Es brauchte nur eine Sekunde, ehe Anya die Situation erfasste. Und ohne darüber nachzudenken, streckte sie die Hand nach hinten aus, wo noch der riesige Donnerbulle Murciélago verharrte. Jener löste sich schlagartig in einen Blitz auf, der Anyas ausgestreckte Hand durchfuhr und zu einem gezackten Schwert wurde. „Du kommst mir nicht in die Quere!“, fauchte sie den Blonden im weißen Hemd an und schwang das einzelne Schwert in seine Richtung, wobei in ihrer anderen Hand ein zweites entstand. Tosende Blitze lösten sich von den Zacken und zischten auf Zach zu, welcher erschrocken stoppte und erfasst wurde. Er schaffte es noch, die Arme schützend vor sich zu halten, bevor er getroffen wurde und infolge dessen gequält aufschrie. Statt nachzugeben, schwang die ebenfalls besonders an den Beinen mitgenommene Anya nun auch die zweite Klinge aus und schleuderte weitere Blitzwellen auf ihren Bruder. Jener sackte in die Knie, rollte sich aber mehr schlecht als recht weg, als die zweite Salve ihn zu treffen drohte. Wie ein Sprinter schoss er aus der Hocke hoch und rannte wieder auf Anya zu, die sich keuchend nach vorne beugte. „Shit“, stöhnte sie ob ihrer Erschöpfung. Eben war sie doch noch voller Energie gewesen!? Und dieser verdammte Schmerz, er wurde immer schlimmer. Trotzdem fauchte sie aufgeregt: „Nicht mit mir!“ Und schleuderte zwei weitere Wellen in Zachs Richtung, welcher der ersten durch einen Hechtsprung ausweichen konnte, aber dadurch direkt in die zweite geriet. Wenige Meter vor Kali krachte er zuckend auf den Boden.   „Wo kommt der überhaupt so plötzlich her?“, knurrte Anya und ließ die Klingen in ihren Händen verschwinden. „Was auch immer, dieses neue Artefakt ist mal verdammt geil!“ Levriers Stimme ertönte in ihrem Kopf.   Er muss das Duell von den Zuschauerrängen beobachtet haben. Ungewöhnlich ist, dass von ihm keinerlei Präsenz ausgeht, fast als existiere er gar nicht. Er muss unter irgendeinem Zauber stehen.   „Bestimmt ihr Werk.“ Anya nickte zu Kalis reglosem Körper. „Eins kannst du wissen: Ich werde jedes noch so kleine Geheimnis aus ihr herauskitzeln. Und wenn ich kitzeln sage, meine ich, dass ich ihre verdammte Haut wie eine Kartoffel schälen werde!“ Langsam schleppte sie sich auf Kali zu. Durch das offene, riesige Stadion drang ein wenig Mondlicht, das jedoch von dichten, grauen Wolken erstickt zu werden drohte. Doch wie Anya sich Schritt um Schritt zu ihrer Widersacherin bemühte, kroch auch Zachariah verzweifelt zu ihr. „Der gibt immer noch nicht auf?“, staunte Anya und blieb stehen.   Man sollte erwarten, dass er diese Aufopferung dir entgegenbringen sollte, nicht Kali.   Ja, dachte Anya bitter, denn auch wenn sie sich nie sonderlich gut verstanden hatten, konnte sie seine Motive seither nicht verstehen. Als Zachariah die gefallene Dämonengöttin erreicht hatte, mühte er sich schwankend auf, breitete die Arme aus. „Wenn du sie willst, musst du erst an mir vorbei!“ „Das krieg ich hin“, knurrte Anya trotz ihrer Bitternis und ließ in beiden Händen wieder die gezackten Schwerter erscheinen. „Noch so'n Treffer und du machst dich nass wie Leila Holmes damals, als wir sie damit erpresst haben, ihren Teddy zu ertränken.“ „Da wart ihr beide vier.“ „Na und, du warst viel älter und hast mir trotzdem geholfen.“ Anya grinste. Einer der wenigen Fälle von Teamwork zwischen den beiden, da Zach damals auch nicht gut mit der Holmes-Familie auskam. Auch ihr Bruder schmunzelte, verfinsterte dann aber seine Miene. „Was auch immer, ich fordere dich zu einem Duell heraus.“ Die Waffen in Anyas Händen lösten sich völlig unvermittelt auf. Und als sie sie zurück beschwören wollte, geschah gar nichts. „W-was?“   Wie ist das möglich? Könnte es tatsächlich eine übergeordnete Regel geben, die Duelle erzwingt?   Anya war diesbezüglich jedoch genauso ahnungslos wie Levrier, ahnte aber, dass seine Vermutung in die richtige Richtung ging. Was dann die Frage auf den Tisch brachte, -wer- dieses ungeschriebene Gesetz erlassen hatte und warum. „Tch, das gibt’s doch nicht“, zischte sie und hob ihren Arm mit dem roten D-Pad daran, „fein, dann bekommst du den Gnadenstoß eben im Duell. Mir doch egal!“ Der Blonde atmete schwer und aktivierte den Apparat an seinem Arm ebenfalls. Und Anya weitete die Augen, als sie diesen als -ihre- Duel Disk wiedererkannte. Abgenutzt, aber immer noch zuverlässig. Er hatte sie nicht zerstört. „'kay“, zischte sie, „schön, dass du mein Eigentum gleich mitgebracht hast.“ „Freu' dich nicht zu früh. Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du die wahre Bedeutung von 'deinem Eigentum' verstehen. Da Kali anscheinend zu schwach war, muss ich den Job übernehmen.“ Er blickte über die Schulter, wo die Frau hinter ihm am Boden lag. „Sorry, aber du wolltest ja nicht hören.“ Er richtete sein Augenmerk wieder auf Anya. „Mach dich bereit.“ „Duell“, schrie die zurück.   [Anya: 4000LP / Zachariah: 4000LP]   „Ernsthaft, du lernst es in diesem Leben auch nicht mehr, huh!?“, fauchte Anya ihren Bruder zornig an, welcher sich unter schmerzerfülltem Gesichtsausdruck die Schulter hielt. „Ich lass mich nicht von euch Kackbratzen unterkriegen! Ich beginne!“ Da er nichts erwiderte, zog sie fünf Karten am Stück. Während sie ihr Blatt studierte, warf sie immer wieder einen finsteren Blick zu Zachariah herüber, der erst den Platz frei machen würde, wenn er eine gehörige Portion ihrer Anya Bauer-Premium Wut zu spüren bekam. Und das würde er! „Ich aktiviere meine Lieblingskarte [Gem-Knight Fusion]!“, rief Anya und hielt jene zusammen mit zwei Monstern in die Höhe. „[Gem-Knight Sapphire], du bist das Herz, [Gem-Knight Obsidian], du die Rüstung! Vereint euch!“ Über ihr öffnete sich ein Sog, in dem aus dem Nichts erscheinende Edelsteine gezogen wurden. Das und die Hologramme eines hellblauen und eines schwarzen Ritters. Anya brüllte: „Fusion Summon! Schütze mich, [Gem-Knight Aquamarine]!“ Ein Blitz schoss zusammen mit einer imposanten Gestalt aus dem Vortex. Ihr neuer Ritter landete mit einem Satz vor ihr und ging in die Knie. Hellblau schimmerte seine Rüstung, von der ein langer, violetter Umhang den Boden bedeckte. Aquamarine schützte sich mit einem Rundschild an seinem rechten Arm, aus dem eine breite, kurze Eisklinge ragte.   Gem-Knight Aquamarine [ATK/1400 DEF/2600 (6)]   „Das war aber noch nicht alles! Wenn Obsidian von meiner Hand fusioniert wird, beschwört er ein normales Monster der Stufe 4 oder niedriger von meinem Friedhof!“ Anya streckte den Arm nach vorne aus. „Komm zurück, Sapphire!“ Kurz darauf öffnete sich neben ihrem Ritter ein Loch im Boden, aus dem der hellblaue, unbewaffnete Krieger erschien – ebenfalls kniend. Mit einem Schwenk seiner Hand erzeugte er vor sich eine Eisbarriere. Gem-Knight Sapphire [ATK/0 DEF/2100 (4)]   „Und jetzt schicke ich [Alexandrite Dragon] als Licht-Monster der Stufe 4 von meinem Deck auf den Friedhof, um es als Empfänger zu behandeln und auf meinen Stufe 4-Sapphire einzustimmen!“, rief Anya und richtete ihre Hand wieder nach oben. Dort, weit über ihr, entstand ein goldener Ring, von dem sich vier weiße Federschwingen erstreckten. „From the light of a different world, the herald of starlight descends upon the ravaged land! By discarding a single star, I call upon you!“ Ihr Eisritter verwandelte sich in vier grüne Lichtkugeln, die ebenfalls empor stiegen und durch den Ring schossen. „Synchro Summon!“ Ein Lichtblitz schoss durch den Ring. Im Anschluss reckte sich ein langer, schlangenhafter Drache aus dessen wässriger Oberfläche nach vorne, nach hinten hingegen wuchs sein Schweif, bis beide Enden aneinander passten. „Shine forth, [Angel Wing Dragon]!“ Brüllend richtete der sich auf, wirkte mit seinem goldenen Kragengestell wie eine lauernde Königskobra.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   „Eine verdeckt! Zug beendet!“, knurrte Anya und ließ die Karte mit dem Rücken nach oben vergrößert vor sich erscheinen. Sie konnte genau sehen, wie ihrem Bruder der Schweiß auf der Stirn stand. Wenn bloß ihre Beine nicht so schlapp wären und höllisch schmerzen würden. Der Adrenalinschub von eben war längst vorbei, shit!   Als Zachariah aufzog, grinste er schadenfroh. „Na, tut's weh? Kali hat dich ziemlich auseinander genommen, was?“ „Pah, die paar Schrammen stören mich nicht!“ Auch Anya setzte eine bitterböse Fratze auf. „Dafür hat sie direkt die Quittung bekommen …“ Ihr Bruder sah plötzlich mit undurchschaubarem Gesichtsausdruck über die Schulter. „Ja. Das hat sie auch verdient.“ „Huh!?“ Als der Blonde sich ihr wieder zuwandte, schüttelte er seufzend den Kopf. „Wir haben ihr gesagt, dass es noch zu früh für eine direkte Konfrontation zwischen euch beiden ist. Ungeduld ist eben keine Tugend, aber wem sag ich das, 'Schwesterherz'?“ Sofort erschien neben der der weiße Ritter Pearl mit verschränkten Armen.   Wer ist wir?   Und Zachariah fand sein hässliches Grinsen wieder. „Das wirst du noch früh genug herausfinden.“ Entschlossen griff er in sein Blatt. „Aber nicht heute! Ich beschwöre [Merlin]!“ Aus einer Stichflamme tauchte er völlig unvermittelt auf, der legendäre Magier. Seine violette Robe und der lange, weiße Bart bewegten sich, obwohl kein Wind blies. Auf seiner Schulter ruhte ein roter Babydrache. Und der lange Stab, den er schwang, gab an seiner kugelrunden Spitze ein dunkles Flackern ab.   Merlin [ATK/1400 DEF/500 (3)]   „Monstereffekt von [Merlin]. Er opfert sich selbst, um einen Noble Knight von meinem Deck zu beschwören, egal welchen.“ Zach streckte die Hand nach vorn aus. „Erscheine, [Noble Knight Medraut]!“ Sein Magier nahm den Stab in beide Hände und schlug damit auf das Parkett des Spielfelds. Eine Rauchwolke stieß unter ihm hoch und von einer Sekunde zur anderen, hatte er vollkommen die Gestalt verändert. Statt eines alten Mannes, stand nun ein blonder, großgewachsener Ritter vor Zachariah, der einen nicht weniger strengen Blick aufgesetzt hatte als sein Besitzer.   Noble Knight Medraut [ATK/1700 DEF/1000 (4)]   „Ich rüste ihn von meiner Hand mit [Noble Arms – Arfeudutyr] aus. Den Effekt dieses Schwertes kennst du sicher noch“, murmelte Zachariah geheimnisvoll, als das normale Schwert seines Kriegers durch eines mit schwarzem Griff und leuchtender Klinge ersetzt wurde. „Für 500 Angriffspunkte kann sein Träger eine verdeckte Karte zerstören. Deine.“ Anya keuchte auf, als der Ritter Mordred das Schwert auf sie richtete und daraus einen grellen Strahl abfeuerte, der ihre gesetzte Karte [Fragment Fusion] zerfetzte.   Noble Knight Medraut [ATK/1700 → 1200 DEF/1000 (5)]   „Du hast wohl schon wieder vergessen, dass Karten in der Backrow vor mir nicht sicher sind“, stichelte Zach und zuckte mit den Schultern. „aber umso besser für mich. Übrigens, was auch gut für mich ist, ist der Effekt von Medraut. Ich zerstöre eine an ihn ausgerüstete Zauberkarte und beschwöre einen weiteren Noble Knight vom Deck im Verteidigungsmodus. Ich wähle Drystan.“ Voller Entschlossenheit richtete sein blonder Krieger die Waffe in die Höhe. Ein Blitz schlug in sie ein, welchen Mordred mit einem Schwenk neben sich umlenkte. Eine Rauchwolke entstand, aus der ein Harfe spielender Jüngling mit braunem, zu einem Pferdeschwanz gebundenem Haar erschien.   Noble Knight Drystan [ATK/1800 DEF/800 (4)]   „Und vergessen wir nicht, dass Noble Arms sich einmal pro Zug an ein neues Monster ausrüsten können, wenn sie zerstört werden. Also erhält Drystan [Noble Arms – Arfeudutyr]“, erklärte Zachariah und hob langsam den Zeigefinger, „und aktiviert seinen eigenen Effekt. Denn einmal pro Zug, wenn er eine Waffe erhält, tötet er sofort eines deiner Monster.“ Anya weitete die Augen, als der harmlos aussehende Tristan seine Hand ausstreckte, in der die leuchtende Klinge erschien. Sein verträumter Blick wich einem kämpferischen, als er von ihr einen Lichtblitz abschoss, direkt auf [Angel Wing Dragon], der dank Zachs Zeigefinger zum Ziel auserkoren worden war. Der Strahl schoss durch die Stirn des schlangenhaften Drachen, welcher qualvoll schreiend explodierte. „Einer weniger.“ „Elender Mistkerl“, zischte Anya.   „Ich bin noch lange nicht mit dir fertig“, sprach ihr Bruder auf einmal mit berechnender Gelassenheit, „solange Medraut unbewaffnet ist, gilt er als Normales Monster. Dementsprechend kann ich ihn opfern, um [Ignoble Knight Of Black Laundsallyn] durch seinen eigenen Effekt zu rufen.“ Der eigene Schatten des blonden, grimmigen Ritters löste sich vom Boden und erhob sich hinter diesem, um ihn dann aus dem Hinterhalt zu übermannen. Mordreds Gestalt änderte sich, er wurde zu einem großen Ritter mit langem, schwarzen Haar in einer dazu passenden Rüstung, dessen Augen rot leuchteten.   Ignoble Knight Of Black Laundsallyn [ATK/2000 DEF/800 (5)]   Zach senkte das Kinn. „Nun opfere ich mit seinem Effekt einen weiteren Noble Knight, um an eine Noble Arms aus meinem Deck zu kommen.“ Lancelot streckte seine Hand nach Drystan aus, der augenblicklich zerplatzte. „Ich erhalte [Noble Arms – Excaliburn II].“ Besagte Karte ließ Anya aufschrecken, als sie automatisch von -ihrer- Duel Disk ausgeworfen und von Zach aufgenommen wurde. Das Mädchen knirschte mit den Zähnen. „Immer dieselbe Leier, hast du keine neuen Einfälle!?“ „Auch wenn du meine Strategie inzwischen kennst, ist sie trotzdem äußerst effektiv.“ „Wohl eher ist sie die einzige Karte, mit der du mir eins auf den Latz geben kannst, huh?“, konterte Anya. Seine Züge dabei verrieten nichts, doch sie wusste, dass es stimmte. „Na dann, versuch's doch, vielleicht klappt's ja diesmal. Aller guten Dinge sind bekanntlich drei!“ „Du kannst es ja gar nicht abwarten. Also schön. Ich verbanne Mordred und Tristan von meinem Friedhof, um [Noble Knight Eachtar] aus meiner Hand spezialzubeschwören.“ In weißer Rüstung mit goldenen Ornamenten tauchte vor Zach ein brünetter Ritter auf, der eine einzelne Fackel in die Höhe hielt.   Noble Knight Eachtar [ATK/1600 DEF/2000 (5)]   „Und nun erschaffe ich das Overlay Network.“ Vor dem blonden, großgewachsenen Mann öffnete sich ein Schwarzes Loch, das Lancelot als violetten und Sir Hector als gelben Lichtstrahl absorbierte. „Aus meinen beiden Stufe 5-Monstern wird ein Rang 5-Monster!“ Anya weitete die Augen. Moment mal, der wollte doch nicht etwa …!? „Xyz Summon! Erscheine vor mir, König der Legende! [Sacred Noble Knight Of King Artorigus]!“ Ein greller Lichtstrahl drang aus dem Überlagerungsnetzwerk in die Höhe. Begleitet davon schwebte der brünette Artus empor, in stählerner Rüstung mit Pelzakzenten. Sein langer, roter Umhang flatterte wild umher, zwei Lichtkugeln umkreisten ihn.   Sacred Noble Knight Of King Artorigus [ATK/2200 DEF/2200 {5} OLU: 2]   Anya traute ihren Augen kaum. „Wie kannst du eine Inkarnation einfach so beschwören!?“ „Du hinkst scheinbar mit der Zeit hinterher, 'Schwesterherz'. Die neue Generation der Inkarnationen lässt sich auch ohne Vorarbeit beschwören.“ Zach nahm zwei Karten aus seinem Blatt. „Wie du weißt, erhält Artus bei seiner Beschwörung bis zu drei Noble Arms vom Friedhof. In dem Fall also Arfeudutyr. Darüber hinaus rüste ich ihn noch mit [Noble Arms Of Destiny] und [Noble Arms – Excaliburn II] aus!“ An Arm des imposanten Königs materialisierte sich ein bunter, leuchtender Schild, an seinem Waffenrock das finstere Schwert von zuvor. Doch wirklich bombastisch war das gewaltige Breitschwert, das über seinem Kopf Form annahm und das Artus mit beiden Händen packte. Aus purem Gold war sein Griff, wohingegen in der Klinge selbst zwei blaue Energieströme bis zur Spitze verliefen. Unvermittelt explodierte um ihn herum eine gleichfarbige Aura, als er unter einem Aufschrei begann, das schwere Schwert mit nur einer Hand zu führen.   Sacred Noble Knight Of King Artorigus [ATK/2200 DEF/2200 {5} OLU: 2]   „Ja ja, ich weiß, kein Punktebonus, so werde ich nie über [Gem-Knight Aquamarines] Verteidigung kommen und so weiter“, murmelte Zachariah vor sich hin, obwohl Anya gar keine Anstalten gemacht hatte, irgendetwas zu sagen, „den Teil überspringen wir jetzt einfach, ja?“ „Yeah …“ Seine Schwester ließ den Kopf hängen. „Oh?“ Scheinbar hatte er nicht erwartet, ihren Kampfgeist so schnell schwinden zu sehen. „Sehr gut, dann weißt du also schon, was jetzt kommt? Das erspart mir lästige Erklärungen!“ Er griff unter Artus' Karte auf der abgenutzten Duel Disk und riss eines seiner Xyz-Materialien hervor. „Ich hänge eine Overlay Unit ab, damit Artus dein Monster sofort tötet! Death Penalty!“ Ein Blitz aus dem Nichts. Er schlug in die massive Klinge des Königs ein, in der gleichzeitig auch eine der Sphären verschwand, die um ihn ihre Bahnen zogen.   Sacred Noble Knight Of King Artorigus [ATK/2200 DEF/2200 {5} OLU: 2 → 1]   Artus schwang seine Waffe daraufhin aus und ließ eine ähnliche Schockwelle los, wie Anya sie vor dem Duell gegen seinen Besitzer eingesetzt hatte. Im Flug über das Feld rissen die einzelnen Blitze den Boden auf, ehe sie in den knienden Ritter einschlugen. Jener explodierte lautstark, tauchte Anyas Feld in einen weißen Nebel. „Damit wäre das-“ „Monstereffekt von [Gem-Knight Aquamarine]. Icicle Punishment“, drang Anyas Stimme monoton hinter dem Dunst hervor. Keine Sekunde später schossen dutzende spitze Eisprojektile aus jenem. Der Ritterkönig ging sofort in die Knie und schützte sich mit seinem Energieschild, in dem die Geschosse allesamt stecken blieben. „Wirklich nett“, winkte Zachariah ab, „aber [Noble Arms Of Destiny] verhindert einmal pro Zug die Zerstörung ihres Trägers.“ Der Ton seiner Gegnerin blieb so kalt wie die Projektile in Artus' Schild, als sie konterte: „Dein Monster wird nicht zerstört.“ Tatsächlich zog sich eine dicke Eisschicht über den bunten Energieschild. Jene breitete sich weiter und weiter aus, fror Artus in Sekundenschnelle ein. Bis die Skulptur zersprang. „Was!?“ Schließlich verzog sich der Nebel vor Anya, die immer noch den Blick gesenkt hielt. „Wird Aquamarine zerstört, gibt sie eine deiner Karten auf die Hand zurück. Xyz-Monster also ins Extradeck.“ Fassungslos nahm Zachariah erst die schwarze Karte von seiner Duel Disk, ehe er die drei Ausrüstungszauberkarten allesamt in den Friedhof beförderte. Schweiß stand ihm dabei auf der Stirn, sein Blick gewann etwas Panisches, als er letztlich auch Excaliburn II entsorgte. Seine letzte, nutzlose Handkarte betrachtend, presste er zerknirscht hervor: „Zug beendet.“ „Schlecht für dich“, erwiderte Anya immer noch tonlos, „denn jetzt kommt [Angel Wing Dragon] zurück, indem ich zwei Stufe 4-Monster vom Friedhof verbanne.“ Welche [Gem-Knight Sapphire] und [Alexandrite Dragon] waren, die auch gleich in der Hosentasche der Blonden verschwanden. Über dieser erschien der goldene, mit weißen Federschwingen bestückte Ring, aus dem effektvoll der schlangenhafte Drache hervor schoss.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   Zachariahs Atem ging schwer. Er griff sich wieder an die verletzte Schulter und funkelte Anya feindselig an, die wortlos aufzog. „Letzte Chance“, kam es beherrscht aus ihrem Mund, „wieso hilfst du der da und nicht mir?“ „Das ist“, zögerte ihr Bruder und vermied es sie anzusehen, obwohl sie ihrerseits ihm ebenso wenig in die Augen blickte, „selbstverständlich.“ In diesem Moment verlor Anya die Fassung. Voller angestauter Wut schrie sie: „Ist das dein Ernst!? Obwohl du scheinbar weißt, in welcher Lage ich mich befinde, hilfst du einer völlig Fremden dabei, ihren beschissenen Kleinkrieg gegen mich zu führen!? Deine eigene Schwester!?“ Trotz seiner misslichen Lage lachte Zach abweisend auf. „Mal ehrlich, soll ich etwa Reue dafür empfinden? -Du- bist nicht die Sorte Mensch, für die ich durch die Hölle gehen würde.“ Anya blieben die Worte im Halse stecken. „Und außerdem kenne ich Kali schon sehr viel länger als du glaubst.“ „Woher!?“ Anya riss die Augen so weit auf, dass sie drohten aus ihren Höhlen zu springen. „Wer ist diese Kackbratze, dass du sogar bereit bist, für sie verletzt zu werden!?“   Die Antwort blieb er ihr jedoch schuldig. Im Mondlicht stand er da und lächelte so überheblich wie eh und je. Anya atmete tief durch. „Wirst du es mir wirklich nicht sagen?“, verlangte sie mit unterdrückter Aggression zu wissen. Dann nahm sie eine ihrer beiden Karten und legte sie auf das D-Pad. „Auch nicht wenn ich das hier mache? Normalbeschwörung: [Gem-Knight Lapis]!“ In cremefarbener Rüstung tauchte vor Anya eine kleine Ritterin auf, an deren Helm sich eine herabhängende Lasche befand. In die Panzerung ihrer Brust war ein blauer Edelstein eingesetzt.   Gem-Knight Lapis [ATK/1200 DEF/100 (3)]   Zachariah hielt den Atem an. „Yeah“, sagte Anya daraufhin verbittert, „zusammen sind sie vielleicht nicht stark genug, um deine Lebenspunkte komplett auszulöschen, aber da ist immer noch die Sache mit [Noble Arms – Excaliburn II]. Am Anfang deines Zuges bestraft sie dich mit 1000 Schadenspunkten, wenn sie auf deinem Friedhof liegt.“ Ihr Bruder sagte gar nichts, presste die Lippen fest aufeinander. Etwas anderes hatte Anya inzwischen nicht mehr erwartet. „Also ist das alles, huh? Von wegen Blut ist dicker als Wasser.“ Zach warf einen Blick nach hinten, prüfte, ob Kali nicht vielleicht das Bewusstsein wiedererlangt haben könnte. Aber dem war nicht so. „Fein“, sagte Anya so leise, dass er es vermutlich gar nicht hörte. Dann fand sie zu ihrem typischen, dauerhaft schlecht gelaunten Ton zurück, „ich könnte dich jetzt angreifen und darauf warten, dass deine eigene Karte dir den Rest gibt …“ Sie nahm ihre letzte Karte, einen Zauber, und schob ihn in das rote D-Pad. „Aber du brauchst eine Abreibung der Sonderklasse, also übernimmt das Angel Wing! Oder besser gesagt diejenige, die seine Kräfte erben wird: Ich aktiviere [Particle Fusion]!“ Über Anya entstand ein gewaltiger Wirbel aus Edelsteinen, die jedoch nicht wie sonst absorbiert, sondern vom Vortex ausgestoßen wurden. Im Gegensatz zu ihren beiden Monstern. „Damit verschmelze ich Monster auf meinem Feld zu einem Gem-Knight, dessen Angriffskraft um die Punkte seines stärksten Fusionsmaterials erhöht wird.“ „[Gem-Knight Lapis], du bist das Gefäß! [Angel Wing Dragon], du bist die Seele! Werdet eins!“, rief Anya und hielt beide Hände in die Höhe, die sie zusammen zu einer Faust ballte. „Fusion Summon!“ Eine Explosion löste den Sog schließlich auf, als eine elegante Kriegerin daraus hervor schoss. „Kämpfe, [Gem-Knight Seraphinite]!“ Dank ihrer flammend-weißen Schwingen konnte sie fliegen, zog, als sie vor Anya ihre Position einnahm, das kristallene Rapier. Seraphinite mochte in ihrer silbernen Rüstung dank der schlanken Figur zierlich wirken, doch das täuschte. „Nun wirkt [Particle Fusions] Effekt, indem ich sie von meinem Friedhof verbanne“, erklärte ihre Besitzerin derweil noch einmal und schob den Zauber in ihre Hosentasche, „damit erhält Seraphinite Angel Wings Angriffspunkte.“   Gem-Knight Seraphinite [ATK/2300 → 5000 DEF/1400 (5)] „Mit dir bin ich fertig“, knurrte Anya und kniff die Augen fest zusammen, „Gem Cutting Edge!“ Einem Pfeil gleich löste sich die strahlende Ritterin vom Boden und flog mit wehendem, weißen Umhang auf Zachariah zu. Dabei begann ihr Rapier in weißen Flammen aufzugehen, Zeichen der Macht, die [Angel Wing Dragon] auf sie übertragen hatte. Zwar kreuzte der junge Mann noch die Arme voreinander, doch als Seraphinite ihn erreichte, ließ sie eine gewaltige, weiße Flamme in der Form eines zornigen Drachens auf ihn los. Der Druck war so heftig, dass es Zach glatt von den Füßen riss.   [Anya: 4000LP / Zachariah: 4000LP → 0LP]   Als wäre es Ironie des Schicksals, knallte er direkt neben Kali auf das Parkett des anschließenden Spielfelds. Anya deaktivierte ihr D-Pad und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Diese war nass vom Schweiß. „Kch, kaum zu glauben, dass der mich mal beinahe besiegt hätte.“   Du bist gewachsen, das lässt sich nicht bestreiten. Nun, bist du bereit?   Ein Nicken kam als Antwort. Nach dieser kleinen Verzögerung würde sie endlich das verdammte Geheimnis um Kalis Identität lösen!   Anya hatte kaum einen Schritt nach vorne gemacht, richtete sich Zachariah mit dem Oberkörper auf und hustete. Eine Hand zittrig aufs Knie legend, erhob er sich mehr schlecht als recht und keuchte erschöpft. „Der steht noch!?“ „Ich … bin eben zäh …“ Das konnte doch nicht wahr sein, dachte Anya rasend vor Wut. Herausfordernd hob Zach den Arm mit seiner Duel Disk. Der andere hing schlaff herab. „Bereit … für Runde 2?“ Schon tat es seine Schwester ihm in einem Anflug gedankenlosen Trotzes gleich, da hörte sie wieder Levriers Stimme mahnend in ihrem Kopf. Anya Bauer, das kannst du nicht tun! In seinem Zustand ist er keine Gefahr mehr!   Das sah Anya jedoch ganz anders. „Ach ja!? Wenn er mir nicht einmal die Gründe für sein Handeln verraten will, dann ist er nichts weiter als ein Feind! Und die mähe ich gnadenlos nieder!“ Tch, sollte er doch so oft aufstehen wie er wollte, selber Schuld! Dann nahm sie eben erst ihn bis auf die Moleküle auseinander, ehe Kali dran war!   Bevor Anya allerdings ihr Vorhaben in die Tat umsetzen konnte, öffnete sich zwischen Zachariah und Kali ein schwarzes, ovales Portal. „Was!?“, stießen Bruder und Schwester gleichzeitig hervor. Eleganten Schrittes trat eine Person hervor, die Anya noch nie gesehen hatte. Eine Frau in weißer Robe, umhüllt von einem grauen Mantel, der bis zum Boden reichte. „Es ist genug. Ihr sollt nun zurückkehren“, sprach sie sanft an Zachariah gewandt. „Lady Gardenia, nicht-“ Doch bevor er die Gelegenheit hatte, seinen Widerspruch zu beenden, weitete sich das Portal so weit um ihn und Kali aus, dass es sie beide verschlang. Und als es wieder schrumpfte und verschwand, waren beide weg.   Anya traute ihren Augen kaum. Plötzlich stand sie alleine im riesigen, offenen Stadium mit der brünetten Frau, deren Haar zu einem langen Pferdeschwanz gebunden war. „Gardenia …“, wiederholte sie den Namen der Frau wie gelähmt. „Das ist mein Name.“ Aus kräftigen, grünen Augen sah jene sie an. „Nun begegnen wir einander letztendlich doch persönlich, Anya Bauer.“ Die wich einen Schritt zurück. „W-was soll das bitteschön heißen?“ „Ich habe nicht damit gerechnet, dass es so weit kommt. Aber Kalis Ungeduld hat ihre eigenen Pläne zum Scheitern verurteilt.“ Gardenia hob den Arm, an dem eine silberne, halbmondförmige Duel Disk aus dem Nichts erschien. „Du machst wohl Witze“, keuchte Anya beim schieren Gedanken an -noch ein Duell-. In dem Moment schaltete sich ihr personifiziertes Gewissen ein.   Anya Bauer, wir müssen sofort fliehen!   Was nur mit einem ungläubigen Auflachen bestraft wurde. „Mal ehrlich, sieht die so aus, als würde sie uns freiwillig gehen lassen?“ Tatsächlich strahlte Gardenia eine besonnene Ruhe aus, die Anya jedoch als erst recht gefährlich interpretierte.   Erinnerst du dich nicht an Matthew Summers Erzählung von vor ein paar Tagen? Das ist kein gewöhnlicher Dämon, das ist die Weiße Hexe Gardenia! Eine der fünf!   Voller Schreck weitete Anya die Augen. Deshalb kam ihr der Name irgendwie bekannt vor! „Shit …“ „Nun, Zeit ist ein kostbares Gut“, sprach Gardenia freundlich, „ich wäre dir dankbar dafür, wenn du die meine nicht verschwenden würdest.“ „Was zur Hölle willst du von mir!? Wieso bist du hier!?“ Der Ausdruck in den Augen der Hexe wurde schlagartig ernst. „Kali ist mein Schützling. Ich werde nicht zulassen, dass du dich an ihr vergehst.“ Anya blickte aus dem Augenwinkel über die Schulter. Bis zum Ausgang war es erstmal eine ziemlich weite Strecke, die sie rennen müsste. Und mit den Beinen … keine Chance. Keuchend wandte sie sich Gardenia wieder zu. „'kay, du spielst also auch im Team Revenge Menge mit. Hab's kapiert.“   Du kannst dich unmöglich mit ihr messen wollen! Denk daran, wie dein Duell mit dem Sammler damals ausging!   Anya stampfte auf, was ihr umso mehr Schmerzen bereitete. „Argh! Uh! Hab' ich ne verdammte Wahl!?“ Aber umso besser, denn wenn das da sozusagen die Chefin war, könnte sie das Problem mit etwas Glück sogar an der Wurzel packen. „Nein, die hast du nicht“, machte Gardenia ihren Standpunkt deutlich. „Dann“, knurrte Anya und aktivierte ihr D-Pad, nahm nebenbei noch die entsorgten Gem-Knight-Karten aus ihrer Hosentasche, legte sie auf den Kartenstapel, „bist du heute eben die dritte, die was auf die Fresse bekommt! Duell!“   [Anya: 4000LP / Gardenia: 4000LP]   Anya und Gardenia zogen zeitgleich fünf Karten. Keuchend fasste sich die Blonde daraufhin in die Seite, die zu allem Überfluss nun auch zu schmerzen anfing. Nahm das denn gar kein Ende mehr!? Erst die Herausforderung von Kali, dann ihr nerviger Bruder und jetzt diese komische Schnepfe. Die ploppten wie Pilze aus dem Boden! Doch Anya wusste, dass diese brünette Frau anders war als die anderen beiden. Eine uralte Hexe, das würde kein Zuckerschlecken werden, so viel stand fest! Das Mädchen weitete trotzdem kämpferisch die Augen, etwas, das ihre Gegnerin mit einem wissenden Lächeln begegnete. „Okay, mit einer richtigen Hexe hatte ich es bisher nicht zu tun“, gab Anya offen zu, setzte aber ein düsteres Grinsen auf, „aber das ist nur ein Grund mehr für mich, dich so richtig einzustampfen! Ich beginne!“ „Ich bewundere deinen Mut, Anya Bauer. Ich befürchte jedoch, er wird dich geradewegs ins Grab führen.“ Gardenia kicherte leise. „Was gibt es da zu lachen!?“ Ihre Gegnerin straffte sich, ihr Ausdruck wurde erneut ernst. „Ich sage es ungern, aber für dich hat es nie eine Zukunft gegeben. Du bist eine Marionette, deren Fäden ich durchtrennen werde.“ „Das wird dem Sammler aber gar nicht gefallen“, drohte Anya in der Erwartung irgendeiner interessanten Reaktion. Stattdessen aber schüttelte Gardenia den Kopf. „Der Sammler wird dich nicht retten können, er ist momentan anderweitig beschäftigt. Um genau zu sein gibt es gerade niemanden, der dir beistehen könnte.“ „Also erstens: Da ist sehr wohl jemand an meiner Seite. Zweitens: Ich habe nie gesagt, dass ich den Sammler brauche, das war nur ein Hinweis.“ Anya nahm eine Karte aus ihrem Blatt. „Und drittens: Wie ich das sehe, sind deine Handlanger beide aus dem Spiel. Also, wer hilft dir im Notfall?“ Das jedoch quittierte die weiße Hexe nur mit einem geheimnisvollen Lächeln, das Anya als 'Werde ich denn überhaupt welche benötigen?' interpretierte. Und verdammt, ja, sie würde! „Ich beschwöre [Gem-Tiger] im Angriffsmodus!“ Anya klatschte das Monster auf ihr D-Pad. Ein weißer Tiger materialisierte sich vor dem mitgenommenen Mädchen. Über seinem Rücken verlief eine schmale Spur purer Diamanten bis zur Schwanzspitze, seine dunklen Streifen glitzerten.   Gem-Tiger [ATK/1800 DEF/300 (4) PSC: <8/8>]   Die Blonde nahm noch eine Karte aus ihrem Blatt, setzte wieder ihr Anya Bauer-zeigt-dir-wo-der-Hammer-hängt-Gesicht auf und rief: „Und jetzt aktiviere ich [Gem-Knight Malachite] mit dem Pendelbereich 2 von meiner Hand, was [Gem-Tigers] Monstereffekt aktiviert!“ Dessen Edelsteine am Körper begannen hellblau zu leuchten, genau wie die beiden Lichtsäulen, die neben dem Mädchen aus dem Boden schossen. „Wenn ich ein Gem-Monster in eine Pendelzone platziere, lässt er mich die andere mit einem aus meinem Deck belegen! Ich aktiviere also [Gem-Knight Pyrite] mit dem Pendelbereich 8 aus meinem Deck!“ Das Mädchen riss die Hand in die Höhe. Links neben ihr stieg ein Ritter in grünlich-blau schimmernder Rüstung in die Höhe, der einen langen Stab mit sich führte. Rechts dagegen war es ein weißer Ritter, an dessen Armen die Hälften eines gewaltigen Rundschilds befestigt waren.   <2> Anyas Pendelbereich <8>   „Pendulum Scale set!“, donnerte Anya durch die Nacht. Doch anstatt eine Pendelbeschwörung durchzuführen, richtete sie ihr Augenmerk auf Gardenia und schmunzelte. „Ich aktiviere Pyrites Effekt in meiner Pendelzone. Damit kann ich sofort eine Gem-Karte von meinem Deck auf den Friedhof legen. Und ich wähle [Gem-Knight Tourmaline]!“ Dessen Karte schob sich aus ihrem Kartenstapel und landete prompt im Friedhofsschlitz. Gardenia beobachtete das alles mit einer erstaunlichen Portion Interesse, ohne allerdings wirklich überrascht zu wirken. Etwas, das Anya gar nicht gefiel. Doch beim Blick auf ihre verbliebenen drei Handkarten stieg eine gehörige Portion Schadenfreude in ihr auf. Diese blöde Kuh würde sich noch umgucken. Endlich war es soweit, ihr vielleicht größter Trumpf feierte sein Debüt! Wieder streckte sie den Arm in die Höhe. „Pass gut auf! Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum!“ Weit über ihr öffnete sich das Pendelportal, wie seit je her von zahllosen Lichtellipsen umschlossen. „Pendulum Summon!“ Genau ein roter Blitz schoss bei Anyas Ausruf aus dem Loch und schlug neben ihrem Tiger ein. „Aus meiner Hand! Strahlender Drache, Wächter verlorener Schätze, ich beschwöre dich! Erscheine!“ Goldenes Licht drang von der Stelle, in der der Blitz eingeschlagen war. Aus diesem erhob sich eine mächtige Gestalt, die Anya bei weitem überragte. „[Gem-Eyes Value Dragon]!“ Wie der Name der Karte es gebot, handelte es sich dabei um einen Drachen, der auf seinen Hinterläufen stand und die Pranken weit nach vorne streckte. Sein ganzer Körper war von einer goldenen Panzerung verhüllt, die bis zum Schweif reichte, welcher sich in vier Spitzen aufteilte. „Da staunst du, was?“, prahlte Anya.   Gem-Eyes Value Dragon [ATK/2400 DEF/2000 (7) PSC: <5/5>]   Besonders auffallend an ihrem Ungetüm waren neben den simplen drei Tragflächen aus Gold, die die Flügel simulierten, die beiden Scheiben am Helm des Drachens. Denn jene bestanden aus insgesamt vier gleichgroßen, transparenten Segmenten, die jedoch allesamt verschiedene Farben besaßen: rot, grün, gelb und blau. Fast muteten sie ein wenig wie Scheuklappen an. „Dann will ich dir [Gem-Eyes Value Dragons] Effekt mal nicht vorenthalten“, tönte Anya weiter großspurig, obwohl ihre Gegnerin sich unbeeindruckt zeigte, „einmal pro Zug kann ich seinen Typen in einen der folgenden ändern: Pyro, Donner, Aqua oder Fels.“ Die beiden Scheiben am Kopf des Drachens begannen sich langsam zu drehen. „Und für den Auftakt wähle ich … Pyro! Sight Transition!“ Schneller und schneller wirbelten sie, bis beide schlagartig zum Stehen kamen. Auf Höhe der Augen befanden sich die roten Segmente, die sich unvermittelt nach innen klappten und wie einen Visor um Gem-Eyes Augen legten. Der Rest des Dreiviertel-Teils fuhr zu einem einzelnen Segment zusammen, das hinter dem Helm verschwand. Dann erst begann die wirkliche Transformation. Rotes Licht erstrahlte von den Augen des Drachens durch das neue Visier zu strahlen. Vorher kaum sichtbar gewesen, begannen plötzlich diverse Linien in seiner Rüstung rot aufzuleuchten, die metallischen Tragflächen gingen lichterloh in Flammen auf, die in ihrer Form beinahe echten Flügeln glichen. Der entflammte Drache stieß sich vom Boden in die Luft ab, Gardenia legte den Kopf in den Nacken, um ihn dabei zu beobachten. „Und jetzt der Effekt, den er als Pyro-Monster erhält!“ Anya richtete den Zeigefinger auf Gardenia. „Damit fügt er sofort 500 Punkte Schaden zu! Ruby Flare!“ Über ihr öffnete Gem-Eyes sein Maul und spie eine knallrote, schimmernde Flamme auf die weiße Hexe ab, welche sich bewusst mithilfe ihres Umhangs vor den Flammen verbarg, die an jenem regelrecht abprallten.   [Anya: 4000LP / Gardenia: 4000LP → 3500LP]   Als es vorüber war, schwang die Brünette ihr graues Cape elegant aus. „Mit dem hier wirst du noch viel Spaß haben. Und ich erst recht“, prophezeite Anya unheilvoll, „Zug beendet!“ Gardenia hob den rechten Arm an. „Bedaure, aber bevor ich mich mit dir 'vergnüge', muss ich meinen Worten zunächst Taten folgen lassen.“ „Was soll das heißen!?“, herrschte Anya sie an. „Dass wir jetzt das Ambiente wechseln“, kam die gelassene Antwort ihrer Gegnerin, die demonstrativ mit dem Finger des erhobenen Arms schnippte. Schlagartig wurde Anya von grellem Weiß geblendet.   ~-~-~   Valerie konnte nicht glauben, was sie da sah. Sterne, überall, das All so groß und unendlich, wie es seither beschrieben wurde. Und sie mitten drin, auf einem schimmernden Pfad, der in der Ferne in einem weiteren dieser ovalen Portale endete. Angespannt schlossen sich ihre Finger fester um das Katana. Denn sie sah die beiden, sah diesen David, der den Sammler abstützte und zum anderen Portal brachte. Blut tropfte aus dessen Wunde auf den glänzenden Sternenpfad, echtes Blut. „Halt!“, befahl Valerie und setzte sich in Bewegung. „Kümmere dich um sie“, murmelte der Sammler müde, was David dazu brachte, ihn loszulassen. Besorgt fragte er: „Seid Ihr Euch sicher, Meister?“ „Tu, was ich dir auftrage, David.“ Langsamen Schrittes zog er fort, die sich nähernde Schwarzhaarige gar nicht beachtend.   Mit den Schultern zuckend, drehte sich zumindest sein Diener zu Valerie um. Die anhielt und das Schwert von sich streckte. „Lass mich durch!“ „Geht nicht.“ „Dann werde ich-!“ „Lass den Quatsch“, bat der groß gewachsene, kräftige junge Mann freundlich, „du kannst doch gar nicht damit umgehen. Steck' es weg, bevor du dich noch verletzt.“ Von so viel Sorge war die sonst so taffe Valerie ein wenig überfordert. „W-was?“ „Ich möchte nicht, dass unser erstes Treffen in einem Kampf endet.“ Er hob den Arm an, an dem eine hellblaue Duel Disk angebracht war. „Aber du hörst ja, ich soll dich aufhalten. Wenn du also vorbei willst, musst du dich mit mir duellieren.“ Sein Gegenüber ließ die Waffe ein Stück weit sinken. Sah den Sammler, wie er sich nur langsam den geradlinigen Pfad voran kämpfte. Trotzdem würde er nicht ewig brauchen, um die andere Seite zu erreichen. Für ein Duell war keine Zeit. „Nein!“ „Ich kann dich nicht zwingen“, entgegnete David zu ihrer Überraschung enttäuscht, „aber eine andere Möglichkeit gibt es nicht für dich. Greifst du mich mit dem Schwert an, werde ich mich entsprechend wehren, auch wenn du es bist.“   Valerie keuchte beim Gedanken an einen direkten Kampf mit ihm. Wenn zwei Undying ihm unterlegen waren, was sollte sie dann ausrichten können? Sie war nicht unsportlich, aber es stimmte, den Umgang mit einem Schwert hatte sie nie erlernt. Schweiß stand ihr auf der Stirn. Sie durfte den Sammler nicht entkommen lassen, nicht, wenn er Matts Freundin zwischen den Zeilen bedroht hatte. So ungern sie es auch tat, nickte sie schließlich zögerlich und schob das Katana in die Scheide an ihrem Rücken. „Also gut.“ „Wirklich!?“, hellte sich die Miene ihres Gegenüber mit der blauen Haarspitze sofort auf. „Cool!“ Valerie, die ein ähnliches Duel Disk-Modell wie er besaß, ließ dieses ausfahren. „Nimm mich nicht auf die leichte Schulter.“ „Niemals!“ Auch David aktivierte den Apparat an seinem Arm.   Ein Duell mitten im Weltall, ging es Valerie durch den Kopf. Wäre der Hintergrund nicht so ernst, würde ihr Herz vermutlich einen Sprung vor Aufregung machen. Stattdessen pochte es wie verrückt, spürte es, wie die Last einer großen Bürde jetzt auf ihren Schultern lag. Sie durfte nicht versagen, niemals!   „Duell!“, schrien beide letztlich synchron.   [Valerie: 4000LP / David: 4000LP]   „Hehe“, lachte David verlegen, während sie beide ihre Starthände zogen. „Ich bin glücklich, mich endlich gegen dich duellieren zu können.“ Die Schwarzhaarige blinzelte verdutzt. „Gegen mich? Warum?“ „Ich habe viel vom Meister über dich gehört.“ Er strahlte dabei förmlich. Und Valerie fragte sich, wieso der Sammler ausgerechnet über sie reden sollte? Ihre Rolle in seinem Spiel war bisher eher beschaulich gewesen. Oder etwa nicht? Ein ungutes Gefühl stieg in ihr auf. Nein, mahnte sie sich, sie durfte sich nicht in ein Gespräch verwickeln lassen. Das war nur eine Ablenkung, um dem Sammler die Flucht zu ermöglichen. Jener schleppte sich des hellen Pfades nur mühsam voran, drohte jeden Moment umzukippen. „Ich-“ „Ich beginne“, übertönte David sie konzentriert, als er ihren engstirnigen Blick bemerkte, „und beschwöre als Auftakt [Dance Princess Of The Nekroz]!“ Seine Gegnerin weitete die Augen, als eine rothaarige Tänzerin vor ihm auftauchte. In einer fliederfarbenen Robe gekleidet, hielt sie einen goldenen Zauberstab mit blauem Edelstein in dessen Spitze fest – in dem ein Wappen eingefügt war, das dem der Gishki sehr ähnlich sah: ein Spiegel.   Dance Princess Of The Nekroz [ATK/1600 DEF/800 (4)]   „Dance Princess“, murmelte die Schwarzhaarige mit dem geschulterten Katana ungläubig. Und dazu diese Ähnlichkeit mit einem ihrer Monster, [Gishki Emilia]. „Unmöglich …“ „Du darfst gespannt sein, was es mit meinem Deck auf sich hat. Zug beendet.“   Zögerlich griff Valerie nach dem ihren. In dem Moment kippte der Sammler weiter voraus vorne über und spie, so wie es sich anhörte, einen Schwall Blut aus. Der Blick des Mädchens verhärtete sich wieder, sie riss die Karte regelrecht vom Deck. „Draw!“ Sofort nahm sie eine andere aus ihrem Blatt und schob sie in ihre hellblaue Duel Disk. „Ich aktiviere den Ritualzauber [Gishki Aquamirror] und verwende [Gishki Shadow] von meiner Hand dank seines Effektes als volles Opfer …“ Täuschte sie sich, oder lächelte er zufrieden, als sie all das ankündigte? „… um [Evigishki Levianima] zu beschwören! Erscheine!“ Vor ihr materialisierte sich ein goldener Spiegel, in dem eine amphibische Kreatur in dunkler Robe gezeigt wurde. Kurz darauf zersprang das Glas und ein gewaltiger Wasserschwall ergoss sich über den schimmernden Pfad. Vor der Schwarzhaarigen schoss eine mächtige Kaskade aus dem Boden, in der sich eine schattenhafte Gestalt befand – ein dunkler Drache mit weißem Haarschopf, wie sich schnell herausstellte. Er schwang in seiner Hand ein goldenes Schwert.   Evigishki Levianima [ATK/2700 DEF/1500 (8)]   „Wow!“, staunte David nicht schlecht, als er die Kreatur erblickte, welche komischerweise eine Hose anhatte – fast als wäre sie einst ein Mensch gewesen. Valerie wusste nicht warum, aber das seltsame Verhalten ihres Gegners störte sie zunehmend. Denn sie spürte, dass es nicht aufgesetzt war, sondern aufrichtig. Sollte sich ein Diener des Sammlers so verhalten? „Da ich noch keine Normalbeschwörung durchgeführt habe, rufe ich nun das Spirit-Monster [Gishki Natalia] aufs Feld!“ Die durchsichtige Gestalt einer weißhaarigen, jungen Frau tauchte vor Valerie auf. Ihre weiße Tracht ging vom Rock an ins Blau über und auch sie führte dasselbe goldene Schwert mit blauer Klinge wie Levianima.   Gishki Natalia [ATK/1800 DEF/900 (4)]   „Ich benutze Natalias Effekt und wähle Shadow“, verkündete Valerie. Aus ihrem Friedhof schob sich die Karte [Gishki Shadows], welche sie kurz darauf auf ihr Deck legte, „ich denke, was er bewirkt, war eindeutig zu erkennen.“ „Damit kannst du ihn beim nächsten Mal ziehen“, wusste auch David. „Und das wird früher sein als du denkst! Angriff auf sein Monster, [Evigishki Levianima]!“, befahl Valerie mit ausgestrecktem Zeigefinger. „Soul Crasher!“ Ihr Drachen-Seeschlangen-Hybrid sauste durch die Luft, holte mit seiner Klinge aus und zerteilte die rothaarige Tänzerin, welche daraufhin in alle Richtungen zersplitterte.   [Valerie: 4000LP / David: 4000LP → 2900LP] „Damit wirkt der Effekt Levianimas, wodurch ich ziehe!“ Was Valerie sogleich tat und die Karte zudem noch vorzeigte. Welche nur [Gishki Shadow] sein konnte. „Nun setzt noch ein Effekt ein, denn wenn die gezogene Karte ein Gishki-Monster ist, darf ich eine zufällig gewählte Handkarte von dir sehen.“ Über dem wenig überraschten David tauchte das vergrößerte Hologramm einer grün-umrandeten Karte auf: [Preparation Of Rites] nannte sie sich. Valerie weitete die Augen. Dieselbe Zauberkarte spielte sie auch, sie unterstützte Ritualdecks ungemein! David war also auch ein Ritualspieler! Der Schwarzhaarige mit der blauen Spitze grinste, als er ihren entgleisten Ausdruck sah. „Oje, jetzt ist es also raus. Schade, ich wollte dich eigentlich erst nächste Runde damit überraschen.“ „Viel Zeit dafür werde ich dir nicht lassen“, kündigte seine Gegnerin wieder gefasst an. „Direkter Angriff, Natalia!“ Der Geist der weißhaarigen Kriegerin verschwand und tauchte in wahnwitziger Geschwindigkeit an allen möglichen Stellen des Spielfelds auf, sogar hinter David. Aber der lächelte nur verschmitzt, regte sich nicht, bis sie schließlich vor ihm erschien und mit ihrem Schwert zuschlug – durch ihn hindurch.   [Valerie: 4000LP / David: 2900LP → 1100LP]   Valerie hielt bereits eine Zauberkarte bereit. „In meiner Main Phase 2 aktiviere ich die Zauberkarte [D. D. Designator]!“ Jene stellte sich vor ihr auf und zeigte eine Kriegerin, die mit ihrem weiß leuchtenden Schwert direkt auf den Betrachter deutete. „Kann ich eine bestimmte Karte im Blatt meines Gegners benennen, wird diese von dort verbannt. Und da ich genau weiß, dass [Preparation Of Rites] sich dort befindet, muss ich die Konsequenzen eines Irrtums meinerseits nicht extra erklären!“ Jene Klinge schoss plötzlich aus ihrer Karte auf David zu, durchbohrte die äußerste linke in seinem Blatt, welche er daraufhin in seine Hosentasche steckte. Anstatt darüber verärgert zu sein, strahlte er plötzlich wie ein Honigkuchenpferd. „Wahnsinn! Das ist deine Hand-Killer-Kombo, für die du bekannt bist!“ Mehr als nur verdutzt blinzelte das Mädchen. „B-bin ich das?“ „Auf jeden Fall! Erst bringst du in Erfahrung, was dein Gegner auf der Hand hält, erkennst seine Strategie und vernichtest dann zielgenau die gesehenen Karten“, erklärte er voller Respekt das, was Valerie selbst als gar nichts Besonderes erachtete. „D-du kennst mich ziemlich gut?“, wusste sie nicht recht, ob sie es als Feststellung oder Frage formulieren sollte. Diese Strategie hatte sie während des Legacy Cups nur vereinzelt angewandt, um nicht zu berechenbar zu werden. David nickte stolz. „So gut man dich eben vom Hörensagen kennen kann. Deswegen bin ich so froh, dich endlich persönlich zu treffen.“ Wäre er nicht ihr Feind, hätte Valerie längst einen knallroten Ton angenommen. Doch die Schmeicheleien durften sie nicht von ihrer Aufgabe ablenken, mahnte sie sich. „Danke. Wie dem auch sei, mein Zug ist damit beendet. Das heißt, dass Natalia als Spirit-Monster auf mein Blatt zurückkehrt.“ Der Geist vor ihrem Gegner wurde wie Rauch davon geweht, als Valerie ihn von ihrer Duel Disk nahm und zu ihren anderen beiden Handkarten hinzu steckte.   Nervös sah Valerie an David vorbei. Der Sammler war noch nicht wieder aufgestanden. Anscheinend setzte die Verletzung ihm mehr zu, als es anfangs den Anschein gehabt hatte. Wenn er noch eine Weile so am Boden kauerte, würde sie vielleicht rechtzeitig an diesem Typen vorbeikommen. Aber wie? Selbst wenn sie gewann, wie setzte sie ihn lange genug außer Gefecht? Zunächst dachte sie an Ragnarok, aber so gut wie er kämpfte, hatte sie keine Chance. Doch Anyas Karte, [Moulinglacia The Elemental Lord], sie könnte ihn vielleicht lange genug einfrieren – sofern sie jene zog.   Voller Enthusiasmus griff David nach seinem Deck und zog schwungvoll auf. Er grinste breit über beide Backen, als er die gezogene Karte vorzeigte. „Jetzt bin ich mit einer Ritualbeschwörung dran! Ich aktiviere [Nekroz Mirror].“ Vor ihm schoss aus der aufrecht stehenden Ritualzauberkarte ein Spiegel, nicht unähnlich dem von Valerie. Anders als ihrer jedoch, war sein Rahmen dunkel, von seinen Seiten stiegen spitze Auswüchse in die Höhe. „[Nekroz Mirror]?“, wunderte sich Valerie. „Ich benutze [Shurit, Strategist Of The Nekroz] als Opfer“, erklärte der Schwarzhaarige weiter, als ein junger Mann vor ihm auftauchte, dessen rotes Haar am Pony komplett ins Weiße überging. An seinem Waffenrock befand sich ein Schwert. „Webe die Rüstung gefallener Feinde“, rief David laut aus. Aus seinem Spiegel schossen dutzende dünner Fäden, die Shurit zu umwickeln begannen. Von unten nach oben erschufen sie ein neues Erscheinungsbild. „Mein Monster übernimmt dank seines Effekts das volle Tribut des Rituals!“ „Genau wie bei [Gishki Shadow]!?“ „Du hast es erfasst! Also dann, Ritual Summon! Stufe 8!“, donnerte Valeries Widersacher stolz und hob die Hand in die Höhe. „[Nekroz Of Valkyrus]!“ In dem Moment war die Transformation abgeschlossen. Shurit war deutlich gealtert, besaß weißes Haar und steckte nun in einer schwarzen Robe mit Umhang, führte eine lange Lanze mit sich, deren Spitze wie ein stilisierter Drachenkopf aussah.   Nekroz Of Valkyrus [ATK/2900 DEF/1700 (8)]   „Ah!“, stieß Valerie einen überraschten Schrei aus. Gleichzeitig drang aus Davids Friedhof ein blaues Licht. „Wenn Shurit geopfert wird, erhalte ich ein Nekroz-Ritualmonster von meinem Deck, das wie er dem Typen Krieger angehört. Ich nehme [Nekroz Of Clausolas]!“ Ein Stufe-3 Monster mit blauem Rand schob sich aus seinem Deck und wurde von dem jungen Mann in sein Blatt aufgenommen. „Battle!“, befahl er im Anschluss mit ausgestrecktem Zeigefinger. „Cross Spike!“ Unter einem lauten Aufschrei rammte der Hexer seine Waffe in den Boden. Valerie wich alarmiert zurück, da überall um ihren Seeschlangendrachen Spiegel erschienen – aus denen Spitzen herausschossen, allesamt identisch mit der des Speers, den Valkyrus in den Boden gestoßen hatte. [Evigishki Levianima] wurde entsprechend von allen Seiten gleichzeitig aufgespießt. Eine Explosion folgte.   [Valerie: 4000LP → 3800LP / David: 1100LP]   Mit zusammengebissenen Zähnen schützte sich Valerie vor der erwarteten Druckwelle, welche sie jedoch einfach passierte, ohne Schaden anzurichten. „W-was!?“ „Tja, dann gehe ich auch mal in meine Main Phase 2. [Nekroz Of Valkyrus] hat einen Effekt, der mich bis zu zwei Karten von meiner Hand opfern lässt, um dieselbe Zahl neu aufzuziehen. Ich opfere also eine“, sprach er und schob ein Monster in seinen Friedhofsschlitz. „Und ziehe eine Karte nach.“ Was er auch tat. Sogleich leuchtete wieder ein Licht in seinem Friedhof. „Schon wieder?“ Die Schwarzhaarige schluckte. Sie ahnte, was geschehen würde. „Ganz recht. Wenn ich [Exa, Enforcer Of The Nekroz] opfere, erhalte ich ein Nekroz-Ritualmonster vom Typ Drachen von meinem Deck. Wie [Nekroz Of Catastor] zum Beispiel.“ Daraufhin schob sich ein weiteres blau umrandetes Monster aus seinem Deck, was er stolz vorzeigte. „Siehst du? Wenn ich einmal loslege, bin ich kaum noch zu stoppen.“ Fröhlich vor sich hin lächelnd, nahm er eine andere seiner drei Handkarten und legte sie verdeckt in seine Duel Disk ein. „Die setze ich. Du bist dran.“ Zischend erschien die Karte zu seinen Füßen. Valerie jedoch beschäftigte sich mit etwas völlig anderem. Jetzt besaß er zwei Ritualmonster auf der Hand, aber keine Karten, die sie beschwören konnten. Sie selbst wusste, wie wichtig es war, die Balance von Ritualkarten in so einem Deck zu wahren. Hatte man zu viele davon, konnte man keines beschwören. Wenn er so weiter machte, würde er sich in eine Sackgasse manövrieren. Nein, würde er nicht … Irgendetwas war an diesem Deck anders. Und sie würde es herausfinden. Doch in dem Moment, als sie die Taste zum Durchsuchen des Friedhofs an ihrer Duel Disk betätigte, erklang nur ein lästiges Piepen. David seufzte. „Diesmal nicht, okay? Ich will wissen, wie du dich schlägst, ohne deinen Gegner zu kennen. Nur mit den Informationen, die du selbst einholen konntest.“ „Das gehört ebenso dazu!“, fauchte Valerie. „Das ist Betrug!“ „Tut mir leid!“ Ohne es zu wollen, tauchten plötzlich Bilder vor der jungen Frau auf. Das Tuten im Stadion, das ihre Disqualifikation vom Legacy Cup verkündete. Die Nachrichten, die über sie und später Marcs Geständnis berichteten. Sie biss sich auf die Lippen. Verbitterung würde jetzt nur ihr Urteilsvermögen beeinträchtigen und das durfte nicht passieren. Der Sammler musste hier gestellt werden, ehe er entkam! „Draw!“, fauchte sie wütend und riss die nächste Karte vom Deck, die sich als äußerst nützlich erwies. Doch zuvor musste sie etwas anderes tun. „Ich aktiviere den Zweiteffekt von [Gishki Aquamirror] auf meinem Friedhof. Wenn ich ihn von dort zurück ins Deck schicke, erhalte ich ein gefallenes Gishki-Ritualmonster zurück auf die Hand! [Evigishki Levianima]!“ Beide Karten schoben sich aus ihrem Friedhof. Während die Zauberkarte auf das Deck gelegt wurde, welches sich danach automatisch durchmischte, hielt Valerie ihr Monster vor. Zusammen mit [Gishki Natalia] und ihrer in diesem Zug gezogenen Zauberkarte. „Jetzt aktiviere ich [Moray Of Greed]! Diese beiden Wasser-Monster mische ich zurück ins Deck, um dann drei Karten zu ziehen.“ Sofort sprang der Zauber auf, auf dem eine Muräne mit dem grinsenden Gesicht des Topfs der Gier gezeigt wurde, in welchem sie auch zuhause war. Die von Valerie präsentierten Monster landeten ebenfalls auf ihrem Kartenstapel und wurden weggemischt. In schneller Folge zog Valerie dreimal nach, der Fisch verschwand kichernd. „Zweiteffekt von [Gishki Shadow]“, sprach sie streng weiter und schob dessen Karte auf den Friedhof. „Ich werfe ihn ab und erhalte [Gishki Aquamirror] von meinem Deck.“ Vor ihr tauchte die Silhouette des amphibischen Priesters auf, welcher in tausend Blasen zerplatzte. Valerie nahm die von ihrer hellblauen Duel Disk angebotene Karte auf. „Hey, das wird wohl die nächste Ritualbeschwörung!“, freute sich David. „Nein“, bekam er eine eiskalte Abfuhr. „Ich habe [Gishki Shadow] nur abgeworfen, um ihn wiedererwecken zu können. Und zwar mit [Gishki Beasts] Effekt, das ich dafür nur normalbeschwören muss! Los!“ Eine grauenhafte, blassgrüne Gestalt tauchte vor ihr auf. Eine Mischung aus Amphibie und Alligator mit weißem Haar, kroch sie mit allen Vieren am Boden. Sie brüllte. Neben ihr öffnete sich daraufhin ein Portal im Boden, aus dem der in düsterer Robe gekleidete [Gishki Shadow] auftauchte und sich an seinem Zauberstab abstützte.   Gishki Beast [ATK/1500 DEF/1300 (4)] Gishki Shadow [ATK/1200 DEF/1000 (4)]   „Ich errichte das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster“, verkündete Valerie mit ausgestreckter Hand. Vor ihr öffnete sich ein bunter Galaxienwirbel, der die beiden Ungeheuer als blaue Lichtstrahlen absorbierte. „Xyz Summon!“ Eine Explosion erfolgte aus dem Sog. „Höre meinen Ruf, oh Wesen aus tausend Legenden! Zeige dich, [Evigishki Merrowgeist]!“ Lachend schoss aus dem Overlay Network eine fliegende Meerjungfrau. Ihr wallendes, rotes Haar war seidig, jede Schuppe ihres Leibs glänzte. Stolz positionierte sie sich vor der jungen Frau und richtete ihr Zepter drohend auf David, welcher für einen kurzen Augenblick sein Lächeln verlor.   Evigishki Merrowgeist [ATK/2100 DEF/1600 {4} OLU: 2]   Valerie war aber noch nicht fertig. „Mit dem Zauber [Aqua Jet] verstärke ich sie um 1000 Angriffspunkte!“ Zwei Düsentriebwerke materialisierten sich unterhalb der flügelartigen Flossen der Meerjungfrau, die nebenbei von zwei Lichtsphären umkreist wurde.   Evigishki Merrowgeist [ATK/2100 → 3100 DEF/1600 {4} OLU: 2]   „Sceptre Of Foresight!“, befahl Valerie den Angriff. Unverzüglich schoss Merrowgeist aus der Spitze ihres Stabs eine Salve von Seifenblasen auf den kriegerischen Valkyrus. Jener versuchte sich mit seiner eigenen Waffe zu schützen, doch bei Kontakt lösten die Blasen Druckexplosionen aus, welche Shurit in der Hülle des einstigen Fabled-Monsters zerfetzten.   [Valerie: 3800LP / David: 1100LP → 900LP]   Plötzlich hielt Merrowgeist ihr Zepter in die Höhe und Valerie erklärte: „Das ist noch nicht alles! Für ein Xyz-Material schickt mein Monster deines nun ins Deck anstatt auf den Friedhof!“ „Whoa, mach mal halblang!“, stammelte ihr Gegner mit erhobenen Händen. „Das ist jetzt gar nicht nett!“ Doch zu spät, eine der Lichtkugeln verschwand in der Spitze des Stabes, mit welchem die Meerjungfrau in der Luft ein Wappen zeichnete, einen Spiegel mit blauem Totenkopf darin.   Evigishki Merrowgeist [ATK/3100 DEF/1600 {4} OLU: 2 → 1]   Seufzend nahm David daraufhin sein Ritualmonster von seiner Duel Disk und ließ es von jener wegmischen. „Ich setze eine Karte verdeckt“, schloss Valerie ihren Zug letztlich ab, wodurch die Falle zu ihren Füßen erschien. „Zug beendet!“ Nicht mehr lange und er war besiegt, sagte sie sich dabei. Jedoch konnte sie es erst beenden, wenn sie [Moulinglacia The Elemental Lord] gezogen hatte. Vorher wäre ein Sieg bedeutungslos. Sie musste schnellstmöglich an ihn herankommen! Indes fuhr sich David über das stoppelige Kinn. „Man, wenn du so drauf bist, ist echt nicht gut Kirschen essen mit dir. Vielleicht sollte ich dann auch Ernst machen …“ Sein Blick gewann etwas Ehrgeiziges und traf auf den ohnehin schon angespannten von Valerie. Die fühlte sich beim Anblick seiner braunen Augen auf merkwürdige Art und Weise nostalgisch.   Wer bist du bloß, fragte sie sich insgeheim.     Turn 86 – The White Room Anyas Begegnung mit Gardenia nimmt eine für das Mädchen unschöne Wendung, als Gardenia das Geschehen in eine alternative Dimension verlagert. Gleichzeitig setzt David Valerie zunehmend unter Druck. Das Ganze gipfelt zu allem Überfluss in der Beschwörung eines Monsters, das Erinnerungen wach ruft … Kapitel 91: Turn 86 - The White Room ------------------------------------ Turn 86 – The White Room     Gardenia hob den rechten Arm an. „Bedaure, aber bevor ich mich mit dir 'vergnüge', muss ich meinen Worten zunächst Taten folgen lassen.“ „Was soll das heißen!?“, herrschte Anya sie an. „Dass wir jetzt das Ambiente wechseln“, kam die gelassene Antwort ihrer Gegnerin, die demonstrativ mit dem Finger des erhobenen Arms schnippte. Schlagartig wurde Anya von grellem Weiß geblendet.   Als die Blonde die Augen wieder öffnete, befand sie sich noch immer im dunklen, offenen Stadion, zusammen mit der brünetten Hexe. Doch unter deren Füßen zogen sich in alle Richtungen goldene Linien über den Boden. Horizontal und vertikal, bildeten sie gleichgroße Kacheln, fast wie Fliesen. Überrascht wich Anya zurück, als sie ebenfalls davon erfasst wurde. Dabei bemerkte sie, dass dasselbe auch einige Meter über ihnen geschah. „Shit, was zur Hölle ist das!?“ Eine Kachel nach der anderen färbte sich komplett weiß. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis ihre komplette Umgebung damit ausgefüllt war. Womit nichts mehr an das Stadion erinnern ließ. Weiß, überall diese Kacheln, ein scheinbar endloser Raum.   „Levrier“, stammelte Anya, als sie sich umsah, „wurden wir gerade weg teleportiert?“ Als keine Antwort folgte, rief sie mit Nachdruck: „Levrier.“ „Er wird dir nicht antworten“, erwiderte die weiße Hexe, umhüllt von einem grauen Mantel, bestimmt, „du befindest dich nun in meiner Domäne, dem Weißen Raum.“ Die Blonde keuchte. „Soll ich jetzt beeindruckt sein?“ „Nein, du solltest dich sorgen. Wisse, dass absolut niemand Zutritt hat, solange ich es ihm nicht gewähre“, erklärte die große Frau und lächelte erhaben, „dein Levrier ist in einen tiefen Schlaf gefallen. Selbst der Sammler wird dir hier nicht helfen können.“ Nicht, dass Anya mit dessen Unterstützung je gerechnet hätte. Demonstrativ unbeeindruckt winkte sie ab. „Pah, mit dir werde ich auch alleine fertig, schon vergessen?“ Sie deutete auf ihre beiden Monster, den Drachen in der goldenen Rüstung mit den entflammten Tragflächen sowie den weißen Tiger. „Ich habe dir bereits Schaden zugefügt, obwohl ich im ersten Zug gar nicht angreifen kann!“   Gem-Eyes Value Dragon [ATK/2400 DEF/2000 (7) PSC: <5/5>] Gem-Tiger [ATK/1800 DEF/300 (4) PSC: <8/8>]   [Anya: 4000LP / Gardenia: 3500LP]   Zudem befanden sich in den beiden hellblauen Lichtsäulen neben Anya der grün-blau schimmernde Ritter [Gem-Knight Malachite], welcher einen langen Stab in beiden Händen hielt und sein Kamerad [Gem-Knight Pyrite], an dessen Armen sich die Hälften eines großen Schildes befanden und dessen Rüstung nicht annähernd so weiß war wie die Umgebung.   <2> Anyas Pendelbereich <8>   Während Anya zwei Karten in der Hand hielt, besaß Gardenia noch ihr Startblatt und entsprechend kein eigenes Feld. „Dieser Weiße Raum ist nun dein Gefängnis“, ignorierte die Hexe die Prahlerei ihrer Gegnerin, „sobald Kali sich erholt hat, wird sie sich deiner annehmen. Und das wird nicht lange dauern.“ „Ach ja? Die hab ich so zerlegt, die braucht mindestens eine Woche, um überhaupt wieder stehen zu können!“ Die grünen Augen Gardenias strahlten unendliches Selbstbewusstsein aus, so kam es Anya vor, als jene erwiderte: „In dem Fall werde ich meine Worte konkretisieren. In einigen Stunden wird sie zu uns stoßen.“ „Kch. Sag nicht, sie hat Selbstheilungskräfte.“ „Ich rede nicht davon. Dieser Weiße Raum, in dem du dich befindest, ist der Inbegriff einer Zeit-Raum-Blase. Ein Tag hier drinnen entspricht in etwa einem ganzen Monat in der Realität.“ Sofort schoss es aus Anya heraus: „Was!?“ „Habe ich mich etwa noch nicht verständlich ausgedrückt?“ Gardenia legte die Faust an den Mund und kicherte. „Dabei habe ich den Begriff extra erklärt. Nun, in diesem Raum vergeht die Zeit langsamer als in der Realität. Du befindest dich in einer von mir erschaffenen, künstlichen Dimension.“ Wütend stampfte Anya auf. „Das hab' ich schon kapiert! Was soll der Schwachsinn!?“ „Der Weiße Raum erfüllt einen wichtigen Zweck, allerdings erwarte ich nicht, dass du ihn begreifst. Ihn dir näher zu bringen wäre Zeitverschwendung. Daher sollten wir nun unser Duell fortsetzen.“   Anya konnte sich gar nicht ausmalen, wie so etwas überhaupt funktionierte. Vierundzwanzig Stunden hier drin entsprachen einem ganzen Monat auf der Erde? Dann war eine einzige ja schon etwas mehr als ein ganzer Tag in der Realität. Sie schluckte. Wenn das wirklich stimmte, musste sie schleunigst hier raus, ehe sie noch irgendwo im 30. Jahrhundert landete. Und was war überhaupt mit Levrier? Er schlief, etwa in ihrem Elysion? War das ein Nebeneffekt dieser Zeitmanipulation oder was auch immer? So ein Mist, gerade gegen diese feige Ratte hätte sie ihn gebraucht! Aber solange er nur KO war … „Mit dir werde ich auch alleine fertig. Und wofür du diese öde Dimension brauchst, ist mir eigentlich so ziemlich Banane“, kündigte Anya feindselig an und winkte ab. Ihr Gegenüber hob die silberne, halbmond-förmige Duel Disk an und zog. Die neue Karte wurde sofort auf jene gelegt. „Als Eröffnung spiele ich das einzige Monster meines Decks, das normalbeschworen werden kann: [Infernoid Decatron].“ Anya gab einen erstaunten Laut von sich, als über Gardenia ein seltsames Monster in die Höhe glitt. Etwa so groß wie ein Helikopter, sah es einem Shuttle nicht unähnlich, nur dass die Tragflächen sich dank Gummisegmenten nach vorne bogen. Überall an ihnen verteilt leuchteten bunte Lämpchen auf.   Infernoid Decatron [ATK/500 DEF/200 (1)]   Zudem verwunderte sie die Aussage der Hexe. „Einzig normalbeschwörbares Monster?“ „So ist es. Und einmal pro Zug kann ich mit Decatrons Effekt einen Infernoid von meinem Deck auf den Friedhof legen, damit Decatron dessen Name, Fähigkeiten und Stufe kopiert“, erklärte Gardenia und kündigte an: „[Infernoid Patrulea].“ Eine violette Stichflamme schoss aus der einzelnen Glühbirne am Hauptkörper des Shuttles. Sie besaß die Gestalt eines aufrecht stehenden, geflügelten Biestes, das jedoch nur undeutlich zu erkennen war.   Infernoid Decatron [ATK/500 DEF/200 (1 → 5)]   Seelenruhig streckte die brünette Frau die Hand nach vorne aus. „Nun kann ich die übernommenen Effekte nutzen. Der erste lässt mich eine Zauberkarte auf deiner Spielfeldseite zerstören.“ Ehe Anya sich versah, schoss die projizierte Flamme nach vorne und versengte den weißen Ritter Pyrite in der hellblauen Lichtsäule, die dadurch verschwand. Über Anya öffnete sich ein buntes Portal, in das der Gem-Knight als roter Lichtstrahl eintrat. „Pendelmonster gehen bei ihrer Zerstörung ins Extradeck“, keuchte die Blonde genervt. Shit, ohne ihn konnte sie allerdings keine Pendelbeschwörung mehr durchführen!   <2> Anyas Pendelbereich „Zweiter Effekt von Patrulea“, ließ Gardenia ihre Gegnerin jedoch gar nicht dazu kommen, sich etwas zu überlegen, „ich kann ihn opfern, um eine Karte in deinem Friedhof zu verbannen. Nun, da Pendelmonster ohnehin andere Wege gehen, sende ich stattdessen [Gem-Knight Tourmaline] ins Nichts.“ Anya weitete die Augen, als Decatron sich auflöste und ein roter Blitz aus ihrem Friedhofsschacht schoss. Zähneknirschend nahm sie den daraus hervorstehenden Ritter und verstaute ihn in der Hosentasche. „Es war vorausschauend, ihn auf den Friedhof zu schicken, doch nun kannst du ihn nicht mehr für deine Pläne nutzen.“ Gardenia nahm eine Zauberkarte aus ihrem Blatt. „Man könnte sagen, auch sie sind im Nichts entschwunden. Wie alles zu seiner Zeit. Ich aktiviere [Void Vanishment].“ Wie unschwer anhand des Unendlichkeitsymbols in der rechten Ecke über dem Kartenbild zu erkennen war, handelte es sich dabei um einen permanenten Zauber. „Einmal pro Zug, für den Preis einer Handkarte, erhalte ich eine weitere Void-Karte aus meinem Deck. So werfe ich [Infernoid Pirmais] ab und erlange [Void Expansion], einen Spielfeldzauber, den ich unverzüglich ausspiele.“ Das ging Anya alles viel zu schnell. Mehr noch, musste sie beim Anblick dutzender schwarzer Flammen, die überall im endlosen, weißen Raum ausbrachen, schlucken. Ob an der Decke, über den Boden oder gar in der Luft, sie waren überall. Als würde jemand sie in die Hölle ziehen wollen. „Kch, machst du auch mal was Vernünftiges außer nur irgendwelche Tricks zu präsentieren, die mich behindern sollen!?“, fauchte Anya ihre Gegnerin an. Gardenia lachte leise, berechnend. „Jeder Zaubertrick braucht entsprechende Vorbereitungen. Vertraue dem Wort einer Hexe.“ Plötzlich warf der Friedhofsschacht ihrer Halbmond-Duel Disk drei Karten aus, die drei Monster, derer sie sich nacheinander entledigt hatte. „Da es Schmerz ist, den du begehrst, wirst du diesen auch empfangen. Indem ich drei Infernoids von einem beliebigen Ort außerhalb des Decks in die Verbannung schicke …“ Dabei hielt sie Anya die Karten von Decatron, Patrulea und Pirmais entgegen. „… kann ich diese Kreatur beschwören! Entsteige den verzehrenden Flammen der Leere, [Infernoid Onuncu]!“ Überall um Gardenia schossen blutrote Flammensäulen aus dem Boden, die sich in der Luft umeinander wirbelten. Eine Explosion folgte. Mit offenem Mund betrachtete die junge Frau die Geburt eines schlangenförmigen Monsters über dessen Meisterin. Mächtige violette Schwingen breiteten sich aus, verliehen der Serpentinen-Kreatur mit dem endlosen, roten Schweif etwas Mottenartiges. Infernoid Onuncu [ATK/3000 DEF/3000 (10)]   Gardenia nahm einen Schritt nach vorn. „Bei seiner Geburt wird jedes andere Monster dem schwarzen Fegefeuer vorgeworfen.“ „Was!?“, stieß Anya hervor, da öffnete Onuncu schon sein Maul und spie pechschwarzes Feuer auf ihre Spielfeldseite. Zuerst verbrannte der weiße Tiger des Mädchens qualvoll. Dann auch sein edler Edelsteindrache. „Nein!“ Schlagartig war Anyas Feld beinahe leer. „Direkter Angriff“, befahl Gardenia bestimmt. Ihr Mottendrache schrie schrill auf und löste sich aus seiner Haltung über der weißen Hexe. Er preschte nach vorn und wirbelte mitten im Spielfeld um die eigene Achse, schlug mit seinem langen Schweif nach Anya. Die wurde am Arm getroffen und schrie qualvoll auf. Die Wucht des Aufpralls riss sie von den Füßen und schleuderte sie quer durch den Weißen Raum, sie prallte auf dem Boden auf, überschlug sich wieder und wieder, bis sie letztlich meterweit von ihrer ursprünglichen Position entfernt liegen blieb.   [Anya: 4000LP → 1000LP / Gardenia: 3500LP]   Gardenia sah bewusst geradeaus, anstatt sich ihrer Gegnerin zuzuwenden. „Das schließt meinen Zug ab.“   Obwohl im Grunde genommen ihr ganzer Körper nur noch aus Schmerz bestand, biss Anya die Zähne zusammen und stemmte sich mit beiden Händen vom Boden ab. Schwankend kam sie wieder auf die Beine. „Hehe, hätte mir denken können, dass eine wie du so hart zuschlägst.“ Gardenia lächelte wissend, fast als hätte Anya ihr damit geschmeichelt. „Ich hoffe, du verträgst das Echo! Draw!“, machte jene im Anschluss klar und riss schwungvoll von ihrem Deck, runzelte dann aber zerknirscht die Stirn. „Zwei Karten verdeckt!“ Beide tauchten zischend zu ihren Füßen auf, womit Anya nur noch eine in der Hand hielt. Und die zeigte sie entschlossen vor: „Ich aktiviere den Pendeleffekt von [Gem-Knight Malachite], indem ich beweise, dass ich [Gem-Knight Fusion] auf der Hand halte!“ Die hellblaue Lichtsäule, in der sich ihr schimmernd grün-blauer Ritter befand, löste sich auf und tauchte stattdessen mit dem Krieger darin links neben Anya wieder auf. Malachite hob seinen Stab in die Höhe, woraufhin sich das Pendelportal für einen kurzen Augenblick über ihr öffnete. Doch anstatt sonst mit dutzenden Lichtellipsen umgeben zu sein, war da diesmal nur das bunte Loch, aus dem ein roter Strahl schoss. „Damit erhalte ich einen Gem-Knight aus meinem Extradeck auf die Hand“, erklärte Anya das Geschehen und hielt ihrer Gegnerin [Gem-Knight Pyrite] entgegen, „und solange ich [Gem-Knight Fusion] vorzeige, kannst du keine Karten in meinen Pendelzonen mehr zerstören.“ „Das bedeutet aber im Gegenzug auch, dass du nicht imstande sein wirst zu fusionieren.“ „Yeah“, Anya kniff die Augen fest zusammen, „zumindest nicht sofort. Ich aktiviere [Gem-Knight Pyrite] mit dem Pendelbereich 8! Pendulum Scale set!“ Rechts neben ihr entstand noch eine Lichtsäule, in der ihr weißer Ritter mit den silbrigen, würfelförmigen Schulterplatten in die Höhe stieg.   <2> Anyas Pendelbereich <8>   Entschlossen streckte Anya die rechte Hand in die Höhe. „Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum! Pendulum Summon!“ Endlich wurde das noch offen stehende Portal von den dutzenden Lichtringen umschlossen. Zwei rote Lichtblitze schossen aus ihm heraus und schlugen vor der Blonden ein. „Von meinem Extradeck: [Gem-Tiger] und [Gem-Eyes Value Dragon], beide im Verteidigungsmodus!“ Gemütlich in sich eingerollt lag schließlich der weiße Diamantentiger vor ihr. Neben ihm kniete auch der Drache in der goldenen Rüstung. Seine drei Tragflächen auf jeder Seite des Rückens standen nicht mehr in Flammen.   Gem-Tiger [ATK/1800 DEF/300 (4) PSC: <8/8>] Gem-Eyes Value Dragon [ATK/2400 DEF/2000 (7) PSC: <5/5>]   „Nun benutze ich Gem-Eyes' Effekt! Einmal pro Zug kann er seinen Typen ändern!“ Anya streckte den Arm nach vorne aus. „Und dieses Mal wähle ich Aqua! Sight Transition!“ Die Scheiben an den Seiten des Helms ihres Drachen, die wie Scheuklappen aussahen, begannen sich schneller und schneller zu drehen. In vier durchsichtige Segmente aufgeteilt, in den Farben rot, blau, gelb und grün, erzeugte das Schauspiel einen bunten Wirbel, bis schließlich die blauen Teile auf Höhe der Augen hielten und sich um jene wie ein Visor legten. „Sapphire Gift!“, befahl Anya lautstark. Die goldenen Tragflächen des Value Dragons wurden von einer deckenden Eisschicht überzogen, die eine ganz neue Version von Flügeln erschuf. Blaue Linien zogen sich in der Rüstung entlang, als der Drache sich aufbäumte und heulte. Um Anya ihrerseits entstand eine blaue Aura.   [Anya: 1000LP → 2000LP / Gardenia: 3500LP]   „Solange Gem-Eyes den Aqua-Typen besitzt, kann er mich einmal pro Zug um 1000 Punkte heilen“, erklärte sie. „Und dann nutze ich [Gem-Knight Pyrites] Effekt in meiner Pendelzone!“ Die würfeligen, silbernen Schulterplatten ihres weißen Ritters begannen grell aufzuleuchten. „Damit kann ich eine Gem-Knight-Karte direkt von meinem Deck auf den Friedhof schicken. Ich wähle [Gem-Knight Sapphire]!“ Dessen Karte wurde von Anyas D-Pad ausgeworfen und postwendend in den Friedhofsschlitz geschoben. „Zug beendet!“ Gardenia verschränkte die Arme. „Für ein Echo war das ziemlich leise. Damit kaufst du dir nur Zeit. Doch bedenke, dass die Zeit hier schneller verstreicht als in der Realität.“ „Tch!“ Als ob sie das nicht wüsste! Aber momentan gab es nichts, was sie tun konnte, wusste Anya. Dieser komische Mottendrache war an sich nicht das größte Problem. Eher die Tatsache, dass er bei seiner Beschwörung sofort all ihre Monster vernichtete. Und wie sie diese Hexe einschätzte, plante sie genau das noch einmal zu erreichen. Aber dafür musste [Infernoid Onuncu] erst zerstört werden. Trotzdem konnte Anya sich auf Dauer nicht hinter ihren Monstern verstecken. Einerseits würde Gardenia garantiert einen anderen Weg finden, ihr ans Leder zu gehen und außerdem hatte das Mädchen keine Lust, irgendwo in der Zukunft zu landen und wenn es nur wenige Tage waren. Denn wer wusste schon, was verlorene Zeit in diesem Weißen Raum wirklich für sie bedeutete …   „Draw“, gab Gardenia fast nebensächlich von sich und zog eine Karte. Anya, die die überall verteilten, schwarzen Flammenherde zwischenzeitlich komplett verdrängt hatte, weitete die Augen, als einige sich vor ihrer Gegnerin sammelten. Ein kleines, gläsernes Gefäß erschien, welches sie in sich aufsog. In ihm nahmen sie die Form eines komplizierten Geflechts an.   Infernoid-Spielmarke [ATK/0 DEF/0 (1)]   „Zu Beginn eines jeden meiner Züge erzeugt [Void Expansion] ein solches Gefäß. Doch du kannst aufatmen, denn solange die Gesamtzahl der Stufensterne meiner Monster über acht liegt, kann ich keine weiteren Infernoid-Monster beschwören“, ließ Gardenia Anya wissen. Dann nahm sie eine Handkarte und schob sie in den Friedhofsschlitz. „Nun folgt der Effekt von [Void Vanishment], der mir im Austausch für eine Karte einen Zauber oder eine Falle der Leere zur Verfügung stellt. [Void Seer].“ Die von der Brünetten benannte Karte schob sich aus ihrem Deck und wurde mit einem zufriedenen Lächeln ihrer Besitzerin aufgenommen. Die streckte den Zeigefinger auf. „Kämpfe!“ Ihr riesiger Mottendrache stieß sich nach vorne ab und zischte auf Anyas Gem-Eyes zu, welcher mit einem einzigen Schweifhieb zum Explodieren gebracht wurde. „Kch!“, stöhnte Anya, als ihr eine Druckwelle entgegenschlug.„Zeitverschwendung! [Gem-Eyes Value Dragon] kehrt nächste Runde wieder!“ Über ihr öffnete sich das Pendelportal und absorbierte aus dem Rauch die Überreste des Drachen als roten Lichtstrahl. Danach schloss es sich wieder. „Du irrst dich“, entgegnete Gardenia und schob nebenbei eine Karte in ihre Halbmond-Duel Disk, die daraufhin verdeckt zu ihren Füßen erschien, „dein Drache vermag es, einmal pro Zug den Typen zu wechseln. Demnach könntest du in deinem nächsten Zug sowohl die Effekte seines aktuellen, als auch die des darauf folgenden Typen genießen. Dem habe ich vorgebeugt.“ Kopfschüttelnd fasste Anya sich an die Stirn. „Wenn du meinst …“ „Ich weiß es. Mein Zug ist beendet.“   Anya legte zwei Finger an ihr Deck und starrte es konzentriert an. Langsam musste etwas Gutes kommen, ehe diese aufgeblasene Schnepfe noch weiter aufrüstete! „Fucking Mega-Draw!“ Mit ihrem in so einer Situation gewohnt mächtigen Schwung riss Anya die Karte fort, nur um sie dann anzusehen und angenehm überrascht zu staunen. Ein bitterböses Grinsen folgte. „Perfekt!“ Sie riss den Arm in die Höhe. „Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum! Pendulum Summon!“ Ein einzelner, roter Blitz schoss aus dem sich über ihr öffnenden Pendelportal. „Aus meinem Extradeck, [Gem-Eyes Value Dragon] im Angriffsmodus!“ Jener nahm vor ihr in seiner goldenen Rüstung Gestalt an, welche jedoch an den Tragflächen auf seinem Rücken nicht länger mit Eis überzogen war.   Gem-Eyes Value Dragon [ATK/2400 DEF/2000 (7) PSC: <5/5>]   „Ein Strategiewechsel?“ Gardenia schloss besonnen die Augen. „Interessant.“ „Eher unangenehm! Zumindest für dich, denn ich rüste Gem-Eyes mit dem Ausrüstungszauber [Gem-Knight Power Bracelet] aus, was den ausgerüsteten Gem-Knight um 800 Angriffspunkte stärker macht!“ Am rechten Arm des aufrecht stehenden Drachen manifestierte sich ein goldenes, juwelenbesetztes Armband. Jenes zog goldenes Licht um seine Pranke, an der verlängerte Krallen erschienen.   Gem-Eyes Value Dragon [ATK/2400 → 3200 DEF/2000 (7) PSC: <5/5>]   Gardenia öffnete die Augen wieder und griff nach ihrer Duel Disk, zuckte mit den Mundwinkeln und ließ letztlich wieder von dem Apparat an ihrem Arm ab. „Verstehe. Obwohl dein Drache den Rittertitel nicht im Namen trägt, wird er dank seines Effekts wie ein solcher behandelt.“ „Gem-Eyes ist eben nicht dein typischer Klischeedrache. Und das zeigt sich auch darin, dass er jetzt den nächsten Typen annimmt! Sight Transition!“ Die runden Klappen an seinem Helm begannen wieder sich zu drehen. Anya kommentierte das herrisch: „Diesmal donnert es!“ Schlagartig blieben die transparenten, gelben Segmente vor seinen Augen stehen und legten sich wie eine Brille um jene. Gelbe Linien zogen sich durch seine Rüstung, violette Blitze begannen um die Tragflächen zu schlagen. „Einmal pro Zug kann ich eine Karte auf dem Feld wählen und solange Gem-Eyes sich auf dem Feld befindet, wird deren Effekt blockiert!“ Die Blonde schnaufte und richtete den Zeigefinger direkt auf die aufrecht stehende, permanente Zauberkarte von Gardenia. „Das Ziel ist [Void Vanishment]! Topaz Jammer!“ Einige der Blitze lösten sich von ihrem goldenen Drachen und schlugen in Gardenias Zauber ein, welcher danach regelmäßig von Entladungen heimgesucht wurde. Anya drehte indes schon die Karte ihres anderen Monsters in die Vertikale. Der liegende Tiger stand auf. „Ich wechsle [Gem-Tiger] in den Angriffsmodus!“   Gem-Tiger [ATK/1800 DEF/300 (4) PSC: <8/8>]   „Mal sehen wie dir das schmeckt! [Gem-Eyes Value Dragon], greife dieses hässliche Mistvieh an!“, schrie Anya und schwang gebieterisch den Zeigefinger auf das dämonische Wesen über Gardenia, „Spectral Burst Stream!“ Gehorsam öffnete ihr Drache und spie einen farbenfrohen Odem, der schimmerte wie die Oberfläche eines Diamanten. [Infernoid Onuncu] antwortete seinerseits mit einem pechschwarzen Flammenstrahl. Als beide Attacken aufeinandertrafen, entstand zunächst eine leichte Explosion. Die finsteren Ausstöße Onuncus wurden jedoch mit Leichtigkeit zurückgestoßen, das Wesen vollkommen von Gem-Eyes übertrumpft. Eine wesentlich heftigere Explosion folgte.   [Anya: 2000LP / Gardenia: 3500LP → 3300LP]   Damit wäre einer erledigt, dachte Anya. Doch das war noch nicht alles. „[Gem-Tiger], spiel' ein bisschen mit diesem Ding da!“ Die Blonde zeigte auf das Gefäß, das vor Gardenia schwebte. Ihr weißer Tiger sprintete auf jenes zu und zerschlug es mit nur einem Prankenhieb. Als er verrichteter Dinge zu ihr zurückkehrte, nickte Anya ihren Monstern anerkennend zu. Für den Rest würden ihre verdeckten Karten sorgen. „Zug beendet.“   „Um ehrlich zu sein hatte ich etwas mehr erwartet“, gestand die Weiße Hexe im grauen Cape nonchalant, aber keinesfalls abwertend, „wie es aussieht, hast auch du dein volles Potential trotz allem noch nicht ausgeschöpft.“ Anya schnaufte. „Was auch immer du mir damit sagen willst …“ Ihre Gegnerin zog auf und erwiderte: „Dass du keine Gefahr für mich darstellst.“ „Will ich das denn?“ Schulterzucken. „Ich meine, ich habe den Krieg mit deiner Schülerin nicht angefangen. Sie hat nicht mal die Eierstöcke mir zu sagen, was ihr verdammtes Problem ist.“ Gekonnt lies Anya ihren Zeigefinger um die Schläfe kreisen. „Von so einer bekloppten Kuh lass ich mir nicht ans Bein pinkeln. Und weil weder sie, noch mein dämlicher Bruder dazu imstande waren, musst du jetzt ran? Ich an deiner Stelle wäre mir dafür zu schade.“ Die brünette Frau betrachtete nachdenklich ihre Karte. Sie schien gar nicht wahrzunehmen, dass sich vor ihr erneut ein Teil der finsteren Flammen sammelte und von einem neu entstandenen Gefäß absorbiert wurde.   Infernoid-Spielmarke [ATK/0 DEF/0 (1)]   Zu einer erstaunlichen Erkenntnis gelangt, sah Gardenia zu Anya auf. „Bis eben dachte ich, sie wäre von euch beiden die Weisere. Aber ihr seid euch noch ähnlicher als ich annahm.“ Dabei zog sie zwei Karten aus ihrem Friedhofsschlitz. „Doch eines solltest du wissen. Stolz ist für mich nicht von Relevanz. Was mich antreibt ist …“ Das Gefäß vor ihr zerplatzte. „… die Zuneigung einer Lehrerin gegenüber ihren Schützlingen. Ich verbanne die Infernoid-Spielmarke auf meinem Feld sowie [Infernoid Attondel] von meinem Friedhof und [Infernoid Piaty] von meiner Hand!“ Anya keuchte, obschon sie nicht wusste, welche Aussage ihr mehr imponierte. Das Duell jedoch hatte Vorrang und die einzige Erklärung, warum [Infernoid Attondel] auf Gardenias Friedhof lag, war, dass sie ihn zuvor als Kosten für den Effekt ihrer Zauberkarte abgeworfen hatte. „Steige aus dem Schwarzen Fegefeuer erneut empor, [Infernoid Onuncu]!“ „Also ist es wirklich wie ich dachte“, zischte Anya, als sich überall um Gardenia die schwarzen Flammen sammelten und zu einem Wirbel verdichteten, „dieses Vieh kann von überall beschworen werden, solange du nur genug Monster verbannst!“ „Korrekt. Und wenn [Infernoid Onuncu] gerufen wird, vernichtet er sämtliche Monster meines Gegners.“ Der Feuervortex vor der Hexe verfärbte sich blutrot. Das Spreizen der gewaltigen Schwingen löste ihn mit einem Schlag auf, als der Mottendrache sich majestätisch erhob.   Infernoid Onuncu [ATK/3000 DEF/3000 (10)]   „Als ob ich das nochmal zulasse!“ Anya griff nach einer in ihrem D-Pad steckenden Karte und riss sie daraus hervor. Sofort löste sich der Klauenhandschuh ihres Drachen in Luft auf.   Gem-Eyes Value Dragon [ATK/3200 → 2400 DEF/2000 (7) PSC: <5/5>]   Gardenia sah ihr Gegenüber erwartungsvoll an. „Genau darauf habe ich gewartet. Zwar kostet es mich [Gem-Knight Power Bracelet], aber durch dessen Effekt kann ich die Beschwörung verhindern und das Monster zerstören!“ Sofort öffnete Gem-Eyes sein Maul und stieß einen kunterbunten Flammenodem aus, welcher den geflügelten Dämon einhüllte. „Dessen bin ich mir bewusst“, entgegnete Gardenia jedoch mit einem wissenden Lächeln. „Huh!?“ Anya weitete die Augen, als goldene Lichtstrahlen aus dem bunten Flammenball stießen, der das Monster ihrer Gegnerin nun darstellte. „Aus diesem Grund habe ich [Void Seer] vorbereitet.“ Gardenias gesetzte Schnellzauberkarte sprang auf und zeigte genau das, was gerade geschah: Einen finsteren, geflügelten Dämon, aus dessen Körper goldenes Licht austrat. „Dadurch ist [Infernoid Onuncu] vor all deinen Karteneffekten gefeit.“ Eine grelle Schockwelle ging von jenem aus und blies die Flammen davon. Mehr noch, öffnete der Mottendrache sein eigenes Maul und spie pechschwarzes Feuer in Anyas Richtung. Welche fassungslos ausstieß: „Fuck!“ Die brünette Hexe schmunzelte. „Nun fallen deine Monster dem Schwarzen Fegefeuer zum Opfer und werden zerstört.“ Wie sie das Unheil auf sich zukommen sah, wusste Anya, dass sie Plan B initiieren musste. Welcher für 'B wie beschissen' stand. „Ich kette meine eigene Schnellzauberkarte an: [Forbidden Chalice]!“ Jene sprang vor dem Mädchen auf. Aus ihr glitt, wie von einer jungen Frau in weißem Kleid gehalten, ein goldener Kelch hinaus. Jener neigte sich nach vorne und schoss sprudelnden, roten Wein in Onuncus Richtung, welcher die Flammen löschte. „Da Ketten von hinten aufgelöst werden, wird erst der Effekt deines Mistviehs annulliert, bevor es vor meinen Karten dank [Void Seer] immun gemacht wird“, raunte Anya garstig. Der eindrucksvolle Dämon mit dem langen Schweif schluckte zwangsweise den restlichen Wein und begann unbeholfen zu flattern, statt sich majestätisch in der Luft zu halten. „Jedoch gewinnt das Monster dadurch auch 400 Angriffspunkte“, erklärte Gardenia ihr unnötigerweise den zweiten Teil des Effekts.   Infernoid Onuncu [ATK/3000 → 3400 DEF/3000 (10)]   Die Blonde drehte den Kopf zur Seite. „Tch!“ „Ich nutze die Gunst der Stunde und greife deinen [Gem-Eyes Value Dragon] mit [Infernoid Onuncu] an. Los!“, befahl Gardenia mit ausgestreckter Hand. Mit seinem langen Schweif schlug jener unbeholfen nach dem goldenen Donnerdrachen und zerschmetterte ihn. Anya bekam das Ende des Glieds am Oberarm ab und wurde kurzerhand wieder vom Boden gerissen. „Argh!“   [Anya: 2000LP → 1000LP / Gardenia: 3300LP]   Ohnehin schon lädiert genug, landete sie ausgerechnet auf eine besonders schmerzende Stelle ihres anderen Arms und schrie gequält auf, als sie wie eine Puppe durch die Gegend geschleudert wurde. Stöhnend blieb sie liegen. Schwarze Punkte tanzten vor ihren Augen. Gardenia kicherte amüsiert. „Du bist gut darin, Angriffe einzustecken. Nun, da dein Drache das Spielfeld verlassen hat, kann ich den Effekt von [Void Vanishment] wieder aktivieren.“ Sie entledigte sich eines Monsters namens [Infernoid Harmadik] und sagte: „Ich erhalte [Void Launch], welche ich auch gleich setze.“ Während Anya sich langsam aufraffte, zog ihre Gegnerin die aus ihrem Deck hervorstehende, purpur umrahmte Karte und schob sie geradewegs in den Zauberfallenslot, sodass sie zu ihren Füßen erschien. „Machst nicht mal'n Geheimnis daraus, huh?“ „Das muss ich auch nicht. Dieses Duell nähert sich mit schnellen Schritten seinem Ende.“ Die weiße Hexe straffte die Schultern. „Zug beendet.“ Ein paar Mal den Kopf schüttelnd, fing sich ihr Mottendrache wieder und stieg etwas höher in die Luft, nahe der Decke des schier endlosen, weißen Raums.   Infernoid Onuncu [ATK/3400 → 3000 DEF/3000 (10)]   Anya hielt sich den schlimmer schmerzenden, rechten Arm und biss die Zähne zusammen. Langsam musste sie sich etwas einfallen lassen, ansonsten würde die Hexe sie zermalmen. Shit! „Sei unbesorgt. Kali wird über dich richten, nicht ich“, versicherte Gardenia der verzweifelten Anya streng, „obwohl ich bezweifle, dass dein Schicksal erfreulich sein wird. Ob sie dich nun leben lässt oder nicht.“ Anya fauchte zurück: „Und was soll das jetzt heißen?“ „In diesem Moment kann ich nicht vorhersehen, wie Kali sich verhalten wird.“ Gardenia seufzte schwer. „Vielleicht tötet sie dich, vielleicht auch nicht. Es ist ihr Wunsch, aber sie fürchtet sich davor, ihn in die Tat umzusetzen. Doch selbst wenn sie sich entscheidet, dich zu verschonen, wirst du diesen Ort nie wieder verlassen.“ „Wieso!?“ „Weil es für dich nie einen Platz in jener Welt gab.“   ~-~-~   Es war gut, dass das weiße Einfamilienhaus so abgelegen auf dem Hang stand, von dem man Ephemeria City strahlend hell in der Nacht sehen konnte. Andernfalls wäre es ob der lauten Schmerzensschreie, die nur mäßig von seinen Wänden gedämpft wurden, längst ins Visier der Behörden gerückt.   Zanthe selber war nicht im Zimmer, in dem Nigel und seine Ehefrau, die glücklicherweise Krankenschwester war, Exa operierten. Wenn man es so nennen konnte. Stattdessen lehnte er gegen die gelbe Wand im Flur, direkt neben der Tür und presste jedes Mal die Augen fest zusammen, wenn sein Freund aufschrie. Er musste bei Bewusstsein bleiben, hatte er gesagt. Und Zanthe durfte nicht dabei sein und seine Hand halten, denn sein Blut aus nächster Nähe zu sehen und zu riechen könnte unangenehme Auswirkungen auf den Werwolf haben.   Als er Exa keuchen hörte, dann aber seinen Helfern positiv zuredete weiterzumachen, stieß Zanthe einen frustrierten Laut aus. Es war alles nur seine Schuld! Hätte er nur besser aufgepasst, wäre sein Freund, der Mann, der die Seele seines Bruders in sich trug, nie so schwer verletzt worden. Was geschah mit jener, wenn er starb? Allein der Gedanke ließ Zanthe erschaudern, mehr noch aber der, dass er sich mehr darum sorgte, als um das Wohl seines eigentlichen Freundes.   Er drehte den Kopf zum Ende des Gangs, der in eine kleine Küche führte. An deren Tisch saß sie, völlig regungslos. Claire Rosenburg. Genauso mechanisch wie man sie kannte. Zanthe zweifelte langsam. Konnte sie überhaupt gerettet werden, ohne sofort wieder einen derartigen Anfall zu erleiden? Wollte er das noch, nach dem, was sie getan hatte? … natürlich wollte er das. An ihrem Zustand war nicht sie schuld, sondern der Pakt mit Nigel, wenngleich er jenen nun auch mit anderen Augen betrachtete. Sie jetzt im Stich zu lassen wäre nicht weniger verwerflich.   Exa schrie erneut so laut, dass Zanthe eine Gänsehaut bekam. Dann hörte er Nigels Frau aufgeregt sagen, dass der Blonde das Bewusstsein verloren hat. Ihm wurde ganz klamm im Magen, er spürte, wie auch die Aufregung im Zimmer immer stärker wurde. Wenn alle Stricke reißen würden, könnte ihn vermutlich nur noch eine Verwandlung das Leben retten. Zanthe streckte seinen Unterarm nach vorne, betrachtete die deutlich blau hervorstechenden Adern daran. Das Blut eines Werwolfs zu trinken führte bei einem starken Immunsystem zu einer Adaption. Doch war Exas Körper stark genug, das zu überstehen? Und konnte das überhaupt gut gehen, wenn ein Teil seines Körpers synthetisch war? Ihm brach der Schweiß aus. Auch weil Mrs. McPherson immer hektischer auf ihren Mann einredete, zumal sie die ganze Lage in der kurzen Zeit noch gar nicht richtig erfasst hatte.   ~-~-~   Matt stieß schicksalsergeben einen Seufzer aus. Natürlich. Alles war schief gegangen. Der Sammler sah sie jetzt als Verräter an, ihn und Valerie. Er würde sie töten. Sie, ihn, Marc, Tara … wobei der Tod vielleicht noch die gnädigste Bestrafung sein würde. Mit ausgestreckten Gliedern lag er im weichen Sand des riesigen Kraters, der mitten in Hollow City klaffte. Er schloss die Augen, aus denen Tränen der Verzweiflung aufstiegen.   Tara. Dass sie jetzt überhaupt ein normales Leben führen konnte, verdankte sie einzig dem Collector. Dem Mann, der überhaupt erst für ihr Unglück verantwortlich war, der sie als Mittel für seine eigenen Zwecke missbraucht hatte. Von Anfang an musste er geplant haben, sie zu benutzen, um ihn gefügig zu machen. Was würde er jetzt tun, nun, da er wusste, dass Matt seine Aufgabe nicht erfüllen würde?   Der Dämonenjäger genoss die Stille, die nur durch kaum zu vernehmbares Klirren und Knacken gestört wurde. Die Undying, sie brachen das Eis, das sie eingefroren hatte. Von seiner Rechten hörte er auch leise Schritte. Zed näherte sich, stellte sich neben ihn. Es dauerte einen Moment, dann hatten auch die anderen beiden sich dazu gesellt. Zu dritt umzingelten sie den liegenden jungen Mann. „Tut mit mir was ihr wollt“, sprach er lethargisch. Es spielte sowieso alles keine Rolle mehr. „Deine Freundin ist sehr mutig. Doch sie wird nicht gegen ihre Feinde bestehen können“, erwiderte Ricther. „Steh auf.“ „Wozu? Ich bin ein Helfer Anya Bauers. Ihr müsst mich töten, das ist eure Pflicht.“ Zed lachte herrisch. „Narr. Wäre das mein Anliegen, hätte ich euch meine Unterstützung nie zugesagt.“ Matt öffnete langsam die Augen, sah den Mond zur Hälfte von einer Wolke versperrt. „Was dann? Der Sammler ist entkommen.“ „Im Moment können wir nichts unternehmen, das ist wahr.“ Ricther beugte sich zu ihm herab. „Ihn ungestraft walten lassen werden wir jedoch nicht. Unsere Zeit wird kommen.“ Matt stieß einen erstaunten Seufzer aus, als der Hüne ihm die Hand reichte. Seine ganze Rüstung war voller Sprünge und Risse. Einen Augenblick verstreichen lassend, griff Matt schließlich nach ihr und ließ sich aufhelfen.   Frieden mit den Undying? Waren er und Valerie wirklich zu ihnen durchgedrungen? Oder war das nur ein Aufschub für die Strafe, die all jene erwartete, die Anya Bauer unterstützten?   Der lange, dürre Stoltz, der sich im Hintergrund hielt, grinste jedenfalls und zeigte seine fauligen Zähne. Was für Matt kein gutes Omen war. In dem Augenblick fiel ihm etwas ein. „Könnt ihr mich zu Anya bringen!?“ „Ja. Doch zu welchem Zweck?“, wollte Zed neben ihm wissen. „Sie steckt in Schwierigkeiten. Kennt ihr eine Kali? Sie ist … eine Assassine oder so etwas in der Art und hat Anya herausgefordert. Sie will ihren Tod um jeden Preis.“ Ricther wiederholte nur den Namen. „Kali …“ „Ich habe aber noch eine Bitte. Könntet ihr nach einer Freundin von mir sehen? Und vielleicht … auf sie aufpassen?“ Matt verachtete sich selbst dabei, wie hilflos und schwach er dabei klang. Es wurde auch nicht besser, als alle drei Undying ihn anstarrten, obwohl er weder Zeds, noch Ricthers Augen sehen konnte. Sie um so etwas zu bitten war absurd, aber wenn jemand Tara beschützen konnte, dann allerhöchstens diese Drei. „Nenn' mir ihren ungefähren Aufenthaltsort“, bot Zed an, „ich werde prüfen, ob unser Feind sich an ihr vergangen hat.“ „Dann werden ich und Stoltz dich zu Anya Bauer führen“, entschied Ricther. Matt lächelte dankbar, nickte und wischte sich das Nass aus den Augen. „Anya müsste sich im Ephemeria Bridge Stadium befinden. Und Tara …“   ~-~-~   Fernab all der Geschehnisse in und um Ephemeria City hatte Nick Harper in Sorge um seine Schwester einen Notfallplan ersonnen. In dem Wissen, dass sie sich Kali gegenüber stellte, musste er schnell handeln, um ihr zur Seite zu stehen. So hatte er bereits kurz nach ihrem Einbruch in das Ephemeria Bridge Stadion seine beiden Krähen Snuggly und Sparkly ausgesandt, um einen bestimmten Dämon ausfindig zu machen und zu ihm zu bringen.   Jener Dämon stand ihm inzwischen gegenüber. Das eine Handbreit lange, schwarze Haar klebte in einer Mischung aus Schweiß und Blut an seiner kreidebleichen Stirn. Mit erhobener Duel Disk stand Nick mit dem Rücken zu einem kleinen Mausoleum auf dem Livingtoner Friedhof. Wie immer an seiner Seite Alexandra Russo, die mit dem Rücken an jenes Bauwerk lehnte und alles interessiert beobachtete. „Du willst mich wirklich umbringen, man?“, fragte der noch jung aussehende Dämon ungläubig, nachdem er zu spüren bekommen hatte, wie schmerzhaft deaktivierte Sicherheitsprogramme sein konnten. Nick schüttelte den Kopf. „Ich brauche nur ein wenig deiner Kraft.“ „Du hättest auch einfach fragen können, verdammt!“ „Nein“, kam eine unterkühlte Reaktion, „ich strebe nicht nach einer Mitfahrgelegenheit. Ich will selbst der Fahrer sein. Alles andere ist inzwischen inakzeptabel.“ Obwohl er höhnisch auflachte, wich der punkige Dämon einen Schritt zurück. „Keine Ahnung was du da laberst, man, aber eins ist klar, noch habe ich nicht verloren!“ Womit er auf seinen mächtigen, bräunlichen Bilderbuchdrachen mit weiten Schwingen und Hörnern auf dem Kopf anspielte.   Tyrant Dragon [ATK/2900 DEF/2500 (8)]   „Ist das so?“, stellte Nick seinerseits die Aussage seines Gegners leise in Frage. Dabei kontrollierte er nur sein Assmonster [Wind-Up Arsenal Zenmaioh], einen riesigen, roten Roboter, dessen einer Arm durch einen Bohrer ersetzt worden war. Um ihn kreiste eine Lichtkugel.   Wind-Up Arsenal Zenmaioh [ATK/2600 DEF/1900 {5} OLU: 1]   [Dämon: 1500LP / Nick: 3600LP]   Der zerzauste, brünette Kerl im schwarzen Trenchcoat streckte die Hand nach vorne aus, was seine gesetzte Karte aufspringen ließ. „[Overwind] verdoppelt die Punkte meines Monsters.“ Sofort begann der goldene Aufziehschlüssel auf dem Rücken seines Mechs sich rapide zu drehen.   Wind-Up Arsenal Zenmaioh [ATK/2600 → 5200 DEF/1900 → 3800 {5} OLU: 1] Nick schnippte mit dem Finger. „Wind-Up Power Punch.“ Noch während sein Gegner einen entsetzten Aufschrei losließ, schoss Zenmaioh seine Faust auf den Drachen ab, welche diesen auf grauenhafte Weise durchlöcherte. Sie flog geradewegs weiter auf den schwarzhaarigen Dämon zu, der im Gesicht getroffen, von den Füßen gerissen und geradewegs durch einen Grabstein hindurch gepfeffert wurde.   Sich um sich selbst überschlagend und dabei noch laut schreiend, blieb er irgendwann liegen.   [Dämon: 1500LP → 0LP / Nick: 3600LP]   Alexandra hinter Nick kicherte amüsiert. „Nun, der hat ja nicht lange durchgehalten. Wer hätte gedacht, dass der Erste so leicht sein würde?“ Die Hologramme verschwanden. Nick hob die rechte Hand an und betrachtete sie. „Spürst du eine Veränderung?“, fragte seine Partnerin neugierig. Er schüttelte den Kopf. „Nein.“ Dann schwang er den Arm aus, mit der Absicht, eines dieser Portale entstehen zu lassen. Aber wie erwartet, geschah nichts. „Ich sollte seine Kräfte absorbiert haben“, überlegte er laut. In dem Moment tauchten die beiden Krähen auf seinen Schultern auf. „Nein, so funktioniert das nicht, kraw“, belehrte ihn die schlaue Sparkly eines Besseren, „mit der Conqueror's Soul nimmst du den Äther deiner Feinde in dich auf, aber um ihre Fähigkeiten zu nutzen, reicht das noch nicht.“ Die langsame Snuggly dagegen sagte gar nichts, sondern stocherte lieber mit ihrem Schnabel in den Federn ihres Unterleibs herum. All das konnte Alexandra natürlich weder hören noch sehen. „Was muss ich dann tun?“, wollte Nick wissen, während sich sein blutüberströmter Gegner langsam am anderen Ende des Friedhofs erhob. „Der Kontakt wird am einfachsten durch ein Duell hergestellt, doch um davon zu profitieren, muss er eine Weile bestehen bleiben, kraw!“ „Nick muss sich länger duellieren“, stimmte nun auch Snuggly in die Erklärung ihrer Schwester mit   Ihr Besitzer stöhnte ärgerlich. Für so etwas hatte er eigentlich gar keine Zeit. Andererseits war es gut, das zu wissen, damit er für das nächste Mal besser vorbereitet war. „Aufstehen“, forderte er seinen Gegner streng auf. „H-huh …?“, murmelte der benommen. Nick streckte den Arm nach vorne, seine Duel Disk aktivierte sich erneut. „Deine Performance war unterirdisch. Also werden wir das Ganze wiederholen.“ „Was!?“ Schlagartig war der Dämon wieder bei Sinnen, setzte einen feindseligen Blick auf. „N-nein, nicht nochmal!“ Ohne Vorwarnung schwang er den Arm aus und ließ direkt neben sich eines der schwarz-glänzenden, ovalen Portale erscheinen. Nick seufzte nur verstimmt. Schon löste sich Sparkly von seiner Schulter und schoss wie ein Pfeil durch die Oberfläche des Teleportationszaubers, sodass dieser wie eine Glasscheibe zersprang. Keuchend wich der Punk-Dämon zurück. Und Nick sagte: „Ich erklärte dir bereits einmal, dass das nichts wird.“ „Wieso willst du dich mit mir duellieren!? Ich habe dir nichts getan!“ „Das interessiert mich nicht. Wir werden uns solange duellieren, bis ich habe, wonach ich suche“, drohte Nick seelenruhig. „Also diskutiere nicht und gib dir in deinem eigenen Interesse dieses Mal mehr Mühe.“ Alexandra richtete den Kopf nach oben und betrachtete den Mond. „Armer Kerl …“ Innerlich fluchte Nick jedoch. Was, wenn es bereits zu spät war!?   ~-~-~   Valerie atmete tief durch. Zwar war das Weltall um sie herum nur eine Illusion oder etwas Ähnliches, das den schimmernden Pfad begleitete, auf dem sie sich mit David duellierte, doch ihre Anspannung stieg langsam. Der Sammler, der ein paar Meter hinter dem Schwarzhaarigen am Boden lag, völlig erschöpft und schwer verwundet, durfte das schwarze Portal in einiger Entfernung nicht erreichen. Wenn es ihm gelang war alles umsonst. Und das durfte sie nicht zulassen. Doch dieser junge Mann vor ihr, der so unbekümmert und fröhlich erschien, wollte sie mit aller Kraft daran hindern.   [Valerie: 3800LP / David: 900LP]   Noch ein Treffer und der Bursche mit der blauen Haarsträhne am Pony würde ebenfalls fallen. Zwar verfügte Valerie über ihre fliegende, rothaarige Meerjungfrau Merrowgeist, an deren Flügelflossen sich Raketentriebwerke befanden, doch ihr mangelte es an der Macht, einen physischen Treffer auszuteilen.   Evigishki Merrowgeist [ATK/3100 DEF/1600 {4} OLU: 1]   Genau das musste Valerie jedoch, körperlichen Schaden zufügen. Jemand, der selbst mit den Undying fertig wurde, würde sich von dem Schwert auf ihrem Rücken nicht beeindrucken lassen und dass das Ganze hier nur Zeitschinderei war, erklärte sich von selbst. Nein, Valerie brauchte ein größeres Geschütz. Und es gab nur eines in ihrem Deck, das vielleicht dazu in der Lage war: [Moulinglacia The Elemental Lord], eine Karte, die sie von Anya geschenkt bekommen hatte und die merkwürdige Kräfte in sich verborgen hielt. Genau diese Karte fehlte in Valeries Blatt allerdings und das Letzte, was sie sich leisten konnte, war darauf zu warten, sie zu ziehen. Auch ihre verdeckte Karte konnte ihr dabei nicht helfen, ebenso wenig ihre beiden Handkarten, von denen eine ihr [Gishki Aquamirror] war. Dagegen war Davids Feld bis auf eine gesetzte Zauberfalle leer, die beiden Monster auf seiner Hand waren beides Ritualmonster, die ohne passenden Zauber nutzlos waren. Valerie biss sich auf die Lippe. Sie würde irgendwie an ihm vorbeikommen müssen, aber wie?   „Man, wenn du so drauf bist, ist echt nicht gut Kirschen essen mit dir. Vielleicht sollte ich dann auch Ernst machen“, meinte ihr Gegner und griff nach seinem Deck, „also gut, Draw!“ Schwungvoll zog David eine Karte und hielt dann grinsend seine Hand zum Ablagestapel. „Da ich keine Monster kontrolliere, lässt sich der Effekt von [Nekroz Mirror] auf meinem Friedhof aktivieren.“ Valerie verschränkte gespannt die Arme. „Der da wäre?“ „Ich verbanne ihn und ein Nekroz-Monster“, sprach er und zog sowohl den Ritualzauber, als auch [Dance Princess Of The Nekroz] heraus, „um einen neuen Nekroz-Zauber zu erhalten. Meine Wahl fällt auf [Nekroz Kaleidoscope]!“ Eine neue Karte wurde aus seinem Deck geschoben, welche sich der Schwarzhaarige sofort schnappte und ausspielte. „Und dieser Ritualzauber hat es wirklich drauf. Statt Monster auf dem Feld zu opfern, schicke ich stattdessen eines aus meinem Extradeck auf den Friedhof!“ „Was!?“ Seine Gegnerin verkrampfte. „Und das Beste daran ist, dass ich sogar mehr als ein Ritualmonster damit beschwören kann, wenn ihre Stufen zusammen die des Opfers ergeben!“ Grinsend hielt David zwei blau umrandete Karten in die Höhe. Hinter ihm fächerte sich ein Spiegel ganz aus Eis auf, in dem die Silhouetten zweier humanoider Monster zu sehen waren. „Ich biete [Gungnir, Dragon Of The Ice Barrier] als Opfer dar!“ Valerie stockte der Atem. „Gungnir!?“ Doch da brach das Eis hinter ihrem Gegenüber schon auseinander. „Webe die Rüstung gefallener Feinde! Ritual Summon! Kämpft für mich, [Nekroz Of Clausolas] und [Nekroz Of Unicore]!“ „Unicore!?“ Links vor ihm landete ein rothaariger Jüngling mit weißem Pony vor David. Er steckte in einer Art Rüstung, die aus dem Gefieder eines grünen Vogels gemacht war, dessen Kopf aus seiner Brust ragte. Neben ihm schwang eine Kriegerin in weißer Tunika einen eisigen Speer. An ihrem Waffenrock befand sich ein wuscheliger Pferdeschweif, an ihrem Stirnband ein langes Horn – Valerie kannte das Monster, aus welchem diese Kleidung gemacht worden war. Es war das Assmonster des Schattengeistes Orion, einem Vertrauten des Sammlers …   Nekroz Of Clausolas [ATK/1200 DEF/2300 (3)] Nekroz Of Unicore [ATK/2300 DEF/1000 (4)]   „W-was sind das für Monster?“, fragte die Schwarzhaarige aufgelöst. „Und wie kommst -du- an [Gungnir, Dragon Of The Ice Barrier]!? Diese Karte …“ Als ihr Gegner sie jedoch ahnungslos anstarrte, seufzte Valerie schwer. „Vergiss es. Es ist nicht so, als ob es nur ein Exemplar davon gäbe.“ „Verbindest du besondere Erinnerungen mit dieser Karte?“, wunderte sich David und holte das Stufe 7-Synchromonster aus seinem Friedhof hervor. „Erzähl' mir davon!“ „N-nein.“ Das Mädchen schüttelte den Kopf. „Das geht dich nichts an.“ Enttäuscht ließ ihr Gegner den Kopf hängen und entledigte sich der Karte wieder. „Schade.“ Nur um dann entschlossen aufzublicken. „Andererseits hast du vollkommen Recht! Wir befinden uns in einem Duell. Statt zu plauschen, sollten wir lieber die Karten für uns sprechen lassen! Und das werde ich auch, indem ich [Nekroz Of Clausolas'] Effekt aktiviere!“ Der Jüngling in der Vogelrüstung griff hinter seinen Rücken und zückte von dort ein Schwert hervor, dessen Klinge aus einer langen, grünen Feder bestand. Geschwind sauste er durch die Luft und umkreiste Merrowgeist, sie dabei nach allen Regeln der Kunst durchkitzelnd. Zunächst machte Valerie dazu ein perplexes Gesicht, welches von Schrecken erfüllt wurde, als sie begriff. „Ah!“   Evigishki Merrowgeist [ATK/3100 → 0 DEF/1600 → 0 {4} OLU: 1]   „Tja, die Nekroz sind der personifizierte Feind aller Monster, deren Heimat das Extradeck ist“, erklärte David dazu stolz, „so kann Clausolas zum Beispiel die Werte eines von dort beschworenen Monsters auf 0 setzen.“ Keuchend umklammerte Valerie ihren Karten fester. „Battle!“, befahl ihr Gegenüber strahlend. „Clausolas, zerstöre ihr Monster mit Feather Slash! Unicore, du folgst daraufhin mit Unidrill!“ Kaum hatte er die Angriffe initiiert, glitt der Jüngling im Vogelkostüm geschickt durch die Luft und trennte mit einem Schwerthieb Merrowgeists Kopf vom Körper. Die Explosion schoss durch Valerie hindurch, ohne ihr dabei Schaden zuzufügen. Nicht anders verhielt es sich mit der Speerträgerin Unicore, die parallel über den schimmernden Pfad gerannt war. Als sie ihre Waffe nach vorne schnellen ließ, begann die sich daran befindende Eisspitze sich in hohem Tempo zu drehen. Doch auch sie glitt einfach durch das Mädchen hindurch.   [Valerie: 3800LP → 2600LP → 300LP / David: 900LP]   „Ah!“, staunte Valerie und sah an sich herab, als Davids Monster sich zurückzogen. „Schon wieder! W-warum hältst du dich zurück!?“ Das sanftmütige Lächeln ihres Gegners verunsicherte sie nur noch mehr. „Ach komm schon. Zug beendet!“   „Bin ich etwa so unwürdig, dass ich es nicht einmal verdiene, als ernsthafte Bedrohung angesehen zu werden!?“, überkam es die Schwarzhaarige einfach. Aufgelöst zog sie. „'Das Mädchen, das betrogen hat, kann mir wohl kaum gefährlich werden.' Ist es das!?“ Abwehrend hob David die Hände. „N-nein, das verstehst du falsch!“ Tief Luft holend, wollte Valerie ihren ganzen angestauten Frust aus sich herausschreien, doch sie begriff selbst, dass die Anschuldigungen aus der Luft gegriffen waren. Betrübt ließ sie den Kopf sinken. „Wenn das hier vorbei ist, dann höre ich mit Duel Monsters auf.“ „Das darfst du nicht!“ „Das hat nichts mit dir zu tun. Solange ich meine Pflicht nicht erfüllt habe, werde ich mit allem kämpfen, was mir zur Verfügung steht.“ Entschlossen hob Valerie ihr Haupt und streckte die Hand mit den Karten darin nach unten gerichtet zu ihrer Falle aus, die aufklappte. „Ich aktiviere [Aquamirror Meditation]. Da ich [Gishki Aquamirror] auf der Hand halte, bekomme ich zwei Gishki-Monster von meinem Friedhof zurück. Beast, Shadow!“ Zwei blaue Lichtstrahlen stiegen aus ihrer Duel Disk auf. Sie zeigte die beiden Monster zusammen mit ihrem Ritualzauber vor und fügte alle drei ihrem Blatt hinzu. „Zeit, das Ganze zu beenden! Ich aktiviere [Gishki Aquamirror] und biete [Gishki Shadow] als Opfer an!“ Ein kreisrunder Spiegel stieg vor ihr auf, von seinen goldenen Rändern gingen leichte Windungen aus. In ihm wurde die Reflexion des amphibischen Magiers gezeigt. „[Gishki Shadows] Effekt erlaubt es ihn, die vollen Kosten für diese Ritualbeschwörung zu übernehmen!“ Valerie zog die Stirn kraus. „Erscheine aus endlosen Kristallkaskaden!“ Ein halbes Dutzend Wasserfontänen schossen um sie herum aus dem Boden. In der direkt vor ihr lauerte der Schatten einer über zwei Meter hohen Gestalt. „Ritual Summon! [Evigishki Soul Ogre]!“ Zeitgleich lösten sich alle sechs Kaskaden auf. Die Bestie, die vor ihr aufrecht stand, war eine Mischung aus Amphibie und Dinosaurier von dunkelgrauer Färbung, bestückt mit einem bunten Schwimmhautkamm, der sich bis zum Schweifende entlang zog.   Evigishki Soul Ogre [ATK/2800 DEF/2800 (8)]   Jetzt musste sie nur noch die verdeckte Karte von David loswerden, dachte Valerie mit engstirniger Entschlossenheit. Doch zu ihrem Entsetzen fuhr genau jene dauerhafte Falle in diesem Moment hoch. „Du hast spezialbeschworen, wodurch ich [Nekroz Outfitter] aktivieren kann! Solange ich ein Nekroz-Monster kontrolliere, werden alle von dir spezialbeschworenen Monster behandelt, als wären sie aus dem Extradeck gerufen worden!“ David grinste. „Zeit für ein neues Kleidchen!“ Voller Schrecken sah Valerie mit an, wie aus der Falle bunte Fäden geschossen kamen, die ihr Meeresungeheuer fest umwickelten, ohne dabei aber die angedrohte Garderobe zu weben. „Jetzt kann ich [Nekroz Of Clausolas'] Effekt aktivieren. Er lässt die Werte deines Soul Ogres bis zur End Phase zu 0 werden!“ Der rothaarige Junge tauchte kichernd hinter der Amphibie auf und kitzelte sie mit seinem Federschwert so durch, dass deren Gelächter durch die Unendlichkeit des symbolischen Alls hallten. Valerie biss sich auf den Daumen. „Nicht schon wieder …“   Evigishki Soul Ogre [ATK/2800 → 0 DEF/2800 → 0 (8)] Die Schwarzhaarige sah prüfend ihre verbliebenen Handkarten an. Dann eben auf andere Art und Weise. „Ich beschwöre [Gishki Beast]! Wenn es via Normalbeschwörung gerufen wird, kann es ein Stufe 4-Gishki von meinem Friedhof in Verteidigung zurückrufen … aber das wird es nicht.“ David gab einen erstaunten Laut von sich, als das grüne Wesen, halb Alligator, halb Amphibie, vor ihr am Boden kriechend erschien. Nachdenklich murmelte er zu sich selbst: „Warum sollte sie …?“   Gishki Beast [ATK/1500 DEF/1300 (4)]   „Greif [Nekroz Of Clausolas] an!“ Mit ausgestrecktem Zeigefinger deutete Valerie auf jenen. Ihre Bestie leistete der Anweisung Folge und sprang durch die Luft, begrub den schreienden Burschen unter sich und zerstörte ihn mit einem Prankenhieb auf den Kopf. David seufzte.   [Valerie: 300LP / David: 900LP → 600LP]   „Meine letzte Karte spiele ich verdeckt. Zug beendet. Damit kehren [Evigishki Soul Ogres] Werte zu ihrem Ursprung zurück!“ Endlich hörte jener auf zu lachen. Gleichzeitig materialisierte sich die Falle zu Valeries Füßen.   Evigishki Soul Ogre [ATK/0 → 2800 DEF/0 → 2800 (8)]   Angestrengt sah sie an ihrem Gegner vorbei. Der Sammler hatte sich noch nicht wieder aufgerafft. Diese Klinge musste ihn wirklich verletzt haben, wenn ein derart mächtiges Wesen wie er sich kaum rühren konnte. Und das war gut für sie, denn so hatte sie noch ein wenig Zeit, mit diesem seltsamen jungen Mann fertig zu werden. Valerie konnte es nicht in Worte fassen, aber es fühlte sich an, als würde sie ihn kennen. Aber woher? Jemand so Positives würde sie niemals vergessen. Oder ging hier etwas nicht mit rechten Dingen zu? Vielleicht täuschte sie sich auch, ebenso gut könnte es auch Teil eines Plans sein und David wartete nur darauf, sein wahres Gesicht zu zeigen. Und doch …   „Du hast einen Fehler gemacht, dein [Gishki Beast] mit so wenig Punkten zurückzulassen“, sagte der Schwarzhaarige mit der blauen Haarsträhne derweil beim Aufziehen, „wenn mein Angriff durchgeht, war's das leider! Also los, [Nekroz Of Unicore], Unidrill!“ Die Kriegerin mit dem Einhornhelm rannte über den schimmernden Pfad und hob ihren Speer, dessen eisige Spitze sich zu drehen begann. Valerie winkte ab. „Als ob ich es dir so leicht machen würde. Verdeckte Karte aktivieren: [Aquamirror Cycle]!“ Gerade als Unicore zum Stoß ausholte, verschwand die vierbeinige Bestie vor ihren Augen und zischte als Wasserstrahl direkt in den Deckschacht des Mädchens zurück. „Sie schickt eines meiner offenen Wasser-Monster ins Deck zurück, damit ich dann zwei weitere von meinem Friedhof aufnehmen kann.“ Mit geschlossenen Augen hielt sie die Hand zu ihrem Friedhofsschacht hin. „Merrowgeist und Shadow.“ Die beiden Karten wurden automatisch ausgeworfen und von ihr mit sich öffnenden Lidern vorgezeigt. David stand der Mund offen. „Du birgst dein Xyz-Monster? Dir ist doch klar, dass es zurück ins Extradeck muss und dir sowieso nicht gegen mein Nekroz-Deck helfen wird. Ah!“ Seine Augen weiteten sich, als er begriff, was wirklich vor sich ging. „Warte, du hast gar keine anderen Wasser-Monster auf deinem Friedhof! Dann-!“ „Ja. Deswegen habe ich auch auf den Effekt meines [Gishki Beasts] verzichtet. Hätte ich [Gishki Shadow] beschworen, wären in meinem Friedhof nicht genug Ziele vorhanden gewesen, um [Aquamirror Cycle] zu aktivieren.“ Neben ihrer Erklärung schob sie das schwarz-umrandete Xyz-Monster [Evigishki Merrowgeist] in den Schlitz ihres Extradecks zurück. Ihr Gegner ballte beide Hände zu Fäusten. „Wahnsinn! Ich hatte schon befürchtet, dass es gleich vorbei ist.“ „Ist es auch, früher als dir lieb ist“, ließ Valerie ihn wissen. „Das werden wir noch sehen“, erwiderte ihr Gegner euphorisch und rief: „Unicore, wir machen von der Replay-Regel Gebrauch und brechen den Angriff ab.“ Einen unzufriedenen Laut von sich gebend, zog sich die Kriegerin zurück. David zückte seine beiden Handkarten. „Ich aktiviere [Ritual Cage], einen permanenten Zauber!“ „Ich kenne den Effekt.“ Goldene Lichtstrahlen brachen in geraden Linien um den Schwarzhaarigen aus dem Pfad und schlossen sowohl ihn, als auch sein Monster, in einen flackernden Käfig ein. Valerie wusste, dass seine Ritualmonster nun weder als Ziel von Monstereffekten gewählt werden konnten, noch Kampfschaden an ihren Besitzer weitergeben würden. „Das ist noch nicht alles. Ich aktiviere [Nekroz Of Catastors] Effekt! Sei wiedergeboren, [Exa, Enforcer Of The Nekroz]!“ Erstaunt rief Valerie: „Ein Effekt direkt aus der Hand!?“ „Ja, jedes Nekroz-Ritualmonster hat so einen!“ Stolz lächelnd schob David jenes in den Friedhofsschacht. Vor ihm tat sich eine gewaltige Wasserlache auf, aus der sich kniend ein blauer, amphibischer Krieger erhob. „Damit kann ich ein Nekroz-Monster wiederbeleben. Aber leider geht das nur bei Nicht-Ritualmonstern. Zug beendet!“   Exa, Enforcer Of The Nekroz [ATK/2000 DEF/1000 (5)]   Konzentriert zog Valerie ihre nächste Karte auf und verkündete unterkühlt: „Deine Verteidigung zu stärken ist kein schlechter Gedanke, doch du hast eines dabei nicht bedacht.“ Sie tauschte die gezogene Karte mit ihrer anderen, dem [Gishki Shadow] aus und zeigte diesen vor. „[Evigishki Soul Ogre] besitzt einen Effekt, der mich ein Gishki-Monster abwerfen lässt, um eine deiner Karten ins Deck zu mischen. Dein [Ritual Cage] wird dich nicht beschützen.“ David lachte vergnügt. „Wie soll das gehen?“ „Was?“ Eine Schweißperle rann über Valeries Stirn. „Denk dran, solange dein Soul Ogre noch vom Garn meiner Falle [Nekroz Outfitter] umwickelt ist, wird es als vom Extradeck spezialbeschworen behandelt. Und -das- heißt, dass es seinen Effekt nicht aktivieren kann, solange [Nekroz Of Unicore] auf dem Spielfeld liegt!“ „Als ob ich das vorher hätte prüfen können“, kam es gallig von Valerie zurück. Völlig untypisch wütend vor sich hin zischend, packte sie ihre vorgezeigte Karte wieder zu ihrer anderen zurück. Nur um dann energisch den Zeigefinger auszustrecken. „Zerstöre [Nekroz Of Unicore]! Fountain Of Destruction!“ Ihre riesige, aufrecht stehende Unterwasserkreatur schlug trotz ihres eingewickelten Zustands mit der Faust auf den Boden, aus dem eine Wassersäule schoss. Dabei spie sie ebenfalls einen Strahl aus, welcher die Kaskade umlenkte und in Richtung der Kriegerin dirigierte. Jene wurde von der Strömung vor David fortgerissen und zersprang in tausende Partikel. „Kein Kampfschaden für mich“, sagte der unbekümmert in seinem Käfig. „Mag sein, aber da [Nekroz Of Unicore] nun Geschichte ist, kann ich Soul Ogres Effekt aktivieren“, entgegnete Valerie und entledigte sich prompt ihres [Gishki Shadows], „ich werfe ein Gishki-Monster ab und schicke eine deiner Karten ins Deck.“ Ihr Zeigefinger deutete auf den knienden Amphibienmann, welcher ebenfalls einen Wasserstrahl von [Evigishki Soul Ogre] abbekam und sich daraufhin auflöste. Wie von Valerie erwartet, zersprang daraufhin auch Davids [Nekroz Outfitter]-Fallenkarte – ohne Nekroz-Monster auf dem Feld zerstörte sie sich automatisch selbst. Das Garn, das Soul Ogre einengte, schwand mit ihr. Valerie betrachtete ihre letzte Handkarte, ehe sie sich dazu entschied, sie horizontal auf ihre Duel Disk zu legen. „Ich setze ein Monster und beende meinen Zug.“ Zischend tauchte dieses unter der vergrößerten Karte verborgen neben ihrer Amphibie auf. David war nichts außer seinem Zauber [Ritual Cage] geblieben.   Entgegen dieses Nachteils strahlte David voller Zuversicht. „Man, für einen Moment dachte ich wirklich, ich hätte dich im Griff.“ Verbitterung stieg ungewollt in Valerie auf, denn denselben Gedanken hatte sie während des letzten Zuges im Halbfinale gegen Anya gehegt. Bis sie die verbotene Karte zog, die Marc in ihr Deck integriert hatte. Sie biss sich bei der Erinnerung daran auf die Lippen. David bemerkte ihre Abwesenheit offensichtlich, denn er nuschelte schuldbewusst: „Sorry.“ „Wofür entschuldigst du dich?“, fragte Valerie scharf. „Wenn es dir leid tut, dich mit mir zu duellieren, dann geh aus dem Weg!“ „Nein! Im Gegenteil, ich duelliere mich gerne mit dir und den Sammler verraten werde -ich- ganz bestimmt nicht!“, konterte David energisch. „Mir ist nur klar geworden, dass dir dieses Duell trotz meiner Bemühungen keinen Spaß macht.“ „Warum sollte es das? Wir sind Feinde!“ „Aber es steht nichts auf dem Spiel! Dir wird nichts geschehen wenn du verlierst!“ „Meiner Freundin schon, wenn dieses Wesen nicht ausgelöscht wird!“, fauchte Valerie und deutete auf den hinter David liegenden Sammler. Enttäuscht murmelte ihr Gegner: „Jetzt klingst du wie die Böse …“   Kopfschüttelnd griff er nach seinem Deck. „Schade, es hat keinen Sinn. Wenn du das nicht genießen kannst, kann ich das auch nicht. Dann kann ich auch gleich ernst machen. Draw!“ Valerie verschränkte engstirnig die Arme. Wer hätte gedacht, dass der Sammler einen so naiven Diener für seine Zwecke einsetzte? Unvermittelt begann Davids Duel Disk, als jener nach seinem Deck griff, zu leuchten. Entgegen Valeries erster Vermutung, übernatürliche Kräfte könnten dahinter stecken, entpuppte sich der Ursprung des Lichts als eine von seinen Karten im Friedhof, die ausgeworfen wurde. „Ich benutze den zweiten Effekt von [Nekroz Outfitter]! Damit kann ich ein beliebiges Nekroz-Ritualmonster ziehen. Und da dieser Effekt sehr mächtig ist, darfst du ebenfalls eine Karte ziehen.“ „W-was?“ Völlig irritiert zog Valerie auf, während eine Karte aus dem Deck ihres Gegners geschoben wurde, welche jener lächelnd aufnahm, ohne sie aber vorzuzeigen. Das Blatt beider bestand nur aus jenen gezogenen Karten. Leise wunderte sich das Mädchen daher: „Warum sollte er …?“ „Ich aktiviere den Effekt von [Nekroz Kaleidoscope] von meinem Friedhof! Ich verbanne es zusammen mit [Shurit, Strategist Of The Nekroz] von dort, um einen neuen Nekroz-Zauber von meinem Deck zu erhalten!“ Die beiden Karten wurden aus seiner Disk ausgeworfen und in die Hosentasche gesteckt. „Ich möchte eine zweite Kopie meines [Nekroz Mirrors], die ich auch gleich aktiviere, um das Ritualmonster in meiner Hand zu beschwören!“ Als seine Zauberkarte sich vor ihm aufstellte, schoss aus ihr der Spiegel mit der dunklen Umrandung, bei der goldene und dunkelblaue Spitzen ineinander verliefen. Überrascht merkte Valerie an: „Moment, außer besagtem Ritualmonster hast du keine anderen Handkarten. Was willst du opfern, um-!?“ „Oh, das hatte ich noch gar nicht erwähnt! [Nekroz Mirror] lässt mich die nötigen Opfer zur Not vom Friedhof verbannen. Da ich mindestens zwei für diese Karte anbieten muss, verbanne ich [Nekroz Of Unicore] und [Nekroz Of Catastor]! Webe die Rüstung gefallener Feinde!“ Durchsichtige Abbilder der beiden Karten verschwanden in der Oberfläche des Spiegels, in dem der rothaarige Jüngling Shurit gezeigt wurde. Er schien sich zu verwandeln, wurde älter, eine so grell strahlende Rüstung legte sich um ihn, dass Valerie nichts sehen konnte. Dabei murmelte sie: „Unicore ist Stufe 4, Catastor 5. Also ein Stufe 9-Ritualmonster?“ Und was eben noch lediglich im Spiegel gezeigt wurde, geschah einen Moment später auch in der Realität. Shurit tauchte auf, alterte einige Jahre und wurde in eine leuchtende Rüstung gehüllt. Er streckte seine Hand aus, in der ein Schwert auftauchte, dessen Klinge komplett aus Eis bestand. „Erscheine aus den Tiefen der Erinnerungen! Ritual Summon! [Nekroz Of Trishula]!“ Valerie stieß einen entsetzten Schrei aus, als sie diesen Namen vernahm. Eisige Schwingen wuchsen aus dem Rücken des jungen Mannes, der vor David stand. Das Strahlen hörte auf und jetzt erkannte die Schwarzhaarige, in was er da gehüllt war – die Überreste des mächtigsten Eisdrachens. Der Brustpanzer war aus dem Körper Trishulas geformt, von der Rüstung hing sogar dessen langer Schweif herab. „Trishula“, keuchte Valerie, „-sein- Monster!? Nein …“   Nekroz Of Trishula [ATK/2700 DEF/2000 (9)]   Den Kopf schüttelnd, verwies Valerie sich selbst darauf, dass [Trishula, Dragon Of The Ice Barrier] ein Synchromonster war. Dieses Monster dagegen trug lediglich eine Rüstung, die diesem Drachen nachempfunden war. Dem Assmonster ihres alten Lehrers … „Also das ist deine Taktik“, schlussfolgerte sie, „du willst mich verwirren.“ „W-wie?“ „Es ist Jahre her, dass 'Mercury' seine Gegner in Angst und Schrecken versetzt hat, das stimmt. Der Sammler weiß natürlich, dass er mein Lehrer war, also stellt er mir jemanden gegenüber, der ähnliche Monster benutzt.“ Valeries Gesicht nahm ungewohnt zornige Züge an. „Kch, das ist selbst für eure Verhältnisse schwach!“ Irritiert kratzte sich David an der Stirn. „Ich habe zwar keine Ahnung, wovon du da sprichst, aber du bist auf einmal ziemlich sauer, also …“ Sein Blick festigte sich, als er sagte: „… benutze ich schnell [Nekroz Of Trishulas] Effekt, ehe das hier noch ausartet! Wenn er beschworen wird, verbannt er eine Karte in deiner Hand, in deinem Friedhof und auf deinem Feld! Da du nur eine Handkarten hast, wähle ich die, deinen [Evigishki Soul Ogre] auf dem Feld und den [Gishki Aquamirror] in deinem Friedhof als Ziel!“ Der blanke Schrecken stand Valerie im Gesicht geschrieben, als das Monster ihres Gegners dessen Eisschwert nach vorne richtete und einen gewaltigen Schneesturm damit entfachte. Dieser riss ihre Amphibie förmlich auseinander. Ein Lichtblitz schoss aus ihrem Ablagestapel, wodurch der Ritualzauber ausgestoßen wurde. Dabei ließ die Schwarzhaarige noch ihre Handkarte los, die in der Dunkelheit davon flog. „Nein!“, keuchte Valerie, als sie mit einem Schlag nur noch ihr verdecktes Monster besaß. Selbst der Effekt dieses Monsters war identisch zu dem Trishulas! Sie ballte eine Faust, übermannt von Zorn und Verzweiflung. Denn ohne ihren Spiegel konnte sie keine Ritualbeschwörungen mehr durchführen …     Turn 87 – Phantom Für Anya und Valerie spitzt sich die Lage zu. Während Erstere durch Gardenias Worte merklich aus der Fassung gebracht wurde, muss Valerie schnell einen Weg finden, zurück ins Spiel zu finden. Und als wäre [Nekroz Of Trishula] nicht schon schlimm genug … Kapitel 92: Turn 87 - Phantom ----------------------------- Turn 87 – Phantom     Irritiert kratzte sich David an der Stirn. „Ich habe zwar keine Ahnung, wovon du da sprichst, aber du bist auf einmal ziemlich sauer, also …“ Sein Blick festigte sich, als er sagte: „… benutze ich schnell [Nekroz Of Trishulas] Effekt, ehe das hier noch ausartet! Wenn er beschworen wird, verbannt er eine Karte in deiner Hand, in deinem Friedhof und auf deinem Feld! Da du nur eine Handkarten hast, wähle ich die, deinen [Evigishki Soul Ogre] auf dem Feld und den [Gishki Aquamirror] in deinem Friedhof als Ziel!“ Der blanke Schrecken stand Valerie im Gesicht geschrieben, als das Monster ihres Gegners dessen Eisschwert nach vorne richtete und einen gewaltigen Schneesturm damit entfachte. Dieser riss ihre Amphibie förmlich auseinander. Ein Lichtblitz schoss aus ihrem Ablagestapel, wodurch der Ritualzauber ausgestoßen wurde. Dabei ließ die Schwarzhaarige noch ihre Handkarte los, die in der Dunkelheit davon flog. „Nein!“, keuchte Valerie entsetzt.   Plötzlich stand sie nur noch mit einem verdeckten Monster da. Ohne einen ihrer [Gishki Aquamirror] war es nun viel schwerer, noch weitere Ritualbeschwörungen durchzuführen. Ihr gegenüber auf dem schimmernden Pfad mitten in einer vom Weltall symbolisch geprägten Umgebung, stand der junge Mann mit festem Blick. Vor ihm verharrte der rothaarige Krieger [Nekroz Of Trishula], von dessen Rücken sich Schwingen ganz aus Eis erstreckten.   Nekroz Of Trishula [ATK/2700 DEF/2000 (9)]   Jene beiden waren von einem goldenen Energiekäfig eingeschlossen, der von Davids permanentem Zauber [Ritual Cage] ausging. Genau wie Valerie hielt auch der Bursche mit einer blau gefärbten Haarsträhne im Pony keine Karten mehr auf der Hand und ebenso wenig lagen bei beiden Spielern verdeckte Karten in Reserve. Die letzte Gemeinsamkeit zwischen ihnen war der kritische Lebenspunktestand.   [Valerie: 300LP / David: 600LP]   Valerie, die immer mal wieder an ihrem Gegner vorbei zum Sammler sah, der einige Meter entfernt auf dem Pfad zusammengebrochen war, konnte ihre Gedanken kaum noch beieinander halten. Ihr Gegner, er spielte wie ihr alter Lehrmeister! Kannte er ihr ihn? Waren sie sogar verwandt? Oder war das alles vom Sammler geplant um sie zu verwirren? Aber selbst er hätte nicht ahnen können, dass sie sich eines Tages seinem Diener gegenüberstellen würde. Oder doch? Wusste der Sammler um die Tatsache, wie sehr sie den Menschen vermisste, der ihr vor Jahren ihr volles Potential eröffnet hatte? Der eines Tages einfach verschwunden war? Diese Karten zu sehen, die den seinen so ähnelten, nahm sie mehr mit als es eigentlich sollte … „Angriff!“, befahl David in der Zwischenzeit. „Vernichte ihr verdecktes Monster! Zero Kill!“ Die eisigen Schwingen von sich streckend, stieß sich der gealterte Rotschopf Shurit vom Boden ab und flog geradewegs auf Valeries Monster zu, dessen Karte herum wirbelte und eine kniende, blauhaarige Priesterin mit Zepter in der Hand offenbarte. Gishki Ariel [ATK/1000 DEF/1800 (4)]   Als die kleine Hexe den Schwerthieb parierte, wurden ihre schwarze Robe und der gleichfarbige Spitzhut in Windeseile von einer dünnen Eisschicht überzogen. Ihre Haut verfärbte sich blau und einen Moment später zerbrach sie wie eine Skulptur in tausend Teile. Valerie schnappte: „[Gishki Ariels] Flippeffekt aktiviert sich jetzt. Wird sie aufgedeckt, erhalte ich ein beliebiges Gishki-Monster von meinem Deck.“ Nur wusste die Schwarzhaarige nicht, welches sie überhaupt wählen sollte. Ein einzelnes Monster konnte das Blatt nicht wenden. Alles hing entsprechend von der nächsten Karte ab, die sie zog, doch aufgrund der Tatsache, dass sie selbst mit einer zweiten Karte wenig bewirken können würde, musste sie jetzt gut überlegen. Fakt war, dass sie an David vorbei musste. Das wollte sie mit Anyas Karte, [Moulinglacia The Elemental Lord], erreichen, welche ihren Gegner nur für einen Moment einfrieren sollte, damit sie ungehindert dem Sammler den Gnadenstoß versetzen konnte. Um diese Kreatur jedoch beschwören zu können brauchte sie fünf Wasser-Monster in ihrem Friedhof und die hatte sie nicht. Dabei helfen könnte ihr zum Beispiel [Gishki Noellia], doch ihr Effekt war zu riskant und es war auch nicht gesagt, dass sie Moulinglacia überhaupt im nächsten Zug zog. „Langsam wird die Luft dünn für dich“, lachte ihr Gegner vergnügt. „Ruhe, ich muss mich konzentrieren!“, fuhr Valerie ihn daraufhin ungehalten an. Nein, sie konnte sich hier nicht auf Glück verlassen. Die Gishkis konnten sehr vorausschauend arbeiten und so etwas brauchte sie jetzt! Sie musste eine Karte in ihrem Deck finden, die David aufhalten konnte! „Ich wähle [Gishki Mollusk]!“ Sofort wurde die Karte von ihrem Deck ausgeworfen und von ihr aufgenommen. „Ich nehme an, dein Zug ist jetzt beendet?“ Ihr Gegenüber nickte knapp.   „Gut. Draw!“ Schwungvoll zog Valerie auf und betrachtete den gezogenen Zauber, platzierte ihn neben ihre [Gishki Mollusk]-Karte. Wenn jenes Monster auf den Friedhof gelegt wurde, konnte sie die obersten drei Karten ihres Decks betrachten und neu anordnen, die unerwünschten gar unterhalb des Decks legen. Das Problem war nur, dass eine Monsterbeschwörung von David ausreichen würde, um es endgültig zu beenden. Und ihre Zauberkarte [Salvage] konnte ihr dabei nicht helfen. Was sollte sie tun? Die Antwort war simpel. „Ich setze eine Karte verdeckt und beschwöre [Gishki Mollusk].“ Ihre Zauberkarte erschien mit dem braunen Rücken nach oben vor ihr, ebenso wie ihre säbelschwingende Unterwasserkreatur. Während der dunkelbraune Körper humanoid war, saß auf dem Hals tatsächlich kein Kopf, sondern eine Muschel mit spitzen Zähnen und blauen, pupillenlosen Augen.   Gishki Mollusk [ATK/1700 DEF/900 (4)]   „Zug beendet“, kündigte die Schwarzhaarige selbstbewusst an und verschränkte die Arme. „Im Angriffsmodus?“, wunderte sich David leise, als er mit großen Augen aufzog. Valerie entgegnete nichts darauf. Sie hoffte, dass er ihren Bluff nicht durchschauen würde. Wenn er sie wirklich so gut kannte wie es bisher den Anschein hatte, würde er Vermutungen anstellen, welche Karte sie gesetzt hatte. Und hoffentlich bei [Poseidon Wave] ankommen, welche einen Angriff gegen ihn richten und seine Lebenspunkte auslöschen würde. Nachdenklich betrachtete der junge Mann seine gezogene Karte und sah dann auf. „Also, uhm …“ Dank ihrer angestauten Wut fiel es Valerie zum Glück nicht schwer, ihre kämpferische Miene aufrecht zu erhalten. Sie hatte noch nie so waghalsig geblufft. War ihr Herzschlag zu hören? Wenn ja, würde er sie verraten. „Uhm“, stammelte David aber weiter, „das ist eine Falle, schätz' ich. Ich denke, ich passe erstmal.“   Obwohl Valerie am liebsten aufatmen würde, musste sie sich dies fürs Erste verkneifen. „Draw!“ Wieder zog sie schwungvoll ihre Karte, die sie, als sie sie erblickte, sofort aktivierte. „Zauberkarte [Pot Of Desires]! Zwar kostet es mich zehn Karten meines Decks, die verdeckt verbannt werden, dafür darf ich aber auch zwei weitere ziehen.“ Es war eine äußerst riskante Karte, deren Timing stimmen musste. Aber Valerie musste sie jetzt aktivieren, selbst wenn es bedeutete, potentiell gute Karten zu verlieren. Blieb nur zu hoffen, dass Moulinglacia nicht unter ihnen war. Gleich einen ganzen Stapel an Karten nahm sie von ihrem Deck und schob diese in den Schlitz der Verbannungszone. Danach zog sie zweimal hintereinander auf und betrachtete die neuen Karten, welche sie zumindest für den Moment mit neuer Zuversicht erfüllten. Mit einem berechnenden Lächeln auf den Lippen verkündete sie: „Verdeckte Karte aktivieren, [Salvage]! Damit erhalte ich zwei Wasser-Monster mit maximal 1500 Angriffspunkten von meinem Friedhof!“ Der Zauber klappte auf und Davids Kinnlade hinunter. „Ein Bluff!? Ich dachte schon-!?“ „Das solltest du auch“, erwiderte Valerie eiskalt und nahm [Gishki Ariel] und [Gishki Shadow] von ihrem Friedhofsschacht in ihr Blatt auf. Jenes betrachtete sie noch einmal. Binnen eines Zuges war es auf vier Karten angestiegen. Sie hatte wirklich glücklich gezogen. Ein wehmütiges Lächeln zierte ihre Lippen, das jedoch schwand, als sie die Monsterkarte ganz am Rand ergriff. „Du hast auf dich warten lassen.“ Als sie jene auf ihre hellblaue Duel Disk legte, fragte David mitfühlend: „Alles in Ordnung? Du siehst auf einmal so traurig aus.“ Der Pfad vor Valerie gefror zu einer einzigen Eisschicht. Sie antwortete: „Dieses Monster hat mir jemand sehr Wichtiges geschenkt, kurz bevor er verschwunden ist. Es ist das erste Mal, dass ich es einsetzen kann. Erscheine, [Lyza The Ice Mistress]!“ Aus dem Eis schoss die Eisskulptur einer jungen Frau, welche sich tatsächlich in einen Menschen verwandelte. Pink war ihr bis zum Boden reichendes Haar, hellblau sowohl ihre Robe, als auch der Schleier auf ihrem Kopf, welcher mit dem Wappen der Eisbarriere, einem Sechsecks mit blauem Stein in der Mitte, bestickt war. Nicht nur zeichnete sie eine unbestreitbare Schönheit aus, wie sie kämpferisch mit einer Eispeitsche in der Hand da stand, nein, sie ähnelte Valerie dabei in gewisser Weise.   Lyza The Ice Mistress [ATK/800 DEF/800 (2)]   David blinzelte verdutzt. „Lyza? Ist das nicht die Schwester von Reese in-!?“ Als sie den Schrecken in seinen Augen sah, konnte Valerie sich ein schadenfrohes Lächeln nicht verkneifen. Sie streckte den Arm in die Höhe. „Ich stimme meine Stufe 2-Lyza auf mein Stufe 4-[Gishki Mollusk] ein!“ Die junge Frau sprang schreiend in die Luft und verwandelte sich in zwei grüne Lichtringe. Valerie zitierte: „Wisdom and courage, hidden underneath an impenetrable armor!“ Ihr Muschelkrieger zerplatzte anschließend in vier grüne Sphären, die nacheinander die beiden Ringe passieren. „Come forth, beast of justice! Synchro Summon!“ „Oh verdammt!“, fluchte David, als ein greller Lichtblitz durch die Ring schoss.   ~-~-~   Die Art, wie Gardenia diesen einen Satz aussprach, bescherte Anya einen kalten Schauder über den Rücken. Sie war allein, gefangen in diesem endlosen, weißen Raum, durchzogen von goldenen Linien, die Decke und Boden in Kacheln unterteilten. Und diese Hexe sagte tatsächlich: „Weil es für dich nie einen Platz in jener Welt gab.“ Das äußerlich ziemlich angeschlagene Mädchen wollte etwas Beleidigendes zurückkeifen, doch etwas hielt sie zurück. Die Furcht, was diese Worte bedeuten könnten. Bisher war sie nur davon ausgegangen, dass Kali sich wegen irgendetwas an ihr rächen wollte. Nichts weiter Ungewöhnliches. Was aber, wenn … nein! Gar nicht daran denken, mahnte sie sich. Überhaupt nicht darüber nachdenken, denn das war immer noch ihre Feindin, die -natürlich- versuchen würde, sie mit irgendwelchen scheinheiligen Worten aus dem Takt zu bringen!   Anstatt sich durch wütende Worte angreifbar zu machen, erwiderte Anya selbstbewusst: „Ich glaube daran, dass jeder Mensch sich seinen Platz in der Welt selbst schaffen muss.“ „Und das versuchst du mit aller Kraft.“ Die brünette Hexe in weißer Robe, von deren Schultern ein grauer Umhang herabhing, lächelte besonnen. „Durch deinen Traum, die Duel Queen zu werden.“ „Yeah, na und?“ „Sag mir, Anya Bauer, ist es dir gelungen?“ Verwirrt neigte die Blonde den Kopf zur Seite. „Was ist mir gelungen?“ „Dich selbst davon zu überzeugen, dass du damit deine Existenz begründen kannst.“ Wirklich etwas anfangen konnte Anya mit der Frage nicht. „Mein Leben besteht nicht nur aus diesem Traum, falls du das meinst.“ „Aber er treibt dich an“, entgegnete Gardenia, „aber wie kann dich etwas antreiben, das dir keinerlei Freude bringt?“ Ihre Widersacherin fuhr zusammen. „W-was soll das jetzt heißen?“ „Duel Queen zu werden, die stärkste Duellantin von allen, bedeutet einen eisernen Willen zu besitzen, jeden Herausforderer zu bezwingen, keinerlei Schwäche zu zeigen.“ Gardenia betrachtete Anya nachdenklich. „Aber es heißt auch, am Duellieren Freude zu empfinden, denn das ist das Handwerk einer Duel Queen. Etwas, das dir fehlt.“ „Was!?“, polterte Anya. „Natürlich macht mir Duel Monsters Spaß!“ Bezweifelnd schüttelte ihre Gegnerin den Kopf. „Ist das so? War der Legacy Cup für dich Vergnügen oder eine Zerreißprobe? Kannst du mir sagen, wann du zuletzt ein Duell richtig genossen hast?“   Sofort öffnete Anya den Mund um die Behauptung zu widerlegen, gelang dann jedoch ins Schleudern, als ihr tatsächlich kein wirklich gutes Duell einfiel. Die ganzen Kämpfe während des Turniers waren alle nur darauf ausgelegt gewesen, Claire Rosenburg gegenüber zu stehen. Und davor war sie auch permanent in irgendetwas verwickelt gewesen, bei dem etwas auf dem Spiel stand, ob nur eine Kleinigkeit oder etwas Wichtiges wie ihr Leben. So stand sie da, der Hexe gegenüber, um eine Antwort verlegen. Das Duell mit Redfield damals während der Abschlussfeier fiel ihr schließlich ein, aber das war fast ein Jahr her!   „Du musst nicht antworten“, sagte Gardenia schließlich, „jede Existenz strebt danach, fortzubestehen, ob sie nun sein soll oder nicht. Träume sind nur Nebeneffekte.“ War mit Existenz sie gemeint, fragte sich Anya verwirrt. Sah diese Frau in ihr nicht einmal einen Menschen, sondern nur irgendein Ding? „Warum willst du, dass ich ausgelöscht werde!?“, fragte sie mit einem Hauch Verzweiflung. So einem Gegner hatte sie noch nie gegenüber gestanden. Alle anderen vor ihr hatten sie … anerkannt, aber bei Gardenia war es anders, auch wenn Anya selbst nicht genau beschreiben konnte, was sie so sehr irritierte. „Ich? Sagte ich nicht bereits, dass meine Einstellung dazu irrelevant ist?“ „Ja, du kämpfst für Kali, das habe ich kapiert! Aber wieso bin ich in deinen Augen jemand, der gar nicht existieren dürfte!?“ Wieder dieser mitleidige Blick. „Als du mir meine Frage nicht beantworten konntest, fandest du es da nicht wesentlich schmerzhafter, gar keine Antwort zu haben, als sie einfach ehrlich zu verneinen?“ Sie hätte sehr wohl antworten können, dachte Anya stur. „Ich würde dir gerne mehr über dich erzählen, aber ich habe versprochen, dies zu unterlassen. Die Wahrheit ist: Ich bin froh, nicht über dein Schicksal entscheiden zu müssen. Mich jetzt gegen dich zu duellieren ist meiner Neugier geschuldet, mehr nicht.“ „Gut für dich, denn wenn jemand dabei das Sagen hat, dann sowieso nur ich!“ Anya griff nach ihrem Deck und zog voller Schwung auf. „Draw!“ Bloß nicht verunsichern lassen, mahnte sich Anya. Dieses ganze Geschwätz schindete nur Zeit, Zeit, die in der Außenwelt wie im Flug verging! Neben ihrem weißen [Gem-Tiger] lag eine verdeckte Karte zu ihren Füßen.   Gem-Tiger [ATK/1800 DEF/300 (4) PSC: <8/8>]   Die zwei Ritter Malachite und Pyrite in den hellblauen Lichtsäulen links und rechts neben ihr bildeten ihren Pendelbereich. Beide waren von einem leichten Schimmer umgeben, dessen Ursprung die [Gem-Knight Fusion]-Karte in ihrer Hand war, welche den blau-grünen und den weißen Schildritter vor Zerstörungseffekten bewahrte, solange sie ihren Zauber nicht benutzte.   <2> Anyas Pendelbereich <8>   Gegenüber bestand Gardenias Feld aus ihrem mächtigen, violett-beschwingtem Dämonenwesen, der in seiner Form einer Motte ähnelte, wenn man den langen Schweif außen vor ließ. Neben einer verdeckten Karte und ihrer permanenten Zauberkarte [Void Vanishment] besaß sie auch noch den Spielfeldzauber [Void Expansion], der für die düsteren Flammenansammlungen verantwortlich war, die hier und da in der Luft hingen.   Infernoid Onuncu [ATK/3000 DEF/3000 (10)]   Anya wusste, dass sie nicht mehr lange so weitermachen konnte. Denn selbst wenn sie Onuncu zerstörte, würde er nur zurückkehren und all ihre Monster auslöschen. Sie musste mit einem gebündelten Angriff zuschlagen und es nicht mehr dazu kommen lassen!   [Anya: 1000LP / Gardenia: 3300LP]   Erst jetzt betrachtete Anya die Karte in ihrer Hand. Und was sie erblickte, führte augenblicklich zu neuer Entschlossenheit. Bestimmend richtete sie den rechten Arm in die Höhe. „Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum!“ Sie dachte an Othello, der diesen Spruch stets benutzte, um seinen Odd-Eyes zu rufen. Auch er hatte sich trotz der Umstände nicht von seinen Gefühlen mitreißen lassen. Irgendwann würde sie sich wieder mit ihm duellieren und von ihrer 'Pitchest Black List' streichen! Über ihr öffnete sich ein blaues Portal, umschlossen von dutzenden Lichtellipsen. „Pendulum Summon! Aus meinem Extradeck rufe ich [Gem-Eyes Value Dragon] im Angriffsmodus!“ Ein einzelner roter Blitz schoss aus der Öffnung und schlug vor ihr ein. Aus der Rauchwolke erhob sich der rote Drache in goldener Rüstung.   Gem-Eyes Value Dragon [ATK/2400 DEF/2000 (7) PSC: <5/5>]   Anya kniff die Augen fest zusammen. Sie würde mit allem was ihr zur Verfügung stand kämpfen! „Ich schicke ein Licht-Monster von meinem Deck auf den Friedhof“, rief sie lautstark, nahm ihr Deck aus der Fassung und zeigte den [Alexandrite Dragon] daraus hervor, „um es als Empfänger-Monster auf meinen [Gem-Tiger] einzustimmen!“ Hinter ihr schoss ein großer, goldener Ring in die Luft, von dem sich vier weiße Federschwingen erstreckten. Die wässrige Oberfläche in ihm schimmerte unheimlich. Das Mädchen zitierte: „From the light of a different world, the herald of starlight descends upon the ravaged land!“ Dabei sprang ihr weißer Diamantentiger in die Luft und zersprang in vier grüne Lichtkugeln, die rückwärts in die dünne Wasserschicht eintauchten. „By discarding a single star, I call upon you! Synchro Summon!“ Ein greller Blitz schoss durch den weißen Raum, doch obwohl sie geblendet wurde, wandte Gardenia sich nicht ab. „Shine forth, [Angel Wing Dragon]!“ Stattdessen schmunzelte sie geheimnisvoll beim Anblick des schlangenhaften Drachen, der sich in beide Richtungen aus dem Ring schob, ehe die beiden Körperhälften ein Ganzes ergaben. Stolz bäumte sich Angel Wing auf, wirkte dank des goldenen Kragengestells wie eine lauernde Kobra.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   Die Blonde schwang den Arm aus. „Effekt von Gem-Eyes! Sight Transition! Damit wechsle ich einmal pro Zug seinen Typen! Pyro!“ Sofort begannen die Klappen am Helm ihres Drachen sich zu drehen, bis sich das transparente, rote Viertel vor seinen Augen schob und sich um diese wie ein Visor legte. Gleichzeitig begannen rote Energielinien von seiner Rüstung zu strahlen, die dreifach segmentierten Goldschwingen gingen in Flammen auf. „Als Pyro-Monster kann er einmal pro Zug 500 Punkte Schaden austeilen!“, hielt Anya ihr strammes Tempo bei. „Ruby Flare!“ Auf ihr Kommando hin spie Gem-Eyes eine schimmernde, dunkelrote Flamme auf Gardenia, die ihren linken Arm unter ihrem grauen Umhang verbarg, um diesen dann zum Schutz anzuheben. Gegen das folgende Inferno war sie damit ausreichend geschützt.   [Anya: 1000LP / Gardenia: 3300LP → 2800LP]   Kaum hatte sich der Qualm um Gardenia gelegt, richtete Anya bereits den Zeigefinger auf das riesige Drachenmonster über ihr. „Angel Wing, nimm [Infernoid Onuncu] auseinander! Seraphim Judgment!“ Ihr eigener Drache öffnete sein Maul und bündelte darin weiße Flammen, die er in einem komprimierten Strahl abfeuerte. Um diesen drehte sich eine kleinere, goldene Flammenspirale. „Spar' dir deine Kommentare bezüglich der geringeren Angriffspunkte meines Monsters“, keifte Anya dabei, obwohl ihre Gegnerin gar keine Anstalten machte, den Zug infrage zu stellen, „das wird sich jetzt nämlich schlagartig ändern! Aus meiner Hand der Schnellzauber [Forbidden Lance]!“ Energisch rammte die Blonde die Karte in ihr rotes D-Pad. Als der Zauber sich vor ihr aufstellte, trat aus ihm eine lange Lanze heraus, die dann wie ein Pfeil auf Onuncu abgefeuert wurde. In der Brust getroffen, schrie die düstere Bestie auf, wurde mit Blitzschlägen gepeinigt. „[Forbidden Lance] schwächt das Ziel um 800 Angriffspunkte und immunisiert es gleichzeitig gegen alle anderen Zauber- und Falleneffekte.“   Infernoid Onuncu [ATK/3000 → 2200 DEF/3000 (10)]   Anya hatte ihre Erklärung noch gar nicht beendet, da schlug der Odem ihres weißen Drachen schon in dessen Ziel ein. Gardenia wurde von einer erstaunlich mächtigen Druckwelle einen halben Schritt zurückgestoßen, konnte jedoch ihre Balance halten. Dichter Rauch umhüllte ihr Feld.   [Anya: 1000LP / Gardenia: 2800LP → 2300LP]   „Noch ein direkter Angriff und du bist erledigt, Miststück!“, fauchte Anya und schwang bereits den Arm aus, um ihrem Gem-Eyes ebenjenen zu befehlen. Doch als der Rauch sich im selben Moment verzog, hielt sie erschrocken inne. Denn der mottenartige Drachendämon war nicht gefallen.   Infernoid Onuncu [ATK/2200 DEF/3000 (10)]   „W-was!?“ Gardenia nahm eine Karte aus ihrem Friedhof und zeigte sie vor. „Der Zauber [Void Seer], welcher vor Vernichtung warnt. Er hat einen zweiten Effekt, der sich vom Friedhof aus aktivieren lässt. Indem ich ihn verbanne, kann ich einmalig die Zerstörung eines Infernoids verhindern.“ Aber die Weiße Hexe war noch nicht fertig, streckte sie plötzlich die Hand Richtung ihrer aufrecht stehenden [Void Vanishment]-Karte aus. „Auch diese hier hat einen zusätzlichen Effekt, den ich nun aktivieren werde. Am Ende eines Kampfes kann ich sie opfern, um die beiden am Kampf beteiligten Monster zu verbannen.“ Anya klappte die Kinnlade hinunter, als ihr [Angel Wing Dragon] schrie und zunehmend durchsichtiger wurde, bis er einfach nicht mehr da war. Im Gegensatz zu [Infernoid Onuncu], der unbeschadet über Gardenia thronte. „Verbannt ist es dem [Angel Wing Dragon] unmöglich, zurück aufs Feld zu kommen.“ „Du sagtest, beide Monster würden verbannt werden!?“ Anya verstand die Welt nicht mehr, zumindest für einen kurzen Augenblick. Denn als sie den so-gar-nicht-verbannten Onuncu betrachtete, kam die Antwort in Form eines blitzenden Speeres in seiner Brust von selbst. „Shit!“ Ihre Gegnerin lachte amüsiert. „So ist es, deine eigene Karte hat dafür gesorgt, dass mein Monster nicht vom Effekt von [Void Vanishment] betroffen war.“ Zähneknirschend musste Anya akzeptieren, dass sie besser hätte aufpassen müssen. Allerdings fachte dieser Fehler ihre Wut nur umso mehr an, sodass sie den Arm ausschwang: „Trotzdem habe ich noch Gem-Eyes! Los, vernichte dieses Scheißvieh endlich! Spectral Burst Stream!“ Der flammende Drache öffnete sein Maul und stieß einen farbenfrohen, schimmernden Odem aus, der, als er auf sein Ziel traf, eine gewaltige, bunte Explosion auslöste. Und diesmal war Onuncu wirklich verschwunden.   [Anya: 1000LP / Gardenia: 2300LP → 2100LP]   Mit ihrer verbliebenen Handkarte verkündete Anya übellaunig: „Zug beendet!“ Komm schon, dachte sie dabei grimmig. Sollte Gardenia ihr Assmonster ruhig wiederbeleben und ihre Monster auslöschen. Noch einen Treffer würde sie nicht landen!   Die Brünette zog still mit geschlossenen Augen und besonnenem Gesichtsausdruck eine zweite Handkarte auf. Dabei erklärte sie: „Während der Standby Phase wird aufgrund des Effekts meiner [Void Expansion] ein neuer Infernoid-Schatten geboren.“ Einige der finsteren Flammen sammelten sich vor der weißen Hexe und wurden von einem gläsernen Behältnis eingeschlossen.   Infernoid-Spielmarke [ATK/0 DEF/0 (1)]   Die brünette Frau streckte die Hand über ihre gesetzte Karte, welche daraufhin aufsprang. Dabei öffnete sie die Augen und sagte: „In diesem Moment kann ich auch den Effekt von [Void Launch] benutzen. Solange ich ein Infernoid-Monster kontrolliere, werden auf meinen Wunsch während meiner Standby Phase zwei Infernoids von meinem Deck auf den Friedhof gelegt. Sjette, Devyaty.“ Jene Karten schoben sich aus dem Kartenschacht ihrer Halbmond-Duel Disk und wurden prompt dem Friedhofsschlitz zugeführt. Anya ihrerseits zuckte mit den Augenbrauen. „Yeah, mehr Futter für [Infernoid Onuncu]. Berechenbarer geht’s nicht …“ „Dann liegt hier ein Missverständnis vor. Ich verbanne von meinem Feld den Infernoid-Schatten und von meinem Friedhof die Infernoids Sjette und Onuncu …“ Die Blonde gab ein verwirrtes Geräusch von sich, als sie das hörte. „… um [Infernoid Devyaty] durch ihren eigenen Effekt auferstehen zu lassen. Komm!“ Türkise Flammen stiegen rund um Gardenia auf. Aus ihnen erhob sich eine gewaltige Kreatur. Deren Schweif war so lang, dass er hinter der weißen Hexe schier endlos weiter verlief. Von serpentinenhafter Gestalt, an deren Nacken sich gläserne Schwingen befanden, flößte Devyaty selbst einer Anya Bauer Respekt ein. Der gehörnte Drachenkopf knurrte das Mädchen an.   Infernoid Devyaty [ATK/2900 DEF/2900 (9)]   „Nicht das, was du erwartet hast“, kommentierte Gardenia Anyas erschrockenen Ausdruck und hob langsam eine flache Hand, „aber sei dir gewiss, dass [Infernoid Devyaty] nicht weniger gefährlich ist als [Infernoid Onuncu]. Wo jener alle Monster bei seiner Geburt zerstört, vernichtet sie alle Zauber- und Fallenkarte, mit Ausnahme derer, die Void im Namen tragen.“ Gardenia richtete die flache Hand nach vorne. „Hinfort!“ Das Monstrum spreizte seine transparenten Schwingen bis zum Anschlag, welche sich finster verfärbten. Nur eine Sekunde später sah Anya sich zwei pechschwarzen Energiestrahlen gegenüber, die auf sie zu kamen. Als [Gem-Knight Malachite] und [Gem-Knight Pyrite] in den beiden blauen Lichtsäulen neben ihr getroffen wurden, sorgten simultane Schockwellen dafür, dass Anya in die Knie sank. „Uch!“ Als sie auf blickte, näherte sich bereits ein dritter Strahl und schlug direkt vor ihr ein. Die Explosion schleuderte das Mädchen im hohen Bogen davon und zerfetzte ihre gesetzte [Negate Attack]-Falle. Anstatt aber erneut einen harten Aufprall hinzunehmen, fing sich Anya in der Luft, verlagerte ihr Gewicht so, dass sie einen Rückwärtssalto vollzog und landete einige Meter entfernt in der Hocke. „Kch! Netter Versuch.“ Der Rauch vor ihrem Feld löste sich. „Aber hast du es schon vergessen? Meine Gem-Knights in den Pendelzonen sind sicher, solange ich [Gem-Knight Fusion] auf der Hand halte.“ Zur Demonstration drehte sie jene zwischen ihren Fingern Gardenia zu. Da diese jedoch keine Miene verzog, ging Anya davon aus, dass ihre [Negate Attack] das eigentliche Ziel war. „Angriff, [Infernoid Devyaty]“, befahl ihre Gegnerin autoritär. Schrill kreischend reckte ihr Serpentinenmonster den Kopf nach hinten, nur um ihn dann wieder nach vorne zu strecken und dabei einen smaragdgrünen Flammenodem zu speien. Anya wandte sich mit erhobenen Armen ab, als ihr Gem-Eyes vom Inferno verschlungen wurde. Sie selbst spürte die Hitze auf ihrer Haut, stechend, unerträglich und das, obwohl ihr Monster eine Kerbe ins Flammenmeer schlug. „Ugh!“   [Anya: 1000LP → 500LP / Gardenia: 2100LP]   Die Flammen auf Anyas Spielfeldseite waren noch gar nicht verklungen, da legte Gardenia bereits eine ihrer beiden Handkarten in ihre Duel Disk ein. „Mit einer gesetzten Karte gebe ich an dich ab.“ Zischend tauchte jene in vergrößerter Form zu ihren Füßen auf.   Anya griff nach ihrem Deck. Ihre Haut war rot, brannte wie Feuer, die Kleidung dazu teilweise aufgerissen, rußschwarz. Langsam wurde die Luft echt dünn für sie. Nächste Runde würde Gardenia neue Infernoid-Monster auf den Friedhof schicken, die sie dazu verwenden würde, ihre dicken Brummer auferstehen zu lassen. „Draw!“, rief sie angespannt und hoffte, irgendetwas zu ziehen, das ihr dabei half, das Duell in diesem Zug zu gewinnen. Ohne Levrier konnte sie dem Schicksal keinen neuen Pfad hinzufügen und selbst wenn er jetzt hier wäre, würde sie sich wie eine Betrügerin fühlen. Eine vom selben Schlag wie Claire Rosenburg. Gespannt betrachtete Anya die neue Karte, die sie als [Gem-Knight Emerald] identifizierte. In dem Moment begann sie zu überlegen. Wenn sie hier überhaupt entkommen wollte, musste sie Gardenia so schwer zusetzen wie nur möglich. Und das einzige Monster in ihrem Deck, das das neben den Hüterkarten konnte, war momentan [Gem-Knight Master Diamond]. Doch um den zu beschwören brauchte sie drei Gem-Knights. Mit Emerald und Gem-Eyes hatte sie aber nur zwei. Es sei denn … „Effekt aktivieren! [Gem-Knight Pyrite]!“ Der weiße Ritter mit den riesigen Schildhälften an seinen beiden Armen begann von seinen silbrigen, kubenförmigen Schulterplatten grelles Licht auszustrahlen, das die hellblaue Lichtsäule, in der er sich befand, durchdrang. „Vielleicht erinnerst du dich noch, aber mit ihm kann ich eine Gem-Karte direkt von meinem Deck auf den Friedhof befördern.“ Anya schnappte sich ihr Deck aus dem Schacht und nahm die gewünschte eigenhändig heraus. Das Leuchten klang ab und Gardenia verschränkte abwartend die Arme. „Ich habe mich für [Gem-Knight Lazuli] entschieden“, verkündete ihre fast einen Kopf kleinere Gegnerin mit einem gehässigen Grinsen und legte ihr Monster auf den Ablagestapel. Von welchem sofort ein grelles Strahlen ausgestoßen wurde. Vor Anya tauchte der Geist einer kleinen Ritterin in beigefarbener Rüstung auf, von deren Helm zwei lange Schlaufen herabhingen. Ihre Besitzerin erklärte: „Wird sie durch einen Karteneffekt auf den Friedhof gelegt, erhalte ich von dort ein normales Monster zurück.“ Vorbereitung zahlte sich eben aus, dachte Anya dabei, als ihre Lazuli verschwand und eine Karte aus ihrem Friedhof ausgeworfen wurde. Mit grimmiger Zufriedenheit stellte Anya diese vor. „[Gem-Knight Sapphire]. Den hab ich während meines zweiten Zuges als Ressource für später mit Pyrites Effekt dort gelagert, nachdem du mir Tourmaline genommen hast, schon vergessen?“ Ein unterkühltes Lächeln war die entsprechende Antwort. „Jetzt mach dich schon mal frisch!“, verkündete Anya und streckte ihren Arm in die Höhe. „Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum!“ Über ihr öffnete sich zum wiederholten Male das Pendelportal und stieß gleich vier rote Lichtblitze hintereinander aus. „Aus meinem Extradeck [Gem-Tiger] und [Gem-Eyes Value Dragon]! Und von meiner Hand [Gem-Knight Emerald] und [Gem-Knight Sapphire]! Pendulum Summon!“ Alle vier Strahlen schlugen der Reihe nach vor ihr ein und nahmen die Formen des weißen Diamantentigers, des in goldener Rüstung steckenden Drachen, des hellgrünen Ritters mit Rundschild am Arm und des in hellblauer Panzerung steckenden Eisritters an.   Gem-Tiger [ATK/1800 DEF/300 (4) PSC: <8/8>] Gem-Eyes Value Dragon [ATK/2400 DEF/2000 (7) PSC: <5/5>] Gem-Knight Emerald [ATK/1800 DEF/600 (4)] Gem-Knight Sapphire [ATK/0 DEF/2100 (4)]   Anya betrachtete nachdenklich ihre letzte Handkarte, [Gem-Knight Fusion]. Sie könnte jetzt fusionieren, aber für den Fall, dass etwas schief ging, musste sie ihren Pendelbereich schützen. „Wenn du denkst, dass ich [Gem-Knight Fusion] jetzt benutze, hast du dich geschnitten! Stattdessen aktiviere ich Gem-Eyes' Effekt! Sight Transition!“ Die beiden Scheiben am Helm ihres roten Drachen begannen sich in hohem Tempo zu drehen. Anya schwang den Arm aus. „Jetzt lernst du den letzten Typ-abhängigen Effekt von Gem-Eyes kennen! Fels!“ Schlagartig hielten sie bei den grünen Segmenten, die sich erneut als Visor vor die Augen ihres Besitzers klappten. Grüne Energielinien zogen sich durch seine goldene Rüstung, die drei Tragflächen an beiden Seiten des Rückens, welche seine Flügel symbolisierten, platzten auf und gaben knorrige Lederschwingen preis, besetzt mit unzähligen Edelsteinen. „Glaub es mir oder auch nicht, aber ich kann auch ohne die hier fusionieren.“ Anya zeigte ihren Zauber noch einmal demonstrativ vor. „Dank des Fels-Effekts von [Gem-Eyes Value Dragon]! Emerald Perfection!“ Ihr Gem-Eyes reckte den Kopf gen Decke und stieß einen kämpferischen Schrei aus. Über ihm öffnete sich daraufhin ein blau-orangefarbener Vortex, der sowohl ihn, als auch die beiden Ritter an seiner Seite in sich hineinzog. Anya legte die Augenbrauen an und rief, ja schrie fast: „Herz, Seele, Gefäß! Vereint euch zur reinsten aller Ritterinnen, deren Klinge jeden Hoffnungsstrahl zerteilt! Fusion Summon!“ Der Wirbel an der Decke änderte seine Aufmachung, wurde weiß und stieß zahllose Edelsteine aus. Zwischen ihnen schwebte majestätisch die mächtigste Ritterin in Anyas Deck herab, gekleidet in einer einfachen, beigefarbenen Rüstung, von deren spitzen Schulterplatten ein kurzer, roter Umhang flatterte. Elegant landete sie auf beiden Füßen vor Anya und zog ihr schlichtes Schwert aus der Scheide. Die Brillanten in ihrer Brustplatte funkelten dabei stärker als alle anderen Edelsteine vor ihnen. „Kämpfe für mich, [Gem-Knight Lady Brilliant Diamond]!“, nannte die Blonde schließlich ihren Namen.   Gem-Knight Lady Brilliant Diamond [ATK/3400 DEF/2000 (10)]   „Aber ich bin noch nicht fertig.“ Anya schwang den Zeigefinger und deutete auf ihren weißen Tiger, der neben der Ritterin fast schon unauffällig wirkte. „Lady Brilliant Diamond hat einen besonderen Effekt, der mich ein beliebiges Monster opfern lässt, um ein Gem-Knight-Fusionsmonster aus meinem Extradeck zu beschwören.“ Genau wie Anya es getan hatte, schwang die Ritterin ihr Schwert aus und zeigte mit dessen Spitze auf [Gem-Tiger], der sich in funkelnde Partikel auflöste. Über Anya öffnete sich das Pendelportal, das gleichzeitig einen roten Strahl aufsaugte, welcher ebenfalls aus dem verschwindenden Körper des Ungeheuers drang. Das Mädchen ballte eine Faust. „Contradiction Fusion! Drei Lichter kreuzen den Weg des Lichts! Körper, Seele und Herz verschmelzen und werden zu der Macht, die in ihrer Reinheit einem Diamanten gleicht!“ Weißer Staub begann an der Stelle zu wirbeln, an der der Tiger eben noch gestanden hatte. Und Gardenia lächelte nur berechnend, als Anya schrie: „Werdet eins! Werdet [Gem-Knight Master Diamond]!“ Aus dem Nichts flog ein mächtiges Breitschwert an Anya vorbei, das schräg vor ihr im Boden stecken blieb. Die geballte Faust anhebend, ließ sie jene in violetten Flammen aufgehen.   ~-~-~   Das Ephemeria Bridge Stadium war verlassen. Im mittleren Teil waren Spuren des Kampfes ersichtlich. Ansonsten aber fehlte von Anya und Kali innerhalb des über anderthalb Footballfelder großen Stadions jede Spur. Die Undying konnten keine Präsenzen spüren.   Matt sackte auf sein Hinterteil und atmete schwer durch. Er zog die Beine enger an sich heran und umschlang sie mit beiden Armen, legte das Kinn auf sie, starrte leeren Blicks ins Nichts. So gern er sich um Anya jetzt sorgen würde, beschäftigte ihn nur der Gedanke, wie es jetzt wohl Tara ging. Ricther und Stoltz näherten sich ihm. „Wir haben an mehreren Stellen Blut entdeckt. Es muss ein heftiger Kampf gewesen sein“, sprach der Anführer der Undying in seiner monströsen, gold-silbernen Rüstung unheilvoll. „Insgesamt drei Ätherspuren weisen darauf hin, dass sie es mit mehr als einem Gegner zu tun hatte.“ Matt sah zu ihm auf, blickte dann zum langen, hageren Stolz, der im hellen Mondlicht dank seiner Bandagen am ganzen Körper tatsächlich aussah wie eine Mumie mit Ritterhelm. Sein rechter Arm endete in einem Stummel. „Natürlich war es eine Falle. Bestimmt hat Zachariah, Anyas Bruder, Kali dabei geholfen“, mutmaßte Matt halbherzig. „Die Undying vermuten, dass die Weiße Hexe ebenfalls hier war“, ergriff Stoltz das Wort ungewohnt ernst für seine sonst eher psychopathischen Verhältnisse. „Die was!?“, schrak Matt jetzt doch auf. „Gardenia die Gelehrte!?“ Ricther nickte stumm. Der Dämonenjäger ließ den Kopf hängen. „Dann ist Anya jetzt vermutlich … scheiße! Scheiße, scheiße, scheiße!“ Sein direkter Gegenüber, der majestätische Undying, ging vor Matt mit einem Bein auf die Knie und packte ihn brutal am Kinn, um in sein tränennasses Gesicht zu sehen. „Es ist noch zu früh um solche Schlüsse zu ziehen. Womöglich hat die Weiße Hexe sie in ihre Domäne entführt.“ Matt packte den Arm und riss sich los. „Könnt ihr die ausfindig machen?“ „Bevor wir etwas unternehmen, wirst du uns ein paar Fragen beantworten. Auf welcher Seite stehst du, Matt Summers?“   Auch wenn jener die Augen hinter Ricthers federbesetzten Helm nicht sehen konnte, spürte er, wie dessen Blick ihn durchbohrte. Er wusste, dass Matt mit dem Sammler gehandelt hatte und hinterfragte jetzt seine Intentionen. Der Schwarzhaarige ließ seufzend den Kopf hängen. „Ungefähr vor einem Jahr ergriff eine Immaterielle namens Urila Besitz von meiner Freundin Tara. Sie wollte Livington opfern, um zwanghaft das Tor Eden zu opfern, das nach der Zerstörung des Turms von Neo Babylon verloren ging.“ „Die Undying kennen die Geschichte“, schnalzte Stoltz hinter Ricther. „Tara wurde schwer verletzt, so schwer, dass ich einen Handel mit dem Sammler eingehen musste, um ihre Wunden zu heilen.“ Matt schluckte. „Im Gegenzug … musste ich ihm versprechen, an dem Tag, an dem Anya Bauer mich erneut um Hilfe bitten würde, bis zur Vollendung ihrer Mission an ihrer Seite zu bleiben und ihr zu helfen.“ Ricther drehte den Kopf zu Stoltz, der eine erstaunlich lange Zunge herausstrecke. „Also ja“, sprach Matt dabei schuldbewusst weiter, „ich wusste schon lange vorher, dass irgendetwas passieren würde.“ „Verstehe. Dann bist du ebenfalls ein Handlanger des Sammlers.“ „Yeah.“ Der Schwarzhaarige blickte auf. „Und als solcher euer Feind.“ Zu seinem Erstaunen aber schüttelte der Undying den Kopf. „Nein. Du bist auch nur eine weitere Schachfigur in seinem Spiel. Eine, die sich gegen ihn gestellt hat. Es besteht kein Bedarf mehr, dich zu eliminieren.“ Matt klopfte mit beiden Händen auf seine Oberschenkel und erhob sich langsam. „Ihr seid … anders als ich gedacht hätte. Die Undying, die sich nicht in menschliche Belange einmischen, so haben wir euch kennengelernt. Aber jetzt …“ „Ich bin zu der Erkenntnis gelangt, dass ein Problem dieses Ausmaßes nicht ohne Hilfe von Außenseitern gelöst werden kann. Neben dem Sammler scheinen noch andere Gruppierungen involviert zu sein, Parteien, die selbst wir Undying nicht kennen.“ Eine seltsame Begründung, befand Matt, der sich am Kopf kratzte und fragte: „Ist das wirklich alles? Ihr seid mächtiger als wir anderen zusammen, wie könnten wir euch helfen, den Sammler aufzuhalten?“ Stoltz mischte sich kichernd ein. „Tut seine andere Freundin dies nicht in genau diesem Moment?“ „Valerie!“ Sie hatte er beinahe vergessen. „Wir müssen-!“ Ricthers autoritäre Stimme gebot ihm sofort Einhalt. „Für dieses Mädchen können wir im Moment nichts tun.“ Fassungslos sah der Dämonenjäger die beiden Undying abwechselnd an. „Sie ist in Lebensgefahr!“ „Wir sollten uns auf das konzentrieren, das wir momentan erreichen können.“ Erschrocken von der weiblichen Stimme wirbelte Matt herum und erblickte Zed, wie sie gerade aus einem ovalen, schwarz glänzenden Portal trat. Ihre weiße Robe wallte regelrecht, genau wie die fast bis zum Boden reichende, schwarze Haarpracht, als sie auf die Drei zu schritt. Die Wunden, die ihr vorhin erst zugefügt worden waren, waren vollkommen verheilt, wie ihr nackter Bauch verriet. „Wie geht es Tara!?“ „Sei unbesorgt, ihr ist nichts geschehen“, versicherte ihm Zed mit einer wischenden Handgeste. „Aber je nachdem, ob Valerie den Sammler erwischt“, murmelte Matt und brach ab. Dann blickte er entschlossen auf. „Ich weiß, es ist viel verlangt, euch um noch einen Gefallen zu bitten …“ Er drehte sich zu Ricther und Stoltz um. „… aber könntet ihr Tara an einen sicheren Ort bringen?“ „Der einzige wirklich sichere Ort wäre unsere Basis“, erklärte der Hüne in Rüstung, „und es ist uns verboten, Außenseiter dort aufzunehmen.“ „Dann … Eden! Die Stadt Eden, die ihr einst erbaut habt!“ Sein Gegenüber gab einen erstaunten Laut von sich. Dann erklärte er: „Eden ist eine künstlich erschaffene Welt, die inzwischen selbst für uns unerreichbar ist.“ Als er das hörte, ließ Matt enttäuscht den Kopf hängen. „Verstehe …“ „Wir können sie jedoch in eine andere Welt bringen“, schlug Zed vor, „doch es gibt keine Garantie dafür, dass der Sammler ihr durch euren Handel nicht trotzdem schaden kann.“ Sofort drehte sich Matt wieder zu ihr um. „Wenn ihr das tun könntet, wäre ich euch unendlich dankbar. Bitte, bringt sie so weit weg, wie es nur geht!“ „Also gut. Aber sei dir im Klaren darüber, dass dies ihre Welt ins Chaos stürzen wird.“ „Ich … ich weiß. Und ich kann es ihr nicht mal erklären, da ich durch den Handel nicht in ihre Nähe darf …“ Matt biss sich auf die Lippe. „Aber es muss sein. Sie wird es verstehen.“ Ricther hinter ihm verschränkte die Arme. „Damit hätten wir geklärt, wie wir mit diesem Mädchen verfahren. Doch Anya Bauer ist vermutlich in der Domäne der Weißen Hexe gefangen. Und Valerie Redfield ist dem Sammler durch dessen Pfad gefolgt.“ „Dann können wir für keine der beiden etwas tun“, sagte Zed. Matt wurde ganz klamm im Magen. „Also bleibt dem Dämonenjäger nur zu hoffen, dass die beiden sich mit ihrer eigenen Stärke einen Weg bahnen können“, kicherte Stoltz hämisch und erntete dafür einen finsteren Blick von Matt, der über seine Schulter sah. „Sie werden zurückkommen! Irgendwie!“   ~-~-~   Schon seit einer Weile war es still in dem Zimmer gewesen. Kein hektisches Gemurmel mehr. Als Nigel McPherson die Tür des Gästezimmers hinter sich schloss, gab er einen leisen Seufzer von sich. Zanthe, der gegenüber an der Wand lehnte, stieß sich sofort von dieser ab. „Wie geht es ihm!?“ „Er hat das Bewusstsein verloren, aber ich denke, wir haben es geschafft. Die ganze Prozedur hat ihn viel Kraft gekostet“, bekam er von dem rothaarigen Manager der Weltmeisterin eine entsprechende Antwort, „es wird eine Weile dauern, ehe er sich erholt hat.“ Zanthe atmete erleichtert auf. Nur um dann zusammen zu zucken, als der bärtige Dämon sich räuspernd korrigierte. „Zumindest würde ich das bei jedem anderen sagen, doch dein Freund ist nicht wie jeder andere.“ „Was soll das heißen? Wird er bleibende Schäden davon tragen!?“ Entgegen Zanthes schlimmsten Vermutungen aber schüttelte der Mann den Kopf und ging den in Gelb gehaltenen Flur entlang, bedeutete seinem Gast mit einem Wink ihm zu folgen. „Nein. Aber bei der Untersuchung ist mir aufgefallen, dass viele Teile seines Körpers künstlich sind. Organe, Knochen.“ Betrübt murmelte sein Freund daraufhin: „War deine Welt wirklich so gefährlich …?“ „Er stammt also nicht von dieser Welt?“, fragte Nigel, der voran ging. „Das dachte ich mir.“ „Ja. Er war der letzte Überlebende. Sein Planet wurde vor kurzem zerstört von etwas, das er selbst als Planet Eater bezeichnet. Weißt du etwas davon?“ Als er sie in die kleine Küche führte, in deren Mitte ein rechteckiger Tisch mit vier Stühlen stand, über dem eine Lampe hing, bat Nigel Zanthe sich zu setzen. Einer der Plätze war bereits besetzt. Claire Rosenburg saß dort regungslos und starrte ins Nichts. Und das schon seit geraumer Zeit. „Nein“, antwortete Nigel schließlich, nachdem er einen Tisch nach hinten zog und sich setzte. Zanthe zog an ihm vorbei und nahm neben der blonden Weltmeisterin Platz. „Mir ist bekannt, dass es andere Welten gibt, doch darüber hinaus weiß ich nicht viel über sie.“ „Ist auch nicht so, als ob das jetzt noch etwas ändern würde“, murmelte Zanthe und sah Claire von der Seite an, die die beiden nicht einmal wahrzunehmen schien. Er wandte sich an Nigel, der ein Bein über das andere schlug. „Danke. Dass du Exa gerettet hast meine ich.“ „Der Junge hatte nichts mit unserem Konflikt zu tun. Es war das Mindeste.“ Das entlockte dem Werwolf ein heiteres Lachen. „Hey, eigentlich bist du gar nicht so übel.“ Sein Ausdruck wurde aber wieder ernst. „Aber ist es wirklich in Ordnung für dich, wenn ich Claire mitnehme?“ Nigel sah über die Schulter zum Flur zurück. „Manchmal stehe ich nachts auf und gehe in das Zimmer meiner Tochter um mich zu vergewissern, ob sie wirklich da ist.“ „O-oh …“ „Habe ich wirklich so viel Glück oder ist es nur ein Traum?“ Der Mann drehte sich wieder um. „Ist es nur ein Traum, kann dieser nicht ewig währen. Aber wenn du Recht hast, muss ich vor dem Erwachen keine Angst haben. Nimm sie mit. Sie ist schon zu lange in diesem Zustand.“ „Es … es tut mir leid. Vergib mir.“ Zanthe beugte den Kopf so tief er konnte herab. „Ich habe dich völlig falsch eingeschätzt.“ „Es ist eine Sache, Claire ihr Leben zurückzugeben.“ Überrascht von den Worten seines Gegenübers richtete sich der Kopftuchträger wieder auf. „Was Anya Bauer im Begriff ist zu bewirken eine andere. In dieser Hinsicht hat sich mein Standpunkt nicht geändert.“ Zanthe nickte. „Yeah …“   Nigel faltete die Hände ineinander und versank für einen Moment still in Gedanken. Ob er wohl darüber nachdachte wie gefährlich es war, ihn gehen zu lassen, fragte sich Zanthe? Claire würde Anya regelmäßig sehen, wenn sie ihn begleitete.   „Der Schaden ist bereits angerichtet“, wählte der Dämon seine Worte mit Bedacht, „schon vor unserem Duell. Was ich jetzt noch tun kann, ist dich zu warnen. Lass dieses Mädchen nicht alle sieben Artefakte sammeln. Sie wird damit ein Tor öffnen, das niemand mehr schließen kann.“ Zanthe verstand nicht genau, was das zu bedeuten hatte. „Die Hüter sind unter anderem dazu bestimmt, das Tor zum Narthex im Einklang zu öffnen. Doch es darf nur auf Geheiß eines Auserwählten geschehen und diese Person ist nicht Anya Bauer.“ Nigel ließ den Kopf kreisen, versuchte offensichtliche Verspannungen zu lösen. „Verhindere das. Such einen anderen Weg ihr zu helfen.“ „Ich werde es versuchen“, versprach Zanthe. „Aber was, wenn es keinen gibt? Der Sammler …“ „… ist nicht allmächtig. Wenn es jemanden gibt, der das Unmögliche möglich machen kann, dann du und deine Freunde. Anya Bauers Duell mit Claire war dafür Beweis genug. Sie war kurz davor, die doppelte Illusion zu zerstören, die sie erzeugt hat.“ „Aber sie hat es am Ende nicht geschafft. Ah! Das erinnert mich an etwas. Wie wird es jetzt mit Claire als Weltmeisterin weitergehen?“ Nigel fuhr sich über die Stirn. Die Ereignisse hatten selbst einen gestandenen Mann wie ihn offenbar viel Kraft gekostet. „Offiziell nimmt sie eine Auszeit von ihren Pflichten. Da denke ich mir noch etwas aus.“ „Und ihre Kräfte? Ist damit jetzt ein für allemal Schluss?“ „Die doppelte Illusion kann nur mithilfe des Artefakts erzeugt werden. Von nun an wird sie darauf achten müssen, mit wem sie sich misst“, antwortete er und ließ von seinem Gesicht ab. Sah Zanthe mahnend an, „und ihr ebenso. Ich erwarte, dass ihr sie stets im Auge behaltet und Rücksicht auf ihr Image nehmt.“ Der Werwolf nickte knapp, doch eine Sache musste er klarstellen. „Sie wird verlieren. Eines Tages.“ „Möglicherweise. Aber unterschätze sie nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob sie meine Kräfte je gebraucht hat. Sie war bereits vor dem Pakt eine unglaublich talentierte Duellantin.“ „Talent hat keinen Einfluss auf Glück. Ein Pakt schon.“ Was den rothaarigen Bartträger tatsächlich zum Auflachen brachte. „Das kann ich nicht abstreiten.“ Auch Zanthe grinste. Noch etwas lag ihm auf der Zunge. „Wieso hast du nicht …?“ „Um die doppelte Illusion zu erzeugen muss der Anwender in einen komplett 'blanken' Zustand gelangen. Keine Zweifel, keine Begierden, einzig das Ziel vor Augen. So etwas kann man als normaler Mensch nicht erreichen.“ Nigel sah zu Claire herüber, von der Zanthe sich nicht einmal sicher war, ob sie dem Gespräch überhaupt folgte.   Nach einem kurzen Moment des Schweigens sagte er: „Nun, da Anya Bauer das Artefakt besitzt, möchte ich noch eine Warnung an dich aussprechen. Verhindere, dass sie es benutzt.“ „Weil die doppelte Illusion nun unvollständig ist?“ „Wie ich dir erklärt habe, besitzt das Artefakt die Macht, seinen Träger in einer von ihm geschaffenen Illusion zu halten. Will er keine Schmerzen spüren, spürt er keine. Aber das ist auf Dauer gefährlich, weil es zu Waghalsigkeit animiert. Die Wunden verschwinden nicht.“ Zanthe nickte. „Ich sag's ihr.“ Doch als Nigel ihn ansah, schüttelte er den Kopf. „Du verstehst nicht. Es kann das ganze Wesen seines Besitzers verändern, wenn es nicht mit Bedacht verwendet wird. Was ich dir rate ist, es ihr -nicht- zu erklären.“ „Solange sie die Fähigkeit nicht kennt, ist sie nicht gefährdet, da sie sie nicht steuern kann?“ „Ja. Artefakte können ihre Formen und Kräfte den Wünschen ihres Trägers anpassen, doch ihre Kernkraft wird immer dieselbe sein. [Angel Wing Dragon] besitzt die Macht, die körperlichen Grenzen seines Trägers für begrenzte Zeit auszublenden. [Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T] dagegen verlangsamt den Alterungsprozess seines Besitzers beträchtlich. Was sie darüber hinaus jedoch bewirken, hängt allein von ihrem Besitzer ab.“ „Und [Murciélago The Thunderblade Bull] gaukelt einem das vor, an das man glauben will.“ Nigel faltete beide Hände ineinander und stützte die Arme an der Tischkante ab. „Erkennst du das wahre Potential darin?“ Der Kopftuchträger betrachtete die blonde Weltmeisterin neben sich nachdenklich. „Wirkt die Illusion wirklich nur auf einen selbst?“ „Nein. Claire war nur ein Substitut. Ich dagegen hätte den Wirkungsbereich der Illusion auch auf andere Lebewesen ausdehnen können. Die wahre Kraft Murciélagos liegt darin, Erinnerungen zu beeinflussen, doch das heißt auch, dass man die eigenen anpassen muss. Dadurch wird die Illusion zur Realität.“ „Phew.“ Langsam begriff Zanthe, wie gefährlich diese Artefakte wirklich waren. Und so etwas in Anyas Händen? Nein, in den Händen des Sammlers? „Uh … ich denke, davon sollte sie nichts wissen. Das endet nur in einer Katastrophe.“ Gerade als Nigel darauf antworten wollte, kam die Herrin des Hauses, eine blond gelockte, kleine Frau in weißem Nachthemd in die Küche. In ihren Händen hielt sie Teller und Besteck. „Nach so einer Nacht brauchen wir alle eine Stärkung.“ „Oh, vielen Dank, Mrs. McPherson“, strahlte Zanthe ob der Einladung zum Mitternachtssnack. Doch als er sah, wie unbekümmert sie wirkte, fragte er sich insgeheim, ob sie unter dem Einfluss von Nigels Illusionen stand und sich an gar nichts erinnerte. Sie und ihre Tochter. „Vergiss nicht, was du heute gelernt hast“, mahnte der und stand auf, um seiner Frau beim Decken des Tisches zu helfen. Der Werwolf nickte ernst. „Werde ich nicht.“   ~-~-~   „Wisdom and courage, hidden underneath an impenetrable armor! Come forth, beast of justice! Synchro Summon!“ „Oh verdammt!“, fluchte David, als ein greller Lichtblitz durch die Ringe schoss. Valerie schrie energisch: „Rise to the surface, [Coral Dragon]!“ Und da war sie, vor ihr, eine riesige Seeschlange. Von rotbrauner Färbung, schwebte sie mit wallendem, endlos langem Schweif in der Luft. Der grimmige Drachenkopf knurrte leise, bewegte seine Vorderglieder, zwei Flossenarme, die in spitzen Stacheln endeten, drohend vor und zurück.   Coral Dragon [ATK/2400 DEF/500 (6)]   Der Schwarzhaarige auf der anderen Spielfeldseite blinzelte irritiert. „Uh … huh?“ Urplötzlich überzog sich sein aufrecht stehender Zauber [Ritual Cage] mit dickem Eis, die holografischen Gitterstäbe verschwanden um Davids Spielfeldseite. Welcher murmelte: „Lyza kann offene Zauber- oder Fallenkarte für einen Zug einfrieren. Aber dieser Drache … “ „Nicht das, was du erwartet hast, oder?“ Valeries Spitze verfehlte ihr Ziel nicht, als ihr Gegner zaghaft nickte. Mit einem wissenden Lächeln nahm sie die obersten drei Karten von ihrem Deck und sah sie prüfend an. „Da [Gishki Mollusk] auf den Friedhof gelegt wurde, kann ich mein Schicksal in Form von den obersten drei Karten meines Decks in die Hand nehmen, um sie beliebig auf oder unter meinem Deck neu anzuord-“ Als sie einen Blick auf die drei Karten in ihrer Hand warf, verstummte sie abrupt. Die oberste von ihnen war [Moulinglacia The Elemental Lord]. Er dauerte nur einen Moment, da festigte sich ihr Blick wieder und alle drei Karten, die sie aufgenommen hatte, wurden in anderer Reihenfolge wieder aufs Deck gelegt. „[Coral Dragon] besitzt einen besonderen Effekt.“ Von ihren drei verbliebenen Handkarten nahm sie [Gishki Ariel] und schob sie in den Friedhofsschacht. „Für eine Handkarte zerstört er eine Karte meines Gegners. Und wie du richtig festgestellt hast, ist der [Ritual Cage] nicht mehr imstande, -ihn- zu beschützen! Vernichte [Nekroz Of Trishula]! Aquaelicium!“ Ihr Meeresdrache reckte den Kopf in die Höhe und stieß ein wehmütiges Heulen aus. Im ersten Moment geschah gar nichts. Bis ein leises Zischen ihre Umgebung erfüllte. David sah überrascht auf und bemerkte sie, vier pechschwarze Wolken in der Ferne. Und aus ihnen schossen Wasserstrahlen, die sich in der Luft schlängelten, bis sie allesamt gleichzeitig in seinen Krieger einschlugen. „Ah!“ Massive Wassermassen schlugen um den jungen Mann. Abwartend stemmte Valerie eine Hand in die Hüfte. Dann geschah es. All das Wasser in der Luft und um David gefror mit einem Schlag. Welches kurz darauf in alle Richtungen zerbarst. Anstatt etwas zu sagen, schnalzte Valerie lediglich missbilligend mit der Zunge. Denn nicht nur war [Nekroz Of Trishula] unversehrt, sondern wurde sogar noch von einer rothaarigen Kriegern in einer blauen Panzerung beschützt, welche ebenfalls Schwingen aus purem Eis besaß.   Nekroz Of Trishula [ATK/2700 DEF/2000 (9)]   „Sorry, aber so einfach ist das dann doch nicht“, strahlte David und hob seine blau-umrandete Handkarte zur Verdeutlichung an, „da ich [Nekroz Of Gungnir] auf der Hand hatte. Wenn ich sie abwerfe, kann ich die Zerstörung eines Kameraden für diesen Zug vollkommen abwehren.“ Die rothaarige Hexe hob ihren Zauberstab in die Höhe und ließ von ihm helle Lichtwellen aussenden, ehe sie sich auflöste. Wenn diese Karte seit seinem letzten Zug verfügbar gewesen war, wieso hatte er sich dann mit einem Angriff zurückgehalten? Valerie gefiel die Antwort nicht. Er musste wirklich mit [Poseidon Wave] gerechnet haben. Er kannte ihr Deck gut. Zu gut. „Ich setze eine Karte verdeckt. Zug beendet.“ Jene tauchte zischend zu ihren Füßen auf. Feine Schweißperlen zierten ihre Stirn. Das Eis zerbarst um Davids Zauber, der goldene Käfig baute sich erneut um ihn herum auf. „Draw!“, rief David energisch, betrachtete seine Karte kurz und richtete dann den Arm nach vorne, die Karte zwischen seinen Fingern geklemmt. „Zu schade, dein [Coral Dragon] kann deine Lebenspunkte nicht ausreichend beschützen.“ Seine Gegnerin verkrampfte. „Greif ihn an, [Nekroz Of Trishula]! Zero Kill!“ Mit beiden Händen umschloss jener seine Eisklinge und begann seinen Anflug dicht über dem schimmernden Pfad. Ihm gegenüber brüllte Valeries Drache wütend, machte einen Satz nach vorne und schwamm regelrecht durch die Luft. In der Mitte des Spielfelds trafen beide Monster aufeinander. Während [Coral Dragon] mit seinen gehörnten Flossenarmen ausholte, schlug der gereifte Shurit mit seinem Schwert nach seinem Feind. Und Valerie rief: „Falle! [Energy Drain]! Für jede Karte in deiner Hand erhält mein Monster 200 Angriffs- und Verteidigungspunkte für den Rest des Zuges!“ David betrachtete sein Blatt und erwiderte dann: „Das wird nicht reichen, um [Nekroz Of Trishula] zu besiegen!“ Dessen war sich Valerie nur allzu bewusst. Aber sie würde einen weiteren Zug überleben. Eine rote Aura begann um [Coral Dragon] zu brennen …   Coral Dragon [ATK/2400 → 2600 DEF/500 → 700 (6)]   … kurz bevor er erfolglos nach seinem Gegenüber schnappte, nur um durch eine schnelle Drehung des Kriegers enthauptet zu werden. Daraus resultierte eine weiße Schneeexplosion, vor der Valerie sich mit dem Arm schützte. „Hgh!“ Sie stöhnte vor Anspannung, denn der Angriff selbst hatte ihr auch dieses Mal keinen Schaden zugefügt.   [Valerie: 300LP → 200LP / David: 600LP]   Nachdem sich [Nekroz Of Trishula] zu seinem Besitzer zurückgezogen hatte, griff Valerie entschlossen nach ihrem Deck. „Der Verlust von [Coral Dragon] ist ärgerlich, bedeutet für mich aber auch eine neue Chance, denn nachdem er das Feld verlässt, darf ich eine Karte ziehen.“ Und Valerie wusste genau, welche das sein würde. Voller Schwung zog sie nach. „Du bist dran“, meinte David mit einer Geste seiner Hand. Wodurch die Schwarzhaarige gleich nochmal eine Karte von ihrem Deck aufnahm, die nunmehr dritte in ihrer Hand. Er hatte seine Karte nicht ausgespielt? Perfekt! „Ich aktiviere den Effekt von [Gishki Shadow] auf meiner Hand.“ Sprachs und schob dessen Karte in ihren Friedhofsschlitz. „Damit erhalte ich einen Gishki-Ritualzauber von meinem Deck. Mal sehen, welche da noch übrig sind.“ Tatsächlich spielte es für sie keine Rolle. Als sie ihr Deck aus dem Schacht nahm und es durchsuchte, stellte sie fest, dass nur noch [Forbidden Arts Of The Gishki] verblieben war. Alle anderen mussten durch den Effekt von [Pot Of Desires] verbannt worden sein. „Ich wähle diesen hier“, sagte sie und zeigte den Zauber vor, packte ihr Deck zurück in die Disk. Gleich im Anschluss nahm sie eine ihrer anderen Handkarten und klatschte sie mit einem siegessicheren Lächeln auf jene. „Genau fünf Wasser-Monster befinden sich jetzt in meinem Friedhof, weshalb ich dieses hier beschwören kann: [Moulinglacia The Elemental Lord]!“ Hinter ihr schoss augenblicklich eine massive Eissäule aus dem schimmernden Pfad, die das Mädchen bei Weitem überragte. Von oben nach unten schoss ein übernatürlicher Glanz über ihre Oberfläche, bevor sie aufplatzte. Eine fliegende, vogelartige Gestalt erhob sich aus den fliegenden Eisbrocken. Ihr schlangenhafter Körper bestand aus weiß-goldenen Segmenten, von denen sich je mit einem Horn besetzte Flügel spannten. Der Kopf verbarg sich hinter einer goldenen Maske.   Moulinglacia The Elemental Lord [ATK/2800 DEF/2200 (8)]   „Ach, das Ding“, kam es fast schon unbeeindruckt von Davids Seite. „Okay.“ Was Valerie nur umso fuchsiger werden ließ. „Moulinglacias Beschwörung löst auch gleichzeitig seinen Effekt aus! Instant Freeze!“ Ihr Gegner allerdings betrachtete längst seine einzige Handkarte, [Nekroz Of Decisive Armor], die schlagartig von einer dicken Eisschicht überzogen wurde und entsorgte sie auf dem Friedhof, noch bevor Valerie zu einer Erklärung kam. Aber auch wenn er scheinbar gut Bescheid wusste, würde er sein Monster nicht vor ihrem nächsten Angriff beschützen können, ging es ihr durch den Kopf. Sie streckte die Hand weit aus, spreizte die Finger auseinander. „Angriff auf [Nekroz Of Trishula]! Neverwinter Blizzard!“ Ihr Vogel stieg in die Höhe, spannte seine Flügel und schlug sie nach vorn, wodurch er einen mächtigen Schneesturm entfachte. David sah den herannahenden, weißen Flocken und den kleinen Eissplittern, die ihnen beigemengt waren, jedoch unbesorgt entgegen. „Solange [Ritual Cage] aktiv ist, erleide ich in Kämpfen mit Ritualmonstern keinen Schaden!“ Moulinglacias Angriff prallte auf den goldenen Energiekäfig um den Schwarzhaarigen, der nicht einmal eine Schneeflocke hindurch ließ. Doch der Krieger, der vor ihnen stand, wurde gnadenlos weggewirbelt und zersprang schreiend in seinem Flug in die Endlosigkeit. „Ich weiß“, erwiderte Valerie kühl und schob eine ihrer beiden Handkarten in einen der Backrow-Slots ihrer Duel Disk, wodurch die Karte zischend vor ihr erschien. „Zug beendet.“   Jetzt, da er wieder keine Monster kontrollierte, würde er imstande sein, einen neuen Ritualzauber aus seinem Deck zu erhalten, solange er den alten auf seinem Friedhof aus dem Spiel entfernte. Doch … „Draw!“, rief David und seine Augen leuchteten, als sie die gezogene, blau umrandete Karte erblickten. Die kurzerhand von einem langen Schwert aus dem Nichts durchbohrt und ihm aus der Hand gerissen wurde. „Ah!“ Er sah zu seiner Gegnerin auf, die mit verschränkten Armen verharrte. Vor ihr aufgeklappt stand ihre Falle: [Lightforce Sword]. „Für die nächsten vier Züge wird eine Karte auf deinem Blatt verbannt. Keine Ritualbeschwörungen mehr für dich.“ Jetzt war es David, dem der Schweiß auf der Stirn geschrieben stand. Denn außer seiner Zauberkarte [Ritual Cage] besaß er keinerlei Karten mehr. Valerie atmete erleichtert aus, denn jetzt konnte sie ihren Plan endlich in die Tat umsetzen. Sie prophezeite ihrem Gegenüber: „Der nächste Angriff meines Moulinglacias wird dein Ende sein. Geh endlich aus dem Weg!“   Und da kam es plötzlich, völlig aus dem Nichts. Erhabenes Gelächter, dessen Ursprung der auf dem schimmernden Pfad kauernde Sammler war. Der rothaarige Brite hatte sich unbemerkt von Valerie zumindest auf die Knie gerafft, hielt sich mit einer Hand die blutende Wunde in seiner Brust. „Amüsant, Valerie Redfield. Du möchtest meinen Diener mit einer Karte besiegen, die -ich- erschaffen habe?“ Er drehte seinen Kopf über die Schulter und funkelte sie geheimnisvoll an. „Gibt es keine Grenzen bei deinem Verrat mir gegenüber?“ Beim Anblick des edel in schwarzem Anzug gekleideten Mannes gefror Valerie förmlich das Blut in den Adern. Was hatte er da gesagt? Moulinglacia war -seine- Karte!? Fassungslos sah sie hinauf zu der Vogelkreatur über ihr. Dann hatte Anya sie von ihm!? „Ich weiß, was du jetzt denkst. War dieser eine, verhängnisvolle Satz im Halbfinale schon immer da gewesen oder hat der Sammler ihn dazu gedichtet?“, sprach jener süffisant grinsend. „Nun, vielleicht hast du ihn einfach nicht -gesehen-?“ Darauf konnte Valerie nichts erwidern, war wie gelähmt. Erst als der Sammler sich von ihr abwandte und zu husten begann, verspürte sie einen Zorn, der ihr sonst völlig fremd gewesen war. „Ich bin dr-“ „David“, übertönte der Dämon sie jedoch sofort, „benutz' -es-.“ Jener drehte sich erschrocken zu seinem Meister um. „Wirklich!?“ „Tu es.“ Schluckend wandte sich der junge Mann seiner Gegnerin wieder zu. „Du hast ihn gehört. In der Tat gibt es etwas, das ich noch tun kann.“ Anstatt darauf einzugehen, wich Valerie instinktiv einen Schritt zurück. Wenn der Sammler den Befahl dazu gab, musste es etwas Großes sein. Nicht jetzt! Nicht so kurz vor dem Ziel! David ballte eine Faust, die er gegen die Brust presste und schloss seine Augen. „The offering has been accepted.“ Fünf blaue Lichtkugeln stiegen parallel von Valeries, als auch von Davids Friedhofsschächten in die Luft auf, um sich allesamt hinter dem jungen Mann an verschiedenen Punkten zu sammeln. „Summoning Contract established! Witness the creation of the eternal gate!“ Nacheinander tauchten ineinander liegende Steinringe auf. In jedem befand sich eines dieser Lichter, das nun als Runensymbol darin aufleuchtete. Insgesamt zehn dieser Konstrukte bildeten ein riesiges, geschlossenes Tor. „Cover this world with your never-melting love! Open the eternal gate!“ Schlagartig riss David die Hand in die Höhe, sämtliche Bestandteile des Tores schossen weit nach hinten, lösten sich auf und bildeten einen langen, bunten Tunnel in eine andere Dimension. „Ah!“ Valerie traute ihren Augen nicht. Was war das!? Und dann dieser blaue Schriftzug, der plötzlich am erhobenen Arm ihres Gegners zu sehen war, in einer völlig fremdartigen Sprache geschrieben, die die Buchstaben nur erahnen ließ. „Excel Summon! Grade 10, Mother of Ice, [Sneedronningen]!“ Valerie wurde abgelenkt von dutzenden Eissplittern, die durch den Dimensionstunnel an David vorbei schossen. Sie erhob schützend die Arme, erwartete getroffen zu werden, doch etwas anderes geschah stattdessen. Vor dem jungen Mann bildeten sie nach und nach ein Thron aus silbernem Eis. Und als dieser gebaut war, tauchte eine Frau auf, die auf ihm saß. Mehr als: „Was … ist das …?“ bekam Valerie nicht heraus. Auch die Haut dieser Frau war weiß wie Schnee, durchzogen von deutlichen, blauen Adern an ihrem Porzellangesicht. Ebenso das Haar, das sie mithilfe ihrer Krone hochgesteckt hatte. Die Hexe schlug ihre Beine übereinander, die in weißen Stiefel steckten. Und neben einem dicken Eisbärpelzmantel und einem knappen, silber-weißen Kleid trug sie nichts weiter am Leib.   Sneedronningen [ATK/0 DEF/0 X10]   Valerie stand der Mund offen. Excel-Beschwörung!? Was war das, davon hatte sie noch nie gehört!? „Zug beendet“, verkündete David mit gedämpfter Stimme.   Wieder dauerte es einen Moment, ehe Valerie sich überhaupt regen konnte. Sie griff mechanisch nach ihrem Deck und zog [Gishki Vision], welchen sie jedoch nur rudimentär wahrnahm. Sie blickte unruhig in ihr Blatt. Selbst [Gishki Vision] wäre stark genug, um dieses … Ding zu zerstören, damit sie dann mit Moulinglacia den finalen Schlag austeilen konnte. Aber sie befürchtete, dass es genau das war, was David, nein, der Sammler wollte. Also musste sie [Sneedronningen] anderweitig loswerden. Mit ihrem Zauber [Forbidden Arts Of The Gishki]! Wenn sie [Gishki Vision] abwarf, um ein Ritualmonster der Stufe 10 aus ihrem Deck zu erhalten, konnte sie diese Eiskönigin mit ihrem Ritualzauber opfern. Das würde sie zwar ihre Battle Phase kosten, wäre aber sicherer, als blindlings ins Verderben zu stürzen. Wobei … „Suchst du nach einem Ausweg? Ich fürchte, deine Forbidden Arts werden dir nicht weiterhelfen, denn Excel-Monster besitzen keine Stufe“, erklärte der Sammler und erhob sich langsam. Valeries Alarmglocken schrillten. Jetzt musste sie sich beeilen. Aber erst musste sie wissen, was dieses Monster bewirken konnte! Gerade als sie nach einer Taste am äußersten Rand ihrer hellblauen Duel Disk griff, rief David dazwischen: „Schon vergessen? Du kannst nicht nachsehen, insbesondere nicht bei ihr. Aber ich aktiviere den besonderen Effekt von [Sneedronningen] jetzt ohnehin!“ Und plötzlich fühlte es sich an, als würden ihre Glieder gefrieren. Panisch verfolgte Valerie mit, wie die weiße Eiskönigin mit ihrem Finger auf sie zeigte. „Phasenwechsel“, sprachen Valerie und David synchron, obwohl Erstere das weiß Gott nicht beabsichtige. „Dieses Monster“, erklärte derweil der Sammler mit einem Lachen, „ermöglicht es seinem Besitzer, den nächsten Zug seines Gegners zu lenken.“ Unmöglich! Aber Valerie konnte nichts einwenden. Sie war im Bann der Eiskönigin gefangen. „[Moulinglacia The Elemental Lord]“, sprachen sie und David wieder im Einklang, „greife [Sneedronningen] an! Neverwinter Blizzard!“ Entgegen ihres Willens spreizte Valeries Vogelbestie ihre Schwingen und schlug danach nach vorne aus, was erneut einen starken Schneesturm entfachte, welcher die Eiskönigin erfasste. Jene erhob sich im dichten Schneegestöber von ihrem Thron. Für nur einen kurzen Augenblick blitzten ihre Augen hellblau auf – und der Sturm, der an ihr spurlos vorbeizog, wechselte kurzerhand seine Richtung. Ehe sie sich versah, war die Schwarzhaarige darin gefangen. „Sorry, aber das ist das Ende unseres Duells“, sagte David und drehte sich um. „Warte!“, schrie Valerie ihm hinterher, die schlagartig wieder Herrin über ihren Körper war. Doch der Schneesturm war so gewaltig, dass sie kaum dagegen ankämpfen konnte. Sie nahm ihn nur schwerlich wahr, wie er zum Sammler ging, der nun aufrecht stand. „Wartet!“ „Wenn [Sneedronningen] durch einen deiner Angriffe zerstört wird, setzt sie ihre Macht frei. Ihr Fluch friert Herzen ein. Formt sie neu. So kann sie nie wirklich lieben, aber auch nie wirklich geliebt werden. Und ihr Besitzer, er kann nicht gewinnen, aber verlieren auch nicht“, erklärte David zum Schluss mit traurigem Unterton und half dem rothaarigen Dämon, indem er sich seinen Arm nahm und über die Schulter legte. „Wir sehen uns bestimmt wieder, Valerie.“ In dem Moment wurde Valerie durch die schiere Macht des Angriffs von den Füßen gerissen. Sie flog durch die Luft und passierte irgendetwas Weiches – ein Portal.   [Valerie: 200LP → 0LP / David: 500LP → 0LP]   Nur noch Weiß um sie herum. Kälte. Dann ein harter Aufprall. Valerie wurde regelrecht durch die Erde gedrückt, zog eine lange Spur hinter sich. Die Reibung an ihrem Rücken verursachte fürchterliche Schmerzen. Schließlich kam sie zum Stehen. Das Portal einige Meter entfernt schloss sich so schnell, dass Valerie gar nicht reagieren konnte.   Sie war zurück, inmitten des riesigen Kraters in Hollow City. Sirenen erfüllten die Nacht. Keuchend hob sie den Oberkörper an und berührte mit ihrer linken Hand die Stirn. Was war da gerade geschehen!? Sie hatte den Sammler verfolgt, diesen jungen Mann, David, gestellt und gegen ihn gekämpft. Aber all ihre Erinnerungen waren verschwommen. Er hatte Ritualmonster benutzt, genau wie sie, das wusste sie noch. Monster, die sie an ihren Lehrmeister erinnerten. Der Diener des Sammlers hatte ihr kein Haar gekrümmt. Und eine seltsame Beschwörung benutzt, Excel Summon. Aber … es war wie ein Schleier, der ihre Erinnerungen trübte. Etwas Wichtiges, irgendetwas Wichtiges war gesagt worden. Frustriert rammte das Mädchen die Hand als Faust in die Erde. Was spielte das für eine Rolle, der Sammler war entkommen! Verzweifelt blickte sie hinauf in einen klaren Nachthimmel. Was würde jetzt geschehen? Wie würde es weitergehen? In diesem Moment fürchtete sich Valerie vor der Zukunft wie noch nie zuvor.   ~-~-~   „Werdet eins! Werdet [Gem-Knight Master Diamond]!“, hallte Anyas Stimme durch den Weißen Raum. Gardenia lächelte kühl, als sich die violetten Flammen um Anyas Hand sammelten. Das Schwert, das neben ihrer Ritterin steckte, wurde von glänzendem Diamantenstaub umtänzelt. „Amüsant, aber hier endet es“, sprach die Weiße Hexe gebieterisch. Und schnippte mit den Fingern. Ihr serpentinenhafter Dämonendrache spreizte die weiten, gläsernen Schwingen bis zum Anschlag und schlug sie dann nach vorne aus. Ein gewaltiger Sturm wurde dadurch entfacht, welcher von düsteren Flammenherden gezeichnet war, die in Anyas Richtung zischten. „Was!? Ah!“ Jene wurde regelrecht zurückgedrängt durch den Druck, der mit einem Mal auf sie einwirkte. Ihr Pferdeschwanz flatterte wild umher, wie sie sich mit beiden Armen erfolglos gegen den Sturm zu wehren versuchte. Dabei hörte sie Gardenia sagen: „Eine kleine Flamme wie diese wird nicht ausreichen, um mir die Stirn zu bieten. Ich aktiviere den letzten Effekt von [Infernoid Devyaty]. Durch ihr Opfer wird ein Monstereffekt annulliert und sein Auslöser verbannt!“ Vom langen Schweif an begann sich jene Bestie in pechschwarze Flammen aufzulösen, wobei diese die ungefähre Körperform Devyatys beibehielten. Als schließlich alles bis zum Kopf aus dem lodernden Inferno bestand, machte die Kreatur einen Satz nach vorne und schoss auf eine entsetzte Anya und ihre Ritterin [Gem-Knight Lady Brilliant Diamond] zu. Dabei gab sie ein derart schrilles Kreischen von sich, dass es in Anyas Ohren nur so klingelte. Im Flug verschwand auch das Haupt Devyatys, kurz, bevor jene in Lady Brilliant Diamond einschlug. Die daraus resultierende Explosion verschlang die Kriegerin vollkommen. Mehr noch, war sie so heftig, dass es Anya endgültig von den Füßen riss. Jene flog schreiend durch die Luft und legte einige Meter weit entfernt einen ekelhaften Bauchklatscher hin. „Urgh!“ Übelkeit stieg in Anya auf. Sie konnte sich nicht mehr rühren, war ihrer letzten Kräfte beraubt. Schwach hob sie den Kopf an, aber Gardenia war nur noch eine verschwommene Masse vor ihren Augen, mehr nicht. Es war aus. Die Weiße Hexe hatte sie ihrer letzten Hoffnung beraubt. Ohne Monster würde der nächste Angriff ihr Ende bedeuten. Der Kopf des Mädchens sank wieder auf den weißen Marmor. Anya schloss die Augen. Shit …   „Da du nicht mehr imstande bist, etwas zu unternehmen, setzt mein Zug ein“, sprach Gardenia erhaben und zog eine zweite Handkarte. Anya hörte sie nur dumpf, das Schrillen in ihrem Kopf war noch längst nicht verklungen. „Während meiner Standby Phase erscheint eine Infernoid-Spielmarke auf meinem Feld.“ Die Blonde vernahm ein Zischen, wahrscheinlich hatte wieder einer dieser gläsernen Behälter etwas vom schwarzen Feuer um sie herum absorbiert.   Infernoid-Spielmarke [ATK/0 DEF/0 (1)]   „Von meiner Hand aktiviere ich den Zauber [Miracle Dig]. Wenn mindestens fünf meiner Monster verbannt sind, kann ich drei davon zurück auf den Friedhof legen. [Infernoid Attondel], [Infernoid Sjette], [Infernoid Onuncu]!“ Anya hielt die Augen fest geschlossen. Gleich würde die Hexe etwas beschwören. Was würde nach dem Angriff geschehen? Kali hatte ihre Rechnung noch nicht beglichen. Aber jetzt, wo sie in der Hand des Feindes war, gab es keinen Grund mehr für ein alles entscheidendes Duell. Vielleicht würde das Miststück sie erst foltern, bevor sie sie umbrachte … „Ich verbanne die Infernoid-Spielmarke von meinem Feld und Attondel sowie Sjette von meinem Friedhof! Erwache, [Infernoid Onuncu]!“ Grässliches Gebrüll. Dieser dämliche Mottendrache war zurückgekehrt. Mit aller Kraft hob Anya den Kopf an und öffnete noch einmal die Augen. Wieder sah sie nur verschwommen, die riesige Bestie hinter ihrer Gegnerin thronen.   Infernoid Onuncu [ATK/3000 DEF/3000 (10)]   Kraftlos sackte das Mädchen endgültig in sich zusammen. Ihr Kopf knallte hart auf den weißen Boden, der Atem ging nur noch schwer. Das Blut in ihren Ohren rauschte zu allem Überfluss. Als ob sie nicht schon genug schmerzten. „Keine Sorge … Schlaf nur … kurzer Dauer sein …“ Gardenia hörte sie sich an, als wäre sie weit entfernt. Leise, fast unhörbar. Anya schloss die Augen erneut und spürte, wie ihr Körper leichter und leichter wurde. Als würde sie schweben. „Direkter Angriff … Lebenspunkte …“ Stille. War es schon vorbei? Hatte der Angriff sie schon getroffen? Das Mädchen fühlte gar nichts mehr. Wenn sie das nächste Mal die Augen öffnete, würde sie dann Kali erblicken, ohne ihre Maske? Würde ihre Feindin ihr grinsend den Todesstoß versetzen?   Leises Klacken. Das Gefühl kam zurück, auch das Pochen in den Ohren des Mädchens. Alles was sie hörte, klang immer noch gedämpft und hohl, als wäre sie unter Wasser. „Unmöglich … wie … hier!?“ Das war Gardenia. Und sie klang außer sich, so viel konnte Anya selbst in ihrem desillusionierten Zustand erkennen. Eine andere Stimme. Anya erkannte sie nicht. Hell, schwer zu verstehen. „Battle Phase … meines Gegners … Excel Summon! … Excel Dragon!“ Etwas durchfuhr Anyas Körper wie ein Blitz. Da war noch jemand und er kämpfte gegen die Weiße Hexe. Aber wer? Sie musste die Augen öffnen, unbedingt. Zwar fühlten sich ihre Lider schwer wie Blei an, aber trotzdem schaffte das Mädchen es, eines von ihnen genug anzuheben, um neben sich ein Paar schwarzer Schuhe zu sehen. Doch den Kopf genug zu drehen, um zu jener Person aufzusehen, dazu fehlte ihr die Kraft. Doch eine seltsame Wärme erfüllte Anyas Körper plötzlich. Der zurückgekehrte Schmerz verschwand wieder. Sie wurde wieder federleicht. Da war jemand, der sie beschützte. Sie kannte diese schwarzen, akkurat geputzten Schuhe. Es gab einen Menschen in ihrem Leben, der darauf immer besonders viel Wert gelegt hatte. Krächzend fragte sie: „Dad, bist du das?“ Anstatt eine Antwort zu bekommen, sprach die Person mit Gardenia: „Battle Phase … sofort unterbrochen … mein Zug!“ Anya wollte noch etwas sagen, aber ihre Stimme versagte. Ihr Lid senkte sich ungewollt über ihr Auge. Dad! Sie wollte nach ihrem Vater rufen, doch sie tauchte ein. In eine Finsternis, die jedoch nicht das Ende bedeutete.   ~-~-~   „Dad!“, fuhr Anya auf, als sie wieder zu Sinnen kam. Sofort spürte sie eine Hand, die sich auf ihren Rücken legte. „Anya! Gott sei Dank, es geht dir gut!“ Schweißnass saß Anya aufrecht auf ihrem Hinterteil und starrte ihre Erzrivalin Valerie an, deren Stirn bandagiert war. „Redfield!?“ Jene, die neben ihr kniete, stieß einen erleichterten Seufzer aus und umarmte das Mädchen so fest, dass jenem die Luft glatt weg blieb. Verwirrt starrte sie in den strahlend blauen Himmel. „Wo warst du so lange!?“, hörte sie die tadelnde Stimme eines anderen Freunds. Erst jetzt wurde sie sich ihrer Umgebung richtig gewahr. Sie saß an genau dem Fleck, an dem sie sich mit Kali duelliert hatte – im riesigen Ephemeria Bridge Stadion. Ihr gegenüber stemmte Zanthe, trotz seiner strengen Worte, mit einem erleichterten Lächeln auf den Lippen seine Hände in die Hüften. Matt neben ihm sah nicht ansatzweise so glücklich aus, lächelte aber gutmütig, als ihre Blicke sich streiften. Und dann bemerkte Anya, dass ihre drei Freunde nicht die einzigen Anwesenden waren. Um sie herum verharrten drei riesigen Gestalten. Die Undying. „Shit!“, keuchte sie sofort, doch Matt gebot ihrer aufkeimenden Panik mit einer Handgeste Einhalt. Der Dämonenjäger sagte: „Keine Sorge, sie sind nicht unsere Feinde.“ „W-was?“ Valerie ließ endlich von ihr ab, sah sie immer noch besorgt an. „Sie haben uns geholfen dich zu finden. Anya … du warst zwei Tage lang spurlos verschwunden. Die Weiße Hexe hat dich gefangen genommen.“ „Eine Menge ist passiert“, fügte Zanthe ernst hinzu, „Ricther hat gegen den Sammler gekämpft, Matt und Valerie haben ein Bündnis mit den Undying geschlossen und es wäre ihnen beinahe gelungen, unseren Lieblingsmanipulator zu töten.“ Vor so viel Input auf einmal klappte Anya glatt die Kinnlade hinunter. Ricther, der hinter den beiden Jungs stand, trat an ihnen vorbei. Seine gold-silberne Rüstung glänzte in der Morgensonne. „Wir haben eine Menge zu besprechen, Anya Bauer.“ „Macht mal halblang, seht sie euch an, sie-“, wollte Zanthe dazwischen gehen, doch Matt hielt ihn mit einer Hand zurück und deutete auf das Mädchen. Der Werwolf sah jenes genau an, was ihm schließlich ein erstauntes: „Huh!?“ entlockte.   Anya sah daraufhin verwirrt an sich herab. Zwar war ihre Kleidung zerschlissen von all den Kämpfen, doch ihre Wunden waren spurlos verschwunden. Erstaunt davon hob Anya ihre rechte Hand an und betrachtete sie. „Wie …?“ Fragend sah sie nach links, wo die Undying in weißer Robe, Zed, neben ihr verharrte. „Habt ihr mich gerettet?“ Sie drehte sich zur anderen Seite, wo der bandagierte Stoltz sie mit einem nicht zu interpretierenden Blick musterte. „Sagt mir nicht, die verdammte Mördermumie-!?“ „Anya“, rief Matt ihre Aufmerksamkeit zu sich, „niemand von uns hat dich gerettet. Die Undying haben nur mitbekommen, dass du hier aufgetaucht bist und uns dementsprechend hierher gebracht.“ Ricther vor Zanthe und Matt nickte. „Erkläre mir, Anya Bauer, wie bist du aus dem Weißen Raum entkommen?“ Worauf das Mädchen nur irritiert stammeln konnte: „Ich glaube, da war jemand, der mir geholfen hat. Aber wenn es keiner von euch war …“ Und Valerie vollendete den Satz: „… wer dann?“     Turn 88 – Goodbye For Now Nach ihrer Rettung heißt es für Anya Abschied von Ephemeria City zu nehmen. Während der Fahrt zum Flughafen lässt sie die Geschehnisse der letzten zwei Jahre Revue passieren. Bis eine unerwartete Begegnung … Kapitel 93: Turn 88 - Goodbye For Now ------------------------------------- Turn 88 – Goodbye For Now     „Dein Koffer packt sich nicht von alleine“, schnarrte Zanthe im Hintergrund. Entgegen der eindeutigen Aufforderung sah Anya jedoch aus dem großen Panoramafester ihres Hotelzimmers, betrachtete gedankenverloren den Wolkenkratzer gegenüber, der einmal mehr auf dem holografischen Display Werbung von Claire Rosenburg zeigte. Wie war sie hier überhaupt gelandet, fragte sich Anya?   Vor etwas über einem Jahr begann meine Reise ins Verderben. Der Immaterielle Another versuchte das Tor Eden zu öffnen, um seinem Volk die Flucht von der Erde zu ermöglichen, die schon bald einer Bedrohung namens 'wahrer Feind' ausgesetzt sein würde. Doch er scheiterte, das Tor wurde zusammen mit dem ihm beherbergenden Turm von Neo Babylon zerstört und alles änderte sich für mich und meine Freunde, die Teil von Anothers Plan waren, zum Guten.   Anya legte die Hand auf das Glas, wechselte ihren Fokus auf die eigene Reflexion in der Scheibe.   Zumindest hätte es so sein sollen. Aber vor ein paar Monaten wurde ich vom Diener des Sammlers, Kyon, zu diesem geführt. Er, der mir schon in der Vergangenheit geholfen hatte, Another zu entkommen, war letztendlich derjenige, der bei all dem irgendwie seine Finger im Spiel hatte. Ob alles von Anfang an von ihm arrangiert worden war oder ob er lediglich die Gunst der Stunde genutzt hatte, das habe ich nie wirklich herausgefunden. Er stellte mir ein Ultimatum. Vom Tag dieser Begegnung an würde ich in 100 Tagen sterben, sofern ich nicht bestimmte Gegenstände für ihn sammeln würde. Die Hüterartefakte. Damals sagte er mir nicht, was er damit beabsichtigte.   „Wie lange willst du noch Löcher in die Luft starren?“, maulte Zanthe hinter ihr, der längst mit dem Packen fertig war und ungeduldig wartend auf dem Bett in der Mitte saß. „Wenn wir wegen dir den Flug verpassen, werde ich dich eigenhändig erwürgen. Ich will nur noch raus aus dieser Stadt.“ Genervt drehte sich Anya zu ihm um. „Halt die Klappe, Flohpelz!“   Kurz darauf musste ich auch noch erfahren, dass Nick mir all die Jahre etwas vorgelogen hatte. Er war gar kein Idiot, sondern tatsächlich ein Meisterhacker und Genie. Also ein ziemlich kluger Idiot. Glaub ich zumindest. Aber hey, er ist jetzt nützlicher als jemals zuvor, also beklage ich mich nicht – auch wenn ich sein schlechtes Gewissen noch eine Weile ausreizen werde. Wenig später begegnete ich dann Zanthe, dem ersten Hüter und Eigenbrödler, der lieber in einer engen Höhle hauste, statt unter die Leute zu gehen. Ich konnte ihn besiegen und gewann [Angel Wing Dragon] … und nicht ganz freiwillig seine Freundschaft. Aber er ist ganz okay, glaube ich. Seitdem begleitet er mich. Kurz nach unserer Rückkehr wurde Nick von Kali angegriffen, die einen ziemlichen Groll gegen mich hegt, warum auch immer. Die dämliche Kuh arbeitet mit Zachariah, meinen Bruder, zusammen und hat mir sogar die Duel Disk meines Vaters gestohlen. Anya stöhnte laut auf und löste sich endlich vom Fenster, schlenderte zu ihrem Bett in der Ecke, auf dem ihr offener, chaotischer Koffer lag.   In dem Zeitraum bin ich auch zum ersten Mal dem Zwerg begegnet, Logan. Er hat mir mehr als einmal aus der Patsche geholfen, zum Beispiel indem er das andernfalls tödlich endende Duell mit Zach unterbrach oder mir sein D-Pad lieh. Er ist etwas wortkarg, aber ebenfalls jemand, den ich einigermaßen ertrage. Anders als eine andere Person, die einige Tage später ihre Hochzeit feierte. Oder eher feiern wollte, doch 'leider' kam etwas dazwischen. Zwei Dämonenjäger namens Harris und Edna, die die ganze Party gecrasht haben. Das war eine Schlacht. Alle waren gekommen um diesen besonderen Tag meiner Erzfeindin Redfield zu feiern. Die Schnöselgeschwister Henry und Melinda, meine beste Freundin Abby … nur 'unsere' Dämonenjäger Matt und Alastair nicht. Matt ist übrigens der mit dem schwarzen Haar da drüben, der irgendwie alles, was er anpackt, gründlich versemmelt. Vielleicht ganz gut so, dass er mit Abwesenheit geglänzt hat.   „Was guckst du mich so an?“, fragte der Dämonenjäger im schwarzen Hemd verwirrt, als Anya ihn die ganze Zeit beim Packen anstarrte. Die grinste schelmisch. „Nichts.“   Nachdem Marc, Redfields Verlobter, in einem Wutausbruch diesen Harris durch die Wand gejagt hatte, mussten die beiden Kackbratzen notgedrungen fliehen. Weil alle glaubten, die wären wegen mir da gewesen, habe ich meinen Freunden letztlich von meinem kleinen Sammler-Problem erzählt. Tja und kurz darauf saß ich dann in einem Zug nach San Augustino, wo Matt und Alastair sich zur Ruhe gesetzt hatten. Ausgerechnet in so einem schäbigen Waisenhaus. Ich hab gleich gemerkt, dass die am liebsten gar nichts mehr mit mir zu tun haben wollten, so abweisend wie sie waren. Aber sie haben mir geholfen, den zweiten Hüter zu beschwören, Drazen. Keiner hätte ahnen können, dass der nach seinem Duell mit Matt den Löffel abgibt, weil er nur durch das Hüterartefakt [Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T] über Jahrhunderte hinweg kaum gealtert ist. Und als wäre das nicht schon genug gewesen, ist dann noch ein Wesen aufgetaucht, das sich selbst als Undying bezeichnet: Stoltz. Gekommen um all jene, die die Hüterartefakte an sich reißen, zu bestrafen, hatten ich, Zanthe und Matt selbst zusammen keine Chance gegen ihn und mussten fliehen.   „Fertig“, meinte Anya schließlich, nachdem sie die restlichen ihrer Klamotten in den Koffer gestopft und diesen mit roher Gewalt gerade so zum Schließen gebracht hatte. Zanthe sprang vom Bett auf. „Können wir jetzt endlich auschecken?“   Nachdem -wir- aus Hotel Bruchbude ausgecheckt hatten, wohlgemerkt mit Matt im Gepäck, gings wieder zurück nach Livington. Nick hatte irgendwas angestellt und sich am Arm verletzt und war seitdem auch irgendwie sehr komisch drauf, aber mein eigentliches Problem war Logan. Ich kann nicht mal mehr genau sagen, was mich geritten hat, aber nach einem Freundschaftsduell gegen ihn hab ich ihm alles über mich erzählt. Mit dem Resultat, dass er mich für eine Lügnerin hielt und im Streit abgehauen ist. Wenig später hat sich dann so ein dubioser Typ namens Aiden Reid bei mir gemeldet und wollte mich unter dem Banner seiner Firma beim Legacy Cup anmelden, einem Turnier, in dem der Sieger die Chance erhielt, die amtierende Weltmeisterin Claire Rosenburg auf ein Duell herauszufordern. Nick aber wollte das nicht, sagte mir, dass man Aiden nicht vertrauen könne. Als ich das Treffen mit Nick und Aiden etwas 'aufgebracht' verließ, traf ich auf einen weiteren Undying namens Ricther, der mich ebenfalls töten wollte, wenn ich die Jagd nach den Hüterartefakten nicht abbrach. Aber was sollte ich sonst tun!? Am Ende konnte ich ihn mit Levriers Hilfe in die Flucht treiben, doch das sollte nicht das letzte Mal sein, dass ich ihm begegne. Außerdem musste ich am Legacy Cup teilnehmen, denn ausgerechnet Claire Rosenburg war eine der Hüterinnen und galt ansonsten als unerreichbar.   Inzwischen saßen Anya, Matt und Zanthe auf der Rückbank eines Taxis. Sie waren auf dem Weg zu Valeries Hotel, da diese denselben Flug zurück in die Heimat nehmen würde wie sie. Anya stöhnte. Sie musste sich noch bei ihrer Erzfeindin bedanken, wohl oder übel.   Aber nicht nur bei ihr, auch bei Melinda und Henry. Wären sie nicht gewesen, hätte ich wohl nie am Legacy Cup teilnehmen können. In einem fingiertem Duell während eines Presse-Events haben sie mir Zutritt verschafft. Dass sie dabei mit Nick zusammengearbeitet haben, erfuhr ich erst danach und ebenso, dass beide sich während des Duells zurückgehalten haben. Aber dieses eine Mal war es okay. Nicht okay war dagegen, dass irgendeine Kuh während dieses Abends mein Deck gestohlen hat und damit auch meine beiden Hüterkarten. Ich habe zwar versucht, zusammen mit Melinda und Kameraaufnahmen herauszufinden, wer dieses Miststück war, doch außer das Material Nick zuzusenden, konnten wir nicht viel tun. Ausgerechnet dann griff mich auch noch die dritte der Undying, Zed, an und das nicht etwa in einem Duell, sondern in meinem eigenen Verstand. Hätte sich Levrier nicht eingemischt und sie kurzerhand in meinem Elysion ihres Platzes verwiesen, wäre ich wohl ungewollt eine Brücke heruntergesprungen und ertrunken.   Als Valerie dazu stieg, begann Matt zu strahlen, wie Anya aus den Augenwinkeln bemerkte. Obwohl sie zu viert kaum Platz auf der Rückbank hatten, bestand der asiatische Taxifahrer mit allem Nachdruck, dass -niemand- den Beifahrerplatz benutzte. Anya konnte sich beim besten Willen nicht erklären warum. „Alles okay?“, fragte die Schwarzhaarige von der anderen Seite des Wagens. „Du siehst abwesend aus. Sind deine Wunden noch nicht verheilt?“ „Mir geht’s gut“, murrte Anya.   Typisch Redfield. Obwohl es ihr selber wohl kaum gut geht, sorgt sie sich mehr um andere als sich selbst. Deswegen hat sie mich auch extra einen Tag vor Beginn des Turniers auf ein Stadtfest mitgenommen, nur um mich aufzuheitern. Dort bin ich auch das erste Mal Othello Nikounaussprechlich begegnet, dem Rollstuhl-Kiddo, das inzwischen als Pionier der Pendelbeschwörung gilt. Damit hatte er Marc an diesem Abend ziemlich fertig gemacht. Ich hatte mich mit dem Gedanken abgefunden, mir an irgendeinem Stand Karten zu kaufen, um ein neues Deck zu bauen, als mir plötzlich Logan über den Weg lief. Alles war … irgendwie wieder okay zwischen uns, er hat mir sogar sein Deck für das Turnier geliehen. Der blöde Flohpelz spottet immer, dass er mein Ritter in glänzender Rüstung wäre und wenn ich ehrlich bin, irgendwie war er das auch. Was ihm aber niemand extra aufs Brot zu schmieren hat!   Während die anderen sich unterhielten, fiel Anya ganz erschrocken ein, dass sie Logan sein D-Pad und das Deck ja noch zurückgeben musste. Irgendwann. Sofort sank sie betrübt in ihren Sitz zurück. „Shit …“   Die Vorrunden des Turniers fanden im Ephemeria Bridge Stadium statt. Unter offenem Himmel wurden auf unzähligen Duellfeldern acht Runden ausgetragen, bei denen wir nach Punkten bewertet wurden. Bei mir lief es nicht schlecht, aber ein einziger, verdammter Punkt hatte mich von den Endrunden getrennt. Zumindest bis zu dem Augenblick, als einer der Turnierteilnehmer freiwillig aufgab und ich nachrutschte. Darüber freuen konnte ich mich aber nur sehr kurz, denn wie sich herausstellte, war mein dämlicher Bruder ebenfalls mit dabei. Und der sollte im Achtelfinale auch noch mein erster Gegner werden. Um ein Haar hätte er mich vor einem Millionenpublikum mit seiner verfluchten Zauberkarte [Noble Arms – Excaliburn II] abgeschlachtet, aber Levrier, den er ebenfalls arg durch die Mangel genommen hatte, konnte ihn angemessen für seine Dreistigkeit bestrafen.   Anya grinste, als sie aus dem Fenster die Stadt an sich vorbeifliegen sah. Nebenbei hörte sie zu, wie Zanthe und Matt über die übrigen Hüter diskutierten. „… noch knapp einen Monat und gerade mal drei Artefakte“, meinte der Werwolf, „und von den übrigen vier Hütern wissen wir nur um die Identität eines einzigen mit Gewissheit, und nicht einmal dessen Aufenthaltsort.“ „Erfolgreich war das nicht“, gab Matt ihm Recht. „Aber …“ Doch die Blonde, die wusste, dass sie lieber zuhören sollte, driftete trotzdem im Gedanken ab.   Matt war während ihres Achtelfinalspiels extra nach Greenville gereist, um den dort lebenden Hüter, Mr. Carrington, zu besuchen. Dort wurde er von diesem seltsamen Lee Anderson-Typen, sozusagen dem Diener der Familie, angegriffen. Es stellte sich heraus, dass Mr. Carrington längst gestorben und seine Kräfte auf jemand anderes übergegangen waren. Matt vermutete inzwischen, dass dieser jemand Harris war, Ednas Partner, aber wirklich sicher war er sich nicht. Aufs Maul bekommt der aber so oder so noch mal extra, so viel steht schon mal fest! Was Nick in der Zeit getrieben hat, keine Ahnung. Vermutlich für seine neue Firma gearbeitet, irgendeinen Pakt mit einem Programmierdämonen eingegangen, um für Erfolg zu sorgen, was weiß ich! Natürlich hat mir keiner zugetraut, im Viertelfinale den Ex-Weltmeister Jack Leonhard Jr. zu besiegen, der am Ende irgendwie enttäuschend schwach war. 'kay, vielleicht lag es an der wirklich guten Vorbereitung, die vielleicht auch ein bisschen Summers und dem Flohpelz zuzuschreiben ist, aber hey, das hätte ich auch ohne die geschafft, klar!? Da ich es inzwischen gewohnt war, aus dem Nichts angegriffen zu werden, hätte es mich ehrlich gesagt nicht überraschen dürfen, dass ich auf dem Rückweg ins Hotel beinahe von so einem merkwürdigen Samurai-Masken-Dämon gekillt worden wäre. Dass aber Ricther sich eingemischt und vor mich gestellt hat, damit hätte wohl keiner gerechnet. Ebenso, dass so ein merkwürdiger Blondschopf mit Rasterzöpfen ebenfalls mit von der Partie war und den Chef der Undying in feine Scheibchen schnippeln wollte. Das war das seltsamste Vierer-Duell meines Lebens, dem ich dank des Blondies knapp entkommen konnte. Der verschwand dann auch genauso schnell wieder, wie er gekommen war.   Das Taxi hielt schließlich vor dem Haupteingang des Flughafens an, dessen Front aus einer riesigen, weitflächigen Glasfassade bestand. Der ganze Bereich war überdacht, gestützt von schweren Säulen, die den Duel Monsters-Charakteren [Elemental HERO Neos] und [Dark Magician] nachempfunden waren. Überall waren Leute, viele mit D-Pads und Duel Disks an den Armen.   In dem ganzen Wirrwarr hatte ich meine 'Pitchest Black List' vergessen, auf der die Namen all jener standen, die einmal von mir ohne Fremdeinwirkung im Duell besiegt werden mussten. Das waren an die zwanzig Stück, ohne Scheiß! Eine der ersten war Melinda, mit der ich wegen der Turniersache sowieso noch ein Rematch auszutragen hatte. Dabei wollte ich auch gleich lernen, wie man Pendelmonster am besten besiegt, aber auch wenn ich gewonnen hatte, klappte das nicht so wirklich. Redfield war ihrerseits auf denselben Gedanken gekommen, besonders weil Othello es zu diesem Zeitpunkt ebenfalls weit im Turnier gebracht hatte. Wie passend, dass das erste Halbfinale dann aus der Begegnung zwischen uns beiden bestand, ihr und mir, Rivalen bis aufs Blut. Inzwischen hatte Nick mein Deck zurück organisiert, sodass ich wieder in alter Stärke auftreten konnte. Seltsame Dinge geschahen während des Duells, auf die ich nicht näher eingehen möchte, weil sie allein der Blödheit der Schwanenprinzessin zuzuschreiben waren. Oder sollte ich noch 'gefallenen' hinzufügen? Denn das Duell, das eigentlich mit ihrem Sieg hätte enden sollen, wurde im letzten Zug unterbrochen, da sie eine verbotene Karte gezogen hatte. Ohne ein Wort ihres Unschuldsbekenntnisses zu glauben, wurde sie vom Turniergremium disqualifiziert. Idioten! Wer war so dumm, auf so plumpe Weise zu betrügen? Ich bin bereits am nächsten Tag auf die Antwort gestoßen, wer ihr die Karte untergejubelt hatte: Butcher! Ausgerechnet Redfields Verlobter! Hatte Schiss bei dem Gedanken bekommen, Redfield würde sich gegen die unbesiegte Claire Rosenburg duellieren, die genau wusste, dass wir hinter ihr her waren und weil seine Worte nicht bei Redfield ankamen, hat er die beschissene Karte in ihr Deck gemogelt. Im Nachhinein hätte ich einfach die Klappe halten sollen, aber diese Dummheit, diese Ungerechtigkeit hat mich einfach angekotzt. Der Pfosten hat es auch nicht besser dadurch gemacht, indem er sich in aller Öffentlichkeit zu der Tat bekannt hatte – Redfields Ruf war bereits ruiniert und daran wird wohl so schnell niemand mehr etwas ändern können …   Als alle aus dem Taxi gestiegen waren, wurden sie sofort von zwei Reporterinnen samt Kameramännern angesprochen, die scheinbar gehofft hatten, Teilnehmern des Legacy Cups zu begegnen. Entgegen Anyas Vorstellungen, die beiden aufgetakelten Weiber zu verprügeln, riet Valerie ihr dazu, einfach ein paar Sätze in die Kamera zu sagen. Währenddessen bezahlte Matt den Taxifahrer. Halbherzig nuschelte die Blonde ein paar positive Worte über ihr Duell gegen Othello.   Yeah, letztendlich hatte das Rollstuhl-Kiddo sich gegen Kakyo Sangon durchsetzen können, der mich während der Vorrunden besiegt hatte. Ich meine, der Tag konnte doch nur beschissen laufen, wenn du aufstehst und unter deinem Bett eine Kackbratze mit Rotzbremse siehst, die dir anscheinend die ganze Zeit nachgestalkt ist. Das war dieser Typ, Lee, den Matt sich irgendwie eingetreten haben musste. Anscheinend hat seine Herrin ihn geschickt, um Infos mit uns zu teilen, die er aber nicht ausspucken wollte. Da wir keine Zeit für ihn hatten, mussten wir ihn geknebelt im Badezimmer zurücklassen, von wo er irgendwie entkommen ist. Mein Duell gegen Othello und damit der letzte Stein im Weg zu Claire Rosenburg war einfach wichtiger. Leider erwies sich der Knirps als knallharte Nummer mit tragischer Geschichte. Durch einen Unfall wurde sein Herz zerstört. Das Spenderherz wurde von seinem Körper abgestoßen, bei der Transplantation eines künstlichen fing er sich eine böse Infektion ein, die seitdem an ihm nagt. Ich kann selbst nicht mehr nachvollziehen warum, aber irgendwas in mir wollte das Duell aufgeben, um ihm seinen Traum zu verwirklichen, als Schlächter von Claire Rosenburg in die Geschichte einzugehen. Zum Glück konnte er mich aus diesem Sentimentalitätsalbtraum aufwecken, sodass wir das Duell ohne solchen Blödsinn beenden konnten. Tja, er hat mich geschlagen. Leider hatte er bei dem blonden Biest nicht so viel Glück. Die hat ihn zerlegt, nicht anders herum. Mein Plan, ihn als Stellvertreter für mich ins Rennen zu schicken und ihr Artefakt heimlich zu mopsen, ging damit nicht auf. Aber hey, dafür habe ich einen neuen Freund gewonnen. Immerhin etwas, schätz' ich.   Anya starrte so abwesend an den Reporterinnen vorbei, dass sie gar nicht bemerkte, wie die nun Valerie mit Fragen beharkten. Die wich erschrocken zurück und bat darum, nicht weiter befragt zu werden. Die Schnepfen ließen allerdings nicht locker. Da so viel Ehrgeiz selbst die Blase von Anyas sowieso viel zu vernachlässigter Gedankenwelt durchdrang und damit zu einem unerwünschten Störfaktor wurde, musste die Blonde gezwungenermaßen einschreiten. „Lasst sie in Ruhe!“, fauchte sie und stellte sich vor die Größere. „Ich bin hier der Star, verstanden? Wenn ihr Fragen habt, dann stellt sie gefälligst mir!“ „Danke“, hörte sie Valerie leise hinter sich murmeln. Matt und Zanthe stellten sich ebenfalls vor die Schwarzhaarige, wobei Letzterer freundlich meinte: „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass Miss Redfield gerade keinen Kopf für solche Interviews hat. Das, was ihr Verlobter getan hat, ist nicht so leicht zu verdauen. Geben Sie uns Ihre Visitenkarten. Sie wird sich melden, sobald sie darüber reden möchte.“ Zwar sahen die beiden Damen vom Fernsehen alles andere als überzeugt aus, nickten sich aber gegenseitig zu, um nicht selbst in einem schlechten Licht dazustehen. Zanthe bekam die gewünschten Karten und schmiss sie, als sie das Innere des riesigen Flughafens betreten hatten, in den nächstbesten Mülleimer.   Tja, mit Othellos Niederlage war mein Plan B vielleicht in Rauch aufgegangen, doch Plan A, Claire selbst zu stellen, hatte sich bereits im Vorfeld wieder, nun, auf den Plan gerufen. Als ich Othello die Handschuhe des Sammlers gegeben hatte, waren mir Claire und ihr Manager, Nigel McPherson, im Gang der Duellarena begegnet. Sie bot von sich aus an, in zwei Tagen ein Duell auszutragen. Jedem von uns war klar gewesen, dass das nur eine Falle war, um mich, die Bedrohung, auszuschalten. Zusammen mit Logan habe ich mich auf das angekündigte Riding Duel vorbereitet. Es war ein cooles Gefühl, auf einem Motorrad zu sitzen, während man sich duellierte. Auch wenn derjenige, der sich das ausgedacht hat, trotzdem nicht ganz knusper ist. Dann kam er auch schon, der Tag der Abrechnung. Claire war eiskalt und unantastbar, so schien es. Aber mehr war es auch nicht, wie ich letztlich durch Nick erfuhr. Nur Schein. Schall und Rauch. Claire war eine Betrügerin, die durch einen Pakt Unbesiegbarkeit erlangt hatte. Vor Wut hätte ich sie am liebsten kalt gemacht – Ich meine hey, die Riding Duel-Strecke wurde durch unser Duell schon genug demoliert, wen hätten da noch ein paar Körperteile gestört!? – aber Levrier musste sich ja wieder einmischen. Tch! Ich habe alles gegeben, aber selbst mit den neuen Karten aus dem Deck, das Mr. Palmer mir geschickt hat, konnte ich sie nicht besiegen. Irgendetwas hat mich kurz vor der Ziellinie, welche ich als Alternativmethode zum Sieg als Erste hätte überqueren müssen, gerammt und von der Strecke geschmissen. Dabei ging nicht nur Logans D-Wheel drauf, nein, auch sein guter Ruf. Denn wie sich herausstellte, wollte McPherson die Zerstörung der Strecke dazu nutzen, mich hinter Gitter zu bringen. Und dann hat dieser blöde Zwerg die Schuld dafür auf sich genommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Shit!   Als sie endlich am Schalter zum Check-In an der Reihe waren, suchte Anya mit ihrem Blick die Menschenmenge um sie herum ab. Kein bekanntes Gesicht darunter. Othello war bereits abgereist, das wusste sie. Aber was war mit Marc? Wo war der abgeblieben? Valerie hatte nicht darüber gesprochen.   Dieser Nigel McPherson, der in Wirklichkeit der Dämon war, mit dem Rosenburg ihren Pakt geschlossen hatte, stellte sich mir in den Weg, als ich das blonde Biest endgültig fertig machen wollte. Er lud mich zu sich nachhause ein, um die Sache ein für allemal fernab der Öffentlichkeit zu klären. Pech für ihn, denn am selben Abend erhielt ich eine Herausforderung von Kali. Statt selber zu erscheinen, hab ich Zanthe zu McPherson vorgeschickt, der mir letztlich das Artefakt gewinnen konnte. Denn der wahre Hüter war Nigel. Rosenburg war nur als Ablenkung gedacht. Sie konnte einen Teil der Kraft des Artefakts nutzen, war jedoch nicht seine rechtmäßige Besitzerin. Oder irgendwie so.   Parallel dazu waren Summers und Redfield zusammen unterwegs, als sie von Mystery Demon himself dazu aufgefordert wurden, den Sammler umzunieten. Dazu brauchten sie aber ein Schwert, das sich im Besitz der Undying befand. Summers, der Vollpfosten, hat sich von Redfield dazu breitschlagen lassen, die Gruselmumie zu beschwören, um durch das Portal ins Versteck der Undying zu gelangen. Das hat zwar geklappt, aber Zed hat sich ihm in den Weg gestellt. Ausgerechnet Redfield, die hohle Nuss, hat ihn in letzter Sekunde gerettet und die Undying dazu gebracht, das überdimensionale Brotmesser rauszurücken und beim Anschlag auf den Sammler zu helfen.   Ironischerweise war der gerade damit beschäftigt, sich gegen Ricther zur Wehr zu setzen, welcher eigenständig zum Entschluss gekommen war, mir zu helfen. Hat ja auch nur ein paar Wochen gedauert! Gerade als der Sammler erfolglos all seine Kräfte gegen den Blechhelm aufgewendet hat, haben Redfield, Summers und Zed den vermeintlich tödlichen Schlag ausgeführt. Nur hat das nicht gereicht. Als sich dann auch noch ein neuer Verbündeter des Sammlers, irgendsoein Typ namens David, einmischte und kurzerhand Stoltz und Ricther einfror, nahm alles eine beschissene Wendung. David verhalf dem Sammler zur Flucht und es gelang Redfield nicht, sie daran zu hindern.   „Alles in Ordnung?“ Anya sah Matt an, der neben ihr her lief. Vor ihnen unterhielten sich Valerie und Zanthe über irgendeinen Schauspieler. Sie befanden sich auf dem Weg zu ihrem Gate, oder besser gesagt zu dem Wartebereich davor. Es war bereits in Sichtweite. Groß mit raumhohen Fensterfronten zur Rechten, die Blick auf die Start- und Landebahnen gewährten. In drei Reihen standen dort Sitzbänke, von denen nur wenige Plätze besetzt waren. Und Matt starrte Anya abwartend an, die erst jetzt kratzbürstig erwiderte: „Natürlich. Was soll sein?“ „So gedankenverloren habe ich dich ja noch nie erlebt.“ Er zuckte mit den Schultern. Zanthe vor ihnen kicherte böse. „Sie vermisst ihren Lover.“ „Schnauze, Flohpelz!“, fuhr Anya den Werwolf an und trat nach ihm, selbstverständlich erfolglos. Tatsächlich hatte sie nicht einmal mehr Zeit gehabt, Logan noch einmal zu besuchen. Aber die scheiß Bullen hätten sie vermutlich eh nicht zu ihm gelassen, solange er in Untersuchungshaft saß. Auch Valerie drehte sich zu ihr um. „Das tut mir leid für dich, Anya.“ „Kch, er ist nicht mein Lover!“, keifte die knallrot zurück. Die hatten doch keine Ahnung!   Während alle ihren 'Spaß' hatten, musste ich mich mit Kali rumschlagen, die mal wieder ein riesiges Gewese um ihre Identität machte, ohne die aber zu lüften. Am Ende hab ich sie fertig gemacht, konnte aber nicht herausfinden, wer diese blöde Kuh ist, die mir dauernd das Leben schwer macht. Denn wer musste sich einmischen? 'türlich, mein dämlicher Bruder. Aber auch mit dem hab ich kurzen Prozess gemacht. Aber nein, zwei Duelle reichen ja nicht! Kaum war der Idiot vom Platz gefegt, tauchte die Weiße Hexe Gardenia auf, die anscheinend sowas wie die Mutti der Komplettgestörten ist. Sprich deren Mentorin. Und verdammt, die Alte hatte es in sich. Hat mich erstmal in den Weißen Raum transportiert, in dem die Zeit schneller verging und von dem es angeblich kein Entkommen gab. Das Miststück hat mich fertig gemacht. Shit, ich dachte, ich müsste sterben. Aber irgendwer … irgendwer hat mich gerettet. Plötzlich war ich wieder zurück, inmitten meiner Freunde und den Undying. Yeah, die waren auch da. Und nachdem die ersten Unklarheiten beseitigt waren, ging's ans Eingemachte … Anya schloss die Augen, erinnerte sich an den Moment, als Ricther ihr aufhalf.   Noch völlig verwirrt von der Tatsache, dass keiner unter den Anwesenden in den Weißen Raum der Hexe Gardenia eingedrungen war, blicke Anya an Ricther hinauf. Sie befanden sich inmitten des riesigen Ephemeria Bridge Stadions, über dem gerade die Sonne aufging. „Wer könnte infrage kommen?“, fragte Matt, der neben dem Hünen von Undying stand ebenjenen. „Dieser Sache werden wir uns später annehmen. Anya Bauer“, sprach jener an das Mädchen gewandt, das neben ihrer Freundin Valerie auf dem Hintern hockte, „steh auf.“ Zu ihrem Erstaunen reichte er ihr seine, in einem silbernen Handschuh steckende, Hand. Erst jetzt fiel ihr auf, wie zerkratzt seine gold-silberne Rüstung doch war. Als sie die Geste annahm, wurde sie regelrecht von seiner Kraft hochgerissen. Noch immer skeptisch fragte sie: „Frieden? Wirklich?“ Der Hüne nickte. Hinter ihr erklärte die schwarzhaarige Zed: „Es ist Zeit für uns zu erkennen, dass unser bisheriges Vorgehen ineffektiv war.“ „Der Sammler ist ein gemeinsamer Feind, den wir nicht länger ignorieren können“, setzte Ricther die Ansprache fort, „ich habe diverse Gründe zu glauben, dass es nicht ausreichen würde, dich zu töten.“ Anya funkelte ihn böse an. „Na dann, danke?“ Und Zanthe sprach aus, was ihr bereits im Kopf rumschwirrte. „Soviel zu unserer Zusammenarbeit mit euch. Aber was jetzt?“ „Wir werden uns um den Sammler kümmern.“ Anya spürte, wie Ricther sie hinter seinem federbesetzten Helm anstarrte. „Teil unserer Abmachung wird sein, dass ihr keine weiteren Schritte gegen die verbliebenen Hüter einleitet.“ Trotzig erwiderte das Mädchen: „Nur, wenn ihr dafür sorgt, dass ich nicht abkratzen muss!“ „Auch dessen nehmen wir uns an“, versprach Zed. „Doch dazu werden wir uns ein anderes Mal mit dir unterhalten.“   Anya wandte sich von ihren Freunden und Ricther ab, was sie zwangsweise in Stoltz' Richtung führte, der etwas abseits der anderen nahezu wortlos verharrte. Er grinste. Dämliche Mumie, ihn hasste sie von den dreien am meisten! Wenn bloß ihr verdammter Kopf nicht so dröhnen würde. War diese Zusammenarbeit wirklich das Beste? Vermutlich. Beim Sammler würde sie sich wohl nicht mehr blicken lassen dürfen, nach dem, was Redfield und Summers mit ihm angestellt hatten. Hoffentlich würde er erstmal für eine Weile außer Gefecht gesetzt sein. Aber wenn sich die Undying nun um alles kümmerten, was sollte sie dann in der Zwischenzeit tun?   Anya stieß einen genervten Seufzer aus, griff nach dem roten D-Pad an ihrem Arm und zog das Extradeck heraus. Vor Ricthers Augen durchsuchte sie es nach drei bestimmten Karten, die sie ihm finster dreinblickend reichte: [Angel Wing Dragon], [Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T] und [Murciélago The Thunderblade Bull]. „Hier“, sagte sie, „die muss ich dann wohl zurückgeben, huh?“ Doch zu ihrer Überraschung schob Ricther sie postwendend in ihre Richtung zurück. „Die Artefakte sind an dich gebunden. Behalte sie fürs Erste. Sobald wir eine Möglichkeit gefunden haben, sie von dir zu lösen, wirst du sie uns aushändigen.“ „'kay“, brummte Anya und steckte die drei Monster wieder in ihr D-Pad zurück. „Danke, schätz' ich?“ Da mischte sich Valerie ein, die sich aus ihrer Hocke erhob. Sie öffnete bereits den Mund, doch sagte nichts.   Erst im Nachhinein erfuhr Anya, dass sie das Katana, Ragnarok, ansprechen wollte, mit dem sie den Sammler beinahe getötet hätte. Doch jenes ließ sie bewusst unter den Tisch fallen, mit der Erklärung, so ein Schwert könnte noch einmal nützlich werden. Da die Undying sich seit diesem Treffen nicht mehr gemeldet hatten, schienen sie auch dies zu dulden, denn vergessen hatten sie es ganz sicher nicht! „Vergiss eins nicht“, sagte Ricther unvermittelt, „der Sammler braucht dich. Die Artefakte, die an dich gebunden sind, machen es unwahrscheinlich, dass er sich nach einem Ersatz umsehen wird. Doch überschätze deine Stellung nicht. Du wirst ihn zweifelsohne wiedersehen.“ Anya nickte missmutig. „Soll er doch kommen.“ „Ich vertraue darauf, dass du dich richtig verhalten wirst.“ Was auch immer das bedeutete. Während Anya über seine Worte nachdachte, meldete sich der Flohpelz wieder zu Wort. „Eins beschäftigt mich schon die ganze Zeit. Die Hüter bewachen Teile eines Schlüssels, der zum Narthex führt. Aber ist das wirklich ihre einzige Aufgabe?“ Anstatt ihm aber zu antworten, gab Ricther nur einen nachdenklichen Laut von sich. Was dann folgte, war ein Abschied auf Zeit, denn auch die Undying mussten sich von den Kämpfen erholen. Und die vier Freunde blieben mehr oder weniger zurück, ratlos, was für eine Zukunft sie erwartete.   Erst als sie von Zanthe angestupst wurde, öffnete Anya wieder die Augen. Einer der Passagiere hatte sich von den Stühlen erhoben. Zwar stand er mit dem Rücken zu ihr gewandt, doch das war genug. Sie kannte nur einen Mann mit schwarzem, nach hinten gekämmtem Haar einer solch mickrigen Größenordnung. Hätte sie Handgepäck dabei, wäre dieses jetzt auf den Boden gefallen. Unter Zanthes Gekicher stürmte Anya voran, ließ ihre Freunde hinter sich und steuerte den Mann an, der sich nun umdrehte und sie mit seinem stets undurchschaubaren, scharfen Blick erwartete. Doch als sie ihm um den Hals fiel, gab Logan schließlich einen überrumpelten Laut von sich. Gefolgt von: „Immer langsam.“ „Was zur Hölle!“, wurde er gleich darauf von Anya angefahren, die ihn sofort wieder losließ. „Solltest du nicht im Knast sitzen!?“ „Is' das 'ne Art, demjenigen, der dir den Hals gerettet hat, danke zu sagen?“, fragte der Kerl mit den buschigen Koteletten grimmig. Doch der Anblick von Anyas strahlenden, blauen Augen, die ihren galligen Worten jegliche Boshaftigkeit nahmen, ließen ihn erweichen. „Auch schön, dich zu sehen.“ Anya verschränkte leicht errötet die Arme voreinander. „Biste ausgebrochen?“ „Nein.“ „Auf Kaution?“ Logan schüttelte den Kopf. „Nicht ganz. Die haben mich gehen lassen.“ „W-was?“ „Muss noch ein paar Tage in der Stadt bleiben, aber bin nicht mehr der Hauptverdächtige.“   Inzwischen hatten Zanthe, Matt und Valerie zu den beiden aufgeschlossen. Obwohl gerade Ersterer sich unbedingt dazugesellen wollte, mahnte der Dämonenjäger ihn mit einem Kopfschütteln, dies lieber bleiben zu lassen. „Fein“, maulte der jung gebliebene Werwolf mit dem gelben Kopftuch und schlurfte an Anya und Logan vorbei, aber nicht, ohne seiner Freundin vorher verschwörerisch zuzuzwinkern. Während er sich in die weiter vorne liegende Ecke der Fensterfront verzog, gingen auch Matt und Valerie an den beiden vorbei. Sie jedoch begaben sich mit den Rücken zur Wiedervereinigung gekehrt zur letzten Sitzreihe, wo sie außer unmittelbarer Hörreichweite waren.   „'kay“, stammelte Anya verwirrt, „wer dann?“ Als sie aber näher darüber nachdachte, wurde ihr schlagartig ganz mulmig zumute. Denn wenn der Schwindel aufgeflogen war und jemand -sie- gesehen hatte, dann-! Anscheinend sah man ihr die aufkeimende Panik an. Logan winkte ab. „Nicht du. Hab noch nie so etwas Merkwürdiges erlebt.“ „Huh?“ „So'n Typ hat sich gestellt und behauptet, mich erpresst zu haben, ein Geständnis abzulegen.“ Sein Blick verfinsterte sich mit jedem Wort mehr. „Du weißt nicht zufällig, wer das sein könnte?“ Völlig verdattert schüttelte Anya den Kopf. „Schwarze Haare, etwa dein Alter, Sommersprossen im Gesicht, ziemlich blass. Die haben mir das Video von seinem Geständnis gezeigt.“ Um die stumme Aussage noch einmal zu wiederholen, zuckte Anya mit den Schultern. „Ich kenne niemanden, der so aussieht. Ehrlich! Aber ist doch gut, dann-!“ „Wieso sollte ein völlig Unbeteiligter plötzlich für mich in die Bresche springen?“   Anya sah ihn an. Seine Augen funkelten. Anstatt zufrieden zu sein, nicht vor Gericht zu müssen, schien er tatsächlich eine Verschwörung zu wittern. Und wenn das Mädchen so darüber nachdachte, musste da schon wieder irgendetwas im Busch sein. „Vielleicht hat ja Nick-“   Unwahrscheinlich. Nick Harper verabscheut Logan Carter. Zwar wird er sicherlich über einschlägige Medien von den Schäden innerhalb der Stadt erfahren haben, aber ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt so schnell einen Sündenbock auftreiben könnte?   Zwar gab Anya es Levrier gegenüber ungern zu, aber -wenn- Nick so etwas gelang, war das ziemlich beunruhigend. Aber ihr unsichtbares, autonomes Gewissen hatte nicht ganz Unrecht. Freiwillig würde Nick keinen Finger für Logan krumm machen. Vielleicht war es auch nicht ihr Freund, der das Ganze inszenierte, sondern … nein, der Sammler war außer Gefecht gesetzt. Und im Moment sicher auch nicht gut auf sie und ihren Freundeskreis zu sprechen. Es sei denn … Nachdenklich fragte sie: „Wann hat der Typ sich denn gestellt?“ „Gestern früh.“ Das war bereits nachdem Redfield zur Möchtegern-Assassine geworden war. Also fiel der Sammler sehr wahrscheinlich flach. „Sag mal, Kleine“, fing der kräftig gebaute Mechaniker schließlich an, „deine kleine Story von damals. Die ist doch nur das, oder? Daran ist nichts Wahres?“ „Yeah.“ Anya bemühte sich tunlichst, ihm dabei nicht in die Augen zu sehen.   Was sie nicht ahnte war, dass Zanthe natürlich jedes Wort mitbekam, auch wenn er fast zehn Meter weit entfernt gegen die Wandschräge lehnte, in der das Fensterglas eingesetzt war. „Das stinkt doch zum Himmel“, murrte er. Sein Freund mit den blonden Rasterzöpfen, der neben ihm verharrte, sah ihn ahnungslos an. Vor seinem Gesicht befand sich das leuchtende Zackensymbol, welches ihn tarnte und aussah wie ein stilisierter Schmetterling. „Erinnerst du dich, als ich dir gesagt habe, bei deinem neuen Job wäre es zu Komplikationen gekommen? Und was vorgestern in der Stadt passiert ist? Die beiden Sachen hängen unmittelbar miteinander zusammen.“ „Die Gefängnisgeschichte?“ Dem Größeren klappte die Kinnlade hinunter. Und zeigte ungeniert auf den knapp 165 Zentimeter großen Mann. „Moment, -der- da war das!?“ Zanthe nickte und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf. „Ist schwierig zu erklären. Kurz gesagt: Jemand anderes hat ein Geständnis abgelegt, welches aber definitiv falsch ist.“ „Ein Unschuldiger ist demnach involviert?“ Sofort verdunkelte sich Exas Miene. „Aber daran hat Logan keine Schuld, der ist genauso aufgewühlt. Glaube ich jedenfalls. Er … riecht nämlich nicht nach jemandem, der unruhig ist.“ Leise fügte er hinzu: „Und da ist die Tatsache, dass er irgendwie ohne Flugticket an den Kontrollen vorbei gekommen ist, noch die kleinste Unstimmigkeit.“   Aus den Augenwinkeln betrachtete der Werwolf seinen Freund, der sich seinerseits auf den Zwerg fixiert hatte. Zanthe wusste, dass es definitiv nicht Nigel war, der ihnen da unter die Arme greifen wollte. Sein Anliegen war es, Claire zu schützen und durch seine Illusionen war ihm dies auch gelungen. Er würde bestimmt nicht rückwirkend einen Unschuldigen in die Sache hineinziehen. Und wenn weder Nick, noch er und höchstwahrscheinlich auch nicht der Sammler infrage kamen, wer dann? Die Undying würden wohl kaum Energie in solch triviale Angelegenheiten stecken.   Auch Zanthes Blick richtete sich wieder auf Logan, der zusammen mit Anya herumrätselte. „Er wird in ein paar Tagen nach Livington zurückkehren.“ Exa schnalzte mit der Zunge. „Da ich ihn sowieso fragen wollte, ob das Jobangebot noch steht, kann ich ihn gerne für dich im Auge behalten. Ob er nun ja sagt oder nicht.“ Ein vergnügtes Grinsen erhellte die Züge des Werwolfs. Wahnsinn, wie gut sie sich in manchen Dingen verstanden! „Oh!“ Zanthe stieß sich von der Wand ab. „Das hätte ich fast vergessen. Wo bleibt …“   Als er aber Anya plötzlich wutentbrannt schreien hörte, erledigte sich die Frage von selbst. Denn jene drehte sich auf einen Fingerzeig von Logan um, nur um zu sehen, wie zwei Personen sich langsam näherten. Claire Rosenburg, die ihre Augen hinter einer dunklen Sonnenbrille verbarg, wurde von ihrem Manager Nigel McPherson flankiert. „Was will die denn hier!?“, fauchte Anya außer sich. „Anscheinend wurden Sie noch nicht informiert, Miss Bauer.“ Der bärtige Rotschopf seufzte. „Miss Rosenburg wird Sie auf ihrem Flug nach Livington begleiten.“ In dem Moment verformte sich Anyas Gesicht zu einer verzerrten Fratze, die von ihrem offenen Mund hin bis zu den geweiteten Augen in jeder Geisterbahn das Fürchten gelehrt hätte. Nur war die Horrorvorstellung allein dem ein Meter sechzig großen Mädchen vorbehalten. „W-was?“ In dem Moment eilte Zanthe zu den beiden und lachte nervös. „Ach ja, da war ja noch was. Ich habe versprochen, Claire mitzunehmen. Was sie jetzt braucht-“ „Was du jetzt brauchst ist ein gutes Bestattungsunternehmen!“, keifte Anya und schlug mit der Faust nach dem Werwolf, welcher jene mühelos mit seiner Hand abfing. „Hör doch zu!“ Verärgert riss er sie zur Seite weg, sodass die Furie über das Parkett stolperte. „Das ist meine Sache.“ Anya, die sich schnell fing, stand, von allen verlassen, in der Mitte der Halle. „Nie im Leben nehme ich dieses Miststück mit! Was soll der Scheiß!?“ „Sie braucht jemanden, der sich um sie kümmert.“ „Dann kümmere dich um sie. Auf der Straße! Mein Haus betritt-“ Spöttisch winkte ihr Freund ab. „Ach, das ist bereits mit deiner Mutter geklärt. Du ahnst gar nicht, wie sehr sie sich darauf freut, die Duel Queen als Gast zu haben.“ Anya zerbrach. Wer gute Ohren hatte, konnte die einzelnen Scherben klimpern hören. Das hieß, wenn das Trommelfell noch intakt war, so laut schrie sie: „Willst du mich verkohlen!? Mum würde niemals gegen meinen Willen irgendeinen Penner einladen!“ „Pass bloß auf“, mahnte der schwarzhaarige Italiener sie verspielt, „sonst überrede ich deine Mutter noch dazu, -dich- ein paar Tage auf der Straße nächtigen zu lassen. Und jetzt komm.“   Ehe sich Anya versah, hatte Zanthe einen großen Schritt auf sie zu gemacht, am Arm gepackt und etwas abseits der anderen Drei mitgeschleift. „Lass los!“ „Anya“, sprach er ernst, „ich weiß, du verachtest sie wegen dieser Betrugssache. Aber sie hatte damals wirklich gute Gründe, warum sie den Pakt eingegangen ist.“ Uneinsichtig wie der jüngste Bauer-Spross jedoch war, kam es nur gallig zurück: „Als ob mich das auch nur ansatzweise juckt!“ „Und du hast noch nie Fehler gemacht?“ Zanthe baute sich vor ihr auf und verschränkte die Arme, starrte seine Freundin eindringlich an. „Vergebung gehört dazu, wenn man ein besserer Mensch werden will. Und das willst du doch, oder?“ Wodurch Anya glatt ein hysterisches Lachen entfuhr. Anstatt aber ebenfalls schwarzen Humor an den Tag zu legen, packte Zanthe sie an den Schultern. „Ich weiß, es ist viel verlangt. Und ich verspreche dir, dass ich mich um sie kümmern werde. Aber sie braucht jetzt jemanden, der ihr die Welt gewissermaßen erklärt, denn sie war für viele Jahre nur eine Maschine, die Anweisungen ausgeführt hat.“ „Kch!“ Demonstrativ blickte Anya zur Seite. „Wenn du willst, erkläre ich dir nachher alles im Flugzeug. Sieh' es als Chance an. Bitte.“ In dem Moment legte das Mädchen seinen Arm unter die von Zanthe und schob beide in einer Bewegung von sich weg, wirbelte herum. „Fein … aber denke nicht, dass ich auf gut Freund mit ihr machen werde! Ich verabscheue sie nicht, ich hasse sie.“ „Tust du nicht“, nuschelte der Kopftuchträger mit einem Lächeln auf den Lippen. Dann wandte er sich Nigel zu, zeigte ihm einen Daumen in die Höhe, woraufhin jener nickte und sich der amtierenden Weltmeisterin zuwandte, ein paar letzte Worte mit ihr wechselte.   „Du lieber Himmel. Gut, dass keine scharfen Gegenstände in der Nähe sind“, flüsterte Matt indes Valerie von der letzten Sitzreihe aus zu. Er hatte den Arm um die Sitzlehne gelegt und verfolgte das Schauspiel neugierig, wohingegen die Schwarzhaarige sich von allem bewusst distanzierte. „Vielleicht …“ Als Matt sie jedoch fragend von der Seite ansah, schüttelte Valerie den Kopf. „Ach nichts.“ Was auch immer sie sagen wollte, es hatte bestimmt etwas mit Duel Monsters zu tun, dessen war sich Matt sicher. „Hey, es kommen auch wieder bessere Zeiten.“ „Ist dir etwas aufgefallen? Hier sind keine Fotografen oder Fans. Kein Mensch beachtet sie, obwohl sie trotz allem irgendwie aus der Menge heraussticht.“ Matt zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich schirmt Nigel sie mit seinen Illusionen davon ab.“ „Ich beneide sie.“ „Musst du nicht.“ „Das war gelogen.“ „Ich weiß.“ Matt zwinkerte ihr von der Seite zu und Valerie reagierte mit einem schwachen Lächeln. Parallel dazu erklang eine Durchsage, die ihren Flug und das entsprechende Boarding betraf. Die Leute um sie herum erhoben sich langsam, zogen Richtung Gate davon. Schließlich sagte die Schwarzhaarige: „Danke. Hmm. Mal sehen, was ich mache, wenn ich wieder in Livington bin. Weißt du, was du jetzt tun wirst?“ Die Miene des jungen Mannes trübte sich. „Ich denke, dass ich noch eine Weile in Anyas Nähe bleibe, bis wir wissen, was nun aus dem Sammler geworden ist. Danach geht’s dann zurück nach San Augustino.“ „Wenn du nichts dagegen hast, könntest du mir ein wenig mehr über Dämonen erzählen? Nur, wenn du Zeit hast.“ Etwas verdutzt erwiderte Matt: „Okay, klar, gerne. Also, uhm, eigentlich ungern, denn damit solltest du dich nicht belasten. Aber ich, uh, schulde dir was.“ Jetzt strahlte sie wenigstens. „Danke.“ „Na, was tuschelt ihr beiden da!?“ Ehe Valerie sich versah, ließ sich Anya mit verschränkten Armen neben ihr fallen. Sie schmollte. Es war seltsam.   Zanthe hatte sich seinerseits wieder zu Logan gesellt. Ihm war nicht entgangen, wie intensiv der Claire betrachtete, die ihrerseits in ihrem weißen Anzug vollkommen deplatziert wirkte, keine Regung zeigte. Nigel hatte ja erklärt, dass er den Pakt erst langsam lockern musste, um sie nicht zu überfordern. „Du bist wohl auch nicht begeistert, was?“ „Muss nicht mit ihr leben.“ Der Zwerg zuckte mit den Schultern und drehte sich um. „Geh' mich dann schon mal verabschieden. In Kürze startet euer Flugzeug.“ Als Logan Richtung Team VAM in Neubesetzung schlurfte, grinste Zanthe Claire breit an. „Der nimmt's etwas sportlicher, gegen dich verloren zu haben.“ „Bedaure, aber da liegt eine Verwechslung vor“, mischte sich Nigel ein. „Miss Rosenburg hat schon viele Gegner besiegt, aber dieser Mann dort war keiner von ihnen.“ In dem Moment wurde Zanthe hellhörig. „Aber er hat doch seine Karriere wegen ihr beendet?“ Zur Verdeutlichung schüttelte der Mann mit der Narbe über dem rechten Auge den Kopf. „Ich erinnere mich an jeden ihrer Gegner. Mr. Carter mag vielleicht Profiduellant gewesen sein, aber zu einer Begegnung mit Miss Rosenburg kam es definitiv nicht.“ Sprachlos drehte sich Zanthe um und beobachtete Logan, wie er die Sitzreihe umrundete und sich Anya vornahm, die sofort aufsprang. Inzwischen waren die Gruppenmitglieder die einzig noch verbliebenen Passagiere in der Wartezone.   „Musst wohl jetzt gehen, was?“, fragte Anya unterschwellig geknickt. Dann aber gab sie einen überraschten Laut von sich. „Ah. Warte, ich hab noch was für dich.“ Sie griff an ihren Gürtel, an dem zwei Deckboxen hingen. „Hier.“ Eine davon, eine schwarze, reichte sie ihm. Nickend nahm Logan sein Deck entgegen. „Danke. Hat mir echt geholfen. Würde dir ja auch dein D-Pad wiedergeben, aber das ist in meiner Tasche und die ist schon im Flugzeug.“ „Macht nichts. Gut zu wissen, dass das Deck dir was genützt hat.“ Neben ihnen flüsterte Matt Valerie ins Ohr. „Hat sie gerade wirklich 'danke' gesagt?“ „Sei still“, erwiderte die vergnügt und stieß sanft ihren Ellbogen in seine Seite. Anya nahm davon keine Notiz. „Komm bald nach, 'kay?“ „Werd' ich.“ Was dann folgte, war die unbeholfenste Umarmung, die ihr Freundeskreis je gesehen hatte. Als müsse sie erst seine Proportionen abmessen, schwenkte Anya mit ihren ausgebreiteten Armen hin und her, ehe sie ihn zögerlich in jene einschloss. Matt hätte schwören können, Logan einen stillen Seufzer ausstoßen zu hören, ehe er die Geste erwiderte.   Nachdem sich schließlich alle von Nigel und Logan verabschiedet hatten, zogen sie mitsamt ihrer neuen Freundin Schrägstrich Feindin Richtung ihres Gates. Keiner von ihnen bemerkte dabei, dass eine einzelne Person sie aus der Ferne beobachtete. Gekleidet in einen weißen Mantel, waren deren Augen von einer großen Sonnenbrille bedeckt, das Haar dagegen von einer weißen Baseballmütze, die Hände von weißen, dünnen Lederhandschuhen. Ihr Haupt war leicht gesenkt. Die Hand des Mannes fuhr in seine Manteltasche, verharrte aber, als Anya sich noch einmal umdrehte. Sie betrachtete den Fremden einen Augenblick, winkte dann aber lediglich Logan noch einmal zum Abschied, welcher gerade an ihm vorbei zog, kurz darauf gefolgt von Nigel. Im Anschluss drehte die Blonde sich, provoziert von einer Stichelei Zanthes, wieder um.   Kurz darauf hatten die Freunde ihre Plätze im Flugzeug gefunden. Anya hatte sofort einen Fensterplatz für sich beansprucht. Neben ihr nahm Valerie Platz, die beiden Jungs dagegen saßen vor ihnen. Claire ihrerseits dagegen hätte eigentlich einen Platz in der ersten Klasse gehabt, doch Zanthe bot dem Mann zu seiner Linken in der Mittelreihe an, mit ihr zu tauschen. Was dieser auch gerne tat, sodass sie, durch den Gang getrennt, neben ihm bleiben konnte. „Ich kann sie doch nicht unbeaufsichtigt lassen“, rechtfertigte sich der Kopftuchträger auf Anyas böses Knurren hin. Selbst Valerie konnte sich in dem Fall ein trockenes Hüsteln nicht verkneifen. „Sie ist kein kleines Kind.“ „Nein, sie ist ein Clairebot“, murmelte Matt scherzhaft und sah bewusst aus der Fensterluke. „Was sagst du dazu, Roboburg?“, richtete Anya ihre Worte provokativ an die Weltmeisterin, welche jedoch stur geradeaus starrte. Doch sie antwortete tatsächlich: „Ich bin ein Mensch.“ Was sich jedoch mehr wie eine sachliche Feststellung, denn irgendeiner Form von Verteidigung anhörte. Natürlich rief das sofort denjenigen auf den Plan, der sich für die junge Frau verantwortlich fühlte. „Lass sie ihn Ruhe, Anya.“ Auf Zanthes grimmige Mahnung hin ließ jene sich tiefer in den Sitz fallen. „Tch.“   Während noch ein paar Nachzügler das Flugzeug betraten, meinte Livingtons Terrormaschine schließlich nachdenklich. „Irgendwas war eben komisch.“ „Hmm?“ Matt drehte sich zu ihr um. „Dieser Typ da. Er … irgendwie kam er mir bekannt vor.“ Ihre schwarzhaarige Sitznachbarin wunderte sich: „Wen meinst du?“ „Den Kerl eben, der uns beobachtet hat.“ Anya murrte unzufrieden. „Der in Weiß.“ Zanthe reckte den Kopf nach oben und sah sich um. „Jetzt wo du's sagst, der ist nicht eingestiegen.“ Der Dämonenjäger wollte wissen: „Was stört dich denn an dem?“ „Ich weiß es nicht. Es fühlte sich an, als wären wir uns schon mal begegnet. Wenn ich's nicht besser wüsste, dann …“ Als seine Freundin zögerte, erwiderte Zanthe gutmütig. „Sag's einfach.“ „… war das eben mein Dad. Und, wenn ich ehrlich bin, glaube ich, dass Dad mich aus Gardenias Weißem Raum gerettet hat. Aber das ist unmöglich, Dad verfügt über keine besonderen Kräfte.“ Anya wurde schlagartig bewusst, wie merkwürdig das alles für ihre Freunde klingen musste, besonders, da sie ihnen diese Gedanken bisher nicht mitgeteilt hatte. Verdammt, hätte sie doch nur einen Moment gewartet und sich den Kerl näher angesehen! „Jetzt ist es zu spät, ihn darauf anzusprechen, wir heben in ein paar Minuten ab“, meinte Valerie nachdenklich. „Außerdem, meinst du nicht, dein Vater würde mit dir über diese Sachen anschließend reden wollen?“ Die Blonde aber senkte ihr Haupt. „Ich hab noch nie kapiert, was in Dads Kopf vor sich geht.“ „Vergiss den Kerl. Freu' dich lieber auf Zuhause“, versuchte Matt sie aufzuheitern.   ~-~-~   Keiner von ihnen konnte jedoch damit rechnen, dass der Mann, der in der Zwischenzeit den Flughafen verließ, keinesfalls Anyas Vater war. Als der Mann durch die Schiebetür den Flughafen verließ, steuerte er vor sich hin summend auf das nächstbeste Taxi am Straßenrand zu, welche unterhalb der Überdachung des Eingangsbereiches parkten. Nachdem er eingestiegen war, meinte er zu der Fahrerin, einer dunkelhaarigen, gut gebräunten Frau vor sich: „Irgendwohin.“ „Irgendwohin?“, fragte sie belustigt, drehte sich zu ihm um. Rehbraune Augen, goldene Ohrringe, ein einladendes Lächeln. Das leicht gelockte, nach hinten gekämmte, kinnlange Haar stand ihr gut zu Gesicht. „Irgendwohin wird teuer, mein Lieber.“ „Macht nichts“, grinste Anyas Bruder hinter der Trennwand zwischen Fahrer und Fahrgast schelmisch zurück, als seine Sonnenbrille die Nase entlang rutschte. „Von einer Schönheit wie dir würde ich mich überall hin kutschieren lassen.“ Seine schleimige Anmache kam jedoch nur bedingt an, denn das Lächeln schwand. „Ernsthaft? Gibt es immer noch Leute, die so reden? Hilfe …“ Lachend nahm der Mann die Sonnenbrille ab, präsentierte strahlend blaue Augen. Zachariah gab einen gespielten Seufzer von sich. „Leider ist mir nichts Besseres eingefallen. Was hört die Damenwelt von heute denn gerne?“ „Von dir? Gar nichts.“ Damit drehte die junge Frau sich um. „Also, wohin?“ Der Blonde überlegte einen Moment. Aus der Ferne konnte man die Triebwerke eines Flugzeugs hören, das gerade abhob. „Ich habe eine Idee“, meinte er da schließlich, „ich denke, ich möchte zum Friedhof. Hat diese Stadt einen?“ Etwas irritiert antwortete die Taxifahrerin: „Natürlich?“ „Dann bring mich dahin.“   Während sie den Motor startete, griff Zachariah erneut in seine Manteltasche und zog vorsichtig eine kurze Fernbedienung aus ihr hervor, legte sie auf den freien Sitz neben sich. Dabei sah er bewusst geradeaus, bemerkte, wie die braunen Augen ihn über den Rückspiegel beobachten. Er grinste. Sie sah weg. Parallel dazu gewann das Flugzeug über Ephemeria City an Höhe. Zachariah lächelte und griff wieder neben sich nach der Fernbedienung. Lange genug hatte er sich dazu breitschlagen lassen, sie nicht zu verwenden. Aber damit war jetzt Schluss. „Dann kann die wilde Fahrt ja beginnen“, summte er, dessen Daumen den roten Knopf der Fernbedienung fest nach unten drückte. Und es war ihm ein Genuss zu wissen, dass Nick Harper oder wer auch immer seine 'Freundin' nicht hatte retten können. Denn auch wenn so eine kleine Bombe im D-Pad über Hacking gestoppt werden konnte, sah die Sache über einen manuellen Auslöser ganz anders aus. Nun war Kali endlich frei. Lächelnd warf Zach einen Blick aus den Augenwinkeln auf die Fernbedienung, die er mit einem Klapps seiner Hand nach unten hinter den Sitz der Fahrerin beförderte. „Was war das?“, fragte die Taxifahrerin erschrocken, als sie einen lauten Knall hörte.   Eine Explosion erschütterte das noch aufsteigende Flugzeug in seiner Mitte. Eine Tragfläche brach infolge dessen ab. Keiner hörte die Schreie im Inneren. Die Maschine stürzte quer Richtung Stadt, zielgenau auf ein Hochhaus zu. Es schepperte. Der obere Teil des Gebäudes stürzte zur Seite ein, fiel nach unten, direkt auf die um jene Tageszeit sehr belebte Hauptstraße.   ~-~-~   Der Knall hallte noch in ihrem Kopf weiter. Die Flammen des abstürzenden Flugzeugs tänzelten vor ihren Augen. -Sie- hörte die Schreie. „Was ist los?“ Es dauerte einen Moment, ehe sie zusammenzuckte und sich ihrer Umgebung wieder gewahr wurde.   Die Sechzehnjährige stand mitten auf einem türkisfarbenen Duellfeld. Durch rechteckigen Brillengläsern sah sie ihren Gegner an, einen großen, brünetten jungen Mann in dunkelblauem Anzug: Henry Ford. „Alles in Ordnung mit dir?“, fragte der skeptisch. Sprachlos sah das Mädchen auf ihr rotes D-Pad, auf dem die Monsterkarte [Spiritual Beast Apellio] lag, welcher in Form eines knallroten Löwenjungtiers mit hell flackernder Mähne auch vor ihr verharrte.   Spiritual Beast Apelio [ATK/1800 DEF/200 (4)]   Die kreisrunde Tribüne, die die Duellarena umgab, war abseits ein paar Jugendlicher und zwei Lehrern nahezu unbesetzt, doch allesamt zeigten sie sich genauso verwirrt aufgrund der plötzlichen Apathie des Mädchens. „Sag nicht“, murmelte ein Afroamerikaner mit riesigem Afro in der ersten Reihe verheißungsvoll, „ausgerechnet jetzt!?“ Velvet nickte ihm stumm, beinahe hilflos zu. Diese Vision, sie war so real wie noch nie gewesen. Sie hatte die Hitze der Explosion gespürt, die Angst der Passagiere. Selbst jetzt dröhnten ihre Ohren noch vom Knall. „Wenn wir das Duell abbrechen, wissen Sie, was auf Sie zukommt, Miss Thorne“, sagte Henry von der anderen Seite des Spielfelds streng. Sie nickte und schluckte dabei. „I-ich fühle mich nicht imstande, das Duell fortzusetzen“, würgte das Mädchen im weiß-violetten Sommerkleid schließlich mühsam hervor.   Während die Lehrer sich nacheinander überrascht von ihren Plätzen erhoben, eilte der junge Afroamerikaner, der sich kurzerhand über die Tribüne schwang, seiner Freundin zu Hilfe, welche sich nicht länger auf den Beinen halten konnte und in die Knie zusammensackte. Als er sie erreichte, bückte er sich zu Velvet hinab und berührte sie sanft an beiden Schultern. „Geht es?“ „Es war … schrecklich …“ „Was hast du gesehen?“ Velvet schluchzte: „Da ist eine Bombe in einem Flugzeug explodiert und es ist abgestürzt.