Erinnerungen an ein Palastleben von C-T-Black ================================================================================ Prolog: Zerstörter Frieden -------------------------- Das Knacken eines Astes weckte Sesshōmaru aus seinem Schlaf. Sofort lauschte er auf weitere Geräusche, doch außer dem Ruf einer Eule konnte er nichts hören und er konnte auch keine fremde Präsenz in seinem Palast spüren. Deshalb entspannte er sich wieder und schmiegte sich an seine schlafende Frau. Langsam ließ er eine Hand über ihre Seite gleiten und legte sie schließlich auf ihren Bauch. Voller Liebe bewunderte er, wie ihr gemeinsames Kind unter ihrem Herzen heranwuchs. Bald schon würde er seine ersten Bewegungen spüren können und das erfüllte ihn mit Stolz. Lange hatte er gegen den Gedanken an ein eigenes Kind gekämpft, doch schließlich hatte er sich damit angefreundet. Vor allem da es einer von Rins größten Wünsche war. Jetzt drückte er seine Nase in ihren Nacken und atmete ihren Geruch tief ein. Die Schwangerschaft hatte diesen Verändert. Ihn würziger gemacht und jetzt konnte Sesshōmaru ihr noch weniger widerstehen als ohnehin schon. Am liebsten würde er sie keinen Augenblick mehr aus den Augen lassen und sie nur noch verwöhnen. „Unser Kind wird noch zur Nachteule, wenn du mich immer die ganze Nacht wachhältst“, murmelte Rin verschlafen. Sesshōmaru hauchte ihr einen Kuss auf den Nacken. „Verzeih, ich wollte dich nicht wecken“, entgegnete er leise. Rin streckte sich in seiner Umarmung und drehte sich dann zu ihm um, so dass sie ihn ansehen konnte. Sie Lächelte und ihr Gesicht strahlte dabei wie die aufgehende Sonne. Ihre Hände legte sie auf seine Brust, bevor sie sich ihm entgegen streckte. Sesshōmaru wusste sofort was sie von ihm wollte, kam ihr entgegen und küsste sie sanft. Noch während des Kusses übte Rin Druck mit ihren Händen auf seine Brust aus und drängte ihn so zurück in die Matratze. So, dass sie halb auf ihm lag und er seine Arme um sie schlingen konnte. „Ich würde mit niemandem lieber die ganze Nacht wach bleiben“, sagte Rin mit einem Lächeln an seinen Lippen. Der folgende Kuss war intensiver, leidenschaftlicher und raubte Rin den Atem. Wenn sie solche Dinge zu ihm sagte, dann konnte sich Sesshōmaru einfach nicht beherrschen und das wusste sie nur zu gut. Doch noch bevor Sesshōmaru weiter gehen konnte, spürte er etwas und hielt inne. „Rin, nimm dein Tantō und verschließ die Tür!“, befahl er und griff nach seinen Schwertern, die er immer griffbereit neben dem Bett stehen hatte. Sofort war auch Rin in Alarmbereitschaft. Sie sprang aus dem Bett, zog ihren leichten Yukata an und nahm sich dann ihren Dolch, den sie in einer Kommode aufbewahrte. In der Zwischenzeit hatte sich Sesshōmaru bereits komplett angezogen und stand an der Tür zu ihrem Zimmer. Die Hand auf seinen Schwertern. Rin trat zu ihm und legte ihm eine Hand auf den Oberarm. „Was ist los?“, fragte sie leise. Sesshōmaru sah in den Flur und Rin sah seine Ohren zucken. „Jemand ist in den Palast eingedrungen. Bleib hier, ich werde nachsehen“, erklärte er sich ebenfalls leise. Er war schon zur Tür draußen, als er noch einmal zurück kam, einen Arm um Rin schlang und sie küsste. In der nächsten Sekunde war er verschwunden und Rin verschloss die Tür hinter ihm. Der Palast war zu ruhig. Gewöhnlich war immer irgendjemand wach und verursachte Geräusche, nur heute nicht. Sesshōmaru hätte es sich denken müssen, als er aufgewacht war. Einfach so riss ihn nichts aus dem Schlaf, doch bis vor ein paar Minuten hatte er nichts gespürt. Jetzt aber schien sein Heim von Fremden umzingelt. Es waren Menschen, dass wusste er genau und er empfand es als mutig von ihnen, sich einfach so zu nähern. Sie wussten offenbar nicht mit wem sie es zu tun hatten. Denn er gab keinen Deut auf das Leben dieser Menschen. Er hatte zwar schon von ähnlichen Vorfällen gehört, doch diese waren bisher weiter entfernt vorgefallen und hatte weit weniger bedeutende Dämonen getroffen. Immer waren es Angriffe auf Paläste und Häuser gewesen, bei denen alles bis auf die Grundmauern niedergebrannt wurde. Und die Besitzer dieser Anwesen waren grausam hingerichtet und ihre Körper öffentlich zur Schau gestellt worden. Die Zeiten änderten sich gerade doch nie hätte er erwartet diese Stümper auch vor seinen Toren stehen zu sehen. Als er jetzt die große Halle betrat, wurde ihm klar, warum er nichts von den anderen Bewohnern des Palastes hörte. Über dem Boden waberte blauer Rauch und Sesshōmaru erkannte diesen sofort als Betäubungsmittel. Ein lächerlicher Versuch ihn in die Knie zu zwingen. Wie die meisten Gifte funktionierten auch solche Mittel nicht bei ihm. Sesshōmaru ließ seine Fingergelenke knacken. Für so einen Angriff würde er nicht einmal sein Schwert ziehen müssen. Bedächtig schritt er durch die Halle und kurz bevor er die Vordertür erreichte, wurde dieses aufgestoßen und er sah sich fünf Männern in Rüstung gegenüber. „Der Yōkai! Er ist nicht bewusstlos!“, riefen die Männer entsetzt. Im Vorhof entdeckte Sesshōmaru einen Samurai, der auf einem braunen Ross saß und sein Yari jetzt auf den Palast neigte. Definitiv ein Zeichen für den Angriff, weshalb Sesshōmaru kurzerhand die fünf Männer an der Tür mit seinen Klauen tötete und hinaus in die Nacht trat. „Was wollt ihr hier?“, fragte Sesshōmaru abfällig und schüttelte in einer fließenden Bewegung das Blut von seinen Klauen. „Als ob ein einfacher Yōkai so etwas verstehen könnte!“, rief der Samurai genauso abfällig zurück. Sesshōmarus Mundwinkel zuckte für den Bruchteil einer Sekunde. Es amüsierte ihn, wenn er unterschätzt wurde und er würde diesem aufgeblasenen Wurm schon zeigen was er davon hatte. „Das werden wir sehen“, sagte er deshalb, zog Bakusaiga und stürmte auf ihn los. Er hatte gerade die Hälfte des Weges zurückgelegt, als er die Männer auf dem Dach wahrnahm, seine Richtung änderte und nach oben sprang. Keine Sekunde später schlugen die Kugeln von Gewehren in die Stelle, an der er sich gerade noch befunden hatte. Auf dem Dach tötete er weitere zehn Männer, bevor er wieder hinunter in den Vorhof sprang. Doch sobald er den Boden berührte, wurde er in Rauch eingehüllt. Es war nicht der gleiche, der durch seinen Palast gewabert war. Dieser hier legte sich auf seine Lungen und schnürte ihm die Luft zum Atmen ab. Sesshōmaru sprang aus der Wolke heraus, doch seine Sicht trübte sich dabei. Was auch immer das für eine Mischung war, sie war genau für ihn bestimmt. Als er den Boden wieder berührte, musste er fast in die Knie gehen, doch diese Genugtuung gab er den Angreifern nicht. Er blinzelte, um seine Sicht wieder zu schärfen und erstarrte als er Rin sah. Sie stand an der Eingangstür zur großen Halle, ihren goldenen Stab in beiden Händen, den Blick auf ihn fixiert. Er wollte einen Schritt auf sie zu machen, als er die Männer zu seiner Rechten bemerkte. Es waren noch einmal Zehn Mann, die alle die Mündung ihrer Feuerwaffen auf ihn gerichtet hatten. Unter normalen Umständen wären sie kein Problem für Sesshōmaru gewesen, doch der Rauch hatte seine Sinne vernebelt und es fiel ihm schwer sich zu konzentrieren. Wer auch immer diese Menschen waren, sie hatten es gezielt auf ihn abgesehen und waren dafür perfekt vorbereitet. Eigentlich hätte er die Männer mit seiner Geschwindigkeit mit Leichtigkeit töten können, doch plötzlich kreisten zu viele Gedanken in seinem Kopf und immer wieder blitzte Rin vor seinem inneren Auge auf. Das veranlasste ihn schließlich dazu, auf sie zuzugehen, anstatt die Menschen anzugreifen. Er hörte ihren entsetzten Schrei noch vor dem Knallen der Teppos. Den Einschlag der Kugeln spürte er ebenfalls nicht. Er ging einfach weiter auf den Palast zu. Rin rammte währenddessen ihren Stab auf den Boden und erzeugte einen gewaltigen weißen Blitz, der die Männer mit ihren Schusswaffen traf. Dann rannte sie auf Sesshōmaru zu. Doch noch bevor sie ihn erreichte, wurde sie von weiteren Männern gefasst, die ihr den Stab abnahmen und sie wegzerren wollten. Sesshōmaru knurrte wütend und schlug mit Bakusaiga um sich. Niemand würde einfach so seine Frau anrühren und damit ungestraft davonkommen. Die Welle, die von seinem Schlag ausging traf einen der Männer, der Rin festhielt, wodurch sie sich losreisen konnte. Wieder frei suchte Rin seinen Blick und er konnte die Angst und die Sorge darin lesen. Noch ein einziges Mal versuchte er sich zu konzentrieren und gab ihr zu verstehen, dass sie fliehen musste. Es war egal was aus ihm wurde, doch Rin sollte leben, was auch immer kam. Als Rin zögerte, wusste er, dass sie ihn verstanden hatte. Eine Träne rann über ihre Wange und während Sesshōmaru aufgrund des großen Blutverlusts seiner Wunden in die Knie ging, drehte sich Rin um und lief davon. Kapitel 1: Asche und Staub -------------------------- „Wo ist sie?“ Die Stimme des Hauptmanns ließ die Wache vor dem Zelt eine noch geradere Position einnehmen. „Hier drin, Taii Maeda.“, sagte der Mann, trat zur Seite und verneigte sich tief. Mit einem knappen Nicken in Richtung der Wache schritt der Hauptmann in das Zelt. Es war eins der kleineren Zelte für gerade mal drei bis fünf Mann und gehörte den Wachen, die den Neuankömmling bewusstlos im Wald gefunden und hier her gebracht hatten. Der junge Hauptmann nahm sich nicht die Zeit die spärliche Einrichtung anzusehen. Seine Aufmerksamkeit lag allein bei der jungen Frau, die auf einem der Feldbetten lag. Benjiro, sein bester Feldwebel saß bei ihr und versuchte ihr gerade einen Löffel Suppe einzuflößen. Bevor er zu ihm trat, hielt er einen Moment inne um die Frau zu begutachten. Sie war blass und wirkte durch ihr schwarzes Haar nur noch blasser. Das ließ auf eine edle Herkunft schließen, was durch den hochwertigen Stoff ihres Yukata nur noch unterstrichen wurde. Dass sie keine Schuhe trug, verwunderte ihn dagegen und auch ihre Hände sahen so aus als müsste sie arbeiten. Zwar keine harte, körperliche Arbeit, aber dennoch etwas mit den Händen. Und bei näherer Betrachtung konnte er erkennen, dass sie ein Kind erwartete. Sie schien ein einziger Wiederspruch zu sein und das alles zerstörte leider seine Erwartungen. Als er vor wenigen Minuten die Meldung erhalten hatte, dass seine Patrouille eine Frau im Wald gefunden hatte, hatte ihn nichts mehr an seinem Schreibtisch gehalten. Er hatte sie sofort sehen wollen, denn der letzte Fremde, der gefunden worden war, war ein feindlicher Spion gewesen und hatte seinem Finder große Ehre eingebracht. Er, Keiji Maeda, hatte sich etwas Ähnliches von diesem Fund versprochen, doch jetzt wusste er nicht, was er von dieser Frau halten sollte. Sie konnte kaum älter als er selbst sein. Er schätzte sie auf Mitte Zwanzig. Aber was sollte sie allein in den Wäldern tun, vor allem in ihrem Zustand? Zwar gab es auch weibliche Spione, doch so sah sie ganz und gar nicht aus. „Benjiro, deine Männer haben sie im Wald gefunden?“, fragte Keiji, nachdem sein erster Ehrgeiz verschwunden war. Immer wieder musste sich der Hauptmann ins Gedächtnis rufen, dass er sich hier nicht am Hof befand, sondern auf einer Mission mit einigen seiner besten Soldaten und Freunde. Alle hier standen zu einhundert Prozent hinter ihm und er musste sich zu keiner Zeit mehr beweisen. Deshalb konnte er seine kühle, teilweise herablassende Art langsam ablegen und wieder zu dem mutigen, taktisch klugen Mann werden, der sich den Stolz seiner Kameraden verdient hatte. Während seiner Mission würde er schon noch herausfinden, was es mit dieser Frau auf sich hatte, weshalb er jetzt zu einem seiner besten Freunde trat. Er hatte ihn vor rund sieben Jahren auf einer Mission kennengelernt und die Kampfkraft und der unbändige Wille dieses Mannes hatten ihn so beeindruckt, dass er ihn sofort zu seinem Feldwebel auserkoren hatte. Benjiro stellte die Schale zur Seite und stand auf. Seine fließenden Bewegungen und sein wild zerzaustes, silbernes Haar, zusammen mit seinen kastanienbraunen Augen, die wie heiße Kohlen glühten, gaben ihm ein unbezähmbares Aussehen. Manche sagten sogar, dass er vom Verhalten her einem Wolf glich, was ihm auch seinen Kriegernamen Ōkami – Wolf – eingebracht hatte. Eine Tatsache, die Keiji Lächeln ließ. Wenn die Leute nur wüssten, was er wirklich für ein Typ war. Sie würden auf Sichtweite Abstand von ihm halten. „Sie haben sie so gefunden, das ist richtig. Ungefähr eine Stunde entfernt von hier. Aber es sah nicht so aus, als wäre sie auf dem Weg hier her gewesen. Außerdem erhielt ich eine Meldung von meinen Männern, dass vor zwei Nächten ein großes Feuer am Fuß der Berge gesehen wurde. Ich vermute, dass dort ein Dorf oder ein größeres Gut überfallen und niedergebrannt wurde. Wahrscheinlich kam sie von dort und befindet sich auf der Flucht, aber bisher ist sie noch nicht aufgewacht um sie zu befragen!“ Keiji nickte bei der Erklärung. Von dem Feuer hatte er ebenfalls gehört und es konnte gut möglich sein, dass sie in aller Eile von dort geflohen war. „Ich möchte, dass du hier bleibst und mir sofort berichtest, wenn sie aufwacht.“, sagte er nach einem Moment in dem er die Frau noch einmal gemustert hatte. Wer war sie nur, dass ihr Anwesen angegriffen und niedergebrannt wurde? Eigentlich dachte er alle Adligen in der Nähe der Hauptstadt zu kennen, doch sie sah er gerade zum ersten Mal. Auch wusste er von keiner Familie, die hier in der Nähe leben sollte. „Was wird dann aus unserer Mission? Du wolltest doch heute noch weiterziehen?!“, fragte Benjiro und sah Keiji an. „Auf einen Tag mehr oder weniger, kommt es auch nicht mehr an. Hätte sich an der Lage etwas geändert, dann hätten wir längst eine Nachricht erhalten. Deshalb können wir uns eine kleine Verzögerung leisten!“ Einen Moment zögerte Benjiro, bevor er nickte. „Ganz wie du willst.“, bestätigte er, woraufhin sein Hauptmann das Zelt wieder verließ. Die Frau war auch am nächsten Tag noch nicht aufgewacht. Deshalb hatte Keiji beschlossen mit ein paar seiner Männer die Stelle des Brandes zu untersuchen. Mit ihren schnellsten Pferden hatten sie sich am frühen Morgen auf den Weg gemacht und jetzt, kurz bevor die Sonne am höchsten stand, hatten sie diesen Ort erreicht. „Hier muss ein großes Anwesen gestanden haben.“, sagte einer seiner Männer, während Keiji sein Pferd an einem unbeschädigten Baum festband. Erst dann sah er sich um und auch er war erstaunt über die Zerstörungswut, die hier geherrscht hatte. Er stand direkt vor einer toten Landschaft aus Asche und Staub, die die Größe einer kleinen Stadt aufwies. Eine schwarze Wüste der Zerstörung bei der alles was hier einmal existiert hatte, bis zur Unkenntlichkeit verbrannt war. Bedächtig machte er ein paar Schritte um einen besseren Überblick über die Gegend zu erhalten, wobei immer wieder Wolken aus Asche vom Boden aufstoben. Der nahe Bachlauf war durch das Feuer verdreckt und fast ausgetrocknet aber sonst war dieser Ort ein taktisch guter Punkt um ein Anwesen zu errichten. Die Berge im Rücken, genügend frisches Wasser und der angrenzende Wald für einen ausreichenden Holzvorrat. Außerdem ein Weg, der wohl ins nächste Dorf führte. Wer auch immer hier gelebt hatte, hatte ein Auge für die Wichtigen Dinge gehabt. „Kazuma, ich will dass du diesem Weg folgst und im nächsten Dorf herausfindest wer hier gelebt hat und wer einen Groll gegen diese Leute hatte um diese so brutal auszulöschen.“, wies er Kazuma, seinen Berater, an, der sich knapp verneigte und mit einem breiten Grinsen wieder aufsah. „So gut wie erledigt.“, sagte er, bevor er sich auf sein Pferd schwang und davon galoppierte. „Der Rest sieht sich hier etwas um. Vielleicht hat irgendwas das Feuer überlebt, das uns einen Hinweis darauf geben kann, was hier passiert ist.“, wies er den Rest seiner Männer an, bevor er sich selbst ebenfalls etwas in dieser Einöde umsah. Als Benjiro nach der Mittagessenausgabe das Zelt wieder betrat, blieb er am Eingang stehen. Durch eine Öffnung im Zeltdach fiel Sonnenlicht auf die Frau, die sie im Wald gefunden hatten. Das Licht ließ ihre helle Haut wie Alabaster leuchten und zauberte einen Glanz in ihr schwarzes Haar, der ihn innehalten ließ. Da er allein war, erlaubte er sich einen Moment in diesem Anblick zu versinken, bevor er näher trat, das Essen auf einen Tisch stellte und sich wieder auf den Hocker vor das Bett setzte. Hier konnte er ganz genau den Geruch nach Wald und wilden Winden an ihr wahrnehmen. Dieser Geruch erinnerte ihn an seine Vergangenheit, an seine Freiheit und so war der Befehl, sie nicht aus den Augen zu lassen, ein leichter für ihn. Dass sie bisher nicht aufgewacht war, beunruhigte ihn allerdings. Was konnte ihr nur widerfahren sein, dass sie sich so vehement weigerte aufzuwachen? Sollte sie wirklich von dem Anwesen kommen, dass niedergebrannt worden war, dann hatte sie sicher schreckliches mitansehen müssen und konnte froh sein überhaupt noch zu leben. Aber wenn sie hier noch länger liegen blieb, dann würde das sicher dem Kind schaden. Und am Ende würden sie sie noch zurücklassen müssen. Benjiro stützte seine Ellenbogen auf seine Knie und verschränkte seine Hände. Einen Tag oder zwei konnten sie ihren Auftrag noch hinausschieben, doch dann müssten sie sich wieder auf den Weg machen. Der Daimyō würde es nicht einmal gutheißen, wenn er wüsste, dass sie sich bereits verspäteten. Denn wenn dieser etwas erledigt haben wollte, dann musste das am besten schon geschehen sein, bevor er den Befehl überhaupt aussprechen konnte. Ihr Auftrag würde sie noch viel weiter in den Süd-Westen führen. Fast an das Ende ihres Landes und in die Nähe seiner ehemaligen Heimat. Dort sollten sie eine Rebellengruppe zerschlagen und für Frieden bei der ländlichen Bevölkerung sorgen. Das klang nach einer Aufgabe für ein paar niedere Soldaten, doch Benjiro hatte bereits Gerüchte gehört. Gerüchte über Yōkai, die unter den Rebellen sein sollten und ihre Schrecken verbreiteten. Das war schon eher ein Auftrag nach ihrer aller Geschmack. Vor allem sein Taii war immer begeistert bei der Sache, wenn es um übernatürliche Wesen ging. Er war einfach der Beste, den man in solchen Fällen ausschicken konnte. Ein Lächeln huschte über Benjiros Lippen bei dem Gedanken. Wenn die Leute am Hof nur den Grund dafür erfahren würden, würden sie Keiji nie wieder auch nur in die Nähe eines Yōkais kommen lassen. Das erschreckte einatmen der Frau riss Benjiro aus seinen Gedanken. Die Frau hatte die Augen aufgerissen und atmete flach, so als wäre sie immer noch auf der Flucht. Sie setzte sich auf und versuchte mehr Raum zwischen sich und ihn zu bringen, doch das Ende des Feldbettes erlaubte ihr nicht weiter von ihm wegzurücken. Benjiro nahm seine Hände vor seinen Körper und zeigte ihr seine Handflächen, während er langsam aufstand und einen Schritt zurück trat. „Ganz ruhig. Hier wird dir nichts passieren. Du bist in Sicherheit.“, sagte er so ruhig wie möglich und versuche sie zu besänftigen. Sie zitterte wie Espenlaub und versuchte immer noch von ihm abzurücken, weshalb er noch einen Schritt zurück trat. Ihr Blick wanderte dabei an seinen Gürtel, wo er sein Katana trug. Er folgte ihrem Blick und hob seine Hände noch etwas weiter. „Ich werde es weglegen, wenn dich das beruhigt.“, erklärte er und zog es vorsichtig und langsam mit zwei Fingern aus seinem Gürtel um es auf das nächste Feldbett zu legen. „Siehst du? Niemand will dir etwas tun. Du kannst dich also beruhigen. Das würde deinem Kind sicher auch gut tun!“ Mit dieser Aussage glitt der Blick der Frau auf ihren leicht runden Bauch und nach einem Augenblick legte sie eine zitternde Hand darauf. Eine beschützende Geste, aber auch eine unsichere, wie Benjiro schnell erkannte. „Ist alles in Ordnung?“, fragte er deshalb sanft. Ihr Blick, den sie ihm daraufhin zuwarf, war voller Angst und Verzweiflung und ein einziger Hilferuf. „W- Wo bin ich hier?“ Ihre Stimme war glockenklar und klang angenehm in ihm nach, auch wenn ihm der verzweifelte Ton darin nicht entging. Benjiro ließ langsam seine Hände sinken, als er ihr antwortete: „Du befindest dich hier im Lager von Taii Keiji Maeda. Wir sind gerade in einem Auftrag unseres Daimyōs unterwegs und haben dich gestern in den nahen Wäldern gefunden. Kannst du mir sagen was du dort gemacht hast? Bist du vielleicht vor einem Überfall geflohen?“ Die Frau sah sich kurz im Zelt um, bevor sie seinem Blick wieder begegnete. Benjiro zuckte zurück, als er die Tränen in ihren Augen sah. „Ich… Ich weiß nicht… Ich kann mich an nichts erinnern!“ Kapitel 2: Die Legende der Inunoseifuku-sha-sama ------------------------------------------------ Zurück von der Erkundungsmission führte Kazuma sein Pferd gerade an die Tränke, als Benjiro plötzlich hinter ihm auftauchte und ihn damit zu Tode erschreckte. „Kazuma, ich brauche sofort deine Hilfe!“ Kazuma fuhr herum und griff sich ans Herz. „Verdammt Benjiro! Wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst dich nicht so an mich ran schleichen?“, rief er dabei. „Irgendwann fall ich noch mal Tod um. Aber ich wette darauf wartest du nur, um mich zu verschlingen!“ Kazuma hätte sich noch weiter beschwert, wenn er nicht Benjiros Gesichtsausdruck bemerkt hätte. Er ließ seine Hand von seinem Herzen sinken und sah seinen Freund prüfend an. Sein sonst so glänzendes Äußeres war an der ein und anderen Stelle getrübt. Seine Haare waren zerzauster als sonst und wenn Kazuma seiner Nase trauen konnte, dann hing das gesamte Mittagessen breit verteilt auf seiner Rüstung. „Was ist denn mit dir passiert? Hast du wieder versucht eins der Pferde anzuknabbern?“ Benjiro schnaubte verachtend, packte Kazuma am Handgelenk und zerrte ihn einfach mit sich. „Halt die Klappe und komm mit!“, knurrte er dabei und zerrte ihn bis vor das Zelt, in dem die Frau untergebracht war. Kazuma sah seinen Freund an, als sie vor dem Zelt stehen blieben. Er wusste ebenfalls wer sich darin befand, denn er war nach Benjiro der Zweite gewesen, der sie im Lager in Empfang genommen hatte und schließlich vorgeschlagen hatte sie hier unterzubringen. Dass sein Freund nicht sofort das Zelt betrat kam ihm allerdings merkwürdig vor. „Sag nicht, dass du sie verschlungen hast. Wie sollen wir das nur Keiji erklären…“ Kazuma seufzte, doch anstatt einer Antwort, wurde er von Benjiro einfach in das Zelt hineingestoßen. „Verflucht, Benjiro! Wenn du nicht damit aufhörst werde ich dich nochmal in der Luft zerreißen und anschließend selbst verspeisen!“, beschwerte er sich lautstark. Er wollte gerade wieder aus dem Zelt heraus stürmen um dem Feldwebel gehörig den Marsch zu blasen, als er hörte wie eine Schale hinter ihm zu Bruch ging. „Du kümmerst dich jetzt um sie, Kazuma. Vielleicht wird sie mit dir reden!“, hörte er Benjiro von draußen rufen, gefolgt von eiligen Schritten, die sich entfernten. Kazuma konnte es nicht glauben. Hatte sein Freund gerade tatsächlich die Flucht ergriffen? Er würde sich doch wohl nicht vor einem einfachen Mädchen fürchten? Der Mann, der ganzen Armeen das Fürchten lehren konnte, war gerade tatsächlich wie ein kleines Kind zu seiner Mutter gerannt. Oh, das würde er ihm noch ewig unter die Nase reiben. Zufrieden mit sich und der Welt wand sich Kazuma jetzt dem Zeltinneren zu. Dafür dass draußen die Sonne vom blauen Himmel brannte, war es hier verhältnismäßig Dunkel und seine Augen brauchten noch um sich daran zu gewöhnen. Deshalb konnte er nicht genau ausmachen, wo sich die Frau gerade aufhielt. Er wusste nur, dass sie nicht mehr auf diesem Feldbett lag. „Du bist also aufgewacht? Keine Sorge, Benjiro wird sich erstmal nicht mehr hier blicken lassen, du kannst also raus kommen.“, sagte er deshalb so freundlich wie er nur konnte. Sicher hatte er keinen guten ersten Eindruck hinterlassen, mit seinen Flüchen und dem Geschrei, aber Kazuma glaubte an die zweite Chance, weshalb er sich jetzt von seiner besten Seite zeigen wollte. Sie zeigte keine Reaktion. Doch er konnte sie atmen hören. Flach und hektisch. Doch je länger er am Eingang des Zelts stand umso ruhiger wurde er. Das bewies, dass sie zumindest vor ihm keine Angst hatte. „Er hat dich ganz schön erschreckt, was? Das kann ich mir gut vorstellen. Als ich Benjiro das erste Mal traf hatte ich auch Angst, dass er mich jeden Moment anfallen könnte. Aber er ist wie ein streunender Hund. Wenn du ihm etwas zu essen gibst folgt er dir überall hin und will nur noch gestreichelt werden-“ „Ihr nennt einen Wolf euren Freund?“ Ihre Stimme war angenehm klar, doch ihre Angst brachte sie zum Zittern. Sie befand sich irgendwo rechts von Kazuma und er sah in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Doch ein Lichtstrahl, der von außen in das Zelt viel, machte es ihm unmöglich sie im Schatten klar zu erkennen. Langsam seufzte er und setzte sich auf das Feldbett, das ihm am nächsten war. Nach allem was er in dem Dorf in Erfahrung gebracht hatte, hätte ihm eigentlich klar sein müssen, dass sie nichts so leicht täuschen konnte. „Du hast ihn sofort durchschaut, oder? Das ist wirklich interessant, da nur sehr wenige sofort dahinter kommen. Aber noch interessanter ist, dass du nicht Yōkai gesagt hast.“, stellte er fest und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. „Es ist wirklich wie ich gesagt habe. Er ist ein guter Kerl und verdient jede Menge Respekt dafür unter einem Daimyō zu dienen, der alle Yōkai tot sehen will. Der Hauptmann und ich sind die einzigen, die sein Geheimnis kennen und ich wäre dir sehr verbunden, wenn es jetzt unter uns vieren bleiben könnte!“ Ihre Atmung hatte sich wieder verändert. Sie ging wieder flacher, doch diesmal beruhigte sie sich schneller. Was war ihr nur zugestoßen, dass sie sich so vor einem Wolf fürchtete? „Du musst wirklich keine Angst vor Benjiro haben. Ich glaube sogar, du bist die Erste die ihm das Fürchten gelehrt hat. Was hast du getan, dass er so ängstlich davongelaufen ist?“, fragte Kazuma nach einem langen Augenblick des Schweigens. Fast glaubte er, dass sie ihm nicht antworten würde, doch dann trat sie aus dem Schatten. Zumindest so weit, dass ihre Konturen zu sehen waren. Sie war klein und zierlich und ihre Haltung zeigte deutlich die Angst, die sie immer noch empfand. Ein falsches Wort und sie würde versuchen die Flucht zu ergreifen. „Ich… Ich habe mich erschreckt und dabei den kleinen Tisch umgestoßen. Dabei ist das Essen heruntergerutscht und auf ihm gelandet. Es war keine Absicht… Nur… Nur der Wasserbecher, den ich geworfen habe…“ Bei dieser Erklärung brach Kazuma in schallendes Gelächter aus. Er konnte sich nicht helfen, denn allein die Vorstellung, wie Benjiro von Oben bis Unten mit Essen besudelt wurde und daraufhin fluchtartig das Zelt verlassen haben musste, war einfach zu amüsant. „Das hätte ich zu gerne gesehen! Kein Wunder, dass er geflüchtet ist. Sein Erscheinungsbild geht ihm einfach über alles.“, erklärte er ihr, während er sich eine Träne aus dem Augenwinkel wischte. „Aber mach dir keine Sorgen. Er ist schon groß und muss lernen mit so etwas umzugehen. Und wenn es dich beruhigt kann ich dich beschützen!“ Die Frau trat noch einen zögerlichen Schritt weiter aus dem Schatten. „Ihr schein wirklich sehr gute Freunde zu sein.“, stellte sie dabei fest. Noch einen Schritt und sie würde in den Lichtkegel treten, der vom Zeltdach herein fiel. Obwohl Kazuma sie gesehen hatte, als sie hierher gebracht worden war, war er doch gespannt, sie jetzt im Licht zu sehen. Wach und lebendig musste sie noch einmal ein ganz anderes Bild abgeben. „Ja, das sind wir wirklich. Wir kennen uns jetzt schon seit knapp fünf Jahren und waren seitdem fast immer zusammen unterwegs. Man könnte uns mit Blutsbrüdern vergleichen. Wir teilen einfach alles und vertrauen dem anderen blind unser Leben an. Du kannst mir also vertrauen, wenn ich dir sage, dass Benjiro dir niemals etwas antun würde!“ Sie nickte langsam. Das konnte Kazuma gerade so erkennen, während er voller Respekt von seinen Freunden sprach. Die Brüder seiner Wahl, die er niemals bereuen würde. Sie waren einfach alles für ihn. „Ich kann es mir selbst nicht erklären, woher diese Angst kommt, aber ich kann sie einfach nicht unterdrücken.“, gestand die Frau schüchtern, fast schon verunsichert. In diesem Moment erkannt Kazuma, dass etwas nicht stimmte. Langsam erhob er sich, zog seine Handschuhe aus, die er immer trug, und machte einen Schritt auf sie zu. Eigentlich hatte er abwarten wollen, bis sie zu ihm kam, doch jetzt konnte er nicht mehr warten. „Kannst du aus diesem Schatten heraustreten? Ich würde dich gerne sehen.“, sagte er sanft und streckte eine Hand nach ihr aus. Sie zuckte zuerst zurück, doch dann machte sie den kleinen Schritt in den Kegel aus Licht. Kazuma hielt den Atem an, als das goldene Licht in ihrem schwarzen Haar zu glitzern begann und ihre Alabasterhaut zum Strahlen brachte. Mit großen, braunen Augen sah sie zu ihm auf und darin sah er, was er gerade in ihrer Stimme gehört hatte. Unsicherheit. Absolute Unsicherheit und Selbstzweifel. Sie mochte zwar Angst vor Benjiro haben, doch das war etwas, das tief in ihr verwurzelt war. Jedenfalls nichts, was sie verhindern oder bewusst steuern konnte. Das Hauptproblem dagegen, war weitaus größer. „Wie heißt du?“, fragte er ruhig. Die Tränen, die in diesem Moment in ihre Augen traten, sagte ihm alles. Er griff mit seiner Hand nach ihrer und sofort schossen Bilder an seinem inneren Auge vorbei. Bilder von Blut und Zerstörung. Er sah sie, wie sie weinte und das selbstgefällige Grinsen seines Taishō. Und er sah so viel Tod. So viel, dass er seine Hand zurückziehen musste und scharf den Atem einzog. Ihre großen Augen hatten sich noch geweitet, als sie ihn jetzt ansah. Die Tränen hatte sie mit dem Ärmel ihres Yukata weggewischt und jetzt war sie es, die noch einen Schritt auf ihn zu machte. So weit, dass sie sich fast berührten. „Du… Du hast etwas gesehen?!“ Diese Aussage traf Kazuma direkt ins Herz. Er konnte es sich nicht erklären, doch die Art und Weise, wie sie einfach all ihre Geheimnisse durchschaute überraschte ihn so sehr. Und es war erstaunlicherweise sehr angenehm, denn das ersparte ihm seine üblichen, fadenscheinigen Erklärungen. „Leider kann ich nicht in die Vergangenheit sehen. Ich sehe nur, was noch kommt.“, sagte er dennoch vorsichtig. Das war der Moment, in dem alle immer fragten, was er gesehen hatte. Ob das Glück in der Zukunft auf sie wartete und ob sie reich heiraten und zufrieden leben würden. Kazuma hatte so viele negative Erfahrungen wegen seiner Gabe gemacht, dass er sie lieber jedem verheimlichte. Doch erneut überraschte sie ihn. „Das muss eine unglaubliche Verantwortung und gleichzeitig eine große Last sein. Ich würde es vorziehen nicht zu wissen was mich erwartet. Ich weiß nicht woher ich komme, da ist es doch wahnsinnig zu fragen wohin es gehen wird!“ Noch bevor Kazuma klar wurde, was er tat, hatte er die Distanz zwischen ihnen überwunden, zog sie in seine Arme und drückte sie fest an sich. Er rieb mit seinem Kopf über ihren und schnurrte fast wie ein Kätzchen. „Du kannst meine kleine Schwester sein und wir finden zusammen heraus was passiert ist! Ich habe mir schon immer eine Schwester gewünscht und du bist genau, wie ich sie mir immer vorgestellt habe. Dann werde ich dich Kasumi nennen. Wie der Nebel, der deine Vergangenheit einhüllt. Kasumi und Kazuma! Was hältst du davon?“ „Wo ist sie jetzt?“ Keiji stellte die Frage, als Benjiro sein Zelt betrat. Er selbst war über seine private Landkarte gebeugt und markierte darauf den Ort, an dem der Brand geherrscht hatte. Eine Tagesreise zu Fuß von der Hauptstadt entfernt. Das glich schon fast einem Angriff auf die Stadt selbst und dem würde er nachgehen sobald sie ihre Mission beendet hatten. „Kazuma passt im Zelt auf sie auf. Aus irgendeinem Grund scheint sie furchtbare Angst vor mir zu haben. Ich konnte gerade so in Erfahrung bringen, dass sie offenbar ihr komplettes Gedächtnis verloren hat. Sie kann sich weder an ihren Namen erinnern, noch woher sie kam oder vor wem sie geflohen ist!“ Benjiros Erklärung ließ Keiji von der Karte auf sehen. Doch als er seinen Freund vor sich stehen sah, konnte er sich ein Lachen nicht verkneifen. „Was bitte ist denn mit dir passiert?“, fragte er amüsiert. Benjiro verschränkte seine Arme vor der Brust und sah trotzig an die nächste Zeltwand. „Warum ist es für alle so ein Schock, wenn mein Äußeres mal nicht zu hundert Prozent perfekt sitzt?“ Keiji konnte sich nur zu gut vorstellen wie Kazuma auf diesen Anblick reagiert hatte und hatte Mühe sich wieder zu beherrschen. Das Aussehen seines Freundes war tatsächlich ein Schock, denn er legte immer größten Wert auf ein gepflegtes Äußeres. Noch heute sprach man von dem Angriff auf das Schloss Tarui, den Benjiro fast verpasst hätte, weil sein liebster Kamm verschwunden war und er seine Mähne nicht hatte bändigen können. „Sie muss dich wirklich faszinieren, wenn du jetzt so vor mir stehst.“, sagte er amüsiert und schluckte sein Grinsen hinunter, während Benjiro verachtend schnaubte. Wenn Keiji jemand benennen müsste, dem sein Äußeres über alles ging, dann war es definitiv sein Freund Benjiro. Dass er jetzt so verwüstet vor ihm stand sagte ihm, dass er so einige Schwierigkeiten mit der Frau gehabt haben musste. Und obwohl es gut war, dass sie in der Zwischenzeit aufgewacht war, war es doch von Nachteil wenn sie sich an nichts erinnern konnte. So konnte sie ihm unmöglich helfen diesen Überfall aufzuklären. Mit einem Seufzen lehnte sich Keiji zurück. „Wie ist es möglich einfach sein gesamtes Gedächtnis zu verlieren? Bist du dir sicher, dass sie uns nicht nur etwas vorspielt?“, fragte er, nachdem Benjiro nicht weiter antwortete. Keiji wollte nicht so argwöhnisch sein, doch bevor er die Frau nicht selbst gesehen hatte, war er lieber vorsichtig. Außerdem wollte er noch hören was Kazuma zu ihr sagte. Die Einschätzungen seiner beiden engsten Freunde waren ihm genauso wichtig wie sein eigenes Urteil, deshalb wollte er nicht vorschnell sein. Benjiro setzte sich auf die andere Seite des Tisches und betrachtete einen Moment den Punkt, den Keiji darauf eingezeichnet hatte. Auch über diese Gegend hatte er Gerüchte gehört. Noch weniger, als von den Rebellen, doch einmal hatte er einen alten Mann in der Stadt getroffen, der über diesen Ort am Fuß der Berge gesprochen hatte… „Gab es in der Nähe des Anwesens ein Dorf oder etwas dergleichen? Hast du Kazuma dorthin geschickt?“, fragte Benjiro ohne zuerst auf die Frage seines Taii einzugehen. Keiji beugte sich wieder vor und musterte seinen Freund. „Gibt es etwas, das ich wissen müsste?“ „Nur etwas, das ich einmal gehört habe. Aber ich würde gerne noch keine Vermutungen äußern bevor ich sie nicht bestätigt sehe!“, erklärte sich Benjiro ehrlich. „Und ich glaube nicht, dass sie uns etwas vorspielt. Die Angst die sie empfindet. Diese Hilflosigkeit. Sie hat wirklich absolut keine Ahnung wer sie ist und wo sie hingehen soll!“ Den letzten Teil sagte Benjiro nur, um seinen Freund auf den freundlichsten Weg hinzuweisen. Sie konnten unmöglich eine schwangere Frau einfach irgendwo im Nichts zurücklassen. Sie mussten sie mitnehmen, denn Benjiro würde ihrer Furcht gerne auf den Grund gehen. Außerdem war sie möglicherweise in Gefahr, wenn die Angreifer auf der Suche nach ihr waren. Deshalb konnten sie sie unmöglich einfach in irgendeinem Dorf lassen. Wenn es nach ihm gehen würde, würde er sie auf jeden Fall mit auf die Mission nehmen. „Ich hätte eine etwas subtilere Antwort von dir erwartet, aber ich nehme an dein Ehrgeiz wurde geweckt? Eine Frau, die dich ablehnt und auch noch dein Erscheinungsbild zerstört muss ein hartes Los für dich sein.“ Keiji konnte es sich nicht verkneifen Benjiro diesbezüglich zu necken. Denn auch wenn die Frauen im Schloss einen gewissen Abstand zu ihm wahrten, so schwärmten sie doch insgeheim von ihm. Und niemals würde sich ihm eine auf ungebührliche Weise nähern. Das dieses Mädchen gleich ihr gesamtes Mittagessen nach ihm geworfen hatte, musste wirklich ein Schock für ihn sein. Ein knurren drang über Benjiros Lippen, was Keiji kurz lachen ließ. Doch dann wurde er wieder ernst. „Es gibt tatsächlich ein Dorf in der Nähe des Brandortes. Die Bewohner berichteten Kazuma von dieser Nacht. Wie Schatten müssen die Männer über das Land eingefallen sein. Aber sie haben niemandem aus dem Dorf auch nur ein Haar gekrümmt. Ihr Ziel war einzig und allein das Anwesen am Fuß des Berges. Keinem der Dorfbewohner wurde etwas getan. Die Angreifer waren ganz in Schwarz, viele in Samurai Rüstungen und mit Teppos ausgestattet. Aber es muss auch einige Chemiker gegeben haben, denn sie haben einen großen Wagen mit sich geführt. Der Anführer ritt auf einem braunen Ross und einer der Dorfbewohner erkannte einen schwarzen Drachen auf dessen Satteltasche.“, berichtete Keiji was er von Kazuma gehört hatte. Benjiro legte seine Finger an sein Kinn und dachte kurz über das gesagt nach. „Vielleicht eine geheime Einheit des Daimyō?“, fragte eher mehr zu sich selbst als zu Keiji. „Deine Vermutung geht Richtung Yōkai, habe ich Recht?“ Daraufhin musste Benjiro nicken. „Die Menschen aus dem Dorf konnten nicht allzu viel zu den Angreifern sagen, doch sie konnten einiges über die Bewohner des Anwesens sagen. Niemand hatte Probleme mit ihnen, ganz im Gegenteil. Sie hatten eine gute Beziehung zueinander und einige der Dorfbewohner hatte sogar versucht durch die Blockade der Angreifer zu dringen. Aber was Kazuma wohl am meisten beeindruckt hat, waren die Erzählungen über eine Inunoseifuku-sha-sama!“ „Die Hundebezwingerin.“, murmelte Benjiro vor sich hin. Keiji sah seinen Freund genau an. Er hatte definitiv schon einmal von diesem Anwesen und seiner Bewohner gehört. Doch mit dem was Kazuma erfahren hatte, sah er seine Geschichte wohl endlich bestätigt. „Sie war die Herrin des Anwesens. Eine ganz normale Frau, deren Charakter sie zu etwas ganz besonderem machte. Und der Herr des Anwesens muss ein mächtiger Inu-Daiyōkai gewesen sein, der über ein enorm großes Reich herrschte!“ „Dann ist alles korrekt, was ich gehört habe.“, stellte Benjiro fest und sah noch einmal auf den Punkt der Landkarte. „Man sagte mir, dass der Inu-Daiyōkai immer allein in diesem Anwesen weilte, doch dann brachte er eines Tages diese Frau mit. Die Inunoseifuku-sha-sama. Es hieß, sie habe seinen Stolz bezwungen und sein Herz gestohlen. Doch in allem was sie tut sieht sie keinerlei Hintergedanken. Sie hat sogar das Band zu den Menschen im Dorf geknüpft und wird von allen verehrt, die sie kennen. Ich habe auch gehört, dass sie eine begabte Miko sein sollte, der vor allem die Heilkunst liegt. Sie hat sich wohl immer aufopferungsvoll um alle Kranken und Schwachen gekümmert und niemals einen Unterschied zwischen Mensch und Yōkai gemacht.“ Als Benjiro wieder zu seinem Hauptmann aufsah, leuchteten seine Augen und er wusste genau was er dachte. „Die Frau aus dem Zelt. Könnte es sein, dass sie diese Inunoseifuku-sha-sama ist?“ Auf diese Frage hin nickte er und Keiji sprang sofort auf. „Ich will sie sehen. An Irgendetwas muss sie sich doch erinnern können. Auch wenn wir nichts als Staub bei diesem Anwesen gefunden haben, wird ihr doch sicher etwas einfallen, wenn wir ihr davon erzählen.“, sagte er auf dem Weg nach draußen. Er war fest entschlossen die Erinnerungen der Yōkai-Heilerin wieder herzustellen. Denn er wollte einfach alles von ihr wissen. Doch gleichzeitig stand für ihn fest, dass er sie niemals mit an den Hof nehmen konnte, ohne Ärger zu verursachen. Kapitel 3: Die Mission beginnt ------------------------------ Benjiro folgte Keiji nach draußen, doch sie kamen nicht weit. In der Mitte ihres Lagers befand sich das Versorgungszelt, in dem sämtliche Mahlzeiten zubereitet wurden. Genau an diesem Zelt mussten sie vorbei um zu Kazuma und der Frau zu kommen, aber der Weg blieb ihnen versperrt. Alle Männer, die nicht gerade in den Wachdienst oder zur Patrouille eingeteilt waren, drängten sich um das Zelt. So, dass man unmöglich sehen konnte, was darin vor sich ging. Nur die aufgeregten Rufe der Männer und das ständige drängeln der hinteren Reihen ließen darauf schließen, dass jeder dorthin wollte um auch etwas abzubekommen. Keiji warf Benjiro einen kurzen Blick zu. „Was geht da vorne vor sich?“ Benjiro verschränkte seine Arme vor der Brust. „Ich habe absolut keine Ahnung!“, sagte er und versuchte die Menge zu überblicken. Er war zwar größer als Keiji, doch er konnte trotzdem nicht mehr sehen als das Dach des Zeltes. „Ich kann nichts erkennen. Wir müssen uns wohl einen Weg nach vorne bahnen!“, sagte er nach einem Moment und seufzte. So wie die Männer auf das Zelt fixiert waren, würde das sicher im Chaos enden. Keiji, dem kein Problem zu wagemutig oder verrückt genug war, stürzte sich nach dieser Erkenntnis in die Massen, kam aber nicht sonderlich weit. Wie schafften es diese Männer nur, ihren Hauptmann zu übersehen? Benjiro konnte es nicht begreifen und er löste resignierend seine Arme vor der Brust. Menschen waren manchmal schlimmer als Tiere. Eine Ader begann an seiner Schläfe zu zucken, je länger er sich das ganze Schauspiel ansah. Natürlich ließ er seinem Hauptmann stets den Vortritt aber so würden sie absolut nichts erreichen. Deshalb holte er tief Luft, stemmte seine Hände in die Seiten und ließ einen Schrei los, den man sicher noch in der Hauptstadt hören konnte: „Was verdammt noch mal ist hier los? Macht gefälligst Platz für euren Taii und verhaltet euch einmal wie die professionellen Soldaten des Daimyō, die ihr alle seid!“ Sofort herrschte totenstille auf dem Platz und alle Augen waren auf Benjiro gerichtet. Sogar Keiji sah ihn an, doch sein Blick war eher amüsiert anstatt verängstigt, wie der der restlichen Männer. Benjiro seufzte und trat zu seinem Hauptmann. Ohne ein Wort bildete sich vor diesem jetzt ein Weg, der ihn direkt zum Versorgungszelt führte. „Gut geknurrt, Wolf.“, sagte Keiji amüsiert. Benjiro wusste natürlich, dass sich sein Hauptman auch allein einen Weg gebahnt hätte, doch für solche Spielereien hatte er jetzt keine Geduld. Und so wie Keiji ihn ansah, hatte er es wohl darauf angelegt, dass er seine Stimme erhob. Mit einem abfälligen Schnauben folgte Benjiro seinem Freund durch die Massen. Er hatte nur Glück das er bereits als Ōkami unter den Soldaten bekannt war, sonst hätte er Keiji für die Bemerkung, dass er ein Wolf wäre, doch noch hinter dem nächsten Zelt verdreschen müssen. Sein Geheimnis einfach so heraus zu posaunen gefiel ihm ganz und gar nicht. Natürlich hielten die Soldaten ihn nur im übertragenen Sinne für einen Wolf. Wenn sie wüssten, dass er wirklich einer wäre, hätten Sie das Lager bei seinem Ton sofort geräumt vor Angst. Dieser Gedanke ließ Benjiro tatsächlich für den Bruchteil einer Sekunde Lächeln. „Lass uns jetzt einfach nachsehen was da vorne los ist!“, sagte er wieder ernst und weigerte sich noch jemanden anzusehen, während sie durch die Gasse schritten, die die Männer für sie geschaffen hatten. Was sie allerdings im Versorgungszelt vorfanden, damit hatten sie beide nicht gerechnet. So als hätten sie den Schrei von Benjiro nicht gehört, standen Kazuma und die Frau im Zelt und kochten offenbar einen Eintopf. Und sie waren dabei so vertieft, dass sie die Welt um sich herum komplett vergessen hatten. Benjiro sah zu Keiji hinüber, der stehen geblieben war und die Beiden genauso ungläubig ansah, wie sich Benjiro fühlte. Konnte es sein, dass in den letzten Minuten alle durchgedreht waren? Diese Annahme zerrte hart an Benjiros eiserner Selbstbeherrschung und er war kurz davor wieder in alte Gewohnheiten zurückzufallen. „Darf ich fragen was hier vor sich geht?“, fragte Keiji schließlich, nachdem er seine Stimme wieder gefunden hatte. Alle Augen waren immer noch auf ihn gerichtet und man hätte eine Stecknadel fallen hören können, wäre da nicht das Klappern von Geschirr aus dem Zelt gekommen. Doch mit seiner Frage verstummte auch das, denn Kazuma und die Frau sahen jetzt beide zu ihm auf. Wobei der Blick der Frau nach einer Sekunde sofort auf Benjiro fiel, woraufhin sie einen Schritt zurück trat und sich halb hinter Kazuma versteckte. Benjiro seufzte auf. Warum nur fürchtete sich diese Frau so vor ihm? Er hatte ihr doch wirklich nichts getan? Kazuma trocknete sich schnell die Hände ab, bevor er aus dem Zelt heraus trat. „Kasumi hatte Hunger. Sie hat ja leider das ganze Essen auf Benjiro verteilt, also habe ich sie her gebracht und wie sich heraus gestellt hat, ist sie ein wahres Genie in der Küche. Sie kann sich zwar an nichts erinnern, aber wenn sie einfach handelt ohne darüber nachzudenken, kann sie irgendwie alles richtig machen!“ Keiji zog eine Augenbraue nach oben. „Kasumi?“, fragte er nur und über Kazumas Gesicht breitete sich ein breites Lächeln aus. Er schlang seine Arme um einen Arm der Frau und rieb seinen Kopf an ihren, während er zufrieden erklärte: „Ja Kasumi. Sie ist ab heute meine kleine Schwester und jeder der ihr zu nahe kommt wird es bitter bereuen!“ Bei seinem letzten Satz ließ er seinen Blick über die Männer um ihn herum wandern und alle traten sie einen kleinen Schritt zurück. Auch wenn Kazuma ein fröhlicher, immer optimistischer Kerl war, niemand wollte gerne seinen Zorn auf sich ziehen. Dennoch erwartete Benjiro eine harsche Antwort von Keiji, die Kazuma in seine Schranken verwies. Nach allem was ihm heute passiert war, würde es ihn freuen, wenn er nicht der Einzige mit einem schlechten Tag bleiben würde. Doch stattdessen setzte sich Keiji auf eine Bank vor dem Zelt, den wachsamen Blick auf die Frau gerichtet. „Na gut. Wenn sie wirklich so gut kochen kann, dann hätte ich gerne eine Schüssel davon, Imōto-san.“, sagte er und schenkte ihr ein unwiderstehliches Lächeln. Benjiro wäre die Kinnlade herunter gefallen, würde er seine Zähne nicht so fest zusammenbeißen. Was war nur mit allen hier los, dass sie dieser Frau sofort über den Weg trauten? „Du… Du spielst das auch noch mit Keiji?“, knurrte er deshalb und ihm entging nicht der Blick der Frau, der zwischen ihm und Keiji hin und her huschte. Jetzt wandte sich Keiji mit diesem widerlichen Lächeln an ihn. „Ich glaube ich sehe jetzt, warum sie Angst vor dir hat, Benjiro. So wird sie aber unmöglich mit uns sprechen, also entspann dich und setzt dich zu mir!“ „Verzichte!“ Benjiro hatte schneller geantwortet als nachgedacht, doch das spielte jetzt keine Rolle. Er machte auf dem Absatz kehrt und verschwand in der Menge der Soldaten. Sollten diese Verrückten doch machen was sie wollten. Er würde sich erstmal aus dieser Sache heraus halten. Kasumi. Der Name, den Kazuma ihr gegeben hatte. Wie passend er doch war, wo doch all ihre Gedanken im Dunst des Vergessens verschwunden waren. Am Anfang hatte sie Angst gehabt. Angst vor dem Wolf. Benjiro. Und vor all den anderen Männern. Doch Kazuma hatte ihr Raum gegeben. Hatte mit ihr gesprochen und ihr wild pochendes Herz beruhigt. Er war ein guter Kerl und nur deshalb war sie zu ihm gekommen. Seine alles erdrückende, spontane Bruderliebe zu ihr, war ihr jedoch fast wieder zu viel gewesen. Irgendwas tief in ihr hatte ihr gesagt, dass sie ihre Freiräume liebte und nicht erdrückt werden wollte. Doch er war so niedlich dabei, dass sie ihn machen ließ. Immerhin konnte es nicht schaden jemanden auf ihrer Seite zu haben. Jemanden, der nett und freundlich zu ihr war und diese unglaubliche Fähigkeit besaß in die Zukunft sehen zu können. Er war auch so nett gewesen, sie zum Versorgungszelt zu bringen, als ihr Magen begonnen hatte zu knurren. Sie wusste nicht, wie lange sie geschlafen hatte, aber sie fühlte sich, als könne sie einen ganzen Bären verschlingen. Doch jetzt, als sie vor dem Hauptmann dieser ganzen Soldaten stand, hatte sie ihren Hunger fast vergessen. Die Macht, die er ausstrahlte und der Respekt, den sie in den Augen der Soldaten sah, das berührte etwas in ihrem inneren. Bei seinem Anblick hatte sie fast mit einer Standpauke gerechnet, nicht aber damit, dass er sich einfach setzte und etwas zu Essen probieren wollte. Das Kochen war Kasumi einfach zugeflogen. Sie hatte zwar angenommen, dass sie als Frau einigermaßen kochen könnte, doch sie hatte Angst gehabt, alles vergessen zu haben. Aber das Gegenteil war passiert. Als sie dieses Zelt betreten hatte, da war ihr alles klar gewesen. Sie hatte zwar keinen ihrer Schritte erklären können, doch sie hatte gewusst was sie tat und offenbar war sie es gewohnt für viele Menschen zu kochen, denn die Portion die sie gekocht hatte, würde das gesamte Lager sättigen. Die scharfen Worte des Wolfes, ließen Kasumis Blick wieder zu ihm wandern und sie sah zu, wie er wütend davonstapfte. „Ich wollte nichts Falsches tun.“, sagte sie bei diesem Anblick an Kazuma gewandt. Dieser sah mit diesem Lächeln zu ihr, das die ganze Welt zu vereinnahmen schien. Dieses Lächeln, das seine grünen Augen zum Glitzern brachte, wie Smaragde. „Das hast du nicht. Mach dir keine Sorgen. Benjiro ist jemand, der nur schwer Vertrauen zu jemandem aufbauen kann. Er muss sich erst einmal an deine Anwesenheit gewöhnen.“, erklärte er ihr und dann zu seinem Hauptmann gewandt: „Wir werden sie doch mitnehmen oder Keiji?“ Der Hauptmann sah von Benjiro zu Kazuma und dann zu ihr. Seine eisblauen Augen schienen dabei jedes noch so kleine Detail von ihr in sich aufzusaugen und zu analysieren. „Da wir nicht wissen können, was passiert, werden wir sie erstmal mitnehmen, bis sie sich wieder erinnern kann.“, erklärte er ruhig, lehnte sich dann aber weiter vor um einen noch besseren Blick auf Kasumi zu erhalten und ihr war, als versuchte er sogar ihr tiefstes inneres lesen zu wollen. „Aber natürlich nur, wenn du das auch wünscht… Kasumi“ Sein Blick erzeugte ein seltsames Gefühl in ihr. Sie fühlte sich wie etwas Neues, Unbekanntes, das studiert und im Zweifel sogar in seine Einzelteile zerlegt werden musste. Was auch immer der Hauptmann von ihr dachte, er musste sie für jemand Besonderes halten, denn warum sonst sollte er einer Frau, die alles vergessen hatte, solch eine Aufmerksamkeit schenken? Dennoch schuldete sie ihm eine Antwort, also löste sie sich von Kazuma, griff sich eine gefüllte Schüssel und stellte sie vor den Hauptmann auf den Tisch. „Nur, wenn ich keine Last darstelle.“, sagte sie dabei. Es war verrückt, dass wusste sie selbst. Sie kannte keinen dieser Männer, aber sie kannte sowieso niemanden mehr, also warum sollte sie ihnen nicht folgen, wenn sie es anboten. Niemand von ihnen hatte versucht ihr etwas zu tun, also konnte sie davon ausgehen, dass sie es gut meinten. Und sie hatte keine Ahnung was passieren würde, wenn sie hier blieb. Von Kazuma hatte sie gehört, dass sie wohl von einem Anwesen geflohen war, dass überfallen worden war. Wenn diese Angreifer irgendwo da draußen waren und erfuhren, dass sie noch lebte, dann würden sie vielleicht nach ihr suchen. Da war es auf jeden Fall sicherer bei einer Streitmacht, als allein. „Das bist du ganz und gar nicht. Setz dich. Ich würde gerne mehr über dich erfahren!“ Der Hauptmann deutete auf den Platz ihm gegenüber und Kasumi sah kurz zu ihrem neuen großen Bruder, der auf keinen Fall älter als sie selbst war. Sein honigblondes Haar schimmerte leicht Rot in der Sonne und unterstrich die Sommersprossen auf seinen Wangenknochen. Er hatte sich zwei weitere volle Schüsseln gegriffen und stellte sie auf den Tisch, bevor er sich mit einem Nicken ebenfalls setzte. So, dass neben ihm noch genug Platz für sie übrig blieb. Also konnte sich Kasumi nur gegenüber des Hauptmannes setzen. In den ersten Minuten aßen sie still den Eintopf, bevor sich der Hauptmann zurück lehnte. „Du kannst dich also an nichts erinnern? Nicht einmal an deinen eigenen Namen?“ Kasumi ließ ihren Löffel sinken und sah den Mann ihr gegenüber an. Er war jung. Kaum älter als sie und sein offenes, hüftlanges, mahagonibraunes Haar verlieh seinem fein gezeichneten Gesicht eine angenehme weiche. Doch sie konnte sich schon jetzt gut vorstellen, wie tödlich er aussehen musste, wenn er sein Haar zu einem Zopf zusammenband. „So wenig, wie Ihr euch an eure ersten Schritte, eure ersten Worte oder eure erste Mahlzeit erinnern könnt.“, entgegnete Kasumi. Der Hauptmann musterte sie einen Moment, dann huschte ein Lächeln über seine Lippen und er wandte sich wieder seinem Essen zu. „Du bist klug. Das ist gut. Hat dir Kazuma von diesem Anwesen und dem Dorf erzählt?“ Sein Blick wanderte zu Kazuma, doch offensichtlich wollte er von ihr eine Antwort. „Er hat mir gesagt was er gesehen und von den Dorfbewohnern gehört hat. Auch das von der Inunoseifuku-sha-sama, aber es ruft keinerlei Erinnerung in mir wach. Es kommt mir vor wie eine wundervolle Geschichte, die man kleinen Kindern vor dem schlafen gehen erzählt. Und dennoch…“ Kasumi unterbrach sich und legte ihre Hand auf ihren Bauch. Kazumas Geschichte würde natürlich viel erklären und sie empfand auch keine Angst, wenn sie daran dachte die Frau eines Yōkais zu sein. Was ihr allerdings Angst bereitete, war der Gedanke daran, dass alle, die sie gekannt, mit denen zu zusammen gelebt hatte, getötet worden waren und sie die einzige Überlebende sein sollte. Sie war sich zwar sicher, dass sie auch allein ein Kind großziehen konnte, doch die Leere, die in ihrem Herzen herrschte, trieb ihr jedes Mal die Tränen in die Augen, wenn sie daran dachte. In ihrem vergessenen Leben hatte sie jemanden über alle Maßen geliebt und auch wenn sie sich jetzt nicht daran erinnern konnte, tat es dennoch so schrecklich weh. „Deine Erinnerungen werden mit Sicherheit zurückkehren. Und bis dahin bist du bei uns in Sicherheit, das versichere ich dir Kasumi!“ Die Stimme des Hauptmanns war fest entschlossen und ein einziges Versprechen. Und als sie Kazumas Hand spürte, die ihre drückte, wische sie sich mit der anderen über das Gesicht und sah den Hauptmann wieder an. „In Ordnung.“, sagte sie mit einem schüchternen Lächeln. „Nachdem das jetzt geklärt ist, können wir dieses deprimierende Thema endlich ruhen lassen? Ich will nicht dass sich Imōto-chan so sehr aufregen muss. Das ist nicht gut für meinen Neffen!“, sagte Kazuma, bevor er sich wieder über seine Portion her machte. Der Hauptmann verschluckte sich bei diesen Worten an seinem Essen und Kasumi musste unwillkürlich Lächeln. Kazuma war wirklich eine Person für sich, die wusste, wie man jede Situation aufheitern konnte. Irgendwie schien er genau zu wissen, was man gerade brauchte. „Du musst meinen Berater entschuldigen, Kasumi. Meistens trifft er die richtigen Entscheidungen, doch manchmal lässt ihn seine Gabe etwas im Stich.“, erklärte der Hauptmann zu ihr gewandt, bevor er zu Kazuma sah. „Nachdem du sie zu deiner kleinen Schwester auserkoren hast, ist dir doch hoffentlich klar, dass du sie nicht für dich allein haben kannst, Bruder! Und wer sagt, dass es ein Junge wird? Ein Mädchen würde dir so viel besser stehen!“ Diese Aussage brachte Kasumi zum Kichern. Sie waren wirklich Brüder im Geiste. Vor allen anderen professionell und höchst effizient, doch wenn man sie unter sich ließ, waren sie nichts weiter als die ausgelassenen Jungs, die sie wirklich waren. Die Blicke der Beiden wanderte zu Kasumi und sie konnte nicht anders als weiter zu lachen. So lange, bis sie beide ebenfalls mit einstimmten. Kurz nach dem Essen war ein Bote mit einer dringenden Nachricht für Keiji im Lager angekommen. Jetzt stand Kasumi am Ausgang seines Zeltes und beugte sich zu Kazuma, der direkt neben ihr stand. „Ich sollte nicht hier sein. Das hier geht mich doch überhaupt nichts an.“, flüsterte sie ihm zu. Am liebsten würde sie sich in Luft auflösen oder verschwinden, doch Kazuma hielt sie fest, so als könnte er ihre Gedanken lesen. „Keine Sorge. Keiji lädt niemanden in sein Zelt ein, ohne sich etwas dabei zu denken. Du gehörst jetzt zur Familie, da gibt es keine Geheimnisse!“ „Ihr kennt mich gerade einmal ein paar Stunden. Wie könnt ihr da wissen worauf ihr euch einlasst? Was, wenn ich eigentlich dem Feind angehöre oder eine Spionin bin? Was, wenn man mir nicht trauen sollte?“ Kasumi hatte gesehen, wie Keiji sie immer wieder musterte. Dass sie eine Spionin sein könnte, war sicher auch sein erster Gedanke gewesen. Die Zeiten mussten schlimm sein, wenn sich nicht einmal mehr die Menschen untereinander vertrauten. Und da sie sowieso nicht verstand was vor sich ging, weil ihr die Zusammenhänge fehlten, war Kasumi noch verunsicherter darüber was sie hier sollte. Während die Soldaten damit beschäftigt waren das Lager abzubauen saß Keiji vor seinem Arbeitstisch auf dem unzählige Karten ausgebreitet waren. Neben ihm stand Benjiro, der über die Schulter des Hauptmanns ebenfalls einen Blick auf die Karten warf. Der Bote hatte ihnen berichtet, dass die Truppen im Westen einen neuen Schlag auf einen kleineren Lord geführt hätten. Was Keiji veranlasste zu handeln. So viel hatte Kasumi schon verstanden. Er war damit beauftragt worden, diese Rebellen zu finden und zu bestrafen. Und während alle zusammenpackten, studierte er den Weg dorthin und welche Gefahren drohen konnten. „Selbst wenn das so wäre. Du erinnerst dich an nichts, Kasumi! Und wenn du dich wieder erinnerst, dann hast du uns bereits in dein Herz geschlossen und würdest uns doch niemals etwas tun oder nicht?“ Auf Kazumas Frage konnte Kasumi ihn nur überrascht ansehen. Seine Gutgläubigkeit würde ihn noch einmal Kopf und Kragen kosten, doch sie macht ihn so sympathisch, dass sie Lächeln musste. „Da hast du wahrscheinlich Recht.“, lenkte sie deshalb ein. Wenn Keiji sie hier haben wollte, dann hatte er sicher seine Gründe und vielleicht war es auch nur, weil er sie im Auge behalten wollte. Was er sich dabei dachte, erfuhr sie dann schneller als erwartet, denn schon im nächsten Moment rief er sie zu sich: „Kasumi, bitte komm hier her und sieh dir das an!“ Kasumi sah noch einmal zu Kazuma, bevor sie zum Tisch trat und sich auf der gegenüberliegenden Seite setzte. Dabei ließ sie Benjiro zu keiner Zeit aus den Augen, doch er bewegte sich keinen Millimeter. Das beruhigte sie so weit, dass sie sich auf die Unterlagen vor sich konzentrieren konnte. Sofort drehte Keiji die Karte, die oben auf lag und ihr gesamtes Land zeigte. Gefolgt von einer Karte, die nur die Region um Kyoto darstellte. „Hier ist das Anwesen niedergebrannt.“, erklärte er und wies auf den Punkt, den er vorher in der Karte verzeichnet hatte. „Das müsste ungefähr hier sein.“, fuhr er fort während er auf die Karte des gesamten Landes wies. „Kommt dir irgendetwas bekannt vor, wenn du das siehst?“ Jetzt wusste Kasumi, was er von ihr wollte. Auch wenn sie ihre Erinnerungen verloren hatte, er wollte ihr helfen sich zu erinnern. An ihr früheres Leben als Frau eines mächtigen Yōkais. Sie ließ den Blick über die Karten wandern. Versuchte sich an etwas zu erinnern. Doch obwohl ihr Blick nicht nur hier, sondern auch im Norden verweilte und ihr Herz sagte, dass es dort Zuhause war, war sie nicht leichtfertig mit einer Antwort. „Wenn ich mich erinnere. Was habt ihr dann mit diesen Informationen vor?“, fragte sie deshalb, bevor sie ihm antwortete und sah zu ihm auf. Keiji musterte sie und als sich ihre Blicke trafen, lehnte er sich etwas zurück. Auch Benjiro veränderte seine Haltung. Er verschränkte die Arme vor der Brust und Kasumi zuckte automatisch zurück. Kaum merklich, doch etwas blitzte in seinen Augen auf, dass ihr sagte, dass er ihre Reaktion sehr wohl bemerkt hatte. „Du weißt natürlich wem wir dienen und auch wenn du nur wenig gehört hast, kannst du dir sicher denken, wie hart das für die Yōkai in diesem Land sein muss. Aber du weißt auch wer Benjiro ist. Was also glaubst du, würde ich mit deinen Erinnerungen tun?“ Fast hätte Kasumi gelächelt. Keiji gab nicht einfach so eine Antwort oder verriet seine Pläne, doch sie konnte sich denken, was er tun würde, weshalb sie sich vor beugte und einen Kreis um eine nördliche Region des Landes zog. Dabei beobachtete sie Keiji, wie sich seine Augenbrauen zusammenzogen, während er versuchte sich einen Reim darauf zu machen. „Ihr seid ein Freund der Yōkai und versucht ihnen zu helfen wo ihr könnt. Das sehe ich. Leider wecken diese Karten keine Erinnerungen in mir, aber ich kann spüren, dass mein Herz auch zu dieser Region gehört.“, erklärte sie ruhig. „Der Sommerpalast!“ Es war Benjiro, der das sagte und sowohl Keiji als auch Kasumi sahen ihn an, wobei Kasumis Blick eher zurückhaltend war. „Du hast noch mehr gehört, Benjiro?“, fragte Keiji sofort und Benjiro nickte. „Es heißt der Inu-Daiyōkai weilte nur in den Wintermonaten hier und verschwand im Sommer. Demnach muss er noch einen weiteren Palast besitzen zu dem er gehen kann. Mehr weiß ich allerdings auch nicht!“ Ein Sommerpalast. Kasumi sah auf den Punkt, den Keiji eingezeichnet hatte. Dort hatte sie also den Winter verbracht und nachdem der Frühling nicht mehr lange auf sich warten ließ, wäre sie sicher bald in den Norden aufgebrochen. Wenn sie früher gegangen wären, dann könnte sie jetzt vielleicht noch ihre Erinnerungen haben und ihre Familie. „Wenn die Mission beendet ist, könnten wir doch Urlaub beantragen und Kasumi dorthin bringen. Vielleicht erinnert sie sich dann wieder an alles. Oder wir finden jemanden, der sie kennt und ihr helfen kann sich zu erinnern!“ Kazumas Worte veranlassten alle zu ihm zu sehen und Kasumi war den Tränen nahe. Das Gefühl geliebte Menschen verloren zu haben und vielleicht nie wieder zu sehen war in diesem Moment so stark und gleichzeitig milderten Kazumas Worte diesen Schmerz. „Das ist eine ausgezeichnete Idee Kazuma!“, bestätigte Keiji seinen Berater. „Also lasst uns aufbrechen und schnellstmöglich diese Mission abschließen!“ Kapitel 4: Die Rebellen ----------------------- Zwei Wochen. So lange war Kasumi bereits mit Keiji und seinen Soldaten unterwegs. Jeden Tag ging es weiter Richtung Westen und jeden Tag gewöhnte sie sich etwas mehr an ihre Situation. Von Keiji erfuhr sie viel über die Machtverhältnisse in ihrem Land. Von Kazuma viel über die Kultur und das Essen. Und von Benjiro… Sie hatte wirklich versucht ihrer Angst auf den Grund zu gehen, hatte auch versucht mit ihm zu sprechen, so wie auch er versucht hatte auf sie zuzugehen. Doch ihre Furcht war zu groß gewesen und so hatte jede Situation damit geendet, dass sie stumm und wie versteinert vor ihm stand nur um kurz darauf wegzulaufen. Sie ärgerte sich jedes Mal über ihre eigene Angst, doch sie konnte nichts dagegen tun. Es war, als würde sie in diesen Momenten nicht über ihren Körper verfügen können. So als hätte jemand anderes Macht über sie. Doch sie würde sicher nicht aufgeben. Das hatte sie sich fest vorgenommen. In den zwei Wochen, in denen sie nur zum Rasten und für die Nacht angehalten hatten, waren keine brauchbaren Erinnerungen zu Kasumi zurückgekehrt. Zumindest keine, die ihr etwas über ihre Herkunft sagten. Stattdessen erinnerte sie sich an Pflanzen und ihr Wirkung, wenn man sie kombinierte oder einzeln verwendete. Auch das Wissen über Yōkai kam zu ihr zurück. Über Arten und Eigenheiten. Was sie mochten oder verabscheuten. In ihrem früheren Leben musste sie sich viel mit diesen beiden Dingen auseinandergesetzt haben und auch wenn sie sich andere Erinnerungen sehnlicher wünschte, war sie mit diesen auch zufrieden. Alles war besser, als sich an nichts zu erinnern. Und so verbrachte sie viel Zeit damit, auf dem Weg Kräuter zu sammeln, die sie vielleicht später gebrauchen konnten. Außerdem konnte sie nicht den ganzen Tag auf dem Transportwagen mitfahren. Sie musste sich bewegen, sonst konnte sie am Abend vor lauter Rückenschmerze nicht mehr schlafen. Ein weiterer Vorteil, der mit dem Wissen über Pflanzen zu ihr zurückgekehrt war, war das Wissen um Pflanzen, die sie in ihrem Zustand bevorzugt essen sollte um ihr Kind bestmöglich zu versorgen. Und nicht nur das Kind, sondern auch die ganze Mannschaft. Sie hatte schon von Kazuma gehört, dass sie sich meistens von Fleisch und Reis ernährten, doch jetzt sorgte Kasumi dafür, dass sich alle etwas abwechslungsreicher ernährten um gesünder zu bleiben. Es war nur gut, dass Kazuma für die Versorgung der Soldaten zuständig war. So konnte sie ihren ‘großen Bruder‘ schnell davon überzeugen den Kochdienst mit ihr zu teilen. Allein schon die Tatsache, dass er dann noch mehr Zeit an ihrer Seite verbringen konnte, hatte ihn überzeugt. Bei dem Gedanken musste Kasumi Lächeln. Sie hatte sich erstaunlich schnell an Kazumas übermäßige Nähe und sein großes Aufmerksamkeitsbedürfnis gewöhnt und genoss mittlerweile sogar seine Gegenwart ungemein. Hin und wieder ritt sie auch hinter ihm auf seinem Pferd um ihren Rücken zu entlasten. Auch wenn sie dann eher im Schritt gingen als wild durch die Wälder zu preschen, wie er es sonst gerne tat. Doch sie schätzte auch Keijis ruhige Art, sein taktisch kluges Vorgehen und diese Aufmerksamkeit, die ihn immer an alles denken ließ. Dass er hin und wieder kopflos und wagemutig, fast verrückt, war, machte ihn dabei nur sympathischer. Er war jemand, den sie gerne als ‘großen Bruder‘ ansah. Vor allem, da er, mit Ausnahme von Benjiro, von allen am ehesten als dieser durchgehen konnte. Seine Weise Voraussicht hatten sie auch ohne einen Zwischenfall an ihr Ziel gebracht. Vor einer guten Stunde hatten sie am Rand eines Waldes ihr Lager aufgeschlagen. Es wurde auf einer Seite von einer Felswand geschützt und die offenen Seiten wurden bereits von einigen Soldaten bewacht. Bis zum nächsten Morgen würden sie hier rasten, bevor sie sich die Umgebung ansehen würden um schließlich die Rebellen aufzuspüren. Nachdem die Soldaten mit ihrem Abendessen versorgt waren, hatte sich Kasumi in den nahen Wald begeben um einige Kräuter zu sammeln. Natürlich immer in Sichtweite des Lagers, sonst hätte Kazuma sie nicht allein gehen lassen. Doch sie brauchte diese Momente für sich. Allein im Wald, um das Leben von diesem zu spüren, ohne dabei abgelenkt zu werden. Wenn es in sie hinein floss wie zähflüssiger Honig beruhigte sie das irgendwie. Gerade hatte sie an einem Baum einen prächtigen Pilz entdeckt, als es neben ihr im Gebüsch knackte. „Ja ich passe auf, dass ich mich nicht zu weit vom Lager entferne, Kazuma.“, sagte Kasumi amüsiert, doch es war nicht Kazuma, der aus dem Gebüsch trat sondern ein riesiger Oni. Er war mindestens zweieinhalb Meter groß und aus seinem wilden schwarzen Haar ragten zwei Hörner in den Himmel. Seine Haut war rot und er trug nur um die Hüfte das Fell eines Wildschweins oder etwas in dieser Richtung. Seine Augen glühten ebenfalls rot und als er Kasumi sah, streckte er eine, mit spitzen Klauen bewehrte, Hand nach ihr aus. Kasumi wollte schreien und davonlaufen, doch der Oni war erschreckend schnell und verschloss mit einer Hand ihren Mund, während er den anderen Arm um sie schlang um sie festzuhalten. Sie versuchte sich zwar zu wehren, doch gegen diese enorme Stärke kam sie nicht an. Im Gegenteil, der Oni hob sie auch noch hoch und trug sie ein Stück aus dem Wald. Nur damit sie sehen konnte, wie aus dem Nichts eine riesige Wand aus Wasser um ihr Lager herum erschien. Fasziniert von dem Anblick blieb der Oni stehen und ließ sogar die Hand von Kasumis Mund sinken. Doch an schreien war jetzt nicht mehr zu denken. Hinter dieser Wand aus Wasser waren ihre Freunde und mit Sicherheit hatten sie größere Probleme als sie jetzt hatte. „Bitte lass mich runter.