Glasherz von abgemeldet ================================================================================ Prolog: Gegenwart - 15 ---------------------- Es geschah an dem Tag vor den Sommerferien. Sasuke wartete auf sie draußen vor der Sporthalle. Bereits als Sakura ihn auf der Bank neben dem Eingang vorfand, den Rücken gekrümmt, die Hände in der Luft zwischen den Beinen verschränkt, ahnte sie nichts Gutes. Dennoch begrüßte sie ihn, ihrem fröhlichen Naturell entsprechend, laut und aufgeweckt. Sie gingen nun schon seit zwei Monaten miteinander aus und Sakura war im siebten Himmel. Er wandte ihr den Kopf zu und nickte zum Gruß, bevor er aufstand und die Hände in die Hosentaschen vergrub. Eigentlich hatte sie ihn das allererste Mal bei ihm Zuhause besuchen wollen. Sasuke war bereits dreimal bei ihr und ihren Eltern gewesen, sie dagegen hatte nicht einen Fuß über die Türschwelle seines Heims gesetzt. Eigentlich hatten sie vereinbart, direkt nach Schulschluss zu Sasuke aufzubrechen. Doch Sasuke hatte anderes im Sinn. „Lass uns spazieren gehen“, schlug er unerwartet vor und seine Miene verriet nichts über seine Absichten. Sakura verstand nicht, was mit ihm los war, ging aber davon aus, dass er ihr beim Spaziergang alles erklären würde. Deshalb nickte sie, obwohl sie unruhig war. Im langsamen Tempo setzten sie sich in die Richtung des Sportplatzes in Bewegung. Sasuke schwieg und schwieg, während in Sakura die Anspannung immer weiter wuchs. Sie wollte nun endlich etwas sagen, da sie die Ahnungslosigkeit nicht mehr ertrug, als Sasuke zum Stehen kam. Vor ihnen breitete sich der leere Sportplatz aus. Die Laufbahn lag im Licht der Junisonne und die Blätter der Bäume über ihren Köpfen schwiegen angespannt. Sasuke drehte sich langsam zu ihr um. Sein selbst im Sommer blasses Gesicht war frei von jeglicher Empfindung, die schwarzen Augen blickten ihr matt und glanzlos entgegen. Seine Lippen teilten sich und verschlossen sich gleich wieder. Er senkte den Blick. Es schien, als ringe er mit sich selbst, und Sakuras Unruhe wuchs und wuchs. Das Herz raste ihr in der Brust und ihr Körper zitterte. „Lass uns ab sofort nicht mehr treffen.“ Die Blätter stockten. Sakura machte den Mund auf. „Bitte?“ Es dauerte, bis sie begriff, was Sasuke ihr da soeben mitgeteilt hatte. „B-Bitte?“, fragte sie dennoch in der Hoffnung, sich verhört zu haben, oder ihm die Chance zu geben, einen furchtbaren und sehr gemeinen Witz aufzudecken. Aber Sasuke schwieg. Er schwieg und schwieg und die Zeit verging. „Ich werde jetzt gehen“, sagte er irgendwann. Sakura zuckte zusammen, als Sasuke die Füße in Bewegung brachte. „Warte! Sasuke! Was soll das heißen? Uns nicht mehr treffen?“ Er drehte sich nicht um, sondern steuerte den Parkplatz an, an welchem Bügelparker für Radfahrer installiert worden waren. Sasuke kam immer mit einem Fahrrad zur Schule, gelegentlich brachten ihn seine Eltern mit dem Auto hierhin. Sakura stand daneben, während Sasuke sein Fahrrad für den Heimweg startklar machte. Als er sein Fahrrad aus dem Bügel zurückschob, drehte er sich zu der vollkommen verzweifelten Sakura um, der bereits Tränen in den Augen standen, und sagte monoton: „Ich will mich mit dir nicht mehr treffen. Suche dir einen anderen potenziellen Partner.