Wie man es noch sagen kann von Yosephia ([Romance OS-Sammlung/ Prompt-Liste]) ================================================================================ 1. “Pull over. Let me drive for awhile.” (Gavia) ------------------------------------------------- Die Straße war schnurgerade und menschenleer. Ein Weg ins Nichts. Ringsherum nur Felder auf schier unendlich vielen Hügeln, gelegentlich mal ein Baum oder ein Straßenschild. Die abzweigenden Straßen waren einspurig und meist nur durchgefahrene Sandwege, an deren Beginn immer eine kleine Überdachung mit selten mehr als einer Handvoll Briefkästen stand – wohl als Erleichterung für die Postboten gedacht, damit diese nicht in jede der kleinen Gemeinden fahren mussten. Die Häuseransammlungen selbst versteckten sich hinter den Hügeln, nur selten einmal war in der völligen Finsternis ein Licht zu erkennen, das auf so etwas wie Zivilisation schließen ließ. Juvia kniff die Augen zusammen, um sich zu konzentrieren. Ihre Finger hatten sich um das Lenkrad verkrampft und ihr Rücken schmerzte. Wie lange sie schon hier saß und das gestohlene Auto durch die abgeschiedene Landschaft lenkte, wusste sie nicht. Die Uhr am Armaturenbrett stand schon seit Beginn ihrer Fahrt auf drei Uhr nachmittags. Es war noch nicht dunkel gewesen, als sie den Autoschlüssel aus der Jacke ihres bewusstlosen Onkels gefischt hatte, daran erinnerte sie sich noch. Die Ereignisse danach waren jedoch verschwommen. Startschwierigkeiten, eine rote Ampel, viel zu viele Kurven, ein Plattenweg im Wald. Schließlich diese lange Straße durch die Hügellandschaft. „Fahr’ zur Seite. Ich übernehme für eine Weile.“ Vor lauter Schreck verriss Juvia das Lenkrad. Das Auto machte einen wilden Schlenker, welcher das Mädchen in seinem Sicherheitsgurt durchschüttelte. Mit einem heiseren Schrei trat Juvia auf die erstbeste Pedale, die sie erreichen konnte. Der Motor heulte auf und das Gefährt machte einen heftigen Satz. „Das war das Gaspedal!“ „Das hat Juvia auch gemerkt!“ Panisch nahm Juvia ihren Fuß vom Gas und tastete nach dem Bremspedal. Sie versuchte, sanft zu bremsen, wirklich, aber sie wurde dennoch ordentlich durchgerüttelt. Als das Auto endlich stand, lehnte sie ihre Stirn zitternd gegen das Lenkrad und versuchte, wieder Luft zu kriegen. „Das war schlimmer als jede Achterbahnfahrt, zu der du mich jemals überredet hast.“ Entrüstet drehte Juvia sich zu ihrem besten Freund herum. „Das ist das erste Mal, das Juvia ein Auto fährt! Sie würde gerne mal sehen, wie du das hinkriegst!“ „Pff! Sicher besser als du!“ In der Dunkelheit konnte Juvia kaum etwas vom Gesicht des Jungen sehen, aber sie wusste auch so, dass er auf seine typisch gehässige Art grinste. Jenes Grinsen, das viele glauben machte, Gajeel wäre einfach nur einer von diesen anderen prügelnden, ständig betrunkenen Jugendlichen, die durch die Straßen von Phantom Town zogen, Mülleimer demolierten, Straßenschilder beschmierten und sich an Hausecken erleichterten. Dabei hatte Gajeel nie etwas mit diesen Typen zu tun gehabt – abgesehen von dem einen mal, als er Juvia vor deren widerlichen Annäherungsversuchen gerettet hatte. Dennoch legte Gajeel es darauf an, brutal und kaltherzig zu wirken. So hatten es die meisten in Phantom Town gehalten. Nur Juvia hatte sich nie davon täuschen lassen. Vor drei Jahren nicht, als