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Life is precious

Das Leben ist wertvoll
von

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Die Bombe

Als ich aufwachte, musste ich mich erst mal orientieren. Ich blinzelte mehrmals. Wo war ich? Da fiel es mir wieder ein. Oh. Ich war bei Jesse. Ich drehte mich langsam um, darauf bedacht, ihn mit meiner Bewegung nicht zu wecken. Doch das Bett war leer. Mein Kopf pochte ein wenig vom gestrigen Alkoholkonsum, aber es war erträglich. Wo war Jesse? Ich richtete mich auf und strich mein wirres Haar glatt. Ein kurzer Blick auf die Uhr zeigte an, dass es erst kurz nach acht war. Ich ließ mich seufzend wieder in die Kissen fallen und zog die Decke über den Kopf. Alles roch nach Jesse. Daran könnte ich mich gewöhnen. Apropos Geruch. Ich hielt meine Hand vor den Mund und schnupperte an meinem Atem. Was, wenn Jesse gleich hier reinkam und ich Mundgeruch hatte? Es war zwar nicht so schlimm, trotzdem fischte ich schnell nach meiner Handtasche und stopfte mir gleich zwei Kaugummis in den Mund. Danach entspannte ich mich und ließ mich zurück auf die Matratze sinken. Meine Hand fuhr über die Delle, die Jesses Kopf in den Daunen hinterlassen hatte. Noch immer konnte ich nicht glauben, wirklich in seinem Bett zu liegen. Wenn das ein Traum war, wollte ich, dass er niemals endete. Als ich Schritte auf dem Flur hörte, nahm ich schnell ein Taschentuch und wurde den Kaugummi wieder los und als die Tür aufging, überlegte ich einen Moment, ob ich mich schlafen stellen sollte, entschied mich jedoch dagegen. Ich schob die Decke gerade so weit zurück, dass ich über den Stoff Jesse ansehen konnte, der mich angrinste.
 

„Schon wach?“ Ich schüttelte entschieden den Kopf. Sein Haar war nass und tropfte auf sein T-Shirt. Er hatte geduscht.

„Bist du Frühaufsteher?“, fragte ich.

„Eigentlich nicht. Aber ich konnte nicht schlafen.“ Er setzte sich auf die Bettkante und zog die Decke weiter zurück, sodass ich mich nicht mehr darunter verstecken konnte.

„Hab' ich geschnarcht?“, fragte ich schuldbewusst, obwohl ich normal nicht der Schnarchtyp war. Jesse schüttelte den Kopf. Hatte ich vielleicht im Schlaf geredet? Ich konnte mich an keinen Traum erinnern, ich hatte geschlafen wie ein Stein. Ich drehte mich auch oft im Schlaf. Hoffentlich hatte ihn das nicht wachgehalten. Er strich mir eine verirrte Strähne hinters Ohr.

„Hast du gut geschlafen?“ Ich nickte nur und räusperte mich, um meine Stimme zurückzugewinnen.

„Wie ein Murmeltier“, sagte ich und richtete mich auf. Mein Blick verfing sich in Jesses nassen Haaren und den Tropfen, die sich an den Spitzen sammelten.

„Ich hatte eigentlich Frühstück im Bett erwartet“, sagte ich, hauptsächlich, um mich davon abzuhalten, ihn weiter anzustarren. Das Knistern zwischen uns war beinahe greifbar. Jesse grinste und beugte sich vor, sodass sich unsere Nasenspitzen beinahe berührten.