“ Nebenbei näherten sich hinter ihr drei weitere Schüler ihres Jahrgangs. Ein braungebrannter, dunkelblonder Bursche, dessen Haar ziemlich wild gestylt war. Neben ihm ein etwas pummeliges, blasses Mädchen mit gelockter, schwarzer Mähne und hinter den beiden ein großer, hellblonder Kerl mit Kurzhaarschnitt. „Weißt du, ob es schon passiert ist?“, fragte der Afroamerikaner beunruhigt. Das Mädchen schüttelte aufgelöst den Kopf. „Gerade eben, vor vielleicht zehn Minuten“, antwortete der gebräunte Bursche hinter ihnen matt und zeigte ein Smartphone vor, das die News anzeigte, „ist direkt über Ephemeria City passiert.“ Auch Henry seinerseits weitete die Augen. „Ephemeria!?“ Velvet ihrerseits kniff die Augen fest zusammen, aus denen Tränen aufstiegen. Waren es früher alle paar Monate mal eine Vision gewesen, wurde sie jetzt regelmäßig mit solchen Bildern gequält. Was war bloß mit der Welt los!? Und wieso tauchte regelmäßig die Zweitplatzierte des Legacy Cups, diese Anya Bauer, in ihnen auf!?     [TO BE CONTINUED IN SEASON 3]   _______     An dieser Stelle vielen Dank an alle, die hier fleißig mitlesen. Ich werde noch vier Specials im Laufe der kommenden Wochen und Monate veröffentlichen, ehe es (hoffentlich) Mitte 2018 dann mit Staffel 3 weitergeht. Kapitel 94: Extra Turn 54.5: Pitch Black Ambitions -------------------------------------------------- Extra Turn 54.5 – Pitch Black Ambitions     „Wirklich!? Ich darf teilnehmen!?“ Anya traute ihren Ohren kaum, als sie Mr. Palmer in seinem kleinen Büro gegenüber saß und soeben die Genehmigung bekommen hatte, um am Legacy Cup teilnehmen zu dürfen. Der dunkelhäutige Mann lehnte sich zurück und strich sich über seinen weißen Bart. „Unter einer Bedingung: Du wirst während des gesamten Turniers Werbung für unseren Laden betreiben.“ „Auch ein Weg, pleite zu gehen“, gluckste Zanthe, welcher an einen Schrank voller Akten gelehnt stand und die beiden beobachtete. „Schnauze!“, zischte Anya durch die Zähne. Dann grinste sie Mr. Palmer breit an. „Ist gebongt.“ Sie sollte ihre Worte jedoch schnell bereuen, als der Mittvierziger aufstand, kurz ins Lager verschwand und im Anschluss ein dunkelblaues T-Shirt mitbrachte, auf dessen Rückseite die Shop-Adresse in weißen Lettern aufgedruckt war. Mit einer lässigen Bewegung ihres Chefs landete das Shirt auf Anyas Schoß. „Wann immer eine Kamera auf dich gerichtet ist, wirst du das anhaben“, stellte er klar, als er sich ihr wieder gegenüber setzte, „vielleicht gewinne ich wenigstens einen Bruchteil der Kunden zurück, die ich wegen dir verloren habe.“   Anyas Lippen zuckten. Sie wollte ihr Missfallen geradezu herausschreien, aber dann wäre sie auf der Stelle arbeitslos. Aber dieses Ding! Da war nicht ein Totenkopf drauf, nicht mal Blut! Wie konnte sie das anziehen, ohne vor Scham im Boden zu versinken!? Zugegeben: Scham war in Anyas Welt relativ, aber es ging ums Prinzip! Sie mochte es nicht, also trieb ihr aufkeimender Zerstörungsinstinkt sie dazu, es möglichst schnell möglichst effektvoll loszuwerden. „Bauer … Shirt oder Lagerarbeit. Entscheide gut.“ Ihre Zähne gruben sich in die Unterlippe. Ja, dachte sie sich, hatte dieser dämliche Flohpelz es tatsächlich geschafft, Mr. Palmer auf diese Idee zu bringen. Wäre ja auch nicht die erste, nachdem er sie schon mit seinem Vorschlag vor ein paar Tagen, sie ins Lager zu verfrachten, wo sie keine Kunden 'bedienen' konnte, zur Weißglut getrieben hatte! Und stattdessen machte er jetzt -ihren- Job!   Schelmisch grinste der bald sehr, sehr tote Werwolf sie von der Seite an. „Ja, Anya, was soll es sein?“ „Natürlich musst du entsprechend Urlaub nehmen!“ „Was!?“ „Uh-huh! Ich muss ja auch Urlaub nehmen, wenn ich mitkommen will“, nickte Zanthe. Anya wollte beißen, irgendwas, irgendwen! Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein, das Turnier dauerte mindestens zwei Wochen und sie hatte schon fast ihren ganzen Resturlaub aufgebraucht! „Wenn du mehr brauchst, ziehen wir dir das von deinem Gehalt ab“, las der weißhaarige Mann regelrecht ihre Gedanken beziehungsweise ihren bitteren Gesichtsausdruck. Im übertragenen Sinne schäumend vor Wut – zumindest hatte ihre Mundhöhle noch nicht genug Speichel für die sichtbare Version produziert – erwiderte sie entrüstet: „Wieso darf der überhaupt mitkommen, wenn -ich- teilnehme!?“ „Um sicherzustellen, dass du nichts anstellst.“ Streng blickte Mr. Palmer sie hinter seinen dick umrahmten Brillengläsern an. „Du musst dich benehmen, ansonsten wirst du schneller disqualifiziert als ich dich entlassen kann. Und das kann ich -wirklich- nicht gebrauchen.“ „Aber- aber! Wer hilft dann aus!?“ „Ich werde solange alleine klar kommen. Ist sowieso kaum noch was los.“ Plötzlich seufzte Mr. Palmer so schwer, dass selbst Anya den Hauch eines schlechten Gewissens verspürte. „Dem Laden geht’s schlecht. Wir brauchen die Werbung.“   Plötzlich senkte Anya den Blick deprimiert. Er ahnte nicht, dass sie noch gar keine offizielle Einladung zum Turnier erhalten hatte. Weil Nick alles dafür getan hatte, dass sie den Vertrag von Micron Electronics, welcher ihr die Teilnahme ermöglicht hätte, nicht unterschreibt. Dafür hätte sie eine Million bekommen, eine verdammte Million! Zumindest wenn sie das Ding gewonnen hätte, aber alles andere schloss Anya egobedingt ohnehin aus. Nein, stattdessen war ihr nicht-so-ganz bester Freund jetzt damit beschäftigt, ihr auf anderem Wege den Zugang zu ermöglichen. Einem garantiert illegalen, wie Anya sich sicher war. Und wenn das jetzt schief ging, hatte sie Mr. Palmer eine Menge zu erklären.   Dennoch, auch wenn ihr die Bedingungen für die Teilnahme missfielen, nickte sie schließlich und knurrte: „Meinetwegen, dann machen wir es so.“ Mr. Palmer stieß ein erstauntes Lachen aus. „Wirklich? Ich hätte mit etwas mehr Protest gerechnet.“ Trotzig blickte Anya zur anderen Seite, um weder ihn noch Zanthe ansehen zu müssen. „Wenn ich das Ding reiße, dann muss ich sowieso nicht mehr hier arbeiten!“ Immerhin gab es ein sattes Preisgeld für den Gewinner des Turniers. Aber das war nicht der eigentliche Grund, warum Anya zustimmte. In Wirklichkeit wollte sie nicht, dass der Laden hier zumachte. Mr. Palmer war der Einzige ihrer Arbeitgeber gewesen, der ihr eine Chance gab – naja, eigentlich schon ein paar mehr. Sie wollte ihm etwas zurückgeben, nach allem, was sie hier so an Rufschädigung betrieben hatte. Als sie selbst begriff, wie untypisch dieses Verhalten doch für sie war, sprang sie auf. „Okay, ich gewinne das Turnier und alle sind glücklich!“ Ohne weitere Reaktionen abzuwarten rauschte sie aus dem Büro. Umso besser, wenn sie so schnell wie möglich mal wieder aus Livington raus kam! Zumindest gewann sie damit etwas Abstand zu einer gewissen, haarigen Person, mit der sie sich zerstritten hatte.   Zanthe pfiff anerkennend durch die Zähne. „Oh man, damit hätte ich nicht gerechnet.“ „Du kannst jetzt auch gehen“, sagte Mr. Palmer, „und danke für deine Hilfe.“ „Ich muss mich bedanken“, erwiderte der, als er sich vom Aktenschrank abstieß, „dafür, dass Sie mich eingestellt haben, obwohl Sie schon Anya hatten.“ Der dunkelhäutige Mann grinste bloß verschlagen, antwortete aber nicht darauf. Zanthe legte kurz noch die Hand an die Stirn, als wolle er salutieren, dann ging er durch die Tür, die Anya offen gelassen hatte.   Gerade als er sie hinter sich schloss, hörte er Mr. Palmers Telefon klingeln. „Ja? Ah! Mr. Bauer, Sir!“ Selbst durch die geschlossene Tür konnte Zanthe die Worte dank seiner ausgeprägten Sinne klar und deutlich verstehen. „Hallo, Mr. Palmer. Wie läuft das Geschäft?“ „Nun, nicht sonderlich gut, wie Sie sich sicher denken können.“ Der Bursche runzelte die Stirn, trat einen Schritt rückwärts von der Tür weg. War das Anyas Vater? Ziemlich … gewöhnliche Stimme, dachte sich Zanthe, der sie sich wesentlich tiefer vorgestellt hatte. „Das tut mir leid zu hören. Ich nehme an, dass das meiner Tochter zu verdanken ist.“ Zanthes Chef lachte, doch es klang gezwungen. „Ja, das ist es.“ „Benötigen Sie Hilfe?“ „Nein, nein“, wiegelte Mr. Palmer jetzt ab, „so schlimm ist es nicht, Sir.“ „Geht es ihr gut?“ „Warum fragen Sie sie das nicht selbst? Ich kann sie ans Telefon holen.“ Obwohl es kaum merkbar war, normale Menschen würden es vermutlich gar nicht bemerken, änderte sich etwas in Mr. Bauers monotonem Ton. Er wurde heller. „Nein, ein anderes Mal vielleicht. Werden Sie es noch eine Weile mit ihr aushalten?“ „Ja“, antwortete Mr. Palmer, „auch wenn sie nächste Woche für einige Zeit Urlaub nehmen muss. Hat sie es Ihnen schon erzählt? Dass sie am Legacy Cup teilnehmen wird?“ „Nein. Das freut mich. Für Sie beide.“ Derweil überlegte Zanthe, ob er sich um das Büro herum zum Fenster schleichen sollte, mit dem man von dort in das kleine Lager schauen konnte, welches das Büro umgab. Zu gern würde er wissen, was man anhand von Mr. Palmers Gesichtszügen ablesen konnte. Allerdings wollte er nicht entdeckt werden, also wäre es das Beste, wenn er hier vor der Tür wartete. „Danke, Sir.“ „Dann hoffen wir, dass meine Tochter gut abschneidet und sich nicht bis auf die Knochen blamiert. Wenn Sie oder Anya etwas benötigen, dann melden Sie sich bei mir, Mr. Palmer.“ „Danke, Sir.“ „Auf Wiedersehen.“ Nachdem sein Chef diese Worte wiederholte, hörte Zanthe, wie er den Hörer auflegte.   Und sofort schossen ihm eine gefühlte Million Fragen durch den Kopf. Was war das denn für ein seltsames Gespräch? Und wieso wollte Mr. Bauer Anya nicht sprechen, ja ließ nicht einmal Grüße ausrichten? Als wolle er gar nicht, dass sie von dem Gespräch erfuhr. Etwas, das Zanthe wiederum sofort, in der Hoffnung auf mehr Input, nachzuholen gedachte.   Anya indes packte im vorderen Teil des Lagers, welches bis zum Anschlag voll von Regalen war, in denen unausgepackte Kisten standen, einen länglich Karton vor sich auf dem Boden aus. Niedergeschlagen fuhr sie mit einem Cuttermesser über das Paketklebeband und öffnete jenes, in dem sich brandneue Duel Disks in schnieken, weißen Kartons befanden. Mit dem Lieferschein im Griff prüfte sie schnell, dass sich drei Stück im Paket befanden, die sie sogleich in beide Hände nahm und in den Verkaufsraum bringen wollte. Dabei stieß sie im Rückwärtslauf gegen Zanthe. „Hey, pass doch auf!“, fauchte die Blonde und ihr ureigener Racheinstinkt setzte ein, sodass sie ihm während des Umdrehens einen Tritt gegen das Schienbein verpasste – oder verpasst hätte, wäre er nicht geschickt ausgewichen. „Das ist alles deine Schuld! Kaum bin ich wieder hier, muss ich im Lager schuften, weil du dich in alles einmischen musst! Geh gefälligst woanders arbeiten!“ Zanthe zuckte unbedarft mit den Schultern und trat derart fest zurück, dass Anya einknickte und beinahe die Duel Disks fallen ließ. „Vergiss es, hier gefällt es mir viel zu gut. Eigentlich wollte ich dir nur sagen, was für ein Telefonat ich gerade belauscht habe, aber wenn du lieber eingeschnappte Leberwurst spielen willst, dann bitteschön.“ Anya, in deren Augen bereits rote Äderchen hervortraten, schnaubte bloß und schob sich möglichst unsanft an ihm vorbei. „Hast du ein Glück, dass Mr. Palmer hier ist, ansonsten …“ „Tu doch nicht so, als wärst du unglücklich wegen seiner Bedingungen“, sagte Zanthe plötzlich ernst, ohne sich ihr zuzuwenden, „du denkst doch nur an Logan und euren Streit.“ „Pah! Der ist mir doch scheißegal! Lass mich jetzt in Frieden!“   Wütend stampfte Anya aus der Lagertür heraus, Zanthe blickte ihr nachdenklich hinterher. Dabei murmelte er vor sich hin: „Mir machst du nichts vor …“ Er konnte es förmlich riechen, diesen verräterischen Geruch von verletzten Gefühlen. Dabei verstand er nicht einmal, was sie an diesem Typen fand, abgesehen vielleicht dass beide im Club der giftigen Zwerge Mitglied waren. Wenn er so zurückdachte, war die erste Begegnung mit ihm eine absolute Zumutung gewesen. Dabei war Zanthe so freundlich gewesen! „Naja … gleich und gleich gesellt sich gern“, murmelte er und steuerte dieselbe Tür an, aus der Anya verschwunden war. Im Endeffekt war es auch egal. Viel wichtiger war dieses ominöse Telefonat eben. Wurde Mr. Palmer etwa von Mr. Bauer bestochen, um Anya hier zu behalten? Läge es nicht an den unterschiedlichen Stimmen, so hätte Zanthe noch eher vermutet, dass sich Nick als Mr. Bauer ausgab. Der kaufte sich schließlich gerne mal eine eigene Realität. Aber Nicks klang anders, nicht viel, aber ein bisschen. „Ich glaub', ich behalte das besser erstmal für mich“, seufzte er, „nicht, dass ihr klägliches Weltbild am Ende noch zusammenbricht.“   ~-~-~   Einige Stunden später hatten sich Anyas und Zanthes Wege getrennt. Während Letzterer sich zu Nicks Haus begeben hatte, ihrem derzeitigem 'Stützpunkt', war Anya zu sich nachhause gegangen. Zwar war ihr unwohl dabei zumute, musste sie doch jederzeit mit einem erneuten Angriff der Undying rechnen. Andererseits wollte sie ihre Mutter sehen und ihr von dem Turnier erzählen. Und es gab da noch etwas, das es zu erledigen galt! Sie musste endlich -damit- anfangen, noch bevor das Turnier begann!   So saß sie am späten Nachmittag mit Sheryl Bauer am runden Holztisch in der Küche. Jene strahlte so breit, dass selbst Anyas schlechte Laune abflaute. „Das freut mich für dich, mein Schatz! Wann soll es denn überhaupt soweit sein?“ „Danke, Mum.“ Anya zögerte. „Ich weiß nicht, irgendwann in den nächsten Tagen. Ni- ich meine, ich muss mich noch um einen Flug kümmern. Oder um Zugtickets, weiß noch nicht.“ Noch ein Punkt auf ihrer To Do-Liste: Bei Nick nachfragen, wo das alles überhaupt stattfindet und wie sie dorthin kommen soll. Die Frau mit dem dunkelblonden, gewellten Haar fasste sich an die Schläfe. „Wann hast du überhaupt damit angefangen, dich für solch große Events zu qualifizieren?“ Anya blinzelte verdutzt. Dann erwiderte sie möglichst gleichgültig. „Ist doch egal, oder?“ Doch der skeptische Blick ihrer Mutter sprach Bände. „Ich wusste einfach nicht, dass du eine Karriere als Profiduellantin verfolgen möchtest. Wie lange träumst du schon davon?“ Sich langsam erhebend, atmete Anya tief durch. „Erst seit ein paar Monaten. Und dann kam, na ja, so eine Einladung. Ist halt für Newcomer gedacht, nicht für Spieler, die schon Pros sind.“ Hoffentlich fragte ihre Mutter nicht noch, ob sie die mal sehen könnte, bangte Anya. Nick arbeitete schließlich noch daran, dass man ihr eine zuschickte. Doch auf ihre Antwort hin nahm der Gesichtsausdruck Sheryls wieder etwas Sanftes an. „Solange du glücklich wirst, ist es ok. Du bist schließlich alt genug, deine Zukunft selbst in die Hand zu nehmen.“ „J-ja.“ „Aber wehe, du fluchst im Fernsehen!“, kam sofort die zu erwartende, strenge Rüge. Und sie sollte nicht die einzige sein.   Nach einer gefühlten halben Million an Lektionen stampfte Anya sichtlich genervt die Treppen ins obere Stockwerk hinauf. Sie wusste die Sorge ihrer Mutter zu schätzen und war froh, dass sie sich derart für sie freute. Es war nur, und Anya wusste es selbst nicht anders zu beschreiben, als wäre alles eine große Lüge. Ja, sie nahm an dem Turnier teil, aber nicht um erfolgreich zu werden. Obwohl sie das wirklich wollte. Nein, sie tat es deshalb, um an Claire Rosenburg zu gelangen. Die aktuelle Weltmeisterin und nächste Hüterin. Unbesiegt, war sie die amtierende Duel Queen. Eigentlich war es erstaunlich, denn Anya wusste ziemlich wenig über sie. Was auch daran lag, dass sie sich erst seit ein paar Monaten näher mit der Szene beschäftigte, eigentlich erst, seit sie bei Mr. Palmer arbeite. Noch etwas, wofür sie ihm dankbar sein musste, wenn man es recht betrachtete.   Gedankenverloren schlenderte das Mädchen über den Flur hin zu ihrem Zimmer, das schon mit sehr eindeutigem, gelbem Warnschild darauf hinwies, dass Unerwünschte – also praktisch jeder – draußen bleiben sollten. Als Anya das Zimmer betrat, steuerte sie geradewegs den Schreibtisch an ihrem Fenster an. Sich an jenen setzend, zog sie eine Schublade auf – in der so ziemlich alles lag, angefangen von Duel Monsters-Verpackungen, längst vergammeltem Süßkram, einer mit etwas verkrustetem Blut bestückten Schere und Gott allein wusste was noch – und holte von ganz unten einen Schreibblock hervor. Gleich auf der ersten Seite stand eine Überschrift in fetten, schwarzen Lettern: 'Anya Bauers Pitchest Black List'. Bei dem Anblick lächelte das Mädchen besonnen. Als sie den Entschluss gefasst hatte, irgendwann Duel Queen zu werden, hatte sie diese Liste angefangen. Seit ihrer ersten Begegnung mit Levrier war sie so vielen starken Spielern begegnet, denen sie kaum das Wasser reichen konnte. Im Kopf hatte sie bereits eine Liste mit all jenen erstellt, sie doch nie zu Papier gebracht. Jetzt, da sie wusste, dass ein sehr schweres Turnier vor der Türe stand, würde sich das ändern. Natürlich war ihr klar, dass keiner der Namen unter den Teilnehmern sein würde, aber etwas Vorbereitung konnte schließlich nicht schaden.   Oh, wie interessant. Damit hattest du vor einigen Monaten angefangen, mir aber nie gesagt, um was es sich dabei überhaupt handelt.   Levrier klang wie schon damals sehr neugierig. Anya griff nach dem erstbesten Stift auf ihrem Schreibtisch und legte die Liste vor sich hin. Geradezu beiläufig erklärte sie: „Das ist die 'Pitchest Black'-Liste.“ Das kann ich anhand des Titels sehen. Was gehört darauf? Die Namen all jener, die du eines Tages umbringen wirst?   „Nope, das ist 'ne andere Liste.“ Anya setzte den Stift an. „Hier kommen alle rauf, die ich unbedingt einmal im Duell besiegen muss. Fair. Ohne Cheat Draw, Inkarnation und sonstigen Scheiß. Nur mit dem, was ich vor dem Duell zur Verfügung habe. Meinem Kopf und meinem Deck.“   Ich verstehe. Das sind gute Vorsätze, die du da hast.   Dass ihr Freund sich nicht darüber lustig machte, erfüllt Anya mit ungewohnter Wärme. Darum war es auch sein Name, den sie zuerst aufschrieb. Was? Ich? Wieso?   Anya sah zur Zimmerdecke, wie sie es immer tat, wenn sie direkt mit dem Immateriellen sprechen wollte. „Wir haben uns nur einmal duelliert und dabei hast du absichtlich verloren, oder?“ Ja, dem war in der Tat so. Das Duell diente dem Zweck, dass du dich mir öffnest.   „Also habe ich dich nie besiegt.“ Anya schrieb gleich danach einen weiteren Namen auf. „Und den da auch nicht.“ Unter Levriers Namen stand 'Henry Ford' und dahinter ein böses Smiley. Sofort hörte sie Levrier in ihrem Kopf lachen.   Benjamin Hendrik Ford? Oh, ich verstehe. Er ist so etwas wie ein inoffizieller Rivale für dich, da du nur ein Unentschieden gegen ihn erreichen konntest. Damals in deinem Klassenzimmer.   Das war letztes Jahr an Halloween gewesen, wusste Anya. Das blöde Schnöselkind war immer besser gewesen als sie. Tch, kein Wunder, wenn er der Erbe des Ford-Unternehmens war, welches für Duel Monsters in Amerika zuständig war. Es gab keinen Weg drum herum, -den- nicht auf die Liste zu setzen. Und wenn sie schon dabei war, konnte sie auch gleich seine Schwester aufschreiben – wie hieß die doch gleich, Melany? Melody? Melinda Ford ist ihr Name.   „Yeah, jetzt erinnere ich mich.“ Gleich nach denen schrieb sie Abbys Namen auf, ebenso Marcs, Matts, gar Alastairs. Doch dann stoppte sie nachdenklich. „Hmm.“ Stimmt etwas nicht? Sind das etwa schon alle?   Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Ich weiß bloß nicht, ob ich Nick auch aufnehmen soll. Bevor ich wusste, wie er drauf ist, kam er nicht infrage.“ Da er tatsächlich sehr geschickt zu sein scheint, wäre er durchaus eine Überlegung wert.   „'kay, aber das entscheide ich später. Da sind noch zwei Kackbratzen, die vor ihm drauf müssen.“ Jene hörten – vermutlich – auf die Namen Kali und Zachariah Bauer. „Frag gar nicht erst“, wies Anya Levrier sofort an. Dann erschrak sie. „Shit!“ Sofort landete unter den beiden 'Claire Rosenburg'. Kommt das Beste nicht erst zum Schluss? „Was, wenn ich sie vergesse? Sie ist die verdammte Duel Queen, stell' dir vor, ich vergesse die Duel Queen!?“ So empört wie Anya sich gab, blieb Levrier nichts anderes übrig als zu lachen. Knurrend schrieb sie weiter. Edna, Harris, Ricther und Stoltz kamen danach.   Die auch? Qualifizieren sie sich als unsere Feinde überhaupt?   „'türlich!“ Sie setzte ein Sternchen hinter die Namen. „Aber die sind nur Bonus.“   Kommt mir das nur so vor, oder fehlen da noch ein paar ganz wichtige Namen?   Sofort verengte Anya ihre Augen zu Schlitzen. „Wen meinst du?“ Natürlich wusste sie genau, auf welche Pappnasen er anspielte. Und keine Frage, -eigentlich- gehörten sie auch zur 'Pitchest Black List'. Aber sie wollte das nicht, verdammt! Wo sind-   „Fein“, zischte das Mädchen wütend. Prompt – und sehr widerwillig – klemmte sie noch Zanthes Namen zwischen den von Marc und Matt.   Den hast du doch bereits besiegt.   Anya schüttelte den Kopf. „Nope! Damals habe ich den Cheat Draw benutzt. Und die Trainingseinheiten zählen nicht. Also muss er wieder rauf. Und damit wäre ich fertig!“ Bist du das? Hmpf! Reiß dich zusammen.   Anya wiederholte sich. „Fein!“ Und versuchte noch irgendwie Valerie Redfield in den oberen Rängen einzubringen. Auch sie bekam ein böses Smiley ab. Dann machte sie ganz unten weiter und schnaufte. Der Sammler. Verstehe.   „Ich glaube, wir sind dann durch. 'kay, Nick kann meinetwegen auch rauf.“   Moment noch. Hast du nicht Logan Carter vergessen?   Sofort fauchte Anya zurück: „Den hab ich schon besiegt! Und jetzt hör auf, ihn ständig zu erwähnen! Mach lieber das Elysion bereit!“ Sie schob sich samt Schreibtischstuhl vom Tisch weg.   Was soll ich?   Seine Freundin verschränkte die Arme. „Was glaubst du wohl? Ich schreib diese Liste doch nicht, um sie dann nicht abzuarbeiten. Mach dich bereit!“   Deshalb kam mein Name also zuerst. Wie du wünscht.   Unmittelbar danach schien Anya regelrecht von einer unnatürlichen Schwärze verschluckt zu werden. Plötzlich stand sie mitten auf einem riesigen, runden Mosaik, dass die Erde wie einen Globus darstellte, wenn man es aus der Vogelperspektive betrachtete. Um sie herum nur Finsternis. Keine Sekunde verstrich, da tauchte Levrier auf der anderen Seite in der Form des weißen Ritters Pearl auf. Die Augenschlitze leuchteten blau. „Da wären wir“, sagte er mit einer Spannung, die selbst dem Mädchen nicht entging. „Yeah! Das ist es!“, rief Anya und streckte die Arme weit voneinander aus, um deutlich zu machen, wer hier die wahre Herrin des Elysions war. „Duelliere dich mit mir! Gib alles was du hast und noch mehr, halt dich nicht zurück!“ Levrier ließ eine Duel Disk an seinem Arm erscheinen, die der Anyas bis ins kleinste Detail entsprach. „Gerne. Ich habe mich schon lange danach gesehnt, mich erneut mit dir zu messen.“ Der Blick seiner Gegnerin verschärfte sich und das Grinsen eines siegeshungrigen Teufelsweibs schlich um ihre Lippen. „Dann geht’s jetzt los! Aber vorher … “ Anya schnippte mit dem Finger. Im Hintergrund begann ein Orchester eines ihrer liebsten Stücke zu spielen, Beethovens Vertonung von 'An die Freude'.   Freude, schöner Götterfunken Tochter aus Elisium   „Ich verstehe zwar kein Wort, aber Elysion kommt drin vor, also passt es“, grinste das Mädchen und verengte sofort die Augen, „wehe, irgendeiner erfährt davon!“ „Keine Sorge, Anya Bauer, ich verrate niemandem von deinem geheimen Laster.“ Zeitgleich mit einem Schmunzeln nickend, riefen schließlich beide: „Duell!“   [Anya: 4000LP / Levrier: 4000LP]   „Heh“, machte Anya und grinste herausfordernd, nachdem beide ihr Startblatt gezogen hatten. Ihr Gegenüber zeigte äußerlich keine Reaktion, fragte aber: „Ist etwas, Anya Bauer?“ Das Mädchen zuckte mit den Schultern. „Mir ist nur gerade bewusst geworden, wie lange wir uns nicht mehr duelliert haben. Nur, als wir uns das erste Mal begegnet sind und das ist fast ein Jahr her.“ „Um genau zu sein haben wir uns erst bei unserer zweiten Begegnung duelliert“, korrigierte der weiße Ritter sie sofort. Anyas Miene verfinsterte sich. Dann begann sie mit dem Finger um ihre Schläfe zu drehen. „Yeah, beim ersten Mal hast du mich nur bequatscht, mit dir Eden zu werden. Damals dachte ich: 'Was für'n scheiß Traum ist das denn'?“ Nachdem er sie einen Moment anstarrte, verschränkte der Blauäugige die Arme. „Ich erinnere mich. Damals hattest du keinerlei Gespür für das sogenannte Übernatürliche.“ Mit einem Nicken gab Anya ehrlich zu, dass sie dem nicht widersprechen konnte. „Jep. Seitdem hat sich viel verändert. Aber das ist okay. Wenn ich ehrlich bin …“ Sie sah plötzlich bewusst zur Seite. „... fand ich unser Abenteuer damals ganz ok.“ „Auch ich fand es … unterhaltsam. Wenn wir nicht gerade um unser Leben gekämpft haben.“ „Duelliert meinst du wohl. Ah!“ Das Mädchen wandte sich ihm schlagartig mit giftigem Blick zu und fauchte: „Sag mal, sind wir eigentlich zum Quatschen hier oder um meine Liste um einen Namen ärmer zu machen!? Wenn du nicht anfangen willst, mach ich's eben!“   Schwungvoll zog das Mädchen eine sechste Karte auf und prüfte ihr Blatt. „Hehe …“ Sie nahm zwei Karten daraus hervor und schob sie umgehend in ihre Battle City-Duel Disk – an welche sie sich zumindest hier noch erfreuen konnte, nachdem Zach ihr die aus der realen Welt geklaut hatte! „Die Süßen hier machen den Anfang. Und dann rufe ich [Gem-Knight Alexandrite], opfere ihn aber gleich durch seinen Effekt, um einen anderen Vanilla-Gem-Knight aus meinem Deck zu beschwören!“ „Diesen Begriff hast du aus einer der Zeitschriften, die im Laden deines Vorgesetzten verkauft werden. Er bezeichnet Monster ohne Effekte, korrekt?“, fragte Levrier neugierig. Anya grinste breit, als vor ihr ein Ritter in weiß schimmernder Rüstung erschien, die an Armen, Beinen und Brustpanzer mit bunten Edelsteinen besetzt war.   Gem-Knight Alexandrite [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   „Bingo!“ Sie nahm ihr Deck aus der Halterung, suchte sich die entsprechende Karte und legte sie dann auf die Duel Disk. „Erscheine, Ritter des Granats: [Gem-Knight Garnet]!“ Ihr Alexandrite streckte beide Arme auseinander und strahlte von seinen Edelsteinen grelles Licht aus, ehe er sich in weißen Funken auflöste. An seiner Statt tauchte aus einer Stichflamme ein Krieger in bronzener Rüstung auf, welcher mit einem Feuerball jonglierte.   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   Mit drei Handkarten und zwei vor sich liegenden, verdeckten Zauberfallen verkündete Anya unheilvoll: „Zug beendet, Blechbüchse.“   Levrier ließ sich dies nicht zweimal sagen und nahm eine Karte von seinem Deck auf. „Ich bin bereits gespannt, wie du auf dieses Deck reagieren wirst.“ „Hm?“ Seine Partnerin verschränkte die Arme. „Ich benutze die Zauberkarte [Reinforcement Of The Army], um meiner Hand einen Krieger der Stufe 4 oder niedriger von meinem Kartenstapel hinzuzufügen.“ Vor dem weißen Ritter stellte sich eine grün-umrandete Karte auf, die einen Hauptmann mit erhobenem Schwert abbildete. Erstaunt fragte Anya: „Wie? Damals hast du doch irgendwelchen Dämonenkram gespielt.“ „Das war nur um dir Respekt einzuflößen. Hätte ich doch nur gewusst, dass das praktisch unmöglich ist.“ Gekünstelt seufzend, nahm Levrier die aus seinem Deck hervortretende Karte auf und legte sie sogleich auf seine Duel Disk. „Nun, da du ein Monster kontrollierst und ich nicht, kann ich [Heroic Challenger – Assault Halberd] sofort von meiner Hand spezialbeschwören.“ Ein Schatten huschte hinter ihm hervor und präsentierte sich als Krieger in blauer Panzerung, dessen linker Arm in einer Hellebarde endete.   Heroic Challenger – Assault Halberd [ATK/1800 DEF/200 (4)]   „'kay“, murrte Anya lahm. „Ich bin noch nicht fertig. Als Normalbeschwörung rufe ich [Heroic Challenger – Thousand Blades], dessen Effekt mich eine Heroic-Karte abwerfen lässt und ihn in den Verteidigungsmodus zwingt, um einen weiteren Herausforderer aus meinem Deck zu beschwören.“ Schon hatte sich Levrier einer Karte aus seinem Blatt entledigt. Noch ein Kämpfer tauchte vor ihm auf, doch dieser bestach vor allem durch die zahlreichen Klingen, die aus seinem Rücken ragten. Er schwang seine eigene Hellebarde und stieß sie in den Boden, bevor er sich an ihr festhaltend in die Knie begab. Dabei löse sich eine der Klingen von seinem Rücken und nahm die Form eines dunkelgrünen Kämpfers mit zwei Schwertern in der Hand an.   Heroic Challenger – Thousand Blades [ATK/1300 DEF/1100 (4)] Heroic Challenger – Extra Sword [ATK/1000 DEF/1000 (4)]   „Geez, die ploppen ja wie Pilze aus dem Boden.“ Anya stöhnte genervt. „Aber wenigstens sind es keine Einhörner. Ich hätte dir wirklich zugetraut, dass du Einhörner und Feen spielst.“ „Die kamen knapp hinter Barbiepuppen.“ Was beide nach einem Moment merkwürdiger Stille zum Lachen brachte. Doch dann schwang Levrier den Arm aus. „Ich rate dir, nicht den Fehler zu machen, diese Bande zu unterschätzen.“ „Werd' ich nicht!“ „Sehr gut. Denn ich erschaffe das Overlay Network!“ Ein schwarzes Loch öffnete sich vor Levrier und breitete sich aus. „Aus meinen drei Stufe 4-Kriegern wird ein Rang 4-Samurai!“ Anya löste ihre Arme aus der Verschränkung. „Wie jetzt, gleich alle drei!?“ Nacheinander zischten die Herausforderer als braune Lichtstrahlen in das Überlagerungsnetzwerk, ehe aus diesem ein grelles Licht drang. Levrier rief: „Xyz Summon! Assistiere mir, [Heroic Champion – Kusanagi]!“ Aus dem Wirbel schwebte ein Krieger in weinrotem Anzug, dessen Schultern mit roten, geriffelten Platten geschützt waren. Mit seinem Helm und dem rot leuchtenden Schwert in der Hand wirkte er tatsächlich wie ein Samurai. Drei Overlay Units umkreisten ihn.   Heroic Champion – Kusanagi [ATK/2500 DEF/2400 {4} OLU: 3]   Sich am Kopf kratzend, fragte Anya: „All der Aufwand für das?“ „Du musst viel lernen, wenn du für den Legacy Cup bereit sein willst“, tadelte ihr Freund sie umgehend, „Lektion #1: [Heroic Challenger – Extra Sword] verleiht dem beschworenen Xyz-Monster 1000 zusätzliche Angriffspunkte.“ Die Blonde weitete die Augen, als der Samurai in gelber Aura erstrahlte.   Heroic Champion – Kusanagi [ATK/2500 → 3500 DEF/2400 {4} OLU: 3] „Lektion #2: Gehirn steht über Muskeln. Angriff!“ „Was soll denn der Spruch? Denkste ich bin dumm?“ Mit einer wutverzerrten Grimasse schwang Anya den Arm aus, als das Monster ihres Gegners langsam und mit beiden Händen am erhobenen Schwert auf sie zu schritt. „Im Gegenteil, ich -wollte-, dass du dein Bossmonster so früh beschwört. Damit ich das hier machen kann: [Justi-Break]!“ Sie ließ den Arm ausschwingen und dabei ihre linke Fallenkarte hochklappen. Ihr Garnet hielt den rechten Arm in die Höhe, wie der in Schatten gehüllte Mann auf dem Artwork und ließ weiße Blitze um sich schlagen. „Damit stirbt bei einem Angriff auf ein normales Monster jedes Monster mit einem Effekt auf dem Spielfeld!“ „Kommen wir zu Lektion #3: Fallen sind im Antlitz dieses Kriegers kontraproduktiv!“, hielt Levrier streng dagegen. „Effekt von [Heroic Champion – Kusanagi]! Einmal pro Zug annulliert und zerstört er eine Falle, um sich selbst um 500 Angriffspunkte zu stärken!“ Anya fiel aus allen Wolken. „Willst du mich verkohlen!?“ Mit einem schnellen Schritt zischte der Samurai voran, schwang seine leuchtende Klinge aus, die nebenbei eine der Overlay Units absorbierte, und zerteilte mit nur einem Hieb sowohl [Gem-Knight Garnet], als auch Anyas Falle. Es gab einen gewaltigen Knall mit anschließender Rauchwolke, die das Feld des Mädchens einhüllte.   Heroic Champion – Kusanagi [ATK/3500 → 4000 DEF/2400 {4} OLU: 3 → 2]   Was dann allerdings folgte, ließ Levrier überrascht aufstöhnen. Denn aus der Rauchwolke schoss ein flammender Lichtstrahl, der ihn erfasste und einhüllte. „Ah!“   [Anya: 4000LP / Levrier: 4000LP → 1900LP]   Nachdem der Rauch sich verzogen hatte, stand Anya breit grinsend mit verschränkten Armen und aufrecht stehender Falle vor ihm. „Tja, irgendwie hatte ich mir so etwas in der Richtung fast gedacht. Also hab ich gleich noch [Dimension Wall] gesetzt, für den Fall, dass du mir an die Gurgel willst.“ „Ich erinnere mich an diese Falle. Damit haben wir Alastair van Helsing bei unserer ersten Begegnung in die Knie gezwungen.“ „Jep. Der Trottel war total auf die 'Bitte-rette-mich-vor-dem-bösen-Dämon'-Nummer reingefallen und hat dabei diese Falle ausgelöst“, Anya lachte bitterböse, „und sich damit selbst besiegt.“ Levrier nickte. „Genau wie damals habe ich also den Schaden abbekommen, den ich verursachen wollte. Aber es war nicht ausreichend für eine Niederlage.“ „Aber es hat dir ganz schön weh getan.“ „Dein Feld ist jedoch so leer wie dein Kopf von Zeit zu Zeit.“ Sofort keifte Anya: „Was war das!?“ „Die Wahrheit“, stichelte Levrier weiter. Inzwischen war Kusanagi zu ihm zurückgekehrt. „Dann will ich jetzt ebenfalls zwei Karten setzen. Ich gebe den Zug an dich ab.“ Zischend tauchten die beiden Fallen zu seinen Füßen auf.   „Für diesen Kommentar wirst du bluten!“ Mit wutverzerrter Fratze zog Anya eine Karte auf, die sie ihrem Blatt hinzufügte. „Mach dich schon mal auf was gefasst! Ich aktiviere [Silent Doom], einen Zauber, der ein normales Monster von meinem Friedhof in den Verteidigungsmodus beschwört!“ Ein Loch öffnete sich vor ihr im Mosaik der Erde. Eine riesige Hand mit langen Fingernägeln schoss daraus empor und zog dabei [Gem-Knight Garnet] mit sich, den sie schließlich absetzte.   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   „Du bist viel zu leicht zu manipulieren“, tadelte Levrier sie dabei. „Im Turnier werden viele deiner Gegner versuchen, dich mit ihren Worten aus dem Konzept zu bringen. Was folgt sind Fehler, die dich den Sieg kosten werden.“ Anya wollte sofort widersprechen, musste aber einsehen, dass ihr Freund damit Recht hatte. Sie senkte das Haupt. „Yeah. Ich werd' dran denken.“ „Du hast dich dazu entschlossen, am Legacy Cup teilzunehmen, statt Claire Rosenburg direkt aufzusuchen. Ich hoffe dir ist klar, wie zeitaufwendig dieses Unterfangen wird, Anya Bauer?“ Das Mädchen sah wieder auf. „Keiner wird mich als Duel Queen anerkennen, wenn ich sie in irgendeiner Gasse besiege!“ „Und keiner wird dich anerkennen, wenn du erst tot bist. Deine Zeit ist knapp bemessen.“ „Hör auf!“, forderte Anya. „Es ist meine Entscheidung! Wir machen es so und nicht anders!“ Den Kopf schüttelnd zuckte Levrier mit den Schultern. Beide wussten, dass gegen Anyas Sturheit jedes noch so gute Argument chancenlos war. So tauschten sie einen intensiven Blick aus, ehe die Blonde schließlich ihren Zug fortsetzte. „Zieh dir das rein! Ich aktiviere [Gem-Knight Fusion] und verschmelze Garnet mit meinem [Gem-Knight Obsidian]!“ Über ihr öffnete sich ein Wirbel, in den dutzende Edelsteine, welche aus dem Nichts erschienen, hineingezogen wurden. Und mit ihnen der Feuerritter auf dem Spielfeld sowie ein schwarzer Ritter, um dessen Körper eine massive Kette aus dunklen Perlen hing. Anstatt ihren üblichen Beschwörungsspruch aufzusagen, rief Anya einfach nur. „Fusion Summon! Erscheine, [Gem-Knight Ruby]!“ Auf ihr Kommando sprang ein roter Ritter aus dem Vortex, dessen blaues Cape elegant vor sich hin flatterte. Bewaffnet mit einer Lanze, bezog der Herr der Rubine kämpferisch Stellung vor Anya. Doch nicht nur er. Ebenso schoss [Gem-Knight Garnet] unvermittelt aus dem Edelsteinwirbel zurück aufs Spielfeld, direkt neben seinen Kameraden.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)] Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)] „Überraschung!“ Anya ballte eine Faust, die sie demonstrativ empor hob. „Obsidians Effekt hat sich aktiviert, da er als Fusionsmaterial verwendet wurde. Damit kann ich einen Vanilla-Gem-Knight der Stufe 4 oder weniger vom Friedhof reanimieren.“ Sie zeigte auf Garnet. Dann schwang sie den Arm aus. „Und ich muss dir wohl nicht sagen, was Rubys besondere Fähigkeit ist. Er kann die Kraft eines anderen Gem-Knights für einen Zug absorbieren!“ Dieser streckte seine Lanze vor sich aus. Jene begann grell rötlich zu leuchten. Analog dazu löste sich der Granatritter in gleichfarbige Partikel auf, die allesamt von Rubys Waffe extrahiert wurden.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 → 4400 DEF/1300 (6)]   „Erinnerst du dich?“, fragte das Mädchen anschließend wieder besser gelaunt. „Mit dem Move habe ich dich damals besiegt.“ „Irrtum. Ich habe mich besiegen lassen, falls du das schon vergessen hast.“ Levrier lachte herausfordernd. „Dadurch konnte ich mich in dir verankern.“ „Gah!“ Anya winkte missmutig ab. „Diesmal wird alles anders, darauf kannste Gift nehmen! Los, Ruby, greif [Heroic Champion – Kusanagi] an! Sparkling Lance Thrust!“ Wie ein Pfeil schoss ihr Ritter aus dem Stand auf seinen Kontrahenten zu. Jener nahm die Haltung eines Baseballspielers ein, welcher bereit zum Schlag war. Levrier lachte. „Wunderbar, Anya Bauer. Du hast meine Falle ausgelöst: [Heroic Retribution Sword]!“ Jene klappte vor dem Immateriellen auf und ließ ein Schwert neben Kusanagi erscheinen, das bereits durch tiefe, rot erstrahlende Risse gezeichnet war. Mit der freien Hand griff der Samurai danach. „Damit wird der Kampfschaden aus dieser Schlacht auch dir zugefügt. Zusätzlich findet auch der Angreifer danach sein jähes Ende.“ „Tch! Damit kann ich leben, wenn dadurch-“ „Jedoch“, unterbrach ihr Freund sie unvermittelt, „habe ich nie behauptet, davon Gebrauch machen zu wollen.“ Anya machte ein wenig intelligentes „Huh!?“. Denn anstatt die Klinge in die Hand zu nehmen, absorbierte der Heroische Champion mit seiner Handfläche eine der beiden Overlay Units und zerbrach den Griff der Waffe einfach.   Heroic Champion – Kusanagi [ATK/4000 → 4500 DEF/2400 {4} OLU: 2 → 1]   „D-du verarscht mich doch!“ Mit weit aufgerissenen Augen starrte Anya Levrier an, der mit den Schultern zuckte. Der opferte seine Falle, um die Angriffskraft seines Monsters durch dessen Effekt zu stärken. Das war … „Genial!“ Sofort biss sich Anya bei ihrem ungewollten Ausruf auf die Lippen. „Vielen Dank“, hatte ihr Freund jenen zu ihrem Unmut jedoch gehört. Dann schwang Kusanagi seine Klinge und ließ sie auf die Lanze Rubys prallen, als jener den Feind erreichte. Eine heftige Explosion erfolgte. Aus welcher nur der Samurai lebend herauskam.   [Anya: 4000LP → 3900LP / Levrier: 1900LP]   Schnaufend stand Anya plötzlich mit leerem Feld da. Und griff grimmig nach ihrem Blatt. „'kay, den Kampf habe ich verloren, aber das Duell noch lange nicht! Da ich sie in diesem Zug noch nicht durchgeführt habe, folgt jetzt meine Normalbeschwörung! Erscheine, [Gem-Armadillo]!“ Jenes vom Unterleib an geisterhaft beinlose, braune Gürteltier materialisierte sich vor Anya.   Gem-Armadillo [ATK/1700 DEF/400 (4)]   Die orangefarbenen Edelsteine unter den Düsen an seinen Schultern begannen zu strahlen. Anya erklärte dazu: „Wird der normalbeschworen, erhalte ich einen Gem-Knight vom Deck. Lazuli!“ Deren Karte suchte sie anschließend aus ihrem Deck, das sie mit einer Hand ausfächerte. Kaum war das getan, streckte sie die Hand nach vorne aus. „Jetzt schicke ich [Alexandrite Dragon] von meinem Deck auf den Friedhof, um ihn zu einem Empfänger zu machen, den ich auf [Gem-Armadillo] einstimme!“ Ein riesiger, goldener Ring erschien über ihr und begann sich zu drehen. „From the light of a different world, the herald of starlight descends upon the ravaged land!“ Weiße Schwingen begannen sich von jenem zu strecken. Ihr Monster auf dem Feld zersprang in vier grüne Sphären, die die wässrige Schicht im Inneren des Rings im Rückwärtsgang passierten. „By discarding a single star, I call upon you!“ Ein greller Lichtblitz schoss anschließend durch das Gebilde. „Synchro Summon! Shine forth, [Angel Wing Dragon]!“ Aus beiden Richtungen glitten parallel Schweif und Haupt des weißen, schlangenhaften Drachens, bis beide Hälften eine Einheit ergaben. Angel Wing hob seinen Kopf an, um den sich ein goldenes Kragengestell befand.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   Mit ihrer einzigen Karte [Gem-Knight Lazuli] in der Hand bellte Anya: „Zug beendet!“   Levrier nickte und zog. Dann kommentierte er den Anblick des Drachen nachdenklich. „Du weißt, wie du deine neuen Werkzeuge einzusetzen hast. Aber das allein reicht noch nicht.“ „Schwing' bloß keine Reden“, giftete Anya zurück, „ich weiß, was ich tue. Schließlich bin ich die nächste Duel Queen!“ Sein leises Kichern sorgte dafür, dass die Zornesfalten auf der Stirn des Mädchens nur noch tiefer wurden. Besonders als er hinzufügte: „Ist dem so?“ Dann aber, so schien es, wurde Levrier wieder ernst. „Gut. Ich beschwöre [Heroic Challenger – Spartan] im Angriffsmodus!“ Neben seinem Kusanagi bezog ein Krieger mit Speer und großem Rundschild bewaffnet auf, von dessen Schultern ein langes, rotes Cape hing.   Heroic Challenger – Spartan [ATK/1600 DEF/1000 (4)]   „Beseitigen wir ihr Spielzeug, [Heroic Champion – Kusanagi]“, sprach Levrier und stieß die flache Hand nach vorne aus. „Angriff!“ Jener ging in eine gebeugte Haltung und rannte anschließend erstaunlich flink auf den weißen Drachen zu, der seinerseits einen weißen Strahl mit goldener Spiralumrandung ausstieß. Jenem wurde jedoch geschickt ausgewichen. Und kaum hatte der Krieger sein Ziel erreicht, schwang er seine rot leuchtende Klinge, mit der er der Bestie den Kopf abschlug. In dem Moment fuhr ein heftiger Schmerz durch Anyas Kopf. Sie stöhnte laut auf, senkte das Haupt und fasste sich an die Stirn. „Bist du in Ordnung?“, fragte ihr Freund überrascht. Anya schnaufte und sah wieder auf. „Kch! Alles bestens! Aus Kämpfen mit Angel Wing trage ich keinen Schaden davon!“ „Dessen bin ich mir durchaus bewusst. Darum hast du ihn schließlich gerufen – um diesem vernichtenden Angriff zu entkommen.“ Levrier fasste sich ans Kinn. „Ich fürchte nur, dass ich mit zwei Monstern auf dem Feld trotzdem an deine Lebenspunkte komme. Direkter Angriff, [Heroic Challenger – Spartan]!“ Jener warf seinen Speer in die Luft, packte ihn am Schaft und warf ihn zielgenau auf die Blonde. Welche mitten in der Brust getroffen wurde. Der Speer glitt durch sie hindurch und tauchte wie aus dem Nichts wieder in Spartans Hand auf, der ihn absetzte.   [Anya: 3900LP → 2300LP / Levrier: 1900LP]   Da sie nichts sagte, meinte Levrier schließlich. „Dann beende ich damit meinen Zug.“ Und kaum hatte er gesprochen, materialisierte sich über dem Mädchen der goldene Ring, aus dem der weiße Drache schoss. Obwohl Levrier auch das längst kannte, erklärte Anya trotzig: „Indem ich zwei Stufe 4-Monster von meinem Friedhof verbanne, kann ich Angel Wing am Ende des Zuges wiederauferstehen lassen!“ Sie schob [Gem-Armadillo] und [Alexandrite Dragon] in ihre Hosentasche.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   „Mein Zug! Draw!“ Voller Elan griff sie nach ihrem Deck und zog mit Schwung die nächste Karte. Sie betrachte jene eine Weile. Wie die Dinge im Moment standen, würde sie Levriers Name so schnell nicht von ihrer 'Pitchest Black'-Liste streichen können. Was einer mittelgroßen Katastrophe gleich kam. Er sollte der erste von vielen sein, verdammt! Wenn nicht er, wer dann!? Sich auf die Lippe beißend, mahnte Anya sich zur Konzentration. Es musste doch irgendeine Möglichkeit geben, [Heroic Champion – Kusanagi] zu besiegen. Aber der war stärker als alles, was sie aufbringen könnte. Wobei … es gab da vielleicht eine Karte. Neugierig griff Anya nach dem Extradeck, welches sich direkt unter dem regulären Kartenstapel befand, und zog es hinaus. Ihr Augenmerk lag auf einer weiß umrandeten Karte, die noch hinter ihren vielen Fusions- und wenigen Xyz-Monstern versteckt lag: [Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T]! Nachdem sie sich seinen Effekt durchgelesen hatte, blickte sie mit breit grinsender Miene auf. „Perfekt!“ Jetzt galt es nur noch, dieses Stufe 10-Synchromonster zu beschwören. Mit Angel Wing hatte sie schon einen Stufe 8-Nichtempfänger auf dem Feld und mit [Gem-Knight Lazuli] und dem Empfänger [Kuriboss] auch die restlichen Puzzleteile auf der Hand. Es gab nur ein Problem: Sie konnte nur einmal pro Zug ein Monster normalbeschwören. „Hrg!“ Es war zum Haare raufen. Könnte sie doch bloß zweimal … „Ah!“ Sie zählte etwas an ihren Fingern ab und blickte dann abermals mit dem Ausdruck von Erkenntnis auf. Levrier beobachtete das alles still. „Ich weiß genau, was ich tun muss, um zu gewinnen“, verkündete sie und griff nach ihrem Friedhof, aus dem sie [Gem-Knight Fusion] zog. „Ich verbanne Obsidian, um die hier zurückzubekommen und aktiviere sie auch gleich. Der [Angel Wing Dragon] vom Licht-Attribut wird mit [Gem-Knight Lazuli] von meiner Hand verschmolzen. Fusion Summon!“ Wieder öffnete sich über ihr ein Edelsteinwirbel, der den schlangenhaften Drachen sowie eine kleine, lehmfarbende Ritterin in sich aufnahm. Ein Lichtblitz erhellte das Elysion für einen kurzen Augenblick und Anya schrie regelrecht: „Erscheine, [Gem-Knight Seraphinite]!“ Ganz in Weiß schwebte ihre neue Ritterin aus dem Sog hinab. Das Innenfutter ihres langen Umhangs war dunkelblau, in der Hand hielt sie einen hellblau leuchtenden Degen.   Gem-Knight Seraphinite [ATK/2300 DEF/1400 (5)]   „Da Lazuli durch einen Karteneffekt auf den Friedhof gelegt wurde, erhalte ich ein normales Monster von meinem Friedhof zurück. Garnet“, erklärte Anya und zeigte jenen bereits vor, „und dank Seraphinites Fähigkeit kann ich neben meiner regulären Normalbeschwörung zusätzlich einen Gem-Knight normalbeschwören. Also erscheint, [Kuriboss] und [Gem-Knight Garnet]!“ Sie legte beide Karten neben die ihrer Ritterin auf ihre Duel Disk. Zu deren Rechten erschien ein kleiner, brauner Fellball in grauem Cape und mit Sonnenbrille auf der nicht existierenden Nase. Dagegen tauchte zu ihrer Linken der Flammen jonglierende Ritter des Granats auf.   Kuriboss [ATK/300 DEF/200 (1)] Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   Die Blonde legte eine Hand ans Kinn. „Wie ging der Spruch doch gleich, den Matt mir beigebracht hatte?“ „Soll ich ihn zitieren?“, neckte sie Levrier. „Nie im Leben! Das ist -mein- großer Moment!“ Anya streckte die Hand in die Höhe. „Alles ist versammelt! Ich stimme den Stufe 1-Empfänger [Kuriboss] auf meine Stufe 4 und 5-Ritter ein!“ Das kleine Fellknäuel stieg in die Höhe und zersprang in einen grünen Lichtring, der nicht etwa senkrecht, sondern waagerecht in die Höhe stieg. Die beiden Krieger folgten ihm, zerteilten sich in vier beziehungsweise fünf Lichtsphären, die den Synchrokreis in einer Reihe von unten nach oben passierten. „A heart of iron rests within the void of time and space! One beat, powerful enough to reverse the laws of nature! Synchro Summon!“ In dem Moment drang ein unglaublich greller Lichtblitz durch den sich ausweitenden Ring. Das Elysion erzitterte, als sich hinter Anya eine mindestens acht Meter hohe Silhouette erhob. „Break loose, [Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T]!“ Auf der stählernen Brust stach der türkisfarbene Buchstabe T hervor. Die Fäuste hingen an elektrischen Strängen und konnten frei bewegt werden. Und der Helm des Eisentitanen war bespickt mit vier Hörnern, die ineinander gewunden nach vorne zeigten. Anya stemmte die Fäuste in die Hüften und strahlte über beide Backen. „Das ist ein Monster ganz nach meinem Geschmack!“ Sie sah auf ihre Duel Disk, obwohl sie den Effekt kannte. Trotzdem las sie den Text der weißen Karten noch einmal, nur um sicherzugehen. „Wird er als Synchrobeschwörung gerufen, erhält er für jedes dafür benutzte Monster einen Zug lang 500 Angriffspunkte!“ So wie Anya, stemmte auch Heavy T seine Fäuste in die Seiten. Dabei begann er in orangefarbener Aura aufzuleuchten.   Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T [ATK/3000 → 4500 DEF/0 (10)]   Levrier klatschte in die Hände. „Bravo. Ein wirklich Respekt einflößendes Monster. Es steht auf einer Stufe mit [Heroic Challenger – Kusanagi].“ „Du hast nur eins übersehen, Kumpel“, erwiderte Anya und deutete mit dem Finger auf sein anderes Monster, „der blöde Spartaner ist auch noch da. Und jetzt rechne gut!“ Ein Treffer von Heavy Ts Eisenfaust würde den vergleichsweise winzigen Krieger bis ans Ende des Elysions schleudern und Levrier gleich mit. Sofern es so etwas wie ein Ende in dieser seltsamen Welt des eigenen Bewusstseins überhaupt gab. „Finden wir's doch heraus“, murmelte Anya zu sich selbst und schwang den Arm zur Seite, „Zeit, mein neues Baby auszuprobieren! Heavy T, greif' den Spartaner an! Gravity Reverse!“ Der Koloss hinter ihr ballte seine rechte Hand zur Faust und schoss sie regelrecht auf den Krieger ab, welcher sofort seinen Schild anhob. Kusanagi neben ihm streckte sein langes Schwert vor jenen.   Heroic Challenger – Spartan [ATK/1600 → 4100 DEF/1000 (4)]   Anya blinzelte. „Warte … was!?“ Der Samurai durchtrennte Heavy Ts Faust mit einem Hieb, doch trotzdem zerschmetterte deren untere Hälfte den Spartaner im wahrsten Sinne des Wortes und setzte sich im Rückwärtsflug wieder zusammen. Die dabei entstandene Druckwelle ließ Levrier mit einer eleganten Handbewegung verpuffen, bevor sie ihn überhaupt erreichte.   [Anya: 2300LP / Levrier: 1900LP → 1500LP]   „W-wieso ist der auf einmal so stark gewesen!?“, verlangte Anya umgehend zu wissen, zeigte mit zuckendem Zeigefinger auf die Stelle, die der Krieger einst für sich beansprucht hatte. Levrier lachte. „[Heroic Challenger – Spartan] ist stolz, versteht jedoch etwas von Zusammenarbeit. So hat er bei deinem Angriff die Basisstärke von [Heroic Challenger – Kusanagi] erhalten, was bedauerlicherweise trotzdem nicht genug war, um den Kampf zu gewinnen. Fast wie in diesem Film, den du vor ein paar Monaten an einem DVD-Abend mal angesehen hast.“ „Keh“, keuchte Anya grimmig. Sie presste die Lippen so fest aufeinander, dass die blasser und blasser wurden. Denn was sie jetzt eigentlich hätte erzählen müssen war, dass Heavy T nach seinem Angriff in den Verteidigungsmodus ging. Was sie sich allerdings sparen konnte, da es sich von selbst erklärte, wie er hinter ihr in die Knie ging.   Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T [ATK/4500 DEF/0 (10)]   Im Grunde hatte sie nichts erreicht. Statt Levriers Lebenspunkte auf null zu setzen, hatte sie dem Immateriellen lediglich einen weiteren Kratzer zugefügt. Seine zwei Monster waren weiterhin auf dem Feld. Moment!?   Heroic Challenger – Thousand Blades [ATK/1300 DEF/1100 (4)]   Anya weitete die Augen beim Anblick des Ritters mit den zahllosen Schwertern auf dem Rücken, der wie aus dem Nichts neben Kusanagi aufgetaucht war. „Wo kommt der denn her!?“ „Oh, das habe ich ja noch gar nicht erwähnt“, spielte Levrier süffisant lachend mit der Unkenntnis seiner Gegnerin, „[Heroic Challenger – Thousand Blades] kehrt von meinem Friedhof in Angriffsposition auf das Feld zurück, wenn du mir Kampfschaden zufügst, Anya Bauer.“ „Yay“, dröhnte die gelangweilt. Was nun? Ihr Blatt war leer, ihr Feld abseits von Heavy T ebenso. Jetzt blieb ihr nur noch eines zu hoffen: Dass Levrier sich nie wirklich mit [Angel Wing Dragon] beschäftigt hatte. Denn als sie ihren Zug für beendet erklärte, tauchte jener aus seinem goldenen Ring zischend wieder auf, wobei das Mädchen die Gem-Knights Alexandrite sowie Garnet aus ihrem Friedhof entfernte und in die Hosentasche steckte. Damit verlor Heavy T auch seinen Punkteboost.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)] Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T [ATK/4500 → 3000 DEF/0 (10)]   Levrier zog und zeigte die neue Karte vor, welche ein Stufe 6-Monster namens [Heroic Challenger – War Hammer] war, die er anschließend in den Friedhofsschlitz schob. „Wie du bereits weißt, vermag [Heroic Challenger – Thousand Blades] durch das Abwerfen einer Heroic-Karte einen Herausforderer aus meinem Deck zu beschwören.“ Ein Lichtpunkt tauchte neben den sich niederknienden Schwertmeister auf. Schnell wurde deutlich, dass dessen Ursprung eine Laterne war, die ein ganz in Schwarz vermummter Söldner mit sich führte. Der Immaterielle nannte ihn: „[Heroic Challenger – Night Watchman].“   Heroic Challenger – Thousand Blades [ATK/1300 DEF/1100 (4)] Heroic Challenger – Night Watchman [ATK/1200 DEF/300 (4)] „Nun errichte ich das Overlay Network“, führte Levrier seine Erklärung fort. Vor ihm öffnete sich der bekannte Galaxienwirbel, in denen die beiden als braune Lichtstrahlen hineingezogen wurden, „damit aus meinen beiden Stufe 4-Kriegern ein Rang-4-Krieger wird! Xyz Summon!“ Eine grelle Lichtexplosion erfolgte. Aus dem Strudel erhob sich eine mächtige Gestalt, die mühelos ein riesiges Breitschwert in einer Hand halten konnte. Die Rüstung des Kriegers war silbern mit roter Umrahmung, am Helm befand sich ein goldenes Kreuz. Bei seinem Auftauchen donnerte es wie bei einem Gewitter, die klassische Musik im Hintergrund verstummte abrupt. „Darf ich vorstellen? [Heroic Champion – Excalibur]!“ Zwei Lichtsphären umkreisten jenen.   Heroic Champion – Excalibur [ATK/2000 DEF/2000 {4} OLU: 2]   Anya schluckte. Scheinbar machte ihr Freund jetzt richtig Ernst, wenn er dafür extra entsprechende Stimmung schaffte. Trotzdem war dieser Knilch nicht mal stark genug, es überhaupt mit Angel Wing aufzunehmen. „Ich zeige dir auch umgehend seinen Effekt. Für seine beiden Overlay Units verdoppelt er bis zum Ende deines nächsten Zuges seinen Grundangriffswert.“ „Huh!?“ Anya weitete die Augen, als der Held das sprichwörtliche Excalibur in die Höhe hielt. Ein Blitz schlug in jenes ein und erzeugte eine knisternde Spannung. Anya bekam eine Gänsehaut.   Heroic Champion – Excalibur [ATK/2000 → 4000 DEF/2000 {4} OLU: 2 → 0]   Mit einem Schnippen von Levriers Fingern klappte plötzlich dessen gesetzte Karte auf. Zu Anyas Überraschung war es keine Falle, sondern ein herkömmlicher Zauber, den der Immaterielle in [Gem-Knight Pearls] Gestalt in ihrem Zug gar nicht hätte spielen können. Aber sie kannte den sich erhebenden Soldaten auf dem Artwork, vor dem ein weißes Kreuz prangerte. Erschrocken stieß sie aus: „D-das ist [Stop Defense]!“ „Exakt. Eine Magie, die deinen Heavy T jetzt in den Angriffsmodus zwingt.“ Tatsächlich stand der Stahltitan hinter ihr plötzlich aufrecht und ballte die Fäuste zum Angriff.   Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T [ATK/3000 DEF/0 (10)]   Der ging wirklich in die Vollen, erkannte Anya panisch. Als wäre er jemals darauf reingefallen, Heavy T vorab mit einem schwächeren Monster anzugreifen, damit sie die Attacke auf [Angel Wing Dragon] umleiten konnte! Wenn so ein Kaliber wie dieser Excalibur für Levrier nur ein Mittel war, um jenen loszuwerden, was wartete dann noch auf sie!? Sie sah auf ihre Duel Disk und sofort wieder auf. „Shit!“ „Du weißt, was jetzt kommt. Ich strecke erst deinen Drachen ein für allemal nieder …“ Auf Levriers Nicken hin ließ Excalibur noch einmal einen Blitz in seine Waffe einschlagen, ehe er wie ein ebensolcher auf den weißen Drachen zuschoss und mit zwei Hieben über Kreuz regelrecht schlachtete. Die Explosion verursachte bei Anya tatsächlich Kopfschmerzen. Keuchend wich sie zurück. „Kein Kampfschaden, schon vergessen!?“ „Natürlich nicht“, entgegnete Levrier, „aber bei deinem Neuzuwachs sieht das anders aus. Los, [Heroic Champion – Kusanagi]!“ Ganz im Gegensatz zu seinem Kameraden, schritt der Samurai mit der Leuchtklinge nur langsam auf sein Ziel zu. Weshalb Levrier genug Zeit hatte, ein paar strenge Worte an Anya zu richten. „Sag, denkst du wirklich, dass -das- ausreichen wird, um Duel Queen zu werden?“ „W-was soll das heißen!? Noch habe ich nicht verloren, klar!?“ „Du kämpft verbissen, ohne Frage. Doch ich sehe-“ Weiter kam er nicht, denn in diesem Moment bezog Kusanagi vor Anya Position und holte mit seiner Waffe aus. Das Mädchen keuchte und hob die Arme zum Schutz. Was dann jedoch geschah, erwischte sie eiskalt. Denn die Klinge wuchs, wurde geschwungen und glitt sowohl durch sie als auch durch ihren Titanen hindurch. Sie kratzte über die Oberfläche des Elysions. Und dann passierte es. Ihre Hälfte des Mosaiks brach regelrecht auseinander.   Wie in Zeitlupe begann Anya in die Dunkelheit zu fallen. Levrier stand nur regungslos da, unternahm nichts. Sie streckte noch ihre Hand nach ihm aus, aber da war er schon hinter dem Rand der Plattform verschwunden. Das Mädchen wollte um Hilfe schreien, aber die Worte blieben ihr im Halse stecken. Alles wurde schwarz.   ~-~-~   Anya stieß die Luft aus ihren Lungen förmlich aus. Es war kalt. Eiskalt. Und dunkel. Nicht, dass das Elysion nicht schon finster genug war, aber plötzlich war alles anders. Sie stand nicht mehr, fiel nicht mehr – sie saß. Und starrte auf eine leere Straße. „W-was zum-!?“ Sie fuhr als Beifahrer in einem Auto. Am Rückspiegel hing eine kleine Dufttanne, die Scheinwerfer waren auf die Landstraße gerichtet. Es war mitten in der Nacht, aber der Mond hing in seiner Gänze am Himmel. Aus dem Radio trällerte ein Song, der Anya vertraut vorkam.   Every little piece of my heart belongs To you, I'll carry on For you I'll sacrifice myself   Wie gelähmt sah Anya zum Fahrer. Doch von dem war nicht viel zu sehen, hatte er sich in einen dunkelgrauen NFL-Hoodie gehüllt. Die Kapuze war tief ins Gesicht gezogen. Destiny was there to abandon me You're my eternity, the reason I fight Instead of just break down and cry   „W-wo bin ich hier!? Wer zur Hölle bist du!?“ Keine Reaktion. Er fuhr stur geradeaus. In der Ferne konnte Anya ein Waldstück erkennen. „Hey!“, fuhr sie ihn an. Als er wieder nicht antwortete, schlug sie mit der Faust nach seiner Schulter – nur um durch jene hindurch zu gleiten. „Huh!?“ Es passierte so schnell, dass Anya kaum wusste, was um sie herum geschah. Ein greller Blitz voraus blendete sie. Die Welt drehte sich, es krachte furchtbar laut.   Und sie stand wieder aufrecht, doch immer noch nicht in ihrem Elysion. Nein, plötzlich war sie im Wald, am Straßenrand. Weiter voraus zu ihrer Rechten lag der Wagen, ein ziemlich alter, roter Ford Escort. Er war umgestürzt, als wäre er in einen Unfall verwickelt gewesen. Anya fasste sich an die Stirn und erschrak, als sie bemerkte, dass sie feucht war. Blut klebte an ihrer Hand. „Oh shit!“ Was war mit dem Fahrer!? Sofort eilte sie zum Wagen. Alle Scheiben waren zersplittert, die Airbags lagen schlaff auf dem Dach des Fahrzeugs, doch ansonsten war dort nichts. „Wir müssen hier weg!“, hörte sie eine schrille, geradezu überirdische Stimme, die klang, als wäre sie durch mehrere Filter verzerrt worden. Der Klang schmerzte so stark in ihren Ohren, dass sie jene reflexartig zuhielt. Mit geweiteten Augen wirbelte sie herum, weiter von der Straße weg. Dort stand der Mann im Hoodie, sein Gesicht war nicht zu erkennen. Er war von großer, schlanker Statur, eine Bohnenstange wie Harper, aber doch nicht ganz so groß wie er. Und er wirkte verloren, mit herabhängenden Armen. Auch seine Kleidung war von Blut gezeichnet. Anya ließ von ihren Ohren ab. „Erklär' mir, was diese Scheiße hier soll! Bist du in mein Elysion eingedrungen oder was!?“ „Wir haben keine Zeit für so etwas, Anya!“, kam es tadelnd zurück. Sofort bereute sie es, ihn angesprochen zu haben, schmerzte seine merkwürdige Stimme doch so furchtbar in ihrem Kopf.   Wie konnte das überhaupt sein, was war das hier!? Vor wenigen Minuten hatte sie sich noch auf dem Mosaik ihres Elysions mit Levrier duelliert und jetzt schien sie in einem B-Movie festzustecken. „Levrier?“, rief sie erfolglos nach ihrem Freund. „Wenn wir noch länger warten, holt er uns ein.“ Diesmal schmerzten die Worte des Fremden nicht. „Willst du das riskieren!?“ Erst jetzt bekam Anya wieder einen Migräneanfall und hielt sich die Stirn. „W-was soll das, vor wem rennen wir denn überhaupt weg!?“ Was er dann sagte, konnte sie nicht verstehen. Und das lag vor allem daran, dass jedes seiner Worte so verzerrt war, dass es nicht mehr einer menschlichen Sprache zugeordnet werden vermochte. Es schmerzte derart, dass Anya stöhnend in die Knie sank. Sich die Ohren zuhaltend, schrie sie: „Halt dein verdammtes Maul, du bringst mich um!“   Er hörte zu ihrer Überraschung sogar auf sie. Dann hob er den Arm, an dem eine typische Battle City-Duel Disk erschien. „Vielleicht ist das der einzige Weg.“ Anya sah überrascht auf. „Ein Duell!? Also bist du ein Feind!?“ Vielleicht waren die Undying in ihr Elysion eingedrungen!? Wer wusste schon, über was für Fähigkeiten diese beiden Verrückten verfügten! Sie musste hier weg und Levrier finden, irgendwie. Sie sah sich um. Wegzurennen hieße, wieder zurück zur Landstraße zu eilen. Aber sie befürchtete fast, dass jene nirgendwohin führen würde. Und angenommen das alles spielte sich nach wie vor in ihrem Kopf ab, gab es sowieso kein Entkommen. „Bist du noch zu retten!?“, reagierte ihr Gegenüber regelrecht gekränkt. „Du musst dir wirklich den Kopf gestoßen haben. Oder … warte! Bist du etwa … !?“ Tatsächlich erschien dieser Typ Anya im Vergleich zu all ihren anderen übernatürlichen Begegnungen sogar relativ harmlos. Verzweifelt gar. Kannte sie ihn? Oder war das alles nur Show? „Normalerweise würde ich jetzt ein paar Antworten aus dir rausprügeln“, murrte Anya und aktivierte ihre eigene Duel Disk, die sich anscheinend zwischenzeitlich in ihren Urzustand zurückgesetzt hatte. „Da mir die aber beschissene Kopfschmerzen bereiten, kriegst du deine Abreibung diesmal gratis!“ „Mit dir stimmt was nicht“, kam ein abweisender Kommentar. Und beide riefen: „Duell!“   [Anya: 4000LP / ???: 4000LP] Anya hatte gerade einmal drei ihrer fünf Startkarten gezogen, da riss ihr Gegenüber förmlich eine sechste vom Deck. Nur um dann scheinbar nachdenklich auf seine Duel Disk zu schauen. „Nur noch ein Duell …“ Das Mädchen zog eine Augenbraue an. „Ich setze ein Monster und eine Verdeckte. Du bist!“ Zischend materialisierte sich sein Monster in horizontaler Lage als Kartenrücken, hinter diesem in vertikaler seine gesetzte Karte.   „Was ist dein Problem?“, fragte Anya perplex und zog. Sie hatte schon vieles erlebt, aber das hier war definitiv ihr bisher merkwürdigstes Erlebnis. Fast fühlte es sich an, als ob sie träumte. Konnte man in seinem eigenen Elysion einschlafen? „Was auch immer, bringen wir das hier hinter uns!“ Sie zückte [Gem-Knight Fusion]. Über ihr öffnete sich ein Edelsteinwirbel, in dem ein goldener und ein hellblauer Ritter gezogen wurden. „Ich verschmelze [Gem-Knight Tourmaline] und [Gem-Knight Sapphire]! Erscheine, [Gem-Knight Topaz]!“ Der Sog wurde in einen Sturm umgekehrt, aus dem elegant ein neuer, goldener Ritter in blauem Umhang herabgeschwebt kam. Während Anyas Widersacher von der Druckwelle einen halben Schritt zurückgedrängt wurde, landete Topaz mit seinen beiden Blitzdolchen in den Händen vor dem Mädchen. Bestimmt richtete sie den Zeigefinger auf das gesetzte Monster ihres Gegners. „Machen wir kurzen Prozess! First Strike!“ Unmittelbar danach zischte ihr Krieger schwebend über das Gras und holte, einmal angekommen, zum Schlag aus. Der Kartenrücken der feindlichen Kreatur wirbelte um die eigene Achse – und dann geschah etwas, mit dem Anya nicht gerechnet hatte. Als Topaz nach dem noch nicht sichtbaren Monster schlug, prallte sein Angriff an einer unsichtbaren Barriere ab. Er wurde durch eine massive Druckwelle zurückgeschleudert. Jene erfasste auch Anya, blendete sie regelrecht und riss sie fort.   Entsetzliche Schmerzen. Ihr ganzer Körper schien auseinander zu reißen. Sie lag auf dem Boden, mit geschlossenen Augen. Was war gerade geschehen!? Hatte er einen Effekt ausgelöst!? Sie öffnete die schlaffen Lider und sah den Sternenhimmel. Sich leicht zur Seite drehend, konnte sie den umgestürzten Ford Escort ein paar Meter weiter sehen. Und diesen Typen! Er lag auf dem Bauch, kaum zwei Meter von ihr entfernt. In einer Blutlache! Anya streckte die zitternde Hand nach ihm aus, doch er rührte sich nicht. Sie wusste selbst nicht warum, aber sie musste ihn erreichen, irgendwie! Er war-! Ihr Arm sackte hinab. Und Dunkelheit umarmte sie.   ~-~-~   „Anya Bauer, konzentriere dich!“ „W-was!?“ Das Mädchen blinzelte verdutzt. Levrier stand mit verschränkten Armen auf der anderen Seite ihres Elysions und starrte sie abwartend an.   [Anya: 2300LP → 800LP / Levrier: 1500LP]   [Heroic Champion – Kusanagi] war längst an die Seite seines Kameraden Excalibur zurückgekehrt und bezog Stellung. „Du hättest den Effekt von [Kuriboss] nutzen sollen, um den Schaden zu reduzieren!“, tadelte ihr Freund sie, scheinbar völlig unwissend über das, was Anya gerade widerfahren war. Die fasste sich an ihre Stirn. Keine Kopfschmerzen mehr, gar keine Schmerzen -irgendwo-! Was hatte sie da gerade erlebt!? „Levrier, hast du das gesehen!?“, fragte sie für ihre Verhältnisse untypisch aufgelöst. „Ich saß plötzlich in so'ner Schrottkarre. Dann gab's 'nen Unfall und dieser Typ, der Fahrer, der hat mich blöd angemacht und-“ „Wovon sprichst du?“ Levrier schüttelte den Kopf. „Du warst die ganze Zeit hier.“ „E-es war wie ein Traum. Vielleicht hat irgendjemand versucht, in mein Elysion einzudringen!?“ „Das hätte ich bemerkt. Bei allem Respekt“, erwiderte er und schüttelte den Kopf, „deine Ausreden waren schon kreativer. Oder besser gesagt: Bisher hast du nie solche benötigt. Soll ich das als Fortschritt ansehen?“ Er glaubte ihr nicht? Ausgerechnet -er-!? Anya war sprachlos. Und das bemerkte Levrier anscheinend, denn er gab ein nachdenkliches Geräusch von sich. „War ich … wirklich nicht weg?“, fragte die Blonde nach einer Weile vorsichtig. „Nein.“ Er machte eine Pause. „Da ich offensichtlich nichts Ungewöhnliches feststellen konnte, kann ich dir auch keine Antworten geben. Womöglich hat es sich dabei um eine Vision gehandelt.“ Anya blickte nach oben, in die ewige Dunkelheit. „Meinst du, ich bin jetzt unter die Seher gegangen oder was?“ „Möglich. Willst du mir sagen, was du erlebt hast?“ In ein paar kurzen Sätzen fasste Anya ihren kurzen 'Ausflug' noch einmal zusammen. „… es hat sich angefühlt, als wäre ich gestorben. Scheiße, das ist nicht mal übertrieben …“ „Vielleicht solltest du mit Matthew Summers darüber sprechen.“ Levrier seufzte schwer. „Wir sollten dieses Duell abbrechen. Du bist offensichtlich zu aufgewühlt, um noch weiter effizient zu spielen.“ Anya nickte beklommen. „Y-yeah.“ Trotzdem zog sie noch ihre nächste, ihre einzige Karte – [Gem-Knight Turqouise]. Mit welchem sie [Gem-Knight Pearl] mit 5200 Angriffspunkten aufs Spielfeld hätte bringen können. Doch die Illusionen der beiden heroischen Krieger verschwanden bereits. Parallel dazu betrachtete auch Levrier seine Handkarte: [Heroic Challenger – Swordshield].   ~-~-~   Entgegen Levriers Vorschlag hatte Anya ihren Freunden nicht gleich zum nächstbesten Zeitpunkt von ihrem Erlebnis im Elysion erzählt. Tatsächlich hatte sie die nächsten Tage versucht, die Erinnerung so gut es ging zu verdrängen. Was ihr auch gelang, bis zu dem Moment, als sie zwischen Zanthe und Matt in einer Dreierreihe im Flugzeug saß, welches bald abheben und Richtung Ephemeria City reisen würde. Und natürlich war es Levrier, der sie unbedingt auf ihr Versäumnis hinweisen musste.   Du solltest das Ganze nicht länger hinauszögern, Anya Bauer! Die beiden haben längst bemerkt, dass etwas an dir nagt!   „Musst du wieder damit anfangen!“, fauchte das Mädchen zurück. Was ihr viele perplexe Blicke seitens der anderen Passagiere einbrachte, kam der Ausbruch schließlich aus dem Nichts. Matt zu ihrer Linken betrachtete sie ebenfalls skeptisch. „Stimmt etwas nicht?“ „Die ist doch schon seit vorgestern so komisch“, winkte der Kopftuchträger zu ihrer Rechten gleich ab. „Denk dran, der Nächste, der sie das fragt, sollte eigentlich eine Faust in den Magen bekommen.“ Anya schnaufte. „Verdammt richtig! Mir geht’s gut, klar?“ Wenn man bedachte, dass sie auch mit wenig Schlaf auskam und sowieso nichts von Blutlachen und Verkehrsunfällen hielt, stimmte das sogar. Verdammt, sie konnte sich ja kaum noch an das erinnern, was sie da gesehen hatte! „Ich meine ja bloß“, stöhnte Matt und ließ den Kopf hängen. Zanthe kicherte. „Wir wissen doch genau, was unsere kleine Schlägerbraut so sehr beschäftigt. Fängt mit L an und hört mit ogan auf. Stimmt's oder hab ich Recht?“ Eine Faust hatte er an der Wange, das hatte er! Und trotzdem blinzelte er mit fettem Grinsen unter dem Aufschrei der anderen Gäste neugierig zurück. Während Matt mäßig erfolgreich versuchte, den Anwesenden das Ganze als Neckerei unter Freunden zu verkaufen, knurrte Anya nur wie ein tollwütiger Straßenköter.   Nachdem sich daraufhin ein Mantel des Schweigens über sie gelegt hatte, welchen der Werwolf natürlich absolut nicht dulden konnte, wurde das Thema gewechselt. „Oh, ach übrigens, ich habe neulich ein Telefonat von Mr. Palmer belauscht“, gluckste er und starrte bewusst aus der Luke. Matt musste trocken auflachen. „Wenigstens hüllst du es gar nicht erst in beschönigende Worte.“ Gar nicht darauf eingehend, stupste der Werwolf seine Sitznachbarin mit dem Ellbogen an. „Rat mal, mit wem er gesprochen hat?“ Anya erwiderte genervt: „Keine Ahnung, mit Boy George? 'ne andere Erklärung habe ich für dein pubertierendes Getue grad' nicht!“ Nochmals wurde sie angestoßen und reckte diesmal fuchsteufelswild den Kopf in Zanthes Richtung, welcher diabolisch gut gelaunt grinste. „Mit deinem Vater, Dummerchen!“ Sofort riss Anya die Augen so weit es ging auf. „Was!?“ „Hat sich nach dir erkundigt und sich für dich entschuldigt.“ Zanthe kicherte verschlagen. „War ihm ultrapeinlich, was du in den wenigen Monaten seit deiner Einstellung so abgezogen hast.“ Die Kinnlade des Mädchens klappte hinunter. „A-aber ich-!?“ „Ach komm, so schlimm war es nicht“, beruhigte er sie sofort, nachdem er ihr entsetztes Gesicht sah, „aber viel mehr kam dabei wirklich nicht herum. Ich hätte ja gedacht, dass er dich wenigstens grüßen lässt.“ „Dad ist so. Hat immer viel zu tun.“ Anya winkte ab, aber der Kopftuchträger sah aus den Augenwinkeln, wie sie betrübt den Blick senkte. Matt fragte neugierig: „Du hast ihn noch nie erwähnt, jedenfalls nicht dass ich wüsste. Was macht-“ Doch als er sah, wie Zanthe ihm mit flacher Hand außerhalb von Anyas Blickfeld abwinkte, bohrte er nicht weiter nach und verstummte. Und Anya sagte auch nichts.   Als sie das Wort schließlich ergriff, ging es um etwas ganz anderes. Es sprudelte einfach so aus ihr heraus, völlig unfreiwillig und selbstredend hasste sie sich sofort dafür. „Ich hatte neulich ein ziemlich seltsames Erlebnis.“ Einmal angefangen, hatte es aber auch keinen Sinn mehr, noch einen Rückzieher zu machen. Also fasste sie sich ein Herz und berichtete ihnen von ihrer Begegnung im Elysion, oder wie auch immer man es auch bezeichnen sollte. Gleich darauf zuckte Zanthe nur ratlos mit den Schultern. Im Gegensatz dazu erklärte Matt: „Bist du dir sicher, dass es nicht nur ein Traum war?“ „Ich sagte doch, es fühlte sich nicht so an! Wenn ich jemals sterbe, dann hoffentlich nicht so!“ „Das haben Klarträume so an sich“ Der schwarzhaarige Dämonenjäger gestikulierte mit der rechten Hand vor sich hin, „das Elysion ist im Grunde genommen ein Teil deines Bewusstseins. Es ist nichts Außergewöhnliches daran, dort auch Träume zu erleben und gar zu steuern.“ Anya protestierte sofort: „Aber ich bin nicht eingeschlafen! Ich war zu dem Zeitpunkt nicht mal müde!“ „Levrier hat nichts festgestellt, sagst du. Und glaub mir, Besessenheit fühlt sich anders an.“ Da Matt ihr scheinbar nicht folgen konnte, wandte Anya sich hilfesuchend an Zanthe. Der aber zuckte mit den Schultern. „Sorry, aber von so etwas habe ich keine Ahnung.“ Zurück bei Matt funkelte sie diesen an. „Es war kein Traum. Aber auch keine Erinnerung! Ich war nie in einen Verkehrsunfall verwickelt. Aber der Typ da, der war …“ „Anya. Ich weiß, dass es schwer ist, das einzuordnen. Wir wissen zu wenig über das Elysion, um klare Aussagen zu treffen, wie es funktioniert. Es ist nahezu unmöglich, es auf bestimmte Umstände zu erforschen, wenn man jene nicht hervorrufen kann.“ Der junge Mann verzog bei Anyas fragendem Gesichtsausdruck eine Miene, verstand sie offenbar nicht, was er damit meinte. Er seufzte und sagte anschließend. „Ich denke nicht, dass du dir Sorgen machen musst.“ „'kay“, nahm jene dies schließlich so hin und sank tiefer in ihren Sitz. „Und trotzdem war's kein Traum!“ Was ihre Freunde dazu bewog, über ihren Kopf hinweg verzweifelte Blicke auszutauschen. Im Hintergrund erklang dabei die Stimme der Kapitänin des Flugzeugs. Ich begrüße Sie auf dem Flug nach Ephemeria City. Wir werden …   „... uns wiedersehen“, murmelte Anya geistesabwesend. Kapitel 95: Extra Turn 88.5: A Genuine Smile -------------------------------------------- Extra Turn 88.5 – A Genuine Smile     „Mutter“, fragte Eli Bauer, neun Jahre alt, der er am schmalen Holztisch in der Küche saß und seine Cornflakes löffelte, „warum ist Vater nie da?“ Elenore Stevens drehte sich von der Spüle um. Das brünette, glatte Haar hatte sie hinter die Ohren geklemmt. „Eli, du weißt, dass er viel arbeiten muss.“ „Er ist lieber bei seiner anderen Familie.“ Es war eine unterkühlte Feststellung. Seine Mutter seufzte. Sie legte einen abgewaschenen Teller beiseite, eilte durch die karge Küche und kniete vor ihm nieder. „Das … das stimmt nicht.“ „Du lügst“, stellte Eli erneut eisig fest. Die junge Frau machte eine Pause. In ihren dunkel unterlaufenen Augen standen Tränen. „Ja, Eli. Ja. Aber manchmal, wenn die Wahrheit so schrecklich erscheint, dass man sie nicht ertragen kann, macht man etwas … Schöneres aus ihr.“ „Eine Lüge.“ „Scheiße“, fluchte seine Mutter vor sich hin, bereute sie ihre ungeschickt gewählten Worte, „Eli, dein Vater-“ Als interessiere ihn das gar nicht, fragte der Junge: „Wann sehe ich endlich meine Schwester?“ „B-bald.“ „Du lügst schon wieder.“ Damit hatte er sie endgültig sprachlos gemacht.   An diesem Tag hatte Eli für sich entschieden, dass Lügen hilfreiche Mittel waren, um seine Ziele zu erreichen. Und am Beispiel seiner Mutter begriffen, dass schlechte Lügen unangenehme Situationen hervorriefen, weshalb man sie vermeiden sollte. Und er erkannte, wie viel Gram in ihm steckte. Was er tun musste, um jenen zu begraben. Dass er von der brennenden Frage herrührte, ob es dem anderen Kind seines Vaters genauso ging wie ihm? Ob sie ihr Leben ebenso hasste wie er seines verabscheute. Eli Bauer war schon immer von distanzierter und abweisender Natur. Und daran, so sagte er sich selbst viele Jahre später, war ganz allein sein Erzeuger schuld.   Als Nick Harper das geräumige Büro betrat, mussten seine Augen sich erst an die verhältnismäßige Dunkelheit gewöhnen. Nur von einer kleinen Schreibtischlampe drang gedämpftes Licht zu ihm. Der groß gewachsene, junge Mann schloss leise die Tür hinter sich. Der schwarze Ledermantel, den er sich übergezogen hatte, reichte bis zu seinen Füßen. „Guten Abend“, wünschte er der Person, die am Ende des Zimmers an einem langen, zur rechten Seite hin gewundenen Schreibtisch saß. Jene saß jedoch mit der Lehne zu ihm gedreht und sah aus dem Fenster. Sie war die einzige im ganzen Komplex, die zu so später Stunde noch arbeitete. Keine Reaktion. Nick sah sich vorsichtig um. Zu seiner linken hing ein großes Gemälde einer Enthauptung im 16. Jahrhundert direkt über einer Sitzecke. Jener gegenüber befand sich eine kleine Bar aus Ahorn, gut bestückt mit Gläsern, Flaschen voller Alkohol und sogar einer kleinen Schatulle, in der sich vermutlich Zigarren befanden. Sein Blick wanderte wieder zu dem Bild über den bequemen Ledersesseln herüber. „Einladend“, schnarrte er zynisch. Dass hier überhaupt irgendeine Form von Gastfreundlichkeit aufkam erstaunte ihn schon, aber gleich eine ganze Minibar? Gewiss nicht die Idee des Mannes am Schreibtisch, dessen war er sich sicher.   Er trat näher an den Schreibtisch heran. „Du hast kein warmes Wort für den verlorenen Sohn übrig, ‚Dad‘? Ich bin enttäuscht.“ Die nachfolgende Stille war Antwort genug. Nick kam näher und näher, griff in seine Manteltasche. „Ich könnte jetzt spekulieren, dass von den Toten Auferstandene sogar dir die Sprache verschlagen“, überlegte er dabei laut, „aber dass ich noch lebe ist dir ja schon lange nicht neu. Und ich möchte sagen, lebende Tote wären es auch nicht.“ Als er an dem dunklen Holzschreibtisch angelangt und beide Hände raufklatschte, drehte sein ‚Gastgeber‘ sich schließlich zu ihm um. Den stechenden Blick aus den klaren, blauen Augen konterte Nick fest mit seinem eigenen. Er würde nicht zurückschrecken, nicht vor diesem Mann. „Was willst du mir damit sagen, Eli?“, fragte Mr. Bauer. Wobei es schon mehr wie eine Forderung klang, die es unbedingt zu erfüllen galt. „Auch schön, dich zu sehen, ‚Dad‘“, hielt Nick dagegen, „wobei die Bezeichnung ‚Erzeuger‘ mir doch besser gefällt. Aber das ist zu lang.“ Sein Gegenüber faltete die langen, dürren Finger ineinander. Er hatte sich sehr verändert, war alt geworden. Stirn und Augenwinkel voller Falten, der stets fein getrimmte Bart inzwischen weiß wie Schnee, ebenso das kurz geschorene Haar. „Hast du meine ‚Botschaft‘ erhalten?“, fragte Nick geheimnisvoll und ließ vom Schreibtisch ab, ohne seinen Erzeuger dabei aber aus den Augen zu lassen. „Ich hasse es, mich zu wiederholen. Wovon redest du?“ Anscheinend nicht. Also hatte Aiden ihm bisher nicht verraten, dass Nick via Monochrome versucht hatte einen Anschlag auf ihn zu verüben. Sein ehemaliger Geliebter hatte jenen rechtzeitig verhindert und Nick heimlich dabei gefilmt, wie dieser alles an Aidens Laptop vorbereitet hatte. „Nicht so wichtig“, winkte Nick beiläufig ab. Er wusste, wie sehr dieser Mann es hasste, wenn man seine Fragen nicht beantwortete. „Jetzt bin ich hier. Nach über fünf Jahren.“ Sein Gegenüber erhob sich und strich dabei sein Sakko glatt. „Dass du dich mir so offenkundig zeigst bedeutet, dass du etwas von mir willst. Etwas, dass dir kein anderer gewähren kann. Du hast Mut, dich mir so dreist gegenüber zu stellen, Eli.“ „Wie gut du mich doch kennst, obwohl man unsere Begegnungen an einer Hand abzählen kann“, stichelte Nick und entfernte sich rückwärts laufend von Mr. Bauer. Dabei hob er seinen Arm, an dem seine Duel Disk befestigt war. „Es gibt wirklich nur eine Sache, die nur du für mich tun kannst.“ „Du bist hierher gekommen, um dich mit mir zu duellieren?“, spottete das Oberhaupt seiner Familie höhnisch. „Hast du jetzt endgültig deinen Verstand verloren?“ „Wer weiß“, nuschelte Nick wieder verschwörerisch, als er auf genug Abstand gegangen war. „Ich duelliere mich nicht mehr.“ „Offiziell oder inoffiziell?“ Nick beobachtete ihn genau dabei, wie Mr. Bauer nach einer Schublade zu dessen rechten griff und sie öffnete. Dabei flötete sein Spross: „Hach ja, was für eine Entwicklung du durchlebt hast. Angehender Profiduellant, Senator … in Ungnade gefallener Senator. Und jetzt bist du der Kopf dieses Babys.“ Er breitete seine Arme dabei weit aus, ließ sie dann aber schnell wieder sinken. „Aber ist das wirklich die ganze Geschichte?“ Sein Vater zog es vor nicht zu antworten. Stattdessen zückte er aus besagter Schublade ein Deck sowie eine Duel Disk, die Nick bei ihrem Anblick abrupt verstummen ließ. Überall Kratzer, ausgebleichtes Grau – das war Anyas Duel Disk! „Woher hast du die?“ „Meine Tochter hat sie mir zur Verwahrung zugesandt, bis sie sie sich zum rechten Zeitpunkt abholt.“ „Du bist wirklich dumm“, schnarrte Nick, „diese Duel Disk wurde Anya gestohlen. Derjenige, der sie dir geschickt hat, war-“ Autoritär unterbrach Mr. Bauer seinen Sohn: „Erspare mir deine Behauptungen. Sie haben schon genug angerichtet.“ Nick lachte gehässig. „Wie du willst. Aber ich würde aufpassen. Vielleicht ist eine Bombe darin versteckt. Wäre nicht das erste Mal.“ „Eli“, knurrte dessen Vater. Eine Ader auf seiner Stirn pochte sichtbar. Dabei schob er sich den Apparat über den Arm. „Tick tack“, konterte Nick jedoch gehässig. Dann aktivierte er seine eigene Duel Disk. „Damit wir uns richtig verstehen“, stellte Mr. Bauer klar, als er dasselbe tat, „betrachtete dieses Duell als den ersten und letzten Gefallen, den ich dir erweisen werde.“ „Ich weiß, mit väterlicher Zuneigung hast du es nicht so. Aber schön, dass ich dich nicht extra daran erinnern muss.“ Die Augen des großen, zerzausten Mannes funkelten böse. „Hat mein Spinnensinn da übrigens eine versteckte Drohung gewittert?“ „Was lässt dich das glauben?“ „Nur so ein Gefühl.“ Wenn Nicks Verdacht sich bestätigte und sein Vater tatsächlich der legendäre Dämonenjäger war, von dem Alexandra ihm vor einiger Zeit erzählt hatte, wusste er wahrscheinlich, warum genau Nick dieses Duell wollte. Ein Kampf zwischen zwei Trägern der Conqueror's Soul. Der Sieger würde die Kräfte des anderen absorbieren. In welchem Ausmaß genau wusste Nick nicht, aber es gab noch einen zweiten Grund, warum dieser Kampf stattfinden musste. Sein Vater musste aus dem Weg geräumt werden. Endgültig … „Duell!“, rief der junge Mann alleine aus, während Mr. Bauer nur schwieg.   „Ich mag Anya, hehe“, gluckste Nick Harper – der echte – dümmlich, mit einem breiten Grinsen im Gesicht. In einem kleinen Café am Stadtrand Livingtons saß er Eli Bauer gegenüber. Beide waren groß, brünett, wirkten fast wie Brüder. Nur dass Elis Haar kurzgeschoren war, er eine Brille trug und im Gegensatz zu Nick nicht herum lief, als begreife er den Sinn von Kleidung nur rudimentär. Denn Nick Harper war schlampig, ungepflegt und minderbemittelt. Eli verabscheute ihn. Aber er war momentan alles, was ihn mit seiner Schwester verband. Eli nahm einen Schluck aus seinem Becher Kaffee und blinzelte genau einmal. „Das war nicht meine Frage. Haben sich ihre Noten verbessert?“ „Ich gebe ihr eine 3 in Sexiness. Zu kleine-“ Aber als Nick sich einem bitterbösen Blick ausgesetzt sah, schluckte er. „Nein, glaube nicht. Außer in Philosophie, aber das auch nur, weil Anya der Lehrerin ihre eigene Philosophie in Sachen Benotung erklärt hat. Irgendwas mit Schmerz … meinst du, sie steht auf SM? Meinst du, -ich- steh' auf SM!?“ Er wackelt anrüchig mit den Augenbrauen. Genervt stöhnte Eli auf. „Und wie geht es Abigail? Sind sie und Anya noch Freunde?“ „Der Streit ist Schnee von … Alaska?“ Der zerzauste Bursche überlegte angestrengt. „Uh …“ „Egal. Sie haben sich also vertragen? Sehr gut. Anya braucht wenigstens ein paar Freunde.“ „Warum triffst du dich nicht mit ihr, wenn du so viel von ihr wissen möchtest?“ Das war wohl das Intelligenteste, das er seit Langem von sich gegeben hatte. Eli setzte den Becher ab. „Das geht nicht.“ „Warum?“ „Das geht nur mich und ihren Vater etwas an.“ „Warum?“ Eli rollte mit den Augen. „Unwichtig.“ „Warum?“ Beide sahen sich schweigend an. „Hehe. Ich mag es, so zu fragen.“ Kein Wunder, dass dieser Typ den letzten Jahrgang hatte wiederholen müssen. Der wäre am besten in einer Behindertenschule aufgehoben, dachte sich Eli genervt. Aber er musste ihn ertragen, wenn er wenigstens ein paar Informationen über seine Schwester einholen wollte, nachdem ihre Mutter ein absolutes Kontaktverbot gefordert hatte.   Nach einer halbstündigen, für Eli ziemlich schwierigen Unterhaltung, verließen beide das Café. Draußen regnete es und während der älteste Sohn von Mr. Bauer seinen Schirm aufspannte, stand Nick Harper grinsend im Regen. „Immer wenn die Tropfen mich berühren, frag ich mich, ob sie es mögen.“ „Ah ja.“ „Darf ich dich noch ein Stück begleiten?“ Mit den Augen hinter den Brillengläsern rollend, seufzte Eli: „Meinetwegen.“ So folgte der große Tölpel ihm wie ein Schoßhund. Zugegeben, er war einfach gestrickt und egal was er tat, man nahm es ihm ab, weil er Nick Harper war. „Mum hat mir neulich eine Slay Station 128 gekauft.“ „Schön.“ „Jetzt können Anya und ich Monstermetzelinferno 3 zocken.“ „Gut für euch.“ Der Idiot gluckste lüsternd. „Vielleicht kommen wir uns dabei-“ Aber Eli unterbrach ihn mit aller Beherrschung, die er aufbringen konnte. „Deine Mutter ist Anwältin und dein Vater Arzt, richtig? Ihr müsst ein gutes, wohlhabendes Leben führen.“ „Glaube schon.“ Geradezu empört eilte der pitschnasse Nick an Elis Seite. „Aber warum bekomme ich dann nur so wenig Taschengeld!?“ „Sei zufrieden, dass du überhaupt welches bekommst.“ Sein vermeintlicher Freund sah grimmig zur Seite. „Andere leben längst nicht in solchem Überfluss wie ihr.“ „Das verstehe ich nicht. Aber es klingt gut, he he.“ Der Brillenträger seufzte resignierend. „Nicht ganz …“   Zumindest hatte Eli vor ein paar Monaten jemanden kennengelernt, der ihm beibrachte, das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Mit einem Tastendruck war Armut nicht mehr als ein bedeutungsloses Wort. Aiden Reid war sein Retter gewesen, derjenige, durch den er zum ersten Mal begriff, was Freiheit überhaupt war. Er liebte ihn dafür. Aber Bankautomaten oder auch fremde Konten zu hacken reichte Eli nicht. Dadurch wurde er dieses Leben nicht los.   [Nick: 4000LP / Mr. Bauer: 4000LP]   „Verrate mir eins, 'Dad'. Hast du die Nachrichten überhaupt gesehen?“, fragte Nick provokativ, als er eine Karte nach der anderen von seinem Deck aufnahm. „Weißt du überhaupt, was passiert ist!?“ Der Mann, den er wohl am meisten hasste, sah ihn nur stillschweigend an. „Hast du Anya je beglückwünscht für ihren Erfolg beim Legacy Cup!?“, brüllte der junge Mann förmlich. „Wenn nicht, tut es dir nicht weh zu wissen, dass es dafür inzwischen zu spät sein könnte!?“ Wieder keine Reaktion. Als ob es ihn überhaupt nicht interessierte, dass seine Tochter in jenem Flugzeug gesessen hasste, das über Ephemeria City kurz nach seinem Start abgestürzt war. „Und du denkst ernsthaft, du hättest nichts von all dem verdient, was dir widerfahren ist“, knurrte Nick leise, „du widerst mich an.“   Nachdem die beiden ihre Starthand gezogen hatten, rief Nick sofort: „Ich beginne!“ Seine fünf Karten stellten ihn vollends zufrieden. Zwar hatte sich sein Erzeuger vermutlich seit Jahren nicht mehr duelliert, aber deswegen durfte man ihn nicht unterschätzen. Mr. Bauer hätte eine Karriere als Profiduellant verfolgen können, wäre dies seine Absicht gewesen. Dieser Mann schaffte es innerhalb kürzester Zeit, seine Gegner in einen eisernen Griff zu nehmen, aus dem sie sich nie wieder befreien konnten. „Horus“, murmelte Nick leise vor sich hin. Der gefürchtete Schwarzflammendrache. War dieser erst in seiner adoleszenten Form auf dem Feld, gab es kein Entkommen mehr. Dazu durfte er es nicht kommen lassen. Dazu -würde- er es gar nicht erst kommen lassen! „Ich beschwöre [Wind-Up Hunter] von meiner Hand als Normalbeschwörung“, kündigte der zerzauste, junge Mann im schwarzen Mantel an, legte aber gleich zwei Monster auf die entsprechenden Zonen seiner Duel Disk, „und weil ich das getan habe, kann ich [Wind-Up Shark] gleich hinterher beschwören.“ Die beiden Monster tauchten vor ihm im dunklen Büro auf. Linkerhand spannte ein violetter, etwa ein Meter großer Spielzeugzentaur, die Armbrust, die er mit sich führte. Neben ihm zappelte ein blauer, mechanischer Hai, mit seiner Schwanzflosse hin und her. Und auf den Rücken beider befanden sich goldene Aufziehschlüssel.   Wind-Up Hunter [ATK/1600 DEF/500 (3)] Wind-Up Shark [ATK/1500 DEF/1300 (4)]   „Spielzeug?“, fragte Mr. Bauer tonlos und doch kam es in Nicks Ohren einer Beleidigung gleich. Was dann aber kam, damit hatte er nicht gerechnet. „Du benutzt das Deck dieses Jungen?“ Natürlich, was auch sonst? Dieses Deck hatte einst dem echten Nick Harper gehört, also wieso würde er jetzt ein anderes verwenden? Gewissermaßen war er dazu sogar gezwungen, dachte Nick. Trotzdem stand ihm eine Schweißperle auf der Stirn. „Ich benutze [Wind-Up Sharks] Effekt und korrigiere seine Stufe um 1 nach unten“, wich jener resolut aus. Der Aufziehschlüssel auf dem Rücken seines Hais begann sich rapide zu drehen.   Wind-Up Shark [ATK/1500 DEF/1300 (4 → 3)]   „Es ergibt Sinn“, sprach Mr. Bauer seelenruhig dabei weiter. „Um er zu werden musstest du dich nicht nur verhalten wie Nick Harper. Du musstest auch die Dinge mögen, die er mag. Sein, was er war.“ Nicks Atem ging schneller. Er rief: „Und nun errichte ich das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 3-Wind-Ups wird ein Rang 3-Monster!“ Vor ihm tat sich ein Schwarzes Loch auf, das seine beiden Kreaturen als violetten beziehungsweise im Falle des Hais als blauen Lichtstrahl absorbierte. „Was du diesem Jungen angetan hast, wird dich eines Tages einholen.“ „Xyz Summon!“, donnerte Nick förmlich dagegen. „Erscheine, [Wind-Up Carrier Zenmaity]!“ Eine Explosion erschütterte das Überlagerungsnetzwerk. Ein großes Spielzeugschiff erhob sich aus dem Wirbel – ein Flugzeugträger, bestehend aus zwei Rampen, die durch das eigentliche Monster, einen Roboter, zusammengehalten wurden. Zwei Lichtsphären rotierten um diesen.   Wind-Up Carrier Zenmaity [ATK/1500 DEF/1500 {3} OLU: 2]   Nick blickte voller unterdrücktem Zorn in sein Blatt. Er würde die Hand seines Vaters lahmlegen und ihm damit jede Möglichkeit nehmen, seinen Schwarzflammendrachen überhaupt aufs Feld zu bekommen! Seine Hunter-Carrier-Rat-Schleife hatte selbst einen mächtigen Dämonen wie Xiphos in die Knie gezwungen! „Ich akt-“ „Von meiner Hand lege ich [Effect Veiler] ab.“ Mr. Bauer tat genau dies und schob eine Monsterkarte in seinen Friedhofsschlitz. Was dazu führte, dass eine kleine Fee in weißem Anzug vor ihm erschien. Das hellblaue Haar war zu zwei langen Pferdeschwänzen gebunden. Sie lächelte neckisch und ging dann auf Kollisionskurs mit dem verhältnismäßig riesigen Metallkoloss, in dem sie einfach verschwand. „-iviere [Wind-Up Carrier Zenmaitys] Effekt und beschwöre im Austausch für eine Overlay Unit ein Wind-Up von meinem Deck“, sprach Nick zeitgleich noch weiter. Dann fluchte er laut. Mr. Bauer verschränkte die Arme. „Ich fürchte, dein Plan ist gerade in Rauch aufgegangen. Du kannst nach dem Einschreiten von [Effect Veiler] den Effekt des betroffenen Monsters nicht mehr in diesem Zug aktivieren.“ „Das weiß ich selbst“, zischte Nick zwischen den Zähnen.   Wie vorausschauend von seinem Erzeuger. Er hatte seine Hausaufgaben gemacht und sich über sein Deck informiert. Was bedeutete, dass er damit gerechnet haben musste, seinem unehelichen Sohn eines Tages gegenüber zu stehen. Nick fragte sich, was dieser Mann inzwischen noch alles wusste. Und fürchtete die Antwort darauf. Er spürte es am ganzen Leib. Irgendetwas stimmte nicht mit Mr. Bauer. Er besaß keine dämonische Ausstrahlung wie viele andere Wesen, die Nick in den letzten Tagen aufgesucht hatte. Seine Ruhe, seine Unerschütterlichkeit, dieses absolut Furchtlose an ihm – es jagte Nick eine Heidenangst ein. Denn er wusste nicht, worauf all das basierte. Was verheimlichte dieser Mann der Welt!?   Nachdem er zur Ruhe gekommen war, studierte Nick wieder sein noch aus drei Karten bestehendes Blatt. Auch wenn er seine Kombo nicht hatte durchführen können, war es noch nicht zu spät, solange sein Feind seine Vorbereitungen nicht getroffen hatte! „Ich setze eine Karte verdeckt und aktiviere [Shard Of Greed], mit der ich in der übernächsten Runde zwei Karten ziehen werde“, verkündete der junge Mann gefasst. Vor ihm materialisierte sich seine vertikal liegende Falle, deren Bild nach unten zeigte. Daneben klappte ein permanenter Zauber auf, der eine einzelne Scherbe des legendären grünen Topfs zeigte. Der junge Mann zitterte trotz der vorgetäuschten Selbstsicherheit. Sich diesem Mann überlegen zu fühlen und doch kaum aufrecht stehen können. Nur einmal war es ihm in der Vergangenheit so gegangen …   Eli stand im Türrahmen und betrachtete seinen Erzeuger, wie er im Esszimmer der Familie Harper den bewusstlosen Nick begutachtete. Lautlos näherte er sich dem Mann, der sich gerade erhob. Und es fiel ihm nicht schwer, den Elektroschocker an die Schläfe Mr. Bauers zu setzten, ebenso seine Hand auf dessen Mund und das Ding solange laufen zu lassen, bis auch der großgewachsene, blonde Mann in sich zusammensackte.   Der junge Mann mit der Brille bebte förmlich, aber er hatte es geschafft. Die Falle hatte zugeschnappt. Da lagen sie, beide vor seinen Füßen. Eli zog den linken Ärmel seines Pullovers zurück, zückte das Messer aus seiner Tasche und schnitt sich ins eigene Fleisch. Blut tropfte auf den Teppich. Dann nahm Nick aus der Innentasche seiner Jacke einen Beutel mit weiterem Blut, drehte seinen Erzeuger mit dem Fuß auf den Rücken und träufelte vorsichtig einige Tropfen auf dessen Hemd und Sakko. Danach tat er dasselbe mit Nick und verteilte den Rest im Esszimmer. Wenn er so zurückdachte, wie anstrengend es gewesen war, die ganzen Krankenakten von Nick Harper so anzupassen, dass sie auf seine eigenen abgestimmt waren, fragte sich Eli, ob es das alles wirklich wert war. Aber das war es. Der junge Mann beugte sich zu seinem ehemals einzigen Freund herab. „Vergib mir.“   „Wer hohe Türme bauen will, muss lange am Fundament verweilen.“   Anton Bruckner   Und an diesem Tag veränderte sich Eli Bauer, der nie als solcher geboren worden war. Nicht einmal sein Nachname war anerkannt – echt. Stevens hieß er auf dem Papier. Der Bastard eines Verrückten, welcher ihm nie einen Funken Respekt erwiesen hatte. Also nahm er das Schicksal selbst in die Hand. Ein Anruf hatte genügt, seinen Erzeuger ins Haus der Harpers zu locken. Und ein zweiter würde ihn für immer hinter Gitter bringen. Dort, wo er hingehörte. So wie auch Eli sein ganzes Leben hinter rostigen Gittern verbracht hatte.   Es brannte bereits lichterloh, als Eli zu Bewusstsein kam. Er sah den dunklen Himmel. Waren das Wolken oder der Rauch? Schreie waren neben ihm zu hören. „Mein Sohn! Wie geht es ihm!?“ Langsam wurde er sich gewahr, dass er auf einer Trage von zwei Rettungssanitätern über die Straße geschleppt wurde. Sein Körper war taub. Zweifelsohne musste es funktioniert haben, er war stark genug verbrannt, um als Nick Harper durchzugehen. Mit viel Mühe konnte er seinen Kopf zur Seite drehen. Und da sah er ihn, Mr. Bauer, voller Blut, Brandspuren und Ruß, wie er von einem Polizeibeamten abgeführt wurde. Ihre Blicke trafen aufeinander. Ob er wohl schon etwas von dem ahnte, das ihm bevorstand? Er rief entgeistert: „Nick, was um alles in der Welt-!?“   Hoffentlich hatte Aiden sich an den Plan gehalten und bereits ausgesagt. Auch wenn jetzt mehrere Monate voller plastischer Chirurgie vor Eli standen, würde er als neuer Mensch wiedergeboren werden. Als Nick Harper. Und sein Erzeuger würde für den Mord an Eli Stevens ins Gefängnis wandern.   Nick ballte eine Faust. Hätte er damals geahnt, was wirklich geschehen würde, wäre vermutlich noch jemand an diesem Tag ums Leben gekommen.   Als Mr. Bauer eine Karte aus seinem Blatt nahm, vor sich hin hielt und scheinbar genau betrachtete, spürte Nick ein unangenehmes Kribbeln in der Magengegend. Welches umso intensiver wurde, als der Mann die Karte ausspielte. „Mein alter Gefährte, erscheine! [Horus The Black Flame Dragon LV4]!“ Vor dem Bärtigen materialisierte sich ein etwa anderthalb Meter großer Drache, wobei diese Bezeichnung nicht wirklich zutraf. Denn tatsächlich war es ein Falke in kupferner Panzerung, der da vor ihm stand – die Verkörperung des namensgebenden Gottes.   Horus The Black Flame Dragon LV4 [ATK/1600 DEF/1000 (4)]   Nick rann blanker Schweiß von der Stirn. Also hatte er ihn wirklich bereits auf der Hand gehabt – verdammt! Aber diese Version, LV4, war nur seine jugendliche, unerfahrene Form. Ungefährlich – solange es kein anderes Monster im Kampf besiegte. Sein Blick lag auf dem Miniaturflugzeugträger. „Kampf!“, befahl Mr. Bauer da schon wortkarg mit ausgestreckter Hand. „Pitch Black Decree!“ Der metallische Vogel lud in seinem Schnabel einen finsteren Odem auf, den er in komprimierter, aber extrem gebündelter Form auf seinen Widersacher abfeuerte. Nick lachte leise auf. „War zu erwarten.“ Solange sein Erzeuger noch nicht in der Lage war, sein Spiel einzuschränken, musste der junge Mann all seine zur Verfügung stehenden Waffen nutzen. Was er umso lieber tat, wenn dabei nur das Assmonster seines Vaters vorzeitig fiel – egal ob es bedeutete, seinen Zenmaity dafür zu opfern. „Falle!“, donnerte er autoritär. „[Overwind]. Sie verdoppelt die Werte meines Spielzeugs, schickt es danach aber dahin zurück, wo es hergekommen ist.“ Der goldene Aufziehschlüssel des Schiffs, welcher sich steuerbord an der Außenhülle befand, begann sich rapide zu drehen.   Wind-Up Carrier Zenmaity [ATK/1500 → 750 → 1500 DEF/1500 {3} OLU: 2] Der schwarze Flammenstrahl schlug in den plötzlich schrumpfenden Zenmaity ein und löste eine mächtige Explosion aus, die spurlos an Nick vorbei ging. Jener war im Rauch eingeschlossen und erwartete bereits den bevorstehenden Konter seines Monsters, der jedoch ausblieb. Denn wie sich alsbald herausstellte, war der Träger vernichtet worden. Nick keuchte nur leise, als er den Schnellzauber erblickte, der gerade auf der Spielfeldseite seines Vaters verschwand – [Shrink]. Jene halbierte den Angriffswert des Ziels.   [Nick: 4000LP → 3900LP / Mr. Bauer: 4000LP]   „Wie du sehen kannst, bin ich es, der auf deine Tricks vorbereitet ist, Eli“, sprach Mr. Bauer, nahm eine Karte aus seinem Blatt und setzte sie in seine Duel Disk ein. „Ich setze diese Karte und beende meinen Zug.“ Nick stockte der Atem, beachtete gar nicht die Karte, die sich zu den Füßen seines Widersachers materialisierte. Das hätte nicht passieren dürfen! Kurz nachdem sein Vater gesprochen hatte, begann goldenes Licht aus den Ritzen in Horus' Panzerung in alle Richtungen zu strahlen. Die Kreatur wuchs und gewann circa einen halben Meter an Größe, überragte Mr. Bauer ein wenig, spreizte ihre Schwingen. Sie wirkte wesentlich erwachsener, die Flügel und ihr Schweif waren länger geworden. „Der Kampf hat dem Kriegsgott Erfahrung gelehrt. Er ist auf die Stufe 6 aufgestiegen und in seiner adoleszenten Form nun vor allen Zauberkarteneffekten gefeit. Aber bei deinem Anblick“, sprach der ergraute Mann und machte eine wirkungsvolle Kunstpause, „möchte ich sagen, dass du dir dessen bestens bewusst bist.“   Horus The Black Flame Dragon LV6 [ATK/2300 DEF/1600 (6)]   Der seines Zeichens zerzauste Nick sagte gar nichts und betrachtete nur den mächtigen Gott der ägyptischen Mythologie. Wenn es seinem Erzeuger gelang, damit nur noch einmal ein Monster zu besiegen-! Nein, so weit würde es nicht kommen! Noch während Nick nach seinem Deck griff, tauchte vor seinem offenen Zauber eine grüne Scherbe auf, die einst Teil des Topfs der Gier war. „Draw!“, fauchte der Brünette zornig und betrachtete seine neue Handkarte, eine Falle. Seine Augen begannen gefährlich zu funkeln. Genau zum rechten Zeitpunkt. „Ich setze eine Karte verdeckt!“ Schon erschien jene zischend zu seinen Füßen. „Und beschwöre [Wind-Up Knight] im Angriffsmodus. Zug beendet!“ Er legte seine letzte Handkarte auf seine Duel Disk, womit ein etwa zwei Köpfe im Vergleich zu ihm kleinerer, weißer Spielzeugritter auftauchte. Mit Schild und Schwert bewaffnet, trotze er mutig seinem Erzfeind, dem Drachen. Wind-Up Knight [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   Mr. Bauer betrachtete seinen Sohn still. Hinter seinen kalten, blauen Augen konnte Nick es förmlich rattern hören. Dann zog der Mann auf eine dritte Handkarte auf. „Angriff auf [Wind-Up Knight]“, befahl er und schwang dabei den Arm aus. „Pitch Black Obliteration!“ Sein mächtiger Horus öffnete den Schnabel und lud darin eine lodernde, schwarze Flamme auf. Zumindest bis sich an seinen Füßen eine Kristallschicht bildete, die sich ausdehnte und immer weiter nach oben zog, bis sie den Vogel komplett eingeschlossen hatte. „Daraus wird nichts“, tönte Nick zufrieden, vor dem eine offene, permanente Fallenkarte aufgeklappt stand, „[Grave Of The Super Ancient Organism]. Sie versiegelt die Effekte und Angriffe aller spezialbeschworenen Monster der Stufe 6 oder höher.“ „Und [Royal Decree] negiert die Effekte aller anderen offenen Fallenkarten“, konterte Mr. Bauer gelassen, als er den Auslöser an seiner Duel Disk betätigte und die eigene Fallenkarte aufklappen ließ. Nick stieß wenig überrascht ein Stöhnen aus beim Anblick der Karte, die ebenfalls auf dem Feld verweilen würde. Und kaum stand jene aufrecht, schlugen Blitze um Nicks Karte. Und Horus brach aus seinem Gefängnis frei. Wie zu erwarten war, dachte der große, junge Mann grimmig. Dieses Scheusal war ein Naturtalent darin, unangenehmen Situationen zu entkommen. Und jetzt war seine Kombo beinahe vollständig. Er sah dem schwarzen Flammenstrahl entgegen, der seinen Ritter erfasste. Keine Sekunde später folgte eine finstere Explosion, die Nicks Feld in Schatten hüllte. „Besiegt Horus ein Monster im Kampf, steigt-“ „Aber dem ist nicht so!“ Nick vertrieb die Dunkelheit mit einem einfachen Schwenk seiner Hand. Und sein Spielzeugritter stand noch vor ihm. „Ich habe mir fast gedacht, dass du es so zu drehen versuchst. [Wind-Up Knight] kann nur einmal einen Angriff abwehren.“ Mr. Bauer nickte. „Ich verstehe. Ein hartnäckiger Zeitgenosse. Wie du.“ „Erspare mir diese Sprüche.“ „Diese Eigenschaft hast du wohl von mir. Ich aktiviere in meiner Main Phase 2 eine Zauberkarte“, sprach der ergraute Mann unberührt weiter und schob wie angekündigt die grün-umrandete Karte in seien Duel Disk. „Sie nennt sich [Level Up!]. Damit erreicht Horus sofort seine finale Evolutionsstufe.“ Völlig entgeistert weitete Nick seine Augen. „Was!?“ Der Vogelgott wuchs erneut und gewann noch einmal einiges an Umfang. Aus seinem Torso wuchsen dürre Arme, geschützt von Schulterpanzern. Auch die Schwingen wurden breiter, die langen Federn glänzten messerscharf. Zuletzt entstand an seiner Stirn ein blaues Juwel, das gefährlich glimmte.   Horus The Black Flame Dragon LV8 [ATK/3000 DEF/1800 (8)]   Erhaben verschränkte Mr. Bauer die Arme hinter seinem mächtigen Drachen. „Du weißt, dass mein alter Gefährte jede beliebige Zauberkarte sofort bei ihrer Aktivierung unschädlich machen kann. Zusammen mit meiner Falle [Royal Decree] kannst du nun weder Zauber- noch Fallenkarten zu deinem Vorteil nutzen. Zug beendet.“   Damit hatte er alle Puzzlestücke beisammen, dachte Nick zornig, als er dabei war aufzuziehen. Aber in einem irrte dieser Narr sich – diese Kombo war längst nicht mehr unaufhaltsam. Er mochte vielleicht vor 20 Jahren Leute damit beeindruckt haben, aber diese Zeiten waren vorbei.   Trotzdem zitterte seine Hand, als er aufzog. „Dein Horus kann Zauberkarten vernichten, das stimmt. Aber das gilt nicht für die, die schon auf dem Feld sind. Effekt von [Shard Of Greed]!“ Eine zweite, grüne Scherbe reihte sich an das Bruchstück und bildete nun ein rotes Schlitzauge, welches leuchtete. „Ich schicke sie auf den Friedhof und ziehe zwei Karten!“ Der Zauber löste sich mitsamt der Scherben auf und Nick zog in schneller Folge zwei Karten. Nur um sein Blatt zerknirscht anzusehen. Keine der drei Karten konnte ihm unmittelbar aus seiner Lage befreien. Sein Erzeuger hatte ihn wieder einmal in die Ecke gedrängt …   Der junge Mann saß aufrecht in seinem Bett. Das Gesicht war vollkommen mit Bandagen bedeckt mit Ausnahme von Nase, Mund und Augen. Angeschlossen an einen Tropf, hatte er zumindest das Glück, der einzige Patient im Zimmer zu sein.   Allein war ‚Nick Harper‘ trotzdem nicht. Am Fenster zu seiner Linken stand seine Mutter, inzwischen ergraut und mit kürzeren Haaren, die ihr bis zu den Ohren reichten. Neben ihr verharrte der Mann, dank dem er endlich das Leben leben konnte, das er verdiente. „Hat die Polizei inzwischen bestätigt, dass es sich bei der Leiche um Eli Bauer handelt?“, fragte ebendieser mit kratziger, noch immer von der Rauchvergiftung beeinträchtigten Stimme. „Stevens“, korrigierte seine Mutter ihn abwesend. Mit belegter Stimme antwortete Aiden Reid, der in einem dunkelblauen Nadelstreifenanzug steckte: „Was das angeht, sind die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen.“ Er kratzte sich an seinem Spitzbart. „Eli-“ „Nick“, verbesserte der ihn scharf. „Willst du das wirklich bis zum Ende durchziehen?“ „Stellst du das jetzt wirklich in Frage?“ ‚Nick‘ sah seinen Geliebten düster an. „Ich habe meine Aussage gegenüber der Polizei bereits getätigt. Der Junge ist tot. Für einen Rückzieher ist es zu spät, Aiden.“ Der nickte schneeweiß. „Natürlich.“ „Dann heißt es wohl Lebewohl sagen“, meinte seine Mutter mit klammer Stimme. Sie drehte sich zu ihrem bandagierten Sohn um. Ihr Gesicht war gezeichnet von Falten, obwohl sie noch nicht einmal 50 Jahre alt war. „Es tut mir leid, dass ich dir kein besseres Leben bieten konnte. Aber nun hast du, was du wolltest. Du bist nicht mehr -mein- Sohn.“ „Danke, Mum“, sagte Nick respektvoll. In dem Moment klopfte es an der Tür. Aiden meinte sofort: „Unser Stichwort.“ „Leb' wohl, Eli“, hauchte Elenore Stevens den Tränen nahe, lief aber schnurstracks am Bett ihres Sohnes vorbei. Dabei gab sie sich die Klinke mit zwei Teenagern in die Hand, die gerade unaufgefordert in das Zimmer stürmten. Zumindest eine von ihnen, die andere eilte ihrer Freundin meckernd hinterher. „Anya, du kannst nicht einfach-“ Das blonde Mädchen mit dem Pferdeschwanz und Pickelgesicht konnte. Und wollte. „Verdammter Kackmist, Harper! Bist du bescheuert!?“, fluchte sie, wie sie einem Tornado gleich erst an Mrs. Stevens und dann an einem überraschten Aiden vorbei zog. „Wir wollten euer Haus doch erst zu Halloween anzünden, wenn Richardson und die Comery-Zwillinge im-“ Sie blieb erstaunt zwischen den beiden Erwachsenen stehen. „Wer zur Hölle sind die!?“ „Anya, sei nicht so unhöflich!“, beschwerte sich das Mädchen hinter ihr. Sie trug ein pechschwarzes Kleid mit vielen Schlaufen und Nieten an den Armen, hatte die Augen mit Kayal betont und die Haare schwarz gefärbt. Gothic-Abby stöhnte: „Normalerweise wartet man, bis man hineingebeten wird.“ „Wir haben uns im Zimmer geirrt“, nuschelte Aiden belustigt und verließ jenes im Anschluss. „Entschuldigung für die Störung.“ „A-Anya“, stammelte Eli irritiert und sah die beiden pubertierenden Mädchen mit großen Augen an. So unvermittelt fiel es ihm schwer, in seine neue Rolle zu schlüpfen. „Mir war kalt, hehe.“ „Was ist denn bloß passiert?“, fragte Abby betroffen und eilte an sein Bett. Mühsam versuchte der neue Nick sich zu erklären. „Da war ein Mann in unserem Haus. Er hat sich mit einem Freund von mir gestritten. Ich glaube, es ging um meine imaginäre Barbie-Sammlung.“ Die beiden Teenies sahen ihn an, als hätten sie tatsächlich nichts anderes erwartet. Er grinste sie beide weit an. „Wenn ihr wollt, zeige ich sie euch, sobald ich raus bin!“ „Und was hat dieser Mann gemacht?“, fragte Abby neugierig. „Ach, nur meinen Kumpel kaltblütig umgebracht. Wie in den Filmen, hehe. Und dann wollte er auch mich umbringen. Hier.“ Er zeigte ihnen den rechten Arm, der bandagiert war und an dem er sich die Schnittverletzung zugefügt hatte. „Ich habe wohl gestört, hehe.“ „Harper“, sagte Anya trocken, „du grenzdebiler, hirnloser, vollkommen bescheuerter Idiot! Und das sollen wir dir glauben?“   Zu dem Zeitpunkt ahnte das junge Mädchen nicht, von welchem Mann ihr vermeintlicher bester Freund da gesprochen hatte. Und auch nicht, wie einschneidend 'Nick Harpers' Anschuldigungen sich erweisen würden.   Nick betrachtete seine Handkarten, zwei Monster und ein Zauber, welcher dank Horus völlig unbrauchbar war. „Tch.“ Missmutig drehte er die Karte seines Ritters in die Horizontale, wodurch dieser vor ihm in die Knie ging.   Wind-Up Knight [ATK/1800 DEF/1200 (4)] Anschließend nahm er ein weiteres Monster aus seinem Blatt. „Ich spiele [Wind-Up Bat] im Angriffsmodus aus.“ Eine kleine, schwarze Plastikfledermaus tauchte vor ihm auf. Sie besaß auf dem Rücken ebenso einen Aufziehschlüssel. Auch ihre Karte wurde von Nick auf dessen Duel Disk gedreht. „Dank ihres Effekts kann sie sofort ihre Position ändern, um ein Spielzeug von meinem Friedhof zu bergen.“ Ihr Bauch klappte auseinander und offenbarte einen Haken, der nach unten in den Boden schoss. Kaum hatte er sich dort verankert, begann sich der Aufziehschlüssel rapide im Uhrzeigersinn zu drehen und an einem dünnen Seil wurde der blaue Spielzeughai aus dem Nichts empor gezogen. Diesen nahm Nick in sein Blatt auf. Nachdem ihr Werk getan war, landete die Fledermaus auf des Ritters Schulter.   Wind-Up Bat [ATK/300 DEF/350 (1)]   Trotz seiner verzwickten Lage konnte Nick sich ein zuversichtliches Grinsen abringen, ehe er zu seinem Vater aufsah. „Zug beendet.“   Jener zog abermals wortlos auf, spielte eine andere Karte aus seinem Blatt aus. „Unterstütze meinen Partner, [Horus' Servant].“ Ein dunkelhäutiger Mann in weißer, mit Goldornamenten veredelter Kleidung und dunkelblauem Umhang stellte sich vor Mr. Bauer. Sein Helm war dem Vogelkopf des Horus nachempfunden. Horus' Servant [ATK/100 DEF/100 (1)]   Nick entglitt bei seinem Anblick ein leises Zischen. Der Alte machte sich also nun daran, seine Stellung zu festigen. Denn der Diener des Horus machte es dessen Feinden unmöglich, seinen Gott mit Karteneffekten anzuzielen. Dafür war er selbst aber sehr schwach. Zu schwach, um ihn ungeschützt auszuspielen … Und wie der falsche Harper-Spross es in diesem Moment antizipierte, spielte sein Gegner eine passende Zauberkarte aus. „Ich rüste Horus mit [Raregold Armor] aus. Damit kannst du fortan nur noch ihn als Angriffsziel wählen.“ Über den metallischen, hellroten Körper des Gottdrachens zog sich eine weißgoldene Panzerung, an den Schwingen besaß sie goldene Umrandungen. So wurde der Drache weiß wie Schnee, leuchtete fast schon in der Dunkelheit.   Horus The Black Flame Dragon LV8 [ATK/3000 DEF/1800 (8)]   Auch wenn Nick diesen Moment seither, und das musste er sich ehrlich eingestehen, mit einer gewissen Furcht erwartet hatte, überkam ihn ebenso ein seltsames Gefühl von Befriedigung. Denn so sehr dieser Mann ihn auch unter Druck setzte, wollte er nichts mehr, als dessen Strategie, dessen 'Partner' zerschmettern. Was selbstverständlich erst jetzt möglich war. Sein finsterer Blick rief seinem Vater förmlich zu: „Komm und trau dich!“ „Horus, vernichte seinen [Wind-Up Knight]“, befahl jener auch unbewusst gehorsam und schwang den Arm aus. „Pitch Black Godflare!“ Der Vogeldrache öffnete sein Maul und spie ein schier endloses Meer aus schwarzen Flammen auf den Ritter ab. Jener wurde erfasst und förmlich dahin geschmolzen. Die Mauer schlang sich sogar weiter, umfasste Nick, welcher jedoch nur leise mit der Zunge schnalzte. Der Effekt war rein optisch anzusiedeln. Eingehüllt in vollkommener Dunkelheit, schloss er die Augen und lächelte still.   „Mr. Harper, Sie beschuldigen also Mr. Bauer des Mordes an einem jungen Mann, korrekt?“ „Ja.“ „Wie lautet sein Name?“ „Eli, glaube ich? Hehe, hab's nicht so mit Namen.“ „Eli? Und weiter?“ „Weiß nicht. Er hat mir seinen Nachnamen bestimmt mal gesagt, aber er gefiel mir nicht, also habe ich ihn vergessen. Absichtlich, verstehen sie? Hehe.“ „Euer Ehren, mein Sohn ist ein Idiot. Sehen sie es ihm nach.“ „Mr. Harper, ihr Sohn erhebt schwere Vorwürfe gegen Mr. Bauer. Was haben Sie …“ „Nick Harper, es wurde keine Leiche aus den Resten ihres Wohnhauses geborgen. Können Sie das erklären?“ „W-was!? Aber-!“ „Harper, spinnst du jetzt völlig!? Wie kannst du Dad beschuldigen, so etwas getan zu haben!?“ „Anya, ich schwöre-“ „Fuck! Ich dachte, wir wären Freunde! Überall nur Reporter! Dad wurde seines Amtes enthoben, wegen dir!“ „Aiden, was ist da geschehen!? Die Leiche, sie-“ „Eli …“ „Nick!“ „Ich habe die Leiche weggeschafft.“ „Du hast was!?“ „Ich konnte nicht zulassen, dass jemand sie entdeckt! Sie ist ein zu großes Risiko gewesen!“ „Ohne die Leiche haben wir keinen Beweis, dass er mich getötet hat! Aiden, wie konntest du nur!?“ „Nick, du hast doch endlich, was du wolltest! Du kannst dich endlich mit deiner Schwester treffen!“ „Ich habe nicht einmal ansatzweise was ich wollte. Nenne es den größten Fehler meines Lebens, dir vertraut zu haben, Aiden!“ „Nick … es gibt da noch etwas, das du wissen solltest.“   Seit Wochen befand er sich nun schon im Krankenhaus, lag Tag und Tag im Bett, hatte bereits mehrere Operationen hinter sich. In all der Zeit hatte er sie fast verdrängt. Die Furcht. Diese unbändige Angst, die nur diese eine Person in ihm auslöste, welche jetzt an seinem Bett saß. Mr. Bauer war einige Tage zuvor aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden. Alles dank Aiden, der selbst das Messer hatte verschwinden lassen. Trotzdem war der Posten des Senators für Mr. Bauer auf ewig verloren. Und eigentlich war es ihm verboten, sich in Nick Harpers Nähe aufzuhalten. Aber für einen Mann seines Kalibers waren Verbote nur Schall und Rauch.   „Eine tolle Show hast du da geboten, Eli“, sprach sein Erzeuger tonlos, der er seine Ellbogen auf den Knien abgestützt hatte, „du hast einen unschuldigen, jungen Mann umgebracht, die Familie eines anderen endgültig zerstört und zu allem Übel weitere unschuldige Menschen in dein Lügengeflecht hineingezogen. Kennst du keine Scham, Junge?“ „Ich weiß nicht wovon Sie reden, Mr. Bauer“, gab 'Nick' sich dumm. „Keiner glaubt mir, aber ich kenne die Wahrheit. Sie sind der Mörder.“ „Ha ha … vielleicht ist das sogar gar nicht so abwegig. Hast du nie darüber nachgedacht, wie einfach es gewesen wäre, dich sofort zu entlarven? Ein DNA-Test hätte bewiesen, dass wir verwandt sind und du Eli bist.“ „Dann hättest du zugeben müssen, dass du einen Bastard gezeugt hast“, zischte Nick hasserfüllt und grinste, „und ich bin mir nicht so sicher, ob der DNA-Test so ausgefallen wäre, wie du es dir erhoffst.“ „Ich weiß. Aiden hat mir davon erzählt.“ Hätte man Nicks Gesichtszüge unter den Bandagen gesehen, wären sie vermutlich starr wie Eis und er so weiß wie Schnee. Dieser Verräter … „Selbst wenn das alles ans Licht kommt, kann ich dich trotzdem noch mit in den Abgrund reißen“, drohte sein Sohn mit einem Anflug von Panik, „ich habe Unterlagen, die belegen, dass du mehrere Millionen Dollar, nun, sagen wir an sehr zweifelhafte Organisation gezahlt hast.“ „Ich weiß nicht wovon du redest.“ „Du wirst es erfahren, solltest du auf die Idee kommen, dich gegen mich zu stellen“, lachte Nick eiskalt und sah seinen Erzeuger herausfordernd an, „diese Überweisungen gibt es wirklich, 'Dad'. Nicht einmal Aiden weiß davon. Aber richte ihm ruhig meinen Dank aus, denn er hat mir alles Nötige dazu beigebracht.“ Mr. Bauer erhob sich. Er starrte auf den Kranken herab, als wolle er ihn jeden Moment umbringen, aber das wäre sein eigenes Todesurteil. „Wenn du dich an drei einfache Abmachungen hältst, wird dir nichts geschehen“, sprach Nick ungerührt weiter. „Erstens verschweigst du alles, was zwischen uns beiden hier und jemals besprochen wurde. Ich bin Nick Harper und du hältst dich von mir fern. Zwischen uns herrscht Waffenstillstand, verstanden?“ Sein Erzeuger sagte nichts. „Zweitens: Als Nick Harper kann ich mit deiner Tochter abhängen, wann immer ich will.“ Jetzt lachte er höhnisch. „Dazu muss sie dir erst verzeihen.“ „Das wird sie“, entgegnete Eli zuversichtlich. „Verlass dich drauf.“ „Und weiter?“ „Drittens: Eli Bauer hat es nie gegeben.“ „Darin sind wir uns einig.“   Trotzdem versuchte die Welt ihn ständig daran zu erinnern. Obendrein wusste sein Halbbruder Zachariah von ihm, was wohl bedeutete, dass sein Erzeuger sich nicht an die Abmachung gehalten hatte. Umso mehr Grund, ihn hier und jetzt zu vernichten, wie er es schon damals hätte tun müssen.   Schließlich lichteten sich die Flammen und Mr. Bauer verkündete autoritär: „Dein Zug, Eli.“ „Ich bin nicht Eli“, schnappte Nick, als die letzten Schwaden verschwunden waren und zog schwungvoll von seinem Deck, „ich bin Nick Harper!“ Er steckte die Karte zu den anderen, nahm danach ein Monster und zeigte es vor. „Ich rufe [Wind-Up Magician]. Und dadurch kann ich [Wind-Up Sharks] Effekt aktivieren und von der Hand rufen!“ Erst materialisierte sich der violetter Spielzeugmagier mit Zauberstab in seinen Zangenhänden. Neben ihm tauchte der blaue Aufziehhai auf. Wind-Up Magician [ATK/600 DEF/1800 (4)] Wind-Up Shark [ATK/1500 DEF/1300 (4)]   „Da ich mit Shark den Effekt eines Spielzeugs aktiviert habe, beschwört [Wind-Up Magician] ein weiteres von meinem Deck in Verteidigungsposition“, erklärte Nick, als der Aufziehschlüssel auf dem Rücken seines Hexers sich zu drehen begann. „[Wind-Up Warrior]!“ Jener zeigte auf die Stelle rechts neben sich, wo aus dem Nichts ein aufrecht stehender, gelb-weißer Roboter auftauchte, der mit seinen massiven Fäusten einen Boxer imitierte.   Wind-Up Warrior [ATK/1200 DEF/1800 (4)]   „Du fragst dich bestimmt in diesem Moment, wozu ich all diese Monster sammle, nicht wahr?“, fragte Nick provokativ und legte seinen Zeigefinger an die Schläfe. „Du bist angeblich gut informiert und weißt, dass ich keine Monster besitze, die deinem Horus jetzt noch schaden könnten.“ Er kniff die Augen fest zusammen. „Aber ich habe einen Trumpf. Zugegeben, eigentlich gehört er jemand anderes …“ „Wie so vieles, was du dir nimmst“, fuhr Mr. Bauer ihm scharf ins Wort. Der Brünette reagierte mit einem finsteren Lächeln. „… aber was spielt das für eine Rolle? Was zählt, ist das Ergebnis, nicht der Weg dorthin.“ Eine schwarze Aura begann um ihn herum aufzulodern, als er den Arm in die Höhe streckte. „Ich errichte das Overlay Network! Aus meinen drei Stufe 4-Monster wird ein Rang 4-Monster!“ Vor ihm öffnete sich der schwarze Galaxienwirbel und absorbierte seine Spielzeuge als je einen roten, blauen und gelben Energiestrahl. Eine gewaltige Explosion entstand daraufhin, schwarze Blitze schlugen aus dem Inneren des Überlagerungsnetzwerkes um sich. „Erscheine, Lakai der Finsternis! Xyz Summon!“ Schrilles Kreischen erfüllte das Büro. Einer nach dem anderen schoben sich drei finstere Drachenköpfe aus dem Wirbel hervor. „[Evilswarm Ouroboros]!“, rief Nick endlich dessen Namen aus. Mit gespreizten, pechschwarzen Eisschwingen stieg der Drache empor, den der junge Mann einst dem Dämonenjäger Matt Summers abgenommen hatte. Hoffentlich erwies sich dessen Karte nützlicher als sein Besitzer, dachte Nick grimmig. Vor ihm nahm die Kreatur ihren Platz ein, wurde dabei von drei Lichtsphären umkreist.   Evilswarm Ouroboros [ATK/2750 DEF/1950 {4] OLU: 3]   Mit engstirnigem Blick sah der junge Mann seinem Vater entgegen, der einen Moment lang tatsächlich eine Regung in Form eines unverständlichen Murmelns zeigte. „Mercs …?“ Nick hatte einen Plan, doch dieser war nicht unmittelbar umsetzbar. Es gab dazu noch einen Weg, den Fall des Horusdrachen zu beschleunigen, aber das gefährdete auch Nick. Und so ein Risiko wollte der nicht eingehen, nicht bei diesem Gegner. Er streckte seine Hand aus. „Ich aktiviere [Evilswarm Ouroboros'] Effekt. Genauer gesagt einen von ihnen, denn jeder Kopf besitzt einen eigenen, aber nur einer kann pro Zug genutzt werden und das auch nur einmal, solange er auf dem Feld ist.“ Der mittlere der drei Köpfe schnappte nach einer der Overlay Units und schlang sie hinunter.   Evilswarm Ouroboros [ATK/2750 DEF/1950 {4] OLU: 3 → 2] „Damit kehrt eine Karte von deinem Feld auf deine Hand zurück“, erklärte Nick und hob den Zeigefinger an. Jener bewegte sich zielstrebig Richtung des riesigen Schwarzflammendrachen. Sein Vater schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, du machst einen Fehler. Horus kann nicht angezielt werden, solange sein Diener auf dem Feld ist. So viel weißt du bereits.“ Nick verschob seinen erhobenen Zeigefinger Richtung besagten Mannes ägyptischer Herkunft, der neben seinem Herrn kaum auffiel. „Ich mache keine Fehler. Die Karte, die ich wähle, ist …“ Anschließend streckte der junge Mann den Finger zielstrebig aus, schwenkte ihn am Diener vorbei und richtete ihn auf Mr. Bauers Falle. „… [Royal Decree]!“ Sofort spie Ouroboros einen schwarzen, aus feinen Partikeln bestehenden Odem aus, der auf Mr. Bauers Falle traf und sie zersetzte. Jener nahm sie aus seiner Duel Disk. „Und das bedeutet, dass Fallen jetzt wieder ihre Wirkung entfalten. Überzeug dich selbst!“ Es knirschte. Von der Schweifspitze an zog sich eine durchsichtige Masse aufwärts über des Horus' Leib und schloss ihn binnen weniger Sekunden vollständig ein. Wie eingefroren wirkte er in dem riesigen Kristall, der sich gebildet und ausgeweitet hatte. „Du hast einen Fehler gemacht und nicht bedacht, dass meine Falle [Grave Of The Super Ancient Organism] sämtliche hochstufigen Monster, die spezialbeschworen wurden, komplett versiegelt“, erklärte Nick ehrgeizig, „keine Angriffe, keine Effektaktivierungen.“ Aber sein Erzeuger schien das nicht zu beeindrucken. Wie erwartet. Und es kam nicht gerade überraschend, dass er erwiderte: „Nur temporär. Du hast nur Zeit bis zum Anfang deines nächsten Zuges, wenn ich [Royal Decree] gesetzt und aktiviert habe.“ „Das wird reichen“, gab sich Nick felsenfest überzeugt. Er sah sich seine beiden Zauber an. „Eine Karte verdeckt. Zug beendet! Oh, habe ich gerade meine Chance vertan, deinen Horus zu besiegen? Wie dumm von mir!“ Die Karte materialisierte sich zischend zu seinen Füßen. Nick grinste heimtückisch, aber sein Erzeuger? Diese graue Eminenz, wie manche ihn nannten, zuckte nicht einmal mit der Wimper. Woher kam bloß all diese Selbstgefälligkeit, diese unantastbare Ruhe? Er musste es wissen. War Mr. Bauer wirklich ein legendärer Dämonenjäger, wie er vermutete? Oder nur ein vom Grunde seines Herzens aus verdorbener, alter Sack? „Eli“, sprach jener von ihm so sehr gehasste Mann, „hast du überhaupt darüber nachgedacht, was passieren wird, wenn Anya die Wahrheit erfährt?“ Deren Bruder kniff die Augen fest zusammen. „Das wird sie nicht. Niemals.“ „Um das zu verhindern müsstest du alle beseitigen, die dein Geheimnis kennen. Mich, Aiden, deine Mutter …“ „… und Zachariah.“ Nick lachte auf. „Du hast es ihm verraten. Das beweist, dass du dein Wort zu brechen bereit bist. Also sehe ich keinen Grund, mich weiter an unseren Waffenstillstand zu halten.“ Der Alte zeigte selbst jetzt nicht einmal ansatzweise irgendeine Regung, obwohl sein Fleisch und Blut so offen bedroht wurde. War Zach ihm genauso egal wie er es ihm war? „Sie wird es erfahren, Eli. Und dieser Tag wird dein Ende markieren“, prophezeite Mr. Bauer düster.   Nick hatte das alte, verätzte Handy in einer Freisprechanlage stecken, während er den Highway entlang raste. Sein Ziel war es, rechtzeitig in Garland anzukommen, um die Diebin von Anyas Gem-Knight-Deck zu stellen. Erst vor zwei Stunden hatte er einen ihrer Anrufe abgehört und wusste, dass sie sich schon bald am Lake Ray-Port mit einem Raritätensammler treffen würde.   Sein Blick war so fokussiert auf die Straße und seinen Wunsch nach Vergeltung, dass er gar nicht merkte, wie schnell der weiße Neon Chrysler seines 'Vaters' über die Autobahn raste. Erst das Klingeln besagten Mobiltelefons ließ ihn aus seiner Trance erwachen. Er nahm den Anruf mit der rechten Hand via Tastendruck entgegen. „Wer ist da?“, fragte er scharf, gab es nur sehr wenige Leute, die die Nummer dieses Telefons besaßen. „Ich, Abby“, kam es leicht empört ob so grober Behandlung von sich. „Oh, entschuldige. Ich bin es nicht gewöhnt, Anrufe auf dieses Telefon zu erhalten.“ Etwas irritiert fragte seine Freundin: „Warum gibst du mir dann überhaupt diese Nummer?“ „Weil es sicher ist.“ „Verstehe. Tut mir leid, dass ich dich störe. Es ist nur …“ Sie zögerte. „Du, Nick, ich muss dich etwas fragen. Seit du mir deine Geschichte erzählt hast, geht mir eine Sache nicht mehr aus dem Kopf.“ Der zerzauste, junge Mann verzog den Mund. „Sprich.“ „Damals, als du in eurem Haus beinahe verbrannt wärst. Danach haben dich die Leute für den echten Nick gehalten. Und du hast der Polizei gegenüber behauptet, Mr. Bauer hätte einen Eli, uhm, also dich, umgebracht.“ Die Stimme des Mädchens begann zu zittern. „A-aber du lebst und d-der echte Nick ist tot. W-was hat das zu bedeuten?“ „Er hat ihn umgebracht.“ „W-was!?“ Nick schluckte schwer. „Mr. Bauer hat den echten Nick umgebracht. Es war eine Falle. Er wollte eigentlich mich erwischen, aber in dem Gerangel … Abby, ich konnte dir das nicht sagen. Niemand würde mir glauben.“ „N-nick, das kann nicht-! Anyas Vater würde niemals-!“ „Aber er hat!“, polterte Nick aufgebracht. „Und er weiß inzwischen, dass er den falschen erwischt hat. Der einzige Grund, warum ich noch lebe ist der, dass ich vorgesorgt habe und ihn trotzdem ins Gefängnis bringen kann. Aber wenn ich das tue, wird er sich revanchieren. Er kennt genug Leute. Er kennt Aiden. Und Aiden hat Monochrome.“ „I-ich kann das alles nicht glauben!“ Nick rollte genervt mit den Augen. Besänftigend sprach er: „Das musst du auch nicht. Ich weiß, dass das alles mehr als verrückt ist. Ich bin nicht unschuldig an dem, was passiert ist. Aber ich habe eine Bitte: Bis ich die Dinge gerade gebogen habe, warte noch damit, zur Polizei zu gehen.“ „N-Nick!“ „Wenn du es bist, wäre es ok. Aber gib mir die Chance, meinen Erzeuger als das zu entlarven, was er ist. Ein Monster!“ Abbys Stimme war ganz leise. „I-ich weiß nicht, was ich glauben soll. L-langsam ergibt es einen Sinn, warum du dich als Nick Harper tarnst. Aber … ich kann nicht glauben, dass Anyas …! Nick, sie weiß inzwischen, dass du ihr all die Jahre den Trottel vorgespielt hast. Hat sie dich nie gefragt, warum du damals ihren Vater des Mordes beschuldigt hat?“ Diesmal war es seine Stimme, die klamm war, als er antwortete: „Nein.“ Und das machte ihm große Sorgen. Abby war seiner Meinung. „Sie ist zwar die Verdrängungskönigin schlechthin, aber so etwas vergisst selbst sie nicht.“ „Ich weiß. Seit sie meinen wahren Charakter kennt, verhält sie sich mir gegenüber reserviert. Erst dachte ich, es läge nur daran, dass ich sie so lange belogen habe. Aber da ist mehr. Ich glaube, die Frage nach der Wahrheit um meine damalige Anschuldigung brennt tief in ihr. Aber sie wagt es nicht, sie auszusprechen.“ „Weil sie Angst vor der Antwort hat“, murmelte Abby leise, „sie hält so sehr an ihrem Vater fest, ihr Glaube an ihn ist unantastbar. Etwas zu hören, dass diesen doch ins Wanken bringen könnte … oder ihre Freundschaft zu dir, das ist für sie vermutlich ein absolutes Tabu.“ „Und da setzt ihre Verdrängungskunst wieder ein“, schloss Nick die These ab.   Er seufzte, diesmal vom Grunde seines Herzens. Dass der Tag irgendwann kommen musste, an dem er ihr die ganze Wahrheit – seine Wahrheit – sagen musste, dies war ihm bewusst. Solange er konnte, würde er alles daran setzen, diesen Moment so weit wie möglich hinauszuzögern. Und den Gedanken daran zu verdrängen.   Nick gab widerspenstig ein „Hmpf!“ von sich. „Ich fahre fort“, sprach sein Erzeuger unbeeindruckt und zog auf eine dritte Karte auf. Dann drehte er [Horus' Servants] Karte auf seiner Duel Disk in die Horizontale.“   Horus' Servant [ATK/100 DEF/100 (1)]   „Zwei Karten setze ich verdeckt aufs Spielfeld.“ Beide tauchten zu seinen Füßen auf. „Nun denn, Junge, das Zeitfenster deines Comebacks ist nahezu verstrichen. Du bist.“   Nick aber zuckte nur unbedarft mit den Schultern und zog wortlos auf. Dann wartete er. Darauf, dass sein Widersacher wahr machte, was er so vollmundig versprochen hatte. Aber es geschah nichts. Mr. Bauer aktivierte [Royal Decree] nicht. Eine Schweißperle bildete sich auf Nicks Stirn. Aber er durfte nichts sagen. Wenn er sich verriet darin, die Aktivierung jener Falle herbeizusehnen, würde der Alte genau dies nicht tun. Sein Blick wanderte zwischen den beiden gesetzten Karten hin und her. Welche war es? Welche musste er erwischen!? „Heh …“ Wieso machte er sich überhaupt Sorgen? Das war -gut- für ihn. Es verschaffte ihm die Zeit die er brauchte, um genug Ressourcen für den Todesstoß zu sammeln. „Fallenkarte!“, donnerte Mr. Bauer unvermittelt und streckte den Arm aus. „[Royal Decree]!“ „Jetzt doch?“ Nick zog überrascht die Augenbrauen an, als die von ihm aus linke, gesetzte Karte seines Erzeugers auffuhr. „Na von mir aus, dann eben sofort! Verdeckte Schnellzauberkarte: [Cosmic Cyclone]!“ Der Kristall, welcher den Horusdrachen einschloss, knackte. Ein kleiner Riss bildete sich in dessen Mitte, der sich langsam in alle Richtungen ausbreitete. Analog dazu öffnete sich vor Nick ein Schwarzes Loch, aus dem ein wirbelnder Feuerball heraus schoss. Jener zog einen langen Schweif hinter sich her, wie ein Komet. „Zwar kostet es mich 1000 Lebenspunkte, aber dafür kann ich deine Falle sofort verbannen“, erklärte Nick, „und entsprechend der Kettenregeln wird meine Karte aufgelöst, noch bevor der Effekt deiner aktiv wird.“   [Nick: 3900LP → 2900LP / Mr. Bauer: 4000LP]   Mr. Bauer zeigte auf einmal ein schmales Lächeln. Als ob er mit nichts anderem gerechnet hätte. Ein eisiger Schauder schoss Nicks Rücken hinab. „Dann erlaube mir, ebenfalls ein Glied der Kette hinzuzufügen. Einen Schnellzauber, den mein alter Freund Mercury mir einst überlassen hat – für Fälle wie diesen.“ „M-Mercury!?“ Nicks Gesichtszüge froren ein. Wenn es einen Mann gab, der ein noch gefährlicherer Duellant zur Zeit seines Vaters gewesen war, dann 'Mercury'! Jener gefürchtete Champion, welcher die Spitze der Nahrungskette darstellte, wie man ihn oft beschrieben hatte. Zwar wusste Nick, dass die alten Herren sich kannten – aber eine Freundschaft!? Und dann besaß sein Erzeuger noch eine von Mercurys Karten? Welche!?   Ein goldenes Sechseck bildete sich vor Mr. Bauer. Der Rand wurde zu einem goldenen Rahmen, während das Innere plötzlich das Antlitz von Nick widerspiegelte. Um den Rand des Spiegels zog sich eine eisige Schicht. „[Mirror Of The Ice Barrier]“, nannte Mr. Bauer ihn beim Namen, „eine Karte, die unmittelbar auf deine Taten reagiert.“ Nicks Feuerball fegte über das Feld und zerriss [Royal Decree]. „Wenn du eine meiner Karten verbannst, Eli, verbanne ich die doppelte Menge von deinen.“ Plötzlich zeigte der Spiegel nicht mehr das Ebenbild des entsetzten, jungen Mannes, sondern das des Feuerballs – welcher plötzlich aus dem Glas hervordrang. Aber nicht einmal, sondern gleich zweimal unmittelbar hintereinander. Der erste Schuss traf den pechschwarzen Drachen in der Brust, welcher kreischend verschwand. Der zweite prallte auf Nicks offen stehende Falle, die sich ebenfalls auflöste. Und dann geschah es. Der Riss im Kristallgefängnis wurde größer und größer, bis Horus unter einem ohrenbetäubenden Kreischen freikam und seine Schwingen spreizte. Nick stand wie angewurzelt mit seiner allein verbliebenen Fledermaus da. Seine Zauberkarten, darunter die Monstermassenvernichtungswaffe [Dark Hole]: nutzlos. „Es ist vorbei, Nick.“   Es ist vorbei … Es ist vorbei … Es ist …   „… vorbei, Nick!“ Jener merkte, wie er am rechten Handgelenk gepackt wurde. Hinter ihm stand die blonde Schatzjägerin Alexandra Russo in ihrem Trenchcoat. Sie streckte den Arm aus, meinte verspielt: „Entschuldigen Sie die Störung, wir haben uns im Büro geirrt!“ Ein goldener Schimmer drang aus ihrem rechten Ärmel hervor. Die Blonde richtete ihren Arm gen Decke. Keinen Moment später wurde aus dem Licht ein greller Blitz, der in die Stelle einschlug, auf die sie deutete. „Dein Arte-“ „Wir müssen verschwinden, Nick! Sofort!“   Noch während sie ihn wegzog, brach die Decke lautstark vor Mr. Bauer ein. Jener stand still da und betrachtete die Szene erstaunt, schützte sich mit dem Arm, als eine Mischung aus Staub und Rauch in seine Richtung blies. Es knarzte mit anschließendem Rumpeln. Sie mussten die Tür zu seinem Büro eingetreten haben, die beim Eindringen der jungen Dame zugefallen war. Mr. Bauer sah davon ab, diese zwei zu verfolgen. Die Hologramme des Horus und seines Dieners verschwanden schließlich. Nicht so der unnatürliche, dichte Rauch. „Eli … du dummer Junge“, murrte dessen Vater fassungslos.   Er stand da. Versuchte das Geschehene zu erfassen, aber es fiel ihm schwer. Obwohl es das nicht sollte. Zumindest war sein Sohn nicht allein. Auch wenn es töricht wäre zu hoffen, dass seine Begleiterin Eli in irgendeiner Art und Weise bändigen konnte. Nichts und niemand konnte das. In dieser Hinsicht war er schlimmer als Anya es jemals gewesen war.   „Herrje“, drang da plötzlich eine männliche Stimme hinter der Rauchschwade hervor, „du solltest wirklich öfter aufräumen.“ Britischer Akzent. Aus dem Dunst trat der rothaarige Sammler hervor und bestach durch ein wissendes Lächeln. „Und du müsstest deinem Sohn mal ordentlich den Hintern versohlen.“ Mr. Bauer zeigte keine Regung.   ~-~-~   Circa 48 Stunden später …   Schreiend fiel ein weiterer Dämon in Menschengestalt in einer dunklen Gasse zu Boden. In Nicks Augen funkelte absoluter Tatendrang. Das Hologramm seines Robokriegers [Wind-Up Arsenal Zenmaioh] verschwand, der junge Mann umfasste sein rechtes Handgelenk, als würde er darin die Macht spüren, die er absorbiert hatte. Dann streckte er die Hand nach vorne aus und keine Sekunde später war der tote Mann vor ihm verschwunden. Hinter Nick pfiff Alexandra anerkennend: „Diesmal gleich beim ersten Versuch. Ich bin beeindruckt.“ „Sinnestäuschungen können praktisch werden“, war die einzige Reaktion ihres Begleiters, der genau wusste, dass der Leichnam noch immer dort lag – lediglich vor den Augen der Anwesenden verborgen. Seufzend stieß sich die Blonde von der Häuserwand ab und ging auf Nick zu. „Das war jetzt der dritte heute Nacht. Wollen wir Schluss machen?“ „Nein.“ Im Gedanken fügte er noch hinzu, dass er nicht eher aufhören würde, bis er stark genug war, Mr. Bauer und dem Sammler erneut gegenüber zu stehen. Doch so etwas war gewiss nicht für Alex' Ohren bestimmt.   Deren leise Schritte in der Seitengasse verstummten schlagartig. Nicks Nackenhaare stellten sich auf. „Wir haben Besuch bekommen“, meinte seine Begleiterin düster. Der zerzauste, junge Mann im schwarzen Mantel drehte sich mit missmutiger Miene um. Ein schwarzes, ovales Portal stand vor ihnen offen. Und aus ihm trat eine große Gestalt in einem Butleranzug, deren akkurat geschnittenes, langes Haar bis zu den Schultern reichte. „Guten Abend“, wünschte Kyon, der seine Augen hinter einer dunklen Sonnenbrille verborgen hatte. Nick, der dem Diener des Sammlers bereits einmal begegnet war, als Anya sich auf die Suche nach dem ersten Hüter – Zanthe Montinari – gemacht hatte, zischte: „Was willst du hier?“ „Behilflich sein. Und eine Warnung aussprechen.“ „Wer ist das?“, fragte Alexandra alarmiert. Kurz angebunden wie jeher antwortete Nick: „Ein alter Bekannter.“ Passend dazu verneigte sich der Immaterielle höflich, sah in seiner gebeugten Haltung herausfordernd auf. „Nick Harper, ich hoffe du bist dir bewusst, dass deine Suche nach Macht von meinem ehemaligen Herrn einkalkuliert ist. Er antizipiert sogar deinen Fortschritt.“   Ehemaliger Herr? Also hatte er dem Sammler den Rücken gekehrt, fragte sich Nick überrascht. Doch sofort kamen Zweifel in ihm aus. Ein Dämon wie der Collector würde wohl kaum jemanden aus seinen Diensten entlassen, der seine Geheimnisse kannte. Wenn man den Gerüchten, die er während seiner Jagd nach Dämonen aufgeschnappt hatte, trauen konnte, war schon der frühere Diener des Sammlers, der Schattengeist Orion, eines Tages spurlos verschwunden.   Seine hübsche Begleiterin im braunen Trenchcoat belächelte Kyon. „Du kommst ja schnell zum Punkt.“ Der Butler erhob sich aus seiner Haltung und richtete seine leicht verrutschte Brille. „Ich bin hier um ein Bündnis vorzuschlagen. Auch ich suche nach einer Möglichkeit, den Collector-Dämon unschädlich zu machen.“ „Woher der plötzliche Sinneswandel?“, fragte Nick skeptisch. „Es gab nie einen. Von Anfang an war es mein Anliegen, seine Domäne zu infiltrieren und Informationen zu beschaffen. Inzwischen kann ich mit Sicherheit sagen, dass das Anliegen des Sammlers schädlicher Natur ist.“ Kyon machte eine Pause, da keiner der anderen beiden etwas sagte. „Ich kenne bedauerlicherweise keine Einzelheiten.“ Spöttisch entgegnete Alexandra: „Solltest du nicht vorsichtig mit solchen Aussagen sein? Man weiß nie, wer gerade mithört.“ „Ich wurde bereits entlarvt. Oder sollte ich sagen, ich wurde von Anfang an durchschaut? Wie dem auch sei, bin ich-“ Nick schnitt ihm scharf ins Wort. „-Was- weißt du denn?“ Sein Gegenüber räusperte sich. „Der Sammler möchte diese Welt vernichten. Diese und all die anderen.“ „Wie?“, lautete die nächste Frage. „Vermutlich mithilfe des Planet Eaters. Wer die sieben Artefakte einer Welt vereint, erhält Zugang zum Narthex, einer Zwischendimension, von der aus die Pfade des Nexus gelenkt, erschaffen und zerstört werden können.“ Kyon räusperte sich erneut. „Und von dort kann man jedes Tor manuell öffnen oder schließen.“ Ziemlich verwirrt redete Alexandra dazwischen: „Planet Eater? Was soll das sein? … na ja, irgendwie erklärt sich das schon von selbst, schätze ich. Wow …“ Sie fasste sich an die Stirn und schritt um Nick herum, welcher die Arme verschränkte. „Angenommen das ist die Wahrheit: Was habe ich damit zu tun?“ „Der Sammler benutzt dich, Nick Harper, als weitere Schachfigur, die ihm dabei hilft, die verbliebenen Artefakte zu sammeln. Etwas, das du tunlichst unterlassen solltest.“ Was bedeuten würde, Anya im Stich zu lassen. So viel hatte der Sammler bei seinem 'Besuch' klar gemacht …   „Alleine bin ich nicht imstande, den Sammler aufzuhalten.“ Kyon streckte den Arm nach vorne aus. „Aber du, du besitzt die Conqueror's Soul. Du könntest zu etwas werden, das stark genug ist.“ Das klang haargenau nach dem, was Nick ohnehin beabsichtigte. Schon fast zu sehr. Trotzdem, oder gerade deshalb fragte er: „Und was hast du mir zu bieten?“ „Zugang zu Kräften, die du in dieser Welt nicht erlangen könntest.“ „Dieser Welt?“ Nick legte den Kopf schief. „Du kannst mich in eine andere Welt führen? Wie? Das Tor Eden wurde zerstört und es zu öffnen-“ „Lass dich nicht täuschen, Nick Harper. Der Turm von Neo Babylon war ein Mechanismus, um das Tor vor anderen Wesen zu verbergen.“ Kyon drehte sich langsam um. „Das Tor wurde nicht zerstört, nur die Mauer, die es verbergen sollte. Ich als Gründerindividuum kann es für dich öffnen.“ Mit einem Handschwenk ließ der Immaterielle ein schwarzes, ovales Portal vor sich erscheinen. „Wovon redet er da?“, fragte Alexandra irritiert, als Nick Anstalten machte, Kyon zu folgen. Sie dabei ignorierend, sagte er: „Wenn ich mich recht entsinne, ist es nicht gerade einfach, Eden zu öffnen.“ „Alles, was du durch Another kennengelernt hast, gehörte zu den Mechanismen des Turms.“ Kyon drehte sich vor dem Portal um und bot mit einladender Handgestik Nick an, es zu betreten. „Es stimmt jedoch, dass es nicht so einfach in dieser Welt erscheinen kann. Deswegen frage ich dich: Bist du bereit, Opfer dafür zu bringen?“   Nick ahnte, worauf er hinaus wollte. Die Immaterielle Urila hatte kurz nach dem Fall des Turms ebenfalls versucht, das Tor direkt zu öffnen und wollte dafür die gesamte Livingtoner Bevölkerung als Opfer anbieten, so groß war der Preis für ein Unterfangen dieser Art. Daher folgte er der Einladung nicht, sondern fragte unterkühlt: „Wie groß?“ „Unglücklicherweise … sehr groß“, gestand Kyon. „Bevor wir in irgendeiner Form zusammenarbeiten“, begann Nick schließlich und ließ das Portal mit einem Handschwenk seinerseits einfach zersplittern, was den Immateriellen stumm zurückweichen und gegen die Häuserwand stoßen ließ, „sollten wir ein paar Dinge klären. Ich traue dir nicht.“ „Das ist sehr klug von dir“, entgegnete Kyon gefasst, als der Größere auf ihn zu schritt, „doch dem Freund des Sammlers vertraust du, wie ich hörte. Das wiederum war sehr dumm.“ Zwar wusste Nick nicht, ob sein Gegenüber die beiden Krähen Snuggly und Sparkly auf seinen Schultern sehen konnte oder nicht, doch er konnte nur sie damit meinen. Oder besser gesagt ihren eigentlichen Besitzer, Xiphos. Er legte seine linke Hand neben Kyons Kopf auf den dunklen Putz und näherte sich mit seinem Gesicht dem des Schwarzhaarigen. „Ich sehe in deinen Augen, dass du mich, nachdem ich alle für dich relevanten Informationen preisgegeben habe, auslöschen willst, wie schon alle anderen zuvor“, sprach Kyon weiter und lächelte plötzlich. „Und das kann ich nicht zulassen. Wir beide wünschen uns, einen uns wichtigen Menschen zu beschützen.“ Nick ließ überrascht von ihm ab. „Du verstehst also. Dann höre mir jetzt gut zu, Nick Harper.“   _______     Nächstes Special dann Ende Februar. Kapitel 96: Extra Turn 00.9: Promised Eternity ---------------------------------------------- Extra Turn 00.9 – Promised Eternity     „Ciao, Pablo!“ Zanthe winkte seinem Freund hinterher, wie jener in einer der schmalen Nebengassen Venedigs verschwand. „Gott, dass bei dir auch alles ewig dauern muss.“ Längst war die Nacht über die Stadt mit ihren vielen kleinen Gassen und Kanälen hereingebrochen. Kaum ein Licht erhellte den Weg über die gepflasterte Straße, nur hin und wieder stand hier und dort eine kleine Laterne. Fröhlich pfeifend schlenderte der 18-Jährige Kaufmannssohn den Weg entlang. Am Tage gab es hier ein paar Verkaufsstände mit Obst, Gemüse und die ein oder andere Töpferarbeit. Sein Vater hatte immer gepredigt, dass der Anfang des 20. Jahrhunderts 'die Wende' bringen würde. Bis heute fragte sich der älteste Montinari-Spross, was genau der Alte damit meinte. Inzwischen waren schon einige Jahre des neuen Jahrtausends verflogen und noch immer lebten sie ein bescheidenes Leben. Nicht, dass er etwas dagegen einzuwenden hätte. Seinem Vater im Laden, den er eines Tages übernehmen würde, auszuhelfen war schon nicht schlecht. Die Kundschaft nett, die Kerle mitunter ganz hübsch, wenn auch etwas verklemmt in gewissen Dingen, aber er konnte sich nicht beschweren.   „Hey, du“, wurde er da gerufen. „Hm?“ Zanthes Blick wanderte herüber zu einer kleinen Nebengasse. Halb im Schatten nickte ihm ein kahlköpfiger Kerl im besten Alter zu. Dann schüttelte der junge Mann, der seinen langen, schwarzen Haarschopf zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, abweisend mit dem Kopf. „Vergiss es. Ich hab nichts mit, wofür es sich lohnt mich zu überfallen.“ „Ich hab was für dich“, gluckste der schmale, große Kerl und griff sich demonstrativ in den Schritt. Augenblicklich blieb Zanthe stehen. „Du bist der, der die Nähe zu Männern bevorzugt. Hab von dir gehört.“ Ein verspieltes Lächeln huschte über die Lippen des Jüngeren. „Ach daher weht der Wind.“ Er drehte sich der Gasse zu und wurde gefragt: „Hast du Lust? Vielleicht könnte ich dir das ein oder andere beibringen.“ „Glaub mir: Nein. Aber ich dir.“ Mit einem gewissen Glanz in den Augen steuerte der Schwarzhaarige auf den Glatzkopf zu. Jener winkte ihn weiter zu sich und drehte sich um. Hier wäre es wohl trotz dieser späten Stunde zu offensichtlich. Aber gerade das wäre doch ein interessantes Experiment, fand der Montinari-Spross belustigt. Bis etwas unglaublich Schweres auf ihn von oben niederkrachte. Zanthe fiel auf den Bauch, keuchte und spürte heftigen Druck auf den Lungen. Alles wurde schwarz.   Schmerz. Sein Rücken schmerzte, als würde irgendetwas daran entlang schaben. Oder nein, er war es, der fortgeschleift wurde! Dann ein Aufprall, der seine Sinne endgültig schärfte. Sein Herz klopfte schnell, als er die Augen öffnete. Er blickte in das Licht einer einzelnen Glühbirne, welche ihm die Sicht regelrecht ausbrannte. Er wollte sich zur Seite drehen, doch da merkte er, dass zwei Männer seine Arme mit ihren Händen fixierten. Ein metallischer Geruch lag in der Luft. „W-was …? Hey, lasst mich-!“ Dann geschah es. Kein Schlag, kein Tritt – ein Biss! Einer der Männer vertiefte seine Zähne in das Fleisch seines nackten Oberarms. Blut spritzte auf sein weißes Hemd. „Ah!“, schrie Zanthe gequält auf. Noch mehr Schmerz. Der andere Kerl – der Glatzkopf – biss in seinen anderen Arm. Grenzenlose Panik stieg in dem jungen Italiener auf. Er versuchte sich zu befreien, aber die beiden hielten ihn derart fest, dass er nur hilflos mit den Füßen strampeln konnte.   Irgendetwas stimmte da nicht! Wieso bohrten sich Menschenzähne so tief in sein Fleisch!? Es brannte so fürchterlich! Dann riss einer an ihm. Sehnen und Nerven lösten sich voneinander. Mit Schrecken sah Zanthe aus den Augenwinkeln, wie ein Stück Fleisch im Maul der grotesken, schwarzen Kreatur hing, die eben noch ein Mensch gewesen war. Sein Fleisch! „Hört-“, wollte er kreischen, wurde darin aber unterbrochen, als ihm ein Stoffknebel um den Mund mit roher Gewalt gebunden wurde.   Hinter ihm kniete noch ein Mann. Auch ein Glatzkopf, aber kräftig. Sein brünetter Bart hatte bereits einige graue Strähnen. Zanthe sah in seine kalten, grauen Augen. Dann bäumte er sich vor Schmerz auf, als einer seiner Peiniger ihm in die Seite biss. „Es ist bald vorbei“, sprach der Mann, der ihn knebelte, seelenruhig. „Sie sind in letzter Zeit sehr hungrig.“ Die gedämpften Schreie des Jungen schien er gar nicht zu hören. Jener zappelte und kämpfte, aber da waren plötzlich so viele andere Männer und Frauen, die ihn festhielten und verschlangen. Wo waren die alle hergekommen!? Ihre Haut verfärbte sich pechschwarz. Aber der Schmerz war real. Sie fraßen ihn auf. In den Büchern nannte man das Kannibalismus. Tränen rollten über Zanthes Wangen, wie er in einer Blutlache von einem dutzend Monstern verschlungen wurde. Und der Glatzkopf sah auf ihn herab und sagte nichts.   Eine gefühlte Ewigkeit später schwebte Zanthe. Über einer Wolke? Über dem Boden? Er wusste es nicht. Er lag im Wasser. Also schwamm er eigentlich. Seine Augen waren geschlossen. Das wenige Leben, das noch in ihm steckte, er konnte es schwinden spüren. Bald war er an einem besseren Ort. Im Garten des allmächtigen Vaters. Schwachsinn. Er glaubte nicht an diesen katholischen Unsinn. Da wartete nur Dunkelheit auf ihn. Er würde nicht mehr existieren. Nicht mal mehr seine Gedanken. Wie schrecklich. So ein Schicksal wollte er nicht! Also machte Zanthe bewusst einen Fehler. Er riss die Augen auf – und blickte wieder in die kalten, grauen Abgründe des kräftigen Glatzkopfs mit dem Bart. „Du lebst noch. Beeindruckend.“ Zanthe konnte nicht mehr antworten. Er spürte schon gar nichts mehr. Der Knebel war längst verrutscht, lag auf seinem Hals. „Du gefällst mir. Bursche, möchtest du weiterleben?“ Natürlich! Alles würde er jetzt tun, nur um nicht in der Dunkelheit zu verschwinden. „Wenn dem so ist, dann trink.“ Der Alte schob den Ärmel seines blutbeschmierten, gelblichen Hemds weg und präsentierte seinen nackten Arm. Mit der anderen Hand fuhr er über seine Haut. Noch während der Bewegung wuchsen aus seinen Fingernägeln Klauen, die sein Fleisch aufrissen. Dunkelrotes – oder pechschwarzes? – Blut rann aus der Wunde. Er hielt den Arm über Zanthes Kopf. Der erste Tropfen ging daneben. Der zweite traf zwar seinen geschlossenen Mund, aber Zanthe machte keine Anstalten, diesen zu öffnen. Erst der dritte war es, der sein Schicksal besiegelte.   ~-~-~   Fischgestank. So stark, dass er eine derartige Übelkeit in ihm auslöste, wie sie sich die wenigsten Menschen wohl vorstellen konnte. Zanthe beugte sich vorne über und ließ alles aus sich heraus, was auch immer 'alles' war. Eine frische Brise zog an ihm vorbei, als er sich langsam seiner Umgebung gewahr wurde. Er lag auf der Seite, am Rande eines kleinen Stegs. Ein Fischerboot schwamm an ihm vorbei. In der Ferne schimmerte das weite Meer.   „Zanthe!?“, empörte sich jemand. Das Knarzen von Holz dröhnte in seinen Ohren. Generell so ziemlich alles hallte in seinem Kopf wie ein Echo wieder. Das Rauschen des Meeres, das Kreischen der Möwen, das Lästern der Fischer auf dem Boot. Der Schwarzhaarige richtete sich auf und rieb sich die Stirn. „Ugh …“ „Wie siehst du denn aus!?“ „Pablo …?“ Benommen sah der junge Mann hoch zu seinem besten Freund, ein schlaksiger, dünner Fischersohn mit blondem Haar. Seine Hose wurde durch zwei Träger fixiert und an denen hielt er sich fest, wie er es immer tat, wenn er Leuten die Leviten las. Sein Markenzeichen, eine Baskenmützen, die er mal irgendwo gefunden hatte, hielt er unter die Achsel geklemmt. „Zanthe, das ist selbst für deine Verhältnisse dreist.“ „Wovon …?“ Aber als der Kaufmannssohn sein mit halb verdautem Essen vermengtes Ebenbild im Wasser erblickte, wusste er sofort, was hier nicht stimme. Er war nackt. Ganz nackt. „Oh. Ich hab's wohl gestern Nacht übertrieben, hm?“ Er konnte seine Gedanken noch nicht richtig ordnen. Musste wohl an dem Wein liegen, den er – so glaubte er – getrunken hatte. Auch wenn er nicht nach Alkohol roch. In dem Moment erinnerte er sich an den Mann in der Gasse. Und mehr. Er musste hier eingeschlafen sein und einen Albtraum gehabt haben. Ja. So war es.   „Du solltest deine Neigungen nicht so offenkundig ausleben. Irgendwann werden sie dich dafür noch lynchen“, beklagte Pablo altklug, schlang die Träger von seinen Schultern und knöpfte langsam sein ausgebleichtes, blaues Hemd auf. Zanthe sah ihm dabei zu und gluckste vergnügt. „Du machst es mir echt schwer.“ „Was hast du getrieben?“, fragte sein Freund und zog sich das Hemd aus. „Du willst wohl wissen mit wem“, entgegnete Zanthe spitz, als er das Kleidungsstück entgegen nahm. Er erhob sich und streifte es über. „Verrate ich nicht.“ Vermutlich mit dem Typen aus der Nebengasse. Das war bestimmt noch Teil der Realität gewesen. „Ich mein's ernst.“ Der Fischersohn drehte sich um und schritt davon. „Die Leute hassen dich. Nur der Respekt vor deinem Vater hält sie davon ab, dich im Meer zu ertränken.“ Zanthe folgte ihm. Das Hemd war zum Glück gerade lang genug, um bestimmte Körperzonen zu bedecken. „Mir doch egal. Dieses prüde Pack kann machen was es will, aber das gilt ebenso für mich.“ „Sie reden davon, dass du krank bist.“ „Pah.“ Zanthe wollte etwas Abwertendes sagen, aber unterbrach sich selbst, als er aufschrie: „Au!“ Er war in irgendetwas hineingetreten. Auf einem Bein stehen bleibend, hob er das andere an. Dabei schwankte er nicht einmal. Eine Scherbe steckte in seinem Fuß. „Ew. Welcher Dummkopf-“ „Du“, kam es knapp und grimmig von Pablo, „du bist der Dummkopf, der seine Kleidung verschlampt hat. Du bist das Ende der Kette dieser Ereignisse.“ „Wo haste den schlauen Spruch aufgegriffen?“ Zanthe zog die Scherbe raus. „Irgendeiner hat im Vorbeigehen mal was zu seiner Frau gesagt. So'ne Reichen …“ Aber der Schwarzhaarige hörte gar nicht hin. Wie gebannt starrte er seine Wunde an, die sich vor seinen Augen schloss. Unmöglich! Hatte er doch zu viel Alkohol getrunken? Er wischte das Blut weg, aber da war kein Schnitt. Vielleicht war die Scherbe nicht so tief eingedrungen? Aber dann blutete man doch nicht, außer die Scherbe war schon vorher blutig gewesen, was … egal. „Hörst du mir überhaupt zu?“, fragte Pablo beleidigt. „Natürlich nicht.“ „Du solltest erstmal nach Hause und dir etwas anziehen. Das Hemd will ich zurückhaben.“ „Ja ja …“ Zanthe sah die hohen Gebäude der Altstadt vor sich an und strahlte. Er liebte seine Heimat.   So verabschiedete er sich von Pablo, der seinem Vater helfen musste. Er rannte durch die Gassen, über Brücken, welche sich entlang der schmalen Kanäle erstreckten, grüßte einen der gleichgesinnten Gondelfahrer und ein paar alte Damen, denen er hin und wieder bei der Hausarbeit aushalf. So wie er Venedig liebte, liebten die Leute ihn, trotz seiner Neigung. Oder zumindest einige, die, die ihm wichtig waren.   ~-~-~   Er ließ sich mit dem Kopf voran ins Bett fallen. Die kleine Kammer, die er sich mit seinem jüngeren Bruder teilte, war sehr karg eingerichtet. Außer der beiden Betten, einem Nachttisch und einer Kommode mit kleinem Spiegel darauf gab es nicht viel. Alessandro hatte mal wieder seine Bauklötze überall rumliegen lassen. Zum Glück war er jetzt in der Schule. Die beste Gelegenheit für ein kleines Nickerchen, um den Rausch auszuschlafen.   Geschrei. Heulende Kinder. Schimpfende Mütter. Fluchende Arbeiter. Tratschende Waschweiber. Kreischende Möwen. Bellende Hunde. Und so ziemlich alles andere auch. Zanthe hielt sich die Ohren zu, wie er mit dem Gesicht im Kissen lag. Wieso waren die alle so verdammt laut!? Er rollte sich auf den Rücken, blickte die Holzdecke an. Und den Gestank von Fisch und Erbrochenem war er auch noch nicht losgeworden, obwohl er sich die Zähne geputzt und kurz gewaschen hatte. „Hmpf!“ Sowieso stank es im ganzen Haus. Nach irgendetwas Verfaultem. Äpfeln. Igitt. Und dem gebratenen Fisch, den es vorgestern zum Abendbrot gegeben hatte. Und … menschlichen Ausscheidungen. Doppelt igitt! Der junge Mann fuhr sich über das Kinn und den Hals. Stoppeln. Er hasste den Bartwuchs erwachsener Männer. Nicht bei anderen, aber bei sich. Niemals würde er unrasiert hausieren gehen, das würde seinem Ruf sogar schaden. Also: rasieren war angesagt.   Schon stand er mit einem Klappmesser in der Hand vor dem Spiegel auf der Kommode. Das Gesicht mit Rasierseife eingeschmiert, straffte er mit der linken Hand die Haut und fuhr sich über die rechte Wange. Selbst dieses Zeug störte ihn heute zunehmend, es stank penetrant, obwohl es nicht wirklich schlecht roch. Nachdem er die rechte Gesichtshälfte fertig rasierte, widmete er sich der linken. Dann knallte draußen irgendetwas so laut, dass er glaubte, die Erde bebte. Vor Schreck rutschte er mit der Klinge ab und schnitt sich in die Wange. „Oh Mist!“ Blut lief in einem schmalen Faden über den weißen, dünn aufgetragenen Schaum. Erschrocken betrachtete Zanthe das Missgeschick. Na das würde eine tolle Narbe geben. Vielen Dank! Zumindest dachte er das, bis er es bemerkte. Die Wunde schloss sich! Und diesmal konnte er das nicht erklären, sie verschwand einfach! Das Blut nicht, aber der Schnitt!   Vor Schreck ließ Zanthe Spiegel und Rasiermesser fallen. Er strich über die Haut, die absolut glatt war. Vorsichtig las er den Spiegel auf und betrachtete sich darin. Nichts. Nur das Blut. Mit zitternder Hand beugte er sich, griff nach dem Messer. Noch in der Hocke legte er die Klinge an. Das hatte er sich nicht eingebildet. Er riss sie einmal quer über die Wange. Das Blut spitzte an seine Nase und auf den Spiegel. Und er sah, wie die brennende Wunde sich binnen kürzester Zeit schloss. Er erhob sich. Schnitt sich in den Finger. Fast sofort war der Schnitt verheilt. Dann zog er die Klinge über den ganzen Oberarm. Es dauerte einige Augenblicke, dann waren Schmerz und Wunde nur noch eine Erinnerung. „Unmöglich …“   „Zanthe, was machst du da?“, fragte eine kindliche Stimme neugierig. Der junge Mann schrie panisch auf und ließ Spiegel sowie Messer erneut fallen. Sein kleiner Bruder Alessandro stand im Türrahmen und beobachtete ihn neugierig. Auch der kleine Achtjährige hatte rabenschwarzes Haar wie sein Bruder, das ganz zerzaust war. „Ich rasiere mich“, kam von dem eine zögerliche Antwort. Dann wurde er sich der Anwesenheit des Kleinen erst wirklich gewahr. „Alessandro, was machst -du- um diese Uhrzeit schon hier? Solltest du nicht in der Schule sein?“ „Ja … die Lehrerin hat mich gehen lassen. Zu dumm.“ „Hat sie nicht“, stellte der Ältere klar, ging zu dem Knirps und beugte sich zu ihm herab. „Du bist mal wieder ausgebüchst, nicht?“ Da kamen Alessandro die Tränen. „Sie haben … sie haben mich wieder geärgert. Sie sagen, du kommst in die Hölle. Unsere ganze … ganze Familie …“ „Hör nicht auf sie.“ Zanthe legte seinem Bruder die Hand auf die Schulter. „Die nehme ich mir mal vor. Lass mich raten, es waren Nico, Mateo und Giogio, richtig?“ „Und … und Paola …“ „Paola? Paola ist ein Mädchen!“, empörte sich der Ältere. Aber wie er seinen Bruder nur da stehen und heulen sah, musste er glucksen. „Okay, die bekommt auch eine Abreibung. Alessandro, du weißt, dass ich immer für dich da sein werde.“ Der Kleine verstummte und sah ihn an. „Wirst du?“ „Ja. Versprochen.“ Zanthe lächelte sanft. „Dann werde … dann werde ich auch für dich immer da sein.“   ~-~-~   Ein Stein flog auf Zanthes Gesicht zu, aber er fing ihn gerade noch rechtzeitig auf. Derjenige, der ihn geworfen hatte, ein älterer Herr mit runden Brillengläsern, funkelte ihn verachtend an. „Hey“, fauchte der Jugendliche neben dem Schwarzhaarigen zornig. „Monster!“, zischte der Mann verächtlich. „Teufelsbrut!“ Und er war damit nicht alleine. Ein ganzer Mob hatte sich um die beiden Brüder gebildet, die eigentlich nur ein paar Lebensmittel einkaufen wollten. Der kleine Marktplatz mochte zwar voll von Ständen sein, die Obst, Gemüse, Fisch und andere Sachen anboten aber für die beiden Brüder hätte es genauso gut eine Wüste sein können. Zehn Jahre waren seit dem Tag vergangen, an dem Zanthe begonnen hatte sich zu verändern. Die Leute brachten es auf den Punkt. „Er sieht immer noch aus wie damals!“ „Wie macht er das? Keine einzige Falte, dabei müsste er fast dreißig Lenze alt sein!“ Die Waschweiber tuschelten vor und hinter ihren Verkaufsständen. Der Mob, der Zanthe und seinen Begleiter umzingelt hatte, war zwar unbewaffnet, aber trotzdem nicht harmlos. „Verschwinde endlich, du Kreatur!“, schrie ein Mann den älteren der beiden Brüder an. Alessandro, der wie Zanthe sein schwarzes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte und sogar schon etwas größer war, schnappte zurück: „Hört auf, ihn so zu nennen!“ „Er hat einmal ein Huhn mit bloßen Händen getötet! Ich hab's gesehen!“, kläffte ein kleiner Opa wie ein wild gewordener Hund. Zanthe erwiderte schnippisch: „Und Vater hat seinem Besitzer den zehnfachen Preis entrichtet. Selbst die Huren werden nicht so gut bezahlt.“ „Man kann ihn noch so sehr verletzen“, rief eine Frau und warf einen Stein, dem Zanthe mit einem flinken Seitenschritt auswich, „er blutet nie länger als ein paar Sekunden!“ „Und keiner ist so schnell und kräftig wie er, trotz seiner schmächtigen Statur!“ „Wir wissen was du bist!“ „Ach ja?“ Die Augen des älteren Montinari-Sohns verengten sich zu Schlitzen. „Dann weißt -du- ja mehr als ich. Vielleicht willst du mich ja aufklären?“ „Genug jetzt!“ Alessandro packte den Arm seines Bruders und schleifte ihn durch die Menge, die auf ein 'Buh!' des Verhassten sofort Platz machte. Sie sahen den beiden hinterher und schrien ihnen schreckliche Dinge hinterher, aber dafür waren sie inzwischen taub geworden.   Was sich jedoch deutlich bemerkbar machte war die Abneigung nicht nur Zanthe gegenüber, sondern seiner ganzen Familie. Schon seit Jahren lief das Geschäft ihres Vaters immer schlechter, seine Mutter wurde gar einmal fast Opfer einer Gewalttat. Zum Glück hatte Zanthe die feigen Schweine selbst aus großer Ferne noch gehört und war rechtzeitig da gewesen, um einzugreifen.   Als die beiden langsam außer Reichweite waren und eine Brücke passierten, die sich über einem der Kanäle erstreckte, riss sich Zanthe los. „Du hast recht“, sprach er leise, „es ist genug.“ Alessandro drehte sich um und betrachtete seinen Bruder mitleidig. „Du darfst dich von denen nicht fertig machen lassen. Die wissen nichts über dich! Zu dumm eigentlich, so schlimm bist du nämlich nicht. Meistens.“ Doch die Witzelei vermochte die Stimmung nicht zu heben. „Ich weiß doch selbst nicht, was seit jener Nacht mit mir los ist!“ Tränen standen in den Augen des jungen Mannes, der seitdem scheinbar keinen Tag gealtert war. „Essen schmeckt nicht mehr. Ich höre so vieles, dass ich davon Kopfschmerzen bekomme. Und alles stinkt, aber trotzdem kann ich jeden Geruch genau unterscheiden. Als wäre ich ein Hund!“ „Zanthe …“ „Und mir ist immer übel, außer ich … töte etwas.“ „Dann töte doch dich selbst, dann geht es dir bestimmt besser.“ Die beiden Brüder wirbelten ob des bitterbösen Vorschlags herum. Eine Gondel hatte sich der Brücke genähert. Ein dunkelblonder, gut gebräunter Mann stand darauf und sah zu ihnen hinauf. „Pablo“, flüsterte Zanthe leise. „Ich habe dich immer gewarnt, deine inneren Bedürfnisse auszuleben. Das hast du jetzt davon. Hätte ich gewusst, wie du wirklich bist, hätte ich nie auch nur ein Wort mit dir geredet.“ Sein ehemaliger Freund aus Kindheitstagen stieß sich mit dem Ruder ab und schwamm unter der Brücke hindurch. Bevor er außer Reichweite war, gab er noch einen Rat von sich. „Du solltest von hier verschwinden, Zanthe. Das wäre das Beste für alle.“   Eine Weile stand Zanthe da, über das Geländer der Brücke gelehnt. Sein Bruder hielt den Kopf gesenkt. „Weißt du“, krächzte der Ältere, mit der Fassung ringend, „er hat recht. Ich muss hier weg.“ „Du kannst nicht-!“ „Ich muss herausfinden, was mit mir geschehen ist! Wenn ich weg bin, dann … vielleicht lassen sie euch dann in Ruhe!“ Alessandro blickte entsetzt auf. „Du weißt doch nicht einmal, wohin. Diese Männer könnten inzwischen sonstwo sein.“ „Ich werde sie finden. Egal wie lange es dauert. Anscheinend habe ich ja die Zeit dazu“, verkündete Zanthe entschlossen, doch mit Tränen in den Augen. „Und wenn ich sie bis in die neue Welt verfolgen muss!“ „Amerika?“ „In die Antarktis, wenn's sein muss …“ „Dann werde ich mitkommen.“ Sein Bruder legte seine Hand auf Zanthes Schulter. „Denk dran, was wir uns versprochen haben. Wir sind immer füreinander da.“ Beide lächelten sich an.   ~-~-~   Die Tür brach mit einem lauten Knarzen aus den Scharnieren. Der Glatzkopf, der sie bewacht hatte, landete keuchend auf ihr und als er sich erheben wollte, wurde er von einem schwarzen Gummistiefel zurückgestoßen. Draußen schüttete es in Strömen. Es donnerte, der Himmel war so düster wie die Bäume des Waldes, in der sich die Hütte befand.   „Nett habt ihr es hier“, schnarrte Zanthe, als er über seinen Verführer von vor über dreißig Jahren hinweg stieg und sich so Einlass verschaffte. „Warum habt ihr mir nichtmal eine Postkarte geschickt? Oder wolltet ihr den Weltrekord im längsten Versteckspiel der Welt aufstellen?“ Der Schwarzhaarige, welcher inzwischen ein weißes Kopftuch sein Eigen gemacht hatte, schob die Kapuze seines dunkelgrünen Regencapes weg und sah in die Runde. „Falls dem so ist, habt ihr kläglich versagt. Oder mit anderen Worten: Hab euch!“   Geradezu perplex wurde er von den Anwesenden angestarrt. Zwei Männer und ein junges Mädchen saßen an einem einfachen Holztisch und spielten gerade Karten. Hinter ihnen war eine weitere junge Frau am Herd zu schaffen. Es roch nach Schweiß, Alkohol und gebratenem Speck. Sofort erkannte Zanthe, dass -der- nicht unter ihnen war. „Und du“, sah er auf den Glatzkopf hinter sich herab, der gerade aufstehen wollte, „du hast -das- hier wirklich verdient!“ Ein saftiger Tritt gegen die Schläfe schleuderte jenen meterweit nach draußen, wo er durch eine Pfütze schlitterte. Zanthe drehte sich wieder zu den anderen um. „Hmm, Blondie am Herd, dich erkenne ich. Die anderen waren damals nicht dabei. Aber ihr könnt euch gern -alle- eure Tracht Prügel abholen.“ „Du würdest sterben. Und das willst du nicht.“ Die Worte kamen von einer Treppe aus, die der Tür direkt gegenüber lag. Da war er, wanderte in dunklen Stiefeln Stufe um Stufe hinunter. Der Glatzkopf mit dem Bart. Der, der ihn zu dem gemacht hatte, was er jetzt war – ein Lycanthrop!   In den zwanzig Jahren, in denen Zanthe nach ihm gesucht hatte, hatte er einiges über seinen Zustand herausgefunden. Vermutlich war das Meiste davon Unsinn und Aberglaube, aber seit er sich ebenfalls zum Teil in eine schwarze Kreatur verwandeln konnte, glaubte er an Monster und Gespenster. Was auch der Grund war, warum er Alessandro vor einigen Jahren zurückgelassen hatte. Seine pure Anwesenheit hatte seinen Bruder gefährdet. Immer unkontrollierter war sein Drang zum Töten geworden. Nicht, dass er eines Tages noch …   „So viel ungenutztes Potential“, sprach sein 'Vater' hochtrabend, als er die letzte Stufe genommen hatte und sich ihm zuwandte, „ich habe immer damit gerechnet, dass du eines Tages kommen würdest. Denn du bist stark.“ „Was habt du mit mir gemacht!?“ „Dir das Geschenk der Ewigkeit gegeben.“ Der Mann sah ihn nachforschend an, lächelte dann plötzlich ein kaltes, berechnendes Lächeln. „Mein Name ist Gregory. Und du bist endlich zuhause.“   ~-~-~   Es war keine Frage des Wollens gewesen. Als Gregory ihm erklärt hatte, was das 'Geschenk der Ewigkeit' war, hatte Zanthe nicht lange gefackelt und versucht ihn umzubringen. Ihn, den Anführer des Werwolfrudels. Ihn, den Allerersten. Den Unsterblichen. Wer sein Blut trank, wurde selbst zu so einer Kreatur, wenn auch viel schwächer. Das hatte Zanthe gelernt, als er nach wenigen Sekunden mit tiefen Wunden in seiner eigenen Blutlache im Regen lag, umzingelt von sechs schwarzen Bestien. Aber sie hatten ihn nicht getötet. Im Gegenteil, sie hatten ihn trotz seiner unverhohlenen Abscheu bei sich aufgenommen und ihn gelehrt, seine Gaben richtig zu nutzen. Sie raubten, plünderten, töteten. Zanthe hatte sich nie daran beteiligt, aber war auch nie dazwischen gegangen oder weggerannt. Letzteres nicht, weil er diesen Monstern ohnehin nicht entkommen könnte. Aber selbst wenn, hätte er das nicht getan. Sie waren die einzigen, die ihn verstanden. Auch wenn sie Monster waren. Anders als er verfügten sie über die vollen Kräfte eines Lycanthrops, da sie Menschenblut gekostet hatten. Zanthe jedoch hatte sich über die Jahre ihres Zusammenseins stets geweigert, jenes zu trinken. Er war der Schwächste von ihnen. Der Außenseiter. Der, der nur Tiere jagte. Und als sie von seiner Neigung lernten, war es mit dem Zusammenhalt vorbei. Erst waren es nur böse Scherze, aber später artete es schon mal in einem Handgemenge aus, das fast immer schlecht für ihn ausging. Der Einzige, der sich nie über ihn lustig machte, war Gregory. Obwohl er brutal und grausam war, hatte er etwas Würdevolles an sich. Aber auch seine Geduld kannte Grenzen. Und diese Grenze hieß Menschenblut, diese eine, die Zanthe nicht überqueren wollte.   ~-~-~   Veränderung ist ein notwendiges Übel. Besonders wenn man nicht alterte wie Zanthe. Längst war sie vorbei, die Zeit, die er mit seinem Rudel verbracht hatte. Fast schon eine verblasste Erinnerung, wie es das ganze 20. Jahrhundert inzwischen war. Die Welt hatte sich stark verändert. Alessandro … nicht. Und das hätte er nie aus den Augen verlieren dürfen. Nun war es zu spät. Sein Bruder stand vor ihm. Langes, schwarzes Haar, wie man es seit über hundert Jahren nicht anders von ihm kannte. In einem weißen Mantel, auch seit Jahrzehnten sein Markenzeichen. Äußerlich war er vielleicht Mitte 30, aber das Äußere war inzwischen auch alles, was noch von ihm übrig geblieben war.   Zanthe schluckte seinen Schmerz hinunter. Sie standen sich auf einer Lichtung gegenüber, es war Nacht und es nieselte. „Seine Seele hat die Grenze zum Limbus überquert“, sprach das, was im Körper seines Bruders steckte, gefühlskalt, „ich kann nichts mehr für ihn tun, Zanthe Montinari.“ „Durch dich … durch dich ist das alles erst …“ „Es war sein Wunsch. Die einzige Möglichkeit, die Grenzen der Sterblichkeit zu überwinden. Ich als Gründerindividuum kann meinem Gefäß vorübergehende Unsterblichkeit verleihen“, erklärte Kakyo weiter, „aber unser Pakt war von Anfang nicht dazu gedacht, erfüllt zu werden. Und der Preis war klar definiert. Der Zeitpunkt, Eden zu öffnen, ist verstrichen und damit auch die Seele deines-!“ „Halt den Mund!“, fauchte Zanthe außer sich und hob den Arm, an welchen eine Duel Disk steckte. „Red' nicht über Alessandro, als wäre er irgendein Geschäftsmann! Mit ist egal, ob ich seine Kräfte oder was auch immer geerbt habe! Ich wollte das alles nie!“ „Beruhige dich.“   Aber der Werwolf dachte nicht einmal daran. Im Gegenteil. Sein Bruder war tot, daran gab es nichts zu rütteln. Das Einzige, was er jetzt noch tun konnte, war ihn angemessen zu beerdigen. Aber nicht, solange dieser Kakyo noch in ihm steckte. Dieser Immaterielle, er musste verschwinden! Und dann … und dann würde er sich zu seinen Eltern und seinem Bruder gesellen …   Zanthe hob den Arm mit der Duel Disk an. „Ich hatte nie Interesse daran, mich mit ihm zu duellieren. Aber ich weiß, wozu er selbst mit Duel Monsters-Karten imstande war.“ Wenn die Kraft seines Bruders auf ihn übergegangen war, konnte er das vielleicht auch. Hoffentlich, denn er musste Kakyo aus dem Körper seines Bruders vertreiben, koste es was es wolle! „Du sehnst dich nach Zerstörung. Davor hat Alessandro Montinari mich gewarnt. Jedoch habe auch ich etwas versprochen. Und ich sehe in deinen Augen, dass ich dieses Versprechen schon jetzt einlösen muss“, erwiderte Kakyo und schwang den Arm aus. An seinem Arm weitete sich ein Reif zu einem richtigen Handschuh aus, in denen zu beiden Seiten Kartenzonen eingelassen waren. Etwas versetzt zum Handrücken platzierte Kakyo sein Deck. „Duell!“, riefen beide hitzig.   [Zanthe: 4000LP / Kakyo: 4000LP]   Beide zogen ihr Startblatt, doch kaum hatte Zanthe seine fünfte Karte in der Hand, verkündete sein Gegenüber bereits ruhig, aber bestimmend: „Ich führe den ersten Zug durch.“ Prompt nahm der eine weitere Karte auf, schob sie zu den anderen, nur um sie zusammen mit der rechts neben ihr liegenden wieder herauszuziehen. „Vorbereitung ist essentiell. Ich setze zwei Karten verdeckt.“ Beide Fallen materialisierten sich zu seinen Füßen. „Obwohl keine Eile geboten ist, möchte ich dieses Duell dennoch gerne so früh wie möglich beenden“, sprach Kakyo weiter und legte ein Monster in den Handschuh ein. „[Satellarknight Alsahm], du wirst gerufen.“ Ein Lichtstrahl schlug direkt vor dem Schwarzhaarigen ein, aus dem ein kleiner Krieger mit Pfeil und Bogen flog, welcher dank Flügeln nachempfunden Triebwerken über dem Boden schwebte.   Satellarknight Alsahm [ATK/1400 DEF/1800 (4)]   „Ein Warnschuss“, sprach Kakyo leise. Schon spannte sein Engel den Bogen und schoss einen goldenen Pfeil ab, der so schnell sein Ziel fand, dass Zanthe noch im Begriff des Ausweichens war, als er mitten in der Brust erwischt wurde. Ein unangenehmes Ziepen durchzog die Stelle.   [Zanthe: 4000LP → 3000LP / Alessandro: 4000LP]   „Ugh!“, keuchte der Werwolf und hielt sich die Wunde. Sprach dann finster: „… ein Warnschuss.“ „Ja. Um dich daran zu hindern, eine Grenze zu überschreiten. Zug beendet.“ Zanthe wusste, dass Alsahm einmal pro Zug bei seiner Beschwörung 1000 Schadenspunkte austeilen konnte. Aber diesen jetzt in Aktion zu sehen, nicht etwa durch seinen Bruder sondern durch dieses 'Ding', das schmerzte mehr als die eigentliche Verletzung. Und daran war er selbst mehr Schuld als jeder andere.   „Draw!“, fauchte Zanthe daher zornig und riss eine Karte von seinem Deck. „Ich werde dich aus dem Körper meines Bruders vertreiben, verlass dich drauf!“ „Und was wird dann bleiben? Eine leere Hülle.“ Drauf ging der Kopftuchträger gar nicht erst ein, sondern nahm ein Monster aus seinem Blatt und legte es auf seine Duel Disk. Plötzlich tauchte in seiner Hand ein goldener Schlüssel auf, den er zur Seite ausschwang. „Open the door to the lion! Erscheine, [Constellar Leonis]!“ Dort, wo er den Schlüssel hinhielt, breitete sich eine Vielzahl weißer Ringe aus, zwischen denen diverse astrologische Symbole steckten – Sternzeichen. Das Siegel brach anschließend auseinander, als Zanthe mit der Faust dagegen schlug. Ein weißer Krieger kam aus dem Nichts gesprungen, rutschte tänzelnd über das Gras. Dabei bezog der Mann mit einem einer Löwenmähne gleichenden Helm und langen Krallen an den Handschuhen, welche allesamt hellblau zu leuchteten, vor seinem Herrn Stellung.   Constellar Leonis [ATK/1000 DEF/1800 (3)]   Doch sogleich löste er sich in hellem Licht gen Himmel auf. „Dank seines Effekts kann ich noch einen Sternenkundler als Normalbeschwörung rufen. Ich opfere ihn für [Constellar Virgo]! Open a door to the maiden!“ Noch einer dieser Schlüssel erschien in Zanthes Hand, doch diesmal warf er diesen hoch in die Luft, wodurch das entsprechende Portal sich über ihm öffnete. Daraus stieg eine engelsgleiche Kriegerin herab, deren mechanische Schwingen gänzlich von ihrem Körper getrennt waren, ebenso die beiden Sphären, die sich an ihren Seiten aufhielten.   Constellar Virgo [ATK/2300 DEF/1400 (5)]   Der Kopftuchträger, in dessen Hand abermals ein Schlüssel auftauchte, rief: „Ihr Effekt ermöglicht es mir, einen Kameraden der Stufe 5 von meiner Hand in die Defensive zu rufen! Open a door to the the scales! Spezialbeschwörung, [Constellar Zubeneschamali]!“ Diesmal stieß er den Schlüssel regelrecht nach vorne, erschuf damit das Portal, aus dem ein schlaksiger Krieger hervorbrach, an dessen Händen Rundschilde mit daraus hervorragenden Krallen befestigt waren. Der ging in die Knie.   Constellar Zubeneschamali [ATK/2100 DEF/1400 (5)]   „Wird er gerufen, kann ich einen Sternenkundler von meinem Deck ins Blatt nehmen!“ Sofort schob sich eine Karte aus seinem Deckschacht, die der jung wirkende Mann mit [Constellar Kaus] betitelte. Sofort im Anschluss spielte er eine Zauberkarte aus. „Und jetzt [Constellar Star Chart]!“ Von permanenter Natur, stellte jener sich vor ihm auf und strahlte ein goldenes Symbol in den dunklen Himmel – zwei übereinander liegende Kreuze, die sich in einem gezackten Ring befanden. Zanthe richtete seinen Arm nach oben, in dessen Hand sich ein langer, goldener Schlüssel manifestierte, groß wie ein Schwert. Er hatte im Fernsehen vor einiger Zeit einen Profiduellanten gesehen, der es genauso machte und war seitdem sehr von diesem Deck angetan gewesen. Doch als sein Bruder es ihm dann schenkte … Der äußerlich junge Mann biss sich auf die Lippen und schluckte schwer. Dann rief er: „Open a gate to the Sacred Star Knights! To the Overlay Network!“ Sofort verwandelten sich seine beiden Sternenkundler in gelbe Lichtstrahlen, die in den riesigen Schlüssel gezogen wurden. Ein schmales Lächeln zeichnete sich auf Kakyos Lippen ab, als Zanthe fortfuhr. „Aus zwei Stufe 5-Lichtern wird ein gleißender Stern! Rang 5!“ Vor ihm im Gras bildete sich ein kreisrundes Siegel mit diversen astrologischen Symbolen. „Xyz-Summon! [Constellar Pleiades]!“ Damit rammte er den riesigen Schlüssel in den Runenzirkel und zerschmetterte ihn förmlich. Aus diesem sprang ein anmutiger Krieger von kräftiger Statur. Zwar trug er ein langes Schwert mit sich, das er aber mit der Klinge nach unten zeigend hielt. Auf seinem Rücken befand sich eine schwarze Platte, die insgesamt sieben Spitzen aufwies und ein wenig wie ein Stern anmutete.   Constellar Pleiades [ATK/2500 DEF/1500 {5} OLU: 2]   „Zuerst der Effekt von [Constellar Star Chart]! Einmal pro Zug darf ich ziehen, wenn ich ein Constellar-Xyz-Monster rufe. Und gleich darauf die spezielle Fähigkeit von Pleiades“, rief Zanthe, zog umgehend und riss dann eine der beiden unter Pleiades' Karte liegenden Monster fort. Als Folge absorbierte das Schwert seines Sternenkriegers eine der Lichtsphären, die um ihn kreisten.   Constellar Pleiades [ATK/2500 DEF/1500 {5} OLU: 2 → 1]   Sein Paladin begann sich langsam um die eigene Achse zu drehen, als er erklärte: „Für eine Overlay Unit schickt er sofort eine der Karten auf dem Feld ins Blatt zurück! Ihn!“ Er deutete dabei auf den vergleichsweise kleinen Alsahm. In einer 360°-Drehung schwang Pleiades sein Schwert und erzeugte eine Schockwelle, die den Fixsternritter voll erfasste. Kakyo murmelte amüsiert: „Eine ungewöhnliche Wahl.“ Schließlich hatte er noch zwei verdeckte Karten, die ebenso gut Ziel des Effekts hätten werden können. Aber Zanthe kam es vor allem darauf an, möglichst schnell möglichst viel Schaden auszuteilen. Als der kleine Bogenschütze verschwunden war, nahm Kakyo ihn aus dem Handschuh. „[Constellar Pleiades], direkter Angriff! Seven Star Raid!“, befahl der Werwolf unmittelbar danach energisch mit ausgestreckter Hand. Aber Kakyo schüttelte den Kopf. „Ein typischer Anfängerfehler. Verdeckte Falle, [Stellarnova Wave]! Sie erlaubt mir die sofortige Beschwörung eines Monsters, genauer gesagt eines Satellarknight-Monsters. Wie Alsahm.“ Binnen eines Sekundenbruchteils war Pleiades verschwunden und vor Kakyo aufgetaucht, doch als er mit seinem Schwert ausholte, erschien direkt vor ihm erneut der kleine Bogenschütze.   Satellarknight Alsahm [ATK/1400 DEF/1800 (4)] „Einmal pro Zug fügt [Satellarknight Alsahm] bei seiner Beschwörung 1000 Punkte Schaden zu“, erklärte Kakyo erneut, „du fügst dir mit deiner Beratungsresistenz nur mehr Leid zu, Zanthe Montinari.“ „Was soll das heißen!?“ „Du siehst nur das Schlechte. Hast sämtliche Hoffnung verloren. War es nicht dein Wunsch, deine Lycanthropie zu überwinden?“ Kakyo sah ihn eindringlich an. „Und der deines Bruders?“   ~-~-~   Ende der 40er Jahre …   Schmerzhaft landete Zanthe auf dem Rücken, neben einem Heuballen. Geschubst von einem seiner sogenannten Kameraden, August, ein vermeintlich junger, großer Mann. Seine schulterlange, dunkelblonde Lockenpracht glänzte fettig im Mondlicht. Im Hintergrund drangen die Schreie einer Frau zu ihnen, die Besitzerin der abgelegenen Farm. Das Wohnhaus befand sich etwa 50 Meter entfernt, eine Scheune samt Wasserturm zu ihrer Rechten auf etwa derselben Distanz. „Entscheide dich endlich was du sein willst“, schnauzte jener August Zanthe an. „Willst du sie kosten oder nicht?“ „Ich trinke kein Menschenblut!“, protestierte der tatsächlich ältere Werwolf zornig. „Dann wirst du ewig schwach bleiben.“ Etwas flackerte in den Augen des Neuzugangs, der Zanthe mit Vorliebe für das verurteilte, was er war. „Zahnloses Stück Dreck.“ Der gebürtige Italiener rollte sich halb zurück und sprang dann auf. „Wenigstens töte ich keine Unschuldigen!“ „‘Wenigstens töte ich keine Unschuldigen‘“, äffte August ihn nach. Er lachte höhnisch. „Aber du tust auch nichts dagegen. Weil du genau weißt, was wir dann mit dir machen.“ Aber Zanthe blieb kämpferisch. „Ach, tue ich das? Zeig’s mir doch. Vielleicht steh ich drauf.“ Was sich sein Widersacher nicht zweimal sagen ließ. Seine Haut verfärbte sich schwarz, er ließ seine Klauen aus den Fingernägeln ausfahren. Zanthe tat es ihm gleich. Ihre grün leuchtenden Augen funkelten sich hasserfüllt an, als beide in eine gebeugte Haltung übergingen. Doch noch bevor sie sich gegenseitig anspringen wollten, ertönte ein erneuter Schrei. Diesmal war er männlich und ihnen wohl bekannt: Jan, ein Mitglied ihres Rudels, das sich als Erstes über die Farmerfamilie hergemacht hat. Sofort verwandelten sich die beiden Streithähne zurück. August murmelte: „Jan?“ Dann folgte ein weiterer Schrei, der einer jungen Frau. „April!?“ Auch sie war ein Werwolf, die Köchin der Truppe. „Hast du Schüsse gehört?“, fragte Zanthe, der sich nichts anderes erklären konnte, bekam jedoch ein Kopfschütteln als Antwort. Natürlich, das wäre ihnen nicht entgangen. August, der dank des Konsums von Menschenblut und somit vollkommen transformiert jedoch feinere Sinne besaß, murrte: „Nur ein Zischen. April hat sich erschreckt. Da ist jemand, der nicht hier sein sollte.“ Und so war es auch. Die Tür des Häuschens flog polternd aus den Angeln. Gespannt warten Zanthe und August auf den Dämonenjäger, der sich zweifelsohne an ihre Fersen geheftet haben musste. Statt aber in Erscheinung zu treten, ließ der Angreifer sie warten. August sah nach rechts. Zanthe wusste, dass dort in einiger Entfernung noch ein weiteres Mitglied ihres Rudels nahe der Scheune wartete. Dann geschah es so unvermittelt, dass selbst Zanthe trotz seiner guten Reflexe stockte. Ein weißer Speer schoss regelrecht aus dem Türrahmen zielgenau auf August zu. Jener wich geschickt mit einer Körperdrehung aus, doch weitete die Augen. Plötzlich hing an der Waffe ein Mann in weißem Mantel, wie aus dem Nichts, und verpasste dem jüngeren Werwolf einen Tritt in den Magen. Grunzend rutschte August zurück und musste sich prompt unter dem schwingenden Speer hinweg ducken. Der Dämonenjäger, dessen Gesicht von der Kapuze verborgen war, erwies sich dabei als erstaunlich flink. Immer wieder schlug und stach er nach August, der mit Rückwärtsschritten und Drehungen jedoch mühelos ausweichen konnte. „Amateur“, lachte der Lockenkopf dabei arrogant. Kurzerhand verwandelte er sich wieder, ließ seine Haut schwarz und die Augen grün werden. Die Krallen seiner Pranke schossen hervor, als er sich den Speer griff. „In der Tat“, entgegnete der Dämonjäger kühl, wie er die Waffe auf sein Ziel gerichtet hatte. Dann knallte es. Aus der Spitze des Speers schoss eine Ladung glänzendes Schrot und durchsiebte August regelrecht. Mit bläulich leuchtenden Löchern in Gesicht und Oberkörper sackte der zu Boden und rollte sich dort unter Schmerzensschreien hin und her. Sofort verwandelte er sich zurück, doch Blut floss keines. „Die Kugeln bringen den Fluss der natürlichen Energien deines Körpers durcheinander“, erklärte der Mann, dessen Stimme Zanthe bekannt vorkam, „keine Sorge, ist nur von kurzer Dauer.“ Sprachs und rammte August die Speerkante in den Nacken, wodurch dieser das Bewusstsein verlor. Direkt im Anschluss hob er den Speer mit beiden Armen hoch, denn die rothaarige June kam aus den Schatten der offenen Scheune gesprungen und schlug ihre Pranken nach ihm. Die Rothaarige umklammerten die Waffe. „Gut zu wissen, dann lass ich mich nicht davon treffen“, knurrte sie, die sie über zwei Meter groß war und ihn einen halben Kopf überragte. Noch während sie sprach ließ der Dämonenjäger den Speer los und rammte beide Hände gegen ihre Brust. Meterweit flog sie über den Boden dahin, wo sie hergekommen war, den Speer auf halber Strecke loslassend. Dann fing sie sich jedoch mit einem Rückwärts-Flick-Flack und landete auf den Beinen. In der Zeit war ihr Gegner schon zum Speer teleportiert, wirbelte ihn und schoss nach ihr. June war trotz ihrer Körpergröße sehr agil und wich geschickt aus, ließ den Mann bewusst näher kommen. Derweil sah Zanthe fassungslos mit an, wie seine Mitstreiterin in die Offensive ging und mächtige Schläge austeilte. Zwar konnte der Jäger diese mit seinem Speer abwehren, doch sein Tempo ließ zunehmend nach. Dafür wurden die Hiebe seiner Kontrahentin immer stärker. Schritt um Schritt drängte sie ihn zurück, begann ihn zu umkreisen, während er den Speer wie in einem Tanz um sich herum wirbeln ließ, dabei Junes Attacken abwehrend. Es geschah, was geschehen musste. Ihre Klauen fuhren nach einer missglückten Parade über seinen rechten Oberarm und hinterließen tiefe Wunden. Instinktiv wollte Zanthe dazwischen, aber kaum hatte er sich gerührt, schoss der Fremde, der die Speerspitze schräg nach unten über die Schulter gerichtet hielt, eine Ladung Schrot ab. June wich unverletzt zurück, doch der Dämonenjäger drehte die Waffe wie ein Rad und verpasste ihr mit dem Ende des Schafts erst einen Hieb unters Kinn, der sie nur kurz lähmte. Was ausreichte, um ihr bei der nächsten Drehung des Speers eine weitere Ladung ins Gesicht zu schießen. Keuchend sackte sie in sich zusammen, verlor mit einem ganz blau leuchtenden Kopf das Bewusstsein.   Und plötzlich war Zanthe ganz alleine mit dem Mann. Seine vier Kameraden waren allesamt außer Gefecht gesetzt. Obwohl der noch junge Werwolf eine kämpferische Haltung annahm, spürte er, dass von seinem Gegner keine Gefahr ausging. Ein richtiger Dämonenjäger mit solchen Fähigkeiten hätte getötet. Dieser nicht, sie alle lebten noch. „Zu dumm“, sprach jener Mann, als er sich ihm zuwandte. Er griff nach seiner Kapuze und zog sie herunter, „die waren ja kaum eine Herausforderung. Aber keine Sorge, ich bin es nur, Zanthe.“ Langes, schwarzes Haar fiel ihm über die Schulter. „Alessandro!?“, keuchte dessen Bruder fassungslos. Er sah kaum älter aus als vor über fünfzehn Jahren, als sich ihre Wege getrennt hatten. Ein schwaches Lächeln zierte seine Lippen.   ~-~-~   Das Lagerfeuer vor den beiden knisterte. Sie saßen sich im Schneidersitz gegenüber, der weiße Speer lag neben Alessandro, wie dieser schweigsam ins Leere starrte. Der Vollmond stand über ihnen und strahlte ein schier unnatürliches Licht aus. Als wäre dies ein vorherbestimmter Tag, so dachte Zanthe. Sie hatten kaum ein Wort gewechselt, seitdem sie nach einem Rastplatz gesucht hatten. Der ältere Bruder konnte den Blick nicht von der tiefen Wunde am Arm des jüngeren abwenden. „Ist okay“, beteuerte jener. „Sieh.“ Und es geschah. Die aufgerissene Haut wuchs binnen eines Herzschlags komplett zusammen. So etwas hatte selbst Zanthe noch nie gesehen. „W-was!? Alessandro, sag mir endlich, woher du all das kannst!“, forderte er. „Du bewegst dich genauso schnell wie wir, bist seit damals keinen Tag gealtert und jetzt das!“ Er deutete auf die verschwundene Wunde. „Selbst wir brauchen für so etwas Stunden, gar Tage. Und schon gar nicht können wir das bewusst steuern! Sprich endlich mit mir darüber!“ Sein Bruder mied den direkten Blickkontakt. „Mach dir keine Sorgen, es ist alles in Ordnung.“ „Nichts ist in Ordnung! Ich-“ Zanthe versagte die Stimme, als er sagen wollte, dass er seinen kleinen Bruder nie hätte alleine zurücklassen dürfen. Aber das hatte er. Alessandro lächelte mild. „Ich weiß, was du gerade denkst. Aber ich habe es sofort verstanden. Du hast erkannt, dass es keine Heilung gibt und bist deshalb gegangen.“ „… es tut mir leid.“ „Muss es nicht. Zu dem Zeitpunkt hatte ich die Hoffnung selbst schon fast aufgegeben. Aber“, sagte er und machte eine Pause, starrte seine Waffe an, „aber das war inakzeptabel. Und während du nach deinem Platz in dieser Welt gesucht hast, habe ich eine Entscheidung getroffen.“ Sein älterer Bruder zitterte am ganzen Leib, als der ehemals so kleine und liebe Bursche, nun körperlich älter als er, aufsah und wieder wie der Knirps von damals strahlte. „Dass ich nach einer Möglichkeit suchen würde, dich zu heilen, egal wie lange es dauert.“ „Alessandro“, stammelte Zanthe mit erstickter Stimme, „du müsstest … schon viel älter sein …“ „Ja. Ich begriff, dass meine Zeit als normaler Mensch wohl nicht ausreichen würde. Also habe ich mein Leben durch einen Pakt verlängert. Das ist jetzt schon eine Weile her.“ „W-was meinst du mit Pakt?“ „Es gibt Wesen, die man hören, aber nicht sehen kann.“ Alessandro fasste sich an die Brust. „So eines lebt jetzt in mir. Kakyo ist sein Name. Etwas steif und sehr stur, aber ich vertraue ihm.“ „W-was!?“ „Kakyo war schon der 'Beschützer' des vorherigen Besitzers des Artefakts, dieses Speers hier.“ Alessandro griff sich die Waffe und hielt sie über die Flammen. „Er hat mir beigebracht zu kämpfen. Ha ha! Stell dir das vor, obwohl er nur Anweisungen geben konnte, bin ich doch recht gut, nicht wahr? Gut, da war noch dieser alte Knacker, der mir hin und wieder geholfen hat, aber-“ Doch Zanthe sprang fassungslos auf. „Ich verstehe das nicht! D-du alterst nicht, weil so ein Ding in dir steckt!? W-wie geht das, was-!?“ „Beruhig' dich, es ist alles in Ordnung. So können wir Seite an Seite nach Heilung suchen, Zanthe. Und ich kann dich vor deinem Rudel beschützen. Hiermit!“ Er hob den Speer noch einmal demonstrativ höher. „Was hast du bloß getan, Alessandro“, stammelte Zanthe aber gebrochen, „du solltest nicht dasselbe Leben führen wie ich. Deshalb bin ich gegangen! Es reicht, wenn einer verflucht ist.“ „Zu dumm, dass ich meinen eigenen Willen habe. Soll ich etwa zusehen, wie du daran zugrunde gehst? Und willst du zusehen, wie ich älter und älter werde, ohne etwas für dich tun zu können.“ Alessandro erhob sich. „Unsere Familie ist längst fort, wir sind alles, was wir noch haben.“ Er wirbelte den Speer und setzte ihn mit dem Ende auf dem Gras ab. „Wir haben unsere Vergangenheit an diese Monster verloren, aber nicht unsere Zukunft, Zanthe. Komm mit mir, lass uns einen Ausweg finden, egal wie lange es dauert. Wir geben nicht auf! Versprochen?“ Zanthe sah seinen Bruder mit Tränen in den Augen an. Dann nickte er zaghaft.   ~-~-~   Verzweifelt erwiderte Zanthe auf Kakyos Worte: „Wir haben so lange danach gesucht, aber kein Heilmittel gefunden. Was, wenn es keines gibt? Dieser Fluch hat nur Leid gebracht!“ Sein Gegenüber beobachtete regungslos, wie der Werwolf seine Karten fallen ließ, die rechte Hand ausschwang und seine Fingernägel zu beängstigend langen Krallen anwachsen ließ. Welche er prompt an seine Kehle führte. „Und jetzt, da Alessandro fort ist, kann ich genauso gut-“ In dem Moment spannte der kleine Engel Alsahm seinen Bogen und schoss einen goldenen Pfeil, der die Brust des Kopftuchträgers durchbohrte, kurz bevor Pleiades ihn mit seiner Klinge in zwei Teile hackte. Zanthe wurde von den Füßen gerissen und landete auf dem Rücken im nassen Gras.   [Zanthe: 3000LP → 2000LP / Alessandro: 4000LP]   Kaum hatte er seinen Oberkörper aufgerichtet, stampfte Kakyo mit seinem linken Fuß den rechten Arm des Werwolfs nieder, als hätte er sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegt. „Das ist nicht, was dein Bruder gewollt hätte.“ „Lass mich!“, schrie Zanthe außer sich und schlug mit der anderen Faust wiederholt gegen das Bein seines Widersachers, ohne etwas damit zu erreichen. Als der Werwolf ebenfalls zu der Erkenntnis kam, ließ er auch aus seiner anderen Hand Krallen wachsen und durchbohrte das Glied fünffach, doch Kakyo schrie nicht einmal. „Zu leben, obwohl eine geliebte Person gegangen ist, ist eine große Bürde …“ „Was verstehst du davon!?“, überschlug sich Zanthe, riss die Klaue heraus und stach noch einmal zu. „… doch dein Bruder glaubte fest daran, dass du sie schultern wirst.“ „Verschwinde endlich!“, kreischte der Niedergestreckte aber nur weiter, wiederholte das Schauspiel wieder und wieder. Blut spritzte nur so in alle Himmelsrichtungen. Als ein Tropfen Zanthes Wange benetzte, weitete der seine Augen und verstummte schlagartig. Seine Zunge verließ die Mundhöhle und wurde prompt mit einem Tritt von Kakyos rechtem Fuß in ihre Schranken gewiesen. „Lerne, dich selbst zu kontrollieren. Gedankenlose Taten führen dich ins Verderben.“ Während der Werwolf hustete und spuckte, trat der Immaterielle schließlich einen Schritt zurück, sodass Zanthe sich nach und nach aufrichten konnte. Der stärker werdende Regen wusch das Blut aus seinem Gesicht, während er anfing zu schluchzen. Kakyo sprach weiter. „Du hast eine Aufgabe zu erfüllen. Eine, die Alessandro Montinari dir auferlegt hat. Enttäusche sein Vertrauen nicht und zeige mir, dass du imstande bist, sie zu erfüllen.“ Damit drehte er sich um und schritt unter der schmatzenden Erde wieder zu seiner Ausgangsposition zurück. Zanthe sah ihm hinterher, begann zu schnaufen. Schließlich presste er hervor: „Was ich mit meinem Leben anstelle ist immer noch meine Sache! Wenn du mich an irgendetwas hindern willst, werde ich dich vernichten! Nein … das werde ich unabhängig davon!“ „Versuche es“, kam es ungerührt von Kakyo, der weiter seines Weges ging. Mit gewecktem Kampfgeist stand der Kopftuchträger auf. Ein winziges Rinnsal Blut war auf seiner Stirn verblieben, welches er aber einfach mit dem Handrücken wegwischte. „Von mir aus. Zeit dafür habe ich ja genug …“ Es gab ihm Kraft, daran zu denken, wie er dieses Wesen zerstörte. Schließlich war es überhaupt erst für das Schicksal seines Bruders verantwortlich. Dann nahm er eben erst Rache an Kakyo, bevor er die Welt von seiner verfluchten Existenz befreite. Kakyo indes wandte sich ihm wieder zu. „Du magst über einhundert Jahre alt sein, doch dein Verhalten ist das eines Kindes. Hört etwa auch der Verstand eines Werwolfs auf zu altern? Ich werde dich Disziplin lehren.“ „Ach ja!?“, keifte Zanthe zurück. „Mal sehen, wie du das anstellen willst, du neunmalkluges Arschloch! Eine Karte verdeckt! Du bist dran!“ Die Falle materialisierte sich zischend zu seinen Füßen, womit beide drei Karten auf der Hand hielten. Warum musste es so enden? Zanthe sah seinen Bruder vor sich, wie er den Speer in den Händen hielt und ihm erstmals von seinem Schicksal erzählte.   „Zanthe, wir haben uns versprochen, immer füreinander da zu sein. Aber meine Zeit ist begrenzt. Der Pakt wird nicht ewig halten und wenn das passiert, wird meine Seele von dieser Welt verschwinden.“ Alessandro sah auf den Speer herab. „Sollte das geschehen, bevor wir unser Ziel erreiche, habe ich zwei Bitten. Bleib stark. Und … beschütze dieses Artefakt. Es ist von größter Wichtigkeit, dass du es als sein Wächter aufbewahrst, wenn ich fort bin. Bis zu dem Tag, an dem ein Auserwählter es abholen kommt.“   Was auch immer das bedeutete. Alessandro hatte diese Person stets als jemanden betrachtet, der die Welt retten würde. Wovor auch immer. Aber so jemand war nie erschienen. Und es spielte für Zanthe auch keine Rolle.   Kakyo zog, nachdem er sich seinem Gegner wieder gegenüber gestellt hatte, seelenruhig eine Karte und betrachtete sie. Dann rief er aus: „Ich benutze den Effekt meiner Falle [Stellarnova Wave] und beschwöre das gerade eben gezogene Monster, [Satellarknight Deneb]!“ Eine Lichtsäule schoss aus dem Himmel hinab und brachte einen humanoiden, hellblauen Falkenritter mit sich, der ein Schwert mit sich führte, dessen beide Klingenblätter ineinander wie zwei Wurzeln verschlungen waren. Um seinen Unterleib schwebte ein Ring mit einem Miniaturstern daran.   Satellarknight Deneb [ATK/1500 DEF/1000 (4)]   „Nach seiner Beschwörung erhalte ich einen neuen Fixsternritter von meinem Deck, welchen ich ohne Verzögerung als Normalbeschwörung rufe: [Satellarknight Vega]!“ Noch eine Lichtsäule schoss aus der Endlosigkeit des regnerischen Himmels herab und brachte eine in Rosa gehüllte Kriegerin mit sich, um die ebenfalls ein Ring schwebte. Zwar war sie unbewaffnet, dafür aber dank einer Stola aus Gold zumindest anmutig wie eine wahre Diva. Satellarknight Vega [ATK/1200 DEF/1600 (4)]   „Monstereffekt von [Satellarknight Vega]! Sie erlaubt es, zusätzlich einen weiteren Fixsternritter von meiner Hand als Normalbeschwörung zu rufen: [Satellarknight Altair]!“ „Noch einer!?“, staunte Zanthe, der das Deck seines Bruders nur einige, wenige Male in Aktion gesehen hatte. Zum Beispiel, als ein Unwürdiger sich des Speers bemächtigen wollte und doch gar nichts über ihn zu wissen schien. Alessandro hatte kurzen Prozess mit ihm gemacht. Zum dritten Mal schoss eine Lichtsäule aus dem Himmel herab. In ihr befand sich ein geflügelter, dunkelblauer Kämpfer, der ebenfalls unbewaffnet war. Wie um die anderen seiner Art, umkreiste auch ihn ein goldener Ring. Satellarknight Altair [ATK/1700 DEF/1300 (4)]   Altair streckte den Arm zur Seite aus, wodurch diesmal eine Lichtsäule aus dem Boden geschossen kam. Dazu erklärte Kakyo: „Zu guter Letzt ruft dieser junge Mann einen gefallenen Kameraden zurück ins Leben, doch dürfen für den Rest des Zuges auch nur Tellarknight-Monster Angriffe durchführen. Sei in Verteidigungsposition wiedergeboren, [Satellarknight Alsahm]!“ Und aus genau jener Lichtsäule stieg zu Zanthes lautstarkem Entsetzen der kleine Bogenschütze, der sofort einen Pfeil von der Sehne ließ. Der Werwolf wurde direkt in die Brust getroffen und torkelte keuchend zurück.   Satellarknight Alsahm [ATK/1400 DEF/1800 (4)]   [Zanthe: 2000LP → 1000LP / Alessandro: 4000LP]   Noch einmal so ein Treffer und er war erledigt, wusste der ältere Bruder, wie er sich die schmerzende Stelle unterhalb seines Halses hielt. „Immer … dieselbe Leier …“ „Ich bin noch nicht fertig“, hielt Kakyo jedoch unbeeindruckt dagegen und streckte seine Hand nach vorne aus, „ich errichte das Overlay Network!“ Sofort öffnete sich vor ihm ein Schwarzes Loch und zog Deneb, Vega und Altair als gelbe Lichtstrahlen in sich hinein. „Aus meinen drei Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster!“ Eine Explosion in seinem Inneren brachte das finstere Phänomen dazu, sich auszuweiten. „Xyz Summon! Zeige dich, Herr des Sommerdreiecks, [Stellarknight Delteros]!“ Schon stieg besagter Ritter aus dem Overlay Network empor. Golden leuchteten die dünnen, spitzen Auswüchse seiner Flügel von seinem Rücken, nicht anders als der aus drei Ringen bestehende Schild an seinem Arm. Zwischen jenen drei sich überschneidenden Einzelteilen zogen sich Energielinien und formten ein aufrecht stehendes Dreieck. In der anderen Hand hielt er ein Schwert, wurde von drei Lichtsphären umkreist.   Stellarknight Delteros [ATK/2500 DEF/2100 {4} OLU: 3]   „Gleichstand“, murmelte Zanthe grimmig. „Nicht lange. Ich aktiviere Delteros' Effekt und hänge eine Overlay Unit ab“, rief Kakyo energisch und riss eines der Monster unter der schwarz-umrandeten Karte in seinem Handschuh hervor, „damit er eine deiner Karten zerstören kann! Navigator's Strike!“ Sofort erhob der Krieger seine Klinge gen Himmel, wobei eine der Lichtkugeln ihn dabei überholte und zu einem Lichtstrahl wurde, in dem Delteros sein Schwert badete. Kaum hatte es die Strahlen absorbiert und gab selbst ein immenses Gleißen von sich, richtete sein Besitzer es nach vorn auf [Constellar Pleiades]. Zanthe fauchte zurück: „Du willst mein Monster vernichten!? Fein, aber es wird deines mitnehmen! Der Effekt von Pleiades kann auch in deinem Zug aktiviert werden!“ Sofort wirbelte Pleiades um seine eigene Achse und feuerte im Schwung von seinem verkehrt herum gehaltenen Schwert eine Lichtsichel auf den vor Kakyo schwebenden Ritter ab, der seinerseits einen vernichteten Lichtstrahl von seiner Waffe losließ.   Stellarknight Delteros [ATK/2500 DEF/2100 {4} OLU: 3 → 2] Constellar Pleiades [ATK/2500 DEF/1500 {5} OLU: 1 → 0]   Die beiden Attacken passierten einander, doch plötzlich rief Kakyo aus: „Konterfalle, [Stellarnova Alpha]! Ich opfere Alsahm und negiere den Effekt deines Monsters, zerstöre es und ziehe zudem eine Karte! Das Resultat ist, dass ich dich direkt angreifen kann!“ Besagter kleiner Bogenschütze löste sich in Luft auf, gab dabei eine grelle Lichtwelle in alle Richtungen ab, die Pleiades' Leuchtsichel kurz vor dem Einschlag in Delteros neutralisierte. Zanthe, der den Lichtstrahl des Ritters auf sich zukommen sah, hob schnaubend den Arm. Dann erfolgte eine Explosion, die den Werwolf vollkommen einhüllte. Kakyo zog eine Karte und schloss wissend die Augen. „Gut gemacht.“   [Zanthe: 1000LP → 3500LP / Alessandro: 4000LP]   Denn als der Rauch sich verzog, stand Zanthe aufrecht mit einem stählernen Rundschild am Arm und erklärte: „Meine Falle [Draining Shield] hat mich beschützt und den Schaden in Lebenspunkte umgekehrt!“ Die vor ihm aufgerichtet stehende Karte löste sich samt des Schildes an Zanthes Arm auf. „Du weißt dich zu verteidigen, trotz deiner Unerfahrenheit. Sehr gut. Zug beendet“, verkündete Kakyo, doch sein Lob klang in Zanthes Ohren wie Hohn. „Verteidigen!? Was soll ich verteidigen!? Ich habe doch schon alles verloren!“ „Du lebst noch.“ „Dieses Leben ist wertlos!“ Der Kopftuchträger überschlug sich dabei förmlich. „Ich habe keinen Grund mehr zu leben! Warum willst du das nicht verstehen!?“ Sein verhasster Widersacher blieb stumm. Er senkte das Haupt und schwieg. „Ja, das dachte ich mir“, setzte Zanthe bitter nach, als er aufzog, „ich weiß nicht einmal, warum ich mich überhaupt mit dir duelliere …“ „Weil dein Bruder vor seinem Ende nur einmal gegen dich spielen wollte.“ Kakyo sah auf, sein Gesicht war ausdruckslos. „Schließlich war er es, der dich an Duel Monsters herangeführt und dir die Regeln beigebracht hat. Aber ihr habt nie gegeneinander gespielt.“   ~-~-~   Etwa fünfzehn Jahre zuvor …   „Hör auf zu maulen, das Hotel ist nicht mehr weit entfernt“, meinte Alessandro scherzhaft, wie sie den Bürgersteig entlang schlenderten. Zanthe sah ihn nicht an, sondern konzentrierte sich auf die Schaufenster zu seiner Linken. Es dämmerte bereits. Sie waren hier, um ihre derzeit einzige Spur zu verfolgen. Gerüchten zufolge lebte in dieser Stadt ein legendärer Dämonenjäger, der die Macht seiner Feinde absorbieren konnte. Diese Information hatten sie von einer Dämonin, die vor etwa einem Jahrzehnt besagtem Mann zum Opfer gefallen war. Doch um ehrlich zu sein erhoffte sich Zanthe davon absolut gar nichts. Seit fast einem Jahrhundert war er nun schon Mal um Mal enttäuscht worden. Es gab keine Heilung. Es gab keine Erlösung. Und er war müde, bereit, die Augen für immer zu schließen. Nur Alessandro hielt ihn noch am Leben. Selbst jetzt war er immer noch so aufgeweckt und optimistisch wie damals. Obwohl auch er in seinem Inneren doch schon längst ein Greis sein müsste. Aber sein Lächeln, sein Lebensmut steckte an.   „Wenn wir den Kerl gefunden haben, lassen wir uns am besten erstmal seine Kräfte erklären. Diese Frau hat es überlebt, das ist schon mal gut.“ „Sie sah aber nicht danach aus, als wäre sie undämonisch. Hast du ihre Augen gesehen?“, murmelte Zanthe abwesend. Alessandro schnalzte mit der Zunge. „Hast du nicht zugehört? Er hat ja nur einen Teil ihrer Macht absorbiert. Sie ist weiterhin ein Sukkubus.“ „Ja, -das- hast besonders -du- zu spüren bekommen.“ „Was soll ich tun, ich bin nun mal ein Mann!“, klagte sein kleiner Bruder, der optisch mit seinem langen, offenen Haar und der Sonnenbrille doppelt so alt wie Zanthe aussah. Der nuschelte abfällig: „Yeah …“   In dem Moment erregte etwas seine Aufmerksamkeit. Sie hatten gerade einen Elektronikladen passiert, in dem ein Fernseher Nachrichten zeigte. Zwar war er auf stumm gestellt, aber dank der unten eingeblendeten Texte konnte man trotzdem erahnen, worum es ging. Zanthe blieb davor stehen. Die Schlagzeile lautete: Sieger des Battle City-Turniers in New York steht fest! Dazu sah man zwei Personen, die sich in gebeugter Haltung auf einer Art Balkon gegenüber standen. Erst bei genauem Hinsehen erkannte Zanthe, dass sie sich auf einem Zeppelin befanden. Der Mann links hatte schwarzes Haar, war vom Alter her sehr schwer einzuschätzen, aber definitiv schon ein etwas älteres Semester. Zanthe konnte noch einen Blick auf seinen Nachnamen erhaschen, ehe dieser ausgeblendet wurde, irgendetwas mit „auer“. Dessen Widersacherin, ein Mädchen, bestach durch eine unvergleichliche Schönheit. Ihre lange, blonde Mähne war gewellt und hypnotisierend. Dazu hatte sie knallroten Lippenstift aufgetragen und kein Pickel zeichnete ihre makellose Haut, obwohl sie allenfalls alt genug war um Auto zu fahren. Gegen sie war der Sukkubus von damals nicht ansatzweise so attraktiv, was dessen Daseinsberechtigung arg infrage stellte. Während sich vor dem älteren Herrn eine Art Drache mit Falkenkopf aufhielt, wurde die Blonde ebenfalls von einer Art goldenem Vogel mit flammenden Flügeln gedeckt.   „Was ist das?“, fragte Zanthe irritiert und sah zu seinem Bruder herüber. „Oh, das? So ein Kartenspiel, was seit einiger Zeit immer beliebter wird. Nennt sich Duel Monsters.“ Zanthe sah zurück auf den Bildschirm, beobachtete, wie der goldene Phönix Feuer aus seinem Maul spie. „Die sind doch wohl kaum echt.“ „Das sind Hologramme. Keiner weiß, wie so ein derart großer, technologischer Sprung möglich ist, aber sie können wohl über die Apparate an ihren Armen dargestellt werden. Aber die Animationen sind etwas steif, siehst du?“ Denn der Drache wurde zwar von den Flammen getroffen, fiel aber erst zeitversetzt zu Boden und das so zuckend, als wäre er eigentlich durch einen Schlag niedergestreckt worden. „Das ist bescheuert“, murrte Zanthe. „Komm, lass uns zum Hotel gehen.“ „Vielleicht kommst du irgendwann noch auf den Geschmack“, gluckste Alessandro, als er seinem etwa einen halben Kopf kleineren Bruder folgte, „ich liebäugle ja damit, selbst mit diesem Spiel anzufangen. Als Zeitvertreib und Entspannung. Sieht schon toll aus.“ Zanthe rollte mit den Augen. „Dann rechne aber nicht damit, dass -ich- dabei mitmache. So'n Kram interessiert mich nicht.“ „Da gibt’s wohl auch den ein oder anderen gut aussehenden Kerl als Monsterkarte“, neckte sein Bruder ihn, als er ihm auf die Schulter klopfte. „Trotzdem kein Interesse!“ „Hast ja Recht, wir müssen uns aufs Wesentliche konzentrieren! Diesen Mann zu finden!“   ~-~-~   Aber sie hatten ihn nie gefunden. Er war am Ende doch nur eine von so vielen Legenden gewesen.   Zanthe sah die Karten in seiner Hand an. Irgendwann war Alessandro doch mit zwei Decks angewackelt gekommen. Zwar hatte er sich stets geweigert zu spielen, sich aber trotzdem die Regeln erklären lassen, Zeitschriften zum Thema verschlungen und Fernsehsendungen verfolgt. Einzig gespielt hatte er nie. Sein Stolz war zu groß gewesen, er war doch kein Kind mehr, so etwas hätte es vor hundert Jahren nie gegeben und sowieso und überhaupt. Alles Ausreden. Tränen stiegen in seinen Augen auf. Hätte er doch bloß 'ja' gesagt und seinem Bruder die Freude gemacht …   „Ich rufe [Constellar Rasalhague]!“, sagte Zanthe mit erstickter Stimme. „Dank seines … seines Effekts kann ich ihn opfern, um einen anderen Sternenkundler von meinem Friedhof in Verteidigung zurückzurufen!“ Statt die Beschwörung wie sonst mit einem Schlüssel auszulösen, rieb sich Zanthe mit seinem Arm die Augen. Stattdessen öffnete sich von selbst ein astrologisches Runenportal und brachte einen kleinen Burschen in weiß-goldener Rüstung hervor, der einen Schlangenstab in der Hand hielt.   Constellar Rasalhague [ATK/900 DEF/100 (2)]   Jenen rammte er in den Boden und verschwand mit ihm, öffnete ein neues Portal, aus dem der Löwenkrieger entstieg. Jener fuhr seine hellblau leuchtenden Krallen aus, als er in die Knie ging. Constellar Leonis [ATK/1000 DEF/1800 (3)]   Nachdem er seine Tränen getrocknet hatte, sah Zanthe kämpferisch nach vorne. „Ich rufe ein neues Monster!“ Diesmal schnappte er sich den Schlüssel, der vor ihm erschien, schwang ihn zur Seite aus und rief dabei: „Open a door to the archer! Komm, [Constellar Kaus]!“ Das dabei entstehende Portal zersplitterte und befreite einen weißen Zentaurkrieger, der einen mächtigen, goldenen Bogen führte. „Sein Effekt lässt ihn die Stufe eines Constellars um 1 verändern! Ich wähle ihn selbst und reduziere seinen Level!“ Sofort schoss Kaus einen Lichtpfeil kerzengerade in die Luft, der urplötzlich seine Ausrichtung veränderte und auf ihn zurückgeschossen kam, bis er ihn durchbohrte.   Constellar Kaus [ATK/1800 DEF/1000 (4 → 3)]   Zanthe nahm die beiden Monster von seiner Duel Disk, legte sie übereinander und platzierte sie zusammen auf derselben Kartenzone. Anschließend streckte er seine Hand aus, in der ein riesiger, goldener Schlüssel erschien. Jenen an die Stirn lehnend, sprach Zanthe: „Open a gate to the Sacred Star Knights! To the Overlay Network!“ Leonis und Kaus verwandelten sich daraufhin in gelbe Lichtsphären, die von der Spitze des Schlüssels absorbiert wurden. „Aus zwei Stufe 3-Lichtern wird ein gleißender Stern! Rang 3!“ Damit rammte er das Schwert vor sich in den Boden. „Xyz-Summon! [Constellar Hyades]!“ Um den Schlüssel herum bildete sich ein Runenportal. Zanthe zog das Werkzeug heraus, was dazu führte, dass ein stolzer Krieger in weiß-goldener Rüstung nach oben gefahren kam, als befände er sich in einem unsichtbaren Aufzug. Dessen Klingen in seinen Händen zeigten nach unten, wobei rot glühende Ringe am Schwertknauf befestigt waren. Der goldene Helm war mit Hörnern bestückt. Um Hyades kreisten zwei Lichtsphären.   Constellar Hyades [ATK/1900 DEF/1100 {3} OLU: 2]   Zanthe riss eine Karte von seinem Deck, als das Symbol der Sternenkundler am Himmel aufzuleuchten begann. Aber das war noch nicht alles. Hyades reichte nicht aus, um es mit Delteros aufzunehmen. Er brauchte mehr. Und es gab da ein Monster in seinem Deck, das 'mehr' war. Angepriesen als Vorreiter einer neuen Beschwörungstechnik für Xyz-Monster, sofern Zanthe das richtig verstanden hatte. Er streckte die Hand weit aus. „Ich rekonstruiere das Overlay Network!“ Unter seinem Krieger öffnete sich ein Schwarzes Loch und sog Hyades in sich hinein. Gelbe und schwarze Blitze schlugen um sich. „Aus meinem Rang 3-Monster wird ein Rang 6-Monster!“ In Zanthes Hand materialisierte sich ein Schlüssel ganz aus Platin, der zu leuchten begann, ehe er ihn in den Schlund warf. „Open a gate to the Sacred Star Knights! Incarnation Summon! [Constellar Ptolemy M7]!“ Von gewaltiger Größe war dieser weiß-goldene, mechanische Drache mit den schwarzen Schwingen und dem gleichfarbigen, langen Schweif, der aus dem Sog empor stieg und wütend brüllte. Drei goldene Lichtsphären umkreisten ihn dabei.   Constellar Ptolemy M7 [ATK/2700 DEF/2000 {6} OLU: 3]   „Beeindruckend“, lobte Kakyo ihn und verschränkte die Arme. „Ein Prototyp, wenn ich mich recht entsinne. Speziell entworfen von Hendrik Benjamin Ford. Ich frage mich, ob ein Immaterieller involviert war.“ „Was redest du da?“ „Unwichtig. Konzentrieren wir uns auf das Wesentliche.“ Zanthe schnaubte wütend. Dann griff er nach einer Zauberkarte aus seinem Blatt: „Ich aktiviere [Stoic Challenge]! Diese Karte können nur Xyz-Monster verwenden und verlieren durch sie die Fähigkeit, ihre Effekte zu aktivieren! Im Gegenzug erhalten sie für jede Overlay Unit 600 Angriffspunkte!“ Um den mächtigen, mechanischen Drachen begann eine goldene Aura aufzuflammen.   Constellar Ptolemy M7 [ATK/2700 → 4500 DEF/2000 {6} OLU: 3] Voller Trotz in den Augen schwang Zanthe den Arm aus und rief: „Damit zwinge ich dich in die Knie! Angriff auf [Stellarknight Delteros]! M7 Star Launcher!“ Messier 7, so sein ausgeschriebener Name, öffnete das Maul und feuerte einen orangefarbenen, von gelbem Dunst umgebenen Lichtstrahl auf seinen Widersacher ab. Dabei schrie Zanthe noch aufgebrachter denn je: „Und so besiegte der unsterbliche Werwolf den Körperdieb! [Stoic Challenge] verdoppelt den Kampfschaden!“ Doch zu seinem Entsetzen tauchte irgendetwas zwischen dem Strahl und seinem Ziel auf, zerteilte ihn, sodass er zu beiden Seiten an Delteros vorbei schoss. Kakyo sprach und klang dabei strenger denn je: „Du bist stark, das ist wahr. Doch es gibt nur einen einzigen Werwolf, der Unsterblichkeit erlangt hat. Mache nicht den Fehler, dich für ihn zu halten.“ Sofort wusste Zanthe, wer damit gemeint war. Gregory, der Mann, der ihn einst zu dem gemacht hatte, was er heute war. Sein wahrer Erzfeind. Auch wenn dessen Schicksal ihn schon seit Langem nicht mehr interessierte. „Das wäre auch eher hinderlich für mich, unsterblich zu sein …“ In dem Moment zuckte Kakyo kurz zusammen, fasste sich an die Stirn und murmelte etwas. Dann sah er auf. „Wie du siehst, habe ich den Effekt eines Monsters von meiner Hand aktiviert“, sprach das Monster im Körper seines Bruders schließlich, „jeder sollte ihn oder einen seiner Artgenossen im Deck spielen! [Rainbow Kuriboh]!“ „Tch!“ Jene kleine Blockade, die den mächtigen Energiestrahl zerteilte, entpuppte sich als ein kugelförmiges, dunkelblaues Monster mit Fischflosse und einer regenbogenfarbenen Locke am Kopf. Und großen Kulleraugen, welche sich weiteten, als es plötzlich nach vorne schoss, den Strahl immer mehr auseinander riss und schließlich in M7s Maul verschwand. „[Rainbow Kuriboh] ist besonders effektiv wenn es darum geht, ein Monster vom Angreifen abzuhalten“, erklärte Kakyo munter weiter, „es ist jetzt an M7 ausgerüstet, also wirst du dir wohl was anderes ausdenken müssen.“ Mit einem genervten Stöhnen nahm Zanthe eine Falle aus seinem Blatt und legte sie in seine Duel Disk ein. Zischend materialisierte sie sich vor ihm. „Schon geschehen. Zug beendet!“   „Mein Zug! Draw!“, rief der Sonnenbrillenträger energisch aus und verkündete sofort: „Ich benutze Delteros' Effekt! Im Austausch gegen eine Overlay Unit vernichtet er eine deiner Karten! M7! Navigator's Strike!“ Wieder hob der Sternenritter sein Schwert gen Himmel, wodurch eine der beiden verbliebenen Sphären ihr Licht auf es herab scheinen ließ. Dann feuerte er einen gebündelten, grellen Strahl auf den Maschinendrachen ab. Aber Zanthe ließ bereits seine Falle hochfahren. „Dann nimm dieses Geschenk von mir an! [Collected Power]! Alle Ausrüstungskarten auf dem Feld werden auf ein neues Ziel übertragen: Delteros!“ Plötzlich war es der Sternenritter, der in goldener Aura aufflammte. Kurz darauf wurde Messier 7 von dem Strahl getroffen und explodierte lautstark.   Stellarknight Delteros [ATK/2500 → 3100 DEF/2100 {4} OLU: 2 → 1]   Zanthe grinste plötzlich bitterböse. „Ich fürchte, du hast dir mit deinem [Rainbow Kuriboh] selbst ein Bein gestellt.“ Die goldene Aura verfärbte sich bunt. „Clever. Aber ich kann dich trotzdem angreifen, und zwar mit dem hier: [Satellarknight Rigel]! Wird er gerufen, verstärkt er einen Fixsternritter um 500 Angriffspunkte, in dem Fall sich selbst!“ Vor ihm materialisierte sich ein weißer Krieger mit lockigem, blondem Haarschopf unter seinem Helm, welcher ein langes Cape mit schwarzem Innenfutter mit sich schwang. Er schrie kämpferisch auf, erstrahlte in gelber Aura.   Satellarknight Rigel [ATK/1900 → 2400 DEF/500 (4)]   „Angriff!“, befahl Kakyo aufgeregt, gar hektisch. Etwas, das Zanthe dann doch zunehmend irritierte. Nicht nur hatte dieser Typ es urplötzlich eilig, er zeigte gar etwas wie Emotionen. Mehr Zeit zum Nachdenken gewährte Rigel ihm jedoch nicht, als der vor dem Werwolf auftauchte und ihm mit einer Körperdrehung in den Magen trat. Zanthe spürte den Aufprall und wurde von den Füßen gerissen, schlitterte erneut durch das nasse Gras. „Uff!“   [Zanthe: 3500LP → 1100LP / Alessandro: 4000LP]   „Eine Karte verdeckt! Zug beendet!“, verkündete sein Gegenüber, als sich vor ihm besagte Karte manifestierte. „Dadurch kommt die Nebenwirkung von Rigels Effekt zum Tragen: Das gestärkte Monster verschwindet vom Feld.“ Der eben erst erschienene Krieger winkte zum Abschied, ehe er sich in weiße Lichtfunken auflöste. Zanthe richtete den Oberkörper auf. „Tja, das ist aber nicht die einzige Karte mit Nebenwirkungen! Während deiner End Phase wird das Monster zerstört, das mit [Stoic Challenge] ausgerüstet ist.“ „Was!?“ Ein lauter Knall zeugte von der Explosion, in der [Stellarknight Delteros] unterging. Doch als der Rauch sich verzog, war eine einzelne Lichtsphäre zurückgeblieben. „Nun“, begann Kakyo aufmüpfig, „dein Fehler. Wird Delteros auf den Friedhof gelegt, kann er einen Satellarknight von meiner Hand oder meinem Deck rufen! Ich wähle die zweite Kopie von Altair in meinem Deck! Und wenn der gerufen wird, reanimiert er einen Kameraden vom Friedhof! Wie Alsahm!“ Die Kugel aus Licht verformte sich zu der humanoiden Gestalt des geflügelten Kriegers, der seine Hand ausstreckte und eine Energiesäule im Boden erscheinen ließ, aus der der kleine Bogenschütze geflogen kam. Welcher ohne Umschweife einen Pfeil auf Zanthe abfeuerte, vor dem jener sich nur durch eine Seitwärtsrolle retten konnte.   Satellarknight Altair [ATK/1700 DEF/1300 (4)] Satellarknight Alsahm [ATK/1400 DEF/1800 (4)]   [Zanthe: 1100LP → 100LP / Alessandro: 4000LP]   „Ich“, keuchte Zanthe und quälte sich mühselig auf, „bin noch nicht am Ende!“ „Nein. Und? Genießt du es?“, fragte Kakyo neugierig. „Dieses Spiel?“ „Warum sollte ich!?“ Sein Gegenüber lächelte. „Weil Spiele dazu da sind.“   Alles, was dieses Spiel ihm brachte, war Leid! Zanthe biss die Zähne zusammen und zog schwungvoll eine Karte von seinem Deck. Jener neue Zauber war genau das, was er jetzt unbedingt brauchte. „Ich aktiviere [Monster Reborn]! Damit rufe ich [Constellar Ptolemy M7] zurück von den Toten! Und weil ich ein Xyz-Monster beschworen habe, darf ich dank [Constellar Star Chart] eine Karte ziehen!“ Seine offene stehende, dauerhafte Zauberkarte leuchtete auf, genau wie das Wappen am Himmel. Brüllend erhob sich der Mechadrache aus seinem Grab und stieg über Zanthe hinweg in die Luft.   Constellar Ptolemy M7 [ATK/2700 DEF/2000 {6} OLU: 0]   „Spiele verbinden Menschen. Dich und mich.“ „Ich will keine Verbindung zu dir, du-!“, keifte Zanthe außer sich und zog in leicht gebeugter Haltung seine Karte auf. Aus den Augenwinkeln erkannte er sie. „Das ist-!?“ Er richtete sich gerade auf und betrachtete seine beiden Handkarten, beides Magien. Damit konnte er gewinnen! „Ich spiele [Overlay Regen] aus!“ Zanthe hielt den Zauber demonstrativ zwischen Zeige- und Mittelfinger geklemmt. „Welcher zu einer Overlay Unit für Messier 7 wird!“ Im Anschluss rammte er die Karte in seine Duel Disk, woraufhin sich eine Lichtsphäre vor seinem Drachen bildete, die diesen zu umkreisen begann.   Constellar Ptolemy M7 [ATK/2700 DEF/2000 {6} OLU: 0 → 1]   „Und als Letztes“, sprach der Werwolf plötzlich leise, „die Geheimwaffe meines Decks. Ausrüstungsmagie: [Constellar's Ultimate Magic – VRANO METRIA]!“ Tatsächlich sprach er sie jedoch als Uranometria aus, da die Schreibweise dem im 17. Jahrhundert erschienen, gleichnamigen Himmelsatlas des Astronomen Johann Beyer entsprach. Die zwölf Symbole der Tierkreiszeichen begannen in einem Ring um Messier 7 zu rotieren. „Diese Karte rüstet mein Monster für jede seiner Overlay Units mit einer passenden Ausrüstung direkt von meinem Deck aus“, erklärte Zanthe weiter und verzog finster das Gesicht, „du bist nicht der Einzige, der mehrere Kopien einer Karte im Deck spielt. [Stoic Challenge]!“ Jene schoss aus seinem Deck hervor und wurde prompt ausgespielt. Sofort begann der weiß-goldene Drache wieder in einer flammenden Aura aufzuleuchten.   Constellar Ptolemy M7 [ATK/2700 → 3300 DEF/2000 {6} OLU: 1]   Kakyo gab ein überraschtes „Oh!?“ von sich. Voller Tatendrang schwang Zanthe den Arm aus. „Schluss mit lustig! Greif' [Satellarknight Altair] an! M7 Star Launcher!“ Gehorsam lud Messier 7 in seinem Maul einen orangefarbenen Odem auf, den er unter lautem Dröhnen auf den geflügelten, großen Sternenkrieger abfeuerte. Gelber Dunst umgab die Attacke dabei. „Denk dran, dass [Stoic Challenge] den Kampfschaden verdoppelt!“ „Zu dumm, dass meine Monster sich verteidigen!“ „Zu dumm, dass Uranometria auch einen Ausrüstungseffekt besitzt, der Verteidigungen durchschlagen kann!“ Zanthe weitete die Augen. „W-warte mal!“ Dieser Wortlaut. Den benutzte doch Alessandro immer! Es gelang ihm jedoch nicht mehr, ihn darauf anzusprechen, denn sein Gegner rief bereits: „Dann benutze ich den Effekt von [Stellarnova Wave]! Eigentlich hatte ich das sowieso vor: Sie beschwört einen Fixsternritter von meiner Hand! Erscheine, [Satellarknight Procyon]!“ Ein unbewaffneter Jüngling tauchte zwischen seinen Kameraden auf, von Kopf bis Fuß in einem weiß-orangefarbenem Bodysuit steckend. Auch um ihn drehte sich ein goldener Ring.   Satellarknight Procyon [ATK/1300 DEF/1200 (4)]   „D-das ändert gar nichts“, stammelte Zanthe verdutzt. „Alessandro, bist-!?“ „Doch, es entscheidet dieses Duell!“ Sein Bruder lächelte verschmitzt. „Zu dumm, denn ich habe noch eine Falle hier zu liegen, extra für diesen Moment! [Wonder Xyz]!“ Die purpurn umrandete Karte sprang auf und zeigte ein Schwarzes Loch am Himmel, in das zwei Monster hineingezogen wurden. „Damit kann ich sofort mit den Monstern auf meinem Feld eine Xyz-Beschwörung durchführen! Ich errichte das Overlay Network!“ Genau wie auf der Abbildung gezeigt, öffnete sich über Alessandro ein dunkler Vortex, der alle drei Krieger als gelbe Lichtstrahlen einsog. „Aus meinen drei Stufe 4-Satellarknights wird ein Rang 4-Stern! Xyz Summon!“ Eine Explosion in seinem Inneren brachte das Schwarze Loch dazu, sich auszudehnen. „Erscheine, Herr des Winterdreiecks! [Stellarknight Triverr]!“ Im Zentrum des Getoses zeigte sich ein Ritter ganz in Weiß, der einen Leuchtdegen zog und um seine linke Faust ein nach unten zeigendes Dreieck als Schild erzeugte. Sein Cape flatterte wild, als er herab zu Alessandro stieg. Seine drei Overlay Units folgten ihm dabei.   Stellarknight Triverr [ATK/2100 DEF/2500 {4} OLU: 3]   „Und jetzt lernst du seinen mächtigen Effekt kennen! Alle anderen Karten auf dem Feld werden auf die Hände ihrer Besitzer zurückgegeben!“ Der in Schwarz gekleidete Alessandro schwang seinen Arm aus. „Great Southern Triangle!“ Immer schneller werdend begann der weiße Ritter sich um die eigene Achse zu drehen. Dabei ließ er sein Schwert nach links und rechts ausschwenken, bei jeder Bewegung löste sich eine eisige Schockwelle von der Klinge. Eine der Wellen riss Alessandros [Stellarnova Wave]-Fallenkarte fort, gleich vier dagegen trafen erst Zanthes drei offenen Zauberkarten, dann schließlich seinen Drachen, der sich sofort in weiße Eissplitter auflöste. „N-nein!“, schrie Zanthe, doch wusste er gar nicht mehr, ob er dieses Duell noch gewinnen wollte. „Haha. Das war doch ein gelungener Abschluss“, zwinkerte Alessandro ihm zu. „Du bist es! Ich dachte, du wärst-!“ Der Werwolf nahm einen hastigen Schritt nach vorn, doch mit erhobener Hand gebot sein Bruder ihm Einhalt. Plötzlich stand ihm tiefe Traurigkeit ins Gesicht geschrieben. „Nicht. Ich … sollte gar nicht mehr hier sein.“ „Aber du bist es! Der Pakt-!“ „Wird meine Seele in den Limbus ziehen und das jeden Moment.“ Alessandro seufzte. „Es dauert eine Weile, ehe dieses Tor geöffnet wird, das Kakyo erscheinen lassen kann. Damals, als ich ihn getroffen habe, haben wir es zum Zentrum unseres Pakts gemacht. Sobald es sich zeigt, hätte ich es sein sollen, der es öffnet.“ „W-was!?“ Der Jüngere sah hinauf in den Regen, der sein Gesicht benetzte. „Uns beiden ist natürlich von Anfang an klar gewesen, dass es nicht dazu kommen wird, da wir nie die Absicht dazu hatten. Aber es war der einzige Weg, mein Leben derart zu verlängern. Jetzt, da es jeden Moment von jemand anderem geöffnet wird, werde ich als Paktbrecher dastehen und meine Seele verlieren.“ „Wie konntest du nur so einen Vertrag abschließen!?“ Tränen stiegen in Zanthes Augen auf. „I-ich wollte das nicht! Warum hast du mir nicht gesagt, wie dieser Pakt funktioniert!? Wir hätten-“ „Es ist egal. Selbst wenn das Tor von mir oder gar nicht geöffnet wird, kommt es immer aufs Selbe hinaus. Ich wusste das und war mit den Konsequenzen einverstanden.“ Alessandro lächelte schwach. „Bitte gib dir selbst nicht die Schuld dafür. Eigentlich wollte ich, dass du dich an Kakyo gewöhnst, während ich still und heimlich ins Nichts verschwinde. Aber … das Duell war wirklich toll, also wollte ich es selbst zu Ende bringen.“ Zanthe streckte seine Hand nach ihm aus: „N-nein!“ „Danke … und versprich mir, nichts Dummes anzustellen, ja?“ Sein Bruder lächelte breit, als er die Hand anhob und auf sein Deck legte. „Ich liebe dich, Zanthe. Vielleicht sehen wir uns ja eines Tages wieder. Und bis dahin werd' gefälligst besser. Ich hätte … dich … besieg-!“   [Zanthe: 100LP / Alessandro: 4000LP → 0LP]   Ein ohrenbetäubendes Donnern erschütterte die Wiese. Alessandro war fort, Zanthe spürte es am ganzen Leib. Er sackte in die Knie. Vor ihm materialisierte sich eine weiß-umrandete Karte mit einem darauf abgebildeten Drachen. Ein unangenehmes Kribbeln unter seiner Haut machte sich breit. „Es tut mir leid“, drang die mechanische Stimme Kakyos zu ihm. „Unser Pakt ist gebrochen.“ Was war das alles!? Was spielte sich hier ab!? Eben war er noch … und jetzt war er von einem Moment vom anderen weg, ausgelöscht durch was genau!? Tränen stiegen in Zanthes Augen auf. Das war nicht, was er wollte. Dass sein Fluch die einzige Person, die ihm wichtig war und der er wichtig war, einfach so verschwinden ließ.   Indes eilte Kakyo an dem Werwolf vorbei. Ein neuer Geruch war unvermittelt hinter ihm aufgetaucht. „Er ist noch nicht soweit“, sprach das Wesen im Körper seines Bruders. „Verstehe. Dann komme ich zu einem späteren Zeitpunkt wieder“, sagte der alte Mann, der so plötzlich hier aufgetaucht war. Ein Zischen später erschien es, als hätte es ihn nie gegeben, selbst der Geruch war fort. „Wir müssen gehen. Dieser Ort ist nicht sicher“, sprach Kakyo unheilvoll. „Etwas Böses wird bald hier erscheinen, nun da-“ „Geh weg“, presste der Werwolf mühsam mit zitternder Stimme hervor. Inmitten dieser schicksalsträchtigen Nacht ragte über die Bäume hinaus ein riesiger Turm. Von zahlreichen Explosionen heimgesucht, stürzte er langsam ein, doch verschwand inmitten dieses Prozesses urplötzlich. „Er hat dich als seinen Nachfolger auserwählt, Zanthe Montinari“, sprach Kakyo, der hinter dem jungen Mann stand und versuchte, nach ihm zu greifen. „Ich will das nicht! Und jetzt verschwinde!“, wimmerte Zanthe. Kakyo sah auf seinen vor sich ausgestreckten Arm herab. Er nahm den Duellhandschuh daran und zog ihn von der Hand, doch nicht, ohne vorher das Deck daraus zu entfernen. „Dein Bruder-!“ Mit einem Ruck sah der Kopftuchträger mit geweiteten Augen über seine Schulter. „Auch wenn du im Körper meines Bruders steckst, werde ich-!“ Er verstummte, als etwas Nasses seine Wange streifte. Doch es waren nicht seine eigenen Tränen, sondern die des Himmels. Die letzten, denn der Regen war verebbt. „Dein Bruder wollte, dass du das hier hast“, sprach Kakyo schließlich und warf den Handschuh neben Zanthe hin. „Und er wollte, dass ich dich im Auge behalte. Aber ich werde dich nicht dazu zwingen, meine Anwesenheit zu dulden.“ Mit einem Handschwenk ließ er ein schwarzes, ovales Portal neben sich erscheinen. „Ich muss nun meinen eigenen Kampf austragen. Unsere Wege werden sich allein schon deshalb erneut kreuzen. Bis dahin gib auf dich Acht, Zanthe Montinari.“ Zanthe schwieg, als dieses Wesen schließlich durch das Portal schritt und mit einem Mal verschwunden war.   Nun war er allein. Ganz allein. Er rieb sich über die Augen, schnappte sich den Duellhandschuh sowie die Karte, die ihn nun als Wächter auszeichnete, und erhob sich. Doch als er zu laufen begann, spürte er die Erschöpfung. Als wäre er unendlich schwach. Gerade noch so schaffte er es, sich zu einem nächstgelegenen Baum zu schleppen und sich an diesen anzulehnen. „Ugh!“ Er rutschte hinab und landete auf dem Hinterteil. „Scheiße …“ Flüchten vor dieser ominösen Gefahr erschien ihm so sinnlos. Er war ein Werwolf, er würde damit fertig werden. Und wenn nicht … was auch immer. Zanthe legte beide Arme um seine Beine und zog diese an sich heran. Also würde er weiterleben, obwohl er nicht wollte. Was ihm blieb war sich zu verstecken, damit zumindest nie wieder jemand wegen ihm so leiden würde wie sein Bruder. Und doch hoffte er, dass er eines Tages wieder einen Grund finden würde, nach vorne zu schauen. Einen Hoffnungsschimmer. Was ihm in diesem Moment jedoch blieb, war nur eine Erkenntnis: Worte können ein Fluch sein, besonders, wenn sie von jemandem gesprochen wurden, den man liebt.   ______   Das letzte Special folgt dann Ende April. :) Kapitel 97: Extra Turn 36.5: Prankster -------------------------------------- Extra Turn 36.5 – Prankster     „Matt!“ Die gequälten Schreie des Mädchens ließen den jungen Mann auffahren. Es dauerte einen Moment, bis er begriff, dass er sich in seinem Zimmer befand. Mit nacktem, schweißnassem Oberkörper saß er kerzengerade im Bett. Es war noch dunkel, Mondlicht schien in das kleine Zimmer. Im Bett nebenan lag Alastair und atmete leise. Aus den Augenwinkeln bemerkte Matt, dass sich eines der Kinder des Waisenhauses an den Rücken des Hünen gekuschelt hatte. Und trotz der Kälte des Winters hatte der Bursche sich nicht mal zugedeckt. Ein sanfter Seufzer entglitt Matts Kehle. Aber die Stimme seiner Kindheitsfreundin Tara Hartwell hallte immer noch in seinen Gedanken, wie sie verzweifelt nach ihm rief. Es war nun schon mehrere Wochen her, dass er sich am Bahnhof von Livington für immer von ihr verabschiedet hatte. Ohne ihr Wissen. Das war der Preis dafür, dass ihre Gesundheit vom Sammler nach dem Urila-Vorfall wiederhergestellt worden war. Matt fasste sich an die Stirn und stöhnte. Es fiel ihm schwer, nur darüber nachzudenken. Hatte es damals wirklich keinen anderen Weg gegeben? Er kam jedoch nicht dazu, nach einer Antwort zu suchen, denn ein leises Klappern erweckte seine Aufmerksamkeit. Er streifte die viel zu dünne Bettdecke von sich, stand auf und deckte zunächst den Kleinen mit Alastairs Bettdecke zu. Dabei jedoch all seine Sinne auf den Lärm gerichtet, der von der Kommode unter dem Fenster am Ende des Zimmers kam. Er schritt langsam zu jener herüber und erkannte, dass das Geräusch von einem Bilderrahmen stammte, welcher auf der Kommode stand.   Irritiert griff der Schwarzhaarige danach, doch noch bevor seine Finger das Bild erreichten, wurde es still. Nach kurzem Zögern nahm er das eingerahmte Foto in die Hand. Auch im Dunkeln wusste er sofort, was er da in den Händen hielt. Es war ein Bild aus seiner Zeit an der High School, abgebildet waren er, Tara und seine jüngere, ebenfalls schwarzhaarige Schwester Sophie, wie sie allesamt in die Kamera grinsten und mit den Händen Siegesgesten machten. Matt hatte an diesem Tag seinem Basketballteam zum Sieg über eine andere Schule verholfen. Ein warmes Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. Das waren noch Zeiten gewesen. Bitternis begann sich jedoch in seine Gedanken einzuschleichen, denn kurz darauf bemerkte er erstmals, dass sein Vater Sophie schlug. Die tragische Geschichte nahm in den kommenden Wochen ihren Lauf …   Mit einem Schütteln seines Kopfs vertrieb er die Erinnerungen und setzte das Foto wieder ab. Es war das einzige auf der ganzen Kommode, denn Alastair besaß leider keine Erinnerungsstücke an seine Familie. „Matt?“, kam es müde vom anderen Bett. Fast als wäre das sein Stichwort gewesen. „Sorry“, entschuldigte sich der Jüngere leise, „bin von einem Geräusch wach geworden. Schlaf einfach weiter.“ Woher war jenes eigentlich gekommen? Hatte die Erde kurzzeitig gebebt? „Du hattest wieder einen Albtraum“, stellte Alastair jedoch fest. „J-ja …“ Matt ging zurück zu seinem Bett. „Tara. Ich habe sie wieder gehört, aber nirgendwo finden können. Meinst du … meinst du, dass Verträge mit dem Sammler irgendwann 'auslaufen'?“ Der Hüne mit der tiefen Stimme seufzte. „Matt, das Thema haben wir bereits genug besprochen. Diesen Teufel wirst du nicht austricksen können. Seine Abkommen sind endgültig, weshalb niemand je mit ihm handeln sollte!“ „Y-yeah …“ Betrübt legte der Schwarzhaarige sich wieder ins Bett und zog die Decke über sich, meinte: „Aber ich hatte keine Wahl. Es hätte sogar noch viel schlimmer kommen können. E-egal, wir müssen morgen früh raus. Gute Nacht.“ „Nacht …“   Matt zog die Bettdecke bis ans Kinn. Tatsächlich wusste er noch gar nicht, -wie- schlimm alles eines Tages werden würde. Dann, wenn er das andere Versprechen gegenüber dem Sammler einlösen musste.   ~-~-~   Am nächsten Morgen setzte Matt sich halb verschlafen neben Alastair an den kleinen Tisch ganz am Ende des 'Saals'. Sie hatten die Wände der Küche durchbrochen, die sich hinter ihnen befand und so das einstmalige Wohnzimmer mit ihr verbunden. An den anderen Tischen saßen bereits haufenweise Kinder verschiedenen Alters. Die beiden Erzieherinnen huschten von einem Platz zum anderen, weil sie immer wieder gerufen wurden, was besonders der Seniorin schwer fiel. Aber sie beide lachten dabei. Matt wandte sich seiner Suppe zu. „Ugh, schon wieder?“ Sein Freund, der bereits in seinem roten Mantel steckte und das lange, schwarze Haar heute offen trug, rümpfte die Nase. „Find' dich damit ab.“ „Muss ich ja wohl.“ Matt nahm den Löffel neben der bereits leicht angerissenen Schüssel und begann die Gemüsesuppe zu schlürfen. Er machte das bewusst aus Trotz, weil es Alastair unheimlich nervte. Und die bösen Seitenblicke kündeten von seinem Erfolg dabei.   Matt sah in die dünne, hellbraune Brühe, in der ein paar Gemüseteile und ein wenig Fleisch schwammen. Sie beide hatten zwar in San Augustino kleinere Jobs, mit der sie sich ein wenig Geld dazu verdienten, aber es reichte kaum für mehr als das hier. Sie waren einfach zu wenige Leute, um so vielen Kindern ein wenig mehr zu bieten. Der junge Mann seufzte betrübt. Alector war der mit dem Haupteinkommen, da er öfter anderen Dämonenjägern auf die eine oder andere Weise half. Manchmal war er für mehrere Wochen unterwegs, um irgendwelche Schätze, seltene Zutaten für Tränke oder gar Waffen zu finden und zu verscherbeln. „Alles in Ordnung?“, fragte Alastair. „N-nein.“ Sein von Brandnarben gezeichneter Freund gluckste. „Wenigstens bist du ehrlich.“ „Hab mich nur gefragt, ob wir nicht noch mehr tun können. Um Geld zu verdienen mein ich.“ „Alector möchte nicht, dass wir uns wieder in Gefahr begeben. Und ich auch nicht.“ Matt nickte. „Dann sind wir uns ja einig. Vergiss einfach, was ich gesagt habe …“ „Alector bemüht sich um Spenden, aber bisher hat er nichts erreicht. Doch so wie ich ihn kenne, wird ihm irgendetwas einfallen“, sprach Alastair zuversichtlich, „und uns auch.“ Nochmal nickte der Jüngere. „Yeah.“   Es zauberte ihm ein kleines Lächeln aufs Gesicht, dass sein Freund inzwischen positiver eingestellt war. Die Kinder waren daran sicher nicht ganz unbeteiligt. Matt tunkte den Löffel in die Suppe. Da geschah es. Die Gemüse- und Fleischstücken bewegten sich. Formten vor seinen Augen ein Wort: „Hallo“. „W-was!?“ Sofort ließ Matt den Löffel fallen, welcher klimpernd auf den Teller schlug. Alastair sah ihn irritiert an. „Was ist?“ Der Schwarzhaarige blickte seinen Teller irritiert an, doch das Wort war durch die Bewegung durcheinander gebracht worden. „N-nichts. Hab mir grad' eingebildet, da hätte 'Hallo' in meinem Teller gestanden. Ha ha.“ Dass der Hüne nur schwieg interpretierte Matt als Duldung seiner hin und wieder auftauchenden, für Alastair unbegreiflichen, nervösen Ader. Ja, er war manchmal etwas paranoid. Zu seiner Anfangszeit als Dämonenjäger hatte er nach der traumatischen, ersten Begegnung mit Al hinter jedem Schatten ein Monster vermutet – ganz zum Ärgernis seines Partners. Inzwischen hatte sich das gelegt, doch manche Dinge überraschten ihn immer noch. Und Wörter in Suppen gehörten dazu – aber das hatte er sich wohl nur eingebildet.   ~-~-~   Einige Stunden später stand Matt unlängst hinter einer Kasse und nahm die Scheine einer alten Dame entgegen. Er arbeitete hin und wieder, so wie heute, in einem kleinen Supermarkt, dem einzigen in San Augustino. Aber er mochte das Geschäft. Es war hell, übersichtlich und einfach zu verstehen. Die Kasse befand sich direkt gegenüber vom Eingang, weiter ging es dann nach links zu den Regalen. Um die Mittagszeit war für gewöhnlich sehr wenig los, sodass er die derzeit einzige Kundin bediente und ihr das Wechselgeld reichte.   „Zwei Dollar und elf Cent. Bitteschön!“, strahlte er sie an. Die bereits pensionierte Dame mit der grauen Lockenpracht sah ihn besorgt an. „Ach Mr. Summers, wie geht es den Kindern?“ „Sehr gut, Mrs. Kramer“, erwiderte Matt freundlich, der er in einem weiß-hellblau gestreiften Hemd steckte, das farblich perfekt zum Laden passte. Sein sonst eher auf Schwarz ausgelegtes Erscheinungsbild hatte er auf Bitte des Besitzers während der Arbeitszeit ablegen müssen, aber das störte ihn nicht. Manchmal tat etwas Farbe ganz gut. „Hier, nehmen Sie das“, sprach die rundliche Frau und reichte ihm eine 20-Dollar-Note herüber, als sie das Wechselgeld in ihrem Portemonnaie verstaute. Matt schüttelte erschrocken den Kopf. „D-das geht nicht! Ich darf so etwas nicht annehmen!“ „Aber die vielen Kinder“, jammerte Mrs. Kramer, „wie kommen Sie bloß über die Runden, wenn so viele Mäuler zu stopfen sind?“ „E-es geht schon, irgendwie.“ „Mr. Summers, ich bitte sie!“ Die ehemalige Lehrerin setzte eine strenge Miene auf. Sie nahm seine Hand mit der ihren und drückte ihm mit der anderen den Schein auf die Handinnenfläche. „Ich habe mein ganzes Leben lang mit Kindern zu tun gehabt. Über die Runden kommen zwei junge Männer und ein Rentner bei so vielen Waisen ganz gewiss nicht so einfach. Nehmen Sie es!“ Matt umklammerte den Schein mit seinen Fingern. „D-danke …“ Sofort hellten sich Mrs. Kramers Gesichtszüge wieder auf. „Na geht doch.“ Gerade wollte Matt sich nochmals bei ihr bedanken, da fiel ihm etwas Merkwürdiges auf. Obwohl er ihr das Wechselgeld längst ausgehändigt hatte, wurde es auf der Kasse immer noch angezeigt. Nein … der Betrag war völlig absurd. 1337 Dollar, wie ging das denn!? „Ist alles in Ordnung?“, fragte die ergraute Dame irritiert. „Da stimmt was mit der Kasse nicht.“ Er tippte zweimal auf eine Taste, aber alles, was geschah, war dass der Betrag sich änderte und nicht zurückgesetzt wurde. Jetzt schuldete er ihr nur 07734 Dollar – wie auch immer das ging! Seine Kundin drehte den Kopf seitlich und kicherte. „Das kenne ich. Da steht 'Hallo'! Sie sind ja ein Scherzkeks, Mr. Summers.“ „D-das war ich nicht!“ Plötzlich drehten sich die Zahlen, flackerten und bildeten eine neue Kombination: 5318008. Mrs. Kramer reckte den Kopf hoch. Empört rief sie: „Mr. Summers!“ „W-was …? Oh! Oh mein Gott, n-nein, d-das tut mir leid, oh Gott!“ Aber die alte Dame lachte. „Sie sind mir einer. Aber sie haben mir den Tag erheitert. Dann lasse ich sie mal mit ihrer frechen Kasse alleine!“ „T-tut mir leid!“   Die Dame öffnete die Tür und schritt kichernd aus dem Laden. Matt war vollkommen verzweifelt, wollte das dämliche Ding neu starten, aber es funktionierte nicht. „W-was soll das, hey-!“ In dem Moment begann das Gerät Belege auszudrucken, auf dem nur die letzte Zahlenfolge stand, die Matt erneut erröten ließ. „V-verdammt!“ Er riss die ersten vier Rechnungen ab, aber die Kasse dachte gar nicht daran, mit dem Unsinn aufzuhören. Zumindest bis Matt sich nach einem Geistesblitz unter den Tresen bückte und kurzerhand den Stecker zog. Als er sich jedoch erhob, stellte er mit Schrecken fest, dass das überhaupt nichts gebracht hatte. Dabei fiel ihm auf, dass sich eine neue Zahlenfolge gebildet hatte: 1134206. Matt drehte den Kopf und schluckte: Go 2 hell. In dem Moment, als er die Nachricht verstand, wurde das Display schlagartig dunkel, der Rechnungswahnsinn hörte auf. Matt stand wie benommen da, vor einem Tresen, von dem eine ganze Schlange an Rechnungen bis zum Boden hinab hing. Irgendetwas stimmte hier nicht …   ~-~-~   Als der junge Mann am späten Nachmittag zurück kam – es dämmerte schon – steuerte er den kleinen Schuppen zur Linken des dreistöckigen, von außen etwas heruntergekommenen weißen Waisenhauses an. Aus diesem kam Alastair gerade heraus gestampft, doch statt ihn zu grüßen, schien er ihn gar nicht zu bemerken. Stattdessen machte er einen Bogen um das Anwesen, hinter dem sich ein kleines Gewächshaus befand.   Matt folgte ihm. „Hey, Al!“ Der Hüne drehte sich um. Doch statt ihn zu grüßen, wandte er sich wieder um und steuerte das Gewächshaus an. „Sag mal, ignorierst du mich!?“, empörte sich Matt. Keine Reaktion. Als der Schwarzhaarige seinem Freund ins Innere folgte, wurde er erstmal vom intensiven Geruch des Gemüses übermannt. Matt hasste diesen, was vielleicht an einer unschönen Begegnung mit einem Pflanzendämonen von vor etwa zwei Jahren lag, die viele Tentakel und Gemüse-Fütter-Orgien beinhaltete. Manche Dämonen waren einfach nur seltsam …   „Alastair!“, donnerte Matt wütend. Erst jetzt bemerkte sein Freund ihn scheinbar. „Matt, was ist los?“ „Hab' ich dir was getan?“ „Nein. Ich dir, dass du mich so anschreist?“ „Du hast mich ignoriert!“, klagte der Jüngere sauer. „Dreimal habe ich dich angesprochen, ohne dass du mir antwortest!“ Sein Freund machte ein verwirrtes Gesicht. „Oh? Dann entschuldige. Ich war wohl ganz in Gedanken vertieft.“ Zwar schnaubte Matt noch einmal, aber damit war der Ärger auch schon verflogen. Alastair zog an ihm vorbei herüber zur anderen Seite des Gewächshauses und bückte sich nach etwas. In feinen Reihen waren hier Tomaten, Gurken und andere Folterfrüchte angebaut. Neben Matt stand ein massiver Holztisch, der hier weder her- noch überhaupt richtig hineinpasste. „Mir ist heute im Laden was Seltsames passiert“; begann Matt zu erzählen, während Alastair am Boden Zugange war, „die Kasse hat rumgesponnen, als ich mich mit Mrs. Kramer unterhalten habe. Erst hat sie Hallo als Zahlenfolge angezeigt, dann … Brüste.“ Alastair grunzte, aber wie das zu deuten war, wusste selbst Matt in diesem Moment nicht. „Als sie weg war, hat das Ding pausenlos Rechnungen ausgedruckt, mit … Letzterem als Nachricht. Selbst als ich den Stecker gezogen habe. Danach stand dann 'Fahr zur Hölle', im Anschluss war das Ding mausetot. Das ist es jetzt immer noch …“ Alastair grunzte nochmal. „Sagst du auch was dazu?“ „Hat einer deiner Kollegen dir vielleicht einen Streich spielen wollen?“ „Wie denn? Man kann die Kasse nicht so programmieren. Glaube ich jedenfalls. Und wenn ja, hat derjenige seinen Job riskiert. Und meinen“, fügte Matt wütend hinzu. „Ich glaube, das Teil wird ersetzt werden müssen. Und mich verdächtigt man als Ursache dafür!“ „Mach dir nichts draus. Dann war es defekt. Oder ein Trickster hat Besitz davon ergriffen und wollte dich ärgern. Stell sie dir wie Immaterielle vor, die nur Schabernack treiben, indem sie Objekte statt Menschen besessen.“ „Großartig! Das kommt mir doch bekannt vor! Dann klebt mir schon seit heute Morgen einer an der Backe …“ „Ignoriere ihn, die sind weitestgehend harmlos, wie du wissen solltest. Wenn du ihm zu langweilig wirst, sucht er sich jemand anderes.“ Matt war aber nicht zufrieden mit der Aussage. „Ja, die Kinder. Wir müssen etwas tun.“ „Nicht nötig, Trickster hassen Kinder für gewöhnlich. Warte einfach ab und wenn es nicht besser wird, iss etwas Knoblauch. Der Gestank wehrt sie komischerweise ab, obwohl sie nicht riechen können.“ „Sie und sämtliche anderen Lebewesen“, murrte Matt unzufrieden. Alastair erhob sich. „Sei doch zufrieden, so erlebst du wenigstens mal etwas Aufregendes. Denkst du, ich merke nicht, dass du dich hier langweilst?“ „D-das stimmt nicht!“, protestierte Matt, als sein Freund sich zu ihm umdrehte. Doch er seufzte schließlich und musste selbst zugeben, dass er sich selbst etwas vormachte, nachdem Alastair ihn strafend ansah und mit etwas in den Händen an ihm vorbei schritt. „Ok, manchmal ist es schon langweilig“, gestand Matt und sah ihm dabei über die Schulter, wie der ein großes Tablett mit kleinen Töpfen hinüber zum großen Tisch des Gewächshäuschens schleppte. Sein Freund und Mentor lachte sanft. „Du wirst dich schon dran gewöhnen. Ich sehe ebenso, wie sehr dir die Kinder ans Herz gewachsen sind.“ Der Jüngere lächelte besonnen. „Yeah. Es ist schon ein ganz anderes Leben, das wir jetzt führen.“ „Ich vermisse das alte nicht“, erwiderte Alastair, drehte sich zu Matt um, schritt aber an ihm vorbei. Er schnappte sich einen Stapel aus großen, grünen Blumentöpfen, der in der Ecke zum Eingang stand. „Ich bin froh, dass wir eine zweite Chance bekommen haben. Nach all dem, was wir getan haben.“ „Nicht alles davon war schlecht.“ „Aber vieles hätte besser abgewogen werden müssen.“ Der Schwarzhaarige stellte die Töpfe neben das Tablett mit den Tomatenpflanzen und griff nach einem großen Sack Erde. „Erscheinen dir manche Dinge heute nicht falsch, Matt?“ Jener legte eine Hand ans Kinn und musste kurz überlegen, kam aber auf die Schnelle zu keiner wirklichen Antwort. So gab er ehrlich zu: „Ich habe mir darüber bisher keine Gedanken gemacht. Refiel – Another – hat dich geführt und ich bin dir gefolgt. Wir haben Menschen mit ihren Problemen geholfen, sie beschützt.“ „Und dabei getötet.“ Alastair schaufelte den Kübel mit Erde voll, ohne seinen Freund dabei anzusehen. „Wobei dich keine Schuld trifft. Ich habe auf diese falsche Schlange gehört, wie sie mir süße Worte ins Ohr geflüstert hat. Ich dachte, ich tue etwas Heiliges. Wie es meine Familie seither für die Menschheit tat.“ Traurig beobachtete Matt seinen Freund, wie er die Tomatenpflanzen nacheinander umtopfte. Eine Weile sagte keiner etwas. Bis Ersterer den Umhang des Schweigens nicht länger ertrug. „Muss schwer sein, mit einem so großen Namen-“ Aber er brach ab und hätte sich selbst ohrfeigen können. „Die Van Helsings haben sich der Dämonenjagd seit Jahrhunderten verschrieben. Ich als der letzte Nachkomme hätte von ihren Erfahrungen am meisten profitieren sollen. Doch stattdessen wurde ich wie eine Schachfigur von A nach B gesetzt, ohne das überhaupt infrage zu stellen.“ Mit jedem Wort drang die Verbitterung, die Alastair quälte, mehr hindurch. Auch seine Stöße mit der Schaufel wurden heftiger und heftiger. Matt versuchte ihm gut zuzureden. „So ging es uns allen.“ Vergeblich. „Aber ich war der Auslöser für alles. Und es ist nicht nur das. Schon davor habe ich alles getan, zu dem er mir geraten hat. Wesen vernichtet, von denen ich niemals wissen werde, wie viel Menschlichkeit womöglich in ihnen steckte.“ „Wenn wir nichts getan hätten wäre alles vermutlich viel schlimmer für unsere Klienten gekommen.“ Matt trat selbstbewusst an seinen Freund heran und fasste ihm auf die Schulter. „Wir haben die Welt zu sehr in Schwarz und Weiß eingeteilt, das stimmt. Was wir bekämpft haben, waren fühlende Wesen. Doch was sie getan haben, war in fast allen Fällen trotzdem falsch.“ Alastair drehte sich zu ihm herum und lächelte schwach. „Ich danke-“ Der Moment der Freundschaft wurde durch ein jähes Klirren unterbrochen. Hinter den beiden zerbarst einer der Töpfe mit den Tomaten regelrecht, schwarze Erde spritzte durch das Gewächshaus. „Argh!“, stöhnte Matt, als er von einer Tonscherbe an der Stirn getroffen wurde. Auch Alastair wich erschrocken zurück. So schnell wie der Schrecken kam, war er allerdings auch schon wieder vorbei. Beide starrten völlig perplex den Tisch an, auf dem inmitten der intakten Töpfe die Reste des zerplatzten lagen. „Wie ist das passiert?“, wunderte sich Matt. „Sag nicht, dieser elende Trickster war das!?“ Alastair fasste sich stöhnend an die Stirn. „So scheint es.“ „Was für eine Sauerei. Au!“, jammerte der Jüngere, der nicht nur dreckig von all der Erde geworden war, sondern auch eine saftige Beule davongetragen hatte. „Geh das kühlen“, wies der Hüne ihn streng an. „Ich räume hier auf.“ „Haben wir Knoblauch im Haus?“ Doch Alastair schüttelte den Kopf. „Nein. Wenn ich hier fertig bin, werde ich schnell losfahren und dir welchen besorgen. Du mach dich inzwischen erstmal sauber.“ Der junge Mann winkte bereits ab und schlenderte dabei zum Ausgang. „Danke. Naja, wenigstens ist es jetzt nicht mehr langweilig …“   ~-~-~   Am Abend saß Matt wieder am kleinen Tisch für die Erwachsenen – alleine. Alle anderen hatten sich zu den Kindern gesetzt, denn die Knoblauchsuppe, die eine der Erzieherinnen ihm gekocht hatte, übte nicht nur auf Dämonen eine abschreckende Wirkung aus. „Du stinkst, Matt“, triezte ihn ein siebenjähriger Rotschopf, der hinter ihm stand. Ein kleines Mädchen lachte von einem anderen Tisch so laut, dass es fast vom Stuhl fiel. Nach und nach verfielen die Kleinen in einen Singsang, der nicht gerade schmeichelhaft für den ehemaligen Dämonenjäger war. Der schrumpfte immer mehr auf seinem Stuhl mit dem Löffel in der Hand zusammen. „Iss!“, befahl Alastair ihm aus sicherer Entfernung. „Dafür wirst du büßen“, knurrte Matt bitterböse mit zusammengekniffenen Augen, grinste dann aber, „denk dran, wer mit dir in einem Zimmer schläft.“ „Ich habe deine Matratze bereits ins Gewächshaus gebracht.“ Der Ton des Hünen machte deutlich, dass es sich nicht um einen Scherz handelte. „W-was!? D-das kann nicht dein Ernst sein!“ „Du wirst es überleben.“ „Es ist verdammter Winter!“, fauchte Matt und wurde ob seines Fluchens böse von den beiden älteren Erzieherinnen angesehen. „Da hol' ich mir den Tod weg!“ „Du bekommst eine zusätzliche Decke. Und jetzt iss!“ Fassungslos und voller Wut im Bauch starrte Matt in die cremefarbene Suppe. „Ugh!“ „Matt stinkt, Matt stinkt, Matt stinkt!“ „Stinkematt, Stinkematt!“ Wieso immer er, fragte sich der junge Mann schicksalsergeben und seufzte schwer. Dann nahm er den ersten Löffel und stellte fest, dass das Zeug nicht einmal schmeckte …   Seine heimliche Hoffnung, Alastair könnte doch gescherzt haben, wurde unlängst zerstört, als er im Dunkeln im Gewächshaus vor seiner Matratze stand. Zum Glück waren die Winter hier relativ mild, aber dennoch war es kalt genug. Daran würden auch die diversen Decken nichts ändern, die die Kinder ihm mitgegeben hatten. Jene hatte er geschultert und warf sie auf sein Behelfsbett. „Hmpf. Iss Knoblauch, sagt er“, meckerte Matt dabei vor sich hin. „Vertreibt den Trickster.“ Er steckte in einem gepunkteten Pyjama, den Alector ihm geliehen hatte und kroch schnaubend über die Bettdecken hinweg, unter denen er sich verkroch. Dabei bemerkte er, dass sein Freund ihm auch das Bild von ihm, Sophie und Tara sowie einen Wecker auf den Boden gestellt hatte. Da entfleuchte ihm doch ein warmes Lächeln. Eigentlich verstand er es auch. Alastair hatte ihn nicht wegen des Geruchs ausgesperrt, sondern wegen des Tricksters. Der sollte zwar längst fort sein – zumindest hatte Matt auch nichts Ungewöhnliches mehr erlebt – aber man konnte nie wissen. Manche von denen, so Alector, waren ziemlich anhänglich. Und mitunter mit ihren Streichen eine Gefahr für andere. „Na dann, gute Nacht“, wünschte er den beiden Mädchen auf dem Bild, was immer sie auch gerade taten. Es dauerte nicht lange, da drifteten seine Gedanken ab …   ~-~-~   … und er stand in seinem schwarzen Ledermantel mitten in der Finsternis. Genauer gesagt am Rand seines Elysions, das die Form einer großen, runden Mosaikscheibe innehatte, auf der zahlreiche graue Zahnräder abgebildet waren, die wohl das Innere einer antiken Maschine oder etwas Ähnliches darstellten. Matt fasste sich fassungslos an die Stirn. „Ugh! Jetzt willst du mich also hier nerven, was?“ Er war nicht alleine. Auf der anderen Seite befand sich etwas, das ihn an einen überdimensionalen Scheißhaufen aus schwarzen Partikeln erinnerte, fast so groß wie er. Denn ja, er fand keine passendere Beschreibung für dieses Mistvieh von Trickster. „Okay, ich sage es jetzt einmal: Verschwinde!“ Die Ansammlung aus Finsternis wobbelte still hin und her, ohne jedoch zu reagieren. „Ich finde das langsam nicht mehr lustig!“ Keine Reaktion. „Hey!“ „Du musst nicht so schreien!“, kam es plötzlich von der anderen Seite. Aus dem Haufen erhob sich eine lange Ranke, an dessen Spitze sich ein Paar Augen öffnete. „Du bist so herzlos!“ „Verschwinde aus meinem Elysion! Und aus meinem Leben, wenn du schon dabei bist! Geh' jemand anderem auf die Nerven!“ „Und das, obwohl wir uns gerade erst begegnet sind! Eiskalt! Ich friere regelrecht!“ Tatsächlich begann der Schattenscheißhaufen zu zittern, schrumpfte dabei langsam. Matt schnaubte. „Was willst du von mir!?“ „Oh, ein bisschen dies, ein bisschen das-!“ „Was genau!? Mich terrorisieren!? Das ist dir gelungen!“ Matt wusste genau, dass Alastair ihm dringend davon abgeraten hatte, mit diesem Wesen Kontakt aufzunehmen, weil es sich in seinem Tun nur bestätigt fühlen würde. Aber er konnte einfach nicht anders, als Dampf abzulassen. Jetzt, da er so einem Mistvieh wirklich gegenüber stand, erinnerte er sich an so ein Gespräch mit Alector vor ein paar Wochen. Schon damals hatte er vermutet, dass ein Trickster involviert sein könnte, als sich plötzlich seltsame Ereignisse in der Umgebung sowie merkwürdige Träume zu häufen begannen.   Zunächst zaghaft die Faust vor der Tür haltend, klopfte Matt schließlich bestimmt an. Es dauerte einen Moment, ehe gedämpft ein 'Herein' geknurrt wurde. Vorsichtig öffnete der junge Mann die Tür und trat in das kleine Büro Alectors ein. Alastairs Ausbilder saß an seinem Schreibtisch vor dem alten Röhrenbildschirm. Zu Matts Rechten stand ein großer Aktenschrank, in der hinteren Ecke dagegen eine Stehlampe, die bereits Licht in das fensterlose Zimmer warf. „Was ist?“, fragte Alector brummig. Na toll, dachte sich der Schwarzhaarige frustriert. Der Alte, dessen heraus stechende Merkmale eine Narbe über der rechten Augenbraue und ein kümmerlicher, grauer Haarkranz waren, hatte mal wieder schlechte Laune. „Ich muss mit dir über etwas reden“, sprach Matt trotzdem freundlich und trat einen Schritt nach vorne. „Sonst wärst du wohl nicht hier“, bemerkte sein Gegenüber bissig.   Matt wusste nicht, wo er überhaupt anfangen sollte. Seine Träume waren das eine, die Dinge, die in San Augustino vor sich gingen und sogar hier im Waisenhaus, etwas ganz anderes. „Ich glaube, dass sich in der Nähe ein Dämon oder Geist aufhält“, sprach der junge Jäger seinen Gedanken daher frei heraus. Der Alte richtete sich auf. „Was?“ „Im Ort kursieren so einige merkwürdige Geschichten“, begann Matt zu erklären und schilderte dem Mann, der ebenso wie Alastair sein Mentor war, die Dinge, die er aufgeschnappt und sogar miterlebt hatte. „… und hier sind mir ebenfalls Dinge aufgefallen. Dinge, die sich nicht erklären lassen. Wörter an den Wänden, die keinen Sinn ergeben, Albträume die unheimlich real sind, fliegende Gegenstände …“ „Und wie schätzt du die Lage ein?“, fragte Alector scharf. Matt verschränkte die Arme. „Könnte ein Poltergeist sein.“ „Falsch“, wurde er sofort gescholten. „Poltergeister sind an einen bestimmten Ort gebunden.“ „Ein Goblin-“ Sofort wurde er durch ein höhnisches Lachen unterbrochen. „Und wie lange glaubst du, würde ich einen Goblin hier dulden? Sollte sich irgendetwas Nicht-Menschliches nähern, würden meine Resonanzchronosphären Alarm schlagen.“ Der junge Mann keuchte, gab sich aber noch nicht geschlagen. „Sofern sie richtig funktionieren.“ „Das tun sie.“ „Sicher? Ich kenne eine Dämonengattung, die sie umgehen kann.“ Alector drehte sich von seinem Bildschirm weg und faltete die Hände ineinander, stützte sich mit den Ellbogen gespannt nach vorne beugend ab. „Sprich.“ „Ein Trickster.“ Tatsächlich kam dieses Mal kein Widerspruch. Aber Matt sah dem Alten an, dass er das für eine sehr gewagte Vermutung hielt. Trickster waren Meister der Täuschung und Illusionen, deren Lebenssinn darin bestand, Unordnung zu schaffen, Konflikte zwischen anderen Lebewesen zu provozieren. Allgemein galt, dass sie keinen eigenen Körper besaßen, sondern sich an ihre Opfer hefteten, bis sie ihnen zu langweilig wurden. Das erschwerte es erheblich, sie zu erforschen, da sie zudem eine äußerst seltene Spezies darstellten.   „Denkst du wirklich, ein Trickster würde seine Zeit mit uns verschwenden?“ Alector klang nicht vorwurfsvoll. Im Gegenteil, Sorge schwang in seinem ruhigen Ton mit. „Ich versichere dir, dass es sich bei den von dir geschilderten Vorkommnissen nicht um das Werk von Dämonen handelt.“ Matt fühlte sich seltsam, dieses Wort aus dem Munde eines eigentlich erfahrenen Jägers zu hören. So sprach jemand, der nicht gelernt hatte, hinter die Fassade zu blicken. Aber das brauchte er hier wohl kaum anmerken. „Wie kannst du dir so sicher sein?“ Erfahrung, natürlich. Etwas, an das es Matt noch sehr mangelte, wie dieser selbst wusste. Sein Gegenüber lehnte sich zurück. „Was hat Alastair dir relativ früh beigebracht?“ „Uh.“ Matt überlegte. „Den Feind zu kennen?“ „Ja. Aber dafür musst du zunächst die Augen offen halten. Alles beobachten, jedes Detail zu erfassen. Was siehst du, wenn du in San Augustino unterwegs bist.“ Wieder stockte der Schwarzhaarige. „I-ich bin mir nicht sicher, worauf du hinaus willst. Armut?“ „Das. Und Demut. Ein hartes, einfaches Leben.“ Alector seufzte. „Matt, diese Leute leben nahezu abgeschottet vom Rest der Welt. Missverstehe mich nicht, sie sind keine Bauern des 18. Jahrhunderts, aber die wenigsten von ihnen haben dieselbe Bildung wie du genossen.“ Matt schüttelte langsam den Kopf. „Ich verstehe, worauf du hinaus willst, aber …“ „Wenn du diese Erklärung nicht akzeptierst, beweise das Gegenteil“, forderte Alector ihn heraus. Matt überlegte und wirbelte schließlich herum. „Also gut. Das werde ich!