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Yu-Gi-Oh! The Last Asylum

von

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Turn 23 - Last Wish

Turn 23 – Last Wish

 

 

„Wie lange bist du schon hier, Opa?“, fragte Anya missmutig, nachdem sie unerwartet schnell gelernt hatte, dass alte Männer sehr wohl im Schneidersitz schweben konnten. Sie wusste zwar noch nicht, wer dieser alte Kerl mit dem Wanderstock war, würde es aber gewiss jeden Moment herausfinden – leider.

 

Diese Welt war die Leere höchstpersönlich und so saßen sie sich nun beide im Schweben gegenüber. Auch hatte sich ihr Umfeld stark verdunkelt und einen tiefblauen Ton angenommen.

Der Alte hatte Anya erklärt, dass es völlig gleich war, wohin sie ging – es gab keinen Ausgang. Was sie jedoch nicht wirklich überraschte. Aber auch keinesfalls glücklich stimmte.

Anya verfluchte den Jinn für seinen miesen Trick. Er hatte sie hier eingesperrt! Wenn sie doch nur-!

 

„Die Hälfte meines Lebens, schätze ich“, erklärte er mit krächzender Stimme. „Anfangen hat es, ich war ein Archäologe besten Alters, in Indien. Da habe ich sie gefunden, die Lampe des Jinns, nachdem ich lange suchen musste.“

„Du wusstest also von ihm … ?“

Allein an Anyas unterschwellig genervten Tonfall konnte man erkennen, dass sie nicht in der Stimmung war, mit ihm zu reden. Sie wollte hier raus, verdammter Kackmist!

„Natürlich. Aber im Endeffekt war er nicht das Wesen, das wir aus den sagenhaften Geschichten kennen.“ Der alte Mann seufzte schwer. „Dass du hier bist heißt, dass du jene Erfahrung ebenfalls gemacht hast.“

Anya ballte eine Faust und schlug sie auf den Boden, welcher jedoch nicht existierte, wodurch die Blondine mit dem Pferdeschwanz wiederum ungewollt vorneüber kippte. „Argh! Jep. Und wenn ich hier raus bin, gibt’s Saures.“

Woraufhin sie die Faust stattdessen in ihre Handfläche schlug.

„Leider gibt es von hier aus kein Entkommen. Du musst wissen, dass wir hier in seiner Lampe sind.“

Daraufhin rümpfte Anya die Nase. „Mir doch egal. Und ich komme sehr wohl hier raus, du wirst schon sehen, Opa!“

„Schon einige haben das gesagt. Und sie alle sind irgendwann wahnsinnig geworden und haben ihrem Leben ein Ende bereitet. Ich bin der Einzige, der es all die Zeit über geschafft hat, meinen Verstand nicht zu verlieren.“ Wieder seufzte der Alte schwer. „Vielleicht gab es in der Welt da draußen nichts, was ich hätte vermissen können? Oder waren es am Ende meine Erinnerungen, die mich getröstet haben? Wer weiß das schon …“

„Ja, ja, sehr tragisch“, winkte Anya desinteressiert ab. Doch es gab etwas, was sie dennoch neugierig machte. Wohlgemerkt nicht auf positive Weise. „Wie viele waren hier?“

„Als ich hier angekommen bin, waren es zwei, doch beide waren bereits dem Wahn verfallen. Danach folgte noch ein weiterer.“ Der Mann zeigte ihr den erhobenen Zeigefinger. „Aber nur dieser Neuankömmling hat es länger als ein Jahr geschafft. Er war wirklich eine erstaunliche Person.“
 

Anya indes richtete den Blick auf ihren Schoß. Es war so ironisch, dass sie nicht einmal lachen konnte. Der Wunsch nach Freiheit hatte ihr ebendiese genommen. Und dieser Ort, die „Lampe“, sie war im Grunde das, was sie sich unter dem Limbus vorstellte. Eine leere Welt der Einsamkeit. Langweilig.

Mit dem Fossil ihr gegenüber konnte sie auch nichts anfangen, der kannte wahrscheinlich nicht einmal Duel Monsters. Und auch wenn sie jetzt ein paar coole neue Karten für ihr Gem-Knight Deck besaß, brachten die ihr ohne Gegner auch nichts.

Alles hing jetzt von Matt ab.
 

Plötzlich schreckte sie auf. Ohne dass sie es wollte, schoss der schreckliche Gedanke aus ihr heraus: „Und was ist, wenn er mich im Stich lässt?“

„Von wem sprichst du?“

Anya ließ den Kopf hängen. Eigentlich wollte sie etwas Schroffes in Richtung das ginge ihn gar nichts an erwidern, doch ihre Zukunftsaussichten waren alles andere als rosig. Vielleicht würde dieser Mann bald alles sein, was … nein, daran durfte sie nicht denken!

„Einem …“ Nein, er war kein Freund. „Er ist ein Dämonenjäger und war bei mir, als es passierte.“

 

Und was, wenn Matt wirklich daran dachte, sie hier zurückzulassen?

Sie war jetzt hier, im Limbus 2.0, fernab davon, ihr Schicksal als Schlüssel zu Edens Erweckung zu erfüllen. Alastair würde sicher sein, ebenso Redfield und potentiell Marc, Henry und dessen Schwester Melinda. Es würde allen gut gehen und es gab für niemanden von denen auch nur den geringsten Grund, sie hier heraus holen zu wollen. Selbst bei Abby war sie sich nicht sicher, ob die sich nicht am Ende damit abfinden würde. Und Nick war ohnehin zu dumm, um irgendetwas ausrichten zu können – wenn er es überhaupt wollte …

Der Einzige, dem überhaupt etwas daran gelegen war sie zu befreien, war Levrier. Und was dessen Verbleib anging, herrschte bei Anya große Ahnungslosigkeit. War er jetzt alleine? Oder gar tot?