„Wie wär's, wenn wir gleich mit dem Nachtisch anfangen?“ Ohne Vorwarnung drehte er den Kopf und biss mir sanft in den Hals. Mir entfuhr ein erschrockener Laut, der in ein Keuchen überging, als seine Lippen meinen Hals hinaufwanderten und ich zu überrumpelt war, in irgendeiner Weise zu reagieren. Er strich mein Haar zurück, damit er besseren Zugang zu meiner Haut hatte. Ich wusste nicht, was ich machen sollte, bis seine Lippen sich zu meinen vorarbeiteten. Damit konnte ich umgehen. Etwas stürmischer, als ich eigentlich geplant hatte, erwiderte ich seinen Kuss und vergrub meine Finger in seinem nassen Haar. Ich konnte spüren, wie Jesse an meinen Lippen lächelte. Adrenalin schoss durch meine Adern und während mein Kopf mich dazu drängte, mich zurückzuhalten, sagte mein Körper etwas völlig anderes. Jesse rutschte in einer fließenden Bewegung näher, schlang einen Arm um mich und drückte mich langsam in die Kissen. Er zügelte unseren unkontrollierten Kuss ein wenig und nahm schließlich den Kopf so weit zurück, dass er mir in die Augen sehen konnte.
 

„Wenn du im Bett essen willst, sollst du dein Frühstück bekommen.“ Ein breites Grinsen lag auf seinen Lippen und er wackelte verführerisch mit den Augenbrauen. Mein Magen zog sich zusammen. So hatte ich das nicht gemeint. Ich dachte, wir hätten das gestern geklärt. Vielleicht hatte ich ihm auch falsche Signale gesendet, als ich ihm gerade um den Hals gefallen war. Ich schluckte schwer. Jesse löste sich vollkommen von mir und stand auf.

„Gibt es irgendwas, was du nicht magst?“, fragte er. Woher sollte ich das denn wissen?

„Vegetarier, richtig? Also kein Fleisch. Wie steht's mit Eiern?“ Mein Gehirn brauchte eine Weile, bis es kapierte, dass Jesse tatsächlich von Essen sprach. Ich konnte nicht leugnen, etwas enttäuscht zu sein.

„Ich bin Vegetarier, kein Veganer. Ja, ich mag Eier.“ Er grinste breit bei meinen Worten und ich zog mir die Decke über den Kopf. Er dachte genauso zweideutig wie ich.

„Das ist schön zu hören“, sagte er und ich hörte an seiner Stimme, dass er sich ein Lachen verkneifen musste.

„Lieber Rühr- oder Spiegelei?“ Ich schüttelte den Kopf unter der Decke.

„Mir egal. Mach, wie du willst.“ Er lachte noch immer.

„Okay. Bin gleich wieder da.“ Sobald er die Tür hinter sich geschlossen und ich mich etwas beruhigt hatte, wurde mir erst bewusst, wie aufmerksam es von ihm war, mir tatsächlich Frühstück ans Bett zu bringen. Ich versuchte, einzuschätzen, wie lange die Zubereitung der Eier brauchen würde. Die Vorstellung, länger als eine Viertelstunde von ihm getrennt zu sein, gefiel mir gar nicht. Es war erschreckend, wie sehr ich mich danach sehnte, auch nur im selben Raum wie Jesse zu sein. Das konnte nicht gesund sein. Ich musste mich dazu zwingen, mich nicht völlig in dem Gedanken an ihn zu verlieren. Er hatte zwar gesagt, er wolle mit mir zusammen sein, aber es war unmöglich, dass er dieselben starken Gefühle für mich hegte, wie ich für ihn. Das machte mir nichts. Es genügte mir schon, Zeit mit ihm zu verbringen, in seiner Nähe zu sein.
 

Die Tür wurde aufgerissen.

„Hey, Jesse. Hast du schon- oh. Tut mir Leid!“ Betty schloss die Tür genauso schnell wieder, wie sie sie geöffnet hatte. Mein Herz raste. Das war ziemlich peinlich gewesen. Sie überlegte es sich anscheinend jedoch anders, denn sie kam erneut herein. Ich setzte mich auf und zog mir gleichzeitig die Decke über die Schultern. Betty musste ja nicht unbedingt sehen, dass ich Jesses Kleidung trug. Das könnte sie falsche Schlüsse ziehen lassen. Wem machte ich hier eigentlich was vor? Ich lag in seinem Bett!

„Lea?“, fragte sie ungläubig und musste sich offensichtlich Mühe geben, dass ihr die Kinnlade nicht herunterfiel.