“, bat sie deshalb nachdem sie sich wieder gefangen hatte. Der Oni brauchte einen Moment, bis er begriffen hatte, dass sie mit ihm gesprochen hatte, doch dann sah er sie überrascht an. Zu ihrer größten Verwunderung setzte er sie nach einem weiteren Moment tatsächlich auf den Boden. Doch als Kasumi sich entfernen wollte, griff er sie am Arm und hielt sie wieder fest. „Nicht weglaufen!“, befahl er mit einer tiefen Stimme, bevor er wieder auf die Wand aus Wasser sah. Leider war durch das Rauschen des Wassers nicht zu hören was dahinter vor sich ging. Doch Kasumi konnte sich nur zu gut vorstellen, dass sie alle überfallen wurden. „Danke, dass du mich runter gelassen hast.“, sagte sie nach kurzem zögern zu dem Oni. Auch wenn sie hier festgehalten wurde, so war er doch so nett gewesen sie runter zu lassen. Vielleicht würde sie mit den Angreifern reden können, wenn sie zu ihrem Kidnapper freundlich war. Wieder sah der Oni sie an und es sah so aus, als wollte er etwas erwidern, als der donnernde Galopp eines Pferdes ertönte und ihn verstummen ließ. Sein Blick ging in die Richtung des Geräusches und auch Kasumi sah sich nach dem Reiter um. Dieser näherte sich schnell. Ein schwarzes Pferd mit weißer Blesse galoppierte auf sie zu und kam nur wenige Meter vor ihnen zum Stehen. Zuerst hatte Kasumi den Reiter für einen Krieger gehalten, doch jetzt erkannte sie eine Frau in einer Samurai-Rüstung darauf. Sie trug Pfeil und Bogen bei sich und richtete die Spitze eines Pfeils direkt auf Kasumis Herz. „Wer seid ihr und was wollt ihr hier?“, rief die Frau vom Rücken des Pferdes, welches ungeduldig mit einem Huf scharrte. „Sie hat Bitte und Danke gesagt!“ Die Stimme des Oni hatte jetzt einen vollkommen anderen Ton. Sie war weich und sanft und er klang wie ein großes Kind, als er mit der Kriegerin sprach. Diese richtete ihren Blick kurz auf ihn und auch ihre Gesichtszüge wurden weicher. „Das hast du Gut gemacht Raidon, sie hier festzuhalten!“, lobt sie den Oni, bevor sie sich wieder an Kasumi wandte. Das Gesicht wieder mit Angriffslust gezeichnet. „Du warst also nett zu Raidon und dennoch marschiert ihr einfach so hier ein. Warum?“, fragte sie scharf und Kasumi war sich sicher, dass sie kurz davor war sie anzufauchen. Kasumi straffe ihre Schultern und stellte sich so gerade hin, wie es ihr möglich war. „Wir marschieren nirgendwo ein. Wir sind auf der Suche nach Rebellen und sobald wir sie gefunden haben, werden wir wieder gehen, also bitte tu den Männern nichts!“ Die Frau lachte. Es war ein Lachen, dass deutlich machte, dass sie ihr kein Wort glaubte. „Das ist ja höchst interessant… Raidon, bitte bring sie ins Schloss. Ich will mich mit ihr unterhalten sobald wir hier fertig sind!“ Sie sah Kasumi nicht an, als sie dem Oni den Befehl gab und ihren Blick dann auf die Wand aus Wasser richtete. Was auch immer hier vorging, diese Frau befehligte einige mächtige Yōkai und Kasumi befürchtete das Schlimmste. Wenn sie als Bedrohung angesehen wurden, dann würden die Männer vielleicht nicht heil davon kommen. „Bitte. Wir haben wirklich nichts Unrechtes vor!“, versuchte sie es deshalb noch einmal, doch die Frau reagierte nicht auf sie und Kasumi hatte keine Chance, als Raidon sie wieder hoch hob und davon trug. Es ging alles so schnell, dass sie dem Griff nicht entkommen konnte und obwohl sie versuchte sich zu wehren, kam sie nicht los. Sie schaffte es nur über die Schulter des Oni zu sehen. Die Wand aus Wasser begann langsam abzuflachen und das Letzte was sie sah, bevor ihr die Bäume die Sicht versperrten, war das komplett zerstörte Lager. „Was, wenn sie Kasumi etwas angetan haben? Wenn sie sie umgebracht haben? Ich würde es ihnen zutrauen!“ Kazumas Stimme war von Sorge und einer Spur Panik gezeichnet. Er stand an den Gitterstäben seiner Zelle, die Hände so fest um die Stäbe gelegt, dass seine Knöchel weiß hervorstanden. Keiji war sich fast sicher, dass Kazuma zu Boden gehen würde, wenn er die Hände von den Gitterstäben nahm. Er selbst saß auf einem umgedrehten Eimer in der Zelle am Ende eines langen Flurs. An diesen grenzten im gleichmäßigen Abstand weitere Zellen. Kazuma war in der zu seiner linken untergebracht und ihm gegenüber, zu Keijis rechten, ging Benjiro auf und ab. Seit sie hier drin aufgewacht waren, ging er wie ein wildes Tier an den Gitterstäben entlang. Er hasste es eingesperrt zu sein. Wenn er nicht dorthin gehen konnte, wohin er wollte, verlor er schnell die Geduld, doch Keiji war sich fast sicher, dass diese Zellen Yōkai-Sicher waren. Der Rest seiner Männer befand sich in Gruppenzellen weiter vorne in diesem Flur. Er war sich sicher, dass es sich bei den Angreifern um die gesuchten Rebellen handelte. Und diese wussten genau wen sie einzeln einsperren mussten und bei wem das nicht nötig war. Aber da sie nicht wussten wo genau sie sich befanden, wäre ein voreiliger Fluchtversucht kontraproduktiv. Es war nur klar, dass sie sich irgendwo unter der Erde befanden, denn die kleinen, vergitterten Fenster, befanden sich knapp unterhalb der Decke und lagen gerade einmal eine Handbreit über dem Erdboden dahinter. Seit sie aufgewacht waren, hatten sie keinen ihrer Angreifer mehr gesehen. Sicher wollten sie sie schmoren lassen, bis was auch immer geschah. Doch vielleicht fiel Keiji bis dahin ein Plan ein, wie sie hier alle raus kommen konnten. „Wir sollten uns alle erst einmal Beruhigen.“, sagte er an Kazuma gewandt. Doch sein Berater war alles andere als bereit sich zu beruhigen. Im Gegenteil. Er schlug mit der Faust gegen die Gitterstäbe, was allerdings nichts brachte, außer einem dumpfen Ton und einer schmerzenden Hand für ihn. „Wenn ich nur früher etwas gesehen hätte. Wenn ich schneller zu dir gekommen wäre…“ „Kazuma! Das reicht jetzt. Es ist nicht deine Schuld!“, wies Keiji ihn zurecht und er meinte es so. Sie alle hatten angenommen, dass ihr Lager sicher war. Keiji hatte die Gegend erkunden lassen und sie hatten Wachposten aufgestellt. Es war so friedlich gewesen… Bis Kazuma in sein Zelt gestürmt war, nur Sekunden nachdem er eine Vision gehabt hatte. Eine Vision von unendlich viel Wasser und unbekannten Angreifern. Sofort hatte Keiji alle zur Bereitschaft gerufen, doch noch währenddessen war diese undurchdringliche Wand aus Wasser aufgetaucht und hatte sie von allem abgeschnitten. Von allem, außer dieser Gruppe Yōkai, die sie überfallen hatte. Es waren auch einige Menschen darunter gewesen und sofort war Keiji klar gewesen, dass es sich um die gesuchten Rebellen handeln musste. Sie hatten gekämpft. Sich gewehrt. Doch am Ende hatten die Angreifer einfach diese Wand aus Wasser zusammenbrechen lassen. Das Wasser hatte sich daraufhin um ihre Köpfe gelegt und sie bis zur Bewusstlosigkeit darin gefangen gehalten. Für Kazuma war das besonders schrecklich gewesen. Sein Zittern konnte man jetzt noch erkennen, wenn man genau hinsah. Die Tatsache, dass er nicht schwimmen konnte, es nicht ertrug unter Wasser zu sein und bei der kleinsten Welle bereits Seekrank wurde, machte das nasse Element zu seinem schlimmsten Angstgegner. Und das Letzte was er wollte, war darin zu sterben. Aber seit sie wieder aufgewacht waren, wurde seine Angst größtenteils von der Sorge um Kasumi überdeckt. „Hättest du mich nicht gewarnt, wären wir vollkommen unvorbereitet diesen Rebellen gegenüber getreten. So konnten wir wenigstens unser Bestes geben. Deine Begabung ist und bleibt ein Segen, auch wenn sie nicht immer so funktioniert wie du es dir wünscht. Sie ist auf jeden Fall besser als nichts.“, versuchte Keiji seinen Freund wieder etwas aufzubauen. Kazuma nickte leicht, doch sein Blick ging ins Leere. Das zeigte nur zu deutlich, dass er in seiner Gedankenwelt versunken war und sich mehr Gedanken machte, als für ihn gut war. „Solange der Anführer dieser Rebellen kein Wolf ist, bin ich mir sicher, dass sich Kasumi ganz hervorragend aus ihrer Situation herausmanövrieren kann!“ Benjiros Worte ließen sowohl Keiji als auch Kazuma zu ihm hinüber sehen. Der Wolf war für einen Moment stehen geblieben und hatte die Unterarme auf eine Querverbindung der Gitterstäbe gestützt. Kazuma sah ungläubig zu Keiji hinüber, der seinem Blick begegnete. „Du hast das gerade auch gehört oder?“ Keiji nickte und beide sahen wieder zu Benjiro hinüber. „Hast du gerade wirklich versucht die Stimmung zu heben indem du einen Witz machst?“, fragte Kazuma erstaunt. Benjiros Augen blitzen und er knurrte seinen Gegenüber warnend an, bevor er sich vom Gitter abstieß und wieder begann auf und ab zu gehen. „Überlegt euch gefälligst einen Weg hier raus und hört auf Trübsal zu blasen.“, war seine gebrummte Antwort. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht sah Kazuma wieder zu Keiji. Dieser kannte diesen Gesichtsausdruck nur zu gut. Jetzt war Kazuma bereit alles zu tun was nötig war. „Was ist dein Plan Keiji?“, fragte er aufgeregt. Kapitel 5: Die Herrin des Schlosses ----------------------------------- Der Duft von Jasmin erfüllte den Raum, als bernsteinfarbene Flüssigkeit in die Teeschalen gegossen wurde. Nachdem zwei Schalen gefüllt waren, trat der Diener zurück in die Schatten des Raumes. Seine Herrin griff nach ihrem Tee und behielt ihren unfreiwilligen Gast dabei die ganze Zeit im Blick. Raidon hatte Kasumi in dieses Schloss gebracht und erst in diesem Raum wieder herunter gelassen. Er hatte sie allerdings erst aus den Augen gelassen, als die Reiterin den Raum betrat. Nur war sie diesmal nicht in eine Rüstung gekleidet, sondern in einen eleganten Kimono, der ihre rehbraunen Augen betonte. Ihre hellbraunen Haare waren zu einer einfachen und doch eleganten Frisur hochgesteckt. Fast hätte sie die Frau nicht wiedererkannt, doch ihre Bewegungen zeigten ihre Macht und der Respekt der anderen machte deutlich, wer sie war. Sie war die Herrin dieses Schlosses und Anführerin der Yōkai. Diejenige, die den Angriff auf das Lager befohlen hatte. Und jetzt saß sie ihr gegenüber und bot ihr Tee an. Das Ganze war so absurd, dass Kasumi unwillkürlich tat, was die Frau von ihr verlangte und ebenfalls nach ihrer Teeschale griff. Auf dem Boden der weißen Schale war eine einzelne Kirschblüte gemalt und Kasumi bevorzugte es diese anzusehen, während die Frau ihr gegenüber einen Schluck trank. „Ich frage mich schon die ganze Zeit: Was macht ihr, als Frau in eurem Zustand, bei einem Haufen ungewaschener Männer?“ Wie zuvor, als sie mit Raidon gesprochen hatte, war ihre Stimme jetzt sanft und süß. Der scharfe Ton, den sie in ihrer Rüstung an den Tag gelegt hatte, schien fast schon Einbildung gewesen zu sein, im Vergleich zu dem jetzigen. Doch so süß ihre Stimme auch war, er hing so schwer wie Honig über ihnen. Sie versuchte sie einzulullen. Nett zu ihr zu sein um Informationen aus Kasumi herauszubekommen. Das begriff sie sofort. Warum sollte sie auch sonst hier her gebracht worden sein, während mit Keiji und dem Rest sonst was passiert war? „Was ist mit den Männern geschehen?“, fragte Kasumi deshalb, ohne auf die Frage zu antworten und trank ebenfalls einen Schluck Tee. Jetzt war sie es, die die Frau nicht aus den Augen ließ und für den Bruchteil einer Sekunde blitzte etwas in ihren Augen auf, das auch Einbildung hätte sein können. Doch Kasumi war sich sicher, dass es etwas wie Respekt gewesen war. „Ich habe sie in meinem Kerker unterbringen lassen. Da ich ihr Erscheinen als Drohung, gar als Übernahmeversuch deute!“ Ihre Antwort entsprach der Wahrheit. Das konnte sie genau erkennen und es erleichterte Kasumi. Immerhin lebten sie noch und waren hoffentlich unverletzt. Doch mit dieser Antwort kam eine neue Frage auf: „Warum wurde ich dann nicht in diesen Kerker gesperrt? Haltet ihr mich für keine Gefahr?“ Ein Lächeln huschte über die Lippen der Frau. Während Kasumi hier versuchte Keiji und alle anderen aus ihrer Gefangenschaft zu befreien, sah es so aus als amüsiere sich ihr Gegenüber geradezu prächtig. Und auch wenn sie als Herrin so vieler Yōkai sicher selten Gäste hatte, mit denen sie Spaß haben konnte, würde sich Kasumi erst wieder entspannen, wenn sie wusste dass Ihre Brüder frei und unverletzt waren. „Ganz im Gegenteil. Ich, als Herrin dieses Schlosses, kenne nur zu gut den Wert einer Frau. Aus diesem Grund scheint ihr mir, im Gegensatz zu diesen Soldaten, die geeignetste Gesprächspartnerin!“ Sie misstraute also Männern. Das war interessant und Kasumi nahm einen weiteren Schluck ihres Tees. Sie wollte Zeit schinden um sich einen Plan zu überlegen, wie sie hier wieder heil herauskommen würden. Säße ihr ein Mann gegenüber, dann hätte sie versucht bei diesem als schwache Frau, den Beschützerinstinkt hervorzurufen um an ihr Ziel zu kommen. Doch wenn sie die Frau auf der anderen Seite des niedrigen Tisches so ansah, ahnte sie, dass das hier nicht funktionieren würde. Diese Frau würde ihre Schwäche eher verachten, als darauf einzugehen. Deshalb entschied sie nicht zu spielen und durch die einfache Wahrheit ans Ziel zu kommen. „Ich bin niemand, der Entscheidungen für alle trifft.“, sagte sie deshalb wahrheitsgemäß. Keiji war der Einzige, der für alle entschied. Dass er vor seinen Entscheidungen gerne die Meinung anderer einholte, musste an dieser Stelle ja nicht erwähnt werden. Die Frau musterte sie einen Moment, bevor sie sich etwas nach vorne lehnte. „Ich bin mir sicher, wenn ihr eurem Mann in seinen schwachen Momenten ein paar entsprechende Worte zuflüstert, wird er diese mit Sicherheit beherzigen!“ Diese Aussage, ließ Wut in Kasumi aufsteigen. Wut darüber, wie wenig diese Frau von Keiji und seinen Männer hielt und darüber, für was für eine Art Frau sieh Kasumi hielt. Doch sie ließ sich nichts anmerken. Vor allem würde sie sich nicht in einen Wutausbruch drängen lassen. So viel Spielraum würde sie dieser Frau nicht einräumen. Niemand manipulierte sie auf diese Weise. „Schlagt ihr mir gerade eure eigenen Methoden vor? Niemals würde ich meinen Brüdern etwas raten, dass ihren Ruf oder ihre Ehre beschädigen würde!“ Den ersten Satz hatte sie nicht zurückhalten können. Er lag ihr so sehr auf der Zunge, dass er einfach über ihre Lippen kam, als sie diese geöffnet hatte. Aber sie fragte sich wirklich wie diese Frau die Herrin eines solchen Schlosses sein konnte. Sie war höchstens ein paar Jahre älter als Kasumi selbst und es kam ihr nicht so vor, als wäre sie in dieses Schloss hinein geboren worden. Irgendwie war sie in seinen Besitz gelangt und auch wenn sie unter normalen Umständen niemals so etwas fragen würde, hatten die Worte dieser Frau ihre Frage geradezu provoziert. Mit ihrer Aussage hatte sie noch versuch die Schärfe der Frage etwas zu mildern. Nur hatte das offensichtlich nicht sonderlich gut gewirkt, denn eine Ader begann an der Schläfe der Frau zu pulsieren. „W- Was habt ihr gesagt?“ Die Frage kam schneidend über ihre Lippen. Ihrer Hände begannen zu zittern und sie veränderte ihre Sitzposition leicht, um mit einer Hand unter ein Tuch zu ihrer rechten zu greifen. Mit Sicherheit war darunter eine Waffe versteckt, die sie auch benutzten würde, wenn Kasumi sie weiter provozierte. Doch ihre Neugier war geweckt und sie sprach weiter, bevor sie darüber nachdenken konnte: „Ich fragte euch, wie ihr die Herrin dieses Schlosses geworden seid! Habt ihr so wenig Respekt vor dem anderen Geschlecht, dass ihr dem Herrscher hier etwas zugeflüstert habt um alles zu übernehmen. Und danach beseitigt, wenn ihr mir so etwas vorschlagt? Ich würde so etwas niemals in Betracht ziehen!“ Aus dem Zittern wurde ein Beben und sämtliche Farbe wich aus dem Gesicht der Frau. Kasumi hatte es zu weit getrieben, dass begriff sie in diesem Moment, doch sie verhielt sich ruhig. Um Vergebung zu flehen, würde jetzt auch nichts mehr an der Situation ändern. Die Frau stellte ihre Teeschale zurück auf den Tisch, der zwischen ihnen stand. Etwas von dem Tee schwappte über den Rand, während sei nach der Waffe unter dem Tuch griff. Ihr Bogen, in den sie unglaublich schnell einen Pfeil einlegte, dessen Spitze sie auf Kasumis Herz richtete. „Wie kannst du es wagen so mit mir zu sprechen? Ich habe nach dem Tod meines Mannes versucht dieses Land hier aufrecht zu erhalten. Habe gekämpft und es unzählige Male verteidigt. Niemand wirft mir vor, dass ich es unehrenhaft erworben hätte!“, zischte sie wütend. So war es also gewesen. Sie hatte ihren Mann geliebt und verloren. So wie Kasumi ihren Ehemann verloren hatte und wie sie ihn mit Sicherheit geliebt hatte. Doch sie war zuerst beleidigt worden. „Dann hört auf mir Dinge vorzuschlagen, die außer Frage stehen! Wir sind nur hier um eine Bande Rebellen festzunehmen. Doch mittlerweile glaube ich, dass das nur ein falscher Vorwand für den Daimyō war, um an euer Reich zu kommen.“, entgegnete sie ehrlich. Auch wenn es ihr erst richtig klar wurde, als sie es ausgesprochen hatte. Kasumi begriff in diesem Moment, dass Keiji eine Marionette des Daimyōs war und keinesfalls ernst genommen wurde. Das verletzte sie fast noch mehr, als die Worte dieser Frau und in dem Moment formte sich ein Plan in ihrem Geiste. Doch alles zu seiner Zeit. Jetzt würde sie erst einmal Keiji und die anderen befreien. Ein Luftzug schoss an Kasumis Gesicht vorbei und sie spürte ein leichtes Brennen an ihrer Wange und einen Tropfen warmer Flüssigkeit. Die Sehe des Bogens vibrierte noch, genauso wie der Schaft des Pfeils, der jetzt weit hinter ihr in der Wand steckte. Kasumi begegnete dem überraschten Blick der Frau, die offenbar von sich selbst erschreckt war, dass sie den Pfeil wirklich losgelassen hatte. Doch sie konnte es verstehen. Sie war wütend gewesen. So etwas atmete man nicht einfach weg. So etwas musste man rauslassen. Und immerhin hatte sie nicht mehr auf ihr Herz gezielt. Fast hätte sie gefragt, ob es ihr jetzt besser ging, doch ihr Gegenüber sprach zuerst. „Wer seid ihr?“ Unglaube lag in ihrer Stimme und Kasumi schenkte ihr ein Lächeln. Sie konnte auch nicht erklären woher diese Ruhe kam, die sie zu jeder Zeit erfüllte, doch diese hatte ihr schon gute Dienste erwiesen. Ehrlich gesagt schüchterte es sogar manche Männer ein, wenn sie so ruhig und kontrolliert vor ihnen stand und handelte. Und sie glaubt ganz fest daran, dass das eine Eigenschaft war, die sie von ihrem Ehemann gelernt hatte. Die Frau ließ ihren Bogen sinken, ging in die Knie und legte den Bogen neben sich. Dabei sah sie Kasumi an, als wäre sie alles andere als ein Mensch. „Ich bin nur eine Frau, die ihren verschwundenen Ehemann sucht und dabei von ihren Brüdern begleitet wird.“, erklärte Kasumi schlicht. Die Frau blinzelte. „Ihr… Ihr sucht euren Mann? Was ist mit ihm geschehen? Die Frage kam so zaghaft über ihre Lippen wie ein Windhauch. Ein Flüstern, dass man leicht überhören konnte. Doch Kasumi verstand sie nur zu gut. Sie wollte ihr gerade antworten, als ein Bild vor ihrem inneren Auge aufblitzte. Eine Person, die in blauen Rauch gehüllt war und ein schwarz gekleideter Krieger auf einem braunen Ross. Das Symbol eines schwarzen Drachens an ihm. Überrascht schnappte sie nach Luft. Kasumi zitterte am ganzen Körper und sie wusste genau, was sie gesehen hatte. Kazuma hatte es ihr gesagt. Die Beschreibung der Dorfbewohner… Für den Bruchteil einer Sekunde hatte sie den Überfall auf ihr Zuhause gesehen. „Was war das?“ Die Stimme der Frau brachte Kasumi ins Hier und Jetzt zurück. Sie sah ihr Gegenüber an, brauchte allerdings noch einen Moment, um alles in Worte zu fassen. „Unser Anwesen wurde angegriffen. Mein Ehemann sorgte dafür, dass ich entkommen konnte. Doch seitdem ist er verschwunden. Das Einzige, dass ich weiß ist, dass er noch irgendwo da draußen ist und ich werde ihn finden!“ Egal wie klein die Chance war. Kasumi würde sich nicht damit zufrieden geben, ihn niemals zu finden. Und wenn sie nur seinen leblosen Körper aufspüren konnte. Sie brauchte einfach die Gewissheit ihn gefunden zu haben. Sonst könnte sie niemals Ruhe und Frieden finden. „Ihr erinnert mich an mich selbst. Ihr seid die Frau eines Yōkais nicht wahr? Und ihr würdet euer Leben für das seine geben… Mein Mann war ebenfalls ein mächtiger Yōkai, doch er fiel in einer Schlacht, ohne dass ich ihn hätte beschützen können. Ich trauerte lange um ihn, ließ sein Reich fast verkommen. Doch dann begriff ich, dass ich nicht so weitermachen konnte. Ich lernte das Kämpfen, verteidigte sein Land. Unser Land und übernahm die Herrschaft hier. Ich habe ebenfalls von diesen Schatten gehört. Die Kokuryū, deren erklärtes Ziel es ist, alle Yōkai in diesem Land zu vernichten. Im Angesicht dessen kann ich mich wohl glücklich schätzen, dass ich und meine Leute nur als Rebellen eingestuft wurden und nur ihr hier seid und nicht diese Krieger.“ Die Herrin des Schlosses unterbrach sich kurz, um sich einen neuen Tee einzuschenken und einen Schluck zu nehmen, bevor sie fortfuhr: „Du kannst mich Isami nennen und ich will dir helfen gegen diese dunkle Bedrohung vorzugehen, sollte das dein Ziel sein. Ich kann mir nämlich nur zu gut vorstellen, wie es mir ergangen wäre, wäre dieses Schloss überfallen worden. Es muss unbeschreiblich schmerzvoll gewesen sein… Doch bevor ich euch helfen kann, müsst ihr mir einen Gefallen tun…“ Kapitel 6: Im Haus des Mōri-Clans --------------------------------- „Sag mir noch einmal, warum genau wir das hier machen?“, flüsterte Benjiro Keiji zu. Doch Keiji konnte sich diese Frage in diesem Moment nicht einmal selbst beantworten. Gestern noch waren sie die Gefangenen der Rebellen und schon heute standen sie mitten in Hagi vor dem Haupthaus der Mōri-Familie. Der mächtigsten Familie in dieser beschaulichen Stadt und dem erklärten Feind von Isami. Keiji sah sich noch einmal im Vorhof um. Alle Ein- und Ausgänge wurden von Soldaten bewacht und außer einer perfekten Bepflanzung konnte man nichts weiter sehen. Es gab nur noch das prächtige Haupthaus und die Mauern zu bewundern. Zehn Minuten warteten sie hier schon auf Einlass. Eine Schikane, die Keiji nicht vergessen würde. Sein Blick ging hinüber zu Kasumi, die einige Meter entfernt stand und ihren Blick in den Garten gerichtet hatte. Kazuma direkt hinter ihr. Seit er sie nach der Gefangenschaft wieder gesehen hatte war er ihr keine fünf Schritte von der Seite gewichen. Und falls er sich doch einmal weiter entfernen musste, blieb sein Blick stets auf ihr gerichtet. Wie eine Glucke behütete er Kasumi. Mit einem kleinen Lächeln bewunderte er Kasumis Stärke. Er selbst hätte bei diesem Verhalten schon längst den Verstand verloren. Aber es schien, als verstand sie mehr, als man erwarten würde. Generell war Kasumi eine sehr kluge Frau, die es verstand auf Kleinigkeiten zu achten und auch ohne Worte zu erkennen, was vor sich ging. Und vor allem musste sie es niemandem erzählen. Ihr Handeln allein sagte alles. Noch nie im Leben hatte er so eine Person kennengelernt. Und irgendwann auf ihrer Reise, hatte sich das Interesse an ihrer Vergangenheit und ihrem Wissen um die Yōkai in ein Interesse auf alles an ihr verändert. Weshalb er ihrem Plan auch nicht hatte widersprechen können. Noch bevor Keiji einen Plan zur Flucht aus den Gefängniszellen umsetzten konnte, war er von einem Oni in einen großen Raum gebracht worden. Dort hatte Kasumi auf ihn gewartet und ihm kurz alles erklärt, bevor die Herrin des Hauses den Raum betreten hatte. Die Vereinbarung war denkbar einfach: Sie würde alle Männer von Keiji frei lassen, wenn sie ihr halfen ihre Männer aus der Gefangenschaft der Mōri-Familie zu befreien. Männer, die Teilweise auch Yōkai waren. Sie waren tatsächlich von den Rebellen gefangen genommen worden, doch es war nicht so, wie sein Daimyō es gesagt hatte. Nicht sie hatten die Menschen angegriffen, sondern sie waren von den Menschen angegriffen worden. Isami hatte versucht in Frieden zu leben, doch die Menschen hatten sie als Bedrohung angesehen und versucht sie zu beseitigen. Mit den Geiseln versuchten sie sie zum Aufgeben zu bewegen, doch sie würde sich nicht geschlagen geben. Deshalb hatte Kasumi diesen Plan entwickelt. Sie waren hier um sich als Unterstützung aus der Hauptstadt auszugeben. Sie wollten die Familie ausfragen und sich nach Möglichkeit alles genau ansehen, um schließlich Isamis Gefolgschaft befreien zu können. Ein Plan, der auch von Keiji selbst hätte sein können. Vielleicht hatte er auch deshalb nichts gegen diese Idee gehabt. „Willst du Deinesgleichen nicht auch befreien? Wir tun das um den Frieden zu sichern-“ „Dir ist hoffentlich klar, dass dich der Daimyō zum Seppuku zwingen wird, wenn er das erfährt?“, unterbrach ihn Benjiro. Keiji sah seinen Feldwebel an, der seine Arme vor der Brust verschränkte und ihn prüfend ansah. „Das wird er nicht!“, widersprach Keiji, wobei sein Blick noch einmal zu Kasumi wanderte. Er würde ganz sicher nicht wegen so etwas sterben. „Wenn wir diese Sache in Frieden lösen können, muss der Daimyō nichts davon erfahren!“ Benjiro schnaubte verachtend, sagte aber nichts mehr. Auch wenn er unter dem Daimyō diente, so verachtete er diesen doch abgrundtief. Keiji wusste, dass es nicht leicht werden würde, doch was war das Leben ohne etwas Aufregendes und Gefährliches? In diesem Moment öffnete sich das Tor zum Haupthaus und sie wurden alle von einem alten Mann herein gebeten. Keiji folgte dem Mann gefolgt von Benjiro, Kasumi und Kazuma als Schlusslicht. Der alte Mann führte sie in eine große Halle, an dessen Ende auf einem Podest ein einzelner Stuhl ohne Beine Stand. Auf der Stufe darunter, stand auf der rechten Seite des Stuhls ein weiterer. Das und ein paar große, wohlgeformte Pflanzen war die einzige Einrichtung in diesem Raum. „Der Stadtverwalter Ankoku wird sie gleich empfangen.“, sagte der Mann und war im nächsten Moment bereits verschwunden. So schnell, dass Keiji nicht einmal Widersprechen konnte. Sie waren doch nicht hier um mit irgendeinem Stadtverwalter zu sprechen. Sie wollten den Herrn des Hauses. „Ich fange an Isami zu verstehen. Mit diesen Leuten hier kann man nicht vernünftig reden!“, zischte Keiji wütend. „Sich aufzuregen bringt jetzt auch nichts mehr. Vielleicht müssen wir erst den Stadtverwalter überzeugen, bevor wir mit dem Oberhaupt des Hauses sprechen dürfen.“, sagte Benjiro ruhig und ließ seinen Blick einmal durch den Raum wandern. Keiji war bewusst, dass sein Feldwebel alle Ein- und Ausgänge des Raumes prüfte. Egal wo er war und wir ruhig er schien. Er rechnete doch immer mit einem Hinterhalt. Dennoch konnte er sich die folgenden Worte nicht verkneifen: „Wer hat sich gerade noch aufgeregt?“ Was Benjiro verächtlich schnauben ließ. „Benjiro hat Recht. Sicher wird der Verwalter eine Erklärung dafür haben, warum wir nicht mit dem Oberhaupt der Familie sprechen können. Wir dürfen nur nicht vergessen warum wir hier sind. Also sollten wir abwarten und sehen was passiert!“ Kasumi trat näher an Keiji, als sie sprach. Doch es war Benjiros entsetztes Gesicht, das ihn am meisten überraschte und schließlich Lachen ließ. Er legte seine Hand auf Kasumis Schulter und nickte. „Wahre Worte, Imōto-chan. Auch wenn wir Benjiro vielleicht hier raus tragen müssen, falls er jetzt zu Stein geworden ist vor lauter Schreck. Das du ihm einmal recht geben würdest…“ Keiji konnte nicht anders, als erneut aufzulachen und seinem Freund auf die Schulter zu klopfen. Benjiro sah tatsächlich so aus, als könnte er sich nicht mehr bewegen. Er stand einfach nur da und starrte Kasumi an, die deshalb langsam rot wurde und einen Schritt zurück trat. Zurück an Kazumas Seite, der sein Grinsen hinter seiner Hand versteckte. Doch als Kasumi wieder bei ihm stand, schlang er seine Arme um sie und rieb seinen Kopf an ihrem. „Meine kleine Kasumi ist so süß, wenn sie Rot wird!“, rief er dabei, was sie nur noch röter Ein Gongschlag brachte sie alle wieder dazu ernst zu werden und ihren Blick zum Kopf des Raumes zu richten. Gerade als eine kleine Seitentür aufgeschoben wurde und eine Schar von Wachen, gefolgt von einem kleinen Mann in teuren Gewändern den Raum betrat. Die Wachen stellten sich um das Podest herum auf, während der kleine Mann dieses erklomm und sich auf den unteren Stuhl nieder ließ. Danach richtete er seine Gewänder und in der ganzen Zeit schenkte er Ihnen keinen einzigen Blick. Keiji unterdrückte den Drang seine Hand an den Griff seines Katanas wandern zu lassen. Es wäre sowieso unnütz gewesen, da ihnen alle Waffen am Eingang des Hauses abgenommen worden waren, aber das Verhalten dieser Leute reizte ihn bis aufs Blut. Erst, nachdem der Stadtverwalter mit allem zufrieden war sah er auf und musterte Keiji und seine Freunde. Einen Moment lang glaubte Keiji, der Verwalter würde ihn erkennen, doch dann war sein Gesicht wieder wie eine Maske die nichts seiner Gefühle zeigte. Erst beim Anblick von Kasumi verzog er den Mund. Eine Geste, die ihn äußerst abstoßend machte. „Ich dulde keine Frauen in diesem Saal. Hinaus mit ihr oder ihr könnt alle zusammen zurück zur Hauptstadt reisen!“ „Was?!“, rief Kazuma, noch bevor Keiji etwas sagen konnte. Kazuma hatte seine Hand hinter seinen Rücken wandern lassen, nur um festzustellen, dass auch er seine Wurfmesser hatte abgeben müssen. Sicher hätte er sonst eines nach dem Stadtverwalter geworfen. Auch wenn Kazuma eher friedliebend war und so etwas immer sein letzter Ausweg war. Doch auch Benjiro hatte seine Position verändert und war bei dem Satz des Stadtverwalters näher an Kasumi herangetreten. Nur dürfte man das Benjiro nicht sagen, wo er doch immer versuchte einen gehörigen Abstand zwischen sich und Kasumi zu halten. „Bitte verzeihen sie meinem Berater, aber meine Schwester gehört zu meinem Beraterstab, genauso wie meine zwei Brüder… Sicher lässt sich ein Weg finden, mit dem wir alle zufrieden sind.“, versuchte es Keiji auf dem diplomatischen Weg. Nachdem Kazuma ihm die Rolle des aufgebrachten Bruders abgenommen hatte, musste er versuchen ihren Plan zu retten. Auch wenn es ihm ganz und gar nicht gefiel den Rücken vor diesem Nichts zu krümmen. „Maeda Keiji… Ich habe viel über den Hauptmann des Daimyō gehört. Vielleicht sogar mehr als dieser selbst. Was würde er nur sagen, wenn er wüsste, dass einer seiner fähigsten Männer die Yōkai sympathisiert? Ihr seid hier in meiner Stadt und wenn Ihr euch nicht an meine Regeln haltet, dann verzichten wir gerne auf die Hilfe der Hauptstadt. Bisher sind wir auch ganz gut ohne diese ausgekommen!“ Keiji ballte seine Hände zu Fäusten, doch noch bevor er etwas sagen konnte, trat Kasumi an ihm vorbei und verneigte sich vor dem Stadtverwalter. „Ich wollte keinesfalls unhöflich sein. Ich werde die Geschäfte meinen Brüdern überlassen und mich selbstverständlich zurückziehen.“, sagte sie, während ihr Blick auf den Boden gerichtet war. Daraufhin ging sie Rückwärts, bis sie neben Keiji stand. „Denkt an den Plan. Wir müssen Isamis Leuten unbedingt helfen, wenn sie an so einem Ort gefangen gehalten werden. Ich werde mich so lange draußen etwas umsehen.“, flüsterte Kasumi ihm zu, bevor sie sich wieder erhob und Keiji direkt ansah. Dieser nickte leicht und nachdem sie Kazumas Hand gedrückt hatte, verließ sie die Halle.     Draußen vor der Halle ließ Kasumi ihren Blick den Flur hinauf und hinunter wandern. Niemand war zu sehen, weshalb sie die Richtung einschlug, aus der sie nicht gekommen waren. Natürlich ärgerte sie sich über den Rauswurf aus der Halle, aber wenn hier Frauen so minderwertig behandelt wurden, wer würde da schon auf eine achten die durch die Gänge schritt? Eine bessere Gelegenheit die Räumlichkeiten zu erkunden würde es so schnell sicher nicht mehr geben. Weshalb Kasumi jede Tür öffnete, an der sie vorbei kam und jeden der Räume genau inspizierte. Der Flur schien endlos zu sein und in der ganzen Zeit begegnete sie keiner Menschenseele. Bis sie schließlich um eine Ecke bog und das Jubeln einiger Menschen hörte. Neugierig ging sie auf das Geräusch zu, bis sie einen Weg in den Garten hinter dem Haus fand. Dort standen einige Leute um einen abgegrenzten Bereich und bejubelten die beiden Kämpfer auf diesem Platz. Kasumi trat näher und erkannte zwei Männer, die mit langen Stäben gegeneinander Kämpften. Der eine musste in etwa Kasumis Alter haben. Er hatte den Oberkörper entblößt und Schweiß glitzerte auf seiner muskulösen Brust. Sein Atem ging gleichmäßig und seine schwarzen Haare saßen in einem perfekten Haarknoten auf seinem Kopf. Sein Gegner war ein Junge. Höchstens sechzehn, dessen Atmung flach und abgehackt ging. Er trug ein hellblaues Haori, darunter ein dunkelblaues Kimono Hemd und eine passende Hakama. Seine schwarzen Haare waren so dunkel, dass sie fast blau wirkten und hatten sich bereits aus seinem hohen Zopf gelöst. Das zwei so unterschiedliche Personen gegeneinander Kämpften fand sie höchst verwunderlich. So sah ganz sicher kein fairer Kampf aus. Doch nach einigen Minuten des Zusehens begriff sie, dass das hier ein Übungskampf zwischen einem Meister und seinem Schüler war. Das erleichterte sie etwas, denn Kasumi hatte schon angenommen, dass es in dieser Stadt immer ungerecht und herzlos zuging. Nach dieser Erkenntnis wollte sich Kasumi schon wieder abwenden um sich das Haus weiter anzusehen, als sie den Aufschrei einer Frau vernahm. Es war eine der Zuschauerinnen, die versuchte auf das Kampffeld zu gelangen, aber von den umstehenden Männern zurückgehalten wurde. Und dann sah Kasumi das kleine Mädchen, das einem Schmetterling nachjagte und überhaupt nicht begriff worauf sie zulief. Denn die beiden Kämpfer waren so versunken in ihrem Tun, dass sie das Kind überhaupt nicht bemerkten. „Pass auf!“ Noch bevor Kasumi nachdenken konnte, schrie sie auf und rannte auf die Kleine zu. Die Männer würden sie noch umbringen, wenn sie niemand retten kam. Also stürmte sie auf das Kampffeld, warf sich auf den Boden und schirmte die Kleine mit ihrem Körper vor dem Schlag ab, der definitiv kommen würde. Erst als ein überraschtes Raunen durch dir Reihen der Zuschauer ging, öffnete Kasumi wieder ihre Augen. Diese hatte sie geschlossen, um nicht sehen zu müssen, wie der Schlag auf sie hernieder gehen würde. Denn immerhin saß sie jetzt direkt zwischen den beiden kämpfenden Männern und hielt das kleine Mädchen an ihre Brust gepresst. Diese sah verwundert zu ihr auf, befreite sich schließlich aus ihrem Griff und lief mit einem Lächeln zurück zu ihrer Mutter. Erleichtert ließ Kasumi ihren Arm sinken, von dem sie nicht einmal gewusst hatte, dass sie ihn über sich gestreckt hatte. Zu ihrer großen Überraschung befand sich in ihrer Hand ein goldener Stab. Verdutzt blinzelte sie und sah sich den Stab genauer an. Er war perfekt gleichmäßig und lag angenehm in ihrer Hand. Ohne Schnörkel oder Verzierungen wirkte er bis auf die goldene Farbe fast unscheinbar. Doch er hatte den Angriff der Männer ohne weiteres abgewehrt. „Wer bist du Frau, dass du es wagst einfach diese Unterrichtsstunde zu stören?“, fragte der ältere der beiden Männer verärgert. Kasumi sah den Mann an und stand langsam auf. „Ich wollte nur das Kind beschützen, auf das ihr keine Rücksicht nahmt.“, sagte sie und hob ihr Kinn. Der Mann griff seinen Stab fester, holte aus und wollte damit nach ihr schlagen, doch Kasumi parierte auch dieser Attacke mit ihrem Stab. Und es fühlte sich einfach so unglaublich natürlich und vertraut an sich mit diesem zu bewegen, dass sie nicht anders konnte als zu Lächlen. Da sie auch diesen Angriff abblocken konnte, stieg rote Farbe in das Gesicht des Mannes. Der Jüngere hatte sich ein paar Schritte zurückgezogen und beobachtete nur das Schauspiel vor ihm. So wie all die anderen Zuschauer. „Frauen ist es verboten eine Waffe zu tragen!“, zischte der ältere Mann nun und musterte sie einmal von oben bis unten. Offenbar suchte er nach einer Schwachstelle. Doch Kasumi war nicht hier um zu kämpfen. Das Leben des Mädchens war gerettet. Sie wollte keinen Ärger provozieren, wo sie doch versuchen mussten einige Zeit hier zu bleiben. „Es ist nur ein Stab. Wäre ich eine alte Frau müsste ich mich darauf stützen. Wollt ihr etwa sagen, ihr wollt jeder alten Dame ihren Stock abnehmen aus Angst sie könnte ihn euch überziehen?“ Das war nichts womit sie Ärger vermeiden konnte, dachte Kasumi sofort, als sie gesprochen hatte. Doch irgendwie hatte es ihr Gegenüber nicht anders verdient. Eine Ader begann an der Schläfe des Mannes zu pulsieren. Offenbar hatte sie gerade seinen Stolz verletzt. „Ungehöriges Frauenzimmer. Was fällt dir ein so mit mir zu sprechen? Ich bin Großmeister der Kampfkünste und exklusiver Lehrer des Oberhaupts dieses Hauses. Als hätte ich es nötig Angst vor einer schwachen Frau zu haben!“ Sie hatte wirklich einen Nerv getroffen. „Müsstet ihr als Lehrer nicht wissen, dass man sich nicht nur blind in einen Kampf stürzen kann, sondern immer seine Umgebung im Blick behalten sollte-“ „Genug!“, schrie der Lehrer und setzte zu einem weiteren Angriff an. Kasumi erinnerte sich nicht daran, jemals etwas über Verteidigung gelernt zu haben, geschweige denn über Kampfkunst im Allgemeinen oder Angriffe mit einem zwei Meter Stab. Doch sie konnte jedem der Angriffe ausweichen oder sie abblocken. Bis sie den Lehrer schließlich mit zwei gezielten Schlägen zu Boden schickte. Einen Moment lang herrschte totenstille im Garten, doch dann brach der Jubel der Zuschauer aus. Diesen nahm Kasumi jedoch nur entfernt war, denn in dem Moment spielte sich eine Szene vor ihrem inneren Auge ab, ähnlich der, die sie bei Isami das erste Mal erlebt hatte. Sie erinnerte sich an etwas:   //Rin saß auf der Engawa und mörserte einige Kräuter zu Pulver zusammen, welches sie anschließen in kleine Stoffsäckchen verschnürte. Doch egal wie sehr sie den Anschein erweckte, sich auf ihr Tun zu konzentrieren, lag doch ihre ganze Aufmerksamkeit auf Sesshōmaru. Dieser stand einige Meter entfernt im Garten und vollzog seine täglichen Übungen mit Tessaiga. Natürlich würde er auch mit Bakusaiga trainieren, doch da er den Palast nicht in Schutt und Asche zerlegen wollte, beschränkte er sich hier auf Übungen mit seinem heilenden Katana. Dass er sein Training Oberkörper frei vollzog, tat er einzig und allein für Rins Vergnügen. Denn er wusste ganz genau, dass sie ihn beobachtete. „Bevor man seinen Gegner angreift, muss man wissen, womit man es zu tun hat. Man muss den Gegner einschätzen. Seine Stärken und Schwächen herausfinden und mit gezielten Attacken ans Ziel gelangen. Am besten lässt man den Gegner einige Angriffe führen, die man einfach pariert, bevor man zum Angriff übergeht. Es spielt dabei auch keine Rolle welche Waffen gegeneinander antreten. Einzig und allein das taktische Vorgehen ist entscheidend. Das und mit welcher inneren Ruhe man das ganze angeht.“ Sesshōmaru sprach vermeintlich zu sich selbst, doch Rin war klar, dass er die Worte an sie richtete. Da sie sich stets geweigert hatte mit ihm den Umgang mit ihrem Stab zu trainieren, hatte er sich darauf beschränkt ihr einige Dinge zu sagen oder zu demonstrieren, wenn sie ihm einmal zusah. All diese Dinge versuchte sie anschließend in ihrem eigenen Training, dass sie stets ohne ihn vollzog. Denn auch wenn sie noch nicht lange bei Sesshōmaru lebte, sie wollte doch allein auf sich Acht geben können. Leise legte sie ihre Kräuter beiseite und betrat den Garten. Barfuß machte sie fast kein Geräusch, doch natürlich hörte er sie kommen und hielt augenblicklich inne, als sie ihre Arme von hinten um seine Taille schlang und sich an ihn schmiegte. Seine schweißnassen Haare und Rücken störten sie dabei kein bisschen. Sie liebte es sogar ihn so zu sehen. Das machte ihn ein kleines bisschen Menschlich, auch wenn er das ganz und gar nicht war, doch sie schätzte das sehr. „Erster Angriff…“, hauchte sie über seine Haut und küsste dann seine Wirbelsäule. „Zweiter Angriff…“, fuhr sie fort, bevor sie ihre Hände über seinen perfekt definierten Bauch nach unten gleiten ließ und begann den Knoten seines Obis zu lösen. „Dritter Angriff…“ Im Bruchteil einer Sekunde hatte Sesshōmaru ihre Hände gepackt, sich zu ihr umgedreht und seine Lippen auf ihre Gepresst. „Gegenangriff… und außer Gefecht gesetzt!“, flüsterte er an ihren Lippen, was sie kichern ließ. Sie beugte sich zu ihm nach oben und küsste ihn erneut. Lange und intensiv, bevor sie sich wieder löste. „Ich glaube das habe ich verstanden.“, lächelte sie dabei.//   Kasumi schnappte erschreckt nach Luft. Sie hatte den Mann in ihrer Erinnerung nicht klar erkennen können. Wie schon in der kurzen Vision bei Isamu war seine gesamte Gestalt wie verschwommen vor ihren Augen. Doch das Gefühl, dass sie verspürte war das Selbe. Ein Druck auf ihrer Brust. Wie ein bittersüßer Schmerz, dem ihr Herz mit schnellem Schlagen zu entrinnen suchte. Und ihr ganzer Körper kribbelte beim Gedanken an diesen Mann, den sie nicht erkennen konnte. Das war definitiv der Vater ihres Kindes und wie schon bei der letzten Vision war das Bedürfnis ihn wieder zu finden überwältigend. „Dafür wirst du büßen!“ Der Aufschrei des Lehrers riss Kasumi aus ihren Gedanken. Er war wieder aufgesprungen und stürmte auf sie zu, als sein Schüler seinen Stab zwischen ihn und Kasumi brachte. „Das reicht jetzt!“, sagte er mit fester Stimme und sofort herrschte wieder Stille im Garten und der Lehrer verharrte in seiner Angriffsposition. „Aber mein Herr… Diese Dreistigkeit muss-“ „Ich sagte das reicht jetzt! Lasst mich mit der Frau allein.“, verlangte der Junge und in dem Moment wurde Kasumi wirklich bewusst, dass sie ihr vor dem Oberhaupt des Hauses Mōri stand. Der Lehrer wollte noch einmal wiedersprechen, doch nur ein Blick des jungen Herren reichte, dass er verstummte und zusammen mit allen Schaulustigen davonging. Bis Kasumi mit dem Jungen allein war. „Ich wollte wirklich nicht unhöflich sein.“, sagte sie und wand schließlich den Blick von den Menschen zum jungen Herren des Hauses. „Ich habe noch nie eine Frau so kämpfen sehen. Wo hast du das gelernt? Und woher ist nur dieser außergewöhnliche Stab?“, fragte der junge Herr und Kasumi blinzelte. Er klang jetzt wie der Junge, der er eigentlich war und nicht wie ein Herr über dieses ganze Haus und die ganze Stadt. Der noch gerade eben so Stellungsbewusst mit seinem Lehrer gesprochen hatte. „Ich kann mich leider nicht erinnern Herr. Mein gesamtes Gedächtnis wurde mir genommen. Deshalb tut es mir Leid, dass ich euch keine angemessene Antwort geben kann.“, erklärte sie. Der Junge musterte sie einen Moment, dann legte er seinen Stab ab und trat näher um sich Kasumis anzusehen. „Darf ich?“, fragte er und streckte eine Hand aus. Kasumi übergab ihm den Stab, doch sobald er die Hand des jungen Herren berührte, verwandelte er sich in eine kleine goldene Kugel. „Zauberei!“, rief dieser aus und ließ überrascht die Kugel zu Boden fallen. Dort sprang sie ein paar Mal auf, bevor sie sich auflöste. Automatisch ließ Kasumi ihre Hand an das O-Mamori wandern, dass sie stets an ihrem Obi trug. Sie hatte die Kugel darin schon öfter gespürte. Hatte sich sogar immer daran festgehalten, wenn sie ein Moment der Angst überfallen hatte. Doch nie hätte sie damit gerechnet, dass diese kleine Kugel ein Stab werden könnte mit dem sie auch noch umzugehen wusste. „Ich habe ihn gerade zum ersten Mal gebraucht, seit ich mein Gedächtnis verloren habe. Ich wusste nicht das er das kann.“, sagte sie fasziniert und sah den jungen Herren überrascht an. „Ich bin Terumoto. Oberhaupt des Mōri-Clans und Herr dieses Hauses, seit mein Vater im letzten Winter verstorben ist. Wie ist dein Name? Und wo kommst du her? Ich habe dich noch nie her gesehen!“ Das Lächeln, dass Terumoto ihr in diesem Moment schenkte, erwärmte etwas in Kasumi, was sie das Lächeln erwidern ließ. „Mein Name ist Kasumi. Wobei ich mich an meinen richtigen Namen ja nicht erinnern kann. Ich bin hier mit meinen Brüdern aus der Hauptstadt. Wir sind gekommen um unserer Hilfe anzubieten. Der Daimyō hat von den Angriffen der Yōkai gehört und uns deshalb als Unterstützung geschickt.“, erklärte sie. Als sie die Yōkai erwähnte, verdunkelte sich das Gesicht von Terumoto für einen Moment. „Mein Stadtverwalter tätigt im Moment noch alle Geschäfte, da ich erst in ein paar Tagen sechzehn werde und den Posten des Oberhaupts der Familie offiziell übernehmen kann. Aber er hat mir von den Yōkai-Angriffen berichtet. Es muss schrecklich sein, aber…“ Er sprach nicht weiter, weshalb Kasumi ihn fragend ansah, doch er schüttelte nur den Kopf und sah sie dann mit einem Lächeln an. „Es wäre mir eine Ehre euch als meine Gäste hier zu haben. Um ehrlich zu sein war ich schon immer der Meinung, dass meinem Lehrer einmal die Leviten gelesen werden müssten.“, erklärte er mit einem Grinsen, das Kasumi nur erwidern konnte. „Da habt Ihr sicher Recht!“ Terumoto streckte erneut seine Hand aus und nahm Kasumis in seine. „Ich will deine Brüder kennenlernen und dann sollten wir ein Festmahl abhalten!“, rief er und zog Kasumi dann hinter sich durch den Garten zurück zum Haus. Die ganze Zeit über ließ er ihre Hand nicht los und Kasumi stieg die Röte ins Gesicht. Auch wenn der Herr dieses Hauses knapp zehn Jahre jünger als sie war, fand sie ihn doch bezaubernd und eine Überraschung im Vergleich zu den frauenfeindlichen Männern, die sie bisher hier getroffen hatte. So stürmte Terumoto in die Empfangshalle, wo Keiji, Benjiro und Kazuma noch vor dem Stadtverwalter saßen und alles andere als Erfolgreich aussahen. Doch als Terumoto die Tür mit einem Knall aufschlug verschwand das selbstzufriedene Lächeln auf den Lippen des Stadtverwalters und ihre Brüder drehten sich allesamt zu Kasumi um. Der Schock auf ihren Gesichtern ließ sie lächeln und sie löste sich von Terumoto, als alle drei auf sie zu liefen. Benjiro blieb zuerst stehen, kurz darauf Keiji und Kazuma zog sie kurz in seine Arme, bevor er sie von oben bis unten ansah. „Was ist passiert? Deine Kleidung ist ganz staubig?“, fragte er besorgt. Kasumi streichelte über seinen Kopf, was ihn bisher immer beruhigt hatte und schenkte den dreien ein Lächeln. „Darf ich euch Terumoto vorstellen? Das Oberhaupt des Mōri-Clans!“, erklärte sie und wies auf den jungen Herrn. „Das sind meine Brüder: Keiji, der Hauptmann des Daimyōs. Benjiro, sein Feldwebel und Kazuma, sein Berater!“ Terumoto ließ seinen Blick von den fassungslosen Dreien zu Kasumi wandern. „Und das sind deine echten Brüder?!“ Seine Aussage ließ sie Lächeln. „Nein. Aber sie haben mich gefunden und sich um mich gekümmert. Sie sind wie eine Familie für mich und ich würde alles für sie tun.“, erklärte sie, was den jungen Herren nicken ließ. „Darf ich fragen was das zu bedeuten hat?“ Die Stimme des Stadtverwalters schnitt wie ein Schwert durch die Stimmung. Sofort richteten sie alle ihre Aufmerksamkeit auf den Mann, der sich jetzt erhoben hatte und eilig auf sie zugelaufen kam. So wie sich Keiji versteifte, konnte Kasumi in etwa erahnen wie schlecht ihr Gespräch verlaufen sein musste. „Diese Herren waren gerade dabei zu gehen. Ihr Angebot in allen Ehren, aber wir können diese Probleme allein lösen. Wie alles andere sonst auch.“, erklärte der Verwalter. Daraufhin trat Terumoto vor und verschränkte die Arme vor der Brust. „Sie werden bleiben. Ich habe Kasumi bereits eine Unterkunft zugesagt und ihr wollt doch nicht etwa, dass ich mein Wort brechen muss? Was wäre ich denn für ein Familienoberhaupt, wenn mein Wort nichts zählt? Und sicher wären unsere Männer über etwas Unterstützung sehr froh.“, wiedersprach Terumoto. Der Verwalter hatte den Mund bereits geöffnet um zu Wiedersprechen, doch ähnlich wie bei seinem Kampfkunstlehrer genügte ein einzelner Blick und er schloss den Mund wieder, trat einen Schritt zurück und verneigte sich knapp. „Wie Ihr wünscht, mein Herr.“, sagte er, ging zur Tür und öffnete sie wieder. „Dann herzlich Willkommen im Hause Mōri.“, fügte er zähneknirschend hinzu. Diese Wendung gefiel dem Verwalter ganz und gar nicht, doch auch wenn Terumoto noch nicht offiziell seine Stellung übernehmen konnte, galt sein Wort offenbar dennoch über allem anderen. Und so folgten sie alle Terumoto, mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen, durch die Flure zu einem geräumigen Speisezimmer. Nur der Stadtverwalter brachte für den Rest des Tages keinen Ton, geschweige denn ein Lächeln über die Lippen. Kapitel 7: Ein neuer Verbündeter -------------------------------- „Mich würde interessieren, wie du das immer wieder schaffst.“ Nach der Willkommensfeier mit Terumoto saß Kasumi jetzt auf der Engawa vor ihren neuen Räumlichkeiten und sah in den Nachthimmel hinauf. Terumoto hatte darauf bestanden, dass sie alle einige Zimmer in seinem Haus bezogen. Und obwohl sie lieber zur ihren Männern zurückgekehrt wären, hatte Keiji am Ende doch eingelenkt. Seine Worte brachten sie jetzt allerdings dazu zu ihm zu sehen. Er stand etwas entfernt an einen Stützbalken des Geländers gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt, den Blick ebenfalls in den Nachthimmel gerichtet. „Was meinst du?“, fragte Kasumi nach einem Moment, in dem sie sich seine Frage durch den Kopf gehen gelassen hatte. „Terumoto. Noch nie hat er persönlich Gäste empfangen. Außer sein Vormund hat es ihm erlaubt. Aber irgendwie bist du ihm über den Weg gelaufen und hast ihn zu deinem Freund gemacht… Genau wie Isami… oder uns…“ Kasumi konnte sich auch nicht erklären wie sie es schaffte alle Welt zu ihren Freunden zu machen. Sie handelte nur nach ihren Gefühlen und danach, was sich richtig anfühlte. Wie sie damit geschafft hatte, dass Keiji, Isami oder Terumoto ihre Freunde geworden waren, dass wusste sie selbst nicht. „Ich mache eigentlich nichts Besonderes und ich wusste zuerst nicht wen ich vor mir hatte, als ich Terumoto begegnet bin. Das habe ich erst später erfahren. Aber es war ein glücklicher Zufall, wo der Stadtverwalter euch doch sicher im nächsten Moment vor die Tür gesetzt hätte, oder?“ Auf ihre Erklärung hin musste Keiji lachen und sah sie schließlich an. „Imōto-san. Mir wird gerade wieder klar, warum ich dein Freund geworden bin. Ich hätte nur nicht gedacht, das so viele Leute genau so schwach sind wie ich…“ Bei dieser Aussage sprang Kasumi auf, doch dann verharrte sie ganz still und spürte wie sie rot wurde. Bis sie schließlich wieder hinauf in den Nachthimmel sah, nur um Keiji nicht ansehen zu müssen. „Ich bin mir nicht sicher ob das eine Beleidigung oder ein Kompliment gewesen sein soll?!“, sagte sie dabei nicht wirklich verärgert. Sie bemerkte erst, das Keiji näher getreten war, als er direkt hinter ihr stand. „Für dich war es als Kompliment gedacht. Deine Persönlichkeit ist außergewöhnlich und steht außer Frage. Meine Worte könnten höchstens mich beleidigen.“, erklärte sich Keiji leise. Kasumi fuhr zu ihm herum und nahm seine Hand in ihre. „Aber du bist ganz und gar nicht schwach. Du bist ein großartiger Anführer. So wie Isami eine ist und Terumoto es einmal sein wird… Vielleicht ist das auch der Schlüssel zu dem, was ich tun kann. Ich erfülle keine typischen Erwartungen die ein Anführer in die Menschen in seiner Umgebung hat.“, wiedersprach Kasumi sanft. Keiji schloss kurz die Augen und seufze resignierend. „Nein, dass tust du sicher nicht und wahrscheinlich ist es wirklich das, was deine Magie ausmacht… Auf jeden Fall wollte ich dir für heute Danken. Du hattest Recht. Der Stadtverwalter hätte uns wirklich in der nächsten Sekunde rausgeworfen. Wenn du nicht gewesen wärst.“ Mit diesen Worten beugte sich Keiji vor und presste seine Stirn gegen ihre Hand, die immer noch seine hielt. Als er sich wieder erhob sah er sie direkt an, mit diesen eisblauen Augen, die zu glühen schienen. In dem Moment wurde Kasumi bewusst was sie hier eigentlich tat, riss ihre Hände zurück und trat einen Schritt zurück. „S… Schon gut. Ich habe das gerne getan. Immerhin will ich nur helfen!“, brachte sie mühsam hervor. Mit einem zufriedenen Lächeln verbeugte sich Keiji noch einmal tief vor Kasumi, was ihr die Röte in die Wangen trieb und sie einen weiteren Schritt zurück gehen ließ. Bis sie schließlich am Geländer der Engawa anstieß. „Danke… Imōto-san.“, sagte Keiji, bevor er sich wieder erhob. „Ich wünsche dir noch eine gute Nacht.“, fügte er hinzu, als er wieder stand und nachdem Kasumi geschafft hatte wenigstens zu nicken, ging er mit einem Nicken wieder zu seinem eigenen Zimmer. Kasumi stand noch einen Moment am Geländer, bevor sie ausatmete und langsam wieder entspannte. Sie wusste nicht genau was es war, aber etwas hatte sich auf ihrer Reise bei Keiji verändert. Etwas, das sie nicht beabsichtigt hatte. Etwas, bei dem sie fürchtete, dass er verletzt werden könnte. Früh am nächsten Morgen wurde Kasumi von Geräuschen vor ihrer Tür geweckt. Verschlafen rieb sie sich die Augen, bevor sie beschloss aufzustehen und sich für den Tag fertig zu machen. Auch zehn Minuten später hielten die Geräusche draußen auf dem Flur an, weshalb Kasumi ihre Tür einen Spalt breit aufschob und hinaus sah. „Kasumi! Gut, du bist wach!“ „Te- Terumoto? Was machst du zu dieser frühen Stunde schon hier?“, fragte Kasumi irritiert, als sie den jungen Herrn des Hauses vor ihrem Zimmer auf und abschreiten sah. Terumoto kam mit einem zufriedenen Lächeln vor ihr zum Stehen. „Ich wollte dir etwas zeigen. Deshalb konnte ich kaum schlafen… Hast du Zeit es dir anzusehen?“ „Ähm… sicher.“, antwortete Kasumi nach kurzem Zögern, aber wie sollte sie ihm etwas abschlagen, wenn er so aufgeregt war? „Perfekt!“ Mit einem freudigen Lächeln auf den Lippen führte Terumoto Kasumi durch das Haus. Das Kasumi wie ein einziges Labyrinth vorkam. Ohne Hilfe würde sie nie wieder zurück zu ihrem Zimmer finden. Schließlich erreichten sie die Ställe hinter dem Haus und Terumoto präsentierte voller Stolz die schönsten Tiere, die Kasumi jemals gesehen hatte. „Meine Familie züchtet schon seit Generationen Pferde. Es sind die edelsten und besten Tiere dieser Gegend. Zum Teil verdankt meine Familie ihnen ihren Reichtum.“, erklärte er, während sie ein unzähligen Boxen vorbei schritten. Kasumi streichelte immer wieder eins der Tiere, bis sie vor einer leeren Box am Ende des Stalles stehen blieben. Terumoto strich mit der Hand über die Tür und sah einen Moment still hinein. „Hier sollte eigentlich der ganze Stolz unseres Hauses stehen. Ein unschätzbar wertvolles und wundervolles Tier. Es war unzähmbar und hat noch niemals einen Menschen in seiner Nähe akzeptiert. Die Stallburschen nannten es Umayōkai. Das Dämonenpferd. Aber die Herrin von Yamaguchi hat es uns gestohlen… Aus Wut darüber hat der Stadtverwalter begonnen Angriffe gegen sie zu führen. Das sagt er zumindest, aber ich glaube er will das Tier nur zurück um es für seine eigenen Zwecke zu nutzen…“ „Glaubt ihr der Geschichte des Stadtverwalters etwa nicht?“, frage Kasumi, als Terumoto nicht weiter sprach. Er sah sie nicht an. Starrte immer weiter in den leeren Stall hinein und Kasumi erhielt einen kleinen Einblick auf den Anführer, der er einmal sein würde. Schon jetzt zerbrach er sich viel den Kopf, auch wenn er nicht den Anschein erweckte. Er war sich bewusst, dass er als einziger Überlebender seiner Familie eine große Last zu tragen hatte. „Der Stadtverwalter verachtet die Yōkai. Sicher will er das Pferd teuer auf dem Schwarzmarkt verkaufen… Ähm, ich will damit nicht sagen, dass ich mit diesen Yōkai sympathisiere-“ „Du kannst ruhig ehrlich sagen was du denkst, Terumoto.“, unterbrach Kasumi ihn, als er versuchte sich zu verstellen. „Soll ich dir ein Geheimnis verraten?“ Als Terumoto sie irritiert ansah, musste sie Lächeln. Es war riskant sofort mit der Wahrheit heraus zu platzen, immerhin kannte sie Terumoto erst seit gestern. Aber er hatte etwas an sich, was Kasumi so sympathisch war, das ihn so verloren in diesem großen Haus machte. Weshalb sie ihm gerne näher an sich heran lassen wollte. „Auch wenn ich mich kaum an meine Vergangenheit erinnern kann, ich weiß genau, dass mein Kind, dass eines Yōkais ist und ich dessen Ehefrau. Und ich glaube nicht, dass ich das unfreiwillig geworden bin. Selbst wenn die Zeiten hart sind, für die Yōkai, auch Keiji versucht sie vor unrecht zu schützen. Du musst bei uns also keine Angst haben etwas Falsches zu sagen!“ Aus Terumotos Irritation war eine Mischung aus Schock und Unglaube geworden, weshalb Kasumi ihm ein freundliches Lächeln schenkte. „D- Das ist unglaublich!“, platzte es schließlich aus ihm heraus und seine Augen begannen vor Aufregung zu leuchten. „Was weißt du von deinem Ehemann? Ist er ein mächtiger Yōkai? Ankoku würde dich sofort töten lassen, wenn er das wüsste. Jeder hier versucht auf einer Linie mit den Vorstellungen des Daimyō zu sein… Manchmal macht mich das krank!“ „Leider weiß ich fast nichts über meinen Ehemann. Nur das wir in einem Palast gelebt haben, bis dieser von den Männern des Daimyō überfallen worden war. Seitdem suche ich ihn und versuche mich wieder an alles zu erinnern. In der Zwischenzeit versuche ich meinen Brüdern zu helfen, so gut ich kann. Und wenn du in ein paar Tagen volljährig wirst, kannst du sicher auch mehr erreichen als jetzt. Du wirst deinen eigenen Weg gehen können und ich bin mir sicher, dass du dabei auch ein paar Verbündete findest, die dir zur Seite stehen werden.“, sagte Kasumi aufmunternd. Sie konnte Terumoto verstehen, doch er würde früher sein Ziel erreichen können als sie selbst. Mit großen Augen sah er zu Kasumi auf und streckte ihr dann seinen kleinen Fingern entgegen. „Willst du meine Verbündete sein, Kasumi?“ Seine Frage war so süß, dass Kasumi gar nicht anders konnte. Mit einem Lächeln verhakte sie ihren kleinen Finger mit seinem. „Es wäre mir eine Ehre!“ Nachdem Kasumi zusammen mit Terumoto verspätet zum Frühstück erschienen waren, hatte der junge Herr des Hauses seinem Stadtverwalter die Anweisung gegeben, alle Unterlagen der Übergriffe offen zu legen. Nur sehr widerwillig hatte dieser zugestimmt, doch gegen seinen zukünftigen Herrn hatte er sich nicht auflehnen können. Eine knappe Stunde später saßen sie jetzt alle zusammen in einem Arbeitszimmer und sahen die Unterlagen durch. Unzählige Berichte über die Angriffe von Isami und die Gegenmaßnahmen. Karten, auf denen alle wichtigen Punkte der Region verzeichnet waren und wo sich welcher Stützpunkt befand. Und Listen über Ressourcen und Männer, die für diese ganze Streitigkeit schon benötigt worden waren. Es war ein unglaubliches Chaos, in das Keiji erst einmal Ordnung gebracht hatte. Dafür hatte er sich sogar über den kleinen Tisch hinaus über fast den gesamten Fußboden ausgebreitet. Benjiro saß, mit vor der Brust verschränkten Armen, an eine Wand gelehnt und beobachtete das ganze Geschehen aus dem Hintergrund. Nicht dass er nicht mitarbeiten wollte, doch Kasumi versuchte ebenfalls zu helfen, was sie nicht könnte, wenn er direkt neben ihr saß. Also begnügte er sich damit die ganze Aktion von außerhalb zu beobachten. Dadurch bot sich allerdings auch die Möglichkeit sie näher beobachten zu können. Er hatte es noch gestern Abend von ein paar Bediensteten auf dem Flur aufgeschnappt. Aufgeregt hatten sie sich über eine Frau unterhalten, die den langjährigen Kampfkunstlehrer des jungen Herrn in zwei Zügen erledigt hatte. Benjiro war sich zu hundert Prozent sicher, dass sie über Kasumi gesprochen hatten. Welche andere Frau würde sich schon so etwas trauen, wo hier doch alle klein gehalten wurden? Was bei ihm allerdings die Frage aufwarf, woher sie das gelernt hatte und warum sie sich überhaupt selbst verteidigen musste. Immerhin war sie doch die Frau eines mächtigen Yōkai gewesen. Hatte es dort niemanden gegeben, der sie hätte beschützen können? Oder hatte sie sich gegen so viele fragwürdige Gestalten behaupten müssen, dass sie ein paar Tricks zum Überleben gebraucht hatte? So oder so erzeugten diese Gedanken ein seltsam beklemmendes Gefühl in seiner Brust. Auch wenn sie kaum miteinander sprachen und Benjiro eigentlich nichts von ihr wusste. Er wollte auch nicht, dass es ihr schlecht erging. Jemand wie sie hatte das einfach nicht verdient. Andererseits erzeugte der Gedanke daran, dass dieses kleine Mädchen einen ausgewachsenen Mann verprügeln konnte, auch ein Gefühl von Stolz in ihm und er musste unwillkürlich Lächeln. Zu gerne hätte er sie in Aktion gesehen, aber vielleicht bot sich ihm noch einmal so eine Gelegenheit. „Zwei Monate voller Streitigkeiten nur wegen einem Pferd?“, fragte Keiji schließlich Terumoto. Er hatte sich alle Berichte durchgelesen und sah ihn jetzt fragend an. „Umayōkai wurde von den edelsten Pferden unter allen gezüchtet. Er ist stark und schnell und besitzt ein einzigartiges Temperament. Er war der ganze Stolz meines Vaters und das Aushängeschild für unsere Familie. Durch seinen Verlust droht mein Haus sein Gesicht zu verlieren, da es von einer einfachen Frau gestohlen wurde!“ „Also ein Wildfang, der ausgerissen ist um zu tun was es will, wie es ihm beigebracht wurde?“, fragte Benjiro, ohne darüber nachzudenken. Alle wandten sich zu ihm um und er konnte sehen wie der junge Herr rot vor Zorn wurde. Doch noch bevor er etwas erwidern konnte, sprach Kasumi. Diese hatte ihnen zwar zugehört, studierte allerdings noch einen Bericht vor sich. „Könnte es sein, dass Benjiro Recht hat?“ Ihre Frage überraschte jeden im Raum. Vor allem aber Benjiro. Zwei Mal in zwei Tagen hatte sie ihm Recht gegeben ohne anschließend aus Überraschung über sich selbst verschüchtert zurück zu treten oder rot zu werden. Vielleicht befanden sie sich tatsächlich auf einem Weg, der es ihnen ermöglichte eines Tages ungezwungen miteinander zu reden. „Was siehst du dir da an, Imōto-chan?“, fragte schließlich Kazuma und rutschte an ihre Seite. „Es ist ein Bericht über den Tag vor dem ersten Überfall. Darin steht nichts bedeutendes, aber sieh dir das Datum an. Mir scheint es wurde manipuliert!“ Nach dieser Äußerung nahm Kazuma den Bericht selbst unter die Lupe und reichte ihn schließlich an Keiji weiter. „Du hast Recht, Imōto-san. Wenn man ihn gegen das Licht hält, erkennt man eine andere Zahl darunter… Dieser Bericht ist vom Tag davor. Das bedeutet der Bericht vom 28. Januar fehlt. Dem Tag an dem angeblich ebenfalls nichts passiert ist, bevor dieses Haus ohne Vorwarnung angegriffen wurde!“ Keiji legte den Bericht wieder vor sich und ließ seinen Blick einen Moment über die Unterlagen wandern. „Ich werde sofort nach dem Stadtverwalter schicken. Er soll uns den Bericht bringen, oder zumindest dessen fehlen erklären.“, sagte Terumoto und war bereits aufgesprungen. „Ich glaube nicht, dass das etwas helfen wird. Sicher gibt es den Bericht vom Januar nicht mehr.“, widersprach Keiji resigniert. Ihnen allen war bereits klar, dass mit diesem Verwalter etwas nicht stimmte. Sicher würde er sich das Fehlen des Berichts irgendwie erklären können, so dass ihm niemand widersprechen konnte. „Kannst du dich zufällig noch an diesen Tag erinnern Terumoto? Oder an den Tag des Angriffes? Wo warst du? Was hast du gemacht? Irgendein Anhaltspunkt?“, fragte schließlich Kasumi und sah den jungen Herrn an. Benjiro hatte es sich mittlerweile angewöhnt, sie immer genau anzusehen, wenn sie sprach. Auch wenn er es zuerst unbewusst getan hatte, doch jedes Mal wenn er sie beobachtete, begriff er wie aufmerksam und schlau sie doch war. So schlau, dass es im ersten Moment gar nicht danach aussah. Doch sie hatte so manche Gedankengänge, die ihnen allen verborgen blieben. Terumoto zögerte an der Tür. Er schien auch ernsthaft zu überlegen, doch offenbar war er nicht ganz bereit mit der Sprache heraus zu rücken. Weshalb Kasumi aufstand und zu ihm trat. „Heute Morgen hast du mir gesagt, dass du dem Stadtverwalter nicht traust. Willst du dich jetzt auf sein Wort verlassen? Was wenn er seine ganz eigenen Pläne hat und in ein paar Tagen gar nicht daran denkt dir dein Amt zu übergeben? Ich habe dir versprochen deine Verbündetet zu sein, also glaub mir, wenn ich dir sagen, dass wir alle auf deiner Seite sind. Wir wollen das wieder Frieden in deinem Haus herrscht!“ Benjiro lehnte sich weiter vor, als sie alle auf eine Antwort des jungen Herrn warteten. Kasumi war wirklich eine erstaunliche Person, dass sie so einfach jedem die Wahrheit sagte. Gleichzeitig erkannte sie aber auch jede Wahrheit, als stünde sie einem ins Gesicht geschrieben. Sie besaß ein Talent hinter die Fassaden der Leute zu sehen und sich genau so zu verhalten, wie sie es brauchten. „Ich wünsche mir auch Frieden… Als der erste Angriff geschah, saß ich gerade über meinen Studien der Westlichen Geschichte. Ich bemerkte es erst, als ein riesiger roter Oni über die Außenmauer kletterte. Die Wachen konnten ihn zurückdrängen und schließlich die ganzen Angreifer zum Rückzug drängen. Allerdings gelang ihnen das nur, weil der Stadtverwalter die Soldaten der Stadt zu Hilfe nehmen konnte…“ Als Terumoto zögerte schaltete sich Keiji ein. „Lasst mich raten. Es waren Soldaten, die für gewöhnlich nicht sofort in Reichweite wären. Leute, die erst mobilisiert werden müssen!“ Terumoto nickte langsam. „Also wusste der Stadtverwalter bereits, dass ein Angriff drohte. Aber wie sollte er das wissen, wenn er nicht etwas dafür getan hat?“ „Keiji hat Recht. Yōkai greifen nur an, wenn sie sich etwas davon versprechen oder um für ihre Art von Gerechtigkeit zu sorgen. Es muss also etwas am Tag davor gesehen sein.“, sagte Kasumi nachdenklich. „Vielleicht…“, begann Terumoto, unterbrach sich dann allerdings wieder. „Woran denkst du?“, fragte Kasumi sofort. Terumoto atmete einmal tief durch, bevor er fort fuhr. „In der Nacht vor dem Angriff gab es ein heftiges Unwetter. Ich erinnere mich nur daran, weil ich von hektischen Stimmen im Garten geweckt wurde. Zuerst hatte ich gedacht es wären die Bediensteten, die die hölzernen Schiebetüren kontrollierten, doch dann hörte ich aufgeregtes Wiehern. Damals vermutete ich, dass die Pferde durch den Sturm nervös geworden waren und einige Wachen versuchen sie zu beruhigen… Wenn ich es mir recht überlege habe ich es am nächsten Tag gar nicht geschafft im Stall nachzusehen was mit den Pferden ist… Erst nach dem Angriff, als man mir mitteilte, dass das Umayōkai gestohlen worden sei…“ „Dann wurde es bereits in der Nacht weggeschafft. Und irgendwas müssen die Soldaten dabei getan haben, dass die Yōkai am nächsten Tag zu ihrem Angriff bewegt hat.“, sagte Keiji nachdenklich. Terumoto wirkte nach dieser Erkenntnis niedergeschlagen, weshalb Kasumi kurz seine Schulter drückte, bevor sie hinüber zu Kazuma ging und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Bis dieser schließlich in schallendes Gelächter ausbrach, was alle Blicke auf ihn zog. „Imōto-chan hatte gerade eine brillante Idee!“, erklärte er und sein breites Grinsen gefiel Benjiro gar nicht. Kapitel 8: Fuchsschwestern -------------------------- „Ich bin kein dreckiger Köter! Das ist eine unfassbare Beleidigung!“ Seit Kazuma allen die geniale Idee unterbreitet hatte, schrie sich Benjiro die Seele aus dem Leib. Darüber wie sehr seine Ehre litt und was für eine Frechheit es doch wäre. Eine Schande für jeden anständigen Yōkai und seine ganze Art. „Beruhige dich Benjiro. Was sollen denn die Leute sagen?“, versuchte Keiji seinen Feldwebel zu beschwichtigen. Wutentbrannt sah dieser zu ihm zurück und streckte ihm seine Faust, und das was er darin hielt, entgegen. „Siehst du das, Keiji? Das ist eine Decke. Eine stinkende Pferdedecke! Und soll ich dir erklären warum ich so etwas in der Hand halte? Weil dein dummer Berater die Idee hatte mich als Suchhund einzusetzen! Als würde ich mich dazu herablassen nach einem entlaufenen Gaul zu suchen, der bis jetzt nichts als Ärger gebracht hat!