 

„Vielleicht findet er einen Weg, die Wirkung des Wunsches aufzuheben“, versuchte der Mann sie nun aufzumuntern. „Dämonenjäger sind sehr gewiefte Menschen. Leider nicht immer gewieft genug, denn diese Menschen, die sich mit mir hier aufgehalten haben, waren ebenfalls Dämonenjäger. Ja, ja.“

„Selbst wenn er einen kennt, hätte er keinen Grund“, meinte Anya selbst überrascht von ihrer Niedergeschlagenheit und hielt dem Mann ihren Arm entgegen. Sie zog den Ärmel ihrer Lederjacke ein Stück hinauf und offenbarte das Kreuz im Dornenkranz. „Wegen dem hier.“

„Bist du dir sicher? Wenn er dein Freund ist, wird er es trotzdem versuchen.“

„Aber er ist es nicht. Wegen dem hier.“ Sie deutete auf dem Mal. „Bin sozusagen Staatsfeind Nummer 1.“

„Doch er hat dich zu dem Jinn geführt, nicht wahr? Er wollte, dass du von deiner Last befreit wirst.“

„Vielleicht hat er all das auch von Anfang an geplant“, erwiderte Anya wütend und schaute auf, „um mich loszuwerden. Er kann mich nicht töten, deswegen hat er mich in eine Falle gelockt.“

„Glaubst du das wirklich?“ Ihr Gegenüber fuhr sich mehrmals über den Bart. „Wenn du meinst. Dann ist er wirklich klug, dieser Dämonenjäger.“

 

~-~-~

 

[Matt: 1650LP / Jinn: 6100LP]

 

Stöhnend wischte sich Matt den Schweiß von der Stirn. Ihm war nicht aufgefallen, wie heiß es auf dem Bahnhof war, seit die Zeit für alle Menschen außer ihn und den Jinn angehalten hatte. Was aber daran lag, dass ebenjener brannte wie ein Öltanker in einem Vulkan. Pechschwarz waren die Flammen, die den Körper von Anya komplett verhüllten.

Matt vermutete, dass das die wahre Form des Jinns sein musste. Bloß war das nicht sein Problem. Jenes war der riesige Dämon, dem er in dieser grauen Welt gegenüber stand.

 

Thought Ruler Archfiend [ATK/2700 DEF/2300 (8)]

 

Seine mächtigen Schwingen weit ausspannend, starrte die mit einem Skelett bezogene Kreatur Matt angriffslustig an. Fast schlimmer noch war die permanente Zauberkarte des Jinns, [Soul Absorption], durch die er jedes Mal, wenn eine Karte verbannt wurde, 500 Lebenspunkte erhielt. Allein dadurch machte er Matt seither das Leben unsagbar schwer.

Dieser war jetzt zwar am Zug, saß dennoch mächtig in der Patsche. Sein Feld war leergeräumt und einzig seine drei Handkarten konnten ihn unter Umständen davor bewahren, den Wunsch zu verlieren.

Darum ging es hier schließlich, Anyas Hälfte des dritten Wunsches zu bekommen. Der Jinn, der Anya in diesem Duell vertrat, konnte sich selbst keine Wünsche erfüllen, obwohl auch er den missglückten zweiten Wunsch des Mädchens umkehren wollte. Deshalb musste er, Matt, der mit seinem Blut an der Lampe gerieben hatte, sich jetzt duellieren, damit er auch die andere Hälfte bekam. Erst dann konnte er Anya befreien.

„Dann lass uns mal loslegen“, murmelte der Dämonenjäger schließlich und griff nach seinem Deck.

 

~-~-~

 

„Mir ist langweilig“, brummte Anya genervt und bettete ihr Gesicht in ihre Hände, den Alten ungeduldig anstarrend.

Der ständige Farbwechsel ihrer Umgebung ging ihr mittlerweile ziemlich auf die Nerven. Jetzt stand alles in grellem Gelb, es blendete schon fast. Wenn sie tatsächlich den Rest ihres Lebens so verbringen musste, würde sie vermutlich allein deshalb nach spätestens einer Woche irre werden. Sofern sie nicht vorher an einem epileptischen Anfall starb, weil sie sich dabei auf die Zunge gebissen hatte. Es war zum Kotzen!
 

Seither hatten die beiden Gefangenen kein Wort mehr gewechselt, was der Hauptgrund war, warum Anya sich beklagte. Fast schien es, als würde der Opa darauf warten, dass sie von sich aus auf ihn zuging.

„Ich könnte dir ja ein paar Geschichten erzählen“, bot ihr Gegenüber nun an, „vielleicht lernst du ja noch etwas über Dämonenjäger? Die, die ich kannte, haben vieles erlebt.“

„Von mir aus.“ Resignierend verschränkte Anya ihre Arme. Immerhin bekam sie dann etwas Ablenkung.

 

„Auf meinen Reisen sind mir viele Dämonenjäger begegnet, nicht nur die, die die Macht der Wunderlampe gesucht haben“, begann der Bärtige seine Erzählung wie ein erstklassiger Märchenonkel. „Einer von ihnen war dieser besondere Mann, der hier mit mir eingesperrt war. Er suchte die Lampe, anders als all die anderen, nicht aus Eigennutz. Oder vielleicht doch? Ich glaube, das ist Interpretationssache.“

Anya horchte interessiert auf. Welcher Mensch wünschte sich schon etwas ohne Eigennutz?

„Was wollte er sich denn wünschen?“

„Das, was sich wohl die meisten von uns wünschen: er wollte die Menschen, die ihm lieb und teuer waren, wieder ins Leben zurückrufen. Doch nicht etwa, weil nur er sie vermisste. Nein, es gab da jemanden anderes, der diese zwei Menschen wesentlich dringender brauchte als er selbst.“

„Aber der Jinn kann keine Menschen wiederbeleben, hat er gesagt!“ Anya schnaubte. „Dein Kumpel war ein Trottel, wenn er sich das gewünscht hat, obwohl der Jinn ihn vorher aufgeklärt hat.“

„Oh? Nein nein nein, der Dämonenjäger hat sich etwas anderes gewünscht, als er die Regeln des Jinns erfuhr.“ Der Alte schenkte ihr eines seiner zahnlosen Lächeln und betrachtete anschließend seinen Stab. „Er wollte frei sein von dem Schmerz und der Verantwortung, den der Verlust dieser beiden mit sich brachte. Dieser Wunsch geschah aus Eigennutz. Und du musst wissen, die beiden, die er ins Leben zurückrufen wollte, waren ebenfalls Dämonenjäger. Gestorben durch die Hand ihrer Beute.“

„Das ist … Pech für die“, raunte Anya, die eigentlich etwas ganz anderes sagen wollte.