„Hey“, sagte ich und hoffte, nicht rot anzulaufen. Ihre überraschte Miene bewies mir nur einmal mehr, wie absurd es war, dass ich tatsächlich hier war, in Jesses Zimmer, in seinem Bett.

„Wo ist Jesse?“, wollte sie wissen, genauso sprachlos wie ich. Ich räusperte mich, damit meine Stimme nicht allzu piepsig klang.

„In der Küche.“ Seine Schwester sah aus, als wollte sie noch etwas sagen, besann sich jedoch eines Besseren und schloss mit einem Lächeln und entschuldigendem Schulterzucken die Tür hinter sich. Ich erinnerte mich daran, wie ich sie das erste Mal gesehen hatte. Als die beiden die Treppe gemeinsam hinaufgestiegen waren. Damals war ich eifersüchtig auf sie gewesen. Da hatte ich auch noch nicht geahnt, dass sie verwandt waren.
 

Ich wartete noch zehn Minuten, doch als Jesse nicht zurückkam, beschloss ich, mich anzuziehen, schnappte mir meine Sachen und huschte ins Bad. Wohnte Betty auch bei Greg, wenn sie so früh schon hier war? Jesse hatte nichts dergleichen erwähnt. Ich stieg die Treppen hinunter, nachdem ich seine Klamotten sorgfältig gefaltet auf den Stuhl gelegt hatte, und hörte mehrere Stimmen aus dem Wohnzimmer. Ich warf trotzdem zuerst einen Blick in die Küche. Ein halb gefüllter Teller stand auf der Arbeitsplatte, bestückt mit Rührei und Tomaten. So viel zu meinem Frühstück im Bett. Jesse war jedoch nicht zu sehen und ich überwand mich, ins Wohnzimmer zu gehen, in dem Greg und Lydia mit zwei Erwachsenen redeten. Waren das ihre Eltern? Vom Alter würde das hinkommen. Ich konnte jedoch keine Ähnlichkeit erkennen, weder bei der dunkelblonden Frau, die gerade über etwas lachte, das Greg gesagt hatte, noch dem etwas mürrisch wirkenden Mann, dessen Haar begann, an manchen Stellen auszudünnen. Allerdings hatten Greg, Betty und Jesse auch nicht gerade viel miteinander gemein – äußerlich zumindest.
 

Betty und Jesse saßen hinter dem Sofa und waren mit irgendwas schwer beschäftigt. Ich hörte Betty leise Murmeln. Niemand bemerkte mich. Ich trat ein paar Schritte in den Raum hinein und konnte nun sehen, was sie taten. Betty hielt ein großes buntes Buch und las daraus vor, während Jesse sein Kinn auf dem Schopf eines kleinen blonden Mädchens ruhen ließ, das auf seinem Schoß saß und sich an ihn lehnte, ihre volle Aufmerksamkeit auf das Buch gerichtet. Sie war unglaublich süß. Ich schätzte sie auf drei oder vier Jahre. Ihre kleinen Hände lagen auf Jesses, der seine Arme um sie geschlungen hatte. Ich dachte, er hätte keine weiteren Geschwister? Hatte er das nicht selbst zu mir gesagt? Vielleicht gehörte die Kleine ja auch zu dem Paar, das noch immer in ein Gespräch mit Greg und Lydia verwickelt war.

Da fiel mir die Schaukel im Garten ein. Also hatte Greg doch Kinder. Die Vorstellung von Jesse als Onkel ließ mich schmunzeln. Bei dem Anblick, den die beiden zusammen boten, verzieh ich ihm sofort, dass er mich einfach vergessen zu haben schien. Das kleine Mädchen mit dem langen glatten Haar lachte über irgendwas in der Geschichte und alle drehten die Köpfe, ein Lächeln auf den Lippen.

„Lea. Du bist schon wach“, hallte Lydias Stimme zu mir herüber. Ich sah noch, wie Jesses Kopf erschrocken hochfuhr, bevor ich mich seiner Schwägerin zuwandte. Sollte er ruhig ein schlechtes Gewissen haben, dass er mich da oben vergessen hatte – auch wenn ich ihm nicht wirklich böse war. Und wenn er mich gar nicht vergessen hatte? Wenn er mich absichtlich nicht geholt hatte? Wollte er mich vor irgendwem verstecken?