“ „Aber…“, keuchte Sakura entsetzt und einem Tränenausbruch nahe, „ich will keinen anderen. Sasuke, ich...“ Ich liebe dich. Sasukes Lider fielen zu. „Ich habe lange nachgedacht und fand keinen guten Grund, weshalb ich dich lieben sollte, und ich habe auch keinen Grund gefunden, weshalb ich von dir geliebt werden sollte.“ Er öffnete die Augen, und Sakura war, als wären die letzten Monate ein schöner Traum gewesen, der nun geendet hatte. Er schwang sich auf sein Fahrrad und fuhr los. Sakura fing an zu laufen, rief ihm zu, er solle warten, rief ihm zu, dass sie es nicht verstehe. Sie stolperte und stürzte, als er um die Ecke bog. Mühevoll und schluchzend richtete sie sich auf. Eine große, rote Wunde prangte nun auf ihrem Knie und ihre Hände hatten Schürfwunden davongetragen. Die Schmerzen waren unbeschreiblich groß. Ihr Herz schmerzte mehr. Kapitel 1: Gegenwart - 15 | Vergangenheit - 15 ---------------------------------------------- Sasuke schloss die Eingangstür und lehnte sich dagegen, tief ausatmend. Sein ausdrucksloses Gesicht galt der Decke, in deren Mitte eine einarmige Lampe angebracht war. Für eine lange Zeit verblieb er in dieser Position, bevor er sich von der Tür abstieß und die Treppe in sein Zimmer erklomm, wo er seine Tasche auf das Bett schmiss. Sasuke setzte sich an seinen Schreibtisch am Fenster, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und sah durch das gekippte Fenster auf den herrlich blauen Himmel. Nach einer Weile stand er auf. Er begann, im Zimmer auf und ab zu gehen und stieß oder trat geflissentlich nach Dingen. Als er sich wieder hinsetzte, war sein sonst so sauberes und organisiertes Zimmer nicht mehr wiederzuerkennen. Sasuke griff nach einem beliebigen Stift und begann, mit dessen Ende gegen die weiße Schreibunterlage zu tippen. „Hast du es beendet?“ Sasuke hielt inne. Es war sein älterer Bruder Itachi, der zu ihm gesprochen hatte. Er stand im Türrahmen. Wie lang er schon dort stand, das wusste Sasuke nicht. „Ja“, antwortete er und drehte den Stift mit den Fingern. „Sie hat mich ohnehin nur daran gestört, mein Ziel zu verwirklichen. Es ist gut, dass ich es beendet habe. Wenn ich mit so einem glatten Einserdurchschnitt wie du abgehen will, darf ich mich nicht von unnötigen Dingen ablenken lassen. Mädchen und Liebe rauben einem nur unnötig Zeit, Itachi.” Für Sakura hatte Sasuke die Bücher öfter zur Seite gelegt, obwohl er es sich in den Kopf gesetzt hatte, seinen Bruder zu übertreffen. Ab sofort würde ihn niemand mehr bei der Verwirklichung seines Ziels stören. Er würde mit einem hervorragenden Durchschnitt die Schule verlassen und sich dann an einer Universität immatrikulieren lassen. Er würde Jura studieren, genau wie sein Vater Fugaku, während sein Bruder Itachi, genau wie Mikoto damals, das Medizinstudium in Angriff genommen hatte. Es herrschte kein aktiver Druck seitens der Familie, und auch passiv gab es ihn nicht. Sie sagten, dass egal für welches Fach sie sich auch entscheiden würden – Mikoto und Fugaku würden stolz auf ihre Söhne sein. Itachi ging, und Sasuke sah auf den Bücherstapel zu seiner Rechten, den er vorgestern aus der Schulbibliothek ausgeliehen hatte. Er nahm das Buch ganz oben, schlug es auf und begann zu lesen. In diesem Moment klingelte es an der Tür. Sasuke machte keine Anstalten aufzustehen; er hörte, wie Itachi, der sich in sein eigenes Zimmer zurückgezogen hatte, die Treppen heruntereilte, um die Tür zu öffnen. „Sasuke“, kam es laut von Itachi. „Es ist Sakura. Sie ist verletzt!