„Mehr als nur Pech. Sie starben, weil sie sich überschätzt hatten. Aber ein Vater wird immer versuchen, seine Tochter zu retten, nicht wahr?“

Die Nase rümpfend, legte Anya wieder eine Hand auf ihre Wange und starrte bewusst zur Seite. „Nicht alle Väter, Opa …“

„Dieser hier schon. Sein Wunsch war es lediglich, sie wiederzusehen. Sie und ihren Ehemann, der ebenfalls starb. Damit sie sich um sein Enkelkind, ihren Sohn, kümmern konnten.“ Plötzlich klang der Fremde so unendlich traurig, dass Anya gar nicht anders konnte, als ihn anzusehen. „Aber indem er in seinem schwachen Moment die falschen Worte gewählt hatte … landete er hier.“

„Nicht losheulen“, motzte sie ihn unbeholfen an, „er ist doch jetzt tot und bei ihnen. Im Himmel oder sonst wo! Oder nicht?“

Aber unerwartet lächelte er sie wieder an und wischte sich eine Träne aus dem Auge. „Du bist ein gutes Kind.“

„N-nein! Garantiert nicht!“

Was allerdings auf taube Ohren stieß. „Warum erzählst du mir nicht etwas von dir? Was hat dich dazu gebracht, den Jinn aufzusuchen?“

 

Genau das, was sie eigentlich vermeiden wollte, dachte Anya frustriert und ließ den Kopf hängen. „Spielt doch keine Rolle mehr …“

„Wir werden bestimmt noch viel Zeit miteinander verbringen. Natürlich kannst du damit warten, bis du dich bereit fühlst, darüber zu reden“, sprach er einfühlsam auf sie ein, „aber ich sehe doch, dass dich schon die ganze Zeit etwas bedrückt.“

„Es ist-“

Aber nein, sie konnte nicht darüber reden! Doch als der Alte sie so gütig ansah, dass sie seinen Blick nicht länger ertragen konnte, löste sich ungewollt ihre Zunge. „Es ist, weil ich bald sterben werde! Aber ich will nicht sterben!“

„Ist es wegen deinem Mal?“, fragte ihr Gegenüber mit Blick auf Anyas Arm, wobei der Blick auf Levriers Paktsymbol durch die schwarze Lederjacke wieder verborgen lag.

„Ja …“, brummte Anya frustriert. „Ich war blöd genug, einen Pakt mit einem Gründer einzugehen. Was das ist, ist jetzt nicht weiter wichtig, kann ich dir auch später noch erzählen. Aber in neun Tagen wird etwas passieren, das mich entweder das Leben kostet und mich in die Hölle schickt … oder zu irgendetwas macht, von dem ich keine Ahnung habe, was es überhaupt ist.“

Der Alte zog eine seiner buschigen Augenbrauen hoch. „Das klingt wirklich ernst. Welches Datum schreibt ihr denn? Ich habe leider schon lange den Überblick verloren.“

„Zurzeit den 02. November Zweitausend-…“ Den letzten Teil des Satzes hatte Anya nur leise genuschelt.

„So viel Zeit ist verstrichen? Dann bin ich bereits weit über 80 Jahre alt“, empörte sich ihr Gegenüber, jedoch durchaus belustigt über diese Tatsache. „Aber dann heißt das, dass dein Todesdatum auf den 11.11. festgelegt ist.“

 

Anya schwieg kurz, seufzte dann leise. „So sieht's aus.“

„Das ist ein sehr besonderes Datum. Ein Omen. Was hast du dir gewünscht, um deinem Schicksal zu entkommen?“

„Frei zu sein, von meinem Paktpartner getrennt zu werden. Dadurch bin ich aber hier gelandet.“

„Dann hat der Jinn deinen Wunsch fehlinterpretiert, genau wie damals bei jenem Dämonenjäger, der seinem Schmerz entkommen wollte. Wie traurig. Anscheinend versteht den Jinn nicht, was Freiheit bedeutet.“ Aber die Miene des Mannes hellte sich auf. „Aber was ist mit deinem Freund, dem Dämonenjäger? Wird er dir nicht helfen?“

„Niemals“, brummte Anya, die sich zwischenzeitlich aus dem Schneidersitz gelöst hatte und nun beide Arme um die Beine legte, als sie jene an sich heranzog. Es war, als wolle sie sich vor den Blicken ihres Gegenübers verstecken. „Denn der wäre genauso dran, wenn ich leben würde. Er ist sozusagen eines der Opfer, die benötigt werden, damit ich mein Schicksal erfülle. Nur deswegen hat er mir geholfen. Niemand … würde jemandem wie mir helfen …“

Der Opa lachte jedoch fröhlich. „So ein Quatsch. Es gibt immer jemanden, dem man etwas bedeutet, Kindchen!“

„Nicht in meinem Fall.“ Schließlich sah sie mit betrübter Mimik auf. „Ist nicht so, als ob ich nicht geahnt hätte, dass das hier schief geht. Aber dass ich jetzt weg bin heißt auch, dass keiner der anderen Malträger sterben muss. Und es bedeutet, dass meine Freunde … nicht mehr Gefahr laufen, so zu enden wie die anderen. Abby und Nick …“

Der Alte strahlte sie nun förmlich an. „Da bitte! Du hast Freunde. Und du sorgst dich um ihr Wohl, also werden sie sich auch um dich sorgen und dich hier heraus wünschen. Glaub daran!“

Doch Anya ließ wieder den Kopf auf ihre Kniescheiben sinken. „Da wäre ich mir nicht so sicher.“

 

~-~-~

 

„Verdammt! Verdammt nochmal!“

Matt stand der Schweiß auf der Stirn. Seine gezogene Karte war nicht das, was er erhofft hatte. Damit konnte er lediglich etwas länger überleben.

Den Blick auf den beflügelten Dämon vor dem Jinn werfend, musste sich Matt eingestehen, dass letzterer ein ganz schön harter Brocken war. Doch noch war nicht alle Hoffnung verloren!

„Ich sehe mich gezwungen, diese Karte hier zu spielen: [One Day Of Peace]! Damit ziehen wir beide eine Karte, können aber bis zum Ende deines nächsten Zuges dem anderen keinen Schaden zufügen.“

Wortlos zogen sie beide eine Karte, womit der Jinn nun wieder ein Blatt besaß. Matts, welches aus vier Karten bestand, machte ihm jedoch wenig Hoffnung.