“ Als er das Büro verließ, bemerkte er nicht, wie sein Mentor väterlich lächelte. Und kaum war die Tür geschlossen, flüsterte Alector betrübt: „Wie viel Wert hat eine Antwort, auf die du nicht aus eigener Kraft gekommen bist?“   Nach diesem Gespräch war plötzlich alles zur Normalität zurückgekehrt. Dementsprechend erfolglos der Versuch, Alector von seiner Vermutung zu überzeugen. Matt begann an eine Verkettung unglücklicher Zufälle zu glauben. Ein Fehler, wie sich nun herausstellte. „Du könntest mich wenigstens ausreden lassen“, klagte der Trickster beleidigt und beugte seinen langen Auswuchs so weit vor, dass er Matt fast berührte. Die gelben Glubschaugen sahen ihn neugierig an. „So fies bist du nur zu mir!“ „Es ergibt keinen Sinn, mich mit dir zu streiten!“ Matt schlug den Tentakel knallhart weg, sodass das ganze Gebilde drohte umzustürzen. „Verschwinde, sonst werde ich dich vernichten!“ „Eiskalter Killer! Mörder!“, beschimpfte ihn das Unding und nahm in seiner partikelartigen Masse langsam die Gestalt eines zweibeinigen Wesens an. „Aber wie willst du das machen, hmm?“ „Wenn du mich genau beobachtet hast, weißt du, was ich bin!“ „Oh ja, das weiß ich! Aber das beeindruckt mich nicht. Bäh!“ In seiner humanoiden Form streckte die schwarze Masse ihm eine Zunge heraus. „Elender-!“ Da klatschte der Trickster seine neugewonnenen Hände zusammen. „Ich habe eine Idee! Wie wäre es mit einem-“ „Nein!“ „Lass mich doch ausreden!“ „Nein! Ich will es nicht hören!“ Der Dämon schnaubte. „Hmpf! Musst du aber! Denn ich lasse dich erst hier raus, wenn wir uns unterhalten haben!“ Matt schreckte innerlich zusammen. Das Ding wollte ihn in seinem eigenen Elysion einsperren!? Unmöglich, das war seine persönliche Gedankenebene! Doch als er versuchte, diese zu verlassen, gelang es ihm nicht. „W-was!?“ „Siehst du? He he!“   „Okay …“ Matt streckte den Arm vor sich aus. „Dann eben so!“ An diesem manifestierte sich ein schwarzes, bereits aktiviertes D-Pad. „Oh! Duel Monsters! Na endlich! Und ich dachte schon, du fragst nie!“ Der Trickster klatschte in die Hände und ließ aus seinem rechten Arm eine Duel Disk wachsen, die Teil seines Körpers blieb.   Eine andere Wahl hatte Matt nicht. Er musste dieses Biest bekämpfen und das gelang ihm am ehesten mit den Karten, die Urila ihm hinterlassen hatte … „Hör zu! Wenn ich gewinne, suchst du dir einen anderen Ort zum Austoben! Wenn du gewinnst, höre ich mir an, was du mir zu sagen hast!“ „Oh? Mehr nicht? Nicht mal eine Einladung zu einem Rockkonzert oder so? Langweilig. Aber gut, damit kann ich leben. Erstmal …“ Zwar fragte sich Matt, ob er hier wirklich das Richtige tat, doch etwas anderes kannte er im Grunde gar nicht. So rief er zornig aus: „Duell!“   [Matt: 4000LP / Trickster: 4000LP]   „Was ist das hier für dich überhaupt, ein Spiel!?“, klagte Matt mit ausgebreiteten Armen. Die schwarze, humanoide Partikelansammlung winkte mit der rechten Hand hin und her. „Vielleicht? Es -ist- unterhaltsam. Kann ja nicht jeder so'n verklemmter Langweiler wie du sein.“ „Vor ein paar Wochen noch hast du hunderte Menschen terrorisiert. Darunter Kinder!“ „Na und? Ist doch nur Spaß“, trällerte sein Gegenüber langgezogen, seufzte dann aber und zog sein Startblatt auf. „Die verstehen das – und wenn nicht, erklärst du es ihnen. Du schaffst das schon, Großer!“ Matt tat es ihm gleich. „Ich lasse nicht zu, dass du damit weitermachst! Schon gar nicht, während du in mir steckst, du-“ Sein Gegner beugte sich provokativ nach vorne. „Na sag schon! Was bin ich? Wenn du beim ersten Versuch richtig liegst, gibt’s den Hauptgewinn!“   Dämon, zumindest wollte Matt das zwischen seinen Zähnen knirschen, verkniff es sich aber. Bei dem war sowieso nur jedes Wort wie Öl ins Feuer zu gießen. Und er durfte nicht vergessen, dass dieses Duell nicht nur dazu diente, diesem Spaßvogel das Handwerk zu legen – es ging hier ebenso um sein Wohlbefinden!   Als schließlich beide sich ihrer Starthand zuwandten, geschah etwas Merkwürdiges. Beide stöhnten resignierend. Nur Zauber- und Fallenkarten, stellte Matt entsetzt fest. Damit konnte er nichts anfangen! „Oh Junge“, nuschelte die schwarze Gestalt am anderen Ende seines Elysions. „M-mach deinen Zug!“, befahl Matt. „Fang du doch an!“ „Nein!“ „Ich habe kein Problem damit, ehrlich.“ Der ehemalige Dämonenjäger zischte: „Ich habe hier Hausrecht, also entscheide ich, wer zuerst am Zug ist. Du!“ Da erhob die Schattengestalt die Hände. „Ist ja schon gut! Alter Miesepeter …“ So zog sie auf und gab ein erleichtertes Glucksen von sich. Aufmüpfig meinte sie: „Damit kann ich deine Strategie ordentlich durcheinander bringen: [Card Destruction]!“ Matts Herz machte einen Hüpfer, als die Zauberkarte sich vor seinem Gegner aufstellte. Eher schlecht als recht beschwerte er sich: „D-du falsche Schlange! Damit müssen wir unsere Hände abwerfen und dieselbe Anzahl an Karten neu ziehen.“ „Ich kann mir das leisten, damit wir uns da nicht falsch verstehen!“, konterte der Trickster und schob seine fünf Handkarten, genau wie Matt, in den Friedhofsschlitz. Sofort zogen beide genauso viele neue Karten. Und atmeten synchron erleichtert auf. Nur um dann anschließend perplexe Blicke auszutauschen – sofern man irgendwo an dem Ding Augen erkennen konnte. Nach einem merkwürdigen Augenblick des Schweigens rief der Dämon schließlich aus: „Ich aktiviere den Spielfeldzauber [Magical Meltdown]! Dadurch erhalte ich von meinem Deck die Monsterkarte [Aleister The Invoker]!“ Zu seinem Schrecken musste Matt feststellen, dass das Mosaik unter ihren Füßen rot aufzuleuchten begann, als strahle es eine immense Hitze aus. Tatsächlich bildete er sich ein, dass es wärmer wurde. Derweil zeigte der Trickster die gesuchte Karte vor: „Solange [Magical Meltdown] im Spiel ist, kannst du nicht mehr auf Fusionsbeschwörungen reagieren oder diese verhindern!“ „Ein Fusionsdeck?“ „Ja! Mit ihm in der Hauptrolle: [Aleister The Invoker]!“ Der Dämon knallte das Monster auf seine Duel Disk. Sofort erschien vor dem Wesen ein junger Mann, gekleidet in dunkler Hose und weißem Mantel, dessen Kapuze sein türkisfarbenes Haar bedeckte. In den Händen hielt er einen Zauberstab sowie ein Buch, aus welchem er in einer unverständlichen Sprache vorlas. Aleister The Invoker [ATK/1000 DEF/1800 (4)]   „Wird mein Kumpel normalbeschworen, erhalte ich die Zauberkarte [Invocation] von meinem Deck! Und dreimal darfst du raten, was ich damit mache!“, trällerte der Trickster vergnügt, doch Matts grimmige Miene verhagelte ihm die Stimmung. „So gewinnst du keinen Preis! Ich aktiviere sie natürlich! [Invocation] funktioniert wie eine Fusionskarte, mit dem Unterschied, dass ich für Invoked-Fusionsmonster die Materialien vom Feld und Friedhof verbannen kann!“ Der junge Zauberer hielt sein Buch in die Höhe und begann weitere Verse in zunehmender Lautstärke zu rezitieren. Unter ihm öffnete sich ein Portal, dass ihn in die Tiefe zog. „Ich verschmelze Aleister mit dem FINSTERNIS-Monster [Armageddon Knight] von meinem Friedhof!“ Der Trickster streckte die Arme weit von sich. „Öffnet die Pforte zum Abgrund! Fusion Summon! Erscheine, [Invoked Caliga]!“ Matt verfolgte unter einem angespannten Stöhnen mit, wie aus dem Höllenschlund erst ein wahnsinniger Schrei drang, ehe sich aus ihr ein rötlicher, geflügelter Dämon mit geschwungenen Hörnern und hellblauem Haar erhob. Dabei hingen Fetzen von weißer Kleidung an seinem Leib und als er sich in geduckter Haltung vor seinem Besitzer positionierte, erkannte Matt, dass es die von Aleister waren – er war zu einem Monster mutiert!   Invoked Caliga [ATK/1000 DEF/1800 (4)]   „Ich setze zwei Karten verdeckt und benutze den zweiten Effekt von [Invocation]!“ Während die zwei Karten sich vor dem Trickster manifestierten, zeigte der die Zauberkarte vor. „Ich mische sie einfach vom Friedhof ins Deck zurück, um den verbannten Aleister zurück auf die Hand zu nehmen! Und? Ich wette, jetzt möchtest du auch so ein cooles Deck spielen! Huh? Huh?“ „Nein“, knurrte Matt, als sein Gegner dessen Blatt um den Beschwörer bereicherte. Ihm war spätestens jetzt klar, dass dieses Biest jede Runde ein neues Fusionsmonster aufs Feld bringen konnte, indem es die nötige Zauberkarte via [Aleister The Invoker] suchte. Dem musste er schnellstmöglich einen Riegel vorschieben! „Du bist so eine Spaßbremse!“, jammerte der Trickster. „Dann zeig wenigstens, dass die eine Hälfte vom Deppenduo zumindest im Duell ein bisschen was drauf hat. Dein Zug!“ „Deppenduo!?“ „Na du und Big Al! Es gibt keine Aufgabe, die ihr nicht in irgendeiner Form vergeigt!“ Der Trickster begann vergnügt zu kichern. „Na, hab ich einen wunden Punkt getroffen?“ „Dir werd' ich's zeigen! Mein Zug!“, explodierte Matt förmlich vor Wut und zog rasch eine sechste Karte nach. „Und den Auftakt macht [Evilswarm Castor]! Wird er beschworen, kann ich noch einen Schwärmer rufen. Erscheine, [Evilswarm O'lantern]!“ Vor ihm tauchte ein unheimlicher, vollkommen gepanzerter Krieger auf, dessen rechte Körperhälfte weiß und die linke schwarz war. Er streckte sein in zwei parallel verlaufende Klingen aufgeteiltes Schwert zur Seite aus, wo sich neben ihm ein Hüne manifestierte. Fast gänzlich aus verhärtetem, violettem Magmagestein bestehend, schloss sich um dessen Oberkörper und Beinen eine schwarze Panzerung, die etwas Insektoides an sich hatte. Evilswarm Castor [ATK/1750 DEF/550 (4)] Evilswarm O'lantern [ATK/1650 DEF/1250 (4)]   Matt kniff die Augen fest zusammen. Keines seiner beiden Monster war stark genug, [Invoked Caliga] im Kampf zu besiegen. Aber dafür gab es eine einfache Lösung! „Ich aktiviere den Effekt von O'lantern! Indem ich-“ Schon ging der Hüne in blaue Flammen auf, die sogleich wieder verpufften. Matt weitete die Augen, als sein Widersacher trällerte: „Falsch, falsch, falsch! Liest eigentlich nie jemand die Effekte der Karten durch, die der Gegner spielt? Das solltet ihr wirklich!“ „Was soll das heißen!?“ „Oh?“ Die Schattenfigur ließ sich ein riesiges Ohr wachsen, hinter welches er seine Hand platzierte und beugte sich vor. „Analphabet -und- taub! Ganz blöde Mischung!“ Matt schnaubte rasend vor Zorn. So musste sich wohl Anya fühlen, wenn sie wütend war. Also praktisch immer. „Und minderbemittelt noch dazu! Wie konntest du nur so lange überleben?“ Der Trickster kicherte böse und ließ sein Ohr wieder verschwinden. „Ok, ok, bevor du noch einen Herzkasper bekommst, erkläre ich den Effekt von Caliga – er verhindert die Aktivierung sämtlicher Monstereffekte!“ Matt blinzelte. Dann streckte er wortlos den Arm aus. Vor ihm öffnete sich ein Schwarzes Loch, das seine beiden Schwärmer als violette Lichtstrahlen in sich aufnahm. Selbst als das Overlay Network explodierte und einen riesigen, pechschwarzen Drachen mit rot in hellblau übergehenden Eisflügeln hervor brachte, sprach er keinen Ton. Brüllend positionierte sich das Biest vor ihm. Evilswarm Ophion [ATK/2550 DEF/1650 {4} OLU: 2]   „Ich werde dich töten“, nuschelte Matt für seine Verhältnisse untypisch aggressiv und schwang den Arm aus, „zerstöre sein Monster, Ophion!“ Der Drache, um den zwei leuchte Sphären kreisten, spie eine mächtige, schwarze Flamme aus. Welche sich beim genauen Hinsehen als Schwarm winziger Partikel entpuppte, der die dämonische Kreatur beim Aufprall zerfraß. „Main Phase 2!“, verkündete der ehemalige Dämonenjäger lautstark. „Da Caliga fort ist, kann ich den Effekt von Ophion aktivieren-!“ „Oh Baby, wie ich darauf gewartet habe“, hauchte der Trickster gespielt betört. Matt klappte die Kinnlade herunter, als über der schattenhaften Kreatur ein kleines, weißhaariges Mädchen in rot-schwarzem Kimono erschien. In ihrer Hand hielt sie eine Karte, die ähnlich aussah wie die, welche Dämonenjäger zum Wirken von Zaubern verwendeten. Jene ging in Flammen auf, als hinter ihr ein Geisterhase erschien, sofern man die langgezogene, weiße Kreatur überhaupt als solchen bezeichnen konnte. Jener zischte über das Feld in Ophion hinein. In dem Moment zerfiel die entflammte Karte in des Mädchens Händen und selbiges geschah auch mit dem mächtigen Drachen. Matt keuchte: „Ophion! Nein!“ „Doch! Du warst so dumm, [Ghost Ogre & Snow Rabbits] Effekt von meiner Hand auszulösen, als du den Effekt deines Monsters aktivieren wolltest! Indem ich die hübsche Dame abwerfe, wird der Effekt gestoppt und die Karte, die ihren Effekt aktivieren wollte, zerstört! Booyah!“ Ein unsichtbarer Wind wehte Ophions Asche fort. Matt knirschte mit den Zähnen, griff drei der vier verbliebenen Karten in seinen Blatt und spielte sie nacheinander verdeckt aus. Mit jenen drei Karten vor seinen Füßen liegend, maulte er: „Zug beendet!“   „Keine Zeit zu verlieren! Draw!“, gluckste der Trickster vergnügt und zog. Kurz darauf legte er ein Monster auf seine Duel Disk. „Komm zu Papa, Aleister!“ Schon war vor ihm der Beschwörer mit der weißen Kapuze erschienen, der aus seinem Buch vorlas.   Aleister The Invoker [ATK/1000 DEF/1800 (4)]   „Und wird er gerufen, gibt er mir [Invocation] von meinem Deck auf die Hand!“ Matt schnalzte mit der Zunge, hatte er doch eigentlich mit Ophions Präsenz verhindern wollen, dass Monster der Stufe 5 oder höher als Spezialbeschwörung beschworen werden. Sein Gegner schien denselben Gedanken zu haben. „Netter Versuch, Cowboy, ich weiß was du vorhattest. Deswegen habe ich ja Caliga als Köder gelegt!“ „Es hat dich viel gekostet, nur um Ophion loszuwerden!“ „Aber es war die Mühen wert! Sieh her, ich aktiviere [Invocation]! Und diesmal verschmelze ich Aleister mit dem LICHT-Monster [Ghost Ogre & Snow Rabbit] von meinem Friedhof!“ Der Hexer stieg in die Höhe, wobei sich am Boden ein Runenzirkel bildete, der den Mann einholte und in einen silbernen Ritter transformierte, der ein mächtiges Schwert führte. Gleichzeitig rief der Trickster: „Öffne das Tor zum Himmel! Fusion Summon! Kämpfe, [Invoked Mechaba]!“ Ein Brüllen erschütterte Matts Elysion und keinen Moment später stand der Krieger auf einem Streitwagen, der von einer merkwürdigen, weißen Kreatur gezogen wurde, die auf ihren Händen lief und deren Unterleib in besagtes Kriegsfahrzeug überging. Auch sie steckte in einer Rüstung, wirkte gleichzeitig edel und dämonisch.   Invoked Mechaba [ATK/2500 DEF/2100 (9)]   Matt runzelte die Stirn. „Na toll, das Taxi der Engel …“ „Oh? Hat da jemand seine Hausaufgaben gemacht?“ Sein Widersacher kicherte böse. „Du wirst doch nicht als nächstes sogar die Texte meiner Karten durchlesen, oder?“ Der Dämonenjäger hatte längst den Arm angehoben und eine Taste an seinem D-Pad betätigt, woraufhin vor ihm ein vergrößertes Hologramm der Fusionsmonsterkarte erschien. „Schon dab-!“ „Zu spät! Direkter Angriff auf seine Lebenspunkte! Muahahahaha!“ Brüllend setzte sich das Biest mit seinem Streiter in Bewegung. Matt schreckte zurück, schwang den D-Pad-Arm zur Seite aus, woraufhin das Hologramm verschwand. Er sah nur noch, wie der Streitwagen auf ihn zuraste. „Falle! [Defense Draw]! Sie negiert den Schaden und lässt-!“ „Falsch! Kontereffekt von [Invoked Mechaba]!“ Der Trickster zeigte eine Fallenkarte vor, die Matt nicht genau erkennen konnte. „Indem ich dieselbe Kartenart abwerfe, die du gerade nutzt, kann ich den Effekt negieren und die Karte zerstören! Pech gehabt!“ „Was!?“ Matt hatte keine Zeit, das Erfahrene zu verarbeiten. Gerade noch so konnte er die Arme schützend vor sich halten, ehe er von dem massiven Gefährt gerammt wurde. „Argh!“ Der Aufprall warf ihn weit zurück. Matt schlug auf dem Rücken auf und rutschte über das Elysion bis an dessen Rand, wo er stöhnend liegen blieb.   [Matt: 4000LP → 1500LP / Trickster: 4000LP]   Der junge Mann erhob sich keuchend, doch sein Feind gackerte förmlich. „Oh man, oh man, oh man! Das ist ja leichter als einem Kleinkind die Süßigkeiten wegzunehmen. Vielleicht nicht ganz so unterhaltsam, aber-“ „Halt den Mund! Ich bin noch nicht besiegt!“ „Oh?“, machte der Trickster langgezogen. „Ah! Ja! Das wollte ich dir auch noch sagen. Bleib am besten gleich liegen!“ „Was!?“ „Verdeckte Schnellzauberkarte, [The Book Of The Law]!“ Die Schattengestalt ließ die linke seiner beiden gesetzten Karten auffahren, auf dem das Buch Aleisters abgebildet war. „Damit opfere ich ein Invoked-Monster, um ein anderes von meinem Extradeck zu rufen! Und das wird sogar als Fusionsbeschwörung behandelt!“ [Invoked Mechaba], der sich im Zentrum des Elysions befand, löste sich in gleißenden Funken auf, die wild im Kreis zu wirbeln begannen. In ihrer Mitte tauchte das Buch auf, um das sich die Partikel sammelten und eine neue Kreatur bildeten. „Öffne den Pfad zur Gewitterebene! Fusion Summon! Zerstöre, [Invoked Raidjin]!“ In der Mitte des Mosaiks hatte sich ein neuer Ritter gebildet, auch in silberner Rüstung, doch jene leuchtete an Armen und Beinen, als wäre sie mechanischen Ursprungs. Auch trug dieser ein kurzes Cape. Von seiner rechten Schulterplatte ragte ein blau leuchtender Stab, der Elektrizität von sich gab.   Invoked Raidjin [ATK/2200 DEF/2400 (5)]   „Was zum-!?“, keuchte Matt erschrocken. „Neidisch, huh?“, triezte sein Widersacher ihn kindlich. „Nicht jeder hat so coole Monster wie ich! Aber du hast immerhin das Privileg, ihn persönlich kennenzulernen: Direkter Angriff!“ Raidjin streckte die Hand nach vorne aus, sammelte eine Sphäre elektrischer Energie an. Matt raffte sich auf und schwang den Arm aus, als der Mecharitter die Kugel auf ihn abfeuerte. „Hmpf! Eigentlich wollte ich mir das aufheben, aber es hilft nichts! Fallenkarte, [Trap Of Darkness]! Wenn meine Lebenspunkte unter 3000 liegen, kann ich 1000 zahlen, um eine Falle von meinem Friedhof zu aktivieren! [Defense Draw]!“ Kurz bevor die Blitzkugel ihn erreichte, prallte sie an einer unsichtbaren Barriere ab.   [Matt: 1500LP → 500LP / Trickster: 4000LP]   Matt zuckte zusammen. Ihm wurde kurz schwarz vor Augen, aber er fing sich und erklärte: „Wie eben schon erklärt, annulliere ich damit den Schaden und ziehe!“ Voller Inbrunst riss er eine Karte von seinem Deck. „Was soll's“, gab sich der Trickster gleichgültig, „das ist wie mit Hühnern. Auch wenn du ihnen den Kopf längst abgeschlagen hast, zucken sie manchmal trotzdem noch. Dein Zucken. Äh Zug.“   Der Schwarzhaarige schleppte sich langsam zu seiner Ausgangsposition zurück und zog nebenher eine weitere Karte, was ihn auf insgesamt drei brachte. Dabei warf er einen kurzen Blick auf sein D-Pad und anschließend seine Hand. Kaum hatte er seine Position eingenommen, knallte er ein Monster auf den schwarzen Apparat. „Ich rufe dich, [Evilswarm Kerykeion]!“ Über ihm materialisierte sich eine schwarze, engelhafte Gestalt, deren Schwingen ganz aus Eis bestanden. In beiden Händen führte sie Waffen, rechts ein Zepter mit dem Wappen der Gishki – einem gezackten Spiegel mit Totenkopf darin – sowie links einen langen Schlangenstab. Evilswarm Kerykeion [ATK/1600 DEF/1550 (4)]   „Wirklich!?“, polterte der Trickster unvermittelt verärgert. „Hörst du mir wirklich nicht zu oder machst du das mit Absicht!?“ Er streckte seinen finsteren Arm aus. „Lies-die-verdammten-Kartentexte-deiner-Gegner! Dachtest du, ich kenne Kerykeion nicht? Als Strafe bekommt sie einen Blitzschlag! Ins Gesicht, Fothermucker!“ Raidjin hob seine Klinge in die Höhe und es geschah genau wie angekündigt. Aus der Endlosigkeit des Elysions schoss ein einsamer Blitz auf Kerykeion herab und brachte ihn zum Absturz. Verletzt am Boden liegend, verwandelte er sich in einen horizontal liegenden Kartenrücken.   Evilswarm Kerykeion [ATK/1600 DEF/1550 (4)]   „Ich spreche zwar kein Dumpfbäckisch, aber vielleicht verstehst du mich ja trotzdem: Einmal in jedem Zug kann [Invoked Raidjin] ein Monster auf dem Feld verdecken!“ Der Trickster pfiff verächtlich „Warum tue ich mir das doch gleich an?“ Ihm entging anscheinend Matts hoch zuckender Mundwinkel. „Keine Ahnung wie Tricksters ticken. Zug beendet.“   Das Wesen zog und schüttelte den Kopf. „Wer behauptet, dass ich ein Was-auch-immer bin?“ „Hm?“ Der ehemalige Dämonenjäger horchte auf. „Hast du nicht eine Sekunde darüber nachgedacht, -was- ich bin!? Was ich wirklich bin, Dumpfbacke!?“ Die humanoide Partikelansammlung streckte die Arme weit aus, ließ sie dann aber hängen und stöhnte. „Du bist hoffnungslos … Überraschung: Ich bin ein Immaterieller!“ Langsam weitete Matt die Augen. „Genauer gesagt -dein- Immaterieller. Oder so ähnlich, die Details müssen wir noch ausarbeiten.“ „Was soll das heißen!?“ „Dass du ein Idiot bist!“ Vor Wut äffte das Wesen etwas nach, das Matt von der Bedeutung her einst zu Alastair gesagt hatte. „'Die Dunkelheit von Urila steckt noch in mir, ich bin gefährlich, geht weg!' Nein, das bin größtenteils ich, ihr Abkömmling Thoras! Nett dich kennenzulernen – oder auch nicht!“ Den Kopf vor Verleugnung schüttelnd, wich der junge Mann zurück. „D-das kann nicht-!“ „Nun mach dir nicht gleich in die Hosen, Smartypants, ich bin nicht hier, um das Werk meiner Schöpferin zu vollenden. Im Gegenteil, ich wurde von ihr erschaffen, um genau das zu verhindern: Das Ende dieser Welt!“ Matt klappte langsam die Kinnlade hinunter. Thoras nahm vor seinen Augen eine stabilere Form an, die ganz klar einem Mann in einem zweigeteilten Cape glich. „Und zwar, indem ich denjenigen vernichte, mit dem du so schön zusammenarbeiten willst, Matt Summers: Den Collector!“   Die beiden Kerzen in ihren hohen, goldenen Ständern flackerten leise neben dem Altar hin. Auf diesem lag ein Mädchen mit schulterlangem, blondem Haar. Zerzaust war es von all den Strapazen, die sie durch Urila hatte ertragen müssen. Kaum mehr war sie als ein blutiger Klumpen Fleisch, bedeckt von rot gefärbten Kleidungsstücken. Ihr Kopf war weggedreht von Matt, Anya – beide in sehr lädiertem Zustand – und dem Sammler, die sich allesamt in dem kleinen, aus grauem Stein bestehenden Raum versammelt hatten. Jener glich in seiner Aufmachung einer Kapelle.   „Ich kann Tara nicht einfach … aus meinem Leben verbannen“, klagte Matt verzweifelt an den Sammler gewandt und packte ihn an den Schultern. Dies konnte unmöglich der Preis sein, den er verlangte, um Taras zerstörten Körper wiederherzustellen! Dieser riss sich angewidert los. „Genau dies hast du bereits einmal getan, als du wegen Mordes untergetaucht bist.“ „Aber das ist nicht dasselbe!“ Aufgebracht fuchtelte Matt mit den Armen. „Ich hab nie daran gedacht, für immer aus ihrem Leben zu treten!“ „Sorry, Summers, aber irgendwo hat er Recht“, mischte sich Anya ein, „du musst doch gewusst haben, dass dein altes Leben in dem Moment vorbei ist, in dem du deinen Vater ins Jenseits geschickt hast. Jetzt tu nicht so, als wäre das so überraschend.“ Matt schwang wütend den Arm aus. „Du hast keine Ahnung, Anya! Schon gar nicht, weil für mich immer Hoffnung bestand, in mein altes Leben zurückzukehren! -Ich- habe meinen Vater nicht ermordet, sondern meine Schwester! Wenn -sie- irgendwann ihre Tat gesteht, werde ich frei sein!“ „Das ist ja ein tolles 'Wenn'“, fauchte Anya ebenso hitzig zurück, „wie blöd bist du eigentlich!?“   „Ich unterbreche euren Streit nur ungern, aber ich bin noch nicht fertig. Es gibt noch einen Preis, den du zu zahlen hast, damit alles miteinander verbunden ist“, schritt der Sammler dazwischen und beugte sich mit seinem Satz an Matts linkes Ohr. Seine Worte ließen das Blut in Matts Adern gefrieren, so eisig waren sie. „Du wirst Anya Bauer bei ihrer nächsten Mission helfen, was auch immer komme. Kein Opfer wird groß genug sein, um ihren Erfolg und ihre Sicherheit zu gewährleisten.“ Als der Sammler sich wieder zurück bewegte, sagte er: „Triff deine Wahl gut, denn dir bleibt nicht mehr viel Zeit für eine Entscheidung.“   „Warum ich!?“, begehrte Matt auf, wobei ihm die Stimme versagte. „Ich bin doch … der Falsche … für so etwas!“ Der Sammler erwiderte: „Ich verstehe … dann soll es so sein.“   Er wusste, welche Wahl Matt treffen würde. Als ob man überhaupt von einer Wahl reden konnte … „Die Prozedur wird einige Zeit beanspruchen. Ich bitte euch außerdem, den Raum zu verlassen, bis ich fertig bin“, wies der Sammler die beiden an, als er sich umdrehte. Anya stand inzwischen an die Wand gelehnt und atmete erleichtert durch. „Summers, du hast das Richtige getan, schätz' ich. Ist doch besser, als wenn sie ihr Leben lang als Krüppel vor sich dahinsiecht.“ „Du!“ Matt wirbelte mit weit aufgerissenen Augen um die eigene Achse, holte mit der Faust aus und pfefferte sie Anya derart ins Gesicht, dass sie an der Wand entlang rutschte und zu Boden fiel. „Was ist so besonders an ihr!?“, fauchte Matt mit Blick über der Schulter den Sammler an. „Wieso soll ich so einer wie ihr helfen!? Was hast du vor!?“ Doch der rothaarige Brite mit der Narbe an der Wange schwieg. Anya, die auf der Seite lag, rieb sich perplex die ihre, ehe sie langsam zu Sinnen kam. „Summers … hast du Todessehnsucht oder was!?“ „Sei still!“, fuhr Matt sie jedoch schrill an. „Fuck you! Das kriegst du-“ „Genug!“, gebot der Collector-Dämon ihnen jedoch mit autoritärer Stimme Einhalt. „Matt Summers, wenn du unbedingt deine Neugier befriedigen willst, sage ich dir, wofür ich Anya Bauer benötigte.“ Die lädierte Blonde horchte auf. „Huh!? Was war das?“ „Sie wird für mich sieben Artefakte sammeln. Sie und niemand anderes“, sprach er mit absoluter Gewissheit. „Dafür werde ich ihr ein Zeitlimit setzen, weshalb sie schon bald deine Hilfe in Anspruch nehmen wird. Natürlich lasse ich -sie- diese Unterhaltung im Anschluss vergessen.“ „W-warte mal!“, stammelte das Mädchen und versuchte sich mit ihrem gesunden Arm an der Wand eher mit mäßigem Erfolg hochzuziehen. „I-ich soll-!?“ Matt hörte gebannt zu. „Wozu?“ „Um ein Ende einzuläuten. Und ein anderes zu verhindern“, lautete die düstere Erklärung dazu und er funkelte Matt dabei an. „Das ist seither mein, Strife Carringtons, Wunsch.“   An mehr konnte Matt sich aus dieser Nacht nicht mehr erinnern, vermutlich hatte der Sammler danach auch seine Erinnerungen gelöscht. Aber was hatte der damals mit seinen kryptischen Worten gemeint? Das Ende der Welt? Oder etwas anderes und wenn ja, welches Ende wollte er verhindern? Es ergab alles keinen Sinn! Bisher hatte Anya sich nur via E-Mail ab und zu bei ihm gemeldet, aber nie um Hilfe gebeten …   „Ich war damals ebenfalls anwesend, entgegen der Annahme des Sammlers, ich sei mit Urilas Tod verschwunden“, sprach Thoras eindringlich, „was immer er vor hat, es kann nichts Gutes sein! Du musst das verhindern! Mit mir zusammen!“ „Ich glaube dir nicht!“, presste Matt wütend hervor. „Kein Wort!“ „Es ist die Wahrheit! Seit diesem Tag habe ich mich in dir verborgen, um seinen Augen zu entgehen! Jetzt ist die Zeit reif, dir alles zu erzählen was ich weiß. Wir müssen ihn aufhalten!“ Matt aber schüttelte den Kopf. „Ich-“ „Hör gefälligst zu und unterbrich mich nicht!“ Thoras schwang den Arm aus. „Natürlich kannst du einem Abkömmling der Immateriellen, die die Welt ins Chaos stürzen wollte, nicht vertrauen. Ihr Wahnsinn war, auf einer Skala von eins bis zehn gemessen, irgendwo über neuntausend! Deshalb hat sie in einem Moment der Klarheit mich erschaffen, einen unbefleckten Abkömmling, um sie zu stoppen! Oder dachtest du nur für eine Sekunde, -du- hättest dich damals unter Kontrolle gehabt, als du ihr mit Anya Bauer entgegen getreten bist?“ Immer mehr entgleisten Matts Züge. Thoras setzte nach: „Fehlanzeige, Muchacho, das war -ich-, der gegen ihren Einfluss angekämpft hat!“ „Lügen …!“ „Dann sag mir, ob du eher auf das Wort eines Mannes vertraust, der deine liebe Freundin Tara Hartwell erst nach Livington gebracht hat?“ Thoras ließ den Arm sinken. „Schließlich brauchte er etwas, um dich für das Kommende zur Kooperation zu zwingen.“ „Was … was soll das heißen? Verdammt, ich will das nicht hören!“ Thoras wollte wieder zu etwas ansetzen, atmete dann aber leise aus. „Fein. Du lässt mir gar keine andere Wahl. Wir haben uns unterhalten – das war der Preis, sollte ich das Duell gewinnen. Nun, da dies aber schon geschehen ist, muss es eine neue Abmachung geben.“ Erschrocken horchte Matt auf und ließ die Hände von den Ohren sinken. „Wenn du dieses Duell verlierst, wirst du einen ewigen Pakt mit mir schließen, Matt Summers! Gewinnst du, verschwinde ich aus deinem Leben!“ Aber der Dämonenjäger lachte bitterböse. „Ach ja? Ihr Immateriellen könnt die Leute doch sowieso in Pakte zwingen, genau wie es Another schon mit mir getan hat. Wieso überhaupt duellieren?“ „Ich bin fair. Fairer, als du es momentan verdient hättest mit deinem kindischen Gehabe!“ „Sagt der Klassenclown …“ Matt begann zu grinsen. „Aber da ich dich immer noch loswerden will, können wir das Duell gerne fortsetzen!“   „Selbstverständlich“, entgegnete Thoras angespannt und nahm eine Karte aus seinem Blatt. „Ich beschwöre [Aleister The Invoker] und erhalte dadurch [Invocation] von meinem Deck!“ Abermals erschien vor ihm der blauhaarige Hexer in weiß-grüner Kutte, der aus seinem Buch vorlas, während sein Besitzer die Zauberkarte vorzeigte.   Aleister The Invoker [ATK/1000 DEF/1800 (4)] „Immer wieder dieselbe Nummer? Was würdest du bloß ohne ihn tun?“, fragte Matt provokativ. Er gab sich alle Mühe, nicht über das Gehörte nachzudenken. Auch wenn er dem Sammler misstraute, konnte er einem Immateriellen noch viel weniger Glauben schenken! „Einen anderen Weg finden! Und wenn wir gerade davon reden, hier etwas Neues! Die Zauberkarte [Double Summon]! Sie ermöglicht mir eine zweite Normalbeschwörung, die ich für [Homunculus The Alchemic Being] verwende!“ Neben dem jungen Magier manifestierte sich ein Mann, der nur eine kurze Hose trug. Seine Haut war an manchen Stellen knallrot, an anderen schwarz und die Augen mit einer Binde bedeckt. Homunculus The Alchemic Being [ATK/1800 DEF/1600 (4)]   „Der künstliche Mensch hat einen besonderen Effekt, den ich sofort nutzen werde!“, erklärte Thoras weiter und streckte den Arm aus. „Attributswechsel! Aus Licht mache Wasser!“ Schon stieß der Homunkulus einen entsetzlichen Schrei aus, bei dem sich seine komplette Körperfarbe in ein tiefes Blau wandelte.   Indes bemerkte Matt, dass sich Thoras seit seinen Enthüllungen wesentlich reifer benahm als vorher. Nicht, dass ihn das groß wunderte. Immaterielle schienen allesamt so etwas wie Selbstdarsteller zu sein, aber wenn es um ihre Aufgabe ging, war auf einmal nicht gut Kirschen essen mit ihnen.   „Und da mein Homunkulus nun das passende Element besitzt, aktiviere ich [Invocation]!“ Aleister begann aus seinen Buch laut vorzulesen. Kreischend zerplatzte sein Versuchsobjekt wie eine Wasserblase, deren zahlreiche Spritzer sich um den Alchemisten zu drehen begannen. Sie umschlossen ihn, während Thoras rief: „Öffne den Zugang zur Unterwelt! Fusion Summon! Ertränke, [Invoked Cocytus]!“ Matt konnte es nicht genau erkennen, aber glaubte zu sehen, wie Aleister das Wasser nach und nach absorbierte und sich in einen ziemlich großen Drachen verwandelte. Und er hatte Recht, als sämtliches Wasser mit einem Mal verschwunden war. Schützend stand das silberne Biest vor Thoras und neben den Donnerkrieger. Blaue Wasservenen zogen sich durch die Ritzen zwischen seinen Schuppen, auch in den Schwingen. Alle Adern flossen zu einem Kern in seiner Brust zusammen.   Invoked Cocytus [ATK/1800 DEF/2900 (6)]   „Verteidigungsmodus, huh?“ Matt fasste sich ans Kinn. „Das kommt … unerwartet.“ „An diesem Punkt spare ich mir weitere Kommentare zu den Dingen, die du tun solltest.“ Schwang da etwa eine Spur von Trotz in der Stimme des Immateriellen mit? Jener schnippte mit der Hand. „Vernichte sein Monster, [Invoked Raidjin]!“ Sein Schwert in die Höhe hebend, beschwor dieser einen Blitz herbei, der in die Klinge einschlug, aber dann nicht etwa verschwand, sondern unentwegt flackerte und Matt blendete. Der sah zwar weg, aber mit einem Grinsen. „Damit hast du meine Falle ausgelöst.“ Die letzte, die noch zu seinen Füßen lag und aufsprang. „[Wall Of Disruption]! Bei einem Angriff verliert jedes deiner Monster im Angriffsmodus 800 Angriffspunkte mal der Anzahl an Monstern, die du kontrollierst! Das wäre ein Malus von 1600 für Raidjin!“ Aus der aufrecht stehenden Falle schoss eine Schockwelle, die die Kacheln des Mosaiks hinter sich her riss. Thoras aber schüttelte nur den Kopf. „Wäre ist korrekt ausgedrückt. Ich sagte bereits, dass Raidjin einmal pro Zug ein Monster verdecken kann.“ Jener, welcher immer noch den Blitz kontrollierte, schleuderte ihn nach oben, nur damit der direkt wieder in ihm einschlug. Danach war er nichts weiter als ein horizontal liegender Kartenrücken.   Invoked Raidjin [ATK/2200 DEF/2400 (5)]   „[Wall Of Disruption] schwächt lediglich Monster in Angriffsposition. Du hast ihren Effekt vergeudet“, erklärte Thoras, als die Falle von Matts Feld verschwand. Der, immer noch abgewandt, grinste jedoch. Davon war aber nichts mehr zu sehen, als er sich wieder zu dem Immateriellen drehte. „Kann ja keiner ahnen, dass du ein Monster im Verteidigungsmodus rufst.“ „Du wirst jetzt erfahren warum. Cocytus kann aus der Verteidigung heraus angreifen! Los!“ „Verdammt!“ Der silberne Drache schoss aus seinem Brustkorb einen heftigen Wasserstrahl auf Matts gesetzten Kerykeion ab, welcher aus seiner Karte empor stieg und von dem Strom fortgerissen wurde. „[Invoked Cocytus] ist vielleicht das vielseitigste Monster meines Decks. Es kann-“ „Danke. Ich lese mir den Effekt gleich durch“, murrte Matt dazwischen und sah kurz auf sein D-Pad. Im Anschluss entlockte ihm das ein leises Pfeifen. „Wow. Kann nicht mit Effekten zerstört, geschweige denn angezielt werden, kann selbst im Verteidigungsmodus angreifen und hat dazu noch so hohe Werte. Nicht schlecht.“ Die Schattengestalt Thoras nickte. Dann griff er nach der Duel Disk, die eins mit seinem schwarzen Arm war. „Ich mische [Invocation] von meinem Friedhof ins Deck, um [Aleister The Invoker] zurück auf mein Blatt zu nehmen. Zug beendet!“   Perfekt, dachte sich Matt, wie er seinen Gegner betrachtete, der nur noch diese eine Karte auf der Hand hielt. „Draw!“ Er betrachtete seine eigenen drei Karten, konnte sich jedoch nicht wirklich darauf konzentrieren.   „Was du über den Sammler sagtest, was meintest du da? Wieso ist er eine Gefahr, die die Welt bedroht?“, fragte Matt schließlich, obwohl es ihm eigentlich widerstrebte. „Ich … weiß es nicht. Es ist nur eine vorgeschriebene Emotion meiner Schöpferin.“ Thoras sah zur Seite. „Um zu verhindern, dass ihr Wahnsinn auf mich übergeht, musste sie sämtliche ihrer eigenen Erinnerungen von mir fernhalten. Stattdessen hat sie sie niedergeschrieben – im Turm von Neo Babylon.“ Der Dämonenjäger horchte auf. „Hm?“ „Ganz recht!“ Thoras wandte sich ihm zu. „Wir müssen dorthin zurück und ihre Erinnerungen finden. Sie werden uns Auskunft über die Absichten des Sammlers geben, dessen bin ich mir sicher.“ Matt aber lachte hysterisch. „Sicher. Du willst, dass ich mit den Erinnerungen dieses Monsters in Kontakt komme. Wow, für eine Sekunde hätte ich dir fast geglaubt!“ Aber davon ließ der Immaterielle sich nicht beeindrucken. „Nah, hör auf zu lügen. Urila wurde im Turm eingesperrt, weil er das sicherste Gefängnis darstellte und daher mit dem euch bekannten 400-Jahre-Zyklus versehen. Sie hatte viel Zeit, in lichten Momenten ihr Wissen dort gesammelt festzuhalten. Aus einer Zeit, bevor der -wahre Feind- sie berührt hat.“ „Und du denkst, eingesperrt in einem Turm, der selbst für den Sammler unerreichbar war, wird er sie über all seine Pläne informiert haben?“ Matt fasste sich an die Stirn. „Ha ha, das wird ja immer besser.“ „Was, wenn der Sammler es war, der sie korrumpiert hat?“, fragte Thoras düster. Matt ließ die Hand über die Wange fahren und verstummte. „Ich weiß nicht, was sie über ihn herausgefunden hat. Aber ich will es erfahren, unbedingt. Nein, ich muss, denn für diese Aufgabe wurde ich erschaffen! Und wenn du mir dabei nicht hilfst, muss ich dich dazu zwingen, denn ohne dich geht es nicht, Matthew Summers!“   „Sei dir sicher, dass ich mich nie wieder einem Immateriellen unterwerfen werde“, hielt Matt dagegen und zückte eine Zauberkarte. „Ich aktiviere [Monster Reincarnation]! Indem ich eine Handkarte abwerfe, erhalte ich vom Friedhof eines meiner Monster zurück auf die Hand.“ Er entledigte sich des Monsters [Evilswarm Ketos], zog [Evilswarm Kerykeion] aus dem Ablagestapel und zeigte jenen vor. „Und ich beschwöre ihn auch gleich! Erscheine, Kerykeion!“ Über ihm tauchte die schwarze, engelhafte Gestalt mit den Eisflügeln auf, welche zwei verschiedene Stäbe mit sich führte.   Evilswarm Kerykeion [ATK/1600 DEF/1550 (4)]   „Heh“, grinste Matt plötzlich, „da du Raidjin mit seinem eigenen Effekt verdeckt hast, kannst du diesen jetzt nicht wieder nutzen, um mein Spiel zu behindern.“ Thoras gab ein nachdenkliches Geräusch von sich. Dann nickte er. „Vielleicht ist bei dir ja doch nicht Hopfen und Malz verloren. Du hast alles von Anfang an so geplant, seit Raidjin das Feld betreten hat, nicht wahr?“ Der schwarzhaarige Dämonenjäger grinste böse. „Du hast praktisch alles für mich vorbereitet.“ Dann nahm er aus seinem Blatt die einzig verbliebene Karte. „Solang ich einen Schwärmer mit mindestens 1500 Angriffspunkten kontrolliere, kann ich ihn von meiner Hand spezialbeschwören: [Evilswarm Dullahan]!“ Unter Kerykeion entstand finsterer Nebel und setzte eine kopf- und beinlose Kreatur zusammen, die aus grauem Metall mit schwarzen Streifen gemacht war. Zwei gewaltige, goldene Arme machten das Wesen regelrecht furchteinflößend. Evilswarm Dullahan [ATK/1150 DEF/1550 (4)]   „Und jetzt der Effekt von [Evilswarm Kerykeion]! Ich kann einen Schwärmer aus meinem Friedhof verbannen, um einen anderen von dort zu erhalten. Und er kann im selben Zug zusätzlich normalbeschworen werden!“ Matt steckte die Karte von [Evilswarm Ketos] in die Hosentasche und knallte das dritte Monster auf sein D-Pad. „Zeig dich, [Evilswarm O'lantern]!“ Neben dem kopflosen Roboter tauchte der violett-schwarze Magmahüne auf.   Evilswarm O'lantern [ATK/1650 DEF/1250 (4)]   „Ich sagte dir bereits, dass [Invoked Cocytus] nicht durch Karteneffekte wie dem von [Evilswarm O'lantern] zerstört werden kann“, raunte Thoras grimmig. „Es ist die perfekte Barriere!“ Aber Matt wackelte mit dem Zeigefinger. „Das hab ich nicht vergessen. Um ehrlich zu sein, werde ich erstmal die Finger von diesem Ding lassen. Mir schwebt momentan etwas anderes vor.“ Er streckte die Hand nach vorne aus. „Ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinen drei Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Schwärmer!“ Vor ihm öffnete sich ein Schwarzes Loch. Seine Monster verwandelten sich in violette Lichtstrahlen, die nacheinander in jenes hineingezogen wurden. In dem Moment zog es heftig in Matts Brust, so sehr, dass er sie sich halten musste und keuchte. Trotzdem sah er auf. „Xyz-Summon! Erscheine, oh Speerspitze der Dreiheit!“ Tiefes Gebrüll mehrerer Bestien drang aus dem Überlagerungsnetzwerk. Erst ein maskierter Drachenkopf, dann zwei und schließlich ein dritter traten aus dem Wirbel hervor. Lange Hälse verbanden sie mit dem Körper, das schwarze Ungetüm spreizte seine Schwingen, die von hellem Eis durchzogen waren. Um jedes der Häupter kreiste eine Lichtsphäre, als der dreiköpfige Drache über Matt Position bezog.   Evilswarm Ouroboros [ATK/2750 DEF/1950 {4} OLU: 3] Kaum war Ouroboros aus dem Wirbel empor gestiegen, streckte Matt, um den sich eine dünne, schwarze Aura bildete, in seiner gebeugten Haltung die andere Hand aus. „Effekt von Ouroboros! Jeder Kopf besitzt einen anderen und nur einen kann ich pro Zug aktivieren!“ „Oh, Sillybilly, damit kannst du [Invoked Cocytus] nicht loswerden!“, trötete Thoras belustigt. Matt lachte bitterböse und richtete sich auf, ließ seine schmerzende Brust los. „Hörst du nicht zu? Wer sagt, dass der überhaupt das Ziel ist?“ Die schwarze Gestalt auf der anderen Seite des Elysions atmete fast erleichtert auf. „Nicht?“ „Nein. Es ist etwas ganz anderes! Mit dem Effekt des linken Kopfes zwinge ich dich dazu, eine Handkarte abzuwerfen! Deine einzige, [Aleister The Invoker]! Infestation's Rejection!“ Der Immaterielle gab einen um mehrere Oktaven höheren Schrei als üblich von sich und wackelte mit seinem Körper hin und her, als besagter Drachenkopf eine pechschwarze Wolke ausspie. Jene umhüllte Thoras und zerfetzte die Karte in seiner Hand. Empört rief er: „Du Unmensch!“ „Danke“, grinste Matt bösartig zurück und streckte den Arm aus, „und das war nicht alles! Da dein Raidjin sich selbst verdeckt hat, kann er seinen Effekt nicht mehr nutzen! Angriff auf ihn, [Evilswarm Ouroboros]!“ Diesmal spien alle drei Köpfe zusammen schwarze Flammen aus winzigen Partikeln, die auf die gesetzte Karte neben Cocytus gerichtet waren. Auf ihrem Weg verschmolzen sie zu einer großen, die den auftauchenden Raidjin regelrecht zersetzte. „Ok, Auszeit!“, verlangte Thoras und bildete mit seinen Händen ein T. „Du hast das alles geplant, stimmt's? Die Falle war nicht deine Falle, sondern meine Reaktion darauf.“ Der Schwarzhaarige nickte. „Ja.“ „Und ich dachte, dein IQ läge unter Zimmertemperatur! Yay!“ Was Matt völlig aus seiner düsteren, rachsüchtigen Rolle warf. „W-was? I-ich bin nicht Anya Bauer!“ „Du meinst die freche Blonde, die du knutschen willst?“ „… ich werde dich umbringen“, murmelte Matt heiser. „Langsam und qualvoll.“ Thoras wirbelte zur Seite und schlug sich provokativ aufs Hinterteil. „Komm doch!“ „Heh. Werde ich, früher als dir lieb ist. Cocytus kann dich beschützen, aber mehr auch nicht.“ Missmutig brummte er gezwungenermaßen, aufgrund mangelnder Ressourcen: „Zug beendet!“   Thoras drehte sich wieder zu ihm um und griff nach seinem Deck. „Was jetzt kommt, dürfte dir wohl bekannt sein!“ Das Deck des Immateriellen begann golden zu leuchten. Tatsächlich spürte Matt es sofort. Ein starkes Ziehen in seiner Brust, als würde jemand seine Seele herauszerren wollen. Mit mächtigem Schwung riss die Schattengestalt im Umhang eine Karte von seinem Deck und zog dabei eine goldene Schliere hinter sich her. „D-du hast-!“, keuchte der Ex-Dämonenjäger erschrocken. „Dem Schicksal einen neuen Pfad hinzugefügt. Das verursacht den Involvierten Schmerzen. Sorry! Aber wenn du diese Hürde nicht überwinden kannst, beweist das nur, dass du meine Unterstützung umso mehr benötigst.“ Matt widersprach: „Überschätz' diese Fähigkeit nicht. Ich habe schon Schlimmeres überstanden!“ „Finden wir es heraus“, hielt der Immaterielle frech dagegen und drehte die gezogene Karte zwischen seinen Fingern um, „sag hallo zu [Invocation]!“ „Ohne den Beschwörer!?“ „Und wieder stellst du dein Unvermögen unter Beweis, einfach nur zuzuhören. [Invocation] lässt mich die nötigen Materialien auch vom Friedhof entfernen“, erklärte Thoras trotzig. Dabei schloss sich ein Runenzirkel um seinen Silberdrachen. „Allerdings benötige ich diesmal andere Materialien als Big Al. Ein Monster, das als Spezialbeschwörung vom Extradeck beschworen wurde.“ Der Kreis um [Invoked Cocytus] weitete sich aus. Der Körper des Ungetüms begann sich aufzulösen. Ein zweiter bildete sich auf dem Mosaik, unter Cocytus. „Das zweite Material ist ein Invoked-Fusionsmonster, welches ich hierbei vom Friedhof verbanne.“ Der Schwarzhaarige stöhne genervt, nicht zuletzt ob des Seitenhiebes. In hellblauem Licht stieg der Geist von [Invoked Raidjin] aus dem zweiten Kreis empor und schob sich in die Reste von Cocytus, wodurch ein grelles Licht freigegeben wurde. Matt wandte sich geblendet ab. Thoras rief erwartungsvoll: „Öffne die Pforte in die Anderswelt! Erlöse, [Invoked Elysium]!“ Ein Rascheln durchdrang Matts Elysion, es klang wie Blätter im Wind. Der Schwarzhaarige senkte den erhobenen Arm und sah über diesen hinweg. „W-was …?“ Was er erblickte war eine riesige Kreatur, sofern man -es- überhaupt so nennen konnte. Durch eine Art Stamm oder eher die Wirbelsäule eines Lebewesens erhob sich das seltsame Gebilde hinter Thoras und überragte ihn um mehrere Meter. An seiner Spitze spannte sich ein gezackter Bogen, von dem eine durchsichtige Hautschicht sich wie ein Segel ausweitete. Und in der Mitte, am Ende des Stamms, ragte eine Blase, in der sich ein einzelner Laubbaum befand.   Invoked Elysium [ATK/3200 DEF/4000 (10)]   „Was zur Hölle ist das?“, entfleuchte es Matt erschüttert. Er sah Thoras mit einer Schweißperle auf der Stirn an. „Nicht schlecht für einen Immateriellen, der mehr durch sein Gerede als seine Duellfertigkeiten auffällt.“ Die Schattengestalt fasste sich getroffen ans Herz. „Wie bösartig! Du versuchst, unsere Rollen zu vertauschen, du abgebrühtes Luder! Aber nicht mit mir! Denn -das- da oben ist für dich vor allem eins: Eine böse Überraschung!“ Das war es schon so, dachte Matt und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Nur knapp würde er einen Angriff von diesem Ding überstehen. Er ballte eine Faust. Aber wenn Thoras glaubte, damit hätte sich der Fall Ouroboros erledigt, irrte er sich gewaltig. Dafür würde [Evilswarm Dullahan] als Xyz-Material seines Drachen schon sorgen. Noch dazu würde der im nächsten Zug mit dem Effekt des mittleren Kopfes [Invoked Elysium] entsorgen und ihm den Sieg sichern! „Aha!“, machte Thoras da und kicherte heimtückisch. „Was!?“, fauchte Matt zurück. „Ich weiß, was du gerade machst! Du legst dir einen Plan zurecht, wie du mir im nächsten Zug zuvor kommen kannst.“ Die Schattengestalt im Umhang hielt die Hand vor den nicht existierenden Mund und lachte gespielt hochmütig. „Ha ha ha! Aber lass dir eins gesagt sein: Jeder, der das macht, erlebt am Ende genau das Gegenteil!“ Er streckte die Hand aus. „Lerne vom großen Thoras, du Amateur! Ich aktiviere den Effekt von [Invoked Elysium]! Der entfernt ein Monster von meinem Friedhof und all deine Monster, die dasselbe Attribut haben wie das Monster, das ich verbannt habe!“ Der Immaterielle griff nach seinem Deck und präsentierte stolz: „[Invoked Caliga]! FINSTERNIS!“ „Nicht dein Ernst!“ Matt keuchte erschrocken beim Anblick des am Anfang des Duells gespielten Fusionsmonsters. „Do-hoch! Aber natürlich kannst du deinen großen, bösen Drachen mit dem Effekt von [Evilswarm Dullahan] reanimieren. Oh!“ Thoras gluckste. „Das heißt, du könntest, wenn Ouroboros auf dem Friedhof landen würde. Aber das tut er ja nicht. Badass Elysium 1, Matthew Summers 0!“ Voller Schrecken verfolgte Matt mit, wie der Baum im Inneren der Blase des Gebildes zu leuchten begann. Gleichzeitig durchzog eine Lichtwelle in regelmäßigen Abständen das Membransegel des Dings, als wolle es ein Signal erzeugen. Immer schneller wurde es dabei. Der Schwarzhaarige ballte eine Faust. „Wirklich!?“ „Keine Sorge, Matthew Summers, wir werden bestimmt allerbeste Freunde werden“, flötete Thoras. Doch die Worte entfachten nur Matts Zorn. „Nie im Leben! Und wenn ich mich in die tiefsten Abgründe der Finsternis stürzen muss, um das zu verhindern!“ „Wie heißt es so schön? Manchmal muss man erst ganz unten landen, damit es bergauf gehen kann“, erwiderte sein Widersacher kryptisch. Eine schwarze Aura breitete sich unvermittelt um Matt aus. „Yeah …“ Immer mehr Licht sammelte sich in der Blase Elysiums. Der ehemalige Dämonenjäger atmete tief durch. In dem Moment löste sich ein Lichtstrahl vom Baum im Inneren, schoss schräg herab auf den dreiköpfigen Drachen. „Yeah!“ Matt blickte der Attacke kämpferisch entgegen, die schwarze Aura um ihn explodierte förmlich. Dann schwang er den Arm aus. „Aus meinem Rang 4-Schwärmer wird die erste Saat geboren. Rank Up-Incarnation!“ Unterhalb des dreiköpfigen Drachen öffnete sich ein Schwarzes Loch und zog jenen trotz heftigen, lautstarken Protests in sich hinein. Matt grinste bitterböse, während sich die Aura um ihn immer mehr ausweitete. Der Sog seinerseits wurde regelrecht von Innen zerschmettert, das Elysion begann stärker und stärker zu vibrieren. „Dominiere, [Primalswarm Yggdrasil]! Inkarnationseffekt: Chain Annihilator!“ Noch gar nicht richtig erschienen, kehrte Matts Kreatur die Umgebung in negative Farben um. Der Lichtstrahl von [Invoked Elysium] stoppte kurz vor dem Einschlag, als wäre die Zeit eingefroren. In Matts rechtem Auge leuchtete in Rot eine geschwungene Fünf, die unterstrichen war. „Oops!“, entfleuchte es Thoras noch trocken, kurz bevor eine Schockwelle sein Monster auseinander riss. „Chain Annihilator setzt sofort bei der Beschwörung Yggdrasils ein und annulliert wie zerstört alle anderen Teile der Kette“, erklärte Matt seelenruhig, als sich jener ganz langsam vor ihm erhob, „ in die er hineinbeschworen wurde.“ Wie ein Turm entfaltete sich der mächtigste Schwärmer vor dem Schwarzhaarigen. Der Unterleib bestand aus neun Drachenköpfen an langen Hälsen, die wie Wurzeln von Yggdrasil herab hingen und, je höher der Blick wanderte, umeinander geschlungen waren. Ab der Hüfte begann nur noch ein schwarzer Torso einer humanoid wirkenden Kreatur, ausdruckslos, da sämtliche Merkmale eines Gesichts fehlten. Sie hatte Arme und an diversen Stellen zogen sich dünne Fäden in alle Himmelsrichtungen und verschwanden im Nichts. Die Haut der Kreatur schien in Bewegung zu sein, da sie an einigen Stellen manchmal unter der schwarzen Schicht violett hervor schimmerte.   Primalswarm Yggdrasil [ATK/3050 DEF/1650 {12} OLU: 3]   Thoras schüttelte seinen Kopf. „Dummkopf. Ist dir klar, dass du gerade wie ein Wecker aussiehst?“ „W-was?“ „In deinem Auge leuchtet eine Zahl!“ Der Immaterielle seufzte und zuckte mit den Schultern. „Du beschwörst Urilas Geheimwaffe zum ersten Mal. Oh Junge, typisch …“ Was sollte diese Aussage? Ja, es stimmte. Damals, im Kampf gegen dieses Miststück, hatte Matt sich mit der Beschwörung dieser Kreatur zurückgehalten. Denn wenn Ouroboros schon so eine starke Wirkung auf ihn hatte, hätte Urila ihn mit dieser Kreatur gewiss übernehmen können. „Hör mal, ich sag's ja nicht gern, aber du hast die Gebrauchsanleitung nicht gelesen?“, begann Thoras vorsichtig zu erklären. Er deutete auf Yggdrasil. „Das Ding da ist eindeutig zu viel für dich. Je öfter du es benutzt, desto mehr wird es dich zerstören. Genau wie Urila den Körper deiner Freundin durch ihre reine Anwesenheit zersetzt hat.“ „W-was!?“ Thoras nickte und zeigte seine Hand mit gespreizten Fingern, die er nach und nach beim Erklären runterzählte. „Wenn die Zahl in deinem Glubscher auf 0 fällt, heißt's bye bye schnöde Welt. Also überlege dir in Zukunft gut, ob du dein Leben wegschmeißen willst.“ „Ich brauche deine Ratschläge nicht!“, fauchte Matt zornig zurück, schloss aber das Auge, welches brannte und legte die Hand darauf. War das wieder so ein Trick? Ein weiteres Seufzen verließ derweil die Kehle seines Widersachers. „Wieso geb' ich mich überhaupt mit dir ab …? Du wirst es früher oder später selber merken.“ „Keiner zwingt dich! Wenn du nichts mehr tun kannst, beende deinen Zug!“, schnappte Matt zornig. „Nö! Ich aktiviere meine Falle [Omega Summon]!“ Jene klappte vor der Schattengestalt auf. Aus ihr schossen drei Runenzirkel, die sich nebeneinander vor ihm positionierten. Aus dem ersten schoss die dämonenhafte Gestalt Aleisters heraus, neben ihr der Blitzritter und ganz rechts schließlich der Silberdrache.   Invoked Caliga [ATK/1000 DEF/1800 (4)] Invoked Raidjin [ATK/2200 DEF/2400 (5)] Invoked Cocytus [ATK/1800 DEF/2900 (6)]   „Ugh!“, ächzte Matt. Er hatte ganz vergessen, dass Thoras ja noch eine gesetzte Karte liegen hatte. „Das ist der Effekt von [Omega Summon]: Sie beschwört verbannte Invokeds mit unterschiedlichen Elementen in Verteidigungsposition auf mein Feld! Und damit habe ich die perfekte Abwehr!“ Der ehemalige Dämonenjäger stöhnte noch lauter. Caliga konnte Monstereffektaktivierungen verhindern, Raidjin Angreifer in verdeckte Verteidigung bringen und Cocytus war nur durch Kampf zu zerstören. „Großartig …“ „Ich hoffe du bist stolz, deine Lebenskraft verschwendet zu haben!“, rief Thoras ihm verspielt, aber mit dunklem Unterton zu. „Zug beendet!“   Matt griff nach seinem Deck und wollte bereits ziehen, hielt jedoch plötzlich inne. Er kannte den Effekt seines Monsters, wusste doch ansonsten nichts darüber. Konnte es sein, dass Thoras Recht haben und [Primalswarm Yggdrasil] ihm seine Energie raubte? Er spürte nichts Ungewöhnliches. Nein, das war Unsinn! Matt schüttelte den Kopf. „Du solltest dir etwas einfallen lassen, sonst wird dieser Zug dein letzter sein“, triezte sein Gegner ihn herausfordernd. Er stemmte beide Hände in die Hüften. „Hah! Ein Immaterieller -könnte- dir in so einer Situation aus der Patsche helfen.“ „Ich brauche keinen!“ Trotzdem war sich Matt dem Ernst der Lage bewusst. Zwar mochte er das mächtigste Monster auf dem Feld haben, aber er konnte seine Effekte nicht nutzen, solange [Invoked Caliga] auf dem Spielfeld lag. Er musste aber jetzt den finalen Schlag ausführen, sonst würde er nächste Runde vermutlich wieder [Invoked Elysium] gegenüber stehen, dank des „Cheat Draws“, was das Ende seines Verstands bedeuten würde. „Verdammt!“, fluchte er leise. Aber er durfte nicht aufgeben. Es gab eine Karte in seinem Deck, die ihm helfen konnte! Auch wenn die Chance gering war sie zu ziehen. „Hilft alles nichts … Draw!“ Voller Inbrunst rief er seine Worte und zog schwungvoll die Karte von seinem Deck. Ja, ein Immaterieller hätte das Schicksal für ihn ändern könnte. Matt sah aus dem Augenwinkel die Karte an. Und grinste. Zur Not tat es aber auch die Glücksgöttin! „Nicht das, was ich mir vorgestellt hatte, aber erledigt den Job ebenso gut! Ich aktiviere den Schnellzauber [Xyz Supression]!“ Die einzelnen Drachenköpfe, die wie Wurzeln von seinem Yggdrasil herunterhingen, bäumten sich allesamt auf. „Uh-oh!“ Thoras schluckte. „H-hey, ein Immaterieller hätte dir zuverlässig-“ Matt aber schnitt ihm harsch ins Wort. „Diese Karte kann nicht aufgehalten werden, wenn sie einmal aktiviert wurde. Sie senkt die Angriffskraft eines meiner Xyz-Monster auf 0, dafür halbiert sie ebenso die Offensive all deiner Monster, sofern sie schwächer als Yggdrasil sind und versiegelt ihre Effekte!“ Nacheinander schrien die Köpfe und sendenden wiederkehrende Schallwellen aus, welche die drei Monster von Thoras nacheinander erreichten. Erst brach der Silberdrache zusammen, dann ließ der Ritter sein Schwert fallen, verlor das Bewusstsein und letztlich kippte auch der Dämon Caliga um.   Invoked Caliga [ATK/1000 → 500 DEF/1800 (4)] Invoked Raidjin [ATK/2200 → 1100 DEF/2400 (5)] Invoked Cocytus [ATK/1800 → 900 DEF/2900 (6)] Primalswarm Yggdrasil [ATK/3050 → 0 DEF/1650 {12} OLU: 3]   Der Immaterielle reckte panisch den Kopf von links nach rechts zu seinen Monstern. „Hey, Leute, d-das ist nicht gut! Steht auf! Na los!“ „Werden sie nicht. Und du auch nicht!“ Matt streckte den Arm aus. „Jetzt kann ich den Effekt von [Primalswarm Yggdrasil] aktivieren, der ihm eine Overlay Unit direkt vom meinem Deck gewährt! Black Law!“ Die dämonische, gesichtslose Kreatur tat es seinem Herrn gleich und erschuf über seiner Handfläche aus dem Nichts eine schwarze Sphäre, die um ihn zu kreisen begann wie die anderen drei, die bei seiner Beschwörung bereits vorhanden waren. Derweil schob Matt [Evilswarm Coppelia] unter die schwarz-umrahmte Karte.   Primalswarm Yggdrasil [ATK/0 DEF/1650 {12} OLU: 3 → 4]   „Ich habe leider schlechte Neuigkeiten für dich. Mein Monster besitzt noch einen Effekt.“ Matt zog die vier Xyz-Materialien unter ihm wieder hervor: Die Schwärmer Ouroboros, Dullahan, O'lantern und Coppelia. „Indem ich all seine Overlay Units entferne, entfesselt Yggdrasil einen vernichtenden Angriff! Die addierten Angriffswerte seiner Overlay Units werden gegen die Gesamtoffensive deiner Monster gerichtet. Dabei werden deine Monster nicht nur zerstört, sondern dir auch die Differenz des Ganzen als Schaden zugefügt!“ Thoras senkte sein Haupt. „Ich weiß …“ „Gut“, murmelte Matt düster. Dann schwang er den Arm aus. „Beende es! Blackening Infestation Stream Of Destruction!“ Alle neun erhobenen Drachenköpfe öffneten ihr Maul und absorbierten Partikel der vier schwarzen Sphären, die den Unterleib des Scheusals wie auf einer Umlaufbahn umkreisten. Der Immaterielle reckte den Kopf samt erhobenem Zeigefinger hoch. „Kann ich noch was sagen?“ Matt reagierte nicht, sondern blickte seinen Widersacher nur düster an. Thoras seufzte und ließ den Kopf wieder hängen. Dann feuerten die Drachenköpfe zeitgleich pechschwarze Strahlen auf ihn und seine Monster ab, die auf halbem Wege miteinander zu einer gebündelten, pechschwarzen Säule verschmolzen. Nacheinander wurden Caliga, Raidjin und Cocytus zerfetzt, dann verschwand Thoras in dem Angriff.   [Matt: 500LP / Thoras: 4000LP → 0LP]   Während der entstandene Rauch sich auflöste, lag der Immaterielle mit ausgestreckten Gliedern reglos am Rande des Elysions. Matt wischte sich den Schweiß von der Stirn. Nachdem die Hologramme verschwanden, löste sich auch die Aura um ihn herum auf. Haltung annehmend, schritt er langsam über das Mosaik der Zahnräder. Als er Thoras fast erreicht hatte, hustete der etwas Qualm aus. „Entsprechend unserer Abmachung lässt du mich in Zukunft in Frieden“, murmelte Matt. „Ein Pakt zwischen uns wird nicht zustande kommen.“ „Ja …“ Matt wartete. Und wartete. Und wartete. Aber der Quälgeist regte sich nicht. Auch nicht, als der Schwarzhaarige sich sehr bestimmend räusperte. „Ahem.“ „Was?“ „Du weißt, 'was'!“ Thoras stöhnte und richtete seinen Oberkörper auf. „Du gönnst einem auch gar keine Pause! Du hättest mich beinahe gegrillt!“ Matt sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Leider nur 'beinahe'!“ „Wie kannst du so etwas sagen!?“, jammerte der Immaterielle theatralisch. „Jetzt, wo wir einander näher sind als nie zuvor! Du bist mein bester Freund, mein Seelenpartner, mein-“ „Halt den Mund …“ „D'oh …“ Der Vorhang des Schweigens legte sich über die beiden, obwohl Matt eher ein Leichentuch über dieser Nervensäge gesehen hätte. „Weißt du eigentlich, wie grausam du bist!?“, klagte die plötzlich. „Jetzt muss ich mich nach jemand anderem umsehen, der mir hilft, den Sammler zu entlarven! Welcher halbwegs talentierte Eingeweihte würde einen Pakt mit mir eingehen!?“ „Keiner“, wusste Matt ganz genau. Stille. Er räusperte sich. „Du wartest ernsthaft darauf, dass ich Mitleid mit dir habe?“ Thoras' Stimme hellte sich auf. „Ein bisschen? Bitte?“   In dem Moment kam Matt eine schwer zu verdauende Einsicht. Er mochte zwar das Duell gewonnen haben, aber die Schlacht verloren. So groß seine Abneigung gegen Thoras auch war, bereiteten ihm seine Worte Unbehagen. Einerseits weil sie wahr, andererseits weil sie genau so gut eine Falle sein könnten. Und wenn er dieses Ding jetzt auf die Menschheit losließ und Letzteres der Fall war, wäre er für alles Kommende mitverantwortlich. Aber sein Gewissen verbat es ihm, Thoras zu vernichten, obwohl er es dank Yggdrasil gekonnt hätte. Was sollte er tun? Die Antwort darauf kannte er tief in seinem Inneren bereits. Sie zu akzeptieren und auszusprechen aber widerstrebte ihm zutiefst. Es gab eine Möglichkeit, die Nervensäge im Auge zu behalten, ohne einen Pakt mit ihr einzugehen. Anya hatte es mit Levrier bereits bewiesen. Matt schluckte schwer. „Okay! Einigen wir uns auf einen Kompromiss!“ „Du gehst mit mir einen Pakt ein und wir leben glücklich bis an dein, uhm, unser Ende?“ Thoras gluckste, als der Schwarzhaarige die Augen so fest zusammenkniff, dass er nur noch aus engen Schlitzen lugen konnte. „Hey, den konnt' ich mir nicht verkneifen! Lach doch mal!“ Stattdessen aber griff Matt nach dem Deck in seinem D-Pad und suchte eine Karte daraus hervor. „Hier!“ „Was soll ich damit?“ „Das ist dein neues Zuhause.“ Wieder Stille. Thoras war zum ersten Mal so geschockt, dass er nichts erwidern konnte. „Wenn du mich begleiten willst, dann wohnst du in Zukunft in dieser Karte.“ Matt hielt sie der schwarzen Gestalt vor die Nase. „Und vielleicht, nur vielleicht, sehe ich mir die Sache mit Urilas Hinterlassenschaft an. Wenn ich Zeit dazu habe.“ „… du bist grausam.“ „Und du hast es nicht anders verdient!“ In diesem Moment verwandelte sich die Gestalt in einen schwarzen Kakerlakenmann, dessen Cape tatsächlich Schwingen waren. Genauso wie sein Helm glänzten sie golden. Matt reichte dem Immateriellen die Hand, welcher sie ergriff und sich aufhelfen ließ. „Fortan bist du im wahrsten Sinne des Wortes eine Kakerlake“, murrte Matt. „Und solltest du mich jemals hintergehen, zerreiße ich deine Karte wie eine Niete beim Loseziehen!“   ~-~-~   Und Gott, wie oft war er inzwischen schon in Versuchung geführt worden, dachte Matt eines Nachts einige Monate später. Er stand auf einem Hügel neben einem Baum und sah durch ein Nachtfernglas hinab auf eine Militäranlage herab. Neben ein paar Zelten, Containern und einem gegenüber liegenden, großen, L-förmigen Hauptgebäude erspähte er vor allem eins: zahlreiche bewaffnete Soldaten. „Und hier soll es immer noch sein?“ Ja, ich bin ganz sicher! Irgendetwas Übernatürliches ist dort! Ich hoffe, du hast diesmal eine Kiste mit dabei, unter der du dich verstecken kannst. Du wirst sie brauchen.   Neben der Recherche für Anya bezüglich der Hüterrelikte hatte Matt ebenso Nachforschungen zum Turm von Neo Babylon angestellt. Das Militär hatte dessen Bruchstücke, Kristalle von der oberen Ebene, aber auch einen geheimnisvollen Gegenstand hierher transportiert und untersuchte sie seitdem in dem subterranen Labor dieser Anlage, welche circa achtzig Kilometer von Livington entfernt lag. „Ich kann heute Nacht unmöglich dort einbrechen! Erst muss ich mir ein Bild von allem machen.“ Du klingst wie ein Reporter, nicht wie ein kampferprobter Dämonenjäger!   „Die sind bis an die Zähne bewaffnet. Wenn die mich erwischen, kann ich noch so viele Tricks draufhaben! Die killen mich!“ Feigling!   Matt schlug sich die Hand gegen die Stirn. „Argh! Du kapierst es nicht!“ „Was kapiere ich nicht?“ Erschrocken wirbelte Matt herum und sah sich Zanthe gegenüber, der ihn mit verschränkten Armen neugierig betrachtete. Unmöglich, der Werwolf war ihm einfach heimlich gefolgt! „D-du!? Was machst du hier!?“ „Dir nachspionieren, was sonst? Wie oft bist du in den letzten Tagen hierher gekommen?“, fragte der Werwolf mit dem blauen Kopftuch. „Was ist das?“ Er trat neben Matt und warf einen Blick herab auf den kleinen Militärstützpunkt. „Nichts …“ „Wenn du tagelang nachts verschwindest, um diese Basis zu beobachten, ist das alles andere als 'nichts'“, murmelte Zanthe skeptisch. „Sag mir die Wahrheit! Über dich, diesen Ort und deinen unsichtbaren Freund!“ Matt schluckte ertappt. Dann seufzte er schicksalsergeben. „Dort ist etwas, das ich mir ansehen möchte, aber das muss bis nach dem Legacy Cup warten.“ Er wusste jedoch ganz genau, dass die Neugier des Werwolfs damit nicht einmal ansatzweise befriedigt war …   ~-~-~   Matt saß auf dem Toilettensitz des kleinen Badezimmers in ihrem Hotelzimmer. Seit gestern Nacht fehlte von Anya jegliche Spur, selbst die Undying hatten sie nicht aufspüren können. Er fasste sich an die Brust. Sie schmerzte. Der Kampf mit Zed hatte ihn vollkommen ausgezehrt, eigentlich sollte er sich hinlegen und schlafen. Aber er konnte nicht. „Warum hast du mich nicht gewarnt, als Nick Harper meinen Ouroboros gestohlen hat!?“, klagte er, nun, da sie ungestört waren.   Ach das? Warum sollte ich? Er braucht den dringender als du. „Der Typ ist gefährlich!“ Matt keuchte, die Schmerzen hatten selbst Stunden später noch nicht nachgelassen. „V-verdammt!“   Nun mach dir nicht ins Hemd. Ich habe dabei -natürlich- nur dein Bestes im Sinn! Stell dir [Evilswarm Ouroboros] wie ein Aufnahmegerät vor. Nur … bissiger. Wann immer er den Drachen spielt, werde ich die dabei entstandenen Informationen auswerten können – sobald wir die Karte wiederhaben, versteht sich. „Du und deine Tricks … ugh!“   Fühlst du dich immer noch unwohl? Brauchst du seelische und moralische Unterstützung?   „Nein …“, murrte Matt. Das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war noch mehr Thoras. Ach komm schon, mir machst du nichts vor. Ich habe dich gewarnt! Damals, als wir uns das erste Mal begegnet sind. Dann, als du diesen alten Knacker eingestampft hast. Junge, war das 'ne Nummer!   „Halt den Mund“, keuchte der Schwarzhaarige.   Und was war mit diesem Hohlschädel? Wie hießt der noch, Lee Anderson? Statt auf mich zu hören, hast du auch ihm die volle Breitseite gesundheitsschädlicher Yggdrasil-Power verpasst. Sorry, verpassen wollen, dein Tabletdings ist ja mittendrin unter der Belastung verpufft. Lustig, dass Technologie dem Druck besser standhält als dein Zauberkrams.   Matt fasste sich über die Stirn. Sie war nass vor Schweiß. Er versuchte sich aufzurichten, indem er sich an der Wand entlang tastete. Und spätestens seit dem Einsatz gegen Zed verstehst du, dass ich dir damals die Wahrheit über [Primalswarm Yggdrasil] gesagt habe. Wenn du ihn noch zweimal beschwörst, bist du nur noch eine matschige Pampe. Matschepampe! Matschematt! Oh, das wird mein neuer Spitzname für dich!   „Bist du fertig?“, fragte Matt grimmig. „Hilf mir lieber bei der Suche nach Anya.“ Ach, ich bitte dich. Unkraut vergeht nicht. Die taucht schon wieder auf. Und wenn nicht, umso besser!   „Hey!“ Matt schlug mit der Faust gegen die Kacheln. „Ich habe dir schon oft genug gesagt, dass du nicht so reden sollst! Anya ist eine Freundin! Wegen ihr haben wir all das auf uns genommen!“ In deinem Fall: Aufnehmen müssen. Denk dran, was ich dir gesagt habe. Wenn alle Stränge reißen, solltest du Anya Bauer töten. Das wird den Sammler zwar nicht aufhalten, aber zumindest in seinem Plan zurückwerfen.   Matts Beine gaben nach. Er sackte auf die Knie und fing sich mit dem linken Arm an der Badewanne neben ihm ab. „Ugh!“ Er schüttelte den Kopf. „Nein. Ich werde so etwas nicht tun. Das sind -eure- Methoden, nicht meine!“   Hey, gib' mir nicht die Schuld! Ich hoffe ja auch, dass die Sache sich klärt, bevor so ein Schritt nötig wird! Aber was, wenn nicht? „Ich weiß es nicht. Ich weiß ja nicht mal, was überhaupt vor sich geht, um ehrlich zu sein …“ „Auf jeden Fall eine Menge 'Selbstgespräche'“, hörte er hinter der Tür dumpf Zanthe rufen. War der schon wieder zurück!? Verdammter Werwolf mit seinem ausgeprägten Gehör und niemals endender Neugier! Trotz vieler Nachfragen hatte Matt Thoras' Existenz nie öffentlich gemacht. Anya würde ausrasten, besonders wenn sie erfuhr, dass der Spinner als Notfallplan ihren Tod im Auge hatte. Und wenn er sich Zanthe öffnete, wusste spätestens zehn Minuten später die ganze Welt Bescheid … „Hoffentlich habe ich gerade nur Gutes über Anya vernommen“, sprach der Werwolf derweil weiter, „denn wenn du ihr jemals etwas antun wollen solltest, bekommst du es mit -mir- zu tun, Matt!“ Da war es! Matt lachte mit einer bitteren Belustigung. „Keine Sorge, ich bin vernünftig.“   ______     Im Sommer folgt dann der Auftakt zu Staffel 3. Kapitel 98: Turn 89 - Eyes Of Tomorrow -------------------------------------- Turn 89 – Eyes Of Tomorrow     Prasselnder Regen. Der Himmel war so grau, dass es schwer vorstellbar war, jemals wieder die Sonne dahinter zu erblicken. Die Tropfen fielen und zerschellten an dem schlichten, weißen Grabstein, der einer von vielen in einer langen Reihe war. Das Gras unter den Füßen derjenigen Person, die in einem schwarzen Sweater mit über gezogener Kapuze vor diesem Grab stand, war bereits etwas höher gewachsen als vorgeschrieben. Die ganz in dieser einen Farbe gekleidete Gestalt bückte sich und legte eine einzelne Rose auf das Grab, das schon vor Blumensträußen nur so strotzte. Sie stapelten sich, verdeckten das Geburts- wie Sterbedatum. Selbst den Vornamen konnte man nicht lesen. „Bist du bereit?“, fragte ein Mann hinter der Person, der unter einer stämmigen Eiche Schutz gesucht hatte. Wirklich nötig hatte der recht große, brünette Mann das nicht, denn er hielt einen Regenschirm in der Hand. Seine Züge waren weich, schon von den ersten Krähenfüßen an den braunen Augen gezeichnet. Der Dreitagebart stand ihm gut zu Gesicht, passte er doch zu dem zu leichten Spitzen hochgegelten Haar. Niemand hatte diesen Mann jemals zuvor in Livington gesehen.   Die Person am Grab neigte ihren Kopf in seine Richtung. Die Rose, die sie auf das Grab gelegt hatte, war von einem derart kräftigen Dunkelrot, dass auch sie fast schwarz erschien. Ein Nicken brachte dann endlich die Antwort, auf die der Mann gewartet hatte. „Der wahre Kampf hat leider erst begonnen. Komm, du solltest nicht noch länger so ungeschützt im Regen stehen.“ Erhobenen Regenschirms näherte er sich der Gestalt, die ein letztes Mal auf das Grab blickte, ehe sie an ihm vorbei schritt. Seufzend folgte der besorgt dreinblickende Begleiter. Gemeinsam ließen sie das Grab zurück, von dem der aufmerksame Beobachter dank der diversen Blumensträuße nur ein Wort lesen konnte, welches auf den nicht zu sehenden Vornamen folgte: 'Bauer'.   ~-~-~   Etwa anderthalb Monate zuvor …   Der kalte Windstoß sorgte dafür, dass ihr pechschwarzes Haar unruhig umher flatterte. Unter den grellen Strahlen der aufgehenden Sonne standen sie sich gegenüber. Aufrecht stand das Mädchen auf der gläsernen, senkrechten Fassade. Gegenüber befand sich eine weitere Fläche aus Glas. Sie legte den Kopf in den Nacken und sah zum anderen Hochhaus herüber, wo ihr Widersacher stand. Die Welt drehte sich für sie, unter ihr plötzlich eine Straße, derer sie sich erst jetzt gewahr wurde. Von ihrem linken Auge begann eine blaue Flamme auszugehen, deren Länge der ihres an der Seite zusammengebundenen Zopfes um Nichts nachstand. Stumm starrte sie nach oben, dann ließ sie den Apparat an ihrem Arm ausklappen.   Manchmal träume ich von Dingen, die geschehen sind oder noch geschehen werden. Diese Gabe, wie ich sie nenne, habe ich schon, seit ich ein kleines Mädchen war.   Eine Explosion erschütterte das Gebäude, weit über der jungen Frau, die aufrecht auf den Fenstern des Hochhauses stand. Riesige Scherben und Trümmer fielen auf sie herab, verfehlten sie jedoch wie auf magische Art und Weise.   Ich kann nicht kontrollieren was ich sehe. Es passiert einfach. Hin und wieder sogar mitten am Tag, wenn ich unterwegs bin.   Sie schwang den Arm aus. Ihr Feind, der auf der anderen Seite der Straße, die sie beide trennte, auf der Oberfläche des anderen Bürogebäudes stand, brach ein. Um ihn herum zerplatzten die Scheiben regelrecht. Doch er sprang rechtzeitig rückwärts und landete auf den Stahlträgern der Außenfassade, die weitestgehend unbeschädigt waren.   Meine Visionen sind manchmal einfach nur Bilder in schneller Abfolge, deren Sinn ich oft nicht verstehe. Allerdings passiert es auch, dass ich durch die Augen eines anderen sehe. Dann ist es wie ein Film.   In weiter Ferne erfolgte eine gewaltige Explosion. Die Druckwelle zerfetzte die letzten Fenster und riss die beiden Kontrahenten mit sich. Riss alles mit sich.   Doch dieses Mal erlebe ich nicht das, was anderen widerfährt. Dieses Mal sehe ich meine eigene Zukunft. Und wie ich das Ende der Welt verursacht habe …   Das schwarzhaarige Mädchen fiel kopfüber in eine endlose, schwarze Tiefe. Die blaue Flamme an ihrem linken Auge löste sich auf, weil es seine blutroten Augen schloss.   … andererseits passiert das mindestens drei, vier Mal im Jahr, dass jemand eine große Katastrophe auslöst. Und dann kommt jemand anderes und verhindert das Schlimmste. Ich weiß es, denn ich habe es gesehen.   ~-~-~   Stöhnend wischte sich Velvet Thorne den Schlaf aus den braunen Augen. Sie saß aufrecht, in einem rosafarbenem Pyjama steckend, auf ihrem Bett. Beiläufig tastete sie mit der anderen Hand nach ihrer Brille, die auf dem Nachttisch neben ihr lag. Was war das, fragte sich das sechzehnjährige Mädchen mit dem langen, schwarzen Haar, das zerzauster nicht hätte sein können. Dieser Traum, den sie da hatte … „Okay“, rief sie mit einem Male entschlossen aus und klatschte sich mit beiden Händen gegen die Wangen. Nur um dann jämmerlich zu wimmern. „Velvet! Frühstück!“, drang in dem Moment die Stimme ihrer Mutter Sheila Thorne hinter der Tür zu ihrer Linken freundlich zu dem Mädchen. „Ich komme, Mum!“, strahlte jenes und schwang sich beherzt aus dem Bett. Doch als sie erst stand, wurde ihr ganz mulmig zumute. Sie torkelte vorwärts auf ihren weißen Kleiderschrank zu und stützte sich an ihm ab. Unangenehmes Kribbeln stieg in ihr auf. Der Schwindel war nur von kurzer Dauer, doch eines wusste Velvet nun – was sie da im Traum gesehen hatte war nicht die Spinnerei eines hyperaktiven Gehirns. Es war eine Vision gewesen. Die zur Realität wurde, wenn niemand etwas unternahm.   Entsprechend blass stand sie wenige Minuten später vor dem Waschbecken des Badezimmers der Familie Thorne. Ihre Brille saß mittlerweile perfekt auf der Nase, das schwarze Haar war gekämmt und an der rechten Seite zu einem langen Pferdeschwanz gebunden. Velvet hatte sich für schwarze Leggins und ein weiß-violettes Oberteil mit Blumenmuster entschieden, dessen Ende wie ein Rock anmutete. Sie drehte sich um und schritt aus dem weißen Badezimmer, gelangte in einen hellen Gang, dessen Ende sie folgte, um dann nach links in die Küche abzubiegen. Der Rest ihrer Familie saß bereits am langen Esstisch. An der Spitze ihr Vater, der bereits seine Zeitung aufgeklappt hatte und komplett in ihr versunken schien. Dagegen stand ihre Mutter Sheila zu ihrer Rechten am Herd und bereitete Spiegeleier zu. Auch ihr Haar war schwarz, wenn auch sehr kurz, was sie eine burschikose Note verlieh. Und dann war da noch ihr zwölfjähriger Bruder Axel, der zwar am Tisch saß, aber lieber mit seinem Smartphone spielte, als dem Rest seiner Familie Aufmerksamkeit zu schenken. Auch sein Haar war rabenschwarz, zu kleinen Spitzen hochgegelt.   Alles wie immer, stellte Velvet beklommen fest und setzte sich an die andere Seite des Tisches. „Guten Morgen“, murmelte sie den anderen zu und bekam zumindest von ihren Eltern entsprechende Reaktion. Axel nahm sie gar nicht wahr. Dafür aber Sammy, der laut bellte und sofort in die Küche gerannt kam. Der inzwischen sechsjährige Golden Retriever wedelte mit dem Schwanz und schmuste sich immer wieder an das Mädchen. „Raus mit dir“, kichert sie, da der Hund jetzt eigentlich nichts hier verloren hatte. „Los“, zischte Axel genervt, als Sammy ihm zu nahe kam und trat sofort nach jenem. Enttäuscht zog der Hund wieder von dannen. Und der jüngste Spross der Familie Thorne bekam postwendend einen Tritt zurück. Seine Schwester sagte dazu: „Du sollst ihn nicht treten!“ „Hmpf!“ „Schluss jetzt“, donnerte ihr Vater und blätterte dabei die Zeitung um. Gleichzeitig kam seine Frau mit den Spiegeleiern in der Pfanne an den Tisch und füllte jedem eines auf. Dabei erklärte sie: „Kinder, ihr wisst doch, dass der Sonntag der einzige Tag der Woche ist, an dem wir alle zusammen sind. Also benehmt euch, wenigstens ein paar Minuten. Und pack das Ding weg, Axel!“ Mürrisch legte der Teenager das Smartphone beiseite und funkelte seine ältere Schwester von der Seite an, die beschämt wegsah.   Während die Vier stillschweigend mit dem Frühstück begannen, riefen sich ungebeten die Bilder ihres Traums in Velvets Gedächtnis zurück. Es war nicht die erste Vision dieser Art gewesen, die sie gesehen hatte. Und immer wenn sie kamen, konnte sie sich danach kaum auf den Beinen halten. Letztes Jahr um diese Zeit hatte sie gesehen, wie ein riesiger Turm in einer Stadt namens Livington erschienen war. Aus dessen Spitze drang eine unsagbare Finsternis die die Welt verschlang. Tatsächlich war jener Turm eines Nachts scheinbar wie aus dem Nichts aus dem Boden geschossen, doch die Zukunft, die sie gesehen hatte, wurde geändert. Sie erinnerte sich noch genau an ein blondes Mädchen, das auf einem Thron gesessen hatte, hinter ihr so etwas wie ein kristallenes Tor, aus dem die Dunkelheit kam. Allein beim Gedanken daran bekam sie eine Gänsehaut. Dabei schlürfte sie so laut aus ihrem Glas Orangensaft, dass ihre Mutter sie mit dem Ellbogen stupste. „Entschuldigung“, nuschelte das Mädchen und setzte das Glas sofort wieder ab. Vor fünf Monaten hatte sie dann einen Mann gesehen, zumindest dessen Rückseite, der gegen eine ganze Horde von Dämonen gekämpft und verloren hatte. Eine ganze Stadt wurde dabei ausgelöscht, zumindest in ihrer ersten Vision der Geschehnisse. In der zweiten hatte er seine Feinde dann überlistet, ganz als ob er gewusst hätte, was geschehen würde. Velvet kniff die Augen fest zusammen. Wenn sie daran zurückdachte, dass sie diese Visionen bereits seit Jahren hatte, manche mehrmals mit kleinen und größeren Änderungen in ihrem Ablauf, dann fühlte sie sich gleich wieder wie eine Außenseiterin. Keiner in ihrer Familie wusste davon. Sie würden ihr doch nie glauben, dass es Dämonen gab, übernatürliche Phänomene und Menschen, die für das Gute wie auch für das Böse kämpften. Sie selbst glaubte ja kaum daran. In all den Jahren hatte Velvet gelernt, ihre ungewöhnliche Fähigkeit zumindest teilweise zu verstehen. Die Visionen, die sie nur einmal hatte, würden genau so eintreten, wie sie sie gesehen hatte. Dagegen handelte es sich bei denen, die sie mehrfach sah, um Dinge, die noch verändert werden konnten. Oder wurden. So war es immer die letzte gewesen, die sich bewahrheitet hatte, zumindest vermutete sie das. Auch die Vision vom Turm in Livington hatte sie mehrmals gehabt. Und in der letzten Variante hatte das blonde Mädchen sich von ihrem Kristallthron erhoben. Der Turm war explodiert, bevor die Dunkelheit aus ihm dringen konnte.   „Stimmt etwas nicht?“, fragte Sheila ihre Tochter mit einem Mal besorgt. „Du isst gar nichts.“ Sofort schnappte sich Velvet Gabel und Messer und stürzte sich strahlend auf das noch unangetastete Spiegelei vor sich. „N-nein, alles in Ordnung.“ „Du bist eine schlechte Lügnerin“, schalt ihre Mutter sie trocken. Resignierend gestand die Schwarzhaarige: „Ich hatte einen Albtraum. Aber jetzt ist alles gut.“   Wie konnte sie ihrer Mutter auch sagen, dass sich dieser 'Traum' von den vorherigen in einem ganz wichtigen Detail unterschied? Denn bisher war sie niemals selbst Teil einer ihrer Visionen gewesen. Sie hatte immer andere Menschen gesehen. Aber dieses Mal war sie nicht nur selbst Teil davon gewesen, sie spielte eine aktive Rolle darin. Und allein der Gedanke daran jagte ihr eine Heidenangst ein.   ~-~-~   Um sich abzulenken nutzte Velvet den Vormittag dazu, ihr Zimmer aufzuräumen und sauber zu machen. Was bedeutete, dass sie eigentlich nicht viel zu tun hatte, da sie es sowieso beinahe jeden Tag auf Vordermann brachte. Aber eine kleine Tour mit dem Staubsauger ging immer, sagte sie sich, und schob ihn über den Teppich. Dabei dröhnte im Hintergrund ihr Radio. Und als ihr aktuelles Lieblingslied eines populären Teenie-Sängers anstimmte, konnte sie trotz – oder gerade wegen – des Staubsaugerlärms nicht mehr an sich halten und begann mehr schlecht als recht mitzusingen. Und obwohl sie wie ein Kugelblitz durch das Zimmer mit den rosafarbenen Wänden fegte, die ausnahmslos in Weiß gehaltenen Möbel wie ihr Bett und die Sessel ihrer 'Fernsehecke' umschiffte und aus aller Kraft die Töne verfehlte, konnte sie nichts beruhigen. Sie war Bestandteil ihrer Vision gewesen. Sie! Wie konnte jemand wie sie eine Rolle beim Ende der Welt spielen!? Das musste ein Irrtum sein! Vielleicht hatte sie einfach nur im Körper einer anderen gesteckt, oder-   Da sah sie sie. Eine Spinne, vielleicht noch dreißig Zentimeter von ihrem Staubsauger entfernt. Es fiel ihr schwer, einen Aufschrei zu unterdrücken. Sie stellte die Maschine ab. Beugte sich trotz ihrer eindeutig vorhandenen Phobie zu dem Tier hinab und nahm es behutsam in beide Hände. Die Spinne bewegte sich. Velvet bekam eine Gänsehaut. „N-nicht dran denken“, mahnte sie sich kurz vor einem Nervenzusammenbruch und rannte förmlich zum offen stehenden Fenster auf der anderen Seite des Zimmers. Anstatt das Tier aber einfach hinauszuwerfen, lud sie es ganz vorsichtig an der Fensterkante ab, sodass es von selbst den Weg nach draußen fand. „Uah“, jammerte sie, nachdem das überstanden war. „Das liebe ich so an dir“, schwärmte jemand hinter ihr. Velvet wirbelte herum und sah ihre Mutter, wie sie im Türrahmen lehnte und strahlte. „Ganz egal, wie sehr du dich dagegen strebst, es gibt kein Lebewesen auf diesem Planeten, dem du nicht mit Herzensgüte begegnest.“ „M-Mum!“, beschwerte Velvet sich über den Einbruch in ihre Privatsphäre, musste dabei aber – wie sie fand – dümmlich grinsen und lief vermutlich auch noch rot an. Das Radio trällerte noch immer im Hintergrund. Ihre Mutter zwinkerte ihr verschwörerisch zu und verschwand dann wieder, schloss die Tür hinter sich.   Velvet seufzte glücklich. Wenn sie es recht betrachtete, hatte sie alles, was sie brauchte. Eine intakte Familie, einen gewissen Luxus dank des Verdienstes ihrer Eltern, einen halbwegs erträglichen Bruder, viele Freunde, Sammy … Es musste ein Traum gewesen sein, keine Vision! Sie hatte sich nur wegen ihres Kreislaufs so schwach gefühlt, mehr nicht!   ~-~-~   Nach dem Mittagessen entschied sich das Mädchen, dass es an der Zeit war, den restlichen Sonntag in Gesellschaft zu verbringen. Da sie und ihr Bruder zu verschieden waren, um etwas zu unternehmen was beiden gefiel, würde sie sich stattdessen mit ihren Freunden von der Duel Academy verabreden.   So saß Velvet auf ihrer rosafarbenen Bettdecke und hielt das weiße Smartphone in der Hand. Sie wusste, dass sie ihre Freunde Fabio Muller und Patrice Sanchez nicht erreichen würde, da Patrice Tickets für ein Basketballspiel der New York Liberties gewonnen hatte. Jenes fand heute statt und selbstverständlich kam nur sein bester Freund Fabio als Begleiter infrage.   Also entschied sich Velvet stattdessen dafür, Tatjana Neumann anzurufen, das andere Mädchen in ihrer Clique. Tatjana war eine Austauschschülerin aus Deutschland und manchmal ein wenig anstrengend, aber mit ihr wurde es zumindest nie langweilig. Lächelnd legte die Schwarzhaarige den Apparat ans Ohr. „Neumann“, ächzte nach ein paar Sekunden des Wartens die vertraute Stimme aus dem Smartphone. „Hey Tatti, ich bin's“, gluckste Velvet vergnügt, „wie schaut's aus, hast du schon was vor?“ „Außer zu sterben? Nein …“, kam es grimmig zurück. Was die zuckersüße Fassade des Mädchens sofort zum Bröckeln brachte. Besorgt fragte es: „Wieso? Ist etwas passiert?“ „Mir geht’s nicht gut. Es ist wieder -die- Zeit.“ „Uh?“ Velvet blinzelte verdutzt. „Was meinst du? Hast du mal wieder Liebeskummer?“ „Nein, Dummchen! -Die- Zeit!“ „I-ich fürchte, ich kann dir nicht ganz folgen …“ Tatjana schnaufte ärgerlich. „Meine Güte, ich habe meine Erdbeerwoche!“ „D-deine was?“ „Hmpf, ich lege jetzt auf. Bis morgen.“ „B-bye?“, quiekte Velvet, der langsam dämmerte, was ihrer Freundin fehlte. Warum musste Tatjana bloß immer so seltsame Phrasen benutzen, wenn sie irgendetwas nicht direkt ansprechen wollte? Velvet seufzte schwer.   Damit blieb nur noch einer aus ihrem Freundeskreis übrig. Isaac Sawyer war nicht gerade Velvets erste Wahl, wenn es darum ging, Spaß zu haben. Seine Freunde beschrieben ihn als Streber, der viel zu selten lachte. Ganz so eng sah das Mädchen das nicht, doch auch sie konnte seinen Ehrgeiz nicht leugnen. Wodurch es auch mit ihm nicht immer einfach war. Trotzdem mochte sie ihn gern. Nur halt nicht ganz so sehr wie die anderen. Wirklich! Mit der Zunge an der Oberlippe wählte sie seine Nummer aus ihrer Kontaktliste aus und musste erstmal eine ganze Weile warten, bis er überhaupt ran ging. „Isaac hier.“ „Hi, ich bin's, Velvet.“ „Hallo“, entgegnete er freundlich. „Was gibt’s?“ „Ich wollte nur fragen, ob du Zeit hast. Wir könnten-“ „Leider nicht“, wiegelte er sie gleich mit bedauerndem Unterton ab, „hast du es schon vergessen?“ Velvet blinzelte verdutzt. „Was denn?“ „Den Test in Kartenwissen, morgen. Ich muss mich gründlich darauf vorbereiten. Und das solltest -du- übrigens auch.“ Und da war er auch schon, sein strenger Lehrertonfall. Ja, aus diesem Grund war er immer der Letzte, den sie anrief. „E-es ist doch noch früh …“ „Und es gibt über 10.000 Karten.“ „Willst du die alle auswendig lernen!? Unser Thema sind doch nur Spielfeldzauber, davon gibt es nicht besonders viele …“ Sofort kam es besserwisserisch zurück. „Und was ist mit direktem und indirektem Support? Den neuen Regeln, den geheimen Kniffen und Schwierigkeiten, den-“ „Es sind doch nur langweilige Spielfeldzauber“, jammerte Velvet mit Tränchen der Frustration in den Augen. „Es sind Noten, Velvet, Noten! Jede zählt, besonders für euch!“ Er räusperte sich. „Muss ich euch jedes Mal daran erinnern, dass unsere Zukunft davon abhängt?“ Die Schwarzhaarige wusste, dass sie gegen Windmühlen ankämpfte. Wenn er so drauf war, würde er nicht eher ruhen, bis er wirklich -alle- 10.000 Duel Monsters-Karten auf ihre Wechselwirkung mit Spielfeldzaubern überprüft hatte. „D-du hast Recht“, stammelte Velvet, die nur einen Ausweg aus ihrer Lage sah, „i-ich sollte mir das Ganze auch nochmal ansehen.“ Wobei sie an ihrer freien Hand, die sie an der Bettkante abstützte, Mittel- und Zeigefinger kreuzte. Sofort klang er wieder versöhnlich. „Wenigstens eine die mir zuhört. Wenn du möchtest, kannst du nachher vorbei kommen, damit wir zusammen lernen.“ Velvet wurde weiß im Gesicht und diesmal lag es nicht an ihren Visionen. Obwohl er es nicht sehen konnte, schüttelte sie mechanisch den Kopf. „M-mal sehen, i-ich muss erst noch ein paar H-Hausarbeiten erledigen. Vielleicht später. Ich melde mich.“ „Du hast nicht wirklich vor zu lernen, nicht wahr?“, brachte Isaac es trocken auf den Punkt. „Sorry, liegt nicht an dir, werde nachher lernen, versprochen, bye“, ratterte seine Freundin ihre Entschuldigung wie ein Maschinengewehr runter und legte auf, bevor er sie noch durchs Telefon zog.   Seufzend warf sie das Smartphone beiseite auf ihr Kissen und ließ sich rückwärts mit ausgestreckten Armen fallen. Also würde sie den Tag alleine verbringen müssen. Schade … Andererseits, wenn sie schon keinen ihrer Freunde dazu bewegen konnte, das Wochenende gemeinsam ausklingen zu lassen, gab es da doch jemanden, der immer gern Zeit mit ihr verbrachte.   ~-~-~   „Los Sammy, fang!“, rief sie energisch und warf den Stock in ihrer Hand so weit sie konnte. Ihr Golden Retriever rannte aufgeregt an ihr vorbei. Das Mädchen streckte die Arme aus und atmete die Waldluft ein, stieß sie seufzend wieder aus. Der Albertus Dorian-Wald, benannt nach einem berühmten Arzt aus ihrer Heimatstadt, Kings Crowning, wiederum benannt nach einem lokalen Märchen, lag etwa eine halbe Stunde von ihrem Zuhause entfernt. Velvet war sich bewusst, dass sie sehr viel Glück hatte, in einer friedlichen Vorstadt wie dieser leben zu können. Es war nur ein Katzensprung bis nach Cloverfield, wo sich die Duel Academy befand, an der sie seit fast einem Jahr studierte.   Sammy kehrte mit dem Stöckchen im Maul zu ihr zurück. Velvet nahm es und warf es im hohen Bogen wieder davon. Der hiesige Wald war ziemlich hügelig. Die Schwarzhaarige lief entlang einer Senke, über ihr thronte ein sogenannter Mammutbaum. Sie erinnerte sich daran, dass sie hier oft mit Axel gespielt hatte, als beide noch kleiner gewesen waren. Das waren gute Zeiten gewesen. Sofort schüttelte sie den Kopf. Sie klang ja schon wie eine alte Oma, fürchterlich!   Die weiche Erde unter ihren Füßen war noch nass vom Regen gestern. Velvet kannte sich gut in dem Wald aus, weiter voraus lag eine Lichtung. Und sie hatte etwas ganz Bestimmtes vor, dachte sie und betrachtete dabei den Apparat an ihrem Arm. Eine silbergraue, standardmäßig an den Kanten abgerundete Akademie-Duel Disk. Nachdem sie die Lichtung erreicht hatte, rannte Sammy voraus, um sich auszutoben. Velvet kam oft mit ihm hierher, wenn sie ungestört sein wollte. Besonnen lächelnd sah sie dem Golden Retriever hinterher. Dann atmete sie tief durch und aktivierte die Duel Disk an ihrem Arm, die automatisch ausfuhr.   Entschlossenen Blickes griff sie nach ihrem Deck, riss die oberste Karte mit Schwung fort. „Draw!“ Das hörte sich doch schon ganz gut an, fand sie und wiederholte den Vorgang. „Draw!“ Sie musste Selbstbewusstsein ausstrahlen, wenn sie in den kommenden Tagen ihr Prüfungsduell hinlegte. „Draw!“ Noch wusste niemand aus ihrem Jahrgang, gegen wen er antreten würde. Zumindest war die Sache nicht übergreifend. Es wäre schrecklich, wenn sie gegen einen Absolventen ran müsste, dachte Velvet und allein das führte dazu, dass sie beim Wiederholen ihrer Selbstbewusstseinsübung ins Stottern geriet. „D-draw!“ Genau das durfte sie sich aber nicht erlauben. Wenn der Gegner keinen Respekt vor einem hatte, würde sie das nur noch mehr verunsichern als ohnehin schon. Besonders energisch schrie sie erneut aus, dass sie ziehen würde und hatte damit ihre Starthand komplett. Zwei Monster, zwei Zauber und eine Falle. Sehr ausgewogen und definitiv brauchbar. Wenn es am Freitag doch nur auch so klappen könnte.   Gerade als sie zu ihrer nächsten Übung ansetzen wollte, hörte sie jämmerliches Gequieke aus der Ferne. Das eines Hundes. „Sammy!“ schrie sie, deaktivierte ihre Duel Disk und rannte über die Lichtung. Der Golden Retriever reagierte nicht. Als Velvet das andere Ende erreichte, hörte sie hinter sich einen Ast knacken. Und sie fror in ihrer Bewegung ein, ohne recht zu wissen warum. Mechanisch drehte sie sich um. Ein kalter Schauder lief ihr über den Rücken.   „Ich grüße dich, Velvet Thorne.“ Ein Mann trat aus dem Schatten, groß und hager. „H-hi“, presste das Mädchen heiser bei seinem Anblick hervor. Ihr Gegenüber auf der anderen Seite der Lichtung war atemberaubend schön. Zeitlos, vielleicht zwanzig, vielleicht auch schon vierzig … nein Moment, er war -nicht- schön. Im Gegenteil, dieser Pagenschnitt mit dem dunkelblonden Haar, dieser pinke Anzug samt schwarzer Krawatte, die neongrüne Federboa um seinen Hals – das war alles andere als ansehnlich. Was war gerade in sie gefahren!? „Oh?“, machte er und lächelte vergnügt. „Habe ich dich verschreckt?“ „N-nein. M-mein Hund, Sammy, ich habe ihn gerade jaulen hören.“ „Dem kleinen Racker geht es prächtig.“ Das Mädchen zuckte zusammen. „W-was?“ „Wenn du mit mir kommst, führe ich dich zu ihm. Was sagst du?“ Der Mann streckte seine Hand in ihre Richtung aus, winkte sie einladend zu sich. Anstatt der äußerst dubiosen Aufforderung aber zu folgen, wich die Schwarzhaarige verwirrt zurück und fasste sich mit einer Hand aufs Brustbein. „I-ich verstehe nicht. Der Schrei kam aus dieser Richtung.“ Sie zeigte mit der anderen Hand hinter sich. „U-und überhaupt, wer sind Sie eigentlich?“ „Entschuldige, meine Kleine, ich habe mich nicht vorgestellt. Zyxx.“ Er verschränkte die ausgestreckte Hand vor den Bauch und verneigte sich leicht. „Einfach nur Zyxx.“ Da erinnerte sich Velvet. Sie wurde zunehmend unruhiger. „W-woher kennen Sie überhaupt meinen Namen? Was wollen Sie von mir!?“ Zyxx lächelte bekümmert. „Ich weiß, es kommt sehr plötzlich, aber ich fürchte, du wirst mich begleiten müssen.“ „W-wohin?“ Langsam bekam sie richtig Angst. „Das erkläre ich dir auf dem Weg.“ Er drehte sich zur Seite und gebot ihr mit der Hand, ihm zu folgen. „Nach dir.“ „Nein!“, protestierte Velvet zunehmend panisch. „Ich gehe nicht mit Ihnen mit. Wo ist Sammy!? Was haben Sie mit ihm gemacht!?“ „Du siehst deinen Hund, sobald du mitkommst.“ Velvet schüttelte energisch den Kopf. „I-ich rufe die Polizei, wenn Sie nicht gleich verschwinden.“ „Und womit? Du hast dein Telefon zuhause gelassen. Diese Leggins sind einfach zu eng für Hosentaschen“, spottete er in zuckersüßem Tonfall. „Vielleicht habe ich mich falsch ausgedrückt. Du hast keine Wahl, Täubchen. Du -musst- mitkommen. Es ist sehr wichtig, dass du das tust, verstehst du?“ Er sah sie an. Eindringlich. So eindringlich, dass Velvet das Blut in den Adern gefror. Fast, als wolle er sie hypnotisieren. Sie wich seinem Blick aus. „Oh?“, machte er erneut überrascht, blieb aber beherrscht und freundlich. „Verstehe. Ich sag es nicht gern, aber du siehst deinen Sammy erst wieder, wenn du nachgibst, du kleiner Sturkopf.“   Irgendetwas stimmte da nicht, begriff Velvet langsam. Dieser Mann, er wollte sie entführen! War er ein Krimineller. Wollte er sie etwa-!? Sie stieß reflexartig einen spitzen Schrei aus und wirbelte herum, begann zu rennen, aber ihre Beine fühlten sich so wackelig an, dass sie ins Stolpern geriet. Hinter ihr seufzte Zyxx. „Du liebe Güte, so kommen wir nicht weiter. Okay, Schätzchen, ich mache dir ein Angebot, das du nicht ablehnen kannst. Duelliere dich mit mir. Gewinnst du, lasse ich dich in Frieden. Wenn nicht … du weißt schon.“ Velvet drehte sich wieder um. „Und Sammy?“ „Den gibt’s als kleinen Bonus wenn du mich besiegen kannst.“ Er zwinkerte verschwörerisch. „N-nein, das ist doch Unsinn. Hilfe!“, schrie sie aus voller Lunge. „Ich bitte dich, hier hört dich doch sowieso niemand. Weißt du, ich könnte dich auch einfach mit 'Nachdruck' dazu bringen.“ Zyxx fuhr sich über die Stirn. „Aber ich habe meine Anweisungen. Und die erste davon setze ich jetzt um.“ Er streckte seinen Arm nach vorne aus. Völlig unerwartet zog sich eine gebogene, rote Energielinie vor diesem, breitete sich aus, bis sie die Größe einer Duel Disk angenommen hatte. Das Mädchen starrte ihn wie ein Auto an. „W-was ist das!?“ „Ein Wunder der Technik, Herzchen. Oh, und wenn dir die Licht-Show gefällt, wirst du das hier lieben. Na ja, eigentlich nicht“, kicherte er mädchenhaft. Erst begriff Velvet gar nicht, was er überhaupt meinte, bis sich etwas in ihrer unmittelbaren Umgebung surren hörte. Ihre Duel Disk fuhr von ganz alleine aus. Eine männliche Computerstimme verlautete aus ihr: „Duel Enforcing Mode.“ Danach richtete sich auch schon ihre Lebenspunkteanzeige ein. „Ah!“ „Ich rate dir, dich jetzt nicht zu weit von mir zu entfernen, sonst erlebst du eine böse Überraschung. Dasselbe gilt auch, falls du meine Herausforderung nicht annimmst.“ Was hatte das zu bedeuten!? Hatte der Kerl ihre Duel Disk gehackt!? Und was würde passieren, wenn sie seine Worte ignorierte!? Das Mädchen stand da, kreidebleich und völlig verstört. Der Typ war verrückt. Er würde sie entführen und vielleicht sogar umbringen wollen. Oder schlimmer … „Betrachte es einfach als kleine 'Übung'“, zwinkerte ihr Zyxx wieder zu. „Nun mach schon, Duell!“   [Velvet: 4000LP / Zyxx: 4000LP]   Panisch betrachtete Velvet ihre Duel Disk. Wie konnte es sein, dass der Apparat sich von selbst aktiviert hatte!? Dann wiederum hatte sie in ihren Visionen so viele unerklärliche Dinge gesehen, dass das dagegen fast noch harmlos war. Als sie zu Zyxx aufsah, rann eine Schweißperle über ihre Stirn. Wer oder was war dieser Mann!? Was wollte er bloß von ihr!?   „Liebes, wenn du nicht anfangen möchtest, werde ich es tun“, verkündete er und nahm eine Karte aus seinem Startblatt, „ich beschwöre [Igknight Templar] im Angriffsmodus und beende meinen Zug.“ Vor ihm materialisierte sich ein großer Krieger in schwarzer, an den Schulterplatten Flammen ausstoßenden Rüstung. Er führte ein langes Schwert mit sich, an dem gleichzeitig ein Visier angebracht war, welches in einer merkwürdigen Mischung aus Klinge und Sniper-Gewehr resultierte.   Igknight Templar [ATK/1700 DEF/1300 (4) PSC: <7/7>]   Nervös sah sich Velvet nach links und rechts um. Ihr geliebter Sammy war nirgendwo zu entdecken. Was hatte dieser Kerl ihm angetan!? Auf keinen Fall würde sie mit diesem Monster mitgehen!   „M-mein Zug, D-draw!“, stammelte sie aufgewühlt und zog so schwungvoll, dass sie dabei ins Stolpern geriet und beinahe die Brille von ihrer Nase rutschte. Was Zyxx mit einem gedämpften Lacher quittierte. „Keine Sorge, Anmut kommt mit Erfahrung.“ Obwohl weiß Gott nicht der richtige Zeitpunkt dafür war, spürte Velvet heiße Röte in sich aufsteigen. Sich vor dem eigenen, potentiellen Entführer zu blamieren hatte ihr gerade noch gefehlt! „Z-Zauberkarte, [Graceful Charity]!“ Sie erklärte den Effekt gar nicht erst, als die grün-umrandete Karte vor ihr aufsprang und ein blonder, weiblicher Engel in einem weißen Kleid daraus empor schwebte, sondern zog gleich drei Karten und schickte dann zwei auf ihren Friedhof. „Wenn ich das Duell gewinne, darf ich dann wirklich gehen?“, fragte sie dabei zweifelnd. Die wandelnde Modesünde nickte. „Ich stehe zu meinem Wort.“ „G-gut. Das sollte kein Problem werden!“ Oh Gott, hallte es sofort nachdem die Worte ihre Lippen verlassen hatten, durch ihren Kopf. Jetzt klang sie wie einer dieser typischen Angeber-Duellanten aus der Profiliga. „D-denke ich jedenfalls.“ Und jetzt stellte sie sich selbst auch noch in Frage. Die Hitze unter ihrer Haut wurde unerträglich. „N-normalbeschwörung, [Spiritual Beast Apelio]!“ Ein purpurroter Junglöwe tauchte vor ihr auf. Sowohl seine Mähne, als auch die Spitze seines Schweifs leuchteten grell auf, fast, als stünden sie in Flammen. Und Zyxx kicherte wieder amüsiert über ihre Aussage.   Spiritual Beast Apelio [ATK/1800 DEF/200 (4)]   Obwohl Velvet am liebsten im Boden versinken, oder gar gleich wegrennen würde, musste sie weitermachen. Nicht nur, weil dieser Kerl sie sowieso nicht entkommen lassen würde, sondern auch weil sie herausfinden musste, wo Sammy war. Unbedingt! Sie kniff böse die Augen zusammen und griff nach ihrem Friedhofsschacht. „Ich habe nicht umsonst zwei Karten abgeworfen. Apelio hat einen besonderen Effekt, der mich eine Ritual Beast-Karte aus dem Spiel entfernen lässt, um bis zum Ende des Zuges alle seiner Art auf dem Feld um 500 Punkte zu stärken!“ Die Schwarzhaarige zog [Spiritual Beast Pettlephin], ein Stufe 4-Wind-Monster mit dem Artwork eines rosa Delfins aus dem Ablagestapel hervor und präsentierte es. Danach schob sie es postwendend in den schmalen Schacht darunter, was dazu führte, dass die grünen Spiralmarkierungen an Apelios Beinen grell zu leuchten begannen.   Spiritual Beast Apelio [ATK/1800 → 2300 DEF/200 → 700 (4)]   „Schnapp' dir sein Monster!“, befahl Velvet im Anschluss mit ausgestrecktem Zeigefinger. Gehorsam sprintete der Junglöwe los. [Igknight Templar] ging seinerseits in die Knie und versuchte zu zielen, doch schoss daneben, als Apelio über die Kugel hinweg sprang und den Ritter anfiel. Ein roter Lichtblitz gen Himmel beendete das Spektakel schließlich. „Hmm“, grinste Zyxx in sich hinein und fuhr sich durch seinen blonden Pagenschnitt.   [Velvet: 4000LP / Zyxx: 4000LP → 3400LP]   Velvet, der diese arrogant wirkende Szene gar nicht schmeckte, blähte beleidigt die Backen auf. Aber schön, sollte er sie nur unterschätzen. Er würde schon sehen, was er davon hatte. Frustriert von ihrer Lage schnappte sie sich gleich drei ihrer fünf verbliebenen Karten und schob sie der Reihe nach in die Zauberfallenslots ihrer Duel Disk. Dreimal zischte es, dann befanden sie sich in vergrößerter Form zu ihren Füßen. „Du bist, du, du, seltsamer Paradiesvogel, du!“ Und die Markierungen an Apelios Beinen hörten auf zu leuchten.   Spiritual Beast Apelio [ATK/2300 → 1800 DEF/700 → 200 (4)]   „Oh, wie äußerst schlagkräftig“, neckte Zyxx seine Gegnerin, die daraufhin nur die Lippen so fest aufeinander presste, dass es schon beim Anblick weh tat. Vor sich hin summend, zog der große Blonde eine Karte. Velvet hörte sofort mit ihrem kindischen Gehabe auf, als sie das Funkeln in seinen Augen bemerkte. „Deine Duel Disk. Du bist Studentin an der Cloverfield Duel Academy, richtig?“ „J-ja. I-ich meine, das geht dich gar nichts an!“ Zyxx lächelte friedlich. „Verzeih' mir, du hast natürlich Recht. Ich war nur neugierig, ob ihr Schüler euch schon mit der neuen Form der Monsterbeschwörung vertraut machen konntet.“ Das Mädchen weitete die Augen. „Pendel!?“ „Ganz genau.“ Zyxx zückte zwei seiner Handkarten, die er ihr beiläufig entgegen hielt. „Ihre Mechanik ist faszinierend und gleichzeitig bedauerlich, da Duelle dadurch sehr schnell ein Ende finden können. Prüfen wir, wie weit du schon im Stoff bist.“ Er fuhr mit den beiden Karten unter seiner Handfläche über seine Monsterzonen und platzierte an dessen äußeren Enden zwei Karten, deren Ränder in der Mitte von Gelb ins Grüne übergingen. „Ich aktiviere [Igknight Cavalier] mit dem Pendelbereich 2 und [Igknight Margrave] mit dem Pendelbereich 7. Pendulum Scales set!“ Zwei hellblaue Lichtsäulen schossen neben Zyxx aus dem Boden. In der von ihm aus linken befand sich eine Ritterin in pinker Rüstung, die ein Messer mit Visier in der Hand hielt. Weitere befanden sich an ihrem rechten Oberschenkel befestigt. In der anderen Säule dagegen stieg ein Krieger in schwarz-roter Rüstung in die Höhe, der zwei Macheten mit Gewehrläufen mit sich führte.   <2> Zyxx' Pendelbereich <7>   Velvet weitete die Augen und schluckte. Dann war der rote Blitz, der eben in den Himmel gestiegen war, auch von einem Pendelmonster ausgegangen! Weiter kam sie jedoch nicht, denn in dem Moment richteten die beiden Ritter in den Lichtsäulen ihre Waffen aufeinander. Und Zyxx schnippte. Es knallte zweimal synchron. Und sowohl Cavalier, als auch Margrave explodierten und stiegen als rote Lichtstrahlen gen Himmel, wo sie von einem riesigen Loch absorbiert wurden, was sich gleich darauf wieder schloss. „S-sie haben sich gegenseitig zerstört!?“, stammelte Velvet irritiert. Zyxx schüttelte aber den Kopf. „Nein, Liebes, ich habe sie mithilfe ihrer Effekte zerstört. Wenn die beiden sich gegenseitig vernichten, erhalte ich einen neuen Igknight von meinem Deck.“ Er säuselte etwas, dann zückte er die Karte hervor, die aus seinem Deck geschoben wurde. „[Igknight Gallant], mit dem Pendelbereich 2.“ Zyxx lächelte und ließ hinter dem normalen Pendelmonster ein weiteres zwischen seinen Fingern erscheinen. „Den kombiniere ich mit [Igknight Veteran], Pendelbereich 7. Pendulum Scales set.“ Die hellblauen Lichtsäulen schossen erneut zu seiner Linken und Rechten aus dem Boden. Sie trugen einen Ritter in stahlblauer Rüstung, welcher ein Maschinengewehr mit Klingenaufsatz in den Händen hielt, sowie einen Schwert schwingenden in schwarz-hellblauer Panzerung empor.   <2> Zyxx' Pendelbereich <7>   Kaum hatten die beiden ihren Höhepunkt erreicht, richtete Gallant sein Maschinengewehr auf Veteran, welcher seinerseits den Griff seines Schwertes Richtung seines Kameraden hielt, in welchem eine Uzi eingebaut war. Beide feuerten simultan aufeinander und explodierten synchron. Rote Blitze schossen in das sich öffnende Pendelportal. „W-was!? Schon wieder!?“ „Natürlich. Es handelt sich um denselben Effekt wie eben.“ Zyxx griff nach seinem Deck. „Ich erhalte [Igknight Paladin] von meinem Deck, Pendelbereich 2.“ Er zeigte die Karte vor, fächerte hinter ihr jedoch noch zwei weitere aus. „Diesen kombiniere ich mit [Igknight Squire], Pendelbereich 7. Dazu aktiviere ich den Spielfeldzauber [Ignition Phoenix], der alle Igknights um 300 Punkte auf beiden Werten stärkt.“ Velvet klappte die Kinnlade herunter, als über Zyxx ein gewaltiger Flammenphönix aufstieg, der rötliche Entladungen in alle Himmelsrichtungen ausstieß. Der Blonde verkündete: „Pendulum Scales set.“ Abermals schossen neben ihm die hellblauen Lichtsäulen aus dem Boden. Dieses Mal befanden sich in ihnen ein Krieger in schwarzer Panzerung, der eine lange Nadelklinge mit sich führte und einer in gelber Rüstung, der eine Pistole mit Klingenlauf in der Hand hielt.   <2> Zyxx' Pendelbereich <7>   Zyxx kicherte beim Anblick der verdutzen Velvet. Er besaß keine Handkarten mehr. „Nun, kleines Vögelchen, was haben wir über Pendelmonster gelernt?“ Aber die Schwarzhaarige antwortete nicht. Sie war wie gelähmt vom Anblick des Phönix in der Luft. Sie spürte die Hitze, die von ihm ausging – einem Hologramm! „Du weißt es nicht? Schade. Jedes Pendelmonster, das auf dem Spielfeld zerstört wird, wird aufgedeckt auf das Extradeck seines Besitzers gelegt. Von dort kann es via Pendelbeschwörung zurückgerufen werden, wenn seine Stufe im aufgestellten Pendelbereich des Spielers liegt, ohne diesen dabei zu berühren.“ Zyxx schnalzte mit der Zunge, als er bemerkte, dass seine Gegnerin ihm gar nicht zuhörte. „Kurz gesagt, ich kann jetzt all die kleinen Ritterlein von eben zurückrufen. Pendulum Summon!“ Über ihm öffnete sich ein riesiges, buntes Loch im Himmel, um das sich zahllose Lichtellipsen schlossen. Der Anblick zog Velvets Aufmerksamkeit auf sich, die einen entsetzen Schrei ausstieß. „Von meinem Extradeck, die Igknights Templar, Cavalier, Margrave, Gallant und Veteran!“ Nacheinander schossen gleich fünf rote Lichtstrahlen aus dem Portal und schlugen vor Zyxx in den Boden ein. Dort wurden sie zum Sniper-Schwert-Ritter, der pinken Kunoichi, dem Doppelmacheten-Pistolero, dem Maschinengewehr-Krieger und dem Uzi-Schwertschwinger, welcher in die Knie ging. Sie alle wurden von den elektrischen Ausstößen des Flammenphönix in der Luft berührt.   Igknight Templar [ATK/1700 → 2000 DEF/1300 → 1600 (4) PSC: <7/7>] Igknight Cavalier [ATK/2400 → 2700 DEF/1200 → 1500 (5) PSC: <2/2>] Igknight Margrave [ATK/1500 → 1800 DEF/2500 → 2800 (5) PSC: <7/7>] Igknight Gallant [ATK/2100 → 2400 DEF/2200 → 2500 (6) PSC: <2/2>] Igknight Veteran [ATK/1300 → 1600 DEF/2700 → 3000 (6) PSC: <7/7>]   Beim Anblick der Monsterarmee verschlug es Velvet die Sprache. Den Legacy Cup hatte sie im Fernsehen mitverfolgt und gesehen, wie Othello Nikoloudis mit seinen Pendelmonstern den Sieg errang. Doch selbst hatte sie solchen Karten bisher noch nie gegenüber gestanden. Fünf derart starke Monster so einfach zu beschwören, das war unbeschreiblich. Deren gesamte Angriffskraft konnte sie in einer Battle Phase vernichten! Anscheinend dachte Zyxx dasselbe, denn er seufzte. „Oh je, habe ich dich verschreckt? Wäre mein Anliegen nicht von so großer Wichtigkeit, würde ich mir glatt wünschen, dass unser kleines Gefecht noch etwas andauert.“ Er hob den Arm wie einen Admiral mit der Handfläche nach unten gerichtet. „Aber ich habe meine Befehle. Entschuldige. [Igknight Cavalier], zerstöre [Spiritual Beast Apelio]!“ Die pinke Ritterin gab einen zustimmenden Laut von sich und warf die Klinge in ihrer Hand auf den Junglöwen. Jener wurde in der Brust getroffen. Ein Schuss löste sich aus dem Pistolenteil der Klinge und durchdrang den Körper des Tiers, schoss durch Velvet hindurch. Die sackte in die Knie, verpasste der Treffer ihr einen schmerzhaften Stich in der Schulter. Es raubte ihr die Luft zum Atmen. „Ah!“   [Velvet: 4000LP → 3100LP / Zyxx: 3400LP]   Sie fasste an die schmerzende Stelle, berührte den Stoff ihres violetten Kleides. Doch da war nichts, kein Blut, wie sie es bei anderen Duellen in ihren Visionen oft gesehen hatte. „Ich würde dir niemals ernsthaft weh tun“, sagte Zyxx aufrichtig. „Einer meiner Untergebenen hat die Sicherheitseinstellungen dieses Dings ein wenig hochgeschraubt. Nur ein klitzekleines Bisschen.“ Er hob dabei demonstrativ seine Energie-Duel Disk an und zwinkerte ihr zu. Velvet erhob sich. Ihr war ganz flau auf dem Magen. „I-ihr könnt doch nicht mit deaktivierten Schutzmechanismen rumlaufen! Leute könnten verletzt werden!“ „Leider ist das Ganze nicht so einfach. Aber das werde ich dir erklären, wenn du mitkommst.“ „Niemals!“ „Ich möchte dich an unsere Abmachung erinnern.“ Diesmal funkelten seine Augen auf andere Art und Weise. Gefährlich, berechnend. „Gewinne ich dieses Duell, wirst du genau das tun.“ Ohne wirklich darüber nachzudenken, nickte das Mädchen. Sie hatte Angst. Dieser Mann wollte sie entführen. Was hinderte ihn daran, es nicht trotzdem zu tun, wenn sie gewann? Wie sollte sie bloß entkommen, wenn diese seltsame Technik sie daran hinderte? Und was wurde aus Sammy? Der androgyne Mann legte ein bedauerndes Lächeln auf. „Und wie es aussieht, wird das jeden Moment der Fall sein.“ In dem Moment kam Velvet wieder zur Besinnung und aktivierte geistesgegenwärtig den Schalter an ihrer Duel Disk. „Nein!“ Ihre gesetzte normale Falle klappte auf. Auf ihr war ein sagenhafter Wald zu sehen, in welchen auf einer Lichtung ein blondes Mädchen niederkniete. Aus der Karte schoss eine transparente Gestalt und fegte in sagenhafter Geschwindigkeit um das Spielfeld, unterband jeden Versuch der Kriegertruppe, die Waffen zu erheben. „D-du hast den Zorn der Ritual Beasts auf dich gezogen. Wenn du ein Monster dieses Themas zerstörst, beendet [Spiritual Beast's Protection] automatisch deinen Zug“, erklärte Velvet keuchend. Zyxx, seiner Angriffe beraubt, kicherte amüsiert. „Weniger hätte ich auch nicht von dir erwartet, kleines Täubchen. Nun denn, so sei es.“   Velvet nahm die oberste Karte ihres Decks auf und betrachtete sie nervös. Zwar mochte ihr Gegner keine Handkarten besitzen, dafür aber eine Armee an mächtigen Monstern, die er jede Runde neu beschwören konnte. Was bedeutete, dass es sinnlos war, es mit ihnen aufnehmen zu wollen. Ihre einzige Hoffnung lag darin, einen einzigen, vernichtenden Schlag auszuteilen. Sie blickte herab zu ihren Füßen, wo ihre beiden verbliebenen Fallen verdeckt lagen. Damit konnte sie es schaffen, aber noch war es zu früh. Unsicher blickte sie auf. „A-also dann, ich beschwöre [Ritual Beast Tamer Wen]. Wenn sie gerufen wird, beschwört sie ein verbanntes Spiritual Beast. Erscheine, [Spiritual Beast Pettlephin]!“ Eben das Mädchen im violetten Kleidchen auf dem Artwork von [Spiritual Beast's Protection] tauchte vor Velvet auf. Wen hielt einen langen Zauberstab in den Händen, in dessen Kopf ein ovaler, blauer Kristall eingelassen war. Jenen schwang sie aus, wodurch dichter Nebel um sie herum entstand. Jener formte sich zur Gestalt eines pinken Delfins, der in der Luft schwebte. Auf seiner Stirn befand sich ebenfalls ein blauer Edelstein. Ritual Beast Tamer Wen [ATK/1500 DEF/1000 (3)] Spiritual Beast Pettlephin [ATK/0 DEF/2000 (4)]   Tief durchatmend schob sie ihre aufgezogene Karte einen der freien Zauberfallen-Slots, wodurch eine dritte verdeckte Karte zu ihren Füßen erschien. Dann verkündete sie: „Jetzt lernst du eine besondere Art der Fusion kennen!“ Sie breitete beide Arme weit von sich aus. „Oh Adeptin der Beschwörungskunst. Oh Meereskreatur der Güte und Reinheit!“ Beide Monster stiegen in die Luft auf. Parallel dazu richtete das schwarzhaarige Mädchen ihre Hände nach oben, wo sie sie ineinander faltete. „Bindet euch aneinander! Contact Fusion!“ Energisch riss sie die zusammenballten Hände nach unten. Über ihr wuchs der Jungdelfin zu beachtlicher Größe an, um den Kristall auf seiner Stirn bildete sich eine silber-blaue Haube. Gleichzeitig bestieg Wen ihren Kameraden wie ein Reittier. „Beschütze mich, [Ritual Beast Ulti-Pettlephin]!“ Jener sank zu Velvet hinab und blockierte den Weg. Die Brillenträgerin räusperte sich. „Z-zug beendet.“ Ritual Beast Ulti-Pettlephin [ATK/200 DEF/2800 (6)]   „Contact Fusion? Wie interessant“, plauderte Zyxx, während er nebenbei zog, „so eine Art der Verschmelzung habe ich bisher nicht kennenlernen dürfen. Ganz ohne Fusionskarte, fabelhaft.“ „A-an ihm kommst du nicht vorbei.“ Es gab jedoch kein Anzeichen, dass der Mann von ihren Worten in irgendeiner Form überzeugt war, weshalb Velvet die Finger verkrafte und schluckte. „Ich möchte nun den zweiten Effekt meiner Spielfeldzauberkarte [Ignition Phoenix] aktivieren. Die Flammen mögen einen meiner Igknights verzehren“, kündigte der Blondschopf an. Ein gellender Schrei ging vom flammenden Vogel über ihm aus und [Igknight Veteran] wurde kurzerhand Opfer einer spontanen Selbstentzündung, „doch aus der Asche wird ein neuer Ritter geboren. Ich erhalte [Igknight Champion] von meinem Deck auf die Hand.“ Der Apparat an seinem Arm schob die Karte aus, während eine rote Lichtessenz gen Himmel stieg, wo das sich öffnende Himmelsloch sie aufsog. Waren all seine Krieger zuvor effektlose Pendelmonster, hatte dieses einen rein braunen Kartenrahmen, wie Velvet bemerkte. Ihr blieb jedoch keine Zeit, diese Info zu verarbeiten, denn nacheinander gingen auch der Katana-Schwinger Templar, Gallant mit dem Maschinengewehr und die Kunoichi Cavalier in Flammen auf, die vom Pendelportal absorbiert wurden. Zyxx zeigte sein Monster vor. „[Igknight Champion] ist ein ganz schöner Schlingel. Ich muss schon drei seiner Kameraden zerstören, um ihn überhaupt rufen zu können.“ Eine gewaltige Stichflamme schoss vor ihm aus dem Boden und brachte einen Hünen in grüner Panzerung mit sich. Jener war mit einer massiven Kanone bewaffnet, die er mit einer Hand schulterte, während die andere ein Harpunengeschoss fest umklammert hielt.   Igknight Champion [ATK/2800 → 3100 DEF/2300 → 2600 (8)]   Velvet stieß bei seinem Anblick einen entsetzten Schrei aus. Belehrend schwang Zyxx dabei den Zeigefinger. „Unartiges Ding, du. Denkst du, ich weiß nicht, dass du eine kleine Überraschung für mich im Friedhof liegen hast?“ Er zwinkerte ihr verschwörerisch zu. Dem Mädchen gefror das Blut in den Adern. Wenn er davon wusste, dann-!? „Los, mein Champion, aktiviere deinen Effekt.“ Dabei nahm Zyxx sein letztes, verbliebenes Pendelmonster auf dem Feld, [Igknight Margrave] mit den Doppelpistolen, auf sein Blatt zurück. Jener löste sich vor ihren Augen in gleißende Flammen auf, die von der Harpune des Hünen absorbiert wurden. „Dein süßer Delfin schwimmt jetzt prompt ins Extradeck zurück.“ [Igknight Champion] richtete seine Kanone auf Wen und ihr Reittier, das schützend vor Velvet verharrte, und lud es mit seinem Geschoss. Dann feuerte er. Aber Velvet hielt in einem Anflug von Todesmut dagegen. „Das wird er, aber nicht so wie du denkst! Contact out!“ Rechtzeitig sprang das blondgelockte Mädchen von Pettlephin ab, der augenblicklich schrumpfte und wieder die Form eines Jungtiers annahm. Die Harpune zischte zwischen ihnen beiden hindurch an Velvet vorbei und krachte in einen Baum. Es knarzte so laut, dass das Mädchen vor Schreck zusammenzuckte.   Ritual Beast Tamer Wen [ATK/1500 DEF/1000 (3)] Spiritual Beast Pettlephin [ATK/0 DEF/2000 (4)]   „Oh?“, machte Zyxx einen langgezogenen Laut. „Du kannst die Fusion also jederzeit rückgängig machen?“ Das Mädchen nickte. „J-ja, aber das funktioniert nur einmal pro Zug.“ „Aber das macht es doch nur umso leichter für mich, mein Liebes.“ Zyxx seufzte und richtete seinen linken Arm in die Höhe. „Schwinge, mein Pendulum. Ich beschwöre aus dem Extradeck die Igknights Templar, Cavalier, Gallant und Veteran. Pendulum Summon!“ Über ihm öffnete sich das Pendelportal und stieß vier rote Lichtstrahlen aus, die als Katana-Scharfschütze, pinke Ninjaritterin, schwer bewaffneter Maschinengewehr-Kämpfer und niederkniender Langschwert-Schwinger Form annahmen.   Igknight Templar [ATK/1700 → 2000 DEF/1300 → 1600 (4) PSC: <7/7>] Igknight Cavalier [ATK/2400 → 2700 DEF/1200 → 1500 (5) PSC: <2/2>] Igknight Gallant [ATK/2100 → 2400 DEF/2200 → 2500 (6) PSC: <2/2>] Igknight Veteran [ATK/1300 → 1600 DEF/2700 → 3000 (6) PSC: <7/7>]   „Dann werde ich wohl mal.“ Der Mann mit den regelrecht funkelnden Augen sah Velvet an und hob den Arm. „Angriff, meine flotten Ritterchen.“ „Nicht so hastig!“ Velvet aktivierte eine ihrer gesetzten Karten. „Schnellzauber [Ritual Beast's Bond]. Sie lässt mich sofort eine Contact Fusion in deinem Zug durchführen.“ Wieder streckte sie beide Hände weit von sich. „Oh Adeptin der Beschwörungskunst. Oh Meereskreatur der Güte und Reinheit! Bindet euch aneinander! Contact Fusion!“ Wieder stiegen ihre beiden Monster ein Stück weit über ihr in die Luft. Wen bestieg Pettlephin, der zunehmend wuchs und älter wurde und zusammen schwebten sie vor dem Mädchen. „Beschütze mich, [Ritual Beast Ulti-Pettlephin]!“ Ritual Beast Ulti-Pettlephin [ATK/200 DEF/2800 (6)]   Ihr Gegner fasste sich an die Stirn und stöhne. „Na was denn jetzt? Ihr jungen Dinger heutzutage könnt euch einfach nicht für eine Sache entscheiden.“ Er zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Da muss ich wohl durch. Angriff auf ihr Tierchen, [Igknight Champion].“ „D-da du sowieso weißt, was auf meinem Friedhof liegt, aktiviere ich den Effekt.“ Velvet nahm jene Karte aus ihrem Ablagestapel heraus. „[Bacon Saver] negiert den Angriff, wird aber verbannt.“ Der Krieger feuerte aus seiner Kanone auf den Delfin und seine Reiterin. Vor denen materialisierte sich ein schwarzes, kugelrundes Schweinchen, das nur einmal nieste, um den Feuerstoß verpuffen zu lassen. Dies aber so stark, dass es glatt sein ganzes Skelett ausprustete und verschwand. Mit vorgehaltener Hand kicherte Zyxx mädchenhaft: „Wie süß. Aber das heißt ja, dass ich nicht mehr an deinem Ulti-Pettlephin vorbeikomme …“ Velvet zog es vor, das gar nicht erst zu kommentieren, wenn auch nur aus Angst, im Anschluss eine böse Überraschung zu erleben. Ihr hellblonder Gegner nahm eine seiner beiden Karten aus dem Blatt und aktivierte sie. „Nun, meine Jungs müssen sich etwas Neues ausdenken. [Igknight Reload] lässt mich beliebig viele Pendelmonster von meiner Hand ins Deck zurückmischen, um dann eine Karte mehr zu ziehen, als ich aufgegeben habe.“ Er legte den [Igknight Margrave] auf sein Deck, das sich automatisch durchmischte und zog dann zwei Karten, die er beide fröhlich summend in seine Duel Disk einlegte. Zischend tauchten sie zu seinen Füßen auf. „Du bist dran, Täubchen.“   Indes beobachteten zwei Gestalten vom Rande der Lichtung das Geschehen. „Davor hat der maskierte Dämon also gewarnt?“ Die junge Frau, die komplett in eine schwarze Kutte gehüllt war und eine weiße Porzellanmaske trug, schnaufte verächtlich. „Was ist an diesem Mädchen so besonders?“ Kalis Begleiterin stand hinter dieser. Zwischen den beiden befand sich ein durchsichtiges, goldenes Gitter, die Farben dahinter waren deutlich aufgehellt. So erwiderte die brünette Frau mit dem langen Zopf wissend: „Sie besitzt die Gabe, die Zukunft vorherzusehen. Und damit auch die Macht, sie zu ändern.“ Die selbsternannte Dämonengöttin blickte über ihre Schulter und sah die Frau in weißer Robe, mit darüber liegendem, grauem Umhang an. Und lachte auf. „Ernsthaft? So etwas gibt es?“ „Zweifelst du an meinem Urteil?“ „Natürlich nicht, Lady Gardenia“, gab Kali kleinlaut bei. „Es ist nur seltsam. Wie alt ist das Mädchen, vielleicht sechzehn? Wieso kommt erst jetzt jemand und will sich ihrer bemächtigen?“ Gardenia schloss die Augen. „Sicher werden wir bald mehr wissen. Aber wenn die Hintermänner dieses Zyxx ihn, einen Vampir, schicken, steht etwas von großer Bedeutung bevor.“ „Na klasse“, brummte Kali, während das Erscheinungsbild der brünetten Frau hinter ihr zusammen mit dem flackernden Goldnetz verschwand, „und ich bin die Dumme, die sich drum kümmern muss.“ „M-mein Zug“, nickte Velvet derweil und schluckte. „D-draw.“ Du kannst es schaffen, versuchte sie sich selbst Mut zuzusprechen. Jetzt war der perfekte Zeitpunkt, ihre Kombo zu entfesseln. Wenn sie doch nur genug Selbstbewusstsein hätte. Aber da war nichts, nur Angst. „I-ich aktiviere eine Falle“, nuschelte sie mit zitternder Stimme. Sofort klappte die zu ihrer Linken liegende Karte vor ihr auf. „Das ist [Return From The Different Dimension]. S-sie holt all meine verbannten Monster für einen Zug aufs Feld, aber das kostet mich die Hälfte meiner Lebenspunkte.“ Grüne Aura brannte um die Schwarzhaarige. Zwei Spalten im Raum-Zeit-Gefüge öffneten sich vor ihr, dehnten sich aus. Doch der Anblick verschwamm unvermittelt vor ihren Augen. Keuchend fasste Velvet sich an die Stirn und senkte das Haupt. Was war das!? Ihr war ganz schwindelig!   [Velvet: 3100LP → 1550LP / Zyxx: 3400LP]   Aus den Rissen flogen der pinke Jungdelfin und das blond-gelockte Mädchen Wen. Beide gesellten sich neben das gereifte Delfinreiter-Duo. Ritual Beast Tamer Wen [ATK/1500 DEF/1000 (3)] Spiritual Beast Pettlephin [ATK/0 DEF/2000 (4)] „U-und jetzt beschwöre ich [Ritual Beast Tamer Lara], durch deren Effekt ich ein Spiritual Beast vom Friedhof auferstehen lassen kann.“ Velvet entnahm ihrem Friedhof die einzig passende Karte für dieses Unterfangen. „Kehre zurück, [Spiritual Beast Apelio]!“ Zuerst tauchte ein junges Mädchen mit kupferblondem Haar auf, gekleidet in einer grünen Robe samt Umhang, die ihren Holzzauberstab zur Seite ausschwang. Bunte Nebel sammelten sich dort, aus denen der Junglöwe mit der glühenden Mähne und Schweifspitze erschien.   Ritual Beast Tamer Lara [ATK/100 DEF/2000 (1)] Spiritual Beast Apelio [ATK/1800 DEF/200 (4)]   „Oh? Wie putzig“, gluckste Zyxx und Velvet konnte nur ahnen, ob er das sarkastisch meinte oder nicht. „Eine süße kleine Armee hast du da aufgestellt.“ Die Brillenträgerin schluckte und nahm all ihren Mut für einen Konter zusammen. „Aber sie hat keine Chance gegen deine Ritter. Das ist, was du sagen willst, stimmt's?“ „Der Gedanke liegt mir fern.“ Er zwinkerte verschwörerisch, als ob er nur mit ihr spielte. Doch genau darauf hatte das Mädchen gewartet, denn ihm würde hören und sehen vergehen. „Der Zusammenhalt meiner Monster ist stärker als du es dir vorstellen kannst. Ich aktiviere meine verdeckte Falle, [Ritual Beast Steeds]. Schwärmt aus!“ Erst löste sich der schwebende Delfin mit seiner Reiterin aus der Formation und sauste als Anführer auf Zyxx' Harpunier zu. Die beiden Mädchen Wen und Lara nickten einander zu und peilten die Kunoichi sowie den Scharfschützen an. Apelio und Pettlephin folgten ihnen und peilten die übrigen beiden Feuerritter an. Einer nach dem anderen prallten sie auf die feindliche Front und überrannten sie einfach. Zyxx musste fünf hintereinander folgende Explosionen über sich ergehen lassen. „[Ritual Beast Steeds] zerstört für jedes Monster aus dem Heiligen Wald eines von deinen. Du bist völlig schutzlos!“ Kaum waren ihre Monster zurückgekehrt, streckte Velvet beide Hände von sich aus. „Und jetzt lernst du mein Lieblingsmonster kennen. Oh Wunderkind der Beschwörung! Oh Bestie des Stolzes und der Redlichkeit!“ Apelio und Lara schwebten zusammen über ihr in die Luft. Dabei wuchs der Junglöwe auf beachtliche Größe an, seine Mähne spross und loderte, seine Haut verdunkelte sich. „Bindet euch aneinander!“ Velvet faltete die Hände über dem Kopf zusammen und riss sie zu einer Faust geballt hinab. „Contact Fusion!“ Die Magierin schwang sich auf den Rücken Apelios, welcher elegant vor seiner Besitzerin auf den Pfoten gelandet war und sie um mindestens einen Kopf überragte. „Kämpfe, [Ritual Beast Ulti-Apelio]!“ Mit einem imposanten Brüllen verkündete der Löwe seine Ankunft, während er von seiner Reiterin sanft getätschelt wurde.   Ritual Beast Ulti-Apelio [ATK/2600 DEF/400 (6)]   Beide Hände immer noch ineinander gefaltet, presste sie jene gegen ihre Brust. „Bitte, hilf mir, Apelio! Direkter Angriff! Ethereal Advance!“ Seine Reiterin Lara streckte ihren langen Zauberstab weit aus, als gäbe sie denselben Befehl. Und der Löwe begann voran zu stürmen. Dabei zog er gleißende Flammen hinter sich her. Doch Zyxx belächelte das Ganze nur. „Wie ein Vögelchen, das freiwillig in seinen Käfig fliegt.“ „W-was!?“ „Tsk, tsk, tsk, du bist du wohl ein wenig zu übereifrig gewesen, Herzchen.“ Zyxx schnippte mit dem Finger. Seine linke gesetzte, grün-umrandete Karte sprang auf. Velvet keuchte. „Die beiden Schätzchen hier hast du wohl vergessen? Jammerschade, das kostet dich das Duell. [Igknight Explode]!“ Zyxx richtete seinen Arm mit der Energie-Duel Disk daran auf Velvet, ballte eine Faust. Dann schossen nacheinander vier Flammenbälle aus ihr. „Mit diesem Schnellzauber verbrenne ich all deine Monster, solange ich eine vergleichbare Zahl an Feuer-Pendelmonstern in meinem Extradeck liegen habe. Nicht nur deine Monster kennen Zusammenhalt, mein Täubchen.“ Mit weit aufgerissenen Augen sah Velvet mit an, wie erst Ulti-Apelio und seine Reiterin von einer der Feuersphären getroffen wurde und in einem Inferno aufgingen. Dann erwischte es die Einzelgängerin Wen und den pinken Jungdelfin, ehe Ulti-Pettlephin als Letztes mit seiner Begleiterin dem Flammen zum Opfer fiel. Anstatt aber in Panik auszubrechen, atmete die Schülerin im pink-weiß-geblümten Kleid und den schwarzen Leggins tief durch. „D-das funktioniert aber nicht. [Ritual Beast Ulti-Pettlephin] besitzt den Effekt, einmal pro Zug nicht durch Effekte zerstört werden zu können.“ „Oh, habe ich mich falsch ausgedrückt? Ups.“ Er kicherte wieder auf diese unterschwellig abwertende Art und Weise. „Die von [Igknight Explode] getroffenen Monster werden direkt verbannt.“ „Ah!“ Erst flog die Asche der brennenden Wen durch die Luft, dann die von Pettlephin junior und schließlich seinem älteren Ebenbild. Velvet brachte kein Wort hervor. Zyxx aber auch nicht, denn das letzte in Flammen stehende Lebewesen auf dem Feld zerfiel nicht wie die anderen zu Asche – es rannte plötzlich auf ihn zu. „Was!?“ Sich aus dem Feuer lösend, sprang Ulti-Apelio auf seinen Feind zu und verpasste ihm einen mächtigen Hieb mit seiner Tatze.   [Velvet: 1550LP / Zyxx: 3400LP → 800LP]   „D-das wollte ich auch noch sagen. Während des Angriffs ist [Ritual Beast Ulti-Apelio] vor Karteneffekten geschützt“, erklärte Velvet und atmete erleichtert auf. Wenigstens er war ihr geblieben. Zyxx torkelte, kalt erwischt von dem Treffer, ein wenig zurück, fing sich dann aber wieder. „Also hast du meine verdeckten Karten doch nicht vergessen, sondern vorgesorgt. Bravo!“ Er klatschte in die Hände und strahlte dabei aufrichtig begeistert. So wie er da stand und sich wie ein kleines Kind freute, konnte Velvet gar nicht glauben, dass er ihr etwas Böses wollen könnte. Aber nein! Er hatte Sammy entführt und mit ihr das Gleiche vor! Allein der Gedanke versetzte sie sofort wieder in Angst und Schrecken. „Übrigens weiß ich, dass deine stolze Bestie sich in ihre Ursprungsform zurückverwandeln kann. Also lass dir gesagt sein, dass [Igknight Explode] bis zum Ende des Zuges keine Spezialbeschwörungen mehr erlaubt.“ Zyxx lächelte immer noch vergnügt. Tatsächlich traf dieser Nebeneffekt Velvet weniger als er vermutete, denn da jedes Spiritual Beast nur einmal pro Zug spezialbeschworen werden konnte und sie dies mit Apelio junior bereits getan hatte, konnte sie dessen erwachsene Form in diesem Zug nicht mehr umkehren. „I-ich setze meine letzte Handkarte verdeckt. Zug beendet“, verkündete Velvet wenig erbaut in Anbetracht ihrer Zukunftsaussichten. „Oh …“ In dem Moment erinnerte sie sich wieder an ihre Vision. Sie hatte sich noch nicht geändert, also würde sie wohl zumindest so schnell nicht sterben. Moment! Dieser Mann! War es möglich, dass -er- etwas damit zu tun hatte!?   Zyxx zog indes schweigsam auf. Dann sah er sie an. Da war ein Funkeln in seinen klaren, grünen Augen, gefährlich. Das eines Jägers. Schluckend sah Velvet auf ihre Duel Disk. Außer ihrer verdeckten Karte und Ulti-Apelio war ihr nichts geblieben. Und sobald dieser Mann seine Ritterarmee aus dem Extradeck zurückgependelt hatte, würde er sie endgültig überrennen. Ihr blieb gar keine andere Wahl. Das Mädchen biss sich auf die Lippen. „Es tut mir leid. Bitte verzeih' mir, Ulti-Apelio! Ich aktiviere meine verdeckte Falle [Gale Echo]!“ Jene purpurn umrandete Karte sprang vor ihr auf und zeigte einen schwarzen Adler in einer Höhle, der verletzt am Boden lag und einen Schrei ausstieß. „Sieh einer an, damit habe ich nicht gerechnet“, kokettierte Zyxx amüsiert. „Diese Falle zerstört erst all meine Monster des Attributs Wind“, presste Velvet mühsam hervor und sah weg, als ihr Löwe und seine Reiterin explodierten, nicht ohne jedoch vorher verzweifelt aufzustöhnen. Als sie fort waren, sah die Schwarzhaarige wieder geradeaus. „Danach darf ich einen Schnellzauber oder eine Falle von meinem Friedhof aktivieren. Und da in diesem Zug ein Ritual Beast zerstört wurde, wähle ich [Ritual Beast's Protection]!“ Plötzlich drang hinter ihr die durchsichtige Silhouette Ulti-Apelios vor und zischte auf Zyxx zu, der überrascht aufsah. Der Geist raste durch ihn hindurch und verschwand. „Ich erinnere mich“, sprach Zyxx und richtete seine verrutschte Federboa, „der kleine Zauber, der sofort den Zug beendet. Raffiniert. Also dann bin ich wohl fertig, noch bevor ich angefangen habe.“   Velvet griff nach ihrem Deck. Schweiß stand ihr auf der Stirn geschrieben. Sie hatte ihm verschwiegen, dass [Gale Echo] die zerstörten Monster während ihres dritten darauffolgenden Zuges wieder zurück beschwor, doch solange würde sie nicht durchhalten. Es sei denn, es geschah jetzt ein Wunder. Sie griff mit zitternder Hand nach ihrem Deck. Sein Feld war noch offen für einen direkten Angriff. Wenn sie ein Monster mit mindestens 800 Angriffspunkten zog, würde sie gewinnen. Das hieß, falls sie eines zog. „Bitte“, flüsterte sie aufgewühlt. Es war ihre einzige Chance! Nächste Runde würde er seine Pendelmonster beschwören! „Bitte!“, rief sie noch einmal eindringlich aus und riss die oberste Karte von ihrem Deck. Aufgeregt betrachtete sie und stieß einen entsetzten Schrei aus. Eine Falle! Und vollkommen nutzlos in ihrer derzeitigen Lage. Entgeistert sah sie zu Zyxx auf. Entgegen ihrer Annahme ergötzte er sich aber nicht an ihrem Anblick, sondern betrachtete sie beinahe mitleidig. Velvet nahm die Karte in beide Hände. Nass erfüllte ihre Augen bei der Erkenntnis, was das für Konsequenzen hatte. Mutlos sank sie in die Knie und schluchzte. Alles war vorbei. Er würde sie mitnehmen, entführen. Sie könnte versuchen wegzurennen, aber er war ein Mann, hatte die längeren Beine und war bestimmt fitter als sie. „Oh nein, nein …“, jammerte sie und rieb sich hinter ihrer Brille die Augen. Zyxx setzte dazu an etwas zu sagen, sprach jedoch seine Gedanken nicht aus.   Da durchfuhr es Velvet wie ein Blitz. Sie weitete die Augen. Sie -sah-! Wie sie mit Zyxx ging. Ein schwarzes, ovales Portal betrat, in dessen glänzender Oberfläche sie ihre Reflexion sah. Ein Zeitsprung nach vorne. Viele Menschen um sie herum, in einer großen Halle. Sie alle betrachteten sie fragend, manche sogar ehrfürchtig. Es folgte noch ein Schnitt. Sie sah den Rücken eines Mannes, kräftig und breit. Sein schneeweißes Haar lag ihm weit über die Schultern hinaus. Er drehte sich um und plötzlich standen sie sich auf den Fenstern der beiden gegenüber liegenden Hochhäuser auf unterschiedlichen Höhen entgegen. Dann auf einmal umschlang sie eine Dunkelheit, wie sie sie noch nie gesehen hatte. Keuchend kippte Velvet vorne über. Das war die Zukunft! So sah sie aus, wenn sie mit Zyxx ging. Dieser Mann am Ende. Sie hatte sein Gesicht nicht gesehen. Aber was sie gefühlt hatte, es war so real gewesen, als wäre es bereits geschehen. Furcht! Dieser Fremde wollte sie umbringen, dessen war sich sicher. Niemals zuvor war sie in so eine Schwärze eingetaucht. Sie musste ihre Fähigkeiten nicht gut kennen um zu wissen, dass -das- das Ende war. Ihr Ende.   Velvet weitete die Augen. Ein blauer Funke trat aus ihnen heraus, als sie die erschreckende Erkenntnis traf. „Nein!“ Schreiend sprang das Mädchen auf, nein, wurde regelrecht auf die Beine gerissen. Aus beiden Augen loderte es hellblau, leichte Schlieren tanzten in der Luft. Velvet sah gen Himmel und streckte beide Arme aus, ihre Iriden färbten sich blutrot. „The sky is torn open!“ Ohne wirklich zu wissen, was sie da überhaupt tat, schlug sie ihre rechte, zur Faust geballte Hand gegen die Brust. „Summoning contract established!“ Dann nahm sie sie und richtete sie in die Höhe. Acht grelle Lichter stiegen um sie herum aus dem Boden auf, verteilten sich hinter ihr in einer Sternenformation und festigten sich zu einem kreisrunden Tor, in dem sich die Sphären als Runen manifestierten. Jedes Symbol hatte einen eigenen Teilkreis, in dem es steckte. „Witness the creation of the eternal gate!“ Hatte Zyxx bisher stets die Beherrschung gewahrt, stieß er jetzt einen verwunderten Laut aus. Gefolgt von einem Flüstern. „Kann es sein …?“ Ruckartig schossen die einzelnen Bestandteile des Portals nach hinten, als Velvet rief: „Soar, ascend, exceed!“ In den Grenzen des Tors lag ein langer, bunter Tunnel. Ein dunkler Schatten in seinem Inneren näherte sich. „Open the enternal gate! Excel Summon!“ Velvet riss den erhobenem Arm hinunter und zeigte ihren Handrücken, in dem ein schwarzer Stern eingraviert war. „Grade 8! Now rise, [Ebon Sky Pegasus]!“ Dann folgte ein Moment kompletter Schwärze, als ihre Kreatur das Feld betrat. Das Portal hinter Velvet schwand, als das Licht zurückgekehrt war. Und über ihr verharrte ein majestätisches Wesen, wie selbst Zyxx es noch nie gesehen zu haben schien. „Wunderschön“, hauchte er fasziniert im Antlitz des schwarzen Pegasus. Die Spitzen seiner Federschwingen und auch seine Hufe brannten in blauen Flammen. Nicht anders war es mit der wallenden Mähne. Auf seinem Torso waren zu beiden Seiten rote, schwungvoll-gewellte Linien gezeichnet.   Ebon Sky Pegasus [ATK/2500 DEF/2000 X8]   Das blaue Feuer aus Velvets Augen löste sich auf, ihre Augen nahmen ihre normale, braune Farbe an. Blinzelnd stand sie da, sah mechanisch gen Himmel, wo ihr Monster auf Befehle wartete. „Huh!?“ Dann erst dämmerte es ihr. „Ah! Wo kommt das her!?“ Panisch wandte sie sich an Zyxx. „W-wie geht das?“ „Du hast es beschworen, Liebes. Was auch immer es ist.“ Seine nachdenkliche Art wich einer entschlossenen, als er sie geradewegs anstarrte. „Nun muss ich dich -wirklich- bitten, mit mir mitzukommen.“ Velvet schüttelte panisch den Kopf. Wenn sie das tat, würde sie zweifelsohne sterben. Sie sah wieder auf. Hatte sie dieses Monster wirklich beschworen? Wie? Sie erinnerte sich an diese seltsame Prozedur, aber nicht, woher sie sie überhaupt kannte. Geschweige denn, seit wann diese Karte überhaupt in ihrem Deck vorhanden war. „D-du wirst mir helfen?“, fragte sie an den schwarzen Pegasus gewandt, der aber nicht reagierte. Doch seine Karte lag auf ihrer Duel Disk, keine Frage. Statt eines farbigen Randes, füllte sein Artwork die komplette Karte aus und war nur an den wichtigen Stellen für den Text und die Werte ausgeblichen. Das Mädchen schluckte. Was ging hier vor sich? Seit wann konnte sie einfach Karten beschwören, die sie noch nie zuvor gesehen hatte!? Aber wenn er schon hier war und vielleicht, nur vielleicht vermochte er es, sie vor diesem Mann zu beschützen, dann würde sie nichts davon in Frage stellen. „Bitte!“, flehte sie und streckte den Arm aus. „Rette mich! Greife seine Lebenspunkte direkt an.“ Ein Blitz durchfuhr sie. Der Name seines Angriffs lautete: „Aether Hurricane!“ Zyxx schnalzte mit der Zunge, als der Pegasus seine Schwingen spreizte. Dieser Angriffe würde zweifelsohne ausreichen um ihn zu besiegen. Dann schlug Velvets neues Monster seine Flügel nach vorne aus, wobei sich von den blau-brennenden Spitzen Funken lösten. Der entfachte Wirbelsturm sog jene in seinem Marsch Richtung des Blonden in sich auf und ging dabei letztlich selbst in lodernd-blauen Flammen auf. „Du liebe Güte“, stöhnte der Mann und fasste sich an die Stirn. „Wer hätte gedacht, dass das Ganze so einen Verlauf nimmt? Fallenkarte aktivieren, [Pendulum Reborn]!“ Velvet stieß einen erstickten Schrei aus, als jene Karte vor Zyxx aufklappte. Die hatte sie völlig vergessen! „Dieses kleine Schätzchen ruft sofort ein Pendelmonster aus meinem Friedhof oder Extradeck zurück. Komm zu Papa, [Igknight Cavalier]!“ Über Zyxx öffnete sich das Pendelportal, aus dem ein roter Lichtblitz geschossen kam. Jener schlug vor ihm in Form der pinken Kunoichi-Ritterin ein, die kämpferisch vor ihrem Meister stand.   Igknight Cavalier [ATK/2400 → 2700 DEF/1200 → 1500 (5) PSC: <2/2>]   Solange der flammende Phönix, der Spielfeldzauber [Ignition Phoenix], am Himmel stand, würde Ebon nicht gewinnen können. Velvet rief hektisch: „A-angriff abbrechen, schnell!“ Wiehernd sorgte der Pegasus über ihr dafür, dass der brennende Wirbelsturm kurz vor der Kriegerin Halt machte und verpuffte. Neue Hoffnungslosigkeit brach über das Mädchen hinein. Alles umsonst. Nächste Runde würde Zyxx' Monsterarmee sie überrennen. Sie betrachtete ihre letzte Handkarte. Nein. Sie durfte nicht aufgegeben. Vielleicht konnte sie Zyxx mit einem Bluff überzeugen. „E-eine Karte verdeckt“, versuchte sie, so souverän wie möglich zu klingen. Und scheiterte kläglich. Zischend nahm die Karte zu ihren Füßen mit dem Rücken nach oben Gestalt an. So verkündete sie: „Z-zug beendet. I-ich warne dich-“ „Vor einer völlig unbrauchbaren Karte? Ich bitte dich, Täubchen, du solltest gar nicht erst versuchen zu lügen. Das steht dir nicht.“ Zyxx zog auf. Dann warf er einen nachdenklichen Blick auf Velvets so unvermittelt erschienenes Monster. „Hmm.“ Es folgte ein Fingerschnippen. „Ich benutze den Effekt meines Spielfeldzaubers [Ignition Phoenix] und zerstöre [Igknight Cavalier], um [Igknight Crusader] von meinem Deck zu erhalten.“ Der Feuerphönix am Himmel stieß einen schrillen Schrei aus. Sofort explodierte die Ritterin vor Zyxx lautstark, stieg als rote Essenz gen Himmel empor, wo sich das Pendelportal öffnete und sie verschlang. Eine einzelne Karte schob sich aus dem Deckschacht, der an Zyxx' Arm befestigt war. „Dann benutze ich [Igknight Reload] und mische ihn ins Deck zurück, um danach zwei Karten zu ziehen.“ Genau das tat der dunkelblonde Mann auch und zog zweimal hintereinander, betrachtete seine Karten skeptisch. „Hmm. Okay, beenden wir dieses Duell endlich. Pendulum Summon!“ Abermals öffnete sich ein Tor, umschlossen von zahllosen Lichtellipsen über ihm und stieß vier rote Lichtstrahlen aus. „Aus meinem Extradeck die Igknights Cavalier, Templar, Gallant und Veteran!“ Schon standen sie wieder vor ihm. Die pinke Kunoichi mit den Wurfmesserpistolen, der Sniperritter, sein Maschinengewehr schwingender Kamerad und zuletzt der Krieger mit dem Uzischwert.   Igknight Cavalier [ATK/2400 → 2700 DEF/1200 → 1500 (5) PSC: <2/2>] Igknight Templar [ATK/1700 → 2000 DEF/1300 → 1600 (4) PSC: <7/7>] Igknight Gallant [ATK/2100 → 2400 DEF/2200 → 2500 (6) PSC: <2/2>] Igknight Veteran [ATK/1300 → 1600 DEF/2700 → 3000 (6) PSC: <7/7>]   „Keine Sorge, Liebes, ich werde persönlich sicherstellen, dass es dir bei uns an nichts mangeln wird.“ Zyxx klang dabei tatsächlich aufrichtig. Doch das Mädchen, das am ganzen Leib zitterte, konnte nur wenig Anerkennung dafür zeigen. Sie schüttelte manisch den Kopf. Der bunte Vogel seufzte schwer, dann winkte er mit dem Handrücken. „Los meine Ritterchen, tut eure Pflicht …“ Cavalier zückte eines ihrer Wurfmesser. Es musste doch noch irgendetwas geben, was sie tun konnte, dachte Velvet verzweifelt. Aber außer ihrer nutzlosen, gesetzten Karte war da nichts, das zwischen ihr und dieser Armee stand. Nur der schwarze Pegasus. „Bitte“, flehte sie und richtete den Arm mit der Duel Disk vor sich aus, um auf die Karte sehen zu können. „Ah! D-das ist es!“ Natürlich, das Ding besaß einen Effekt und einen richtig guten sogar! „N-nein! I-ich aktiviere die besondere Fähigkeit meines [Ebon Sky Pegasus]!“ Velvet nahm dabei die von ihr zuvor gesetzte Karte aus dem Zauberfallen-Slot und schob sie in den Friedhof.   [Velvet: 1550LP → 550LP / Zyxx: 800LP]   „I-ich weiß nicht, woher dieses Monster kommt, aber es kann mir eine neue Chance verschaffen, wenn auch nur einmal. Für 1000 Lebenspunkte kann ich einen Zauber oder eine Falle von meinem Spielfeld auf den Friedhof legen“, erklärte Velvet und nahm all ihren Mut zusammen. „Um direkt eine andere aus meinem Deck zu aktivieren, ungeachtet ihrer Kosten.“ Zyxx zog eine Augenbraue an. „Hmm?“ Dir roten Streifen am Fell ihres Pegasus begannen grell aufzuleuchten. Es reckte das Haupt gen Himmel und wieherte majestätisch. Velvet rief: „Future Antithesis!“ Grelles, silbernes Licht strahlte anschließend aus seinen Seitenstreifen, Mähne und Flammen an den Hufen verfärbten sich entsprechend. „Ich aktiviere“, schilderte das Mädchen entschlossen ihr Vorhaben, „[Lightning Vortex], der all deine offenen Monster sofort zerstört. Nimm das!“ Ein Blitz schoss aus dem Himmel und fegte über die vier Krieger ihres Gegners hinweg. Eines nach dem anderen zersprang in tausend Partikel und wurde vom Pendelportal absorbiert. Sich an die Stirn fassend, schien Zyxx nicht allzu überrumpelt vom Verlust seiner Armee. „Hach, du bist wirklich ein Popo voll Arbeit.“ „I-ich gebe nicht auf.“ In dem Moment sank der Pegasus zu ihr hinab. Seine Hufe berührten sanft das Moos unter ihnen. Die silbernen Flammen nahmen ihre gewohnt blaue Färbung an. Scheinbar hatte er sich verausgabt, konnte sein Effekt ja nur einmal pro Duell aktiviert werden. „Ein wenig Kampfgeist steht dir.“ Zyxx nahm seine beiden verbliebenen Handkarten und führte sie in seine Energie-Duel Disk ein, wodurch sie zu seinen Füßen erschienen. „Fu fu fu, vielleicht sollte ich für unseren letzten Showdown auch ein wenig enthusiastischer werden.“ Er verhärtete seinen Blick derart, dass Velvet ganz anders wurde. Seine grünen Augen strahlen eine Macht aus, wie sie sie noch nie erlebt hatte. Ein eiskalter Schauder lief ihr den Rücken hinab. Das da war kein Mensch.   Trotzdem durfte sie jetzt nicht aufgeben. Solange auch nur die geringste Chance bestand, dass er sein Versprechen hielt, würde sie weiterkämpfen. Auch wenn es keinen Grund gab, warum er das überhaupt sollte. Wahrscheinlich wusste er von Anfang an, dass sie die Zukunft sehen konnte. „Ah!“ In dem Moment wurde ihr außerdem etwas bewusst. Der Mann aus ihrer letzten Vision, dieser Weißhaarige, war derselbe gewesen, dem sie in der von heute Morgen gegenüber gestanden hatte. Dann bedeutete das, dass alles miteinander verknüpft war. „I-ich weiß, ich habe noch gar nicht gefragt, warum du mich mitnehmen willst. Aber langsam verstehe ich es.“ Velvet schluckte. „Du und der Weißhaarige, ihr … ihr wollt das Ende der Welt einläuten!“ Zyxx zeigte keine Regung. Was unüblich für ihn schien, ließ er sonst doch nichts unkommentiert. „I-ihr müsst damit aufhören! Ich habe es gesehen. Alles wird eingeschlossen, in ein grelles Licht, es ist das Ende von allem!“ Immer noch keine Reaktion. Er sah sie eindringlich an, ebenfalls konträr zu seiner sonst eher unbekümmerten Art. Velvet flehte: „Bitte, du musst mir zuhören!“ Entgegen ihres Aufrufs aber schüttelte er den Kopf. „Was geschehen soll, wird auch geschehen. Und ich begrüße die Zukunft, die du in deinem Traum gesehen hast. Für mich wäre sie Erlösung.“ Erschrocken wich Velvet zurück. „Was!?“ „Täubchen“, sprach er und lächelte dabei wieder so freundlich wie zuvor, „ich lebe schon sehr lange. Ab einem bestimmten Zeitpunkt spielt es keine Rolle mehr, wie viel noch kommt, da das Leben keinen Spaß mehr macht. Deswegen helfe ich dem 'Weißhaarigen'. Ich und noch eine Menge anderer Leute.“ Panisch schüttelte Velvet den Kopf, doch Zyxx war noch nicht fertig. „Ich weiß, es ist schwer für dich, das zu akzeptieren. Du musstest wahrscheinlich schon viele schlimme Dinge sehen, aber bisher hat sich immer alles zum Guten gewandt. Dieses Mal wird das nicht geschehen.“ Seine Worte lösten etwas in der Schwarzhaarigen aus, das sie so von sich nicht kannte. Trotz. Das letzte, was sie wollte, war Teil eines solchen Plans zu sein. Wenn die Welt unterging, würden all ihre Lieben sterben, all ihre Freunde, alle! „Das lasse ich nicht zu! Und wenn ich selbst gegen euch kämpfen muss!“ „Das wirst du, Liebes.“ Und da blitzen sie kurz auf, seine langen Eckzähne.   War er ein Vampir!? Obwohl sie sich für ihre tollkühnen Worte sofort schämte, spürte sie ein Feuer in ihrem Herzen, das wirklich für das einstehen wollte, was sie gesagt hatte. „Draw!“ Sie riss die Karte von ihrem Deck und betrachtete sie. Dann sah sie auf. Vor Zyxx lagen zwei verdeckte Karten. Nächste Runde würde er wieder pendeln und dann war es endgültig vorbei. Sie musste es in diesem Zug beenden. Wieder schaute sie sich ihre Handkarte an. Wenn sie eines gelernt hatte, dann dass der Typ immer für eine Überraschung gut war. Er fühlte sich nicht bedroht von ihr, trotz des Wunders, das [Ebon Sky Pegasus] war. Also musste dort irgendetwas liegen, um ihre Angriffe abzuwehren oder gar um ihre Monster zu zerstören. Doch wenn Letzteres der Fall war, würde -das- ihn kalt erwischen. „Ich beschwöre [Spiritual Beast Tamer Winda]!“   Spiritual Beast Tamer Winda [ATK/1600 DEF/1800 (4)]   Vor ihr tauschte eine Zauberin mit langem, hellgrünem Haar auf, die in kurzer, schwarzer Hose und langem, beigefarbenem Cape da stand und ihren Zauberstab ausschwang. In dem Moment, in dem der Angriff ihn überrumpelte und seine Lebenspunkte auslöschte, würde Velvet rennen. So schnell sie konnte. Zumindest nahm sie es sich fest vor, doch da war immer noch Sammy, von dem weiterhin jede Spur fehlte. „D-direkter Angriff auf seine Lebenspunkte, [Ebon Sky Pegasus]“, presste das Mädchen schmerzerfüllt hervor, wissend, dass sie den Golden Retriever im Stich lassen musste. „A-aether Hurricane!“ Sofort spreizte der vor ihr stehende Pegasus seine schwarzen Schwingen aus. Die blau lodernden Spitzen schlugen Funken, als er sie im Anschluss nach vorne ausschlug. Ein Wirbelsturm entstand, der auf seinem Weg zu Zyxx blaue Flammen fing und zu einem Feuertornado anwuchs. Velvet drehte sich in dem Moment um und wollte losrennen, doch Zyxx' Worte ließen sie erstarren. „Nicht so schnell, meine Liebe.“ Sie hörte, wie hinter ihm eine der gesetzten Karten hochfuhr. „Ich denke, meine Fallenkarte [Blazing Mirror Force] wird dir nicht gefallen.“ Nervös blickte Velvet über die Schulter und sah, wie der lodernd-blaue Wirbelsturm auf eine Feuerbarriere traf, die sich vor Zyxx errichtet hatte. Jener erklärte: „Es tut mir leid, dir das zu sagen, aber durch deinen unbedarften Angriff werden all deine Monster zerstört.“ „Mit so etwas habe ich schon gerechnet“, hielt sie dagegen, „deswegen habe ich auch [Spiritual Beast Tamer Winda] gerufen. Wenn sie zerstört wird, ruft sie ein Spiritual Beast aus meinem Deck oder sogar aus meinem Extradeck aufs Feld. Du wirst einen Angriff einstecken, ob du willst oder nicht!“ Der dunkelblonde Mann lächelte amüsiert. „Und da täuscht du dich, Täubchen.“ Langsam wurde der Ätherwirbel von der Flammenbarriere zurückgedrängt, bis er mit einem Mal ruckartig auf Velvets Monster zurückgeworfen wurde. Erst zerfetzte es den Pegasus, dann Winda. Aber damit nicht genug, schlugen die blauen Flammen plötzlich um die Schülerin selbst, welcher ganz schummerig wurde. „Ah!“ „Deinen Angriff gegen dich zu richten war nur ein Teil des Effekts von [Blazing Mirror Force]. Der zweite fügt uns beiden Schaden zu, der der Hälfte der Angriffskraft der vernichteten Monster entspricht.“ Größer und größer wurden Velvets Augen, als sie begriff. „A-aber das sind ja dann 2050 Punkte für jeden von uns! D-das Duell endet in einem Unentschieden!“ „Und wieder irrst du dich“, flötete Zyxx und stemmte eine Hand in die Hüfte. „Denn wie du siehst, stehen zwei Karten hier vor mir offen.“ Was Velvet einen spitzen Schrei entlockte, als sie ihr Augenmerk von ihm auf die beiden Karten vor ihm richtete, die tatsächlich beide aufgeklappt standen. Was bei den blauen Flammen, die um sie herum schlugen, gar nicht so einfach war. Die linke war die purpur umrandete Falle, die andere eine mit grünen Rahmen, ein Schnellzauber. „[Emergency Provisions]!?“ „Wenn du in deiner Duellschule gut aufgepasst hast, weißt du, dass ich damit beliebig viele meiner anderen Zauber- und Fallenkarten auf den Friedhof legen kann, um für jede 1000 Lebenspunkte zu bekommen.“ Passend dazu löste sich [Blazing Mirror Force] von unten nach oben auf. Doch Velvet widersprach aufgebracht. „Aber du hast nur eine-!?“ „Nein, Täubchen, genau genommen habe ich sogar vier.“ Symbolisch dazu zeigte er ihr entsprechend viele Finger. Und das Mädchen begriff, als sie hinauf zum flammenden Phönix am Himmel und die beiden Ritter in den hellblauen Lichtsäulen blickte. Spielfeldzauber konnte er auch opfern, ebenso Monster in den Pendelzonen, die dort als Zauberkarten behandelt wurden. Dann … dann hatte sie verloren. Velvet war so gelähmt von dieser Erkenntnis, dass sie völlig ihren Plan vergaß, unabhängig vom Ausgang wegzurennen. „Schluss damit!“, hallte plötzlich eine Stimme hinter ihr durch die Lichtung. Ehe Velvet sich versah, zischten kleine Schatten über ihren Kopf hinweg. Metall traf auf Metall. Zyxx fluchte und wich zurück. Die Hologramme verschwanden urplötzlich. In Arm des Mannes, dort wo seine Duel Disk sich befand, steckte ein Wurfmesser, das den ganzen Apparat samt Arm durchbohrt hatte. Dann spürte Velvet nur noch, dass etwas Hartes gegen ihre Schläfe schlug. Alles verschwamm, die Welt drehte sich. Dann Dunkelheit.   Schwarze Stiefel traten neben Velvet auf, die bewusstlos am Boden lag. „Wie schön, dass du dich endlich zeigst“, sprach Zyxx süßlich, der das Wurfmesser nebenbei unbekümmert herauszog. Seine Solid-Vision-Duel Disk war fort, Blitze schlugen um sein Handgelenk, die Karten lagen am Boden. Die Kuttenträgerin hinter der weißen Porzellanmaske spottete: „Es war ein Fehler, mich nicht sofort auszuschalten.“ „Du meinst deswegen?“ Der blonde Mann nickte den drei weiteren Messern zu, die in einer Dreiecksformation neben ihm in der Erde steckten. Zyxx lachte erheitert. „Daneben, Herzchen.“ „Ich würde sagen 'Volltreffer'“, hielt Kali überheblich gegen. Zyxx ließ sich jedoch nicht aus der Fassung bringen. Auch nicht, als sich der Boden unter seinen Füßen weiß verfärbte. In den Grenzen der drei Messer nahm er die Gestalt von akkurat aneinander gereihten Marmorfliesen an. Die selbsternannte Dämonengöttin hob die rechte Hand und winkte. „Du hast ein Erste-Klasse-Ticket in den Weißen Raum gewonnen. Ohne Rückfahrschein. Bye bye.“ Noch bevor der große, dunkelblonde Mann reagieren konnte, schoss unter ihm eine grelle, dreieckige Lichtsäule empor, die so schnell wieder verschwand wie sie gekommen war. Zyxx war fort, ebenso die Messer, die in der Erde gesteckt hatten, welche wieder ihre ursprüngliche Form annahm. Dies erledigt, drehte sich Kali stöhnend um, wo die bewusstlose Velvet mit ausgebreiteten Armen wehrlos am Boden lag. „Tsk.“ Sie kniete sich nieder und betrachtete das Mädchen eingehend. Dabei murmelte sie vor sich hin: „Wird 'ne Qual, auf dieses Mädel aufzupassen …“ Dann erhob sie sich wieder und sah sich um. „Nichts für ungut, aber dafür habe ich im Moment keine Zeit. Ich werde woanders erwartet und das kann dauern. Falls du den Freak mit dem Katana siehst, richte ihm das aus.“ Natürlich war sich Kali bewusst, dass Velvet sie in ihrem Zustand nicht hörte. Aber vielleicht -sah- sie es eines Tages, wenn sie ihre Kräfte besser beherrschte. Nicht, dass die junge Frau ihr so etwas überhaupt wünschen würde. „Nun, wo ist jetzt dieser verdammte …“   ~-~-~   Etwas strich ihre Wange. Rau und noppig. Beim zweiten Mal schreckte Velvet hoch. „Ah!“ Sammy versuchte erneut ihr Gesicht abzuschlabbern, aber mit sanfter Gewalt schob das Mädchen ihn von sich weg. Dann erst dämmerte es ihr. „Oh! Sammy!“ Sofort änderte sie ihre Meinung und umarmte den Golden Retriever überglücklich. „Oh Gott, wo warst du bloß!?“ Schluchzend ließ sie von ihm ab. Sie wollte sich an Zyxx wenden, aber die Lichtung war verlassen, abseits von ihr und Sammy. Wo war er hin!? Sie erinnerte sich noch, dass er eine Fallenkarte aktiviert hatte, aber danach muss sie das Bewusstsein verloren haben. Langsam stand sie auf und sah sich um. Das erste, was ihr auffiel, war dass die Duel Disk an ihrem Arm eingefahren war. All ihre Karten befanden sich im Deck. Was Velvet mehr als merkwürdig vorkam. Vielleicht hatte sie das alles nur geträumt? Doch wer regelmäßig Visionen von großen Katastrophen hatte, konnte schwerlich noch an so etwas glauben. Am Ende hatte dieser Zyxx erkannt, dass er mit ihr nichts anfangen konnte. Zumindest hatte sie ihren Tod fürs Erste verhindert. Das hatte sie doch, oder? Das Mädchen packte sich an beiden Schultern und begann zu schluchzen. „K-komm Sammy, wir gehen nachhause.“     Turn 90 – The Honor Student Am nächsten Tag erzählt Velvet ihren Freunden von der Begegnung mit Zyxx und der Excel-Beschwörung. Leider fallen die Reaktionen darauf anders aus als erwartet. Mehr noch, bezeichnet Isaac sie sogar als Lügnerin. Was Tatjana, seine geschworene Erzfeindin, auf den Plan ruft … Kapitel 99: Turn 90 - The Honor Student --------------------------------------- Turn 90 – The Honor Student     In seiner Endlosigkeit konnte man den Weißen Raum kaum als solchen bezeichnen. Eher als Halle, die in alle vier Himmelsrichtungen absolut identisch aussah. Weiße Fliesen mit goldenen Rändern, unten wie oben an der etwa drei Meter hohen 'Decke'. Doch in seiner vermeintlichen Mitte stand ein einzelner kreisrunder, weißer Tisch. Zusammen mit zwei eleganten, zu ihm passenden Stühlen samt goldenen, in Spiralen endenden Armlehnen. Beide waren besetzt. „Ich komme nicht umher, Eure Gastfreundlichkeit zu loben, Lady Gardenia“, sagte Zyxx und nahm einen Schluck aus der kleinen Teetasse in seiner Hand. Der dunkelblonde Mann im pinken Anzug und der grünen Federboa um den Hals hatte die Beine übereinander geschlagen und setzte die Tasse besonnen lächelnd ab. Ihm gegenüber saß die Weiße Hexe, in ihrer weißen Robe, mit dem grauen Umhang über den Schultern. Die brünette Frau hatte grobe Züge, braunes Haar, dass zu einem Zopf zusammengeflochten war. „Danke“, nickte sie und legte ihre Hände in den Schoß. „Auch wenn ich bedauere, Euch hier willkommen heißen zu müssen, Sir Richard.“ „Ich schmücke mich keiner Titel mehr, Teuerste. Nennt mich Zyxx. Einfach Zyxx.“ „Wie Ihr wünscht“, nickte die Hexe, die sich erhob, die Kanne Tee auf dem Tisch in die Hand nahm und anbot, ihrem Gast nachzuschenken. Jener schob seine Tasse lächelnd in ihre Richtung. Dabei sagte Zyxx: „Auch wenn ich es genieße, nach so langer Zeit wieder mit euch zu sprechen, fürchte ich, dass sich hinter dem Mantel dieser Gastfreundlichkeit nichts anderes als Gefangenschaft verbirgt.“ „Ihr solltet dankbar sein, dass es nur das ist.“ Gardenia setzte die Kanne ab und ließ sich wieder nieder. „Es stimmt, ich werde euch nicht gehen lassen. Sagt, was wolltet Ihr diesem Kind antun?“ „Da Euer Schützling vor Ort war, erübrigt sich die Antwort doch.“ Zyxx' Ausdruck wurde zunehmend ernster. „Sie steht seit Neuestem unter Eurem Schutz, nehme ich an.“ Gardenia nickte. „So ist es. Und weil Ihr das nun wisst, werdet Ihr den Weißen Raum nicht mehr verlassen.“ „Meine Liebe, für solche Spielchen ist es längst zu spät.“ Der Mann lachte vergnügt. „Ob ich nun petze und die kleine Velvet verrate oder spurlos verschwinde macht keinen Unterschied. Alle werden wissen, dass etwas im Busch ist. Das Kind ist in dem Moment in den Brunnen gefallen als Euer Schützling das Duell auf eigene Faust beendet hat.“ „Dann hoffe ich für Euch, dass Ihr Euch in meinem Domizil nicht langweilt.“ Der Blonde zuckte mit den Schultern. „Bestimmt nicht. Ich werde mit Genuss dabei zusehen, wie Ihr über die Jahre verschrumpelt, während draußen Jahrhunderte vergehen. Und ich? Ich entkomme dem Zahn der Zeit, ob hier oder woanders.“ „Das ist die Arroganz eines Vampirs.“ Gardenia bekam ein Kopfschütteln als Antwort. „Nein, das ist eine Tatsache. Außerdem bin ich mir sicher, dass unser kleines Treffen sehr viel früher beendet sein wird als Ihr denkt. Ihr kennt -ihn-. Er wird mich zurückhaben wollen.“ „Es sei dahingestellt in welcher Form“, erwiderte Gardenia gewohnt resolut. „Der Tee ist vergiftet.“ Trotzdem winkte Zyxx nur belustigt ab. „Ich weiß, Teuerste, ich weiß.“ Sprachs, nahm sich die Tasse und sippte genüsslich daran. Von seiner Gastgeberin erfolgte keine Regung. Woraufhin er hinzufügte: „Was auch immer Ihr euch von diesem Experiment mit mir erhofft …“   ~-~-~   Der nächste Tag begann für Velvet viel zu früh. Als sie aufstand, war ihr Vater bereits aus dem Haus. Zusammen mit ihrem Bruder Axel und ihrer Mutter frühstückte sie. Tatsächlich fiel es ihr äußerst schwer, den Marmeladentoast überhaupt anzubeißen. Immer noch hatte sie die Geschehnisse des gestrigen Tages im Hinterkopf. Von ihrer Mutter auf ihre abwesende Art angesprochen, wiegelte das Mädchen jedoch ab, dass sie nur schlecht geschlafen habe. Schließlich trennten sich die Wege der Familie Thorne. Axels Schule befand sich nur zehn Minuten von ihrem Haus entfernt, weshalb er jeden Morgen mit dem Fahrrad fuhr. Vor dem Gartentor verabschiedete sich Velvet von ihm, doch ihr Bruder hatte längst Kopfhörer in den Ohren und zischte desinteressiert davon, dabei mit dem Smartphone spielend. Seufzend schlenderte Velvet in die andere Richtung. Kings Crowning war eine typische Vorstadt. Schöne, grüne Gärten, gemütliche, kleine Häuser und keinerlei nennenswerte Eigenschaften. Um zur Duell-Akademie zu gelangen, musste die Schwarzhaarige den Schulbus nehmen. Es gab eine Haltestelle um die Ecke, aber die Fahrt dauerte über eine Stunde. Da der Unterricht schon um 7.30 Uhr begann, musste Velvet für ihre langschläferischen Verhältnisse jeden Tag früh aufstehen. Als sie schließlich um die Ecke bog, war die Haltestelle bereits zu sehen. Ein grünes Schild vermittelte unmissverständlich, welche Linien hier fuhren. Das metallische Gerüst ging in eine gebogene Überdachung über. Und es gab drei kleine Sitzbänke, die in ihm verankert waren. Zwei alte Damen warteten bereits, aber die nahmen höchstwahrscheinlich den lokalen Bus, der ein paar Minuten später eintraf als Velvets Schulbus. Sie schlenderte hinüber, begrüßte die beiden Frauen freundlich und setzte sich auf die Bank ganz am Rand. Es war immer so, dass sie die Einzige war, die hier wartete. Was auch daran lag, dass Schüler der Akademie aus den verschiedensten Orten im näheren Umkreis kamen. Ihre Freunde hatten es besser. Nicht nur besaßen alle außer Tatjana schon einen Führerschein, nein, sie lebten auch direkt in Cloverfield, wo sich die Akademie befand. Isaac war sogar eigens dafür umgezogen.   Velvet war so in Gedanken versunken, dass sie gar nicht merkte, dass der gelbe Schulbus schließlich vor ihrer Nase hielt. Nur auf Hinweis der alten Frauen schreckte sie auf und eilte die Stufen in den Bus hinauf, wo sie dem Busfahrer ihren Ausweis zeigte. Der Vorteil war, dass es zu diesem Zeitpunkt immer noch genug freie Sitzplätze gab. Meistens war der Platz vor der hinteren Tür noch unbelegt, so auch dieses Mal. Velvet fackelte nicht lange und schnappte ihn sich. Sobald sie erst in Cloverfield waren, hatte sich der Bus meistens so gefüllt, dass man kaum noch atmen konnte. Zusätzlich war es nicht einfach, pünktlich zu sein, da er erst wenige Minuten vor Unterrichtsbeginn ankam. Entsprechend saß Velvet gerne vor dem Ausgang, um nicht noch ewig warten zu müssen, bis sie aussteigen konnte. Sie lehnte den Kopf gegen die Fensterscheibe und seufzte. Sie hatte das Gefühl, irgendetwas Wichtiges vergessen zu haben.   ~-~-~   Einige Zeit später wurde Velvet erbarmungslos daran erinnert, -was- sie vergessen hatte. Das Spielfeldzauber-Examen. Da der Bus immer erst knapp vor Unterrichtsbeginn ankam, hatte sie keine Zeit mehr gehabt, ihre Freunde um Rat zu fragen.   Jetzt saß sie in dem sterilen, weißen Klassenzimmer in der ersten Reihe und starrte auf ihr Tablet, auf dem der ganze Fragenkatalog abgebildet war. Oben links in der Ecke wurde ihr das restliche Zeitfenster zum Beantworten der Fragen angezeigt. Von den ursprünglich 30 Minuten hatte sie noch eine Viertelstunde übrig. Und dabei hatte sie gerade einmal zehn Fragen beantwortet – von viel zu vielen!   Verzweifelt beugte sie sich mit Touchpen in der Hand nach vorne, doch als sie von [Neos Space] las, wurde ihr ganz anders. Woher sollte sie jetzt wissen, ob man damit Neo Spacians oder Chrysalis-Monster entwickeln konnte und ob überhaupt? Sie kannte diese Themen gar nicht! Hilfesuchend schielte sie nach rechts, wo ein blonder, junger Mann in weißem Hemd sich zurücklehnte. Isaac Sawyer war bereits nach fünf Minuten fertig gewesen und langweilte sich. Velvet seufzte leise. Es gab nichts, was er für sie tun konnte … ihr blieb keine Wahl, sie würde raten müssen. Bei vier Antwortmöglichkeiten pro Frage, bei der sie sich unsicher war, bestand immerhin eine 25%-Chance, doch noch einen Punkt abzustauben.   Der Vorteil dieser Tablets war, dass Examen sofort ausgewertet wurden. Fünfzehn Minuten später begriff Velvet demzufolge, dass 25% nicht wirklich viel war. Gerade einmal circa 58% der Fragen hatte sie korrekt beantwortet, wie ihr im Abschlussbildschirm verkündet wurde. Passend mit einem fetten D garniert. Frusttränen standen ihr in den Augen. Während ihr Lehrer, ein junger, brünetter Mann mit Dreitagebart – Mr. Atkins – die Fragen seiner Schüler freundlich und kompetent beantwortete, wollte Velvet am liebsten im Boden versinken vor Scham. So schlecht hatte sie noch nie abgeschnitten! Isaac würde sie umbringen. Und wenn man bedachte, dass er schon die ganze Zeit neugierig in ihre Richtung schaute, mit den Schultern zuckte und eine Auskunft wollte, als sich ihre Blicke streiften, würde er sie -wirklich- umbringen, wenn er begriff, dass sie das Examen als Drittschlechteste des Kurses absolviert hatte.   Als es nach einem unerträglich langen Block Geschichte – denn auch wenn es eine Duellschule war, durfte die Allgemeinbildung nicht völlig vernachlässigt werden – zur Pause läutete, sprang Velvet als Erste auf und eilte aus dem Klassenzimmer, bevor ihre Freunde überhaupt wussten, was los war.   Draußen im Innenhof ließ sie sich auf einer Bank nieder. Natürlich würde es nicht lange dauern, bis die anderen sie hier finden würden, aber die paar Sekunden Ruhe brauchte sie jetzt. Hauptsächlich um den Kampf gegen die Tränen zu gewinnen. Jetzt war es amtlich: Loser, sie, jawohl! Traurig sah die Schwarzhaarige sich um. In alle vier Himmelsrichtungen gab es eine Tür, die in das weiße, dreistöckige Gebäude führte, welches den Innenhof umschloss. Entweder konnte man zur Mensa geradeaus weiter, deren Fassade als Einzige mit einer Fensterfront ausgestattet war, oder man verließ die Schule, indem man nach links oder rechts ging, dort die entsprechenden Lounges aufsuchte und von da aus den Ausgang nahm. Und Velvet hätte das jetzt gerne getan. Aber sie würde noch fünf weitere Stunden hier verbringen müssen. Genug Zeit, um sich richtig schön schlecht zu reden, wie sie es ja ohnehin regelmäßig tat. Sie wusste, dass es falsch war, konnte aber nichts dagegen tun. Der Innenhof war relativ schlicht gehalten. In der Mitte gab es zwei Bäume und eine Wiese, wo viele Schüler im Sommer Decken ausbreiteten und während der Mittagspause lernten und so weiter. Darum befand sich ein Kiesweg, der zu den Türen führte, in den Ecken des Hofes noch mehr Rasen und ein paar Bänke. Wenn man Richtung Mensa ging und diese verließ, kam man zu einem zweiten, wesentlich größeren Hof, wo es richtige Sitzbänke gab, aber dort hielt Velvet sich nur selten auf.   „Yo, Velvet“, hörte sie schließlich eine ihr bekannte, männliche Stimme hinter sich. Kurz darauf war sie umringt von vier Jugendlichen in ihrem Alter – ihre Freunde. Zunächst betrachtete sie die beiden Jungs, die ihr direkt gegenüber standen. Das war zum einen Fabio Muller, ein dunkelhaariger Bursche mit einem Afro, der in seinen Ausmaßen seinesgleichen suchte und er war es auch, der sie angesprochen hatte. Velvet mochte ihn sehr gerne, ob seiner ewig optimistischen und humorvollen Einstellung zum Leben. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass etwas ihren Freund jemals aus der Ruhe gebracht hatte. Bestes Beispiel hierfür war ein Vorfall aus dem letzten Jahr, als Fabio von ein paar älteren Studenten aufgrund seiner Hautfarbe angepöbelt wurde. Statt sich zu verteidigen, hat er sich in ihre Späße mit eingeklinkt – und damit Respekt verschafft. Heute verstand er sich mit jenen Mitschülern ziemlich gut, wie ungefähr mit jedem, der ihm über den Weg lief. Velvet beneidete ihn insgeheim um die Eigenschaft, so unbeschwert auf andere zuzugehen.   Ähnlich verhielt es sich auch mit Patrice Sanchez, der direkt neben Fabio stand. Die beiden waren beste Freunde, Brüder im Geiste, Seelenverwandte für die Ewigkeit. Selten nur traf man sie nicht im Doppelpack an. Patrice war ein dunkelblonder, gut gebräunter junger Mann mit venezolanischen Wurzeln. Die 'Rauflust', die man ihm gerne nachsagte, hatte er angeblich von seiner Mutter geerbt. Auch Patrice war ein freundlicher, offenherziger Mensch. Doch wo Fabio versuchte zu entschärfen, da suchte Patrice die Konfrontation. Er mochte es nicht, sich anderen unterordnen zu müssen, was ihn hin und wieder in Schwierigkeiten brachte. Deshalb sorgte sich Velvet oft um sein Wohlbefinden, besonders da Patrice mit einigen Mitschülern überhaupt nicht gut auskam und es auch schon öfter zu Handgreiflichkeiten gekommen war. Dennoch war Patrice für sie besonders: Er war der Erste aus ihrer Gruppe gewesen, der auf sie zugegangen war und sich mit ihr angefreundet hatte. Und obwohl er ein kleiner Weiberheld war, glaubte Velvet fest daran, dass er sie damals ohne tiefer gehende Absichten darum gebeten hatte, von ihr die Hausaufgaben abschreiben zu dürfen.   Ihr Blick schweifte herüber zu einem ebenfalls dunkelblonden, aber blassen Jungen, der im Hintergrund mehr mit seinem Smartphone beschäftigt war als mit seinen Freunden: Isaac Sawyer. Von all ihren Freunden bereitete er ihr das größte Kopfzerbrechen. Was ihm gegenüber den anderen beiden Jungs aus ihrer Clique an Optimismus fehlte, machte er durch die doppelte Ladung Ehrgeiz wieder wett. Begründet lag dies vermutlich in seinem Traum, aber Velvet befürchtete, dass die Wurzel noch tiefer veranlagt war. Für Isaac gab es nur ein Ziel: Ein erfolgreicher Profiduellant und damit reich zu werden. Danach kam erst das persönliche Glück. Oft behauptete er, nicht glücklich sein zu müssen, um Erfolg zu haben. Und er war nicht glücklich, das wusste Velvet. Zum Glück gab es auch Phasen, in denen er genauso ausgelassen wie die anderen herum spaßte. Und man konnte ihm nicht nachreden, nicht für andere da zu sein. So gab er zwar offen zu, nicht allzu viel von anderen Leuten zu halten, um seine Freunde kümmerte er sich aber mit demselben Eifer wie um seine Ambitionen. Welche ihn nicht zuletzt zu einem der besten Studenten der Schule des ersten Studienjahrs hatten werden lassen. Die Freundschaft zwischen ihm und Velvet war hierbei von Letzterer ausgegangen, welcher zuvor aufgefallen war, dass Isaac immer alleine im Unterricht und in der Kantine saß. Sie hatte all ihren Mut zusammennehmen müssen, um sich zu ihm zu setzen und anfangs hatte er es auch wortkarg erduldet, doch irgendwann waren sie ins Gespräch gekommen, als es um seine Leistungen ging. Kamen diese zur Sprache, wurde aus dem sonst eher mundfaulen Isaac ein sprudelnder Wasserfall.   Leider gab es ein Problem, wie sich Velvet beim Betrachten des Mädchens eingestand, das sich neben ihr niederließ. Dieses hörte auf den Namen Tatjana Neumann, eine Austauschschülerin aus Deutschland, die mindestens für ein Jahr hier an der Duellakademie studierte. Isaac und Tatjana waren sich spinnefeind, schon seit dem ersten Tag, als Tatjana in die Klasse gekommen war. Um genau zu sein gab es nicht viele, die das leicht untersetzte Mädchen mit der langen, schwarzen Lockenpracht mochten. Was nicht zuletzt Tatjanas eigene Schuld war, führte sie sich oft auf wie eine Diva. Zugegeben, damals war es noch schlimmer als heute, denn Jugendliche hatten eine unmissverständliche Art und Weise an sich, andere auf ihre Fehler hinzuweisen. Ähnlich wie bei Isaac war Tatjana oft alleine gewesen, weshalb sich Velvet auch ihrer annahm. Und auch wenn Tatjana es nicht offen zugab, war sie dankbar dafür, dass sie in die Clique mit aufgenommen wurde. Dabei musste man dem deutschen Mädchen auch zugute halten, dass es trotz der gelegentlichen Zickereien recht entgegenkommend und vor allem großzügig war. So half Tatjana den anderen gern bei den Hausaufgaben und gab sogar Nachhilfe, besonders in den normalen Fächern, bei denen selbst Isaac nicht immer auf Anhieb glänzen konnte. Velvet musste bei diesem Gedanken schmunzeln. Wann immer Tatjana konnte, kritisierte sie Isaac für die lächerlichsten Dinge, was nicht zuletzt darin begründet war, dass die Gute gerne zur maßlosen Übertreibung neigte. So geschah Ende letzten Jahres, dass Tatjana nur die Zweitbesetzung des Schneewittchens ihrer Theatergruppe wurde. Prompt schrie sie den gesamten Kurs zusammen, wie oberflächlich doch alle wären. O-Ton: „Gott bewahre, es kann ja nicht zugehen, dass Schneewittchen fünf Kilo mehr auf den Rippen hat!“ Dass die Rollenvergabe tatsächlich aber von ihrer schlechten Schauspielkunst abgehangen hatte, das wollte Tatjana selbst heute nicht einsehen. Musste sie auch nicht, schließlich war es ihr mit ihrem Gezeter irgendwann gelungen, dass Nancy Foreman, die Erstbesetzung, irgendwann freiwillig das Handtuch warf. Der Tag der Aufführung war nicht zuletzt auch der gewesen, in dem die wahre Feindschaft zwischen Tatjana und Isaac begründet lag. Letzterer, ebenfalls Teil der Theatergruppe, spielte die Rolle des Prinzen. Eines Prinzen, der nur sehr ungern sein Nicht-Nancy-Schneewittchen küsste und Tatjana aus Rache mit einer sanften Ohrfeige versuchte zu wecken. Seitdem hassten die beiden sich und Velvet hatte längst aufgegeben, zwischen ihnen zu verhandeln.   Trotz alledem versammelte sich die Gruppe während der großen Pause jeden Tag hier draußen, um sich über das Neuste aus ihrem Leben auszutauschen. Alle bis auf Isaac zumindest, welcher lieber mit seinem Smartphone zockte und sich eher selten an den Gesprächen beteiligte. Doch heute war etwas anders. Er starrte Velvet unentwegt finster an. Wie so oft war es Tatjana, die das Wort führte. „Wisst ihr, was mir heute Morgen beim Aufstehen passiert ist?“, fragte sie bereits so aufgeregt, dass sie kaum still sitzen konnte. Isaac, ohne von seinem Mobiltelefon aufsehend, warf tonlos ein: „Du hast dir einen Fingernagel abgebrochen?“ „Kannst du bitte still vor dich hin verblöden? Danke“, entgegnete sie sofort gereizt, wobei sie ihn ebenfalls keines Blickes würdigte. „Also …“ Das war ihre Chance, dachte sich Velvet. Wenn sie jetzt nicht von sich aus auf ihre Erlebnisse zu sprechen kam, dann gar nicht mehr. Hatte ihre Freundin erst mit dem Sprechen angefangen, hörte sie nur sehr ungern wieder damit auf. „Ähm … kann ich dich kurz unterbrechen?“, fragte Velvet vorsichtig. Tatjana sah sie erstaunt an, sagte aber nichts. „Tatti unterbrechen? Bist du lebensmüde?“ Patrice grinste schelmisch und als er bemerkte, wie diese ihn sofort böse anfunkelte, fügte er hinzu: „Nimm's mir nicht übel, aber wenn wir schon mal die Chance haben, Velvets schöne Stimme zu hören …“ „Ach, soll-!?“ Der Halb-Venezolaner kam ihr zuvor: „Nicht, dass deine weniger schön wäre.“ Fabio nickte. „Ist doch genug Zeit, um euch beiden zuzuhören.“ Schmollend ließ sich die Deutsche auf die Bank zurückfallen. „Also gut.“   Velvet suchte bereits nach passenden Worten, um den ihr immer noch surreal wirkenden, gestrigen Tag zu beschreiben, scheiterte jedoch kläglich. „Ich bin gestern einem Mann begegnet“, lauteten ihre heiseren, unbeholfenen Worte. „I-ich glaube, der war ein … ich weiß nicht, ein Vampir, irgendwie.“ „Du hast Fieber, Schätzchen.“ Tatjana brachte das in einem Tonfall hervor, der so manchen davon überzeugt hätte, wirklich krank zu sein. „Ich sag doch, diese Jugendromane von heute sind der letzte Shit“, fluchte Fabio, „keine Klasse mehr, das Zeug.“ „Lasst sie doch ausreden“, forderte Patrice mit erhobener Handfläche. „I-ich weiß, das klingt verrückt. Ist es auch, ich glaub's ja selbst kaum, a-aber … ich meine, es fing damit an, dass …“ So erzählte sie ihnen von ihrer Begegnung mit Zyxx, dem Duell und dieser seltsamen Karte, die plötzlich in ihrem Deck war. Selbst Isaac hatte von seiner üblichen Beschäftigung abgelassen und lauschte interessiert. „Hier, das ist der Beweis“, meinte Velvet schließlich und wollte den Pegasus aus ihrem Deck holen, nur um festzustellen, dass sie nicht da war. „W-wartet, sie war doch gleich-!“ Schwupps hatte sich Isaac ihr Deck geschnappt und betrachtete es mit Kennerblick. „Sieht auf den ersten Blick nicht nach einer Fälschung aus. Was aber nicht ausschließt, dass es trotzdem eine ist. Luft kann man schließlich ziemlich gut nachstellen. Lächerlich. Ist das deine Ausrede?“ Er warf ihr die Box verächtlich auf den Schoß zurück. „Hast du nicht zugehört, Sawyer?“, reagierte Patrice daraufhin etwas ungehalten. „Scheiß auf die Karte! Der Typ wollte sie entführen!“ Isaac wandte sich ab. „Natürlich wollte er das. In ihren Tagträumen vielleicht. Gib doch einfach zu, dass du gestern nicht mehr gelernt hast!“ „I-ich-!“ Stammelte Velvet panisch. „Halt mal die Luft an“, keifte Tatjana und sprang auf. „Wenn das wirklich ein Vampir war, steckt Velvet in richtigen Schwierigkeiten!“ „Ach, jetzt glaubst du ihr auf einmal?“, kam es ihr sofort entgegen. Die Schwarzhaarige nickte. „Man vergisst schnell, dass Velvet besonders ist, weil sie uns längst nicht von allem erzählt, was sie so 'sieht'. Wenn es Hellseher gibt, warum nicht auch Vampire und Excel-Monster?“ „Pendelmonster“, korrigierte Isaac sie grimmig. „Die neuen Karten heißen Pendelmonster, schon vergessen?“ Fabio rieb sich derweil nachdenklich über das Kinn. „Mädchen, du verblüffst uns immer wieder. Mal mit Träumen vom Ende der Welt, heute mit Karten, die es gar nicht geben dürfte.“ „Nicht gibt“, korrigierte ihn Isaac standhaft. „Die Geschichte ist doch nur ausgedacht, um ihre schlechte Note zu rechtfertigen.“ Gerade wollte Velvet widersprechen, da kam Tatjana mit einem Vorschlag daher: „Woher willst ausgerechnet du das wissen? Vielleicht hat der Typ Velvet bestohlen, als sie bewusstlos wurde?“ „Ein Entführer, der sein Opfer liegen lässt aber eine Duel Monsters-Karte mitnimmt? Ja sicher!“ Ein Einwurf von Patrice folgte: „Vielleicht waren ja von Anfang an diese Excel-Karte sein Ziel und nicht Velvet?“ Sofort entkräftete Isaac seine Worte aber wieder. „Womit Velvet sich gemäß ihrer eigenen Worte widersprechen würde.“ Das Mädchen schreckte beim Klang ihres Namens unerklärlicherweise zusammen, kam es ihr doch vor, als müsse sie jetzt eidesstattlich vor Gericht aussagen.   „Jetzt reicht's!“, fauchte Tatjana wütend und sprang mit erhobenem Zeigefinger auf. „Wenn es dir nicht passt, dann geh' doch einfach!“ „Wieso ich?“ Isaac funkelte sie grimmig an. „Nur weil dir nicht gefällt was ich sage, muss ich noch lange nicht den Mund halten.“ Plötzlich hob das pummelige Mädchen den Arm, an dem eine Duel Disk befestigt war. „Wenn ich dich besiege, dann -wirst- du das! Und du wirst dich bei mir und Velvet entschuldigen!“ In den Augen des großen Blonden funkelte es. „Ach ja? Okay, ich nehme deine Herausforderung an. Und wenn ich gewinne, wirst du …“ Er beugte sich zu ihr vor und flüsterte ihr etwas ins Ohr, woraufhin Tatjana errötete und zurückwich. „Nie im Leben!“ „Angst zu verlieren?“, stichelte Isaac bitterböse. „N-nein! Okay, fein! Du bist zwar gut in der Theorie, aber praktisch bestenfalls Mittelmaß!“ Die beiden anderen Jungs indes sahen sich nur mit den Augen rollend an.   Kurz darauf standen sich die beiden Kontrahenten in der Mitte des Schulhofes gegenüber, während ihre Freunde von der Bank aus zusahen. „Bereit?“, fragte Isaac scharf. „Wie noch nie!“ „Duell!“   [Isaac: 4000LP / Tatjana: 4000LP]   „Ladies first!“, forderte Tatjana, nachdem beide ihr Startblatt von fünf Karten gezogen hatten Und ihr Gegner konterte giftig: „Für eine Lady hat's bei dir nie gereicht, falls du es vergessen hast. Aber meinetwegen, fang an.“ Da aber wurden die Augen des leicht pummeligen, deutschen Mädchens gefährlich groß. Er spielte auf ein Ereignis in der Vergangenheit an, an das man Tatjana nicht erinnern sollte, sofern man keinen Todeswunsch verspürte. „Dafür wirst du büßen“, schäumte sie vor Wut, „Normalbeschwörung, [Rose Witch]! Eine Karte verdeckt, Zug beendet!“ Eine junge Frau tauchte vor der Schwarzhaarigen auf. Sie steckte in einem grün-rot linierten Bodysuit. Anstatt Armen, ragten lange Dornenpeitschen aus ihren Ärmeln, auf ihren Kopf befand sich eine wunderschöne Rosenblüte. Dazu materialisierte sich zu Tatjanas Füßen die gesetzte Karte.   Rose Witch [ATK/1600 DEF/1000 (4)]   Parallel dazu legte Velvet ihre Hände an die Wangen und stützte sich mit den Ellbogen auf ihren Oberschenkeln ab. Nach einem lauten Seufzer sagte sie: „Sie hätten nicht gleich ein Duell anfangen müssen. Ist doch ok, wenn Isaac mir nicht glaubt.“ Patrice neben ihr aber schüttelte den Kopf und tätschelte den Rücken des Mädchens. „Mach dir nichts draus, so sind sie eben.“ „Yo“, pflichtete Fabio ihm bei, „besser sie lassen jetzt Dampf ab, als wenn der Mist vor sich hin dümpelt.“ „Also ich weiß nicht“, zweifelte Velvet trotzdem und seufzte noch einmal. Langsam stellte sie selbst das in Frage, was ihr gestern geschehen war.   „Wie werde ich denn büßen?“, fragte Isaac provokativ und zog auf. Auf die Frage hin schnappte Tatjana empört nach Luft, blieb ihm aber eine schlagkräftige Antwort schuldig. Dem Jugendlichen lag etwas sehr Böses auf den Lippen, aber selbst er wusste, dass er damit zu weit gehen würde und schluckte den Kommentar daher runter. Sich zur Professionalität mahnend, konzentrierte er sich auf sein Blatt. Und spielte eine Karte daraus aus. „[Genex Undine]!“ Eine gar seltsame Gestalt nahm vor ihm Form an. Bestand der Unterleib aus einem runden Behältnis, in dem sich Wasser befand, ging er aufwärts in einen humanoiden Körper über, der in einem mechanischen Kopf endete. Auch die Arme waren aus Glas, in dem Wasser floss.   Genex Undine [ATK/1200 DEF/600 (3)]   „Bei ihrer Normalbeschwörung schickt sie ein Wasser-Monster aus meinem Deck auf den Friedhof, um mir einen [Genex Controller] von Ersterem auf die Hand zu geben.“ Gleich zwei Karten schoben sich aus dem Kartenstapel in Isaacs Duel Disk. Die erste, eine weitere Kopie von [Genex Undine], landete umgehend im Friedhofsschlitz, das normale Monster dagegen auf seiner Hand. Von der er gleich darauf einen Zauber ausspielte. „[Double Summon]! Damit kann ich noch eine Normalbeschwörung in diesem Zug durchführen. Erscheine, [Genex Controller]!“ Ein kleiner Apparat auf Beinen erschien vor ihm. Der ganze Körper bestand praktisch nur aus einem Helm mit diversen Anschlüssen und Antennen, deren Positionen ein Gesicht nachstellten.   Genex Controller [ATK/1400 DEF/1200 (3)]   Isaac indes ballte eine Faust. „Ich stimme meinen Stufe 3-[Genex Controller] auf meine Stufe 3-[Genex Undine] ein!“ Der kleine Apparat stieg mit zappelnden Beinchen in die Luft und zersprang in drei grüne Lichtringe, die sich vor dem Jugendlichen positionierten. „Crystal waters form a path to the next generation! Fleeting dreams become reality!“ Sein anderes Monster verwandelte sich in drei Energiesphären, die die Ringe passierten. „Synchro Summon!“ Ein greller Lichtblitz schoss durch das Gebilde. „Rise, [Hydro Genex]!“ Und da stand sie wieder, die Androidin mit den Wasserbehältern im Körper. Ihre Arme waren dicker geworden, mit Kugelelementen versehen, in denen sich das flüssige Gut befand. Auf ihrem Rücken befanden sich dunkelblaue Metallschwingen und ein Tank, von dem mehrere Schläuche mit ihrem ganzen Körper verbunden waren. Und in der Hand hielt sie eine Mischung aus Speer und Gewehr, aus dem eine Wasserspitze ragte.   Hydro Genex [ATK/2300 DEF/1800 (6)]   „Angriff auf [Rose Witch]!“, befahl Isaac mit ausgestrecktem Arm. „Aqua Surplus!“ Seine seltsame Maschinenkreatur richtete ihre Waffe auf die Rosenhexe und schoss einen mächtigen Wasserstrahl auf jene ab. Der Strom riss [Rose Witch] fort, zerfetzte sie in der Flut. Auch Tatjana bekam das digitale Nass ab, doch es glitt einfach durch sie hindurch. Und Velvet gab einen nachdenklichen Seufzer von sich.   [Isaac: 4000LP / Tatjana: 4000LP → 3300LP]   „Denk nicht, dass das schon alles war. Nach dem Kampf heilt mich [Hydro Genex] um den Angriffswert deines Monsters.“ Selbstbewusst verschränkte Isaac die Arme voreinander. „Aqua Healing!“ Sein Monster richtete den Wasserwerfer nach oben und spitzte mehrere Salven in die Luft, die wie ein erfrischender Regen auf seinen Besitzer niedergingen.   [Isaac: 4000LP → 5600LP / Tatjana: 3300LP] „Mach das erstmal nach. Zug beendet“, verkündete der Blonde grimmig.   „Tu nicht so, als hättest du schon gewonnen!“, keifte seine deutsche Gegnerin erzürnt und zog auf eine vierte Handkarte auf. „Nur weil du jetzt ein paar Lebenspunkte mehr hast, bist du nicht automatisch besser als ich!“ Von der Bank aus seufzte Fabio. „Damn, die nimmt heute wieder mal alles gleich persönlich.“ Sein bester Freund zuckte mit den Schultern. „Und ihm mangelt es an Fingerspitzengefühl. Die sind wie Feuer und Wasser.“ Der Afroamerikaner lachte. Velvet dagegen saß still zwischen ihnen und verfolgte abwesend das Duell. Waren die Hologramme gestern wirklich echt gewesen? In ihren Visionen hatte sie verschiedene Duellanten gesehen, die auch realen Schaden in Duellen genommen hatten. Und trotzdem, ein kleiner Teil in ihr hatte stets gezweifelt, ob das, was sie gesehen hatte, nicht vielleicht doch Tagträume gewesen waren. Bis jetzt …   „[Lonefire Blossom]!“, schnarrte Tatjana inzwischen und klatschte deren Karte auf ihre Duel Disk. Dass Isaacs selbstbewusster Blick einem erschrockenen wich, erfüllte die Züge des Lockenschopfs mit bitterböser Genugtuung. Als vor ihr aus dem Boden zwei Ranken, eine goldgelbe und eine braune schlugen, die sich umeinander drehten und zu einer Einheit wurde, an deren Ende eine sphärenförmige, leuchtende Blüte spross, kicherte sie.   Lonefire Blossom [ATK/500 DEF/1400 (3)]   „Die kennst du ja. Ich opfere sie, um direkt aus meinem Deck das Pflanzen-Monster [Tytannial, Princess Of Camellias] zu beschwören!“ Die Blüte ihres Monsters zerplatzte in einem Feuerwerk. Überall in der Luft verteilten sich kleine Samen, die in der Erde versanken. Von dort wuchsen rasend schnell Ranken aus dem Boden, dann legten sich über jene diverse Schichten grüner Kelchblätter. Und als jene sich allesamt nach außen öffneten, erhob sich eine wunderschöne Dame aus der Blüte, mit welcher sie verbunden war. Ihr ganzer Körper bestand aus grünen Blättern, selbst das Haar.   Tytannial, Princess Of Camellias [ATK/2800 DEF/2600 (8)]   „Ha ha ha“, kicherte Tatjana arrogant hinter vorgehaltener Hand. „Gegen meine Prinzessin sieht deine Missgeburt alt aus. Winter's Red!“ Die Prinzessin in der Blüte hob ihre Hand in die Höhe, über welcher zahllose rote Blütenblätter erschienen. Jene schleuderte sie mit entsprechender Geste in Richtung der Androidin, die dem Sturm nicht widerstehen konnte. Isaac schnaufte sauer, als der Sturm ihn erreichte. Aber das Gelächter seiner Widersacherin wurde nur lauter. „Und weil du es bist, gibt es gleich noch einen Nachschlag! Verdeckte Fallenkarte, [Blossom Bombardement]! Wenn eine Pflanze eines deiner Monster zerstört, bekommst du dessen Angriffskraft als Schaden aufgedrückt!“ Kaum erwischten die roten Blätter Isaac, explodierten sie an seiner Schulter, den Beinen, im Gesicht – überall. Velvet stieß einen erschrockenen Schrei aus.   [Isaac: 5600LP → 5100LP → 2800LP / Tatjana: 3300LP]   Fabio sah sie von der Seite her ungläubig an. „Alles in Ordnung? Das hast du doch schon tausend Mal bei ihr gesehen.“ „J-ja, natürlich. Sorry.“ Auch Patrice, ja selbst Isaac und Tatjana betrachteten das Mädchen mit der Brille verwirrt. Letztere sagte fürsorglich: „Keine Sorge Süße, dem Großmaul geb' ich noch zwei Züge, dann ist er so klein!“ Zur Verdeutlichung führte sie Daumen und Zeigefinger immer näher aneinander heran. Giftig schnarrte sie: „Du bist!“   Der ehrgeizigen, ja beinahe verbitterten Miene des Blonden sah man deutlich an, dass er ganz anderer Meinung war. Wortlos zog er auf, verstaute die Karte in seinem Blatt, nur um sofort eine andere daraus hervorzuziehen. „Zauberkarte [Last Will].“ Unmittelbar danach entfuhr dem pummeligen Mädchen gegenüber ein spöttisches Lachen. „Na das passt ja! Was steht denn in deinem Testament?“ Allerdings verhärtete sich ihr Blick unmittelbar, denn sie kannte den Effekt jener Karte.   Die Szene wurde unlängst unterbrochen, als das Hologramm von Tatjanas Monster plötzlich stark zu flimmern begann. Jener entfuhr erschrocken: „Was ist denn jetzt los?“ „Eine Serverstörung“, murrte Isaac genervt, „und nicht die erste. Das kommt in den letzten Tagen häufiger vor. Wenn wir Pech haben …“ Anstatt ganz zu verschwinden, nahm die Pflanzenprinzessin wieder ihre feste Form an. „Puh“, atmete derweil Fabio auf. „Nochmal Glück gehabt.“ „Wie man's nimmt“, relativierte sein bester Freund Patrice jedoch. Velvet sah das ähnlich. Sie wollte nicht, dass ihre Feunde sich derart an die Gurgel gingen. Und das alles nur wegen ihr. „Gut, anscheinend nur eine kurze Überlastung. Weiter im Text! [Last Will] wird noch einen Moment waren müssen. Zunächst beschwöre ich [Genex Worker]“, erklärte Isaac entschlossen. Nachdem er dessen Karte auf seine Duel Disk gelegt hatte, erschien vor ihm ein gelbes Hovercraft, bestückt mit dutzenden, zur Vorderseite ausgerichteten Düsen, die allesamt von einem in es integrierten Roboter gesteuert wurden.   Genex Worker [ATK/1200 DEF/1200 (3)]   „Effekt von [Genex Worker]. Ich opfere ihn und beschwöre dafür ein anderes Genex-Monster aus meiner Hand.“ Schon löste sich die Maschine in Luft auf. „Erscheine, [Genex Solar]!“ Energisch knallte Isaac dessen Karte auf seine Duel Disk. Etwas blitzte vor ihm in der Mittagssonne auf: Ein Paar gold-blauer Schwingen, die sich an dem Kopf eines androiden Luftkämpfers befanden, der rasend schnell in die Höhe stieg. An den Armen des Maschinenkriegers befanden sich schmale Tragflächen, der komplette Körper war von rötlicher Energie erfüllt.   Genex Solar [ATK/2500 DEF/1500 (8)]   Tatjana schwang eine Hand zur Seite aus. „Wirklich? Mehr hast du nicht?“ „Da ist noch mein Testament“, erinnerte Isaac seine Gegnerin grimmig, die daraufhin nicht weniger missmutig verstummte. „Falls du es nicht wusstest, wovon ich wohl getrost ausgehen kann bei deiner durchschnittlichen Arbeitsmotivation, ist [Last Will]-“ „Beschwör' dein verdammtes Monster mit maximal 1500 Angriffspunkten doch endlich“, fauchte die Schwarzhaarige ihm dazwischen. Isaac schnaufte und griff nach seinem Deck, aus dem er eine Karte entnahm. „Wie du willst. Hier ist [Genex Turbine]!“ Derweil erklärte Fabio Velvet, die verwirrt zwischen beiden hin und her sah: „Jo, [Last Will] ist mies. Wenn in deinem Zug ein Monster auf den Friedhof gelegt wird, kannst du jederzeit eines mit höchstens 1500 Angriffspunkten aus deinem Deck rufen.“ „A-ach so, das wusste ich nicht“, murmelte Velvet, die sich in dem Moment fühlte, als wäre sie es, die Isaacs Kritik abbekommen sollte und nicht Tatjana, die ja offensichtlich den Effekt kannte. Patrice klopfte ihr freundschaftlich auf die Schulter. „Die ist super selten, die kennen die Wenigsten. Und in sein Deck passt sie prima, da er viele Ziele dafür hat.“ „J-ja.“ Es war falsch, schoss es ihr dabei durch den Kopf. Ihre beiden Freunde stritten, obwohl sie es war, die von dem gestrigen Erlebnis erzählt hatte. Wenn, dann sollte doch sie dort stehen und sich verteidigen, dachte Velvet bitter. Hätte sie doch bloß nichts gesagt …   Indes war vor Isaac eine riesige, dunkelgrüne Turbine erschienen, die sich langsam und vor allem lautstark in Gang setzte. Dabei leuchtete es aus ihrer Vorderseite hellgrün, zwei massive Kessel an ihrer Oberseite begannen Dampf auszustoßen. „[Genex Turbine] verstärkt alle offenen Genex-Monster um 400 Angriffspunkte“, erklärte Isaac dazu und ließ ein überlegenes Grinsen aufblitzen. Genex Solar [ATK/2500 → 2900 DEF/1500 (8)] Genex Turbine [ATK/1400 → 1800 DEF/1300 (4)] Tatjana knirschte verärgert mit den Zähnen, als ihr verhasster Widersacher seinen Zeigefinger auf ihre Pflanzenprinzessin Tytannial richtete. „Zeig ihr, wer der Boss ist und mäh das Unkraut nieder, [Genex Solar]! Solar Winds!“ Augenblicklich kreuzte sein über ihm fliegender Android die Arme übereinander. Sein ganzer Körper begann so stark rötlich zu glühen, dass es nur so um ihn flimmerte, eher er um die eigene Achse wirbelte und dabei einen mächtigen Windstoß erzeugte. Wie verheerend dieser tatsächlich war zeigte sich, als Tytannial, einmal getroffen, schlagartig zu Staub zerfiel und fortgeweht wurde.   [Isaac: 2800LP / Tatjana: 3300LP → 3200LP]   Gerade einmal zum Keuchen hatte Tatjana Zeit, da legte der Blonde auch schon nach. „Und jetzt direkter Angriff auf ihre Lebenspunkte, [Genex Turbine]!“ Die massive Apparatur vor ihm legte noch einen Gang zu, lief regelrecht heiß. Als der Dampf nur so aus allen Öffnungen stieß, feuerte jene einen mächtigen Lichtstrahl auf das Mädchen ab, in welchem jene sich weg drehend verschwand. Velvet stieß bei diesem Anblick einen leisen Schrei aus. „Alles in Ordnung?“, fragte Patrice besorgt. „J-ja“, log Velvet, die kurz vergessen hatte, dass dies ein ganz gewöhnliches Duell war. Als Tatjana auftauchte, winkte sie ihrer Freundin zu. „Hey, als ob mich das einschüchtert. Ich werd' doch gerade erstmal warm. Mach dir keine Sorgen.“   [Isaac: 2800LP / Tatjana: 3200LP → 1400LP]   „Animiere sie nicht noch dazu, deinem Beispiel kopflosen Dahinsiechens zu folgen“, zischte Isaac und verschränkte die Arme. „Als ob dein Einfluss sie nicht schon genug runtergezogen hat.“ „Wie bitte!?“ Tatjana weitete empört die Augen. „Hey, das geht zu weit, Bro!“, sprang Fabio auf. Aber Isaac zeigte nicht einmal eine Spur von Reue. „Ist doch so. Seit du hier bist, lenkst du Velvet ständig ab. Und nicht nur sie, uns alle! Vielleicht ist es dir entgangen, aber wir haben -einen Traum-! Und der erfüllt sich nicht von alleine!“ „Ich dachte, ich gehöre auch dazu.“ Die Deutsche wandte sich ruckartig ab. Velvet konnte sehen, wie sie mit den Tränen kämpfte. „Aber okay … an mir liegt es nicht.“ Ehrgeiziger denn je wirbelte Tatjana wieder herum, von Tränen keine Spur. Ihr wütender Gesichtsausdruck vermittelte, dass sie nicht gehen würde, nur weil Isaac sie als Störfaktor betrachtete. „Zug beendet“, schnaubte der.   „Wenn du denkst, -ich- wäre das Problem, habe ich eine einfache Lösung.“ Eher mit zweifelhaftem Erfolg gegen ihre Rage kämpfend, griff Tatjana nach ihrem Deck. „Ich werde dir zeigen, dass -ich- sehr wohl imstande bin, Teil des Traums zu sein. Draw!“ Sofort wirbelte sie zwischen ihren Fingern geschickt eine Zauberkarte. „Du mähst Tytannial nieder? Dann lasse ich sie nachwachsen! [Miracle Fertilizer]! Dieser permanente Zauber lässt mich wahlweise auf meine Normalbeschwörung verzichten, ruft aber dafür ein Pflanzen-Monster von meinem Friedhof zurück aufs Feld!“ Um Tatjana breitete sich hohes Gras aus. Dann schoss sie aus dem Boden, die grüne Blüte, aus der die Pflanzenprinzessin aufging wie die Sonne am Firmament.   Tytannial, Princess Of Camellias [ATK/2800 DEF/2600 (8)]   „[Genex Solar] ist zwar das stärkere Monster“, meinte der Lockenschopf zuversichtlich, „aber nur solange er von [Genex Turbine] unterstützt wird. Was nicht mehr lange der Fall sein wird. Winter's Red!“ Wie schon beim letzten Mal hob Tytannial eine Hand in die Höhe, um die zahlreiche Blütenblätter zu wirbeln begannen. Mit einem Schwenk entfachte sie einen verheerenden Sturm, der das Triebwerk vor Isaac zwar nicht unmittelbar zerstörte, sehr wohl aber die Turbine verstopfte, wodurch sie explodierte. Doch gerade als Tatjana ein gehässiges Grinsen aufsetzte, flog eines der Trümmerteile direkt auf sie zu und passierte den Körper des Mädchens. Velvet, die das Schauspiel ohnehin besorgt mitansah, keuchte erneut erschrocken.   [Isaac: 2800LP → 1800LP / Tatjana: 1400LP → 900LP]   Isaac fasste sich an die Stirn. „Berechenbar bist du. Vergessen, dass [Genex Solar] dir 500 Punkte Schaden zufügt, wenn andere Genex-Monster vom Spielfeld auf den Friedhof gelegt werden?“ „In Kauf genommen“, schnappte Tatjana gallig zurück. Sie zeigte auf den fliegenden Androiden.   Genex Solar [ATK/2900 → 2500 DEF/1500 (8)]   „Der ist jetzt keine Gefahr mehr“, kicherte sie bitterböse und nahm eine Karte aus ihrem Blatt, die sie in einen der Zauber- beziehungsweise Fallenkartenslots schob. Als die gesetzte Karte sich zu ihren Füßen materialisierte, machte sie mit einem abwertenden Wink ihrer rechten Hand klar, dass ihr Zug damit beendet war.   Ihr blonder Widersacher rollte mit den Augen. „Da wäre ich mir an deiner Stelle nicht so sicher. Draw!“ Nachdem er aufgezogen hatte, betrachtete er sein Blatt bestehend aus drei Karten. Ohne viele Worte zu verlieren, nahm er die einzige Zauberkarte daraus und schob sie in seine Duel Disk. „[Swing Of Memories]. Damit kehrt für einen Zug ein normales Monster von meinem Friedhof zurück. Sei wiedergeboren, [Genex Controller]!“ Vor ihm schossen aus dem Nichts zwei Seile aus Licht herab, zwischen denen sich eine Pritsche bildete. Und auf dieser saß die kleine Steuereinheit mit dem großen Kopf.   Genex Controller [ATK/1400 DEF/1200 (3)]   Sofort im Anschluss spielte Isaac noch eine Karte aus. „Solange ich [Genex Controller] im Spiel habe, kann ich [Genex Furnace] ohne ein Monster zu opfern rufen!“ Vor ihm materialisierte sich ein alter Heizofen, wie man sie oft in Dampflokomotiven fand. Seine Luke stand offen, Feuer loderte in ihrem Inneren. Auf dem Ofen befand sich eine Laterne, in der ein einziges grünes Licht glühte – der 'Kopf'.   Genex Furnace [ATK/2000 DEF/1300 (5)]   „Das hier ist vorbei“, murrte Isaac und streckte die Hand aus, „Ich stimme meinen Stufe 3-[Genex Controller] auf meinen Stufe 5-[Genex Furnace] ein!“ Sein kleiner Roboter sprang von der Schaukel und zersprang in drei grüne Lichtringe. Dazu zitierte Isaac: „Rusty flames form a path to the next generation! Fleeting dreams become reality!“ Anschließend zerplatzte der Ofen in fünf Lichtkugeln, die die Synchroringe passierten. „Synchro Summon!“ Ein Lichtblitz schloss den Vorgang ab. „Burn, [Thermal Genex]!“ Mit einem Satz landete ein breiter Roboter vor dem Blonden, dessen dunkelblaue Färbung hauptsächlich daher rührte, dass er aus beiden Armen, seiner Brust und den Schultern grelle, blaue Flammen ausstieß.   Thermal Genex [ATK/2400 → 2600 DEF/1200 (8)]   Isaac verschränkte die Arme. „Für jedes Feuer-Monster auf meinem Friedhof erhält [Thermal Genex] 200 Angriffspunkte, wie du siehst. Allerdings ist seine Beschwörung nur Mittel zum Zweck, denn …“ Er nickte nach oben. Tatjana, als auch ihre Freunde auf den Zuschauerplätzen sahen nach oben, wo [Genex Solar] eine Faust ballte. Der ganze Torso des fliegenden Mechs war von roter Energie durchzogen. „… da Genex-Monster auf den Friedhof gelegt wurden, fügt [Genex Solar] dir für jedes davon 500 Punkte Schaden zu. Das sind insgesamt 1000, mehr als du vertragen kannst.“ Die Sonnenenergie zischte über den Arm besagten Androidens und konzentrierte sich in seiner Faust. In einem gewaltigen Strahl wurde sie Richtung einer überraschten Tatjana gestoßen. „Game over“, murmelte Isaac finster und drehte sich weg. Tatjana sagte gar nichts, sah dem grellen Licht entgegen. Und grinste bitterböse. „Du bist ja so berechenbar, Isaac. [Nature's Reflection]!“ Ihre Falle klappte vor ihr auf. Analog dazu schoss ein gewaltiger Steinmonolith vor ihr aus dem Boden, überwuchert von Efeu. Isaac wirbelte herum und sah noch, wie der Angriff seines Monsters darin einschlug, scheinbar absorbiert und abgesondert wurde – in seine Richtung. Von dem nahenden Licht geblendet, hob er den Arm vor die Augen. Dann durchströmte ihn die Energie.   [Isaac: 1800LP → 800LP / Tatjana: 900LP]   Tatjana fuhr sich durchs schwarze Haar und kicherte heimtückisch. „Dachtest du, mich mit so etwas Billigem besiegen zu können? Mir war gleich klar, dass du es auf diese Weise versuchen würdest. Dein Deck hat keine starken Monster, selbst deine Synchros können nicht mit einem Kaliber wie Tytannial mithalten. Ahahaha!“ Der riesige Felsen zerbrach schließlich, hatte er seine Aufgabe darin erfüllt, den Effektschaden zurückzuwerfen. Isaac knirschte mit den Zähnen. „Mal ehrlich“, gluckste Tatjana weiter, „wie willst du deinen Traum überhaupt erfüllen mit so einem Schrottdeck?“ „Unseren Traum“, korrigierte ihr Gegenüber sie giftig, „und ja, es stimmt, die Genex gehören zu den schwächsten Themen, die es gibt. Selbst als sie damals zur Einführung der Synchromonster auf den Markt kamen, hinkten sie hinterher.“ Er ballte eine Faust und betrachtete sie. „Und genau deshalb spiele ich sie! Es ist eine echte Herausforderung! Mit jedem anderen Deck würde ich viel leichter ans Ziel kommen, aber ich habe mich für sie entschieden. Wenn dir das nicht passt, kannst du dir gerne ein anderes Team suchen.“ Tatjana verstummte schlagartig. „Es reicht nicht nur zu wissen, was man erreichen will. Man muss auch eine Vorstellung davon haben, wie es geschehen soll“, erklärte Isaac und drehte dabei [Genex Solars] Karte auf seiner Duel Disk in die Horizontale, wodurch dieser wie ein Stein vom Himmel fiel und in einer Staubwolke kniend auf dem Boden aufschlug, „Claire Rosenburg hat mit diesem Deck einen Profiliga-Champion geschlagen. Ich habe das Duell analysiert. Es gibt noch Verbesserungsmöglichkeiten. Zug beendet!“   Genex Solar [ATK/2500 DEF/1500 (8)]   Im Hintergrund gluckste Patrice. „Vorsicht, sag jetzt lieber nichts, Tatjana. Es geht um seine Waifu!“ Irritiert von der Aussage warf Velvet ahnungslos ein: „Aber sie sind doch gar nicht verheiratet?“ „Das ist Nerdsprache“, klärte Fabio sie auf und kratzte sich an seinem massiven Afro. „Aber frag mich nicht nach einer Übersetzung.“ Zu seinem Erstaunen brachte das seine Freundin jedoch zum Lachen. Die beiden Jungs stimmten mit ein, ganz zum Ärgernis von Isaac, der giftig in ihre Richtung schielte.   Tatjana ihrerseits winkte auf Isaacs Einwurf hin abwertend ab. „Pah. Das lag daran, dass man sie des Betrügens überführen wollte.“ „Und sie hat es widerlegt!“, hielt Isaac dagegen. „Nein, sie hatte einfach nur Glück.“ Die Schwarzhaarige griff nach ihrem Deck. „Draw!“ „Jemand wie sie hat nichts zu befürchten. Immerhin war es der Vorschlag ihres Managements gewesen.“ Die Deutsche verfiel in hysterisches Gelächter. „Oh man, Isaac Sawyer, du kannst dir eine Menge merken, aber intelligent bist du nicht! Und wenn wir gerade dabei sind, hier ist noch was fürs Gedächtnis: Deine bevorstehende Niederlage!“ Eine Zauberkarte in ihre Duel Disk einführend, erklärte sie: „Bevor Blumen sprießen können, muss man sie sähen. Ich aktiviere [Trade-In] und schicke ein Stufe 8-Monster von meiner Hand auf den Friedhof, um zwei neue Karten zu ziehen!“ Demonstrativ zeigte sie ihr Monster vor und schob es in den Friedhofsschlitz. Noch während sie aufzog erklärte sie: „Und jetzt verzichte ich auf meine Normalbeschwörung, um mein abgeworfenes Monster dank [Miracle Fertilizer] zurück aufs Feld zu rufen! Erblühe, [Talaya, Princess Of Cherry Blossoms]!“ Eine riesige, weiße Knospe tauchte vor Tatjana auf und öffnete ihre Kelchblätter. Was sich erhob war eine wunderschöne, schwarzhaarige Frau in violetter, japanischer Tänzertracht, die eins mit der Blüte war. In ihrer rechten Hand hielt sie einen Fächer, um sie wirbelten Kirschblütenblätter.   Talaya, Princess Of Cherry Blossoms [ATK/2800 → 3000 DEF/1200 (8)]   „Für jedes Pflanzen-Monster, das ich kontrolliere, wird die Gute stärker“, erklärte Tatjana mit einem gehässigen Grinsen auf den Lippen, „und sie beschützt die anderen Blumen vor Effektzerstörung. Aber wen juckt das noch, jetzt muss erstmal deine Schrottarmee dran glauben. Tytannial, vernichte [Genex Solar]! Winter's Red! Talaya, du übernimmst danach [Thermal Genex]! Spring's Blue!“ Mit einem Schwenk ihrer Hand schleuderte die Prinzessin mit dem Blätterhaar einen roten Blütensturm auf den knienden Androiden vor Isaac, welcher bei Kontakt explodierte. „Tch!“ Gleich darauf ließ Talaya ihren Fächer sprechen und bewegte ihn elegant von links nach rechts und zurück. Tausende Kirschblütenblätter begannen aus dem Nichts um den blaue Flammen sprühenden Roboter zu tanzen, bis ein Wirbelsturm entstand. Jener hievte [Thermal Genex] empor und verschwand dann so plötzlich, wie er gekommen war. So fiel die Maschine und zersprang beim Aufprall in tausend Partikel.   [Isaac: 800LP → 400LP / Tatjana: 900LP]   „Die hier setze ich. Zug beendet!“ Zischend materialisierte sich die Falle zu Tatjanas Füßen. Das Mädchen kniff die Augen fest zusammen. „Nutze deinen Zug, denn es ist garantiert der letzte!“   „Wer den letzten Zug spielt, gewinnt das Duell. Vergiss das nicht“, konterte Isaac und griff nach seinem Deck, „Draw!“ Voller Schwung zog er seine Karte und betrachtete sie aufgeregt. Denn auch wenn er versuchte seine kühle Maske zu wahren, pochte sein Herz wie ein Presslufthammer. Er lächelte, als er aufsah. „Meine Verbesserungen haben sich ausgezahlt. Mit dem hier hast du sicher nicht gerechnet. Da du zwei Monster mehr als ich kontrollierst, kann ich ihn als Spezialbeschwörung aus meiner Hand rufen“, erklärte er und legte das Monster auf seine Duel Disk. „[The Fiend Megacyber]!“ „Hm!?“, machte Tatjana, als vor ihrem Widersacher ein in schwarzer Robe steckender Kämpfer vor Isaac erschien, dessen Körper von einem massiven, gelben Brustpanzer geschützt wurde. Der Mann war unbewaffnet. The Fiend Megacyber [ATK/2200 DEF/1200 (6)]   „Damit kann ich jetzt meine letzte Handkarte ausspielen: [Genex Spare] als Normalbeschwörung!“ Ein kleiner Roboter tauchte zu Isaacs Füßen auf. Er sah beinahe so aus wie [Genex Controller], nur dass er keinen Helm trug. So hatte sein Kopf die Form eines alten Kassettenspielers.   Genex Spare [ATK/800 DEF/1200 (3)]   „Und jetzt das Highlight!“ Isaac streckte die Hand nach vorne aus. „Ich stimme meinen Stufe 3-Genex-Empfänger auf mein Stufe 6-Finsternis-Monster ein!“ Das Ersatzteil sprang in die Luft und zerteilte sich in drei grüne Lichtringe. Wie gewohnt folgte ihm der Krieger und wurde zu sechs grünen Lichtkugeln. „Real shadows form a path to the next generation! Fleeting dreams become reality!“ Die Sphären passierten die Ringe. Ein Lichtblitz folgte. „Synchro Summon! Rush, [Locomotion R-Genex]!“ Lautes Pfeifen verkündete die Ankunft eines schwarzen Roboters mit massiven Armen, der mit einem Satz vor Isaac landete. In seiner Brust war ein inaktiver Scheinwerfer eingebettet, vom Rücken stand ein Zylinder ab, aus dem eine Rauchwolke aufstieg.   Locomotion R-Genex [ATK/2500 DEF/2000 (9)]   „Es ist vorbei“, sagte der Blonde und zog die Augen zu Schlitzen zusammen, „Effekt meines Monsters! Ich übernehme die Kontrolle über das Monster meines Gegners mit der höchsten Stufe. Sollte es mehrere mit der gleichen geben, kann ich wählen.“ Der junge Mann hob die Hand und deutete auf Talaya. „Sie!“ „Wow, das ist sein bestes Monster!“, staunte Fabio. „Jap. Ein echter Finisher“, gestand ihm auch Patrice anerkennend zu. Doch nicht so Tatjana. Sie setzte ein bitterböses Grinsen auf. „Tja, da hast du dich wohl verschätzt! Gegeneffekt von [Tytannial, Princess Of Camellias]!“ Die Blütenprinzessin mit dem Laubhaar starrte Isaacs Maschine majestätisch an. „Wenn du eine meiner Karten mit einem Effekt anzielst, kann sie diesen Effekt sofort stoppen und den Auslöser zerstören. Dafür muss ich aber ein Pflanzen-Monster opfern. Sorry, Tyta-“ „Amateurin“, spottete Isaac unverhohlen dazwischen. „Siehst du es nicht? Nichts passiert.“ Tatsächlich, auf seinen Hinweis hin musste das Mädchen deutscher Herkunft feststellen, dass ihre Prinzessin nur in ihrer Blüte saß und nichts unternahm. „A-aber-“ „Auch wenn ich das Monster aussuchen kann, ist das trotzdem kein zielender Effekt. Kein Wunder, dass du so schlechte Noten sammelst, wenn du nicht einmal das weißt“, setzte Isaac nach und schwang den Arm aus, „jetzt los, [Locomotion R-Genex]! Flash Control!“ Der Roboter warf den Scheinwerfer in seiner Brust mit einem Schlag seiner Faust dagegen an und blendete die Blütenprinzessin mit dem schwarzen Haar derart, dass sie im Licht förmlich verschwand – und plötzlich auf Isaacs Spielfeldseite auftauchte.   Talaya, Princess Of Cherry Blossoms [ATK/3000 → 2900 DEF/1200 (8)]   Jener ballte schlagartig eine Faust und sah zur Seite. „Ich weigere mich … ich weigere mich hinzunehmen, was ihr hier abzieht. Denkt darüber nach. Los, Talaya, zerstöre Tytannial!“ Erstere schwang nur einmal ihren Fächer aus und wirbelte zahllose Kirschblütenblätter Richtung ihrer einstigen Gefährtin, die im Sturm unterging. „Und jetzt setz' nach, [Locomotion R-Genex]! Steamride!“ Sofort stieß sich der Roboter mit Dampfantrieben an seinen Beinen vom Boden ab, landete vor der noch völlig verblüfften Tatjana und schlug zu.   [Isaac: 400LP / Tatjana: 900LP → 800LP → 0LP]   Als ihre Lebenspunkte auf 0 fielen, torkelte jene überrumpelt rückwärts, stolperte und klatschte auf ihren Allerwertesten. Isaac stand vor ihr, mit verschränkten Armen und bedachte sie eines, gelinde gesagt, absolut überlegenen Blickes. „Da staunst du, was?“, sprach er dabei eisig. Tatjana ließ den Kopf hängen und stieß einen frustrierten Seufzer aus.   Fertig mit ihr, wandte sich Isaac an seine anderen Freunde und strafte sie mit demselben, strengen Blick. „Da das nun geklärt wäre …“ Er fasste sich an die Stirn und stöhnte und drehte sich wieder um. „Nein … Wisst ihr, es ist gar nicht mal Velvets abenteuerliche Geschichte, die mich so aufregt. Oder dass sie – wie ihr alle – schlecht im Test abgeschnitten hat.“ Der Blonde schritt auf Tatjana zu und reichte ihr die Hand. „Es ist die Tatsache, dass ihr alle unser Versprechen vergessen zu haben scheint.“ „Hmpf!“ Nur sehr widerwillig schlug die ein und ließ sich aufhelfen.   Patrice und Fabio sahen sich schuldbewusst an. Auch Velvet blickte auf und den beiden Duellanten entgegen, die sich ihnen näherten. Isaac sprach im Gehen weiter. „Wir alle haben uns versprochen, die Jahre hier so gut wie nur irgend möglich 'rum zu kriegen, um dann ein Team zu bilden, das die Profiliga zerfetzt. Das war dein exakter Wortlaut, Patrice. Trotzdem bist du heute gerade mal knapp über 60% gekommen.“ „Stimmt schon“, lachte der verlegen. „Und du warst zwar mit 72% besser, aber zerfetzten wirst du damit niemanden“, tadelte Isaac den Afromann. „Nuu!“ Isaac sah auf Velvet herab, als wäre er ihr Lehrer und nicht Mr. Atkins. „Von dir fangen wir gar nicht erst an.“ „Hör endlich auf damit!“, fauchte Tatjana. „Wenn du-“ Aber mit erhobener Hand bremste der große Blonde das pummelige Mädchen aus. „Aber! … aber ich kann verstehen, dass du völlig fertig von der ganzen Geschichte bist.“ „Du glaubst mir!?“ Velvet sprang freudestrahlend auf und wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen. Was Isaac mit einem Rückwärtsschritt geschickt verhinderte. „Natürlich. Du weißt, ich habe so meine Schwierigkeiten mit diesem übernatürlichen Kram, doch du bist keine Lügnerin.“ Gerade als sie so richtig strahlen wollte, bremste er auch sie aus. „Aber! Ich habe kein Verständnis dafür, dass du uns erst -jetzt- davon erzählst!“ Kleinlaut schrumpfte das Mädchen sofort wieder in sich zusammen und plumpste auf die Bank zurück. „J-ja …“   „Und was jetzt?“, fragte Tatjana in die Runde. „Sollen wir die Polizei verständigen?“ „Wäre das Beste. Vielleicht ist der Typ ja schon aktenkundig“, überlegte Fabio und sah Patrice an. „Dein Dad ist doch Cop-“ Doch sofort fuhr sein bester Freund ihm über den Mund. „Vergiss es, den brauchen wir gar nicht fragen, ob er privat für uns ermittelt.“ „Davon redet auch keiner“, widersprach die Deutsche, „wir melden das Ganze ganz offiziell.“ Alle sahen Velvet fragend an, aber die schüttelte den Kopf. „Nein … dieser … Mann, er würde … sie könnten sich nicht wehren. Ich weiß nicht einmal, ob er wirklich … ein Vampir ist, aber ich habe die Macht gespürt, die von ihm ausging. Ich glaube, er kann Leute irgendwie hypnotisieren, einfach indem er sie ansieht.“ „Da steig' ich aus“, meinte Isaac resignierend. Patrice setzte sich neben sie. „Aber was willst du dann tun? Ihn einfach gehen lassen?“ „I-ich weiß es nicht.“ „Wenn wir wenigstens wüssten, wer das überhaupt war.“ „Na ja“, mischte sich Isaac doch wieder ein. In dem Moment erklang zum Ärgernis aller das Läuten zum Unterricht. „vielleicht- Oh! Na klasse. Was auch immer, vielleicht kann ich da helfen. Wir treffen uns nach der Schule im IT-Raum 303.“ Die anderen sahen sich fragend an, doch der Blonde löste sich bereits ohne weitere Erklärung von ihnen und schritt zum Gebäude. Dann blieb er noch mal stehen und drehte sich um. „Los, kommt endlich. Nochmal möchte ich euch nicht an unsere Abmachung erinnern müssen. Unpünktlichkeit schlägt sich in schlechteren Noten wieder.“ „Immer diese Musterschüler“, schnarrte Patrice und sprang von der Bank auf. „Wirklich, 'ne richtige Nervensäge ist das“, murrte Tatjana und folgte ihm zusammen mit Fabio. Nur Velvet blieb zurück, nicht wissend, ob sie glücklich sein sollte, so gute Freunde zu haben oder traurig, jene enttäuscht zu haben. Als sie alle auf sie warteten, wusste sie die Antwort jedoch und sprang lächelnd auf.   ~-~-~   Nach der letzten Unterrichtsstunde schritten Velvet, Tatjana, Fabio und Patrice die Stufen hinauf in den dritten Stock, folgten dem Gang bis zum vereinbarten Treffpunkt. Die Tür stand einen Spalt breit auf. „Mal sehen, was er vor hat“, gluckste Fabio. „Bestimmt nichts, was uns in irgendeiner Weise nützt“, murrte Tatjana gallig. „Wir sollten das einfach der Polizei melden.“ „Lasst uns bitte wenigstens schauen, was er glaubt, herausfinden zu können.“ Das gesagt, trat Velvet als Erste in den Raum ein. Es erwarteten sie einzelne Tische, an denen sich PCs und Bildschirme befanden. Die Rollos waren zur Hälfte von den Fenstern heruntergelassen, damit die Nachmittagssonne nicht beim Arbeiten störte. Ein Platz in der ersten Reihe war besetzt.   Isaac saß bereits am PC, während der Rest der Gruppe sich hinter ihm versammelte und zusah, wie er das Akademie-Programm zum Auswerten von Duelldaten öffnete. Oder zumindest fast alle, denn Tatjana zog es nach ihrer Niederlage vor, möglichst viel Abstand von ihm zu halten. Daher saß sie am nächstgelegenen Tisch und funkelte beleidigt zu den anderen herüber. „Okay, wir sind drin. Gib mir deine Duel Disk“, fordere der Blonde Velvet immer noch ein wenig skeptisch auf. Jene zu seiner Rechten strich sich den Apparat vom Arm und reichte ihm, doch Isaac deutete ihr an, diesen stattdessen neben den Bildschirm zu legen. Danach beugte er sich zum Tower-PC herab und zauberte ein langes USB-Kabel hervor, das er schließlich mit der Duel Disk verband. „Das ist so 2002“, gluckste Fabio belustigt. „Beschwer' dich bei der Schulleitung. Die haben das ganze Equipment billig als Restposten irgendwo aufgekauft.“ Isaac schnaubte. „Deswegen dauert es auch so lange, das Programm zu starten.“ Patrice musste lachen. „Aber nach außen sind wir natürlich eine der renommiertesten Duell-Akademien. Ist klar.“ Nach einer gefühlten Ewigkeit ploppte ein hellblaues Fenster mit dem Blauäugigen Weißen Drachen als Logo unter der Kopfleiste auf. Auf der linken Seite befand sich ein Menü mit mehreren Feldern und einer Suchleiste. Isaac gab dort jedoch nur eine 1 ein und schon wurde das Bild heller, der Schriftzug „Lädt“ erschien. Und blieb. Und blieb. „Man, das dauert ja“, runzelte Patrice die Stirn. „Wer wettet mit mir, dass wir gleich eine Fehlermeldung bekommen?“ Keiner, denn tatsächlich tauchte eine Liste mit allen Duellen auf, die Velvet mit dieser Duel Disk geführt hatte. Und das letzte war vom gestrigen Tag. Das Mädchen spürte eine unangenehme Hitze in sich aufsteigen. „D-das ist es. Die Uhrzeit passt.“ „Also schön.“ Isaac klickte es an.   Auf dem Bildschirm tauchte eine Abbildung der Spielpläne von Velvet und Zyxx auf. Wie er in seinem ersten Zug nur [Igknight Templar] beschwor, das Mädchen diesen mit [Spiritual Beast Apelio] angriff und so weiter. Jede Aktion wurde dargestellt. „I-ich hab Pegasus erst kurz vor dem Ende des Duells beschworen“, murmelte Velvet aufgeregt. Was, wenn dort tatsächlich nichts auftauchte? Dann kam der entsprechende Zug. Sie zog auf … und eine Karte, die jedoch nur mit dem Kartenrücken von Duel Monsters dargestellt wurde, tauchte auf ihrem Feld auf. „Halt an“, rief Fabio sofort und Isaac pausierte mit einem Mausklick. Er ließ den Zeiger hinüberfahren. Ein kleines Fenster blendete alle relevanten Infos ein.   Ebon Sky Pegasus Monster/Effekt/Excel Ungeheuer/Wind ATK/2500 DEF/2000 X8 Kondition: keine Nur einmal während des Duells, während des Zuges eines beliebigen Spielers: Du kannst 1000 Life Points zahlen und 1 Zauber- oder Fallenkarte von deiner Spielfeldseite auf den Friedhof schicken; aktiviere 1 Zauber- oder Fallenkarte direkt aus deinem Deck. (Aktivierungskosten gelten als bezahlt.)   „Ich wusste es!“, stieß Velvet hervor, als sie 'Excel' las. „D-das ist sie. Ich habe mir das nicht eingebildet!“ Als sie bemerkte, wie laut sie dabei gewesen war, winkte sie mit beiden Händen. „Oh, äh, sorry, i-ich freue mich bloß.“ Tatjana sprang von ihrem Platz einen Tisch weiter auf und eilte zu den anderen. „Zeig mal.“ „Was ist das?“, wunderte sich Isaac mit großen Augen. „Die Karte gibt es in der Datenbank, aber ich kann nicht drauf zugreifen. Genauer gesagt …“ Er klackerte ein wenig auf der Tastatur herum. „… kann ich nicht mal nach weiteren Excel-Karten suchen.“ „Gib zu, dass du Unrecht hattest“, forderte die Deutsche sofort spitz. „Gib zu, dass du überflüssig bist“, konterte ihr Erzfeind grantig und suchte weiter. „Aber wo ist die Karte dann hin?“, wollte Patrice an Velvet gewandt wissen. Die konnte auch nur mit den Schultern zucken, woraufhin er hinzufügte: „Sie wird dir also wirklich gestohlen worden sein, als du ohnmächtig warst.“ Iaaac verdrehte die Augen. „Das Thema hatten wir schon.“ „D-denkst du nicht, der Typ hätte -mich- mitgenommen statt der Karte?“, meinte auch Velvet. „Es sei denn, er war von Anfang an nur hinter der Karte her.“ Fabio schnalzte mit der Zunge. „So'n Teil könnte ein kleines Vermögen wert sein.“ Velvet schüttelte den Kopf. „Nein, er wusste gar nicht, dass ich sie hatte …“ „Unbekannte Karten hin oder her. Viel interessanter finde ich, dass die Duel Disk deines Gegners nicht registriert ist.“ Isaac drehte sich auf dem Stuhl zu den Vieren um. „Aber wen wundert das. Er wollte dich entführen, da wird er wohl kaum etwas zurücklassen, was man nachverfolgen kann.“ „Also glaubst du endlich an die Excel-Monster?“ Velvet strahlte vor Freude. Der Blonde nicht, als er nickte. „Dir ist klar, dass wir damit -wirklich- zur Polizei müssen.“ Betreten sah das Mädchen weg. „S-sicher … aber …“ Wie sollte sie denen erklären, was wirklich geschehen war? Und was konnten die schon gegen das Übernatürliche unternehmen? Es erschien ihr hoffnungslos, die Polizei um Hilfe zu bitten. Tatsächlich gab es wohl niemanden, der ihr in dieser Sache helfen konnte …     Turn 91 – Today Will Never Exist Again Der Tag von Velvets ersten Duellexamen ist gekommen. Doch die Dinge nehmen eine erschreckende Wendung, als der Erbe der Abraham Ford Company – Henry Ford – der Schule einen Besuch abstattet und Velvet beschuldigt, seine Firma bestohlen zu haben. Um die Sache zu klären, arrangiert er ein Duell zwischen den beiden, das den Test ersetzen soll … Kapitel 100: Turn 91 - Today Will Never Exist Again --------------------------------------------------- Turn 91 – Today Will Never Exist Again     „D-das kann unmöglich sein!“, stammelte Henry Ford aufgebracht in sein schwarzes Smartphone. Er befand sich in einem kleinen Büro mit dunklen Holzmöbeln, abgewandt vom Schreibtisch des Besitzers. „Sir, die Daten lügen nicht. Es war eine Excel-Beschwörung“, sprach die Frau am anderen Ende der Leitung sachlich. Henry senkte sein Haupt. „… wer?“ „Die Duel Disk ist registriert auf eine Velvet Thorne, Duellanten-ID 102-214-876-175. 16 Jahre alt, Wohnhaft in Kings Crowning. Sie studiert an der Cloverfield Duel Academy.“ „Was!?“, polterte der brünette, junge Mann im weißen Anzug. Er kannte diese Schule, schließlich förderte die AFC sie seit Jahren. Er mahnte sich zur Ruhe. „Und es besteht kein Zweifel?“ „Nein, Sir.“ „… also gut. Vielen Dank für die Benachrichtigung. Nehmen Sie sich der Sache bitte sofort an, ich möchte eine durchgehende Untersuchung. Ich melde mich.“ Nach einer kurzen Verabschiedung landete das Telefon in seiner Hosentasche.   „Probleme?“, fragte Aiden Reid am Ende des Schreibtisches und betrachtete Henry neugierig. „Das wird sich zeigen. Ich fürchte, das Meeting morgen muss verschoben werden.“ Der brünette CEO von Micron Electronics nickte verständnisvoll. „Natürlich.“ Reid strich sich über seinen Dreitagebart. „Wie ich gerade schon erwähnte, sind die Bauarbeiten der stationären 'Monochrome' fast abgeschlossen. Schon bald können wir einen ersten Testlauf starten.“ So gern Henry über sein geheimes Projekt sprechen wollte, so sehr fehlten ihm plötzlich die Nerven dafür. Er nickte knapp. „Gut. Irgendein Wort von Nick Harper?“ „Nichts. Er ist spurlos verschwunden.“ Aidens strahlende Züge verschwanden schlagartig. „Es tut mir leid, ich kann mir nicht erklären, was da los ist.“ „Sie sagten, er habe seine Arbeit bereits beendet?“ „Ja. Ich hatte ihn beauftragt, noch ein paar Kalibrierungen vorzunehmen-“ Henry schnitt ihm ins Wort. „Dafür ist noch genug Zeit. Solange das Gerüst steht, habe ich kein Problem damit, wenn er ein paar Tage untertaucht. Er hat Tag und Nacht an diesem Projekt gearbeitet.“ Er konnte Reid ansehen, dass er nur allzu gerne widersprechen würde. Irgendetwas ging zwischen den beiden vor sich, das hatte Henry immer wieder bei Besprechungen gemerkt. Nick verhielt sich diesem Mann gegenüber äußerst feindselig – so sehr, dass jeder normale Arbeitgeber so ein Verhalten bestrafen würde. Doch Reid tat genau das Gegenteil. Was auch immer, es ging ihn nichts an. Zumindest solange 'Monochrome' dadurch nicht gefährdet wurde.   „Ich werde dann gehen“, kündigte Henry an. „Vielen Dank für das Update. Ich hoffe, es schon bald selbst ausprobieren zu können.“ „Natürlich. Sie sind 'Monochromes' Vater. Falls Sie Hilfe wegen Ihres Problems benötigen, melden Sie sich ruhig.“ Der junge Ford-Spross nickte knapp und wandte sich der mit Sichtschutz bedeckten Glastür zu.   ~-~-~   Am nächsten Tag …   Velvet schlenderte mit ihren Freunden durch den Gang auf dem Weg zur ersten Unterrichtsstunde. Gedankenverloren sah sie aus den Fenstern und beobachtete ihre Mitschüler auf dem quadratischen Innenhof, die dort Unterlagen austauschten, Späße machten und einfach ausgelassen tratschten. Sie beneidete sie ein wenig um ihre Unschuld.   „Der Streit von gestern liegt dir wohl immer noch schwer im Magen, hm?“, fragte der blonde Isaac hinter ihr vorsichtig. Tatjana, die neben dem Mädchen im violett-schwarzen Blumenkleid her lief, schnaubte. „Nein, das sicher nicht, du Hutständer! Die versuchte Entführung. Hab ich Recht?“ „Hmhm“, gab Velvet allerdings völlig abwesend von sich. „Hast du dich schon entschieden, ob du nun zur Polizei gehen wirst oder nicht?“, fragte Patrice ganz hinten, als sie vor der Tür ihres Klassenzimmers ankamen. Als keine Antwort folgte, langte der Afroamerikaner Fabio über seine anderen Freunde hinweg und tippte ihr leicht gegen den Hinterkopf. „J-ja!? Was hast du gesagt!?“ Der Venezolaner stöhnte schicksalsergeben. „Schon gut. Wir können darüber auch noch später reden.“   Velvet setzte sich an ihren Platz in der zweiten Reihe am Fenster, um den sich die anderen versammelten. Sie quatschten über Mode, nervige Mitschüler und den ganzen typischen Kram, der Teenager so beschäftigte. Die Brillenträgerin hörte kaum hin, dachte immer wieder an das Duell gegen diesen Vampir. Wohin er wohl verschwunden war? Er hatte doch die perfekte Gelegenheit gehabt, seine Drohung wahr zu machen. Was war mit ihm geschehen? Wenn ihre Visionen ihr doch nur die Fragen beantworten würden, die sie interessierten! Aber sie konnte sie nicht steuern. Sie kamen einfach, unvermittelt und meist auch völlig ungebeten. Sie erschauderte beim Gedanken an das, was sie als Todesvision empfunden hatte. War sie überhaupt sicher hier? Sollte sie vielleicht doch eine Weile untertauchen, wie Patrice es gestern noch vorgeschlagen hatte? Aber wie sollte das gehen, sie musste zur Schule und ihre Eltern würden sich bestimmt fragen, was da los ist.   In all ihren chaotischen Gedanken bekam Velvet kaum mit, dass der Unterricht längst begonnen hatte und ihre Geschichtslehrerin, die dunkelhäutige, stets lässige Miss Chapman, über den Vietnamkrieg zu sprechen begann. Plötzlich verstummte sie, als eine Durchsage die Runde machte. „Miss Thorne aus Kurs 4b, bitte melden Sie sich umgehend im Sekretariat. Ich wiederhole, Miss Thorne aus Kurs 4b, bitte melden Sie sich umgehend im Sekretariat.“ Jetzt war Velvet in der Realität angekommen. Und alle Augen waren auf sie gerichtet. „Was hast du denn jetzt angestellt, Thorne?“, gluckste Miss Chapman, die seitlich auf ihrem Lehrerpult saß und ein Buch in der Hand hielt. „I-ich weiß nicht.“ „Wenn du nach oben musst, kann es nur was Ernstes sein“, vermutete Isaac von der ersten Reihe aus sofort und machte ihr damit wenig Mut. Mit flauem Gefühl im Magen erhob sich Velvet. Aber Miss Chapman winkte ab. „Ach, die Vinewood ist nicht so übel. Ist bestimmt nichts Schlimmes. Unsere Thorne würde doch nie was anstellen, oder?“ „N-nein!“ Trotzdem konnte sie den Gedanken nicht verdrängen, dass Isaac Recht haben könnte. Nervös schlenderte Velvet aus dem Klassenzimmer, winkte ihren Freunden noch einmal zu.   ~-~-~   Als Velvet nach kurzer Wartezeit im Sekretariat das Büro der Direktorin Mrs. Vinewood betrat, wurde das ungute Gefühl zu einem schmerzhaften Krampf in ihrem Magen. Denn die bereits ergraute Dame im dunkelroten Kostüm war nicht alleine. Sie saß an ihrem Schreibtisch vor einem großen Fenster. Davor standen zwei Stühle, von denen einer besetzt war. Ein junger Mann, brünett und in weißem Anzug saß dort und unterhielt sich mit der Frau. Das Gespräch endete abrupt als Velvet eintrat. „O-oh Entschuldigung!“, stammelte jene, als sie begriff, dass sie gar nicht angeklopft hatte. Mrs. Vinewood erhob sich. Hinter den dicken Brillengläsern in schwarzem Rahmen starrten schmale, graue Augen sie scharf an. Aber die Frau blieb freundlich. „Miss Thorne. Vielen Dank, dass Sie hier sind. Kommen Sie bitte herein.“ Als ob sie irgendeine Wahl gehabt hätte, dachte das Mädchen klagend und schloss die Tür hinter sich. Auch der Mann erhob sich und drehte sich um. Es dauerte einen Moment, ehe die Schwarzhaarige ihn erkannte – und prompt erstaunt keuchte. Das war Benjamin Hendrik Ford, praktisch neben seiner Schwester Melinda DAS Gesicht der Abraham Ford Company. Die, die für viele Belange seitens Duel Monsters in den Staaten verantwortlich waren. „H-hallo“, stammelte Velvet ehrfürchtig. Und wurde in ihrer düsteren Vorahnung bekräftigt, als Henry sie lediglich finster anstarrte und kein Wort des Grußes verlor. „Setzen Sie sich bitte“, forderte Mrs. Vinewood ihre Schülerin auf.   Nur ein ganz kleines bisschen zitternd trottete Velvet zum Schreibtisch der Direktorin. Deren Büro war ziemlich spartanisch eingerichtet. Weiße Wände, ein paar Aktenschränke zur Linken – mehr nicht. Viele behaupteten, dass sie sehr streng und penibel sei. Wobei man nicht sagen konnte, dass die Frau ihre Arbeit schlecht machte. Sie galt als jemand, der stets ein Ohr für die Belange der Studenten hatte und sich um jede Möglichkeit bemühte, jenen den Weg zum Profidasein zu erleichtern. Velvet selbst hatte bisher noch keinen direkten Kontakt mit ihr gehabt, abseits ein paar zufälliger Treffen auf den Gängen des Campus oder bei Ansprachen. Und eigentlich hätte es gerne auch so bleiben können.   Die paar Schritte fühlten sich für das Mädchen wie eine Ewigkeit an. Als sie endlich ihr Ziel erreichte, machte Mrs. Vinewood noch eine eindeutige Handgeste zum Stuhl. Velvet setzte sich schluckend nieder. „Haben Sie eine Ahnung, warum ich Sie hierher gerufen habe, Mrs. Thorne?“ „N-nein“, antwortete die und schüttelte viel zu kräftig den Kopf. Aber sie befürchtete, dass es etwas mit Henry Ford zu tun haben musste. Und sie sollte Recht haben. „Dann helfe ich Ihnen mal auf die Sprünge“, brauste jener sofort auf, wurde aber von der Direktorin zum Schweigen gebracht. „Mr. Ford, ich bitte Sie ruhig zu bleiben.“ Jene bat auch ihn mit einer beschwichtigen Geste, sich wieder zu setzen, was Henry aber nur sehr widerwillig tat. Als sie die Einzige war, die noch stand, stützte sie sich mit beiden Händen vom Schreibtisch ab. „Ich bitte Sie beide darum, über dieses Gespräch Stillschweigen zu bewahren.“ „Wir werden sehen“, murmelte Henry abweisend. „N-natürlich“, stammelte Velvet dagegen gehorsam.   Die ergraute Frau richtete sich auf. „Miss Thorne, ich werde direkt zum Punkt kommen. Ihnen wird vorgeworfen, interne und geheime Informationen der Abraham Ford Company und darüber hinaus auch eine bisher unveröffentlichte Karte gestohlen zu haben.“ Sofort platzte es aus Velvet: „W-was!?“ „Mr. Ford“, forderte Mrs. Vinewood ihren anderen Gast auf. Jener sah Velvet feindselig an. „Vor zwei Tagen haben unsere Server die Verwendung eines Excel-Monsters gemeldet. Eines, das Sie gespielt haben.“ Das Mädchen traute ihren Ohren kaum. Ja, es stimmte, sie hatte [Ebon Sky Pegasus] benutzt, a-aber doch nicht gestohlen! „Diese Art von Beschwörung ist ein Prototyp, der nie in Serie ging. Sämtliche Informationen dazu blieben unter Verschluss“, erklärte Henry jetzt etwas ruhiger, „dazu kommt, dass die von Ihnen gespielte Karte nie von uns entworfen wurde.“ „Haben Sie uns dazu irgendetwas zu sagen?“, wollte Mrs. Vinewood streng wissen. Eine Menge, hätte Velvet am liebsten gesagt. Aber wer würde ihr glauben, wenn sie sagte, dass diese Karte -einfach so- in ihrem Deck aufgetaucht sei? Und dass sie die Zukunft und Vergangenheit sehen konnte wie eine Hellseherin? „I-Ich habe nichts gestohlen, das schwöre ich.“ „Natürlich. Das werden Sie auch bald vor dem Staatsanwalt müssen“, schnarrte Henry. Auch Mrs. Vinewood schien ihr kein Wort zu glauben. „Miss Thorne, ist Ihnen klar, was Ihnen vorgeworfen wird? Industriespionage ist kein Kavaliersdelikt. Ich muss Ihnen nicht erklären, dass eine Suspendierung nur der Anfang vom Ende wäre.“ Velvet schluckte. „A-aber ich habe doch nichts getan!“ „Und wie sind Sie dann an jene Karte gelangt?“ Henry sah sie aus den Augenwinkeln scharf an. „Ich weiß es nicht!“, wurde das Mädchen schlagartig laut. Als sie bemerkte, wie die beiden Erwachsenen überrascht zurückschreckten, versank sie noch tiefer im Stuhl als ohnehin schon möglich. Sie war den Tränen nahe. „I-ich weiß es nicht. Ich weiß ja nicht mal, wie Pegasus funktioniert … oder wo er jetzt ist. Aber … aber wenn ich dafür eingesperrt werde, dann … dann ist mir das recht. I-ich akzeptiere jede Strafe.“   Es war ein seltsamer Gedanke, den Velvet in diesem Moment hatte. Denn vielleicht konnte sie ihr Schicksal dadurch ändern. Im Gefängnis wäre sie sicher, oder? Nein … nein, nicht vor Leuten wie diesem Zyxx. Was für einen Unsinn sie da redete! Trotzdem sie sich am liebsten auf die Zunge beißen würde, sagte sie nichts mehr. Denn in gewisser Hinsicht war sie ja schuldig. Sie hatte eine Karte benutzt, die ihr nicht gehörte und die das Geschäft der AFC, sollte all das bekannt werden, schädigen könnte. Auch wenn es unabsichtlich war, aber Unwissenheit schützte vor Strafe nicht. „Nun, Mr. Ford, was schlagen Sie vor?“, fragte Mrs. Vinewood den jungen Mann. Der betrachtete Velvet noch immer von der Seite, richtete sich dann auf und erhob sich. „Es gibt nur eine Art und Weise, wie solche Angelegenheiten geregelt werden.“ „Ich hatte gehofft, dass Sie das sagen werden.“ Die Direktorin richtete sich an Velvet. „Miss Thorne, holen Sie bitte Ihre Duel Disk und finden sich in der Arena ein.“ „W-was?“ „Ich fordere Sie heraus“, sprach Henry und schritt von dannen, „wir werden das klären wie wahre Duellanten – in einem Duell. Dort werde ich beurteilen, wie schuldig Sie sind, Mrs. Thorne.“ Er drehte sich noch einmal zu ihr um. Seine Augen funkelten auf eine gefährliche Art und Weise, die dem Mädchen einen Schauder über den Rücken laufen ließ. „Eine Niederlage wäre das Ende Ihrer Zukunft. Also setzen Sie -alles- ein, was Sie bisher gelernt haben.“   Velvet konnte im ersten Moment gar nicht recht begreifen, was vor sich ging. Als es Klick machte, sprang sie erschrocken auf. „W-warten Sie! K-können meine Freunde zusehen?“ „Miss Thorne, das Duell wird während der Unterrichtszeit stattfinden“, wollte Mrs. Vinewood die Bitte sofort abschlagen. Doch das Mädchen war noch nicht fertig. „I-ich habe Ihnen von Pegasus erzählt, aber einige glaubten mir erst nicht. Auch wenn ich bestraft werden muss, möchte ich vor ihnen nicht als Lügnerin dastehen.“ Henry nickte. „Immerhin sind Sie ehrlich. Gut, wenn sie sowieso schon Mitwisser sind, dann spricht wohl nichts dagegen. Clementine, ich schließe mich der Bitte Ihrer Studentin an.“ Die Direktorin tauschte einen eindringlichen Blick mit Henry aus, ehe sie zustimmte. „Gut. Ich schätze, was sie im Unterricht verpassen, können sie beim Beobachten eines Profis wieder wett machen.“ Ein winzig kleiner Kieselstein fiel Velvet vom Herzen. So würde ihr es um einiges leichter fallen, jemandem wie Henry Ford entgegen zu treten. Nicht, dass sie sich irgendwelche Hoffnungen machte, aber die Anwesenheit ihrer Freunde gab ihr wenigstens ein bisschen Kraft. „Danke!“   ~-~-~   Eine halbe Stunde später hatten sich sämtliche Involvierte in der kreisrunden Arena eingefunden, dem Duelldom der Akademie, welcher nicht direkt an jene angeschlossen war. Tatsächlich musste man vom Hauptgebäude aus einen gepflasterten und mit Steinsäulen bespickten Weg entlang des größeren Hofs gehen, ehe man ihn erreichte.   Die Tribünen waren, wie es in solchen Hallen üblich war, erhöht zum Spielfeld angesetzt und umschlossen jenes in einem Kreis. Velvet stand bereits in dessen Zentrum und sah zu ihren Freunden hoch, die mit Ausnahme von Isaac in der ersten Reihe auf den blauen Sitzen Platz genommen hatten. Nur kurz war es ihr möglich gewesen zu erklären, was geschehen war. „Ich glaube das nicht. Das kann der doch nicht ernst meinen“, verstand die schwarzhaarige Tatjana die Welt nicht mehr. „Henry Ford ist ein sehr starker Duellant“, sagte Patrice, „er würde so einen Handel wohl kaum eingehen, wenn er nicht damit rechnet zu gewinnen. Das ist doch 'ne totale Farce!“ Der Afromann sah das Mädchen dort unten nur mitleidig an und Isaac war sogar völlig mit den Gedanken abwesend. Weiter weg saßen zwei Lehrer und die Direktorin in den hinteren Rängen. Was man vor hier aus nicht sehen konnte war, dass der Hausmeister und die Techniker sämtliche Eingänge bewachten, damit es keine unerwünschten Besucher gab. Velvet konnte immer noch nicht fassen, dass sie in so eine Lage geraten war. Alles war so furchtbar ungerecht. Ihr wurde ein Verbrechen vorgeworfen, das sie nicht begangen hatte – nicht absichtlich jedenfalls. Sie konnte sich ja selbst nicht erklären, woher [Ebon Sky Pegasus] kam. Oder wo er jetzt war. Natürlich verstand sie die prekäre Lage von Mr. Fords Firma, aber sie hatte doch niemandem etwas Böses antun wollen. Warum verstand das keiner!? „Nicht weinen“, rief Tatjana ihrer Freundin fürsorglich zu und beugte sich über das Geländer, hielt die Hand vor den Mund, „mein Daddy ist Anwalt, vergiss das nicht. Wenn die dich wirklich verklagen, haut er dich da raus.“ „Aber dein Vater lebt in Deutschland …“, erwiderte Velvet ungläubig. Auf den Einwurf des Mädchens winkte das pummelige Mädchen lachend ab. „Ach, das ist doch egal.“ „Miss Thorne, es ist Zeit.“ Henry stand inzwischen auf seiner Seite des kreisrunden Feldes und wartete. Die Gerufene wirbelte schluckend um. Ihr Herz explodierte wohl in jenem Moment. „J-ja!“ Ihre Beine waren weicher als Pudding, es fühlte sich an, als würden sie gar nicht mehr existieren. Es fühlte sich genauso an wie bei Zyxx. Gelähmt schritt Velvet herüber und nahm ihre Position auf dem Duellfeld ein. In dem Moment erhob sich Mrs. Vinewood und verkündete: „Auf Wunsch von Mr. Ford wird diese Angelegenheit mit einem Duell geregelt. Sollten Sie verlieren, Miss Thorne, werden Sie nicht nur der Schule verwiesen, sondern es drohen auch rechtliche Schritte.“ Totenstille. „Schaffen Sie es jedoch, Mr. Ford zu besiegen, wird er wie vereinbart seine Anschuldigungen fallen lassen. Auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin werden auch wir von weiteren Konsequenzen absehen.“ Musste sie das so betonen? Velvet fühlte sich ungewollt. Aber aus Sicht der Direktorin war es wohl verständlich, sie konnte keine stehlende Schülerin ausbilden. „Duellanten“, sprach jene autoritär, „nehmt eure Stellung ein!“ Während Velvet ihre Schul-Duel Disk ausfahren ließ, aktivierte Henry Ford ein rotes D-Pad, wie er es während der Pressekonferenz zur Ankündigung der Pendelmonster vorgestellt hatte. Beide riefen: „Duell!“   [Velvet: 4000LP / Henry: 4000LP]   Mit aller Macht versuchte Velvet ihre Nervosität zu unterdrücken. Niemals hätte sie geglaubt, dem Erben der AFC gegenüber zu stehen. Und dann noch unter diesen Umständen.   „Nun, da du nicht beginnen möchtest, fange ich an“, entschied Henry, nachdem Velvet ihn wortlos anstarrte. Erst, als er sein Startblatt zog, zuckte sie zusammen und tat es ihm gleich. Anstatt sich mit langen Reden aufzuhalten, verkündete er: „Ich beschwöre [Gusto Thunbolt] im Angriffsmodus. Dein Zug.“ Vor ihm materialisierte sich eine etwa ein Meter hohe Wolfskreatur mit pastellgrünem Fell und gelb leuchtendem Horn an der Stirn, um welches Elektrizität knisterte.   Gusto Thunbolt [ATK/1500 DEF/1200 (4)]   Ein wenig erstaunte Velvet diese Eröffnung doch. Nicht nur war das Monster nicht besonders stark, sondern auch vollkommen ungeschützt. Aber das Mädchen erinnerte sich mal gehört zu haben, dass Gusto-Monster gut darin waren, einander zu ersetzen. Was wohl hieß, dass er fest mit dem Verlust seiner Kreatur rechnete. „D-draw“, stammelte sie und zog. Unsicher, was sie tun sollte, blickte sie in ihr Blatt. Wenigstens war die Duellarena, abgesehen von ihren Freunden, der Direktorin sowie ein paar Lehrern leer. Und die würden nicht über sie lachen, oder? Velvet schluckte. Was, -wenn- sie lachten!? „I-ich beschwöre [Ritual Beast Tamer Elder].“ Ein knorriger Baum wuchs vor dem Mädchen aus dem Boden. Auf einem seiner Äste saß ein alter Mann, der seinen Holzstab gegen die Schulter lehnte und in einem Wälzer versunken war. Sein graues, langes Haar und der ebenso lange Bart unterstrichen seinen Titel als Ältester, der als solcher eine beigefarbene Robe mit grünem Cape trug. „Hmm?“ Henry hob eine Augenbraue an. „Dieses Monster ist doch mein Kamui …?“   Ritual Beast Tamer Elder [ATK/200 DEF/1000 (2)]   Der junge Mann im feinen, weißen Anzug fasste sich ans Kinn. Murmelte zu sich selbst: „Die Werte sind sogar identisch. Interessant.“ „D-der Älteste lässt mich in diesem Zug noch eine Normalbeschwörung eines Stammesangehörigen durchführen.“ Velvet nahm noch eine Karte aus ihrem Blatt und legte sie auf die Duel Disk. „L-los, [Spiritual Beast Cannahawk]!“ Der alte Kamui nahm seinen Zauberstab und richtete ihn auf einen Ast am anderen Ende des Baums. Ein Blitz schlug darin ein und keine Sekunde später saß dort ein Falke mit schwarzem Gefieder und hellem Bauch, an dessen Körper sich gelbe Energielinien abzeichneten. Seine Klauen strahlten gar.   Spiritual Beast Cannahawk [ATK/1400 DEF/600 (4)]   „M-monstereffekt von Cannahawk. Einmal pro Zug kann ich eine Ritual Beast-Karte von meinem Deck verbannen und zwei Züge später meinem Blatt hinzufügen.“ Velvet hielt bereits die Hand zu ihrem Deckschacht hin. „I-ich denke, mit [Ritual Beast Steeds] fahre ich ganz gut.“ Besagte Falle schob sich aus ihrem Kartenstapel und wurde umgehend in einen Schlitz weiter unterhalb der Duel Disk geschoben. Henry verschränkte die Arme. „Wenn du deine Nervosität nicht in den Griff bekommst, wirst du nicht weit kommen.“ „W-was?“ „Du zitterst wie Espenlaub. Als Duellant solltest du eine Herausforderung begrüßen und dich nicht davor fürchten.“ Er räusperte sich. „Aber das ist nur meine Meinung.“ Dieser Mann hatte ja auch leicht reden, dachte Velvet bitter. Schließlich war er ja derjenige, der nichts zu befürchten hatte. Aber sie? Ihr Leben drohte einen schrecklichen Verlauf zu nehmen. Dass nicht nur sie so dachte, konnte sie anhand der wüsten Beschimpfungen seitens ihrer Freunde von der Tribüne hören. Welche scharf von der Direktorin zurechtgewiesen wurden. „Konzentriere dich“, mahnte Velvet sich selbst leise. Dann sah sie auf und breitete beide Arme vor sich aus. „Oh Weiser vergessener Kriege! Oh Vogel donnernden Mutes!“ Ihre beiden Monster stiegen in die Luft auf und Velvet schlug die Hände über sich zusammen, faltete die Finger ineinander. „Bindet euch aneinander! Contact Fusion!“ Entschlossen riss sie die zusammenballten Hände nach unten. Während Cannahawk zu gewaltiger Größe anwuchs, stieg der alte Mann Kamui auf seinem Rücken auf und wurde dessen Reiter. „Flieg, [Ritual Beast Ulti-Cannahawk]!“ In dem Moment begannen die gelben Federn in den Schwingen des Vogels aufzublitzen.   Ritual Beast Ulti-Cannahawk [ATK/1400 DEF/1600 (6)]   Henry gab nur ein nachdenkliches „Hm.“ von sich. „U-und jetzt rüste ich ihn mit dem Zauber [Black Pendant] aus!“ Velvet schob jenen in ihre Duel Disk, wodurch sich um den Hals des Weisen ein schwarzer Anhänger bildete.   Ritual Beast Ulti-Cannahawk [ATK/1400 → 1900 DEF/1600 (6)]   „A-angriff!“, befahl Velvet überstürzt. „Stormthunder Howling!“ Unter dem Ausruf Kamuis stieß der Riesenvogel einen schrillen Schrei aus. Aus seinem Schnabel schoss ein tosender Wirbelsturm, in welchem sich ein einzelner Blitz befand, der voll in den Einhornwolf einschlug. Jener wurde regelrecht zerfetzt.   [Velvet: 4000LP / Henry: 4000LP → 3600LP]   Eine Falle aus ihrem Blatt nehmend, verkündete Velvet unsicher: „I-ich setze diese Karte und gebe an Sie ab.“ Während jene vor ihr erschien, gab Henry ein weiteres, nachdenkliches Geräusch von sich. Plötzlich verkündete er: „Da du [Gusto Thunbolt] zerstört hast, kann ich ihn am Ende des Zuges vom Friedhof verbannen, um ein Gusto-Monster aus meinem Deck zu beschwören. [Windaar, Sage Of Gusto], zeig' dich!“ Ein Blätterwirbel tauchte vor Henry auf und hinterließ einen jungen, grünhaarigen Mann in minzfarbener Lederrüstung und hellbraunem Mantel, der beidhändig einen Zauberstab führte.   Windaar, Sage Of Gusto [ATK/2000 DEF/1000 (6)]   „Du hast einige Fehler gemacht. Thunbolt zu zerstören war nur einer davon“, belehrte Henry das Mädchen streng, „ein anderer, das volle Potential deiner Karten nicht auszunutzen.“ „W-wie bitte?“ „Die Ritual Beast-Fusionen haben die Fähigkeit, sich jederzeit in ihre ursprünglichen Fusionsmaterialien aufzuteilen. Um das Ganze einzuschränken, kann jedes davon nur einmal pro Zug spezialbeschworen werden.“ Henry sah das schüchterne Mädchen nachforschend an. „Du hättest den Effekt deines normalen Cannahawks durch diese Methode demnach zumindest zweimal aktivieren können.“ Indem sie die Kontaktfusion wieder teilte und Baby-Cannahawks Effekt aktivierte. Danach hätte sie nochmal fusionieren können. „D-daran habe ich gar nicht gedacht!“   „Jetzt ist es zu spät. Mein Zug, Draw“, erwiderte der Repräsentant der AFC kühl und zog auf eine fünfte Karte auf. „Normalbeschwörung, Empfängermonster [Gusto Egul]!“ Ein kleiner, grüner Vogel landete auf Windaars Schulter, geschützt durch eine dünne Panzerung sowie einen Helm mit Hahnenkamm.   Gusto Egul [ATK/200 DEF/400 (1)]   Der junge Mann streckte fest entschlossen die Hand aus. „Ich stimme meinen Stufe 1-Empfänger Egul auf meinen Stufe 6-Windaar ein!“ Sofort stieg der kleine Vogel in die Lüfte auf. „Silence lies within the wisper of the winds! A word of power is spoken! Synchro Summon!“ In seinem Flug wuchs er, genau wie zuvor schon Ulti-Cannahawk, zu gigantischer Größe an. Sein Kamerad sprang ebenfalls in die Luft und landete auf dem Rücken des Monstervogels. „Arise, [Daigusto Eguls]!“ Welcher ein lautes Kreischen abgab, das wie ein Echo durch die Arena ging.   Daigusto Eguls [ATK/2600 DEF/1800 (7)]   „S-synchro!“, stammelte Velvet verstört. „Ist das so überraschend?“ Der junge Mann sah seine Gegnerin nachforschend an, welche völlig unschlüssig, wie sie reagieren sollte, zurück starrte. „Nun, was auch immer. Angriff auf Ulti-Cannahawk! Homing Cyclone!“ Henry schwang den Arm zur Seite aus. Sofort begann der Riesenvogel ehrgeizig mit den Flügeln zu schlagen und erzeugte so zwei kleine, silberne Wirbelstürme, die im Zielflug auf den Donnervogel zu einem großen verschmolzen. Doch bevor sie ihn erreichten, sprang der alte Reiter von seinem Reittier ab, sodass der Angriff zwischen beiden hindurch flog. „Contact out!“, rief Velvet dabei. Während Kamui trotz seines hohen Alters geschickt in der Hocke landete, schrumpfte Cannahawk auf seine Jungtiergestalt zurück.   Ritual Beast Tamer Elder [ATK/200 DEF/1000 (2)] Spiritual Beast Cannahawk [ATK/1400 DEF/600 (4)]   „Verstehe. Hmm. Ein Bändiger ist nichts ohne sein Reittier und ich möchte nicht, dass jenes mir in die Quere kommt“, murmelte Henry und deutete auf den Vogel in der Luft, „ich wähle Cannahawk als neues Ziel des Angriffs!“ Der Wirbelsturm, der in der Zwischenzeit das Ende der Duellarena erreicht hatte, machte wie von Zauberhand eine Kurve und erwischte den Donnervogel kalt von hinten.   [Velvet: 4000LP / Henry: 3600LP → 3100LP]   „Ich kenne den Effekt von [Black Pendant]“, sprach Henry, als Velvet den Mund aufmachte, „deswegen habe ich 500 Lebenspunkte verloren. Zug beendet. Und deshalb …“ Die Pupillen seines Vogels leuchteten rot auf. Keine Sekunde später explodierte Velvets gesetzte Karte vor ihren aufgerissenen Augen. Henry zeigte [Windaar, Sage Of Gusto] von seinem Friedhof vor. „… kann ich durch das Verbannen eines WIND-Monsters von meinem Friedhof eine deiner gesetzten Backrow-Karten zerstören.“ Er zog den Arm mit dem roten D-Pad zu sich ran und tippte auf den Bildschirm auf Velvets Friedhof. Überrascht sah er auf. „Du hattest die Falle [Dimensional Barrier] gesetzt? Wieso hast du sie nicht genutzt, um meine Synchrobeschwörung zu verhindern!?“ „I-ich, also …“ „Gibst du dir überhaupt Mühe oder hast du schon aufgegeben?“ Henry nahm sie scharf ins Visier. „Wenn dem so ist, leg' die Hand auf dein Deck.“ „A-aber dann-!“ „Wirst du für deine Taten zur Rechenschaft gezogen werden, so wie es sich gehört.“ Henry reckte den Kopf missmutig zur Seite. Velvet schüttelte panisch den Kopf. „N-nein!“ „Dann zeig', was in dir steckt! Oder wolltest du durch deinen Diebstahl lediglich mangelndes Talent ausgleichen!?“   „Was bildest du dir eigentlich ein!?“, schrie Patrice da und sprang von seinem Sitz auf, nur um von Fabio an den Schultern gepackt und sofort wieder hinunter gerissen zu werden. „Nuu! Reiz ihn bloß nicht noch!“ Der Venezolaner zeigte dafür aber wenig Verständnis. „Findest du das etwa ok wie er sie behandelt!?“ „Er findet, dass -du- die Lage nicht noch schlimmer machen solltest“, wies Isaac ihn kühl auf die Tatsachen hin. „Abgesehen davon hat Mr. Ford jedes Recht, sich Velvet überlegen zu fühlen.“ Etwas, das Tatjana ganz außen links sofort in Rage brachte. Diesmal sprang sie auf, hielt die Hand an den Mund und rief: „Mr. Ford, hier ist jemand der Ihnen den Arsch küssen will~!“ Die anderen verfielen daraufhin in betretenes Schweigen und atmeten innerlich erleichtert auf, dass Henry sie gar nicht wahrzunehmen schien. „Hörst du bitte damit auf, dich wie ein Kleinkind zu benehmen?“, tadelte Isaac seine Erzfeindin genervt. „Wenn du endlich aufhörst, dich bei ihm einschleimen zu wollen?“ „Ich habe gar nichts gemacht!“ „Die können es auch nicht einmal gut sein lassen“, murrte Patrice, der von Tatjana zurückwich, wie sie sich umdrehte und nach Isaac zu schlagen versuchte. Fabio indes sah gebannt aufs Spielfeld. „Aber ist es nicht verrückt? Für jemanden, der sie bestrafen will, macht er eher einen auf Lehrer als böser Cop …“ „Hmm“, nickte sein bester Freund, „da ist was dran.“   Inzwischen hatte Velvet auf eine dritte Handkarte aufgezogen und sah Henry Ford verunsichert hat, so, als überlegte sie ihm zu widersprechen. Sie schluckte. „A-also der Grund, warum ich meine Falle nicht aktiviert habe …“ Gleichzeitig legte sie eine Monsterkarte auf ihre Duel Disk. Dabei sprudelte es nur so aus ihr hinaus: „… ist, dass ein Monster leichter zu beseitigen ist als zwei! Normalbeschwörung, [Spiritual Beast Pettlephin]!“ Ein großer, pinker Jungdelphin tauchte vor dem Mädchen auf. Ein Diadem mit blauem Edelstein darin zierte seine Stirn. Henry grinste für einen Sekundenbruchteil.   Spiritual Beast Pettlephin [ATK/0 DEF/2000 (4)]   „D-der Effekt von Pettlephin lässt mich eine Ritual Beast-Karte von meiner Hand verbannen“, stammelte das Mädchen, erschrocken von ihrem Ausbruch, und schob den Zauber [Ritual Beast's Bond] in den Schlitz unterhalb ihres Friedhofs, „um eine Karte meines Gegners auf seine Hand zurückzuschicken! Los!“ Laut schnatternd zischte der Delphin durch die Luft als wäre sie Wasser, sprang unter den Riesenvogel Eguls und seinen Reiter und verpasste jenen mit seiner Schwanzflosse einen mächtigen Hieb, der die beiden durch die Decke krachen ließ, wo sie verschwanden. „E-ein Synchromonster wird nicht auf die Hand, sondern in das Extradeck seines Besitzers geschickt“, erklärte Velvet dabei, „n-natürlich wissen Sie das. A-aber so war es leichter für mich, Ihr Feld zu leeren. Hätte ich meine Falle aktiviert, müsste ich mich immer noch mit einem starken Monster und einem, das weitere Kameraden rufen kann, auseinandersetzen.“ Henrys Miene hellte sich auf. „Also warst du vorbereitet? Nun, dann möchte ich mich entschuldigen. Aber gewonnen hast du deswegen noch längst nicht.“ Sofort nahmen seine Züge wieder dieses ewig Grimmige an. „N-nein. I-ich wechsle [Ritual Beast Tamer Elder] in den Angriffsmodus und greife Sie direkt an!“   Ritual Beast Tamer Elder [ATK/200 DEF/1000 (2)]   Der Alte in der beigefarbenen Robe erhob sich und schoss eine Windkugel aus seinem Zauberstab auf Henry, die in jenen einschlug. Der Mann im weißen Anzug zuckte nicht einmal zusammen.   [Velvet: 4000LP / Henry: 3100LP → 2900LP]   „Und jetzt“, sprach Velvet und breitete wieder die Arme aus. „Oh Weiser vergessener Kriege! Oh Meereskreatur der Güte und Reinheit!“ Letztere war längst zu ihr zurückgekehrt und begann zu wachsen. Der Gelehrte sprang in die Luft und landete direkt auf ihrem Rücken. „Bindet euch aneinander! Contact Fusion!“ Schon ritt der alte Kamui den erwachsenen Delphin. „Beschütze mich, [Ritual Beast Ulti-Pettlephin]!“ Jener zog vor die Brillenträgerin und schirmte sie vor den Blicken des Millionärs ab.   Ritual Beast Ulti-Pettlephin [ATK/200 DEF/2800 (6)] „D-damit bin ich fertig“, gab Velvet stotternd ab.   Henry zog auf und setzte ein überlegenes Grinsen auf. „Bisher war es ein interessantes Duell. Aber die Tatsache, dass du ein Excel-Monster gestohlen hast – meine Schöpfung – bleibt bestehen. Daher empfinde ich es nur als passend, wenn du dich einem solchen entgegen stellst.“ „Huh!?“ Das Mädchen schrak zusammen, als Henry die Faust ballte und demonstrativ gegen seine Brust drückte. Auch ihre Freunde auf der Tribüne und die anwesenden Lehrer gaben erstaunte Laute von sich. „The wind of fate is blowing my way“, sprach er mysteriös. Auf seinem Handrücken tauchte ein grün leuchtendes Mal auf. Kreisrund, war in seinem Inneren ein weiterer Kreis mit einem Sichelstern im Zentrum – das Wappen der Gusto. „Summoning contract established! Witness the creation of the eternal gate!“ Aus seinen Handkarten stiegen fünf grüne Lichtkugeln auf, die sich hinter ihm in einer Sternenformation anordneten. Kurz darauf manifestierte sich eine runde Steintafel mit mehreren Ringen, in denen jeweils eine der Kugeln zu einer Rune wurde. „Change the outcome of fate! Open the eternal gate!“ Henry riss die Hand mit dem noch leuchtenden Mal in die Höhe. Die fünf Ringe des Tores schossen weit nach hinten, lösten sich auf und bildeten einen langen, bunten Tunnel, der direkt in eine andere Dimension zu führen schien. Und Velvet fühlte sich, als hätte sie das alles schon einmal erlebt. Ein Déjà-vu. Oder hatte sie das Ganze vielleicht in einer Vision gesehen, an die sie sich nicht erinnerte? Vielleicht damals, als-!? „Excel Summon! Grade 5! Appear before our very eyes, [Mirai, Entity Of Gusto]!“ Aus dem Tor warpte sich eine grell leuchtende Gestalt. Gekleidet in einer weißen Robe, die sich hinter ihr in leuchtende Partikel aufzulösen schien, schwebte über Henry eine grünhaarige Göttin mit goldenem Diadem, in welchem ebenfalls das Wappen der Gusto eingearbeitet war. Gütig streckte sie ihre Arme aus, um welche grüne Bänder wirbelten.   Mirai, Entity Of Gusto [ATK/2300 DEF/1500 X5]   „Das ist also die Excel-Beschwörung“, staunte Fabio mit offenem Mund. „Interessant“, murmelte Isaac hinter ihm. „Aber woher kam das Monster? Er hat nichts ausgespielt.“ „Er hat es einfach so beschworen, ohne etwas dafür zu tun.“ Tatjana stöhnte. „Ich will mir gar nicht vorstellen, was aus dem Spiel wird, wenn diese Dinger eines Tages erscheinen.“   Henry hatte sie gehört und sah in die Richtung der Gruppe. „Das wird nicht passieren. Die Excel-Beschwörung wurde von meinem Vater und I2 abgelehnt.“ „D-das tut mir leid“, stammelte Velvet schüchtern. Der jüngste Ford zuckte mit den Schultern. „Dafür kannst du nichts. Aber genug davon. Sicher weißt du gar nicht, was überhaupt geschehen ist.“ Er hatte absolut Recht, die Schwarzhaarige schüttelte den Kopf. „N-nein.“ „Dann hör' jetzt gut zu. Excel-Monster sind sehr speziell. So speziell, dass jedes auf eine andere Methode beschworen wird.“ Henry hob seine Hand mit den fünf Karten hoch. „Meine ist diese hier: 'Karten auf der Hand'.“ „K-karten in Ihrer Hand? Sie können also [Mirai, Entity Of Gusto] beschwören, sofern Sie Handkarten haben?“ Henry grinste. „Das ist nur die Basis-Bedingung. Wie du selbst schon bemerkt haben wirst, haben Excel-Monster keine Stufe und keinen Rang, sondern einen Grad. Dieser bestimmt zwei Dinge: Ab welchem Zug das Monster beschworen werden kann und 'wie oft' die Bedingung erfüllt werden muss, sofern keine andere Angabe existiert.“   Velvet musste sich das Gehörte durch den Kopf gehen lassen. Also konnte ein Grad 5-Monster erst ab dem fünften Spielzug gerufen werden? In jenem befanden sie sich gerade. Und wenn er Handkarten benötigte und die Bedingung entsprechend des Grades '5' war, hieß das also, dass er fünf Karten auf der Hand halten musste? Wenn dem so ist, passte alles zusammen. Aber dann hieß das auch, dass [Ebon Sky Pegasus] erst ab dem achten Zug gerufen werden konnte. Und seine Bedingung wusste sie nicht – was ohnehin egal war, da sie ihn nicht mehr besaß.   „Jedes Excel-Monster hat eine individuelle Bedingung zum Beschwören. Keine gleicht der anderen. Das ist eines ihrer Geheimnisse.“ Henry streckte den Arm aus. „Ein weiteres die Beschaffenheit ihrer Effekte! Das Konzept war, nie zuvor gesehene und Regel-biegende Fähigkeiten an die Excels zu koppeln! Wie Mirais!“ Die Göttin der Gusto breitete ihre Arme so weit es ging aus und erschuf um sich einen grünen Synchroring. „Normalerweise müssen Synchromonster beschworen werden, indem ihre Materialien vom Feld auf den Friedhof geschickt werden.“ Henry nahm zwei Karten aus seinem Blatt und zeigte sie vor. „Das umgeht Mirai und lässt mich direkt von der Hand abstimmen!“ Vor ihm erschienen ein kleiner, grüner Vogel mit gelblich leuchtenden Flügelfedern, welcher in einer Stahlrüstung steckte sowie ein grünhaariger Junge in beigefarbenem Cape, unter welchem er dunkelgrüne Shorts plus Hemd trug. „Ich stimme meinen Stufe 2-[Gusto Falco] auf meinen Stufe 2-[Kamui, Hope Of Gusto] ein!“, rief Henry und entlockte den Anwesenden erstaunte Ausrufe. „Emerald wings lead the will to survive towards heaven! A storm of hope embraces the world!“ Der Falke wuchs zu beachtlicher Größe an, während er in die Höhe stieg. Kamui sprang ihm hinterher und landete auf seinem Rücken. „Synchro Summon! Soar, [Daigusto Falcos]!“   Daigusto Falcos [ATK/1400 DEF/1200 (4)]   Mithilfe eines Sattels stand Kamui auf dem Rücken seines Gefährten und hielt sich an einem daran befestigen Seil fest. Dessen Besitzer erklärte: „Wenn Falcos beschworen wird, erhöht er die Kraft aller Gustos um 600!“ Sofort leuchteten sowohl die Göttin, als auch der Riesenvogel selbst in grüner Aura auf.   Mirai, Entity Of Gusto [ATK/2300 → 2900 DEF/1500 X5] Daigusto Falcos [ATK/1400 → 2000 DEF/1200 (4)]   „Damit kann ich deine Verteidigung durchbrechen! Twin Cyclones!“, befahl Henry scharf. Velvet, die noch ganz verdutzt war, erkannte, dass sie Schaden davon tragen würde, wenn sie nichts unternahm. „Contact out!“ Während die Göttin und der Vogel mit den Händen beziehungsweise dem Schnabel mächtige Wirbelstürme erzeugten, sprang der Alte vom Rücken Pettlephins, welcher daraufhin wieder auf seine Jungtierform zurück schrumpfte. Die über das Spielfeld fegenden Zyklone verschmolzen miteinander und erfassten Velvets Monster, welche fortgerissen wurden und zersplitterten. „Oh nein!“, keuchte die entsetzt. „Immerhin hast du schnell genug reagiert und die Fusion getrennt, bevor Falcos dich direkt angegriffen hätte.“ Henry nahm zwei seiner Handkarten und schob sie in das rote D-Pad, wo sie zu seinen Füßen zischend erschienen. „Mit zwei verdeckten Karten gebe ich an dich ab.“   Mit zitternder Hand zog Velvet auf. Kein Monster in ihrem Deck konnte es mit Mirai aufnehmen, wenn es um reine Angriffspunkte ging. Aber es gab vielleicht einen anderen Ausweg. „D-der zweite Zug seit der Aktivierung des Effekts von Cannahawk ist vergangen“, rief sie, „jetzt bekomme ich die von ihm verbannte Karte: [Ritual Beast Steeds]!“ Jene Falle schob sie direkt in ihre Duel Disk, woraufhin sie zu ihren Füßen erschien. Dann sah sie mit vorsichtiger Entschlossenheit auf. „Jetzt beschwöre ich [Ritual Beast Tamer Lara] von meiner Hand, die durch ihren Effekt ein Ritual Beast von meinem Friedhof wiedererweckt!“ Mit einem mutigen Ausruf tauchte vor Velvet ein platinblondes Mädchen auf, um dessen Schultern ein pastellgrüner Umhang hing. Sie schwang ihren Zauberstab aus und ließ neben sich den schwarzen Donnervogel erscheinen, welcher schützend die Schwingen um sich schlug.   Ritual Beast Tamer Lara [ATK/100 DEF/2000 (1)] Spiritual Beast Cannahawk [ATK/1400 DEF/600 (4)]   „Cannahawks Effekt! Ich verbanne für zwei Runden eine Ritual Beast-Karte von meinem Deck, um sie nach Ablauf dieser Zeit zu erhalten!“ Velvet schrie förmlich: „[Spiritual Beast Apelio]! Ich werde auf dich warten!