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Life is precious

Das Leben ist wertvoll
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo liebe Leser! Schön, dass ihr auf meiner Seite vorbeischaut!

Der Prolog wird - anders als der Rest der Geschichte - aus der Sicht von Lydia, einer Krankenschwester, die später in der Story erneut auftauchen wird, erzählt.
Ich hoffe, der Prolog macht euch ein wenig neugierig.

Viel Spaß beim Lesen! Komplett anzeigen

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Tote Augen

Ich arbeite nun schon seit einer Weile in diesem Krankenhaus – seit fünf Jahren und elf Monaten, um genau zu sein - und ich habe schon viele schwere Verletzungen gesehen. Knochenbrüche und Verbrennungen, die so scheußlich aussehen, dass man sich am liebsten übergeben würde, egal, wie faszinierend man den Winkel findet, in dem das Bein absteht oder wie unglaublich es ist, dass der kleine Junge, der im Garten aus Versehen seinen linken Zeigefinger mit der Heckenschere abgeschnitten hat, nicht weint. In meinem Beruf lernt man viel über die Menschen. Ihre Schmerzen, körperlicher und seelischer Natur. Ihre Launen, wenn sie lange im Wartezimmer festsitzen. Ihre Verzweiflung, wenn ihnen eine negative Diagnose gestellt wird. Ihre Wut, weil sie das Krankenbett nicht verlassen dürfen, um auf die Hochzeit der kleinen Schwester zu gehen. Ihre Trauer, wenn der Tod letztendlich doch seine Fühler nach einem lieben Freund ausgestreckt hat. Ein jeder reagiert unterschiedlich, ein jeder ist anders zu behandeln. Mit all diesen Situationen komme ich klar, in all diesen Situationen kann ich stark sein und den Betreffenden Zuversicht und Halt geben, oder eine feste Hand, wenn es von Nöten ist.
 

Aber ich habe Angst vor dem Jungen, der in diesem Zimmer liegt. Ich habe Angst vor seiner Apathie, ich habe Angst vor seinen leeren Augen, ich habe Angst vor der Stille, die in diesem Raum herrscht, und ich habe Angst vor dem Sog der Resignation, der auch an mir zu ziehen beginnt, sobald ich einen Fuß dort hineinsetze.

Bevor ich die Tür öffne, atme ich tief durch und setze eine neutrale Miene auf. Er ist wach. Sein Blick schweift zu mir, und obwohl seine Augen mich fixieren, bin ich mir nicht sicher, ob er mich wirklich sieht.

„Guten Morgen, Jesse. Ich mache mal das Fenster auf.“ Ich stelle das Frühstück auf dem Bettkasten ab, ziehe die Vorhänge zurück und lasse frische Luft herein. Der Junge gibt keinen Mucks von sich, sieht mich nicht mal mehr an. Er hat bereits das Interesse verloren. Ich nehme den Deckel vom Tablett und betrachte das Essen.

„Erinnerst du dich an mich? Mein Name ist Lydia. Gestern hast du nichts gegessen. Das sollten wir heute ändern. Du musst wieder zu Kräften kommen.“ Ich glaube nicht, dass er mir zuhört. Genauso gut hätte ich mit einem Toten sprechen können. So kommt er mir auch fast vor. Blass, wie er ist, reglos, und sein versteinertes Gesicht, das für einen Siebzehnjährigen viel zu alt wirkt. Ich kann mich noch daran erinnern, wie er ausgesehen hat, als er vor zwei Tagen in dieses Zimmer gebracht wurde. Ein hübscher junger Kerl, obwohl seine Augen schon damals stumpf gewirkt hatten. Heute sind sie von dunklen Ringen umgeben. Es sieht aus, als wäre seine ergraute Haut eingefallen und Augen und Wangenknochen stechen unnatürlich hervor.

„Hast du gut geschlafen?“ Ich erwarte keine Antwort. Er hat kein einziges Wort gesprochen, seit er hier ist. Ich mache mir Sorgen um ihn. Ihn so zu sehen, bricht mir das Herz. Aber ich darf mir nichts anmerken lassen. Es wird ihm nicht helfen, wenn ich ihn bemitleide. Trotzdem kann ich mich nicht davon abhalten, meine Hand auf seine zu legen, die teilnahmslos auf der Bettdecke liegt. Seine Haut ist trocken und rissig. Es überrascht mich ein wenig, dass ich Wärme spüre. Er sieht so kalt aus. Ich sage ihm nicht, dass alles wieder gut wird, denn das wäre gelogen.

„Sag Bescheid, wenn du irgendetwas brauchst. Ich bin immer da.“

In der ganzen Zeit, in der er hier ist, hat ihn niemand besucht. Nur die Eltern des Mädchens haben sich nach seinem Befinden erkundigt. Dass sie im Moment jedoch nicht dazu imstande sind, sich um ihn zu kümmern, kann ich durchaus verstehen.

Jesse zuckt nicht mal mit dem kleinen Finger, aber immerhin sieht er mich an. Er sieht mich mit toten Augen an.



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