„Moment-!“, platzte es aus ihm heraus, als er es noch einmal genau betrachtete. Damit konnte er-!

Selbstbewusst verkündete er, als er ein Monster auf seine Duel Disk knallte: „Dieses Monster verdeckt und dazu noch eine gesetzte Karte! Das war's für diesen Zug!“

In horizontaler Lage tauchte der Kartenrücken des Monsters vor Matt auf, während direkt dahinter seine gesetzte Falle in vertikaler Position erschien.

Lass es klappen, betete Matt im Stillen.

 

„Ich beginne meinen Spielzug“, kündigte der Jinn jenen an und zog.

Matt indes ärgerte sich regelrecht über seinen teilnahmslosen Gegner. Selbst jetzt, da dieser einen beträchtlichen Vorsprung besaß, zeigte er keine Regung von der sonst so weit verbreiteten Überheblichkeit. Aber so war das wohl bei Jinns: sie kannten keine Gefühle. Nein, ganz stimmte das nicht. Die Neugier hatte ihn dazu getrieben, Anyas Körper zu übernehmen. Also war da vielleicht doch mehr?

„Ich beschwöre [Split Psychic Manipulator].“

Unter dem unheimlichen Dämon tauchte ein alter, rundlicher Mann auf, der zwei Spritzen in den Händen hielt, die mit Schläuchen an seinem Kopf verbunden waren. Sein grauer Bart reichte bis zum Boden.

 

Split Psychic Manipulator [ATK/400 DEF/100 (1)]

 

„Durch seinen Effekt reduziere ich die Stufe des [Thought Ruler Archfiends] um eins und erschaffe eine Spielmarke, die [Split Psychic Manipulator] gleicht.“

Laut gackernd warf der Alte eine seiner Spritzen hoch in die Luft, welche das linke Bein des Dämons traf. An dem Schlauch ziehend, entnahm er jenem eine grüne Flüssigkeit, die dadurch direkt in sein Gehirn floss. Bis dem Alten ein neuer Kopf wuchs, der eines Babys.

 

Spalt-Spielmarke [ATK/400 DEF/100 (1)]

Thought Ruler Archfiend [ATK/2700 DEF/2300 (8 → 7)]

 

„Nun benutze ich diese drei Monster, um eine Synchrobeschwörung durchzuführen.“

Matt entglitten die Züge. „Was!? Noch eine!?“

„Der Stufe 1 [Split Psychic Manipulator] stimmt sich nun auf die Stufe 1-Spielmarke und den Stufe 7 [Thought Ruler Archfiend] ab. Es erscheint daraufhin [Overmind Archfiend].“

Entsetzt verfolgte Matt, wie der Körper des alten Mannes zersprang und zu einem grünen Ring wurde, wobei der Kopf des Babys diesen zusammen mit dem Dämon passiert. Ein greller Lichtblitz blendete Matt, es folgte daraufhin ein grässliches Brüllen.

„Unmöglich!“, stammelte Matt, als er dieses neue Monster sah.

Äußerlich ähnelte es stark dem [Thought Ruler Archfiend], auch wenn der Skellettanteil an seinem Körper deutlich größer geworden war, wie die Bestie an sich, welche fast den halben Gang des Bahnhofs für sich in Anspruch nahm. Zudem glänzten die Knochen nun silbrig.

 

Overmind Archfiend [ATK/3300 DEF/3000 (9)]

 

„3300!? Das ist stärker als alles, was ich besitze!“

„Ich benutze nun den Effekt dieses Monsters und verbanne [Thought Ruler Archfiend] von meinem Friedhof.“

Aus dem Friedhof des Jinns tauchte eine blaue Sphäre auf, die umgehend von seiner permanenten Zauberkarte [Soul Absorption] aufgesaugt wurde.

 

[Matt: 1650LP / Jinn: 6100LP → 6600LP]

 

„Nun aktiviere ich [Miracle Synchro Fusion]. Indem ich ein Psi-Synchromonster und ein weiteres Psi-Monster von meinem Friedhof verbanne, ermöglicht es diese Zauberkarte, dass ich [Ultimate Axon Kicker] als Fusionsbeschwörung beschwöre.“

Matts Gegner schob [Magical Android] und [Split Psychic Manipulator] in das Unterfach der Duel Disk, welches alle seine aus dem Spiel entfernten Karten aufbewahrte. Zwei weitere Seelen stiegen daraufhin aus dem Friedhof auf und wurden sofort wieder von der permanenten Zauberkarte verschlungen, um deren Besitzer jeweils 500 Lebenspunkte zu schenken.

 

[Matt: 1650LP / Jinn: 6600LP → 7600LP]

 

„Will der mich verarschen!?“, hauchte Matt heiser, als vor dem [Overmind Archfiend] -noch- ein Monster derselben Größe auftauchte.

Auch dieses ähnelte stark dem [Thought Ruler Archfiend], mit dem Unterschied, dass diese Kreatur keine Beine mehr besaß, dafür aber sein dämonischer Schweif wesentlich länger war.

 

Ultimate Axon Kicker [ATK/2900 DEF/1700 (10)]

 

Matt runzelte ärgerlich die Stirn. „Ich glaube, jetzt kapiere ich es. Diese beiden Monster sind die zwei möglichen Pfade, die [Thought Ruler Archfiend] beschreiten kann. [Overmind Archfiend] stellt das Böse dar, und dieser hier das Licht.“

„Ich verstehe diese Interpretation nicht. Doch auch wenn deine Zauberkarte dich vor Kampfschaden beschützt, gilt dies nicht für deine Monster. Darum greift [Ultimate Axon Kicker] dein verdecktes Monster an.“

„Sicher …“

Der vordere Dämon konzentrierte in seinen Klauenhänden einen grünen Energieball, den er schließlich auf Matts gesetztes Monster abfeuerte. Unter einer tosenden Explosion wurde [Steelswarm Genome], eine formlose, schwarz geschuppte Gestalt, regelrecht zerfetzt. Selbst Matt, der den Schlag nicht abbekommen hatte, wurde von einer heftigen Druckwelle zurückgeworfen.