“ Benjiros Stimme wurde mit jedem Satz lauter und Keiji stellte mit einem Lächeln fest, dass sich Kasumi langsam hinter seinem Rücken versteckte. „Eigentlich war es ja Imōto-sans Idee.“, korrigierte er seinen aufgebrachten Freund. Dieser wollte schon etwas erwidern, als sein Blick rechts neben Keiji auf Höhe seiner Schulter fiel. Einen Moment starrte er dort hin, bevor er seinen Mund wieder schloss, sich umdrehte und davon stapfte. Kazuma trat neben Keiji und tätschelte Kasumis Kopf. „Keine Sorge Imōto-chan. Benjiro kriegt sich schon wieder ein.“, versuchte er Kasumi aufzuheitern. „Das will ich hoffen. Ich wollte ihn wirklich nicht bloßstellen, aber er ist der Einzige, der das Pferd wohl jemals aufspüren könnte…“, sagte Kasumi leise. Wenn es um Benjiro ging, dann vergaß sie nur zu gerne, welch mutige Frau sie war. Dann wurde sie immer kleinlaut und zurückhaltend. „Das solltest du ihm vielleicht einmal sagen… Zumindest seinem Ego würde das gut tun.“, sagte Keiji, während er seinem Freund hinterher sah. Drei Tage waren sie der Spur des Umayōkai bereits gefolgt. Zuerst auf gerader Strecke zurück nach Yamaguchi, wo Isami ihr Schloss bewohnte, und von dort im Zick-Zack nach Nord-Westen und schließlich weiter Richtung Süd-Westen. Es sah ganz so aus, als wäre das Pferd zuerst geführt und schließlich frei gelassen worden. Und obwohl so viel Zeit seitdem vergangen war, konnte Benjiro der Spur immer noch folgen. Manchmal brauchte er etwas, um sie sicher zu finden, doch sie kamen nie von ihrem Weg ab. Am Abend des dritten Tages schlugen die Jungs gerade ihre Zelte auf, während Kasumi am Rand der kleinen Lichtung stand und in den Wald sah. Vor ein paar Stunden hatten sie frische Hufspuren gefunden. Spuren, die in einem gewaltigen Abstand zueinander standen. Was auch immer dieses Umayōkai war, es war kein gewöhnliches Pferd. Doch das war Keiji egal, denn er hatte sich auf ihrem Weg bereits einen Plan ausgedacht, wie er das Pferd bändigen wollte. Er wollte ein großes Gatter bauen und das Pferd hinein locken. Kasumi bezweifelte zwar die Durchführbarkeit dieses Plans, sagte aber nichts. Wenn Keiji erst einmal einer Idee verfallen war, war er schwer wieder umzustimmen. Weshalb er auch sofort damit begann einige Bäume mit Benjiro zu fällen, nachdem die Zelte standen. In der Zwischenzeit bereitete Kasumi mit Kazuma das Abendessen vor. Erst als die Sonne untergegangen war, kamen Keiji und Benjiro zum Lager zurück. „Sobald morgen die Sonne aufgeht, werden wir das Gatter fertigstellen. Ich habe in der Nähe einen kleinen See mit frischen Spuren entdeckt. Sicher kommt das Umayōkai dorthin um zu trinken. Das wird der beste Ort sein um es einzufangen.“, erklärte der Hauptmann mit einem Leuchten in den Augen, wie man es eigentlich nur von kleinen Jungs kennt, wenn sie ein neues Spielzeug bekamen. Kasumi versteckte ihr Lächeln hinter ihrer Hand und reichte ihm eine Schüssel von dem Eintopf, den sie zubereitet hatten. „Und du bist dir sicher, dass es sich so einfach fangen lässt?“, fragte sie dabei. Keiji sah sie einen Moment an, bevor er ihr die Schüssel abnahm, einen Löffel davon aß und schließlich antwortete. „Ich spiele den Lockvogel. Wer würde mich nicht gern unter seinen Hufen begraben, wenn ich ihm auf die Nerven falle?“, fragte er amüsiert, was Kasumi wirklich lachen ließ. „Vielleicht sollte Kazuma diese Rolle übernehmen!“, sagte Benjiro trocken. Der Gedanke war einfach zu amüsant. „Hey! Ich bin die Nettigkeit in Person. Niemand würde mich gerne loswerden wollen.“, protestierte Kazuma sofort, während er Benjiro seine Schüssel in die Hände drückte. Auf seine Worte hin zog Benjiro eine Augenbraue nach oben, während Keiji in Kasumis Lachen mit einstimmte. Von diesem ganzen Gespräch beleidigt, nahm sich Kazuma seine eigene Schüssel und aß konzentriert seinen Eintopf. Dabei versuchte er die Anderen so gut er konnte zu ignorieren. Auch wenn er ihnen nicht böse war, ihren Witz sogar verstand, wollte er doch so tun als wäre er eingeschnappt. Kasumi kannte diese Taktik bereits und sie reagierte, wie er es von ihr erwartete. Nachdem sie sich wieder beruhigt hatte, rutschte sie an seine Seite, drückte ihre Schulter an seine und lehnte ihren Kopf an ihn. „Sei nicht böse, Onii-chan. Du weißt doch, dass sie nur einen Spaß machen.“, sagte Kasumi bedächtig. Einen langen Moment zögerte Kazuma, dann sah er aber doch auf und warf seinen Brüdern einen vernichtenden Blick zu. „Ihr verderbt meine kleine Imōto-chan noch mit euren Späßen!“, stellte er fest, was Keiji nur wieder lachen ließ. In dieser Nacht erwachte Kasumi von leisem Gelächter. Zuerst glaubte sie, es sich eingebildet zu haben. Doch gerade als sie sich wieder umdrehen wollte, hörte sie es erneut. Das Lachen zweier Frauen. Kasumi schlug die Decke zurück und zog ihren Kimono enger um ihren Körper. Sie befanden sich mitten im Wald. Was machten hier also Frauen? Das kam ihr verdächtig vor, weshalb sie sich ihr O-Mamori an den Obi band und leise das Zelt verließ. Nach einem prüfenden Blick auf die Zelte ihrer Brüder, ließ sie ihre Hand an ihr O-Mamori gleiten, woraufhin sich der magische Stab in ihrer Hand formte. So bewaffnet folgte sie dem Geräusch des Lachens, dass definitiv von dem Ort kam, an dem Keiji sein Gatter gebaut hatte. Und wenn es sich bei den Lachenden um Yōkai handelte, wussten sie vielleicht etwas über das Umayōkai. Doch als sie das Gatter erreichte, war Weit und Breit niemand zu sehen. Kasumi sah sich in allen Richtungen um, doch sie konnte niemanden entdecken. Dabei war sie sich so sicher gewesen… Und dann konnte sie es spüren. Das Gefühl ließ sich schwer beschreiben, doch die Haare in ihrem Nacken stellten sich auf und ihre Haut begann zu kribbeln. Sie war definitiv nicht alleine hier. „Kommt raus! Ich weiß, dass ihr hier seid!“, rief sie deshalb in die Nacht. Zuerst glaubte sie, dass sie das Gefühl falsch interpretiert hatte, da der Wald still blieb. Doch dann erklang das Gelächter erneut. „Sieh an, sieh an. Ein Menschenmädchen, ganz allein im großen dunklen Wald… Was ihm da wohl alles passieren könnte!“ Ein Schatten ließ sich von einem der nahen Bäume herabfallen und als er auf dem Boden landete und sich langsam zu voller Größe aufrichtete erkannte Kasumi eine Kitsune. Langes silbernes Haar glitzerte im fahlen Mondlicht, wie Schnee. Dazu passende Fuchsohren und ein Schweif, sowie ein paar saphirblaue Augen, die wie Feuer loderten. Kasumi würde ihre Figur als perfekt beschreiben. Schlank, mit reichlich Kurven, so dass sie jedem Mann willkommen wäre. Ihre Kniestrümpfe betonten diese Figur nur noch mehr, sowie ihr knappes, Outfit. Obwohl alles bedeckt war, kam es Kasumi so vor, als zeigte dieser hautenge Einteiler mehr, als wenn sie nackt gewesen wäre. Doch alle wichtigen Stellen waren nicht nur bedeckt, sondern ebenfalls mit kleinen silbernen Platten geschützt. Diese Füchsin war nicht nur eine Verführerin, sondern auch eine Kriegerin. Weshalb Kasumi ihren Rücken durchdrückte und ihren Stand festigte. Sollte sie angreifen, wäre sie auf jeden Fall bereit. „Wir könnten sie als Snack verspeisen. Das käme mir gerade gelegen!“, sagte eine zweite Stimme und wie die erst Kitsune, ließ sich eine weitere aus den Bäumen herabfallen. Jetzt befand sich Kasumi zwischen den Beiden. Wären nicht die goldenen Haare und die rubinroten Augen gewesen, hätte sie gedacht, sie sähe doppelt. So sehr glich die zweite Kitsune der ersten. Doch auch ihre Kleidung unterschied sich in der Farbe. Während die erste helle Farben trug, trug diese dunkle Farben und eine goldene Panzerung, die hier und da mit Perlen oder Edelsteinen verziert war. Kasumi sah zwischen den Beiden hin und her, bevor sie sich der Ersten wieder zuwandte. „Wir sind hier auf der Suche nach einem Pferd. Habt ihr es gesehen?“, fragte sie, ohne auf die Worte der Füchse einzugehen. Die Silberhaarige spitzte die Lippen und kniff die Augen zusammen, so als versuchte sie Kasumi schärfer zu sehen. „Du hast keine Angst Mädchen?“, fragte sie schließlich, hob eine Hand und ließ eine blaue Flamme über ihrer Handfläche tanzen. Diese verstärkte den Eindruck, dass ihre Augen genauso loderten, wie dieses Feuer. „Warum sollte ich? Wenn ihr mich töten wolltet, hättet ihr es getan ohne Fragen zu stellen und wenn wir in euer Revier eingedrungen wären, hättet ihr nicht bis jetzt gewartet um anzugreifen. Entweder seid ihr auf der Durchreise, oder ihr sucht ebenfalls etwas!“ Es war eine einfache Schlussfolgerung, doch die beiden Kitsune ließ das Blinzeln und sie sahen sich über Kasumi hinweg an. Bis das Knacken eines Zweiges hinter einem Baum hervor drang und sich alle in die Richtung des Geräusches umdrehten. Dabei ließ die Silberhaarige ihre Flamme wieder verlöschen. „Sie hat euch erwischt, meine lieben Schwestern.“, sagte eine dritte Kitsune trocken, als sie hinter dem Baum hervortrat. Im Gegensatz zu ihren Schwestern, trug diese ihre bronzenen Haare in einem Bob. Ihr Einteiler war ebenfalls dunkel gehalten, doch die bronzene Panzerung zeigte, bis auf ein paar eingestanzte Verzierungen, keine Auffälligkeiten. Auch war ihre Kleidung etwas weiter geschnitten und lief an ihren Oberschenkeln in einem kurzen Röckchen aus. Nicht so wie bei den beiden anderen, wo es in einer Art knappen Hotpants endetet. Langsam trat die Kitsune näher, bis sie neben der Silberhaarigen stehen blieb. „Du bist schlau.“, stellte sie an Kasumi gewandt fest. „Das sagt man wohl.“, entgegnete diese ohne zu zögern. Die Mundwinkel der Kitsune zuckten für den Bruchteil einer Sekunde nach oben. „Der Versuch das Umayōkai mit dieser Konstruktion zu fangen wird scheitern.“, sagte sie nach einem prüfenden Blick über das Gatter. Kasumi folgte dem Blick der dritten Kitsune und seufzte schließlich. „Das hatte ich bereits erwartet. Wisst ihr, wie man es fangen kann?“ Die kurzhaarige Kitsune legte ihren Kopf schief und musterte Kasumi einen langen Moment, bevor sie sich zu der Silberhaarigen lehnte und ihr etwas ins Ohr flüsterte. Für den Bruchteil einer Sekunde riss diese die Augen auf, dann kam sie näher, bis sie nur noch Zentimeter von Kasumi trennten. Sie lehnte sich vor und zog die Luft durch die Nase ein. „Menschenkind. Sag, warum haftet der Geruch meiner größten Eroberung an dir? Was sollte ein so mächtiger Inu-Daiyōkai wie er, mit jemandem wie dir anfangen?“, fragte die Kitsune abfällig. Bei diesen Worten trat auch ihre goldhaarige Schwester an Kasumi heran. Nur die bronzefarbene blieb im Hintergrund, ließ sie allerdings nicht aus den Augen. „Ich weiß nicht, was ihr meint.“, entgegnete Kasumi wahrheitsgemäß. Die Silberhaarige schnalzte mit der Zunge und verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Der Lord des Westens. Es ist mein erklärtes Ziel ihn zu verführen. Aber wenn er sich mit Menschen abgibt… das mindert irgendwie seinen Wert.“, erklärte sie und klang dabei fast schon beleidigt. In diesem Moment begriff Kasumi, wovon die Kitsune sprach. Sie meinte mit Sicherheit ihren Mann, denn sie verführen wollte. Denn nur für einen Yōkai konnte es schwach wirken, wenn er sich mit Menschen abgab… und wessen Geruch sollte sonst an ihr haften, wo Benjiro doch ein Wolf war. „Entschuldige, aber meinen Mann kannst du nicht haben.“, entgegnete Kasumi deshalb entschlossen. Auch wenn sie sich nicht an ihren Mann erinnerte, so war sie nicht bereit sich von jemandem beleidigen oder den Ruf ihres Mannes in den Schmutz ziehen zu lassen. Wieder blinzelte die Kitsune und sah ihre Schwester an, bevor sie den Blick wieder auf Kasumi fixierte und sich noch weiter vor lehnte. So weit, dass Kasumi einen kleinen Schritt zurückweichen musste. „Du willst seine Frau sein? Niemals hätte er sich auf eine wie dich eingelassen, wo er jemanden wie mich haben könnte!“, verhöhnte die Kitsune sie. Kasumi griff ihren Stab fester. So eine Unverschämtheit hatte sie noch nie erlebt und sie war nicht gewillt das durchgehen zu lassen. Sie hatte zwar keine Ahnung, woher dieser Mut auf einmal kam, aber sie war nicht bereit diese Worte unbeantwortet zu lassen. „Ich glaube mein Kind, das ich unter dem Herzen trage, zeigt mehr als deutlich, was der Lord des Westens bevorzugt.“, sagte Kasumi selbstbewusst und legte eine Hand auf ihren mittlerweile wohlgerundeten Bauch. Dabei machte sie den halben Schritt wieder nach vorne woraufhin die Kitsune zurück zuckte. Diese war den Umgang mit Menschen offenbar nicht gewohnt, so wie sie reagierte. Jetzt war es die Kurzhaarige, die vor trat und Kasumis Bauch betrachtete. „Das ist unverkennbar sein Geruch, Schwester.“, bestätigte sie der Silberhaarigen, nach einem prüfenden Moment. „Aber einen verheirateten Mann zu verführen macht die Sache doch noch viel interessanter!“, rief die Goldhaarige begeistert. Die Silberhaarige verzog das Gesicht und ließ ihren Blick noch einmal über Kasumi wandern. „Nur wegen so etwas, werde ich mich nicht geschlagen geben!“, zischte sie schließlich selbstsicher. „Dann werde ich dich davon überzeugen, dass es sinnlos wäre sich Hoffnungen zu machen. Der Lord des Westens wird nur mir gehören. Solange ich lebe!“, erklärte Kasumi fest. Diesen Anspruch auf die Dauer ihres Lebens zu begrenzen war natürlich gefährlich, doch das schreckte sie nicht ab. Sie glaubte nicht, dass diese drei Kitsune ihr Leben jetzt beenden würden. Die Silberhaarige wollte etwas erwidern, doch es war wieder die Kurzhaarige, die sich vor beugte und Kasumi ein weiteres Mal betrachtete. Ihr Blick wanderte von ihrem Bauch hinauf zu ihrem Gesicht und blieb schließlich an ihrer linken Wange hängen. Einen langen Moment starrte sie an die Stelle, bevor sie Kasumi ein Lächeln schenkte. „Du warst das also?!“, sagte sie sich schließlich, was Kasumi nur verwirrte. „Was war ich?“ „Ich hätte nicht gedacht, dass wir jemals der Person gegenüberstehen, die diesem eitlen Skorpion das Fürchten gelehrt hat. Vor allem hätte ich nicht erwartet, dass es sich bei dieser Person um einen Menschen handeln würde.“, erklärte sie und es lag echte Bewunderung in ihrer Stimme. „D- du meinst wirklich, SIE hat dieser alten Schreckschraube die Leviten gelesen, Hotaru?“, fragte die Goldhaarige, woraufhin die Kurzhaarige nickte. „Was… Nein! Das ist nicht fair! Wir sollten sie hassen, nicht auch noch dafür schätzen, dass sie diese blöde Ziege in ihre Schranken verwiesen hat!“, wiedersprach die Silberhaarige und stampfte mit einem Fuß auf dem Boden auf, wie ein kleines Kind. „Aber überlegt doch mal Tomoko! Sie hat Sasori das Fürchten gelehrt! Wir alle haben die Geschichte gehört…“, begann die Goldhaarige. „Und wir waren uns einig, dass wir dieser Frau unsere Ehre erweisen, weil sie eine deiner größten Konkurrentinnen ausgeschaltet hat.“, fügte Hotaru hinzu. Tomoko sah hilflos zwischen ihren Schwester und Kasumi hin und her, die selbst nicht mehr ganz hinterher kam. Sie verstand nicht, was zwischen den Schwestern vor sich ging, doch offenbar hatte sie es geschafft irgendwie den Respekt der Kitsune zu erlangt. „Ja natürlich… Aber sie ist ein Mensch! Niemand hat davon gesprochen, dass wir einem Menschen danken wollten. Noch dazu, wenn sie seine Frau ist!“ „Aber ein Wort ist ein Wort.“, entgegnete Hotaru streng, was Tomoko frustriert aufseufzen ließ. „Dieser Kodex mit dem Wort wird mir gerade zu viel!“ „Dann gilt dein Wort, den Lord des Westens zu verführen, also auch nicht mehr? Heißt das, er gehört jetzt mir?“, fragte die Goldhaarige daraufhin sofort. „Natürlich nicht, Aiko! Mein Wort hat immer bestand!“, fauchte Tomoko sofort. „Dann kannst du es jetzt ja auch halten.“, erklärte Hotaru zufrieden und schenkte ihrer Schwester ein breites Lächeln. Tomoko seufzte auf und wand sich schließlich an Kasumi. „Du! Menschenkind… Sasori war die verhassteste meiner Feinde, doch du hast sie in den Untergrund gedrängt. Dafür… Danke ich dir.“, sagte sie zähneknirschend, bevor sie schnell hinzufügte: „Das bedeutet aber nicht, dass du den Lord für dich haben kannst!“ Kasumi wusste nicht, was sie sagen sollte, doch etwas an diesen drei Schwestern ließ sie Lächeln. Sie mochten zwar wie kriegerische Verführerinnen aussehen, doch sie war davon überzeugt, dass sie einen guten Kern in sich trugen. Weshalb sich Kasumi respektvoll vor Tomoko verneigte. „Dann werde ich mich auf einen fairen Wettkampf freuen.“, entgegnete sie freundlich. Tomoko starrte Kasumi einen Moment an, bevor sie abfällig schnaubte. „Wie auch immer… Wir sollten jetzt gehen. Für uns gibt es hier nichts mehr zu tun, Schwestern.“, antwortete sie, während sie sich abwand und schließlich in den Schatten der Bäume verschwand. „Das mit Sasori war eine Meisterleistung!“, sagte Aiko mit einem nicken, bevor sie ihrer Schwester folgte. Bevor auch Hotaru verschwinden konnte, hielt Kasumi sie jedoch zurück. „Bitte warte. Wir müssen wirklich das Umayōkai einfangen. Wenn du weißt wie, dann sag es mir bitte!“ Hotaru sah sie einen Moment an, bevor sie nickte. „Na schön. Matsukaze ist Wild wie der Wind und lässt sich nicht von irgendjemand einfangen. Es muss die Wildheit in seinem Gegenüber erkennen und sie als Gleichberechtigt ansehen. Sonst wird er niemandem folgen!“ „Matsukaze?“, fragte Kasumi irritiert. „Sein Name. Ich habe ihn danach gefragt.“, erklärte Hotaru, was Kasumi lächeln ließ. „Hab vielen Dank!“, sagte Kasumi und verneigte sich ein letztes Mal. Als sie sich erhob, war von den drei Kitsune nichts mehr zu sehen. Kapitel 9: Matsukaze -------------------- //„Ahhhh! Das ist nicht gut. Das ist absolut gar nicht gut!“ Die panischen Schrie von Jaken hallten durch den ganzen Palast, als er auf schnellstem Wege vom Vorhof in den hinteren Teil der Anlage rannte. Dabei schnitt er eine Kurve so sehr, dass er auf sein Gewand trat, gradewegs zu Boden stürzte und mehrere Meter über den Boden schlidderte. Bis er vor Rins Füßen zum Halten kam. Mit einem Lächeln ging Rin in die Hocke und rückte dem kleinen Kappa erst einmal den Hut zurecht, der bei dem Sturz verrutscht war. „Meister Jaken, was ist denn passiert?“, fragte sie freundlich. Als Jaken zu ihr aufsah, zuckte sie allerdings erschreckt zurück. „Alles in Ordnung? Ihr seht aus, als hättet ihr den Tod persönlich getroffen.“ „S… So ist es auch. Es ist ganz fürchterlich!“, stammelte der kleine Yōkai und sah ängstlich über seine Schulter. Rin folgte seinem Blick den Flur entlang, konnte aber nichts Verdächtiges sehen. Sie machte sich auch keine Sorgen, denn dieser Palast war so geschützt, dass ihn niemand betreten konnte ohne bemerkt zu werden. Oder er sollte es zumindest sein. „Sesshōmaru!“ Der verliebte Ruf einer Frau hallte durch den Flur und sorgte dafür, dass Rin mitten in der Bewegung inne hielt. Sie kannte diese Stimme nicht, doch so wie Jaken sofort in Panik ausbrach und versuchte wieder auf die Füße zu kommen, sagte ihr, dass das nichts Gutes zu Bedeuten hatte. Weshalb sie sich ebenfalls wieder erhob. „Mein liebster Sesshōmaru, deine Zukünftige ist zurück!“ Mit eiligen Schritten trat eine Frau um die Ecke am Ende des Flurs und lief geradewegs auf Rin und Jaken zu. Sie war in mehrere Kimonos gekleidet, die zu viel ihrer üppigen Oberweiter preisgaben und trug die langen braunen Haare in einer kunstvollen Hochsteckfrisur. Ihre Wangen waren vom Laufen gerötet und ihre blauen Augen strahlten in ihrem herzförmigen Gesicht wie zwei klare Bergseen. Sie war einfach makellos, atemberaubend schön und ein Yōkai. Wie versteinert sah Rin zu Jaken hinunter, der sich an seinen Stab klammerte und zitterte wie Espenlaub. „Meister Jaken… Wer ist das?“   Außer Atem kam die Frau vor Rin und Jaken zum stehen. Sie beachtete Rin mit keinem Blick, bis sie sich schließlich gefangen hatte und Jaken einen Blick zuwarf, als wollte sie ihn auf der Stelle verschlingen. „Zwerg! Wo ist dein Meister? Ich will auf der Stelle meinen Geliebten sehen!“, verlangte die Frau, wobei ihre Stimme ein paar Oktaven zu hoch war um angenehm zu klingen. „Ähm… Nun wie soll ich sagen…“, stammelte der Kappa, während in Rin der Zorn wuchs. „Und ihr seid?“, fragte Rin deshalb scharf und trat zwischen Jaken und die Frau. Diese blinzelte, als hätte sie Rin tatsächlich die ganze Zeit über nicht bemerkt. Etwas, was Rin nur noch wütender machte. Und auch dass diese Frau ihren abschätzigen Blick über sie wandern ließ trug nicht zur Beruhigung ihres Gemüts bei. „Die Frage sollte wohl lauten: Wer bist du? Das Abendessen? Ich wusste nicht dass sich Sesshōmaru neuerdings mit Menschen abgibt. Es wurde wirklich höchste Zeit, dass ich an seine Seite zurückkehre!“, sagte die Frau und während sie sprach legte sie eine Hand an Rins Schulter und schob sie immer weiter zur Seite, bis sie aus ihrem Sichtfeld verschwunden war. „Was bildest du dir ein?“, rief Rin wütend, doch die Frau schenkte ihr keine Beachtung mehr. Sie ging in die Hocke und packte Jaken am Kragen um ihn nah an sich zu ziehen. Ihr Blick dabei, hätte jemanden sofort töten können so kalt und feindselig war er. „Also sag mir, Kappa. Wo ist Sesshōmaru!“ Rin bemerkte erst, dass sie ihren goldenen Stab in Händen hielt, als sie die weißen Funken sah, die von dessen Spitze aufstiegen. Normalerweise vergaß sie sich nie so weit, dass sie ohne Kontrolle handelte, doch diese Frau trieb sie zur Weißglut. „Sasori!“ Zeitgleich drehten sich Rin und Jaken um und die Frau sprang mit einem Strahlen wieder auf, schupste sowohl Rin als auch Jaken zur Seite und stürmte auf Sesshōmaru zu. „Mein Liebster!“, rief sie dabei und fiel ihm schließlich um den Hals. Sie rieb ihren Kopf an seiner Halsbeuge und schnurrte wie ein kleines Kätzchen, während sie ihn anhimmelte. Man konnte förmlich die Herzen sehen, die in ihren Augen pulsierten und um ihren Kopf kreisten. Jaken fiel die Kinnlade auf den Boden, während Rin unbeabsichtigt einen Blitz aus ihrem Stab schoss, der nur Zentimeter von Sesshōmaru und der Frau entfernt im Boden einschlug. Sesshōmaru verzog bei all dem Theater keine Miene. Doch er ließ Rin nicht aus den Augen. Diese fühlte sich zurückversetzt in jene Bergregion, wo Sesshōmaru schon einmal eine Frau gegenüber getreten war, die ihm sein Herz schenken wollte. Auch wenn er so zurückhaltend mit seinen Emotionen war, seine Taten schafften es doch immer wieder, dass sich unzählige Frauen in ihn verliebten. Unter normalen Umständen störte Rin so etwas nicht, doch diese Frau reizte etwas in ihrem Inneren, das sie dazu brachte sich selbst zu vergessen. „Lass uns in die großen Halle gehen, Sasori.“, sagte Sesshōmaru nach einem Moment und die Frau quietschte erfreut auf. Sesshōmaru schloss kurz resignierend die Augen, dann warf er noch einen kurzen Blick auf Jaken, drehte sich um und führte die Frau Richtung Haupthalle. Diese klammerte sich überglücklich an seinen Arm und tänzelte neben ihm her. Gerade als sie um die Ecke gebogen waren, schlug ein weiterer Blitz hinter ihnen in den Boden und als sie außer Sich waren, wandte sich Rin wutentbrannt an Jaken. „Jaken! Erklär mir sofort was hier vor sich geht!“, befahl sie dem Kappa und jetzt zittere er mehr vor seiner Herrin als vor der furchteinflößenden Frau. Dazu hatte er aber auch allen Grund, denn Rin stand kurz davor ihren Stab mit voller Wucht in den Boden zu rammen und hier mehr als nur ein paar kleine Blitze durch den Flur zu schicken. „Das… Das war Lady Sasori. Lord Sesshōmaru ist ihr vor circa hundert Jahren begegnet. Damals war sie gefürchtet unter den Yōkai, weil sie mehrere hochrangige Lords innerhalb weniger Tage ausgeschaltet hatte um ihre Ländereine zu übernehmen. Das gelang ihr hauptsächlich wegen ihres Aussehens. Sie täuscht den perfekten Körper vor, doch wenn sich ein Mann in sie verliebt, dann zeigt sie ihr wahres Gesicht. Sie ist ein tödlicher Skorpion, der seine Opfer betäubt und dann langsam verschlingt. Bisher war nur Lord Sesshōmaru im Stande ihrem Gift zu widerstehen und deshalb hat sie ihn auserkoren ihr Gemahl zu werden.“, erklärte sich Jaken zaghaft. „Sie hat was?“, platzte es aus Rin heraus und sie spürte schon wieder den Ärger ansteigen. Wie konnte es diese Frau nur wagen? „W… Wo willst du hin Rin?“, rief Jaken, doch Rin reagierte nicht auf ihn. Sie hatte es zuerst nicht bemerkt, doch sie stürmte jetzt geradewegs auf die große Halle zu. Ganz sicher würde sie diese Frau nicht allein mit ihrem Mann lassen. Sie musste von hier vertrieben werden, sonst würde sie heute noch den ganzen Palast mit ihren magischen Blitzen auseinander legen. Als sie die Tür zur Halle aufriss, konnte sie nicht fassen was sie da sah. Sesshōmaru saß auf seinem üblichen Platz auf dem dreistufigen Podest und diese Person saß praktisch auf seinem Schoß und goss ihm Sake in seine Schale. Dass er sich so eine Dreistigkeit gefallen ließ brachte Rin zum Kochen. Sie packte ihren Stab fester und betrat den Raum. Sofort fiel der Blick von Sasori auf Rin und sie verzog angeekelt das Gesicht. „Was will denn das Abendessen hier? Hat man dir keine Manieren beigebracht Menschlein? Man stört kein Liebespaar wenn sie ihre Wiedervereinigung feiern!“ Noch nie im Leben hatte Rin jemanden gehasst, doch diese Frau brachte ihr gerade dieses Gefühl bei. Ein bisschen verabscheute sie sich selbst für diese Gedanken, doch sie konnte sich nicht dagegen wehren. Nicht sie war es, der es an Manieren mangelte. „Wiedervereinigung? Soweit ich weiß seid ihr nur irgendeine unbedeutende Frau mit einer blühenden Fantasie. Als würde sich jemand wie Sesshōmaru auf eine wie dich einlassen!“, zischte Rin verärgert. Rin konnte sehen, wie eine Ader an der Schläfe der Frau zu pulsieren begann. Doch sie musste ihrem Ärger einfach Luft machen. Dieses eine Mal konnte sie sich nicht zurückhalten und darauf warten dass Sesshōmaru die Situation löste. Das wollte sie selbst tun. „Wie kannst du es wagen so mit mir sprechen? Ich bin ein mächtiger Dämon und du nur ein zerbrechliches Mädchen. Ich werde dich zerquetschen und meinen Schlangen zum Fraß vorwerden!“ Die Frau erhob sich, trat die Stufen herunter in die große Halle und Rin gegenüber. „Versuch es doch!“, erwiderte Rin kampflustig. „Ich werde dich lehren in mein Haus zu kommen und dich so aufzuführen!“ Sasori lachte. „Dein Haus? Das ich nicht lache. Wer hat hier bitte die blühende Fantasie? Wobei das eher an Wahnvorstellungen grenzt. Als würde sich Sesshōmaru mit einem Menschen einlassen. Er hasst alle Menschen. Ebenso sehr wie Halbdämonen. Was erhoffst du dir Mädchen? Ein Leben und ein Kind von meinem Liebsten? Dein Leben wird enden noch bevor er sich einmal umgedreht hat und du wirst nichts davon haben. Am Ende bricht er dir nur den Hals, während du versuchst ihm ein Balg unterzuschieben!“ Rin zuckte kurz zurück. Mit diesen Worten hatte die Frau einen wunden Punkt bei ihr getroffen. Natürlich war ihr klar, dass sie weit vor Sesshōmaru sterben würde und es kümmerte sie auch nicht, doch sie sorgte sich um ihn. Wenn sie nicht mehr hier sein würde, dann könnten Personen wie diese Frau wieder tun und lassen was sie wollten und am Ende würde er sich ihnen ergeben und wieder so werden, wie er früher einmal war. Rin war nicht dumm. Sie wusste, dass Sesshōmaru schon immer ein gefürchteter und blutrünstiger Yōkai war. Immerhin hatte er sich nur so sein Reich aufbauen können. Doch in den letzten Jahren hatte er sich verändert und sie sollte verflucht sein, wenn er nach ihrem Tod wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückfallen würde. Am Rande bemerkte sie, wie Sesshōmaru seine Position leicht veränderte. Er war in eine Angriffsposition gewechselt. Die Hand an Bakusaiga. Doch Rin würde nicht zulassen, dass er sich hier einmischte. Sie biss die Zähne zusammen und griff ihren Stab noch fester. So fest, dass ihre Fingerknöchel Weiß hervortraten. „Halt den Mund!“, zischte sie wütend. „Du hast überhaupt keine Ahnung mit wem du dich hier anlegst!“ Rin legte auch die zweite Hand an ihren Stab und schlug ihn mit voller Kraft in den Boden. Blitze zuckten von ihm auf und schlugen rund um sie auf den Boden. Sie hätten auch Sasori getroffen, doch diese wich ich letzter Sekunde aus und sprang einige Schritte zurück. Angestrengt atmend hob Rin den Stab wieder vom Boden und sah zu Sasori hinüber, die sie fassungslos anstarrte. Und im nächsten Moment zersprang eine ihrer Haarnadeln und die Hälfte ihrer langen Haare fiel über ihre Schulter herunter. Mit zitternden Händen griff Sasori nach ihren Haaren und schrie dann wie eine Furie auf. „Du Hexe, hast meine perfekte Erscheinung zerstört. Dafür wirst du mit deinem Leben bezahlen!“, geiferte sie und im nächsten Moment schoss der Stachel eines Skorpions unter ihren Kimonoschichten hervor. „Als würde dich jemand schön finden mit deinem billigen Auftreten.“, entgegnete Rin verachtend. Ohne jede Vorwarnung stürmte Sasori vor und stieß dabei einen ohrenbetäubenden Schrei aus. Sie holte mit ihrem Schwanz aus und Rin machte sich auf einen Schlag von diesem Gefasst. Auch wenn sie diesem wahrscheinlich nicht standhalten konnte, so würde sie sicher nicht nachgeben. Sie packte ihren Stab und ging in eine Verteidigende Position. Voll konzentriert auf den Stachel am Ende ihres Schwanzes war sie bereit ihren Stab dagegen zu schlagen. Doch der Treffer blieb aus. Das einzige was sie spürte war ein kleiner Lufthauch an ihrer Wange. Sonst war nichts geschehen. Rin sah aus ihrer verteidigenden Position auf und fand Sesshōmaru vor sich stehend mit dem Rücken zu ihr. Er hatte den Angriff mit seinem Schwert abgeblockt. „Das reicht jetzt.“, sagte er kühl und Rin wusste, dass er diese Frau gerade mit seinem Blick verwünschte. Doch nach dem ersten Schock konnte diese nur lachen. „Sesshōmaru. Ich hätte dein Abendessen so gerne schnell zur Strecke gebracht. Aber das du sie lieber Qualvoll sterben lassen willst passt zu dir!“, sagte sie zuckersüß. Sesshōmaru spannte sich an. Das konnte Rin noch sehen, dann trübte sich ihr Blick und mit einem überraschten aufkeuchen ging sie in die Knie. „Was hast du getan, Sasori?“ Der Skorpion hielt seinen Giftstachel nun in Händen und streichelte darüber, als wäre er eine flauschige Katze. „Ich wollte ja so gerne ihr Herz durchstoßen, doch dein Schwert hat die Bahn meines Angriffs etwas abgelenkt. Ich habe nur ihre Wange gestreift, so dass mein Gift sich sehr langsam einen Weg durch ihren Körper bahnt und sie quälen wird, bis es ihr Herz erreicht.“, erklärte sie unschuldig. Mit einem Aufschrei stürzte sich Sesshōmaru auf Sasori, zog sein Schwert und schlug nach ihr. „S- Sesshōmaru?“, fragte diese irritiert und wich zurück, doch Sesshōmaru gab nicht nach. Er verfolgte sie. Jagte sie durch die Halle und stieß sie letztlich durch die Tür hinaus in den Vorhof. „Ich habe mir deine Spielchen gefallen lassen Sasori. Aber niemand legt Hand an meine Frau!“ Sesshōmaru sprach mit so einer kalten Stimme, dass Sasori ein Schauder überlief und ihre selbstsichere Haltung zu bröckeln begann. „D… Deine Frau? Aber… Aber wir sind doch füreinander bestimmt. Wir gehören zusammen. ICH SOLLTE DEINE FRAU SEIN!“ Ihren letzten Satz schrie sie so laut, dass man ihn wohl im ganzen Palast hören konnte. Angewidert verzog Sesshōmaru den Mund. „Als würde ich mich mit jemandem wie dir abgeben!“ Mit diesen Worten brach Sasori an Ort und Stelle zusammen. „Verloren… Ich habe gegen einen einfachen Menschen verloren…“, wimmerte sie vor sich hin, doch dann begehrte sie noch ein weiteres Mal auf. „Wenigstens habe ich jetzt Gerechtigkeit. Denn wenn ich dich nicht haben kann, dann soll es niemand können! Geh und beweine deinen Menschen, den jetzt die Würmer verspeisen werden!“ Zerfressen von ihrem Hass rappelte sich Sasori wieder auf. Gerade in dem Moment, als Sesshōmaru auf sie zu sprang und mit dem Katana ausholte. „Sesshōmaru!“ Mitten in der Bewegung hielt er inne und fuhr herum. Dabei wäre ihm fast Bakusaiga aus der Hand gefallen. Rin stand in der Tür zur großen Halle, auf ihren Stab gestützt und die Finger ihrer linken Hand an dem kleinen Schnitt auf ihrer Wange gelegt. Er blutete und war leicht blau verfärbt, doch er würde ohne eine Narbe zu hinterlassen wieder verheilen. „Wie… wie ist das möglich? Sie müsste sich krümmen vor Schmerzen und langsam sterben! Nicht mal die großen Yōkai haben mein Gift überlebt, wie kann es dann eine einfache Menschenfrau?“, rief Sasori panisch. Mittlerweile zitterte sie am ganzen Körper. Selbstzweifel und Wahnsinn krochen langsam in ihr hoch. Noch nie hatte sie sich überschätzt oder gar vertan. Dieser Mensch hier vor sich, passte allerdings gar nicht in das Bild, dass sie sich vorstellte. Langsam kam Rin auf sie zu und jeden Schritt den sie näher kam, wich Sasori zurück. So lange, bis Rin Sesshōmaru erreichte und sie am Rand des Vorhofes angelangt war. Sesshōmaru steckte Bakusaiga zurück und reichte Rin eine Hand. Diese ergriff sie ohne den Blick von Sasori zu nehmen. „Was bist du?“ Rin schenkte ihr ein kleines Lächeln. „Ich bin die Herrin dieses Hauses und wenn du uns noch ein einziges Mal zu nahe kommst, dann werde ich dich nicht mehr verschonen!“, erklärte Rin ruhig und setzte ein letztes Mal ihren Stab auf den Boden auf. Daraus stieg ein einzelner weißer Blitz auf, der gut fünf Meter von Sasori entfernt in den Boden einschlug. Doch das reichte schon, um sie so in Panik zu versetzen, dass sie geradewegs nach hinten Sprang und in den Wolken verschwand. Doch Rin machte sich keine Sorgen. Irgendwie war sie auch hier herauf gekommen, deshalb würde sie sicher nicht in den Tod stürzen. Nach einem langen Moment wandte sich Rin an Sesshōmaru und sah sein amüsiertes Lächeln. „Ich hätte nicht gedacht, dass du einmal wie ich werden würdest.“, sagte Sesshōmaru und strich dann mit seinen Fingern sanft über ihre verletzte Wange. Rin beugte sich in die Berührung und lächelte ebenfalls. „Du hättest sie getötet, also glaube ich nicht, dass ich wie du werde. Aber es kann gut sein, dass ich mich etwas anpasse. Allein schon damit, dass ich mittlerweile fast jedes Gift sehr gut überstehe.“ In diesem Fall hatte Rin tatsächlich Glück gehabt. Normalerweise wäre sie durch diesen Kratzer wie angekündigt qualvoll gestorben. Doch seit sie hier bei Sesshōmaru lebte, war sie immer wieder kleinen Dosen seines Gifts ausgesetzt gewesen und so hatte sie sich langsam daran gewöhnt und war schließlich Immun dagegen geworden. Etwas, dass sie kurz nach ihrer Ankunft hier von Sesshōmaru verlangt hatte, denn sie war nicht bereit gewesen immer zurückzuschrecken, nur wenn er seiner Kraft wieder einmal freien Lauf ließ. Diese Entscheidung hatte sich auch schon in mehr als einer Situation als hilfreich erwiesen. Natürlich trübte jedes Gift erst einmal ihre Wahrnehmung und ihren Geist. Doch sie kam sehr schnell darüber hinweg, wie auch im heutigen Fall. „Aber lass dir eins gesagt sein Sesshōmaru. Wenn hier noch einmal eine Frau auftaucht, dann wirst du alles sofort klarstellen. Haben wir uns verstanden!“, sagte Rin, nachdem er seine Hand hatte sinken gelassen hatte. So gesehen war sie wegen dieser ganzen Sache heute sauer auf ihn. Weshalb sie auch ihren Stab zurück in den Beutel schickte und ihre Arme vor der Brust verschränkte. Daraufhin schenkte er ihr ein entschuldigendes Lächeln. „Ich muss gestehen, es hat mich fasziniert dich heute so zu sehen. Wie du unser Heim und vor alle mich verteidigt hast… Du hast ja keine Ahnung was das in mir ausgelöst hat.“, sagte er mit dieser Stimme, die Rin die Röte in die Wangen steigen ließ. Wie immer wenn sie böse auf ihn war, setzte er all seine Verführungskünste ein um sie schwach werden zu lassen. So lange, bis sie ihm verziehen hatte und sich ihm voll und ganz hingab. Und egal wie oft und wie sehr sie versuchte sich dagegen zu wehren, sie hatte doch nie eine Chance. Deshalb seufzte sie, schmiegte sich an seine Seite und sah zu ihm auf. „Du darfst mir gerne zeigen, wie Dankbar du bist!“, grinste sie frech und schon im nächsten Moment hatte Sesshōmaru sie auf seine Arme gehoben und trug sie zurück zum Palast, was Rin nur lachen ließ.//   Kasumi schnappte nach Luft, als sie aus ihrem Traum erwachte und automatisch glitt ihre Hand an ihre linke Wange. Noch nie hatte sie sich während eines Traums an etwas erinnert und doch wusste sie, dass es eine Erinnerung war. Allein deshalb, weil sie ihren Mann wieder nicht erkannt hatte. Wie jedes Mal war seine Erscheinung verschwommen und sie schaffte es auch nicht, sich an seinen Namen zu erinnern. Es war frustrierend. Aber sie hatte das gesehen, was die Kitsune in der Nacht zu ihr gesagt hatte. Hotaru. Sie hatte gesehen, wie sie ihren Platz und ihr Recht verteidigte und sie hatte gesehen, wie sie ihren Stab noch benutzten konnte. Weshalb Kasumi auch sofort ihre Decke zurück schlug, ihren Stab herauf beschwor und ihn auf den Boden aufsetzte. So wie in ihrem Traum. Nur das nichts geschah. Irritiert betrachtete Kasumi ihren Stab und versuche es noch einmal mit der anderen Seite, doch auch hier geschah nichts. Sie versuchte es auch mit mehr Elan, doch es war kein einziger Funke zu sehen. „Kasumi? Ist bei dir alles in Ordnung?“ Kazumas Stimme brachte Kasumi schließlich dazu aufzuhören. Sie würde zwar nie aufgeben. Doch das Geheimnis ihres Stabs würde sie später immer noch lüften können. „Es ist alles in Ordnung. Ich bin gleich fertig.“, antwortete sie, während sie ihren Stab zurück in ihr O-Mamori schickte, sich zurecht machte und schließlich ihr Zelt verließ.     Schon vor dem Frühstück hatte Keiji das Gatter vollendet. Weshalb sie jetzt, gute zwei Stunden später, alle auf der Lauer lagen. Kasumi mit reichlich Abstand zum Geschehen aber immer noch so, dass sie das Gelände um den See herum überblicken konnte. Keiji saß in einem Baum über dem Gatter und wartete darauf, dass Benjiro das Umayōkai in das Gatter trieb, welches Kazuma hinter ihm verschließen sollte. Dann wollte sich Keiji aus dem Baum direkt auf den Rücken des Pferdes schwingen um es so zu zähmen. Zumindest war das sein Plan. Kasumi bezweifelte zwar immer noch, dass das funktionierte, doch sie ließ Keiji erst einmal machen und hoffte, dass alles gut werden würde. Lange blieb es ruhig um den See, bis schließlich ein gewaltiges Tier aus dem Schatten der Bäume heraus sprang. Das Umayōkai wurde seiner Bezeichnung wirklich gerecht. Es war ein riesiges Pferd von mindestens zwei Metern Stockmaß. Jedes Mal, wenn seine gewaltigen Hufe den Boden berührten erzitterte die Erde und seine Schimmel-Färbung ließ ihn im schwachen Licht der Morgensonne wie Nebel wirken, der über den Waldboden glitt. Von dieser Erscheinung war Kasumi so beeindruckt, dass sie kurz den Atem anhielt. Kein Wunder, dass von diesem Tier der Ruf von Terumotos gesamtem Clan abhing. Dieses Pferd war einfach nur Respekteinflößend und konnte seinem Herrn eine Menge Ehre einbringen. Und gleichzeitig fürchtete sie jetzt nur noch mehr um Keiji. Egal wie selbstsicher er war, das hier konnte leicht nach hinten los gehen. Schnell wie der Wind galoppierte das Pferd über die freie Fläche um den See und sogar in das Gatter hinein. Kazuma, der sich in einem nahen Gebüsch versteckt hatte, sprang heraus und schloss das Gatter hinter ihm. Das irritierte das Tier so sehr, dass es kurz scheute, nur um dann einen Ausweg aus der Falle zu suchen. Und in dem Moment, als er innen am Gatter entlang raste, ließ sich Keiji aus dem Baum fallen und landete gerade so auf dem Rücken des Pferdes. Mit Mühe und Not schaffte er es, sich mit den Fingern in die Mähne zu krallen, bevor er heruntergeworfen werden konnte. Allerdings gefiel dem Pferd das plötzliche Gewicht auf seinem Rücken überhaupt nicht, weshalb es begann zu buckeln und schließlich mit einem Huf das Gatter traf und es damit zum Einsturz brachte. Durch diesen neuen Ausweg stürmte das Pferd davon und versuchte dabei Keiji von seinem Rücken zu befördern. Doch dieser ließ nicht locker. Klammerte sich mit allem was er hatte an das Tier und versuchte es irgendwie zu beruhigen. Benjiro und Kazuma sahen vom zerstörten Gatter aus zu, wie ihr Hauptmann davongetragen wurde und das kleine Lächeln auf Benjiros Lippen zeigte, dass sie so etwas mehr als gewohnt waren. Trotzdem konnte bei dieser Geschwindigkeit sonst etwas passieren, sollte Keiji den Halt verlieren und zu Boden stürzen. Vor allem da das Umayōkai wirklich alles versuchte um ihn von seinem Rücken zu bekommen. Er sprang sogar ins Wasser und versuche ihn durch Tauchen abzuschütteln. Doch Keiji ließ nicht locker. Je länger sie der ganzen Szene zusah, umso mehr Sorgte sich Kasumi. Weshalb sie auch ihre sichere Position verließ und einige Schritte auf den See zuging. Vielleicht war es genau das, was die Aufmerksamkeit des Pferdes auf sie lenkte. Zuerst realisierte es Kasumi gar nicht richtig, doch das Pferd änderte plötzlich seine Richtung und stürmte unaufhaltsam auf sie zu. Warum konnte Kasumi auch nicht sagen, doch es schien von ihr wie magisch angezogen. „Kasumi, Pass auf!“ Erst Keijis panischer Ausruf machte Kasumi bewusst, in welcher gefährlichen Lage sie sich befand. Sie würde unmöglich auswichen können, so schnell kam das Pferd auf sie zu galoppiert. Und dann tat Keiji etwas, dass noch viel verrückter war, als zu versuchen ein dämonisches Pferd zu zähmen. Irgendwie schaffte er es seine Füße auf den Rücken des Pferdes zu stellen und sich dann abzustoßen. Dabei riss er an der Mähne des Pferdes, wodurch er von seiner Bahn abgelenkt wurde und knapp an Kasumi vorbei donnerte. Keiji landete direkt neben Kasumi auf dem Boden und zog sie sofort an seine Seite. „Geht es dir gut?“, fragte er atemlos und ließ seinen Blick über ihren Körper wandern. „Ja, alles in Ordnung.“, antwortete Kasumi abwesend. Sie konnte nichts anderes tun als dem Umayōkai nachzusehen, wie es einen großen Bogen einschlug und dann erneut auf sie zu gestürmt kam. „Was hat es nur auf einmal? Sollte es nicht weglaufen, jetzt da es frei ist?“, fragte Kasumi ohne das Tier aus den Augen zu lassen. Keiji folgte schließlich ihrem Blick und spannte sich an. Er machte sich bereit jede Sekunde entweder zu kämpfen oder die Flucht einzuschlagen. „Ich weiß nicht, aber zuerst sollten wir dich in Sicherheit bringen. Dann sehen wir weiter.“, erklärte er und griff Kasumis Handgelenk. Eigentlich wollte er mit ihr in einen dichter bewachsenen Teil des Waldes fliehen, doch das Umayōkai schnitt ihnen den Weg ab und kam dabei immer näher. Bis sie schließlich nirgendwo mehr hin konnten. Keiji trat vor Kasumi und zog sein Katana. Auch wenn sie das Pferd zurück zu Terumoto bringen mussten, so würde er doch niemals zulassen, dass seiner kleinen Schwester ein Leid zugefügt wurde. Selbst wenn er das Pferd töten musste, beim Versuch Kasumi zu beschützen. Kasumi hörte aus der Ferne Kazuma und  Benjiro rufen, doch sie schienen so weit entfernt, dass es fast nicht mehr real war. Alles was sie sehen konnte, war das Pferd, wie es unaufhaltsam auf sie zu stürmte. Und Keiji, der ohne Furcht vor ihr stand und bereit war sein Leben zu geben, um ihres zu retten. Womit sie das verdient hatte wusste sie nicht genau, doch sie konnte ihn hier nicht sein Leben wegwerfen lassen. Ohne darüber nachzudenken ließ Kasumi ihre Hand über ihr O-Mamori gleiten, griff ihren Stab fest, trat vor Keiji und setzte das Ende des Stabes auf den Boden. Weiße Funken stoben von dessen Spitze auf, was dafür sorgte, dass das Umayōkai in einen Ausfallschritt fiel und etwas langsamer wurde. „Matsukaze! Du wirst stehen bleiben, oder Keiji hier wird dich vernichten. Das schwöre ich dir!“, rief Kasumi und setzte ein weiteres Mal den Stab auf den Boden, was eine kleine Welle weißer Energie in Richtung des Pferdes schickte. Wie vom Blitz getroffen bäumte sich Matsukaze auf, was Keiji veranlasste Kasumi wieder hinter sich zu drängen. Doch sie würde nicht nachgeben. Erneut setzte sie ihren Stab auf den Boden und eine weitere Welle Energie spülte über das Pferd hinweg. Daraufhin fiel etwas von ihn herunter und er kam nur Zentimeter vor Keiji und Kasumi zum Stehen. Irritiert zuckte er mit den Ohren und sah sich um, so als wäre es überrascht darüber, wo es sich befand. Schließlich schnaubte es und senkte den Kopf um zu sehen wer vor ihm stand. Vorsichtig beschnupperte es Kasumi und schließlich Keiji. Wobei es bei letzterem ungeduldig mit einem Huf in der Erde scharrte. Kasumi legte eine Hand an den Hals des prächtigen Tieres und schenkte Keiji schließlich ein strahlendes Lächeln. „Ich glaube er ist gar nicht so dämonisch wie alle sagen. Sicher wurde er immer nur missverstanden, weshalb er jemandem gesucht hat, der es mit ihm aufnehmen kann.“, erklärte sie mit einem strahlenden Lächeln. Keiji ließ den ungläubigen Blick von Kasumi zu Matsukaze wandern, streckte schließlich die Hand aus und streichelte es zwischen den Nüstern. „Du musst mir später erklären was du da getan hast, Imōto-san.“, brachte Keiji verblüfft hervor, was Kasumi nur noch breiter Lächeln ließ.     Kasumi wusste selbst nicht, wie sie das mit ihrem Stab geschafft hatte. Noch am Morgen hatte er ihr jegliche Reaktion verwehrt und dann hatte sie Matsukaze mit dieser weißen Magie dazu veranlasst stehen zu bleiben. Jetzt, zurück im Lager, hielt Kasumi ihren Stab in ihren Händen und sah ihn prüfend an. Sie konnte sich nicht erklären woher der Stab seine Macht zog. Vielleicht leitete er sie aus der Erde oder der Luft ab und konzentrierte sie in seiner Spitze. Aber egal wie es funktionierte, dieser Stab hatte sie heute alle gerettet. Nachdem Matsukaze stehen geblieben war, hatte er sich wie jedes andere Pferd auch verhalten. Er war wild, daran bestand kein Zweifel, doch aus unerfindlichen Gründen hatte er gefallen an Keiji gefunden. Weshalb dieser auch die letzten Stunden damit verbracht hatte Matsukaze daran zu gewöhnen, dass er auf ihm ritt. Wenn sich Kasumi die Beiden so ansah, konnte sie nur daran denken, dass sie sich gesucht und gefunden hatten. Keiji konnte einfach alles mit Matsukaze tun, ohne dass er es ihm übel nahm. Wenn, dann revanchierte er sich nur bei der passenden Gelegenheit für die ein oder andere Dummheit. Und Matsukaze hatte nicht nur ein Auge auf Keiji. Er wand auch immer wieder den Kopf, um zu sehen wo Kasumi war und was sie tat. Wahrscheinlich hatte er sie Beide als verrückt genug empfunden um ihnen zu vertrauen. Denn Kazuma und Benjiro traute er keinen Schritt weit, weshalb er die Beiden auch nur bis auf ein paar Meter an sich heran ließ. Bei allem, was ihm zu nah war, begann er zu schnappen oder sogar auszutreten. Aber da Benjiro sowieso eine Abneigung gegen Pferde hegte, störte ihn das kaum und Kazuma war damit beschäftigt zu prüfen, ob mit Kasumi alles in Ordnung war. Mit den Beiden saß sie am Lagerfeuer und wand sich wieder ihrem Stab zu. Kurze Zeit später gesellte sich Keiji zu ihnen. Er sprang von Matsukazes Rücken, ließ dem Pferd freien Lauf und setzte sich ebenfalls an das Feuer. Dabei fiel sein Blick sofort auf Kasumis Stab. „Willst du mir jetzt erklären, was das für ein Stab ist?“, fragte er neugierig. Kasumi sah auf und reichte ihm den Stab. Doch als Keiji ihn nahm und Kasumi ihre Hand vom Stab löste, verschwand dieser ins Nichts. Das überraschte jeden der Jungs und Kasumi nahm ihr O-Mamori und löste es von ihrem Obi. „Es ist ein magischer Stab, der sich als eine kleine Kugel hier in meinem O-Mamori befindet. Ich habe ihn entdeckt, als wir in Terumotos Haus angekommen waren. Und heute Nacht hatte ich einen Traum… Davon wie ich den Stab benutzen kann. Nicht nur um mich damit zu verteidigen, sondern auch um damit magische Energie zu kanalisieren. Aber bis vorhin wusste ich nicht wie ich diese Magie herbeirufen kann. Ehrlich gesagt weiß ich immer noch nicht wie ich das gemacht habe… Es ist einfach passiert.“, erklärte Kasumi während sie ihr O-Mamori wieder an seinen gewohnten Platz band. „Das ist ja großartig, Imōto-chan! Trotzdem hättest du dich nicht in so eine Gefahr bringen dürfen. Es hätte sonst etwas passieren können!“, wies Kazuma sie zurecht, der sich nicht ganz entscheiden konnte zwischen der Tatsache, dass er den Stab fantastisch fand und der Tatsache, dass Kasumi heute auch leicht hätte getötet werden können. Um ihn zu beruhigen griff Kasumi nach seiner Hand und drückte sie leicht. „Beim nächsten Mal werde ich besser aufpassen. Versprochen.", sagte sie sanft. Auch wenn ihr die heutige Aufregung irgendwie gefallen hatte. Tatsächlich konnte sie nicht versprechen, sich beim nächsten Mal zurückzuhalten. Sie würde immer für ihre Freunde einstehen und sie hatte das Gefühl, dass sie früher auch nicht nur brav zu Hause gesessen hatte. Sie war immer an vorderster Front mit dabei gewesen. Das spürte sie ganz genau. „Das werden wir auch tun!“ Benjiros Worte ließen Kasumi zu ihm hinüber sehen. In den letzten Tagen war er immer ruhiger geworden und er zog sich immer mehr zurück. Bisher hatte Kasumi keine Erklärung dafür, doch die Art und Weise, wie er diese Worte gesprochen hatte und wie er abwesend ins Feuer starrte. Es erzeugte in ihr das Gefühl, dass er an etwas völlig anderes dachte. Etwas, das weit in der Vergangenheit lag, ihn jedoch immer noch quälte. Dazu kam, dass Keiji und Kazuma ebenfalls immer wieder besorgte Blicke in seine Richtung warfen. Irgendwas wussten die Beiden, dass ihr noch nicht klar war. Etwas, das sie ebenfalls besorgte. Matsukaze stieß mit dem Kopf gegen Keijis Schulter, woraufhin dieser fast von seinem Hocker rutschte. Das riss Kasumi aus ihren Gedanken und sie sah zu den Beiden hinüber. Dabei war ihr fast so, als würde Matsukaze ihr zunicken und sie neigte leicht den Kopf als Antwort. Wenn Matsukaze wirklich von Yōkai abstammte, verstand er sicher mehr, als sie alle glauben würden und vielleicht war Kasumi die Einzige, die daran dachte. „Ich will auf jeden Fall mit dem Stab üben. Sicher kann das nicht schaden.“, erklärte sie schließlich entschlossen, was Keiji nicken ließ. „Das ist eine gute Idee. Vielleicht kann ich dir das ein oder andere zeigen. Zwar weiß ich nur, wie man mit einem Naginata umgeht, aber von der Länge her dürfte es fast das gleiche sein. Vor allem da diese beiden überhaupt keine Ahnung haben, wie man mit einem Stab zu kämpfen hat…“, erklärte er und sah seine Freunde an. Das erleichterte Kasumi. Sie hätte wenn dann sowieso nur mit Keiji trainieren wollen. Weil Kazuma sich sicherlich die ganze Zeit über nur Sorgen gemacht hätte und sie sich nicht bewegen konnte, wenn sie allein vor Benjiro stand. „Ich will dir keine Umstände bereiten. Ich bin mir sicher ich werde mich noch an die ein oder andere Technik erinnern. Und dann müsst ihr nicht ständig auf mich aufpassen!“ „Ich werde trotzdem immer ein Auge auf dich haben!“, widersprach Kazuma sofort, was alle andern lachen ließ. Kapitel 10: Zwei Gräber der Hoffnung ------------------------------------ Benjiro ließ den Blick über den Wald wandern. Natürlich hatte er von Anfang an gewusst, dass ihre Mission ihn so weit in den westlichen Süden bringen könnte, doch jetzt wieder hier zu sein überwältigte ihn. Dieser Anblick brachte so viele, gut verdrängte Erinnerungen und Gefühle zurück, dass seine Hände zu zittern begannen. Seitdem er seine Familie verloren hatte, war er nicht mehr hier her zurückgekehrt. Jetzt wieder da zu sein… Zu sehen, dass das Leben weiter gegangen war und zu spüren, dass sich hier mittlerweile ein neues Rudel niedergelassen hatte, das zog ihm fast den Boden unter den Füßen weg. Aber es hatte keinen anderen Weg gegeben. Der schnellste Weg zurück nach Hagi hatte sie zuerst weiter Richtung Süden geführt, wo sie jetzt eine Straße erreicht hatten, die sie auf direktem Weg zurückbringen würde. Nur führte diese Straße direkt an seinem alten Territorium vorbei. Einem Territorium, das er einstmals als Einziger lebend verlassen hatte. Am liebsten hätte er das neue Rudel aufgesucht und dieses aus seinem Territorium vertrieben, doch das stand ihm schon lange nicht mehr zu. Und irgendwie beruhigte es ihn, zu wissen, dass man hier wieder leben konnte. Er schloss einen Moment die Augen und atmete tief ein. Ließ den Wald und all seine Bewohner auf sich einströmen und versetzte sich zurück in eine Zeit, in der noch alles in Ordnung gewesen war. Doch dieser Ausflug dauerte nur einige Minuten. Das Geräusch eines zerbrechenden Zweiges riss Benjiro aus seinen Gedanken. Irgendjemand näherte sich aus dem Wald hinter ihm, doch da der Wind von vorne kam, konnte er nicht ausmachen wer es war. Aber er hatte eine Vermutung. Eine Vermutung, die wenig später bestätigt wurde, als Kasumi auf den Felsvorsprung trat. „Was willst du hier?“, fragte Benjiro gereizt und ohne sich umzudrehen. Kasumi blieb stehen. Sicher zitterte sie vor Angst und dennoch war sie hier. Er verstand diese Frau einfach nicht. Was brachte sie nur dazu gegen all den gesunden Menschenverstand zu handeln? „Du bist nicht zum Essen erschienen. Deshalb habe ich dir etwas mitgebracht.“ Ihre Stimme war ruhig und ihr Herzschlag verhältnismäßig gleichmäßig. Sie wagte es sogar noch ein paar Schritte näher zu kommen um etwas auf den Boden zu stellen. Benjiro wünschte sich der Wind würde drehen, damit er riechen können was sie fühlte. „Nein, danke!“ Sie zuckte. Das bemerkte er sogar, ohne sie riechen zu können und unwillkürlich musste er lächeln. Was auch immer sie an sich hatte, sie schaffte es jedes Mal seine Yōkai-Instinkte zu wecken. Egal wie gut er sie auch zu verbergen suchte. „Ich werde es trotzdem hier lassen.“, sagte sie nach einem Moment und wandte sich um, um wieder zu gehen. Ein warnendes Knurren dran über Benjiros Lippen. Hier, in seinem alten Revier waren seine Nerven so dünn, dass sein Yōkai jede Sekunde hervorbrechen konnte und Kasumis Auftauchen hatten diesen Zustand nur verschlimmert. Das sie jetzt wieder ging, das brachte ihn irgendwie in Rage. Er konnte es sich selbst nicht erklären, doch als er sich jetzt umdrehte, glühten seine Augen wie Feuer und seine Pupillen verengten sich zu Schlitzen. Seine gut gestutzten Fingernägel fuhren sich zu Klauen aus und seine Instinkte fuhren zu hundertprozentiger Leistung hoch. Er war ein Raubtier, bereit zu jagen und zu töten und Kasumi hatte ihm den Rücken zugewandt. Innerhalb eines Sekundenbruchteils hatte er sie erreicht und gegen den Stamm einer mächtigen Eiche gedrückt. Die Hände an ihre Schultern gepresst, so dass seine Klauen in das Holz drangen. „Warum bist du hier?“, fragte er erneut. Seine Stimme mehr ein Knurren als verständliche Worte. Kasumi reagierte nicht, doch zum ersten Mal an diesem Abend nahm er ihren Geruch war. Sie hatte Angst, dass konnte er nur zu genau an ihr rieche, doch es war nicht wie sonst. „Du bist von Furcht erfüllt und dennoch kommst du immer wieder in meine Nähe. Was ist das nur mit dir? Sehnst du dich etwa nach dem Tod?“ Sie schluckte und jetzt endlich sah sie zu ihm auf. Ihr Blick jedoch alles andere als angsterfüllt. „Ich bin hier, weil ich mich Sorge und ich bin nicht mehr bereit mich von einer Angst beherrschen zu lassen, deren Ursachen ich vergessen habe!“ Von einer Sekunde zur anderen schlug der Geruch nach Angst in den von Mut um. Ihre Stimme war fest und selbstsicher und ihr Blick zeigte eine Entschlossenheit, die er nur selten bei Menschen gesehen hatte. Diese Frau brachte ihn noch einmal um den Verstand. „Es ist nicht deine Aufgabe dich zu Sorgen. Was ich tue oder nicht, das geht dich absolut nichts an!“, knurrte er. Dabei kam er ihr so nahe, dass sie sich fast berührten, bevor er sich von ihr löste und wieder auf den Felsvorsprung zuging. „Es tut mir leid!“, sagte sie nach einem Moment leise. Das ließ ihn stehen bleiben und noch einmal über seine Schultern sehen. „Das sollte es auch-“ „Nicht deswegen, sondern wegen deinem Rudel…“ Benjiro fuhr herum und starrte sie ungläubig an. „Was meinst du?“, fragte er verwirrt. „Das hier war einmal dein Reich oder etwa nicht. Ich kann es in deinen Augen sehen… Es ist sicher nicht leicht für dich wieder hier zu sein.“ Benjiro hatte es von Kazuma gehört. Er hatte ihm den Moment beschrieben, als sie ihn so dermaßen überrascht hatte, dass er wusste, dass sie etwas ganz besonderes war. Genau das gleiche Erlebnis hatte er in diesem Moment. Er konnte es sich nicht erklären, aber diese menschliche Frau war in der Lage ihn komplett und bis auf den Boden seiner tiefsten Finsternis hinein zu durchschauen. Etwas, dass noch nie jemand bei ihm geschafft hatte. Und offenbar war ihre Angst damit verschwunden, denn er konnte keine Spur mehr davon an ihr ausmachen. Benjiro wandte sich ab und ließ seinen Blick wieder über den Wald wandern. „Du solltest zurück zum Lager gehen. Kazuma wird sich sicher schon sorgen!“ Diesmal widersprach sie nicht. Fast lautlos verschwand sie im Wald und ließ das Essen für ihn zurück. Benjiro brauchte einen Moment der Reglosigkeit, bevor er zu dem Essen hinunter sah, dass neben ihm stand. Reis und Fisch, liebevoll zusammengeschnürt. Sie hatte sich also wirklich sorgen um ihn gemacht. Mit einem Lächeln auf den Lippen hob er das Paket auf und begann die Portion zu essen. Hätte Kasumi gewusst, was in Benjiro vor sich ging, wäre sie heute Nacht nicht zu ihm gekommen. Sie hätte ihm seinen Raum gelassen und einen anderen Moment gesucht um endlich mit ihm zu reden. Aber sie hatte fast nichts von ihm gewusst und die Wahrheit in seinen Augen zu sehen, das hatte ihr einen Einblick gegeben, den sie so niemals erhalten hätte. Ein Einblick, der ihr gezeigt hatte, dass sie sich nicht vor ihm zu fürchten brauchte. Er war einmal der Herr eines großen Rudels gewesen und er hatte jeden einzelnen seiner Kammeraden verloren. Freunde. Familie. Und er war bereit gewesen ihnen zu folgen. Die Schuld, dass er noch lebte, hatte sie ganz deutlich in seinem Blick gesehen. Doch er hatte neue Freunde gefunden, die ihm gezeigt hatten, dass es sich lohnte weiter zu leben. Dafür war sie sehr dankbar. Ein nahes Knurren ließ Kasumi herumfahren. Sie hatte nicht bemerkt wie sich jemand näherte und erwartete fast Benjiro, doch was im nächsten Moment aus dem Unterholz sprang, war etwas völlig anderes. Nämlich ein gigantischer Wolf, der mit seinem erhobenen Kopf fast waagrecht in Kasumis Augen sehen konnte. Er fletschte die Fänge und setzte zu einem weiteren Sprung an. Kasumis Gehirn setzte aus und sie konnte nichts anderes mehr tun als wegzulaufen. Es war purer Instinkt, der in ihr schrie um ihr Leben zu rennen und das tat sie. Sie lief so schnell sie konnte durch den Wald wobei immer wieder Bilder eines anderen Waldes vor ihrem inneren Auge aufflackerten. Ein fremder Wald, in dem sie schon einmal von Wölfen verfolgt worden war. Sie war jung gewesen. Höchstens acht Jahre. Doch sie war nicht entkommen. Diese Tatsache ließ Kasumi stolpern und fast zu Boden fallen. Angst schnürte ihr die Kehle zu, doch als sie die glühenden Wolfaugen hinter sich erblickte, entrang sich ihrer Kehle ein panischer Schrei. Sie wollte nicht sterben. Nicht bevor sie wusste, wer sie war und wohin sie gehörte. Also rannte sie weiter. Immer weiter, bis ein weiteres Paar Wolfsaugen vor ihr aufblitzte und sie zum Stehen brachte. Sie hatten sie eingekesselt. Kasumi drängte sich an den Stamm des nächsten Baums und ließ ihre Hand über ihr O-Mamori gleiten. Ihren Stab fest in den Händen haltend, würde sie auf keinen Fall kampflos aufgeben. Die zwei Wölfe kamen langsam und geschmeidig auf sie zu. Sie wussten, dass sie ihr Opfer dort hatten wo sie es wollten, also konnten sie sich Zeit lassen. Kasumi griff ihren Stab fester und hob ihn in eine verteidigende Haltung. „Kommt doch. Ich werde auf keinen Fall einfach so aufgeben. Wenn ihr etwas zum Fressen wollt, dann müsst ihr es euch verdienen!“, rief sie dabei. Die Wölfe knurrten und stellten ihre Nackenhaare auf. Ihre Fänge glänzten schneeweiß in der Nacht. Sie waren bereit ins Rot einzutauchen und dort den Rest der Nacht zu verbleiben. Einer der Beiden setzte zum Sprung an und Kasumi war bereit zuzuschlagen. Er sprang los und sie war auf den Einschlag gefasst, als der Wolf wie aus dem Nichts aus der Luft gepflückt und zu Boden geschleudert wurde. Ein Knurren, dass Kasumi bis ins Mark erschütterte, donnerte durch den Wald und eine silberne Mähne blitzte vor ihr auf. „Benjiro…“, es war nur ein Flüstern. Ein Gebet auf ihren Lippen, doch er hörte es und schien dabei noch zu wachsen. So groß wie in diesem Moment hatte sie ihn gar nicht in Erinnerung, doch er stand hier vor ihr und verteidigte sie vor den Wölfen. Ein Wolf, gegen seinesgleichen um einen Menschen zu beschützen. Die beiden Angreifer hatten ihre erste Überraschung überwunden und griffen jetzt gemeinsam an. Sie versuchten Benjiro zu umzingeln, doch er ließ sie nie so weit kommen. Im Gegenteil, er versuchte sogar sie zu umzingeln. Er wollte sie zusammentreiben und weiter von Kasumi weglocken und als einer der Wölfe los sprang, trat er ihm entgegen und biss ihm in die Kehle, bevor der Wolf überhaupt reagieren konnte. Dieser winselte verletzt und versuchte sich zu befreien, doch das ließ Benjiro nur noch fester zubeißen. Er knurrte. So wild und ungezügelt, dass Kasumi froh war, dass er auf ihrer Seite war. Sie durfte nur nicht vergessen ihn niemals zu verärgern. Erst als sich der zweite Wolf langsam zurückzog, ließ Benjiro von dem anderen und beide verschwanden winselnd im Wald. Einen Moment verharrte er noch in seiner Angriffsposition. So lange, bis er sich sicher war, dass die Wölfe nicht zurückkommen würden. Erst dann entspannte er sich und fuhr zu Kasumi herum. Diese hielt immer noch ihren Stab in Händen, doch als Benjiro mit großen Schritten auf sie zu kam ließ sie ihn fallen und lief in seine Arme. Die Tränen, dir ihr in diesem Moment über die Wangen strömten konnte sie nicht zurückhalten. Sie war so froh noch am Leben zu sein, dass sie nicht anders konnte. „Bist du verletzt, Imōto-chan?“, fragte er sanft, während er seine Arme um sie schlang. Kasumi brauchte noch einen Moment, bevor sie sich über das Gesicht wischte und zu ihm aufsah. „W- Wie hast du mich genannt?“, fragte sie, ohne seine Frage zu beantworten. Benjiros Lachen war wie Balsam für ihre erschreckte Seele. „Imōto-chan.“, sagte er noch einmal, woraufhin sie ihm ein Lächeln schenkte. „Mir geht es gut.“, sagte sie schlicht, was Benjiro befreit aufatmen ließ. Er war so erleichtert, dass er seine Stirn an ihre drückte, die Augen schloss und tief einatmete. Es war ein Zeichen der Zuneigung und ein Zeichen der Prägung. In diesem Moment schoss ein anderes Bild vor Kasumis inneres Auge. Ihr Mann, den sie immer nur verschwommen in ihren Erinnerungen sah. Doch diesmal erkannte sie silberweißes Haar und goldene Augen, die sie zu verbrennen schienen. In ihrer Erinnerung drückte auch er seine Stirn an ihre und prägte sich ihren Geruch ein. Hielt sie fest an sich gedrückt, um sich davon zu überzeugen, dass es ihr gut ging und dass er sie nicht verloren hatte. Und sorgte gleichzeitig dafür, dass er keine Nuance ihres Geruchs jemals wieder vergas. Damit er sie im Ernstfall schnell wiederfinden zu konnte. Das Gefühl geliebt zu werden, war in diesem Moment so überwältigend, dass sich Kasumi fester an Benjiro klammerte. Doch ihr war klar, dass sie diese Liebe nicht für ihn empfand, sondern für ihren Mann, der irgendwo da draußen war. Und sie war fest entschlossen ihn wiederzufinden. „Ich bin froh, dass ich noch rechtzeitig gekommen bin. Lass uns jetzt zurück gehen. Dieser Wald ist kein Ort für dich.“, sagte Benjiro, nachdem er sich wieder von ihr gelöst hatte. Kasumi nickte, woraufhin Benjiro ihre Hand ergriff und auf dem ganzen Weg durch den Wald keinen Millimeter von ihrer Seite wich. „Ich weiß jetzt, woher meine Angst vor Wölfen kommt.“, sagte Kasumi nachdem sie ein gutes Stück gegangen waren. Benjiro sah zu ihr und seine Augen hüllten sie in ein angenehm warmes Licht. „Du hast etwas gesehen?“ „Ich war jung. Sehr jung und floh vor einem Rudel Wölfe. Sie haben mich gejagt und… und getötet…“ Benjiro griff Kasumis Hand fester und blieb stehen um sie besser ansehen zu können. „Aber du bist am Leben!“, sagte er ruhig. Kasumi nickte. „Ja, das bin ich. Er hat mich zurückgeholt. Mit seinem Schwert, das kein Leben nehmen, sondern nur Leben geben kann.“, erklärte sie. Benjiro atmete hörbar ein, bevor er begann weiter zu laufen. „Wenn wir zurück sind, dann werden wir ihn suchen!“ Kasumi sah zu Benjiro auf, wie er eisern versuchte seinen Blick gerade aus zu halten. Sie wusste es. Von Kazuma, von ihm und sogar Keiji. Sie liebten sie. Auch wenn Benjiro und Keiji es niemals zugeben würden. Aber ihr reichte es, dass sie es wusste. Deshalb schmiegte sie sich an seinen Arm. „Danke, dass du heute mein Leben gerettet hast und bitte verzeih mir, dass ich so lange Angst hatte. Das war nie gegen dich persönlich gerichtet.“ Endlich hatte Kasumi aussprechen können, was sie schon lange hatte sagen wollen und es fühlte sich gut an. Völlig erschöpft, von dem Aufstieg auf den Hügel, ließ sich Kasumi auf den nächstbesten Stein sinken. Früher hätte sie keine Probleme mit so einem Hügel gehabt, aber in den letzten Wochen war ihr Kind enorm gewachsen und ihr Bauch hatte sich ein gutes Stück nach vorne geschoben. Deshalb schnappte sie jetzt auch mehr nach Luft als die Aussicht zu genießen. "Alles in Ordnung mit dir?" Benjiros Stimme ließ sie aufsehen und als sie sein besorgtes Gesicht sah schenkte die ihm ein beruhigendes Lächeln. Wenn ihr gestern um diese Zeit noch jemand gesagte hätte, dass sie schon heute allein mit Benjiro unterwegs sein würde, hätte sie ihn für verrückt erklärt. Und doch saß sie jetzt hier. Schon als sie gestern Abend, Seite an Seite, zurück zum Lager gekommen waren, wären Kazuma und Keiji fast die Augen heraus gefallen. Als Benjiro dann heute Morgen vor ihrem Zelt auf sie gewartet hatte waren seine Wangen leicht rot gewesen, als er sie darum gebeten hatte mit ihm zu kommen. Er war dabei so süß gewesen, dass sie unmöglich hatte ausschlagen können. "Mach dir keine Sorgen. Es fällt mir nur schwer Luft für zwei zu holen.", erklärte sich Kasumi und versuchte ihn damit zu beruhigen. Benjiro ließ seinen Blick noch einmal über Kasumi wandern, bevor er leicht den Kopf schüttelte. "Warte hier.", sagte er, bevor er davon stapfte. Keine fünf Minuten später kam er zurück mit einer Schale voll Wasser, die er ihr wortlos reichte. Kasumi sah ihn einen Moment an, bevor sie ihm erneut ein Lächeln schenkte und die Schüssel entgegen nahm. "Vielen Dank, Benjiro!" Das Wasser war eiskalt und floss wie Samt ihre Kehle hinunter. Es war eine einzige Wohltat. Doch sie verschluckte sich fast daran, als sich Benjiro vor sie kniete, einen ihrer Füße ergriff und begann diesen zu massieren. "B- Benjiro? Was tust du da?", fragte sie völlig überfordert mit der Situation. Benjiro starrte verbissen auf einen Punkt am Boden, rechts von Kasumi und bei ihrer Frage stieg erneut leichte Röte in seine Wangen. Doch er hörte nicht auf ihren Fuß zu massieren. "In diesem Zustand ging es meiner Frau nach einer Fußmassage immer besser.", erklärte er schließlich verlegen. Bei diesen Worten wurde Kasumi ganz anders. Ihre Beziehung hatte sich erst gestern zum besseren gewandelt. Zwar hatte sich innerhalb dieses Abends ein starkes Band zwischen ihnen gebildet, doch sie hätte nicht erwartet, dass er sich so weit öffnen würde um so etwas mit ihr zu teilen. In diesem Moment wirkte er wie eine andere Person und Kasumi bekam eine Vorstellung davon wie alt er eigentlich war. "Wo ist sie jetzt? Sie und euer Kind?", fragte sie nach einem langen Moment, in dem sie nach Worten suchte. Zuerst dachte sie er würde ihr nicht antworten, doch dann wechselte er den Fuß und begann zu sprechen. "Nicht weit von hier... Das hier war immer ihr Lieblingsort. An der Grenzen zu unserem Territorium. Amaya mochte den Gedanken einfach mit mir und unserem Kind davon zu laufen. Damit ich ihr allein gehören würde. Ihr und Daichi." Benjiro klang wehmütig als er das sagte und Kasumi spürte, dass er von einem anderen, einem lange vergangenen Leben sprach. „Tut mir Leid… Es ist wirklich wunderschön hier!