Wie man es noch sagen kann von Yosephia ([Romance OS-Sammlung/ Prompt-Liste]) ================================================================================ 13. “Sorry I’m late.” (NaLu) ---------------------------- Unruhig zupfte Lucy an ihrem dünnen Poncho herum und ließ zum wiederholten Mal ihren Blick über die Menschenmenge in der Bahnhofshalle wandern. Sie stand am Ende von Gleis Drei mit gutem Blick auf die Anzeigetafel, aber abseits der dicht gedrängten Ansammlungen von übellaunigen Reisenden mit großen Koffern und Reisetaschen. Für den Zug ME784 von Hargeon über Magnolia nach Crocus wurde bereits eine volle Stunde Verspätung angezeigt, aber tatsächlich stand Lucy schon seit mehr als einer Stunde hier und wartete. Und sie war furchtbar nervös, ohne dass sie dafür einen vernünftigen Grund nennen könnte. Es war ja nicht so, als hätte sie noch nie hier gestanden und auf ihre Freunde gewartet, immerhin hatten die Drei schon vor elf Monaten mit ihrem Wehrdienst begonnen und waren jedes zweite Wochenende für einen Heimatbesuch nach Magnolia gekommen. Lucy hatte in dieser Zeit mehr über den Bahnhof gelernt, als ihr eigentlich lieb war. Zum Beispiel wusste sie nun, dass der Kaffee vom Automaten hier absolut widerlich war – und in den Fast Food Restaurants furchtbar überteuert. Oder auch, dass die Angestellten vom Informationsschalter prinzipiell nie helfen konnten. An Gleis Fünf rotteten sich an Spieltagen immer Fußballfans zusammen, die zum Stadion von Margaret fahren wollten und dabei schon mal ordentlich vorglühten. Und die Uhr an Gleis Sechs ging immer fünf Minuten nach. Und… Lucy schnaubte leise, als ihr klar wurde, dass sie sich mal wieder selbst abzulenken versuchte, indem sie im Geiste etwas aufzählte. Eine leidige Marotte. Während der Prüfungszeit ihres ersten Semesters – das sie sich in ihrem Ehrgeiz viel zu voll gestopft hatte – hatte sie immer die Namen der alt-stellanischen Könige in chronologischer Reihenfolge mit Lebensdaten, Regierungszeit und Beinamen runter gerattert. Angeblich sollte sie die sogar im Schlaf gemurmelt haben. Aber warum sollte sie dieses Mal nervös sein? Es gab keinen Grund. Die Angelegenheit war bereits mehr oder weniger geklärt. Lucy wusste bereits, dass Natsu mit ihr Schluss machen würde. Vielleicht noch nicht an diesem Wochenende, womöglich noch nicht einmal in diesem Monat – wahrscheinlich war er sich selbst noch gar nicht darüber in Klaren, was für eindeutige Signale er aussendete – aber es war nur noch eine Frage der Zeit. Der Gedanke schmerzte Lucy mehr, als sie es in Worte fassen konnte. Als sie nach einigem Rätseln endlich zu der Erkenntnis gelangt war, was sich zwischen ihr und Natsu verändert hatte und noch verändern würde, hatte sie sich Tage lang eingeigelt und nur Levy zu sich ins Zimmer gelassen, die sie jeden Tag mit einer Packung Schokoladeneis und einer Zupfbox Taschentücher besucht und Stunden lang neben ihr ausgeharrt hatte. Sie war auf Natsu sauer gewesen, hatte ihn und seine Ideale verflucht, hatte auf die Armee geschimpft, hatte Gott und die Welt für ihr Elend verantwortlich gemacht und sich selbst als Opfer einer furchtbaren Weltverschwörung bemitleidet. Was sie Levy für diese grauenhafte Woche schuldig war, würde sich wahrscheinlich niemals zurückzahlen lassen. Heute war Lucy keineswegs über diese Sache hinweg. Um genau zu sein, nicht einmal annähernd. Es kam ihr immer noch unglaubwürdig vor, dass fast drei Jahre Beziehung ein Ende finden sollten, wenn ihre Gefühle doch immer noch so stark waren. Sie liebte Natsu, verdammt noch mal! Aber gerade weil sie ihn liebte, war sie zu dem Schluss gekommen, dass sie es auf sich zukommen lassen musste. Denn er hatte nach all dem Herumgerätsel in der Schulzeit nun endlich etwas gefunden, was er wirklich und wahrhaftig machen wollte. Er hatte seinen Weg gefunden – und dieser Weg wich nun einmal radikal von Lucys ab. Daran gab es nicht zu rütteln. Als eine knackende Lautsprecheransage die Ankunft des ME784 ankündigte, biss