“ „Die Idee ist ja ganz nett. [Ritual Beast Steeds] vernichtet pro Ritual Beast-Monster auf deinem Feld eine meiner Karten. Sobald ich also ziehe, wirst du Mirai und Falcos sofort vernichten.“ Henry tippte auf sein D-Pad. „Aber das ist reine Theorie. Du warst zu voreilig und hast die Karte gut sichtbar für mich gesetzt. Dadurch kann ich sie mit [Dust Tornado] problemlos entsorgen!“ Vor ihm klappte eine Falle auf, aus der ein staubiger Wirbelsturm hinaus schoss. Jener zischte über das Feld und wirbelte Velvets gesetzte Karte mit sich. „N-nein!“   Was sollte sie jetzt tun!? Ohne diese Karte kam sie nicht an seinen Monstern vorbei! Nächsten Zug würde er noch ein Monster beschwören und sie, wenn sie Pech hatte, womöglich besiegen! Angestrengt ging Velvet ihre Optionen durch. Sie musste Zeit schinden! Irgendeine Möglichkeit finden, seine Gustos zu vernichten. Es gab dafür noch eine Karte in ihrem Deck.   Zum dritten Mal breitete das Mädchen die Arme von sich aus. „Oh Wunderkind der Beschwörung! Oh Vogel donnernden Mutes! Bindet euch aneinander!“ Cannahawk stieg in die Luft auf und wuchs, während Lara auf seinem Rücken Platz nahm. „Contact Fusion! [Ritual Beast Ulti-Cannahawk] im Verteidigungsmodus!“ Jenes Gespann flog über der Schwarzhaarigen hinweg und positionierte sich seitlich zu Henry gewandt vor ihr.   Ritual Beast Ulti-Cannahawk [ATK/1400 DEF/1600 (6)]   „I-ich benutze seinen Effekt und schicke zwei verbannte Ritual Beast-Karten auf den Friedhof zurück“, erklärte Velvet und legte die Karte des jungen Cannahawks und die seiner Reiterin in den Friedhofsschlitz ein, wo sie automatisch eingezogen wurden, „und erhalte im Gegenzug sofort eine Ritual Beast-Karte von meinem Deck. [Ritual Beast's Protection]!“ Der Schnellzauber schoss aus ihrem Kartenstapel und wurde umgehend in die Duel Disk eingelegt, sodass er zu ihren Füßen erschien. „Zug beendet!“   Henry zog auf. „Du opferst die Möglichkeit deines Monsters, die Fusion zu trennen? Interessant.“ Er zeigte seine beiden Handkarten vor. „Mirai kann nicht nur Synchrobeschwörungen von meiner Hand auslösen, sondern auch Xyz-Beschwörungen!“ Vor ihm tauchten ein grünes Eichhörnchen sowie ein grüner Greifvogel in smaragdfarbener Panzerung auf. „Ich errichte das Overlay Network! Aus meinen Stufe 2 [Gusto Squirro] und [Gusto Griffin] wird ein Rang 2-Monster!“ Vor ihm öffnete sich ein Schwarzes Loch, das die beiden Monster als grüne Lichtstrahlen absorbierte. Eine Lichtexplosion folgte. „Xyz Summon! Kämpfe, [Daigusto Phoenix]!“ Aus dem Wirbel schoss eine schlanke, vogelartige Gestalt ohne Federn und spreizte ihre knorrigen Schwingen. Stattdessen wirke es eher so, als besäße dieses Wesen Schuppen, die von einem grünen Brustpanzer teilweise verdeckt wurden. Sowohl von seinen Armen, als auch vom Kopf brannten smaragdgrüne Flammen, die die Flügel und Haarpracht stellten. Zwei leuchtende Sphären zogen ihre Kreise um den hässlichen Phönix. Velvet spürte bei seinem Anblick ein unangenehmes Kribbeln auf der Haut und stöhnt. Etwas, was Henry nicht verborgen blieb. „Hm.“   Daigusto Phoenix [ATK/1500 DEF/1100 {2} OLU: 2]   „Monstereffekt! Ich hänge eine Overlay Unit von [Daigusto Phoenix] ab, um ein Wind-Monster in diesem Zug zwei Angriffe durchführen zu lassen.“ Kreischend schnappte sich der Vogel eine der Lichtkugeln und verschlang sie. „Mirai!“ Jene ging in einer smaragdgrünen, flammenden Aura auf. „Greif' [Ritual Beast Ulti-Cannahawk] an! Change of Fate!“ Die Göttin schnippte nur einmal mit ihrem Finger und schon wurden der schwarze Donnervogel und seine Reiterin von einem grünen Flammenwirbel umschlossen, der sie zu Asche zerfallen ließ. „Und gleich ein direkter Angriff hinterher!“, befahl Henry mit ausgestrecktem Arm. „Nein!“ Velvet schwang den Arm aus und ließ ihren Schnellzauber hochfahren. „[Ritual Beast's Protection] lässt mich Ihren Zug sofort beenden, wenn sie eines meiner Monster zerstören!“ „Ach, stimmt.“ Henry grinste. „Na dann …“   Unsicher griff die Schülerin nach ihrem Deck und schluckte. Langsam gingen ihr die Möglichkeiten aus, sich zu verteidigen. Die nächste Angriffswelle würde sie vernichten, wenn sie nichts unternahm. Aber als sie zog und ihre neue Karte betrachtete, bekam sie eine Gänsehaut. Die Falle war vollkommen nutzlos und sie hatte keine Monster mehr, um sich zu verteidigen. „Was ist los?“, fragte Henry scharf. „Willst du -ihn- nicht langsam beschwören? Die Zeit ist reif.“ Velvet sah mit Tränen in den Augen auf. „I-ich sagte doch bereits, ich habe Pegasus nicht mehr! Als das Duell vorbei war, war er nirgendwo zu finden.“ „Du weißt nur nicht, wo du suchen sollst, das ist alles.“ „W-was!?“ Henry hob den Arm mit seinem roten D-Pad daran an und ließ das Fach für die Spielfeldzauberkarten ausklappen. Dort drin lag die Karte seines Excel-Monsters, die, anders als andere Karten, keinen farbigen Rand besaß, sondern komplett mit dem Artwork ausgefüllt war.   „Wie ist sie da reingekommen?“, staunte Tatjana verdutzt. „Er hat das Ding nie benutzt, da bin ich mir sicher!“ Patrice erwiderte: „Wenn dem so ist …“ Und Fabio beendete seinen Satz: „… muss sie schon vorher da drin gelegen haben.“ „So ist das also“, überlegte auch Isaac mit, „dann könnte Velvets Excel-Monster vielleicht auch noch dort sein.“   Hektisch betätigte Velvet die Taste an ihrer eigenen Duel Disk, woraufhin das Fach ausklappte. Und sie traute ihren Augen kaum – darin lag tatsächlich [Ebon Sky Pegasus]. Aufgeregt schaute sie zu Henry auf. „W-wie … wann habe ich neulich …!?“ „Dann ist es wohl Zeit für einen kleinen Exkurs.“ Der brünette, junge Mann im weißen Anzug räusperte sich. „Bevor die Pendelmonster auserwählt wurden, die nächste Evolution von Duel Monsters einzuläuten, haben wir die Excel-Monster entwickelt. Angedacht war, dass sie eine eigene Kartenzone über den Monsterzonen erhalten, auf dem auch gleichzeitig das Excel-Deck platziert wird.“ „Excel-Deck?“ „Sobald ein Excel-Monster beschworen wird, wird die Karte aufgedeckt und ganz oben auf das Deck gelegt.“ Henry lachte. „Die Idee war nicht besonders gut, das gebe ich selbst zu. Da hätten wir noch dran gefeilt. Da aber eine sogenannte Excel-Zone nicht existierte, haben wir via Software-Update der Spielfeldzone diese zusätzlichen Eigenschaften verliehen. Das hat bei den Tests Geld und Zeit gespart, da wir keine neuen Duel Disks designen und anfertigen mussten.“ „Also war er die ganze Zeit hier“, murmelte Velvet mit Blick auf den Apparat an ihrem Arm. „Ja“, nickte Henry, „dort ist das Zuhause der Excel-Monster. Vielleicht entsinnst du dich, dass seit Beginn des Legacy Cups beide Spieler gleichzeitig Spielfeldzauberkarten nutzen können. Das ist ein Nebeneffekt besagten Software-Updates.“ „O-oh, ach so.“ „Natürlich bleibt all das, was ich hier gesagt habe und noch sagen werde, streng vertraulich. Das gilt für alle Anwesenden“, forderte Henry daraufhin streng. Dann hob er die Hand und winkte Velvet demonstrativ zu sich. „Und jetzt los. Zeig mir, welches Excel-Monster sich in deinem Besitz befindet.“   Als ob er das nicht längst wüsste, dachte Velvet deprimiert. Jemand wie er hatte alle Möglichkeiten der Welt, sich vorab über alles zu informieren. Er kannte ihr Deck recht gut, wie es für einen Mann in seiner Position auch nur angemessen war. Das Mädchen blickte auf ihre Duel Disk. Aber selbst wenn er bereits bestens im Bilde war, blieb die Tatsache bestehen, dass [Ebon Sky Pegasus] das Blatt wenden konnte! Sich selbst Mut zusprechend, blickte Velvet auf. „W-wie ging das doch gleich?“ Erst die Faust ballen! „The sky is torn open! Summoning contract established!“ Dann nahm sie jene und richtete sie nach oben. Acht grelle Lichter stiegen um sie herum aus dem Stahlboden auf, verteilten sich hinter ihr in einer Sternenformation und festigten sich zu einem kreisrunden Tor, in dem sich die Sphären als Runen manifestierten, wie schon bei Henry zuvor. „Witness the creation of the eternal gate!“ Mit einem Ruck schossen die einzelnen Bestandteile des Portals nach hinten. „Soar, ascend, exceed!“ Der bunte Dimensionstunnel bildete sich. Aus ihm näherte sich ein dunkler Schatten. „Open the enternal gate! Excel Summon!“ Velvet riss den erhobenen Arm hinunter und zeigte ihren Handrücken, auf dem ein schwarzer Stern pulsierte. „Grade 8! Now rise, [Ebon Sky Pegasus]!“ Vollkommene Dunkelheit übernahm die Arena. Ihre Freunde und Lehrer verfielen in irritiertes Gemurmel. Doch was zunächst als Stromausfall anmutete, war die Ankunft ihrer wundervollen Kreatur. Über ihr verharrte ein majestätischer, schwarzer Pegasus, dessen Hufe und Flügelspitzen in hellblauem Feuer brannten. Sein Torso war mit dunkelroten, welligen Mustern bedeckt. Stolz wieherte der Neuankömmling und versetzte damit ihre Gruppe in helle Aufruhr.   Ebon Sky Pegasus [ATK/2500 DEF/2000 X8]   Diesmal war es Isaac, der aufsprang. „Sie hatte die ganze Zeit Recht gehabt!“ „Natürlich hat sie das, Dummkopf!“, zischte Tatjana von der Reihe vor ihm. „Dass du immer noch dran gezweifelt hast, nachdem selbst Mr. Ford die Existenz der Excels bestätigt hat, sagt alles.“ „Das meine ich nicht“, murmelte der Blonde, ließ aber dabei offen, was genau er meinte und sank wieder zurück in seinen Sitz.   Henry verschränkte die Arme, als der Pegasus vor Velvet auf dem Boden aufsetzte. „Nicht schlecht. Dieses Monster kenne ich nicht. Wie ich mir dachte …“ „W-was bedeutet das?“ „Dass ich die Kondition wissen will. Was muss erfüllt werden, damit du ihn beschwören kannst?“ „E-er ist vom Grad 8, also kann er erst im achten Zug eines Duells beschworen werden, korrekt?“ „Ab dem achten Zug. Darin besteht ein entscheidender Unterschied. Und weiter?“, forderte der junge Mann zu wissen. Velvet öffnete noch einmal ihre Spielfeldkartenzone und las sich den Text durch. „D-da steht nichts bei 'Kondition'.“ Die Züge des Ford-Sprosses erstarrten. „Bitte? Jedes Excel-Monster hat eine Kondition.“ „D-dieses nicht.“ Velvet schüttelte den Kopf. „Wenn Sie mir nicht glauben, kann ich Ihnen die Karte gerne zeigen.“ Einen Moment nachdenkend, winkte Henry mit der Hand ab. „Nicht nötig, ich glaube dir ja. Aber es sollte mich eigentlich nicht überraschen. Wenn ihr Schöpfer nicht alle Details kannte … sag mir, wenn du diese Karte nicht gestohlen hast, woher hast du sie? Oder sollte ich fragen: Von wem?“ Velvet schluckte und schwieg. Woraufhin ihr Gegner seufzte. „Was habe ich anderes erwartet? Aber du wirst noch antworten. Weiter im Text!“   Endlich fühlte Velvet sich zuversichtlicher. [Ebon Sky Pegasus] gab ihr Kraft, sie wusste, sie konnte sich auf ihn verlassen. Mit seinem besonderen Effekt würde sie dieses Duell drehen! „Ich setze eine Karte verdeckt!“, verkündete sie und geriet diesmal nicht ins Stottern. „Und ich benutze sie sofort als Kostenausgleich für Pegasus' Effekt!“ Gerade erst war sie zu ihren Füßen erschienen, da zerfloss sie bereits wie Wasser. Die roten Streifen auf dem Fell ihres Pegasus' begannen rot aufzuleuchten. Kurz darauf schoss silbernes Licht aus ihnen, auch die Mähne und die Flammen an seinen Hufen verfärbten sich ebenso. „Ich aktiviere einen Zauber, [Lightning Vortex], direkt aus meinem Deck, ohne eine Karte dafür abzuwerfen! Future Antithesis!“, rief das Mädchen aus. Ebon Sky wieherte zornig. Henry schrak zurück, als sich über seinen Monstern eine dunkle Wolke bildete. Aus jener schoss ein greller Blitz, der in all seine Monster einschlug. Es donnerte.   [Velvet: 4000LP → 3000LP / Henry: 2900LP]   „Dieser Effekt kostet mich 1000 Lebenspunkte und kann nur einmal pro Duell genutzt werden“, erklärte Velvet weiter, als sich der Rauch lichtete und Henrys Feld leer war, „aber das war es wert! Jetzt kann ich Sie direkt angreifen! Los, [Ebon Sky Pegasus], Aether Hurricane!“ Die Spitzen der Flügel des anmutigen Ungeheuers hatten wieder ihre flammend blaue Farbe angenommen. Stolz stieg es in die Lüfte und schlug die Schwingen aus, entfachte so einen brennenden, hellblauen Wirbelsturm, der auf Henry zu rauschte. Jener weitete die Augen und schützte sich mit beiden Armen vor dem Angriff.   [Velvet: 3000LP / Henry: 2900LP → 400LP]   Noch ein Treffer und sie hatte es geschafft. „Z-zug beendet!“ Ihre Freunde auf der Tribüne jubelten ihr zu. Selbst die Lehrer klatschten vorsichtig. Einzig die Vinewood regte sich gar nicht, sondern saß mit verschränkten Armen da und beäugte Velvet misstrauisch.   „Das ist er also“, murmelte derweil der AFC-Repräsentant düster und betrachtete seine Arme, an denen nichts ungewöhnlich erschien. „Ich sollte aufpassen …“ Energisch sah Henry auf und riss mit Schwung eine Karte von seinem Deck. In seinen Augen stand Feuer geschrieben, ganz so, als würde das Duell für ihn erst jetzt wirklich beginnen. Er betrachtete die Karte in seiner Hand, die einzige, die er besaß. „Ich aktiviere [Quill Pen Of Gulldos]!“, rief er und rammte sie in sein rotes D-Pad. Vor ihm materialisierte sich eine grüne Schreibfeder, die zu einem seiner Riesenvögel gehören musste. Sie begann in der Luft seltsame Verse zu schreiben. „Diese Karte lässt mich zwei Wind-Monster von meinem Friedhof zurück ins Deck schicken“, sprach er und zeigte dabei [Daigusto Falcos] und [Daigusto Phoenix] vor, „um dasselbe mit einem Monster auf deinem Feld zu tun! [Ebon Sky Pegasus]!“ Auf welchen er mit dem Finger zeigte. Velvet stieß einen entsetzten Schrei aus, als sich um ihr Assmonster diverse Zeilen aus ihr unbekannten Buchstaben bildeten und es zu umkreisen begannen. Der Rappe wieherte, während er immer weiter schrumpfte, bis er im Nichts verpuffte. „Zug beendet“, verkündete Henry, der trotz seines Erfolgs ungeschützt war. Doch sein zuversichtliches Lächeln verriet, dass er sich darum keine Sorgen zu machen schien.   Velvet, die ebenso wieder ohne Monster war, griff nach ihrem Deck. Er hatte ihren Pegasus einfach so entsorgt, nach nur einem Zug! Aber Moment! Wenn Excel-Monster ein eigenes Deck hatten und ein Effekt wie der von Mr. Fords Zauberkarte sie dorthin zurückschickte, konnte sie ihn einfach erneut rufen. Insbesondere, da für Pegasus keine Kondition erfüllt werden musste! Siegessicher ballte sie eine Faust und schlug sie gegen die Brust. „The sky is torn open! Summoning contract established! Witness the creation of the eternal gate!“ Doch entgegen der Ankündigung geschah gar nichts. Henry begann laut zu lachen und unterbrach Velvet in ihrem Beschwörungsspruch. „Damit wären wir bei der für heute letzten Lektion in Sachen Excel-Monster angekommen. Du kannst deinen [Ebon Sky Pegasus] nicht rufen.“ „W-warum!?“ „Weil jeder Spieler pro Duell nur eine Excel-Beschwörung durchführen kann.“ „W-was!? Oh nein!“ Der junge Mann im weißen Anzug nickte aber. „Das ist die Wahrheit. Unbegrenzte Excel-Beschwörungen würden Duel Monsters nicht gut tun, weswegen wir dem von Anfang an einen Riegel vorschieben wollten. Sie sollen als Ass im Ärmel dienen, da niemand vorhersehen kann, wann und in welcher Form sie auftauchen werden.“ Velvet lauschte gespannt seiner Ausführung. „Je länger ein Duell dauert, desto mächtigere Excel-Monster können gerufen werden. Aber da viele Bedingungen nach der ersten Beschwörung immer noch erfüllt werden können, könnte theoretisch jeder dasselbe Excel-Monster dreimal rufen.“ „Verstehe!“, rief das Mädchen und bemerkte erst jetzt, dass sie völlig außer Acht gelassen hatte, in welcher Situation sie sich befand. „O-oh, aber dann … dann …“ Sie hatte demnach kein Monster um anzugreifen, obwohl er nur noch so wenige Lebenspunkte besaß. „Dein Pegasus kann dir nicht mehr helfen“, rief Tatjana da plötzlich und sprang auf, „aber dein Deck wird dich nicht im Stich lassen!“ Auch Fabio erhob sich. „Ja, Velvet! Der Rückschlag ist doch gar nichts! Du hast ihn genau da, wo du ihn haben willst!“ Tatjana setzte ihre Rede energisch fort. „Wenn du gewinnst, muss er sein Versprechen halten und dich in Ruhe lassen! Du hast es fast geschafft! Du bist keine Kriminelle!“ Einzig Isaac blieb sitzen und analysierte die Situation kritischer. Sein Blick haftete immer noch auf der offen stehenden Fallenkarte, die keiner der anderen auch nur ansatzweise bemerkt zu haben schien. „[Dimension Gate] … aber darauf musst du selbst kommen, Velvet.“ Der Letzte im Bunde, Patrice, starrte derweil nur entsetzt auf sein weißes Smartphone.   Der ging in diesem Moment ein Licht auf. „O-oh, natürlich! Der Effekt von [Spiritual Beast Cannahawk] setzt ja ein! Vor zwei Zügen habe ich [Spiritual Beast Apelio] verbannt und bekomme ihn jetzt aufs Blatt!“ Kaum hielt sie ihn zwischen den Fingern, legte sie ihn energisch auf ihre Duel Disk. „Bitte, hilf' mir!“ Brüllend stellte sich ein knallrotes Löwenjungtier mit hell flackernder Mähne vor ihr.   Spiritual Beast Apelio [ATK/1800 DEF/200 (4)]   Noch ein Angriff. Noch ein Angriff und sie würde-   Ticken. Velvet saß in einem Flugzeug. Leute unterhielten sich. Dann knallte es. Schreie. Das Flugzeug neigte sich nach links und so die Körper der Passagiere. Zwei Damen, die im Gang standen, knallten gegen andere Leute. Nur Velvet saß gerade. Sie blickte dem Feuer entgegen, in dem ein blondes Mädchen stand und sich ihr mit finsterem Gesichtsausdruck zuwandte. Dabei tickte die ganze Zeit eine Uhr in ihrem Ohr.   „Ah!“, schrie sie so laut sie konnte und sank auf die Knie. „Alles in Ordnung mit dir?“, fragte Henry skeptisch. Auch ihre Freunde und die Lehrer auf der Tribüne waren erstaunt von ihren plötzlichen Aufschrei. „Sag nicht“, murmelte Fabio in der ersten Reihe verheißungsvoll, „ausgerechnet jetzt!?“ Velvet nickte ihm stumm, beinahe hilflos zu. Diese Vision, sie war so real wie noch nie gewesen. Sie hatte die Hitze der Explosion gespürt, die Angst der Passagiere. Selbst jetzt dröhnten ihre Ohren noch vom Knall. „Wenn wir das Duell abbrechen, wissen Sie, was auf Sie zukommt, Miss Thorne“, sagte Henry von der anderen Seite des Spielfelds streng. Sie nickte abermals und schluckte dabei. Alles drehte sich. Sie konnte nicht mehr … „I-ich fühle mich nicht imstande, das Duell fortzusetzen“, würgte das Mädchen im weiß-violetten Sommerkleid schließlich mühsam hervor.   Während die Lehrer sich nacheinander überrascht von ihren Plätzen erhoben, eilte der junge Afroamerikaner, der sich kurzerhand über die Tribüne schwang, seiner knienden Freundin zu Hilfe. Als Fabio sie erreichte, bückte er sich zu Velvet hinab und berührte sie sanft an beiden Schultern. „Geht es?“ „Es war … schrecklich …“ „Was hast du gesehen?“ Velvet schluchzte: „Da ist eine Bombe in einem Flugzeug explodiert und es ist abgestürzt.“ Nebenbei näherten sich hinter ihr Patrice, Tatjana und Isaac und die Gesichter der Drei waren gezeichnet von Irritation und einem Hauch Angst. „Weißt du, ob es schon passiert ist?“, fragte Fabio beunruhigt. Das Mädchen schüttelte aufgelöst den Kopf. „Gerade eben, vor vielleicht zehn Minuten“, antwortete Patrice hinter ihnen matt und zeigte sein Smartphone vor, das die News anzeigte, „ist direkt über Ephemeria City passiert.“ Auch Henry seinerseits weitete die Augen. „Ephemeria!?“ Velvet ihrerseits kniff die Augen fest zusammen, aus denen Tränen aufstiegen. War es früher alle paar Monate mal eine Vision gewesen, wurde sie jetzt regelmäßig mit solchen Bildern gequält. Was war bloß mit der Welt los!? Und wieso tauchte regelmäßig die Zweitplatzierte des Legacy Cups, diese Anya Bauer, in ihnen auf!?   „Deswegen warst du so still“, sagte Tatjana zu Patrice und nahm ihm das weiße Smartphone aus der Hand. „Lass mich sehen.“ „Sie sollten das Duell abbrechen“, schlug Isaac derweil gefasst vor und trat an Henry heran, „wie Sie sehen können, ist Velvet emotional ziemlich mitgenommen.“ Der junge Mann fasste sich nachdenklich ans Kinn. „Und warum?“ „Das ist nicht so leicht zu erklären.“ Auf die eisige Antwort des Blonden hin lachte Henry auf. „Soll ich mich damit zufrieden geben?“ „Ihnen bleibt keine andere Wahl. Wahre Duellanten stellen sich nur Gegnern im Vollbesitz ihrer geistigen Fähigkeiten.“ Isaac verschränkte provokativ die Arme, wie er fast schützend vor Velvet und den anderen stand. „Oder wollen Sie mir widersprechen?“ Ein tiefer Blick in die Augen des Jugendlichen genügte Henry scheinbar, um seine Entscheidung zu treffen. „Heh …“ „Wenn Sie auf ein Duell bestehen, werden wir stellvertretend für Velvet weiterkämpfen“, sagte nun auch Patrice und positionierte sich neben Isaac. Kurz darauf folgte Tatjana stumm. Zusammen bildeten sie eine regelrechte Mauer. Allerdings winkte der jüngste Ford-Spross ab. „Das wird nicht nötig sein. Ich habe bereits erfahren, was ich wissen sollte.“ Er richtete sein Augenmerk auf Velvet. „Miss Thorne, Ihren Worten nach haben Sie unmissverständlich aufgegeben und damit das Duell verloren.“ Die reagierte aber gar nicht, sondern schluchzte nur unkontrolliert unter den aufkeimenden Protesten ihrer Freunde in Fabios Armen. Henry gelang es mühelos, jene zu übertönen. „Meine Untersuchungen sind noch nicht beendet. Allerdings werde ich vorerst auf eine Klage verzichten.“ Er drehte sich langsam um, sah dabei aber über die Schulter – und lächelte. „Sie sollten sich glücklich schätzen, so gute Freunde zu haben.“ Dann wurde sein Gesichtsausdruck wieder ernst. „Wir werden uns in Kürze wieder bei Ihnen melden.“ Das gesagt, schritt er voran. Dabei stöhnte er besorgt und man konnte ihn murmeln hören: „Was ist da bloß passiert …“ Schon schnappte Henry sich sein Smartphone aus der Hosentasche und rief im Weggehen jemanden an.   Derweil weinte Velvet weiter in den Armen ihres Freundes Fabio, der ihr mit hilflosem Gesichtsausdruck über den Rücken streichelte. Langsam wurde die Gruppe von den Lehrern umringt, allen voran von der Direktorin Mrs. Vinewood. „Miss Thorne, das ist ein enttäuschendes Ergebnis“, sprach jene streng, „Ihre Leistung war im Angesicht dieses Gegners ausreichend-“ „Sehen Sie nicht, dass sie gerade andere Sorgen hat als irgendwelche Noten?“, fauchte Tatjana und stampfte mit dem Fuß auf. „Achten Sie bitte auf ihren Ton, Miss Neumann.“ Die Frau räusperte sich. „Ich erlaube mir, die Lage durchaus objektiv zu beurteilen. Was ich sehe sind echte Emotionen, keine gespielten.“ Tatjana brummte grimmig: „Immerhin etwas …“ „Nun, Miss Thorne, im Anbetracht der Tatsache, dass Mr. Ford offensichtlich auf rechtliche Maßnahmen verzichtet, sehe ich vorerst keinen Grund, Sie des Unterrichts zu suspendieren. Ihr Duellexamen wird zu gegebenem Zeitpunkt wiederholt.“ Sie zeigte den Anflug eines Lächelns. „Ich hoffe, nächstes Mal sind Sie ausreichend vorbereitet und emotional stabil. Das wäre alles.“   Von all dem bekam Velvet jedoch kaum etwas mit. Sie zitterte am ganzen Leib. Das war die erste Vision gewesen, in der Menschen auch in der Realität gestorben waren – eine, die sofort wahr geworden war. Sie wollte so etwas Schreckliches nicht sehen. Und etwas in ihr fürchtete, dass das nur der Anfang war …   ~-~-~   Indes hatte sich Henry aus der Duellarena hinaus auf einen leicht gewundenen Gang begeben, der zum Glück leer war. „Melinda“, sprach er gedämpft, nachdem seine Schwester abgenommen hatte, „dieses Mädchen, sie scheint wirklich keine Ahnung zu haben, wie die Karte in ihren Besitz kam.“ „Verdächtig“, antwortete sie ihm besorgt, „und du bist die sicher? Du weißt, welche Probleme wir im Moment haben.“ Henry nickte, was sie natürlich nicht sehen konnte. „Ja, aber der Hackerangriff war vor ein paar Wochen und ich denke nicht, dass derjenige, der dahinter steckt, sich so offen präsentieren würde wie Velvet Thorne.“ „Hat sie gesagt, von wem sie die Karte hat?“ „Nein.“ Er lehnte sich dabei erschöpft gegen die Wand und sah an die Decke hinauf. „Sie war einfach auf einmal da. Womit nur eine Erklärung infrage kommt …“ Es gab eine Zeit, in der Henry ums nackte Überleben kämpfte. Vor über einem Jahr wurde er zu einem der Opfer des Eden-Konflikts und gebrandmarkt. Damals war es Anya Bauer gewesen, die sie alle in den Turm von Neo Babylon locken wollte, um dort das geheimnisvolle Tor Eden zu erwecken. Doch Henry hatte die Falle kommen sehen und sich daher vorbereitet. Er ging einen Handel mit dem mächtigen Collector-Dämon ein, welcher ihm drei Karten und die Möglichkeit zur Flucht verlieh. Im Gegenzug musste Henry jedoch einen Preis zahlen. Nämlich dass er dafür sorgen würde, dass seine damalige Vision, die Excel-Monster, nie auf dem freien Markt erscheinen würden. Einzig der Sammler und seine Vertrauten sollten neben den Fords über diese Karten verfügen. Es war so bitter für ihn gewesen, das Projekt zu entwickeln und das mit dem Wissen, dass es nie für die Duel Monsters-Gemeinde gedacht war. Fast schon erleichternd war die Reaktion seines Vaters, als dieser die Prototypen ablehnte und stattdessen die Idee der Pendelmonster akzeptierte. Damals, als Henry den Handel mit diesem rothaarigen Dämon einging, verlor er vieles, nicht nur das Recht an den Excel-Monstern. Aber nicht seinen Stolz.   „Du meinst, -er- hat Velvet die Karte gegeben?“ „Möglich.“ Henry atmete tief durch. „Aber wenn ja, hat er sich ihr offenbar nicht gezeigt. Was auch immer der Fall ist, irgendetwas stimmt mit diesem Mädchen nicht.“ Melinda meinte sofort energisch: „Dann sollten wir sie im Auge behalten.“ Aber Henry fasste sich mit der freien Hand an die Stirn. „Eigentlich sehe ich das anders. Egal was für ein übernatürlicher Kram jetzt wieder abgeht, uns geht das nichts mehr an.“ „Das meinst du nicht ernst“, wusste seine Schwester jedoch spitzfindig. Henry verzog finster das Gesicht. „Nein. Dieser Bastard hat mir etwas sehr Wertvolles genommen.“ „Und nicht nur dir, auch Anya.“ „Ja. Wenn wir also einen Beitrag leisten können, dann tun wir das.“ Henry ballte eine Faust. „Auch wenn wir uns nur um Velvet Thorne kümmern.“   ~-~-~   Einige Tage später, in einer ganz bestimmten Vorstadt, hielt vor einem ganz bestimmten Wohnhaus einer Gartensiedlung ein Taxi. Ein verliebtes Ehepaar ging gerade mit ihren zwei Hunden Gassi, als die Tür des Fahrzeuges neben ihnen sich schlagartig öffnete. Sie blieben stehen. Ob des kalten Schauder, der ihnen den Rücken hinunterlief oder der Tatsache, dass die Tür sie beinahe erwischt hätte, konnte im Nachhinein niemand mehr so genau sagen. Was aber in die Geschichte eingehen würde, war der erste Satz des Fahrgastes, als jener das Taxi verließ. Die schwarzen Turnschuhe stampften auf den Bürgersteig. Der blonde Pferdeschwanz peitschte nur so durch die Luft. Und Livington erschauderte, als Anya Bauer verkündete: „Ich bin zurück, ihr Arschgeigen!“     Turn 92 – Mirror Me Nachdem Anya, Matt, Zanthe, Valerie und Claire scheinbar unversehrt von ihrem Aufenthalt in Ephemeria City zurückgekehrt sind, erwartet besonders Anya zuhause eine Überraschung. Niemand Geringeres als ihre Cousine Zoey Bauer hat sich bei ihr einquartiert. Die beiden verbindet eine lange Geschichte voller gequälter Mitbürger, doch Zoeys Versuche, Anya wieder zu alten Schandtaten zu bewegen, verlaufen im Sande. Was einen handfesten Konflikt nach sich zieht … Kapitel 101: Turn 92 - Mirror Me -------------------------------- Turn 92 – Mirror Me     Die letzten beiden Tage waren für Velvet schrecklich gewesen. Geplagt von Albträumen des Flugzeugabsturzes und den Gerüchten um ihr nicht ganz so geheimes Examen, konnte sie sich kaum mehr im Unterricht konzentrieren und mied Kontakt mit anderen, wo es nur ging. Nach einer besonders peinlichen Vorstellung im Player Management-Unterricht schlenderte sie nach dem Läuten der Schulglocke den Flur entlang. Andere Schüler rannten an dem schwarzhaarigen Mädchen vorbei, einer rempelte es sogar an, sodass die Brillenträgerin vorne über kippte und sich an der Fensterbank zu ihrer Rechten festhalten musste.   „Hey!“, schrie Patrice, welcher Velvet auf etwas Abstand folgte, dem Jungen hinterher. Als der Junge ihn bemerkte, nahm er die Beine in die Hand und rannte noch schneller davon. Trotzdem rief der Venezolaner ihm hinterher: „So behandelt man kein Mädchen!“ Auch ihre anderen drei Freunde folgten Velvet, die betrübt seufzte. „Alles ok?“, fragte der braun gebrannte Bursche sie schließlich, als er sie erreichte. „Ja, danke. Aber ich wäre im Moment lieber allein.“ „Das warst du schon seit dem Duell mit Henry“, sagte Isaac besorgt, als er aufgeschlossen hatte, „denkst du nicht, dass du damit aufhören solltest, dich abzukapseln?“ Tatjana hinter ihm nickte. „Friss das bloß nicht in dich hinein! An der Katastrophe kannst du nichts ändern. Sei bloß froh, dass du nicht mit in dem Flugzeug gesessen hast.“ „Welch mitfühlende, warme Worte, wie man sie nur von selbstlosen Menschen wie dir kennt“, schnarrte ihr Erzfeind spöttisch, fügte dann aber ernst hinzu: „Aber sie hat Recht. Lass das nicht zu sehr an dich heran.“ „Genau. Freu' dich doch, dass Mr. Ford dich nicht verklagen wird“, fügte Fabio am Rande etwas unbeholfen hinzu. „J-ja.“ „Weißt du was? Es ist so schönes Wetter, ich spendiere dir ein Eis. Das bringt dich garantiert auf andere Gedanken“, strahlte Patrice, legte seinen Arm um das Mädchen und führte sie mit den anderen im Schlepptau fort. Die Schwarzhaarige lächelte schwach. „Okay. Danke.“ Keiner von ihnen konnte sich vorstellen, wie extrem diese Vision gewesen war. Es hatte sich angefühlt, als wäre sie tatsächlich in dem Flugzeug gewesen. Und dieses Mädchen, das ihr in den Flammen entgegen blickte …   Völlig unbemerkt von Velvet und den anderen lehnte eine junge Frau an der Fensterbank und beobachtete die Gruppe mit einem Seitenblick aus ihrer dezenten, fast unsichtbaren Brille. Das blonde Haar der Asiatin war mit zwei Nadeln hochgesteckt. Neben ihr auf dem Fensterbrett hockte eine kleine, schwarze Gestalt, die in ihrer Körperform und dem lilafarbenem Haarpflaum wie eine mutierte Zwiebel aussah. „Noch kein weiterer Angriff“, überlegte sie leise. „Die lassen sich Zeit.“ Auch andere Schüler nahmen weder sie, noch den Schattengeist wahr. „Das kann auch ruhig so bleiben“, klagte der mit seiner schrillen, hohen Stimme. „Hmm. Solange Kali sich noch im Weißen Raum von ihrer Dummheit erholt, müssen wir das Mädchen im Auge behalten.“ Orion blähte seine Wangen auf. „Das ist typisch. Wir müssen ihre Drecksarbeit verrichten.“ Ein Faden Speichel tropfte aus seinem Trötenmund. „Aber sie ist so …“ „… unzuverlässig und egoistisch“, vollendete die junge Frau seinen Satz spitz, „ich hoffe, ihr kleiner Rachefeldzug ist bald vorbei. Der maskierte Dämon hat -sie- beauftragt, Velvet Thorne zu beschützen. Und an ihrer Stelle würde ich mich mit ihm gut stellen wollen.“ „Ist er wirklich so mächtig?“, fragte Orion ehrfürchtig. Mit Blick auf die davon ziehende Gruppe von Velvet grinste seine Begleiterin schelmisch. „Wenn es nach Lady Gardenia geht, absolut. Ich frage mich, wie akkurat und wichtig die Visionen dieser Velvet sind, wenn dieses Ding sich derart um ihre Sicherheit sorgt.“ „Weiß ich nicht. Aber sie ist kawaii!“ Daraufhin warf die Blonde dem Schattengeist einen amüsierten Blick zu, sagte aber nichts.   ~-~-~   „Ich bin zurück, ihr Arschgeigen!“ Ein Satz, der Livington in Angst und Schrecken versetzte – zumindest wenn es nach dem blonden Mädchen ging, das ihn von sich gegeben hatte und das gerade aus einem Taxi gestiegen war. Anya Bauer stemmte die Hände in die Hüften und starrte das weiße Einfamilienhaus im typisch amerikanischen Vorstadtstil an, das sie auch ihr Zuhause nannte. Matt und Zanthe stiegen hinter ihr aus dem Wagen. Und irgendeine nicht weiter nennenswerte Person fragte nach 100 Dollar, aber das blendete Anya gekonnt aus. „Endlich wieder Zuhause. Fühlt sich wie eine Ewigkeit an.“ „Ja, die Untersuchungshaft von ganzen 24 Stunden war auch ganz schön hart“, maulte Matt grimmig und schob sich an dem Mädchen vorbei, um den Taxifahrer zu bezahlen. Zanthe gluckste. „Ach so schlimm war es doch gar nicht. Die Polizisten waren 'interessant'.“ Anya erinnerte sich noch genau, wie sie in einem Verhörraum gesessen hatte und von einem Detective ausgequetscht wurde wie eine reife Tomate. Was der alles wissen wollte … Als ob der tatsächlich geglaubt hatte, dass das kack Flugzeug wegen -ihr- abgestürzt war. Hmpf! Und das alles nur, weil sie und ihre Freunde es vor dem Start noch einmal verlassen hatten. Anya erinnerte sich an diesen Moment, als-   „Hey, Trantüte“, raunte der schwarzhaarige Werwolf ihr da gut gelaunt vom Kofferraum zu, „hilfst du mir mal mit dem Gepäck, das wir nicht mehr haben?“ Tatsächlich holte er dort nur eine Tüte mit ein paar kurzfristig gekauften Klamotten und Utensilien hervor, die sie sich in Ephemeria City besorgt hatten. Nach der erstaunlich kurzen Untersuchung hatte man die Fünf schließlich gehen lassen.   Ja. Anya Bauer, Matt Summers, Zanthe Montinari und Claire Rosenburg hatten den Absturz überlebt, weil sie nie Teil davon gewesen waren. Ach ja, und natürlich Valerie Redfield, die aber mit einem anderen Taxi zu ihrem Vater gefahren war. Stimmt, erinnerte sich Anya da grimmig und sah in das Taxi hinein, wo die blonde Weltmeisterin, deren Haar bis knapp unter den Ohren zu einem Bob geschnitten war und vom Pony grüne Strähnen hängen ließ, regungslos verharrte. Diese blöde Pute war auf Geheiß des Werwolfs ja jetzt ihre neueste Mitbewohnerin. „Steig' endlich aus“, motzte die Nicht-Duel Queen ihr verhasstes Gegenstück an. Daraufhin gehorchte Claire mechanisch und stieg aus dem Wagen. Anya kratzte sich am Hinterkopf, meinte: „Na wenigstens funktioniert das. Vielleicht sollte ich sie zur Sklavin umfunktionieren …“ „Mach das und ich werde allen erzählen, was man mit dir in der U-Haft gemacht hat“, sprach Zanthe erstaunlich trocken und stellte sich auf die andere Seite des Taxis, um Claire in Empfang zu nehmen. Er grinste über dessen Dach zu Anya herüber. „In die Hocke gehen und husten.“ „Das haben die nicht gemacht!“, protestierte die Gebeutelte sofort knallrot im Gesicht. „Wenn ich die Geschichte erzähle, -haben- sie es. Und jeder wird es glauben. Also lass die Finger von Claire, sonst sind sie ab.“ „Tch. Spielverderber!“   Matt indes war fertig mit Bezahlen und winkte dem Taxifahrer zu, dass er jetzt losfahren konnte. Kurz darauf sahen die Vier dem Wagen hinterher, wie er mit erstaunlich hoher Geschwindigkeit durch die Ortschaft bretterte. „Was war denn mit dem? Ich hab doch nur-“ „Ich sag' jetzt lieber nicht, wie viel Trinkgeld ich ihm zahlen musste, damit er -das- vergisst“, brummte der Dämonenjäger im schwarzen Ledermantel und schielte zu Anya herüber. Dann aber sah er herüber zu deren Wohnhaus, wo gerade die Tür aufflog. „Was auch immer, da will dich jemand begrüßen.“ Anya drehte sich um und bemerkte eine Frau Mitte 40 auf sie zu eilen, deren blond gelocktes Haar hin und her wippte. Und die sich einfach und erstaunlich geschickt über die Gartentür hinweg schwang. Und die sie so fest in ihre Arme schloss, dass jene fast unter dem Druck brachen. „Au! Mom, lass das!“ „Anya“, schluchzte die, wurde dann aber so laut, dass die ganze Nachbarschaft es hören musste, „junges Fräulein, was hast du jetzt schon wieder angestellt!? Du hättest sterben können! Gott, wenn ich dran denke, dass ein Zufall dich gerettet hat!“ Äh, ja, Zufall, dachte Anya, die genau wusste, dass es in dieser Welt keine Zufälle gab. „Mom …“ Sheryl Bauer liefen Tränen über die Wangen. „Anya, du hast lebenslanges Flugzeugverbot! I-ich bin gerade dabei Essen zu mach-“ Sie stockte mitten im Satz, als sie die junge Frau vor Zanthe erblickte, welche mit ausdruckslosem Blick an ihr vorbei sah. Sofort wurde Anya losgelassen. Sheryl stand plötzlich kerzengerade da. „I-ist sie das?“ „Die einzig wahre“, gluckste Zanthe und machte eine Verneigung neben der angesprochenen Dame, „Claire Rosenburg, Anyas neue BFF!“   Und noch nie wurde Anya so wüst beiseite geschoben wie in diesem Moment. Nur eine Staubwolke zeugte noch davon, dass Sheryl noch eben vor ihr und nicht vor Claire gestanden hatte. „Bist du gut angekommen?“, fragte Anyas Mutter das Mädchen zuckersüß. Sie packte sie sanft an den Schultern. „Komm doch rein, sicher hast du Hunger.“ „Ich verspüre kein Hungergefühl“, entgegnete die mechanisch. Doch sie hatte keine Wahl, Sheryl führte sie mit Nachdruck an Anya und Matt vorbei Richtung Haus. Verdutzt sahen jene beiden ihnen hinterher. Besonders der Schwarzhaarige musste im Nachhinein darüber lachen. „Zanthe, du hast nicht übertrieben. Sie -ist- ein Fan.“ „S-sie hat vorher noch nie was von diesem Miststück gehört! Wie kann sie auf einmal so besessen sein!?“, beklagte sich die links liegen gelassene Anya verständnislos. Und wurde tröstend vom Werwolf, der sein Markenzeichen, ein rotes Kopftuch trug, auf der Schulter getätschelt. Aber seine Tat strafte seiner Worte Lügen. „Das ist kein Fan, das ist ein Groupie. An deiner Stelle würde ich sie nachts nicht aus den Augen lassen, Anya.“ „Halt die Klappe, Flohpelz!“ Wütend stampfte Anya voran, trat die Gartentür auf und schmollte vor sich hin. Ihre Freunde hinter ihr bemerkten, im Gegensatz zu ihr selbst, dass sich jemand hinter der halb offenen Haustür verbarg. Anya bekam davon erst etwas mit, als sie selbst dort angelangte. Eine leise, tonlose Mädchenstimme begrüßte sie mit: „Oh, die Lokalprominenz gibt sich die Ehre.“ Die Blonde sah auf. „Huh?“ Besagte Person trat hinter der Tür langsam hervor. Und wenn jemand nicht genau wusste, -wer- das war, hätte er vermutlich einen Herzinfarkt erlitten. Denn dort stand ein Mädchen in hellblauem Pullover und gleichfarbiger Beanie, das Anya wie aus dem Gesicht geschnitten war. Selbst die blonden Strähnen, die ihr im Gesicht hingen, waren identisch zu denen Anyas. „Das kann doch nicht wahr sein“, keuchte die fassungslos. „Zoey!?“ „Hi Anya“, grüßte die ihre Cousine mit erhobener Hand. „Lang nicht gesehen.“   ~-~-~   Eine halbe Stunde später hatten alle sich in der kleinen Küche der Bauers zum gemeinsamen Essen eingefunden. Anya hatte Zoey kurz als ihre Cousine vorgestellt, doch zu einem richtigen Gespräch waren sie nicht gekommen.   Anya saß am kreisrunden Esstisch und stocherte lustlos in ihrem Steak mit Kartoffeln herum, während Matt das Essen geradezu in sich hineinschaufelte. Claire saß dem Mädchen direkt gegenüber und fing sich immer wieder böse Blicke ein, ohne aber auch nur im Geringsten darauf zu reagieren. Nur gelegentlich nahm sie die Gabel in den Mund. „Das ist echt lecker“, meinte Matt. Zanthe, der am Waschbecken mit Mrs. Bauer stand und sich gerade die Hände wusch, drehte sich zu ihm um und grinste. „Ohne Sheryls Tipps wäre es nicht halb so gut gelungen.“ „Du schmeichelst mir. Schmeckt es dir auch, Claire?“ Doch zu Anyas bitterböser Genugtuung sagte die lediglich: „Ich verspüre keine negativen Empfindungen beim Essen.“ „Das heißt ja“, strahlte der Werwolf seine Gastgeberin an, ehe noch jemand etwas anderes behauptete. Anya sank tiefer in ihren Stuhl. Jetzt sprach der Kerl ihre Mutter schon beim Vornamen an! Hmpf!   „Hast du gar keinen Hunger?“, fragte Zanthe das andere Mädchen, das gegenüber dem Tisch an der Tür zur Abstellkammer lehnte und einen finsteren Blick aufgesetzt hatte. „Nein“, kam von Zoey eine knappe, missmutige Antwort. Mit verschränkten Armen verharrte sie da und starrte insbesondere Anyas Freunde unliebsam an. „Wer sind die? Deine Bodyguards? Ein Fanclub?“ „Oh, ja, wir haben uns ja noch gar nicht richtig vorgestellt.“ Matt stand vom Tisch auf und ging mit ausgestreckter Hand auf Anyas Cousine zu. „Ich bin Matt Summers, ein Freund von Anya.“ Statt seine Geste zu erwidern, entgegnete jene aber nur knapp: „Zoey Bauer, aber das weißt du bereits.“ „Zanthe Montinari“, sprach der von der Spüle und sah zu ihr herüber, „a-“ „Mein Haustier“, feixte Anya dazwischen. „Eigentlich wollte ich sagen, dass ich ihr Berater in Sachen Liebe, Freundschaft und Gefühl bin.“ Von Zoey kam aber nur ein leises, verächtliches Schnaufen. Von Anya dagegen gleich ein fliegendes Messer, das der Werwolf gekonnt auffing, während Anyas Mutter nur geschockt daneben stand. Nachdem nichts geschah, ließ Matt die Hand sinken. „Ja, uhm, jedenfalls schön, dich kennenzulernen. Anya hat nie erwähnt, dass sie eine Cousine hat.“ „Ja“, kam es verhalten, „wir haben uns ja auch lange nicht gesehen …“ „Zoey ist die Tochter von Dads Schwester, Tante Tina“, erklärte Anya, „bis vor acht Jahren haben sie im Nachbarort gewohnt, deshalb haben wir uns fast jedes Wochenende gesehen. Aber dann musste Tantchen in den Knast und Zoey zu Oma.“ Jene blickte grimmig zur Seite. „Ja … wenn man sich keine Wohnung leisten kann, geht man als günstige Alternative ins Kittchen …“ „Na ja, Oma lebt etwas weiter weg, daher haben wir uns seitdem nur noch selten gesehen. Früher waren wir unzertrennlich“, erzählte Anya weiter. Da kam ein bissiges Lachen von der Spüle. „Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Ihr zwei Sonnenscheine habt sicher viel Freude nach Livington gebracht.“ Sheryl neben Zanthe stöhnte. „Du ahnst nicht wie oft ich kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand.“ Matt lachte ebenfalls, verstummte aber bei Zoeys finsterem Blick. „Was machst du eigentlich hier?“, wollte Anya schließlich wissen. „Dich besuchen, Dummy?“ „Weiß Oma davon?“ „Vielleicht“, wich Zoey aus, „vielleicht auch nicht. Wen juckt's?“   Also war sie ausgebüchst, dachte Anya und verdrehte die Augen. Ihrer Cousine, die ein Jahr jünger war, wurde damals oft die Rolle des Hirns des Zweiergespanns zugeschrieben. Während Anya eher die ausführende Kraft gewesen war, hatte Zoey sich eher um die Planung der Missetaten gekümmert. Nicht selten mit zweifelhaftem Ergebnis. Aber Anya hatte die Zeit mit ihr stets genossen. Dass Zoey praktisch vom einen Tag zum anderen umziehen musste, hatte beide wie ein Schlag getroffen. Anfangs war es seltsam gewesen, Livington alleine unsicher zu machen, doch Anya gelang es schnell, sich daran zu gewöhnen. Trotzdem hatten sie bis vor zwei, drei Jahren noch regelmäßig telefoniert und Zoey war hin und wieder zu Besuch gekommen. Aber Grandma Bauer, die damals als ihr Vormund eingesetzt wurde, war inzwischen auch nicht mehr die Jüngste und damit sind die Besuche mit der Zeit immer weniger geworden. So auch die Telefonate. Natürlich war Zoey inzwischen alt genug, selbst über ihr Leben zu bestimmen. Aber es gab gute Gründe, warum Margery Bauer in all das involviert war. Und so stand ihre Cousine gewissermaßen immer noch auf der Stufe eines unmündigen Kindes.   „Darüber haben wir schon gesprochen, Zoey“, meinte Sheryl beim Abwaschen, „bitte ruf' Marge wenigstens an. Sonst tu ich’s.“ „Hab ich doch schon!“ „Hast du nicht“, widersprach Anyas Mutter streng und sah zu dem bockigen Mädchen herüber. „Nimm dir ein Beispiel an Anya und werd' vernünftig. Marge macht sich sicher Sorgen.“ Zoey aber schien gar nicht einzusehen, dass sie im Unrecht war und verdrehte die Augen. „Später!“ Damit stampfte sie an den anderen vorbei und verließ die Küche, ehe es noch zu einem handfesten Streit kam. Als sie weg war, atmete Matt vorsichtig auf. „Puh, deine Cousine ist … schwierig.“ „Was erwartest du?“ Zanthe lehnte sich an die Spüle. „Guck dir doch an, wem sie aus dem Gesicht geschnitten ist.“ Anya fauchte sofort: „Was soll das denn heißen!?“ „Sie hatte es nie leicht“, erklärte Sheryl betrübt und ließ die Hand mit dem Teller darin sinken, „eine alkoholkranke Mutter, der Vater hat die Familie kurz nach der Geburt verlassen … Anya hat der Polizei oft Probleme bereitet, aber im Vergleich zu den Dingen, die Zoey in den letzten Jahren angestellt hat, waren das Kinderstreiche.“ „Das tut mir leid“, meinte Matt betroffen. „Ach, die ist hart im Nehmen.“ Anya legte ihre Gabel beiseite. „Ich geh' mal nach oben. Muss mir was anschauen. Hab eh keinen Hunger …“ Damit erhob sie sich, aber nicht, ohne Claire einen letzten, bösen Blick zuzuwerfen. Wann würde der Tag endlich kommen, an dem ihr Todesblick Löcher in die Köpfe der Leute brannte?   ~-~-~   Nachdem Anya sich zurückgezogen hatte und in ihrem Zimmer stand, spürte sie zum ersten Mal in ihrem Leben ein seltsames Gefühl in den eigenen vier Wänden. Als ob sie nicht hierher gehörte. Das Bett zu ihrer Rechten war gemacht. Der Schrank auf der anderen Seite des Zimmers vermutlich aufgeräumt. Keine Klamotten und Videospiele, die verteilt im Raum herumlagen. Auch der Schreibtisch war sauber und ordentlich.   Zu diesem schlenderte das Mädchen herüber, setzte sich und sah erstmal von ihrem Fenster auf die Straße herab. Wüsste sie es nicht besser, würde sie sich glatt dem Flair der friedlichen Vorstadt ergeben. Aber ihr herannahender Tod stand immer noch im Raum. Der Collector hatte ihre Lebenskraft an sich gerissen und erpresste sie damit, sieben Hüterartefakte zu sammeln, von denen sie inzwischen drei besaß. Die Undying, unsterbliche Wesen die die Ordnung der Welt wahrten, hatten versucht dies zu verhindern und waren inzwischen ihre Verbündeten. Obwohl sie Anya versprochen hatten, ihr bei ihrem Problem zu helfen, wenn sie die Jagd nach den Artefakten einstellte, fühlte jene sich unwohl. Wie sollte so eine Lösung aussehen? Eine Antwort darauf blieben die Undying ihr bisher schuldig und sie hatte auch seit der letzten Begegnung im Ephemeria Bridge Stadion nichts weiter von ihnen gehört. „Einen Monat hab ich noch“, seufzte sie, beugte sich zur obersten Schreibtischschublade herab und zog jene auf, „angenommen, Ricther und seinem Freak-Ensemble fällt tatsächlich etwas ein, was mache ich?“ Die Frage war natürlich an Levrier gerichtet, ihren unsichtbaren Partner gerichtet, der in der Karte des Xyz-Monsters [Gem-Knight Pearl] steckte. Inzwischen kannte sie ihn seit einem Jahr und er war es, der sie oft auf den, naja, richtigen Weg brachte. Sozusagen ihr Jiminy Grille, nur mit spitzerer Zunge.   Wie meinst du das?   „Ich bin hier. Aber ich weiß nicht, wie ich … mein Leben leben soll. Vorausgesetzt, es endet nicht bald.“ Anya nahm eine Zeitschrift aus der Schublade in die Hand und legte sie vor sich auf den Schreibtisch. „Keine Kämpfe mehr, keine Duelle, die mein Schicksal entscheiden. Das wird … langweilig. Denk' ich.“   Du gehst davon aus, dass die Undying dir helfen können. Ich hoffe, dem ist auch so. Aber was, wenn nicht? Darüber haben wir bisher nicht geredet, Anya Bauer. Und selbst wenn es ihnen gelingt, deine Lebenskraft wiederherzustellen, ist es unwahrscheinlich, dass der Sammler einfach zusehen wird. Es wird zu einer Konfrontation zwischen euch beiden kommen, früher oder später.   „Yeah.“ Der mächtigste Dämon auf diesem Planeten würde sicherlich angepisst sein, wenn er erfuhr, dass sie nicht länger seine Marionette war. Aber sollte er ruhig kommen. Ihre nächste Auseinandersetzung würde anders verlaufen als die letzte, wo er sie nach allen Regeln der Kunst fertig gemacht hatte. Und neben den Undying hatte sie noch ihre Freunde. Summers, der Flohpelz, Redfield … alle waren mutig genug, sich dem Bastard von Sammler zu stellen. Und dann war da natürlich noch Nick, der sicher auch helfen konnte, und wenn er nur das Konto dieses Spinners leerräumte. Brauchten Dämonen eigentlich Geld?   Mehr hast du dazu nicht zu sagen?   „Momentan nicht. Warten wir erstmal ab, wie sich das entwickelt.“ Anya blätterte nebenbei durch die Zeitschrift, Duel Monsters Weekly. Die Ausgabe war zwar schon etwas älter, aber sie reichte für Anyas Vorhaben. „Im Moment kann ich sowieso nichts tun. Nicht, solange ich keine Duel Disk habe.“ Bei dem Flugzeugabsturz waren sowohl ihre als auch die ihrer Freunde mit Ausnahme von Zanthes Duellhandschuh drauf gegangen. Zugegeben, Anya konnte das neue, rote Standard-D-Pad sowieso nicht leiden, aber sie brauchte trotzdem ein aktuelles Modell, damit sie ihre neuen Pendelkarten nutzen konnte. Nur hatte sie keine Ahnung, wie ihre neue Duel Disk überhaupt aussehen sollte, weshalb sie sich beim Schmökern im Magazin etwas Inspiration erhoffte.   Wenn du eine neue Duel Disk kaufen möchtest, besuche doch Nico Palmers Laden. Dort gibt es viele verschiedene Modelle, die du auch aus der Nähe sehen kannst.   Anya schnalzte mit der Zunge. „Muss das sein?“ Sie wollte nicht dorthin. Nicht, weil sie dort bald wieder als Verkäuferin arbeiten musste. Sondern weil sie auch dort fehl am Platz war. Jenes hatte sie erkannt, als Mr. Palmer ihr das Paket mit den Karten geschickt hatte. Der Mann hatte Besseres verdient. Aber sie brauchte das Geld, nachdem auf Harper ja kein Verlass war, was so etwas anging. Wobei sie ehrlich zugeben musste, dass die Arbeit nicht so schlecht war, nur … langweilig.   Ja, muss es. Er wird sich bestimmt freuen dich zu sehen. Du hast dich noch nicht persönlich bei ihm bedankt. Das bist du ihm schuldig.   Anya klappte die Zeitschrift zu und erhob sich. „Ja ja, ich hab's ja kapiert. Fein, ich geh' hin.“ „Wohin?“, drang in dem Moment Zoeys Stimme durch den Türschlitz. Welche keine Sekunde später geöffnet wurde. Ihre Cousine stand da und blinzelte verdutzt. „Mit wem redest du da?“ „Niemandem“, log Anya. „Ich will ins Kolosseum, mir 'ne neue Duel Disk kaufen. Kommst du mit?“ Zoey zuckte mit den Schultern. „'kay. Wollte dich sowieso fragen, ob wir die Stadt unsicher machen wollen. Haben uns ja viel zu erzählen un' so.“ „Cool“, nickte Anya und schloss zu ihrer kleinen Cousine auf, schlang den Arm um ihre Schulter, „wird ja auch endlich Zeit, dass wir wieder was unternehmen.“ Verlegen grinste das Mädchen mit der Beanie. „Yeah!“   ~-~-~   „Krass“, staunte Zoey, während die beiden Mädchen durch die Mall des fast vollständig aus Glas bestehenden Kolosseum zogen. Der Boden war aus glänzendem, blank poliertem Stahl, von der Dachkuppel strahlte die Sonne ins Innere. Selbst Anya war verblüfft, wie sie dem Mädchen hinterher sah, das gerade ein Autogramm von ihr erhalten hatte. Das war jetzt schon die dritte, seit sie sich auf dem Weg hierher gemacht hatten. Früher haben die Leute sofort die Straßenseite gewechselt, wenn sie sie gesehen haben … „Sieh an, wer da beliebt geworden ist“, stichelte Zoey, „du solltest Kohle dafür verlangen.“ „Vielleicht nächstes Mal.“ Eigentlich fand Anya es ganz angenehm, dass die Leute sie aufrichtig respektvoll behandelten. Da machte es ihr nichts aus, kurz ein wenig ihrer Zeit zu entbehren. Wobei sie natürlich auch nichts dagegen hatte, wenn andere sie weiterhin aus Angst mieden. Es sollte ja keiner glauben, Anya Bauer wäre weich geworden. „Na ja, aber ist schon krass, wie oft sie im Fernsehen von Flug 117 labern. Manche Sender haben sogar eure Namen genannt.“ Zoey lachte. „Alter, deine Mutter hat 'ne richtige Panikattacke bekommen, als sie zum ersten Mal davon im Radio berichtet haben. Da hatte sie gerade Pancakes für mich gemacht. Die waren gut.“ „J-ja, Mum macht sich schnell Sorgen“, wusste Anya nicht so recht, wie sie auf Zoeys Aussage reagieren sollte. „Die hat fast geheult.“ Zoey zuckte mit den Schultern. „Na ja, mir war auch nicht ganz wohl dabei, wenn ich ehrlich bin. Aber irgendwie wusste ich, dass dir nichts passiert ist. Jemand wie du stirbt nicht bei einem Flugzeugabsturz, sondern in einem Schusswechsel mit fünfzig Cops oder so.“ „Äh, ja, danke.“   Während die beiden Mädchen weiter durch die Mall schlenderten und sich dem Geschäft von Mr. Palmer näherten, sahen sie schon durch die Schaufenster, wie voll es dort war. Anya musste anerkennend pfeifen. „Cool. So viele Kunden hatten wir sonst in einem Monat nicht.“ „Wegen dir“, brummte ihre Cousine auf einmal mürrisch. Sie stopfte ihre Hände in die Taschen ihres Pullis und zog an Anya vorbei. „Warte!“, forderte die Zoey auf. Jene wirbelte plötzlich herum und grinste über beide Backen. „Weißte was? Ich hab 'ne Idee.“ „Lass hören!“ „Du brauchst 'ne neue Duel Disk.“ Die Ältere stöhnte genervt. „Ach ne, darum sind wir hier, Einstein.“ „Ja, aber wie willst du sie dir besorgen?“ „Kaufen?“, kam eine Antwort voller Unverständnis. Zoey rollte mit den Augen. „Echt jetzt? Und von welchem Geld? Ich dachte du bist pleite. Das ist chronisch, irgendwie in unserem Erbgut. Frag Oma, der geht’s genauso.“   Oh ja. Anya erinnerte sich noch an das eine Mal, als ihre Großmutter väterlicherseits mal die Handtasche ihrer Mum nach Bargeld durchwühlt hatte. Wollte sich eine Flasche Whiskey besorgen, hatte aber keine Kohle dafür. Junge, hatte da die Luft gebrannt. Margery Bauer war vieles: Egoistisch, missmutig, grantig, nie um einen bösen Spruch verlegen. Und das perfekte Vorbild. Na ja, irgendwann hatte Anya einsehen müssen, dass niemand Grandma Bauer imitierten konnte und es dementsprechend irgendwann aufgegeben, um ihren eigenen Weg zu gehen. Was, wenn sie genau drüber nachdachte, noch gar nicht so lange her war … Aber man musste ihr auch zugute halten, dass sie sich um Zoey kümmerte und sie wie ihren Augapfel hütete. Erstaunlicherweise war Dad dagegen der Einzige in seiner Blutlinie, der das komplette Gegenteil vom Rest seiner Familie war. Erfolgreich, kompetent, einflussreich, nicht vorbestraft. Und Zach lag irgendwo dazwischen, aber wen juckte der schon?   „Jedenfalls kannst du dir so ein Teil nicht leisten, schon gar nicht eines der neueren Modelle“, plapperte Zoey derweil im Rückwärtslaufen weiter. „Verstehste, worauf ich hinaus will?“ „Ne.“ Abrupt blieb die Blonde mit der Beanie stehen, sah ihre Cousine ungläubig an. „Biste von Aliens entführt und ausgetauscht worden, oder was? Die Anya Bauer, die ich kenne, kann eigentlich meine Gedanken lesen. Man, streng mal deine Rübe an!“ „Tch.“ Es war Jahre her, aber diese Sprüche waren typisch Zoey. Nur, dass sie Anya heute nicht mehr so beeindruckten wie damals. Wieder rollte ihre Cousine mit den Augen. „'kay.“ Sie winkte Anya zu sich heran. Als beide voreinander standen, beugte sie sich vor und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Woraufhin Livingtons Version von Bart Simpson erschrocken zurückwich. „Bist du bescheuert?“ „Was denn!? Wie in alten Zeiten! Ich wette, wenn wir zusammenarbeiten, schaffen wir das!“ „Keine Chance!“, fauchte Anya und hielt demonstrativ die Arme über Kreuz. „Ich habe keinen Bock auf Stress mit den Cops!“ „Seit wann hast du vor sowas Angst?“ Zoey starrte sie verständnislos an. „Wenn's schief geht, haut dein Dad uns raus. Macht er doch immer.“ Aber Anya stampfte mit dem Fuß auf. „Ich kann mich nicht mein Leben lang auf Dad verlassen. Außerdem …“ Anzusprechen, dass sie sich seit dem Legacy Cup in einer gewissen Vorbildfunktion als nun halbwegs bekannte Duellantin befand, wollte Anya dann aber doch nicht. Zoey würde das sowieso nicht verstehen. Entsprechend endgültig maulte sie: „Schluss damit. Ich kaufe das Teil und fertig. Wenn es zu teuer ist, habe ich eben Pech. Vielleicht gibt Mr. Palmer mir 'nen Vorschuss!“ „Pft! Fein, was auch immer. Langweilerin.“ Verstimmt steckte Zoey ihre Hände wieder in die Jackentaschen und stampfte neben Anya her.   Sie sprachen kein Wort mehr miteinander, als sie zusammen den Laden betraten. Erst passierte gar nichts, dann aber wurden sie von einer Kundin bemerkt. Welche es sich nicht nehmen ließ, Anya nach einem Autogramm zu fragen. Die blinzelte die junge Frau irritiert an. „W-was?“ Schon wieder!? Und Zoeys Gesichtsausdruck sprach dieselbe Sprache, nur in einem deutlich anderem Tonfall. „Kann ich ein Autogramm haben?“, wiederholte die ihre Frage. Und fügte ein flehendes „Bitte?“ dazu. „Uh. 'kay. Ich denke schon.“   Anya kannte das gar nicht. Während des ganzen Legacy Cups hatte sie nicht ein einziges Autogramm verteilt. Vielleicht wurde sie sogar drauf angesprochen, aber da hatte sie so viel um die Ohren gehabt, dass sie solche Fragen unbewusst überhört haben musste. Und heute gleich viermal hintereinander? Vielleicht sollte sie mal die Online-Tauschbörsen überprüfen, ob die ihre Autogramme nicht doch für Geld vertickten …   Während die Dame aus ihrer Handtasche Kugelschreiber und Schreibblock kramte, betrachtete Zoey alles ziemlich unzufrieden. Anya bemerkte den giftigen Blick, wollte aber vor ihrem 'Fan' keinen Streit mit ihrer ganz-und-gar neidischen Cousine anfangen. Nachdem Anya ziemlich ungeschickt irgendwas auf den Block gekritzelt hatte, standen schon zwei junge Männer hinter ihnen und baten ebenfalls um Autogramme. „Pass auf, dass dir nicht 'n Kaufvertrag für 'ne Waschmaschine untergejubelt wird“, maulte Zoey, als Anya auf den beiden ihren Wunsch erfüllte.   „Was ist denn hier- Anya!“ Und da war er, Mr. Palmer, ein dunkelhäutiger Mann mit weißem Haar und Bart, der nicht selten in ziemlich engen Hawaiihemden herumlief. Mit ausgestreckten Armen kam er der Zweitplatzierten des Legacy Cups entgegen und umarmte sie fest. Anya, die das Ganze so interpretierte, dass er sie für die zusätzlichen Fehlzeiten, die das Duell im Weißen Raum, der anschließende, kurze Krankenhausaufenthalt und die Verzögerung beim Rückflug nach Livington verursacht hatten, ganz eindeutig erwürgen wollte, stammelte klamm: „Mr. Palmer, i-ich bin am Montag wieder-“ Er packte sie an den Schultern und schob sie von sich weg. „Bauer. Du bist entlassen.“ „W-was?“ „Eine angehende Profiduellantin sollte ihre Zeit nicht an einem Ort wie diesem verschwenden.“ Er lächelte sie warm an, klang aber immer noch todernst. „Außerdem bist du als Verkäuferin eine Niete.“ „A-aber ich brauche den Job!“ Nico Palmer schüttelte den Kopf. „Nein. Was du brauchst, ist ein Platz in der Profiliga. Und den wirst du bekommen, wenn du hart genug dafür arbeitest.“ Die Blonde seufzt geknickt. Das war ja alles ganz okay, was er da sagte, aber im Endeffekt nur Ausflüchte. Er brauchte sie nicht mehr. Sie hatte die Werbetrommel für den Laden – wohlgemerkt sehr unfreiwillig! – gerührt. Mehr Kunden, Ziel erreicht, so einfach war das. Und sie konnte ihn auch irgendwo verstehen. Wenn sie jetzt wieder hier anfing, würde sie all das binnen kürzester Zeit zunichte machen.   „Hey! Du kannst sie nicht einfach so rausschmeißen!“, fauchte Zoey wütend und drängte sich zwischen die beiden. „Dieser Scheißladen ist jetzt nur so beliebt, weil sie dein beschissenes T-Shirt getragen hat. Sonst würde dich heute kein Schwein kennen. Also zeig etwas Dankbarkeit, klar!?“ Anya fasste ihre Cousine an der Schulter. „Misch dich nicht ein.“ „Was!?“ Zoey drehte sich zu ihr um. „Lässt du so mit dir umgehen!?“ „Es ist okay, klar!?“ „Du kannst dir nicht mal 'ne verdammte Duel Disk leisten!“ Hinter Zoey fragte Mr. Palmer erstaunt: „Stimmt das? Was ist mit deiner alten geschehen?“ Anya stöhnte genervt, antwortete aber trotzdem. „Die eine wurde mir gestohlen, die andere ist bei diesem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen.“ Sie könnte sich auch einfach wieder die von Logan ausleihen, fiel es Anya dabei ein. Aber der hatte im Moment ganz andere Probleme. Wie sein ganzes D-Wheel, das Roboburgs Manager damals geschrottet hatte oder die Tatsache, dass man ihn beschuldigte, für die Zerstörung in Ephemeria City verantwortlich zu sein. Welche tatsächlich auf ihren und Claires Mist gewachsen war, als die beiden ihr Riding Duel ausgetragen hatten…   „Warte einen Moment.“ Mr. Palmer drehte sich um und schritt Richtung des gläsernen Verkaufstresens. Auch Zoey entfernte sich. „Sehe mich mal'n bisschen in diesem Drecksladen um.“ Aber ihre Cousine beachtete sie kaum, sondern sah ihrem ehemaligen Arbeitgeber hinterher, wie er den Tresen umrundete und in der dahinter liegenden Tür zum Lager verschwand.   Kurze Zeit später kam er mit einem langen, weißen Karton in beiden Händen zurück. Freudestrahlend schritt er damit auf Anya zu. „Die ist heute Morgen gekommen. Wie passend.“ „Wie jetzt?“ Das Mädchen machte große Augen. Auf der Pappe war eine schwarze Duel Disk abgebildet. Während der Kern mit dem Deckschacht und Friedhof rund und eine leuchtende, blaue Kugel in seinem Inneren eingelassen war, entsprach die leicht gebogene Spielfläche eher der eines D-Pads. Monsterkartenzonen waren nicht markiert, sondern eine einzige, schwarze Fläche, die automatisch die Positionen erkannte. Nur die Zauberfallenzonen waren durch fünf separate Schächte darunter klar abgetrennt. Das alles wurde durch eine metallisch-silberne Umrandung ergänzt. „Das ist eines der neuen Modelle, das Pendelkarten bereits lesen kann.“ Mr. Palmer reichte Anya den Karton, welche diesen ziemlich perplex entgegen nahm. „Na, gefällt sie dir?“ „Y-yeah“, erwiderte die Blonde zögernd und warf einen Blick hinab auf die Abbildung der Duel Disk. Wenn man die blaue Kugel da drin irgendwie mit einem leuchtenden Totenkopf austauschen würde, wäre sie in der Tat perfekt. „Aber die ist viel zu teuer. Kann ich mir nicht leisten, sorry.“ „Du musst sie nicht bezahlen“, erwiderte ihr Gegenüber plötzlich ernst, „sie gehört dir.“   Zoey, die etwas entfernt an einem Regal mit D-Pads stand und die ganze Zeit mit einem Seitenblick alles mitverfolgte, horchte auf. Dagegen stieß Anya nur ein irritiertes „Huh!?“ hervor. „Nun guck nicht so“, lachte Mr. Palmer wieder ausgelassen, „nimm sie schon!“ „A-aber die muss doch schweineteuer sein! Die kann ich unmöglich annehmen!“ Tatsächlich war Anya selbst von ihrer Bescheidenheit überrascht. Sie wusste ja nicht mal, dass sie zu solchen Zügen überhaupt in der Lage war. Aber etwas in ihr sträubte sich, dieses Geschenk anzunehmen und das nicht nur deshalb, weil sie niemandem etwas schuldig sein wollte. Da der dunkelhäutige Mann sie zu durchschauen schien, wechselte er wieder zu seinem ernsten Tonfall. „Hör mal, ich kann dich nicht dazu zwingen. Aber ich kann dir versichern, dass diese Duel Disk bereits bezahlt wurde. Alles ist gut.“ „Von wem?“, wollte Anya sofort wissen. Statt zu antworten, grinste der alte Mann, presste Daumen und Zeigefinger aufeinander und zog sie wie einen Reißverschluss über seine Lippen. „Einem notgeilen Fan bestimmt“, zischte Zoey aus der Ferne grimmig. War es vielleicht Nick gewesen, der bestimmt schon wusste, dass ihr altes D-Pad im Arsch war? Oder hatte ihre neidische Cousine Recht und irgendjemand fand sie so gut, dass er ihr das schenken wollte? Anya weitete die Augen. Konnte es vielleicht sogar sein, dass Logan …?   Wenn dem so war, würde sie sich revanchieren! Ein euphorisches Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Alles klar. Halten Sie das kurz!“ Sie drückte ihm den Karton zurück in die Hände, nur um ihn mit typisch roher Anya Bauer-Gewalt regelrecht zu zerfetzen. Kaum war die Duel Disk aus der letzten Luftpolsterfolie ausgepackt, wurde sie schon an Anyas linken Arm gesteckt. „Hell yeah!“ Stolz präsentierte sie Mr. Palmer den Apparat, welcher glücklich wirkte. Und irgendwie konnte Anya sich darüber freuen. „Danke, Mr. P!“ „Dafür nicht, Anya. Und jetzt geh, probier' sie aus.“ „Yeah! Ich hab auch schon eine Idee, wo!“ Natürlich dort, wo das Geschenk vermutlich herkam. Aus Logans Werkstatt. Also der Schenkende, nicht die Duel Disk selbst. Und wieso verbesserte sie sich im Gedanken, fragte Anya sich mit einem ganz komischen Bauchgefühl. „Lass uns gehen“, maulte Zoey, als sie sich wieder dazugesellte. „'kay. Also dann“, sagte Anya und reichte Mr. Palmer die Hand, „danke trotzdem!“ „Komm ruhig mal wieder vorbei. Aber nur, wenn du gute Laune hast und ein paar Autogramme verteilen willst.“ Daraufhin musste selbst die Blonde grinsen, während ihr ehemaliger Chef bärbeißig lachte und Zoey nur die Augen verdrehte.   ~-~-~   „Logan ist echt in Ordnung“, meinte Anya gut gelaunt, als die beiden Mädchen die letzten Schritte nahmen und auf den Parkplatz vor seiner Werkstatt einbogen. „Du wirst ihn mögen.“ „Na ich weiß nich'. Klingt für mich wie'n Pedo“, schnarrte Zoey verächtlich. „Wie alt ist der denn?“ „Keine Ahnung, 30 vielleicht?“   Anya sah über den leeren Parkplatz herüber und musste feststellen, dass die beiden Garagentore verschlossen waren. Ihre Euphorie bekam einen jähen Dämpfer versetzt. Ein kleines, weißes Schild am rechten Tor verriet, dass der Besitzer für längere Zeit fort war und entsprechend keine Aufträge annehmen konnte. „Oh …“ Also steckte Logan immer noch in Ephemeria City fest. Klar, die untersuchten immer noch die Ursache für die Zerstörung der Riding Duel-Strecke, die hauptsächlich Roboburg zerlegt hatte. In einem Akt der absoluten Selbstaufopferung hatte Logan vor der Polizei behauptet, dass er gefahren war, obwohl Anya die eigentliche Fahrerin war. Sie hatte sein D-Wheel benutzt, welches dabei auch noch durch diesen Nigel McPherson, Claires Manager, zerschrottet worden war. Zwar hatte Logan ihr am Flughafen erzählt, dass sich – warum auch immer – ein anderer Mann zu den Geschehnissen schuldig bekannt hatte. Aber anscheinend waren da wohl doch noch Zweifel seitens der Behörden. Also würde sie Logan wohl noch eine Weile nicht sehen … „Na so viel dazu“, triumphierte Zoey regelrecht, als die beiden Mädchen sich der gelb gestrichenen Werkstatt näherten. Jene blieb stehen, während Anya weiterging und das Schild am Tor in die Hand nahm. „Wie wär's: Wir lassen deinen Frust an Ernie Winter aus. Der wohnt doch noch hier, oder? Man, wie der immer geheult hat, wenn wir-“ „Kein Bock!“, murrte Anya mit gesenktem Haupt und ließ es wieder los.   Deprimiert wandte sie sich von der Werkstatt ab. Zoey, die einige Meter weiter stehen geblieben war, verschränkte genervt die Arme. „Sag mal, was ist eigentlich mit dir los, huh?“ Anya drehte sich irritiert zu ihr um. „Haben dich deine neuen Freunde zur Spaßbremse umfunktioniert?“, fragte ihre Cousine weiter und schüttelte den Kopf. „Statt ein bisschen die Sau rauszulassen, benimmst du dich wie diese erzkatholische Redfield-Schlampe.“ „Uh …“ Das kam für die Blonde unerwartet. „Redfield ist Protestantin. Glaub ich …“ „Darum geht’s nicht! Du bist langweilig wie’n Stück gammliger Käse, Anya!“ So wie sie es sagte, fühlte Anya sich jedoch lediglich provoziert. „Was soll das denn heißen!?“ „Früher hättest du mitgemacht.“ Das Mädchen, das die ganze Zeit über ihre Hand auf dem Arm gelegt hatte, schob den Pullover beiseite. An ihrem Arm befand sich ein schmales, orangefarbenes D-Pad. Anya weitete die Augen. „Hast du das mitgehen lassen!?“ „Jup. Du wolltest ja nicht.“ „Zoey, bist du bescheuert!?“ Anya trat einen Schritt auf sie zu. „Wir müssen das Teil sofort zurückgeben! Mr. Palmer wird ausflippen, wenn er das merkt!“ „Hat er aber nicht. Außerdem hätte ich gedacht, dass du dich freust.“ Die Jüngere starrte eingeschnappt zur Seite. „War wohl'n Trugschluss.“ Voller Unverständnis sah Anya ihre Cousine an. „D-doch, uh, gut gemacht, aber trotzdem …“ Sie seufzte schwer und versucht, ihr Gefühl in Worte zu fassen. „Weißt du, es … geht nicht immer nur um einen selbst. Ein Fehler …“ Vor ihrem inneren Auge sah sie den rothaarigen Sammler, dann ein abstürzendes Flugzeug und schließlich Logan hinter Gitterstäben. „… und dein Leben könnte gelaufen sein.“ Dann sah sie entschlossen auf. „Werde erwachsen, Zoey! Gib das scheiß Teil zurück und entschuldige dich!“ „Wie bitte!? Du spinnst wohl!“ Die hob demonstrativ den Arm. „Langsam hab ich die Nase voll. Wenn du das Ding zurückhaben willst, komm und hol's dir doch! Duelliere dich mit mir darum. Natürlich nur, sofern ich dir als Gegnerin auch gut genug bin!“ Damit hätte sie rechnen müssen, dachte Anya. Ihre Cousine war genauso stur wie sie. Aber die Sache auf sich belassen konnte Anya nicht. Nicht, wenn sie Mr. Palmer noch etwas schuldete. „Du hast dich verändert“, klagte Zoey bitter mit ausgebreiteten Armen. Sie sah Anya an, als hätte sie jeglichen Glauben verloren. „Ich erkenne dich kaum noch wieder. Du verhältst dich wie eine Musterschülerin, verstehst keinen Spaß mehr und sogar dein Spielstil ist ganz anders! Pendelmonster!? Dein Ernst!? Früher hast du auf sowas geschissen!“   Irgendwo konnte Anya ihre Cousine ja verstehen. Sie hatten sich verdammt lange nicht gesehen und entsprechend viel Nachholbedarf, aber Zoey übertrieb maßlos. 'kay, vielleicht hatte sie sich verändert, aber das passierte eben. „Was ist dein Problem?“ Anya stemmte die Hände in die Hüften. „Meine Prioritäten haben sich eben geändert. Ist doch nich' schlimm.“ Die zusammengepressten, weiß werdenden Lippen ihres Gegenübers sprachen eine ganz andere Sprache. Zoey schluckte schwer. „'kay, wenn du meinst.“ „Deswegen sind wir immer noch Schwestern“, versuchte Anya, sie versöhnlich zu stimmen. „Ich versteh's bloß nicht!“ Natürlich, Zoey konnte es nicht auf sich beruhen lassen. „Du bist Anya Bauer, das Mädchen, das vor nichts Angst hat. Du hast sogar Flug 117 überlebt! Anstatt dir zu nehmen, was du willst, versuchst du wie'n Spießer zu leben. Haste 'ne Nahtoderfahrung gehabt oder was?“   Anya fuhr zusammen. Dass Zoey ausgerechnet das auf den Tisch bringen würde hätte sie nicht erwartet. Ihre Cousine stellte sich das alles so einfach vor. Ja, früher war sie das Mädchen gewesen, das vor nichts Angst gehabt und sich alles genommen hatte, was sie wollte. Aber dieses Mädchen war ein dummes Kind gewesen, das nicht wusste, welche Gefahren da draußen lauerten. Wenn sie Zoey aber all dies gestand, würde das ihrer Beziehung gewiss nicht gut tun. Vorsichtig sagte Anya: „Hör zu. Dass ich … dass wir die Explosion überlebt haben, war purer Zufall. Ich wurde von etwas abgelenkt …“   Während noch ein paar Nachzügler das Flugzeug betraten, meinte Livingtons Terrormaschine schließlich nachdenklich von ihrem Sitz aus: „Irgendwas war eben komisch.“ „Hmm?“ Matt drehte sich zu ihr um. „Dieser Typ da. Er … irgendwie kam er mir bekannt vor.“ Ihre schwarzhaarige Sitznachbarin Valerie wunderte sich: „Wen meinst du?“ „Den Kerl eben, der uns beobachtet hat.“ Anya murrte unzufrieden. „Der in Weiß.“ Zanthe reckte den Kopf nach oben und sah sich um. „Jetzt wo du's sagst, der ist nicht eingestiegen.“ Der Dämonenjäger wollte wissen: „Was stört dich denn an dem?“ „Ich weiß es nicht. Es fühlte sich an, als wären wir uns schon mal begegnet. Wenn ich's nicht besser wüsste, dann …“ Als seine Freundin zögerte, erwiderte Zanthe neben Matt gutmütig. „Sag's einfach.“ „… war das eben mein Dad. Und, wenn ich ehrlich bin, glaube ich, dass Dad mich aus Gardenias Weißem Raum gerettet hat. Aber das ist unmöglich, er verfügt über keine besonderen Kräfte.“ Anya wurde schlagartig bewusst, wie merkwürdig das alles für ihre Freunde klingen musste, besonders, da sie ihnen diese Gedanken bisher nicht mitgeteilt hatte. Verdammt, hätte sie doch nur einen Moment gewartet und sich den Kerl näher angesehen! „Jetzt ist es zu spät, den Typen anzusprechen, wir heben in ein paar Minuten ab“, meinte Valerie nachdenklich. „Außerdem, meinst du nicht, dein Vater würde mit dir über diese Sachen anschließend reden wollen?“ Die Blonde aber senkte ihr Haupt. „Ich hab noch nie kapiert, was in Dads Kopf vor sich geht.“ „Vergiss den Kerl. Freu' dich lieber auf Zuhause“, versuchte Matt sie aufzuheitern.   Anya versank noch tiefer in ihrem Sitz und krallte sich in die Armlehnen. Das war doch kein gewöhnlicher Mann gewesen. Wer kam denn durch die Kontrollen, ohne dann ins Flugzeug zu steigen? Okay, Nigel vielleicht, aber der hatte genug Kohle und war der Manager der Weltmeisterin, da würde jeder ein Auge zudrücken. Und Logan … aber wer würde den nicht durchlassen, wenn er einem gut zuredete? Der Typ hingegen … nope. Der war nicht normal. „Leute, ich-“ Sie drehte sich um und sah über den linken der beiden Gänge im Flugzeug. Und da stand er, dieser Typ im weißen Mantel mit dem Basecap. Mitten im Gang und keiner schien sich darüber zu wundern, dass er nicht Platz nahm. „Was ist?“, fragte Valerie neben ihr verwirrt. „Shit!“ Der Typ drehte sich im selben Moment um, als das Mädchen aufsprang.   Er begann zu rennen, sie begann zu rennen. Vorbei an einer Flugbegleiterin, raus aus dem Flugzeug. Sie schrie ihm hinterher stehen zu bleiben, aber natürlich folgte er der Aufforderung nicht.   Was dann geschah, hatten die anderen ihr als sehr seltsam beschrieben. Ihre abrupte Flucht hatte Matt, Zanthe, Valerie und Claire dazu bewegt, ihr zu folgen. Anya selbst konnte sich nur noch daran erinnern, irgendwann mitten im Boardingbereich zu stehen, wo sie sich von Logan verabschiedet hatte. Umringt von ihren Freunden. Erinnerungen an die Jagd nach dem Fremden hatte sie keine und er war auch spurlos verschwunden gewesen. Als sie zurück ins Flugzeug wollte, weigerte sich das Personal mit Händen und Füßen dagegen. Kurz nach dem Start explodierte ein Teil der Maschine, die daraufhin abstürzte und noch einen Wolkenkratzer dabei mit ins Unglück riss. Sie fünf hatten als Einzige überlebt und waren zwei Tage den Behörden ausgesetzt gewesen, ehe sie Ephemeria City schließlich verlassen konnten …   „Wir hatten einfach nur Glück“, erklärte Anya Zoey, wobei sie das Übernatürliche daran ein wenig retuschiert hatte. „Wenn dieser Kerl da nicht gewesen wäre, wäre meine Karriere vorbei, noch bevor sie überhaupt begonnen hätte. Tch.“ Zoey funkelte sie böse an. „Darum geht es doch. Deine Karriere als Profiduellantin. Da sind solche wie ich eben im Weg.“ „Hast du mir überhaupt zugehört!?“ „Hab ich! Und es kotzt mich an!“ Doch entgegen ihrer Worte zierte ein kleines, böses Lächeln Zoeys Lippen. „Wenn du willst, dass ich dir dabei nicht im Weg stehe, wirst du dieses Duell wohl oder übel gewinnen müssen. Ich könnte der Presse 'ne Menge über dich erzählen.“ Die Blonde riss die Augen weit auf. „Huh?“ „Ganz recht. Denn wenn du verlierst, solltest du deine Karrierepläne lieber gleich freiwillig an den Nagel hängen. Und das D-Pad behalte ich selbstverständlich.“   Anya nahm das Gesagte in sich auf. Überlegte. Ihr eigenes Fleisch und Blut, neidisch und verbittert, wollte sie erpressen? Die, die einst wie eine Schwester für sie gewesen war? Unglaublich … Das Mädchen ballte eine Faust. „Fein. Und wenn ich gewinne …“ „Ja?“, horchte Zoey erwartungsvoll nach. „Verpisst du dich aus Livington.“ Schweigen. Ihrer Cousine stand der Mund offen, bis sie ihn schließlich schloss und leise ein „'kay.“ nuschelte. Still gingen Anya und Zoey noch etwas auf Abstand vor der geschlossenen Werkstatt. Dann hoben die Zwei ihre Arme mit der neuen Duel Disk beziehungsweise dem gestohlenen D-Pad an, schoben ihre Decks in die Öffnungen und ließen sie ausfahren. „Duell!“   [Anya: 4000LP / Zoey: 4000LP]   Die beiden Mädchen funkelten sich voller Verachtung an, ehe Anya schließlich schnaubend den ersten Zug für sich beanspruchte. Von ihren fünf Karten legte sie eine quer auf ihre brandneue Duel Disk. „Ein Monster gesetzt. Zug beendet.“ Statt wütend, sprach sie in einem gefährlich leisen, ruhigen Tonfall, den sie nur in sehr seltenen Fällen anschlug. Dann, wenn sie -wirklich- wütend war. Zischend positionierte sich zu ihren Füßen eine vergrößerte Kopie der Karte.   „Ich bin“, murrte Zoey auf genau dieselbe Art und Weise und zog. „Zauberkarte [Future Fusion]. In zwei Zügen findet eine Fusion mit ausgewählten Monstern in meinem Deck statt.“ Der permanente Zauber richtete sich vor ihr auf. Anya ließ es sich nicht anmerken, aber wenn ihre Cousine nach wie vor ihr altes Deck benutzte, bedeutete das eine Menge Ärger. „Dann noch ein Zauber: [Worm Call]. Da du ein Monster kontrollierst, kann ich ein Worm-Monster von meiner Hand in die verdeckte Verteidigungsposition rufen.“ Noch ein dauerhaft wirkender Zauber – und Anya wurde in ihrer Befürchtung bestätigt. Über dem Spielfeld bildete sich ein hellblauer Vortex, aus dem eine flüssige Masse tropfte. Ein Teil jener klatschte vor Zoey auf den Boden und bildete eine horizontal liegende Karte. „Zug beendet.“ „Draw“, flüsterte Anya beinahe und zog langsam eine Karte von ihrem Deck. Zwischen den beiden Duellantinnen herrschte eine unheimliche Stille. Als ob jede für sich spielte. Ein eisiger Luftzug fegte über den Parkplatz zur Werkstatt. „Ich beschwöre [Gem-Knight Sardonyx] als Normalbeschwörung.“ Vor Livingtons wohl bekanntester Einwohnerin tauchte ein Ritter in rot-weißer Rüstung auf, welcher einen mächtigen Morgenstern an einer Kette schwang.   Gem-Knight Sardonyx [ATK/1800 DEF/900 (4)]   „Er ist ein Zwillingsmonster“, erklärte Anya ruhig, „das heißt, solange er nicht ein zweites Mal als Normalbeschwörung gerufen wird, wird er als normales Monster behandelt.“ Zoeys Reaktion fiel ziemlich kratzbürstig aus. „Das weiß ich!“ Aber ihre Cousine zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. „Wollte dich nur dran erinnern, denn für meine nächste Aktion ist das wichtig. Ich aktiviere [Polymerization] von meiner Hand.“ Mit untypischer Gelassenheit schob sie jene Zauberkarte in ihre Duel Disk und sah dabei aus den Augenwinkeln zu Zoey herüber, die sichtlich überrascht war, die Urmutter aller Fusionskarten zu sehen. „Ich verschmelze die beiden normalen Monster auf meiner Spielfeldseite. Sardonyx! Und [Gem-Knight Sapphire].“ Über Anya öffnete sich ein rot-blauer Wirbel, welcher erst den Morgenstern-Schwinger, dann einen hellblauen Ritter absorbierte, welcher aus der gesetzten Karte hervor schwebte. „Ein Schrei aus vergangenen Tagen erschüttert die Zukunft. Erster deiner Art, höre meinen Ruf.“ Ein lauter Knall sowie eine Explosion erfolgten aus dem Vortex. „Fusion Summon! Dominiere, [First Of The Dragons]!“ Da zischte ebenjener schon aus dem Rauch und breitete sich über Anya aus – ein gewaltiger, dunkelblauer Drache, dessen langer Körper überall mit Hörnern bespickt war.   First Of The Dragons [ATK/2700 DEF/2000 (9)]   Anya nahm eine Fallenkarte aus ihrem Blatt und schob sie in den Schlitz ihrer Duel Disk, sodass jene sich zu ihren Füßen verdeckt materialisierte. Dann sah sie auf. „Ich weiß genau, was dort liegt. Los, [First Of The Dragon], vernichte [Worm Victory]! Burst Stream of Origin!“ Auf Anyas Befehl hin öffnete der Drache sein Maul und sammelte rötliche Energie, die er in einen wallenden Strahl aus das gesetzte Monster herab feuerte. Zoey stöhnte mit geweiteten Augen. Kurz bevor der Odem sein Ziel traf, tauchte jenes aus seiner Karte auf – eine rote, sechsarmige, halbwegs humanoide Gestalt unbekannter Herkunft. Ihre Haut war mit Schuppen bedeckt, das Maul ein Schlund, bespickt von zahllosen, spitzen Zähnen.   Worm Victory [ATK/0 DEF/2500 (7)]   „Kch! Na gut, vielleicht hast du mich durchschaut, aber dann weißt du auch genau, was passiert, wenn [Worm Victory] aufgedeckt wird!“, feixte Zoey selbstsicher. Ihr Monster wehrte den Strahl mit allen sechs Armen erfolglos ab und ging in einer mächtigen Explosion unter. Doch nicht, ohne vorher einen von ihnen auszuschwingen und damit eine rote Flüssigkeit auf den Drachen zu schleudern. „Mit seinem Effekt zerstört er alle offenen Monster, die nicht zu seiner eigenen Art gehören!“ Anyas Drache wurde im Gesicht getroffen – und leckte den Schleim einfach ab, ohne dass etwas geschah. Zoey klappte die Kinnlade hinunter. „W-was?“ „[First Of The Dragons] interessiert sich nicht für die Effekte anderer Monster“, sprach Anya und verschränkte die Arme voreinander. „Ich sagte doch, ich weiß, was dort liegt und habe entsprechend reagiert. Und nur zur Info: Der da war mein Preis für den zweiten Platz beim Legacy Cup.“ Sie nickte zu ihrem Drachen nach oben. „Du wirst dir wohl was anderes einfallen lassen müssen. Zug beendet.“   Ihre Cousine zeigte jedoch ihr hinterhältigstes Grinsen. „Hab ich doch schon längst. Draw!“ Plötzlich öffnete sich über dem Mädchen mit der Beanie ein gewaltiger, blau-weißer Sog. „Jetzt zieht sich [Future Fusion] die benötigen Monster aus meinem Deck, um nächste Runde den Big Boss zu beschwören!“ Erst schob sich eine Karte aus Zoeys Kartenstapel, dann noch eine und noch eine. Anya war nicht überrascht zu sehen, dass das halbe Deck ihrer Widersacherin aufgenommen und in den Wirbel geworfen wurde. Insgesamt zwanzig Karten flogen durch die Luft und verschwanden schließlich. „King, Queen, uh, Xex … Barses hab ich nicht gesehen und … Victory natürlich“, zählte Anya leise für sich auf. Bis auf jene fünf hatte Zoey ihr gesamtes Monsterarsenal der Fusion dargeboten. „Ach, das erlebst du aber sowieso nicht mehr“, gab Zoey indes weiterhin an, ohne Anya dabei wirklich zu beachten. „Die Kombo kennst du bestimmt noch!“ Sie zückte zwei Zauberkarten und zeigte sie vor. „[Soul Reversal] und [Upstart Goblin]. Ich lege ein Flippeffektmonster von meinem Friedhof auf mein Deck und ziehe es anschließend. Dass du dabei 1000 Lebenspunkte bekommst, juckt mich null.“ Tatsächlich hatte die Jüngere Anya diesen Zug damals oft gezeigt. Ein greller Lichtstrahl schoss aus Zoeys Friedhof, machte in der Luft einen Bogen und traf auf ihr Deck. Anschließend zog jene die leuchtende Karte mit einem schmalen Lächeln auf den Lippen.   [Anya: 4000LP → 5000LP / Zoey: 4000LP]   Es war [Worm Victory], wie Zoey durch das Vorzeigen der Karte unmissverständlich klar machte. Jenen legte sie auf ihre Duel Disk. „Ich beschwöre ihn dank [Worm Call] verdeckt, da du Monster kontrollierst und ich nicht.“ Erneut tropfte etwas Schleim aus dem Wurmloch am Himmel und manifestierte sich als liegender Kartenrücken vor Zoey. „Da ich ihn aber sofort nutzen will, rufe ich [Worm Barses] als Normalbeschwörung! Sein Effekt dreht dabei sofort ein Monster aus der Verteidigung in den Angriff!“ Noch ein Schleimtropfen klatschte auf den Asphalt und nahm die Gestalt einer weiteren, halbwegs humanoiden Kreatur an. Gelb und vierarmig war sie, mit Bauch und Schulterplatten gepanzert und dazu noch mit einem genauso ekelhaften Schlund gesegnet wie Victory. Welcher kurz darauf aus seiner Karte empor stieg.   Worm Barses [ATK/1400 DEF/1500 (3)] Worm Victory [ATK/0 DEF/2500 (7)]   Letzterer schwang einen seiner sechs Arme aus und traf den ersten Drachen abermals mit rotem Schleim, ohne dabei aber etwas zu erreichen. Anyas einziger Kommentar: „Sinnlos. Du kannst ihn nicht durch Monstereffekte zerstören, kapiert?“ „Und du leidest schon an Alzheimer. Oder hast du Victorys zweiten Effekt vergessen?“ Dünne, fast unsichtbare Nadeln wuchsen aus seinem ganzen Leib. Anya schloss die Augen und schüttelte den Kopf. „Selbstverständlich nicht. Für jedes Worm-Monster auf deinem Friedhof erhält er 500 Angriffspunkte.“ „Und da liegen genau zwanzig Stück! Das heißt, [Worm Victory] hat ungeschlagene 10000 Angriffspunkte!“, feixte Zoey größenwahnsinnig.   Worm Victory [ATK/0 → 10000 DEF/2500 (7)]   Ein desinteressiertes „Hmpf!“ war alles, was Anya dazu beizutragen hatte. „Verlässt dich wohl auf deine verdeckte Karte, was?“, murmelte ihre Cousine gereizt. „Dann zeig mir mal, was da liegt! Los, [Worm Victory], greif' diese Missgeburt von Drachen an! Viscotinction!“ Ihre hässliche, rote Wurmkreatur schwang alle sechs Arme gleichzeitig aus und schleuderte damit Wellen an zähem Schleim, bespickt mit den winzigen Nadeln seines Körpers auf [First Of The Dragon]. Anya rollte mit den Augen. „Als ob. Falle!“ Sofort sprang jene vor ihr auf und errichtete eine unsichtbare Barriere, an der die Flüssigkeit abprallte und eine gewaltige Explosion erzeugte, die die zahlreichen Nadeln in alle Himmelsrichtungen verteilte. „[Negate Attack] beendet die Kampfphase sofort.“ „Pah! Mehr war das nicht? Langweilig“, raunte Zoey. Entgegen ihres Hochmuts zeigten die tiefen Falten auf ihrer Stirn, dass sie überhaupt nicht zufrieden war. „Zug beendet! Du weißt genau, dass du nächste Runde noch viel größere Probleme bekommst!“ „Ist das so?“, hakte Anya unbeeindruckt nach und zog eine Karte. Sie könnte jetzt [Worm Barses] angreifen und Zoey etwas Schaden reindrücken – wenn sie es darauf anlegte zu verlieren, verstand sich. Ein Treffer von [Worm Victory] und das war's. Nein, sie würde warten. Auf das entsetzte Gesicht ihrer dummen Cousine. „Ich wechsle [First Of The Dragons] in Verteidigung.“ Passend dazu drehte sie seine Karte auf der schwarzen Duel Disk. „Zug beendet.“ Ihr Monster landete hinter ihr und schlug seine Schwingen um sie, sodass ihre Flanken damit gesichert waren.   First Of The Dragons [ATK/2700 DEF/2000 (9)]   „Ist das dein Ernst!?“ Zoey bekam einen regelrechten Lachanfall. „Du weißt, was dich erwartet und spielst nicht mal ein weiteres Monster als Schutz!? Na wenn du meinst!“ Schwungvoll zog sie von ihrem gestohlenen, orangen D-Pad eine Karte und streckte den Arm nach vorne aus. „Jetzt ist es soweit! Durch den Effekt von [Future Fusion] wird das Fusionsmonster beschworen, für das ich all meine Würmer geopfert habe!“ Das Mädchen richtete die Arme nach oben. „Komm und zeig' dich, [Worm Zero]!“ Über ihr öffnete sich der Fusionssog und stieß eine weiße, schleimige Masse aus, aus der dünne Stränge in den Asphalt des Parkplatzes schossen. Mit vier dieser Stützen bildete sich ein riesiger Kokon, der fast wie ein Mond wirkte.   Worm Zero [ATK/? → 10000 DEF/0 (10)]   „Du kennst ihn bestimmt noch. [Worm Zero] erhält für jede Spezies, die für seine Fusion verwendet wurde, 500 Angriffspunkte. Denk' dran, dass ich zwanzig Stück von meinem Deck abgelegt habe!“, prahlte Zoey ziemlich von sich überzeugt. Damit stand Anya nun gleich zwei Monstern mit fünfstelligem Angriffswert gegenüber. Aber sie zuckte nur mit den Schultern. „Diesmal wird dich keine verdeckte Karte retten!“ Ihre Cousine schwang ihren Arm aus. „Los, [Worm Zero], vernichte diese Drachenmissgeburt endlich! Zero Dissolver!“ Der Kokon über Zoey öffnete sich und präsentierte zahllose, regelrecht zufällig verteilte Zähne und einen schier endlosen Schlund, aus dem eine grüne, flimmernde Säure schoss. Der Strahl traf ihren [First Of The Dragons] am Kopf und löste eine Explosion aus. Die ätzende Flüssigkeit verteilte sich dabei in alle Richtungen. „Tch. Langweilig.“ Anyas Drache brüllte zornig auf, blieb ansonsten aber unverletzt. Das Mädchen im Inneren seiner Schwingen erklärte: „Wenn du ihn im Kampf besiegen willst, dann nur mit normalen Monstern. Und von denen hast du keine im Deck. Pech für dich.“ „Du willst mich verarschen!?“, fauchte Zoey und ballte eine Faust. „Fein, Wechsel in Main Phase 2! [Worm Zero] hat drei Effekte, je nachdem, wie viele Worm-Monster verschiedener Arten für seine Beschwörung benutzt worden.“ Die ein Jahr Ältere nickte. „Yeah. Du kannst Würmer in Verteidigung von deinem Friedhof beschwören, einen Wurm von dort verbannen, um eines meiner Monster auf den Friedhof zu schicken und mit dem letzten Effekt eine Karte ziehen.“ Da selbst jener nur sechs Monster benötigte, konnte Zoey alle davon nutzen. „Genau so ist es. Zuerst ziehe ich!“ Was sie auch schwungvoll tat und somit auf drei Handkarten kam. Beim Anblick der neuen Karte grinste sie. „Heh! Und jetzt der erste Effekt! Ich rufe [Worm Millidith] vom Friedhof verdeckt aufs Feld!“ Unterhalb des Kokons öffnete sich etwas, das Anya nur als Anus bezeichnen konnte. Ein Stück grauer Schleim klatschte vor Zoey auf den Boden und nahm die Form einer Duel Monsters-Karte in horizontaler Lage an.   Worm Millidith [ATK/400 DEF/1600 (4)] Worm Victory [ATK/10000 → 9500 DEF/2500 (7)]   „Jetzt aktiviere ich den Zauber [Book Of Taiyou], welche ein verdecktes Monster in die Angriffsposition zwingt!“ Zoey rammte die Magie in ihr D-Pad, woraufhin die gesetzte Monsterkarte vor ihr um 180 Grad wirbelte und die Kreatur aus ihr hervor trat. Es war eine blaue, insektoide Kreatur mit Flügeln und acht Beinen, aus deren Maul grüne Säure austrat. Jene stieß sich plötzlich vom Boden ab, flog auf Anya und ihren Drachen zu und klammerte sich an dessen Kopf fest, sodass sie direkt über dem Mädchen lauerte. „Wenn Millidith aufgedeckt wird, wird er zur Ausrüstungskarte für eines deiner Monster.“ „Schon vergessen? [First Of The Dragons] ist gegen Monstereffekte immun.“ Zoey aber behielt ihr hämisches Grinsen bei. „Hab ich nicht, wirst du schon sehen. Zug beendet.“   „Draw!“, rief Anya und zog eine Karte. In dem Moment ergoss sich über ihr ein wahrer Säureregen aus dem Maul der blauen Kreatur. Zischend wich das Mädchen zurück.   [Anya: 5000LP → 4600LP / Zoey: 4000LP]   „Stimmt schon, dein Monster bleibt unberührt von Monstereffekten. Aber -du- nicht. Am Anfang jedes Zuges fügt Millidith dir 400 Schadenspunkte zu“, lautete Zoeys Erklärung dazu. „Aber es ist so lange her, dass wir uns das letzte Mal duelliert haben, weshalb du das vermutlich längst vergessen hattest.“ Anya protestierte wütend gegen den unterschwelligen Vorwurf: „Hey, jetzt hör' endlich auf mit dem Scheiß! Ich kann nichts dafür, dass du weg musstest!“ „Aber du hast mich vergessen!“ „Hab' ich nicht!“ „Und warum hast du irgendwann einfach aufgehört dich zu melden!?“, wollte Zoey wissen und ihre Stimme zitterte dabei spürbar. War das wirklich von ihr ausgegangen, überlegte Anya erschrocken. „I-ich-!“ „Ich will's gar nicht hören! Deine neuen 'Freunde' scheinen mich ja gut zu ersetzen“, zischte ihre Cousine verbittert, „und jetzt, wo du deinen 'Traum' endlich leben kannst, wäre ich sowieso nur im Weg!“ So ein Schwachsinn! Warum sollte in ihrem Leben kein Platz für Zoey sein!? Aber Anya war es nicht möglich, diesen Gedanken auszusprechen. Etwas hinderte sie daran. Bloß was? Stattdessen nahm sie einfach nur eine Fallenkarte aus ihrem Blatt und legte sie in ihre Duel Disk ein. Mit einem leisen Surren tauchte die zu ihren Füßen auf. „Zug beendet …“   Zoey zog und rief: „Millidth!“ Jener spie wieder Säure auf Anya, die erneut ausweichen musste. „Bah!“   [Anya: 4600LP → 4200LP / Zoey: 4000LP]   „[Worm Zeros] Effekt! Ich kann nochmal ziehen!“ Was das Mädchen im blauen Pullover auch sofort tat. Dann rief es: „Ich opfere [Worm Barses] und beschwöre [Worm King] als Tributbeschwörung! Auch wenn er der Stufe 8 angehört, kann er mit nur einem Opfer gerufen werden, wenn dieses ein Wurm ist!“ Die kleinste der außerirdischen Kreaturen löste sich auf und machte einer größeren, vierbeinigen Platz. Dieses gelbe Ungetüm besaß nicht nur vier Arme, sondern auch ein Paar leuchtender Augen mitten im unteren Teil seines Torsos, der wie ein zweites Gesicht wirkte. Worm King [ATK/2700 DEF/1100 (8)] Worm Victory [ATK/9500 → 10000 DEF/2500 (7)]   „Zeros nächster Effekt! Ich beschwöre [Worm Apocalypse] vom Friedhof!“ Wieder klatschte grauer Schleim aus dem unteren Ende des Kokons vor Zoey auf den Boden und wurde zu einer Karte. Welche von einem der Arme des Königs gegriffen wurde und sich als dürre, hellrote Kreatur mit langen Tentakelarmen entpuppte. „Aber er bleibt nicht lange! Ich opfere ihn, um [Worm Kings] Effekt zu aktivieren und eine deiner Karten zu zerstören!“ Zoey zeigte auf Anyas verdeckte Karte, da sie ja [First Of The Dragons] nicht auswählen konnte. Mit voller Wucht warf das gelbe Reptil seinen Artgenossen auf das Ziel, was bei Kontakt in einer lauten Explosion unterging. Dann nahm die Jüngere einen Zauber aus ihrem vier Karten umfassenden Blatt. „Auch wenn ich deinen scheiß Drachen nicht zerstören kann, krieg' ich dich trotzdem klein! Ich aktiviere den Zauber [Worm Invasion]!“ Ihre drei außerirdischen Kreaturen begannen allesamt grünlich zu leuchten. Dann schleuderte Victory eine rote Flüssigkeit, King eine gelbe und Zero grauen Schleim auf Anya, welche durch die Schwingen ihres Drachen geschützt wurde. Trotzdem gab es eine Explosion.   [Anya: 4200LP → 2700LP / Zoey: 4000LP]   „[Worm Invasion] fügt dir 500 Schadenspunkte für jedes Worm-Monster zu, das ich kontrolliere“, erklärte Zoey und schob ihre letzten beiden Handkarten in den Friedhofsschlitz, „und wenn ich zwei Handkarten abwerfe, kann ich den Effekt ein zweites Mal aktivieren, indem ich auf meine Battle Phase verzichte. Los!“ Anya sah sich einer zweiten Welle an bunten Flüssigkeiten ausgesetzt, die zwar an [First Of The Dragon] abprallten, das Mädchen aber in giftigen Nebel hüllten. „Kch!“   [Anya: 2700LP → 1200LP / Zoey: 4000LP]   „Damit und mit [Worm Millidith'] Effekt ist es nur eine Frage der Zeit, bis du einknickst.“ Ihre Cousine grinste fies. „Zug beendet!“   Anya runzelte ärgerlich die Stirn, als sie aufzog und auch von oben wieder mit Säure zu kämpfen hatte.   [Anya: 1200LP → 800LP / Zoey: 4000LP]   So ungern sie es zugab, hatte ihre Cousine Recht. Wenn sie ihren nächsten Zug einleitete, würde der Parasit an ihrem Drachen ihre restlichen Lebenspunkte auslöschen. Anya kniff die Augen böse zusammen. Andererseits war längst alles für ihren finalen Schlag vorbereitet. Levrier dachte ähnlich, hörte sie ihn in ihrem Kopf sagen: Es ist Zeit, dieses Spiel zu beenden, findest du nicht?   „Yeah. Hat etwas gedauert, aber das war es wert.“   Ich hätte nicht gedacht, dass du selbst darauf kommen würdest, Anya Bauer. Wobei ich nur hoffe, dass wir auch wirklich an dasselbe denken …   „Shesh, lass mich mal machen.“ Zoey blinzelte irritiert, wie sie Anya reden hörte. „Was macht sie da?“ „Ich? Ich wechsle erstmal [First Of The Dragons] in den Angriffsmodus!“ Selbstbewusst drehte Anya das Monster auf ihrer Duel Disk in die Vertikale. Daraufhin hob ihr vom Parasiten Millidith befallener Drache ab und stieg in die Lüfte.   First Of The Dragons [ATK/2700 DEF/2000 (9)]   Zoey begann zu lachen. „Ha, bist du lebensmüde!? Ich habe zwei Monster mit 10000 Angriffspunkten, wenn dich nur eines davon erwischt, war's das mit deiner Karriere!“ Als ob, dachte sich Anya jedoch besonnen. „Soll ich dir was sagen? Die Falle, die du vorhin zerstört hast … das war genau mein Plan.“ „Huh!?“ „Ich brauche [Brilliant Spark] in meinem Friedhof, um ihren Effekt zu aktivieren“, erklärte die Blonde weiter und zeigte eine Monsterkarte vor, „wenn ich eine Gem-Knight-Karte abwerfe, kann ich sie nämlich zurück auf meine Hand bringen.“ „Na und? Dann zerstöre ich sie eben erneut!“ „Das Monster, das ich abwerfe, ist [Gem-Knight Obsidian]“, ließ Anya sich davon aber nicht beirren und schob jenen in den Friedhofsschacht. Kurz darauf tauchte vor ihr ein durchsichtiger, schwarzer Ritter mit riesiger Perlenkette um der Schulter auf. Jener streckte die flache Hand nach vorn und stieß einen Schrei aus. „Wird er durch einen Karteneffekt auf den Friedhof gelegt, kann ich ein normales Monster von dort reanimieren! Und Zwillingsmonster wie Sardonyx werden im Friedhof als solche behandelt! Komm zurück!“ Anya nahm sich sowohl ihre Falle, als auch die Karte ihres Ritters zurück aufs Blatt und knallte letztere auf die Duel Disk. Keinen Moment später stand der rot-weiße Krieger mit dem Morgenstern an der Kette vor ihr.   Gem-Knight Sardonyx [ATK/1800 DEF/900 (4)]   „Aber ich bin noch nicht fertig!“ Anya zeigte noch ein Monster vor. „Ich aktiviere [Gem-Knight Jasper] mit dem Pendelbereich 2!“ Links neben ihr schoss eine hellblaue Säule aus dem Boden, in der ein massiger, roter Ritter mit langer Hellebarde in der Hand aufstieg.   <2> Anyas Pendelbereich   Zoey aber machte sich nichts daraus und feixte weiter. „Nur eine Pendelkarte? Damit kannst du keine Pendelbeschwörung durchführen!“   Das arme Mädchen. Sie ahnt gar nicht, was auf sie zu kommt.   „Yeah. Kaum zu glauben, dass ich früher auch so war“, erwiderte Anya auf Levriers Einwurf. Nebenbei legte sie zwei Karten aus ihrem Blatt in die Duel Disk ein, die daraufhin zischend zu ihren Füßen erschienen.   Zum Glück bist du imstande, dich weiterzuentwickeln. Zoey Bauer dagegen wird Zeit brauchen. Ihr Herz ist verschlossen, genau wie deines, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind.   War das wirklich so, fragte Anya sich. Darüber hatte sie sich nie den Kopf zerbrochen. Was bedeutete das überhaupt? Was war es gewesen, das sie verändert hatte? Ugh, eigentlich kannte sie die Antwort, wollte sie aber nicht so einfach aussprechen. „Wir kriegen sie schon irgendwie wieder hin …“ „Was soll das!?“ Ihre Cousine funkelte sie verständnislos an. „Mit wem redest du da!?“ „Niemandem.“ Anya streckte den Arm aus. „Sieh' lieber zu und lerne! Ich greife deinen [Worm King] mit [First Of The Dragons] an! Burst Stream of Origin!“ Gehorsam stieß der Drache, trotz des Parasiten an seinem Hals, einen wallenden, roten Lichtstrahl aus. „Gegenangriff! King's Gaze!“ Aus den gelben Augen am Unterkörper des vierbeinigen Wurmkönigs drangen grelle Laserstrahlen, die in der Mitte des Feldes auf den Odem trafen. Anya rief: „Kannst du vergessen! Mein Drache kann im Kampf nicht durch Effektmonster zerstört werden!“ Und so drängten die Flammen den Angriff ihres Widersachers zurück und versengten jenen binnen kürzester Zeit. Zoey rümpfte die Nase. „Na und? Da beide dieselbe Angriffskraft haben, erleide ich nicht mal einen Punkt Schaden!“ „Ich bin noch nicht fertig!“ Anya zückte ihre letzte Handkarte, einen Schnellzauber. „Ich aktiviere [Flash Fusion] und verschmelze meine beiden Monster auf dem Feld …“ Jetzt wurde ihre Cousine hellhörig. „Eine weitere Fusion!? Ein neuer Gem-Knight!?“ „… sowie eine Zauber- und eine Fallenkarte von meinem Feld …“ Über Anya öffnete sich ein gelb-grüner Vortex, der erst ihren Drachen, Sardonyx und dann die beiden gesetzten Karten in sich hinein zog, welche sich als [Particle Fusion] und [Brilliant Spark] entpuppten. „W-was!? Seit wann nutzt man für eine Fusion Zauber und Fallen als Materialien!?“ „… um ein ganz besonderes Monster zu rufen!“ Anya streckte ihren Arm in die Höhe. Ein Blitz schoss aus dem Wirbel über ihr und schlug vor ihren Füßen ein. „Zerstöre, [Murciélago The Thunderblade Bull]! Klingenbespickte Hufe setzten vor ihr auf den Asphalt auf. Der massive, schwarze Stier, dessen Nackenhaar zu Zöpfen geflochten war, erstrahlte regelrecht im Licht der elektrischen Ladungen, die sich um ihn schlängelten. Statt Hörner besaß er gelb leuchtende, gebogene Klingen, die letztlich denselben Furcht einflößenden Effekt besaßen. Selbst Zoey musste schlucken.   Murciélago The Thunderblade Bull [ATK/0 DEF/0 (9)]   Zumindest bis sie bemerkte, dass es ihm offensichtlich an Angriffskraft mangelte. „Was!? Du rufst ein Monster mit 0 Angriffspunkten?“ „Angriff auf [Worm Victory]“, befahl Anya tonlos. „Catastrophe Rampage!“ Genau einmal scharte das Ungetüm mit dem hinteren, rechten Huf aus. „Du willst es selbst beenden? Wie geni-“ Dann zischte es in einer Geschwindigkeit auf das sechsarmige, rote Alien zu, die für das menschliche Auge kaum mehr sichtbar war. Es donnerte und knallte, da der Stier eine Schar von Blitzen in seinem Lauf um sich herum einschlagen ließ. Als er auf den Wurm stieß, versuchte der mit allen sechs Armen, den Bullen an den Hörnern und den Schultern zu packen, wurde jedoch gnadenlos überrannt. Ein weiterer Blitz schlug über Zoey in deren Kokon ein. Die reckte wie in Zeitlupe den Kopf nach oben und sah nur noch brennenden Schleim hinabfallen. Ihre Augen weiteten sich. Als Anya den Mund aufmachte, tauchte Murciélago wie aus dem Nichts wieder vor ihr auf. „Im Kampf kann er weder zerstört, noch verletzt werden. Im Gegenteil, nachdem er angegriffen hat, zerstört er bis zu zwei deiner Karten. [Worm Victory] und [Worm Zero]. Dabei erhält er im Anschluss noch 1000 Angriffspunkte pro Karte.“ Ihre Cousine sah wieder zu ihr herüber, als die letzten Überreste ihres Wurms um sie herum nieder klatschten und als kleine Flammenkörper liegen blieben. Derweil verstärkten sich die Entladungen um den Stier so sehr, dass die Luft um ihn herum flimmerte.   Murciélago The Thunderblade Bull [ATK/0 → 2000 DEF/0 (9)]   „Unmöglich“, stammelte Zoey. Dabei bemerkte sie die Brandspuren, die sich über den Asphalt zu ihr hinzogen. „W-was …?“ Dadurch bemerkte sie auch nicht, wie Anya den Kopf schüttelte. „Das war noch nicht alles. Pendelmonster sind zu mehr da, als nur Pendelbeschwörungen durchzuführen. In den Pendelzonen haben sie ganz eigene, besondere Effekte. Und der von [Gem-Knight Jasper] lässt mich einmal pro Zug eine Fusion beenden und Monster von meinem Friedhof beschwören, die für das Fusionsmonster als Materialien benutzt werden können.“ Sie griff nach zwei Karten, die ihr Friedhof auswarf und fuhr mit ihnen in den Händen über die Monsterkartenzonen ihrer Duel Disk, ließ sie dabei liegen. Ihr Ritter schwang seine Hellebarde nach unten aus, von der sich eine hellblaue Lichtsichel löste und Murciélago in den Rücken traf. „Kehrt zurück, [Gem-Knight Sardonyx] und [First Of The Dragons]!“ Der Bulle teilte sich in zwei durchsichtige Kopien seiner selbst auf, die dann feste Form annahmen und zu dem roten Ritter und dem gehörnten Drachen wurden.   First Of The Dragons [ATK/2700 DEF/2000 (9)] Gem-Knight Sardonyx [ATK/1800 DEF/900 (4)]   Ihre Cousine löste ihren Blick von den schwarzen Flecken auf dem Asphalt und starrte Anya entgeistert an. „Jetzt rechne, Zoey. Und rechne gut“, knurrte die Ältere düster. „Scheiße …“ „Jep. Ich habe dieses Duell gewonnen. Schluss mit deinem Bullshit!“ Wütend schwang Anya den Arm aus. „Direkter Angriff auf ihre Lebenspunkte, Sardonyx, [First Of The Dragons]! Beendet es!“ Während Letzterer seinen wallenden, roten Atem auf Zoey abfeuerte, ließ der Ritter seinen Morgenstern erst einige Male über den Kopf kreisen, ehe er ihn ausschwang. Das Mädchen gab einen letzten, entsetzten Schrei von sich, ehe sie getroffen wurde.   [Anya: 800LP / Zoey: 4000LP → 0LP]   „Hmpf.“ Anya verschränkte grimmig die Arme. Ich hoffe, sie ist jetzt ein wenig zur Vernunft gekommen.   „Als ob. Die tickt wie ich damals. Ein hoffnungsloser Fall.“   Ha ha. Ich erkenne die Ironie in deinen Worten. Du warst nie hoffnungslos, im Gegenteil.   „Heh, traurig, ich weiß …“ Als die Hologramme verschwanden, rührte sich Zoey nicht vom Fleck. Sie hob ihre Hände an, welche zitterten. „Traurig … yeah …“ Das Mädchen lachte hysterisch, geradezu verrückt. „Ja, klar, ich versteh's jetzt. Du brauchst mich nicht mehr, hast ja deine neuen Freunde.“ Sofort schrillten bei Anya alle Alarmglocken. Sag nicht, Zoey hatte irgendetwas in den falschen Hals bekommen. „Nein-“ „Und dann ist ja noch dein unsichtbarer Begleiter. Entweder bist du verrückt oder ich. Ha ha.“ Das Mädchen nahm einen Schritt zurück. „I-ist ja auch egal. Du bist jetzt was Besseres. Da wäre ich nur im Weg. Also werde ich tun, was du sagst und Livington verlassen.“ Das Mädchen wirbelte um, wobei eine Träne den Boden benetzte. „Leb wohl, Anya …“ Schon lief ihre Cousine Richtung Straße los. Anya streckte panisch ihre Hand nach ihr aus. „Zoey, warte! Das war nicht so gemeint gewesen!“ Sie wollte ihr hinterher rennen, als sie ein lähmendes Gefühl durchfuhr. Einen Moment später breitete sich ein grauenhafter Schmerz in ihrer Magengegend aus. „Shit! Nicht jetzt!“ Ihre Beine wurden schlapp und gaben nach. Die Blonde sank schwach in die Knie und krümmte sich von den Schmerzen, die der Fluch des Sammlers verursachte. Nur verschwommen sah sie, wie ihre Cousine vom Bürgersteig nach links abbog. Dann kippte Anya zur Seite, hielt sich den Magen. „Shit … Zoey …“     Turn 93 – A Queen Of Times Past Nachdem Zoey am nächsten Tag nicht auftaucht, macht Anya sich auf die Suche nach ihr. Statt aber ihre Cousine zu finden, trifft sie auf eine Frau namens Cynthia, die von sich behauptet, eine ehemalige Duel Queen zu sein. Und sie macht Anya ein interessantes Angebot, das jene jedoch nicht annehmen kann … Kapitel 102: Turn 93 - A Queen Of Times Past -------------------------------------------- Turn 93 – A Queen Of Times Past     „Diese blöde Ziege! Tch!“ Anya stampfte wütend auf. Hier war Zoey also auch nicht. Das Mädchen stand vor dem Eingang zum Schrottplatz, einem einfachen Tor aus Maschendraht, das offen stand. Dahinter stapelten sich Berge von Metall, Überresten von PKWs und deren Reifen. Gleich neben dem Tor stand ein kleines Häuschen, wo sie nach ihrer Cousine gefragt hatte, mit der sie hier früher oft gespielt hatte. Aber nichts.   Du hast inzwischen fast die ganze Stadt nach Zoey Bauer abgesucht. Solltest du es nicht langsam gut sein lassen, Anya Bauer?   Levrier erschien neben ihr in seiner [Gem-Knight Pearl]-Form und schwebte wie ein Geist über dem Boden. Anya ließ die Schultern hängen. „Yeah. Wer weiß, wo die inzwischen ist. Was zur Hölle ist ihr Problem!?“   Ich vermute Eifersucht. Oder Neid. Vielleicht auch beides. Auf jeden Fall fühlt sie sich dir im Nachteil und kann damit nicht umgehen.   „Und das sagst du mir erst jetzt!?“ Anya lief rot an vor Wut. „Alter, das ist meine Cousine! Hättest du mir das gleich gesagt, hätte ich das vielleicht noch klären können! Bah, Levrier!“   Du hast nicht gefragt.   Natürlich würde Anya niemals so weit gehen und zugeben, dass sie sich Sorgen um Zoey machte. Es war gefährlich, sie auf die Menschheit los zu lassen, wenn sie schlechte Laune hatte. Nicht umsonst waren viele der Meinung, sie und Anya wären Zwillinge. Auch Zoey, wie damals Anya, hatte diese gewisse Neigung, mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. Anders als sie, hatte ihre Cousine jedoch keinen geduldigen Vater, der sie aus dem Knast holte. Nein, Zoey hatte stattdessen Grandma Bauer. Und das war ein guter Grund, hinter den Gitterstäben bleiben zu wollen. Seit gestern hatte sich das Mädel nirgendwo blicken lassen. Ihre Mutter Sheryl wartete bereits darauf, eine Vermisstenanzeige aufzugeben, aber dafür mussten erst 24 Stunden vergehen, seit Zoey das letzte Mal bei ihnen war. Die Blonde seufzte. „Scheiße …“ Sie brauchte wohl oder übel Hilfe bei der Suche. Zu blöd, dass sie Nutzlos McFurry niemals fragen würde, obwohl seine Spürnase sicher weiterhelfen konnte. Und Summers … nein. Sein Talent, alles zu versauen, würde sie vermutlich direkt vor die Nase eines ausgehungerten Vampirs führen. Zumal Zoey die beiden sowieso nicht leiden konnte. Nein, wen sie brauchte, war jemand mit Beziehungen. Am besten zu den Cops, denn die könnten während ihrer Streife durchaus auch mal arbeiten. Das hier … war ein Fall für Redfield. Ugh!   ~-~-~   „Ich wollte 'n Bier“, stellte Anya unzufrieden klar, als vor ihr auf einer kalten, grauen Küchenzeile eine Cola-Flasche serviert wurde. Von niemand Geringeres als Valerie Redfield, die hinter dem Tresen stand, an dem Anya auf, verdammt nochmal, viel zu hohen Hockern saß. „Du wolltest Cola und du wirst sie mögen“, stellte die Gastgeberin in ihrer Küche frostig klar. Etwas vor sich hinmurmelnd nahm Anya den Kronkorken an der Flasche in den Mund und riss ihn einfach ab, zum Schrecken der Schwarzhaarigen im hellblauen Tanktop. „Ich hätte dir auch einen Flaschenöffner gegeben“, verflog ihre Unnahbarkeit augenblicklich. „Die sind für Loser“, maulte Anya und nahm einen Schluck zu sich. Valerie war seit dem Flugzeugabsturz nicht sehr gut auf Anya zu sprechen, weil sie die Befürchtung hegte, dass jene indirekt damit im Zusammenhang stand. Beweisen konnte sie das natürlich nicht, außer man legte Anyas seltsames Erlebnis zugrunde, das ihnen das Leben gerettet hatte. Trotzdem hielt ihre Erzrivalin seitdem vorsichtig Distanz zu ihr. Und nur zu ihr. Ein gewisser Dämonenjäger durfte Gerüchten zufolge, die von einem gewissen Werwolf stammten, kommen und gehen wann er wollte.   Anya rülpste laut, als Valerie sich ungeduldig über den Tresen lehnte. Wohlgemerkt konnte die Blonde sich nicht erinnern, dass es den schon damals vor circa einem Jahr hier gegeben hatte, als die Gruppe rund um die Zeugen der Konzeption sich erstmals zusammengefunden hatte. Anscheinend hatten die Redfields ihre Küche renoviert. „Ah“, machte sie zufrieden beim Anblick ihres angewiderten Gegenübers, „also, ich brauche deine Hilfe, Redfield. Meine Cousine Zoey ist seit gestern verschwunden.“ „Zoey?“ Valerie machte ein nachdenkliches Gesicht. „Ah, ich erinnere mich. Ihr habt doch immer aneinander geklebt wie Kletten, wann immer sie zu Besuch kam. Ist sie nicht vor einigen Jahren weggezogen?“ „Yeah“, brummte Anya düster, „und vorgestern war sie plötzlich da. Wir haben uns gestritten und seit gestern Nachmittag ist die blöde Kuh verschwunden.“ „Für eine Vermisstenanzeige ist es noch etwas früh.“ „Ich will die Cops nicht einschalten! Du sollst die Cops einschalten!“ „Wieso ich!?“ Anya stöhnte, als ob es das Logischste der Welt wäre. „Wenn du dich an Zoey erinnerst, dann sicher noch an Grandma, oder?“ Aber natürlich schüttelte Miss-ach-so-edgy den Kopf. „Hör zu, Redfield! Zoey ist 'ne tickende Zeitbombe. Wenn sie schlechte Laune hat, ist das ganz schlecht, 'kay?“ Unerwartet tauchte Levrier sitzend auf einem der anderen Barhocker vor dem Tresen auf.   Stell sie dir wie Anya Bauer vor, nur mit durchschnittlicher Intelligenz, Valerie Redfield.   „Schnauze, Levrier! Verschwinde!“, fauchte die Beleidigte und verscheuchte ihn mit einer Handbewegung, sodass er sich auflöste. Zu allem Überfluss begann Redfield auch noch zu kichern wie eine Verrückte, erkannte dann aber, dass der eigentliche Grund dafür gar nicht zum Lachen war. „Oh. Du hast Angst, sie stellt was an?“ „Ja. Wenn sie im Knast landet und Grandma das herausfindet, dann kann sie sich gleich 'nen Strick nehmen. Und ich vermutlich gleich mit.“ „Und wieso soll ich dann die Polizei rufen?“ Anya schlug sich die Hand vor die Stirn. „Man, dein Dad hat doch Beziehungen als Bürgermeister! Wenn er es sagt, schauen sie sich nach ihr um, ohne gleich die Sirenen schrillen zu lassen.“ „Anya, das ist vollkommen bescheuert“, stellte Valerie klar und löste sich vom Küchentresen, drehte sich zum Kühlschrank um, „mal abgesehen davon, dass das so nicht funktioniert, würde mein Vater Fragen stellen, die du garantiert nicht beantworten kannst geschweige denn möchtest.“ Sie nahm sich eine Zitronenlimonade, machte einen Seitenschritt zu einem der oberen Schränke und holte sich ein Glas. Die goss sich tatsächlich was ein, anstatt aus der Flasche zu trinken, dachte Anya erschrocken, deren selektive Wahrnehmung die eigentliche Botschaft konsequent ausblendete. „Also?“, fragte sie. „Nein.“ Valerie drehte sich mit Glas in der Hand zu ihr um. „Frag doch Matt oder Zanthe. Die können dir besser helfen als jeder Polizist.“ Und vor denen zugeben zu müssen, dass sie sich -doch- mit Zoey gestritten hatte? Never, sagte sich Anya grimmig. „Oder warte doch einfach ab. Sie beruhigt sich bestimmt wieder.“ Nach kurzer Überlegung schüttelte Valerie jedoch glucksend den Kopf. „Nein, vergiss es. Wenn sie wie du ist, wird sie dir das noch im Grabe nachtragen.“ Genau das war das Problem, Madam! Anya wusste wieder, warum sie dieses Weib nur sehr widerwillig 'Freundin' schimpfte. Sich in Lebensgefahr begeben, klar, das konnte sie! Dann rummeckern, weil da ein Flugzeug abgestürzt ist, wofür Anya gar nichts konnte, sicher! Aber helfen, wenn es um eine Lappalie ging? Nö! Das Mädchen verdrehte genervt die Augen und nahm einen Schluck Cola. Musste sie eben selbst weiter suchen …   „Sag mal, Anya“, wechselte Valerie da unvermittelt das Thema, „wie geht es dir eigentlich?“ „Ich bin im Stress, siehst du doch!“ Wieder rollte sie mit den Augen. „'kay, auf eine Art und Weise ist das auch gut, zumindest wird mir damit nicht langweilig.“ Sie machte eine kurze Pause. „Aber wenn ich ehrlich bin, will ich gar nicht an das denken, was danach kommt. Keine Artefakte mehr jagen, keine Kämpfe auf Leben und Tod, die ich -grundsätzlich- immer gewinne …“ „Du solltest es gut sein lassen damit und den Undying vertrauen.“ Valerie sah sie streng an. Dazu hatte sie sogar das Recht, schließlich war sie es gewesen, die unermüdlich auf Zed eingeredet und den Frieden zwischen ihnen letztlich ermöglicht hatte. „Sie werden einen Weg finden, dir deine Lebenskraft zurückzugeben.“ „Yeah …“ Die Schwarzhaarige machte einen Bogen um den Tresen und setzte sich neben Anya. So saßen beide mit ihren Gläsern in der Hand da wie alte Kriegsveteranen in einer Kneipe. Sie bedachte Anya eines ausdruckslosen Blickes. „Das ist es gar nicht, nicht wahr?“ Keine Antwort. Aber wie so oft schien Valerie ihre Erzrivalin zu lesen wie ein Buch. „Dir geht es wie mir. Frustriert, weil die Karriere, von der man geträumt hat, sich vor den eigenen Augen aufgelöst hat.“ „Yeah, ich weiß was du meinst“, gab Anya geknickt zu. „Seit dem Legacy Cup hat sich von der Profiliga niemand bei mir gemeldet. Und nur weil ich nicht gewonnen habe. Nicht, dass ich es Othello nicht gönnen würde ...“ „Das tut mir leid.“ „Um ehrlich zu sein weiß ich nicht, ob ich jemanden darauf ansprechen oder warten soll.“ Valerie kicherte verhalten. „Nein, die möchten selbst entscheiden. Wobei, in deinem Fall könnte es sogar funktionieren.“ Auf den bösen Seitenblick ihrer Freundin hin grinste die Schwarzhaarige umso breiter. Ihr freundlicher Stups gegen Anyas Schulter rief jedoch nur ein doppelt so starkes Echo hervor, das das Mädchen beinahe umwarf. „H-hey!“ „Und was ist mit dir?“, murrte Anya. Womit sie es sofort schaffte, die Unbeschwertheit ihrer Sitznachbarin im Winde zu verstreuen. Valerie antwortete reserviert: „Das kannst du dir sicher denken.“ „Yeah …“ „Aber es ist okay.“ Valerie senkte ihr Haupt. „Ich habe mich damit abgefunden.“ Woraufhin Anya sich eine spitze Bemerkung nicht verkneifen konnte. „Hängst du deshalb neuerdings wie 'ne Klette an Summers?“ „W-wer sagt das!?“ „Ein Vögelchen hat mir gezwitschert, dass er wohl ganz gut darin ist, dich zu trösten.“ Das provozierende Funkeln in Anyas Augen entging ihrer Freundin nicht. Verstimmt kam die Retour: „Dieser 'Vogel' trägt nicht zufällig Pelz?“ „Vielleicht?“ Was so viel hieß wie 'natürlich'.   Anya wusste, dass es nicht mehr lange dauern konnte, ehe Zanthe den beiden vor Neugier hinterher schnüffeln würde. Wahrscheinlich sogar im wahrsten Sinne des Wortes. Ob der eigentlich auch Pheromone und so'n Scheiß roch? Darüber dachte sie bei näherer Betrachtung lieber gar nicht so genau nach.   Anscheinend musste Schadensbegrenzung betrieben werden, denn Valerie hob beschwichtigend die Hände. Was Anya allerdings nur umso skeptischer dreinblicken ließ. „Da liegt ein Missverständnis vor. Ich möchte mich nicht mit Matt trösten.“ „Sondern?“ „Er … er bringt mir ein paar Sachen über Dämonen bei.“ „W-was?“ Bei Anya klingelten sofort alle Alarmglocken. „Er bildet dich zur Jägerin aus? Redfield, bist du bescheuert!?“ Welche sofort nicht minder aufgebracht zurück fauchte und dabei sogar aufsprang, wobei sie noch fast vom Hocker fiel: „So habe ich das nicht gesagt!“ „Und warum dann das Ganze?“, fragte Anya trocken mit zusammengekniffenen Augen. Valerie stockte und ließ sich betreten wieder neben ihr nieder. Womit sie einen triumphierenden Gegenschlag einstecken musste. „Yeah, dacht' ich mir. Willst du wirklich mit sowas anfangen?“ „Ja“, kam es stur von ihrer Freundin. Es dauerte einen Moment bis Anya fragte: „Warum?“ „Alles andere wurde mir durch Marc verbaut. Meinen Studienplatz habe ich zwar freiwillig aufgegeben, aber die Scham, dort noch einmal aufzutauchen, vielleicht noch auf Marc zu treffen, könnte ich nicht ertragen.“ Valerie schloss die Augen. „Und mein Traum, Profiduellantin zu werden, nun, darüber haben wir ja schon geredet.“ Anya aber schüttelte nur ungläubig den Kopf. „Und da muss es jetzt ausgerechnet ein Job als Dämonenjägerin sein? Hast du Todessehnsucht? Und darf ich nebenbei anmerken, wie heuchlerisch es ist, -mich- dann für deinen Beinahe-Flugzeugabsturz verantwortlich zu machen, wenn du sowieso auf sowas zu stehen scheinst!?“ „Es passt zu mir. Anya, ich habe mir diesen 'Beruf' immer als etwas vorgestellt, das all jenen vorbehalten ist, die keinen anderen Ausweg haben. Vielleicht kann ich damit Menschen helfen, die sich selber nicht helfen können.“ „Da gibt es genug andere Alternativen. Und was du da laberst ist Dünnschiss. Kannst du einen Dämonen denn kaltblütig vernichten wenn du musst?“ „Wenn sie böse sind, ja“, kam es fast schon schmerzhaft naiv zurück. „Und wenn sie es nicht sind? Hat dich das vergangene Jahr nicht gelehrt, dass das manchmal nicht so einfach ist?“ Anya verschränkte die Arme voreinander. „Denk an Abby oder Levrier.“ Valerie stöhnte: „Ich weiß, aber es gibt auch andere.“ „Und mit denen wirst du dann fertig oder was?“ „N-nein, ich möchte Matt nur ein wenig helfen-“ „Wie denn? Du bist ihm wahrscheinlich mehr im Weg als alles andere.“ Da hob Valerie plötzlich ihre Stimme. „Anya, ich weiß deine Sorge um mich zu schätzen, aber ich habe mich entschieden.“ Um das zu verdeutlichen, erhob sich die Schwarzhaarige. Sich zu Anya umdrehend, sagte sie wieder in normaler Lautstärke: „Tut mir leid. Mir ist das sehr wichtig.“ Anya erwiderte verstimmt: „Tu was du nicht lassen kannst.“ Redfield war zu weich. Und Anya zu stolz, sich noch weiter in die Angelegenheit reinzuknien, immerhin war sie nicht ihre Mutter. Die blöde Kuh würde noch schnell genug auf den Trichter kommen, dass jene Welt nichts für sie war.   „Ich muss jetzt weiter nach Zoey suchen. Falls du irgendetwas hörst, meld' dich bei meiner Mutter“, brummte Anya unzufrieden. Sie rutschte vom Hocker und schritt einfach von dannen, ohne sich von Valerie zu verabschieden. „O-okay, bye …“ Im Weggehen schwor sie sich, dass das Erste, was sie tun würde wenn sie ihre Cousine gefunden hatte, sich Summers ordentlich vorzunehmen!   ~-~-~   Anyas Suche führte sie schließlich in ein kleines Eiscafé am Stadtrand, das nicht weit von ihrem Zuhause entfernt lag. Früher hatte sie hier viel Zeit mit Zoey verbracht. Das zur Front offene Gebäude erlaubte einen Blick auf die Tische im Inneren. Rechts beim Eingang gab es einen kleinen Stand mit einer Auslage leckerer Eissorten, doch dafür interessierte sich Anya nicht. Ihr Blick lag vielmehr auf zwei Gästen ganz vorne, die sich grinsend einen großen Eisbecher teilten. Eines war ein rothaariges Mädchen, das Anya öfter gesehen hatte, als sie noch zur Schule gegangen war. Ihr gegenüber saß niemand Geringeres als Ernie Winter, die schmächtige, blonde Napfsülze vom Dienst und eines ihrer Lieblingsopfer. „Hey Winter“, rief sie und stampfte auf ihn zu. Der erschauderte und ließ vor Schreck glatt seinen Löffel klimpernd zu Boden gehen. „Hast du vielleicht Zoey gesehen?“ Mechanisch drehte der junge Mann sich zu ihr um. „Z-z-zoey? W-wer ist das?“ „Du weißt doch, Zoey Bauer, meine Cousine!“, schnaubte Anya, als sie vor ihm zu stehen kam. Die anderen Gäste guckten schon neugierig. „Blond, etwas aufbrausend, trägt selbst im Sommer einen Pullover …“ „N-nein, i-ich habe niemandem gesehen, d-der so aussieht!“ „Hmpf. War ja klar.“ Als Anya das sagte, hielt sich Ernie die Hände über den Kopf, als befürchtete er jeden Moment geschlagen zu werden. Aber das Mädchen ließ von ihm ab. „Na dann, viel Spaß noch mit deinem Date.“ Abwinkend zog sie schon von dannen, da eilte der Verkäufer am Eisstand um jenen herum und rannte ihr hinterher. „Warte, bist du Anya Bauer?“ Auf dem Bürgersteig angelangt, drehte die sich um. „Huh? Ja. Aber heute gibt’s keine Autogramme.“ Der war wohl neu, wenn er sie nicht kannte. Schweinerei, hatte keiner diesen Typen darüber informiert, wer in Livington wirklich das Sagen hatte!? „Tut mir leid, dich belauscht zu haben“, fing der Schwarzhaarige an. „Du suchst nach einer blonden Frau?“ Die Arme verschränkend, starrte Anya den Eisverkäufer fordernd an. „Ja.“ „Hier ist vor vielleicht einer halben Stunde jemand vorbeikommen, der nach dir gefragt hat. Bis auf das mit dem Pullover passt die Beschreibung.“ „Nach mir?“ Das Mädchen weitete die Augen. „Zoey?“ „Sie hat ihren Namen nicht genannt, nur gefragt, wo du wohnst. Einer der Gäste wusste es und hat ihr die Adresse gegeben.“   Das kann unmöglich Zoey Bauer gewesen sein. Sie kennt deine Adresse.   Anya, die für einen kurzen Moment Hoffnung gewonnen hatte, stöhnte genervt. „Yeah. So viel zum Datenschutz, huh!?“ Wahrscheinlich irgendein Fan oder so. Na ja, solange es kein Stalker war … Trotzdem, langsam hatte sie die Nase voll. Offensichtlich wollte ihre Cousine nicht gefunden werden. Vielleicht war sie schon längst aus der Stadt verschwunden, wie Anya es als Preis für ihren Sieg in ihrer blinden Wut verlangt hatte. Scheiße … wenn dem so war, konnten vermutlich wirklich nur noch die Cops helfen.   ~-~-~   Nach der erfolglosen Suche hatte Anya sich letztlich dazu entschieden, nachhause zurückzukehren und den Nachmittag damit zu verbringen, Pläne zu schmieden, was sie ihrer Cousine antun würde, wenn man diese erst gefunden hatte. Wobei ihre Großmutter da sicher auch schon eigene Ideen hatte, die sich bestimmt mit Anyas gut ergänzen würden.   Nebenbei bemerkte die Blonde Claire, die draußen im Garten stand und … nichts tat. Einfach in die Ferne starrte. „Hey Roboburg“, rief sie über den hüfthohen Holzzaun hinweg, „was machst du da?“ „Mir wurde gesagt, dass ich das Haus verlassen und atmen soll“, antwortete die mechanisch. Sie trug eine weiße Hose und ein gelbes Tanktop, durch das ihre muskulösen Arme unangenehm betont wurden. Anya verdrehte die Augen. „Yeah, ich kann mir denken, was die eigentliche Botschaft war …“ Der Flohpelz hatte es ihr erklärt. Da Claires Emotionen unterdrückt wurden, folgte sie jeder Anweisung, die man ihr gab, ohne sie zu hinterfragen. Mit der Zeit würde der Pakt zwischen Nigel McPherson, ihrem Manager und gleichzeitig ein Dämon, gelockert werden, aber dies musste langsam geschehen, damit Claire nicht überfordert wurde und keinen Nervenzusammenbruch erlitt. „Na dann atme mal weiter“, zischte Anya grimmig, die der Weltmeisterin nie verzeihen würde, dass sie sich ihre Titel durch einen Pakt erschlichen hatte. Schnaufend trat sie gerade die weiße Gartentür auf, als sie ein lautes Brummen vernahm. Sie drehte sich um und sah nur noch einen riesigen Wohnwagen mit quietschenden Reifen vor ihrem Grundstück anhalten, gezogen von einem schwarzen Ford Fiesta. Und der stach mit seiner Graffiti-verschmierten Fassade derart ins Auge, dass Anya ihren Blick gar nicht abwenden konnte. Auch nicht, als die Fahrerin des Wagens ausstieg und grinsend zu ihr schritt. „Da komm ich ja genau zur rechten Zeit, Anya Bauer.“ Jene machte große Augen, als die blonde Frau, vielleicht Ende Dreißig, ihr die Hand reichte. Die lange, wallende Mähne machte sicher so manches Mädchen neidisch. In zerschlissenen Jeans und schwarzem, trägerlosen Top gekleidet, machte sie jedoch trotzdem nicht viel her. „Äh, hi?“ Anya erwiderte die Geste nur zögerlich. „Ich kaufe nichts von Pennern.“ „Ja, was auch immer“, ignorierte die Blonde die Abweisung unbeschwert. „Was wollen Sie?“ Anya musste zugeben, dass der rechte Arm dieser Schrulle schon cool war, gab es doch keinen Flecken Haut dort, der nicht tätowiert war. Das Motiv war vom Unterarm zur Schulter ein Skelett, das seine knorrige Hand nach einem Engel ausstreckte, der genau das Gleiche tat. Um sie herum flatterten rote Rosenblätter. „Dich.“ „Huh!?“ „Aber wie ich sehe, war die Konkurrenz schneller.“ Die Frau bedachte Claire eines forschenden Blickes. „Dann wird McPherson sicher irgendwo in der Nähe sein.“ Anya verstand nicht. „Erklärt mir mal einer, was hier los ist!?“ „Cynthia Taslitz“, stellte jene sich vor. „Ich betreibe eine Agentur und fördere talentierte Duellanten auf ihrem Weg zum Profidasein. Und kurz gesagt: Ich hab' dich ausgesucht, um mein nächster Schützling zu werden.“   Das Mädchen traute ihren Ohren kaum. Sie und ein Profidasein? Das konnte doch nur ein Witz sein! Das oder irgendjemand da oben hatte sie gehört, als sie sich bei Redfield war. Pft, als ob! „Sorry, aber den Bullshit kannst du mit jemand anderem abziehen!“, sprachs und drehte sich bereits um, aber diese Cynthia hielt sie an den Schultern fest. „Ich meins ernst“, protestierte die, „ich hätte dich schon viel früher kontaktiert, aber du warst nicht erreichbar.“ Anya riss sich los. „Ich wurde ja auch von den Behörden von Ephemeria City festgehalten! Trotzdem, verarschen kann ich mich alleine!“ Welcher halbwegs normale Mensch in diesem Business würde eine fluchende, mittelmäßig talentierte Duellantin wie sie managen wollen? Außerdem hatte sie im wahrsten Sinne des Wortes keine Zeit für sowas. Ihr Leben drohte bald vorbei zu sein, da konnte sie sich nicht auf irgendeinen Vertrag einlassen. „Ich glaub' dir kein Wort“, versuchte sie, diese Taslitz abzuwimmeln und machte eine verscheuchende Handgeste, „los, zieh' Leine.“ „Man sieht es mir vielleicht nicht mehr an, aber ich war einst das, was sie jetzt ist“, entgegnete Cynthia ernst, nickte Claire zu, „die Duel Queen einer früheren Generation.“ Und da wurde Anya schlagartig hellhörig. Auch sie wandte sich an die still da stehende Weltmeisterin. „Stimmt das?“ „Mit einer Wahrscheinlichkeit von 95% ist diese Frau Cynthia Taslitz, dreimalige Duel Monsters-Weltmeisterin“, kam die Antwort wie von einem Roboter. Was machte eine ehemalige Duel Queen hier!? Anya wusste nicht, was sie davon halten sollte. Der Name Taslitz kam ihr zwar irgendwie bekannt vor, aber sie konnte sich nicht daran erinnern, ihn jemals mit einer Duel Queen in Verbindung gehört zu haben. Und es war sicher schon lange her, dass sie ihn gehört hatte. „Lass mich nicht betteln“, tat Cynthia dies schon längst und grinste, „gib' mir eine Chance.“ „Angenommen das stimmt alles“, murrte Anya und verschränkte die Arme. „Wieso ich?“ „Weil du ein ungeschliffenes Juwel bist. Eines, das vielleicht nicht jeder auf Anhieb erkennt“, entgegnete die Blonde und es klang aufrichtig, „aber wahrscheinlich bist du schon bei McPherson unter Vertrag.“ Anya sah herüber zu Claire, die der Grund für diese Annahme sein musste. „Nope, die ist hier nur zu Besuch. Aber …“ Sie schüttelte den Kopf. „… ich habe keine Zeit für eine Karriere als Profiduellantin. Außerdem gibt es bestimmt andere, die besser sind als ich. Nichts für ungut.“   Warum sagte sie so etwas, fragte sich Anya innerlich aufgewühlt. Das waren nicht ihre wahren Gefühle. Ihr Herz klopfte schnell, sie spürte die Gänsehaut und wollte vor Glück am liebsten schreien. Wenn diese Cynthia es wirklich ernst meinte, dann könnte ihr Traum endlich in Erfüllung gehen. Aber die Angst, was bald mit ihr geschehen könne, lähmte sie regelrecht.   „Du nimmst an einem Turnier teil, das dir die Pforten in die Profiliga ermöglicht und weist dann einen potentiellen Wohltäter ab?“ Cynthia rieb sich den Hinterkopf. „Du bist nicht ganz dicht, weißt du das?“ Anya senkte ihren Kopf. „Yeah …“ „Denk nicht, dass ich das so einfach hinnehmen werde.“ Als sie aufsah, konnte sie sofort das Feuer in den grauen Augen ihres Gegenübers erkennen. „Jeder, der halbwegs Ahnung von der Psyche eines Menschen hat sieht, dass du nicht wirklich glaubst, was du da sagst.“ Cynthia hob den linken Arm, an dem eine silberne Duel Disk befestigt war, deren Spielfläche anders als bei Battle City-Modellen jedoch nicht geknickt, sondern gerade geformt war. „Also warum klären wir das nicht auf die einzige Art und Weise, die dafür angemessen ist?“ „Huh!?“ „Duelliere dich mit mir. Wenn du gewinnst, lasse ich dich in Ruhe. Verlierst du, werde ich dir beibringen, wie du nächstes Mal nicht mehr verlierst.“ Die tätowierte Blonde grinste keck. „Egal, wie lange es dauert. Und ich werde dafür auch weder eine Bezahlung, noch irgendeinen anderen Gefallen verlangen. Du siehst: Einen besseren Grund, freiwillig zu verlieren, gibt es nicht.“   Das konnte nicht ihr Ernst sein. Irgendwo musst es einen Haken geben. Wahrscheinlich war sie irgendeine Hochstaplerin, die sich als diese Taslitz ausgab und Anya ausnutzen wollte. Oder sie war es wirklich und wollte sich an ihr bereichern. Egal was es war, Anya schwor sich, dem Drang zu widerstehen, einfach nachzugeben. Ein halbtotes Mädchen brauchte keine Karriere als Profiduellantin mehr beginnen. Falls die Undying es schafften sie zu retten, dann vielleicht. Aber nicht jetzt, nicht heute! „Unter einer Bedingung“, hielt Anya deshalb dagegen. „Nur, wenn ich dich auf nächstes Jahr vertrösten kann.“ „Nein“, schoss es aus Cynthia wie aus einer Pistole, „das geht nicht.“ Skeptisch wollte Anya wissen: „Wieso?“ „Viele Gründe. Jetzt ist der beste Zeitpunkt. Glaub' mir.“ „Tch. Fein.“ Anya schloss die Augen und ging voraus Richtung Straße, doch nicht ohne ihre Kontrahentin dabei bewusst anzurempeln. „Dann streng' dich mal an, ehemalige Duel Queen.“ Jene sah ihr hinterher, grinste wieder. „Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, dann treibt man es mir nur schwer wieder aus. Du solltest dir Mühe geben, Anya.“   Kurz darauf standen die beiden Frauen auf der Straße mit einigem Abstand und bereits aktivierten Duel Disks einander gegenüber. Anya hatte Claire aufgefordert, ihr zu folgen, weshalb jene wie ein Schatten hinter ihr stand. Hätte sie doch bloß nichts gesagt … „Ist sie stark?“ „Ihre letzte gemessene Siegesquote betrug 96,1%.“ „Eine Duel Queen gewinnt immer. Also schon mal die erste Lüge“, sprach Anya an ihre Gegnerin gewandt. Doch die winkte kichernd ab. „Ach na ja, ein paar Mal habe ich es vergeigt. Kann ja nicht jeder perfekt wie deine Freundin sein.“ Ihr Blick verhärtete sich, als sie Claire ins Visier nahm. Sie wurde ernst. „Aber was ich sagte ist trotzdem wahr. Innerhalb von drei Jahren war es niemandem gelungen, mich in offiziellen Duellen zu besiegen. Private Duelle sind eine andere Geschichte. Nichtsdestotrotz wurde ich als die erste Duel Queen gefeiert. Mir hat das nichts bedeutet, aber die Leute haben einen richtigen Elefanten aus der Sache gemacht.“ „Ich … will keine Duel Queen mehr sein“, erwiderte Anya kühl. Nicht wenn es bedeutete, wie Claire seine Seele zu verkaufen. Oder eine Illusion aufrecht erhalten zu müssen, wie diese Frau es offensichtlich damals getan hatte. Eine Duel Queen war unbesiegbar und weil das so war, konnte es so jemanden doch gar nicht geben. Jeder verlor irgendwann einmal, es sei denn, irgendwelche höheren Mächte waren im Spiel. Anya ballte eine Faust. Das war doch alles Bullshit! Sie sollte aufhören, sich selbst zu belügen und gar nicht erst von so etwas träumen. Vielleicht halfen diese Gedanken ihr auch dabei, dieses Angebot überhaupt gar nicht erst in Erwägung zu ziehen.   „Wenn dann alles geklärt ist, sollten wir beginnen“, sprach Cynthia. „Yeah …“ Und die Zwei schrien synchron: „Duell!“   [Anya: 4000LP / Cynthia: 4000LP]   Beide zogen ihr Startblatt auf. Obwohl Anya überhaupt nicht danach war, sich mit diesem Weib zu duellieren, hatte deren Gelaber sie trotz allem neugierig gemacht. „Eine Duel Queen einer anderen Generation? Pft!“ Anya hatte ein ungutes Gefühl. Der Name kam ihr tatsächlich bekannt vor. Doch sie konnte sich nicht mehr entsinnen woher. „Wie oft noch, ich lüge dich nicht an“, lächelte Cynthia herausfordernd zurück und nickte Richtung Claire, die regungslos an Anyas Seite verharrt, „ich habe mit der da nichts mehr zu tun gehabt, aber eins kannst du wissen: Damals war alles besser.“ Und es funkelte dabei in den Augen der tätowierten Blonden. So sehnsüchtig, dass Anya ihr schlussendlich glaubte, obwohl es neben Claires Aussage keinerlei Beweise für ihre Behauptungen gab. Diese Person ihr gegenüber war einst eine unbesiegte Duellantin gewesen. Betonung auf 'war'. „Mal sehen, was Ihre Majestät so drauf hat. Ich fang an“, bellte Anya, nun doch ihrem üblichen Kampfeseifer verfallen und nahm zwei Karten aus ihren Blatt, „das hier ist erst nach deiner Zeit entstanden: Ich aktiviere [Gem-Knight Tiger's Eye] mit dem Pendelbereich 2 und [Gem-Eyes Value Dragon] mit dem Wert 5. Pendulum Scales set!“ Neben dem Mädchen schossen zwei Lichtsäulen aus dem Boden. Die von ihr aus gesehen Linke hievte einen Ritter in gold-schwarz gestreifter Rüstung empor, dessen Helm in seiner dreieckigen Form entfernt an einen Tigerkopf erinnerte und welcher eine Peitsche schwang. Dagegen stieg in der anderen ein roter Drache in goldener Panzerung auf, deren drei langen Tragflächen an jeder Seite seine Flügel ersetzten. An den Seiten seines Helms befanden sich Drehscheiben mit verschiedenfarbigen, durchsichtigen Platten darin.   <2> Anyas Pendelbereich <5>   Wie es nur eine Duel Queen konnte, verschränkte Cynthia die Arme und beobachtete das Ganze analytisch. Inzwischen gab es die Pendelmonster ungefähr einen Monat, erkannte Anya, womit sie für die Wenigsten noch vollkommen neu waren. Also schon gar nicht für jemanden wie die. Trotzdem würde sie ihr blaues Wunder erleben! „Jetzt kann ich Monster von meiner Hand beschwören, deren Stufe zwischen den beiden Pendelwerten liegen!“ Anya zückte zwei Monster aus ihrer Hand. „Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum!“ Über ihr öffnete sich ein riesiges Portal, umgeben von zahlreichen Lichtellipsen. Aus ihm schossen zwei rote Lichtstrahlen. „Aus meiner Hand: [Gem-Knight Jasper] und [Gem-Knight Malachite]! Pendulum Summon!“ Beide schlugen vor Anya ein und keinen Moment später standen vor ihr ein Hüne in rot-schwarzer Rüstung mit langer Hellebarde in der Hand sowie ein grün-blau schimmernder Ritter, der sich eines langen Stabs bediente.   Gem-Knight Jasper [ATK/1800 DEF/600 (4) PSC: <2/2>] Gem-Knight Malachite [ATK/1000 DEF/1900 (4) PSC: <2/2>] „Diese beiden hier machen sich besonders gut als Fusionsmaterialien.“ Anya zückte ihre letzte Handkarte. „Da mir aber meine Lieblingszauberkarte dazu noch fehlt, suche ich sie mit dieser hier: [Absorb Fusion]! Damit erhalte ich eine Gem-Knight-Karte von meinem Deck!“ Um Anya herum entstanden diverse Edelsteine verschiedenster Arten, Farben und Formen, die allesamt zu ihr herangezogen wurden und sich vor dem Mädchen sammelten. „Ich wähle [Gem-Knight Fusion]!“ Aus deren neuer Duel Disk schob sich die benannte Karte, die Anya zwischen Mittel- und Zeigefinger aufnahm, was dazu führte, dass die Klunker um sie herum zerbarsten. „Hier, eine erste Kostprobe, ich aktiviere [Gem-Knight Fusion]!“, feixte sie und zeigte den Zauber vor. Über ihr öffnete sich ein Vortex, der immer neue, aus dem Nichts entstehende Edelsteine in sich aufsog. „[Gem-Knight Malachite], du bist das Element, [Gem-Knight Jasper], du der Ursprung! Vereinigt eure Kräfte!“ Auch ihre beiden Ritter auf dem Feld wurden in den Wirbel hineingezogen. Ein greller Lichtblitz schloss den Prozess schließlich ab. „Fusion Summon! Für's Erste beschützt -du- mich, [Gem-Knight Amethyst]!“ Über ihr machte das neue Monster einen Satz aus dem Strom heraus und landete kniend zu ihren Füßen. Es war ein Ritter von violetter Farbe, um dessen Schultern ein langer, blauer Umhang hing. Er schützte sich mit einem erhobenen Rundschild aus Eis und kreuzte über jenen eine lange, spitze Klinge, ebenfalls aus Eis, die aus seinem Handschuh wuchs. „Und da ich Pyrite und Malachite als Fusionsmaterialien benutzt hab, verstärkt Ersterer jetzt meinen Ritter, während Malachite mich eine Karte ziehen lässt.“ Während Anya aufzog, begann Amethyst in roter Aura aufzuleuchten. Außerdem öffnete sich das Pendelportal erneut und sog zwei rote Lichtstrahlen in sich auf, die von Anyas schwarzer Duel Disk ausgingen.   Gem-Knight Amethyst [ATK/1950 → 2550 DEF/2450 → 3050 (7)]   Anya betrachtete ihre letzte Handkarte, die sicher noch ganz praktisch werden konnte. Das würde noch lustig werden. Voller bitterböser Zuversicht verkündete sie: „Zug beendet!“   Es war diese unbekümmerte, gar verspielte Art ihrer Gegnerin, die Anya zur Vorsicht mahnte. Als Cynthia zog, tat sie dies mit einem herausfordernden Lächeln. „Ich setze ein Monster plus zwei weitere Karten. Ihre Majestät hat fertig“, gluckste sie, als erst eine horizontal positionierte Karte sowie zwei dahinter liegende vor ihr auftauchten. „Langweilig“, murrte Anya großmäulig. „Kommst wohl an der Verteidigung meines Amethyst nicht vorbei, was?“ Da hatte sich die Jüngere insgeheim deutlich mehr erhofft. Andererseits war Roboburg auch eine defensive Duellantin. Und definitiv keine Duel Queen, weshalb sie den Vergleich sofort wieder aus ihrem Kopf verbannte. Tch! „Du gehst mir auf die Nerven, Roboburg. Rück mir nicht so auf die Pelle“, knurrte sie der Blonden hinter sich zu, ohne sich umzudrehen. Jene erwiderte: „Verstanden.“   „Mein Zug, Draw!“ Es kribbelte in Anyas Händen. Wenn das wirklich eine frühere Duel Queen war, und sie sie besiegte, würde sie dieses Konzept in ihrem Kopf endgültig zerschlagen. Dann brauchte sie diesen Traum gar nicht mehr. Sie starrte herüber zu Claire, die inzwischen zu ihrer Linken vor dem Wohnwagen wie eine Salzsäule verharrte. Am liebsten würde sie sie ganz weg scheuchen. Doch nein, eigentlich war es passend, dass sie hier war. So würde sie Zeugin werden, dass sie, Anya Bauer, mit fair spielenden Gegnern durchaus fertig wurde. Und das Mädchen ignorierte in diesem Augenblick gekonnt, dass die Weltmeisterin wohl noch gar nicht in der Lage war, solche Eindrücke festzuhalten. „Ich wechsle Amethyst in den Angriffsmodus!“ Jener erhob sich aus seiner Hocke.   Gem-Knight Amethyst [ATK/2550 DEF/3050 (7)]   „Und jetzt schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum“, kopierte Anya den Beschwörungsspruch ihres Freundes Othello erneut, „Pendulum Summon! Aus meinem Extradeck kommen [Gem-Knight Jasper] und [Gem-Knight Malachite]!“ Über ihr öffnete sich das Pendelportal und stieß wie in der Runde zuvor zwei rote Lichtstrahlen aus, die vor Anya einschlugen und die Form der Ritter mit der Hellebarde und dem Stab annahmen.   Gem-Knight Jasper [ATK/1800 DEF/600 (4) PSC: <2/2>] Gem-Knight Malachite [ATK/1000 DEF/1900 (4) PSC: <2/2>]   Zu dumm, dass sie die [Gem-Knight Fusion] in ihrem Friedhof nicht recyclen konnte, um eine neue Fusion zu starten, da ihr noch die Ressourcen dazu fehlten. Aber bei genauer Betrachtung war das gar nicht nötig. Anya besaß ein Monster, mit dessen Hilfe sie das Duell noch in diesem Zug gewinnen konnte! „Ich errichte das Overlay Network“, rief sie und streckte den Arm aus. Vor ihr öffnete sich ein Schwarzes Loch. „Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster!“ Die beiden Neuankömmlinge verwandelten sich in braune Lichtstrahlen, die von dem Vortex absorbiert wurden. Eine Explosion in dessen Inneren folgte. „Xyz Summon! Krall' sie dir, [Kachi Kochi Dragon]!“ Aus dem Sog brach ein Drachenkopf, der ganz mit silbernem Kristall besetzt war. Jener lauerte unterhalb der Erde und zeigte nur den Rücken und die Klauen. Dabei kreisten zwei Lichtsphären um ihn.   Kachi Kochi Dragon [ATK/2100 DEF/1300 {2} OLU: 2]   Sofort schwang Anya in ihrem Ehrgeiz den Arm aus. „Los, [Kachi Kochi Dragon], greif' das verdeckte Monster an! Primo Sciopero!“ Kreischend brach der Kristalldrache aus dem Boden, flog über das Feld und zielte mit ausgestreckter Pranke Cynthias gesetztes Monster an. Jenes stieg aus seiner Karte empor und entpuppte sich als roter Drache, dessen Gesicht von einer weißen Maske bedeckt war. Und jene war es, die beim Hieb Kachi Kochis zu Bruch ging. „Hah! Wenn er ein Monster zerstört, kann er im Austausch gegen eine Overlay Unit gleich nochmal angreifen.“ Da ergriff die ehemalige Duel Queen wieder das Wort. „Das würde ich mir zweimal überlegen. Was du da zerstört hast, war schließlich [Unmasked Dragon].“   Unmasked Dragon [ATK/1400 DEF/1100 (3)] „Huh!?“ Jetzt erkannte Anya erst, dass ebenjener noch auf dem Feld war. Die letzten Reste seiner Maske bröckelten ab und entpuppten ein fürchterliches, vipernartiges Gesicht, das irgendwie seltsam transparent war. Der Drache wurde immer durchsichtiger, bis er gänzlich verschwand. „Wenn der im Kampf besiegt wird, kann er ein Monster mit 1500 oder weniger Verteidigung von meinem Deck beschwören“, erklärte Cynthia weiter und zuckte freudig mit den Mundwinkeln, „es muss nur vom Typ Wyrm sein.“ Anya traute ihren Ohren kaum. „Was'n das?“ „Sieh' selbst! Erscheine, [Metaphys Armed Dragon]!“ Und wie aus dem Nichts tauchte an der Stelle, wo der rote Drache verschwunden war, ein riesiger, hellgrauer auf. Auch er war durchsichtig. Zwar besaß er keine Flügel, dafür aber goldene Klingen an den Schultern und einen langen Schweif.   Metaphys Armed Dragon [ATK/2800 DEF/1000 (7)]   „D-das ist doch eine von Dads alten Karten!“, stammelte Anya perplex. Moment! Konnte diese Frau etwa seine Gegnerin aus dem Battle City-Finale sein!? Cynthia indes sah stolz auf ihre Duel Disk. Die Karte darauf hatte einen gelben Rahmen. „Nein, das ist ein Wyrm-Monster. Viele wissen nichts von diesem Monstertyp, da solche Karten nicht frei verkäuflich sind.“ „Nie davon gehört“, gestand Anya verblüfft. Und es war erstaunlich, dass sie diese Geschichte tatsächlich glaubte, wie sie sich selbst gegenüber zugeben musste. „Wo bekommt man die her?“ Die tätowierte Blonde sah grinsend auf. „Sei erfolgreich, gewinn' ein paar Turniere und vielleicht vertraut man dir irgendwann ein oder zwei Karten an. Ich könnte dir dabei helfen.“ „K-kein Interesse!“, stellte Anya giftig klar und das war so gelogen, dass sie es selbst kaum glauben konnte. „Los, [Kachi Kochi Dragon], komm zurück!“ Besagter Drache flog unverrichteter Dinge zu ihr zurück und verkroch sich wieder im Asphalt, wo nur noch sein Haupt hervorragte. „Zug beendet!“   Als Cynthia aufzog, grinste sie breit. „Der hat dich aus der Bahn geworfen, was? Ja, ich bin schon ein bisschen stolz drauf. Er war meine erste Wyrm-Karte.“ „D-du hast noch mehr!?“ Anya weitete die Augen. Wie kannst du das infrage stellen? Sie galt lange Zeit als unbesiegt, Anya Bauer.   Musste Levrier sich mal wieder im ungünstigsten Zeitpunkt einmischen, ärgerte sich jene wütend. Aber Recht hatte er, wer damals so erfolgreich war, wurde mit diesen Dingern wahrscheinlich zugeworfen. „Tch. Auch wenn sie einen anderen Typen haben, heißt das nicht, dass sie unbesiegbar sind!“ „Da stimme ich dir zu.“ Trotzdem grinste die ehemalige Duel Queen immer noch. „Aber sie haben ein paar fiese Überraschungen parat. Sieh dir den an! Erscheine, [Night Dragolich]!“ Die Erde erzitterte, oder zumindest simulierten die Hologrammdrohnen einen vergleichbaren Effekt, als eine dürre, lange Gestalt aus dem Asphalt brach. Das Skelett eines Drachen, das bläulich leuchtete, erhob sich vor Cynthia und überragte sie.   Night Dragolich [ATK/1700 DEF/0 (4)]   Plötzlich begannen auch von Anyas beiden Monstern blaue Lichter auszugehen, die wie dünner Nebel um sie waberten und durch die leeren Augenhöhlen des Skelettdrachen eingesaugt wurden. „W-was ist das!?“ „Der Effekt meines [Night Dragolichs]. Alle Nicht-Wyrm-Monster, die von deinem Deck oder Extradeck spezialbeschworen wurden, werden sofort in die Verteidigungsposition gewechselt und verlieren all ihre originalen Verteidigungspunkte.“ Anya weitete die Augen. „So ein Scheiß!“ Sie sah hilflos mit an, wie die Seelen ihres Ritters und Kristalldrachens von deren geisterhaften Widersacher absorbiert wurden. Wie Puppen fielen sie in sich zusammen.   Gem-Knight Amethyst [ATK/2550 DEF/3050 → 600 (7)] Kachi Kochi Dragon [ATK/2100 DEF/1300 → 0 {2} OLU: 2]   „Ist aber nicht so, als ob sie noch lange leiden würden. Denn die Königin befiehlt: Ab mit den Köpfen! Verdeckte Falle, [Tragedy]!“ Cynthia betätigte den Kopf an ihrer Duel Disk mit einer wischenden Bewegung. Aus dem Himmel schossen scharfe Guillotinen, die genau das taten, was die Blonde angekündigt hatte – Anyas Monster enthaupten. Die fühlte sich wie im falschen Film. So war es ihre Gegnerin, die das Wort ergriff. „Wenn eines deiner Monster in Verteidigung wechselt, zerstört diese Falle sofort all deine Monster in Verteidigungsposition.“ Anya ballte eine Faust. „Ach ja!? Dann sieh zu, was Amethyst bei seinem Ableben bewirkt!“ Aus dem Nichts schoss ein langer Eisspeer in Cynthias andere, gesetzte Karte und durchbohrte sie, woraufhin sie sich auflöste. Cynthias Duel Disk warf sie aus. „Alle deine gesetzten Zauber und Fallen kehren auf deine Hand zurück!“ „Gut für dich“, erwiderte die junge Frau mit einem schelmischen Grinsen und nahm die Karte aus dem Apparat, hielt sie demonstrativ hoch, „denn hiermit hätte ich das Duell noch in diesem Zug entschieden.“ Warte, dachte Anya da erschrocken. Wieso ging die Kuh davon aus, dass sie nur mit jener Karte hätte gewinnen können, wenn ihr Feld leer war und die Angriffspunkte ihrer Monster für einen fatalen Doppelangriff schon jetzt ausreichten? Wusste sie etwa von-!? „Dann setze ich sie mal wieder.“ Gesagt, getan, die Falle materialisierte sich wieder vor den Füßen der tätowierten Rockerbraut, wenn man sie so nennen konnte. „Da du es nicht weißt, erkläre ich es dir. Wyrm-Monster, zumindest die meisten, sind keine Drachen mehr. Sondern nur noch Phantome, Illusionen, Träume.“ Ihr Blick gewann etwas Trauriges, was Anya nicht verborgen blieb. Ungewollt rutschten ihr ein paar merkwürdige Worte heraus: „So als gäbe es sie gar nicht.“ „Ja.“ Für einen Moment schwieg die Frau. Dann sagte sie wieder keck: „Aber wenn sie zuschlagen, tut das trotzdem weh! Kostprobe gefällig? Natürlich, wieso frag ich!? Direkter Angriff auf ihre Lebenspunkte, [Metaphys Armed Dragon]! Ghost Punisher!“ Der halb transparente, schwer bewaffnete Drache brüllte auf und schleuderte von seinen Schulterblättern die scharfe Klingen, welche durch Anya einfach hindurch glitten.   [Anya: 4000LP → 1200LP / Cynthia: 4000LP]   Unbemerkt von den beiden gab es vom Wohnzimmerfenster der Bauers zwei Beobachter, die das Gesehene ganz unterschiedlich aufnahmen. „Passiert das hier gerade wirklich?“, fragte Matt und drückte sein Gesicht gegen die Scheibe. „Sie ist es, oder?“ „Also ich habe Bilder von ihr gesehen, die dagegen sprechen“, gluckste Zanthe neben ihm und zuckte mit den Schultern. „Aber ich schätze, Menschen verändern sich mit der Zeit. Manche optisch, andere innerlich.“ „Soll ich sie nach einem Autogramm fragen!?“, reckte Matt den Kopf in seine Richtung. Der Dämonenjäger war mit den Duellen der ehemaligen Königin groß geworden. Als sie ihre Karriere vor einigen Jahren dann beendet hatte, war sein Interesse an der Profiszene mit einem Mal verschwunden gewesen. „Tu, was du nicht lassen kannst. Aber wenn sie eine Hochstaplerin ist, unterstützt du sie bloß.“ Matt sah seinen Freund verständnislos an. „Wieso sollte sie lügen?“ „Du bist genauso naiv wie Anya, weißt du das?“ Der Werwolf rollte mit den Augen und deutete auf die Tätowierte. „Ist dir klar, wie leicht man solche wie euch ausnutzen kann? Wie der Sammler dich ausnutzen wollte?“ Sofort war Matt still. Auf dem Weg zurück nach Livington hatte er seinen Freunden die ganze Geschichte offenbart. Dass der Sammler von ihm gefordert hatte, Anya bei ihrer Mission zu unterstützen. Nur deswegen hatte er seiner Sandkastenfreundin Tara Hartwell geholfen, als diese im Sterben lag. Deren Körper hatte die Immaterielle Urila missbraucht, um 'den wahren Feind' zur Erde zu locken – erfolglos, zum Glück. Demnach hatte der Sammler schon damals alles geplant gehabt und Matt war noch vor allen anderen Teil davon gewesen. Zu jedermanns Erstaunen jedoch hatte Anya das gar nicht weiter gejuckt, denn zu diesem Zeitpunkt war ihr Schicksal bereits besiegelt gewesen – der Sammler hatte längst ihre Lebenskraft an sich gerissen. Und letztlich war sie Matt, unabhängig von dessen Beweggründen, auch dankbar für seine Hilfe. Was er ihnen jedoch vorenthielt war die Tatsache, dass er schon seit einiger Zeit nicht mehr 'allein' war. Einzig Valerie schien es zu ahnen, aber direkt darauf angesprochen hatte sie ihn bisher nicht.   „Sorry“, meinte Zanthe, als sein Freund den Kopf senkte, „so war das nicht gemeint. Ich … möchte nur nicht, dass sie an jemanden gerät, der ein falsches Spiel mit ihr treibt. Davon gibt es schon genug, findest du nicht?“ „Ja …“ Als das immer noch nicht half, klatschte der Werwolf dem jungen Mann im schwarzen Mantel fest auf den Rücken. „Eigentlich sollten -wir- diejenigen sein, die die Lage ausnutzen, stimmt's?“ „W-was?“ „Ich meine, das ist doch ein Bild für die Ewigkeit: Drei Königinnen, vereint. Die vorherige, die gegenwärtige und die, ahem, eventuell zukünftige Duel Queen. Kennt jemand eine Klatschkolumnistin, der man die Story verkaufen könnte?“ Matt kniff die Augen zusammen. „Nein … Und jetzt auf einmal bist du dir sicher, dass sie doch Cynthia Taslitz ist? Diejenige, die Mercury als stärksten Duellanten in der Profiszene abgelöst hat?“ „Ich sagte doch, Menschen verändern sich auf vielerlei Arten.“ Der Dämonenjäger neben ihm pfiff. „Wow. Weshalb sie wohl hier ist?“ „Sich ihren Titel zurückholen?“ Zanthe trat neben ihn dicht ans Fenster. „Wer weiß. Hättest du vorhin nicht so viel geschnattert und geschmachtet, hätte ich verstanden, was-“ „Moment“, unterbrach Matt ihn da aber, „es gab nie ein Titelmatch zwischen Cynthia und Claire. Die beiden liegen zeitlich gesehen mehrere Jahr auseinander.“ Zanthe zuckte mit den Schultern. „Trotzdem war es doch vorher ihr Titel? Zwischen den beiden gab es keine Queen oder einen King.“   Er hätte jetzt natürlich Matt die Wahrheit sagen können und ihm eröffnen, dass Cynthia eigentlich hier war, um Anya zu coachen. Aber dann würden hier wahrscheinlich diverse Körperflüssigkeiten durch die Luft fliegen und darauf konnte Zanthe verzichten. Nachdenklich sagte er sich, dass Anya selbst erst akzeptieren musste, -dass- sie die Hilfe jener Frau benötigen würde. Und sich selbst klar machen, dass sie jene auch annehmen wollte. Aber dieses sture Biest würde nicht so leicht klein beigeben und der Werwolf konnte sich auch denken, warum sie sich so sehr dagegen strebte …   Indes seufzte Cynthia und fasste sich an den Hinterkopf. „Wenn es das jetzt schon war, war das leider ziemlich einfach.“ Während sie ein Auge geschlossen hielt, starrte das andere Anya herausfordernd an. „Mal sehen.“ Sie nahm eine gerade Haltung an und befahl: „Direkter Angriff auf ihre Lebenspunkte, [Night Dragolich]!“ Das Drachenskelett hob sein Haupt und feuerte aus den insgesamt vier Augenhöhlen gelbe Lichtstrahlen ab, die wie Scheinwerfer agierten und Anya ins Visier nahmen. „Tch, du weißt es doch längst!“ Das grimmige Mädchen schnippte mit dem Finger. „Hab nicht umsonst [Gem-Eyes Value Dragon] in meine Pendelzone gesetzt! Wenn ich bei einem direkten Angriff den Gem-Knight in der anderen Zone opfere, kann ich Gem-Eyes direkt von dort rufen!“ Ihr Peitsche-schwingender Ritter löste sich in hellem Licht und unter stolzem Gebrüll seines monströsen Partners zusammen mit der Lichtsäule, in der er schwebte, auf. Gleichzeitig verschwand auch die andere und der mächtige, goldene Drache erschien direkt vor Anya, schirmte sie vor den Lichtstrahlen ab.   Gem-Eyes Value Dragon [ATK/2400 DEF/2000 (7) PSC: <5/5>] „Replay“, rief die ehemalige Duel Queen unbeeindruckt, „da du ein neues Monster kontrollierst, kann ich den Angriff abbrechen. Und gehe entsprechend direkt in meine Main Phase 2 über.“ Entschlossen nahm sie eine Zauberkarte aus ihrem Blatt. „Ich hätte auch auf einen Angriff verzichten können, was bedeutet, dass du Gem-Eyes nicht hättest beschwören können, aber es ist nicht meine Art, Konfrontationen zu meiden.“ Sie schob die Karte in ihre Duel Disk. „Stattdessen suche ich nach einem Weg, die Gefahr zu bezwingen. [Graceful Charity]!“ Während über ihr ein weiblicher, dunkelblonder Engel in weißer Robe erschien und die Arme von sich ausbreitete, erwiderte Anya schnippisch: „Das macht doch jeder Duellant.“ „Wirklich?“ Die Tätowierte zog drei Karten. „Wenn ich dich so ansehe, bezweifle ich das. Du siehst mir wie jemand aus, der vor etwas davon rennt.“ „Pah, als ob!“ Was bildete die sich eigentlich ein, fragte sich Anya ertappt, als sie zusah, wie ihre Gegnerin zwei Monsterkarten in den Friedhofsschlitz schob, eines mit gelbem Rand und eines mit orangefarbenem. „Ich kitzle schon noch aus dir heraus, wo der Schuh drückt“, zwinkerte Cynthia ihr zu. Dabei ließ sie ihre Spielfeldkartenzone ausfahren. „Solange kannst du dich an [Celestia] erfreuen, der alle Wyrm-Monster um 300 Punkte stärker macht!“ Das ganze Spielfeld wurde in einen violett angehauchten Sternenhimmel getaucht. Über den Dächern der Vorstadt tauchte ein Gebilde auf, das wie der Trichter eines Wurmlochs aussah und scheinbar in eine ferne Galaxie führte.   Metaphys Armed Dragon [ATK/2800 → 3100 DEF/1000 → 1300 (7)] Night Dragolich [ATK/1700 → 2000 DEF/0 → 300 (4)]   Ugh, jetzt waren die Biester noch stärker! Anya schnaubte wütend. „Oh, -darum- geht es gar nicht“, schien ihr Gegenüber regelrecht ihre Gedanken zu lesen. „Willst du wissen was passiert, wenn man die Drachengeister wütend macht?“ „Nein!“ Als hätte sie das gar nicht gehört, erklärte Cynthia weiter: „Mit [Celestias] zweitem Effekt kann ich drei Wyrm-Monster von meinem Friedhof aus dem Spiel entfernen, um eine deiner Karten zu zerstören.“ Drei Karten schoben sich daraufhin aus ihrem Friedhof hervor. Es waren der zuvor zerstörte [Unmasked Dragon] und, wie Anya erkannte, die beiden eben erst abgeworfenen Monster. Ihre Gegnerin zeigte sie vor, wodurch sie die Namen lesen konnte: [Mystery Shell Dragon], der Vanilla, und [Lindbloom], ein Stufe 4-Effektmonster mit 0 Angriffspunkten. Beide landeten in der Hosentasche der Älteren. Und keine Sekunde später kam ein derart greller Lichtstrahl aus dem Wurmloch am Himmel geschossen, dass Anya nur noch keuchen konnte. Wie ein Komet schlug dieser in ihren Drachen ein und ließ nichts mehr von ihm übrig. Damit war ihr Feld komplett leer gefegt, innerhalb eines einzigen Zuges und ohne viel Aufwand seitens ihrer Gegnerin. Jene nahm eine Karte aus ihrem Blatt und schob sie in ihre Duel Disk. So nahm sie zischend vor ihr Form an. „Ein zweites Mal kommst du nicht drum herum. Zug beendet!“   „Mal sehen, ob sie da noch wieder rauskommt“, überlegte Zanthe am Wohnzimmerfenster. Matt gab sich pessimistisch. „Ich glaube nicht. Wenn jemand wie diese Frau so leicht zu besiegen wäre, hätte sie nicht jahrelang den Titel der Duel Queen innegehalten.“ Der Werwolf nickte. „Und wer kratzt am Ende die Reste von Anyas Ego von der Straße? Ich oder du?“ Beide sahen und schwiegen sich voller Inbrunst an.   „Draw!“, fauchte das Mädchen aufgebracht und zog auf eine dritte Handkarte auf. Welche sich als sehr nützlich erwies. „[Gem-Trade]! Sofern eine Karte auf meinem Friedhof liegt, die Gem-Knights verschmelzen kann, lässt sie mich ein Gem-Knight-Fusionsmonster von dort verbannen. Und für jeden dritten Stufenstern, den er besitzt, kann ich dann eine Karte ziehen!“ Tatsächlich hielt Anya sowohl [Gem-Knight Amethyst] der Stufe 7, ihren Signaturzauber [Gem-Knight Fusion] sowie [Gem-Knight Malachite] in die Höhe. Dann zog sie zwei Karten, schob die beiden Monster in die Verbannungszone unter ihrem Friedhof und fügte gleich noch ihren Fusionszauber durch seinen Effekt ihrer Hand hinzu. Womit sie auf ein stolzes Blatt von fünf Karten kam. Trotzdem sah die Lage übel aus. Solange sie diesen beknackten Skelettdrachen nicht wegbekam, konnte sie noch so viele starke Monster rufen – sie würden alle direkt in die Verteidigung gedreht und all ihrer Kräfte beraubt werden. Anya dachte angestrengt nach und betrachtete ihr Blatt. Wenn sie es -so- anstellte, dann würde sie gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen! Perfekt! „Hoffentlich funktioniert das“, murmelte sie leise.   Ich ahne was du vorhast. Wäre dein Gegner irgendwer, würde es das bestimmt. Doch ich befürchte, das Cynthia Taslitz gewiss nicht 'irgendwer' ist-   „Ich muss es zumindest versuchen!“, unterbrach Anya ihn gereizt. „Das ist die richtige Einstellung“, lobte ihre Gegnerin sie. „Wer es nicht versucht, hat schon verloren. Das gilt für alles im Leben.“ „Hmpf.“ Anya schnappte sich eine Zauberkarte. „Ich aktiviere [Monster Reincarnation]!“ Sie entledigte sich ihrer [Gem-Knight Fusion] und nahm sich stattdessen [Gem-Knight Jasper] von ihrem Friedhof, welcher dort als Overlay Unit von [Kachi Kochi Dragon] gelandet war. „Zuerst du“, knurrte sie und starrte dabei geradewegs den Skelettdrachen an. „[Forbidden Chalice]! Dieser Zauber negiert vorübergehend den Effekt eines Monsters und stärkt es um 400 Angriffspunkte!“ Über dem Kopf des Ungetümes materialisierte sich ein goldener Kelch mit Wein darin, welcher sich nach vorne beugte und das Gesöff über [Night Dragolich] goss. Der Wein rann über die Knochen, durch die Augenhöhlen hindurch und gab dabei rote Entladungen von sich.   Night Dragolich [ATK/2000 → 2400 DEF/300 (4)]   Cynthia schmunzelte. „Und jetzt von meiner Hand [Gem-Knight Jasper] mit dem Pendelbereich 2 und [Gem-Knight Pyrite] mit dem Pendelbereich 8! Pendulum Scales set!“ Neben ihr schossen zwei hellblaue Lichtsäulen aus dem Boden. In der linken befand sich der rote Ritter mit der Hellebarde, in der rechten ein weißer mit mächtigen Rundschildhälften an den Armen und viereckigen, silbrigen Schulterplatten.   <2> Anyas Pendelbereich <8>   Anya streckte entschlossen den Arm in die Höhe. „Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum! Aus meinem Extradeck beschwöre ich [Gem-Knight Tiger's Eye] und [Gem-Eyes Value Dragon]! Und von meiner Hand [Gem-Knight Garnet]! Pendulum Summon!“ Drei rote Lichtstrahlen schossen nacheinander aus dem sich über ihr öffnenden Pendelportal. Sie schlugen vor ihr ein und nahmen die Formen des Peitsche-schwingenden Kriegers, des goldenen Drachens und einem Ritter in bronzener Rüstung, der in seiner Hand eine Flamme hielt, an.   Gem-Knight Tiger's Eye [ATK/1600 DEF/1600 (4) PSC: <2/2>] Gem-Eyes Value Dragon [ATK/2400 DEF/2000 (7) PSC: <5/5>] Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   „Da der Effekt deines Drachenlichs negiert wurde, kann er meine Monster nicht mehr in die Defensive zwingen“, raunte Anya und streckte den Arm aus. „Und jetzt lernst du die Besonderheit von Gem-Eyes kennen! Er kann seinen Typen wechseln und ich wähle Fels! Sight Transition!“ Die vierfarbigen Scheiben an beiden Seiten des Helms ihres Drachens begannen damit sich rapide zu drehen. Sie hielten bei den grünen Segmenten, welche sich wie ein Visor um seine Augen legten. Grüne Energielinien zogen sich durch die goldene Rüstung, die drei Tragflächen, welche seine Flügel einhüllten, platzten auf und gaben knorrige, mit Edelsteinen besetzte Lederschwingen zu erkennen. „Und jetzt der Effekt, den er dadurch erhält! Ich kann sofort die Monster auf meinem Feld mit ihm fusionieren! Dazu kommt, dass er selbst trotz seines Namens ein Gem-Knight ist!“ Anya schwang den Arm aus. Über ihr öffnete sich ein blau-orangefarbener Vortex. „Emerald Perfection!“ Der Drache und die beiden Ritter an seiner Seite wurden von dem Sog absorbiert. „Herz, Seele, Gefäß! Vereint euch zur reinsten aller Ritterinnen, deren Klinge jeden Hoffnungsstrahl zerteilt! Fusion Summon!“ Der Wirbel verfärbte sich weiß und stieß zahllose Edelsteine aus. Zwischen ihnen schwebte majestätisch die neueste Ritterin in Anyas Deck herab, gekleidet in einer einfachen, beigefarbenen Rüstung, von deren spitzen Schulterplatten ein kurzer, roter Umhang flatterte. Elegant landete sie auf beiden Füßen vor Anya und zog ihr schlichtes Schwert aus der Scheide. Die Brillanten in ihrer Brustplatte funkelten dabei stärker als alle anderen Edelsteine vor ihnen. „Kämpfe für mich, [Gem-Knight Lady Brilliant Diamond]!“, nannte die Blonde schließlich ihren Namen.   Gem-Knight Lady Brilliant Diamond [ATK/3400 DEF/2000 (10)]   Jene richtete die Klinge auf den feindlichen, riesigen Phantomdrachen und schoss kurzerhand einen Blitz auf ihn ab. Mit einem lauten Knall ging er unter. Anya gab ein fieses „Heh!“ von sich. „[Metaphys Armed Dragon] wurde zerstört“, murmelte Cynthia tonlos. „Na logisch!“ Die Jüngere schlug sich mit der Faust stolz gegen die Brust. „Wenn Tiger's Eye als Fusionsmaterial benutzt wird, killt er anschließend eine deiner Karten. Und jetzt Angriff-!“ „Falle“, sprach Cynthia leise, aber selbst Anya entging nicht diese unterschwellige Drohung, die dabei von ihr ausging, „[Relieve Monster]. Sie lässt mich ein Monster von meinem Feld auf die Hand zurücknehmen, um es gegen eines mit gleicher Stufe von meinem Blatt auszutauschen.“ Vor Anyas Augen löste sich der Skelettdrache auf. Warum tat sie das? Die Antwort sollte Anya nicht gefallen. Kaum hatte Cynthia [Night Dragolichs] Karte von ihrer Duel Disk genommen, legte sie sie sofort wieder darauf. „Es kann auch dasselbe Monster sein.“ Sofort nahm der Drachenlich vor ihr wieder Gestalt an.   Night Dragolich [ATK/1700 → 2000 DEF/0 → 300 (4)]   „Huh!? Ah!“ Anya weitete die Augen.   Da er das Feld verlassen hat, ist der Effekt deines [Forbidden Chalice] aufgehoben, Anya Bauer!   Dünner Nebel begann plötzlich aus Lady Brilliant Diamond zu entfleuchen, welche in die Knie sackte. Ihre Seele wurde durch die Augenhöhlen ihres Widersachers eingesaugt. Anya blieb sprachlos.   Gem-Knight Lady Brilliant Diamond [ATK/3400 DEF/2000 → 0 (10)]   Das sich diese Karte nur bei einem Angriff aktivieren lässt, kann es nicht dieselbe sein, mit der sie dich letzte Runde besiegen wollte. Was hat das zu bedeuten?   Anya war dies egal. Sie konnte nichts mehr tun. Auch ihre Gegnerin wusste dies und zog auf. Da grinste sie plötzlich wieder frech. „Übrigens sind nicht alle Monster in meinem Deck vom Typ Wyrm. Hier ist ein altes Überbleibsel meiner Profizeit: [Lancer Lindwurm]!“ Sofort tauchte vor ihr ein smaragdgrüner Drachenkrieger mit goldener Brustpanzerung auf, der mit seiner namensgebenden Doppellanze bewaffnet war. „Angriff!“ Wie ein Pfeil fegte er über das Feld. Aber Anya war noch nicht bereit aufzugeben. „Tch! Einen letzten Trumpf hab ich noch! Ich aktiviere den Effekt von [Gem-Knight Jasper] in meiner Pendelzone und schicke Lady Brilliant Diamond zurück ins Deck, um passende Fusionsmat- huh!?“ Es geschah nichts. Anya sah hinauf zu ihrer Ritterin, die sich einfach nicht rühren wollte. „Warum!?“ „Weil sich auf deinem Friedhof nicht genug Ziele befinden. Zwei der drei Fusionsmaterialien waren schließlich Pendelmonster, die ins Extradeck zurückgekehrt sind.“ Cynthia lachte. „Auf sowas musst du achten. Abgesehen davon fügt [Lancer Lindwurm] übrigens Durchschlagschaden zu, also selbst wenn du die Pendelmonster aus deinem Extradeck holen könntest, wären sie leichte Beute.“ Anya weitete die Augen und sah mit an, wie der Drache seine Lanze durch ihre Ritterin bohrte, welche mit einem Schrei in tausende Partikel zersprang. Es war vorbei.   [Anya: 1200LP → 0LP / Cynthia: 4000LP]   Anya stand der Mund offen – sie erinnerte sich an das Battle City Finale von damals, bei dem ihr Vater verloren hatte. Gegen die! Es gab keinen Zweifel mehr, diese Frau war tatsächlich die ehemalige Duel Queen, Cynthia Taslitz. Dem Mädchen war es nicht einmal gelungen, auch nur einen Punkt Schaden zuzufügen. Schmerzliche Erinnerungen kamen auf, Erinnerungen an das Duell mit Claire, das sie niemals hatte gewinnen können. Ein Stück weit fühlte sich das hier genauso an, nur dass diesmal keine faulen Tricks im Spiel waren. Während Anya wie gelähmt an Ort und Stelle verharrte, verschwanden die Hologramme und die tätowierte Blonde ging grinsend auf sie zu. „Damit ist es entschieden“, sprach sie feierlich, „du bist ab heute mein Champion. Das Vertragliche regeln wir später.“ Sie reichte Anya die Hand, doch jene rührte sich nicht. „Sag bloß, du willst dein Wort brechen?“, fragte Cynthia vorsichtig. „N-nein“, schrak das Mädchen aus ihrer Starre, „ich habe bloß keine Kohle, um dich zu bezahlen.“ Und keine gescheite Lebensversicherung, die für den Ausfall einspringt, sollte sie nächsten Monat hopps gehen … „Darum mach dir keine Gedanken, ich streiche einfach das Geld ein, das du während deiner 'Ausbildung' verdienst“, zwinkerte ihr Gegenüber ihr neckisch zu. „Nur wenn ich die Hälfte abbekomme. Sonst gebe ich sie nicht her“, gluckste jemand aus der Ferne. Zanthe und Matt standen im Türrahmen. Ersterer grinste über beide Backen. „Nur ich weiß, wie man das Biest bändigt.“ „Zieh' Leine!“, fauchte Anya wütend mit erhobener Faust. „Das hat nichts mit euch zu tun!“ „Das war ein, uh, tolles Duell“, meinte Matt derweil, als die beiden am Wohnwagens vorbei schritten, der so unverblümt vor dem Garten der Bauers parkte. „Ja, Anya hat ganze drei Runden durchgehalten“, stichelte Zanthe, „in der Disziplin ist sie ganz gut. Wenn sie nur versuchen würde, auch mal zu gewinnen.“ „Ha ha“, murrte Anya zerknirscht. Cynthia, die ihre Hand noch immer ausgestreckt hielt, lächelte das Mädchen sanft an. „Daran werden wir arbeiten müssen. Keine Sorge, das mit der Bezahlung war nur Spaß, ich verlange nur, dass du denselben Ehrgeiz an den Tag legst wie beim Legacy Cup.“ Die grauen Augen der Frau funkelten wie Edelsteine. Aber Anya zögerte weiter. Sie konnte nicht. Sie konnte einfach nicht, verdammt! „Los, worauf wartest du?“, fragte Zanthe verständnislos. Matt stimmte ihm zu. „Ist dir nicht klar, was für eine Chance sich dir bietet?“ Dein Traum könnte sich durch eine Zusammenarbeit mit dieser Frau erfüllen, Anya Bauer. Cynthia Taslitz erscheint mir aufrichtig.   Anya zitterte. „Wenn nicht jetzt, wann sonst?“, wunderte sich der Dämonenjäger neben ihr. „Meine Güte“, zischte Zanthe und löste sich von ihm. Ehe Anya sich versah, umrundete sie der Werwolf, griff ihre rechte Hand und zog sie zu Cynthias, wodurch ein ungewollter Handschlag zustande kam. Dann nahm er das Mädchen mit seiner Linken in einen festen Schwitzkasten. „Muss man dich erst zu deinem Glück zwingen? Sie ist dabei!“ An Cynthia gewandt, zwinkerte er dieser zu. „Wie sind Sie eigentlich auf Anya aufmerksam geworden?“, wollte Matt neugierig wissen und trat an zu den anderen beiden. „Durch den Legacy Cup. Davon abgesehen? Uh, sagen wir, ich mag Querulanten.“ Die beiden verfielen in ein Gespräch über das Turnier. Keiner bemerkte Claire Rosenburgs mechanischen Blick, der auf die lachende, ehemalige Duel Queen gerichtet war. Anya hielt ihr Haupt gesenkt, während Zanthe sie losließ und sich an der Konversation beteiligte. „Danke …“, murmelte sie leise und auch wenn er nicht reagierte, hatte er es sicherlich gehört. Sie selbst hätte es nicht geschafft, ihre eigenen Zweifel zu überwinden. Aber dafür hatte sie wohl Freunde wie Zanthe. Ein heimliches Lächeln zierte kurz ihre Lippen, ehe sie aufsah. „Also bin ich jetzt wohl ein angehender Profi, huh?“ „Davon kannst du ausgehen“, gluckste ihre neue Mentorin vergnügt, „und das Beste ist, dass ich nicht die geringste Absicht habe, deine Persönlichkeit einzudämmen. Im Gegenteil. Es ist Zeit, diese langweilige Liga aufzumischen.“ Die beiden Blonden grinsten sich gegenseitig an. „Cool!“ Langsam begann Anya eine gewisse Sympathie für diese Frau zu entwickeln. Zumindest wenn man bedachte, dass sie diejenige war, die ihren Vater ein großes Turnier gekostet hatte. Aber das war Schnee von gestern. Anya hatte ihre Pläne, Cynthias Anwesen anzuzünden – sollte sie überhaupt eins haben – schon vor Jahren aufgegeben, als andere Dinge ihre Aufmerksamkeit forderten.   „Ach Matt“, wandte sich Zanthe da plötzlich schelmisch an den Dämonenjäger, „ist Valerie jetzt eigentlich out?“ „W-wie bitte?“ „Na ja, so wie du Miss Taslitz anstarrst …“ Anya blinzelte verdutzt. „Huh?“ Der Schwarzhaarige wurde knallrot im Gesicht, als er sich gegenüber der ehemaligen Duel Queen zu rechtfertigen versuchte. „Ä-ähm. D-das bildet er sich ein, ich starre Sie nicht an!“ „Übrigens ist Matt in Valerie Redfield verliebt, falls es jemanden interessiert“, schnatterte Zanthe schamlos drauf los. „Was!?“, donnerten Anya und der Gehörnte synchron, während Cynthia losprustete. Mit sichtlicher Zurückhaltung murmelte Anya: „Ich glaub, das interessiert niemanden.“ „Und es ist absolut nicht wahr!“ Zanthe aber sah das anders: „Ach? Die ganze Zeit leierte er es wie eine kaputte Schallplatte runter. 'Oh Valerie, oh Valerie, der Schmerz in meinen Lenden weiß meinen Verstand zu verblenden.' und so. Und ja, du hast es nicht laut ausgesprochen, aber gedacht!“ „Wie kommst du überhaupt ausgerechnet jetzt darauf!?“, fauchte Matt, röter als eine Tomate. „Entertainment?“ Dabei warf der Kopftuchträger einen prüfenden Blick auf Claire beim Wohnwagen, die aber wieder in die Leere zu starren schien. „Na ja, war ja nur ein Gedanke. Als wir mit dem Jagen der, ahem, ihr-wisst-schon-was anfingen habe ich noch gedacht, dass -ihr- beide irgendwann unweigerlich übereinander herfallen würdet.“ Dabei deutete er mit dem Zeigefinger zwischen Anya und Matt hin und her. Cynthia gab einen erstaunten Laut von sich, grinste so breit, dass ihre Mundwinkel zu reißen drohten. „Ich bin keine Stunde hier und fühle mich schon wie zuhause. Perfekt!“ „Da war diese Chemie zwischen euch, ihr habt zusammen schon viel durchgemacht, aber keiner hat den Stein zum Anstoßen gebracht.“, erläuterte Zanthe derweil weiter. Matt und Anya hingegen sahen sich verstimmt an. „Aber das hat sich inzwischen erledigt, wie es scheint. Bei Anya geht es seit Wochen nicht mehr voran mit ihrem Zwerg und Matt, vielleicht solltest du Valerie auch mal in die Augen sehen und nicht nur auf den Vorbau.“ Zufrieden mit seinem Werk stemmte Zanthe die Hände in die Hüften und sah von Matt zu Anya und von der wieder zu Matt, während Cynthia in einen regelrechten Lachanfall verfiel. Aber zu seinem Bedauern regte sich die Person, von der er eigentlich eine Reaktion erhofft hatte, nicht im Geringsten. Claire stand nur da.   Derweil flüsterte Anya Matt zu: „Du sorgst dafür, dass er nicht entkommt und ich sorge dafür, dass er in Zukunft nur noch mit seinem Hinterteil spricht.“ Der Dämonenjäger nickt finsteren Blickes stumm. „Oh oh, Zeit, die Biege zu machen!“ Lachend rannte Zanthe davon, während die beiden anderen ihn wie von der Tarantel gestochen verfolgten. „Bleib gefälligst hier, du elende Kackbratze!“ „Hör' auf, solche Gerüchte in die Welt zu setzen!“ Cynthia sah den Dreien belustigt hinterher, wie sie durch die Nachbarschaft über Zäune und Gärten hetzten, kreuz und quer. „Da habe ich mich ja auf etwas eingelassen …“ Dann sah sie aus den Augenwinkeln zu Claire, die sie wieder anstarrte. Ihr Ton wurde schlagartig ernst. „Und was geht in deinem Kopf vor sich?“   ~-~-~   Wütend stampfte Anya die Treppe hoch, polterte in ihr Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Dieser Depp von Flohpelz! Wie konnte er es wagen, sie derart vor Cynthia Taslitz zu blamieren, die gerade in diesem Moment in der Küche saß und sich mit der einzig normalen Person in diesem Haushalt, ihrer Mutter, unterhielt. Jetzt wollte sie nur noch ihre Ruhe! „Guten Abend, Anya Bauer.“ Und die würde sie nicht bekommen. Natürlich.   Vor ihrem Schreibtisch stand niemand Geringeres als der eine Dämon, den sie sofort und ohne zu zögern gnadenlos vernichten würde. Wie immer in einem feinen, schwarzen Designeranzug gekleidet, wartete der Sammler, leicht von ihr abgewandt, genau wie lange auf sie? „Du“, zischte Anya bitterböse. „Was willst du hier!?“, herrschte sie ihn sofort an, rührte sich aber nicht von der Stelle. Da war diese 'Freude' ihn zu sehen, die sie nur zu gerne 'zeigen' wollte – aber das war, und selbst sie musste das eingestehen, eine extrem dumme Idee. Immerhin verfügte er über ihre verlorene Lebenskraft. Von der Seite lächelte der Teufel, der in der Gestalt eines rothaarigen Briten auftrat, sie wie jeher geheimnisvoll an. „Plauschen.“ „Bist wohl pissig, was? Weil Redfield und Summers dich beinahe gekillt haben.“ Er lachte. Künstlich, falsch. „Haben sie das? Ist mir gar nicht aufgefallen. Aber genug der Späße.“ Nachdem er sie sorgsam betrachtete, ja fast studierte, fügte er an: „Ich bin nicht nachtragend. Und du solltest dankbar sein.“ „Warum!?“ „Wer denkst du, hat es dir ermöglicht, so schnell vor den Behörden von Ephemeria City zu entkommen?“ Der Sammler zeigte sein typisches, erhabenes Lächeln. „Es war ein kostspieliges Unterfangen, den Verdacht von euch abzulenken. Überaus kostspielig.“ Anya knirschte mit den Zähnen. „Hast du was mit dem Flugzeugabsturz zu tun!?“ „Mitnichten. Wie ich sagte, ich bin nicht nachtragend.“   Anya blieb weiterhin wie angewurzelt stehen. Klar, das behauptete er vielleicht, aber deswegen musste es noch lange nicht stimmen. Scheiße! Und ihre Mutter, Cynthia und Summers waren unten in der Küche! Aber sie konnte sie unmöglich warnen. Vielleicht witterte der Flohpelz die Gefahr, aber der war zu dumm, um sich Summers zu schnappen und abzuhauen, sondern würde eher ins Zimmer reinstürzen und seltendämliche Fragen stellen. „Hör zu, meine Liebe“, sprach der Sammler schließlich, löste sich aus seiner abgewandten Haltung und schritt elegant auf das Mädchen zu. „Deine Zeit ist inzwischen äußerst knapp bemessen und es gibt noch viel zu tun.“ „Yeah …“ „Deine Allianz mit den Undying ist … faszinierend. Aber ineffektiv. Die Wahrheit ist: Sie werden dir nicht helfen können. Nur ich kann das.“ Er stand direkt vor ihr. Zum ersten Mal schenkte Anya der Narbe auf seiner Wange Aufmerksamkeit, vornehmlich, um ihm nicht direkt in die Augen zu sehen. Eine Narbe hieß Kampf und das hieß, dass er nicht unverwundbar war. Shit, das Schwert! Es lag im Schrank – hinter dem Sammler! So ein Dreck, da kam sie doch niemals schnell genug ran! „Hörst du mir überhaupt zu?“, fragte er gespielt tadelnd. „Y-yeah, und?“ „Dann hör nun genau hin, Anya Bauer.“ Ehe sie sich versah, lagen plötzlich seine beiden Hände auf ihren Schultern. Erschrocken sah sie ihn an und stockte. „Du bist die Einzige, die -mir- helfen kann, die -es- schaffen kann. Ich bitte dich. Sammle die verbliebenen Artefakte. Bitte!“ „W-was!?“ Das Mädchen traute ihren Ohren kaum. Der unüberwindbare, beinahe allmächtige Sammler … flehte sie an!? Zeigte so etwas wie Verzweiflung!? Und dachte dabei tatsächlich noch, dass er damit irgendwie Erfolg hatte!?   Als Reaktion senkte Anya ihr Haupt sowie ihre Stimme. „Weißt du, als ich davon erfuhr, dass Summers und Redfield dich aufgespießt haben, dachte ich 'scheiße'. Was für Idioten, bringen mich ins sichere Grab.“ Ihr Mundwinkel zuckte nach oben. „Aber nur einen Moment. Denn weißt du was? Inzwischen bin ich sauer, dass sie mal wieder versagt haben! Ich scheiße darauf, ob du mein Leben in der Hand hast oder nicht!“ Und selbst für ihn kam unvorhergesehen dieser Stoß mit der flachen Hand, genau auf die Brust, die Stelle, an der das Katana ihn vor ein paar Tagen durchdrungen hatte. Keuchend stürzte der Dämon zurück und knallte gegen den Schrank am Ende des Zimmers.   Anya funkelte ihn mit düsterem Blick an. „Ich bin nicht mehr deine Puppe, elender Mistkerl! Wenn du über mein Schicksal entscheiden willst, dann gefälligst in einem Duell!“ Sie hob den Arm mit ihrer Duel Disk daran. „Dieses Mal werde ich nicht verlieren!“ Erst starrte er sie ungläubig an, dann lachte er wieder falsch und richtete sich auf. Mit einem Schlag war er wieder ganz der Alte. „Ich fürchte, da irrst du dich. Nun gut. Aber eins hast du seither missverstanden.“ „Was?“ „Du bist keine Puppe. Du bist …“ „Ein Werkzeug, schon klar!“ Er schloss besonnen lächelnd die Augen. „Natürlich. Aber vielleicht interessiert dich ja etwas anderes. Wenn du möchtest, werde ich dir alles erzählen. Die gesamte Wahrheit, über dich, deine Mission, alles. Jetzt sofort.“ „Soll ich dir was verraten? Selbst das interessiert mich inzwischen nicht mehr!“ Anya schielte an ihm vorbei zum Schrank. Wenn sie das blöde Schwert doch bloß nicht dort gelassen hätte! Der Sammler öffnete die Augen. Doch diesmal war sein Blick anders. Einen Hauch trotzig? Er klopfte sich über die Stelle, an der Anya ihn geschlagen hatte. „Bedauerlich. Wie ich sehe, verfügst du immer noch nicht über die Tugend der Einsicht.“ Nun wagte sie einen Schritt vor. „Wenn das alles ist: Raus aus meinem Zimmer! Oder stelle dich mir! Heh … ich wette du weißt, dass du keine andere Wahl hast.“ „Wie du willst.“ Er straffte sich, verschränkte die Arme vor dem Schritt und betrachtete sie kalkulierend. „Aber nicht heute. Suche mich in deinen letzten Stunden, dann wirst du verstehen, warum du deine Worte bitter bereuen wirst. Bis dahin hast du noch etwas Zeit, deine Haltung zu überdenken.“ „Du-“ „Und keine Sorge. Ich werde deinen Freunden nichts tun.“ Er schnippte und ließ neben sich eines dieser schwarzen Portale erscheinen. „Bedenke: Deine Zukunft liegt nicht in -deiner- Hand. Wir sehen uns wieder, Anya Bauer.“ Damit durchschritt er die Pforte, aber war noch nicht fort, ehe sie ihm ein paar bitterböse Worte hinterher rief: „Abweisung tut weh, was, Arschloch!?“ Vor ihren Augen verpuffte das Portal im Nichts und sie war wieder allein.   Anya sank auf die Knie. Verdammte Scheiße! Sie hatte sich mit dem Sammler gemessen … und irgendwie gewonnen. Wenn sie doch bloß das verdammte Schwert gehabt hätte, um ihn einen Kopf kürzer zu machen! In diesem Moment durchfuhr ein heftiger Schmerz Anyas Kopf.   Das Bodenpersonal versuchte Anya aufzuhalten, wie sie durch die Kontrolle zurück in den Boardingbereich rannte. Sie schüttelte eine Frau ab, hörte ihre Freunde hinter ihr rufen. Jemand vom Personal rief in ein Walkie Talkie, dass der Flug nicht starten konnte, verstummte aber plötzlich und schien die Meinung zu ändern.   Das konnte nicht sein! Wenn jemand ein Flugzeug vor dem Start verließ, mussten alle aussteigen und das Flugzeug von oben bis unten gefilzt werden! Das hatte Anya mal irgendwo aufgeschnappt, Verdacht auf eine Bombe oder so'n Scheiß. Und genau so war es gekommen. Wieso war das Flugzeug dann trotzdem gestartet!? Aber das war nicht, woran sie sich eigentlich erinnern sollte. Da war noch mehr!   Sie rannte durch die große Halle mit den leeren Sitzreihen. Da stand er, direkt in der Mitte, der Typ im weißen Mantel, dessen Basecap bis tief ins Gesicht gezogen war. Er hielt etwas in der Hand. Eine Schwertscheide, eingehüllt in braunem Leder. Anya kannte es – das war das Katana! Sie hatte das Schwert extra für den Flug anmelden müssen, war das ein Krampf gewesen! Wieso hatte er es, wie war er da ran gekommen!?   Schwer atmend kam sie vor dem Mann an. Er reichte ihr die Waffe. „Verlier' es nicht“, sprach er in einer völlig verzerrten Stimme. Als Anya das eingehüllte Katana annehmen wollte, wurde es ihr förmlich in die Hand gedrückt. „W-wer zum Geier bist du!?“ Nicht ihr Vater, das spürte sie jetzt mehr als deutlich. Was hatte das zu bedeuten!? Im Hintergrund hörte sie, wie das Flugzeug startete und an den großen Panoramafenstern des Boardingbereichs vorbei rollte. Er sagte nichts. Anya starrte ihn an. Sie griff nach seinem Gesicht, er bewegte sich nicht, aber irgendwie schaffte sie es nicht, ihn zu berühren. Die Blonde drehte sich um. Wo waren eigentlich ihre Freunde hin!? „Wer bist du!?“, wandte sie sich wieder ungehalten an den Fremden. „Ein Pfeil.“   Anya schreckte hoch. Sie hockte in ihrem Zimmer, schweißnass. Diese Erinnerungen hatte sie völlig verdrängt gehabt. Kurz darauf war das Flugzeug über Ephemeria abgestürzt. Dieser Mann, wenn er überhaupt einer war, er war der Schlüssel zu all dem. Dessen war sie sich sicher. Und etwas in ihr zweifelte daran, dass es der Sammler war, den sie da gesehen hatte.   ~-~-~   Sie schnaufte wütend, wie sie über den Bürgersteig schlenderte. Ein Mann, der ihr entgegen kam, wurde gnadenlos angerempelt. „Pass doch auf, Wichser!“, fauchte Zoey Bauer ihn an. „Was ist denn mit dir!? Blöde Kuh!“, schallte es zurück, aber der Kerl wagte es nicht, sich ihr entgegen zu stellen. Schade. Das Mädchen trug eine graue Strickjacke, hatte deren Kapuze bis tief über das Gesicht gezogen. Jenes gute Stück war ziemlich dreckig, hatte sie es sich in einer Rangelei erkämpft. Überhaupt hatte Zoey auf ihrem Weg in den Nachbarort Rains keine Konfrontation gescheut, was, bedingt durch ihre zierliche Statur, nicht immer zu ihrem Besten ausgegangen war. So war ihre linke Wange geschwollen vom Faustschlag irgendeines Miststücks, das meinte, ihr keine Kippe pumpen zu müssen.   Sie wollte irgendetwas zerstören. Ja. Ihre Wut auf ihre Cousine hatte sich nicht gelegt, im Gegenteil, sie war nur gewachsen. Jene ahnte ja nicht einmal, was in ihr vorging. Sie -wusste- nicht, was Zoey wusste. Lange genug hatte sie sich zurückgehalten, die Wahrheit vor ihr verborgen. Aber das würde sich ändern, sehr bald sogar …   Dabei bemerkte das Mädchen aus den Augenwinkeln, wie eine schwarze Limousine neben ihr anhielt. Auch Zoey stoppte. Das hinterste Fenster fuhr herab. Eine wunderschöne, schwarzhaarige Frau in einem eierschalenfarbenem Kleid saß darin. Wobei, nicht die ganze, lange Haarpracht war schwarz. Etwa ab der Hälfte ging sie abwärts von grau ins Weiße über. Seltsamer Anblick. Irgendetwas stimmte mit der nicht. „Endlich habe ich dich gefunden, Zoey Bauer“, sprach die Frau. „Hmpf.“ Zoey zog ihre Kapuze herab, wodurch ihre braune Beanie und die blonde Strähnen zu ihren beiden Gesichtshälften zum Vorschein kamen. „Wer bist du?“ „Kathea Musgrave. Steig ein, dann wirst du alles erfahren. Und glaub mir“, sprach jene geheimnisvoll, „es gibt -eine Menge-, über die wir sprechen sollten.“     Turn 94 – Nonexistance Während Cynthia Anya auf eine kommende Veranstaltung vorbereitet, um ihre Karriere zu fördern, wird Velvet von Melinda Ford auf einen Besuch im Hauptsitz der AFC eingeladen. Unter dem Vorwand, ihr die Anlage zu zeigen, scheint Melinda in Wirklichkeit mehr über das Mädchen herausfinden zu wollen. Doch alles kommt anders, als ein Eindringling Chaos stiftet … Kapitel 103: Turn 94 - Nonexistance ----------------------------------- Turn 94 – Nonexistance     „Ich benutze den Effekt von [Hand Of Nephthys]“, rief eine blonde Frau und schwang den Arm aus, „indem ich [Golem Dragon] und sie opfere, beschwöre ich [Sacred Phoenix Of Nephthys] direkt von meinem Deck.“ Der braune, flügellose Drache, der vor einer deutlich jüngeren Cynthia Taslitz ohne Tattoos am rechten Arm verharrte, löste sich zusammen mit der ägyptischen Priesterin in rotem Gewand mit goldener Haube in tosenden Flammen auf. Anya hockte gespannt vor dem Fernseher in ihrem Wohnzimmer und verfolgte das Finale eines Turniers von vor über zehn Jahren, das in einer dunklen Halle stattfand. Die Scheinwerfer waren ganz auf die aufsteigende Star-Duellantin und spätere Duel Queen gerichtet, vor der aus dem Inferno ein ganz aus Gold bestehender Phönix aufstieg. Sowohl sein Schopf, als auch die Flügel standen in Flammen.   Sacred Phoenix Of Nephthys [ATK/2400 DEF/1800 (8)]   „Direkter Angriff!“, befahl die Cynthia in der Aufzeichnung, die ein weißes, kurzärmliges Hemd und zerschlissene Jeans anhatte, energisch. „Flames of Eternity!“ Der riesige Vogel stieß einen flammenden Odem aus, der den Gegner der zukünftigen Duel Queen vollkommen einhüllte. Aus dem Hintergrund tönte eine weibliche Ansagerin: „Damit gewinnt Cynthia Taslitz die Regionalmeisterschaft Wisconsin!“ „Ja, und so fing alles an“, meinte die Cynthia der Gegenwart im Sessel hinter Anya, zückte die Fernbedienung und schaltete den Apparat ab. „Dass sie selbst heute noch solche alten Kamellen wiederholen …“ Dabei sah sie die Karte von [Sacred Phoenix Of Nephthys] in ihrer anderen Hand nostalgisch gestimmt an, ehe sie ihn in den Deckschacht der Duel Disk an ihrem Arm schob. „Na ja, wie auch immer. Was hast du gelernt?“ Anya drehte sich zu ihr um und kniff die Augen fest zusammen. „Nichts.“ Die junge Frau im schwarzen Tanktop, die ihr Haar diesmal hochgesteckt trug, lachte bissig. „So ist es. Alles, was du da gesehen hast, beherrscht du längst selbst. Was ich also sagen will: Wir werden die Regionalmeisterschaften überspringen und dich direkt in die Profiliga einschleusen.“ „Die Szene wird nie wieder dieselbe sein“, gluckste Zanthe, der ebenfalls zugesehen hatte, vom Sofa aus und lehnte sich zurück. „Hach. Was meinst du, Claire?“ Jene saß im anderen Sessel zum Flur hin und antwortete gewohnt tonlos: „Die Wahrscheinlichkeit, dass Anya Bauer abgelehnt wird, beträgt circa 95%.“ „Ein bisschen mehr Optimismus, bitte“, forderte Cynthia und sprang auf, „seit damals hat sich eine Menge geändert. Heute wird die Liga in verschiedene Gruppen unterteilt.“ „Ich weiß“, erwiderte Anya, die zu ihr aufsah. „S-Rang sind die, die die Millionen scheffeln.“ Zanthe fügte hinzu: „Und die vom D-Rang sind die Neueinsteiger.“ „Genau so ist es. Je nachdem, welche Leistungen man vorweisen kann, kann man auch direkt in den C-Rang oder sogar den B-Rang einsteigen.“ Cynthia verschränkte Arme und sah mit ihrem typisch neckischen Grinsen auf Anya herab. „Hättest du den Legacy Cup gewonnen, könntest du jetzt anstelle von Othello Nikoloudis von Position B starten. Da du aber nur Zweite geworden bist, reicht es eigentlich nur, um im untersten Rang einzusteigen.“ „Das heißt D!?“ Anya erhob sich erschrocken. „Aber ich war so nah dran! Wieso nicht C!?“ „Hast du davor schon mal etwas gerissen? Nein“, nahm ihre Mentorin ihr die Antwort prompt vorweg. „Es ist schon nicht einfach, überhaupt Teil der Profiliga zu werden.“ Der Kopftuchträger hinter ihnen meinte: „Solange du nicht wenigstens in der C-Liga bist, kannst du nicht an den großen Events wie den Kontinentalmeisterschaften teilnehmen.“ „So ist es. Da aber genau das unser – also mein – Ziel ist, müssen wir deine Statistik aufpolieren. Bis zum C-Rang muss man nicht unbedingt nur Turniere gewinnen, auch andere öffentliche Aktivitäten spielen eine Rolle“, erklärte Cynthia weiter und ging an dem Mädchen vorbei. Dabei warf sie ihr einen herausfordernden Seitenblick zu, „und dank meiner Beziehungen hast du übermorgen bereits deinen ersten, öffentlichen Termin.“ „Wo?“ „Gar nicht weit weg. Euer Einkaufszentrum veranstaltet auf meinen Wunsch hin ein Showduell, um das neue Boosterset zu promoten, das Anfang nächster Woche erscheint.“ Sie zwinkerte Anya keck zu. „Dein Gegner wird ein paar der neuen Karten benutzen. Da findet deine erste Lektion statt.“ Anya protestierte mit wedelnden Händen: „Was zur Hölle!? Warum nicht ich!?“ „Wir hatten unsere Gründe, uns darauf zu einigen“, erwiderte Cynthia geheimnisvoll und verließ das Wohnzimmer winkend, „bereite dich gut vor. Ich bin erstmal weg, ein bisschen Bier kaufen. Das, was bei euch rumsteht, ist ekelhaft.“   Das Mädchen sah ihrer neuen Mentorin nachdenklich hinterher. Ein Showduell also? Klang ja ganz interessant. Sofern überhaupt jemand kam, um es sich anzusehen.   ~-~-~   Das Klirren von Fensterscheiben. Glassplitter, die ihr Gesicht berührten, in der Ferne eine mächtige Explosion, die alles verschlingen würde.   Velvet schreckte schweißgebadet auf. Es dauerte einen Moment, bis sie realisierte, was geschehen war. Ihre Mutter hatte sie gerufen. „Velvet! Telefon für dich.“ „J-ja !“ Sofort schwang sich das Mädchen über ihre Bettkante und griff dabei nach ihrer Brille, die sie selbstverständlich verfehlte und zu Boden schmiss. Hektisch sank sie auf die Knie, schnappte sich das gute Stück und eilte Richtung der Tür.   Die ganze Woche hatte sie sehr schlecht geschlafen, weshalb sie dieses Wochenende all das versucht hatte nachzuholen. Aber dieser Traum, diese verdammte Vision, sie hielt sie regelrecht gefangen. Das Ende der Welt. Diesmal war es so nah nie. Und da war keiner, der es verhindern würde.   Benommen stampfte sie vom hinteren Ende des Hauses durch den kleinen Gang, der die Schlafzimmer voneinander trennte, wo ihre Mutter Sheila ihr bereits mit dem weißen schnurlosen Hörer in der Hand entgegen kam. „Eine Frau von der Abraham Ford Company.“ „J-ja.“ „Ich mache dann mal Frühstück“, sagte ihre Mutter noch und verschwand links herum in die Küche.   Velvet legte mit großem Unbehagen den Hörer ans Ohr. „H-hallo?“ „Guten Morgen, Velvet“, grüßte sie eine fröhliche Dame am anderen Ende der Leitung, „ich bin Melinda Ford-“ „V-von der AFC!?“, fiel ihr das Mädchen erschrocken ins Wort. Natürlich, wenn ihre Mutter schon sagte, dass es jemand von dort war … „Ha ha, ja, genau die“, schien sich jene aber nicht an der unhöflichen Unterbrechung zu stören, „hör mal Velvet, wir würden dich gerne auf einen Rundgang durch unseren Hauptsitz in Portland einladen.“ Der Schülerin sackte sofort das Herz in die Hose. „W-wie bitte?“ „Sieh es als Wiedergutmachung dafür an, dass mein Bruder dich vor ein paar Tagen so unvermittelt unter Druck gesetzt hat. Ich möchte dir gerne alles zeigen.“   Die Gedanken des Mädchens rasten. Diese Firma war noch ein Grund, warum sie in letzter Zeit so schlecht schlief. Denn die Anschuldigung, sie hätte [Ebon Sky Pegasus] gestohlen, stand weiterhin im Raum. Schließlich hatte die Konfrontation mit Henry Ford nur hervorgebracht, dass sie nicht unmittelbar zur Rechenschaft gezogen wurde. Und dieses Treffen war sicher nur ein Vorwand, überlegte Velvet angestrengt. Mrs. Ford hatte doch bestimmt irgendetwas vor, die Sache mit Pegasus war schließlich noch nicht vom Tisch. Aber ablehnen konnte sie wohl kaum … „U-und wann soll …?“ „Wie wär’s mit jetzt gleich? Ich stehe jeden Moment vor der Tür.“ Velvet fiel aus allen Wolken. „W-was!?“ „Du hast noch fünf Minuten“, kicherte Melinda vergnügt, „wir sehen uns. Bye bye!“ Völlig hilflos stammelte das Mädchen: „Bye …!?“   Sie hatte also fünf Minuten Zeit, sich umzuziehen, zu frühstücken und nebenbei ihre Angst in den Griff zu bekommen!? Na großartig, da würde wohl was auf der Strecke bleiben … Sofort zischte das Mädchen wie ein Blitz zurück in ihr Zimmer. Sie konnte damit leben, mit knurrendem Magen und zitternd wie Espenlaub mit Melinda Ford eine zweistündige Fahrt zu unternehmen. Aber sicher -nicht- im Nachthemd!   Und sie hatte sich kaum in ein pinkes Shirt mit grauer Weste und Kapuze – die mit den Hasenohren! – sowie eine schwarze Jeans gezwängt, da ertönte schon eine Hupe von draußen. Als Velvet die Tür hinter ihrem Zimmer zufallen ließ, stand ihre Mutter plötzlich vor ihr. „Wo willst du hin?“ „I-ich treffe eine Freundin. Wird spät!“ Sheila zeigte sich wie üblich streng. „Du bist vor 10 Uhr zurück, verstanden?“ Das Mädchen zwängte sich förmlich an ihr vorbei. „J-ja, natürlich.“ „Brauchst du Geld?“ „N-nein.“ „Hast du dein Telefon mit?“, rief Mrs. Thorne ihrer regelrecht flüchtenden Tochter hinterher. „Ja!“ Das Mädchen seufzte. „Mum, mach dir bitte nicht so viele Gedanken!“ Sie meinte es nur gut, aber-   Schätze es. Denn es wird nicht immer so sein.   Velvet blieb wie eingefroren vor der Haustür stehen. Sie wusste dank ihrer Visionen von Menschen, die Stimmen in ihrem Kopf hörten. Aber dieser Gedanke eben, der war ihr eigener gewesen und doch auch nicht. „Was …?“ Draußen hupte es erneut und so wurde sie aus ihrer Starre gerissen. „I-ich bin dann weg, Mum! Bye!“ „Welche Freundin-“, rief ihre Mutter ihr noch hinterher, aber die Tür knallte schon vor ihr zu. Regelrecht angestachelt von dem seltsamen Erlebnis rannte Velvet zu der schwarzen Limousine, die vor ihrem Grundstück parkte. Der Fahrer stand am Bürgersteig und öffnete ihr die Tür, sodass sie nur noch zu Melinda einsteigen musste, die sie bereits mit einem breiten Lächeln empfing.   ~-~-~   Ein penetrantes Klingeln riss Anya und ihre Freunde aus dem entspannten Fernsehvormittag. Das blonde Mädchen rollte genervt mit den Augen. „Mum!?“ Aber die reagierte nicht von der Küche aus. „Anya, man kann auch mal selber zur Tür gehen“, schnarrte Zanthe, der mit Claire noch immer auf der Couch saß. „Tch!“ Nur widerwillig erhob sich Livingtons neue Berühmtheit und trottete an Matts Sessel – denn jener hatte sich inzwischen auch die Ehre gegeben – vorbei in den Flur. Die anderen machten sich auf, ihr völlig indiskret zu folgen. „Wir kaufen nichts von-“, maulte Anya, als sie die Haustür aufriss und einer kleinen, alten Dame gegenüber stand, stockte dann aber erschrocken. „Grandma!?“ „Anya! Meine Kleine“, strahlte Margery Bauer ihre Enkelin an, kurz bevor die anderen dazu stießen. Und ehe sie sich versah, bekam die Blonde eine Faust aufs Auge gedrückt. „Wie kannst du es wagen, unsere Familie zu blamieren!? Eine Bauer verliert nicht im Finale eines Turniers!“ Benommen kippte Anya zurück und wurde von einem perplexen Matt aufgefangen. „Was zur Hölle!?“, keuchte Zanthe. „Ist die mit dir verwandt!?“ „Hi Grandma …“, stöhnte Anya und hielt sich das rechte Auge.   Man konnte der alten Dame schon rein optisch ansehen, mit wem sie verwandt war. Von zwergenhafter Statur, war ihr graues Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Der hauseigene Familiendrache trug zudem mit Vorliebe schwarze Lederjacken mit Nieten und zerschlissene Jeans. Eine Rockerbraut, die sich nicht daran störte, schon über sechzig Jahre alt zu sein. Oh und Marge trug eine Augenklappe über dem linken Auge. Aber es ging in der Familie das Gerücht umher, dass jene ausschließlich Dekoration war, hatte man Margery vor einigen Jahren dabei gesehen, wie sie besagte Klappe in volltrunkenem Zustand komischerweise über dem rechten Auge trug. Solche Geschichten erzählte man sich jedoch ausschließlich hinter vorgehaltener Hand, denn wer es wagte, sie in ihrer oder Anyas Gegenwart von sich zu geben … hatte eine düstere Zukunft in Aussicht.   „Ich geh‘ mir erstmal ein Bier holen“, murrte die kleine Frau und schob sich einfach an Anya und den anderen vorbei, die ihr verblüfft bis furchtsam hinterher sahen. „Jetzt wissen wir, woher sie -das- hat“, gluckste Zanthe schließlich. Im Hintergrund hörten sie Marge schreien: „Sheryl, wo ist das verdammte Bier!?“ Matt half in der Zwischenzeit Anya auf, die sich knurrend das Auge rieb. „Verdammt, die alte Hexe hat's immer noch drauf!“ „Anya, ist das wirklich … also ich meine“, stammelte der irritiert. „Ja, das ist Grandma Bauer. Und mein Idol, falls du es wissen willst.“ Der Werwolf der Gruppe prustete los. „Das konnten wir bereits in den wenigen Sekunden ableiten, in denen wir sie gesehen haben, Anya. Und ich habe jetzt das unnütze Wissen erlangt, wie du in fünfzig Jahren wohl aussehen wirst.“   Analog dazu klimperte die Kühlschranktür. Grandma Bauer gab ihre Unzufriedenheit lautstark zum Besten. „Scheiße, Sheryl, dein beschissener Kühlschrank ist leer wie der Kopf unseres dämlichen Präsidenten!“ „Du warst ja auch nicht eingeplant“, drang es kühl von Anyas Mutter aus der Küche. „Nicht mal Bier findet man in diesem Haus. Wo ist der Wodka!?“ Genervt mit den Augen rollend, rannte Anya an den anderen vorbei in den Flur zur Küche. „Boah, Grandma, ich hol' dir dein beknacktes Bier ja schon!“ „Das will ich auch hoffen. Du willst mich lieber nicht im nüchternen Zustand erleben!“ „Besoffen bist du noch schlimmer, Grandma!“   Jedoch war es nicht Margery, die die Aufmerksamkeit von Matt und Zanthe auf sich zog. Nein, es war Claire Rosenburg, die hinter ihnen stand und etwas tat, das man so noch nie von ihr erlebt hatte. Sie sprach, ohne aufgefordert zu werden. „Frage: Wenn ich Anya Bauer mit der Faust schlage, bringe ich sie damit zum Schweigen?“ Die beiden sahen die blonde Weltmeisterin entgeistert an. Zanthe öffnete verblüfft den Mund, da wurde ihm dieser von Matt zugehalten. Leise flüsterte er dem Werwolf zu. „Sei vorsichtig was du sagst! In dem Zustand, in dem sie sich befindet, kann jedes falsche Wort erhebliche Schäden anrichten! Im Grunde stellen wir die Weichen-“ Aber typisch Zanthe, riss dieser die Hand von sich und schoss wie aus der Pistole: „Probier' es aus!“ Unmittelbar danach löste sich Claire von der Gruppe und verschwand in die Küche. Was folgte, war ein Schrei, ein lauter Knall und eine ganze Menge Gefluche. Zanthe und der Dämonenjäger sahen sich entgeistert an. Letzter stammelte: „I-ist das normal?“ „K-keine Ahnung, vielleicht haben wir gerade einen ersten Einblick in ihre alte Persönlichkeit erhascht?“ Obwohl er versuchte, es zu unterdrücken, klang der Werwolf beim Lachen heiser. „Ist doch was Positives.“ „Ja“, murrte Matt, „als ob wir nicht schon genug Furien um uns geschart hätten …“ Aus der Küche drang es: „Scheiße, was soll das, Roboburg!?“ „Verdammt, Anya“, fauchte ihre Großmutter wütend, „du lässt dich von so einer halben Portion umhauen!? Bist du zum Waschlappen mutiert!?“ „N-nein!“ Und Claire sprach dazwischen: „Meine Analyse ergab, dass du still bist, wenn man dich schlägt. Fehler. Du bist nicht still.“ „Und du kein verdammter Roboter, elendes Miststück!“   Matt flüsterte Zanthe zu: „Das kann ja heiter werden.“ Jener grinste aber breit. „Wieso? Es war Claires Art zu sagen, dass Anya ihr auf die Nerven geht. Wie gesagt, das ist eine positive Entwicklung. Je nach Betrachtungswinkel …“ „Bring ihr bei, dass das falsch war“, knurrte der Schwarzhaarige jedoch düster, „sonst tu ich's mit dir als Exempel.“   ~-~-~   Die knapp zweistündige Fahrt war für Velvet erstaunlich angenehm. Während die Limousine über den Highway düste, unterhielt sie sich mit Melinda über alle möglichen Dinge. Mode, Haustiere, natürlich auch Duel Monsters. Melinda hatte auch erklärt, wie die Karten in Japan entwickelt und die Daten an die AFC weitergeleitet wurden. Jene durfte auch selbstständig Themen entwerfen und wurde gar damit beauftragt, eine neue Mechanik – die Pendelmonster – ins Spiel zu integrieren. Es war spannend, ihr zuzuhören und Fragen zu stellen, besonders weil sie ganz anders war als ihr Bruder. Freundlich, aufgeweckt, ein wenig frech, aber immer respektvoll. Außerdem hatte Melinda ihr einen Briefumschlag gegeben, den sie jedoch erst öffnen sollte, wenn sie wieder zuhause war. Das Mädchen befürchtete bereits, dort drinnen ein Schreiben der Anwälte der AFC vorzufinden, aber das hatte ihre Gastgeberin sofort zwinkernd ausgeschlossen. Zum Glück konnte Melinda sie sofort wieder durch ihre spannenden Geschichten davon ablenken.   Als eine Abfahrt in Sicht kam, die eigens für den AFC-Hauptsitz gebaut worden war, staunte Velvet Bauklötze. Die relativ öde Umgebung war hier und da durch ein paar Bäume und Sträucher gespickt, aber all das stand im Schatten einer riesigen Anlage. Vom hexagonalen Hauptgebäude führten regelrechte Brücken alle zwei Stockwerke in einen kleinen, 'normalen' Trakt. Zur Rechten befand sich ein gut besuchter, riesiger Parkplatz. „Wow!“, hauchte Velvet beim Anblick der Glassphäre, die sich auf dem Dach des Hauptgebäudes befand und in der Duel Monsters-Hologramme projiziert wurden. „Du bist die Erste, die Bauklötze staunt“, gluckste Melinda neben ihr, „die Meisten sagen, dass es auf Bildern wesentlich imposanter aussieht. Aber so ist es mit vielem.“ Im vorderen Bereich des Hexagons war zudem eine Eingangshalle aus Glas angebaut, über der – ebenfalls per Hologrammtechnologie – das Logo und der Schriftzug der Abraham Ford Company angezeigt wurden.   Als sie den Gebäudekomplex schließlich erreichten, hielt die Limousine direkt vor dem Haupteingang an. Der Boden war mit grauen Pflastersteinen bedeckt. Drei Stufen führten hinauf zu einer Reihe gläserner Schiebetüren, hinter der sich zu Velvets Erstaunen eine Sicherheitskontrolle befand. Melinda, die den irritierten Blick bemerkte, meinte: „Das ist notwendig.“ „O-okay.“ „Geht auch ganz schnell.“   Nach der Prozedur, wo sie durch eine Art Scanner hindurchgehen und anschließend ein Besucherformular ausfüllen musste, führte Melinda sie durch die Lobby. Der Empfang befand sich direkt in der Mitte der riesigen Halle und bestand aus einem kreisrunden Glastresen, der sich um eine Säule schlang. Gleich mehrere Damen saßen dort verteilt und nahmen Telefonate entgegen. „Wir haben oft Besuch“, erklärte Melinda heiter, „von Designern, Aktionären, Profiduellanten, hin und wieder auch Anwälten …“ „O-oh“, stieß Velvet hervor und sah betreten zu Boden. Sie konnte ihr Spiegelbild verschwommen in den schwarzen Marmorfliesen sehen, die scheinbar regelmäßig poliert wurden, so wie sie glänzten. „Entschuldigung.“ Melinda sah die Schwarzhaarige mitleidig an. „Ich wollte nicht auf deine Situation anspielen, falls das so rüberkam.“ „N-nein, schon gut.“ „Unsere Empfangsdamen haben aber noch mehr zu tun, als Besucher zu betreuen. Sie müssen sich beispielsweise auch um Beschwerden der verschiedenen Agenturen kümmern und Telefonate weiterleiten an die entsprechende Abteilung.“ Velvet war der jungen Frau dankbar dafür, dass sie sofort das Thema wieder aufgriff, statt weiter auf ihre Lage einzugehen. Das würde noch früh genug kommen. „Das ist sehr interessant“, ging sie daher mit aufrichtigem Interesse darauf ein, „ich habe mich immer gefragt, wie es hier so zugeht.“ „Haha, meist sehr chaotisch. Kunden sind nie zufrieden, besonders weil sich in den letzten Tagen immer wieder einige unserer Server verabschiedet haben.“ „W-was? Davon wusste ich gar nichts!“ Melinda seufzte schwer. „Na ja, meistens ist die Ostküste betroffen. Aber die Probleme mehren sich und damit auch die Beschwerden. Die Presse wartet schon auf eine Stellungnahme, aber was soll ich ihnen sagen? Bei den Wartungen ist uns nichts aufgefallen und danach funktioniert auch wieder alles.“ „Das tut mir leid.“ „Muss es nicht, ist ja nicht deine Schuld. Mir tut es leid für die Unannehmlichkeiten, die euch dadurch entstehen.“ Während sie am Empfang vorbei schlenderten, zwinkerte der Rotschopf ihr verschwörerisch zu. „Ich weiß wie es ist, ein tolles Duell zu Ende spielen zu wollen, es aber nicht zu können.“   Sie peilten eine riesige Front aus Aufzügen an, die sich weiter hinten in der Halle befand. Jene waren ebenfalls aus Glas, man konnte die Mitarbeiter in ihren Anzügen sehen. Erst jetzt bemerkte Velvet, dass die Halle noch viel höher war als gedacht, denn sie konnte hoch bis zu den oberen Etagen sehen. „Komm“, bat Melinda sie mit einem Wink. Beide stiegen in einen der Fahrstühle. Da fiel der Brillenträgerin auf, dass die gläserne Tastatur jedes Stockwerk dreimal aufzähle. So gab es zum Beispiel Etage 3, 3L und 3R. „Unsere Aufzüge können etwas ganz Tolles“, gluckste Melinda, der der verwirrte Blick auffiel und drückte die 3R-Taste. Es ging ganz normal aufwärts, aber als sie das dritte Stockwerk erreichten, öffneten sich nach rechts die Schächte der anderen Aufzüge. Es gab einen kaum merkbaren Ruck und plötzlich fuhr er an einer Schiene entlang nach rechts, bis er die rechte Seite der Halle erreicht hatte. „Uh …“ „Irgendwie sinnlos“, gluckste Melinda, „wir hätten auch einfach Aufzüge auf beiden Flügelseiten bauen können, aber Dad wollte technischen Schnickschnack. Der Alte hat einfach zu viel Geld.“ Die beiden stiegen aus. Velvet trat auf Glas und erkannte, dass sich auch unter ihnen solch ein Schacht befand. „Das Ding könnte dich sogar bis ans Ende des Komplexes bringen, aber mein Büro ist nur ein paar Meter voraus.“ Melinda deutete einen langen Gang entlang. Die beiden gingen nebeneinander her und plauderten weiter. Es gefiel Velvet hier. Vielleicht hätte sie hier einen Job angenommen, sofern sich ihr natürlich die Möglichkeit geboten hätte. Aber bei ihrer Vorgeschichte konnte sie das wohl inzwischen vergessen. Die Mitarbeiter, die ihnen auf ihm Weg entgegen kamen, grüßten höflich. Am Ende des mehr als nur ein paar Meter langen Gangs erreichten sie besagtes Büro schließlich. Überhaupt schloss hier jeder Raum an den anderen an, aber sie alle waren durch schwarzes Glas nicht einsehbar. Zumindest die meisten nicht, manche waren zum Gang hin durchsichtig. Velvet glaubte, dass sich dahinter eine Art Technik verbarg, mit der man dies steuern konnte. Melinda legte keinen Wert auf Privatsphäre, in ihres konnte man hineinsehen. Dadurch konnte das Mädchen auch einen Blick auf ein sich anschließendes Treppenhaus erhaschen, das am Ende des Ganges und neben dem unter ihnen verlaufenden Fahrstuhlschacht lag.   „Nach dir“, meinte Melinda, die sich vor die Tür stellte und jene mit dem Mitarbeiterausweis um ihren Hals entriegelte. Sofort schoss diese auf. Nachdem beide eingetreten waren, bewahrheitete sich Velvets Vermutung. Indem der Rotschopf in die Hände klatschte, verdunkelte sich das Glas und plötzlich waren sie ungestört. „Setz' dich“, bat Melinda, als sie ihren Schreibtisch umrundete und hinter diesem Platz nahm. Nur sehr zögerlich nahm Velvet das Angebot an und ließ sich auf dem bequemen Lederstuhl nieder, der vor dem Mahagonitisch stand. Das sanfte Lächeln der rothaarigen Frau machte sie nur nervöser. „I-ich weiß, warum ich wirklich hier bin. Ich habe gegen Ihren Bruder-“ „Ich habe dich nicht hergeholt, um dich zu bestrafen“, ging Melinda sofort dazwischen, „im Gegenteil. Trotz gewisser Defizite hast du dich gegen Henry hervorragend zur Wehr gesetzt. Ein tolles Duell.“ Beim Nicken fiel Velvet fast die Brille von der Nase. „D-danke.“   Melinda machte eine Pause, damit die Kleine sich erstmal ein wenig sammeln konnte. Aber sie wagte es nicht, überhaupt aufzusehen. Was den Ford-Spross zum Seufzen brachte. „Du hast mich natürlich durchschaut. Ich hatte in der Tat den Hintergedanken, noch einmal mit dir über -diese Sache- zu sprechen. Also komme ich am besten gleich zur Sache. Du sagst, du hast keine unserer Excel-Karten gestohlen. Und ich glaube dir.“ „Wirklich!?“ „Ja.“ Zur Bekräftigung nickte Melinda, faltete die Hände ineinander. „Aber dadurch bleibt die Frage offen, wie du dann in den Besitz deines Pegasus' gekommen bist. Wir haben diese Karte nie entwickelt – das hat mein Bruder dir bisher nicht gesagt. Und gerade deswegen sind wir verpflichtet, dem nachzugehen.“ Panisch stammelte Velvet: „I-ich sagte doch, ich weiß es nicht. Wenn Sie wollen, gebe ich ihn sofort zurück, Miss Ford!“ „Nein, du kannst ihn behalten. Und sprich mich doch bitte mit meinem Vornamen an. Ich bin Melinda.“ „Okay“, nuschelte die Schwarzhaarige, aber sank dabei nur tiefer in den Stuhl. „Velvet, das klingt jetzt … merkwürdig. Aber ich denke, dass du ein ganz besonderes Mädchen bist. Möchtest du mir vielleicht erklären, warum ich das glaube?“ Melinda versuchte so freundlich und offen wie möglich zu klingen. Ihr Gegenüber schüttelte verunsichert den Kopf. „Mein Bruder und ich, wir haben in der Vergangenheit auch einige Dinge erlebt, die wir uns anfangs nicht erklären konnten“, sprach Melinda weiter, „wir waren genauso verängstigt wie du, das kannst du mir glauben. Bis wir begriffen, dass es … nicht immer für alles logische Erklärungen gibt. Und ich glaube, dir geht es im Moment nicht anders.“   Plötzlich sah Velvet sie an. Zutiefst erschrocken, gar panisch. Wäre sie nicht von Hause aus so blass, hätte man befürchten müssen, dass sie jeden Moment ohnmächtig wird. „Du kannst mir vertrauen, auch wenn dir das berechtigterweise sehr schwer fällt. Gibt es etwas, das du mir sagen möchtest, aber nicht kannst?“, hakte Melinda vorsichtig nach. Die Finger des Mädchens krallten sich in ihre schwarze Jeans. Sie kämpfte. Mit sich selbst. Dann sah sie, den Tränen nah, auf. „Nein. Tut mir leid, Miss Ford.“ „Melinda“, korrigierte sie jene sanft. Nickte dann aber verständnisvoll. „Alles klar. Dann werde ich nicht mehr nachfragen.“ Beschämt sah ihr junger Gast zur Seite. „Aber wenn du jemals Hilfe brauchst, kannst du dich jederzeit bei mir melden.“ „D-danke …“ Seufzend erhob sich Melinda schließlich, strahlte dann aber plötzlich kindlich. „Tja, was hältst du erstmal von dem versprochenen Rundgang, um die Stimmung etwas zu heben?“ Auch Velvet erhob sich. „Uh, also, Sie … d-d-du musst das nicht tun.“ „Ach komm schon, das wird dir bestimmt gefallen. Ich zeige dir die Labore, wo wir Karten entwerfen und wie sie dann dort hergestellt werden.“ Melinda zwinkerte. „Sowas bekommt nicht jeder zu sehen.“ „Ist das wirklich ok? Nach allem, was passiert ist?“ „Oh, höre ich da ein Schuldeingeständnis?“, kicherte der Rotschopf schelmisch, schlich um den Schreibtisch und schnappte Velvets Schulter. „N-nein!“, protestierte die hektisch. „Dann hast du keinen Grund, so bescheiden zu sein. Los, los! Damit kannst du dann schön vor deinen Klassenkameraden angeben, also mach ruhig ein paar Bilder!“   Gerade als die beiden die Tür erreicht hatten, wurde es schlagartig stockdunkel, nicht nur in Melindas Büro, sondern auch auf dem Gang. „Ein Stromausfall?“, wunderte sich Velvet. Melinda sagte nichts. Kurz darauf erhellte das Display ihres Smartphones den Raum, welches sie an ihr Ohr legte. „Tommy, ich bin's. Was ist da los?“ Die Schwarzhaarige sah sie von der Seite nervös an. Da stimmte etwas nicht, denn mit jedem unverständlichen Wort, dass dieser Mann am anderen Ende der Leitung sprach, wurde der Ausdruck in Melindas angeleuchtetem Gesicht düsterer. „Völlig zerstört?“, hauchte sie fassungslos. „W-was? Sind sie bewaffnet!?“ Velvet erschrak laut, sodass die junge Frau sich zu ihr umdrehte. Hastig sprach sie: „Das kann nicht sein, die wären nicht durch die Kontrolle gekommen. Denk doch mal nach, Tommy! J-ja, natürlich, alle sollen in ihren Büros bleiben, aber-! Nein! Die Security soll nach diesen Typen suchen. Alles klar, ich verspreche es.“ Was auch immer der Rotschopf da versprach, sie schien sich nicht daran halten zu wollen, wie die gekreuzten Zeige- und Mittelfinger ihrer freien Hand verrieten. Seufzend legte Melinda auf. „Velvet, wir haben ein Problem. Angeblich sind zwei bewaffnete Männer hier eingedrungen und haben unsere Stromzufuhr unterbrochen. Mit dem Notstrom gibt's ebenfalls Probleme, aber“, meinte sie und wandte sich dem Mädchen zu, „wir bekommen das in den Griff.“ „B-bewaffnet!?“, keuchte das Mädchen und wich zurück. „Bleib hier und versteck' dich am besten, verhalte dich ruhig. Dir wird nichts geschehen, das verspreche ich dir.“ „U-und Sie?“ Melinda schnalzte mit der Zunge. „Du! Wir sind beim Du! Ich muss etwas überprüfen. Irgendwas an der Geschichte stinkt wie die Socken meines Bruders nach einem Tennisspiel mit Dad.“ Entgegen dem Ernst der Lage musste Velvet glucksen. Um dann gleich zu erkennen, dass sich Melinda in Gefahr brachte, wenn sie alleine durch dieses riesige Gebäude streifte. „Bitte, Sie dürfen nicht alleine gehen! Was wollen Sie überhaupt-“ „Keine Zeit für Erklärungen.“ Melinda hob ihr Smartphone hoch. „Ich sehe genau, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zu geht. Und als zukünftige Erbin der Firma ist es meine Pflicht, dem nachzugehen. Warte auf mich, Velvet!“ Kaum hatte sie ihre heroische Ansprache mit einem deutlich schelmischen Grinsen zum Besten gegeben, wandte sie sich der Tür zu und riss sie mit erstaunlich viel Kraft für so eine zierliche Person auf. „M-miss Ford! I-ich meine Melinda!“   Velvet eilte ihr bis zur Türschwelle nach und sah dem Licht nach rechts hinterher, das sich Richtung Treppenhaus bewegte. Es war nur ein Impuls, aber statt die Tür wieder zu schließen, eilte die Schülerin ihr kurzerhand hinterher. „Warte!“ „Bleib wo du bist, Velvet!“ Aber darauf hörte das Mädchen nicht. Irritiert rannte Velvet der jungen Frau hinterher, die nur mit dem Licht ihres Smartphones ausgestattet war, bereits die Stufen des dunklen Treppenhauses hinab eilte. „W-warte doch! Ich komme mit!“ „Das kannst du nicht!“ „Doch!“, widersprach Velvet mit all ihrer zur Verfügung stehenden Courage. „Ich lasse dich nicht alleine, immerhin betrifft mich das auch!“ Der Rotschopf machte kurz Halt und stöhnte. „Wer hätte gedacht, dass du so ein Sturkopf bist? Egal, weiter!“ Schon rannte sie wieder los, fast, als versuche sie Velvet abzuhängen. Aber die war immerhin sportlich genug, wenigstens ansatzweise mitzuhalten, wie sie Stockwerk um Stockwerk nach unten eilten. Dabei musste sie noch aufpassen, ihr Telefon, das ihr als Lichtquelle diente, nicht fallen zu lassen. „W-was für einen Verdacht hast du denn überhaupt?“, wollte Velvet wissen und merkte dabei schon, dass sie immer mehr aus der Puste geriet, weil der Weg hinab kein Ende nehmen wollte. „Irgendjemand schnüffelt hier herum“, kam eine angestrengte Antwort, „ich hab’s im Blut!“ „I-ich habe nichts-“ Melinda, die eine ganze Etage Vorsprung hatte, hielt auf den Stufen lächelnd an. Auch sie war schon außer Atem geraten. „ Ha … Weiß ich doch!“ „A-aber wie kommst du darauf, dass es überhaupt einen Eindringling gibt?“ „Sagen wir, der Strom ist nicht überall ausgefallen. Das hier“, erklärte die junge Frau und hob ihr Smartphone hoch, während Velvet langsam zu ihr aufschloss, „hat immer noch Kontakt zu den Servern, was nicht gehen sollte, wenn sowohl Haupt- als auch Notstrom ausgefallen sind.“ „Sollten wir die Sache dann nicht den Wachmännern überlassen?“ Der Rotschopf stürmte bereits weiter. „Ich will demjenigen selbst gegenüber stehen. Das ist nicht das erste Mal, aber dieses Mal erwische ich ihn oder sie!“   Und so rannten die beiden weiter, bis es irgendwann nicht mehr tiefer nach unten ging. Was folgte waren diverse Gänge, wie ein Labyrinth, die allesamt so dunkel waren wie die oberen Stockwerke. Mühselig hielt Velvet mit Melinda Schritt, die ihrerseits auch erschöpft war, aber von ihrem Ehrgeiz angetrieben wurde. Hoffentlich war dort niemand, flehte Velvet innerlich. Und wenn doch, bitte unbewaffnet. Vielleicht war es doch keine gute Idee, mit Melinda mitzukommen, aber sie hätte ein furchtbar schlechtes Gewissen, wenn sie es nicht täte …   Am Ende des letzten Ganges betraten die Zwei einen nur durch Notbeleuchtung rot erhellten, kreisrunden Raum, in dessen Mitte sich eine Säule befand. Dicke Kabel führten von ihr am Boden und an den Wänden in alle möglichen Richtungen, vor ihr stand eine Eingabekonsole. „Wow“, staunte Velvet und sah sich in dem leeren Raum um. Die Akustik war seltsam widerhallend. „Der Serverraum ist gleich … da hinten“, deutete Melinda keuchend auf einen Gang voraus. „Melinda“, stammelte Velvet plötzlich, als ihr beim Umsehen etwas ins Auge stach und stieß rückwärts gegen jene. „D-dort!“ Sie zeigte auf zwei Männer in dunkler Uniform, die nebeneinander gegen die Wand gelehnt lagen, unweit vom Eingang, sodass sie nicht sofort bemerkt worden waren. „Oh nein!“, brachte Melinda erschrocken hervor. Sofort eilten beide zu ihnen, stellten aber kurz darauf fest, dass die Wachen nur bewusstlos waren. Durch das schlechte Licht konnte man jedoch nicht erkennen, was das verursacht hatte. „Die sind bestimmt nicht von alleine umgekippt.“ Der kniende Rotschopf erhob sich. „Velvet, geh' los und hol Hilfe.“ „U-und du?“ „Der Typ ist bestimmt noch hinten im Serverraum. Ich verschaffe dir etwas Zeit, damit-“ Doch zu ihrem eigenen Erstaunen protestierte Velvet erneut: „Nein! Alleine zu gehen ist viel zu gefährlich. Was, wenn das mehrere sind?“ „Damit komme ich schon klar!“ Das Mädchen mit der Brille schüttelte den Kopf. Sie hatte ein ganz ungutes Gefühl bei der Sache. „Ich wüsste nicht mal, wo ich nach Hilfe suchen soll! Bitte, lass mich mitkommen!“ Vielleicht war alles auch nur ein Irrtum oder der Eindringling schon weg? Aber sie hätte ein schlechtes Gewissen, Melinda einfach alleine gehen zu lassen. Melinda machte eine Pause und sah die beiden Männer an. „Warte kurz …“ Sie schnappte sich ihr Smartphone und wählte eine Nummer. „Melinda hier. Ruf bitte einen Krankenwagen, Meyer und Bartels sind bewusstlos. Dann komm mit ein paar Jungs runter zu den Servern. Was? Wie lange? Ja. Beeilt euch. Bye.“ Sie grinste berechnend. „Verstärkung kommt gleich! Wenn wir diese Person lange genug beschäftigen, kommt sie nicht mehr heil hier raus. Der Serverraum ist nämlich 'ne fette Sackgasse.“ „H-hoffentlich.“   Statt wie zuvor zu rennen, gingen sie langsam an der Säule vorbei. Ihre Schritte hallten im kreisrunden Raum nach. Wenn Melinda Recht behielt und dort drüben wirklich jemand war, würden sie sowieso früher oder später auf ihn stoßen. Also war es egal, ob sie sich beeilten oder nicht. Im Gegenteil, je später sie ihn überraschten, desto schneller würden die Wachmänner dann auftauchen. Velvet wurde ganz schwindelig bei diesen kindlichen Berechnungen, die sie da anstellte. Es folgte wieder ein langer Gang, aus dem bereits orangefarbenes Licht drang. Welches plötzlich einen langen Schatten warf. Melinda und Velvet blieben abrupt stehen, als sie die Gestalt sahen, die auf sie zu kam. Jene trug einen Koffer mit sich. „Bingo“, zischte Melinda düster, als die kaum erkennbare Person ihnen auf ein paar Metern gegenüber stand, „auf mein Bauchgefühl kann ich mich immer verlassen.“ „Miss Ford“, sprach der Mann mit heller, eisiger Stimme, „Bauchgefühl brauchen nur diejenigen mit begrenztem Intellekt.“ „Ich weiß genau, wer du bist. Du hast neulich schon beinahe unser System gehackt“, fauchte die zukünftige Erbin des Ford-Unternehmens zornig, „und jetzt bist du persönlich gekommen, um es durchzuziehen, nicht wahr?“ Der Mann lachte. Es war ein kaltes, berechnendes Lachen. Er setzte seinen Koffer ab. „Sie irren sich. Ich hätte schon damals Erfolg haben können. Aber meine persönliche Neugier hat mich dazu bewogen, mir ein paar Dinge 'aus der Nähe' anzusehen.“ Dabei führte er seine Hand zu seinem Gesicht, aber Velvet konnte nicht erkennen, was er dort tat. Melinda verlange zu wissen: „Wer bist du!?“ „Ich bezweifle, dass Sie schon einmal von mir gehört haben, aber kann ihnen gerne meinen professionellen Namen nennen: Harrier.“   Harrier? Velvet zumindest hatte tatsächlich nie von jemandem gehört, der so hieß. Vermutlich eine Art Spitzname. Der eines Hackers?   „Habe ich nicht, aber das reicht mir schon“, knurrte Melinda zornig und hob den Arm, „und jetzt stell dich mir! Ich werde dich zur Rechenschaft ziehen!“ Er drehte sich zur Seite weg, stand da, als wolle er gleich in die andere Richtung gehen. Von der Velvet wusste, dass sie in einer Sackgasse enden würde. „Keine Frage, was ich überhaupt getan habe?“ „Das finde ich noch früh genug heraus.“ An Melindas Arm fuhr ein rotes D-Pad aus. „Vielleicht ja früher als mir lieb ist? Oder könnte es sein, dass du noch gar nicht fertig warst? Immerhin sind höchstens zehn bis fünfzehn Minuten vergangen. Du hättest dran denken sollen, dass mein Team immer noch über Mobilfunk Kontakt halten kann. Und dadurch habe ich dich erst gefunden.“ Harrier antwortete herausfordernd: „Was soll ich sagen? Ihr Team ist mit der Jagd nach zwei nicht existierenden, bewaffneten Männern beschäftigt. Und das -durch- den 'Mobilfunk'.“ „Eine Finte. Hmpf, wusste ich es doch.“ „Mehr noch, hat sie Sie direkt zu mir geführt, Miss Ford.“ Harrier hob in seiner halb weg gedrehten Position seinen Arm. Es surrte. Und kurz darauf breitete sich vor jenem eine Art gebogener, roter Duel Monsters-Spielplan aus, genau wie es bei diesem Zyxx der Fall gewesen war. Und die Worte, die dann folgten, ließen Velvet das Blut in den Adern gefrieren. „Und Sie haben direkt Velvet Thorne mitgebracht. Würde ich an Glück glauben, nun ja, wäre dies mein Glückstag.“ „W-was?“ „Kennt er dich?“, wandte sich Melinda an das erschrockene Mädchen, was dieses mit einem Kopfschütteln verneinte. Durch das Licht, das von Harriers Duel Disk ausging, konnte man sie nun sehen. Die Augen eines Raubtiers hinter zwei Brillengläsern, die die beiden Frauen anstarrten, als wären sie Beute. Blondes, eine Handbreit langes Haar, das ihm über der Stirn lag. Er trug eine graue, dünne Jacke. „Aber ich kann Sie beruhigen, Miss Thorne. Ich bin nicht wegen Ihnen hier und habe bedauerlicherweise auch weder Zeit noch Mittel, mich in angemessener Form um Sie zu kümmern.“ „Ganz recht, du tust hier niemandem was!“, fauchte Melinda dazwischen. „Du wirst dich mir stellen und schön ausplaudern, was das hier werden soll, wenn es fertig ist!“ „Heh, ist es denn fertig? Ist eine Viertelstunde nicht zu wenig gewesen, um mein Werk zu beenden?“ Harrier lachte kalt. „Das überlasse ich Ihrer Fantasie.“ Melinda schrie bis aufs Mark provoziert: „Duell!“   [Melinda: 4000LP / Harrier: 4000LP]   Beide zogen ihr Startblatt. Kaum hatte die Rothaarige ihre fünfte Karte in der Hand, bestimmte sie aufgebracht: „Da das hier meine Firma ist, ist es nur fair, wenn ich auch beginne.“ „Von mir aus“, gab sich der immer noch seitwärts stehende Hacker mit dem Pseudonym Harrier unbeeindruckt. „Ihre Chancen auf Sieg sind ohnehin nicht existent.“ Zu Melindas Schrecken musste sie feststellen, dass ihre Hand nur aus Monstern bestand, vier davon mit halb orangenem, halb grünem Kartenrand. Sie könnte demnach sofort eine mächtige Armee von Monstern beschwören. Melinda entschied sich jedoch bewusst dagegen – denn das würde sie sich für den nächsten Zug aufheben, wenn sie ihren Gegner angreifen konnte. „[Performapal Gold Fang]!“ Vor ihr materialisierte sich ein goldgelber Löwe, dessen Mähne nach hinten über den Rücken gekämmt war. An seinen Vorderpfoten hingen die Reste von Eisenketten und wie jedes Zirkustier aus Melindas Arsenal, besaß auch er eine Fliege um den Hals. Das Biest brüllte wütend.   Performapal Gold Fang [ATK/1800 → 2000 → 1800 DEF/700 (4) PSC: /3>]   „Wenn er beschworen wird, erhöht er bis zum Ende des Zuges die Angriffskraft aller Performapals um 200. Jetzt bringt mir das noch nichts. Du bist!“   Velvet, die hinter Melinda stand, konnte kaum fassen, dass sie schon wieder in Schwierigkeiten geraten war. Der nur durch den anschließenden Serverraum beleuchtete Korridor war nicht einmal das Unheimlichste. Nein, der Mann, dieser Harrier, er schien sie zu kennen. Konnte es sein, dass er mit Zyxx zusammenarbeitete? Es musste so sein, wenn sie dieselbe Duel Disk verwendeten! „Melinda, bitte verliere bloß nicht“, flehte die Brillenträgerin ängstlich. „Hey“, drehte die sich um und zwinkerte ihrem Gast keck zu, „ich bin die Erfinderin der Pendelmechanik! So einen in die Tasche zu stecken ist meine leichteste Übung.“   Wortlos zog der blonde Mann auf und rückte dabei mit seinem Zeigefinger die dezente Brille auf seiner Nase zurecht. Selbst jetzt drehte er sich nicht um, sondern legte lediglich ein Monster auf den rein aus Energie bestehenden, roten Spielplan seiner Duel Disk. „Normalbeschwörung: [Digital Bug Websolder].“ Höchstens einen halben Meter groß war jene hellgrün leuchtende Spinne, die vor ihm erschien. Bis auffiel, dass sie mechanischer Natur war – die Beine bestanden aus dünnen Nadeln, über den Leib zogen sich dünne Linien, wie man sie auf Platinen und Mikrochips vorfand.   Digital Bug Websolder [ATK/500 DEF/1500 (3)]   Melinda zuckte provozierend mit den Schultern. „Oh, ein PC-Geek, der ein Computerbug-Deck spielt. Für einen angeblich professionellen Hacker bist du aber nicht besonders originell.“ Wie sie es sagte, musste Velvet kichern. Anders als sie, schien der Rotschopf gar keine Angst zu haben. Wenn sie doch auch nur so sein könnte … „Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie so einen Spruch loslassen, betrug 100%, Miss Ford.“ Ein dünnlippiges, berechnendes Lächeln zierte Harriers Gesicht. Dann streckte er den Arm nach vorne aus. „Aktivierung des Effekts von [Digital Bug Websolder]: Er wechselt eines meiner Monster in die Verteidigungsposition, demnach sich selbst, und beschwört einen Insekt-Typus von meiner Hand in ebenjener Lage. [Bachibachibachi].“ Die Riesenspinne senkte ihren Körper herab, wodurch die Gummigelenke an ihren Beinen besonders beansprucht wurden. Dabei piepte sie unaufhörlich einen Signalton, bis neben ihr eine mechanische Biene auftauchte. Ihr Gesicht war eine einzige Fratze, der Körper langgezogen wie eine Batterie und neben den gelb-schwarzen Streifen auch mit Blitzsymbolen versehen und Beine fehlten ihr auch.   Digital Bug Websolder [ATK/500 DEF/1500 (3)] Bachibachibachi [ATK/800 DEF/800 (3)]   Schließlich konnte Melinda sich ein höhnisches Glucksen nicht verkneifen. „Oh, dann kommt wohl als Nächstes Uga Uga Uga.“ „Ein weiterer, traurig vorhersehbarer Spruch, Miss Ford. Aber ich verstehe, dass Sie Ihr Gesicht mit aller Macht wahren möchten – und sei es nur vor diesem Mädchen.“ Ihre grimmige Fratze entlockte ihm ein schmales, bitterböses Grinsen. Dann streckte er erneut den Arm aus. „Ich errichte das Overlay Network!“ Unmittelbar danach öffnete sich ein Schwarzes Loch, seine Monster verwandelten sich in goldene Lichter, die als Strahlen hineingezogen wurden. „Aus meinen beiden Stufe 3-Insekten wird ein Rang 3-Monster! Xyz Summon! Erscheine, [Digital Bug Scaradiator]!“ Eine Lichtexplosion erfolgte. Leises Surren füllte den Korridor, als aus dem Strom ein hellgrün leuchtender Mistkäfer erschien, der mit seinen hinteren Beinen einen Lüfter festhielt. Durch diesen zirkulierten zwei Lichtsphären.   Digital Bug Scaradiator [ATK/1800 DEF/1400 {3} OLU: 2]   „Ich weiß, was Ihnen gerade durch den Kopf geht“, sprach Harrier und schob seine Brille arrogant zurecht, „schwach und widerlich. Aber praktisch. Sehen Sie, da ich [Digital Bug Websolder] als Xyz-Material verwendet habe, wird Ihr [Performapal Gold Fang] sofort in dem Verteidigungsmodus gewechselt und verliert obendrauf all seine Punkte in diesem Bereich.“ Der Käfer drehte sich zur Seite, genau wie Harrier zu Melinda seitwärts stand, und erzeugte mit dem Lüfter einen gewaltigen Luftstoß, der ihren Löwen in die Knie zwang.   Performapal Gold Fang [ATK/1800 DEF/700 → 0 (4) PSC: /3>]   Velvet stammelte: „Oh nein …“ „Keine Sorge, der kann das ab“, versuchte Melinda weiterhin zuversichtlich zu bleiben. Aber auch ihr stand inzwischen Schweiß auf der Stirn. Dieser Kerl nahm sie nicht ernst und musste offenbar gute Gründe dafür haben. Sie kannte sich in der Hackerszene nicht aus, meinte aber im Nachhinein, den Namen Harrier doch schon einmal in den Nachrichten gehört zu haben. Was bedeutete, dass dieser Mann hochgefährlich war. Und er hatte die AFC als sein Ziel auserkoren. Der Gedanke, was er mit der Firma ihres Vaters vorhatte, erfüllte Melinda mit einem ganz unangenehmen Kribbeln im Bauch. „Fühlen Sie sich sicher? Ich hoffe nicht.“ Harrier nahm eine Zauberkarte aus seinem Blatt. „Ich rüste [Digital Bug Scaradiator] mit [Xyz Drain Cannon] aus. Zusätzlich sollten Sie wissen, dass [Bachibachibachi] einem Xyz-Monster die Fähigkeit 'Durchschlagschaden' verleiht.“ Die beiden Xyz-Materialien, die durch den Lüfter des Mistkäfers flogen, begannen sich giftgrün zu verfärben und leicht zu pulsieren.   Dieses Mal wich Melinda erschrocken zurück. Spätestens jetzt war sich Velvet nicht mehr so sicher, ob ihre Gastgeberin wirklich furchtlos war. Das Mädchen blickte auf ihre eigene, deaktivierte Duel Disk. Sollte sie sich in das Duell einmischen?   Mit erhobenem Zeigefinger deutete Harrier auf den kauernden Löwen. „Vernichten.“ Immer schneller begann sich die Turbine im Lüfter Scaradiators zu drehen, bis sie Feuer fing. Daraus entstand ein Flammenzyklon, der Melinda und ihr Monster erfasste. Die junge Frau schrie gequält auf, als ihr Monster explodierte und sackte geschwächt auf die Knie. Analog dazu leuchtete der Harrier grünlich, genau wie es die Overlay Units von Scaradiator taten.   [Melinda: 4000LP → 2200LP / Harrier: 4000LP → 5800LP]   „Er hat sich geheilt!“ Velvet schlug ihre Hände vor den Mund. „Oh nein!“ „Äußerst 'scharfsinnig'. Und das ist der Grund, warum Sie Zyxx nur um Haaresbreite entkommen sind, Miss Thorne.“ Harrier lachte gehässig und schob seine Brille zum gefühlt hundertsten Male zurecht. „Dafür steht das Drain in [Xyz Drain Cannon]. Zugefügter Kampfschaden wird auf mein Konto übertragen. Einfache Mathematik.“ Melinda fasste sich in ihrer Hocke an die Stirn. „Ugh ...“ Also hatte sie Recht! Dieser Verrückte gehörte zu Zyxx! Dann … dann war vielleicht eine ganze Gruppe von Leuten hinter ihr her! Aber warum!? Velvets Herz schlug schneller und schneller beim bloßen Gedanken daran. Wie gelähmt sah sie den Blonden an, der seine Worte wieder an Melinda richtete. „Aber es geht noch weiter. Der Effekt von [Digital Bug Scaradiator] setzt ein und absorbiert das zerstörte Monster als Overlay Unit.“ Der Rotschopf sah kämpferisch auf. „Dann habe ich schlechte Nachrichten für dich-“ „Ich weiß, als Pendelmonster wird [Performapal Gold Fang] in Ihr Extradeck gelegt. Ich wollte nur sichergehen, dass -Sie- das nicht vergessen haben.“ Er sah prüfend auf seine Duel Disk und gab einen sich bestätigt fühlenden Laut von sich. Dann blickte er Melinda in die Augen. „Wie zu erwarten war. Sie besitzen einen überdurchschnittlich starken Äther, Miss Ford.“ Jene erhob sich, torkelte aber rückwärts und musste von Velvet aufgefangen werden. „D-danke. Was besitze ich?“ „Selbstverständlich wie jeder“, ignorierte Harrier ihre Frage, „der damals im Turm war.“ „Woher-!?“ „Wenn ich recherchiere, dann gründlich. Ich kenne Ihre dunkelsten Geheimnisse, Miss Ford.“ Die Tochter des CEOs der Abraham Ford Company riss sich von einer erschrockenen Velvet los und streckte ihrem Gegenüber frech die Zunge raus. „Und wenn schon, ich war eben erst 13. Das ist alt genug, wenn du mich fragst.“ „Wie hat Ihr Vater auf die Konsequenz ihrer Jugendsünde reagiert? Das konnte ich leider nicht herausfinden. Obschon dafür nicht sonderlich viel Fantasie notwendig ist.“ Melinda erstarrte. Und ballte wortlos eine Faust, was Velvet hinter ihr sehen konnte. Sie wollte gar nicht genau darüber nachdenken. „Heh. Natürlich.“ Harrier nahm eine Karte aus seinem Blatt und schob sie in seine Energie-Duel Disk. „Ich setze eine Karte und beende meinen Zug.“ Leise zischend materialisierte sich die Falle zu seinen Füßen.   „Mein Kopf“, knurrte Melinda und fasste sich an die Stirn, „dieses Duell beginnt mir langsam auf die Nerven zu gehen. Und das sage ich nicht oft.“ „G-geht es Ihnen nicht gut, Miss Ford?“, fragte Velvet und erinnerte sich an ihre Auseinandersetzung mit Zyxx, bei der sie ebenfalls von Schwindelgefühlen geplagt worden war. „Nein, alles gut.“ Melinda versuchte heiter zu klingen, scheiterte dabei aber an ihrer eigenen, zittrigen Stimme. Selbst als sie besonders betont ihr Selbstvertrauen zur Schau stellen wollte. „Jetzt verteile ich ein paar Backpfeifen. Sieh zu und lerne, Velvet! Und wir waren beim Du, schon vergessen?“ „E-entschuldigung“, stammelte Velvet, strahlte dann aber zuversichtlich. „Dem zeigen Sie, i-ich meine, dem zeigst du es!“   „Draw!“ Nachdem Melinda auf eine fünfte Karte aufgezogen hatte, nahm sie zwei andere aus ihrem Blatt und zeigte sie vor. „Ich aktiviere [Performapal Monkeyboard] mit dem Pendelbereich 1 und [Performapal Guitartle] mit dem Pendelbereich 6! Pendulum Scales set!“ Tatsächlich legte sie die Karten aber in genau der entgegengesetzten Reihenfolge auf ihre Duel Disk, sodass erst eine Gitarre mit dem Kopf einer hellblauen Schildkröte und ein Affe, dessen breites Maul gefüllt mit Klaviertasten war, in zwei Lichtsäulen neben ihr empor stiegen.   <1> Melindas Pendelbereich <6>   „Da ich technisch gesehen [Performapal Guitartle] zuerst aktiviert habe, kann ich ihren Effekt nutzen, der mich eine Karte ziehen lässt, wenn auch die andere Pendelzone mit einem Performapal gefüllt wird.“ Melinda zog schwungvoll von ihrem Deck und streckte die Hand aus. „Und wenn [Performapal Monkeyboard] aktiviert wird, erhalte ich einen belieben Performapal vom Deck. Drummerilla!“ Dessen Karte schob sich aus ihrem roten D-Pad. Die immer noch ausgestreckte Hand nach oben richtend, rief der wilde Rotschopf. „Und jetzt schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum!“ Über ihr öffnete sich ein riesiges, bunt schimmerndes Loch, umgeben von dutzenden Lichtellipsen. „Pendulum Summon! Aus meinem Extradeck [Performapal Gold Fang]! Und von meiner Hand [Performapal Silver Claw], [Performapal Drummerilla], [Performapal Trumpanda] und [Performapal Camelump]!“ Velvet klappte die Kinnlade hinunter, als nacheinander fünf rote Lichtstrahlen aus dem Pendelportal herab schossen und vor Melinda einschlugen. Es erhoben sich der goldgelbe Löwe, sein blau-grauer Rivale der Wolf, ein massiver Gorilla, auf dessen Brust zwei Trommeln hafteten, ein kleiner Pandabär, welcher eine gewaltige Tuba spielte und zu guter Letzt ein gelbes Kamel mit dunkelblauer Melone auf dem Kopf.   Performapal Gold Fang [ATK/1800 DEF/700 (4) PSC: /3>] Performapal Silver Claw [ATK/1800 DEF/700 (4) PSC: <5/5>] Performapal Drummerilla [ATK/1600 DEF/900 (5) PSC: <2/2>] Performapal Trumpanda [ATK/800 DEF/800 (3) PSC: /3>] Performapal Camelump [ATK/800 DEF/1800 (4) PSC: <2/2>] Die Schülerin konnte nicht mehr an sich halten. „Wahnsinn! D-damit können Sie, k-kannst du ihn regelrecht über-“ „Berechenbar“, schnitt ihr der Hacker kühl ins Wort, „aber etwas anderes war in der Tat nicht zu erwarten. Sie sind die Schöpferin der Pendelmechanik und verpflichtet, mit positivem Beispiel voran zu schreiten.“ Der Blonde in der grauen Windjacke schob seine Brille zurecht. „Zumindest soll die Öffentlichkeit das denken. Als Sie damals Anya Bauer durch das gestellte Duell in den Legacy Cup geschleust haben, sind sie ein großes Risiko eingegangen. Das Debüt der Pendelkarten – ein totaler Reinfall.“ Statt beleidigt zu kontern, winkte Melinda grinsend ab. „Ach hier weißt du auch Bescheid? Wie schön für dich. Aber mir war und ist bis heute völlig Banane, was die Leute von mir oder den Pendelmonstern halten.“ Harrier schnippte mit dem Finger, wodurch seine gesetzte Falle aufklappte. „Sehen Sie, das ist Ihr Fehler. Kein Antrieb, sich weiterzuentwickeln. Vermutlich verstehen Sie sich deshalb so gut mit Anya Bauer.“ Auf dem Bild der Falle war ein bunter Galaxienwirbel abgebildet, nicht ganz unähnlich dem Inneren des Pendelportals. Jener Sog öffnete sich vor dem Blonden, welcher ungestört weiter sinnierte. „Dadurch haben Sie Ihren Untergang noch vor dem Duell besiegelt. Diese Falle nennt sich [Time-Space Trap Hole] und schickt alle von der Hand und dem Extradeck beschworenen Monster sofort ins Deck des Besitzers zurück, auch wenn mich das für jedes von ihnen 1000 Lebenspunkte kostet.“ „D-diese Karte-“ „Hat Ihr eigener Bruder als Gegenmaßnahme dieser Mechanik entworfen. Bitter, ich weiß.“ Eines der Zirkustiere nach dem anderen wurde in das bunte Loch gezogen und verschwand von Melindas Feld, deren eingefrorene Gesichtszüge Bände sprachen.   [Melinda: 2200LP / Harrier: 5800LP → 800LP]   Das konnte doch nicht sein, überschlugen sich Velvets Gedanken. Dieser Harrier schien das ganze Duell wie ein Computer simuliert zu haben. Erst seine Lebenspunkte zu erhöhen, um sie dann zu nutzen, um Melindas Pendelbeschwörung zu unterbinden. Sie grauste sich regelrecht davor, was er als Nächstes im Sinn hatte. Panisch blickte sie ihre Duel Disk an. Jeder gute Plan konnte jedoch durch unvorhergesehene Umstände über den Haufen geworfen werden. Wenn sie sich ins Duell einschaltete und ihren [Ebon Sky Pegasus] beschwor, konnten sie Harrier vielleicht zusammen besiegen. Aber was, wenn sie scheiterte? Was würde dann mit ihr geschehen? Würde ihre Todesvision dann zur Realität werden?   Das Mädchen blickte ängstlich auf. „N-nein. I-ich werde mich nicht drücken. W-wenn dein Zug beendet ist, werde ich einsteigen, Melinda!“ „Nein!“, bestimmte die und streckte den Arm von sich weg, um die Schwarzhaarige daran zu hindern, neben sie zu treten. „Das ist mein Kampf. Bitte versteh' das, Velvet.“ „A-aber-!“ „Als Erbin der Abraham Ford Company muss ich sie in Zeiten der Not beschützen. Außerdem kann ich keine Unbeteiligten in die Sache hineinziehen.“ Der Rotschopf sah über ihre Schulter und zwinkerte dem Mädchen zu. „Und mal ehrlich, mit dem werde ich auch alleine fertig.“ Velvet nickte zögerlich und trat ein paar Schritte zurück. „Okay.“ „Wenn es danach geht, haben Sie bisher einen hervorragenden Job geleistet, Miss Ford“, spottete Harrier sarkastisch und rückte seine Brille zurecht. „Ich hoffe, Ihre kleine Ansprache hält was sie verspricht. Wobei -das- noch nie eine der Stärken Ihres Unternehmens war.“ „Und ich hoffe, dass du mehr als nur ein Haufen heiße Luft bist. Da ich noch kein Monster als Normalbeschwörung gerufen habe, hole ich das jetzt nach und setze es.“ Melinda legte ihre letzte Handkarte auf ihr D-Pad, woraufhin jene zischend zu ihren Füßen erschien. „Du bist!“ Dabei begann sie schelmisch zu grinsen.   Der blonde Hacker zog gelangweilt auf und zuckte. „Und das soll alles sein? Ich bin enttäuscht. Korrektur: Ich bin kein wenig überrascht.“ Ruckartig streckte er die Hand nach vorne aus. „Double Rank Up-Incarnation! Ich kann zwei Overlay Units von einem Digital Bug-Monster entfernen, um es zwei Ränge aufsteigen zu lassen.“ „Was!?“, keuchte Melinda. „Double Rank Up … Incarnation!?“ Sie weitete die Augen, als die zwei leuchtenden Sphären um Scaradiator nach unten schossen und das Überlagerungsnetzwerk öffneten, in welches der Käfer eintauchte. „Noch nie davon gehört? Dabei ist das doch eine Erfindung aus dem Hause Ford. Ich rekonstruiere das Overlay Network. Aus der eigenen Kraft meines Rang 3-Monsters wird ein Rang 5-Monster! Xyz Summon! [Digital Bug Corebage]!“ Eine optische Erschütterung suchte den Serverraum heim. Aus dem dunklen Wirbel entstieg eine riesiger, hellblauer Schmetterling. Auf seinem oberen Flügelpaar waren gelbe Platinen angebracht, die genau so leuchteten wie die Kreuze in seinen Facettenaugen. „Dieses Monster macht sowohl Scaradiator, als auch [Xyz Drain Cannon] durch deren eigenen Effekt zu Overlay Units“, erklärte Harrier, als zwei Lichtkugeln um den Falter zu rotieren begannen.   Digital Bug Corebage [ATK/2200 DEF/1800 {5} OLU: 0 → 2]   Melinda stand der Schweiß auf der Stirn. Hatte die AFC wirklich so etwas eingeführt? Wann? Etwa zu der Zeit, als sie in Livington, von Isfanel besessen, um ihre Zukunft gekämpft hatte? Eine andere Erklärung gab es nicht! Trotzdem würde Harrier sein blaues Wunder erleben, sobald er erst angegriffen hatte. „Natürlich weiß ich ganz genau, was Sie denken. Ihr überhebliches Grinsen verrät sie, Miss Ford“, sagte jeder und schob seine Brille zurecht, „'sobald er das verdeckte Monster angreift, wird er eine böse Überraschung erleben.' Aber dazu kommt es nicht.“ Der Mann hob die Hand und schnippte mit den Fingern. „Effekt von [Digital Bug Corebage]. Im Austausch für eine Overlay Unit schickt er ein Monster im Verteidigungsmodus zurück in das Deck seines Besitzers.“ Ein entsetztes Keuchen entfloh Melinda, als der Schmetterling mit seinem schlauchartigen Rüssel eine der beiden Lichtkugeln absorbierte. Seine Flügel begannen gelblich zu leuchten, als er in die Höhe stieg und sie, auf der Stelle verharrend, in schnellen Intervallen ausschlug.   Digital Bug Corebage [ATK/2200 DEF/1800 {5} OLU: 2 → 1]   Funkelnde Partikel flogen in Richtung des Rotschopfs und ihres gesetzten Monsters. Als sie auf jenes trafen, löste sich dessen Karte einfach auf. Genauer gesagt wurde sie Bit für Bit, Pixel um Pixel zersetzt, gelöscht. „Ah!“ „M-Melinda!“, stieß Velvet panisch aus. Doch Harrier richtete bereits seinen Zeigefinger auf die junge Frau. „Wie ich es erwartet habe, große Klappe, nichts dahinter. Sie mögen die Tochter des Firmenbesitzers sein, doch verstehen Ihre eigenen Produkte nicht. Armselig. Direkter Angriff, [Digital Bug Corebage].“ „W-wa-!?“ Melinda weitete die Augen. Die Facettenaugen des Schmetterlings leuchteten auf. Und keine Sekunde später feuerten sie feine Laserstrahlen auf die junge Frau ab, welche getroffen und fortgeschleudert wurde. Im Flug begann die Welt vor ihren Augen immer mehr zu verschwimmen. Den Aufprall bekam Melinda gar nicht mehr mit, sie spürte den Schmerz nicht.   [Melinda: 2200LP → 0LP / Harrier: 800LP]   Der Rotschopf rutschte über den glatten Boden. Velvet eilte zu ihr und fiel auf die Knie, um dem entgegenzuwirken. Das Mädchen packte die Schultern ihrer Gastgeberin und sah nur noch, wie deren Lider sich schlossen. „M-Melinda!“ Sie schüttelte die Frau, aber die reagierte nicht. „H-hey!“ Entsetzt sah Velvet auf. „Sie ist doch nicht tot!?“ „Unwahrscheinlich. Nebenwirkungen sind nicht ausgeschlossen, doch Todesfälle gab es bisher keine“, sprach Harrier kryptisch und schob seine Brille zurecht. Dann wandte er sich erstmals seinen Gegenübern zu. „Nun, ich würde mich gerne auch noch um Sie kümmern, Miss Thorne. Doch leider fehlt mir heute die Zeit dazu.“ Er neigte sich hinab und las den Koffer auf, der die ganze Zeit neben ihm gestanden hatte. Passend dazu hörte Velvet die Stimme von mehreren Männern hinter sich. Sie sah über ihre Schulter und bemerkte zwei Männer in blauen Uniformen, die den kreisrunden Raum mit der Maschinensäule entlang und auf sie zu rannten. Wachmänner! Na endlich! „Man sieht sich“, sprach Harrier abschließend, griff in seine Jackentasche und warf etwas auf den Boden. Dabei legte er mit seiner anderen Hand eine Art schmale, weiße Atemmaske an seinen Mund an. Es knallte. Alles wurde in grelles Licht getaucht. Die Wachmänner, welche just in diesem Moment den Korridor zum Serverraum erreichten, bremsten und wandten sich stöhnend ab. Mehr noch, spürte Velvet, wie ihre Sinne schwanden. Gas! Das geblendete Mädchen kippte schwach zur Seite, hörte nur dumpf die Schritte Harriers, welcher an ihnen vorbei rannte. Danach Schreie der Wachmänner, die er anscheinend überrumpelte und mit Schlägen niederstreckte. Es folgte Dunkelheit.   ~-~-~   Drei Generationen von Bauer-Frauen saßen am kreisrunden Holztisch in der Küche der Bauers und starrten sich gegenseitig verstimmt an. Anya mit Eisbeutel in ein Handtuch gewickelt, das sie sich ans rechte Auge hielt. Sheryl, die ihre Schwiegermutter mit finsteren Blicken strafte. Und Margery, die ihre Hände ineinander gefaltet vor ihr Kinn gerichtet hatte. Zanthe, Matt und Claire waren da nur Pappaufsteller, die neugierig im Türrahmen standen und keinen Mucks von sich gaben. „Wo ist Zoey?“, fragte Anyas Großmutter scharf. „Nicht mehr hier. Du bist zu spät“, entgegnete Sheryl mit unterdrückter Wut, „ich hatte gehofft, dass du dich etwas beeilst. Wir waren uns einig, dass du sie so schnell wie möglich zurückholst.“ „Hmpf.“ „Oma, Zoey ist abgehauen“, versuchte Anya zu erklären. Und wer genau hinhörte, konnte ein leichtes Zittern in ihrer Stimme ausmachen. „Und es ist meine Schuld, irgendwie. Wir haben uns gestritten …“ Ein Blick aus dem gesunden Auge der alten Frau genügte, um selbst eine Anya Bauer sofort zum Schweigen zu bringen. „Hmm.“ „Es ist Zoeys Schuld“, stellte Sheryl jedoch klar, „sie hat angefangen, Anya aus Neid zu provozieren.“ „Seid ihr beide zwölf, dass es bei euch darum geht, wer an was Schuld hat?“, raunte Margery verstimmt, schnappte sich die Büchse Bier, die neben ihr stand, und trank sie leer. „Bah! Ihr wisst, wie empfindlich das Gör ist!“ Aber Sheryl ließ sich davon nicht beeindrucken. „Die kommt schon wieder. So sind Mädchen in ihrem Alter. Spätestens, wenn ein Anruf von der Polizei kommt, wissen wir wo sie ist. Und der wird nicht lange auf sich warten lassen.“ Der letzte Satz war mit besonders viel Missachtung gesprochen. Anya schluckte, hoffte sie insgeheim doch inständig, dass genau das nicht geschehen würde. Zoey konnte sich keinen Ärger mehr leisten. „Meine Enkelinnen sind gute Mädchen“, stellte Margery klar. Anya lächelte sofort besonnen in sich hinein. „Nur etwas dumm. Aber sie finden immer ihren Weg zurück nachhause. Ich werde warten.“ „Nicht-“ „Hier“, schnitt die alte Dame ihrer Schwiegertochter ins Wort. „Bis die kleine Zoey wieder ins Nest zurückgeflogen ist. Und in der Zeit werdet ihr euch Gedanken machen, wie ihr euch bei ihr entschuldigt.“ Kleinlaut murmelte Anya: „Ja, Grandma …“ „Und ich sorge dafür, dass sie sowas nicht nochmal macht“, murrte jene hinterher, „und jetzt, Anya, erzähl deiner Grandma, was du so alles erlebt hast.“ Deren Mimik hellte sich sofort auf. Sie wusste, dass ihre Oma entgegen ihrer rauen Schale ein guter Mensch war, der seine Familie liebte. Sofort verblasste ihre Euphorie wieder. Hoffentlich war das bei Zoey genauso. Aber Grandma kannte sie am besten und würde Recht damit haben. Zoey würde zurückkommen, sobald sie ihren Dampf abgelassen hatte. Und Grandma würde sie dafür bestrafen, aber … Anya seufzte schwer. Aber was wenn sie sich irrte? „Also, angefangen hat es …“     Turn 95 – Bonds Anyas erster offizieller Termin zum Eintritt in die Profiliga ist herangerückt. Im Livingtoner Einkaufszentrum, dem gläsernen Kolosseum, soll sie sich ihrem Gegner stellen, der die neuesten Duel Monsters-Karten vorstellen soll. Jener entpuppt sich als ein bekanntes Gesicht, ganz zum Erstaunen des Mädchens. Und als besonders schwerer Widersacher … Kapitel 104: Turn 95 - Bonds ---------------------------- Turn 95 – Bonds     Anya saß neben Cynthia in deren schwarzem Ford Fiesta. „Bereit?“, fragte ihre Mentorin herausfordernd, während sie in eine Straße einbog. Weiter voraus konnte man bereits das riesige, gläserne Kolosseum sehen, das riesige Einkaufszentrum Livingtons, das nicht so recht in die ansonsten eher gemütliche Vorstadt passen wollte. „Yeah. Wer ist mein Gegner?“ „Verrate ich nicht. Noch nicht.“ „Warum?“, wollte Anya wissen, die auf ihre neue Duel Disk starrte. „Irgendso ein No-Name etwa?“ „Nein. Ich habe dir doch erklärt, dass du erst eine gewisse Anzahl an offiziellen Duellen bestreiten musst, ehe man dich in die Liga aufnehmen kann.“ Die tätowierte Blonde im schwarzen Tank-Top grinste ihr von der Seite zu. „Was für eine Lehrerin wäre ich, dir irgendeinen Schwächling zu servieren? Keine Sorge, dein Gegner wird ganz deinen Vorlieben entsprechen. Hehe …“   Sehr gut, dachte das Mädchen mit grimmiger Vorfreude, auch wenn diese Lache eher Grund zur Sorge darstellte. Schließlich musste sie das Duell auch gewinnen, wenn sie mit ihrer Karriere voran kommen wollte. Trotzdem konnte sie es kaum erwarten.   ~-~-~   Ehe sie sich versah, befand die Blonde sich im Laden ihres ehemaligen Arbeitgebers Mr. Palmer, der an der Kasse stand und ein paar Kunden bediente – mit dem Flohpelz! Den er, zu Anyas völligem Unverständnis, -nicht- entlassen hatte. „Du hast noch ein paar Minuten“, sprach Cynthia neben ihr und klopfte der Kleineren kumpelhaft auf die Schulter. „Schreib' am besten ein paar Autogramme vor oder so. Hab ich damals auch immer gemacht, dadurch hat man nach hinten hinaus weniger zu tun.“ „Als ob irgendeiner von ihr Autogramme will“, rief Zanthe von der Theke herüber, „einmal hat sie tatsächlich versucht, die Leute damit abzuziehen.“ „Ich wollte nur 50 Dollar“, verteidigte sich Anya, „das is'n Schnäppchen!“ Und außerdem hatte sie das nur zum Spaß gesagt, weil man sie so genervt hatte. Hätte doch keiner ahnen können, dass der Spinner das wirklich bezahlen wollte! … hätte sie das Geld doch bloß angenommen und nicht auf Levrier gehört, hmpf! „Mit euch wird es nicht langweilig, huh?“ Cynthia drehte sich um und winkte den beiden im Weggehen zu. „Ich schau mal nach, ob schon alles vorbereitet ist. Bis gleich.“   Anya trottete mit zusammengekniffenen Augen herüber zur Kasse und stand Zanthe missmutig gegenüber. „Es ist nur ein Aushilfsjob“, wusste er genau, was dieser Blick sollte, „ich will euch ja nicht auf der Tasche rumliegen.“ „Ist ok“, winkte sie ab, „ich vergebe dir, wenn du mir verrätst, was für Karten in diesem neuen Booster drin sind, mit denen mein Gegner heute spielt.“ Der Werwolf mit dem roten Kopftuch sah sich um, aber der dunkelhäutige Mr. Palmer war zu sehr damit beschäftigt, mit zwei Kundinnen zu flirten, um ihr Gespräch zu belauschen. „Also schön“, flüsterte Zanthe, griff unter den Tisch und legte dem Mädchen einen Prospekt vor die Nase, „vier neue Pendelthemen, eines für jedes Element.“ Neugierig beugte Anya sich herüber. „Igknight, Majespecter, Dinomist und Amorphage, huh?“ „Jep. Igknights zerstören sich selbst, um neue Kameraden zu suchen und das Feld zu füllen. Majespecter setzen Zauber und Fallen aufs Feld, die deine Monster entsorgen“, erklärte er und fuhr mit dem Finger von einer Beispielkarte zur nächsten, „Dinomist sind vergleichsweise starke Monster mit guten Defensivfähigkeiten und Amorphage blockieren mit ihren Pendeleffekten den Gegner.“ Anya kratzte sich am Hinterkopf. „Und welches wird er spielen?“ „Weiß ich nicht.“ „'kay, trotzdem danke. Dann kann ich mich zumindest drauf einstellen, sobald ich das erste Monster sehe.“ Aber der Flohpelz sah sie skeptisch an. „Ach wirklich? Ich wette du rennst in die erste, noch so offensichtliche Falle.“ „Schnauze!“   Was ist eigentlich aus deiner Keine-Hilfe-Mentalität geworden, Anya Bauer?   „Du auch, Levrier! Ein bisschen Recherche ist schon okay, wird mein Gegner sicher genauso machen.“ In dem Moment stellte sich Mr. Palmer neben seinen Angestellten. „Anya! Ich hoffe, wir sehen heute eine Glanzleistung von dir.“ Das Mädchen grinste zuversichtlich. „Ich geb' mir Mühe, Mr. P!“ „Ja“, stimmte Zanthe versöhnlich ein und nickte an Anya vorbei, „viel Glück.“ Die Blonde drehte sich um und sah Cynthia im gläsernen Türrahmen stehen, die sie zu sich winkte. „Siehst du dir mein Spiel an?“ „Klar!“, erwiderte der Werwolf auf die Frage seiner Freundin. „Matt ist übrigens auch hier. Mit Valerie~!“ Sofort verengten Anyas Augen sich zu Schlitzen. Was!? Die war auch hier!? Na toll, schon war ihre Laune im Keller. Redfield sollte nicht Zeuge ihres ersten Schrittes Richtung C-Liga werden. Allein schon weil … weil ihr der Weg dorthin versperrt blieb … „Komm jetzt! Die kündigen dich gleich an!“, rief die ehemalige Duel Queen ungehalten.   Betont lässig schlenderte sie hinter Cynthia her. Einige Leute folgten ihnen und sie konnte das Getuschel hinter ihrem Rücken hören. Für einen kurzen Augenblick fühlte sie sich zurückversetzt in den Abend in der Bar, mit Logan und den anderen, wo es zu dem Zwischenfall mit diversen Reportern gekommen war. Es fiel Anya schwer zu akzeptieren, dass dieser Moment sie verängstigt und beinahe dazu gebracht hatte, ihren Traum aufzugeben. Aber für eine Bauer war Aufgeben keine Option und beim nächsten Mal würde es halt Nackenschellen hageln! Stolz schritt sie an Cynthia vorbei, bis sie die Mitte des Kolosseums erreicht hatten. Eine riesige Menschentraube hatte sich dort gebildet. Vom oberen Stockwerk hingen einige Leute gefährlich weit über den Geländern. Anya mahnte sich nicht zu lachen, wenn einer dieser Deppen hinunterfiel und sich das Genick brach. Aber sie konnte nichts versprechen. „Da, schau. Der rote Teppich, den du dir gewünscht hast“, gluckste Cynthia und stieß ihrem Schützling mit dem nackten Ellbogen in die Seite. Tatsächlich führte ein solcher in das Innere der Traube, die nebenbei bemerkt von diversen Security-Typen hinter einer für Anya von hier nicht sichtbaren Absperrung fern gehalten wurde. „Wow, ist das nicht zu viel Aufwand für einen No-Name?“, fragte Anya perplex und schritt über den Teppich. Cynthia feixte und gestikulierte mit zueinander zeigenden Zeigefingern. „Du denkst, das ist für dich? Ha ha … nein. Die sind hier …“ Sie blieb stehen und ließ Anya an der Security und den Leuten alleine vorbeilaufen. Dabei streckte sie den Arm ausladend aus. „… wegen ihm.“   Als das Mädchen ins Innere des Duellfelds trat, blieb sie wie versteinert stehen. „Hallo Anya“, begegnete der junge Mann ihr mit einem freundlichen Lächeln. Sie stand ihm gegenüber, dem Burschen mit dem langen, strohblonden Haar, der im Rollstuhl saß und der sie um den Sieg beim Legacy Cup gebracht hatte. Othello Nikoloudis. „H-hey“, stammelte Anya fassungslos, „du bist mein Gegner!?“ „Yep. Deine Managerin hat mich eingeladen. Da konnte ich doch nicht nein sagen.“ Anya wirbelte herum zu Cynthia, die auf dem roten Teppich stand und ihr verschwörerisch zuzwinkerte. „… 'kay?“ Die beiden sahen einander an. Seit dem Finale des Legacy Cups hatten sie sich nicht mehr gesehen. An diesem Tag hatten sie ihre Freundschaft besiegelt. Othello war für Anya jemand Besonderes, denn er war der Erste, den -sie- als einen Freund ausgewählt hatte, nicht umgekehrt. Ein Lächeln zeichnete sich auf den Lippen der beiden ab. Sie brauchten nichts zu sagen, es war, als könnten sie einander auch ohne Worte verstehen. Die Blonde hob den Arm an und ließ ihre schwarze Duel Disk ausfahren, während irgendein Ansager die Begegnung hinaus brüllte und nebenbei das neue Duel Monsters-Set bewarb. Sie schwor sich, ihn die ganze Zeit über komplett zu ignorieren. Mit einer Handbewegung ließ Othello über seinem Schoß eine gebogene Disk ausfahren, die etwas anders aussah als die damals im Finale.   Anya fühlte eine Art von Aufregung, die sie schon lange nicht mehr empfunden hatte. Nicht die Sorte Nervenkitzel, wie sie in den Duellen mit Kali oder der Weißen Hexe aufgetreten war. Nein, etwas … Positiveres. Vorfreude. Anya begann kämpferisch zu grinsen. Sie -wollte- das hier. Das war der Unterschied. Ihr Freund im Rollstuhl schien ihre Euphorie zu bemerken, lächelte er doch besonnen. „Wir können anfangen, Anya.“ „Yeah!“ „Gib' dir ja Mühe und liefere uns eine gute Show!“, verlangte Cynthia vergnügt hinter ihr. Oh das würde sie, versprach die Blonde ihrer Managerin im Gedanken. Keinen Moment später riefen beide Duellanten unter dem Jubel der Anwesenden zum Duell aus.   [Anya: 4000LP / Othello: 4000LP]   „Ich beginne“, kündigte Othello an und ausnahmsweise ließ Anya ihn gewähren. Sofort legte er ein Monster auf seinen Spielplan. „Komm herbei, [Dwarf Star Dragon Planeter]!“ Vor ihm materialisierte sich ein Drache, dessen linke Körperhälfte goldgelb, die andere pechschwarz leuchtete. In seiner Brustmitte befand sich ein rotes Juwel.   Dwarf Star Dragon Planeter [ATK/1700 DEF/1200 (4)]   „Den kenn' ich noch nicht“, kommentierte Anya. Auch viele der zahllosen Zuschauer murmelten aufgeregt. Othello erwiderte spitz: „Als Kartenverkäuferin solltest du das aber. Der ist brandneu. Du bist.“ „Huh?“, wunderte sich seine Gegnerin über den kurzen Zug. Kaum hatte der Laut ihre Lippen verlassen, begann das Juwel in des Drachens Brust genau wie seine Haut grell zu strahlen. „Während der End Phase kann ich mir ein Monster der Stufe 7 von meinem Deck ins Blatt nehmen. Aber nur, wenn es entweder das LICHT- oder FINSTERNIS-Attribut besitzt.“ Othello nahm sein Deck auf, durchsuchte es altmodisch per Hand und zeigte Anya schließlich die einzige Karte vor, die infrage kam. Anya grinste keck. „Natürlich …“ „[Odd-Eyes Pendulum Dragon]“, rief Othello den Namen seines Assmonsters für alle aus, die nicht sehen konnten, was er gewählt hatte.   Dann wusste sie ja, worauf sie sich gefasst machen musste, überlegte Anya. Aber fein, -das- Spiel beherrschte sie inzwischen auch. Die Vorfreude stand ihr im Gesicht geschrieben, als sie ihre Karte schwungvoll aufzog. „Heh, ich aktiviere [Gem-Knight Jasper] mit dem Pendelbereich 2 und [Gem-Knight Pyrite] mit dem Pendelbereich 8!“ Neben ihr schossen zwei hellblaue Lichtsäulen aus dem Boden. In der linken stieg ein massiger, roter Ritter mit langer Hellebarde in der Hand empor. Daneben tat ein weißer Krieger mit würfelförmigen, silbernen Schulterplatten und großen Rundschildhälften an den Armen genau dasselbe.   <2> Anyas Pendelbereich <8>   „Pendulum Scales set!“ Anya schnappte sich eine ihrer neuen Lieblingskarten aus ihrem Blatt und grinste breit. „Mach dich gefasst! Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum!“ „Ah!“, stieß Othello einen überraschten Laut aus, als sich über Anya das bunte Pendelportal öffnete, welches von dutzenden Lichtellipsen umschlossen war. Das Mädchen streckte den Arm in die Höhe. „Aus meiner Hand: [Gem-Eyes Value Dragon], Level 7! Pendulum Summon!“ Ein roter Lichtstrahl schoss aus dem Dimensionsloch und krachte vor Anya in das spiegelnde Parkett. Die Zuschauer jubelten begeistert, als sich vor ihr ein roter Drache in goldener Panzerung erhob. Seine insgesamt sechs Schwingen, drei auf jeder Seite, waren von metallischen Tragflächen umschlossen. Gem-Eyes Value Dragon [ATK/2400 DEF/2000 (7) PSC: 5]   Die Augen des jungen Griechen funkelten. „Wahnsinn! Du benutzt auch Pendelmonster!?“ „Yeah.“ Anya winkte großspurig ab. „Man hat mich überredet …“ Was sowas von gelogen war. Sie hatte damals fast geheult vor Freude, als sie das Gem-Knight Structure Deck in den Händen hielt, das Mr. Palmer ihr zugeschickt hatte. Aber das durfte natürlich niemand wissen! Energisch streckte das Mädchen die Hand aus. „Ich aktiviere Gem-Eyes Effekt! Sight Transition! Ich ändere seinen Typen zu Pyro und füge dir damit 500 Punkte an Schaden zu!