“ Zum ersten Mal seit dem Aufstieg ließ Kasumi ihren Blick aufmerksam über ihre Umgebung schweifen. Es war ein friedlicher Ort hier. Ein Hügel, der den Wald überragte und von dem aus man sogar das entfernte Meer sehen konnte. Mit dem weiten Land auf seiner anderen Seite war es der perfekte Platz um über alles einen Überblick zu haben und um neue Reiche zu sehen. Kein Wunder also, dass er hier gerne gewesen war. Er und seine Frau… „Niemand weiß davon. Nur Keiji und Kazuma. Keiji, weil er mich hier aufgelesen hat und Kazuma… naja, weil er einfach ist wer er ist.“, erklärte Benjiro. Kasumi wand ihren Blick wieder auf Benjiro. Es lag kein Schmerz in seinen Worten. Wie lange musste diese ganze Sache schon her sein, dass er so frei von Trauer darüber sprechen konnte? Auch wenn sich Kasumi nicht an ihr Leben erinnern konnte, sie war sich nicht sicher, ob sie es überwinden könnte, wenn ihr Mann starb. Er oder ihr Kind. „Danke, dass du es mir gesagt hast.“, sagte sie deshalb leise. Bei diesen Worten hob Benjiro seinen Blick und für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Kasumi Schmerz darin zu sehen. Doch dieser Eindruck hielt keinen Wimpernschlag, bevor sein Ausdruck einem friedlicherem wich. „Ich hatte mir einmal geschworen nie wieder hier her zurückzukehren. Ich wolle diesen Schmerz nicht mehr ertragen und nicht daran erinnert werden… Es ist mein erster Schwur, den ich gebrochen habe. Aber gerade erinnert mich dieser Ort nicht an das Leid, sondern an die schönen Tage, die ich hier verbracht habe. Es scheint mir fast… friedlich. Das Leben ist an diesen Platz zurückgekehrt und das macht mich glücklich. Amaya hätte das sicher gefallen.“ Kasumi spürte, wie ihr die Tränen in die Augen tragen, weshalb sie den Blick abwand und eine Träne aus dem Augenwinkel wischte. Benjiros Frau war mit Sicherheit eine Yōkai gewesen und dennoch war sie gestorben. So wie Kasumi weit vor ihrem Mann sterben würde. Diese Erkenntnis erfüllte sie mit Traurigkeit. Doch zu sehen, dass Benjiro weiterlebte. Dass er das Beste aus seinem Leben machte und versuchte jeden Moment zu einem besonderen zu machen, dass stimmte sie zuversichtlich. „Ich bin mir sicher, dass es deiner Frau gefallen hätte. Ich würde mir auch immer wünschen, dass mein Mann glücklich ist. Wo auch immer er jetzt ist…“ Benjiro beendete die Fußmassage, erhob sich wieder und reichte Kasumi seine Hand. „Danke, Kasumi… Ich würde es dir gerne zeigen.“, erklärte er sich und als Kasumi seine Hand ergriff, führte er sie ein Stück über den Hügel. Auf der anderen Seite des Hügels blieb er stehen. Direkt vor zwei Gräbern, die in weiße Steine gefasst waren und deren Holztafeln man fast nicht mehr lesen konnte. „Es ist bereits über fünfzig Jahre her und ich bin mir sicher, dass ich sie auch in fünfhundert Jahren nicht vergessen werde. Ich möchte, dass du daran denkst, wenn du dich wieder erinnern kannst. Wir Yōkai neigen dazu unsere Gefühle nicht zu offenbaren, aber ich bin mir sicher, dass dich dein Mann ebenfalls niemals vergessen wird!“ Kasumi sah von den Gräbern zu Benjiro und wusste nicht, was sie sagen sollte. So lange hatte er ihre Gräber nicht besucht, weil der Verlust noch zu frisch für ihn war. Dennoch hatte es keinen Tag gegeben, an dem er nicht an sie gedacht hatte. Für Yōkai verging die Zeit wahrhaftig anders. Langsamer. Was ihnen mehr Zeit gab, sich an alles zu erinnern, was ihnen wichtig war. In diesem Moment spürte Kasumi wie sich ihr Kind regte und begann sie zu treten. Sicher war der Aufstieg und die ganzen Emotionen zu aufregend für den Kleinen gewesen. Behutsam legte sie eine Hand an die Stelle, an der sie die Tritte spürte und schloss einen Moment die Augen. Sie gab sich der Vorstellung hin, dass ihr Mann jetzt bei ihr war. Das seine Hand jetzt auf ihrem Bauch lag und das er Lächeln würde, wie sie es tat. Voller Stolz und Zuversicht, was die Zukunft bringen würde. „Danke, Benjiro.“, hauchte Kasumi schließlich. Sie pflückte ein paar Blumen in der Nähe und legte diese auf die beiden Gräber, bevor sie ein stilles Gebet sprach in dem sie um den Frieden von Benjiros Familie bat. In diesem Moment wehte eine frühlingswarme Briese über den Hügel und es fühlte sich an, als wollte diese Kasumi und Benjiro liebkosen und sich für die Gebete bedanken. Als Kasumi zu Benjiro aufsah, wusste sie, dass sich ihr Band noch verstärkt hatte. Sie wusste, dass sie einen Freund gewonnen hatte. Einen wahren Bruder im Geiste. Den sie niemals wieder verlieren würde. Dieser Gedanke ließ sie Lächeln und mit diesem Lächeln stiegen sie wieder vom Hügel und machten sich auf den Weg zurück zu den anderen. Kapitel 11: Macht und wie man diese missbraucht ----------------------------------------------- Die Frühlingssonne hatte ihren Zenit vor kurzem überschritten, als die kleine Gruppe Hagi erreichte. Die Stadt lag still und friedlich vor ihnen, als sie die äußeren Grenzen überquerten und sich auf direktem Weg zu Terumotos Anwesen begaben. Keiji empfand diese Stille schon fast als unnormal, doch er hielt sich nicht zu lange damit auf. Seine Aufmerksamkeit galt Matsukaze. Während des gesamten Rückwegs war ihnen dieser nicht von der Seite gewichen. Und das obwohl sie ihn nicht einmal mit einem Geschirr führten oder sonst irgendwie festhielten. Das prächtige Pferd hatte einfach beschlossen ihnen zu folgen. Oder besser gesagt Kasumi und ihm. Und jedes Mal, wenn sich einer der Beiden zu weit von der Gruppe entfernte, wurde Matsukaze nervös und versuchte sie alle wieder zusammenzuführen. Keiji hatte noch kein aufmerksameres Tier gesehen. Was ihn von Tag zu Tag mehr beeindruckte. Deshalb schmerzte ihn auch der Gedanke, dass er Matsukaze heute an seinen Herren zurückgeben musste. Er hatte sich bereits so sehr an die Gegenwart des Pferdes gewöhnt. Seine Bewegungen, seine Laute und die Tatsache, dass er all seine Experimente ohne zu zögern mitmachte. So dass sich Keiji nicht sicher war, ob er das Bevorstehende ehrenhaft vollziehen konnte. Gerade von diesen Experimenten hatte es in den letzten Tagen so einige gegeben. Keiji hatte wissen wollen, wie sich der Hengst ritt und hatte alle möglichen Manöver und Sprünge ausprobiert. Alle mit vollem Erfolg. Auch wenn es gelegentlich mehr als einen Versuch für eine Ausführung gebraucht hatte. „Ich werde dich vermissen, Matsukaze!“ Kasumis Worte unterbrachen Keiji in seinen Gedanken und er sah zu ihr hinüber. Sie war neben das Pferd getreten, hatte eine Hand unter seinen Hals geschlungen und schmiegte ihren Kopf an das Tier. Wie als wollte Matsukaze die Geste erwidern, senkte er den Kopf und schnaubte einmal. Dieser Anblick ließ Keiji lächeln und er trat ebenfalls näher und tätschelte die Seite des großen Pferdes. „Er ist wirklich ein ganz besonderes Pferd. Ich hoffe nur du machst Terumoto keine Schwierigkeiten.“, scherzte Keiji, woraufhin Matsukaze empört mit einem Huf aufstampfte. Das ließ sie alle kurz auflachen, bis sie vor Terumotos Anwesen stehen blieben und das Lachen erstarb. Auch wenn Kazuma und Benjiro eher Abstand zu Matsukaze gehalten hatten, sie alle nahmen es sich nicht leicht, ihn jetzt hier zurückzulassen. Irgendwie hatte es dieses Pferd geschafft, in den letzten Tagen ein Freund zu werden. Doch es gab kein Zurück. Vor allem nicht, wenn Keiji seine Leute wieder zurückhaben wollte. Deshalb atmete er noch einmal tief durch, löste sich anschließend von Matsukaze und klopfte an das große Holztor, das in die Mauer um das Anwesen herum eingelassen war und den Eingang markierte. Einen langen Augenblick blieb das Klopfen unbeantwortet. So lange, dass Keiji schon versucht war erneut zu klopfen. Doch noch bevor er dazu kam öffnete sich das Tor einen Spalt breit und eine Wache sah durch diesen heraus. „Was wollt ihr?“, zische die Wache scharf. Bei diesem Ton korrigierte Keiji leicht seine Haltung, so dass er vollkommen aufrecht und mit all der Würde und Macht, die er besaß, vor der Wache auftreten konnte. Er kannte diese Art von Ton, wenn er einfach abgespeist werden sollte. Aber das würde er nicht akzeptieren. „Mein Name ist Maeda Keiji und ich bin im Auftrag des jungen Herren Mōri Terumoto unterwegs gewesen. Jetzt will ich deinem Herren Bericht erstatten, also lass uns gefälligst eintreten.“, befahl Keiji scharf. Die Wache zuckte, ob dieses Tons, allerdings nicht zurück und zögerte auch keine Sekunde um die folgenden Worte teilnahmslos zu entgegen: „Das hier ist nicht länger das Haus der Mōris, also verschwindet!“ Damit schlug er das Tor wieder zu und der Knall hallte durch die leere Straße wie ein Donnerschlag. Irritiert sah Keiji zu seinen Freunden und Kasumis besorgtes Gesicht bereitete ihm am meisten Bauchschmerzen. Kasumi lief ein kalter Schauer über den Rücken, bei den Worten der Wache. Was ging hier nur vor? Sie ließ ihren Blick zu ihren Brüdern wandern, doch auch sie konnten sich das nicht erklären. „Benjiro, ich könnte kurz deine Hilfe gebrauchen!“ Keijis Worte sorgten dafür, dass sich alle ihm zuwandten. Er trat ein paar Schritte vom Tor zurück und dehnte kurz seine Arme und Beine. „Das ist Wahnsinn, dass ist dir bewusst oder?“, fragte Benjiro trocken, doch als er das Blitzen in Keijis Augen sah, lächelte er nur. Auch auf Kazumas Lippen zeigte sich jetzt ein kleines Lächeln und Kasumi schien die einzige zu sein, die nicht verstand, was sie jetzt vor hatten. Doch als Benjiro an die Mauer trat und seine Hände verschränkte, wurde es ihr klar. Er würde die Leiter sein, mit deren Hilfe Keiji die Mauer überwinden wollte. „Als hätte mich so etwas schon einmal aufgehalten.“, stellte Keiji klar und lief los. So als hätten sie das schon hunderte von Malen gemacht, fand Keijis Fuß Benjiros Hände und dieser warf ihn nach oben, als wöge er nichts. Keiji fand mit den Händen Halt am Rand der Mauer, zog sich dran hoch und ließ sich nach einem Moment auf der anderen Seite herunter fallen. Hinter der Mauer kam es zu einem kurzen Tumult, bevor Keiji mit einem breiten Grinsen das Eingangstor öffnete. „Wenn ich bitten darf.“, sagte er und verneigte sich knapp. Es war wirklich Wahnsinn was sie hier taten, doch auf der anderen Seite hatte es keinen anderen Weg gegeben. Sie mussten schließlich wissen, was mit Terumoto passiert war. Also betraten sie alle nach einander das Anwesen und Keiji schloss das Tor hinter ihnen wieder. „Hör ihr das?“ Auf Kasumis Frage hin, wurden alle kurz still und versuchten zu hören, was sie nur sehr leise wahrgenommen hatte. Sie ließ ihren Blick durch den Vorhof wandern und dann sah sie die Quelle, des Geräusches. „Da vorne! Sie treiben die Gefangenen zusammen.“, rief Kasumi und wies auf einen Durchgang, der den Blick auf den seitlich gelegenen Platz für Reiterübungen freigab. Fast automatisch zog Keiji sein Katana und sah zu den anderen. „Kazuma, geh mit Kasumi ins Haus und sucht Terumoto. Er muss hier noch irgendwo sein. Benjiro, du kommst mit mir. Wir werden uns dieses Treiben da hinten näher ansehen. Später treffen wir uns wieder hier!“ Alle nickten, nach Keijis Anweisungen und so folgte Benjiro Keiji seitlich am Anwesen entlang, während Kazuma vorsichtig die Tür ins Anwesen öffnete und hinein sah. „Alles leer. Sicher sind alle Wachen mit den Yōkai beschäftigt. Was auch immer hier los ist, ich glaube niemand rechnet damit, dass sie gestört werden. Trotzdem solltest du deinen Stab heraufbeschwören. Das gefällt mir zwar nicht, aber damit kannst du dich wenigstens sofort verteidigen, sollte es nötig sein.“, sagte Kazuma zerknirscht. Kasumi trat zu ihm und drückte kurz seine Schulter, bevor sie ihren Stab heraufbeschwor. Sie wusste genau wie es ihm ging. Er hatte Angst um sie und doch musste er sie hier mit rein ziehen. Auch, weil Kasumi niemals brav hier warten würde. Sie wollte wissen was mit Terumoto war und das konnte sie nur erfahren, wenn sie Kazuma folgte. Sie durchkämmten unzählige Räume, die große Empfangshalle und alle Unterkünfte die sie kannten, doch außer ein paar verschreckter Dienern fanden sie nichts. „Wo sind sie nur hin?“, fragte Kasumi abwesend. Als sie das Anwesen betreten hatten, war ihr eingefallen, dass Terumoto mittlerweile Volljährig geworden sein musste. Sicher hatte sein Stadtverwalter, dem er sowieso nicht vollständig vertraut hatte, irgendetwas mit dem jetzigen Zustand zu tun. Sie hatte seine Launen und sein Verhalten gegenüber Frauen bereits erlebt. Was sie nur erahnen lassen konnte, was er mit Terumoto anstellen würde, wenn er nicht bekam was er wollte. Das Geräusch einer Tür, die aufgeschoben wurde, ließ Kasumi innehalten, während Kazuma weiter den Flur entlang schritt. „Pssst, Mylady. Hier drüben.“ Kasumi sah zu dem Spalt in der Tür, durch den sie jetzt das Gesicht einer Frau erkannte. Und nicht irgendeiner Frau. Sie war die Mutter des Kindes, welches sie vor den unmöglichen Verhalten des Kampfkunstlehrers gerettet hatte. Als Kasumi jetzt vor sie trat, verneigte sich die Frau tief. „Ihr habt meiner Tochter das Leben gerettet. Dafür bin ich euch zu Dank verpflichtet und doch muss ich euch um etwas bitten. Der junge Herr wurde in den Ställen festgesetzt und man zwingt ihn seine Macht abzutreten. Ich bitte euch, Mylady, rettet auch ihn vor einem schlimmen Schicksal.“, bat die Frau, wobei ihr Tränen in die Augen stiegen. Kasumi ergriff ihre Hände und drückte sie fest. „Vielen Dank, dass du mir das gesagt hast. Ich verspreche, dass wir alles tun werden um Terumoto vor diesem Schicksal zu bewahren.“, versprach Kasumi, bevor sie sich von der Frau löste und zu Kazuma eilte. Die Ställe hinter dem Anwesen schienen verwaist, dennoch betrat Kazuma sie zuerst. Dicht gefolgt von Kasumi. Die prächtigen Pferde, die ihr Terumoto noch vor einer Woche voller Stolz gezeigt hatte, waren verschwunden. Aber sämtliche Türen zu den Boxen standen offen, so als hätte man die Tiere eilig weggeschafft. Oder als wären sämtliche Reiter überstürzt ausgerückt um eine Mission zu erfüllen. Bei dem Gedanken stellten sich Kasumis Nackenhaare auf. Und dann hörte sie die Stimme des Stadtverwalters: „Wenn ihr nicht freiwillig unterschriebt, dann werden wir sämtliche Gefangene einem nach dem anderen töten bis sie alle vernichtet sind. Und solltet ihr dann immer noch zögern, dann werde ich persönlich dafür sorgen, dass ihr unterschreibt!“ „Niemals werde ich meine Länder jemandem wie euch überlassen!“, kam sofort Terumotos abweisende Antwort. Bei diesen Worten warf Kazuma Kasumi einen Blick zu und machte eine Geste mit der Hand. Kasumi nickte und beide schritten weiter voran. Kazuma würde versuchen hinter das Geschehen zu gelangen, während Kasumi alle Beteiligten ablenkte. So, dass Kazuma sie schließlich überraschen und den Stadtverwalter ausschalten konnte. Und so erhitzt wie sein Gemüt war, würde er die beiden sicher erst bemerken, wenn es zu spät war. „Falls ihr darauf hoff, dass der Taii des Daimyō und diese unmögliche Göre herbei eilen um euch zu helfen, dann seid ihr bereits verloren!“ Kasumi hielt inne, als sie diese Worte vom Stadtverwalter hörte. „W- Was meint ihr damit?“, fragte Terumoto irritiert. Von dem Punkt aus, an dem Kasumi stehen geblieben war, konnte sie durch einen Spalt in die hinterste Pferdebox sehen. Die Box, die Matsukaze gehörte und in der jetzt Terumoto festgehalten wurde. Er war an der Brust an einen Stuhl gefesselt und vor ihm war ein kleiner Tisch aufgebaut, auf dem etliche Dokumente ausgebreitet waren. Der Stadtverwalter stand direkt neben dem Tisch und verschränkte jetzt mit einem zufriedenen Grinsen die Arme vor der Brust. „MEINE Reiter haben den Auftrag erhalten sie aufzuspüren und zu töten. Jetzt müsste das mittlerweile erledigt sein. So, dass niemand jemals ihre Körper finden wird. Die offizielle Version wird lauten, dass sie uns geholfen haben und nach ein paar Tagen zurück zur Hauptstadt aufgebrochen sind. Natürlich gibt es jede Menge Banditen und Gefahren auf dem Weg. Wir können also nicht dafür verantwortlich gemacht werden, wenn sie niemals dort ankommen.“, erklärte er mit diesem hämischen Lächeln, das Kasumi von seinem Gesicht wischen wollte. „Jetzt begreife ich es. IHR seid das Monster hier! Nicht die Yōkai dort draußen auf dem Hof.“, zischte Terumoto. Kasumi konnte deutlich sehen, wie seine Hand zitterte und er sie zur Faust ballte, um es niemandem zu zeigen. Sie hatte einiges vom Stadtverwalter erwartet, jedoch nicht, dass er Keiji, einen offiziellen Gesandten der Hauptstadt, hinterrücks töten lassen würde. Ihn und all seine Gefolgsleute, einschließlich ihrer Brüder und Kasumi selbst. Als ihr die Tragweite der Situation bewusst wurde, griff Kasumi ihren Stab fester und trat in die offene Tür der Box. „Falls mein Körper in euren Augen verschwunden sein sollte, Stadtverwalter, würde ich euch den Besuch eines Arztes empfehlen, da euch eure Augen täuschen müssen.“ Bei ihren Worten fuhr der Stadtverwalter herum und die beiden Wachen, die neben der Tür postiert waren, brachten ihre Naginatas in Stellung, so dass die Klinge auf Kasumi zeigte. Natürlich waren die Lanzen viel zu sperrig für den kleinen Raum in der Box und Kasumi entwaffnete die beiden Männer mit wenigen Schlägen ihres Stabs. Wer auch immer diese Art der Bewaffnung angeordnet hatte, hatte keine Ahnung. „Kasumi!“, rief Terumoto erfreut, doch sofort drückte der Stadtverwalter ein Tantō an dessen Hals und er verstummte. „Dein Auftauchen wir die Situation auch nicht mehr retten. Ein weiterer Schritt und dieser Bengel wird sterben!“, fauchte der Stadtverwalter und Kasumi konnte für einen Moment den Wahnsinn in dessen Augen aufblitzen sehen. „Wenn Terumoto stirbt, werdet ihr nichts haben. Der Titel seines Hauses wird deswegen nicht an euch übergehen.“, erklärte Kasumi ruhig und führte ihren Stab langsam an ihre Seite, während sie sprach. Die Hand des Stadtverwalters begann kaum merklich zu zittern und ein kleiner roter Tropfen suchte sich einen Weg über Terumotos Hals nach unten. „Ich habe nicht all die Jahre diesem Haushalt als Vormund gedient um jetzt alles zu verlieren. Was habe ich schon davon die Stadt zu verwalten, wenn ich hier sämtliche Ländereien unter mir habe? Wenn der Bengel durch einen Unfall stirbt, dann werde ich wieder in den Posten des Verwalters erhoben, da ich bereits damit vertraut bin. Niemand wird mir dieses Recht nach seinem Tod verweigern!“ „Bastard!“, knurrte Terumoto unter dem Druck der Klinge und warf dem Stadtverwalter einen vernichtenden Blick zu. Dieser schenkte Terumoto allerdings nur ein verrücktes Lächeln, bevor er wieder Kasumi anstarrte. In diesem einen Augenblick war sie einen Schritt näher getreten. Ihren Stab ließ sie dabei einige Zentimeter über dem Boden schweben. „Und wie wollt ihr seinen Tod erklären, wenn er mit einer aufgeschnittenen Kehle aufgefunden wird? Ein Überfall? Wäre es dann nicht eure Aufgabe gewesen, den Eindringling abzuwehren? Diesen Tod wird man wohl kaum als Unfall abtun und da Terumoto bereits volljährig ist, muss er seinen Titel schriftlich weitergeben, da er keine direkten Nachkommen hat, oder sie fallen an den Tennō zurück.“, fuhr Kasumi unbeeindruckt fort. „Sein Siegel auf diesen Dokumenten wird mir jedes Recht geben, das ich benötige.“, erklärte der Stadtverwalter und griff nach etwas auf dem Tisch. Diesen Moment, während er den Blick abwand, nutzte Kasumi und setzte ihren Stab auf den Boden. Es war ein riskanter Zug. Immerhin hatte es bisher noch nie geklappt. Doch wenn es einen perfekten Zeitpunkt dafür gab, dass ihre Kräfte zurückkehrten, dann war es jetzt. Als der Stab den Boden berührte und Kasumi all ihre Willenskraft und ihre Konzentration in das Erzeugen dieser Blitze legte, flammte tatsächlich weißes Licht an der Spitze des Stabes auf. Es war ein kleines Licht, doch es war gleißend hell und der Stadtverwalter sah irritiert zu ihr hinüber. „Z- Zauberei! Du bist eine Hexe. Als diese musst du mit all den anderen Yōkai draußen auf dem Platz hingerichtet werden!“, keifte der Stadtverwalter, nahm das Tantō von Terumotos Klinge und wies damit auf Kasumi. Im nächsten Moment lag der Stadtverwalter bewusstlos am Boden. „Kazuma! Was würde ich nur ohne dich tun.“, rief Kasumi erleichtert, als sie ihren Bruder hinter dem Stadtverwalter sah. Mit dem Heft einer seiner Wurfmesser in der Faust, hatte er den Stadtverwalter zu Boden geschickt und die Situation gerettet. Ihr Licht hatte ihn zwar geblendet, doch Kasumi hatte keinen Blitz erzeuge können, weshalb sie den Stadtverwalter so nie hätte ausschalten können. „Ich hätte auch schon früher eingegriffen, doch dein Auftritt war zu spannend um ihn zu unterbrechen.“, grinste Kazuma, während er Terumotos Fesseln löste. Als dieser frei war, trat er zu Kasumi und zog sie in seine Arme. „Kasumi! Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist.“ Mit einem beruhigenden Lächeln legte sie ihre Arme um Terumoto und hielt ihn einen Moment. Während Kazuma die Papiere auf dem Tisch grob durchblätterte und schließlich alle samt zerriss. „Dieser Stadtverwalter ist skrupelloser als erwartet. Euch so etwas anzutun, Lord Terumoto.“ Bei dieser Ansprache löste sich Terumoto wieder von Kasumi, schenkte ihr allerdings vorher noch ein glückliches Lächeln. „Das ist er, aber bevor wir uns um ihn kümmern muss ich wieder Kontrolle über mein Haus erhalten. Nur die wenigstens Soldaten stehen direkt unter Ankokus Befehl. Die meisten glauben, sie handeln nach meinem Wunsch. Wenn ich in den Hof trete und das klar stelle, dann sollte sich die Lage beruhigen und dann können wir sehen was wir mit den Verrätern tun!“ Seine entschlossenen Worte berührten etwas in Kasumi. Es waren nicht die Worte eines Jungen, der einmal Herr über ein großes Anwesen und Ländereien sein sollte. Nein, das hier waren die Worte eines Anführers, der alles Für und Wieder abgewogen hatte um die bestmöglichste Entscheidung zu treffen. In dieser einen Woche, war Terumoto zu einem Mann geworden, der sicher hervorragend für sein Land sorgen konnte. „Was schlägst du also vor?“, fragte Kasumi deshalb. Wenn sie dieses Haus zurückerobern wollten, dann würden sie es so tun, wie Terumoto es wünschte. In mehreren Reihen mussten sich sämtliche Gefangene, Menschen, sowie Yōkai vor der Mauer des Anwesens aufstellen. Im Schatten des Haupthauses stand eine Reihe von Soldaten. Alle mit Teppos bewaffnet. Sie waren gerade damit beschäftigt die Waffen schussfertig zu machen um sie anschließend auf die Gefangenen richten zu können. Das hier würde in wenigen Minuten zu einem Blutbad werden. In diesen Minuten schlichen sich Keiji und Benjiro an die ganze Szenerie an. Die Katanas bereit, alle nötigen Soldaten auszuschalten, falls das nötig werden würde. Während sie immer näher kamen, kreisten immer wieder die gleichen Gedanken in Keijis Kopf herum. Der Stadtverwalter hatte sein eigenes Mündel betrogen. Er griff nach der Macht und wollte sie um jeden Preis festigen. Sogar vor dem Daimyō, denn ihm konnte man keine größere Freude bereiten, als einen Haufen toter Yōkai zu präsentieren. Sicherlich würde ihn das milder zu diesem Machtwechsel stimmen. Und am Ende würde er das hier schweigend akzeptieren. „Es läuft so viel falsch in unserer Regierung.“, sagte Keiji mehr zu sich selbst, dennoch reagierte Benjiro sofort. „Ich stehe immer an deiner Seite, Bruder! Auch wenn du eines Tages all diese Fehler korrigieren willst.“ Keiji sah zu seinem Bruder hinüber und nickte nach einem Moment. Eigentlich sollte ihn Benjiros Einstellung nicht überraschen, immerhin hatten sie bisher alles gemeinsam durchgestanden. Doch seine Worte bedeuteten ihm trotzdem viel. „Dann fangen wir heute damit an! Dieses Unrecht darf auf keinen Fall geschehen.“, antwortete Keiji und erhob sich aus der Deckung eines Busches um die Soldaten aufzuhalten. Doch noch bevor er überhaupt bemerkt werden konnte, preschte Matsukaze auf den Platz und Chaos brach aus. Kapitel 12: Macht und wie man diese gebraucht --------------------------------------------- Atemlos trat Kasumi aus den Ställen und als hätte Matsukaze an ihrer kurzen Besprechung teilgenommen, erwartete er sie bereits vor dem Gebäude. Einen Augenblick lang sah er sie an, bevor er in die Knie ging und sich komplett zu ihren Füßen legte. „Du bist wirklich das erstaunlichste Pferd, dass ich kenne, Matsukaze.“, sagte Kasumi als sie näher trat. Die Bewunderung in ihrer Stimme kaum zu überhören legte sie eine Hand an den Hals des mächtigen Tiers und schloss einen Moment die Augen. Was er mit einem kurzen Schnauben zu würdigen wusste. „Wir werden sie alle retten.“, hauchte sie, bevor sie sich auf seinen Rücken schwang. Auf ihrem Weg zurück nach Hagi war sie öfter mit Keiji zusammen auf Matsukaze geritten. Vor allem, weil er überaus rücksichtsvoll war, wenn sie auf seinem Rücken saß. Sie spürte dabei fast nicht, dass er sich überhaupt bewegte. Egal wie schnell er war. Und er konnte sehr schnell werden. Jetzt würde ihr erstes Mal sein, dass sie ihn allein ritt. Dass es wegen so etwas sein musste, verdarb ihr ein bisschen die Freude. Aber vielleicht würde sich noch einmal die Chance ergeben, dass sie mit Matsukaze einfach frei durch Wälder und über Wiesen galoppieren konnte. „Lass uns beginnen, Matsukaze.“, sagte Kasumi entschlossen und sofort kam Matsukaze wieder auf die Beine. Für den Bruchteil einer Sekunde huschte ein Lächeln über Kasumis Lippen. Dass sie es geschaffte hatten Kazuma zu überzeugen, dass sie diesen Teil des Plans ausführen dufte, grenzte fast an ein Wunder. Weshalb sie es um so mehr genießen würde.     Kazuma hatte keine Ahnung, wie sie es geschafft hatten, ihn von diesem Plan zu überzeugen. Wie Terumoto es geschafft hatte, dass er das Leben seiner kleinen Schwester in die Hände des Schicksals legte. Aus dem Jungen war in dieser kurzen Zeit wirklich ein Anführer geworden. Seine Haltung, als er jetzt vor Kazuma an seinem eigenen Haus entlang schlich, war aufrecht. Der Rücken durchgedrückt, der Kopf gerade erhoben. Der Verrat seines Stadtverwalters, ob geahnt oder nicht, muss ihn tief getroffen haben und ihn zu einer Entscheidung gedrängt haben. Die Entscheidung, wie er mit der Situation umgehen sollte und er hatte die richtige Wahl getroffen. Terumoto würde sich der Lage stellen und alle von seinem Können überzeugen. Das war mehr, als man von so manch einem Jungen in seinem Alter erwarten konnte. Dieser Mut war es auch, weshalb sie ihm jetzt folgten. Das und die Tatsache, dass Kazuma im Stall seine Fähigkeiten eingesetzt hatte. Kasumi hatte ihn darum gebeten, als er nicht sofort mit dem Plan des Jungen einverstanden gewesen war. „Sieh dir an was passieren wird und entscheide dann!“, hatte sie gesagt. Eigentlich hasste es Kazuma, wenn er dazu gedrängt wurde, seine Fähigkeit vor anderen zu offenbaren. Doch seiner Imōto-chan konnte er natürlich nichts abschlagen. Vor allem da es sich auch nicht so angefühlt hatte, als wäre er gezwungen es zu tun. Es sollte einzig und allein dazu dienen ihn zu überzeugen. Nicht, weil Kasumi oder der ahnungslose Terumoto wissen wollte was geschah. So eine Bitte hatte er noch nie erhalten, weshalb er ihr nachgegeben hatte. Er hatte einen Handschuh ausgezogen und den jungen Lord darum gebeten, eine Hand auszustrecken. Kazuma hatte diese ergriffen und sofort waren unzählige Bilder an seinem inneren Auge vorbeigezogen. Nicht alle hatten zu der nahen Zukunft gehört. Er hatte auch andere Dinge gesehen. Dinge, die sich weit nach dem heutigen Tag ereignen würden. Doch schließlich hatte er etwas zu der bevorstehenden Konfrontation gesehen. „Was hier passiert musst du für dich behalten Terumoto. Versprich es mir!“ Kazuma hatte Kasumis fordernde Stimme nur am Rande wahrgenommen, während er sah, was geschehen würde. „Ich… Ich verspreche es.“, hatte Terumoto geantwortet, woraufhin Kasumi ihm kurz erklärte, was hier geschah: „Kazuma kann mit einer Berührung seiner Hand die Zukunft sehen. Ich will dass er sich ruhigen Gewissens auf diese Sache einlassen kann, aber ich will auch, dass er uns nur erzählt, was er gesehen hat, wenn er es wünscht. Verstehst du das Terumoto?“ Einen Augenblick lang herrschte Stille, dann: „Ich verstehe. A- Aber das ist einfach unglaublich Kasumi. Ihr seid einfach unglaublich!“ Er würde so etwas nicht sagen, wenn er wüsste was Kazuma alles sah, doch er sagte nichts, als er seine Hand wieder löste. Einen langen Moment schwieg er, dann griff er nach den Fesseln, die Terumoto an den Stuhl gebunden hatten. „Bevor wir irgendetwas unternehmen, sollten wir den Verwalter und seine Leute hier fesseln. Dann werden wir den Plan umsetzen.“, hatte er schließlich erklärt und gemeinsam hatten sie die drei Männer an einen Pfosten der Pferdebox gebunden. So war es gekommen, dass sie jetzt hier im Schatten des Anwesens darauf warteten, dass Kasumi erneut die Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Und als sie auf Matsukazes Rücken auf den Platz gestürmt kam, waren nicht nur die Soldaten und die Gefangenen überrascht.     Matsukaze war beeindruckend. Das ließ sich nicht abstreiten. Egal wie sehr man an ihn gewohnt war. Wenn er auf der Bildfläche auftauchte hielt man automatisch den Atem an und wartete darauf, was er wohl tat. So ging es auch den Soldaten, als Kasumi mit ihm in den Hof stürmte. Doch dieser Moment, in dem alle den Atem anhielten, dauerte nur einen Augenblick. So lange, bis sich bei einem Teppo ein Schuss löste. Daraufhin stürmten alle Soldaten auf den Platz und versuchten Matsukaze zu bändigen um ihn einzufangen. Oder zumindest zur Seite zu drängen. Zierlich, wie Kasumi war, fiel sie auf seinem Rücken kaum auf, weshalb die Soldaten ihr auch keine Beachtung schenkten. Leider empfand Matsukaze das Näherkommen der Soldaten als Bedrohung gegenüber Kasumi, weshalb er wie der Wind über den Platz galoppierte und immer wieder vor den Soldaten scheute oder austrat. Ganz ohne Sattel fiel es Kasumi schwer sich so auf Matsukaze zu halten, doch dann pflückte sie ein silberner Blitz von dessen Rücken. „Ist Kazuma jetzt verrückt geworden, dich so eine halsbrecherische Aktion durchführen zu lassen?“, knurrte Benjiro wütend, als er Kasumi von seinen Armen auf dem Boden absetzte. „Und was macht ihr hier überhaupt? Der Plan war es, dass wir uns wieder vor dem Anwesen treffen. Es hätte sonst etwas passieren können!“ Als Benjiro sich wieder etwas beruhigt hatte sah Kasumi entschlossen zu ihm auf. „Wir haben Terumoto gefunden und er brauchte einen Moment des Chaos um zu seinen Männern sprechen zu können. Andernfalls hätten ihn die Soldaten des Stadtverwalters aufgehalten. Aber was ich tun will, ist sämtliche Gefangene bei dieser Gelegenheit zu befreien. So schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe und das funktioniert am besten, wenn uns niemand beachtet. Ich bräuchte nur deine Hilfe dabei.“, erklärte sie fest entschlossen. Benjiro sah von Kasumi auf das Chaos, dass Matsukaze immer noch verursachte und schnaubte dann resignierend. „Mir gefällt das zwar nicht, aber was soll ich tun!“     Diese ganze Sache gefiel Benjiro wirklich überhaupt nicht. Während die Wachen immer noch versuchten Matsukaze zu bändigen, trat Kasumi zu den Gefangenen und besah sich die Ketten, mit denen sie alle an Ort und Stelle gehalten wurden. Es waren dicke Ketten. Mit speziellen Zaubern belegt, um auch Yōkai zu binden. Es würde also nicht so einfach werden, alle zu befreien. Doch davon zeigte sich Kasumi kaum beeindruckt. Sie beschwor ihren Stab und schritt die erste Reihe der Gefangenen ab. Langsam wanderten die Blicke der Männer von Matsukaze auf Kasumi und als sie deren volle Aufmerksamkeit hatte, begann sie zu sprechen: „Männer von Yamaguchi. Kämpfer, für die Ehre eurer Herrin, Lady Isami. Meine Brüder und ich sind in ihrem Auftrag hier, um euch zu befreien. Doch nicht durch Blutvergießen. Die Feindschaft muss endlich ein Ende haben, da sie niemals vom Lord dieses Hauses ausging. Der ehemalige Stadtverwalter hat all die Übergriffe inszeniert um sein Reich zu erweitern, doch dieses schändliche Verhalten wurde jetzt enttarnt und hart bestraft. Der Lord der Mōris will diese Zwistigkeiten nicht länger aufrechterhalten und schenkt euch deshalb die Freiheit. Kehrt zu eurer Herrin und euren Familien zurück und erinnert euch immer daran, dass ihr eure Freiheit dem Lord dieses Hauses, Mōri Terumoto verdankt!“ Als Kasumi endete, ertappte sich Benjiro dabei, wie er sie anstarrte. In diesem Augenblick, mit dieser Ansprache noch im Ohr, wurde ihm zum ersten Mal bewusst, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit wirklich die Inunoseifuku-sha-sama war. Die Herrin eines großen Anwesens und die Ehefrau eines Lords der über mehr als nur einige Teile Japans herrschte. Kasumi war in ihrem früheren Leben eine Anführerin gewesen und dieses Talent stellte sie gerade unbeabsichtigt zur Schau. Etwas, was Benjiro nur bewundern konnte. Macht zu besitzen und diese einsetzen zu können, das war eine Kunst, die man erst einmal beherrschen musste. Und Kasumi beherrsche sie ganz eindeutig. So wie Benjiro von Kasumis Ausstrahlung gebannt war, ging es auch den Gefangenen. Ein Raunen ging durch deren Reihen und sie verfolgten sie mit ihren Blicken, als sie zurück an Benjiros Seite trat. Er hatte sich am Rand der ersten Reihe postiert, um alles im Blick zu behalten und auch um die Ketten noch etwas zu studieren. Alle Gefangenen waren durch eine lange Kette miteinander verbunden. Jeder einzelne von ihnen trug um den Hals ein stählernes Halsband, an dem ein Ring angebracht war, durch den schließlich die Kette lief. Wenn sie es irgendwie schafften die Kette zu sprengen, wären alle Mann auf einmal Frei. „Kannst du sie zerstören?“, fragte Kasumi, als sie neben Benjiro trat. Er warf einen zweifelnden Blick von der Kette zu seiner Schwester und zurück. „Ich kann nichts versprechen.“, gab er zu, legte dann allerdings die Hände an die Kette. Wenn er es nicht versuchte, dann konnte er es auch nicht wissen. Also griff er sich zwei der Unterteller großen Kettenglieder und begann zu ziehen. Er legte all seine Kraft in diesen Versuch, doch gerade, als er glaubte die Glieder würden sich bewegen, wehrte ihn ein Blitzschlag ab und er zog die Hände zurück, als hätte er sich verbrannt. „Was war das?“, fragte Kasumi besorgt. „Ein Abwehr-Zauber. Gedacht um Beschädigungen zu verhindern.“, knurrte Benjiro, während er seine Hände schüttelte. „Versuch es noch mal!“, sagte Kasumi nach einen Moment in dem sie konzentriert die Kette studiert hatte. Benjiro wollte schon widersprechen. Sagen, dass es keinen Sinn hatte. Diese Ketten würden sie nur lösten können, wenn sie den Schlüssel dazu bekämen. Ansonsten war sie so konstruiert, dass sie jedwede Einwirkung von außen als Angriff deuten und sich dagegen wehren würde. Doch es war Kasumis Blick und die Art und Weise, wie sie ihren Stab griff, der ihn nichts sagen ließ. Stattdessen legte er erneut die Hände an die Kette und versuchte die Glieder auseinander zu ziehen. So weit, bis er den Moment erreicht hatte, an dem er glaubte, sie würden sich tatsächlich bewegen. Wieder zuckten Blitze aus der Kette hervor, doch diesmal setzte Kasumi ihren Stab auf die Kette und blendend weißes Licht sorgte dafür, dass Benjiro die Augen schließen musste. Tatsächlich erfüllte das gleißende Licht den gesamten Hof und brachte jeden einzelnen dazu inne zu halten und sich nach der Quelle des Lichts umzudrehen. Eine Chance, die Keiji, Kazuma und Terumoto nutzten um auf den Platz zu treten. Daraufhin kam auch Matsukaze zur Ruhe und trat hinter seinen Herren. Was für ein imposantes Bild sorgte. Keiji, mit gezogenem Katana, welches wie poliertes Silber strahlte. Neben sich Terumoto, der sich seinen Übungsstab unterwegs besorgt hatte und diesen mit beiden Händen locker vor seinen Oberschenkeln hielt. Kazuma der zu Terumotos linken stand, zwei Wurfmesser zwischen den Fingern jeder Hand. Und dahinter Matsukaze, dessen Schatten die drei in ein unheimliches Licht tauchte. In diesem unendlichen Weiß, dass Kasumis Stab erzeugte, konnte Benjiro nichts anders mehr sehen oder spüren, als die Kette in seinen Händen. Deren harter Stahl mit unzähligen Zaubern noch widerstandsfähiger gemacht worden war und den er niemals würde bewegen können. Standhaft, wie die mächtigsten Eichen, die er kannte und doch so flexibel wie Bambus, der sich dem stärksten Sturm unbeschadet stellen konnte. Dieses unzerstörbare, für die Ewigkeit gemachte Material, wurde plötzlich weich in seinen Händen. „Jetzt!“ Kasumis Stimme erreichte ihn irgendwie in diesem Rauschen, dass das Licht in seinen Ohren erzeugte und als er dieses eine Wort hörte, wurde er sich wieder seiner Hände bewusst. Seiner Hände und deren Stärke. Die Stärke, die er mit allen Leibeskräften dort hinein legte. Er konnte es selbst nicht glauben. In einem Moment hatte er noch diese scheinbar unzerstörbare Kette in Händen und im nächsten Augenblick gab sie einfach nach. Von einer Sekunde zur nächsten verschwand das Licht und ließ alle auf diesem Hof geblendet zurück. Benjiro blinzelte, bis er den schwarzen Staub in seinen Händen zweifelsfrei sehen konnte. Er hatte die Kette zerbrochen. Nicht nur das. Er hatte zwei der Glieder förmlich zu Staub zerdrückt und das ohne irgendwie zurückgestoßen worden zu sein. Ungläubig sah er von seinen Händen zu Kasumi, die ihm nur ein strahlendes Lächeln schenkte. „Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann.“, sagte sie, bevor sie sich noch einmal zu den Gefangenen umwand. „Ihr seid jetzt Frei. Dies ist eure Chance um nach Hause zurück zu kehren. Ich an eurer Stelle würde sie ergreifen!“, rief sie. So, dass sie das Gemurmel der Gruppe übertönen und auch der Letzte sie noch hören konnte. Nach diesen Worten sahen sich alle Gefangenen an, bevor sie los rannten um zurück zu ihrer Herrin zu gelangen. Doch natürlich blieb der plötzliche Aufbruch auch den Soldaten nicht verborgen. Sie versuchten die Gefangenen im Hof zu halten, doch auch dafür hatte Kasumi einen Plan. Sie rief sich Matsukaze zu Hilfe, der sofort auf ihren Ruf reagierte und sich zwischen die Fliehenden und die Soldaten drängte. So, dass auch wirklich niemand an ihm vorbei kam und alle Männer sicher fliehen konnten. Erst als alle ehemaligen Gefangenen verschwunden waren, trat Terumoto vor die Soldaten, was diese verstummen ließ. „Männer! Alles was heute vorgefallen ist, war der hinterhältige Plan des Stadtverwalters um mir meine Titel und Ländereien zu nehmen. Alles was er in den letzten Jahren unternommen hat, waren Teile eines großen Plans, wie ich meine Macht verlieren sollte. Dieser Putschversuch konnte heue jedoch durch den Einsatz meiner Freunde verhindert werden. Jetzt wird Ankoku festgehalten und wartet auf seine gerechte Strafe für diesen schändlichen Verrat. Mir ist bewusst, dass viele von euch angenommen hatten in meinem Namen zu handeln, doch das ist ein Irrtum. Ebenso ist mir bewusst, dass einige unter euch mit dem Wissen um die Pläne des Stadtverwalters gehandelt haben. Diesen Männern gebe ich hiermit die Gelegenheit sich zu stellen um mit dem Stadtverwalter zusammen einem fairen Prozess unterzogen zu werden. Oder aber ihr beugt euch alle meinem Wort, schwört treue zu mir und zu allem wofür ich stehe und dient mir und meiner Familie loyal bis an euer Ende!“ Einen Moment lang herrschte beklemmende Stille, bevor der erste Ausruf aus den Reihen der Wachen kam: „Lang lebe Lord Mōri Terumoto! Anführer des Mōri Clans!“ Diesem Ruf stimmten immer mehr Männer zu, bevor sie alle in die Knie gingen und sich bis auf den Boden herab vor ihrem Herren verneigten. „Er ist wirklich schnell zu einem guten Anführer geworden.“, stellte Keiji fest, als er neben Kasumi und Benjiro trat. Sein Katana hatte er wieder zurück in die Scheide gesteckt und die Arme vor der Brust verschränkt. Den Blick, den er über Kasumi wandern ließ, ließ sie leicht beschämt lächeln. Mit ihren ganzen Taten hatte sie verhindert, dass Keiji sich von seiner besten Kampfkunstseite hatte zeigen können. Was ihn sichtlich ärgerte. Dennoch legte er eine Hand auf ihren Kopf und wuschelte kurz über ihr Haar. „Gute gemacht Imōto-san.“, sagte er, was Kasumi mit Stolz erfüllte. Sie alle hatten gemeinsam dazu beigetragen, dass Terumoto seinen rechtmäßigen Platz zurück erlangt hatte, dass die Gefangenen frei waren und das der Stadtverwalter seiner gerechten Strafe zugeführt werden konnte.     „Und ihr könnt wirklich nicht zur Feier bleiben?“, fragte Terumoto betrübt. Stunden nach dem ganzen Aufruhr war wieder Ruhe in sein Haus eingekehrt. Der Stadtverwalter saß bis zu seiner Verurteilung im Kerker, welche erst nach der Einführungsfeier von Terumoto als neues Clanoberhaupt stattfinden würde. Alle Bediensteten waren wieder an ihre Arbeit gegangen und Keiji, Benjiro, Kazuma und Kasumi hatten sich darauf vorbereitet zurück nach Yamaguchi zukehren um ihre eigenen Leute aus der Gefangenschaft zu befreien. In all der Zeit war Matsukaze neugierig über jeden zugänglichen Raum des Anwesens geschritten um sich umzusehen. So als sähe er das alles zum ersten Mal. Doch Benjiro hatte Kasumi erklärt, dass er die Umgebung absuchte um sich davon zu überzeugen, dass auch wirklich keine Gefahr mehr drohte. „Wir haben leider noch ein paar andere Angelegenheiten zu klären und müssen uns wieder in der Hauptstadt zurück melden. Du bist jetzt der Herr dieses Hauses und Matsukaze ist zurück wo er hin gehört. Unsere Aufgabe hier ist somit abgeschlossen.“, erklärte Keiji und verneigte sich respektvoll vor Terumoto. Auch die anderen folgten seinem Beispiel, woraufhin sich auch Terumoto tief verneigte. „Ich verdanke euch alles. Ihr werdet auf ewig meine Freunde sein und sollte ich euch einmal helfen können, so lasst es mich wissen und ich werde euch zur Seite stehen.“, sagte Terumoto, sichtlich mit den Tränen kämpfen. Das war auch einer der Gründe, weshalb Kasumi noch einmal an seine Seite trat und seine Hand fest in ihre schloss. „Lass es uns auch wissen, wenn du unsere Hilfe brauchst. Dann werden wir wieder für dich da sein. Obwohl ich glaube, dass du das nicht nötig haben wirst. Du wirst ein ausgezeichneter Anführer sein. Vor allem, wenn du dein Land bereist hast und siehst, was da draußen vor sich geht. Auch wenn du dein Leben lang hier in diesen Mauern beschützt wurdest, du musst die Welt auf der andren Seite der Mauer ebenfalls zu schätzen lernen. Dann kann dich nichts mehr erschüttern!“ Mit diesen Worten löste sich Kasumi wieder von Terumoto und sie trat zu den anderen, die bereits auf der anderen Seite des Eingangstores standen. „Das werde ich tun. Ich werde Reisen und mir die Welt ansehen, damit ich hier gerecht herrschen kann. Und ich werde dafür sorgen, dass Yamaguchi und seine Herrin in Zukunft in Frieden leben kann. Ich danke euch für alles und wünsche euch eine gute Heimreise.“, entgegnete Terumoto nach einem Moment und mit einer letzten Verbeugung verabschiedeten sie sich vom Herrn über den Mōri Clan.   „Matsukaze wird mir trotzdem fehlen.“, erklärte Keiji, als sie die Stadt ein gutes Stück hinter sich gelassen hatten. „Ein wahnsinniges Umayōkai passend für einen wahnsinnigen Taii. Es beruhigt mich irgendwie, dass wir diese Kombination nicht all zu lange ertragen mussten. Dein Streitross, dass dir vom Daimyō zur Verfügung gestellt wurde verfügt wenigstens über etwas gesunden Menschenverstand. Alles andere würde nur für Chaos sorgen.“, lachte Benjiro auf die Aussage seines Hauptmannes hin. So, dass auch Kazuma kichern musste. „Ich bin mir sicher, Terumoto wird ihn gut behandeln.“, versuchte Kasumi die Situation zu entschärfen, bevor Keiji einfiel über seine beiden Brüder herzufallen um ihnen eine Lektion zu erteilen. Das Wiehern eines Pferdes sorgte allerdings dafür, dass sie alle inne hielten und sich umdrehten. Weit hinter ihnen war die Stadt fast nicht mehr zu sehen und der Weg war erst etwas angestiegen und fiel jetzt wieder leicht. So, dass sie nicht sofort sehen konnten, was einige Meter hinter ihnen geschah. Doch dann blitzte etwas Silbergraues auf und Sekunden später kam Matsukaze vor ihnen zum stehen. Sofort trat Keiji an das Tier heran und streichelte seinen Kopf. „Wo kommst du denn her, Matsukaze?“, fragte er irritiert. „Vielleicht ist er Terumoto davon gelaufen?“, mutmaßte Kazuma. „Das glaube ich nicht!“ Kasumi hatte das dünne Seil um Matsukazes Hals sofort bemerkt und löste es jetzt von ihm. An dem Seil war ein einzelnes Blatt Papier befestigt, welches sie auffaltete und kurz für sich überflog, bevor sie es ihren Brüdern vorlas:   „Keiji, ich danke dir, dass du mir das Umayōkai zurück gebracht hast. Matsukaze, wie ihr es genannt habt. Und wie sein Name schon sagt, sollte er frei wie der Wind umher ziehen können und nicht an einen Herren gebunden sein, der seinerseits an einen einzigen Ort gebunden ist. Deshalb will ich ihn dir überlassen. Du hast innerhalb weniger Tage das Vertrauen und die Freundschaft dieses Pferdes gewinnen können, so wie du meine Freundschaft und meinen ewigen Dank gewonnen hast. Es ist zwar nur eine kleine Entschädigung für alles, was du getan hast aber ich will dir Matsukaze anvertrauen. Gib mir nur gut auf das Wertvollste meiner Familie Acht. Alles Gute. Terumoto“   Im ersten Moment starrten sich die Jungs nur ungläubig an, bevor sie zu Matsukaze sahen. „Er… Er schenkt mir Matsukaze?“, fragte Keiji mit zittriger Stimme. Ungläubig berührte er erneut das edle Tier vor sich und als Matsukaze mit seinem Kopf gegen Keijis Brust stieß, begann dieser zu Lachen. „Er schenkt mir Matsukaze!“, rief er glücklich und drückte den Kopf des Pferdes an sich, bevor er sich auf dessen Rücken schwang und einmal alle umrundete. „Der Wahnsinn hat seines Gleichen gefunden. Dir ist schon klar Kazuma, dass wir jetzt jederzeit versuchen müssen unseren Hauptmann von dummen Ideen abzuhalten. Noch mehr als bisher schon.“, seufzte Benjiro, doch als er zu Keiji sah huschte ein kleines Lächeln über seine Lippen. „Wenn das jemand schafft, dann seid das sicher ihr beide.“, erklärte Kasumi und auch sie betrachtete Keiji und freute sich für ihn. So Glücklich hatte sie ihn noch nie gesehen. Er hatte seinen Seelengefährten zurück. Das Tier, das durch jede Gefahr mit ihm gehen würde und ihn niemals im Stich lassen würde. Es war ein besonders Band, dass sie zusammenhielt und es würde sicher selbst den Tod überwinden.     Noch bevor Isamis Schloss in Sichtweite kam, konnte Kasumi bereits das Dach der fünfstöckigen Pagode zu dessen Füßen ausfindig machen. Diese überragte die Bäume um einiges und bot ein beeindruckendes Bild. Vor allem, da sie dieses Bauwerk zum ersten Mal wirklich betrachten konnte. Als sie das erste Mal hier her gekommen war, war sie von Raidon entführt worden und hatte ganz andere Sorgen als die Umgebung zu bewundern. Als sie dann wieder aufgebrochen waren, war es in aller Eile geschehen und auch dabei hatte sie keine Zeit gehabt, um sich alles genau anzusehen. Aus diesem Grund kostete sie jetzt jeden Moment aus, der ihr auf das Schloss und sämtliche Bauwerke der Stadt geboten wurde. „Die Pagode wurde zu Ehren eines Samurais errichtet, der vor rund 200 Jahren der Herrscher über diese Region gewesen war. Sein Bruder ließ dieses Bauwerk nach dessen Tod errichten um seiner Seele Frieden zu gewähren. Wenn du genau hinsiehst, dann erkennst du, dass jedes der fünf Dächer nach oben hin immer schmaler wird. Das soll an eine Hinoki Zypresse erinnern, die in dieser Gegend häufig vorkommen. Da der Samurai weit weg von seiner Heimat starb wollte sein Bruder, dass er dieses Bauwerk dort erblicken konnte um seinen Weg zurück zu finden!“ Kazumas Erklärungen ließen Kasumi einen Moment stehen bleiben und die Pagode noch intensiver betrachten. Ein Wegweißer um eine Seele nach Hause zu bringen um ihr dort Frieden zu schenken. Durch diesen Gedanke schien das Bauwerk jetzt noch prächtiger zu wirken. „Woher weißt du das alles, Kazuma?“, fragte Kasumi, nachdem sie wieder zu ihm aufgeholt hatte. Ein verlegenes Lächeln huschte über seine Lippen und er fuhr sich kurz über den Kopf. „Der Kleine liest gerne vor jeder Mission etwas über die Gegend in die wir reisen. Damit er vorbereitet ist, sagt er. Aber ich glaube er will einfach nur angeben.“, antwortete Benjiro, bevor Kazuma nur den Mund öffnen konnte. „Du bist doch nur neidisch, weil ich meinen Verstand benutze. Weißt du überhaupt was das ist, du instinktgesteuerter Wolf?“, konterte Kazuma sofort. „Jungs, verschiebt das auf einen anderen Zeitpunkt, wir sind da!“ Benjiro, der unter einem Knurren schon dabei war seine Ärmel hinter zu krempeln, hielt mitten in der Bewegung inne, als Keiji die beiden unterbrach. Auch Kazumas Aufmerksamkeit galt jetzt wieder Keiji, der einige Meter voraus geritten und jetzt stehen geblieben war. Als sie ihn erreichten, eröffnete sich ihnen ebenfalls die volle Sicht auf Isamis Schloss. Diese erwartete sie bereits an der obersten Stufe der Treppe, die zu ihrem Schloss hinauf führte.   „Wie vereinbart haben wir eure Männer befreit und wir überbringen euch noch einen Brief von Mōri Terumoto, dem Anführer des Mōri Clans und Herren über ganz Hagi!“ Keiji verneigte sich tief vor der Herrin des Schlosses als er den Brief von Terumoto überreichte. Dieser hatte ihnen den Brief bei ihrer Abreise mitgegeben. Es war ein Angebot von Frieden und Freundschaft zwischen den beiden Städten. „Ist dieser Junge also endlich Alt genug sein Land zu regieren…“, sprach Isami eher zu sich selbst, während sie den Brief in ihren Händen studierte. Dann wand sie sich wieder Keiji zu: „Meine Männer sind bereits eingetroffen und haben mich über alles informiert. Ich bin euch zu Dank verpflichtet und habe selbstverständlich veranlasst, dass eure Männer frei gelassen werden. Derzeit befinden sie sich im Hof, direkt hinter diesen Mauern. Ich kann sie jedoch nicht gehen lassen!“ Einen Moment herrschte Totenstille, bevor Keiji einen Schritt vor trat. „Was meint ihr damit: Ihr könnt sie nicht gehen lassen? Wir haben einen Handel und wir haben unseren Teil davon erfüllt. Nun seid ihr dran!“, sagte er aufgebracht. Isami musterte Keiji einen Moment, bevor ihr Blick auf Kasumi fiel. „Ich wünsche einen Moment allein mit ihr.“, verlangte sie, ohne auf Keijis Worte einzugehen. „Wofür?“, fragte jetzt Kazuma und trat demonstrativ vor Kasumi um sie zu beschützen falls nötig. Auch Benjiro veränderte leicht seine Position, so, dass er Kasumi im Notfall ebenfalls verteidigen könnte. Doch als Kasumi Isamis Blick begegnete, legte sie Kazuma eine Hand auf den Oberarm. „Lasst mich kurz mit ihr sprechen. Es wird schon nichts geschehen.“, bat sie. „Und dann entführt sie dich, wie beim letzten Mal?! Ich bin dagegen.“, widersprach er heftig. Kasumi konnte die Bedenken nur zu gut verstehen. Doch nach ihrem ersten Gespräch mit Isami hatte sie so viel Vertrauen in sie, dass sie jetzt keine Angst hatte. Ihr würde schon nichts gesehen. Doch sie hatte eine Idee, wie alle zufrieden sein könnten, weshalb sie erneut Isamis Blick suchte, als sie erwiderte: „Wir werden in Sichtweite bleiben. In Ordnung?“ Die Blicke der Jungs wanderten zu Isami, die verständnisvoll ihren Kopf neigte. Sie würde sich darauf einlassen. Daraufhin sahen Kazuma und Benjiro zu Keiji hinüber, bis dieser ebenfalls nickte. Dennoch brauchte Kazuma einen weiteren Moment, bevor er resigniert seufzte und auch Benjiro sich wieder entspannte. „Sollte ihr etwas passieren, dann werdet ihr euch wünschen, ihr wärt uns nie begegnet!“, zischte Kazuma jedoch, bevor Isami mit Kasumi fortgehen konnte. Nach einem letzten abschätzigen Blick in Kazumas Richtung, begann die Frauen an der großen Außenmauer entlang zu schreiten. „Sie beschützen dich noch stärker als vor eurer kleinen Reise. Ich hatte nicht erwartet, dass das möglich wäre.“, begann Isami nach einigen Minuten wie beiläufig. „Sie sind nur besorgt. Um ihre Männer und um mich. So wie ich ebenfalls besorgt bin.“, gab Kasumi zu. Isami musterte sie einen Moment, bevor sie am Ende der Mauer stehen blieb. Dort, wo die Mauer nach rechts abbog und sich träge den Fuß des Berges hinauf wandte. Von hier aus bot sich ein guter Blick über die wachsende Stadt zu ihren Füßen. „Man sagt, dass Yamaguchi nach dem Vorbild von Kyōto erbaut wurde. Leider habe ich es bisher nicht geschafft die Hauptstadt zu bereisen und werde es wohl auch nie tun… Männer wie der Daimyō werden mich mein Leben lang davon abhalten. Er und die, die ihm unterstehen, werden immer versuchen den Yōkai das Leben schwer zu machen. Sag mir also, wie sehr kann ich auf das Wort eines ihm untergebenen Hauptmannes vertrauen? Ich muss davon ausgehen, dass er mein Geheimnis sofort am Hof preisgeben wird... Das ist es, was mich besorgt.“ Isami sprach ruhig und ohne ein Anzeichen dafür wie ernst und wichtig ihr dieses Thema war. Sie fürchtete um das Leben ihrer Männer, um ihr eigenes und um das ganze Vermächtnis ihres Mannes. Kasumi hätte an ihrer Stelle wahrscheinlich ähnlich gehandelt und unwillkürlich legte sie eine Hand auf ihren vorgewölbten Leib. „Ihr vergesst mit wem ihr hier sprecht, Isami. Wie ihr, bin ich die Frau eines großartigen Yōkais und alle meine Brüder haben ebenfalls Kontakt zu solchen. Benjiro ist sogar selbst ein Ōkami-Yōkai. Wie glaubt ihr wohl, konnte er das vor dem Daimyō geheim halten? Nur mit Keiji und Kazumas Hilfe. Ich kenne niemanden, der sich so für die Yōkai einsetzt und ein Geheimnis besser bewahren kann wie meine Brüder. Ihr könnt ihnen also vertrauen und natürlich hat er auch all seine Männer anhand dieser Eigenschaften ausgewählt. Euer Geheimnis wird also sicher sein!“ Während sie sprach, fragte sich Kasumi zum ersten Mal, wie es wohl werden würde, wenn sie mit ihren Brüdern zurück zur Hauptstadt gehen würde. Sie hatte sich noch nie vorgestellt wie schwierig es für sie war, all diese Geheimnisse wirklich geheim zu halten. Mit Sicherheit hatten sie kein leichtes Leben unter dem Daimyō. Da konnte jedes weitere Geheimnis nur zu noch mehr Ärger führen. Also musste sie sich eine glaubhafte Geschichte überlegen um ihnen nicht noch mehr Problem zu bereiten. „Ich werde es euch anvertrauen. Dieses Geheimnis. Versprecht mir es genauso zu hüten, wie ich eures hüten werde!“ Isamis Worte brachten Kasumis Gedanken ins Hier und Jetzt zurück und sie betrachtete die Herrin dieses prächtigen Schlosses einen Moment. Wenn sie sich nur erinnern könnte, dann wäre sie sicher eine ähnliche Erscheinung wie Isami in diesem Augenblick. So wie sie auf ihre Stadt hinunter sah, ihre Heimstätte im Rücken. Zwischen ihrem Privaten Rückzugsort und der Verantwortung für unzählige Leben. Das Haupt mit Stolz erhoben und dennoch dieser kaum erkennbare Bogen in ihrem Rücken, der von all der Verantwortung kam, der auf ihren Schultern lastete. Ganz allein war das sicher keine leichte Aufgabe, weshalb Kasumi die unterschwellige Drohung in ihren Worten erkannte und auf sich beruhen ließ. „Ich verspreche dieses Geheimnis zu bewahren und dafür zu sorgen, dass es unter uns bleibt.“, versicherte Kasumi deshalb entschlossen. Es würde auch nichts bringen zu lügen oder das Versprechen zu brechen. So viele Leben hingen davon ab. Nicht zuletzt das von ihren Brüdern und ihnen beiden selbst. „Sehr schön. Dann lass mich im Gegenzug ebenfalls etwas versprechen. Als ihr hier aufgebrochen seid, habe ich dir etwas eröffnet, was ich hiermit ernsthaft versprechen will: Solltest du gegen die Kokuryū in den Kampf ziehen, dann lass es mich wissen und ich werde dir alles zur Seite stellen, was mir zur Verfügung steht. Mein Bogen wird dann der deine sein!“ Isamis Schwur überraschte Kasumi. Das war das Letzte, womit sie gerechnet hatte. Natürlich hatte sie damals ihre Zusicherung erhalten, einen Schwur hatte sie jedoch nicht erwartet. Sie hatte schon damals auf Isamis Wort vertraut, doch diese Aussage jetzt, band sie an das, was sie gesagt hatte. Ja, sie würde gegen diejenigen vorgehen, die ihr Heim und ihre Familie angegriffen hatten. Sie würde es auch ganz allein mit ihnen aufnehmen, doch sie freute sich über jede Unterstützung die sie bekommen konnte. Aus diesem Grund verneigte sie sich tief vor Isami. „Das war nicht nötig, aber ich danke dir. Ich werde es dich wissen lassen, wenn es so weit ist, denn ich lasse diese Männer auf keinen Fall davon kommen.“, entgegnete Kasumi ernst, woraufhin Isami ihr ein Lächeln schenkte. „Irgendwann in der Zukunft werden wir wieder besseren Zeiten entgegen sehen. Bis dahin solltest du mit deinen Brüdern aufbrechen.“, sagte sie und wand sich wieder Richtung Haupttor. Kasumi folgte ihr zurück zu ihren Brüdern. Diese hatten von ihrem Standpunkt aus versucht etwas von ihrer Unterhaltung zu hören oder zumindest zu sehen, was zwischen ihnen vor sich ging. Als sie jetzt immer näher kamen, taten alle so als wären sie damit beschäftigt die Umgebung im Blick zu behalten. Doch sobald Kasumi in Reichweite kam, trat Kazuma neben sie und schlang seine Arme um einen von ihr. So, dass er sie nah bei sich behalten konnte um sich davon zu überzeugen, dass ihr nichts geschehen war. „Ihr könnt eure Männer zurück haben, Hauptmann. Nehmt sie und verlasst friedlich mein Reich, dann droht euch keine Gefahr.“, erklärte Isami, als sie vor Keiji zum stehen kam. Dieser ließ seinen Blick kurz wischen Isami und Kasumi hin und her wandern, bevor er sich vor erster verneigte. „Wir werden euch nicht weiter belästigen.“, versprach er, woraufhin sich, nach einem Zeichen von Isami, das große Haupttor öffnete und all seine Männer das Schloss verlassen konnten. Kapitel 13: Ankunft in der Hauptstadt ------------------------------------- >>Irgendetwas war anders. Er konnte es nicht genau definieren, vor allem, da es nichts Greifbares war. Alles um ihn herum war wie immer. Die zu nahen Wände, die engen Ketten, die eingeschüchterten Wachen. Nichts davon hatte sich verändert. Es war eher vergleichbar mit einer Veränderung in der Luft. So als würde eine kühle Brise durch die heißen Temperaturen hier drin schneiden. Oder als wäre in tiefster Dunkelheit eine einzelne Kerze entzündet worden. Und zum ersten Mal seit Wochen, erzeugte diese Veränderung einen klaren Gedanken in seinem Kopf…«       Die ersten Kirschblüten hatten sich bereits geöffnet, als sie endlich die Hauptstadt erreichten. Im Vergleich zu den Dörfern und Städten, die sie in den letzten Wochen gesehen hatten, war Heian-kyō gigantisch. Mit all den Häusern und unzähligen Tempeln, konnte man selbst von einem Turm im Zentrum der Stadt nicht dessen Außengrenzen erahnen. An der Hauptstadt floss der Fluss Kamo vorbei. Oder besser gesagt, die Stadt schmiegte sich an diesen, als wären beide unzertrennlich miteinander verwoben. Eine Einheit, die gemeinsam entstanden sein musste. Händler fuhren mit ihren Schiffen auf dem Fluss auf und ab und einige Häuser waren so weit über den Fluss gebaut, dass deren Bewohner über Seilzüge ihre gekauften Waren direkt von einem Boot in ihr Haus ziehen konnten. Doch auch auf den Brücken, die über den Fluss führten, boten Händler ihre Waren an. So viele verschiedene Dinge, dass Kasumi gar nicht mehr aus dem Staunen heraus kam. Die Stadt pulsierte in einem anderen Rhythmus als alles, was sie jemals gesehen hatte und mit diesem Hauch von Frühling in der Luft, schien das Leben nur noch kräftiger durch die Straßen zu vibrieren. Angetrieben vom Palst des Tennō, der im Herzen der Stadt wie auf einer Wolke zu schweben schien. Jedes einzelne Bauwerk, jede noch so exotische Ware auf dem Markt und jeder Mensch in den Straßen, machten Kasumi bewusst, warum Yōkai nicht mehr gern gesehen waren. Gut, das waren sie noch nie, doch mittlerweile war die Jagd auf sie fast schon zu einem Volkssport geworden. Die Menschen, die all das hier erschaffen hatten, wollten einfach nicht, dass diese prächtige Stadt wieder zerstört wurde. Sie wollten die Kontrolle über ihre Umgebung und alles, was sich darin befand. Also würden sie alles vernichten, was sie nicht kontrollieren konnten. Ein kalter Schauer lief Kasumi, bei diesem Gedanken, über den Rücken. Dass sich auch Yōkai ein Leben aufgebaut hatten, daran hatte sicher noch nie jemand gedacht. Ein Leben, wie Kasumi einmal eins gehabt hatte. Bis ihr das passiert war, was jeder einzelne hier fürchtete. Es war ihr genommen worden und dabei hatten die Zerstörungswut und der Hass der Menschen keine Grenzen gekannt. Aus diesem Grund hätte sie selbst wütend auf die Menschen sein müssen, doch sie konnte sie einfach nicht hassen. Denn in diesem Moment wurde ihr auch klar, dass jeder nur versuchte zu leben, wie es ihm beigebracht worden war. Wenn sie in solch einer Stadt, bei einer normalen Familie aufgewachsen wäre, dann wäre sie heute vielleicht genau wie all die Menschen hier. Sie würde ihr Leben genießen und um jeden Preis versuchen es gegen die Yōkai zu verteidigen. Doch in diesem Moment spürte sie, wie ihr Kind zu treten begann. Irritiert sah sie auf ihren wohlgeformten Leib und legte eine Hand an die Stelle, die ihr Kind getreten hatte. Ein Lächeln auf den Lippen. Es hatte Recht. Egal wie sie aufgewachsen wäre, egal welches Leben sie gelebt hätte. Irgendwie wäre sie hier an diesen Punkt gekommen. Immer. Denn sie war sich sicher, dass sie ihrem Mann niemals widerstehen könnte. Ob sie die Yōkai nun hasste oder nicht. Seinem Zauber wäre sie nicht entkommen. Und wenn doch, dann wäre er sicher ihrem verfallen. „Kasumi? Was machst du denn? Wir sind endlich da!“ Kazumas Stimme ließ Kasumi auf sehen. Die Jungs waren ein Stück voraus gegangen, warteten jetzt allerdings darauf, dass sie zu ihnen aufschloss. Als sie ihre Brüder jetzt so ansah, musste sie Lächeln. Im Gedränge der vielen Menschen stachen sie extrem heraus und das ohne, dass es ihnen im Geringsten bewusst war. Keiji, der mit seinen langen, offenen Haaren und seinen klaren, eisblauen Augen einfach nur eine Augenweide war. So scheinbar unerreichbar und doch machte ihn sein kleiner Tick, immer eine Haarsträhne hinter sein Ohr zu schieben, liebenswert menschlich. Kazuma, dessen honigblondes Haar und smaragdgrünen Augen über alles hinweg strahlten und der kaum eine Sekunde stillstehen konnte. Wie ein kleiner Junge, im Körper eines Mannes. Immer fröhlich und optimistisch, konnte kaum etwas seine Einstellung trüben. Und Benjiro, der weiße Krieger, der jederzeit eins seiner kastanienbraunen Augen auf seinen Gefährten hatte. Immer wachsam, auch was seine Umgebung betraf, entging ihm einfach nichts. Dabei konnte ein Lächeln auf seinen Lippen jedes noch so kalte Herz zum schmelzen bringen. Alle Drei überschattet von der mächtigen Gestalt Matsukazes, der Aufmerksam die Umgebung beobachtete und sich doch niemals zu weit von seinem neuen Herren entfernte. Während die Frauen eher den Jungs hinterher sahen, wurde Matsukaze wegen seinen prächtigen Körperbaus und seiner nebelweißen Farbe eher von den Männern gemustert, die in ihm sicher eine große Geldquelle sahen. Doch niemand wagte es auch nur in die Nähe dieser vier zu geraten. In den letzten Wochen hatte Kasumi sie alle auf so intensive Weise kennen gelernt, dass es sich anfühlte, als wären sie schon Jahre zusammen unterwegs. Sie vertrauten sich, ohne Geheimnisse voreinander zu haben. Sie waren eine Familie geworden und wenn Kasumi sich wieder erinnern würde, wenn sie ihren Mann gefunden hatte, dann würde sie diese Drei weiterhin in ihrem Leben wissen wollen. Dieser Gedanken ließ ihr Lächeln noch breiter werden und so trat sie zu ihren Brüdern und ließ Kazuma einen Arm um ihren schlingen. Jetzt endlich würde sie ihr Zuhause sehen. Als sie die Hauptstadt erreicht hatten, hatte Keiji seinen Männern frei gegeben, bis er zu seiner nächsten Mission aufbrechen würde. Aus diesem Grund waren alle zu ihren Familien und ihrem Zuhause zurückgekehrt. Genau das, was sie hier auch taten. Keiji besaß ein großzügig gestaltetes Haus direkt am Fluss, welches er zusammen mit Benjiro und Kazuma bewohnte. Von hier aus lag der Kaiserpalast keine viertel Stunde zu Fuß entfernt. Der Ort, an dem sich sein Daimyō und sein direkter Vorgesetzter befanden und an dem er seinen Bericht erstatten musste. Doch bevor er das tun würde, wollte er Matsukaze in dem kleinen Stall unterbringen, der zu seinem Haus gehörte und Kasumi alles zeigen. Nach der Eingangstür und dem Genkan öffnet sich das Haus zuerst in einen großen, langgezogenen Raum. In diesem Gäste empfangen, gegessen oder gemeinsam Zeit verbracht werden konnte. Von diesem Gemeinschaftsraum gingen zwei weitere Zimmer sowie die Küche ab. Eins der Zimmer gehörte Keiji allein. Hier arbeitete und schlief er. Das andere Zimmer teilten sich Benjiro und Kazuma. Die beiden Zimmer waren jedoch mit einer weiteren Tür verbunden. Durch jeden der drei hinteren Räume gelange man durch eine weitere Tür in einen geräumigen Hinterhof. Hier befand sich, hinter einer Trennwand, eine Art Badezimmer. Ansonsten gab es nur noch eine Hintertür, die über eine Treppe auf einen Steg direkt am Fluss führte. Dort war es Schiffen möglich anzulegen und Kasumi war sich sicher, dass Keiji darüber alle Gäste empfing, die das Haus nicht durch die Vordertür betreten konnten. Für einen reinen Männerhaushalt war das Haus im Großen und Ganzen sehr ordentlich. Dennoch schafften es die Jungs, das totale Chaos zu erzeugen, als sie es betraten. Während Keiji sofort in sein Zimmer stürmte um dort seine Sachen zusammen zu packen, riss Benjiro die Zwischentür auf und warf Kazuma und seine Sachen einfach hindurch in Keijis Zimmer. Kazuma selbst drängte Kasumi dazu sich zu setzen und verschwand anschließend in der Küche, nur um, Minuten später, mit etwas Tee zurück zu kommen. „W- was genau geht hier vor?“, fragte Kasumi irritiert. „Wonach sieht es denn aus? Wir richten dein Zimmer her.“, antwortete Kazuma freudestrahlend, während er sich neben Kasumi setzte und Tee in zwei Tassen goss. „Aber das ist doch nicht nötig! Mir würde auch irgendwo eine Ecke ausreichen. Immerhin waren wir jetzt so lange zusammen in diesen Zelten unterwegs, da weiß ich doch gar nicht, was ich mit einem ganzen Zimmer für mich alleine anfangen soll.“, wiedersprach Kasumi heftig, doch die Jungs ließen sich nicht beirren. Keiji, der gerade die Tür zum Hinterhof öffnete, hielt inne und sah zu Kasumi. „Du bist jetzt in der Hauptstadt und lebst in einem Drei-Männer-Haushalt. Ich will nicht, dass du bei den Nachbarn gleich einen unangebrachten Ruf bekommst. Außerdem kann ich es nicht verantworten, wenn dich Benjiro mit seinem Schnarchen die ganze Nacht wach hält.“, erklärte er mit einem breiten Grinsen, nur um Sekunden später einer Sake Schale auszuweichen. „Wer schnarcht hier?