To Feel The Music von DarkHide ================================================================================ Kapitel 7: ... and Truth ------------------------ An einem der folgenden Tage hörte Gackt schon früh, wie Hyde die Wohnung verließ und die Haustür danach ins Schloss fiel. Gackt schaute nur kurz auf die Uhr und drehte sich dann noch mal um. Zum Aufstehen war es für ihn noch viel zu früh. Etwas später bemerkte er auf dem Weg zum Bad, dass Hydes Zimmertür einen Spalt weit offenstand. Er wollte gar nicht ohne Erlaubnis in das Zimmer seines Mitbewohners schauen, aber als er die Tür gerade zuziehen wollte, glaubte er, etwas in Hydes Zimmer gesehen zu haben. War das eine ... Gitarre? Er hielt kurz inne, dann öffnete er die Tür doch ein Stück. Tatsächlich, Hyde hatte eine Gitarre. Etwas verwirrt war Gackt schon, aber in dem Moment dachte er sich nichts weiter dabei, schloss die Tür und ging endlich ins Badezimmer. Viel später an diesem Tag saß er mal wieder an seiner Musik. Es war schwierig. Manchmal sprühte er nur so vor neuen Ideen für Lieder, an anderen Tagen saß er ewig nur an der Melodie oder einer einzelnen Textzeile. Er hatte schon einige Zettel beschrieben, vieles durchgestrichen und spielte gerade erneut den fertigen Teil des Liedes auf dem Flügel, als Hyde nach Hause kam. „Ich bin zurück!“, verkündete er, als er das Wohnzimmer betrat. Gackt unterbrach sofort sein Klavierspiel, stand auf und ging einige Schritte auf Hyde zu. „Hey! Wie geht’s dir? Wie war dein Tag?“ „Ganz gut“, erwiderte Hyde lächelnd. Dann fragte er: „Und deiner? Kommst du voran?“ „Wenn du schon so fragst ... Ich könnte deine Hilfe gebrauchen“, erklärte Gackt. Sofort wurde Hydes Gesichtsausdruck ernster. „Meine?“, fragte er erstaunt. Gackt nickte. „Allerdings. Ich weiß ja mittlerweile, wie musikalisch du bist. Du könntest mir ruhig mal helfen.“ „Ich ... glaube wirklich nicht, dass ich dir irgendeine Hilfe wäre. Ich kann mit Musik nichts anfangen.“ „Ernsthaft? Das behauptest du immer noch?“ Gackt musste fast lachen. Warum machte Hyde das? „Findest du nicht, du solltest mir endlich mal die Wahrheit sagen?“, fragte Gackt nun. Hyde schien eine ganze Weile zu überlegen. Dann nickte er langsam. „Warum weichst du immer aus, wenn es um Musik geht?“, wollte Gackt wissen. „Ich ... Weil ich ...“ Hyde atmete tief durch, ehe er fortfuhr: „Ich kann nicht hören.“ Es brauchte eine Weile, ehe die Nachricht zu Gackt durchgedrungen war, und so blickte er Hyde einige Sekunden wortlos an. Dann schüttelte er ungläubig den Kopf. „Weißt du, Hyde, ich kann nicht glauben, dass du dir so einen Schwachsinn ausdenken musst“, stieß er schließlich hervor. Es enttäuschte und verletzte ihn, dass Hyde sich lieber Lügen ausdachte, als ihm die Wahrheit zu sagen. „Eh?“ Hyde blickte ihn verständnislos an. „Ich hab doch gehört, wie du singst und Klavier spielst“, erklärte Gackt. „Und weißt du was? Ich hab vorhin die Gitarre in deinem Zimmer gesehen. Welcher Gehörlose spielt denn Gitarre?“ Je mehr er sagte, desto wütender wurde er. „Ich dachte, wir wären mittlerweile sowas wie Freunde. Aber ganz ehrlich, den Blödsinn kannst du dir sparen.“ Hyde wusste offenbar nicht, was er sagen sollte. Er starrte Gackt entsetzt und mit halbgeöffneten Mund an. Schließlich drehte er sich um und verschwand in seinem Zimmer. Einige Zeit stand Gackt noch reglos da und schüttelte mehrmals ungläubig den Kopf. Es machte ihn wirklich wütend, dass Hyde glaubte, ihn so anlügen zu müssen. Sie lebten nun schon einige Zeit zusammen und Gackt hatte geglaubt, dass sie mittlerweile mehr als nur Mitbewohner waren. Vor allem, weil Hyde sich in letzter Zeit ihm gegenüber mehr geöffnet und auch mal etwas gemeinsam mit ihm unternommen hatte. Gackt setzte sich wieder auf den kleinen Hocker vor dem Flügel. Er konnte hören, wie Hyde wenig später durchs Wohnzimmer und zur Haustür ging, aber er drehte sich nicht um. Immerhin gab es nichts, was sie sich jetzt noch zu sagen hatten. An diesem Abend und dem Folgetag konnte Gackt sich überhaupt nicht auf seine Musik konzentrieren. Hyde war die Nacht über nicht nach Hause gekommen, aber was interessierte Gackt das schon? Am späten Nachmittag klingelte es an der Tür. Vielleicht hatte Hyde seinen Schlüssel vergessen und war nun zurückgekehrt. Als Gackt jedoch durch den Spion schaute, war es nicht Hyde, den er sah, sondern Tetsu. Als er die Tür öffnete, erklärte er daher sogleich: „Hyde ist nicht hier.