“ An den Seiten des Helms ihres Drachen befanden sich Scheiben, die in farbige, transparente Segmente geviertelt waren: rot, grün, gelb und blau. Ebenjene begannen sich rapide zu drehen, bis die roten auf Augenhöhe hielten und sich wie ein Visor um jene legten. Rote Linien begannen sich durch die Rüstung des Drachen zu ziehen, dessen Flügel gingen in Flammen auf. Anya rief: „Ruby Flare!“ Und der Drache spie eine dunkelrote, schimmernde Flamme auf Othello, welcher sich in seinem Rollstuhl gar nicht so schnell abwenden konnte. „Oha!“   [Anya: 4000LP / Othello: 4000LP → 3500LP]   Anya nahm eine Falle aus ihrem Blatt und legte sie in ihre neue Duel Disk ein. Nachdem die Karte vor ihr erschienen war, schwang sie den Arm aus. „Angriff auf seinen [Dwarf Star Dragon Planeter]! Spectral Burst Stream!“ Erneut öffnete Gem-Eyes sein Maul und stieß dieses Mal einen knallbunten Odem aus, der so stark glänzte, dass selbst die Luft unter der simulierten Hitze funkelte wie ein Diamant. Begeisterte Ausrufe der Zuschauer begleiteten den Angriff, wie er in Othellos schwarz-gelben Drachen einschlug und dort explodierte. „Nicht schlecht, Anya“, lobte der vergnügt.   [Anya: 4000LP / Othello: 3500LP → 2800LP]   Jene rieb sich den Finger unter die Nase. „Heh. Das Geheimnis ist, sich stets weiterzuentwickeln.“ „Das hast du doch von mir“, rief Cynthia vor der Menschentraube belustigt. „Halt die Klappe“, raunte Anya genervt, zuckte aber mit den Schultern, „kann schon sein. Was auch immer, ich benutze [Gem-Knight Pyrites] Pendeleffekt, um eine Gem-Karte von meinem Deck auf den Friedhof zu schicken: [Gem-Knight Garnet]!“ Sie zeigte die gelb-umrandete Karte vor und schob sie in den Friedhofsschlitz. „Okay, das war's aber. Du bist!“ Zeig mir dein Assmonster, dachte sie dabei erwartungsfroh. Ein Kampf zwischen Gem-Eyes und Odd-Eyes! Sie hätte nicht damit gerechnet, ihn schon so früh zu erleben.   „Das ist ein gutes Stichwort. Draw!“ Othello zog von seinem Deck und sah nachdenklich in sein Blatt. „Ich werde dir zeigen, dass ich mich auch weiterentwickelt habe! Er nahm zwei Karten und legte sie rechts und links neben seine Monsterkartenzonen. „Ich aktiviere den Magier, der das Wissen bewahrt: [Wisdom-Eye Magician] mit dem Pendelbereich 5! Und den Magier, der die Zeit versteht: [Timegazer Magician], Pendelbereich 8!“ Genau wie bei Anya schossen zu seiner Linken und Rechten zwei hellblaue Lichtsäulen aus dem Boden, in denen besagte Magier empor stiegen. Erstgenannter war ein Magier in weißer Robe und langem, braunen Umhang, welcher einen Stab mit einer daran hängenden Laterne mit sich führte. Sein Partner dagegen war in Schwarz gehüllt, verdeckte seinen Mund durch ein Halstuch und war mit einer Zackenklinge an seinem Arm bewaffnet, die sich wie ein Zahnrad um seinen Körper bog.   <5> Othellos Pendelbereich <8>   „Pendeleffekt von [Wisdom-Eye Magician]! Sollte in meiner anderen Pendelzone ein Magier liegen, kann er sich selbst zerstören und mit einem Magier aus meinem Deck ersetzen!“ Jener hob seine Laterne an, aus der ein grelles Licht zu drängen begann. „Ich aktiviere den Magier, der die Sterne liest, [Stargazer Magician]! Pendelbereich 1!“ Als das Licht verschwunden war, stand anstelle des Weisen ein Magier in langer, weißer Robe und Umhang, welcher ebenfalls seinen Mund bedeckte und einen langen Stab in den Händen hielt, der in der Mitte eine Scheibe integriert hatte.   <5 → 1> Othellos Pendelbereich <8>   Anya konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als Othello rief: „Jetzt ist alles bereit! Pendulum Scales set!“ Der Bursche reckte seinen Arm in die Höhe. „Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum!“ Über ihm öffnete sich das kreisrunde, bunte Loch, das von zahlreichen Ellipsen aus schimmerndem Licht umgeben war. „Aus meinem Extradeck [Wisdom-Eye Magician]! Und aus meiner Hand [Doomstar Magician], [Harmonizing Magician] und mein Assmonster: [Odd-Eyes Pendulum Dragon]! Pendulum Summon!“ Gleich vier rote Strahlen schossen aus dem Loch und schlugen vor Othello ein. Erst tauchte der Hexer mit der Laterne auf, dann ein Magier mit Stab in der Hand, der die blauen Kugeln an seiner schwarzen Kutte mit einer Handbewegung zum Leuchten brachte. Neben ihm erschien eine pinkhaarige Magiern in Weiß, an deren Zauberstab eine Stimmgabel angebracht war. Und nicht zuletzt, vor ihnen der rote Drache mit den Metallauswüchsen auf dem Rücken, in dem sich rechts eine grüne und links eine rote Kugel befand. Jener brüllte wütend und peitschte mit seinem langen Schweif umher.   Wisdom-Eye Magician [ATK/1500 DEF/1500 (4) PSC: 5] Doomstar Magician [ATK/1800 DEF/300 (4)] Harmonizing Magician [ATK/0 DEF/0 (4) PSC: 8] Odd-Eyes Pendulum Dragon [ATK/2500 DEF/2000 (7) PSC: 4]   „Gleich 'ne ganze Armee, huh?“ Anya grinste keck. „Die wirst du auch brauchen!“ „Wie gut, dass durch [Harmonizing Magicians] Effekt gleich noch Verstärkung kommt“, entgegnete Othello und griff nach seinem Deck. „Wenn sie aus meiner Hand via Pendelbeschwörung gerufen wird, holt sie einen Pendelmagier direkt vom Deck auf mein Feld, aber sie wird verbannt, wenn sie es wieder verlässt! Zeig' dich, [Timebreaker Magician]!“ Die pinkhaarige Magierin schüttelte ihren Zauberstab hin und her, welcher daraufhin Schallwellen aussendete. Und plötzlich tauchte ein jugendlicher Krieger in Schwarz mit braunem Haar auf, welcher beidhändig ein Schwert führte.   Timebreaker Magician [ATK/1400 DEF/0 (3) PSC: 2]   Der Bursche, der ein gezacktes Diadem trug, welches exakt der Waffe von [Timegazer Magician] entsprach, ging in die Knie. Und viele Zuschauer staunten über Othello, der sein komplettes Feld mit wenigen Handgriffen gefüllt hatte. „Wahnsinn!“ „Das ist der Sieger des Legacy Cups!“ „Auch wenn er Claire Rosenburg nicht besiegen konnte, wird er es in der Profiliga weit bringen!“ Anya sah sich um. Inzwischen konnte man schon gar nicht mehr von einer Menschentraube sprechen. Die Leute hatten die Mall regelrecht überfüllt. Vom oberen Stockwerk hingen sie über den Geländern. Dagegen waren die Geschäfte beinahe leer. Das Mädchen wurde aus ihrer Faszination gerissen, als Othello unkontrollierbar zu husten begann. „H-hey“, stammelte sie unbeholfen. „Es geht schon“, murmelte der junge Mann mit dem langen, strohblonden Haar und wischte sich mit dem Handrücken ein Rinnsal Blut vom Mundwinkel. „Danke.“ In dem Moment wurde Anya schmerzhaft daran erinnert, dass Othello aufgrund einer Infektion in seinem Spenderherz schwer krank war und wohl nicht mehr lange zu leben hatte. Damals hatte sie zum ersten Mal derart starkes Mitleid empfunden, dass sie sogar bereit war, den Legacy Cup aufzugeben, damit er seinen Traum erfüllen konnte, Claire Rosenburg zu besiegen. Letztlich war weder ihm noch ihr das gelungen. Und das alles nur, weil dieses Miststück mit ihrem Manager die Realität zu ihren Gunsten gebogen hatte. Zanthe hatte ihr das alles versucht zu erklären, aber wenn er nur davon anfing, wurde sie schon stinksauer.   Othello sah lächelnd auf. „Du musst dir keine Sorgen machen, mir geht es gut.“ „Lügner“, brummte Anya ernst. „Haha. Ok, so ganz stimmt das nicht. Aber bezüglich meiner Weiterentwicklung habe ich nicht geschwindelt! Das hier habe ich mir von dir abgeschaut.“ Plötzlich streckte er den Arm aus. „Ich stimme meinen Stufe 4-[Harmonizing Magician] auf meinen Stufe 3-[Timebreaker Magician] ein!“ Jene tippte mit dem Zeigefinger gegen die Stimmgabel an ihrem Stab, welche unkontrollierbar zu vibrieren begann. So stark, dass die Magierin vor Schreck in vier grüne Lichtringe zersprang, die sich hintereinander ausrichteten. Auch der Schwertschwinger-Jüngling verschwand, wurde zu drei grünen Lichtkugeln. „Spread those wondrous and beautiful wings, and strike down your enemies at the speed of light!“ Jene Sphären passierten die vier Ringe. Ein Lichtblitz blendete die Anwesenden. „Synchro Summon! Appear now! Level 7! [Clear Wing Synchro Dragon]!“ Anya konnte noch gar nichts erkennen, da rief Othello: „Ich errichte das Overlay Network! Aus meinen Stufe 4-Magiern Doomstar und Wisdom-Eye wird ein Rang 4-Monster!“ Das Rauschen des sich öffnenden Schwarzen Lochs war zu vernehmen, welches besagte Hexer als violette beziehungsweise gelbe Lichtstrahlen absorbierte. „Formed from pitch-black darkness, to fight those foolish enough to oppose it with its treacherous fangs! Now, descend! Xyz Summon! Rank 4! [Dark Rebellion Xyz Dragon]!“ Die Blonde versuchte hinzusehen, aber in dem Moment erfolgte aus dem Overlay Network eine Explosion, die sie sofort wieder blendete. „S-shit!“ „Und jetzt aus meiner Hand die Zauberkarte [Pendulum Fusion]! Ihr besonderer Effekt lässt mich die Monster in meinen Pendelzonen als Fusionsmaterialien benutzen.“ Othello streckte den Arm in die Höhe, wo seine beiden Magier aus den Lichtsäulen traten und in einen gelb-blauen Wirbel gezogen wurden. „Two darks with the power of clairvoyance! Now become one, and from the hell of your visions, give birth to a new terror! Fusion Summon! Appear! Poisonous dragon with hungry fangs. Level 8! [Starving Venom Fusion Dragon]!“ „Was!?“, keuchte Anya entsetzt, als sie nun endlich hinsah. Zur Linken flog ein weißer Drache mit schwarzer Brustpanzerung und schwarz-weiß gestreiftem Schweif über Othello, dessen vier Flügel aus transparentem, grünem Glas bestanden. Neben diesem hielt sich ein pechschwarzer, schlanker Drache in der Luft, dessen dürre Metallschwingen wie Rohre anmuteten. Unter seinem Kinn ragten zwei spitze Stoßzähne hervor, dazu umkreisten ihn zwei Lichtsphären. Und zu guter Letzt trat ganz rechts aus dem Fusionswirbel ein schlangenhafter Drache mit langem Schweif heraus, der nicht nur gehörnt war, sondern auch gelb leuchtende Kugeln an Knien, Schultern und Fingeransätzen besaß – jene an den Knien öffneten sich und entpuppten sich als hungrige Mäuler.   Clear Wing Synchro Dragon [ATK/2500 DEF/2000 (7)] Dark Rebellion Xyz Dragon [ATK/2500 DEF/2000 {4} OLU: 2] Starving Venom Fusion Dragon [ATK/2800 DEF/2000 (8)] Anya betrachtete die vier Drachen auf Othellos Seite mit weit aufgerissenen Augen. Pendel, Synchro, Xyz und Fusion. „Genial …“ Selbst Isfanel und Kali war es nicht gelungen, so viele verschiedene Beschwörungsarten in nur einem Zug durchzuführen. Anya erkannte an, dass ihr dazu ebenso noch das nötige Können fehlte. Sie grinste breit. „Das ist echt cool!“ „Danke“, strahle Othello zurück, „ganz ehrlich: Du hast mich dazu inspiriert.“ Das Mädchen blinzelte verdutzt. War das so? Weil sie inzwischen auch so viele verschiedene Monstertypen benutzte? „He he, dann bin ich ja doch zu etwas gut“, lachte sie selbstironisch. Dann kniff sie die Augen fest zusammen. „Und jetzt zeig mir gefälligst, was die Biester so drauf haben, bevor ich dich platt mache!“ Jetzt musste sie sich nur noch einfallen lassen, -wie- sie an vier solcher Bestien vorbei kam. Auch die Zuschauer waren sich einig, dass das alles andere als leicht fallen würde. Aber vielleicht gerade deswegen feuerten nicht wenige die Blonde an, nicht zuletzt, weil sie trotz allem aus Livington stammte. „Den Anfang macht [Starving Venom Fusion Dragon]! Hell Feast!“, rief Othello und streckte den Arm aus. Die Mäuler an den Knien des größten der Drachen schossen an dünnen Ranken hervor und umwickelten Gem-Eyes, bissen ihn gar. „Damit erhält er bei seiner Beschwörung nicht nur für einen Zug Angriffspunkte identisch zu denen des Ziels, sondern auch dessen Effekt!“ Als der goldene Drache mit den flammenden Flügeln losgelassen wurde und beinahe zusammensackte, ging Starving Venom selbst in Flammen auf, ohne aber von ihnen verschlungen zu werden.   Starving Venom Fusion Dragon [ATK/2800 → 5200 DEF/2000 (8)]   Mehr als ein entsetztes Keuchen presste Anya nicht hervor. Othello schwang den Arm aus. „Jetzt du, [Dark Rebellion Xyz Dragon]! Treason Discharge!“ Ebender absorbierte mit den Stoßzähnen unter seinem Kinn seine beiden Overlay Units. Die metallischen Elemente an den Flügeln des pechschwarzen Drachen fuhren daraufhin aus und gaben elektrische Ladungen ab, welche das Ungetüm unter lautem Heulen auf [Gem-Eyes Value Dragon] schleuderte. Einmal getroffen, brach jener sofort dampfend zusammen.   Dark Rebellion Xyz Dragon [ATK/2500 → 3700 DEF/2000 {4} OLU: 2 → 0] Gem-Eyes Value Dragon [ATK/2400 → 1200 DEF/2000 (7) PSC: 5] „Dieser Effekt absorbiert die Hälfte der Angriffspunkte deines Gem-Eyes und überträgt sie auf Dark Rebellion! Und dieses Mal ist es dauerhaft!“ Anstatt aber von Othellos Ausruf eingeschüchtert zu sein, gab Anya sich zuversichtlich. „Diese Dinger sind ganz schön übel. Aber ein bisschen Herumspielerei mit meinen Angriffspunkten macht dich noch lange nicht zum Sieger!“ Auch der junge Grieche strahlte eine gesunde Portion Selbstbewusstsein aus, als er den Zeigefinger ausstreckte. „Ach ja? Dann beweis' es! Los, Starving Venom, greif' ihren [Gem-Eyes Value Dragon] an! Reckless Devouring!“ Was für die Anwesenden bisher nicht sichtbar war: Auch die Schultern des Giftdrachens waren tatsächlich Mäuler, die sich weit öffneten und an langen Ranken vom Körper lösten. Zeitgleich schossen sie auf den geschwächten Golddrachen zu. „Wenn dieser Angriff trifft, ist sie sofort besiegt!“ „Der geht echt ab!“ „Los, Anya, das war doch nicht schon alles, oder!?“ Die Blonde sah über ihre Schulter zu ihrer Managerin, die mit verschränkten Armen da stand und sie anlächelte. Motiviert zeigte das Mädchen ihr einen Daumen – eine Geste, die Cynthia grinsend erwiderte. Dann sah Anya nach vorn. „Als ob! Falle, [Negate Attack]! Sie stoppt den Angriff und beendet deine Battle Phase sofort!“ Jene Konterfalle klappte im letzten Moment auf und baute vor ihrem Monster eine unsichtbare Barriere auf, an der die gierigen Mäuler abprallten. Unverrichteter Dinge kehrten sie zu ihrem Besitzer zurück und wurden zu seinen Schulterblättern. „Glück gehabt“, sagte ein Zuschauer. Eine andere Dame meinte: „Er hat wohl ihre verdeckte Karte vergessen, hm?“ „Das hätte auch schief gehen können für ihn, wenn da etwas anderes gelegen hätte.“ Othello selbst hatte sich scheinbar keine Sorgen darum gemacht. „Oh man, das war ja zu erwarten gewesen. Aber ich kann dir trotzdem Schaden zufügen.“ „Huh?“ Anya legte den Kopf schief. „Und wie?“ „Schon vergessen? Starving Venom trägt den Effekt deines Gem-Eyes in sich. Und wirst du ihn am eigenen Leibe erfahren: Ruby Flare!“ Und plötzlich öffnete der entflammte Giftdrache sein Maul und spie einen dunkelroten, schimmernden Odem aus, der Anya voll erfasste. Jene fluchte leise: „Shit!“   [Anya: 4000LP → 3500LP / Othello: 2800LP]   „Du bist dran“, nickte Othello ihr zu, als Anya wieder sehen konnte. „Damit normalisieren sich die Werte von Starving Venom.“ Das Feuer, das um jenen brannte, verschwand einfach.   Starving Venom Fusion Dragon [ATK/5200 → 2800 DEF/2000 (8)]   Der Junge im Rollstuhl besaß nichts außer den vier Drachen, um sich zu schützen. Anya musste irgendwie einen Weg finden, an ihnen vorbei zu kommen. Aber sie hatte keine Ahnung, wie sie es mit allen vier gleichzeitig aufnehmen konnte. Nachdem das Mädchen aufzog, weitete es die Augen. Vielleicht musste sie das auch gar nicht. Nicht, wenn diese Dinger für -sie- arbeiten würden. Ein heimtückisches Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus.   ~-~-~   Ein dunkler Raum, nur durch das Licht eines Laptops erhellt, vor dem Harrier saß. Hinter ihm öffnete sich eine Tür und warf unerwünschtes Licht vom Gang dahinter hinein. Ein Schatten legte sich über ihn. „Und?“, fragte Kathea gespielt neugierig. „Es war lachhaft“, erwiderte der Blonde, ohne sich umzudrehen, „sie dachte, eine Viertelstunde wäre zu wenig. Ich wollte schon gehen, weil sie nicht aufgekreuzt ist.“ Die Frau mit dem langen, schwarzen, zur Mitte hin ins Weiß übergehende Haar lachte künstlich, wie sie hinter ihm stand. „Ich erinnere mich gar nicht, dir die Anweisung gegeben zu haben, Melinda Ford überhaupt zu einem Duell herauszufordern.“ „Ich erinnere mich nicht, überhaupt Anweisungen von Ihnen entgegen genommen zu haben“, konterte Harrier eisig und sah über seine Schulter, „ich unterstehe Zyxx, wie Sie hoffentlich nicht vergessen haben.“ „Ja, aber der ist leider verschollen.“ „Nicht mehr lange.“ Kathea lächelte. „Natürlich. Dafür werde ich sorgen. Wir brauchen ihn schließlich. Also, konntest du die Daten schon auswerten?“ „Ich bin schon längst dabei, die Ergebnisse umzusetzen“, antwortete Harrier mit beleidigtem Unterton, „es handelte sich bei Zyxx' Duell um sogenannte Excel-Monster. Prototypen, deren Konzept verworfen wurde.“ „Interessant.“ Kathea kicherte wieder herablassend. „Dann können sich unsere 'Feinde' ja auf eine Überraschung der besonderen Art gefasst machen.“ Harrier stimmte mit ein. „In der Tat. Ich hatte gehofft, mit Melinda Ford etwas Feldforschung betreiben zu können. Allerdings hat sie diese Karten nicht gegen mich eingesetzt. Sie entstammen der Feder ihres Bruders.“ „Wie auch immer, ich hoffe, dass diese Prototypen bald schon mehr als das sein werden. Ich verlasse mich auf dich, Harrier.“ Damit verschwand sie aus dem Türrahmen und ließ ihn in seiner geliebten Dunkelheit zurück, die nur durch das Licht eines Bildschirms gebrochen wurde.   ~-~-~   Die Landschaft zischte nur so an ihr vorbei. Ab und zu ruckelte es ein wenig im Abteil des Zuges, dessen nächster Halt Livington sein würde. Sie war alleine, genoss die Ruhe. Es war schön, die Bäume, den blauen Himmel, die Wolken ihrer Heimat zu sehen. Auch wenn sie Angst davor hatte, was geschehen würde, sobald sie wieder zuhause war. Die junge Frau, deren brünettes Haar von einem weißen Sonnenhut bedeckt war, seufzte schwer.   ~-~-~   Unter dem Geschrei der Zuschauer, denn anders konnte man das nicht nennen, schwang Anya kämpferisch den Arm aus. „Ich aktiviere den Effekt von [Gem-Knight Pyrite] in meiner Pendelzone! Er kann eine Gem-Knight-Karte von meinem Deck auf den Friedhof schicken! Lazuli!“ Ihr weißer Schildritter blitzte kurz auf. Die Karte des Effektmonsters [Gem-Knight Lazuli] wurde automatisch von ihrem Kartenstapel hervor geschoben und von Anya prompt in den Friedhofsschlitz gesteckt. Kaum war sie dort gelandet, tauchte die durchsichtige Silhouette der kleinen Kriegerin in lehmbrauner Rüstung auf, welche sich in ihren namensgebenden, bröckeligen Edelstein verwandelte. „Wenn sie durch einen Effekt auf dem Friedhof landet, bekomme ich ein normales Monster von dort zurück“, erklärte Anya und zeigte [Gem-Knight Garnets] Karte vor. Im Anschluss streckte sie den Arm in die Höhe. „Und jetzt sieh gut hin! Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum!“ Über Anya, zwischen ihren beiden in den Lichtsäulen stehenden Kriegern, öffnete sich das bunte Pendelportal. „Aus meiner Hand beschwöre ich die Stufe 4-Gem-Knights Tourmaline und Garnet! Pendulum Summon!“ Zwei rote Strahlen schossen aus dem Loch und schlugen vor ihr ein. Ein goldener Ritter sowie einer in bronzener Rüstung knieten vor ihr nieder.   Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)] Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   Vor ihnen bäumte sich der geschwächte Gem-Eyes kreischend auf. Anya streckte entschlossen den Arm aus. „Ich aktiviere den Effekt von [Gem-Eyes Value Dragon] und wechsle seinen Typen! Sight Transition! Werde zum Fels in der Brandung!“ Die Scheiben am Helm des Drachen begannen sich zu drehen. Doch zu Anyas Überraschung schwang Othello den Arm aus. „Daraus wird nichts! Ich kontere mit [Clear Wing Synchro Dragons] Effekt!“ Jener spreizte seine gläsernen Schwingen aus, sammelte in ihnen grünliche Energie und feuerte sie in gebündelten Strahlen auf Anyas Monster ab. Ihr Gegner rief: „Dichroic Mirror! Damit wird der Effekt eines Monsters der Stufe 5 oder höher negiert und es zerstört!“ „Huh!?“ Anya wich zurück, als die Strahlen in Gem-Eyes einschlugen und ihn regelrecht zerfetzten. Mehr aber noch, begann der in der Luft hängende, schwarz-weiß gestreifte Drache in grünlicher Aura aufzulodern. Clear Wing Synchro Dragon [ATK/2500 → 4900 DEF/2000 (7)]   „Durch den Dichroic Mirror absorbiert Clear Wing für den Rest des Zuges die Stärke des zerstörten Monsters!“, erklärte ihr Freund energisch. „Ein perfekter Konter für deine Assmonster!“ Anya lachte in sich hinein. Das war's dann wohl mit ihrem Plan, [Gem-Knight Lady Brilliant Diamond] aufs Feld zu bringen. Damit wäre alles sehr einfach gewesen. Aber es gab immer noch einen Plan B! „Nicht alle“, erwiderte sie selbstbewusst, „sieh her!“ Sie schwang den Arm aus und rief: „Ich errichte das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster!“ In der Mitte des Feldes öffnete sich unter dem Aufschrei der Zuschauer ein Schwarzes Loch, das ihre beiden verbliebenen Ritter als braune Lichtstrahlen absorbierte. Anya murmelte leise: „Ich verlasse mich auf dich.“ Es folgte eine Explosion im Inneren des Überlagerungsnetzwerks. „Xyz Summon! Erscheine, [Gem-Knight Pearl]!“ Aus ihr stieg der weiße Ritter empor, umgeben von sieben riesigen Perlen sowie zwei Lichtkugeln, die ihn umkreisten. Als er seine Augen öffnete, leuchteten diese blau auf. Ich werde dich nicht enttäuschen, Anya Bauer.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4} OLU: 2]   Jene streckte den Arm weit aus. „Los! Vernichte seinen Odd-Eyes! Blessed Spheres of Purity!“ Mit den Handbewegungen eines Dirigenten steuerte Levrier seine sieben Perlen und verwandelte sie in Geschosse, die nacheinander auf den roten Drachen zuschossen. Othellos Lächeln schwand, aber er kommentierte den Angriff nicht. Gleich sieben Explosionen suchten ihn im Anschluss heim und als der Rauch verschwand, war sein Signaturmonster fort.   [Anya: 3500LP / Othello: 2800LP → 2700LP]   Anya zischte wütend. „Tch! 100 zu wenig.“ Sie nahm ihre beiden verbliebenen Handkarten, zwei Fallen, und setzte sie in ihre Duel Disk ein. Die tauchten surrend in vergrößerter Form vor ihren Füßen auf. „Dein Zug. Nutze ihn gut, denn es wird dein letzter sein!“ Ihre Drohung sorgte für überraschte Ausrufe seitens des Publikums. Selbst Cynthia, die zwischen den Absperrungen auf dem roten Teppich stand, musste in sich hinein schmunzeln. „Na wenn du den Mund da nicht etwas zu voll nimmst. Aber wer weiß …“ Indes schwand die grüne Aura um Clear Wing.   Clear Wing Synchro Dragon [ATK/4900 → 2500 DEF/2000 (7)]   Othello schloss die Augen. Anya tat es ihm gleich. Sie hatten während des Duells kaum gesprochen, aber das war okay. Sie verstanden einander auch so. Es war bis hierher großartig. Und es würde mit einem Knall enden. Obwohl sie es nicht sah, spürte sie, wie seine Hände sein Deck berührten. Es war fast, als hörte sie seine Gedanken. Odd-Eyes würde ihn nicht im Stich lassen, das waren seine Worte damals und auch heute. Er zog. Beide öffneten gleichzeitig die Augen. Und Othello rief: „Ich aktiviere [Amazing Pendulum]! Wenn keine Karten in meinen Pendelzonen liegen, bekomme ich zwei unterschiedliche Magier von meinem Extradeck auf die Hand zurück!“ Über dem Jungen im Rollstuhl öffnete sich das bunte Pendelportal. Zwei gelbe Lichtsäulen schossen daraus hinab. „[Stargazer Magician] und [Wisdom Eye-Magician]! Und ich aktiviere beide sofort!“ Und genau jene befanden sich in den Strahlen, der weiße Hexer mit dem Stab in der Hand und der in einen düsteren Umhang gehüllte, welcher eine Laterne mit sich führte. Allerdings war der Grieche noch nicht fertig. „Ich kann [Wisdom Eye-Magician] zerstören, um einen anderen Magier aus meinem Deck zu aktivieren! Ich wähle [Timegazer Magician]! Pendulum scales set!“ Ersterer hob seine Laterne erneut an, ließ sie ein grelles Licht ausstrahlen und verschwand mit ihr, um Platz für den in schwarz gekleideten, vermummten Magier mit der Zahnradklinge an seinem Arm zu machen.   <1> Othellos Pendelbereich <8>   Anya sagte nichts. Doch sie wusste, dass er ihre Gedanken lesen konnte, welche nur ein einziges Wort hinausschrien: Shit! Denn -das- hätte nicht passieren dürfen! Schweiß stand ihr auf der Stirn gezeichnet. „Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum!“, rief Othello und stieß die flache Hand empor. „Kehre zu mir zurück, Odd-Eyes!“ Das über ihm noch geöffnete Pendelportal stieß einen einzelnen, roten Strahl aus, der vor ihm einschlug. Und brüllend erhob sich der kräftige, rote Drache mit den bunten Kugeln an seinen metallischen Schulterauswüchsen.   Odd-Eyes Pendulum Dragon [ATK/2500 DEF/2000 (7) PSC: 4]   „Heh, alle vier Beschwörungsarten wieder vereint. Nicht schlecht“, gab Anya mit einem kecken Grinsen anerkennend zu. „Aber wo ist der Ritualdrache?“ „Es gibt einen?“, erwiderte Othello belustigt. „Und wenn, braucht man den überhaupt?“ „Die Einstellung gefällt mir!“ Hoffentlich hatte Redfield, wo immer sie sich hier rumtrieb, die Spitze verstanden. Aber Anya musste feststellen, dass sie ihre Rivalin beim Umsehen nirgendwo entdecken konnte. Dabei hatte der Flohpelz doch gemeint, sie wäre hier. Was auch immer … Die Leute begannen Othellos Namen wie einen Singsang von sich zu geben. Andere konterten mit Ausrufen für Anya, die mit strengem Gesichtsausdruck die Arme verschränkte. „Bereit?“, fragte Othello, lachte dann aber. „Natürlich bist du. Also los, entscheiden wir das hier! [Dark Rebellion Xyz Dragon], greife [Gem-Knight Pearl] an! Rebellious Lightning Disobey!“ Die mechanischen Schwingen des schwarzen Drachen fuhren noch ein wenig weiter aus und begannen pinkfarbene Stromschläge abzugeben. Mit hoher Geschwindigkeit schoss das Biest auf Levrier zu, die Keile an seinem Kiefer begannen ebenfalls pink aufzuleuchten. „Ich kann nichts tun“, keuchte Anya und sah beschämt weg. Ist das ein Witz!?   Nein, war es nicht. Halb zu Anya sehend, wehrte Levrier den Angriff mit seinem rechten Ellbogen ab, welcher prompt durchbohrt wurde. Die Entladungen übertrugen sich auf ihnen und resultierten in einer Explosion, die ihn regelrecht zerfetzte. Anya Bauer, du elende-!   Doch die winkte mit zusammengekniffenen Augen ab. „Ja ja, spar dir dein Gejammer!“ Auch sie wurde von einigen Funkenschlägen getroffen, blieb aber ruhig.   [Anya: 3500LP → 2400LP / Othello: 2700LP]   „Du hast genau das getan, was du solltest!“, rief sie anschließend und schwang den Arm aus.   Im Kampf fallen!?   „Yeah! Falle aktivieren!“ Ihre rechte verdeckte Karte sprang auf. „[Brilliant Spark]! Damit füge ich meinem Gegner die Angriffskraft des Gem-Knights als Schaden zu, den er tolldreist umgenietet hat!“ Ihr Gegenüber gab einen überraschten Laut von sich. Vor Anya entstand ein wunderschöner Brillant, in dem sich gelbliche Energie sammelte. Jene wurde in einem konzentrierten Strahl abgefeuert und fegte am schwarzen Drachen und seinen drei Mitstreitern vorbei, bis er in Othellos Brust einschlug. „Ah!“   [Anya: 2400LP / Othello: 2700LP → 100LP]   Die Menge war plötzlich still. Othello saß mit herunterhängendem Kopf da und regte sich nicht. Auch Anya stand wie eine Salzsäule da, erstarrt, ausdruckslos. „Ha ha“, begann der Grieche plötzlich zu lachen und sah auf. „Ich verstehe! 100 zu wenig! Aber für dich sind es 101.“ Sich aus ihrer verkrampften Haltung loslösend, atmete Anya auf. „Yeah.“ „Trotzdem liefern wir ihnen einen fulminanten Abschluss!“ „Yeah!“ Othello streckte den Arm aus. „[Odd-Eyes Pendulum Dragon], greife sie direkt an und lösche ihre verblieben Lebenspunkte aus! Spiral Strike Burst!“ Der rote, am Boden stehende Drache lud in seinem Maul einen roten Odem auf, den er auf Anya abfeuerte. Um ihn schlugen schwarze Entladungen. Im Gegenzug betätigte das Mädchen den Auslöser an ihrer Duel Disk. „Nicht so hastig! Ich aktiviere-!“ „Vergiss es“, fuhr ihr Othello dazwischen, „durch den Effekt meiner beiden Magier in den Pendelzonen kannst du bei dem Angriff eines Pendelmonsters weder Zauber- noch Fallenkarten aktivieren!“ Anya lächelte. Das wusste sie doch längst. Als der rote Strahl sie erfasste und die Leute um sie herum beinahe ausrasteten, zuckte sie lediglich mit den Schultern.   [Anya: 2400LP → 0LP / Othello: 100LP]   ~-~-~   Entgegen Zanthes Aussage gegenüber Anya, Matt wäre ebenfalls im Einkaufszentrum, lag dieser tatsächlich auf dem Bauch in Valeries Schlafzimmer. Jene war neben ihm in ein Buch vertieft, das sich mit übernatürlichen Wesen beschäftigte. „Stimmt eigentlich irgendetwas von dem, was die hier schreiben?“, fragte sie skeptisch und fuhr sich durch das lange, schwarze Haar, das durch einen weißen Reif gehalten wurde. Der Dämonenjäger im schwarzen Ledermantel neben ihr lachte. „Ein wenig. Die ganz offensichtlichen Dinge.“ „Was ist hiermit?“ Sie deutete auf die Abbildung eines wandelnden Toten. „Zombies? Uh“, Matt überlegte kurz, „es gibt, soweit ich weiß, zwei Sorten. Die klassischen und die Ghule.“ „Sind wir nicht damals welchen begegnet, als in Livington 'Monsternacht' war?“ „Ja. Ich denke, Urila hat mit einem Zauber das Potential der Anwohner irgendwie erhöht und sie mit einem zweiten dann in das verwandelt, was ihnen am ähnlichsten ist.“ Matt kratzte sich nachdenklich an der Stirn. „Jetzt, da wir von den Undying bestätigt bekommen haben, dass Äther als Bestandteil allen Lebens existiert, muss sie wohl den Äther der Leute erhöht haben. Wie auch immer das geht …“ „Hat sie nicht euer Grimoire benutzt, um die Zauber zu wirken?“, warf Valerie ein. „Ja. Moment, vielleicht hat sie damals gar keine bestimmte Anzahl an Opfern gebraucht, um das Tor Eden zwangszuöffnen, sondern eine bestimmte Menge Äther?“ Valerie kicherte belustigt. „Witzig, wie manche Sachen im Nachhinein Sinn ergeben.“   Dann tippte sie auf die Abbildung des Zombies. „Wie dem auch sei, was ist nun mit dem hier? Du sagst, es gibt sie? Ich kann mir das gar nicht vorstellen. Wie soll das funktionieren, wenn ihr Gehirn bereits verwest ist?“ „Ein normaler Zombie kann nicht eigenständig agieren.“ Matt zeigte auf die Beschreibung unter dem Bild. „Was da steht ist totaler Quatsch. Es gibt keine Viren, die totes Gewebe beeinflussen. Das machen in der Realität sogenannte Nekromanten, Totenbeschwörer.“ Valerie, die mit den Beinen strampelte, erwiderte freudig: „Ja, den Begriff habe ich schon mal gehört. Die gibt es also?“ „Ja. Sie können Tote wie Marionetten steuern, indem sie ihnen ihren 'Willen' verleihen. Wahrscheinlich durch Übertragung von Äther.“ Matt seufzte auf einmal. „Mit Ghulen ist es anders.“ Das Mädchen blätterte ein paar Seiten vor. Auf der rechten war ein grausiges, graues Ungetüm abgebildet, was über einen menschlichen Kadaver hing. Blut tropfte die langen Fangzähne hinab. „Was steht hier? Leichenfresser …“ „Pft.“ „Was?“ Beleidigt runzelte die Schwarzhaarige ihre Stirn. „Willst du dein Wissen mit mir teilen?“ Matt räusperte sich. „Ahem. Da steht, dass diese Untoten – Betonung auf untot – einen unstillbaren Appetit nach verdorbenem Fleisch haben.“ Die Augen fest zusammenkneifend, erwiderte Valerie trocken: „Untote benötigen keine Nahrung. So ein Schwachsinn.“ „Yeah!“ Beide begannen zu lachen. Matt fiel es entsprechend schwer zu erklären, was es wirklich mit Ghulen auf sich hatte. „Sie sind Untote, aber anders als bei Zombies, gleich zum Zeitpunkt ihres Todes wiedererweckt worden. Dadurch besitzen sie noch eine gewisse Intelligenz. Anders als die Autoren dieses Buchs.“ „Haha! Werden Sie auch von Nekromanten gesteuert?“ „Sie sind diejenigen, die sie reanimieren. Sie können ihnen Befehle geben. Ich meine mich zu erinnern, dass sie die Seele des Ghuls an das tote Fleisch binden und damit absolute Gewalt über ihn haben.“ Valeries Lachen verstummte abrupt. „Heißt das, dass sie keinen … Frieden finden werden?“ „Ein Ghul stirbt erst endgültig, sobald sein Beschwörer den Zauber löst oder selbst das Zeitliche segnet.“ Der schwarzhaarige Dämonenjäger sah Valerie fragend an, als diese ihr Haupt senkte. „Stimmt etwas nicht?“ Sie schreckte auf, schüttelte den Kopf. „N-nein.“ „Du denkst an Marc“, lautete Matts Feststellung. „Meinst du, er ist …?“ „Nein. Ich weiß nicht, was er ist.“ Der junge Mann sah zur Decke. „Aber er hat einen freien Willen, also ist er weder Zombie noch Ghul.“ Zögerlich kam von ihr ein: „Verstehe. Danke.“ Kurz darauf erhob Valerie sich, gerade als Matt seine Hand auf ihre legen wollte. Den Kopf für den Bruchteil einer Sekunde hängen lassend, tat es ihr unverrichteter Dinge gleich und las dabei das Buch auf. „Ich denke, ich gehe dann mal“, sagte er, „wenn du möchtest, versuch dich ein wenig über andere Wesen zu informieren. Morgen werten wir dann aus, was Fakt und Fiktion ist.“ Er reichte ihr das Buch. „Und … denk nicht so viel an Marc.“ „Sicher.“ „Du willst das wirklich durchziehen?“, fragte er, immer noch mit dem Wälzer in der Hand. „Eine Dämonenjägerin werden?“ Sie sah ihn an, sagte aber nichts. „Ich … ich denke nicht, dass du-“ Etwas in ihren Augen blitzte auf. „Stop. Matt, ich weiß deine Sorge zu schätzen, aber ich weiß, was ich möchte. So sehr sie es auch wollen, können manche Menschen nicht der Bestimmung nachgehen, die sie sich erträumen.“ „Valerie …“ „Ich bin nicht dazu bestimmt, Profiduellantin zu werden. Und ganz sicher auch nicht dazu, eine Diplom-Architektin zu sein.“ Valerie nahm ihm das Buch ab. „Also suche ich nach etwas, das am nächsten liegt. Ich will kämpfen. Menschen beschützen. Gute Dämonen beschützen, wie Levrier oder Abby. Sollte das auch nicht-“ Matt unterbrach sie sanft. „Ok, ich verstehe schon. Aber bis dahin ist es noch ein sehr langer Weg.“ „Ich weiß. Ich habe Zeit.“ Sie lächelten sich kurz an, dann gab der Dämonenjäger ihr die Hand. „Ok, dann bis morgen.“ „Bye.“   ~-~-~   „'Es ist nicht schlimm, zu verlieren'“, äffte Anya die Worte ihrer Mentorin nach, kurz nachdem sie irgendwie aus der Menschentraube ausgebrochen war. Vor sich schob sie Othellos Rollstuhl, eine Geste der Freundlichkeit, die die Livingtoner aller Voraussicht nach mit einem Zeitungsartikel würdigen würden. „War es das denn?“, fragte der junge Grieche, wie sie zusammen durch die Mall zogen. Auf den Metallboden spiegelten sich ihre Antlitze verzerrt. „Weiß nicht“, gestand Anya und verscheuchte mit einem Wink und ziemlich finsterem Gesichtsausdruck herannahende Fans. Othellos Fans selbstverständlich. „Gusch, weg mit euch, wir wollen allein sein!“ Der Junge kicherte. „Dann erinnere dich, was sie noch gesagt hat.“ „Hab nicht zugehört.“ „'Es ist nicht schlimm, zu verlieren, besonders, wenn dein Gegner ein Freund war. Gerade am Anfang ist der Weg steinig und voller Rückschläge. Und das Erste, was ich meinen Schülern beibringe, ist damit umzugehen.'“ Er gab ein nachdenkliches Geräusch von sich. „Ich denke, da ist was dran.“ „Yeah, was auch immer. Hey!“ Sie hielten direkt vor einem großen Café, das durch eine gläserne Fassade von der Mall abgeschirmt war. In bunten Neon-Lettern stand über dem Eingang 'Bikini Fruit'. „Was meinste, wollen wir was trinken?“ „Ja. Aber bitte alkoholfrei.“ „Tch, Spießer!“ „Ich mache mir bloß Sorgen was passiert, wenn du betrunken ist.“ Anya runzelte auf die Neckerei ihres Freundes hin die Stirn, verwarf die Gedanken an sofortige Vergeltung ausnahmsweise, als sie das Café betraten und an diversen Tischen vorbei zu einem Fensterplatz schlängelten. Zur Rechten gab es eine riesige Bar, an der man bestimmt Cocktails bekam, die einem das Hirn wegballerten. Aber sie würde wohl nie in den Genuss kommen … Nachdem die beiden einen freien Tisch gefunden hatten und Anya Othellos Rollstuhl entsprechend abgestellt hatte, saßen sie sich gegenüber. Der junge Grieche orderte nur ein Wasser, wohingegen Anya gleich einen 'Killer Bikini-Tornado' bestellte – ein Eisbecher mit sechs Kugeln verschiedener Fruchteissorten, garniert mit Schlagsahne, Obststücken und gottgleichen, hausgemachten Waffeln. „Ich dachte, wir wollten nur etwas trinken. Da bekommt man ja beim Anblick schon Karies“, gluckste Othello, als er seine amerikanische Freundin dabei beobachtete, wie sie mit ihrem Blick dem 'Killer Bikini-Tornado' huldigte. Wenn sie schon keine Drinks bekam, dann wenigstens das hier! „Yeah“, hauchte sie, die sie ihn seit Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte, „gesponsort von der Zahnarztriege. Und fuck, der ist es wert, schlechte Zähne zu bekommen.“ Othello lachte erneut. „Na dann guten Appetit.“ Er hatte noch gar nicht zu Ende gesprochen, da landete schon die erste Waffel mit Schlagsahne in Anyas Mund. Was sie aber nicht daran hinderte, trotzdem zu reden. „Awo, wa mawhst du eiwenwich whir?“ „Ach nichts Besonderes. Deine Managerin hat mich angerufen und gefragt, ob ich nicht Lust auf eine Revanche hätte.“ „Huh?“ Anya schluckte erstmal kräftig und schnappte sich dann den Löffel, der neben dem Eisbecher lag. „Ich kenne Cynthia nicht mal eine Woche. Wie bist du so schnell …?“ „Ich bin schon seit drei Tagen in Livington. Die Anfrage hat sie kurz nach dem Legacy Cup gestellt“, wunderte sich Othello. Und beobachtete Anya anschließend dabei, wie sie wütend Schlagsahne in sich hinein schaufelte und dabei vor sich hin fluchte. „Diese hinterhältige Schlange. Also hat sie mich schon seit Wochen im Visier gehabt. Und so selbstsicher zu sein, dass sie mich kriegt … blöde … der werd' ich-“ „Sachte“, hob der Grieche die Hände, „du verschluckst dich noch.“ „Bah! Hast Recht, von der lass ich mir nicht den Tag versauen. Hier, willste auch?“   Othello schreckte zurück, als er schlagartig einen Löffel mit Erdbeereis vor der Nase hatte. Anyas Blick verriet, dass sie ein Nein nicht akzeptierte. Mit leicht geröteten Wangen beugte er sich vor und nahm das Eis gezwungen bereitwillig an. „Guter Junge“, strahlte sie stolz.   Dass ich das noch erleben darf, Anya Bauer. Du teilst dein Essen. Vergiss' Team Logan Carter, ich bin ab sofort Team Othello Nikoloudis!   Was faselte Levrier da, wunderte sich Anya aufrichtig naiv. Um gar nicht erst in die Verlegenheit zu geraten, sich darüber weitere Gedanken zu machen, wechselte sie schnell das Thema. Dabei fiel ihr auf, wie ihr neuer Freund bewusst aus dem Fenster auf die Straße hinab starrte. „Und wie lange bleibst du noch?“, wollte sie wissen. „W-weiß ich nicht. Wir haben es nicht eilig.“ „Cool! Wenn du willst, kann ich dir die Stadt zeigen.“ Wie er immer noch vermied, sie direkt anzusehen. Hatte sie was im Gesicht? „G-gerne. Aber nicht heute. Ich bin müde. Und morgen geht's auch nicht, da muss ich zum Arzt, wegen ein paar neuer Medikamente.“ Er schielte aus den Augenwinkeln zu Anya. „Also wäre dir übermorgen recht?“ Anya nickte. „Klaro! Aber komm wenigstens kurz mit nachhause. Wenn du willst, kann ich dann auch gleich ein Duell mit Roboburg organisieren.“ „W-wen bitte?“ „Claire Rosenburg.“ Anya rollte mit den Augen. Natürlich wusste Othello nichts von ihr und ihrem zweifelhaften Spitznamen. „Sie wohnt bei mir – leider! Wenn du magst, kannst du sie jeden Tag herausfordern. Ich habe bloß keine Ahnung, wie gut sie nun wirklich ist. Letztens habe ich im wahrsten Sinne des Wortes ihren Staub gefressen.“ Othello sah die Blonde verwirrt an. Keiner der beiden sagte etwas. Man konnte förmlich hören, wie es in seinem Denkkasten ratterte. Und das gefiel Anya irgendwie nicht. „Moment … du hast dich gegen Claire duelliert? Wann?“ „Uh … na ja …“ „Doch nicht etwa … wart ihr das!?“ Der Junge war so laut, dass die anderen Gäste sich überrascht zu ihnen umdrehten. Auf Anyas hektisches Handgewedel hin wurde er leise. „Habt ihr beide die halbe Riding Duel-Strecke in Ephemeria City auseinander genommen!?“ Anya sah sofort, dass es keinen Sinn hatte, es abzustreiten. „V-vielleicht?“ „Da hätten Menschen verletzt werden können!“ Okay, für den Abby-Tonfall gab's gleich Abzüge in der B-Note! B wie besonders rücksichtsvoll, was eventuelle Fehltritte anging. Bisher hatte keiner da jemals eine gute Note von ihr bekommen. Anya fragte sich bis heute, ob ihr jemals so jemand begegnen würde.   „Es wurde aber keiner verletzt!“, zischte sie so leise sie konnte und beugte sich vor. „Das war nicht meine Schuld, sie hat angefangen! Ich hab mich nur gewehrt!“ Othello sah sie immer noch tadelnd an. „Das musst du mir erklären!“ „Ich habe sie … vielleicht etwas provoziert“, log Anya, wobei das eigentlich sogar der Wahrheit entsprach. Nur dass sie ihren Manager auf sich aufmerksam gemacht hatte, nicht Claire selbst. „Und wie habt ihr die Sicherheitsmechanismen deaktiviert?“ Mittlerweile klang er eher neugierig als alles andere. „Die weiß eben, wie das geht. Na ja, eins kam zum anderen …“ „Aber da wurde doch jemand festgenommen-“ Sofort würgte Anya ihn ab. „-und freigelassen! Ja, ich weiß!“ „Will ich überhaupt wissen, was da abgegangen ist?“ „Das fragst du, -nachdem- du mich schon ausgehorcht hast!?“ Die beiden blinzelten einander an. Und lachten.   ~-~-~   Das blonde Mädchen lief in ihrem kleinen Zimmer auf und ab. Wofür sie wie viel, vielleicht vier bis fünf Schritte brauchte!? Was dachten sich diese Schwachmaten dabei, sie hier einzupferchen? Sie war noch nicht lange hier, aber bereits jetzt kristallisierte sich eins heraus: Bis sie dazu kam, die Dinge zu tun, die ihr versprochen worden waren, würde noch sehr viel Zeit vergehen.   Schließlich ließ sich Zoey frustriert auf ihrem Bett nieder, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und ließ sich in das Kissen fallen. Dieses Zimmer ähnelte eher einer Gefängniszelle als allem anderen. Ein kleiner Schreibtisch neben dem Bett sowie ein Schrank gegenüber waren alles, was sie hier hatte. Da die Anlage unter der Erde lag, gab es hier nicht einmal Fenster und entsprechend störend war das ständige, leise Rauschen der Lüftung. Na ja, wenigstens musste sie das Zimmer nicht noch mit jemandem teilen.   In ihren Gedanken verloren, bemerkte sie gar nicht, dass jemand im Türrahmen stand. Mit der Faust klopfte die schwarzhaarige, junge Frau gegen die Innenwand und wartete auf eine Reaktion. Zoey aber hob nur ein Lid an. „Was?“ „Ich war neugierig, was es mit unserem neuesten Mitglied auf sich hat“, trällerte die Besucherin fröhlich und trat ohne Aufforderung ein. „Na, hast du dich schon eingelebt?“ „Geht so“, bekam sie eine lasche Antwort. „Ich bin Persephone“, stellte jene sich vor und trat an Zoey herab, welche sie aus ihrem einen, offenen Auge betrachtete. Eins musste man der mit dem unaussprechlichen Namen lassen – sie war hübsch. Das wellige, schwarze Haar glänzte im Licht der Deckenbeleuchtung, reichte ihr bis zum Becken. Die Haut war blass, was ihr etwas Puppenhaftes verlieh. Wie alle, trug sie die dunkelblaue Uniform von CLEAR.   Persephone ließ sich neben Zoey nieder. „Wenn du willst, führe ich dich ein bisschen herum. Die Einweisung hat dich sicher mehr verwirrt als alles andere.“ „Nope. Eigentlich weiß ich ganz genau, was ich zu tun habe“, antwortete Zoey selbstbewusst. Das entlockte dem ungebetenen Gast ein erstauntes Raunen. „Oh? Was machen wir denn, wenn ich fragen darf?“ „Ziele eliminieren.“ Die Schwarzhaarige lachte. „Gewissermaßen, ja. Aber ganz so einfach ist es nicht. Wir sammeln Äther, indem wir Personen mit verhältnismäßig hohem Aufkommen zum Duell zwingen.“ In der Tat war der Teil für Zoey neu. Sie richtete sich mit Schwung auf und sah Persephone an, welche ein bitterböses Grinsen aufgelegt hatte. „Ich war an den Testläufen beteiligt. Macht Spaß.“ „Wirklich?“, fragte die Blonde träge. „Und was passiert mit den Leuten wenn wir fertig sind?“ „Na ja …“ Die Schwarzhaarige kicherte. „Die meisten kippen danach um. Wenn sie Glück haben. Arme Idioten.“ „Aha … was auch immer.“ Desinteressiert ließ Zoey sich wieder zurück ins Kissen sinken. Nachdem beide beharrlich schwiegen, erhob sich Persephone und merkte verstimmt an: „Besonders gesprächig bist du ja nicht.“ „Du dafür umso mehr.“ „Ich versteh' schon“, lamentierte die Schwarzhaarige und zuckte mit den Schultern, „dich interessiert das alles nicht.“ „Mir geht eben keiner dabei ab, Unschuldige umzubringen.“ „Tch!“ Sichtlich beleidigt wandte sich Persephone ab und verließ das Zimmer, nur um auf der Türschwelle noch einmal umzukehren. „Nur damit du es weißt: Davon war nie die Red- Aua!“ Zoey sah erstaunt auf und sah die Frau, wie sie sich den Hinterkopf rieb. Hinter ihr stand ein wahrer Hüne von Mann. Auch er trug eine Uniform, sein schwarzes Haar war kurz rasiert und, was ihn besonders herausstechen ließ, besaß er ein Tribal-Tattoo, das seine komplette, rechte Gesichtshälfte zierte. „Ares, was soll das!?“, fauchte Persephone. „Hör' nicht auf sie“, richtete der seine Worte jedoch direkt an Zoey. „Die Zielpersonen erholen sich nach einiger Zeit. Es gibt Berichte, in denen manche temporär ins Koma fielen, aber das sind Ausnahmen.“ Die Blonde rollte mit den Augen. „Was auch immer …“ „Sie hat keine Ahnung“, grummelte ungebetener Gast #1 weiter. „Was wir tun dient dem größeren Wohl“, erklärte der Mann namens Ares daher, „siehst du, jeder von uns hat etwas an die Dämonen verloren. Manche Familienmitglieder, andere ihre Unabhängigkeit …“ Er sah auf die wesentlich kleinere Persephone herab. „… und manche sogar ihren Verstand.“ „Klappe!“, zischte die und stieß ihm ihren Ellbogen in den Magen, was den Hünen aber gar nicht juckte. Zoey betrachtete beide und schüttelte dann den Kopf. „Seid ihr jetzt endlich fertig?“ „Wenn du Hilfe brauchst, kannst du dich gerne an mich, Persephone oder auch Ruud wenden.“ Mit diesen Worten folgte Ares der sehr direkten Aufforderung und griff den Arm der Schwarzhaarigen, welche sich nur unter wüsten Schimpftiraden wegziehen ließ.   Nachdem sie endlich für sich war, zog Zoey die Beine an und legte den rechten Arm über das rechte Knie. Ihr war scheißegal, was diese Typen vor hatten oder wofür sie kämpften. Alles, was für sie zählte, war Rache an Anya zu nehmen. Und an Levrier … Da war es ihr auch recht, Missionen für CLEAR auszuführen. Wehe, die ließen sie lange zappeln …   Zoey saß neben dieser schwarzhaarigen Fremden, die in ein elegantes, eierschalenfarbenes Kleid gekleidet war. Ihre Hände lagen dabei auf dem Schoß. Das Mädchen hielt nicht viel von gemischten Haarfarben, schon gar nicht, wenn die untere Hälfte komplett weiß war wie bei der da. „Oma hat immer gesagt, man soll nicht mit Fremden mitgehen. Schon gar nicht mit Weibern“, begann die Beanie-Trägerin schließlich feindselig. Kathea kicherte. „Eine weise Frau.“ „Was willst du von mir?“ „Ich kam nicht umher, den kleinen … Disput mit deiner Schwester mitanzusehen.“ Zoey schnaubte. „Ich bin nicht ihre Schwester. -Nur- eine Cousine …“ Und dafür war sie ihr bis hierher gefolgt? Was stimmte nicht mit der? „Trotzdem sind Streitigkeiten in der Familie eine ernste Sache. Wie traurig.“ Man musste kein Verhaltensforscher sein, um die Falschheit dieser Frau durch ihre Worte hindurch zu erkennen. Skeptisch betrachtete Zoey sie aus den Augenwinkeln. „Ja, aber ich wüsste nicht, was dich das angeht.“ „Nichts. Da hast du vollkommen Recht. Allerdings solltest du etwas über deine Cousine wissen. Sie wird kontrolliert.“ „Ah ja? Von wem?“ Der Anflug eines Lächelns zierte Katheas Lippen, wie sie starr geradeaus blickte. „Levrier.“ „'kay.“ „Du willst nicht wissen, wer das ist? Oder eher: Was er ist? Ein Immaterieller. Ein Dämon.“   Zoey sagte gar nichts. Sie starrte die Frau lediglich abweisend an. Schließlich wandte sich die Schwarzhaarige ihr zu und bedachte sie mit diesem mitleidigen Blick, der geradezu danach bettelte, mit einem Faustschlag ausgelöscht zu werden. „Sie hat mit ihm während eures Duells gesprochen.“ „Aha.“ Wenig überrascht verschränkte Kathea die Arme. „Natürlich glaubst du mir nicht. Wer würde das schon? Aber es ist die Wahrheit.“   Die Frau zückte ein Smartphone und spielte ein Video ab, das Anya aus der Vogelperspektive zeigte, wie sie bei Nacht in einem riesigen Stadion stand. Sie stritt schwer verständlich mit ihrem Bruder Zachariah und … beschwor gezackte Schwerter, griff ihn mit Blitzwellen an. „Was zur Hölle!?“, entfuhr es Zoey da. Kathea hielt das Video an. „Einer unserer Mitarbeiter hat das mit seinen Drohnen gefilmt. Durch ihre Aktivitäten ist deine Cousine ins Visier mächtiger Dämonen geraten. Und das verdankt sie allein Levrier.“ Perplex starrte Zoey auf das teure Markentelefon, sah die Blitze im Standbild. „Gibt es noch mehr Videos?“ „Natürlich.“ Kurz darauf spielte sie ein Video ab, ebenfalls aus der Vogelperspektive, in dem zwei Motorräder früh am morgen über eine Riding Duel-Strecke rasten. Die zurückliegende Person stand unter heftigen Beschuss einer Kanone am Heck des anderen Motorrads. Der Asphalt explodierte förmlich bei den Treffern, als der Angegriffene mit Mühe und Not auswich. „Dies ist ein Duell zwischen deiner Cousine und Claire Rosenburg“, erklärte die Frau. „Unnötig zu erwähnen, wer wer ist.“ „Ugh …“ Zoey sah weg. Und überlegte. Schließlich fragte sie: „Und wie spielt ihr da rein?“ „Ich bin die Repräsentantin von CLEAR. Einer Organisation, die dämonische Bedrohungen bekämpft.“ Nun lachte Zoey auf. „Im Namen der Regierung?“ „Nein. Wir agieren eigenständig.“ Madame Big Boss, oder wer auch immer sie wirklich war, fuhr sich durch das lange Haar. „Deine Cousine ist uns wohlbekannt. Unglücklicherweise hat sie ein Talent dafür, sich permanent in Schwierigkeiten zu bringen, wie du siehst. Bisherige Versuche, Levrier von ihr zu trennen, sind leider fehlgeschlagen.“ „Aha.“ Zoey wandte sich von ihr ab und blickte durch die getönte Scheibe des Wagens auf die Straße. „Ich mache es kurz: Uns fehlt es an Personal. Jemand mit einer Verbindung zu ihr könnte Anya Bauer vielleicht retten. Und Levrier vernichten. Darüber hinaus arbeiten wir an einem großen Projekt, das diese Welt retten könnte.“ „Bin dabei …“, war Zoeys knappe Antwort darauf.   Ja, dachte sie rückblickend. Da war nicht viel Überredungskunst von dieser Kathea nötig gewesen, keine langen Erklärungen, keine Machtdemonstrationen. Zoey war nach Livington gekommen, um nur noch einmal Anya von Auge zu Auge gegenüber zu stehen. Ihre Cousine, die sie einfach vergessen hatte. Und jetzt, da sie wusste, dass jene sich nicht mehr um sie scherte, war ihr jedes Mittel recht, um an ihre Rache zu gelangen. Und wenn sie dabei diese CLEAR-Gruppe ausnutzen konnte, umso besser. Zoey knirschte hasserfüllt mit den Zähnen. Anya würde bekommen, was sie seit jeher verdient hatte. Und Levrier gleich mit!   ~-~-~   Anya schob grinsend Othellos Rollstuhl vor sich. Es hatte ihr nichts ausgemacht, ihn durch halb Livington zu kutschieren. So hatte sie ihm wenigstens die besten Plätze zeigen können, entgegen vorheriger Proteste. Die große Stadttour würden sie dann später nachholen. Und nun war es Zeit, ihm ihr Zuhause vorzustellen. Die beiden hatten bereits Cynthias bunten Wohnwagen im Blickfeld, der noch immer vor dem Garten der Bauers parkte. „Na ja“, meinte Anya nachdenklich und ging auf die Frage ihres Freundes ein, „sie hat sich mehr oder weniger selbst eingeladen. Und mich überredet mitzumachen.“ „Ich denke, mit Cynthia Taslitz hast du eine gute Managerin. Selbst heute bewundern die Leute sie noch für ihre Ehrlichkeit. Sie hat nie ein Blatt vor den Mund genommen, wenn es darum ging, Probleme in der Liga anzusprechen“, erklärte der Blonde ihr. „Ach ja?“ „Ja! Und sie kümmert sich um hilfsbedürftige Menschen und Tiere. Früher war sie bei vielen Charity Events dabei. Heute nicht mehr so, eher im Hintergrund.“ Anya grinste. „Du kennst dich ja gut aus.“ „Nein“, konterte er und sah sie genauso verschmitzt über die Schulter an, „du hast keine Ahnung.“ „Boah!“ Um ihren Freund zu trietzen, nahm Anya Anlauf und schoss mit ihm regelrecht über den Bürgersteig. Statt aber zu schreien, lachte er nur laut, woraufhin sie einstimmte.   Was die beiden nicht sahen, war, dass vor Cynthias Wohnwagen ein Taxi stand, aus dem gerade eine junge Frau in einem weißen Sommerkleid ausstieg. Die beiden fegten an dem Wohnwagen vorbei und waren so mit sich selbst beschäftigt, dass sie gar nicht bemerkten, wie jemand vor ihnen ausstieg. „St-Stopp!“, rief der Fahrgast noch mit erhobenen Armen. Anya weitete die Augen. Mit quietschenden Reifen kam sie knapp vor der jungen Frau zum Stehen. Auch Othello verstummte abrupt und sah nach vorne. „A-Anya!“, fauchte der Neuankömmling erbost. „Du musst vorsichtiger sein!“ Jene ließ vor Schreck die Griffe des Rollstuhls los. Als sich ihr Gegenüber straffte und den Hut abnahm, fiel brünettes, leicht gelocktes Haar ihre Schultern hinab. Abigail Masters sah sie strafend hinter ihren Brillengläsern an. Und gewann gleich darauf ihr Lächeln wieder, als sie wusste, dass sie erkannt worden war. „Schön, dich zu sehen.“ „A-Abby … w-was machst du denn hier!?“     Turn 96 – Witch Fight Während Abby den Grund ihres Besuches erklärt, taucht der Undying-Anführer Ricther unvermittelt auf und will Anya mit sich nehmen. Anderenorts kommt es zu einer Konfrontation zwischen zwei Hexen, die unbemerkt von Velvet um deren Schicksal kämpfen … Kapitel 105: Turn 96 - Witch Fight ---------------------------------- Turn 96 – Witch Fight     Anya klappte die Kinnlade hinunter. Etwas, das in der Regel nur dann passierte, wenn jemand sie im Duell jeden Moment mit gewaltiger Offensive wegklatschen würde. Oder wenn etwas geschah, mit dem sie nicht einmal ansatzweise gerechnet hätte und das sie gleichzeitig bewegte. „A-Abby“, stotterte sie fassungslos, „w-was machst du denn hier?“   Da stand sie tatsächlich, in einem weißen Kleid und dazu passendem Hut in den Händen, den sie verhalten vor sich hielt. Nur aus den Augenwinkeln nahm Anya den Taxifahrer wahr, der um den Wagen neben ihnen schritt und einen Koffer auslud. „Euch besuchen“, sagte die Brünette mit dem leicht gewellten Haar und der dezenten, fast unsichtbaren Brille verhalten. Ihr Anblick war wahrlich kein Vergleich zu früher mehr, als sie noch in ihrer Hippie-Phase war, dunkel getönte Brillen trug und in, von Anya gemeinhin als 'Kartoffelsäcken' betitelt, herumlief. „Ich habe Semesterferien.“   Ja, Abby Masters studierte seit fast einem Jahr in London. Und seitdem hatte Anya sie nur selten gesehen, entweder in besagten Ferien oder zuletzt auf Valerie Redfields misslungener Hochzeit. „Cool!“, staunte Anya. Sie vergaß dabei fast, dass da noch jemand war. Othello saß in dem von ihr geschobenen Rollstuhl und wartete geduldig darauf, dass man ihn wahrnahm. Und Gutmensch, wie Abby nun mal war, kam sie dem auch umgehend nach. „Hallo. Ich kenne dich. Du bist doch Othello, Anyas Finalgegner vom Legacy Cup. Schön, dich kennenzulernen.“ Sie ging auf ihn zu und reichte ihm die Hand. „Hallo“, erwiderte Othello freundlich. „Wie kommt es, dass ihr beide …?“, fragte Anyas Freundin aus Kindheitstagen vorsichtig. „Uh, wir haben-“ „Lange Geschichte“, schnitt Othello der Blonden ins Wort. „Anya, um ehrlich zu sein, hat mich der Weg durch die Stadt doch ganz schön erschöpft. Hättest du etwas dagegen, wenn ich mich mit dem Taxi nachhause fahren lasse?“ Anya blinzelte verdutzt, gab dann aber demotiviert nach. „'kay.“ „Tut mir leid“, entschuldigte er sich reumütig, „aber wir treffen uns zu dem richtigen Stadtbummel, versprochen.“   Abby bezahlte bei dem Taxifahrer ihre Fahrt und zusammen mit ihm und Anya halfen sie Othello dabei, einzusteigen und seinen Rollstuhl auf der Rückbank zu verstauen. Nachdem das Taxi die Straße entlang fuhr und beide zum Abschied winkten, wirbelte Anya herum. „Tja, das lief anders als geplant.“ Ihre Freundin kicherte verschwörerisch. „Sag bloß, da läuft was zwischen euch? Was ist mit Logan?“ „Huh!? Willst du per Fußtritt-Express direkt wieder nach London, Masters!?“, fauchte Anya und wurde knallrot im Gesicht. „Othello ist ein Freund, mehr nicht. Und Logan, uh, der ist, uhm … nicht hier.“ Die letzten Worte sprach sie betrübt aus. „Was ist denn passiert?“ „Komm rein, ich erzähl's dir.“   Kurz darauf saßen die beiden in Anyas wie üblich absolut chaotischem Zimmer auf der Bettkante. „Ha ha, hier hat sich nichts verändert“, stellte Abby glücklich fest. „Was soll sich auch verändern? Veränderungen sind scheiße!“ „Ich möchte widersprechen“, murmelte die Brünette eine Spur beleidigt und seufzte, „aber ich verstehe schon, woher deine Meinung rührt.“ Anya interessierte allerdings etwas ganz anderes. „Sag mal, wieso bist du eigentlich hier ausgestiegen und nicht bei dir zuhause?“ „Nun, also“, geriet ihre Freundin ins Hadern und saß auf einmal kerzengerade. Dann aber gab sie sich einen Ruck. „Ach weißt du, natürlich möchte ich meine Eltern und Geschwister sehen, aber um die habe ich mir keine Sorgen gemacht. Um dich schon.“ „Huh?“ „Du hast dich in letzter Zeit kaum gemeldet!“ Abby sah Anya vorwurfsvoll von der Seite an. „Ich wusste gar nicht, was los ist, bis ich es von deiner Mutter erfuhr. Du wärst beinahe mit dem Flugzeug abgestürzt! Wie bist du da heil herausgekommen!? Und wieso warst du wirklich die Tage davor im Krankenhaus!?“   Also begann Anya die Geschichte zu erzählen. Wie sie Claire Rosenburg in einem Riding Duel fast besiegt und dabei die halbe Strecke in Schutt und Asche gelegt hatte, dass sie am selben Abend noch von Kali herausgefordert wurde, nur um diese in den Boden zu stampfen und anschließend von ihrer Lehrmeisterin Gardenia in deren Weißem Raum eingesperrt zu werden. Die Zeitdileirgendwas dort hatte sie einen ganzen Tag verlieren lassen und die von der Weißen Hexe zugefügten Wunden musste sich ein Arzt ansehen, der sie natürlich prompt ins Krankenhaus steckte. Und dann der beschissene Flugzeugabsturz, das ganze Theater mit den Cops, als ob sie und ihre Freunde Schuld daran gewesen wären. Pft! Sie antwortete auch auf Abbys Frage, was mit Logan sei und dass dieser noch in Ephemeria City den Behörden stand hielt, nachdem er die Schuld für das Desaster auf sich genommen hatte. Und dass aus dem Nichts irgendsoein Kerl das Verbrechen gestanden hatte, wodurch Logan aus dem Schneider war. So unlogisch das alles auch klang …   Als sie ihre Geschichte beendete, war es Abbys Kinnlade, die offen stand. „Spar' dir deine Kommentare“, murrte Anya geknickt, „ich weiß, dass das alles Scheiße war. Aber was sollte ich tun?“ „Nicht zu einer Kriminellen werden?“ Ihre Freundin hauchte die Worte mit einer gewissen Spur Ehrfurcht. Oder nur Furcht? „Zerstörung öffentlichen Eigentums, Ansporn zu einer Falschaussage, Einbruch in das Bridge Stadium, nochmal Zerstörung öffentlichen Eigentums, Terrorverdacht, weil ihr das Flugzeug vor dem Absturz verlassen habt-“ „Das war keine Straftat, wir waren es wirklich nicht!“ Abby musste sich sehr zusammenreißen, um die nächsten Worte mit maximaler Fassung auszusprechen: „Anya, bei allem Respekt, aber es ist ein Wunder, dass du noch nicht hinter Gittern bist.“ „Hatte halt Glück.“ „Nein, du hattest kein Glück!“, widersprach Abby mit erhobener Stimme. „Da waren überall Leute mit im Spiel, die ihre schützende Hand über dich gehalten haben!“ „Sag das dieser merkwürdigen Vision, die mich aus dem Flugzeug gelotst hat!“ „Auch die kommt nicht von irgendwo her!“, fauchte die Brillenträgerin. „Jemand wollte dich beschützen! Und wenn es nur der Sammler war.“ Anya sprang wütend auf. „Pah! Mit dem habe ich nichts mehr am Hut, Abby! Der kam neulich auch vorbei-“ Sofort war auch die Sirene auf den Beinen. „Und du lebst noch, was ein weiteres Wunder ist, nachdem Matt und Valerie ihn beinahe, für -dich-, umgebracht hätten! Obwohl sie ebenfalls viel zu verlieren haben!“ „Jetzt gibst du mir die Schuld für deren Alleingang!?“ „N-nein, ich sage bloß, dass-“ Die Blonde stampfte wütend auf. „Herrgott Masters, steck du mal in meiner Haut! Was würdest du denn an meiner Stelle anders machen!?“ Da verstummte Abby. Auch Anya senkte schuldbewusst beim Anblick ihrer entsetzten Freundin die Stimme. „Ich habe eingesehen, dass es zu gefährlich ist, dem Sammler bei seinem Plan zu helfen. Keine gefährlichen Aktionen mehr, versprochen. Die Undying werden mir helfen, meine Lebenskraft zurück zu kriegen oder irgendwie wiederherzustellen.“ „Anya … Ah!“   Beide wurden von einem surrenden Geräusch aufgeschreckt. Vor Anyas Kleiderschrank, am anderen Ende des Zimmers, öffnete sich ein schwarzes, ovales Portal. Stählerne Stiefel traten daraus hervor, die zu einer Gestalt gehörten, die die beiden wahrlich überragte. Der Hüne steckte in einer goldenen Rüstung, über der eine weitere, silberne lag. Ein roter Umhang reichte bis zu seinen Füßen. Der Anführer der Undying trat würdevoll aus dem Portal wie ein General, der eine Armee in den Krieg führte. Dabei reichten die roten Borsten an seinem Helm bis an die Decke. Abby schreckte zurück. „O-oh!“ „Ricther“, nannte Anya ihn leise beim Namen. „Das ist er?“, flüsterte Abby ihr mit einer gehörigen Priese Ehrfurcht zu. Die nickte und sah den Hünen abwartend an. „Yeah, wie auf Kommando … Was gibt’s?“ „Verzeih' meine Indiskretion, Anya Bauer, aber ich kam nicht umher, eure Unterhaltung mitzuverfolgen.“ Sofort kam eine alles andere als verständnisvolle Reaktion zurück: „Du spionierst mir nach?“ „Natürlich. Es ist nur zu deinem Besten.“ „Tch!“ „Das ist … unhöflich!“, gab auch Abby zu verstehen, nachdem sie scheinbar spürte, dass von diesem uralten Wesen keine Gefahr ausging. „Es verletzt ihre Persönlichkeitsrechte!“ Er lachte. „Ich fürchte, unsere derzeitige Lage erlaubt es uns nicht, Menschengesetze zu befolgen.“ „Warum bist du hier?“, fragte Anya gereizt. „Erst schließen wir einen Waffenstillstand und dann meldet ihr euch nicht. Um ehrlich zu sein dachte ich schon, ihr hättet mich vergessen!“ Sie ballte beide Hände zu Fäusten, was auch ihrer Freundin nicht entging, die Anya umgehend ihre Hand auf die Schultern legte. „Bleib ruhig!“ „Verzeih mir. Wir haben dich nicht vergessen. Unser Versprechen, dich aus deiner Lage zu befreien, steht weiterhin. Aber bevor wir keine Ergebnisse präsentieren konnten, hielten wir es für das Beste, dich zunächst nicht zu behelligen.“ Er trat beiseite, richtete seine Hand auf das noch immer geöffnete Portal. „Folge mir. Ich werde dir zeigen, zu welcher Lösung unsere Bemühungen uns geführt haben.“   Das verspricht interessant zu werden, Anya Bauer.   Abby, die den Immateriellen ebenso hören konnte, strahlte. „Hallo, Levrier!“ Schön dich zu sehen, Abigail Masters. Dir scheint es in London gut ergangen zu sein.   „Ja, es ist toll.“ „Hört auf mit dieser 'glücklichen Wiedervereinigungs'-Plänkelei“, raunte Anya und zog an Abby vorbei. Sie hielt auf Ricthers Höhe und blickte finster zu ihm auf. „Schauen wir uns lieber an, wovon der da redet.“ Abby sah ihr nur noch hinterher, wie sie wie eine Dampframme durch das Portal stürmte. Mit einem Anflug von Panik richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf Ricther, der scheinbar auf sie warte. „I-ich auch?“ „Ungern. Angesichts der Tatsache, dass bereits andere ihrer Freunde unsere Domäne betreten haben, kann ich wohl ein Auge zudrücken.“ Er wandte sich von ihr ab. „Du kannst aber auch gerne hier auf uns warten, Abigail Masters.“ Die schluckte. „I-ich denke, ich komme lieber mit. Anya ist gerade etwas zu aufgewühlt, um sie alleine mit … mit euch zu lassen.“ Wie sie an dem Undying vorbei schritt, beklagte sie insgeheim ihr Glück und Anyas Talent, sie immer wieder in Schwierigkeiten zu bringen. Dabei war sie doch gerade erst in Livington angekommen. Aber sie konnte ihre Kindheitsfreundin nicht alleine lassen. Ein Elefant im Porzellanladen der Undying? Da waren Schwierigkeiten doch vorprogrammiert! Kurz vor dem schwarzen, wie Teer glänzendem Portal blieb sie jedoch noch einmal stehen und richtete ihre Worte an Ricther: „Vielen Dank, dass ihr Anya eine Chance gebt und ihr helft. Aber solltet ihr euch jemals wieder gegen sie wenden, werde ich euch bekämpfen.“ Dabei drehte sie sich zu dem Hünen um und ließ ganz kurz ihre pinken Augen aufflackern.   -~-~-   Mit gesenktem Haupt schritt Velvet über den Innenhof ihrer Schule. Der Kies, der rings um die Wiese in der Mitte angelegt war, knirschte unter ihren Füßen. Schüler liefen an ihr vorbei, glücklich über das Ende des Unterrichts, aber sie lachte nicht mit oder unterhielt sich mit jemandem. Noch immer hing ihr das Erlebnis mit diesem Harrier nach. Hätte sie doch bloß etwas unternommen, ihn irgendwie aufgehalten. Aber ihre Angst hatte sie gelähmt.   Velvet stand in einem weißen, sterilen Krankenzimmer vor dem Bett, in dem Melinda lag. Diese war angeschlossen an ein Beatmungsgerät und diverse andere Maschinen. Es war ein fürchterlicher Anblick, wie die rothaarige da lag, mehr tot als lebendig. Und keiner konnte sich die Ursache dafür erklären.   „Es ist nicht deine Schuld“, sprach der Mann neben ihr. Sofort als er von dem Angriff auf den Sitz der AFC erfuhr, war Henry Ford dorthin aufgebrochen, nur um mitten während der Fahrt einen Anruf mit der schrecklichen Nachricht zu erhalten, seine Schwester wäre ins Koma gefallen. Velvet wollte sich gar nicht ausmalen, was gerade in ihm vorging. Der Brünette im weißen Businessanzug hielt die Hand seiner Schwester. „Sie ist schon immer ein Dickkopf gewesen, der alles alleine regeln wollte. Wenn, dann müsste ich ihr eine Kopfnuss dafür geben, dass sie dich überhaupt mit nach unten genommen hat.“ „Dieser Mann, dieser Harrier … er schien“, begann Velvet, brach dann aber mitten im Satz ab. Wer wusste schon, was sie damit auslösen würde, wenn sie ihm jetzt gestand, dass er sie zu kennen schien und vermutlich zu den Leuten gehörte, die sie entführen wollten. „Hm?“ „E-er schien wohl bereits fertig zu sein, was auch immer er getan hat. Wir haben ihn auf der Flucht abgefangen.“ „Das hast du der Polizei bereits gesagt, nicht wahr?“ Das schwarzhaarige Mädchen mit der Brille nickte schuldbewusst. Henry legte seine andere Hand auf ihre Schulter. „Dann solltest du jetzt nachhause und dich ausruhen. Ich werde jemanden rufen, der-“ „Wie können Sie so nett zu mir sein?“, fragte Velvet mit einem Mal verzweifelt. „I-ich habe eine Ihrer Karten, bin Zeugin, wie Ihre Schwester … wie sie …“ Schluchzend begrub sie ihr Gesicht in die Hände und begann zu weinen. „Ich denke, ich weiß schon, wie ich dich einzuschätzen habe“, sprach Henry ernst, „auch wenn es Dinge gibt, die du uns immer noch erklären solltest. Aber das kann warten. Wenn du bereit bist. Wir sind nicht deine Feinde, Velvet. Wir wollen nur verstehen, was hier vor sich geht.“ Sie sah mit tränennassen Augen auf. Und sie log nicht, als sie erwiderte: „Ich weiß es nicht.“   „Yo Velvet, was geht?“ Das Mädchen wurde aus ihren Gedanken gerissen, als Fabio mit seinem Riesenafro in ihr Sichtfeld trat. Er lief neben ihr her und beugte sich dabei zu ihr vor und machte ein ernstes Gesicht. „Du siehst heute noch deprimierter aus als sowieso schon. Ich dachte, das wäre gar nicht mehr möglich.“ Zu ihrer Linken eilte Patrice heran. „Nicht, dass du nicht trotzdem hübsch wärst.“ „Spart euch die Macho-Sprüche“, knurrte Tatjana hinter ihnen. Der Afroamerikaner protestierte sofort: „Nu! Ich hab doch gar nichts gemacht!“ Isaac, der letzte im Bunde, welcher an der Gruppe vorbei schritt und dann vor ihnen stehen blieb, schüttelte den Kopf. „Velvet, was ist los?“ „N-nichts.“ „Lüg' uns nicht an“, meinte der große Blonde trocken, „irgendetwas ist passiert. Sag uns was.“ Die Bande blieb vor ihm stehen, wie er mit forderndem Blick die Arme verschränkte. Velvet sah von ihren Freunden zur Linken, dann zur Rechten, wie sie sich alle um sie versammelten und schluckte. Es half wohl nichts. Und so schilderte sie ihnen ihren Besuch bei der AFC.   Nachdem sie alles gehört hatten, waren sich die vier ausnahmsweise in einer Sache einig. „Du brauchst Schutz“, brachte Patrice es auf den Punkt. „Gehen wir zur Polizei!“, forderte Tatjana unter heftigem Kopfschütteln Velvets. „Liebes, das wäre das Beste und du weißt es.“ „Nein! Keiner wird mir glauben! Und selbst wenn doch, könnte die Polizei mich nicht beschützen! Wenn diese Leute mich wirklich mitnehmen wollen, dann werden sie es schaffen!“ Mit jedem Wort drang mehr Verzweiflung aus ihr hervor. „Es ist sinnlos!“ Die Deutsche seufzte schwer. „Du hast Angst. Das ist ok. Aber genau wegen solcher Gedanken sind schon viele nicht zur Polizei gegangen. Und das ist falsch! Sie -können- dir helfen!“ „Nein!“, widersprach Velvet und lief rückwärts, wurde dabei von Patrice und Fabio sanft an den Schultern gepackt. „Dieser Harrier allein war … er hat sie einfach …“   Schluchzend sackte sie in die Knie, sodass die beiden Jungs zu ihr hinab knieten. Fabio streichelte sanft ihren Rücken. Derweil tauschten Tatjana und Isaac düstere Blicke aus. „Warum ich?“, wimmerte Velvet. „Ich habe niemandem etwas getan.“ „Ja. Warum du …“ Isaac fasste sich ans Kinn. Das pummelige Mädchen mit dem schwarz-gelockten Haar vermutete: „Vielleicht die Karte?“ „Nein, die hat sie -während- des Duells erst bekommen“, widersprach Isaac sofort. „Das muss nichts heißen! Wenn sie das nämlich schon vorher wussten.“ Der Blonde schloss die Augen. „Hmm. So ungern ich es auch zugebe, du könntest Recht haben. Aber vielleicht irrst du dich auch.“ Patrice erhob sich. „Denkst du, was ich denke?“ Sein Gegenüber nickte. „Ja. Harrier ist ein Hacker, der mühelos in die AFC eingedrungen ist und dort seinen Plänen nachgegangen ist. Eine Gruppe, die so jemanden an Bord hat, braucht kein kleines Mädchen, das ihnen Karten in die Hand zaubert. Und das ist auch nicht, was Velvet auszeichnet …“ Der Venezolaner beendete Isaacs Satz. „… sondern ihre Visionen.“ Tatjana gab einen erschrockenen Seufzer von sich. Fabio sah fassungslos auf, während er Velvet festhielt. „Nu! Warum sind wir da nicht früher drauf gekommen!?“ „Wir wissen zwar nicht, mit wem wir es zu tun haben, aber derjenige, der Velvet hat, könnte sie dazu benutzen, um seine Pläne umzusetzen.“ Isaac öffnete die Augen wieder. „Sie könnte jedes Hindernis vorhersagen und derjenige könnte entsprechend reagieren. Aber dazu müsste sie ihre Kräfte zunächst kontroll-“ „Schluss jetzt!“, polterte Tatjana plötzlich wütend. „Merkt ihr nicht, dass das gerade nicht der beste Zeitpunkt für sowas ist?“ Mit ausgestreckter Hand deutete sie auf Velvet, die am Boden war und schluchzte. Sie wirbelte zu ihr herum und fiel auf die Knie. „Hey, ich weiß, was dich jetzt aufheitern wird. Ein kleiner Stadtbummel. Wir gehen alle zusammen ein bisschen shoppen, sehen uns im Kino 'ne heiße Romanze an und gehen danach etwas essen. Na, was sagst du?“ Hinter ihr rollte Isaac mit den Augen. Aber Velvet blickte auf. „O-okay …“   -~-~-   Zu fünft liefen sie den Bürgersteig entlang. Die beiden Mädchen führten die Gruppe an. Insbesondere Tatjana strahlte, hatte sie doch eine brandneue Handtasche – eine aus weißem Kunstleder – am Arm. „Warum hast du dir nichts gegönnt?“, fragte sie Velvet strahlend. „Der Laden war klasse!“ „Mir … hat nichts gefallen“, murmelte das Mädchen mit dem rechts gebundenen, langen Pferdeschwanz betrübt, „und selbst wenn, hätte ich mir da nichts leisten können.“ Tatjana gestand: „Ja, die Preise waren nicht ganz ohne.“ „Ja“, murrte Patrice hinter ihr, „deswegen hast du auch gleich den halben Laden leergekauft!“ „Nu, ich glaub, ich habe einen Hexenschuss!“ Die beiden Jungs waren es nämlich, die die Einkaufstaschen, Kartons mit Schuhen und anderem Kram tragen mussten. So schwer, wie sie beladen waren, glich es einem Wunder, dass sie noch auf zwei Beinen standen. Bissig kommentierte Isaac, der neben den beiden herlief, deren kläglichen Anblick. „Ihr seid selber schuld, wenn ihr eure Hilfe anbietet.“ „Wenigstens sind sie zu etwas nütze, anders als du“, maulte Tatjana zurück. Anstatt auf die Provokation einzugehen, betrachtete der Blonde das Mädchen, das vor ihm ging und den Kopf gesenkt hielt. „Velvet!“ Jene blieb sofort stehen und verkrampfte. Isaac lief an ihr vorbei und stellte sich vor sie. „Wir passen auf dich auf. Versprochen.“ „Genau“, pflichtete Patrice ihm bei. Und auch Fabio meinte: „Verlass dich auf uns.“ Es dauerte einen Moment, ehe Tatjana auch einstimmte. „Vergiss die Polizei. Wenn irgendjemand dir auflauert, schnappen wir ihn uns und sorgen selbst für Gerechtigkeit.“ „D-danke Leute“, sprach Velvet gerührt, aber sah dann an Isaac vorbei. „Können wir jetzt etwas essen gehen? Ich habe Hunger.“ Dafür erntete sie absoluten Zuspruch. Zusammen zogen sie weiter die Einkaufsstraße entlang.   Keinem von ihnen fiel auf, dass eine gewisse Frau ihnen schon seit einer ganzen Weile folgte. Feuerrotes, gelocktes Haar zeichnete sie aus. Ihr Name? Cassandra Wrythe. Zumindest war das der, den sie sich irgendwann im 18. Jahrhundert gegeben hatte. Cassie, wie sie von all jenen nennen durften, die ihr in der 'Rangordnung' mindestens ebenbürtig erschienen, war eine von jeher stets schlecht gelaunte Frau von unglaublicher Schönheit. Ihre olivgrüne Hose fügte sich eng an die langen Beine. Offene, schwarze High Heels gewährten einen Blick auf die rot lackierten Zehennägel. Über ihrem schwarzen Shirt trug sie eine dünne, hellbraune Weste, die ihre üppige Oberweite nicht verbergen konnte. Jeder Mann, an dem sie vorbei lief, drehte sich zu ihr um. Manche gaben dabei einen flotten Spruch zum Besten. Das waren die, die kurzerhand einen Hustenanfall bekamen. Cassandra mochte es, angesehen zu werden. Aber nur, weil sie diejenigen dafür bestrafen konnte. Sie war eine Hexe, charakterlich als auch wortwörtlich. Dazu stand sie und es bereitete ihr auf gewisse Art Befriedigung.   Wesentlich weniger angenehm empfand sie das penetrante Bimmeln in ihrer Hosentasche, das von einem weißen Smartphone ausging. Genervt hielt sie das Ding vor sich, ehe sie abnahm. „Was?“ „Wie ich sehe, haben Sie das Mädchen gefunden, Cassandra“, drang Harriers Stimme aus dem Apparat. Dieser eingebildete Hacker, der tatsächlich dachte, auf einer Stufe mit dem 'Inner Circle' von CLEAR zu stehen. Was für ein Narr. Aber selbst sie musste zugeben, dass er den ein oder anderen Nutzen hatte. Dennoch war sein 'Hexenwerk' nichts gegen das ihre. „Für wen hältst du mich, Bursche?“ Sie verzog den roten Mund, an dessen unterem, rechten Ende ein dunkles Schönheitsmal lag. „Seien Sie vorsichtig“, riet Harrier, während die Rothaarige ihrem Zielobjekt und deren Freunden weiterhin auf einiger Distanz folgte. „Sie mag nicht danach aussehen, aber sie ist gefährlich.“ Mehr als ein entnervtes Schnalzen bekam er dafür nicht. Als er am anderen Ende der Leitung stöhnte, sprach Cassandra missmutig: „Gefährlicher als Zyxx wohl kaum.“ „Ja, aber der ist verschwunden.“ „Sicherlich nicht durch ihr Tun.“ Die junge Frau blieb stehen und schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Lust, sie wie eine Ratte in eine Falle zu jagen. Ich lösche einfach die Gegend aus und nehme sie mit.“ „Mit welcher Begründung?“ Nun lachte Cassie böse auf. „Unfall.“ „Das meine ich nicht. Mit welcher Rechtfertigung?“ Harrier klang zunehmend genervt. Nicht weniger gereizt von seiner Art nahm sie das Smartphone vom Ohr und betrachtete es mit einem bösen Blick. „Brauche ich eine?“ „Monster“, drang es noch aus dem Apparat hervor, ehe jener in ihren Händen schmolz wie ein Stück Eis in der Sonne. Es klatschte auf den Boden, verkommen zu einer matschigen Pampe.   Die Luft vor dem Rotschopf begann zu flimmern. Leise kichernd streckte Cassandra den rechten Arm Richtung Velvet aus, den linken hingegen zur Seite – wo sie prompt am Handgelenk gepackt wurde. „Das würde ich an deiner Stelle lassen“, riet ihr eine freundliche, aber autoritäre Frauenstimme. Sofort riss Cassie sich los, wirbelte herum und bemerkte eine blonde Dame im schwarzen Hosenanzug, die gegen die Außenwand eines Juweliergeschäfts gelehnt stand. Die war eben noch nicht hier gewesen … Unter den Rändern ihrer dezenten Brille lugte die Asiatin hervor und lächelte kühl. „Vergiss' die Kleine einfach.“ „Und du bist …“, begann die andere ihren Satz. „Reika.“ „Nein“, korrigierte Cassandra sie, „tot. Du bist tot, Mädchen.“ Daraufhin stieß jene Reika sich lässig von der Wand ab. „Ach, bin ich das?“ Auf so etwas hatte die Hexe wirklich keine Lust, dachte sie verärgert. Dass dieses Stück Abfall jedoch aus dem Nichts aufgetaucht war bedeutete, dass irgendjemand Velvet Thorne zu beschützen versuchte. Es wäre durchaus lohnenswert herauszufinden, -wer- das war.   „Kch.“ Cassie hob die rechte Hand und ließ eine winzige Flamme in ihr aufsteigen. „Nach unserem Kampf bist du es.“ Aber Reika schüttelte den Kopf. „Nicht hier.“ Sie zeigte an dem Juwelier vorbei, von dem eine Seitengasse zu einem Innenhof führte. „Da drüben, natürlich abseits unerwünschter Zuschauer.“ „Hmpf. Wie du willst.“ „Nach dir, Sonnenschein“, zwinkerte Reika ihrer Kontrahentin zu.   Ohne überhaupt zu zögern trat jene an der Blonden vorbei und zog, als könnte sie nichts auf der Welt aus dem Konzept bringen, durch die schmale Gasse. Reika folgte ihr auf einige Schritte entfernt. Je näher Cassandra dem tristen Innenhof kam, desto finsterer wurde ihre Miene dabei. Und kaum hatte sie die Seitenstraße verlassen, zischte sie leise vor sich her. Reika, die sich noch zwischen den Häusern befand, bemerkte es sofort, wie ihr leiser Aufschrei verriet. Die Wände bewegten sich auf sie zu und knallten innerhalb einer Sekunde zusammen, als hätte eine magnetische Kraft sie angezogen.   Die rothaarige Hexe drehte sich um und betrachtete ihr Werk. „Hmm. Da sind wohl die Pferde mit mir durchgegangen.“ So viel dazu, diese Amateurin zu ihren Wurzeln zu befragen. Langsam bewegten sich die Häuser wieder auseinander und bildeten die Gasse. Doch statt einer blutüberströmten, zerquetschten Leiche, lag dort nur ein Handbreit großes Papiermännchen.   „Na, ist dein kleiner Wutanfall vorbei?“ Reika stand auf dem Rand des Daches, welches zum Juwelier gehörte und sah mit verschränkten Armen auf Cassie herab. „Arrogante Rotzgöre“, zischte die und streckte die flache Hand nach ihr aus. Eine gewaltige Explosion riss die ganze Ecke des Daches auseinander, doch Reika verpuffte vor ihren Augen zu einer kleinen Papierfigur. Ein Blinzeln später und Cassandra stand unweit der zerstörten Stelle und sah sich aus den Augenwinkeln um. Illusionen … Sie hasste Illusionisten. Umso mehr, weil Papier ein verdammt guter Katalysator war, dünn und leicht, wie Nebel.   Vom Dach auf der anderen Seite der Gasse kam es da plötzlich: „Da ist wohl jemand mit dem falschen Fuß aufgestanden.“ Unbeeindruckt drehte sich der Rotschopf um und sah die andere Hexe, wie sie gerade den Arm ausschwang. Ein ganzes Dutzend an Papiervögeln – Origami – flog über die Gasse auf sie zu. Dabei wuchs das ganze Geschwader zur Größe von Drachen an, die Cassie umzingelten. Die war es leid, sich überhaupt einen Kommentar entlocken zu lassen und schnippte einfach nur mit dem Finger, um die Biester in Flammen aufgehen zu lassen. Feuerfunken schlugen um sie, als die Reste hinabfielen. Dieses Mal war es Reika, die die Hand nach vorne ausstreckte. Die flammenden Fetzen um ihre Feindin begannen jene zu umkreisen. Schlagartig bildete sich ein Feuerzyklon, der die Hexe in sich einschloss. „Das ist leider kein Trick.“ „Das macht es auch nicht besser“, drang es aus der tödlichen Falle hervor. Welche sich schlagartig ausdehnte und zu einer Schockwelle wurde, die über die Dächer der Häuser hinweg fegte und eine schreiende Reika dabei umriss. Jene landete hart auf dem Rücken. „Bist du langsam fertig?“ Cassies brauner Lederstiefel stampfte auf den Oberkörper der Asiatin, die nach Luft schnappte. „Ich bin schnell, nicht wahr?“ Selbst dabei klang die Rothaarige noch gelangweilt. „Hast du überhaupt eine Ahnung, wer ich bin?“ Statt ihre Gegnerin antworten zu lassen, drückte Cassandra fester mit dem Fuß zu, raubte Reika die Luft zum Atmen. „Ich bin wesentlich älter als es den Anschein hat.“ Plötzlich grinste die andere aber. Und kurzerhand versank Cassies Stiefel in einer Masse an Papier, wie Treibsand. Dazu kam, dass der weiche Untergrund sich immer weiter ausdehnte. Reika stand direkt hinter ihr, nahm ihre Kontrahentin in den Schwitzkasten und ließ einen Dolch in ihrer Hand erscheinen. „Ja, beinahe senil.“ Damit ließ sie die Waffe niedersausen, bis sie Cassandras linke Brust durchbohrte – und auf etwas enorm Hartes stieß. „W-was!?“ Sofort wurde der Rotschopf losgelassen und kippte nach vorn. Die Täuschung der Papiergrube schwand, Reika tauchte auf dem Dach des Juweliers wieder auf. Ihr irritierter Blick verriet, dass -das- offenbar nicht mehr zum Einmaleins ihres beschränkten Horizonts gehörte. Cassandra drehte sich zu ihr um. Das Messer steckte noch immer in ihrer Brust und sie machte keine Anstalten, es zu entfernen. Stattdessen starrte sie die Blonde belustigt an. „Du hast wirklich keine Ahnung, oder?“ Cassie zuckte mit den Schultern. „Jämmerlich.“ Wobei sie zugeben musste, dass ihre Herausforderin zwar lästig wie eine Fliege war, aber ebenso hartnäckig. Vielleicht konnte man sie noch für irgendetwas verwenden. Und sie hatte da schon eine konkrete Vorstellung.   Der Rotschopf hob den Arm, an welchem sich ein schmaler Apparat befand. Jener fuhr aus und bildete vor sich eine rote Lichtlinie, die kurzerhand eine Duel Disk imitierte. „Du machst wohl Witze“, staunte Reika, die herab an ihren eigenem Arm sah, an welchem eine Standard-weiße, abgerundete Duel Disk befestigt war. „Nein.“ Cassie hob den Apparat an und richtete ihn auf den ihres Gegenübers. Plötzlich drang aus Ersterem eine Computerstimme. „Duel Enforcing Mode activated.“ Ohne Vorwarnung fuhr Reikas Duel Disk aus, welche das Ganze überrascht zur Kenntnis nahm. „Ich mach's kurz: Wenn du dich weigerst, stirbst du. Deine Duel Disk wird sich überladen und in die Luft gehen. Dasselbe gilt, wenn du abhaust, bevor das Duell beendet ist.“ „Dann lasse ich die Duel Disk eben fallen.“ „So schnell kannst du gar nicht in Deckung gehen.“ Reika blieb weiterhin zuversichtlich. „Da wäre ich mir nicht so sicher.“ „Dann versuch sie doch abzubekommen.“ Cassandra funkelte ihr Gegenüber böse an.   Tatsächlich versuchte die Brillenschlange es, stellte aber mit einem leichten Anflug von Panik, dass es ihr unmöglich war, den Apparat auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Als hätte jemand ihn an ihr festgeklebt. Die Blonde sah mit einem Blick auf, der fragte, ob das ihr Ernst war. Und Cassie grinste bitterböse. Wenn dieses Stück Dreck schon alles in die Länge zog, konnte man wenigstens noch einen Nutzen daraus ziehen. Aber das würde sie selbst noch merken. „Keine Ahnung was das soll, aber von mir aus“, ließ Reika sich schließlich seufzend auf diese andere Form der Auseinandersetzung ein, „tragen wir den Kampf eben im Duell weiter aus.“ Cassandra, welche immer noch den Dolch in der Brust stecken hatte, riss diesen schließlich heraus, warf ihn achtlos weg und zog sofort ihr Startblatt auf. Die Wunde schloss sich augenblicklich. „Duell!“, rief die Asiatin ziemlich allein gelassen aus und tat es der Hexe gleich.   [Cassandra: 4000LP / Reika: 4000LP]   Mit einer lässigen Handbewegung zeigte Reika, dass es ihr nichts ausmachte, wenn ihre Widersacherin begann. Jene verschwendete keine Zeit, sondern legte ein Monster auf ihre Duel Disk. „[Majespecter Cat – Nekomata].“ Ein smaragdfarbener Tornado wurde vor dem Rotschopf entfacht. Jener zog sich zusammen, bis deutlich wurde, dass es die zwei Schweife einer kleinen Katze waren, die da vor sich hin wirbelten.   Majespecter Cat – Nekomata [ATK/100 DEF/1800 (3)]   „Eine verdeckte Karte“, murrte Cassie vor sich hin. „Am Ende meines Zuges erhalte ich durch Nekomatas Effekt eine Majespecter-Karte von meinem Deck. [Majespecter Fox – Kyubi].“ Die Monsterkarte schob sich automatisch aus dem Kartenstapel und wurde ins Blatt der Hexe aufgenommen, während sich zischend vor ihr mit dem Rücken nach oben eine Karte materialisierte.   Reika bedachte das alles mit einem Schmunzeln. „Eine verspielte Pussy also. Na sowas, ich hatte schon mit Folterwerkzeugen gerechnet.“ „Die lernst du noch früh genug kennen“, prophezeite Cassandra düster. „Aw, für sowas hast du Zeit?“, neckte die Blonde jedoch weiter. „Aber klar, im Terminkalender einer -echten- Hexe ist immer Zeit für Folter, was?“ Sie nahm eine Karte aus ihrem Blatt und lachte hämisch, als die Rothaarige die Zähne zusammenbiss, um nicht auf die Provokation einzugehen. Und das musste Cassie auch, denn das alles war reine Ablenkung, um sie zu Fehlern zu verleiten. Etwas, das nicht geschehen würde. „Dann will ich mal“, gluckste Reika und nahm eine Karte von ihrem Deck auf, „haha, ja, das ist nach meinem Geschmack. Ich aktiviere [Graceful Charity].“ Ihren aufgezogenen Zauber vorzeigend, tauchte über ihr ein dunkelblonder, weiblicher Engel in weißem Kleid auf, der die Arme ausstreckte. Zwischen den beiden Hexen bedurfte es keiner Erklärung. Die Asiatin zog drei Karten, um dann ein blau-umrahmtes sowie das Effektmonster [Tethys, Goddess Of Light] in den Friedhofsschlitz zu schieben. „Sorgen wir doch für ein etwas passenderes Ambiente“, meinte Reika und zückte zwei Zauberkarten aus ihrem Blatt. „Mit dem Spielfeldzauber [Savage Colosseum] und der dauerhaften Magie [Ritual Sigil].“ Um die beiden Frauen schoss ein gewaltiges, halb zusammengestürztes Kolosseum aus dem Boden, dessen Eingang direkt in der Seitengasse lag. Vor Reika bildete sich dagegen eine Art Barriere, die aus einem großen Kreis und vier daran anliegenden bestand, um welche sich wiederum Vierecke bildeten und neue Kreise, sodass ein kompliziertes Gebilde entstand. „Normalbeschwörung von [Manju Of The Ten Thousand Hands]! Mit seinem Effekt erhalte ich ein Ritualmonster oder eine entsprechende Zauberkarte von meinem Deck. Ich wähle [Machine Angel Ritual]!“ Vor ihr erschien eine schattenhafte, graue Gestalt mit rot leuchtenden Augen, die wirklich überall abseits des Kopfs und der Beine aus Armen bestand. Jene klatschte es in Paaren aneinander und sprach ein düsteres Gebet aus, wodurch aus Reikas Duel Disk eine Zauberkarte schoss.   Manju Of The Ten Thousand Hands [ATK/1400 DEF/1000 (4)]   Die zeigte die Blonde selbstbewusst vor. „Du kannst dir wohl denken, dass ich sie natürlich gleich aktivieren werde. Ich biete meinen Stufe 4-Manju und die Stufe 1-[Freya, Spirit Of Victory] von meiner Hand als Opfergaben an!“ Cassie rümpfte die Nase. „Hmpf!“ Neben ihrem finsteren Gott tauchte eine grauhaarige, junge Frau in blauem Kleid auf, die mit Pompons 'bewaffnet' war. Hinter ihnen stieg eine riesige Plattform aus dem Boden, auf der sich eine Schale voller Feuer befand. Die beiden Opfergaben verwandelten sich ebenfalls in Flammen und wurden von der größeren verschluckt. Reika rief: „Engel der verborgenen Heilungskunst, bringe Genesung mit deiner Einsamkeit! Ritual Summon! Stufe 5! Komm, [Cyber Angel Natasha]!“ Aus der Flamme sprang eine vierbeinige Gestalt, die stolz vor Reika aufsetzte. Es war eine vierarmige Göttin in grüner Panzerung, deren Körper von der Hüfte abwärts der eines schwarzen Pferdes war.   Cyber Angel Natasha [ATK/1000 DEF/1000 (5)]   „Effekt von Natasha! Ich erhalte Leben entsprechend der halben Stärke eines meiner Monster. Im Falle Natashas also 500!“ Die Verkörperung der hinduistischen Schöpfungshymne begann eine solche zu singen. Um Reika begannen weiße Lichtkugeln kurzzeitig zu strahlen.   [Cassandra: 4000LP / Reika: 4000LP → 4500LP]   „Die wirst du brauchen“, wusste Cassandra überlegen. „Vielleicht? Alles andere wäre auch eine Enttäuschung“, neckte ihre Gegnerin sie. Eine Angewohnheit, die der Rotschopf ihr noch austreiben würde. Sofern noch etwas von ihr übrig blieb, um die Lektion zu lernen. „Durch den Effekt von [Savage Colosseum] sind alle Monster auf dem Feld gezwungen anzugreifen, sofern sie können. Tun sie das nicht, werden sie zerstört.“ Die Brillenschlange streckte den Arm aus. „Los, Natasha! Hol dir ihre Pussy! Universe Prime!“ Jene zog an der kurzen Peitsche in ihrer Hand und schwang jene aus. Hinter der Sturmkatze öffnete sich ein weißes Loch, welches sie einzusaugen drohte. Cassie schnippte mit dem Finger. „Nicht so hastig. Ich aktiviere meine Schnellzauberkarte [Majespecter Cyclone]! Damit wird [Majespecter Cat – Nekomata] zum Wirbelsturm, der dieses 'Ding' zerstört!“ Genau so geschah es auch. Die beiden grünen Wirbelstürme am Hinterteil der Katze fügten sich zu einem zusammen, welcher davon schoss, auf [Cyber Angel Natasha] zu. Statt dort anzukommen, prallte der Wirbel jedoch kurz vor dem Ziel an der Barriere vor Reika ab und verpuffte. „Tsk, tsk, tsk“, stichelte die mit erhobenem Zeigefinger. „Da warst du wohl etwas voreilig. [Cyber Angel Ritual] verhindert die Zerstörung von Feen, wenn ich sie von meinem Friedhof verbanne.“ Nun, da Cassandras Monster fort war, setzte Natasha den Angriff fort. Sie formte die Peitsche in ihrer Hand zu einem Lichtspeer, den sie in den Sog warf. Jener zerbarst beim Aufprall regelrecht und erzeugte eine dumpfe Druckwelle, die Cassie lediglich mit einem Augenrollen abtat.   [Cassandra: 4000LP → 3000LP / Reika: 4500LP → 4800LP]   „Damit du es weißt: Nach dem Kampf erhält der Besitzer des Angreifers dank [Savage Colosseum] 300 Lebenspunkte.“ Mit einer verbliebenen Karte in ihrer Hand nickte die Asiatin der anderen Hexe zu. „Na dann zeig mal, wie taff du wirklich bist!“   Dich reiße ich auseinander, dachte Cassandra zornig und zog eine Karte. „[Majespecter Fox – Kyubi]!“, befahl sie jenen aufs Feld, einen gelben, edlen Fuchs, dessen Schweif zu einem Wirbelsturm wurde. „Wird er beschworen, erhalte ich eine Fallenkarte seines Stammes von meinem Deck.“   Majespecter Fox – Kyubi [ATK/1500 DEF/1000 (4)]   [Majespecter Tornado] nannte sich jene, welche Cassie vorzeigte und dann in ihre Duel Disk einschob, woraufhin jene sich zu ihren Füßen materialisierte. Die rothaarige Hexe hob die Nase an. „Vernichte!“ So richtete der Fuchs seinen Schweif auf und ließ den Wirbelsturm über das Feld fegen, direkt auf die animalische Göttin zu. Jene klatschte jedoch nur einmal zwei ihrer vier Hände zusammen und ließ das nahende Unglück verpuffen. „Na so ein Jammer“, gluckste Reika frech, „der zweite Effekt von [Cyber Angel Natasha] besagt doch tatsächlich, dass sie jeden Angriff ungeschehen machen kann.“ „Hmpf! Ich beende meinen Zug …“ „Und weißt du, was das heißt? Da du offiziell nicht gekämpft hast, wird dein Monster durch den Effekt von [Savage Colosseum] zerstört.“ Cassie verzog keine Miene, als das Kolosseum um sie herum zu erzittern begann. Laute, unverständliche Rufe aus dem Nichts erklangen und schließlich geschah es. Kyubi explodierte einfach, seine Überreste wurden in Rauch gehüllt. „Das heißt natürlich auch, dass du keine Lebenspunkte durch den Angriff erhältst.“ „Verstehe. Also ein Lock“, analysierte der CLEAR-Vorstand unterkühlt, „ich kann kein Monster im Angriffsmodus spielen, da jeder meiner Angriffe abgewehrt und das Monster folglich zerstört wird.“ Die Asiatin zwinkerte hinter ihrer Brille. „Genau!“ „… billig.“ Der Rauch verzog sich und Kyubi war noch auf dem Feld. „Majespecters können nicht durch feindliche Karteneffekte zerstört werden.“ Dem zum Trotz knallte es erneut lautstark. Der gelbe Fuchs implodierte diesmal und war nun wirklich verschwunden. „Oh, das habe ich einkalkuliert“, erwiderte ihre Gegnerin. Die Siegel ihrer Barriere leuchteten in verschiedenen Farben auf. „[Ritual Sigil] hat einen defensiven und einen offensiven Effekt. Letzterer besagt, dass ganz egal, welche Karteneffekte deine Karten auch schützen, sie in der Anwesenheit eines Licht-Ritualmonsters nicht wirken. [Majespecter Fox – Kyubi] wurde also trotzdem zerstört.“ Anstatt aber davon überrascht zu sein, legte die ältere Hexe nur den Kopf in den Nacken. Es war eine Herausforderung. Eine, die diese kleine Kröte nur verlieren konnte, auch wenn sie sich noch im Vorteil wähnte …   Die zog mit ihrem ignoranten, breiten Grinsen auf. „Ich nutze [Cyber Angel Natashas] Effekt und heile mich um die Hälfte ihrer Angriffskraft!“ Erneut stimmte jene in ihre Hymne ein und ließ Lichtsphären rund um Reika erstrahlen.   [Cassandra: 3000LP / Reika: 4800LP → 5300LP]   „Universe Prime!“, ordnete sie kurz darauf mit ausgestrecktem Zeigefinger an. Diesmal erzeugte ihre Göttin jedoch keinen magischen, weißen Riss im Raum-Zeit-Gefüge, sondern erzeugte mit zwei ihrer Hände einen langen, grünlichen Lichtspeer, den sie auf Cassandra schleuderte. Jene wurde direkt in die Brust getroffen, blieb aber standhaft – die Waffe ragte aus ihr heraus, ohne den Rücken zu durchbohren. „Durch den erfolgreichen Angriff erhalte ich 300 Lebenspunkte“, erklärte Reika. „Du bist, Sonnenschein!“   [Cassandra: 3000LP → 2000LP / Reika: 5300LP → 5600LP]   Cassie griff mit ihrer rechten Hand nach dem Speer und ließ ihn durch die bloße Berührung in tausend Splitter zerspringen. „Hahaha …“ „Du kannst lachen? Wie schockierend“, neckte ihre verhasste Gegnerin sie frech. „Armes Ding. Du weißt wirklich gar nichts, oder?“ Der Rotschopf steckte den Zeigefinger in die offene Wunde, bevor jene sich schließen konnte. Dann nahm sie den anderen und tat damit dasselbe. Sie riss das kleine Loch immer weiter auf. Und je größer es wurde, desto größer wurden auch Reikas Augen, als sie das gedämpfte, rote Licht erblickten, das aus Cassies Innerem drang. „Das ist … ekelhaft. Und ein wenig faszinierend“, gestand sie. „-Das- ist die größte Errungenschaft der Alchemisten. Und mein Fluch. Der Philosopher's Stone. Sei dankbar, denn den zeige ich nur wenigen. Genauer gesagt denen, die sowieso sterben werden.“ Plötzlich war die dumme Göre verunsichert. „Der Stein der Unsterblichkeit? Es gibt ihn wirklich?“ Schließlich ließ Cassandra von ihrer Wunde ab, woraufhin jene sofort wieder zuwuchs, als hätte sie nie überhaupt existiert. „Natürlich. Ich habe ihn geschaffen.“ „Du!?“ Oh, wie schrecklich die Erkenntnis für sie sein musste, dachte Cassie genussvoll. Zu begreifen, welch mächtiges Wesen da wirklich vor ihr stand – sofern ihr begrenzter Verstand überhaupt imstande war, das Ganze zu erfassen. Und nicht als Lüge abzustempeln. Worauf es hinauslief, als Reika spöttisch abwinkte. „Ich bitte dich, netter Trick. Soll ich wirklich an so ein Märchen glauben? Der Stein der Unsterblichkeit? Ja klar. Wo du doch so philosophisch bist, Sonnenschein.“ „Glaub was du willst.“ Cassie merkte selbst, wie viel Verdruss in ihren Worten mitschwang. „Ich habe dir meinen Schwachpunkt gezeigt, also nutz' all deine Kraft, ihn anzugreifen. Nicht, dass es einer wie dir überhaupt gelingen würde, ihm einen Kratzer zuzufügen.“ So viele hatten schon versucht, ihr 'Herz' zu zerstören. Mächtigere Wesen, viel mächtigere. Es gab keine Hoffnung. Ihre Gegnerin spielte unbeirrt weiter. „Meine beiden Handkarten setze ich. Dein Zug.“ Gleich nachdem sie die Karten in ihre Duel Disk eingefügt hatte, tauchten sie zischend zu ihren Füßen auf.   -~-~-   Anya weitete die Augen, als sie sich umsah. Der kreisrunde Raum war dunkel, nur erleuchtet durch diverse Bildschirme an den Wänden und das Licht der sich darunter befindenden Konsolen. In der Mitte stand ein massiver Stuhl, nein, ein Thron, über dem drei dicke Schläuche hingen. Das Mädchen entsann sich, dass hinter diesem die Vitrine für das Schwert Ragnarok stand, welches sich derzeit in ihrem Besitz befand. Kurz darauf traten Abby und Ricther aus dem Portal. „Nette Bude“, murmelte Anya. Die Sirene stimmte ihr zu. „Beeindruckend. Von hier aus können sie jeden überwachen. Sieh da!“ Sie deutete auf einen Bildschirm, der Anyas Zimmer zeigte. Jene knurrte: „Tch, das werten wir später aus.“ „Folgt mir“, forderte Ricther die beiden auf und schritt voran zu einer Schiebetür, die sich rechts hinter seinem ‚Chefsessel‘ auftat. Gehorsam tat die Blonde wie ihr geheißen, mit Abby im Schlepptau. Hätte sie geahnt, wie lang die endlos erscheinenden Korridore waren, die sich wie Kaugummi dahin zogen, und in denen jeder Schritt durch das Metall widerhallte, wäre ihr sicher vorab ein bissiger Kommentar eingefallen. Doch die Neugier war zu groß, von ihrer Not ganz zu schweigen. Sie musste sich den Undying gegenüber kooperativ zeigen, wenn diese ihr helfen sollten.   Nach einer gefühlten Ewigkeit, die objektiv nicht einmal zwei Minuten angedauert hatte, fanden die beiden sich am Ende des Ganges vor einer weiteren Schiebetür, die sich vor ihnen öffnete. Orangefarbenes Licht drang aus diesem heraus. „W-was ist das?“, stammelte Anya perplex, während Abby lediglich keuchte. In dem dunklen Raum befand sich einzig ein riesiger Glasbehälter, gefüllt von transparenter Flüssigkeit – und einem orange-leuchtenden Etwas, dessen Form dem eines menschlichen Körpers entsprach. „Die vorläufige Lösung. Ein Homunkulus.“ „Ein -was-!?“   Ein künstlich erschaffener Mensch.   „Huh!? Und was hat das mit mir zu tun!?“ Ricther schritt an ihr vorbei und trat an den Behälter heran. „Dein Körper wird in knapp einem Monat sterben.“ „Das weiß ich!“ „Hier entsteht dein neuer. Zed arbeitet unentwegt daran, ihn fertig zu stellen.“ Anyas Kinnlade klappte herunter. „Ist das euer scheiß Ernst!?“ Die Reaktion ihrer Freundin viel vergleichbar aus. „Ein künstlicher Körper!? D-das ist-!“ Der Undying wandte sich ihnen zu, ohne jedoch etwas zu sagen. „Nie im Leben werde ich-! Wie soll das überhaupt funktionieren!?“ Das Mädchen schnappte nach Luft. „Ich dachte, ihr würdet irgendwie eine magische Spritze erfinden, um mir Lebensenergie oder weiß-der-Geier zu verabreichen!? Nicht sowas!“ Die Sirene stimmt ihr zu. „D-das ist höchst unethisch! Das verdreht den Sinn von Leben und Tod!“ Ricther nahm sich einen Moment Zeit, über eine Antwort nachzudenken. „Anya Bauer, was du verlangst ist nicht ohne Weiteres möglich.“ „Warum!?“ „Auch wenn Äther die Grundlage allen Seins ist, ist der Ätherstrom innerhalb eines Objekts einzigartig. Eine andere Äthersignatur wäre nicht mit dir kompatibel, Anya Bauer.“ Das Mädchen stand mit offenem Mund da. So sollte das nicht laufen! Sie sah Abby an, die bestürzt in die Leere starrte. „A-also bräuchtet ihr -meinen- Äther, den, den der Sammler mir abgenommen hat?“ Panisch meinte die Blonde: „Dann müssen wir uns den Sammler schnappen!“ Als der Hüne jedoch wieder schwieg, gingen endgültig die Pferde mit ihr durch. „Sag was! Das wäre doch machbar, oder nicht!? Wir vermöbeln ihn, holen uns meinen Äther zurück und verpflanzen ihn zurück in meine Birne!? Ist doch einfach!“ Doch selbst auf ihren Ausbruch hin sagte er nichts. Es wühlte sie derart auf, dass sie auf ihn zustürmte und unter dem Ausruf „Hey!“ gegen sein Schienbein trat, was jedoch nur ihr Schmerzen zufügte. Mit schmerzverzerrtem Gesicht wich das Mädchen zurück. „Seit der Sammler dir deine Lebenskraft genommen hat, ist bereits einige Zeit verstrichen. Es besteht die Möglichkeit, dass der Äther sich verändert hat“, sprach Ricther sachlich, kühl, „und nicht mehr zurückgeführt werden kann.“   Anyas Gesichtszüge froren förmlich ein. „Was?“ „Womöglich ist es längst zu spät, deinen Äther-“ „Das habe ich schon verstanden!“, fauchte Anya außer sich. „E-es ergibt nur keinen Sinn! Ihr könnt nicht von mir verlangen-! Wie soll das überhaupt gehen!?“ „Wir werden dein Bewusstsein in den Homunkulus übertragen, sobald dieser fertig gestellt ist.“ „U-und das funktioniert?“, fragte Abby zweifelnd. Wieder eine Pause. „Funktioniert es!?“ Anya fuchtelte wild mit ihren Arm. „Ja oder nein!?“ „Das Bewusstsein lebender Objekte existiert unabhängig vom Äther. Es“, sprach er und zögerte, „gibt verschiedene Techniken, es zu extrahieren. Einige sind auch den Menschen bekannt.“ Der Limbus, fiel Anya auch sofort eine davon ein. Es heißt, die Seele eines Menschen wird in den Limbus gezogen, sollte ein Pakt gebrochen werden. Abby schien dasselbe zu denken. „Ist es wie beim Limbus?“ Richter nickte. „Es ist komplizierter als das, aber im Wesentlichen korrekt. Einer ähnlichen Systematik wollen wir uns bedienen.“ Ein leichtes Schwindelgefühl machte Anya zu schaffen, sie fasste sich an die Stirn. Und ihr Schädel pochte wie verrückt. Ihre Stimme zitterte, als sie fragte: „Aber es ist nicht sicher, dass es auch klappt?“ „Nein. Es gibt viele Faktoren zu berücksichtigen.“ Ohne es bewusst gesteuert zu haben, fiel das Mädchen rückwärts auf ihr Gesäß. „Shit …“ Sofort beugte sich Abby zu ihr hinab. „Anya! Du musst das nicht tun, wir finden selbst eine Lösung! I-ich lasse mir etwas einfallen, versprochen. Aber das …“ Sie zeigte auf dieses orange Ding, das eine menschenähnliche Form hatte. „… das ist falsch!“ „In ihrer Situation ist das nicht von Bedeutung“, stellte Ricther klar. „Wir haben alle Möglichkeiten gegeneinander abgewogen und sind zu der Erkenntnis gelangt, dass Anya Bauers Fall zu speziell ist.“ Die wollten ihren Körper einfach gegen einen neuen eintauschen! Und es war nicht mal sicher, ob es überhaupt funktionieren würde. Gab es keine Alternative? Was, wenn sie am Ende gar nicht mehr sie selbst sein würde? Wenn es zwar eine neue Anya Bauer gab, die genau wie die alte war, aber nicht -sie- war. Sondern nur eine Kopie! „Ich will das nicht“, flüsterte das Mädchen erschöpft.   Es tut mir leid, das zu hören, Anya Bauer. Aber in der Not darf man nicht wählerisch sein. Wenn es eine Möglichkeit gibt, dich zu retten, dann sollten wir es versuchen.   „Gibt es denn wirklich keinen anderen Weg?“, fragte Abby bedrückt an Ricther gewandt, der den Kopf schüttelte. Levrier tauchte neben den beiden Mädchen schwebend auf und legte seine durchsichtige Hand auf Anyas Schulter. Sie glitt hindurch. Die sah auf. „Heißt das, dass selbst wenn ich dem Sammler geholfen hätte, doch nie mein Leben zurückbekommen hätte?“ Der Anführer der Undying schüttelte den Kopf. „Der Sammler ist ein Händler, aber kein Betrüger. Zumindest war er das bisher nicht. Es ist nicht auszuschließen, dass sich das inzwischen geändert hat, nach allem, was er getan hat.“ „Zwei Sätze für ein 'Ja'. Tch.“ Anya senkte den Kopf. „Wie konnte ich so blöd sein …“ „Es ist nicht deine Schuld“, versuchte Abby sie beruhigen. „Ist es!“, fuhr sie erzürnt auf. „Ich habe damals diese Fragen gestellt, als ich ihm zu ersten Mal begegnet bin. Ohne nachzudenken, ohne zu wissen, was das für Konsequenzen das hat. Levrier hat mich noch gewarnt, bevor er zum Schweigen verdonnert wurde!“ Darauf erwiderte ihre Freundin nichts mehr.   Resignierend meinte Anya, als sie sich langsam erhob. „Ich werde drüber nachdenken. Wenn ich sowieso gerade hier bin, habe ich 'ne Bitte.“ Ricther nickte. „Sprich.“ „Kannst du uns den Ätherstrom, den Summers erwähnt hat, zeigen?“ „Da du ohnehin eingeweiht bist, sehe ich keinen Grund, dir dies zu verweigern.“ Ricther stampfte in seiner schweren Rüstung an ihr vorbei. „Folge mir.“   Was folgte war ein weiterer, gefühlt ewig anhaltender Fußmarsch durch ein Labyrinth an Korridoren, der sie geradewegs in eine große, leere Halle führte. Alles war aus Metall, jeder Schritt klang schwerer als er eigentlich war. Als die Drei das Ende des Raumes erreicht hatten, standen sie vor einer gewaltigen Schleuse. Ricther betätigte ein Tastenfeld an deren Ende, sodass die beiden Hälften der Schleuse sich zur Seite schoben. Der Anblick, der sich den beiden Mädchen bot, raubte ihnen den Atem. Anya wusste von Matt, dass sie sich im Weltall befanden, aber trotzdem war es ein kleiner Schock, ihn tatsächlich so zu sehen. Vor ihnen, in Millionen, wenn nicht Milliarden Kilometer Entfernung, zog sich ein langer, hellblauer Strahl, wie Nebel oder ein Kometenschweif, über das gesamte Blickfeld. „Wow“, hauchte Abby, „das ist wunderschön.“ Manchmal blitzen bestimmte Stellen in ihm weiß auf, einmal trennte sich ein ganz dünner Faden vom Rest des endlos erscheinenden Stroms und verschwand. „Das ist … unsere Zukunft, nicht wahr?“, fragte Anya und wandte sich an Ricther. „Könnt ihr darin sehen, wie das mit mir ausgehen wird?“ Er schüttelte den Kopf. Anya ließ den ihren Hängen. „Verstehe.“ „Was passiert, wenn er eines Tages erlischt?“, fragte Abby und trat näher heran, wurde dann aber von einem aus zahlreichen, sechseckigen Waben bestehenden Kraftfeld aufgehalten. Auch sie drehte sich zu Ricther um. Der lachte plötzlich. „Alles Leben würde schlagartig aufhören zu existieren. Aber das kann nicht passieren. Es gibt keine Kraft in diesem Universum, die dem Ätherstrom schaden könnte.“ „Wirklich?“, fragte Anya mit Zweifel in der Stimme. Aber als keine Antwort kam, meinte sie: „'kay, ich hab' gesehen, was ich wollte. Kannst du uns bitte zurückbringen?“ „Natürlich.“   -~-~-   „Draw“, murrte Cassandra, wie sie und ihre Gegnerin sich auf den Dächern gegenüberstanden und zog auf. „Ein Monster verdeckt.“ Doch kaum war die horizontal liegende Karte vor ihr erscheinen, schritt Reika ein. „Da hat sich wohl jemand meinen unterschwelligen Hinweis mit dem Setzen von Monstern zu Herzen genommen?“ Die elende Made lachte spitz. „Pech nur, dass ich auch darauf vorbereitet bin! Verdeckte Falle, [Shadow Of Eyes]! Sie wechselt dein Monster sofort in den Angriff!“ Es dauerte keine Sekunde, da wirbelte die Karte in vertikale Ausrichtung, drehte sich mit dem Kartenbild nach oben und ließ eine violette Krähe entspringen, von deren Schwingen ein rotes Cape hing. Ihre Klauen gingen in drei Wirbelstürme über.   Majespecter Crow – Yata [ATK/1000 DEF/1500 (4)]   „Auch sie muss durch den Effekt von [Savage Colosseum] angreifen“, meinte Reika und umfasste ihren rechten Ellbogen mit der linken Hand, wobei sie die rechte an ihre Wange legte, „hmm, das ist zu einfach, oder?“ Der Vogel schrie auf und richtete seine Krallen auf [Cyber Angel Natasha], um sie mit den Wirbelstürmen anzugreifen. Doch mit dem Schnippen ihres Fingers ging Cassie dazwischen. „Wenn diese Missgeburt nicht zerstört werden kann, verbanne ich sie eben. Falle: [Majespecter Tornado]! Ich opfere [Majespecter Crow – Yata], um wie angekündigt deine Kreatur zu entsorgen.“ Die Karte klappte vor dem Rotschopf auf und sorgte dafür, dass ihre Krähe sich selbst in einen violetten Sturm verwandelte, der die Barriere von Reika durchbrach und Natasha erfasste. „Tsk tsk tsk“, machte die Asiatin aber nur unbeeindruckt, „als ob! Konterfalle [Solemn Scolding]! Du bist eine wirklich unartige Hexe!“ Ihre eigene Falle sprang auf und schoss ein Licht auf die eingeschlossene Göttin, die den Sturm mit einem einzigen Aufschrei zum Verschwinden brachte.   [Cassandra: 2000LP / Reika: 5600LP → 2600LP]   „Ein teurer Spaß, diese Falle, aber dafür kann ich damit einen beliebigen Effekt aufhalten“, erklärte Reika und fasste sich plötzlich keuchend an die Brust. „Ah! W-was …!?“ Die andere Hexe lachte leise. Ihrer Gegnerin war gerade ein guter Anteil ihres Äthers entzogen worden. Wenigstens zu einer Sache war dieses dumme Duell gut. Cassandra blicke über ihre Schulter. Velvet Thorne und ihre Freunde waren inzwischen längst weiter gezogen und außerhalb ihres Blickfelds. Aber sie würde sie einholen, schon bald … Sich wieder an ihre immer noch perplexe Gegnerin wendend, nahm sie wortlos eine Karte aus ihrem Blatt und legte sie in ihre Duel Disk ein. Zischend tauchte jene zu ihren Füßen auf.   Indes ließ Reika ihre Brust los und betrachtete ihre Hand. „W-was war das? Als ob mir die Kraft entzogen wird …“ Sie sah entschlossen auf und zog. „Du bist wohl noch für die ein oder andere Überraschung gut. Vielleicht habe ich dich doch ein wenig unterschätzt.“ „Hmpf.“ „Wie dem auch sei, im Duell habe ich die Nase vorn.“ Und was brachte ihr das, schmunzelte Cassandra finster in Gedanken. „Ich nutze den Effekt von [Cyber Angel Natasha], um meine Lebenspunkte um die Hälfte ihres Angriffswerts zu erhöhen!“ Schon leuchteten um die blonde Brillenschlange wieder diese ätzenden Lichtkugeln.   [Cassandra: 2000LP / Reika: 2600LP → 3100LP]   „Angriff!“, befahl die sofort im Anschluss. Indem sie zwei ihrer Hände von in einer wischenden Bewegung ausstreckte, erzeugte die halb animalische Göttin einen Lichtspeer, den sie auf Cassie schleuderte. Diesmal ließ jene sich aber gar nicht erst treffen, sondern das Geschoss auf ihre ausgestreckte Handfläche aufprallen und zerbersten.   [Cassandra: 2000LP → 1000LP / Reika: 3100LP → 3400LP]   Wieder einmal hatte sie sich durch ihr [Savage Colosseum] geheilt. Aber gut, umso mehr Äther konnte das System ihr entziehen. „Dein Zug, Sonnenschein!“   Langsam war es Zeit, ein wenig Leben ins Spiel zu bringen, entschied Cassie und zog nebenbei auf eine vierte Handkarte auf. Und diese neue Karte würde dabei helfen, dachte sie mit einem Grinsen auf den Lippen. „Ich aktiviere [Majespecter Unicorn – Kirin] mit dem Pendelbereich 2 und [Majespecter Toad – Ogama] mit dem Pendelbereich 5 von meiner Hand!“ „Pendel!?“, stieß Reika erschrocken hervor. „Wie konnte ich das nicht bemerken!?“ Zwei hellblaue Lichtsäulen schossen links und rechts neben der Rothaarigen aus dem Boden. In ihnen befanden sich ein weißes, elegantes Einhorn, das wie all seine Artgenossen einen roten Umhang trug und von seinem Horn einen Wirbelsturm ausgehen ließ sowie eine grüne Kröte, die mit jedem Quaken einen grünen Zyklon ausstieß.   <2> Cassandras Pendelbereich <5>   „Damit kann ich Monster von meiner Hand und dem Extradeck beschwören, deren Stufen zwischen den Werten meines Pendelbereichs liegen“, erklärte die gereizte Hexe und streckte den Arm in die Höhe, „seid wiedergeboren, Nekomata, Kyubi und Yata! Pendulum Summon!“ Über ihr öffnete sich ein riesiges, bunt leuchtendes Portal, das von zahlreichen Ellipsen aus Licht eingeschlossen war. Drei rote Lichtstrahlen schossen aus ihm und krachten vor Cassie in das Dach, nahmen die Form der hellblauen Katze, des gelben Fuchses und der violetten Krähe an.   Majespecter Cat – Nekomata [ATK/100 DEF/1800 (3) PSC: <2/2>] Majespecter Fox – Kyubi [ATK/1500 DEF/1000 (4) PSC: <2/2>] Majespecter Crow – Yata [ATK/1000 DEF/1500 (4) PSC: <5/5>]   Eine Schweißperle glänzte auf der Stirn der Asiatin. Cassie roch ihre aufkeimende Angst förmlich, denn da verlief etwas nicht nach ihrem Plan. Und es würde noch schlimmer werden. „Effekte des Fuchses und der Krähe“, bellte die ältere Hexe, „durch sie erhalte ich eine Majespecter-Zauber- beziehungsweise Fallenkarte respektive von meinem Deck.“ Sie nannte die Namen gar nicht. Ihr Deck warf [Majespecter Storm] und die purpur-umrandete [Majespecter Tempest] aus. Während Letztere sofort mit zwei anderen Karten in Cassies Duel Disk eingelegt wurde und verdeckt zu ihren Füßen erschien, zeigte sie den Zauber vor. „Diesmal kannst du deinen Kopf nicht aus der Schlinge ziehen. Ich aktiviere [Majespecter Storm] und biete die Katze als Opfer an, um deine vermaledeite Göttin direkt ins Deck zurück zu schicken.“ Die kleine Nekomata verwandelte sich in einen beachtlichen Sturm, der über das Dach und schließlich die Seitengasse fegte, bis sie das andere Gebäude erreichte. „Was Monsterentsorgung angeht, habe ich schier unbegrenzte Mittel.“ Ungehindert durchdrang der immer größer werdende Wirbelsturm die kreisrunde Barriere mit den viereckigen Zusätzen und erfasste [Cyber Angel Natasha], die schreiend durch die Luft gewirbelt wurde. „Das war wohl ein Schuss … in den Ofen“, murmelte Reika perplex, als ihr Monster fort war. Damit war ihr Feld abseits [Ritual Sigil] und [Savage Colosseum] komplett leer. Cassie schob eine weitere Karte verdeckt in ihre Duel Disk, womit nun sage und schreibe vier Stück vor ihr lagen. „Attacke!“, befahl Cassandra indes bereits mürrisch. Sowohl ihr Fuchs, als auch die Krähe ließen ihren Wirbelstürmen freien Lauf. Tosend fegten sie über die Dächer auf Reika zu, die sich schützend die Arme vor den Kopf hielt. Dann wurde sie schon erfasst und in die Höhe geschleudert. Statt aber eine Bruchlandung hinzulegen, wirbelte sie in der Luft ein paar Mal hin und her, bis sie elegant in der Hocke aufkam.   [Cassandra: 1000LP → 1600LP / Reika: 3400LP → 900LP]   „Ugh!“, keuchte sie, kippte beinahe vorne über. „Fu fu fu.“ Cassandra fuhr sich durch ihr langes, lockiges Haar. „Diesmal habe ich von deinem [Savage Colosseum] profitiert. Nicht mehr lange. Mach deinen letzten Zug. Aber vorher erhalte ich durch den Effekt der Katze [Majespecter Supercell].“ Die Falle schob sich aus ihrem Deck und wurde von Cassie desinteressiert aufgenommen. Sie würde sie nicht mehr benötigen, so viel war bereits jetzt klar. Mit ihren insgesamt vier verdeckten Karten würde sie ihre Feindin vernichten.   Schwankend kam Reika auf die Beine und fasste sich an die Stirn. „So schlapp … davon muss Lady Gardenia erfahren. Was ist das?“ Aber Cassandra dachte nicht im Traum daran, nur ein Wort über die Äther-Absorptions-Mechanismen ihrer Duel Disk zu verraten. Das würde den ganzen Plan gefährden. Zittrig griff die Blonde nach ihrem Deck. Da hatte wohl jemand Angst. Gut. „Draw!“, schrie Reika und riss die Karte von ihrem Deck, nur um dann zuversichtlich zu grinsen. „Genau was ich brauche: [Machine Angel Absolute Ritual]!“ Eine riesige, weiße Feuerschale aus Marmor stieg vor ihr empor, umgeben von vier kleineren. „Der nette Ritualzauber hier lässt mich einen Cyber Angel von meiner Hand beschwören, wenn ich die benötigen Opfer von meinem Friedhof ins Deck mische.“ Nacheinander schossen drei Karten aus ihrem Ablagestapel, die sie allesamt vorzeigte. Es waren die Effektmonster [Tethys, Goddess Of Light], [Freya, Goddess Of Victory] und [Manju Of The Ten Thousand Hands], deren kombinierte Stufen genau 10 ergaben. Jene Götter tauchten über der großen Schale auf – eine engelhafte, in Weiß gehüllte Frau, die Cheerleaderin und das japanische Dämonenwesen mit den zahllosen Armen. Sie alle verschwanden im Feuer, das daraufhin eine azurblaue Färbung annahm. „Engel der verborgenen Ewigkeit, zeige deine Gestalt und bringe der Schöpfung Erleuchtung! Ritual Summon!“, zitierte Reika streng. „Stufe 10! Komm, [Cyber Angel Vrash]!“ Welche unmittelbar danach der blauen Flamme entstieg – eine schlanke Göttin, von deren Körper sich sechs hauchdünne Schleier erstreckten, die wie Schwingen wirkten. Auf ihrem Rücken befand sich ein goldener Ring mit Zacken wie bei einem Zahnrad – Vishnu, die Beschützerin der Schöpfung.   Cyber Angel Vrash [ATK/3000 DEF/2000 (10)]   Als ob ihr das irgendwie helfen würde. „Ist das alles? Dann kann sie gleich wieder gehen! Konterfalle [Majespecter Tempest]!“ Die Falle klappte vor Cassie auf. Ihre Krähe Yata verwandelte sich in drei gewaltige, violette Wirbelstürme, die allesamt auf Vrash zugeschossen kamen. „Durch das Opfern meines Monsters negiere ich die Beschwörung deines und zerstöre es.“ „Pardon, aber das funktioniert nicht“, grinste Reika breit, als alle drei an ihrer Kreisbarriere abprallten, „solange [Ritual Sigil] auf dem Feld ist.“ Die hübsche Asiatin hob die Hand. „Und jetzt zu [Cyber Angel Vrash'] Effekt! Sie zerstört alle Monster, die aus dem Extradeck beschworen wurden und bestraft deren Besitzer für jedes davon mit 1000 Punkte Schaden! Ascension Burst!“ Reika schnippte mit dem Finger. Aus dem goldenen Ring der Gottheit begannen leuchtende Kugeln auszutreten, die wie ein Trommelfeuer auf [Majespecter Fox – Kyubi] einprasselten, bis er explodierte. Mit dem Schwung ihrer Hand wischte Cassie die nahende Druckwelle mühelos weg.   [Cassandra: 1600LP → 600LP / Reika: 900LP]   „Und jetzt das große Finale!“ Reika richtete ihre erhobene Hand nach vorne aus. „Direkter Angriff auf ihre Lebenspunkte! Divine Cyber Energy Flash!“ Die Göttin ballte ihre vier Arme zu Fäusten, aus denen sie allesamt grelle Lichtstrahlen auf Cassandra abfeuerte. Welche lediglich die Nase rümpfte. „Völlig umsonst! Falle aktivieren, [Scrap-Iron Scarecrow]! Sie annulliert den Angriff und setzt sich zurück aufs Feld!“ Vor der Rothaarigen sprang eine Vogelscheuche auf, an der ein Helm befestigt war. Die Attacken trafen sie, ohne dass sie überhaupt Schaden nahm. Kurz darauf versank sie wieder im Boden und wurde zu einer gesetzten Karte. „Und du denkst, das hält mich auf? Das ist wohl der Altersstarrsinn“, neckte Reika ihre Gegnerin und schnippte erneut, „Vrash, benutze deinen Effekt! Da sie durch 'Ascension Burst' ein Monster zerstört hat, kann sie zweimal angreifen! Divine Cyber Energie Flash!“ Erneut schoss die Göttin der Schöpfung vier Lichtstrahlen aus ihren Handflächen auf Cassandra, die die Augen genervt verdrehte. „Hartnäckiges Miststück, dir werd' mich Manieren beibringen! Falle, [Majespecter Gust]! Sofort nach ihrer Aktivierung wird ein Majespecter aus meinen Pendelzonen aufs Feld beschworen! Erscheine, [Majespecter Unicorn – Kirin]!“ Sofort drang das weiße Einhorn aus der blauen Lichtsäule und ritt durch die Luft, um sich schützend vor seine Meisterin zu stellen – wie es sich gehörte.   Majespecter Unicorn – Kirin [ATK/2000 DEF/2000 (6) PSC: <2/2>]   An seinem Horn, das von einem schwarzen Metallhelm bedeckt war, entstand ein weißer Wirbel. Cassie lachte: „Und ehe du dich wunderst, warum ich ihn trotz seiner geringen Stärke in den Angriffsmodus gerufen habe, hier die Antwort: Ich nutze seinen Effekt! Damit gebe ich ihn und deinen Cyber-Engel zurück auf die Hand!“ Der Sturm weitete sich um das Tier aus – und verpuffte und dem Auflachen Reikas. „Oh, du Scherzkeks!“ Sie hielt sich den Handrücken vor den Mund und funkelte sie hinter ihren Brillengläsern finster an. Plötzlich wurde das Einhorn von einem weißen Runenzirkel erfasst, der um seinen Torso schloss und es so festhielt. „[Ritual Sigils] letzter Effekt verhindert, dass du während der Battle Phase einen Monstereffekt aktivierst, solange ich ein LICHT-Ritualmonster kontrolliere. Pech gehabt.“ Zornesfalten bildeten sich auf der Stirn der rothaarigen Hexe, die sich auf die Unterlippe biss, bis jene zu bluten anfing. „Elende Ratte, kenne deinen Platz!“ Als sie ihren Arm ausschwang, erzeugte sie damit eine derart mächtige Druckwelle, dass es Reika beinahe umwarf. Die letzte der vier gesetzten Karten klappte auf. „Schnellzauber, [Majespecter Sonics]! Sie verdoppelt für einen Zug die Werte meines Monsters, aber halbiert den Kampfschaden, den du dabei erleidest!“ Die Brillenschlange weitete die Augen. „Was!?“ Kirin gab ein wütendes Wiehern von sich, das in sichtbaren Schallwellen auf die Göttin zu rauschte.   Majespecter Unicorn – Kirin [ATK/2000 → 4000 DEF/2000 → 4000 (6) PSC: <2/2>]   Jene wurde von denen wortwörtlich zerfetzt. Aber sie fanden in Reika bereits ihr nächstes Ziel und rissen sie mit ihrer Macht endgültig von den Füßen, zerfetzten dabei ihre Kleidung. Die Gläser ihrer Brille bekamen tiefe Sprünge. Die junge Asiatin knallte hart auf den Rücken und hustete.   [Cassandra: 600LP / Reika: 900LP → 400LP → 700LP]   „Siehst du es jetzt ein? Du bist ein Niemand“, spottete Cassie, „dir ist nichts geblieben. Mein Zug!“ Sie zog auf, beachtete ihre Karte gar nicht.   Majespecter Unicorn – Kirin [ATK/4000 → 2000 DEF/4000 → 2000 (6) PSC: <2/2>]   Reika rollte nach links auf den Bauch und sah ihre Widersacherin über die Schulter mit einer Mischung aus Furcht und Abscheu an. Jene streckte ihren Arm aus. Zeit, dieses Trauerspiel zu beenden. Ihre Lippen bewegten sich bereits, da hörte sie eine weibliche Stimme sanft, aber bestimmend sagen: „Halt.“ Die unsterbliche Hexe wirbelte herum und stierte in das schwarze, ovale Portal einige Meter von sich entfernt, aus dem eine junge Frau eleganten Schritts trat. Eine zornige Falte bildete sich auf Cassies Stirn, als sie jene erkannte. Das lange, schwarze Haar ging in der Mitte in ein unnatürliches Weiß über. Roter Lippenstift betonte die blasse Haut, geschickter Einsatz von Kajal die kalten, grauen Augen. Passend dazu trug sie ein rotes Abendkleid, dazu schwarze Stiefel, mit denen sie lautstark über das Dach schritt. „Was willst du hier, Kathea?“, zischte Cassandra unwirsch. Das hatte ihr noch gefehlt – die Mätresse von Meister Seraphix. Inoffiziell die Anführerin des Inner Circles, gefürchtet und gleichermaßen geliebt von den CLEAR-Mitgliedern. Niemand wusste, woher sie kam, was sie motivierte und über welche Kräfte sie überhaupt verfügte. Aber sie waren laut Meister Seraphix' Aussage gewaltig. So gewaltig, dass er ihr bis aufs Äußerste verfallen war. Elendes Miststück, fluchte der Rotschopf im Gedanken. Wenn sie sich ihr widersetzte, würde Seraphix davon erfahren und das konnte unschöne Konsequenzen haben, selbst für sie. Die junge Frau, höchstens Mitte 20, trat neben die entnervte Hexe. „Ich hörte von Harrier, dass du dich an Velvet Thornes Fersen geheftet hast und abgelenkt wurdest. Wie interessant, das ist doch sonst nicht deine Art.“ „Sie hat sich mir in den Weg gestellt.“ Kathea betrachtete die am Boden liegende, halb bewusstlose Reika mit einen schmalen Lächeln auf den Lippen. „Sie gehört zu Gardenia. Es wäre Verschwendung, sie zu töten.“ „Was soll das heißen?“, brauste Cassie auf, fuchtelte aufgeregt mit den Händen. „Sie hat meine kostbare Zeit verschwendet. Dieses Stück Dreck gehört entsorgt.“ „Ich habe andere Pläne für sie“, murmelte die Schwarz-Weiß-Haarige und legte die rechte Hand ans Kinn, sah ihre Komplizin aus den Augenwinkeln an. „Du solltest das auf keinen Fall verpassen.“ „Hmpf! Mir doch egal, mach mit ihr, was du willst.“ Mit diesen Worten war Cassandra fertig mit der Hure der Organisation und zog an jener vorbei wie ein Sommergewitter. Direkt vor dem Rotschopf öffnete sich ein eigenes, schwarzes Portal, welches jene durchschritt. Dabei hörte sie die Aufsteigerin noch etwas zu sich selbst flüstern, das stark nach einem Austausch von Geiseln klang. Mit einem kleinen Haken.   -~-~-   Still betrachtete er den Gegenstand in seiner Hand. Es klopfte. Der Sammler stand zum Kamin gewandt und drehte sich nicht um. Trotzdem ziemte es sich nicht, auf eine Bitte mit Schweigen zu reagieren. Also bat er, während er den Gegenstand auf einer Kommode neben dem Kamin absetzte: „Komm herein, David.“ Das Holz knisterte unter dem Feuer, als sein Diener herein trat. „M-meister, i-ich-“ „Ich weiß. Gut gemacht.“ Leise fiel die Tür ins Schloss. Der junge Mann mit dem schwarzen Haar und dem blauen Pony keuchte. Sein grauer Trainingsanzug war blutverschmiert – mit seinem Blut. Der rechte Arm hing schlaff herab, Blut tropfte auf den etwas helleren Teppich. In seiner linken Hand hielt er eine goldene Lanze, die er gegen seine Schulter lehnte. „David“, begann der Sammler schließlich und drehte sich zu ihm um, „hättest du nicht vorher wenigstens deine Wunden versorgen können? Du besudelst mein ganzes Anwesen.“ „V-verzeihung.“ „Ordnung und Sauberkeit sind sehr wichtig“, tadelte der rothaarige Brite weiter, „merk dir das doch bitte endlich.“ „M-meister“, stotterte David jedoch plötzlich, „e-eure Wunde!“   Der Sammler stand mit nacktem Oberkörper vor dem Kamin. Um seinen Unterleib war ein herkömmlicher, weißer Verband gewickelt, welcher in seiner Mitte rot durchtränkt war. Auf den zweiten Blick konnte man weitere, bereits verheilte Wunden sehen. Keine von ihnen war jedoch so extrem wie die Narbe an seiner Wange. „Es wird noch eine Weile dauern, ehe ich mich erholt habe. Jetzt sollten wir uns erstmal um dich kümmern“, sprach er, schritt herüber zu zwei Sesseln und einem feinen, alten Holztisch, auf dem ein Weinglas stand. Er schnappte sich jedoch einen weißen Morgenmantel, der fein zusammengelegt über einem der Sessel hing und zog diesen über.   „Wie gefällt dir eigentlich unser neues Zuhause?“, fragte er nahezu beiläufig, als er auf den wartenden David zuschritt. Jener sah sich in dem kleinen Zimmer um. Neben ein paar Bücherregalen, dem Kamin samt Sitzecke und einer großen Truhe in der anderen Ecke gab es hier nicht viel. Es war edel, aber nicht annähernd so prachtvoll wie die Villa in Hollow City. „Es geht so. Au.“ Er presste die Augen zusammen, da der Schmerz ihn übermannte. „Gib mir die Lanze“, forderte der Sammler und nahm die goldene Waffe entgegen. Ihr Schaft war stabil, trotz der gewaltigen, goldenen Spitze, von der sich noch zwei schützende Panzerungen abhoben. Der Sammler achtete entschieden darauf, nicht die blutigen Stellen von Davids Hand anzufassen – denn wie er aus den Augenwinkeln sah, war jene knallrot. Verbrannt. „Du hast eine Menge auf dich genommen, Longinus zu finden. Ich danke dir.“ „Kein Problem. Dafür bin ich ja da“, lachte David, brach aber dann keuchend ab. Trotzdem schüttelte der Sammler den Kopf. „Ich befürchte jedoch, wenn das so weitergeht, wird dein Leben ein jähes Ende finden, noch bevor wir mit unserer Suche fertig sind. Eine Alternative muss her.“ „A-aber ich bin-“ „Du bist ein wertvoller Verbündeter. Es liegt mir fern, dein Leben noch weiter zu gefährden.“ Der Sammler zog an ihm vorbei. „Komm mit. Mir schwebt da etwas vor. Dann können wir auch gleich deine Wunden heilen.“   Irritiert folgte David ihm, sich dabei mit der frei gewordenen Hand eine Wunde am Unterleib haltend. Der Sammler führte ihn durch einen schlichten, weißen Gang mit rotem Teppich. Keine Bilder, kein Dekor, nur ein schmaler Gang – ein Labyrinth für all jene, die nicht erwünscht waren. „Meister“, begann er zögerlich, da etwas ihn schon eine ganze Weile beschäftigte, „warum bedeutet euch Sauberkeit so viel?“ Der Dämon blieb stehen und drehte sich nach einem Moment des Innehaltens lächelnd zu seinem Untergebenen um. „Sauberkeit bedeutet Ordnung. Ohne Ordnung gäbe es keine Richtung. Und sei doch mal ehrlich: Flecken sehen nicht schön aus.“ „A-haha.“ „Das ist nicht zum Lachen“, kommentierte der Sammler versteift und machte eine wischende Handgeste vor Davids Gesicht, wobei er mühelos mit der anderen die riesige Lanze festhielt. „Bitte sei so nachsichtig und besudele nächstes Mal nicht das ganze Haus.“ „Natürlich nicht, ich verblute nächstes Mal gerne draußen vor der Tür.“ Mit einem Male war der junge Mann frei von all seinen Wunden. Nicht einmal Blut befand sich mehr an seiner Kleidung. Der Sammler blinzelte verdutzt ob der frechen Retour seines Dieners, lachte dann aber vergnügt. Trotzdem stand David der Schweiß auf der Stirn. Egal was er machte, er war sich nie sicher, wie dieser Mann reagieren würde.   Schließlich drehte sich jener wieder um und ließ mit einer Handbewegung eine Tür in der Wand zu seiner Rechten erscheinen. Mit der anderen hielt er nach wie vor Longinus, den legendären Speer aus der christlichen Mythologie. Als der Sammler eintrat, erwartete ihn ein dunkler Raum. Bis auf ein paar Halterungen an den Wänden und einige Aufsteller, sorgsam in drei Reihen angeordnet, gab es hier nichts. An der Wand gegenüber hing ein riesiger, goldener Rundschild, links befand sich in einer der Befestigungen ein grünlich strahlender Bogen. In zwei Halterungen am Boden steckten Großschwerter, regelmäßig rot beziehungsweise blau aufleuchtend. Der Sammler schritt durch den Raum und legte den Speer quer auf zwei Haken an der Wand. „Kaum zu glauben, wie lange ich für fünf Stück gebraucht habe“, seufzte David deprimiert. „Gemach. Mehr habe ich nie erwartet. Und das meine ich im positiven Sinne.“ Mit einer scheuchenden Handgeste wies der herannahende Sammler ihn an, den Raum zu verlassen. „Ich hoffe, dass das neueste Mitglied unserer beschaulichen Gruppe ebenso vorbildlich agieren wird wie du. Hopp hopp, Zeit für eine angemessene Vorstellung.“     Turn 97 – Crackes And Bruises Nachdem er über eine Woche verschwunden war, kehrt Nick unerwartet und verändert nach Livington zurück. Dabei kommt es zu einer Konfrontation mit Anyas Freunden, welche Nick am liebsten aus dem Leben seiner Schwester verbannen möchte. Und das Ganze gipfelt in einem Duell gegen Matt, Zanthe und Valerie, die ähnliche Ansichten bezüglich Nick vertreten … Kapitel 106: Turn 97 - Cracks And Bruises ----------------------------------------- Turn 97 – Cracks And Bruises     David konnte sich kaum vorstellen, wen der Sammler mit 'neuen Verbündeten' meinte. Sein Vorgänger, ein Schattengeist namens Orion, hatte die Seiten vor einigen Monaten gewechselt und war jetzt ein Teil des Zirkels, der sich um die Weiße Hexe scharte. Und auch Kyon, sein Butler, war wenig vertrauenerweckend. Seit dem Fall der Villa in Hollow City hatte man nichts mehr von ihm gehört. In Anbetracht dieser beiden konnte man auf weitere Zugänge getrost verzichten. Dass das nicht seine Entscheidung war, akzeptierte David allerdings ohne Weiteres. So folgte er seinem Meister den Gang über den hellroten Teppich entlang, welcher in einer einzigen Tür endete. „Du wirst begeistert sein“, sprach der Sammler in seinem weißen Morgenmantel fröhlich, „unser Gast ist bereits hier.“   Der Brite trat lächelnd in den kleinen Raum herein. Ausgelegt mit grauen Fliesen, befand sich darin nichts weiter als ein riesiger Kristall in Form eines auf dem Kopf stehenden Prismas, welcher über den Boden schwebte. Als David seinem Meister folgte und das Gebilde erblickte, weiteten sich seine Augen. „Whoa! Was ist das!?“ „Die Alternative.“ Eingeschlossen in dem durchsichtigen Kristall war eine düstere Gestalt, gekleidet in einen schwarzen Kimono. Dunkles, schwarzes Haar, lang und seidig, erstreckte sich in alle Richtungen. Eine weiße, dämonische Maske bedeckte das Gesicht des Wesens.   „Das ist dein Ersatz“, sprach der Sammler und legte seine Hand auf die glatte Oberfläche. „M-Meister, ich hätte eher damit gerechnet, dass wir Kyon-“ „Kyon ist nicht länger hier“, schnitt der Brite ihm ins Wort. David keuchte. „Also war er wirklich ein Verräter …“ „Natürlich.“ Der Sammler drehte sich um. Das Lächeln war verschwunden. Sofort meinte sein Diener: „Dann müssen wir gegen ihn vorgehen. Er weiß zu viel!“ „Nein, er ist genau dort, wo er sein soll“, erwiderte der Collector geheimnisvoll. „Wie konnte er nur … erst er, jetzt auch noch Anya Bauer …“ „David“, redete der Sammler sanft und packte den jungen Mann bei den Schultern, „es ist in Ordnung. Auch du wirst mich eines Tages verraten. Wie jeder andere. Das ist mein Schicksal.“ Der Schwarzhaarige riss sich entgeistert los. „Das würde ich niemals!“ „Eines Tages musst du das vielleicht.“ Mit diesen Worten wandte sich der Sammler an den im Kristall eingeschlossenen Dämon. „Genug geschlafen?“   Unmittelbar danach zerbarst das Gefängnis in tausend Teile. Die Splitter flogen an den beiden Männern vorbei, ohne dass jedoch nur einer sie berührte. Statt auf dem Boden liegen zu bleiben, verschwanden sie einfach. Schwebend landete der Dämon auf seinen Füßen. „Ich benötige deine Hilfe“, kam der Sammler unmittelbar zur Sache. „Nein“, dröhnte die unmenschliche, verzerrte Stimme des Maskierten emotionslos. „Ich habe dir die Freiheit geschenkt, obwohl du eine Gefahr für meine Pläne darstellst.“ Und nun sollte der ihm als Dank helfen, fragte sich David verwirrt. Im Gegenteil! Der junge Mann spannte bereits seine Muskeln an, bereit, sich zwischen den Sammler und den maskierten Dämon zu werfen. „Bevor du ablehnst“, sprach sein Herr weiter, „erinnere dich daran, was du wolltest. Sollen die Dinge so bleiben wie sie jetzt sind?“ Der Dämon schwieg, regte sich keinen Millimeter. „Du weißt noch, wer du warst und wofür du eingestanden hast, auch wenn deine Seele fort ist.“ „Meister-“, wollte David dazwischen gehen, als der Dämon nach dem langen Katana an seinem Waffenrock griff. Doch der Sammler hielt ihn mit ausgestrecktem Arm fern. „Nicht, David.“ Der Rotschopf blickte dabei unbeeindruckt sein Gegenüber an. „Ich habe eine Aufgabe für dich, eine, die deine Prinzipien nicht verletzen wird. Besorge mir, was ich benötige und ich werde im Gegenzug etwas für dich tun.“ Stur dröhnte es hinter der Maske des Dämons: „Es gibt nichts, das ich begehre.“ „Bedauerlicherweise täuscht du dich da“, erwiderte der Sammler zuversichtlich, „erinnere dich einfach.“   -~-~-   „Das“, sagte Zanthe und tat wenigstens so, als würde er seine Worte behutsam wählen, indem er Anya mitleidig ansah, „stinkt. Und zwar noch schlimmer als deine Socken und das will was heißen!“ Er hockte vor ihr mir einem ausgestreckten und einem angewinkelten Bein, während sie auf ihrem Bett saß und finster an ihm vorbei in die Leere starrte. „Jep.“ Abby, die am Schreibtisch vor dem Fenster saß und zu ihr gedreht war, faltete die Hände auf ihrem Schoß ineinander. „Ich weiß, es fällt dir schwer, das zu akzeptieren. Ein Homunkulus, e-ein künstlicher Mensch, das ist unvorstellbar. Unethisch! Man kann nicht einfach Leben erschaffen als wäre man Gott! Aber … wenn es der einzige Weg ist, dir zu helfen, müssen wir in den sauren Apfel beißen.“ Die Blonde mit dem Pferdeschweif blinzelte ihre Freundin verständnislos an. „Vielen Dank, dass du für mich deine Moralvorstellungen über Bord wirfst, Abby. Aber darum geht es nicht!“ „Ich weiß“, seufzte sie und ließ den Kopf hängen. „Ihr seht das beide viel zu negativ. Dann ist es eben ein neuer Körper, na und?“ Zanthe sprang auf und grinste Anya an. „Dafür ist er gesund. Und wenn du Onkel Ricther ganz nett bittest, passt er sogar einige Details an. Stell dir vor, du könntest endlich an die Regale kommen, die vorher für dich unerreichbar waren? Wäre das nicht-“ Sie trat vom Bett aus nach ihm, aber wie so oft verfehlte sie den schnellen Werwolf, der tänzelnd auswich. „Nein ehrlich, versuch das Gute darin zu sehen. Welcher normale Mensch hat schon die Chance, sich selbst zu rebooten?“ Abby schlug vor lauter Fassungslosigkeit die Hand vor die Stirn.   „Was wohl Summers dazu sagen würde“, murrte Anya und legte ihre beiden Hände schmollend an die Wangen, stützte die Ellbogen auf ihren Oberschenkeln ab, „aber der ist zu beschäftigt mit Redfield, seit wir zurück sind.“ So schnell hatte sie Abby noch nie erlebt, wie sie von einer Sekunde zur nächsten plötzlich neben ihr saß. „S-sind sie etwa ein Paar?“ „Uh, hast du das mit der Trennung zwischen ihr und Butcher nicht mitbekommen?“ „Wie denn, wenn du dich seitdem nicht gemeldet hast“, murmelte die Chefsirene beleidigt und beugte sich zu Anya vor, „aber ich habe es mir gedacht, ja. Also: Sind sie ein Paar oder nicht?“ Anya wich soweit zur anderen Seite, dass sie fast vom Bett fiel. „Woher soll ich das wissen!?“ Der Werwolf in Anyas unordentlichem Zimmer, welcher Abstand von den beiden Mädchen genommen hatte, gluckste: „Ist da etwa jemand eifersüchtig!?“ „Entschuldigung!?“ Sofort war die brünette Brillenträgerin auf ihn fixiert. „Ich mache mir nur Sorgen! Um Valerie! Ich weiß ja nicht, ob Matt so ein guter Umgang für sie ist.“ „Sie ist Redfields Fangirl“, flüsterte Anya hinter vorgehaltener Hand. Sofort gab Zanthe ein viel sagendes, lang gezogenes: „Oh!“ von sich und kicherte. „Wie wär's, wenn wir uns jetzt erstmal um -dein- Liebesleben kümmern!?“, fauchte Abby und hielt ihrer Freundin aus Kindheitstagen den Zeigefinger unter die Nase. „Du bist mir immer noch eine genaue Antwort schuldig, was dich und diesen Logan betrifft!“ „Oh! Oh!“, machte Zanthe da aufgeregt und streckte die Hände vor sich aus. „Da fällt mir ein, dass ich dir noch etwas sagen wollte, Anya!“ Beide Mädchen drehten sich mit fragendem Gesichtsausdruck zu ihm um. Statt aber die Antwort vorweg zu nehmen, meinte er bloß: „Oder besser gesagt, ich zeig es dir! Lust auf einen kleinen Spaziergang?“   -~-~-   Etwa eine halbe Stunde waren die Drei unterwegs und bereits nach kurzer Zeit wusste Anya, dass es nur einen Ort gab, zu dem der Werwolf sie führen konnte – Logans Werkstatt. In dieser Zeit sprachen sie über Alltagskram und Anya war heilfroh dafür. Sie wollte nicht darüber nachdenken, was sie bald erwartete. So sehr sie auch versuchte, es als Hoffnungsschimmer zu sehen, war da dieser bittere Beigeschmack. Sie wollte keinen neuen Körper, sie wollte ihren alten behalten! Es war die Angst, was das alles an Veränderungen mit sich bringen würde, die ihr so sehr zu schaffen machte. Würde sie noch sie selbst sein? Wenn selbst Ricther nicht alle Fragen beantworten konnte, was würde dann am Ende wirklich mit ihr geschehen? Allein der Gedanke schnürte ihr die Kehle zu. Das Einzige, was sie tun konnte, war ihn mit aller Macht zu verdrängen und sich abzulenken. Da kam die Hoffnung, gleich jemanden … Besonderes wiederzusehen, gerade recht!   Zusammen mit Zanthe und Abby im Schlepptau schlenderte Anya mit unterdrückter Vorfreude über den Parkplatz herüber zur Werkstatt. Diesmal standen die Rolltore beide offen, hinter einem schwarzen Jeep werkelte bereits jemand fleißig. Yes! Neugierig beugte sich das ehemalige Hippiemädchen beim Gehen zur Blonden vor. „Sag mal, Anya, was läuft denn da jetzt genau zwischen euch?“ „Schon wieder diese Frage! Tch, n-nichts natürlich. Wir sind Freunde.“ „Und wieso wirst du dann rot?“, fragte Zanthe trocken. Er blickte an Anya vorbei zur Sirene. „Ich sag's nur ungern, aber ehe Fräulein hier realisiert, was sie überhaupt will, ist's fürs Kinderkriegen schon zu spät.“ Abby kicherte daraufhin vergnügt. „Nicht so negativ, wir kriegen das schon in den Griff.“ „Klappe, alle beide!“, schnauzte Anya genervt, was aber nur noch mehr Öl ins Feuer kippte. „Sie ist verliebt.“ „Ja, ist sie. Wie alt ist er denn?“, wollte Abby wissen. „Mitte 30“, vermutete Zanthe, während die Adern auf Anyas Stirn schon zu pochen begannen. Erstaunt entgegnete das Mädchen: „So alt? Hmm, aber wo die Liebe hinfällt. Solange sie glücklich wird.“ „Ist jetzt mal gut!?“, fauchte die Gebeutelte, die zwischen den beiden lief.   Knallrot im Gesicht kam Anya vor der Werkstatt an. „H-hey!“ Der Mann hinter dem Jeep trat hervor – und sorgte bei Anya für ein langes Gesicht. In Blaumann stand ihr nicht etwa Logan gegenüber, sondern ein junger Kerl mit blonden Dreads und kurz rasierten, schwarzen Seiten. Exa. „D-du!? Was machst du hier!?“, stammelte das Mädchen schockiert. Sie war ihm einmal begegnet, als dieser maskierte Dämon sie nach dem Viertelfinale des Legacy Cups angegriffen hatte. Er war auf Ricther losgegangen, der Anya seinerseits versucht hatte zu beschützen, obwohl sie zu dem Zeitpunkt noch Feinde waren. Das Resultat war eine Battle Royale mit diesem Typen als Sieger. „Nun“, zuckte Exa mit den Schultern und trat an die Drei heran, „irgendwann wirst du es eh erfahren.“ Er sah dabei Zanthe an, der seufzte und dann nickte. „Anya, das ist Exa. Er ist derjenige, mit dem ich mich während des Turniers öfter getroffen habe.“ „Huh!?“ Im Anschluss erzählte Zanthe davon, wie die beiden sich begegnet waren, dass Exa aus einer anderen Welt stammt, dass er nach der Zerstörung seiner in diese geflüchtet ist und wie sie versucht hatten, Geld durch Duelle im Untergrund zu verdienen. „Oh“, gab Anya trocken von sich. Betroffen legte Abby ihre Hände an die Wangen. „Das ist ja schrecklich! W-wie konnte das passieren?“ „Der-“ „Ist doch egal“, ging die Blonde mit halbherziger Anteilnahme dazwischen, „ist scheiße, aber ändern können wir's eh nicht mehr. Meine Frage ist: Wie kommst du ausgerechnet zu diesem Job?“   Zum Zwerg. Es brannte Anya unter den Nägeln, das herauszufinden. Und warum Zanthe ernsthaft glaubte, dass sie -deswegen- gekommen war! Das war doch Absicht, ihr Hoffnung zu machen, nur um sie dann zu enttäuschen! Aber warte nur, wenn keiner hinsah, schwor sie sich bitterböse.   „Danke für deine Anteilnahme“, erwiderte Exa trocken. „Wir sind uns im Untergrund begegnet. Logan hat mir und Zanthe nachspioniert.“ „W-was? Warum?“ „Für dich, sein Sweetheart“, stichelte Zanthe, „jedenfalls glaube ich das. Als er gesehen hat, wie es im Untergrund zugeht, bekam er Mitleid und hat Exa das Angebot gemacht. Apropos, könntest du Nick noch dazu bringen, ihm offizielle Papiere auszustellen?“ Abby und Anya sahen sich blinzelnd an. Erstere flüsterte pikiert: „Das geht doch nicht so einfach, oder? Das ist doch gesetzeswidrig.“ „Pft. Von mir aus, ich sag’s ihm bei nächster Gelegenheit.“ Exa nickte. „Danke, Anya.“ „Kein Ding. Übrigens habe ich nichts mehr mit dieser Artefaktejagd am Hut.“ Sie erinnerte sich noch daran, wie feindselig er am Ende damals war, als er von ihrer Mission erfuhr. Sie reichte ihm die Hand. „Frieden?“ Er schlug ein und beide nickten sich zu. „Und jetzt, da wir wissen, was uns eh nie interessiert hat“, murrte Anya bereits mit den ersten Anzeichen ihrer berüchtigten Premium-Wut, „wo-zur-Hölle-ist-Logan?“ Exa sah sie kurz an und zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ist vorhin losgefahren, um irgendetwas zu besorgen. Er hat gesagt, es würde eine Weile dauern.“ Wie in Zeitlupe drehte sich Anyas Kopf in Zanthes Richtung, der sie auch noch ganz frech angrinste. „Flohpelz …!“ „Kann ich doch nicht wissen. Sei froh, denn ohne mich wüsstest du gar nicht, dass er zurück ist!“ „Ah! Sag mal“, wandte sie sich wieder an Exa, „ist er denn jetzt endgültig auf freiem Fuß?“ „Keine Ahnung, ich kenne mich mit den Gesetzen eurer Welt nicht aus. Sie haben ihn wohl gehen lassen, weil jemand anderes das Verbrechen gestanden hat. Aber er hat trotzdem Ärger, weil er gelogen hat, glaube ich.“ Anya schlug sich die Hand gegen die Stirn. „Ugh, na toll!“ „Das ist übrigens deine Schuld“, machte Exa ihr nonchalant klar, „aber du kannst es wieder gut machen, wenn du mir die hübsche Dame da vorstellst.“ Er blickte herüber zu Abby und winkte ihr lächelnd zu, die etwas irritiert zurück winkte – obwohl sie sich auf drei Meter gegenüberstanden. „Ich bin Abigail, aber du kannst mich Abby nennen.“ „Kch! Schluss damit!“ Die Blonde packte ihre beiden Freunde am Kragen und zerrte sie mit sich, entschlossen, später alleine zurückzukommen. „Wir gehen nachhause.“ „Bye“, winkte Exa insbesondere Abby zu, die erneut peinlich berührt zurück winkte, während sie davon geschliffen wurde. Da fiel Anya etwas ein. „Sag mal, wo ist eigentlich Roboburg?“ „Uh“, machte Zanthe und riss sich los, „was das angeht, hatte ich noch schnell ein paar Babysitter bestellt.“ „Huh!?“   -~-~-   Drei junge Menschen saßen auf der Couch in Anya Bauers Wohnzimmer. Claire Rosenburg, die mit starrem Blick aus dem Fenster in die Nachbarschaft starrte. Matt Summers zu ihrer Linken, der hilflos jeglichen Blickkontakt vermied und zu guter Letzt Valerie Redfield, welche ihrerseits in ein Dämonenbuch vertieft war und sich an der Lehne der Couch abstützte. „Gibt es denn nicht irgendetwas, das du magst?“, versuchte Matt einen letzten Versuch, ein Gespräch mit der blonden Weltmeisterin anzufangen. „Nein.“ „Möchtest du irgendwo hingehen?“ „Nein.“ Matt seufzte schicksalsergeben. „Möchtest du überhaupt irgendetwas?“ „Nein.“ Valerie kicherte und klappte ihr Buch zu. „Auf gewisse Weise ist das unterhaltsam. Wenn es nicht so traurig wäre. Aber mir fällt ein, dass ich dir etwas mitgebracht habe, Claire.“   Sie griff nach einer kleinen Tüte, welche an die Couch gelehnt war und holte daraus ein blaues Stirnband hervor. „Hier, für dich.“ Claire sah es an. Aber sie schien den Sinn des Accessoires nicht zu verstehen und machte auch keine Anstalten, es entgegen zu nehmen. Da ergriff Valerie die Initiative, packte die junge Frau am Arm und zog sie durch das Wohnzimmer, über die Treppen ins obere Stockwerk hin mit sich, bis sie im Bad angekommen waren.   Matt folgte ihnen perplex. Als er das kleine Badezimmer betrat, in dem gerade einmal Platz für eine Badewanne, einen Schrank mit Handtüchern und eine Toilette war, sah er Claire vor dem Spiegel des Waschbeckens stehen und Valerie direkt hinter ihr. Jene legte ihr gerade das Stirnband an, was sich als ziemlich schwierig erwies, wenn die neue Besitzerin nicht dabei half. Behutsam schob sie die blonden Haare beiseite. „Voilá“, strahlte sie schließlich, als sie fertig war, „steht dir gut, findest du nicht?“ „Ich erkenne keinen Sinn darin.“ Valeries Euphorie schwand. „Nun, ich dachte, da deine Stirn etwas höher als bei anderen Frauen ist, könnten wir ja einen kleinen Trick anwenden, um das zu retuschieren. Damit kannst du viel mehr aus deinem Look herausholen.“ „Ich verstehe nicht“, kam es mechanisch zurück. „Sie sagt, du siehst besser mit dem Ding aus“, meinte Matt, der im Türrahmen gelehnt stand. Und fing sich gleich einen bösen Blick von der Schwarzhaarigen ein. „Matt! Sei etwas taktvoller!“ Jener hob die Hände hoch. „Sorry!“ Claire sah zu ihm herüber. „Welchen Sinn erfüllt dieses Kleidungsstück? Ein Wärmungseffekt im Winter kann ausgeschlossen werden.“ „Uh … huh?“ „Steigert dieses Objekt irgendeines meiner Attribute?“ Valerie und Matt sahen sich hilflos an, ehe Valerie vorsichtig sagte: „Nun, du … könntest damit deine … Duellgegner ablenken, weil sie … von deinem Aussehen überrascht sind. Positiv natürlich!“ Während sie das vor sich hin stammelte, musste Matt sich das Lachen verkneifen. Anscheinend schien Claire diese Erklärung zu reichen. Sie sah noch einmal in den Spiegel, ohne aber eine Miene zu verziehen. „Dieses Stirnband scheint einen Nutzen zu haben. Ich behalte es.“   -~-~-   „Summers und Redfield?“, fragte Anya wenig begeistert und ließ nun auch eine äußerst dankbare Abby los. „Ist das dein Ernst?“ „Vielleicht lernt Claire ja was von ihnen“, rechtfertigte sich Zanthe. Alle Drei standen auf dem Parkplatz vor Logans Werkstatt. Exa sah ihnen aus der Ferne nach. „Ich will gar nicht wissen, -was- genau“, brummte die Blonde grimmig. „Dieses Mädchen scheint ja wirklich völlig hilflos zu sein“, meinte Abby. Auf dem Weg hierher hatte Zanthe ihr die Geschichte erzählt, „wie schrecklich.“ Aber Anya war da anderer Meinung. „So würde ich das nicht sehen. Sie ist gut darin, Leute umbringen zu wollen. Und andere müssen den Mist dann ausbaden!“ „Du weißt, dass das nicht stimmt!“, widersprach Zanthe sauer.   In dem Moment stieß Exa unvermittelt zu ihnen. „Hey Zanthe, kann ich dich noch ganz kurz alleine sprechen?“ „Hm? Okay“, nickte der und folgte dem Größeren. Abby und Anya taten es ihnen nicht gleich, sondern warteten auf der Stelle. Um die Zeit zu überbrücken, erkundigte sich die Sirene noch etwas genauer nach Claires Zustand.   Während die beiden Jungs sich etwas von den Mädchen entfernten, legte Exa seine Hand auf Zanthes Schulter und flüsterte: „Eigentlich sollte ich das nicht, aber wir sind Freunde.“ „Was soll die Heimlichtuerei?“, wunderte sich der Werwolf mit dem roten Kopftuch. „Es geht um Logan.“ Sofort wurde Zanthe hellhörig. „Ahhhh, daher weht der Wind! Du bist eifersüchtig!“ „Hör auf“, schnappte Exa. Sein Ton war bitterernst. Er blickte über seine Schulter, als wolle er sichergehen, dass die beiden Mädchen auch wirklich nichts mitbekamen. Als sie das Garagentor erreicht hatten, seufzte er. „Zanthe, du musst mir versprechen, dass du das für dich behältst.“ Dem gefiel nicht, welche Richtung dieses Gespräch annahm. „Ok, darin bin ich sowieso gut.“ „Ich bin Logan sehr dankbar für diese Chance, die er mir gibt. Aber er …“ Und was Zanthe dann hörte, ließ ihn erblassen. Gar zittern.   -~-~-   Der Rückweg der Freunde hatte sich durch drei Dinge ausgezeichnet. Anyas schlechte Laune, Abbys Neugier und Zanthes apathisches Schweigen. Normalerweise hätte die Blonde ihn darauf angesprochen, doch sie war zu wütend, um ihr Interesse an ihren Mitmenschen zum Ausdruck zu bringen. Und ihre Stimmung sollte sich nicht gerade heben, als sie ihr Wohnzimmer betrat und dort gleich drei Personen sah, die sie in dieser Konstellation überhaupt nicht ertragen konnte. Claire saß vor einem der Sessel im Schneidersitz und bekam von Redfield das Haar gebürstet. Matt sah auf der Couch ein Football-Spiel an. „Okay“, knurrte Anya. „Ich hatte fast verdrängt, dass es euch auch noch gibt.“ „Hallo Anya“, grüßte Valerie schnippisch zurück, „dein Date ist also ins Wasser gefallen, hm?“ „W-w-was für ein Date!?“ „Mit Logan. Dann schulde ich dir wohl 10 Dollar, Val“, gluckste der Dämonenjäger und guckte scheel zu Anya, die ganz langsam rot anlief. Ihre Erzrivalin kicherte. „Ach Matt, als du vorhin kurz wohin warst, habe ich bei der Werkstatt angerufen. Da war er schon weg.“ Hitze stieg in Anya auf, sie spürte den Vulkan ungehemmten Frusts sprudeln. „Oh man“, stöhnte Matt, „lass dich nie auf eine Wette mit Mädchen ein …“ „Sagt mal hackt es bei euch!?“ Anya explodierte. Oh ja. Abby, die im Türrahmen des Flurs stand, verkroch sich langsam Richtung Küche auf der anderen Seite. Nur Zanthe sagte gar nichts zu der Kabbelei. „Seit wann dreht sich alles nur noch um meine Gefühle für Logan!?“ Der Werwolf erwiderte tonlos: „Vielleicht weil du sie so vehement verleugnest?“ Anya dachte nicht nach, als sie Angel Wing in seiner Speerform beschwor, herum wirbelte und Zanthe damit -wirklich- weh tun wollte. Jedoch war es der Fernseher in der Ecke, der der tatsächliche Leidtragende war, als die Speerspitze über seine Oberfläche kratzte und ihn zu Fall brachte. Es knalle dumpf, der Schlag setzte sich Richtung Zanthe fort. Aber der hielt ihn einfach mit der Handfläche auf. „Hey!“, beklagte sich Matt entrüstet. „Ich wollte das sehen!“ „Oh man.“ Valerie schlug sich die Hand vor die Stirn. „Vielleicht solltest du deine Haltung“, sprach der Kopftuchträger ungewohnt düster, „bezüglich dieser ganzen Sache überdenken.“ „Was soll das jetzt heißen!?“, knurrte sie hochrot und riss die Waffe weg. „Es ist genau so wie ich es schon hundertmal gesagt habe: Wir-sind-Freunde!“ Die beiden blickten sich tief in die Augen. Keiner gab nach. Ihr Anstarrwettbewerb hätte vermutlich den ganzen Tag angedauert, wenn nicht in diesem Moment das Telefon im Flur geklingelt hätte. Zischend ließ Anya den Speer im Nichts verschwinden, rauschte aus dem Wohnzimmer, schnappte sich den schnurlosen, weißen Hörer der auf einem kleinen Tisch lag und fauchte: „Wer zur Hölle wagt es, bei den Bauers anzurufen!?“ „Hallo Anya.“ Jene zuckte regelrecht zusammen, obwohl es eigentlich gar keinen Grund dafür gab. Aber irgendetwas an Nicks Stimme gefiel ihr nicht. „Harper? Warte, wo zum Teufel warst -du- eigentlich die letzten Tage? Keiner wusste wo du steckst!“ „Nicht so wichtig“, wiegelte er ihre, in kratzbürstige Worte gehüllte Sorge ab, „können wir uns treffen?“ Abby kam in dem Moment aus der Küche, Zanthe aus dem Wohnzimmer. Sie fragte: „Ist das Nick?“ Was Anya mit einem Nicken bestätigte. „Uh, klar, komm einfach rüber. Es sind alle hier.“ „Nein, ich möchte dich alleine sehen.“ „Warum?“ „Hat seine Gründe. Und?“ Der Werwolf schüttelte bereits mit düsterem Gesichtsausdruck den Kopf, aber wie für Anya typisch, tat sie immer genau das Gegenteil von dem, was man ihr sagte. „'kay.“ „Beim Basketballfeld“, warf Zanthe schnell ein. Etwas irritiert und sich seinem fordernden Blick beugend, fügte sie hinzu: „Wie wär's beim Basketballfeld? Ich könnte in einer Stunde da sein.“ „Gut“, erwiderte er kurz angebunden, „wir sehen uns dann.“ Ohne sich zu verabschieden legte er einfach auf. Anya blieb mit einem ziemlich verdutzten Gesicht zurück. Kopfschüttelnd schob sie das Telefon in die Ladestation. Abby fragte vorsichtig: „Was hat er gesagt?“ „Er will sich mit ihr treffen“, übernahm der Werwolf das Beantworten, „allein. Es ist eine Falle.“ „Huh?“ Die Blonde blinzelte verdutzt. „Wie zur Hölle kommst du darauf!?“ „Was ist denn hier los?“ Matt drängelte sich zusammen mit Valerie und Claire in den schmalen Flur, der nun so gut wie voll war. „Ist etwas passiert?“ „Ich glaube nicht, dass das Nick war“, sprach Zanthe, „seine Stimme klang anders. Nur ein ganz kleines Bisschen, aber ich habe es bemerkt.“ Damit gab sich Anya aber nicht zufrieden. „Durch's Telefon? Da hören sich Stimmen immer anders an, Einstein!“ „Warum sollte er dich alleine sehen wollen? Das riecht doch nach Kalis Handschrift!“ „Weil er euch nicht leiden kann?“, giftete Anya zurück. „Und manchmal kann ich das sogar verstehen, tch!“ Ehe ein neuer Streit entstand, bat Abby: „Bitte beruhigt euch. Vielleicht hast du dich ja wirklich getäuscht, Zanthe?“ So wie der das Mädchen im Anschluss ansah, könnte man glatt meinen, er und Anya hätten die Körper getauscht. „O-okay, es kann bestimmt nichts schaden, wenn wir trotzdem mitkommen, oder?“ „Da ist ein kleiner Schuppen beim Basketballfeld, wo sie die Bälle und anderen Kram aufbewahren. Wir können uns da verstecken“, erklärte Zanthe, „und eingreifen, falls etwas passiert.“ Valerie warf ein: „Ich glaube irgendwie nicht, dass Kali Anya am helllichten Tag auflauern würde, noch dazu an einem Ort, der gut einsehbar für Dritte ist.“ „Und du meinst, nach ihrer letzten Klatsche schert sie das noch?“, fragte Zanthe provokativ. Da die Schwarzhaarige keine Hellseherin war, konnte sie das nicht hundertprozentig ausschließen und verstummte. Dafür ergriff Matt das Wort: „Ich finde das auch ziemlich übertrieben. Allerdings traue … allerdings weiß man auch nicht, was in Nick manchmal so vor sich geht. Es kann sicher nicht schaden, wenn wir alle gemeinsam gehen.“ „Oh, zum Teufel“, knurrte Anya genervt, „dann versteckt euch halt im Geräteschuppen wie ein Haufen ängstlicher Pfadfinder, mir doch Wurst! Aber wenn ihr euch nicht beeilt, wird Harper vor euch da sein!“ Warum war es jetzt ausgerechnet -sie-, die alle darauf hinweisen musste, was für ein Kindergarten das hier war!?   -~-~-   Sie hatten es geschafft, noch vor Nick an ihrem Ziel anzukommen. Das Basketballfeld war ringsherum von einem hohen Zaun umringt. An den beiden Längsseiten des Spielfelds gab es jeweils eine vierstufige Tribüne, falls jemand zusehen wollte. An einer davon war der Geräteschuppen angeschlossen, in dem ihre Freunde sich gegenseitig auf die Zehen traten. Anya stand alleine in der Mitte des Felds. Während zur Rechten der Livingtoner Park begann, in dem sie letztes Jahr eine nicht ganz so nette Begegnung mit Marc und Isfanel hatte, verlief zur Linken eine gut besuchte Straße voller Geschäfte und Gaststätten entlang – eine mieser als die andere, aber keine so schlecht wie ihre Laune. Darüber hinaus ragten die mehrstöckigen Bürogebäude der Innenstadt.   Eigentlich sollte Anya ja belustigt über das seltendämliche Verhalten ihrer Freunde, insbesondere das des Flohpelz' sein, aber da war nur blanke Wut. Ob diese überhaupt ihnen geschuldet war, wusste das Mädchen gar nicht so genau. Lag es daran, dass alle ihr etwas einreden wollten oder an ihrer eigenen Unsicherheit? Warum fiel es ihr so schwer, über Logan mit anderen zu reden? Sie hatte darüber nachgedacht, was er für sie war. Ob sie … mehr in ihm sah als einen Freund. Wann immer sie an diesem Punkt ankam, fühlte sie sich plötzlich unwohl. Als sie noch auf Marc Butcher gestanden hatte, war alles so einfach gewesen. Sie wusste es, sie wusste, dass sie ihn mochte und mit ihm ausgehen wollte. Aber der hatte sich nicht mal für sie interessiert. Und bei Logan? Der tat praktisch alles, um ihr zu helfen, opferte sogar seine eigene Freiheit für sie und hatte auch stets ein Ohr für ihre Probleme. Wann immer sie ihn sah, machte ihr Herz einen Hüpfer. Der Fall war also eigentlich klar. Wenn da nicht dieser Nachgeschmack war, dieses unbestimmte Gefühl, das alles durcheinander warf …   „Hallo Anya“, wurde sie unvermittelt aus ihren Gedanken gerissen. Sie zuckte zusammen, als Nick direkt vor ihr stand. Er trug ein weinrotes Hemd und schwarze Jeans, darüber einen schwarzen Mantel, ähnlich dem von Matt. „H-Harper, verdammt, erschreck' mich nicht so!“, fauchte sie zurück. Wie konnte er das Basketballfeld so leise betreten haben, dass sie rein gar nichts bemerkt hatte. Anya gefiel die Antwort dazu überhaupt nicht. Nick betrachtete sie einen Moment lang skeptisch. Er sah so anders aus, dunkle Augenringe stachen hervor, sein Gesicht war abgemagert und das, obwohl es nur ein paar Wochen her war, seit sie sich zuletzt gesehen hatten. „Alles okay?“, fragte das Mädchen zögernd. „Willst du mir jetzt verraten, wo du gesteckt hast?“ „Ist besser, wenn du das nicht weißt.“ „Und was willst du mit mir bereden, das du nicht auch bei mir zuhause kannst?“ Der junge Mann atmete tief durch. „Die Bedingung war, dass wir ungestört sind.“ „Tch …“ Hatte er die anderen bemerkt? Natürlich, scheinbar hatte Nick einen sechsten Sinn für 'Verrat'. Anya verschränkte die Arme und wandte sich von ihm ab. Derweil traten ihre Freunde aus dem Geräteschuppen heraus, allen voran Zanthe. „Lange Zeit nicht gesehen, Bohnenstange! Wieso haben wir dich nicht bemerkt?“ „Hallo Nick“, war Matt da deutlich kühler und Valerie schwieg gleich mit düsterem Gesichtsausdruck. Dagegen war Claire Rosenburg fast noch friedlich, wäre sie nicht gewohnt ausdruckslos. Einzig Abby stach durch ein Lächeln hervor. „Wie schön, dich zu sehen!“ Aber anstatt sie zu beachten, wie sie auf ihn zu treten und umarmen wollte, wich Nick zurück und die Brillenträgerin blieb betroffen vor ihm stehen.   „Von mir aus, dann hört eben mit“, zeigte Nick sich unzufrieden. Anya drehte sich wieder zu ihrem ältesten Freund um. „Anya, der Sammler ist an mich herangetreten, um die Aufgabe zu erfüllen, die er dir gegeben hat.“ „Der kann mich mal!“, fauchte das Mädchen sofort. „Ich mache da nicht mehr mit und das weiß er auch!“ „Er hat mir von eurem Gespräch erzählt“, entgegnete Nick kühl. Matt fragte argwöhnisch: „Und da wollte er dich zwingen, Anya zu überzeugen?“ „Nein. Es ist alles geklärt.“ „Was ist geklärt?“, verlangte Anya zu wissen. „Mach dir keine Gedanken. Ich werde dafür sorgen, dass du deine gestohlene Zeit zurückbekommst.“ Aber das war für Anya keine zufriedenstellende Antwort. „Was soll das heißen!?“ Derweil verfinsterte sich Matts Gesichtsausdruck immer mehr. „Es heißt, dass Nick jetzt für den Sammler arbeitet.“ „Was!?“, schoss es da aus Valerie heraus. „Stimmt das!?“ „Fakt ist, dass euer Einmischen Anya in eine sehr gefährliche Lage gebracht hat. Vielleicht solltet ihr in Zukunft nicht mehr interferieren.“ Nick funkelte Matt und Valerie aus den Augenwinkeln eiskalt an. Abby indes zeigte sich äußerst geschockt. „N-Nick, du kannst doch nicht-!“ „Anders als ihr nehme ich die Sache ernst genug, um zu wissen, dass es keinen 'Ausweg' gibt!“, polterte der plötzlich los. „Die Undying werden Anya nicht retten können!“ Der junge Mann beugte sich nach vorne und wurde von Abby wieder weggedrückt. Dabei schrie er die anderen, perplexen Anwesenden an. „Ihr habt keine Ahnung was ihr anrichtet, wenn ihr so weitermacht!“ Während Anya das Ganze schweigend aufnahm, konterte Matt nicht minder aufgebracht: „Ach ja!? Was hast du denn die letzte Zeit über gemacht!? Wir haben es wenigstens versucht!“ „Und hättet beinahe Anyas Untergang herbeigeführt!“ Nick wandte sich an das Mädchen. „Du weißt, was die mit dir und deinem Körper anstellen werden!“ Zanthe wurde hellhörig. „Woher-!?“ Aber Anya würgte ihn sofort mit einem Handschwenk ab. „Harper, arbeitest du wirklich für den Sammler?“ Er gab ihr keine Antwort. Stattdessen bäumte er sich provokativ auf, woraufhin Abby sich ihm sofort entgegen stellte. „Was hast du vor? Nick!?“ Plötzlich wurde die Blonde von Valerie, Zanthe und Matt umringt. Erstere sagte: „Das kann nicht dein Ernst sein. Nach allem, was er uns angetan hat …“ „Das ist wirklich keine gute Idee“, meinte auch der Werwolf, „unser Lieblingsginger wird dich über's Ohr hauen, darauf kannste Gift nehmen.“ „Und das, obwohl wir versuchen, von dem wegzukommen“, zischte Matt verächtlich, „wann hat der Sammler jemals etwas ohne Hintergedanken getan?“ Nick lachte auf, während er sich provokativ gegen Abby stemmte, die versuchte ihn wegzuschieben. „Ach was? Aber wenn es euch so stört, dann haltet mich doch auf!“ Valerie drehte sich zu Anya um. „Anya?“   Die nickte stumm. Und zum ersten Mal zeigte der hagere, junge Mann mit dem zerzausten, brünetten Haar eine andere Emotion als Wut. Mit einer Nuance Fassungslosigkeit fragte er: „Ist das dein Ernst? Du traust deren Urteilsvermögen mehr als meinem?“ Anstatt ihm zu antworten, löste sich Anya von der Gruppe, schritt zurück zum Ende des Basketballfeld und lehnte sich an den Maschendrahtzaun. Nick lachte mit einer gewissen Zufriedenheit auf. „Verstehe. Du willst sehen, ob ich es ernst meine. Also gut.“ Aus dem Nichts erschien an seinem Arm eine pechschwarze Duel Disk im Battle City-Stil. „Erst teleportierst du dich, jetzt das hier?“ Matt aktivierte das neue, schwarze D-Pad an seinem Arm, das er zusammen mit Valerie vor ein paar Tagen gekauft hatte. „Du hast dir wohl zum Ziel gesetzt, selbst ein Dämon zu werden, was?“ Derweil bat Zanthe Abby und Claire, sich zu Anya zu begeben, was bei Ersterer für mächtigen Protest sorgte. „I-ich verstehe das nicht. Was wird das hier!? Nick!“ Aber der ignorierte die Sirene eiskalt. „Komm her, Masters. Das ist 'ne Sache zwischen denen“, forderte Anya streng. Natürlich konnte die Reinkarnation von Mutter Theresa das nicht so einfach hinnehmen. „Anya! Sag nicht, du findest das in Ordnung!? Ich lasse nicht zu, dass sich hier irgendjemand-“ Zanthe legte der Brünetten sanft die Hand auf die Schulter. „Keine Sorge, niemandem wird etwas passieren. Deswegen duellieren wir uns ja.“ Noch immer nicht vollständig überzeugt, schüttelte Abby den Kopf, sah noch einmal Nick an, der immerhin ausdruckslos zurück starrte und trottete mit Claire im Schlepptau herüber zum Zaun.   Zanthe drückte einen Knopf an dem Armreif an seinem linken Arm, welcher sich sofort um seine Hand zu einem Duell-Handschuh schloss. „Du hast übrigens ein sehr schlechtes Timing, Nick.“ Seine unterschwellige Drohung ignorierte der große, junge Mann schlichtweg. Zu dritt stellten sich Anyas Freunde ihm gegenüber, mit Matt ganz links, Zanthe in der Mitte und neben diesem Valerie. Hinter den beiden Parteien befanden sich die Tribünen. „Du bist zu weit gegangen“, klagte die Schwarzhaarige, die als letzte ihre blaue Duel Disk aktivierte. „Wir sind genauso Anyas Freunde wie du!“ „Der Unterschied ist nur, dass ihr nichts zu ihrer Rettung beitragt. Im Gegenteil.“ Sein Blick verfinsterte sich noch mehr als ohnehin schon möglich. „Eure Unfähigkeit gefährdet sie noch. Der kopflose Angriff auf den Sammler ist das beste Beispiel. Sie auch nur eine Sekunde länger in eurer Nähe zu lassen ist unverantwortlich.“ Daraufhin erwiderte Zanthe: „Sie ist alt genug um selbst zu entscheiden, was das Beste für sie ist. Nun sag doch auch mal was, Anya!“ Als der Werwolf sich aber zu ihr umdrehte, verschränkte Anya nur die Arme und lehnte sich stärker gegen den Maschendrahtzaun. Murmelte: „Das könnte interessant werden. Mal sehen, was Harper wirklich drauf hat.“ Claire neben ihr rührte sich wie immer gar nicht, sondern beobachtete mit starrem Blick das Geschehen. Dagegen war Abby drauf und dran, aus der Haut zu fahren – aber sie konnte im Vergleich zu anderen auch in schwierigen Situationen die Beherrschung wahren. Zanthe, der eine andere Reaktion erwartet hatte, drehte sich schnaufend wieder dem gemeinsamen Widersacher zu. „Leute, unsere Hohlbirne vom Dienst macht ihrem Titel mal wieder alle Ehre und denkt nur an sich und ihren Spaß.“ „Du bist gefährlich, Nick. Du solltest dich von ihr fernhalten, nicht wir“, sprach Matt ruhig, aber bestimmend. Valerie stimmte ihm umgehend zu. „Auch wenn du nur einem Irrtum unterlegen warst, werde ich dir nicht verzeihen, dass du in mein Haus eingebrochen bist und mich angegriffen hast.“   Anya hob eine Augenbraue. Die Geschichte kannte sie noch nicht. Das wurde ja immer interessanter. Und das Problem an der Sache war, dass sie keine Partei ergreifen konnte. Einerseits schien Nick allen dreien richtig ans Bein gepisst zu haben, andererseits war er seit Kindheitstagen ihr Freund. Wohlgemerkt ein lügender, betrügender Freund. Aber einer, der ihr zu Reichtum und Wohlstand mit einem Tastendruck verhelfen konnte. Und der offensichtlich zulange in irgendeinem Zauberkessel geschlafen hatte, wenn er sich jetzt offensichtlich teleportieren konnte. „Verdammte scheiße“, murmelte sie so leise, dass es allenfalls Zanthe hören konnte. Nein, sie wollte erst sehen, was hierbei rauskam, ehe sie irgendetwas zu den gegenseitigen Vorwürfen sagte.   „Wenn ihr nicht freiwillig das Feld räumt, räume ich euch eben hiermit aus dem Weg“, entschied Nick und hob nochmal demonstrativ seine schwarze Duel Disk hoch. Und kurz darauf riefen alle vier: „Duell!“   [Matt: 4000LP Zanthe: 4000LP Valerie: 4000LP //// Nick: 4000LP]   „Da ihr drei ein Team bildet, beginne ich. Und anders als bei normalen Duellen nach den neuen Regeln, kann ich schon im ersten Zug eine Karte ziehen“, sprach Nick unterkühlt und nahm gleich sechs Karten auf einmal auf, die anderen dagegen nur fünf. „Ich aktiviere [Shard Of Greed].“ Er spielte einen permanenten Zauber aus, auf dem ein Bruchstück des sagenhaften grünen Topfs der Gier zu sehen war. „Zug beendet.“   „Keine Monster?“, wunderte sich Matt, der wegen der Regeln als Spieler ganz links als nächster dran war und nicht ziehen durfte. Zanthe fasste sich grübelnd ans Kinn. „Gar nicht so blöd. Da wir ihn eh nicht angreifen können, braucht er sich nicht mit Monstern zu schützen, die wir durch Karteneffekte aus dem Weg räumen würden.“ „Na dann“, zuckte der Dämonenjäger mit den Schultern, „mache ich eben den Auftakt! Und rufe [Evilswarm Castor] und durch dessen Effekt auch [Evilwarm Thunderbird] als Normalbeschwörungen!“ Vor dem jungen Mann materialisierte sich ein Krieger, dessen eine Körperhälfte komplett schwarz, die andere dagegen weiß war. Neben ihm dagegen zeigte sich ein pechschwarzer Vogel mit langen Tentakeln am Kopf.   Evilswarm Castor [ATK/1750 DEF/550 (4)] Evilswarm Thunderbird [ATK/1650 DEF/1050 (4)]   „Die haben jedoch nur einen kurzen Auftritt!“ Matt streckte den Arm nach vorne aus. Plötzlich nickte er und grinste. „Jep. Ich errichte das Overlay Network!“ Ein schwarzes Loch öffnete sich vor ihm und absorbierte seine beiden Monster als violette Lichtstrahlen. „Aus meinen beiden Stufe 4-Schwärmern wird ein Rang 4-Schwärmer!“ Eine mächtige Explosion entstand im Wirbel, gefolgt von einem schrillen Kreischen. „Xyz Summon! Erscheine, Drache des Eises! [Evilswarm Ophion]!“ Was anschließend aus dem Strom empor stieg, konnte nur als majestätisch bezeichnet werden. Ophions Schwingen bestanden fast vollständig aus hellblauem Eis, das im starken Kontrast zum ansonsten dunklen Körper des Drachen stand. Sein langer, klingenbesetzter Schweif peitschte nur Zentimeter von Matt entfernt wütend vor dessen Nase. Die Flügel weit spreizend, positionierte er sich vor Matt. Um ihn kreisten zwei Lichtsphären. Evilswarm Ophion [ATK/2550 DEF/1650 {4} OLU: 2]   „Ich entfernte eine Overlay Unit und erhalte dank seines Effekts eine Infestation-Karte von meinem Deck“, erklärte Matt, als sein Drache erneut einen schrillen Schrei ausstieß und eine der Lichtsphären verschlang, „[Infestation Pandemic]!“   Evilswarm Ophion [ATK/2550 DEF/1650 {4} OLU: 2 → 1]   Jener Schnellzauber schob sich umgehend aus seinem Deck und wurde ins Blatt aufgenommen. Danach mischte Matt jenes durch und setzte eine Karte verdeckt, die zu seinen Füßen erschien. Nick rollte mit den Augen. Als ob er großartig raten müsste, was da lag. „Solange Ophion noch eine Overlay Unit hat, kannst du keine Monster der Stufe 5 oder höher als Spezialbeschwörung beschwören“, sprach der Dämonenjäger selbstbewusst, sah zur Seite, „aber das gilt nicht für Teammitglieder.“ Und zwinkerte prompt Valerie zu, die ihm zuversichtlich zunickte, aber dann wieder eine ernste Miene aufsetzte. „Ich bitte dich. Wann habe ich das je getan?“ Nick schüttelte den Kopf. „Was auch immer. Ich gebe an Zanthe ab.“   Auf den Zuruf des Mannes im schwarzen Ledermantel hin zuckte der Angesprochene mit den Schultern. „Da ist jemand ja ziemlich von sich überzeugt. Wüsst' ich's nicht besser, würde ich glatt sagen, du und Anya wäret verwandt.“ Nick zuckte kaum merklich zusammen. Etwas, das dem Werwolf nicht entging. Er sah über die Schulter zu seiner Freundin, die allerdings keine Miene verzog und das Geschehen verfolgte. Genauso wie Claire. Wenn Zanthe es tatsächlich nicht besser wüsste, würde er eher sagen, dass die beiden blonden Mädels da drüben verwandt waren, wie sie da nebeneinander standen und exakt den gleichen Gesichtsausdruck hatten. Sich wieder Nick zuwendend, stimmte dessen Reaktion den Kopftuchträger nachdenklich. „Also“, murmelte der und nahm zwei Karten aus seinem Blatt, „dann will ich mal mithalten. Ich beschwöre [Constellar Pollux] und dank dessen Effekt ebenso [Consteller Kaus] als Normalbeschwörung! Open a door to the twins! Open a door to the archer!“ Gleich zwei Schlüssel tauchten in Zanthes Hand auf, die er beide nach vorne schmiss. Vor ihm bildeten sich zwei Portale, aus denen die beiden Monster hervor brachen. Dass Zanthes Strategie dabei bekannt vorkam hatte einen guten Grund. So war Pollux die unverdorbene Version von [Evilswarm Castor], und anders als der völlig in weißer Rüstung gekleidet. Dagegen war Kaus ein weißer Zentaurkrieger, der einen mächtigen, goldenen Bogen mit sich führte.   Constellar Pollux [ATK/1700 DEF/600 (4)] Constellar Kaus [ATK/1800 DEF/700 (4)]   „Das kennst du ja bereits. Aber ab hier wähle ich einen anderen Pfad und benutze Kaus' Effekt, um die Stufen meiner beiden Sternenkundler um jeweils eins zu erhöhen!“ Der Zentaur spannte seinen Bogen und schoss zwei Lichtpfeile in die Höhe, die kerzengerade hinab auf die beiden Krieger sausten und in goldenes Licht hüllten.   Constellar Pollux [ATK/1700 DEF/600 (4 → 5)] Constellar Kaus [ATK/1800 DEF/700 (4 → 5)]   Zanthe streckte unmittelbar danach seine Hand aus, in der sich ein großer, goldener Schlüssel manifestierte, den er in den Boden rammte. Dabei rief er: „Open a gate to the Sacred Star Knights! To the Overlay Network! Aus zwei Stufe 5-Lichtern wird ein gleißender Stern! Rang 5!“ Unter ihm entstand ein weiteres Siegel, das sich ausbreitete. „Xyz Summon! [Constellar Pleiades]!“ Wie Glas zersplitterte der Zirkel, aus dem vor Zanthe ein imposanter Krieger aufstieg. Von kräftiger Statur, trug er ein langes Schwert mit sich, das er aber mit der Klinge nach unten zeigend hielt. Auf seinem Rücken war eine Art Platte angebracht, die insgesamt sieben Spitzen aufwies und ein wenig wie ein Stern anmutete. Zwei Lichtsphären kreisten um Pleiades.   Constellar Pleiades [ATK/2500 DEF/1500 {5} OLU: 2]   „Ich werde nicht zulassen, dass du Karten nachziehst!“, rief Zanthe aufgebracht und zog eine der Karten unter Pleiades' hervor. „Im Austausch für eine Overlay Unit schickt mein Kumpel eine Karte zurück vom Feld auf die Hand! Los!“   Constellar Pleiades [ATK/2500 DEF/1500 {5} OLU: 2 → 1]   Der stolze Sternenritter hielt seine Klinge hoch, damit sie eine der Sphären absorbieren konnte. In einer 360°-Drehung schwang Pleiades anschließend sein Schwert und erzeugte eine Schockwelle, die Nicks aufrecht stehenden Zauber mit sich riss. Jener zog ihn aus seiner Duel Disk. „Zwei Karten verdeckt“, kündigte Zanthe noch an und ließ jene Fallen zischend zu seinen Füßen erscheinen. „Du bist, Valerie.“ Die beiden nickten einander zuversichtlich zu.   Abby, die das alles sehr genau beobachtete, musste zugeben: „Ich glaube, zusammen sind sie ein wirklich gutes Team.“ „Jup“, kam es desinteressiert von Anya. „Auch wenn ich immer noch gegen eine Verbindung zwischen Matt und Valerie bin.“ „Jup.“ „Dieser Streit ist auch so furchtbar sinnlos. Können wir uns nicht alle einfach vertragen?“ „Nope.“ Empört rückte die Brünette ihre Brille zurecht. „Anya, wie immer kommt von dir rein gar nichts Konstruktives.“ Als höre sie gar nicht zu, sagte die bloß: „Nope.“ Das Einzige, was sie interessierte, war Nick. Was war mit ihm geschehen? Und wie stark war er inzwischen geworden?   Mit konzentriertem Gesichtsausdruck betrachtete Valerie ihr Blatt. Dann nahm sie eine Zauberkarte und zeigte sie vor. „Ich werde ebenso nicht zulassen, dass du dein Blatt mit Zauberkarten wie [Shard Of Greed] aufstockst!“ Im Kampf gegen drei Duellanten war jede Ressource essentiell, wusste die Schwarzhaarige. Umso wichtiger war es, Nick daran zu hindern, Nachschub zu bekommen. „[D. D. Designator]! Sie verbannt eine Karte von deiner Hand, wenn ich jene genau benennen kann. Was ich gerade getan habe.“ Aus der aufrecht vor ihr stehenden Karte schoss ein weiß leuchtendes Schwert, das der darauf abgebildeten Kriegerin gehörte. Prompt wurde die Karte links außen in Nicks Blatt durchbohrt und von ihm in die Hosentasche gesteckt. Dabei sah er nicht besonders beeindruckt aus und zeigte sein Restblatt vor, das aus den Monstern [Wind-Up Knight], [Wind-Up Magician] sowie den Zaubern [Inferno Reckless Summon], [Oni-Gami Combo] und [Zenmailfunction] bestand. Kein Grund für Valerie allerdings, sich eingeschüchtert zu fühlen. „Ich nutze den Effekt von [Gishki Shadow] in meiner Hand und werfe ihn ab, um [Gishki Aquamirror] zu bekommen.“ Sie schob das Monster in ihren Friedhofsschacht, woraufhin ihr Ritualzauber aus dem Deck ausgeworfen wurde. „Und den aktiviere ich gleich, mit [Gishki Vision] als volles Opfer für das Ritual!“ Wasser begann vor ihr aus dem Boden zu sickern, dann zu wabern, bis es einen Kreis vor dem Mädchen schloss. Dessen Mitte entstieg ein golden umrahmter Spiegel, in dem eine aufrecht stehende Amphibie in düsterer Robe reflektiert wurde. „Erscheine aus endlosen Kristallkaskaden!“, rief Valerie selbstbewusst und ließ mit einem Fingerschnippen um den Wasserkreis herum ein Dutzend Fontänen entstehen. Dabei tauchte langsam ein riesiger Schatten in des Zirkels Mitte auf. „Ritual Summon! [Evigishki Soul Ogre]!“ Die Fontänen verebbten und ließen eine aufrecht stehende Mischung aus Amphibie und Dinosaurier zurück. Deren dunkelblaue, schuppige Haut und der feine Kamm aus Schwimmhäuten, der sich von seinem Haupt hin zu seiner massiven Schwanzflosse erstreckte, schimmerten förmlich. Das über drei Meter große Ungetüm kniete vor dem Mädchen nieder.   Evigishki Soul Ogre [ATK/2800 DEF/2800 (8)]   Mit einer verbliebenen Handkarte sprach Valerie: „Damit ist es jetzt an dir, uns in unsere Schranken zu weisen, Nick!“   „Mit Vergnügen.“ Nachdem dieser auf eine sechste Karte aufgezogen hatte, lächelte er herablassend. „Ihr macht es mir wirklich einfach. Ob ihr nun eure stärksten Monster ausspielt oder eure schwächsten, es ist völlig bedeutungslos.“ Er nahm eine andere Karte aus seinem Blatt und zeigte sie den Dreien mit dem Rücken voran, wodurch jene untereinander fragende, nervöse Blicke austauschten. „Umso besser für mich, je schneller das hier vorbei ist“, stichelte Nick arrogant weiter und drehte langsam die Karte in seiner Hand um. Es war ein Zauber. „[Dark Hole].“ Sofort klingelten bei Valerie alle Alarmglocken. Der war doch gar nicht unter denen gewesen, die sie eben gesehen hatte! Ein kleiner Spalt öffnete sich vor Nick, der rasend schnell immer größer wurde und einen starken Sog erzeugte – ein richtiges, schwarzes Loch, nicht eines wie das des Overlay Networks. Die Monster von Anyas Freunden begannen sich zu verzerren, wie sie nach und nach hineingezogen wurden. „[Dark Hole] zerstört alle Monster auf dem Feld“, erklärte Claire die Lage mechanisch. „Dich hat keiner gefragt“, zischte Anya grimmig zurück. Und die Chefsirene klagte: „Sei nicht so gemein zu ihr, Anya!“ „Hmpf!“ Indes sah Zanthe zu Valerie herüber und nickte ihr, oder besser gesagt ihrem [Evigishki Soul Ogre] zu, doch das Mädchen reagierte mit einem Kopfschütteln. Daraufhin nickte Zanthe erneut und wandte sich dem gemeinsamen Widersacher zu. „Ich rette [Constellar Pleiades], indem ich seinen Effekt gegen ihn selbst richte!“ Jener absorbierte mit seiner Klinge die letzte Lichtkugel und rammte sich das Schwert durch die Brust. Keinen Moment später weitete sich das schwarze Loch so weit aus, dass niemand mehr etwas sehen konnte. Nick grinste kaum merklich. Als der Effekt seines Zaubers nachließ, waren von [Evigishki Soul Ogre] und [Constellar Pleiades] nichts mehr zu sehen. Doch Matts [Evilswarm Ophion] befand sich wider Erwarten weiterhin auf dem Feld. „Tja“, feixte der, „[Infestation Pandemic] ist ein Schnellzauber, der meine Schwärmer für einen Zug vor Zauber- und Falleneffekten feit. Dadurch konnte selbst dein [Dark Hole] ihn nicht vernichten.“ „Ich weiß“, erwiderte Nick, „das ist alles mit einkalkuliert.“ Woraufhin der Dämonenjäger erstaunt Luft ausstieß. „Um genau zu sein“, sprach der große, junge Mann weiter, „ist es sogar essentiell. Ich beschwöre [Wind-Up Magician] als Normalbeschwörung. Danach kann ich [Wind-Up Shark] als Spezialbeschwörung rufen, weil ich ein Wind-Up-Monster normalbeschworen habe.“ Wie schon bei Matt und Zanthe tauchten gleich zwei Monster vor ihm auf. Ein violetter Spielzeugmagier mit Zauberstab in den Zangenhänden und ein blauer Aufziehhai.   Wind-Up Magician [ATK/600 DEF/1800 (4)] Wind-Up Shark [ATK/1500 DEF/1300 (4)]   „Nun, da ein Monster mit maximal 1500 Angriffspunkten als Spezialbeschwörung mein Feld betreten hat, kann ich den Schnellzauber [Inferno Reckless Summon] dazu nutzen, zwei weitere Kopien aus meinem Deck zu rufen.“ Nick legte den Zauber in seine Duel Disk ein. Daraufhin schoben sich zwei durchsichtige Kopien links und rechts aus dem Hai und gewannen feste Form. „Da das nur geht, wenn wenigstens einer von euch ein Monster kontrolliert, verweise ich auf meine Aussage von eben. Bedauerlicherweise kannst du, Matt, den Nebeneffekt, auch eines deiner Monster zu verdreifachen, nicht nutzen. Denn die Kopien müssen sich in deinem regulären Deck aufhalten, wohingegen [Evilswarm Ophion] im Extradeck beheimatet ist.“ Matt kratzte sich irritiert am Kopf beim Anblick der drei Spielzeughaie.   Wind-Up Shark x3 [ATK/1500 DEF/1300 (4)]   „Und eines sollten wir dabei auch nicht vergessen. Die Beschwörung des ersten [Wind-Up Sharks] war eine Effektaktivierung, die es [Wind-Up Magician] ermöglicht, einmalig ein weiteres Spielzeug aus meinem Deck in die Verteidigungsposition zu rufen.“ Nick hielt nur die Hand über sein Deck und ließ eine Karte daraus hervorschießen, die er aufnahm und auf seine Duel Disk legte. „[Wind-Up Dog].“ Und schon materialisierte sich vor ihm ein Sitz machender, blau-weißer Spielzeughund.   Wind-Up Dog [ATK/1200 DEF/900 (3)]   So war es Nick in wenigen Schritten gelungen, sein gesamtes Feld mit Monstern zu füllen. „Das ist … nicht gut“, stammelte der Dämonenjäger und sah Valerie besorgt an, die völlig ungeschützt war. Denn Zanthe blieben wenigstens dessen zwei verdeckten Karten und ihm sein Ophion, der – und darauf lag die Betonung – noch das stärkste Monster auf dem Feld war. Valerie ihrerseits war immer noch mit dem beschäftigt, was sie glaubte gesehen zu haben. Da war kein [Dark Hole] in seinem Blatt gewesen! Aber er hatte es nicht als die Karte ausgespielt, die er nachgezogen hatte. Also wie …? Nick bemerkte ihre Irritation und grinste sie finster an. „Probleme?“ „Du-!“ „Valerie, wieso hast du dein Monster beschworen, wenn du wusstest, dass er es in seinem nächsten Zug zerstören würde?“, fragte Matt plötzlich verständnislos. „W-was?“ Zanthe seufzte. „Ist ja toll, dass du erwartet hast, dass wir das verhindern können, aber das Risiko wäre -ich- nicht eingegangen.“ Das Mädchen verstand die Welt nicht mehr. „A-aber ich-!“ „Was denn?“, fragte Nick herausfordernd. „Hast du dich etwa täuschen lassen?“ Ihr klappte die Kinnlade hinunter, wie er sie abfällig betrachtete. Zähneknirschend ballte sie eine Faust. „Anscheinend …“ „Egal“, beendete Nick die Diskussion resolut. „Wie ihr unschwer erkennen werdet, war das nur der Anfang. Ich benutze den Effekt eines meiner [Wind-Up Sharks], um seine Stufe zu korrigieren – um eins nach unten. Und errichte das Overlay Network, um die beiden Stufe 3-Monster zu einem Rang 3-Monster zu machen!“ Während der Hai als blauer Lichtstrahl in den sich vor Nick öffnenden Galaxienwirbel eintauchte, tat sein Hund dies als hellbrauner. Parallel zur daraus entstehenden Lichtexplosion rief Nick: „Xyz Summon! Erhebe dich, [Wind-Up Carrier Zenmaity]!“ Und so geschah es auch – ein verdammt großes, blau lackiertes Spielzeugschiff, ein Flugzeugträger, entstieg dem Overlay Network. Zwei Lichtkugeln umrundeten es wie kleine Monde.   Wind-Up Carrier Zenmaity [ATK/1500 DEF/1500 {3} OLU: 2]   Statt zu verschwinden, weitete sich der Strom ein wenig aus. Nick rief: „Als Nächstes mache ich aus dem Stufe 4-Magier und dem Stufe 4-Hai ein Rang 4-Monster!“ Besagter, violetter Hexer und der zweite Hai tauchten als rote beziehungsweise blaue Lichter in den Sog ein. Eine weitere Explosion folgte. „Xyz Summon! [Wind-Up Zenmaister]!“ Mit einem Satz landete neben dem Spielzeugschiff ein Roboter mit ausfahrbaren Armen.   Wind-Up Zenmaister [ATK/1900 → 2500 DEF/1500 {4} OLU: 2]   Anya wusste, dass Zenmaister für jedes Xyz-Material, das er besaß, 300 Angriffspunkte erhielt. Ein schmales, antizipierendes Lächeln zierte ihre Lippen. Ihr Sandkastenfreund war längst noch nicht durch. „Jetzt der Effekt von [Wind-Up Carrier Zenmaity]. Im Austausch gegen eine Overlay Unit beschwört er ein Spielzeug von meinem Deck! Los, [Wind-Up Rat]!“ Eine der Lichtkugeln verschwand im Schiff, welches von seinem Bug einen blauen Torpedo abfeuerte. Dieser wurde mitten in der Luft zu einer kleinen, blauen Ratte, die in der Mitte des Spielfelds landete und zu Nick zurückkehrte. Dabei begann sich der goldene Schlüssel auf ihrem Rücken immer schneller zu drehen. „Indem ich sie vom Angriffsmodus durch ihren Effekt in die Verteidigung wechsle, kann [Wind-Up Rat] ein Spielzeug von meinem Friedhof im Verteidigungsmodus rufen“, rief Nick autoritär mit ausgestreckter Hand. „[Wind-Up Dog]!“ Die blaue Ratte zog einen großen Kreis unterhalb des Schiffs, wo aus dem Boden der kleine Spielzeughund empor stieg. Jener begann wild zu bellen.   Wind-Up Rat [ATK/600 DEF/600 (3)] Wind-Up Dog [ATK/1200 → 1800 DEF/900 (3 → 5)]   Matt stand regelrecht der Schweiß auf der Stirn, Zanthe stierte Nick böse an und Valerie sah betreten weg. „Was ihr hier beobachten könnt, ist bereits der Effekt von [Wind-Up Dog] aktiviert, der seine Stufe um zwei und den Angriffswert temporär um 600 erhöht.“ Nick schnippte mit dem Finger. „Ich nutze den Effekt meines dritten [Wind-Up Sharks] und passe seine Stufe an, diesmal um eins nach oben. Nun wird aus meinen beiden Stufe 5-Monstern ein Rang 5-Monster!“ Das Dreiergespann keuchte erschrocken, als sich zum nunmehr dritten Mal das Overlay Network öffnete und den Hund als hellbraunen sowie den Hai als blauen Lichtstrahl absorbierte. „Xyz Summon! [Wind-Up Arsenal Zenmaioh], zeig' dich!“ Sofort wurde das Schwarze Loch in einer Explosion auseinandergerissen. Ein noch größerer Roboter als Zenmaister, Nicks rot lackiertes Assmonster, betrat das Spielfeld. Einer seiner Arme hing lose, von einer unsichtbaren Kraft gehalten, abseits des Körpers in der Luft, bestückt mit einem Bohrer. Auch Zenmaioh wurde von zwei Lichtsphären umkreist.   Wind-Up Arsenal Zenmaioh [ATK/2600 DEF/1900 {5} OLU: 2]   „Effekt von Zenmaioh! Im Austausch gegen eine Overlay Unit zerstört er zwei verdeckte Karten“, rief Nick aus. Sein Robokrieger schnellte auf Zanthe zu, welcher entsetzt keuchte. Kaum war er angekommen, hämmerte er seinen Bohrerarm in die beiden Fallen, welche [Draining Shield] und [Constellar Meteor] waren und zerfetzte sie.   Wind-Up Arsenal Zenmaioh [ATK/2600 DEF/1900 {5} OLU: 2 → 1]   „So ein Mist“, fluchte der Werwolf mit dem roten Kopftuch leise. „Ich bin noch nicht fertig! Zauberkarte [Zenmailfunction]! Sie reanimiert [Wind-Up Dog] in Verteidigungsposition“, erklärte Nick, „und zusammen mit [Wind-Up Rat] errichten sie zum letzten Mal das Overlay Network!“ Kaum erst war der blaue Spielzeughund aus einem Loch im Boden aufgetaucht, verwandelten er und die kleine Spielzeugratte sich in braune Lichtstrahlen, die von einem sich abermals öffnenden, schwarzen Loch absorbiert worden. „Xyz Summon! Rank 3, [Wind-Up Zenmaines]!“ Eine grelle Lichtsäule schoss aus dem Wirbel und brachte einen Kampfbomber mit sich, der eine ungefähr dreieckige Form hatte und aufrecht flog. Zwei Zangenhände flogen losgelöst vor ihm.   Wind-Up Zenmaines [ATK/1500 DEF/2100 {3} OLU: 2]   Matt fasste sich an die Stirn. „Oh Junge. Viermal hintereinander …“ „Das wird nicht gut ausgehen“, prophezeite Zanthe, „zumindest nicht für mich.“ „Für keinen von euch“, prophezeite Nick düster und legte seine letzte Handkarte in die Duel Disk ein. „Ich aktiviere [Oni-Gami Combo]. Das davon betroffene Xyz-Monster verliert all seine Overlay Units, kann aber dafür in diesem Zug zwei Angriffe durchführen.“ „Oh nein!“, keuchte Valerie erschrocken, als sich die Lichtkugel um Zenmaioh auflöste.   Wind-Up Arsenal Zenmaioh [ATK/2600 DEF/1900 {5} OLU: 1 → 0]   „Zuerst du“, kündigte Nick düster an und zeigte dabei auf Matt. „Los Zenmaioh, vernichte sein Monster und setze einen direkten Angriff nach! Wind-Up Power Punch!“ Der in der Zwischenzeit zu ihm zurückgekehrte Roboter schoss erneut auf sein Ziel zu. Zwar versuchte sich Matts [Evilswarm Ophion] mit einem pechschwarzen Odem an einem Gegenangriff, dem jedoch mühelos ausgewichen wurde. Kaum bei dem düsteren Drachen angelangt, schmetterte Zenmaioh seinen Bohrer in dessen Brust und zerriss ihn förmlich. Und als er damit fertig war, flog er herüber zu Matt und verpasste ihm mit seiner normalen Faust einen mächtigen Hieb in den Magen. „Ah!“, stieß Zanthe erschrocken hervor. Valerie kreischte: „Matt!“ Jener wurde von der Wucht des Angriffs in die Höhe gehievt und flog wie ein nasser Sack durch die Luft. Nur mit Mühe konnte er sich einigermaßen fangen und landete im Anschluss in kniender Haltung, kippte über und übergab sich.   [Matt: 4000LP → 1350LP Zanthe: 4000LP Valerie: 4000LP //// Nick: 4000LP]   Sofort eilte Valerie zu ihm und packte ihn an den Schultern. „Matt!“ „Dieser Schlag“, keuchte der atemlos, „das war kein normaler. Nicht, als wären nur die Sicherheitsoptionen deaktiviert. Als ob ein Immaterieller …“ Die Schwarzhaarige blickte entgeistert auf. „Du bist verrückt!“ „Denkt ihr“, sprach Nick eisig und deutete dabei auf Zanthe, „dass eine Macht wie diese ausreichend wäre? Zenmaister, Angriff auf diesen da. Wind-Up Armored Fist!“ Der andere Roboter ließ seine Faust an einer langen Sprungfeder Richtung Zanthe ausfahren und das mit einer Geschwindigkeit, die es nicht erlaubte, ausweichen zu wollen. Stattdessen hielt der Werwolf seine Arme über Kreuz und blockte den Treffer ab, aber nicht, ohne einen halben Meter weggeschoben zu werden. „Uff!“   [Matt: 1350LP Zanthe: 4000LP → 1500LP Valerie: 4000LP //// Nick: 4000LP]   „Dein Glück, dass ich so robust bin“, knurrte der Werwolf böse. „Niemand von uns kann sich -ihm- widersetzen“, führe Nick aber seine Ansprache fort, „ihr am allerwenigsten. Zenmaines, Zenmaity, nehmt euch ihre verbliebenen Lebenspunkte vor.“ Vom Rande des Felds schrie Abby aufgelöst: „Nick, tu das nicht! Bitte!“ Aber es war bereits zu spät. Der Schiffsträger feuerte mehrere Torpedos in Matts Richtung. Zeitgleich flog der Bomber über Zanthe hinweg und ließ mehrere Raketen auf ihnen fallen, wodurch die beiden letztlich in einen Hagel aus Explosionen eindeckt wurden. „Nein!“, platzte es aus Abby verzweifelt heraus. „Nick, was tust du da!? Sie sind doch-!“   [Matt: 1350LP → 0LP Zanthe: 1500LP → 0LP Valerie: 4000LP //// Nick: 4000LP]   Nick beendete den Satz für sie. „Nur im Weg.“ Der Rauch verzog sich. Matt lag auf dem Rücken, Zanthe auf dem Bauch. Die Einzige, die noch auf den Beinen war, war Valerie. Und sie zitterte am ganzen Leib. „Wenn du möchtest, kannst du auch gerne aufgeben“, bot Nick ihr emotionslos an, „andernfalls vernichte ich dich wie diese beiden da.“ Tränen standen in Abbys Augen, doch als sie dazwischen gehen wollte, packte Anya sie am Handgelenk. „Misch dich nicht ein.“ „Anya!“, polterte Abby. „Siehst du nicht, was er da macht!?“ „Die sind hart im Nehmen“, stellte die Blonde nicht weniger mechanisch wie Nick klar, „lass sie das bis zum Ende austragen.“ Sie konnte gar nicht so schnell gucken, wie sie sich von Abby eine fing. „Bist du wirklich so gefühlskalt!? Ist dir das Wohl deiner Freunde egal!?“ „Masters“, murmelte Anya, ließ sie los und rieb sich die Wange, „im Gegenteil. Deswegen lasse ich sie kämpfen.“ „Ich verstehe dich nicht!“ Sie wirbelte herum zu Nick. „Und dich noch viel weniger!“ Nick begann auf einmal zu lachen. Erst leise, dann immer lauter.   ~-~-~   Einige Tage zuvor …   „Was zur Hölle denkt der sich?“ Nick in derartiges Erstaunen zu versetzen war schwierig, doch nichts, das Henry Ford nicht mindestens einmal am Tag zu vollbringen vermochte. Während der Spross des Ford-Imperiums mal wieder mit Abwesenheit glänzte, saß Nick mitten in der Nacht vor seinem Laptop in seinem Büro. Und durfte sich einmal mehr davon vergewissern, warum Benjamin, so Henrys erster Vorname, bisher nie auf viel Gegenliebe stieß, was seine Ideen anging. „Wenn dein Vater sieht, wie teuer -das- wird … wow!“ Nick fuhr sich über das Kinn. „Bewundernswert. Beängstigend, aber auch bewundernswert. Damit rechnet wohl niemand.“ Eigentlich wollte er gar nicht mehr hier sein, schließlich wartete ein gewisser, verräterischer Immaterieller darauf, mit ihm eine kleine 'Reise' zu unternehmen. Aber er konnte nicht gehen, ohne zumindest noch ein paar Vorbereitungen zu treffen und für seine Abwesenheit innerhalb der Firma vorzusorgen. Nicht, dass Aiden noch auf dumme Gedanken kam.   Obschon von draußen bereits das Mondlicht in sein Büro drang, hatte Nick das Licht in seinem karg eingerichteten Büro noch nicht angeschaltet. Er liebte es, im Dunkeln zu arbeiten. Und er liebte Glasoptik, wie sich anhand seines gläsernen Tisches zeigte. Weiß dagegen war nicht seine Farbe, die Wände hätte er irgendwann noch einmal streichen lassen. Aber er ging nicht davon aus, dass er noch einmal hierher zurückkehren würde. Hier zu arbeiten hieß für Aiden Reed zu arbeiten, dem CEO von Micron Electronics, einem Hersteller für Microchips und anderen elektronischen Komponenten. Und wenn sich Nick vor Augen hielt, wie er zu seinem Job als Berater von MEs Geschäftspartner, welcher niemand Geringeres als Henry, ergo die AFC, war, wurde ihm selbst heute noch speiübel. Mit Henry würde er umgehen können, der war nur ein stures Kind, versessen darauf, seinem Vater seine Unabhängigkeit zu beweisen, indem er zusammen mit ME heimlich ein Konkurrenzprodukt zu Duel Monsters schaffte. Aber Aiden … sein ehemaliger Verlobter, der Mensch, der ihn durch Erpressung in diese Lage gebracht hatte. Nein, mit Aiden wurde er nicht so einfach fertig. Das hatte jener zuletzt bewiesen, als er einen Cyberangriff auf Mr. Bauer, Anyas – und Nicks – Vater verhindert hatte, den Nick eigentlich Aiden in die Schuhe schieben wollte. Und nun wusste Mr. Bauer vermutlich von 'Monochrome'. Nick hatte sich geschworen, Aiden dafür zu vernichten. Jedoch war dies nicht so einfach, denn in dem einen Monat, den er jetzt hier arbeitete, war ihm kein adäquater Akt der Vergeltung in den Sinn gekommen. Und was normalen Menschen lächerlich kurz erschien, war für Nicks Verhältnisse eine halbe, zermürbende Ewigkeit. Umso mehr aufgrund der Tatsache, dass Nick die leise Befürchtung hegte, nicht ganz hinter seinen eigenen Rachegelüsten zu stehen. Er liebte Aiden nicht mehr, aber er verdankte ihm das Leben, das er jetzt führen konnte. Der Bruch zwischen ihnen beiden … Und nicht zuletzt gab es dringendere Angelegenheiten, die seiner Aufmerksamkeit bedurften. Es ist noch keine Woche her, da war in Ephemeria City ein Flugzeug abgestürzt. Anyas Flugzeug! Er wusste, dass es ihr gut ging, aber für wie lange noch? Wenn er ihre Feinde nicht bald aus dem Weg räumte, könnte der nächste Anschlag gelingen. Zumal nicht einmal er wusste, wer dafür verantwortlich war. Nein, er konnte seine Zeit nicht länger hier verschwenden. Aiden würde ohne ihn auskommen müssen, ob er nun wollte oder nicht.   Während Nick gedankenverloren auf den Bildschirm starrte, bemerkte er nicht, wie sich hinter ihm schwarze Schatten erhoben. Umeinander wirbelten und ein Portal bildeten, aus dem eine einzelne Person trat. „Guten Abend, Nick Harper.“ Mit einem gedämpften Aufschrei drehte Nick seinen Stuhl um 180 Grad. Seine Augen weiteten sich bei dem Anblick, der sich ihm bot. Ein feiner, schwarzer Designeranzug. Dunkelrotes, zu einem Mittelscheitel gegeltes Haar. Eine Narbe auf der Wange. Und ein schmieriges Lächeln auf den Lippen. „Der Teufel kommt, um meine Seele zu holen“, brachte Nick trotz seiner inneren Schockstarre noch einigermaßen fest hervor. Der Sammler lächelte falsch. „Nicht heute, mein Lieber.“ „Du streitest es nicht einmal ab“, stellte Nick fest und erntete ein weiteres, gekünsteltes Lächeln, während er sich vorsichtig von seinem Stuhl erhob, „muss ich jetzt beeindruckt sein oder Angst haben?“ „Ein bisschen von beidem.“ „Was willst du?“, fragte Nick scharf, ließ seine sarkastische Maske sinken. „Zu Ende bringen, was deine … was auch immer sie auch sein mag, nicht geschafft hat?“ Der Sammler verzog keine Mimik, stand ihm ruhig gegenüber. „Zweifelsohne sprichst du von Valerie Redfield.“ „Du warst es also tatsächlich …“ Nick fasste sich ans Kinn, gab ein entrüstetes Stöhnen von sich und blickte zur Seite. Auch wenn er längst zu der Erkenntnis gekommen war, wer ihn vor einiger Zeit in der alten Lagerhalle in eine Falle gelockt hatte, war die Bestätigung derer doch ein ungewöhnlich harter Schlag. „Was immer du daraus schließen magst, es ist falsch.“ Der Sammler wandte sich leicht von ihm ab und umrundete den Schreibtisch. „Meine Valerie hat dich nicht angegriffen, weil ich dich töten wollte.“   Nick sah ihm fassungslos hinterher, wie er auf die Fensterfront zu schritt, die sich direkt gegenüber seinem Schreibtisch befand. „'Deine' Valerie!?“ Als hätte er die Frage gar nicht gehört, fuhr der Sammler fort. „Du missverstehst mich, Nick. Ich würde nie meinen besten Mann ausschalten.“ Er drehte sich vor dem Fenster zu jenem um. Lächelnd fügte er hinzu: „Ohne dich wäre -sie- verloren.“ Nick tat es dem Sammler nun gleich und ging langsam um seinen Schreibtisch herum. „Was war das!? Was hat mich da angegriffen und wieso!?“ „Sagen wir, ich wollte etwas testen.“ „Mich!?“ Der Sammler gab ein amüsiertes Kichern von sich. „Sei bitte nicht albern. Euch habe ich lange genug getestet. Nein. Es reicht, wenn du weißt, dass es nicht meine Absicht war, dir zu schaden.“ Mit bedachten Schritten näherte sich Nick seinem Gegenüber. „Tut es das jemals, wenn du Antworten schuldest?“ „Ich schulde niemandem etwas, Nick Harper“, kam die eisige Retour. „Warum bist du hier?“, stellte der erneut seine Ausgangsfrage, wenn diesmal auch in gedämpften Tonfall. „Ich fürchte, wir haben ein kleines Problem. Deine Schwester ist unkooperativ. Sie möchte nicht mehr mit mir zusammenarbeiten. Mehr noch, haben ihre kleinen Freunde doch tatsächlich versucht, mich zu töten“, erwiderte der Sammler geschäftsmännisch, „stell dir meine Überraschung vor. Als ich Anya daraufhin konfrontiert habe, hat sie mir sogar gedroht.“ Nick kam ihm so nahe, dass seine Nase beinahe gegen die Stirn des Rothaarigen stieß. Dieses Monster wusste also um seine wahre Herkunft. „Wer wollte dich umbringen?“ „Valerie Redfield und Matthew Summers. Schade, ich dachte, gerade diese beiden wären die Vernunft innerhalb eurer kleinen Spielgruppe.“ Der Sammler lächelte diesmal nicht. „Sie haben mir tatsächlich einen kleinen Kratzer zugefügt.“   Was!? Redfield und Summers haben versucht, den Sammler umzubringen!? Sind die wahnsinnig geworden, dachte Nick aufgeregt. Es war -seine- Aufgabe, sich darum zu kümmern, sobald erst alle Vorbereitungen getroffen waren. Wie konnten diese Idioten so gedankenlos interferieren und dabei noch Anya in Gefahr bringen!? Um seine innere Fassungslosigkeit zu überspielen, murmelte er: „Ach ja? Nanu … was ist das?“ Theatralisch fasste sich Nick an die Brust. Er konnte sich ein schelmisches Grinsen nicht verkneifen. „Mein Herz!“ Er zog seinen Kopf zurück, legte die zweite Hand auf den Bauch. „Und mein Bauchgefühl. Warum fühlt es sich so gut an, wenn du es so sagst wie du es tust?“ Auch der Sammler lächelte wieder, rührte sich nicht, ja blinzelte nicht einmal. „Du bist schon immer ein talentierter Spaßvogel gewesen, ob zur Tarnung, oder zum Überspielen deiner Angst.“ Er schwang den Arm zum Fenster aus. „Und das hat dich hierher gebracht. Es könnte dich auch weiter bringen. In eine glorreiche Zukunft. Aber die wird es nur geben, wenn du die Wahrheit kennst.“ „Welche Wahrheit?“, fragte Nick und nahm wieder etwas Abstand. „Die Wahrheit“, erwiderte der Sammler ernst, „die ich dir als Friedensangebot anbiete.“ Sein Gegenüber musste nicht lange überlegen. „Ich verzichte.“ Der großgewachsene junge Mann erinnerte sich nur zu gut daran, was dasselbe Angebot Anya einst angetan hatte. Es hatte sie in ihre missliche Lage gebracht! Nie im Leben würde er auf denselben Trick hereinfallen! „Wie du willst“, meinte der Sammler routiniert und ließ den Arm sinken, „es steht dir frei, deine eigenen Gedanken zu hegen. Solange sie sich darum drehen, Anya Bauer zu helfen.“ „Ich hab 'ne andere Idee. Duellieren wir uns doch genau darum.“ Nick leckte sich demonstrativ über die Lippen. „Ich bin richtig heiß drauf, weißt du?“ Und er Sammler lachte erneut. „Du denkst, du bist zu dem imstande, das nicht einmal ein Undying vollbracht hat? Obwohl er über Mittel verfügte, um mich zu kitzeln? Im Gegensatz zu dir. Welche Hoffnung könntest du dann hegen?“ Als Antwort fuhr Nick sich mit dem Zeigefinger gegen die Schläfe. Zeigte ihm, dass sie genau -da- lag. „Wenn das deine Hoffnung ist, sage ich dir eins“, hauchte der Sammler und trat näher an Nick heran, „sie ist nichts. Der Ausgang wäre derselbe.“ „Ich werde meine Schwester aus deinen Klauen befreien!“, schwor Nick zornig, ließ dabei die Hand sinken. „Das wirst du, in der Tat. Und wo wir schon dabei sind“, erwiderte der Sammler und streckte sich hoch zu seinem Gegenüber, um ihm ins Ohr zu flüstern: „wir wissen doch beide, dass sie nicht einfach -nur- deine Schwester ist.“   Derart erschrocken von dieser Aussage, wich Nick zurück und stolperte dabei. In seinem Fall sah er den Sammler entgeistert an, landete auf dem Ellbogen. Es dauerte einen Moment, ehe er ein Wort herausbekam. „Was soll das heißen!?“ „Die Antwort ist genau hier“, erwiderte der Sammler und legte seinen rechten Zeigefinger an die Schläfe. „Aber wie dem auch sei, ich habe leider nicht die Muße, unsere Konversation noch lange aufrecht zu erhalten.“ Er griff in die Innentasche seines Sakkos und warf Nick einen einzelnen, weißen Handschuh mit goldenen Nähten darin vor die Füße. „Meine Forderung ist simpel. Setze fort, was sie angefangen hat. Dann bekommst du sie zurück.“ Hastig rappelte sich Nick wieder auf und trat demonstrativ auf das 'Geschenk'. Der Sammler sah auf den schwarzen Schuh missbilligend herab. „Nun sieh was du getan hast. Jetzt ist er schmutzig.“ Er blickte auf. „Man könnte auch sagen, du trittst damit das Leben deiner eigenen Schwester.“ Nick schwieg. „Vielleicht sollte ich dir erklären, was sie erwartet, wenn sie sich auf die Undying verlässt“, sprach er und lächelte besonnen, als Nick überrascht die Augen weitete, „oh ja, deine Schwester hat das eiskalte Herz der Undying zum Schmelzen gebracht. Ihr Anführer liegt ihr praktisch zu Füßen.“ „Auch wenn ich diese Frage bereuen werde: Was haben sie vor?“ Der Sammler schnalzte mit der Zunge, drehte sich um und trat an die Fenster heran. „Oh Nick, das Grausamste, was man einem unabhängigen Mädchen wie Anya antun könnte. Sie wollen ihr einen neuen, völlig ungetesteten Körper zur Verfügung stellen. Einen Homunkulus.“   Jener Begriff war Nick kein Unbekannter. Alexandra hatte bereits einmal darüber gesprochen, als Nick sie gefragt hatte, wie man Anya retten könnte. Es handelte sich um einen künstlich erschaffenen Mensch ohne Seele, der als Gefäß dienen sollte. Etliche 'Zauberer', 'Hexen' und weiß der Geier was noch hatten sich in den letzten Jahrhunderten daran versucht, aber die wenigsten Homunkuli hielten länger als ein paar Monate. Niemand konnte sich erklären warum.   „Anhand deines Blicks sehe ich, dass du verstehst. Du wirst zugeben müssen, dass das keine nennenswerte Alternative zu meinem Vorschlag ist“, meinte der Sammler mit fester Stimme, „obschon selbst ich neugierig bin, wie ein Homunkulus der Undying funktioniert. Solltest du meinen Vorschlag ablehnen, werden wir es vielleicht bald wissen – dann kannst du mir davon berichten. Du musst wissen, ich liebe gute Geschichten.“ „Wovon redest du!?“ Nick war beinahe sprachlos. „Denkst du, ich gebe etwas auf dein Wort!?“ „Nein, tust du nicht.“ „Dann kennst du meine Antwort!“ Er nahm einen schnellen Schritt auf den Sammler zu. Noch während der nachfolgenden Bewegung konnte Nick in dessen Augen etwas erkennen, mit dem er nicht gerechnet hatte. Verwirrung. Doch seine Lippen waren bereits in Bewegung, genau wie seine Hände. „Ich werde Anya selbst retten!“ Damit stieß er den Collector von sich. Es schepperte. Das Glas zerbarst unter der Last des Dämons, der mit weit aufgerissenen Augen in die Tiefe fiel. „Bis bald. Und ruf nächstes Mal an, bevor du kommst“, zischte Nick hinterher, der von dem sanften Wind erfasst wurde, der die Nacht begleitete. Dann drehte er sich um.   Zielstrebig steuerte er auf seinen Schreibtisch zu, besser gesagt daran vorbei zu der Garderobe dahinter, an der sein schwarzer Mantel hing. Er nahm sein altes, an einigen Stellen am Gehäuse verätztes Handy hervor und wählte eine Nummer. Als er sich den Apparat ans Ohr legte, atmete er tief durch und fuhr sich über die Stirn. „Geh ran!“, forderte er nervös, nachdem mehrere Male das Freizeichen ertönte. Dann hörte er eine verschlafene, sanfte Stimme. „H-hallo …?“ „Abby! Du wirst mir nicht glauben, was gerade passiert ist.“ „N-Nick. Hast du eine Ahnung wie spät es hier in London ist? Ich wollte noch etwas ausschlafen.“ „Nein, sorry, tut mir leid“, stammelte er unbeholfen und drehte sich zum kaputten Fenster um, „es ist nur … der Sammler war hier.“ Er hörte, wie Abby leise aufschreckte und nun völlig wach klang. „Wie bitte!?“ In kurzen Sätzen erklärte er ihr, was bei dem kleinen 'Besuch' vorgefallen war. „Abby“, Nick sog tief Luft ein. „wenn es dir nicht zu viel ausmacht, komm bitte zurück nach Livington und behalte sie im Auge. Ich weiß, es ist viel verlangt, aber-“ „N-Nick, selbstverständlich, aber was ist mit dir?“ „Ich werde eine Weile fort sein. Nicht lange, versprochen. Aber es muss sein.“ Abbys Stimme klang belegt. „Was hast du vor?“ „Das kann ich dir nicht sagen.“ Bevor er sich bei ihr dafür jedoch entschuldigen konnte, wurde die Tür zu seinem Büro weit aufgerissen. „Nick, was ist passiert!?“ Aiden kam hereingestürmt und sah Nick aufgelöst an. Und es gehörte viel dazu, den brünetten Mit-Dreißiger in einen derart panischen Zustand zu versetzen. Eine Kunst, die nur Nick jemals wirklich gemeistert hatte, was ebenjenem in diesem Moment wieder bewusst wurde. „Ich muss auflegen. Gute Nacht und entschuldige die Störung“, nuschelte er in den Hörer und tat, was er ihr angekündigt hat. Das alte Handy in die Hosentasche steckend, lächelte er seinen Ex-Freund zuckersüß und bitterböse zugleich an. „Nichts, Daddy.“ Aiden streckte die Hand aufgeregt zur Seite aus, auf das zersplitterte Fenster gerichtet. „Was ist das!?“ „Ich wollte … umdekorieren“, mimte Nick bewusst unglaubwürdig den Unschuldigen. „Etwas mehr frische Luft-!“ „Was hast du getan!? Ich hab dich schreien hören! Mit wem hast du da gestritten!?“ Die Augen rollend, gestand Nick schmollend: „Na gut … du hast mich erwischt.“ Aiden näherte sich dem jungen, zerzausten Mann im weißen Hemd, packte ihn an den Oberarmen und fragte eindringlich: „Was hast du getan?“ Nick, der es regelrecht genoss, seinen Boss so angespannt zu sehen, lächelte künstlich. „Als ich umdekorieren sagte, meinte ich eigentlich deine Belegschaft.“ Wäre es nicht so dunkel, hätte Nick schwören können zu sehen, wie die Farbe aus dem Gesicht des CEOs von Micron Electronics wich. Er nickte verspielt zum Fenster. „Ich hab bei deiner PA angefangen.“ Fassungslos ließ Aiden ihn los und trat mit aufgerissenen Augen zurück. „Was? Oh!“ Nick klatschte in die Hände. „Ich weiß! Wie unhöflich von mir. Du als CEO hättest bestimmt gerne den Vortritt gehabt.“ Jetzt war er es, der seine Hand zum Fenster streckte. „Aber bitte. Es sind noch genug heile Fenster übrig.“ Während er das noch mit einem Wimpernklimpern unterlegte, würgte Aiden hervor: „Das ist nicht witzig, Nick!“ „Ich finde schon“, erwiderte der im einem 180 Grad-Wandel eisig, „kümmere dich um deine Angelegenheiten, Aiden. Du kannst mich gerne entlassen, wenn dich meine Allüren stören.“ Ohne auf dieses Angebot einzugehen, schritt, nein eilte Aiden herüber zur Fensterfront und starrte die dutzenden Stockwerke hinab auf die Straße. Es war fast völlig dunkel geworden, das Licht der Straßenlaternen da unten warf seinen grellen Schein auf den tristen Asphalt. Einen Moment lang geschah gar nichts. Als Aiden dann wieder aufsah und sich an Nick wandte, stellte er seine Frage leise. Zu leise. „Was hast du bloß getan, Nick?“ Und in diesem Moment war diesem plötzlich überhaupt nicht mehr nach Spaßen zumute.   Du solltest an deinen Manieren arbeiten, Nick Harper. Ich lasse dir die Wahl. Vollende, was deine Schwester angefangen hat, oder lebe mit den Konsequenzen.   Ein eiskalter Schauder lief ihm über den Rücken. Er trat neben Aiden und sah die junge Frau dort unten liegen, in blutverschmierter, weißer Bluse und dunklem Rock, wie sie mit seltsam verdrehten Gliedmaßen auf dem Bauch lag.   ~-~-~   Nick ballte eine Faust. Er würde den Sammler dafür töten, eigenhändig. Aber bis er dazu in der Lage war, könnte Anyas Zeit bereits abgelaufen sein. Bis dahin musste er gehorchen, ob er wollte oder nicht. „Du bist wahnsinnig“, sagte Valerie und bewegte ihre Hand Richtung Deck, „aber wenn du denkst, dass ich Angst vor dir habe, täuscht du dich!“ Sie griff nach ihrem Deck und zog schwungvoll. „Dein Körper spricht eine andere Sprache“, kam es von Nick zurück. „Aber nicht deine“, flüsterte sie fast, „ich zittere nicht vor Angst. Ich zittere vor Wut!“ Sie betrachtete ihre beiden Handkarten und rief dann aus: „Von meiner Hand der Zauber [Salvage], mit dem ich zwei Wasser-Monster mit maximal 1500 Angriffspunkten von meinem Friedhof berge! [Gishki Vision] und [Gishki Shadow]!“ Jene schoben sich aus ihrer ebenfalls brandneuen, hellblauen Duel Disk. Als sie nach ihnen griff, holte sich gleich noch zwei weitere Karten hervor. „Ferner mische ich [Gishki Aquamirror] in mein Deck zurück, um ein Ritualmonster wie [Evigishki Soul Ogre] vom Friedhof zurück ins Blatt zu nehmen!“ Besagte Ritualmagie legte sie auf ihren Kartenstapel, der sich automatisch selbst mischte. So hatte sie innerhalb eines Zuges ihr Blatt von einer auf vier Karten aufgestockt. Doch als sie die drei Monster, von denen eines blau umrandet war sowie die Zauberkarte ansah, musste sie innerlich schlucken. Damit konnte sie Nick nicht besiegen. Es wäre ihr allenfalls möglich, Soul Ogre erneut aufs Feld zu bringen, aber ohne ein Gishki-Monster in Reserve konnte sie [Wind-Up Zenmaines] nicht beseitigen. Ein Monster, das sich durch seine Overlay Units vor Zerstörung schützen und am Ende des Zuges bei so einem gescheiterten Versuch eine ihrer Karten vernichten konnte. „Ich bin erstaunt, dass du trotzdem weiterkämpfst“, warf ihr Nick entgegen, „nach allem, was dir widerfahren ist, hätte ich erwartet, dass du die Duel Disk an den Nagel hängst.“ Valerie erwiderte taff: „Es wäre schön, wenn du dich aus meinen Angelegenheiten heraushalten würdest.“ „Sag mir, Valerie, wenn es keine andere Möglichkeit gäbe, wenn dein Leben auf dem Spiel stehen würde“, redete der große, junge Mann auf sie ein, „würdest du dann betrügen?“ „W-was?“ „Antworte.“ Sie sah in ihr Blatt. Plötzlich änderten sich die Bilder und Rahmenfarben ihrer Karten, mal hatte sie vier Fallen im Blatt, dann vier hochstufige, normale Monster – Karten, die sie gar nicht in ihrem Deck spielte. „W-was …?“ „Was würdest du tun, Valerie?“, bohrte Nick nach. Er starrte sie aus seinen dunkel unterlaufenen Augen herausfordernd an. „Fair bleiben und deinem Ende entgegen sehen? Oder überleben?“ Die Karten in ihrer Hand änderten so schnell ihre Artworks und Beschaffenheit, dass es nur noch ein Farbenmeer war, das sie da in den Händen hielt. „Ah!“ „Jeder würde das eigene Leben vorziehen.“ Konzentriere dich, mahnte sie sich harsch im Gedanken! Sie wusste genau, aus welchen Karten ihr Blatt bestand. Und wie sie Nicks Frage begegnen musste! „Ich kenne mindestens eine Person, die das nicht tut“, konterte Valerie mit weit aufgerissenen Augen und zeigte mit dem Finger herüber zu einer überraschten Anya, „sie!“ Darauf schien ihrem Gegner nichts mehr einzufallen. Ohne in ihre Karten zu sehen, fuhr die Schwarzhaarige fort: „Selbst im Angesicht einer Psychopathin, im Angesicht der Weißen Hexe, hat Anya ihre Ehre behalten. Etwas, von dem du nur träumen kannst!“ Sie zog die Karte ganz rechts aus ihrem Blatt. „Deine kleinen Tricks, wo auch immer du sie gelernt hast, beeindrucken mich nicht! Zauberkarte [Moray Of Greed]! Ich mische zwei Wasser-Monster von meiner Hand ins Deck und ziehe drei neue Karten!“ Sie wählte dafür schweren Herzens [Gishki Vision] und [Evigishki Soul Ogre] aus, legte sie aufs Deck, ließ dieses durchmischen und zog dann hintereinander weg drei neue Karte. Nick verengte die Augen zu Schlitzen, was Valerie nicht entging. Er versuchte es schon wieder! Aber den Gefallen würde sie ihm nicht tun und erneut seiner Täuschung zum Opfer fallen. Statt ihre neuen Karten anzusehen, hielt sie jene flach nach unten und zog die ganz linke heraus. „[Gishki Shadow] kann abgeworfen werden, um mir einen Gishki-Ritualzauber vom Deck ins Blatt zu holen!“ Nick lachte spöttisch auf. „Riskant. Solange du dein Blatt nicht kennst, kann das durchaus nach hinten losgehen.“ Denkst du, erwiderte Valerie nur im Gedanken und grinste. Wortlos nahm sie ihr Deck aus der Halterung, fächerte es auf und pickte sich den [Gishki Photomirror] heraus. Derweil runzelte Anya die Stirn. „Verdammt, Redfield …“ „Anya?“, wunderte sich Abby über deren leises Gefluche. Das nahm sie sofort zum Anlass, erneut ins Gewissen der Blonden reden zu müssen. „Kannst du denn wirklich nichts tun, um diesen sinnlosen Streit zu stoppen? Sieh dir Matt und Zanthe an, sie-!“ Da fuhr Anya ihre Freundin an: „Herrgott, kapierst du es nicht, Masters!? Ich -kann- keine Partei ergreifen! Sie alle sind … 'gleich'.“ Abby sah sie für einen Moment lang an. Doch anstatt etwas zu erwidern, breitete sich ein warmes Lächeln auf ihren Lippen aus. „Daher weht der Wind …“   „Eine interessante Wahl“, kommentierte Nick Valeries Entscheidung, „aber kannst du ihn überhaupt nutzen?“ Die Schwarzhaarige sah ihn fest an. „Selbstverständlich kann ich das. Ich habe ihn bewusst ausgewählt.“ „Hm?“ Plötzlich weitete Nick die Augen. Nur um sie wieder zu schließen und ein seltenes, anerkennendes Lächeln zu zeigen. „Brillant, wie man es nur von jemandem deines Kalibers erwarten könnte.“ Er öffnete seine Lider wieder und funkelte sie voller Verachtung an. „Ein Jammer nur, dass du außerhalb von Duellen nicht dieselbe Intelligenz an den Tag legst.“ „Genug von deinem Gerede“, fauchte Valerie, „ich spiele alle vier Karten von meiner Hand gleichzeitig aus! Zuerst [Gishki Photomirror]! Mit ihm kann ich ein Gishki-Ritualmonster beschwören, indem ich statt Monster für jeden seiner Stufensterne 500 Lebenspunkte zahle!“   [Valerie: 4000LP → 1000LP / Nick: 4000LP]   Eine riesige Wassersäule schoss vor dem Mädchen aus dem Basketballfeld in die Höhe. Anya staunte nicht schlecht. „Wie zur Hölle kann sie ihre Karten kennen, wenn sie sie nicht mal angesehen hat?“ Niemand Geringeres als ausgerechnet Claire Rosenburg antwortete. „Sie hat die Karten studiert, die in ihrem Deck verblieben sind und daraus Rückschlüsse auf ihr Blatt gezogen.“ „Huh!?“, reckte Anya ihren Kopf zu der neben ihr stehenden Weltmeisterin. „Wahnsinn!“, staunte Abby begeistert. „Valerie ist wirklich etwas Besonderes. Aber wieso tut sie so etwas überhaupt? Dafür gibt es doch gar keinen Grund, oder?“ Daraufhin fiel Anyas Augenmerk auf Nick. „Weiß nicht …“   Valerie streckte die Hand nach vorne aus. „Erscheine, [Evigishki Mind Augus]!“ Die Fontäne verebbte und hinterließ einen riesigen Fisch mit sechs langen Spinnenbeinen, der sein monströses Maul weit aufriss. Eine goldene Aura zog sich für einen kurzen Moment von seiner Schwanzflosse hin zu seinem Haupt. „Durch meine Ausrüstungszauberkarte [Ritual Weapon] erhält er 1500 Zusatzpunkte auf beiden Werten!“   Evigishki Mind Augus [ATK/2500 → 4000 DEF/2000 → 3500 (6)]   Die Schwarzhaarige erkannte es in den Augen ihres Gegenübers. Ein kurzer Anflug von Nervosität. Wäre sie jemand, der mit ihren Gegnern spielt, würde sie das auskosten. Jedoch war alles, was Valerie wollte, dass dieses Duell so schnell wie möglich endete. „Meine letzte Zauberkarte: [Riryoku]. Sie halbiert die Stärke eines deiner Monster und überträgt sie auf meines.“ Plötzlich sackte der schwebende Roboter Zenmaioh vor Nick zusammen. Seine frei schwebende Faust fiel polternd zu Boden, während er in die Knie ging. Eine bläuliche Essenz trat aus ihm aus, die von dem Monsterfisch absorbiert wurde.   Wind-Up Arsenal Zenmaioh [ATK/2600 → 1300 DEF/1900 {5} OLU: 0] Evigishki Mind Augus [ATK/4000 → 5300 DEF/3500 (6)]   Als sie sich umdrehte, fuhr Valerie sich durch ihr Haar – ein Akt von Arroganz, wie sie in diesem Moment selber feststellen musste. Vielleicht genoss sie es ja doch ein wenig. Leise sprach sie zu ihrem Monster. „Beende es. Serenade Of The Abyss.“ Mind Augus stieß einen seltsamen Singsang aus und krabbelte im Anschluss in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit auf den knienden Roboter zu. Nick stand mit weit aufgerissenen Augen da wie angewurzelt. Fassungslos sah er mit an, wie die riesige Bestie seine Maschine mit einem Bissen verschlang.   [Valerie: 1000LP / Nick: 4000LP → 0LP]   Indes lief Valerie an Zanthe vorbei, der sich unbekümmert aufgerappelt hatte. Anerkennend sagte er ihr dabei: „Gut gemacht!“ Sie zeigte ihm grinsend einen Daumen nach oben und stellte sich vor Matt, reichte ihm die Hand. Er öffnete die Augen und lächelte: „Ich glaube, ich habe irgendwo etwas scheppern gehört. War das sein Ego?“ Das Mädchen kicherte, als sie ihm aufhalf. „Wahrscheinlich.“   „Interessant.“ Nick lachte leise, als die Hologramme verschwanden. „Das ist also mein Limit. Zwei von euch.“ Als seine drei Gegner nebeneinander standen und ihn anfunkelten, sagte er: „Aber ihr habt gewonnen. Das akzeptiere ich. Ich hoffe, ihr werdet noch mithalten können, wenn euch wirklich gefährliche Gegner gegenüberstehen.“ Matt erwiderte: „Um genau zu sein versuchen wir unser Bestes, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen.“ Nick sah herüber zu Anya, merkte sarkastisch an: „Dann kann ich euch für eure bisherigen 'Erfolge' nur gratulieren.“ „Lass uns endlich in Ruhe!“, forderte Valerie erzürnt. „Du bist wahnsinnig! Du bist es, der alle in Gefahr bringt! Deine Fähigkeiten sind nicht normal! Was ist dein Ziel? Willst du zu einem Dämon werden!?“ Er sah sie scharf aus den Augenwinkeln an. „Vielleicht? Aber gut, ich will eure Spielgruppe nicht länger stören.“   Ruhigen Schrittes verließ Nick unter den gespannten Blicken der anderen seine Position, machte sich auf in Richtung des kleinen Geräteschuppens. Dabei nahm er das Deck aus dem Schacht seiner Duel Disk. Überheblich funkelte er es an. „Und das hier … das brauche ich ebenso wenig.“ Sprachs und warf die Karten in eine vor ihm stehende Mülltonne. „Nick!“, keuchte Abby entsetzt und rannte ihm entgegen, doch als er sie von der Seite auf eine Art und Weise ansah, die nur als unmenschlich beschrieben werden konnte, fror sie in ihrer Bewegung ein. „Wir sehen uns wieder, Abby. Keine Sorge.“ Dann wandte er sich von allen ab und schnippte mit dem Finger. Neben ihm öffnete sich ein ovales, schwarzes Portal, auf das er langsam zuschritt.   Selbst Anya hatte inzwischen das volle Ausmaß der Lage erfasst und eilte zu Abby. „Harper, bleib verdammt nochmal stehen!“ „Du hast dich entschieden. Ich verstehe das.“ „Nein, du Hohlbirne, du verstehst gar nichts! Ja, Summers und Redfields Plan -war- dämlich, da sind wir uns einig, aber sie haben es verdammt nochmal für mich getan! Obwohl sie allen Grund dazu hätten, mich elendig krepieren zu lassen, nach dem, was im Turm vorgefallen war.“ Tatsächlich blieb Nick stehen. „Danke. Dass ich dir nicht egal bin. Keine Sorge, ich kümmere mich um alles.“ „Halt ihn auf“, flüsterte Abby ihrer Freundin eindringlich zu, welche verstand, dass nur sie noch dazu imstande war. „Bist du dir sicher, dass du das durchziehen willst?“, fragte Anya ernst. „Was hast du die ganze Zeit getrieben, dass du auf einmal solche Pforten öffnen kannst?“ Nick lachte leise auf. „Anders als deine Freunde bin ich nicht untätig. Ich kann dir nur den gut gemeinten Rat geben, sie zu vergessen. Sie tun dir nicht gut.“ „Sagt mein dämonischer BFF“, murrte die Blonde grimmig und wurde finster von ihrer besten Freundin angesehen, die hektisch mit dem Kopf schüttelte. Aber Anya konnte nicht so tun, als wäre es okay, Nick derart verändert zu sehen, dass sie nicht einmal mehr wusste, wer er überhaupt war. „Ich werde dich aus deiner Lage befreien. Und noch dazu dafür sorgen, dass du nie wieder irgendjemandes Marionette wirst. Aber das braucht Zeit. Solange solltest du tun, was der Sammler von dir verlangt.“ „'nen Teufel werd' ich!“ Anya stampfte wütend auf. Konnte er ihr wenigstens dabei in die Augen sehen und nicht mit dem Rücken zugekehrt in sein dämliches Portal gaffen!? „Wenn ich das tue, werden mich die Undying schneller entsorgen als ich Tina Wisemans String Tanga-“ „-und du kennst den Rest“, kürzte Abby den Ausflug in Anyas glorreiche Vergangenheit ab und stierte ihre Freundin mit ihrem bring-das-jetzt-sofort-in-Ordnung-Blick an. Die zuckte rechtfertigend mit den Schultern. Seufzend erklärte sie: „Die Undying sind vielleicht die Einzigen, die mir helfen können. Mach das nicht kaputt, Harper. Bitte.“ „Ah. Weil du gerade 'kaputt' erwähnst“, sprach Nick und drehte sich tatsächlich zu Anya um. Er griff in die Innenseite seines Mantels und zog daraus eine Zeitung hervor, die er jedoch erstaunlich weit vor Matts Füße warf. Jener starrte irritiert auf die Schlagzeile herab. „Deine Freunde sind nicht einmal auf dem aktuellen Stand der Dinge. Du solltest wirklich überdenken, den Undying zu vertrauen.“ Anya drehte sich zu Matt um, der gerade die Zeitung aufhob. Und als er las, begann seine Hand immer mehr zu zittern, bis sie ihm aus der Hand fiel. Irritiert fragte sie: „Was ist? Was steht da?“ „Das soll er dir selbst erklären. Ich hoffe, dass du danach erkennst, woran du bist.“ Nick drehte sich wieder um. „Ich werde dich immer unterstützen, das weißt du.“ Und mit diesen Worten trat er durch das schwarze Portal, das sich sofort nach ihm schloss. Abby stand mit offenem Mund da und schritt langsam zur Mülltonne. „Summers, was ist?“, wollte Anya mit Nachdruck wissen. Erst als Zanthe neben den Dämonenjäger trat und für ihn das Schriftstück auflas, konnte Matt sich bewegen. In seinem Gesicht stand unendlicher Schrecken. „San Augustino … das Waisenhaus, es ist …“ „Verdammter Mist“, fluchte Zanthe und hielt die Zeitung hoch, damit Anya das Bild selbst sehen konnte – ein großes Haus, vollkommen in sich zusammengestürzt. Der Werwolf sagte: „Anya, das ist über einen Monat her!“ Sofort eilte die Blonde zu ihren beiden Freunden auf dem Basketballfeld und riss dem Kopftuchträger die Zeitung aus der Hand, um sich selbst davon zu überzeugen. Und wie sie las, weitete sie ihre Augen. „Shit!“   Abby, die nur mit einem Ohr hingehört hatte, nahm die Karten aus der Mülltonne und führte sie zusammen. Seufzend dachte sie daran, dass Nick sich damit wohl endgültig von seiner alten Persönlichkeit getrennt hatte. Was bewegte ihn bloß dazu, solch gefährliche Pfade zu bestreiten? Bei der letzten Karte, die sie aufnahm, erschrak sie. Es war [Evilswarm Ouroboros], von dem sie eine unglaubliche, dunkle Präsenz ausgehen spürte. Panisch drehte sie sich zu Matt um, der in diesem Moment schrie: „Wir müssen sofort zurück! Alastair, Alector, die Kinder! D-die schreiben … die schreiben … aber das kann nicht sein! Sie würden doch nicht …“ „Nur eine Zahl von Opfern wird erwähnt, nicht wie viele davon Kinder und Erwachsene sind. Gasexplosion als Ursache. Hmm. Weißt du, wie viele ihr wart, als-“ Aber auf Zanthes leise Frage hin schüttelte Matt nur mit tränennassem Gesicht den Kopf. „Scheiße“, fluchte Anya leise, „wer hat das getan? 'kay, wir schnappen uns den nächsten Zug, jetzt sofort. Vielleicht gibt es Überlebende, vielleicht war Big Al ja gar nicht anwesend, als-“ „Halt den Mund, Anya“, fuhr Matt sie zornig an, „halt einfach den Mund!“   -~-~-   Tatsächlich hatte Nick sich nicht ans andere Ende der Welt teleportiert, sondern lediglich auf das Dach eines der Hochhäuser der Innenstadt. Von dort hatte man einen guten Blick auf den Basketballplatz, wenngleich Anya und ihre Freunde von dort aus nur kleine Punkte waren. Und, wenn Nick ehrlich war, waren sie für ihn sowieso nie etwas anderes gewesen. Er stand am Rand des Hochhauses und betrachtete die Gruppe. Neben ihn trat Alexandra heran, die wie immer ihren braunen Trenchcoat anhatte, obwohl es ein sonniger Tag war. In der Hand hielt die Blonde ein Fernglas, da Nick ihr ausdrücklich verboten hatte, in Anyas Nähe zu kommen – zu ihrem eigenen Wohl, angesichts der Deckklauaffäre.   „Ich hätte gedacht, dass du wütender sein würdest. Dass ausgerechnet Valerie Redfield dich besiegt“, sprach sie dabei und blickte ins Fernrohr. Beiläufig berichtete sie: „Oh! Ich glaube, du hast Matt Summers richtig aus der Bahn geworfen. Er ist gerade in die Knie gesackt.“ Nick lachte. „Du hast den Sinn des Ganzen nicht verstanden. Es ging nie darum, meine Stärke zu beweisen. Ich habe nur ein paar Dinge auf die Probe gestellt.“ Sie sah ihn an. „Lass mich raten: Deine neuen Fähigkeiten?“ „Unter anderem.“ „Und?“ Der große, zerzauste Mann schnalzte mit der Zunge. „Unterwältigend. Ich konnte nicht einmal alle drei täuschen, sondern nur Redfield. Damit brauche ich es gar nicht versuchen.“ Die selbsternannte Schatzjägerin sah ohne Fernglas das Gebäude hinab. „Das hätte ich dir gleich sagen können. Die Conqueror's Soul absorbiert schließlich nur einen Bruchteil der Kraft deiner Opfer. So, dass du ihre Fähigkeiten benutzen kannst. Aber nicht im vollen Ausmaß. Außerdem war Loyd eine Flasche, es gibt bessere.“ Nick sah sie aus den Augenwinkeln an. „Zum Beispiel?“ „Du kennst ihn bereits.“ Einen Moment lang überlegte er, dann kam die Erkenntnis. „Natürlich. Nigel McPherson. Aber auch das wird noch eine Weile warten müssen. Ich bin noch nicht bereit, mich mit jemandem seines Kalibers zu messen.“ Neckend stieß sie ihm ihren Ellbogen gegen den Arm. „Oh? Einsicht? Von dir? Habe ich dort unten etwas verpasst?“ „Zuerst muss ich stärker werden. Und mir ein Deck besorgen, das meinen Ansprüchen entspricht.“ Dabei packte er sie am Arm und zog sie vom Rand des Gebäudes weg, da sie jenem gefährlich nahe war. „Das ist eine Baustelle, derer ich mich in Kürze widmen werde.“   „Und die Baustelle da unten?“, fragte sie mit einem verspielten Tonfall. Als er nichts darauf antwortete, fügte sie verstimmt hinzu: „Ich verstehe dich nicht. Willst du sie loswerden oder nicht? Worum ging es dir bei diesem Streit?“ Es war regelrecht erstaunlich, dass er sich ihr diesbezüglich unvermittelt öffnete. „Ich wollte sehen, wie stark ihre Freundschaft mit Anya ist. Und wurde … nicht enttäuscht. Auch wenn ihnen die größte Prüfung jetzt noch bevor steht.“ Er lachte bitter auf. „Trotzdem habe ich keine Wahl, sie ist bei Ihnen im Moment sicherer als bei mir. Für eine Weile werde ich ihnen Anya also anvertrauen. Aber wir alle wissen, dass sie bei einer Konfrontation mit dem Sammler den Kürzeren ziehen werden. Selbst mit Summers geheimen Freund …“ „Solange du das nicht verhinderst, heißt es.“ „Ich werde es nicht verhindern“, widersprach Nick eisig. „Und ich kann dir wieder nicht folgen. Wieso willst du überhaupt tun, was der Sammler verlangt?“ Er schüttelte den Kopf. „Das wirst du noch früh genug verstehen. Ich werde Artefakte sammeln, aber nach meinen eigenen Regeln.“ Da sie daraus immer noch nicht schlau wurde, setzte die Blonde das Fernrohr wieder an und machte einen belustigten Ausruf. „Oha! Die Brünette mit der Brille wühlt doch tatsächlich in der Mülltonne herum, um dein Deck herauszuholen. Warte mal. Ich glaube, sie hat da was entdeckt, das da nicht hingehört. Sie … sie zeigt es den anderen. Summers sieht auf und … ballt eine Faust.“ Jetzt zeichnete sich ein kleines, böses Lächeln auf Nicks Lippen. „Sieht so aus, als hätte Abby [Evilswarm Ouroboros] gefunden. Soll sie sie ihm ruhig zurückgeben, ist ja ohnehin seine Karte.“ „Und was wirst du jetzt tun?“ Nick funkelte sie düster an, drehte sich dann um. „Meinen Horizont erweitern. Nicht wahr, Kyon?“   Jener Mann lehnte an das kleine Treppenhaus am anderen Ende des Dachs. Er trug immer noch seinen schwarzen Butleranzug und eine Sonnenbrille, die von seinem langen, schwarzen Haar umrahmt war. Er nickte. „Ich denke, ich habe eine Welt gefunden, die für den Anfang genügen sollte.“     Turn 98 – Nightmare Nach Nicks schrecklicher Offenbarung machen sich Anya, Matt und Zanthe auf den Weg nach San Augustino. Doch die Hoffnungen des Dämonenjägers werden zerschlagen, als er vor den Trümmern des Waisenhauses steht. In einem Anflug unbändigen Zorns stellt er sich gegen Anya, die er für alles verantwortlich macht. Und … Kapitel 107: Turn 98 - Nightmare -------------------------------- Turn 98 – Nightmare     Überall nur Getuschel und Leute in dunkelblauen Uniformen. Zoey stöhnte genervt, war das hier genau das Gegenteil von dem, was sie sich erhofft hatte. Aber man hatte ihr klar gemacht, dass die Zeit der 'Sonderbehandlung' jetzt vorbei war. Die Kantine der CLEAR-Organisation war erstaunlich groß und halbmondförmig angelegt, mit der Essensausgabe in der Mitte der Sichel. Fast alle der schräg zur Biegung stehenden Tische waren schon bis auf den letzten Platz besetzt. Dementsprechend stand das blonde Mädchen mit der Beanie etwas verloren mit dem Tablett in den Händen in der Mitte der unterirdischen Kantine, umgeben von lauter Schlümpfen. Viele der CLEAR-Mitarbeiter schienen sich nicht an den Uniformen mit dem Logo auf dem Rücken zu stören. Zoey schon, weshalb ihre in ihrem Spind versauerte. „Zoey! Hier!“, hörte sie in dem Moment jemanden zu ihrer Rechten rufen. Als sie sich in die Richtung drehte, sah sie sie schon winken. Diese nervige Perso-irgendwas, die an der Ecke eines der Tische neben dem Hünen Ares saß. Vor dem war tatsächlich noch ein Platz frei. „Kch.“ Besser als im Stehen zu essen, sagte sich die Blonde nur widerwillig und trotte zu dem Tisch herüber und quetschte sich auf die Bank. „Keine Sorge, das Essen hier ist gar nicht so schlecht“, plapperte die junge Frau mit dem schwarzen, gewellten Haar sofort drauf los, als Zoey noch dabei war, sich in die Lücke zu zwängen. Neben ihr an der Ecke saß ein brünetter Mann mit Dreitagebart, der still seine Tomatensuppe vor sich hin löffelte. „Beachte sie nicht“, sagte Ares, der regelrecht über sein Steak herfiel. „Ich versuch's“, knurrte Zoey und riss mit den Zähnen ein Stück Brot ab. „Da will man einmal nett sein“, maulte Persephone, „seit du hier bist, kriegt man dich kaum zu Gesicht.“ „Wenn ich nicht gerade irgendwo ausgebildet werde, vergammle ich in meinem Zimmer!“ „Also hat man dir noch keine Aufgabe übertragen?“, hakte der Mann links neben ihr nach. „Das ist Ruud“, stellte Ares diesen vor. „Und die hübsche Rothaarige hier ist Nell.“ Erst jetzt schenkte Zoey der Frau neben sich ein Minimum an Aufmerksamkeit. Als eine der wenigen trug sie keine Uniform, sondern ein knappes, graues Top, wodurch ihr bis zum Hals vollkommen tätowierter Körper zur Geltung kam. Ihr rotes Haar reichte ihr bis zum Kinn. Sie nickte Zoey kurz zu. „Schön dich kennenzulernen, Zoey“, sagte Ruud. „Nein, haben die nicht“, antwortete die grimmig auf seine voran gestellte Frage. „Bis das passiert, bin ich schon halb verrottet … tch.“ „So schnell geht das nicht“, quasselte Persephone, „erst musst du die Grundlagen beherrschen. Was wir tun, wie wir es tun und wofür.“ „Das ist mir alles Banane. Ich will nur meiner Cousine helfen, mehr nicht.“   Ares, dessen rechte Gesichtshälfte von einem Tribaltattoo geschmückt wurde, zog eine seiner dicken Augenbrauen an. „Hast du überhaupt eine Ahnung, was wir hier tun?“ „Nö. Dämonen verkloppen?“ Die anderen Vier tauschten verwirrte bis ziemlich genervte Blicke aus. Schließlich räusperte sich Persephone. „Also kann man davon ausgehen, dass du bisher komplett auf Durchzug gestellt hast?“ „Jep“, nickte Anyas Cousine stolz. „Dann hör' dieses Mal wenigstens zu.“ Die Schwarzhaarige piekte während ihrer Erklärung pausenlos in ihrem Essen. „CLEARs Hauptziel ist es, die Dämonenartigen auszulöschen. Vollständig. Um das zu erreichen, sammeln wir Äther.“ „Auf moralisch eigentlich nicht vertretbare Art und Weise“, fügte Ruud trocken an. „Ja, aber wen juck's, anders geht's nicht. Also, wie sammeln wir Äther? Indem wir arme, hach, unschuldige Bürger zu Duellen zwingen und einen Teil ihres Äthers absorbieren.“ Persephone kicherte böse. „Und wenn wir genug gesammelt haben, zünden wir unsere Anti-Dämon-Atombombe.“ Zoey blinzelte einmal. „Aha. Cool. Glaub ich. Wenn ich damit Levrier loswerde …“ „Wie gesagt, was wir tun ist alles andere als legal“, gab ihr Banknachbar ihr nochmals zu verstehen. „Was wären wir nur ohne dich, unseren Moralapostel? Find' dich damit ab. Es ist die einzige Möglichkeit. Dämonen können wir nicht angreifen, denn das wäre zu gefährlich für die Operation.“ Ruud lachte auf Persephones Hinweis hin. „Die Großen -werden- irgendwann bemerken, dass etwas vor sich geht. Ist nur die Frage, ob wir rechtzeitig fertig werden, bevor sie dahinter kommen, was wir vorhaben.“ „Ja, was auch immer“, gab sich Zoey aufrichtig desinteressiert und aß weiter. Persephone stellte resignierend fest: „Bei dir ist Hopfen und Malz verloren. Aber egal, solange du dich wenigstens halbwegs geschickt anstellst. Wir sind zwar noch in den Vorbereitungen, aber die Mehrzahl unserer Rekruten ist gelinde gesagt nicht mal als Kanonenfutter geeignet.“   Da Zoey langsam zu der Erkenntnis kam, dass sie der Unterhaltung nicht entkommen konnte, ohne am Ende doch im Stehen essen zu müssen, heuchelte sie gezwungenermaßen Interesse an ihren 'Kollegen' vor. „Und ihr? Was seid ihr für Typen?“ „Dämonenjäger. Hatte es satt“, brummte der Hüne mit dem kurz rasierten, schwarzen Haar. „Und ich bin seit ein paar Jahren sein Partner“, erklärte Ruud geknickt. „Es war bitter zu erkennen, dass unser Tun sinnlos war. Die Unterwelt ist überall. Eines Tages wird sie sich den Menschen zeigen, wenn sie stark genug ist. Um das zu verhindern sind wir hier.“ Dagegen giggelte Persephone: „Ich will Spaß haben! Außerdem bin ich die Tochter eines wichtigen Politikers, der uns unterstützt, also-“ „Yeah. Merkt man“, murrte Zoey dazwischen und sah die rothaarige Nell an. „Und du?“ „Nell ist stumm“, antwortete Ruud für sie. Jene lächelte und nickte, besonders als Zoey ein leises 'cool' murmelte. „Aber auf sie kann man zählen.“ „Und ihr macht das schon wie lange?“ „Ein halbes Jahr, vielleicht etwas länger“, antwortete Ares. „Wir haben die ersten Prototypen getestet, zu dem Zeitpunkt hauptsächlich an kleinen, unbedeutenden Dämonen. Gerade so in dem Maß, dass es nicht auffiel wenn einer von ihnen verschwand. Allerdings gab es Probleme mit der Technik.“ Ruud fügte an: „Und es wurde zu gefährlich, da wir die Aufmerksamkeit der Großen nicht auf uns ziehen wollten. Allen voran die des Sammlers und der Weißen Hexe. Die Undying haben sogar schon an unsere Haustür geklopft.“ „Ging es da nicht um etwas anderes?“, wunderte sich Persephone. „Aber neugierig sollen sie schon gewesen sein, wenn man den Gerüchten Glauben schenken darf.“ Ares brummte. „Mhm. Mr. Densmore, der Vorsitzende und unser Anführer, konnte sie jedoch davon überzeugen, dass wir ein Pharmaunternehmen sind. Und …“   Für Zoey war das alles nur Blabla, ihre Gedanken drifteten langsam ab. Sie stützte einen Ellbogen auf dem Tisch ab und legte ihr Gesicht auf der Handfläche ab. Dabei fiel ihr ein junger Mann auf, der wie sie eben ziemlich verloren in der Mitte der Kantine stand und nach einem Sitzplatz suchte. Sein hellblondes Haar war an den Seiten kurz geschoren, dafür hing ihm der Pony ins Gesicht. Auch er steckte in einer blauen Uniform. Zoey erinnerte sich. Das war doch das Großmaul von neulich, bei dieser Einführungspräsentation.   Der Raum war dunkel und nicht besonders groß. In mehreren Reihen standen einfache Klappstühle aufgestellt, zwischen denen sich in der Mitte ein Gang befand. Nur wenige von ihnen waren besetzt. Zoey ächzte, hatte sie wirklich keine Lust auf solchen Quatsch. Aber sie war von der Chefin dieses Ladens dazu verdonnert worden, da gab es keine Diskussionen. Also nahm sie auf einem Stuhl in der letzten Reihe Platz und richtete, wie alle anderen, ihre Aufmerksamkeit auf die weiße Tafel am Ende, auf welche eine Präsentation projiziert wurde. Derzeit war dort nur das Logo von CLEAR zu sehen: vier ineinander liegende, hellblaue Halbkreise unterschiedlicher Ausrichtungen und in der Mitte C.L.E.A.R. in schwarzen Lettern.   Da schritt sie auch schon zwischen den Stühlen den Gang entlang. Ein dunkelhäutiges Mädchen mit Dreadlocks, die anders als andere hier keine blaue, sondern eine schwarze Uniform trug. Als sie sich vor der Tafel aufstellte, konnte man ihr ihren Unmut ansehen. Die vollen Lippen waren zusammengepresst, als hätte sie auf eine Zitrone gebissen. „Na klasse“, murrte Zoey genervt. Ob man Wetten abgeben konnte, wer hier als Erster einschlafen würde? „Mein Name ist Edna Caines“, stellte jene sich schließlich vor, „und ihr seid heute hier, um die Grundlagen unserer Organisation kennenzulernen.“ Zoeys Gedanken begannen bereits abzudriften. „… Dämonenplage. Wenn wir nichts unternehmen, wird die Menschheit in einigen Jahren fallen. Dazu …“ Wie langweilig. War das hier ein B-Movie? Ernsthaft, sie wollte endlich die Sache mit Anya klären und sich keine ellenlangen Vorträge über diesen Mist anhören. „… subterrane Anlage. Nach außen hin fungieren wir als Pharmaunternehmen. Fragt man euch, seid ihr Probanden für diverse Behandlungen. Welche das sind, erfahrt ihr noch.“ „Also Testsubjekte?“, machte ein Kerl aus der ersten Reihe und lachte höhnisch. „Das wird ja immer besser.“ Diese Edna sah den Kerl, irgendeinen Blonden, der in einem feinen Anzug steckte, aus den Augenwinkeln scharf an, ignorierte ihn aber. Zumindest war dadurch Zoeys Interesse jetzt minimal geweckt. „Die Grundstruktur unserer Organisation sieht wie folgt aus“, erklärte sie tonlos und drückte einen Knopf auf der Fernbedienung in ihrer Hand, wodurch das Bild der Präsentation umschwenkte. „Sie ist in vier Hauptdivisionen eingeteilt: Ausbildung, Aufklärung, IT und Verwaltung.“ Jene vier Begriffe tauchten nebeneinander am oberen Ende auf. Unter ihnen erschienen Namen. „Dabei steht jeder der Divisionen ein Direktor vor: Gregory Haigh für Ausbildung, Cassandra Wrythe für Aufklärung, Zyxx für die IT-“ „Was für ein Name ist das denn?“, fragte derselbe, vorlaute Typ und prustete los. Auch Zoey musste böse kichern. „-und Kathea Musgrave ist Vorsitzende der Verwaltung und Finanzen.“ Edna fuhr ungerührt von dem Gekicher der insgesamt fünf anwesenden Neulinge fort. „Diese vier bilden den Inner Circle, den Rat, der unsere Organisation steuert. Und sie unterstehen dem Vorsitzenden Seraphix, welcher das Unternehmen nach außen hin als CEO Roger Densmore vertritt.“   Dann begann sie die Aufgaben der einzelnen Divisionen zu erklären. Zoey schlief dabei fast ein, wurde nur aufmerksam, als es um die Aufklärung ging. „Zunächst werdet ihr ausgebildet. Das dauert je nach Rekrut mehrere Wochen, doch wir haben nicht mehr viel Zeit, da die Operation schon bald beginnt. Solltet ihr eure Abschlusstests bestehen, werdet ihr an Feldeinsätzen teilnehmen. Näheres dazu erfahrt ihr später.“ „Wir hauen auf die Kacke!“, freue sich der Blonde. „Wer sein Können unter Beweis gestellt hat, wird einer Bezeichnung zugewiesen. Der Rest bekommt entweder andere Aufgaben oder muss die Organisation verlassen.“ Zoey hoffte inständig, dass sie bald damit anfangen konnte. Sie wollte nicht mehr Zeit in diesem Miefloch verbringen als unbedingt nötig. „Werden wir Leute umbringen?“, fragte der Typ in der ersten Reihe schließlich. „Nein. Unser Ziel sind Dämonen, keine Zivilisten, auch wenn unsere Taten zunächst eine andere Sprache sprechen werden“, erwiderte Edna sichtlich genervt. „Schade.“ „Yeah“, machte Zoey provokativ mit. Da drehte der Typ sich zu ihr um und die beiden grinsten sich an.   „Hey! Hier ist noch'n Platz frei!“, rief Zoey demselben, jungen Mann schließlich zu und deutete auf eine inzwischen frei gewordene Stelle neben Ares. Als er sie bemerkte, trottete er erleichtert zu ihrem Tisch herüber und nahm Platz. „Wer hätte gedacht, dass es hier doch so viele Menschen gibt“, redete er drauf los. Er sah Zoey an und weitete die Augen. „Warte, du bist doch die von neulich. Bei der Präsentation. Die, die am Ende eingeschlafen ist.“ „Yeah“, machte die stolz. „Zoey. Und du bist?“ „Jack. Jack Leonhard jr., zu deinen Diensten.“   ~-~-~   Alles war so schnell gegangen. Nicks Worte und seine Offenbarung hatten eingeschlagen wie eine Bombe. Matt war losgestürmt und begann sofort, seine Sachen zu packen. Nur mit Mühe und Not konnten Anya und Zanthe ihn davon überzeugen, überhaupt mitkommen zu dürfen. Anya auch nur deshalb, weil sie unter sichtlichem Zwang die finanziellen Mittel für die Reise stellte. Am Morgen nach der Begegnung mit Anyas Sandkastenfreund waren sie bereits zu dritt unterwegs Richtung San Augustino. Kaum ein Wort hatten sie seitdem gewechselt.   Im Zug saßen Anya, die zur Abwechslung in einer schwarzen Totenkopf-Jeansjacke steckte, und Zanthe dem Dämonenjäger gegenüber, der stur aus dem Fenster starrte und sie keines Blickes würdigte. Dunkle Augenringe zeugten von seiner schlaflosen Nacht. Es würde noch ein paar Stunden dauern, ehe sie ankamen. „Summers-“, begann Anya vorsichtig. Und wurde sofort angefahren: „Sag nichts, Anya. Bitte.“ Nicht weniger betroffen sah Zanthe den Freund an. „Hör mal, noch ist doch gar nicht klar-“ „Bitte!“, knurrte der Schwarzhaarige jedoch nur gereizt. Es war nur allzu offensichtlich, dass er ihr zumindest eine Mitschuld an der Tragödie gab. Und Anya musste ihm zugestehen, dass sie genauso fühlte. Sie hatte ihn mitgenommen, von dem Waisenhaus weggeholt. Doch konnte man das so stehen lassen? Matt war einen Handel mit dem Sammler eingegangen, um das Leben seiner Freundin Tara Hartwell zu retten. Dieser verlangte von ihm, Anya bei ihrer Mission, die sieben Hüterartefakte zu beschaffen, zu unterstützen. Aber Tara war erst durch den Sammler in diesen ganzen Eden-Konflikt von vor einem Jahr hineingezogen worden. Also war im Grunde der Sammler die Ursache für alles. Die Frage war nur, was dort in San Augustino wirklich passiert war? Und wieso man die Kinder, Erzieherinnen, Big Al und Alector noch nicht gefunden hatte. Wenn Anya so darüber nachdachte, wollte sie die Antwort dazu gar nicht wissen. Sie hatte ein sehr schlechtes Gefühl bei der Sache. Und sie mochte sich nicht mal annähernd vorstellen, wie Matt reagierte, wenn sich die schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten. Plötzlich erhob sich Matt. „Entschuldigt mich …“ Prompt verließ er das Abteil beinahe fluchtartig. Anya und Zanthe sahen sich kurz an und schwiegen dann für den Rest der Fahrt, auch als Matt noch blasser als zuvor zurückkehrte.   Die Fahrt zog sich lang wie ein Kaugummi. Und als sie endlich den Bahnhof von San Augustino erreichten, wurde alles nur noch schlimmer. Matt begann sofort damit, die wenigen Fahrgäste, die auf den Zug gewartet hatten, nach dem Waisenhaus auszufragen. Kaum einer von ihnen wusste überhaupt, dass es so eines gab, geschweige denn was damit geschehen war. Also zog es sie via Taxi in die Ortschaft. Sie war noch genau so, wie Anya sie in Erinnerung gehabt hatte. Grau, öde, menschenleer. Selbst Matt kannte nur wenige Einwohner überhaupt beim Namen und es war unmöglich, überhaupt mit ihm zu sprechen. Schließlich erreichten sie zu Fuß seine alte Arbeitsstelle, den einzigen Supermarkt der Stadt.   Matt steuerte sofort von der Tür aus auf die Kassiererin zu, die einen Kaugummi kaute und mit dem langen, roten Fingernagel vor seinen Augen lang zog. Anya gab ihr eine mittelgute Note für ihr Auftreten, aber auch nur deshalb, weil sie derart gelangweilt dreinschaute, als würde sie jeden Moment einschlafen. Der Laden war hell, mit wenigen, ordentlich sortierten Regalen zu ihrer Rechten bespickt – und leer. „Entschuldigen Sie“, sprach er das dunkelhäutige Mädchen an. Anscheinend kannte er es nicht. „Vor ein paar Wochen ist ein Waisenhaus in der Nähe eingestürzt. Wissen Sie etwas darüber.“ „Uh-huh“, kam es monoton. Anya stellte sich neben Matt. „Und was?“ „Gasexplosion.“ „Noch mehr?“ Dem Schwarzhaarigen fiel es schwer, sich zu beherrschen. Aus den Augenwinkeln bemerkte Anya die Faust, die er ballte. „Die Kinder, was wurde aus ihnen?“ „Na die sind tot“, kam es gefühllos von der Kassiererin. Zanthe drängte sich zwischen die anderen beiden und lächelte das Mädchen freundlich an. „Ein älterer Herr sagte nur, man habe keine Leichen gefunden. Und so stand es auch in den Zeitungen.“ „Ach so, ja.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Die sind trotzdem tot. Sonst wären sie doch längst aufgetaucht. Arme Dinger.“ Matt knirschte mit den Zähnen. „Sie sehen nicht so aus, als würde sie das sonderlich interessieren.“ „Hey, man, ist doch nicht meine Schuld, was da passiert ist! Außerdem ist jeder-“ „Schönen Tag!“, fuhr der Dämonenjäger sie mit dem letzten Rest Geduld an und stürmte aus dem Laden wie ein Wirbelsturm. Anya und Zanthe folgten ihm, doch nicht, bevor Erstere vor den Augen der Verkäuferin noch eine kleine Packung Kaugummis mitgehen ließ. Und was geschah? Gar nichts. Was Anya frustriert dazu brachte, das Diebesgut in die nächste Mülltonne zu pfeffern.   Ziellos eilte Matt über den schlecht gepflasterten Fußgängerweg. „Warte mal“, rief Zanthe ihm nach. „Ich muss es sehen. Mit eigenen Augen!“, entschied der Schwarzhaarige da. Er wirbelte zu seinen Freunden um und blieb stehen. „Wieso interessiert es offenbar keinen, was mit den Kindern ist!?“ „Na ja, -dass- etwas passiert ist, wussten ja ein paar“, meinte Anya vorsichtig. „Aber niemand schert sich! Hat überhaupt jemand nach ihnen gesucht!?“ Anya zuckte mit den Schultern. „Vielleicht die Polizei?“ „Ja, fragen wir die! Fragen wir die ganzen zwei oder drei Polizisten im Ort!“, überschlug sich Matt außer sich. „Gasexplosion! Du hast es gehört! Damit war die Sache für die erledigt!“ Der Werwolf schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht. Die sind dazu verpflichtet, der Sache nachzugehen. Und ein eingestürztes Wohnhaus ohne eine einzige Leiche, obwohl dort zig dutzende von Kindern gelebt haben, da hätte eine Untersuchung stattfinden müssen.“ „Es sei denn“, überlegte Anya. Und sie wagte es nicht, den Gedanken auszusprechen. Stattdessen schwenkte sie schnell um. „Yeah, lasst uns dort hingehen. Vielleicht … finden wir ja etwas heraus?“ „Meinst du, du kannst das?“, fragte Zanthe skeptisch. Matt funkelte beide böse an, nickte aber schließlich.   ~-~-~   Es eine Ruine zu nennen wäre noch eine Untertreibung gewesen. Das einst dreistöckige Waisenhaus war platt, als wäre ein Riese hineingetreten. Teile des Daches und der Außenverkleidung lagen noch mehrere Meter weit in alle Himmelsrichtungen verstreut. Niemand hatte sich die Mühe gemacht aufzuräumen. Das Gebäude war so stark eingestürzt, dass von den oberen Stockwerken nichts mehr zu sehen war. Nichts, aber auch gar nichts deutete darauf hin, dass überhaupt nach Überlebenden gesucht worden war. Einzig ein lieblos um das Gelände herum gestellter Zaun mit Hinweis, dass das Betreten verboten sei, zeugte überhaupt davon, dass Polizei und Feuerwehr hier gewesen waren. Matt stand vor ebendiesem Zaun und starrte das Waisenhaus mit offenem Mund an. Stille Tränen rannen seine Wangen hinab. Keiner sagte etwas. Dann trat er den Zaun um und stampfte über ihn hinweg. Anya und Zanthe tauschten betroffene Blicke aus, folgten ihm schließlich. „Alles fort“, flüsterte der Schwarzhaarige erstickt. Er sah sich um. Nur Trümmer, Staub, zersplittertes Glas, „alles. Jeder … die Kinder …“   Er drehte sich nach links. Selbst der Geräteschuppen, in dem Alastair seine Sachen verstaut hatte, war nicht verschont geblieben. „Wo seid ihr bloß“, hauchte Matt fassungslos und schluckte schwer, „ja … ich … glaube, ich spüre es auch. Energiereste … Tod …“ Langsamen Schrittes näherte er sich dem Geräteschuppen, oder besser gesagt, was noch von diesem übrig war. Und dies war nicht besonders viel. Bis auf ein paar abgebrochene Stützpfeiler und ein paar Bretter war alles fort. Der Großteil der Trümmer war auch hier einfach liegen gelassen worden. „Hier … haben wir-“, stockte Matt und ihm versagte dabei die Stimme. Anya hinter ihm sah betroffen zur Seite. Ganz egal was sie jetzt sagen würde, es wäre unangemessen, falsch. Plötzlich nahm Matt einen schnellen Schritt nach vorn und kniete nieder. Über seine Schulter beobachtete sie, wie er ein Brett wegschob und etwas darunter hervorholte. „… er hat gekämpft“, sprach Matt mit erstickter Stimme. Die Karte, die er in der Hand hielt, war [Vylon Disigma]. Unten am Boden lagen weitere. „Vielleicht sollten wir mal bei den Fords durchklingeln und fragen, gegen wen er sich duelliert hat“, schlug Zanthe vorsichtig vor. „Na die Polizei wird es jedenfalls nicht gemacht haben“, murmelte Anya, „die haben gar nichts gemacht. Das ist kein Zufall.“ „Du meinst, jemand hat das hier alles vertuscht?“ Zanthe fasste sich nachdenklich ans Kinn. „Den Gedanken hatte ich auch schon. Die Fords hätten uns informiert, wenn ein Duell so große Zerstörung angerichtet hätte. So etwas kann die Solid Vision-Technologie nicht.“ Matt lachte finster. „Schön, dass wir uns alle einig sind. Fakt ist: Niemand hat etwas getan. Weder die Polizei, noch der Bürgermeister, noch sonst verdammt nochmal irgendjemand!“ In dem Moment brach Anya ihr Schweigen. „Aus welchem Grund?“ Aus den Augenwinkeln sah der Dämonenjäger sie auf eine Weise an, die selbst einer Anya Bauer einen kalten Schauder über den Rücken jagte. „Weil jemand sie zum Schweigen gebracht haben wird.“ „Wartet mal kurz!“ Zanthe drehte sich von ihnen weg und reckte die Nase in die Höhe. „Irgendwas riecht hier sehr vertraut.“ Die Blonde schlug ihm mit der Hand prompt auf den Hinterkopf. „Idiot, das ist nicht der Zeitpunkt-!“ „Anya!“, wirbelte der Werwolf sauer herum. „Das ist kein Witz! Ich kenne diesen Geruch und mein Gefühl sagt mir, dass er nichts Gutes bedeutet!“ „Willst du uns auch verraten, was du da erschnüffelst, Flohpelz!?“ Anstatt die Frage aber zu beantworten, hechtete der Kopftuchträger Richtung Wald los. Dabei drehte er sich zu den beiden um. „Ich seh‘ mir das mal an, bin gleich zurück!“ „Warte!“, rief Anya ihm hinterher, da war er schon über den Zaun gesprungen und im an das Gelände angrenzende Waldstück verschwunden. „Lass ihn“, meinte Matt hinter ihr düster. Eine Weile starrte Anya nur in den Wald hinein, in der Hoffnung, dass Zanthe gleich wieder zurückkehren würde. Doch es war unmöglich zu erahnen, wie weit die Quelle seiner Witterung überhaupt von hier entfernt lag. Mit Unbehagen drehte sie sich schließlich zu Matt um, der sie die ganze Zeit über angestarrt hatte. „Also“, begann sie zögerlich, „du sagtest, die Polizei wurde zum Schweigen gebracht? Von wem?“ „Kannst du dir das nicht denken?“ Da war es wieder, dieses klamme Gefühl im Magen. Anya schluckte. „Dann sag ich es dir“, zischte Matt hasserfüllt und ging dabei auf sie zu, „du hast sie direkt vor unsere Haustür geführt.“ Das Mädchen tat etwas, das sie sonst nie getan hatte. Sie wich zurück. „Wen?“ Sie sah in seine Augen, die gefährlich funkelten. Man konnte sagen, dass dieser Mann kaum etwas mit dem Matthew Summers gemein hatte, den sie einst kennengelernt hatte. Ein bitterböser Ausdruck zeichnete sein Gesicht. „Deine neuen Verbündeten, die Undying!“ „W-was!? Die sollen-!?“ „Nicht die. Er. Stoltz!“ Anya weitete die Augen. Hier im Wald waren sie das erste Mal auf die Undying in Form von der irren Mumie getroffen, nachdem Matt den Hüter Drazen besiegt und ihm das Artefakt abgenommen hatte. Damals sind sie und Zanthe mit Matt im Schlepptau abgereist, damit das Waisenhaus nicht zum Ziel eines Angriffes wird. Und genau das soll geschehen sein? Hatte diese irre Mördermumie sich auf die Kinder, Alector und Big Al gestürzt, obwohl sie nichts mit alldem zu tun hatten!? Angst. Ein Gefühl, dass Anya so nur sehr selten in ihrem Leben verspürt hatte. Keine Todesangst, keine Furcht um ihretwillen. Sie hatte Angst um Matt. „Summers-“ „Sag. Nichts.“ Was das Mädchen zumindest versuchte. Erfolglos. „H-hör mal-“ Erneut schnitt er ihr ins Wort, leise und bestimmt. „Ich wusste von Anfang an, dass es ein Fehler sein würde. Schon als der Sammler mich praktisch dazu gezwungen hat, dir zu helfen. Ich wusste es, als dieser Mann vor meinen Augen zu Staub zerfiel. Und erst recht, als Stoltz aufgetaucht ist.“ Anya wich immer weiter Richtung Wald zurück. Er blieb jedoch stehen. „Trotzdem habe ich still daran festgehalten, dass es besser wäre, mit dir zu gehen, damit das Waisenhaus nicht zur Zielscheibe wird.“ Er schloss kalt. „Das war ein Fehler.“ Unbeholfen erwiderte Anya: „Ich wollte nicht, dass das passiert!“ „Und trotzdem ist es passiert. Du bist schuld.“ Er ballte eine Faust. „Du bist an allem schuld. Einfach allem!“ „Summers, i-ich“, stammelte das Mädchen und wollte einen Schritt auf ihn zunehmen, doch er schwang den Arm aus. „Genug!“ Und Anya wurde von einer Druckwelle meterweit weggeschleudert, prallte gegen den Zaun und riss diesen um. Sie rollte sich zurück, um sich dann abzufedern und kniend auf den Füßen zu landen – und das in erstaunlich hoher Geschwindigkeit. „W-was!?“ Wie hatte sie das gemacht? Wie hatte -er- das gemacht!? Mit dem Wald im Nacken erhob sie sich. „Summers, bitte! Beruhig' dich, verdammt nochmal!“ „Was weißt du schon!?“, fuhr er sie an. „Sie sind alle … alle fort! Alle! Wie soll ich damit … ich bin …“ Seine zusammenhangslosen Satzbrocken erschütterten sie zutiefst. Matt hielt sich die Hände vor die Augen, dann riss er sie jedoch wieder weg. Sie waren weit geöffnet, strahlten puren Hass aus. „Alastair hatte von Anfang an Recht, was dich angeht. Vom ersten Tag an hast du uns nur in Schwierigkeiten gebracht, ohne je einen Gedanken an das Wohl anderer zu verschwenden. Das hat sich bis heute nicht geändert!“ Anya schluckte schwer, aber er ließ ihr gar nicht erst die Chance, sich zu verteidigen. „Du hast Marc Butcher getötet. Du hast mich dazu missbraucht, diesen Mann, Drazen, zu töten. Und jetzt -das-!“ Er breitete die Arme weit aus. Langsam bildete sich eine dünne, schwarze Aura um ihn. „Du hast mir alles genommen, Anya!“ „N-nein!“ „Doch! Du warst es!“, überschlug er sich immer mehr in seiner Wut. „Aber ich wollte nie wahrhaben, was für einen Einfluss du auf mich hast!“ Anya hörte zwar seine Worte, doch sie beschäftigen sie nicht halb so sehr wie die sich immer weiter ausbreitende Aura um den jungen Mann, der vor dem zerstörten Waisenhaus stand. Irgendetwas stimme nicht mit ihm! „Summers, schalt' 'nen Gang runter!“, befahl sie harsch. „Du-!“ „Selbst als ich diesen Artikel gelesen habe, wollte ich es nicht wahrhaben. Aber Alastair hatte Recht. Und -er- auch!“ Matt ballte beide Fäuste zusammen. Er sah sie verachtend an. „Du bist gefährlich. Zu gefährlich, um-!“ Anya spürte einen Stich in ihrem Herz. „Was sagst du da?“ Langsam erhob Matt den Arm, an welchem sein D-Pad hing. Er wurde mit einem Mal ganz ruhig, eisig. „Ich kann dich nicht leben lassen, Anya. Auch wenn du nur die Marionette des Sammlers bist und vielleicht ungewollt in alles hineingezogen wurdest, kann nichts die Dinge ungeschehen machen, die du getan hast. Um zu überleben.“ „Mit dem Sammler bin ich durch!“ „Aber er nicht mit dir“, erwiderte Matt und schloss die Augen, „außerdem … alles was ich im Moment will … ist Rache!“ Er riss die Lider weit auf. „Stell dich mir! Übernimm Verantwortung für deine Verbrechen!“ „S-Summers!“ Anya wollte das nicht. Sie konnte doch nicht mit ihm in diesem Zustand kämpfen! Er war völlig durcheinander, aufgelöst, verständlicherweise. Selbst sie wusste, nicht zuletzt aus eigener Erfahrung, dass man in solchen Situationen nicht mehr klar denken konnte. Und Sachen, die man sagte oder tat, am Ende nur bereuen würde. Und das alles hatte er nicht verdient. Wieso immer er? Anya schluckte schwer. Sie wollte die Herausforderung nicht annehmen. Aber sie musste. Es war das einzig Richtige. Nein! War es nicht! Wie konnte sie das denken, fühlen!?   „Irgendetwas stimmt nicht mit ihm“, sprach sie leise und hob ihren eigenen Arm mit der neuen, schwarzen Duel Disk daran, „und damit meine ich nicht was er sagt, sondern-“   Ich verstehe schon. Es ist dieselbe dunkle Kraft, die ihn schon damals während des Urila-Vorfalls beinahe in den Abgrund gerissen hatte.   Zumindest war sie dank Levrier nicht allein. Auch wenn ihr nicht gefiel, was er sagte: „Aber Urila ist tot!“   Womöglich steckt ihre Energie noch in ihm. Überreste? Vielleicht sogar ihr Wahnsinn. Oder … etwas zum Verwechseln Ähnliches.   „Hoffentlich nicht.“ Anya nickte ihrem Freund zu. Ihr kam eine Idee. „Ich stelle mich deiner Herausforderung. Ich renne vor gar nichts davon, damit du das weißt!“ Matt grinste finster. „Du wirst dir noch wünschen, du könntest es.“ Davon ging sie auch aus. Aber sie musste jetzt ertragen, was er ihr entgegen warf – egal ob es starke Monster oder verletzende, vielleicht sogar wahre Worte waren. Er musste sich abreagieren. An ihr. Es war okay. Wenn er danach wenigstens etwas klarer in der Birne wurde … „Ich werde dich töten, Anya! Duell!“   [Anya: 4000LP / Matt: 4000LP]   „Summers, hör auf so'nen Quatsch zu sagen!“, rief die aufgebracht. Aber ihr Freund war taub für ihr Flehen und riss in einer einzigen Bewegung fünf Karten von seinem Deck. „Ich beginne!“ Es bedarf nur eines kurzen Blickes in sein Blatt, ehe er voller Ehrgeiz verkündete: „Ich beschwöre [Evilswarm Castor]! Durch seinen Effekt kann ich einen weiteren Schwärmer als Normalbeschwörung rufen, [Evilswarm Zahak]!