“, fragte Benjiro rauflustig und wog bereits die nächste Sake Schale in seiner Hand. „Wenn, dann muss sie vor dir beschützt werden! Wenn man dich nicht festbindet wälzt du dich doch immer quer durch den Raum.“, fügte er mit einem warnenden Knurren hinzu. Natürlich würde Keiji, diesen Angriff auf sich, nicht unbeantwortet lassen, weshalb er sofort begann einen Tonkrug abzuschätzen, um herauszufinden, wie er diesen am besten an sein Ziel befördern konnte. Doch bevor die zwei noch sämtliche Einrichtung nacheinander warfen, ging Kasumi dazwischen. „In Ordnung. Ich bin mir zwar sicher, dass es wunderbar so funktioniert hätte, doch ich nehme das Zimmer. Unter der Bedingung, dass ihr nichts weiter nach euch werft.“, erklärte sie und versuchte ein Kichern zu unterdrücken. Auch wenn sie alle großartige Krieger und hochangesehene Bürger dieser Stadt waren, benahmen sie sich doch viel zu oft wie kleine Kinder. Was Kasumi immer ungemein amüsierte. Auf frischer Tat ertappt, stellte Keiji den Krug zurück und griff sich stattdessen einen Besen, um den frei gewordenen Raum einmal gründlich zu fegen. Erst nachdem Keiji mit Kasumis neuem Zimmer zufrieden war, setzte er sich zusammen mit Benjiro an den Tisch um ebenfalls eine Tasse Tee zu trinken. „Wir sollten heute noch zum Palast um unseren Bericht abzugeben. Vielleicht können wir dann auch ein paar Tage frei nehmen.“, schlug er vor, nachdem er seinen Tasse geleert hatte. „Gute Idee, dann können wir Kasumi in den Norden begleiten. Vielleicht finden wir dort jemanden, der sie kennt.“, stimmte Kazuma sofort zu. „Es könnte auf jeden Fall nicht schaden.“, sagte Benjiro mit einem bedächtigen Nicken. Bei diesen Worten begann Kasumis Herz schneller zu schlagen. So lange hatte sie ihre Brüder auf ihrer Mission unterstütz, dass sie gar nicht mehr daran gedacht hatte, in den Norden zu reisen. Natürlich wollte sie ihre Erinnerungen und vor allem ihren Mann wieder finden, doch sie hatte nicht damit gerechnet, dass es jetzt so schnell gehen könnte. Vielleicht würde sie ihm in ein paar Tagen wieder gegenüber stehen und alles würde sich in Wohlgefallen auflösen. Obwohl ihr der Abschied von ihren Brüdern schwer fallen würde. „Ist alles in Ordnung, Imōto-san?“ Keijis besorgte Stimme, ließ Kasumi blinzeln und ihn mit einem kleinen Lächeln ansehen. Dabei spürte sie nur zu deutlich die Tränen, die versuchten sich einen Weg aus ihr heraus zu bahnen. „Ja, alles in Ordnung. Ich dachte nur gerade daran, dass ich euch möglicherweise bald verlassen muss… Das stimmt mich irgendwie traurig.“ Noch während sie sprach, legte Kazuma einen Arm um Kasumis Schultern und zog sie an sich. „Oh, Imōto-chan! Wir werden dich auf keinen Fall verlassen, dessen kannst du dir sicher sein.“ „Kazuma hat Recht. Auch wenn wir uns nicht mehr so oft sehen werden, werden wir doch an deiner Seite sein und dir zu Hilfe eilen, solltest du uns brauchen.“ Es waren Benjiros Worte, die Kasumi schließlich doch die Tränen in die Augen trieben. Mit dem Saum ihres Ärmels wischte sie diese weg und schenkte ihren Brüdern ein Lächeln. „Ich danke euch. Ich wüsste nicht, was ich ohne euch getan hätte!“ Plötzlich schlug Keiji beide Hände auf den Tisch, so dass sämtliches Geschirr klirrte, und sprang auf. „Genug jetzt von diesen Sentimentalitäten. Noch ist nicht die Zeit für Verabschiedungen. Jetzt sollten wir erst einmal zum Palast gehen!“, rief er und schritt entschlossen zur Tür. Als er dort für einen Moment stehen blieb um seine Schuhe anzuziehen, glaubt Kasumi etwas in seinem Augenwinkel glitzern zu sehen, was ein kleines Lächeln auf ihre Lippen zauberte. Auch wenn Keiji es nicht sagte, doch der drohende Abschied ging ihm genau so nahe wie seinen Brüdern. Vielleicht sogar noch ein Stück näher.     Kurz darauf betraten die Vier den Kaiserpalast durch eine kleine Seitenpforte. Nachdem die dortige Wache Kasumi mit einem scharfen Blick gemustert hatte, war sie schließlich als Begleitung von Keiji akzeptiert und eingelassen worden. „Die Wachen hier sind sehr streng und dulden es nicht, wenn etwas außerhalb der Norm passiert. Versuche also nicht wieder so viel Unruhe zu stiften.“, warnte Keiji Kasumi, woraufhin sie ihm einen amüsierten Blick zuwarf. „Willst du damit etwa sagen, dass du bei Terumoto und Isami keinen Spaß hattest?“ Keiji begegnete ihrem Blick und seufzte kurz. „Doch… Aber hier könnte es dich deinen Kopf kosten…“ Und unsere. Das war es, was Keiji nicht aussprach, aber was Kasumi mehr als bewusst war. Sollte sie hier wegen irgendetwas aufgegriffen oder sogar zum Tod verurteilt werden, dann würden ihre Brüder das nicht schweigend akzeptieren und bei einer kopflosen Aktion wahrscheinlich ebenfalls zum Tod verurteilt werden. Dieser Gedanke beunruhige Kasumi, doch er machte sie auch irgendwie glücklich. Sie wollte zwar nicht, dass ihre Brüder starben, doch das sie es für sie tun würden, erfüllte sie mit Stolz. Deshalb schlang sie einen Arm um Keijis und schmiegte sich für einen Moment an ihn. „Keine Sorge, ich versuche mich zu beherrschen.“, versprach sie daher. Während sie auf dem Weg zu einem der Nebengebäude waren, in dem die militärischen Oberhäupter des Landes ihre Sitzungen abhielten, bestaunte Kasumi die schiere Größe der Anlage. Unzählige Gärten und Gebäude wechselten sich ab und grenzten aneinander. Tempel, Wohnhäuser, große Hallen für Theater und viele weitere. Und sie hatte angenommen, Terumotos Anwesen war verwirrend gewesen. Obwohl hier alles sehr akkurat angelegt war, sorgte die schiere Größe für kaum Überblick. Aus diesem Grund versuchte Kasumi auch, obwohl sie sich alles ganz genau ansah, nicht zu weit hinter ihren Brüdern zurück zu fallen. Immerhin wollte sie nicht, dass sie sie auch noch suchen mussten, weil sie sich verlaufen hatte. Aber für den unwahrscheinlichen Fall, liefen hier auch genügend Adlige und Bedienstete über das Gelände. Sollte sie wirklich Hilfe brauchen, konnte sie sicher auch jemanden von ihnen nach dem Weg fragen. „Wir sind da, Kasumi. Könntest du bitte hier warten? Frauen ist der Zugang zu diesem Gebäude leider strengstens untersagt.“, erklärte Keiji, als er vor einem langen, zweistöckigen Haus zum Stehen kam. Einen Moment musterte Kasumi das Schild, das neben der Eingangstür angebracht war. Auf dieser rot lackierten Tafel, stand in goldenen Lettern: ‘Sicherheits- und militärische Angelegenheiten‘. Und obwohl es ein sonniger Frühlingstag war, lief es Kasumi eiskalt den Rücken herunter, als sie das las. Wenn allein der äußere Eindruck dieses Hauses eine solche Wirkung auf sie hatte, war sie wirklich froh, dass sie dieses Gebäude nicht betreten musste. „Kein Problem. Ich werde natürlich hier warten, bis ihr zurück seid.“, erklärte Kasumi und schenkte ihren Brüder noch ein letztes Lächeln, bevor sie alle das Gebäude betraten.     Keiji schritt voran. Den langen Flur entlang, bis fast ans andere Ende des Gebäudes. Der letzte Raum dort gehörte ihrem Daimyō selbst, doch Keiji musste seine Berichte an seinen direkten Vorgesetzten abgeben. Seinen General und Onkel, Maeda Toshiie. Vor dessen Tür hielt er kurz inne und atmete noch einmal tief durch, bevor er klopfte. Die Antwort ließ einen Moment zu lange auf sich warten, doch dann kam ein knappes Herein aus dem Raum hinter der Tür. Entschlossen schob Keiji die Tür auf und betrat mit seinen Brüdern direkt hinter sich, das Büro seines Onkels. Es war pragmatisch eingerichtet. Ein großer Schreibtisch, auf dem nur die nötigsten Unterlagen ausgebreitet waren, diverse Schränke und Truhen an der hinteren Wand und an den seitlichen Wänden unzählige Karten von allen möglichen Gegenden des Landes. Sein Onkel saß am Schreibtisch und schrieb gerade etwas auf. Er hob nicht seinen Blick, als die Drei eintraten und reagierte auch  nicht auf sie, als sie die Tür hinter sich schlossen und sich tief verneigten. So verharrten sie, fast zehn Minuten. Eine Machtdemonstration, wie nicht anders zu erwarten von seinem Onkel. Denn Keiji und seine Brüder durften weder sprechen, noch sich erheben, bevor ihr Vorgesetzter nicht zuerst gesprochen hatte. Schließlich legte er doch den Pinsel zur Seite und musterte die drei mit einem abschätzigen Blick. „Wie ich hörte, wurde die erhoffte Yōkai Armee weder gefunden noch ausgemerzt. Tatsächlich hat es überhaupt keinen Kampf gegeben. Ich habe also ganz umsonst fast einhundert Mann in den Westen geschickt.“, zischte der General. Äußerlich ließ sich Keiji zwar nichts anmerken, als er sich langsam wieder aus seiner Verbeugung erhob, doch innerlich zuckte er zusammen. Wie so oft, hatte sein Onkel tatsächlich einen Spion auf sie angesetzt und dieser war natürlich vor ihnen hier gewesen. „Taishō Maeda, wir sind wie befohlen nach Yamaguchi aufgebrochen, fanden allerdings nichts weiter als eine Streitigkeit zwischen der Herrin dort und dem Verwalter von Hagi. Diese Angelegenheit konnten wir jedoch klären-“ „Am Stadtverwalter von Hagi gab es keinen Zweifel. Viel eher war diese Hexe von Yamaguchi das Problem!“, unterbracht ihn der General scharf. „Aber du, Keiji, glaubtest wieder alles besser zu wissen! Irgendwann werde ich persönlich dafür sorgen, dass dir das das Genick brechen wird!“ Mit zusammengebissenen Zähnen neigte Keiji kurz den Kopf, zog dann seinen Bericht aus einer Tasche und legte ihn auf den Schreibtisch seines Onkels. Benjiro und Kazuma folgte stumm seinem Beispiel. „So wird es wohl kommen… Onkel. Doch bis es so weit ist, würde ich gerne ein paar Tage Urlaub für Kazuma, Benjiro und mich beantragen.“, sagte Keiji fest entschlossen sich nicht von seinem Ziel abbringen zu lassen. Toshiie Maeda musterte einen unendlich langen Moment seinen Neffen. Bis er sich schließlich mit einem Lächeln zurücklehnte. „Dein Antrag wird abgelehnt. Ich habe bereits die nächste Aufgabe für dich vorgesehen. Morgen Früh wirst du dich als Erster zum Dienst im nördlichen Außenposten der Stadt melden. Deine kleinen Freunde, dürfen dich gerne dorthin begleiten... Genauso, wie diese Frau.“ Die letzten beiden Sätze, spie der General aus, als wäre es etwas Ungenießbares in seinem Mund. Doch selbst das wischte das hinterlistige Grinsen nicht aus seinem Gesicht, während er mit Freuden dabei zusah, wie Keiji innerlich vor Wut kochte. „Verstanden!“, war die einzige Antwort, die er jetzt noch für seinen Onkel übrig hatte. Eigentlich hatte er seinen Urlaubswunsch härter verteidigen wollen. Sich mehr dafür einsetzten wollen. Doch als sein Onkel Kasumi erwähnte… Das hatte ihn aus seiner Bahn geworfen. Natürlich war nichts anderes von den Spionen seines Onkels zu erwarten. Bisher hatte er sich auch noch nie viel daraus gemacht, was sie diesem berichteten, doch wenn er irgendetwas mit Kasumi vor hatte, dann würde er seinen Onkel vernichten. „Ausgezeichnet. Dann dürft ihr jetzt gehen.“, kam sofort die Antwort und Keiji konnte hören, wie zufrieden sein Onkel mit sich selbst war. Erst als sie das Gebäude verlassen hatten, holte Keiji mit der Faust aus und rammte sie mit voller Wucht in Benjiros dargebotene Handfläche. Dieser kannte die ganze Prozedur schon und war der Einzige, der Keijis Schlag ohne Schaden aushalten konnte. Weshalb er nach jeder Besprechung mit Keijis Onkel bereit stand um seiner Wut Luft zu verschaffen. „Dieser Bastard!“, rief Keiji, bevor er seine Faust langsam öffnete und die Finger ausschüttelte. „Irgendwann werde ich ihn von diesem Stuhl zerren und der Welt zeigen, was für ein widerwärtiger, unbedeutender Mensch er doch ist!“ „Wenn es so weit ist, wird es mir ein Vergnügen sein, dir behilflich zu sein.“, entgegnete Benjiro sofort. „Auf mich kannst du dich auch verlassen, Bruder.“, sagte Kazuma und legte Keiji eine Hand auf die Schulter. Dieser brauchte einen Moment, bis er sich wieder beruhigt hatte. Egal wie sehr sein Onkel versuchte ihn klein zu halten, Keiji würde niemals aufgeben. Er würde stärker werden, eine noch höhere Position erreichen und vielleicht einmal frei von seinem Onkel sein. Und dann, würde er seinen Onkel in den Dreck stoßen, so wie er es verdient hatte. Er würde dafür sorgen, dass er am Ende ganz allein wäre und es niemanden kümmern würde, was mit ihm geschah. Tief durchatmend sah sich Keiji um, bevor er seine Brüder wieder ansah. „Wo steckt eigentlich Kasumi?“ Kapitel 14: Begegnungen unterm Kirschbaum ----------------------------------------- >>Er konnte nicht genau sagen, wie viel Zeit vergangen war. Stunden. Tage. Wochen. Alles war zu einem einzigen verschwommenen Klumpen geworden. Doch dieser eine Gedanke hatte ihn nicht mehr los gelassen. Freiheit! Er musste hier entkommen und alle vernichten, die sich in seinen Weg stellten. Für diesen Plan hatte er sie beobachtet. Seine Wachen. Ihre Gewohnheiten, ihre Abläufe und die wenigen Momente, in denen sie am unachtsamsten waren. Viel fehlte nicht mehr…«     Eigentlich hatte Kasumi vor dem Militärgebäude warten wollen, doch dann hatte sie den Ruf eines Tiers gehört und hatte sich neugierig nach diesem umgesehen. Jetzt saß sie auf einer Steinbank, in einem der unzähligen Gärten und beobachtete, wie sich das Sonnenlicht im Gefieder eines männlichen Pfaus brach. Wie Edelsteine schimmerten die Federn in allen möglichen Tönen von Grün und Blau. Es hatte etwas Beruhigendes an sich, wodurch Kasumi für einen Moment nichts als reinen Frieden empfand. All die sonst so wild durcheinander wirbelnden Gedanken kamen zur Ruhe und für den Augenblick, konnte sie einfach an nichts denken und die Stille genießen. Langsam wanderte ihre Hand auf ihren gewölbten Leib, wo sie unbewusst über eine Stelle streichelte, an der sich das Köpfchen ihres Kindes befand. Das war es, was sie sich für ihr Kind wünschte. Frieden. Eine Welt, in der es ohne Sorgen und Ängste aufwachsen konnte. In der niemand Jagd auf es machen würde und es einfach sein konnte, was es wollte. Das wünschte sie sich für alle. Niemand sollte mehr diesen Hass und diese Kämpfe erleben müssen. Denn all das Leid war einfach unerträglich für Kasumi. Was auch immer sie vor ihrem Gedächtnisverlust getan hatte, ab jetzt würde sie alles dafür tun, dass diese Welt ein friedlicherer Ort wurde. Ein Ort, ohne Vorurteile und Verfolgung. „Sie beruhigen ungemein, findet Ihr nicht?“ Diese sanft gesprochenen Worte rissen Kasumi aus ihren Gedanken und ließen sie auf sehen. Einige Meter entfernt stand ein Mann in schlichter und doch edler Kleidung, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, den Blick auf den Pfau gerichtet. Sein langes Haar war bereits ergraut, doch seine hellgrünen Augen erstrahlten wach und aufmerksam. Kasumi fiel es schwer, ihn vom Alter her einzuschätzen, aber sie schätzte ihn auf etwas um die fünfzig herum. Seine Haltung war gerade und, soweit sie das erkennen konnte, waren seine Hände nicht von harter körperlicher Arbeit verschlissen. Er musste ein Diener am Hof sein, doch er war sicher in einer höheren Position tätig. Ein Kammerdiener oder ein Schreiber vielleicht. „Das empfinde ich genauso… Doch sie tun mir auch Leid.“, entgegnete Kasumi nach einem Augenblick. „Weil sie wegen ihrer Schönheit hier eingesperrt werden?“ „Nein. Weil sie für Eitel, gar Arrogant gehalten werden. Als wüssten sie, dass sie die prächtigsten Tiere der Welt wären. Dabei weiß der Pfau nichts von seiner Schönheit. Er selbst sieht sich als ganz gewöhnlich und gibt jeden Tag sein Bestes, um der Dame seines Herzens aufzufallen. Ein Juwel unter tausenden, ist doch nur wie ein Stein in einem Steingarten. Nichts Außergewöhnliches. Dennoch schlägt er immer wieder sein Rad, bis die Zeit ihn in Staub verwandelt und der Wind ihn davongetragen hat.“ Kasumi ließ ihren Blick zurück zum Pfau wandern, der mit wohlbedachten Schritten zwischen den niedrigen Büschen hindurch schritt und die Federn an seinem Schwanz wie einen Fächer ausbreitete, als er genügend Platz dafür hatte. Als sie den Blick des Mannes auf sich spürte, sah sie wieder zu diesem hinüber und musste sich korrigieren. Er besaß keine hellgrünen Augen. Tatsächlich war es eine Mischung aus hellem Grün und Grau. Ein bisschen erinnerten sie diese Augen an den Morgen, an dem sie Matsukaze gefangen hatten. Wie Nebel, der durch einen Wald wabert, strahlten diese Augen etwas Erhabenes aus. Seinen Blick, als er sie jetzt so musterte, konnte sie nicht deuten. Es könnte Verwunderung sein, so wie sich Kasumi über sich selbst und ihre gesagten Worte wunderte. Sie hatte nicht von sich erwartet, dass sie so philosophisch sein konnte. Sie könnte ihn allerdings mit ihren Worten auch verärgert haben. Vielleicht war er ja für die Pflege der Pfauen zuständig und sie hatte ihn damit Beleidigt, von der Gewöhnlichkeit dieser Tiere gesprochen zu haben. „Ich habe euch hier noch nie zuvor gesehen. Seid Ihr neu am Hof?“, fragte er, trotz all ihrer Überlegungen, eher neutral. Vielleicht hatte sie sich auch einfach nur geirrt und er machte sich nichts weiter aus ihren Worten. Deshalb beschloss sie, ebenfalls nicht mehr darüber nachzudenken und neigte leicht den Kopf. Das hier wäre das erste Mal, dass sie die Geschichte erzählte, die sie mit Ihren Brüdern vereinbart hatte: „Mein Name ist Kasumi und ich bin heute erst in Heian-kyō angekommen. Da mein Mann vermisst wird und ich sonst keine Verwandten mehr habe, bin ich bei meinem Bruder, ich meine meinem Schwager, untergekommen. Er ist der jüngere Bruder meines Mannes und steht im Dienst des Daimyō. Gerade gibt er hier einen Bericht ab und da ich unbedingt den Palast sehen wollte, warte ich hier auf ihn und seine Brüder.“ Auf dem Weg zurück zur Hauptstadt waren sie alle möglichen Erklärungen durchgegangen, warum Kasumi jetzt an der Seite von Keiji und seinen Brüdern war. Wer sie war und wo sie her kam. Sie hatten eine glaubhafte Geschichte gebraucht, damit es hier zu keinerlei Gerüchen kam. Am Ende wurde Kasumi zu Kazumas Schwägerin, deren Mann seit einer Schlacht vermisst wurde. Und da Kazuma nicht aufhören konnte, sie Imōto-chan zu nennen, hatten sie alles so gedreht, dass Kasumi zusammen mit Kazuma aufgewachsen war, weshalb sie wie Geschwister zueinander waren. Das amüsierte Lächeln des Mannes machte Kasumi darauf Aufmerksam, dass sie vor lauter Euphorie vielleicht etwas zu viel erzählt hatte. Weshalb sie den Blick senkte, als sie spürte, wie heiße röte in ihr Gesicht schoss. „Entschuldigung. Wenn ich aufgeregt bin, dann rede ich immer zu viel… Zumindest sagen das immer alle“, gab sie entschuldigend zu und sah mit einem verlegenen Lächeln wieder auf. Die Augen des Mannes weiteten sich für den Bruchteil einer Sekunde, bevor er ihr Lächeln erwiderte. „Es freut mich, eure Bekanntschaft zu machen. Ihr könnt mich Michihito nennen.“, sagte der Mann und neigte leicht den Kopf. Kasumi erwiderte die Geste, bevor sie entgegnete: „Es freut mich ebenfalls!“ Nach dieser Vorstellung sahen sie einige Zeit schweigend dem Pfau zu, bis dieser in einem größeren Gebüsch verschwand. Erst nachdem dieser verschwunden war, streckte sich Michihito und sah wieder zu Kasumi hinüber. „Wenn das hier euer erster Besuch in diesen Gärten ist, dann würde ich euch gerne noch etwas zeigen.“, erklärte er freundlich. Kasumi überlegte kurz, das Angebot abzulehnen. Immerhin wusste sie ja nicht, wie lange Kazuma und die anderen noch brauchen würden. Auf keinen Fall wollte sie, dass ihre Brüder sie hier auch noch suchen mussten. Doch die Neugier ergriff sie, bevor sie wirklich ablehnen konnte. „Gerne! Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich dann noch einmal hier her zurück finde…“, antwortete sie etwas verlegen. Sie würde nicht behaupten, dass sie einen schlechten Orientierungssinn hatte. Normalerweise musste Kasumi nur einmal einen Ort sehen und konnte sich den Weg dorthin merken. Aber hier glich jeder Garten und jedes Gebäude dem anderen. Das erschwerte ihr die Orientierung. Doch sie war sich sicher, wenn sie noch ein paar Mal hier her käme, fände sie sich ausgezeichnet zurecht. Das Lächeln, das nach ihrer Erklärung um die Lippen von Michihito spielte, konnte sie nicht genau deuten. Es war eine Mischung aus Erleichterung, dass sie zugesagt hatte und wahrscheinlich Belustigung. Entweder darüber, dass Kasumi ohne einen Führer hier komplett verloren wäre oder weil sie einfach aussprach was sie dachte. „Keine Sorge, ich bringe euch anschließend wieder hier her zurück.“, versprach er, woraufhin Kasumi mit einem Lächeln aufstand und ihm folgte. Während sie mit ihren Brüdern die Anlage eher südwestlich durchquert hatte, wand sich Michihito jetzt in nördliche Richtung. So konnte Kasumi nach einigen Metern die Hauptgebäude dieser Anlage zu ihrer rechten sehen. Zwar nur entfernt, doch sie konnte sich einigermaßen ein Bild vom Wohnsitz des Kaisers machen. Es waren prächtige Gebäude, die in ihrer Kunstfertigkeit ihres gleichen suchten und einem gar nichts anderes übrig ließen, als sie zu bestaunen. Unwillkürlich musst sich Kasumi jedoch fragen, was den Kaiser, der hier offensichtlich alles hatte, was das Herz begehrte, dazu antrieb die Jagd auf Yōkai zu befehlen. Hier in diesem prächtigen Bau, mit seinem hohen Mauern und weiten Anlagen, gab es sicher keine Angriffe oder dergleichen. War es also das Leid seiner Untergebenen, dass ihn auf die Yōkai Aufmerksam werden ließ oder ehrgeizige Minister, die ihren Stand bedroht sahen? „Worüber denkt ihr nach?“ Michihitos Stimme ließ Kasumi den Blick vom Palast abwenden. „Ich habe mich gerade nur gefragt, ob die kaiserliche Familie diese prächtige Anlage oft verlässt.“ Als Michihito seine Augenbrauen fragend zusammen zog, fügte Kasumi schnell hinzu: „Ich meine, hier gibt es alles und sie müssen sich sicher keinerlei Sorgen um etwas machen. Deshalb frage ich mich, ob es Gründe gibt, weshalb sie den Palast verlassen würden.“ Michihito schien sich diese Frage ernsthaft durch den Kopf gehen zu lassen, denn er brauchte einen Moment, bevor er antwortete. „Ihr habt Recht. Es gibt keine Gründe, weshalb diese Anlage verlassen werden müsste. Einmal im Jahr, an seinem Geburtstag, zieht der Kaiser durch Heian-kyō um sein Volk in der Stadt zu sehen. Aber ansonsten verlässt er dieses Gelände, soweit ich weiß, nicht.“ Kasumi sah noch einmal zum Palast hinüber, bevor sie ihren Blick endgültig davon abwand. „Das ist schade. Auch wenn es hier wunderschöne Dinge gibt, die Welt hinter diesen Mauern ist um noch so vieles Schöner. Ich glaube nicht, dass ich hier mein ganzes Leben lang eingesperrt leben könnte.“ Michihitos prüfender Blick lag nach diesen Worten lange auf Kasumi, bevor er entgegnete: „Ich glaube nicht, dass sich hier jemand eingesperrt fühlt. Vermutlich vermisst hier auch niemand etwas. Aber eure Worte erinnern mich daran, dass ich auch viel zu selten auf der anderen Seite der Mauern unterwegs bin…“ Kasumi sah zu Michihito als er nicht weiter sprach, doch sein Blick war in die Kronen der Bäume gerichtet. Sicher erinnerte er sich an etwas, dass schon viel zu lange her war um wirklich wahr zu sein. Dennoch hatten seine Worte so geklungen, als wollte er noch mehr sagen. Aber Kasumi konnte warten, bis er bereit war die Worte auszusprechen. Daraufhin liefen sie eine Zeit lang schweigend nebeneinander her. Bis Kasumi auffiel, dass es sich diesmal anders anfühlte über das Gelände zu gehen. Als sie mit ihren Brüdern hier her gekommen war, hatte sie unzählige Bedienstete und Adlige gesehen, die ihrer Arbeit nachgingen und von einem Ziel zum anderen liefen. Jetzt sah sie keine einzige Menschenseele mehr, außer Michihito. Das warf bei ihr die Frage auf, ob gerade irgendwo eine Zeremonie oder ähnliches stattfand, zu der alle Bewohner dieser Anlage anwesend sein mussten. Und sofort fühlte sich Kasumi schlecht, dass sie Michihitos Zeit so in Anspruch nahm. Sie wollte ihm gerade sagen, dass er sich wegen ihr nicht von ihren Aufgaben aufhalten lassen sollte, als er begann zu sprechen: „Wir sind da!“ Irritiert sah sich Kasumi um, doch als sie um eine Ecke bogen, sah sie, was er meinte. Vor ihnen öffnete sich ein kleiner Park voller Kirschbäume. Die alten Bäume waren durch jahrelange Züchtung dazu gebracht worden, ihre Äste zum Boden zu neigen. Wie ein einziger Vorhang aus unzähligen Zweigen strahlte der Park in allen möglichen Tönen von Rosa bis Weiß. Es war so überwältigend schön, dass Kasumi mit offenem Mund näher trat und vorsichtig den ersten Zweig berührte, den sie greifen konnte. Dieser wiegten sich in der leichten Frühlingsbriese und verströmten einen angenehmen Geruch. So dass Kasumi die Augen schloss um das volle Aroma komplett in sich aufnehmen zu können. „Sie sind wunderschön.“, brachte sie schließlich ehrfurchtsvoll hervor. Als sie die Augen wieder öffnete, bedachte Michihito sie mit einem stolzen Lächeln. „Diesen Ort liebe ich am meisten auf dieser Anlage.“, sagte er und führte sie dann weiter in den Park. Noch nie hatte Kasumi so viele verschiedene Kirschbäume an einer Stelle gesehen. Es war fast so, als wäre jede mögliche Sorte des Landes an diesem einen Fleck versammelt um den Anwohnern des Palastes die Vielfalt ihres Reiches zu demonstrieren. Es war wie ein Traum aus Weiß und Rosa und schließlich blieben sie vor dem ältesten Baum des ganzen Parks stehen. Sein Stamm war dick, so dass ihn zwei erwachsene Männer kaum mit den Armen umschließen konnten. Er war krumm und gebeugt vom Wind und den Witterungen, doch das hatte nur dazu geführt, dass an allen erdenklichen Stellen Zweige hervor traten und auf sie hernieder zu regnen schienen. Kasumi trat zwischen diese Zweige und ließ sich vollkommen von ihnen einhüllen. Der Duft der Blüten erzeugte eine Vorfreude auf den Frühling in ihrem Magen und erfüllte sie mit Glück. Sie hatte wirklich Glück, dass hier sehen zu dürfen. Denn immerhin war es nur sehr wenigen gestattet diese Anlage überhaupt zu betreten. „Sie gefällt euch! Konoes weinender Kirschbaum.“, stellte Michihito zufrieden fest. „Konoe?“, fragte Kasumi sofort und sah hinüber zu Michihito, der am Rand der Zweige stehen geblieben war. Sein Blick ruhte wachsam auf Kasumi und er schien jede noch so kleine Regungen ihrerseits in sich aufzusaugen. Sicher musste Kasumi auf ihn wie ein kleines Kind wirken, das ohne nachzudenken handelte und seine Gefühle einfach offen zur Schau stellte. Doch sie konnte nicht anders. Sie war einfach nur verzaubert von diesem Spektakel. „Sie war eine der ersten Kaiserinnen hier in diesem Palast und sie liebte Kirschbäume über alles. Doch sie war kränklich und schwach, weshalb sie ihre Räumlichkeiten kaum verlassen konnte. Und da der Kaiser sie über alle Maßen liebte, beauftragte er seine Gärtner, so viele Kirschbäume wie möglich an diesem Ort zu versammeln. Denn diese Stelle konnte die Kaiserin auch von ihren Zimmern aus sehen. Und so wurden immer mehr Kirschbäume hier her gebracht um die Kaiserin zu erfreuen. Es heißt, dass die Kaiserin im ersten Frühling, als alle Bäume blühten, vor lauter Freude darüber, verstarb. Woraufhin ihr Geist in diesen Kirschbaum wanderte, nur um in jedem kommenden Frühling am meisten Blüten zu tragen. Damit alle Zuschauer vor Freude weinen würden, so wie sie es getan hatte.“, erklärte Michihito ruhig. „Das hat sie auf jeden Fall geschafft.“, sagte Kasumi. Den Blick in die Krone des Kirschbaums gerichtet, verspürte sie tatsächlich eine kleine Träne in ihrem Augenwinkel. „Das hier ist wirklich ein magischer Ort!“ Widerstrebend trat Kasumi schließlich unter den Zweigen des Baums hervor und schenkte Michihito ein kleines Lächeln. „Vielen Dank, dass ich das sehen durfte.“, sagte sie und neigte kurz den Kopf. „Die Freude ist ganz meinerseits.“, entgegnete er sofort. „Vielleicht… Könntet ihr mir auch einige Dinge außerhalb dieser Anlage zeigen, wenn ihr euch etwas eingelebt habt?“ Diese Frage kam überraschend für Kasumi und sicher sah ihr Gesicht auch entsprechend aus, da sich Michihito sofort korrigierte: „Ich meine natürlich nur, wenn ich euch nicht zur Last falle-“ „Ah. Überhaupt nicht! Diese Frage hat mich nur etwas überrascht… Ich werde euch natürlich gerne etwas auf der anderen Seite der Mauern zeigen. Vielleicht ist es gar keine so schlechte Idee die Stadt gemeinsam zu erkunden. Ich muss das nur vorher mit meinen Brüdern besprechen.“, unterbrach sie ihn sofort. Auf ihre Erklärung hin nickte Michihito. „Selbstverständlich. Ich würde vorschlagen wir treffen uns morgen noch einmal hier und besprechen das genauer.“ Ehrlich gesagt war Kasumi mit seiner schnellen Zustimmung etwas überfordert. Von ihren Brüdern war sie es gewohnt, dass einer einen Vorschlag machte und das die beiden anderen dann Einwände brachten, bis sie sich schließlich für etwas entscheiden konnten. Doch Michihito wusste offenbar genau was er wollte und war auch nicht bereit Kasumi gehen zu lassen, ohne ihr ein Versprechen für ein erneutes Treffen abgerungen zu haben. So überrascht konnte Kasumi nichts anderes tun als nicken. Sie würde seine Bedingungen annehmen und sehen, was passieren würde. Das wollte sie ihm gerade auch noch einmal sagen, als sie Kazumas Stimme hörte, der nach ihr rief. „Ist es schon so spät? Entschuldigt mich, aber das ist mein Bruder. Ich werde morgen wieder hier her kommen. Versprochen.“, sagte Kasumi, während sie schon begann in Richtung des Hauptweges zu laufen. Mit einer letzten knappen Verneigung ihres Kopfes ließ sie Michihito einfach stehen und eilte zurück zum Hauptweg. Ihre Brüder liefen in einigen Metern Abstand zueinander und riefen alle nach ihr. Es war Kasumi ein bisschen Peinlich, dass ihre Brüder sie hatten suchen müssen, aber irgendwie fand sie es auch süß von ihnen. „Ich bin hier. Tut mir schrecklich Leid!“, rief sie, als sie den Hauptweg betrat und schließlich stehen blieb. „Da!“, rief Kazuma, der ihr am nächsten war, aufgeregt, bevor er auf sie zu stürmte und in seine Arme zog. „Mach das nie wieder!“, befahl er, bevor er seine Wange über ihren Kopf rieb und fast wie ein kleines Kätzchen schnurrte. „Bitte Entschuldigt. Ich wollte nicht, dass ihr euch Sorgen um mich machen müsst.“ Auf Kazumas Ruf hin waren auch Keiji und Benjiro zu ihnen gelaufen und Kasumi reichte den Beiden ihre Hände, während sie sich entschuldigte. Beide ergriffen jeweils eine Hand und drückten sie fest. „Was um alles in der Welt machst du denn hier? Du wolltest doch nicht durch die Anlage wandern. Es hätte sonst was passieren können.“, sagte Keiji scharf, doch Kasumi konnte genau heraus hören, dass er es nicht ernst meinte, sondern sich nur sorgte. „Jemand hat mir die Kirschbäume gezeigt. Da konnte ich einfach nicht widerstehen.“, gab Kasumi kleinlaut zu. „Jemand?“ Es war Benjiro, der bei seiner Frage sofort den Blick über den Park wandern ließ aber offenbar niemanden fand. „Michihito. Ich vermute er arbeitet hier. Ich bin ihm im Garten hinter dem Militärgebäude begegnet und er meinte ich müsse mir das hier ansehen. Und da es hier so viele Wachen wie nirgendwo sonst gibt, dachte ich nicht, dass etwas passieren könnte.“ „Du bist zu leichtgläubig Imōto-san!“, seufzte Keiji, bevor er eine Hand auf ihren Kopf legte und kurz darüber wuschelte. Einen Moment schwieg Kasumi und ließ ihren Brüdern Zeit den Schock über ihr Verschwinden zu verarbeiten. Diese Drei waren wirklich anhänglich geworden. Was ihre in breites Lächeln auf die Lippen zauberte. „Es wird nicht wieder vorkommen. Versprochen.“, sagte sie schließlich und diesmal schien es ihre Brüder endlich zu erreichen. Nach einem weiteren langen Moment lösten sie sich von ihr und sahen sich noch einmal um. Immer noch, war niemand sonst zu sehen, was aber auch ihre Brüder zu beruhigen schien. „Habt ihr eure Berichte abgegeben? Können wir jetzt nach Hause gehen? Ich glaube wir hatten heute alle genug Aufregung!“ „Das haben wir und das ist der beste Vorschlag des Tages.“, erklärte Benjiro mit einem Nicken, woraufhin sie sich wieder auf den Heimweg machten. Kapitel 15: Kein perfekter Plan ------------------------------- >>Der Wind, der um seinen Körper strich, schien ihn verhöhnen zu wollen. Er hatte Chaos und Verwüstung zurück gelassen, doch seine Wunden hatten ihn schon nach kurzer Zeit in die Knie gezwungen. Jetzt, umgeben von Freiheit, hielt ihn nun sein Körper gefangen. Doch auch wenn er hier in diesem Wald sterben sollte, seine Seele würde erst ruhen, wenn er sie gefunden hatte…«       „Was soll das heißen, der nördliche Außenposten wurde zerstört?“ Der scharfe Ton in der Stimme des Hauptmanns ließ den Boten der Nachricht zusammenzucken. Das war aber auch kein Wunder, schließlich war es früh am Morgen und Keiji war bereits mit schlechter Laune aufgestanden. Als sie gestern wieder Zuhause angekommen waren, hatte Keiji berichtet, was bei der Besprechung mit seinem Vorgesetzten vorgefallen war. Dass sie sofort mit einem neuen Auftrag bedacht worden waren und somit Kasumi unmöglich in den Norden begleiten konnten. „Der Punkt auf deiner Karte. Der Ort, an dem sich einmal mein Zuhause befunden hatte. Er war ganz in der Nähe oder? Vielleicht müssen wir auch gar nicht in den Norden. Ich werde mich einfach hier umsehen. Irgendjemand wird mich höchstwahrscheinlich erkennen oder ich werde mich an etwas erinnern. Macht euch wegen mir also keine Umstände.“ Kasumi hatte sie alle beruhigen wollen, doch die Wut, die Keiji auf seinen General verspürte, hatte sie nicht mildern können. Insgeheim vermutete sie, dass noch mehr hinter dieser Sache steckte, doch Keiji wollte nicht weiter auf die ganze Angelegenheit eingehen. In der ganzen Zeit, in der sie jetzt schon gemeinsam unterwegs waren, hatten sie niemals Geheimnisse voreinander gehabt. Weshalb sich das Gefühl in Kasumi noch verstärkte, dass er ihr etwas vorenthielt. Doch sie würde ihn nicht drängen. Irgendwann wäre er sicher bereit es ihr zu erzählen. Oder sie würde es selbst herausfinden. „I- Ich bitte um Verzeihung, Taii Maeda, aber das ist alles, was mir mitgeteilt wurde. Es wäre wohl das Beste, wenn Sie sich selbst ein Bild von der Verwüstung machen.“, entschuldigte sich der Bote unter vielen Verbeugungen bei Keiji. Kasumi beobachtete die beiden vom Tisch aus, auf dem das Frühstück ausgebreitet war. Kazuma saß zu ihrer Linken und Benjiro ihr gegenüber. Sie alle waren schon mit dem Sonnenaufgang aufgestanden um wenigstens einmal am Tag friedlich beieinander zu sitzen. Doch kaum hatten sie mit dem Frühstück begonnen, hatte es an der Tür geklopft und Keiji war aufgestanden um diese zu öffnen. Seitdem hatten die drei keinen Bissen mehr angerührt und beobachteten gebannt das Spektakel. Der Bote war ein junger Soldat in einfacher Kleidung und mit widerspenstigen schwarzen Haaren, die in alle Richtungen von seinem Kopf abstanden. Keiji dagegen, war allein eine eindrucksvolle Person, weil er den Boten um mindestens einen Kopf überragte. Dazu trug er einen edlen, weinroten Kimono mit einigen hellblauen Details am Kragen, die das Blau seiner Augen stark betonten und diese wie die Augen eines Greifvogels wirken ließen. Eine leichte Brise strich an seinen langen, offenen Haaren entlang und setzte sie in Bewegung. Woraufhin der Bote einen kleinen Schritt zurück trat. Kasumi musste sich eine Hand vor den Mund halten, um ein Lächeln zu verstecken. Obwohl Keiji wirklich schlecht gelaunt war, wirkte er in diesem Moment wie ein junger Gott, der persönlich auf die Erde herab gestiegen war um allen anderen Männern zu zeigen, wie wenig sie wert waren und wie perfekt er war. „Das werde ich umgehend tun. Ich will, dass die Verantwortlichen vor Ort sind, wenn wir dort eintreffen.“, wies Keiji den Boten an, der sich daraufhin noch einmal tief verbeugte. „Natürlich. Ich werde alles zu Ihrer Zufriedenheit arrangieren. Eine Kutsche steht schon für Sie bereit, um sie zum Außenposten zu bringen.“ Keiji neigte den Kopf nur einen kleinen Moment, doch der Bote begriff sofort, dass er damit entlassen war und trat, nach einer letzten Verbeugung zu den Dreien am Tisch, rückwärts aus der Tür. Diese schob Keiji mit aller Gewalt zu, bevor er mit geballten Fäusten zurück kam um sich mit einem Seufzen auf seinen Platz neben Kasumi sinken zu lassen. „Du glaubst das ist ein Trick des Generals um dich in ein schlechtes Licht zu rücken, habe ich Recht?“ Benjiros Frage brachte Kasumi dazu, dass sie Keiji einen noch intensiveren Blick zu warf. Dabei fiel ihr etwas auf, das sie vorher noch nie bei ihm gesehen hatte. Seine Schultern neigten sich ein kleines Stück weiter nach vorne, wodurch sein Rücken ebenfalls leicht nach vorne gebeugt aussah. Jemandem, der ihn nicht kannte, würden diese unbedeutenden Zentimeter überhaupt nicht auffallen, doch Kasumi gaben sie einen Hinweis darauf, was wirklich gestern vorgefallen war. Und mit Benjiros Frage ahnte sie bereits schlimmes. „Natürlich ist das sein Plan! Dieser Bastard tut den ganzen Tag nichts anderes als sich Wege auszudenken, wie er mich loswerden kann. Aber so leicht werde ich es ihm nicht machen. Wir werden der Sache nachgehen und die Geschehnisse aufklären!“ Keijis Worte waren angefüllt mit Wut, doch schon nach wenigen Worten schlug seine Stimme in Entschlossenheit um. Auch wenn er seine Hände immer noch zu Fäusten geballt hatte, er würde sich nicht unterkriegen lassen. „Du musst dich dieser Sache nicht allein stellen. Wir werden das zusammen mit dir lösen.“, sagte Kasumi sanft und legte eine Hand auf eine seiner Fäuste. Fast sofort entspannte sich Keiji und sah Kasumi an. Nach einem langen Augenblick holte er schließlich tief Luft und atmete all seinen Ärger aus. „Ich danke dir, Imōto-san. Also lasst uns schnell dieses Frühstück beenden, dann werden wir uns das Ganze ansehen gehen.“, erklärte er, bevor er sich eine eingelegte Gurke in den Mund schob.     Der nördliche Außenposten lag keine viertel Stunde außerhalb der Stadt. Er bestand aus einem zweistöckigen Gebäude für Ausrüstung und Ressourcen, einem einstöckigen, langgezogenen Gebäude, in dem die Bewohner dieser Anlage lebten und zwei Ställen. Alles war umgeben von einer hohen Mauer, die bis an das Dach des einstöckigen Hauses reichte. Das höhere Gebäude war auch dazu gedacht, dass in dessen Dach jederzeit eine Wache postiert war, die die Umgebung im Blick behielt. Die Überwachung dieser Gegend, war die Hauptaufgabe dieses Außenpostens, doch dieser konnte er jetzt nicht mehr nachgehen. Sie hatten das Problem bereits erkannt, als sie die Grenzen der Stadt hinter sich gelassen hatten. Denn von dem Aussichtsturm war weit und breit nichts mehr zu sehen. Und die Zerstörung wurde mit jedem Schritt der Pferde deutlicher. Als sie vor dem Eingangstor des Außenpostens allesamt aus der Kutsche ausstiegen, konnten sie sogar noch einige dünne Rauchschwaden aufsteigen sehen, die von bereits gelöschten Feuern stammte. Der Aussichtsturm war bis auf einige wenige Mauerreste komplett zerstört. So als wäre eine riesige Bombe in dessen inneren explodiert. Überall lagen verstreute Trümmer und einer der Ställe war bis zur Hälfte abgebrannt. Auch das Wohnhaus der Wachen wies einige Beschädigungen auf dem Dach, den Fenstern und im Mauerwerk auf. Selbst der Außenmauer, die direkt in den Norden zeigte fehlte, perfekt in der Mitte, ein gut drei Meter großes Stück. Zwei Männer, die um Kopf und Armen Verbände trugen, waren damit beschäftigt die Trümmer aufzuräumen. Doch als die Kutsche vor dem Tor anhielt, sahen sie auf und einer der Männer kam auf sie zu geeilt. Sein rechter Arm steckte in einer Schlinge und er hatte einen Kratzer auf der Wange, doch sonst schien er unverletzt. „Taii, Maeda!“, sagte er, während er sich voller Respekt vor Keiji verneigte. „Verzeihen Sie diesen beschämenden Zustand hier!“ Keiji ließ ein letztes Mal seinen Blick über das Gelände wandern, bevor er den Mann vor sich ansah. „Was ist geschehen?“ Der Mann vor Keiji knetet angestrengt seine Finger, so als suchte er nach den passenden Worten, bevor er aufsah. Seine Augen zeigten einen gehetzten Ausdruck, so als fürchte er, das Unheil erneut herauf zu beschwören, wenn er nur ein Wort darüber verlor. Und das obwohl er sein fünfzigstes Lebensjahr mit Sicherheit längst erreicht hatte und schon einiges gesehen haben müsste. Was auch immer hier geschehen war, musste unglaublich gewesen sein. „Dieser Außenposten wird von fünf Männern gehalten. Zwei Wachen, ein Laufbursche, ein Schreiber und meine Wenigkeit als Unteroffizier. In der Nacht starben die Wachen und der Laufbursche bei der Explosion des Turms. Durch das entstandene Feuer und umherfliegende Trümmer wurde auch der Schreiber und ich selbst leicht verletzt, doch der Stützpunkt trug am meisten Schaden davon…“ Benjiro ließ seinen Blick noch einmal über das Gelände wandern und entdeckte neben den Ställen die drei abgedeckten Leichname. Ein leichter Geruch des Todes hatte über diesem Ort gelegen, doch bis jetzt hatte er ihn nicht zuordnen können. Es hätten auch einfach nur verendete Ratten sein können. Die Menschen jetzt zu sehen, ließ ihn kurz schnauben. „Was genau wurde im Turm gelagert?“ Nachdem der Offizier aufgehört hatte zu sprechen, bohrte Keiji sofort weiter nach. Auf die Frage hin, zuckte der Mann zusammen. „Einige Waffen zur Verteidigung des Außenpostens, Lebensmittelvorräte, wichtige Befehlsunterlagen…“ Wieder brach er ab, was selbst Benjiros Geduld reizte. „Und?“, fragte Keiji sofort weiter. Wieder knetete der Mann seine Hände und wand den Blick zu Boden. Schließlich verneigte er sich noch einmal und strecke einen Arm von sich. „Am besten seht ihr selbst.“, war seine Antwort. Keiji sah seine Begleiter einem nach dem anderen an, bevor sie sich etwas aufteilten und das Gelände betraten. Er ging voran, gefolgt von Benjiro, der links von ihm an der Seite der Ställe vorbei schritt. Kasumi ging rechts an der Seite des Wohngebäudes entlang, während Kazuma einige Meter schräg hinter ihr ging. Etwas an diesem ganzen Komplex störte Benjiro. Es war nicht nur der Geruch nach Tod. Je näher er dem Turm kam, umso unwohler fühlte er sich. Tatsächlich stellte sich sogar jedes einzelne Haar an seinem Körper auf und alles in ihm schrie danach umzudrehen und sofort die Flucht zu ergreifen. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Sein Instinkt bereit, sofort hervor zu brechen. Das hier war kein guter Ort. Und dann sah er es. Der Turm besaß nicht nur zwei Stockwerke in die Höhe. Nein, er besaß auch einen Keller und so wie es aussah, war die Explosion von diesem Ort ausgegangen. Er trat näher an den Turm um besser sehen zu können. Das sich ihm dabei fast der Magen umdrehte, ignorierte er. Er war fest entschlossen diesem Gefühl auf den Grund zu gehen, dass anscheinend von etwas aus diesem Keller ausgelöst wurde. Auch wenn seine Atmung flacher wurde und sich Schweißperlen auf seiner Stirn bildeten. „Benjiro!“ Ihn trennten nur noch zehn Meter von dem Turm, als er Kasumis Ruf hörte und herum fuhr. Eigentlich war es nur ein Hauch ihrer Stimme gewesen, doch seine Sinne liefen auf solchen Hochtouren, dass er ihre Worte extrem laut empfing. Als sich ihre Blicke trafen, wusste er sofort was sie dachte. Er musste nicht einmal auf die Hand sehen, die sie auf ihren gewölbten Leib gelegt hatte. Die Panik in ihren Augen, sagte ihm alles. Und noch bevor Kasumi in die Knie sank, rannte er zu ihr und fing sie auf. „Kasumi!“ Ihre Brüder riefen gleichzeitig ihren Namen und rannten zu ihr, während Benjiro seine bewusstlose Schwester auffing und in seine Arme hob. „Was ist passiert?“, fragte Kazuma panisch. Benjiro ignorierte sie, während er Kasumi zurück zum Eingangstor trug. Mit jedem Schritt, den er sich vom Turm entfernte, hatte er das Gefühl freier atmen zu können. Während er zum Tor schritt, war sein Blick auf Kasumi fixiert. Wenn er solch ein Unwohlsein empfunden hatte, wie mächtig musste dann ihr Kind sein, das es so dermaßen unter was auch immer gelitten hatte? Kasumi war viel weiter vom Turm entfernt gewesen und ihr Kind müsste mindestens zur Hälfte menschlich sein. Was auch immer sich in diesem Turm befand, es hätte ihr Kind nicht so sehr beeinträchtigen dürfen. Außer es war ein sehr reinblütiger Yōkai. Dieser Gedanke beunruhigte Benjiro auf zwei Weisen. Zum einen, fragte er sich zum ersten Mal ernsthaft, wer wohl der Vater dieses Kindes war. Benjiro hielt sich selbst bereits für mächtig. Doch ihm war klar, dass er unter den menschlich wirkenden, höherklassigen Yōkai, nur ein kleiner Fisch war. Wie stark musste dann Kasumis Ehemann erst sein, dass er so ein starkes Kind zeugen konnte? Zum zweiten, fürchtete er, dass Kasumi auf lange Sicht gesehen, dieser Macht nicht standhalten konnte. Er kannte Geschichten, in denen sich ungeborene Yōkai ihren Müttern bemächtigt hatten, sie sogar verschlungen hatten um ihre Macht zu stärken. Was, wenn ihr Kind sie töten würde, während es auf die Welt kommen wollte? Oder es würde sie, wie jetzt, verletzen, wenn sie etwas ausgesetzt war, dass einem Yōkai schaden konnte. „Benjiro!“ Keijis besorgte Stimme brachte Benjiro schließlich dazu, stehen zu bleiben. So konnten die Beiden zu ihm aufholen. Doch er sprach nicht. Stattdessen warf er dem Unteroffizier einen verachtenden Blick zu. Keiji entging das natürlich nicht, weshalb er ihn mit einer knappen Bewegung davon schickte. Erst, als sich der Mann außer Hörweite befand, begann Benjiro leise zu sprechen. „Mit diesem Turm stimmt etwas nicht. Sein Keller… Diese Steine, die an den übrigen Wänden hingen… Dieses Leuchten ist nicht natürlich und garantiert dafür gedacht den Yōkai zu Schaden. Ich habe ihre Wirkung gespürt. Nur schwach, doch das war bereits äußerst unangenehm... Kasumis Kind musste unter dieser Wirkung noch viel deutlicher gelitten haben…“ „Aber warum sollte hier so etwas aufbewahrt werden?“, fragte Kazuma, während er immer wieder über Kasumis Haar streichelte. Die Sorge war ihm tief ins Gesicht gezeichnet und obwohl er sicherlich diese ganze Anlage mit bloßen Händen einreißen wollte, wich er keine Sekunde von Kasumis Seite. „Was auch immer das ist, es wurde hier nicht nur aufbewahrt…“, begann Keiji und sah noch einmal zurück zum Turm. „Das hier war ein Gefängnis. Eine Folterkammer.“, sagte Benjiro mit zusammengebissenen Zähnen. Ein ersticktes Lachen drang über Keijis Lippen. „Das ist so typisch für meinen Onkel. Er würde alles tun, um mich zu schikanieren. Dieser Bastard!“ „Nur hat er sicherlich nicht damit gerechnet, dass seine Beute verschwinden würde.“ Kazuma sah mit großen Augen zu Benjiro auf. „Du meinst hier wurde ein Yōkai gefangen gehalten und dieser hat sich heute Nacht befreit?“ Benjiros nicken jagte einen kalten Schauer über Keijis Wirbelsäule. „Und was ist mit Kasumi? Wird sie sich wieder erholen?“ „Wenn sie sich weit genug von diesem Ort entfernt, sollte sie wieder aufwachen und alles wird in Ordnung sein.“, vermutete Benjiro und sah noch einmal auf den zerbrechlichen Körper in seinen Armen. „In Ordnung. Benjiro, ich will das du Kasumi nach Hause bringst. Kazuma und ich werden uns hier noch etwas umsehen. Vielleicht finden wir etwas darüber heraus wer hier festgehalten wurde und seit wann wir im Besitzt solcher Waffen sind.“, erklärte Keiji, woraufhin alle nickten. Kapitel 16: Ein Lichtermeer aus Grün und Blau --------------------------------------------- //Ein Donnergrollen, wie von einer entfernten Explosion, vibrierte durch die Luft und ließ Rin auf sehen. Doch außer einiger Sterne und den dunklen Umriss der Bergkette konnte sie nichts erkennen. In einer mondlosen Nacht wie dieser, schaffte es nicht einmal ihr Feuer mehr als einen knappen Meter dieser Finsternis zu erhellen. Dennoch sorgte das ungewöhnliche Geräusch dafür, dass ihr ein kalter Schauer über den Rücken lief. Um der unerwarteten Kälte zu entkommen, warf Rin ein weiteres Stück Holz auf das Feuer, bevor sie sich wieder an Ah-Uhn und tiefer in ihren Mantel kuschelte. Nachdem der Drache an ihrer Seite ruhig blieb, schien wohl keinerlei Gefahr zu bestehen. Deshalb sah sie einen Moment dabei zu, wie die Flammen Besitz von dem neuen Stück Holz ergriffen und begannen es begierig zu verschlingen. Mit einem Seufzen wand sie schließlich den Blick ab. Sie wünsche sich ebenfalls, besessen zu werden, doch Sesshōmaru hatte sie vor über einer Stunde hier zurück gelassen. Er wollte etwas überprüfen, hatte er gesagt und obwohl sie heftig protestiert hatte, war sie schließlich doch hier geblieben. „Nächstes Mal wirst du mich nicht so leicht los.“, murmelte sie beleidigt vor sich hin, beim Gedanken an diese Szene. „Es wird nicht lange dauern.“, versuchte sie seine Stimme zu imitieren, scheiterte jedoch bei dem Versuch und musste über sich selbst lachen. Manchmal war ihr Mann wirklich ein schwieriger Zeitgenosse… Noch mit einem Lächeln auf den Lippen, legte sie ihren Kopf in den Nacken. Nur um im nächsten Moment aufzuspringen. Ihr Mantel rutschte dabei von ihren Schultern, doch das kümmerte sie nicht weiter. Auch Ah-Uhns nervösem Knurren schenkte sie kaum Beachtung. Die kühle Luft und die dunkle Nacht vergessend starrte sie einfach nur mit offenem Mund in den Himmel. Als hätte sich ihr kleines Lagerfeuer über das gesamte Firmament ausgebreitet, flackerten Bänder aus den verschiedensten Tönen von Grün bis hin zu einem leichten Blau über den Himmel. So als stünde die Welt über ihr in dämonischen Flammen. Lautlos und geschmeidig bewegten sich die Lichter über das samtene Schwarz der Nacht. „Erstaunlich…“ Für dieses Schauspiel fehlten Rin einfach nur die Worte. Noch nie zuvor hatte sie so etwas gesehen, oder auch nur davon gehört. Aber sie wüsste auch gar nicht, wie sie das jemandem beschreiben sollte. Dieses Gefühl, dass die Lichter in ihrem inneren erzeugten… Als wäre sie etwas ganz besonderes, weil ihr dieser Anblick zu Teil wurde und doch unbedeutend ob dieser Naturgewalt. Erst eine kaum wahrnehmbare Veränderung in der Luft sorgte dafür, dass Rin wieder etwas von ihrer Umgebung wahrnahm. Sie wusste es schon, bevor sich Ah-Uhn neben ihr entspannte und seine Köpfe wieder auf seine Vorderbeine legte. Dennoch rührte sie sich nicht vom Fleck, bis Sesshōmaru von hinten seine Arme um sie schlang. „Es ist so wunderschön, findest du nicht?“, hauchte sie, während sie sich an seine breite Brust lehnte. Einen langen Moment schloss sie die Augen und gab sich allein dem unwiderstehlichen Geruch ihres Mannes hin. Instinktiv legte sie dabei ihren Kopf zur Seite, so dass seine Lippen über ihren entblößten Hals gleiten konnten. „Wunderschön!“ Seine gemurmelten Worte galten nicht dem Himmel. Das war ihr sofort bewusst, weshalb sich ein Lächeln auf ihre Lippen schlich. Rin legte ihre Hände auf seine Arme und sah schließlich wieder hinauf in den Himmel. „Hast du so etwas schon einmal gesehen?“, fragte sie neugierig. Zuerst glaubte sie Sesshōmaru würde nicht antworten, weil er nicht damit aufhörte, ihren Hals mit seinen Lippen zu verwöhnen. Doch als er begriff, dass sie nicht nachgeben würde, bis er geantwortete hatte, seufzte er leise und löste seine Lippen von ihr. „Nein… Aber das dort ist auch Menschenwerk.“ Auf seine Erklärung hin wand sich Rin in seiner Umarmung zu ihm und sah in fragend an. „Wie meinst du das? Wie kann so etwas von Menschen gemacht sein? Es war nur für den Bruchteil einer Sekunde, doch ein kleiner Schatten huschte über Sesshōmaru Gesicht. Hätte Rin geblinzelt, hätte sie ihn nicht bemerkt, doch sie wusste mittlerweile auf welche Dinge sie bei ihrem Ehemann achten musste. Deshalb wusste sie auch, als er eine ihrer Haarsträhnen aus ihrem Gesicht strich, dass er ungern eine nähere Ausführung gab. „Dieses Leuchten wurde von etwas ausgelöst, was Menschen getan haben. Ich hatte Gerüchte gehört über deren Vorhaben, deshalb wollte ich mich mit eigenen Augen davon überzeugen. Sie haben weiter im Norden einen Berg gesprengt. Dessen Inhalt in Verbindung mit der Explosion erzeugt dieses Licht am Himmel. Eigentlich nichts Besorgniserregendes… und dennoch habe ich ein seltsames Gefühl dabei.“ Auf diese Erklärung hin, sah Rin erneut in den Himmel. Das Leuchten war mittlerweile etwas blasser geworden und in ein paar Stunden würde man sicher nichts mehr davon bemerken. Doch wenn es sogar in Sesshōmaru ein ungutes Gefühl auslöste, konnte es nichts Gutes bedeuten. Das erklärte zumindest, warum auch Ah-Uhn darauf reagiert hatte. „Ich habe gar nichts gespürt.“, gab Rin schließlich zu. Mit dem Hauch eines Lächelns drückte Sesshōmaru seine Stirn gegen ihre. „Ich bin froh, wenn du dafür nicht auch noch empfänglich bist. Es reicht vollkommen, wenn du spürst, wenn für dich Gefahr in der Nähe ist.“ Bei seinen Worten leuchteten seine Augen wie flüssiges Gold und Rin wusste sehr wohl, was er damit meinte. Mittlerweile konnte sie Yōkai schon in einiger Entfernung erspüren und einschätzen, ob sie sich verteidigen musste. Und auch wenn Sesshōmaru alles daran setzte, seine Gegenwart zu verschleiern, konnte sie auch ihn mittlerweile erspüren. Zwar nur auf drei Schritte Entfernung, doch immerhin. Und da er sich als ihre größte Gefahr sah, bezog er seine Worte vor allem auf sich selbst. „Zu dumm nur, dass ich diese Gefahr immer wieder suche.“, entgegnete Rin amüsiert, bevor sie sich nach oben streckte um Sesshōmaru zu küssen. Und wenn sie sich ganz genau konzentrierte, dann konnte sie dabei das tiefe Lachen in seiner Brust spüren.//     Licht, in verschiedenen Grünnuancen bis hin zu einem weichen Blau, schimmerte vor Kasumis Augen, als sie diese einen Spalt breit öffnete. Im ersten Moment wusste sie nicht, wo sie sich befand. Bis sie eine Bewegung neben sich ausmachte. Benjiro hatte seine Position von einem Schneidersitz dazu verändert, dass er ein Bein aufstellte um seinen Arm darauf zu stützen. Sie war Zuhause. In ihrem Zimmer. Benjiro saß mit dem Rücken zum Hinterhof, die Shōji waren geöffnet und boten so genügend Raum um die Sonne ins Zimmer zu lassen. Durch den Winkel der Sonne, wurde sogar das Wasser des Kamo Flusses an die Decke ihres Zimmers reflektiert. Es sah wunderschön aus und wirkte unglaublich beruhigend. Dennoch konnte Kasumi dadurch nicht vergessen, was vorgefallen war. „W- Was ist passiert?“ Kasumi erinnerte sich sehr genau. Sie hatte sich dem Turm genähert. Alles schien normal, auch wenn ihr Kind etwas unruhig gewesen war. Doch dann hatte sie in den Tiefen des Kellers etwas Grünes aufblitzen sehen. Der Schmerz, der ihr im nächsten Moment durch den Leib gefahren war, war unbeschreiblich gewesen. Als hätte man versuchte ein glühendes Eisen ihre Wirbelsäule hinauf zu schieben. Und ihr Kind… Einen panischen Moment lang hatte sie geglaubt es zu verlieren. Immerhin hatte es sich so angefühlt als wollte es ihr jemand aus dem Leib reißen. Es war unendlich unangenehm gewesen und dann war alles um sie herum schwarz geworden. Benjiro musterte sie einen Moment und schien ihre Frage zu überdenken, bevor er ernst antwortete: „Ich habe das auch gespürt… Diese Energie. Sie war böse. Deshalb wollte Keiji kein Risiko eingehen und hat mir aufgetragen, dich hier her zurück zu bringen. Er ist mit Kazuma noch dort und untersucht das Gelände. Aber es war eine gute Idee hier her zu kommen, denn du hast ziemlich lange geschlafen. Ich habe mir schon Sorgen gemacht…“ Kasumi brauchte einen Moment um die Worte auf sich einwirken zu lassen. Es war böse… Ihr schien das alles etwas zu sagen. Der Gedanke schwirrte in ihrem Kopf herum, doch sie schaffte es nicht ihn zu greifen. An irgendetwas erinnerte sie das, doch sie konnte es nicht genau erklären. Dieses Licht. Was sie gefühlt hatte… Kurz bevor sie aufgewacht war, hatte sie sich eindeutig an etwas erinnert, doch außer das Leuchten dieser goldenen Augen war ihr nichts mehr im Gedächtnis geblieben. Das und der magische Schimmer von Grün. Es frustrierte sie Zusehens, dass sie manche Gedanken nicht klar heraufbeschwören konnte oder ihre Erinnerungen abrufen konnte, wann sie es wollte. Das musste sie zu aller erst wieder in Ordnung bringen, bevor sie sich auf die Suche nach ihrem Mann machen konnte. Zumindest nahm sie sich das vor, wenn ihre Brüder hier in der Hauptstadt eingespannt waren und sie etwas Zeit für sich hatte. Doch sie wollte auch herausfinden, was es mit diesem Turm und seinem Kerker auf sich hatte. Denn wenigstens dieser einen Sache konnte sie sich sicher sein. Dieser Keller war eindeutig eine Folterkammer für einen Gefangenen gewesen. „Vielen Dank Benjiro.“, antwortete Kasumi schließlich, woraufhin Benjiro freundlich nickte und das feuchte Tuch von ihrer Stirn nahm um es in eine Schale voll Wasser zu legen. „Wen, glaubst du, haben sie dort unten festgehalten?“, fragte Kasumi nach einem Moment des Schweigens. Der Blick, den Benjiro ihr auf diese Frage hin zuwarf, sagte ihr, dass er sich darüber ebenfalls schon Gedanken gemacht hatte und das er ein klein wenig Stolz auf sie war, dass sie die Funktion dieses Raums ebenfalls erkannt hatte. „Als du diese Energie gespürt hast. Hat es sich eher auf dich, oder das Kind ausgewirkt?“ Eine berechtigte Frage, dich Kasumi sofort beantworten konnte. „Wäre ich nicht Schwanger, hätte ich wahrscheinlich in dieses Loch hinabsteigen können… Nein, es hat einzig und allein mein Kind beeinflusst.“ Benjiro nickte daraufhin abwesend. „Ich vermute, dass es sich bei diesem Keller um eine Gefängniszelle handelte. Gemacht um einen sehr mächtigen Yōkai im Zaum zu halten. Diese seltsam leuchtenden Steine an den Wänden… Was immer sie sind, sie quälen alle Wesen, die dämonische Energie besitzen. Wenn man ihnen lange genug ausgesetzt ist, könnten sie einen Yōkai enorm schwächen und niedere Kreaturen wahrscheinlich töten.“ „Also lässt der Daimyō nicht nur alle Yōkai töten, sondern fängt sich auch einige. Was will er damit nur erreichen? Keiner von ihnen würde irgendein Geheimnis vor einem Menschen preisgeben…“ Mit einem Ruck setzte sich Kasumi auf und warf Benjiro einen panischen Blick zu. „Glaubst, er hält die Yōkai in solchen Zellen für sein persönliches Vergnügen?“ Auf ihre Frage hin, presste Benjiro seine Lippen zusammen und sein Blick wurde eiskalt. Kasumi hatte während ihrer Mission so einige Geschichten über den Daimyō erfahren. Weshalb sie sich nur zu gut vorstellen konnte, dass dieser Mann Vergnügen darin fand, Gefangene Yōkai zu foltern und zu töten. „Was immer er in diesem Raum getan hat, seinem Insassen wurde es definitiv zu viel und er ist geflohen. Wir können nur hoffen, dass der Yōkai die Stadt verlassen hat. Denn wenn er Rache übt, dann könnte das verehrende Auswirkungen nach sich ziehen.“, entgegnete Benjiro schließlich. „So oder so, mein Onkel wird mich für diesen Ausbruch verantwortlich machen. Immerhin wurde mir die Verantwortung für diesen Außenposten übertragen!“ Beim Klang von Keijis Stimme, drehte sich Kasumi zur Eingangstür um und Benjiro sah auf. Keijis kam bereits auf sie zu, während Kazuma hinter ihm die Tür schloss um ihm dann zu folgen. Die Beiden setzten sich auf die andere Seite von Kasumis Futon und betrachteten sie einen Moment prüfend. Wobei Kazuma nach einem Augenblick seinen Kopf an ihre Schulter schmiegte und zufrieden die Augen schloss. „Euch geht es wieder besser. Ich bin so froh.“ Kasumi konnte nicht anders, als Lächeln. Doch als ihr Blick auf Keiji fiel, wurde sie wieder ernst. „Du gehst davon aus, dass es eine Falle für dich war?“, fragte Benjiro seinen Hauptmann, woraufhin Keiji nickte. „Zumindest würde das zu meinem Onkel passen.“ „Aber was hätte er davon einen Yōkai entkommen zu lassen? Will er dich damit als schlechten Wächter hinstellen? Das wird deinem Ruf kaum schaden. Vor allem, da das Ganze noch vor deinem offiziellen Antritt auf den Posten geschehen ist.“ Benjiros Frage war berechtigt. Was hätte der Taishō davon, Keiji wegen solch einer Lappalie bloßzustellen? So etwas konnte immerhin öfter vorkommen. Es sein denn, dass der General mit einem Angriff des Yōkai rechnete. Doch wenn er in dieser Zelle das gleiche gespürt hatte wie Kasumi, als sie nur in deren Nähe war, dann wäre der Yōkai für Wochen außer Gefecht, bis er seine Kräfte regeneriert hätte. Wenn er dann erst angriff, würde niemand mehr die direkte Verbindung zu Keijis Fehler ziehen. „Was, wenn es gar nicht geplant war, dass der Yōkai fliehen konnte?“, fragte Kasumi nachdenklich. Sie hatte nicht darauf geachtet, wohin Keijis und Benjiros Gespräch gegangen war, doch jetzt hielten die beiden Inne und sahen sie mit großen Augen an. „Wie meinst du das?“, fragte Keiji irritiert. „Abgesehen davon, dass es mich ziemlich überrascht, dass dein General dein Onkel ist und dass er dich offensichtlich abgrundtief hasst… Halte ich es für unwahrscheinlich, dass er deinen Ruf mit so etwas beschädigen wollte. Ich glaube sogar, dass dieser Auftrag eine Bestrafung für dich allein darstellen sollte. Eine, von der niemand sonst etwas ahnen konnte, außer wir hier.“ Keiji riss überrascht die Augen auf, als er das hörte. Doch Kasumi war noch nicht fertig mit ihrer Vermutung, weshalb sie schnell fort fuhr. „Du sagtest, dein Onkel hatte einen Spion auf dich angesetzt. Das bedeutet, dass er genau wusste, was im Westen geschehen ist. Und er wusste schon vorher das Isami über eine Armee von Yōkai herrscht. Da du sie aber nicht beseitigt hast, ist dein Onkel sicher davon überzeugt, dass du mit den Yōkai sympathisierst. Wie könnte er dich also am meisten für diese gescheiterte Mission bestrafen?“ „Indem er mich zwingt, die Gefangenschaft eines Yōkais zu überwachen und ihn Tag für Tag leiden zu sehen, mit dem Wissen, dass ich ihm unmöglich helfen kann.“, antwortete Keiji. Kasumi nickte, während sich ein ungutes Gefühl in ihr ausbreitete. Keiji hatte auch berichtet, dass der General erwähnt hatte, dass sie ebenfalls zum Außenposten mitkommen sollte. War es vielleicht möglich, dass der Spion nicht allein hinter Keiji her war? Was, wenn Kasumi dort in diesem Außenposten etwas aus ihrer Vergangenheit gefunden hätte? „Kasumi?“ Es war Kazumas besorgte Stimme, die Kasumi blinzeln ließ. Erst da bemerkte sie, dass sie von allen angesehen wurde. „Oh, Entschuldigt! Was habt ihr gesagt?“ „Ist alles in Ordnung?“ „Ja. Alles in Ordnung.“, versicherte Kasumi mit einem entschuldigenden Lächeln. Ihre Brüder schienen nicht überzeugt, dennoch nahmen sie nach einem Augenblick ihr Gespräch wieder auf. Auch wenn Kasumi ihre Brüder nicht anlügen wollte, so wollte sie ihre Gedanken vorerst für sich behalten. Keiji hatte aktuell genügend Probleme und sie würde ihre Vermutung erst aussprechen, wenn sie sich damit sicher war. Bis dahin, würde sie alles tun um ihre Brüder, so gut sie konnte, zu unterstützen. „Ich habe dem Unteroffizier aufgetragen die Steine im Keller des Turms in einem Lager unterzubringen. Wenn der Keller frei zugänglich ist, möchte ich, dass du diesen Raum gründlich untersuchst Benjiro. Vielleicht findet sich irgendein Hinweis auf den Insassen und wohin er verschwunden sein könnte. Kazuma, dich würde ich gerne zu den anderen Außenposten schicken. Finde heraus, ob es dort ähnliche Zellen für Yōkai gibt und ob dort irgendjemand festgehalten wird. In der Zwischenzeit werde ich dem Schwarzmarkt einen Besuch abstatten. Was auch immer diese Steine sind, man wird sie sicher nicht auf dem freien Markt finden. Deshalb werde ich mich einmal nach möglichen Händlern oder sonstigen Gerüchten umhören.“, erklärte Keiji kurz seinen Plan. „Und was kann ich tun?“ Keijis Blick ging von Kasumi zu Kazuma, der immer noch an ihr klebte wie ein Hund an einem Knochen. „Ich weiß, du würdest uns gerne helfen, doch ich will erst einmal, dass du dich ausruhst. Wenn es dir morgen besser geht, dann kannst du gerne mit mir kommen, aber für heute hattest du, denke ich, genug.“, antwortete Keiji sanft und Kasumi spürte, wie Kazuma an ihrer Schulter nickte. Zuerst wollte sie wiedersprechen, immerhin fühlte sie sich, als wäre nichts geschehen. Doch als sie auch noch Benjiros besorgten Blick auf sich spürte, seufzte sie leise. „In Ordnung. Aber ich werde nur heute zuhause bleiben!“, stellte sie sofort klar, was ihre Brüder Lächeln ließ. Kapitel 17: Die Schattenseite der Stadt --------------------------------------- >>Das kleine Mädchen zu seinen Füßen erinnerte ihn an seine geliebte Frau. Es musste ungefähr das gleiche Alter haben, wie sie, als er ihr zum ersten Mal begegnet war. Im ersten Moment hatte er sie sogar für seine Gemahlin gehalten, doch das war nur eine Täuschung seiner Sinne. Genauso wie das Gefühl, dass er sich noch in diesem Wald befand. Denn die Stimmen, die jetzt an seine Ohren drangen, sagten ihm, dass er den Wald längst verlassen hatte…«     Tatsächlich hatte sich Kasumi nicht ganz an Keijis Anweisungen gehalten. Denn als alle das Haus verlassen hatten um die Angelegenheit mit dem nördlichen Außenposten zu klären, hatte es Kasumi in dem leeren Haus nicht mehr ausgehalten. Vor alle, da sie sich wieder fit und gesund fühlte. Da war es ihr sehr gelegen gekommen, dass sie sich an ihr Versprechen an Michihito erinnert hatte. Er wollte sie erneut an Konoes Kirschbaum treffen, damit sie von dort aus einige Dinge außerhalb der Palastmauern erkunden konnten. Bei dieser Gelegenheit hoffte Kasumi auch mehr über den Palast heraus zu bekommen. Vielleicht konnte sich Michihito für sie umhören und etwas über den General herausfinden. Es gab auf jeden Fall genügend Gründe für Kasumi, das Haus zu verlassen. Erst als sie sich dem östlichen Tor der Palastanlage näherte, fragte sie sich, ob die Wachen sie ohne Begleitung diesmal überhaut einlassen würden. Doch da war es bereit zu spät um wieder umzudrehen. Wenn sie schon einmal hier war, konnte sie es auf jeden Fall versuchen. Weshalb sie noch einmal tief durchatmete, bevor sie vor die zwei Wachen trat. Wie beim ersten Mal musterten die Männer sie mit wachsamen Augen. Eine Hand immer an ihrem Katana, um es notfalls sofort ziehen zu können. Doch schon nach wenigen Sekunden entspannten sie sich, traten zur Seite und öffneten ohne eine Wort das Tor für sie. Mit einem dankenden Nicken betrat Kasumi das Palastgelände und ging auf direktem Weg zu Konoes Kirschbaum. Keine fünf Minuten später erreichte sie den kleinen Park und fand Michihito, wie er auf einer Decke saß und einen Tee trank. Dieser Anblick überraschte sie so sehr, dass sie stehen blieb und ihn einen Moment beobachtete. Der Blick seiner graugrünen Augen war auf die Krone des Kirschbaums gerichtet zu dessen Füßen er saß. Seine gerade Haltung und der Ausdruck auf seinem Gesicht vermittelten immer noch dieses Gefühl von Würde. Was einen automatisch dazu brachte, sich vor seiner Erscheinung respektvoll verneigen zu wollen. Für Kasumi war er eine seltsame Erscheinung, doch das faszinierte sie. Und vielleicht war das hier auch ein Kriterium mit welchem man an diesem Palast angestellt wurde. Immerhin waren ihre Brüder auch interessante Männer, die nicht das waren, was sie zu sein schienen. Irgendwann musste sie sich bewegt haben, denn plötzlich senkte Michihito seinen Kopf und blickte sie direkt an. Als sich ihre Blicke trafen breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus und er stand auf. „Kasumi! Ich hatte schon befürchtet du würdest nicht kommen.“, sagte er, trat zu ihr und umschloss ihre Hand mit beide Händen. „Komm, setzt dich zu mir. Genießen wir den Tee unter dem Kirschbaum und sprechen über unser Vorhaben!“ Michihito zog sie zurück zur Decke und bedeutete ihr, sich zu setzen. Daraufhin reichte er ihr eine Tasse mit Tee und setzt sich ihr gegenüber. „Entschuldigt. Ich war mit meinen Brüdern unterwegs, deshalb konnte ich erst jetzt kommen.