 

Steelswarm Genome [ATK/1000 DEF/0 (2)]

 

Der Jinn sah Matt teilnahmslos an, als dieser tief durchatmete. „Wenn [Ultimate Axon Kicker] ein Monster in Verteidigungsposition angreift, wird unter normalen Umständen Durchschlagschaden zugefügt. Da dies jedoch diese Runde nicht möglich war, sind deine Lebenspunkte sicher. Allerdings hat mein Monster ein anderes im Kampf zerstört, daher erhalte ich dessen Angriffspunkte, um mein Leben zu verlängern.“

„Das auch noch!?“

Grüne Lichter tanzten um den entflammten Jinn in Anyas Körper.

 

[Matt: 1650LP / Jinn: 7600LP → 8600LP]

 

„Damit ist mein Spielzug beendet.“

Matt aber starrte nur mit entglittenem Gesichtsausdruck seine Hände an. „Irgendjemand da oben muss mich wirklich hassen! Wie zum Teufel soll ich so viele Lebenspunkte auslöschen!?“

„Fahre mit deinem Zug fort, Meister“, forderte der Jinn jedoch nur, ohne ihm die Antwort für sein Problem zu geben.

 

Matt betrachtete sein Blatt, das aus seinem besten Monster und einem weiteren Artgenossen bestand. Und er hatte noch seine verdeckte Falle. Damit würde er sich zwar über Wasser halten können, aber wenn er dieses Spiel nicht bald beendete, würde er den Kampf verlieren.

Denn hier ging es nicht wirklich darum, das stärkere Monster zu beschwören. Es ging darum, wer am Ende zäher war, mit seinen Ressourcen besser umging. Und die Ressourcen des Jinns waren nicht etwa seine Karten, sondern seine Lebenspunkte, die durch seine Zauberkarte [Soul Absorption] schier unerschöpflich waren. Und nicht nur das, er besaß auch andere Wege, sie zu regenerieren, wie man anhand des [Ultimate Axon Kickers] sehen konnte. Lange würde das nicht mehr gut gehen.

„Für jemanden, der seit hunderten von Jahren in einer Lampe eingesperrt ist, bist du wirklich eine harte Nuss“, lobte Matt seinen Gegner respektvoll.

„Ich tue das, wozu ich erschaffen worden bin.“

„Keine Ahnung, ob das jetzt gut oder schlecht ist. Aber ich muss dich besiegen, damit Anya zurückkommen kann!“

Der Jinn nickte. „Das ist korrekt. Um ihren Teil des Wunsches zu erlangen, musst du mich, ihren Vertreter, in diesem Duell schlagen. Wenn du verlierst, wird der Wunsch auf mich übertragen, doch aufgrund der Beschaffenheit eines Jinns ist es ihnen nicht möglich, ihre eigenen Wünsche zu erfüllen.“

Matt kratzte sich unsicher am Kopf. „Hast du denn einen?“

„Ich weiß es nicht. Aber ich spüre den Drang, die alte Ordnung wieder herzustellen. Ist das ein Wunsch?“

„Ich glaube schon.“ Komischer Kauz, dachte sich Matt dabei. Wie aussah, wusste dieser Jinn gar nicht, was Wünsche überhaupt waren. Beziehungsweise verstand sie einfach nicht. Er lachte auf.

 

„Keine Sorge, ich helfe dir dabei schon irgendwie! Ich bin am Zug! Draw!“

Voller Schwung riss Matt die Karte von seinem Deck und brauchte nur einen kurzen Blick von der Seite auf sie zu werfen, um zu erkennen, dass -sein- Wunsch sich erfüllt hatte. „Perfekt!“

Er nahm vor seinem Gegner eine aufrechte Haltung an. „Gleich ist alles vorbei! Da ich keine Monster kontrolliere, beschwöre ich [Steelswarm Cell] als Spezialbeschwörung von meiner Hand!“

Sofort tauchte vor ihm ein kugelrunder Käfer auf, dessen kreisförmiger Schlund voller spitzer Zähne war.

 

Steelswarm Cell [ATK/0 DEF/0 (1)]

 

Sofort schwang Matt daraufhin seinen Arm aus. „Nun meine Falle: [Infestation Ripples]! Für 500 Lebenspunkte reanimiere ich jetzt [Steelswarm Genome]!“

 

[Matt: 1650LP → 1150LP / Jinn: 8600LP]

 

Kurz darauf gesellte sich zu dem dicken Käfer die unförmige, geschuppte Gestalt, die eher einer wabbeligen Masse ähnelte, denn einem Insekt.

 

Steelswarm Genome [ATK/1000 DEF/0 (2)]

 

Matt zückte nun eine seiner verbliebenen Handkarten und grinste verschlagen. „Damit ist der Weg für mein mächtigstes Monster geebnet! Gegen den hier hat niemand eine Chance! Ich biete meine beiden Monster als Tribut an, wobei ich Genomes Effekt nutze und ihn als zwei Tribute behandle! Befalle diese Welt wie eine Epidemie, vor der es kein Entkommen gibt! Herr der Seuchen, [Steelswarm Hercules]!“

Vor Matt erhob sich daraufhin ein Wesen, das es von der Größe her locker mit den Monstern des Jinns aufnehmen konnte. Wie ein Kriegsherr mutete dieser humanoide, pechschwarze Herkuleskäfer an, dessen Flügel einem Umhang gleich über dem breiten Kreuz des Monsters lagen. Gleich zwei Armpaare besaß diese Kreatur, beide übersät mit dicken, goldenen Hörnern. Das untere, kleinere verschränkte er in majestätischer Haltung, als wolle er seinen Feinden zeigen, dass es niemand mit ihm aufnehmen konnte.

 

Steelswarm Hercules [ATK/3200 DEF/0 (10)]

 

Und das konnten sie auch nicht, wie Matt im Begriff zu erklären war. „Dieses Monster kann nur durch drei erbrachte Tribute gerufen werden, hat es dafür aber in sich!“

Plötzlich packte der Herkuleskäfermann mit seinem zweiten Armpaar zwei violette Energielanzen, die er aus dem Nichts erschaffen hatte. Der Dämonenjäger sagte dazu: „Einmal pro Zug vernichtet Hercules für die Hälfte meiner Lebenspunkte absolut -alles- auf dem Spielfeld, außer sich selbst!“

 

[Matt: 1150LP → 575LP / Jinn: 8600LP]

 

Die erste Lanze warf der mächtige Krieger in die Richtung des Jinns, welcher sich jedoch nicht einmal einen Millimeter bewegte. Die zweite stemmte er vor Matt in den Boden.