“ Sie ist verletzt! Sasuke sprang so heftig vom Stuhl auf, dass er umfiel. Gleich einem Wirbelwind flog er aus seinem Zimmer, die Treppe herunter und kam im Flur an. Hinter seiner Stirn hämmerte es unentwegt: Sakura, Sakura, Sakura… Das Bild, das sich ihm bot, ließ sein Herz zusammenkrampfen. Sakura stand im Türrahmen, eine klaffende und blutende Wunde an einem Knie, Schürfwunden am anderen Knie. Auch an den Händen hatte sie Schürfwunden davongetragen, und ihr Gesicht war komplett verheult. Was war passiert? War sie gestürzt? Wann war das passiert? Und war sie etwa zu Fuß gekommen, allein? Itachi sah Sasuke mit ernstem Ausdruck im Gesicht an. „Ich werde sie verarzten“, sagte er, als Sasuke den Kopf zur Seite wandte und sich auf die Lippe biss. „Sasuke…“, murmelte sie, aber Sasuke schüttelte das Haupt, so als wollte er es nicht wahrhaben, dass Sakura da war. Sakura folgte Itachi widerwillig in die Küche, ohne Sasuke aus den Augen zu lassen. Sasuke stand im Türrahmen, während Itachi die erschreckend große Wunde mit einem Desinfektionsmittel ohne Alkohol bearbeitete, bevor er sorgfältig ein Pflaster anbrachte.   Sie hatte den Weg hierher zurückgelegt, auf ihren eigenen Füßen. Das Bein hatte sie nicht vernünftig strecken können und hatte es mehr hinter sich her geschleppt, als dass sie damit gegangen war. Sie hatte die Schmerzen zu ertragen versucht, hatte die Blicke und besorgte Worte der einzelnen Menschen ignoriert, die ihr auf dem Weg hierher begegnet waren. „Die Wunde ist sehr tief“, sagte Itachi. „Dein Knie muss mit voller Wucht auf den Boden geprallt sein. Sie wird lange zum Verheilen brauchen. Sakura sollte keinesfalls zu Fuß zurück nach Hause gehen.“ Er richtete sich auf und sah das Mädchen an, das nach wie vor nur Augen für Sasuke hatte. „Ich werde dich fahren. Ist das in Ordnung?“, fragte Itachi sie. Nun wurde er von einem grünen Augenpaar angesehen. Ihre Augen waren gerötet und glänzten wie Tau auf Grashalmen am frühen Morgen. „Du bist Itachi, nicht wahr?“, fragte sie ihn und brachte ein gequältes Lächeln zustande. „Sasuke hat mir viel von dir erzählt. Es freut mich, Sasukes Bruder kennen zu lernen.“ „Blöde Kuh!“ Selbst Itachi fuhr zusammen, als Sasukes Stimme zornig durch die Küche vibrierte. Die Hände zu Fäusten geballt stand er mit geknirschten Zähnen da. „Wieso zum Teufel bist du hierhergekommen? Ich habe dir gesagt, dass es aus ist. Akzeptier es einfach! Du bedeutest mir nichts mehr!“ Er verpasste ihr eine Breitseite an den gemeinsten und unflätigsten Worten, die ihm bekannt waren, bevor er keuchend endete: „Lass dich von Itachi nach Hause fahren und komm nie wieder hierher.“ Er wollte sich zum Gehen wenden, als Sakura aufsprang. „Sag mir, warum es aus ist, Sasuke!