“, erklärte sich Kasumi, bevor sie die Tasse an ihre Lippen hob und vorsichtig einen ersten Schluck nahm. Ihr war natürlich nicht entgangen, dass Michihito begonnen hatte sie zu duzen, doch Kasumi wollte sich erst einmal zurückhalten und sich von ihrer besten Seite zeigen. Immerhin war er sicher einiges an Etikette aus dem Palast gewohnt, da wollte sie nicht wie ein Trampel vom Land wirken. Während sie den Tee tranken, sprachen sie über die Tage, an denen Michihito Zeit hätte, etwas von der Stadt zu sehen. Sie sprachen über Orte, von denen er gehört hatte und die er unbedingt sehen wollte und sie erarbeiteten sich einen Plan, wie sie alles am besten erreichen konnten. Erst als die Sonne im Begriff war zu sinken und die Luft erheblich abkühlte, lösten sie ihre gemütliche Runde auf und verabschiedeten sich voneinander. Kasumi würde in den nächsten Tagen wieder vorbei kommen und von ihrem Treffpunkt unter Konoes Kirschbaum würden sie beginnen die Stadt zu erkunden. Ein aufregendes Unterfangen, dass Kasumi bereits jetzt mit Vorfreude erfüllte. Seit sie sich erinnern konnte, hatte sie keine Zeit ohne ihre Brüder verbracht. Die Ausflüge mit Michihito wären eine schöne Abwechslung und vielleicht würde sie sich dadurch auch an etwas aus ihrer Vergangenheit erinnern. Immerhin hatte Ihr Palast keine Tagesreise zur Hauptstadt entfernt gestanden. Da war sie sicher das ein oder andere Mal hier her gekommen. Das Ganze musste sie nur noch irgendwie ihren Brüdern erklären.     Kasumi konnte ihren Atem vor ihren Augen sehen, so sehr hatte die Nacht alles abgekühlt. Denn auch wenn die ersten Anzeichen des Frühlings bereits an den Kirschbäumen erblühten, es herrschte immer noch Winter und die Nächte konnten unerbittlich kalt werden. So früh am Morgen fand sich sogar noch etwas Raureif an den Gräsern am Straßenrand. Ein Frösteln sorgte dafür, dass Kasumi ihren neuen fellbesetzten Mantel noch enger um sich wickelte. Sie hatte ihn gestern Abend in ihrem Zimmer gefunden und als sie ihre Brüder zur Rede gestellt hatte, hatten sie zugegeben ihr diesen besorgt zu haben. Während ihrer Mission hatte sich Kasumi am Abend oft in mehrere Decken gewickelt und war Kazuma oder dem Lagerfeuer nicht von der Seite gewichen. Sie hatte das nicht schlimm gefunden, doch hier in der Hauptstadt bot sich ihren Brüdern die Chance, nützliche und unnütze Dinge jederzeit zu kaufen. Auch wenn sie nicht wollte, dass sie ihr Geld für so etwas aus dem Fenster warfen, hatte sie den Mantel am Ende doch widerwillig angenommen. Allein das zufriedene Lächeln auf Keijis Gesicht war es schon wert gewesen, den Mantel zu behalten. Dieses Lächeln trug er immer noch auf den Lippen, als er jetzt neben ihr durch die Straßen der Stadt ging. Am Abend zuvor hatte Kasumi ihren Brüdern alles über ihr Treffen mit Michihito gebeichtet und ihr Vorhaben die Stadt zu erkunden. Dabei war ihr auch aufgefallen, dass sie ganz vergessen hatte diesen nach dem General zu fragen. Das musste sie unbedingt bei ihrem nächsten Treffen nachholen. Zuerst waren ihre Brüder nicht sonderlich begeistert gewesen, hatten schließlich aber nachgegeben. Auch, weil sie ihren Mantel angenommen hatte. Doch egal was sie noch vorhatte, sie wollte so viel Zeit wie möglich mit ihren Brüdern verbringen. Und da diese Gestern nicht all ihre Aufgaben erledigen konnten, hatten sich Kasumi heute Morgen sofort Keiji angeschlossen, als sie alle wieder aufgebrochen waren. Weshalb sie jetzt, kurz nach Sonnenaufgang, durch die Straßen der Hauptstadt Richtung Hafen gingen. Die beste Zeit um zwielichtige Gestalten in den leeren Gassen zu finden, wie Keiji beton hatte. Sie hofften heute in Wassernähe ein paar bekannte Gesichter vom Schwarzmarkt zu entdecken, nachdem er gestern kein Glück gehabt hatte. „Der General ist also dein Onkel? Wie kommt es, dass er dich so sehr hasst?“, frage Kasumi um sich etwas von der Gegend abzulenken. Keiji antwortete nicht sofort. Er ließ seinen Blick über die Straße und in die Seitengassen wandern, bevor er tief durchatmete. „Das ist eine lange, komplizierte Geschichte…“, begann er schließlich. Kasumi lehnte sich leicht nach vorne, um Keiji ins Gesicht sehen zu können. Sein Blick ging in den Himmel, doch er sah so aus, als würde er über längst vergangene Dinge nachdenken. „Wir versuchen gerade ein paar örtliche Kriminelle aufzuspüren und bisher ist niemand zu sehen. Ich denke also, wir haben ein bisschen Zeit für so eine Geschichte. Außerdem freut es mich immer, mehr über euch zu erfahren.“, sagte sie mit einem aufmunternden Lächeln. Daraufhin begegnete Keiji ihrem Blick und lächelte schließlich leicht. „Wie kann ich bei diesem Blick auch ablehnen? In Ordnung. Um das ganze Ausmaß dieser Geschichte zu begreifen, muss ich zuerst erklären, dass Maeda Toshiie nicht mein Blutsverwandter Onkel ist. Ich wuchs in einem Namenlosen Anwesen in den Bergen auf. Dort versuchte mein leiblicher Vater seine Ländereien mit Ruhe und Frieden zu führen. Er war ein unglaublich weißer und gutherziger Mann. Und ich glaube ich kann sagen, dass ich eine sehr glückliche Kindheit hatte. Immer wenn es möglich war, verbrachte ich Zeit in der Natur, wo ich natürlich auch mit den Yōkai zusammenstieß. Dort habe ich auch gelernt, dass sie nicht alle böse sind… Jedenfalls hatten wir das Pech unsere Ländereien zwischen zwei großen Clans zu haben. Und wie es kommen musste, wurden wir schließlich überfallen und meine Eltern und ihr gesamter Haushalt getötet…“ „Das ist ja schrecklich! Es tut mir so leid, Keiji. Ich hätte das nicht fragen sollen!“, entschuldigte sich Kasumi sofort als sie das hörte. Hätte sie geahnt, wohin diese Geschichte gehen würde. Woran sie ihn erinnern würde... Sie hätte nicht so neugierig sein sollen. Keiji legte seine Hand auf ihre Schulter und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. „Mach dir keine Gedanken deswegen. Das ist schon so lange her, dass es mir manchmal selbst so vorkommt, als wäre es nicht meine Vergangenheit, sondern nur eine Geschichte, die ich zu oft gehört habe… Ich habe ihnen ein Grabmal errichtet, das ich jederzeit besuchen kann. Ganz in der Nähe ihres Anwesens und ich denke damit wären sie zufrieden gewesen. Mit diesem Gedanken habe ich den Schmerz über ihren Verlust verwunden.“, erklärte er sanft. Einen langen Moment beobachtete Kasumi sein Gesicht. So lange, bis sie vollständig davon überzeugt war, dass dort kein Funken Schmerz zu finden war. Sie wusste nicht, ob sie selbst noch Familie hatte, doch sie wusste wie es sich anfühlte, niemanden um sich zu haben. Immerhin hatte sie in manchen Nächten selbst die ein oder andere Träne deswegen verdrückt. Seine Liebsten zu verlieren konnte niemals etwas Leichtes sein. Doch Keiji hatte es geschaffte weiter zu leben. Für sie alle weiter voran zu schreiten. „Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich dieses Grabmal gerne einmal besuchen um deiner Familie die Ehre erweisen zu können.“ Ein überraschter Ausdruck legte sich auf Keijis Gesicht, als er ihre Worte hörte. Gefolgt von einem seligen. „Es wäre mir eine Ehre, dich meiner Familie vorzustellen.“, sagte er mit einer Verbeugung, die Kasumi mit einem dankbaren Lächeln erwiderte. Daraufhin verfielen sie kurz in Schweigen, bevor Kasumi das vorherige Thema noch einmal aufgriff: „Darf ich fragen, wie es weiter ging?“ Sie sollte nicht so neugierig sein, doch sie wollte wissen, was mit Keiji passiert war. Wie er zu dem Mann wurde, der er jetzt war. „Natürlich darfst du. Mein Vater war ein sehr guter Freund von Maeda Toshihisa. Er war es, der mich damals adoptierte und als seinen eigenen Sohn annahm. Er gab mir ein Zuhause und die Liebe einer Familie, nachdem ich alles verloren hatte. Es war ein kurzer Moment des Glücks für mich und die Wunden meines Verlusts begannen zu heilen. Doch so wie mein leiblicher Vater eine unglückliche Stellung innehatte, hatte auch mein zweiter Vater einige Feinde. Allen voran sein eigener Bruder. Toshihisa war der Erstgeborene und sollte einmal den Maeda-Clan übernehmen. Toshiie hätte als Zweitgeborener nur ein Anrecht auf diese Position gehabt, wenn mein Vater ohne Erben gestorben wäre. Was nicht mal unwahrscheinlich gewesen wäre, da mein Vater eine kinderlose Ehe geführt hatte. Doch dann hatte er mich adoptiert und nach seinem Tod wäre der Titel an mich übergegangen. Nicht dass ich das gewollt hätte. Doch für diesen Mann hätte ich die Bürde auf mich genommen. Toshihisa war ein großartiger Mann. Er hatte viel mit meinem Vater gemeinsam. Er war immer gütig und hatte ein Ohr für jedes Problem seiner Untergebenen. Darüber hinaus war er ein ausgezeichneter Stratege und Kriegsführer. Vieles habe ich von ihm gelernt.“ Während Keiji von seinem Ziehvater sprach, bemerkte Kasumi ein leuchten in seinen Augen, dass sie noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte. Er musste unglaublich stolz auf ihn sein und große Stücke auf ihn halten. Sogar jetzt noch, nachdem er ihn offensichtlich verloren hatte. Kasumi war froh, dass Keiji solch starke Männer in seiner Vergangenheit an seiner Seite gehabt hatte. Diese hatten sicher den Keiji aus ihm gemacht, der hier voller Wertschätzung von ihnen sprach. Deshalb hörte Kasumi auch aufmerksam weiter zu. „Aber die Feindschaft zwischen den Brüdern wuchs und schließlich schaffte es Toshiie, der schon damals ein guter Freund des Daimyōs war, dass dieser meinem Ziehvater alle Titel aberkannte und Toshiie die Familienrechte übertrug. Kurz darauf wurde Toshihisa Seppuku aufgezwungen und ich habe das Maeda Anwesen verlassen. Niemals wieder wollte ich etwas mit Toshiie zu tun haben. Also hatte ich mich für die Armee gemeldet. Immer unterwegs zu sein hat mir geholfen, doch es konnte die Wunden nicht endgültig verschließen. Und je weiter ich im Rang aufstieg, umso näher kam ich wieder meinem verhassten Onkel. Unser erstes Aufeinandertreffen nach fast fünf Jahren endete mit einer blutigen Auseinandersetzung, bei der er sein rechtes Auge verlor. Doch das war es wert gewesen. Für alles, was er mir und den Menschen die ich liebte angetan hatte…“ Keiji unterbrach sich kurz und sah erneut in den Himmel. Sein Blick verschleiert, so als liefen die damaligen Ereignisse noch einmal vor einem geistigen Auge ab. Unwillkürlich ergriff Kasumi seine Hand und drückte sie fest. Bei all der Grausamkeit, die Keiji erlebt hatte, wusste sie gar nicht, was sie sagen sollte. Es war grauenvoll, was Keiji passiert war und so war es selbstverständlich, dass er auf seinen Onkel nichts hielt. Wenn man solche Verwandte hatte, brauchte man wirklich keine Feinde mehr. Wie um sie aufzumuntern, drückte Keiji ihre Hand. Dabei hatte sie ihn doch aufheitern wollen. Das wollte sie ihm auch sagen, doch er fuhr fort, noch bevor sie den Mund geöffnet hatte: „Damals war ich bereit gewesen für die Rache am Tod meiner Eltern und meines Ziehvaters selbst zu sterben, doch über die Jahre hinweg habe ich begriffen, dass ich ihm am gefährlichsten werde, wenn ich weiter Lebe. Immerhin hätte Toshihisa den Maeda-Clan einmal übernehmen sollen. Wenn mein Onkel also irgendwann das Recht auf den Titel des Oberhaupts verlieren sollte geht dieses wieder direkt an mich über. Das ist auch der Grund, warum er mich keine Sekunde aus den Augen lässt. Deshalb schickt er mich ständig durchs Land und versucht meinen Rang niedrig zu halten. Er fürchtet jeden Tag, dass meine Macht über seine steigt und dass ich bei ihm dieselben Abscheulichkeiten plane, die er getan hat.“ Keijis Gesichtsausdruck wurde hart und er ballte seine freie Hand zur Faust. Kasumi konnte sich gar nicht vorstellen wie tief dieser Hass zwischen den beiden sein musste. „Das ist ja schrecklich. Wie jemand so etwas seinem eigenen Bruder antun kann ist mir unbegreiflich…“, erklärte Kasumi schließlich und während sie sprach hatte sie das Gefühl, dass ihr etwas an ihren Worten bekannt vorkam. Wie so oft, konnte sie den Gedanken natürlich nicht greifen, weshalb sie die ganze Sache schnell beiseite schob. Jetzt war keine Zeit sich den Kopf um ihre eigene Vergangenheit zu zerbrechen. „Aber wie willst du dafür sorgen, dass dein Onkel seine Macht verliert? Vor allem, wenn er ein Freund des Daimyō ist?“ Kasumi gönnte Keiji von ganzem Herzen seine Rache und sie würde ihm auch dabei helfen sein Recht zu bekommen. Doch von dem was sie bisher wusste, fiel ihr nichts ein, wie er das schaffen konnte. Einen Moment lang sah Keiji sie einfach nur an, bevor er ihr mit einer Hand durchs Haar wuschelte. „Du bist einfach eine unglaubliche Frau, Kasumi!“, lachte er. „Erinnere mich daran, dass ich dich unbedingt meinen Cousinen vorstellen muss. Ich bin mir sicher, dass ihr euch ausgezeichnet verstehen werdet. Jedenfalls ist mein Plan, den Daimyō zu umgehen und meinen Onkel irgendwie beim Tennō direkt anzuklagen. Doch das ist nicht so einfach. Der Kaiser ist ein vielbeschäftigter Mann und nur seine engsten Berater bekommen ihn zu Gesicht. Außerdem zeigt er sich so gut wie nie in der Öffentlichkeit, weshalb es fast unmöglich ist, an ihn heran zu kommen. Es besteht nur die Möglichkeit, dass ich mich wegen besonderer Ehren auf dem Feld hervor tue. Denn einmal im Jahr verleiht der Tennō eine Auszeichnung an seine mutigsten Soldaten. Eines Tages werde ich einer von diesen Männern sein und dann wird der ganze Spuk ein Ende finden.“ Es war ein ambitionierter Plan, doch Kasumi glaubte daran. Wenn es jemand schaffen konnte, dann war es Keiji. Mit all dem Feuer und der Leidenschaft, mit der er seine Männer anführte und Pläne schmiedete. Wie konnte er es da nicht vor den Tennō schaffen? „Und wenn es so weit ist, werde ich da sein um deinen Erfolg mit dir zu feiern.“, versprach Kasumi mit einem Lächeln. In der Zwischenzeit war der Kamo Fluss in Sichtweite gekommen und die Häuser der Menschen waren Hallen für die Lagerung aller möglichen Waren gewichen. Es war dieser Ort, der Kasumi plötzlich stehen bleiben ließ. Die ganze Zeit über hatte sie sich die Gegend angesehen, doch die Gasse, in die ihr Blick jetzt ging, erzeugte ein erkennendes Gefühl in ihrem Körper. Sie musste hier schon einmal gewesen sein. Ohne darüber nachzudenken, bog sie in die Gasse. „Kasumi?“ Irritiert rief Keiji nach ihr, doch nachdem sie nicht antwortete, holte er wieder zu ihr auf um sie fragend anzusehen. „Was ist los?“ Noch vor einer Antwort, blieb Kasumi vor der Tür einer Lagerhalle stehen. Sie ließ ihren Blick von der Tür bis zum Dach der Lagerhalle wandern und dann die Gasse rauf und runter, bevor sie Keijis Blick begegnete. „Ich habe das Gefühl, dass ich hier schon einmal war.“, erklärte sie abwesend. Ihre Aufmerksamkeit glitt wieder zur Tür, vor der sie stand und unwillkürlich streckte sie eine Hand danach aus. „Warte!“ Keiji ergriff ihr Handgelenk und zog ihre Hand zurück, was sie verdutzt zu ihm aufsehen ließ. „Das hier ist keine freundliche Gegend. Wir könnten sonst wo reinplatzen. Lass mich wenigstens vor gehen.“, erklärte er und schob sich zwischen Kasumi und die Tür. Vorsichtig öffnete er die Tür einen Spalt breit und erst als er sich sicher war, dass nicht sofort etwas passieren würde, öffnete er die Tür komplett. Eine Hand am Schaft seines Katanas trat Keiji einen kleinen Schritt zur Seite, so das Kasumi ebenfalls etwas sehen konnte. Hinter der Tür befand sich ein langer, dunkler Flur an dessen Ende eine Tür lag. Eine Zweite Tür befand sich ungefähr in der Mitte des Flurs auf der rechten Seite. Sonst gab es hinter der Tür nichts Besonderes. „Bist du dir absolut sicher, dass du schon einmal hier warst?“, fragte Keiji mit einem prüfenden Blick auf Kasumi. Immer noch auf den langen Flur fixiert nickte Kasumi. „Ganz sicher.“, erklärte sie und machte einen Schritt auf die Tür zu. Erneut reagierte Keiji sofort und trat vor, so dass er vor ihr den Flur betrat. Es war Wahnsinn, was sie hier taten. Das wusste er auch, doch er würde Kasumi immer verteidigen. Selbst bei diesem Flur, der viel zu eng war, um sein Katana ziehen zu können. „Wenn etwas schief geht, wirst du es Kazuma erklären.“, flüsterte Keiji um seine Anspannung etwas zu mildern. „Das werde ich. Keine Sorge. Hinter dieser Tür.“ Normalerweise hätte Kasumi bei seinen Worten gelächelt, doch dieses Gefühl, dass sie diesen Ort kannte, forderte ihre volle Aufmerksamkeit. Wegen diesem Gefühl blieb sie auch vor der Tür in der Mitte des Flurs stehen. Keiji trat an ihre Seite und einen Moment lauschten sie auf Geräusche. Hinter der Tür konnte man tatsächlich hören wie Kisten verladen wurden und wie mehrere Männer miteinander sprachen. „Das wird ganz und gar nicht gut gehen. Das ist dir klar oder?“ Kasumi nickte auf seine Frage, was Keiji seufzen ließ. „Ich muss das einfach wissen, Keiji.“, erklärte sie und streckte schon wieder die Hand nach der Tür aus. „Ich weiß.“, war alles, was er sagte, bevor er die Tür auf riss und den Raum betrat.   Der Raum hinter der Tür war riesig. Überall stapelten sich Kisten bis unter die drei Meter hohe Decke und unzählige Männer waren damit beschäftig Kisten aufzustapeln oder von ihrem Platz zu holen und irgendwo in den linken Teil der Halle zu schaffen. Das geschäftige Treiben erstarb allerdings sofort, als Keiji den Raum betrat. Gefolgt von Kasumi. Und ehe sie es sich versahen brach Geschrei los und die Beiden wurden von muskulösen Männern ergriffen und festgehalten. Keiji wurde das Katana abgenommen, bevor er die Chance hatte es zu ziehen. Doch auch ohne Schwert versuchte er sich gegen den Griff eines zwei Meter Manns zu wehren, jedoch ohne Erfolg. Aber auch Kasumi versuchte sich zu befreien, tat sich dabei jedoch mehr weh, als das sie entkommen wäre. „Krümmt ihr ein Haar und ihr seid Tod!“, schrie Keiji, während er mit aller Kraft versuchte zu entkommen oder zumindest an Kasumis Seite zu kommen. „Was ist das hier für ein Lärm?“ Der wütende Schrei eines Mannes ließ sämtliche Männer in der Halle verstummen. Alle waren sie näher gekommen um zu sehen was los war, doch jetzt rührte sich keiner mehr von ihnen. Irgendwo hinter Kasumi kam jemand eine Treppe herunter, doch wegen den Ausmaßen ihres Wächters konnte sie absolut nichts sehen. Und der Mann machte auch keine Anstalten sich umzudrehen. Stattdessen antwortete der Wächter, der Keiji fest hielt: „Die Beiden sind hier gerade hereinspaziert. Deshalb haben wir sie festgehalten, Boss.“ „Ja genau.“, bestätigte der Mann, der Kasumi festhielt. Beide klangen nicht besonders intelligent, doch das war in ihrem Job sicher kein Einstellungskriterium. „Und wen haben wir hier?“, fragte der Mann von der Treppe. Seine Stimme kam immer näher, weshalb Kasumi schätzte, dass er sie in ein paar Schritten erreicht hatte. Sie sah Keiji an, um von seinem Gesichtsausdruck ablesen zu können, wer da auf sie zukam, doch sie wurde daraus nicht schlau. Keiji schien selbst nicht ganz sicher zu sein, wer da auf sie zukam. Doch schließlich, hörte sie das Klatschen eines Fächers auf nackte Haut und ihr Wächter trat einen Schritt zur Seite, so dass Kasumi ebenfalls auf die Treppe sehen konnte. Der Mann auf der Treppe erinnerte sie an ein Fass. Das war zumindest das erste Wort, das ihr in den Sinn kam. Er war klein und üppig gebaut. Seine Haut war braun, so als wäre er zu viel in der Sonne unterwegs gewesen und seine kleinen, dunklen Augen gaben ihm einen verschlagenen Ausdruck. Die Haare hatten begonnen ihm auszufallen, weshalb er eine unnatürlich hohe Stirn besaß und nicht einmal die teure Kleidung konnte darüber hinwegtäuschen. In der rechen Hand hielt er einen Fächer, den er offensichtlich in die Handfläche seiner linken Hand geschlagen hatte. Auf diese Geste hin hatten sich all seine Männer zu ihm umgedreht und die Köpfe gesenkt. Offenbar handelte es sich hier um den Inhaber der Lagerhalle und mit Sicherheit jemandem von der Schattenseite dieser Stadt. Der Mann ließ seinen Blick über die versammelte Mannschaft wandern, bis er an Kasumi hängen blieb. Sofort wich alle Farbe aus seinem Gesicht und er sprintete die letzten Stufen von der Treppe herunter. „Idioten! Lasst sie sofort los!“, schrie er dabei. Die Wächter reagierten ihm jedoch zu langsam und als er sie erreichte schlug er mit seinem Fächer auf den Mann ein, der Kasumi fest hielt. So lange, bis dieser seinen Griff von ihren Armen löste. Erleichtert über die Freiheit sprang Kasumi einen Schritt zur Seite und rieb sich ihren rechten Arm. Der Mann hatte sie so fest gehalten, dass es sicher einen blauen Fleck geben würde. Doch darüber konnte sie sich später Gedanken machen, denn der Boss dieser Gruppe fiel fast sofort vor Kasumi in den Staub. „Bitte entschuldigt die raue Begrüßung, Mylady. Diese Idioten würden nicht einmal ihre eigene Mutter erkennen, wenn sie hier herein kommen würde.“, sagte der Mann. Kasumi tauschte einen Blick mit Keiji, der sie mit einer Mischung aus Überraschung und Fassungslosigkeit ansah. Doch auch Kasumi hatte keine Ahnung was hier vorging. Sie wusste nur, dass sie diese Chance nutzen mussten. „Lasst meinen Begleiter los und ich werde über dieses Vergehen noch einmal hinweg sehen.“, erklärte Kasumi deshalb. Sie bemühte sich, so gerade wie möglich zu stehen um einen möglichst erhabenen Eindruck zu erzeugen. Das schien sogar zu funktionieren, denn der Mann sprang auf und schlug auch den zweiten Wächter mit seinem Fächer. „Hast du nicht gehört? Lass ihn los!“, schrie er dabei und sein ganzer Kopf wurde rot vor Wut. „Aber Boss, wir sollen doch niemanden hier rein lassen.“, widersprach der Wächter. „Idiot! Diese Lady bekommt was auch immer sie verlangt, also lass ihn gefälligst los oder ich hacke dir die Hände ab!“ Mit dieser Drohung riss der Mann seine Hände zurück, so als hätte er sich an Keiji verbrannt und verneigte sich tief. „Entschuldigung Boss.“, murmelte er, während ihm sein Chef seinen Fächer über den Kopf schlug. Während dieser Szene trat Keiji zu Kasumi und musterte sie durchdringend. „Was geht hier vor?“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Wenn ich das nur wüsste…“ Kasumi hatte auch keine Gelegenheit sich weiter darüber den Kopf zu zerbrechen, denn der Boss war fertig damit, seinen Ärger an seinem Untergebenen auszulassen und kam kratzbucklig an ihre Seite. „Mylady. Ich hatte mit keinem Besuch gerechnet. Sie müssen das Entschuldigen. Wenn Sie die Anlage inspizieren wollen, dann führe ich Sie natürlich gerne herum. Doch ich schwöre bei meiner Ehre als Yakuza, dass ich keine Geschäfte mit Yōkai mehr in meinem Gebiet dulde. Das ist Ihnen sicher schon aufgefallen.“, erklärte der Mann unter ständigem verbeugen. Bei dieser Erklärung entging Kasumi natürlich nicht der überraschte Blick von Keiji. Doch so wie er aussah, fühlte sie sich auch. Aber darum mussten Sie sich später kümmern. „Das ist nicht nötig. Ich bin wegen etwas anderem hier.“, begann Kasumi. „Aber natürlich. Wenn Sie mir vielleicht in mein Büro folgen wollen. Ich habe gerade heute eine ausgezeichnete Lieferung Tee bekommen. Eine frisch aufgebrühte Kanne wartet schon auf Sie. Dabei können wir alles weitere besprechen.“, schlug der Mann vor und wies mit einer Hand auf die Treppe. Kasumi folgte der Treppe mit den Augen. Sie führte hinauf in den ersten Stock dieser Halle, wo sich ein geschlossener Raum befand. Von diesem aus konnte man über Fenstern die gesamte Halle überwachen und war dennoch abgeschottet um in Ruhe seinen Geschäften nachgehen zu können. Natürlich konnte das auch eine Falle sein, weshalb sie sich an Keiji wand. Dieser hatte den Raum ebenfalls gemustert, nickte dann aber. Wahrscheinlich war es jetzt sowieso egal wo sie die Sache besprachen. Wenn man sie hier nicht mehr lebendig heraus lassen wollte, würden sie das auch nicht schaffen. Da konnten sie das Ganze gleich an einem ungestörten Ort tun. „Gehen Sie voran.“, sagte Kasumi deshalb. „Aber natürlich!“ Der Mann verbeugte sich noch einmal tief, bevor er zur Treppe eilte und diese hinauf stieg. Keiji und Kasumi folgten ihm und ließen alle anderen Männer staunend zurück. Oben ankommen, war der Chef ganz schön außer Puste. Das versuchte er sich zwar nicht anmerken zu lassen, scheiterte jedoch. Deshalb huschte er schnell in sein großzügig ausgestattetes Büro. Dort befanden sich unzählige wertvolle Möbel und Dekoration. Hauptsächlich in dunkelbraun und Gold gehalten. „Bitte setzten Sie sich. Ich bin sofort bei Ihnen!“ Er wies auf zwei üppige Kissen, die um einen Tisch aus Mahagoni ausgelegt waren. Während sie sich dort setzten trat der Mann an eine Kommode und kam mit einem Tablett voll Teeschalen und einer Kanne zurück. Er schenkte ihnen allen etwas von der honigfarbenen Flüssigkeit ein, deren Dampf ein angenehmes Aroma verströmte. Erst dann setzte er sich ebenfalls an den Tisch und neigte noch einmal den Kopf. „Wie kann ich Ihnen behilflich sein, Mylady?“, fragte er sofort und ohne Umschweife. Kasumi hatte wirklich damit gerechnet, sich hier an etwas zu erinnern. Doch bisher waren nur mehr Fragen aufgetaucht. Was um alles in der Welt hatte sie hier getan, dass dieser Mann vor ihr kuschte, als erwarte er den Todesstoß, wenn er nicht tat was sie sagte? Sie konnte sich keinen Reim darauf machen. Doch auch das würde sie noch herausfinden. Erst einmal wollte sie diese überraschende Begegnung für ihr aktuelles Problem nutzen. „Es gibt hier jemanden, der grün leuchtende Steine verkauft. Steine, die Yōkai sehr zu schaffen machen können. Ich will wissen wer das ist und wo ich ihn finden kann.“, erklärte Kasumi. Erneut wich alle Farbe aus dem Gesicht des Mannes und er verneigte sich so tief, dass sein Kopf fast gegen die Tischplatte stieß. „Ich bitte tausendfach um Verzeihung, Mylady. Dieser… Händler…“, der Mann machte ein paar Gänsefüßchen mit den Fingern, während der das Wort Händler aussprach. „Er gehört nicht zu mir und handelt ausschließlich außerhalb der Stadt. Wenn ich ihn jemals zu fassen bekomme, wird er nie wieder etwas verkaufen. Das versichere ich Ihnen. Bisher haben wir ihn noch nicht ausfindig machen können, obwohl ich meine fähigsten Jungs nach ihm ausgeschickt habe. Ich würd doch niemals zulassen dass so etwas hier verkauft wird. Wo ich doch genau weiß, wie Ihr zu so etwas steht-“ „Ich brauche keine Ausflüchte. Ich will wissen was das ist und wer das verkauft.“, unterbrach Kasumi den Mann. Dieser zuckte zusammen, als hätte sie ihn geschlagen, nickte jedoch. „Natürlich. Natürlich. Bei den Steinen handelt es sich um Midori Yakubarai. Sie sind äußerst schwer zu beschaffen. Bisher ist nur ein Vorkommen in einem Berg weit im Norden bekannt. Der Mann, der sie vertreibt nennt sich Kizuato. Den Namen trägt er wegen einer großen Narbe, die über seine linke Wange verläuft. Meine Männer sagen, dass er die letzten drei Lieferungen einzig an den Kaiserpalast verkauft hat. Beim Preis eines einzelnen Steins kann sich das aber kaum jemand anderes leisten…“, erklärte der Mann und schien in Gedanken abzudriften. „Wo verkauft er normalerweise?“, fragte Kasumi deshalb sofort. „Außerhalb der Stadtmauern. Hauptsächlich auf der anderen Flussseite – Außerhalb meines Gebiets. Doch er ändert immer wieder seinen Standtort, weshalb wir ihn noch nicht aufspüren konnten. Aber er die nächsten Wochen sicher nicht auftauchen. Erst vor ein paar Tagen hat der Kaiserpalast seine gesamten Vorräte aufgekauft. Deshalb vermute ich, dass er zurück zu diesem Berg reist um Nachschub zu besorgen.“ Bei diesen Worten sah Kasumi zu Keiji. Ihre Gedanken begannen zu rasen und Keiji sah so aus, als ging es ihm genauso. Wenn das der Wahrheit entsprach, hatte der Daimyō entweder vor, noch viel mehr von diesen Zellen zu bauen, oder er plante etwas noch viel Größeres… „Vielen Dank für die Informationen. Das ist erst einmal alles, was wir wissen müssen. Wir müssen uns jetzt verabschieden.“, erklärte Kasumi und erhob sich dabei. Sofort sprang der kleine Mann auf und verneigte sich tief. „Aber Natürlich. Ich werde Sie zur Tür geleiten.“, erklärte er, huschte um den Tisch und öffnete die Tür seines Büros. Auch diesmal herrschte sofort absolute Ruhe, als ihr Chef die Halle betrat. Alle Arbeiter hielten mit ihrer Tätigkeit inne und musterten die beiden Gäste ihres Bosses. Nur wagte diesmal niemand auch nur eine falsche Bewegung und als Kasumi den Blick einiger Arbeiter begegnete, wandten diese den Blick sofort ab. Die Wachen neben der Tür traten noch einen Schritt zur Seite, als ihr Boss auf sie zu kam, die Tür öffnete und sich erneut tief verbeugte. „Falls ich Ihnen noch irgendwie behilflich sein kann, schicken Sie mir einfach eine Nachricht, Mylady.“, sagte der Mann, als Kasumi dabei war, durch die Tür zu gehen. Einen Moment blieb sie stehen und sah sich den Mann an. Sie ließ ihren Blick auch noch einmal durch die Halle gleiten. Doch keine Erinnerung kam dabei hervor. Deshalb nickte sie nur und verließ dieses Haus. Plötzlich kam es ihr so vor, als würde ihr das Gebäude auf die Lunge drücken. Weshalb sie draußen in der leeren Gasse erst einmal tief durchatmete. Keiji schloss die äußere Tür hinter sich und trat dann an ihre Seite. „Was bitte war das gerade eben?“, fragte er irritiert. Kapitel 18: Ein Schritt nach dem anderen ---------------------------------------- >>Das Dach dieses Hauses war alles andere als ein angemessener Aufenthaltsort. Tatsächlich hätte er früher einen großen Bogen um so einen Ort der Menschen gemacht. Doch sein Körper zwang ihn dazu zu bleiben. Die Wunden in seiner Brust wollten nicht heilen und behinderten seine Fortbewegung. Also blieb er und ließ sich versorgen, von dieser seltsamen Frau, die keine Furcht vor ihm kannte…«     Der Schrei eines Raben veranlasste Kasumi dazu, auf zu sehen. Gerade als sich der Vogel vom Dach der gegenüberliegenden Hall abstieß und in den Himmel aufstieg. So hoch, dass ein erster Sonnenstrahl auf sein Gefieder traf und dieses in allen Farben glitzern ließ. Dieser Anblick erzeugte ein vertrautes Gefühl in ihrer Brust, doch da es keine Erinnerungen mit sich brachte, glitt ihr Blick zurück zu Keiji. Dieser sah sie immer noch verwirrt an. Was kein Wunder war, immerhin war diese Begegnung in der Lagerhalle alles andere als gewöhnlich gewesen. „Ich kann dir leider auch nicht mehr sagen. Ich habe mich an absolut nichts erinnert. Deshalb weiß ich auch nicht woher ich diesen Mann kenne oder warum er so viel Angst vor mir hat.“, erklärte sie niedergeschlagen. Keiji ließ seinen Blick noch einmal prüfend über das Gebäude wandern, bevor er Kasumi eine Hand auf die Schulter legte. „Egal was das gerade war, du bist eine ausgezeichnete Schauspielerin. Ich wäre niemals im Leben darauf gekommen, dass du keine Ahnung hast. Es war eine sehr beeindruckende Vorstellung.“, schwärmte Keiji. Auf seine Euphorie hin musste Kasumi Lächeln und ihre Wangen kleideten sich in beschämtes Rot. „Mir wäre es lieber, wenn ich wüsste was ich tue… Aber immerhin konnten wir hier einiges erfahren. Was willst du jetzt tun wegen diesem Händler?“, fragte sie, um von dem Thema abzulenken. Keiji sah noch einmal auf die Halle, bevor er ihr den Rücken kehrte und einen Weg Richtung Fluss anstrebte. Kasumi folgte ihm ohne zu zögern, hatte dabei allerdings das Gefühl beobachtet zu werden. Vielleicht hatte der Gangsterboss jemanden abgestellt, der sie beide im Auge behalten sollte. Doch als sie sich umdrehte, war dort niemand zu sehen. „Ich will die Aussagen des Manns überprüfen. Wenn der Händler wirklich verschwunden ist um Nachschub zu beschaffen, dann werden wir ihn nicht mehr finden. Aber wir können ihn abpassen, wenn er wieder versucht in die Nähe der Hauptstadt zu gelangen. Gehen wir erstmal auf die andere Seite des Flusses und sehen, was wir noch herausfinden können. Vom Hafen aus finden wir sicher jemanden, der uns übersetzt.“, erklärte Keiji, während er die Gasse entlang schritt. Am Hafen angelangt fanden Sie schnell einen Fischer, der sie für ein paar Münzen auf die andere Seite des Flusses brachte. Kasumi saß am Bug des keinen Kahns und ließ die Finger einer Hand durch das klare Wasser gleiten. Hinterher konnte sie nicht mehr sagen, ob es das Schaukeln des Boots oder das Fließen des Wassers um ihre Finger herum war, doch in diesem Moment spielte sich eine Erinnerung vor ihrem inneren Auge ab.   //Sie würde große Schwierigkeiten bekommen. Riesen große Schwierigkeiten. Und das nicht nur, weil Kōhaku das die ganze Zeit während ihres Fluges betonte. Sollte Sesshōmaru herausfinden, dass Rin soeben die gesamte Unterwelt der Hauptstadt gegen sich aufgebracht hatte, würde er ihr ordentlich die Leviten lesen. Immerhin hasste er es, wenn sie sich bei den Angelegenheiten der Menschen einmischte. Aber ihr war auch nichts anderes übrig geblieben. „Sesshōmaru wird mich umbringen. E wird mir die alleinige Schuld geben. Das ist dir bewusst oder?“, quengelte Kōhaku. Er war niemand, der sich leicht einschüchtern ließ, doch es gab kaum jemanden, vor dem er mehr Respekt hatte als vor Sesshōmaru. Kein Wunder also, dass er seinen Zorn fürchtete. „Das klären wir später. Ich glaube ich kann sie sehen!“ Nicht nur, dass sie gerade mit Kōhaku einen Verbrecherring bei ihren Untergrundkämpfen gestört hatten. Nein sie hatten die ganze Arena praktisch zerstört und die dort gefangenen Yōkai befreit. Es war eine von ihnen, hinter der Rin jetzt her war. Im Kampf war sie schwer verletzt worden und sie hatte es nicht rechtzeitig geschafft sie komplett zu heilen. Zu allem Überfluss war sie dann auch noch in den Fluss gestürzt. So wäre sie ein leichtes Opfer, für alle, die sie bemerkten. Das wollte Rin in Ordnung bringen. Deshalb folgten sie auf Kirara und Ah-Uhn dem Flusslauf und entdeckten die Tengu auf einer Sandbank. Sofort lenkte Rin Ah-Uhn zu Boden, sprang von seinem Rücken und eilte an ihre Seite. Sein beleidigtes Schnauben ignorierend fiel sie neben der Frau auf die Knie und zog sie auf ihren Schoß. „Gib jetzt nicht auf!“, rief sie, presste eine Hand auf ihre Brust und ließ ihre Magie in den Körper der Tengu fließen. Das Gleiche hatte sie schon in dieser Arena getan, doch es hatte nicht ausgereicht. Die Wunde in ihrer Brust war tödlich und es würde sie einiges an Kraft kosten, das nicht gesehen zu lassen. Nur am Rande bemerkte sie, wie auch Kōhaku landete und an ihre Seite trat. Egal wie sehr er sich vor ihrem Ehemann fürchtete, das Schicksal der Tengu ließ auch ihn nicht kalt, weshalb er angespannt den Atem anhielt. Es dauerte lange, doch endlich begann sich die Wunde zu schließen und die Tengu öffnete langsam ihre Augen. Noch zu schwach um sich zu bewegen, starrte sie einfach nur zu Rin auf, die nicht damit aufhörte, ihre Wunde zu versorgen. Noch ein bisschen und sie wäre über dem Berg. Dann könnte der Rest auch allein heilen. „Wer bist du?“, fragte die Frau, als Rin mit ihrer Arbeit zufrieden war und ihre Hand mit einem erschöpften Seufzen zurückzog. Langsam setzte sich die Tengu auf und musterte Rin misstrauisch. Rin konnte das verstehen. Sicherlich war ihr noch nie im Leben etwas Gutes geschehen. Deshalb schenkte sie ihr ein Lächeln und antwortete: „Jemand, der es nicht mitansehen kann, wenn jemandem Leid zugefügt wird. Du hast ein besseres Leben verdient, als das in diesem Ring… So etwas sollte verboten werden!“ Den letzten Satz sprach Rin voller Verachtung aus. Sie biss die Zähne zusammen und ballte eine Hand zur Faust. Oh ja, sie würde den Veranstaltern dieser Kämpfe das Leben so zur Hölle machen, dass sie es nicht mehr wagten so etwas zu tun. Doch das musste noch etwas warten. Zuerst musste sie sich um die Frau hier kümmern. „Für dich ist das jetzt vorbei. Du bist frei und kannst ein Leben wählen, wie du es wünschst.“, erklärte sie wieder mit einem Lächeln auf den Lippen. Es hätte sie interessiert, was sie jetzt vorhatte, doch in diesem Moment machte sie Kōhaku auf etwas aufmerksam. „Rin!“ Er musste nur ihren Namen sagen und ihr war klar, was er sah. Oder besser gesagt wen. Sofort hob sie den Blick und begegnete Sesshōmarus ausdruckslosen Augen. Er stand einige Meter entfernt und sah sich die ganze Szene an, ohne eine Miene zu verziehen. Doch Rin wusste genau, was in ihm vorging. Er kochte vor Wut. Weil sie so leichtsinnig gewesen war und ihr Leben in Gefahr gebracht hatte. Diese Aura konnte man leicht in der Luft spüren und die Tengu spannte sich unwillkürlich an und sprang schließlich auf. Doch genau in diesem Moment sprang auch Rin auf und lief ohne zu zögern auf ihren Ehemann zu. Das war die einzige Möglichkeit, sein Temperament etwas zu beruhigen. Außerdem war sie froh ihn zu sehen. Denn wenn er nicht an ihrer Seite war, vermisste sie ihn ständig. Deshalb war ihr Plan auch, Sesshōmaru mit ihrer Unbeschwertheit und Freude etwas abzulenken. Sie musste es nicht vorspielen. Alles was sie tat meinte und fühlte sie und es war ehrliches Glück, dass sie empfand, als sie ihn erreichte. Mit einem breiten Grinsen blieb sie vor ihm stehen und hob den Kopf um in diese feurig, goldenen Augen sehen zu können. „Du bist hier.“, stellte sie fest und allein ihre Stimme zu hören, schien ihn etwas zu beruhigen. Langsam nahm Sesshōmaru die Hand von seinem Katana. Dort hatte er sie die ganze Zeit ruhen lassen um notfalls sofort zu einem tödlichen Schlag ausholen zu können. Jetzt ließ er diese Hand langsam an ihre Wange wandern. Er berührte sie nicht, doch die Spannung war auch so zu spüren. Und Rin musste sich korrigieren. Sesshōmaru war nicht nur sauer. „Ich wollte dich nicht beunruhigen. Entschuldige. Was heute passiert ist, ist aber sicher nicht Kōhakus schuld! Als wir in dieser illegalen Arena standen und ich all die gebrochenen Yōkai sah, da konnte ich mich nicht zurückhalten. Auch wenn es mich nichts angeht… Das konnte unmöglich so bleiben.“, erklärte sich Rin. Immer noch schweigend musterte Sesshōmaru sie mit seinem durchdringenden Blick. Sie hielt dem Blick stand, bis etwas in seinen Augen blitzte und er sich kaum merklich entspannte. „Die Taten der Menschen gehen dich tatsächlich nichts an. Aber dieses Etablissement ist sogar mir schon zu Ohren gekommen. Deswegen würde ich dir gerne einen Vorschlag unterbreiten…“ Es lag tatsächlich ein Grinsen auf seinen Lippen, als er sich zu ihr herunter beugte um ihr seinen Vorschlag ins Ohr zu flüstern. Sekunden später zeugte nur Rins roter Kopf davon, dass Sesshōmaru überhaupt eine Reaktion gezeigt hatte. Völlig ernst sah er zu Kōhaku und der Tengu hinüber. „Und wer ist das?“, fragte er teilnahmslos. Rin trat an seine Seite und sah ebenfalls zurück zu ihrem besten Freund und der Frau, die Kōhaku wohl davor zurückhalten musste, auf Sesshōmaru loszustürmen, so wie er sie am Arm festhielt. „Ich habe sie aus der Arena geholt. Sie war schwer verletzt, deshalb habe ich versucht so gut ich konnte sie zu heilen. Sie ist eine gute Frau. Das weiß ich.“, erklärte Rin mit einem stolzen Lächeln. Was als nächstes geschah, damit hatte sie jedoch nicht gerechnet. Die Tengu fiel auf die Knie und verneigte sich tief. Weshalb sich Rin von Sesshōmaru löste und zu ihr zurückgelaufen kam. „W- Was machst du denn?“, rief sie dabei entsetzt. Das letzte was Rin wollte war, dass sich die Tengu gleich wieder in die Unterwerfung begab. Da sie wohl nichts anders kannte, war das sicher schwer für sie, doch Rin würde keine Unterwürfigkeit dulden. „Bitte. Bitte lasst mich bei euch bleiben. Ich weiß nicht wo ich hin soll und ihr habt mir mehr als einmal das Leben gerettet. Bitte lasst mich diese Schuld begleichen und euch dienen!“ Ihre Worte ließen Rin mit offenem Mund zurück. Im ersten Moment wusste sie nicht, was sie sagen sollte. Die Frau schien entschlossen. Trotzdem wollte Rin gerade das nicht. Lange musterte sie die Tengu. Mit ihrer einfachen Kleidung und dem ausgezehrten Körper waren es nur ihre mächtigen Flügel, anhand derer man erahnen konnte, was in ihr stecken konnte. Bei diesem Anblick kam Rin eine Idee. Weshalb sie schließlich in die Knie ging und eine Hand auf ihre Schulter legte. „Du darfst mitkommen, wenn du mir eine Sache versprichst. Verleugne nie wieder wer du bist. Schneide dir nie wieder deine wunderschönen Flügel ab.“, erklärte sie sanft. „Und du musst mir auch nicht dienen. Es würde mich freuen, wenn du meine Freundin werden würdest.“, fügte sie hinzu. Überrascht über diese Worte sah die Tengu zu ihr auf und starrte sie fassungslos an. Bis sie schließlich nickte. „Danke.“, brachte sie dabei mühsam hervor, was Rin lächeln ließ. Sie konnte verstehen, wie sich die Tengu fühlte. Ihr Leben lang hatte sie nur diese eine Seite gekannt. Den Hass und die Gewalt. Freiheit war eine große Bürde und man musste erst lernen diese zu tragen. Mit ihrem Einverständnis, das sie ihre Flügel nicht wieder abschneiden würde, wie sie es vorher immer getan hatte, hatte sie einen kleinen Schritt in die richtige Richtung getan. Und damit war Rin zufrieden. Deshalb schenkte sie ihr ein zufriedenes Lächeln und erhob sich wieder. Dabei reichte sie ihr eine Hand und als die Tengu diese ergriff, wurde ihr Lächeln noch breiter. „Wir müssen noch eine Kleinigkeit erledigen, bevor wir nach Hause gehen. Ich würde dich deshalb bitten in Kōhakus Nähe zu bleiben, bis das erledigt ist.“, erklärte Rin. Dabei sah sie auch zu Kōhaku, der mit einem Nicken bestätigte, dass er sie gehört hatte. Nachdem auch die Tengu genickt hatte, wand sie sich wieder an ihren Ehemann. Dieser hatte sich keinen Millimeter bewegt und als sie jetzt auf ihn zu kam, konnte sie ihn leise seufzen hören, bevor er sich in einen riesigen weißen Hund verwandelte. Rin hörte die Tengu hinter ihr nach Luft schnappen. Das konnte sie nur zu gut verstehen. Sesshōmaru in seiner Yōkai-Form war äußerst beeindruckend. Natürlich machte er auch so etwas her, doch so raubte er einem einfach den Atem. In dieser Form konnte wirklich jeder seine Macht spüren und jeder der schwächer war, begann bei seinem Anblick vor Angst zu zittern. Jetzt machte er sich jedoch so klein wie möglich, so dass Rin auf seinen Rücken klettern konnte, als sie ihn erreicht hatte. Sesshōmaru erhob sich erst, als sie richtig saß und sich an seinem Fell festhielt. Dann stieg er hoch in die Lüfte und steuerte die Hauptstadt an. Dort hatten sie nur ein einziges Ziel. Eine Lagerhalle im Hafenviertel, direkt am Kamo Fluss. Ohne Rücksicht auf Verluste brach Sesshōmaru durch das Dach des Gebäudes und ließ durch sein Knurren sämtlichen übrigen Wände erzittern. Dabei glitt Rin von seinem Rücken und fand sich gegenüber des Inhabers dieser Halle. Dieser war gekommen um nach der Quelle des Radaus zu sehen. Nur um beim Anblick von Sesshōmaru auf seinen eigenen Hintern zu fallen und ängstlich zu wimmern. Und als er Rin auf sich zu kommen sah, wich er panisch zurück. „Ich bin gekommen, um meiner Warnung von vorhin noch etwas Nachdruck zu verleihen. Wenn ich in dieser Stadt noch ein illegales Geschäft sehe, bei dem ein Yōkai unfreiwillig beteiligt ist, werde ich dich höchstpersönlich dafür verantwortlich machen. Ich werde dich aufspüren und den vollen Zorn der Yōkai spüren lassen. Bis du dir wünscht niemals in diese Geschäfte eingestiegen zu sein. Haben wir uns verstanden?“, fragte Rin scharf. „J- Ja… i- ich habe verstanden. Erbarmen.“, winselte der kleine, dickliche Mann in seiner teuren Kleidung und nickte wild. Rin sah ihn noch einen Moment prüfend an, bevor sie sich wieder zu Sesshōmaru umwand. „Gut. Ich will deswegen nicht noch einmal zurückkommen müssen.“, sagte sie beim Gehen. Als sie Sesshōmaru erreichte, senkte dieser seinen Kopf tief und legte sich dann wieder hin, damit sie leichter austeigen konnte. Für dieses Theater hatte Sesshōmaru so viel bei ihr gut, dass sie das noch die nächsten Jahre zu hören bekam. Doch bei Menschen wie diesem Verbrecher, reichten bloße Worte nicht aus. Sie hatte ihm zeigen müssen, dass sie mächtige Yōkai als Freunde hatte, die notfalls sein ganzes Hab und Gut in Stücke reißen konnten. Nur so würde er begreifen, dass er keine Yōkai Kämpfe mehr veranstalten durfte. Egal wer es von ihm verlangte. Und so wie dieser Gangsterboss zitterte, hatte sie ihr Ziel erreicht. Auch wenn sie diese Art von Geschäft nicht überall unterbinden konnte, wenigstens hier würde so etwas nie wieder passieren. Zufrieden mit sich selbst, stieg Rin wieder auf Sesshōmarus Rücken und dieser erhob sich mit ihr in die Lüfte.//   Überrascht schnappte Kasumi nach Luft und hielt sich am Rand des Bootes fest um nicht in den Fluss zu stürzen. „Alles in Ordnung, Imōto-san?“, fragte Keiji besorgt und eilte sofort an ihre Seite. Richtig. Das hier war das erste Mal, dass sie sich vor einem ihrer Brüder an etwas erinnerte. Und sicher hatte ihn das genau so sehr beunruhigt, wie es Kasumi immer überraschte. „Ja, alles in Ordnung. Ich habe mich gerade nur daran erinnert, woher ich diesen Mann aus der Lagerhalle kenne.“, erklärte Kasumi abwesend. Doch sie hatte sich nicht nur an diesen Mann erinnert, sondern an zwei weitere Personen, ausgenommen von ihrem Ehemann. Ein Dämonenjäger und eine Tengu. Bei beiden hatte sie das Gesicht nicht klar erkannt, doch sie spürte, dass sie ebenfalls wichtige Personen in ihrem Leben waren… Am Ende schaffte es diese Stadt wirklich, ihre Erinnerungen zurück zu bringen. „Erzähl mir davon.“, bat Keiji und Kasumi berichtete ihm von dem, was sie gesehen hatte.     „Und du hast das Oberhaupt der Yakuza in dieser Stadt zusammen mit deinem Ehemann in Angst und Schrecken versetzt? Das hätte ich zu gerne gesehen!“, lachte Keiji. Mittlerweile hatten sie den Fluss überquert und folgten der Straße entlang des Flusses. Und obwohl Keiji aufmerksam Kasumis Geschichte gelauscht hatte, hatte er ständig ein Auge auf die ländliche Umgebung. Bisher waren sie nur wenigen Menschen begegnet und keiner von ihnen hatte wie ein Händler oder ein Käufer seltener Gegenstände gewirkt. Hauptsächlich waren es Bauern und Mönche, an denen sie vorüber kamen. „Es war ein großes Spektakel, das stimmt. Und es hat seine Wirkung nicht verfehlt. Anscheinend wird in dieser Stadt immer noch jegliches Geschäft mit den Yōkai vermieden. Darüber bin ich sehr froh.“, erklärte Kasumi und ließ den Blick dabei über den Fluss hinüber zur Hauptstadt wandern. „Wenigstens ein Ort, an dem sie bisher sicher waren!“ Bevor die Bedrohung durch diese schrecklichen Steine diese Stadt erreicht hatte. „Ich werde diesen Händler ausfindig machen und ihm das Handwerk legen. Das schwöre ich dir. So wie du, will ich eine Stadt, in der jeder sicher sein kann. Egal ob Mensch oder Yōkai.“, erklärte Keiji entschlossen. Kasumi empfand das als eine schöne Vorstellung, doch sie bezweifelte, dass sich das Umsetzen ließ. Denn es gab überall Menschen, die das unbekannte fürchteten oder Fremde nicht akzeptierten. Wie ihr Mann es immer wieder betonte, waren Menschen und Yōkai nicht dafür gemacht, gemeinsam zu leben. Kasumi blieb stehen, als ihr bewusst wurde, was sie da gerade gedacht hatte. Ihr Mann hatte immer gesagt… Sie hatte das einfach gewusst. Ohne ein Bild vor ihrem inneren Auge zu haben, war sie sich dessen einfach sicher gewesen. Seiner Worte. Sie waren einfach da gewesen und vielleicht hatte sie ihm an irgendeinem Punkt bei dieser Sichtweise sogar zugestimmt. „Kasumi? Alles in Ordnung?“, fragte Keiji. Er war einige Schritte weiter ebenfalls stehen geblieben und sah zu ihr zurück. In seinem fragenden Blick lag auch ein Hauch von Besorgnis, weshalb Kasumi schnell lächelte und zu ihm aufschloss. „Ja, alles in Ordnung!“ Eine Notlüge. Nicht, weil sie Keiji nichts von den Worten ihres Ehemannes erzählen wollte, sondern weil sie nicht wollte, dass er sich weiter Gedanken machte. Mit ihren vergangenen Taten hatte sie vielleicht dazu beigetragen, diese Stadt etwas Yōkai-Freundlicher zu machen. Doch es gab immer noch genug dunkle Mächte, die etwas dagegen unternehmen wollten. Etwas zu überstürzen würde somit absolut nichts bringen und sie kannte Keiji. Wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, wollte er das auch umsetzen. Nur musste er erst einmal sein aktuelles Problem lösen, bevor er die ganze Welt verbessern konnte. Deshalb ignorierte sie auch seinen zweifelnden Blick und ging langsam weiter, bis er sich ebenfalls wieder in Bewegung setzte. Heute wollten sie einen verschwundenen Händler aufspüren und morgen konnten sie das nächste Teilstück beginnen. Kapitel 19: Leise Schwingen und scharfe Krallen ----------------------------------------------- >>Heian-kyō. Wenn seine Peiniger wüssten, dass er sich direkt vor ihrer Nase befand, wären sie sicher nicht so unvorsichtig. Dann würden diese armseligen Menschen um ihn herum nicht so sorglos ihrem täglichen Leben nachgehen sondern sich verängstig Zuhause verstecken. Aber diese Unwissenheit würde er zu seinem Vorteil ausnutzen. Sobald er dazu in der Lage war, würde er sich rächen und die einzige Person auf der Welt aufspüren, die ihm noch wichtig war…«     „Eine weibliche Tengu mit Flügeln? Und du bist dir ganz sicher, dass es nicht nur ein ziemlich weiblich wirkender Mann gewesen war?“ „Ich hatte meine Hand auf ihrer Brust, um ihre Wunde zu heilen. Sicherer kann ich mir gar nicht sein!“ Benjiro schnaubte und verschränkte die Arme vor der Brust. Einen Moment lang sah er aus dem Fenster der Kutsche, bevor er Kasumi wieder ansah. In all den Jahren, die er nun schon durch dieses Land zog, hatte er so etwas noch nie gehört. Er kannte Geschichten von den Tengu. Dem Kriegervolk, das speziell mit dem Katana ausgebildet und äußerst tödlich war. Nur selten entkam man bei einer Auseinandersetzung mit ihnen lebendig. Dazu kam, dass sie äußerst zurückgezogen auf den Gipfeln ihrer Berge lebten. Diese verließen sie nur in Zeiten des Krieges und die Zugänge zu ihrer Heimat hielten sie streng bewacht und vor Fremden geheim. Einem von ihnen in Friedenszeiten zu begegnen war somit praktisch unmöglich. Er selbst hatte erst einmal einen Tengu mit eigenen Augen gesehen und das auch nur aus einiger Entfernung. Dabei hatte er es jedoch auch belassen wollen. Es war immer besser einen Bogen um diese Sippe zu machen, deren Ehre so schnell beleidigte werden konnte. Es reichte schon, dass es in der Nähe der Hauptstadt eine Siedlung von ihnen gab, um Benjiro ein beklemmendes Gefühl zu geben. Und seit Kasumi ihnen vor ein paar Tagen von ihrer Vision berichtet hatte, ließ ihn dieses Thema keine Ruhe mehr. „Na schön. Wenn du sie wieder findest, dann musst du sie mir vorstellen. Das würde ich zu gerne sehen.“, erklärte Benjiro trotz der Distanz, die er eigentlich zu diesen Wesen halten sollte. Wenn Kasumi mit ihnen zurechtkam, dann konnte er das schließlich auch. Kasumi, die ihm gegenüber saß, schenkte ihm ein breites Lächeln und nickte. „Selbstverständlich werde ich sie dir dann vorstellen. Sobald ich mich wieder erinnern kann, will ich euch all meine Freunde und meine Familie vorstellen. Immerhin gehört ihr jetzt auch dazu!“ Benjiro blinzelte überrascht und sah Kasumi ungläubig an. Noch vor 3 Wochen hatte sie kaum ein Wort an ihn richten können, ohne sich dabei hinter Kazuma zu verstecken oder vor Angst zu zittern. Und heute bezeichnete sie ihn als Teil ihrer Familie. Das erfüllte ihn auf gewisse Weise mit Stolz. Denn auch wenn sie sehr unerwartet in ihr Leben getreten war, war Kasumi eine Person, die er nicht mehr missen wollte. Durch ihren Scharfsinn und die Tatsache, dass sie viel zu oft aussprach, was ihr auf der Zunge lag wurde es schließlich nie langweilig mit ihr. „Das du so denkst ehrt mich und wenn es so weit ist, wird es mir ein Vergnügen sein.“, erwiderte er deshalb und neigte dabei leicht den Kopf. Er fragte sich nur, ob es ihrer Familie auch ein Vergnügen war, wenn sie einen Wahnsinnigen, eine Klette und einen Ōkami-Yōkai anschleppte. Weshalb er auf deren Reaktion schon sehr gespannt war.   Kurze Zeit später hatten sie den nördlichen Außenposten erreicht und Benjiro half Kasumi aus der Kutsche. Kazuma hatte mittlerweile alle grünen Steine aus dem Keller des zerstörten Turms entfernen lassen, weshalb Benjiro sofort die Zelle begutachten wollte. Und da Kasumi an diesem Bauwerk genauso interessiert war wie er, hatte sie ihn sofort belgeiten wollen, als sie hörte, wohin er heute ging. Dem Unteroffizier und seinem Schreiber war seit dem Vorfall frei gegeben worden, um sich ärztlich versorgen zu lassen und ein paar Tage auszuruhen, weshalb die beiden heute völlig ungestört waren. „Sag mir sofort Bescheid, sobald du noch etwas spürst. Es kann sein, dass bei der Explosion auch Splitter der Steine verstreut wurden.“, warnte Benjiro, während er seinen Blick über das Gelände wandern ließ. Die Zerstörung war nicht zu leugnen, auch wenn die Trümmer bereits beseitigt worden waren. Doch bis der zerstörte Turm und das Loch in der Außenmauer repariert werden könnte, würde es noch einige Zeit dauern. Bis dahin würden sie einen hölzernen Aussichtsturm errichten, von dem aus die nähere Umgebung im Auge behalten werden sollte. Die ersten Arbeiten für diese Aussichtsplattform waren bereits angelaufen, doch heute hatte Benjiro hier niemanden haben wollen. Falls sie etwas von Interesse finden sollten, dann wollte er dabei keine Zeugen haben. Ohne Probleme erreichten sie diesmal den Turm und stiegen über die erhaltene Steintreppe hinunter in dessen Keller. Die Steine waren zwar alle entfernt worden, dennoch stellten sich Benjiros Nackenhaare auf, als er einen Fuß auf den Fußboden setzte. Was auch immer hier für Grausamkeiten vorgefallen waren, er konnte den Hass des entflohenen Insassen noch spüren. Wie dickflüssiger Honig hing dieser Zorn in der dünnen Luft. „Kannst du das spüren, Benjiro? Sie müssen schreckliche Dinge mit dem gefangenen Yōkai gemacht haben.“, sagte Kasumi leise, so als fürchte sie die Geister dieses Ortes zu wecken, wenn sie zu laut sprach. Benjiro sah einen Augenblick zu Kasumi. Ihr Gespür war wie immer beispiellos. „Wir sollten uns beeilen.“, antwortete er nur, bevor sein Blick über die übriggebliebenen Wände glitt. Hauptsächlich waren die Wände des Erdgeschosses und darüber zerstört. Da sich die Wände des Kellers unter der Erde befanden, waren diese größtenteils noch intakt. Nur an manchen Ecken waren einige Steine herunter gefallen. Die Wände, die verschon geblieben waren, zeigten überall kleine Holzstäbe, die aus den Zwischenräumen der Steine hervor ragten. Daran mussten die grünen Steine – die Midori Yakubarai – befestigt gewesen sein. Aus diesem Grund gab es dort auch nicht besonders viel zu entdecken, weshalb Benjiro seine Aufmerksamkeit auf die Stellen richtete, die zerstört worden waren. An der Nordseite des Kellers fehlte ein größerer Teil der Wand und er sah sich die übrigen Steine der Mauer gründlich an. Er kniff sogar die Augen zusammen und beugte sich weiter vor, um sie genauer zu untersuchen. „Was glaubst du, könnte das sein?“, fragte er schließlich und sah nach Kasumi, die gerade mit einem Ast über einen rostbraunen Fleck auf dem Boden kratzte. Kasumi sah von dem Fleck auf, als sie angesprochen worden war und trat zu Benjiro. Dieser betrachtete gerade eine Rille in der Wand. So perfekt und quer über mehrere Steine ausgedehnt, dass sie keinesfalls natürlich in den Stein gelangt war. Bei der Glätte der Kanten, konnte diese Spur auch noch nicht so alt sein. Und da er keinen Nutzen in dieser Einkerbung für eine Kerkerzelle sah, musste sie wohl von dessen Insassen stammen. Langsam ließ er seine Finger über die Rille gleiten, riss seine Hand allerdings sofort zurück. „Was ist los?“, fragte Kasumi besorgt und griff nach seiner Hand. Auf den Fingern, die die Vertiefung berührt hatten, bildeten sich rote Blasen. So als hätte er sich verbrannt. „Pass auf, die Einkerbung ist vergiftet.“, zischte Benjiro und fluchte innerlich über seine Dummheit. Er konnte kein Gift wahrnehmen, also mussten die Spuren sehr gering sein. Dass es ihn trotzdem so sehr verletzen konnte, bedeutete, dass es sich um ein äußerst starkes Gift handeln musste. Wer war dieser Yōkai nur, der hier festgehalten worden war? Aus einer verborgenen Tasche ihres Kimonos zog Kasumi ein kleines Tongefäß, öffnete den Deckel und holte mit einem Finger eine gelbe Paste heraus. Diese verstrich sie vorsichtig auf seinen verletzten Fingern. „Das sollte den Schmerz etwas lindern und die Heilung beschleunigen.“, erklärte sie dabei. Die Blasen wären natürlich auch allein verschwunden, doch Benjiro hielt still und ließ Kasumi alle versorgen. Immerhin würde sie das mehr beruhigen als ihn. „Danke.“, sagte Benjiro, nachdem sie ihr Werk beendet hatte. Nachdem sie das Gefäß wieder verstaut hatte, trat sie an die Wand um sich das Ganze selbst anzusehen. „Geh nicht zu nah ran.“, warnte Benjiro sie. Er würde sich diesen teuflischen Spuren auf keinen Fall mehr nähern. „Irgendwie…“, begann Kasumi, unterbrach sich dann allerdings selbst. Das sorgte dafür, dass Benjiro sie fragend musterte. Sie sah nachdenklich aus, so als dachte sie an etwas, das zu lange her war, um sich wirklich daran erinnern zu können. Es war dieser Moment, in dem Benjiro etwas besser verstand, wie es Kasumi die ganze Zeit über gehen musste. Sie spürte, dass es da so viel gab, das Wichtig war. Doch sie konnte es nicht mehr greifen. „Kannst du dich an etwas erinnern?“, fragte er deshalb vorsichtig. „Ich würde gerne etwas ausprobieren.“ Noch bevor er begriff, was sie vor hatte, hatte Kasumi einen Finger in die Einkerbung gelegt. „Nicht!“ Benjiro reagierte eine Sekunde zu langsam und bekam ihr Handgelenk erst zu fassen, als sie den Stein bereits berührte. Panisch riss er ihre Hand zurück und sah auf ihren Finger. „Was bedeutet das?“, fragte er überrascht und sah von ihrem Finger auf. Er war vollkommen unversehrt. Kasumis Blick blieb weiterhin auf die Einkerbung in der Wand fixiert. Sie wirkte abwesend, so als spielte sich in ihrem Kopf gerade eine Erinnerung ab und Benjiro brannte darauf, zu erfahren woran sie dachte. Doch so weit kam es nicht. In einem Moment hielt er noch Kasumis Hand, im nächsten wurde er zu Boden gerissen und spürte etwas Scharfes an seiner Kehle. Mit einem wütenden Knurren fletschte er seine Fänge und starrte auf seinen Gegenüber. „Idiot! Und du willst ein Beschützer sein? Mit der Reaktion eines Neugeborenen bist du es nicht wert auf jemanden aufzupassen. Hündchen!“, fauchte die Frau, die auf seiner Brust stand. Benjiro blinzelte und brauchte einen Moment, bis er die Situation begriff. Eine Frau mit rabenschwarzem Haar, welches sie zu einem hohen Zopf zusammengebunden hatte, stand auf ihm und drückte ihn mit ihrem ganzen, federleichten Gewicht zu Boden. Ihre rubinroten Augen, die in einem noch dunkleren Rotton geschminkt waren, fixierten ihn, wie ein Raubvogel eine wehrlose Maus. Dazu kam ihre außergewöhnliche Aufmachung. Sie trug ein blutrotes Kimonooberteilt mit schwarzen Ärmeln, wobei der rechte überlang geschnitten war und im Wind flatterte, während der linke eng anlag und von der Schulter bis zum Ellenbogen von einer Panzerung verdeckt wurde. Darüber trug sie einen ebenfalls schwarzen Überwurf, der sicherlich auch irgendwie gepanzert war. Dazu eine passende Hose, die knapp unterhalb ihrer Knie endete und dort eng geschnürt war. Ihre Füße waren unbekleidet, wodurch er die Klauen an ihren Zehen sehen und nur zu deutlich an seiner Haut spüren konnte. Dieselben, die sie auch an den Fingern trug. Tödliche Werkzeuge, die jedem Feind auch leicht ins Fleisch gestoßen werden konnten. Aber das Beeindruckendste waren die, ebenfalls rabenschwarzen, Flügel auf ihrem Rücken, von dem jeder einzelne leicht eine Spannweite von über zwei Metern erreichte. Und somit für den kleinen Kellerraum viel zu groß waren. „Du spielst ein gefährliches Spiel, Vögelchen. Mich in meinem Revier anzugreifen.“, knurrte Benjiro und versuche sich unter ihr hervor zu winden. Das sorgte jedoch nur dafür, dass sich ihre Klauen tiefer in seine Haut gruben und Blut aus seiner Halsbeuge floss. „Ich gebe einen Dreck auf dein Revier. Wenn du meinen Zielen im Weg stehst, musst du beseitigt werden!“, zischte sie und beugte sich weiter nach unten. Dabei verengten sich ihre Augen zu Schlitzen und sie verbrannte ihn förmlich mit ihren rotglühenden Augen. Benjiro rechnete schon damit, dass sie ihn hier an Ort und Stelle auffressen würde. Und das vor Kasumi, die sich noch keinen Millimeter bewegt hatte. So als wäre sie gar nicht hier bei ihnen. „Und was soll dein Ziel sein? Den Wolf zu töten und das Mädchen zu entführen? Oder willst du etwa ihr ungeborenes Kind verspeisen, du Aasgeier?“, fragte Benjiro wütend. Er hatte seine Hände an ihr vorderes Bein gelegt und versuchte es von seinem Körper zu stemmen, doch auch wenn sie unnatürlich dünn wirkte, war sie stärker als erwartet. Woher nahm sie nur diese Kraft? „Dreckiger Köter! Als würde ich dir meine Pläne verraten-“ „Jiyū!“ Beim Klang von Kasumis Stimme sah Benjiro sofort zu ihr. „Verschwinde von hier, Kasumi. Ich erledige das Vögelchen schon.“, rief Benjiro, doch die Frau ließ augenblicklich von ihm, sprang vor Kasumi und ging vor ihr auf die Knie. „Herrin!“, rief sie dabei, ergriff Kasumis Hand und drückte ihre Stirn dagegen. Diese Reaktion ließ Benjiro erneut blinzeln, bevor er sich aufsetzte. Erst dabei ging ihm endlich ein Licht auf. Die Geschichte die Kasumi ihnen erzählt hatte. Über ihre Erinnerung, die sie auf dem Kamo Fluss zurückerlangt hatte… Das Wesen, das er unbedingt hatte sehen wollen. Die weibliche Tengu stand hier vor ihm. Lebendig in Fleisch und Blut. Und er hatte sich von ihr vorführen lassen wie ein stümperhafter Schoßhund! Ihre Flügel faltete sie jetzt mühelos auf ihren Rücken, so dass wieder etwas Licht in den Keller fiel. Dabei versäumte sie allerdings nicht, die scharfe Kante ihrer Flügel über Benjiros Kopf zu ziehen. „Du bist es also tatsächlich.“, flüsterte Kasumi, bevor sie zur Tengu auf den Boden sank und ihre Hand auf ihre Schulter legte. Bei dieser Geste sie die Tengu überrascht auf. Einen langen Moment sahen sie sich einfach nur an, bevor bei Kasumi die Tränen überliefen und sie der Tengu, Jiyū, um den Hals fiel. „Jiyū… Es tut so gut, dich zu sehen. Ich kann mich an kaum etwas erinnern. Alles, was geschehen ist, bevor ich nach dem Angriff wieder aufgewacht bin, liegt im Nebel!“, weinte Kasumi. Benjiro stand langsam auf um einen besseren Überblick über die Situation zu erhalten, doch als er Kasumis Worte hörte, wurde er ganz still. Natürlich wusste er, so wie seine Brüder, dass sich Kasumi nicht erinnerte. Doch was es für sie bedeutete, dass konnten sie wohl alle nicht begreifen. Und wie sehr sie darunter litt, noch viel weniger. In diesem Moment begriff er, dass Kasumi vor ihnen immer versuchte stark zu sein. Sie wollte niemandem Sorgen bereiten, doch sie würde an ihren Gefühlen zerbrechen, wenn sie sie nicht zeigte. Für diese Art von Offenbarung waren sie allerdings die Falschen. Das verstand er jetzt. Kasumi brauchte jemanden aus ihrem alten Leben, damit ihre Wunden heilen konnten und Jiyū wäre vielleicht ein guter Anfang. „Ich werde euch helfen Herrin. Auch ich konnte mich an nichts erinnern, doch die Erinnerung kommt langsam zurück. Und seit ich mich wieder an euch erinnern kann, bin ich auf der Suche nach euch.“, erklärte Jiyū sanft. Kasumi brauchte noch einen Moment, bevor sie sich wieder von Jiyū löste, ihre Tränen am Ärmel ihres Kimonos trocknete und Jiyū mit sich auf die Füße zog. „Ich danke dir, Jiyū. Und knie nicht vor mir. Das ist absolut unnötig!“ Diese Aussage zauberte ein kleines Grinsen auf Jiyūs Lippen. Und die Erleichterung, die sie empfand, ließ ihre Augen leuchten, was Benjiro abfällig schnauben ließ. „Unbewusst erinnert ihr euch offenbar an mehr, als ihr wisst, Lady Rin.“, erklärte sie sich, bevor sie ihr Grinsen hinter ihrem langen Kimono Ärmel verbarg. „Lady Rin?“ Benjiro hatte gesprochen, bevor er nachdenken konnte. Was Jiyūs Aufmerksamkeit auf sich zog. Mit einem vernichtenden Blick fuhr sie zu ihm herum und starrte ihn förmlich zu Boden. „Natürlich! Was hast du denn geglaubt? Vor dir steht die Herrin des Westens! Einfallspinsel.“, zischte sie. Erst als Kasumi zwischen sie trat, wurde die angespannte Stimmung zwischen ihnen unterbrochen und beide sehen wieder zu ihr. „Rin… Das ist also mein Name?“, fragte sie leise. „Ja, das ist er. Und ihr seid… ward die Herrin eines prächtigen Palastes, nicht weit von hier. Ihr habt mein Leben gerettet, weshalb ich euch überall hin begleite und euch beschütze. An so viel kann ich mich sicher erinnern.“, erklärte Jiyū und neigte respektvoll den Kopf vor Kasumi. Diese sah einen langen Moment Jiyū an, bevor sie sich zu Benjiro umwand. Unsicherheit im Blick. „Meine Brüder nennen mich Kasumi… Ich würde es gerne dabei belassen, bis ich mich wieder an alles erinnern kann. Denn das passt besser zu mir, als ein Name, dem ich nicht gerecht werden kann!“ Jiyū sah überrascht zu Kasumi auf und dann wieder hinüber zu Benjiro. Dabei zuckte er leicht zusammen. Etwas in ihrem Blick sagte ihm, dass sie ihn am liebsten sofort zerfleischen wollte und das jagte jedes Mal einen Schauer über seinen Rücken. „Meine Raben haben mir bereits davon berichtet. Von diesen… Brüdern…“, begann Jiyū langsam, ließ den Satz jedoch unbeendet. Stattdessen sah sie hinauf zu den übrigen Mauern des Turms, auf dem es sich zwei Raben bequem gemacht hatten. Als Benjiro ihrem Blick folgte, begannen die Raben aufgeregt hin und her zu hüpfen und krächzten ihn dabei an. „Noch mehr Federvieh also... Was erzählen sie dir denn so, Vogelflüsterin?“ Benjiro wusste auch nicht was das war. Aber diese Tengu reizte irgendwie seine Nerven und er konnte sie einfach nicht respektieren. Auch wenn sie eine von Kasumis Vertrauten war. Angriffslustig sprang Jiyū auf Benjiro zu. Die Klauen ihrer Hände gekrümmt und ein Fauchen auf den Lippen. „Das meine unschuldige Herrin gezwungen ist bei zwei Männern mit zweifelhaftem Ruf und einem dreckigen Köter zu hausen. Eine Schande, für ihren Stand und eine Beleidigung für ihre Herkunft!“ „Jiyū!“ Es war Kasumis scharfe Stimme, die die Tengu zusammenzucken und neben ihre Herrin treten ließ. Mit gesenktem Haupt stand sie da und sogar ihre Flügel hatten sich ein Stück gesenkt. „Benjiro und seine Brüder haben mich aufgenommen, als ich nichts hatte. Ich will nicht, dass ihre Großherzigkeit durch solche Worte in den Schmutz gezogen wird. Mittlerweile sind sie wie Familie für mich und so sollen sie auch behandelt werden. Also mäßige bitte deinen Ton.“, erklärte Kasumi. Ihre Stimme war sanft, doch das Funkeln in ihren Augen zeigte Benjiro, dass sie sehr wohl wusste, wer hier das Sagen hatte. Auch wenn sich Kasumi selbst nicht daran erinnerte, ihr Körper wusste, was er tun musste. Ihre Haltung, die Art und Weise, wie sie sprach. Oh ja. Sie war wirklich die Herrin eines großen Palastes. Jiyū, an ihrer Seite neige den Kopf noch etwas tiefer, bevor sie sprach: „Natürlich. Ich werde mich zurückhalten.