„Sag Goodbye zu deinen Psychokreaturen!“, donnerte Matt siegessicher.

Dann explodierten die Lanzen, erst die geworfene, noch mitten in der Luft zwischen den beiden Monstern des Jinns, dann jene vor Matt. Der gesamte Gang des Bahnhofs wurde unter lautem Krachen in tiefen, violetten Nebel gehüllt.

Matt ballte eine Faust, als sich die Schwade um ihn herum zu lichten begann. „Das hat dich erwischt, huh?“

Als er aber zwei riesige Schatten vor sich erkannte, die sich aus dem Nebel abzuzeichnen begannen, verging ihm das Lachen. Und kaum war der Nebel ganz verschwunden, bestätigte sich seine Vermutung.

„Du bist echt nicht kleinzukriegen, was!?“

Der Jinn, welcher sich hinter seinen Monstern aufhielt, antwortete: „[Ultimate Axon Kicker] kann nicht durch Karteneffekte vernichtet werden. Außerdem beschwört [Overmind Archfiend] ein durch seinen Effekt verbanntes Monster auf meine Spielfeldseite, sollte er zerstört werden. Deswegen ist [Thought Ruler Archfiend] an seine Stelle getreten.“

 

Thought Ruler Archfiend [ATK/2700 DEF/2300 (8)]

 

„Ach so? Stimmt, jetzt seh ich den Unterschied.“

Dieser Dämon war etwas kleiner und hatte Beine. Aber Matt setzte daraufhin nur ein keckes Grinsen auf und zückte seine letzte Handkarte. „Tut mir leid, aber ich habe mir schon fast gedacht, dass deine beiden Monster nicht so leicht tot zu kriegen sein werden. Genau wie du. Deswegen war das eben nichts weiter ein Testlauf! Der wahre Spaß fängt hiermit an! Mit dem Zauber [Origins Of Infestation]!“

Plötzlich platzten aus der Brust seines Herkuleskäfers, welcher in der Zwischenzeit alles verärgert beobachtet hatte, violette Sporen hervor. Es ächzte unter Schmerzen und streckte beide Armpaare weit aus, genau wie auf Matts Karte abgebildet.

Dieser erklärte dazu: „Diese Zauberkarte funktioniert nur in Verbindung mit einem Steelswarm-Monster, das in diesem Zug als Tributbeschwörung gerufen wurde! Und sie hat es in sich! Jetzt erhält [Steelswarm Hercules] für alle seine Artgenossen und Infestation-Karten auf meinem Friedhof 200 Angriffspunkte, was insgesamt neun Stück sind!“

Der dämonische Käfermann stieß einen tiefen, kehligen Schrei aus.

 

Steelswarm Hercules [ATK/3200 → 5000 DEF/0 (10)]

 

„Und noch etwas!“, rief Matt plötzlich und fuhr sich dabei mit dem Handrücken über die blutverschmierte Nase, die er Anya zu verdanken hatte. „Dieses Monster kann zusätzlich zu seinem normalen Angriff für jedes Monster, das bei seiner Beschwörung geopfert wurde, noch einmal angreifen! Was zwei Zusatzangriffe für mich bedeutet! Das ist die volle Stärke meines Decks!“

Der Jinn nickte. „Ich verstehe. Demnach habe ich dieses Duell verloren.“

„Yeah …“ Matt schloss die Augen. „Tut mir leid für den Ärger, den Anya verursacht hat. Bald ist alles wieder so, wie es sein sollte.“

Dann riss er sie auf und streckte seinen Arm in die Höhe. „[Steelswarm Hercules], beende es! Greife die beiden Monster und anschließend den Jinn direkt an! Infestation's Solitude!“

Regelrecht kreischend reckte Matts Monster seine Brust nach vorn und schoss einen gewaltigen Laserstrahl daraus ab, der erst [Thought Ruler Archfiend], dann [Ultimate Axon Kicker] und schließlich den brennenden Jinn selbst erfasste.

Eine gewaltige Druckwelle, ausgelöst durch die Zerstörung der Monster, erfasste Matt und drohte ihn mit sich zu reißen. Aber es war nicht nur eine, nein, immer wieder entstanden neue, die sich im ganzen Bahnhof ausbreiteten.

 

[Matt: 575LP / Jinn: 8600LP → 0LP]

 

„Nenne deinen Wunsch, Meister“, drang die Stimme des Jinns trotz des Getöses glasklar an Matts Ohr.

Der, mit dem heftigen Wind kämpfend, wurde immer weiter nach hinten gedrückt. Ächzend rief er mit aller Kraft: „Ich wünsche mir, dass Anya Bauer in ihren Körper zurückkehrt! … zusammen mit allen anderen, denen durch deine Hand dieses Schicksal zuteil wurde!“

Erst gab es keine Antwort. Doch schließlich: „Dein Wunsch wurde erfüllt. Nun werde ich in meinen Schlaf zurückkehren.“

Die Druckwellen wurden zu stark für Matt. Schreiend wurde er mit ihnen gerissen, doch noch während er über den Boden flog, hörte er noch etwas.

„Mein Wunsch ist es, dass die Lampe zerstört wird.“

„Huh!?“

Dann prallte er mit voller Wucht auf dem Boden auf. Alles wurde schwarz vor seinen Augen …

 

~-~-~

 

„Was hast -du- dir eigentlich gewünscht, dass du hier gelandet bist, Opa?“, fragte Anya nach einer Weile neugierig und sah den Alten fragend an. „Die ganze Zeit hast du die Geschichten anderer erzählt und dir meine angehört. Aber warum du hier bist, weiß ich noch gar nicht.“

„Oh? Ich glaube doch.“

„Wie mein-“
 

Doch ein heftiges Beben erschütterte plötzlich die endlose Dimension. Anya kippte nach vorne, in die Arme des Mannes.