Lucy sich auf die Unterlippe und ballte die zitternden Finger zu Fäusten, aber sie blieb, wo sie war. Sie sah zu, wie der Zug einfuhr und wie seine Passagiere auf den Bahnsteig strömten. Weil einige der Fahrgäste, die nach Crocus fahren wollten, es nicht abwarten konnten, gab es an mehreren Türen hässliches Gedränge. Stimmen wurden laut, Gesichter rot, ganz in der Nähe sah Lucy sogar, wie ein Mann einem anderen mit der Faust drohte. Und dann stieg Natsu aus einer der Waggontüren. Trotz der Tatsache, dass er rückwärts heraus kam und seinen prall gefühlten Feldsack auf dem Rücken trug, war er für Lucy sofort zu erkennen. In vielerlei Hinsicht hatte er sich verändert, aber seine Haare waren immer noch auffällig rosafarben und wild wie eh und je. Er hielt den vorderen Rahmen eines Kinderwagens sicher in beiden Händen, während er mit den Füßen blindlings nach den Stufen und schließlich nach dem Bahnsteig tastete. Kaum dass er sicher auf dem Beton stand, griff er um und hob den Kinderwagen samt eines aufgeregt plappernden Mädchens von vielleicht zwei Jahren behutsam heraus, um ihn auf dem Bahnsteig abzustellen. Mit seiner imposanten Gestalt verschaffte er sich und dem Kind mühelos genug Platz und die Mutter des Mädchens konnte unbehelligt aussteigen, eine Hand schützend auf den Rücken des Säuglings gelegt, der im Tragetuch vor ihrem Bauch hing. Ihr folgte Gray mit einem schweren Rollkoffer, den er mit beeindruckender Leichtigkeit auf den Bahnsteig wuchtete. Zuletzt kam Erza, die sich Grays und ihren eigenen Feldsack um je eine Schulter geschlungen hatte und dabei aussah, als könnte sie locker noch zwei, drei weitere solcher Gepäckstücke tragen. Die junge Mutter bedankte sich überschwänglich bei Natsu und den Anderen und das Mädchen klatschte lachend auf Natsus Hand herum, die er grinsend für ein High Five erhoben hatte, dann war auch schon ein junger Mann mit denselben krausen, schwarzen Haaren wie das Mädchen heran getreten, der Mutter und Kinder je mit einem Wangenkuss begrüßte, Gray den Koffer abnahm und den drei Soldaten kräftig die Hand schüttelte, ehe er seine Familie vom immer noch vollgestopften Bahnsteig führte. Die ganze Szene entlockte Lucy ein wehmütiges Lächeln. So war Natsu schon immer gewesen. Stets hilfsbereit und absolut kinderlieb, immer gut gelaunt und beschwingt und beherzt, wenn es darum ging, Anderen in irgendeiner Weise zu helfen. Er sah das Schöne in den kleinen Dingen im Leben, genoss den Augenblick und verfolgte Dinge, die er für gerecht und wichtig hielt, mit all seiner Energie. Vielleicht hätte Lucy schon vor einem Jahr, als sie Natsu das erste Mal hier am Bahnhof verabschiedet hatte, bevor er in den Zug nach Hargeon gestiegen war, ahnen sollen, dass der Wehrdienst ihn nachhaltig verändern könnte. Die fiorianische Armee war mehr als nur ein tollwütiger Schützenverein, wie einige unzufriedene Steuerzahler sie verunglimpften. Seit dem Amtsantritt von Präsident Toma setzte sich die Armee in Krisengebieten ein, die von Naturkatastrophen heimgesucht worden waren – sowohl innerhalb als auch außerhalb Fiores. Bei der Armee konnte Natsu also genau das tun, was ihn nun einmal ausmachte! Deshalb würde Lucy ihn mit einem Lächeln auf den Weg schicken, wenn es so weit war – egal wie sehr es sie eigentlich schmerzte. Als Grays Blick überraschend ihrem begegnete, zuckte Lucy zusammen. Sie war schon wieder so in Gedanken gewesen, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie sich der Bahnsteig geleert hatte, sodass ihre alten Schulfreunde einen ungehinderten Blick auf sie hatten, sobald sie in ihre Richtung sahen. Gray zumindest. Der hatte sich sicher denken können, wo er Lucy suchen musste. In Grays Augen lagen Verstehen und Mitgefühl und seine sonst eher grimmige Miene wurde weicher, als er Lucy sachte zunickte. Die Blondine biss sich auf die Unterlippe. Genau wie Natsu und Erza kannte sie Gray seit fünf Jahren – eben seit sie mit ihrer Mutter nach Magnolia gezogen war –, aber dass er so einfach in ihr