„Morgen“, sagte ich und stellte mich zu Lydia, die sofort einen Arm um mich legte. Sie war ein so herzlicher Mensch. Man konnte gar nicht anders, als sie zu mögen. Das mir unbekannte Paar sah mich prüfend an. Sie mussten einfach die Eltern sein. Vielleicht auch Lydias Eltern?

„Das sind Pete und Helen.“ Bei dem Namen klingelte etwas. Natürlich. Lydia hatte gestern ihren Anruf erwähnt.

„Hallo“, sagte ich freundlich, reichte ihnen jedoch nicht die Hand, weil sie nicht so wirkten, als würden sie sie ergreifen.

„Das ist Lea, Jesses Freundin“, stellte Lydia mich vor und ich tat mein Bestes, nicht rot zu werden. Wir alle warfen Jesse einen Blick zu. Er beobachtete uns, schenkte seine Aufmerksamkeit jedoch wieder dem kleinen Mädchen, als sie ihre Arme streckte und an seinen Haaren zog, damit er ihr zuhörte. Ich kam mir plötzlich unerwünscht vor. Mochten seine Eltern mich nicht? Sie kannten mich ja gar nicht.

„Interessant“, sagte der Mann mit dem dünnen Haar nur und sah mir nicht in die Augen. Seine Frau schien freundlicher gestimmt zu sein, denn sie stieß dem Mann – Pete – ihren Ellbogen in die Seite und lächelte mich an.

„Und, Lea, wie lange kennen Sie Jesse schon?“ Ich schluckte und war froh, dass sie mich fragte, wie lange wir uns kannten und nicht, wie lange wir schon zusammen waren. Obwohl sie damit wahrscheinlich dasselbe meinte.

„Etwa ein halbes Jahr“, sagte ich. Kannten wir uns tatsächlich schon so lange? Nicht, dass wir uns in der ersten Zeit besonders oft gesehen hätten, geschweige denn unterhalten.

„Und Sie kommen damit klar?“, fragte Pete. Ich fand es befremdlich, gesiezt zu werden. Womit sollte ich klarkommen? Mit Jesse? Mein Herz begann, heftig zu schlagen. Ich hatte das ungute Gefühl, dass mir eine wichtige Information fehlte. Hatte ich irgendwas verpasst, irgendein Detail übersehen? Mein erster Gedanke war, dass Jesse irgendeine Krankheit hatte, von der er mir nichts erzählt hatte. Mein Magen zog sich zusammen. Aber er sah kerngesund aus.

„Pete, ich glaube nicht-“, versuchte Lydia die Situation zu retten, doch der Mann überging sie einfach.

„Er hat es Ihnen nicht gesagt, oder?“ Er hatte seine Stimme erhoben und alle sahen ihn an, nur ich nicht. Ich sah Jesse an, der sich nun erhob, die Kleine auf dem Arm.

„Was gesagt?“ Ich konnte mich nicht zurückhalten. Ich musste fragen. Wenn mit Jesse irgendwas nicht stimmte, wollte ich es sofort wissen, bevor ich meine Gefühle für ihn gar nicht mehr unter Kontrolle hatte.

„Pete“, sagte Helen mit beschwörender Stimme und wollte ihn wohl zum Schweigen bringen. Aber ich wollte nicht, dass er schwieg. Ich wollte endlich wissen, was los war.
 

„Lea.“ Ich war überrascht, als Jesse zu sprechen begann. Er wollte die Situation wohl entschärfen, aber ich wollte im Moment wirklich nichts anderes, als die Wahrheit erfahren. Warum hatte er nie was gesagt? Er kam um das Sofa herum und die kleine Schönheit in seinen Armen sah mich neugierig an.

„Darf ich dir Kelly vorstellen?“ Kelly? Irgendwie kam mir der Name bekannt vor. Die Kleine lächelte schüchtern und lehnte ihren Kopf an seine Schulter.

„Meine Tochter.“



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