„Was ist das!?“, schrie sie und starrte mit ihm zusammen in den 'Himmel', in welchem sich plötzlich Risse bildeten, aus denen goldenes Licht drang.

„Wie es aussieht hast du doch Freunde, mein Kind!“, lachte er glücklich.

Fassungslos beobachteten beide, wie dieser befremdliche Ort in sich zusammenbrach. Und als das Licht die beiden endlich erreichte, lösten sie sich auf.

 

Anya sackte nach vorne und wusste nicht, ob sie gerade fiel oder auf dem Boden lag. Aber nein, das war …

Sie öffnete die Augen und lag auf der Brust des Mannes, welcher schwer atmete. Sofort schreckte sie auf und sah sich um.

„Huh!?“

Sie befanden sich in einer Art Lager, überall standen Kisten mit Aufschriften und auch ein Gabelstapler war hier zu finden.

„Ach so!“, schoss es aus ihr heraus, als sie schließlich verstand. Hier wurden die Briefe und Pakete gelagert und sortiert, damit sie später den Schließfächern zugeordnet werden konnten.

 

Sofort wandte sie sich an den alten Mann und packte ihn strahlend an den Schultern. „Wir sind frei! Opa, wir sind frei!“

„Ich fürchte … leider etwas zu spät …“

„Huh!?“

Der Mann öffnete keuchend seine Augen und sah sie mitleidig an. Seine Augen waren blutunterlaufen, ganz anders als noch vor wenigen Minuten. „Wie es aussieht … bin ich nicht mehr so jung wie du. In dieser Welt macht sich mein Alter bemerkbar.“

„Was redest du da!? Du siehst doch ganz fit aus für einen 80-Jährigen! Du kannst doch jetzt nicht einfach mir nichts, dir nichts krepieren!“

„Die Welt in der Lampe hat innerhalb der Jahre das Innere meines Körpers verändert. Ich musste nie essen, aber habe trotzdem so lange überlebt. Ich glaube, deshalb kann ich außerhalb der Lampe nicht mehr existieren.“

Doch Anya schüttelte ihn nur aufgeregt. „Rede nicht so'n Unsinn, das war doch alles nur Magie! Jetzt ist es vorbei!“

„Du hast Glück, dass du nicht lange dort warst.“ Der Mann lächelte glücklich, als ihn ein Hustenanfall mit blutigem Auswurf heimsuchte. Hilflos sah Anya sich um, doch es gab nichts, was sie tun konnte. Als der Anfall sich gelegt hatte, schloss er die Augen. „Du hast mich nach meinem Wunsch gefragt. Wahrscheinlich hast du es längst durchschaut, aber ich … war der Dämonenjäger, der versucht hat, seine Familie wiederzusehen.“

„Dann stirb jetzt nicht!“, schrie Anya aufgebracht. „Wir finden bestimmt einen Weg! Es gibt so vieles, was-“

„Du bist wie mein kleiner Enkel damals. Stur, aber mit dem Herz am rechten Fleck. Es tut mir leid, dass ich dir nicht helfen kann, ein Mittel zu finden kann, wie du Edens grausamen Fluch loswirst.“

Anya schreckte zurück. „Du weißt-!?“

„Sag meinem Enkel, wenn du ihm jemals begegnest … sag A- …“ Doch der Kopf des Mannes kippte zur Seite, bis sein Körper sich in grellen, tanzenden Lichtern aufzulösen begann.

Anya fasste sich an die Wange, als sie realisierte, dass er tot war. Sie war nass. Die andere auch. Ihre Augen, warum weinte sie? Warum weinte sie!? Und wieso hörte es nicht auf!?

„Tut mir leid …“, schluchzte sie unter bitteren Tränen. „Es tut mir so leid …“

 

~-~-~

 

Matt schlug benommen die Augen auf.

„Oh Gott sei dank, er ist wach!“, hörte er eine fremde Stimme rufen.

Ein Mann, den er nicht kannte, beugte sich über ihn. „Junge, bist du okay? Auf einmal lagst du am Boden.“

„Mir ist nur etwas schwindlig“, log Matt, als er die Menschentraube um sich herum bemerkte. Tatsächlich war ihm aber -sehr- schwindlig.

„Na Dornröschen, endlich aus dem Prinzessinnenschlaf aufgewacht!?“

Der Dämonenjäger schreckte auf, als sich ein Teil der Traube auflöste. Mit verschränkten Armen stand Anya vor ihm. Sie wirkte unglaublich mitgenommen, aber ansonsten unversehrt. Keine Brandwunden.

Matt sprang auf und wollte ihr entgegen kommen, doch ein Faustschlag streckte ihn nieder und warf ihn direkt auf den Boden zurück. Sofort regten die umstehenden Leute sich auf, doch Matt gebot ihnen mit erhobener Hand Einhalt. Mit aufgerissenen Augen schrie er sie von unten herab an: „Ist das der Dank dafür, dass ich gerade deinen Arsch gerettet habe!?“

„Nein! Das ist die Strafe dafür, dass ich solange warten musste, Mistkerl!“

„Du undankbares Miststück!“

Plötzlich reichte Anya ihm mit abschätziger Miene die Hand. Es schien ihr geradezu größte Mühen abzuverlangen, die folgenden Worte auszusprechen: „Trotzdem danke.“

Einen Moment mit eisigem Blick verharrend, packte Matt schließlich mit wütendem Augenrollen ihre Hand und ließ sich von ihr aufhelfen. „Keine Ursache. Und sei froh, dass ich keine Mädchen schlage. Sonst würdest du jetzt durch jeden Türschlitz passen.“

Gott, jetzt redete er sogar schon wie sie! Einen schlechteren Einfluss als die Blondine konnte es gar nicht geben!

„Ja, nur treten“, brummte Anya und erinnerte sich an ihre letzte Begegnung.

Matt wirbelte um und wies die anderen Leute um sie herum mit scheuchender Handbewegung an, dass alles gut war und sie verschwinden konnten. „Abmarsch Leute, hier gibt es nichts zu sehen, alles ist gut!“

„Ja, zieht Leine!“, half ihm Anya und die, die sie erkannt hatten, entfernten sich eiligen Schrittes von den beiden. Was nicht gerade wenige Leute waren. Eben die letzten Nullnummern, die immer noch nicht geschnallt hatten, wer da vor ihnen stand.