“ Tetsu nickte. „Ich weiß. Er ist bei mir. Und ich bin gekommen, um mit dir zu sprechen. Hast du Zeit?“ „Klar, komm rein.“ Gackt trat einen Schritt beiseite und ließ Tetsu in die Wohnung. Nachdem dieser seine Schuhe ausgezogen hatte, gingen sie gemeinsam ins Wohnzimmer. „Ihr hattet also gestern ein wenig Streit“, begann Tetsu, als sie sich hingesetzt hatten. „So kann man das auch sagen.“ Gackt war genervt. Er mochte Tetsu eigentlich ganz gern, aber was machte er jetzt hier? „Dann erzähl mir doch mal, was los war“, forderte Tetsu Gackt auf. „Ich halte Hyde für unglaublich talentiert, was Musik betrifft“, sagte Gackt. „Aber seine blöde Lügerei geht mir auf den Sack.“ Er brauchte eine Weile, ehe er weitersprach. „Ich wollte nur seine Hilfe bei einem Lied und er behauptet ernsthaft, gehörlos zu sein. So einen Schwachsinn habe ich noch nie gehört! Warum sagt er mir nicht einfach die Wahrheit?“ „Und was ist, wenn ...“, begann Tetsu, „... Hyde die Wahrheit gesagt hat?“ „Das ist unmöglich. Wie sollte er mich denn verstehen können, wenn er mich gar nicht hören kann?“ „Kann er dich denn wirklich immer verstehen? Antwortet er jedes Mal, wenn du was sagst?“, fragte Tetsu nach. Gackt überlegte einen Moment, ehe er zugab: „Nicht jedes Mal ...“ „Er muss deine Lippen sehen, um die Worte ablesen zu können“, erklärte Tetsu. „Aber ...“ Gackt überlegte einige Zeit. Konnte das denn wirklich stimmen? Hatte Hyde ihm denn nur in Situationen „nicht zugehört“ oder ihn „nicht verstanden“, wenn er sein Gesicht nicht gesehen hatte? Gackt musste zugeben, dass da was dran war. Schon damals, als sie sich kennengelernt hatten und Hyde ihm die Wohnung gezeigt hatte, war er nicht auf Fragen eingegangen, die Gackt gestellt hatte, wenn er ihn nicht angesehen hatte. Gackt hatte all die Zeit geglaubt, dass Hyde die Fragen absichtlich überhört hatte, weil er nicht darüber reden wollte, oder dass er tatsächlich sehr verträumt war, so wie Tetsu es behauptet hatte. Dennoch, wenn er wirklich nicht hören konnte, dann konnte er wohl kaum in der Lage sein, Musik zu machen. „Es kann einfach nicht stimmen. Wie kommt es denn, dass er so gut singt?“ Tetsu lächelte leicht. „Das ist es auch, was mich erstaunt. Ich hatte geglaubt, dass er das Singen wirklich aufgegeben hat, seit er nicht mehr hören kann. Vorher hat die Musik ihm alles bedeutet. Offenbar tut sie das noch immer. Und schließlich konnte er ja vorher singen, warum sollte er nun plötzlich vergessen, wie es geht? Er kann eben nur nicht hören, ob er tatsächlich richtig singt.“ Eine Weile war es still zwischen ihnen. Dann fragte Gackt: „Was ist passiert?“ „Er hatte einen Unfall. Und seitdem ...“ Tetsu hielt einen Augenblick inne, bevor er fortfuhr: „Er ... hat sich sehr zurückgezogen. Wir haben uns so oft und lange unterhalten ... Ich habe ihm immer wieder gesagt, ob er zu laut oder zu leise, zu schnell oder zu langsam spricht. Es hat so lange gedauert, bis er überhaupt bereit war, seine Wohnung zu verlassen, geschweige denn, sich mit irgend jemandem zu unterhalten. Aber er kann das gut, nicht wahr?“ Tetsu lächelte abermals. Gackt nickte. „Ich habe davon nichts gewusst.“ Nach einer Weile fügte er hinzu: „Sagst du ihm, dass er bitte nach Hause kommen soll? Ich möchte mich bei ihm entschuldigen.“ Einige Stunden später saßen sich Gackt und Hyde am Küchentisch gegenüber. Gackt hatte sich mehrfach entschuldigt und nachdem einige Zeit Stille zwischen ihnen geherrscht hatte, meinte Gackt: „Ich finde, du solltest wieder Musik machen.“ Hyde, der ihn die ganze Zeit aufmerksam gemustert hatte, runzelte nun leicht verärgert die Stirn. Fing Gackt schon wieder damit an? „Sag mal, verstehst du es nicht? Das ist unmöglich!“ „Warum?“, wollte Gackt wissen. Um seinen Worten noch mehr Nachdruck zu verleihen, machte Hyde nach jedem Wort eine kurze Pause, als er sagte: „Weil. Ich. Sie. Nicht. Hören. Kann.“ Gackt nickte langsam. Er dachte daran, wie er Hyde im Club hatte tanzen sehen. An sein freudestrahlendes Gesicht danach. Daran, wie er Hyde beim Klavierspielen gesehen hatte. Wie er leicht vor und zurück gewippt war. Dann erklärte er ruhig: „Aber du kannst sie spüren.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)