“, verlangt sie, und jetzt brüllte auch sie. Itachi war zur Seite getreten, hatte sich an eine Theke gelehnt und zog die Lippen in den Mund. Die Situation für ihn war sehr unangenehm, mindestens genauso sehr wie für Sasuke selbst, der nicht damit gerechnet hatte, dass das Mädchen ihn hier aufsuchen und um ein klärendes Gespräch bitten würde – obwohl er sie auf schäbigste Art und Weise abserviert hatte. „Weil ich dich nicht mehr mag. Du gefällst mir nicht mehr. Deshalb“, antwortete Sasuke, nun etwas gefasster. „Das kaufe ich dir nicht ab“, sagte sie fest. „Erst gestern ist alles gut gewesen, und heute machst du Schluss, weil du mich von einem Tag auf den anderen nicht mehr magst?“ „Der Mensch kann sehr wankelmütig sein“, antwortete Sasuke in einem rationalen Ton. „Es ist vorbei, Sakura. Schreib es dir hinter die Ohren. Komm nie mehr hierher, ruf mich nicht an, schreib mir nicht, sprich mich nicht an, wenn wir uns nach den Sommerferien wiedersehen. Du wirst über mich hinwegkommen und einen anderen finden. Wir sind beide jung.“ Er stieg die Treppe hoch, und über Sakuras Wangen rannen stumme Tränen, während sie ihre Finger in den Stoff ihres luftigen Rocks krallte. Ein Glas, gefüllt mit kaltem Wasser, erschien in ihrem Blickfeld. Sie sah zu Itachi auf, der ihr das Glas hinhielt. „Trink“, sagte er, und als sie das Glas geleert hatte, nahm er es ihr ab. „Ich werde dich nach Hause fahren.“ Er nahm seinen Autoschlüssel von der Wand. „Ich verstehe das nicht, Itachi.“ Konnte ein Mensch wirklich derart wankelmütig sein? „Ich verstehe das nicht…“ Sie wollte wieder weinen, aber es wollten keine Tränen mehr fließen. Sie wollte nach oben zu Sasuke, aber seine Worte hatten sie endgültig entmutigt, zumindest für den heutigen Tag, weshalb sie sich das nicht traute. Daneben jammerte ihre Wunde kläglich, sie solle sich endlich hinlegen, damit das Knie nicht zu sehr beansprucht wurde. Itachi half ihr beim Aufstehen und brachte sie zu seinem Auto, das in der Garage einige Schritte vom Haus entfernt lag. Sakura nahm auf dem Beifahrersitz Platz und sah auf das Haus der Uchihas. Die genaue Adresse hatte sie nicht gekannt. Sie hatte gewusst, dass Sasuke in dieser Gegend wohnte und hatte Klingelschild für Klingelschild inspiziert, ohne an ihre Verletzung zu denken, bis sie das richtige Haus gefunden hatte. Die Zeit, das Haus von außen unter die Lupe zu nehmen, hatte sie sich nicht genommen. Aber es war schön, ausgestattet mit einem gepflegten Vorgarten, einer Vortreppe und einem Giebeldach, das sich vom klaren Himmel abhob. „Ich würde an deiner Stelle zum Arzt gehen“, ertönte Itachis Stimme neben ihr. Er startete den Motor und fuhr aus der Garage heraus. Kurz verließ er das Auto, um die Garagentür zuzumachen, bevor er sich wieder ans Lenkrad setzte. „Du hättest mit dieser Verletzung nicht hierher kommen sollen, nicht zu Fuß und auch sonst nicht. Das war sehr gefährlich.“ „Es hat so wehgetan“, gestand Sakura, und Itachi schielte zu ihr hinüber. Er empfand Mitleid und Bedauern und konnte plötzlich überhaupt nicht verstehen, weshalb Sasuke mit so einem Mädchen, das für ihn in dieser Verfassung einen recht weiten Weg zurückgelegt hatte, Schluss machte. „Aber ich wollte mit Sasuke reden. Ich hatte nichts mehr anderes vor Augen. Die Wunde war mir absolut egal.