„... hier hat es nicht gebrannt, wie man sieht!“, rief Matt denen zu, die immer noch davon überzeugt waren, dass kurz zuvor ein Feuer getobt hatte.

„Komm, lass uns schnell verschwinden“, meinte Anya schließlich, nachdem das Chaos sich etwas gelegt hatte, und schnappte sich kurzerhand die Lampe, die vor dem Postfach auf dem Boden lag. „Ehe die Cops kommen, weil jemand mich verpetzt hat.“

„Gut …“

 

~-~-~

 

„Wo warst du überhaupt die ganze Zeit, als der Jinn deinen Körper besetzt hat?“, fragte Matt sie neugierig, als die beiden schließlich im VW-Bus des Dämonenjägergespanns saßen.

Anya, mit der Wunderlampe auf dem Schoß, drehte sich verwirrt zu ihm um. Erst zögerte sie etwas, ehe sie antwortete: „Im Elysion, wo sonst? Levrier war auch da. Der Jinn hat ihn schon unterdrückt, als wir den Bahnhof betreten haben.“

Matt schüttelte genervt den Kopf. „Dasselbe bei meinem Exemplar. Aber das hätte verdammt nochmal echt ins Auge gehen können! Was hast du dir dabei gedacht, mir einfach eins reinzuwürgen!?“

Das Mädchen zuckte mit den Schultern. „Wollte verhindern, dass du dich einmischt.“ Beschwichtigend, aber doch gleichzeitig mit ihrer typischen, unterschwelligen Boshaftigkeit, fügte sie noch hinzu: „Außerdem steht dir die Nase irgendwie gut zu Gesicht.“

Daraufhin schnaufte ihr Gegenüber wütend. „Hätte ich mich nicht eingemischt, wärst du jetzt nicht hier!“

„Ich hab mich doch schon bedankt!“

„Ja …“ Matt stöhnte und tupfte sich mit einem Taschentuch dabei die blutige Nase ab. „Auf jeden Fall sollten wir das Ding zerstören.“

Er deutete auf die blutbesudelte Messinglampe auf Anyas Schoß. „Daraus entspringt nichts Gutes! Außerdem war es der Wunsch des Jinns … glaub ich.“

„Oh, damit hab ich keine Probleme“, brummte Anya und schaute sich die Öllampe wütend an, drehte sie in ihren Händen. „Am Ende war alles nur falscher Zauber. Obwohl, die Karten hab ich noch …“

„Die was?“

„Nichts“, wich sie seiner Frage aus.

„Tch, was auch immer. Aber ich glaube“, Matt seufzte schließlich und warf das Taschentuch über seine Schulter, um sich ein neues aus dem Fach vor Anya zu holen, „dass der Jinn nicht böse war. Soweit ich es verstanden habe, liest er die Wünsche auch von unseren Herzen, nicht nur von den Lippen. Aber ein Jinn versteht weder, was Wünsche sind, noch die Emotionen, die mit ihnen gekoppelt sind. Deswegen hat er sie auch fehlinterpretiert.“

Er wandte sich neugierig an Anya. „Ich habe alle frei gewünscht, die er eingesperrt hat, vorsichtshalber. Waren denn da noch andere?“

Anya zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, ich habe niemanden gesehen. Wie auch, das Elysion ist doch nur dem Besitzer und irgendwelchen Geisterspackos zugänglich, oder nicht?“

Schließlich zückte Matt den Schlüssel und startete den Motor. „Egal, jetzt sind sie frei. Die Lampe wird die nächsten Jahrzehnte nicht zu gebrauchen sein, weil sie sich erst aufladen muss. Also können wir sie nicht noch einmal verwenden. Worum ich aber ehrlich gesagt nicht traurig bin …“

 

Hast du das vorhin gehört, Anya Bauer?

 

Anya schreckte beim Klang von Levriers Stimme auf. „Was?“

 

Vorhin. Es klang tatsächlich, als ob jemand laut geweint hat.
 

„Tch! Putz dir die Ohren, da war nichts!“ Und leise flüsternd fügte sie noch hinzu, damit Matt es nicht hörte: „Und was -da- passiert ist, geht niemanden etwas an, klar!?“
 

Du wirst dich nie ändern, oder?

 

„Scheint ja wieder alles beim Alten zu sein“, kommentierte Matt die Selbstgespräche des Mädchens belustigt. „Das war ein totaler Reinfall. Ich will jetzt einfach nur nachhause und ins Bett … und Alector wird sich was anhören können!“

„Ja …“

 

Ein totaler Reinfall. Anya war immer noch an Levrier gebunden. Selbst der Jinn hatte ihr am Ende nicht helfen können. Vielleicht gab es wirklich keinen Weg, von Levrier loszukommen? Es war wohl wirklich ihr Schicksal …

 

 

Turn 24 – The Collector

Am Folgetag entschließt sich Anya dazu, endlich die Orte zu untersuchen, an denen die verschiedenen Pakte geschlossen worden sind. Nachdem sie zu einer interessanten Schlussfolgerung gekommen ist, wird sie plötzlich von einem Mann angesprochen, der sich als derselbe Dämon herausstellt, welcher schon Marc ins Leben zurückgeholt hat – der Sammler. Und er macht Anya ein Angebot, das geradezu verführerisch gut klingt. Jedoch …



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  fubukiuchiha
2017-05-09T18:52:41+00:00 09.05.2017 20:52
Hi
Klasse Kapitel, Anya taut wirklich so langsam auf, aber sie bleibt ihnen Marotten treu. Der Alte in der Lampe tut mir leid, aber wenigstens hatte er noch mal jemanden zum Reden.
Matt ist echt ein netter Kerl, denn er tut alles um anderen zu helfen, auch wenn er sich selbst damit in Gefahr bringt.
Ich kann nicht sagen, wer mir besser gefällt: Nick oder Matt.
Bin auf jeden Fall gespannt wie das weiter geht.
Lg fubukiuchiha
Antwort von:  -Aska-
11.05.2017 17:54
Hi,
danke dir! Naja, manchmal kann Anya auch anders.
Matt ist, anders als die meisten Charaktere, verhältnismäßig normal. Ich würde aber sagen, Nick ist der interessantere Chara von beiden. ;-)

LG,
-Aska-


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