“ Vor ihm materialisierte sich ein Krieger mit halb weiß-grauer, halb schwarzer Körperhälfte, welcher einen zerschlissenen Umhang trug und mit einem Schwert bewaffnet war, das zwei parallel beieinander verlaufende Klingen besaß. Jenes schwang er zur Seite aus und erschuf im Boden einen Runenzirkel, aus dem ein pechschwarzer, dreiköpfiger Drache auftauchte, an deren Häupter scharfe Klingen befestigt waren. Evilswarm Castor [ATK/1750 DEF/550 (4)] Evilswarm Zahak [ATK/1850 DEF/850 (4)]   Matt streckte seinen Arm nach vorne aus. „Und jetzt erschaffe ich das Overlay Network!“ Vor ihm öffnete sich ein Schwarzes Loch, das die beiden Monster als violette Lichtstrahlen absorbierte. Anya zischte verächtlich. „Aus meinen beiden Stufe 4-Schwärmern wird eine Rang 4-Bestie! Xyz Summon!“ Der Sog ging in einer mächtigen Explosion auf, aus der ein imposanter Drache stieg, dessen Schwingen fast völlig aus Eis bestanden, ebenso wie die Spitze in seinem langen Schweif. „Erhebe dich, [Evilswarm Ophion]!“, verkündete Matt düster seinen Namen. Zwei Lichtsphären umkreisten das Ungetüm, das sich vor ihm platzierte und die Flügel spreizte.   Evilswarm Ophion [ATK/2550 DEF/1550 {4} OLU: 2]   Sofort im Anschluss griff Matt unter die Karte auf seinem D-Pad und riss ein Xyz-Material von ihr vor. „Ich aktiviere Ophions Effekt! Expand Infection!“ Eine der Sphären schnappend und hinunterschluckend, spreizte der Drache seine Schwingen erneut aus und ließ sie schwarze Wellen ausstrahlen. Der Dämonenjäger erklärte: „Mit diesem Effekt erhalte ich eine Infestation-Karte von meinem Deck! [Infestation Pandemic]!“ Jener Schnellzauber schoss unmittelbar aus seinem Deck, wurde von Matt gezogen und zusammen mit einer anderen Karte verdeckt ausgespielt. Die beiden Karten materialisierten sich zu seinen Füßen mit nach oben zeigendem Kartenrücken. „Dein Zug!“   „Draw!“, murrte Anya und riss schwungvoll eine Karte von ihrem Deck. Mit beherrschter Stimme sprach sie weiter: „Summers, du darfst-!“ „Halt den Mund, Anya!“ „Das hier ist scheiße!“ „Es ist, was ich längst hätte tun sollen!“ Der junge Mann weitete die Augen so sehr, dass rote Äderchen sichtbar worden. „Ich bekämpfe die Wurzel all unserer Probleme! Wo immer du hintrittst, zerstörst du die Leben anderer!“ Anya stand vor Sprachlosigkeit der Mund offen. War das sein Ernst!? „Sei es meins, Alastairs oder sogar Valeries. Gäbe es dich nicht, wären wir alle glücklich.“ Ihm versagte dabei die Stimme. „Stattdessen … stattdessen …“ Getroffen sah das Mädchen zur Seite. So gerne sie widersprechen wollte, konnte sie das nicht abstreiten. Verdammt, sie hatte doch auch nicht gewollt, dass so etwas passiert! Aber das war es und nichts konnte es jetzt noch ungeschehen machen. Umso mehr durften sie sich jetzt nicht bekriegen, das würde alles nur noch schlimmer machen. Sie musste dieses dämliche Duell schnellstmöglich beenden!   Äußerlich die Taffe spielend, zeigte sie eine Zauberkarte vor, während Matt schluchzend den Kopf hängen ließ. „Ich aktiviere [Absorb Fusion], um eine Gem-Knight-Karte von meinem Deck zu erhalten!“ Mit Tränen in den Augen sah der Schwarzhaarige auf. „Wenn du fusionieren willst, kannst du diesen Gedanken sofort verwerfen! Solange Ophion noch eine Overlay Unit hat, kannst du keine Monster der Stufe 5 oder höher spezialbeschwören.“ „Kch! Lässt wohl nichts anbrennen, was?“ Als hätte der Drache das gehört, stieß er einen bedrohlichen Schrei aus. Levrier manifestierte sich neben Anya.   Das stellt uns vor ein Problem. Aber keines, das sich nicht lösen lässt.   Seine Partnerin sah ihn von der Seite an. Beide tauschten einen zuversichtlichen Blick aus und nickten einander zu. Dann wandte sich Anya an Matt. „Mit [Absorb Fusion] könnte ich im Anschluss sogar fusionieren, aber das geht dann wohl nicht mehr. Das Monster, das ich mir aussuche, ist [Gem-Knight Turquoise]!“ Von Anyas Duel Disk ging ein tiefes Surren aus, ihre Konturen begannen schwarz aufzuflimmern. Edelsteine traten aus dem Nichts um sie herum hervor und wurden in den Apparat gezogen, der die gewünschte Karte auswarf. Anya nahm jene in ihr Blatt auf. „Und da ich von [Absorb Fusion] nicht genug bekommen kann, aktiviere ich [Magical Stone Excavation]!“ Noch ein Zauber stellte sich vor dem Mädchen auf und zeigte einen Kristall, der in fliederfarbenem Licht aufleuchtete. „Zum Preis zweier Handkarten bekomme ich einen Zauber aus meinem Friedhof zurück!“ Jene beiden wurden in den Friedhofsschlitz geschoben, aus dem gleichzeitig der eben erst benutzte Zauber austrat. Und von dort holte sich Anya auch die eben erst abgeworfenen Karten zurück. „Tja, was ich entsorgt habe waren [Gem-Knight Garnet] und [Gem-Knight Fusion]! Ersteren verbanne ich jetzt, um mir die Fusion zurückzuholen!“ Matt schien sie gar nicht zu beachten, hielt den Kopf wieder gesenkt. Es fiel Anya schwer, ihn überhaupt anzusehen. Aber sie musste das jetzt durchziehen, damit er nicht auf noch mehr dumme Gedanken kam. Falls das überhaupt Sinn ergab. „Du weißt, dass ich nicht nur Fusionen spiele, Summers! Ich rufe [Gem-Knight Turquiose] und benutze sofort seinen Effekt!“ Vor ihr tauchte ein in türkisfarbener Rüstung steckender Ritter auf, der einen mächtigen Großbogen mit sich führte.   Gem-Knight Turquiose [ATK/1400 DEF/2000 (4)]   In jenen spannte er einen Pfeil ein, den er gen Himmel richtete. „Ich werfe [Gem-Knight Fusion] ab, um einen verbannten Gem-Knight zurück aufs Feld zu bringen! Komm hervor, Garnet!“ Turquiose schoss den Pfeil in die Luft. Weit über ihnen zerplatzte er und öffnete einen Dimensionsriss, aus dem ein Ritter in bronzener Rüstung fiel. Jener landete mit einem dumpfen Knall auf den Knien vor Anya und entzündete mit seinen brennenden Handschuhen die Erde unter seinen Füßen.   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   „Ich habe jemanden, der mit deinem Drachen den Boden aufwischen wird“, raunte Anya mit Seitenblick auf Levrier, bevor sie den Arm ausschwang. „Ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster!“ Nun öffnete sich das Schwarze Loch vor ihr und zog die beiden Ritter in sich, welche sich in braune Lichtstrahlen verwandelten, die wirbelnd ins Zentrum gezogen wurden. „Zeig ihm, aus welchem Holz du geschnitzt bist, Levrier! Xyz Summon!“ Wie bei Matt erfolgte eine Explosion im Wirbel. Levriers durchsichtige Gestalt verschwand und stieg aus dem Überlagerungsnetzwerk empor. Der weiße Ritter hatte dabei diesmal sieben Kohlkopf-große Perlen um sich schweben, denen er seinen Namen zu verdanken hatte.   Packen wir es an, Anya Bauer!   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4} OLU: 2]   Jetzt sah Matt plötzlich auf. Seine Augen waren geschwollen, dunkel unterlaufen. Er murmelte leise, aber mit deutlicher Verachtung: „Levrier …“ Ebenjener sprach respektvoll zu dem Dämonenjäger. Selbstverständlich werde ich keine körperliche Gewalt gegen dich anwenden, Matthew Summers.   „So ist das …“ Gerne können wir dieses Duell auch abbrechen, solltest du dich inzwischen beruhigt haben.   Matt lachte verbittert auf. „Nein … habe ich nicht.“ „Wäre ja auch zu schön gewesen“, klagte Anya, die dasselbe gehofft hatte, „aber wenn du es so willst, dann bitteschön! Angriff auf den schwarzen Eisdrachen Ophion! Blessed Spheres of Purity!“ Unter einem zuversichtlichen Ausruf schwang Levrier den Arm aus. All seine Perlen schossen nacheinander auf Matts Bestie, die einen schwarzen Odem abfeuerte. „Heh, und damit es auch so richtig weh tut, aktiviere ich den Effekt von [Gem-Knight Pearl]!“ Ihr Widersacher verschränkte die Arme voreinander. „Du meinst [Gem-Knight Turquoises] Effekt.“ „Yeah, aber Pearl ist der, der ihn ausführt.“ Ganz zu Anyas Verwunderung zuckte Matts Mundwinkel für einen kurzen Augenblick. „Indem ich Turquoise und einen anderen Gem-Knight als Overlay Units abhänge, verdopple ich während des Kampfes [Gem-Knight Pearls] Angriffspunkte!“ Eine weiße Aura begann um Levrier aufzuflammen, während seine Geschosse Ophion bombardierten und sogar den pechschwarzen Flammenstrahl abwehrten.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 → 5200 DEF/1900 {4} OLU: 2 → 0]   Mit unheilvoll düsterer Stimme sagte Matt leise: „Du machst es mir viel zu einfach, Anya.“ „Huh!?“ Anstatt sich aber zu erklären, fauchte Matt völlig zusammenhangslos: „Ich weiß! Und es ist mir egal!“ „W-was soll das, Summers!?“ Aber er beachtete sie gar nicht. Stattdessen richtete er zornig einen Zeigefinger auf das zerstörte Waisenhaus. „Etwa dahin!? … nein! Was verstehst du überhaupt von all dem!? … Ach ja!? Dann verhindere es doch!“ Dabei entflammte eine schwarze Aura um ihn herum, die langsam, aber stetig anwuchs.   Etwas stimmt da nicht! Anya Bauer, ich fürchte er … er redet mit einem Immateriellen!   „Was zur Hölle!? Summers, ist das wahr!?“ Als wäre er sich ihrer erst jetzt gewahr geworden, warf er einen Seitenblick auf das Mädchen. „Überraschung! Aber das hat nichts mit dem zu tun, was dich jetzt erwartet!“ Die Erde begann zu erzittern. Matt stieß die Hand nach vorne aus und rief: „Ich rekonstruiere das Overlay Network!“ Wodurch sich unter Ophion unmittelbar ein Schwarzes Loch öffnete, in das dieser eintauchte. Dabei verstärkte sich Matts Aura noch weiter. „Aus meinem Rang 4-Schwärmer wird die erste Saat geboren. Rank Up-Incarnation!“ Der Wirbel wurde ruckartig von Innen zerschmettert, die ganze Umgebung begann stärker und stärker zu vibrieren. „Dominiere, [Primalswarm Yggdrasil]! Inkarnationseffekt: Chain Annihilator!“ „Fuck!“, fluchte Anya, die gar nicht wusste, wie ihr geschah. Zwar war seine Kreatur noch gar nicht erschienen, kehrte sie durch ihre Macht jedoch sämtliche Farben um, das Overlay Network erzeugte in Zeitlupe eine Schockwelle. In Matts rechtem Auge leuchtete in Rot eine geschwungene, unterstrichene Eins auf, kurz darauf stieß er einen heftigen Schmerzensschrei aus. „Summers-!“ „Kümmere dich lieber um Levrier! Chain Annihilator setzt sofort bei der Beschwörung Yggdrasils ein und annulliert wie zerstört alle anderen Teile der Kette in die er hineinbeschworen wurde“, erklärte Matt ächzend und hielt sich die Brust vor Schmerz. „Argh!“ Keine Sekunde später beschleunigte die Schockwelle derart schnell, dass Anya nicht einmal mehr schreien konnte. Levrier wurde wie ein Stück Papier in der Luft zerrissen und verschwand vor ihren Augen, als das Farbbild sich wieder normalisierte. Es dauerte einen Moment, bis sie erschüttert schrie: „Levrier!“ Dabei beachtete sie kaum, wie sich der mächtigste Schwärmer vor dem Schwarzhaarigen wie ein Turm langsam entfaltete. Der Unterleib bestand aus neun Drachenköpfen an langen Hälsen, die wie Wurzeln von Yggdrasil herab hingen und auf Hüfthöhe umeinander geschlungen waren. Ab dort begann nur noch ein schwarzer Torso einer humanoid wirkenden Kreatur, ausdruckslos, da sämtliche Merkmale eines Gesichts fehlten. Sie hatte Arme und an diversen Stellen zogen sich dünne Fäden in alle Himmelsrichtungen und verschwanden im Nichts. Die Haut der Kreatur schien in Bewegung zu sein, da sie an einigen Stellen manchmal unter der schwarzen Schicht violett hervor schimmerte.   Primalswarm Yggdrasil [ATK/3050 DEF/1650 {12} OLU: 2]   „W-was zur … was zur Hölle ist da passiert?“, stammelte Anya fassungslos. „L-levrier, geht es dir gut?“ Keine Reaktion seinerseits. Verständnislos sah sie Matt daraufhin an. „Hast du dich ernsthaft mit einem Immateriellen verbündet? D-der dir dieses Ding gegeben hat?“ Sie zeigte mit zitternder Hand auf die riesige Kreatur, um die zwei schwarze Sphären kreisten. „Vielleicht. Vielleicht auch nicht“, presste Matt hervor, „was geht es dich an? Du interessierst dich ohnehin für niemanden außer dich selbst.“ „D-das stimmt nicht!“ „Ach ja!? Was hast du dann jemals für mich getan, huh!? Für Tara!? Für Alastair!? Du hast immer nur genommen, Anya! Und das ist das Resultat!“ Er schwang den Arm wieder zum zerstörten Waisenhaus hinter ihm aus. Der Blonden fehlte die Stärke zu widersprechen. Weil sie insgeheim nicht wusste, wie sie überhaupt darauf antworten sollte. „I-ich …“, stammelte sie und sah nervös, unkonzentriert in ihr Blatt. Sie wollte etwas sagen, aber sie konnte nicht! „I-ich setze eine Karte verdeckt. Zug beendet!“ Zischend materialisierte sich die Falle zu ihren Füßen.   „Draw!“, brüllte Matt im Anschluss und zog schwungvoll seine Karte, die er augenblicklich ausspielte. „Das hier passt zu dir: [Evilswarm Heliotrope]!“ Vor ihm materialisierte sich ein Ritter in dunkelgrüner Rüstung mit schwarzen Akzenten, welcher mit rot leuchtenden Augen ein Schwert in der Hand hielt. Ein schwarz-roter Edelstein, der namensgebende 'Blutstein', steckte in seiner Brust.   Evilswarm Heliotrope [ATK/1950 DEF/650 (4)]   Anya zischte: „Ein korrumpierter Gem-Knight!“ „Ich sagte doch, 'passend'!“ Matt atmete tief durch. Das Mädchen konnte den Schweiß auf seiner Stirn erkennen, das Zittern seiner Hand, als er diese nach vorne streckte. „Zeit, mein Versprechen wahr zu machen! Direkter-“ „Oh scheiße, Summers! Tu das nicht!“ „-Angriff auf ihre Lebenspunkte, meine Schwärmer!“ Da leuchtete es auf. Ein rotes Licht am Kopf des gesichtslosen, riesigen Yggdrasils. Kein Auge, eher ein Schlund, der sich öffnete. Und aus diesem wurde ohne Verzögerung ein mächtiger Laserstrahl abgefeuert, der die schutzlose Anya anpeilte. „Du Idiot!“, fauchte die außer sich und schwang ihren Arm aus. „Du bist ja schlimmer als ich, wenn ich wütend bin! Konterfalle [Negate Attack]!“ Matt verschränkte die Arme. „Dacht' ich mir …“ Der Laserstrahl seiner Kreatur prallte an einer unsichtbaren Mauer vor Anya ab und wurde zerteilt, richtete jedoch große Verwüstung an, als er zweigeteilt die Erde links und rechts neben ihr aufriss, dann Risse in den aufgestellten Zaum brannte und weiter in den Wald drang, wo er Bäume und Sträucher zersetzte. Kleinere Feuer entstanden dabei. Anya wirbelte erschrocken um. Hätte ihre Falle nicht die Battle Phase beendet, wäre das jetzt sie gewesen. Sie wandte sich an ihren Freund. „Fuck! Summers, tickst du noch ganz richtig!?“ Doch sie erschrak als sie sah, wie er beinahe in die Knie sackte, sich die linke Brusthälfte keuchend hielt. Langsam dämmerte es ihr. „Alter, dieses Ding da killt dich!“ „Nicht dein Problem! Da ich nicht mehr mit Heliotrope angreifen kann, nutze ich wenigstens noch den Effekt von Yggdrasil.“ Trotz seines erbärmlichen Zustands grinste er. „Er macht einen Schwärmer, [Evilswarm Coppelia], von meinem Deck zu einer seiner Overlay Units. Black Law!“ Ebenjener streckte seinen Arm aus und erzeugte eine dritte schwarze Sphäre, die um ihn zu kreisen begann.   Primalswarm Yggdrasil [ATK/3050 DEF/1650 {12} OLU: 2 → 3]   „Na dann, versuch doch ihn zu besiegen“, forderte Matt sie bitterböse lachend heraus, „dein Zug!“ Anya wich zurück, sah über ihre Schulter. Im Wald waren ein paar kleine Feuer entfacht, die sich schon bald ausdehnen würden. Dieser bekloppte Summers! Wollte er sie alle umbringen!? … was fragte sie sich das überhaupt, natürlich wollte er! Aber durch einen Waldbrand!? „Levrier!“ Nichts. „Scheiße, wach auf! So stark war dieser Treffer nun auch wieder nicht! Du hast Schlimmeres überstanden!“ Aber ihr Freund schien immer noch bewusstlos zu sein, oder wie auch immer man diesen Zustand penetranten Schweigens bei Immateriellen nannte. „Kch!“ Sie konnte nichts tun, um den Brand zu verhindern, der im Entstehen war. Ihre Artefakte waren alle nicht auf sowas ausgelegt! „Verdammter Kackmist“, fluchte sie leise, als sie sich wieder Matt zuwandte. Welcher gar keine Notiz von der Zerstörung nahm, die er verursacht hatte.   Dann griff sie verzweifelt nach ihrem Deck. Sie musste sich beeilen! „Draw!“ Kaum gezogen, rief sie: „Ich aktiviere [Absorb Fusion] und erhalte das Pendelmonster [Gem-Knight Tiger's Eye] von meinem Deck!“ Wieder tauchten Edelsteine um sie herum aus, die in ihrem Deck verschwanden, welches die gewünschte Karte im Gegenzug auswarf. Parallel dazu steckte sie bereits [Gem-Knight Pearls] Karte in ihre Hosentasche. „Außerdem verbanne ich Levrier und erhalte [Gem-Knight Fusion] von meinem Friedhof zurück!“ Matt richtete sich wieder gerade auf. „Im Anschluss aktiviere ich Tiger's Eye mit dem Pendelbereich 2 und nutze seinen Effekt, um [Gem-Knight Fusion] abzuwerfen und ein normales Monster aus meinem Deck meiner Hand hinzuzufügen!“ Links neben ihr schoss eine hellblaue Lichtsäule aus dem Boden, in der ein Ritter in gelb-schwarzer Rüstung und einem dreieckigen Helm empor stieg. Er hielt eine Peitsche in der Hand. „Ich wähle [Gem-Knight Pyrite], den ich sofort aktiviere, Pendelbereich 8! Pendulum Scales set!“ Auch rechts neben ihr entstand eine Lichtsäule, in der ein weißer Ritter mit zwei riesigen, runden Schildhälften an den Armen nach oben geschickt wurde.   <2> Anyas Pendelbereich <8>   „Als Nächstes also eine Pendelbeschwörung, huh?“, schlussfolgerte Matt. „Falsch! Ich nutze Pyrites Effekt!“ Anya richtete ihren Arm nach oben. Der weiße Schildritter stampfte mit seinem Fuß in der Luft auf und sendete eine kleine Druckwelle die Säule hinab, bis sie in den Boden eindrang. „Damit kann ich einmal pro Zug eine Gem-Knight-Karte vom Deck auf den Friedhof schicken. [Gem-Knight Lazuli]! Und wenn die durch einen Karteneffekt dort landet, gibt sie mir ein normales Monster von meinem Friedhof auf die Hand zurück!“ Anya zeigte bereits ihre Wahl vor: [Gem-Knight Garnet]. Dann fächerte sie diesen aus und offenbarte, dass sie tatsächlich zwei Karten in der Hand hielt. Die andere war ihre allseits bekannte [Gem-Knight Fusion]. Sie erklärte: „Und ich verbanne Lazuli auch gleich, um mein Prachtstück zurückzubekommen.“ Matt gluckste. „Was denn jetzt? Fusionieren oder pendeln? Du verwirrst mich.“ Als er bemerkte, wie offen er gesprochen hatte, schnappte er schnell: „Nicht, dass es eine Rolle spielt. Im Endeffekt kenne ich deine Tricks.“ „Ach ja? Diesen hier vielleicht noch nicht! Ich aktiviere den permanenten Zauber [Brilliant Fusion]!“ Vor ihr richtete sich die Karte auf, vor dessen Artwork – ein riesiger Brillant, der eine rote und eine blaue Kreatur in sich hineinzog – ein glitzernder Vortex öffnete. „Mit der kann ich Gem-Knights von meinem Deck als Fusionsmaterialien benutzen, dafür verliert das beschworene Monster aber seine Angriffspunkte!“ „Das ist in der Tat neu“, keuchte der Dämonenjäger irritiert. „Ich verschmelze die Gem-Knights Lapis, Iolite und Amber von meinem Deck!“ Jene Drei tauchten nicht nur über ihr in Form eines beigefarbenen, blauen und goldenen Ritters auf und wurden in den Sog gezogen, zusätzlich wurden ihre Karten auch aus dem Deckschacht geschoben, sodass Anya sie grinsend auf den Friedhof legen konnte. Dabei rief sie: „Herz, Seele, Gefäß! Vereint euch zur reinsten aller Ritterinnen, deren Klinge jeden Hoffnungsstrahl zerteilt! Fusion Summon! Strahle, [Gem-Knight Lady Brilliant Diamond]!“ Aus dem Wirbel schoss daraufhin eine großgewachsene Ritterin, die in einer edlen Platinrüstung steckte und ein schlichtes, schmuckloses Schwert schwang. Brustpanzer und Helm waren von schimmernden Brillanten bedeckt, von ihren Schultern hing ein kurzer, roter Umhang. Matt weitete die Augen, doch noch bevor er überhaupt reagieren konnte, rief Anya bereits: „Aber [Brilliant Fusions] Schwächungseffekt ist nicht endgültig! Ich kann eine Zauberkarte abwerfen, um das gerufene Monster bis zur End Phase deines Zuges zur Originalstärke zurückfinden zu lassen!“ Schon war [Gem-Knight Fusion] die nächste Karte, die auf Anyas Friedhof landete. Gleißendes Licht begann von den Edelsteinen an Lady Brilliant Diamonds Rüstung auszugehen, welche kämpferisch schrie.   Gem-Knight Lady Brilliant Diamond [ATK/3400 → 0 → 3400 DEF/2000 (10)]   Matt rieb sich ächzend den Hinterkopf. „Langsam wird mir das zu viel …“ Dann lachte er gehässig. „Yeah. Besonders, wo Levrier ihr nicht helfen kann.“ Der schnippische Spruch entging Anya keineswegs, doch sie war gerade zu sehr im Fluss und wollte nicht Gefahr laufen, abgelenkt zu werden. Das würden sie alles später 'auswerten'! „Als Normalbeschwörung kommt [Gem-Knight Garnet]!“, rief Anya und knallte diesen auf ihre neue, schwarze Duel Disk. Jener Ritter in bronzener Rüstung tauchte vor ihr auf und ließ eine Stichflamme über seiner Hand schweben.   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   „Aber der wird nicht lange bleiben“, verriet Anya, „denn ich opfere ihn für Lady Brilliant Diamonds Effekt! Dadurch wird sofort ein Gem-Knight-Fusionsmonster aus meinem Extradeck beschworen! Contradiction Fusion!“ Hinter Garnet öffnete sich ein Edelsteinwirbel und zog diesen in sich hinein. Anya schrie: „Ich brauche dich, [Gem-Knight Prismaura]!“ Da schoss bereits ein weißer Ritter in rotem Cape aus dem Vortex, welcher einen Schild sowie eine Mischung aus Lanze und Schwert mit sich führte, die aus blauem Kristall bestand.   Gem-Knight Prismaura [ATK/2450 DEF/1400 (7)]   Kaum war er erschienen, griff Anya nach ihrem Friedhof. „Und jetzt verbanne ich [Gem-Knight Amber] von meinem Friedhof, um [Gem-Knight Fusion] zu recyclen!“ „Aber du wirfst sie gleich wieder ab, um den Effekt von Prismaura zu aktivieren, habe ich Recht?“ Matts gelangweilte Stimme verunsicherte Anya. „Huh? J-ja! Dann weißt du ja, was das heißt! Prismaura kann dadurch eine deiner offenen Karten vernichten! Los!“ Der Ritter richtete seine Schwertlanze gen Himmel und ließ einen Blitz in diese einschlagen. Elektrische Energie begann um sie zu knistern, als er sie auf das riesige, schwarze Ungetüm richtete und einen gleißenden Lichtstrahl abfeuerte. „Berechenbarer geht's nicht“, maulte Matt und schwang den Arm aus. „Verdeckte Falle, [Shift]! Sie wechselt das Ziel deines Effekts auf Heliotrope!“ Jene klappte vor ihm auf. „Shit!“, fluchte Anya, als der Strahl mitten auf seinem Weg einen Bogen machte und stattdessen den korrumpierten Gem-Knight traf, welcher lautstark explodierte. Das konnte doch nicht wahr sein! Matt grinste sie finster an. „Dachtest du ich wüsste nicht, dass du versuchen würdest, [Primalswarm Yggdrasil] durch einen Karteneffekt zu vernichten? Als Inkarnation kann er schließlich nur durch Xyz-Monster im Kampf bezwungen werden.“ „Tch!“ Ja, genau das war ihr Plan gewesen. Der jetzt in Rauch aufgegangen war. „Sieh das hier als Metapher an“, provozierte Matt sie weiter, „du hast durch dein Tun am Ende dich selbst ins Aus geschossen. Oder einen verlorenen Freund? Such's dir aus …“ Anya aber blieb stur. „Und wenn schon. Wenn du mit verlorenen Freund dich meinst, dann schreib dir eins hinter die Ohren, Summers! Du bist nicht verloren! Bloß verdammt dämlich!“ Aber ihre Worte erreichten ihn nicht, er zuckte nicht einmal mit der Wimper. Die Blonde stöhnte innerlich, fragte sich, was sie tun musste, damit er sich zumindest ein wenig beruhigte. Scheiße! So hilflos zu sein war schlimmer als irgendwelche Undying oder Weiße Hexen als Gegner zu haben! „Ich setze eine Karte verdeckt!“, verkündete Anya und ließ diese zu ihren Füßen erscheinen. „Und zum Abschluss bekommst du noch eine Kostprobe von Lady Brilliant Diamonds Schwert! Brilliant Fate Severing!“ Die edle Ritterin stieß sich vom Boden ab und flog wie ein Pfeil auf Yggdrasil zu. Die neun Drachenköpfe am Unterleib des Schwärmers richteten sich auf und feuerten schwarze Feuerstrahlen auf sie ab, doch Lady Brilliant Diamond wich allen geschickt aus. Mit erhobenem Schwert zielte sie schließlich auf den gesichtslosen Kopf, doch der Hieb wurde letztlich durch die Hand des Titanen abgewehrt.   [Anya: 4000LP / Matt: 4000LP → 3650LP]   „Zug beendet!“, knurrte Anya mehr als unzufrieden. Dabei dachte sie auch an Levrier. Hoffentlich ging es ihm gut.   „Draw!“, rief Matt aus und zog eine Karte. „Ich aktiviere [Primalswarm Yggdrasils] Effekt und mache [Evilswarm Golem] in meinem Deck zu seiner Overlay Unit! Black Law!“ Wie schon in der Runde zuvor, streckte seine riesige, schwarze Schattenkreatur ihren Arm aus und erschuf über dessen Handfläche eine düstere Lichtsphäre.   Primalswarm Yggdrasil [ATK/3050 DEF/1650 {12} OLU: 3 → 4] „Was zum Henker soll das?“, wollte Anya wissen. „Wozu sammelst du so viele-“ Doch Matt unterbrach sie scharf. „Das findest du gleich heraus! Denn ich aktiviere jetzt den zweiten Effekt von Yggdrasil! Er kostet ihn all seine Overlay Units, doch im Gegenzug entfesselt er all seine Macht!“ Anya biss sich auf die Unterlippe. So wie er das formulierte, gefiel ihr das überhaupt nicht. „Zwar kann ich in diesem Zug keine Battle Phase durchführen“, erklärte Matt, „doch das muss ich auch gar nicht. Yggdrasil richtet die kombinierte Kraft all seiner Overlay Units gegen deine Monster, was sie umgehend zerstört! Und die Differenz der beiden Angriffssummen wird dir zusätzlich als Schaden zugefügt!“ Und was tat Anya? Sie legte den Kopf schief. „Huh?“ Matt stöhnte. „Vereinfacht gesagt: Die Gesamtstärke deiner Monster beträgt 5850! Die meiner 9000! Deine Monster werden durch diesen Angriff zerstört und du erleidest die restlichen 3150 Punkte als Schaden! Oder noch einfacher gesagt: Fahr zur Hölle! Blackening Infestation Stream Of Destruction!“ Anya stieß einen entsetzten Seufzer aus, als die neun Drachenköpfe am Unterleib der Kreatur sich erhoben und allesamt in ihrem Maul schwarze Energie aufluden. Ihr Resümee: „Shit!“ Da schoss auch schon jeder von ihnen synchron einen schwarzen Flammenstrahl auf das Mädchen ab. Auf der Hälfte des Weges bündelten diese sich zu einer riesigen, alles vernichtenden Säule. Reflexartig sprang Anya zur Seite, sah noch, wie ihre Monster regelrecht geröstet wurden, als sie damit in Kontakt kamen. Und sie spürte die Hitze, als der Strahl an ihr vorbei in den Wald schoss.   [Anya: 4000LP → 850LP / Matt: 3650LP]   Statt wie sonst auf dem Bauch zu landen, konnte sie sich diesmal abrollen und landete mit einem Knie und einer Hand auf dem Boden abgestützt einigermaßen sanft. Doch als sie über ihre Schulter sah, spürte sie einen eiskalten Schauder über den Rücken laufen. Das mit dem drohenden Waldbrand hatte sich erledigt. Eine riesige, endlos erscheinende Schneise der Zerstörung zog sich durch das Dickicht. Ein halb weggeätzter Baum brach vor ihren Augen in der Mitte durch und landete in der mindestens fünf Meter breiten Spur. „Oh verdammter Kackmist!“, fluchte sie fassungslos. Da hörte sie noch einen dumpfen Knall. Sie wirbelte herum und sah Matt am Boden liegen, schwer atmend. „Summers!“   ~-~-~   Indes sah sich Abby einer ganz anderen Herausforderung ausgesetzt. Sie saß neben der blonden Claire Rosenburg auf dem Sofa der Familie Bauer und starrte auf den großen, neuen Fernseher in der rechten Ecke, wo eine Quiz-Sendung über den Bildschirm flimmerte. Sie hatte heute morgen Anyas Mutter Sheryl dabei geholfen, ihn zu beschaffen. Auf Anyas Anweisung hin. Und die hatte sie im Anschluss eiskalt als Babysitterin für die Duel Monsters-Weltmeisterin eingesetzt, anstatt sie nach San Augustino mitzunehmen. Dabei war das Babysitten, wie Abby herausgehört hatte, sonst eigentlich die Aufgabe von Zanthe. Das adrette, brünette Mädchen mit der Brille räusperte sich. „Sag mal Claire, was machst du eigentlich besonders gerne?“ Keine Reaktion. Die junge Frau, die das blaue Stirnband von Valerie trug, starrte stur in die Flimmerkiste. Vorsichtig beugte sich Abby etwas nach vorn und betrachtete den Brustkorb Claires. Hob der sich überhaupt? Sie war sich nicht ganz sicher. Scheinbar hatte Anya guten Grund, dauernd Roboterwitze zu reißen … „Wir könnten in die Bibliothek gehen“, schlug Abby trotz ihrer Skepsis freudestrahlend vor. „Nein.“ Das war das erste Wort, das Claire heute gesprochen hatte. Die Chefsirene wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. „Shoppen?“ „Nein.“ Wesentlich weniger enthusiastisch versuchte sie es mit: „Kino?“ „Nein.“ Abby stöhnte. „Duel Monsters? Ich bin nicht schlecht, glaube ich.“ Claire drehte ihr tatsächlich den Kopf zu. „Kein Interesse.“ „Wer hätte das gedacht …“ Mit schwerem Seufzen ließ sie von ihrem 'Baby' ab und wandte sich dem Fernseher zu. Traurigkeit stieg in ihr auf. Anya hatte es ihr nur kurz erzählt. Was mit Matts Zuhause geschehen war. Wie schrecklich das für ihn sein musste. Vermutlich hatte ihre beste Freundin sie nicht mitgenommen, da Abby mit den Dämonenjägern nicht besonders gut ausgekommen war. Die Situation hatte sich zuletzt gebessert, aber vergessen konnte die Sirene nicht, dass Matt damals ihren kleinen Bruder entführt hatte. Trotzdem fühlte sie mit ihm und hätte die Drei am liebsten begleitet. Hoffentlich ging alles gut aus …     Turn 99 – Left Undone Alle Versuche, dem stark angeschlagenen Matt gut zuzureden, scheinen vergebens. Die Lage wird noch verschlimmert, als er ihr Dinge über Nick offenbart, die sie nie für möglich gehalten hätte. Dazu stellt [Primalswarm Yggdrasils] vernichtende Kraft Anya vor ein gewaltiges Hindernis. Gerade als sie glaubt, dieses überwinden zu können, erlebt sie eine böse Überraschung … Kapitel 108: Turn 99 - Left Undone ---------------------------------- Turn 99 – Left Undone     Wie ein Pfeil schoss der leblose Körper durch die Ecksäule des Gebäudes in eine Seitengasse, die aufgrund des ganzen Sandes kaum als solche zu erkennen war. Einige Meter entfernt stand Nick mit ausgestreckter Hand. Sein Opfer, ein grünhaariger Bursche, war bereits dahingeschieden. Alles um sie herum war verfallen. Was einst eine moderne Großstadt gewesen schien, war jetzt nichts weiter als Ruinen, bedeckt von Sand, Sand und noch mehr Sand. Der Himmel war dunkel, fast schwarz.   Nick betrachtete seine Hand. Ein starker Luftzug ging durch die Straße. Dabei flog ein längst vergilbtes Blatt Papier auf Nick zu. Er sah es nur an. Es blieb in der Luft kurz vor seinem Gesicht hängen. Dann, eine halbe Sekunde später, flog es knapp an seiner Nase vorbei. „Interessant“, murmelte er vor sich hin. „Und?“; fragte die blonde Alexandra, die hinter ihm mit verschränkten Armen stand. „Hat es diesmal geklappt?“ „Anscheinend. Aber der Effekt ist viel schwächer als bei dem“, meinte der zerzauste, groß gewachsene Mann und nickte zu der Leiche in der Seitengasse. Seine Begleiterin straffte ihren Trenchcoat. „Wenigstens hat sich die Mühe gelohnt. Anders als in den meisten anderen Welten, die wir bisher besucht haben. Die kleine Pause auf der Erde tat eigentlich ganz gut, rückwirkend betrachtet. Egal, können wir jetzt gehen?“ „Ja.“ Es gab nichts mehr in dieser sterbenden Welt für sie zu erledigen, erkannte Nick.   Zusammen wandten sie sich dem Hochhaus zu, das sich direkt neben ihnen befand. Das Eingangstor war längst fort, ebenso die Fensterscheiben. Vermutlich war es einst ein Bürogebäude oder ähnliches gewesen, zumindest gab es am Ende der Lobby einen Tresen und Schächte für Aufzüge. Nick stapfte durch den Sand mit Alexandra im Schlepptau. Jene überlegte laut: „Wenn ich so darüber nachdenke ist es erstaunlich, wie viele der Welten, die wir besucht haben, doch zerstört oder zumindest in schlechtem Zustand sind.“ Darauf erwiderte Nick nichts. „Könnte das Werk dieses ominösen 'wahren Feindes' sein“, schlussfolgerte die schöne Schatzjägerin. Kaum hatten sie das dunkle Gebäude betreten, kam es von der Seite: „Du irrst dich, Alexandra Russo.“ „Der 'wahre Feind' lässt nichts von den Welten übrig, die er heimsucht“, rezitierte Nick das, was Kyon ihnen vor nicht allzu langer Zeit beigebracht hatte. Jener lehnte mit ausgestreckten Beinen an der Wand neben dem fehlenden Tor. Sein Kopf hing leicht nach unten, aber die Sonnenbrille und das schwarze, lange Haar saßen perfekt. „Immer noch außer Gefecht?“, fragte Alexandra ihn, während Nick an den beiden vorbei zu dem Tresen schritt und dabei den Rucksack abstreifte, den er geschultert hatte. „Das Reisen zwischen den Welten ist ziemlich anstrengend. Wir haben Glück, dass ihre Tore geöffnet sind. Aber es kostet mich viel Kraft, sie für euch zu aktivieren.“ Die Blonde seufzte. „Wer hätte gedacht, dass du, als du damals sagtest, all das würde einen hohen Preis fordern, dich selbst gemeint hast.“ „Es ist nicht zu ändern“, erwiderte der Immaterielle in Alessandro Montinaris Körper emotionslos und richtete den Kopf auf. „Um das Tor Eden eurer Welt zu öffnen, musste ich es zunächst finden. Nach der Zerstörung des Turms war es verloren zwischen den Welten, aber dank eines Freundes konnte ich es bergen. Um es zu reaktivieren war viel meiner Kraft als Gründer notwendig. Ein hoher Preis.“ „Dein Leben.“ Alexandra seufzte niedergeschlagen. „Danke. Dafür, dass du uns hilfst, meine ich.“ „Ich muss euch danken. Ihr seid möglicherweise die Einzigen, die den Sammler aufhalten könnt.“ Die Schatzjägerin lachte bitter. „Du hast nicht viel Vertrauen in die Undying.“ „Ihre Verbindung zum Sammler hält sie zurück.“ „Wo wir gerade von denen sprechen. Ich schätze, wir hatten wirklich Glück, dass sie nicht bemerkt haben, wie wir das Tor geöffnet haben.“ Nick rief vom anderen Ende der Lobby: „Selbst wenn sie es bemerkt hätten, hätten sie uns erst finden müssen. Ihre Augen sind nicht überall.“ Ganz so gelassen sah die junge Frau das nicht. „Aber sie verfügen über Mittel und Wege, uns aufzuspüren und zu verfolgen. Unterschätze sie nicht, Nick.“ Mehr wollte er anscheinend nicht zum Thema beitragen, denn er schwieg und beschäftigte sich mit etwas auf dem Tresen. Alexandra erhob sich. „Gebt mir noch ein paar Minuten, dann können wir weiterreisen“; bat Kyon und sie nickte freundlich lächelnd.   Von der Neugier getrieben zog es sie zu Nick, den sie schließlich dabei beobachten konnte, wie er auf einem Laptop in hohem Tempo herumtippte. „Was machst du da?“, fragte sie. „Nichts von Bedeutung.“ Sie konnte einen Blick auf ein Textdokument erhaschen. Eine Beschreibung der Welt, in der sie sich befanden, die Nick #7 nannte. Als er ihre Blicke bemerkte, klappte er den Laptop zu und wandte sich zu ihr um. „Du hältst unsere Erlebnisse fest?“, fragte sie überrascht. „Wofür?“ „Das geht dich nichts an.“ „Herzlich wie immer“, mokierte sie sich ob seines eisigen Charmes. „Darf ich einen Vorschlag machen? Wir sollten nochmal zurück in unsere Welt. Du kannst die Kräfte deiner Conqueror's Soul anscheinend nur vollständig entfalten, wenn du dich duellierst.“ Der brünette, junge Mann sah sie an, als hätte sie etwas Verbotenes ausgesprochen. Aber sie blieb standhaft. „Wie oft hat es funktioniert, die Kräfte der Bewohner der anderen Welten zu absorbieren? Einmal, zweimal?“ Er antwortete nicht. Weil er genau wusste, dass sie Recht hatte. „Warum auch immer, scheint es nur im Duell zuverlässig zu funktionieren. Und in den meisten Welten gibt es Duel Monsters. Oder hat es zumindest irgendwann mal gegeben.“ „Ich befürworte diesen Vorschlag“, meinte auch Kyon hinter ihnen. Er erhob sich langsam. „Es ist von entscheidender Bedeutung, dass du dir ein neues Deck besorgst, Nick Harper.“ Jener gab sich schließlich geschlagen. „Meinetwegen. Ehe ich noch mehr Zeit verschwende.“ „Duel Monsters ist der Schlüssel zu allem“, sprach der Immaterielle geheimnisvoll. Aber wann immer er das sagte, gab er keine Antwort auf etwaige Fragen.   ~-~-~   Anya kniete mit ungläubigem Blick und betrachtete Matt, der vor dem in Trümmern liegenden Waisenhaus am Boden lag. Dabei war sie es doch gewesen, die beinahe gegrillt worden wäre. Hinter ihr zog sich eine Schneise der Zerstörung durch den Wald, im wahrsten Sinne des Wortes erstreckte sich eine etwa fünf Meter breite Narbe durch jenen, in der es nur noch dampfende Erde gab.   [Anya: 850LP / Matt: 3650LP]   Ursache des Chaos war die riesige, schwarze Gestalt, die über Matt verharrte. Ihr Unterleib bestand aus neun Drachenköpfen, die allesamt aufgebäumt auf das Mädchen schielten. Ab dort ging es in einen schwarz-violetten Oberkörper über, der in einem gesichtslosen Kopf endete. Die Arme hatte die Kreatur weit ausgebreitet.   Primalswarm Yggdrasil [ATK/3050 DEF/1650 {12} OLU: 0]   Anya ihrerseits kontrollierte die beiden Ritter [Gem-Knight Tiger's Eye] und [Gem-Knight Pyrite], welche in ihrem Pendelbereich als Zauberkarten lagen und entsprechend in hellblauen Lichtsäulen weit über ihr schwebten. Dazu lag eine Karte zu ihren Füßen verdeckt.   <2> Anyas Pendelbereich <8>   Handkarten hatte sie keine mehr und wenn, wären diese vor lauter Aufregung völlig zerdrückt, so wie sie die Faust ballte. Langsam erhob sich das Mädchen. „Summers … ist alles okay bei dir?“ Jener stützte sich mit beiden Händen von der Erde ab und richtete ebenfalls langsam auf. Eher schlecht als recht stand er schließlich wieder auf den Beinen. „Natürlich. Noch ein bisschen mehr und ich kann meine Familie endlich rächen …“ „Ich weiß, dass du mich dafür verantwortlich machst! Und indirekt bin ich das auch! Aber ich wollte nie, dass so etwas geschieht. Das war Stoltz, nicht ich! Wir müssen-“, versuchte sie auf ihn einzureden, aber er schwang wütend den Arm aus. „Um den kümmere ich mich danach!“ „Idiot! Du kannst kaum stehen! Und dabei bin ich deine Gegnerin! Was glaubst du, alleine gegen den ausrichten zu können!?“ Matt knurrte: „Das lass mal meine Sorge sein!“ Wieso klammerte er so verbittert an seinen Rachegedanken an sie fest, fragte sich Anya getroffen. Er musste doch wissen, dass sie niemals so etwas zugelassen hätte. „Summers, noch haben wir keine Anhaltspunkte gefunden, was mit ihnen geschehen ist! Bitte, hör auf mich! Lass uns mit Ricther sprechen, er wird-!“ „Als ob ich noch einmal einem Undying vertrauen würde! Langsam durchschaue ich dich, Anya“, sprach er manisch mit erhobenem Zeigefinger, „das ist alles ein abgekartetes Spiel. Du willst mich zerstören.“ „N-nein, wie kommst du darauf!?“ „Seit ich dich kenne ist mein Leben die Hölle. Du bist schuld! An allem!“ Er nahm eine seiner drei Karten und rammte sie in sein D-Pad. „Diese hier verdeckt. Mach deinen letzten Zug, Anya!“ Während die Falle zu seinen Füßen neben seiner anderen gesetzten Karte erschien, schluckte das Mädchen. Das hatte ja prima funktioniert. Wo war der elende Flohpelz, wenn man ihn mal brauchte!? Er war sicher besser im Vermitteln als sie!   Ihr blieb nichts anderes übrig, als weiterzuspielen. „Draw!“ Vielleicht konnte sie noch ein wenig Zeit schinden, bis Zanthe wiederkam. [Primalswarm Yggdrasil] hatte all seine Overlay Units verbraten, also würde es eine Weile dauern, ehe er noch so einen vernichtenden Effekt entfesseln konnte. Andererseits hatte sie kaum noch Lebenspunkte, was den Prozess wiederum beschleunigte. Verdammter Kackmist! Das Mädchen betrachtete ihre gezogene Karte, wodurch sich ihre Miene sofort aufhellte. „Yes!“ Sie streckte die Hand in die Höhe. „Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum!“ Über ihr öffnete sich zwischen den Lichtsäulen ein riesiges, buntes Loch. „Von meiner Hand rufe ich den Stufe 7-[Gem-Eyes Value Dragon]! Pendulum Summon!“ Ein einzelner, roter Lichtstrahl schoss aus dem Pendelportal und schlug vor ihr ein. Brüllend erhob sich vor ihr ein Drache, gänzlich mit goldener Panzerung bedeckt. Von seinem Rücken ragten in jede Richtung drei Tragflächen.   Gem-Eyes Value Dragon [ATK/2400 DEF/2000 (7) PSC: <5/5>]   „Und ich nutze sofort seinen Effekt! Sight Transition!“ Am Helm des Monstrums befanden sich zwei Scheiben, eingeteilt in vier gleichgroße, farbige Segmente. Jene begannen sich schneller und schneller zu drehen. „Damit kann ich einmal pro Zug den Typen von Gem-Eyes auf Pyro, Aqua, Donner oder Fels ändern.“ Anya schwang den Arm aus. „Ich wähle Aqua!“ Als sie das sagte, stoppten die Drehungen der Scheiben ruckartig und die blauen, transparenten Segmente legten sich vor die Augen des Drachen wie ein Visor. „Und jetzt löse ich den Effekt aus, den Gem-Eyes hat, wenn er vom Typ Aqua ist! Sapphire Gift!“, tönte die Blonde lautstark. Die goldenen Tragflächen des Value Dragons wurden von einer deckenden Eisschicht überzogen, die eine ganz neue Version von Flügeln erschuf. Blaue Linien zogen sich in der Rüstung entlang, als der Drache sich aufbäumte und heulte. Um Anya ihrerseits entstand eine blaue Aura. „Damit heile ich 1000 Lebenspunkte auf!“   [Anya: 850LP → 1850LP / Matt: 3650LP]   „Der Tropfen auf dem heißen Stein“, meinte Matt abfällig. „Ich bin noch nicht fertig! Ich verbanne [Gem-Knight Iolite] von meinem Friedhof, um [Gem-Knight Fusion] zurückzuerhalten. Und ich werfe diese auch gleich wieder durch den Effekt von [Gem-Knight Tiger's Eye] in meiner Pendelzone ab, um mir ein normales Monster von meinem Deck ins Blatt zu nehmen!“ Der schwarz-gelb gestreifte Ritter in der linken Lichtsäule strahlte kurz auf. „Ich wähle [Gem-Knight Sapphire]!“ Dessen Karte schob sich aus Anyas schwarzer Duel Disk. „Und jetzt verbanne ich [Gem-Knight Garnet], um [Gem-Knight Fusion] erneut zu recyclen!“ Anya holte beide Karten aus ihrem Friedhof und schob den gelb-umrahmten Ritter in den Schlitz unterhalb des Ablagestapels. „Und was wird das, wenn es fertig ist?“ „Ein Problem für dich! Denn ich aktiviere jetzt [Gem-Knight Fusion]!“ Das Mädchen streckte ihren Arm aus. Vor ihr öffnete sich ein Edelsteinwirbel. „Gem-Eyes wird immer als Gem-Knight behandelt, weshalb er ebenfalls fusioniert werden kann. [Gem-Knight Sapphire], du bist das Herz, [Gem-Eyes Value Dragon], du die Rüstung! Vereint euch!“ Zuerst erschien vor ihr ein hellblauer Ritter, der in den Sog gezogen wurde. Danach verschwand auch ihr goldener Drache in jenem, doch kurz darauf schoss ein roter Blitze aus dem Wirbel in den Himmel. „Fusion Summon! Erscheine, [Gem-Knight Aquamarine]!“ Ein Lichtblitz blendete Matt kurzzeitig. Da kniete ihr neuer Krieger bereits vor ihr nieder, bei dem es sich um einen dunkelblauen Ritter in violettem Umhang handelte, an dessen Arm ein Rundschild mit einer breiten, schmalen Eisklinge befestigt war.   Gem-Knight Aquamarine [ATK/1400 DEF/2600 (6)]   „Das reicht nicht, um [Primalswarm Yggdrasil] abzuwehren“, zeigte sich Matt zuversichtlich. Ebenso wie Anya. „Lass dich überraschen. Zug beendet!“ „Draw!“, rief ihr angeschlagener Gegner und zog seine Karte. Unmittelbar danach nahm er eine andere aus seinem Drei-Karten-Blatt. „Ich spiele [Evilswarm Thunderbird]!“ Ein riesiger, leicht untersetzter, schwarzer Vogel tauchte vor ihm auf. An seiner Stirn hingen fünf lange, dornenbesetzte Tentakel.   Evilswarm Thunderbird [ATK/1650 DEF/1050 (4)]   „[Primalswarm Yggdrasil], Angriff auf [Gem-Knight Aquamarine]!“, befahl Matt mit ausgestrecktem Zeigefinger. Am gesichtslosen Kopf des riesigen Ungetüms öffnete sich ein roter Schlund, der einen vernichtenden Laserstrahl gegen Anyas knienden Ritter entfesselte. Welcher anschließend in einer mächtigen Explosion, die allerlei Erde aufwirbelte, unterging. Anya schützte sich mit erhobenen Armen. Dabei grinste sie hinter diesen und lugte hervor. „Sehr schön, Summers. Du hast gerade den Effekt von [Gem-Knight Aquamarine] ausgelöst. Wird er zerstört, schicke ich eine deiner Karten auf die Hand zurück. Ihn!“ Sie schwang den Arm aus und zeigte auf [Primalswarm Yggdrasil]. „Das glaube ich nicht“, erwiderte Matt tonlos, als eine seiner gesetzten Karten aufsprang, „verdeckte permanente Falle, [Xyz Wrath]! Solange ich ein Xyz-Monster kontrolliere und eines deiner Stufe 5 oder höher-Monster einen Effekt aktiviert, kann ich eine Handkarte abwerfen und diesen annullieren. Außerdem wird das Monster zerstört! Aber das wurde es in diesem Fall ohnehin …“ Aus dem Himmel schoss ein Blitz auf Anya herab, der direkt in ihre Duel Disk einschlug. Das Mädchen fluchte erschrocken: „Oh shit!“ Matt derweil schob eine Karte in seinen Friedhofsschlitz und sah auf. „Ich kenne dich lange genug um zu wissen, wie du dich gegen stärkere Feinde versuchst zur Wehr zu setzen. Und wie du dabei ohne Hilfe meistens versagst.“ Der Seitenhieb saß. Anya sah getroffen zur Seite. „Kch!“ „Direkter Angriff auf ihre Lebenspunkte, [Evilswarm Thunderbird]!“ Sofort richtete das Mädchen ihre Aufmerksamkeit auf den riesigen Vogel, der sich bereits im Anflug befand. Zwar hatte sie damit gerechnet, einen direkten Angriff kassieren zu müssen, aber nicht durch dutzende Tentakelhiebe! Denn genau diese bekam sie ab, wurde regelrecht ausgepeitscht. „Argh!“, schrie sie und sank nach der Tortur auf die Knie. Matts Angriffe verursachten realen Schaden, woran dieser elende Immaterielle Schuld war! „So ein Dreck!“   [Anya: 1850LP → 200LP / Matt: 3650LP]   „Bevor ich den Zug beende, aktiviere ich noch [Primalswarm Yggdrasils] Effekt. Er macht [Evilswarm Salamandra] in meinem Deck zu einer Overlay Unit.“ Seine Kreatur streckte die Hand vor sich aus und ließ eine schwarze Sphäre über ihr erscheinen, die um die Drachenköpfe an seinem Unterleib zu kreisen begann.   Primalswarm Yggdrasil [ATK/3050 DEF/1650 {12} OLU: 0 → 1]   Anya hielt sich den rechten Oberarm. Die schwarze Totenkopf-Jeansjacke, die sie trug, war an einer Stelle aufgerissen und sie blutete. Sie kniff die Augen zusammen. Pah! Es tat nicht weh! Und tatsächlich ließ der Schmerz merklich nach. Ging doch!   Trotzdem zitterte ihr ganzer Arm, als sie nach ihrem Deck reichte. Wenn sie Yggdrasil nicht bald loswürde, wird er stark genug für eine weitere Ladung seines Zerstörungseffekts sein. Und das würde sie nicht überleben. „Matt“, versuchte sie abermals, zu ihm durchzudringen, „willst du das wirklich durchziehen?“ „Ich will Gerechtigkeit!“ „Ach ja!? Und was hast du dann davon!?“, überschlug sie sich. „Du wirst zu einem Mörder, genau wie Stoltz!“ „Was schert mich das noch?“, fragte er ruhig. „Diese Welt ist doch sowieso verdorben bis in ihre Grundfeste. Wenn -andere- ihr Gewissen abstellen können, muss ich das eben auch.“ Anya irritierte diese Betonung. „Was soll das heißen?“ „Du weißt es natürlich nicht.“ Er griff nach seinem Extradeck und zog eine Karte daraus hervor. Es war [Evilswarm Ouroboros]. „Im Zug, als ich abgehauen bin, habe ich mir angesehen, was diese Karte alles in Nicks Händen angerichtet hat.“ „H-huh?“ Matts ohnehin finsterer Ausdruck verzog sich derart, dass Anya eine Gänsehaut bekam. „Er hat ihn unzählige Male eingesetzt. Gegen andere Menschen. Beziehungsweise Dämonen. Viele sind dabei gestorben.“ „W-was?“ „Anders ausgedrückt: Er ist ein Mörder, Anya. Er tötet andere Lebewesen. Und warum? Weil er ihre Kräfte absorbieren will. Daher konnte er all die Sachen, die er gestern zur Schau gestellt hat.“ Matt lachte finster. „Er will selbst zum Dämonen werden. Und soll ich dir noch etwas verraten? Selbst deinen Vater wollte er ermorden!“   Dem Mädchen klappte die Kinnlade hinunter. Das konnte unmöglich stimmen. Nick war nicht gerade einfach, wie sie letztlich hatte einsehen müssen, aber das? Er musste sich irren. Zu so etwas wäre er nicht in der Lage, allein weil er intelligent genug war, um seine Ziele anders zu erreichen. Und doch! Schon vor etlichen Jahren hatte Nick eine Falschaussage gemacht, um ihren Dad ins Gefängnis zu bringen. Auch wenn er dazu von irgendwelchen Typen, die sie hassten und heute nicht mehr gerade gehen konnten, gezwungen worden war. Das konnte Matt allerdings unmöglich wissen. Anya schluckte. Nein. Sie wollte darüber nicht nachdenken. Nicht hinterfragen. Nick war nicht so, er war ihr immer freundlich gesinnt gewesen! Das Mädchen lachte, wenn auch etwas heiser. „Oh Summers, glaubst du das wirklich? Idiot! Merkst du nicht, dass dein Immaterieller dich manipuliert!?“ „Ich habe keinen Grund ihm zu misstrauen.“ „Oh natürlich, weil sie immer nur das Beste für uns im Sinn hatten.“ Anya breitete die Arme aus. „Mach die Augen auf! Du wirst benutzt! Wer sagt denn eigentlich, dass es nicht er war, der das hier angerichtet hat? Vielleicht war es gar nicht Stoltz?“ Matt schüttelte den Kopf. „Thoras hat nichts damit zu tun.“ „Sicher?“ Sie schnaubte. „Ich könnte schwören, dass du mir mal erzählt hast, Another hätte es genauso mit Big Al gemacht, als dieser noch ein Windelscheißer war. So machen sie das, Summers! Sie fingieren Ereignisse im Leben ihrer Gefäße, um sich als ihre Freunde zu präsentieren.“ Er sah sie für einen kurzen Moment irritiert an. „Und lass mich raten: Er ist es, der dir ins Ohr flüstert, mich zu töten!“ Und in diesem Augenblick weitete er die Augen. „… ja, aber aus nachvollziehbaren Gründen.“   Ich bitte dich, Anya Bauer. Ich habe dich nie belogen.   „L-Levrier! Geht es dir gut!?“ Es war, als fiele ihr der Mount Everest vom Herzen, als sie seine Stimme in ihrem Kopf vernahm. Einigermaßen. Wie ich sehe, hast du dich bisher verteidigen können. Aber [Primalswarm Yggdrasil] bist du nicht losgeworden.   „Ist hartnäckiger als Abby bei ihren Moralapostel-Ansprachen.“ Anya atmete tief durch. „Matt wird von seinem Immateriellen manipuliert. Wir müssen was dagegen tun!“ „Soll ich dir was sagen? Es ist mir mittlerweile egal. Ich habe keine Zukunft mehr. Soll mich doch kontrollieren wer will“, zischte Matt verbittert zurück. „Das stimmt doch gar nicht! Du hast noch uns!“ Anya legte sich dabei die Hand auf die Brust. „Es geht immer weiter.“ „Pah …“   Ich möchte deinen Appell ungern unterbrechen, aber Matthew Summers Zustand bereitet mir große Sorgen. Sein Energiefluss ist ein einziges Chaos, seit er seine Inkarnation aufs Feld gebracht hat.   „Du meinst seinen, uh, wie hieß das noch?“ Äther, wie Matthew Summers uns schon mehrfach erklärt hat. Anscheinend zehrt [Primalswarm Yggdrasil] davon und vergiftet ihn dabei. Wir sollten es so schnell wie möglich zerstören, andernfalls könnte unser Freund sterben.   Wieder lachte Matt. „Und wenn schon. Aber bevor das passiert, nehme ich euch beide mit. Sollte ich dann noch stehen, schnappe ich mir Stoltz.“ „Du kapierst es nicht, huh? Gut, wenn du die Nachricht nicht verstehst, muss ich sie eben in dich hineinprügeln!“, drohte Anya und griff endlich nach ihrem Deck. „Draw!“ Erwartungsvoll sah sie sich die gezogene Karte an. Und als ihre Mundwinkel derart zufrieden hochzuckten, dass Leute, die sie aus frühen Zeiten kannten, sofort die Flucht ergriffen hätten, sagte sie: „Yeah baby!“ Folglich wurde der gezogene Zauber unmittelbar ausgespielt. „Ich aktiviere [Gem-Trade]! Wenn eine Karte auf meinem Friedhof liegt, die Gem-Knights fusionieren kann, darf ich einen Fusionsritter verbannen und für jede dritte Stufe eine Karte ziehen.“ Anya nahm persönlich ihren Friedhof aus dem Schacht, durchsuchte ihn und zeigte grinsend drei Karten vor. „[Gem-Knight Lady Brilliant Diamond] ist Stufe 10, also sind das drei Karten für mich. Außerdem verbanne ich auch gleich [Gem-Knight Turquoise], um [Gem-Knight Fusion] zu recyclen, wenn wir sowieso grad' dabei sind.“ Doch zuerst musste sie die drei Karten ziehen. Nachdem das getan war, landete mit Turquoise der nächste Ritter in der Verbannungszone. Ganze vier Karten hielt Anya damit auf der Hand.   Bitte vergiss nicht, dass du dadurch für die nächsten drei Züge die Draw Phase überspringen musst.   „Als ob!“ Wahrscheinlich würde das Duell ohnehin nicht mehr lange gehen, überlegte Anya beim Anblick der Karten. Sie reckte das Kinn hoch. „Summers, bevor ich dich jetzt unangespitzt in den Boden ramme, sollst du eins wissen. Ich werde dich nicht aufgeben, kapiert? Niemals.“ Matt sah sie einen Moment an völlig verunsichert an, bevor er wieder zu seiner grimmigen Ader zurückfand. Immerhin tat er Anya einen Gefallen damit, diese Worte, die sie bereits Sekunden später zutiefst bereute, nicht zu kommentieren. Seit wann war sie so kitschig!? Bah! Um gar nicht erst darüber nachdenken zu müssen, streckte sie den Arm gen Himmel. „Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum! Aus meinem Extradeck der Stufe 7-[Gem-Eyes Value Dragon]! Pendulum Summon!“ Über ihr öffnete sich das bunte Pendelportal und spie einen roten Lichtstrahl aus, der vor ihr einschlug und die Form des gepanzerten, goldenen Drachen annahm.   Gem-Eyes Value Dragon [ATK/2400 DEF/2000 (7) PSC: <5/5>] „Dein [Primalswarm Yggdrasil] kann nur durch Xyz-Monster besiegt werden, richtig?“ Anya grinste. „Aber was passiert wohl, wenn man diesen Effekt unterbindet? Das wirst du gleich herausfinden! Sight Transition!“ Wie angekündigt begannen sich die vierfarbigen Scheiben am Helm des Drachen zu drehen. „Ich ändere seinen Typen auf Donner!“ Schließlich hielten sie bei den gelben Segmenten, die umklappten und einen Sichtschutz bildeten. Gelbe Linien zogen sich durch seine Rüstung, violette Blitze begannen um die Tragflächen zu schlagen. Anya zeigte auf Yggdrasil. „Mit diesem Effekt wählt Gem-Eyes ein Ziel und die Karte kann ihren Effekt nicht aktivieren, solange es die Ladung kassiert! Topaz Jammer!“ Einige der Blitze begannen sich von ihrem Golddrachen zu lösen, doch noch bevor dieser seinen Feind damit bombardieren konnte, rief Matt: „Nichts da! Du hast wohl vergessen, dass ich [Xyz Wraths] immer wieder nutzen kann!“ Er nahm seine letzte Handkarte und schob sie in den Friedhofsschlitz. Kurz darauf schlug ein Blitz aus heiterem Himmel in Gem-Eyes ein und brachte ihn zum Explodieren. Ein roter Lichtstrahl huschte aus der Rauchwolke nach oben, wo sich das Pendelportal kurz öffnete und ihn absorbierte. Anstatt aber erschrocken zu sein, grinste Anya breit. „Braver Summers.“ „Was soll das heißen?“ „Das wirst du bald merken. Ich habe nicht gesagt, dass ich dich sofort fertig mache.“ Sie zückte eine Zauberkarte aus ihrem Blatt. „Wenn ich erst dein Mistvieh da los bin, kann ich mir dafür alle Zeit der Welt lassen.“ „Versuch es.“ „Gerne! Ich aktiviere [D.D.R. – Different Dimension Reincarnation]!“ Vor ihr richtete sich neben ihrer gesetzten Karte eine grün-umrandete auf, auf der ein dunkelblauer, nackter Mann abgebildet war, der aus einem Dimensionsriss drang. „Zwar kostet das mich eine Handkarte, aber dafür kann ich ein verbanntes Monster zurück aufs Feld rufen. Der Zauber hält es dabei solange, bis er zerstört wird.“ Anya entledigte sich ihrer [Gem-Knight Fusion] und rief: „Zeit für dich, deine Ehre zu retten! Ich beschwöre [Gem-Knight Pearl]!“   Gute Wahl! Damit kannst du [Primalwarm Yggdrasil] vernichten. Moment, was!?   Vor Anya öffnete sich derselbe Dimensionsriss, der wie ein kaputtes Gitter aussah. Aus ihm drang der weiße Ritter Pearl, den Levriers Essenz bewohnte. Und der Immaterielle war alles andere als begeistert.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4} OLU: 0]   Bist du verrückt geworden!?   „Hey, sei dankbar“, gab sich Anya ahnungslos schulterzuckend, „du bist der Star dieses Zugs!“ Ihr Ritter verschränkte wütend die Arme und positionierte sich vor dem Mädchen, wobei seine sieben Perlen sich ebenfalls dazugesellten. „Jetzt hör' auf zu schmollen. Alles wird gut.“ Sie zeigte eine Zauberkarte vor. „Denn ich rüste dich mit [Gem-Knight Power Bracelet] aus, was dich um 800 Angriffspunkte stärker macht!“ Levrier hob eine Faust, an dessen Handgelenk sich ein goldener, juwelenbesetzter Reif materialisierte, der ein gleißendes Licht von sich gab.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 → 3400 DEF/1900 {4} OLU: 0]   Matt weitete die Augen. Was Anya nicht entging. „Ja, Summers! Genau -das-! Angriff auf dieses hässliche Drecksstück! Blessed Spheres of Purity!“ Mit einem Nicken gab Levrier sein Kommando. Wie ein Wespenschwarm flogen seine Riesenperlen auf [Primalswarm Yggdrasil] zu. Eine nach der anderen schlug in seinem Torso, den Armen, den Drachenköpfen ein, bis ein Feuer entfacht wurde. Brennend fiel die Kreatur zu Boden unter Matts panischem Schrei: „Nein!“ Dann folgte eine letzte, mächtige Explosion.   [Anya: 200LP / Matt: 3650LP → 3300LP]   „Ich hoffe, du hast ihn nicht verletzt“, murmelte Anya grimmig. Als ob ich deinen Freunden so etwas antun würde!   Als der Rauch sich legte, stand Matt in gebeugter Haltung da. Dabei hielt er eine Gesichtshälfte mit seiner Hand, das sichtbare Auge war weit aufgerissen vor Entsetzen. Er keuchte schwer. „Das dürfte es gewesen sein“, war sich Anya sicher. „Zug beendet …“   Matt richtete sich auf. Er starrte Anya an, aber es fühlte sich an, als sähe er durch sie hindurch in die Leere. Dann ließ er die Hand von seinem Auge sinken. Die rote, unterstrichene Zahl „1“ darin war fort. „Tja, Summers. Mit dem Piepmatz allein wirst du mich nicht besiegen können. Und du hast deine letzte Handkarte weggeworfen“, erklärte Anya ernst, „viel kannst du nicht mehr tun. Nur auf die nächste Karte vertrauen, die du ziehst. Vielleicht hilft dir ja dein Immaterieller dabei.“ Matt lachte eisig. „Bestimmt nicht.“ Er griff nach seinem Deck. „Du musst wissen: Wir haben keinen Pakt geschlossen, ich und Thoras.“ Das überraschte das Mädchen sichtbar, sie schrak zurück. „H-huh!? Wie hast du dann inkarnieren können!?“ „Das konnte ich schon, seit ich wegen -dir- von Urila befallen wurde“, erwiderte er gehässig, „was Thoras angeht, ist der genau dasselbe wie Levrier: Der Abkömmling eines Immateriellen, eingesperrt in einer Karte.“ „Wenn wir hier fertig sind, wirst du mir eine Menge erklären müssen“, knurrte Anya. „Ich bin dir gegenüber keine Rechenschaft schuldig. Und wenn das Duell vorbei ist, würde einer von uns sowieso nicht mehr an der hypothetischen Konversation teilnehmen können.“ Matt schloss die Augen. „Denn es endet hiermit! Draw!“ Schwungvoll riss er die Karte von seinem Deck, aber Anya spürte kein Stechen in der Brust oder etwas Ähnliches. Also kein Cheat Draw, wie sie es so gerne formulierte. Matt betrachtete seine Zauberkarte und begann leise, dann immer lauter in hysterisches Gelächter überzugehen. Völlig untypisch für ihn, und zwischen den Zeilen mehr gequält als alles andere. „Oh Anya, all deine Mühen umsonst“, sprach er überschwänglich und drehte die Zauberkarte zwischen seinen Fingern um, „siehst du das hier? [Monster Reborn]!“ Sofort gab die Blonde einen entsetzten Luftzug von sich. Kein Grund zur Sorge, Anya Bauer. Selbst wenn er [Primalswarm Yggdrasil] reanimiert, kann dieser uns nicht schaden! Er wäre weder in der Lage, genug Kraft für seinen Effekt anzusammeln, noch uns mit seiner Angriffskraft zu bedrohen!   „Y-yeah. Und ich hab -das- noch in der Hinterhand“, meinte sie geheimnisvoll.   Korrekt.   „Du hast vollkommen Recht. Yggdrassil kann dir nicht gefährlich werden“, sprach Matt und schluckte, „aber mir. Noch einmal und ich-“ Er verstummte schlagartig, blieb reglos stehen. „Was passiert da?“, fragte Anya verwirrt. „W-warte! Sag nicht, er will sich-!?“ Ich befürchte es! Anscheinend ist er jedoch in sein Elysion gezogen worden.   ~-~-~   „Bist du verrückt geworden!?“, wurde Matt angeschrien. Er stand am Ende des kreisrunden Elysions, auf dem zahlreiche, ineinander verflochtene Zahnräder abgebildet waren. Um die Plattform herum existierte nur Dunkelheit. Auf der anderen Seite stand Thoras in der Form des schwarz-goldenen Schabenritters [Steelswarm Roach] – der Paktkarte, die Another einst geschaffen hatte und die er nun bewohnte. Thoras konnte seine Wut nicht beherrschen. „Du siehst keinen anderen Ausweg und willst [Primalswarm Yggdrasil] beschwören, um dich selbst zu richten!? Ist es das!?“ Matt, der den Kopf gesenkt hielt, antwortete nicht. „Was ist mit deiner Rache!? Der Gerechtigkeit für die Kinder und deine Freunde!?“ Nichts. Wild gestikulierend schritt Thoras auf seinen Partner zu. „Und was ist mit unserem Versprechen, Urilas Erinnerungen zu finden? Ist dir das Schicksal dieser Welt auf einmal egal geworden!?“ „Ich habe dir nie etwas versprochen“, erwiderte Matt tonlos. „Aber dir selbst!“ Als die humanoide Kakerlake im goldenen Umhang ihn erreichte, fasste sie ihn mit beiden Händen auf die Schultern. „Aufgeben war nie eine Option!“ „Wenn ich sterbe, wird es aufhören. Dieses unendliche Leiden. Die Verluste.“ Thoras schüttelte ihn. „Ach ja!? Dann hast du noch etwas zu verlieren! Deine Freunde!“   Als Matts Kopf in den Nacken fiel und er nach oben starrte, sein Mund halb offen stand, fühlte er sich wie in Trance. So hatte er sich sein Ende nicht vorgestellt. Thoras hatte Recht, es gab noch etwas zu verlieren. Aber das waren nicht seine falschen Freunde. Es war seine Würde. Ruckartig nahm er Haltung an und sah Thoras in die menschlichen Augen. „Wenn ich dir etwas bedeute, dann hilf mir.“ Der wusste sofort, was gemeint war. „Nein. Nicht so!“ „Muss ich jetzt noch darum bitten!? Tu es!“ Matt war es nun, der die Schultern des Immateriellen griff. Eine schwarze Aura begann um ihn herum aufzuflammen. „Tu es! Schließe einen Pakt mit mir!“ „Das würde dein trauriges Schicksal endgültig besiegeln.“ Thoras schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht verantworten!“ „Ich verspreche, dich zu Urilas Vermächtnis zu führen!“, schrie Matt und drückte den schwarzen Ritter langsam mit unmenschlicher Kraft nieder. „Und du im Gegenzug, mir deine Macht zu verleihen!“ Unter einem Schrei wollte Thoras sich losreißen, da begann ein grelles Licht von ihnen beiden auszugehen und erfüllte das Elysion.   ~-~-~   Anya sah gespannt zu, als Matt sich rührte. Der hob seine Hand und betrachtete sie. Ein pechschwarzes Symbol bildete sich darauf: Eine Schachfigur, genauer gesagt der König, in einem Zahnrad eingeschlossen. Sie haben einen Pakt geschlossen! „Großartig. Gerade als ich dachte, er sei doch nicht so dämlich“, war Anya fassungslos, „sorry, mein Fehler.“ Matt sah zu ihr auf. „Ich bin so dämlich. Tut mir leid, dich zu enttäuschen.“ Er lächelte und sagte plötzlich: „Schön, dass zur Abwechslung mal ich derjenige war, der die Hosen anhatte. Tut mir leid. Aber ich bin mir sicher, es ist dir am Ende nur recht gewesen. Egal? Ich weiß es nicht. Alles was ich im Moment will …“ Er funkelte Anya plötzlich mit einem Hass an, der sie wieder einmal zusammenzucken ließ. „… ist zu zerstören.“ „S-Summers!?“ „Ich habe noch kein Ziel für den Effekt von [Monster Reborn] bestimmt.“ Matt schwang den Arm aus. „Das Monster, das vom Friedhof reanimiert wird und das ich im letzten Zug abgeworfen habe, ist [Evilswarm Dullahan]!“ Neben [Evilswarm Thunderbird] setzte sich eine kopf- und beinlose Kreatur zusammen, die aus grauem Metall mit schwarzen Streifen gemacht war. Zwei gewaltige, goldene Arme machten das Wesen regelrecht furchteinflößend. Evilswarm Dullahan [ATK/1150 DEF/1550 (4)]   „Zeig mir, was du geschaffen hast!“, rief Matt und streckte den Arm aus. „Ich erschaffe das Overlay Network!“ Vor ihm öffnete sich ein Schwarzes Loch. „Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Schwärmer!“ Anya verkrampfte, als Matts Kreaturen sich in violetten Lichtstrahlen verwandelten und in den Vortex gezogen wurden. Mach dich bereit! „Keine Sorge“, murmelte sie zuversichtlich, „ich hab alles im Griff!“ „Xyz Summon!“, brüllte Matt förmlich. In dem Moment explodierte das Overlay Network in goldenem Licht, welches Anya einen Moment blendete. „Gib alles, [Evilswarm Exciton Knight]!“ Das Mädchen kniff die Augen zusammen und erblickte in dem Licht eine Schattengestalt, etwa genauso groß wie ein Mensch. Als sie besser sehen konnte, weitete sie die Augen. Der Körper war schwarz, das Cape um seine Schultern dagegen weiß, verziert mit goldenen Ornamenten. „Moment mal“, stammelte die Blonde irritiert. „Das Ding kommt mir doch bekannt vor!“ In der Hand hielt der Schabenritter, dessen runde Facettenaugen rot leuchteten, einen gezackten Degen. Das ist [Steelswarm Roach]! Matthew Summers altes Paktmonster.   Anya nickte. „Yeah. Das Ding, das noch schwächer war als du. Und wie's aussieht, hat sich nichts verändert.“ Sie schielte den Kakerlakenritter grimmig an, um den zwei Lichtkugeln kreisten.   Evilswarm Exciton Knight [ATK/1900 DEF/0 {4} OLU: 2]   Plötzlich zuckte der mit den Schultern. „Ach kommt schon, ich habe mir extra Mühe gegeben und dieses lahme Ding auf Vordermann gebracht. Etwas mehr Anerkennung, bitte!“ „W-whoa!“ Anya weitete die Augen. „Wieso spricht das Teil?“ „Wieso spricht -dein- Teil?“   Er ist wie ich.   „Und wie heißt du?“, wollte das Mädchen abfällig wissen. „Ich brauch die Info für deinen Grabstein.“ „Thoras. Und der Spruch war lahm.“ Anya blinzelte genau einmal. Dann sagte sie eisig: „Levrier, tu es.“   Nett, deine Bekanntschaft gemacht zu haben, Thoras. Unglücklicherweise wirst du nun Opfer des Effekts meines [Gem-Knight Power Bracelets]. Da du spezialbeschworen wurdest, kann ich den Ausrüstungszauber ablegen und dich zerstören.   Levrier richtete dabei die Faust mit dem Armband auf seinen Konkurrenten. „Aw, come on, ich bin gerade erst erschienen!“ „Keine Sorge“, intervenierte Matt mit einem bösen Lächeln auf den Lippen. „Die beiden haben etwas vergessen. Meine gesetzte Karte, [Infestation Pandemic]!“ Was völlig korrekt war, wie Anya feststellen durfte, als jener Schnellzauber hochklappte. Als Levrier das Ebenbild seiner Faust auf Thoras abfeuerte und das Schmuckstück dabei zerbrach, umgab den schlagartig eine weiße Aura. Und der Angriff prallte ab.   Gem-Knight Pearl [ATK/3400 → 2600 DEF/1900 {4} OLU: 0] „Du erinnerst dich sicher. [Infestation Pandemic] immunisiert alle offenen Schwärmer für einen Zug lang gegen Zauber und Fallen“, erklärte Matt. Und Thoras giftete: „Ich wette, die erinnert sich nicht mal an ihr Frühstück im Zug. Geschweige denn, dass du noch eine gesetzte Karte hattest.“ Rote Äderchen traten dabei aus Anyas weit geöffneten Augen hervor. Sie hauchte: „Levrier, ich will, dass du ihn kalt machst. Jetzt!“ „Ich fürchte, ich bin immer noch am Zug.“ Matt grinste noch böser. „Und leider wird das Gegenteil eintreten. Thoras macht Levrier kalt. Effekt!“ Er zog eines der Monster unter der Karte seines Immateriellen hervor und hielt sie in die Höhe, während Thoras mit seinem Degen eine der Lichtsphären absorbierte. „Extinction Blow!“ „Oh shit!“ Das klang übel, wie auch Anya einsehen musste.   Evilswarm Exciton Knight [ATK/1900 DEF/0 {4} OLU: 2 → 1] Als Thoras sein Schwert erhob, lachte Matt auf. „Tja, das hast du nun von deiner Überheblichkeit. Thoras' besondere Fähigkeit vernichtet sämtliche Karten auf dem Feld, außer ihn selbst. Das war's!“ „Huh!?“ „Muahahahaha!“, gackerte der Immaterielle und riss die Waffe in seiner Hand hinab. Darauf entstand vor ihm ein Riss im Raum-Zeit-Gefüge, aus dem dutzende blaue Lichtstrahlen in alle Himmelsrichtungen schlugen. Sie schossen links und rechts an der erschrockenen Anya vorbei, ebenso an Matt. Und sie trafen die beiden Ritter in den Lichtsäulen neben dem Mädchen, ihre gesetzte Karte, Matts offen stehende Falle [Xyz Wrath] und nicht zuletzt Levrier. Jener schüttelte fassungslos den Kopf. Nicht schon wieder!   Dann explodierte er lautstark. Anya schrie: „Levrier! Nein!“ Die Spalte schloss sich wieder, womit Thoras in Form von [Evilswarm Exciton Knight] die einzig verbliebene Karte auf dem Feld war. Anya interessierte das gar nicht. „Levrier!“ Mir geht es gut. Er hat sich zurückgehalten.   „Warum!?“, polterte Matt aufgebracht. „Er ist maßgeblich mitverantwortlich für alles! Wie konntest du ihn verschonen!?“ „Hey“, beschwerte sich Thoras und sah über seine Schulter, „ich bin großartig, aber kein Mörder!“ „Das wirst du sein“, versprach der Dämonenjäger düster, als eine dünne, schwarze Aura um ihn aufzuflackern begann, „und wenn ich dich dazu zwingen muss! Direkter Angriff! Gallant Execution! Besiegle Anyas Schicksal!“ Thoras richtete sich an das Mädchen. „Tut mir leid. Ich muss mich an die Anweisungen halten.“ Jenem stand der Schweiß auf der Stirn. Sie war vollkommen schutzlos. Sie würde-! Schon schoss der Schabenritter wie ein Pfeil auf sie zu, schwebte dabei elegant über der Erde. Er hob seinen Degen an und holte nach ihr aus. Anya schloss die Augen. Es geschah. Sie wurde direkt an der Stirn getroffen. Der Treffer war … auszuhalten!? Sie öffnete perplex die Augen. Thoras stand vor ihr, hatte ihr den Degen gegen den Kopf geklatscht, wo er noch immer verharrte. Beide starrten sich an. Bis er sagte: „Yoinks! War nur Spaß!“ Wie ein Blitz zog er sich zu Matt zurück.   [Anya: 200LP / Matt: 3300LP]   „Was zur Hölle“, flüsterte Anya leise. „Ja!“, betonte Matt besonders stark seine Irritation. „Was sie sagte!“ Der Immaterielle drehte sich wieder zu ihm um. „Wenn doch nur irgendjemand mal Kartentexte lesen würde. Dann wüsste dieser jemand, dass er keinen Kampfschaden in einem Zug zufügen kann, in dem -ich- meine Macht entfalte!“ Anya verfiel in bösartiges, immer lauter werdendes Gelächter. „Yeah Summers! Dumm gelaufen!“ Woraufhin Thoras trocken entgegnete: „Du bist genauso dumm!“ Schlagartig war die Blonde wieder still. Matt schnaubte, schüttelte den Kopf. „Großartig. Warum ist das Glück nie auf meiner Seite …? Pah! Ich setze eine Karte verdeckt. Zug beendet.“ Jene tauchte zischend vor ihm auf. Und bei Anya schrillten alle Alarmglocken. Sie formte mit den Händen ein T. „Auszeit! Woher kommt die!? Du hattest keine Handkarten mehr! Betrügst du etwa?“ „Nein. Ich habe nur den Effekt von [Evilswarm Morgana] auf meinem Friedhof benutzt“, erklärte Matt steif, „von dort oder meiner Hand kann ich sie verbannen, wenn meine Karten unter Anwesenheit eines Schwärmers zerstört werden. Eine von ihnen erhalte ich dann zurück.“ Aus seiner gesetzten Karte stieg der Geist einer blonden Frau mit schwarzen Haarsträhnen auf, die in einer schwarzen Zwangsjacke mit grauen Ärmeln steckte, die übereinander liegend ein graues X bildeten. Ihre Kettenpeitsche führte sie mit dem Mund. „W-warte mal, die kenn' ich doch auch“, stammelte Anya. „D-das ist doch ein Monster von dieser dreckigen Reporterin. Wie hieß die noch?“   Nina Placatelli. Und das ist wohl die korrumpierte Form von [X-Saber Anu Piranha]. Aber das ist irrelevant. Wenn er eine Falle gesetzt hat, kann das nur eins bedeuten.   „[Xyz Wrath]“, schlussfolgerte auch Anya düster. „Ganz toll …“ „Aus dieser Nummer kommst du nicht mehr raus“, versprach Matt ihr selbstbewusst. „Zug beendet!“   Trotz dieser Wendung machte sich Anya keine Sorgen. Sie sah ihre einzige Handkarte an. Nicht damit. Trotzdem musste sie sichergehen. Sie tippte auf eine Taste neben der Deckhalterung, sodass vor ihr ein holografischer Spielplan erschien. Mit einem weiteren Tippen vergrößerte sie [Evilswarm Exciton Knights] Karte, las sie durch und wischte sie weg. „Hm. Fies …“ „Siehst du? Sie macht es richtig!“ Thoras zeigte mit der Hand auf das Mädchen. „Dass ich das mal sage.“ Matt schnaubte nur, während Anya rief: „Mein Zug!“ Sie wollte bereits nach ihrem Deck greifen, aber hielt inne. Sie konnte gar nicht ziehen, dank des Effekts von [Gem-Trade]. Und das für drei ganze Runden. Sie ließ die Hand sinken. „Sieht schlecht für dich aus“, meinte Matt herausfordernd. „Was auch immer. Ich verbanne Levrier von meinem Friedhof und erhalte [Gem-Knight Fusion] von meinem Friedhof zurück“, zeigte sie sich desinteressiert und schob [Gem-Knight Pearl] in die Verbannungszone, zeigte die Zauberkarte dagegen vor. Dann zückte sie ihre andere Handkarte. „Da meine Pendelzonen wieder leer sind, aktiviere ich [Gem-Knight Malachite] mit dem Pendelbereich 2!“ Links neben ihr schoss eine Lichtsäule aus dem Boden, in welcher ein Ritter in blau-grün-schimmernder Rüstung empor stieg. In seiner Hand hielt er einen langen Stab. „Nur einmal während des Duells kann ich Malachites Effekt aktivieren. Ich muss [Gem-Knight Fusion] vorzeigen und erhalte einen Pendel-Gem-Knight von meinem Extradeck!“ Sie zeigte jenen bereits vor. „[Gem-Knight Pyrite]! Pendelbereich 8!“ Im selben Moment tauchte auch zu ihrer Rechten eine Lichtsäule auf, in der der weiße Ritter mit den Halbschilden an seinem Arm nach oben fuhr.   <2> Anyas Pendelbereich <8>   „Und -du- denkst besser gar nicht daran, deine Show nochmal abzuziehen“, richtete sie sich direkt an den Immateriellen, „solange [Gem-Knight Fusion] auf meiner Hand bleibt, können die Karten in meinen Pendelzonen nicht vernichtet werden.“ Thoras fuchtelte mit seinem Degen. „Du willst mir doch nur an die Wäsche!“ „An die Gurgel!“, korrigierte sie ihn grimmig und streckte den Arm in die Höhe. „Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum! Aus meinem Extradeck rufe ich den Stufe 7-[Gem-Eyes Value Dragon]! Pendulum Summon!“ Zwischen den beiden Kriegern in den Lichtsäulen öffnete sich das bunte Pendelportal und entließ einen roten Lichtstrahl, der vor Anya die Form des goldenen, gepanzerten Drachen annahm.   Gem-Eyes Value Dragon [ATK/2400 DEF/2000 (7) PSC: <5/5>]   „Sight Transition! Donner!“ Die Blonde schwang den Arm aus. Gleichzeitig begannen sich die Scheiben am Helm ihres Drachen wieder zu drehen. „Und denk diesmal gar nicht dran, mich daran hindern zu wollen. Du hast keine Handkarten, um für [Xyz Wrath] etwas abzuwerfen!“ Ihr Gegner verengte die Augen zu Schlitzen. Keine Sekunde später klappten sich die gelben Segmente der Scheiben um Gem-Eyes Augen wie eine Brille. Anya richtete ihren Zeigefinger auf den weißen Schabenritter. „Ich weiß genau, was du kannst! Nämlich deinen Extinction Blow auch während meiner Battle Phase entfesseln! Aber das lasse ich nicht zu! Topaz Jammer! Damit wird dein Effekt negiert, Miststück!“ Gelbe Adern zogen sich durch die Rüstung ihres Drachen, von dessen Tragflächen zahlreiche Blitze entfesselt wurden. Einige davon richtete jener auf Thoras. Jener quiekte panisch, ehe er getroffen wurde und dabei sein Skelett offenbarte, das so gar nicht zur Anatomie einer Schabe passen wollte. „Yiah!“, kreischte er vor Schmerz, ehe er dampfend auf einem Bein stehen blieb. „Hab ich schon erwähnt, dass ich dich hasse?“, fragte Anya grimmig. „Nein? Gut. Ich lasse nämlich lieber Taten sprechen! Gem-Eyes, vernichte diese Pest! Spectral Burst Stream!“ Ihr Drache öffnete das Maul und feuerte einen kunterbunten, glitzernden Flammenodem auf Thoras ab, welcher ungläubig den Kopf zur Seite knickte. „Warum …?“ Dann ging er abermals schreiend in den Flammen unter. Jene zischten auch an Matt vorbei, der jedoch keine Miene verzog.   [Anya: 200LP / Matt: 3300LP → 2800LP]   „Hahahahaha“, lachte Matt eisig, als sich der Rauch verzog und sich ein dunkler Schatten auf dem Boden ausbreitete. „Mit so etwas habe ich gerechnet. [Evilswarm Dullahans] Effekt aktiviert sich! Wird das Monster zerstört, das ihn als Xyz-Material hat, wird es vom Friedhof reanimiert und erhält ihn obendrauf als Overlay Unit.“ Und schon kam der Schabenritter aus der Finsternis gesprungen und warf seinen Degen in die Luft, welchen er geschickt auffing. „Da bin ich wieder! Na, habt ihr mich vermisst?“   Evilswarm Exciton Knight [ATK/1900 DEF/0 {4} OLU: 1]   „Nein“, kam es einstimmig von Matt, Anya und Levrier. „Oh!“ Thoras ließ den Kopf hängen, spielte mit dem Finger mit der Lichtkugel, die ihn umkreiste. Derweil erklärte der Dämonenjäger: „Außerdem erhält das wiederbelebte Xyz-Monster den Effekt, in Zukunft im Kampf unzerstörbar zu sein.“ „Tch!“ Anya sah ihren Drachen an. Sie wusste bereits, wie sie noch ein wenig mehr aus ihm herausholte. Sie richtete den Arm in die Höhe. „Indem ich ein LICHT-Monster von meinem Deck auf den Friedhof sende, kann ich es als Empfänger behandeln und auf eines meiner Monster auf dem Feld abstimmen!“ Vor ihr tauchte ein braunes Fellknäuel auf, dessen Augen hinter einer Sonnenbrille versteckt lagen. Sein graues Cape flatterte unstet umher, obwohl es windstill war. „Mein LICHT-Monster ist übrigens bereits ein Empfänger! Stufe 1 [Kuriboss] auf Stufe 7 [Gem-Eyes Value Dragon!“ Der Anführer der Kuriboh-Familie stieg meterweit in die Höhe und zersprang in einen transparenten, grünen Lichtring, der wiederum als goldener feste Form annahm, Vier schneeweiße Engelsschwingen spreizten sich von diesem. „From the light of a different world, the herald of starlight descends upon the ravaged land! By discarding a single star, I call upon you!“ Der gold-gepanzerte Drache zerplatzte in sieben grüne Lichtkugeln, die in einer Reihe durch die wässrige Oberfläche innerhalb des Rings schossen und verschwanden. „Synchro Summon! Shine forth, [Angel Wing Dragon]!“ In dem Moment schoss ein greller Lichtblitz aus dem Gebilde hervor. Und im Anschluss zur Mitte des Feldes ein weißer, schlangenhafter Körper. Um den Kopf des Drachen befand sich ein goldenes Kragengestell, welches ihn wie eine Kobra aussehen ließ. Gleichzeitig verließ auch ein weißer Schweif nach hinten weg den Ring, bis die beiden Körperhälften perfekt aneinander passten. Kaum vollendet, stieß Angel Wing ein majestätisches Gebrüll aus. Fast nebensächlich war da das Pendelportal, in das wieder ein roter Blitz einkehrte – Gem-Eyes Essenz.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   Anya konnte es selbst nicht beschreiben, aber sie fühlte sich in Anwesenheit des majestätischen Drachen sicher. Als wäre sie nicht allein. Vielleicht weil es die Karte vom Flohpelz war? Egal! Wo blieb der überhaupt so lange!? „Levrier, hast du etwas gespürt, als Zanthe abgehauen ist?“, fragte sie ihren Freund. Nein. Aber seine körperlichen Sinne bemerken ganz andere Dinge als meine Fähigkeit, Äther zu spüren. Das 'Blaue', wie du es bezeichnen würdest.   Anya erinnerte sich. Damals, als sie nach Redfield in Ephemeria City nach Valerie Redfield gesucht hatte, hatte sie mit einem Mal eine Farbe gefühlt. Und ja, das Ganze ging erfolgreich aus. Oder auch nicht, danach ging die Beziehung zwischen ihrer Rivalin und Marc Butcher in die Brüche. Aber das war der falsche Zeitpunkt, um in Erinnerungen zu schwelgen! „Mal sehen, wie du damit umgehen wirst“, meinte sie und nickte ihrem Drachen zu. „Du weißt, dass er sich am Ende eines Zuges reanimieren kann, indem ich zwei Stufe 4-Monster von meinem Friedhof verbanne. Also nützt dir -sein- Extinction Blow gegen ihn nichts.“ Ohne weitere Handkarte verkündete sie: „Zug beendet!“ „Wenn du meinst. Draw!“, schrie Matt und sah seine gezogene Karte an. Dann sah er auf, runzelte die Stirn. „Ich wechsle [Evilswarm Exciton Knight] in den Verteidigungsmodus und beende den Zug!“ Sein Schabenritter kniete vor ihm nieder.   Evilswarm Exciton Knight [ATK/1900 DEF/0 {4} OLU: 1] Anya nickte. „Yeah, das dacht' ich mir, Summers. Hast du es geschnallt?“ „Möglich …“ „Oh doch, du weißt es. Dass ich dich in der Zange habe.“ Beim Erklären machte sie schwankende Handbewegungen. „Du weißt, dass du [Gem-Eyes Value Dragon] jede Runde aufhalten musst, sonst kostet es dich deinen [Evilswarm Exciton Knight]. Aber der Preis ist deine Handkarte, die du deswegen nicht ausspielen darfst.“ Sie nickte zu seiner verdeckten Karte, [Xyz Wrath]. „Sobald Gem-Eyes das Feld betritt und den Effekt dieses Miststücks annulliert, kann es auch wieder im Kampf zerstört werden. Zu schade.“ „Du denkst strategisch? Mal was Neues, was?“, erwiderte er spitzzüngig. Was Anya erstaunlich ruhig überging. „Den Effekt von [Evilswarm Exciton Knight] während deines Zuges bringt dir auch nichts, da du meine Pendelkarten nicht zerstören kannst, solange ich noch [Gem-Knight Fusion] vorzeige. Besonders, da du mir in dem Zug auch keinen Schaden zufügen kannst. Das wäre also eher kontraproduktiv. Und Angel Wing kennst du ja.“ Ich bin sprachlos. Du kennst dieses Wort, Anya Bauer!   Auch ihn ignorierte sie dabei. Ihr einziger Fokus lag auf Matt. „Du bist also praktisch dazu gezwungen, nichts zu tun. Während ich nur noch zwei Züge warten muss, bis ich wieder regulär ziehen darf. Und selbst wenn du etwas Gutes ziehst, habe ich noch Angel Wing und [Kuriboss].“ Tatsächlich glänzte die Stirn des Dämonenjägers vor Schweiß in der Sonne. „Das hast du dir ja schön ausgedacht.“ „Wir können das Ganze auch abkürzen, indem du aufgibst“, bot Anya an, „und dann reden wir über alles.“ „Es gibt nichts zu bereden!“ „Tch! Fein. Ich bin am Zug!“ Sofort streckte Anya den Arm wieder in die Höhe. „Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum! Stufe 7-[Gem-Eyes Value Dragon] aus meinem Extradeck! Pendulum Summon!“ Abermals öffnete sich das Pendelportal über ihr und spie einen roten Strahl aus, der vor Anya die Gestalt des goldenen Drache annahm.   Gem-Eyes Value Dragon [ATK/2400 DEF/2000 (7) PSC: <5/5>]   „Sight Transition! Donner! Gefolgt von Topaz Jammer!“ Noch bevor sich die Scheiben am Helm des Drachen zu drehen begannen, schwang der Schwarzhaarige bereits seinen Arm aus. „Falle, [Xyz Wrath]! Solange ein Xyz-Monster auf meinem Feld verweilt, kann ich eine Handkarte abwerfen, die Effekte von hochstufigen Monstern annullieren und sie zerstören!“ Die permanente Falle klappte vor ihm auf. Matt entledigte sich seiner einzigen Handkarte und unmittelbar danach wurde [Gem-Eyes Value Dragon] von einem Blitz aus dem Nichts getroffen und in Fetzen gerissen. Seine rote Essenz wurde vom Pendelportal über Anya absorbiert, welches sich sofort wieder schloss. „Genau wie erwartet“, sagte das Mädchen unterkühlt. „Tja, was nun?“ „Das frage ich dich“, erwiderte er mit einem heimtückischen Lächeln, „du kannst mir nicht schaden, solange Thoras sich im Verteidigungsmodus befindet. Er schützt solange meine Lebenspunkte, bis ich einen Ausweg finde.“ Anya nickte. Da hatte er Recht. Oder zumindest sollte er das fürs Erste glauben. „Yeah. Zug beendet!“   Matt zog schwungvoll. „Draw!“ Beim Anblick der gezogenen Karte verzog er grimmig das Gesicht. „Ich passe!“ „Mein Zug! Der letzte, in dem ich nicht ziehen darf!“, rief Anya und richtete den Arm mit gespreizten Fingern in die Höhe. „Schwinge, Pendulum! [Gem-Eyes Value Dragon] aus meinem Extradeck! Pendulum Summon!“ Zum wiederholten Mal öffnete sich das Pendelportal, schoss einen roten Lichtstrahl ab, aus dem am Ende der goldene Drache vor Anya erwachte. „Sight Transition!“ „[Xyz Wrath]!“ Matt schob seine Karte in den Friedhofsschlitz. Und Gem-Eyes fiel erneut einem Blitz zum Opfer. Anyas Mundwinkel zuckte nach oben. „Wie lange hältst du das wohl noch durch? Zug beendet!“ „Du willst es wohl wirklich wissen, was? Na gut“, sprach Matt leise. Seine Stoßatmung zeugte davon, wie schlecht es ihm ging. Trotzdem stand er aufrecht. „Thoras! Tu es!“ Der drehte sich zu ihm um. „Schon mal was von 'Bitte lieber Thoras, hilf mir unwürdigem Wurm dabei, die Regeln auf den Kopf zu stellen!' gehört?“ „Ich werde mich nie wieder über dich beschweren“, murmelte eine verdrossene Anya leise an Levrier gewandt.   Das bezweifle ich.   „Spar' dir deine Kommentare und tu es!“, befahl Matt und legte Hand an sein Deck an. „Na schön“, schmollte der und schnippte einmal mit dem Finger. Dann zog Matt schwungvoll. Anya keuchte, spürte sie plötzlich einen heftigen Schmerz in ihrer Brust. Entgeistert sah sie die goldene Schliere, die die gezogene Karte dabei erzeugte. Er hat dem Schicksal einen neuen Pfad hinzugefügt.   „War doch klar, dass das früher oder später passiert“, murrte das Mädchen, „hat ja ganz schön gedauert!“ Matt grinste. „Dafür ist es jetzt umso wirkungsvoller. Ich aktiviere [Pot Of Desires]! Erst werden zehn Karten von meinem Deck verdeckt verbannt, danach ziehe ich zwei neue Karten!“ „W-was!?“ Anya blinzelte verdutzt. „Hat Redfield die Karte nicht im Halbfinale des Legacy Cups benutzt? Ganz schön riskant! Du könntest deine besten Karten verlieren, Summers.“ Aber der Dämonenjäger blieb zuversichtlich. „Könnte. Aber dafür habe ich Thoras. Haha. Valerie hat mich inspiriert, diese Karte in mein Deck zu packen. Ich habe sie erst neulich aus einem Booster gezogen.“ Für einen kurzen Augenblick sah Anya ein melancholisches Lächeln auf seinen Lippen. Ihre Chance, wieder auf ihn einzureden. „Yeah. Ich kenn' das. Man kauft sich ein paar Packs, öffnet sie und … ist am Ende enttäuscht, weil man nur Müll gezogen hat. Aber manchmal. Manchmal hat man auch Glück. Und der Geruch frischer Karten ist einmalig.“ Matt wollte ihr zustimmen, doch kaum hatte der erste Laut seine Lippen verlassen, schnaubte er plötzlich. Anya aber sprach weiter, wurde ernst. „Summers, ich kann mir nicht mal vorstellen, wie es dir gerade geht. Es … es tut mir leid. Aber eines Tages, da … da wird es nicht mehr nur dunkle Erinnerungen geben. Auch fröhliche. Kleinigkeiten. Aber wenn du diesen Weg gehen willst, den du gerade einschlägst, wird dort nichts auf dich warten. Wirklich.“ „Was auch immer“, zeigte er sich jedoch abweisend und rief: „Thoras, auf ein Zweites!“ „Nochmal!? Du spinnst wohl!“ „Tu es!“ Matt griff nochmals nach seinem Deck, blätterte genau zehn Karten ab und ließ sie in seiner Verbannungszone verschwinden. Dann riss er zwei weitere von seinem Kartenstapel. Dabei schrie er lautstark, erzeugte eine doppelte, goldene Schliere. Der Schmerz brachte nicht nur Anya dazu, in die Knie zu sinken. Auch Thoras keuchte diesmal lautstark und hielt sich die Brust. Dabei presste er vor: „Ich hoffe, das ist es wert!“ „Ist es!“, donnerte Matt und zeigte die erste Karte vor. „Zauber, [Xyz Energy]! Ich hängte [Evilswarm Exciton Knights] verbliebene Overlay Unit ab, um [Angel Wing Dragon] zu zerstören!“ Jener zückte seinen Degen und absorbierte die Lichtkugel damit, um sie im Anschluss als grellen Lichtstrahl auf den Drachen abzufeuern. Jener verging in einer mächtigen Explosion. „Shit“, fluchte Anya. Da er nicht den Effekt seines Monsters, sondern den einer Zauberkarte genutzt hat, kann er in diesem Zug Kampfschaden zufügen.   „Wie immer bist du Meister darin, das Offensichtliche festzustellen.“ Anya richtete sich auf. „So weit war ich auch schon.“   Tut mir leid. Es fällt mir schwer, deine Fortschritte einzuordnen. Ich gehe lieber auf Nummer Sicher.   „Ich wechsle Thoras in den Angriffsmodus!“, rief Matt aus und drehte dessen Karte auf seinem D-Pad in die Vertikale.   Evilswarm Exciton Knight [ATK/1900 DEF/0 {4} OLU: 0]   Im Anschluss schwang der Schwarzhaarige seinen Arm aus. „Und jetzt der Gnadenstoß! Direkter Angriff auf ihre Lebenspunkte! Gallant Execution!“ „Ach ja!?“, fauchte Anya und breitete ihre Arme aus. „Das ist es, was du willst!? Komm! Versuch es! Schmeiß alles weg, wofür du die letzten Jahre gearbeitet hast! Deine Identität, deine Wünsche, alles!“ „Halt den Mund!“ Anya aber weigerte sich. „Ich wette, du wirst versagen. Wie immer. Weil du immer versagst!“ „Halt den Mund!“, überschlug sich Matts Stimme förmlich. „Und soll ich dir sagen warum!?“ Anya übertönte ihn. „Weil du nicht an dich glaubst! Schlappschwanz! Was willst du überhaupt erreichen!?“ „Ich … ich weiß nicht, was ich will“, schrie Matt das Mädchen an, „Rache! Gerechtigkeit! Frieden für mich selbst! Ich weiß es nicht! Ich will, dass die Leere in mir verschwindet!“ „Und deshalb formst du einen Pakt!?“ Anya fluchte laut. „Fuck!“ „Was sollte ich sonst tun!?“ Tränen flossen seine Wangen hinab. „Und dann ist da in mir die Dunkelheit, von der ich nicht weiß, ob sie meine eigene ist oder nicht. Sie will zerstören. Ich will zerstören!“ Die Blonde fasste sich an die Stirn. Auch sie rang langsam mit den Tränen, spürte sie, wie sich ihr Freund immer weiter von ihr zu entfernen schien. Wie konnte sie bloß sein Leiden lindern, ihn aus dieser Dunkelheit holen? Von so etwas hatte sie doch keine Ahnung! Sie war wie ohnmächtig! „Ich muss weitermachen“, presste Matt kämpferisch hervor, „Verdammt! Thoras! Tu es!“ Wie ein Pfeil schoss der goldene Schabenritter über das Spielfeld auf die ungeschützte Anya zu und zückte sein Rapier. Die kniff die Augen fest zusammen, schwang den Arm aus und rief: „Das funktioniert nicht, Summers! Ich habe immer noch [Kuriboss] in meinem Friedhof, der den Schaden abwehrt!“ Vor ihr tauchte aus dem Nichts der kleine, braune Fellball mit kleinen Stummelärmchen und -beinchen auf, der jene heldenhaft mit wehendem Cape und Sonnenbrille ausstreckte. Thoras jedoch kicherte bloß bitterböse und rammte seine Klinge in das Wesen, spießte es auf und zischte weiter auf Anya zu, bis die Spitze seines Schwertes kurz vor ihrer Kehle Halt machte. Die Blonde zuckte nicht einmal, sondern sah grimmig auf den vorgebeugt stehenden Krieger herab. Jener flötete: „Ach Mädchen, gib es endlich auf. Du kriechst doch schon auf dem Zahnfleisch.“ „Misch dich nicht ein, elender Mistkäfer“, knurrte sie ihm zu. „Ich sag's ja bloß“, giftete der Immaterielle weiter. „Er hat Recht, Anya!“ Matt keuchte schwer, als er weitersprach. „Es ist … nur eine Frage der Zeit ... ehe ich dir auch die letzten Lebenspunkte aushauche …“   In dem Moment platzte dem Mädchen endgültig der Kragen. Wütend schwang sie den Arm aus und verfehlte dabei nur knapp den erschrocken zurückweichenden Thoras. „Ernsthaft!? Bist du so von deinem Rachefeldzug geblendet, dass du gar nicht mitbekommen hast, dass ich schon -vor Ewigkeiten- hätte gewinnen können!?“ Anya ließ Matt gar nicht erst zu Wort kommen, schrie weiter: „Fuck, Summers, sag mir was ich tun soll!?“ Matt stammelte: „W-wie …!?“ „Sie bezieht sich wahrscheinlich auf [Gem-Knight Tiger's Eye], der die ganze Zeit in ihrem Extradeck schläft“, erklärte Thoras, als er zu seinem Meister zurückkehrte, „du weißt schon, der, der bei einer Fusionsbeschwörung ein Monster killen kann.“ Er blieb auf halbem Wege abrupt stehen. „M-mich, fällt mir da gerade so ein.“ „U-unmöglich! Anya, du-!“ „Ja!“, bestätigte jene die Aussage zornig. „Ich habe -wirklich- lange gewartet und versucht, deinen Zorn so gut es geht zu ertragen! Auch wenn du es mir nicht glaubst, aber ich verstehe dich! Und du hast vollkommen Recht damit, mich dafür verantwortlich zu machen!“ Sie holte tief Luft, um mit einer nicht einmal mehr ansatzweise so röhrenden Stimme weiterzusprechen. Dabei senkte sie ihr Haupt. „Aber du hast Unrecht, wenn du denkst, dass es durch das hier erträglicher wird. Wird es nicht. Ich weiß es. Als ich … Marc …“ Zuversichtlich aufsehend, zeigte sie zwar keine Anzeichen eines Lächelns, doch ihre blauen Augen sahen wohlgesonnen in Matts graue. „Du bist keiner, der sowas durchzieht und ohne Gewissensbisse weiterleben kann. Und dir geht es schon schlecht genug. Die Kinder, Big Al und Alector kommen dadurch auch nicht wieder zurück.“ „Denkst du, das weiß ich nicht!?“, fauchte Matt und hielt sich im Anschluss die Hand vor den Mund, da ihn die Tränen zu überwältigen drohten. „Klar weißt du das.“ Auch Anya musste wieder mit sich kämpfen. „Bist ja kein Dummer. Und deswegen sollten wir jetzt aufhören, 'kay?“ Da er nichts darauf erwiderte, versuchte die Blonde unbeholfen, ihm weiter gut zuzureden. „I-ich weiß auch nicht, was wir jetzt machen sollen. W-wir müssen sie irgendwie zurückbringen.“ Matt fuhr sich vom Mund zur Stirn. „Und … wie …? Wie soll das gehen?“ „Ich kenne mindestens einen, der das kann.“ „Niemals!“ „Ich weiß!“, schrie Anya zurück und streckte dabei beide Hände zu den Seiten aus. „Ich weiß! Aber er muss ja nicht der Einzige sein, oder? Wir finden einen anderen Weg, irgendwie!“ Es dauerte eine Weile, bis Matt etwas sagte. Anya ließ ihrem Freund die nötige Zeit, um erstmal einen klaren Gedanken zu fassen. Der junge Mann schwankte gefährlich rückwärts. Thoras, der noch immer zwischen ihnen beiden stand, sah seinen Meister an und sagte ebenfalls nichts. „Bist du dir im Klaren“, begann jener schließlich leise, „wie hoch der Preis sein muss, so viele Menschen ins Leben zurückzuholen?“ Anya nickte knapp. „Yeah … und ich kann dir auch ganz genau sagen, -wer- ihn bezahlen wird.“ Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. Es war nicht nötig, ihren Gedanken auszusprechen, wenn ihr Blick doch förmlich schrie, dass sie Stoltz dafür zur Rechenschaft ziehen würde. „Lass uns das … ein anderes Mal besprechen …“ Matt lachte bitter und ließ die Hand von seiner Stirn sinken. Seine Mimik gewann etwas unglücklich Dankbares. „Ich denke, ich nehme dein Angebot an, das Duell zu beenden. Ich … sehe dich kaum noch …“ „W-was? Summers, ist alles okay?“   Die Hologramme verschwanden, einschließlich Thoras, der sich geschwind schulterzuckend zu Anya umdrehte. „Mir ist“, stammelte Matt schwach, „etwas schwindelig …“ Prompt brach er auf der Stelle zusammen, fiel wie ein nasser Sack rücklings um. „Scheiße, Summers!“ Anya klappte die Kinnlade hinunter. Dieser Idiot! Er hatte diese komischen Kräfte bis zum Maximum ausgereizt und sich völlig ausgepowert! „Toller Racheengel bist du!“, schimpfte sie und machte sich bereit, ihm zuhilfe zu kommen. „Und wieder etwas, bei dem du hingebungsvoll versagst! Wenn ich das dem Flohpe-“ Weiter kam sie nicht, da ein harter Schlag gegen ihre Schläfe sie zum Schweigen brachte. Das Mädchen stürzte in schiere Dunkelheit.   „Das tut ja förmlich weh, euch zuzusehen“, schnarrte Kali, die hinter Anya gestanden und diese ausgeknockt hatte. Die Kuttenträgerin beugte sich hinab zum bewusstlosen Mädchen und sah dann hinter ihrer weißen Porzellanmaske herüber zu Matt. „Verdammt, wo ist dieser Idiot Zach, wenn man ihn mal braucht!?“     Turn 100 – Face To Face Anya erwacht in einem dunklen Keller und findet sich Kali gegenüber, die ihren ganz eigenen Racheplan in die Tat umsetzen will. Die beiden beginnen ein Duell, das einen merkwürdigen Verlauf nimmt. Und in all dem wirft Kali ihren eigenen Vorsatz über Board und lässt endlich die Maske fallen … Kapitel 109: Turn 100 - Face To Face ------------------------------------ Turn 100 – Face To Face     Kali wartete nun schon eine ganze Weile. Die Dunkelheit störte sie nicht, wie sie in einem Kellergewölbe an einen Pfeiler gelehnt stand und die Arme verschränkt hielt. Was sie störte war die junge Frau, die weiter voraus auf der Seite lag und -einfach- nicht aufwachen wollte. „Tch. Wie lange soll das noch dauern“, murrte die Dämonengöttin in schwarzer Kutte, die seither ihr Gesicht hinter einer weißen Porzellanmaske verbarg. Um sie und Anya herum war ein Quadrat mit weißer Kreide gezeichnet. Es endete etwa zwei Meter vor den Füßen des Dämonenjägers Matt, der an dem anderen Pfeiler im Raum angelehnt saß. Die Hände waren ihm auf den Rücken gebunden, sein Oberkörper mit einem einfachen Seil fixiert. Auch er ließ den Kopf hängen und döste scheinbar unbekümmert. Armer Kerl, sie hatte fast Mitleid mit ihm.   Hatte sie es etwa übertrieben, fragte sich Kali. Wobei sie zugegeben lediglich für den Dornröschenschlaf der dämlichen Ziege verantwortlich war. Matt Summers war durch seinen enormen Kräfteverbrauch zusammengebrochen. „Ernsthaft. Wer hätte gedacht, dass er wieder einen Pakt mit einem Immateriellen eingeht? Wirklich bescheuert“, murmelte Kali vor sich hin. Es war überraschend zu sehen gewesen, dass er denselben Fehler wieder begangen hatte. Aber das ging sie im Grunde genommen nichts an. Seine einzige Aufgabe bestand darin zuzuhören. Dazu musste er jedoch auch aufwachen. Kali sah wieder zu Anya. Dieses Sprichwort, dass Unkraut nicht verging, traf auf sie wahrhaftig zu. „Wie kannst du immer noch leben?“, murmelte die Kuttenträgerin unzufrieden.   „Du hast -was- gemacht!?“ „Das Flugzeug hochgejagt.“ Zachariah zuckte mit den Schultern. „Einfach so.“ Unangenehm berührt rieb sich der blonde, groß gewachsene Mann den Hinterkopf. Er stand in demselben, weißen Mantel plus Basecap vor Kali, mit dem er auf dem Flughafen von Ephemeria City aufgekreuzt war. Beide standen sich im endlosen Weißen Raum von Gardenia gegenüber. Jede golden umrandete Kachel, ob von der Decke oder am Boden, glich all den anderen. Ein Raum, in dem die Zeit anders verlief als in der Außenwelt. Wer hier nur eine Stunde verbrachte, verpasste dort draußen mehr als einen ganzen Tag. Kali begriff bis heute nicht, wie ihre Lehrmeisterin diesen Ort geschaffen hatte. Und noch viel weniger begriff sie, wie Anya Bauer von hier hatte entkommen können … und wie dieser Vollidiot Zachariah ein ganzes Flugzeug in die Luft jagen konnte. „Bist du dir im Klaren darüber was du angestellt hast!?“, fauchte Kali jenen voller Schrecken an. „Da waren Unschuldige in dem Flugzeug. D-die sind alle tot!“ „Ich hab's für dich getan, schätz' ich“, murmelte Zach und sah betreten zur Seite, „irgendeiner musste ja mal 'nen Schlussstrich ziehen.“ „Aber doch nicht so! An deinen Händen klebt Blut!“ „Und an deinen nicht, wenn du sie umbringst?“, konterte er halbherzig. „Das ist etwas anderes!“ Kali wich von ihm zurück. „Zach … du bist zu einem Mörder geworden. W-wieso!? Das ist alles meine Schuld!“ Der ältere Bruder von Anya Bauer sah sie gleichgültig an. „Damit kann ich leben, wenn diese verdammte Pest endlich das Zeitliche gesegnet hat. Weder du, ich, ja selbst Lady Gardenia konnten sie mit herkömmlichen Mitteln aufhalten.“ „Ist dir das alles egal!? Die werden dich dafür einbuchten!“, fauchte Kali weiter aufgebracht. „Ich wollte nicht, dass so etwas geschieht!“ „Dann hättest du besser darauf achten sollen, was du dir wünscht.“ Mit diesen Worten drehte Zachariah sich um und verschwand einfach. Und Kali stieß kurz darauf einen verzweifelten Wutschrei aus.   Als sie merkte, wie fest sie ihre rechte Faust ballte, schreckte die Frau auf. Das Gespräch lag bereits einige Tage zurück und dennoch war sie immer noch erschrocken von Zachariahs Skrupellosigkeit. So etwas hätte sie ihm nie zugetraut. Und doch zeigten sich darin die Verbindungen zu Nick Harper alias Eli Bauer. Jemand, vor dem sie sich besonders in Acht nehmen musste. Aber Gardenia hatte ihr versichert, dass er im Moment mit anderen Dingen beschäftigt war. Einen Tag. Mehr würde sie nicht brauchen. Danach würde alles in Ordnung kommen.   „Ugh!“ Anya rollte sich auf den Rücken und fasste sich an den Hinterkopf. „Was zum Geier …“ Langsam hob sie ihren Oberkörper an und blinzelte. Gerade mal eine Lampe sorgte für ein wenig Licht, sodass ihre Augen sich erst an die dunkle Umgebung gewöhnen mussten. „Endlich wach?“, wurde sie da schon von Kali angefahren. „Wurde auch Zeit!“ Sofort waren all ihre Sinne geschärft. Anya sprang auf und sah sich auf ein paar Metern dem Miststück entgegen, das seelenruhig an einen Pfeiler lehnte. „Du warst das! Hmpf! Hätte ich mir denken können.“ Anya rieb sich die schmerzende Stelle an ihrem Kopf noch einmal. „Na, ist das Racheplan #129? Was steht diesmal auf dem Programm?“ „Das Übliche.“ Demonstrativ hob Kali ihren Arm, an dem die inaktive, eingefahrene V-Duel Disk hing, die Isfanel einst im Turm von Neo Babylon getragen hatte. Anya aber beschäftigte längst etwas anderes. Wo war Summers? Sie drehte sich um und entdeckte ihn an dem anderen Pfeiler gelehnt sitzen. Gefesselt und bewusstlos. „Shit …“ Sie wollte zu ihm, doch stieß mitten im Laufen gegen eine unsichtbare Barriere. „Das wird nichts. Nur damit du es weißt, wir stecken in einer Domäne, in der Ätherbewegungen stark verlangsamt sind.“ Kali stieß sich ab. „In diesem kleinen Käfig funktionieren keine Zaubertricks wie deine Artefakte. Oder was auch immer du inzwischen sonst noch so drauf hast.“ „Levrier?“, wirbelte Anya sich zu ihr um.   Ich bin hier. Aber ich sehe nichts. Anscheinend wirkt sich dieses Feld auch auf mich aus.   „Immerhin. Dieser Levrier-muss-ins-Gefängnis-und-darf-nicht-über-Los-Trick wird auf Dauer auch etwas langweilig.“ Die Blonde zuckte mit den Schultern. „Also, Kali, war das hier geplant?“ „Vorbereitet. Dass ihr beide euch bekriegt kam unerwartet, aber gelegen.“ „Wo ist der Flohpelz?“, wollte Anya mit düsterer Stimmlage wissen. Kali lachte. „Spielt draußen irgendwo. Vielleicht mit Zach, vielleicht ohne ihn, wer weiß. Er ist nicht eingeladen und wird uns bestimmt nicht finden, soviel kann ich dir versichern.“ „Und verrätst du wenigstens, -wo- wir hier sind?“ „Nein.“ Anya zog die Stirn kraus. Schade, vielleicht wäre diese Info ja bei -irgendwem- angekommen. Andererseits wusste Kali, mit wem ihr Objekt der rachlustigen Begierde hausierte, entsprechend hatte sie sicher auch Vorkehrungen getroffen, um unliebsame Zuschauer abzuwehren. Wobei es vermutlich eher Gardenia war, die dafür sorgte, denn Kali war eigentlich nur eins: lahm. „Wo ist Mutti?“, fragte Anya gallig. „Guckt sie auch zu?“ „Wenn du Lady Gardenia meinst, nein, sie hat andere Dinge, um die sie sich kümmern muss. Aber genug mit dem Gerede“, raunte Kali zornig und aktivierte ihre Duel Disk, „Duell!“ „Ja, was auch immer“, zischte Anya abweisend, sah über ihre Schulter und tat es ihr schließlich gleich.   [Anya: 4000LP / Kali: 4000LP] Matt war noch immer bewusstlos. Hoffentlich wachte dieser Trottel bald auf, denn so ungern sie es auch zugab, brauchte sie seine Hilfe. Und die seines Immateriellen. Zumal es verdächtig war, dass Kali Summers bewusst außerhalb des Käfigs platziert hatte. Hieß das, dass es auch keine Möglichkeit gab, in ihn einzudringen? Ähnlich des Weißen Raums? „Schluss mit den Tagträumen. Oder willst du gleich aufgeben?“, triezte ihre Erzfeindin sie bitterböse und nahm eine Karte aus ihrem Startblatt. „Ich beginne!“ Sofort legte sie das Monster auf einen der Flügel ihrer roten V-Duel Disk. „Erscheine, [Celestial Gear – Synthetic Albatross]!“ In dem Moment geschah etwas, mit dem Anya nicht gerechnet hatte. Der Käfig weitete sich in alle Himmelsrichtungen aus, die Decke schoss meterweit nach oben. Fast so, als wäre der Raum gewachsen – oder sie geschrumpft. Es ergab Sinn, als sie die Lichtpunkte über Kali sah, zwischen denen sich Linien bildeten, die wiederum den Mechavogel mit dem langen, hakenartigen Schnabel zeichneten. Diese Schrotthaufen waren einfach zu groß, um damit ein Duell in einem so engen Umfeld auszutragen. Durch eine rötliche Barriere konnte man teilweise die Zahnräder und Spulen im Inneren des Vogels sehen.   Celestial Gear – Synthetic Albatross [ATK/500 DEF/0 (4)]   „Eine Karte verdeckt, Zug beendet“, zischte Kali gallig und ließ die Falle zu ihren Füßen erscheinen.   Anya zog eine Karte auf und zeigte sich ebenfalls von ihrer schlechtesten Seite. „Wieder dieser alte Kram? Fällt dir nichts Neues ein?“ Ihre Widersacherin verschränkte schweigend die Arme. Hinter ihrer Maske musste sie sich so sicher fühlen, dachte die Blonde zornig. Die blöde Schnepfe sollte bloß nicht so überheblich sein, das hat ihr letztes Mal schon beinahe wortwörtlich das Genick gebrochen. Trotzdem wusste Anya auch, dass sie die Celestial Gears auf keinen Fall unterschätzen durfte. Sei es, weil sie via Rückbeschwörung stärker als zuvor wiederkehren konnten oder weil sie sämtliche Beschwörungsarten abdeckten. Alle bis auf eine … Grinsend nahm das Mädchen zwei ihrer Handkarten aus dem Blatt. „Ich aktiviere [Gem-Knight Tiger's Eye] mit dem Pendelbereich 2 und [Gem-Tiger] mit dem Pendelbereich 8! Pendulum Scales set!“ Links und rechts neben dem Mädchen schossen zwei hellblaue Lichtsäulen aus dem Boden. In einer befand sich ein Ritter in schwarz-gelb-gestreifter Rüstung, welcher eine Peitsche schwang und dessen dreieckiger Helm Ähnlichkeit mit einem Tigerkopf hatte. Auf der anderen Seite stieg ein ebensolches Tier von weißer Farbe empor, dessen Rückgrat mit Diamanten besetzt war.   <2> Anyas Pendelbereich <8>   „Heh“, grinste Anya finster, „mal sehen, was du dazu sagst! Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum!“ Über ihr öffnete sich das bunte Pendelportal, wie jeher umgeben von unzähligen Lichtellipsen. „Von meiner Hand die Gem-Knights Garnet, Tourmaline, Sapphire und Crystal! Pendulum Summon!“ Nacheinander schossen vier rote Lichtstrahlen aus dem Boden und schlugen vor ihr ein. Es erhoben sich ein Ritter in bronzener Rüstung, der mit Flammen spielte, ein goldener, der elektrische Ladungen zwischen seinen Händen austauschte, ein hellblauer in Hocke, der vor sich eine Eisbarriere erschuf sowie nicht zuletzt ein weißer Held, der seine Hände in die Hüften stemmte. An seinen Schultern befanden sich die namensgebenden Kristalle.   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)] Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)] Gem-Knight Sapphire [ATK/0 DEF/2100 (4)] Gem-Knight Crystal [ATK/2450 DEF/1950 (7)]   Kali schnalzte mit der Zunge. „Die Basisritter, alle auf einem Haufen. Nett … beinahe.“ „Mehr als genug, um dich mit einem One Turn-Kill umhauen“, konterte Anya grimmig, „und denk erst gar nicht dran, der Effekt deines Albatross' könne dich schützen. Ich weiß, dass du keinen Kampfschaden erleidest, wenn ein Monster mit ihm kämpft.“ Aber das war kein Problem, selbst damit würde sie sich nicht verteidigen können. Ohne verbliebene Handkarten streckte Anya den Arm aus. „Los Tourmaline, Zeit für eine schockierende Wendung!“ Der goldene Ritter streckte seine Hände weit auseinander und ließ einen Bogen aus Blitzen zwischen ihnen erscheinen, welchen er dann wieder zusammenpresste und in Form einer ganzen Salve aus Blitzkugeln auf den Mechavogel schleuderte. Jener wurde getroffen und explodierte lautstark über Kali. Trümmer fielen hinab, wobei jene sich kurz über ihr zu einer einzelnen Karte zusammenzogen, die sich die Maskierte schnappte. „Teh. Du kennst das inzwischen. Celestial Gears kehren einmalig in mein Blatt zurück, wenn sie zerstört werden.“ „Als ob dir das jetzt noch irgendwie hilft!“, keifte Anya und schwang den ausgestreckten Arm aus. Das hier war schneller vorbei als es angefangen hatte. „Vereint eure Kräfte, Garnet und Crystal! Clear Burning Punishment!“ Crystal schlug seine Faust in den Boden, wodurch sich eine Schneise bildete. In jene spie der Granatritter mit seinen Händen eine dünne Flamme. Der Spalt brach flammend auf und zischte auf Kali zu, wobei immer mehr spitze, kristallene Dornen aus ihm schossen. „Als ob! Falle, [Scrap Gear]!“ Die purpurn umrandete Karte mit einem Unendlichkeitssymbol in der rechten, oberen Ecke fuhr vor ihr hoch. Das darauf abgebildete, halb verrostete und stark beschädigte Zahnrad schoss aus der Karte und bildete eine unüberwindbare Mauer vor der Kuttenträgerin, welche den kombinierten Angriff mühelos abfing. Anya reckte den Kopf zur Seite. „Tch! Wäre ja auch zu schön gewesen.“ „Denk nicht, dass du nochmal so leichtes Spiel mit mir haben wirst! [Scrap Gear] schützt mich vor sämtlichen Schäden, die du mir zufügen willst, solange ich ein bereits zerstörtes Celestial Gear auf meiner Hand halte“, demonstrativ und böse kichernd zeigte Kali die Karte ihres [Celestial Gear – Synthetic Albatross] vor. „Allerdings wird die Falle nach drei Runden automatisch zerstört.“ „Was auch immer. Zug beendet“, schnarrte Anya verstimmt.   „Urgh. Uh.“ Anya wirbelte erstaunt um, als sie das Stöhnen hinter sich vernahm. Dabei spürte sie ein Ziehen an ihrem Bein, was sie jedoch in dem Moment ignorierte. Der festgebundene Dämonenjäger regte sich, hob langsam den Kopf an und öffnete die Augen. „Au. Huh?“ „Summers!“, rief Anya seinen Nachnamen und sah auf. „Na endlich!“ „W-was ist …?“ Er sah an sich herab und stieß einen Schrei aus. „Ah! Verdammt! Wieso bin ich festgebunden!?“ „Guten Morgen, Dornröschen“, ätzte seine Freundin mürrisch. „Sag' nicht! Du traust mir nicht?“ Der Schwarzhaarige sah sie verständnislos an. „Du denkst wohl, ich bin immer noch-!“ Zu seinem Erstaunen schüttelte Anya den Kopf. „Das war nicht ich, Schwachkopf. Die da hat dich festgebunden!“ Sein Blick folgte dem ausgestreckten Finger und landete bei der maskierten Kuttenträgerin, die schweigend auf der anderen Seite des unsichtbaren Käfigs stand. Erst jetzt fiel Matt auf, dass Anyas rechter Fuß angekettet war. „Moment! Ist das Kali!?“ „Bingo! Würdest du dich jetzt gefälligst befreien? Mit deinem Immateriellen sollte das doch kein Problem sein, oder?“ Aber als das Mädchen seinen irritierten Blick bemerkte, sah es an sich hinab – von ihrem Fuß hing eine Eisenkette hinab, die im Boden verschwand. Sie wandte sich wenig beeindruckt an Kali. „Ernsthaft? Ist das noch so'n Trick?“ Die nickte. „Du wirst nicht nochmal abhauen.“ Anya schüttelte den Kopf, sah über die Schulter. „Sicher, was auch immer. Summers, hör auf zu trödeln!“ „Hör auf, mich herumzukommandieren …“ Trotzdem begann der sofort damit, sich hin und her zu bewegen, als wolle er die Seile einfach absprengen. „Das würde ich an deiner Stelle erstmal lassen“, fuhr die selbsternannte Dämonengöttin dazwischen. „Nicht, dass es etwas ändert, wenn du dich befreien würdest. Aber ich möchte, dass du hier bleibst.“ Anya wirbelte zu ihrer geschworenen Feindin um. „Er hat damit nichts zu tun!“ „Und ob er das hat.“ „Ich verstehe nicht“, murmelte Matt zögerlich und ließ von seinem Versuch, die Fesseln zu lösen, wieder ab. „Wir sind uns noch nie persönlich begegnet, Kali.“   Die zog es vor, gar nichts mehr zu sagen, sondern lediglich geheimnisvoll zu zischen. Der Dämonenjäger überlegte, ob er nicht doch versuchen sollte, sich loszureißen. Doch er spürte etwas, eine zweite Barriere die diesen Ort umgab. Sie war mächtig genug um als Bannkreis durchzugehen. Zweifellos wollte Kali mit aller Macht verhindern, dass Anya von hier entkam – oder jemand anderes in ihre Domäne eindrang. Aber was hatte er dann hier verloren? Na na, wer denkt denn ans Weglaufen? Sei doch froh, dass du hierfür keinen Eintritt zahlen musst!   Matt verzog seine Augen zu Schlitzen, als er Thoras' Stimme in seinem Kopf vernahm. „Das ist kein Spiel! Die wollen sich umbringen!“ Ja! Lustig! Wieso filmst du sie nicht dabei? Bestimmt sind sie darin besser als -du-!   „Halt die Klappe!“, raunte der junge Mann sauer. „Wegen dir sind wir erst in diese Lage geraten! Hättest du mich nicht warnen können, dass jemand wie Kali in der Nähe ist?“ Wie hätte ich das machen sollen? Die Kleine hat euch aus einer anderen Dimension heraus beobachtet und ist erst aus ihrer Höhle gekrochen, als du schon KO gegangen bist. Schon vergessen? Du bist der Loser von uns beiden, nicht ich!   Anya beobachtete, wie sich Matt mit seinem Immateriellen stritt. Witzig, das mal aus den Augen eines Unbeteiligten zu sehen. Und es bestätigte sie darin, dass diese Wesen insgeheim die 11. Plage für die Menschheit waren. „Ich bin hier“, erinnerte sie Kali fordernd an diese unliebsame Tatsache. „Yeah, klar.“ Ihr auserkorenes Opfer drehte sich wieder zu ihr um. „Wird dir das nicht langsam langweilig? Immer wieder dieselbe Masche? Was machst du, wenn ich wieder entkomme? Entführst du dann Zanthe, um mich wieder in eine Falle zu locken?“ Hoffentlich war der inzwischen mit ihrem dämlichen Bruder fertig! Aber nutzlos wie er war, jagte er wahrscheinlich längst irgendwelchen Kerlen nach, während sie hier mal wieder die Drecksarbeit erledigen musste. „Zach sollte inzwischen kurzen Prozess mit deinem Kumpel gemacht haben. Ich kann nicht riskieren, dass einer wie er sich hier einmischt.“ Aber Summers ließ sie praktisch unbewacht und im vollen Besitz seiner Kräfte rumsitzen? Was stimme denn mit der nicht, fragte Anya sich und hoffte dabei, dass der Werwolf nicht so blöd war, sich von ihrem Bruder an der Nase herumführen zu lassen. „Ich bin sogar aus eurem Weißen Raum entkommen. I-“ In dem Moment fuhr ein stechender Schmerz durch Anyas ganzen Körper. Aber er war nicht wie der, der sie regelmäßig heimsuchte. Das war ein Stromstoß gewesen! „Argh!“ „Und wir haben daraus gelernt. Jetzt hör' auf, Zeit zu schinden, sonst kriegst du gleich noch eine Ladung“, zischte Kali böse. In der Hand hielt sie eine Fernbedienung, mit der sie scheinbar die Fessel kontrollieren konnte.   „Wie billig“, murmelte Anya, als Kali nach ihrem Deck griff und schwungvoll zog. „Mich kriegst du nicht klein, egal was du dir einfallen lässt!“ „Das mit den Stromstößen war Zachs Idee.“ Kali zeigte eine Karte vor. „Ich aktiviere [Destructo Gear]! Sie verbannt eine andere Zauberkarte von meinem Deck.“ Anya schreckte zusammen. Das war diese blöde Kombo! Dieses Miststück entfernte damit [Banished Power Gear] aus dem Spiel, um ihre Monster im Kampf zu stärken. Verbannte Zauber- und Fallenkarten waren nahezu unantastbar, weshalb es im Nachhinein keine Möglichkeit gab, etwas dagegen zu unternehmen. „Shit!“ „Ich verbanne [Synthesis Gear]!“ „Huh!?“ Aus Kalis Deck stieg das holografische Bild einer grün umrandeten Karte auf, die auf dunklen Hintergrund vier auf den Betrachter zufliegende Zahnräder abbildete, die in weißer, schwarzer, violetter und blauer Aura aufleuchteten. Dann zersetzte der Zauber sich vor Anyas Augen.   Derweil grummelte Matt vor sich hin. „Was machen wir jetzt? Scheint nicht so, als ob wir die Barriere ohne Weiteres durchbrechen können.“   Wegrennen wäre eine Alternative. Ich kann den Bannkreis bestimmt knacken. Aber willst du ernsthaft die Show des Jahrhunderts verpassen?   „Ich kann Anya nicht alleine lassen. Nicht, solange wir uns nicht ausgesprochen haben.“ Aber helfen konnte er ihr momentan auch nicht, überlegte Matt. Vielleicht sollte er vorerst das tun, was Kali gesagt hatte und einfach zusehen? Nicht, dass die Anya am Ende mit weiteren Ladungen folterte, weil er nicht gehorchte – auch wenn ein Teil von ihm das durchaus hinnehmen würde. „Verdammt! Was habe ich damit zu tun …“   „Ich aktiviere den Effekt von [Synthesis Gear]!“, rief Kali indes aus und streckte die Hand nach vorne aus. „Einmal pro Zug kann ich eine der vier Sonderbeschwörungen durchführen, indem ich genau zwei dazu passende Monster von meiner Hand verbanne!“ Kali zog ebenjene aus ihrem Blatt und zeigte sie vor. „Ich stimme meine Stufe 4-[Celestial Gear – Synthetic Owl] auf meinen Stufe 4-[Celestial Gear – Synthetic Woodpecker] ein!“ Anya keuchte erstaunt, als statt der Monster nur ein grüner Synchroring über Kali auftauchte. Einer, der an seinen Rändern gezackt wie ein Zahnrad war. „Emerald wings cover innocent souls! Beware the beauty of the dancer! Synchro Summon!“ Nacheinander schossen acht grüne Lichtkugeln durch den Ring und verschmolzen zu einem grellen Blitz, der Anya blendete. „Soar, [Celestial Gear – Synthetic Armored Swallow]!“ Mit schrillem Geschrei flog jene aus dem Ring und sendete dabei eine grüne Sichel aus, die alle Monster von Anya auf einmal traf. Während die stehenden Ritter in die Knie sanken, zerbarst Sapphires Eisbarriere und er erhob sich.   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)] Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)] Gem-Knight Sapphire [ATK/0 DEF/2100 (4)] Gem-Knight Crystal [ATK/2450 DEF/1950 (7)]   Das Mädchen blinzelte verdutzt. Der elegante, verhältnismäßig kleine Mechavogel landete vor Kali und legte die Schwingen an. „Wird Swallow als Synchrobeschwörung gerufen, ändert sie die Position all deiner Monster. Und du kannst sie auch nicht mehr zurückwechseln“, erklärte die. In dem Moment bemerkte auch Anya, dass die Gelenke ihrer Monster von kleinen, grünen Blitzen umgeben waren. Ihr Augenmerk legte sich wieder auf die Schwalbe. Jene war irgendwie anders als die anderen Schrotthaufen, die Kali in der Vergangenheit eingesetzt hatte. Die metallische Oberfläche war weiß gestrichen, die Schwingen mit grünen Streifen versehen und es gab nirgendwo einen Punkt, von dem man ins Innere hineinsehen konnte.   Celestial Gear – Synthetic Armored Swallow [ATK/2500 DEF/2000 (8)]   Sei vorsichtig, Anya Bauer. Auf den ersten Blick scheint sie dieselbe Strategie wie sonst zu benutzen, doch etwas stört mich.   „Also hast du es auch bemerkt, huh?“ Anya schloss die Augen und grinste, als sie Levriers Stimme vernommen hatte. „Was auch immer. Wir werden noch früh genug dahinterkommen.“ Unglücklicherweise verfügt deine neue Duel Disk über keinen Bildschirm, mit dem du ihre Karten prüfen könntest, nur über ein digitales Interface. Und ich bezweifle, dass sie Informationen zu ihren Karten abrufen kann.   Anya versuchte es umgehend, indem sie auf eine Taste an dem Apparat tippte und eine holografische Version des Spielplans aufrief, aber tatsächlich war Kalis Seite komplett leer. „Ich hoffe, du bist zufrieden damit, mal wieder Recht zu haben. Wie ich sagte: Was sie da plant sehen wir noch früh genug.“ „Sag mir nicht, dass euch -das- schon nervös macht“, stichelte Kali und streckte den Arm aus. „Los, Swallow! Greife [Gem-Knight Sapphire] an! Celestial Slicer Dance!“ Prompt hob die Mechaschwalbe vom Boden ab und begannen, sich in der Luft wie eine Tänzerin um die eigene Achse zu drehen. Dabei lösten sich zahlreiche, grüne Lichtsicheln von ihren Flügeln, die nacheinander auf den Eisritter zuschossen und ihn zielgenau zerteilten. Anya duckte sich unter den Klingen hinweg und wähnte sich bereits sicher, als ein mehrere Sekunden anhaltender Stromschlag sie kalt erwischte. „Ah!“   [Anya: 4000LP → 1500LP / Kali: 4000LP]   „Urgh!“ Anya kippte vorne über und konnte sich gerade so mit den Händen vom Boden abstützen. Ihr ganzer Körper fühlte sich taub an. „Shit …“ „Vielleicht war die Idee mit den Stromschlägen doch nicht so dumm“, überlegte Kali laut und lachte auf, „hah, warum bin ich nicht auf sowas gekommen? Lass dir nicht zu viel Zeit mit dem Aufstehen, sonst muss ich 'nachhelfen'. Zug beendet!“   „Mir geht’s blendend“, knurrte Anya grimmig. Keuchend stieß sie sich ab und kam schwankend auf die angeketteten Füße. Ja, sie erinnerte sich noch gut daran, wie sehr Kali es genossen hatte, sie im Ephemeria Bridge Stadion auf den Knien zu sehen. Aber den Gefallen würde sie ihr nicht noch einmal tun! „Ich bin dran, Draw!“ Schwungvoll riss sie eine Karte von ihrem Deck und betrachtete sie aus den Augenwinkeln. „Tja, du hast eine Kleinigkeit übersehen. Vielleicht kann ich meine Monster nicht mehr in den Angriffsmodus bringen, aber sehr wohl für eine Beschwörung verwenden!“ Anya streckte den Arm aus. „Ich errichte das Overlay Network!“ Vor ihr öffnete sich ein Schwarzes Loch. „Aus meinem Stufe 4-Garnet und meinem Stufe 4-Tourmaline wird ein Rang 4-Monster!“ Besagte Ritter verwandelten sich in zwei hellbraune Lichtstrahlen, die in den Wirbel gezogen wurden. „Xyz Summon! Du bist dran, Levrier! Erscheine, [Gem-Knight Pearl]!“ Elegant stieg der weiße Ritter aus dem Sog empor, nicht nur von zwei um ihn kreisenden Lichtkugeln, sondern auch sieben riesigen Perlen umgeben. Levrier öffnete seine blauen Augen und funkelte Kali berechnend an.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4} OLU: 2]   „Du …“ Die Maskierte schien in jenem Moment ebenso intensiv zurück zu starren. Von all dem bekam Anya allerdings nichts mit. Sie streckte den Arm kämpferisch aus. „Bist du bereit? Wehe wenn nicht! Los, zermalme ihren Vogel! Blessed Spheres of Purity!“ Wieso rufst du mich eigentlich nur aufs Feld, wenn wir gegen Gegner kämpfen, die mir gefährlich werden können? Du bist herzlos, Anya Bauer.   Die kümmerte das überhaupt nicht. „Hör auf zu jammern und mach endlich!“ Fein, fein. Hah!   Mit einem Stoß seiner Hand steuerte Levrier seine sieben Perlen und feuerte sie wie Geschosse auf den über Kali fliegenden Vogel ab. Nacheinander prallten sie auf das Metall, das nach dem sechsten Treffer schließlich nachgab. Die Schwalbe explodierte. Und als die letzte Perle direkt auf Kali zusteuerte, baute sich vor der wieder das abgewrackte Riesenzahnrad auf und wehrte sie sowie umherfliegende Trümmerteile ab. „Kein Kampfschaden, schon vergessen?“ Kali schnalzte mit der Zunge. „Außerdem nutze ich den Effekt von [Synthesis Gear] und verbanne Swallow.“ Die am Boden verstreuten Überreste des Mechavogels lösten sich einfach auf. „Huh!?“ Damit hatte Anya nicht gerechnet. Wollte Kali diese Biester denn nicht wiederverwenden?   Anscheinend nutzt sie eine andere Strategie als sonst. Ich frage mich, was sie vor hat.   „Weiß nicht, interessiert mich auch nicht. Noch nicht. Zug beendet!“ Damit war der zweite Zug nach der Aktivierung von [Scrap Gear] vorbei. Noch einmal und sie konnte wieder Schaden zufügen! Anya leckte sich die Lippen beim bloßen Gedanken daran. Und in dem Moment spürte sie diese unterschwellige Ekstase, den Nervenkitzel, den sie nur bei besonders gefährlichen Kämpfen verspürte. Dieses Mal war es allerdings anders. Lag es an Kali? Es kam ihr fast so vor, als wären die beiden dazu bestimmt, erbitterte Feinde zu sein. In gewisser Hinsicht … hatte sie dieser Begegnung entgegen gesehen. Und sich darauf gefreut. Nicht nur, weil sie Antworten wollte. Es machte ihr … Spaß. „Tch, das ist doch bescheuert“, murmelte sie leise bei dem Gedanken.   „Hm!“ Kali beobachtete das grübelnde Mädchen einen Moment, ehe sie aufzog. „Ist es. Alles hier ist 'bescheuert'. Wir sollten gar nicht hier sein …“ „Und trotzdem sind wir es“, erwiderte Anya und sah auf. „Hmpf!“ Die Kuttenträgerin nahm zwei Monsterkarten aus ihrer Hand. „Effekt von [Gear Synthesis] aktivieren. Ich verbanne [Celestial Gear – Synthetic Sparrow] und [Celestial Gear – Synthetic Stork] von meiner Hand und errichte das Overlay Network!“ Über dem Mädchen öffnete sich ein aufrecht stehendes Schwarzes Loch. „Aus meinen beiden Stufe 4-Zahnrädern wird ein Rang 4-Monster! Xyz Summon!“ Auch dieses Mal lief die Beschwörung nicht wie sonst ab. Es wurden keine Lichtstrahlen in den Sog gezogen. Stattdessen spie er den schwarzen Mechavogel direkt aus. „Steige empor, [Celestial Gear – Synthetic Armored Strix]!“ Der schwarze Kauz machte seinem Namen alle Ehre. Klein, aber gut gepanzert – um seine Augen zog sich ein grüner Streifen, gleich einer Augenbinde. Wie ein Jäger zog er um Anya seine Kreise.   Celestial Gear – Synthetic Armored Strix [ATK/1000 DEF/1000 {4} OLU: 0]   Keine Overlay Units?   „Anscheinend braucht der keine“, mutmaßte Anya grimmig. „Blitzmerkerin“, kommentierte Kali gallig, „mir geht es um die Xyz-Beschwörung an sich! Denn Strix kann dadurch eines deiner Monster mit einer Stufe zerstören. Celestial Shade Hunting!“ Die Blonde verengte die Augen zu Schlitzen, als der Stahlvogel hinter ihr zum Sturzflug ansetzte. Dabei flimmerte er schwarz auf wie ein Schatten, krachte in den knienden [Gem-Knight Crystal], welcher sofort zersprang und löste dabei verzögert eine Schockwelle aus. Anya nahm das ganze mit einem genervten Stöhnen hin. Da sie seine Position nicht hatte wechseln können, wäre er bestenfalls noch für andere Beschwörungen zu gebrauchen gewesen. Aber solange sie noch nicht genug Stufe 4-Monster im Friedhof aufbewahrte, würde sie [Angel Wing Dragon] eh nicht beschwören. „Damit nicht genug. Die Stufe deines Monsters ist ausschlaggebend für den zweiten Teil des Effekts. Sieben! Das heißt, du kannst ab jetzt sieben Züge lang keine Monster der Stufe 7 oder höher als Spezialbeschwörung rufen.“ Kali lachte finster. „Damit sind fast all deine Fusionen und all deine Synchromonster vorübergehend versiegelt.“ „W-was!?“ Sieben metallische Federn flogen mit der Schockwelle auf Anyas Duel Disk zu und durchbohrten sie. „Shit!“ Das ist schlecht! Sieben Züge sind eine lange Zeit. Manche Duelle enden lange vor einer solchen Frist.   „Pah, als ob ich das nicht wüsste!“ „Fang doch an zu heulen“, giftete Kali, die nur noch ihren bisher ungenutzten, wiedergekehrten [Celestial Gear – Synthetic Albatross] auf der Hand hielt. „Ich bin erstmal durch!“ Eine der Federn löste sich auf, sodass sechs in Anyas Duel Disk stecken blieben   „Du spinnst wohl“, keifte die zurück und riss eine Karte von ihrem Deck. „Mit einem Handicap macht das Ganze erst recht-“ Spaß … nein, sie war hier nicht zum Vergnügen! Dieses Drecksweib wollte ihr ans Leder, daran war nichts Unterhaltsames. Was war sie bloß, überlegte Anya verunsichert. Ein Adrenalinjunkie? „Tch! Eine Verdeckte!“, bellte sie wie ein tollwütiger Hund und schob die Karte in ihre Duel Disk. Zischend materialisierte sich die Karte zu ihren Füßen. „Mach den Vogel alle, Levrier!“ Anya steckte die Hand aus. „Blessed Spheres of Purity!“ Ihr treuer Begleiter tat es ihr gleich und befahl seinen sieben Riesenperlen, sich den Mechakauz vorzunehmen. Nacheinander schossen sie auf jenen zu, zerschmetterten erst die Flügel und fegten dann seinen Kopf vom Körper. Drei der Edelsteine schossen gleichzeitig auf Kali zu, vor der sich abermals das kaputte Zahnrad manifestierte. Unter dem lauten Knallen der abprallenden Geschosse sagte Kali: „Kein Kampfschaden. Außerdem verbannt [Synthesis Gear] Strix auf meinen Wunsch hin.“ Wie schon bei der Schwalbe, lösten sich die Überreste des Vogels einfach auf.   Das war der letzte Zug, in dem sie sich verteidigen konnte.   „Yeah. Noch mal kommst du damit nicht durch. Zug beendet!“ Anya zog die Stirn kraus. Daraufhin zersprang die aufrecht stehende Fallenkarte von Kali endlich, nachdem nun drei Runden vergangen waren. Analog dazu löste sich eine weitere der in Anyas Duel Disk steckenden Federn auf, womit fünf verblieben. Nachdenklich blickte die Blonde über die Schulter und durfte zu ihrer vollsten Unzufriedenheit feststellen, dass Summers noch immer wie ein Idiot da saß und genau das machte, was Kali ihm gesagt hatte: Sitzen und zusehen. „Kch …“ Wenn er wenigstens mal auf die Idee kommen würde, seine eigene Haut zu retten. Irgendeinen Grund musste es doch haben, warum Kali ihn hier haben wollte.   Matt seinerseits verfolgte die Auseinandersetzung tatsächlich gespannt. „Was hat sie bloß vor?“   Irgendetwas Großes, was sonst? Oh süße, süße Rachlust. Die Welt wäre so ein langweiliger Ort ohne dich!   Die Nervensäge in seinem Kopf hatte Recht. Es kam Matt merkwürdig vor, dass Kali Monster beschwor, die Anya mühelos besiegen konnte. Und das, wo sie vermutlich viel härtere Brocken als Alternative rufen könnte. Er sah sich nebenbei ein wenig in dem Keller, oder was auch immer das hier war, genauer um. Hinter ihm befand sich ein Sicherungskasten, aber das war's dann auch schon. Warum hatte Kali sie um alles in der Welt ausgerechnet hierher gebracht und nicht etwa in den Weißen Raum von Gardenia? War es die Angst, dass Anya diesen wieder überwinden konnte? Diese Barrieren waren jedenfalls nicht ansatzweise so absolut wie die Domäne der Weißen Hexe. Etwas anderes musste hinter all dem stecken …   „Draw“, kündigte die Maskierte ihren Zug seelenruhig an und zog auf, „deine Zeit ist gekommen, [Celestial Gear – Synthetic Albatross]! Rückbeschwörung!“ Strahlende Lichtkugeln erschienen über der Frau, zwischen denen sich die Konturen des riesigen Maschinenvogels zeichneten, bis dieser in all seiner Pracht das Feld betrat.   Celestial Gear – Synthetic Albatross [ATK/500 DEF/0 (4)]   „Nun wird sein besonderer Effekt aktiv, der nur einmal pro Duell bei seiner Rückbeschwörung aktiv wird!“ Kali griff nach ihrem Deck. „Er lässt mich sofort zwei neue Karten ziehen!“ Das tat sie auch recht eindrucksvoll, indem sie die Karten mit so viel Schwung zog, dass sie mit dem rechten Bein nach hinten rutschte. „Effekt von [Gear Synthesis]! Ich verbanne [Celestial Gear – Synthetic Armored Halcyon] und [Celestial Gear – Synthetic Quail] von meiner Hand, um sie zu einem neuen Monster zu verschmelzen!“ Sie zeigte neben dem Effektmonster auch ein blau-umrandetes Ritualmonster vor, welche sich beide in ihrer Hand auflösten. Über dem Mädchen öffnete sich ein orange-blauer Wirbel. „Fusion Summon! Glänze, [Celestial Gear – Synthetic Armored Robin]!“ Kreischend schoss aus dem Strom ein kleines Rotkehlchen aus Stahl, allenfalls einen Meter groß. Tatsächlich war sein 'Markenzeichen' aber nicht rot, sondern violett und von grünen Streifen gezeichnet. Celestial Gear – Synthetic Armored Robin [ATK/0 DEF/2400 (8)]   „Effekt meines Monsters!“, rief Kali und nahm ihren Kartenstapel aus dem Schacht. „Damit kann ich zwei beliebige Karten von meinem Deck wählen, die ich ganz oben darauf platziere! Celestial Gratitude Song!“ Dabei gab der Vogel einen kratzigen Singsang von sich, der wie ein Echo durch den Raum hallte. Sie fächerte die Karten auf, zog zielgenau zwei Karten und legte sie nacheinander auf den Stapel, ehe der zurück in die V-Duel Disk wanderte. Ihre letzte Handkarte schob Kali in einen Zauberfallenslot. „Zug beendet.“ Nun lag vor ihr, genau wie bei Anya, eine verdeckte Karte. „Jetzt tritt der negative Effekt der Rückbeschwörung auf den Plan! Albatross wird verbannt. Aber was soll's …“ Der Vogel zersetzte sich in einzelne Partikel und verschwand. „Ist das alles? Das wird ja immer erbärmlicher!“, konnte Anya sich einen, und so ehrlich war sie zu sich selbst, dummen Spruch nicht verkneifen. „Na ja, mach es bloß nicht zu langweilig.“ Die nunmehr dritte von sieben Federn verschwand aus dem Apparat an ihrem Arm.   Als Anya jedoch aufzog, sollte sie die Existenz dieser Dinger verfluchen. [Gem-Eyes Value Dragon] 'lächelte' sie an. Dank seiner Stufe 7 konnte sie ihn jedoch nicht beschwören. So ein verdammter Kackmist! „Oh, ein Monster mit hoher Stufe gezogen?“, triezte Kali sie gehässig. „Ich hoffe doch.“ In dem Moment erkannte Anya, dass sich ihre Feindin anders verhielt als bei der letzten Konfrontation. Beim letzten Mal war sie erfüllt von Boshaftigkeit und Hass. Nicht, dass das diesmal anders war, aber diese dämliche Kuh wirkte … gelassener, nicht so angespannt.   Sie spielt mit uns.   Anya nickte auf Levriers Aussage hin. „Yeah …“ [Celestial Gear – Synthetic Albatross] ist ein Empfänger. Es wäre ein Leichtes für sie gewesen, damit das Stufe 12-Synchromonster [Celestial Gear – Synthetic Armored Raven] zu beschwören.   Stattdessen aber verzichtete sie zugunsten dieses schwachen Dings darauf. Was nur bedeuten konnte, dass ein ganz anderes Kaliber von Monster im Schatten lauerte. Aber es konnte nicht [Sophia, Goddess Of Rebirth] sein, denn jene war in zwei Teile zerrissen. Kali selbst hatte ihr dies während des letzten Duells gezeigt. Was sollte sie also tun? Es war doch offensichtlich, dass dieses Miststück wollte, dass ihre Spatzenhirne zerstört wurden. Aber wenn sie gar nichts tat, gab sie Kali nur die Gelegenheit, alternative Strategien auszuarbeiten. „Shit … hätte ich doch bloß besser aufgepasst!“ Anya biss sich auf die Unterlippe. Dann flüsterte sie leise. „Fein, dann spiele ich eben mit. Ist ja nicht so, als wenn ich nicht auch noch den ein oder anderen Trumpf in der Hinterhand hätte.“ Könntest du mich bitte einweihen?   „Nope. Noch nicht.“ Ehrgeizig streckte sie den Arm nach vorne. „Kümmere dich erstmal um dieses Teil da! Blessed Spheres of Purity!“ Levrier vor ihr stöhnte und schnippte mit der rechten Hand. Die um ihn schwebenden Riesenperlen machten sich auf, den nächsten Mechavogel vom Himmel zu holen. Doch dies erwies sich diesmal schwieriger als gedacht. Das kleine 'Lilakehlchen' wich einem Geschoss nach dem anderen mit geschickten Manövern aus. Kali lachte. „Bei einem Angriff kann Robin seine Position wechseln. Ab in den Verteidigungsmodus!“ „Das reicht trotzdem nicht!“, konterte das andere Mädchen zornig.   Celestial Gear – Synthetic Armored Robin [ATK/0 DEF/2400 (8)]   Und tatsächlich. Zwar schlug der Vogel seine Schwingen schützend vor sich, konnte dem Trommelfeuer der Edelsteine aber nicht widerstehen und explodierte. Kalis Ankündigung kam nicht überraschend. „Ich nutze [Gear Synthesis'] Effekt!“ Die umherfliegenden Trümmerteile lösten sich auf. Und plötzlich klappte Kalis verdeckte Karte, eine Falle, auf. „[Recovery Gear]! Damit kann ich nach dem Kampf eine Karte ziehen und, wenn ich will, das zerstörte Celestial Gear-Monster auf die Hand nehmen. Zusätzlich hieße das auch, dass ich einen Rückbeschwörungseffekt ein zweites Mal benutzen dürfte …“ „… aber Robin verfügt nicht über so einen und wurde außerdem verbannt. Oder sowas in der Art“, schloss ihre Gegnerin den Satz vom Bauchgefühl her ab. „So ist es.“ Also blieb der Maskierten nur, eine einzelne Karte von ihrem Deck zu ziehen. Und Anya begriff, dass Kali es von Anfang an darauf abgesehen haben musste. Somit würde sie im nächsten Zug die beiden von [Celestial Gear – Synthetic Armored Robin] gesuchten Karten auf der Hand halten. „Hmpf. Zug beendet“, schnaubte Anya, womit sich eine weitere Feder auflöste. Damit steckten nur noch drei in ihrer neuen Duel Disk.   Als Kali wortlos ihre Karte zog und betrachtete, schnaubte sie zunächst nur. Dann schüttelte sie den Kopf. „Das war viel zu einfach.“ „Komm schon“, forderte Anya ihre Feindin auf, „langsam werde ich neugierig! Zeig' mir, was du die ganze Zeit vorbereitet hast.“ Die Kuttenträgerin betrachtete die beiden Karten in ihrer Hand. „Fein.“ Dann zeigte sie jene zwischen Zeige- und Mittelfinger vor. „Ich aktiviere [Celestial Gear – Synthetic Saga Phoenix] mit dem Pendelbereich 3 und [Celestial Gear – Synthetic Saga Griffon] mit dem Pendelbereich 9 von meiner Hand! Pendulum Scales set!“ „Huh!?“ Anya weitete die Augen, als neben Kali zwei blaue Lichtsäulen aus dem Boden schossen. Auch Matt war überrascht. „Pendelkarten!?“ In der linken zeichneten goldene Lichtlinien während seines Aufstiegs einen gewaltigen, goldenen Maschinenphönix, dessen Schwingen rot-grün-gelb gestreift waren. Sein Schweif bestand aus zahlreichen, roten Metallfedern. Auf der anderen Seite entstieg ein vierbeiniger, silberner Stahlgreif, dessen Pranken ebenfalls grün gestreift waren.   Kalis Pendelbereich <9>   Anya, die selbst von zwei solcher Säulen umgeben war, in denen sich [Gem-Knight Jasper] und der [Gem-Tiger] befanden, schreckte zurück. „Seit wann-!?“ „Seit ich mich angepasst habe.“ Kali lachte selbstgefällig. „Hah! Diesmal bist du es, die davon kalt erwischt wird.“ „Ach ja? Dann verrate ich dir mal was: Pendelkarten bringen dir gar nichts, wenn du keine entsprechenden Monster auf der Hand oder im Extradeck hast.“ Mit bösem Grinsen auf den Lippen schwang Anya belehrend den Zeigefinger. „Anscheinend hast du beim letzten Mal nicht gut genug aufgepasst.“ Kali aber kicherte nur weiter. „Stimmt, all meine Monster sind verbannt. Und dabei sind Swallow, Strix und Robin doch sogar Pendelmonster …“ „'kay?“ Anya standen die Fragezeichen förmlich im Gesicht geschrieben. „W-warte, was? Seit wann gibt es überhaupt Extradeck-Monster, die gleichzeitig Pendelmonster sind!? Und wieso hast du sie dann absichtlich verbannt?“ „Sieh' doch selbst!“ Kali streckte den Arm in die Höhe. „Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum! Höre den Ruf des Phönix! Aus meiner Verbannungszone: [Celestial Gear – Synthetic Armored Swallow], [Celestial Gear – Synthetic Armored Strix], [Celestial Gear – Synthetic Armored Robin, [Celestial Gear – Synthetic Albatross] und [Celestial Gear – Synthetic Stork]! Pendulum Summon!“ Schon bei ihrem Ausruf begann der Mechaphönix neben ihr in einen traurigen Singsang zu verfallen. Aus dem Nichts fiel eine einzelne Träne vor Kali auf den Boden, wo sich schlagartig das Pendelportal öffnete – nicht wie sonst in der Luft. Nacheinander schossen fünf rote Lichtstrahlen empor. „Was!?“, stieß Anya entsetzt hervor. „Sie pendelt verbannte Monster!?“ Matt keuchte, als er begriff. „Also deswegen-!“ „Ja, Saga Phoenix lässt mich auf Wunsch statt einer herkömmlichen Pendelbeschwörung eine aus meiner Verbannungszone durchzuführen. Deshalb habe ich all meine Assmonster verbannt!“ Kali lachte, als sich über ihr ein Mechavogel nach dem anderen materialisierte. „Das ist die Evolution der Pendelbeschwörung!“ Die weiße Mechaschwalbe, der schwarze Kauz, das 'Violettkehlchen', dazu noch der langschnabelige, riesige Albatross sowie ein ebenso großer Metallstorch gaben sich die Ehre. Man konnte bei Letzterem durch Ritzen in seiner Brust zahlreiche Zahnräder sehen, die durch eine orangefarbene Barriere abgeschirmt waren.   Celestial Gear – Synthetic Armored Swallow [ATK/2500 DEF/2000 (8) PSC: /3>] Celestial Gear – Synthetic Armored Strix [ATK/1000 DEF/1000 {4} OLU: 0 PSC: <9/9>] Celestial Gear – Synthetic Armored Robin [ATK/0 DEF/2400 (8) PSC: /3>] Celestial Gear – Synthetic Albatross [ATK/500 DEF/0 (4)] Celestial Gear – Synthetic Armored Stork [ATK/1400 DEF/1500 (4)]   Anyas Mund stand sperrangelweit offen. Dann formte sich auf ihren Lippen ein immer breiter werdendes Lächeln. Und sie begann loszuprusten. „Hahahaha!“ Völlig perplex fauchte ihre Widersacherin: „Was!?“ Die Blonde musste sich sogar schon den Bauch halten, während Matt die merkwürdige Szene überhaupt nicht einordnen konnte. „Was hat sie …?“   Sie ist endgültig im Lala-Land angekommen.   So ungern Matt Thoras in überhaupt irgendetwas Recht gab, konnte er sich doch ein schmales Grinsen nicht verkneifen. „Oh man“, prustete Anya schließlich und fasste sich mit der Hand aufs Gesicht, „oh Junge …“ Kali stand da wie bestellt und nicht abgeholt. „Wirklich … oh man …“ Anya wurde erneut von einem Lachkrampf. Da platzte ihrer Feindin der Kragen. „Was zur Hölle stimmt nicht mit dir!?“ Es war offensichtlich, dass die extreme Reaktion der Blonden größtenteils geschauspielert war, als sie schlagartig aufhörte zu lachen und sich straffte. „Ach, mir ist nur gerade wieder einmal bewusst geworden, wie erbärmlich du bist. Du konntest mich beim letzten Mal nicht besiegen, also kopierst du mich einfach.“ Kali schnappte scharf nach Luft. Anya setzte noch eins oben drauf. „Deine Pendelmonster sind schon ganz cool, ohne Frage. Aber wenn du von Evolution sprichst, muss ich einfach lachen. Ich bezweifle nämlich, dass du dich jemals weiterentwickeln wirst.“ „Wie kannst du-!?“ „Ganz einfach“, fuhr Anya ihr in die Parade, „weil du nicht über mich hinwegkommst. Du stiehlst mir alles, was mir wichtig ist. Warum? Weil du selbst nichts dergleichen besitzt. Meine Duel Disks, das Celestial Gear-Deck, meine Andenken … wie kindisch. Bist du neidisch, weil ich bessere Spielzeuge habe als du? Vielleicht weil mein Leben einfach besser ist als deines? Hast du jemals an einem großen Turnier teilgenommen und bist so weit gekommen wie ich? Hast du Freunde, die dich so unterstützen wie meine mich?“ Anya blickte dabei über ihre Schulter und zwinkerte Matt verschwörerisch zu, doch der war von etwas anderem abgelenkt. Er hatte bemerkt, wie Kali eine Faust ballte. So sehr, dass sich ihre Fingernägel ins Fleisch bohrten und Blut hinab zu tropfen begann. „Sag es mir“, forderte Anya mit unterschwelliger Frustration abschließend und wandte sich Kali wieder zu „was zur Hölle ist dein verdammtes Problem?“   ~-~-~   Es hätte kein schönerer Tag sein können. Es war angenehm warm, keine Wolke verdeckte den Himmel und keine Anya Bauer störte die Nachbarschaft. Valerie Redfield lag in einem blau-weiß-gestreiften Bikini auf einer Liege und hielt in der rechten Hand ein Taschenbuch. Eines, das von Dämonen handelte. Neben ihr stand ein kleiner, runder Tisch mit einer Cola darauf und ein Sonnenschirm spendete dem Mädchen ausreichend Schatten. Und als wäre das noch nicht genug Luxus, befand sich vor ihr ein riesiger Pool. So war das auf dem von hohen Hecken umgebenen Hinterhof der Familie Redfield. Aber die Schwarzhaarige konnte sich weiß Gott nicht daran erfreuen, geschweige denn auf ihr Buch konzentrieren. Man hatte sie einfach sitzen lassen! Wenn sie nicht bei Anya angerufen und zufällig Abby an die Strippe bekommen hätte, wüsste sie nicht einmal, dass Anya, Matt und Zanthe in einer Nacht-und Nebel-Aktion nach San Augustino gefahren waren! Sie ließ das Buch sinken. Es ärgerte sie maßlos, außen vor gelassen zu werden. Besonders wo Matt jetzt jede Zuwendung gebrauchen konnte. Noch immer hatte sie die Bilder vor Kopf, als Nick beinahe gehässig die Zeitung geworfen hatte, in der die schreckliche Schlagzeile zu lesen war. Seit diesem Augenblick war mit Matt nicht mehr zu reden gewesen. Er hatte nicht geweint, geschrien, gefleht. Er war still gewesen. Der Schmerz musste fürchterlich sein. Valerie war sich im Klaren darüber, dass es für diese Geschichte kein Happy End gab. Umso mehr wünschte sie sich, jetzt an seiner Seite zu sein. Stattdessen nahm er ausgerechnet Anya mit, den Elefant im Porzellanladen. Ja, Valerie gab es sich selbst gegenüber zu: Sie war eifersüchtig. Auf eine rein platonische Art und Weise, verstand sich!   Seufzend legte sie das Buch endgültig auf den kleinen Tisch und nahm sich ihr Getränk, um aus einem langen Strohhalm daraus zu schlürfen. Da stach ihr etwas ins Auge. Etwas Gelbes im Pool. Eine Quietscheente. Und die gehörte da ganz gewiss nicht hin. Irritiert beugte sich Valerie nach vorne. Es dauerte einen Moment, bis sie die Situation richtig erfasste. Erst als der fremde, schwarzhaarige Mann in ihrem Pool hochgeschossen kam und nach Luft schnappte, entfuhr ihr ein entsetzter Schrei. „W-wer sind Sie!?“, stammelte Valerie verwirrt. Er sah sie an. Nein, starrte sie an. Von großer Statur, war neben dem Schnauzer sein herausstechendstes Merkmal dieser fürchterliche, dazu noch durchnässte Vokuhila. Ein kleiner Flaum Brusthaar und eine rot-gepunktete Unterhose rundete seinen von der Zeit vergessenen Look ab. Die beiden tauschten Blicke aus, als wollten sie miteinander kommunizieren, doch sprachen völlig verschiedene Sprachen. „Ich bin Lee Ander-“ Weiter kam er nicht, da er in diesem Moment Valeries Buch ins Gesicht geschmettert kam. Die Ente auf seinem Kopf flog dabei im hohen Bogen davon. Jene sprang fuchsteufelswild auf. „Runter von unserem Grundstück!“ „A-aber ich bin doch hier, um dich zu beschützen!“ Valerie traute ihren Ohren nicht. „Wovor!?“ „Weiß nicht. Eigentlich wollte ich diesem verdammten Hexendämon folgen, aber der ist ganz früh mit dem Zug abgehauen. Vor mir, musst du wissen!“, plapperte Lee munter drauf los und zeigte mit dem Daumen auf sich sowie seine blutende Nase. „Und dass ich jetzt hier bin, liegt nicht etwa daran, dass ich kein Geld fürs Ticket hatte oder so, nein, nein, nein!“ „Meinst du Matt?“, fragte die Schwarzhaarige und tastete nach dem Cola-Glas auf dem kleinen Tisch. Langsam erinnerte sie sich daran, dass Anya ihr auf dem Rückweg nach Livington von diesem Verrückten erzählt hatte.   Lee Anderson, ein Stalker, den Matt bei der Suche nach einem Hüterartefakt aufgegabelt hatte. Dabei dachten sie, ihn inzwischen losgeworden zu sein. So viel dazu … Der Eindringling nickte. „Dieser elende Hexenhexer hat sich an deine Fersen geheftet. Er will dich hypnotisieren und zu seiner Sexsklavin machen.“ „Was!?“, entfuhr es Valerie schrill. „Uh-huh! Du-!“ Schon wurde er vom fliegenden Cola-Glas hart an der Stirn getroffen und fiel rücklings im Pool um. Die Stimme der Schwarzhaarigen überschlug sich förmlich. „Sie verlassen sofort das Grundstück oder ich hole die Polizei!“ „Lass sie in Ruhe, du Spinner!“ Nur noch aus den Augenwinkeln konnte sie sehen, wie jemand sich über die hohe Hecke schwang und über den Rasen gestürmt kam. Schwarzes Haar, muskulöse Figur, ein Kinnbart – Marc!? Welcher gar nicht lange fackelte und mit einem Hechtsprung den gerade erst auf die Beine gekommenen Lee im Pool umriss. Große Wassermengen flogen in alle Richtungen. „Was willst du von ihr!?“, fuhr ihr Ex-Verlobter im weißen Muskelshirt den benommen Lee an, als er ihn an den Schultern aus dem Wasser riss. „Mistkerl!“ Schon boxte er ihn wieder um. Nur um unvorbereitet einen nicht ganz so effektiven Tritt in die Weichteile zu bekommen, während Lee unter Wasser irgendetwas gurgelte.   Valerie legte den Kopf schief, hauchte: „Auf so etwas war ich nicht vorbereitet …“ Vor ihren Augen entfaltete sich eine ordentliche Rangelei, die mit wüsten Beschimpfungen beiderseits garniert wurde. In dem Moment hatte Valerie die Nase voll. Während die beiden sich stritten, stampfte sie am Pool vorbei über die Terrasse hinein ins Haus. Sie musste gar nicht lange nach dem suchen, was sie jetzt brauchte. Das große Wohnzimmer mit dem riesigen Fernseher durchquerend, war eine ziemlich unauffällige Holztruhe ihr erkorenes Ziel, die in der hintersten Ecke des Raumes vereinsamt stand. Valerie ging auf die Knie und ertastete an ihrem Boden einen mit Klebeband befestigten Schlüssel, mit dem man das gute Stück öffnete. Auch wenn ihre Familie demokratisch eingestellt war, gab es eine Sache, die ihr Vater an den Republikanern schätzte. Ihre Waffenvernarrtheit. So lag vor ihr, nachdem sie den Deckel umgeklappt hatte, eine Schrotflinte samt Patronenpackungen. Jene schnappte sie sich und stampfte zurück in den Hintergarten. Die lustige Prügelei war noch im vollen Gange. „Aufhören!“, forderte sie schroff. Aber diese Idioten hörten sie gar nicht. Aber sie hörten den Schuss, den sie in die Luft abgab. Es wurde mit einem Mal mucksmäuschenstill. Beide starrten die junge Frau an, die im Gras mit der fetten Schrotflinte stand und kurz davor war, die Fassung endgültig zu verlieren. Mit maximaler Beherrschung knurrte sie: „Raus hier! Alle beide!“ „A-aber“, wagte ein bereits recht lädierter Lee zu widersprechen. Und wenn jemand dachte, Anyas Todesblick war angsteinflößend, hatte er noch nie Valerie Redfields Variante gesehen. So hob Marc wissend die Hände. „Verstanden. Wir gehen.“ Unter ihrer strengen Aufsicht zog sich der Sportler über den Poolrand und zog wortlos an ihr vorbei. Lee versuchte das Gleiche, rutschte jedoch ungeschickt ab und ging unfreiwillig planschen.   Nachdem er es dann nach zwei weiteren Versuchen doch geschafft hatte und die beiden pitschnassen Männer über den Rasen zur Terrasse tapsten, natürlich gefolgt von einer äußerst verstimmten Valerie, drehte Marc sich zu ihr um. „Tut mir leid.“ Sie sagte nichts, sondern nickte stur Richtung geradeaus. Sie durchquerten das Wohnzimmer und schließlich den Flur. Valerie drängte sich an beiden vorbei, riss die Haustür auf. „Wenn ich einen von euch das nächste Mal sehe, schieße ich nicht daneben!“ „D-die ist ja noch verrückter als die Blonde!“, flüsterte Lee ängstlich Marc vor ihm zu. Der sah Valerie noch einmal an, dann verließ er das Haus wortlos und durchquerte den großen, mit vielen Blumenbeeten bespickten Vordergarten Richtung Tor. Mit dem halbnackten Lee im Schlepptau. Kaum war der über die Schwelle getreten, knallte die Schwarzhaarige die Tür mit aller Wucht zu.   Sie seufzte schwer. Mit einem Stalker fertig zu werden war eine Sache. Dass ihr ehemaliger Verlobter ihr anscheinend hinterher schnüffelte, vielleicht sogar selbst stalkte, -das- war mehr als sie verdauen konnte. Sofort kamen wieder die Erinnerungen hoch. Ihre Disqualifikation während des Legay Cups, weil sie eine verbotene Karte gezogen hatte. Marcs Geständnis vor ihren Freunden, dass er dafür verantwortlich gewesen war. Und kurz darauf das Fernsehinterview, in dem er dies aller Welt gestand und sich entschuldigte. Valerie ließ die Schrotflinte sinken. Ihr Traum von einer Profikarriere war damit gestorben, denn die Leute vermuteten natürlich, dass er sie mit seinem Geständnis nur hatte schützen wollen. Diese Demütigung und das durch die Hand des Mannes, den sie glaubte zu lieben. Ihre Finger krallten sich fest in die Waffe. Keine Entschuldigung dieser Welt würde das je gutmachen können.   Frustriert von den Erinnerungen stampfte sie durch den Flur, als die Türklingel läutete. Ihre Augen weiteten sich. Sollte es etwa tatsächlich einer von ihnen wagen, zurückzukommen!? Sie eilte zur Tür und riss sie weit auf. Aber da stand nicht etwa Marc oder der verrückte Lee vor ihr, sondern ein anderer junger Mann. Einer, den sie noch sehr gut in Erinnerung hatte. „H-Hi“, stammelte David beim Anblick der jungen Frau im Bikini. Auch er hatte schwarzes Haar, aber mit gefärbtem, blauem Pony. Er trug ein orangefarbenes T-Shirt und Jeans und wenn man es nicht besser wusste, hätte man ihn für einen ganz normalen Menschen gehalten. Aber das war er nicht. Dieser Typ war ein Handlanger des Sammlers. Derjenige, der sie daran gehindert hatte, diesen fürchterlichen Dämon zu exekutieren. Deshalb fackelte Valerie auch nicht lange und richtete sofort die Waffe auf ihn. „Whoa!“ Sofort wich David zurück. Valerie kniff die Augen zusammen. „Drei.“ „Drei?“ „Du hast genau drei Sekunden Zeit, um von hier zu verschwinden. Ansonsten …“ „Ich kann mich wehren“, erinnerte David sie trotzig daran, dass er es mit seiner Eismagie sogar mit den Undying aufgenommen hatte. Aber das Mädchen blieb stur. „Das werde ich beurteilen.“ Als würde ihn das überhaupt nicht stören, meinte der junge Mann. „Du solltest wirklich netter zu ihm sein. Also zu Marc, nicht zu diesem Spinner.“ „Und du bist hier, nur um mir das zu sagen?“ „Natürlich nicht“, relativierte er, „im Gegenteil. Ich habe dir eine Menge zu sagen. Frieden?“   Er streckte ihr die Hand aus, aber Valerie ließ nicht von der Waffe ab. Stattdessen nickte sie Richtung Flur. David verstand den Wink und schritt an ihr vorbei. Als er durch war, schloss die Schwarzhaarige die Tür hinter ihm. Im Inneren eines Gebäudes gab es weniger Möglichkeiten zum Ausweichen … „Schönes Haus“, meinte er, als er im Wohnzimmer angekommen war und drehte sich um. „Also. Was willst du von mir?“ „Als Erstes: Mich entschuldigen.“ David sah plötzlich weg. „Unser Duell hätte nicht so laufen sollen. Wenn der Meister es nicht befohlen hätte, hätte ich [Sneedronningen] nicht benutzt.“ Valerie ließ die Waffe sinken. Sie erinnerte sich vage. Das war diese Eiskönigin, mit der er ihren Zug hatte lenken können. Ein Excel-Monster? „Ugh!“ Sie fasste sich an die Stirn. Ihre Erinnerungen an das Duell waren sehr verschwommen. „Es war ein unfairer Vorteil. Diese Karten sollte es eigentlich gar nicht geben, aber der Meister hatte vor etwa einem Jahr einen Handel getätigt, um Zugriff darauf zu erhalten“, erklärte David derweil weiter. Stöhnend konzentrierte sie sich wieder auf ihren dritten ungebetenen Besucher. „Wozu entschuldigst du dich? Wir sind Feinde.“ „Sind wir nicht“, stellte er entschieden klar und breitete die Hände dabei aus, „wir sehen die Welt nur aus unterschiedlichen Perspektiven. Kann es mir nicht leid tun, auch wenn wir andere Ziele verfolgen?“ Seine Worte ließen Valerie stocken. „I-ich denke schon. Trotzdem bist du hier nicht willkommen. Ich brauche deine Entschuldigungen nicht!“ „Während unseres Duells hast du gesagt, dass du mit Duel Monsters aufhören willst“, sprach David unbeirrt weiter, „und ich fühle mich verantwortlich, dich darin vermutlich noch bestätigt zu haben. Deswegen wollte ich dich darum bitten, dass wir unser Duell eines Tages wiederholen. Unter fairen Bedingungen natürlich.“   Valerie brachte keinen Ton heraus. Dieser Typ war ein Buch mit sieben Siegeln. Schon damals war er so gutmütig gewesen, obwohl sie seinen Meister hatte töten wollen. Seine Angriffe hatten sie nicht einmal verletzt, obwohl er dies sicher gekonnt hätte. War das alles nur Show oder meinte er es ernst? Sicher war sich das Mädchen nur darin, dass sie ihm auf keinen Fall vertrauen würde.   „I-ich denke nicht, dass ich das möchte“, entgegnete sie schließlich zögerlich. Er sah sie geknickt an, nickte dann aber. „Damit habe ich gerechnet.“ „Wenn das alles ist, geh!“ „Nein, ist es nicht. Ich habe noch eine Bitte. Und die wirst du auch nicht erfüllen. Aber hör' sie dir wenigstens an, okay?“, sagte er und schritt bereits an ihr vorbei, Richtung Flur. Valerie blickte ihm skeptisch hinterher. Im Weggehen sagte er: „Bitte bring Anya dazu, dem Meister wieder zu helfen.“ „W-was!?“ Er blieb stehen. „Er ist kein schlechter Mensch. Nur sehr … traurig.“ „Warum sollte ich das tun!? Er hat ihr ihre Lebenskraft entrissen und erpresst! Wir alle mussten wegen diesem Mann durch die Hölle!“, wurde Valerie immer lauter. „Ich bin stolz auf Anya, dass sie einen Schlussstrich gezogen hat und einen anderen Weg sucht-“ David drehte sich zu ihr um. Ihm stand großes Bedauern ins Gesicht geschrieben. „Ihr schätzt ihn alle ganz falsch ein. Der Meister ist gutmütig. Ich muss es wissen. Immerhin hat er mich erschaffen.“ Da verschlug es Valerie die Sprache. Erschaffen!? „Ganz recht“, las er ihre Gedanken, „ich bin kein normaler Mensch. Sondern sein erster Erfolg. Ein künstlich erschaffener Mensch. Ich hoffe, du siehst mich jetzt nicht als Monster …“ „Das verstehe ich nicht. Du bist …?“ „Aus Fleisch und Blut, genau wie du“, erwiderte er mit einem Lächeln, „ich kann alles tun, was andere Menschen auch können. Und noch mehr. Das Einzige, was mich neben meiner 'Geburt' von euch unterscheidet ist, dass ich keine Seele besitze.“ „W-was?“ Er senkte sein Haupt. „Wenn man von Nichts erschaffen wurde, gibt es natürlich keine Seele, die den Körper bewohnen kann. Ich bin ja ursprünglich kein Teil des Ätherflusses gewesen. Aber das ist nicht schlimm, ich kann trotzdem fühlen und selbstständig denken.“ Valerie ließ gedankenverloren die Schrotflinte so weit sinken, dass sie sie am Schaft festhielt und auf den Boden abstützte. „I-ich weiß nicht, ob ich dir folgen kann …“ „Der Nachteil an meiner Existenz ist, dass ich nach meinem Tod ohne Seele nicht reinkarnieren kann. Es gibt kein Medium, was meine Erinnerungen und mein Wesen speichern könnte.“ Er lächelte breit. „Trotzdem bin ich dem Meister dankbar dafür, dass er mich erschaffen hat.“ Perplex stammelte Valerie: „W-wozu erzählst du mir das alles?“ „Mir war halt danach.“ Er weitete die Augen. „Oh! Aber das war gar nicht, was ich dir eigentlich mitteilen wollte. Du wirst Anya also nichts ausrichten, oder?“ Schlagartig zog Valerie die Waffe wieder hoch und hielt sie mit beiden Händen fest umschlossen, schüttelte den Kopf. „Selbst wenn ich es ihr sage, steht ihre Entscheidung bereits fest.“   Plötzlich verdüsterte sich der Gesichtsausdruck des jungen Manns. „Dann solltest du ihr unbedingt erklären, dass sie sich irrt.“ Valerie horchte auf. „Mein Meister, der Sammler … er hat Anya belogen. Dass sie die Hüterartefakte sammelt hat einen wichtigen Grund.“ Irgendetwas stimmte da nicht. Was immer jetzt kam, konnte sie David glauben? „Belogen? Womit?“   ~-~-~ „Ich habe es satt. Ich habe dich satt“, keuchte Kali zornig. „Wieso … wieso existierst du bloß!?“ Anya stand ihr mit der rechten Hand in die Seite gestemmt gegenüber. Die Dunkelheit des ausgedehnten Raums wurde nur durch das Licht von den Hologrammen ihrer Monster sowie einer einzelne Lampe gebrochen. „Keine Ahnung“, sagte Anya leise. „Blumen und Bienchen, schätz' ich.“ Auch Matt, der sich bisher nicht aus seinen Fesseln befreit hatte, sah hinter Anya auf. „Was …?“ Denn in diesem Moment griff Kali an ihre Maske. Und nahm sie langsam ab. „Ich hasse dich. Du hast mir alles genommen. Aber ich war dumm zu glauben, mein Gesicht zu verstecken würde mir dabei helfen, dich zu vernichten. Im Gegenteil. Ich habe mir selbst die ganze Zeit etwas vorgemacht.“ Anya weitete die Augen, als die weiße Porzellanmaske einfach losgelassen wurde. Sie zerschellte auf dem Boden, zahllose Splitter flogen in alle Richtungen. Die Blonde keuchte: „Das …!“ Als ihre Widersacherin auch mit beiden Händen ihre Kapuze packte und langsam nach hinten zog, fauchte Anya: „Unmöglich!“ Denn sie sah in ihr eigenes Gesicht. Hasserfüllte, blaue Augen. Blondes Haar, zu einem Pferdeschwanz gebunden. Nur eines unterschied die beiden – eine lange Narbe, die von Kalis Stirn hin bis zu ihrem Nasenansatz reichte. „Willkommen in der Hölle“, knurrte die selbsternannte Dämonengöttin, „deiner ganz persönlichen Hölle.“     Turn 101 – Square The Circle Entsetzt muss Anya sich mit Kali auseinandersetzen, die genauso aussieht wie sie. Jene offenbart die Wahrheit über die beiden, eine Wahrheit, die zunächst unbegreiflich erscheint. Kali besitzt sogar eine Kopie von [Gem-Knight Pearl], was unmöglich sein sollte. Trotzdem kämpft Anya entschlossen um ihr Recht zu existieren. Und im Moment ihrer größten Not … Kapitel 110: Turn 101 - Square The Circle ----------------------------------------- Turn 101 – Square The Circle     Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Angekettet stand Anya da, gefangen in einem durch Kreide markierten Bannkreis und stand Kali gegenüber. Hinter ihr war Matt an einem Pfeiler im Sitzen festgebunden. Beiden entglitten nach und nach die Gesichtszüge. Vor Kalis Füßen lagen die Scherben ihrer zerbrochenen Porzellanmaske. „Willkommen in der Hölle“, knurrte die selbsternannte Dämonengöttin, die abseits einer langen Narbe auf ihrem Gesicht genauso aussah wie Anya, „deiner ganz persönlichen Hölle.“ Fast schon nebensächlich waren da die weiße Mechaschwalbe, der schwarze Kauz, das 'Violettkehlchen' sowie der größere Metallstorch und der großschnabelige Albatros, die sich um Kali scharten.   Celestial Gear – Synthetic Armored Swallow [ATK/2500 DEF/2000 (8) PSC: /3>] Celestial Gear – Synthetic Armored Strix [ATK/1000 DEF/1000 {4} OLU: 0 PSC: <9/9>] Celestial Gear – Synthetic Armored Robin [ATK/0 DEF/2400 (8) PSC: /3>] Celestial Gear – Synthetic Albatross [ATK/500 DEF/0 (4)] Celestial Gear – Synthetic Armored Stork [ATK/1400 DEF/1500 (4)]   Als wäre sie dir aus dem Gesicht geschnitten! Was ist sie?   Levrier, der vor Anya in seiner [Gem-Knight Pearl]-Form ebenfalls auf dem Spielfeld verharrte, drehte sich zu dem schockierten Mädchen um. Die brauchte einen Moment, um überhaupt zu reagieren, ehe sie knurrte: „Sicherlich nicht ich!“ „Bestimmt nicht“, stimmt auch Kali ihr darin zu. Vorsichtig begann Anya zu lachen. „Heh! Für einen Moment hattest du mich. Das ist wirklich originell, viel besser als deine Rachepläne!“ Aber ihre Widersacherin verzog keine Miene. „Nicht mehr lange und du bist für immer fort. Dann bekomme ich zurück, was du mir genommen hast.“ Tatsächlich spielte sie auf Anyas Lebenspunktestand an. Vor dem Mädchen, das zwei Karten in der Hand hielt, lag eine verdeckte Karte. Zudem strahlten neben beiden Mädchen links und rechts von ihnen hellblaue Lichtsäulen. In Anyas befanden sich der [Gem-Tiger] und [Gem-Knight Tiger's Eye], ein peitschenschwingener Ritter mit dreieckigem Helm, dessen Farbgebung an einen Tigerkopf erinnerte. Dagegen befanden sich in Kalis Lichtsäulen der goldene [Celestial Gear – Synthetic Saga Phoenix] mit roten Schwanzfedern und der silberne [Celestial Gear – Synthetic Saga Griffon], ein Greif mit grün-gestreiften Pranken.   <2> Anyas Pendelbereich <8>   [Anya: 1500LP / Kali: 4000LP]   Kalis Pendelbereich <9>   „Und was zur Hölle habe ich dir genommen?“, fragte Anya wütend. „Rück' endlich mit der Sprache raus!“ Kali hob langsam die Hand. „Ist das nicht offensichtlich? Meine Identität. -Ich- bin Anya Bauer. Die echte! Und du? Du bist nichts weiter als eine Fälschung!“ Die Worte trafen das blonde Mädchen wie ein Schlag, besonders als die Kuttenträgerin ihren Zeigefinger auf sie richtete. „Eine Fälschung? Die echte Anya Bauer!?“ Matt beugte sich vor. „Unmöglich! Sie ist Anya!“ Ihm einen leblosen Blick schenkend, zischte Kali leise vor sich hin. „Yeah. Natürlich denkst du das, Summers. Würde ich an deiner Stelle auch.“ „Haha! Du bist durchgeknallt!“, fauchte Anya und gestikulierte wild. „Sag nicht, du glaubst den Scheiß, den du da von dir gibst!? Ich bin keine Fälschung! Wenn überhaupt, dann du!“ „Vielleicht ist sie so etwas wie eine Marionette“, mutmaßte Matt, „die glaubt, sie sei das Original.“ „Wir sind hier nicht in einem Videospiel!“ Kali ballte beide Fäuste. „Egal was ich auch sage, es würde nichts ändern, Summers. Und das Schlimmste ist, dass ich selbst an allem Schuld bin.“ Sie sah Anya tief in die gleichen blauen Augen, die sie selbst besaß. „Weil ich das Miststück erschaffen habe!“   ~-~-~   „Wie lange soll dieses Versteckspiel noch weitergehen?“, rief Zanthe angesäuert. Er stand verlassenen mitten im Wald nahe San Augustino. Hier und da stand ein Baum oder Busch, das Moos unter seinen Füßen roch angenehm. Aber es konnte den Geruch von Falschheit nicht überdecken. „Böser großer Bruder.“ Der Werwolf sah sich um, aber konnte niemanden entdecken. „Du hast mich weggelockt, ich hab's verstanden. Also zeig dich. Sonst hol' ich dich aus deinem Versteck hervor.“ Welches er möglicherweise gerade in der Ferne entdeckt hatte. Auf etwa hundert Meter konnte er eine braune Erhöhung zwischen mehreren Bäumen entdecken. Was auf den ersten Blick wie ein riesiger Haufen menschlicher Ausscheidungen aussah, war jedoch in Wirklichkeit ein von der Zeit vergessener Bunker. Rostig und oval geformt, stand er genauso verlassen im Wald wie Zanthe. „Interessant“, murmelte der schwarzhaarige Kopftuchträger mit dem Pferdeschwanz und rannte auf den Bunker zu.   Als er dort ankam, stellte sich heraus, dass dieser in seinem Inneren hohl war. Eine massive Tür versperrte den Weg ins Innere, wie Zanthe schon aus der Ferne bemerkte. „Willst du immer noch nicht mit mir spielen?“, fragte er und bückte sich dabei. Kaum hatte er einen Stein aufgelesen, wirbelte er um die eigene Achse und schleuderte ihn in eine der Baumkronen hinter ihm. Doch der Stein, der den blonden, großen Zachariah Bauer hätte treffen sollen, flog durch ihn hindurch. „Das tue ich doch schon die ganze Zeit“, sprach jener, der plötzlich im Inneren des Bunkerinnenraums stand und die Arme verschränkte. Seelenruhig drehte sich Zanthe grinsend um. „Schade. Ich wusste, dass du woanders bist, hatte aber trotzdem irgendwie gehofft, dir die Klöten wegzufegen.“ „Solltest du nicht woanders sein?“, fragte der junge Mann in weißem Hemd und darüber liegendem, gleichfarbigen Sakko provokativ. Eine protzige, goldene Kette hing um den Hals von Anya Bauers älterem Bruder. Zanthe verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Schätze schon. Als ich wusste, wen ich da jage, hätte ich besser Anya vor euch warnen sollen. Aber um ehrlich zu sein mache ich mir keine Sorgen um sie. Oder Matt.“ „Und das ist ein Fehler“, entgegnete Zachariah mit süffisantem Grinsen, „stell dir vor, sie und der Dämonenjäger hatten einen heftigen Streit. Denkst du, Kali konnte da widerstehen?“ „Denkst du -ich- kann der Gelegenheit widerstehen, dich ein bisschen auszuquetschen?“ Tatsächlich bereute Zanthe seine Entscheidung längst. Er hatte zu lange gebraucht, um den Geruch zuordnen zu können. Und als es ihm gelang, war er schon mindestens eine Meile von Anya und Matt entfernt gewesen. Was ihm jetzt blieb war bloß, diesen Spinner zu fangen und das Beste aus der Situation zu machen. In dem Fall bedeutete dies für Zachariah unschöne Verhörmethoden, ausgestattet mit dem Anya Bauer-Gütesiegel. Die … ein wenig an seinen Geschmack angepasst waren, verstand sich. Er wollte schon lange mal mit ihr die Rollen tauschen, dachte Zanthe insgeheim fasziniert.   Völlig ernst, um seine fragwürdigen Gedanken zu verbergen, fragte er: „Also, ist jetzt Schluss mit dem Wegrennen?“ Der Blonde nickte. „Leider ja. Ich habe alle Teleportationszauber aufgebracht, die Lady Gardenia mir gegeben hat.“ „Zu schade aber auch“, murmelte Zanthe verheißungsvoll und ließ die Fingerknöcheln knacken. „Wem sagst du das? Ich wäre zu gern dabei, wie Kali mein 'Schwesterherz' auseinander nimmt“, lachte sein Gegenüber böse und breitete die Arme aus, „was genau -jetzt- passieren sollte.“ „War das alles geplant?“ „Ich bitte dich. Wir beobachten euch schon eine ganze Weile. Also wussten wir auch, dass ihr hierher kommen würdet.“ Zach drehte sich um, betrachtete die Bunkertür. „Da wir euch voraus waren, konnten wir ein bisschen rumschnüffeln. Und sind dabei auf dieses Baby gestoßen. Wahnsinnig cool.“ Er wandte sich wieder dem Werwolf zu. „Vier unterirdische Bunker, alle miteinander durch Gänge vernetzt. Hat so ein paranoider Reicher in den sechziger Jahren gebaut. 'Die Russen kommen'! Oder irgendwie so. Wir hatten keine Zeit, sprich keine Lust, uns mit der genauen Geschichte auseinander zu setzen.“ „Ist Anya da drin?“, fragte Zanthe angespannt und sah an ihm vorbei. „Natürlich ist sie das. Immerhin will Kali diesen Ort zu ihrem Mausoleum machen“, lachte Zachariah finster, „aber du glaubst hoffentlich nicht, dass du auch nur ansatzweise in ihrer Nähe bist, oder? Im Gegenteil. Dieser Bunker ist am weitesten von ihrer Position entfernt.“ Aber der Werwolf grinste überlegen. „Macht nichts. Ich bin flink.“ „Oh. Und du glaubst hoffentlich auch nicht“, sprach Zach weiter und hob den Arm, an welchem seine Duel Disk ausfuhr, „dass ich dich hier durchlasse.“ Die beiden sahen sich schweigend an. Dann rollte Zanthe mit den Augen und aktivierte seinen Duellhandschuh, der sich von einem Armreif in besagten Apparat transformierte. „Oh man, das sagst du als schlechtester Türsteher überhaupt. Wie viele Züge hat Anya letztens gebraucht, um dich wegzuklatschen?“ Mit vollem Genuss sah er, wie sich die Augen des großen Blonden weiteten. „Glaubst du da geht noch was? Du stehst auf der Liste der Versager nämlich noch über Matt Summers“, stichelte Zanthe weiter, „und das will was heißen.“ Diese Idioten, dachte er dabei an jenen und Anya. Er konnte sich schon denken, wie deren Streit zustande gekommen war. Nicht, dass es nicht unausweichlich gewesen wäre, aber trotzdem! Er konnte Anyas Spur nicht wittern. Sie war also nicht hier gewesen. Aber ihr Bruder wäre auch schön dämlich, ihn genau an den Ort zu führen, wohin Anya verschleppt worden war. Vielleicht waren er und Matt ja doch wenigstens auf einer Stufe …   „Was ist jetzt?“, fragte Zachariah herausfordernd und winkte den Werwolf mit einer Geste demonstrativ zu sich. „Willst du lieber quatschen oder wenigstens versuchen, das Mädchen zu retten?“ „Richtig …“ Angestachelt davon riefen beide schließlich: „Duell!“   ~-~-~   „Erschaffen!?“, überschlug sich Anyas Stimme förmlich. „Du? Mich!? Bist du jetzt völlig übergeschnappt!?“ Die festgekettete Blonde drehte ihren Zeigefinger um die Schläfe. Anders als Matt, der sich die Geschichte zumindest anhören wollte. „Du musst zugeben, dass das absurd klingt, Kali. Hast du irgendwelche Beweise dafür, dass du Anya Bauer bist?“ „Natürlich hat sie das nicht!“, fauchte diejenige, die bisher diesen Namen innehatte, außer sich über ihre Schulter an den angebundenen Dämonenjäger gerichtet. „Summers, auf wessen Seite stehst du eigentlich!?“ „Auf gar keiner“, kam es eisig zurück. Anya zuckte erschrocken zusammen. Dann senkte sie den Kopf getroffen. „'kay …“ „Also?“, forderte Matt an die Kuttenträgerin gewandt. „Ihr wollt Beweise? Natürlich könnte ich euch Fragen stellen lassen, aber das nicht besonders kreativ. Noch dazu wüsstest du gar nicht, ob ich die Wahrheit sage.“ Kali lachte bitter. „Denn -sie- würde es abstreiten, auch wenn die Antwort noch so detailliert wäre.“ „Hmpf!“ „Wie wäre es dann damit.“ Kali streckte die Hand nach vorne aus. „Ich werde ein Monster beschwören, dass nur Anya Bauer besitzt. Ich errichte das Overlay Network!“ Vor ihr öffnete sich ein Schwarzes Loch. „Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster!“ Sofort wurden ihre beiden größeren Vögel als gelbe Lichtstrahlen in den Wirbel gezogen.   Oh! Ich bin ja so gespannt! Was wird es wohl sein, Matthew Summers?   Thoras' Herumgealbere in seinem Schädel machte die Kopfschmerzen nur noch schlimmer, stellte Matt genervt fest. Das Overlay Network? Welches Xyz-Monster besaß nur Anya? Ihm fielen gleich drei ein, aber man musste kein Raketenwissenschaftler sein, um daraus das richtige zu bestimmen. „Sag nicht …“ „Xyz Summon! Erscheine!“ Eine gewaltige Explosion erschütterte das Schwarze Loch. Aus diesem stieg langsam eine weiße Gestalt, bei dessen Anblick Anya fast die Augen aus den Höhlen kullerten. Kali schrie: „[Gem-Knight Pearl]!“ Als sich der Ritter vor ihr platziert hatte, umkreist von zwei Lichtsphären und sieben riesigen Perlen, prustete Anya los: „Wirklich!?“ Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4} OLU: 2]   Zugegeben, das Ding sah exakt so aus wie Levrier, aber etwas Wichtiges unterschied es dann doch von dem Immateriellen. Nämlich dass es nur ein lebloses Hologramm war. „Du hast echt Nerven“, knurrte Anya. Es stimmte, nur sie sollte diese Karte besitzen, wurde sie schließlich als einzige nicht in dem neuen Gem-Knight Structure Deck gedruckt. „Die Idee wäre ja fast gut, wenn du dir nicht jede x-beliebige Karte aus dem Arsch ziehen könntest! Oder dem deiner Mutti!“ „Warum würde ich Lady Gardenias Zeit damit verschwenden wollen, mir eine so wertlose Karte erschaffen zu lassen?“, kam es von Kali verächtlich. „Ich habe sie nur behalten, weil ich dir damit eine Lektion erteilen will. Und endlich ist die Zeit dazu gekommen. Tch! Ich hätte mich dir schon viel früher zeigen sollen.“ Anya zischte: „Yeah. Stattdessen hast du jedermanns Zeit verschwendet!“ „Oh, ich mache es wieder gut! Indem ich dich mit deinem eigenen Monster vernichte!“ Kali schwang den Arm aus. „[Gem-Knight Pearl], greife dein Spiegelbild an! Blessed Spheres of Purity!“ Jener machte es seiner Herrin nach und befahl mit dem Schwenk seiner Hand seinen sieben Perlen den Angriff. Anya ihrerseits runzelte die Stirn. „Doppelkill!?“ Doch sie irrte sich. Denn nicht nur der gegnerische Pearl hatte sich in Bewegung gesetzt. Plötzlich fegte auch die weiße Mechaschwalbe über das Spielfeld. Die grünen Streifen an ihrer Lackierung begannen grell zu leuchten und wurden transparent, sodass man das mechanische Innenleben erstmals wie bei anderen Vertretern der Celestial Gears sehen konnte. „Wenn ich sage, ich vernichte dich mit deinem eigenen Monster, dann meine ich das auch so! Unterstützt wird mein Pearl, der -echte-, durch den Effekt von [Celestial Gear – Synthetic Armored Swallow]!“ Kali lachte laut auf. „Jedes meiner Pendelmonster verfügt über einen anderen Effekt, wenn sie als Pendelbeschwörung gerufen wurden. Swallow kann während der Battle Phase auf den eigenen Angriff vernichten, um eines deiner Monster bis zum Ende des Zuges um 2500 Punkte auf beiden Werten zu schwächen! Overgear Collision!“ Der riesige Vogel flog noch an den herannahenden Riesenperlen vorbei und krachte in Levrier, der gequält aufschrie. Aus der folgenden Explosion kam die Schwalbe unversehrt hervor und flog im hohen Bogen zu ihrer Herrin zurück, während Levrier sich den Bauch hielt.   Ugh! Das ist … nicht gut …   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 → 100 DEF/1900 → 0 {4} OLU: 2]   Noch größenwahnsinniger als je zuvor lachte Kali: „Hahaha! Jetzt bist du gefundenes Fressen für meinen Pearl, Levrier! Fühlt sich so gut an, dich endgültig aus meinem Leben zu verbannen!“ Der Perlenschwarm näherte sich Levrier unaufhaltsam. „Verbannt wird hier nur eins“, knurrte Anya mit Schweißperlen auf der Stirn, „und zwar [Gem-Knight Sapphire] von meinem Friedhof! Durch den Effekt von [Gem-Tiger]!“ Jener weiße, mit Diamanten am Rückgrat bespickte Tiger in der von Anya aus rechten Lichtsäule brüllte furchteinflößend. „Damit kann ich einmal pro Zug einen Angriff annullieren!“ Im letzten Moment vor dem Einschlag blieben die Geschosse mitten in der Luft stehen. „Kch“, zischte Kali, „daran hatte ich nicht gedacht! Aber damit kannst du diesem Drecksstück die Schmerzen nicht ersparen, die es verdient hat!“   Wie bitte!?   „Du hörst richtig! Ohne dich wäre all das nie passiert!“ Als sie das sagte, funkelten Kalis blaue Augen voller Abscheu. „Der Tag, an dem du in mein Leben getreten bist, um Eden zu werden, hat erst hierzu geführt!“ Sie zeigte auf Anya. „Ich hasse sie! Und ich hasse dich, Levrier! Meine Rache wird erst vollendet sein, wenn ihr -beide- tot seid!“   Ich muss dich enttäuschen, aber du bist nicht Anya Bauer! Auch wenn du das glauben magst. Ich kann bestätigen, die Seite -dieses- Mädchens nie verlassen zu haben! Ich war stets bei ihr, selbst in der kurzen Zeit zwischen dem Untergang des Turms von Neo Babylon und dem Erwachen Urilas!   „Halt's Maul!“, fuhr ihn Kali jedoch mit weit aufgerissenen Augen an, zeigte mit dem Finger auf den Immateriellen. „Greif ihn an, [Celestial Gear – Synthetic Armored Strix]! Overgear Barrage!“ Der grüne Streifen um die Augen des schwarzen Mechakauzes begann zu strahlen und transparent zu werden. Dann spreizte er die Schwingen und feuerte zahllose, aus dem Nichts auftauchende Metallfedern auf Levrier ab. Welcher sich mit erhobenem Armen dagegen wehrte, doch die scharfen Klingen blieben in ihm stecken. Argh!   Einige flogen an ihm vorbei oder durchbohrten ihn glatt, sodass auch Anya erfasst wurde. Die tat es ihrem Partner gleich und schütze sich, doch die Geschosse zerrissen ihre Hose und die schwarze Jeansjacke. Blut spritzte ihn alle Richtungen. „Ugh!“ Gerade als die Blonde dachte, es wäre vorüber, wurde ihr durch die Kette an ihrem Bein ein heftiger Stromschlag verpasst. „Hyah!“ Keuchend kippte das blutende Mädchen nach vorne.   [Anya: 1500LP → 600LP / Kali: 4000LP] „Anya! Levrier!“, schrie Matt erschrocken. „Was!?“, fauchte Kali, lachte dann aber verbittert. „Oh! Du meintest sie. Mein Fehler …“ Alles war taub. Die gerufene Anya konnte sich geradeso mit den Händen vom kalten Beton abstützen und kniff die Augen ob der blutigen Schnittwunden an Armen und Beinen zusammen. Es tat nicht weh! Fuck, es tat nicht weh! Und der Schmerz ließ nach …   Geht es dir gut?   „Y-yeah“, keuchte Anya, als sie sich aufrichtete. „Was ist mit dir? Du bist noch hier?“ „Natürlich ist er das. Von Swallows Effekt getroffene Monster können nicht durch Kämpfe zerstört werden. Und das ist auch gut so“, erklärte die junge Frau mit der Narbe auf der Stirn, die sich bis über ihre Nase zog, „so kann er noch ein wenig mehr leiden. Genau wie du, Fälschung!“ Darüber konnte Anya nur müde lachen. „Die Leier schon wieder? Du tust mir leid. Glaubst ernsthaft, dass du ich wärst.“ Matt musste bitterböse auflachen. „Sie ist wohl die Erste, die gerne in deiner Haut stecken will.“ „Was soll das heißen, Summers!?“, kam es tatsächlich gleich von beiden, sodass die sich giftig ansahen. „N-nichts“, stotterte er heiser ob der Vorstellung, gleich zwei dieser Furien ausgesetzt zu sein. Plötzlich streckte Kali die Hand aus. „Da ich dir Schaden zugefügt habe, setzt jetzt der Effekt von [Celestial Gear – Synthetic Armored Robin] ein, da es als Pendelbeschwörung aufs Feld kam! Ich darf eine Karte ziehen!“ Jenes 'Violettkehlchen' gab einen schrägen Singsang von sich, während Kali eine Karte vom Deck riss. „Und direkt danach aktiviere ich während meiner Main Phase 2 den Effekt von [Celestial Gear – Synthetic Armored Strix]! Da auch er als Pendelbeschwörung gerufen wurde, kann ich die oberste Karte meines Decks zu seiner Overlay Unit werden lassen!“ Aus der roten V-Duel Disk stieg eine Lichtkugel auf, die zu dem schwarzen Kauz flog und ihn zu umkreisen begann.   Celestial Gear – Synthetic Armored Strix [ATK/1000 DEF/1000 {4} OLU: 0 → 1 PSC: <9/9>]   „Das soll's fürs Erste gewesen sein“, meinte Kali zufrieden, „dein Zug, Fälschung!“ Anya knirschte mit den Zähnen ob der ständigen, falschen Behauptung, sie wäre nicht echt! Levrier wusste es schließlich besser als jeder andere, wie konnte sie das so frech ignorieren!? Außerdem, wenn sie -wirklich- nicht echt wäre, müsste der Immaterielle doch unter Kalis Fittchen stehen! „Blöde Kuh!“, schimpfte die Blonde abschließend. Dabei betrachtete sie ihre schwarze Duel Disk, in der drei Stahlfedern steckten. Eine davon verschwand. Aber solange nur eine davon übrig war, konnte sie keine Monster der Stufe 7 oder höher spezialbeschwören. Und das schloss den [Gem-Eyes Value Dragon] auf ihrer Hand mit ein. Gleichzeitig atmete Levrier auf.   Meine Stärke kehrt zurück!   Gem-Knight Pearl [ATK/100 → 2600 DEF/0 → 1900 {4} OLU: 2]   Indes verzog Matt vor Schmerz die Augen. Nicht nur sein Kopf dröhnte, noch dazu taten ihm Teile seines Körpers weh, von denen er nicht einmal wusste, dass er sie überhaupt besaß. Was Thoras sagte, war am Ende doch wahr gewesen: [Primalswarm Yggdrasil] brachte seinen Benutzer eines Tages um. Wenn er ihn noch einmal beschwor, würde das sein Schicksal sein.   Tja, wenn ich es nicht besser wüsste, könnten die beiden tatsächlich ein und dieselbe Person sein. Aber ich weiß es besser.   Wenn man vom Teufel sprach. Matt horchte auf. „Was?“ Ach komm schon, Loverboy! Merkst du es denn nicht? Die beiden Süßen – oder in diesem Fall wohl eher Salzigen sehen zwar aus wie dasselbe Modell 'geschrumpfte Mörderbarbie', aber wenn man mal kurz seine mentalen Fühler- „Komm zum Punkt!“, brummte Matt genervt. Wodurch der goldene Kakerlakenritter an seiner Seite mit ausgebreiteten Armen schulterzuckend erschien.   Sie geben eine ähnliche Aura ab, aber keine identische, Matschematt! Um genau zu sein ist die bei der Produktion beschädigte wesentlich schwächer als die, mit der wir uns herumschlagen müssen!   In dem Moment warf Kali dem Immateriellen einen eisigen Blick zu. „Gratulation, Einstein, du bist ja schnell darin, das Offensichtliche festzustellen. Die Fälschung da hat ihre Conqueror's Soul schließlich wesentlich intensiver genutzt als ich. Und sie hat bei unserem letzten Treffen einen Teil meiner Kraft gestohlen …“ Yieks!   Thoras wich mit erhobenen Armen zurück. Anya dagegen beschränkte sich auf: „Bahnhof! Was auch immer, mir egal! Draw!“ Voller Ehrgeiz zog sie ihre Karte und betrachtete sie einen Moment mit weit aufgerissenen Augen, ehe sie den Arm ausstreckte. „Los Levrier, greif' [Celestial Gear – Synthetic Armored Robin] an!“ „Idiot“, lachte Kali, „schon vergessen, dass Robin bei einem Angriff die Position wechseln kann!“ „Nein! Fuck you, Miststück! Schnellzauber [Forbidden Chalice]!“ Anya Bauer, nein! Du solltest dir diese Karte aufheben!   „Schnauze!“, fauchte Anya ihren Partner aufgeregt an. „Ich werde nicht zulassen, dass sie mich eine Fälschung nennt! [Forbidden Chalice] negiert den Effekt des Ziels und gibt ihm 400 Angriffspunkte!“ Kali reckte erschrocken den Kopf hoch, als über ihrem 'Violettkechlchen' ein goldener Kelch mit Wein erschien, der seinen Inhalt über den Mechavogel ergoss. Woraufhin dieser einen Kurzschloss bekam und überall um ihn herum Blitze schlugen.   Celestial Gear – Synthetic Armored Robin [ATK/0 → 400 DEF/2400 (8) PSC: /3>]   Lautstark schrie Anya: „Blessed Spheres of Purity! Halt nichts zurück, Levrier!“ Frustriert schnaufend schwang Levrier seinen Arm aus und feuerte seine sieben Riesenperlen auf den Vogel ab. Jene schlugen in ihm ein wie Bomben, lösten abschließend eine mächtige Explosion aus. „Effekt meines verbannten Zaubers [Gear Synthesis]“, konnte Kali noch rufen, „sie verbannt mein zerstörtes Monster auf meinen Wunsch hin!“ Dann wurde sie von einer der fliegenden Perlen in den Bauch getroffen und mit voller Wucht gegen den hinter ihr befindlichen Stützpfeiler geschleudert. In welchem ob des Einschlags ein Krater um Kalis Körper herum entstand. Jene spie keuchend Blut aus.   [Anya: 600LP / Kali: 4000LP → 1800LP]   Wie ein nasser Sack plumpste sie anschließend vorne über auf den Boden. Matt schrie: „Bist du verrückt geworden!?“ „Misch dich nicht ein, Summers!“, verteidigte sich Anya sofort aufgewühlt. „Sie foltert mich mit Elektroschocks, also habe ich das Recht mich zu wehren!“ „Trotzdem!“ „Wenn dir das nicht passt, hau einfach ab!“ Sich an ihre am Boden liegende Gegnerin wendend, knurrte die Blonde: „Ich setze eine Karte verdeckt. Zug beendet!“ Zischend materialisierte sich jene neben ihrer anderen, gesetzten Karte. Die vorletzte Eisenfeder verschwand dabei aus ihrer Duel Disk. „Ha ha“, hustete Kali mehr als sie lachte. Mit einer Hand hielt sie sich den Magen, mit der anderen stützte sie sich vom Beton ab und erhob sich langsam. „Sie hat Recht, Summers. Ich verletze sie, sie verletzt mich. Alles bleibt fair.“ Der Dämonenjäger schüttelte den Kopf. „Das ist doch Unsinn!“ Hör bloß auf, diese Furien zu provozieren! Eine von beiden wird sicher überleben und dann geht’s uns an den Kragen!   Tatsächlich versteckte Thoras sich inzwischen hinter dem Pfeiler, an dem Matt festgebunden war und lugte ängstlich hervor. „Soll ich dir sagen, was Unsinn ist?“ Kali, an deren Mundwinkeln Rinnsale von Blut hinunter tropften, grinste hässlich. „Wie diese Fälschung überhaupt entstanden ist.“ Anya knirschte mit den Zähnen. Ihre Augen drohten aus den Höhlen herauszufallen, als sie zischte: „Nenn' mich noch einmal so und ich hab' kein Problem damit, dich ins nächste Leben zu schießen, Miststück!“ Aber Kali beachtete sie gar nicht. Stattdessen fokussierte sie sich allein auf Summers. „Was soll ich sagen? Es gibt einen Grund, warum ich wollte, dass du ebenfalls hier anwesend bist. Versteh' mich nicht falsch, von allen Beteiligten trifft dich vermutlich am wenigsten Schuld. Aber dennoch …“ Der Schwarzhaarige sah in ihre blauen Augen. Für einen Moment glaubte er, Traurigkeit darin zu sehen. „Ich? Was habe ich mit der ganzen Sache zu tun?“ „Du hast die Wunderlampe angeschleppt“, sagte Kali, „ich habe mir damals von dem Jinn gewünscht, von Levrier getrennt zu werden.“ Sie hob langsam den Zeigefinger. „Und das wurde ich. Leider hätte ich genauer erklären sollen, was ich damit meine. Du weißt ja, Summers, Jinns sind gut darin, die an sie gerichteten Wünsche misszuverstehen.“ Das gesagt, ruhte der ausgestreckte Finger auf Anya. „Wie ich es wollte, wurden Levrier und ich getrennt. Indem an meiner Statt ein Sündenbock erschaffen wurde, ein perfektes Imitat, auf das Levrier übertragen wurde. Sie.“ Anya weitete die Augen. „Du lügst …!“ „Tu ich das? Dann beantworte mir Folgendes: Denkst du wirklich, dass dein gesundheitlicher Zustand mit dem Handel des Sammlers zu begründen ist?“, fragte Kali eiskalt und wischte sich mit dem Handrücken das Blut von den Mundwinkeln. „Mach die Augen auf. Er belügt dich. Schon die ganze Zeit. Er hat dir nie deine Lebenskraft genommen. Weil es gar nichts gibt, was er dir hätte nehmen können.“ „Nein … nein!“, widersprach Anya panisch. „Das ist eine Lüge.“ „Ist es nicht.“ Kali ballte ihre Fäuste zusammen, wurde zunehmend lauter. „Du bist nichts als eine instabile Fälschung, die mein Leben genommen hat! Schon bald solltest du verschwinden, ob ich dazu beitrage oder nicht!“ „Nein!“ „Doch! Aber ich will es sein, die dein Leben nimmt! Weil du meines genommen hast! Dafür will ich Rache! Rache für ein Jahr, das ich in den Schatten leben musste, wegen dir! Nochmal wird dich kein Wunder retten, dafür sorge ich!“ „Ich bin keine Fälschung!“ Kali übertönte sie mit all ihrer Kraft. „Du bist sogar noch schlimmer als das! Du bist ein Parasit, der vernichtet werden muss! Oder was sagst du, Summers?“   Matt, der die Szene erschrocken mitverfolgte, überschlug sich förmlich. „I-ich!? Haltet mich da raus!“ „Was ich sage ist die Wahrheit!“, beharrte Kali bitter. „Vielleicht glaubst du mir ja, wenn ich dir sage, was während der Begegnung mit dem Jinn passiert ist.“ Anya indes befahl aufgelöst: „Hör nicht hin!“ „Na, kriegst wohl langsam Panik, was?“ Die Kuttenträgerin schloss die Augen. „Nach dem Wunsch wurde mein Körper kopiert. Das war dieses flammende Ding, gegen das du dich duelliert hast und das der Jinn besessen hatte. Mein richtiger Körper wurde in der Zeit in der Wunderlampe eingesperrt.“   Unmöglich! Anya Bauer war zu diesem Zeitpunkt in ihrem Elysion eingeschlossen!   „Das war die Fälschung, Levrier“, erwiderte Kali emotionslos, „um dich zu täuschen, während du aus meinem Körper entfernt wurdest.“ Sie öffnete die Augen und sah Matt an. „Das Innere der Wunderlampe war das, was ich mir immer als Limbus vorgestellt habe. Eine Welt der Leere, aus der es kein Entkommen gab. Also mein Schicksal, wäre ich daran gescheitert Eden zu werden.“ „W-warte mal, was? Du warst -in- der Lampe?“, fragte Matt irritiert. Anya fragte schrill: „Wieso glaubst du ihr den Scheiß, Summers!?“ Ihre Erzfeindin nickte. „Yeah. Aber ich war nicht allein. Da war noch jemand anderes. Und ich wette, wenn ich dir verrate, wer das war, wirst du mir endlich glauben. Und sie auch.“ „Warum?“, fragte Matt langsam. „Weil das etwas ist, das nur jemand wissen kann, der die Wahrheit spricht. Dein Mentor Alector dürfte dir die Geschichte sicher irgendwann mal erzählt haben, nachdem das mit der Wunderlampe ein vermeintlicher Misserfolg war.“ Kali atmete tief durch. „Und dir hat er es auch erzählt, das weiß ich.“ Anya schlug beide Hände gegen ihre Brust. „Mir!?“ „Der Mann, der mit mir in der Wunderlampe eingesperrt war, war derjenige, der sie gefunden hat. Er war auf der Suche nach einem Weg, die Eltern seines Enkels zurück ins Leben zu wünschen. Aber stattdessen hat der Jinn ihn verschlungen.“ Matt weitete die Augen, keuchte. „Unmöglich. Nein … doch nicht …?“ „Doch. Er war es.“ Diesmal war es eindeutig Trauer, oder vielleicht Reue, die der Dämonenjäger in Kalis Augen zu sehen glaubte. „Atreus van Helsing. Alastairs Großvater.“ „Er war eines Tages verschwunden! Alector glaubte auch, dass-“, stammelte Matt. „Hör auf zu lügen! Was beweist diese Behauptung denn!?“, überschlug sich Anyas Stimme förmlich, das Mädchen war hochrot im Gesicht. „Ich bin kein Nebenprodukt eines Wunsches! Ich kann mich an meine Kindheit erinnern, an alles, weil -ich- es erlebt habe! Hör verdammt nochmal auf, das für dich beanspruchen zu wollen!“ „Die Teile fügen sich langsam zusammen. Vielleicht habe ich übertrieben und es ist kein endgültiger Beweis.“ Kali sah sie hasserfüllt an. „Aber es ist der erste Schritt, dich zu entlarven.“   ~-~-~   „Das ist die Wahrheit. So hat der Sammler es mir erklärt“, sagte David im dunklen Flur von Valerie Redfields Villa abschließend. Jenes schwarzhaarige Mädchen, das nur in einem blau-weiß-gestreiften Bikini und mit einer Schrotflinte in der Hand da stand, brachte keinen Ton mehr heraus. „Es tut mir leid, dass du es so erfährst“, murmelte der Schwarzhaarige mit dem blauen Pony beschämt.   Valerie rang mit ihrer Fassung. Vornehmlich, weil sie nicht einmal wusste, ob sie das Gehörte überhaupt glauben konnte. Einerseits hatte sie keinen Anlass, diesem Kerl zu misstrauen, da er ihr trotz ihrer Differenzen einen aufrichtigen Eindruck machte. Andererseits war er der Diener des Sammlers, des Feindes. Und der sah sicher nicht davor zurück, Lügen einzusetzen, um seine Pläne in die Tat umzusetzen. Sollten sie auch nur dazu da sein, Unruhe innerhalb ihrer Gruppe zu verursachen.   „Ich weiß nicht, ob ich das glauben kann“, sagte sie schließlich. „Das solltest du. Bitte.“ David sah ihr in die Augen. „Der Meister hat Pläne mit eurer Anya, das ist wahr. Aber er … er will ebenso wenig, dass sie stirbt.“ Valerie schüttelte den Kopf. „Trotzdem werde ich nicht dabei helfen, indem ich Anya überrede, ihre Mission wieder aufzunehmen. Das … das kann nicht stimmen!“ „Möglicherweise hast du damit Recht. Ich kann das nicht beurteilen.“ David drehte sich von ihr weg und schritt langsam Richtung Haustür. „Aber ich glaube dem Sammler. Er ist kein Lügner. Die Artefakte verstärken verschiedene Attribute ihres Trägers. Das, was ihr [Angel Wing Dragon] nennt, erhöht Stärke, Schnelligkeit und Reflexe.“ „Was?“, wunderte sie sich leise und folgte ihm dabei. „Das Monster Heavy T vermag sogar das Leben des Besitzers verlängern. Und die derzeitige Inkarnation der Zwillingsschwerter, Murciélago, verleiht ihrem Träger die Kraft, die eigene, reine Vorstellungskraft auf den Körper anzuwenden. In Form von Illusionen.“ Vor der verschlossenen Tür drehte er sich zu ihr um. „Und das sind nur drei von sieben Artefakten.“ „Aber selbst wenn das, was du sagst, wirklich der Wahrheit entspricht. Wie würde das Anya helfen?“ „Wer im Besitz von allen sieben ist, dürfte theoretisch unbesiegbar sein. Der Meister erhofft sich, dass durch die verschiedenen Kräfte Anyas Existenz stabilisiert wird.“ Der junge Mann im orangefarbenen T-Shirt seufzte. „Aber die, die sie schon hat, reichen dafür noch nicht aus, verstehst du?“ „Nein“, gestand Valerie leise, zog an ihm vorbei und öffnete die Tür. „Nein, ich verstehe nichts. Bitte geh' jetzt.“ Resignierend nickte der junge Mann und trat über die Schwelle. Aber nicht, bevor er sich noch ein letztes Mal zu ihr umdrehte. „Sie wird es bald herausfinden. Daher dachte ich, du solltest das wissen.“ Dann ging er weiter und ließ mitten im Garten der Redfields eines dieser schwarzen, ovalen Portale erscheinen. Im Weggehen winkte er Valerie zu und verschwand schließlich vor ihren Augen. Und das Mädchen wusste weiß Gott nicht, was sie von diesem Besuch halten sollte. Hätte sie Marc doch bloß nicht weggeschickt …   ~-~-~   Ich hätte es bemerkt, wenn sich etwas an meinem Pakt mit der echten Anya Bauer verändert hätte! „Yeah! W-was sie sagt ist völlig unmöglich“, stammelte Anya, am ganzen Leib zitternd auf Levriers Einwurf hin und drehte sich zu Matt um. „Stimmt's, Summers?“ Der reagierte nicht. „M-Matt!?“ In dem Moment senkte er sein Haupt. „Ist mir egal.“ „W-was!?“ „Ich sagte, es ist mir egal wer von euch jetzt die Echte ist!“, fuhr er sie schlagartig an. „Ich bin auf euch beide nicht sonderlich gut zu sprechen.“ Da erwiderte Kali gefühlskalt. „Yeah. Die Sache mit deinem Waisenhaus. Indirekt bin ich da wohl mitverantwortlich, immerhin habe ich dieses Miststück in die Welt gewünscht. Sorry.“ „Sorry!? Denkst du, eine Entschuldigung macht das alles wieder gut!?“, schnauzte er dementsprechend die Kuttenträgerin an. „Nope. Aber mehr bekommst du nicht.“   Kali sah von ihm herüber zu einer völlig aufgewühlten Anya, die ihren Freund tief getroffenen ansah. Der mied die Blicke beider Mädchen. So sprach die selbsternannte Rachegöttin: „Was -dich- angeht, habe ich jedoch mehr als genug im Angebot!“ Schwungvoll riss sie eine Karte von ihrem Deck und streckte den Arm in die Höhe. „Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum! Höre den Ruf des Phönix! Aus meiner Verbannungszone: [Celestial Gear – Synthetic Armored Robin] und [Celestial Gear – Synthetic Woodpecker]! Pendulum Summon!“ Daraufhin stimmte der Mechaphönix einen schiefen, deprimierenden Singsang an. Eine einzelne Träne seinerseits benetzte den Beton vor Kali, wo sich im Anschluss das Pendelportal öffnete und zwei rote Lichtstrahlen abfeuerte. Jene nahmen vor ihr die Form des Mecharotkehlchens sowie eines riesigen, schlanken Vogel, dessen spitzer Schnabel sowie der kleine Kamm von magentafarbenen Energiebarrieren umgeben waren, die die Zahnräder dahinter abschirmten.   Celestial Gear – Synthetic Armored Robin [ATK/0 DEF/2400 (8) PSC: /3>] Celestial Gear – Synthetic Woodpecker [ATK/1800 DEF/1300 (4)]   „Summers, ich“, stammelte Anya jedoch völlig abwesend, „ich … bereue, dass dir so viel Leid widerfahren ist. Und ich weiß, dass-“ Aber der junge Mann erteilte ihr eine eisige Abfuhr. „Nicht jetzt. Konzentriere dich lieber.“ Er hat Recht. Wenn du jetzt einknickst, könnte sie dich besiegen.   Auf Levriers mahnende Worte hin wandte sich Anya wieder dem Duell zu. „Du bist also trotz allem noch auf ihrer Seite?“ Kali lachte verbittert. „'kay, im Grunde genommen kennst du sie ja auch viel länger als mich. Auch wenn sie nur eine riesige Lüge ist.“ „Ich bin auf niemandes Seite“, stellte Matt nochmals klar. Und die Kuttenträgerin nickte. „Gut so. Nun zu dir, Fälschung! Ich aktiviere den Effekt von [Celestial Gear – Synthetic Woodpecker]! Damit kann ich sofort eine Karte in meiner Hand zerstören!“ Anya erinnerte sich, das hatte sie auch schon während ihres letzten Duells getan. Mit diesem Effekt konnte sie Celestial Gear-Monster sofort als Rückbeschwörung rufen! Aber all ihre Monsterzonen waren voll … „Ich zerstöre den Zauber [Card Of Last Resort]! Wird der durch einen Effekt vernichtet, darf ich zwei neue Karten ziehen!“ Was Kali auch sofort tat, womit sie nun drei Handkarten besaß. Damit hatte Anya nicht gerechnet. „Kch!“ „Battle!“, rief ihre Feindin schließlich mit ausgestrecktem Zeigefinger aus. „Und nun der Effekt von [Celestial Gear – Synthetic Armored Swallow]! Leide, Levrier! Overgear Collision!“ Unmittelbar darauf schoss die weiße Mechaschwalbe auf den Ritter zu und krachte in ihn hinein, was eine Explosion auslöste, welcher sie durch eine Kehrwende elegant entkam. Der Immaterielle hingegen sackte auf den Boden hinab, kniete keuchend nieder.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 → 100 DEF/1900 → 0 {4} OLU: 2]   Warum hast du -diese- Karte nicht benutzt?   „Brauch' ich für später. Und ich brauch -dich- noch!“ Anya knirschte mit den Zähnen. „Du bist der Einzige, auf den ich mich im Moment verlassen kann.“ „Wie rührend. Aber kann er sich auch auf dich verlassen?“, fragte Kali gehässig. „Deine Lebenspunkte sind zu niedrig, um die ganze Wucht meiner Monster abzuwehren.“ „Komm doch, wenn du dich traust!“ „Und ob! Angriff, [Celestial Gear – Synthetic Armored Strix]! Overgear Barrage!“ Der schwarze Metallkauz über ihr ließ den grünen Streifen um seine Augen grell aufleuchten, ehe er mit den Flügeln schlug und eine Vielzahl von scharfen Metallfedern auf Levrier abfeuerte. Kali lachte dabei. „Dann wehr' den Angriff mal schön mit [Gem-Tigers] Effekt ab!“ „Brauch ich nicht! Ich hab zwei verdeckte Karten, du hohle Nuss! Falle, [Tri-And-Guess]!“ Jene sprang vor Anya auf. „Ich bestimme entweder Fusionsmonster, Synchromonster oder Xyz-Monster. Wer von uns beiden dann mehr davon in seinem Extradeck hat, erhält 3000 Lebenspunkte!“ „Langweilig …“ „Aber effektiv!“ Vor ihr und Kali erschienen jeweils in drei Reihen die verbliebenen Monster des jeweiligen Extradecks in holografischer Form. Während Kalis Auswahl recht ausgeglichen zwischen allen drei genannten Beschwörungstypen war, überwog bei Anya der lilafarbene Kartenrand deutlich. „Eine Anya Bauer würde niemals freiwillig etwas anderes als ein Gem-Knight-Deck spielen! Wenn hier eine 'ne verdammte Fälschung ist, dann du, Miststück!“ Anya streckte die Arme aus, als eine violette Aura um sie kurzzeitig aufflackerte.   [Anya: 600LP → 3600LP / Kali: 1800LP]   Erstaunlich trocken erwiderte Kali: „Zumindest bin ich nicht diejenige …“ In dem Moment wurde Levrier von den Geschossen gepeinigt, die auch zu Anya vordrangen und weitere Schnitte im Gesicht, an den Armen sowie an der Hüfte verursachten. Jene schrie zusätzlich schmerzerfüllt auf, als sie von der Kette an ihrem rechten Bein einen heftigen Stromschlag verpasst bekam. Aber sie hielt sich diesmal auf den Beinen. „… die eins aufs Maul bekommt.“   [Anya: 3600LP → 2700LP / Kali: 1800LP]   Plötzlich begann das Violettkehlchen zu singen. „Da ich dir Schaden zugefügt habe, lässt mich [Celestial Gear – Synthetic Armored Robin] eine Karte ziehen.“ Bedacht zog Kali von ihrem Kartenstapel und streckte gleich darauf die Hand wieder aus. „Levrier wurde, da er von Swallows Effekt betroffen ist, nicht im Kampf zerstört. Jetzt ist [Celestial Gear – Synthetic Woodpecker] an der Reihe! Angriff!“ Jener stieß sich vom Boden ab und flog schnurstracks auf den knienden Pearl zu, verpasste ihm eins mit seinem langen Schnabel. Der weiße Ritter schmetterte rückwärts in Anya hinein, die es diesmal von den Füßen riss. Beide schrien auf, besonders die Blonde, die eine weitere Ladung durch den Körper gejagt bekam. Der harte Aufprall auf den Rücken brachte sie zum Keuchen.   [Anya: 2700LP → 1000LP / Kali: 1800LP]   Wieder sang Kalis Fusionsvogel. „Ich habe Schaden zugefügt, also ziehe ich.“ Fünf Karten hielt sie im Anschluss fest. Gleichzeitig stieß die liegende Anya mit der flachen Hand gegen Levriers Helm. „Runter von mir!“ Der lag auf ihr drauf.   Verzeihung. Hier.   „Jämmerlicher Anblick“, kommentierte Kali dies giftig, als der Gem-Knight sich schwebend erhob, umdrehte und Anya aufhalf. Matt sah zu Kali herüber, wie sie sich einzig auf die beiden Personen fixierte, die sie am meisten verachtete. Flüsterte: „Könnte es wahr sein? Könnte sie wirklich die Anya sein, die ich damals kennengelernt habe?“   Weiß nicht. Kenne mich mit Lampengeistern und solchem Kram nicht aus.   Der Immaterielle in der Form von [Evilswarm Exciton Knight] lugte hinter dem Pfeiler hervor. Matt senkte sein Haupt. „Dachte ich mir. Alle, die mir diese Frage vielleicht beantworten können, sind tot.“   Ja. Das ist blöd.   Kaum hatte Anya es wieder dank Levriers Hilfe auf die Beine geschafft, da schwang Kali auch schon den Arm aus. „[Gem-Knight Pearl], Angriff! Blessed Spheres of Purity!“ Mit seiner Hand dirigierte der andere Ritter seine sieben Perlen, die nacheinander auf den Immateriellen zu schossen. „Als ob ich dich lassen würde! [Gem-Tigers] Effekt! Ich verbanne [Gem-Knight Tourmaline] und annulliere den Angriff!“ Der weiße Edelsteintiger in der hellblauen Lichtsäule stieß ein majestätisches Gebrüll aus, dessen Schallwellen die Geschosse kurz vor dem Aufprall stoppten. „Tch!“, machte Kali genervt. „Denk bloß nicht, dass du das ewig durchhältst. Ich aktiviere während der Main Phase 2 [Celestial Gear – Synthetic Armored Strix'] Effekt und mache die oberste Karte meines Decks zu seiner Overlay Unit!“ Aus ihrem Kartenstapel stieg eine Lichtkugel auf, die sich zu der anderen, um den schwarzen Kauz kreisenden gesellte.   Celestial Gear – Synthetic Armored Strix [ATK/1000 DEF/1000 {4} OLU: 1 → 2 PSC: <9/9>]   „Zug beendet!“ Damit verschwand auch die letzte Feder, die noch in Anyas Duel Disk steckte. Dazu atmete Levrier erleichtert auf.   Gem-Knight Pearl [ATK/100 → 2600 DEF/0 → 1900 {4} OLU: 2]   Warum sammelt sie all diese Overlay Units?   Nein, nein, nein, Levrier! Wieso sammelt sie so viele Handkarten, ohne sie auszuspielen?   „Klappe, du elende Kakerlake! Die bessere Frage ist, wieso sie mit diesem schwachen Vieh angreift, obwohl sie wusste, dass sie mich so einfach nicht klein kriegen würde“, knurrte Anya genervt auf Thoras' Einwurf hin, „angenommen, -sie- ist wirklich eine Kopie von mir. Dann weiß sie genau, wie ich denke und wozu ich fähig bin.“ Kali brach in schallendes Gelächter aus. „Du denkst, -ich- wäre die Fälschung? Süß! Ich sag dir was! Es gibt jemanden, der dir bestätigen wird, dass du dich irrst! Der Sammler!“ „Und ich gebe 'nen Scheiß auf das, was dieser Penner behauptet“, konterte Anya gallig. „Also bist du ihm begegnet?“, fragte Matt neugierig. „Nicht nur das, ich habe ihn sogar um Hilfe angefleht.“ Wieder ballte Kali eine Faust. „War'n Fehler. Aber das ist auch egal.“ „Sehe ich genauso! Je schneller du endlich aufhörst, diesen Bullshit zu verbreiten, desto eher kann ich mich um die wichtigen Dinge kümmern.“ Anya sah über ihre Schulter. „Nämlich Summers zu helfen, diesen Bastard Stoltz zur Rechenschaft zu ziehen!“ Der sah sie für einen Augenblick ziemlich überrascht an. Die Blonde aber wirbelte bereits zu ihrer Erzfeindin herum. „Mein Zug! Draw!“ Sie zog die Karte schwungvoll und betrachtete sie mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck. Dann spielte sie sie wortlos verdeckt aus, wo sie sich zu ihrer im vorigen Zug gesetzten Karte gesellte. „Jetzt lernst du -ihn- kennen. Die sieben Züge sind vorbei!“ Anya streckte die Hand in die Höhe. „Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum!“ Zwischen ihren beiden Monstern in den Lichtsäulen bildete sich ein riesiges, buntes Loch, umgeben von zahlreichen Lichtellipsen. „Aus meiner Hand der Stufe 7-[Gem-Eyes Value Dragon]! Pendulum Summon!“ Aus dem Portal schoss ein roter Lichtstrahl und schlug vor ihr ein. Aus dem Rauch erhob sich ein eleganter Drache, geschützt durch eine goldene Rüstung. An seinem Rücken befanden sich zu jeder Seite drei Tragflächen. Besonders auffällig waren jedoch die in vier farbige, transparente Segmente geteilten Scheiben an seinem Helm – je zu einem Viertel rot, grün, gelb und blau.   Gem-Eyes Value Dragon [ATK/2400 DEF/2000 (7) PSC: <5/5>]   „Das Ding da hat ein Geheimnis und ich habe keinen Bock, es zu lüften“, meinte die Blonde mit einem Nicken zu dem Mechakauz. „Also los, Gem-Eyes! Sight Transition! Damit ändere ich seinen Typen entweder zu Pyro, Donner, Aqua oder Fels!“ Schon begannen sich die beiden Scheiben an seinem Helm zu drehen, bis sie von Anya das Kommando bekamen. „Donner!“ Sie stoppten bei den gelben Vierteln, die sich vor den Augen des Drachen zu einem Visor zusammenlegten. Dessen Herrin rief enthusiastisch: „Okay! Damit kann ich jetzt den Typ-spezifischen Effekt von Gem-Eyes nutzen! Der Donnereffekt nennt sich Topaz Jammer und annulliert den Effekt einer Karte auf dem Feld!“ Anya schwang den Zeigefinger aus und deutete auf den Kauz. „Seinen!“ Plötzlich begannen elektrische Entladungen um den Drachen zu schlagen. Dünne, gelbe Linien begannen in der gesamten Rüstung aufzuleuchten. Dann schleuderte das Monstrum zwei Blitze auf das ausgewählte Ziel. Und Kali lachte bitterböse. „Blöde Kuh! Genau das wollte ich! Strix ist ein Jäger! Wenn er angezielt wird, kann er eine Overlay Unit verwenden, um den Effekt zu negieren und den Auslöser zu zerstören! Los!“ Die mechanischen Augen des Kauzes leuchteten mit einem Mal rot. Geschickt wich er im Anflug auf Gem-Eyes dessen Blitzangriffen aus und streckte seinerseits die Greifkrallen aus. Mit welchen er dem Drachen anschließend den Visor von den Augen riss und ihn so zur Explosion brachte. Aus der Rauchwolke stieg ein roter Lichtblitz in das sich kurzzeitig öffnende Pendelportal auf.   Celestial Gear – Synthetic Armored Strix [ATK/1000 DEF/1000 {4} OLU: 2 → 1 PSC: <9/9>]   Anya aber verschränkte unbekümmert die Arme. „Geheimnis gelüftet, schätz' ich. Aber das macht es nur umso einfacher für mich! Levrier, räche Gem-Eyes! Blessed Spheres of Purity!“ Jener nickte knapp und streckte den Arm aus. Seine sieben Perlen schossen wie ein Schwarm Wespen auf den kleinsten der Mechavögel zu. Ja, dachte Anya mit Blick auf ihre gesetzte Karte. Gleich war es vorbei! „Du bist so dämlich“, lachte Kali da jedoch auf einmal überheblich. „Wenn ich anzielen meine, bedeutet das nicht nur Karteneffekte! Auch Angriffe zählen dazu!“ Die verbliebene Lichtkugel durch die Stirn absorbierend, woraufhin die Augen des Kauzes rot aufleuchteten, begann jener sich in Bewegung zu setzen. Meisterhaft wich er den Perlen aus, die nacheinander an ihm vorbei schossen.   Celestial Gear – Synthetic Armored Strix [ATK/1000 DEF/1000 {4} OLU: 1 → 0 PSC: <9/9>] „Sag leb' wohl zu deinem geliebten Levrier!“ Kali stemmte hinterhältig grinsend eine Hand in die Hüfte. Aber Anya zog lediglich die Stirn kraus, schimpfte. „Elende Mistmade! Wegen dir muss ich jetzt meinen Plan ändern! Verdeckter Schnellzauber, [Forbidden Dress]! Wer immer dieses Schmuckstück trägt, verliert für den Rest des Zuges 600 Angriffspunkte.“ Die Karte klappte vor Anya auf. Aus ihr schob sich das dort gehaltene, schulterfreie, weiße Kleid, ähnlich einer Tunika. Das geschundene Mädchen erklärte grimmig: „Eigentlich wollte ich es deinem Vogel anziehen …“ „Wäre der Angriff durchgegangen, hättest du mich damit besiegt“, erkannte Kali. „Yeah. Aber wie ich sagte, Planänderung! Levrier, Zeit für eine Karriere als Model! Damit ist er vor zielenden und zerstörenden Effekten geschützt!“ Die Robe verschwand und tauchte an [Gem-Knight Pearls] Körper wieder auf – ziemlich eng. Jener fasste sich sofort erschrocken in den Schritt.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 → 2000 DEF/1900 {4} OLU: 2] Sieh' mich nicht an!   … jammerte Levrier beschämt – und vor allem schauspielernd – als er dem herannahenden Vogel beim Wegdrehen mit der rechten Hand eine saftige Ohrfeige verpasste. Die jenen geradewegs durch die Decke pfefferte, von wo er explodierte. „Shit!“, fluchte Kali. „I-ich verbanne ihn durch den Effekt von [Gear Synthesis]!“ Und ich bestrafe dich für diese Demütigung!   Auf Levriers wütenden Aufschrei hin sah Kali nach links, von wo aus sich in einer scharfen Kurve eine seiner Riesenperlen näherte. Es war zu spät zum Ausweichen. Wie ein Faustschlag traf es sie. Die vermeintlich 'echte' Anya wurde umgeworfen rutschte über den Beton des magisch vergrößerten Raums. „Ugh!“   [Anya: 1000LP / Kali: 1800LP → 800LP]   Die angekettete Anya ballte eine Faust und stieß sie grinsend nach hinten. „Hell yeah! Nimm das, Pinocchio!“ Zu ihrem Entsetzen drehte sich Levrier auch zu ihr um. Mit zusammengekniffenen, blauen, pupillenlosen Augen. Augen, die voller Rachsucht funkelten. „Z-Zug beendet“, murmelte Anya, die ahnte, was ihr blühte. Das Kleid an Levriers Leib verschwand. Sein Durst nach Vergeltung nicht, als eine andere Perle Anya am Hinterkopf traf und sie nach vorne warf.   Gem-Knight Pearl [ATK/2000 → 2600 DEF/1900 {4} OLU: 2]   „Sag mal, spinnst du!?“, fauchte die sofort fuchsteufelswild und schlug nach dem vor ihr schwebenden Levrier, durch den ihre Faust jedoch hindurch glitt. „Ahahahaha“, prustete Matt da los. Wenigstens habt ihr euch jetzt wieder beruhigt.   Anyas und Matts Blicke trafen sich, doch beide drehten ihre Köpfe bewusst in die jeweils andere Richtung weg. „Oh, wie süß.“ Kali erhob sich. Ihre Nase blutete, aber sie grinste trotzdem noch. „Wer hätte gedacht, dass du mehr kannst, als mich herumzukommandieren, Levrier?“ Der Immaterielle kreiste um die eigene Achse, wandte sich an sie. Ich habe eine Frage. Wie ist es der Weißen Hexe gelungen, eine so perfekte Imitation von Anya Bauer zu erschaffen? Denn dafür halte ich dich – ein Werkzeug, das glaubt eigenständig zu agieren, aber letztlich nur dem Willen seiner Schöpferin unterliegt.   Da verfiel die Kuttenträgerin wieder einmal in schallendes Gelächter. „Ich? Ein Werkzeug? Pft!“ „Klingt logisch. Wenn der Sammler und diese Kuh Gardenia sich nicht grün sind, würde sie natürlich versuchen, mich zu killen“, sprach Anya zuversichtlich, „und wie ginge das besser als durch die eine Person, die mich am besten kennt? Mich selbst!“ Matt gab ein nachdenkliches Geräusch von sich. „Nachahmung ist die höchste Form der Anerkennung.“ Das angekettete Mädchen zuckte mit den Schultern. „Ein Jammer nur, dass du so viel schlechter bist als ich.“ Kali stieß einen letzten Lacher aus. „Fast unheimlich. Ich wusste, dass du das an irgendeinem Punkt bringen würdest. Ich sag dir was: Ich habe mich in der Tat weiterentwickelt. Ich habe gelernt, die Dinge nicht mit Ignoranz zu sehen wie früher, sondern zu hinterfragen. Das ist eine Eigenschaft, die dir leider fehlt, Fälschung.“ „Wenn du dich da mal nicht täuscht. Nur weil ich den Scheiß, den du laberst, nicht glaube, heißt das noch lange nicht, dass ich mich nicht während des letzten Jahres verändert habe.“ Anya dachte an all ihre Freunde, die sie während dieser Zeit gewonnen hatte. „Es ist noch nicht lange her, da hätte ich auf das Leid von Leuten wie Summers geschissen. Auch wenn ich es selbst verursacht habe. Das tust du heute noch. Aber -ich- nicht. Ich werde das wiedergutmachen. Irgendwie. Und du? Du bist allein.“ Kali sah sie ausdruckslos an. Wischte sich dann mit dem Handrücken das Blut von der Nase. „Nicht ganz. Es gibt eine Person, die mir sofort geglaubt hat, obwohl sie von dem ganzen übernatürlichen Kram keine Ahnung hatte. Jemand, der mir geholfen hat, noch bevor ich Lady Gardenia begegnet bin.“ „Zachariah“, wusste Anya, „und der ist so hohl wie diese 1-Dollar-Weihnachtsmänner von Walmart.“ „Täusch' dich da mal nicht“, murmelte Kali leise.   ~-~-~   „… als sie da weinend – und das musst du dir mal vorstellen – vor mir stand, wusste ich, dass etwas nicht stimmte.“ Der Blonde im Schutze des rostigen Bunkers lachte bissig. „Das Erste, was ich getan habe, nachdem sie mir ihre Geschichte erzählt hat, war sie auszulachen. Aber sie blieb stur und beharrte auf diesen Quatsch. Und so kreativ und simpel meine kleine Schwester auch ist, ist sie doch nicht so dumm, sich so etwas auszudenken und dann zu hoffen, ich würde ihr das abkaufen.“ Vor ihm stand ein brünetter Ritter, dessen silberne Rüstung durch hellblaue Lichtadern regelrecht strahlte. Ein roter Pelzumhang machte deutlich, dass dies kein gewöhnlicher Krieger, sondern der legendäre König Artus war. An dessen Arm war ein silberner Schild befestigt, der Ausrüstungszauber [Noble Arms Of Destiny]. Dazu schwang er noch zwei Schwerter, ebenfalls Magiewaffen – [Noble Arms – Gallatin], ein schlichtes Einhandschwert mit leuchtender Klinge. Und Artus' eigene Waffe, ein Schwert mit goldener Parierstange, durch dessen Klinge zwei blaue Lichtadern strömten: [Noble Arms – Caliburn]. Zwei Lichtsphären umkreisten den König dabei.   Artorigus, King Of Noble Knights [ATK/3500 DEF/2000 {4} OLU: 2]   Ihm gegenüber stand der Werwolf, der sich an seinem Hinterkopf kratzte. „Wow, gutes Kombospiel. Da frage ich mich, wie Anya so einfach mit dir fertig geworden ist.“ Vor ihm befand sich ebenfalls ein Xyz-Monster, doch um dieses rotierte nur eine Overlay Unit. Es war ein Krieger in gold-weißer Rüstung, auf dessen Rücken sich eine rot-goldene Platte befand, an der zwei Kanonen befestigt waren. Dazu war er ebenso mit riesigen Panzerhandschuhen bewaffnet, an welche zu allem Überfluss noch orangefarbene, kurze Scheren angebracht waren. „Selbst [Constellar Praesepe] hält da nicht mit“, murmelte der Kopftuchträger, der den Wald im Rücken hatte, leise. „So ein Mist …“   Constellar Praesepe [ATK/2400 DEF/800 {4} OLU: 1]   Zwar hatte Zanthe Lebenspunkte-technisch die Nase vorn, aber bereits genug von Zachariah gesehen, um zu wissen, dass man Anyas Bruder nicht unterschätzen durfte.   [Zanthe: 4000LP / Zachariah: 2900LP]   Aber das war es gar nicht, was ihm solches Kopfzerbrechen bereitete. Nicht mal ansatzweise. Es war das, was fast nebenbei fallen gelassen hatte. Das war unmöglich, dachte Zanthe dabei mit weit aufgerissenen Augen. Anya war gar nicht echt? Sondern nur eine Kopie von Kali? Das konnte nicht stimmen! Dieser Typ verdrehte da wohl ein paar Tatsachen. Oder er log. Es gab keinen Grund, sich von dieser Geschichte verunsichern zu lassen. Er musste so schnell wie möglich zu Anya!   „Ich nutze den besonderen Effekt von König Artorigus! Für jede seiner Ausrüstungskarten kann ich eine deiner Zauber- oder Fallenkarten vernichten“, erklärte Zachariah und fuhr sich durch sein volles, blondes Haar und zog dann das Monster [Noble Knight – Medraut] unter der schwarzen Karte auf seiner Duel Disk hervor. „Los!“ Zanthe sah erschrocken auf die vor ihm verdeckt liegende Karte. Schon absorbierte der Ritter mit Caliburn eine der um ihn kreisenden Overlay Units und schleuderte eine elektrische Schockwelle auf sein Ziel.   Artorigus, King Of Noble Knights [ATK/3500 DEF/2000 {4} OLU: 2 → 1]   Jene wurde von der Spannung regelrecht zerfetzt. Doch Zanthe grinste auf einmal neckisch. „Na sowas? Lernt man bei euch Bauers nicht, dass andere sich eure Strategien durchaus merken?“ „Pardon?“ Die Fragmente von Zanthes zerstörter Falle setzten sich langsam zu einer mechanischen Sphäre zusammen, in der eine riesige Linse eingebaut war. „Du hast gerade [Security Orb] zerstört. Pech für dich, denn wenn du das tust, zerstört sie wiederum eine deiner Karten.“ Der Schwarzhaarige richtete den Zeigefinger auf den Edlen Ritter. „Schade, der heiße König hat leider nur einen Kurzauftritt …“ Da schoss die Sphäre schon einen gleißenden, roten Laserstrahl ab. Artorigus hob sofort seinen Schild, um sich zu schützen. „Ich kann dir einfach nicht das Herz brechen. [Noble Arms Of Destiny] schützt seinen Träger einmal pro Zug vor dem Tod. Du kannst also getrost noch ein wenig Zeit mit Gaffen verbringen.“ Zanthe keuchte leise. Natürlich wusste er das längst. Obwohl der Druck groß war, konnte der Ritterkönig der Macht der Technologie widerstehen, bis die Kugel ausgepowert verschwand. „'nen Versuch war's wert“, zuckte Zanthe mit den Schultern. „Aber dabei bleibt es auch! Angriff, Artorigus!“ Der sagenhafte Ritter hob beide Schwerter an und schwang sie brüllend aus. Von beiden Klingen lösten sich blaue Lichtsicheln, die in hohem Tempo auf Zanthes Sternenkrieger zu rasten. „Effekt von [Constellar Praesepe]“, rief der Werwolf noch und riss das Monster [Constellar Algiedi] unter Praesepes Karte aus seinem Duellhandschuh hervor, „für eine Overlay Unit erhält der kämpfende Sternenkundler 1000 Angriffspunkte!“ Jener absorbierte die Lichtkugel mit einer Faust.   Constellar Praesepe [ATK/2400 → 3400 DEF/800 {4} OLU: 1 → 0]   Doch es nützte nichts. Die Energieklingen trennten beide Arme des Kriegers ab und suchten ihr nächstes Ziel. Die erste verfehlte Zanthe knapp, da er den Kopf nach links neigte. Doch die zweite erwischte ihn dadurch an der Wange, wodurch er eine tiefe Wunde erlitt. Blut spritzte durch die Luft.   [Zanthe: 4000LP → 3900LP / Zachariah: 2900LP]   „Autsch“, sagte Zanthe unbekümmert, als er sein Haupt wieder geradeaus richtete, „wie hast du das gemacht? Zauber oder Technologie?“ „Ist es wirklich das, was du in diesem Moment fragen solltest?“, erwiderte der Blonde mit der Tolle und nahm eine Karte aus seinem Blatt. „Kein Sinn fürs Wesentliche. Ich setze eine Karte verdeckt. Zug beendet.“ Jene materialisierte sich liegend vor ihm.   „Oh?“, machte Zanthe gespielt überrascht. „Ach ich soll dich doch bestimmt ausquetschen, was es nun mit Kali und der falschen Anya auf sich hat. Bedaure – interessiert mich nicht.“ „Aber das sollte es.“ Zachs verspielter Ton wich einem ernsten. „Denn es ist keine Lüge. Anya … Kali wurde alles genommen. Wir wollen nur ihr altes Leben zurück erkämpfen, mehr nicht.“ „Ach wirklich? Und dafür greift ihr dann Unschuldige wie Nick Harper an?“ Zanthe gluckste. „Ich geb's zu, der war schlecht.“ Die Augen des jungen Mannes verzogen sich zu Schlitzen. „Der ist eine ganz andere Geschichte.“ „Mal rein hypothetisch: Angenommen Anya wurde wirklich dupliziert, woher willst du wissen, ob deine die echte ist? Und wieso hat sie sich nicht sofort darum gekümmert, die Konkurrenz auszuschalten?“ Zanthe verschränkte die Arme. Er sollte sich das zumindest mal anhören, hatte er entschieden. „Wer Anya kennt weiß, dass sie keine Götter neben sich duldet. Auch nicht, wenn sie genauso aussehen wie sie. Dann erst recht nicht.“ Ihr Bruder lachte. „Es ist alles nicht so einfach. Und Schuld daran ist Kali selbst. Weißt du, normalerweise hättest du Recht. Aber meine Schwester ist nun mal nicht besonders clever. Kannst du dir denken, was ihr erster Gedanke war, als sie begriff, was vor sich ging?“ Zanthe überlegte einen Moment. Dann stöhnte er. „Ich kenne die Geschichte dieses Turms nicht vollständig, aber er wäre ihr Ende gewesen. Sag nicht, sie wollte unsere Anya als Opfer vorschicken?“ „Genau so ist es. Natürlich wollte sie die Kopie im ersten Moment vernichten, aber als sie merkte, dass Levrier mit jener verbunden war, erkannte sie ihre Chance.“ Zachariah griff in die Innentasche seines Jacketts und holte eine Schachtel Zigaretten samt Feuerzeug heraus. Er zog einen Glimmstängel hervor, nahm ihn in den Mund und zündete sie an. Genüsslich zog er an ihm und stieß den Rauch lächelnd aus. „Diejenige, die Levrier an der Backe hatte, würde unweigerlich vergehen. Entweder würde sie geopfert und zum Tor Eden werden. Oder sie scheiterte an der Aufgabe und verlor ihre Seele an den Limbus. Sozusagen für Kali eine Win-Win-Situation.“ Zanthe, der den Zigarettengeruch überhaupt nicht ab konnte, verzog angewidert da Gesicht. „Den Rest kann ich mir denken. Sie hatte vor, Anyas Platz einzunehmen, nachdem sie im Turm umkam.“ „Aber das ist nie geschehen. Ganz zum Entsetzen meiner Schwester.“ Zachariah blickte an die Decke des Bunkers. „Schlimmer noch, war nicht nur Anya aus dem Turm von Neo Babylon zurückgekehrt. Kurze Zeit später fand sie heraus, dass Levrier auch noch lebte. Und wenn sie eines fürchtete, dann wieder ein Gefangener der Immateriellen zu werden.“   Klang plausibel, befand Zanthe ehrlicherweise. Solche Ideen traute er Anya durchaus zu – zu warten, bis die vermeintliche Kopie an ihrer Stelle ins Gras biss und dann in ihr Leben zurückzukehren. Vermutlich hatte sie sich nicht einmal ausreichend Gedanken gemacht, wie sie das gegenüber Abby und Nick erklären sollte. Er konnte es schon förmlich hören: 'Die würden mir schon irgendwie glauben'. Trotzdem. Die Frage, wieso die beiden sich so sicher waren, dass Kali das Original war, hatte er einfach ignoriert.   „Was hat Anya in der Zeit gemacht?“ „Als der Turm noch erscheinen musste? Ich glaube, sie hat sich bei irgendeinem ihrer Klassenkameraden einquartiert. Ernie Winter. Größter Loser dieses Planeten, sag ich dir.“ Zanthe runzelte die Stirn. „Und danach? Als Anya aus dem Turm zurückkam?“ „Das war der Punkt, an dem sie sich an mich wandte.“ Er lachte. „Das muss sie einiges an Überwindung gekostet haben. Wir können uns nicht leiden.“ Da musste Zanthe grinsen. „Und trotzdem hilfst du ihr?“ „Sie ist meine Schwester“, erwiderte Zachariah gelassen, „natürlich helfe ich ihr.“ „Fragt sich nur, was du in diesem Moment für sie tun konntest. Immerhin hat es fast ein Jahr gedauert, ehe ihr euch Anya zum ersten Mal gezeigt habt.“   Zanthe hoffte insgeheim, etwas mehr über die Verbindung zwischen Kali, Zach und Gardenia herauszufinden. Vielleicht war das der Schlüssel zu dieser ganzen Geschichte. Und warum die beiden sich so sicher waren, dass Anya eine Fälschung war.   „Stimmt. Uns wurde eines recht schnell klar. Ohne Hilfe hätten wir genauso gut versuchen können, aus einem Kreis ein Viereck zu machen.“ Wieder nahm Zachariahs sonst so unbekümmerte Miene für einen Moment etwas Ernstes an. Er zog an seiner Zigarette. „Sie – die Fälschung – war einfach stärker. Aber auch wenn es um sie schlecht bestellt ist, wollen wir sichergehen, denselben Fehler von damals nicht zu wiederholen. Wir warten nicht darauf, dass noch ein Wunder sie rettet.“ Zanthe fasste sich ans Kinn, funkelte dabei aus den Augenwinkeln Anyas Bruder an. „So ist das also? Sie ist stärker? Natürlich … Durch die Conqueror's Soul. Anya hat in dieser Zeit einige starke Feinde bekämpft. Kali nicht.“ Zu seiner vollkommenen Überraschung zuckte Zachariah zusammen. „Was? Woher weißt du von der Conqueror's Soul?“ „Ich stelle hier die Fragen“, gab der Werwolf jedoch eindeutig zu verstehen. Und sein Gegner meinte. „Das hier ist gerade wesentlich interessanter geworden …“   ~-~-~   „Genug Rumgequatsche!“ Kali griff nach ihrem Deck. „Ich werde es jetzt beenden! Draw!“ Während sie zog, konterte Anya mit demselben Spruch, den Kali ihr eben erst entgegen geworfen hatte. „Täusch' dich da mal nicht.“ Anstatt sich davon tangieren zu lassen, betrachtete die Kuttenträgerin gebannt ihre gezogene Karte. Ihre Lippen formten langsam ein wahnsinniges, selbstgefälliges Grinsen. „Da ist es. Endlich.“ Ruckartig blickte sie auf und hob die Hand in die Höhe. „Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum!“ Wieder tropfte eine Träne des goldenen Mecha Phönix' vor ihr auf den Betonboden, von wo aus sich das Pendelportal öffnete. „Aus meiner Verbannungszone: [Celestial Gear – Synthetic Armored Strix]! Pendulum Summon!“ Ein roter Lichtblitz schoss aus dem bunten Loch empor und formte sich zu dem schwarzen Maschinenkauz.   Celestial Gear – Synthetic Armored Strix [ATK/1000 DEF/1000 {4} OLU: 0 PSC: <9/9>]   Anya verspürte mächtiges Unbehagen. Denn angenommen diese Spinnerin war wirklich wie sie, konnte dieser manische Gesichtsausdruck nur bedeuten, dass sie es -wirklich- beenden wollte. Aber so leicht würde sie es ihrer Erzfeindin nicht machen, dachte das Mädchen mit Blick auf ihrer gesetzten Karte. Sofort im Anschluss streckte Kali die Hand aus. „Nur als Vorsichtsmaßnahme … ich aktiviere den Zauberkarteneffekt von [Celestial Gear – Synthetic Saga Griffon]! Er und Saga Phoenix werden verbannt!“ Die beiden blauen Lichtsäulen neben ihr begannen immer stärker zu flackern, ehe sie mitsamt der beiden Mechavögel verschwunden waren. Kali erklärte: „Während der End Phase erhalte ich die beiden jedoch zurück auf die Hand.“ „Was soll der Quatsch?“ „Reine Vorsichtsmaßnahme“, wiederholte Kali sich geheimnisvoll. „Nicht dass du das, was dich erwartet, noch in irgendeiner Form abwenden könntest.“   Das gefällt mir nicht. Sie wird uns alle töten!   Thoras kauerte hinter dem Pfeiler, an den Matt festgebunden war. „Hör' auf herumzualbern!“ Obwohl jener seinen Immateriellen kannte, wusste er inzwischen, dass sich hinter dessen Slapstick-Einlagen zumeist ernste Hintergründe verbargen. Drum entschied er sich, dass er lange genug gefesselt war. „Mach mich lieber frei!“   Ich dachte, du stehst auf Fesselspielchen, Matthew Summers? Oh, na gut.   Der Kakerlakenritter zog seinen Degen und löste die Seile mit ein paar schnellen Schlägen. Matt streifte die Fesseln ab und erhob sich. „Danke …“ „Guter Zeitpunkt“, meinte Kali, „ist wirklich besser, wenn du jetzt gehst, Summers.“ „Und du lässt das so einfach zu?“ Die selbsternannte Dämonengöttin nickte. „Wir sind gewissermaßen quitt. Du bist mitverantwortlich für -sie-, ich für … alles, was dir widerfahren ist.“ Matt kniff die Augen fest zusammen. Anya wirbelte zu ihm herum, sah ihn niedergeschlagen an, nickte aber. „Yeah. Hau besser ab. Keine Ahnung, was sie vorhat, aber ich schätze mal, dass es gefährlich ist. Sorry … für alles …“ „Soll das ein Abschied sein? Wir sind noch nicht fertig miteinander“, erinnerte Matt sie kurz angebunden, starrte dabei aber Kali an. „Und was dich angeht, solltest du eins wissen: Wir sind nicht quitt – unter der Annahme, dass du die Wahrheit über dich sagst.“ Seine Worte versetzten Anya einen Stich. Er schloss nicht aus, dass sie eine Fälschung ist. Er erwog die Option, dass dieses Miststück die Wahrheit sagte. „Kch.“ „Von mir aus …“ Auf die gleichgültige Reaktion der Kuttenträgerin sprach Matt abschließend: „Deswegen bleibe ich noch ein Weilchen. Ich will sehen, wie das hier ausgeht.“ „Und dich dann um diejenige kümmern, die überlebt?“ Kali lachte. „Heh. Gefällt mir. Also dann, macht euch auf was gefasst!“ Sie streckte eine Faust aus. „Eins …“ Schon war der Zeigefinger der Blonden aufgerichtet. Und plötzlich löste sich [Celestial Gear – Synthetic Woodpecker] auf. „Zwei …“ Kali hob auch ihren Mittelfinger. Da verschwand auch ihre weiße Mechaschwalbe. „Drei …“ „Was zur Hölle macht sie da!?“ Anya weitete die Augen, als auch der schwarze Kauz sich auflöste und Kali den Ringfinger abzählte. „Vier“, machte diese aber unbekümmert weiter, wodurch auch ihr Violettkehlchen von unten nach oben transparent wurde, bis es einfach nicht mehr da war. Kali zeigte den kleinen Finger. „Fünf.“ Und hob im Anschluss den Daumen. Zu guter Letzt ereilte ihr [Gem-Knight Pearl] dasselbe Schicksal, sodass sie keinerlei Monster mehr kontrollierte. Levrier schwebte ein Stück zurück, um auf einer Linie mit Anya zu stehen.   Das ist überhaupt nicht gut! Ich spüre eine gewaltige Kraft, die im Begriff ist, zu erwachen!   „Ach was, fünf Monster mit einem Mal wegzuopfern ist doch -total- normal“, keifte Anya aufgeregt. „Kannst du mir nicht etwas sagen, dass ich noch nicht weiß!?“ „Er nicht“, unterbrach Kali die beiden, „aber ich. Es bleibt nämlich nicht bei fünf.“ Sie zeigte mit der anderen Hand ihr Blatt vor. „Sechs …“ Die erste der sechs Karten löste sich auf. Die Erde begann für einen Sekundenbruchteil zu erzittern. „Huh!?“, stotterte Anya. Auch Matt weitete die Augen. „Was soll das werden?“ „Sieben!“ Die nächste Handkarte der Kuttenträgerin verschwand. Und die Erschütterung wurde stärker. „Acht!“ Und schon waren nur noch drei Karten in ihrem Blatt. Das drauf folgende Erdbeben war stark genug, Anya und Matt ganz schön ins Schwanken zu bringen. Nur Kali blieb unberührt stehen. „Neun!“ Noch eine verschwand, inzwischen hörten die Erschütterungen gar nicht mehr auf. Dafür erklang aus weiter Ferne dumpf ein unheimliches Knarren. Als würde Metall gebogen werden. „Und zehn!“, rief Kali schließlich mit aufgerissenen Augen, woraufhin die vorletzte Karte in ihrer Hand sich auflöste. Dann nahm sie die letzte und knallte sie auf ihre V-Duel Disk. „Das ist das Ende!“ In dem Moment krachte etwas durch die Decke. Anya wandte sich vor Schreck ab, Matt schützte sich mit dem Arm vor der entstanden Staubwolke. Dann geschah es wieder. Kali sah dem stumm zu, bekam all den Schmutz ab. Und sie grinste. Noch ein Bein durchbrach die Decke. Anya wandte sich mit offenem Mund der Zerstörung zu. Inzwischen war alles über ihnen so instabil, dass der Raum einzustürzen drohte. Doch das geschah nicht. Im Gegenteil! Unvermittelt begann sich die Decke zu zersetzen und gab den Blick auf den blauen Himmel frei. Sofort stellte Anya fest, dass sie sich in einer unterirdischen Anlage befinden mussten, schwebte ebenso die dunkelbraune Erdschicht empor und löste sich vor ihrem Augen auf. Sie wusste wieso. Sie sah es. War ja auch kaum zu übersehen. Dieses riesige Ding, eine vierbeinige Maschine mit einem endlos langen, sich windenden Schweif. Die beiden linken Beine waren schwarz mit weißem Zackenmuster, bei den anderen zwei war es genau umgekehrt. „Was zur Hölle ist das!?“, schnappte Anya. „Darf ich vorstellen: [Tierra, Source Of Destruction]!“ Mit weit aufgerissenen Augen sah Anya den schlanken Körper empor, von dessen Rücken sich insgesamt zehn gläserne, recht kurze Schwingen erstreckten. Zu klein, um den Koloss je in die Lüfte zu tragen. Und dann dieser Schädel! Eine Art Helm mit roten Hörnern, die meterlange Flammen abgaben – fast wie eine Haarpracht.   Tierra, Source Of Destruction [ATK/3400 DEF/3600 (11)]   „Dieses Ding ist es wert, dass man dafür zehn Karten verschiedenen Namens ins Deck zurückschickt“, meinte Kali genüsslich beim Anblick ihrer beiden geschockten 'Gäste'. Matt, der den Kopf bis in den Nacken gelegt hatte, richtete sich entsetzt an sie: „Ins Deck? Du verzichtest dafür auf deine Pendelmonster!?“ „Die brauche ich jetzt nicht mehr!“   Anya Bauer! Kommt dir dieses Erscheinungsbild nicht vage bekannt vor?   „Ich weiß“, erwiderte die derweil auf Levriers Einwand, „dieses Ding! E-es ist fast so wie diese Riesenziege!“ „[Sophia, Goddess Of Rebirth]“, wusste Kali sie beim Namen zu nennen. „Yeah, die gibt es nicht mehr. Aber das habe ich dir schon erzählt.“ Anya stand der Schweiß ins Gesicht geschrieben. Und ihre geschworene Feindin lachte leise. „He he. Aber das macht nichts, denn wie du siehst, habe ich mit Tierra jetzt einen passenden Ersatz. Denn eines solltest du wissen: Tierra verfügt über genauso viel Macht wie Sophia!“ Mit Schrecken erinnerte sich Anya an ihre Begegnung mit [Sophia, Goddes Of Rebirth] im Turm von Neo Babylon. Die groteske humanoid-animalische Gestalt Sophias, mit einer goldenen und einer violetten Lichtkugel über ihren Händen, wie diese Wellen aussendeten und all ihre Karten verbannten. „Wie ich sehe, hat das ein paar Bilder der Vergangenheit wachgerufen.“ Kali grinste süffisant. „Oh ja, ich war damals ebenso geschockt, als ich das Ding in einem Deck voller Maschinenvögel gefunden habe. Eine Paktkarte noch dazu.“ Zwischen Isfanel und dem Tor Eden.   „Ja, Levrier“, nickte Kali, „und jetzt steht ihr etwas genauso Mächtigem gegenüber. Tierra, zeig es ihnen! Source Code Eraser!“ Nur einmal, für einen kurzen Augenblick, leuchtete am Helm der riesigen Kreatur ein rotes Licht auf. Dann geschah das Unglaubliche – die Schwerkraft setzte innerhalb des viereckigen Kreidekreises aus. Anya verlor den Halt und begann mit dem Rücken zum Boden zu schweben. Auch Kali löste sich vom Boden, doch sie schlug lediglich ein Bein über das andere und stand leicht nach hinten gebeugt da, als würde sie sich an etwas anlehnen. Anya Bau-   Vor den Augen des Mädchens verzerrte das Hologramm ihres Partners sich immer mehr, bis er sich auflöste. Sie streckte die Hand nach ihm aus. „Levrier!“ Doch er war nicht der Einzige. Auch ihr gold-schwarzer Ritter und der weiße Tiger in den Lichtsäulen, sie beide flackerten unstet auf und verschwanden. „Shit!“ Und dann sah sie alarmiert nach unten, wo sich ihre verdeckte Karte befand. Auch jene wurde von der fehlenden Schwerkraft beeinflusst, drehte sich schräg um die eigene Achse – es war die Konterfalle [Negate Attack]. Dann flackerte sie auf und verschwand. „Was ist das!?“, schnappte Anya aufgeregt. „Der Effekt von Tierra, wenn sie beschworen wird, natürlich. Alle Karten auf dem Spielfeld, in unseren Händen und Friedhöfen werden in unsere Decks gemischt.“ Mit zunehmendem Schrecken stellte Anya fest, dass auch von ihrem Friedhof ein flimmerndes Licht ausging und dann verlosch. Derweil nahm Kali selbst die wenigen Karten ihres Ablagestapels hervor und schob sie auf ihr Deck, das automatisch gemischt wurde. „Oh, fast hätte ich es ja vergessen. Auch Pendelmonster im Extradeck sind davon betroffen!“ „Huh!?“ Anya weitete die Augen, als sie begriff. „Gem-Eyes!“ In dem Moment schoss ein kurzer, blauer Lichtstrahl aus dem Schlitz unterhalb ihrer Deckhaltung, der in der Luft einen Haken schlug und zu ihr zurückkehrte, genauer gesagt in ihren Kartenstapel. „Das wäre dann alles“, meinte Kali. Schlagartig normalisierte sich die Schwerkraft wieder. Und während Anya hart auf dem Rücken aufprallte, landete Kali geschickt auf einem Fuß, setzte dann den anderen dahinter. „Unglaublich“, hauchte Matt fassungslos, der er von allem unberührt geblieben war, „solch ein mächtiger Effekt. Dann-!“ „Korrekt“, schnitt ihm Kali ins Wort, „dir ist nichts geblieben, Fälschung. Keine Hand, kein Feld, ja nicht einmal der Friedhof, der dich sonst immer gerettet hat. Nichts.“ Anya, die sich auf die Knie rollte, sah entgeistert über ihre Schulter zur selbsternannten Dämonengöttin, die vor ihren Augen eine Faust ballte. „Jetzt weißt du, wie es mir ging, als du erschaffen wurdest. Und noch eine kleine Info zum Abschluss: Anders als Sophia, die, wenn sie über eine Abkürzung via [Negative Gate] gerufen wird, nicht im selben Zug ihrer Beschwörung angreifen darf, kann Tierra genau das.“ Die Blonde schluckte. „Shit …“     Turn 102 – Only One Selbst unter großen Bemühungen gelingt es Zanthe nicht, an Zachariahs Artorigus vorbei zu kommen. Während ihres Duells und einem Gespräch über die Conqueror's Soul lässt sein Widersacher unerwartet einen merkwürdigen Begriff fallen. Derweil sieht sich Anya Kalis mächtiger [Tierra, Source Of Destruction] entgegen, ohne Hoffnung, das Blatt noch einmal wenden zu können … Kapitel 111: Turn 102 - Only One -------------------------------- Turn 102 – Only One     „Uns wurde eines recht schnell klar. Ohne Hilfe hätten wir genauso gut versuchen können, aus einem Kreis ein Viereck zu machen.“ Zachariah zog im Schutze des rostigen Bunkers um ihn herum an der Zigarette in seiner Hand. „Sie – die Fälschung – war einfach stärker. Aber auch wenn es um sie schlecht bestellt ist, wollen wir sichergehen, denselben Fehler von damals nicht zu wiederholen. Wir warten nicht darauf, dass noch ein Wunder sie rettet.“ Zanthe fasste sich ans Kinn, funkelte dabei aus den Augenwinkeln Anyas Bruder an. „So ist das also? Sie ist stärker? Natürlich … Durch die Conqueror's Soul. Anya hat in dieser Zeit einige starke Feinde bekämpft. Kali nicht.“ Zu seiner vollkommenen Überraschung zuckte Zachariah zusammen. „Was? Woher weißt du von der Conqueror's Soul?“ „Ich stelle hier die Fragen“, gab der Werwolf jedoch eindeutig zu verstehen. Und sein Gegner meinte. „Das hier ist gerade wesentlich interessanter geworden …“   „… und jetzt nochmal: Woher weißt du überhaupt von der Conqueror's Soul?“, fragte Zachariah mit zunehmender Irritation. „Das sind nicht gerade Informationen, die im Internet herumschwirren. Selbst Lady Gardenia wusste nichts davon, bevor Orion den Sammler verraten hat.“ „Ein anderer Hüter hat mich davor gewarnt“, antwortete Zanthe, „er sagte …“   „Eines Tages, und da bin ich mir sicher, wird jemand mit einer Fähigkeit unbekannten Ursprungs erscheinen“, sprach der Mann im Poncho mit dem weiß-grauen, langen Haar prophetisch, „genannt Conqueror's Soul.“ Blätter raschelten leise an jenem Sommertag, als Drazen Zanthe das letzte Mal aufgesucht hatte. „Diese Gabe absorbiert einen Teil der Kraft eines jeden, der Klingen – oder auch Karten – mit ihrem Besitzer kreuzt“, lachte der Alte unter dem Werwolf, dann aber wandelte sich sein Ton wieder, „aber das alleine reicht natürlich nicht, einen Hüter zu entmachten. Deshalb wird er, und da bin ich mir ebenso sicher, eines Tages …“ Zanthe sah auf ihn herab, wie er auf dem Ast einer mächtigen Eiche saß und einfach nur existierte. Selbst das Gezwitscher der Vögel interessierte ihn in diesem Moment mehr als Drazens Worte. „Du solltest mir zuhören“, klagte der Alte beleidigt, aber in scherzhafter Manier. „Was ich zu sagen habe ist zwar nicht immer jugendfrei, aber nichtsdestotrotz in der Regel wichtig.“ Als wäre es eine Last, überhaupt zu antworten, erwiderte Zanthe träge: „Ich wollte nichts von alldem.“ „Und trotzdem hat dein Bruder -dich- ausgewählt.“ „Ist ja nicht so, als ob ich mit meiner neuen Rolle irgendetwas anfangen könnte“, sprach Zanthe lustlos und ließ sich elegant vom Ast hinuntergleiten, um direkt vor Drazen zu landen, „ich bewache eine Duel Monsters-Karte. Yay.“ Väterlich lächelte der Mann den vermeintlich Jüngeren an. „Hoffentlich bleibt es nur dabei.“ Die strahlend grau-blauen Augen des Mannes verengten sich. „Aber sollte irgendwann jemand kommen, der das Artefakt begehrt, wirst du dich entscheiden müssen.“ „Aha?“ „Möglicherweise befindet sich diese Person in großer Not“, erklärte Drazen dem Werwolf mit sanfter Stimme, „und es liegt dann an dir, ihr zu helfen oder nicht.“ „Von mir aus soll derjenige das Artefakt ruhig haben.“ Der alte Mann betrachtete Zanthe mitfühlend und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Du wirst wissen, was zu tun ist.“ Jedoch stieß die Geste auf wenig Gegenliebe. Der jung aussehende Mann riss sich gestöhnt nervend los und lief an ihm vorbei. „Wenn das alles ist, würde ich gerne weiter den Vögeln zuhören und mein kümmerliches Selbst bemitleiden. Allein. Vielen Dank.“   Der alte Drazen, erinnerte sich Zanthe. Nach dem 'Tod' seines Bruders hatte der perverse Knacker ihn oft aufgesucht, versucht ihn zu trösten. Aber jetzt war er tot. „Ich hätte es verhindern können“, murmelte er traurig. Als Anya aufgebrochen war, ihn zu finden, war sein Name gefallen. Aber Drazen hatte ihm mal erzählt, dass er gerne sterben würde. Etwas, das Zanthe damals nur zu gut nachvollziehen konnte. Weshalb er Anya nie von seiner Bekanntschaft mit ihm erzählt hätte. „Was nicht verhindern können?“ Zachariah verschränkte die Arme. „Red' Klartext.“ Aus seinen Erinnerungen gerissen, schnappte der Werwolf zurück: „Ich bin dir keine Antworten schuldig.“ „Auch gut. Eigentlich interessiert mich dein Gewäsch' gar nicht.“ Der blonde, junge Mann grinste breit. „Ist sowieso alles bloß Zeitverschwendung.“   [Zanthe: 3900LP / Zachariah: 2900LP]   Vor ihm stand der imposante, brünette Ritterkönig Artus, mit den Schwertern [Noble Arms – Caliburn] und [Noble Arms – Gallatin] in den Händen. An seinem Arm leuchtete zudem der silberne Schild [Noble Arms Of Destiny]. Dazu umkreiste ihn eine Lichtkugel.   Artorigus, King Of Noble Knights [ATK/3500 DEF/2000 {4} OLU: 1]   Zusätzlich verfügte Zachariah noch über eine verdeckte Karte und zwei Handkarten, Zanthe dagegen über gar keine Feldpräsenz und lediglich zwei Handkarten. Oder besser gesagt drei, als er schwungvoll von seinem Duellhandschuh zog. Er betrachtete die Falle und schob sie wortlos in den Apparat an seinem Arm, woraufhin sie liegend vor ihm erschien. Dann streckte er die Hand aus. „Open a door to the unknown!“ Schlagartig hielt er einen kleinen, silbernen Schlüssel in der Hand, der prompt nach oben geworfen wurde. „Erscheine, [Constellar Sombre]!“ Über dem Kopftuchträger entstand daraufhin ein Runenzirkel mit astronomischen Symbolen darin, welcher zerbrach und hinter sich eine engelsgleiche, weiße Gestalt preis gab. Mit kurzen, aber breiten Flügeln versehen, durch die blaue Energie strömte, ließ Sombre einen hellblauen Kreis um sich erscheinen, in dem die Tierkreiszeichen eingelassen waren.   Constellar Sombre [ATK/1600 DEF/1550 (4)]   „Einmal pro Zug kann Sombre einen Sternenkundler von meinem Friedhof verbannen“, erklärte Zanthe und zeigte das schwarz-umrandete Monster [Constellar Praesepe] vor, fügte danach [Constellar Algiedi] seinem Blatt hinzu, „um einen anderen von dort zu bergen. Und ich kann dazu einen weiteren Sternenkundler beschwören! In dem Fall aber nicht das Ziel von Sombres Effekt!“ Zanthe schwang die Hand nach rechts aus, in der ein weiterer kleiner Schlüssel erschien. „Open a door to the archer! [Constellar Kaus]!“ Neben ihm entstand ein weiterer, aufrecht stehender Symbolkreis, aus dem ein weißer Zentaur sprang, der einen goldenen Bogen mit sich führte.   Constellar Kaus [ATK/1800 DEF/700 (4)]   Jener spannte seine Waffe und richtete sie nach oben. „Effekt von Kaus! Zweimal pro Zug kann er die Stufen von Constellar-Monstern um eins erhöhen oder senken. Ich wähle Ersteres je einmal auf Sombre und Kaus!“ Schon schoss der vierbeinige Krieger im weißen Umhang zwei hellblau leuchtende Pfeile ab, die mitten in der Luft eine enge Kurve machten und in ihn sowie seiner schwebenden Mitstreiterin einschlugen.   Constellar Sombre [ATK/1600 DEF/1550 (4 → 5)] Constellar Kaus [ATK/1800 DEF/700 (4 → 5)]   Zachariah beobachtete das alles mit einem unbekümmerten Grinsen. Aber Zanthe sagte sich, dass er diesem Wichtigtuer jenes schneller aus dem Gesicht wischen würde, als Anya bis zehn zählen konnte. Zuversichtlich nahm die eben erst beschworenen Monster von seinem Handschuh und legte sie übereinander, ehe er dann in die Luft griff und plötzlich einen goldenen, riesigen Schlüssel in der Hand hielt. Diesen lehnte er an die Stirn, welcher daraufhin die beiden Sternenkrieger als gelbe Lichtstrahlen absorbierte. Der Werwolf rief: „Open a gate to the Sacred Star Knights! To the Overlay Network! Aus zwei Stufe 5-Lichtern wird ein gleißender Stern! Rang 5!“ Im Anschluss rammte er damit den Schlüssel in den Boden und brach ein neues Siegel, welches sich vor ihm im Gras bildete. „Xyz-Summon! [Constellar Pleiades]!“ Aus diesem erschien ein anmutiger Schwertkämpfer von kräftiger Statur, der ein langes Schwert mit sich trug. Dieses hielt er nach hinten gerichtet. Auf seinem Rücken thronte eine Art Platte, die insgesamt sieben Spitzen aufwies, wobei er noch von zwei Lichtsphären umkreist wurde.   Constellar Pleiades [ATK/2500 DEF/1500 {5} OLU: 2]   Zachariah schmunzelte. „Der also.“ „Ja.“ Sein Widersacher streckte den Zeigefinger aus. „Dank [Noble Arms Of Destiny] kann dein König Artus nicht so leicht durch Kämpfe oder Effekte zerstört werden, aber Pleiades kann das locker umgehen!“ Jener richtete sein Schwert in die Höhe und ließ es eine der gelben Kugeln absorbieren.   Constellar Pleiades [ATK/2500 DEF/1500 {5} OLU: 2 → 1]   „Zum Preis einer Overlay Unit gibt er eine deiner Karten auf die Hand zurück! Los!“ Schon holte Pleiades aus und schwang die Klinge in einer vollendeten Drehung, sodass diese eine Schockwelle auf den feindlichen Ritterkönig losließ. Wofür Zach jedoch nichts als fieses Gelächter übrig hatte. „Ich bitte dich. Du denkst doch tatsächlich, wir wären komplette Vollidioten, was?“ Zanthe weitete die Augen. „Als ob ich das nicht habe kommen sehen“, setzte der Blonde nach und streckte die Hand aus, „verdeckte Karte aktivieren, der Schnellzauber [Glory Of The Noble Knights]! Damit rüste ich einen Noble Knight mit einer Noble Arms aus! Artus, die Zeit ist reif! Ziehe [Noble Arms – Excaliburn] aus dem Stein!“ Allerdings geschah dies nicht wirklich. Zachariahs Karte klappte auf und aus dem Artwork jener schob sich ein mächtiges, goldenes Schwert hervor, dessen eine Hälfte von roten, die andere von blauen Energieadern durchzogen war. Recht unspektakulär schwebte es zu Artus, der Caliburn in die Schwertscheide schob und das neue, für einen Einhänder schon viel zu große Schwert ergriff.   Artorigus, King Of Noble Knights [ATK/3500 DEF/2000 {4} OLU: 1]   „Excalibur erhöht zwar keinen seiner Werte, doch verhindert, dass du seinen Träger mit Karteneffekten anzielen kannst.“ Die Schockwelle passierte den sagenhaften König, als wäre sie ein laues Lüftchen, das nicht einmal ein Blinzeln wert war. Zanthe schnalzte genervt. „Wäre ja auch zu einfach gewesen. Zug beendet!“   „Ich fürchte, das wird nicht gut für dich ausgehen, Werwolf-Junge“, amüsierte sich Zachariah mit der Zigarette im Mund und spuckte diese schließlich aus. Mit seinem weißen, blitzeblank geputzten Schuh trat er sie aus. „Ist nichts Persönliches. Draw!“ Dann griff er nach der nächsten Karte und zog. In diesem Moment erschütterte ein heftiges Beben den Wald. Gefolgt von einem ohrenbetäubenden Krachen. Während der Blonde ins Wanken geriet, konnte sich Zanthe problemlos auf den Beinen halten. Er weitete die Augen und sah links an dem Bunker vorbei. Konnte es sehen, wie es sich erhob, dieses riesige Ungetüm, das alles überragte. Obwohl es mindestens einen Kilometer entfernt lag, war es mit seinem flammenden, gehörnten Haupt deutlich zu erkennen. Die kurzen, gezackten Schwingen an seinem dürren Körper glitzerten in der Sonne. Aber der lange Schweif, der peitschend die ganze unmittelbare Umgebung in Schutt und Asche legte, erschreckte den Werwolf am meisten. „W-was zum Geier ist das!?“, stammelte er. Dann aber kam die Erkenntnis. „Da! Anya ist dort!“ „Oh?“, machte Zachariah. Die Erderschütterungen stoppten. „Mist. Jetzt weißt du es. Aber ich kann dir gleich sagen: Nun, da dieses Ding aufgetaucht ist, ist es zu spät. Das Schicksal der Fälschung ist besiegelt.“ „W-was?“ Anyas älterer Bruder lachte finster. „Jap. Das habe ich zwar schon damals gedacht, als ihr ins Flugzeug gestiegen seid, aber diesmal ist es endgültig.“ Der schwarzhaarige Werwolf sah sein Gegenüber verwirrt an. Dann dämmert es ihm. „Flugzeug? Soll das heißen, der Absturz, das warst du!?“ Nur ein böses Lächeln huschte über Zachariahs Antlitz.   ~-~-~   Anya schluckte schwer. „Shit …“ Ein riesiges Loch klaffte in der Decke, zwei der Beine der riesigen Gestalt von [Tierra, Source Of Destruction] standen vor ihrer Widersacherin in der schwarzen Kutte. Kali kicherte leise.   Tierra, Source Of Destruction [ATK/3400 DEF/3600 (11)]   Außer dieser riesigen Gestalt, die über der unterirdischen Anlage thronte, gab es keine anderen Karten auf dem Spielfeld. Oder in den Händen der Mädchen. Oder in deren Friedhöfen. Anya war wehrlos. Und einen Treffer würde sie nicht überstehen.   [Anya: 1000LP / Kali: 800LP]   Selbst Matt sah mit weit aufgerissenen Augen vor dem Stützpfeiler stehend, an den er kurz zuvor noch angebunden war, an der riesigen Tierra empor. „Es ist tatsächlich wie [Sophia, Goddess Of Rebirth] …“ Hinter dem Pfeiler versteckte sich Thoras in der durchsichtigen Gestalt des schwarz-goldenen Schabenritters [Evilswarm Exciton Knight].   Wir sind sowas von am Arsch, Matthew Summers! Wenn das Ding einmal angreift, steht hier nichts mehr!   Anya, die mit einer Kette am rechten Fuß gefesselt und voller Staub war, verengte die Augen zu Schlitzen. „Wenn du denkst, dass ich am Ende bin, täuscht du dich. Levrier?“ Ich bin noch hier. Sie hat mich lediglich vom Feld entfernt – ohne mich zur Abwechslung zu verletzen.   „Sehr gut.“ Die Blonde zeigte ihre Zähne. „Ist lange her, dass wir -das- das letzte Mal gemacht haben, aber es muss sein. Bist du bereit?“ Ich denke, dem steht nichts im Wege.   Sofort streckte das Mädchen daraufhin ihren Arm aus. „Alles klar! Ich rekonstruiere das Overlay Network! Mach dich bereit für die Inkarnation, die alle Regeln missachtet!“ Aber Kali brach in süffisantes Gelächter aus. „Ahahahaha.“ Anya ließ den Arm sinken. Denn nichts geschah. „Wieso erscheint das Overlay Network nicht?“ „Ganz einfach! Auf den Effekt von Tierra kann niemand seine Effekte 'ranhängen. Und da Inkarnationen theoretisch auch Karteneffekte sind, kannst du Pearl nicht inkarnieren, ob er nun auf dem Spielfeld ist oder nicht.“ Ganz langsam klappte Anya die Kinnlade hinunter. Es gab nur eine Chance, [Gem-Knight Pearl] zu inkarnieren – wenn er das Spielfeld verließ. Danach war es zu spät! „Pft. Als ob ich dich so leicht davonkommen lassen würde“, sprach ihr Ebenbild mit der Narbe im Gesicht hochmütig, „sorry, aber ich habe so lange auf meine Rache gewartet. Sie muss perfekt sein, um jeden Preis. Ich werde nicht zulassen, dass du deinem Schicksal noch einmal trotzt, Miststück!“ Sie streckte den Arm nach hinten von sich weg und ließ eines dieser schwarzen, ovalen Portale erscheinen. „Schade, dass ich deine letzten Momente nicht erleben kann. Wie der Quälgeist von Summers richtig festgestellt hat, wird ein Angriff von Tierra alles vernichten. Daher gestatte ich dir ein paar letzte Worte. Komm, bring mich zum Lachen, Fälschung!“ Wie gelähmt senkte Anya ihr Haupt. Das konnte nicht sein. Sie … nein! Es gab doch sicher noch einen Weg, ihrer Lage zu entkommen! Irgendein Karteneffekt! Aber sie hatte nichts! Und wie Kali bereits erklärt hatte, konnte Tierra in diesem Zug angreifen. Es war vorbei … Heiser, gebrochen murmelte sie: „Tja, Summers … hättest vielleicht doch besser wegrennen sollen, als du noch die Gelegenheit dazu hattest.“ Matt erwiderte nichts. „Hey Kali.“ Anya richtete sich auf. Sie atmete tief durch. „Meine letzten Worte also? 'kay. Bitte nimm Summers mit. Er kann nichts für unseren Beef.“ Ihre verhasste Gegnerin sah sie aus unergründlichen, blauen Augen an. Dann erwiderte sie leise: „Nein.“ „Warum!?“ „Er ist mitverantwortlich für mein Schicksal. Ohne ihn wäre ich dem Jinn nie begegnet!“, kam es verbittert zurück. „Seine Sicherheit könnte mir nicht gleichgültiger sein.“ „Das reicht“, kam es unvermittelt hinter Anya zurück. Jene sah über ihre Schulter. Der junge Mann im schwarzen Ledermantel trat Schritt um Schritt näher, bis er vor der unsichtbaren Barriere um das Duellfeld anhielt, gekennzeichnet durch Kreidelinien. „Ob deine Geschichte nun stimmt oder nicht“, sprach Matt, „ist mir ehrlich gesagt egal. Du bist das Original? Dann rühm' dich meinetwegen damit. Aber dadurch bleibt dein Charakter der einer aufmüpfigen, selbstsüchtigen Göre, die keinerlei Mitgefühl kennt. Da bin ich lieber mit einer Fälschung befreundet, die wenigstens Anteil am Schicksal anderer nimmt.“ „Summers“, murmelte Anya erstaunt. Kali lachte auf. „Hah! Du hast Recht. Ich bin egoistisch und gefühlskalt. Denn selbst das Potential, anders zu sein, wurde mir genommen. Ich hatte nie die Chance, dich näher kennenzulernen. Von daher sind wir Fremde und du bedeutest mir gar nichts.“ Sie streckte langsam die Hand mit gespreizten Fingern aus. Voller Verzweiflung rief Anya: „Hau ab, Summers! Ich kann sie nicht aufhalten! Versuch wenigstens dich zu verstecken oder so!“ Statt ihrer Bitte Folge zu leisten, befahl Matt: „Thoras, zerschneide diesen Bannkreis.“   Warum!? Wir sollten auf Anya Bauer hören und das Weite suchen!   „Tu es!“ Anscheinend mit der Erkenntnis gesegnet, dass er sowieso keine Wahl hatte, kam der Schabenritter nach vorne gerannt und zog dabei sein Rapier. Er stach es in die Barriere, die sich kurz als wellenartige Substanz zeigte, doch konnte sie nicht durchdringen. „Pah!“, lachte Kali. „Dachtest du, es wäre so einfach? Wir wissen, dass ihr Dämonenjäger euch teleportieren könnt. Ich habe nicht vergessen, was du Abby und ihrer Familie angetan hast …“ „Und Nick“, ergänzte Matt. „Dafür habe ich mich entschuldigt.“ „Nick … yeah. Pft.“ Die selbsternannte Dämonengöttin schloss die Augen. „Schluss mit diesem Quatsch. Ihr seid Freunde? Dann sterbt beide in dem Wissen, dass ihr euch gegenseitig ins Unglück gestürzt hab.“ „Mach weiter, Thoras!“, drang Matt derweil. Nicht mal bezahlt werde ich dafür!   Trotzdem schlug der Immaterielle die Barriere ein, die sich mit jedem Treffer ein bisschen nach innen bog und rötlich verfärbte.   Ich … ich kann nicht mehr! Es kostet verdammt viel Kraft für einen wie mich, physische Objekte zu beeinflussen!   „Dann gemeinsam!“ Kurzerhand packte Matt ebenfalls zu. Zusammen holten sie weit mit dem Schwert aus und ließen es auf die Barriere sausen, die daraufhin zerbrach wie ein Scherbenhaufen. Kali schnappte nach Luft. „Scheiße! Aber es ist zu spät! Greife sie an, [Tierra, Source Of Destruction]! Simulation's End!“ Weit über dem Giganten begann sich im Himmel ein roter Kreis auszudehnen. Dessen Inneres verfärbte sich schwarz, bis sich nacheinander immer mehr kometenartige Feuerbälle lösten. Sie alle flogen laut pfeifend auf die unmittelbare Umgebung des eingestürzten Bunkerteils zu. Matt eilte an Anyas Seite. „Ich habe einen Plan! Keinen guten, aber besser als nichts.“ „Der lautet hoffentlich Teleportationskarte!“ „Nein … ich habe keine mehr, schon seit geraumer Zeit …“ Die Blonde schnappte entgeistert, wenn auch nicht wirklich überrascht: „Willst du mich verarschen!?“ „Hör zu! Wir sammeln die Kräfte unserer Immateriellen und deiner Artefakte und errichten eine Barriere. Wenn wir Glück haben, überleben wir das!“ In dem Augenblick tauchte Levriers durchsichtige Pearl-Gestalt links neben Anya auf, wohingegen sich Thoras rechts neben Matt positionierte.   Ich bin ein Streiter, kein Gründer! Das ist das Dümmste, was ich je gehört habe!   Auf das Meckern von Matts Immateriellen hin konnte Levrier nur lachen. Ist es. Aber wir sollten es zumindest versuchen.   Auch Kali brach in schallendes Gelächter aus. „Ihr Idioten! Das wird euch nicht retten! Tierra ist viel zu mächtig, um durch eine lausige Barriere aufgehalten werden zu können!“ Dagegen erwiderte ihre Erzfeindin: „Du hast doch nur Schiss, dass es klappt.“ Sie streckte ihren Arm aus und ließ [Angel Wing Dragon] in seiner weißen Speerform erscheinen, welchen sie neben sich in den Boden rammte. Dann manifestierten sich um ihre Hände zwei metallische Handschuhe. Und zu guter Letzt tauchten in jenen zwei gezackte Kurzschwerter auf. „Okay, bin bereit!“ „Konzentriert euch! Sammelt all eure Kraft und lasst sich in die Kuppel fließen!“, befahl Matt und sah seinen Partner an. „Thoras, du erzeugst das Feld!“ War ja klar, dass -ich- wieder die Drecksarbeit erledigen muss!   „Hahaha“, lachte Kali weiter, „das wird doch niemals was. Aber gut, versucht es halt.“ Anya schloss die Augen. Sie hörte bereits aus der Ferne das Zischen der nahenden Kometen. Fuck, diese blöde Kuh hatte Recht! Selbst mit ihrer geballten Kraft würden sie niemals stark genug sein, einen so mächtigen Schild aufzubauen! „Gib dir mehr Mühe, Thoras!“, hörte sie Matt sagen.   Ich versuche es! Aber ihr seid alle so verschieden, ich kann das Feld gar nicht erzeugen!   „Tu es trotzdem!“ Ich helfe!   Levrier gab ein angestrengtes Geräusch von sich. Aber Anya spürte es – nichts geschah. Sie hatten so etwas noch nie gemacht, natürlich würde es nicht auf Anhieb funktionieren. „Sag ich doch, das wird nichts“, triumphierte Kali. „Ich bin dann mal weg …“ „Shit“, fluchte Anya leise, wagte es nicht hinzusehen. Plötzlich spürte sie Matts Hand auf ihrer Schulter. „Wir kriegen das hin!“ „Lügner“, erwiderte die Blonde mit einem Lächeln, „aber wenigstens gehen wir zusammen unter. Nicht die … schlechteste Art zu sterben …“ „Sag so etwas nicht! Los, strengt euch an!“   Argh! Immer wenn ich es in Form kriege, bringt Levrier es durcheinander!   Thoras ist ein Amateur!   Anya biss die Zähne fest zusammen. Es war vorbei. Jeden Moment. So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Einfach so zu sterben. Und dann noch durch Kalis Hand. Lächerlich … Sie wollte nicht. Sie wollte nicht sterben. Es gab so vieles, was sie noch tun musste, tun wollte und da kam sterben nicht infrage. Aber wer sollte sie retten!? Es kam niemand! Der Sammler wäre doch schon längst hier, wenn es ihm möglich wäre. Vielleicht interessierte er sich gar nicht mehr für sie, immerhin hatte sie ihn eiskalt abblitzen lassen! „Ricther“, flüsterte sie verzweifelt, „komm schon!“ Aber der Undying hätte sie längst gerettet. Das heißt, wenn er es sich nicht inzwischen anders überlegt hatte. Sie war eine Gefahr für diese 'ewige Ordnung' oder was auch immer. Wenn sie jetzt hier starb, hatte sich das Problem der Undying von selbst gelöst. Es gab keinen Grund für sie, ihnen zu helfen. „Der kommt nicht! Wir müssen das selbst schaffen!“, drängte Matt, auch bei ihm drang immer größere Verzweiflung durch die Stimme. „Anya, hol' alles aus dir raus!“ „Ich versuch's ja!“ Was tat sie denn? Sie fokussierte sich auf ein Energiefeld, das sie ganz vage um sich herum spürte. Stärkte sie es dadurch überhaupt? Oder musste sie mehr tun!? Sie wusste es nicht! Irgendjemand! Irgendjemand musste sie retten!   Es war wie ein Blitz, der ihre Gedanken durchfuhr. Ganz klar sah sie sie vor sich, eine Erinnerung an längst vergangene Zeiten. Wie sie mit einer deutlich jüngeren Abby in ihrem Zimmer auf dem Boden hockte. Beide waren über Papier gebeugt und zeichneten fleißig. Anya sah ihrem Teenager-Ich über die Schulter, wie es als Erstes fertig war und ihrer Freundin stolz das gemalte Bild präsentierte. „Hah! Damit gewinne ich den Wettbewerb!“ „Das ist großartig, Anya! So gut bin ich nicht.“ Abby sah betrübt auf ihr Bild herab, einen roten Vogel mit Laubschweif. „Ist doch egal!“, protestierte Teenie-Anya. „Ich werde sowieso dort einmarschieren und diese Weicheier dazu zwingen, beide Bilder gewinnen zu lassen. Andernfalls drehe ich ihnen solange Schrauben durch ihre Körperöffnungen, bis sie-“ „I-ich denke, ich verstehe schon“, stammelte Abby pikiert. Dann verschwamm die Szene vor Anyas innerem Auge. Nebenbei hörte sie Matt panisch etwas rufen, Kali lautstark lachen. Ihre Finger umschlossen die beiden Schwerter in ihrer Hand so fest sie konnten. Aber sie sah etwas Neues. Diesen Typen, dem sie begegnet war, als dieser verrückte Maskendämonen mit dem Katana sie angegriffen hatte. Blondes Haar, geflochten zu langen, zusammengebundenen Braids. Er hatte diese komische Waffe in den Händen, eine Art Schwert, um das ein hellblaues Gehäuse ummantelt war. Die Klinge war zackig wie eine Kettensäge. Warum erinnerte sie sich jetzt an ihn? „Ich habe ein Geschenk für dich“, sprach er unergründlich, „mit ihm wirst du überleben.“ Exa streckte die Hand nach ihr aus. Er sah sie eindringlich an. Anya fackelte gar nicht erst, sondern versuchte sie zu ergreifen. Kurz bevor sich ihre Finger berührten, tauchte zwischen ihnen ein grelles, leuchtendes Licht auf.   Anya riss ihre Augen weit auf. Die Artefakte um sie herum lösten sich auf, das Mädchen streckte die Hand nach vorne aus. „Die Bedingung ist erfüllt!“ Sie schwenkte ihren Arm zur Seite aus. „A rift has been opened!“ Anschließend schlug sie ihre rechte, zur Faust geballte Hand gegen die Brust. „Summoning contract established!“ Kali, die schon halb in ihrem Portal steckte, trat wieder daraus hervor. „Huh?“ „Anya, was machst du da?“, fragte Matt verwirrt. „Du musst-“ Aber die Blonde beachtete keinen der beiden. Sie wusste, was sie da tat. Sie richtete die Faust in die Höhe, aus der acht grelle Lichtfunken aufstiegen, an ihr und den anderen vorbei schwirrten und sich hinter ihnen in einer unregelmäßigen Kreuzformation zu einem runden Tor festigten. Dieses bestand aus mehreren Innenkreisen, in dem jeweils einer der Funken als leuchtendes Symbol eingelassen war. „Witness the creation of the eternal gate!“, rief Anya. Ruckartig schossen die einzelnen Bestandteile des Portals nach hinten. „Reverse the tide of battle!“ Innerhalb des entstandenen Tores erstreckte sich ein bunter Tunnel. „Open the eternal gate! Excel Summon!“ Anya riss den erhobenen Arm hinunter und zeigte ihren Handrücken, in dem eine weiße Sanduhr eingraviert war. „Grade 8! Flow, [Chrono Blades Excel Dragon]!“ In dem Moment schoss eine Kreatur aus dem Portal und brachte dieses zum Einstürzen. An Anya vorbei rauschte der dunkelgraue Drache einmal durch den ganzen, magisch vergrößerten Raum, ehe er sich über dem Mädchen platzierte. Von schlanker Gestalt, hatte er einen fast humanoiden Körperbau. Sein weißer Bauch hatte dabei dieselbe Form wie Anyas Symbol: Eine Sanduhr.   Chrono Blades Excel Dragon [ATK/3000 DEF/2500 X8]   Wirklich beeindruckend waren aber neben den vier rot leuchtenden Schlitzaugen die zehn Schwerter, die wie ein Ring in hoher Geschwindigkeit um ihn rotierten. Kali verfiel in blanke Panik. „Nein … nein, nein, nein!“ Woher kommt dieses Ding?   „Ist doch egal“, erwiderte Matt auf Thoras Frage hin prompt. Beide sahen an der eindrucksvollen Kreatur hinauf. „Hauptsache es ist hier …“ Der Dämonenjäger sah Anya an, doch die hatte sich völlig auf Kali fixiert. Jene konnte sich kaum beherrschen. Sie schrie: „Wie konntest du nur!? Ausgerechnet ihn!“ Sie ging in ein Flüstern über. „Völlig aus dem Nichts … Das sieht dir ähnlich, Miststück!“ Anya sah auf ihren Armrücken hinab. „Es kam nicht aus dem Nichts. Es hat in mir geschlafen, das weiß ich.“ „Das bezweifle ich! Aber glaub was auch immer du willst! Selbst damit entkommst du deinem Schicksal nicht!