“ Für den Rest der Fahrt schwiegen sie. * Aufregung. Das war etwas, das er nicht wirklich gekannt hatte bis jetzt. Den Dingen, bei denen die meisten aufgeregt gewesen waren, war er entweder mit einem Schulterzucken oder mit zusammengezogenen Brauen begegnet. Seltener mit einer scharfen Bemerkung. Aber noch nie hatte sein Herz gegen seine Brust gehämmert, noch nie hatte er dieses merkwürdige Gefühl in seinem Körper gehabt. Sasuke war aufgeregt. Er stand vor dem Spiegel im Flur und betrachtete sein Ebenbild. Sasuke hatte sich die angemessensten Kleidungsstücke herausgesucht, die er besaß; hatte sein Haar mehrere Male mit den Fingern bearbeitet wie mit den Zinken eines Kamms, denn heute hatte er ein Date. Ein Date, das war etwas vollkommen Neues für ihn. Auf den ersten Blick unterschied sich Sakura Haruno bis auf ihre auffälligen pinken Haare nicht von den anderen Mädchen. Aber sie war anders. Sasuke hatte sie im Laufe der letzten Monate näher kennengelernt – während Gruppenarbeiten, auf dem gemeinsamen Weg nach Hause, und am allermeisten lernten sie einander kennen, als sie durch einen unglücklichen Zufall für eine Nacht in der Schule eingesperrt worden waren. In dieser Nacht begriff Sasuke, was für eine kluge Frau Sakura war. „Hast du ein Date?“ Itachi stand an der Wand gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt. Um seine Mundwinkel tanzte ein amüsierter Ausdruck. Sasuke wandte den Blick wieder seiner Reflexion zu. „Hn“, machte er nur. Itachi fasste den Laut als ein Ja auf. Er ließ seine Haltung abfallen und trat an seinen Bruder heran. „Hast du auch ein Geschenk für sie?“, fragte er, und als Sasuke die Stirn runzelte, tippte Itachi ihm mit Zeige- und Mittelfinger gegen die Stirn. Eine Geste, die Sasuke gleichermaßen mochte und verteufelte, denn manchmal blieben rote Spuren auf seiner sensiblen hellen Haut zurück. Aber es war nichts Ernstes, spätestens fünf Minuten später waren die Spuren dieser Geste nicht mehr da. „Ich würde dir raten, ihr ein Geschenk zu besorgen. Das bringt mehr Erfolg.“ Sasuke hatte den Eindruck, dass es für Itachi keine Offenbarung war, dass er ein Date hatte. In der Tat konnte man meinen, dass Itachi schon länger wusste, dass Sasuke sich für ein Mädchen interessierte. Dabei hatte er nie etwas erzählt. Hatte er sich in der Gegenwart seines Bruders vielleicht anders gegeben als sonst und sich dadurch verraten? „Ein Geschenk?“, murmelte Sasuke. Itachi lächelte. „Sag bloß, du hast überhaupt nicht daran gedacht“, meinte er. Itachi hatte eine Freundin, deren Name Izumi lautete, und hatte ihr beim ersten Date eine Kleinigkeit geschenkt. Sie waren schon lange ein Paar. Sasuke überlegte kurz. „Ich weiß nicht, was ich ihr auf die Schnelle besorgen soll. Ich muss sie in zwanzig Minuten im Café treffen.“ „Warte hier.“ Itachi verschwand, um sich seinen Pullover zu holen, in den er im Flur schlüpfte. „Lass uns zusammen in den Geschenkeladen gehen. Ich werde dir helfen.