sie nach dem Tod ihrer Eltern zu ihrem Onkel nach Phantom Town geschickt und in der Schule neben Gajeel platziert worden war – damals, als er zumindest gelegentlich noch dorthin gegangen war –, und heute erst recht nicht. Gajeel war gewiss nicht die Sanftmut in Person, aber er hatte einen guten Kern. Und das, obwohl gerade er es nicht leicht gehabt hatte. Mit einer Alkoholikerin als Mutter, die sich vor einem Jahr im Vollrausch vor einen Zug geworfen hatte, und einem Erzeuger, dessen Namen er nicht einmal kannte, war Gajeel viel zu früh auf sich allein gestellt gewesen. Das Leben hatte ihn dazu gezwungen, sich eine eisenharte Schale zu zulegen. Auf einmal war Juvia froh, dass sie Gajeel nicht richtig sehen konnte. Es genügte, vage den hellen Verband an seiner Hand zu erkennen, damit Juvia sich schlecht fühlte. Immerhin war das ihre Schuld gewesen. Weil sie immer noch nicht mit dem Leben in Phantom Town zurecht gekommen war. Weil sie ihren Onkel mit ihrer Unfähigkeit, seinen Erwartungen zu entsprechen, verärgert hatte. Gajeel hatte sie davor bewahrt, verprügelt zu werden, aber dafür hatte er selbst einstecken müssen. Die Dinge waren… eskaliert. Und jetzt waren sie hier. Zwei Siebzehnjährige. Ohne Schulabschluss, ohne Führerschein, ohne Geld. In einem gestohlenen Auto. Mitten im Nirgendwo. Hinter ihnen eine Heimat, in die sie Beide nie hinein gepasst hatten. „Na los, steig’ aus und tausch’ den Platz mit mir“, knurrte Gajeel und stieß die Beifahrertür auf. Ein Schwall kühler Luft drang ins Innere des Wagens und erinnerte Juvia daran, dass sie nicht mehr als das bei sich hatten, was sie am Leibe trugen. Sie hatten sich keine Zeit genommen, um irgendetwas einzupacken. Im aufflackernden Innenlicht hatte Juvia zum Glück einen Vorwand, warum sie die Augen zukneifen musste. Das gab ihr zumindest ein paar Sekunden, um gegen die aufkommenden Tränen anzukämpfen. „Nein, du kannst deine Hand gar nicht richtig bewegen. Lass’ Juvia weiter fahren“, sagte sie schließlich und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust. „Ha?! Du schläfst doch bald ein! Außerdem fährst du lausig.“ „Du bist genauso müde wie Juvia und du hast genauso wenig Ahnung vom Autofahren!“ „Wir müssen aber weiter“, knurrte Gajeel und zog finster die Augenbrauen zusammen. „Je schneller wir nach Crocus kommen, desto besser. Da können wir das Auto zurück lassen und abtauchen.“ „Wenn der Sprit überhaupt bis dahin reicht“, wagte Juvia endlich einzuwenden. Sie verstand schon, warum Gajeel sich an diesen waghalsigen Plan klammerte. In Crocus studierte ihr gemeinsamer Freund Totomaru. Er konnte ihnen vielleicht irgendwie helfen. Eine andere Chance hatten sie nicht. Dabei hatten sie nicht einmal eine Adresse von Totomaru, geschweige denn eine Karte von Fiore, mit der sie nach Crocus finden konnten – zumal keiner von ihnen je gelernt hatte, eine Karte zu lesen. „Wenn nicht, gehen wir eben zu Fuß weiter“, erwiderte Gajeel ruppig und zuckte mit den mächtigen Schultern. „Und jetzt steig’ endlich aus!“ „Nein, Juvia ist dafür, dass wir eine Pause machen, damit wir morgen früh weiter fahren können.“ „Dann erwischen sie uns noch!“ Erschrocken zuckte Juvia zusammen. Ihr Freund hatte schon immer ein hitziges Temperament und einen sehr kurzen Geduldsfaden gehabt, aber ihr gegenüber war er noch nie laut geworden. War er etwa wütend auf sie? Gab er ihr auch die Schuld an der Situation? Obwohl er damit Recht hätte, ließ der Gedanke Juvias Herz schwer werden. „Scheiße!