“ Nur der Blick, den sie Benjiro zuwarf, als sie ihren Kopf wieder hob, sagte das genaue Gegenteil von ihren Worten. Oh, sie würde keineswegs klein beigeben. Vielleicht vor Kasumi, doch er spürte, dass sie ihnen das Leben zur Hölle machen würde, wenn etwas nicht so lief, wie sie sich das vorstellte. Unwillkürlich begann Benjiro zu Lächeln. Da hatten sie endlich jemanden aus Kasumis altem Leben gefunden und es war ausgerechnet die tollwütige Zofe, die ihren Job zu ernst nahm. Das konnte ja noch Lustig werden. Kapitel 20: Abendsonne und Mondlicht ------------------------------------ >>Tage waren vergangen und trotz all der Bemühungen der Heilerin, waren seine Wunden kaum besser geworden. Diese verfluchten Menschen. Sie hatten zu viel an den Naturgesetzen manipuliert. Aber mittlerweile hatte er sich an den Schmerz gewöhnt. Es wurde ein immer kleineres Übel, jetzt, da das Verlangen seine Frau bei sich zu haben immer stärker wurde…«     Im Hinterhof von Keijis Haus stand ein uralter Ginkgo, der bereits begonnen hatte neue Blätter auszutreiben. Das zarte Grün zauberte ein angenehmes Licht auf seine Umgebung, konnte die angespannte Stimmung jedoch nicht vertreiben. Auf einem der untersten Zweige hatte es sich Jiyū bequem gemacht. Weiter oben ihre ständigen Begleiter, zwei Raben. Auf der Engawa saß Kasumi. Zu ihrer rechten Kazuma, daneben Keiji und schließlich Benjiro. Sie alle hatten eine Schale Tee vor sich stehen, doch niemand hatte diese bisher angerührt. Jiyū war damit beschäftigt die drei Männer zu mustern, während ihre Brüder das gleiche mit der Tengu taten. Niemand sprach ein Wort, was Kasumi unruhig hin und her rutschen ließ. Sie war so froh gewesen, Jiyū begegnet zu sein. Der ersten Person aus ihrem vergessenen Leben. Doch sie hatte nicht bedacht, wie sehr sie ihren Brüdern bereits ans Herz gewachsen war und wie widerwillig diese sie gehen lassen würden. Einen nach dem anderen musterte sie ihre Brüder. Benjiro, der Jiyū mit seinem Blick förmlich töten wollte, saß angespannt da. So als koste es ihm seine ganze Selbstbeherrschung, nicht sofort aufzuspringen und sie vom Baum zu zerren. Keiji sah Jiyū an, als wollte er jede einzelne ihrer Bewegungen für immer in sein Gedächtnis brennen. Er analysierte sie. Las sie, wie ein offenes Buch und versuchte schlau daraus zu werden. Und Kazuma? Er konnte sich nicht entscheiden ob er schützend vor Kasumi springen, oder ihre Hand ergreifen und weit mit ihr davonlaufen sollte. Jiyū selbst, lümmelte entspannt auf ihrem Ast und betrachtete die Brüder fast schon gelangweilt. So als hätte sie viel von ihnen gehört, doch ihre Vorstellungen wären bitter enttäuscht worden. Diese ganze Situation weckte in Kasumi das Bedürfnis etwas zu sagen um die Stimmung aufzulockern. Dieses stumme Kräftemessen zu unterbinden. Doch noch bevor sie etwas sagen konnte ergriff Jiyū das Wort: „Ihr seid also die Sanakuma und Brüder meiner Herrin. Ich habe Geschichten über euch gehört...“ Sie fuhr nicht fort, doch das sagte genug. Genug, um Benjiro zum Knurren zu bringen. „Zu Schade nur, dass wir noch nie etwas von dir gehört haben. Die-“ „Leibwächterin, Schatten, helfende Hand. Ich bin alles, was Lady Rin benötigt. Immerhin verdanke ich ihr mein Leben!“, unterbrach Jiyū ihn sofort scharf. „Kasumi! Bitte benutze diesen Namen.“, warf Kasumi ein und versuchte ihren Ton dabei so ruhig wie möglich zu halten. Das Letzte was sie jetzt brauchten, war dass sich die beiden Streithähne in dieser Yōkai hassenden Hauptstadt an die Gurgel gingen. „Natürlich.“, bestätigte Jiyū bevor sie respektvoll den Kopf vor Kasumi senkte. Nur um Benjiro anschließend wieder vernichtende Blicke zuzuwerfen. Dieser erwiderte die Geste sofort, was Keiji seufzen ließ. „Ich glaube es ist allen Anwesenden klar, wie angespannt diese Situation ist. Du bist hier um deine Herrin nach Hause zu holen und wir sind nicht bereit sie so einfach der ersten Yōkai zu überlassen, die hier auftaucht. Das kannst du sicher verstehen!?“ Kasumi sah zu Keiji hinüber während er sprach und bemerkte, dass er seine Hände zu Fäusten ballte. Es war eine kleine, unscheinbare Geste, doch sie entging ihr nicht. Auch ihn kostete es all seine Selbstbeherrschung, in diesem ruhigen, diplomatischen Ton zu sprechen. Sicherlich eine Begabung, die er am Hof des Tennō gelernt hatte. Diese ganze Situation war für jeden von ihnen schwer, doch es gab etwas, das Kasumi auf der Seele brannte und was sie unbedingt los werden musste: „Kannst du mir etwas zum Verbleib der übrigen Bewohner des Palastes sagen? Und zu meinem Ehemann?“ Das waren die zwei Fragen, die am schlimmsten auf ihrem Herzen lasteten und zu denen sie am dringendsten eine Antwort brauchte. Jede Information über ihren Ehemann war Gold für sie wert und von der Größe des Palastes, wie sie sich diesen vorstellte, mussten dort einige Wesen gelebt haben. Ihr Verbleib bedeutete Kasumi genau so viel, wie der ihres Ehemanns. „Ich kann mich noch nicht an alles erinnern, doch ich habe meine Raben nach allen suchen lassen, die im Palast gelebt haben. Jeden, den ich aufspüren konnte, habe ich in den Norden geschickt. Im Haupthaus müssten sie in Sicherheit sein. Ich konnte noch nicht alle ausfindig machen, aber die Meisten… Nach euch, ist nur der Lord noch schwerer aufzuspüren…“ „Dann gibt es im Norden tatsächlich noch einen zweiten Palast…“, murmelte Keiji nachdenklich vor sich hin. „Befand sich mein Ehemann in diesem Kellerverließ?“ Einen langen Moment erwiderte Jiyū Kasumis Blick, bevor sie leicht nickte. „Es deutet alles darauf hin. Doch von diesem Punkt aus habe ich seine Spur verloren…“ Jetzt war es Kasumi, die ihre Hände zu Fäusten ballte. Wenn sie die Menschen fand, die dafür verantwortlich waren, dann würden sie dafür bezahlen. Immerhin würde sie sich ihr Glück nicht ungestraft zerstören lassen. „Und jetzt willst du Kasumi mit in den Norden nehmen?“ Kazuma kämpfte mit sich, während er diesen einen Satz mühsam hervor brachte. Diese Frage, die all ihren Brüdern belastete und sie so sehr bekümmerte. Sie so niedergeschlagen zu sehen, ließ Kasumis Herz schwer werden. Weshalb sie die Frage beantwortete, bevor es Jiyū tun konnte: „Nicht bevor ich meinen Mann gefunden habe!“ „Aber Herrin!“, widersprach Jiyū sofort und sprang auf. „Kein Aber! Alles was meine Gedanken beherrscht, seit ich in Kazumas Zelt aufgewacht bin, ist meinen Mann zu finden. Ich werde mich nicht irgendwo verstecken und darauf warten, dass er mich holen kommt. Wenn er tatsächlich in diesem Verlies gefangen war, braucht er vielleicht meine Hilfe. Ich werde also nirgendwo hin gehen, bevor ich ihn nicht an meiner Seite weiß.“, erklärte Kasumi fest entschlossen. Sie spürte die Blicke aller Anwesenden auf sich, während sie sprach. Doch was ihre Aufmerksamkeit fesselte, war das kleine Lächeln, dass über Jiyūs Lippen huschte und dass sie sofort hinter ihrem langen Kimonoärmel versteckte. Mit einer eleganten Bewegung sprang sie von ihrem Ast und verneigte sich respektvoll vor Kasumi. „Auch wenn ihr euch nicht erinnert, ihr handelt immer noch genau wie früher, Lady Ri- Kasumi. Deshalb werde ich tun, was in meiner Macht steht, um euren Ehemann zurück an eure Seite zu bringen.“, versicherte Jiyū ernst. Diese Worte ließen Kasumi erleichtert aufatmen. Jiyū würde ihr also helfen, genau wie ihre Brüder. Sie wusste, wie glücklich sie sich darüber schätzen konnte. Dass sie auch ein ganz anderes Schicksal hätte ereilen können. Dieser Gedanke ließ sie dankbar zu ihren Brüdern sehen. Gemeinsam, würden Sie sicher alles zu einem guten Ende bringen.       „Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um euren Ehemann zurück an eure Seite zu bringen!“ Diese Worte waren es, die dafür sorgten, dass Keiji auch mitten in der Nacht kein Auge zu bekam. Sein ganzes Leben lang hatte er in den höheren Schichten der Gesellschaft verbracht. In Häusern, wo der Mann das Sagen hatte und über die Familie herrschte. Entscheidungen traf und Verbündete um sich scharte. Es war eine Welt der Männer, in der die Ehefrauen maximal über den Haushalt bestimmten. Doch seit er Kasumi begegnet war, hatte sie dieses Bild nach und nach verwischt. Keiji war das nicht aufgefallen. Es waren erst die Worte der Tengu gewesen, die es ihm in sein Bewusstsein gerufen hatten. Kasumi, als Herrin eines großen Haushalts entschied selbstverständlich über diesen. Sie war gewohnt, dass getan wurde was sie sagte. Und doch war es ihr jedes Mal unangenehm. So als wolle sie am liebsten alles selbst tun. Kasumi war keine gewöhnliche Frau, aber das hatte er schon längst begriffen. Nur war ihm jetzt erst bewusst geworden, was es war, dass sie so anders machte. Es war ein Feuer, dass in ihr brannte und jeden entzündete, der in ihre Nähe kam. Sie traf Entscheidungen und scharte Menschen und Yōkai um sich. Verbündete, die bereit waren, ihr Leben für sie zu geben. Das konnte Keiji aus eigener Erfahrung bestätigen. Doch das taten alle nur zu gerne, denn wenn es etwas gab, dass Kasumi wollte, dann ließ sie nicht locker und war bereit ebenfalls alles dafür zu geben. Sie würde sogar ihr Leben aufs Spiel setzten. Auch, um ihre Freunde zu beschützen. Aus diesem Grund konnte er sich gut vorstellen, dass sie das Gleiche auch mit ihrem Ehemann getan hatte. Sie hatte nicht locker gelassen und ihn mit ihrer Art in den Bann gezogen. Bis er an ihrer Seite stand und sie an Seiner gleichberechtigt war. Dieser Gedanke ließ Keiji lächeln. Oh ja, sie waren alle einer kleinen, zierlichen Frau verfallen und würden alles tun, um ihr Lächeln und ihre Weltanschauung zu verteidigen. Wie liebestolle Idioten. Und es fühlte sich nicht einmal schlecht an. Es war diese Erkenntnis, die Keiji aufstehen ließ. Jetzt konnte er sowieso nicht mehr schlafen. Also griff er nach einem, in Tuch eingebundenen, Paket, schlich sich aus dem Zimmer und machte es sich auf der Engawa bequem. Da sich die Tengu am frühen Abend verabschiedet hatte um weitere Nachforschungen anzustellen, war er nun völlig ungestört im Hinterhof.       Musik, die Kasumi noch nie zuvor gehört hatte, weckte sie aus ihrem traumlosen Schlaf. Zuerst glaubte sie doch zu träumen, aber dann begriff sie, dass die Musik von draußen kam. Also öffnete sie die Tür zum Hinterhof einen Spalt breit um hinaus sehen zu können. Keiji saß am Rand der Engawa und spielte ein Instrument, welches einer Erhu, einer Art Geige, glich. Nur wurde dieses Instrument mit drei Saiten gespielt, anstatt mit zwei. Er hatte seine Augen geschlossen um die Außenwelt auszublenden und sich vollkommen auf das Spielen konzentrieren zu können. Deshalb wagte es Kasumi auch nicht, näher zu treten. Stattdessen blieb sie an der Tür sitzen und lauschte einfach auf die wundervolle Musik. Sie hatte nicht gewusst, dass er ein Instrument spielen konnte, geschweige denn, dass er eins besaß. Doch er war unsagbar begabt und das Herz ging ihr auf, während sie immer weiter zuhörte. „Hat es dir gefallen?“ Kasumi hatte nicht bemerkt, dass die Musik verstummt war, weshalb sie sich jetzt peinlich berührt zu ihm umwand. Keiji hatte sich nicht von Ort und Stelle bewegt. Doch er sah Kasumi direkt an, das Instrument ruhte dabei entspannt auf seinem Schoß. „Ich wusste nicht, dass du ein Instrument spielst. Was ist das? Es klang wunderschön.“, erklärte sich Kasumi schließlich. Auf Ihre Worte hin, breitete sich ein Lächeln auf Keijis Gesicht aus. So hell und strahlend, wie sie es noch nie bei ihm gesehen hatte. Frei von allen Sorgen und Problemen, so als hätte er die Welt komplett vergessen. Mit Liebe und Verehrung strich er mit einer Hand über das Instrument, während er erklärte: „Es ist eine Kokyū. Ähnlich einer Erhu, nur lassen sich damit mehr Facetten spielen. Meine Mutter hat sie aus dem Westen mitgebracht. Das einzige Stück, das mir von ihr geblieben ist… Seit sie wieder in meinem Besitz ist, habe ich so oft geübt, wie ich konnte. Willst du es versuchen?“ Überrascht über seine Ehrlichkeit stand Kasumi auf und kam auf ihn zu. Da sie die Geschichte um seine Vergangenheit kannte, konnte sie sich vorstellen, dass es nicht mehr viel gab, was ihm von seinen leiblichen Eltern geblieben war. Und jedes einzelne Stück musste für ihn die Welt bedeuten. Trotzdem streckte er ihr das Instrument entgegen, als sie ihn erreichte. Das er ihr so sehr vertraute, rührte Kasumi sehr. „Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich sie beschädigen würde… Aber ich würde gerne noch ein Stück hören, wenn es dir nichts ausmacht.“, erklärte sie und erwiderte sein Lächeln. „Es wäre mir eine Ehre, Imōto-san.“, entgegnete Keiji und stimmte die Kokyū für ein neues Lied. Kasumi sah ihm einen Moment dabei zu, bevor sie sich neben ihn setzte, die Augen schloss und nur der Musik lauschte. Es war wirklich bezaubernd und sie war sich nicht sicher, ob sie jemals etwas Schöneres gehört hatte. Den Klang würde sie auf jeden Fall vermissen, wenn er nicht regelmäßig spielte.   Nach einem weiteren Stück öffnete Kasumi wieder ihre Augen und bemerkte, dass Keiji sie musterte. So nahe wie sie sich in diesem Moment waren, glaubte Kasumi sogar schimmerndes Mondlicht in Keijis Augen tanzen zu sehen. Das überraschte sie so sehr, dass sich ihre Wangen rot färbten und sie ihren Blick abwand. Sie hatte erwartet, dass er sich auf seine Musik konzentrierte und nicht auf sie. Als sie wieder zu ihm sah, hatte er die Augen geschlossen, doch sein Lächeln machte klar, dass er wusste, dass sie ihn ansah. Trotzdem wollte sie diese Gelegenheit ausnutzen. Sie begann seine Fingerführung und die Bewegungen des Bogens zu studieren. Es klang so schön, dass sie versucht war es irgendwann einmal selbst zu versuchen. Auch wenn sie, soweit sie wusste, bisher nichts mit Musikinstrumenten zu tun gehabt hatte. Doch während sie ihn beobachtete fiel ihr noch etwas anderes auf. Sie hatte es schon öfter bemerkt, aber jetzt fiel es ihr extrem auf. Immer wenn er konnte schob er eine widerspenstige Haarsträhne hinter sein linkes Ohr, die keine Sekunde später wieder in sein Gesicht fiel. Sie beeinträchtigte nur leicht seine Sicht, doch offenbar störte sie ihn gerne bei allem was er tat. Und gerade jetzt, da er seinen Kopf leicht nach vorne geneigt hatte, war das besonders der Fall. Ohne nachzudenken zog Kasumi ihr Taschentuch aus ihrem Ärmel, riss einen Streifen ab und hielt diesen zwischen ihren Lippen fest. Nur um dann näher an Keiji heran zu rücken und die Strähne zusammen mit zwei weiteren in ihre Hände zu nehmen. Egal ob Keiji Kasumi beobachtet hatte oder nicht, es hatte sein Spiel nicht beeinflusst. Doch als sie ihn jetzt berührte, rutschte ihm der Bogen über die Saiten, was einen quietschenden Ton erzeugte. Überrascht sah er sie an, doch Kasumi war nicht bereit sich aus der Ruhe oder von ihrem Vorhaben abbringen zu lassen. Ihn ignorierend flocht sie ihm einen dünnen Zopf und verschloss das Ende mit dem Streifen, den sie von ihrem Taschentuch abgerissen hatte. So würden ihn die Haare nie wieder stören können. „Besser?“, fragte Kasumi, als sie wieder von ihm abrückte. Diesmal war es Keiji, dessen Wangen sich rot färbten. Eine Tatsache, die sie Kichern ließ. Fast schon ungläubig ließ Keiji seine Finger durch sein Haar gleiten und betrachtet den Zopf und vor allem das Band. „D-Danke… Imōto-san…“, brachte er mühsam hervor, woraufhin Kasumi mit einem zufriedenen Lächeln aufstand. „Ich werde jetzt wieder schlafen gehen. Danke für dein Spiel. Ich hoffe, dass ich noch oft in diesen Genuss komme.“, antwortete Kasumi mit einem breiten Lächeln. Nie hätte sie gedacht, dass sie es einmal sein würde, die Keiji erröten ließ. Aber irgendwie stimmte es sie zufrieden. Kapitel 21: Ein unerwarteter Besucher ------------------------------------- »Soldaten. Unter allen Menschen hasste er solche am meisten. Es ging ihn eigentlich nichts an, wenn sie Ärger mit ihnen hatte. Wenn ihre Schwestern ihr Leben gedankenlos gefährdeten. Wenn ihr kleiner Laden zerstört wurde… Oh, er hatte schon zu viel Zeit mit seiner Ehefrau verbracht. Sonst wäre es ihm wirklich egal gewesen…«     Am nächsten Morgen war Jiyū bereits kurz nach Sonnenaufgang zu einer Erkundungsmission aufgebrochen. Nachdem sie Kasumi gefunden hatte, wollte sie nun auch ihren Ehemann aufspüren. Mit diesen Worten war sie in den eisigen Morgenhimmel verschwunden und hatte Kasumi mit ihrem normalen Tagesablauf zurück gelassen. Deshalb stand Kasumi jetzt auch, wie jeden Morgen, in der Küche und bereitete zusammen mit Kazuma das Frühstück für alle vor. Oder besser gesagt: Sie saß auf einem Hocker, eine heiße Tasse Tee in Händen und sah zu wie Kazuma das Frühstück zubereitete. Denn vor einigen Minuten war ihr kurz schwarz vor Augen geworden und sie hatte sich unbedingt setzen müssen. Über diesen kurzen Anfall von Schwäche war Kazuma so besorgt gewesen und hatte ihr unbedingt helfen wollen. Da ihr außer Bettruhe jedoch nichts eingefallen war, hatte Sie Kazuma um einen grünen Tee gebeten und ihm erklärt, dass dieser ihren Kreislauf kräftigen würde. Denn hätte sie auch nur mit einer Silbe diese Bettruhe erwähnt, hätte Kazuma sie sicher bis zum Geburtstermin nicht mehr aus ihrem Zimmer gelassen. Bei dem Gedanken musste sie Lächeln. Versteckte es jedoch hinter ihrer Teetasse. Kazuma konnte wie eine überbehütende Henne sein, wenn es um sie und ihre Gesundheit ging. Deshalb wollte sie ihm aber auch so wenig Sorgen wie möglich bereiten. Das galt für all ihre Brüder. Sie musste nur zugeben, dass sie in den letzten Wochen recht wenig auf sich selbst geachtet hatte. Weshalb ihr Körper jetzt zurückforderte, was ihm verwehrt geblieben war. Ruhe und Entspannung. Doch Kasumi wusste, dass sie erst wirklich zur Ruhe kommen konnte, wenn sie ihren Ehemann gefunden hatte. Weshalb sie nicht bereit war, den kleinen Schwächen nachzugeben. Es genügte schon, dass Benjiro hin und wieder ihre Füße oder ihren Rücken massierte, wenn sie es gar nicht mehr aushielt. Aber sie musste nur noch ein bisschen durchhalten. Sie spürte es ganz genau. „Keiji! Räum dein Zimmer, ich werde hier einziehen!“ Die laute Stimme einer Frau erfüllte plötzlich jeden Winkel des Hauses, noch während die Eingangstür mit viel zu viel Elan aufgestoßen wurde. Irritiert über den unerwarteten Ankömmling tauschte Kasumi einen Blick mit Kazuma, bevor sie aufstand und zur Tür ging, die in den Wohnraum führte. Kazuma wäre ihr sicher gefolgt, wäre in diesem Moment nicht das Reiswasser übergekocht wodurch seine gesamte Aufmerksamkeit beansprucht wurde. Die Frau, die ohne jede Begrüßung das Haus betreten hatte, kämpfte noch mit der Tür, als Kasumi sie erblickte. Durch das energische aufschieben der Tür, war diese von der Wand zurück geprallt und hatte die Frau zwischen sich und der Wand eingeklemmt. Wild gestikulierend und fluchend versuchte sich die Frau zu befreien. Kasumi wäre ihr auch zu Hilfe geeilt, hätte Benjiro ihr nicht zu verstehen gegeben, dass sie bleiben sollte, wo sie sich befand. Benjiro lehnte an der Wand, zwischen den Türen zu den Schlafräumen. Die Arme vor der breiten Brust verschränkt. Er trug nur einen einfachen Yukata, der im krassen Gegenteil zu seinem wilden Erscheinungsbild stand und seine nassen Haarspitzen sagten Kasumi, dass er gerade erst aus dem Badezimmer gekommen war. Der Kriegerwolf mit einem Hang zur übertriebenen Körperpflege. Durch die geöffnete Tür ihres Zimmer konnte sie auch Keiji ausmachen, der bis vor wenigen Augenblicken noch an einem großen Stück Papier gearbeitet haben musste, dass vor ihm auf einem kleinen Tisch ausgebreitet lag. Den Pinsel noch in Händen, hatte er sich vom Tisch zurück gelehnt um die Eingangstür besser sehen zu können. Nach etlichen weiteren Flüchen hatte sich die Frau schließlich aus der Tür befreit und stolperte in den Wohnraum. Die Wangen vor Wut gerötet funkelte sie Benjiro und Keiji böse an. „Das man Damen in Not zur Hilfe eilt, habt ihr noch nie gehört oder?“, fauchte sie, während sie sich den Oberarm rieb, der besonders hart von der Tür getroffen worden war. „Würdest du dich wie eine Dame benehmen, würden wir vielleicht darüber nachdenken.“, entgegnete Benjiro mit einem trägen Lächeln. „Eine ganz schön große Klappe für einen Yōkai! Anscheinend hat dich Keiji schon lange nicht mehr zurechtgewiesen.“, zischte sie und führte ihr Hand an das Heft ihres Katanas. „Natsu!“ Keiji sprach nur ihren Namen aus. Doch die Art und Weise, wie er das tat, ließ sowohl sie als auch Benjiro erstarren. Er klang herrisch und doch ganz anders, als wenn er mit den Soldaten im Palast sprach. Eher, wie das Oberhaupt einer Familie, dem man Respekt zu zollen hatte. „Hast du etwa die erste Hausregel vergessen?“, fragte Keiji weiter. Er legte seinen Pinsel beiseite und erhob sich langsam. Zu keiner Zeit sah er die Frau an, die jetzt wie eine Statue, verloren mitten im Raum stand. „Keine Schwerkämpfe im Haus.“, sprachen beide gleichzeitig den Satz. Keiji betrat den Wohnraum und sah die Frau, Natsu, endlich an. Sofort ließ sie die Hand vom Heft ihres Katanas sinken und sämtliche Aufsässigkeit erlosch in ihren grünen Augen. „Da das jetzt geklärt ist, könntest du noch einmal von Anfang an beginnen? Was machst du hier und weiß Fuyu darüber Bescheid?“, fragte Keiji ruhig. Natsu wich seinem Blick aus und trat von einem Bein auf das andere. Dabei wippten ihre schulterlangen, bonbonrosanen Haare wild hin und her. Und noch bevor sie ein Wort über die Lippen brachte, seufzte Keiji. „Fuyu hat also keine Ahnung. Was hast du angestellt?“ Seine Frage war sanft. Fast wie die eines fürsorglichen Vaters und nicht zum ersten Mal fragte sich Kasumi, wer diese Frau war. Nachdem sich der erste Trubel nun gelegt hatte, hatte Kasumi endlich Zeit, die Frau genauer zu betrachten. Sie trug ihr Haar offen und ihr fransiger Pony fiel ihr unentwegt ins Gesicht. Doch egal wie viel er von ihren Augen verdeckte, dieses wilde, sehnsüchtige brennen darin, konnte er nicht verbergen. Ihr Gesicht selbst wies eher maskuline Züge auf und Kasumi war sich sicher, wenn sie sich die Haare zurückbinden würde, wie ein Mann es tat, konnte man sie im ersten Moment mit einem verwechseln. Auch ihr Körperbau war eher schmächtig, doch die Art und Weise wie sie dastand, verrieten Kasumi, dass sie oft trainierte. Ob mit dem Schwert oder ohne. Sie besaß die Haltung einer stolzen Kriegerin. Welches zuletzt nur von ihrem ansehnlichen Katana an ihrer Seite unterstrichen wurde. „Ich habe überhaupt nichts angestellt!“, platzte es sofort aus Natsu hervor und wieder kehrte das Feuer in ihre Augen zurück. Keiji hob eine Hand wobei Natsu zusammenzuckte und die Augen schloss. Fast so, als würde sie einen Schlag erwarten. Doch Keiji legte seine Hand nur auf ihren Kopf und wuschelte durch ihre Haare. „Am besten erzählst du mir alles beim Frühstück. Wir verhungern nämlich gleich und es gibt gewisse Personen in diesem Haus, die unbedingt regelmäßig essen sollen.“ Während des letzten Satzes wanderte Keijis Blick zu Kasumi. Woraufhin eine beschämte Röte über ihre Wangen huschte. Sie mochte es wirklich nicht, wenn sich ihre Brüder um sie Sorgen mussten. Natsu folgte Keijis Blick und löste sich von ihm, als ihr Blick auf Kasumi fiel. Eine Mischung aus Entsetzen und Unglaube huschte über ihr Gesicht, bevor sie mit großen Augen zurück zu Keiji sah. Nach einem Augenblick wanderte ihr Blick zu Benjiro, der abwehrend eine Hand hob. „Sieh‘ mich nicht so an.“, sagte er dabei abwehrend. Und als ihre Augen eine dritte männliche Person nicht ausfindig machen konnten, holte sie tief Luft und schrei entsetzt: „Kazuma!“ Noch während sie Kazuma rief, fiel in der Küche etwas klirrend zu Boden und Sekunden später trat Kazuma in die Tür zu Kasumi. „Was schreist du denn so, Natsu?“, fragte Kasumi und wischte sich dabei die Hände an einem Handtuch ab. Natsu kam mit großen Schritten auf ihn zu und blieb nur Zentimeter vor den Beiden stehen. Mit einem scharfen Blick musterte sie zuerst Kasumi und dann Kazuma. „Gibt es da etwas, dass du mir sagen möchtest?“, fragte sie honigsüß. Kazuma, der die ganze Szene bis jetzt noch nicht mitverfolgt hatte, schien zuerst verwirrt. Doch dann wurde ihm offenbar klar, was Natsu von ihm wissen wollte. Er schlang seine Arme um Kasumis Arm und schmiegte seine Wange an ihre Schulter. „Du meinst meine Imōto-chan? Tut mir Leid, Kasumi wohnt jetzt in unserem Zimmer. Du kannst also nicht einziehen.“, erklärte er so trocken, dass Benjiro in schallendes Gelächter ausbrach.     „Ich kann nicht glauben, dass du deine gesamten Erinnerungen verloren hast. Das muss doch furchtbar sein?! Nicht zu wissen, wo man hin gehört!“ Nach einem ausgiebigen Frühstück hatte Natsu erklärt, weshalb genau sie hier einziehen wollte. Sie hatte in ihrem Bezirk mit ein paar Soldaten Streit angefangen. Nachdem diese Schutzgeld von ihrer älteren Schwester erpressen wollten. Nachdem sich Natsu eingemischt hatte, hatten die Männer den kleinen Gewürz- und Kräuterladen ihrer Schwester auseinander genommen. Sie hatten die gesamte Einrichtung zerstört und den Laden verwüstet. So etwas war tatsächlich nicht zum ersten Mal passiert, doch diesmal war ihrer Schwester, Fuyu, der Geduldsfaden gerissen und sie hatte Natsu kurzerhand aus dem Haus geworfen. Und da Keiji aus der Familie derjenige war, mit dem Natsu am besten auskam, hatte sie kurzerhand beschlossen zu ihm zu kommen. Natsu war, wie Kasumi erfahren hatte, eine von drei Cousinen, die Keiji besaß. Sie alle wohnten in einem der äußeren Bezirke der Hauptstadt in einem kleinen Haus. Dort betrieb die älteste einen eigenen Laden und versorgte die Menschen und auch so manche Yōkai in der Umgebung mit Heilkräutern und allerhand medizinischen Ratschlägen. Das war auch der Grund, weshalb Keiji immer wollte, dass Kasumi Fuyu einmal kennen lernte. Nur hatte sich bisher nie die Zeit dafür gefunden. Aber jetzt wollte Kasumi die Gelegenheit nutzen und ihre Hilfe anbieten. So konnten sie den Rest von Keijis Familie gleich kennenlernen. Oder zumindest den Teil, der ihm wirklich am Herzen lag. Denn so wie er mit Natsu sprach und mit ihr umging, war ganz offensichtlich, dass er sie sehr liebte. Weshalb Kasumi ihre Geschichte auch mit ihr geteilt hatte, als sie gefragt hatte. „Man könnte meinen neben einem Bauerntrampel zu sitzen. Streu doch nicht auch noch Salz in die Wunde! Wer hat dir denn Benehmen beigebracht?“, knurrte Benjiro Natsu an, bevor er den letzten Schluck seines Tees leerte. Als Antwort stieß sie ihm den Ellenbogen in die Rippen. So fest, dass sich Benjiro an seinem Tee verschluckte und stark husten musste. „Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man meinen, dass die beiden ein Paar wären.“, flüsterte Kasumi Kazuma zu, während Benjiro sich wieder beruhigte. Ihre Worte ließen ihn Lachen und obwohl Kasumi versucht hatte leise zu sprechen, hatte Natsu sie offenbar gehört, da sie sofort hefig widersprach: „Auf gar keinen Fall könnte ich auch nur ein einziges nettes Gefühl gegenüber diesem… diesem barbarischen Wolf aufbringen!“ Ihre Worte sorgten dafür, dass jetzt sogar Keiji lachen musste. Und auch Kasumi konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Vor allem nicht, weil ihr die leichte Röte auf Natsus Wangen nicht entgangen war. Doch sie wollte auch nicht, dass sie sich durch dieses, für sie, unangenehme Thema quälen musste, weshalb sie schnell auf ihre Aussage antwortete: „Es tut mir Leid. Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen. Und um deine Frage zu beantworten: Natürlich ist es ziemlich schwer, nicht zu wissen wo man hin gehört. Aber ich wurde wieder Erwartend in diese Familie aufgenommen und darüber bin ich überaus dankbar und glücklich. Das ich diese Drei jetzt meine Brüder nennen kann verdanke ich nur diesem Vorfall. Er hatte also auch seine guten Seiten.“ Kasumi sah jeden einzelnen ihrer Brüder an, während sie sprach und es war Keiji, der das rote Band an seinem Zopf los ließ und seine Teetasse zu einem Tost erhob. „Das können wir nur erwidern, Imōto-san. Wir schätzen uns Glücklich, dich unsere Schwester nennen zu dürfen.“, erklärte er, worauf hin alle anstießen und tranken. „Ich danke euch. Und Natsu: Eine Sache habe ich auf jeden Fall jetzt schon gelernt. Die Zeit ist viel zu kurz, um sie nicht mit den Menschen zu verbringen, die man liebt. Nach allem was ich gehört habe, liebst du deine Schwester sehr. Weshalb ich dir nur raten kann, nicht zu lange weg zu bleiben. Ich bin mir sicher, dass sie es nicht so gemeint hatte, als sie dich rausgeworfen hat.“ Auf ihre Worte hin, tat Natsu plötzlich sehr Beschäftigt mit dem letzten Reiskorn, das sich noch in ihrer Schüssel befand. Weshalb Kasumi noch hinzufügte: „Wenn du möchtest, begleite ich dich. Vielleicht kann ich etwas beim Aufräumen helfen und ich würde zu gerne den Laden und deine Schwester kennen lernen.“ „Ich begleite euch ebenfalls.“, erklärte Keiji. „Vielleicht kann ich rausfinden, wer euch tyrannisiert und die Männer zur Rechenschaft ziehen. Und ein weiteres paar Hände kann beim Aufbau sicher nicht schaden.“ Damit war dieses Thema bereits erledigt, noch bevor Natsu irgendetwas dazu hatte sagen können. Und obwohl Kasumi sie als feurig und wild bezeichnen würde, ergab sie sich erstaunlich schnell in ihr Schicksal. Somit würde sie ihre Schwester schneller wiedersehen als ihr wohl lieb war. Kapitel 22: Drei Cousinen ------------------------- >>Sesshōmaru versuche seine Präsenz vor allen zu verbergen, während er durch die Stand wandelte. Vor allen vor diesen schwarzgekleideten Männern, die immer noch auf der Suche nach ihm waren. Niemand sollte ihn aufhalten, oder auch nur Notiz von ihm nehmen. Denn jetzt, da er sich wieder vernünftig bewegen konnte, wollte er seine Frau so schnell es ging finden…«     Keiji hatte sich den Rest des Tages freigeschaufelt und Benjiro und Kazuma damit beauftragt weiter nach den Midori Yakubarai und deren Händler zu forschen. So war es ihm möglich Natsu zusammen mit Kasumi zurück zu ihrer Schwester zu bringen. Jetzt, am frühen Nachmittag, hielt die Kutsche vor einem schmalen, dreistöckigen Haus. Die Front maß höchstens drei Meter in der Breite und war größtenteils vom doppeltürigen Eingang belegt. Die Tür war geöffnet und sowohl vor aus auch im Laden türmten sich Trümmer von Regalen und Tongefäßen. Die Luft war erfüllt von den Gerüchen unzähliger Kräuter und Pflanzen, die allesamt auf dem Boden verteilt waren. Dieser Anblick zerbrach Kasumis Herz und sie bückte sich um eine einzelne getrocknete Ginseng-Wurzel aufzuheben. Das war natürlich nichts, um die Situation zu verbessern. All die Kräuter und Pflanzen wieder zu reinigen und zu sortieren war ein Ding der Unmöglichkeit. Es war ein ganzes Vermögen, das hier auf dem Boden vernichtet worden war und könnte leicht die Existenz von Keijis Cousinen zerstören. Wenn sich Kasumi vorstellte, dass das hier nicht einmal der erste Vorfall dieser Art gewesen war, lief es ihr eiskalt über den Rücken. Natsu bahnte sich zuerst einen Weg durch die Trümmer und betrat das Haus. „Ich bin wieder zurück.“, sagte sie dabei ohne wirkliche Freude. Sie hatte den Kopf bereits eingezogen, als rechnete sie jede Sekunde damit, dass ihre ältere Schwester erschien und ihr den Kopf abriss. „Natsu!“ Die Stimme kam aus dem Hinterzimmer, gefolgt von schnellen Schritten und Natsu blieb augenblicklich stehen. Sie zuckte sogar zusammen, als Fuyu in den Verkaufsraum stürmte. Doch das Einzige was sie tat, war Natsu um den Hals zu fallen und sie fest an sich zu drücken. „Wo hast du gesteckt? Ich habe mir Sorgen gemacht!“, rief Fuyu dabei und Kasumi musste unwillkürlich Lächeln. „Du hast mich doch rausgeworfen. Also bin ich zu Keiji und wollte bei ihm wohnen. Aber er hat mich sofort wieder zurück geschleift.“, beschwerte sich Natsu. Daraufhin drückte Fuyu sie nur noch fester an sich. „Dummkopf! Ich habe dich doch nicht rausgeworfen. Ich habe nur einen Moment für mich gebraucht. Und als du nicht mehr zurückgekommen bist, dachte ich du wärst den Männern hinterher und in noch mehr Ärger geraten. Tu das nie wieder! Hast du gehört?“ „Tut mir Leid, dass ich dir Sorgen bereitet habe.“, murmelte Natsu und hielt ihre Schwester noch einem Moment lang fest, bevor sie sich wieder voneinander lösten. Erst jetzt erhaschte Kasumi einen richtigen Blick auf Fuyu. Die älteste von drei Schwestern war kaum größer als Natsu. Ihre langen, türkisblauen Haare trug sie zu zwei hohen Zöpfen gebunden und ihre aquamarinblauen Augen strahlten ein ähnliches Feuer aus, wie Natsus. Doch außer dem Ausdruck in ihren Augen und der grazilen Haltung hatten die Beiden kaum etwas gemeinsam. Hätte Kasumi ein Musterbeispiel an Schönheit gebraucht, dann hatte sie es jetzt mit Fuyu gefunden. Sie war atemberaubend schön. Ihr Körper besaß eine perfekte Form. Nicht zu viel, doch an den richtigen Stellen genug um jedem Mann auf dieser Erde den Kopf zu verdrehen. Ihre Hände waren zierlich und schlank und sie bewegte sie mit einer Anmut, die jede andere Frau wie einen Bauerntrampel aussehen ließen. Und ihre Stimme klang angenehm, wie das flüstern des Windes, der über eine üppige Sommerwiese strich. Kasumi überkam das Gefühl, ihren Kimono glatt streichen zu müssen, um wenigstens ein wenig an diese perfekte Schönheit heranreichen zu können. „Sie hat diese Wirkung auf jeden, dem sie zum ersten Mal begegnet. Und leider muss ich gestehen, dass es kaum etwas an ihr gibt, was diesen ersten Eindruck auch nur ein bisschen schmälert. Es ist wirklich ärgerlich...“, flüsterte Keiji Kasumi zu, als er die unbewusste Bewegung ihrer Hände über ihrem Kimono bemerkte. Überrascht sah Kasumi zu Keiji auf, der ihr ein aufmunterndes Lächeln schenkte. In diesem Moment wurde Kasumi bewusst, dass die Schönheit in der Familie liegen musste. Denn Keiji war keinesfalls unansehnlich. Sie hatte ihn bisher nur nicht so betrachtet, da ihr Herz bereits vergeben war. Doch wenn Sie jetzt von Fuyu zu ihm sah, wurde ihr bewusst, dass er ähnlich gutaussehend war und sicher die gleiche Wirkung auf Frauen hatte, wie Fuyu wohl auf Männer. „Ärgerlich, weil du auch gerne die Aufmerksamkeit aller Männer in deiner Umgebung hättest?“, lachte Kasumi. Sie konnte nicht wiederstehen Keiji zu ärgern. Nicht in diesem Moment, in dem der gutaussehende Mann der umwerfenden Frau ihre Schönheit neidete. Und vor allem nicht, da sie alle eine Familie waren. Es war einfach zu Lächerlich. Keiji, der mit dem Ende seines Zopfes gespielt hatte, ließ diesen bei Kasumis Frage fallen und sah sie entsetzt an. Er öffnete den Mund um etwas zu erwidern, schloss ihn dann jedoch wieder. Kasumi war sich nicht ganz sicher, ob sie im nächsten Moment wirklich einen Schimmer rot auf seinen Wangen erkannte und sie konnte auch nicht mehr fragen, denn nachdem Fuyu ihre Schwester begrüßt hatte, fiel ihre Aufmerksamkeit auf die übrigen Anwesenden. „Keiji! Es ist so schön dich zu sehen. Ich hoffe Natsu hat dir keine Probleme bereitet. Ich weiß doch wie Beschäftigt du bist. Wir wollen dich nicht von wichtigen Aufträgen abhalten.“, begrüßte Fuyu ihn und eilte auf ihn zu. Sie ergriff seine Hände und hielt sie fest, während sie ihn eindringlich musterte. „Du weißt doch genau, dass ich für euch immer Zeit habe. Und ich wünschte du hättest früher etwas gesagt, Fuyu. Vielleicht hätte ich das hier verhindern können. Wie oft soll ich dir denn noch sagen, dass du dich immer auf mich verlassen kannst. Wenn du Probleme mit den Soldaten hier hast, dann musst du mir das sagen.“ „Deshalb ist er auch mit gekommen. Er will diesen Bastarden gehörig die Leviten lesen!“, rief Natsu, während ihre Hand schon wieder an das Heft ihres Katanas wanderte. Kasumi war fest davon überzeugt, dass Natsu Keiji bei dieser Mission begleiten wollte um sich am Ende mitten in einer Prügelei wiederzufinden. Dieses benehmen erinnerte sie an etwas, doch sie konnte den Gedanken nicht greifen und als Fuyus Blick auf sie fiel, hatte sie es schon wieder vergessen. „Fuyu, darf ich dir meine neue Schwester Kasumi vorstellen. Imōto-san, dass ist Fuyu. Die größte meiner drei Cousinen.“ Keiji hatte sich von Fuyu gelöst um Kasumi vorzustellen. Jetzt stand er mit einem stolzen Grinsen zwischen den beiden Frauen. So als freute er sich am allermeisten, über diese Begegnung. Kasumi verneigte sich leicht, woraufhin Fuyu die Geste erwiderte. „Es freut mich, dich kennenzulernen.“, sagte Kasumi mit einem sanften Lächeln. Fuyu betrachtete sie einen Moment prüfend. Vor allem ihren gewölbten Leib und sah dann kurz zu Keiji. Bei diesem Anblick musste Kasumi unwillkürlich kichern. Offensichtlich hielten all seine Cousinen Keiji und seine Brüder für wirkliche Schwerenöter. Denn es schien, als warteten sie nur darauf, dass sie alle plötzlich mit einer schwangeren Frau auftauchten. „Keiji und seine Brüder sind so nett mir bei der Suche nach meinem Ehemann behilflich zu sein.“, erklärte sie deshalb schnell. „Der zufällig ein mächtiger Yōkai ist!“, rief Natsu von weiter hinten im Raum dazwischen. Bei ihrer ersten Unterbrechung hatte Fuyu ihre Schwester noch ignoriert, doch jetzt fuhr sie herum und funkelte ihre Schwester ohne Zweifel böse an. „Würdest du bitte nicht so herum schreien, wenn die Tür offen steht?!“ Fuyus Stimme war ruhig, fast schon glockengleich sanft. Doch Natsu, die es sich auf der Stufe zum Hinterzimmer bequem gemacht hatte und an einem Stück Trockenfleisch knabberte, ließ dieses sinken und sah unwillkürlich zur offenen Tür. „Du musst meine Schwester entschuldigen. Dieses vorlaute Verhalten liegt wohl daran, dass sie die mittlere Tochter ist. Ich habe mein bestes versucht, ihr das auszutreiben, bin jedoch kläglich gescheitert.“, sagte Fuyu wieder an Kasumi gewandt. „Ah, nicht doch. Natsu erinnert mich an etwas aus meinem alten Leben, dass ich jedoch nicht wirklich greifen kann. Das ist irgendwie beruhigend.“, erklärte Kasumi schnell und hob abwehrend die Hände. „Sie erinnert dich an etwas?“, fragte Keiji sofort und trat einen Schritt näher. „Ja… Aber ich kann nicht sagen woran. Tut mir Leid.“ Es frustrierte Kasumi selbst, dass sie nicht einmal diesen Anflug einer Erinnerung zu fassen bekam und wie so oft weiterhin im Dunkeln über ihre Vergangenheit blieb. „Du hast deine Erinnerung verloren?“, fragte Fuyu und musterte sie neugierig. Gleichzeitig erkannte Kasumi aber, dass sie auch angestrengt nachdachte. „Sie wurden von maskierten, schwarzen Männern überfallen, die ein seltsames Gas benutzten um allen die Erinnerung zu nehmen!“ Wieder rief Natsu dazwischen, bevor Kasumi sich erklären konnte. Doch diesmal hatte sie ihren Ton etwas reduziert. Was vielleicht auch daran lag, dass sie sich den Rest ihres Trockenfleisches gleichzeitig in den Mund stopfte. „Wie schrecklich.“, meinte Fuyu entsetzt. „Das ist auch genau der Grund, weshalb ich wollte, dass ihr Beide euch kennen lernt. Kasumi kennt sich unglaublich gut mit Heilkräutern aus und vielleicht findet ihr irgendwas, dass ihr helfen könnte… Wobei wir hier zuerst einmal Ordnung machen sollten.“, erklärte Keiji. Mit diesen Worten griff Keiji nach den nächstgelegenen Regaltrümmern und zerrte diese hinaus auf die Straße. Sofort sprang Natsu auf, um ihm zu helfen und nach einem Moment des Zögerns begann Fuyu die verstreuten Kräuter und Pflanzen vom Boden aufzulesen. Kasumi räumte sich eine kleine Ecke auf einem Tisch frei und begann dort alle Produkte von Fuyu zu sortieren und in die richtigen Gefäße einzufüllen.     Die Sonne ging bereits unter, als der Landen endlich wieder wie ein vernünftiges Geschäft aussah. Die Schränke und Regale waren halbwegs repariert und alle Kräuter und Gewürze, die zu retten waren, befanden sich jetzt wieder in beschrifteten Töpfen und Gefäßen. Kasumi stellte gerade das letzte Glas an seinen Platz, als sie mit dem Fuß gegen etwas stieß, dass gegen den Schrank kam und von diesem abprallte. Irritiert sah sie sich nach dem Gegenstand um und fand eine große, bleierne Kugel, die fast ihre gesamte Handfläche ausfüllte und ungewöhnlich schwer wirkte. „Was ist das?“, fragte sie und wand sich an Fuyu, die gerade dabei war, den Vorhang für die Eingangstür zu flicken. Sie legte den Stoff beiseite, als Kasumi ihr entgegen kam und betrachtete den Gegenstand in ihrer Hand. „Ah. Das ist die Kugel aus einem speziellen Teppo. Leider habe ich die in letzter Zeit immer häufiger in Yōkai gefunden. Sie sind mit irgendetwas beschichtet, was die Yōkai unsagbar quält und Schwächere sogar töten kann. Und selbst wenn man sie entfernt ist es nicht sicher, ob der Yōkai überlebt, da die Wunden furchtbar schlecht heilen. Es ist Teufelszeug aber anscheinend das neuste Lieblingsspielzeug der Soldaten.“, erklärte Fuyu und konnte dabei ihre Abscheu kaum verbergen. „Das ist ja furchtbar!“, murmelte Kasumi vor sich hin. Sie betrachtete die Kugel in ihrer Hand und drehte sie im Licht der Laterne, die Fuyu zum Nähen aufgestellt hatte. Wenn sie sich nicht täuschte, dann erkannte sie einen leichten grünen Schimmer, der sich im sanften Licht brach und ein schreckliches Gefühl stieg in ihr auf. „Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich dich gerne einmal begleiten, wenn du zu diesem Wald gehst.“, sagte Kasumi nach einem Moment um sich von ihren Gedanken abzulenken. Während sie das Geschäft aufgeräumt hatten, hatte Kasumi viel über Fuyu und ihre Arbeit erfahren. Dabei hatte sie ihr auch verraten, dass sie einmal in der Woche zu einem kleinen Wald außerhalb der Stadt ging, in dessen Zentrum ein unbedeutender Tempel stand. Dort, im Schatten des Tempels hatte sich eine Art Unterschlupf für Yōkai entwickelt der Schutz für alle Hilfsbedürftigen bot und somit stetig anwuchs. Fuyu kümmerte sich dort um die Verletzungen und Wunden der Yōkai und konnte mittlerweile sicher jede Hand gebrauchen, die sich anbot. „Es wäre mir eine Freude. Ich kann sicher noch das ein oder andere von dir lernen.“, sagte Fuyu mit einem erfreuten Lächeln. „Ehrlich gesagt hatte ich gehofft etwas von dir lernen zu können.“ Verlegen senkte Kasumi den Blick und legte die Kugel, die sie immer noch in Händen hielt, beiseite um sich zu beschäftigen. „Dann sollten wir das auf jeden Fall so schnell wie möglich tun. Ich werde dir rechtzeitig Bescheid geben, sobald ich wieder dorthin aufbreche.“ Kaum war das geklärt, öffnete sich die Tür zum Laden und Keiji trat ein. „Seht mal, wen ich draußen aufgelesen habe.“, sagte er, bevor er zur Seite trat und einem kleinen Mädchen Platz machte. „Onē-san!“, rief die Kleine, die das perfekte Ebenbild von Fuyu war, und rannte auf ihre große Schwester zu. „Aki, bin ich froh, dass dir nichts passiert ist!“ Fuyu ließ sofort alles stehen und liegen, rannte zu ihrer kleinen Schwester und zog sie in ihre Arme. Sie hob sie vom Boden und drehte sich mit ihr einmal im Kreis um den Schwung auszugleichen. Dabei strich sie ihr immer wieder über Kopf und Rücken. Kasumi wusste, dass Keiji drei Cousinen besaß, doch sie hatte nicht erwartet, dass die Dritte so jung war. Sie konnte kaum älter sein als sie es war, als sie zum ersten Mal ihrem Ehemann begegnet war. Überrascht über den Gedanken blinzelte Kasumi irritiert. Wieder hatte sie sich an etwas erinnert, ohne wirklich eine Vision davon gesehen zu haben. Eine ganz normale Kleinigkeit, die ihr einfach so in den Sinn gekommen war. Und da sich dieser Vorgang zu wiederholen schien, hoffte Kasumi, dass es ein Zeichen war, dass ihre Erinnerungen bald zurückkehren würden. „Ist alles in Ordnung, Imōto-san?“, fragte Keiji leise. Während der stürmischen Begrüßung der Schwestern war dieser neben Kasumi getreten und musterte sie nun mit einem besorgten Blick. Diesen zerstreute Kasumi gleich mit einem Lächeln. „Ja, es ist alles in Ordnung. Es ist nur schön zu sehen, wie sehr die beiden sich freuen sich wieder zu haben. Ganz allein auf sich gestellt zu sein, mit einer so jungen Schwester ist sicher hart für Fuyu.“ Bei ihren Worten nickte Keiji. Während sie aufgeräumt hatten, hatte Kasumi auch erfahren was hier vorgefallen war. Natsu hatte auf dem nächsten Dorfplatz ein paar Soldaten vorgeführt und diese hatten beschlossen sich an Fuyu und ihrem Geschäft für diese Demütigung zu revanchieren. Also waren sie zu fünft hier aufgetaucht und hatten alles kurz und klein geschlagen. Sofort hatte Fuyu Aki durch den Hinterausgang nach draußen geschoben und ihr die Flucht befohlen, bevor sie versucht hatte die Angreifer zu vertreiben. Doch einer der Männer hatte sie aufgehalten und gezwungen, alles mitanzusehen. Natsu war wenig später dazu gekommen und hatte Fuyu aus den Händen der Soldaten befreien können. Aber für den Laden hatte es keine Chance mehr gegeben. Zerfressen von ihrer Reue war Natsu wenig später verschwunden und nachdem die Soldaten ihrer Wut Luft gemacht hatten, hatten diese sich ebenfalls zurückgezogen. Somit war Fuyu allein mit dem Chaos geblieben, was mit Sicherheit nicht einfach gewesen war. „Das ist es. Deshalb versuche ich auch alles, um ihr Leben so angenehm wie möglich zu machen. Auch wenn Fuyu das natürlich niemals akzeptieren würde. Sie will ihr Leben allein bewältigen und meistert es manchmal besser, als ich es mir selbst eingestehen möchte. Sie ist eine unsagbar starke Persönlichkeit und lässt sich durch nichts unterkriegen. Bevor ich dich kannte, hätte ich gesagt, sie ist die entschlossenste Frau, die ich kenne. Aber mittlerweile glaube ich, dass ihr euch auf einer ähnlichen Stufe befindet.“ Bewunderung sprach aus Keijis Stimme und seine Worte über Kasumi, ließen diese Rot werden. „Hast du die Männer gefunden, die hierfür verantwortlich waren?“, fragte sie, um von sich selbst abzulenken. Nach Ihrer Ankunft und nachdem das Geschäft wieder einigermaßen gestanden hatte, hatte sich Keiji sofort auf die Suche nach den Soldaten gemacht. Da er jetzt wieder zurück war, hieß wohl, dass er sie gefunden hatte. Keijis Mine verfinsterte sich für einen Moment und die Hand, die locker auf seinem Katana lag, ballte sich zu einer Faust. „Das habe ich. Sie haben in einem Wirtshaus mit ihrer Tat geprahlt. Dort habe ich sie zur Rede gestellt… und letztlich den örtlichen Wachsoldaten übergeben.“ Das kurze Zögern in Keijis Erklärung sagte Kasumi genug. Mit Sicherheit hatten sich diese Soldaten nicht einfach so gestellt. Sicher hatten sie nicht einmal ihr Fehlverhalten eingesehen. Doch auch wenn Keiji keine äußerlichen Verletzungen aufwies, sah Kasumi ihm an, das ihm diese ganze Sache nahe ging. Aus diesem Grund legte sie ihm eine Hand auf seinen Schwertarm und drückte ihn sanft. „Wegen guten Menschen wie dir, werden die Bösen niemals die Oberhand gewinnen. Daran glaube ich ganz fest.“, versuchte sie ihn etwas aufzuheitern. Den Ausdruck in Keijis Gesicht, als er Kasumi ansah, konnte sie nicht recht deuten. War es Bedauern oder etwas noch Dunkleres? Sie hatte ohnehin schon bemerkt, dass sich Keiji im Beisein von Fuyu anders verhielt als gewöhnlich. Da war etwas in der Art und Weise wie er seine Schultern hielt. Als läge auf ihnen eine unsichtbare Anspannung. Irgendetwas stand zwischen ihnen, was Kasumi noch nicht ergründet hatte und wovon Keiji offensichtlich nicht wollte, dass es irgendjemand erfuhr. „Ist… alles in Ordnung?“, fragte Kasumi besorgt. Sie hatte die Frage kaum ausgesprochen, da verschwand der Ausdruck auf Keijis Gesicht und er schenkte ihr ein kleines Lächeln. „Ja, alles in Ordnung.“ Kasumi beobachtete Keiji noch eine Weile, als er sich von ihr löste und zu seiner jüngsten Cousine trat. Er schlich sich von hinten an sie heran, packte sie und hob sie mit Leichtigkeit über seinen Kopf. Überrascht quickte Aki auf und beide Lachten herzlich. Nichts deutete auf den Schatten hin, den Kasumi noch vor wenigen Sekunden wahrgenommen hatte und sie fragte sich, ob sie es sich vielleicht nur eingebildet hatte.     Die nächsten Tage verliefen Ruhig, im Vergleich zu den letzten Wochen. Während ihre Brüder ein paar neuen Spuren folgten, verbrachte Kasumi viel Zeit bei Fuyu und ihrem Laden. Die Arbeit mit den Heilkräutern beruhigte sie irgendwie und die drei Frauen um sich herum zu haben war eine schöne Abwechslung zu ihrem reinen Männerhaushalt. Jiyū war in der ganzen Zeit tagsüber verschwunden und suchte weitere Bewohner ihres Winterpalastes. Oft kam sie erst spät nachts zurück zum Haus um in der Krone des Ginkos zu schlafen und Kasumi Bericht zu erstatten. Nennenswerte Fortschritte machte die Suche jedoch nicht. Wann immer sie konnte, unternahm Kasumi auch etwas mit Michihito und besichtigte mit ihm die Stadt. Sie genoss dabei die Gespräche mit ihm. Wie sie über Kleinigkeiten philosophierten oder über große politische Fragen. Es war erfrischend, sich mit jemand so hoch intellektuellem auszutauschen und sogar die Frage nach den Yōkai sprachen sie an. Dabei war Kasumi überrascht, wie offen er diesen gegenüber war. Und das obwohl er im Palast lebte. „Du siehst also kein Problem mit ihnen?“, fragte sie verblüfft, als sie gerade wieder auf dem Rückweg waren. „Wieso? Sie sind genauso Kreaturen dieses Landes, wie wir Menschen. Sie haben vielleicht eine andere Kultur, aber wieso sollten wir sie deshalb zu unseren Feinden erklären? Händler aus anderen Ländern nehmen wir doch ebenfalls in unserer Mitte auf. Ich könnte mir vorstellen, dass man sich auch darauf verständigen könnte nebeneinander her zu leben.“ Bei seinen Worten blieb Kasumi unwillkürlich stehen. Wusste er gar nicht, was in dieser Stadt vor sich ging? Welche Befehle aus dem Palast kamen? Allein deshalb hatte sie eine andere Meinung von ihm erwartet. „Also stellst du dich gegen die Meinung der Regierung?“, fragte sie verblüfft, als Michihito verwundert stehen geblieben war und sich nach ihr umgedreht hatte. Er runzelte die Stirn und trat wieder zu ihr. „Ich bin mir nicht sicher, was du damit sagen willst.“ Konnte es sein, dass diese Art von Befehlen nur an die Soldaten gegeben wurden und sonst niemand im Palst etwas davon mitbekam? Vielleicht nicht einmal die Bevölkerung? Hatte Kasumi mit ihrer Frage eine Tür geöffnet, die sie lieber geschlossen gehalten hätte? Aber da sie es jetzt angesprochen hatte, musste sie fortfahren, denn Lügen würde sie niemals. „Soweit mir bekannt ist, ist Heian-kyō aktuell die Yōkai feindlichste Stadt dieses Landes. Jedem Soldat wurde aufgetragen Yōkai auf Sicht zu töten und schwarze Reiter ziehen durchs Land und brennen große Paläste der Yōkai nieder. Es ist… ein Blutbad.“, erklärte Kasumi niedergeschlagen. Dem schockierten Ausdruck auf Michihitos Gesicht nach zu urteilen, waren ihm diese Ereignisse tatsächlich neu. Doch Kasumi konnte es ihm nicht einmal verübeln. Sie glaubte nicht, dass Nachrichten über Yōkai jemals in das Innere des Palastes vordrangen. Höchstens auf den Tisch des Generals… „Und das entspricht der Wahrheit?“, fragte Michihito ungläubig. Im Laufe ihrer Sparziergänge hatte sich zwischen den Beiden eine Freundschaft entwickelt und sie kannten sich so gut, dass sie voneinander wussten, dass sie immer die Wahrheit sprachen. Michihito glaube ihr also, fragte jedoch, weil er es selbst nicht glauben konnte. Und für Kasumi schien das der Moment, an dem sie ihm auch ihre letzte Wahrheit offenbaren musste. Die Geschichte, warum sie wirklich hier war. Kapitel 23: Wünsche und Begegnungen ----------------------------------- >>Sie war hier gewesen! Im Haus dieser Frau, die seine Wunden versorgte. Hier in diesem Haus, als er gerade durch die Stadt gewandert war. Auf der Suche nach ihr. Fast wäre er in die Knie gegangen, als ihr Geruch seine Nase füllte. Sie lebte und es ging ihr gut. Erleichterung durchströmte ihn und ließ die Anspannung von ihm abfallen, derer er sich gar nicht bewusst gewesen war. Jetzt gab es nur noch eines, das er tun musste…«     Mehrere Tage später wurde in der Stadt das Lichtbringer Fest gefeiert. Kasumi sagte das nichts und dennoch war sie erfüllt von Vorfreude, seit sie davon gehört hatte. Fuyu hatte ihr davon erzählt, doch da sie selbst keine Zeit hatte, lief Kasumi jetzt zusammen mit ihren Brüdern durch die Straßen der Stadt. Alles war angefüllt mit den Geräuschen des geschäftigen Treibens. In den Straßen waren unzählige Buden und Stände aufgebaut worden, in denen jeder seine Waren anbot und in den Himmel lobte. Kinder rannten lachend durch die Menschenmenge und unzählige Bewohner der Stadt und sogar Besucher und Reisende tummelten sich in den Straßen. Es war ein unbeschreibliches Schauspiel, doch Kasumi war eigentlich nur wegen einer einzigen Sache hier. Sie hatte sich von Fuyu erklären lassen, was die Besonderheit an diesem Fest war. Und zwar, dass sich jeder Besucher irgendwann eine Papierlaterne kaufte, seinen Wunsch darauf schrieb und sie in den Nachthimmel entließ. Und wenn einem die Götter zugetan waren, würde sich dieser Wunsch auch erfüllen. Allein deshalb wollte Kasumi hier her kommen und als sie um eine Straßenecke bogen, sah sie einen Stand mit Papierlaternen. Doch noch bevor sie ihn erreichte, wurde ihr bewusst, dass sie schon einmal hier gewesen war. In einem anderen Leben…   //„Lässt du mich einen Moment alleine Jiyū? Ich werde auch nicht lange brauchen, versprochen!“, sagte Rin mit einem Lächeln. Jiyū zögerte jedoch und Rin konnte an ihrem Gesichtsausdruck sehen, weshalb. Die Sorge, sie hier allein zu lassen und das Problem ihre Anweisung nicht zu befolgen kämpften in ihr, doch schließlich seufzte sie leise auf. „In Ordnung, aber ich werde in Sichtweite bleiben!“, erklärte sie schließlich. Das ließ Rin noch breiter Lächeln. Sie wusste in welche Zwickmühle sie ihre Freundin brachte. Sie war sehr loyal und würde immer für Rin kämpfen, doch sie würde auch alles versuchen um ihren Wünschen zu entsprechen. Ihre Bitte, sie in einem unübersichtlichen, unbekannten Terrain allein zu lassen, wiedersprach allem was Jiyū wollte. „Ich danke dir!“, sagte Rin deshalb erleichtert. Sie bat nicht oft um so etwas, doch das hier wollte sie allein tun. Als Jiyū gegangen war, trat Rin näher an die Eiche, die abseits der Straßen auf einer großen Wiese stand. So nah, dass sie noch die Laterne mit ihrem Wunsch aufsteigen lassen konnte ohne dass diese im Baum hängen bleiben würde. Einen langen Moment sah sie auf den Wunsch, den sie auf das Papier geschrieben hatte, dann schloss sie die Augen. „Bitte, lass meinen Wunsch wahr werden!“, bat Rin und ließ schließlich die Laterne in den Himmel steigen. Sie sah ihr nach, wie sie am Nachthimmel immer kleiner wurde und wäre eigentlich so lange stehen geblieben, bis sie die Laterne nicht mehr sehen könnte, doch dann spürte sie etwas hinter sich und sofort lag ihre Aufmerksamkeit darauf. „Der gleiche Wunsch wie damals bei der Sternschnuppe?“ Sesshōmarus Frage ließ sie rot werden und sie drehte sich zu ihm um. „Du hast ihn gelesen?“, fragte sie ungläubig. Sesshōmaru sah hinauf zu der Laterne und dann wieder zu Rin. „Im Baum hatte ich die perfekte Möglichkeit dazu“, erklärte er sich und Rin wurde nur noch röter. „Was machst du überhaupt hier? Ich dachte die Menschen sind dir zu wider?“, fragte sie um von dem Thema mit ihrem Wunsch abzulenken. Sesshōmaru gab ein abfälliges Geräusch von sich, während er den Blick über die Stadt gleiten ließ, dann legte er seine Hand an ihre Wange. „Ich bin nicht wegen den Menschen hier!“ Und ich bin hier draußen um näher bei dir zu sein, dachte Rin. Wie so oft ergänzten sie sich mit ihren Taten so perfekt, dass es kaum irgendwelcher Worte bedurfte. Zwar zog es Rin mittlerweile öfter zu den Menschen. Sie wollte ihnen helfen und ihnen beistehen, doch viel zu schnell sehnte sie sich wieder nach der stillen Einsamkeit, denn nur dort konnte sie die unbeschwerte Zeit mit Sesshōmaru genießen. Ohne Zurückhaltung und ohne sich irgendwelche Gedanken machen zu müssen. „Ich will jede Gelegenheit nutzen meinen Wunsch zu erneuern, damit das Universum weiß wie ernst es mir damit ist!“, sagte Rin schließlich doch noch einmal wegen der Laterne. Sesshōmarus Mundwinkel zuckten für den Bruchteil einer Sekunde nach oben, woraufhin Rin sich nicht mehr zurückhalten konnte. Sie überwand die kleine Lücke, die sie voneinander trennte, schlang ihre Arme um seine Taille und schmiegte sich an ihn. Zuerst reagierte Sesshōmaru nicht. Das tat er immer und Rin vermutete, dass er ihr immer einen Moment Zeit gab, damit sie sich wieder lösen konnte, falls sie es sich doch anders überlegte. Doch das tat sie nie. Sie wartete immer darauf, dass auch er seine Arme um sie legte und das tat er jedes Mal. Genau wie in diesem Moment. Er zog sie eng an sich und drückte seine Nase schließlich in ihre Haare. „Solange du meiner nicht überdrüssig wirst, werde ich für immer an deiner Seite sein Rin. Das solltest du eigentlich wissen“, sagte er schließlich leise. Ein warmes Gefühl durchströmte Rin und sie löste sich ein kleines Stück von ihm. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte ihre Lippen auf seine. Dabei ließ sie ihre Arme hinauf zu seinem Nacken gleiten, um ihm noch näher zu sein. „Das weiß ich und das werde ich nie vergessen!“, sagte sie mit einem glücklichen Lächeln.//   Kasumi schnappte nach Luft und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. In letzter Zeit wurden ihre Träume immer öfter von einem Ziehen in ihrer Brust begleitet. Das gleiche Ziehen verspürte sie auch nach dieser Erinnerung. Es war eine Sehnsucht, ein Verlangen, dass sie nicht mehr leugnen konnte. Denn sie war einfach schon zu lange von ihrem Mann getrennt. Nur gut, dass ihre Brüder damit beschäftigt waren sich über etwas Belangloses zu streiten, um Kasumis Zustand zu bemerken. Und sie bemühte sich, schnell wieder genau so unbekümmert wie die drei Männer auszusehen. Sie so frei und unbeschwert zu sehen, zauberte ein Lächeln auf Kasumis Lippen. Es war fast so, als befänden sie sich wieder auf ihrer Mission und nicht in dieser Stadt, in der sie jeden Moment von einem Spion verraten werden konnten. „Hört auf zu streiten und lasst uns Laternen kaufen. Ich will, dass wir uns alle etwas wünschen!“, rief Kasumi ihre Brüder und winkte sie vor den Stand des Laternenverkäufers. Jeder mit einer Laterne ausgestattet standen sie wenige Minuten später abseits der Straßen auf der gleichen Wiese, auf der Kasumi damals ihre Laterne hatte steigen lassen. Nur wenige Meter von der mächtigen Eiche entfernt, strich Kasumi über die Worte auf ihrer Laterne. Ich wünsche mir meinen Ehemann zu finden und dass es allen Gut gehen wird, die mir am Herzen liegen. Sie schloss die Augen und sprach die Worte noch einmal zu sich selbst. Vielleicht fügte sich alles zusammen, wenn sie es sich nur stark genug wünschte. Dann ließ sie die Laterne los und beobachtete wie sie im Nachthimmel verschwand. Zusammen mit denen ihrer Brüder. Es war ein friedlicher Moment, bis Rin glaubte ein tiefes Knurren zu hören. Sie drehte sich um, um die Quelle dieses Knurren auszumachen, konnte aber nichts und niemanden erkennen. „Alles in Ordnung, Imōto-chan?“, fragte Kazuma an ihrer Seite und legte eine Hand auf ihren Arm. Da sie nichts sehen konnte, wand sie sich an Kazuma und schenkte ihm ein Lächeln. „Ja, alles in Ordnung. Ich habe es mir wohl nur eingebildet.“ Doch die Erschütterung, die im nächsten Moment durch die Erde bebte, strafte ihre Worte Lügen. Sofort fuhren die Vier herum und starrten auf einen gigantischen weißen Hunde-Yōkai. Sprachlos, über das plötzliche erscheinen eines Yōkai in dieser Stadt, die alle Yōkai verachtete, konnte Kasumi diesen nur anstarren. Sie bemerkte nur am Rande, wie Kazuma noch näher an sie heran trat und den Griff um ihren Arm festigte. Er war bereit sie zu schnappen und zu flüchten, oder zu kämpfen falls es nötig war. Egal wie das hier enden würde. Ihre Brüder waren bereit, alles zu tun. Doch irgendetwas an dieser Erscheinung schien Rin vertraut. Auch als der Blick des Yōkai auf Kazuma fiel und erneut dieses tiefe Grollen die Nachtluft erfüllte. Der Yōkai veränderte seine Position und Keiji spiegelte dieses Verhalten und zog sein Katana dabei. Auch Benjiro ließ seine Hand an sein Katana wandern, machte sonst allerdings keine Anstalten sich für einen Angriff bereit zu machen. Ein Zittern überlief Kasumi und die Welt um sie herum begann sich zu drehen. Mit aller Macht versuchte ihr Körper offenbar etwas in ihr auszulösen. Doch wie so oft konnte sie es einfach nicht greifen. Und dann fiel Jiyū wie ein Stein vom Himmel und landete in einer großen Staubwolke auf dem neuen Gras. „Idioten! Nehmt eure Waffen runter. Das hier ist immerhin Ri- Kasumis Ehemann!“, rief sie zornig und stürmte auf sie zu. Doch keiner ihrer Brüder rührte sich auch nur einen Millimeter und in der darauffolgenden Stille hörte man nur Jiyūs Raben, die am Himmel kreisten, rufen. Schon im nächsten Moment machte der Yōkai einen Schritt auf sie zu. Die Zähne gefletscht, die Krallen ausgefahren. Er war bereit sie alle zu zerfleischen. Und dann erhaschte Kasumi einen Blick auf seine goldenen Augen. Sie wäre fast in die Knie gegangen, als sie das flüssige Gold in diesen Augen schimmern sah und war froh, dass Kazuma sie noch festhielt. So oft hatte sie diese Augen gesehen. Sie waren ihr so vertraut, wie ihre eigenen. Das Einzige, woran sie sich immer erinnern konnte, wenn sie eine Vision ihres früheren Lebens durchlebte. Ohne dass sie sich dessen bewusst war, begann sie zu laufen. Einen Fuß vor den anderen ging sie auf den Yōkai zu. Was ihre Brüder natürlich in Panik versetzte. Sie wollten ihr folgen, oder irgendetwas tun, doch das war nicht nötig. „Ist schon gut.“, sagte sie leise. Es war nur ein Flüstern, doch sie wagte auch nicht lauter zu sprechen aus Furcht ihren Ehemann zu verschrecken. Ihren Ehemann! Wie oft hatte sie sich nach diesem Augenblick gesehnt. Und nun war er gekommen. Auch wenn sich die Hoffnung, ihr Gedächtnis zurück zu erlangen, wenn sie ihm nur wieder gegenüber stand, in Rauch auflöste. So hatte sie doch ihren Mann gefunden. Denjenigen, der mit ihr durchs Leben ging. Nur langsam, schien diese Erkenntnis auch ihre Brüder zu erreichen, denn sie ließen ihre Waffen sinken und Kazuma gab ihren Arm frei. So dass Kasumi ungehindert vor den gewaltigen Yōkai treten konnte. Er war so groß, dass Kasumi ihren Kopf weit in den Nacken legen musste um den Blich in seine goldenen Augen nicht zu verlieren. Schließlich blieb sie vor ihm stehen und strecke ihm eine Hand entgegen. Sie wollte ihn berühren. Wollte spüren, dass es kein Traum war. Keine Erinnerung, aus der sie erwachen und sein Gesicht vergessen würde. Sie musste einfach wissen, dass jetzt alles wieder Gut werden würde. Das sie daran gezweifelt hatte, wurde ihr erst in diesem Augenblick bewusst. Sie hatte zwar gekämpft und immer nach vorne gesehen. Doch ein Körnchen Angst hatte immer in ihrem Inneren existiert. Zumindest bis zu diesem Moment, denn als der große Yōkai seinen Kopf senkte und ihre Finger durch sein seidenes Fell glitten, fiel jeglicher Zweifel von ihr ab. Zärtlich streichelte sie über sein dichtes Fell. Sog seine Wärme durch ihre Handfläche auf und schickte ihre eigene durch die Berührung zurück. Sie waren Eins. Sie spürte es in diesem Moment ganz deutlich. Dass sie zusammen gehörten. Füreinander bestimmt waren. Und das Kind in ihrem Leib reagierte ebenfalls. So als freute es sich, endlich wieder seinen Vater um sich zu haben. Der Yōkai, groß und gewaltig, ließ sich unter ihrer Berührung zu Boden fallen. Ein Knurren drang dabei über seine Lippen, dass eher einem Schnurren glich und er schob seinen Kopf weiter in ihre Berührung. Woraufhin Kasumi auch ihre zweite Hand in seinem Fell versinken ließ. Endlich habe ich dich gefunden! Der Yōkai sprach diese Worte, ohne wirklich zu sprechen. Doch Kasumi spürte, wie sie in ihrem Inneren wiederhalten und einen Schalter in ihr umlegten. Tränen brannten heiß in ihren Augen und liefen über. Sie schlang ihre Arme um seine Schnauze und presste sich an ihn. Das Gesicht in seinem Fell vergraben weinte sie leise. Nur das Zittern, das von ihrem ganzen Körper besitzt ergriff, machte deutlich, wie aufgewühlt sie war. All die Gefühle und Ängste, die sie gut in ihrem Inneren versteckt hatte, brachen jetzt hervor und suchten in ihren Tränen einen Weg nach draußen. Und als wüsste ihr Mann ganz genau wie es ihr ging, legte er eine seiner Pfoten vorsichtig an ihre Seite um sie zu stützen und ihr Halt zu geben. „Es… tut mir Leid…“, weinte Kasumi und presste sich dabei noch fester an ihren Mann. Es tat ihr so vieles leid. Dass sie sich nicht erinnerte. Dass sie ihn nicht erkannte. Dass sie nicht stärker versucht hatte ihn zu finden. Aber vor allem, dass sie ihn so sehr liebte, dass es ihr Herz zerriss, ihm in ihrem jetzigen Zustand gegenüber zu stehen. Denn auch wenn sie sich in diesem Moment zu hundert Prozent sicher war. Dass sie liebte ihn, mit jeder Faser ihres Körpers. Die Tatsache, dass sie sich nicht erinnern konnte, erstrecke sich wie ein unüberwindbares Kliff zwischen ihnen. Doch sie kam nicht dazu noch mehr zu sagen, denn im nächsten Moment schoss eine Kugel direkt über ihrem Ehemann durch die Luft. Kasumi löste sich sofort von ihm und fuhr herum um die Herkunft dieser Kugel auszumachen. Der Schütze war der Erste einer ganzen Armada an Soldaten, die aus den Straßen der Stadt auf die Wiese quollen. So viele, dass Kasumi den Überblick über deren Anzahl verlor. Doch das bedrohliche Knurren ihres Ehemannes rief ihr wieder ins Gedächtnis, was hier oberste Priorität hatte. Er war aufgesprungen und hatte seine Angriffshaltung wieder eingenommen. Doch das konnte sie nicht zulassen. Zu viel würde passieren, wenn sie sich hier einen Kampf lieferten. Also legte sie ihre Hand an sein Bein und suchte seinen Blick. Zuerst fürchtete sie, er würde sie ignorieren, doch dann sah er zu ihr hinab und Erkennen schimmerte in seinen Augen. „Geh! Sie dürfen dich nicht noch einmal in die Finger bekommen.“, sagte sie in ruhigem Ton, aber doch so, dass klar wurde, dass sie keinen Widerspruch duldete. Das war das Einzige, was diese Soldaten jetzt hier wollen konnten. Das Leben ihres Ehemannes. Er war es, der in diesem Kerker gefangen gehalten worden war und doch geschafft hatte, zu fliehen. Natürlich wollten die Männer ihre Trophäe jetzt um jeden Preis wieder haben. Doch das würde Kasumi nicht zulassen. Nicht noch einmal würde sie es einem Menschen erlauben, ihren Ehemann zu quälen. Doch ihr Mann schien anderer Meinung zu sein, denn er ging noch einen Schritt weiter auf die Soldaten zu. „Sesshōmaru! Du musst mir vertrauen. Alles wird gut werden. Aber du musst jetzt gehen!“ Sie wusste nicht, woher sie plötzlich seinen Namen kannte, doch sie wusste, dass er stimmte. Allein schon daran, dass Sesshōmaru sie fassungslos ansah. Und mit der Gewissheit seinen Namen zu kennen, sah Kasumi plötzlich auch einen Weg vor sich. Den einzigen Weg, den sie bereit war zu beschreiten. Sie wusste genau was sie hier tat und das würde sie ihm auch beweisen, wenn es sein musste. Voller Zuversicht sah sie zu ihm auf und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Auch er sollte wissen, dass das hier irgendwann ein Ende fand und dass sie am Ende zusammen sein würden. Einen anderen Ausgang dieser Sache würde Kasumi nicht akzeptieren. Was es letztlich war, dass ihn überzeugte, wusste Kasumi nicht. Doch Sesshōmaru neigte respektvoll den Kopf vor ihr und nach einem letzten Blick in ihre Augen, verschwand er in die Nacht. Die Kugeln der Soldaten erreichten ihn schon längst nicht mehr, als diese erneut schossen. Trotzdem sah Kasumi ihm nach, bis er von der Dunkelheit verschluckt worden war. Erst dann wand sie sich den unzähligen Soldaten und allen voran deren Kommandanten zu. Dieser war leicht zu erkennen, da er als Einziger auf einem Pferd ritt. Vollständig in schwarz, starrte er sie mit einem hasserfüllten Auge an. Das andere war hinter einer Augenklappe verborgen. „Festnehmen!