“ Sasuke liebte seinen Bruder. Aber er nahm ungerne Hilfe von ihm an, schließlich wollte er ihn übertreffen, mit eigenen Kräften und eigenem Willen. Gerade war er allerdings in einer Notsituation. Itachi hatte recht. Er brauchte ein Geschenk und hatte keine Ideen. Wieso hatte er nicht vorher daran gedacht? „Ja“, sagte Sasuke nur. _ Sie hatten Punkt 16:00 Uhr abgemacht, aber in ihrer Aufregung war Sakura zwanzig Minuten früher gekommen. Nun stand sie direkt vor dem Café, in welchem sie verabredet waren, und wartete. Gelegentlich rückte Sakura ihren Hut zurecht, prüfte im Taschenspiegel ihr Aussehen, schnüffelte an ihren Armen, um sicherzugehen, dass sie noch gut roch, und sah zu der Ampel, an welcher Sasuke bald auftauchen müsste. Es war ihr erstes Date und die Glücksgefühle, die sie heute schon den ganzen Tag durchströmten, hätte sie nie und nimmer in Worte fassen können. Sie, Sakura Haruno, und er, Sasuke Uchiha, waren auf dem besten Weg, ein Paar zu werden. Es war ein Traum in Erfüllung gegangen, als sie einander nähergekommen waren und er sie eines Tages wie beiläufig fragte, ob sie mit ihm ausgehen wolle. Und nun war es so weit. Sasuke erschien an der Ampel. Sakura warf die Hand fröhlich in die Luft, winkte ihm zu, und als er an sie trat, bemerkte sie, dass er etwas hinter seinem Rücken versteckte. Mit einem professionellen Pokergesicht sah er sie an, und Sakura war es zuwider, dass alle, die an ihnen vorbeigingen, bereits wussten, was er ihr zu geben beabsichtigte. „Was hast du da?“, fragte sie neugierig und auch ein wenig verärgert. Da holte er hinter seinem Rücken einen Plüschaffen hervor und sagte: „Das ist für dich.“ Sasuke hatte seine Zweifel gehabt, ob er Itachis Vorschlag, sich dieses Plüschvieh zu besorgen, beherzigen sollte. Wenn er jetzt allerdings sah, wie sehr Sakura sich über das Geschenk freute, hielt er Itachi für einen guten Ratgeber und war froh, dem Beispiel seines großen Bruders gefolgt zu sein. Sakura nahm den gereichten Affen so vorsichtig entgegen, als wäre es ein Lebewesen und betrachtete es lange mit leuchtenden Augen und einem Lächeln im Gesicht. Das erste Geschenk, das sie von ihm erhielt. Sie warf sich an Sasukes Brust. Es traf ihn unerwartet, denn er taumelte und riss die Augen erst erschrocken auf. Er hörte Sakura leise Danke sagen, bevor er, innerlich verlegen, zaghaft einen Arm um sie legte und über seine Schulter sah. „Lass uns reingehen“, sagte er schließlich. Es war ihm noch viel zu unangenehm, Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit auszutauschen. Sie löste sich von ihm, nickte, ergriff seine Hand und führte ihn in das Café hinein. Sie besetzten einen Platz ganz hinten, damit sie etwas Ruhe hatten. Sakura wies dem Affen einen eigenen Platz zu und wusste lange nicht, wem sie mehr Aufmerksamkeit widmen sollte. * Es war eine eigenartige Empfindung, entlassen zu werden. Die letzten Tage hatte sie größtenteils ans Krankenhausbett gefesselt verbracht, und nun durfte sie hinaus. In die Freiheit, hätte sie gesagt, aber was sie dort draußen erwartete, war nicht die süße Freiheit, nach der sich ihr Herz gesehnt hatte. Das Herz wurde ihr vor etwas mehr als einer Woche gebrochen und Sasuke hatte nicht einmal in Erfahrung bringen wollen, wie es ihr ging, ob sie noch am Leben war. Sakura hatte tagein tagaus geweint; manchmal flossen die Tränen endlos dahin, manchmal weinte sie nur innerlich. Sie hatte kaum gegessen und getrunken, und als sich ihre Eltern entschlossen hatten, zu bestimmten Maßnahmen zu greifen, war ihre Tochter ohnmächtig geworden. Sakura war sofort ins