“ Mit einem frustrierten Schnaufen fuhr Gajeel sich durch die wilden Haare, ehe er die Autotür wieder zu zog. In der nun wieder herrschenden Dunkelheit klopfte er unbeholfen auf Juvias Oberarm – wahrscheinlich hatte er die Schulter treffen wollen. „Dann lass’ uns halt eine Pause machen. Aber sobald es hell wird, fahren wir weiter. Fahr’ noch bis zu den Bäumen da hinten, damit wir wenigstens noch ein bisschen Deckung haben.“ Juvia erhob keinen Protest. Trotz des Friedensangebotes saß ihr die Angst vor Gajeels Ablehnung noch im Nacken, schon seit Stunden genährt von ihren Selbstvorwürfen. Aber sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wie sie all das in Worte fassen sollte, also startete sie den Motor wieder. Es brauchte eine gefühlte Ewigkeit, bis der Wagen endlich dort stand, wo Gajeel ihn haben wollte. Mehrmals würgte Juvia den Motor ab und als sie es endlich geschafft hatte, standen ihr Tränen in den Augen. Wortlos, um sich nicht zu verraten, folgte sie Gajeels Beispiel und verstellte den Sitz. Im Gegensatz zu ihrem Freund war sie zum Glück klein genug, um sich in eine halbwegs liegende Position einrollen zu können, der Rücken Gajeel zugekehrt, nur zur Sicherheit, falls er morgen als Erster wach wurde. „Juvia…“ Obwohl Gajeel für seine Verhältnisse ungewöhnlich leise und sanft sprach, als würde er eigentlich hoffen, dass sie schon schlief, klang seine Stimme im angespannten Schweigen laut. Wieder verkrampfte Juvia sich, wartete auf Vorwürfe oder einfach auf das Geständnis, dass Gajeel nicht mit ihr weiter reisen konnte und wollte. „Wenn die uns erwischen sollten… dann lauf’. Ich werde sie ablenken. Verstanden?“ In Juvias Kehle bildete sich ein Kloß und neue Tränen traten unter ihren geschlossenen Lidern hervor. Sie hatte keine Ahnung, woher diese ritterliche Anwandlung kam und womit sie das überhaupt verdient hatte, aber sie war dankbar darum. Auf einmal hatte sie das Gefühl, dass es doch nicht alles so hoffnungslos war. Dass sie und Gajeel es tatsächlich bis nach Crocus schaffen konnten, wenn sie nur zusammen hielten. „Schläfst du schon?“ Jetzt flüsterte Gajeel richtig. Juvia konnte sich nicht erinnern, ihn jemals zuvor flüstern gehört zu haben. Seine tiefe Stimme hatte ein bislang unbekannte Nuance angenommen, welche etwas in ihr zum Klingen brachte, was ihr bisher noch gar nicht aufgefallen war. Ihr war warm und kribbelig zumute und ihr gingen mehrere mögliche Antworten durch den Kopf – aber letztendlich war sie zu überwältigt, um auch nur ein Wort über die Lippen zu kriegen. „Na gut…“ Jetzt klang es doch wieder mehr nach dem typischen Brummen, aber selbst das entlockte Juvia ein Lächeln. „Bis morgen…“ Während Gajeel auf der Suche nach einer bequemen Position herumraschelte, wischte Juvia sich heimlich über die Augen und schob sich schließlich eine Hand unter den Kopf, um es selbst etwas bequemer zu haben. Sie würde Gajeel eine ordentliche Antwort geben, das nahm sie sich fest vor. Und bis sie das endlich konnte, würde sie sich zusammen reißen und alles in ihrer Macht stehende dafür tun, damit sie es nach Crocus schaffen. Gemeinsam. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)