“ Die sogenannte Fälschung sah wieder auf und erklärte beherrscht: „Sehe ich anders. Wenn [Chrono Blades Excel Dragon] während der Battle Phase beschworen wird, beendet er diese sofort.“ Ihre Widersacherin ploppten bald die Augen heraus. „Was!?“ „Tu nicht so überrascht“, murrte Anya grimmig. Indes waren die Kometen nur noch wenige Kilometer vom Einschlagpunkt entfernt. „Aber das ist noch nicht alles. Danach kann er sich und alle anderen Monster auf dem Feld verbannen. Temporal Disturbance!“ In dem Moment streckte der Drache eine seiner mit scharfen Klauen besetzen Pranken aus. Mit dem 'Zeigefinger' zog er langsam einen immer größer werdenden Riss im Raum-Zeit-Gefüge, eine schwarz glitzernde Pforte, in die er langsam hineingezogen wurde. Aber nicht nur er. Vor Kali ereignete sich analog das gleiche Phänomen. Die beiden Beine Tierras wurden verzerrt in den Spalt hineingezogen. Dann geschah es. Immer schneller wurde das gigantische Wesen durch den allenfalls eine Elle langen Riss wie von einem Staubsauger hineingesaugt. Dabei ging strahlend blaues Licht von ihm aus. Kali fiel aus allen Wolken. „Nein! Das kannst du nicht tun! Tierra!“ Doch es war zu spät. Beide Monster waren längst verschwunden, die Pforten auf den Seiten der Mädchen schlossen sich wieder. Die Kometen verschwanden, als hätten sie nie existiert. „Das habe ich aber gerade“, erwiderte Anya unterkühlt. „Und das ist erst der Anfang.“ Denn etwas war von ihrem neuen Drachen verblieben: Sein Schwertring. Jener flog über ihrem Kopf hinweg durch das Loch im Bunker. Und dann regnete es Klingen. Nacheinander rammten sich vier der schlichten Einhänder vor Anya in den Boden. Dann geschah dasselbe bei Kali. Die verbliebenen beiden Schwerter verschwanden. „Selbst das …“, keuchte die und wich zurück. Ihr Portal war ebenfalls fort. „Die Monster, die Chrono Blades verbannt hat, sind nicht fort. Ihre Zonen bleiben unbenutzbar, bis sie zurück sind“, erklärte ihre Feindin, „und in alle anderen werden seine Schwerter in Verteidigungsposition beschworen, die sogenannten Chrono Blade-Spielmarken.“   Chrono Blade-Token x4 [ATK/100 DEF/0 (1)] (Anya) Chrono Blade-Token x4 [ATK/100 DEF/0 (1)] (Kali)   Anya Bauer, das ist beeindruckend! Woher kommt dieses Monster? Und du kennst seinen Effekt, ohne ihn überhaupt gelesen zu haben!   „Yeah“, stimmte Matt dem durchsichtigen Levrier zu, „das ist tatsächlich beängstigend.“ Er atmete tief durch. „Puh. Aber danke, dass auf dein Talent, das Schicksal zu umgehen, immer wieder Verlass ist.“ Als sie das hörte, musste Anya ihn ansehen und grinsen. „Danke.“ Dann aber wurde sie wieder ernst, sah wieder Kali an. „Wenn du wirklich ich bist, dann solltest du eigentlich wissen, was dieses Monster ist. Und was es in etwa kann.“ „Kch! Damals … mit Abby …“ „Yeah. Aber Erinnerungen sind trügerisch“, murmelte Anya geheimnisvoll, „und manchmal ändern sich Pläne ein wenig. Ich hatte vor einiger Zeit einen Traum. Und seitdem denke ich -anders- über Chrono Blades. Du siehst ja, er ist kein reguläres Effektmonster mehr. Um ehrlich zu sein weiß ich selber nicht, -was- er jetzt ist …“ Sie senkte ihr Haupt. Sie hatte einen anderen Beschwörungsspruch verwendet als in ihrem Traum. Welcher dort in etwa „The fallen comrades become witnesses of a new beginning!“ gelautet hatte, aber den hatte sie sich damals als Teenager ausgedacht. Er war nicht mehr aktuell. Und die Karte auf ihrer schwarzen Duel Disk? Die hatte nicht einmal einen farbigen Rand, stattdessen war sie komplett vom Artwork ausgefüllt, welches beim Effekttext extrem aufgehellt war. „Einen Traum?“, fragte Matt. Dann erinnerte er sich daran, dass sie mal etwas im Traum genuschelt hatte, beim Duell Marc Butcher gegen Kakyo Sangon. „Das ist interessant. Aber wie um alles in der Welt hast du es geschafft, ihn zur Realität werden zu lassen?“ „Weiß nicht“, zuckte Anya mit den Schultern. „Ist mir auch egal. [Chrono Blades Excel Dragon] existiert seit vielen Jahren in meinem Kopf. Ich habe ihn selbst entworfen, damals, als ich und Abby an einem Zeichenwettbewerb teilgenommen haben. Zwar habe ich damals nicht gewonnen …“ Sie sah wieder auf ihre Duel Disk. „… aber er ist hier. Gekommen, um mich zu retten. Nur das zählt.“   Matthew Summers! Ich finde, wir sollten auch damit anfangen, uns mächtige Karten aus dem Arsch zu ziehen, wenn es drauf ankommt.   Anya bedachte den Schabenritter Thoras eines stechenden Seitenblicks. „Das habt ihr vor gar nicht allzu langer Zeit, 'Zitronenritter'!“   Sie will mich umbringen!   Kreischend kauerte der Immaterielle hinter Matt, der genervt stöhnte. Kali lachte, aber deutliche Verunsicherung klang dabei hindurch. „Das hast du also aus [Chrono Blades Dragon] gemacht, huh? Von mir aus. Damit werde ich auch fertig. Ich lasse mir meine Rache nicht noch einmal nehmen!“ Sie streckte die Hand aus. „Ich beende den Zug! Jetzt aktiviert sich der Effekt von [Celestial Gear – Synthetic Saga Griffon]. Ich habe ihn und [Celestial Gear – Synthetic Saga Phoenix] aus meinen Pendelzonen verbannt und nun kehren sie beide auf mein Blatt zurück!“ Während Kali jene beiden Monster aus ihrer Verbannungszone zog, meinte Anya: „Yeah, kann sein, aber in der End Phase aktiviert sich auch der Effekt von [Chrono Blades Excel Dragons] Hinterlassenschaft.“ Die Schwerter vor Kali begannen silbrig zu glühen. Dann schossen sie alle gleichzeitig Blitze auf die Kuttenträgerin ab, die schreiend getroffen wurde und auf die Knie sank. Dann zersprang eine der Klingen. „Ugh!“   [Anya: 1000LP / Kali: 800LP → 400LP]   Chrono Blade-Token x3 [ATK/100 DEF/0 (1)] (Kali)   „Während der End Phase erhält der Spieler, der gerade am Zug ist, 100 Schadenspunkte für jede Chrono Blade-Spielmarke, die er kontrolliert. Danach wird eine zerstört“, erklärte Anya. „Und wenn alle fort sind …“ „… verliert der Spieler das Duell“, schloss Kali verstimmt ab und erhob sich. Ein wissendes Grinsen huschte über Anyas Gesicht.   ~-~-~   Der schwarzhaarige Werwolf sah sein Gegenüber verwirrt an. Dann dämmert es ihm. „Flugzeug? Soll das heißen, der Absturz, das warst du!?“ Nur ein böses Lächeln huschte über Zachariahs Antlitz. „Ja.“ Fast nebensächlich schnippte er mit dem Finger. „Heileffekt von [Noble Arms – Caliburn]! Ich erhalte 500 Life Points!“ Das Schwert in der Scheide am Waffenrock Artorigus' begann zu leuchten. Ein grünlicher Funkenregen ergoss sich über Zachariah.   [Zanthe: 3900LP / Zachariah: 2900LP → 3400LP]   „Warum!?“, platzte es aus einem zutiefst schockierten Zanthe heraus. „So viele Menschen sind dadurch gestorben!“ „Na und?“ Er zuckte mit den Schultern. Eiskalt. Selbst der Werwolf, der sonst eine Menge ab konnte, spürte in diesem Moment eine ungekannte Übelkeit aufkeimen. Das war Anyas Bruder und er war ein Massenmörder! „Sind dir“, flüsterte Zanthe leise, „sind dir Menschenleben gar nichts wert …?“ „Sicher doch. Aber es war der einfachste Weg, euch loszuwerden. Dachte ich jedenfalls.“ Wieder zuckte der große Blonde mit den Schultern. „Wie seid ihr da bloß rausgekommen? Hat euch jemand gewarnt? Der Sammler vielleicht?“ Aber der Kopftuchträger zog es vor gar nicht erst zu antworten. Er wandte den Blick ab. „Tu nicht so scheinheilig. Du würdest dasselbe tun, wenn jemand dir Wichtiges so leiden muss.“ „Niemals!“, widersprach Zanthe aufgeregt. Und doch spürte er, dass ein Teil von ihm für Alessandro sehr viel weiter gehen würde als er es sich eingestand. „Das ist … hast du jemals darüber nachgedacht, wie sinnlos das alles war!?“ „Du meinst, weil der Sammler Anya einfach durch Kali oder sogar … hehe … jemand Drittes ersetzen kann, der die Conqueror's Soul besitzt? Bevor du fragst: Ich besitze sie nicht, was irgendwie schade ist. Egal.“ Zachariah schürzte die Lippen. „Jedenfalls hast du es wohl immer noch nicht kapiert. Ich wollte -deine- Anya vernichten, damit -meine- ihren Platz einnehmen kann. Und in einem Flugzeug sollte sie nicht entkommen können. Ich habe extra Sprengstoff verwendet, damit Levrier nichts bemerkt. Und trotzdem …“ Er sagte das auf eine Art und Weise, als würden sie sich über das Wetter unterhalten. Das war ein Psychopath, begriff Zanthe dadurch mit Schrecken. „Ich aktiviere den Effekt von [Artorigus, King Of The Noble Knights]! Im Austausch gegen eine Overlay Unit kann ich beliebig viele Zauber- und Fallenkarten zerstören, solange er mindestens ebenso viele Noble Arms ausgerüstet hat. Ich wähle dich“, meinte er und zeigte verschmitzt auf Zanthes gesetzte Karte. Dann auf das Schwert am Waffenrock seines Königs. „Und dich, [Noble Arms – Caliburn]!“ Jener streckte sein Excalibur in die Höhe und ließ es die verbliebene, um ihn kreisende Lichtkugel absorbieren.   Artorigus, King Of Noble Knights [ATK/3500 DEF/2000 {4} OLU: 1 → 0]   Im Anschluss schwang er das Schwert beidhändig aus, wobei nicht nur die Schwertscheide zerplatzte, sondern von Excalibur auch eine elektrische Schockwelle losgelassen wurde. Jene fegte über das Gras, an [Constellar Pleiades] vorbei und traf schließlich auf die gesetzte Karte vor Zanthe. Welcher gar nicht lange fackelte. „Dann aktiviere ich sie gleich! [Constellar Meteor], eine Falle!“ Die Falle klappte noch rechtzeitig auf, bevor sie von der Schockwelle zerrissen wurde. Plötzlich ging sein Sternenkundler in rötlicher Feueraura auf, so stark, dass man ihn kaum noch erkannte. „Wenn du in diesem Zug gegen Constellar-Monster kämpfst, werden deine Monster ins Deck zurückgeschickt!“ Zanthe atmete tief durch. „Selbst all die Schwerter und Schilde deines König Artus können diesen Effekt nicht abwehren.“ „Mag sein.“ Zach streckte die Hand aus. „Da [Destiny Arms – Caliburn] zerstört wurde, kann es sich einmal pro Zug an ein passendes Monster auf dem Feld ausrüsten.“ So wie die Schwertscheide am Waffenrock des brünetten Königs verschwunden war, so setzte sie sich aus dem Nichts wieder zusammen. „Und das heißt: Mehr Lebenspunkte für mich. Effekt von Caliburn!“ Wieder ergoss sich über Zachariah ein grüner Funkenregen.   [Zanthe: 3900LP / Zachariah: 3400LP → 3900LP]   Zanthe knirsche mit den Zähnen. Diese Strategie Zachariahs, sich dauernd zu heilen, war ihm nicht neu. Und das alles diente nur dazu, ihn daran zu hindern, zu Anya vorzudringen. Er sah am Bunker vorbei zu der riesigen Kreatur. Und erkannte mit Schrecken, dass sie zahllose Meteore beschworen hatte, die zwar noch weit oben am Firmament hingen, jedoch bald einschlagen würden. „Verdammt, ich muss hier weg!“, keuchte er zerknirscht. „Wozu die Eile? Ist doch ohnehin egal.“ Zachariah lachte auf einmal resignierend. „Früher oder später ereilt deine Freundin sowieso ein grausames Schicksal. Also lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.“ Zanthe sah ihn mit geweiteten Augen an. Was war denn jetzt los!? „Alles was du tust, ist umsonst. Was ich tue ist umsonst. Was Anya tut ist umsonst. Wirklich alles.“ Zanthe schnappte zurück: „Was soll das jetzt heißen? Sind wir unter die Nihilisten gegangen oder was?“ „Nein“, erwiderte der große Blonde kühl, „nur, dass wir alle verdammt sind. Also was spielt es für eine Rolle, ob ich ein paar Menschen durch die Explosion getötet habe? Immerhin habe ich ihnen die Hölle erspart, die sich Zukunft nennt.“ Mit nervösem Blick auf die Feuerbälle, die es vom Himmel regnete, fragte Zanthe: „Hölle? Du hast sie direkt dorthin geschickt!“ „Ach wirklich? Da wäre ich mir nicht so sicher. Ihr wisst es nicht, aber wir haben einen Überläufer auf unserer Seite“, erklärte Zachariah, „ein ehemaliger Diener des Sammlers. Ein Schattengeist namens Orion.“ Der Name sagte Zanthe etwas. Anya hatte ihn ein oder zweimal erwähnt, als sie ihm während einer ihrer etwas geselligeren Stunden von ihren Abenteuern erzählt hatte. „Orion? Das war der Vorgänger von Kyon.“ Kyon … der Immaterielle, der den Körper seines Bruders Alessandro besetzte! Auch er war ein Diener des Sammlers. Und ebenso daran interessiert, diesen zu Fall zu bringen. „Genau der.“ Der Blonde nickte. „Viel weiß er nicht, aber das, was er uns sagen konnte, war gelinde gesagt erschreckend.“   Eigentlich hatte Zanthe keine Zeit für dieses Gespräch. Aber objektiv gesehen wusste er, dass er sowieso nicht rechtzeitig bei Anya sein würde. Und selbst wenn doch, was könnte er im Moment tun, um sie zu beschützen? Sie musste sich wohl oder übel selbst helfen. Vielleicht war Matt wenigstens bei ihr.   „Und das willst du mir wirklich erzählen?“, fragte der Werwolf schließlich und doch haftete sein Blick einzig an den herabfallenden Meteoren. Zachariah zuckte mit den Schultern. Anscheinend eine blöde Angewohnheit, so oft wie der das tat. „Vielleicht sorgt das für ein wenig Vernunft in eurer Chaostruppe. Eure Anya ist in wenigen Augenblicken Geschichte.“ Er grinste böse. „Wenn ihr wollt, könnt ihr ja Lady Gardenia dienen.“ „Das halte ich für unwahrscheinlich. Und damit meine ich nicht den Teil mit deiner Herrin.“ „Glaub was du willst. Jedenfalls hat sie mir keinen Maulkorb verpasst. Also: Der Verräter namens Orion. Lästige Kreatur. Aber er weiß ein paar Dinge. Zum Beispiel, dass es ein Phänomen namens 'Planet Eater' gibt.“ Zanthe hob die Augenbrauen an. „Planet … Eater?“ „Da ist der Name Programm. Und dieses Ding hat in wenigen Monaten diverse Welten zerstört. Der Sammler beobachtet es anscheinend. Und soll ich dir was sagen? Wir vermuten, dass der Planet Eater es auf diese Welt abgesehen hat.“ „Was ist das überhaupt?“ „Anscheinend selbst eine Art Himmelskörper. Sobald er nah genug an einen Planeten heran kommt, beginnt er seinen Äther zu absorbieren. Er verschlingt alles, bis nur noch ein lebloser Steinbrocken übrig bleibt.“ Zachariah schien das alles nicht wirklich zu kümmern. Vielleicht weil er nicht wirklich etwas vom Übernatürlichen verstand. Er ratterte einfach Fakten hinunter. „Allein seine Anwesenheit bringt Planeten aus ihrer Umlaufbahn. Kann man ihn mit bloßem Auge erkennen, ist es so oder so zu spät. Oder so ähnlich.“ „Und ihr denkt, der Sammler …?“ Da platzte Zachariah in schallendes Gelächter aus. „Der Sammler ist dafür verantwortlich? Mach dich nicht lächerlich! Das glauben vielleicht die Undying, aber denk doch mal genau nach! Der Sammler hat eurer Anya zwar geholfen, in den Turm von Neo Babylon zu gelangen, aber nie mit der Absicht das Tor Eden zu öffnen.“ Sein Gesicht wurde ernst. Er gestikulierte wild mit den Händen. „Soweit ich weiß, hat er doch sogar versucht, diese verrückte Immaterielle aufzuhalten, die nach dem Fall des Turms das Tor durch das Opfern von Livingtons Bewohnern öffnen wollte. Was glaubst du, war ihre Absicht dabei? Sie wollte den Planet Eater rufen!“ Auch davon hatte Anya ihm mal erzählt. Urila hieß sie, soweit sich Zanthe erinnern konnte. Abschließend meinte der große Blonde mit dem Goldkettchen um den Hals: „Der Sammler ist kein angenehmer Zeitgenosse, aber er braucht diese Welt für irgendetwas. Wenn der Planet Eater sie zerstört, würde er damit auch die Pläne des Sammlers durchkreuzen. Und niemand kann dieses Ding aufhalten, weder der Sammler noch die Undying.“   Wieso geschah da nichts, fragte sich Zanther derweil mit wachsender Panik. Inzwischen hatten die mindestens zwanzig Meteore den Himmel durchbrochen und flogen mit immer höherem Tempo ihrem Einschlagpunkt entgegen. Begleitet von einem lauter werdenden, pfeifenden Geräusch. Anya, wehr' dich endlich, fluchte er innerlich.   „Nette Geschichte“, presste Zanthe hervor, „angenommen das stimmt überhaupt, was der Schattengeist euch da erzählt. Er könnte genauso gut ein Doppelagent sein.“ Zach schmunzelte. „Lady Gardenia ist überzeugt davon, dass er die Wahrheit spricht. Ihr kann man nichts vormachen.“ „Aber ihr habt keine Beweise dafür, dass der Planet Eater wirklich auf die Erde Kurs genommen hat.“ „Der Sammler ist überzeugt davon, dass jemand ihn steuert. Es gibt ein System. Jede der bereits zerstörten Welten barg gewisse Besonderheiten. Die Welt der Immateriellen, Welten mit wirklich mächtigen Individuen …“ „Und was ist an dieser Welt so besonders?“ „Ein Hinweise darauf konnte Orion uns geben, wenn auch nicht mehr als das.“ Zanthe konnte seinen Blick für einen kurzen Moment von der riesigen Kreatur in der Ferne lösen und sah Zachariah in die blauen Augen. Welche funkelten. „Sprich!“ „'In dieser Welt existieren die Reste einer verbotenen Vergangenheit'.“ Der Blonde in Weiß zuckte mit den Schultern. „Das waren die Worte des Sammlers zum Schattengeist, der übrigens keinen Schimmer davon hat, was sein Meister überhaupt so ausheckt. Fast so als hätte der erwartet, irgendwann verraten zu werden.“ Damit hatte sich Zanthes nächste Frage wohl erübrigt.   „Aber jetzt wird es Zeit, dich endgültig-“, sprach Zachariah mit einem zuversichtlichen Lächeln auf den Lippen und zückte eine Karte. Doch als Zanthe aufschreckte, lag dies nicht an seinem Gegner. Grelles, hellblaues Licht strahlte von unterhalb der riesigen, gehörnten Kreatur in der Ferne hervor. Und jene begann zusammenzuschrumpfen. Auch Zachariah wirbelte um, blickte an dem Bunker vorbei. „Sag nicht-!“ Die flammenden Felsbrocken verschwanden jedoch ebenfalls, kurz bevor sie einschlagen konnten. „Sieht ganz so aus“, meinte Zanthe und atmete erleichtert auf. Manchmal war halt doch auf Anya Verlass, wie es schien. „Ugh! Wenn das so ist, sollte ich wohl gerade ganz woanders sein.“ Er wandte sich dem Werwolf wieder zu. Dann ging er auf ihn zu. „Und du auch.“ „Schätze schon.“ Der Schwarzhaarige mit dem Kopftuch schritt ihm entgegen. Als sie sich in der Mitte des Spielfelds trafen, sahen sie sich tief in die Augen. Zach meinte schließlich mit einem Grinsen: „Um deine Würde zu bewahren, biete ich dir einen Deal an. Wir einigen uns auf ein Unentschieden.“ „Netter Versuch. Dich hätte ich fertig gemacht.“ Beide schlugen trotz ihrer Feindseligkeit mit den Händen ein. Die Hologramme ihrer beiden Monster verschwanden.   [Zanthe: 3900LP → 0LP / Zachariah: 3900LP → 0LP]   „Glaub mir. Was immer da vorgeht“, sagte Anyas größerer Bruder und sah wieder zurück zu der Stelle, wo eben noch die riesige Kreatur gestanden hatte, „willst du nicht verpassen.“ Zanthe nickte. Und keine Sekunde später rannten beide in jene Richtung los, wobei es Zanthe mühelos gelang, seinen Widersacher abzuhängen.   Obwohl er sich nichts hatte anmerken lassen, war er ziemlich erstaunt von diesem Angebot gewesen. Und er begriff, dass dies wohl tatsächlich auf Bruderliebe beruhen musste. Zachariah wollte an Kalis Seite sein, nachdem ihr Sieg offensichtlich doch nicht so sicher war wie er dachte. Blieb nur zu hoffen, dass was immer Anya dort gelungen war, sie lange genug über Wasser halten würde. Vielleicht konnte er ihr irgendwie helfen!   ~-~-~   „Mein Zug! Draw!“ Anya riss eine Karte von ihrem Deck. „Zug beendet!“ „Was!?“, staunte Matt. Anya Bauer, bist du sicher!?   Auch Levrier wunderte sich über diese Ansage. Doch es war bereits zu spät, das Mädchen noch umzustimmen. Die vier Schwerter vor ihr leuchteten allesamt silbern auf und gaben zusammen einen gebündelten Stromschlag ab, der sie beinahe in die Knie zwang. „Kch! Am Ende des Zuges erhalte ich 100 Punkte Schaden für jede Chrono Blade, danach wird eine zerstört.“ Eine der Klingen zerplatzte. [Anya: 1000LP → 600LP / Kali: 400LP]   Chrono Blade-Token x3 [ATK/100 DEF/0 (1)] (Anya)   „Mein Zug! Draw!“, wiederholte Kali exakt dieselben Worte, die Anya zu Beginn ihrer Runde gesagt hatte und zog schwungvoll von ihrem Deck. Dann sah sie auf ihre rote V-Duel Disk. Die mittlere Zone war durch ein rotes Kreuz ausgeleuchtet, auf den anderen zeigten die eingebauten Minibildschirme die grau-umrahmten Spielmarken an. Kali blickte auf. „Die Chrono Blades haben Angriffspunkte.“ „Und?“ Anya kniff die Augen fest zusammen. „Der originale [Chrono Blades Dragon] hätte sie ohne Angriffspunkte beschworen.“ „Ich sagte bereits, dass ich seinen Effekt überdacht habe.“ Kali lachte böse. „Natürlich. Aber so ist das bei Fälschungen. Nah am Original, aber eben doch nur eine schlechte Kopie. Wenn diese Dinger tatsächlich angreifen können, könnte ich deine Schwerter damit locker zerstören. Also heißt das wohl, dass du gar nicht verlieren wirst, wenn das letzte Schwert verschwindet.“ Das angekettete Mädchen grinste. „Finde es doch heraus.“ „Warum sollte ich?“ „Weil dir die Zeit davon läuft. Noch zwei Züge und deine verbliebenen Chrono Blades nehmen dir die letzten Lebenspunkte. In diesem Zug 300, im nächsten dann 200. Ich dagegen halte länger durch.“ Anya verschränkte betonend die Arme. Aber ihre Erzfeindin grinste nur, zeigte eines ihrer Monster vor. „Mir ist schon bewusst, dass du mich auf diese Weise besiegen willst. Aber ich habe den Stufe 8-Saga Phoenix auf der Hand. Ich opfere zwei Spielmarken, bekomme etwas Schaden und am Ende des Zuges verschwindet dann die letzte. Problem gelöst.“ „Ach wirklich? Vielleicht fangen deine Probleme dann erst an?“ Anya schloss die Augen. „Etwas wird passieren, wenn alle Chrono Blades verschwinden. Du wirst verlieren.“ „Kch!“ Kali sah ihr Monster in der Hand angestrengt an.   Sie ist sich unsicher. Ihre Erinnerungen raten ihr, nicht leichtfertig mit den Klingen umzugehen. Aber sie weiß, dass sie dir vielleicht in die Hände spielt, wenn sie zu vorsichtig ist.   Levrier sah Anya an. Ebenso Thoras, der hinter Matt hervorlugte. Sie wüsste, was sie erwartet, wenn sie sich die Karteneffekte durchlesen würde.   „Dazu ist sie nicht der Typ.“ Der Dämonenjäger selbst grinste seine Freundin an. „Nicht, Anya?“ „Halt die Klappe.“ „Das habe ich bereits versucht“, gestand Kali schließlich und sah auf, „aber die Duel Disk kann die Daten nicht abrufen. Geschickt eingefädelt, Fälschung.“ Anya zuckte mit den Schultern. „Dafür kann ich nichts. Und selbst wenn, ändert es nichts am Ausgang des Duells. Also was wirst du tun, Kali? Auf deinen Untergang warten? Oder dein Schicksal selbst in die Hand nehmen?“ Eine Schweißperle rann der Kuttenträgerin über die Stirn. „Wer wird davon profitieren, wenn eine Seite seine Klingen – seine Zeit – verliert? Das ist das Konzept von Chrono Blades. Aber ich bin nicht so dumm zu glauben, dass du daran festgehalten hast.“ Sie nahm eine Karte aus ihrem Blatt. „Deshalb beschwöre ich in meine im letzten Zug frei gewordene Monsterzone [Celestial Gear – Synthetic Saga Griffon]!“ Vor ihr stiegen grelle, grüne Lichtkugeln auf. Sie bildeten einen dreidimensionalen Körper, indem sie zwischen sich etliche Verbindungslinien zeichneten. Es war der eines riesigen Greifs, der metallische Form annahm. Ganz aus Silber, waren seine Löwenpranken von grünen Streifen gekennzeichnet. Er brüllte schrill auf.   Celestial Gear – Synthetic Saga Griffon [ATK/800 DEF/2100 (4) PSC: <9/9>]   „Keine Tributbeschwörung?“, fragte Anya tonlos. „Wenn meine Theorie korrekt ist, dann wäre das für mich fatal.“ Kali streckte den Arm nach vorne aus. „Ich wechsle sämtliche Chrono Blades in den Angriffsmodus!“ Nacheinander schoben sich die drei Schwerter aus dem Boden und richteten sich auf, zielten auf Anya.   Chrono Blade-Token x3 [ATK/100 DEF/0 (1)] (Kali)   „Ich würde meinen Gegner dazu bringen zu denken, dass es eine Falle ist. Dass ich -will-, dass er meine eigenen Schwerter zerstört. Aber in Wirklichkeit will ich ihn davon abhalten. -Deswegen- haben die Klingen in deiner Version Angriffspunkte.“ Kali verschränkte die Arme, genau wie ihr Gegenüber. „Ich bin gespannt zu sehen, ob ich damit Recht habe! Meine Chrono Blades greifen deine an! Los!“ Nacheinander schossen ihre drei Schwerter auf Anya zu. Deren Waffen erhoben sich ebenfalls aus dem Beton und flogen den feindlichen Klingen entgegen. Es rasselte und klirrte nur so, doch am Ende zersprang ein Chrono Blade Anyas nach dem anderen. „Heh. Was nun?“, fragte Kali herausfordernd. „Nichts.“ „Dann hast du ein Problem! Denn wenn Saga Griffon angreift, fügt er Kampfschaden in Höhe seiner Verteidigung zu! Lo-!“ Aber da unterbrach sie ein lautes Dröhnen. Das nur von Anyas strengen Worten übertönt wurde, als diese sagte. „Mit nichts meine ich, dass sich nichts an meiner Haltung geändert hat, du hohle Nuss! Du irrst dich nämlich gewaltig! Wenn ein Spieler keine Chrono Blades mehr kontrolliert, kehren seine Monster zurück aufs Spielfeld! Zeig dich, [Chrono Blades Excel Dragon]!“ Der Ursprung des Lärms entpuppte sich als eine schwarze Zeit-Raum-Spalte, die vor dem Mädchen entstand und rasend schnell über sie hinaus wuchs. Aus ihr befreite sich durch das Auseinanderpressen der Öffnung niemand anderes als der dunkelgraue Drache, der brüllend zum Vorschein kam. Kaum war er seinem Gefängnis entflohen, positionierte er sich wieder über Anya.   Chrono Blades Excel Dragon [ATK/3000 DEF/2500 X8]   „Stopp!“, befahl Kali ihrem Mecha-Greif, der sich bereits auf ihre Widersacherin stürzen wollte. Sie lachte. „Oh, das ist alles? C'mon, ich hätte -wirklich- mehr erwartet.“ „Das ist mehr als genug“, war sich Anya sicher. Aber dann sah sie, wie ihre Feindin eine Faust ballte. „Elendes Miststück. Dir reicht es nicht, nur mein Leben zu stehlen. Dieser Drache war vor langer Zeit mein Traum. Ich wollte ihn als Karte sehen, eines Tages. Aber nicht -so-! Du hast das ganze Konzept mit deinem magischen Dreck durcheinander gebracht!“ Sie atmete schwer, presste die Luft aus den Nasenlöchern. „Dafür wirst du doppelt und dreifach bezahlen!“ „Ideen ändern sich mit der Zeit“, schritt Matt ein, „wer bist du zu bestimmen, was ihrer Fantasie entspringt?“ „Chrono Blades war meine Idee! Ich habe ihn damals erschaffen!“, fauchte Kali zurück. „Und nun … und nun ist er auf ihrer Seite! Und er ist genauso falsch wie sie!“ Anyas trockener Kommentar dazu lautete schlicht: „Shit happens.“ „Ich werde diese Missgeburt mit euch zusammen begraben! Das ist nicht -mein- Drache!“ Kali nahm eine ihrer beiden Handkarten. „Eine Karte verdeckt! Und ja, ich weiß, dass ich Schaden erleide!“ Tatsächlich bildete sich zwischen den drei aufrecht vor ihr schwebenden Schwertern eine silberne Entladung, die sie schließlich heimsuchte. „Argh!“ Dann zersprang wieder eines der Chrono Blades, während sich die gesetzte Karte zu ihren Füßen materialisierte.   [Anya: 600LP / Kali: 400LP → 100LP]   Chrono Blade-Token x2 [ATK/100 DEF/0 (1)] (Kali)   Trotzdem hielt sich Kali auf den Beinen. Keuchte: „Ich … bin noch nicht … am Ende …!“ „Aber fast“, sagte Matt ungewöhnlich hartherzig, „wenn ich das richtig verstehe, kehrt Tierra erst wieder, wenn die letzten beiden Schwerter verschwinden. Und die sind im Angriffsmodus!“ Jaha! Gefundenes Fressen, Maskenlady!   „Du sei still“, knurrte Kali Thoras genervt an. „Ausnahmsweise darfst du sprechen“, erlaubte Anya dem Immateriellen ihres Freundes mit gespielter Großzügigkeit, obschon diese nur dem Trotze entsprang.   Dann aber griff Anya nach ihrem Deck. Sie atmete auf. Diesmal hing nicht alles davon ab, was sie jetzt zog. Gar kein schlechtes Gefühl … Sicherheit. Aber woher kam es? Woher kam [Chrono Blades Excel Dragon] und was war er? Sie kannte diese Art von Monster gar nicht. Niemand hier tat das. „Was auch immer“, war ihre Anya-typische Reaktion darauf. Solange es ihr einen Vorteil verschaffte, war ihr das nur recht. So rief sie schließlich entschlossen: „Draw!“ Und zog mit Schwung ihre Karte. Kaum steckte diese zwischen ihren Fingern, streckte sie die Hand aus und erklärte konzentriert: „[Chrono Blades Excel Dragon] ist, wie Matt richtig sagte, die Entwicklung einer alten Idee. Und daher wirst du jetzt einen Effekt kennenlernen, der dir neu sein dürfte! Continuity Recreator!“ Schlagartig blieb der rotierende Ring aus Schwertern um ihren Drachen stehen, als hätte die Zeit angehalten. Kali keuchte. Besonders als das Biest seine beiden Hände zusammen klatschte und zwischen ihnen eine schwarze Energiekugel formte, die Lichtpartikel in sich hinein zog. „Das Monster in deinen Händen, [Celestial Gear – Synthetic Saga Phoenix]“, sprach Anya mit einer leisen Ahnung, „lass mich raten. Du kannst es während meines Zuges rufen, indem du Monster von deinem Feld opferst?“ „Woher-!?“ „Intuition. Heh. Ich bin doch deine 'Kopie'“, knurrte Anya verbittert, „oder soll es zumindest sein. Und -ich- würde nie so schwache Monster im Angriffsmodus lassen, wenn ich nicht genau weiß, wie ich sie schützen soll. Deine Falle ist nur ein Bluff. Die wahre Gefahr ist in deiner Hand, dort, wo es schwer ist sie vorzeitig auszuschalten!“ Während sie ihre Ausführungen darlegte, wuchs die Kugel in den Händen ihres Drachen langsam. „Aber ich fürchte, du hast die Rechnung ohne den Wirt gemacht“, schrie Anya mit einem Mal los, „denn der Continuity Recreator zerstört dein gesamtes Spielfeld, wenn du noch Chrono Blades besitzt! Los!“ Ein immer lauter werdendes Dröhnen erklang. Die Schwerter, die um ihren Drachen schwebten, flogen nacheinander eigenständig in die Sphäre, welche über den Kopf gehievt und schließlich auf Kali geworfen wurde. Im Flug wuchs sie dabei noch weiter. „Verdammter Kackmist!“, entfleuchte es der Anya in Schwarz hysterisch, bevor sie in einer gewaltigen, finsteren Explosion unterging. Doch plötzlich rief Matt alarmiert dazwischen: „Warte, Anya! War das nicht ein Fehler!?“ Sie hat Recht! Ohne die Chrono Blades …!   Doch Thoras' Panikmache wurde unlängst von Kalis Gelächter übertönt. Der Rauch legte sich. Ihr Feld war leer, doch mit einem Mal tat sich vor ihr ein Riss im Raum-Zeit-Gefüge auf. Welcher nach oben durch das Loch in der Decke schoss und sich immer mehr ausdehnte. Dann bebte die Erde. „Yeah, du hast meinen Plan zunichte gemacht. Aber wie Summers richtig festgestellt hat“, gurrte Kali genüsslich, „hast du damit [Tierra, Source Of Destruction] aus der Verbannung geholt. Danke.“ Dann materialisierte sich vor ihr ein Bein der riesigen Gestalt mit dem langen Schweif. Lichterloh brannte der gehörnte Helm der Kreatur, die sich vor beugte und in das Loch hinab starrte.   Tierra, Source Of Destruction [ATK/3400 DEF/3600 (11)] Chrono Blades Excel Dragon [ATK/0 DEF/2500 X8]   Matt fiel als Erster auf, dass der Drache über Anya plötzlich die Arme und das Haupt hängen ließ. „Anya, dein Chrono Blades, er-!“ „-ist vom Effekt von [Rust Gear] getroffen wurden“, beendete Kali den Satz für ihn. Tatsächlich steckte im Rücken des dunkelgrauen Monstrums ein verrostetes, großes Zahnrad. „Du hast meinen Schnellzauber durch einen Karteneffekt zerstört, also kann ich die Angriffskraft deines Monsters zu 0 werden lassen.“ Kali grinste fies. „Ziemlich praktisch, zumal ich mir schon gedacht habe, dass du irgendeinen Bullshit verzapfen wirst.“ „Spielt keine Rolle“; kam es tonlos zurück. Kali weitete die Augen. „Huh!?“ „Ihr habe es dir bereits einmal gesagt: Chrono Blades hat sich entwickelt. Ich habe mich entwickelt“, sagte Anya energisch und schwang den Arm aus, „damals war er dazu da, der ultimative Finisher zu sein! Aber mein Deck ist längst keine Solo-Show für ein bestimmtes Monster mehr!“ Anya Bauer, wovon redest du?   Der durchsichtige Levrier sah sie fragend von der Seite an. Anya bedachte dies mit einem zuversichtlichen Lächeln. „Dass ich aus meinen Fehlern gelernt habe. Alle Karten in meinem Deck sind dazu da, zusammenzuarbeiten.“ Sie richtete sich an Kali. „Und deshalb ist es nicht er, der dir den Gnadenstoß versetzt, Miststück! Ich aktiviere den letzten Effekt von [Chrono Blades Excel Dragon]! Wenn er Continuity Recreator benutzt hat, kann er im Anschluss auch seinen letzten Effekt aktivieren! Hourglass Portal!“ Brüllend bäumte ihr Drache sich auf. Der weiße Bauch in Form einer Sanduhr begann golden zu leuchten, blendete Kali. Welche da schrie: „Willst du mich verarschen!?“ „Ich will es beenden!“, stellte Anya klar. „Ich weiß nicht mehr, was wahr ist oder nicht! Ob ich die Fälschung bin oder du! Aber in diesem Universum ist nur Platz für eine von uns, so viel steht schon mal fest! Und das werde ich sein!“ Matt schreckte bei der aggressiven Wortwahl seiner Freundin auf. „Anya! Sag nicht, du willst-!?“ Gleichzeitig aber wurde ihr Drache bereits in das Licht gezogen, dass er selbst erzeugt hatte. Welches ein Tor in Form der Sanduhr bildete, welches hinab vor Anya schwebte und sich dort zu einem Loch ausweitete. Sie erklärte: „Indem ich Chrono Blades und eine meiner Handkarten verbanne, kann ich ein Monster von meinem Deck, Extradeck, Friedhof oder von meiner Hand beschwören, solange es wenigstens einmal zuvor in diesem Duell ausgespielt wurde!“ Die Blonde streckte die Hand aus. Dabei sah sie aus den Augenwinkeln Levrier an. „Vielleicht nächstes Mal, 'kay? Und jetzt erscheine, [Gem-Eyes Value Dragon]!“ Welcher bereits auf ihrem Blatt verweilte, weshalb sie ihn nur noch auf die Duel Disk klatschen musste. Schon schoss der Drache in goldener Rüstung aus dem Portal hervor und breitete brüllend seine insgesamt sechs Tragflächen-artigen Schwingen aus.   Gem-Eyes Value Dragon [ATK/2400 DEF/2000 (7) PSC: <5/5>]   Kali stammelte: „W-warum er!? Er kann Tierra nicht besiegen!“ „Aber er kann dich besiegen“, knurrte Anya hasserfüllt. Sie streckte den Arm aus. „Typenwechsel, Sight Transition! Werde zu einem Pyro-Monster!“ Die vierfarbigen Scheiben am Helm ihrer Kreatur begannen sich rapide zu drehen, bis die roten Segmente vor seinen Augen anhielten und sich wie eine Brille vor seine Augen klappten. Kurz darauf durchzogen rote Energielinien seine Rüstung, seine Schwingen gingen in Flammen auf. Das Mädchen spreizte die Finger ihrer nach vorne gerichteten Hand. „Solange er die Kraft des Feuers in sich trägt, kann er einmal pro Zug 500 Punkte Schaden zufügen. Und jetzt sag gefälligst die Wahrheit! Wer ist die echte Anya Bauer! Du? Oder ich!?“ Ihre Widersacherin weitete vor Angst die Augen, ihre Lippen zitterten. Aber sie fasste sich trotz ihrer scheinbar aussichtslosen Lage und knurrte: „Was denkst du wohl?“ „Ich“, und Anya biss die Zähne zusammen, ehe sie weitersprach, „weiß es nicht.“ „Frag den Sammler. Er kennt die Wahrheit“, war alles, was Kali ihr noch zu sagen hatte. „Vielleicht werde ich das. Aber das wirst du nicht mehr erleben! [Gem-Eyes Value Dragon], vernichte ihre verbliebenen Lebenspunkte durch deinen Effekt!“   Gerade als sie zum Befehl ansetzte, hörte sie jemanden ihren Namen rufen. „Anya! Bist du ok!?“ Es kam von oben. Alle fünf blickten auf, als Zanthe an den Rand des Loches in der Decke geschlittert kam, wodurch ein wenig Schutt hinab bröckelte. „Whoa!“ Beim Anblick Kalis verschlug es ihm für einen Moment die Sprache, bis er schließlich fassungslos flüsterte: „Also ist es wahr?“ „Diese Tratschtante von Zach“, knurrte Kali, die sofort begriff. Als wäre das sein Stichwort, tauchte der großgewachsene Blonde neben Zanthe auf. „Was zur Hölle machst du da, Anya!?“ „Sie besiegen!“, knurrte die, die damit eigentlich nicht gefragt war. Und wandte sich an Kali. „Friss das! Ruby Flare!“ „Warte!“, schrien Zanthe und Zachariah da im Einklang. Dazu war es allerdings zu spät. Der goldene Drache öffnete sein Maul und spie eine dunkelrote, schimmernde Stichflamme über das Feld. Erschrocken sprangen die beiden Neuankömmlinge den Hang hinab. Und während der Werwolf elegant in der Hocke landete und sogleich auf die Beine kam, stürzte der Blonde vorne über, keuchte vor Schmerz auf. Kali ihrerseits biss sich auf die Lippe dass es blutete, ehe sie mitten in die Brust getroffen wurde. Die Wucht des Angriffs schleuderte sie zurück und noch während sie davon flog, rannen Tränen aus ihren Augen. Sie wimmerte: „Warum … warum kann ich nicht gewinnen?“   [Anya: 600LP / Kali: 100LP → 0LP]   Dann prallte sie auf den Rücken und spuckte dabei Blut aus, schlitterte im Anschluss ein ganzes Ende bis zum Pfeiler, vor dem sie wenige Zentimeter entfernt liegen blieb. Mit letzter Kraft erhob sie den Oberkörper, kroch näher ran und lehnte sich an ihn. „Dafür … wirst du …“ Weiter kam sie nicht. Die Lider schlossen sich, ihr Kopf kippte zur Seite. Anya keuchte schwer. „Das hast du nun davon.“ „Anya!“, schrie Zachariah und erhob sich, doch strauchelte und fiel wieder auf alle Viere. Anscheinend musste er sich den Knöchel verstaucht haben. Ächzend begann er zu dem bewusstlosen Mädchen zu robben. Doch die 'andere' Anya würde das nicht zulassen. Nochmal entkam ihr dieses Miststück nicht! So ließ sie in ihrer rechten Hand den weiß-goldenen Speer erscheinen und holte zum Wurf aus. „Was machst du da!?“ Zanthe blieb vor Schreck auf halbem Weg zu ihr stehen. Auch Matt stieß alarmiert hervor: „Anya, willst du sie etwa umbringen!?“ „Sie hat es provoziert!“, fauchte die, doch bevor sie Angel Wing werfen konnte, packte der Dämonenjäger sie am Handgelenk. „Lass mich los, Summers!“ Die Blonde fackelte gar nicht lange und stieß ihm mit der anderen Hand gegen den Oberkörper und das mit so viel Kraft, dass er einen Schritt zurückgeworfen wurde. „Ah!“ Sofort wirbelte Anya wieder herum und holte erneut weit aus. Zachariah war noch zu weit entfernt, um sie beschützen zu können. Nicht so wie letztes Mal, als er ihr im Ephemeria Bridge Stadium in die Quere gekommen war. Das Mädchen ließ ihren linken Fuß nach vorne rutschen und schleuderte den Speer in Kalis Richtung. Nichts als Hass und Verzweiflung flackerte in ihren Augen auf. Geradewegs flog der Speer auf Kali zu und hatte sie fast erreicht, als er an einer unsichtbaren Barriere abprallte. Klirrend überschlug er sich meterweit und blieb schließlich liegen. Zeitgleich verformte sich die unmittelbare Umgebung von Zachariah und Kali, goldene Streifen durchzogen plötzlich den Beton, der begann weiß zu werden. Und aus dem Nichts trat eine brünette Frau in weißer Robe und grauem Mantel vor das bewusstlose Mädchen. Die Hälfte des Raums hatte sich völlig gewandelt, strahlte förmlich in endlosem Weiß. „Du!“, presste Anya zornig hervor. Alles vor ihren Augen verschwamm langsam. Ihr stand der Mund offen beim Anblick der Weißen Hexe. „Uh!“ Dann kippte sie rücklings um und konnte gerade noch so von Matt aufgefangen werden, der unter ihrer Last in die Knie ging. „Anya!“ In dem Moment schlitterte Zanthe über den Boden an ihre Seite und rappelte sich sofort auf, um sie von hinten zu stützen. „Hey Schneewittchen, dein Nickerchen kommt ein -wenig- ungelegen!“ Sie muss all ihre Kräfte verbraucht haben.   Thoras trockene Feststellung wandelte sich jedoch in heimtückische Überlegenheit. Los, du hast jetzt zwei Möglichkeiten, Matthew Summers: Entweder du killst sie. Oder du küsst sie wach. Beides hat seinen Reiz …   „Ist das …?“, staunte Zanthe beim Anblick des Schabenritters neben Matt. Dann grinste er über beide Backen. „Oh, ich glaube, den mag ich jetzt schon.“ „Habt ihr sie noch alle!?“, fuhr Matt beide an und deutete auf Gardenia. „Wisst ihr überhaupt, wer das da ist!?“ „Anscheinend nicht“, sprach die brünette Hexe mit einem belustigten Unterton. Daher streckte sie den Arm vor sich aus, als wolle sie sich verneigen. Was sie aber nicht tat. „Mein Name ist Gardenia, doch ich bin den meisten eher bekannt als Weiße Hexe oder Die Gelehrte.“ Matt presste aufgewühlt hervor: „Und jetzt bist du hier, um Kalis Werk zu vollenden?“ „In der Tat. Ich kann ihr Leid nicht länger mitansehen.“ Die Frau in weißer Robe und grauem Umhang streckte ihre Hand aus. „Vergebt mir, aber ich muss euch eure Freundin entreißen.“ Um ihre Finger begannen rötliche Flammen zu tanzen.   ~-~-~   Velvet war so tief versunken in ihre Hausaufgaben, dass sie gar nicht merkte, wie ihre Brille bereits auf die Spitze ihrer Nase gerutscht war. Und als es dann noch lautstark an der Tür des schwarzhaarigen Mädchens klopfte, fiel die Sehhilfe endgültig auf ihren Notizblock. „J-ja?“, schreckte sie auf und drehte sich mit ihrem Stuhl um. Die Tür flog auf und ihr zwölfjähriger Bruder Axel stand da. Mit einem weißen Schnurlostelefon in der Hand. Und wenn er sich ansonsten wenig für seine Mitmenschen interessierte, sah er seine Schwester mit einer gewissen Bewunderung an. „Velvet, Henry Ford ist am Telefon. Und er will -dich- sprechen!“ „O-oh!“ Sofort sprang sie auf und eilte zu ihm, doch als sie nach dem Hörer griff, wich Axel zurück. Hinter ihm tauchte Sammy mit wedelndem Schwanz auf, doch der Junge mit dem zu Spitzen gegelten Haar trat nach dem Golden Retriever. „Hau ab!“ „Wie oft muss ich dir noch sagen“, fauchte Velvet ihn daraufhin an und riss ihm in für sie äußerst untypischer Manier das Telefon aus der Hand, „du sollst ihn nicht so behandeln!“ Als hätte er sie jedoch gar nicht gehört, fragte Axel: „Ist das wirklich der echte Henry Ford von der AFC? Nie im Leben, oder? Der würde sich niemals für jemanden wie dich interessieren!“ „R-raus!“, stotterte Velvet getroffen und verscheuchte ihren pubertierenden, bösartig lachenden Bruder mit einer Handbewegung. Der ließ zum Schluss noch die Tür krachen.   Kaum war Velvet allein, legte sie den Hörer ans Ohr. „J-ja?“ „Was ist denn da los?“, fragte Henry am anderen Ende der Leitung halb belustigt, halb erschrocken. „N-nichts. Mein Bruder war nur frech.“ „Haha. Das kenn' ich irgendwoher.“ Dann nahm seine Stimme einen ernsten Unterton an. „Ich rufe dich an, weil ich dir ausrichten soll, dass Melinda inzwischen aus dem Koma erwacht ist.“ Es war, als würde der Mount Everest von Velvets Herzen fallen. Sie schritt langsam durch ihr Zimmer zu ihrem Bett am Ende und setzte sich auf dessen Kante. Sammy folgte ihr und machte vor ihren Füßen Platz. „D-das ist großartig! Geht es ihr gut!? Kann ich sie sprechen!?“ „Sie ist noch etwas benommen und desorientiert, aber das wird schon.“ „Es .. es tut mir so leid. Wenn ich nicht-“ Henry stöhnte. „Bitte nicht das schon wieder. Es war nicht deine Schuld.“ Trotzdem standen dem Mädchen die Tränen in den Augen. Sie bemerkte gar nicht, dass Sammy neugierig an ihr vorbei schaute und unter das Bett lugte. „Okay“, nickte sie und spielte nervös mit ihrem zur Rechten zusammengebundenen Haar, zwirbelte eine Strähne um ihren Finger, „können Sie ihr bitte ausrichten, dass sie mich anrufen soll, sobald es ihr möglich ist?“ „Natürlich. Geht es dir denn gut?“ „J-ja.“ Skeptisch fragte er: „Es ist seitdem nichts Ungewöhnliches mehr passiert?“ „Nein“, sprach sie wahrheitsgemäß, „alles in Ordnung.“ „Ich weiß, du hörst das nicht gern, aber ich kann dir helfen, Velvet. Dich an einen sicheren Ort bringen.“ Deutlicher Verdruss schwang in seiner Stimme mit. „Glaub mir, ich weiß wie es ist, wenn man Dinge erlebt, die man nicht erklären kann. Du solltest-“ Aber da schnitt Velvet ihm heiser ins Wort. „I-ich wurde gerade gerufen. Sorry! Aber danke für das Angebot und den Anruf. Bye!“ Panisch legte sie auf und schmiss den Hörer auf die Bettdecke, ehe er sich überhaupt verabschieden konnte.   Panik stieg in ihr auf. Sie durfte ihnen nichts von ihren Kräften erzählen, es war zu gefährlich. Einen sicheren Ort gab es sowieso nicht für sie, diese Organisation fand sie überall. Aber vielleicht hatte Henry ja Recht damit, dass sie fort musste? Allein um ihre Familie zu schützen. Aber davor hatte sie genauso große Angst. Wohin sollte sie gehen? Hier hatte sie wenigstens ihre Freunde, aber auch die schwebten in Gefahr, wenn diese Männer wiederkamen.   Aus ihren deprimierenden Gedanken wurde sie unlängst gerissen, als Sammy damit begann unter ihrem Bett zu schnüffeln. „Hey! Was machst du da?“ Er sah zu ihr auf und bellte. Dann versuchte er, sich unter den Spalt zu zwängen, kam jedoch nur mit dem Kopf durch. Und bellte weiter. „Sammy!“ Aber er hörte nicht auf. Schließlich packte Velvet ihn an seinem Halsband und zerrte ihn von ihrem Bett weg, während er immer weiter bellte. „Du lässt mir keine Wahl!“ Prompt zerrte sie ihn zur Tür und buchsierte ihn aus dem Zimmer. Kaum hatte sie die Tür geschlossen, hörte sie ihn dahinter winseln. „Was ist bloß mit dir?“ Dass tatsächlich zwei weiß leuchtende, ovale Augen unter ihrem Bett lungerten, war ihr nicht aufgefallen. Welche sofort verschwanden, als das Mädchen sich seufzend umdrehte.     Turn 103 – A Minor Inconvenience Die Begegnung mit Gardenia nimmt einen unerwarteten Verlauf, als auch auf Anyas Seite ein unerwarteter Besucher auftaucht. So wird kurzerhand aus dem Kampf um das Existenzrecht zweier Mädchen ein verdrehter Stellvertreterkrieg. Anderenorts ist Zoey es endgültig leid, wie ein rohes Ei behandelt zu werden und … Kapitel 112: Turn 103 - A Minor Interference -------------------------------------------- Turn 103 – A Minor Interference     Zoey schlurfte alleine in einem grauen Sportanzug den dunklen, metallischen Gang entlang. Heute auf dem Plan: Training. Als ob sie sich in den letzten Tagen nicht schon genug zum Affen gemacht hatte! Rennen, springen, klettern – immer und immer wieder, jeden Tag! Danach mussten sie in Duel Monsters-Matches gegeneinander antreten, was für die Verlierer sehr unangenehm war. Viele verloren danach für eine Weile das Bewusstsein. Aber für Zoey war das alles Kinderkram. Sie war fit, clever und eine gute Spielerin. Sie brauchte diesen verdammten Scheiß nicht.   Voraus wartete eine Kreuzung im Gang. Von links schritt niemand Geringeres als Kathea an ihr vorbei geradeaus, schien sie gar nicht zu bemerken und verschwand wieder aus ihrem Blickfeld. Als Zoey die Frau erblickte, welche sie überhaupt erst hierher gebracht hatte, packte sie kurzerhand einen Entschluss. Sie machte am Kreuzgang einen Schwenk nach rechts und rannte ihr nach. „Hey!“, rief sie dabei forsch. Tatsächlich drehte sich die Frau, deren schwarzes Haar von der Mitte langsam in ein Weiß wie Schnee überging, zu ihr um und blieb stehen. Als Kathea Zoey heran eilen sah, zeichnete sich ein freundliches Lächeln auf ihre Lippen. Kaum war das Mädchen bei ihr angelangt, fragte die Finanzchefin: „Kann ich dir helfen?“ Ohne überhaupt an eine Form der Einleitung zu denken, brachte Zoey ihr Bedürfnis auf den Punkt und funkelte ihre 'Mentorin' böse an. „Wann bekomme ich endlich eine Mission zugeteilt?“ Kathea drehte sich von ihr weg und ging weiter. „Wenn du bereit bist.“ „Ich bin verdammt nochmal bereit!“ Die Blonde folgte ihr beharrlich. „Du befindest dich noch im Training. Sobald du es abgeschlossen hast, werten wir-“ „Ich bin besser als fast alle eure Soldaten, oder als was auch immer ihr euch bezeichnen wollt!“ „Euch?“ Kathea lachte dabei. „Vergiss nicht, dass das dich mit einschließt. Aber ja, in gewisser Hinsicht sind wir Soldaten. Und was gehört zu einem guten Soldaten? Disziplin.“ Zoey zischte verächtlich. „Deine Ungeduld ist gut nachvollziehbar“, sinnierte Kathea weiter, „du möchtest Anya so schnell wie möglich retten. Auch wir wollen das. Aber ein falscher Schritt könnte genau das Gegenteil bewirken.“ Natürlich lag es deren Cousine auf der Zunge zu fragen, weshalb genau sich diese Schnepfe denn in die Hose machte, aber das wagte sie sich dann doch nicht. Etwas ging von Kathea aus. Etwas Unnahbares, Unheimliches. Als ob die Luft um sie herum immer ein paar Grad kälter war.   Kathea bemerkte scheinbar, dass Zoey etwas beschäftigte und fragte: „Das ist aber nicht alles, was dir auf dem Herzen liegt, nicht wahr?“ Die Schritte der beiden hallten in dem engen, künstlich beleuchteten Gang entlang. „Jeder ist aus einem Grund hier“, begann das Mädchen zögerlich, „nicht dass es mich besonders interessieren würde.“ „Und doch tut es das.“ Jetzt lachte sie wieder falsch, wie es zu erwarten war. Merkten diese Tussen eigentlich nicht, dass sie absolut durchschaubar waren? Pft! „Sagen wir, ich will die Leute einschätzen, mit denen ich es zu tun habe“, murrte Zoey und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, wie sie Kathea hinterher trottete. „Also, was ist Ihr Grund?“ „Hass.“ „Wie originell …“ Wieder kicherte sie so falsch wie eine 30-Dollar-Banknote. „Ich rede nicht gerne darüber-“ „-und schon gar nicht mit mir, huh?“ Sie lachte, aber diesmal etwas herzhafter. Fortschritt? Oder hat sie bemerkt, wie bescheuert sie beim Versuch klang, Emotionen vorzutäuschen und versuchte sich zu verbessern. Oh, Zoey liebte es, über diese Kuh in ihren Gedanken herzuziehen. Kathea blieb kurz stehen, ließ das Mädchen neben sich herlaufen. „Du sagst immer, was du gerade denkst, nicht wahr? Beinahe beneidenswert. Und fatal. Ok, ich erzähle dir ein wenig von mir.“ „'kay.“ „Wie du dir sicher denken kannst, kann nur etwas sehr Schreckliches eine Emotion wie Hass verursachen.“ Kathea starrte stur geradeaus. „Ich habe schon vieles erlebt, Zoey. Aber mein eigener Sohn-“ Notbremse, schnell! Verstört stotterte Zoey: „O-okay, das reicht mir schon!“ „-wurde durch eine bloße Berührung zu einem 'Etwas'. Ich hatte keine Wahl“, Kathea sah sie scharf von der Seite aus an. „und ich werde nicht eher ruhen, bis der letzte Dämon ewige Ruhe findet.“ Zoey schwieg. Was hauptsächlich daran lag, dass sie nicht einmal ein Wort davon für wahr hielt.   Die beiden erreichten einen weiteren Kreuzgang, in dessen Mitte Kathea stehen blieb. Denn von rechts näherte sich ein anderes Mitglied von CLEAR. Doch anders als normale Agenten, trug dieses Mädchen eine pechschwarze Uniform. „Hallo“, trällerte die Schwarzhaarige gut gelaunt. Und sofort spürte Zoey, dass auch mit der etwas nicht stimmte. Erstmal sah sie aus wie jemand, der zu lange auf der Streckbank gelegen hatte, wenn man die Größe von gut und gerne zwei Metern berücksichtigte. Dazu noch diese mörderisch langen, irgendwie unnatürlich langen Arme und Beine, dünn wie Zweige, die danach bettelten, durchgebrochen zu werden. „Hi“, was alles, was Zoey ihr zugedachte, obwohl sie mit Winken und einem Strahlen im Gesicht der Frau unbekannten Alters begrüßt wurde. Sie konnte nicht sagen, ob jene nun jung oder alt war, aber wohl eher Ersteres. Kathea begrüßte jene mit einem Lächeln. „Kunigunde, wie ich sehe, geht es dir gut.“ „Ja, Fräulein Kathea“, sprach die lange, schlaksige Agentin mit spürbarem Akzent. „Die Tests sind zu Ihrem Gefallen ausgefallen.“ Was war das überhaupt für ein Name? Kunigunde? Und da war es mit einem Mal. Ein diabolisches, breites Grinsen, das aus dem etwas ulkigen Mädchen mit ein paar Sommersprossen im Gesicht eine Dämonin machte. Es jagte selbst Zoey einen eiskalten Schauder über den Rücken. Besonders, als diese Kunigunde verheißungsvoll sprach: „Ich kann sie jetzt nachwachsen lassen.“ „Sicherlich wird uns das einen entscheidenden Vorteil verschaffen.“ Da tat das grinsende Ding etwas, mit Zoey nicht gerechnet hätte. Es kniete vor Kathea nieder, die ihr sanft den Kopf tätschelte, als wäre sie ein Hund. Ein sehr, sehr glücklicher und stolzer Hund, wandelte sich das Mördergesicht doch in Sekundenbruchteilen zu einem besonnenen Lächeln.   Kathea drehte sich Zoey zu. „Hier trennen sich unsere Wege. Wenn du möchtest, kann Kunigunde dich gerne in die Trainingshalle begleiten.“ „Sicher, Fräulein Kathea“, strahlte die und erhob sich, „ich würde gerne einen Übungskampf mit dir austragen.“ Nur für eine Sekunde glaubte Zoey, wieder dieses Grinsen gesehen zu haben, das ihr durch Mark und Bein ging. „N-nicht heute. Will erst mein Deck anpassen.“ „Gut“, trällerte Kunigunde langgezogen, „denn ich hätte dich vielleicht in klitzekleine Stückchen gerissen.“ Da brach der Blonden mit der Beanie endgültig der Schweiß aus. Betreten lachte sie, worin die dürre Riesin mit einstimmte. Jene reichte ihr auch ihre Hand. „Ich bin Kunigunde, aber du kannst mich auch Kuni nennen. Machen alle.“ „Z-zoey“, schlug diese gezwungenermaßen ein. Kathea beobachtete die Szene mit einem zuversichtlichen Lächeln. „Wenn du dir deiner sicher bist, sprich doch Gregory an. Er wird deinen Fortschritt bewerten.“ Froh, sich von ihrer ungewollt gewonnenen 'Freundin' abwenden zu können, meinte sie selbstbewusst: „Geht klar.“   ~-~-~   Die brünette Hexe in Weiß und Grau hielt ihre Hand ausgestreckt, um die rötliche Flammen aufflackerten. „Vergebt mir, aber ich muss euch eure Freundin entreißen.“ Sie zielte auf Zanthe, der eine bewusstlose, angekettete Anya von hinten stützte, das Mädchen selbst und Matt, der an ihrer Seite kniete. Dann entfesselte sie eine gewaltige Feuerbrunst innerhalb des magisch ausgeweiteten, unterirdischen Raums. Schützend stellte sich der durchsichtige, schwarz goldene Kakerlakenritter [Evilswarm Exciton Knight] vor die Drei. Rennt weg! Ich halte sie auf!   Der Immaterielle Thoras, der diese Form angenommen hatte, schloss panisch die Augen. „Das wird nicht nötig sein.“ Und in diesem Moment trat aus dem Immateriellen ein rothaariger Mann in schwarzem Anzug heraus, der einen Gehstock mit sich führte. Jenen erhob er kurz und setzte ihn auf den Boden ab. Die Flammen schlugen zu beiden Seiten an ihm und den drei jungen Menschen vorbei. „Vergeht denn kein Tag, an dem ich euch nicht babysitten muss?“, fragte der Sammler zum Schrecken aller bissig, ohne sich umzudrehen. Kreischend, dass in ihm ein Portal entstanden war, wich Thoras zuück. „Strife Carrington“, nannte die Weiße Hexe ihn beim Namen, ohne davon abzulassen, die Flammen auf ihn zu hetzen. Er lachte kühl. „Da konnte wohl jemand sein Mundwerk nicht halten. Dieser Name ist tabu.“ Schließlich ließ Gardenia doch von ihrem Angriff ab. Der Beton um den rothaarigen Dämon war pechschwarz, dampfte. „Du bist wirklich versessen darauf, mir den Tag zu verderben“, sprach der Sammler und hob den Gehstock gestikulierend, „nicht wahr, Weiße Hexe Gardenia?“ Jene ließ die ausgestreckte Hand sinken. „Ich habe bereits darauf gewartet, dass du erscheinst.“ „Dann müssen wir wohl an deinen Manieren arbeiten“, erwiderte der Sammler mit hinterlistigem Grinsen auf den Lippen, „ich sehe weder einen Roten Teppich noch irgendeine andere Form der Gastfreundlichkeit. Und das, wo die deine doch in den höchsten Tönen gelobt wird.“ Zachariah, der es inzwischen zu seiner bewusstlosen, an dem Stützpfeiler lehnenden Schwester geschafft hatte, konnte sich einen galligen Kommentar nicht verkneifen: „Sag das dem Vampir, den sie zum Spaß vergiftet hat.“   Doch bevor der Sammler darauf überhaupt reagieren konnte, schwang die brünette Hexe bereits ihren Arm aus. „Geht.“ Unmittelbar darauf verformte sich die Realität um Zach und Kali zu einem weißen, transparenten Kubus, der von je drei goldenen Energielinien von jener Seite durchzogen war. Jener verkleinerte sich binnen eines Herzschlags und war mit seinen Insassen verschwunden. Anerkennend Gardenia zunickend, setzte der Sammler seinen Gehstock ab. „Du bringst deine kleinen Gespielen in Sicherheit, hm? Soll ich das mit euch auch so handhaben?“ Er sah über die Schulter zu Matt und Zanthe. Thoras war bereits verschwunden. Keiner der beiden sagte etwas, sondern funkelte, einer düsterer als der andere, hasserfüllt zurück. „Nein? Auch gut. Vielleicht lernt ihr ja dabei etwas“, gab sich der Rotschopf beleidigt und gleichzeitig unterschwellig drohend. Er wandte sich Gardenia zu. „Ich habe nämlich momentan nicht die beste Laune.“ Erhobenen, stolzen Hauptes streckte die Angesprochene ihren Arm unter ihrem grauen Umhang hervor, an dem eine silberne, halbmondförmige Duel Disk befestigt war. „Ich werde nicht länger nur zusehen, wie du deine Intrigen spinnst, Sammler.“ „Oh, du willst diesmal wirklich selbst kämpfen“, die gespielt überraschte Tonlage des Sammlers wechselte zu einer bitterbösen, verachtenden, „anstatt weiterhin deinen Kindergarten auf meine Leute zu hetzen? Mir fehlen die Worte.“ Mit einem zuversichtlichen Lächeln hob der Sammler die rechte Hand mit dem Gehstock darin. „Nun denn, Kinder. Sorgen wir für eine angemessene Kulisse.“ Damit ließ er ihn auf den Beton nieder sausen und löste eine Schockwelle unermesslichen Ausmaßes aus. Während Gardenias Robe und ihre Haare regelrecht flatterten, Licht sich immer weiter ausbreitete und ein schrilles Surren die Ohren von Zanthe und Matt betäubte, wurden sie und der Sammler jedoch nicht erfasst.   Als beide ihre Augen öffneten, erschraken sie. Auf einer runden, gläsernen Plattform wurden sie immer weiter nach oben gefahren. Unter ihnen konnten sie den eingestürzten Bunker erkennen, die Bäume und – der Anblick versetzte Matt einen schmerzhaften Stich – ganz fern die Ruine des Waisenhauses. Mehrere hundert Meter über dem Erdboden stoppte die Plattform schließlich und begann sich stattdessen ausgehend vom Zentrum in alle anderen Richtungen auszuweiten. Was bedeutete, dass die Drei sich vom Sammler und Gardenia fortbewegten, bis sie etwa zehn Meter Abstand zu ihm hatten. „Ein beeindruckender Zauber“, lobte die Weiße Hexe ihren Kontrahenten aufrichtig, „und ein interessanter Ort für unseren Kampf.“ „Ich denke, etwas frische Luft tut uns allen gut. Nicht zu reden davon, dass dort unten doch ziemlich … unangenehme Bakterien hausen.“ Der Rotschopf schüttelte sich demonstrativ. Aber Gardenia verzog keine Miene. Stattdessen erwiderte sie: „So anregend ein Duell in dieser Höhe auch ist, würde ich gerne ein Experiment durchführen.“ Schlagartig verwandelte sich das Glas um sie herum in weißen Marmor, durchzogen von goldenen Linien und breitete sich rasant in alle Richtungen aus. Der Sammler lächelte, als die Auswüchse ihn passierten und schließlich nach oben schossen. „Bedaure, ich bin keine Laborratte.“ Unmittelbar darauf schloss sich um ihn und Gardenia eine dichte Blase, die von den weißen Kacheln befallen wurde. Diese wurden jedoch transparent und verschwanden fast, sodass nur die Goldlinien sich wie ein Käfig um das Kraftfeld legten. Gardenia bewegte den Mund, doch Matt und Zanthe hörten sie nicht mehr. „Was ist los?“, wunderte sich Letzterer. „Ich denke, die Weiße Hexe wollte uns in ihren Weißen Raum ziehen.“ Der Kopftuchträger sah den Dämonenjäger fragend an. „Der, aus dem es kein Entkommen gibt? Hah, außer für die hier.“ Sein Blick wanderte hinab an das zerzauste, blonde Mädchen, dessen Kopf auf seinem Schoß ruhte. Ihre Fußfessel war verschwunden. „Ja. Aber der Sammler hat es abgewehrt. Doch anscheinend dringt jetzt kein Ton mehr durch diese Blase. Sicher kein Zufall.“ Fassungslos flüsterte Matt anschließend: „Ich glaube es nicht. Zwei der fünf mächtigsten Dämonen kämpfen gegeneinander.“ „Und wir können das Ganze live miterleben, von den Tonproblemen mal abgesehen.“ Zanthe strich Anya eine Strähne aus dem Gesicht. „Ich weiß nicht, ob ich begeistert oder verängstigt sein soll.“ „Definitiv Letzteres“, murrte Matt düster.   „… da das geklärt ist“, sprach der Sammler, ließ seinen Gehstock los, der einfach ins Nichts verschwand und streckte den Arm aus. Sofort materialisierte sich eine schwarze Battle City-Duel Disk daran, „beginnen wir diese kleine Unannehmlichkeit.“ Gardenia schwieg.   [Collector: 4000LP / Gardenia: 4000LP]   Anstatt einander böse Sprüche an den Kopf zu werfen, zogen beide Parteien zunächst fünf Karten. Mit einem Nicken bot der Sammler seiner Widersacherin an, den ersten Zug für sich zu beanspruchen, doch die weigerte sich mit einem stillen Kopfschütteln. „So viel zur Etikette“, scherzte der Rotschopf schließlich, „aber wie du wünscht.“ „Ich brauche keine Almosen“, gab sich die brünette Hexe stur, „und gewiss nicht, wenn sie von dir stammen.“ Der Sammler fragte gespielt überrascht: „Woher die plötzliche Abneigung? Wir haben uns doch immer gut verstanden.“ „Ich habe einen Blick auf das Böse in dir erhaschen können. Denke nicht, dass ich zulassen werde, wie du diese Welt für deine Zwecke missbrauchst.“ „Was auch immer du damit meinst“, erwiderte der Brite schulterzuckend. Schließlich griff er nach einer Karte in seinem Blatt. „Aber genug des Smalltalks. Wir duellieren uns schließlich. Und den Auftakt macht eine Spielfeldzauberkarte mit dem Namen [Curse Of The Shadow Prison].“ Gardenia zeigte sich unbeeindruckt, als um sie herum Schatten über das Glas und entlang der Innenseite des Kraftfeldes krochen und sie zu umkreisen schienen, bis sie wieder abtauchten und verschwunden waren. „Immer wenn ein Shaddoll-Monster durch einen Karteneffekt auf den Friedhof gelegt wird, erhält sie einen Zähler, der deine Monster um 100 Punkte schwächt“, erklärte der Sammler, „als Abschluss setze ich noch ein Monster. Dein Zug, Gardenia.“ In horizontaler Lage materialisierte sich vor ihm ein vergrößerter Kartenrücken.   Schwungvoll zog die in weiß-grauer Robe gekleidete Hexe eine Karte von ihrer Halbmond-Duel Disk. „Ich aktiviere zwei Zauberkarten. Die erste ist ebenfalls ein Spielfeldzauber, [Void Expansion]!“ Schwarze Flammen stiegen überall innerhalb der Blase auf. Der Sammler lächelte geheimnisvoll. „Die zweite Zauberkarte nennt sich [That Grass Looks Greener].“ „Nachbars Gras ist grüner? Ja. Das ist es immer“, erwiderte ihr Gegner melancholisch. „Anders als die meisten Duellanten spiele ich mehr als 40 Karten in meinem Deck. 45 um genau zu sein.“ Gardenia griff nach ebendiesem. „Der Effekt meines Zaubers schickt die Differenz der Anzahl an Karten zwischen unseren Decks auf meinen Friedhof. In deinem sind 35, in meinem noch 39. Also lege ich vier ab.“ Sie nahm sie auf und zeigte sie vor. Es waren [Infernoid Pirmais], [Void Seer], [Infernoid Piaty] sowie eine nicht erkennbare, zweite Zauberkarte. Zwei Monster und zwei Zauber also.   Derweil konnten Matt und Zanthe nur erahnen, was in der Blase vor sich ging. „Ganz egal wie das ausgeht, es wird nicht angenehm“, vermutete Zanthe. Matt, der sich seine ziemlich stark schmerzende Stirn hielt, stöhnte. „Für uns sowieso nicht. Entweder sind wir in der Gewalt desjenigen, dem wir den Rücken gekehrt haben, oder derjenigen, die insbesondere Anya tot sehen will.“ „Optimistisch wie immer“, stichelte der Werwolf und sah auf das bewusstlose Mädchen herab. „Mit ihr in diesem Zustand brauchen wir gar nicht an Flucht denken. Außer du hast zufällig eine deiner Karten mit, mit denen du uns wegteleportieren kannst.“ „Zufällig nicht“, schnarrte Matt grimmig, dem diese Frage langsam lästig wurde. „Und in den nächsten paar Minuten werden uns auch keine Flügel wachsen …“ Unbekümmert zuckte der Werwolf mit den Schultern. „Schade eigentlich.“   „Ich beschwöre [Infernoid Sjette] von meiner Hand, indem ich [Infernoid Pirmais] und [Infernoid Piaty] von meinem Friedhof verbanne!“ Gardenia schwang den Arm aus. „Erscheine!“ Zwei flammende Dekagone tauchten vor ihr auf und legten sich drehend übereinander, um einen Feuerring zu bilden. Aus diesem kam eine violette, drachenartige Maschine geflogen, an deren Körper kleine Lampen verteilt waren. Wütend peitschte sie mit dem Schweif hin und her.   Infernoid Sjette [ATK/2400 DEF/0 (6)]   „Angriff auf sein verdecktes Monster!“, befahl die Weiße Hexe im Anschluss mit ausgestrecktem Zeigefinger. Sofort feuerte ihr Dämon eine rotschwarze Feuerkugel ab. Dabei erklärte sie: „Wenn Sjette einen Angriff ausführt, musst du eine Karte von deinem Extradeck verbannen. Wähle!“ Während der Flammenball in seinem gesetzten Monster einschlug, das sich als düsterer, violetter Igel herausstellte, hängend an gleichfarbigen Fäden, seufzte der Sammler und zog sein Extradeck aus der Duel Disk.   Shaddoll Hedgehog [ATK/800 DEF/200 (3)]   Mindestens sieben Karten hielt er vor sich aufgefächert. Er seufzte erneut. „Verzeih' mir. Ich wähle [El Shaddoll Wendigo].“ Er zeigte das Stufe 6-WIND-Fusionsmonster vor, ehe er es in einen separaten Schlitz seiner schwarzen Battle City-Duel Disk schob. Er blickte zu seiner Widersacherin auf. „Nun, du hast übrigens den Flippeffekt von [Shaddoll Hedgehog] aktiviert. Ich erhalte eine Shaddoll-Zauberkarte oder eine solche Falle von meinem Deck. Ich entscheide mich für [El Shaddoll Fusion].“ Sofort spuckte der Apparat die gewünschte Zauberkarte aus, die er in sein Blatt aufnahm. Die Hexe in Weiß nahm eine Karte aus ihrem Blatt und legte sie in ihre Duel Disk ein. „Ich setze eine Karte. Führe du dieses Duell fort.“ Jene Falle erschien sofort vor ihr.   „Wenn ich so darüber nachdenke“, sprach der rothaarige Brite und betrachtete die Drei außerhalb der Blase, wie sie da hockten wie Hühner auf der Schlachtbank, „ist es doch seltsam. Dass zwei Anyas gleichzeitig existieren. Was sagst du dazu, Gelehrte?“ Er wandte sich wieder seiner Gegnerin zu, die erwiderte: „Was bezweckst du mit solch einer Frage?“ „Ich bin neugierig. Vielleicht irre ich mich ja, was -meine- Vermutung angeht.“ „Ihre Schöpfung basiert auf Kalis Wunsch an den Dschinn, ihrem Schicksal zu entkommen. Dadurch ist die Anya Bauer entstanden, die du dazu zwingst, deine Absichten zu erfüllen.“ Der Sammler lachte hochmütig. „Ich bitte dich. Die Entstehungsgeschichte der beiden ist mir nicht neu. Vergiss nicht, dass Kali zuerst mich aufgesucht hat, nachdem ihr bewusst wurde, dass Anya nicht so schnell verschwinden würde.“ „Aber du hattest bereits deine Marionette.“ „So ist es. Und doch war ich verwundert. Zwei Anyas, zweimal die exakt selbe Person. Es gibt nur eine Seele von Anya Bauer. Und kein Dschinn der Welt hätte die Macht dazu, sie zu duplizieren. So etwas ist unmöglich.“ Die Weiße Hexe nickte. „Dieses Wissen hast du durch deine Experimente erlangt. Dein ehemaliger Diener Orion berichtete mir davon.“ „Die kleine Petze“, gluckste der mächtige Dämon keineswegs verstimmt. „Ja, so ist es. Was mich zu der Frage führt, wieso sie dann trotzdem existiert? Diese zweite Anya.“ „Nur weil die Kopie die Persönlichkeit des Originals besitzt, bedeutet das noch lange nicht, dass in ihnen dieselbe Seele ruht.“ „Wie immer sind deine Schlussfolgerungen präzise. Die Seele der Menschen sind wie Tagebücher, sie halten alle Informationen ihres Lebens fest. Aber sie sind nicht die einzigen ihrer Art. Auch der Körper“, sprach der Sammler und tippte sich gegen die Schläfe, „speichert die Informationen.“ Erst nickte die Weiße Hexe lediglich. Dann aber fasste sie sich an ihr Kinn. „Ein Gefäß mit den Erinnerungen des Körpers, aber ohne Seele, besitzt keinen eigenen Willen. Allenfalls Erinnerungen an das, was es einst gefühlt hat, als die Seele noch im Körper weilte.“ Sie blickte auf. „Doch mit Anya Bauer ist es anders. Sie ist in der Lage zu fühlen und Entscheidungen zu treffen. Was nur bedeuten kann …“ „Ja.“ „… dass in ihr eine Seele lebt. Eine fremde, die sich ihren Erinnerungen unterordnet.“ „Und nun frage ich dich: Wessen Seele könnte das sein?“ Der Ton des Sammlers wurde ruckartig düster. „War es der Dschinn, der sie ihr implementiert hat? Oder hat sie vielleicht schon vor der 'Teilung' in ihr gelebt?“ „Ich fürchte, darauf kenne ich keine Antwort. Aber vielleicht hast du eine Eingebung?“ Er lächelte kühl. „Viel eher eine Hoffnung. Ein Gefühl, das ich bisher noch nicht bestätigen konnte. Wenn dem so ist, werde ich vielleicht eines Tages einen lang verlorenen Freund wiedersehen.“ Nicht weniger distanziert sagte Gardenia: „Ich schätze, unsere Unterhaltung darüber findet jetzt ihr Ende.“ „Ja. Bedauerlich, dass wir uns als Feinde gegenüber stehen. Unsere Dialoge waren in der Vergangenheit stets anregend“, lobte er sie, aber sie zeigte ihm mit ihrer finsteren Grimasse, dass sie das anders sah.   „Also gut“, meinte er schließlich und griff nach seinem Deck. „Setzen wir unser Gefecht fort.“ Damit zog er auf und lächelte geheimnisvoll. „Ich rufe den [Shaddoll Dragon] und rüste ihn umgehend mit dem Zauber [Nephe Shaddoll Fusion] aus!“ Ein dunkler, violetter Drache materialisierte sich vor ihm. Seine braune Mähne flatterte unstet, während er an zahlreichen, ebenfalls violetten Strängen zu hängen schien. Shaddoll Dragon [ATK/1900 DEF/0 (4)]   „[Nephe Shaddoll Fusion] besitzt zwei Eigenheiten. Einerseits lässt sich mich das Attribut des ausgerüsteten Monsters ändern“, erklärte der Sammler, „wodurch [Shaddoll Dragon] nun von einem FINSTERNIS- zu einem LICHT-Monster wird.“ Die Fäden, an denen sein Drache hing, verfärbten sich gelblich. „Und der zweite Effekt?“, hakte Gardenia nach. „Der lässt mich eine Fusionsbeschwörung mit dem ausgerüsteten Monster durchführen! Ich verschmelze [Shaddoll Beast] von meiner Hand und das LICHT-Monster [Shaddoll Dragon]!“ Über ihm öffnete sich ein Vortex, der pechschwarze Schatten in sich aufzog zusammen mit dem Drachen und einem Schattentiger. „Fusion Summon“, verkündete der Sammler und richtete den Arm nach vorne. „[El Shaddoll Construct]!“ Der Strudel weitete sich aus und entließ eine riesige, weibliche Puppe, um deren Hüfte eine Art Rock schwebte, aus glänzend violettem Metall. Von ihrem Rücken schossen unzählige rote Lichtfäden, die wie Flügel anmuteten und sich unruhig bewegten.   El Shaddoll Construct [ATK/2800 DEF/2500 (8)]   Ihr weißes Porzellangesicht war ausdruckslos. Als der Sammler jedoch das Wort ergriff, blitzten ihre Augen kurzzeitig auf. „Nun greifen mehrere Effekte! Fangen wir zunächst mit denen der fusionierten Monster an. Beide Effekte aktivieren sich, da die Monster durch Karteneffekte auf den Friedhof geschickt wurden. [Shaddoll Dragon] zerstört eine deiner Zauber- und Fallenkarten, werte Gardenia …“ Welche keine Miene verzog, als aus dem Nichts die geisterhafte Silhouette des Drachen auf ihre gesetzte Karte zuschoss und sie in den Abgrund zog. „... und [Shaddoll Beast] lässt mich eine Karte ziehen.“ Was der Sammler zufrieden lächelnd auch tat. „Der nächste Effekt rührt von [El Shaddoll Construct] her und schickt ein Shaddoll-Monster von meinem Deck auf den Friedhof. Ich habe mich bereits für [Shaddoll Falco] entschieden.“ Dessen Karte schob er in den Friedhofsschlitz. Doch kurz darauf tauchte ein kleiner, dunkler Vogel – ebenfalls an violetten Fäden hängend – vor ihm auch und wirbelte sich herum, wurde zu einem horizontal liegenden Kartenrücken. „[Shaddoll Falco] wird im verdeckten Verteidigungsmodus spezialbeschworen, wenn er durch einen Karteneffekt auf den Friedhof gelegt wird. Das funktioniert wie bei allen Effekten dieser Monsterart aber nur einmal pro Zug“, führte der Sammler dazu aus.   Shaddoll Falco [ATK/600 DEF/1400 (2)]   „Kommen wir nun zum letzten Teil dieser verhängnisvollen Verkettung von Umständen“, schmunzelte er und streckte den Arm aus. Plötzlich traten überall um Gardenia herum Schatten aus dem Boden, die sich sogar ihres Monsters bemächtigen und es dampfen ließen. „Insgesamt sind drei Shaddoll-Monster durch Karteneffekte auf den Friedhof geschickt worden, weshalb dein Monster für jedes nun 100 Punkte verliert. Aber …“   Curse Of The Shadow Prison [Zählmarken: 3] Infernoid Sjette [ATK/2400 → 2100 DEF/0 (6)]   „... eigentlich habe ich andere Pläne mit [Infernoid Sjette]“, verriet er ihr und zeigte eine Zauberkarte vor. „Ich fusioniere ihn und [Shaddoll Falco] nun dank der Schnellzauberkarte [El Shaddoll Fusion].“ „Du benutzt mein Monster?“, fragte Gardenia überrascht. „Ganz recht. Indem ich drei Zähler von meinem Spielfeldzauber entferne, kann ich eines deiner Monster als Teil der Fusion verwenden. Hier ein Beispiel, wie [Shaddoll Falco] mit dem FEUER-Monster [Infernoid Sjette] verschmilzt!“   Curse Of The Shadow Prison [Zählmarken: 3 → 0]   Wieder öffnete sich über ihm ein pechschwarzer Wirbel, der erst den kleinen Vogel, welcher aus seiner gesetzten Karte aufstieg, dann Gardenias Drachendämon in sich hineinzog. „Fusion Summon! Erscheine, [El Shaddoll Grysta]!“ Aus dem Vortex kam ein Ritter in rötlicher Rüstung geflogen, von dessen Rücken flammende Schwingen brannten, die sich bei genauerem Hinsehen jedoch als endlos viele, rote Stränge entpuppten, die entflammt waren. An Armen und Beinen wucherten kristalline Auswüchse. Blondes Pferdehaar flatterte wild von seinem Helm.   El Shaddoll Grysta [ATK/2450 DEF/1950 (7)]   „Da wieder ein Shaddoll-Monster durch einen Effekt auf den Friedhof gelegt wurde“, erklärte der Sammler abschließend, während sich der Ritter vor ihm positionierte, „erhält mein Spielfeldzauber einen weiteren Zähler.“   Curse Of The Shadow Prison [Zählmarken: 0 → 1]   Er verschränkte lächelnd die Arme. Gardenia jedoch blieb unbeeindruckt, obwohl er die riesige Puppe hinter sich sowie den Flammenritter vor sich kontrollierte.   „Ich weiß zwar nicht, was genau er da macht“, murmelte Zanthe derweil mit gebanntem Blick auf die riesige Blase, „aber ist dir aufgefallen, dass sein neues Monster aussieht wie [Gem-Knight Crystal] von Anya?“ Matt nickte. „Ja. Und das gefällt mir gar nicht. Es ist, als wolle er ausdrücken, dass Anya seine Marionette sei.“ Fast als hätte er sie gehört, drehte der Sammler sich in diesem Moment zu ihnen um und winkte mit einem freundlichen, falschen Lächeln. Zanthe ächzte: „Großartig …“ „Sieht schlecht für die Weiße Hexe aus“, überlegte Matt derweil weiter, „aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie so einfach verlieren wird.“ Tatsächlich war auch ihm der selbstbewusste Blick der brünetten Dame mittleren Alters nicht entgangen. Da sie Anya töten wollte, musste er zwangsweise gegen sie sein. Aber der Sammler als Verbündeter? Das war kein bisschen besser …   ~-~-~   Ein stimmungsvoller Singsang drang aus dem Badezimmer der Familie Thorne. Einer von der Sorte, den eigentlich niemand hören durfte. Aber nachdem Velvet bereits von ihrem Vater, ihrer Mutter und ihrem Bruder Axel dabei erwischt wurde, hatte sie es sich abgewöhnt, ihre Vorliebe für schlechte Disney-Musik noch länger geheim zu halten. „Wann bin ich dran? Ich will an Land“, trällerte sie nur mit zwei Handtüchern am Leib, die die Haare und ihren Oberkörper bedeckten und tänzelte von der Dusche in der Ecke zum Waschbecken in der Mitte des länglichen Badezimmers. „Fängt dann mein Leben erst richtig an?“ Sie zwinkerte sich selbst im beschlagenen Spiegel zu. Dann drehte sie sich mit ausgestreckten Armen über die Fließen. „Wüsst' ich nur wie, wär' ich wie sie“, sang sie ohne auch nur einen schiefen Ton dabei von sich zu lassen. Sie fasste sich mit beiden Händen auf die Brust. „In ihrer Welt …“   Vor ihren geschlossenen Augen tanzte sie wie eine Prinzessin in einem riesigen Ballsaal. Alle sahen sie an. Doch wer war der Prinz? Der charmante Patrice? Der humorvolle Fabio? Oder etwa der intelligente Isaac? Alle drei reichten ihr die Hand in ihren schönen Anzügen. Der Traum fand je ein schnelles Ende, als Velvet über die nassen, weißen Fließen rutschte und unsanft auf ihrem Hintern aufkam. „Au!“ Mit Tränen in den Augen schnaufte sie. So viel dazu … Naja zumindest hatte sie sich nachher mit ihren Freunden verabredet. Aber wenn sie ehrlich war, keiner von den Dreien war wirklich -ihr- Traumprinz. Freunde durfte man nicht anhimmeln, damit machte man sich am Ende nur die Freundschaft kaputt, hatte Tatjana ihr eingetrichtert. Sie mochte ja jeden von ihnen, aber am Ende eben doch nicht -so- wie den Mann, der vermutlich erst geboren werden musste und dann, bei ihrer ersten Begegnung, wahrscheinlich von einem 40-Tonner überfahren wurde. Velvet seufzte, musste dann ob ihrem ungewohnten, schwarzen Humor glucksen. Was hatte sie bloß wieder für Gedanken?   Stöhnend erhob sich das Mädchen und hielt sich das schmerzende Steißbein. Direkt vor ihr befand sich ein runder, ausgebeulter Flechtkorb, in dem die Familie ihre dreckige Wäsche entsorgte. Und sie hätte schwören können, dass der Deckel sich gerade bewegt hatte. Aber ohne Brille sah sie sowieso nicht sehr viel, vermutlich nur Einbildung. So tapste Velvet zurück zum Waschbecken und nahm von der Ablage ihre Brille, die sie sich aufsetzte. Mit einem Wischen ihrer Hand war der beschlagene Spiegel wieder sauber. Obwohl, eigentlich meinte ihre Mum immer, dass sie das nicht tun solle … „Ups“, machte Velvet und schluckte. Sie suchte rechts und links nach einem Handtuch, mit dem sie ihn nochmal abwischen konnte, da sah sie es im Spiegel. Der Deckel des Wäschekorbs war leicht nach oben geklappt. Sie wirbelte herum und sah ihn wieder zufallen.   Leicht erbost stampfte sie zu ihm und atmete tief durch. Es gab nur zwei Bewohner in diesem Haushalt, die da hineinpassten. Sammy. Und Axel, wenn er sich zusammenkauerte wie eine Schlangenfrau. Und beide hatten in der Vergangenheit bewiesen, dass sie Velvet gerne beim Duschen beobachteten. Sammy war mit einem blauen Auge davon gekommen, schließlich war er ein Hund. Aber Axel würde nicht lebendig da rauskommen, schwor sich Velvet und riss den Deckel fort. „Hm?“, wunderte sie sich, als sie dort nur Klamotten sah. Ganz oben lagen ihr weißes T-Shirt und die schwarzen Leggins. Sie griff danach und schob sie beiseite. Was sie dann entdeckte, ließ sie panisch aufschreien und derart hastig zurückweichen, dass sie gleich wieder ausrutschte und erneut auf ihrem Po knallte. „Velvet-chan!“, kreischte das Etwas im Korb und sprang heraus an dessen Rand. „Hast du dir weh getan?“ Allenfalls so groß wie ein Fußball, von violetter Färbung, aber nichts weiter als ein großer Kopf in der Form einer Zwiebel. Nein, Velvet bildete sich das nicht ein, das Ding war wirklich hier. Seine großen, ovalen Augen besaßen keine Pupillen und machten neben der Trötenschnute einen Großteil des Gesichts aus. Dagegen waren Arme und Beine nahezu winzig. Was war das!? „W-wa-wa-wa?“, stammelte Velvet panisch und krabbelte rückwärts fort. Nicht zuletzt weil es ihren Schlüpfer über den Kopf gezogen hatte. „Oh!“, jammerte die düstere Kreatur. „Ich bin es doch bloß. Dein Beschützer! Orion-kun!“ „O-wer? Bitte!?“, quietschte sie schrill. Der Kleine fuchtelte wild mit den Stummelärmchen. „Ich bin ein Schattengeist! Orion, aber du kannst mich Orion-kun nennen! Ich wurde gesandt, um auf dich aufzupassen, damit diese Leute dir nicht weh tun.“ Velvet zog instinktiv ihr Badetuch etwas weiter nach oben, entgingen ihr seine äußerst intensiven Blicke auf -jene- Region nicht. „Schattengeist? I-ich verstehe nicht.“ „Ohhh! Eigentlich sollte das geheim bleiben! Nachdem Reika-chan verschwunden ist und Kali-sempai, die eigentlich auf dich aufpassen sollte, lieber ihren eigenen Interessen nachgeht, muss ich ganz alleine auf dich aufpassen. Aber bisher ist es das jede Sekunde wert …“ Täuschte sie sich oder tropfte ein bisschen Speichel aus seiner Riesentröte von Mundwerk!? Entsprechend trockener wurde ihre Reaktion darauf. „Ich verstehe immer noch nicht …“ „Lady Gardenia hat mich ausgesandt, weil Kali-sempai sich dazu verpflichtet hat, dich zu beschützen. Aber diese freche Tsun ohne Dere kümmert sich kein bisschen um dich, abseits von der Sache mit diesem Vampir Zyxx!“ Der Kleine stampfte wütend auf. „Sie ist total-“ „W-warte!“ Velvet erhob sich langsam, hielt immer noch ihr Handtuch fest. „Zyxx? Heißt das, dass diese Kali-sempai damals eingeschritten ist, als er mich …?“ Der Schattengeist namens Orion nickte heftig. So sehr, dass ihm der Schlüpfer vom Kopf rutschte und auf den Boden segelte. „Noin, mein Andenken!“ Er wollte noch danach greifen, aber zum einen waren seine Arme zu kurz, zum anderen war Velvet wie ein geölter Blitz nach vorne geeilt und schnappte ihm das gute Stück vor der Nase weg. „Kann ich den bitte wiederhaben?“, fragte er vorsichtig. Aber der düstere, um nicht zu sagen pechschwarze, diabolische Gesichtsausdruck von Velvet war Antwort genug. Ehe er sich versah, wurde auch er gepackt und bis auf ihre Gesichtshöhe hochgezogen. Das Mädchen funkelte ihn an. „Ich ziehe mich schnell um und dann wirst du mir erstmal erklären, was es mit all dem auf sich hat.“ Sie drehte seinen Kopf, also praktisch den ganzen Körper, zusammen mit ihrem eigenen Haupt nach rechts, wo auf der anderen Seite des Raums die Waschmaschine stand. „Solange bleibst du -da- drin.“ Dann drehte sie sich und ihn wieder zueinander. „Und damit du auch ja keine blöden Tricks wagst, ist solange der Schleudergang eingeschaltet.“ „Wie!?“, quiekte er heiser. „Wegen der Unterhose!?“ „Das wäre ein Grund! Aber viel wichtiger: Du hast mich beim Singen belauscht!“ Genau wie ihm standen auch ihr dabei kleine Tränchen in den Augen. „D-das kann ich dir nicht vergeben!“   ~-~-~   Ein gewisser Geruch von Schweiß hing in der riesigen, unterirdischen Sporthalle. Zoey gab noch einmal alles, obwohl es nicht nötig war. Die anderen Mädchen lagen weit hinter ihr. So schaffte sie es schließlich als Erste, an der Rothaarigen vorbei zu rennen, die die Zeit anhielt. „Wow!“, rief diese, nachdem die Blonde einige Meter entfernt zum Stehen kam. „Das ist ein neuer Rekord, unter 3 Minuten!“ „Uh-huh“, gab sich das Mädchen mit der Beanie im grauen Trainingsanzug unbeeindruckt, als sie sich umdrehte. Nach und nach trudelten die anderen Weiber ein. „Im Weglaufen habe ich Erfahrung.“   Mindestens so groß wie ein Footballfeld musste dieser Ort sein, der für Zoey in den letzten Tagen unfreiwillig so etwas wie ein zweites Zuhause geworden war. Während die eine Hälfte voll von Duellanten war, die sich auf kleinen Feldern gegeneinander behaupteten, wurde die andere für den sportlichen Teil der Ausbildung genutzt. Allein ein großer Abschnitt dessen war für diese bekloppte Rennerei reserviert. Die Damen waren diesmal dran, während die Herren sich in der Mitte des Feldes von ihren Strapazen kurzzeitig ausruhen konnten. Einige von ihnen betrachten Zoey interessiert, aber keiner sprach sie an. „Du bist sogar schneller als die Jungs“, staunte derweil der Rotschopf, dessen Name Zoey gar nicht kannte und auch nie kennenlernen würde. „Yeah, ist ja auch nicht besonders schwer.“ Das Mädchen stierte an ihr vorbei in die Mitte der Halle, wo ein einzelner Mann stand. Gregory Haigh, seines Zeichens ein riesiger, breiter Glatzkopf mit leicht angegrautem Bart, der in einem dunkelblauen Sportanzug das Geschehen auf beiden Seiten verfolgte. Doch er interessierte sich gar nicht für Zoey, so schien es. Welche daraufhin wütend schnaufte. „Nach einer Pause geht es mit dem Hindernislauf weiter“, verkündete der nur an die Damen gewandt.   Kurze Zeit später nahm das Mädchen Anlauf. Dann rannte sie los. Die erste Hürde, eine aufgestellte Holzwand, nahm sie nahezu mühelos. Sie sprang einfach und krallte sich an ihrem Ende fest, zog sich hoch und landete wirbelnd kurz darauf hin der Hocke. Aus jener sprintete sie sofort weiter auf die nächste zu erklimmende Barriere zu – ein Maschendrahtzaun. Elegant wie eine Katze kletterte sie jene empor. Aus den Augenwinkeln sah sie Gregory, der das Geschehen auf etwas Abstand diesmal mitverfolgte. Ja, sieh nur zu, sieh nur, wie gut ich bin, warf sie ihm in Gedanken an den Kopf. Mit einem Satz landete sie auf der anderen Seite und sah sich nun zwei Angreifern mit Helmen entgegen, die mit erhobenem Baseballschlägern auf sie zu stürmten. Der erste holte nach ihr aus, doch Zoey duckte sich geschickt unter ihm hinweg und verpasste ihm mit dem Ellbogen einen Schlag in den Nacken. Auch dem zweiten wich sie durch eine Rolle zur Seite aus, griff sich dabei die Waffe des ersten Angreifers und schleuderte sie dem zweiten gegen das Knie. Der schrie erschrocken auf und fiel vorne über. „Blöde Kuh!“, fluchte der Mann und riss sich den Helm vom Kopf. Es war der blonde Jack, der sie breit angrinste. „Zu deinem Glück hab ich Knieschoner an. Ugh …“ Zoey stampfte zu ihm und half ihm auf. „Selber schuld. Hab ich den Rekord?“ Der Buch führende Rotschopf nickte. „J-ja, so schnell war noch keiner durch!“ „Gut“, murrte das Mädchen und starrte an dem Mädchen vorbei. Ihr Augenmerk lag allein auf Gregory, der sie dabei genau beobachtete.   Auch beim Stangenklettern in der hinteren Ecke der Halle war sie die erste, die oben ankam und schließlich wieder hinunterrutschte. „Rekord!“, trällerte die übliche Schnalle. „Nicht schlecht“, lobte sie Jack, inzwischen auch in einem dieser grauen Anzüge steckend, und reichte ihr ein Handtuch. Sie schnappte es sich im Weggehen und wischte sich die Stirn ab. „Danke.“ Der schmalzige Typ drehte sich um, folgte ihr. „Heute bist du ja besonders ambitioniert. Woran liegt's?“ „Wirste gleich sehen.“ Sie steuerte direkt auf Gregory zu, der die Gruppe beaufsichtigte. Irgendwo weiter hinten schrie jemand, vermutlich weil er sein Duell verlor. „Hey“, sprach sie ihn schroff an und breitete die Arme aus, „kann ich jetzt gehen?“ „Warum?“, fragte der Bärtige mit tiefer Stimme. „Das Training dauert noch eine halbe Stunde.“ „Ich habe heute jeden eurer beschissenen Rekorde gebrochen“, protestierte Zoey uneinsichtig und schmiss das Handtuch beiseite. „Diesen Mist brauche ich nicht, ich bin bereit, okay!?“ „Sei vorsichtig mit dem, was du sagst“, riet ihr Jack derweil und eilte an ihr vorbei, um das Handtuch aufzuheben. Aber die Blonde dachte nicht im Traum daran, ihren Frust hinunterzuschlucken. „Ich will endlich raus hier und auf Mission gehen, wie richtige CLEAR-Agenten!“ „Und was dann?“, wurde sie von ihrem Ausbilder gefragt. „Dann werde ich meine Cousine von Levrier befreien!“ „Du erhältst einen Auftrag, sobald wir dich brauchen. Nicht früher, nicht später.“ Er verschränkte die Arme. „In diesem Augenblick verlangen wir von dir Disziplin.“ Da war es wieder! Dieses dämliche Wort! „Das bedeutet“, fuhr er fort und richtete seinen Zeigefinger an ihr vorbei zur anderen Seite der Halle, „dass du noch eine halbe Stunde trainierst. Du hast dich heute noch nicht duelliert, also such dir einen Partner und fang an.“ Wütend schnaufte sie und funkelte ihn dabei an. „Kch!“ „Wir können ja-“, schlug Jack vor und bekam direkt ihre flache Hand ins Gesicht gedrückt, als er sich ihr näherte. Denn Zoey hatte einen genialen Einfall. „Ein Partner, huh? Fein! Dann wähle ich dich!“ Sie zeigte auf Gregory, der keine Miene verzog. „Und wenn ich gewinne, empfiehlst du mich und lässt mich gehen, klar?“ „Bist du verrückt!?“ Ihr Kamerad riss sich von dem Mädchen los. Inzwischen waren ein paar neugierige Kadetten dazugestoßen. Er wandte sich mit Schweiß auf der Stirn an den glatzköpfigen Ausbilder. „Mr. Haigh, bitte entschuldigen Sie-“ „Ich akzeptiere“, war alles, was der Mann zur Überraschung aller dazu zu sagen hatte. Selbst Zoey machte große Augen. Das war ja einfach.   Kurz darauf standen die beiden sich gegenüber und hoben ihre Arme hoch. An beiden war ein silberner Armreif mit rotem Kern befestigt. Jener war es auch, der schließlich eine gebogene Sichel erzeugte, die zu einer reinen, roten Energie-Duel Disk wurde. „Heh“, lachte Zoey auf, „du hast dich noch gar nicht dazu geäußert, was du willst, wenn ich verliere.“ Gregory nickte. „Deinen Tod.“ „W-was!?“ Auch die anderen Kadetten erschraken zutiefst. Was der Mann jedoch gesagt hatte, war keinesfalls ein Scherz. „Nur die Starken überleben. Also solltest du deinen Worten besser Taten folgen lassen, andernfalls hat das schwerwiegende Konsequenzen für dich, Mädchen.“ Für einen kurzen Augenblick aus dem Konzept gebracht, fing sich Zoey schließlich wieder. „'kay, du bist wohl'n ganz Harter, was? Fein, ich akzeptiere deine Bedingung!“ Erstauntes Gemurmel brach um sie herum aus. Idioten, sagte sich Zoey innerlich. Als ob der Typ das ernst meinte. Der musste doch ganz genau wissen, wie blöd es wäre sie vor den Augen der anderen abzumurksen. Zumal sie direkt von dieser Kathea ausgesucht worden war. Aber sie würde trotzdem alles geben, allein um zu beweisen, dass sie nicht schwach war! „Duell!“, riefen beide schließlich im Chor.   [Zoey: 4000LP / Gregory: 4000LP]   „Ich habs satt zu warten“, stellte Zoey nochmals klar und verkündete: „Ich beginne das Duell!“ Und kaum hatte sie ihr Startblatt gezogen, spielte sie einen Zauber aus. „[Future Fusion]! Im nächsten Zug werden Fusionsmaterialien von meinem Deck auf den Friedhof geschickt. Und im übernächsten wird das entsprechende Monster dazu beschworen!“ Kaum hatte sich der permanente Zauber vor ihr aufgestellt, knallte sie schon ein Monster auf ihre Duel Disk. „Ich rufe [Worm Xex]! Der schickt einen anderen Worm von meinem Deck auf den Friedhof! [Worm Yagan]! Und der kann sich verdeckt von dort wiederbeleben, wenn ich Xex kontrolliere!“ Vor ihr tauchte ein kreuzförmiges, grünes Ungetüm auf, in dessen Körpermitte ein mit Zähnen bespickter Schlund befand. Neben ihm zeigte sich kurz ein gelbes, Y-förmiges Gebilde, an dessen Armen sich Augen öffneten. Es verwandelte sich jedoch kurz darauf in eine horizontal liegende Karte.   Worm Xex [ATK/1800 DEF/1000 (4)] Worm Yagan [ATK/1000 DEF/1800 (4)]   „Ich bin mit meinem Zug durch!“, erklärte sie schließlich. Immer mehr Kadetten sammelten sich um die beiden. Viele flüsterten ehrfürchtig und starrten dabei den hünenhaften Glatzkopf an. Kam wohl nicht besonders oft vor, dass man den in Aktion erlebte, dachte sich Zoey. Und sie würde den Gaffern bald zeigen, warum das auch so war …   „Draw!“ Gregory zog langsam und bedächtig und sah seine Karte an. „Ich aktiviere zwei Zauberkarten. [Dinomist Charge], die mir ein Dinomist-Monster auf mein Blatt schickt sowie der Feldzauber [Dinomic Powerload].“ Erst stellte sich auch vor ihm ein dauerhafter Zauber auf, der gelb zu leuchten begann. Zusätzlich erhoben sich drei Spannungsgeneratoren um ihn herum aus dem Boden und gaben blaue Elektrizität ab. „Ich rufe das Monster, das ich mir aus meinem Deck ausgesucht habe, als Spezialbeschwörung. Denn du besitzt das stärkste Monster auf dem Feld: [Dinomist Brachion].“ War es ein schwer bewaffneter, violetter Panzer oder ein mechanischer Brachiosaurus, der da vor ihm erschien? Die Antwort? Beides! Die langhalsige, mechanische Kreatur war nur so bespickt von Laserkanonen und Raketenwerfern. Sogar Zoey entlockte das ein anerkennendes Pfeifen. „Da ich ein Dinomist-Monster besitze, kann ich zudem [Dinomist Ceratops] spezialbeschwören. Und zuletzt als Normalbeschwörung noch [Dinomist Plesios]“, sprach Greg mit seiner tiefen Stimme gelassen. Neben seinem Panzer-Brachion tauchte erst ein grüner, ebenfalls gut ausgestatteter Mecha-Ceratops aus, der eine ausfahrbare Säge an seiner linken Halsseite montiert hatte. Im Anschluss erschien neben diesem ein blauer Plesiosaurier, dessen Schwimmflossen flexible Tragflächen waren. „Mein Spielfeldzauber verstärkt diese Kreaturen um 300 Punkte. Außerdem schwächt [Dinomist Plesios] deine Kreaturen um 100 Punkte für jede Dinomist-Karte auf meinem Feld“, erklärte Gregory weiter. Zoey zischte angespannt: „Großartig …“   Dinomist Brachion [ATK/2000 → 2300 DEF/800 → 1100 (5)] Dinomist Ceratops [ATK/2100 → 2400 DEF/400 → 700 (5)] Dinomist Plesios [ATK/1700 → 2000 DEF/1400 → 1700 (4)] Worm Xex [ATK/1800 → 1400 DEF/1000 → 600 (4)]   „Ich befehle [Dinomist Plesios] den Angriff auf [Worm Xex]!“ Passend dazu schwang Gregory den Zeigefinger aus und deutete auf die groteske Gestalt vor Zoey. Der schwebende Plesiosaurier klappte aus seinem Rücken nach rechts eine Zielvorrichtung aus, die sich als Torpedowerfer entpuppte. Und ein solcher wurde prompt abgefeuert und ließ nichts außer einer Rauchwolke von [Worm Xex] übrig.   [Zoey: 4000LP → 3400LP / Gregory: 4000LP]   „Pah!“ „Als nächstes greift [Dinomist Brachion] das verdeckte Monster [Worm Yagan] an“, brummte der Hüne weiter. Und der Panzerbrachiosaurus feuerte aus allen Rohren. Es knallte und zischte nur so um Zoey, deren gelber Wurm nur kurz aus seiner Karte auftauchte, ehe er zerfetzt wurde. Das Mädchen lachte jedoch auf. „Fataler Fehler, Freundchen! Wird [Worm Yagan] aufgeflippt, gibt er eine deiner Karten auf die Hand zurück! Ich wähle [Dinomist Ceratops]!“ Doch als nichts geschah, gab Zoey einen überraschten Laut von sich. „Zwecklos. Die Feldzauberkarte [Dinomic Powerload] verhindert bis zum Ende des stattfindenden Kampfes, dass du Karten oder Effekte aktivierst.“ „Du willst mich verarschen!“ Mit weit aufgerissenen Augen sah Zoey die letzten Partikel ihrer Karte schwinden. Dann knurrte sie: „[Worm Yagan] wird verbannt, wenn er das Spielfeld nach Nutzen seines Beschwörungseffekts verlässt.“ „Direkter Angriff auf ihre Lebenspunkte, [Dinomist Ceratops]!“ Jener raste in hohem Tempo auf die Blonde mit der Beanie zu und fuhr seine Kreissäge aus. Durch das Heben ihrer Energie-Duel Disk konnte Zoey die Attacke gerade so abwehren. Rote Funken sprühten dabei nur so. „Kch!“   [Zoey: 3400LP → 1000LP / Gregory: 4000LP]   „Meine letzten beiden Karten spiele ich verdeckt aus“, erklärte Gregory abschließend und ließ beide zu seinen Füßen erscheinen. „Dein Zug, Mädchen.“ Jenes keuchte nur, als sich der riesige Mechadinosaurier endlich verzog. Und sie hörte das Getuschel der zuschauenden Kadetten. Keiner beschäftigte sich mehr mit dem eigentlichen Training. Ein Mädchen sagte: „Sie kann einem leid tun.“ „Ja! Das Schlimmste steht ihr noch bevor“, ein anderes. „Sie ist schlecht“, kam es von einem Jungen. „Ein totales Großmaul.“ „In einem Zug auf 1000 Lebenspunkte runter.“   Da wurde es Zoey zu viel. Schreiend riss sie eine Karte von ihrem Deck: „Euch werde ich es zeigen!“ Kaum war das getan, begann ihre offen stehende Zauberkarte aufzuleuchten. Sie streckte den Arm aus und erklärte: „Jetzt schicke ich die Fusionsmaterialien von [Worm Zero] auf den Friedhof! Und soll ich euch was sagen!? Es gibt kein Limit! Es müssen nur Worm-Monster mit verschiedenen Namen sein! Also schicke ich 20 auf den Friedhof!“ Sie holte ihr Deck aus der Halterung, zog eine Karte nach der anderen daraus hervor, fächerte sie vor Gregs Augen grinsend aus, um sie dann in den Friedhofsschlitz zu schieben. Die Gaffer staunten. „Gleich 20!?“ „Wieso so viele!?“ „Dann hat sie ja kaum noch Monster im Deck!“ Ja, wundert euch ruhig, dachte die Blonde grimmig. Nächste Runde würden hier alle eine böse Überraschung erleben. Und das schloss den Glatzkopf ein, der immerhin als Einziger auf irgendwelche Kommentare verzichtete. Sie nahm ihre gezogene Karte hervor. „Ich aktiviere [Mystical Space Typhoon], womit ich eine Backrow-Karte auf dem Feld vernichten kann.“ Und Zoey wusste bereits genau, welche von Gregorys Karten am gefährlichsten war! „[Dinomic Powerload]! Damit verlieren deine Blechbüchsen ihre Werteboosts!“ Viel wichtiger war aber, dass sie nicht mehr ungehindert angreifen konnten. Mit Genuss sah sie zu, wie ein blitzender Wirbelsturm über das Feld fegte und die Transformatoren nacheinander umriss.   Dinomist Brachion [ATK/2300 → 2000 DEF/1100 → 800 (5)] Dinomist Ceratops [ATK/2400 → 2100 DEF/700 → 400 (5)] Dinomist Plesios [ATK/2000 → 1700 DEF/1700 → 1400 (4)]   „Ich setze ein Monster“, bellte das Mädchen im Anschluss und ließ jenes als horizontal liegender Kartenrücken vor sich erscheinen, „bist dran!“ Selbstverständlich musste auch das mit viel Zweifel und Lästereien seitens der Kadetten kommentiert werden. Zoey hörte diesmal gar nicht mehr hin.   Wortlos zog ihr Ausbilder seine Karte und streckte dann den Arm mit ihr nach unten gerichtet aus, sagte: „Ich befehle [Dinomist Ceratops] den Angriff auf das verdeckte Monster.“ Wieder rauschte der Dino auf Zoey zu und ließ seine Kreissäge ausfahren. Aus Zoeys Karte trat ein prismatischer Glaskasten aus, in den eine blaue Substanz mit zahlreichen Augen eingeschlossen war. „Dumm gelaufen! Das ist [Worm Solid] und der bekommt 100 Verteidigungspunkte für jeden seiner Rasse auf dem Friedhof dazu! Das sind 21!“ „Aber er verliert 100 Punkte für jedes Dinomist-Monster auf meinem Feld, solange [Dinomist Plesios] im Spiel ist“, erwiderte Greg auf Zoeys Ausruf hin ruhig. Worm Solid [ATK/1000 → 600 DEF/1600 → 3700 → 3300 (4)]   Die anderen Kadetten staunten ob der hohen Verteidigung von Zoeys Monster. Entsprechend prallte die Säge des Mechadinos an dem Gefäß ab. Funken flogen so weit, dass sie Gregory streiften.   [Zoey: 1000LP / Gregory: 4000LP → 2800LP]   Während sich [Dinomist Ceratops] zurückzog, rief Zoey aus: „Aber das war nur der Anfang! Wenn [Worm Solid] Kampfschaden beim Verteidigen zufügt, zerstöre ich eine deiner Backrow-Karten!“ Sie zeigte mit dem Finger auf die von ihr aus links liegende. „Die da!“ „Dann aktiviere ich sie“, konterte der bärtige Kahlkopf unbeeindruckt. „Ihr Name ist [Dinomist Rush] und sie ruft ein Dinomist-Monster von meinem Deck aufs Spielfeld. Erscheine, [Dinomist Spinos]!“ Zwar öffnete sich im Gefäß von [Worm Solid] kurz ein Loch, aus dem ein sich öffnendes Maul Säure auf die normale Falle spucken konnte, doch die war bereits hochgefahren und leuchtete. Vor Gregory materialisierte sich ein riesiger, roter Spinosaurus. Seine rote Lackierung glänzte im Licht seines aus hellblauen Lichtröhren bestehenden Knochenkamms.   Dinomist Spinos [ATK/2500 DEF/1800 (5)] Worm Solid [ATK/600 → 500 DEF/3300 → 3200 (4)]   „Pah! Selbst dieses Teil kommt an [Worm Solid] nicht vorbei!“ „In der Tat.“ Gregory sah seine Handkarte an und zeigte sie dann vor. „Die Schwachen werden vernichtet. Zauberkarte, [Dark Hole]! Sie zerstört alle Monster auf dem Spielfeld.“ Zoey weitete die Augen, als sich inmitten des Spielfelds ein Schwarzes Loch öffnete und die Mechadinos sowie ihren Worm in sich hineinzog. Einzig der Spinosarus widerstand dem und wurde Zeuge, wie drei rote Blitze aus dem Sog entkamen, ehe dieser sich schloss. „Damit aktiviert sich der zweite Effekt von [Dinomist Charge]“, erklärte Gregory und streckte die Hand zu dem offenen Zauber aus, „ich erhalte ein zerstörtes Dinomist-Monster zurück auf die Hand. Entschieden habe ich mich für [Dinomist Plesios].“ Jenen zeigte er vor. „Durch den Effekt von [Dinomist Rush] berühren [Dinomist Spinos] andere Karteneffekte nicht. Aber er wird während dem Ende des Zuges zerstört. Also jetzt.“ „Huh!?“, machte Zoey völlig perplex, als der riesige Dino explodierte und einen roten Lichtblitz von sich gab. Damit kontrollieren beide kein einziges Monster mehr. Das Mädchen fing vorsichtig an zu lachen. „O-oh Junge, was ist denn mit dir los!? Killst all deine Blechbüchsen, nur weil mein [Worm Solid] zu hohe Verteidigungspunkte hat?“ „Die Schwachen werden vernichtet“, war seine Antwort darauf. Und Zoey konnte sich ihrerseits einen Kommentar dazu nicht verkneifen. „Darauf kannste Gift nehmen, Opa!“   „Draw!“, rief sie entschlossen aus und zog mit Schwung eine neue Karte. Selbst einige der Kadetten waren irritiert von Gregorys Zug und sahen sich untereinander ratlos an, wohingegen andere fest davon überzeugt waren, dass er einen Plan damit verfolgte. So auch Zoey, die sich auf die verdeckt liegende Karte ihres Gegners fixiert hatte. Als ob sie so dumm war, auf ein billiges Ablenkungsmanöver reinzufallen! „'kay, es ist Zeit, dass die Fusion stattfindet!“, rief sie schließlich aus und streckte den Arm weit in die Höhe. Über ihr öffnete sich ein weiß-blauer Strudel und stieß eine weiße, schleimige Masse aus, aus der dünne Stränge in den Linoleumboden schossen. Vier dieser Stützen hielten einen riesigen Kokon über Zoey, der fast wie ein Mond wirkte.   Worm Zero [ATK/? → 10000 DEF/0 (10)]   „[Worm Zero] erhält für jede Spezies, die für seine Fusion verwendet wurde, 500 Angriffspunkte. Bei zwanzig macht das 10000 Angriffspunkte“, erklärte Zoey fast nebensächlich. „Und er hat auch noch diverse Effekte im Angebot. Einer lässt mich eine Karte ziehen. Und ein weiterer einen Worm vom Friedhof verdeckt reanimieren!“ Erst riss sie eine Karte vom Deck, dann schwang sie den Arm aus. „Komm zurück, [Worm Victory]!“ Kurz zeigte sich eine sechsarmige, fast humanoide Gestalt roter Farbe. Ihre Haut war mit Schuppen bedeckt, das Maul ein Schlund, bespickt von zahllosen, spitzen Zähnen. Doch sie verschwand schnell unter dem vergrößerten Rücken einer Karte.   Worm Victory [ATK/0 DEF/2500 (7)]   „Zwei Karten verdeckt!“, schnarrte sie und ließ jene vor sich erscheinen. Sehr gut. Selbst wenn er ihrem [Worm Zero] etwas entgegen zu setzen hatte, war sie vorbereitet. Er würde eine böse Überraschung erleben, sobald er erst [Worm Victory] kennenlernte! Energisch streckte die Blonde ihre Hand aus. „Los, [Worm Zero], zeig' ihm, wer die überlegene Spezies ist! Zero Dissolver!“ Der Kokon über Zoey öffnete sich und präsentierte zahllose, regelrecht zufällig verteilte Zähne und einen schier endlosen Schlund, aus dem grüne, flimmernde Säure schoss. Gregory schien wenig beeindruckt, sah er nahenden Flüssigkeit regungslos entgegen. Zoeys Herz machte bereits einen vorsichtigen Hüpfer, als er im letzten Moment ausrief: „Ich wirke dem mit einer Falle entgegen.“ Jene sprang vor ihm auf. Schlagartig bildete sich vor ihm eine hellblaue, flüssige Barriere. „Mist“, fluchte sie leise. „[Drowning Mirror Force]“, nannte der Glatzkopf sie, als die Säure auf den gebogenen Schutzschirm prallte. „Bei einem direkten Angriff werden alle Monster in Angriffsposition, die der angreifende Spieler kontrolliert, zurück ins Deck geschickt.“ Nebel entstand, als die Säure von [Worm Zero] erfolglos versuchte, die Barriere zu durchbrechen. Immer stärkere Wellen bildeten sich dabei auf jener, bis sie den Angriff schlagartig zurückschleuderte. Zoey sah überrascht zu ihrem Kokon hinauf, der von seinem eigenen Angriff getroffen wurde und sich aufzulösen begann. Dann richtete sie sich an Gregory. „'kay, jetzt kapiere ich es. Du hast all deine Dinos gekillt, um diese Falle aktivieren zu können. Sonst wärst du drauf gegangen. Gar nicht so dumm.“ Für einen Moment glaubte sie, einen Mundwinkel von ihm zucken zu sehen. Konnte aber auch genauso gut Einbildung gewesen sein. Was auch immer. „Du bist dran“, sagte sie schließlich.   Gregory betrachtete seine leuchtende Duel Disk und zog dann. Ein Funkeln in seinen Augen ließ Zoey nichts Gutes ahnen. Aber sie war vorbereitet! Plötzlich zeigte er seine beiden Handkarten vor. „Ich aktiviere [Dinomist Pteran] mit dem Pendelbereich 3 und [Dinomist Plesios] mit dem Pendelbereich 6! Pendulum Scales set!“ „W-warte mal, Pendel!?“, stotterte Zoey völlig überrumpelt. Neben dem Mann schossen zwei hellblaue Lichtsäulen aus dem Boden. In der linken befand sich ein orangefarbener Flugsaurier mit Düsenantrieben unter den Flügeln, die andere ließ den blauen Plesiosaurus empor steigen.   Gregorys Pendelbereich <6>   „Ich beschwöre aus meinem Extradeck: [Dinomist Brachion], [Dinomist Ceratops] und [Dinomist Spinos]!“, wurde Gregory schlagartig lauter. „Pendulum Summon!“ Zwischen seinen beiden Mechadinos in der Luft öffnete sich das von zahlreichen Lichtellipsen umgebene Pendelportal. Drei rote Lichtstrahlen schossen daraus herab und schlugen vor ihm ein, wurden zu dem Panzerbrachio, dem Ceratops sowie dem roten Spinosaurus.   Dinomist Brachion [ATK/2000 DEF/800 (5) PSC: <6/6>] Dinomist Ceratops [ATK/2100 DEF/400 (5) PSC: /3>] Dinomist Spinos [ATK/2500 DEF/1800 (5) PSC: /3>]   Zoey klatschte sich die Hand gegen die Stirn. „Scheiße! Die sind alle Pendelmonster!? Warum habe ich nicht darauf geachtet!? Kch!“ Er spielte also ein ziemlich neues Deck. Zoey meinte sich zu erinnern, dass das Set dazu erst vor wenigen Tagen veröffentlicht worden war. Aber damit kam sie klar! Seine Monster hatten ja nicht einmal genug Angriffskraft, um [Worm Victory] zu überwinden! „[Dinomist Spinos] aktiviert seinen Effekt. Die Schwachen fallen den Starken zum Opfer“, sagte der Mann und streckte die Hand nach dem Brachiosaurus aus. „Indem [Dinomist Brachion] geopfert wird, erhält [Dinomist Spinos] wahlweise die Fähigkeit, in diesem Zug zweimal anzugreifen oder aber nur einmal, dafür jedoch direkt.“ Erschrockene Ausrufe kamen aus den Reihen der CLEAR-Kadetten. Auch Zoey weitete die Augen, als Gregory verkündete: „Natürlich Letzteres.“ Sofort löste sich der violette Dinopanzer in elektrischen Funken auf, die Spinos mit seinem Röhrenkamm absorbierte. Ein letzter roter Lichtstrahl ging von Brachion aus, doch er verschwand nicht etwa in einem Pendelportal, sondern zischte auf Gregorys Duel Disk zu. „Der Effekt von [Dinomist Charge] gibt einmal pro Zug ein Dinomist-Monster auf meine Hand zurück, wenn es eigentlich ins Extradeck gelegt werden sollte.“ „Also das ist vorhin wirklich passiert.“ Zoey biss sich auf die Unterlippe. Wieso war ihr das nicht aufgefallen!? Aber ihre Unsicherheit verwandelte sich prompt in Hochmut. „Glaub nicht, dass du schon gewonnen hast.“ „Wir werden sehen“, erwiderte ihr Gegner und schwang den Arm aus. „Wie angekündigt greift dich [Dinomist Spinos] direkt an. Zeige deinen Überlebenswillen, Mädchen!“ Der riesige Mechadino stampfte auf sie zu, doch Zoey streckte die Hand zu ihren verdeckten Karten aus. „Vergiss es, Freundchen! Ich aktiviere [Enemy Controller] und wechsle deine Blechbüchse in den Verteidigungsmodus!“ Der Schnellzauber sprang vor ihr auf und brachte einen Spielkonsolen-Controller hervor, der automatische seine Seiten- und Kopftasten betätigte. „Vergebens“, donnerte Greg da und nicht wenige Zuschauer schnappten nach Luft, „der Effekt jedes Dinomist-Monsters mit dem Pendelbereich 6 ermöglicht es, dass es sich in der Pendelzone selbst zerstört, um das Anzielen eines Effekts zu verhindern. Die Schwachen dienen den Starken!“ Da explodierte [Dinomist Plesios] schon zusammen mit Zoeys Controller. Vor ihr ankommen, machte Spinos eine Drehung und holte mit seinem Schweif aus. „Dann friss das!“, schrie das Mädchen und aktivierte durch das Antippen an ihrer Duel Disk die zweite verdeckte Karte. „Falle, [Widespread Ruin]!“ Jene klappte vor ihr auf. Unter den Füßen des Dinos materialisierte sich eine kreisrunde, piepende Mine. „Damit wird bei einem Angriff dein stärkstes Monster zerstört.“ „Ebenfalls zwecklos! Der Effekt jedes Dinomist-Monsters mit dem Pendelbereich 3 lässt es sich in der Pendelzone selbst zerstören, um die Zerstörung der Vorderfront zu verhindern!“ „Was!?“, keuchte Zoey fassungslos, als auch der Pteranodon in der verbliebenen Lichtsäule explodierte und ihre Mine sich einfach auflöste. Dann sah sie ihn schon von links auf sich zu schnellen, den langen Schweif von [Dinomist Spinos]. Würde er sie verletzen? Die spielten hier mit harten Bandagen! Wenn er sie traf, würde sie sich alle Knochen brechen. Zoey schloss die Augen und hob noch die Arme über Kreuz zum Schutz. Dann kam der Treffer.   [Zoey: 1000LP → 0LP / Gregory: 2800LP]   Nichts. Der Angriff ging durch sie hindurch wie Butter, sie spürte keinerlei Schmerzen. Als sie die Augen öffnete, überkam sie jedoch ein heftiger Schwindel. So stark, dass sie sich die Hand vor den Mund halten musste. Sie sackte auf die Knie. Keiner wagte es, etwas zu sagen. Und sie spürte den eisigen Blick ihres Ausbilders auf ihr ruhen. Der Schweiß brach ihr aus. Wie lächerlich … Aber Zoey Bauer war keine, die sich von einer Niederlage entmutigen ließ. Entsprechend richtete sie sich schnell wieder auf, auch wenn sich dabei alles drehte. „Da hab ich den Mund wohl zu voll genommen, was? Haha …“ „Du bist noch nicht soweit“, kam eine frostige Antwort. „Sorry, aber das ist Bullshit. Ich kann mich wehren, ich kann rennen, ich bin nicht dumm“, widersprach Zoey selbstsicher, „und ich kann mich duellieren. Los, wie wär's mit 'ner zweiten Runde? Nochmal passieren mir diese dummen Fehler nicht!“ Gregory sah sie nachforschend an. Dann schloss er die Augen. „In der Realität gibt es keine zweite Chance. Wenn du versagst, bringst du nicht nur dich zu Fall, sondern möglicherweise CLEAR als Ganzes. Das sollten ihr euch -alle- merken!“ Einige der Anwärter schreckten zurück. „Also ich stehe noch“, zischte Zoey provokativ, „und das wird auch so bleiben! Wenn dir das nicht passt, stell dich mir ruhig in den Weg, Opa! Und lass dich überraschen, was dann passiert …“ „Vorlaute Göre“, schalt er sie unbeeindruckt. Dann trat er auf sie zu. Zoey wich nicht zurück, sondern straffte sich. Sie machte sich bereit, ihn notfalls sogar zu schlagen, ballte die Fäuste, wollte ihm am liebsten anbieten, dass er zuerst zulangen durfte. Aber etwas ganz anderes geschah. Er fasste in die Tasche an seiner Uniform und zog daraus eine ID-Karte hervor. „Aber du bist eine Kämpferin. Mit Potential, dem nur dein Deck im Weg steht. Hier. Damit kannst du den Aufzug benutzen. Fahre hoch in die letzte Etage und sprich mit Kathea, sie wird dir helfen.“ Völlig überrumpelt nahm Zoey die Keycard entgegen. „Und was steht -ihr- so dumm 'rum!?“, brüllte Gregory da schon die anderen Kadetten an. „Macht weiter mit eurem Training!“   Damit zog er ohne weitere Worte von dannen. Die Traube löste sich wie eine Schar aufgescheuchter Hühner auf und verteilte sich wieder an die diversen Sportgeräte und über die Duellfelder. Nur eine Kadettin war verblieben und schlich sich von hinten an die abwesende Zoey herab. Welche leise erschrak, als ihr die Hand auf die Schulter geklatscht wurde. Kunigundes Gesicht schob sich über ihre Schulter in das Blickfeld des Mädchens. „Gut gemacht. Du hast Kapitän Haigh beeindruckt!“ „D-du“, stellte die Blonde erschrocken fest. „Er hat was übrig für Dickschädel. Oder kleine Mädchen. Wer weiß“, schnurrte ihre ungewollt gewonnene Freundin und legte ihren Kopf auf Zoeys anderer Schulter ab, „jedenfalls bist du jetzt einige Schritte weiter als zuvor. Glückwunsch.“ „D-danke. Vielleicht komme ich dann endlich aus diesem Laden raus!“ „Möglich. Aber sicher nicht sofort. Ich bin schon mit dem Training durch und mich haben sie auch noch nicht eingesetzt“, trällerte das riesige, schwarzhaarige Mädchen und ließ letztlich von Zoey ab. Sie umrundete sie tänzelnd und salutierte vor ihr. Warum auch immer. „Abmarsch, Mädchen! Die Chefin wartet auf dich.“ „Ja …“ „Oh, übrigens“, meinte Kunigunde abschließend und beugte sich so dicht an Zoeys Gesicht heran, dass sich ihre Nasen fast berührten. Dabei hauchte sie bitterböse: „ich habe deine Rekorde gebrochen, als du dich mit dem Kapitän duelliert hast. Aber ich verrate es keinem, weil wir Freundinnen sind.“ Verschreckt wich die Blonde zurück. Ihr Gegenüber grinste so glücklich, dass es beinahe beängstigend war. Um nicht bei der anzuecken, nickte Zoey. „Danke …“ „Gern geschehen! Und jetzt husch“, machte die Schwarzhaarige mit einer verscheuchenden Handbewegung. Was sich Zoey nicht zweimal sagen ließ. Sie eilte zum Ausgang mit der Erkenntnis, dass hier anscheinend wirklich -alle- irgendwie einen an der Klatsche hatten.     Turn 104 – Advocate Beim Treffen mit Kathea erlebt Zoey so einige Überraschungen. Gleichzeitig erreicht das Duell zwischen dem Sammler und der Weißen Hexe Gardenia seinen Höhepunkt. Letztere schafft es durch die Beschwörung eines unheimlich mächtigen Monsters den Sammler derart unter Druck zu setzen, dass … Kapitel 113: Turn 104 - Advocate -------------------------------- Turn 104 - Advocate     Der gläserne Aufzug fuhr Zoey mit beachtlicher Geschwindigkeit an der Außenfassade des Wolkenkratzers nach oben. Wer baute so ein riesiges Gebäude überhaupt hier draußen im Nirgendwo, fragte sich das Mädchen dabei. Abseits des Geländes des Pharmaunternehmens gab es nur eine Straße, die zum Highway führte, den sie in der Ferne erkennen konnte. Alles war umzäunt von Stacheldrahtzäunen. Unten bemerkte sie einen Helikopterlandeplatz in der rechten Ecke der Anlage, gekennzeichnet durch eine leicht erhöhte Plattform, markiert mit einem H in einem Kreis. Gegenüber lag eine Reihe von Lagerhallen.   Es ratterte in ihr. Denn wenn man es recht betrachtete, waren sie Gefangene. Wieso sonst konnte man die unterirdische Anlage nur mit Erlaubnis verlassen? Diese ganzen Idioten da unten schnallten das aber offenbar nicht. Oder hatten sich damit abgefunden. Man wollte ja dem höheren Zweck dienen. Wenn Zoey eins nicht tun würde, dann irgendeinem von diesen Spinnern vertrauen. Sie hatte ihre eigenen Pläne.   Schließlich hielt der Fahrstuhl und Zoey stampfte selbstbewusst durch einen breiten, weißen Gang, der von schwarzen Säulen gestützt wurde. Am Ende wartete ein gebogener Schreibtisch, an welchem eine rothaarige Dame im Kostüm und mit Headset arbeitete. Als Zoey näher kam und bemerkt wurde, konnte sie dem Rotfuchs deutlich die Überraschung aus den Augen ablesen. „Einen kleinen Moment bitte“, richtete sie sich an Zoey, ehe sie weitersprach. „Ah, ja, Mr. Densmore ist jetzt frei. Ich stelle durch.“ Sie betätigte einen Knopf an der Telefonanlage vor sich und atmete tief durch. Dann sah sie Zoey mit einem strahlenden Lächeln an. „Hallo. Wie kann ich helfen?“ „Was ist? Siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen“, murrte die in ihrem grauen Trainingsanzug. „Man trifft nicht oft Leute von unten.“ „Aha.“ Ob sie wohl von den Plänen dieser Organisation wusste, fragte Zoey sich still. Was ihr letztlich völlig egal war. „Ich wurde hoch geschickt, um mit Kathea zu sprechen.“ „Miss Musgrave?“ Etwas Ängstliches schwang in der Nennung dieses Namens mit. Firecrotch, wie Zoey sie gemeinerweise taufte, fragte vorsichtig: „Und Sie sind?“ „Zoey Bauer.“ „Okay. Einen Moment bitte.“ Wieder spielte Firecrotch an der Anlage herum und sprach dann in ihr Headset: „Miss Musgrave, hier ist eine Miss Bauer, die zu ihnen geschickt wurde. Von wem?“ Das Mädchen mit der Beanie musste ernsthaft überlegen. Wie hieß der doch gleich? „Dem Trainer.“ „Von Mr. Haigh, Ma'am. Verstanden.“ Sie beendete das Gespräch und erhob sich von ihrem Drehstuhl. „Bitte folgen Sie mir, Miss Bauer.“   Zusammen gingen sie in den Abschnitt hinter dem Tresen, der in einen langen Gang mündete. An dessen Ende befand sich das Büro von Mr. Densmore. Allerdings war jenes nicht das Ziel der Reise, sondern ein anderes zu Zoeys Linken. Dort stand neben der Tür auf einem kleinen Schild in schwarzen Lettern Kathea Musgrave und darunter Head of Finances. Vorsichtig klopfte die Sekretärin an die Tür, ehe sie diese unaufgefordert öffnete. Just in diesem Moment schwang auch die Tür des Obermotz auf, wie Zoey ihn heimlich betitelte. „Gehen Sie herein“, wurde sie von Firecrotch aufgefordert und während sie über die Schwelle trat, war ihr Augenmerk weiterhin auf das andere Büro gerichtet. Sie sah ihn. Es konnte kein anderer sein. Selbst Zoey bekam eine Gänsehaut beim Anblick des Mannes, der aus seinem Büro trat. Weiße Haut, wie Asche, fahl wie die einer Leiche. Und dazu die Augenhöhlen, so schwarz, als wären sie leer. Der Mann mit dem langen, weißen Haar bemerkte ihren Blick, doch dann verschwand er aus Zoeys Blickfeld, als diese in Katheas Büro eintrat.   „Hallo, Zoey“, grüßte die sie. Doch das blonde Mädchen starrte geistesabwesend einen der vielen Aktenschränke zu ihrer Rechten an und musste erst durch das Schließen der Tür daran erinnert werden, weshalb sie eigentlich hier war. Sie drehte sich abrupt zu Kathea um, die in einem weißen Kostüm an ihrem Schreibtisch saß und erwartungsvoll zu ihr aufsah. „H-hi!“ „Nimm Platz“, bot sie ihr mit einem Nicken zum Stuhl ihr gegenüber an. „I-ich stehe lieber.“ „Auch gut.“ Die Frau, deren schwarze, lange Haarpracht ab der Mitte langsam ins Weiße überging, faltete die Hände aufeinander. „Man sagte mir, Gregory hätte dich geschickt?“ „Yeah.“ Zoey nickte fest. „Ich bin mit dem Training durch!“ „Das ging schnell“, schmunzelte ihr Gegenüber, „vorhin-“ „-sagte ich schon, dass ich das nicht brauche! Und dieser Fettklops gibt mir Recht! Sonst hätte er mich wohl kaum hierher geschickt, damit ich mir ein besseres Deck abholen kann!“ Kathea zog eine Augenbraue an, verlor ihr Lächeln dabei aber nicht. „Darüber werde ich noch einmal mit ihm reden müssen. Haha. Ich will natürlich deine Leistungen nicht herunterspielen.“ Genau das tat das Miststück aber gerade, dachte Zoey wütend. Wie sie diese arroganten Weiber hasste, die hinter ihren Computern saßen und dachten, sie hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen. „Gregorys Maßstäbe sind außerordentlich hoch. Viele unserer Mitglieder scheitern im sportlichen Bereich. Daher kannst du stolz auf dich sein, seine Erwartungen zumindest im Ansatz erfüllt zu haben“, flüsterte sie wie eine Schlange. „U-uh, yeah. Ich hätte ihn auch im Duell besiegt, aber mein Deck ist einfach nicht stark genug“, schnarrte Zoey und zog jenes aus ihrer neuen Duel Disk, „deshalb bin ich hier. Also her mit einem Stärkeren.“ Sie zeigte ein Lächeln, so falsch wie Chers … ganzer Körper. „Und du sollst es bekommen.“   Angespornt davon, einen Schritt weitergekommen zu sein, trat das Mädchen auch wortwörtlich vor und verlangte: „Da ich dann mit dem Scheiß fertig bin, will ich hier raus! Andere wie Ares bekommen bereits Aufgaben zugeteilt!“ „Sie unterscheiden sich von dir in ihren Erfahrungen“, erklärte Kathea ihr sachlich. „Würde ich dich völlig unvorbereitet auf eine Mission schicken, könntest du verletzt werden oder schlimmer noch, getötet. Bedenke außerdem, dass ein falscher Schritt auch unsere Organisation in Gefahr bringt.“ „Ich werd's nicht vergeigen!“, beharrte Zoey stur. „Ich weiß.“ Und was dann kam, überraschte das Mädchen. „Ich habe bereits eine Aufgabe für dich im Sinn.“ „'kay? Welche?“ „Das verrate ich dir in Kürze.“ Damit erhob sich die schöne Schwarzhaarige und umrundete ihren Schreibtisch, zog an dem Mädchen vorbei zu einem der Schränke in der Ecke des Raumes. Dabei sah sie verschwörerisch lächelnd zurück, hauchte: „Glaub mir, niemand ist besser dafür geeignet als du.“   Dann öffnete sie einen hohen, schmalen Holzschrank und nahm eine von vielen Schatullen darin heraus. Mit dieser in den Händen schritt sie auf Zoey zu. „Hier. Betrachte es als dein Abschlussgeschenk. Ab heute bist du ein vollwertiges Mitglied von CLEAR.“ Zoey nahm das gute Stück aus schwarzer Plastik entgegen. Aber sie öffnete es nicht. „Da ist das Deck drin?“ „Ja. Wir haben eine Vielzahl mächtiger Decks zusammengestellt, um die Bedürfnisse unserer Agenten zu befriedigen“, erklärte Kaetha diplomatisch, „ich bin mir sicher, dieses passt besonders gut zu dir. Wir haben es nach dem Vorbild eines aufstrebenden Duellanten zusammengestellt. Deine Cousine kennt ihn sogar.“ „Yeah, cool“, meinte Zoey mit einem Schulterzucken. „Sonst noch was?“ Ihre 'Entdeckerin' fasste sie an der Schulter an und führte sie zur Tür. „In ein paar Tagen erfährst du die Einzelheiten zu deinem Auftrag. Bis dahin nutze die Zeit, dich mit deinen neuen Karten vertraut zu machen.“ „Wenn ich Bock habe …“ Zu ihrem Argwohn meinte Kathea: „Du hast.“   Auf dem Gang trennten sich die Wege der beiden schließlich. Zoey kehrte halbwegs zufrieden zurück zu den Unterkünften. Kathea wiederum suchte schließlich das Büro ganz am Ende auf, klopfte nicht einmal an, als sie eintrat. Roger Densmores Büro war genauso leblos wie sein Erscheinungsbild. In hellen Cremetönen gehalten, war es vor allem eins: Dunkel. Es gab gleich drei Fenster in einer Reihe, doch sie alle waren vollständig durch Vorhänge bedeckt. In der hinteren, rechten Ecke stand sein Schreibtisch, in der linken zahlreiche Blumentöpfe mit den verschiedensten, tropischen Pflanzen. Nur waren diese allesamt abgestorben, braun und grau, als wäre alles Leben aus ihnen hinausgesogen worden. „Die müssen wir mal austauschen“, stellte Kathea mit Blick darauf kritisch fest. Der CEO des Pharmaunternehmens stand vor einem der Vorhänge, hatte die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Sie schritt auf ihn zu. „Vermisst du das Sonnenlicht, Seraphix?“ „Nein.“ „Ihr Fluch ist mächtig. Vergib mir, dass ich ihn nicht zu brechen vermag.“ Der Mann drehte den Kopf leicht in ihre Richtung. „Irgendwelche Fortschritte mit Velvet Thorne?“ „Wir müssen vorsichtig vorgehen“, sprach Kathea mit seidiger, verträumter Stimme. „Dieses Mädchen wird von der Weißen Hexe beschützt. Ein weiterer Versuch, sie zu uns zu holen, könnte darin resultieren, dass die Hexe sie in ihre Domäne einsperrt.“ Der Mann am Fenster erwiderte mit tiefer, kratziger Stimme. „Dann wäre sie unerreichbar für uns.“ „Ja.“ Während sie sprach, glitt die Schwarzhaarige wie eine Schlange zu ihm herüber und streichelte ihm sanft über den Rücken. „Doch dagegen kann man etwas tun. Ich habe etwas, das ihr gehört.“ „Ihre Schülerin.“ „Ja. Und sie hat etwas, das uns gehört.“ Katheas Ton wandelte sich in pure Verachtung um. „Wer hätte gedacht, dass sich ein Vampir von einer Amateurin gefangen nehmen lässt?“ Der Mann gab einen keuchenden Lacher von sich. „Du unterschätzt ihn, Kind.“ Etwas, das die junge Frau mit einem Naserümpfen aufnahm. Sofort ließ sie von dem Anführer der CLEAR-Organisation ab. „Wir müssen ihn zurückbekommen. Oder sollte ich sagen, wir müssen unsere Trophäe 'zurückgeben'?“ „Ein Austausch?“ „Ja, mit einem interessanten Twist“, hauchte Kathea und eine Spur Boshaftigkeit schwang in ihrer Stimme mit, „und es ist inzwischen alles vorbereitet.“ „Dann tu es.“ Und sie lachte. „Mit Vergnügen.“   ~-~-~   „Was für ein erfrischendes Duell“, sprach der Sammler überschwänglich und streckte die Arme aus, lächelte falsch, „ich entschuldige mich für meine abweisende Haltung.“ Zusammen mit der Weißen Hexe Gardenia in einer riesigen, von goldenen Linien überzogenen Blase gefangen, welche sich auf einer gläsernen Plattform mehrere hundert Meter über dem Wald von San Augustino befand, schien er die Konfrontation mehr und mehr zu genießen.   [Collector: 4000LP / Gardenia: 4000LP]   Matt und Zanthe, welcher den Kopf der bewusstlosen Anya auf seinem Schoß liegen hatte, sahen von außerhalb der Blase hilflos zu, wie sich die zwei Superdämonen einen Schlagabtausch leisteten – dem sie allerdings nicht lauschen konnten. Kein Ton drang mehr zu ihnen, seit der rothaarige, britisch-stämmige Dämon im schwarzen Anzug die Blase erschaffen hatte. Und es sah gut für ihn aus. Nicht nur kontrollierte er eine riesige Puppe hinter sich, von deren Rücken sich zahllose rote Fäden ausbreiteten, nein er besaß ebenso einen flammenden Ritter, der aussah wie Anyas [Gem-Knight Crystal]. Von seinem Rücken erstrecken sich lodernde Schwingen, die jedoch bei genauerem Hinsehen ebenfalls Marionettenstränge waren.   El Shaddoll Construct [ATK/2800 DEF/2500 (8)] El Shaddoll Grysta [ATK/2450 DEF/1950 (7)]   Neben zwei Handkarten besaß er außerdem noch den Spielfeldzauber [Curse Of The Shadow Prison], welcher unheimliche Schatten um Gardenia aufsteigen und wieder verschwinden ließ. Die wiederum sorgte mit schwarzen Flammen innerhalb des Bannkreises für einen entsprechenden Kontrast, ausgelöst durch ihre Feldmagie [Void Expansion]. Auch die brünette, in weißer Robe mit grauem Umhang gekleidete Hexe besaß zwei Handkarten.   Curse Of The Shadow Prison [Zählmarken: 1]   „Allerdings muss ich auch sagen, dass ich etwas enttäuscht bin“, folgte der Sammler mit einem Seitenhieb; es war immer noch sein Zug, „ich hätte ehrlich gesagt mehr erwartet. Du hast schließlich einen gewissen Ruf, meine Liebe.“ Die blieb stur. „Ich interessiere mich nicht für die Gerüchte, die sich um meine Person ranken. Und außerdem hätte dir längst auffallen müssen, dass die Falle, die dein [Shaddoll Dragon] vor seiner Verschmelzung zerstört hat, vorher aktiviert wurde.“ Ihr Widersacher schmunzelte still. „[Void Feast]!“, verlautete Gardenia. Plötzlich sammelten sich all die schwarzen Flammen vor ihr zu einer gebündelten. „Dazu muss ich eine andere Void-Karte auf den Friedhof schicken. Danach kann ich bis zu drei Infernoid-Monster von meinem Deck rufen, deren Stufen zusammen exakt 8 ergeben. Ich rufe-“ Der Sammler schnitt ihr ins Wort: „Leider gar nichts. [El Shaddoll Grysta], wärst du so freundlich?“ Jener schrie seltsam hohl auf und spreizte seine Schwingen. Aus ihnen schossen zahlreiche der roten Fäden und durchstachen die schwarze Flamme vor Gardenia, welche sich diesmal zu einem überraschten Laut hinreißen ließ. „Natürlich ist mir deine kleine List nicht entgangen“, erklärte der Rotschopf mit der Narbe auf der Wange schließlich und zeigte die Fallenkarte [Shaddoll Core] vor, „nur ist es so, dass [El Shaddoll Grysta] einmal pro Zug Spezialbeschwörungen annullieren kann, wenn ich dafür eine Shaddoll-Karte abwerfen.“ Er schob die Karte in den Friedhof, wodurch die Fäden in alle Richtungen ausschlugen und damit die Flamme regelrecht zerrissen. „Bedaure.“   „Er ist ihr immer einen Schritt voraus“, murmelte Zanthe nervös, denn auch wenn er sie nicht hören konnte, war die Situation auch so eindeutig, „wenn sie sich jetzt nicht verteidigen kann, war's das.“ Der Dämonenjäger, der neben ihm und Anya kniete, schluckte. „Wenn selbst die Weiße Hexe so machtlos ist, welche Chance hätten wir dann?“ „Gar keine?“ Sofort lachte der Schwarzhaarige bissig auf. „Ah ja? Erzähl das mal Anya.“ Zanthe sah betrübt auf sie herab. „Lieber nicht …“   Der Sammler streckte die Hand aus. „[El Shaddoll Construct], [El Shaddoll Grysta], greift ihre Lebenspunkte direkt an!“ Zuerst tat es die riesige, ausdruckslose Puppe mit dem weißen Porzellangesicht ihm gleich und richtete ihre Hände nach vorne. Aus den Fingerspitzen schossen rote Stränge, die auf Gardenia abzielten. Im Anschluss schrie der flammende Kristallritter auf und ließ noch viel mehr dieser Fäden von seinem Rücken wie Peitschen auf die Weiße Hexe zu schnellen. Jene aber machte nicht einmal Anstalt, sich vor den Attacken zu schützen. Stattdessen verkündete sie ruhigen Gemüts: „Ich verbanne den Zauber [Chaos Neclipse] von meinem Friedhof. Dadurch wird jeder Schaden, den ich in diesem Zug erleide, um 500 für jedes meiner zu diesem Zeitpunkt verbannen Monster verringert.“ „[Chaos Neclipse]?“, staunte der Sammler gekünstelt. „Ah!“   Schwungvoll zog die in weiß-grauer Robe gekleidete Gardenia eine Karte von ihrer Halbmond-Duel Disk. „Ich aktiviere zwei Zauberkarten. Die erste ist ebenfalls ein Spielfeldzauber, [Void Expansion]!“ Schwarze Flammen stiegen überall innerhalb der Blase auf. Der Sammler lächelte geheimnisvoll. „Die zweite Zauberkarte nennt sich [That Grass Looks Greener].“ „Nachbars Gras ist grüner? Ja. Das ist es immer“, erwiderte ihr Gegner melancholisch. „Anders als die meisten Duellanten spiele ich mehr als 40 Karten in meinem Deck. 45 um genau zu sein.“ Gardenia griff nach ebendiesem. „Der Effekt meines Zaubers schickt die Differenz der Anzahl an Karten zwischen unseren Decks auf meinen Friedhof. In deinem sind 35, in meinem noch 39. Also lege ich vier ab.“ Sie nahm sie auf und zeigte sie vor. Es waren [Infernoid Pirmais], [Void Seer], [Infernoid Piaty] sowie eine nicht erkennbare, zweite Zauberkarte. Zwei Monster und zwei Zauber also.   All die nach ihr schlagenden Fäden prallten an einer unsichtbaren Barriere vor der Weißen Hexe ab, welche zudem nach ihrer silbernen, sichelförmigen Duel Disk griff.   [Collector: 4000LP / Gardenia: 4000LP → 2200LP → 750LP]   „Des Weiteren erhalte ich bei jedem zugefügten, durch [Chaos Neclipse] verminderten Schaden eines meiner verbannten Monster auf die Hand zurück.“ Der Apparat an ihrem Arm flackerte kurzzeitig pechschwarz auf, dann zog Gardenia [Infernoid Pirmais] und [Infernoid Piaty] aus dem Schlitz unter ihrem Friedhofsschacht hervor. Damit hielt sie insgesamt vier Karten auf ihrem Blatt. „Ich bin froh, dass du es mir doch nicht so einfach machst“, meinte der Sammler, „ein so schnelles Ende wäre deiner nicht würdig. Zug beendet.“   Gerade als die Weiße Hexe wortlos ihre nächste Karte zog, legte der Rothaarige seine Hand ans Kinn und fragte: „Verrate mir doch eines: Wie konnte Anya Bauer aus deinem Weißen Raum entkommen?“ Zunächst zögerte Gardenia. Dann schloss sie die Augen. „Ich ließ sie gehen.“ „Was?“ Zum ersten Mal schien der Sammler aufrichtig überrascht. Als sein Gegenüber ihn wieder ansah, tat sie das mit deutlicher Abneigung. „Dieses Mädchen ist bereits so mächtig, dass sie handfeste Illusionen erschaffen kann. Du hast sie dazu gemacht. Der Mann, der sie gerettet hat, war ein Abbild ihres Vaters. Und er rief dasselbe Monster, das sie heute genutzt hat, um Kali zu besiegen.“ Die kurzzeitige Starre des Sammlers legte sich. Er begann zufrieden zu lächeln. „Das ist wahrlich interessant. Und viel zu früh, sie sollte diese neue Kraft, die Excel-Monster, noch gar nicht besitzen. Aber ich denke, ich ahne, was geschehen ist.“ „Kläre mich auf“, bat Gardenia. Ihr Widersacher nickte. „Ja, ich denke, das geht in Ordnung. Immerhin ist auch dies auf einen Verrat an meiner Person zurückzuführen, wenngleich dieses Mal ein anderer meiner Diener gemeint ist: Kyon. Perfide, wenn ich so darüber nachdenke …“ „Worüber sie wohl reden?“, wunderte sich Zanthe derweil. „Zumindest scheint die Weiße Hexe doch mehr drauf zu haben.“ Auf Matts nachdenkliche Worte hin erwiderte der Werwolf: „Wollen wir es hoffen. Eines Tages könnte sie eine Verbündete werden.“ „Was!?“ Der Dämonenjäger sah ihn mit geweiteten Augen an. „Wie um alles in der Welt kommst du auf diese Idee? Sie ist Kalis Mentorin und hier, um Anya zu töten!“ „Mag sein, aber ist Anyas Tod denn die einzige Möglichkeit, den Konflikt zwischen ihnen beizulegen? Ich an deren Stelle würde mir eher den Kopf über einen möglichen Nutzen vom 'doppelten Lottchen' zerbrechen, als zu versuchen, mein anderes Ich kalt zu machen“, gab Zanthe grinsend zu bedenken. Jedoch zeigte er sofort wieder seine nachdenkliche Seite. „Ich glaube, unsere beiden Gruppen sind gar nicht so verschieden – keiner will, dass dieser Welt etwas geschieht. Wenn es nur eine Gelegenheit gäbe, mal offen mit dieser Gardenia zu sprechen …“ Matt funkelte die Blase an. „Die wurde uns bewusst genommen.“   „Du musst wissen, die Excel-Monster sind keinesfalls meine Idee“, erklärte der Sammler vergnügt und mit ausschweifenden Handgestiken, „ich habe sie 'erworben', als Henry Ford um meine Hilfe bat, den Turm von Neo Babylon zu infiltrieren. Tja, es heißt ja nicht umsonst Trading Card Game. Ich gab ihm Karten und er mir.“ Die Weiße Hexe funkelte ihn verachtend an. „Der arme Junge hat gewiss mehr gegeben als nur das Konzept dieser Monster.“ „Das ist eine andere Geschichte“, erwiderte der Sammler geheimnisvoll, „natürlich habe ich diese neue Kraft an meine Untergebenen weitergegeben. Kyon schien es jedoch für nötig zu halten, wie ein Waschweib alles weiterzutratschen. Wie sonst konnte ein Excel-Monster in die Hand eines völlig Unbeteiligten geraten? Exa, heißt er, denke ich … ich muss Kyon bei Gelegenheit noch dazu konsultieren.“ Er lächelte breit. „Und mich bedanken. Denn kurz darauf hat Kyon es zu einer Begegnung zwischen Anya Bauer, besagtem Exa, Ricther und dem maskierten Dämon kommen lassen. Indem er Letzteren auf Anya gehetzt hat. Durch den entfachten Kampf konnte sie sich unbewusst dank ihrer Conqueror's Soul die Excelbeschwörung aneignen und das obwohl Exa sie dort nicht eingesetzt hat.“ „Ich nehme an, der Sinn dahinter war jedoch nicht, Anya Bauer auf den Kampf gegen Kali vorzubereiten, sondern gegen dich.“ Nickend stimmte der Rothaarige ihr zu. „Selbstverständlich, doch allein dieser geniale Einfall verdient nichts als Lob. Nun gestatte mir noch eine weitere Frage: Anya hat also eine Illusion ihres Vaters erschaffen, um gegen dich zu kämpfen? Das kann nur die Kraft des Doppelklingen-Artefaktes gewesen sein.“ „Jenes war definitiv daran beteiligt. Wie ich gelernt habe, kann es die Vorstellungen seines Trägers bis zu einem gewissen Grad für wahr erscheinen lassen. In seinem Kopf und in dem anderer, wenn ein wahrer Meister es führt.“ Die Hexe lächelte wissend. „Anya Bauer hat ohne Zweifel sehr fest daran geglaubt, gerettet zu werden. Doch dieses Artefakt ist nicht dazu imstande, äußere Illusionen zu erschaffen. Etwas anderes muss ebenfalls daran beteiligt gewesen sein. Womöglich eine Kraft, die sie durch ihre Gabe absorbiert hat.“ „Dazu kommen mir bereits die ersten Theorien. Herrlich.“   „Bedauerlicherweise“, machte Gardenia einen harten Schnitt und zückte eine Karte, „habe ich kein Interesse daran, diese mit dir zu durchzugehen. Wir haben bereits genug Zeit damit vertrödelt.“ Aber ihr Gegner störte sich nicht daran. „Ah, die gute Zeit. Dein kostbarstes Gut.“ „Zumindest gibt es Dinge, die mir kostbar sind.“ Die Brünette zückte eine Zauberkarte. „Diese hier dürfte dir bereits bekannt sein. Ich aktiviere [Chaos Neclipse].“ Unvermittelt tauchte neben dem flammenden Ritter des Sammlers zur Linken eine schwarze, lodernde Sonne. Zu seiner Linken dagegen war es ein weißer Halbmond, der eisigen Dampf abgab. Beide Himmelskörper waren transparent. „Mit dieser Karte wähle ich ein Monster als Ziel und annulliere für den Rest des Zuges seinen Effekt, indem ich ein Monster von meinem Deck mit gleicher Stufe auf die Hand nehme“, erklärte die Weiße Hexe weiter. Die beiden Objekte schossen aufeinander zu, legten sich beim Aufeinandertreffen perfekt aneinander und schlossen so Grysta in sich ein, bevor sie letztlich verschwanden. „Ich wähle [Infernoid Seitsemas].“ Gardenia zeigte das Stufe 7-FEUER-Monster vor. Dann nahm sie eine andere Karte aus ihrem Blatt und rief selbstsicher aus: „Ich aktiviere den permanenten Zauber [Void Imagination], der die Stufe aller offenen Infernoid-Monster zu 1 werden lässt. Jedoch ist das nicht mein eigentliches Anliegen.“ Sie schloss die Augen.   Kali kniete vor Gardenia inmitten des endlosen Weißen Raums nieder. Die einzelnen, durch goldene Linien getrennten Kacheln pulsierten regelmäßig in grünlichem Licht. „Ugh!“, stöhnte die Maskierte in schwarzer Kutte, die ihre rechte Handfläche auf den Boden gelegt hatte. „Shit …“ „Gib nicht auf. Wenn du diesen Ort aus eigener Kraft erreichen willst, musst du diese Prüfung bestehen“, redete die Hexe eindringlich, aber fürsorglich auf das Mädchen ein. „Ich versuch's … aber fuck, das brennt …“ Die Weiße Hexe rührte sich nicht von der Stelle. „Was du hier vollbringst ist einen Pakt zu schließen. Nicht mit einem lebendigen Wesen, sondern einem Gegenstand. So wie einst der Immaterielle Isfanel mit dem Tor Eden.“ Kali presste angestrengt hervor: „Ich weiß! Dadurch hat er diese hässliche Karte erhalten, das hast du mir schon erklärt. Es ist nur … ich bin nicht stark genug …“ „[Sophia, Goddess Of Rebirth] wurde durch diesen Pakt geboren. Und wenn es dir gelingt, einen Pakt mit dem Weißen Raum zu schließen, wirst du eine vergleichbare Macht erlangen.“ Die Frau lächelte sanft. „Vielleicht sogar eine, die die meine übertrifft. Du trägst das Potential in dir.“ „Wenn ich so etwas bekomme“, keuchte Kali und sackte nach vorn, „dann soll es etwas sein, das euch stolz macht, Lady Gardenia! Etwas, durch das ihr immer bei mir seid!“ Sie schrie schmerzerfüllt auf, dann sprang sie auf. Ihre ganze rechte Hand loderte in grünlichen Flammen, die langsam vergingen. Und als sie fort waren, hielt sie eine einzelne Karte in der Hand, die sie schließlich staunend betrachtete. „D-das ist-!“ „Gut gemacht“, lobte Gardenia sie lächelnd und legte ihr ihre Hand auf die Schulter, „aber ich habe nichts andere erwartet, Anya.“ Die nickte dankbar.   „Ich muss dich vernichten, Strife Carrington. Für das Wohl meiner kostbaren Schülerin“, verkündete Gardenia und streckte den Arm energisch aus, „und dazu werde ich die Karte nutzen, die das Band zwischen uns symbolisiert! Ich aktiviere den zweiten Effekt von [Void Imagination] und schicke sie auf den Friedhof!“ Vor ihr öffnete sich ein schwarzer Schlund mitten in der Luft. Nacheinander tauchten violette Feuerkugeln in insgesamt drei Reihen vor diesem auf. Links und rechts brannten je drei, in der Mitte über ihnen eine und weiter unten noch einmal drei – der kabbalistische Lebensbaum. „Ich führe nun eine Fusionsbeschwörung durch. Und es ist der Tatsache zu verdanken, dass du ein vom Extradeck beschworenes Monster kontrollierst, dass ich den zusätzlichen Effekt von [Void Imagination] nutzen kann, um sechs der benötigen Materialien direkt von meinem Deck auf den Friedhof zu senden.“ Die Weiße Hexe zählte dazu auf: „[Infernoid Onuncu], [Infernoid Devyaty], [Infernoid Antra], [Infernoid Attondel], [Infernoid Harmadik] und [Infernoid Patrulea].“ An verschiedenen Plätzen innerhalb des Sephiroth tauchten benannte Effektmonster als Karten in den Flammen auf. Gardenia zeigte ihre Hand vor. „Weitere vier nutze ich aus meiner Hand. [Infernoid Pirmais], [Infernoid Piaty], [Infernoid Decatron] und [Infernoid Seitsemas].“ Auch die übrig gebliebenen Feuerkugeln wurden durch Karten ausgefüllt. Fast jedes Monster darin besaß eine andere Stufe, von 1 bis 10. Tatsächlich fehlte nur die Stufe 6, dafür war die Stufe 1 zweimal vertreten. „Und nun rufe ich das ultimative Infernoid-Monster! Fusion Summon!“ Schlagartig wurden alle zehn Flammen mit den Karten darin in den schwarzen Sog gezogen, welcher verschwand. Dann geschah es. Der Himmel verdunkelte sich, wurde so grau, dass es jeden Moment zu donnern und zu blitzen schien. „Zerstöre, [Infernoid Tierra]!“ Aufgerufen durch Gardenias Worte brach ihre Kreatur schließlich aus den Wolken. Blitze schlugen dabei überall um die Plattform herum ein. Unfassbar lang war diese Erscheinungsform Tierras, die sich hinab zum Platz des Geschehens begab, bis sie hinter Gardenia und der Glasplattform Stellung bezog, sich über deren Rand hinüber beugte. Langsam umschlang die drachenartige, gehörnte Kreatur mit ihrem Schweif die Glasplattform in der Luft an zwei Stellen. Ein weißer und ein schwarzer Flügel aus Glas fächerten sich dabei von ihrem Rücken auf. Über ihren Händen ließ sie gleichfarbige Energiekugeln erscheinen.   Infernoid Tierra [ATK/3400 DEF/3600 (11)]   „Was zur Hölle!?“, keuchte Zanthe. Nur knapp hinter ihnen umschlang der Schweif Tierras die Plattform, versperrte den Weg. Matt sah die Kreatur gebannt an. „Es sieht fast so aus wie Kalis Monster. Nur ein wenig kleiner und lebendiger.“ Gleichzeitig erklärte Gardenia im Inneren der vom Weißen Raum umschlossenen Blase: „[Infernoid Tierra] ist eine mächtige Kreatur, die mit einer variablen Zahl an Fusionsmaterialien beschworen werden kann.“ Der Sammler lachte vergnügt. „Natürlich verschwendet die Weiße Hexe ihre Zeit nicht mit der Mindestanzahl. Nein, ich schätze, zehn Infernoids dürfte das Maximum gewesen sein.“ „Korrekt. Und jetzt wird eine Sequenz von Effekten in Abhängigkeit der Anzahl an verschmolzenen Monstern verwendet.“ Sie streckte die Hand aus und hob den Zeigefinger. „Eins: Bei drei fusionierten Monstern werden die obersten drei Deckkarten beider Spieler auf den Friedhof gelegt!“ „Wie du wünscht.“ Der Rotschopf nahm seine Karten auf, genau wie seine Gegnerin. Während ihre direkt auf dem Friedhof landeten, zeigte er die seinen vor. Es waren die Zauber [Fusion Weapon], [Battle Fusion] und die Falle [Final Fusion]. Auch er schob sie schließlich in den Friedhofsschlitz. „Zweites: Bei fünf Infernoids schicken beide Spieler drei Monster von ihrem Extradeck auf den Friedhof.“ Die Frau hob dabei den Mittelfinger. „Jedoch befinden sich in meinem keine weiteren.“ „In meinem schon“, seufzte der Sammler schauspielernd und verkündete: „Ich verzichte dann auf [El Shaddoll Shekhinaga], [El Shaddoll Winda] und [El Shaddoll Anoyatyllis].“ Jene drei Karten wurden aus seinem Extradeck herausgeschoben und schließlich auch auf den Ablagestapel gelegt. Gardenia hob den Ringfinger an: „Bei acht Fusionsmaterialien wählen wir beide drei unserer verbannten Karten und legen sie auf den Friedhof.“ „Bedauerlicherweise besitze ich keine“, meinte der Sammler halbherzig. „Aber ich.“ Gardenia zeigte ihren Zauber [Chaos Neclipse] vor, ehe sie ihn in den Friedhofsschlitz schob. Gleichzeitig hob plötzlich Tierra ihre beiden Sphären über den Händen in die Höhe. „Und nun der letzte Effekt! Sind alle zehn Infernoids benutzt worden, werden die Hände beider Spieler auf den Friedhof geschickt!“ Da führte die schlangenhafte Drachengestalt die weiße und die schwarze Lichtsphäre zusammen. Mächtige Schockwellen entstanden, die Bäume unterhalb der Plattform schwankten ob des entstandenen, starken Sturmwinds hin und her. Nacheinander prallten die sichelartigen Klingen an der Barriere des Sammlers ab. Welcher amüsiert meinte: „Natürlich profitierst auch hier nur du davon, die du keine Handkarte mehr besitzt. Dann lege ich also meine [Shaddoll Fusion] ab. Bedauerlich.“ Er tat wie angekündigt und schob die Karte in den Friedhofsschlitz.   Und während er da drinnen sicher war, hatten Matt und Zanthe mit den heftigen Stürmen zu kämpfen. „Ugh!“, keuchte der kniende Dämonenjäger. „Wenn der Wind noch stärker wird, werden wir davon geweht.“ „Wäre doch unsere Chance zu entkommen“, gluckste Zanthe, dem ein paar schwarze Haarsträhnen ins Gesicht peitschten. „Außerdem bin ich jetzt Team Ginger! Diese Hexe ist irre!“ „Kalis Monster wurde bestimmt im Abbild von diesem hier erschaffen! Dann dauert es sicher nicht mehr lange, bis wir das Assmonster vom Sammler zu Gesicht bekommen!“ „So gern ich das sehen würde, hänge ich doch irgendwie an meinem Leben.“ Matt musste zum ersten Mal seit einiger Zeit grinsen. „Ich denke nicht, dass du noch irgendeine Form von Kontrolle darüber hast. Wir sind denen ausgeliefert. Verdammt!“ Er schlug mit der Faust aufs Glas, was natürlich eine ziemlich schmerzhafte Idee war. „Au!“   „Bedauerlicherweise hat das Vernichten meiner Fusionsmonster auch einen Nebeneffekt. Jedes von ihnen kann eine Shaddoll-Magie oder Fallenkarte von meinem Friedhof auf meine Hand schicken, wenn sie durch einen Effekt auf den Friedhof gelegt werden“, erklärte der Sammler völlig lapidar und fächerte seine Hand auf, in der nacheinander [El Shaddoll Fusion], [Nephe Shaddoll Fusion] und [Shaddoll Fusion] erschienen, die er der Hexe kurz zudrehte. „Keine von ihnen nützt dir noch länger“, wusste Gardenia jedoch und schwang die Hand zur Seite aus, „[Infernoid Tierra] wird [El Shaddoll Construct] angreifen!“ „Dann vergiss bitte nicht, dass drei weitere Zähler auf meiner Spielfeldzauberkarte [Curse Of The Shadow Prison] dazugekommen sind“, fuhr der Sammler ihr lächelnd in die Parade, „für jedes Fusionsmonster einer. Das kostet dein Monster pro Stück 100 Angriffspunkte.“ Winzige Schatten krochen an der drachenartigen Gestalt außerhalb der Blase empor.   Curse Of The Shadow Prison [Zählmarken: 1 → 4] Infernoid Tierra [ATK/3400 → 3000 DEF/3600 (11)]   Gardenia hielt stur dagegen. „Dennoch ist die Kraft Tierras mehr als ausreichend! Vernichte seine Puppe nun!“ Der Schlangendrache richtete sein Haupt nach unten und stieß eine glühende, schwarz-rote Flamme aus, welche die Blase jedoch abwehrte und zu beiden Seiten abprallen ließ. Die Luft um die Plattform herum flimmerte vor Hitze. „Ich fürchte, du unterschätzt [El Shaddoll Construct] ein wenig“, schmunzelte der Sammler und schnippte mit dem Finger. Kurzzeitig leuchteten die leeren Augen der riesigen Puppe in dunkler Metallkleidung auf. „Im Kampf zerstört sie automatisch jedes Monster, das spezialbeschworen wurde.“ Erneut streckte die Maschine ihre Hände aus und schwang zahlreiche, rote Fäden aus ihren Fingern wie Peitschen, die gegen die bereits von der Flamme Tierras schwarz gewordenen Stellen innerhalb des Bannkreises schlugen und diese schließlich durchdrangen. „Dessen bin ich mir bewusst“, konterte Gardenia und streckte die Hand aus, „deshalb verbanne ich die Zauberkarte [Void Seer] von meinem Friedhof. Für den Rest des Zuges ist es damit unmöglich, [Infernoid Tierra] durch einen Karteneffekt zu zerstören.“ Der Sammler fasste sich ans Kinn und machte ein nachdenkliches, aber unbekümmertes Summen. Dadurch, dass die Stränge seiner Puppe den Bannkreis überwunden hatten, waren sie den Flammen des dämonischen Drachens ausgesetzt, welcher sie entzündete. Binnen weniger Sekunden lösten sie sich wie eine Lunte auf und detonierten schließlich, als sie [El Shaddoll Constructs] Finger erreichten. Die Druckwelle im Inneren des Bannkreises störte den Sammler jedoch nicht.   [Collector: 4000LP → 3800LP / Gardenia: 750LP]   Im Gegenteil, er summte weiter, stimmte sogar eine fröhliche Melodie an. Als er den ungeduldigen Blick seiner Gegnerin auffing, lächelte er falsch. „Oh? Entschuldige. Ein Ohrwurm. Durch den Untergang von [El Shaddoll Construct] wird ihr letzter Effekt aktiv. Wieder erhalte ich eine Shaddoll-Nicht-Monsterkarte von meinem Friedhof zurück. Da bleibt dann nur noch [Shaddoll Core].“ Jene Falle wurde von seinem Friedhof ausgespuckt und in sein bereits drei Karten umfassendes Blatt genommen. Die Weiße Hexe nickte ihm zu. Ihr Zug war beendet, womit Tierra damit aufhörte, Flammen auszuspeien. Die obere Seite des Bannkreises war vollkommen schwarz, flimmerte unregelmäßig.   Nicht weiter davon beunruhigt zog der Sammler seine nächste Karte und betrachtete sie mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck. Dann sah er auf, drehte dabei das verbliebene Fusionsmonster auf seiner schwarzen Battle City-Duel Disk in die Horizontale. „[El Shaddoll Grysta] geht in die Defensive.“ Der schwebende Ritter vor ihm schlug seine Fadenschwingen um sich, die ihn binnen weniger Sekunden in einen Kokon einhüllten. Jener pulsierte hin und wieder, war von Flammen überzogen, die ihm jedoch nicht schadeten.   El Shaddoll Grysta [ATK/2450 DEF/1950 (7)]   „Dazu setze ich eine Karte verdeckt. Du bist am Zug, werte Gardenia.“ Die Karte materialisierte sich zischend zu seinen Füßen. Und er lächelte, als wäre dies alles nur ein Spiel, das er nicht verlieren konnte.   ~-~-~   Der kleine Schattengeist saß schwankend auf Velvets Bettkante. Seine leeren, weißen Augen drehten sich förmlich ob der wahr gemachten Drohung des Mädchens, ihn in eine Waschmaschine mit Schleudergang zu stecken. Jenes hockte inzwischen bekleidet mit einem fliederfarbenen Kleid und schwarzen Leggins, aber immer noch knallrot im Gesicht vor Orion. Hinter ihren Brillengläsern betrachtete sie die schwarze, zwiebelartige Kreatur beschämt. „S-sorry, ich hätte das nicht tun sollen.“ „Alles gut …“, würgte der Schattengeist hervor. „D-du heißt also Orion“, fragte Velvet vorsichtig nach, „und bist hier, um auf mich aufzupassen?“ Ihr merkwürdiger Besucher schüttelte intensiv seinen Kopf – sprich den ganzen Körper – als vertreibe dies den Schwindel. Dann flötete er durch seine Mundtröte: „Jaha!“ „Warum? Wir kennen uns doch gar nicht.“ „Weil Lady Gardenia es so möchte. Sie ist schlau, lieb, manchmal sehr streng“, verfiel der Schattengeist sofort ins Schwärmen, „und das Wohl dieser Welt liegt ihr sehr am Herzen.“ „A-aber was hat das mit mir zu tun?“, verstand Velvet nicht. „Das“, druckste Orion herum, „äh, wissen wir selbst nicht so genau. Eine von uns hatte eine ziemlich schmerzhafte Begegnung mit einem maskierten Dämon, der ihr den Auftrag gegeben hat, dich im Auge zu behalten.“ Völlig irritiert fragte Velvet: „Maskierter Dämon? I-ich kenne so jemanden nicht.“ „Als Kali Lady Gardenia davon berichtete, hat sie sofort entschieden, dass wir uns alle um dich kümmern sollen. Und sie hatte Recht!“ Der Kleine nickte so heftig, dass er beinahe vom Bett purzelte. „Jemand ist hinter dir her, weil du die Zukunft sehen kannst!“ „Als ich von diesem Zyxx angegriffen wurde … ihr wart das? Ihr habt mir geholfen?“ „Ja, Kali hatte zu diesem Zeitpunkt Dienst.“ Orion verzog die Augen. „Eigentlich wäre es allein ihre Aufgabe, aber sie hält nicht viel von Verpflichtungen, also springen ich und Reika-chan ein.“   Plötzlich senkte er sein Haupt, die Kulleraugen verzogen sich traurig. „Aber Reika-chan ist seit ein paar Tagen verschwunden …“ „W-was!?“ Velvet sah ihn verängstigt an. Doch der Kleine ruderte wild mit seinen Stummelärmchen. „Darum musst du dich nicht sorgen! Sie ist Lady Gardenias Top-Schülerin und kann auf sich aufpassen. Sicher hören wir bald von ihr. In der Zwischenzeit kümmere ich mich um dich!“ Velvet atmete tief durch und erhob sich langsam. „Das ist nett, aber ich möchte euch keine Umstände machen. Außerdem kann ich euch nicht einmal dafür entschädigen.“ „Das musst du nicht! Wie ich sagte: Lady Gardenia ist sehr wohlwollend, sie erwartet keine Gegenleistung für ihre Hilfe.“ Orion sah strahlend zu ihr auf. „Glaub mir, ich weiß es!“ Das brachte die Schwarzhaarige zum Kichern. „Wenn ihr von meinen Kräften wisst, wisst ihr dann auch, wer da genau hinter mir her ist?“ „Noch nicht“, gab der Schattengeist geknickt zu. „Kali-senpai konnte Zyxx fangen, aber bisher hat Lady Gardenia nichts von ihm erfahren können. Dieser Vampir ist echt zäh!“ „Ist er wirklich einer? Unheimlich …“ „Ah!“ Orion sprang erschrocken von der Bettkante und watschelte zu ihr herüber. „Ich wollte Velvet-chan keine Angst machen!“ Die schüttelte den Kopf. „N-nein, e-es ist nur, dass ich etwas Merkwürdiges bei ihm verspürt habe. Fast so, als habe er versucht, mich in seinen Bann zu ziehen. Sind das seine Vampirkräfte?“ „Jaha!“   Das Mädchen bückte sich zu ihm hinab und las ihn auf. Mit ihm auf dem Arm schritt sie herüber zu ihrem Schreibtisch und setzte Orion dort ab. „D-das ist alles etwas viel. Aber … vielen Dank.“ „Nichts zu danken“, grunzte ihr neuer Bekannter verlegen. Und machte einen riesigen Trötenmund, „wenn Velvet-chan will, kann sie mich gerne durch einen Kuss belohnen!“ „I-ich verzichte!“, schnappte die empört. „Was ist überhaupt ein 'chan'!?“ „Oh, das!? Ich bin ein Otaku! Ich benutze gerne solche Endungen. 'Chan' steht für süße Mädchen. Ich würde Lady Gardenia gerne Gardenia-sama nennen, aber sie hat es mir verboten!“ Er ließ den Kopf hängen. „Manchmal ist sie eben auch sehr streng …“ „Otaku? 'Sama'?“ „Das bedeutet-“ Sofort hob Velvet winkend die Hände. „Nein, schon gut! I-ich google das später!“   Sie zog ihren Schreibtischstuhl nach hinten und setzte sich an diesen. „Aber wie geht es jetzt weiter? Werde ich Lady Gardenia persönlich treffen?“ „Im Moment ist sie sehr beschäftigt.“ „Ich würde ihr gerne danken“, gestand Velvet, „sie scheint ja wirklich sehr nett zu sein. Und bei Kali und Reika möchte ich mich natürlich auch bedanken.“ Orion drehte ihr den Rücken zu. „Du wirst sie früher oder später schon kennenlernen. Und auch den faulen Zach-kun.“ „Zachkun?“ „Nein!“ Er wirbelte zu ihr um. „Zachariah! Zach-kun! Er ist der Letzte im Bunde und ich mag ihn gar nicht. Er hat schlimme Sachen getan!“ „O-oh … was für Sachen denn?“ „Ein Flugzeug zum Absturz gebracht! Viele Menschen sind gestorben!“, beklagte Orion wütend.   In dem Moment bekam Velvet ein ganz flaues Gefühl im Magen. In letzter Zeit hatte es nur einen bekannten Flugzeugabsturz gegeben. Den über Ephemeria City, welchen sie in einer ihrer Visionen miterlebt hatte. „W-welchen?“, fragte sie leise. „War überall in den Nachrichten. Flug 117.“ Die Schwarzhaarige weitete die Augen. Das war er! Sie schlug entsetzt die Hände vor den Mund. „Owah! Jetzt hab ich Velvet-chan wieder erschreckt! Eigentlich hätte Lady Gardenia ihn dafür bestrafen müssen, aber Kali-senpai konnte sie irgendwie davon abbringen.“ Als Orion sah, dass Mädchen die Tränen kam, fuchtelte er wieder wild mit seinen Ärmchen. „Hab keine Angst, Velvet-chan! Zach-kun wird nie in deine Nähe kommen! Wenn doch, verpasse ich ihm eine Abreibung, wie sie nicht einmal Lady Gardenia hinbekommen würde! Versprochen!“ „Warum hat er das getan!?“, wimmerte Velvet jedoch fassungslos. „Da waren … so viele … ich hatte eine Vision davon …“ Orion machte vor Schreck einen derart langen Trötenmund, dass er rückwärts stolperte und gegen ihre Schreibtischlampe stieß. „Wa-wa-wa-was!?“ Sie nickte um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. „Oh Velvet-chan, das tut mir leid.“ Er sah sie traurig an. „Aber ich darf nicht über seine Gründe sprechen …“ „Verstehe.“   Sie wischte sich die Tränen aus den Augen und atmete dreimal tief durch. „Danke, dass du mir das erzählt hast.“ Nur wusste sie jetzt nicht mehr, ob sie Orion und seiner Gruppe überhaupt vertrauen konnte. Leute, die so etwas taten, waren noch zu viel mehr imstande. Waren ihre Absichten wirklich so uneigennützig wie er behauptete? Unabhängig davon hatten sie Velvet trotzdem vor einem schrecklichen Schicksal bewahrt – fürs Erste. Was sollte sie bloß tun? „Wenn ihr herausfindet, wer hinter mir her ist, was werdet ihr tun?“, fragte das Mädchen vorsichtig. „Weiß ich nicht. Das entscheidet Lady Gardenia.“ Orion tapste zu Velvet herüber. „Aber sie wird dich bestimmt mit einbeziehen, immerhin ist dein Leben in Gefahr. Und diese Gruppe ist möglicherweise nicht die einzige, die dich wegen deiner Kräfte verfolgt.“ „W-was!?“ „Niemand darf je davon erfahren, Velvet-chan! Die Zukunft sehen zu können kann eine gefährliche Waffe darstellen!“, sprach Orion eindringlich. „Jeder, der davon weiß, wird dich ausnutzen wollen!“ Aber ihre Freunde hatten das nie versucht, wollte das Mädchen widersprechen. Auch wenn das so nicht ganz stimmte, aber Antworten bei Tests vorhersagen war wohl kaum, was Orion damit meinte. Und geklappt hatte es natürlich sowieso nicht. „I-ich kann sie ja nicht einmal kontrollieren. Ich wäre viel zu unzuverlässig als … Waffe.“ Orion sah sie nachdenklich an, wackelte mit seinem Kopf hin und her. „Hm, hm, hm. Vielleicht wäre es ja das Beste, wenn du lernst sie zu beherrschen? Es könnte dir eines Tages helfen, unangenehmen Lagen zu entkommen.“ Das Mädchen horchte auf. „Was? Ist das denn möglich?“ „Bestimmt. Ich habe schon eine Idee, aber die Wahl liegt bei dir.“ So ernst hatte sie ihn bisher nicht erlebt, besonders als er hinzufügte: „Wenn du deine Kräfte erst einmal kontrollieren kannst, werden sie dein Leben verändern. Du könntest Dinge erfahren, die du gar nicht wissen wolltest, wenn du der Verlockung nachgehst. Möchtest du das?“ Velvet zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Aber … aber ich glaube, ich bin nicht ohne Grund damit geboren worden. Vielleicht kann ich Gutes tun, wenn ich die Visionen steuern kann?“ Aber Orion gab zu bedenken: „Anderen bestimmt. Aber auch dir selber, langfristig gesehen? Das kannst nur du allein wissen, Velvet-chan.“ Jene seufzte. „Ja … ich denke darüber nach.“ „Du musst mich nur rufen! Ich bin immer in deiner Nähe, Velvet-chan!“   Damit schnippte er mit seinen winzigen Fingern und ließ vor sich auf dem Tisch ein kleines, schwarzes Portal erscheinen, durch das er schritt. Völlig verblüfft sah ihm Velvet dabei zu und hauchte ehrfürchtig, als das Portal sich wieder schloss.   ~-~-~   Sich nicht von der Arroganz des Sammlers beeindrucken lassend, griff Gardenia nach ihrem Deck und zog auf. Sie musste die Karte gar nicht ansehen, sondern spielte sie direkt aus. „Ich benutze den Zauber [Harmonic Waves], um für diesen Zug die Stufe Tierras auf 4 zu setzen.“ Der dämonische Schlangendrache, der sich um die Glasplattform geschlungen hatte und hinter Gardenia thronte, verfiel in einen grässliches Röhren, das kaum als Gesang durchgehen konnte.   Infernoid Tierra [ATK/3000 DEF/3600 (11 → 4)]   „Reguläre Infernoid-Monster können nicht beschworen werden, solange die Stufen der Monster auf meinem Feld acht oder mehr ergeben“, erklärte die Weiße Hexe, „da dies nicht länger der Fall ist, kann ich sie von meinem Friedhof reanimieren. Ich verbanne die Infernoids Pirmais, Antra und Harmadik von dort und beschwöre [Infernoid Devyaty] aus der Asche!“ Aus dem fast schwarzen Himmel brach eine weitere, meterlange Kreatur hervor. Zwar war sie allenfalls halb so lang wie Tierra, besaß jedoch große Ähnlichkeit zu dieser. Im Gegensatz zu ihr war sie eher Schlange als Drache und ihre Flügel aus Glas hatten eine klassischere, durchsichtige Form. Doch als sie sich hinter den Sammler begab und ebenfalls mit ihrem Schweif die schützende Blase einmal umschlang, wurde die Abstammung noch einmal besonders deutlich.   Infernoid Devyaty [ATK/2900 DEF/2900 (9)]   „[Infernoid Devyatys] Effekt aktiviert sich!“, verlautete Gardenia mit ausgestreckter Hand. „Alle Nicht-Void-Zauber- und Fallenkarten werden sofort zerstört! Hinfort!“ „Oh?“ Der Sammler schmunzelte. Das Monstrum spreizte seine transparenten Schwingen bis zum Anschlag, welche sich finster verfärbten. „Ich könnte diese Beschwörung durch [El Shaddoll Grysta] annullieren. Aber das ist doch genau, was du beabsichtigst, nicht wahr?“ „Ugh!“, keuchte die Weiße Hexe ertappt. „Denn dein Monster kann einen Monstereffekt annullieren und den Auslöser verbannen, indem es selbst ein Opfer anbietet.“ Der Rotschopf lächelte. „Sehr clever, wohl wahr. Du könntest Devyaty opfern und sofort eine neue Kreatur von deinem Friedhof rufen. Aber ich verzichte auf den Effekt von [El Shaddoll Grysta].“ Aus ihren Schwingen feuerte Devyaty zwei pechschwarze Laserstrahlen ab, welche die Barriere mühelos durchdrangen und einerseits die gesetzte Karte des Sammlers zerfetzten, andererseits auch seine Duel Disk trafen und den Spielfeldzauber darin vernichteten. Damit verschwanden die kleinen Schatten, die an der drachenartigen Kreatur empor krochen.   Infernoid Tierra [ATK/3000 → 3400 DEF/3600 (4)]   Matt und Zanthe hatten sich so weit es ging geduckt, denn die Hitze der Strahlen war unerträglich gewesen. Jetzt saß ihnen noch so ein Vieh im Rücken. „Das wird ja immer besser“, knurrte Matt angespannt, „wenn das so weiter geht, bricht am Ende noch die ganze Plattform zusammen.“ „Musst du immer alles so negativ sehen?“, fragte Zanthe, der sich über die immer noch bewusstlose Anya beugte. „Kein Wunder, dass du alles vergeigst. Du beschreist es ja förmlich.“ „Nicht witzig!“ Total witzig!   Matt pfiff verächtlich, als der Quälgeist in seinem Kopf gackernd widersprach. Er sah über die Schulter und weitete die Augen beim Anblick der Serpentine, die ihr Maul öffnete. „Duckt euch!“   „[Infernoid Devyaty], vernichte sein Monster! Angriff!“, befahl Gardenia indes innerhalb der unter dem ganzen Gewicht langsam nachgebenden Blase. Dann spie die hinter dem Sammler lauernde Kreatur eine smaragdgrüne Flamme, die ebenfalls durch den Bannkreis brach, an ihm vorbei schoss und von hinten seinen im Kokon eingewickelten Krieger zu Asche verarbeitete. „Ein Jammer“, seufzte der Mann schulterzuckend, „jetzt bekomme ich -schon wieder- [Shaddoll Core] von meinem Friedhof zurück, da Grysta dorthin umgezogen ist. Zur Erinnerung: Das war die gesetzte Karte, die dein teuflisches Werkzeug eben vernichtet hatte.“ Er zeigte die Falle vor und steckte sie zu den anderen vier Handkarten. „Dessen bin ich mir bewusst“, erwiderte Gardenia eisig, „und nun erfahre die volle Macht von [Infernoid Tierra] am eigenen Leib! Direkter Angriff auf seine Lebenspunkte!“ Der Schlangendrache, der sich über die Plattform beugte und auf die Blase herab sah, stieß einen infernalischen, schwarz-roten Odem aus und penetrierte den Bannkreis ein weiteres Mal. Anstatt sich aber zu schützen, breitete der Sammler die Arme aus und badete summend in den Flammen.   [Collector: 3800LP → 400LP / Gardenia: 750LP]   Kaum war der Angriff beendet, stand er völlig unbeschadet da und lächelte. „Liebe Güte, ist ganz schön kuschelig geworden. Aber Hitze tötet Bakterien ab, da beschwere ich mich sicher nicht.“ „Hmpf“, rümpfte Gardenia angesichts des unterschwelligen Hohns und verkündete: „Ich beende meinen Zug!“   „Hervorragend“, strahlte der Sammler und zog schwungvoll seine Karte. Sofort im Anschluss ballte er eine Faust und hob sie an. Auf seinem Handrücken trat ein schwarzes Symbol zum Vorschein, ein Breitschwert, das von Dornenranken umgeben war. Doch als er Gardenias entsetzten Gesichtsausdruck bemerkte, senkte er seine Faust wieder und das Mal verschwand. „Aber nein, das wäre unfair, nicht wahr?“ „Hältst du dich etwa zurück, Strife Carrington?“, fragte die Weiße Hexe scharf. „Mitnichten.“ Er sah über die Schulter herüber zu Matt, Zanthe und Anya. „Aber bei so vielen neugierigen Augen muss ich doch eine gute Show bieten.“ Er wandte sich wieder Gardenia zu und nahm eine Karte aus seinem Blatt. „Diese habe ich mir extra seit dem letzten Zug aufgehoben: Die Zauberkarte [Pot Of Avarice].“ Jene stellte sich vor ihm auf und zeigte eine edle, voluminöse Vase, voll bespickt mit Edelsteinen. Und einem grinsenden Gesicht mit Schnauzbart. Jene trat aus der Karte hervor, während der Sammler seinen Friedhof aus dessen Schacht zog. „Ich mische fünf Monster von meinem Friedhof zurück ins Deck und ziehe dann zwei Karten. Oh, du dachtest sicher, du hättest meine Fusionen versiegelt. Leider muss ich dich da enttäuschen.“ Der Rotschopf fächerte fünf Karten vor ihren Augen auf. Sie waren allesamt violett umrandet – [El Shaddoll Winda], [El Shaddoll Construct], [El Shaddoll Grysta], [El Shaddoll Shekhinaga] und [El Shaddoll Anoyatyllis]. Allesamt führte er sie in einen Schlitz an der Seite ein, wo sich sein Extradeck befand. Gardenia schnaubte wütend, als er summend zwei Karten zog, die symbolisch auch aus der Vase hervor schossen, ehe diese grinsend verschwand. Mit insgesamt sieben Handkarten überlegte er laut: „Tja, was nun?“ Er schnippte demonstrativ mit dem Finger. „Ich weiß! Da du ein aus dem Extradeck beschworenes Monster kontrolliert, kann ich den besonderen Effekt meiner Zauberkarte [Shaddoll Fusion] benutzen. Also aktiviere ich sie!“ Über ihm öffnete sich ein schwarzer Wirbel, der Schatten aus dem Nichts in sich hinein zog. „Wie bereits erwähnt, da du [Infernoid Tierra] kontrollierst, kann ich die für die Fusion benötigten Materialien direkt von meinem Deck nutzen! Ich verschmelze also [Shaddoll Beast] mit dem ERDE-Monster [Apoqliphort Towers] von meinem Deck …“ Jene Karten stiegen über ihm auf und wurden ebenfalls in den Vortex gezogen. „… und erschaffe damit [El Shaddoll Shekhinaga]! Fusion Summon!“ Aus dem Sog tauchte eine gewaltige Gestalt auf, fast zu groß für den Bannkreis. Je vier Auswüchse besaß sie, die wie Beine wirkten – ein riesiges Flugobjekt. Darauf saß die mechanische Puppe [El Shaddoll Construct], die über violette Fäden mit ihrem Thron verbunden war.   El Shaddoll Shekhinaga [ATK/2600 DEF/3000 (10)] „Und da mein [Shaddoll Beast] durch einen Karteneffekt auf den Friedhof gelegt wurde, darf ich eine Karte ziehen“, verkündete der Sammler süßlich und lächelte, anders als das weiße Porzellangesicht seiner Marionette, welche sich hinter ihm positionierte. Er zog auf. „Auch wenn du es gewiss längst erkannt hast, erkläre ich es zur Sicherheit trotzdem noch einmal. [El Shaddoll Shekhinaga] kann einmal pro Zug auf Kosten einer Shaddoll-Karte in meiner Hand den Effekt eines spezialbeschworenen Monsters annullieren und es zerstören.“ „Was bedeutet, dass sich [Infernoid Devyaty] und deine Puppe gegenseitig aufheben können.“ „Korrekt“, nickte der Brite im schwarzen Anzug lächelnd, „je nachdem, wer zuerst den Abzug betätigt. Derjenige wird sein Monster verlieren.“ Seine Widersacherin runzelte die Stirn, begriff sie doch, dass sie praktisch keine Möglichkeit mehr besaß, die Effektmonster des Sammlers zu behindern. „Nun“, sprach der und betrachtete sein Blatt. Auf einmal schwand all die vorgetäuschte gute Laune und wich einem nachdenklichen, ja beinahe traurigen Ausdruck, „wenn ich richtig zähle, liegen in diesem Moment genau fünf FINSTERNIS-Monster auf meinem Friedhof. [Shaddoll Falco], [Shaddoll Hedgehog], [Shaddoll Dragon] und zwei Kopien von [Shaddoll Beast].“ Er sah auf, verzog die Augen zu Schlitzen. „Und das heißt, dass ich dieses Monster von meiner Hand spezialbeschwören kann. Tritt in Erscheinung, verblasste Erinnerung! [Oblemirage The Elemental Lord]!“ Der Schatten des Sammlers wuchs vor diesem auf der Glasplattform zu enormer Größe an und bildete ein Tor, aus dem eine eindrucksvolle Kreatur empor stieg. Völlig aus violett-goldenem Stahl war sie mit dem Erscheinungsbild eines fliegenden Augapfels. Unter jenem rotierten zahlreiche metallische Ruder, über der stilistischen Pupille ragte ein Helm samt schwebendem Kragen dahinter.   Oblemirage The Elemental Lord [ATK/2800 DEF/2200 (8)]   Die eigentlich blaue Iris innerhalb der schwarzen Pupille verfärbte sich plötzlich rot. Dazu erklärte der Sammler: „Bei der Beschwörung von Oblemirage erhalte ich ein Monster mit nicht mehr als 1500 Angriffspunkten von meinem Deck. Ich wähle einen [Shaddoll Falco].“ Jene Karte schob sich automatisch aus seinem Deck heraus, sodass er sie nur aufzunehmen brauchte.   Indes konnte Matt nur mit offenem Mund zusehen. „Unglaublich! Eben noch dachte ich, der Sammler wäre am Ende. Aber jetzt beschwört er Monster um Monster und sorgt gleichzeitig dafür, dass ihm nicht die Karten ausgehen. Er hat immer noch sieben auf der Hand!“ Selbst Zanthe konnte ihm diesmal nur zustimmen. „Yeah. Und soll ich dir was sagen? Ich glaube, er hält sich sogar noch zurück. Hast du den Blick gesehen, den er uns eben zugeworfen hat?“ „Hab' ich …“ „Trotzdem“, gluckste Zanthe voller schwarzem Humor, „da er Anya gewissermaßen gerettet hat, bin ich auf seiner Seite. Go, Collector!“ Er hob die Faust in den Himmel, während Matt stöhnend die Hand vor die Stirn schlug.   „Es scheint, als seien Anya Bauers Freunde auf deiner Seite“, stellte Gardenia fest und lächelte besonnen, „sie denken wahrscheinlich, dass ich auch ihnen schaden will.“ „Sie ahnen ja nicht, dass das alles ein abgekartetes Spiel ist“, erwiderte der Sammler, „und du in Wirklichkeit von Anfang an mich im Visier hattest. So ist es doch, nicht wahr?“ Die Weiße Hexe zog verheißungsvoll die Mundwinkel an. „Sehen wir doch, ob dieser Plan nicht nach hinten losgegangen ist?“ Der Mann nahm eine Karte aus seinem Blatt und zeigte sie vor. „Ich fusioniere ein weiteres Mal, diesmal mit [El Shaddoll Fusion]!“ Erneut entstand über ihm ein schwarzer Wirbel, der zwei Karten in sich hinein zog. „Ich verschmelze [Shaddoll Squamata] mit dem FINSTERNIS-Monster [Shaddoll Falco]!“ Kurz erschienen die durchsichtigen Abbilder einer gut gepanzerten Schlange und eines Vögelchens – beide in dunklen Farben gehalten – dann verschwanden auch sie in dem Sog. „Fusion Summon! Komm herbei, [El Shaddoll Winda]!“, rief der Sammler mit deutlich mehr Nachdruck als bisher in der Stimme. Aus dem Vortex schoss ein grünhaariges Mädchen, das auf einem chinesischen Drachen ritt. Auch diese beiden waren in tief violetten Tönen gehalten und hingen an zahlreichen Fäden.   El Shaddoll Winda [ATK/2200 DEF/800 (5)]   „Monstereffekte der beiden durch Karteneffekte auf den Friedhof geschickten Shaddoll-Monster“, sprach der Sammler konzentriert, „[Shaddoll Falco] wird verdeckt aufs Spielfeld beschworen. [Shaddoll Squamata] schickt ein weiteres Shaddoll-Monster von meinem Deck auf den Friedhof!“ Der kleine Vogel tauchte kurz vor ihm auf, ehe sich seine vielfach vergrößerte Karte über ihn legte und er darunter verschwand. Shaddoll Falco [ATK/600 DEF/1400 (2)]   „Ich schicke durch Squamatas Effekt [Shaddoll Hedgehog] auf den Friedhof. Und wird der durch einen Effekt dorthin gelegt, erhalte ich einen seiner Kameraden vom Deck. [Shaddoll Hound].“ Kurz tauchte vor ihm ein kleiner, finsterer Igel auf, der quiekend all seine Stacheln aus dem Rücken wachsen ließ, ehe er wieder verschwand. Dann schoss die benannte Karte aus des Sammlers Deck und wurde in dessen Blatt aufgenommen. Gardenia gab ein angespanntes Zischen von sich. „Nervös? Ahnst du bereits, was ich für dich im Sinn habe?“, fragte der Sammler süffisant. Dann nahm er die nächste Karte aus seinem Blatt. „Du wirst begeistert sein. Ich aktiviere [Monster Reincarnation] und werfe [Shaddoll Core] von meiner Hand ab, um ein Monster vom Friedhof zu bergen. Meine Wahl: [Apoqliphort Towers]!“ Diesmal war es jenes Effektmonster, das aus seinem Friedhof entnommen wurde. Er zeigte die Karte demonstrativ vor. „Weißt du, normalerweise dürfte diese Karte nur beschworen werden, indem man drei Qliphort-Monster dafür als Tribut anbietet. Aber es gibt einen Weg, das zu umgehen.“ Der Sammler zeigte seinen Handrücken vor, auf dem wieder das Schwert mit den es umringenden Dornenranken erschien. „Also greifst du doch auf deinen verborgenen Schatten zurück“, wusste Gardenia sofort zerknirscht. „Ich habe mich bereits gefragt, wann du zu solch niederen Mitteln greifen würdest.“ Abwehrend hob der Rotschopf die Hände. „Aber nicht doch. Ich beschwöre -ihn- nicht, ich nutze nur seine kleine Spielerei für meine Zwecke. Monstereffekt: The Taken Name!“ „Was?“, staunte Gardenia, als sich um die Monster des Sammlers weiß-schwarze Linien zogen, die ineinander verzackt waren. Ihr Widersacher lächelte sie vergnügt an. „Damit wird der Name jedes Monsters auf meiner Spielfeldseite zu einem anderen, den ich frei bestimmen kann. Ich bin so frei und nenne meine Monster, ob offen oder verdeckt, [Apoqliphort Towers]. Aber das ist nur ihr Name, nicht ihre Identität, Teuerste. So sind mein einziger Freund und ich immer miteinander verbunden.“ Die Hexe in weiß-grauer Robe musste lachen. „Oh? Damit ist wohl der Überwacher gemeint. Sicher verfolgt auch er in diesem Moment unsere Konfrontation.“ „Davon bin ich überzeugt. Und extra für ihn nehme ich all diese Mühen auf mich, dieses Monster zu beschwören.“ Der Sammler streckte die Hand nach vorne aus. „Ich biete [El Shaddoll Winda], [El Shaddoll Shekhinaga] und [Shaddoll Falco] als Tribut an! Erscheine, [Apoqliphort Towers]!“ Eins nach dem anderen löste sich erst die verdeckte Monsterkarte, dann die Drachenreiterin und schließlich auch die Puppe auf. Doch ihr Thron blieb. Und fuhr plötzlich hoch, offenbarte sich als vierbeinige Kampfmaschine, in deren Zentrum sich ein langer Kern befand.   Apoqliphort Towers [ATK/3000 DEF/2600 (10)]   Beinahe nebensächlich war es, dass der Sammler den Zauber [Shaddoll Fusion] und die Falle [Shaddoll Core] von seinem Friedhof zurück ins Blatt nahm, da seine Fusionsmonster dorthin geschickt worden waren. „Natürlich wäre [Apoqliphort Towers] in voller Größe wesentlich beeindruckender“, lamentierte der Sammler, als er damit fertig war, „aber das muss reichen. Doch auch so setzt sofort ihr Effekt ein, der sämtliche spezialbeschworenen Monster um 500 Punkte auf beiden Werten schwächt! Apocrypha!“ Der nach unten gerichtete Kern der Maschine begann grün zu leuchten. Auch um das andere Monster des Sammlers sowie die beiden Schlangen außerhalb des Kraftfelds begann sich ein gleichfarbiger Schleier zu legen, der sie träge machte.   Oblemirage The Elemental Lord [ATK/2800 → 2300 DEF/2200 → 1700 (8)] Infernoid Tierra [ATK/3400 → 2900 DEF/3600 → 3100 (10)] Infernoid Devyaty [ATK/2900 → 2400 DEF/2900 → 2400 (9)]   „Aber das war nur der halbe Spaß. Nächster Effekt von [Apoqliphort Towers]. Du musst ein Monster wählen, das sich entweder auf deiner Hand oder deinem Spielfeld befindet und es auf den Friedhof schicken“, sprach der Sammler weiter. Sofort begann die Antenne an der Spitze seiner Kriegsmaschine rot aufzuleuchten und einen Laserstrahl abzugeben, der um Gardenia herum etliche Male den Sephiroth-Lebensbaum zeichnete, bis jene sich um sie zu drehen begannen. Doch die Weiße Hexe schwang den Arm aus. „Du Narr! Durch das Opfer von [El Shaddoll Shekhinaga] kann ich jetzt bedenkenlos den Effekt von [Infernoid Devyaty]-! Was!?“ Doch die Kreatur im Nacken des Sammlers rührte sich nicht, war geschwächt von dem grünen Schleier um sie herum. „Bedaure, aber das ist nicht möglich. Monster mit geringer Stufe können [Apoqliphort Towers] nichts anhaben, von Zauber- und Fallenkarten ganz zu schweigen.“ Der Sammler grinste siegessicher. „Also? Welches Opfer bringst -du- dar?“ Gardenia knirschte mit den Zähnen. „[Infernoid Devyaty].“ Sofort dehnte sich der Ring aus, durchdrang zu allen Seiten die Blase und löste die Schlangenkreatur, als sie diese ebenfalls passierte, in grüne Partikel auf. Ganz zur sichtbaren Erleichterung der beiden, die am ehesten in der Schusslinie von Devyaty standen. „Da das nun erledigt ist, widmen wir uns nun dem Grande Finale“, sagte der Sammler überschwänglich und breitete die Arme aus, „Angriff auf [Infernoid Tierra], oh [Apoqliphort Towers]! Discard Materialism – ich hoffe, das war so richtig, Xiphos!“ Der Rotschopf zuckte kurz darauf erfreut mit den Mundwinkeln. Die Zackenlinien auf [Apoqliphort Towers] 'Beinen' begannen rosafarbend aufzuleuchten. Dann löste sich das Licht von ihnen. Aberdutzende Strahlen schossen an Gardenia vorbei, deren langer Zopf wild im Wind flatterte, durchdrangen den Bannkreis und schlugen wie ein Regen aus Pfeilen in die Drachengestalt am Ende der Glasplattform ein. An deren ganzen Körper entstanden Explosionen. Schreiend löste sich erst der Schweif, der sich um die Blase gewunden hatte, dann der restliche Körper der Kreatur von der Plattform und sie fiel brennend in die Tiefe. Noch bevor sie auf dem Boden aufschlug, löste sie sich auf.   [Collector: 400LP / Gardenia: 750LP → 650LP]   „Und jetzt“, schloss der Sammler plötzlich mit eisiger Stimme ab und streckte die Hand nach vorne aus, „beende es, Oblemirage! Direkter Angriff auf ihre Lebenspunkte!“ Gardenia schloss die Augen. Und grinste plötzlich. „Du hast etwas vergessen, Strife Carrington!“ Der Kranz aus zahlreichen, gold-violetten Rudern unterhalb dessen Monsters begann sich von jenem zu lösen und rotierte langsam auf die Weiße Hexe zu. „Auf meinem Friedhof befinden sich zwei Kopien von [Chaos Neclipse]. Und indem ich diese verbanne, verringere ich den Schaden für jedes meiner zu diesem Zeitpunkt verbannten Monster um 500. Drei Stück sind das und mal zwei genommen wird jeder Schaden also um 3000 Punkte reduziert.“ Sie riss die Augen auf. „Mir war von Anfang an bewusst, dass es kein Leichtes-!“ Er kicherte. Bitterböse und absolut selbstsicher. Und deutete mit dem Zeigefinger auf die offene Zauberkarte, die vor ihm aufgeklappt stand. Gardenia weitete die Augen. „Was!?“ „Oh, das habe ich vergessen zu erwähnen“, spielte der Rotschopf sein falsches Schauspiel bis zum Schluss, „mein [Pot Of Acquisitiveness] mischt drei verbannte Karten in das Deck ihrer Besitzer und lässt mich eine Karte ziehen. Das heißt, du musst nochmal den Abakus auspacken, Teuerste.“ Vor ihren Augen wurden Abbilder der Karten [Infernoid Pirmais], [Infernoid Antra] und [Infernoid Harmadik] in den aus der Zauberkarte heraus tretenden, silbernen Krugs mit fiesem Grinsen gezogen, welcher daraufhin eine einzelne Karte ausspuckte. Der Sammler zog diese. „Ich zähle nämlich keinerlei verbannte Monster bei dir.“ Und da tauchte er um Gardenia herum auf, der Kreis zahlreicher Metallplatten, welcher sich zu drehen begann. Erst jetzt wurde sie sich der Tatsache bewusst, dass dessen Innenseite aus einem guten Dutzend scharfer Klingen bestand. Welche nacheinander aus allen Richtungen in gerader Linie auf sie zu geschossen kamen. Die erste traf sie von hinten, die nächste von der Seite, dann von vorn und wieder von hinten. Der Körper der Weißen Hexe wurde wie eine Puppe von den Angriffen hin und her geschleudert, stets begleitet von einem gemeinen Zischen. Der letzte brachte sie schließlich zu Fall.   [Collector: 400LP / Gardenia: 650LP → 0LP]   „Hm“, machte der Sammler unbeeindruckt beim Anblick der in einer riesigen Blutlache liegenden Gardenia. Er schritt langsam auf sie zu. Die Hologramme verschwanden, ebenso die goldenen Linien auf der sie umschließenden Blase. Welche sich im Anschluss auflöste. „Irgendwie bin ich doch enttäuscht. Ich meine, dafür, dass wir angeblich auf einer Stufe stehen, war das doch ziemlich … antiklimatisch“, redete der Sammler nebenbei daher. In seiner rechten Hand materialisierte sich sein Gehstock. „Aber das ist das Problem an unserer Gesellschaft. Bewertungsskalen sind so … nichtssagend.“ Er stellte sich direkt vor sie. Umfasste seinen Gehstock mit beiden Händen. Und zog dann am Griff eine lange, dünne Klinge aus der versteckten Scheide hervor. Begleitet von den entsetzten Blicken der beiden Jungs hinter ihm. Gardenia öffnete in ihrer Blutlache die Augen. Aus ihrem Mundwinkel rann die rote Flüssigkeit ebenfalls hinab. „Ich verstehe deine Macht nun, Strife Carrington.“ „Und ich erinnere mich gesagt zu haben, dass ich nicht bei diesem Namen genannt werden möchte“, kam die Retour in ihrer kältesten Form. Der Sammler umrundete die verletzte Hexe und hielt ihr sein Schwert an die Kehle. Aber sie grinste weiter. Und klatschte ihre blutige Hand auf die Plattform. Welche laut scheppernd zum Schrecken des Sammlers sowie Matts und Zanthes in tausend Stücke zerbarst. Alle fünf Anwesend begannen zu fallen. Für einen Moment glaubte Matt, zwei schwarze Krähen am Himmel kreisen zu sehen, ehe alles dunkel wurde.     Turn 105 – Star-Crossed Fates Wie durch ein Wunder haben Anya, Zanthe und Matt den Sturz überlebt – doch zu welchem Preis bleibt offen. Jeder von ihnen muss sich mit der Frage nach der Zukunft auseinandersetzen und geht daher seiner eigenen Wege. Derweil trifft sich Nick mit der kürzlich genesenen Melinda Ford in der AFC-Hauptzentrale, um eine Forderung zu stellen. Welche jedoch nicht so ohne Weiteres akzeptiert wird … Kapitel 114: Turn 105 - Star-Crossed Fates ------------------------------------------ Turn 105 – Star-Crossed Fates     „Fälschung!“ Diese Worte ließen Anya panisch aufschrecken. Kerzengerade saß sie in ihrem Bett und starrte geradeaus auf ihren Schrank am anderen Ende des Raums. Stöhnend fasste sie sich an die Stirn. Nur um sofort auf die Anwesenheit einer anderen Person aufmerksam gemacht zu werden. „Guten Morgen, Anya.“ Die Blonde sah herüber zu ihrem Schreibtisch, an dem niemand Geringeres als ihre Erzrivalin Valerie Redfield saß. Mit gesenktem Kopf und Händen auf den Oberschenkeln saß sie in einem weißen Tanktop dort. Der schwarze Pony fiel ihr ins Gesicht, bedeckte die Augen. „Redfield?“, wunderte sich Anya und wollte aufstehen, doch bemerkte, dass ihre Hüfte mächtig schmerzte. „Shit. Au … was zur Hölle machst du hier?“ „Dich im Auge behalten, während die Jungs unterwegs sind“, kam eine teilnahmslose Antwort.   Vorsichtig setzte Anya ein Bein nach dem anderen über die Bettkante. Dabei bemerkte sie, dass sie in völlig zerschlissenen Klamotten steckte. Ihre schwarze Jeansjacke war dreckig, zerrissen, genau wie die Jeans und teilweise auch voller Blutflecken. Die Erinnerungen kamen wieder. An Kali, an [Chrono Blades Excel Dragon] und ihre eigene Verzweiflung. „Hast du eine Ahnung, wie ich hierher gekommen bin?“, fragte Anya ihre Freundin vorsichtig. „Wie lange ist es her, seit wir in San Augustino waren?“ Valerie regte sich nicht. „Nicht lange. Um genau zu sein sind seit deiner Begegnung mit Kali nur ein paar Stunden vergangen. Du hast die Nacht über durchgeschlafen.“ „Aber wie bin ich hierher gekommen?“ Anya kam das Verhalten Valeries zunehmend merkwürdiger vor. „Antworte!“   Lass mich das erklären, Anya Bauer.   Levrier erschien vor ihrem Bett in seiner durchsichtigen [Gem-Knight Pearl]-Form.   Nachdem du das Bewusstsein verloren hast, ist ein Kampf zwischen der Weißen Hexe Gardenia und dem Sammler ausgebrochen, der dein Schicksal bestimmen sollte. Der Sammler war siegreich.   „Der Kampf fand auf einer Glasplattform etliche Meter über dem San Augustino-Wald statt, hat Matt erzählt“, fügte Valerie an, „als der Sammler Gardenia besiegt hat, hat sich herausgestellt, dass er nur gegen eine Astralprojektion gekämpft hat. Die hat die Plattform zerstört, um euch in den Tod fallen zu lassen. Der Sammler hat euch daraufhin hierher teleportiert.“ Während sie das erzählte, schwang keinerlei Gefühl in ihrer Stimme mit. Und Anya ahnte bereits, woran das lag. Sie wusste, dass Kali von sich behauptete, die echte Anya Bauer zu sein … „Was hat der Sammler gesagt?“, wollte Anya grimmig wissen.   Während des Duells konnten wir die Konversation zwischen ihm und Gardenia nicht mitverfolgen, da sie sich in einen Bannkreis gesperrt hatten. Doch nachdem wir hier ankamen, hat er noch einige Worte mit Matthew Summers und Zanthe Montinari gewechselt.   Die Blonde zog die Augen zusammen, versuchte den aufkeimenden Schmerz in ihrem Unterleib zu verdrängen. „Urgh. Und … und das wäre?“   Schreiend fielen Matt, Zanthe und eine bewusstlose Anya in die Tiefe. Zumindest hätte dies so sein sollen, doch tatsächlich knieten die beiden Jungs einen Herzschlag später auf dem Boden. Sie befanden sich mitten in Anyas unordentlichem Zimmer. Vor ihnen stehend der rothaarige Sammler, der beide Hände auf seinem Gehstock abstützte. „Was für ein enttäuschender Ausgang“, sinnierte er dabei, „ich hätte ihr einen kreativeren Weg zugetraut, uns töten zu wollen. Aber ihre Möglichkeiten sind anscheinend doch beschränkter als ich erwartet habe.“ Matt sah neben sich, wo Zanthe Anya in seinen Armen hielt. „Wir sind hier?“ „Natürlich seid ihr das“, erwiderte der Sammler schnippisch. „Oder würdet ihr jetzt lieber mit gebrochenen Knochen im Nirgendwo liegen?“ Zanthe schnarrte: „Danke, schätz' ich.“ „Bedank' dich nicht zu früh“, fuhr ihm Matt sofort dazwischen. „So ein Dienst erfolgt bestimmt nicht ohne Gegenleistung!“ Aber der Sammler gestikulierte wild mit seinen Händen und dem Gehstock. „Ihr tut mir Unrecht! Euch hierher zu bringen ist einzig meinem guten Willen geschuldet.“ Der Dämonenjäger verzog grimmig das Gesicht und erhob sich. „Wenn du damit bezweckst, uns zur Zusammenarbeit mit dir zu zwingen, kannst du uns auch genauso gut töten. Anya würde lieber sterben, als dir zu helfen.“ Anstatt aber drohende Worte entgegengeworfen zu bekommen, überraschte der Sammler ihn mit einem zuversichtlichen Lächeln. „Das wird definitiv eintreten, lieber Matthew Summers. Mit etwas anderem habe ich nie gerechnet.“ „W-was?“ Die schlafende Blonde behutsam auf den Teppich ablegend, erhob sich auch Zanthe und stellte sich schützend vor sie. „Wirklich? Das glaube ich nicht.“ „Pardon, aber deine Meinung spielt für mich eine äußerst untergeordnete Rolle“, erwiderte der Sammler gespielt pikiert und sah von dem Werwolf zu Matt und wieder zurück, „eure Gastfreundlichkeit lässt wirklich zu wünschen übrig. Dankt man so seinem Retter?“   Das war das Stichwort für den Kopftuchträger, das Thema zu wechseln. „Wo wir dabei sind, was ist aus der Weißen Hexe geworden? Ist sie tot?“ Mit großen Augen sah der rothaarige Brite im schwarzen Anzug sie an. Und prustete vor lachen so laut los, dass es selbst die Toten wecken könnte. Völlig irritiert sah der Werwolf Matt mit ausgebreiteten Händen an. „Hab ich was Falsches gesagt?“ „Sie lag in einer Blutlache“, stellte Matt verärgert klar, „die Frage ist völlig gerechtfertigt.“ „Liebe Kinder“, belehrte der Sammler sie nach einem letzten Glucksen, „so wie ich gerade gelacht habe, wird vermutlich auch die werte Gardenia just in diesem Moment in ihrem Weißen Raum juchzend am Bogen liegen.“ „Sie lebt also“, schloss Matt daraus grimmig. Der Sammler setzte seinen Stock wieder vor sich ab und legte beide Hände darauf. „Nicht nur das, nein, sie war auch nie in Gefahr. Die Weiße Hexe ist eine meisterhafte Schöpferin von sogenannten Astralprojektionen.“ „Solche sind nicht dazu imstande, reale Dinge zu berühren!“, stellte Matt sofort klar. „Die von ihr erzeugten Astralprojektionen sind es. Sie können die Grenzen der physischen Ebene sprengen.“ Der Sammler lächelte falsch. „Glaubt mir wenn ich sage, dass die Weiße Hexe ihren Weißen Raum niemals verlassen würde.“ Hinter ihm öffnete sich ein schwarzes, ovales Portal. „Schließlich ist sie nur eine gewöhnliche Sterbliche. Wohlan.“ Er trat einen Schritt zurück und wurde von dem Portal regelrecht verschlungen. Doch bevor dieses sich schloss, wurde er noch ein paar letzte Worte los. „Und grüßt mir Anya schön. Sie soll mich in ihren letzten Stunden aufsuchen. Dann erfährt sie die Wahrheit.“ „Warte!“, rief Zanthe noch und wollte hinterher, doch Matt hielt ihm mit dem Arm zurück, bis das Portal sich gänzlich schloss. Sein eindringliches Kopfschütteln sprach lauter als jede Worte.   „Yeah“, murrte Anya auf der Bettkante sitzend, „das hat der Mistkerl schon neulich gesagt. Aber den Gefallen tu ich ihm nicht.“ Sie warf einen Blick herüber zu Valerie, die sich während Levriers Schilderung der Erlebnisse nicht vom Fleck gerührt hatte. „Was ist los? Tch! Lass mich raten, du weißt es schon. Sie haben es dir gleich brühwarm erzählt, huh?“ „Ich weiß es, aber nicht von den Jungs.“ Valerie sah auf. Ein zutiefst nachdenklicher Gesichtsausdruck zierte sie. „Ich weiß es von einem der Diener des Sammlers, David. Er hat mir dieselbe Geschichte erzählt wie Kali dir und gemeint, nur die Hüterartefakte können dich retten.“ Die beiden Mädchen tauschten intensive Blicke aus und die Schwarzhaarige fragte: „Wirst du das tun? Wirst du wieder damit anfangen, wenn es bedeutet, dich selbst zu retten?“ „Nein.“ Erleichtert atmete Valerie auf. „Ich hatte gehofft, dass du das sagst …“ „Also glaubt der Sammler auch, dass ich eine Fälschung bin?“, fragte Anya verbittert. „Kch …“ „Möglich. Aber vielleicht hat er das David nur so erzählt, damit er dich durch mich über Umwege verunsichern kann.“ Valerie erhob sich. „Du solltest nicht auf das hören, was diese Oberdämonen behaupten.“ Anya sah weg. „Und wenn es stimmt?“ „Dann ändert sich trotzdem nichts. Nicht für mich zumindest.“ Valerie schritt auf ihre Freundin zu und stellte sich neben Levrier. „Ich sehe keinen Grund, warum nur eine von euch in dieser Welt existieren darf. Und angefreundet haben wir uns erst nach dem Zeitpunkt der 'Teilung'.“   Auch wenn keiner es sah, konnte sich Anya ein kurzes Lächeln nicht verkneifen. Sie erhob sich langsam und stöhnte. „Ugh! Shit, mir tut echt alles weh …“ „Du solltest dich ausruhen. Ich werde Abby Bescheid sagen, dass du wach bist. Sie macht sich auch große Sorgen“, sagte Valerie. „Yeah, mach das. Weiß sie es?“ „Keine Ahnung, von mir jedenfalls nicht.“ „Dann … dann sag erstmal nichts.“ Anya atmete tief durch. „Ich will es ihr selbst sagen. Wo sind Summers und der Flohpelz?“ Valerie zuckte mit den Schultern. „Zanthe ist seit gestern Nacht weg und Matt seit heute Morgen. Wohin sie gegangen sind weiß ich aber nicht.“ „Verstehe“, murmelte Anya und sah Valerie ausdruckslos an. „Kannst du mich eine Weile allein lassen, Redfield?“ Jene zögerte erst, nickte dann aber, erhob sich wortlos und verließ das Zimmer.   ~-~-~   „Und du denkst, sie wird uns helfen?“, fragte Alexandra Russo belustigt, als sie neben Nick daher schlenderte und durch die gläserne Schiebetür ging. Somit waren sie jetzt im Inneren der riesigen Hauptzentrale der AFC. „Daran besteht kein Zweifel“, erwiderte ihr zerzauster Begleiter im schwarzen Ledermantel zuversichtlich. Tatsächlich befanden sie sich noch in einem gläsernen Vorraum – neben ihnen erstreckte sich ein Rollband wie bei der Gepäckabfertigung am Flughafen. Nick ignorierte dieses jedoch und steuerte prompt auf den dahinter liegenden Metalldetektor zu, der nur wenige Zentimeter größer war als er selbst. „Die waren letztens noch nicht hier“, murmelte Alexandra, „es gab schon immer Kontrollen, aber die wurden jetzt wohl verschärft.“ Nick indes zückte den Mitarbeiterausweis von Micron Electronics und zeigte diesen einem der Wachmänner, der den Kopf schüttelte. „Hier muss jeder durch“, meinte der dunkelhäutige Mann streng. Also zogen sie Mantel beziehungsweise Trenchoat aus, ließen sich durchsuchen und passierten den Metalldetektor, der wohlgemerkt bei beiden schrillte. Alexandra gluckste verschwörerisch und Nick musste sein verätztes, uraltes Handy über das Rollband laufen lassen. Genau wie Alexandra das goldene Schmuckstück an ihrem Arm, das tatsächlich ein mächtiges Artefakt war – wovon natürlich keiner außer Nick je wissen würde.   Nachdem sie die Kontrolle dann endlich bestanden und noch ein Besucherprotokoll ausgefüllt hatten, steuerten sie prompt auf den Empfang zu. Jener bestand aus einem kreisrunden Glastresen, der sich entlang einer riesigen Säule zog und wurde von mehreren Damen bewirtet. Weit über ihnen befand sich die gläserne Kuppel, in der Duel Monsters-Hologramme gezeigt wurden. Im Moment kicherte das [Toon Dark Magician Girl] verschwörerisch. „Vielleicht solltest du ihr im Falle des Falles ein Gegenangebot bereiten“, schlug Alexandra im Gehen vor. Ihre hohen Absätze machten auf den schwarzen Marmorfliesen ordentlich Lärm, „hier gab es neulich einen Einbruch. Der Typ wollte sich wohl einhacken, wurde dabei von Melinda erwischt und hat sie eiskalt ins Krankenhaus befördert.“ „Gut zu wissen“, erwiderte Nick und sah Alexandra dabei von der Seite an, „haben sie noch mehr über den Hacker geschrieben?“ „Harrier nannte er sich wohl.“ Nicks Züge verdunkelten sich schlagartig.   Dann kamen sie am Tresen an. Die blonde Dame im blauen Kostüm lächelte beide freundlich an. „Was kann ich für Sie tun?“ „Ich muss Melinda Ford sprechen. Auf der Stelle“, forderte Nick barsch. „Verzeihung, aber Miss Ford ist erst seit gestern wieder hier. Haben Sie einen Termin?“, wurde er beherrscht gefragt. „Nein, aber das hier.“ Nick zeigte seinen Micron Electronics-Ausweis vor. „Es geht um unser gemeinsames Projekt.“ Doch die Dame lächelte ihn bedauernd an. „Entweder Sie haben einen Termin oder nicht.“ „Täubchen, wir haben wirklich nicht viel Zeit“, mischte Alexandra sich belustigt ein, „ruf deine Chefin an und lass dir von ihr bestätigen, dass sie für uns immer einen freien Termin hat, ok?“ Etwas irritiert nahm die Empfangsdame tatsächlich den Hörer in die Hand und stammelte verwirrt den Sachverhalt vor sich her. Plötzlich machte sie ein entsetztes Gesicht, flüsterte leise: „Miss Ford, Sie sind erst gestern aufgewacht. Sie sollten- verstanden.“ Kurz darauf seufzte sie und legte auf. „Miss Fords Büro befindet sich in Stock 3R. Dort entlang.“ Sie zeigte nach rechts, wo eine riesige Front von Aufzügen wartete. „Danke“, knurrte Nick längst genervt von der Verzögerung und Alexandra warf der jungen Frau im Weggehen noch ein Augenzwinkern zu.   Sie stiegen in den nächstbesten der gläsernen Aufzüge, der sie erst nach oben, dann seitlich entlang einer Schiene fuhr. Nachdem sie im dritten Stockwerk ankamen, liefen sie einen breiten Gang entlang. Unter ihnen konnte man durch Glas einen Schacht sehen, der ebenfalls Aufzüge durch das Gebäude transportierte. Die Büros zu ihrer Linken und Rechten besaßen allesamt Fensterscheiben, viele davon jedoch durch eine bestimmte Technologie abgedunkelt. „Hier nicht“, murmelte Alexandra, ging voraus und sah sich nach Melindas Büro um, „und da auch nicht. Das Mädel hätte ruhig etwas präziser sein können.“ „Ich weiß, wo ihr Büro ist“, meinte Nick jedoch desinteressiert am Gemecker seiner Begleitung. Jene zog einen Schmollmund und wartete, bis er zu ihr aufgeschlossen hatte. Da packte sie seinen Arm. „Du bist ja noch abweisender als üblich. Hoffentlich liegt das nicht an mir.“ „Nein.“ „Ich weiß, dass ich nicht mehr viel für dich tun kann. Du hast fast alle Dämonen, die ich kenne, abgemurkst“, sagte sie mit einem ernsten Unterton, „wieso schmeißt du mich nicht weg, wie du es vermutlich von Anfang an vor hattest?“ Nick blieb kurz stehen. „Ich entscheide, wann du keinen Nutzen mehr für mich hast.“ „Das hast du süß ausgedrückt“, stichelte sie belustigt. Dann zog sie die Augen zusammen. „Wenn ich dich nicht störe, würde ich dich gerne noch eine Weile begleiten. Dank dir konnte ich völlig fremde Welten sehen.“ „Und das ein oder andere von dort mitnehmen.“ „Das auch“, meinte sie und zwinkerte verschwörerisch. „Ich mag dich, Nick. Du bist so gnadenlos ehrlich und direkt. Das ist beeindruckend. Und beängstigend.“ Er musste tatsächlich kurz grinsen. Dann aber schritt er voran.   Kurz darauf erreichten sie das gesuchte Büro. Aber selbst wenn Nick nicht gewusst hätte, wo es ist, wäre die junge, rothaarige Frau, die davor wartete, Indikator genug gewesen. In einem grauen Hosenanzug und glattem, offenem Haar wartete sie bereits ungeduldig auf die beiden. „Mein erster Tag nach dem Vorfall und ausgerechnet du besuchst mich“, gluckste sie, als sie die beiden in Empfang nahm, „und du hast mir nicht mal Blumen mitgebracht. Schäm' dich.“ „Man gewöhnt sich dran“, scherzte Alexandra. Melinda betrachtete die Blonde neugierig. „Und du bist?“ „Alex. Einfach Alex.“ „Hallo, einfach Alex“, erwiderte der Rotschopf und gab ihr die Hand. „Na dann, kommt rein in die gute Stube. Womit kann ich euch helfen?“ Sie ließ die beiden zuerst ins Büro, ehe sich die Tür hinter ihnen automatisch schloss. Die junge Frau ging an ihren Gästen vorbei und deutete auf die beiden, schwarze Lederstühle vor ihrem Mahagonischreibtisch, doch Nick lehnte mit einem Kopfschütteln ab. „Okay?“ Sie zog die Stirn kraus. „Nick, du bist hoffentlich nicht hier, um mir zu sagen, dass die Arbeiten an Monochrome stagnieren. Was durchaus denkbar ist, wenn man bedenkt, wie lange du inzwischen deiner Arbeit fern bleibst.“ Nick konterte: „Hat Aiden sich bei euch ausgeheult? Das tut mir aber leid.“ „Ich mag dich gern, aber wenn du Henrys Projekt in den Sand setzt, wird nicht mal Anya in der Lage dazu sein, dich vor meinem Zorn zu bewahren“, scherzte Melinda, aber ihr finsterer Gesichtsausdruck strafte ihrer Worte keiner Lügen. „Tu nicht so. Ich weiß, dass ihr kurz vor dem ersten Test steht“, blieb Nick jedoch unbeeindruckt. Sie lächelte kalkulierend. „Na wenigstens informierst du dich noch. Gut. Also bist du nicht wegen Monochrome hier.“ „Nein.“ Melinda seufzte und klatschte einmal in die Hände. Sofort verdunkelten sich die Scheiben ihres Büros, sodass niemand mehr hineinsehen konnte. Dann setzte sie sich entgegen jeder Etikette einfach auf die Kante ihres Schreibtisches und sah die blonde Frau und Nick an. „Also wollt ihr etwas. Was kann ich also für euch tun?“ „Für mich? Gar nix“, gluckste Alexandra sofort, „ich bin nur Dekoration. Beachte mich gar nicht.“ Der Rotschopf blinzelte etwas verdutzt. „Na schön … Nick?“ Jener griff in seine Manteltasche und holte einen USB-Stick hervor. Dabei erklärte er kühl: „Darauf sind Daten von Duel Monsters-Karten, die ich benötige.“ „Ich soll dir Karten beschaffen?“ „Ein ganzes Deck“, korrigierte er die Repräsentantin der AFC, „und du sollst sie nicht beschaffen. Du sollst sie erschaffen. Entsprechend der Daten hier.“ Da weitete die junge Frau langsam die Augen. „W-was? Also willst du, dass ich dein selbsterdachtes Deck zur Realität werden lasse? Was ist mit deinem alten!?“ „Es reicht nicht mehr für meine Zwecke aus.“ Nick sah sie forschend an. „Hilfst du mir?“ „Moment mal! Hast du eine Ahnung, wie lange es dauert, Hologramme zu programmieren? Selbst wenn ich jetzt ja sagen würde, hättest du das Deck irgendwann nächstes Jahr.“ Melinda legte den Kopf schief. „Ich glaube nicht, dass du so lange warten willst.“ „Nicht nötig. Die Hologrammdaten sind bereits hier drauf. Im Grunde musst du die Informationen nur in den Server einspeisen und die Karten drucken.“ Nick reichte ihr den Stick. „Was vielleicht eine halbe Stunde dauert.“   Statt ihn entgegen zu nehmen, verschränkte die auf ihrem Schreibtisch sitzende Melinda mit empörtem Gesichtsausdruck die Arme. „Wow, ist ja fast ein kleiner Gefallen. Wie zur Hölle hast du Hologrammdaten auf dem Ding? Du bist ein Genie, das weiß ich inzwischen, aber hast wohl kaum Zeit für sowas gehabt in den letzten Wochen.“ „Ich habe sie nicht selbst entworfen. Das waren deine Leute“, stellte Nick klar. Und der Rothaarigen entfuhr: „Ah ja? Wie das?“ „Ein bisschen Erpressung hier, eine kleine Gefälligkeit dort“, plapperte Alexandra dazwischen, „die Jungs und Mädels können richtig fleißig sein, wenn sie wollen. Und Nick hier ist gut im Überzeugen, musst du wissen.“ „Ah ja“, kam es trocken von Melinda zurück. Trotzdem schüttelte sie mit dem Kopf. „Das kann ich nicht machen, Nick.“ Der schien nicht überrascht und zog den Arm zurück. „Verstehe. Wie wäre es dann mit einer Gegenleistung meinerseits?“ Melinda lachte auf. „Und wie würde die aussehen?“ „Ich sehe mir mal eure Server an.“ Er sah ihr direkt in die Augen. „Ein Hacker, richtig? Und ihr habt nichts Verdächtiges bei den Wartungen gefunden, nicht wahr?“ „Nö“, gab sie keck zurück, doch innerlich verkrampfte sie. Er dachte, was sie auch dachte. Aber selbst dann konnte sie ihm den Gefallen nicht tun, trotz ihres Status. Sie lächelte einfühlsam. „Es geht nicht, Nick. Was ich dir anbieten kann sind alle Karten – bis auf einige Ausnahmen – die wir bisher vertreiben. Auch die ganz neuen, wenn du willst. Anya hat sie letztens schon kennengelernt.“ „Bring mich dorthin“, forderte Nick stattdessen knapp, „wo du ihm begegnet bist. Ich werde finden, was auch immer er zurückgelassen hat.“ Melinda seufzte. „Wenn du so lieb bist … aber das ändert nichts an meiner Entscheidung.“ „Wir werden sehen“, gab sich Nick jedoch überzeugt.   ~-~-~   Kurz darauf waren sie zu dritt in einem riesigen Raum voller orange leuchtender Maschinen, Supercomputer, die für ganz Nordamerika die Server stellten. Hinter ihnen ging es in einem langen Gang zurück, dort, wo sich Melinda und Harrier duelliert hatten. Nick saß im Schneidersitz mit Laptop auf dem Schoß vor einem der Computer, diverse Kabel verbanden es mit der Maschine. Melinda stand hinter ihm, während Alexandra sich neben Nick niedergelassen hatte. Dabei entgingen der Rothaarigen nicht die intensiven Blicke, die die Blonde dem jungen Mann von der Seite zuwarf. „Ich kenne Harrier von früher“, erklärte Nick während der Arbeit, „nicht persönlich, aber ich bin ab und zu auf sein Handwerk gestoßen. Er ist einer der besten.“ Für Melinda war das alles neu. „Du warst auch ein Hacker? Dann weißt du hoffentlich, dass deine Chancen, dein Deck zu bekommen, gerade auf null gesunken sind.“ „Ich finde es süß, wie du das immer wieder betonst“, stichelte Alexandra augenzwinkernd. Nick indes stöhnte: „Was ich früher gemacht habe ist irrelevant. Du solltest dich eher für meine Warnung interessieren, Melinda. Harrier hat in den letzten zehn Jahren für eine Menge Chaos gesorgt. Das erste hauptsächlich digital gesteuerte Gefängnis in Ohio ist seinetwegen ein Fehlschlag gewesen.“ „Er war es, der die Schlösser geöffnet und für eine Massenflucht gesorgt hat!?“, keuchte Melinda. „Und er war es, der sich vor fünf Jahren in die Europäische Zentralbank gehackt hat.“ „Nie war Geld so billig gewesen“, gluckste Melinda, „nicht, dass sich die Situation damals inzwischen von der heutigen unterscheidet, haha.“ Alexandra erhob sich. „Der meistgesuchte Hacker eben. Und du hättest ihn -beinahe- in einem Duell besiegt. Ich bin fast ein wenig neidisch, auf den steht bestimmt ein fettes Kopfgeld.“ „Seid ruhig, ich muss mich konzentrieren.“ Melinda rollte mit den Augen ob dieser weiteren Spitze der Barbiepuppe, ließ sich jedoch nicht provozieren.   Nach einer Weile erhob sich Nick schließlich und klappte den Laptop zu. „Ihr konntet nichts finden, weil Harrier nichts hinterlassen hat.“ „Okay? Also habe ich ihn doch gestört, bevor er sein Werk vollenden konnte?“ „Nein“, schüttelte Nick den Kopf, klemmte den Laptop unter die Achsel, „er hatte es auf eure Daten abgesehen. Und davon hat er eine Menge bekommen.“ „Was für Daten?“ „Alles. Aber an einer Sache hatte er sich, wenn ich das richtig sehe, besonders interessiert. Um genau zu sein hat er zuerst danach gesucht.“ Nick sah Melinda ausdruckslos an. „Excel-Monster.“ „Oh scheiße“, entfleuchte es Melinda dabei. „Nicht schon wieder.“ „Kannst du das erläutern?“   Kurz umriss sie daher die Situation mit Velvet Thorne und die Geschichte der Excel-Monster und ihren Status als fehlgeschlagenes Experiment, das niemals das Licht der Öffentlichkeit erblicken sollte. „Gut möglich, dass er für die Leaks verantwortlich ist“, überlegte Alexandra, die neben Nick stand und sich durchs Haar fuhr. „Er schien Velvet zu kennen“, meinte Melinda da, „aber umgekehrt schien es nicht der Fall zu sein. Vielleicht hat er ihr [Ebon Sky Pegasus] besorgt?“ „Du sagtest aber, diese Karte existierte vorher nie in euren Datenbanken.“ Nick schloss die Augen kurz, öffnete sie dann und meinte zuversichtlich. „Eher ist es umgedreht, er ist auf diese Velvet aufmerksam geworden und will jetzt ihrem Beispiel folgen.“ „Die Informationen dazu hat er jetzt“, schluckte Melinda, „Nick, wir müssen diesen Mann ausfindig machen und aufhalten. Mit all den gestohlen Daten kann er der AFC erheblichen Schaden zufügen!“ „Das ist nicht mehr meine Baustelle.“ Nick lief an ihr vorbei, ließ dabei fallen. „Ich könnte allenfalls mehr für euch tun, wenn ich die Mittel dazu hätte.“ Melinda wirbelte erschrocken um, getaucht in das orangefarbene Licht der Supercomputer. „Das ist Erpressung.“ „Ich sagte doch, er weiß wie man die Leute überzeugt“, gluckste Alexandra und lief ebenfalls an Melinda vorbei . Jene musste nachdenken. Sie konnte nicht einfach fremde Daten ins System einspeisen. Auch wenn sie Nick kannte, zweifelte sie inzwischen an ihm. Er war so anders als damals, als sie sich zum ersten Mal im Livingtoner Park trafen. Aber sie brauchte seine Hilfe. Wenn die gestohlenen Daten an die Öffentlichkeit gelangten, hätte das ernste Konsequenzen für die AFC. Vermutlich hatte er sogar die Informationen zum Projekt Monochrome! Und wie skrupellos er war, wusste sie dank der Beispiele inzwischen. „Hör zu“, sagte sie daher aufgebracht, „einigen wir uns auf einen Kompromiss. Ich will erst sehen, was du da entworfen hast. Ich duelliere mich gegen dich.“ Nick drehte sich interessiert dreinblickend zu ihr um. „Und wenn ich gewinne, bekomme ich die Karten?“ „Ja.“ So würde sie zudem als Erste sein neues Deck sehen können, denn ehrlich gesagt war sie ziemlich neugierig. Er lächelte schwach. „Dann gibt es ein Problem: Um mich damit zu duellieren, müssen sie erst ins System integriert und gedruckt werden. Ein Paradoxon.“ „Nicht unbedingt. Gib mir den Stick.“ Melinda grinste. „Du bist weiß Gott nicht der Erste, der mich um sowas bittet. Dafür haben wir eine einfache Lösung.“ „Ein unabhängiges, in sich geschlossenes Netzwerk“, wusste Nick allerdings bereits. Der Rotschopf nickte.   ~-~-~   Tatsächlich dauerte es beinahe eine Stunde, die Daten hochzuladen. Als das getan war, führte Melinda sie gefühlt durch die ganze Anlage in deren hinteren Teil. Sie betraten eine riesige Halle, in der insgesamt acht Duellarenen existierten, die in zwei Viererreihen nebeneinander standen. „Ziemlich antiquiert“, meinte Nick bei ihrem Anblick, als sie auf eine der Maschinen zuschritten. Sie waren die ersten Apparaturen gewesen, die in den frühen 90ern Hologramme darstellen konnten – ihrer Zeit damals weit voraus. Duel Disks, die tragbare Variante, kamen erst einige Jahre später auf den Markt. „Ich finde sie cool. Hier testen wir die neuesten Karten aus Japan und natürlich auch die, die wir selbst entwerfen“, erklärte Melinda vergnügt. „Ihr bringt neue Duel Disks auf den Markt, testet die Karten aber mit sowas?“, gab sich Alexandra hinter ihnen erstaunt und sah sich um. „Irgendwie heuchlerisch.“ „Danke“, erwiderte der Rotschopf unterkühlt. „Auch wenn sie alt aussehen, besitzen die Arenen dieselben Features wie unsere neuen D-Pads.“ Die Blonde schmunzelte diebisch. „Aha.“   Nick hatte sich noch nie auf diesen erhöht stehenden, rechteckigen Plattformen duelliert. In ihrer Mitte waren sie in auf beiden Seiten in die fünf Monster und Backrowzonen eingeteilt, mehr jedoch nicht. Im Standby-Modus war die Oberfläche der Spielfelder schwarz, die Verkleidung der Duellarenen aus rotem Plastik. Dieses Duell war reine Formsache. Das Ergebnis stand bereits fest. Und sobald Melinda die Daten ins richtige Netzwerk einführte, würde sie damit auch unwissentlich einen Virus hochladen. Welcher auf eine einzige Aufgabe ausgerichtet war: Aidens Version vom 'Monochrome'-Programm unschädlich zu machen, welcher jenes schon vor einiger Zeit hier eingeschleust hatte. Denn es war der wahre Grund für die Serverausfälle und Störungen. Nick wusste, dass Aiden damit versuchte, die Meinung der Konsumenten zu beeinflussen. Schlecht funktionierende Produkte erzeugten Unmut und sorgten dafür, dass man zur Konkurrenz wechselte. Da es noch einige Zeit bis zum Start vom Spiel Monochrome dauern würde, konnte er so ein negatives Image aufbauen – ohne das Wissen derer, die er eigentlich unterstützte. Ganz zu schweigen davon, dass er das Monochrome-Programm auch für andere Sachen nutzen konnte. Nick würde dem einen Riegel vorschieben. „Also“, drehte Melinda sich schließlich zu Nick um, „nochmal zur Verdeutlichung: Wenn ich dieses Duell verliere, gebe ich deiner Bitte nach.“ „Und wenn du gewinnst?“, wollte Alexandra neugierig wissen. „Dann spürst du Harrier für mich auf“, forderte Melinda an Nick gewandt. Sie reichte ihm die Hand. „Deal?“ Nick sah sie eindringlich an. „Ich spare mir an dieser Stelle meine Warnungen, was diesen Mann angeht. Deal.“ Er schlug ein. Alexandra zuckte mit den Schultern. „Wie langweilig. Ist da jemand etwa auf Rache aus?“ „Lass das mal meine Sorge sein“, kam sofort ein Konter der AFC-Chefin. „Legen wir los“, ließ Nick keine Zeit verstreichen und zog an den beiden Frauen vorbei, umrundete die Duellarena und nahm schließlich die Stufen an ihrem Ende hinauf und stellte sich vor das Pult. Melinda tat es ihm gleich, beide legten ihre Decks und Extradecks auf die entsprechend markierten Bereiche. „Bist du bereit?“, fragte der Rotschopf, doch es bedurfte keiner Antwort. „Duell!“ Mit einem Tastendruck fuhren insgesamt vier Antennen an den Ecken der Arena aus, die ihrerseits bunte Scheinwerfer ausklappten, die auf das Spielfeld gerichtet waren – altmodische Hologramm-Emitter.   [Nick: 4000LP / Melinda: 4000LP]   „Ich beginne“, entschied Melinda kurzerhand zwinkernd und zog mit einem Ruck fünf Karten von ihrem Deck. Nick zeigte keine Reaktion, sondern tat es ihr lediglich gleich. Der hübsche Rotschopf griff sofort ein Monster aus ihrem Blatt. „Dieses hier setze ich zusammen mit einer verdeckten Karte. Das reicht fürs Erste!“ Zischend materialisierten sich vor ihr ein horizontaler und ein vertikaler Kartenrücken. „Ziemlich zurückhaltend für jemanden wie dich“, kommentierte Alexandra ihr Spiel amüsiert. Die Blicke der beiden trafen sich und wieder überkam Melinda das Gefühl, diese Frau schon einmal gesehen zu haben. Sie erwiderte keck: „Es gibt da einen Spruch, den man öfter in Social Media-Applikationen liest. Unterschätze nie einen Menschen der einen Schritt zurück macht. Er könnte Anlauf nehmen." Die Blonde im Trenchcoat kicherte. „Wie wahr.“   „Draw!“, unterbrach Nick das Mädchengespräch und zog seine Karte. Er nahm zwei andere aus seinem Blatt und führte die drei reihenweise in seine Zauber- und Fallenkartenslots. „Ich aktiviere drei permanente Zauberkarten.“ Nacheinander stellten diese sich vor ihm auf. Und Melinda verlor ihr Grinsen. Jetzt wurde es spannend!   ~-~-~   Matt schritt an den Grabsteinen des Livingtoner Friedhofs vorbei, die alle ordentlich aufgereiht waren. Er wusste, dass es niemals einen Ort für die vermissten Kinder, für Alastair, Alector und die Erzieherinnen geben würde, der ihre letzte Ruhestätte darstellte. Also konnte er ihnen auch genauso gut hier gedenken.   Hin und wieder spendete ein Baum Schatten. Es war keiner dieser berühmten amerikanischen Militärfriedhöfe, in denen simple weiße Kreuze nebeneinander standen. Jeder Grabstein war eigen. Matt mochte das. In der Ferne gab es einen Hügel mit einer einzelnen Eiche darauf, die wie eine Insel unter alldem wirkte. Dahinter schloss ein Wald an. Dorthin zog es Matt. Weiter hinten hatte er auch ein Mausoleum gesehen. Aber so etwas empfand er als übertrieben, das war nicht seins. Alastairs sicher auch nicht. Doch das würde er ihn nie fragen können. Schwer schluckend lief Matt den Hügel empor und setzte sich schließlich unter die Eiche. So hatte er einen guten Blick auf die Grabstein-Reihen und die dahinter liegende Straße. Was sollte er jetzt tun? Anya vertrauen, dass alles wieder geradegebogen wird? Rache an dem Undying nehmen, der seine Familie zerstört hatte? Er wusste es nicht. „Wie ich sehe, bin ich nicht der Einzige, den es heute hierher gelockt hat“, stellte eine wohlbekannte Stimme hinter Matt fest. Sofort stellten sich bei ihrem Klang seine Nackenhaare auf. Prompt stand der Dämonenjäger wieder und sah den Ärmel des schwarzen Anzugs hinter der Eiche. Der Sammler war hier! „Du schon wieder!“, knurrte er hasserfüllt. „Immer mit der Ruhe. Unsere Begegnung ist rein zufälliger Natur. Wenn man an so etwas glaubt“, sprach er und wandte sich um, stellte sich Matt. Er lächelte nicht, „ich meinerseits halte nicht viel vom lieben 'Zufall'.“ „Die Zukunft ist im Ätherstrom vorgeschrieben …“ „Du verstehst mich. Wo in dieser langen, blauen Linie, die unser Universum durchstreift, ist da schon Platz für das Unerwartete?“ Er sah gen Himmel. „Bedauerlich.“ Matt richtete seinen Blick trotzig auf die Gräber. „Also wollten wir einander nicht begegnen, sind es aber trotzdem. Großartig.“ Er richtete sich wieder an den rothaarigen Dämon britischen Akzents, der ihn unentwegt anzustarren schien. „Warum ist ein Dämon deines Kalibers überhaupt hier?“ „Ist es so schwer zu akzeptieren, dass auch Leute wie ich 'Verlust' kennen könnten?“, kam eine spitze Gegenfrage. Tatsächlich fühlte sich Matt für den Bruchteil einer Sekunde schlecht deswegen. Zumindest bis er sich wieder gewahr wurde, was dieser Mann seiner Freundin Tara Hartwell angetan hatte. Trotzdem fragte er mit gewisser Neugier: „Liegt hier jemand, den du kennst?“ Der Sammler lächelte und schritt an ihm vorbei. „Nein.“ Matt sah ihm irritiert hinterher. „Und wieso bist du dann hier?“ „Womöglich aus dem gleichen Grund wie du. Doch was spielt das für eine Rolle?“ Der Sammler blieb stehen und drehte sich lächelnd zu ihm um. „Stell endlich die Fragen, die dir wirklich auf der Seele brennen. Ich bin heute in der Stimmung, sie auch ohne Gegenleistung zu beantworten.“ Was sollte er davon halten, fragte sich Matt. Dieser Schlange durfte man nicht vertrauen. Aber vielleicht wusste er, was mit den Bewohnern des Waisenhauses geschehen war, ob sie sogar noch lebten. Das zu wissen wäre es Matt sogar wert, ausgenutzt zu werden … „Was ist damals geschehen?“, fragte er und wusste genau, dass der Sammler ihn verstand. „Ich befürchte, ich kann dir nur das sagen, was du bereits weißt. Es war Stoltz.“ Das Lächeln des Sammlers schwand. „Er hat aus eigenem Antrieb gehandelt, nicht anhand seiner 'ewigen Ordnung'.“ Matt ballte beide Fäuste. Also war er es wirklich gewesen! „Sind … sind sie …“ „Ich weiß nicht, was den armen Seelen widerfahren ist.“ Der Dämon sah Matt eindringlich an. „Die Frage, ob ich sie ins Leben zurückholen kann, muss ich ebenfalls verneinen.“ „D-dann leben sie noch!?“ „Nein. Davon solltest du nicht ausgehen, Matthew Summers. Es bedeutet, dass ihre Seelen für mich unerreichbar sind. Und ohne sie kann eine Reanimation nicht gelingen.“ Eine Sicherung ging bei Matt durch. Er fiel den Sammler an, packte ihn an den Armen und schüttelte ihn wie ein Wahnsinniger. „Was heißt das!? Was hat dieses Monster ihnen angetan!? Hat er ihre Seelen zerstört, gefressen, sie-!“ Sofort wurde er unsanft zurückgestoßen. Äußerst pikiert klopfte der Rotschopf sich die Ärmel seines Anzugs ab. „Ich möchte doch bitten. Deine Finger sind voller Schweiß!“ „Antworte!“ „Ich sagte bereits“, erwiderte der Mann verstimmt, „ich weiß es nicht. Gemessen an Stoltz' Wahnsinn würde ich jedoch vom Schlimmsten ausgehen. Und du wirst überrascht sein: Das Leben deiner sogenannten Familie ist nicht alles, was er genommen hat.“ Völlig erblasst von seinen Worten stammelte Matt: „W-was …?“ „Das Grimoire. Er hat es mitgenommen. Möglicherweise war das von Anfang an sein Anliegen gewesen und du schiebst Anya Bauer völlig unberechtigterweise die Schuld an allem zu.“ Der Sammler drehte sich um. „Das ist aber nur ein Gedanke, der -mir- dabei kommt.“   Matt sah auf seine zitternden Hände herab. Das Grimoire, das wohl umfassendste Lexikon zur dämonischen Welt? Wozu würde eine uralte Kreatur wie Stoltz, dessen Wissen weitaus umfassender sein müsste, so etwas benötigen? Die möglichen Antworten gefielen Matt überhaupt nicht.   „Es tut mir leid, dass ich dir keinen Trost spenden konnte“, sprach der Sammler und riss ihn schließlich aus seinen Gedanken, „allerdings gebe ich dir noch einen Rat. Halt dich von Stoltz fern.“ „Danke“, erwiderte Matt zerknirscht. Er konnte das alles nicht fassen. Indes drehte sich der Dämon im schwarzen Anzug endgültig um und ließ ein schwarzes, ovales Portal vor sich erscheinen. Er hob die Hand zum Abschiedsgruß. „Bis dahin, wenn wir wieder erbitterte Feinde sind, Matthew Summers.“ „Warte!“, rief dieser ihm hinterher. Ihm war noch etwas eingefallen, das er unbedingt fragen musste. Und tatsächlich blieb der Sammler dieses Mal stehen. „Dein richtiger Name ist Strife Carrington, nicht wahr?“ Keine Reaktion. „Du hast ihn damals fallen lassen, als du mich, Anya und Tara in deine Domäne beschworen hast“, sprach Matt hastig, „aber ich war zu zerwühlt, um das wirklich mitzubekommen. Vor einiger Zeit habe ich eine Familie namens Carrington aufgesucht, um einen Hüter zu finden.“ Er merkte, wie der Dämon sich interessiert regte. „Ich habe nach jemandem mit deinem Namen gefragt, ohne zu wissen, dass du es bist. Aber die Herrin des Anwesens kannte ihn nicht. Erst als die Weiße Hexe dich so genannt hat, ist es mir klar geworden.“ Der Rotschopfe mit der Narbe an der Wange drehte sich mit nachdenklich-belustigtem Gesichtsausdruck zu ihm um. „Und du möchtest jetzt wissen, in welcher Verbindung ich zu dieser Familie stehe, nicht wahr?“ „Die Informationen zu den Hütern stammen von dir“, sagte Matt, „also gibt es eine, dessen bin ich mir sicher.“ Er lächelte. Aber dieses Mal war es unheimlich schwer zu sagen, ob es falsch war oder nicht. „Du liegst richtig. Wäre ich geboren worden, wären Mr. und Mrs. Carrington meine Eltern.“ „W-was!?“ „Aber sie sind es nicht. Und bevor die Frage aufkommt: Nein, ich bin nicht der junge Mann, der damals meinen Nicht-Vater um den Status als Hüter angebettelt hat“, fügte der Sammler belustigt von Matts völlig entgeisterter Miene hinzu. „Wie ihr bereits korrekt spekuliert habt, ist dieser der Partner von Edna Caines, Harris Pataky. Aber da ihr die Artefakte nicht mehr für mich sucht, spielt das wohl keine Rolle mehr. Ich hoffe, das beantwortet deine Fragen.“ Matt sah ihn mit großen Augen an und hauchte: „Nicht im Geringsten …“ „Bedauerlicherweise ist das Interview vorbei.“ Er ließ den Zeigefinger um seine Schläfe kreisen. „Vielleicht lenkt dich das Erfahrene ja von deiner Trauer ab. Bring die rostigen Zahnräder in Bewegung, Matthew Summers.“ Damit drehte er sich um und durchquerte ohne Weiteres sein Portal. Und Matt fragte sich ernsthaft, wie der Sammler überhaupt entstanden war, wenn er nicht geboren wurde …   ~-~-~   „Ich aktiviere drei permanente Zauberkarten“, hatte Nick verlauten lassen. Nacheinander erschienen diese aufgeklappt vor ihm. „[Dark Contract With The Gate], [Dark Contract With The Swamp King] und [Dark Contract With The Entities]!“ „Finstere … Verträge?“ Das Grinsen verschwand aus Melindas Gesicht so schnell wie es gekommen war. Dieses neue Deck hatte wohl kaum noch etwas mit seinen Spielzeugen von damals gemein. „Ganz recht. Und ich nutze sofort den Effekt von [Dark Contract With The Gate], mit der ich ein D/D-Monster von meinem Deck auf die Hand nehmen kann.“ Der zerzauste, junge Mann auf der anderen Seite der Arena nahm sein Deck auf und holte eine Karte hervor. „[D/D Nighthowl].“ Melinda indes tippte auf dem Bildschirm vor ihr die Karten ihres Gegners nacheinander an, las sie sich durch und weitete dann die Augen. Erstaunt sah sie auf. „Nick, diese Karten sind selbstzerstörerisch! Die ersten beiden fügen dir am Beginn deines nächsten Zuges 1000 Schaden zu, letzte sogar 2000! Zusammen sind das mit einem Schlag 4000! Damit verlierst du!“ „Und was sagt dir das?“ Er zog die Augen zu Schlitzen zusammen und nahm ihr die Antwort ab. „Dass es keinen nächsten Zug mehr geben wird. Ich verwende den Effekt von [Dark Contract With The Swamp King] und fusioniere [D/D Berfomet] und [D/D Lamia] in meiner Hand!“ Er breitete die Arme weit aus. „Grotesque god, carnivorous beauty! In a whirlpool of light from the realm of the dead, become one and give birth to a new king!“ Vor seiner mittleren, offen stehenden Karte öffnete sich ein blubbernder Wirbel. Rechts daneben tauchte eine haarige, mutierte Gestalt mit zwei rechten Armen auf, die dafür statt eines linken einen schwarzen Flügel besaß sowie ein weiteres, weißes Flügelpaar. Links dagegen eine weiß-blaue Schlange, deren Kopf und Arme in roten Schuppenwulsten endeten. Beide wurden in den blubbernden Wirbel gezogen. „Fusion Summon! Be born! [D/D/D Flame King Genghis]!“ Aus dem Wirbel trat ein großer, schlanker Krieger hervor, der ein massives, rotes Breitschwert sowie einen mannshohen, gleichfarbigen Schild mit sich führte. Eine Flammenaura umgab ihn dabei.   D/D/D Flame King Genghis [ATK/2000 DEF/1500 (6)]   „D/D/D?“, wunderte sich Melinda und fasste sich ans Kinn. „Nie gehört.“ „Different Dimension Demon“, erklärte Nick die Abkürzung. „Ich habe diese Monster selbst entworfen. Und das Talent eurer Entwickler hat sie zum Leben erweckt.“ Alexandra lachte vom Rand der erhöhten Plattform aus amüsiert. „Lob? Von Nick? Dass ich das noch erleben darf.“ „Ich glaube, ich muss ein ernstes Wörtchen mit den Leuten von der Grafikabteilung wechseln“, überlegte Melinda wesentlich weniger angetan von Nicks Worten, „das muss Wochen gedauert haben, so viele Monster zu digitalisieren. Was haben sie getan, um so in deiner Schuld zu stehen?“ Aber mehr als ein vielsagendes, bösartiges Grinsen bekam sie nicht aus Nick heraus. Stattdessen streckte der die Hand aus. „Der Effekt von [Dark Contract With The Entities] setzt ein und ich erhalte 1000 Lebenspunkte, da ich eine Fusionsbeschwörung durchgeführt habe.“ Sowohl seine ganz rechts stehende Zauberkarte, als auch er selbst erstrahlten in violetter Aura.   [Nick: 4000LP → 5000LP / Melinda: 4000LP]   Damit würde er zumindest einem vorschnellen Ende durch den Schadenseffekt seiner Zauberkarten entkommen, erkannte Melinda. Wenn das überhaupt von Bedeutung war. Eine Schweißperle rann ihre Stirn herab. „Als Nächstes beschwöre ich den Empfänger [D/D Nighthowl] als Normalbeschwörung.“ Neben seinem Krieger tauchte nichts weiter auf als ein riesiges Maul mit spitzen Zähnen und gelb leuchteten Augen. Doch aus genau diesem kam plötzlich der gehörnte Baphomet geflogen.   D/D Nighthowl [ATK/300 DEF/600 (3)] D/D Berfomet [ATK/1400 → 400 DEF/1800 → 800 (4)]   „Wie du erkennen kannst, belebt Nighthowl bei seiner Normalbeschwörung ein D/D-Monster von meinem Friedhof wieder, welches dabei jedoch 1000 Punkte auf beiden Werten verliert.“ Nick streckte die Hand aus. „Und jetzt stimme ich den Stufe 3-Empfänger Nighthowl auf den Stufe 4-Berfomet ab!“ Das riesige Maul zersprang in drei grüne Lichtringe, durch die der geflügelte Dämon flog und dabei zu vier grünen Lichtsphären wurde. „Howls that tear through the night. Gain the swiftness of a gale and become the cries of a newborn king!“ Ein Lichtblitz schoss durch die drei Ringe. „Synchro Summon! Be born! Level 7! [D/D/D Gust King Alexander]!“ Mit flatterndem, grünem Cape landete ein Krieger in Weiß neben Genghis. Er hielt ein Langschwert in seiner rechten Hand.   D/D/D Gust King Alexander [ATK/2500 DEF/2000 (7)]   „Bei einer Synchrobeschwörung macht [Dark Contract With The Entities] eines meiner Monster immun gegen zielende Karteneffekte“, erklärte Nick und sowohl der Zauber, als auch Alexander leuchteten kurz weiß auf. „Außerdem setzt jetzt der Effekt von [D/D/D Flame King Genghis] ein. Da ein anderes D/D-Monster als Spezialbeschwörungen auf meine Spielfeldseite gerufen wurde, kann er ein D/D-Monster von meinem Friedhof reanimieren. Das funktioniert einmal pro Zug. Sei wiedergeboren, [D/D Berfomet]!“ Melinda nahm das alles mit einem Stirnrunzeln auf. Der düstere Krieger rammte sein Schwert in den Boden und ließ neben sich eine Feuersäule empor schießen, die den geflügelten Dämon mit sich brachte.   D/D Berfomet [ATK/1400 DEF/1800 (4)]   Kaum hatte sich dieser zu den anderen beiden gesellt, streckte Nick die Hand aus. „Ich aktiviere den Effekt von [D/D Lamia] in meinem Friedhof. Ich schicke [Dark Contract With The Gate] auf den Friedhof, um sie von dort zu reanimieren, aber sie wird verbannt, sollte sie das Feld verlassen.“ Die ganz linke von Nicks dauerhaften Zauberkarten löste sich auf und aus ihr trat die schlangenhafte, an Armen und Kopf mit Schuppenwulsten bedeckte Kreatur hervor.   D/D Lamia [ATK/100 DEF/1900 (1)]   „Effekt von [D/D Berfomet]! Er kann die Stufe eines anderen D/D-Monsters beliebig zwischen 1 und 8 festlegen! Lamia wird zu Stufe 4!“ Sein Baphomet stieß ein grässliches Brüllen aus, während die Lamia ihre Schuppen klappern ließ.   D/D Lamia [ATK/100 DEF/1900 (1 → 4)]   „Ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 4-Unterweltlern wird ein Rang 4-König!“ In der Mitte der Arena öffnete sich ein Schwarzes Loch, das den geflügelten Dämon und die Schlangendame als violette Lichtstrahlen in sich hineinzog. Melinda machte eine resignierende Grimasse. „Oh man, ich wusste es.“ „In order to subjugate all that resides in this world, now, descend onto the peak of the world! Xyz Summon! Be born!“ Eine Explosion erfüllte den Wirbel, aus dem ein violetter, ein riesiges Breitschwert tragender Dämonenkrieger empor stieg. „Rank 4! [D/D/D Wave King Caesar]!“ Jener reihte sich zu seinen beiden Mitherrschern ein, umgeben von zwei um ihn kreisenden Lichtsphären.   D/D/D Wave King Caesar [ATK/2400 DEF/1200 {4} OLU: 2]   Nick zeigte Melinda den Zeige- und Mittelfinger. „Da ich ein D/D-Monster gerufen habe, reanimiert Alexander ein solches von meinem Friedhof. Kehre zurück, [D/D Nighthowl]!“ Als hätte er immer schon dahinter gelauert, kam hinter dem grünen Umhang des Wind-Eroberers das Riesenmaul mit den gelben Augen hervorgeschossen und wurde halb transparent.   D/D Nighthowl [ATK/300 DEF/600 (3)]   „Außerdem wird jetzt der Effekt von [Dark Contract With The Entities] aktiv, wenn ich ein Xyz-Monster beschwöre. Sofort wird eine deiner Karten auf dem Spielfeld verbannt.“ Nick zeigte zielgenau auf ihre gesetzte Backrow-Karte. „Diese!“ Schon leuchteten seine Zauberkarte und ihr Ziel schwarz auf. Letzteres klappte noch auf und entpuppte sich als dauerhafte Falle [Performapal Pinch Helper], ehe sie sich auflöste. Melinda legte den Kopf schief. „Och! Und was soll mich jetzt aus der Klemme befreien?“ „Gar nichts“, wusste Nick. Vor ihm befanden sich seine drei Herrscher. Fast schattenhaft schwebten sie über dem Boden, der mittlere umhüllt von roter Aura, die zu seinen Seiten in grüner und blauer respektive. „Oh Junge“, seufzte Melinda und stützte sich mit beiden Händen an dem Pult ab, sah dann mit ernstem Gesichtsausdruck auf, „das wird ja spaßig …“   ~-~-~   Eigentlich dürfte es ihm nichts ausmachen, doch Zanthe war innerlich selten so aufgewühlt wie in diesem Augenblick. So fegte er fast schon über den großen Parkplatz vor Logans Werkstatt, sah den blonden Exa bereits, der ihm in einem Blaumann entgegen kam. „Zanthe“, wunderte sich der junge Mann mit den Dreadlocks und den kurzgeschorenen, schwarzen Seiten, als er seinen Freund bemerkte, „stimmt etwas nicht?“ Dass der Werwolf ihn fast umrannte, war eigentlich Antwort genug. Nur mit deutlichem Nachdruck in Form von einem sanften Stoß brachte er den gebürtigen Italiener zum Stehen. „Hey, ich rede mit dir!“ „Du weißt genau, was nicht stimmt“, knurrte Zanthe verbittert und sah an ihm vorbei ins Innere der Werkstatt. Ein weißer Wagen stand dort leicht angehoben, unter ihm werkelte Logan scheinbar munter herum. Der Schwarzhaarige sah seinen Freund aus einer anderen Welt vorwurfsvoll an und atmete tief durch. „Ich will ihn zur Rede stellen!“ Stöhnend fasste sich Exa an die Stirn, schüttelte den Kopf. „Hätte ich dir doch bloß nichts erzählt. Er hat seine Gründe, okay? Ich finde es auch nicht gut, aber-“ „Nicht gut!? Das ist … das ist …!“ Zanthe packte sein Gegenüber unsanft an den Schultern. „Du hast keine Ahnung, was er damit anrichtet, wenn das rauskommt! Anya geht es sowieso schon schlecht genug!“ Verwundert sah sein Freund ihn an. „Ist etwas passiert?“ „Auch das trifft es nicht mal annähernd.“   Kurzerhand buchsierte Zanthe Exa beiseite, um sich Platz zu machen. Wie ein Sommergewitter stürmte er auf Logan zu und trat als Erstes gegen den Wagen. „Hey! Wir müssen reden! Sofort!“ „'s los?“ Auf einer kleinen Pritsche kam der kurzgewachsene Mann mit den schwarzen, buschigen Koteletten hervor gerollt und erhob sich unter Zanthes verächtlichen Blick. „Machst'n du für'n Lärm?“ „Tu nicht so“, zischte der Werwolf, „Exa hat es mir gesagt!“ Der Mann, ebenfalls im Blaumann, zeigte keine Regung. Aber sein Ton änderte sich, wurde schlagartig formeller. „Ich verstehe.“ Er blickte düster an dem jungen Mann vorbei zu seinem Gehilfen, der seufzend die Schultern zuckte. „Ich bin nicht dein Geheimnishüter, Logan! Wenn ich zwischen euch wählen muss, wähle ich Zanthe, damit das klar ist.“ „Wie kannst du sie nur so hintergehen?“, fragte Zanthe derweil vorwurfsvoll. „Uns alle.“ Den Blick wieder auf ihn richtend, zog Logan ein schmutziges Tuch aus seiner Hosentasche hervor und wischte die Hände daran ab. „Exa, lass uns bitte alleine. Am besten besorgst du uns etwas Öl vom Großmarkt, das ist inzwischen fast ausgegangen.“ „Tch …“, zischte der, gehorchte der Anweisung aber und entfernte sich von der Werkstatt.   Als er außer Reichweite war, sagte Logan auf die Anschuldigungen ernst: „Es war nie meine Absicht, einem von euch näher zu kommen als notwendig.“ „Das sehe ich aber ganz anders“, knurrte Zanthe unter aller Beherrschung, die er aufbringen konnte. „Die Dinge sind geschehen und nicht mehr rückgängig zu machen. Das bedaure ich zutiefst.“ Der Werwolf nahm einen Schritt zurück, wenn auch nur, um ihm nicht sofort die Kehle aufzuschlitzen. Denn danach dürstete es ihn in diesem Moment mehr als ihm lieb war. „Wenn Anya das erfährt, bricht es ihr das Herz …“ „Sie muss es nicht erfahren. Es liegt ganz bei dir. Und Exa. Ich bitte euch, es für euch zu behalten.“ Logan sah ihn abwartend an. Und wehrte mühelos einen Schlag ab, den sich Zanthe in diesem Moment nicht mehr verkneifen konnte. Ihn am Handgelenk festhaltend, sprach er: „Es ist von äußerster Wichtigkeit, dass ich meine Mission erfülle. Auch in Anyas Interesse.“ „Du machst es dir echt einfach“, zischte Zanthe und riss sich los. Er torkelte, überrumpelt von all seinen Gefühlen, einige Schritte rückwärts und blieb stehen. „Anya bedeutet mir mehr als du dir vorstellen kannst. Sie ist meine Freundin, meine erste seit sehr, sehr vielen Jahren.“ „Sie kann sich glücklich schätzen, jemanden wie dich zu haben.“ „Und du?“ Zanthe sah ihn eindringlich an. „Empfindest du überhaupt irgendetwas für sie?“ Logan schüttelte den Kopf. „Nein.“ „Pft. Gut so.“ Er drehte sich um und schritt von dannen. „Ich werde deine Lüge für eine Weile aufrecht erhalten. Aber überlege dir gut, was du tust, denn wenn du Anya oder auch einen meiner anderen Freunde leiden lässt, zahle ich dir das hundertfach zurück. Verlass' dich drauf.“ Damit war er mit Logan fertig.   Erst als er den Parkplatz der Werkstatt verlassen hatte und längst am anderen Ende der anliegenden Straße angelangt war, tauchte aus dem Nichts eine Person auf dem Dach von Logans Garage auf. Niemand anderes als Exa saß dort in der Hocke, schüttelte fassungslos den Kopf und murrte an den unten stehenden Mann gewandt: „Lügner …“ Logan lachte auf. „Wir beide wissen, dass es falsch ist.“ „Wie kann so etwas falsch sein?“ Mit einem Satz landete der Blonde neben ihm. „Darüber mache ich mir keine Gedanken. Und nun mach dich an die Arbeit, das mit dem Öl war ernst gemeint.“ Exa verdrehte genervt die Augen, als der Kleinere sich zurück in die Werkstatt verzog. „Mich kannst du nicht täuschen …“   ~-~-~   Melinda stützte sich mit ihren Händen an dem Pult der Duellarena ab. Auf der anderen Seite standen ihr die drei Dämonenkrieger mit blauer, roter und grüner Aura entgegen, fast schon nebensächlich war da das verteidigende Maul neben ihnen. „Das wird ja spaßig …“ „Bisher sehe ich nichts, was du nicht schon vorher konntest“, meinte derweil die am Rande stehende Alexandra und legte ihren Zeigefinger an die Wange, „gut, du benutzt jetzt unterschiedliche Mechaniken, aber das Feld zu füllen war schon immer deine Stärke. Also was hat sich verändert?“ Der zerzauste, brünette Mann schaute zu ihr herab. „Die Feinheiten. Aber die bekommen wir nur zu sehen, wenn Melinda diesen Zug übersteht. Und die Chancen dazu stehen sehr schlecht.“ „Wir werden sehen“, erwiderte die zuversichtlich, „bist du auch eine Duellantin, Alexandra?“ Die Blonde im Trenchcoat schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Es macht mir keinen Spaß.“ „Verbrennt die Ketzerin!“, stieß Melinda pikiert scherzend heraus, aber keiner ihrer Gäste regte auch nur einen Mundwinkel. „Haha … sorry. Du weißt ja, wir sind die AFC … das ist unser Geschäft.“ Mehr als ein mild amüsiertes Glucksen entlockte sie dem Supermodel da unten allerdings nicht. Ein Grund mehr, ihr mit Vorsicht zu begegnen. Wenn sie keine Duellantin war, woher kam sie ihr dann bekannt vor, wunderte sich Melinda. Nick rollte mit den Augen und streckte die Hand aus. „Genug mit dem Smalltalk. Sehen wir doch nach, welches Monster du verbirgst! [D/D/D Wave King Caesar], du solltest dafür ausreichend sein! Tidal Torrent!“ Jener hob sein riesiges Breitschwert mit beiden Händen über den Kopf und schwang es nach links und rechts. Damit beschwor er reißende Flutwellen, die über das Feld rauschten und auf die verdeckte Monsterkarte von Melinda einstürzten. Drei bunte Kanarienvögel tauchten aus dieser auf und wurden fortgeschwemmt.   Performapal Parrotrio [ATK/500 DEF/500 (3) PSC: <2/2>]   „Ein Pendelmonster“, stellte Nick nach einem Blick auf dem Bildschirm vor ihm fest. „Ja! Und eines, das für Ersatz auf meinem Feld sorgt, wenn es zerstört wird“, erklärte Melinda, während sich über ihr ein buntes Loch im Himmel öffnete und die Lebensessenz der Vögel als roten Lichtstrahl absorbierte. „Wird [Performapal Parrotrio] im Kampf zerstört, ruft er einen Performapal als Spezialbeschwörungen von meinem Deck.“ Sie hob den Zeigefinger. „Einzige Einschränkung: Es darf kein Pendelmonster sein!“ „Also spielst du eine Mischung aus regulären Effekt- und Pendelmonstern“, schlussfolgerte Nick. „Genau.“ Melinda nahm die gesuchte Karte aus ihrem Deck und knallte sie auf den Spielplan vor sich. „Und jetzt erscheine, [Performapal Sleight Hand Magician]!“ Vor ihr stieg ein in roter Robe steckender, dank seiner in zwei Spitzen endenden Mütze an einen Gaukler erinnernder Magier aus dem Boden, der einen Zauberstab und Glaskugeln in den Händen hielt. Sein Unterleib ging in einen großen, weiß-geflügelten Kristall über.   Performapal Sleight Hand Magician [ATK/2500 DEF/2000 (7)]   Aber ihr Gegner fackelte gar nicht lange. „[D/D/D Gust King Alexander], vernichte ihn. Rising Storm!“ Einmal ließ sein weißer Krieger sein Langschwert ausschwingen und ließ damit einen Wirbelsturm entstehen, um sich wütete und den Magier anpeilte. Melinda hob eine Augenbraue an. „Du willst also einen Doppelkill? Fein! Konterangriff, Trick Knives!“ Schon warf ihr Hexer seine Kugeln auf den Eroberer, welche sich im Flug in vier scharfe Messer verwandelten und unbeschadet durch den Sturm flogen. Welcher kurz darauf sein Opfer zerfetzte, während Alexander ins Herz getroffen wurde und explodierte. „[D/D/D Flame King Genghis]“, rief Nick da schon aus, „direkter Angriff auf ihre Lebenspunkte. Fire Stroke!“ Schon richtete der Krieger mit dem hohen Schild seine rote Klinge auf Melinda und stieß von ihr eine gigantische Flamme aus. Jene prallte jedoch vor Melinda an der Grenze zu ihrem Duellpult ab, da ab dort keine Hologramme mehr dargestellt werden konnten.   [Nick: 5000LP / Melinda: 4000LP → 2000LP]   „Ende der Battle Phase. Ich kann jetzt den Effekt von [D/D/D Wave King Caesar] aktivieren und eine Overlay Unit abhängen, um alle in diesem Zug durch Kampf zerstören D/D-Monster zurückzuholen. Öffne das Tor der Hölle!“, wies Nick sein Monster an. Jener düstere Krieger hob sein Schwert wieder an, absorbierte damit eine der um ihn kreisenden Lichtkugeln und schlug die Spitze dann neben sich auf den Boden. Aus jener Stelle erhob sich keine Sekunde der weiße Herrscher im grünen Cape.   D/D/D Wave King Caesar [ATK/2400 DEF/1200 {4} OLU: 2 → 1] D/D/D Gust King Alexander [ATK/2500 DEF/2000 (7)]   „Hmm“, überlegte Melinda mit Blick auf den Bildschirm. „Aber das kostet dich zu Beginn deines nächsten Zuges für jedes Monster 1000 Lebenspunkte. Dieses Deck ist wirklich sehr selbstzerstörerisch.“ Nick reagierte gar nicht, betrachtete stattdessen seine letzte Handkarte, die er verdeckt vor sich hinlegte. „Diese hier setze ich. Zug beendet!“ Zischend materialisierte sie sich in der mittleren der fünf auf dem Feld gezeichneten, hinteren Zonen, zwischen den beiden offen stehenden Zaubern.   Als Melinda aufzog, tippte sie nervös mit den Fingern auf der Verkleidung ihres Pults. Aber es war nicht ihre Art, ein Blatt vor den Mund zu nehmen. So sagte sie frei heraus: „Du bist so anders als damals, Nick. Als wir uns das erste Mal im Livingtoner Park trafen, warst du ein trotteliger, aber süßer Kerl.“ „Es war eine Maskerade“, erwiderte Nick, „nichts weiter.“ „War es das?“, zweifelte Melinda allerdings und schüttelte den Kopf. „Ich bin mir da nicht so sicher. Aber du weißt das sicher am besten. Warum tust du so etwas? Das frage ich mich schon seit einer ganzen Weile.“ „Weil es notwendig war.“ Die Rothaarige seufzte. „Für wen und was?“ „Ich muss mich weder erklären noch rechtfertigen“, kam eine eisige Retour. Und Alexandra kicherte von unten: „Vorsicht, heikles Thema.“ Nick schloss die Augen. „Hör zu, Melinda. Ich denke, du bist ein guter Mensch. Du hast viel auf dich genommen, schon damals, als du dich in einer Kanalisation versteckt und verstümmelt hast, um den Immateriellen in dir zu unterdrücken.“ Sofort fasste sich Melinda mit der linken Hand erschrocken an ihren rechten Unterarm. Ihr Gegenüber öffnete seine Augen. „Und du hilfst Anya wann immer möglich. Dafür danke ich dir. Aber gute Menschen sollten sich nicht mit den Beweggründen von schlechten Menschen aufhalten, sie würden sie nicht verstehen.“ „Bist du ein schlechter Mensch?“, fragte Melinda und beugte sich über ihre Konsole. „Das glaube ich nicht! Hast du noch etwas anderes zu verbergen?“ Der zerzauste Mann lachte zynisch auf. „Sehe ich aus wie jemand, der -nichts- zu verbergen hat?“ Und erntete dafür ein trauriges Lächeln. „Nein …“ „Dann kümmere dich nicht länger um mich und konzentriere dich aufs Wesentliche“, forderte Nick nun in einem scharfen Tonfall. Sie nickte. „Wenn du ein schlechter Mensch bist, habe ich nur einen weiteren Grund, deine Forderung abzulehnen. Aber wir haben einen Deal. Und ich kann dich besiegen, egal mit welchen Karten du gegen mich antrittst!“ Da lachte Alexandra wieder bitterböse auf. „So wie sie gegen Harrier gewonnen hat? Oh, habe ich etwas Falsches gesagt?“ Sie sah hinauf zu der entsetzten Rothaarigen. „Entschuldigung, da habe ich zu laut gedacht.“ „Hätte ich gewusst, dass du auf spitze Zungen stehst, hätte ich mich gleich von Anfang an anders verhalten“, sprach Melinda aber mit einem Grinsen ihren Gegner an, „schade, dass sie keine Ahnung hat, wovon sie da spricht.“ „Hey!“, protestierte die Blonde jedoch amüsiert.   „Sieh gut zu, vielleicht lernst du ja noch was“, zwinkerte Melinda ihr zu und griff nach zwei Karten in ihrem Blatt, „ich aktiviere [Performapal Pendulum Sorcerer] mit dem Pendelbereich 2 und [Performapal Lizardraw] mit dem Pendelbereich 6! Pendulum Scales set!“ Zwei hellblaue Lichtsäulen schossen vor ihr auf dem Spielfeld aus dem Boden. In der linken stieg ein in rot gekleideter Zauberkünstler mit einem Pendel in der Hand empor, neben ihm eine orange, auf zwei Beinen stehende Echse in einem Dompteurkostüm.   <2> Melindas Pendelbereich <6>   „Letzterer bleibt nicht lange dort!“, verkündete der Rotschopf entschlossen. „Ich aktiviere Lizardraws Effekt, sich bei der Anwesenheit eines anderen Kumpels in den Pendelzonen selbst zu zerstören, um mich eine Karte ziehen zu lassen!“ Der Kragen des Echsendompteurs, der aus fünf Karten mit Fragezeichen darauf bestand, fächerte sich weit aus und brachte das Reptil zum Platzen. Melinda zog schnurstracks ihre Karte und zeigte bereits eine neue vor. „Aber der frei gewordene Platz bleibt nicht lange unbesetzt! Ich aktiviere [Performapal Momoncarpet] mit dem Pendelbereich 7! Pendulum Scales set!“ Kaum war die Echse verschwunden, stieg an ihrer Stelle ein fliederfarbenes Flughörnchen in der Lichtsäule empor, auf dessen Rücken das Muster eines orientalischen Teppichs gestickt war.   <2> Melindas Pendelbereich <7>   „Sie will wohl ihre Zahlen verbessern, was?“, fragte Alexandra an Nick gewandt. Der entgegnete knapp: „Je größer die Differenz zwischen den beiden Scales, desto facettenreicher die Monster, die sie durch die Pendelbeschwörung rufen kann.“ „Das habe ich schon verstanden“, reagierte die Blonde darauf schnippisch. „Wozu dann das Offensichtliche ansprechen?“ Melinda verdrehte bei dem Wortgefecht der beiden genervt die Augen. „Nehmt euch ein Zimmer, ihr zwei! Aber dazu habt ihr eh gleich genug Zeit! Von meiner Hand der Spielfeldzauber [Performapal Dramatic Theater]!“ Da Arenen wie diese durch die veraltete Technologie nicht in der Lage waren, das komplette Umfeld in das eines Spielfeldzaubers umzuwandeln, wurde jener stattdessen auf Melindas Seite als Fußbodengrafik abgebildet – eine riesige Manege, die so voll von verschiedenen Performapal-Monstern war, dass man sie kaum als solche erkannte.   Eigentlich sollte ihr das alles gar nichts ausmachen, aber insgeheim wollte Melinda beweisen, dass sie mehr war als nur ein Mittel zum Zweck. Denn als solches kam sie sich immer mehr vor. Für Anyas Teilnahme am Legacy Cup und Sparringspartnerin, als Opfer von Harrier und nun auch noch als Nicks persönliches Vitamin B. Je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr schmerzte sie dieser Gedanke, denn es bedeutete irgendwo auch, dass sie nicht in derselben Liga spielte wie all ihre Bekannten und Freunde. Verdammter Stolz …   Mit neuentdecktem Ehrgeiz streckte Melinda entschlossen die Hand nach vorne aus. „Und jetzt schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum!“ Über ihr öffnete sich ein buntes Loch, umgeben von zahllosen Lichtellipsen. „Aus meinem Extradeck rufe ich [Performapal Parrotrio] und [Performapal Lizardraw]! Und aus meiner Hand [Performapal King Bear]! Pendulum Summon!“ Nacheinander schossen drei rote Lichtstrahlen aus dem Pendelportal und schlugen in ihren Monsterkartenzonen ein. Es waren das bunte Papageientrio, der Echsendompteur und ein muskulöser, hellbrauner Bär mit Krone auf dem Kopf und in einem roten Umhang gehüllt.   Performapal Parrotrio [ATK/500 DEF/500 (3) PSC: <2/2>] Performapal Lizardraw [ATK/1200 DEF/600 (3) PSC: <6/6>] Performapal King Bear [ATK/2200 DEF/1000 (6) PSC: <7/7>]   Plötzlich begann das Pendel in der Hand des roten Magiers in der Lichtsäule ganz von allein auszuschlagen. Nacheinander entfachten weiße Auren um ihre Monster. „Nun tritt der Effekt von [Performapal Pendulum Sorcerer] in der Pendelzone ein. Immer wenn eine Pendelbeschwörung auf meiner Seite durchgeführt wird, stärkt er sämtliche Performapals um 1000 Angriffspunkte bis zum Zugende.“ Doch der Rotschopf war noch lange nicht fertig. „Und ferner werden meine Performapals durch den Effekt von [Performapal Dramatic Theater] um 200 weitere Punkte pro verschiedenem Typ auf meinem Feld gestärkt. Das sind Geflügeltes Ungeheuer, Reptil und Ungeheuer-Krieger respektive, also insgesamt 600 Punkte obendrauf!“ Die weißen Auren ihrer drei Monster entflammten regelrecht, loderten und ließen die Luft flimmern.   Performapal Parrotrio [ATK/500 → 1500 → 2100 DEF/500 (3) PSC: <2/2>] Performapal Lizardraw [ATK/1200 → 2200 → 2800 DEF/600 (3) PSC: <6/6>] Performapal King Bear [ATK/2200 → 3200 → 3800 DEF/1000 (6) PSC: <7/7>]   Alexandra pfiff beim Anblick der Monster anerkennend. „Du bist ja richtig sauer geworden. Alle Achtung, damit kannst du jeden besiegen. Fast jeden …“ Natürlich war Melinda klar, wer da die Ausnahme darstellen sollte. Doch immer größer war ihr Drang, dieses Weib in die Schranken zu weisen. „Wie viel verdient man eigentlich so als persönliche Cheerleaderin? Und wo ist deine Uniform, wenn wir schon dabei sind?“ „Ui, sie -ist- sauer“, gluckste Alex vergnügt und sah herüber zu Nick, den das alles selbstverständlich nicht im Geringsten interessierte. „Battle Phase!“, rief Melinda diese angespannt aus. „Und jetzt erlebst du gleich die nächste Überraschung!“ Denn die weiße Aura um ihren kräftigen, aufrecht stehenden Bären wurde tatsächlich zu echtem Feuer. „Während meiner Battle Phase bekommt King Bear 100 Angriffspunkte für jede meiner offenen Performapal-Karten! Samt Spielfeldzauber und den Pendelkarten sind das sechs!“   Performapal King Bear [ATK/3800 → 4400 DEF/1000 (6) PSC: <7/7>]   „Aber er ist es nicht, mit dem ich als Erstes angreife! [Performapal Parrotrio], attackiere [D/D/D Wave King Caesar]!“ Im Chor begannen die drei Kanarienvögel singend Schallwellen auszustoßen, die über das Feld fegten. Alexandra drehte eine ihrer Strähnen um den Finger. „Wenn sie ein stärkeres Monster angreift …“ „... will sie mit dem Effekt ihres eigenen ein anderes beschwören“, beendete Nick des Satz wissend. „So ist es!“, bestätigte Melinda, als der Wellenkönig sein Schwert schwang und eine Flut davon löste, die die drei Papageien wegspülte. „Jeder Kampfschaden, der gegen mich gerichtet ist, wird halbiert, solange [Performapal Momoncarpet] in der Pendelzone liegt!“ Nur ein paar Ausläufer der Welle spitzen gegen das Pult von Melinda, die zuversichtlich grinse.   [Nick: 5000LP / Melinda: 2000LP → 1850LP]   Als roter Blitz wurden die Reste ihrer Vögel von dem sich öffnenden Pendelportal absorbiert. „Da Parrotrio zerstört wurde, kann ich einen Nicht-Pendel-Performapal von meinem Deck beschwören! Erscheine, [Performapal Sword Fish], im Verteidigungsmodus!“ Vor ihr materialisierte sich ein hellblauer Fisch in der Form eines Schwertes, dessen schwarze Elvistolle spitz wie eine Klinge zu lief.   Performapal Sword Fish [ATK/600 → 1200 DEF/600 (2)]   „Ich habe … etwas anderes erwarte“, meinte Alexandra schulterzuckend. Nick anscheinend nicht. „Es ist perfekt.“ „Du kennst seinen Effekt also? Ich nehme an, du hast Anyas erstes Duell gegen mich analysiert“, überlegte Melinda und zuckte mit den Schultern, „dich kann man auch mit nichts überraschen, oder?“ Plötzlich traten insgesamt vier durchsichtige Abbilder des Fisches aus diesem heraus, verwandelten sich in echte Schwerter und schossen auf die vier Dämonen auf Nicks Seite zu. Jeder wurde von einem durchbohrt, ohne aber dabei zu verenden. „Für die Unwissenden“, sprach Melinda und sah dabei zur Blonden herab, „Sword Fishs Effekt reduziert die Werte aller Gegnermonster um 600, wenn er oder ein anderer Performapal beschworen wird.“ Zu ihrer großen Überraschung erwiderte Alexandra jedoch: „Weiß ich.“ „W-was? Woher?“ „Uh, habe ich schon mal irgendwo gesehen“, wurde ihr zwinkernd versichert. Und genau das alarmierte Melinda. Sie hatte Sword Fish genau einmal ausgespielt, während der Abendgala zum Auftakt des Legacy Cups. Gegen Anya. Das Event fand unter geschlossener Gesellschaft statt, also woher …? Derweil knickten die drei Könige und der Baphomet ein, stöhnten schwer.   D/D/D Flame King Genghis [ATK/2000 → 1400 DEF/1500 → 900 (6)] D/D/D Gust King Alexander [ATK/2500 → 1900 DEF/2000 → 1400 (7)] D/D/D Wave King Caesar [ATK/2400 → 1800 DEF/1200 → 600 {4} OLU: 1] D/D Nighthowl [ATK/300 → 0 DEF/600 → 0 (3)]   Nicks Begleiterin einen sehr skeptischen Blick zuwerfend, wandte sich Melinda schließlich an ihren Gegner. Mit dem Daumen zeigte sie auf die Blonde herab. „Wo hast du die nochmal aufgegabelt?“ „Unwichtig.“ „Sehe ich anders. Aber eins nach dem anderen. Wenn in Anwesenheit Lizardraws Performapals zerstört werden, ziehe ich für jedes verbliebene auf dem Feld eine Karte. Macht zu dem Zeitpunkt zwei.“ Melinda zog entsprechend, ihre freudige Ausstrahlung war verflogen. „[Performapal King Bear], vernichte [D/D/D Wave King Caesar]! World's Strongest!“ Wie ein wütender Stier stampfte der Bär über das Feld, schwang seine Faust dabei ein paar Mal und schlug sie so heftig gegen den abblockenden Krieger, dass dieser die Bodenhaftung verlor und gegen Nicks Duellfeldbegrenzung knallte.   [Nick: 5000LP → 2400LP / Melinda: 1850LP] „Effekt von [D/D/D Wave King Caesar]. Wird er zerstört, erhalte ich eine Dark Contract-Karte von meinem Deck.“ Nick nahm jenes auf und zeigte die gewünschte vor. „Ich nehme eine zweite Kopie von [Dark Contract With The Gate].“ „Zu spät für sowas. [Performapal Lizardraw] ist stark genug, um dich zu besiegen! Und zwar dank des Schnellzaubers [Ego Boost], der seinen Angriffswert bis zum Ende der Battle Phase um 1000 erhöht!“ Die Echse schwoll voller falschem Stolz an wie ein Ballon, als die Zauberkarte hinter ihm aufklappte.   Performapal Lizardraw [ATK/2800 → 3800 DEF/600 (3) PSC: <6/6>]   „Attackiere [D/D/D Flame King Genghis]! Volle Pulle!“ Alexandra indes schmunzelte. „Deshalb also der Fisch. Ohne ihn hätte es nicht gereicht. Aber was erwartet man auch sonst von einer Ford?“ Der orangefarbene Echsendompteur schnappte sich die Karten von seinem Kragen und warf sie wie Klingen auf den Krieger, welcher seinen roten Schild schützend anhob. „Man erwartet mehr Aufmerksamkeit“, murrte Nick. „Verdeckte Falle: [Contract Laundering]!“ Da durchbohrten die Wurfgeschosse Genghis bereits, welcher in einer gewaltigen Explosion unterging. Eine einzelne Karte flog auf Nick zu, verschwand jedoch, als sie den Rand seines Pults passierte.   [Nick: 2400LP → 4400LP → 2000LP / Melinda: 1850LP]   Melinda lachte plötzlich. „Schade nur, dass deine beiden Zauberkarten dir zu Beginn deines Zuges das Genick brechen werden mit ihren Schadenseffekten.“ Sie verzog die Augen zu schlitzen. „Würde ich zumindest gerne sagen, aber durch den Effekt deiner Falle wurden sie anscheinend zerstört.“ „Korrekt. [Contract Laundering] vernichtet eine beliebige Anzahl meiner offenen Dark Contract-Karten und lässt mich als Kompensation für jede eine Karte ziehen und 1000 Lebenspunkte regenerieren.“ Insgesamt drei Karten hielt der zerzauste, junge Mann im schwarzen Mantel inzwischen in der Hand. „Das habe ich mir wohl etwas zu einfach vorgestellt“, gestand Melinda zerknirscht und nahm ihre letzte Handkarte, die sie vor sich in die mittlere Zauber- und Fallenkartenzone legte, wodurch sie vor ihr auf dem Spielplan erschien, „die verdeckt. Du bist dran, was bedeutet, dass der Boost von [Performapal Pendulum Sorcerer] und [Ego Boost] nachlässt.“ Die flammende Aura um ihren Bären erlosch, die angeschwollene Brust ihrer Echse ging zurück.   Performapal King Bear [ATK/4400 → 2800 DEF/1000 (6) PSC: <7/7>] Performapal Lizardraw [ATK/3800 → 1800 DEF/600 (3) PSC: <6/6>]   „Beenden wir das“, entschied Nick und zog auf eine insgesamt vierte Handkarte auf, wo er kurz zuvor nicht eine besessen hatte. „Aufgrund des Effekts von [D/D/D Wave King Caesar] werden mir 1000 Lebenspunkte Schaden zugefügt.“ Zahlreiche Blitze schlugen vor Nick um das Spielfeld, ohne ihn dabei zu treffen.   [Nick: 2000LP → 1000LP / Melinda: 1850LP]   Melinda versuchte eine unbekümmerte Miene zu wahren, doch innerlich war sie aufgewühlter denn je. Nicks Worte gingen ihr nicht aus dem Kopf. Was hatte er vor, wenn er sich selbst in einem derart schlechten Licht sah? Zielorientiert wie der brünette, junge Mann war, verlautete er sofort im Anschluss: „Ich aktiviere den dir bereits bekannten, permanenten Zauber [Dark Contract With The Gate] und erhalte pro Zug ein D/D-Monster von meinem Deck.“ Er nahm jenes auf, durchsuchte es und legte es mit der Karte in der Hand ab. Jene drehte er Melinda langsam zu. „[D/D Savant Kepler].“ Sofort stach dem Rotschopf der orangefarbene, am unteren Ende ins Grüne übergehende Kartenrand ins Auge. Das war eines der Pendelmonster, das sie beim Übertragen der Dateien bemerkt hatte. „Ich aktiviere [D/D Savant Galilei] mit dem Pendelbereich 1 und [D/D Savant Kepler] mit dem Pendelbereich 10. Pendulum Scales set!“ Links und rechts vor ihm schossen zwei hellblaue Lichtsäulen aus dem Boden. In ihnen stiegen zwei absurde Maschinen empor. Die Galilei genannte war eine goldene Statue mit einem Teleskop in ihrer Mitte, betrieben von zahlreichen Schaltern und Hebeln. Auch der Kopf, das einzig humanoide Merkmal des Apparats, war mechanischer und gleichzeitig dämonischer Natur. Dagegen war die dunkelblaue, in der anderen Säule empor steigende Maschine umgeben von zahlreichen Ringen an einer gewölbten Ausbuchtung, an der Miniaturplaneten des Sonnensystems hingen. Unter dem Kinn des Kopfes der Statue mündete dies in der Sonne.   <1> Nicks Pendelbereich <10>   „Beeindruckend“, lobte Melinda den Anblick beider Kreaturen, „ist das alles deinen Gedanken entsprungen?“ „Spielt das eine Rolle?“ Sie nickte lächelnd. „Natürlich. Ich als Erfinderin der Pendelbeschwörung stehe zum ersten Mal meiner eigenen Schöpfung gegenüber, ohne sie genau zu kennen. Das ist ziemlich aufregend, um ehrlich zu sein.“ Alexandra kicherte verschwörerisch, ganz zum Argwohn Melindas. Wie arrogant diese Frau doch war. Aber es ratterte im ältesten Ford-Spross. Sie hatte schon eine Idee, wie sie Nicks Begleiterin das Maul stopfen würde. „Ich duelliere mich nicht aus Spaß, sondern um weiterzukommen“, sprach jener ernst. „Du hast … überhaupt keinen Spaß daran?“, fragte Melinda ungläubig und sah wieder auf. „Nein.“ „Das ist schade.“ Sie sah ihn betrübt an. „Genau das ist, was ich als AFC-Repräsentantin und auch als Mensch gar nicht gerne höre.“ Nick sah sie eisig an. „Eines Tages werde ich dieses Spiel vielleicht als solches genießen können. Aber zunächst muss noch eine Menge getan werden.“ Und Melinda wusste, dass es keinen Sinn hatte zu fragen, woran er dabei dachte. So streckte Nick den Arm aus. „Aus meiner Hand der Stufe 8 [D/D/D Doom King Armageddon]! Pendulum Summon!“ Am Ende der Lichtsäulen öffnete sich zwischen diesen das bunte Pendelportal und stieß einen einzelnen, roten Strahl aus. Jener nahm vor Nick die Form einer massiven, schwebenden Kreatur an. Jenes bestand aus einem länglichen Kristall, in dessen Innerem ein schwarzes Loch tobte. Umgeben wurde die obere, dickere Sektion von einem Ring, an dessen Front ein mechanisches, dämonisches Gesicht herausragte.   D/D/D Doom King Armageddon [ATK/3000 DEF/1000 (8) PSC: <4/4>]   Kaum hatte es das Feld betreten, schwang Nick den Arm aus. „Und vergessen wir nicht, dass ich durch den Effekt von [D/D/D Gust King Alexander] ein D/D-Monster der Stufe 4 oder niedriger reanimieren kann, wenn ich ein D/D-Monster beschwöre. Sei wiedergeboren, [D/D Berfomet]!“ Jener Wind-König schwang einmal seine Hand aus, schon erschien zu seiner Rechten das finstere Mischwesen.   D/D Berfomet [ATK/1400 DEF/1800 (4)]   „Effekt von [D/D Berfomet]“, rief Nick unmittelbar danach aus, „er ändert die Stufe eines anderen D/D-Monsters auf dem Feld. Nighthowls Stufe wird zu 4!“ Der Baphomet mit den zwei rechten Armen stieß ein gefährliches Gebrüll aus, wodurch das Maul mit seinen spitzen Zähnen anwuchs.   D/D Nighthowl [ATK/0 DEF/0 (3 → 4)]   „Und jetzt stimme ich den Stufe 4-Empfänger [D/D Nighthowl] auf den Stufe 4-[D/D Berfomet] ein! Tuning!“ Das Maul stieg auf und zersprang in vier grüne Lichtringe, die der Baphomet fliegend durchquerte. Dabei zersprang er in vier grüne, hintereinander angereihte Lichtkugeln. „Climb over the corpses of heroes, carrying your bloodstained blade!“ „Noch eine Synchrobeschwörung?“ Melinda verkrampfte die Finger. Flüsterte: „Er reizt all seine Möglichkeiten bis aufs Maximum aus … beängstigend …“ Nick derweil tönte: „Synchro Summon! Be born! Level 8! [D/D/D Cursed King Siegfried]!“ Ein Lichtblitz durchzog die Ringe und aus ihm schoss ein weißhaariger, Langschwert-schwingender Krieger in silber-schwarzer Rüstung, der schwebend hinab stieg und sich neben seinen Kameraden Alexander gesellte.   D/D/D Cursed King Siegfried [ATK/2800 DEF/2200 (8)]   „Los, [D/D/D Gust King Alexander]“, rief Nick mit ausgestreckter Hand, „Angriff! Dein Ziel ist [Performapal King Bear]!“ Melinda weitete die Augen. „King Bear? Das stärkste meiner Monster? Da ist doch was faul!“ Sie drehte die verdeckt liegende Karte vor sich um, wodurch jene auch auf dem Spielfeld aufklappte. „So weit lasse ich es gar nicht erst kommen!“ Der weiße Dämonenkrieger hob bereits sein Langschwert, als von Melindas Falle ein gleißendes Strahlen ausging. „[Command Performance]! Da ich einen Performapal kontrolliere, gehen all deine Monster in die Verteidigungsposition!“ „Ach wirklich?“, gab sich Nick unbeeindruckt. „Ich denke nicht. Siegfried.“ Jener nahm seine Klinge und schnitt sich damit in die Hand. Im Anschluss schleuderte er das schwarze Blut in Richtung Melinda, wo es an ihrer Fallenkarte kleben blieb und diese komplett schwarz einfärbte. Dann löste sie sich auf. „Entschuldigung, was ist da grad passiert?“, wollte die wissen. „[D/D/D Cursed King Siegfried] kann einmal pro Zug eine Karte wählen und ihren Effekt einen Zug lang annullieren. Da dies ein Schnelleffekt ist, funktioniert er auch in deinem Zug.“ „Dann …“ „Ja. Alexander richtet seinen Angriff wie gehabt gegen [Performapal King Bear]. Rising Storm!“ Sein weißer Kriegerkönig ließ dessen Langschwert ausschwingen und erzeugte damit einen Wirbelsturm, der in seinem Zerstörungswahn auf den wuchtigen Bären zu rauschte. Jener stampfte einmal auf den Boden und ließ ein riesiges Stück Fels von dort herausbrechen, welchen er mit einem Faustschlag in Richtung des Angreifers schleuderte. Dabei meinte Melinda zwinkernd: „Dein Alexander mit seinen 1900 Angriffspunkten hat ziemliche Todessehnsucht. Ist das sein Fetisch?“ Nick zog es vor, nicht zu antworten. Der Felsbrocken durchbrach den Sturm, der sich prompt auflöste und zerschmetterte den weißen Krieger daraufhin.   [Nick: 1000LP → 100LP / Melinda: 1850LP]   „Nun wirkt der Effekt von [D/D/D Doom King Armageddon].“ Auf Nicks Ausruf hin begann das Schwarze Loch im Herzen der Kristallkreatur zu pulsieren, violette Blitze schlugen um sie. „Einmal pro Zug addiert es die Angriffspunkte eines zerstörten D/D-Monsters zu seinen eigenen.“   D/D/D Doom King Armageddon [ATK/3000 → 5500 DEF/1000 (8) PSC: <4/4>]   „Wow, das war ja einfacher, als einem Kind den Lutscher wegzunehmen“, gluckste Alexandra indes und lächelte Melinda heimtückisch an. In dem Moment durchfuhr es diese wie ein Blitz. Sie erinnerte sich daran, wo sie dieses Gesicht schon einmal gesehen hatte. Auf den Aufnahmen eines Überwachungsvideos. Sie war diejenige, die Anyas Deck damals gestohlen hatte! „Ich bin mir sicher, du hast es bereits erkannt“, sprach Nick derweil emotionslos, „selbst mit der Fähigkeit deines [Performapal Momomcarpets] kannst du den Kampfschaden nicht genug senken, wenn Armageddon deinen [Performapal Lizardraw] angreift. Es reicht genau aus.“ Da Melinda nur mit halbem Ohr hinhörte, fiel ihre Antwort ziemlich knapp aus. „Ja …“ „Wie ich bereits sagte, halte ich dich für einen guten Menschen. Daher entschuldige ich mich hierfür. [D/D/D Doom King Armageddon], beende es! Final Destination!“ In dem Moment lösten sich zahlreiche, hellviolette Lichtbögen von seiner Kreatur und steuerten allesamt auf ihren Echsendompteur zu. Melinda biss die Zähne zusammen und bedachte Alexandra eines letzten, feindlichen Blickes, ehe sie ihre Aufmerksamkeit auf das Duell richtete. Die Strahlen schlugen überall vor ihr auf dem Spielfeld ein und blendeten sich regelrecht.   [Nick: 100LP / Melinda: 1850LP → 0LP]   Als sie die Augen öffnete, verschwanden die Hologramme bereits. Nick nahm die Stufen hinter sich und steuerte bereits auf den Ausgang zu. Alexandra machte Anstalten ihm zu folgen. „Warte!“, rief Melinda ihm hinterher, schwang sich über das Geländer und landete mit einem Satz auf dem Boden. Dabei kam sie mächtig ins Torkeln und musste sich an der Außenfassade der roten Duellarena abstützen. Trotzdem folgte sie ihm. „Nicht so hastig!“ „Wir haben eine Abmachung“, sprach Nick, ohne sich umzudrehen. „An die halte ich mich auch. Ich werde die Daten höchstpersönlich in den Hauptserver einspeisen“, versprach Melinda, grinste dann aber, „das heißt aber nicht, dass du gehen kannst.“ Tatsächlich drehte sich der junge Mann mit einem in Ansätzen überraschten Gesichtsausdruck zu ihr um. „Da du schon hier bist, kannst du gleich den ersten Testlauf von Monochrome überwachen. Der startet in wenigen Stunden.“ Aber Nick verzog argwöhnisch die Augen. „Nein. Ich habe meine Pflicht bereits erfüllt und die Programmierung des Spiels übernommen. Alles Weitere liegt in euren Händen.“ Doch da stieß er bei Melinda auf taube Ohren. „Irrtum. Als Angestellter von Micron Electronics und Chefentwickler ist es sehr wohl deine Aufgabe, die Funktionen beim Testlauf zu überwachen.“ Sie schritt selbstbewusst auf die beiden zu. Alexandra grinste verstohlen, freute sie sich anscheinend darüber, dass jemand Nick Vorschriften machte. „Ich erwarte dich um Punkt 16 Uhr in Halle B5. Glaub mir, das wird lustig.“ Melinda bedachte Alexandra eines geheimnisvollen Blickes. „Und du bist natürlich auch herzlich eingeladen.“ „Danke. Das nehme ich doch gerne an.“ Ja, sagte sich der Rotschopf dabei vergnügt, dich sofort zu entlarven wäre auch zu einfach. Erst würde sie versuchen, etwas mehr über die hübsche Blonde herauszufinden. Und sie hatte da schon eine Idee …     Turn 106 – Teacher VS Student Nachdem sich Orion Velvet stellvertretend für Kali und Reika angenommen hat, beginnen die beiden ein Übungsduell um Velvets Fähigkeiten zu trainieren. Zeitgleich sucht Anya in ihrer Zerrissenheit Logan auf und … Kapitel 115: Turn 106 - Master VS Student ----------------------------------------- Turn 106 – Master VS Student     „Bist du wirklich sicher, Velvet-chan?“, fragte Orion sanft. „Wenn es gelingt, gibt es kein Zurück mehr.“ Das schwarzhaarige Mädchen, welches den Schattengeist mit beiden Händen vor sich hin trug, als sie über die grüne Wiese lief, nickte. „Ja. Ich habe mich entschieden. Ich möchte lernen, meine Visionen zu kontrollieren.“ Anders als sonst verzichtete sie auf ihre Brille und nutze Kontaktlinsen, trug darüber hinaus ihr Haar offen und hatte sich nur einen kurzen Zopf geflochten, der ihr über der Schulter lag. „Dann werde ich dir helfen! Wir machen es wie besprochen!“ „Hm-hm!“, gab sie zustimmend zurück. „Aber davor möchte ich dich meinen Freunden vorstellen.“ Sie blieb am Rande eines gepflasterten Weges stehen, welcher entlang eines Geländers führte. Dahinter befand sich ein Steg, an dem ein nicht gerade kleines, weißes Hausboot ankerte – Isaacs Zuhause. Niemand wusste, wie es ihm gelungen war, eine behördliche Genehmigung zu bekommen, um hier am Hudson River zu leben. Etwas weiter entfernt zur Linken führte eine Brücke über den knapp fünfzehn Meter breiten Fluss, dessen Ufer von grünen Wiesen umgeben waren. Auf der anderen Seite gab es entlang der Straße Wohnhäuser – es existierten durchaus schlechtere Orte zum Leben. Velvet hatte ihre Freunde nach der Schule gebeten, sich bei Isaac zu treffen. Tatjana hatte natürlich nur widerwillig zugestimmt, aber sie würde es nicht bereuen, wenn sie Orion erst sah.   Frohen Mutes öffnete Velvet eine kleine Tür am Geländer und betrat den Steg. Das weiße Hausboot war im Grunde ein weißer Kasten mit Fenstern am Bug, die mit eierschalenfarbenen Vorhängen zugezogen waren. Isaac mochte seine Privatsphäre. Etwas unsicher, wie ihre Freunde auf das Kommende reagieren würden, schritt Velvet schließlich zum Heck, von wo aus sie das Boot über eine kleine Anlegebrücke betreten konnte. Hinter der Reling wartete auch schon dessen Besitzer auf sie. „Alles ok?“, fragte der Blonde im weißen Hemd besorgt. „Du bist spät dran.“ „E-entschuldigung, ich habe mich noch etwas frisch gemacht. Und“, sprach sie und sah auf Orion herab, „jemanden mitgebracht.“ „Hm?“ Isaac reagierte nicht darauf und öffnete ihr stattdessen die Tür. „Ich muss mich entschuldigen. Es wäre besser gewesen, wenn einer von uns mit dir gegangen wäre.“ Velvet aber schüttelte den Kopf, als sie hinein ging. „Nein, das ist ok. Ihr habt eigene Leben und könnt mich nicht rund um die Uhr wie ein rohes Ei behandeln.“   Das 'Wohnzimmer' der Evolution – so der Name von Isaacs Boot – war ziemlich klein. Es gab eine Küchenzeile direkt neben dem Eingang, an dem Velvet schon Tatjana sehen konnte, die in einem gelben Sommerkleid gerade aus einem Glas Wasser trank. Als das leicht untersetzte Mädchen sie sah, atmete sie auf. „Oh da bist du ja. Warum reagierst du nicht auf meine Anrufe, Velvet!?“ „O-oh!“, erschrak diese. „Ich habe mein Telefon vergessen. Sorry!“ Tatjana, die diesmal ihre schwarz gelockten Haare zu einem Kranz geflochten hatte, verdrehte resignierend die Augen. „Typisch Velvet …“ Quer gegenüber der Küchenzeile stand an die Wand gelehnt ein Sofa, auf dem der braungebrannte Patrice und sein bester Freund Fabio saßen und sich vom Fernseher an der gegenüberliegenden Wand abwandten, als sie Velvet bemerkten. „Hör auf zu meckern“, meinte Patrice an Tatjana gewandt. „Erschreck' nicht, Velvet“, wandte sich dagegen der dunkelhäutige Junge mit dem Riesenafro an das Mädchen, „sie hat es oft probiert. Sehr oft. Du hast bestimmt 50 Anrufe verpasst.“ „Entschuldigung!“, stammelte die und verneigte sich vor der ganzen Truppe.   „Also, Velvet, was hast du auf dem Herzen?“, fragte Isaac hinter ihr und schloss die Tür. Er wanderte um die Küchenzeile herum und lehnte sich an diese. Neben ihm führte eine Treppe nach unten in sein Schlafquartier. „Muss ja was Großes sein, wenn du es nicht in der Schule besprechen willst“; meinte Tatjana derweil mit nicht zu verleugnender Neugier. „Schieß' los!“ „Okay!“ Velvet atmete tief durch und versuchte ihre Gedanken zu sammeln. „Ihr wisst ja, dass ich Visionen habe. Und dass ich sie nicht bewusst bekommen kann, keine Kontrolle über sie habe.“ „Ja, das ist uns bekannt“, bestätigte Isaac. „I-ich will das ändern!“ „Hm?“, machte Fabio überrascht. „Das höre ich auch zum ersten Mal.“ Auch Patrice neben ihm sah sie fragend an. „Bisher waren sie dir doch nur lästig.“ Velvet nickte fest. „D-das stimmt, aber ich kann nicht mehr so weitermachen wie bisher. Diese Leute, die hinter mir her sind, i-ich glaube sie wollen mich genau wegen meiner Visionen.“ „Bist du sicher?“, fragte Tatjana. „Woher sollten sie überhaupt davon wissen?“ Orion hatte diese Vermutung geäußert, wollte Velvet schon sagen und sah auf den Schattengeist in ihren Armen hinab, der verdächtig ruhig blieb. Wieso fragte eigentlich niemand nach ihm? Merkwürdig. „Sie haben sicher ihre Methoden“, giftete Isaac Tatjana an, wofür er einen vernichtenden Blick erntete, den er selbstredend erwiderte. „J-ja. Und ich muss ihnen einen Schritt voraus sein“, erklärte Velvet, „wenn ich vorhersehen kann, wann sie das nächste Mal angreifen, kann ich mich schützen.“ Patrice lächelte. „Ja, das wäre sehr praktisch.“ „Aber wie willst du den Umgang mit ihnen überhaupt lernen?“ Fabio machte dazu ausladende Bewegungen mit seinen Händen. „Gibt ja keine Gebrauchsanweisung oder so.“ Lächelnd streckte Velvet da die Arme aus, hielt den Schattengeist wie einen Preis nach vorne. „Mit seiner Hilfe! Das ist Orion!“ Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Die Blicke ihrer Freunde rangierten von irritiert, belustigt, neugierig hin zu mittelschwer besorgt. „Velvet“, fragte Tatjana behutsam, „wovon redest du?“ „N-na ihn! Orion!“ Sie wirbelte herum und zeigte Tatjana ihren neuen Freund. Aber alles was geschah war, dass imaginäre Fragezeichen über dem Kopf ihrer deutschen Freundin aufploppten – wie sie sie förmlich sehen konnte, ärgerte sich Velvet insgeheim. So sollte das nicht laufen! „Ich sag das nur ungern, aber wir können dir nicht folgen“, brachte Isaac es nochmal auf den Punkt und starrte auf ihre Hände, „was hältst du da fest? Da ist nichts.“ „W-was!?“ „Yo! Ich sehe auch nichts“, bestätigte Fabio. Patrice stand auf, schlenderte zu Velvet und zog sie liebevoll an der Schulter an sich. Dabei sagte er an die anderen gewandt: „Hört auf damit. Wartet erstmal ab was sie zu sagen hat. Nicht, Velvet?“ Leicht errötet nickte diese. Doch eigentlich wusste sie gar nicht, was sie sagen sollte. Es schien, als könne niemand den Schattengeist sehen. „Orion“, fragte sie daher aufgeregt, „was ist? Bist du … unsichtbar?“ „Ach Velvet-chan“, seufzte dieser, als er zu einer Erklärung ansetzte, „deine Freunde können mich nicht sehen und hören.“ „W-was!? Auch nicht hören!?“ Da hüpfte er ihr aus der Hand und landete auf der Küchenzeile, direkt vor Tatjana, die neben ihm ihr Glas Wasser absetzte. „Schattengeister können nur von ganz bestimmten Leuten wahrgenommen werden, Velvet-chan. Hauptsächlich von denen, die eine große Menge Äther besitzen.“ Er sah sie aus seinen großen Kulleraugen traurig an, verzog die Trötenschnute. „Mein ehemaliger Meister betrachtete Menschen mit stärkerem Äther als wertlos, da ihr Äther schwerer zu formen und zu verwerten ist als bei solchen mit normalem Äther. Wie deine Freunde. Sie sind zu schwach, um mich wahrzunehmen.“ „W-warum hast du das nicht früher gesagt!?“ „N-na du hast mich getragen. Es war so warm und ich habe deine“, begann er und fing dabei an zu sabbern. Als er Velvets empörten Blick bemerkte, schüttelte er seinen Kopf – also praktisch den ganzen Körper und ruderte mit seinen beiden Stummelärmchen. „I-ich hatte gehofft, dass sie mich sehen können, weil sie über lange Zeit mit dir zusammen waren. Das geht manchmal auch. Aber diesmal anscheinend nicht.“ „Velvet?“ Tatjana sah sie nun äußerst alarmiert an. „Halluzinierst du?“ „N-nein!“, riss die sich von Orions Anblick vor dem pummeligen Mädchen los. „Er hat es gerade erklärt. Ihr könnt ihn nicht sehen, weil euer Äther zu schwach ist. Das wusste ich nicht. Es tut mir leid!“ „Also willst du damit sagen, hier ist noch jemand? Orion?“, fragte Isaac. „Sag mir wo er ist.“ Statt zu antworten, zeigte Velvet auf die Küchenzeile, genau auf die Stelle vor Tatjana, wo Orion stand und sich zu Isaac drehte. Jener murmelte: „Ob da was ist lässt sich leicht herausfinden.“ Er streckte den Zeigefinger aus und führte ihn ganz langsam Richtung Orion, welcher seinen großen Trötenmund öffnete. Als der Blonde kurz davor war, den Schattengeist zu berühren, kam was kommen musste. Orion schnappte zu und biss in den Finger. „Au!“, schrie Isaac erschrocken und wich sofort zurück. „Was zum Teufel!?“ „O-Orion!“, stammelte Velvet erschrocken. „W-was soll das!?“ „Ich lass mich nicht von jedem betatschen!“, verteidigte sich der Schattengeist vehement. „Nur von hübschen Mädchen! Aber deswegen sind wir jetzt nicht hier, Velvet-chan!“ Isaac sah entgeistert zu seiner Freundin. „Da ist wirklich etwas. Velvet, bist du sicher, dass es eine gute Idee ist damit … Kontakt zu haben?“ „Du verarscht mich“, raunte Tatjana und hob die flache Hand. „Du, Isaac Sawyer, glaubst ohne zu murren an etwas Übernatürliches? Da muss ein Fehler vorliegen!“ Sprachs und klatschte die Hand auf Orions Kopf, welcher schmerzerfüllt aufschrie. Und sofort im Anschluss auch Tatjana, die vor Schreck gegen die Spüle stieß. „Huch!“ Nun erhob sich auch Fabio. „Ihr seid selber schuld, yo!“ „Ich muss Isaac zustimmen“; meinte Patrice neben Velvet. Sein Lächeln war verflogen. „Ist es wirklich eine gute Idee, dich auf diesen Orion einzulassen? Weißt du denn überhaupt, was er ist?“ „N-nicht so richtig. Ein Schattengeist eben. Aber er ist nett und will mir helfen!“ „Wir sind auch nett und wollen dir helfen“, stellte Isaac verständnislos klar, „und uns kann man sehen und hören. Manche sogar sehr gut.“ Der nachfolgende Blick galt der völlig gelähmten Tatjana. „Aber er versteht meine Fähigkeit! Deswegen bin ich hier! Ich werde mich mit Orion duellieren und dabei hoffentlich meine Kräfte kontrollieren lernen.“ Isaac stöhnte. „Ahja? Da ich dich kenne und weiß, dass es sinnlos ist, dir das jetzt noch auszureden, gestatte mir eine Frage: Was genau spielen wir dabei für eine Rolle?“ „Wenn wir Glück haben, sind wir nur Zuschauer“, gluckste Patrice, „wenn nicht, Gnade uns wer Gnade übrig hat.“ Dazu passte Fabios leicht panischer Kommentar ein langgezogenes: „Nuuu!“ „Nein, so ist das nicht“, schüttelte Velvet den Kopf und drehte sich der Reihe nach zu all ihren Freunden um, „ich will … ich will nur nicht alleine da durch.“ „Na dann ist doch alles klar!“, entschied Tatjana, die sich langsam von dem Schrecken erholt hatte und nickte zur Tür. „Zeig dem unsichtbaren Früchtchen, wo der Frosch die Locken hat.“   Aber der blonde Ambitionist unter ihnen machte einen schnellen Schritt auf Velvet zu und packte sie an beiden Schultern. „Hör zu, wenn du wirklich glaubst, dass das hier eine gute Idee ist, dann stehen wir dir natürlich bei.“ „D-danke!“ Isaac schüttelte den Kopf. „Bedenke jedoch, dass die eigene Zukunft zu kennen nicht zwangsweise etwas Gutes bedeuten muss. Es gibt viele Beispiele, bei denen das gründlich schief gegangen ist.“ „Aber das ist alles Fiktion“, widersprach Tatjana und tauschte mit ihrem Erzfeind einen bitterbösen, aber auch zustimmenden Blick aus. Sie seufzte. „Aber unser Musterschüler hat Recht. Wenn du zu versessen darauf bist, dein Schicksal zu ändern, verlierst du dich am Ende.“ Fabio trat näher. „Lass es nicht dazu kommen.“ „Aber wir sind ja da, um dich auf dem rechten Pfad zu halten“, blieb Patrice optimistisch. „Schauen wir doch erstmal, ob das überhaupt funktioniert.“ Dann streckte er seine Hand aus. Prompt legte Fabio seine darauf, dann folgten Isaac und Tatjana über die Küchenzeile. Zuletzt nickte Velvet dankend und tat es ihren Freunden gleich. Orion sah dem mit großen Kulleraugen entgegen. „Du hast wirklich gute Freunde, Velvet-chan. Ich werde auch mein Bestes geben, dir zu helfen!“ „Danke“, sagte Velvet ergriffen, „euch allen!“   ~-~-~   Anya war alleine und lag der Länge nach auf ihrem Bett. Sie hatte ihr Zimmer nicht verlassen, seit der Sammler sie und die Jungs hierher zurückgebracht hatte. Sie hielt die Augen fest geschlossen. Inzwischen war Levrier auf ihren Wunsch hin verschwunden und zum Glück auch anständig genug, sie nicht dauernd mit irgendetwas nerven. Alles was sie jetzt brauchte war Ruhe.   War sie eine Fälschung? Wie konnte sie das bloß herausfinden? All ihre Erinnerungen aus ihrer Kindheit und Jugend, sie waren real. Aber wenn man eine Datei kopierte, war diese auch exakt wie das Original. Ob das auch bei Magie so war? Der Sammler schien jedenfalls zu glauben, dass Kali die echte Anya Bauer war. Warum sonst erzählte er seinem Diener David davon? Aber Redfield hatte Recht, vielleicht steckte dahinter nur die Absicht, sie zu verunsichern und wieder zum Sammeln der Artefakte zu bewegen. Anya mahnte sich, an etwas anderes zu denken. Aber diese quälende Frage nach der Wahrheit ließ sich nicht verdrängen. Wen konnte sie bloß um Rat fragen? Einen anderen hochrangigen Dämon? Sie kannte keinen. Der Sammler und seine Feindin, die Weiße Hexe, hatten ihren Standpunkt ja deutlich gemacht. Und den anderen drei großen Dämonen war sie nie begegnet. Allenfalls Nigel McPherson wäre eine Variante aber von dem wusste sie ja nicht mal, wie sie ihn einordnen sollte.   Sie drehte sich keuchend auf die Seite. Eins stand fest: Ihre Schmerzen wurden schlimmer und schlimmer. Die, die sie immer öfter bekam, nicht die paar Schrammen von der Konfrontation mit Kali. „Ugh!“ Vielleicht war ihre Existenz wirklich instabil und kurz vor dem Zusammenbruch? Auch wenn sie es nach wie vor ablehnte, war der Homunkulus vielleicht ihre einzige Chance. „Die Undying“, kam Anya da eine Idee, „vielleicht wissen sie-“ In dem Moment klopfte es an der Tür ihres Zimmers. „Ich will meine Ruhe!“, schimpfte Anya wütend. Und wie es in den Wald hinein schallte, so kam es prompt wieder heraus. „Reiß dich zusammen, du undankbare Göre! Kommst mitten in der Nacht wieder und schaust mit deiner Großmutter nicht mal ein paar Folgen 'Pimp My Gun'!“ „Grandma!?“ Anya schreckte auf. „Uh! Komm rein …“ Was ihre graue, kleine Oma mit der Augenklappe aber sowieso getan hätte. Sie stampfte, nicht unähnlich ihrer Enkelin, durchs Zimmer und stellte sich vor Anyas Bett. Natürlich hatte sie eine Flasche Bier in der Hand. „So und jetzt erzählst du mir, was überhaupt los ist!“ „Uh …“ „Ich seh's dir doch an! Brichst plötzlich auf, um in die Pampa zu reisen! Dann biste wieder da und sprichst mit keinem ein Wort! Wäre der nette Schwule nicht, wüsst' ich gar nicht, dass ihr wieder zurück seid!“ Anya machte ein scheeles Gesicht. „Meinst du jetzt Matt oder Zanthe?“ „Muss ich mir die Namen von denen merken!?“ „Nope!“ „Siehste.“ Damit setzte sich Margery Bauer auf die Bettkante und klopfte auf den Platz neben sich.   Selbstverständlich gehorchte Anya und setzte sich neben sie, bekam das Bier gereicht, von dem sie sofort einen Schluck nahm. Nur um dann zu prusten. „Bah! Das ist ja ekelhaft!“ „Bist noch zu jung für das gute Zeug, wie's aussieht.“ Anya nickte. Sonst war sie ja gern mit ihrer Oma zusammen, aber alles was sie wollte, war ein wenig Ruhe. Dass sie jedoch um ein Gespräch nicht herum kommen würde, war so klar wie das Amen in der Kirche. „Uhm, Matt lebte vorher in einem Waisenhaus. Und das ist, uh, eingestürzt. Schon vor Monaten und als er das durch Zufall erfahren ist, ist er eben ein wenig ausgetickt.“ Anya seufzte. „Zanthe und ich haben ihn begleitet, aber anscheinend hat niemand überlebt.“ „Das ist kacke.“ „Jup.“ „Und überhaupt nicht der Grund, warum du so niedergeschlagen bist.“ „Ich bin nicht depri!“ Ihre Oma neigte den Kopf so weit zu Anya vor, dass sie Auge in Auge in Augenklappe nur wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. „Hör auf zu lügen, Kleines! Das hab ich alles schon mit Zoey durch!“ Welche ja auch immer noch verschwunden war, erkannte Anya erschrocken. „Uh … sorry.“ Da schlang Grandma Bauer ihren Arm um das blonde Mädchen und zog es an sich heran. „Jeder wird erwachsen, Anya. Du musst dich nicht für das schämen, was du fühlst.“ „Uhm, okay?“ „Magst du den Schwulen?“ „Nein?“ „Magst du den Versager?“ Anya zog eine Augenbraue an. „Das hat sich ja schnell herumgesprochen! Also das mit dem Versagen! Matt ist nur'n Freund!“ Ihr gefiel nicht, worauf das hinauslief. Zumal sie ihrer Großmutter wohl kaum erklären konnte, weshalb sie wirklich so zerrissen war. Doch erstaunlicherweise meinte die bloß: „Gut. Sind nämlich beide nichts für dich. Du brauchst 'nen richtigen Mann. Mit Haaren auf der Brust. Die Jungs von heute sind der letzte Dreck.“ Anya lief langsam rot an, denn sie hatte da eine gewisse Vorstellung von dem, was ihre Oma meinte. Diese Art Mann, die noch männlich war. „Uh-huh …“   Als Margery an ihrer Bierflasche nippte, nahm sie Anya dabei so fest in den Schwitzkasten, dass jene aufgrund ihrer anderweitig bedingten Schmerzen zusammenzuckte. Aber sie hielt durch und sagte nichts. „Ah!“ Ihre Oma lächelte besonnen. „Dein Opa war perfekt. Ja, wir haben uns ab und zu gestritten und geschlagen und aufeinander geschossen, aber wir wussten immer, was wir aneinander hatten. Dadurch war das Leben erträglicher.“ „Grandma …“, murmelte Anya. „Was ich sagen will: Hör auf, dich verstellen zu wollen, Anya. Du bist du, wenn du stark bist und wenn du schwach bist.“ Die grauhaarige Frau in der schwarzen Nietenjacke sah ihre Enkelin von der Seite an. „Man kann nie immer nur stark sein. Die Kunst ist es, die eigene Schwäche den richtigen Leuten anzuvertrauen.“ „Aber wenn ich nicht stark bin“, widersprach Anya schluckend, „dann … dann verliere ich die Kontrolle.“ „Mach nicht denselben Fehler wie Zoey. Sie ist genauso, will immer die Stärkste von allen sein, die Coolste. Aber sie sieht nicht, wohin sie das bringt, egal wie oft ich ihr schon versucht habe das einzutrichtern.“ „Ich bin nicht wie Zoey. Ich hab's gesehen. Sie ist … unglücklich.“ „Weil sie nicht zufrieden mit sich ist, Anya. Sie sucht nach Anerkennung von allen um sich herum, doch in Wirklichkeit ist es die eigene, die ihr fehlt.“ Anya nickte. „Verstehe. Aber bei mir … hängt so vieles dran. Wenn ich einmal versage, könnte alles … vorbei sein.“ „Und das macht dir Angst?“ Ihre Oma lachte bissig. „Seit wann hat 'ne Bauer Angst vorm Versagen?“ Doch statt darauf einzuspringen, zögerte Anya. „Ich … ich weiß es nicht.“ „Dann finde die Antwort und mach das Beste draus.“ Margery erhob sich. „Das heißt es, erwachsen zu werden.“   Sie sahen sich ein letztes Mal an, dann rülpste ihre Oma und verließ leicht schwankend das Zimmer. Anya hatte Angst davor zu sterben oder zu verschwinden, was in ihrem Fall eben besser passte. Denn es bedeutete, ihre Freunde nicht mehr zu sehen, keine Abenteuer mehr zu erleben, ihren Traum nicht verwirklichen zu können. Und … und -ihn- nicht mehr sehen zu können. Anya sah ihre Hände an. Wie viel Zeit blieb ihr noch? Unwichtig, hörte sie ihre Großmutter verärgert in ihrem Kopf brüllen. Statt darüber zu grübeln, sollte sie sie lieber nutzen! „Danke Grandma“, dachte Anya mit einem Lächeln und erhob sich von der Bettkante.   ~-~-~   Als sie zu fünft über den Steg liefen, erklärte Velvet, die mit Orion in den Armen voran lief: „Die Theorie sieht wie folgt aus: Ich erhalte nur wahllose Visionen, weil diese besonders starke Erschütterungen im …“ „Äther“, fügte Orion ein. „... Äther darstellen. Ich muss lernen, mich selbst im dem Strom wahrzunehmen.“ „Und wie macht man das?“, fragte Isaac am Ende der Gruppe skeptisch. „Durch ein Duell! Ich werde mich mit Orion duellieren.“ „Entschuldige, wenn ich das so sage, aber dann kannst du dich genauso gut mit uns duellieren“, konnte der Blonde nicht an sich halten, „wir sind alle würdige Gegner.“ Velvet passierte das Geländer, welches den Steg von der anliegenden, grünen Wiese trennte und blieb stehen. So auch ihre Freunde. „Aber ihr könnt nicht … ich …“ Sie drehte sich mit nervösem Blick um. „Ich muss in Gefahr sein, damit meine Fähigkeit aktiv wird. So wie bei meiner Vision …“ … vom Ende der Welt. Und ihrem vermeintlichen Tod, als ihre Furcht vor Zyxx am größten gewesen war. Die Furcht, die [Ebon Sky Pegasus] gerufen hatte, wie sie sich inzwischen sicher war. „Und dieser Schattengeist soll die Gefahr darstellen?“ Auch Tatjana klang langsam zweifelnd. „Ist das -wirklich- eine gute Idee?“ „Wir … ich muss es wenigstens probieren. Und seid nicht so gemein zu Orion!“ „Du bist naiv, Velvet.“ Isaac stöhnte. „Dir ist klar, dass wir nichts für dich tun können, wenn das nur ein Trick ist?“ „Sag sowas nicht“, meinte Patrice. „Velvet hat sich entschieden, ihm zu vertrauen. Ich habe keinen Grund an ihr zu zweifeln.“ „Ich bin neutral wie die Schweiz“, stellte Fabio sofort klar. „Kann keinen beurteilen, den ich nicht kenne.“ „Es tut mir leid, dass ihr Orion nicht sehen könnt“, murmelte Velvet schlechten Gewissens, „aber bitte glaubt mir. Er will mir nichts Böses. Ich bin naiv, ja, aber … seine Freundin Kali war es, die mich damals gerettet hat.“ „Die Geschichte musst du uns bei Gelegenheit auch noch erzählen“, meinte Isaac. „Aber wir sollten wohl auf Patrice hören und nicht noch mehr Zweifel säen.“ Das deutsche, pummelige Mädchen vor ihm erwiderte: „Du tust das, nicht wir!“ „Wenigstens mach ich mir Gedanken.“ „Und stopp!“, ging Patrice dazwischen, bevor noch ein Streit ausbrach. „Velvet, mach dich bereit!“   Jene nickte und eilte dann über die Wiese, während sich ihre Freunde hinter dem Geländer versammelten und zusahen, wie sie scheinbar Orion auf dem Boden absetzte. Dann nahm sie ein paar Schritte rückwärts und aktivierte ihre Akademie-Duel Disk.   „Orion, halt dich nicht zurück!“ „So wie besprochen, Velvet-chan!“ Auch der kleine, schwarze Schattengeist ließ an seinem Arm eine winzige, schwarze Duel Disk erscheinen. Was dem schwarzhaarigen Mädchen ein „Wie süß!“ entlockte. Der Größenunterschied der beiden wurde noch einmal richtig deutlich, war der schwarze Schattengeist doch gerademal so groß wie ein ausgewachsener Kohlkopf. Aber Velvet sah ihren Gegner mit der Mini-Duel Disk am Stummelärmchen wenigstens. Ihre Freunde dagegen, die der Reihe nach an der Brüstung vor dem Steg zu Isaacs Hausboot lehnten, zweifelten immer noch an Orions Absichten. „Nach der Excel-Sache kann ich nicht sagen, dass ich ihr misstraue“, meinte Isaac nachdenklich, während er nebenbei etwas in sein Smartphone eintippte, „aber ich würde dieses Wesen gerne mit eigenen Augen sehen. Unsichtbare sind gute Lügner.“ Fabio nickte. „Yo. Wüssten wir es nicht besser, würde ich sofort die Männer in Weiß anrufen. Das ist crazy, selbst für ihre Verhältnisse. Aber ihr habt ihn selbst berührt.“ „Ich find's spannend“, zuckte Tatjana mit den Schultern. „Du bist in eine Romanfigur verliebt“, schnarrte Isaac gehässig, „für dich ist alles spannend, was deine Fantasie tangiert.“ „Was hast du gesagt!?“ „Leute, hört auf“, stöhnte Patrice rechts außen, der lässig seine beiden Ellbogen an der Absperrung abstützte und die Beine übereinander geschlagen hatte, „sie fangen bestimmt gleich an.“   „Bist du soweit, Velvet-chan?“, fragte der kleine Schattengeist und dem Mädchen entging die Sorge, die dabei mitschwang, keinesfalls. Trotzdem nickte sie bestimmt. „Du hast bestimmt Recht damit, wenn du sagst, dass meine Fähigkeiten zu beherrschen ein Fluch sein kann“, sprach sie mit Überzeugung, „aber ohne Vorwarnung von ihnen heimgesucht zu werden ist viel schlimmer. Ich möchte bestimmen, wann ich was sehe.“ Orion nickte, wodurch er anatomisch bedingt beinahe mit dem Gesicht ins Gras fiel. „Ach Velvet-chan … whoa!“ „Legen wir los, Orion! Duell!“   [Velvet: 4000LP / Orion: 4000LP]   Kaum hatte sich der Schattengeist wieder gefangen, verengte er seine leuchtenden Augen zu dreieckigen Schlitzen. „Wie du willst! Als dein Lehrer ist es nur fair, wenn ich den ersten Zug bekomme.“ Die Brillenträgerin nickte zustimmend und beide zogen ihr Startblatt von fünf Karten. Dabei waren Orions so winzig wie Briefmarken. Das Mädchen musste grinsen. „Wie süß!“ „V-v-velvet-chan, nicht doch!“ Orion geriet ins Sabbern. Schon wieder … „E-entschuldigung!“ Seine riesige Rübe mehrmals schüttelnd, vertrieb der Kleine seine garantiert anrüchigen Gedanken und rief aus. „Endlich ist die Zeit gekommen, um mein neues Deck auszutesten. Und ich beginne hiermit: [Jurrac Velo] im Angriffsmodus!“ Aus dem Boden brach vor ihm ein mannshoher Velociraptor hervor, dessen Füße und lichterloh brennende Klauen blau, der Körper gelbgrün und der Kopf schließlich rot waren. Kaum war er erschienen, hüpfte Orion mit einem Satz auf seinen Kopf. „So mag ich das!“   Jurrac Velo [ATK/1700 DEF/1000 (4)]   „Whoa!“, stieß derweil Fabio überrascht hervor, als der Dino für alle sichtbar erschien. „Alter, krass!“ „Interessant. Seine Monster können wir sehen, ihn aber nicht“, meinte der blonde Isaac und blickte von seinem Smartphone auf. Die Schwarzhaarige kniff die Augen fest zusammen, als würde das dabei helfen, den Schattengeist ausfindig zu machen. „Hgh! Ich will wissen, wie er ausschaut!“ „Ein Grund mehr, sich nicht zu zeigen.“ Kurzum musste Fabio Isaac vor einer wütend fuchtelnden Tatjana schützen, die mit ihren Fingernägeln nur um Haaresbreite den riesigen Afro des Burschen verfehlte. „Nuu! Wieso müsst ihr immer streiten?“ Patrice am Rande murmelte derweil in seiner entspannten Haltung: „Ich hoffe du weißt, was du da tust, Velvet.“   „Eine Karte verdeckt“, rief Orion und legte diese in seine winzige Duel Disk ein, „dein Zug, Velvet-chan!“ Die Karte materialisierte sich hinter seinem Reittier. „Dinosaurier? Die sind das genaue Gegenteil von dir“, kicherte das Mädchen ungewohnt offenherzig und zog nebenbei. „Ich habe noch nie gegen solche gekämpft.“ „Dann versuche herauszufinden, was ich vorhabe“, wies Orion sie mit ernster Stimme an. Sofort wollte die Schülerin eine Taste an ihrer Duel Disk betätigen, um das Feld aufzurufen, aber der Schattengeist fuhr streng dazwischen, hielt seine Stummelärmchen über Kreuz. „Nein, nicht so! Du sollst die Effekte nicht nachlesen, sondern 'sehen'!“ „J-ja, stimmt“, nickte dass schwarzhaarige Mädchen und senkte den Arm. Sie schloss die Augen und mahnte sich zur Konzentration. Welchen Verlauf würde das Duell nehmen? Sie richtete all ihre Gedanken auf diese Frage. Aber es geschah gar nichts. Weder bekam sie eine Vision, noch überhaupt eine Ahnung. „Ugh. Es klappt nicht.“ „Versuch es weiter!“ Velvet kniff daraufhin die Augen so fest zu wie nur irgend möglich. Sie versuchte sich bildlich vorzustellen, was geschah, wenn sie [Jurrac Velo] angriff. Würde Orion seine verdeckte Karte aktivieren oder den Effekt seines Monsters? Oder keines von beiden? „Ugh!“ Sie öffnete die Augen. „Kein Glück.“ „Dann ist der Druck nicht groß genug“, überlegte der Kleine leise. „Was?“ „N-nichts. Spiel erstmal weiter, Velvet-chan. Aber Karten nur in den Gedanken lesen, nicht durch Technik!“ Sie nickte. „J-ja! Dann beschwöre ich [Spiritual Beast Apelio]! Attacke!“ Vor ihr erschien ein rotes Löwenjunges, dessen kurze Mähne sowie die Schweifspitze wie Feuer loderten. Spiritual Beast Apelio [ATK/1800 DEF/200 (4)]   Kaum war es erschienen, rannte es auf den größeren Dino los und fiel ihn an. Bevor dieser zu Fall gebracht wurde, sprang Orion aus dem Stand hoch in die Luft.   [Velvet: 4000LP / Orion: 4000LP → 3900LP]   Schließlich zersprang [Jurrac Velo] in tausende Polygone. Und Orion lachte in der Luft. „Hah-ha! Du hast den Effekt meines Monsters ausgelöst!“ „O-oh!“ „Wenn es im Kampf zerstört wird, ruft es ein anderes Jurrac-Monster mit maximal 1700 Angriffspunkten von meinem Deck aufs Feld. Erscheine, [Jurrac Monoloph]!“, rief der Schattengeist im Fall. Kurz vor dem Aufprall erhob sich ein weiterer Dinosaurier aus dem Boden und fing Orion mit seinem brennenden, gelben Schädel ab. Monolophs Körper war blau und auch seine Schweifspitze stand unter Feuer, welches Orion jedoch alles nichts auszumachen schien.   Jurrac Monoloph [ATK/1500 DEF/1200 (3)] Wieder versuchte sich Velvet auf die Zukunft zu konzentrieren, aber gerade weil sie letztlich nur ein neues Monster auf den Plan gerufen hatte, stand ihr ihre aufkeimende Nervosität nur im Weg dabei. „Z-zug beendet!“   „Draw!“, rief Orion sofort aus und zog. „Versuch es erneut, Velvet-chan! Was werde ich als nächstes tun?“ Jene schloss die Augen erneut. „Uh …“ Was könnte er denn tun? An der Akademie hatte sie gelernt, dass viele Dinosaurier-Strategien sich darum drehen, starke Monster zu beschwören. [Jurrac Velo] bestärkte diese Vermutung. Dann würde Monoloph wohl geopfert werden. „Tributbeschwörung!“, schloss sie selbstsicher. „Nicht raten!“ „I-ich habe doch-!“ Orion seufzte. „Nachgedacht, Velvet-chan. Aber das hat mit Vorhersagen, wie du sie lernen willst, nichts zu tun.“ Das Mädchen senkte ihr Haupt. „E-entschuldigung. Du hast Recht. Aber ich weiß nicht, wie ich meine Vision überhaupt auslösen soll. Hast du nicht eine Idee?“ Der Schattengeist nickte und fiel dabei fast von seinem Reittier. „Natürlich, aber Ziel ist es, dass du ohne Auslöser, allein durch deine Willensstärke, dorthin kommst.“ Eindringlich erwiderte sie: „Aber ich will es doch, wirklich! Ich gebe mir Mühe!“ „Vielleicht blockiert etwas deine Gabe …?“ Orion schüttelte den Kopf heftig. „Nein, das hätte Lady Gardenia erwähnt. Wir müssen es einfach weiter probieren.“ Er nahm eine der Karten aus seinem Blatt und legte sie auf seine Duel Disk. „Erscheine, [Jurrac Iguanon]!“ Noch ein Dinosaurier auf zwei Beinen stehend erhob sich vor ihm, dieser bündelte zwischen seinen Vorderläufen eine flammende Kugel. Sein türkisfarbener Kopf ging in einen dunkelblauen Körper über, der fast gänzlich in Flammen stand.   Jurrac Iguanon [ATK/1700 DEF/700 (4)]   „Ich stimme meinen Stufe 3-Empfänger [Jurrac Monoloph] auf meinen Stufe 4-[Jurrac Iguanon] ein“, rief Orion da aus und stieß sich von Ersterem in die Luft ab. Der kleinere, gelbe Dino zersprang in drei grüne Lichtringe, die der andere Dino fliegend passierte. „Ancient predators hidden in the ancient realm! Scorch your enemies with indomitable flames!“ Iguanon verwandelte sich in vier grüne Kugeln. Ein greller Lichtblitz durchdrang die Synchrokreise. „Synchro Summon! Rage forth, [Jurrac Giganoto]!“ Und jener erhob sich, war fast doppelt so groß wie Velvet. Orion landete auf seinem gelben Haupt und anhand des blauen Körpers war deutlich zu erkennen, dass es sich um eine ähnliche Spezies wie Monoloph handelte. Nicht nur waren seine Augenbrauen aus Feuer, auf seine Schweifspitze brannte nun so stark, dass Velvet schlucken musste. „Ich erkläre gleich seinen Effekt! Alle Jurracs erhalten für ihre Freunde auf dem Friedhof 200 Angriffspunkte“, sprudelte Orion los. Sein Riesendino stieß einen majestätischen Heuler los. Im Hintergrund quiekte Tatjana erschrocken und wurde dafür von Isaac aufgezogen.   Jurrac Giganoto [ATK/2100 → 2700 DEF/1800 (7)]   „Was ich jetzt vorhabe musst du nicht vorhersehen, Velvet-chan!“ Orion streckte seinen Stummelarm aus. „Los Giganoto-kun, Angriff auf ihr Monster! Dinoflame Swipe!“ Sein Riesendino drehte sich einmal um die eigene Achse und holte dabei mit dem Schweif aus. Von diesem löste sich ein ganzes Meer aus Flammen, das sich seinen Weg zu Velvet und ihren Apelio bahnte und beide in sich einschloss. Während Letzterer zersprang, schrie das Mädchen gequält auf, fühlte es sich in ihre Vision vom Flugzeugabsturz zurückversetzt. Wimmernd sank sie in die Knie.   [Velvet: 4000LP → 3100LP / Orion: 3900LP]   „Velvet!“ Patrice löste sich aus seiner Haltung und wollte seiner Freundin zu Hilfe eilen, doch Tatjana stellte sich ihm in den Weg. „Nein. Ihr geschieht nichts, das sind nur Hologramme!“ Doch der braungebrannte Venezolaner packte die pummelige Deutsche bei der Schulter und wollte sie unsanft wegschieben. „Das sehe ich anders!“ „Lass es sein“, meinte Isaac beherrscht, „sie hat sich dazu entschieden, das durchzuziehen. Wenn wir sie weiterhin wie ein rohes Ei behandeln, kommen wir kein Stück weiter.“ „Aber-!“, sah Patrice ihn verständnislos an. Auch Fabio haderte mit sich. „Nuu! Was da passiert ist uncool! Sie zu quälen und ihr die Grundlagen ihrer Fähigkeiten beizubringen sind zweierlei Dinge.“ „Woher willst du das wissen?“, fragte Isaac ihn. „Weder du noch wir anderen kennen uns in solchen Sachen aus. Wir müssen Orion vertrauen. Nicht dass -ich- das tue, aber Velvet tut es.“ „Ich sag's nur ungern, aber der Streber hat Recht“, stimmte Tatjana ihm zu und blickte über ihre Schulter, „Velvet so zu sehen ist nicht schön. Aber noch viel schlimmer wäre es, wenn wieder jemand kommt und sie entführen will. Wenn sie ihre Kräfte beherrscht, kann sie das verhindern.“ Patrice ließ sich wieder zurück gegen das Geländer fallen. „Das ist falsch …“   Derweil kauerte Velvet sich in den Flammen regelrecht zusammen. Diese schrecklichen Erinnerungen, die sterbenden Menschen, dieses Mädchen im Feuer, das sie so düster anstarrte. „Velvet-chan, du musst stark sein.“ „Aufhören!“, schrie die verzweifelt. Und tatsächlich verschwanden die Flammen. Sie schluchzte unkontrolliert, während Orion schlechten Gewissens verkündete: „Du bist dran …“   „Steh auf“, wurde dem Mädchen da von Isaac zugerufen, „es ist vorbei.“ „Zahl's ihm heim“, stimmte Tatjana mit ein. Velvet öffnete die Augen und bemerkte, dass alles um sie herum normal war. Schwankend erhob sie sich. „E-entschuldigung. Ich hab mich gehen lassen.“ Trotzdem zitterte ihre Hand, als sie nach ihrem Deck griff. „Willst du nicht lieber aufhören, Velvet-chan?“, fragte Orion traurig. „Das war zu viel für dich.“ „Nein! Ich kann nicht immer davonrennen, wenn ich etwas Schreckliches sehe.“ Sie dachte an ihr Duell mit Henry zurück. „Ich habe mich schon einmal deswegen blamiert. Wenn Zyxx wiederkommt, kann ich auch nicht vor Angst um Gnade betteln! Mein Zug, Draw!“ Schwungvoll zog sie von ihrem Deck und sah die gezogene Falle unsicher an. Das würde ihr einen Vorteil verschaffen, sobald er das nächste Mal angriff!   Aber das war nicht genug. Sie musste wissen was er vorhatte. Velvet schloss die Augen und versuchte sich nur darauf zu konzentrieren, wie dieses Duell verlaufen würde. Es war ihr Schicksal, sie musste es sehen! Um dieses zu erkennen stellte sie sich vor, wie Orion seine verdeckte Karte aktivierte. Aber nichts geschah danach, sie wusste nicht, was für eine Karte das war. Resignierend riss sie die Augen wieder auf. „Nichts … schon wieder …“ „Du kannst nicht erwarten, dass alles beim ersten Mal klappt“, rief Isaac ihr da zu, „deswegen nennt man es 'lernen'.“ „Aber“, wollte Velvet widersprechen, aber als sie zu ihren Freunden sah und diese nickten, schluckte sie ihren Verdruss hinunter. „Stimmt wohl.“ „Gib' nicht auf, Velvet-chan. Du kannst es schaffen! Es muss nicht gleich beim ersten Duell funktionieren.“ Der Gedanke daran, dass sie noch öfter solche Schreckmomente durchleben musste, baute das schwarzhaarige Mädchen nicht gerade auf. Trotzdem versuchte sie das Positive zu sehen: Sie konnte ihre Duell-Fertigkeiten schärfen und stellte sich ihren Ängsten, selbst wenn das mit ihren Visionen nicht klappte. „G-gut!“ Sie nahm drei Karten aus ihrem Blatt. „Ich setze zwei Karten und rufe [Spiritual Beast Rampengu]!“ Die beiden Fallen tauchten zischend zu ihren Füßen auf. Davor materialisierte sich ein grüner Pinguin mit wundervoll geschwungenen, gelb-orangefarbenen Augenbrauen, die bis hinter seinen Kopf reichten.   Spiritual Beast Rampengu [ATK/1600 DEF/400 (4)]   „Mit seinem Effekt kann ich ein Ulti-Fusionsmonster von meinem Extradeck verbannen und ein Spiritual Beast desselben Typs von meinem Deck auf den Friedhof schicken!“ Velvet zeigte das lila-umrandete Monster vor. „Ich verbanne [Ritual Beast Ulti-Cannahawk] und schicke seine Basisform [Spiritual Beast Cannahawk] auf den Friedhof!“ Zumindest gab ihr das ein wenig Hoffnung, sich gegen Orion zu behaupten. „Zug beendet!“ „Fallenkarte aktivieren!“, rief dieser genau in jenem Moment, seine gesetzte Karte sprang auf „Tut mir leid, Velvet-chan, aber ich habe keine Wahl! [Jurrac Impact]!“ „Oh verdammt“, stieß da Isaac entsetzt hervor. Weit über den beiden Duellanten öffnete sich ein Loch im Himmel, aus dem ein riesiges, brennendes Objekt schoss. „Erkläre!“, forderte Tatjana von ihrem Erzfeind. „Diese Falle kann nur aktiviert werden, wenn ihr Besitzer einen Dinosaurier mit mindestens 2500 Angriffspunkten kontrolliert.“ Der Blonde sah Velvet mitleidig an. „Danach wird das komplette Spielfeld ausradiert.“ Jene wirbelte erschrocken zu ihm um. „Oh nein! Dann-!“ Der lodernde Meteor über ihr dröhnte lauter, je näher er kam. Orion hielt die Stummelärmchen vor den Augen. „Genau so ist es …“ Sie konnte sich gerade noch einmal umdrehen, da schlug der Meteor bereits mitten ins Spielfeld ein und erzeugte eine gewaltige, flammende Schockwelle. Jene riss [Jurrac Giganoto] und Rampengu mit sich und versengte Velvets gesetzte Karten. Jene schrie panisch, wieder Flammen, wieder Erinnerungen. Das Lodern, das Knistern, die Schreie, alles war wieder da. Wimmernd begrub sie ihr Gesicht in den Händen.   „Warum opfert er sein Monster, wenn es das stärkste auf dem Feld ist?“, wunderte sich Isaac lautstark und bekam prompt Patrices Ellbogen in die Seite gerammt. „Ist das nicht gerade unsere geringste Sorge?“ „Nu! Das ist Folter!“ „Ihr solltet abbrechen!“, stimmte Tatjana Fabio zu. „Es muss doch noch einen anderen Weg geben!“ Doch Velvet rief dumpf durch ihre Hände: „Nein! Ich … ich muss durchhalten!“ Die Flammen verebbten langsam. Orion, wieder am Boden, griff mit schuldbewussten, halb offenen Kulleraugen nach seinem Deck. „Bitte hass' mich nicht, Velvet-chan! Draw!“ Das Mädchen sah auf. „N-nein, warum sollte ich?“ Erleichtert aufatmend rief der Schattengeist in Anschluss: „Dann kann ich weitermachen, ok? Gut! Ich beschwöre [Jurrac Stauriko]!“ Ein blau-grüner, recht kleiner Dinosaurier tauchte vor ihm auf. Drei brennende Kämme zogen sich über seinen Rücken. Jurrac Stauriko [ATK/500 DEF/400 (2)]   „Zumindest ist es nicht stark …“, murmelte Velvet. Kurz sah Orion nachdenklich in sein Blatt, schüttelte dann aber den überproportionierten Kopf und rief: „Direkter Angriff!“ Sofort hob das Mädchen schützend die Arme vor sich, als das Urzeit-Reptil auf sie zugestürmt kam und mit seinem Schweif nach ihr schlug. Der Treffer war nicht allzu hart, riss sie aber dennoch von den Füßen, sodass das Mädchen auf der Seite landete. „Urgh!“ „Velvet!“, riefen ihre Freunde erschrocken im Chor.   [Velvet: 3100LP → 2600LP / Orion: 3900LP]   Wie sie im Gras lag, schluckte das Mädchen schwer. Sie wusste, dass Orion sich ihretwegen zurückhielt. Aber ihre Feinde würden das nicht. „M-mir geht es gut!“ Die Zähne zusammenbeißend stand sie ganz langsam auf. „I-ich mache weiter. Egal, wie weh es tut!“ „Sie ist tapferer als wir“, musste Patrice dabei ehrlich zugeben, „ich wüsste nicht, ob ich mich auf so etwas einlassen würde.“ „Wenn es für die rechte Sache ist, würden wir das alle“, war sich Tatjana sicher. Die Freunde nickten sich alle zustimmend zu. Orion derweil verkündete: „Du bist dran, Velvet-chan!“   „Draw!“, rief Velvet entschlossen und zog ihre Karte. Sie sah sie verunsichert an. „Das könnte helfen! Ich beschwöre dich, [Ritual Beast Tamer Lara]!“ Ein rotblondes Mädchen erschien vor ihr, gewandt in ein pistaziengrünes Cape, gleichfarbigem Kleid und schwarzen Strumpfhosen. Sie hielt einen Zauberstab aus Holz in der Hand, den sie neben sich auf den Boden richtete.   Ritual Beast Tamer Lara [ATK/100 DEF/2000 (1)]   „Wenn Lara normalbeschworen wird, kann sie ein Spiritual Beast vom Friedhof aufs Feld rufen!“, erklärte Velvet weiter und zeigte jenes vor. „Komm zurück, [Spiritual Beast Apelio]!“ An der Spitze des knorrigen, gewundenen Zauberstabs leuchtete ein roter Kristall, dessen Licht den zunächst geisterhaften, dann immer realer werdenden Junglöwen offenbarte.   Spiritual Beast Apelio [ATK/1800 DEF/200 (4)]   „Jetzt kommt meine Spezialität!“ Unter dem aufkommenden Jubel ihrer Freunde streckte Velvet beide Hände von sich aus. „Oh Wunderkind der Beschwörung! Oh Bestie des Stolzes und der Redlichkeit!“ Apelio und Lara schwebten zusammen über ihr in die Luft. Dabei wuchs der Junglöwe auf beachtliche Größe an, seine Mähne spross und loderte, seine Haut verdunkelte sich. „Bindet euch aneinander!“ Velvet faltete die Hände über dem Kopf zusammen und riss sie zu einer Faust geballt hinab. „Contact Fusion!“ Die Beschwörerin schwang sich auf den Rücken Apelios, welcher vor seiner Besitzerin auf den Pfoten gelandet war und sie inzwischen um mindestens einen Kopf überragte. „Kämpfe, [Ritual Beast Ulti-Apelio]!“ Jener brüllte stolz, was Velvet neuen Mut verlieh.   Ritual Beast Ulti-Apelio [ATK/2600 DEF/400 (6)]   So stieß auch sie kämpferisch hervor. „Angriff! Ethereal Advance!“ Die Bestie stürmte auf den Dinosaurier zu. Dabei nahm Lara ihren Zauberstab in beide Hände und feuerte grüne Feuerbälle ab, die ihr Ziel zwar verfehlten, es aber so sehr ablenkten, dass der ausgewachsene Apelio es nur noch anfallen musste. In dem Moment rief Isaac erschrocken: „Nein! Verdammt, wie hab ich das vergessen können!?“   [Velvet: 2600LP / Orion: 3900LP → 1800LP]   „Das war ein guter Treffer, Velvet-chan!“ Orion trötete aus seiner langen Schnute: „Aber du hast damit auch den Effekt meines Monsters aktiviert. Da Stauriko im Kampf zerstört wurde, hinterlässt er zwei Jurrac-Spielmarken!“ Vor dem kleinen Schattengeist tauchten zwei Eier auf, die lichterloh in knallroten Flammen aufgingen.   Jurrac-Spielmarke x2 [ATK/0 DEF/0 (1)]   „Er hat sie nur dazu verlockt anzugreifen“, wusste Isaac inzwischen. „Hätte ich doch bloß schneller geschaltet.“ Fabio seufzte. „Tja, shit. Aber Velvet muss sich sowieso auf sich selbst verlassen. Was nützt es ihr, wenn du ihr alles vorsagst?“ „Da hat er Recht“, stimmte Patrice zu, der an dem Geländer lehnte, „aber wenn ich ehrlich bin, hätte ich wohl trotzdem angegriffen.“ „Ihr habt keine Ahnung“, blieb der Blonde jedoch stur, „wartet ab.“ Was Tatjana mit einem demonstrativen Naserümpfen kommentierte. „Ich setze eine Karte verdeckt“, rief Velvet aus und schloss die Augen, als die Karte vor ihr erschien. Sie versuchte sich darauf zu konzentrieren, ob ihre Falle Erfolg haben würde, doch wieder erhielt sie keine Vision der Zukunft. Warum bloß!? Was machte sie falsch!? „Z-zug beendet …“   „Mein Zug! Draw!“, rief der Schattengeist und zog schwungvoll. „Es tut mir leid, Velvet-chan, aber du hast mir dabei geholfen, mein mächtigstes Monster zu beschwören.“ „W-wie bitte? Oh … das klingt nicht gut“, stammelte das Mädchen entsetzt. „Ja! Ich opfere meine beiden Jurrac-Spielmarken für eine Tributbeschwörung! Erhebe dich, [Jurrac Titano]!“ Aus den beiden Eiern schossen hohe Stichflammen empor. Dann verschwanden sie und aus dem Boden brach ein schier riesiger, auf zwei Beinen stehender Dinosaurier empor. Knallrot war er, sein Körper war von einer fast schwarzen, gehärteten Magmaschicht überzogen. Zahlreiche Stachel überzogen seinen Kopf.   Jurrac Titano [ATK/3000 DEF/2800 (9)]   „3000 Angriffspunkte!?“, stieß Velvet erschrocken beim Anblick der sie überragenden Kreatur hervor. „Nein, Velvet-chan! Ich verbanne ein Jurrac-Monster mit maximal 1700 Angriffspunkten – wie [Jurrac Iguanon] – von meinem Friedhof und erhöhe Titanos Power um weitere 1000!“ „Ah!“ Der riesige Tyrannotitan öffnete sein Maul und sog aus dem Nichts Flammen ein, die er in seinem Maul in blaues Licht umwandelte.   Jurrac Titano [ATK/3000 → 4000 DEF/2800 (9)]   Isaac schlug die Hand vor den Kopf. „Davor wollte ich euch warnen.“ „Na und, damit wird Velvet schon fertig“, konterte Tatjana giftig und scharte mit dem Fuß nach hinten aus. „Angriffspunkte sind nicht alles.“ „Wenn du meinst.“ Der Blonde schnalzte mit der Zunge. „Ich spare mir jetzt meine Kommentare.“ Indes zeigte Orion eine Zauberkarte vor. „Ich weiß dass deine Fusionsmonster ihre Contact Fusion aufheben und dich schützen können! Daher aktiviere ich [Fairy Meteor Crush]! Das ausgerüstete Monster fügt dir Durchschlagschaden zu!“ Die Spitzen am Kopf des Dinoriesen leuchteten weiß auf. Velvet weitete die Augen, denn bei so hoher Angriffskraft würde ein Contact Out ihr Ende bedeuten, denn die Verteidigungspunkte von [Spiritual Beast Apelio] betrugen nur 200! Der Schattengeist indes machte aus dem Stand einen gewaltigen Hüpfer und landete auf der Schulter des Ungetüms. Gerade war er oben angekommen, machte stieß er plötzlich einen überraschten Laut aus. „Was!? A-aber Lady Gardenia-!“ Velvet sah verunsichert zu ihm hinauf. „Orion?“ „Gibt es denn keinen anderen Weg mehr!?“, sprach der scheinbar völlig abgelenkt weiter. „I-ich kann das nicht tun!“ „Was ist?“, rief das Mädchen derweil. „Bitte, sag etwas!“ Niedergeschlagen flüsterte der Schattengeist jedoch nur: „Ich habe verstanden …“ Unmittelbar danach leuchteten Kulleraugen rötlich auf. Etwas, das Velvet mit lautstarkem Schreck bemerkte. „Orion? W-was meinst du? Was ist mit- Ah!“   Um das Spielfeld herum sammelten sich pechschwarze Nebelwolken, die sich nach und nach um sie herum zuzogen. „Was ist das!?“, rief auch Fabio erschrocken. „Sag nicht, er …“, murmelte Patrice und löste sich aus seiner lockeren Haltung. „Bleibt ruhig“, mahnte ausgerechnet Isaac, doch da war Tatjana längst schnellen Schrittes auf den Weg zu den beiden. Dabei schrie sie zornig: „Hey! Was wird das hier!?“ Velvet drehte sich panisch zu ihr um. „I-ich weiß es nicht. Orion!?“ Keine Sekunde später zog sich die schwarze Wolke hoch, versperrte den beiden Mädchen den Blickkontakt und umhüllte das Feld vollständig. Die pummelige Deutsche blieb nervös vor dem Phänomen stehen und wagte es nicht, sie zu berühren. „Velvet? Velvet!?“ Es kam keine Antwort.   Innen war es dadurch stockfinster geworden. Abseits der Monsterhologramme und Orions rot strahlenden Augen erleuchteten nur gelegentlich Blitze das Innere der Kuppel. „Tatjana!? Patrice, Fabio, Isaac!?“, suchte das Mädchen zunehmend die Unterstützung ihrer Freunde, doch niemand reagierte. „Vergeblich. Hier hört dich keiner, Velvet-chan!“ „Orion, w-was ist hier los?“ Der Schattengeist sah sie regungslos an. „Nimm es nicht persönlich, aber es muss sein.“ „Was muss sein?“ „Lady Gardenia sagt, du bist zu unerfahren für deine Kräfte. Aber wir brauchen sie, dringend, um unseren Feind zu besiegen.“ Er senkte sein Haupt. „Deshalb hat sie mir eben befohlen … deinen Äther zu extrahieren.“ Das Mädchen wurde mit jedem seiner Worte blasser. „W-was?“ „Es tut mir leid. Lady Gardenia sagt, sie wird beherrschen. Etwas, wofür du Monate benötigen würdest. Ich dachte, wir hätten noch etwas Zeit, aber so bleibt uns keine andere Wahl.“ Der Schattengeist sah auf sie von seinem riesigen Monster herab. „Du musst sterben.“ „Was!? Orion … wie … wie kannst du nur!?“ Tränen stiegen in ihren Augen auf. „Ich dachte wir wären Freunde! Dass du … dass du mir helfen willst!“ „Dir ist nicht zu helfen, Velvet-chan! Du bist völlig talentlos! Deine Gabe ist in den Händen anderer besser aufgehoben!“, widersprach der Kleine vehement. „Warum hast du dich nicht mehr angestrengt!?“ „D-das meinst du nicht ernst, oder? Ich bemühe mich doch!“ Der Schattengeist kniff seine Augen fest zusammen. „Die Entscheidung ist gefallen! Mir bleibt keine Wahl, ich darf mich Lady Gardenia nicht widersetzen! Angriff auf [Ritual Beast Ulti-Apelio]! Titanic Showdown!“ [Jurrac Titano] hob sein rechtes Bein an und schmetterte es auf den Boden. Jener zerbarst regelrecht um ihn herum, dann stürmte er bereits auf den Löwen und seine Reiterin zu. Velvet schluckte den bitteren Schmerz des Verrats hinunter. „I-ich werde mich nicht so einfach ergeben! Verdeckte Falle, [Dimensional Prison]! Sie verbannt das angreifende Ziel!“ Die Karte klappte vor Velvet auf und öffnete vor ihrem Monster einen Dimensionsriss, der den herannahenden Riesendino vom Weg abbrachte und in sich hinein zog. Doch etwas blitzte in den Augen Orions auf. „Hehe, da hast du falsch gedacht! Titano kann nicht als Ziel von Monster- und Falleneffekten gewählt werden!“ Sprachs und prompt rannte der Tyranno durch den Riss hindurch, ohne dass etwas geschah. Mit einer Drehung schmetterte er seinen Schweif gegen das Duo aus Reiterin und Löwe, welches im hohen Bogen davongeschleudert wurde. Sie krachten in den schwarzen Wolkenwirbel und zersprangen sofort in zahlreiche Polygone. Die dabei entstandene Druckwelle fegte über das Feld auf Velvet zu, welche ebenfalls weggerissen wurde und mit dem Rücken gegen die schwarze Barriere prallte. Dabei sammelten sich zahlreiche Blitze um sie und schockten das Mädchen, welches qualvoll aufschrie.   [Velvet: 2600LP → 1200LP / Orion: 1800LP]   Dampfend fiel es auf die Knie und schluchzte unkontrolliert. „Siehst du, Velvet-chan? Ich meine es absolut ernst!“ Orion nahm zwei seiner Handkarten und schob sie in seine Miniatur-Duel Disk. „Zwei Verdeckte! Dein letzter Zug naht!“ Die Karten tauchten tatsächlich hinter ihm und [Jurrac Titano] auf, da jener es scheinbar vorzog, in der Mitte des Spielfelds zu verharren. Wodurch er wie ein unüberwindbares Hindernis vor Velvet stand.   Jurrac Titano [ATK/4000 → 3000 DEF/2800 (9)]   Es tat weh. Alles. Ihr Körper, aber auch ihr Herz. Warum waren alle hinter ihr her? Sie wollte diese Kräfte doch gar nicht! Schluchzend rappelte Velvet sich auf. Wenn der Rest ihres Lebens daraus bestand, mit denen zu kämpfen, die es auf ihre Visionen abgesehen hatten, dann … dann … Sie rieb sich mit dem Arm über die Augen. Sie musste die Zukunft nicht sehen, um zu wissen, wie das alles irgendwann enden würde. „Ich“, murmelte sie bitter, „hab genug.“ Orion beobachtete sie schweigend, kniff die Augen wieder fest zusammen. „W-wenn du meine Kräfte willst … dann …“ Sie wollte schreien. Aber ihr versagte die Stimme. Vielleicht wäre es das Beste wenn jemand die Zukunft vorhersehen konnte, der etwas Gutes für diese Welt im Sinn hatte. Ehe ihre Freunde noch dabei verletzt wurden, weil sie sie in all das hineingezogen hatte. „I-ich … g-“ Etwas durchfuhr sie. Es war nicht -ihre- Schuld! Velvet nahm langsam den Arm von den Augen und als sie das tat, zog sich eine lange, blaue Flamme von ihrem rechten entlang. „Wenn du meine Kräfte willst, musst du sie dir verdienen, Orion. Draw!“ Sie riss mit Schwung die oberste Karte von ihrem Deck. Dabei platzte ihr Zopf über der Schulter auf, das lange, schwarze Haar breitete sich aus. Das Gras um sie herum wippte unruhig bei der Bewegung. „Velvet-chan, deine Augen … sie sind rot wie meine!“ „Ist das so?“, fragte das Mädchen selbstbewusst und lächelte. „Dann bin ich wohl ein Monster wie du.“ Sie wusste nicht, was in sie gefahren war. Da war plötzlich so viel Selbstbewusstsein, sie fühlte sich stark, ja sogar … unbesiegbar. Und dann geschah es – sie stand plötzlich neben sich, im wahrsten Sinne des Wortes. Ihr Ebenbild streckte die Arme aus. „The sky is torn open!“ Im Anschluss schlug sie ihre rechte, zur Faust geballte Hand gegen die Brust. „Summoning contract established!“ In einer Geste voller Zuversicht streckte sie die Faust in die Höhe. Acht grelle Lichter stiegen um sie herum aus dem Boden auf, verteilten sich hinter ihr in einer Sternenformation und festigten sich zu einem kreisrunden Tor, in dem sich die Sphären als Runen manifestierten. Jedes Symbol hatte einen eigenen Teilkreis, in dem es steckte. „Witness the creation of the eternal gate!“ Ruckartig schossen die einzelnen Bestandteile des Portals nach hinten. Velvet rief: „Soar, ascend, exceed!“ „Da ist es“, hauchte Orion ehrfürchtig. In den Grenzen des Tors lag ein langer, bunter Tunnel. Ein dunkler Schatten in seinem Inneren näherte sich. „Open the eternal gate! Excel Summon!“ Velvet riss den erhobenen Arm hinunter und zeigte ihren Handrücken, in dem ein schwarzer Stern eingraviert war. „Grade 8! Now rise, [Ebon Sky Pegasus]!“ Die letzten Lichtquellen im Inneren der Kuppel erloschen für einen kurzen Augenblick. Das Portal hinter Velvet verschwand. Ein Wiehern hallte durch die Schatten. Dann kehrte das spärliche Licht wieder und über der Schwarzhaarigen schwebte der schwarze Pegasus. Die Spitzen seiner Federschwingen und auch seine Hufe brannten in blauen Flammen. Nicht anders war es mit der wallenden Mähne. Auf seinem Torso waren zu beiden Seiten rote, schwungvoll-gewellte Linien gezeichnet.   Ebon Sky Pegasus [ATK/2500 DEF/2000 X8]   „Ich setze eine Karte“, verkündete Velvet konzentriert, „und opfere sie für den Effekt von [Ebon Sky Pegasus], zusammen mit 1000 meiner Lebenspunkte!“ Die Karte, die zu ihren Füßen erschien, löste sich in blauen Funken auf, die die majestätische Kreatur über ihr absorbierte. „Damit kann ich eine andere Zauber- oder Fallenkarte von meinem Deck ungeachtet der Kosten aktivieren! Meine letzte Hoffnung! Future Antithesis!“ Sofort leuchteten die roten Seitenstreifen des Pegasus grell auf, als dieser sein Haupt reckte und erneut wieherte. Dann breitete sich von seiner Mähne und den Flammen an seinen Hufen und Federspitzen silbernes Licht aus. „Schlag ein und zerstöre [Jurrac Titano]“, rief die andere Velvet zuversichtlich, „der Zauber [Lightning Vortex]!“ Ein Blitz schoss aus der dunklen Kuppel auf den riesigen Tyrannotitanen herab, doch Orion lachte hochmütig auf. „Damit habe ich gerechnet, Velvet-chan! Konterfalle [Destruction Jammer]! Ich werfe eine Karte ab und annulliere einen Zerstörungseffekt!“ Hinter dem Dino sprang die rechte gesetzte Karte auf und sorgte dafür, dass der Blitze kurz vor seinem Ziel an einer unsichtbaren Barriere abprallte. Die sich duellierende Velvet schloss die Augen, dann senkte sie lächelnd ihr Haupt. „Du hast mich durchschaut. Beeindruckend. Das war's dann wohl für mich.“   Was die Velvet der Gegenwart dann sah, war ihre vernichtende Niederlage durch Orions Hände und deren Folgen, ehe die Vision schließlich schwand. „Nein“, murmelte sie daher unzufrieden. „Nicht so …“ Dann weitete sie die Augen, wodurch auch aus ihrem linken Auge eine helle, blaue Flamme schoss.   Wieder sah sie ihrem Ebenbild der Zukunft beim Duellieren zu. „The sky is torn open!“ Erst streckte sie die Arme aus, dann schlug sie sich die Faust gegen die Brust, ehe sie jene wieder in die Höhe streckte. „Summoning contract established!“ Acht grelle Lichter stiegen um sie herum aus dem Boden auf, verteilten sich hinter ihr in einer Sternenformation und festigten sich erneut zu dem Tor, in dem sich die Sphären als Runen manifestierten. „Witness the creation of the eternal gate!“ Ruckartig schossen die einzelnen Bestandteile des Portals nach hinten. „Soar, ascend, exceed!“ „Da ist es“, hauchte Orion ehrfürchtig. Hinter dem Tor erstreckte sich der lange, bunte Tunnel in eine andere Dimension. Der Pegasus näherte sich als dunkler Schatten bereits in seinem Inneren. „Open the eternal gate! Excel Summon!“ Zukunfts-Velvet riss den erhobenen Arm hinunter und zeigte ihren Handrücken, in dem ein schwarzer Stern eingraviert war. „Grade 8! Now rise, [Ebon Sky Pegasus]!“ Kurzzeitig wurde es stockdunkel in der Kuppel, dann brachte ein Wiehern wieder Licht und der Pegasus verharrte über der Schwarzhaarigen.   Ebon Sky Pegasus [ATK/2500 DEF/2000 X8]   „Ich setze eine Karte“, verkündete Velvet im absolut identischen Wortlaut wie zuvor und ließ jene vor sich erscheinen, „und opfere sie für den Effekt von [Ebon Sky Pegasus], zusammen mit 1000 meiner Lebenspunkte!“ Die Falle löste sich in blauen Funken auf und wurde vom Pegasus absorbiert. „Damit kann ich eine andere Zauber- oder Fallenkarte von meinem Deck ungeachtet der Kosten aktivieren! Meine letzte Hoffnung! Future Antithesis!“ Die roten Seitenstreifen des Pegasus leuchteten grell auf, als dieser sein Haupt reckte und wieherte. Im Anschluss breitete sich von seiner Mähne und den Flammen an seinen Hufen und Federspitzen silbernes Licht aus. „Sei der Wind, der uns davon trägt“, rief die andere Velvet zuversichtlich, „der Zauber [Blustering Wind], der Pegasus' Werte um 1000 für eine Runde erhöht!“ Ihr Pegasus spreizte seine Schwingen und stieß dabei grüne Wirbelstürme von sich, wieherte dabei stolz.   Ebon Sky Pegasus [ATK/2500 → 3500 DEF/2000 → 3000 X8]   „Angriff auf sein Monster!“, befahl ihr Zukunfts-Ich entschlossen. „Aether Hurricane!“ Die Spitzen der Flügel des anmutigen Ungeheuers nahmen wieder ihre blaue Färbung an. Das Tier stieg auf und entfachte einen gleißend blauen Flammenwirbel, der auf Orion und seinen Tyrannotitanen zu fegte. Doch der kleine Schattengeist kicherte böse. „Hehe, das habe ich erwartet, Velvet-chan! Verdeckten Schnellzauber aktivieren, [Battle Tuned]!“ Die hinter ihm links platzierte Karte sprang auf und tauchte das drei Meter hohe Biest in eine rote Aura. „Ich verbanne einen Empfänger von meinem Friedhof, wodurch [Jurrac Titano] dessen Angriffskraft erhält! Also bye bye [Jurrac Monoloph] und hello 1500 zusätzliche Angriffspunkte!“ „Es wird stärker!?“, stieß Velvet erschrocken hervor.   Jurrac Titano [ATK/3000 → 4500 DEF/2800 (9)]   Titano brüllte zorning und feuerte aus seinem Maul einen vernichtenden Lavaball, der den flammenden Äthersturm durchbrach ihren schwarzen Pegasus vom Himmel fegte. Das Mädchen in der Vision schloss seufzend die Augen. „Du hast mich durchschaut. Beeindruckend. Das war's dann wohl für mich.“ Ein weiterer Lavaball schoss auf sie zu und besiegelte ihr Schicksal. Sie hörte Orions Worte …   Die Velvet der Gegenwart riss ihre blau entflammten Augen erschrocken auf. Zwei Visionen innerhalb eines kurzen Augenblicks und beide liefen auf dasselbe Ende hinaus. Sie sah hinauf zu Orion, der auf der Schulter des riesigen Dinos wartete. „Orion, du Lügner.“ Sie lachte auf. „Aber jetzt weiß ich, was zu tun ist!“ Die Arme weit ausbreitend, wie in ihren Visionen, rief sie: „The sky is torn open! Summoning contract established!“ Sie schlug ihre Faust gegen die Brust, dann hob sie diese in die Höhe. Die acht grellen Lichter stiegen um sie herum aus dem Boden auf, bildeten hinter ihr eine Sternenformation und wurden zu dem Tor, in dem sich die Sphären als Runen manifestierten. „Witness the creation of the eternal gate!“ Ruckartig schossen die einzelnen Bestandteile des Portals nach hinten. „Soar, ascend, exceed!“ „Da ist es“, hauchte Orion ehrfürchtig. Hinter dem Tor erstreckte sich der lange, bunte Tunnel in eine andere Dimension. Der Pegasus näherte sich als dunkler Schatten bereits in seinem Inneren. „Open the eternal gate! Excel Summon!“ Velvet riss den erhobenen Arm hinunter und zeigte ihren Handrücken, in dem ein schwarzer Stern eingraviert war. „Grade 8! Now rise, [Ebon Sky Pegasus]!“ Kurzzeitig wurde es stockdunkel in der Kuppel, dann brachte ein Wiehern wieder Licht und der Pegasus verharrte über der Schwarzhaarigen.   Ebon Sky Pegasus [ATK/2500 DEF/2000 X8]   „Dieses Mal wird mir kein Fehler unterlaufen“, wusste die Schwarzhaarige und nahm eine Karte aus ihrem Blatt. „Ich setze eine verdeckte Karte und aktiviere den Effekt meines Monsters! Future Antithesis!“ Ihr Pegasus wieherte stolz, dann zerplatzte die eben vor ihr erschienene Karte zu blauen Funken und wurde von ihrem Monster absorbiert. Dessen rote Seitenstreifen begannen zu leuchten.   [Velvet: 1200LP → 200LP / Orion: 1800LP]   „Für 1000 Lebenspunkte kann ich eine gesetzte Karte und 1000 Lebenspunkte opfern, um eine Zauber- oder Fallenkarte direkt aus meinem Deck zu aktivieren!“ Die Schwarzhaarige zeigte ein zuversichtliches Lächeln. „Und meine Wahl fällt auf [Gale Echo]!“ Sofort begann der Pegasus silbernes Licht auszustrahlen. Die Falle stellte sich vor dem Mädchen auf und schlagartig zersprang das Assmonster in tausende Polygone. Orion machte eine riesige Schnute. „Wa-wa-was!? Du zerstörst ihn!?“ „Ja“, erwiderte Velvet, „das ist der Effekt von [Gale Echo]. Ich zerstöre alle WIND-Monster, die ich kontrolliere und kann dann eine Schnellzauber- oder Fallenkarte von meinem Friedhof aktivieren!“ „Vom Friedhof?“, wunderte sich der Schattengeist. „Aber welche sollte das sein?“ „Eine, die du durch [Jurrac Impact] vernichtet hast: [Ritual Beast's Afterglow]!“ „Eh!?“ Nacheinander tauchten vor dem Mädchen drei hellblau leuchtende Silhouetten auf: Die eines Mädchens, eines vierbeinigen Tiers und die eines großen, reiterlosen Vogels. „[Ritual Beast's Afterglow] kann die Stärke eines Ritual Beasts um die eines verbannten Partners stärken, oder bis zu drei Spielmarken beschwören, deren Namen und Werte denen von verbannten Ritual Beast-Monstern entsprechen. Das wären [Ritual Beast Tamer Lara], [Spiritual Beast Apelio] und [Ritual Beast Ulti-Cannahawk]!“ „Ah!“, stieß der kleine Schattengeist entsetzt hervor. Denn die Silhouetten formten sich zu den Geistern der blonden Zähmerin, dem Junglöwen und dem eines schwarzen Vogels, dessen Gefieder durch gelbe Blitze durchzogen wurde.   Ritual Beast Tamer Lara-Spielmarke [ATK/100 DEF/2000 (1)] Spiritual Beast Apelio-Spielmarke [ATK/1800 DEF/200 (4)] Ritual Beast Ulti-Cannahawk-Spielmarke [ATK/1400 DEF/1600 (6)]   „Diese Erinnerungen schwinden jedoch am Ende des Zuges“, sprach Velvet plötzlich in einem nachdenklichen Tonfall. „Ja, sie schwinden …“ Dabei dachte sie an den Tag zurück, als Melinda Ford sie von Zuhause abgeholt und zu einem Besuch in der Hauptzentrale der AFC eingeladen hatte. Während der Fahrt drückte sie ihr grinsend einen Brief in die Hand, den Velvet jedoch erst zuhause öffnen sollte.   Das Mädchen saß auf ihrem rosafarbenen Bett und hielt den Umschlag mit beiden Händen fest. Sie fürchtete sich vor dem Inhalt. Nach dem, was Melinda durch Harriers Hand widerfahren war, konnte sie sowieso kaum einen klaren Gedanken fassen. Da war bestimmt ein Anwaltsschreiben drin, eine Anklage oder eine Schadensersatzforderung. Am liebsten würde sie ihn gar nicht öffnen. Aber Velvet schluckte ihre Angst hinunter und riss ihn auf. Es half ja schließlich nichts, vor der Realität davon zu laufen. Ändern konnte sie sie sowieso nicht.   Tatsächlich war ein Brief darin, doch als Velvet ihn auseinander faltete, fiel etwas aus ihm heraus – eine einzelne Karte. Jene landete mit dem Rücken nach oben auf ihrem Schoß. Das Mädchen las sie auf und erschrak bei ihrem Anblick. „W-was?“ Dann las sie den Brief durch.   „Liebe Velvet,   ich weiß dass die Begegnung mit Henry nicht gerade angenehm war. Als Gegner ist er regelrecht furchteinflößend, glaub mir, ich weiß das. Bei der Analyse deines Decks ist uns aufgefallen, dass dir eine bestimmte Karte deines Themas fehlt. Ist ja auch ein verdammt seltenes Biest! Mit ihm hättest du meinen Bruder vielleicht in die Schranken weisen können. Also schicke ich sie dir mit diesem Brief, damit deine nächste Begegnung mit einem Stänkerfritzen zu deinen Gunsten ausgeht. Und ich möchte dich wissen lassen, dass wir nicht deine Feinde sind. Im Gegenteil! Liebe Grüße,   Melinda Ford“   Als sie das las, schlug das Mädchen mit Tränen in den Augen die Hand vor den Mund. Aus ihr brachen der Schmerz und das schlechte Gewissen, dass sie vielleicht mitverantwortlich für Melindas Schicksal gewesen war.   „Sie ist meine Freundin“, wusste Velvet inzwischen mit Sicherheit, „und ich werde ihr Geschenk würdigen!“ Sie breitete die Arme voneinander weit aus. „Oh Wunderkind der Beschwörung! Oh Bestie des Stolzes und der Redlichkeit! Oh Vogel donnernder Selbstlosigkeit!“ Nacheinander wurden die Geister in den Boden gesaugt. „Bindet euch aneinander! Contact Fusion!“ Dann geschah es. Die Erde unter Velvet brach auf. Das Mädchen wurde mit wehendem Haar weit in die Höhe getragen, als sich ein riesiger Löwe mit roter Blättermähne erhob, auf dessen Rücken ein Baum wuchs. Seine unglaubliche Größe sprengte die Schattenkuppel, welche sich einfach auflöste. „[Ritual Beast Ulti-Gaiapelio], beschütze das Leben!“ Dessen knorrige Beine waren von metallischen Schienen geschützt, sein Torso war ebenfalls von einer schwarzen Panzerung bedeckt, von der sich gläserne Flächen erstreckten. „Ich kann das auch“, grinste Velvet und spielte darauf an, auf ihrem Monster zu stehen. Hinter dem Kopf Gaiapelios war sie kaum noch zu sehen.   Ritual Beast Ulti-Gaiapelio [ATK/3200 DEF/2100 (10)]   Ihre Freunde, die sich in der Zwischenzeit um die nun gesprengte Schattenkuppel versammelt hatten, staunten wahrhaft beim Anblick der Bestie, die Orions Dinosaurier mühelos überragte. „Heilige Scheiße“, fluchte Fabio und wich zurück. „Was ist das denn? Das ist doch neu, oder?“ „Das ist [Ritual Beast Ulti-Gaiapelio], das stärkste Monster des Themas“, wusste Isaac und deutete anschließend auf den Dinosaurier, „viel interessanter ist -das-!“ Tatjana neben ihm stieß einen spitzen Schrei aus. „I-ich sehe es!“ „Ich auch“, nickte Patrice. Alle vier starrten den kleinen, schwarzen Knödel auf [Jurrac Titanos] Schulter an.   Velvet tat es ihnen gleich, sah lächelnd auf den Schattengeist hinab. „Danke, Orion. Ohne dich hätte ich es nicht geschafft.“ „Velvet-chan …“, murmelte der leise. Das Rot aus seinen Augen wich. Jedoch nicht das aus Velvets, welche eine Zauberkarte zückte. „Bringen wir das zu Ende! Ich aktiviere [Monster Reborn]! Kehre zurück, [Ebon Sky Pegasus]!“ Der schwarze Pegasus erhob sich aus einer blauen Stichflamme aus dem Boden und umkreiste Gaiapelio einmal, ehe er sich auf der Höhe Velvets zu diesem gesellte.   Ebon Sky Pegasus [ATK/2500 DEF/2000 X8]   „Beenden wir das“, richtete sie ihre Worte entschlossen an Orion und streckte die Hand aus, „Angriff auf [Jurrac Titano], [Ritual Beast Ulti-Gaiapelio]! Geo Awakening!“ Ihre mächtige Bestie brüllte zornig und stampfte mit den Vorderbeinen auf. Überall auf der gesamten Wiese schossen Bäume, Sträucher, Ranken aus dem Boden. Ihre Freunde, die von alle dem umgeben waren, stießen überraschte Laute auf. Alle jene Pflanzen wuchsen erstaunlicherweise in Richtung des Dinosauriers, umzingelten ihn und drohten ihn in sich zu zerquetschen. „Ha! Nicht so schnell, Velvet-chan! Ich habe noch meine verdeckte Schnellzauberkarte [Battle Tuned]!“ Orion betätigte den Auslöser an seiner winzigen Duel Disk und jene Karte klappte, wie schon in Velvets Vision, hinter ihm auf. „Wenn ich einen Empfänger vom Friedhof verbanne, erhält eines meiner Monster dessen Angriffskraft! Ich verbanne [Jurrac Monoloph] und-“ Doch das Mädchen mit dem offenen, schwarzen Haar lachte leise auf. „Gute Idee, aber dir ist sicher schon bewusst, dass ich davon Wind bekommen habe.“ Orion sah auf und schwieg beharrlich. Velvet schnippte mit dem Finger. „Unglücklicherweise möchte ich dieses Schicksal nicht erfüllen. Ich benutze Gaiapelios Effekt! Ultimate Providence!“ Jener brüllte auf. Unter der offen stehenden Karte des Schattengeists schoss eine flammende Wurzel, die den Zauber durchbohrte. „Ich werfe eine Ritual Beast-Karte ab und negiere die Aktivierung von [Battle Tuned]!“ Zuversichtlich lächelnd schob Velvet [Spiritual Beast Pettlephin] in ihren Friedhofsschlitz. Da nun nichts mehr die Natur von ihrem zerstörerischen Wachstum abhalten konnte, wurde [Jurrac Titano] tatsächlich zwischen Baumkronen und Ranken begraben. Orion schaffte rechtzeitig den Absprung und als er landete, zogen sich die Pflanzen rasend schnell in den Boden zurück und stellten die Wiese wieder her.   [Velvet: 200LP / Orion: 1800LP → 1600LP]   Velvet, die ihn nun mehrere Meter überragte, rief: „Direkter Angriff, [Ebon Sky Pegasus]! Aether Hurricane!“ Jener spreize seine Schwingen, deren Spitzen in blauen Flammen aufloderten und schleuderte einen vernichteten Feuerzyklon in Orions Richtung. Der Kleine hielt sich panisch die Arme vor die Kulleraugen, als er erfasst wurde und ächzte gequält.   [Velvet: 200LP / Orion: 1600LP → 0LP]   Velvet schloss lächelnd die Augen. Und als sie sie wieder öffnete, waren die blauen Flammen fort. Ebenso wie die roten Pupillen, die wieder ihre gewöhnte braune Färbung angenommen hatten. Allerdings hatte dies noch einen weiteren Effekt. „Oh?“ Denn als die Hologramme verschwanden, verlor das Mädchen damit automatisch auch den Boden unter den Füßen. „Ah!“ „Velvet-chan!“, schrie Orion entsetzt. „Velvet!“, riefen auch die anderen panisch. „Wah!“ Sofort machte der Schattengeist einen Satz nach vorne und wuchs dabei derart an, dass er binnen eines Sekundenbruchteils die Größe eines Trampolins angenommen hatte. Und als solches fungierte er auch, als Velvet auf seiner schwarzen Oberfläche aufschlug und erstmal einen halben Meter zurück in die Luft geworfen wurde. „Ah!“ „Au!“, jammerte der gewachsene Schattengeist. Als Velvet wieder auf ihm landete, schrumpfte er genauso schnell wieder, wie er gewachsen war – und wurde prompt unter ihrem Hinterteil begraben. „Umpf!“   „Was habe ich da gerade gesehen?“, stammelte Tatjana, als die Gruppe auf Velvet zu schritt. „Geht es dir gut?“, fragte Fabio besorgt und reichte dem Mädchen die Hand. Sie ließ sich aufhelfen und nickte. „I-ich denke schon!“ „Was war das?“, wollte Patrice wissen. „Dieses Feuer an deinen Augen …“ „I-ich weiß nicht. Aber plötzlich konnte ich die Zukunft sehen. Meine! Und das nicht nur einmal, sondern gleich zweimal hintereinander!“ Isaac stampfte geradewegs an ihr vorbei und betrachtete den Schattengeist, der mit dem Gesicht ins Gras gedrückt worden war. Er packte ihn am Haarbüschel und riss ihn in die Höhe. Die weiß leuchtenden Augen drehten sich regelrecht. „Soviel zu deinen edlen Absichten“, knurrte Patrice ihn sofort feindselig an. „Ja“, stimmte Tatjana wütend ein. „Wenn Velvet nicht-“ „Hört auf“, bat der große Blonde jedoch, ehe die anderen noch damit anfingen, den Kleinen zu lynchen. „Velvet, erklär's ihnen.“ „J-ja“, nickte die und nahm Orion entgegen, hielt ihn wieder mit beiden Armen an sich gedrückt und sah ihre Freunde der Reihe nach an. „Bitte seid ihm nicht böse. Das alles war nur ein Trick.“ „Wie bitte? Er hat dich in dieses Ding gesperrt“, klagte Patrice sauer und gestikulierte mit der Hand auf die Stelle hinter Velvet. „Schon, aber“, stammelte sie nervös, „aber das war alles nur dazu gedacht, damit ich denke, wirklich in Gefahr zu sein. Ich habe es in den Visionen gesehen, in denen ich verloren hab. Er hat es mir danach erklärt.“   Plötzlich drehte sich Orion in ihren Armen zu den anderen um. „Ja. Entschuldigt, dass ich euch nicht eingeweiht habt, aber ihr konntet mich ja nicht wahrnehmen.“ „Ich glaube dir kein Wort“, zischte Tatjana. Und fing sich einen bissigen Spruch von Isaac. „Was absolut niemanden interessiert.“ „Nu! Hört auf zu streiten!“, bat der Afroamerikaner. „Ich konnte Velvets Kräfte nicht durch ein normales Duell hervorlocken“, gestand Orion schlechten Gewissens, „aber sie hat gesagt, als Zyxx sie mitnehmen wollte, hat sie in der Stunde ihrer größten Not eine Vision bekommen. Also ...“ „… wolltest du das replizieren, hab ich Recht?“, fragte Isaac. Als der Kleine nickte, fügte er noch hinzu. „Sowas habe ich mir schon gedacht.“ „Ja. Und es hat funktioniert. Zumindest beim ersten Mal.“ Verwirrt fragte Velvet. „W-wie meinst du das?“ „Deine erste Vision war deiner Angst geschuldet, Velvet-chan. Deine Verzweiflung hat den Fokus auf dein Schicksal gelegt, sodass du es sehen konntest. Doch dann …“ Tatjana schluckte. „D-da war blaues Feuer an deinen Augen.“ „Die zweite Vision hast du bewusst hervorgerufen. Du konntest sie auf Befehl abrufen“, erklärte Orion weiter. Doch die Schwarzhaarige senkte ihr Haupt. „Sicher? Wenn ich es jetzt versuche, sehe ich gar nichts.“ „Es ist ein Anfang.“ Patrice schien immer noch nicht völlig überzeugt. „Aber wenn Verzweiflung dir hilft, deine Kräfte kontrollieren zu lernen, können wir nicht mehr viel für dich tun.“ „Ja. Das hat einmal geklappt, aber jetzt weißt du, dass ich nur schauspielere“, nuschelte Orion. Allerdings lächelte Velvet plötzlich. „Halb so schlimm! Ich bin stolz, dass es wenigstens ein bisschen geklappt hat. Uns wird was anderes einfallen!“ Ihre Heiterkeit wurde jäh durch das Grummeln ihres Magens unterbrochen. Peinlich berührt wirbelte sie von den anderen weg. „I-ich glaube, ich hab Hunger bekommen.“ „Dann gehen wir einen kleinen Happen zu uns nehmen“, schlug Isaac vor. „Aber bevor wir das tun, eine Frage, Orion: Wieso können wir dich jetzt sehen?“   ~-~-~   „Brauchen wir ihn überhaupt?“, fragte die rothaarige Cassandra, während sie neben Kathea durch eine fast völlig dunkle Halle lief. Einzig regelmäßig aufgestellte Kerzenhalter sorgten für ein wenig Licht. „Zyxx gehört zum Inner Circle“, erklärte die Jüngere mit dem schwarzen, ins Weiß übergehenden Haar mit seidiger Stimme, „ihn zu verlieren würde unsere Pläne in Gefahr bringen. Das weißt du.“ Die Hexe strich sich durch die feuerrote Lockenpracht, richtete dann ihre Lederweste. „Er ist nutzlos.“ „Er ist ein Vampir. Und damit der Einzige unter uns, der eine Chance hat, den großen Dämonen zu widerstehen“, fuhr Kathea weiter aus. Dann kicherte sie provokativ. „Obwohl ich gerne wüsste, wer bei einem Kampf zwischen dir und der Weißen Hexe als Sieger hervorgeht.“ „Hmpf!“   Ihre Schritte hallten über das Metall. Als sie in der Mitte des Raumes angelangten, blieben sie stehen. Auf der dunklen Oberfläche der riesigen, schwarzen Sphäre vor ihnen spiegelte sich das Flackern der Kerzen wieder. Durch ein goldenes Gestell wurde sie wie durch eine Hand gehalten. „Wie kann der jemandem wie dem Sammler oder dem Beobachter widerstehen, wenn er sich von den Handlangern Gardenias fangen lässt?“, fragte Cassandra übellaunig und schwang den Arm aus. In dem Moment entfachte sich in der Sphäre eine smaragdfarbene Flamme, die den Raum deutlich erhellte. „Das war von Anfang an der Plan“, erwiderte Kathea, „alles ist bereit. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass er zu uns zurückkehrt.“ Ein letztes Mal genervt stöhnend, streckte der Rotschopf die Handfläche aus und ließ die Flammen stärker und stärker lodern. Als nichts weiter geschah, knurrte sie: „Ignorier' mir nicht, Miststück!“ Als wäre das das Stichwort, erschien plötzlich ein von Falten gezeichnetes Gesicht inmitten des Feuers. Es war das der brünetten Hexe mit dem langen, geflochtenen Zopf. „Ich grüße dich, Weiße Hexe“, sprach Kathea formell und faltete die Hände vor ihrem roten Hosenanzug zusammen. „Danke, dass du deine wertvolle Zeit für uns opferst.“ „Ich habe erwartet, früher von euch zu hören“, erwiderte Gardenias Antlitz in der Glassphäre mit leicht verzerrter Stimme grimmig. Die Schwarzhaarige lächelte falsch. „Dasselbe dachte ich mir auch. Bewundernswert übrigens, dass du tatsächlich die Zeitdilatation in deinem Weißen Raum anhältst, nur um mit uns zu kommunizieren. Also scheinst du zumindest nicht ganz herzlos zu sein.“ „Komm zur Sache“, forderte Cassandra mit noch immer ausgestreckter Hand scharf. „Natürlich. Du hast etwas, das uns gehört“, sprach Kathea wesentlich düsterer weiter, „und wir etwas, das dir gehört. Ich schlage vor, wir korrigieren dies.“ „Ein Geiselaustausch?“, fragte Gardenia skeptisch. Die Vorsitzende für Finanzen und Verwaltung der CLEAR-Organisation nickte. „Ja.“ Statt etwas zu sagen, schloss die Weiße Hexe ihre Augen. „Ich bezweifle, dass Reika noch am Leben ist.“ „Du irrst dich. Wir sind keine Monster. Es geht ihr den Umständen entsprechend gut“, widersprach Kathea entschieden, „du kannst dich selbst davon überzeugen.“ Sie drehte sich um und machte eine winkende Handbewegung. „Komm!“   Aus dem Schatten hinter ihnen trat die blonde Asiatin hervor, deren Haar hochgesteckt und mit langen Nadeln gehalten wurde. Sie war blass, ihre Kleidung mitgenommen und sie humpelte, als sie zu den beiden Inner Circle-Mitgliedern stieß. „Lady Gardenia“, sprach sie mit schwacher Stimme, „bitte verschwendet eure Zeit nicht mit mir. Es war meine Schuld, ich war zu unvorsichtig-!“ Cassandra knurrte: „Halt den Mund!“ „Wie du siehst, lebt sie noch. Ich würde an dieser Stelle nach Zyxx' Zustand fragen, aber um einen Vampir muss man sich nicht allzu viele Sorgen machen.“ Kathea lächelte. „Es sei denn, du hast ein wenig an ihm experimentiert.“ „Wozu du unsere ausdrückliche Erlaubnis hast“, konnte sich Cassandra da nicht verkneifen. Aber Gardenia schwieg zu den Unterstellungen und sah nur Reika an. Welche da fragte: „Wie geht es meinem Kind?“ Da huschte ein Lächeln über die Lippen der Weißen Hexe. „Gut. Zachariah kümmert sich um ihn.“ „Wir werden es folgendermaßen ablaufen lassen“, mischte sich Kathea ein, „der Austausch findet übermorgen statt, an einem Ort deiner Wahl. Uns ist natürlich bewusst, dass du deinen Weißen Raum nicht verlassen wirst. Also, was schlägst du vor?“ „Ich werde sicherlich nicht noch einen meiner Schützlinge zu euch schicken“, erwiderte Gardenia garstig, „morgen früh, an diesem Ort.“ Ihr Antlitz verschwand, stattdessen zeigten die smaragdfarbenen Flammen den Ausschnitt einer Landkarte. Ein weißer Pfeil zeigte auf ein Waldgebiet. Kathea nickte. „Verstehe. Wir werden da sein.“ Dann lösten sich die Flammen schlagartig auf.   „Ist sie drauf reingefallen?“, fragte Cassandra und drehte sich zu Reika um „Wie könnte sie nicht? Ailin hat dieses Mädchen perfekt imitiert“, lachte Kathea, als sie sich der vermeintlichen Reika zuwandte, die dankend nickte und dann fortging. Dabei veränderte sich ihre Haarfarbe von blond zu brünett zu rot zu blau. „Tch, Angeberin“, schnaubte Cassandra. „Glaubst du, Gardenia konnte uns ausfindig machen?“, fragte die Schwarzhaarige nachdenklich. „Unwahrscheinlich. Und selbst wenn, wird sie sich nicht hierher trauen. So oder so: In weniger als 48 Stunden ist sie tot“, verkündete der Rotschopf in der grünen, engen Hose böswillig und verschränkte die Arme vor der üppigen Oberweite, „dafür sorge ich schon.“ „Sehr gut“, lächelte Kathea und folgte dann 'Ailin' mit laut widerhallenden Schritten.   ~-~-~   Anya konnte das wohlige Kribbeln in ihrer Magengegend nicht verleugnen, als sie über den großen Parkplatz schlenderte. Welche schlagartig zu rotieren anfing, als sie Logan im Inneren der Werkstatt erblickte, wie er an einem ihr seltsam bekannt vorkommenden, weißen Flitzer schraubte. Von seinem neuen Gehilfen Exa war zum Glück keine Spur weit und breit. Trotzdem ihre innere, grimmige Stimme sie mahnte, nicht allzu schnell zu laufen, stampfte sie in der Praxis wie ein tollwütiges Mammut zum Inneren der Garage. Der schwarzhaarige Zwerg mit den Mörderkoteletten kniete vor dem weißen Wagen und schraubte den hinteren, von Fahrtrichtung aus linken Reifen fest. Vollgeschmiert mit Öl, sah er in seinem Blaumann, unter dem er verdammt nochmal kein Hemd trug, ziemlich … haarig aus. Anya musste sich konzentrieren, um sich nicht in Details zu verlieren. Wie hässlich er war, verstand sich natürlich! So bedurfte es unbemerkt von ihm große Anstrengung seitens der Blonden, ihn fachgerecht zu grüßen. „Hey! Was machst'n da?“ Als er sie bemerkte, erhob er sich. „Den Wagen reparieren, den du zerbeult hast.“ „Ehehehe“, lachte Anya heiser. Daher kam er ihr bekannt vor. „Bezahlt is' der Schaden auch noch nich'.“ Prompt verstummte sie. Ja, da war ja noch was. Shit! „Yeah, was das angeht … uh …“ Hatte dieser hirntote Vollidiot Nick sich trotz ihrer eindeutigen Anweisung -nicht- darum gekümmert!? Aber die Antwort dazu hatte sie bereits erhalten. Elende Mistmade, spielte lieber mit Dämonen 'rum und wollte ihrem Dad an den Kragen, als seine Arbeit zu tun. Wenn sie ihn das nächste Mal in die Finger bekam, würde er herausfinden, warum beängstigend viele Livingtoner Patienten beim Urologen die Diagnose 'Anya Bauer' bekamen. Wurde mal wieder Zeit dafür!   „Du kannst in Raten zahlen“, brummte Logan, aber als Anya nur sämtliche Farbe aus ihrem Gesicht schwinden spürte, pfiff er belustigt. „Mach dich locker, war'n Witz.“ „Kann sein“, atmete sie erleichtert auf, „aber du hast Recht, ich muss die Scheiße bezahlen. I-ich hab'n paar Jobs in Aussicht, vielleicht kann ich eine Anzahlung leisten? Wie hoch ist denn …?“ „Willste nicht wissen.“ Das hatte sie befürchtet. Kleinlaut fragte sie trotzdem: „Vierstellig …?“ „Möglich.“ „F-fünfstellig?“ „Könnte sein.“ Der Hauch eines schadenfrohen Grinsens machte sich an seinen Mundwinkeln bemerkbar. Anya verzog grimmig das Gesicht. „Sag es!“ „Wenn du willst, kriegste 'ne Rechnung, wenn ich fertig bin.“ Womit er mit dem Thema ganz eindeutig durch war. „Und nun sprich.“ „Huh?“ „Du kommst immer, wenn was ist. Also?“ Anya machte große Augen und lehnte sich – äußerst vorsichtig – gegen die Hintertür des Porsches. Das traf sie jetzt unvorbereitet. Kam sie wirklich nur zu ihm, wenn sie etwas loswerden wollte? Tatsächlich fiel ihr kein einziges Mal ein, wo sie sich nicht irgendetwas von der Seele reden musste. Und so war es auch heute. „Yeah, hast Recht. Sorry“, murmelte sie schlechten Gewissens und sah ihn aus den Augenwinkeln an, wie er abwartete, „aber ist nicht so wichtig. Wie geht es dir?“ „Gut.“ Anya knirschte innerlich mit den Zähnen. Gut? Was war das für eine beschissene Antwort und obendrein dreiste Lüge? Es ging niemals jemandem einfach nur 'gut'. Aber wenn sie ihm das an den Kopf knallte, wurde es vielleicht wirklich noch ein fünfstelliger Betrag. „'kay“, erwiderte sie skeptisch. „Und die Sache mit … du weißt schon … dem Knast?“ „Ich werde freigesprochen werden. Man hat dem Typen nachweisen können, dass er das Motorrad gefahren ist.“ Erschrocken sprang Anya auf. „Was!? Wie geht das denn?“ Er sah sie ausgesprochen ernst an. „Hatte gehofft, du könntest mir das erklären.“ „K-kann ich aber nicht. Und wenn Nick nichtmal das Geld für diese Karre überwiesen hat, wird er wohl kaum …“, sprach sie und verfiel in nachdenkliches Flüstern. „Kaum was?“ „Na was gedreht haben!“ Anya verschränkte die Arme voreinander und senkte den Kopf. Sie hatte eine ganz düstere Vermutung, wer da seine Finger im Spiel haben könnte. Als sie zu Logan aufsah und er immer noch eine Erklärung erwartete, zuckte sie mit den Schultern. „Sorry, von meinen Leuten war das keiner.“ „Verstehe. Aber dir ist auch klar, dass nicht nur ich gesehen wurde.“ Anya wusste erst nicht, was er meinte, aber dann machte es klick. „Rosenburg!? Hast Recht! Wieso-“ „Meinst du nicht, ihr Manager hat sie freigekauft?“ „S-sicher“, nickte sie. Vermutlich hatte er genug Beziehungen und dazu auch die Macht, so etwas von Roboburg abprallen zu lassen. „Typisch Reiche …“ Logan drehte sich um. „Bist doch neuerdings mit ihr befreundet. Hätte mehr Freude erwartet.“ „Wir sind keine Freundinnen, klar!?“, explodierte Anya sofort, packte den Mann an der Schulter und drehte ihn zu sich um. „Zanthe schuldet ihr einen Gefallen, deshalb ist sie mitgekommen! Mehr ist da nicht!“ „Was will sie überhaupt hier?“ „Was weiß ich, eine Pause von ihrer Karriere nehmen?“, log Anya genervt und stellte fest, dass sie da tatsächlich gerade seine nackte Haut berührte. Ein Fehler, den sie sofort korrigierte, als sie ihre Hand wegriss. „Y-yeah, das dazu.“ Als er sie nur schweigend anstarrte und Anya sich bewusst trotzig auf eine Werkzeugkiste rechts neben sich fixierte, schien die Zeit stillzustehen. Irgendwie hatte sie das Gespräch gerade in eine Sackgasse gefahren. Aber Smalltalk war nun mal nicht ihr Ding! Anya wusste nicht, was sie sagen sollte, um diese peinliche Stille zu brechen. Alles was ihr einfiel war, wie schön das Wetter war. Schöner Sonnenschein und so'n Scheiß. Dann dachte er gleich, sie wäre eine verdammte Spießerin. Warum war das so schwer!?   „Uh“, begann sie schließlich, als er Anstalten machte sich zu rühren und schluckte ihren Stolz mühselig hinunter, „ich wollte ja noch was loswerden …“ „Und ich will hier fertig werden. Also fang an bevor ich Wurzeln schlage“, brummte er und sie wusste wirklich nicht, ob er das ernst meinte oder scherzhaft. Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen und blickte getroffen weg. „Sorry. I-ich weiß bloß nicht, wie ich es erklären soll.“ „Wieder eine deiner verrückten Geschichten?“ „N-nein!“ Sofort hob sie die Hände hoch. „Was wirklich Dummes, mehr nicht. Ich … was …“ „Seit wann bist du auf den Mund gefallen?“, fragte er mit einer winzigen Spur Verwirrung. „Haste 'nen Mord begangen und willst ihn mir beichten?“ „Scheiße, nein!“, fauchte sie und stampfte wütend auf. „Ich bin nur … ich … ich weiß nicht, ob ich ich selbst bin!“ Er sah sie an. Ohne zu urteilen. Aber er erwiderte nichts. „Das klingt verrückt, ich weiß“, begann Anya planlos zu erzählen und begann loszulaufen, an ihm vorbei, „aber ich habe etwas über mich erfahren, dass … mich total unzufrieden macht, wenn man es so nennen kann.“ Sie passierte in einer Kurve die Tür zu seinem Büro und kam zurück. „Als wäre mein ganzes Leben eine Lüge. Und … ich … bin nicht echt, sondern nur …“ Er drehte sich zu ihr um. „Bist du adoptiert worden?“ Anya blieb stehen und musste kurz grinsen. „Nein, aber sowas Ähnliches …“ „Aber du kannst mir natürlich nicht sagen, was genau du da erfahren hast.“ „Nope. Zu peinlich und absurd.“ Ein ermutigendes Lächeln machte sich auf seinen Zügen breit. „Kleine, du bist ganz eindeutig echt. Du stehst vor mir und aus dem Alter imaginärer Freunde bin ich schon lange raus.“ Schwach grinste Anya zurück. „Yeah …“ „Und wer sonst kannst du sein, außer du selbst? Ist normal für junge Menschen, dass man manchmal alles infrage stellt. Mach dir keinen Kopf.“ Auch wenn er natürlich gar nicht wusste, was sie belastete, waren seine wenigen Worte Balsam für Anyas Seele. Er hatte doch Recht. Sie war echt. Spielte es denn überhaupt eine Rolle, ob sie nun eine Kopie von Kali war oder umgekehrt? Sie stand hier, war bei ihm und lebte. Vielleicht … vielleicht musste sie mit Kali reden. Denn der ging es vielleicht in just diesem Moment genauso.   Vorsichtig schritt sie auf Logan zu und sah ihm in die dunklen Augen. „D-danke. Hast Recht. Weiß gar nicht, was in mich gefahren ist.“ Als sie vor ihm stand, begann sie zu grinsen. „Wusst' ich's doch! Ein alter Sack wie du hat immer einen klugen Spruch parat! Danke!“ Sie klopfte ihm auf die Schulter. Als sie ihre Hand dort liegen sah, wollte sie sie sofort wieder wegziehen. Aber der Drang, es nicht zu tun, war mit einem Mal so groß, dass sie völlig von der Situation überfordert war. „Uh, also dann …“, stammelte sie völlig planlos. Er war so nahe. War er eben nicht viel weiter weg gewesen!? Und plötzlich lag seine rechte Hand an ihrer Seite. Anya explodierte innerlich. Irgendetwas stimmte da nicht. Sein Gesicht war so nahe, viel zu nahe. Und seine Lippen lagen plötzlich auf ihren. Schwach glitt ihre Hand an seinem Arm entlang, als er sie an sich heran zog und sie die Augen schloss.     Turn 107 – Chimera Of God Anya, Matt und Zanthe treffen schließlich im Haus der Bauers aufeinander und entscheiden sich für das weitere Vorgehen. Derweil findet der erste Test von Henrys geheimen Nebenprojekt statt, bei dem auch Nick und Alexandra dabei sind. Ausgerechnet Letztere bietet sich als Freiwillige dafür an und … Kapitel 116: Turn 107 - Chimera Of God -------------------------------------- Turn 107 – Chimera Of God     Der Klang vieler Schritte hallte durch den anthrazitfarbenen Gang. Die rothaarige Melinda führte an, gefolgt von Nick und Alexandra, die nebeneinander her gingen. Besonders der großgewachsene junge Mann verzog dabei verdrießlich das Gesicht. „Wir sind gleich da. Ihr könnt es bereits sehen. Dort unten“, meinte die älteste Ford-Tochter vergnügt und spielte auf die Reihe von Fenstern an, die in die rechte Wand des Gangs eingelassen waren. Neugierig blieb Alexandra stehen und näherte sich einem von diesen. „Hmm. Braucht man dafür so viel Platz?“   Sie sah hinab auf eine riesige Anlage. Dazu musste man natürlich wissen, dass diese subterran lag, unter dem Hauptgebäude der AFC. Etwa drei Meter unter ihnen begann ein riesiges Areal, das ausschließlich aus aneinander gesetzten, dunkelgrauen Platten bestand. Jede davon besaß vier kleine Lämpchen, die bläulich leuchteten. Das Gebiet zog sich mindestens 200 Meter in die Ferne und ebenso in die Länge. „Hologramm-Emitter“, erklärte Nick, „modifiziert, um verschiedene Areale durch Solid Vision zu erzeugen.“ Alexandra runzelte die Stirn. „Nett? Aber das beantwortet meine Frage nicht.“ Da stellte sich der Rotschopf hinter die beiden. „Das ist ein wichtiger Teil des Spiels. Was denkst du, wieso wir so viel Geld dafür ausgeben?“ Die Blonde im Trenchcoat blickte über ihre Schulter, dabei den Zeigefinger an den Mundwinkel tippend. „Ausgeben oder verschwenden? Was soll das überhaupt werden?“ „Das ist der Grundstein von 'Chimera of God'“, erwiderte Melinda und ignorierte die Spitze. Überrascht wiederholte Nick: „'Chimera of God'?“ „Ja. Henry hat sich entschieden, den Projektnamen fallen zu lassen. Stattdessen heißt unser Spiel nun 'Chimera of God'.“ „Nett“, gluckste Alexandra und sah wieder auf das ansonsten leere Areal. „Wenn ihr so viel Platz braucht, wird das bestimmt nicht wie ein Duel Monsters-Spiel ablaufen, oder? Lass mich raten: Das ist sowas wie diese AR-Spiele, nur dass in diesem Fall Hologramme zum Einsatz kommen?“ „Das trifft es ganz gut. Allerdings wird es zwei Versionen des Spiels geben. Eine stationäre und eine mit AR-Technologie, die die Welt von 'Chimera of God' prozedural erstellt, während die Leute spielen.“   Nick indes verzog ein grimmiges Gesicht. „Ausgerechnet Chimera. Ist euch nichts Besseres eingefallen?“ Natürlich konnte niemand ahnen, wieso dieses Wort ihn so aufwühlte. Vor einiger Zeit hatte er einen versiegelten Dämon namens Joel aufgesucht, der ihn über die Wahrheit hinter der Natur von Anyas Kräften aufgeklärt hat. Anyas und seiner – die Conqueror's Soul. Eine Macht, die die Fähigkeiten anderer Lebewesen absorbieren kann. Doch es gab einen Haken. Eines Tages, wenn zu viel sogenannter Äther vom Träger einer Conqueror's Soul aufgenommen wurde, würde dieser zu einer Schimäre werden. Wie genau sich das zeigte, wusste Nick nicht. Aber es war nichts Gutes und Anya kämpfte nun schon eine ganze Weile gegen Wesen mit starkem Äther. Er fürchtete um ihre ohnehin stark angeschlagene Gesundheit. Alles was er tat, war nur für sie …   „Es passt doch perfekt“, verstand Melinda die Kritik nicht, „aber ich lass dir das durchgehen. Kommt, weiter.“ Sie winkte die beiden zu sich, damit sie ihr folgten. So zogen sie weiter den geraden Gang entlang, bis sie irgendwann schon von den Fenstern aus sehen konnten, dass sich an der Stirnseite des riesigen Areals auf selber Höhe wie der Gang eine Ausbuchtung befand, genau mittig, in der sich eine Art Überwachungsraum zu befinden schien. „Ich verstehe nicht, was ich hier soll“, nörgelte Nick weiter, „die Tests sind doch abgeschlossen, nicht wahr? Ihr braucht mich nicht mehr.“ „Wir sind noch lange nicht fertig hier“, widersprach Melinda jedoch, „außerdem bist du sozusagen die treibende Kraft hinter allem. Ohne deine unermüdliche Arbeit und dein Genie hätten wir nie innerhalb so kurzer Zeit so etwas auf die Beine stellen können.“ „Und deshalb muss ich das Ding jetzt ausprobieren?“, klagte er. Melinda drehte sich grinsend um und lief rückwärts einfach weiter. „Genau so ist es.“ „Vergiss es! Ich habe keine Zeit für sowas!“ „Hast du. Oder muss ich dich daran erinnern, dass du -das- hier erst nachher bekommst?“, fragte sie schelmisch und zückte aus der Hosentasche ihres grauen Anzugs einen USB-Stick. „Das war Teil des Deals, egal wie unser Duell ausgegangen ist, schon vergessen?“ „Hmpf!“ Da dort die Daten des D/D-Themas gespeichert waren, welches Nick selbst entwickelt hatte und in Zukunft zu benutzen dachte, musste er wohl oder übel kooperieren. „Fein. Aber nur als Zuschauer.“ „Nick!“, war es nun Melinda, die einen klagenden Tonfall an den Tag legte. „Weißt du überhaupt noch, was Spaß ist?“ Alexandra sah die beiden nacheinander an. „Ja, aber mit dir wird er nicht darüber reden, so viel steht fest.“ „Und ich weiß plötzlich, wer an deiner Stelle das Versuchskaninchen wird, Nick“, reagierte Melinda mit bitterböser Genugtuung. Doch sie hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn Alexandra zuckte unbedarft mit den Schultern und meinte: „Von mir aus, gerne. Kann ja kaum langweiliger sein als Duel Monsters.“ „Ist das dein Ernst?“, wunderte sich Nick, geschweige denn Melinda, deren Augen fast herausploppten. „Wieso nicht?“ Die Blonde sah Nick herausfordernd von der Seite an. „Wenn ich dir damit etwas Arbeit abnehmen kann, dann gern. Außerdem will ich nicht immer nur am Rand stehen, wenn du weißt, was ich meine.“ „Geht das klar?“, fragte der Große an Melinda gewandt. Jene stöhnte. „Mir ist es egal, aber eigentlich wurde dein Typ verlangt. Naja, meinetwegen.“ „Hurra?“, wunderte sich Alexandra da grinsend an Nick und schlug in die Hände. „Na dann los.“ „Zuerst müssen wir zum Kontrollraum. Henry wartet dort auf uns.“ Dabei warf Melinda noch einen letzten, bösen Seitenblick auf Nicks Begleiterin, ehe sie sich wieder umdrehte und die Gruppe um eine Kurve führte.   ~-~-~   Als Anya am späten Nachmittag schließlich wieder Zuhause ankam, wurde sie bereits im Flur von Matt und Zanthe erwartet. Letzterer lehnte am Türrahmen zum Wohnzimmer. „Wir müssen reden“, meinte der Dämonenjäger sofort, nachdem das Mädchen die Tür hinter sich geschlossen hatte. Anya blickte bewusst weg. „Y-yeah, kann das noch kurz warten. I-ich will nur kurz hoch um-“ „Ist wichtig“, blieb Matt beharrlich. „Du glaubst nicht, wem ich vorhin auf dem Friedhof begegnet bin.“ „M-mir doch egal!“ Zanthe sah seine Freundin mit einem mehr als misstrauischen Blick an. „Was ist los mit dir? Du bist so knallrot, als hättest du stundenlang in kochendem Wasser gelegen.“ Ausgerechnet Matt, der sich sonst aus solchen Sachen raushielt, stellte sich nickend neben den Flohpelz und fasste sich am Kinn. „Stimmt, ist mir auch schon aufgefallen. Alles ok?“ „J-ja“, knirschte Anya ertappt mit den Zähnen. „Sie lügt“, wusste es der Werwolf aber besser und hielt ihr seinen Zeigefinger unter die Nase. „Ich habe genug Mädchen kennengelernt. Wer so sehr nach Hautkrebs aussieht, hat was zu verbergen. Und zwar entweder etwas äußerst Peinliches oder etwas unglaublich … Angenehmes.“ „Und wie wir Anya kennen, entspricht das eine dem anderen“, stimmte Matt mit ein. Anya hob wedelnd die Hände. „Ihr spinnt doch! Das war die Sonne!“ Zu allem Überfluss tauchte da Levrier in seiner durchsichtigen [Gem-Knight Pearl]-Form hinter ihr auf und hob belehrend den Zeigefinger.   Ich weiß natürlich, was vorgefallen ist. Aber sie zerreißt meine Karte, wenn ich es verrate.   „Oh ja“, presste Anya zwischen die Zähne hindurch. Matt und Zanthe warfen sich einen vielsagenden Blick zu, ehe sie sich wieder Anya widmeten und der Werwolf das Wort ergriff: „Was ist zwischen dir und Logan passiert?“ „Huh!?“ „Tu nicht so dumm.“ Zanthe grinste und hielt ihr seinen immer noch ausgestreckten Zeigefinger so nah unter den Riecher, dass sie versucht war, reinzubeißen. „Wenn dir etwas derart unangenehm ist, kann nur Logan involviert sein. Und da deine Körpertemperatur nicht mehr im messbaren Bereich liegt, ist da doch eindeutig was gelaufen.“ Er verzog seine Augen zu Schlitzen. „Ich frage dich: Was?“ „Eh-uh, hey, das ist doch-“ Matt rollte mit den Augen. „Als ob sie es freiwillig zugibt. Levrier, sprich, oder -ich- zerreiße deine Karte.“ Hochrot polterte Anya: „Summers, du elender Verräter!“   Logan Carter und Anya Bauer haben sich geküsst. Tut mir leid, Anya Bauer, er hat mich bedroht.   … kam es wie aus der Pistole geschossen. Nicht nur Anyas Gesicht fiel in diesem Moment ob der absolut nicht ernst gemeinten Entschuldigung der Tratschtante Levrier aus allen Fugen. Auch Zanthes Grinsen krachte förmlich in den Boden. „Was? Wirklich jetzt?“ „Ist doch schön“, meinte Matt ebenfalls deutlich verhaltener, „endlich ist das Eis gebrochen, oder?“ Wie in Zeitlupe drehte sich Anyas Kopf in bester Exorzist-Manier zu Levrier, auf den Lippen einen stillen Fluch aussprechend. Der zuckte mit den Schultern und verschwand einfach. „Und was ist dann passiert?“, fragte Matt vorsichtig. Um dann im selben Augenblick einer völlig hysterischen Anya gegenüber zu stehen, die mit den Händen so wild fuchtelte, dass er glatt ausweichen musste. „Fuck, dass ihr immer alles wissen müsst! Aber nur um das klarzustellen, -er- hat -mich- geküsst! Ja-ha! Er hat meine Lippen vergewaltigt! Ich wollte das nämlich nicht!“ „Uh-huh“, gab Matt trocken von sich. „Und was hast du getan um dich zu wehren?“ Prompt hingen Anyas Arme in der Luft. Sie sah Matt plötzlich wie ein kleines Kind an. „Ich bin weggelaufen?“ „Okay …?“ Der Dämonenjäger schlug sich die Hand gegen die Stirn. „Anya! Genau das sollte man eigentlich nicht tun, wenn man in jemanden-“ „Sprich-es-nicht-aus!“, knurrte sie mit unmenschlicher Stimme und presste ihr Gesicht auf seines, mit weit aufgerissenen Augen, in denen diabolisches Feuer zu brennen schien. Matt schrumpfte förmlich unter ihrer Präsenz zusammen. „Wahrscheinlich hat er mit nichts anderem gerechnet, er kennt sie ja inzwischen lang genug“, murmelte Zanthe leise und räusperte sich, „nun gut, eigentlich wollten wir ja-“ „Und was soll ich jetzt tun!?“ Schon hing sie mit beiden Händen an Zanthes Oberarmen, riss ihn förmlich über die Türschwelle. „Er denkt bestimmt, dass ich es gut fand! Aber das stimmt nicht! E-es war … es hätte …“ „Anya … beruhig' dich. Er wird schon die richtigen Schlüsse ziehen“, erwiderte ihr Freund desinteressiert und riss sich los. „Konzentrieren wir uns lieber aufs Wesentliche.“ Matt stellte sich mit schweißnasser Stirn neben das Mädchen. „Merkwürdig. Eben warst du noch vor Neugier nicht zu bremsen und jetzt kannst du es gar nicht erwarten, das Thema zu wechseln. Rieche ich da Eifersucht?“ „Sicher“, gab der Werwolf sarkastisch zurück, „wenn jemand vor seinem Lover wegrennt, kann ich auch nicht mehr helfen. Also, können wir jetzt -endlich- zum eigentlichen Thema kommen?“ Matt und Anya warfen sich noch einen verwunderten Blick zu, dann drehte sich die Blonde auch schon peinlich berührt ob ihres Levrier-induzierten-Outings weg. „Gehen wir in die Küche“, schlug Zanthe vor.   ~-~-~   Als Melinda, Nick und Alexandra den Kontrollraum betraten, wurden sie umgehend von Henry gegrüßt, der in einem weißen Anzug steckte. „Hallo alle miteinander“, strahlte er. Ein seltener Anblick, wie die Leute wussten, die ihn gut kannten. „Seid ihr bereit?“ Sofort mogelte sich die blonde Femme Fatale an seiner Schwester vorbei und salutierte vor dem brünetten, jungen Mann. „Bereit wie nie zuvor! Haha!“ Sie ließ den Arm sinken und kicherte ob des verdutzten Gesichts. „Sie nimmt meinen Platz ein“, erklärte Nick desinteressiert, „ich bleibe lieber hier oben und sehe zu, dass alles reibungslos läuft.“   Im Anschluss schlenderte er zu einer von zwei Konsolen, die direkt vor der massiven Fensterscheibe lagen und setzte sich dort nieder. Die andere war bereits durch eine weibliche Mitarbeiterin belegt, die emsig die Tasten klimpern ließ. Henry betrachtete Alexandra verwirrt. „Okay, also Sie wollen wirklich …?“ „Natürlich. Klingt doch spaßig. Auch wenn ich gar nicht weiß, worum es geht“, lachte sie und drehte sich zur Seite, „aber das Spielfeld ist riesig.“ „Wir nennen es Active Card Battle“, erklärte Henry mit zunehmender Begeisterung ob ihres Interesses und trat neben sie. „Sobald das Spiel beginnt, werden über 20.000 Hologramm-Emitter eine Karte erzeugen, wie sie echter kaum sein könnte. Flora, Wetter, irgendwann auch Fauna, so etwas gab es im Bereich des E-Sports noch nie.“ „Das glaube ich gern“, gluckste sie, „weil es sich keiner leisten kann. Allein diese Arena muss durch die Technologie Millionen verschlungen haben, nicht wahr?“ „Das stimmt. Aber mit Micron Electronics haben wir einen verlässlichen Partner, der diese Technik wesentlich günstiger herstellen kann als bisher üblich.“ Bei diesen Worten konnte sich Nick ein lautes Naserümpfen nicht verkneifen. Mit einem belustigten Lächeln sah Alexandra Henry an. Seine Augen strahlten förmlich. „Es soll auch eine mobile Variante geben, die dann über AR läuft, richtig?“ „Ja. Sie wird natürlich das Kerngeschäft bilden, wohingegen die Arenen-“ „-den Leuten das Geld aus den Taschen ziehen wird. Und trotzdem wird es nicht reichen, um die Kosten zu decken“, redete Nick von seinem Sitzplatz aus dazwischen. „Nicht in den ersten Jahren“, relativierte Henry, „aber je mehr das Spiel wächst, desto mehr werden wir auch durch die Arenen einnehmen, während das AR-Spiel von Tag 1 an Profit erwirtschaften wird.“ „Wenn du meinst.“ Nick verschränkte die Arme hinter dem Kopf, ohne sich dabei den beiden zuzuwenden. „Wie heißt es so schön? Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.“   Melinda, die die ganze Zeit über still hinter Henry und Alexandra gestanden hatte, klatschte schließlich in die Hände. „Wen interessiert, ab wann wir aus den roten Zahlen kommen? Das Spiel soll Spaß machen und das müssen wir jetzt herausfinden!“ „Meine Schwester hat Recht“, nickte Henry und drehte sich zu ihr. „Holst du sie?“ „Mh-hmm!“ Noch im Antworten wirbelte der Rotschopf herum und eilte zu einer metallischen Kiste, die neben einer hinunter führenden Treppe stand. Sie zückte ihre Mitarbeiterkarte und fuhr damit durch einen Scanner, sodass das Schloss sich öffnete und der Deckel automatisch hochklappte. Auf den Zehenspitzen stehend, konnte die Blonde einen Blick auf den Inhalt erhaschend. Was dort lag waren mehrere, fingerlose Handschuhe, fast schon so lang wie Stulpen, in die ein Display eingearbeitet war. Eines dieser Geräte nahm Melinda und drehte sich strahlend um. „Das ist der Master Glove. Den braucht man, um das Spiel zu spielen, egal ob AR oder stationär.“ Sie schritt auf Alexandra zu und reichte ihr das Ding mit dem wohl dämlichsten Namen, den man dafür hätte auswählen können. Ehrlich wie sie war, sagte sie beim Entgegennehmen: „Ich hoffe, die Bezeichnung ist nicht endgültig.“ „St-stimmt etwas damit nicht?“, fragte Henry irritiert. „Und jetzt weiß ich, wer sie sich ausgedacht hat“, kicherte die Blonde. „Sorry, aber der Name ist schrecklich.“ „Wirklich!?“ Seufzend nickte sie und war sich der Tatsache bewusst, dass sie den jungen Mann in ein waschechtes Dilemma gebracht zu haben schien. „W-wir werden uns nochmal zusammensetzen. Natürlich ist alles noch WiP, das ist doch ganz klar!“   „Ahahaha!“ Alexandra schob sich den Apparat um den rechten Arm. Von Gewicht und Größe ähnelte er einem D-Pad, jedoch war das Display kein Rechteck sondern ein Parallelogramm. Neben dem Bildschirm auf der rechten Seite befanden sich drei Knöpfe, der oberste war zum Aktivieren und Ausschalten. „Mach es an“, bat Henry freundlich. Die Blonde folgte dem, sodass das System hochfuhr. Das Logo der AFC wurde kurz eingeblendet, dann zeigte der Bildschirm bereits links einen hoch liegenden, blauen Balken, daneben bis zur Mitte ein leeres Feld. Anschließend folgte eine ebenfalls leere Minikarte sowieso ein nicht ausgefüllter, hellgrüner Balken im Hochformat. „Und was sehe ich hier? Ist das eine Umgebungskarte?“ Sie tippte auf das große Feld rechts. „Ja. Links daneben ist der Info-Screen, der wichtige Informationen wiedergibt. Der Balken links ist die Manaleiste, der rechts der Zieh-Timer. Aber das erkläre ich gleich noch.“ Neugierig wandte sich die junge Frau an Nick. „Und das habt ihr alles in so kurzer Zeit auf die Beine gestellt?“ Henry räusperte sich verlegen. „Also das … natürlich stampft man nicht mal eben so ein derart komplexes Programm aus dem Boden. Daher ist alles nur behelfsmäßig. Fürs Erste.“ „Noch läuft alles, wie schon erwähnt, auf Basis der Solid Vision-Engine“, erklärte Nick dazu. „Ich habe ein paar Änderungen und Ergänzungen vorgenommen.“ „Leider musste auch ich irgendwann einsehen, dass es noch mindestens zwei Jahre dauern wird, bis das Spiel bereit für die Öffentlichkeit ist“, gestand Henry. Spitz warf Nick von seinem Platz aus ein: „Was man ihm am Tag gefühlt zehn Mal sagen musste.“ Der Brünette verdrehte die Augen. „Danke, Nick. Wenn alles soweit ist, läuft natürlich alles auf einer eigenen Software.“ Kichernd merkte Alexandra an: „Eure Notlösung verstößt gegen eine ganze Menge Gesetze, wenn ihr dafür keine Lizenz besitzt. Gefällt mir.“ „Wo kein Kläger, da kein Richter.“ Verlegen grinste der brünette, junge Mann und seine Schwester musste laut auflachen. Sich räuspernd, meinte er: „Gut, es ist wohl sinnlos so zu tun, als würde ich die Warterei noch länger aushalten können. Wie wär's mit einer kleinen Einführung in 'Chimera of God'?“ Alexandra verschränkte verschmitzt grinsend die Arme. „Ich warte schon die ganze Zeit.“   „Um es ganz einfach zu erklären: Chimera of God ist in vielen Dingen anders als Duel Monsters. Klar, es gibt Decks, Lebensenergie und Monster, aber in einem anderen Licht“, erklärte Henry, „das Ziel des Spiels ist dasselbe: Das Leben des Gegners auf 0 zu bringen. Der größte Unterschied zu Duel Monsters ist die Art, wie die Spieler miteinander interagieren.“ „Aha?“, machte die Blonde neugierig. Und verzog dann scheel das Gesicht. „Also ist es genau wie Duel Monsters.“ Henry erwiderte zerknirscht: „Nein. Während Duel Monsters-Spiele strikt in Züge eingeteilt sind, verläuft 'Chimera of God' in Echtzeit. Beide Spieler bewegen sich durch ein zufällig generiertes Areal. Keine zwei Spiele werden also je gleich sein.“ Nick murmelte aus dem Hintergrund. „Im AR-Spiel wird natürlich kein Feld erzeugt, sondern die Umgebung genutzt.“ „Verstehe. Und was mache ich so, während ich durch die Gegend renne?“, fragte seine Partnerin amüsiert. „Dich für den Kampf wappnen. Dazu benutzt man jedoch nicht wie bei Duel Monsters viele Monster, sondern genau eins: Die sogenannte Schimäre.“ Melinda gluckste: „Das ist der Oberbegriff. Tatsächlich kann man natürlich auch Drachen, Meereswesen und andere Untergruppen für sich kämpfen lassen.“ „Die Spieler bewegen sich innerhalb des Areals fort und suchen einen Platz für das Ausbrüten eines Eis ihrer Wahl. Sie können es in der Zeit auch durch Magie verbergen oder schützen und die sogenannten Mystery Spots absuchen, wo zufällig generierte Karten oder Mana auf sie warten.“ „Das klingt ganz nach meinem Geschmack“, grinste Alexandra und sah Nick an. „Willst du nicht doch mitmachen?“ Aber er schüttelte den Kopf. „Nein danke.“ Henry fuhr derweil fort. „Zu den Eiern: Je höher das Rating des Eis, desto länger braucht die Schimäre um zu schlüpfen. Danach kann der Spieler sie aufwerten durch die Karten in seinem Deck oder die er findet. Außerdem erlernt die Schimäre während des Kampfes eine oder mehrere Fähigkeiten. Sie wächst.“ Je mehr er erklärte, desto mehr begann er dabei zu strahlen. Alexandra nickte bei jeder seiner Ausführungen. Von der mehr und mehr kamen. Es schien ein sehr komplexes Spiel zu sein, aber genau das gefiel ihr. Zu schade eigentlich, dass Nick kein Interesse daran hatte. Sie sah zu ihm herüber, wie er gelangweilt die Füße auf der Konsole liegen hatte. Wenn man bedachte, wie wenig er in den letzten Tagen während ihrer Reise geschlafen hatte, kam ihm diese Pause bestimmt recht. Er konnte ihr nichts vormachen, er war erschöpft. Alexandra schloss die Augen. Was war er für sie? Ein Werkzeug, um im Leben voran zu kommen? Ohne es zu ahnen, konnte sie durch ihn vieles lernen und erfahren. Aber … war da noch mehr?   ~-~-~   Anya machte ein erstauntes Gesicht, als sie in der Küche bereits erwartet wurde. Während die blonde Claire regungslos am runden Holztisch in der Ecke des kleinen Raums saß, lehnte Valerie Redfield mit verschränkten Armen an der Spüle. Neben ihr Abby, die gerade ein paar Teller in den Wandschrank über ihr einräumte und sich dann hastig umdrehte. „Anya! Da bist du ja endlich!“ „Was geht denn hier ab?“, fragte die irritiert. „Kriegsrat, was sonst?“, meinte Zanthe, als wäre es das Natürlichste der Welt und zog an ihr vorbei. Matt tat es ihm gleich. „Wir müssen entscheiden, was wir jetzt tun.“ „Und komm gar erst nicht auf die Idee, mich davon ausschließen zu wollen“, fügte Valerie sofort an. Anya runzelte die Stirn. „'kay …?“   Zanthe stellte sich in die Mitte der Küche und atmete einmal tief durch. Dann sprach er nahezu feierlich: „Punkt eins auf unserer Agenda des Weltuntergangs: Anya! Wer sonst?“ „Es“, stammelte Abby plötzlich los, „es tut mir so leid …“ „Ich habe es ihr erklärt“, sorgte Valerie für den nötigen Kontext. Und das Mädchen im Mittelpunkt des Geschehens begriff. Abby wusste jetzt also, dass es zwei Anyas gab und die, die ihr gerade gegenüber stand, womöglich eine Fälschung war. „Verstehe“, murmelte sie daher leise. Anstatt ihre Ängste runterzuschlucken, sprach sie sie dieses Mal zu ihrer eigenen Überraschung direkt aus. „Summers, der Flohpelz … Roboburg … die kennen mich noch nicht lange. Und mit Redfield verstehe ich mich auch erst seit einer Weile ganz gut. Aber wir beide sind Freunde seit wir klein waren. Muss komisch sein, huh?“ „Anya …“ „Du weißt gar nicht, ob ich die bin, die du seit damals kennst“, sprach jene weiter und wandte den Kopf ab. „Und ich weiß es auch nicht.“ Abby nickte. „Ja …“ „Und? Willst du noch mit mir abhängen?“, brachte Anya es auf den Punkt und sah das brünette Mädchen im weißen Sommerkleid verunsichert an. Jene blickte betreten zu Boden. „Natürlich. Aber ich muss auch mit Kali sprechen. Ich hoffe, du verstehst das.“ „Yeah. Ich muss auch mit ihr sprechen.“ Matt machte da ein erstauntes: „Hm?“ Einmal tief durchatmend, sah Anya ihre Freunde – bis auf Claire – der Reihe nach an, ehe sie verkündete: „Ich muss sie zur Vernunft bringen. Wenn sie die echte Anya Bauer ist, dann hat sie ein Recht darauf, mich zu hassen.“ „Es ist nicht gesagt, dass ihre Story überhaupt stimmt“, gab Matt zu bedenken. „Ich glaube nicht, dass David mich angelogen hat“, warf Valerie ein, „aber es ist möglich, dass er durch den Sammler manipuliert wird. Es wäre weiß Gott nicht das erste Mal, dass der so etwas tut.“ „Alles, was geschehen ist, geht direkt oder indirekt auf seine Kappe“, fand auch Zanthe. „Ich werde mit Kali reden und einen Kompromiss finden, mit dem wir beide einverstanden sind“, sagte Anya entschlossen, „auf diesem Planeten ist genug Platz für uns beide. Wir können die Identität 'Anya Bauer' teilen. Sie darf Montags bis Freitags die Rolle spielen, ich am Wochenende.“ Valerie kicherte belustigt. „Oh, das sieht dir so ähnlich …“ „Das ist mein Ernst!“ Matt streckte seinen Arm aus und tätschelte Anyas Schulter. „Das war ein Kompliment. Wir helfen dir dabei.“ „Ja“, nickte Abby, die nun langsam ihr Lächeln wiederfand, „ich finde das auch gut. Wir werden ihr zeigen, dass sie nicht unerwünscht und alles ein fürchterliches Missverständnis ist.“ „Und Nick?“, fragte Valerie jedoch besorgt. „Wie wird er damit umgehen?“ „Damit wären wir bei Punkt zwei“, leitete Zanthe die Diskussion in die nächste Runde ein, „und wir sind uns hoffentlich alle einig, dass er davon nichts erfahren darf.“ Einvernehmliches Nicken. „Nick bewegt sich auf einem sehr gefährlichen Pfad“, sagte Matt, „ich weiß, was er getan hat. Dank Thoras' Verbindung zu [Evilswarm Ouroboros] konnte ich sehen, dass er nicht davor zurückschreckt, Gewalt einzusetzen, um seine Ziele zu erreichen.“ „Dad“, murmelte Anya leise, „warum hasst er ihn so …?“ „Ich weiß es nicht“, sagte der Dämonenjäger, „aber eins steht fest. Nick ist ein Psychopath und er scheint nur auf dich fixiert zu sein, Anya.“ „Y-yeah. Ich meine, er ist seit meiner Kindheit mein bester Freund, aber …“ Selbst sie konnte sich nicht erklären, woher dieser krasse Wandel kam. Erst diese Lüge, dass er all die Jahre nur die Rolle des Idioten gespielt hat, nun seine Besessenheit, sich Dämonenkräfte anzueignen. Und wofür? Um sie vor dem Sammler zu retten? Er hatte vor Kurzem versucht, ihren Vater zu töten, hatte Matt erzählt. Womöglich nicht zum ersten Mal, wenn sie an den Brand von vor einigen Jahren zurückdachte, der das alte Haus der Harpers heimgesucht hatte. Die darauf folgende Gerichtsverhandlung, die ihren Vater beinahe in den Knast gebracht hätte – war das alles Nicks Werk gewesen? Warum?   „Was Nick angeht, können wir nichts tun“, meinte Zanthe da und riss sie aus ihren Gedanken. „Er kann sich teleportieren. Ohne Hilfsmittel, wie es aussieht.“ „Und zerteilen können wir uns auch nicht.“ Valerie ließ die Arme sinken. „Wir haben genug Baustellen und Nick ist eine, die unsere ganze Aufmerksamkeit benötigt. Erst müssen wir herausfinden, was genau er vor hat und dann brauchen wir einen Plan, um ihn aufzuhalten. Aber das muss noch warten.“ Sie sah dabei Anya an. „Erst müssen wir dich wieder hinkriegen.“ „Die Undying arbeiten an einer Lösung“, erwiderte Anya, „ich werde 'nen neuen Körper bekommen und … ja, ich werd's tun, auf die Gefahr hin, dass es nicht klappt. Ne andere Wahl hab ich nicht.“   „Wo wir nun zum letzten Punkt unserer Tagesordnung angelangt wären“, schloss Zanthe dieses Thema ab, „die Undying. Matt, würdest du …?“ „Alles deutet darauf hin“, sprach jener mit erstickter Stimme, „dass Stoltz für das Verschwinden der Kinder, Alastairs und Alectors verantwortlich ist. Ich habe mich mit Thoras beraten und er meinte, dass er die Reste derselben Präsenz gespürt hat, als wir damals das erste Mal auf Stoltz trafen.“ Anya sah ihren Freund betroffen an. „Scheiße …“ „Außerdem bin ich vorhin dem Sammler auf dem Friedhof begegnet.“ Erstaunte Laute kamen von den anderen, während Matt weiter ausführte: „Er schien nicht wegen mir dort zu sein. Ums kurz zu machen: Auch er ist der Überzeugung, dass Stoltz alle getötet und außerdem das Grimoire gestohlen hat.“ Valerie schüttelte fassungslos den Kopf. Dann fragte sie leise: „Das Grimoire ist eine Sammlung von Informationen über das Übernatürliche, nicht wahr?“ „Richtig, es ist in dieser Form einzigartig“, bestätigte Matt. „Ich will wissen, warum Stoltz das getan hat. Deshalb werde ich ihn beschwören. Inzwischen hab ich den Dreh raus, auch ohne das Grimoire.“ Valerie schlug nachdenklich vor: „Dann sollten wir uns an Ricther wenden. Er-“ „Nein“, widersprachen Anya und Matt im Einklang. Sie sahen aneinander an, dann richtete sich Matt an das Mädchen. „Dein Vorschlag ist sicherlich vernünftig, aber das ist eine Sache zwischen mir und Stoltz. Wir können ja nicht mal sicher sein, dass Ricther überhaupt etwas unternimmt. Wenn Stoltz die Sache abstreitet, was dann? Wir wissen nicht wie Ricther reagiert, wenn es um seinesgleichen geht. Er könnte ebenso ein Feind sein.“ Valerie schüttelte den Kopf. „Und da spricht nicht nur das Verlangen nach Rache aus dir?“ Da fragte Abby besorgt: „Bist du dir sicher, Matt? Damit könntest du Anyas Rettung in Gefahr bringen.“ „Ist ok, Abby. Ich sehe das genauso wie er“, sagte die jedoch entschlossen und nickte Matt zu, was jener mit derselben Geste quittierte. „Und verdammter Kackmist, da ist eindeutig Rachlust im Spiel!“ Dabei dachte sie an den Moment zurück, als sie während des Riding Duels mit Claire von der Strecke in die Tiefe fiel. Wäre Ricther nicht aufgetaucht und hätte sie abgefangen, wäre sie vermutlich dabei gestorben. War er also ein Feind? Sie glaubte das nicht wirklich, wollte Matt aber nicht in den Rücken fallen.   „Also könnte es einen erneuten Kampf mit den Undying geben“, überlegte Zanthe laut. „Wir müssen uns auf einen Ort einigen, wo wir ihn beschwören.“ „Der Schrottplatz“, kam Abby da sofort eine passende Idee. „Da ist selten jemand.“ „Yeah“, nickte die Blonde und sah dabei Claire an, die sich wie üblich an nichts beteiligte, „wir können Roboburg als Opfer für den Beschwörungszauber anbieten.“ „Ha ha!“, maulte der Flohpelz. Dann verzog er grimmig das Gesicht. „Ich hoffe, ihr wisst noch, wie das letztes Mal ausgegangen ist. Einer von uns wird nicht reichen, um Stoltz zu besiegen. Selbst zu dritt hatten wir keine Chance.“ Da trat Valerie plötzlich vor, neben Zanthe. „Mag sein, aber wir haben dazu gelernt. Matt konnte Zed besiegen.“ „Mit deiner Hilfe“, sagte dieser verschmitzt. Auch Abby gesellte sich zu den beiden. „Ich komme auch mit. Vielleicht kann ich mit meinen Kräften irgendetwas erreichen – falls es zu einem Kampf kommt, den wir -selbstverständlich- nicht provozieren werden!“ „Träum' weiter, Masters“, rollte Anya mit den Augen. „Anya! Wir dürfen es uns nicht mit ihnen verscherzen!“ „Falls Ricther oder Zed intervenieren, werden wir ihnen alles erklären.“ Matt schluckte schwer. „Ich hoffe, sie sind gewillt, uns zuzuhören.“ Alle nickten.   Unvermittelt streckte er seine Hand nach vorne aus. „Dann ist es beschlossen. Holen wir uns den Dreckskerl!“ Anya war die erste, die ihre Hand auf die seine legte. „Yeah!“ Natürlich tat es Zanthe ihr gleich. „Einer muss wohl oder übel mitkommen, um zu verhindern, dass ihr euch blamiert.“ „Und jemand muss verhindern, dass ihr etwas Dummes anstellt.“ Schon lag Abbys Hand als vierte auf den anderen. „Wenn es um Kali geht, kann ich vielleicht helfen, sie zur Vernunft zu bringen. Ich kenne Anya schließlich auch seit dem Kindergarten“, sagte Valerie als Letzte und legte ihre Hand auf. Da machte Zanthe mit dem Kopf eine nach rechts winkende Bewegung. „Du auch, Claire.“ Jene stand zwar auf, tat jedoch nicht wie ihr geheißen. Tatsächlich sagte sie: „Ich kann nichts zu diesen Vorhaben beisteuern.“ „Du bist jetzt eine von uns, das ist alles, was zählt“, strahlte der Werwolf jedoch. Anya relativierte missmutig: „Was er damit sagen will ist: Du hast ein verdammtes D-Wheel, was wir uns notfalls ausleihen können. Also mach hinne, wir haben viel vor.“ Als Zanthe dem Mädchen mit dem blonden Bob und den langen, grünen Strähnen nochmals zunickte, legte auch sie die Hand auf. „Ist das kitschig“, knurrte Anya mit einem Lächeln auf den Gesicht. „Fuck.“   ~-~-~   „Soweit alles verstanden?“, fragte Henry erwartungsvoll, während er Alexandra zu einer Treppe begleitete, die herab führte. Jene lachte vergnügt. „Ich denke schon. Um ehrlich zu sein weiß ich nicht, ob ich das Spiel als einfach oder komplex betrachten soll.“ Der junge Ford-Spross gluckste seinerseits. „Ha ha! Für den Anfang darf es ruhig einfach sein, aber je mehr man spielt, desto tiefer wird das Verständnis für die kleinen, vielleicht ein wenig versteckten Mechaniken und Tricks.“ „Du schaffst das schon.“ Von Nick sah man nur eine Hand in die Höhe gestreckt und winken, er drehte sich nicht mal zu ihr um. Aber zumindest war das mal ein halbwegs positiver Kommentar seinerseits. Henry blieb am Rand der metallisch-grauen Treppe stehen, während die Blonde die Stufen hinab nahm. „Sobald du durch die Tür bist, warte dort auf das Signal. Wir müssen die Engine erst hochfahren, das dauert einen Moment.“ „Okay.“ Von dem Treppenhäuschen ging es einmal in einem Bogen herum weiter nach unten, mit der sie schließlich vor einer Schiebetür ankam, die sich von selbst öffnete. Alexandra betrat die dunkle, mit Metallplatten ausgelegte Halle und stellte zunächst fest, dass ihr Gegner noch gar nicht erschienen war. Zwar war der Ort riesig, aber sie konnte trotzdem bis ans andere Ende sehen. Sie befand sich mehr zur rechten Ecke der Halle gelegen und schräg gegenüber, in der anderen, war ebenfalls ein Überwachungsraum eine Etage höher angelegt, genau wie es hinter ihr der Fall war. „Wir starten jetzt das Programm“, hörte sie Henrys Stimme über einen Lautsprecher von der Decke „Hm. Na dann los“, sprach sie in das Headset, das sie zwischenzeitlich bekommen hatte. Schließlich sollte sie etwaige Fehler melden, wenn sie ihnen begegnete. Ein tiefes Dröhnen erklang. Nacheinander leuchteten die vier Projektoren an jeder einzelnen Metallplatte und formten mit breit gefächerten, hellblauen Strahlen ein regelrechtes Effektfeuerwerk. Plötzlich überzog sich der Boden mit Moos und Gras, Bäume wuchsen aus dem Nichts, Sträucher plotten auf, am Dach entstand das Bild eines grauen, wolkenverhangenen Himmels. Und innerhalb eines Moments zum anderen befand sich Alexandra in einem dichten Wald mit unglaublich hohen Tannen. Sie drehte sich um. An den Wänden wurde der Wald weiter simuliert, doch die Kulisse war ein wenig versetzt und die Schiebetür blieb so, wie sie war. „Alle Systeme laufen einwandfrei. Wie gefällt es dir?“, fragte jetzt Melinda über den Lautsprecher. „Ganz nett ist es hier.“ „Fass etwas an“, forderte Henry gespannt. „Okay?“ Alexandra ging zu einer der am nächsten gelegenen Tannen und legte die Hand darauf. Erschrocken zog sie sie zurück. „D-das ist-!“ Der Erfinder des Ganzen fragte: „Na?“ „Es fühlt sich wie richtige Rinde an. Wie habt ihr das gemacht!?“ „Ein paar Algorithmen hier, ein paar Milliarden Zeilen an Code da“, murmelte Nick gelangweilt und lachte kurz. „Wir können die Oberflächen von Gestein und Holz inzwischen perfekt simulieren. Aber bei den Kreaturen wird das noch dauern. Fell ist sehr komplex.“ „Wow“, hauchte Alexandra. Bei Duel Monsters waren Hologramme in der Regel nur das – Hologramme. Wieso bestimmte Wesen daraus reale Materie schaffen konnten, war für sie ein großes Rätsel. „Technik die Gottes Schöpfung nahe kommt? Langsam gefällt mir der Titel für euer Spiel.“ „Danke. Oh! Ich sehe gerade, dass die andere Partei das Feld betreten hat. Das heißt, wir können starten“, sagte Henry zufrieden. „Auf mein Signal! 3! 2! 1! Die Schlacht beginnt!“   [Alexandras Leben: 100 / Alexandras Mana: 100]   „Wirklich?“, murmelte die Blonde von dem Ausruf wenig beeindruckt und aktivierte den Apparat an ihrem Arm, der sofort reibungslos hochfuhr, ihre Lebens- und Manabalken lud und eine Umgebungskarte einblendete. Alexandra sah sich aufmerksam um. Hier und da hohe Tannen, deren Kronen den virtuellen Himmel beinahe komplett verdeckten. Der war so grau, als kündige sich bald Regen an. Sie richtete den Blick nach vorne. Ab und zu ein paar Büsche, viele getrocknete Nadeln auf dem Boden, aber nirgendwo etwas Auffälliges. „Hmm.“ Sie blickte wieder auf den Apparat an ihrem Arm. Der Timer war fast abgelaufen – und als er es war, verkündigte ein dreimaliges Klingeln, dass der Kampf nun auch vom System her offiziell begonnen hatte. Sofort zog sie sieben Karten von ihrem Deck und der rechte Timer begann herunterzulaufen. „Oh?“ Unter den vielen Sprüchen war auch ein Ei. „Mal sehen.“ Sie nahm es hervor und las es sich durch. „Größe M? Huh …“ Dazu hörte sie Henrys Erklärung im Kopf.   „Es gibt bei Eiern fünf Größen. S, M, L, XL und XXL. Die ersten drei kann man selbst ins eigene Deck packen, um schneller an eine Schimäre zu kommen. Aber die letzten beiden Größen findet man nur auf dem Spielfeld. Eure Schimären sind ebenfalls so eingeteilt und können nur aus einem Ei schlüpfen, das mindestens ihre Größe hat. Unnötig zu erwähnen, dass sich die Größe auch in der Stärke der Kreatur widerspiegelt.“   „Also könnte ich damit eines der Größe M-Monster schlüpfen lassen?“, überlegte sie laut, schüttelte dann aber den Kopf. Nein, denn diese waren wahrscheinlich relativ schwach und wenn sie etwas wollte, dann nur das Beste. Also entschied sie sich, erstmal nach einem anderen Ei Ausschau zu halten. Sie tippte auf ihre Karte, wo verschiedene interessante Punkte markiert waren. Alle mit einem kleinen, roten Kreuz. Sicher gab es einen Trick, herauszufinden wo sich was befand, aber die Sprüche in ihrer Hand konnten dies nicht bewirken. „Dann schauen wir mal“, murmelte sie und lief geradeaus los, wo sich auf vielleicht fünfzehn Metern gleich drei Markierungen nah beieinander befanden.   Zumindest war ihr Gegner noch lange nicht in Sicht, was jedoch nicht allzu verwunderlich war. Das Areal war groß genug, damit die Spieler sich nicht unmittelbar begegneten. Trotzdem sollte sie sich beeilen. Alexandra hatte sofort begriffen, dass das Brüten des Eis oberste Priorität hatte – selbst wenn man noch so viele Boni sammelte, ohne 'Bodyguard' war das Spiel im Handumdrehen vorbei. Fast wie ihre Beziehung zu Nick. Dieser Mann. Sie ahnte, was er vor hatte: Den Status Quo kippen. Wenn es nach ihr ging, konnte er tun was er wollte. Auch wenn er dabei umkommen würde, denn das hatten schon ganz andere vor ihm versucht. Sie musste nur den richtigen Zeitpunkt für den Absprung schaffen. Noch ahnte er nicht, dass all die Dämonen aus dieser Welt, deren Kräfte er sich angeeignet hatte, kein gutes Verhältnis zu der Schatzjägerin gehabt hatten. Um nicht zu sagen: Nicht wenige wollten ihren Tod. Die Blonde wusste, dass Nick sie jedoch nicht ewig brauchen würde. Noch war sein Wissen um die Dämonenwelt begrenzt, aber mit jeder Begegnung wuchs sie. Und er hatte noch eine andere Quelle, die mit großer Wahrscheinlichkeit besser – und gefährlicher – war als sie: Joel. Dem durfte man nicht trauen. Gefangen in einer verlassenen Stadt mitten in der Ödnis. Niemand wusste von ihm, was er war oder woher er kam. Ja, Alexandra musste den Zeitpunkt ihres Absprungs gut abwägen. Auch wenn Nick ihr zugetan war, ging er mit denjenigen, die nicht mehr nützlich für sie waren, nicht gerade pflegsam um. Und sie wusste viel. Zu viel.   Sie verdrängte die Gedanken, als sie die Stelle mit den 'Schätzen' erreicht hatte. Sofort nahm sie ein rotes Leuchten in einem der umstehenden Büsche wahr. Gerade als sie darauf zu ging, piepte ihre Wannabe-Duel Disk. Sie sah auf das Display und bemerkte, dass der Zieh-Timer abgelaufen war. Also zog sie eine neue Karte und der Timer startete aufs neue. „[Feuerball]?“, las sie den Namen des Spruchs vor. Gut, dachte sie dabei. Den konnte man beliebig oft verwenden, sofern man die Cooldown-Time und die Manakosten außen vor ließ. Damit konnte sie allem schaden, was Leben hatte – 10 Punkte für 20 Mana. Man startete als Spieler bei beidem mit 100. Also konnte sie jede 30 Sekunden 10 Schaden zufügen, aber das reichte nicht aus, um ihren Gegner zu besiegen. „Schadensbonus auf Eier?“, las sie weiter. „Interessant.“ Der Schaden verdoppelte sich also, wenn man ein Ei angriff. Wenn man also das des Gegners fand und genug Zeit und Ressourcen besaß, konnte man ihn effektiv aus dem Hinterhalt überraschen. Gefiel ihr. Aber genug der Theorie.   Sie schritt wieder auf den Busch zu und schob ein paar Sträucher auseinander. Dort lag ein gelbes, recht voluminöses Ei mit roten Punkten darauf. Sie berührte es mit den Fingerspitzen, wodurch ein Bildschirm mit den Daten aufgerufen wurde. Anders als bei den Bäumen war die Oberfläche hier nur glatt, ohne Besonderheiten, vermutlich weil sie noch nicht entwickelt worden war.   Versteckes Ei Größe: L Spezies: Alle Leben: 150 Brutdauer: 180 Sekunden   „Huh?“, machte sie überrascht. „Nur so klein?“ Eigentlich hatte sie mehr erwartet, aber das war dann wohl Pech. Sie ließ die Sträucher los, sodass das Ei wieder im Busch verschwand. „Nein danke.“ Sie wollte etwas Großes, etwas, das man nicht auf normale Weise bekam. Kurz überlegte sie, ob sie es mit dem [Tarnung]-Spruch in ihrem Blatt verstecken sollte. Aber wenn ihr Gegner es auf dem Radar gesehen hatte und es plötzlich verschwand, wurde er vielleicht auf sie aufmerksam. Noch dazu konnte sie den Spruch nur einmal wirken und das war ganz sicher einer, den man sich aufheben wollte.   Entsprechend mit ausreichend Elan wirbelte sie herum. Hier gab es noch mehr zu entdecken. Auf der Karte waren drei Punkte markiert, einer davon direkt geradeaus. Da stand eine hohe Tanne. Also lief sie auf diese zu und umrundete sie einmal, konnte jedoch keinerlei Hinweise auf einen Schatz finden. Bis sie auf die Idee kam, den Stamm zu berühren. Sofort wurde auf ihrem Display die Meldung „Bonus Mana +20“ angezeigt.   [Alexandras Leben: 100 / Alexandras Mana: 100 → 120]   „Oh? Verstehe“, lächelte sie verschmitzt. Manche Gegenstände verliehen einem durchs Berühren mehr Mana. Gut zu wissen. Dann drehte sie sich leicht nach rechts, wo ein großer Felsbrocken lag. Der letzte Punkt der umliegenden Markierungen. Hoffentlich versteckte auch er ein Ei, ein großes! Aber schon beim sich nähern bemerkte sie, dass dort eine Karte am Boden lag. Bückte sich und las sie auf. Eine Körperteil-Karte, [Gehörnte Schwingen]. „Wer's findet, dem gehört's“, sagte sie und steckte die zu den anderen Karten. Stöhnend fuhr sie sich über die Stirn, schob die blonde Mähne über den Kopf. Jetzt hatte sie ein paar Gimmicks, aber noch immer kein adäquates Ei. In dem Moment hörte sie aus der Ferne einen Knall. Was war das? Hatte ihr Gegner etwa irgendwas angestellt? Aber sie würde ganz sicher nicht nachsehen gehen, so unvorbereitet, wie sie war. Sie könnte jetzt immer noch das Ei hinter sich benutzen – aber als Schatzjägerin hatte sie ihren Stolz. „Weiter geht’s!“   ~-~-~   Der Sammler wartete mitten in einem der mit rotem Teppich ausgelegten Gänge seines neuen Anwesens. Die Begegnung mit Matthew Summers war unterhaltsam. Sein Gesicht, als er die Antwort auf die Frage nach den Carringtons bekam, einfach unbezahlbar. Weil er wusste, dass sie aufrichtig war. Wie auch immer … Jeden Moment würde der maskierte Dämon erscheinen, das wusste er. Überhaupt, fand er die Wahl dieses Erscheinungsbildes sehr interessant, besonders wenn man die Person dahinter kannte. Er hatte nie nach den Hintergründen nachgefragt, aber er glaubte sie trotzdem zu kennen.   So bewahrheitete sich seine Einschätzung jäh und vor ihm öffnete sich ein schwarzes, ovales Portal, aus dem der Dämon trat. Wie schon seit vielen Jahren verbarg er sein Gesicht hinter einer weißen, japanischen Dämonenmaske. Das Wesen steckte dazu in einem schwarzen Kimono mit roten Lotusblumen darauf, eine schwarze Hose und trug ein langes Katana mit sich. Seidig hing schwarzes, langes Haar fast bis zum Boden, doch dieses gehörte nicht dem Dämon, sondern war tatsächlich Teil der Maske. Zu seiner vollsten Zufriedenheit schulterte der maskierte Dämon einen riesigen Hammer mit sich. Die beiden metallischen Hammerenden waren durch einen goldenen Ring zusätzlich stabilisiert. „Bravo“, sprach der Sammler und klatschte in die Hände, „und ohne einen Kratzer. Ich meine natürlich dich, nicht Mjöllnir.“ „Es war gut bewacht“, erwiderte der Dämon mit einer unglaublich verzerrten Stimme, die die Bestimmung eines Geschlechts für Unwissende unmöglich machte. „Natürlich.“ Der Rotschopf streckte die linke Hand zur Seite aus. Im schmucklosen Gang erschien an der Wand eine Tür, die sich von alleine öffnete. Unvermittelt nahm der Dämon den Hammer in beide Hände und warf ihn dem elegant in einen Anzug gekleideten Sammler zu, welcher diesen mühelos auffing. „Hey! Etwas vorsichtiger, bitte! Wir wollen doch keine Naturkatastrophe auslösen!“ Sein Tadeln untermalte er mit einem neckischen Lachen. Dann drehte er sich der Tür zu und trug die schwere Zweihandwaffe in eine kleine Kammer.   An den Wänden befanden sich Halterungen. Auf zwei Haken an der Wand direkt gegenüber hing ein riesiger, goldener Rundschild, darunter ein wuchtiger Speer. An der linken Wand war ein massiver, goldener Bogen befestigt. Drei Reihen von Aufstellern befanden sich in diesem Raum, in zwei der Halterungen steckten Großschwerter, eines in regelmäßigen Intervallen blau, das andere rot aufleuchtend. In die letzte der drei steckte er schließlich den Hammer mit dem Kopf nach oben. Automatisch schlossen sich die zu großen Metallringe um ihn und hielten ihn fest. „Hach, es ist schön, die Sammlung wachsen zu sehen“, gluckste der Sammler dabei und drehte sich zu dem Dämon um. „Das war gute Arbeit. David brauchte eine halbe Ewigkeit, um die vier zu beschaffen, die wir vor deinem Engagement hatten. Nun sind wir schon bei sechs. Aber es fehlen noch einige, befürchte ich. Wir brauchen alle.“ „Ich werde mich sofort auf die Suche nach der nächsten Waffe begeben“, erwiderte der maskierte Dämon tonlos. Nickend trat der Sammler näher. „Das ist sehr gut. Ich bin froh, dass du dich daran erinnert hast, was du mir vor Jahrzehnten einmal gesagt hast.“ Sein Gegenüber erwiderte nichts darauf. „Schon gut“, winkte der Sammler ab und sah über seine Schulter, „aber ich frage mich, wer diese Wunderwerke geschmiedet hat. Sind es wirklich die legendären Waffen aus den Mythen?“ Er wandte sich an den Dämon. „Das würde ich fragen, wenn ich nicht längst wüsste, dass sie älter sind als diese Welt an sich.“ „Dann stammen sie aus-“ „Exakt. Wie sind sie also hierher gekommen?“ Der Sammler legte seine Hand ans Kinn. „Und wer hat sie versiegelt? Wurden sie in dieser Welt eingesetzt, bevor sie versiegelt worden sind oder sind all die Legenden um sie ganz unabhängig davon entstanden? Fragen über Fragen.“ Er sah auf das Katana am Waffengurt seines Partners. „Aber dich brauche ich nicht um Rat bitten. Du benennst eine traditionelle, japanische Waffe nach dem Weltuntergang der nordischen Mythologie. Sieht dir ähnlich.“ „Das ist lange her.“ „Willst du mir damit ausdrücken, dass das eine 'Phase' war?“ Der Sammler lachte und zur Abwechslung klang es aufrichtig, echt. Aber nur einen Augenblick später verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck. „Wie dem auch sei, würde ich dem Namen deiner Waffe gerne gerecht werden.“   ~-~-~   Alexandra rannte durch den Wald, versuchte aber dabei stets hinter Bäumen oder Steinen verborgen zu bleiben. Unterwegs hatte sie jeden interessanten Punkt auf ihrer Karte abgegrast, fand unter anderem eine nette, aber nutzlose Heilquelle, eine weitere Körperteil-Karte und lauter Eier, die nicht ihren Ansprüchen entsprachen. Und sie wusste, dass ihr die Zeit im Nacken lag. Langsam musste sie sich etwas einfallen lassen. Wenn sie noch mehr Zeit verstreichen ließ, würde sie einem komplett gestärkten Gegner gegenüber stehen. Jetzt brauchte sie auch nicht mehr damit anfangen, eines der schwachen Eier aus ihrem Blatt auszubrüten.   Passend dazu piepte der Draw Timer wieder einmal. Alexandra war aufgefallen, dass die Intervalle immer länger wurden – trotzdem hatte sie schon über ein Dutzend Karten angesammelt. Sie blieb hinter einem Baum stehen und warf einen Blick auf die Karte. In ein paar Metern entfernt lag ein weiterer Mystery Spot. Sie sah am Baum vorbei. Dort befand sich ein großer Felsbrocken, dahinter der Punkt.   Sie eilte herüber und umrundete den Stein. Und traute ihren Augen kaum. Mit weit geöffnetem Mund näherte sich Alexandra dem Ei, das von dem Felsen an der Hinterseite gut getarnt war. Es war fast so groß wie ein Kleinkind. Die bläuliche Schale funkelte, als wären winzige Edelsteine darin eingelassen. „Ich würde sagen: Jackpot!“, strahlte die Blonde im Trenchcoat, als sie an ihrem Ziel angekommen war. „Mal schauen, was du so zu bieten hast.“ Sie berührte die raue Oberfläche, sodass über dem Ei die Informationstafel aufploppte.   Seltenes Drachen-Ei Größe: XXL Spezies: Drachen, Urzeit, Echsen Leben: 250 Brutdauer: 300 Sekunden   Das war genau das, was sie wollte. Aber dann stach ihr die Beschränkung auf drei Schimären-Gattungen ins Auge. Natürlich. Große Macht kam nie ohne Nachteil. Sie nahm ihr Kreaturendeck aus dem Apparat und sah die fünf Karten an, die man ihr zur Verfügung gestellt hatte. Waldbestie, Amphibie, Vogel, Phantom – und Echse! Sie fackelte gar nicht lange, nahm die Karte und führte sie – wie Henry ihr es erklärt hatte – in das Ei. Welches daraufhin kurz in grellem Blau zu strahlen begann. Dann zählte über ihm der Countdown runter, die Anzeige verschwand und wurde auf die Infoseite ihres Apparats übertragen. „Tja, wie schütze ich dich jetzt bloß so lange?“, überlegte sie leise. Der Tarn-Spruch. Aber Moment! Ihn zu wirken kostete 50 Mana, das hatte sie. Aber er hielt nur 200 Sekunden, das Ei brauchte aber 300 zum Schlüpfen. Wenn sie den Spruch sofort anwendete würde es wieder sichtbar werden, noch bevor ihre kleine Echse geschlüpft war. Nein. Sie würde noch einen Moment warten. Alexandra drehte sich um und behielt ihre Umgebung im Blick. Ihre Angespanntheit hatte schließlich ihre Gründe.   Es waren nur Schritte, die sie gehört hatte. Sie befand sich hinter einem Baum, als sie sie hörte. Und nicht nur ein paar Füße, nein, mehrere – ihr Gegner hatte seine Schimäre schon erweckt. Sofort presste sie sich an den Stamm, um nicht gesehen zu werden. Er befand sich auf der anderen Seite, wartete scheinbar, als hätte er etwas bemerkt. Doch dann schritt er nach links davon. Innerlich atmete sie auf, bei einer Konfrontation hätte sie keine Chance gehabt. Aber es war auch spannend, das musste sie zugeben. Sie umrundete den Baum, um einen Blick auf ihren Gegenspieler zu erhaschen, doch der war bereits im Gebüsch verschwunden.   Es war verdammt knapp gewesen und sie hatte es nicht gewagt, die beiden heimlich zu verfolgen. Zu groß war die Gefahr, dabei entdeckt zu werden. Ein Profi musste wissen, wann er seine Neugierde zu unterdrücken hatte. Sie schritt herüber zu einem der umstehenden Bäume und drückte sich mit dem Rücken an diesen, das Ei vor sich in seiner Einbuchtung im Blick. Kaum war der Timer unter 200, streckte sie die Hand aus. Flüsterte: [Tarnung]. Tatsächlich löste sich das Ei umgehend auf und verschwand ebenso vom Radar. Alexandra schob die Einmal-Wirk-Karte in den Ablagestapel.   [Alexandras Leben: 100 / Alexandras Mana: 120 → 70]   Kaum war das Ei verschwunden, atmete Alexandra auf. Jetzt hieß es warten. Als sie hinter sich Schritte im Gras hörte, wurde ihr jedoch bewusst, dass es damit schwierig werden könnte. Versteckt hinter dem Baum, hielt sie die Luft an. „Ich weiß wo du bist. Komm raus“, forderte ihr Gegenspieler. Ein Mann, dessen Stimme sie schon einmal gehört hatte. Sie musste handeln, er durfte sich nicht an ihrem gerade erst gefundenen Ei vergehen. Die junge Frau schnappte sich den [Teleport]-Zauber aus ihrer Hand und zeigte ihn in Richtung des Eis. „Los, verschwinde!“   [Alexandras Leben: 100 / Alexandras Mana: 70 → 30]   Sofort löste sich das ein in einer hellblauen Lichtsäule auf. Ganz langsam trat sie aus ihrem Versteck hervor und stand dem brünetten Aiden Reid gegenüber, seinerseits CEO von Micron Electronics. Der Partnerfirma der AFC für dieses Projekt. Aiden hatte ein feines Gesicht, das durch seinen Dreitagebart eine verwegene Note bekam. Nichtsdestotrotz trat er selbst für dieses kleine Gefecht in einem anthrazitfarbenem Anzug auf. „Miss … Russo, korrekt?“, fragte er ein wenig erstaunt, als er sie sah. „Ich sollte nicht weiter überrascht sein, jemand anderes als Nick vor mir zu haben.“ „Er hatte keine Lust.“ Er lächelte. „Nehmen Sie es nicht persönlich. Um ehrlich zu sein ist es sogar eine gute Gelegenheit, sich besser kennenzulernen, ohne sein wachsames Auge.“ Der Blonden entging dabei nicht das gefährliche Funkeln in seinen Augen.   Abgelenkt wurde sie dann aber von der Kreatur, die sich an seine Seite stellte. Ein wunderschöner Hirsch, dessen Geweih von bunten Blumen geschmückt war. Im krassen Kontrast dazu stand sein Schweif, pechschwarz. Er zischte, war es tatsächlich eine Schlange. „Oh?“, machte Reid und sah seinen Begleiter an, der in etwa so groß war wie er. „Das ist [Csodaszarvas] – ein Waldbewohner. Dank ihm konnte ich Sie aufspüren.“ „Ist das so?“, erwiderte Alexandra belustigt. „Sicher hat Mr. Ford Ihnen zu den einzigartigen Fähigkeiten der Schimären etwas gesagt.“ „Ja. Einmal, zweimal … sie müssen auswachsen, dann erlernen sie ihre Gabe.“ Sie verschränkte die Arme. „Aber ich schätze, Sie wollen sich nicht wirklich über das Spiel mit mir unterhalten.“   Seine Mundwinkel zuckten kurz. „Sie haben mich durchschaut. Kommen wir also gleich zum Punkt. Welche Rolle spielen Sie in alldem hier?“ Hörte sie da eine gewisse Eifersucht heraus, fragte sich Alexandra insgeheim. „Ich bin eine Freundin von Nick.“ „Sparen sie sich das“, fuhr er da aber plötzlich scharf dazwischen. Sein ganzer Ton wandelte sich, wurde bedrohlich und aggressiv. „Nick hat sich in den letzten Wochen verändert. Ich könnte ihnen von den zahlreichen Duellen erzählen, die er bestritten hat, seitdem er Sie kennt. Oder davon, dass viele seiner Gegner seitdem verschwunden sind. Aber das wissen Sie sicherlich.“ Innerlich zuckte Alexandra zusammen. Woher wusste er davon? Überwachte er Nick etwa heimlich? Natürlich. Von dem, was ihr über Aiden Reid erzählt worden war, passte das nur zu gut zu ihm. „Ich fürchte, ich weiß nicht, wovon Sie reden. Nick ist oft alleine unterwegs. Fragen Sie ihn.“ Was selbstverständlich gelogen war und das wusste er auch. Aus den Augenwinkeln sah Alexandra auf den Apparat an ihrem Arm. Die Karte zeigte Richtung Nordosten ein golden leuchtendes Eier-Symbol an, vermutlich ihres. „Ich frage Sie“, blieb Aiden bei seinem harschen Tonfall, „denn was ich mit eigenen Augen gesehen habe, lässt mich so einiges hinterfragen.“ „Was haben Sie denn gesehen, Mr. Reid?“ „Nichts, was Sie im Zweifelsfall etwas angeht. Nick nannte es einen Scherz. Einen sehr geschmacklosen. Sagen wir, das Fenster in seinem Büro ist noch nicht repariert.“ Aiden trat einen Schritt näher. „Und dass ich ihm seine Panik und die Lüge genau angesehen habe. Was immer in dieser Nacht geschehen ist, ich finde es heraus.“ „Dabei soll ich helfen, nehme ich an?“   Alexandra kannte die Geschichte von Nicks Begegnung mit dem Sammler in seinem Büro, welche mit einer verkappten Version des Prager Fenstersturzes endete. Nur lag auf dem Bürgersteig am Ende nicht der Sammler, sondern Reids persönliche Assistentin. Als Reid in Nicks Büro gestürzt kam und sie dort unten sah, sind die Fetzen geflogen. Besonders als die Leiche, nachdem beide nach unten geeilt waren, plötzlich verschwunden war. Nick hatte es Reid gegenüber als Streich bezeichnet, aber auch er wusste in Wirklichkeit nicht, was mit der Leiche geschehen war. Vermutlich war es nur eine Illusion des Sammlers gewesen, doch die PA von Reid war seitdem verschwunden. „Sie und helfen?“ Aiden lächelte Alexandra plötzlich freundlich an. „Sie sind das Gift, das ihn überhaupt erst verdorben hat.“ Schnippisch erwiderte die Blonde: „Danke.“ „Ich werde schon aus Ihnen herausbekommen, was hier gespielt wird. Kostprobe gefällig?“ Er schwang den Arm aus. „[Csodaszarvas], regulärer Angriff. Ramme sie!“ Fast hätte sie vergessen, dass dieses Ding auch noch da war. Der Hirsch mit dem mit Blumen geschmückten Geweih rannte auf sie zu. Aufgrund der unmittelbaren Nähe zu ihr konnte Alexandra nicht rechtzeitig ausweichen und wurde von seinem Geweih in den Magen getroffen. Regelrecht aufgebuckelt, rannte er mit ihr weiter und schmetterte sie gegen einen Baum. Der Schmerz war immens, sie rutschte hinab und landete auf den Knien, während das Ungeheuer langsam rückwärts von ihr weg schritt.   [Alexandras Leben: 100 → 80 / Alexandras Mana: 30]   „Bei voller Stärke fügt sein Standard-Angriff 20 Punkte Schaden zu“, erklärte Aiden. „Und es dauert auch nicht lange, ehe er ihn erneut einsetzen kann. Also sagen Sie mir: Was treibt Nick wirklich?“ Alexandra hielt sich keuchend den Magen. Echter Schaden! Anscheinend hatte dieser Irre mit den Hologramm-Emittern Schindluder getrieben. Ob er ursprünglich geplant hatte, Nick zu verhören? Egal, sie musste irgendwie aus dieser Nummer herauskommen. Aber ihr Ei war noch nicht geschlüpft und ohnehin weit weg. Unter normalen Umständen würde sie es niemals rechtzeitig erreichen. Allerdings war sie schon aus schlimmeren Situationen entkommen und hatte dank einer Gegenstands-Karte in ihrem Blatt bereits eine Idee, wie sie Zeit gewinnen konnte. Langsam erhob sie sich. „Hat Ihnen niemand gesagt, dass man Frauen nicht schlägt?“ „Ich habe Sie nicht geschlagen“, erwiderte er charmant und deutete auf den Hirsch mit den Schlangenschweif. „Das war er.“ „Männer …“ „Frauen. Los, nochmal!“, befahl Aiden eiskalt seinem Wunderhirsch den nächsten Angriff. Wieder stürmte er auf Alexandra zu, doch diesmal wich sie mit einer Seitwärtsrolle im letzten Moment aus. Kaum hatte sich die Welt zu drehen aufgehört, stellte sie überrascht fest, dass ihr kein Schaden zugefügt worden war. Man konnte Angriffen entgehen. Sehr gut! „Zu dumm, der [Schlangenschweif] hat auch noch was zu sagen“, lachte Aiden. In dem Moment spie ebendieses hässliche Körperteil seines Hirsches einen grünen Strahl, der Alexandra an der Schulter traf. „Ah!“, schrie sie auf, war dort doch plötzlich eine blutige Schramme.   [Alexandras Leben: 80 → 70 / Alexandras Mana: 30]   „Das ist einer der Effekte des [Schlangenschweifs]. Wenn das Ziel seines Trägers ausweicht, greift er mit 10 Punkten Giftschaden an.“ Aiden seufzte gespielt. „Eigentlich ist Gift ja die Waffe der Frauen.“ „Ungehobelter Klotz“, klagte sie grimmig und erhob sich mit Blick auf ihre blutende Schulter. „So wird nie jemand mit dir ausgehen. Tch! Ich benutze meine Gegenstands-Karte [Rauchbombe]! Keine Erklärung nötig!“ In ihrer Hand materialisierte sich eine schwarze Kugel, umwickelt von braunen Lederstreifen, die sie prompt zwischen sich und den Hirsch warf. Kaum schlug sie auf, explodierte sie und ließ eine gewaltige Rauchwolke frei, die sich rasend schnell verbreitete. „Hey!“, rief Aiden verärgert, aber schon längst konnten sie einander nicht mehr sehen. Alexandra begann zu rennen. Dabei sah sie auf ihren Arm und folgte der Karte. Gut, dass Gegenstände wie Bäume innerhalb der Rauchwolke rechtzeitig sichtbar wurden. Nicht, dass sie noch unfreiwillig zur Baumknutscherin wurde. „Verfolg' sie!“, befahl Aiden seinem Monster, doch dann hörte sie ihn aus der Ferne fluchen. „Verdammt, deine Sinne sind beeinträchtigt. Aber ich weiß, wo sie hin will. Los!“ Elender Mistkerl, fluchte die Blonde, während sie sich beim Rennen die Wunde hielt. Sie trat aus der Rauchwolke aus und peilte zunächst ein stark von Büschen bewachsenes Areal direkt vor ihr an, zwängte sich hindurch, kaum dass sie es erreicht hatte. Bis zu ihrem Ei waren es nur noch wenige Meter und es dürfte auch jeden Moment schlüpfen! „Da!“, hörte sie Aiden jedoch aus einigen Metern Entfernung. „Ich sehe Sie, Alexandra! Wegrennen ist zwecklos!“ „Ach ja!?“, brüllte sie über die Schulter zurück und setzte sich wieder in Bewegung. „Bisher bin ich damit gut durchs Leben gekommen.“ Warum sollte sich das wegen diesem Schnösel ändern? Nachdem sie die Büsche und Sträucher hinter sich gelassen hatte, erreichte sie eine große Lichtung. Und direkt in deren Mitte befand sich das riesige blau-funkelnde Ei, das bereits deutliche Risse aufwies. Nach und nach platzte die Schale ab. „Endlich“, flüsterte sie und steuerte darauf zu. „In der Tat“, hörte sie Aiden hinter sich sagen. Die junge Frau wirbelte um und lächelte kess. „Ich fürchte, ich habe mir noch einen Trick aufgehoben. [Kraftfeld]!“ Sie zückte die Karte und binnen eines Herzschlags zog sich um sie und ihr Ei eine hellrote Energiekuppel.   [Alexandras Leben: 70 / Alexandras Mana: 30 → 0]   Aiden, der den letzten Strauch beiseite schob, lachte leise. „[Kraftfeld] ist ein Zauber mit variabler Wirkung. Je mehr Mana der Benutzer für die Verwendung opfert, desto länger sperrt es sämtliche Attacken und Eindringlinge aus.“ „30 Mana, 60 Sekunden“, grinste die Blonde ihn frech an, während hinter ihr aus dem Ei goldene Strahlen stießen, „das reicht aus, um mich noch kurz vorzubereiten.“ „Ihre Kreatur ist trotzdem frisch geschlüpft. Sie wird nicht lange genug leben, um ihr volles Potential zu erreichen.“ Der brünette CEO verzog keine Miene.   In diesem Moment zerbrach das Ei vollständig und ein schriller, leiser Schrei drang hinter Alexandra hervor. Jene drehte sich um und sah auf dem Boden eine goldene Schlange mit rot leuchtenden Augen. Sofort rief sie ihre Daten auf.   Serpentarius-G [Fünf Sterne / Leben: 300 / Primärangriff: 10]   „Hmm.“ Sie blickte über die Schulter und tippte dann auf ein Informations-Icon, das ihr die Werte von Aidens Monster verraten sollte.   Csodaszarvas [Drei Sterne / Leben: 200 / Primärangriff: 20 / Sekundärangriff: 10]   Jetzt war es an der Zeit, die Körperteil-Karten auszuspielen. „[Legendäres Horn]“, rief Alexandra aus und sofort wuchs aus der Stirn ihrer Schlange ein gewundenes Horn, das ganz aus Silber zu bestehen schien. „Damit wird der Primärangriff erhöht.“   Serpentarius-G [Fünf Sterne / Leben: 300 / Primärangriff: 10 → 15]   Derweil flackerte das Kraftfeld um sie herum bereits auf. „Beeilen Sie sich“, riet Aiden, „gleich geht es in die entscheidende Phase.“ „[Feuerfänge]! Damit werden beim Primärangriff zusätzlich 5 Punkte Feuerschaden zugefügt.“ Sie drehte sich um. „Genau das Richtige für Waldbewohner wie den Wunderhirsch.“ Während die Reißzähne ihrer langsam wachsenden Schlange in Flammen aufgingen, umkreiste sie diese und stellte sich hinter sie.   Serpentarius-G [Fünf Sterne / Leben: 300 / Primärangriff: 15 + 5]   Das Kraftfeld löste sich langsam auf. Die beiden Kontrahenten sahen einander tief in die Augen, beide fest entschlossen, den anderen zu vernichten. Kaum war die Barriere fort, rief Aiden aus: „Angriff auf [Serpentarius-G]!“ „Nicht so schnell! Meine letzten Körperteil-Karte“, ging Alexandra sofort dazwischen, während der Hirsch bereits seine Attacke startete, „[Gehörnte Schwingen]! Damit ist meine Schimäre gegen Bodenangriffe immun!“ Gerade noch rechtzeitig wuchsen ihrer Schlange direkt hinter dem Kopf zwei braune, ledrige Flügel, die mit langen Hörnen bespickt waren. Sie stieg sofort auf, während [Csodaszarvas] unter ihr und an Alexandra vorbei stürmte. Doch Aiden lachte auf. „Tut mir leid, aber haben Sie schon vergessen, dass meine Kreatur über einen Sekundärangriff verfügt? Dieser kann auch gegen fliegende Ziele eingesetzt werden.“ Gemeint war der Schlangenschweif, der sich zur fliegenden Goldschlange umdrehte und grünes Gift verschoss – das das Ziel am linken Flügel traf.   Serpentarius-G [Fünf Sterne / Leben: 300 → 290 / Primärangriff: 15 + 5]   „Gegenangriff!“, befahl die Blonde sofort. Im Sturmflug schoss ihr [Serpentarius-G] auf den Hirsch mit Blumengeweih zu und biss ihm in den Nacken. „Heh! Feuerschaden gegen Waldbewohner wird verdoppelt.“ Als die Schlange von ihrem Opfer abließ, blieben dort Brandspuren zurück.   Csodaszarvas [Drei Sterne / Leben: 200 → 175 / Primärangriff: 20 / Sekundärangriff: 10]   Gerade als Alexandra einen Spruch ablassen wollte, wurde sie unvermittelt an der Schulter getroffen und umgeworfen. Sie landete stöhnend auf der Seite. „W-was!?“   [Alexandras Leben: 70 → 60 / Alexandras Mana: 0]   Aiden stand mit ausgestreckter Handfläche dort und lächelte. „Sie sollten nicht vergessen, dass auch wenn Schimären dazu verpflichtet sind, erst ihresgleichen anzugreifen, dies nicht für die menschlichen Spieler gilt.“ Er zeigte ihr einen Zauber mit der anderen Hand vor, der ihr wohlbekannt war: [Feuerball].   [Aidens Leben: 100 / Aidens Mana: 80 → 60]   Derweil ging der Schlagabtausch der Schimären in die nächste Runde. Da der Hirsch sein Ziel nicht selbst erreichen konnte, spuckte gleich sein Schlangenschweif Gift auf die fliegende Schlange, die inzwischen gut zwei Meter lang war.   Serpentarius-G [Fünf Sterne / Leben: 290 → 270 / Primärangriff: 15 + 5]   „Ah!? Doppelt so viel Schaden?“ „Nicht gewusst?“, fragte Aiden die verblüffte Alexandra. „Gift 'stackt', wie man in Fachkreisen so schön sagt. Bei konsekutiven Angriffen wird er jede Runde verdoppelt.“ Da stürmte sich das Monster der Blonden wieder herab auf den Hirsch, der diesmal versuchte auszuweichen. Jedoch gelang es dem [Serpentarius-G], kurz vor Aufschlag auf dem Boden dicht über diesen Hinweg zu fegen und mit seinem Schweif auszuholen, welcher dem Hirsch gegen das Geweih peitschte.   Csodaszarvas [Drei Sterne / Leben: 175 → 155 / Primärangriff: 20 / Sekundärangriff: 10]   „Da der Angriff nicht mit den [Feuerfängen] erfolgte, wird der Feuer-Schaden nicht-! Was!? Wieso so viel!?“ Alexandra erhob sich. „Tja, mein Monster hat wohl gerade seine zweite Evolutionsstufe erreicht. Rechtzeitig vor der Schadensberechnung.“ Tatsächlich war das goldene Ungetüm wesentlich größer und länger als zuvor.   Serpentarius-G [Fünf Sterne / Leben: 270 / Primärangriff: 20 + 5]   „Das könnte ein vielversprechender Kampf werden“, lachte Aiden amüsiert und streckte die Hand aus, vor deren Fläche sich ein [Feuerball] sammelte. Alexandra kräuselte die Stirn. „Na großartig …“   ~-~-~   Zur selben Zeit herrschte im Kontrollraum große Aufruhr. Henry stand dicht vor der Fensterscheibe, war amit dem Rücken zu seinem Team gewandt. „Wieso laufen die Kameras immer noch nicht!? Ich will wissen, was dort passiert, verdammt!“ „Ist doch wieder typisch“, murmelte Melinda, die mit einer Assistentin an der Konsole zur Linken vor dem Fenster zugange war, „gerade dann, wenn es spannend wird.“ Nick, der immer noch vor der rechten saß und dort seine Beine abgeladen hatte, beobachtete alles aus einem Auge. Arme Narren, dachten sie doch, ein einfacher technischer Defekt wäre dafür verantwortlich. Dem großen, zerzausten Mann war sofort klar, dass hier kein Zufall am Werk war. Aiden hatte alles bereits im Voraus geplant, so viel war klar. Vermutlich hatte er sogar mit einberechnet, dass vielleicht nicht er – Nick – an diesem Spiel teilnehmen würde, sondern möglicherweise Alexandra. Die Gelegenheit, sie ein wenig auszuquetschen, denn selbstverständlich war sein ehemaliger Geliebter versessen darauf, ein paar Informationen über sein Tun zu bekommen. Nick lachte innerlich auf. An Alexandra würde er sich die Zähne ausbeißen. „Wie läuft das Spiel?“, fragte Henry derweil hektisch. „Funktioniert alles?“ „Die Schimären kämpfen jetzt schon eine Weile. Ich denke, sie sind bald fertig“, sagte Melinda und sah von der Konsole zu Nick herüber. „Wärst du so nett und hilfst uns, den Fehler zu finden?“ „Wenn die Kameras kaputt sind, kann ich von hier nicht viel machen. Selbst schuld, wenn man ausgerechnet an sowas spart“, kam eine schnippische Antwort zurück. Der Rotschopf schnaufte sauer. „Du, Alexandra und Aiden … ihr macht mich fertig!“ „Danke.“ „Können wir wenigstens den Ton wieder hinbekommen?“, wollte Henry aufgeregt wissen. Woraufhin seine Schwester fauchte: „Und du auch!“   Was keiner der anderen Anwesenden wusste war, dass Nick sehr wohl alles mitverfolgen konnte. Aus gleich zwei verschiedenen Perspektiven, die ihm die beiden Raben Snuggly und Sparkly ermöglichten, durch deren Augen er alles mit ansah.   ~-~-~   Mit ausgestreckter Hand feuerte Aiden einen weiteren Feuerball in Alexandras Richtung ab. Diesmal nicht, schwor diese sich und setzte zu einem Radschlag rückwärts an. Genau zwischen ihren Beinen schoss die Flamme hindurch und verfehlte sie dabei. In der Drehung bemerkte Alexandra einen von Nicks Raben, der auf einem Ast am anderen Ende der Lichtung hockte und sie beobachtete. Dieser Mistkerl.   [Alexandras Leben: 40 / Alexandras Mana: 0]   [Aidens Leben: 100 / Aidens Mana: 20 → 0]   „Dir ist wohl endlich das Mana ausgegangen, was?“, feixte die Blonde und sah zu ihrer rechten, wo im Gebüsch etwa drei Meter hinter ihr etwas funkelte. Ein Mystery Spot! Doch sofort musste sie sich wieder auf Aiden konzentrieren, der eine Karte zückte. „Bedaure, aber jeder gute Abenteurer hat einen [Mana-Trank] dabei. Damit heile ich mein Mana voll auf!“ In seiner Hand manifestierte sich eine gläserne Flasche, in der ein blaues Gebräu vor sich hinblubberte. Alexandra stöhnte genervt, zückte hinter ihrem Rücken eine Karte. „Wohl bekomms“, gluckste Aiden und zerbrach die Flasche in seiner Hand. „Jep!“ Erschrocken keuchte der brünette CEO im feinen Anzug auf. Um ihn bildete sich violetter Nebel, der selbstständig in seine Nase hinein wollte. „Zu dumm, dass ich eine Reaktionskarte namens [Vergiftungsfluch] parat hatte. Der heilende Effekt eines Zaubers oder eines Gegenstands wird in 20 Punkte Giftschaden umgewandelt! Keine Feuerbälle mehr für dich!“   [Aidens Leben: 100 → 80 / Aidens Mana: 0]   „Nicht schlecht. Aber das ist nur der Tropfen auf dem heißen Stein.“ In dem Moment krachte es laut. [Serpentarius-G] schlug lautstark auf den Boden auf, die Flügel unterhalb seines Kopfes zersetzten sich.   Serpentarius-G [Fünf Sterne / Leben: 40 / Primärangriff: 20 + 5]   „Wussten Sie es etwa nicht?“, fragte Aiden beim Anblick der entgeisterten Blonden. „Zusätzliche Körperteile können auch wieder zerstört werden.“ Er betrachtete die am Boden liegende, goldene Riesenschlange. „Während Sie abgelenkt waren, hat meine Schimäre ihr Gift auf die Flügel konzentriert und sie zersetzt. Was bedeutet …“ Mit großer Selbstgefälligkeit streckte er die Hand zu seinem Hirsch aus. „… das er wieder ein Ziel für die regulären Angriffe meines [Csodaszarvas] ist. Los!“ Sofort nahm jener Anlauf und rammte [Serpentarius-G] so fest, dass die Schlage trotz ihrer Masse erzitterte und zurückgeworfen wurde. Schlapp blieb sie am Boden liegen. Alexandra wich zurück. „Ugh …“   Serpentarius-G [Fünf Sterne / Leben: 40 → 20 / Primärangriff: 20 + 5] Sie fluchte innerlich. Die Feuerbälle waren also nur ein Ablenkungsmanöver gewesen, eigentlich hatte er es die ganze Zeit auf ihre Schimäre abgesehen. Gar nicht so dumm. Er kannte das Spiel besser als sie und machte sich dies zu Nutze. Nervös sah sich die Schatzjägerin um, aber die Lichtung bot keinen Anhaltspunkt, wie sie aus dieser Lage noch entkommen sollte. Hinter ihr standen ein paar Bäume und Büsche, aber selbst wenn sie fliehen konnte, wie sollte es ohne Schimäre weitergehen? „Und? Haben Sie sich entschieden?“, fragte Aiden da provokativ.   Statt ihm zu antworten, sah Alexandra lieber auf die Minikarte. Sie betrachtete noch einmal das Symbol des Mystery Spots direkt hinter sich, zur Rechten. Sie drehte sich erneut um, entdeckte trotz der Markierung jedoch nichts. Bis es ihr beim Anblick des Baums dämmerte. Sie blickte den Stamm entlang nach oben zu einem Ast, der sich horizontal erstreckte. Etwa in der Mitte des Asts befand sich eine Einbuchtung, in der eine Karte steckte. Vielleicht konnte sie sie erreichen.   „Ich kämpfe natürlich“, gab sie ihm zwinkernd zu verstehen, wirbelte herum und rannte auf den Baum zu. Der Ast lag mindestens zweieinhalb Meter hoch, aber wenn sie sich vom Stamm abfederte, konnte es klappen. „Nanu?“ Aiden derweil blickte auch auf seinen Apparat und entdeckte den Spot. „Verstehe. Daraus wird nichts.“ Er streckte die Hand aus. „Los, ziele auf sie!“ „Ich dachte, Schimären dürfen nur untereinander kämpfen?“, fragte die junge Frau entsetzt im Rennen. Aiden räusperte sich. „Tja, das gilt nur für die Schimären selbst. Körperteile, die selbstständig agieren können, sind davon ausgenommen.“ Der Schlangenschweif seines [Csodaszarvas] hob sein Haupt, drehte es Richtung Alexandra und feuerte einen grünen Strahl ab. Jene drehte sich noch um, wurde aber bereits mitten im Rücken getroffen und nach vorne geschleudert. „Gift stackt“, lachte Aiden.   [Alexandras Leben: 40 → 20 / Alexandras Mana: 0]   Anstatt aber nachzugeben, spornten der Schmerz und die drohende Niederlage Alexandra noch mehr an, ihre letzte Hoffnung in diese Karte zu legen. Sie nutze das entstandene Momentum des Treffers, um im Rennen zu beschleunigen. Wie geplant, sprang sie mit dem rechten Fuß gegen den Baum, federte sich ab und vollführte in der Luft eine Drehung. Mit ausgestreckter Hand versuchte sie die Karte im Ast zu erreichen – und scheiterte um ein paar Zentimeter. Mit Schwung landete sie vor dem Baum und stolperte beinahe. „Beeindruckend“, lobte Aiden sie lächelnd, „ich muss wirklich sagen, dass sie den Gedanken von 'Chimera of God' verinnerlicht haben. Flexibel zu sein, das Beste aus den gegebenen Umständen zu machen. Aber es hat nicht gereicht.“ Dabei ertönte ein leises Kreischen hinter der Blonden, doch die biss sich auf die Lippe. „Elender-!“ „Letzte Chance, Alexandra“, bot Aiden wohlwollend an, „ich will Ihnen nicht wehtun, wenn ich nicht muss. Aber Nick … Ich habe meine Gründe, so vorzugehen, glauben Sie mir.“ „Heh, ganz gewiss.“   Trotz ihrer aufkeimenden Panik bemerkte Alexandra, dass etwas neben ihr auf dem Boden landete. Dabei entging ihr jedoch die Krähe, die über ihr einen Bogen machte, in einer Baumkrone verschwand und welche diejenige war, die das Objekt hatte fallen lassen. „Die Karte …?“, wunderte sich die Blonde leise und las sie auf. „Das ist-!“ Sie blickte auf und sah Aiden, wie er den Kampf zwischen den beiden Kreaturen beobachtete. Er sagte abgelenkt: „Der nächste Treffer bedeutet den Tod Ihrer Schimäre. Vielleicht sind Sie dann gewillt zu kooperieren.“ Er drehte sich zu ihr um. „Bitte … ich muss wissen, was Nick vor hat! Er ist ein Meister der Selbstzerstörung!“ Alexandra brach daraufhin in schallendes Gelächter aus, denn die Ironie seiner Worte war kaum zu begreifen. Sie trat einen Schritt zurück und hielt sich den Bauch. „Ahahaha …“ Anstatt sie zu hinterfragen, blieb Aiden still. „Ich denke, was Sie sagen trifft den Nagel auf den Kopf, Reid.“ Sie zeigte die Karte vor. „Vielleicht passe ich deshalb so gut zu ihm? Zauberspruch: [Selbstzerstörungsmagie]!“ Plötzlich drang aus allen Poren ihrer geschwächten Kreatur gleißendes Licht. „Diese Karte benötigt kein Mana“, erklärte die Blonde und trat noch einen Schritt zurück, „nein, sie kostet das Leben meiner Schimäre.“ Aiden gab einen erstaunten Laut von sich. „Ja, Sie hören richtig! [Serpentarius-G] opfert sich. Und er fügt in einem Radius von fünf Metern allen anderen Anwesenden 60 Punkte Schaden zu!“ Kaum waren die Worte gesprochen, stieß die Schlange einen schrillen Schrei aus. Das Licht zog sich in ihrem Körper zusammen, welcher sich anschließend aufblähte und in einer gewaltigen Explosion verging. Jene drehte sich in einer flammenden Schockwelle aus und riss sowohl den Hirsch, als auch Aiden mit sich.   Csodaszarvas [Drei Sterne / Leben: 50 → 0 / Primärangriff: 20 / Sekundärangriff: 10] Serpentarius-G [Fünf Sterne / Leben: 20 → 0 / Primärangriff: 20 + 5]   Während seine Schimäre zu Asche verbannt und vom Wind davon geweht wurde, landete Aiden hart auf der Seite und stöhnte auf. Aber er blieb nicht lange liegen und erhob sich. „Damit hätte ich nicht gerechnet“, sprach er mehr zu sich selbst als zu Alexandra.   [Aidens Leben: 80 → 20 / Aidens Mana: 0]   „Nun, jetzt sind wir beide wieder ohne Schimären.“ Er breitete die Arme weit aus. „Das heißt, wir könnten jetzt neue schlüpfen lassen. Oder wir kürzen die Sache ab.“ Die Blonde grinste frech. „Ich bin für Letzteres.“ „Also kann ich davon ausgehen, dass Sie endlich kooperieren?“ „Sie bekommen, was Ihnen zusteht, Reid.“ Jener wunderte sich sichtlich über die merkwürdige Wortwahl, als bereits deutlich wurde, was sie wirklich meinte. Von der Seite erwischte ihn ein regelrechter Peitschenhieb und der Mann wurde torkelnd zurückgeworfen.   [Aidens Leben: 20 → 10 / Aidens Mana: 0]   Mit großem Entsetzen stellte er fest, dass vor ihm eine goldene Schlange auf dem Boden lag. „[Serpentarius-G] hatte gerade noch seine dritte Evolutionsstufe erreicht. Schlangen häuten sich, wie Sie wissen“, erklärte Alexandra triumphierend. „Wenn er stirbt, kehrt er nur einmal in seiner ersten Form zurück, allerdings nur mit 10 Lebenspunkten und unfähig, über die zweite Stufe hinaus zu wachsen. Aber das reicht mir.“   Serpentarius-G [Fünf Sterne / Leben: 10 / Primärangriff: 10]   Aiden sah von der Schlange zu Alexandra, die sich ihre Seite hielt. Dann lachte er auf. „Sie sind wirklich immer für eine Überraschung gut.“ Die Frau zuckte mit den Schultern. „Ich hatte Glück.“ Oder vielleicht etwas Hilfe von draußen? „Bevor dieses Spiel endet habe ich einen guten Rat für sie, Reid.“ Sie verzog grimmig das Gesicht, schwang den Arm aus. „Halten Sie sich aus Nicks Angelegenheiten raus. Es ist zu Ihrem eigenen Wohl.“ Der Mann schnaubte. „Los, [Serpentarius-G]. Beende diese Schlacht für mich!“ Jener stieß sich vom Boden ab und drehte sich wie ein Rad in der Luft. Während er auf Aiden zu flog, holte er mit seinem Schweif aus. Mit geweiteten Augen sah er ihn auf sich zukommen. Doch im letzten Moment setzte er ein überlegenes Schmunzeln auf. Einen Moment später war [Serpentarius-G] verschwunden. Alles war verschwunden. Er und Alexandra standen inmitten einer riesigen, leeren Halle.   Als Alexandra begriff, was geschehen war, knirschte sie mit den Zähnen. Ihr Widersacher lächelte überschwänglich und sagte: „Anscheinend ein Bug. Wie ärgerlich. Natürlich akzeptiere ich meine Niederlage.“ „Elender Feigling“, zischte die Blonde bloß. „Ich denke, wir setzen unser Gespräch an anderer Stelle fort“, sagte er abgelenkt und richtete sich nach vorn aus. Alexandra folgte seiner Bewegung und drehte sich um. Wie ein Sommergewitter kam Henry mit Melinda und einem trägen Nick im Schlepptau angezischt und kaum war er bei den beiden angekommen, fragte er aufgeregt: „Wie war es?“ Bevor er überhaupt irgendjemanden antworten ließ, tobte er schon: „Die Übertragung hat nicht funktioniert, nicht mal der Ton! Am liebsten wäre ich selbst runter-!“ „Bist du verletzt?“, fragte Melinda dazwischen an Alexandra gewandt. „Oh“, machte die und betrachtete die Wunde an ihrem Oberarm, „ja, das war ein Unfall.“ Sie blickte dabei scharf zu Aiden. „Ein Bug, wenn man so will, aber alles ist gut. Mr. Reid ist zum Glück nichts passiert.“ Henrys Augen ploppten fast aus den Höhlen, als er sich zu Nick umdrehte. „Mein Spiel hat das angerichtet!? Ein Bug!?“ „Den Schuh muss ich mir wohl anziehen“, meinte der Größte unter ihnen jedoch in einem gleichgültigen Tonfall. „Ich kümmere mich darum, dass das nicht nochmal passiert.“ „Es ist doch nichts Schlimmes passiert“, versuchte Alexandra den Ford-Spross zu beruhigen. „Nur ein Kratzer. Aber die Bäume, sie haben sich total echt angefühlt.“ „Wie gesagt, ich kümmere mich darum“, versprach Nick träge und wurde dabei von Henry böse angefunkelt. „Und -das- besprechen wir noch ausführlich.“ Henry drehte sich zu Melinda und Aiden um, atmete tief durch. Da schien schon ein flüchtiges Lächeln durch. „Ich traue mich kaum nochmal zu fragen, aber … wie war's?“ „Unterhaltsam“, gluckste der CEO von Micron Electronics, „die Interaktionen sind trotz dieses frühen Stadiums schon sehr gelungen. Nicht wahr, Miss Russo?“ „Das kann ich bestätigen“, lächelte diese und strich sich mit dem Zeigefinger unter ihren Kinn entlang. „Ich habe beim Spielen gemerkt, wie viele verschiedene Herangehensweisen es gibt. Am Balancing müsste noch etwas getüftelt werden, aber ja, man kann sagen …“ Sie sah Aiden herausfordernd an. „… es hat Spaß gemacht.“ „Sie hat mir keine Chance gelassen. Vielleicht sollten wir es später einmal probieren? Wenn die groben Fehler behoben sind versteht sich.“ Gemeint war Nick, welcher aber abwinkte. „Nein danke.“ Die beiden tauschten einen intensiven Blick aus, der besonders von der Seite des großen Hackers äußerst feindselig war. Was Melinda nicht entging, die leise seufzte. „Also, dann erzählt mal. Wie habt ihr gespielt?“, wollte Henry jedoch längst aufgeregt wissen.   ~-~-~   Kurz darauf konnten sich Nick und Alexandra von den Fords und Aiden lösen. Nachdem die Blonde die ganze Zeit über Haltung bewahrt hatte, hielt sie es letztlich nicht mehr aus und kippte zur Seite gegen die metallische Wand des Gangs. Dabei hielt sie sich die noch immer schmerzende Wunde am Bauch. „Ugh …“ „Worüber wolltest du sprechen?“, fragte Nick völlig unberührt von ihrem Zustand. Sie sah ihn aus den Augenwinkeln verschwörerisch an. „Dein blutdurstiger Exfreund hätte mich da unten beinahe massakriert. Er kommt dir langsam auf die Schliche und damit meine ich nicht, dass du ein Arsch bist, sondern -warum- du ein Arsch bist. Ugh.“ „Wie ich von Anfang an vermutet habe“, überlegte Nick laut und stellte eine Frage, deren Antwort er natürlich schon kannte, „hast du ihm etwas gesagt?“ „Natürlich nicht! Und was heißt hier 'Wie ich vermutet habe'?“ Sie richtete sich langsam und zornig funkelnd auf. Nick sah sie an und doch war es, als wäre sein Blick weit entfernt. In der Zukunft. „Dass er mich mit 'Monochrome' überwacht. Dieses Programm hat sich inzwischen fest in das System von Duel Monsters eingenistet. Egal wie oft ich die Duel Disk oder meine Duellanten-ID wechseln würde, er würde mich finden. Noch.“ „Er hat Fragen gestellt. Wieso du dich gegen so viele Leute duelliert hast. Und noch viel wichtiger: Was da damals passiert ist in jener Nacht.“ „Die Leiche, die verschwunden ist?“ Nick lachte auf. „Es gab vermutlich nie eine. Das war nur ein Trick des Sammlers, um mich zu warnen.“ Alexandra fuhr sich durch das blonde, leicht zerzauste Haar und verschränkte die Arme voreinander. „Sei vorsichtig, Nick. Dieser Typ ist brandgefährlich.“ „Ich habe keine Angst mehr vor ihm. Wenn er sich einmischen sollte, lasse ich ihn verschwinden.“ Die Kälte, mit der er das sagte, ließ die hübsche Schatzjägerin erschaudern. Und damit ging er einfach weiter, ließ Alexandra hinter sich zurück. „Du wirst wirklich immer mehr zum Dämon“, flüsterte sie fassungslos, wie sie ihn von dannen ziehen sah. Aber sie musste ihm folgen. Und das tat sie, als sie sich langsam in Bewegung setzte.     Turn 108 – Punishment Am nächsten Tag setzen Anya, Matt, Zanthe und Abby ihr Vorhaben in die Tat um und beschwören Stoltz auf dem Livingtoner Schrottplatz. Doch anstatt ihnen die gewünschten Antworten zu geben, spielt er mit Matts Gefühlen. Während die Lage zu eskalieren droht, bemerkt Zanthe, dass sich ein unerwünschter Gast nähert und schickt Abby als Ablenkung vor … Kapitel 117: Turn 108 - Punishment ---------------------------------- Turn 108 – Punishment     Velvet sah sich neugierig in der großen Aula der Cloverfield Duel Akademy um. Unlängst war die gesamte Schülerschaft hierher berufen worden, um sich eine Ankündigung der Direktorin, Mrs. Vinewood anzuhören. Zahlreiche Reihen von Stühlen waren hier auf zwei Seiten aufgestellt, getrennt durch einen Gang in der Mitte. Es gab keinen Platz, der nicht besetzt war. Am Ende des Saals standen sogar viele Schüler. Links konnte man durch große Fenster in den Innenhof blicken, rechts dagegen auf die Straße. Der Raum war trotz seiner weißen Wände irgendwie dunkel, vielleicht wegen der rostbraunen Vorhänge. Auf der leicht angehobenen Bühne stand die Direktorin, ihre grauen Haare waren zu einem strengen Dutt zusammengebunden. Hinter dicken Brillengläsern schien es, als hätte sie jeden Schüler fest im Blick. Vor einem Rednerpult philosophierte sie von den talentierten Duellanten, die die Duellakademie bisher hervorgebracht hatte. „Ja, bla bla bla“, maulte Tatjana neben Velvet, während sie ganz ungehemmt in ein Brötchen biss, „komm schum intereschamten Teil!“ Isaac hinter ihr verpasste dem pummeligen Mädchen eine Kopfnuss. „Essen ist hier verboten.“ „Hey!“ „Haltet die Füße still“, wies Patrice neben Isaac seine Freunde belustigt an, „ihr wollt doch nicht, dass die Hexe auf uns aufmerksam wird.“ Fabio stimmt ihm zu. „Yo! Seit der Sache mit Velvet hat die's auf uns abgesehen!“ „Hat sie gar nicht“, widersprach der blonde Musterschüler jedoch genervt, „eure schlechten Noten sind allein eure eigene Schuld.“ „Mrs. Vinewood, hier ist jemand, der Ihren Arsch küssen-“, schnarrte Tatjana lautstark, aber bevor sie zu Ende reden konnte, bekam sie eine weitere Kopfnuss von Isaac. „Au! Na warte!“ Prompt drehte sie sich um und beugte sich über ihre Stuhllehne, um zurückzuschlagen. In all dem Gezanke und Gezeter wollte Velvet am liebsten im Boden versinken. Orion auf ihrem Schoß hingegen schien sich köstlich zu amüsieren, so wie er lachte und Tatjana anfeuerte. „Aber natürlich habe ich Sie alle nicht hierher gebeten, um in der Vergangenheit zu schwelgen“, sprach die Direktorin, während hinter ihr auf einer weißen Tafel das Logo der AFC eingeblendet wurde. „Wie sich sicher längst herumgesprochen hat, war kürzlich niemand Geringeres als Mr. Benjamin Hendrik Ford hier zu Besuch.“ Sofort verstummte Velvets Gruppe vor Schreck, denn jeder von ihnen konnte sich noch genau an die Anschuldigungen Henrys und Velvets Duell gegen ihn erinnern. Tatjana sank zurück auf ihren Platz und legte die Hand auf die Schulter ihrer erstarrten Freundin. Velvets Gedanken rasten. Was wollte Mrs. Vinewood damit sagen? Würde sie sie jetzt doch der Schule verweisen, vor der ganzen Schülerschaft!? „Ich habe Sie – die nächste Generation angehender Profiduellanten – heute hier versammelt, um die Duelist Ascension Days anzukündigen. Dabei handelt es sich um ein dreitägiges Turnier, bei dem ein Vertreter dieser Schule ermittelt wird, um gegen einen Champion der AFC anzutreten.“ Hinter Mrs. Vinewood erschien der Schriftzug des besagten Turniers. Und Velvet atmete tief durch. „Also hatte sein Besuch noch einen anderen Hintergrund“, überlegte Patrice laut, „klingt ja ganz lustig.“ „Jeder Student dieser Akademie kann teilnehmen“, erklärte Mrs. Vinewood derweil mit ausgestreckten Armen, „egal welchen Jahrgangs. Und Sie werden überrascht sein zu hören, dass wir mit den Duelist Ascension Days bereits im Anschluss an diese Ankündigung beginnen werden.“ In entsprechenden Stichpunkten wurden die genannten Fakten auf dem Bildschirm präsentiert. „Nu!? Gleich jetzt!?“, staunte Fabio verblüfft. „Sonst lassen sie sich mit sowas doch immer Ewigkeiten Zeit!“ Isaac gab ihm Recht. „Das ist in der Tat merkwürdig.“ „Leider musste die Ankündigung aufgrund terminlicher Differenzen des AFC-Champions warten, weshalb ich diese kurzfristige Planänderung entschuldigen möchte“, erklärte Mrs. Vinewood weiter und sah plötzlich zu Velvet herüber, „aber auch unter Druck müssen die Duellanten dieser Akademie in der Lage sein, das Beste aus sich und ihrem Duell herauszuholen.“ Sie räusperte sich und ließ von Velvet ab, die empört zu ihren Freunden sagte: „S-sie hat mich dabei angeschaut! Als ob sie mir sagen will, dass ich mich unter Druck nicht duellieren kann!“ „Tja, uhm“, stammelte Patrice verlegen. „Also, naja“, war auch Tatjana um eine Antwort verlegen. Und Velvet hielt erschrocken die Hände vor den Mund. „O-oh! Sie hat Recht, oder!? I-ich meine, ich weiß ja, dass ich manchmal etwas panisch bin, a-aber-!“ Derweil führte die Direktorin ihre Erklärung zum Turnier fort. „Ab 10:00 Uhr müssen Sie alle bis zum Unterrichtsschluss um 16:00 Uhr alle zwei Stunden ein Duell bestreiten, andernfalls werden Sie disqualifiziert. Es wird via Single Elimination gespielt, wer sein Duell verliert, scheidet aus dem Turnier aus. Der letzte verbliebene Duellant ist der Champion unserer Schule.“   Während die ergraute Frau damit fortfuhr zu erklären, dass die Ergebnisse des Turniers relevant für die Profiliga-Bewertung waren, ließ Velvet den Kopf hängen. „Vielleicht sollte ich gar nicht erst teilnehmen“, seufzte sie. „Herzchen, -dann- bist du hier sowieso falsch“, belehrte Tatjana sie streng und rollte mit den Augen, als ihre Freundin nur noch schwerer seufzte. „Wie einfühlsam“, zischte Isaac bitterböse. Er beugte sich von hinten über Velvets Schulter. „Denk an unseren Traum. Du bist eine gute Duellantin, die einfach selbstbewusster werden muss.“ „Das sehe ich genauso!“, stimmte Patrice ihm zu. Auch Fabio nickte. „Yo! Wir suchen dir einfach schwache Gegner-“ „Fabio!“, zischte Tatjana und schüttelte den Kopf. „Nein!“ Da drehte sich Orion auf dem Schoß des Mädchens zu ihr um. „Velvet-chan, lass dich nicht beirren. Du bist stark! Viel stärker als du denkst! Du konntest mich besiegen!“ „M-meinst du? Aber nur, weil ich … du weißt schon was …“ Isaac nickte plötzlich. „Ja. Aber das ist ein Teil von dir. Einer, den du beherrschen willst. Nutze dieses Turnier doch, um deine Gabe zu schärfen.“ „D-das geht nicht! W-was, wenn irgendetwas Komisches passiert? U-und überhaupt glaube ich kaum, dass ich das in normalen Duellen-!“ Da sprang Tatjana wütend von ihrem Platz auf. „Jetzt ist aber Schluss! Nimm dein Deck in die Hand, geh raus in die Welt und streng dich verdammt nochmal an! Wie willst du jemals wachsen, wenn du bei jeder kleinen Hürde gleich kneifen willst!?“ „Äh, Tatjana?“, versuchte Patrice vorsichtig ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. „Du bist so viel besser als du glaubst“, wurde die Deutsche einfühlsamer, „erinnere dich nur an die ganzen Duellsituationen, die man in einem Zug lösen musste. Keiner war darin besser als du!“ Isaac räusperte sich lautstark. „Ahem.“ „Ja, ja, Streber, keiner außer dir!“, winkte Tatjana ab. „Und -obwohl- du so ängstlich bist, weißt du trotzdem immer noch, was du tun musst um zu gewinnen. Verliere das nicht aus den Augen!“ Fabio sah vorsichtig an ihr vorbei. „Tatjana …?“ „Was!? Unterbrich mich nicht, wenn ich eine Freundschaftsrede halte!“ „Miss Neumann, Sie können Ihre Rede gerne vor der ganzen Schülerschaft halten, wenn Sie möchten. Aber bitte unterbrechen Sie dabei nicht meine“, kam es da vom Podium aus. Heiser kichernd drehte sich Tatjana langsam zu Mrs. Vinewood um, die zornig funkelnd am Rednerpult stand und die Hände in die Hüften gestemmt hatte. „E-entschuldigung.“ Prompt ließ sie sich wieder in ihren Stuhl sinken. Und die Direktorin fuhr mit ihren Ausführen fort.   Nach einer kurzen Weile peinlichen Schweigens sagte Isaac trocken: „Da das jetzt geklärt ist, wäre das die ideale Gelegenheit, dich an deine Wettschuld zu erinnern, Tatjana.“ „W-was?“, flüsterte die aus Angst, wieder ermahnt zu werden. „Ja. Du hast das Duell von neulich verloren. Ich fordere die Schuld ein – heute, jetzt. Zu Beginn des Turniers.“ „D-d-das kann nicht dein Ernst sein!“ Velvet, die innerlich noch ganz aufgewühlt von den Worten ihrer Freundin war, fragte: „Was habt ihr denn vereinbart?“ „Das wirst du sehen. Schon sehr bald“, versprach Isaac mit einem schadenfrohen Lächeln auf den Lippen und Tatjana lief aus unergründlichem Anlass puterrot an.   ~-~-~   Als Anya die kleine Küche der Bauers betrat, saßen Zanthe und Claire bereits am runden Holztisch und aßen Cornflakes mit Milch. Matt seinerseits schien im Wohnzimmer mit Valerie und Abby fernzusehen und Anya fragte sich, seit wann ihr Haus zur Gruppenunterkunft geworden war. „Morgen, Sonnenschein“, grüßte der Werwolf sie. „Klappe!“ Anya schielte Claire feindselig an, die wie eine Maschine den Löffel in den Mund nahm und wie in Zeitlupe wieder in die Schüssel eintauchte. „Ugh!“ „Schlecht geschlafen?“, fragte der Kopftuchträger schelmisch. „Oder vielleicht zu gut? Schmutzige Träume gehabt von Zungenaktion mit-!“ Aber er unterbrach sich selbst, bevor Anya – deren Augen wieder mal gefährlich nahe dran waren, aus den Höhlen zu hüpfen – überhaupt etwas sagen konnte. „Ach, egal. Du machst dir Sorgen, hab ich Recht?“ „Yeah“, brummte das Mädchen verstimmt. „Zoey hat sich immer noch nicht gemeldet. Und was wir heute vorhaben, na da kann man doch nur schlecht schlafen, oder?“ Zanthe seufzte und legte seinen Löffel in die Schüssel. „Stimmt. Ich hab auch kaum ein Auge zugekriegt.“ „Fragt mich mal“, sprach Matt da, als er zusammen mit den beiden anderen Mädchen in den Flur kam. „Hab die ganze Nacht die Beschwörungsformel rezitiert, damit mir nachher kein Fehler unterläuft.“ Anya und die drei anderen verteilten sich in der Küche. Valerie fragte schließlich. „Wir wollen das wirklich durchziehen und Stoltz beschwören?“ „Ja“, nickte Matt fest, der am Kühlschrank lehnte. „Ich will die Wahrheit wissen.“ „Ich auch“, bestätigte Anya. „Hab da sowieso noch was, was ich wissen will …“ Abby, die am Tisch Platz genommen hatte, sagte traurig: „Und wir müssen verhindern, dass sich so eine Tragödie wiederholt. Auch wenn sie Undying sind, haben sie kein Recht, so etwas zu tun.“ „Das siehst du so“, meinte Valerie, „aber von den Dreien ist Stoltz am weitesten weg von jeglicher Form von Menschlichkeit.“ Zanthe erhob sich. „Leute, ich habe mir überlegt, wo wir ihn beschwören.“ „Hatten wir uns gestern Abend nicht noch entschieden? Im Wald, wo sonst?“, meinte Anya sofort, doch der Werwolf widersprach. „Nein, gerade dort nicht. Da wären wir zwar ungestört, aber ebenso könnte Stoltz all seine Kräfte gegen uns einsetzen. Nein. Wir rufen ihn zu einem Ort in der Stadt – wo wir zwar ungestört sind, aber er auch kein Chaos verbreiten kann, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.“ „Du willst … was?“, staunte Valerie. Der gebürtige Italiener versuchte seinen Gedanken noch einmal zu erklären. „Umringt von Menschen wird er sich zurückhalten – jedenfalls hoffe ich das. Wenn nicht ihretwegen, dann um Ricther nicht zu verärgern. Wir werden bewusst keinen Bannkreis benutzen.“ Er tippte mit geheimnisvollem Gesichtsausdruck gegen seine Stirn. „Glaubt mir, das was mir da vorschwebt wird klappen.“ „Das ist ein sehr riskantes Spiel“, gab Matt zu bedenken. „Was, wenn ihn das alles nicht interessiert?“ „Ihn vielleicht nicht, aber gewisse andere, höhere Mächte wird es interessieren, wenn sie das Gleichgewicht zwischen unserer Welt und der Unterwelt wahren wollen.“ Zanthe sah Anya an. „Wir müssen auch bedenken, dass wir vielleicht trotz unserer Fortschritte nicht stark genug sein werden, um ihn fertig zu machen. Da kann etwas Hilfe von außerhalb nicht schaden.“ „Und wenn diese 'Hilfe' sich gegen uns stellt – wenn sie überhaupt kommt?“, fragte Valerie skeptisch. Zanthe lachte. „Dann wird das Ganze noch unterhaltsamer. Macht euch deswegen nicht zu viele Gedanken.“ „Und wo soll das nun sein?“, verlangte Anya zu wissen. „Wir hatten die Idee schon. Der Schrottplatz. Dort ist normalerweise niemand und er ist groß und abgeschottet genug, damit nicht jeder gleich einen Blick auf unseren Mr. Universe erhaschen kann.“ Matt fasste sich ans Kinn und überlegte. „Dadurch gefährden wir Unschuldige. Wir können ihn nicht gut genug einschätzen um zu wissen, ob er sich wirklich im Mittelpunkt der Öffentlichkeit zurückhalten würde. Ich halte das für keine gute Idee.“   Auch Anya glaubte nicht daran und der Werwolf sicher ebensowenig. Nein, er rechnete wahrscheinlich sogar damit und hatte irgendeinen perfiden Plan. An welche 'Hilfe' dachte er? Andererseits war es einen Versuch wert. Sie kannten ja kaum seine wahren Kräfte und die würde er definitiv auf sie loslassen, wenn er sich sicher fühlte. „Das können wir nicht tun!“, begehrte Abby da auf. „Wir dürfen die Livingtoner nicht in Gefahr bringen. Es bleibt nur ein Ort, der weit weg von Zivilisation ist, um ihn zu rufen.“ „Nein. Dort sind wir ihm ausgeliefert“, widersprach ausgerechnet Valerie. „Mir behagt es auch nicht, aber wir müssen darauf bauen, dass er sich an seine Direktive hält.“ Zanthe fügte düster an: „Oder sein wahres Gesicht zeigt.“ Das war es, was er wollte, erkannte Anya. Und auch die anderen, als sie nach und nach nachdenkliche Geräusche von sich geben. „Dann … machen wir es so“, entschied die Blonde und sah Matt dabei an, „es sei denn, du hast was dagegen, Summers. Bei dieser Operation bist du der Boss.“ „Es sind schon zu viele Unschuldige gestorben. Aber“, sagte er und schluckte, „je schneller wir diese Bestie zur Strecke bringen, desto besser.“ Abby schüttelte den Kopf. „Nein!“ „Doch.“ Valerie, die an der Spüle lehnte, richtete sich auf. „Abby, wir müssen etwas tun. Und wenn wir es nicht schaffen …“ „… dann soll der Richter das Urteil fällen“, sprach Anya den Gedanken aus, den vermutlich auch die anderen sans Abby hegten. Jene ließ sich unzufrieden wieder auf ihren Stuhl fallen. Sagte: „Tut bloß nichts Unüberlegtes. Bitte!“ „Es reicht, wenn ich, Anya und Zanthe gehen.“ Matt sah Valerie von der Seite an. „Bleib du mit Abby hier und kümmere dich um Claire.“ „Ich komme auch mit!“, warf Abby sofort empört ein. „Wenn ihr so etwas Irrsinniges tut, werde ich bestimmt nicht hier warten und Däumchen drehen!“ Anya, die wusste, dass es sinnlos war zu diskutieren, stöhnte: „Fein, dann komm halt mit. Vielleicht kannst du ja später irgendwas für uns aushandeln.“ „Und da sind wir wieder bei einer lustigen Runde 'Wir schließen Valerie Redfield aus'“, murrte die derweil und verschränkte die Arme. Die Schwarzhaarige haderte mit sich, ehe sie schließlich sagte: „Aber gut, ich sehe selber ein, dass ich gegen Stoltz nichts ausrichten kann. Ich bleibe hier.“ Matt stammelte erstaunt: „D-das war ja einfach.“ Doch da kam schon der erhobene Zeigefinger des Mädchens. „Unter einer Bedingung! Ich komme auf der nächsten Mission mit, -egal- um was es sich dabei handelt.“ „Oh man“, stöhnte der Dämonenjäger im schwarzen Ledermantel. „Gibt es überhaupt eine?“, fragte Anya. Natürlich! Die Militärbasis! Wir haben da noch ein Date, Schatz!   In dem Moment tauchte inmitten der Küche der gold-schwarze Kakerlakenritter [Evilswarm Exciton Knight] auf, den der Immaterielle Thoras verkörperte. „Ach das“, erinnerte sich Zanthe. „Ich erinnere mich. Die hast du doch 'ne ganze Weile beobachtet, oder?“ Matt murrte: „Ja. Aber was es damit auf sich hat, erkläre ich euch, wenn wir mit Stoltz fertig sind.“ „Klingt doch interessant“, meinte Valerie an Thoras gewandt. „Wir können gerne ein Doppeldate draus machen.“ Dann müssen wir dir nur noch einen Partner suchen.   „Gibt ja genug zur Auswahl“, zwinkerte Valerie vergnügt. „Dann ist es gebongt“, meinte Anya abschließend, „Redfield und Roboburg bleiben hier, der Rest geht zum Schrottplatz. Graben wir diese scheiß Mumie aus und treten ihr dermaßen in den Arsch, dass unsere Schuhe aus ihrem Maul ragen werden!“   ~-~-~   Eine Weile nachdem Anyas Gruppe sich auf den Weg zum Schrottplatz gemacht hatte, klingelte es unvermittelt an der Haustür der Familie Bauer. Valerie, die alleine mit Claire war und ihr gerade im Wohnzimmer verzweifelt versuchte, den Sinn von Quizsendungen beizubringen, horchte auf. Es klingelte nochmal. „Zum Glück ist Anyas Großmutter Bier kaufen“, murmelte sie beim Aufstehen aus dem Sessel, „gestern hat sie dem Postboten ein blaues Auge verpasst. Mach so etwas bloß nicht nach.“ Claire, die ebenfalls aufstand, erwiderte monoton: „Gewalt ist keine Lösung, um Menschen zum Schweigen zu bringen.“ „Ganz recht.“   Etwas irritiert davon, dass die blonde Weltmeisterin ihr in den Flur bis zur Haustür folgte, öffnete Valerie die Tür und musste erstaunt feststellen, dass ihr Gegenüber kleiner war als sie selbst. „Hi“, murrte Logan grimmig, hatte einen schwarzen Motorradhelm unter den Arm geklemmt, „ist die Kleine da?“ „Er meint Anya Bauer“, wusste Claire sofort. Logan bedachte sie dabei eines unergründlichen Blicks. „N-nein, die ist gerade unterwegs.“ Valerie kannte den knapp 1,65 Meter großen Mann mit den Mörderkoteletten nicht gerade gut, sie hatten sich zwar schon gesehen, aber nie wirklich miteinander gesprochen. Aber sie fand, dass er gut zu Anya passte. „Und wo ist sie hin?“, wollte er wissen. Was sie ihm natürlich nicht sagen durfte. „Ich glaube ins-“ „Sie ist zum Schrottplatz.“ Erschrocken wirbelte Valerie um. „Claire, das ist-!“ „Verstehe. Danke.“ Logan hob die Hand zum Gruß und wandte sich bereits ab, schritt durch den Garten herüber zu einem schwarzen Motorrad, das vor dem Grundstück stand. „W-warten Sie-!“, versuchte Valerie ihn noch aufzuhalten, aber er setzte sich im Gehen seinen Helm auf und ignorierte sie.   Während er sich auf seine Maschine schwang, drehte sich Valerie wieder ungläubig zu Claire um und stemmte ihre Hände in die Hüften. „Du kannst nicht einfach solche Dinge ausplaudern!“ „Begründe.“ „Das sind Geheimnisse!“ „Zanthe sagte, Geheimnisse seien schlecht.“ Die Schwarzhaarige runzelte verärgert die Stirn. „Das muss gerade der von uns sagen, der vermutlich die meisten hat. Nimm dir daran kein Beispiel, Claire.“   Jene sah sie jedoch nur analysierend an. Innerlich kochte Valerie regelrecht, denn ohne es zu wissen, hatte die Blonde gerade möglicherweise ihr Todesurteil unterschrieben. Denn wenn Logan Carter auf dem Schrottplatz auftauchte, während Anya und die anderen Stoltz bekämpften, würde das ein übles Nachspiel haben. „Ich ruf Abby an, die müssen das abblasen“, schloss Valerie und zückte sofort ein weißes Smartphone, das sie ans Ohr legte. Doch je länger das Freizeichen ertönte, desto unruhiger wurde sie. Claire horchte auf. „Ich höre etwas. Es kommt von oben.“ Langsam ließ Valerie das Telefon von ihrem Ohr sinken. „Was hörst du …?“ „Wolfgang Amadeus Mozart, Eine kleine Nachtmusik – als Klingelton.“ Was der Anrufenden keine andere Wahl ließ, als sich die Hand vor die Stirn zu schlagen, kannte sie doch nur eine Person, die sich so etwas anhörte.   ~-~-~   Den Weg zum Schrottplatz meisterte die Gruppe rund um Anya zu Fuß. Dabei wurde nur wenig gesprochen, was insbesondere daran lag, dass Abbys tadelnde Blicke bei jedem falschen Wort eine Standpauke androhten. So standen sie nach einer halben Stunde vor dem großen Eisentor, das Anya mit festem Griff aufschob. Die Berge an Elektrogeräten, Metallplatten oder auch Stapel von Unfallautos zeugten davon, dass hier zwar viel abgegeben wurde, jedoch ansonsten wenig Betrieb herrschte.   „Das letzte Mal, als wir Drei hier waren, gab's ziemlichen Zoff“, erinnerte sich Anya. Hier hatte ihre erste Begegnung mit Matt stattgefunden, als dieser noch von dem fehlgeleiteten Alastair dazu gebracht worden war, Abbys Bruder Michael und Nick zu entführen. All das nur, um Abby dahingehend zu erpressen, sich gegen Anya zu stellen. „Musst du mich daran erinnern?“, fragte die Brillenträgerin angekratzt. „Ja, muss sie. Was ist passiert?“, wollte Zanthe dagegen sofort wissen. Auch Matt schien davon jedoch nicht sonderlich angetan. Er winkte ab. „Lange Geschichte. Erzähle ich dir irgendwann mal. Wichtig ist, dass wir uns jetzt besser verstehen. Du weißt, dass es mir leid tut.“ Er sah Abby von über die Schulter hinweg an, die zögerlich nickte.   Zusammen schritten die Vier über den Platz, vorbei an Schrottbergen über Schrottbergen. Abby, die etwas hinter den anderen her trottete, sagte schließlich besorgt: „Bitte tut nichts Unüberlegtes. Denkt daran, dass viel auf dem Spiel steht, okay?“ Die Blonde drehte sich im Laufen zu ihrer Freundin um, sah aber nicht in ihre braunen Augen. „Je nachdem, wie die Wahrheit nun aussieht, kann es durchaus zu einem Kampf kommen.“ „Yeah“, nuschelte Matt dabei leise. „Und damit eins klar ist: Ich will keine Hilfe von Monstern, falls du darauf anspielst.“ „Sterben willst du aber auch nicht“, meinte Zanthe da trocken, „also tu uns den Gefallen und halte dich zurück mit dem, was du sagst. Und du auch, Matt.“ „Kann nichts versprechen …“ Anya nickte dem Dämonenjäger zu. „Dito!“ Da blieb Zanthe stehen. „Müssen wirklich noch mehr Leute leiden? Selbstjustiz in allen Ehren, aber es reicht. Auch wenn es nicht einfach ist, sollte man manche Dinge akzeptieren. Besonders wenn man sie nicht ändern kann.“ „Dann warte hier“, meinte Anya gleichgültig und zog an ihm vorbei, doch er packte sie am Arm und hielt sie fest. „Ich meine es ernst! So schwer es dir auch fällt, nimm das Angebot mit dem Homunkulus an und dann halt dich aus deren Angelegenheiten raus!“ Anya drehte sich trotzig zu ihm um, doch er war noch nicht fertig. „Lebe lieber deinen Traum von einer Profikarriere.“ Erst wollte sie ihn anmaulen, doch ihr wurde bewusst, dass er sich nur um sie sorgte. „Ist ein bisschen spät für Zweifel. Wir müssen das tun.“ Der Werwolf ließ den Kopf hängen, ließ sie los. „Ich weiß …“ Matt sah ihn verärgert von der Seite an, sagte jedoch nichts und zog dann zusammen mit Anya als Vorhut voran. Abby stellte sich neben Zanthe und seufzte. „Ihre Schuldgefühle sind einfach zu groß. Ich finde es nicht fair von Matt, das für seine Rache auszunutzen.“ „Er nutzt es nicht aus“, widersprach der Kopftuchträger resignierend, „er will nur Antworten.“ Doch Abby schüttelte den Kopf. „Doch, Zanthe. Vielleicht nicht mit Worten, aber er tut es, glaub mir. Und wenn er seine Antworten hat, was dann? Glaubst du wirklich, sie werden ihn milde stimmen?“ Die beiden sahen einander deprimiert an, ehe der Werwolf leise sagte: „Als ob.“ „Was ist jetzt? Kommt ihr nun oder nicht?“, rief Matt, der mit Anya schon ein ganzes Ende von ihnen entfernt war, ungeduldig. Letztere verschränkte die Arme. „Dass die immer alles infrage stellen müssen…“ „Wir wissen doch längst, worauf das hinauslaufen wird“, stimmte Matt ihr zu. „Ich tue das ja nicht nur meinetwegen.“ „Mal sehen, was wir mit Worten erreichen werden.“ Anya sah ihren beiden Freunden entgegen, die sich in Bewegung setzten. „Aber bevor wir auf Stoltz losgehen, lass mich bitte erst etwas fragen, ‘kay?“ „Was wäre das?“, fragt er erstaunt. „Wirste dann schon sehen.“ Als Zanthe und Abby aufschlossen, zogen sie wieder zu viert weiter, bis sie schließlich einen größeren Platz in der Mitte der Müllhalde erreichten. „Hier ist es gut“, Matt griff in seine Manteltasche, „ich muss nur kurz-“ „Nope, das wird wahrscheinlich nicht mal nötig sein.“ Anya rollte mit den Augen. „Ich wette, -die- beobachten mich sowieso rund um die Uhr. Und wenn dem so ist: Komm raus, du elende Missgeburt! Ja, ich meine dich, Stoltz!“ Die letzten beiden Sätze schrie sie mit solcher Inbrunst, dass die anderen Drei zusammenzuckten. Zum Leidwesen aller war Anya noch nicht fertig. „Wir wollen Antworten! Was hast du mit dem Waisenhaus angestellt! Wir wissen, dass du es warst!“ Aber es geschah gar nichts. Das Mädchen trat einen Schritt vor und breitete die Arme aus. „Ich weiß, dass du mich beobachtest! Ich könnte ja eure wertvolle 'ewige Ordnung' gefährden! Und das werde ich, wenn du dich nicht gleich zeigst!“ „Anya-!“, wollte Abby sie bremsen, doch Zanthe hielt sie kopfschüttelnd davon ab. „Wenn du nicht in fünf Minuten hier bist, werde ich die Sache mit Ricther klären!“, fauchte Anya aufgebracht weiter. „Und falls der gerade ebenfalls zusieht, oder meinetwegen auch Zed: Vielleicht könnt -ihr- uns auch erklären, was da damals passiert ist! Huh!?“ Damit holte sie tief Luft und verstummte. „Ich, ähm, fang dann mal mit der Beschwörung an“, meinte Matt vorsichtig, doch ein Todesblick der Blonden gebot ihm umgehend Einhalt. „W-wir können auch die fünf Minuten warten, wenn du willst.“ Grimmig nickte sie.   Und so warteten die Vier. Vergeblich. Stoltz zeigte sich nicht. Nachdem Anya immer ungeduldiger mit dem Fuß auf dem Boden tippte, platzte ihr schließlich der Kragen. „Alles klar, dann eben anders! Summers-!“ Doch bevor sie ihren Satz vollenden konnte, öffnete sich auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes ein schwarzes, ovales Portal. Die Vier hielten den Atem an. Denn aus ihm schritt ein Wesen mit langen, dürren Gliedmaßen, einbandagiert und mit einer dünnen Brustpanzerung bedeckt. Auch trug es einen Helm mit Visier über dem rechten Auge, welches ebenso von Bandagen bedeckt war. Der über zwei Meter große Stoltz legte seine dürre Hand, deren verschrumpelte, braune Haut unter dem lose gebundenen Stoff hervor schien, auf seine Brust und verneigte sich. „Der Undying ist dem Ruf gefolgt. Welch dreiste Worte die Menschlinge doch benutzen, um ihn hierher zu locken.“ Er grinste sie mit fauligen Zähnen an. „Was ist wohl ihr Begehr?“ Abby schnappte bei seinem Anblick fassungslos nach Luft. „Schön, dich wiederzusehen“, flötete Zanthe vergnügt, „du bist wie immer wunderhässlich.“ „Der verräterische Hüter.“ „Du elender-!“, schnappte Matt. Anya streckte aber ihren Arm aus und hielt ihn zurück. „Bevor wir zu dem Grund kommen, weswegen wir dich gerufen haben, habe ich noch eine Frage an dich, Bandagenfresse“, murrte Anya und sah aus den Augenwinkeln den Dämonenjäger mit berechnender Schärfe an. Jenen kostete es sichtliche Mühe, sich schnaufend zusammen zu reißen. Sie blickte Stoltz direkt in das sichtbare, glasige Auge. „Beantworte mir eins. Gibt es einen freien Willen?“ Nicht nur ihn überraschte diese Frage, auch Zanthe und Abby schnappten überrascht nach Luft. „Wie kommst du darauf?“, fragte der Werwolf ungläubig. „Ist nicht so, als ob ich mir vorher groß den Kopf drüber zerbrochen habe. Aber vorhin kam mir diese Frage einfach.“ Anya sah weiterhin Stoltz an. „Der Ätherfluss ist die Zukunft. Das heißt, dass alles bereits vorgeschrieben ist. Kein freier Wille. Stimmt das?“ Der Undying zeigte ihr ein schiefzähniges Grinsen. „Der Menschling stellt amüsante Fragen. Aber er hat nicht Unrecht. Die Zukunft existiert bereits. Es ist das oberste Gebot der ewigen Ordnung, sie nicht zu verändern.“ „Doch es gibt Ausnahmen“, wusste Anya, „nicht wahr?“ Er grinste noch breiter. „Die Immateriellen. Sie sind imstande, dem Schicksal – der Zukunft – einen neuen Pfad hinzuzufügen.“ Anya kniff die Augen fest zusammen. „Im Gegensatz zu einfachen Menschen besitzen sie also so etwas wie einen freien Willen. Aber sie sind nicht die Einzigen, hab ich Recht?“ Anya Bauer, worauf willst du hinaus?   Als sie Levriers Stimme hörte, tat Anya etwas Ungewöhnliches. Sie ignorierte ihn völlig. „Antworte, elende Kackmumie! Es gibt noch jemanden in dieser Welt, der einen freien Willen besitzt.“ Anya hob die Hand, zeigte dann Zeige-, Mittel- und Ringfinger. „Oder besser gesagt: Drei!“ „Die Undying?“, staunte Zanthe. Stoltz verneigte sich perplexerweise vor den jungen Menschen. „Dem ist so.“ „Yeah. Dacht ich's mir doch. Aber ihr kennt die Zukunft nicht. Ihr wisst nicht, was passieren wird und deshalb habt ihr solche Angst davor, dass irgendjemand in den Ätherfluss eingreift.“ Als sich der Undying erhob, erlosch sein Lächeln. „Wie überaus scharfsinnig für ein Menschenkind, dessen Potential so gering ist.“ Anya brummte: „Das hab ich jetzt mal überhört.“ „Die Undying sind nicht Teil des Ätherflusses. In ihren Gefäßen fließt kein Äther.“ Fast schon erschrocken hörte Anya Levrier mehr zu sich als zu ihr sagen: Ich verstehe! Und weil sie keinen Äther in sich tragen, sind sie kein Teil der Geschichte. Kein Teil der Zukunft. Leben im Verborgenen, weil ihre bloße Existenz einen Wandel bedeuten würde.   „Und jetzt beantworte mir eins“, knurrte Anya mit einem Male unsagbar feindselig, „wieso musstest du dutzende Unschuldige umbringen, du Bastard!?“ Matt stieß erschrocken Luft hervor, kam diese Frage, die er doch stellen wollte, völlig unerwartet. Stoltz hob seinen langen Arm, gestikulierte so lapidar, als ginge ihn das alles nichts an. „Deine Fragen werden anmaßend, Kind. Doch der Undying ist guter Stimmung.“ Er grinste breit. „Er lässt das Mädchen gerne Teil haben an seinem Wissen. Schließlich bist -du- des Richters Liebling.“ „W-was?“ Statt auf die Irritation der Blonden einzugehen, fuhr er fort. „Als die Menschlinge das zweite Artefakt an sich gerissen haben, kam der Undying und sprach seine Warnung. Doch: Undying sind ohne Äther. Nichts kann dauerhaft ohne ihn existieren, nicht einmal die Unsterblichen.“ Mit jedem Wort wurde das Grinsen von Stoltz größer. „Und so entschied er in diesem Zuge, eine weitere Warnung auszusprechen. Es ist nicht seine Schuld, dass die Botschaft erst so spät empfangen wurde.“ „Was willst du damit sagen?“, hauchte Matt heiser. „D-die Kinder, Al, Alector … du hast sie … um eine … Warnung auszusprechen?“ „Das ist Bullshit!“, fauchte Zanthe außer sich und trat einen Schritt vor, doch Abby packte ihn von hinten an der Schulter und schüttelte den Kopf. Mit unterdrücktem Zorn presste er hervor: „Du hattest uns bereits deine Botschaft zukommen lassen! Wieso dieses Massaker!?“ Das Wort ließ Matt erzittern. „Hehehe. Der Undying hatte nicht mehr genug Kraft, um nachhause zurückzukehren. Dort, wo die Unsterblichen ihre Stärke zurückerlangen. Also musste er einen Ausweg finden.“ Sein Grinsen erreichte einen absurden Höhepunkt. Beide Mundwinkel waren so weit erhoben, dass sie sich über das halbe Gesicht zu erstrecken schienen. „Eine alternative Ätherquelle finden.“ „Du elender Bastard!“, platzte Anya da der Kragen. Sie stampfte so fest mit dem Fuß auf, dass es schon weh tat. „Du hast diese Kinder ermordet, um an ihren Äther zu kommen!?“ „Vielleicht hat er das“, gluckste Stoltz herausfordernd. Da weitete Matt die Augen. Und Anya ließ den Arm, der ihn zurückhielt, bewusst sinken. Der Dämonenjäger trat einen Schritt vor, sah aber auf den Boden. „So ist es also. Sie sind tot“, sprach er leise, aber beherrscht. Keine Antwort. „In dem Fall ist die Sache klar. Du hast etwas getan, das nur deinem Blutdurst zuzuschreiben ist. Ein unsterbliches, unglaublich mächtiges Wesen wie du ist nicht nach einem halben Duell so erschöpft, dass es nicht nachhause zurückkehren kann.“ Matt sah auf. Er funkelte den Undying feindselig, aber auch entschlossen an. „Ich weiß dank Zed, wozu ihr imstande seid.“ „Oh?“, machte Stoltz fasziniert. „Dementsprechend kommen wir nun zu unserer Forderung. Wir wussten von Anfang an, dass du dahinter steckst.“ Matt hob langsam den Arm. „Nur eins verlangen wir. Verlange ich. Wiedergutmachung. Du wirst sie zurückholen. Alle! Jeden-einzelnen!“ Mit jedem Wort drang sein Zorn, sein Schmerz mehr durch. „Sie werden wieder leben. Die Kinder. Alastair. Alector. Die Erzieherinnen. Du wirst alle wieder zum Leben erwecken. Egal zu welchem Preis.“ Mit einem Mal fragte der Riese völlig unterkühlt: „Und wenn nicht?“ „Dann zwingen wir dich“, gab ihm Anya deutlich zu verstehen. „... nein.“ Auf seine eisige Antwort bohrte sich die Blonde bewusst im Ohr. „Wie bitte? Ich hab dich nicht verstanden.“ Auch Zanthe reckte überrascht den Kopf, doch drehte diesen dann irritiert zur Seite, als würde er gar nicht zuhören. „Hm? Was ist das …?“ „Nein.“ Stoltz derweil lachte kurz auf. „Die Undying sind niemandem Rechenschaft schuldig. Schon gar nicht solch erbärmlichen Kreaturen wie euch.“ „Erbärmlich also?“, wiederholte Anya und stellte sich neben Matt, fasste dem zitternden Dämonenjäger auf die Schulter. „Mag sein, dass wir dir so erscheinen. Mir Banane, um ehrlich zu sein. Aber du hast etwas genommen, das dir nicht gehört hat. Und ich will verdammt sein, wenn ich mir die Dinge, die man mir oder meinen Freunden nimmt, nicht wieder zurückhole.“ Zanthe stellte sich nickend neben sie. „Du bist ein Massenmörder, Undying. Aber auch mächtig genug, Wunder zu bewirken, dessen bin ich mir sicher. Wenn der Sammler es kann, dann ihr auch! Mach wieder gut, was du getan hast!“ „Nein!“, kam es schärfer und den Dreien wehte ein heftiger, eisiger Wind wie aus dem Nichts entgegen. Doch sie blieben standhaft. „Das ist schrecklich“, murmelte Abby hinter ihnen indes nur erstickt.   Matt, Anya und Zanthe tauschten untereinander intensive Blicke aus. Einer nach dem anderen hob seinen Arm. Erst aktivierte sich Matts schwarzes D-Pad, dann Anyas neue Duel Disk und zum Schluss verwandelte sich Zanthes Armreif in einen Handschuh. „Dann lösen wir das eben auf die einzige Art und Weise, die immer funktioniert“, sprach Anya abschließend. Dagegen klang Matt fast schon resignierend. „Ich habe nichts anderes erwartet. Wir sind euch völlig egal. Aber wenn eine Chance besteht, nur eine kleine, auch wenn sie noch so absurd ist, kämpfe ich.“ Seine Augen flackerten regelrecht, als er aufblickte. „Und wenn ich keine Chance habe, sie jemals wieder zu sehen, dann will ich wenigstens eins: Sie mit dem Wissen gehen lassen, dass ihr Schlächter bestraft wurde!“ „Und damit meinen wir keinen Klaps auf den Po“, relativierte Zanthe bitterböse, „wir werden dir zeigen, dass Unsterblichkeit auch ihre Tücken hat.“ Da begann der Undying leise zu lachen. „Interessant. Wahrlich.“ Er breitete seine langen Arme aus. „Dann kommt, Menschlein. Unterhaltet den Undying.“   Es ist also besiegelt. Ich hoffe, das ist kein Fehler, Anya Bauer! Ich bin zu jung und zu hübsch zum Sterben! „Keine Sorge, Levrier!“ „Schnauze, Thoras!“, kam es parallel von Anya und Matt auf die Sorgen ihrer Immateriellen hin. „Diesmal werden wir dich durch richtiges Teamwork besiegen“, versprach die Blonde im Anschluss düster an Stoltz gewandt und sah zu ihren beiden Freunden neben sich, „deswegen werden wir die Aufstellung etwas ändern!“ Abby platzte jedoch unvermittelt dazwischen und packte die Blonde am Arm. „D-das kannst du nicht tun! Sicher gibt es einen anderen Weg.“ „Nein“, riss Anya sich los, „sorry Masters, aber der da muss bestraft werden. Durch uns!“ Das brünette Mädchen sah unsicher zu Matt und Zanthe, atmete tief durch und sagte entschlossen: „Musst du immer so dickköpfig sein? Fein! Aber dann lass mich wenigstens helfen!“ Lächelnd schüttelte Anya den Kopf. „Geht nicht.“ „Bitte“, meinte auch Zanthe, löste sich von seiner Position und packte Abby sanft an der Schulter, führte sie ein paar Schritte weg, „wir kriegen das schon hin.“   Er schnüffelte zeitgleich und verzog die Augen zu Schlitzen. Also war das eben nicht irgendwer gewesen, sondern -er-, der ihnen hierher gefolgt war. Eigentlich kein Wunder, wenn man es recht bedachte. Trotzdem, das entsprach absolut nicht Zanthes Plan. Logan durfte sich auf keinen Fall hier einmischen. „Außerdem kannst du uns anders helfen“, flüsterte Zanthe in ihr Ohr, „Anyas Liebhaber ist auf den Weg hierher, du musst ihn unbedingt abfangen und verhindern, dass er sich hier einmischt.“ „W-was? Anya hat-!? Wieso weiß ich nichts davon!?“ „Pscht!“, mahnte Zanthe sie mit Zeigefinger auf den Lippen zur Ruhe. „Ist noch ganz frisch. Du kennst Logan ja bereits.“ „Ja, aber nur vom Telefon.“ „Dann lernst du ihn jetzt persönlich kennen. Hopp, er ist schon am Tor“, forderte er Abby mit einem leichten Klapps auf den Hintern dazu auf, den Mann abzufangen, ehe er sich erreicht hatte. „H-hey, ich habe nie zuge-!“ „Du schaffst das schon“, schnitt ihr der Werwolf das Wort ab und zwinkerte verschwörerisch, „lass ihn auf keinen Fall hierher. Es würde Anya das Herz brechen, wenn er herausfindet, in welchen Gefilden sie sich bewegt.“ Abby legte ihren Kopf schief, stöhnte dann aber resignierend. „Also gut. Aber passt bitte auf sie auf, ja?“ „Werden wir. Wenn der Zwerg nicht hört, duelliere dich oder benutz' deine Sirenenkräfte! Ich zähl' auf dich!“, meinte Zanthe grinsend, winkte kurz und eilte dann zu den anderen zurück.   Kaum war er wieder bei Anya, Matt und dem dauergrinsenden Stoltz angelangt, verwies Anya ihn mit einem Fingerzeig: „Du bist als Erster dran! Danach Summers! Und ich bring es zuende! Und was zur Hölle sollte das da mit Abby? Was hast du ihr erzählt!?“ „Nichts“, gab sich Zanthe unschuldig und stellte sich neben Matt auf, „sie bewacht den Eingang, damit niemand uns stört. Vor allem sie selbst …“ „Der Undying ist amüsiert“, brachte sich die Gruselmumie wieder ins Gespräch und breitete seine unnatürlich langen Arme aus, „wieder zu dritt. Sind die Menschen alleine zu schwach?“ Anya ließ von Zanthe ab und funkelte ihren Feind hasserfüllt an. „Von wegen. Jeder von uns wäre dazu imstande, es mit dir aufzunehmen! Wir beschleunigen den Vorgang lediglich.“ Matt presste die Lippen so fest zusammen, dass sie immer mehr Farbe verloren. „Wir werden dich demütigen“, knurrte Anya weiter, „und du wirst dich unserem Willen beugen und das, was du getan hast, begradigen. Egal -was- es dich kostet.“ „Der Undying bezweifelt dies.“ Dann brüllten alle vier synchron: „Duell!“   [Anya: 4000LP Matt: 4000LP Zanthe: 4000LP //// Stoltz: 4000LP]   „Oh, die Nostalgie“, summte Zanthe fröhlich, als alle vier ihr Startblatt von fünf Karten gezogen hatten. Doch insgeheim sorgte er sich um Abby. Hoffentlich war es kein Fehler gewesen, sie vorzuschicken. „Die Geschichte wiederholt sich“, sprach Stoltz und zog, gemäß den Regeln für Duelle mit unausgeglichenen Teams, eine Karte, „die drei Menschen werden erneut scheitern. Aber vielleicht wird der Undying dieses Mal Gnade kennen.“ „Wag' es nicht, von Gnade zu sprechen“, sprühte Matt förmlich vor Zorn. „Ruhe bewahren, Summers“, mahnte Anya ihn, „wir packen das!“ „Der Undying ist neugierig.“ Stoltz zeigte seine fauligen Zähne und legte eine Zauberkarte in seine Duel Disk ein. „Er aktiviert die permanente Zauberkarte [Centurion Core Unit]!“ Vor ihm stellte sich eine grün-umrandete Zauberkarte auf, die das Innere einer Maschine zeigte. Genau in dessen Mitte befand sich losgelöst und schwebend ein hellblau leuchtender Zylinder und so einer war es auch, der sich aus dem Artwork der Karte schob und reale Form annahm.   Centurion Core-Spielmarke [ATK/0 DEF/0 (10)]   „Der Undying kann einmal pro Zug einen Energiekern beschwören, wenn er keine Monster unter sich hat“, erklärte Stoltz gackernd. „Dadurch kann sich [Centurion Atlas] ohne Opfer erheben, ohne dabei seine Stärke zu verlieren!“ Ein eiskalter Wind wehte den drei jungen Menschen entgegen, als hinter ihrem bandagierten Gegner ein mehrere Meter großer, mechanischer Zentaur auftauchte, bestehend aus unzähligen Würfeln, die sich hin und wieder zurück bewegten, um die Umrisse des Wesens zu korrigieren. Unter seinem Helm stach ein rot leuchtendes Auge hervor.   Centurion Atlas [ATK/2500 DEF/2500 (10)] „Huh? Wovon redet er da?“ Anya blinzelte verwirrt. „Erinnere dich“, maulte Zanthe genervt. „Dieses Ding konnte ohne Tribut gerufen werden, aber verlor dabei seine Angriffspunkte. Anscheinend kann er das mit der Spielmarke umgehen.“ Und tatsächlich flog jener Zylinder in eine Öffnung an der Brust des riesigen Zentaurs und fügte sich passgenau ein. „Eine verdeckte Karte spielt der Undying noch aus“, verkündete jener mit einem fauligen Grinsen und beendete damit seinen Zug. Zanthe, Matt und Anya tauschten untereinander böse Blicke aus, dann nickten sie sich gegenseitig zu. Der Schlachtplan war bereits im Vorfeld ausgearbeitet worden.   ~-~-~   Während hinter ihr die Stimmung immer mehr kippte, rannte Abby den gewundenen Weg zurück zum Eingangstor entlang. Zum Glück versperrten die Schrottberge den Blick auf Stoltz, solange sie Logan rechtzeitig abfangen konnte. Tatsächlich stieg er gerade vor dem Tor von seiner Maschine, als sie ankam und legte seinen Helm ab. „H-hallo!“, rief Abby ihm noch im Rennen entgegen. Er sah sie mit einem erstaunlich forschen Blick an. „Bist Abigail, richtig?“ „J-ja.“ Sie hielt einige Meter vor dem Tor an, welches der kurz gewachsene Mann aufschob. „Ist die Kleine dort?“, fragte er dabei angespannt und nickte an dem brünetten Mädchen vorbei. Die überlegte erst, ob sie eine Lüge erzählen sollte und fummelte nervös am Saum des Ärmels ihrer weißen Bluse. Dann aber biss sie innerlich die Zähne zusammen und nickte. „Ja. Aber Sie dürfen sie jetzt nicht stören, Mr. Carter.“ „Logan passt.“ Als er das sagte, stürmte er bereits weiter, doch Abby sprang zur Seite und ihm in den Weg. „Bitte!“, flehte sie inständig. „Es wäre sehr-“ Doch Logan packte sie sanft an der Schulter und versuchte sie wegzuschieben, etwas, das bei der jungen Frau auf wenig Gegenliebe stieß. Sie packte ihn unvermittelt am Handgelenk und wollte sich bereits brüskieren, da durchfuhr es sie wie ein Blitz. Erschrocken wich sie zurück.   Seinerseits blieb der Mechaniker ebenfalls stehen und sah sie nachforschend an. Einen Moment schwiegen beide, dann sagte Abby mit klammer Stimme: „Anya will ungestört sein. Das müssen Sie respektieren.“ „Bin vielleicht der Einzige, der das Mädel vor einer großen Dummheit bewahren kann.“ Was Abby umso mehr alarmierte. Er konnte doch eigentlich gar nicht wissen, was Anya vor hatte. Zugegeben, meistens war es nicht schwer zu mutmaßen, dass es nichts Gutes war, trotzdem schien er sich so sicher … und dieses Gefühl. Schritt um Schritt nahm sie von ihm Abstand. „Wenn Anya Ihnen wichtig ist, dann halten Sie sich bitte aus ihren Angelegenheiten heraus.“ Abby lächelte den Mann freundlich an. „Sie sind ein guter Mensch, Mr. Carter.“ „Logan …“ „Logan. Sie haben ihr so oft zur Seite gestanden. Und obwohl Sie so wütend auf sie waren, haben Sie nicht gezögert und sind nach Ephemeria City geflogen.“ Das Mädchen strahlte förmlich. „Obwohl ich Sie nur darum gebeten hatte, sich mit Anya zu versöhnen. Sie war so niedergeschlagen wegen diesem Streit.“ Sofort erinnerte sie sich wieder an ein Telefonat mit Anya, in der sie sich wütend über den Mann beklagt hatte. Sie wollte ihm die Wahrheit über sich erzählen, aber er hatte das als große Lüge aufgefasst und war im Streit mit ihr auseinander gegangen. Kurz darauf wurde auch noch Anyas Deck gestohlen, gerade als Abby heimlich Vermittlerin bei Logan gespielt hatte. Zwar war er ohnehin gewillt gewesen, sich bei Anya zu entschuldigen, doch als er von ihrer Misere hörte, nahm er sofort den nächsten Flug nach Ephemeria City. Sofort verstand Abby, was Anya an ihm so besonders fand. Und nichts würde sie glücklicher machen, als wenn diese beiden zusammenkämen. Sollte er aber Stoltz zu Gesicht bekommen, war diese Verbindung in großer Gefahr. Und das würde Abby niemals zulassen. Ihre Augen begannen sich pink zu verfärben, die Pupillen zogen sich zu katzenhaften Schlitzen zusammen. Abbys wohl bestgehütetes Geheimnis, ihr Status als Sirene, trat in diesem Moment zum Vorschein. Und wie sich ihre Augen veränderten, wandelte sich auch ihre sonst sanfte Stimme zu einem rauchigen, verführerischen Ton. „Logan, warum kommen Sie nicht mit mir und wir besprechen das in Ruhe?“, fragte sie in ihrer halb verwandelten Form. Er sah sie wie gebannt an. Ihre Hypnose funktionierte also! Gut! Für Männer brauchte es auch nicht mehr, wie schon einige ihrer Mitkommilitonen in London erfahren mussten. Besonders jene, die aufdringlich wurden oder die Vorlesungen schwänzten. Noch nie waren die Kurse ihrer Uni so gefüllt mit Studenten wie in Abbys Jahrgang! „Was'n jetzt los?“, fragte Logan jedoch plötzlich perplex. „Haste farbwechselnde Kontaktlinsen drin?“ Abby schnappte nach Luft. „N-nei-! Äh, ja, ja!“ Wie konnte das sein!? Er widerstand ihr!? Vielleicht musste sie sich doch voll verwandeln. Dann wurden ihre Haare ganz weiß und wild, ihre Fingernägel wuchsen auf beängstigende Länge an und sie konnte bei mehreren Leuten mühelos einen tranceartigen Zustand auslösen. Aber was, wenn er dem auch widerstand? Dieses Gefühl, als sie ihn berührt hatte. Falls sie nochmal versagte, konnte sie sich keine Ausrede mehr einfallen lassen. Anya würde ihr das nie verzeihen. „I-ich muss sie vergessen haben. War gestern auf 'ner Rave-Party!“ „Du?“, fragte er mehr als skeptisch. „Rave-Party. Sicher.“ „Ahahaha“, lachte sie heiserer als ihr lieb war. Sie hasste es zu lügen und deshalb war sie auch so elendig schlecht darin.   Nachdem dieser peinliche Moment für Abbys Verhältnisse viel zu lange anhielt, räusperte sie sich und hob den Arm mit ihrer Duel Disk daran. „Okay, genug gescherzt. Anscheinend kann ich Ihnen keine Angst durch meine Tricks einjagen, Mr. Carter.“ „Du hast noch mehr drauf?“ Er kratzte sich am Hinterkopf. „Was'n? Mich mit 'nem Handschlag schocken?“ „Nein“, war sie plötzlich selbstsicher, „Sie in einem Duell schocken!“ „Bin nicht der Typ für so'nen Kram“, winkte der und drehte sich schon um, hielt jedoch plötzlich inne. Fluchte leise vor sich hin und wandte sich ihr wieder zu. „Fein, aber danach lässt du mich in Ruhe!“ Wieso stimmte er plötzlich zu!? Eben sah es doch ganz danach aus, als würde er ihre Herausforderung ausschlagen wollen! Abby kam die ganze Sache immer merkwürdiger vor. Logan indes hob seinen Arm, an dem eine Standard-Duel Disk angebracht war, die mit den abgerundeten Kanten. Schließlich war seine alte samt D-Wheel zerstört worden, wie Abby inzwischen wusste. Der Apparat fuhr aus. „Bereit?“ So auch Abbys. „Natürlich. Duell!“   [Abby: 4000LP / Logan: 4000LP]   „Sie können gerne den ersten Zug beanspruchen“, bot Abby freundlich an, während beide ihr Startblatt zogen. Jener nickte. Irgendetwas in seinem Blick hatte sich gewandelt. Er starrte sie auf einmal beinahe feindselig an. Und nervös. „Setze 'n Monster und 'ne Verdeckte. Du bist, Kleine.“ Vor ihm materialisierten sich ein quer liegender und dahinter ein aufrecht liegender, vergrößerter Kartenrücken.   „Draw!“, rief Abby entschlossen und betrachtete die gezogene Karte mit großen Augen. Damit konnte sie …! Ihr Haupt hebend, sah sie den Mann mit Bedauern an. „Es tut mir leid, dass wir so einen schlechten Start haben, nachdem wir uns das erste Mal persönlich begegnen.“ „Mach deinen Zug“, forderte er aber brummig. Wie sie sich dachte! Er -war- unruhig. Was bedeutete, dass er irgendetwas ahnen musste. Na gut, so wie sie rumdruckste, konnte man auch von alleine drauf kommen, besonders bei Anya. Und doch sagte ihr ihr Instinkt, dass dahinter mehr steckte. Vielleicht glaubte er Anyas Geschichte von damals inzwischen? „Ich beschwöre [Naturia Pumpkin]! Und da Sie ein Monster kontrollieren, kann ich ein weiteres Naturia-Monster aus meiner Hand spezialbeschwören! Erscheine, [Naturia Vein]!“ Erst tauchte ein dicker, angebrochener, hellgrüner Kürbis mit Gesicht auf zwei Beinen vor ihr auf, dann wuchs neben ihm ein kleines Blatt – ebenfalls mit Armen, Beinen und einem Gesicht – aus dem Boden.   Naturia Pumpkin [ATK/1400 DEF/800 (4)] Naturia Vein [ATK/200 DEF/300 (1)]   „Aber das ist noch nicht alles! Da in diesem Zug ein Naturia-Monster seinen Effekt aktiviert hat, kann ich [Naturia Hydrangea] aus meiner Hand spezialbeschwören!“ Neben ihren beiden Monstern wuchs eine Hortensie mit drei Blüten aus dem Boden, die alle Gesichter besaßen. Zwei waren hellblau, eins rosa.   Naturia Hydrangea [ATK/1900 DEF/2000 (5)]   Selbstbewusst streckte Abby da die Hand aus. „Ich stimme mein Stufe 1-ERDE-Empfänger auf mein Stufe 4-ERDE-Monster ein!“ Da stieg das kleine Blatt auch schon in die Höhe und transformierte sich in einen grünen Lichtring, durch den ihm der Kürbis folgte. Jener teile sich in vier hintereinander liegende Lichtkugeln auf. „Oh great god of the west! Rule this land with your penetrating gaze and justice! Synchro Summon!“ Ein Lichtblitz schoss durch den Ring. „Roar proudly, [Naturia Beast]!“ Und mit einem Satz landete vor ihr ein grün-weißer Tiger, dessen Gliedmaße aus knorrigen Ästen bestanden. Knurrend stellte er sich vor das Mädchen, die besonnen lächelte. „Lange nicht gesehen, alter Freund.“ Naturia Beast [ATK/2200 DEF/1700 (5)]   Dann zog sie die ausgestreckte Hand zurück zu ihrem Blatt und holte dort eine Zauberkarte hervor, die sie mit festem Blick vorzeigte. „Ich aktiviere [Monster Reborn] und hole [Naturia Vein] vom Friedhof!“ Das kleine Blatt tauchte auf dem Kopf des Tigers wieder auf, welcher verwundert guckte.   Naturia Vein [ATK/200 DEF/300 (1)]   Unlängst war Abby jedoch wieder im Begriff, den Arm auszuschwenken. „Und jetzt stimme ich meinen Stufe 1-ERDE-Empfänger auf mein Stufe 5-ERDE-Monster ein!“ Es war die gleiche Prozedur. Das Blatt stieg auf, verwandelte sich in einen grünen Synchroring, den die drei Blüten durchquerten und dabei zu fünf Energiesphären wurden. „Oh great god of the east! Scare my enemies with your mighty presence! Synchro Summon!“ Erneut erhellte ein Lichtblitz die Umgebung für einen Sekundenbruchteil. „Descent down, [Naturia Barkion]!“ Schon schoss neben Abby ein schlangenhafter, weißer Drache hervor, dessen Körper von harter, brauner Rinde geschützt war.   Naturia Barkion [ATK/2500 DEF/1800 (6)]   „Ich aktiviere [Fusion Substitute]!“ Abby grinste mit einem Mal verschmitzt. „Die verschmilzt Monster auf meiner Spielfeldseite!“ Sie breitete die Arme weit aus. „Beast, Barkion, werdet eins! Erscheine und entführe uns in eine Welt voller Schönheit und Wohlstand!“ Zwischen ihren beiden Monstern bildete sich ein rot-blauer Sog, der die beiden verzerrt in sich hinein zog, während Abby rief: „Komm herbei, [Naturia Exterio]!“ Schon spuckte der Wirbel den stolzen Tiger aus, der jedoch verändert in Erscheinung trat. So trug er den Kopf des Drachen Barkions wie einen Helm, sein Schweif war länger und weiß wie der des Drachen.   Naturia Exterio [ATK/2800 DEF/2400 (10)]   „Wird'n das wenn's fertig ist?“, murrte Logan. Abby schmunzelte. „Für Sie? Etwas ziemlich Problematisches, leider. Meine letzte Handkarte: [Miracle Synchro Fusion]! Sie verschmilzt ebenfalls, aber vom Friedhof und dabei muss mindestens ein Synchro-Monster verwendet werden.“ Ihr Blick wurde ernster. „Aber ich nehme gleich zwei! Barkion, Beast, nochmal!“ Wieder öffnete sich vor ihr ein Sog, doch diesmal flimmerte dieser und zog transparente Abbilder der beiden genannten Monster in sich hinein. „Für die Fusion brauche ich zwei ERDE-Synchronmonster! Entführe uns in eine neu geborene Welt! Erscheine, [Naturia Gaiastrio]!“ Das Portal verschwand. Stattdessen brach hinter ihr ein riesiges Areal scheinbar ein, doch die Schrottberge bewegten sich nicht. Ein riesiger Löwe erhob sich, dessen massive Beine vollständig aus Holz waren. Er steckte in einer edlen Rüstung, an deren Seiten gläserne, kurze Tragflächen unter dem Hals hervor stachen. Seine gezackte Mähne bestand aus zahlreichen roten Blütenblättern.   Naturia Gaiastrio [ATK/3200 DEF/2100 (10)]   „Das ist mein stärkstes Monster!“, strahlte Abby stolz und sah über der Schulter hoch zu der mehrere Meter großen Gestalt. Es war so selten, dass sie ihn beschwor. Dann wandte sie sich wieder Logan zu, der sie stumm anstarrte. Es war das erste Mal, dass sie beide ihrer Fusionsmonster auf dem Spielfeld hatte. Damit musste ihr Widersacher erstmal fertig werden – wozu sie ihm genug Gelegenheiten geben würde, schließlich wollte sie das Duell ja nicht allzu schnell gewinnen, dachte die Brünette mit einem spitzbübischen Lächeln auf den Lippen.   ~-~-~   „Dann will ich mal, hm?“ Zanthe betrachtete nachdenklich sein Blatt. Im Gedanken war er immer noch bei Abby. Logan würde ihr nichts tun, oder? Auch wenn er ein Lügner war, hatte er sicherlich seinen Stolz. Zumindest hoffte der Werwolf das, dem langsam Gewissensbisse kamen. Aber das war nur ein Grund mehr, das hier so schnell wie möglich zu beenden! „Ich glaube nicht, dass du die da brauchst“, grinste er breit und zückte eine Schnellzauberkarte, die er in seinen Duellhandschuh schob. „[Mystical Space Typhoon]!“ Binnen eines Herzschlags schoss vor ihm ein blitzender Wirbel über das Feld und schlug in Stoltz' verdeckte Karte ein, die daraufhin explodierte. „Ups. Wir Menschen können halt nur zerstören.“ Demonstrativ die Schultern zuckend, hatte er sich von Anya böses Gekicher verdient. „Menschen sind die Krone der Schöpfung. Aber nicht die einzige“, erwiderte Stoltz geheimnisvoll. „Wir wissen längst, dass ihr euch um das große Ganze sorgt.“ Zanthe zog nebenbei drei Karten aus seinem Blatt. „Und das ist ok. Dafür verdient ihr sogar unseren Dank und es ist schade, dass niemand von euch wissen darf, um ihn zu entrichten.“ Da drehte sich Anya verwirrt zu ihm. „Huh!? Flohpelz, was ist mit dir los!? Du sollst ihn nicht wegloben, sondern-“ Aber Zanthe schüttelte den Kopf. „Nein. Das musste gesagt werden.“ „Tch. Bei dem kannst du dir die Worte sparen“, knurrte Matt hasserfüllt. „Ich weiß. Aber bei anderen kommen sie vielleicht an“, hoffte Zanthe, der sich sicher war, dass sie zumindest noch von einem anderen Undying beobachtet wurden. Dann legte er eine Monsterkarte in seinen Handschuh ein und ließ einen kleinen Schlüssel in seiner Hand erscheinen, den er ausschwang. „Open a door to the twins! Ich rufe [Constellar Pollux]!“ Sofort materialisierte sich vor ihm ein Portal, umgeben von vielerlei astrologischen Symbolen. Es zerbarst, als ein weißer, maskierter Sternenkrieger, der ein Schwert mit zwei parallel zueinander verlaufenden Klingen führte, daraus hervorbrach.   Constellar Pollux [ATK/1700 DEF/600 (4)]   „Sein Auftritt ist leider nur sehr kurz, denn durch seinen Effekt führe ich eine zweite Normalbeschwörung durch.“ Noch ein Schlüssel manifestierte sich in Zanthes Hand, welchen dieser wieder zur Seite streckte. Damit entstand ein weiteres Portal. „Ich opfere ihn für eine Tributbeschwörung! Open a door to the fish! Erscheine, [Constellar Alrescha]!“ Auch dieser Runenzirkel zersprang, als aus ihm ein ebenfalls weißer Krieger hervor gestürmt kam, doch anders als sein Vorgänger trug er eine wesentlich besser gepanzerte Rüstung, die ihn sehr wuchtig erscheinen ließ. Er hielt zwei kurze Schwerter, ebenfalls mit Parallelklingen ausgestattet, in den Händen, die durch einen blauen, Funken sprühenden Draht miteinander verbunden waren.   Constellar Alrescha [ATK/2200 DEF/1200 (6)]   In Zanthes Hand erschien zum dritten Mal ein Schlüssel, den dieser ausschwang. „Wird Alrescha beschworen, ruft sie einen Sternenkundler aus meiner Hand in Verteidigung! Open a door to the scorpion! Erscheine, [Constellar Antares]!“ Dort, wo der Schlüsselbart hinzeigte, breitete sich ein weiterer Kreis voller Symbole aus, der zersprang. Aus ihm heraus trat ein schlanker, großer Krieger, der einen rot leuchtenden Speer in der rechten Hand hielt, wobei die andere den Schaft umklammerte, welcher nicht etwa fest, sondern gewunden wie ein Schlauch war – oder ein Skorpionsschwanz. Die Ornamente an seiner Rüstung leuchteten ebenfalls rötlich. Er ging in die Knie.   Constellar Antares [ATK/2400 DEF/900 (6)]   „Wird Antares beschworen, erhalte ich einen Constellar vom Friedhof“, erklärte Zanthe und zeigte Pollux' Karte vor. Dann streckte er den Arm weit aus. „Zeit für den Höhepunkt! Aus meinen beiden Stufe 6-Monstern wird ein Rang 6-Badass!“ In der Hand materialisierte sich ein Platinschlüssel von der Größe eines Schwertes, welches Zanthe kurz grinsend entlang der Handfläche hin und her wirbelte, ehe er es mit voller Wucht in den Boden rammte. „Open a gate to the Sacred Star Knights! Xyz Summon!“ Unter ihm breitete sich einer der Symbolzirkel aus, welcher die beiden anderen Sternenkrieger als leuchtend-gelbe Strahlen absorbierte. Zanthe machte einen Satz zurück, als aus dem Kreis eine riesige Bestie hervor brach und in die Höhe stieg. „[Constellar Ptolemy M7]!“ Von gewaltiger Größe war dieser weiß-goldene, mechanische Drache mit den schwarzen Schwingen und dem gleichfarbigen, langen Schweif, um welchen zwei Lichtkugeln kreisten.   Constellar Ptolemy M7 [ATK/2700 DEF/2000 {6} OLU: 2]   „Heh!“ Zanthe warf Anya einen verschwörerischen Seitenblick zu, den diese mit einem Funkeln in den Augen zur Kenntnis nahm. Dann streckte er die Hand nach vorn aus. „Da Messier 7 auf reguläre Weise beschworen wurde, kann ich seinen Effekt sofort nutzen! Ich gebe eine Karte auf dem Spielfeld oder Friedhof auf die Hand des Besitzers zurück! Return Of The Star!“ Sein mächtiger Drache brüllte lautstark und verschlang eine der beiden Lichtkugeln. Constellar Ptolemy M7 [ATK/2700 DEF/2000 {6} OLU: 2 → 1]   Immer mehr ging der riesige Zentaur in grelles Licht auf, ehe er mit einem Mal wie eine Rakete nach oben schoss, zu einem Lichtstrahl schmolz und fort war. Einzig der Energiekern war ihm geblieben. Trotz seines starken Monsters beraubt, grinste Stoltz weiterhin. Zanthe ließ sich davon aber nicht beeindrucken, sondern hatte selbst ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen. „Dann bist du jetzt dran, Matt. Aber übertreib's nicht.“ „Mein Zug!“, fauchte der aber da schon und machte allzu deutlich, dass er von diesem Ratschlag wenig hielt. Er nahm drei Karten aus seiner Hand hervor und sah den Werwolf links neben sich böse an. Aber unerwartet nickte er einwilligend. Dann wandte er sich Stoltz zu. „Ich rufe [Evilswarm Castor] als Normalbeschwörung, wodurch ich noch einen Schwärmer auf diese Weise rufen kann. [Evilswarm Azzathoth]. Und hinterher als Spezialbeschwörung [Evilswarm Dullahan], da ich einen Schwärmer mit mehr als 1500 Angriffspunkten kontrolliere!“ Erst tauchte derselbe Krieger auf, den Zanthe als Pollux beschworen hatte. Der Unterschied war, dass eine Körperhälfte komplett schwarz gefärbt war und er einen zerschlissenen, roten Umhang trug, zusammen mit dem Doppelklingenschwert. Zanthe grinste bei dem Anblick seines korrumpierten Monsters. Danach tauchte etwas auf, das man allenfalls als Knäuel sich selbst fressender, verschiedenfarbiger Reptilienmäuler bezeichnen konnte. Eine Verschmelzung all der verschiedenen Worm-Monster, wie Anyas Cousine Zoey sie spielte. Erstere machte zunächst ein angewidertes Gesicht, atmete dann aber still aus. Zu guter Letzt gesellte sich eine schwarze, verfallene und vor allem kopflose Rüstung mit riesigen, langen Goldarmen dazu, die auch keine Beine besaß, sondern nur eine Spitze am Unterleib – die Reste von [Vylon Soldier], einem von Alastairs Monstern. Sein Anblick brachte Matt dazu, betreten zu schweigen.   Evilswarm Castor [ATK/1750 DEF/550 (4)] Evilswarm Azzathoth [ATK/750 DEF/1950 (4)] Evilswarm Dullahan [ATK/1150 DEF/1550 (4)]   Nachdem er den inneren Kampf scheinbar gewonnen hatte, sah er hilfesuchend zu Anya. Die nickte fest.   Ich hoffe, sie hat dich nicht zu einer Dummheit animiert, Matthew Summers.   Als er Thoras' Worte in seinem Kopf hörte, schüttelte er den Kopf. „Nein. Keine Sorge. Nachdem wir uns um Stoltz gekümmert haben, steht als Nächstes diese Militärbasis auf der Agenda. Ich werde nichts tun, was mir schadet und dadurch deine Mission gefährden.“ Darauf will ich nicht hinaus. Ich mache mir ganz einfach Sorgen um dich.   Zanthe spitzte die Ohren. „Mission? Geht's da etwa um was Bestimmtes?“ „Ja. Aber darüber reden wir später, ok?“ Matt funkelte den grinsenden Undying an. „Erst er!“ Dann streckte er den Arm aus. „Ich errichte das Overlay Network! Aus meinen drei Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster!“ Vor ihm öffnete sich ein Schwarzes Loch, das nacheinander seine drei Schwärmer als violette Lichtstrahlen in sich hineinzog. „Xyz Summon! Steige empor, [Evilswarm Ouroboros]!“ Eine schwarze Aura begann um Matt zu flimmern. Passend dazu explodierte das Überlagerungsnetzwerk förmlich. Nacheinander streckten sich drei Drachenköpfe an langen Hälsen daraus empor, ehe die schwarze Kreatur mit ihren Schwingen aus dunklem Eis sich erhob. Jeder Kopf war von einer weiß-schwarzen Maske bedeckt, der lange Schweif peitschte wütend, vielleicht weil um jedes der Häupter eine Lichtkugel kreiste.   Evilswarm Ouroboros [ATK/2750 DEF/1950 {4} OLU: 3]   Die Aura um Matt wuchs an, als er die Hand ausstreckte. „Gut für dich, dass ich nicht angreifen kann! Aber das heißt nicht, dass ich nicht [Evilswarm Ouroboros'] Effekt nutzen werde! Gegen eine Overlay Unit wirfst du eine Handkarte ab!“ Sofort im Anschluss verschlang der linke Kopf die leuchtende Kugel, die ihn umkreiste. Dann spie jener einen schwarzen Odem aus lauter winzigen Insekten auf Stoltz. Jener regte sich gar nicht, auch nicht, als eine seiner Handkarten schwarzes Feuer fing. Er nahm sie mit der anderen Hand und zeigte sie vor: [Centurion Atlas]. „Cool“, gluckste Zanthe und Anya lachte böse. Was ihr sofort verging, als Stoltz seinen Mund weit aufriss und die Karte hineinsteckte, sie hinunterschluckte. Verstört sahen alle drei ihn an. „D-das ist mal neu“, stammelte der Werwolf, der sonst so schlagfertig war. Die Blonde verzog angewidert das Gesicht. „Hat dem niemand erklärt, wo der Friedhof ist?“ „Lasst ihn. Er weiß nicht, wie er uns sonst beeindrucken soll“, schnappte Matt. „Wir vernichten ihn systematisch und das merkt er.“ Die Drei grinsten sich daraufhin gegenseitig schadenfroh an, doch Stoltz' schien sich nichts aus seinem Verlust zu machen. Etwas, das Matt mit finsterem Blick zur Kenntnis nahm. „Was dagegen, wenn ich noch für etwas Zerstörung sorge?“, fragte er an Anya gewandt. Die schüttelte den Kopf. „Nope. Passt schon.“ „Gut.“ Schon nahm er seine letzten beiden Handkarten und zeigte sie vor. „[Mystical Space Typhoon] und [Xyz Energy]! Damit zerstöre ich [Centurion Core Unit] und den Kern durch das Abhängen einer Overlay Unit von Ouroboros!“ Der linke Kopf verschlang die seine und stieß einen grellen Lichtodem aus. Parallel dazu fegte ein blitzender Wirbelsturm über das Spielfeld. Zeitgleich schlugen beide in ihre jeweiligen Ziele, den blauen Behälter und die offen stehende Zauberkarte, ein. Matt stieß angespannt Luft aus. „Nicht, was ich eigentlich gerne tun würde, aber immerhin etwas. Jetzt liegt es in deinen Händen, Anya.“   Was diese nickend zur Kenntnis nahm. „Verlass dich auf mich.“ Schon wirbelte sie geschickt mit den Fingern eine Zauberkarte in ihrer Hand umher, ehe sie sie stolz vorzeigte. „Mach dich auf 'ne fette Abreibung gefasst! [Gem-Knight Fusion]!“ Über ihr öffnete sich ein schillernder Wirbel, in den zahllose Edelsteine, die aus dem Nichts erschienen, gezogen wurden. Anya streckte die Hand in die Höhe. „[Gem-Knight Obsidian], du bist das Element, [Gem-Knight Lapis], du der Ursprung! Vereinigt eure Kräfte!“ So tauchten vor ihr ein schwarzer Ritter auf, um dessen Schulter eine lange, namensgebende Kette aus Obsidian-Perlen hing sowie eine kleine Ritterin in cremefarbener Rüstung mit lavendelfarbenem Rock, in deren Brust ein blauer Edelstein eingelassen war. Beide wurden in den Sog gezogen und Anya donnerte: „Fusion Summon! Erscheine, [Gem-Knight Zirconia]!“ Ein massiver, breitschultriger Ritter landete vor Anya. Von seinem Rücken wehte ein dunkelblauer Umhang. Aber viel mehr stachen seine Arme ins Auge, die in massiven, man konnte schon sagen, Dampframmen endeten. Deren Enden waren von jeweils einem transparenten, tellergroßen Edelstein bedeckt.   Gem-Knight Zirconia [ATK/2900 DEF/2500 (8)]   Als Matt das Monster erblickte, das er einst extra für Anya besorgt hatte, um sie zur Kooperation zu bewegen, musste er unfreiwillig schmunzeln. „Heh. Damals war die Welt noch in Ordnung.“ Die Blonde sah ihn betrübt an. „Yeah. Wir hatten nur im Kopf, wie wir mit dem Turm von Neo Babylon fertig werden. Und jetzt …“ „Ja …“ „Aber irgendwie hat sich nichts verändert. Ich muss mich immer noch nach einem Countdown richten.“ Anya sah Stoltz aus den Augenwinkeln an. „Und meine übernatürlichen Verbündeten machen es mir grad sehr schwer, ihnen zu vertrauen.“ Der Undying erwiderte kichernd: „Ghihi. Das Mädchen muss sich keine Sorgen mehr machen.“ „Du schon“, giftete sie zornig zurück und streckte die Hand aus. „Wenn Obsidian von meiner Hand auf den Friedhof geschickt wird, ruft er ein normales Monster der Stufe 4 oder niedriger von meinem Friedhof zurück. Dein Auftritt, Lapis!“ Neben Zirconia öffnete sich ein Portal am Boden, aus dem die kleine, unbewaffnete Ritterin entstieg.   Gem-Knight Lapis [ATK/1200 DEF/100 (3)]   „Ich verbanne Obsidian von meinem Friedhof, um [Gem-Knight Fusion] zurückzuerhalten. Und ich aktiviere sie sofort!“ Anya nahm die Karte von Lapis von ihrer Duel Disk und hielt sie zusammen mit ihrem Zauber und einem weiteren Monster in die Höhe. „[Gem-Knight Lapis], du bist das Herz, [Gem-Knight Lazuli], du die Rüstung! Vereint euch!“ Wieder öffnete sich der Edelsteinwirbel und zog erst die Ritterin auf dem Feld, dann eine weitere in lehmbrauner Rüstung mit langen Bändern an ihrem Helm in sich hinein. „Fusion Summon! Das ist die Ritterin, die deinen Untergang besiegeln wird! [Gem-Knight Lady Lapis Lazuli]!“ Jene schwebte elegant aus dem Strom über Anya herab. Anders als ihre Kameraden trug sie keine Rüstung, sondern einen dunkelblauen Kimono mit weiten Ärmeln.   Gem-Knight Lady Lapis Lazuli [ATK/2400 DEF/1000 (5)]   Zanthe pfiff begeistert und meinte: „Cool. Die war doch in dem Structure Deck, das Mr. Palmer dir geschickt hat und das leider erst nach dem Legacy Cup ankam, oder?“ „Jep.“ Jedes Mal, wenn sie daran dachte, überkam Anya eine Woge des Glücks und der Dankbarkeit. Dieses Geschenk war etwas ganz Besonderes für sie gewesen und auch wenn der eigentliche Mann hinter dem Ganzen Henry Ford war, verband sie damit ebenso das Wohlwollen ihres ehemaligen Arbeitgebers. Was natürlich keiner wissen durfte, schließlich hatte sie einen Ruf zu verlieren! „Effekt von [Gem-Knight Lazuli]! Wenn sie durch einen Effekt auf den Friedhof gelegt wird, erhalte ich von dort ein normales Monster: [Gem-Knight Lapis]! Und wenn ich gerade dabei bin, verbanne ich sie auch gleich und nehme [Gem-Knight Fusion] gleich mit!“ Schon hatte sie statt einer wieder drei Karten auf dem Blatt. Stoltz machte dazu ein neugieriges, gar vergnügtes Grunzen. Was stimmte bloß nicht mit dem Ding!? Anya hob argwöhnisch die drei Karten in die Höhe. „Dir wird das dreckige Grinsen schon noch aus dem Gesicht gefegt werden, Miststück! Aller guten Dinge sind drei! [Gem-Knight Fusion]! [Gem-Knight Garnet], du bist das Herz, [Gem-Knight Lapis], du die Rüstung! Vereint euch!“ Abermals öffnete sich über ihr der Wirbel. Es erschien ein Ritter in bronzener Rüstung, dessen Hände brannten. Zusammen mit Lapis wurden sie in den Sog aus Edelsteinen gezogen. „Fusion Summon! [Gem-Knight Ruby]!“ Aus dem Strudel entsprang ein Ritter in rubinroter Rüstung, der mit einem Satz vor Anya landete und mit seiner Lanze eindrucksvoll umherwirbelte. Dabei flatterte sein blauer Umhang wild.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)]   „Sie kann im ersten Zug nicht angreifen. Das denkst du dir sicher gerade, huh?“, brummte Anya und verzog die Augen zu Schlitzen. Stoltz grinste sie herausfordernd an. „Aber dafür habe ich Lady Lapis Lazuli!“ Jene ließ die rechte Hand über den Kopf ausschwenken, wodurch sich zahlreiche Kristallspitzen über ihr bildeten. Anya erklärte: „Indem ich einen Gem-Knight von meinem Deck oder Extradeck auf den Friedhof schicke, erhältst du für jedes spezialbeschworene Monster auf dem Feld 500 Punkte Schaden. Und nun zähle!“ Während sie sich [Gem-Knight Topaz], ein Fusionsmonster aus ihrem Extradeck nahm und in den Friedhofsschacht schob, grinste Stoltz einfach weiter. „Meins zählt mit“, sagte Zanthe und sofort begann sein Messier 7 weiß zu leuchten. Die Edelsteingeschosse über Lady Lapis Lazuli verdoppelten sich in ihrer Menge. Matt verschränkte die Arme. „Meins auch.“ Sein Ouroboros begann in pechschwarzer Aura zu erstrahlen, genau wie Matt selbst. Wieder vermehrten sich die Spitzen. „Und ich hab drei“, knurrte Anya und der breite Zirconia, Ruby und Lady Lapis Lazuli selbst leuchteten in jeweils in den Farben gelb, rot und blau auf. Wodurch aus dem ohnehin schon großen Schwarm eine nicht mehr überschaubare Menge wurde. „Fahr zur Hölle, Missgeburt! Shimmer Shards!“ Mit einer winkenden Handgestik ließ ihre Ritterin die Geschosse wie einen Insektenschwarm los. Stoltz breitete jedoch mit seinem ewig-hässlichen Grinsen die Arme aus und sehnte den Angriff sogar herbei. Sie durchstießen seinen Oberkörper, die Arme, die Beine und auch den Kopf, doch da es sich um Hologramme handelte, passierten sie ihn letztlich doch einfach.   [Anya: 4000LP Matt: 4000LP Zanthe: 4000LP //// Stoltz: 4000LP → 1500LP]   „Die Menschen wehren sich diesmal durchaus. Höchst amüsant“, gackerte der Undying, nachdem die letzten Scherben fort waren. Anyas Blick verfinsterte sich. „Lach nicht!“ Dann riss sie eine Karte aus ihrem Friedhof. „Ich verbanne Garnet und erhalte [Gem-Knight Fusion] von meinem Friedhof zurück! Und die aktiviere ich ein letztes Mal!“ Abermals öffnete sich über ihr der Edelsteinwirbel und sie rief: „Drei Lichter kreuzen den Weg des Lichts! Körper, Seele und Herz verschmelzen und werden zu der Macht, die in ihrer Reinheit einem Diamanten gleicht!“ Nacheinander wurden Zirconia, Lady Lapis Lazuli und Ruby in den Sog gezogen und verschwanden. Aus diesem flog im Anschluss ein massives Breitschwert und steckte schräg vor Anya in der Erde fest. In ihm waren sieben Edelsteine in den Farben des Regenbogens eingelassen. „Fusion Summon! Bring mir den Sieg, [Gem-Knight Master Diamond]!“ Mit einem Satz sprang ein massiver Ritter in silberner Rüstung und gehörntem Helm aus dem Vortex. Er landete neben seinem Schwert, das er mit nur einer Hand aus dem Boden zog und umfasste. Seine andere Hand begann blau-violett in Flammen aufzugehen, genau wie Anyas. Die spürte unbändige Kraft in sich aufsteigen.   Gem-Knight Master Diamond [ATK/2900 DEF/2500 (9)]   Anya schloss die Augen. Diese Karte, nebst einigen anderen, hatte sie sich vor einem Jahr von dem Dschinn gewünscht, der sie eigentlich von Levrier befreien sollte. Derselbe Lampengeist, der letztlich die Kopie von Anya Bauer erschaffen hatte – sie. Oder Kali. „Ugh.“ „Alles klar?“, fragte der Flohpelz besorgt. Anya nickte. „Mir geht’s gut. Bringen wir das hier zu Ende! [Gem-Knight Master Diamond] erhält 100 Angriffspunkte für jeden Gem-Knight auf dem Friedhof. Das sind im Moment fünf.“   Gem-Knight Master Diamond [ATK/2900 → 3400 DEF/2500 (9)]   Doch sie fügte scharf an: „Aber! Davon kannst du gleich einen abziehen, denn ich verwende den Effekt von [Gem-Knight Master Diamond]!“ Jener umschloss sein Schwert plötzlich doch mit beiden Händen und lehnte seinen Kopf daran. Wie seine und Anyas Hand, ging auch es in farbenfrohen Flammen auf. „Er denkt an seine gefallenen Freunde. Und wenn er jemand bestimmtes im Sinn hat, wird dieser vom Friedhof verbannt und er erhält seinen Effekt – vorausgesetzt, es ist ein Fusionsmonster, dessen Stufe nicht über 7 liegt.“ Matt lachte leise. „Da fällt die Wahl nicht schwer.“ Der Werwolf zuckte mit den Schultern. „Wer hätte gedacht, dass sie das so gut planen würde?“ „Ich hatte drauf gehofft, aber auch ohne Glück hätten wir den fertig gemacht“, gestand Anya und streckte die flammende Hand aus, „ich verbanne [Gem-Knight Lady Lapis Lazuli]!“ Ein transparentes Ebenbild jener Ritterin im blauen Kimono tauchte vor Master Diamond auf und verschwand in ihm.   Gem-Knight Master Diamond [ATK/3400 → 3300 DEF/2500 (9)]   „Nun hat mein Monster ihren Effekt“, sprach Anya geradezu majestätisch, als wäre sie nie etwas anderes als die auserwählte Duel Queen, „und jetzt zähle nochmal. Wie viele spezialbeschworene Monster sind auf dem Feld?“ Der Kopftuchträger zwinkerte dem Undying zu, dessen Grinsen langsam schwand. Sein weiß-goldener Drache mit schwarzen Schwingen leuchtete weiß auf. Matt stieß ein gehässiges Lachen aus, als Stoltz' Züge zum ersten Mal aufrichtige Verwunderung zeigten. [Evilswarm Ouroboros] strahlte wieder pures Schwarz aus. Und dann war da Anya. Sie funkelte die Gruselmumie voller Inbrunst an, während ihr Ritter in einer regenbogenfarbenen Aura erstrahlte. „Genau-so-viele!“ [Gem-Knight Master Diamond] hob seine Klinge in die Höhe, um die sich massenhaft glänzende Edelsteinscherben bildeten. Da entfuhr es Stoltz atemlos. „Unmöglich! Ich soll-!?“ „Shimmer Sha-!“ Doch die Szene wurde unlängst unterbrochen, als die Hologramme der drei Monster auf dem Feld stärker und stärker zu flackern anfingen. Matt weitete die Augen. „Huh!? Was ist da los?“ „Sag nicht“, brach Zanthe erschrocken hervor, „die-“   ~-~-~   Abby wusste genau, dass sie mehr strahlte als eigentlich angebracht war, aber sie konnte ihre Freude nun einmal nicht verleugnen. Sie streckte den Arm aus. „Also los, packen wir es an! Angriff auf sein gesetztes Monster, [Naturia Exterio]! A- Was!?“ Die beiden Hologramme ihrer Monster fingen an sich zu verzerren. Der Tiger in Drachenrüstung und auch der riesige Löwe hinter ihr. Sie flackerten auf und waren verschwunden. „Ah! Oh nein!“ Abby starrte entgeistert auf ihre Duel Disk. Die Lebenspunkteanzeige war aus. Logan kratzte sich am Hinterkopf. „Ne Serverstörung, würd' ich sagen. Hab wohl nochmal Glück gehabt.“ Er begann auf sie zuzugehen. „Sieht so aus, als müssen wir das verschieben.“ Als er an ihr vorbei wollte, sprang Abby ihm jedoch in den Weg. „Nein! Das Duell wurde unterbrochen, aber wir beide haben noch keine Lebenspunkte verloren. Wir setzen das so fort, wie in den Zeiten, als es noch keine Duel Disks gab.“ Er sah sie an, die sie ein paar Zentimeter größer war als er. Dann grinste er. „Bist wohl eine, die nicht aufgibt, was?“ „Ich habe es versprochen, Logan. Bitte versteh-“ Da begann sich plötzlich alles zu drehen. „W-was …?“ „Kleine, geht es dir nicht gut?“, fragte Logan, als sie rückwärts torkelte. Die Welt stand Kopf. Abby sah noch den grauen Himmel und den schwarzhaarigen Mann, der sich in ihr kleiner werdendes Sichtfeld drängte, dann fiel sie in endlose Schwärze. Dumpf hörte sie: „Abigail …!?“   ~-~-~   Es riss die Hologramme der drei Monster auf dem Feld förmlich auseinander. Und dann waren sie fort. Mit weit aufgerissenen Augen starrte Anya die Stelle an, wo eben noch ihr Master Diamond gestanden hatte. „Nein …!“ Auch Stoltz schien maßgeblich überrascht, wandelte sich sein entsetzter Ausdruck in einen äußerst verwirrten. Dann aber begann er hysterisch zu lachen. „Köstlich! Die Menschen werden durch eine höhere Macht besiegt.“ Er sah den Dreien entgegen und streckte seine Zunge heraus. „Dem Undying gefällt diese Demütigung.“ Matt schnaubte wie ein Stier. „Du! Du hast verloren, ob das Duell unterbrochen wurde oder nicht!“ „So ist es“, nickte Zanthe, „also steh' für das ein, was du getan hast!“ Der Dämonenjäger wollte voraus stürmen, aber Anya fing ihn schnell ab. „Nicht, Summers!“ Sie drehte sich zu Stoltz um. „Du hast es gehört! Wir haben dich auseinander genommen und ich hätte dir den Gnadenstoß verpasst, wenn dieser kack Server nicht ausgefallen wäre!“ „Ist das so?“, fragte er belustigt. „Halt uns nicht zum Narren!“, fauchte Matt. „Du weißt es!“ Er legte den Kopf so schief, dass er fast schon seine Schulter berührte. „Nun denn, Menschling, was soll jetzt geschehen?“ „Bring sie zurück!“ Speichel flog dem Dämonenjäger regelrecht um die Ohren, als er das schrie und von Zanthe festgehalten werden musste. Stoltz' Grinsen wurde breiter und breiter. Er griff mit seiner Hand die Wange und rückte seinen Kopf laut knackend zurecht. „Nein.“ „Du-!“ Matt versuchte sich mit aller Kraft vom Werwolf loszureißen. „H-hey, ich versteh' dich ja, aber bleib ruhig-!“ „Elende Kackbratze!“, spuckte auch Anya Gift und Galle. „Hätte mir gleich denken können, dass jemand wie du sich niemals an Abmachungen halten würde!“ „Eine solche gab es nie.“ Anya streckte die rechte Hand aus, in der sich ein langer, weißer Speer manifestierte, dessen Spitze aus einem Drachenmaul ragte. „Dann habe ich auch kein Problem damit, wenn wir handgreiflich werden. Und glaub mir: Ich bin seit dem letzten Mal besser geworden!“ „Anya, nicht-!“, streckte Zanthe panisch seine Hand nach ihr aus – und ließ dabei Matt los, der sofort in die Innentasche seines Mantels griff und eine Pistole hervorzog. Er zielte auf Stoltz' Kopf und drückte ab. Kaum zu verstehen, erklang während des Knalls ein strenges: „Genug!“ Die goldene Patrone, in der heilige Symbole eingraviert waren, prallte direkt vor Stoltz' grinsender Visage an etwas ab und zerplatzte in einer kleinen, elektrisch aufgeladenen Explosion. „W-was?“, stammelte Matt und torkelte zurück. Anya ließ ihren Speer sinken. „Kch! Da ist ja die Verstärkung …“ „Fragt sich nur für wen“, murmelte Zanthe verunsichert. Die zweite der Undying stand neben Stoltz. Zed war ihr Name. Gekleidet in weißer Robe, war ihr Gesicht von einer weißen Maske verdeckte, welche weit über ihren Kopf hinausragte. Ihr langes, schwarzes Haar reichte fast bis zum Boden. In der rechten Hand hielt sie einen weißen, schlichten Stab, dessen oberes Ende in einer silbernen Kugel mündete – in ihr lag eine blaue Lichtquelle. Und diesen hielt sie schützend vor das Gesicht des riesigen Undying, ließ ihn anschließend sinken.   „Was maßt ihr euch an!?“, fauchte die Undying zornig. „Frag das deinen Kumpel da“, konterte Anya genauso gallig zurück und zeigte mit der Speerspitze auf Stoltz, „dieser Mistkerl hat zahlreiche Kinder ermordet! Matts Familie!“ Zed setzte ihren Stab mit dessen Ende auf dem Boden ab und schwieg. „Ist das wahr?“, ertönte da eine tiefe Stimme, die die drei jungen Menschen erschaudern ließ. Alle drei drehten ihre Köpfe nach links, wo auf einem riesigen Schrotthaufen der letzte der Undying stand – Ricther, gepanzert in einer goldenen Rüstung, unter der noch eine silberne lag. Sein Gesicht war von einem altertümlichen Helm mit zahlreichen, roten Federn bedeckt, dieselbe Farbe besaß auch sein langer Umhang. „Sprich!“ Er richtete das stattliche Schwert in seiner Hand auf keinen Geringeren als Stoltz. Jener verneigte sich sofort. „Selbstverständlich ist es die Wahrheit.“ Während Ricther keine Regung zeigte, erschrak Zed lautstark. Sofort wich sie von dem wesentlich größeren Undying zurück. „Dieser hier“, sagte jener und meinte sich selbst, „tat es aus Not. Unmöglich war es ihm, ein Portal zurück nach Hause zu öffnen, nachdem er den Großteil seiner Kraft beim Aussprechen der Warnung an Anya Bauer verbraucht hatte.“ „Er hat sie ermordet!“ Matt brach beim Schreien fast die Stimme weg. „Wegen … wegen sowas …“ „Wir wollten ihn zur Rede stellen“, erklärte Zanthe gefasster, aber dafür mit einem deutlich finsteren Unterton voller unterdrückter Aggression. „Wir wollen keinen Krieg mit euch. Im Gegenteil, unser gemeinsamer Feind bleibt der Sammler. Aber er hat unsere Leute auf dem Gewissen-“ „Schweig“, gebot ihm Ricther. Von einem Moment zum anderen verschwand er und tauchte vor den beiden anderen Undying auf. „Er soll“, schluchzte Matt, „er soll sie zurückbringen …“ „Das ist nur gerecht“, nickte Anya grimmig, „ihr habt das angerichtet, ihr biegt das wieder gerade!“ „Ich fürchte, das ist unmöglich.“ Die Worte des Anführers der Undying ließ alle Drei aufschrecken. Anya stand der Mund offen, Zanthe schüttelte ungläubig mit dem Kopf. Und Matt? Matt sank langsam, wortlos auf die Knie. „Dieser Konflikt ist bedauernswert. Aber es ist immer noch an uns, ihn auszuwerten. Und das werden wir, darauf habt ihr mein Wort“, sagte Ricther scharf und sah dabei über die Schulter zu Stoltz, der sich zwar immer noch verneigte, aber den Kopf hochreckte und grinste. Sich wieder an die Menschen wendend, fügte der Richter hinzu: „Was ihr jedoch verlangt, kann keiner von uns erfüllen.“ „Was!?“, platzte es aus Anya heraus. „Das kann nicht euer Ernst sein!“ „Jemanden wiederzubeleben ist eine schwierige Aufgabe. Die Toten kehren nie so zurück, wie sie einst waren“, erklärte Zed und trat vor. Aber das war Anya keine Erklärung. Sie stampfte wütend auf. „Fuck! Der Sammler kann es, wieso ihr nicht!? Ihr könnt doch künstliche Körper erschaffen – für mich tut ihr es doch auch! Alles, was ihr tun müsst, ist irgendwie ihre Seelen-!“ „Es ist unmöglich!“, donnerte Zed. „Der Sammler kann den Äther manipulieren und die verlorenen Seelen finden, auf eine uns unbekannte Art und Weise. Doch selbst ihm wird es unmöglich sein, diese Menschen ins Leben zu holen, denn ihr Äther ist verloren!“ Stoltz erhob sich. „Eins mit diesem hier.“ „Was …?“, stammelte Anya ungläubig. „Es ist wahr“, bestätigte Ricther mit gedämpfter Stimme, „wir sind Wesen ohne Äther und müssen ihn aus anderen Quellen beziehen, als Austausch für unsere Unsterblichkeit. Doch was wir in uns aufnehmen, wird früher oder später verbraucht.“ „Wie Benzin. Oder Nahrung … er hast sie gefressen …“, stammelte Matt leise, mehr zu sich selbst als alles andere. Er griff nach der Erde unter ihm und ließ sie vor seinen Augen auf Boden fallen. Um dann mit der Faust auf sie zu schlagen und jämmerlich zu winseln. „Nein … nein, nein, nein …“ Zanthe beugte sich behutsam zu dem gebrochenen Dämonenjäger, ließ dabei aber nicht den Blick von Ricther ab. Trotzdem schnappte er sich ganz nebenbei Matts am Boden liegende Pistole, schob sie weit außerhalb seiner Reichweite. „Es gibt keinen Weg sie zu retten? Gar keinen?“ Der Undying schüttelte den Kopf. „Dann wollen wir Rache“, schäumte Anya vor Wut und zeigte drohend mit dem Speer auf die Gruppe Unsterblicher, „aus dem Weg, ihr beiden!“ „Es steht nicht dir zu, über unseresgleichen zu richten. Mehr kann ich dir nicht sagen, Anya Bauer!“ Doch die feuerte bereits die Spitze des Speers durch pure Gedankenkontrolle ab. Zu spät, denn binnen eines Sekundenbruchteils bildete sich um die drei Undying ein schwarzes Portal, das sie absorbierte – und die Spitze flog ins Leere. Anya stand mit offenem Mund da. Das war alles? Dafür hatten sie das alles auf sich genommen, um einfach so abgespeist zu werden? „Fuck!“, schrie sie, so laut sie konnte und schmetterte den Speer vor Wut auf den Boden, wo er anschließend verschwand. „Es … tut mir leid …“, stammelte Zanthe derweil zu dem weinenden Matt. Anya stand mit gesenktem Kopf da und sagte gar nichts. Sie wischte sich mit dem Handrücken etwas aus den Augen. Es vergingen vielleicht nur Sekunden, oder Minuten, aber es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Bis Zanthe aufschreckte und sich von Matt wegdrehte. „Oh nein!“ Anya sah ihn an und folgte seinem Blick. „Was ist-!? Scheiße, Abby!“ Selbst Matt wurde aus seiner Trance gerissen und erhob sich. Alle drei sahen Logan entgegen, der das Mädchen mit beiden Händen trug. „Der Kleinen geht’s nicht gut. Krankenwagen ist unterwegs.“ Während Matt wie gelähmt da stand, rannten Anya und Zanthe zu dem kleinen Mann, der sich niederkniete und Abby in Anyas Armen ablegte. „Scheiße, Masters, was ist passiert?“ Doch die war bewusstlos, regte sich nicht. Aber sie atmete wenigstens. „Was hast du gemacht?“, fragte Zanthe tonlos. „Mich mit ihr duelliert, hat mir den Weg versperrt“, murrte Logan zurück, „was habt ihr hier getrieben? Das ganze Geschrei-“ „Was hast du gemacht!?“, fauchte der Kopftuchträger nur noch wütender, ganz zu Anyas kompletter Verwirrung.     Turn 109 – Interlude Die Räder des Schicksals beginnen sich zu drehen. Wer sind die Spieler, wer sind die Schachfiguren? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)