lesen konnte, bereitete ihr Unbehagen. Würde er Natsu davon erzählen? Immerhin waren sie seit dem Windelalter beste Freunde – auch wenn sie sich auf so ziemlich jedem Foto ihrer ersten zehn Lebensjahre, das Lucy je gesehen hatte, gezankt hatten. Ehe Lucy irgendeine Art von Gruß erkennen lassen konnte, wandte Gray sich an Erza und murmelte ihr etwas zu. Der Blick der Rothaarigen zuckte zu Lucy herüber und ihre Stirn zerfurchte sich in Sorgenfalten, ehe sie langsam Gray zunickte und sich in Bewegung setzte. Während Gray Natsu noch einen Stoß versetzte und ihn auf Lucy aufmerksam machte, ging Erza an der Blondine vorbei. Nur ganz kurz hielt sie neben ihr und schlang die Arme um ihre Schultern, um sie in eine knochenbrechende Umarmung zu ziehen. „Ich wünsche euch einen schönen Abend“, flüsterte Erza aufrichtig, dann ging sie einfach weiter. Bevor Lucy sich nach ihrer Freundin umdrehen konnte, war auch schon Gray bei ihr, legte ihr eine Hand auf die malträtierte Schulter und drückte diese behutsam. Er sagte nichts, aber auf seinen Lippen lag ein Lächeln, das eigentlich keines war. Lucy musste heftig blinzeln, um die Tränen zurück zu halten. Dass Gray und Erza auf die sonst übliche Feierrunde am Freitagabend ihrer Heimkehr nach Magnolia verzichteten, konnte ja nur bedeuten, dass Lucy sich wirklich nicht verschätzt hatte, was ihre Zukunftsaussichten mit Natsu betraf. Als sie sich wieder im Griff hatte, wandte Lucy sich Natsu zu, der langsamer auf sie zu kam. Er stürzte nicht auf sie zu, um sie wild herum zu wirbeln, wie er das am Anfang immer gemacht hatte, wenn er für ein Wochenende nach Magnolia gekommen war. Er ging langsam, jeder Schritt fest und sicher. Das gab Lucy viel zu viel Zeit, all die Veränderungen an ihm zu bemerken. Seine Schultern wirkten breiter, legten Zeugnis für das rigorose Training ab. Seinen Gesichtszügen war auch der letzte jugendliche Speck abhanden gekommen, sie waren jetzt kantig und männlich, das Kinn stoppelig, die Wangen nicht mehr so rund. Die Haare waren ein bisschen länger als früher, eine Strähne tanzte vorwitzig über Natsus Nasenwurzel. Und der Blick… Der Blick war das, woran Lucy zuallererst die Veränderung bei Natsu aufgefallen war. Er war immer noch so offenherzig und warm und voller Begeisterung für alles Mögliche, aber all dem lag jetzt auch eine allmählich immer fester werdende Entschlossenheit zugrunde. Als hätte Natsus Wesen bei der Armee das Fundament gefunden, auf dem sich alles andere aufbauen konnte. Schließlich blieb Natsu vor Lucy stehen und rieb sich mit einem schiefen Grinsen den Hinterkopf. „Sorry, ich bin spät.“ Für einige Sekunden musste Lucy an einem harten Kloß in ihrer Kehle schlucken, während sie hinter den Worten die eigentlichen hörte, die Natsu nun nicht mehr aussprach. Früher hatte Natsu sie zur Begrüßung geküsst und ihr gesagt, wie sehr er sie vermisst hatte und wie sehr er sie liebte. Wann hatte er eigentlich angefangen, aus direkten indirekte Liebesbezeugungen zu machen? Warum hatte sie so verdammt lange gebraucht, um es endlich zu begreifen? Sie dachte darüber nach, Natsu einfach darauf anzusprechen, um die unvermeidliche Trennung einfach hinter sich zu bringen und ihn dafür zu bestrafen, dass er sie zurücklassen würde, aber letztendlich brachte sie es nicht übers Herz. Weil er es nicht verdient hatte. Weil sie eigentlich nicht wirklich auf ihn sauer war. Weil sie ihn unterstützen wollte. Und weil sie wenigstens noch ein paar schöne Momente mit Natsu haben wollte, ehe es endgültig vorbei war. „Ist ja nicht deine Schuld“, erwiderte sie daher heiser, stellte sich auf die Zehenspitzen und schlang die Arme um Natsus Hals, um ihn zur Begrüßung hauchzart küssen zu können. Als er die muskulösen Arme um ihre Taille schlang und den Kuss intensiv erwiderte, fielen Lucys Augen zu und die Wärme strömte durch ihren Körper. Auch wenn es irgendwann vorbei sein würde, hier und jetzt konnte sie nicht anders, als es zu genießen! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)