Krankenhaus gebracht und untersucht worden; in den kommenden Tagen hatte man sie aufgepeppt und sie hatte sich ein wenig beruhigt. Die Wunde auf ihrem Knie war immer noch nicht ganz stabil. Sakura stieg zusammen mit ihrer Mutter in den Wagen und schnallte sich an. Ihr Gesicht trug eine gesündere Farbe als vor fünf Tagen, aber man merkte ihr an, dass sie noch nicht vollständig genesen war. Um gänzlich gesund zu werden, musste sie Sasuke vergessen. Vergessen. Ihn aus ihren Gedanken ausradieren, die Zeit, die sie zusammen verbracht hatten, auf dem Friedhof der Erinnerungen begraben. Für einen Augenblick dachte Sakura darüber nach, die Schule zu wechseln, nach den Sommerferien auf einer leeren Seite, an einer anderen Schule anzufangen. Doch die einzige Schule in der Nähe befand sich in der nächsten Stadt. Daneben fand eine Stimme in ihrem Hinterkopf, dass es sehr extrem war, die Schule aufgrund eines Jungen zu wechseln. Ich muss in den Sommerferien über ihn hinwegkommen, dachte Sakura sich, und ihre blassen Hände wurden zu Fäusten. Aber… Kann ich das? Von Anbeginn hatte es für sie nur ihn gegeben, ihn alleine. Es hatten stets viele Mädchen für ihn geschwärmt, aber genauso viele hatten nach längerer Zeit das Interesse an ihm verloren, weil er sie nicht einmal wahrgenommen hatte. Sie hatte das Interesse nie an ihm verloren. Sie liebte ihn wirklich und sie hatte das Gefühl gehabt, dass auch er ihr im romantischen Sinne sehr zugeneigt war. Keinen anderen hatte Sasuke so nahe an sich gelassen wie Sakura. Ihr Vater war auf der Arbeit und würde sie später in die Arme schließen. In ihrem Zimmer lehnte Sakura sich gegen die geschlossene Tür und atmete tief ein und wieder aus. Sie musste alles beseitigen, was auch nur den minimalsten Bezug zu Sasuke hatte. Zuerst organisierte sie eine Tüte, in die sie an erster Stelle all die Geschenke beförderte, die Sasuke ihr in der Zeit, in der sie miteinander ausgegangen waren, geschenkt hatte. Es waren nicht viele Geschenke gewesen, schließlich waren sie keine berufstätigen Erwachsenen. Ein Plüschaffe, eine Kette und ein Bild von ihm als Kind, das er nur ungern hergegeben hatte. Auch er hatte von ihr ein Bild erhalten; es war ihre Idee gewesen, Fotos auszutauschen. Manchmal war es ihr vorgekommen, als wären sie keine fünfzehn, sondern älter gewesen und hätten sich schon länger gekannt. Sakura blickte auf den Plüschaffen in ihren Händen. Er war fast so groß wie ihr Oberkörper und sie erinnerte sich an den Tag, als er mit diesem Ding hinter seinem Rücken aufgetaucht war. Er hatte die Eigenschaft, die schönsten, liebevollsten Präsente ohne jegliche Regung im Gesicht zu verschenken. Nicht nur den Plüschaffen, sondern auch die Kette, für die er, wie sie erfuhr, selbstständig Geld gespart hatte, hatte er ihr mit einem Gesichtsausdruck überreicht, als wäre es nichts Besonderes. Aber sie hatte ihm jedes Mal, wenn er ihr etwas gegeben hatte, in die Augen geschaut und die Wärme registriert, die seinem Blick innegelegen hatte. Sie schluckte und presste die Lippen in den Mund, bevor sie diese Dinge in die Tüte stopfte. Sie musste über Sasuke in den Sommerferien so gut es ging hinwegkommen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)