“, war das einzige Wort, das er für sie gebrauchte und sofort strömten die Soldaten auf sie zu. Ihre Brüder erreichten sie einen Moment früher. Keiji und Benjiro hatten ihre Katanas gezogen und hielten die Soldaten damit auf Abstand. „Was hat das zu bedeuten, Onkel?“, schrie Keiji über das Feld. Zorn tränkte jedes seiner Worte, der jedoch mit dem selbstgefälligen Lächeln von Toshiie Maeda als irrelevant abgetan wurde. Langsam ritt er auf sie zu und ließ dabei seinen Neffen keine Sekunde aus den Augen. „Wie dir vielleicht entgangen ist, ist das kollaborieren mit Yōkai strengstens verboten. Aus diesem Grund müssen alle Sympathisanten umgehend ergriffen und ausführlich befragt werden. Ich an deiner Stelle wäre also vorsichtig. Nicht das meine Männer noch denken, du wärst auf der Seite dieses Abschaums und sie müssten eines ihrer größten Vorbilder selbst verhaften.“ Jedes seiner Worte war von Hass vergiftet und erzeugte eine Gänsehaut auf Kasumis Armen. Natürlich würden ihre Brüder sie beschützen, doch sie wollte nicht, dass ihnen auch nur ein Haar gekrümmt wurde. Also streckte sie ihre Hände aus und legte jeweils eine auf Keiji und Benjiros Schulter. „Bitte steckt eure Katanas weg und tretet beiseite.“, sagte sie leise, so dass der Hauptmann der Truppen keines ihrer Worte hören konnte. „Niemals!“, protestierte Keiji heftig. Er fuhr zu ihr herum und wollte weiter sprechen, doch Kasumi schenkte ihm das gleiche Lächeln, das sie auch ihrem Mann geschenkt hatte. Ein Lächeln voller Zuversicht und Selbstvertrauen. „Alles wird gut werden. Lasst die Männer einfach ihre Arbeit machen. Es war eine wundervolle Zeit, die wir zusammen hatten. Nur leider muss sie früher Enden, als ich mir das gewünscht hätte. Trotzdem verspreche ich euch, dass alles ein gutes Ende nehmen wird.“, erklärte Kasumi zuversichtlich. Keiji rührte sich keinen Millimeter. Nur Benjiro steckte sein Katana zurück und nickte steif. „Ich werde auf Kazuma aufpassen.“, versprach er, was Kasumi Lächeln ließ. Mit diesen Worten verneigte sich Benjiro tief vor Kasumi, die die Geste erwiderte. Anschließend ging er zu Kazuma, der hinter Kasumi Stellung bezogen hatte um ihren Rücken zu decken und zerrte ihn mit sich. Trotz des lautstarken Prostest, den er wegen diese Maßnahmen veranstaltete. Nur Keiji blieb zurück, der sein Katana mittlerweile hatte sinken lassen. Das die Soldaten trotzdem nicht näher kamen, rechnete Kasumi ihnen hoch an. Anscheinend kannte jeder von ihnen Keiji und wusste um seinen guten Ruf. Weshalb es niemand wagte, dem höher gestellten Hauptmann in die Quere zu kommen. Befehl hin oder her. „Nii-san. Es wird alles in Ordnung kommen. Aber du musst jetzt gehen.“, sagte Kasumi sanft. Sie sprach ihn absichtlich als ihren älteren Bruder an, damit die Worte auch wirklich zu Keiji durchdrangen und als sie ihre Hand auf seinen Arm legte, blinzelte er, als würde er aus einem Traum erwachen. „Ich kann nicht…“ Verzweiflung sprach aus seiner Stimme und raubte Kasumi fast die Luft zum Atmen. Weshalb sie nicht anders konnte, als Keiji um den Hals zu fallen und ihn fest an sich zu ziehen. „Ich liebe dich, wie einen richtigen Bruder. Deshalb will ich nicht, dass dir etwas passiert. Und ich will nicht, dass diese braven Soldaten dazu gezwungen sind, ihr Vorbild niederzustrecken. Also geh. Wir werden uns ganz sicher wiedersehen.“, hauchte Kasumi in sein Ohr und löste sich anschließend wieder von Keiji. Wie ein defektes Spielzeug trat Keiji steif einen Schritt zurück und nickte schließlich. Erleichtert über seine Einsicht verneigte sich Kasumi vor ihm und trat dann zu den Soldaten, die sich immer noch verunsicherte Blicke zuwarfen. „Worauf wartet ihr Idioten! Verhaftete sie endlich und schafft sie in den Kerker!“, schrie der General vom Rücken seines Pferdes. Das war es, was die Soldaten wieder an ihre Pflicht erinnerten. Zwei von ihnen traten auf Kasumi zu und als diese bereitwillig ihre Arme nach vorne streckte, sah sie etwas in den Augen der Männer aufblitzen, dass ihr aufgeregtes Herz etwas ruhiger schlagen ließ. Sie würde das hier überstehen. Sie wusste es ganz genau. Kapitel 24: Was vom Tag übrig bleibt ------------------------------------ Einige Stunden früher…   „Das kann ich unmöglich gutheißen, Lady R- Kasumi.“, protestierte Jiyū heftig. Nach ihrer Erkundungstour durch die Stadt war sie am frühen Abend zurückgekommen um Kasumi Bericht zu erstatten. Doch kaum hatte sie es sich auf einem der unteren Äste des Ginkos bequem gemacht, sprang sie auch schon wieder auf. Kasumi, die in der Tür zu ihrem Zimmer saß und ihrem Bericht angehört hatte, unterbreitete ihr jetzt einen Plan, den Jiyū unter gar keinen Umständen erlauben könnte. Allein um ihrem Standpunkt Nachdruck zu verliehen, sprang sie von ihrem Ast und landete vor Kasumi auf der Engawa. „In den letzten Wochen war es zu ruhig gewesen, Jiyū. Ich weiß genau, dass bald etwas passieren wird und ich werde nicht darauf warten, dass es mich unvorbereitet trifft. Deshalb werde ich diesen Schritt tun. Gleich morgen werde ich mich dem Taishō stellen.“ Kasumi sprach so ruhig, dass Jiyū unwillkürlich ein Zittern überlief. Und das nur, weil sie ihrer Wut so überhaupt keine Luft machen konnte. Ihrer Hilflosigkeit. Sie hatte sich geschworen, dass sie Kasumi – sie würde sich nie daran gewöhnen Rin so zu nennen – immer dienen würde. Dass sie alles tun würde um ihr Leben zu beschützen. Und jetzt schlug sie etwas dermaßen Waghalsiges vor. „Aber was ist mit diesen Jungs hier? Sie werden das ebenfalls nicht gutheißen. Wollte ihr das etwas ganz alleine tun? Ohne deren Wissen?“ Wenn ihre Ablehnung nicht weiter half, würde es vielleicht der Gedanke an diese drei Männer tun, die Kasumi irgendwie als ihre Brüder adoptiert hatte. Auch das war etwas, woran sich Jiyū nicht würde gewöhnen können. Diese… Männer! Es war ihr einfach unbegreiflich, wie das passiert war und sie würde es sich nie verzeihen, dass sie Kasumi so lange aus den Augen gelassen hatte. Diese Drei waren eine Schande für ihren Ruf und unwillkürlich biss sie die Zähne zusammen. Sobald das hier vorbei war und Kasumi ihr Gedächtnis wiedererlangt hatte, würden sie abreisen und diese Drei hoffentlich nie wieder sehen. Allein schon dieser Wolf! Wenn sie nur an ihn dachte, lief ihr ein Schauer des Eckels über den Rücken. „Niemand weiß etwas davon, außer dir. Und ich vertraue darauf, dass es so bleibt. Auch wenn es schwer wird, meine Brüder werden es verstehen. Irgendwann.“ Das Lächeln, dass um Kasumis Lippen spielte, während sie sprach, brachte Jiyū zurück ins hier und jetzt. Es sollte ein fröhliches sein. Eins, dass ihre Sorgen zerstreuen sollte. Doch sie sah es im Schatten ihrer Augen. Diesen klitzekleinen Funken Zweifel. Und es war dieser Funken, der Jiyū einlenken ließ. Ihre Herrin hatte, auch wenn sie es immer vorgab, nicht alles in ihren Händen, was geschah. Sie wusste selbst nicht, wie das hier Enden würde und dennoch nahm sie dieses Los auf sich. Um ihren Ehemann, ihre Brüder und all die liebgewonnenen Personen in dieser Stadt und in diesem Land vor einer ungewissen Zukunft zu schützen. Sie wollte lieber die dunklen Ziele dieses Generals persönlich ergründen, als andere Leiden zu sehen, während sie nur kläglichen Hinweisen nachging. Mit einem resignieren Seufzen verneigte sich Jiyū respektvoll vor Kasumi. Keins ihrer Worte würden sie jetzt noch von ihrem Vorhaben abbringen, also würde sie tun, was sie immer tat. Sich von der naiven Weltanschauung ihrer Herrin mitreißen lassen. Denn das war es letztlich, was ihr all diese Gefolgschaft einbrachte. Ihre Art, die Welt zu sehen. „Na gut. Was kann ich tun?“, waren die einzigen Worte, die sie noch an Kasumi richten konnte.     Kasumis Plan, war nicht so verlaufen, wie sie es gewollt hatte. Sie hatte es nicht geschafft am Morgen nach dem Lichtbringerfest zum Palast zu gehen und sich dem General zu stellen. Nein. Es war ganz anders gekommen. Trotz ihrer unermüdlichen Suche hatte Jiyū Sesshōmaru, Kasumis vermissten Ehemann, nicht aufspüren können. Doch an diesem Abend, war er einfach vor ihnen aufgetaucht. Sie hatte seine Anwesenheit gespürt und war dieser sofort gefolgt. Aber als sie bei ihm eintraf, stand er seiner Frau bereits gegenüber. In diesem Moment hatte sie begriffen, dass er seine Aura die ganze Zeit über vor der Welt verborgen hatte, um kein Aufsehen zu erregen. Damit er in Ruhe seine Frau finden konnte. Und Jiyū war so dumm gewesen, das nicht zu berücksichtigen. Ihr Widersehen zu beobachten, hatte Jiyū fast das Herz gebrochen. Vor allem, als die Soldaten des Palasts alles umstellt hatten und Kasumi ihren Ehemann fort geschickt hatte. So hatte sie sich die ganze Szene nicht ausgemalt und doch war es am Ende so gekommen, wie es Kasumi gewollt hatte. Sie war jetzt die Gefangene des Generals. Des Mannes, der sämtliche Yōkai von der Weltkarte wischen wollte und mit ihnen alle, die ihnen wohlgesonnen waren. Auch wenn es gegen alle ihre Prinzipien verstieß, hatte Jiyū zugelassen, dass Kasumi von den Wachen abgeführt wurde. In der Luft hatte sie den Zug der Soldaten beobachtet. Bis sie im Kaiserpalast verschwunden waren. Für den Fall der Fälle hatte sie sich gemerkt in welchem Gebäude Kasumi untergebracht worden war. Doch viel länger hatte sie nicht bleiben können. Ab jetzt hatte sie viel zu tun und nichts davon beinhaltete die Aufgabe, Kasumi aus ihrem Gefängnis zu befreien.     „Verdammte Scheiße!“ Jiyū hörte Keijis wütende Rufe weit bevor sie sein Haus überhaupt erreichte. Das und die Geräusche von Möbelstücken und Geschirr, das zu Bruch ging. Lautlos landete Jiyū im Hinterhof und betrat das Haus durch Kasumis Zimmer. Es war der einzige Raum im ganzen Haus, der unangetastet von Keijis Wut geblieben war. Die Tür von seinem Zimmer in den Hinterhof war mit einem Hocker eingeworfen worden und lag halb auf der Engawa, halb auf dem Boden des Hofs. Der Hocker war in seine Einzelteile zerfallen, so wie fast alles, das sich in seinem Zimmer befand und im Wohnraum, den Jiyū jetzt betrat. Keiji war gerade dabei seine Faust auf den Tisch zu schmettern. Immer und immer wieder, so dass das Holz unter ihm zu ächzen begann. Er hatte sämtliche Regale und Schränke von den Wänden gerissen und alles wild im Raum hin und her geworfen. Kaum ein Gegenstand wäre noch zu gebrauchen, wenn sie hier aufgeräumt hätten. Doch keiner schien ihn aufhalten zu wollen. Der Wolf stand in der Tür zur Küche. Die Arme vor der Brust verschränkt ließ er Keiji zu keiner Sekunde aus den Augen. Er griff aber auch nicht ein. Ein Zeichen dafür, wie gut sie sich kannten. Von Kazuma war weit und breit keine Spur, weshalb sich Jiyū erst einmal auf die Beiden konzentrieren würde. „Falls ihr euch neu einrichten wollt, hättet ihr euch keinen schlechteren Moment aussuchen können.“, erklärte sie trocken. Die Teetasse, die Sekunden später neben ihr an der Wand zersprang störte sie keine Sekunde. Sie ließ sie nicht einmal zusammenzucken. Doch damit hatte sie jetzt Keijis Aufmerksamkeit. Der bisher vollständig in seiner Wut gefangen gewesen war. „Wieso hast du nichts getan? Du hättest Kasumi einfach nehmen und mit ihr davonfliegen können.“, fauchte er böse. Wüsste sie es nicht besser, hätte sie gesagt, mit diesem Ausdruck im Gesicht würde er einen guten Yōkai abgeben. Aber so weit würde sie nicht gehen. Immerhin war er doch nur ein armseliger Mensch, dem man klar gemacht hatte, dass er absolut keine Macht besaß. Zumindest nicht in diesem Augenblick. Desinteressiert stemmte Jiyū ihre Hände in ihre Hüften und ließ ihren Blick noch einmal durch den Raum wandern. „Nur gut, dass ich die hier an mich genommen habe. Diesen Wutanfall hätten sie sicher keine Sekunde überlebt.“ Während sie sprach zog sie zwei Umschläge aus ihrem langen Kimonoärmel. Die Handschrift darauf war elegant und zierlich. Die Namen waren mit sehr viel bedacht und liebe geschrieben worden und allein deshalb fühlten sich diese zwei Blatt Papier an, wie ein ganzes Zentner Steine. All die Liebe die darin steckte, machten diese Papiere zu dem wohl wertvollsten, was Jiyū gerade von Kasumi mit sich tragen konnte. „Antworte auf meine Frage!“, schrie Keiji, verstummte jedoch, als er die Briefe in ihrer Hand sah. „Die sind für euch. Könnt ihr mir sagen, wo ich Kazuma finde?“, fragte Jiyū, während sie einen Brief vor Keiji auf den Tisch legte und den zweiten mit spitzen Fingern und einer Armlänge Abstand an Benjiro übergab. Regungslos starrte Keiji auf den Brief vor sich. Sein Name stand in perfekten Lettern auf der Vorderseite und es war unverkennbar, von dem dieser Brief stammte. Auch Benjiro starrte auf seinen Brief, bevor er ihn an seiner Brust in seinen sonnengelben Kimono schob. „Kazuma ist zu Fuyu gegangen um sie über die neusten Entwicklungen zu unterrichten. Er wollte allein sein, deshalb ist er gelaufen. Du müsstest ihn noch auf dem Weg zu ihr finden.“, erklärte der Wolf nach einer gefühlten Ewigkeit des Schweigens. Jiyū nickte und machte sofort auf dem Absatz kehrt. Wenn sie diesen Jungen jetzt auch noch suchen müsste, brachte das ihren gesamten Zeitplan durcheinander. Keiji starrte immer noch auf den Brief, als Jiyū bereits an der Eingangstür war. Als hätte dieses Stück Papier einen Schalter in ihm umgelegt, schien er jetzt jegliche Reaktion ausgeschalten zu haben. Das war auch der Grund, weshalb der Wolf noch einmal das Wort an Jiyū richtete: „Du wusstest das das passieren würde, oder?“ Die Frage hing wie ein Gewicht auf ihnen allen und veranlasste Jiyū dazu, an der Tür noch einmal inne zu halten. Selbst Keiji sah bei dieser Frage auf und starrte sie aus leeren Augen an. Die Tatsache, dass Kasumis Verlust so ein Loch in die Seelen dieser Männer riss, veranlasste Jiyū dazu, ihre Meinung über diese noch einmal ein wenig zu überdenken. Vielleicht waren sie Menschen, denen man wirklich vertrauen konnte. Zumindest ein kleines Stück weit. „Ich wusste, dass sie sich in die Hände des Taishō begeben wollte. Aber nicht so… Das war nicht geplant.“, erklärte sie zögernd. In dem Schweigen das folgte, öffnete Jiyū die Tür. Doch bevor sie das Haus verließ sah sie noch einmal zurück und es war Keijis Blick, der sie festhielt. „Ihr solltet die Briefe lesen. Ich werde jetzt gehen und nicht mehr zurückkommen… Habt einfach ein bisschen Vertrauen.“ Das hatte sie eigentlich nicht sagen wollen. Sie wollte diese Männer nicht aufbauen und ihnen die Sorge nehmen. Sie wollte am liebsten nichts mit ihnen zu tun haben. Doch sie kannte den Blick in Keijis Augen und sie konnte ihn nicht in diesem Abgrund lassen. Nicht, nachdem sie auch eine helfende Hand erfahren hatte, die sie aus dieser Finsternis gerettet hatte. Langsam nickte Keiji und Jiyū erwiderte die Geste, noch bevor sie sich dessen bewusst geworden war. Nur um anschließend aus diesem Haus zu verschwinden und den dritten von Kasumis Brüdern aufzuspüren.     Der Weg zu Fuyus Laden dauerte zu Fuß fast drei Stunden vom Haus der Brüder aus. Das Lichtbringerfest hatte auf dem Weg dorthin stattgefunden. Kazuma würde also höchstens 2 Stunden für die Strecke brauchen. Wenn er sich zwischenzeitlich kein anderes Fortbewegungsmittel gesucht hatte. Jiyū flog die Strecke gerade zum zweiten Mal ab, und konnte ihn dabei nicht ausfindig machen. „Verflucht, wo steckst du nur?“, murmelte sie zu sich selbst, bevor sie sich bei einer Quelle in einen Baum setzte um kurz durchzuatmen. „Ich habe keine Zeit, dich die ganze Nacht lang zu suchen!“ Frustriert von ihrer ergebnislosen Suche sprang sie vom Baum auf den Boden um ihren Durst an der Quelle zu stillen. Sie hätte den Brief einfach bei seinen Brüdern lassen soll! „Bitte versprich mir, Jiyū, dass du jedem meiner Brüder ihren Brief persönlich übergibst.“ Kasumis Worte kamen Jiyū wieder in den Sinn und automatisch griff sie nach ihrem Ärmel und tastete nach dem Brief. Sie hatte es geschworen und würde sich an ihr Wort halten. Trotzdem wurde dieser Kazuma gerade zu einer unnötigen Last. Frustriert wischte sich Jiyū mit der Hand über den Mund, nachdem sie getrunken hatte und wollte sich gerade wieder in die Lüfte erheben, als sie ein Geräusch hörte. Es war leise und weiter entfernt und zuerst konnte sie nicht genau ausmachen was es war. Doch egal was es war, es hatte ihr Aufmerksamkeit geweckt. Unbemerkt ging sie ein paar Schritte auf das Geräusch zu. Je näher sie kam, umso mehr klang es wie das Wimmern einer kleinen Katze oder eines Hundes. So als hätte sich jemand verletzt und schaffte es nicht mehr aus eigener Kraft nach Hause. Immer weiter folgte sie dem Geräusch, bis sie einen kleinen Bachlauf erreichte. Friedlich gurgelte dieser über die Steine seines Bettes hinweg und auf der anderen Seite des Baches, auf einem größeren Stein, saß Kazuma. Jiyū ballte eine Hand zur Faust und wollte ihrer Wut schon Luft machen, als sie bemerkte, dass er weinte. Dieser Anblick überraschte sie so sehr, dass sie ihre Wut vergaß und irritiert blinzelte. Noch nie hatte sie einen Mann weinen gesehen und es kam ihr vor, als wäre sie hier in einem viel zu intimen Moment geplatzt. Normalerweise nahm sie keine Rücksicht auf die Gefühle der Menschen, doch als Kazuma aus keinem bestimmten Grund aufsah und sich ihre Blicke trafen, trat Jiyū sogar einen Schritt zurück. Die Tränen, die seine Wangen benetzten, glitzerten wie Diamanten im schwachen Mondlicht und er sah für einen Moment aus, als wäre er nicht von dieser Welt. Doch dann schien er zu begreifen wer ihm gegenüber stand und er wischte sich schnell mit seinem Ärmel übers Gesicht. „Jiyū, was machst du denn hier? Gibt es –“, begann er, unterbrach sich dann aber wieder. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte Hoffnung in seinen Augen geleuchtet, doch sie war sofort wieder erloschen. Als wäre im selbst klar, dass innerhalb weniger Stunden kein Wunder gesehen würde. „Ich bin hier um dir etwas zu geben.“, erklärte sich Jiyū und zog den Brief aus ihrem Ärmel. Mit einem Satz überwand sie den kleinen Bach und streckte Kazuma den Umschlag entgegen. Dieser starrte ungläubig auf das Papier, bevor er wieder zu ihr aufsah. „Sag mir nicht, dass sie das geplant hatte.“ Seine Stimmer zitterte, als er die Worte aussprach und als Jiyū  nicht antwortete, sprang er von dem Stein auf und packte Jiyū am Kragen ihres Kimonos. „Sag mir nicht, dass sie sich dem Taishō ausliefern wollte! Ohne uns etwas davon zu erzählen. Wieso sollte sie so etwas Dummes tun? Dort wird sie niemand beschützen! Er könnte sie töten, ohne dass wir etwas davon erfahren würden. Oder schlimmer noch…“ Er schrie. Jedes einzelne Wort schrie er in Jiyūs Gesicht und sie ließ ihn. Ließ ihn zetern und toben, bis er keine Kraft mehr übrig hatte und ihren Kragen wieder los ließ. „Wir haben ihr versprochen, ihr bei der Suche nach ihrem Ehemann zu helfen. ICH habe ihr versprochen, dass sie wieder glücklich sein wird. Obwohl ich wusste wo das alles Enden wird! Trotzdem versprach ich ihr, dass sie zurück an die Seite ihres Manns zurückkehren würde... Sag mir also nicht, dass ich versagt habe.“ Seine Stimme wurde immer leiser und die letzten Worte waren angefüllt vom Zittern seiner neu aufsteigenden Tränen. Und Jiyū, die Schwäche eigentlich nicht leiden konnte, wusste nicht, was sie tun sollte. Es hätte ihr egal sein sollen. Im Vergleich zu ihrer Lebensspanne war die Bekanntschaft mit diesen Menschen nur ein Wimpernschlag. Doch es war das Mitgefühl und die Reue, die Kazuma im Bezug auf ihre Herrin empfand, die sie dazu brachten reagieren zu wollen. „Gib dir nicht die Schuld an etwas, das nicht in deinen Händen lag.“, sagte sie sanft. Sie streckte eine Hand aus um sie auf Kazumas Schulter zu legen und als dieser zu ihr aufsah, nickte sie leicht. Neue Tränen verschleierten seinen Blick, doch nach einem unendlich langen Moment nickte er ebenfalls. „Wir alle müssen meiner Herrin vertrauen und darauf, dass wir unsere Versprechen noch einlösen können.“, fuhr sie fort und reichte ihm erneut den Brief. Diesmal ergriff Kazuma den Brief. Vorsichtig, als wäre er aus Glas, hielt er ihn fest und starrte lange auf seinen Namen, der darauf geschrieben stand. „Sie hatte also wirklich vor das allein zu machen. Vielleicht waren wir doch keine allzu guten Brüder, wenn wir sie zu so einem Schritt getrieben haben.“ Er murmelte die Worte eher zu sich selbst, doch Jiyū, deren Hand immer noch auf Kazumas Schulter lag, drückte ihn bestimmt. So würde er sie nicht sprechen lassen. Auch wenn sie die Sache mit den Brüdern nicht guthieß, würde sie noch weniger erlauben, dass jemand die Hoffnung so früh aufgab. „Kasumi war und ist immer noch so glücklich wie nie, euch alle als Brüder gefunden zu haben. Ich habe gesehen wie ihr miteinander umgeht und auch wenn ich es hasse das zugeben zu müssen, aber wahrscheinlich seid ihr das Beste, das ihr passieren konnte. Deshalb verbiete ich euch Trübsal zu blasen! Reist euch zusammen und tut was ihr könnt, so wie es meine Herrin in diesem Moment sicher tut.“ Mit diesen Worten löste sich Jiyū von Kazuma. Dieser starrte immer noch auf den Brief, doch soweit sie es beurteilen konnte, waren seine Tränen mittlerweile wieder versiegt. Er würde also klar kommen. Daran glaubte sie fest, weshalb sie sich ohne weitere Worte in die kühle Nachtluft erhob. Kazumas Danke, hörte sie schon nicht mehr, als sie hoch in die Lüfte aufstieg und so schnell sie konnte Richtung Nordwesten aufbrach. Kapitel 25: Der Lord des Winterpalasts -------------------------------------- Der Schlag ins Gesicht traf Jiyū unerwartet schnell aber verdient. Sie hatte angenommen zuerst etwas sagen zu dürfen, doch sie hatte noch nicht einmal den Boden berührt, da hatte die Faust ihr Ziel bereits gefunden und sie in den Staub geschickt. Kaum am Boden nahm Jiyū eine unterwürfige Haltung ein und senkte ihren Kopf zu Boden. „Lord Sesshōmaru, bitte vergebt mir!“ Das tiefe Knurren des Inu-Daiyōkai klang wie die Stimme der Hölle höchst selbst. Woraufhin Jiyū ihre Stirn noch etwas tiefer in den Boden drückte. „Die einzige Bedingung, die ich an deine Dienste gestellt habe, war jederzeit meine Frau zu beschützen. Und dann muss ich zusehen, wie du bei erster Gelegenheit zulässt, dass sie meinen Feinden in die Hände fällt?!“ Jiyū kannte Lord Sesshōmaru in jeder Form von beherrscht. Ruhig beherrscht, ungeduldig beherrscht, wütend und trotzdem beherrscht. Doch egal in welcher Form, sie hatte noch nie erlebt, dass er jemals seine Stimme erhoben hätte. Dass er jetzt schrie, oder was man für seine Verhältnisse als Schreien bezeichnen konnte, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Ihm zu sagen, dass das irgendwie der Plan gewesen war, würde ihr auch nichts bringen. Also blieb ihr nichts weiter, als um eine Bestrafung zu bitten und auf Vergebung zu hoffen. „Es ist wahr. Ich habe nichts getan. Also bitte bestraft mich, um dieses Unrecht zu korrigieren!“ Erneut knurrte Sesshōmaru und Jiyū glaubte zu spüren, dass selbst die Erde unter ihr erzitterte vor dieser Macht. Dem Knurren folgte ein leises sirren in der Luft und im nächsten Augenblick schnitt etwas langes, dünnes in ihre Flügel. Das zischende Geräusch, das von ihren Flügeln ausging, machte ihr klar, was vor sich ging. Sesshōmaru musste seine Giftpeitsche um ihre Flügel geschlungen haben. Eine falsche Bewegung und er könnte ihr damit die Flügel vom Rücken schneiden und die Wunde so verätzen, dass sie niemals wieder nachwachsen würden. Bei diesem Gedanken begannen Jiyūs Hände zu zittern. Das Fliegen bedeutete ihr alles. Gleich nach dem Dienst an Lady Rin. Wenn sie ihre Flugfähigkeiten verlieren würde, wäre sie ohne ihre Herrin nichts mehr wert. Ein stummes Gebet auf den Lippen spürte sie, wie sich die Peitsche immer weiter zusammen zog und ihre Flügel unnatürlich eng zusammen drückte. So sehr, dass ihre Gelenke zu schmerzen begannen und ihr Rücken verkrampfte. Doch Jiyū wagte nicht, auch nur einen Laut über ihre Lippen schlüpfen zu lassen. Und dann war der Druck zusammen mit der Peitsche plötzlich verschwunden. „Sag mir, was meine Frau vorhat.“, befahl Sesshōmaru mit eiskalter Stimme. Jiyū brauchte einen Moment um zu begreifen, dass er sie verschont hatte. Erst als sie hörte, dass er sich ein paar Schritte entfernte sah sie auf und erhob sich schließlich auf ein Knie. Sie wagte sogar kurz den Blick zu heben. Sesshōmaru stand mit dem Rücken zu ihr. An einem Punkt, der vor etwas mehr als zwei Monaten noch der Hauteingang ihres Winterpalasts gewesen war. Jetzt existierte hier nur noch verbrannte Erde und das erste leuchtende Grün, dass sich wiedererwartend einen Weg durch die Asche bahnte. Dieser Ort war ein Schlachtfeld, das sich trotz mancher Opfer langsam wieder mit Leben füllte. Das bewiesen nicht zuletzt auch die Kirschblüten, die sich mittlerweile zu voller Blüte entfaltet hatten. Dieser Ort war Jiyūs Zuhause. Nirgendwo war sie lieber auf dieser Welt gewesen. Und mit dem Verlust des Palastes hatte sie auch ein Stück ihres Herzens verloren. Doch als sie Rin wieder gefunden hatte, hatte sie begriffen, dass nicht der Ort, sondern die Menschen um einen herum ein Zuhause ausmachten. Egal an welchen Ort sie auch gehen würden. Doch diese Erkenntnis machte den Plan ihrer Herrin nur noch schmerzvoller. Sie in den Händen ihrer Feinde zurücklassen zu müssen, war das Schlimmste, was Jiyū jemals hatte tun müssen. Seitdem betete sie jede Sekunde, dass sich alles bald zu ihrem Besten auflösen würde. Nach Worten suchend überlegte Jiyū offenbar zu lange, um Sesshōmaru zu antworten, denn dieser drehte sich mit einer ungeduldigen Drehung um und funkelte Jiyū vernichtend an. Sofort senkte Jiyū ihren Kopf wieder und starrte auf die schwarze Erde zu ihren Füßen. „Vergebt mir!“, beeilte sie sich zu sagen, bevor sie tief Luft holte und den Plan ihrer Herrin offen legte.     Die Hände zu Fäusten geballt, kostete es Sesshōmaru all seine Kraft nicht die Beherrschung zu verlieren. Am liebsten wäre er sofort zurück zum Kaiserpalast geflogen um seine Frau aus den Fängen dieses Widerlings zu befreien. Alles in ihm schrie danach, diesem Drängen nachzugeben. Doch in Jiyūs Erklärung hatte er nur zu deutlich Rin heraus gehört. Er sah sie praktisch vor sich, wie sie ihm von ihrem tollkühnen Plan berichtete. Dieses verrückte Mädchen, dem kein Vorhaben unmöglich erschien. Allein auf die Idee zu kommen, mit einem solchen Menschen verhandeln zu wollen… Das wäre wirklich nur Rin in den Sinn gekommen. Für einen Moment schloss Sesshōmaru seine Augen und sah Rin vor sich. Wie sie da stand. Voll entschlossen, ihre Pläne umzusetzen. Unwillkürlich seufzte er leise. Dem Glitzern in ihren Augen hatte er noch nie wirklich widerstehen können. Und wenn Rin davon überzeugt war, dass sie etwas erreichen konnte, dann würde er sie gewähren lassen. Als Sesshōmaru die Augen wieder öffnete, kniete Jiyū immer noch vor ihm im Staub. Sie war ihm weder Gehorsam noch Unterwürfigkeit schuldig und doch kniete sie hier vor ihm, als wäre er ihr Herr und Meister. Als würde sie sich damit bei ihm entschuldigen wollen. Doch es war ihm egal, was sie tat oder nicht. „Geh und führe deine restlichen Aufgaben aus. Sollte Rins Plan nicht funktionieren, will ich, dass ihr Notfallplan so schnell wie möglich bereit steht.“ Er sah Jiyū schon nicht mehr an, als er sprach. Stattdessen richtete er seinen Blick auf die Hauptstadt. Natürlich konnte er sie von hier aus nicht sehen, doch er stellte sich vor, dass er diesem dreckigen General direkt gegenüber stand und er versprach ihm ungekanntes Leid, sollte er seine Frau auch nur anrühren. „Zu Befehl!“ Hörte er Jiyūs entschlossene Stimme, bevor sie sich in die Lüfte erhob und Richtung Westen verschwand. Sie würde Tag und Nacht fliegen müssen, um ihre Botschaften pünktlich überbringen zu können. So, dass noch genug Zeit blieb, auch wieder hier her zurückkehren zu können. Doch das war Sesshōmarus kleinste Sorge. Rin hatte auch einige Aufgaben für ihn vorgesehen und er würde tun, was sie von ihm wünschte. Auch wenn ihm die erste Aufgabe am wenigsten gefiel. Auf dem ganzen Weg zum Dorf haderte er mit sich selbst. Er verachtete Menschen und hasste es mit diesen zu sprechen. Selbst in deren Nähe zu sein, kostete ihn zu viel seiner Geduld. Doch er verstand, wie wichtig dieser Punkt im Gesamtplan war. Um Rins Standpunkt klar zu machen, würden sie die Menschen aus dem Dorf brauchen. In all den Jahren, in denen Sesshōmaru schon in seinem Winterpalast residierte, hatte er sich kein einziges Mal für die Menschen in der Umgebung interessiert. Er hatte nur an sie gedacht, als er die Barriere um seinen Palast und das Land darum herum errichtet hatte. Einen Bannkreis, der die Augen der Menschen trübte und seinen Palast und all seine Bewohner vor ihnen verbarg. Doch Rin war bei ihren Streifzügen durch den Wald natürlich den Bewohnern dieses Dorfes begegnet. Tatsächlich hatte es schon Gerüchte über ihn und seinen Palast gegeben, wie sie ihm berichtet hatte. Schreckliche, blutige Gerüchte und Sesshōmaru war das nur Recht gewesen. Nur Rin hatte das nicht auf sich beruhen lassen können. Irgendwie hatte sie es geschafft Freundschaft mit den Menschen aus dem Dorf zu schließen und ihr Vertrauen zu gewinnen. Sesshōmaru hatte das nicht überrascht, auch wenn es ihn zuerst gestört hatte. Doch er hatte sich mit dem Gedanken angefreundet. Wie Kaede stets beton hatte, brauchte Rin Menschen um sich herum. Menschen, die ihr zeigten, wie Menschen lebten. Auch wenn Sesshōmaru den Gedanken längst aufgegeben hatte, Rin bei den Menschen zu lassen. Dafür hatte sie viel zu verbissen um ihren Platz an seiner Seite gekämpft. Trotzdem war es wohl gut für sie, manchmal mit Menschen zu kommunizieren. Selbst wenn er das überhaupt nicht brauchte. Schon als er den Rand des Waldes erreichte, sorgte er dafür, dass ein paar spielende Kinder ihn bemerkten. Als sie zu ihm aufsahen, weiteten sich ihre Augen vor Furcht und sie rannten schreiend zurück in ihr kleines Dorf. Sesshōmaru war kurz versucht zu Lächeln, tat es aber nicht. Furcht stand den Menschen schon immer am besten. Es war gut, wenn sie ihren Platz kannten. Wenn sie begriffen, dass sie absolut Machtlos waren. Anders als Rin, die sich mit dieser Tatsache einfach nie abfinden würde. Als sich Sesshōmaru bei diesem Gedanken ertappte schloss er sämtliche Gedanken an seine Frau tief in seinem Hinterkopf weg. Denn wenn er jetzt zu viel an sie dachte, würde er doch noch zum Kaiserpalast stürmen und dort alles in Schutt und Asche legen, nur um sie zu finden. „Ihr seid der Inu-Daiyōkai, nicht wahr?“ Die Stimme eines Mannes brachte Sesshōmarus Gedanken wieder ins hier und jetzt. Wie erwartet hatten die Kinder um Hilfe gerufen und die Männer des Dorfes alarmiert. So das ihm jetzt eine Hand voll junger Männer, bewaffnet mit ihren Feld- und Waldwerkzeugen, gegenüberstand. Lächerlich, wenn sie versuchen wollten ihn damit aufzuhalten. Doch er war ja nicht hier um sie zu vernichten. „W- wo ist die Lady?“, fragte der vorderste der Männer, nachdem Sesshōmaru nicht geantwortet hatte. Der Mann der sprach stand einen Schritt vor seinen Kameraden und hielt zwei Handsicheln in Händen. Sesshōmaru bemerkte, dass er nicht zitterte, so wie seine Begleiter. Dieser Mann war bereit für sein Dorf zu sterben, wenn es sein musste. Wenn er sich recht erinnerte, hatte er ihn auch schon öfter dabei beobachtet, wie er mit Rin gesprochen hatte. Angeekelt verzog er für einen Moment die Lippen, bevor er noch einen Schritt auf die Männer zu machte. Sie alle wichen ängstlich einen Schritt zurück. Alle, außer dem Mann, der gesprochen hatte. Interessant. „Ihr wart da. In der Nacht als der Bannkreis fiel, zusammen mit dem Palast.“ Eine Feststellung, doch der Mann nickte ernst. „Die Lady braucht eure Unterstützung.“, eröffnete Sesshōmaru und durch die Reihen der Männer ging ein Raunen und aufgeregtes Flüstern. Nur der Mann direkt vor Sesshōmaru hielt seinen Blick fest auf ihn gerichtet und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Was können wir tun?“, fragte er fest entschlossen. Das hier würde doch einfacher gehen als Sesshōmaru angenommen hatte. Er hatte sich schon dabei gesehen, wie er die unnützen Menschen mit der Macht seiner Peitsche zur Kooperation antrieb. Seinen Ärger etwas auszulassen hätte ihm durchaus gefallen, doch dann musste später eben jemand anderes dafür her halten. „Sie braucht euch am Kaiserpalast. Heute in einer Woche.“ Rin hatte um zwei Wochen gebeten, doch so viel Zeit konnte Sesshōmaru ihr unmöglich einräumen. Wer wusste schon, was dieser General alles mit ihr vorhatte. Sollte ihr Versuch einer friedlichen Lösung scheitern, könnte jegliche Verzögerung tödlich enden. Wieder ging ein Raunen durch die Reihen der Männer und schließlich richten sie ihre Blicke auf den Mann vor ihnen. Dieser trat einen Schritt auf Sesshōmaru zu und streckte ihm eine Hand entgegen. „Ihr könnt euch auf uns verlassen.“ Für seine jungen Jahre war er äußerst selbstsicher und mutig. Sesshōmaru wusste so etwas zu schätzen. Trotzdem nahm er nicht seine Hand, sondern drehte sich nur um und erhob sich in die Lüfte. Sie würden kommen, mehr interessierte ihn nicht, weshalb er sich auf den Weg zu ihrem Hauptwohnsitz machte. Kapitel 26: Prinzessin in Ketten -------------------------------- Tage waren vergangen, seit man Kasumi in den Kerker des Palastes geworfen hatte. Tage, seit denen sie weder ihre Zelle verlassen, noch Tageslicht gesehen hatte. Den einzigen Kontakt zur Außenwelt boten ihr die beiden Soldaten, die sie auf der Wiese festgenommen hatten. Tetsuo und Reiji. Auch wenn sämtlichen Soldaten befohlen worden war, kein Wort mit ihr zu sprechen, ihre Namen hatte Kasumi aus den beiden jungen Männern heraus bekommen. Das und das Wissen darüber, dass sie versuchten sich den Umständen entsprechend gut um sie zu kümmern. So brachten sie ihr zum Beispiel mit jeder Mahlzeit einen Apfel oder ein anderes Obst, das sie gerade erübrigen konnten. Auch hatten sie ihr eine Decke organisiert, mit der sie die Kälte in diesem Kellerloch besser überstehen konnte. Doch egal wie schlimm es auch schien. Wie sehr Kasumi unter Rückenschmerzen und Stechen in ihrem Unterleib litt. Sie ließ sich nicht klein kriegen. Immerhin gab es einen Plan, an den sie sich halten wollte. Sie musste nur irgendwie dem Taishō gegenüber treten. „Öffnet die Zelle der Prinzessin!“ Eine ihr unbekannte Stimme ließ Kasumi auf sehen. Auch wenn sich die Soldaten nicht mit ihr unterhalten durften, so konnte sie sie doch untereinander reden hören. Ihre Zelle lag in einem so abgelegenen Teil des Kerkers, dass es kaum andere Geräusche gab. Weshalb sie jede noch so leise geflüsterten Unterhaltungen mitverfolgen konnte. Tetsuo und Reiji hatten sich hauptsächlich für die Bewachung ihrer Zelle einteilen lassen, doch immer wenn andere Soldaten vorbei kamen oder das Essen brachten, unterhielten sie sich. Und genau dabei hatte Kasumi diese alberne Bezeichnung schon gehört. Die Soldaten nannten sie Yōkai-Prinzessin. Die, die sie für eine schuldige Sünderin hielten, spien diesen Namen aus, wie einen schmutzigen Begriff. Eine Beleidung für ihr Kaiserreich. Doch die, die einen Funken Zweifel in sich trugen, hauchten diesen Namen manchmal wie ein kleines ehrfürchtiges Gebet. Als fürchteten sie ihren Zorn, oder den, von weitaus schlimmeren Kreaturen. Kasumi hatte versucht den Soldaten diese Bezeichnung auszureden, doch niemand hörte ihr auch nur eine Sekunde lang zu. Sie war keine Prinzessin, würde nie eine sein und sie wollte auch nicht, dass man sie wie eine behandelte. Sie wollte nur eine Chance vor den Taishō zu treten und Frieden zu fordern. Oder zumindest ihr Leben, für das ihres Ehemannes eintauschen. „Es wurde kein Besuch angemeldet!“, erwiderte Tetsuo scharf auf die Worte des Neuankömmlings. Durch den Spalt unter der Tür fiel Schatten in ihre Zelle und Kasumi wusste, dass sich Tetsuo von seinem Posten neben der Tür, direkt davor aufgebaut hatte. „Ich bin auf direkten Befehl von Taishō Maeda hier. Er wünscht die Prinzessin zu verhören. Also tretet zur Seite.“, erklärte der Mann überheblich. Wie schon beim ersten Mal, sprach er das Wort Prinzessin wie eine furchtbar ansteckende Krankheit aus. Ein Übel, dass ausgemerzt werden musste. Kasumi atmete tief durch. Das hier würde also so eine Begegnung werden. Innerlich wappnete sie sich gegen das, was als nächstes geschehen würde. Und so als wollte Tetsuo ihr noch etwas Zeit verschaffen, zögerte er einen Moment zu lange vor der Tür, bevor er zur Seite trat und das Schloss öffnete. Der Riegel zu ihrer Zelle wurde aufgeschoben und die Tür geöffnet. Im Fackellicht des dahinter liegenden Ganges konnte Kasumi die zwei Männer nur als Schatten erkennen. Tetsuo stand ihr am nächsten, da er die Tür geöffnet hatte. Er war klein gewachsen. Kaum größer als Kasumi, doch seine enorme Muskelmasse machte ihn fast doppelt so breit wie sie. Ansonsten erkannte sie nur noch sein strubbeliges Haar, das ihm in allen Richtungen vom Kopf abstand und das jungenhafte Lächeln, dass über seine Lippen huschte. Der Soldat dahinter überrage Tetsuo um einen guten Kopf. Er wirkte schlank, doch Kasumi hatte bereits gelernt, dass die Uniform der Soldaten über den wahren Körperbau ihrer Träger hinwegtäuschen konnte. Er war sicher nicht weniger trainiert als Tetsuo. Seine Haare waren glatt gekämmt und im Schein der Fackel wirkten seine Gesichtszüge hart wie Granit. „Prinzessin.“, sagte Tetsuo und streckte Kasumi eine Hand entgegen. Ungesehen vom zweiten Soldaten half er ihr so auf die Beine zu kommen. Die Zeit in der kleinen Zelle konnte Kasumi hauptsächlich nur im Sitzen verbringen, was ihren Gelenken schwer zugesetzt hatte. Dazu kam die Kälte, die hier nachts herrschte. Weshalb sich Kasumi manchmal wie eine Achtzigjährige fühlte und nur schwer wieder in Bewegung kam. „Danke sehr, Tetsuo.“, flüsterte Kasumi, bevor sie ihre Hand von seiner löste. Außerhalb der Zelle packte sie der Neuankömmling fest am Oberarm. „Gehen wir!“, zischte er und zog sie mit sich durch den langen Gang. So schnell, dass sie Mühe hatte mitzuhalten. Ihr Körper war immerhin nicht darauf vorbereitet so schnell zu gehen und schmerzte von der plötzlichen Belastung. Doch der Soldat nahm keine Rücksicht. Er zerrte sie vorbei an unzähligen Zellentüren, hinter der so mancher wimmernde Laut oder gar Rufe hervor drangen. Im Zwielicht der Fackeln kam Kasumi dieser Gang wie der Weg in die Hölle vor. Sie spürte förmlich, wie sich das Leid der Menschen um ihren Brustkorb schloss und ihr das Atmen erschwerte. Auf ihrem Weg traten sie durch etliche Türen und kamen an einigen Wachposten vorbei, wobei sämtliche Soldaten Kasumi hinter sahen und manche auch ein paar abfällige Kommentar übrig hatten. Doch es war das Flüstern, woran sich Kasumi hielt. Die hinter vorgehaltener Hand gemurmelten Worte, die dafür sorgten, dass sich Kasumi jeden von diesen Soldaten genau ansah. Schließlich traten sie, nach dem erklimmen einer Treppe, durch eine Tür und dahinter eröffnete sich eine vollständig andere Welt. Hinter dieser Tür befand sich ein fein polierter Holzboden, weiß getünchte Wände und eine verzierte Decke. Es gab keine Einrichtungsgegenstände in diesem Flur, doch sie mussten sich jetzt definitiv in einem Teil des Palastes befinden. Vorbei an weiteren Türen hielt der Soldat schließlich vor der vorletzten Tür des Flurs an und klopfte leise. „Bring sie rein.“ Diese herrische Stimme würde Kasumi überall wieder erkennen. Der selbe Hass, mit dem er auf der Wiese gesprochen hatte, lag noch immer in seiner Stimme und ein kalter Schauer lief über ihren Rücken. Wenn sie sich nur vorstellte, dass ein so hasserfüllter Mensch monatelang ihren Ehemann eingesperrt und gefoltert hatte wurde ihr ganz anders. Doch jetzt würde sie ihm endlich gegenüber treten können. Der Soldat öffnete die Tür zum Arbeitszimmer des Taishō und schob Kasumi hinein. Außer einem großen Schreibtisch, einigen Regalen und Truhen und diversen Karten des Landes, die an den Wänden hingen, befand sich nichts in diesem Raum. Keine Pflanze oder ein dekorativer Gegenstand. Funktional, war das erste, dass Kasumi beim Anblick des Raums in den Sinn kam. Das und Kälte. Kälte die ihr als Schauer über die Haut glitt. Und in diesem kühlen Zimmer, saß der Taishō und studierte gerade das Schriftstück vor sich. Das war das erste Mal, dass Kasumi ihn aus der Nähe sah und dabei überraschte sie am meisten, dass er nicht wesentlich älter als Keiji sein konnte. So, vertieft in seine Arbeit, hätte man ihn vielleicht für ansehnlich halten können. Doch kaum hatte Kasumi den Raum betreten, sah er auf und eine Mischung aus Hass und Verachtung spielte um seinen Mund. Das war es, was sein Gesicht zu einer hässlichen Maske werden ließ, die ihn um Jahre älter machte. Und in Verbindung mit der Augenklappe über seinem rechten Auge, wirkte er wie der Teufel persönlich. Nur würde sich Kasumi davon nicht abschrecken lassen. Mit hoch erhobenem Kopf trat sie ein und der Soldat, der sie her gebracht hatte, wollte es ihr gleich tun. Doch der General hielt ihn mit einer knappen Handbewegung zurück. „Ich werde allein mit ihr sprechen.“, sagte er, zurück in den Papieren vor sich auf seinem Schreibtisch vertieft. „Aber Taishō!“, widersprach der Soldat sofort. „Hinaus!“, schrie der General und warf dem Soldaten dabei einen vernichtenden Blick zu. Dieser erstarrte für den Bruchteil einer Sekunde, bevor er schnell einen Schritt zurück trat. „Jawohl.“, murmelte er mehr zu sich selbst, während er die Tür schloss und zweifellos davor wie versteinert stehen blieb. Kaum hatte sich die Tür geschlossen, legte der General seine Papiere zur Seite, stütze einen Ellbogen auf seinen niedrigen Schreibtisch und lümmelte sich halb darauf. Sein Blick aus seinem schwarzen Auge glitt über Kasumi und blieb einen Moment zu lange auf ihrem gewölbten Leib ruhen. Es kam ihr so vor, als sah sie etwas in seinem Auge brennen, als er sie so musterte, doch das Feuer war bereits erloschen, als er ihr ins Gesicht sah. „Ihr seid also diese Frau über die ich schon so viel gehört habe.“, begann er wie beiläufig. Als wollte er ein ganz ungezwungenes Gespräch beginnen. Kasumi hielt seinem gelangweilten Blick stand, schwieg jedoch. Und es war dieses Schweigen, welches den Taishō dazu veranlasste sich etwas weiter vor zu lehnen und eine Augenbraue fragend nach oben zu ziehen. „Ich hoffe doch, die Folter hat noch nicht begonnen und euch die Zunge gekostet. Dann wäre dieser Besuch völlige Zeitverschwendung. Wobei ich mir vorstellen könnte, dass die Soldaten das Gewimmer einer Frau nicht ewig ertragen konnten.“, philosophierte er vor sich hin, bevor er in seine Schublade griff und eine lange Pfeife hervor zog. Er stopfte etwas Tabak hinein und zündete sie an der Laterne auf seinem Schreibtisch an. Kasumi beobachte jede seiner akkuraten Handbewegungen, in deren Präzision eine Menge Übung steckte. Er wollte desinteressiert wirken, doch Kasumi wusste, dass das nur zur Täuschung gedacht war. „Ich denke nicht, dass eure Soldaten wegen einer einzigen Person zu solchen Mitteln greifen würden. Andererseits kann ich mir sehr gut vorstellen, dass sie gerne etwas Ruhe hätten, so voll wie euer Kerker ist.“, antwortete Kasumi ruhig. Bei ihren Worten verengten sich die Augen des Taishō für einen Sekundenbruchteil, bevor sich anschließend ein groteskes Lächeln auf seine Lippen legte. „Ihr habt eine scharfe Zunge. Aber ich habe nichts anderes von der kleinen Schwester meines Neffen erwartet. Respektloses Verhalten gehört bei ihm ja zur Tagesordnung.“ Jedes seiner Worte strotzte nur so vor Selbstgefälligkeit. Nur dass kleine Schwester spie er wie einen Fluch aus. Ähnlich wie die Soldaten Prinzessin aussprachen. Voll Häme und Abscheu. Kasumi wusste ja, dass Keiji und sein Onkel sich nicht verstanden, doch wie tief dieser Hass ging, war ihr nicht klar gewesen. „Mir wurde beigebracht zu sagen, was ich denke und zu tun und zu lassen, was ich will. Also vergebt mir bitte meine Ehrlichkeit.“ Am liebsten hätte Kasumi Keiji verteidigt. Hätte dem Taishō an den Kopf geworfen, dass er Keiji dieses Verhalten wohl selbst beigebracht hatte. Doch das war nicht ihr Kampf zu kämpfen. Zumindest jetzt noch nicht. Der Taishō starrte Kasumi einen Augenblick lang an und sie konnte sehen, wie es in seinem Gehirn arbeitete. Wie er ihre Worte verarbeitete. Sicher kannte er kaum eine Frau, die ihm offen ihre Meinung sagte. Wahrscheinlich gab es keine einzige Frau, die ihm jemals widersprochen hatte. Bei dem Gedanken huschte ein kleines Lächeln über Kasumis Lippen. „Dann sagt mir doch, wohin ist der Inu-Daiyōkai verschwunden?“, fragte der Taishō nach einem weiteren langen Augenblick. Bei seinen Worten lehnte er sich langsam wieder in seinem Stuhl zurück und dieses selbstgefällige Lächeln kehrte auf seine Lippen zurück. Bevor er genüsslich an seiner Pfeife zog. „Das ist mir leider nicht bekannt, doch selbst wenn, würde ich es euch sicher nicht sagen!“ Kasumi sprach ruhig und gelassen. Als würde sie vom Wetter berichten. Doch ihr entging nicht, wie die Hand des Taishō zuckte. So als wollte er aus Wut nach seinem Katana greifen, dass üblicherweise an seiner Hüfte hing. Nur dass es jetzt hinter ihm an der Wand lehnte. Diese Reaktion war so minimal, dass sie einem weniger aufmerksamen Auge vielleicht entgangen wäre, doch Kasumi achtete auf solche Kleinigkeiten. Und sie sammelte all diese Informationen, für den Moment, in dem sie sie brauchen könnte. „Wie dem auch sei.“, begann der Taishō, nach einem Moment wieder in völliger Ruhe. „Ich habe sowieso nicht vor ihm hinterher zu jagen. Ganz im Gegenteil. Ihr werdet ihn zu mir führen!“ „Und wieso glaubt ihr, sollte ich das tun?“ Das selbstgefällige Grinsen, das sich auf seinen Lippen ausbreitete verursachte bei Kasumi ein flaues Gefühl in der Magengegend. In einer geschmeidigen Bewegung erhob sich der Taishō und kam um seinen Schreibtisch herum. Erst als er direkt vor ihr stand blieb er stehen und sah verachtend auf Kasumi herab. „Meine Liebe, ihr müsst gar nichts tun. Er wird von ganz allein hier her kommen um euch zu holen. Oder besser gesagt: das, was von euch übrig ist!“ Bei diesen Worten verfinsterten sich die Augen des Taishō und schneller als Kasumi reagieren konnte hatte er den Kragen ihres Kimonos gepackt und riss den feinen Stoff in zwei. Kapitel 27: "Flucht" -------------------- „Benjiro, vermutlich werden dich weder dieser Brief, noch meine Taten, die zu den jüngsten Ereignissen geführt haben, überraschen. Denn du bist der Einzige meiner Brüder, der weiß was es heißt jemanden so sehr zu lieben, dass man für diesen Jemand sterben würde. Die wahre Liebe. Du hattest sie gefunden. Genauso wie ich. Auch wenn ich mich nicht an alles erinnere. Aber ich spüre, dass ich sie besessen habe. Dass sie immer noch da draußen ist und ich sie retten kann. Allein dieser Gedanke hat mich zu meiner Tat verleitet. Und ich bereue nichts. Außer mich nicht persönlich von euch verabschiedet zu haben. Ich wünsche mir, dass ich noch einmal die Gelegenheit dazu bekomme. Wobei ich noch lieber den Rest meines Lebens an eurer Seite verbringen wollen würde. Wenn alles vorbei ist, dann will ich dieses Leben genießen. Zusammen mit euch! Ich weiß du wirkst nach außen hin stark. Du hältst die Anderen aufrecht, egal was passiert. Aber ich bitte dich, lass nur einen Moment die Gefühle zu. Du weißt eine Wunde kann dann schneller heilen. Und wenn du noch ein Auge auf Keiji haben könntest, würde mir das die Welt bedeuten…“     Tage und Nächte waren zu einer einzigen Einheit verschmolzen. Sämtliches Zeitgefühl verloren, rannte Benjiro unaufhaltsam durch die Wälder. Über Felder, Berge und Flüsse. Wie sein Zeitgefühl, hatte er auch das Gespür für seine Umgebung verloren. Er hatte absolut keine Ahnung wo er sich befand und wie lange er schon unterwegs war. Er sollte ein Auge auf Keiji haben… Doch wie sollte das gehen, wenn Keiji ihr Haus zerstört und dann nicht mehr zurückgekommen war? Benjiro hatte es versucht. Doch dann hatte er begriffen, dass er seinem Bruder nicht würde helfen können. Nicht, wenn er genau den gleichen Schmerz in seinem Herzen trug. Also hatte er getan, was Kasumi ihm noch aufgetragen hatte. Er hatte seine Gefühle zugelassen. Wann er das letzte Mal in seiner Wolfsform durch die Natur gerannt war, konnte er nicht sagen. Doch so, wie es seine Seele langsam beruhigte, war es definitiv zu lange her gewesen. Immer nur vorzutäuschen ein Mensch zu sein, hatte seinem Nervenkostüm offenbar mehr zugesetzt, als er es angenommen oder wahrhaben wollte. Nur dieses Stechen in seiner Brust. Dieses Gefühl ließ einfach nicht nach. Egal wie viel er lief und lief und lief. Immer weiter, bis er seine Füße nicht mehr spürte, seine Beine, seinen Kopf. Bis es nur noch ihn gab, die Welt und die Bewegung in der er sich befand. Er wusste, sobald er anhielt, würden ihn seine Gedanken wieder einholen und der Schmerz noch heftiger zurückkehren, also blieb er nicht stehen.     Benjiro erwachte am Rand eines Sees. In diesem spiegelten sich die Sterne des Himmels wie in einem perfekten Lackgemälde. Der Wald um ihn herum war Schwarz und vollkommen still. Ohne die Sterne und die fahle zunehmende Mondsichel hätte Benjiro auch blind sein können, so dunkel war dieser Ort. Da halfen nicht einmal seine geschärften Yōkai Augen. Im ersten Moment nahm er an, dass er träumte, doch dann nahm er eine Bewegung in seinem Augenwinkel wahr und erhob sich. Jeder einzelne Muskel in seinem Körper stöhnte auf, bei der plötzlichen Belastung. Wie weite er wohl gelaufen war, bevor er hier zusammengebrochen war? Er konnte es nicht sagen. Aufmerksam saugte er noch einmal seine Umgebung in sich auf. Jetzt, auf allen Vieren konnte er nicht sagen, ob er sich die Bewegung in seinem Augenwinkel nur eingebildet hatte, weshalb er alles ganz genau inspizierte. Und gerade als er seine Alarmbereitschaft wieder etwas herunter fahren wollte, sah er es erneut. Eine Bewegung auf der anderen Seite des Sees erregte seine Aufmerksamkeit. Im Schatten der Bäume bewegte sich etwas und jetzt, da Benjiro es direkt ansah, schien es auf ihn zu, zu kommen. In all dieser Dunkelheit konnte er es nicht genau ausmachen und zum ersten Mal konnte er nachvollziehen, wie sich ein Mensch in der Nacht fühlen musste. Es war ein frustrierendes Gefühl. Unwillkürlich sträubte Benjiro das Fell in seinem Nacken und fletschte seine Fänge zu einem warnenden Knurren. Was auch immer glaubte sich ihm einfach so nähern zu können, sollte wissen, dass es nicht gut für ihn enden würde. Bereit anzugreifen blieb Benjiro stehen. Er würde sich auf keinen Fall von diesem Etwas zurückdrängen lassen. Und dann trat es aus den Schatten der Bäume und ins schwache Mondlicht. Benjiro konnte nicht glauben was er sah, und gab seine Angriffshaltung sofort auf. Hätte er sich in seiner Menschengestalt befunden, hätte er die Augen vor Überraschung aufgerissen. Doch so brachte ihn der Schreck nur dazu, dass er sich ungeschickt setzte. Denn was dort auf ihn zukam, konnte es eigentlich gar nicht geben. Bereits sein Großvater hatte ihm gesagt, dass sie lange vor ihm ausgestorben waren. Und doch bestand kein Zweifel. Über das spiegelglatte Wasser des Sees schritt ein Wesen in Hirschgestalt. Nur war es für einen gewöhnlichen Hirsch etwas zu groß. Sein Geweih verzweigte sich in unzählige Enden und war komplett bewachsen von Bartflechten. Das fast weiße Fell am Hals und den pferdeartigen Hufen war lang und glich eher einer Mähne. Genauso wie sein löwenartiger Schwanz, dessen Ende ebenfalls in langes Fell getaucht war. Und dann waren da noch sein Rücken und seine Seiten, die komplett mit tannengrünen Schuppen überzogen waren. Wie die Haut eines Drachen. Jede einzelne Schuppe funkelte im Mondlicht wie ein Edelstein. Unaufhaltsam kam der Kirin auf Benjiro zu und je näher er kam, umso deutlicher erkannte er das Gold seiner Augen, mit denen er ihn fixierte. Benjiro konnte sich nicht rühren und er glaubte auch, mit dem Atmen aufgehört zu haben, als der Hirsch vor ihm stehen blieb und sein Haupt auf seine Augenhöhe herab senkte. Das ganze Universum schien in den goldenen Augen des Kirin zu leuchten. Das war das letzte, woran sich Benjiro erinnerte, bevor der Hirsch seine kühle Nase auf seine Stirn drückte und alles um ihn herum in Finsternis getaucht wurde.     Er wusste, dass er träumte, als er Kasumi vor sich sah. Diese kleine, zierliche Gestalt, die es irgendwie schaffte das Gewicht der ganzen Welt allein auf ihren Schultern zu tragen. Mit einer Stärke und einer Courage, die Benjiro dazu brachte niederknien zu wollen. Das Gefühl, nichts ausrichten zu können, fraß ihn immer noch innerlich auf, wenn er daran dachte, wie Kasumi ihre Hand auf seine Schulter gelegt hatte. Wie eine Feder hatte sie sich angefühlt. So leicht und doch heiß wie ein Stück glühende Kohle. Er hatte sich nicht rühren können, als Kasumi sie vor den Truppen des Generals aufgehalten hatte. Konnte sie nur ansehen, wie sie versuchte Keiji zu beruhigen. Es war dieser Moment gewesen, in dem er in Kasumi seine Frau wiedererkannt hatte. Wie ein Geist hatte Amaya über ihr geleuchtet. So als hätte sie selbst ihre Hand nach Benjiro ausgestreckt. Als hätte sie ihm sagen wollen, dass alles gut werden würde. Oder zumindest so werden würde, wie es sein sollte. Da hatte er begriffen, dass Kasumi, genau wie seine Frau, bis aufs äußerste Kämpfen würde und es seine Pflicht war, sie dabei zu unterstützen. Nur deshalb hatte er sein Katana zurück gesteckt. Er würde ihr vertrauen. Mit seinem Leben, wenn es sein musste. Und er hatte ihr versprochen, an ihrer Stelle auf Kazuma acht zu geben. Und auf Keiji. Auch wenn er das nicht ausgesprochen hatte. Wenn Kasumi nicht mehr für Ordnung sorgen konnte, dann würde er diesen Job wieder übernehmen. Wie er es sonst immer getan hatte. Natürlich protestierte Kazuma, als Benjiro ihn von Kasumis Seite wegzerrte. Er schrie und tobte, doch Benjiro ließ sich nicht beirren. Er würde stark sein. Für seine kleine Schwester und auch für seine Brüder, wenn es sein musste. So stark, wie sie war, als sie sich erhobenen Hauptes von den Soldaten festnehmen und abführen ließ. Wäre er allein gewesen, er hätte selbst geschrien, wie Kazuma. Hätte gebettelt und gefleht wie Keiji. Hätte sich ihr vollständig unterworfen, um sie von ihrer Entscheidung abzubringen. Doch seine Brüder hatten ihm diesen Weg abgenommen und auch wenn er innerlich Tränen der Verzweiflung vergoss, konnte nichts seine Oberfläche trüben. Auch nicht, als er noch Stunden später die Wärme ihrer kleinen Hand auf seiner Schulter spürte.     „Kasumi!“ Sein eigener Schrei riss Benjiro aus seinem Traum. Im ersten Moment wusste er nicht, wo er sich befand, oder was geschehen war. Doch die Erinnerung kehrte zurück als er eine Bewegung in seinem Augenwinkel ausmachte. Richtig. Er war in diesem finsteren Wald gewesen und war dem Unmöglichen begegnet. Einem Kirin. Dem Herrn über die Natur und der Wälder. Ein Wesen, das schon längst von dieser Welt verschwunden geglaubt wurde. Und gerade dieses sagenumwobene Wesen, das selbst über Leben und Tod entscheiden konnte, hatte ihn berührt. Woraufhin er das Bewusstsein verloren hatte. Nachdem Benjiro das wieder eingefallen war, sah er sich schnell um. Er befand sich definitiv nicht mehr an diesem See. Nein. Er lag auf einer einfachen Strohmatte in einem Zelt. Etwas, was wirklich ungewöhnlich war. Denn Zelte wurden äußerst selten gebraucht. Meisten nur von den höheren Rängen des Militärs. Was bedeutete, dass er entweder von den Soldaten des Kaisers gefunden worden, oder einer feindlichen Armee in die Hände gefallen war. Ein knurren unterdrückend biss Benjiro die Zähne zusammen. Wie hatte er nur so dumm sein können? Sich von jemandem gefangen nehmen zu lassen? Und das auch noch in seiner Wolfsgestalt. Wer auch immer ihn hier her gebracht hatte, wusste jetzt vielleicht zu viel über ihn und seine Herkunft. „Ich hätte nicht erwartet, dass eure Loyalität derart gering ist.“ Die Stimme einer Frau ließ Benjiro hochschrecken. Die Person, die hier mit ihm im Zelt war hatte er vergessen, während er über seine eigene Dummheit geflucht hatte. Erneut ein Fehler, der ihm sonst nie passiert wäre. Hätte man ihm etwas antun wollen, wäre er viel zu spät aufgesprungen um seine verteidigende Haltung einzunehmen. Eine, aus der er auch leicht angreifen konnte. Doch die Frau machte keine Anstalten ihn anzugreifen. Im Gegenteil. Sie trat aus dem Schatten der gegenüberliegenden Zeltwand ins Licht einer nahen Laterne. Eine weitere Gestalt hielt sich weiterhin im Hintergrund auf, aber als Benjiro die Frau vor sich erkannte, spielte das auch keine große Rolle mehr. „Und ich hätte erwartet, dass ihr eure Taktik bezüglich der Verschleppung eurer Gefangenen etwas abwechslungsreicher gestaltet, Lady Isami.“ Benjiro konnte es nicht glauben. Er war so lange gelaufen, dass er wieder im Süd-Westen des Landes gelandet war. Wahrscheinlich hatte er sogar sein altes Territorium passiert, ohne es bemerkt zu haben. Und jetzt stand er hier vor Isami, die sie eigentlich wegen Rebellion gefangen nehmen und hätten hinrichten sollen. Die Frau, die am Ende ihrer Mission als Verbündete seiner Schwester hervorgegangen war. Wie bei ihrer ersten Begegnung hatte sie die Chance seiner Bewusstlosigkeit genutzt, um ihn an einen fremden Ort zu bringen, um ihn hier erneut festzusetzen. Auch wenn er nicht gefesselt war, traute er ihr zu, dass sie ihn nicht so leicht gehen lassen würde. Das kleine Lachen von Isami ließ ihn die Augen zusammenkneifen und sie scharf mustern. „Ich wüsste nicht, dass ihr mein Gefangener seid. Es sei den eure Prioritäten haben sich geändert. Dann müsste ich darüber vielleicht noch einmal nachdenken.“ Zuerst zweifelte sie an seiner Loyalität und nun an seinen Prioritäten. Was war nur los mit dieser Frau? Doch noch während Benjiro das dachte, wurde es ihm klar. Wie diese ganze Situation auf Isami wirken musste. Wütend verschränkte er die Arme vor der Brust und fletschte die Zähne in einem Knurren. Der Schatten im Hintergrund veränderte sofort seine Haltung, doch Isami brachte ihn mit einer Handbewegung dazu, sich wieder zu beruhigen. „An meiner Loyalität hat sich nichts geändert und das wird es auch niemals!“, erklärte Benjiro entschlossen. Isami zog skeptisch eine Augenbraue nach oben. „Gut. Wie das Empfangskomitee wirkt ihr trotzdem nicht... Sagt nicht, ihr seid wie ein verprügelter Hund davongelaufen?“ Benjiro zuckte ob dieser Wahrheit zusammen. So hatte er es zwar nicht gesehen, doch wenn man sein Handeln rein nüchtern betrachtete, sah es genauso aus. Er war geflohen. Vor dem Schmerz und dem Leid. Anstatt sich den Konsequenzen zu stellen und etwas zu unternehmen. Doch bevor er zu viel darüber nachdachte, fiel ihm ein, was Isami noch gesagt hatte. „Wofür erwartet ihr ein Empfangskomitee?“, fragte er irritiert. Isamis Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Eins das klar machte, dass sie sich wahnsinnig freute. So als hätte sie etwas ausgeheckt, dass sie jetzt auffliegen ließ. Sie freute sich so sehr, dass ihre braunen Augen zu leuchten begannen. Ein Leuchten, dass Benjiro an die Augen des Kirin erinnerte. „Seht es euch selbst an und dann überlegt euch, ob ihr weiter davonlaufen wollt.“, war ihre einfache Antwort, bevor sie an den Eingang des Zeltes trat und diesen öffnete. Kapitel 28: Verzweiflung ------------------------ „Keiji, bitte verzeih mir. Auch wenn es dir gerade unmöglich erscheint. Wenn du diesen Brief in Händen hältst, bedeutet das, dass du nicht mehr Herr der Lage bist. Das ich mein Schicksal in die Hand genommen und dich außen vor gelassen habe. Dafür möchte ich mich aufrichtig entschuldigen. Ich weiß, dass du mich immer nur beschützen wolltest. Vor den Gesetzen dieser Stadt, vor den Soldaten und vor allem vor deinem Onkel. Und dennoch befinde ich mich jetzt in seinen Fängen. Aber bitte, nimm die Schuld nicht auf dich. Gib sie mir. Sei wütend, zornig, schrei und tobe. Lass alles raus und verstecke es nicht hinter dieser Maske eines zu guten Hauptmannes. Du bist besser als dieser Schatten einer anderen Person. Ich weiß das, denn ich habe dich kennen gelernt. Ich habe mich für einen Schritt entschieden, den mein früheres Ich sicher schon längst getan hätte. Ich habe mich dem größten aller Dämonen gestellt und ich werde einen Weg finden um zu beweisen, dass er hinter all dem steckt. Dafür brauche ich nur noch einmal deine Hilfe. Auch wenn du danach nie wieder ein Wort mit mir sprechen willst. Es gibt noch eine Sache, die du für mich tun kannst…“     Vom vielen lesen war Kasumis Brief mittlerweile so zerknittert, dass das Papier bei nur einer falschen Bewegung reißen konnte. Keiji hatte nach dem ersten Lesen überlegt, dass sofort zu tun, hatte ihn dann aber nur zerknüllt und weg geworfen. Keine fünf Minuten später hatte er ihn in dem Chaos, dass er zu Hause angerichtet hatte, wieder gesucht, glatt gestrichen und erneut gelesen. In den letzten Tagen hatte er dieses Prozedere mehrmals widerholt, bis das Papier so zerschunden aussah, wie er sich fühlte. Doch wie sehr er diesen Brief auch von sich stoßen oder vernichten wollte. Er war ihn nicht losgeworden und jetzt trug er ihn in einer Innentasche seines Kimonos. Direkt über seinem Herzen. Beim Gedanken daran seufzte er resignierend auf. Sogar wenn sie nicht anwesend war, beherrschte Kasumi sein Denken und Handeln. Als sie sich von den Soldaten seines Onkels hatte gefangen nehmen lassen, hatte Keiji kämpfen wollen. Er hätte sogar sein Leben gegeben, hätte das Kasumi vor diesem Schicksal bewahrt. Doch sie hatte ihn gebeten aufzuhören… Er hatte es nicht begreifen können. Wieso sie so etwas gewollt hatte. So etwas Dummes! Er hatte sie fragen wollen: „Wieso würdest du so etwas Selbstsüchtiges wollen? Hast du dabei auch nur eine Sekunde an uns gedacht?“ Doch noch bevor ein Wort über seine Lippen gekommen war, hatte er ihr Lächeln gesehen. Dieses Lächeln, das jeden Zweifel aus seinen Gedanken gewischt hatte. Ein Lächeln, das in ihm Vertrauen geweckt hatte. Vertrauen in Kasumi und dem, was sie tat. Für einen Augenblick hatte er geglaubt einer ganz anderen Kasumi gegenüber zu stehen. Vielleicht war es ihr früheres Ich gewesen. Das, bevor sie ihr Gedächtnis verloren hatte. Auf jeden Fall hatte er sich Hals über Kopf in sie verliebt. Keiji ballte eine Hand zur Faust, als er daran dachte. Liebe! Noch nie hatte er auch nur eine Frau geliebt. Er hatte sich ausprobiert. Doch geliebt hatte er noch keine. Trotzdem wusste er, dass es nur Liebe sein konnte, die er für Kasumi empfand. Was es nur noch schwerer machte, sie in den Fängen seines Onkels zu wissen. Wenn Keiji die Augen schloss, dann konnte er noch immer Kasumis Wärme spüren. Ihr Körper war so klein und zierlich gewesen, als sie ihn auf dieser Wiese umarmt hatte, doch von ihm war eine Wärme ausgegangen, die ihn noch jetzt erfüllte und jede seiner Faser durchdrang. Noch ein Grund, weshalb er Kasumi nicht hassen konnte und alles tun würde, um ihren Plan zu verwirklichen.   Es hatte ein paar Tage gedauert, um ohne Verdacht zu erregen, die richtigen Leute ausfindig zu machen. Doch heute Abend wollte er ein paar Soldaten, in einer Kneipe etwas abseits der Massen, treffen. Er war eine halbe Stunde zu früh, doch er wollte zuerst die Gegend und den Laden erkunden, bevor er sich in unbekanntes Terrain begab. Immerhin konnten alle Soldaten, die er heute hier traf, auch potentielle Spione seines Onkels sein. Nachdem er alle Fenster und Türen des Lokals überprüft hatte und auch sämtliche Gassen in der Nähe abgelaufen war, wollte er gerade die Tür der Kneipe öffnen, als ihn eine Stimme zurückhielt. „Taii Maeda! Wir müssen euch dringend sprechen.“ Mit der Hand an der Tür hielt Keiji inne und sah sich nach dem Sprecher um. Hinter ihm standen zwei Soldaten aus dem Kaiserpalast. Beide hatten sie ihren Oberkörper respektvoll nach vorne geneigt und den Kopf gesenkt. Keiji nahm sich einen Moment um die Beiden genau zu studieren und es waren die geballten, zitternden Fäuste der Männer, die sie verbissen an ihre Seiten gepresst hatten, die ihn dazu brachten sich vollständig von der Tür zur Kneipe abzuwenden. „Wer seid ihr und was kann ich für euch tun?“, fragte er argwöhnisch. Das hier konnten auch Spione seines Onkels sein. Oder Auftragskiller. Doch Keiji war gewillt ihnen einen kleinen Vertrauensbonus einzuräumen. „Mein Name ist Tetsuo, Herr!“, erklärte der vordere der Beiden. Der, der ihn auch davon abgehalten hatte, die Kneipe zu betreten. Er war Klein. Das erkannte Keiji selbst, als dieser sich noch in seiner Verbeugung befand. Doch seine Muskeln und sein breiter Körperbau schienen seine Größe wieder wett zu machen. Seine kurzen, zerzausten Haare gaben ihm zudem ein wildes Aussehen. Im Kampf konnte er sicher dem einen oder anderen Gegner durch seine bloße Erscheinung das Fürchten lehren. „Und das hier ist Reiji.“, erklärte er weiter und wies mit seiner Hand auf seinen Begleiter. Dieser war größer. Vielleicht so groß wie Keiji und besaß einen schmächtigen, fast filigranen Körperbau. Seine langen Haare hatte er in einem losen Zopf zusammengebunden und in seiner Verbeugung waren sie ihm über die Schulter gefallen und berührten nun fast den Boden. „Taii Maeda.“, begann Reiji, seine Stimme war überraschend hoch und klar. „Wir müssen dringend mit euch über die Geschehnisse im Palast sprechen.“ Die Art und Weise, wie Reiji das sagte, ließ Keiji einen Schauer über den Rücken laufen. Trotzdem dachte er an die Soldaten, die er in der Kneipe treffen wollte und zögerte einen Moment. War das hier ein falsches Spiel? Oder war diese abgelegene Kneipe eine Falle? Gehörte das alles zu einem großen, verrückten Plan seines Onkels? Wenn er recht darüber nachdachte, konnte er keinem Einzigen in dieser Stadt vertrauen, außer seinen Brüdern. „Von welchen Geschehnissen sprechen wir hier?“, fragte er deshalb misstrauisch. Dabei ließ er eine Hand an das Heft seines Katanas wandern. Sollte irgendjemand versuchen ihn anzugreifen, wäre er auf jeden Fall bereit. Sein Griff um das Heft wurde noch fester, als sich der erste Sprecher, Tetsuo, aus seiner Verbeugung erhob und Keiji direkt in die Augen blickte. „Verzeiht meine Unverfrorenheit, aber wir haben keine Zeit zu verlieren. Wir waren hauptsächlich für die Bewachung der Prinzessin zuständig und müssen euch bitten, sie zu befreien!“ „Bitte hört uns an, Taii Maeda! Nicht weit von hier gibt es einen Ort an dem wir ungestört reden können. Ohne die Augen und Ohren von Neugierigen.“, mischte sich Reiji mit ein, bevor Keiji etwas erwidern konnte. „Prinzessin?“ Er sprach zu sich selbst und noch während er das Wort aussprach, wurde ihm bewusst worum es hier ging. Überrascht sah er die zwei Soldaten vor sich an, die ihn beide mit einer Mischung aus Wut und Verzweiflung anstarrten. Langsam löste er die Hand von seinem Heft und nickte dabei. „Führt mich zu diesem Ort!“ Diese Beiden kamen direkt aus Kasumis Nähe. Wenn sie nicht wussten was los war, dann würde es wohl niemand wissen. Und ihre Bitte konnte er unmöglich ignorieren. Diese Beiden waren mit Sicherheit die beste Chance, die er bekommen konnte. Erleichtert atmeten die Soldaten auf und begannen sofort damit Keiji zu einer kleinen Hütte ein paar Bocks entfernt zu führen. Die Hütte besaß nur ein einziges Zimmer in dem das gesamte Leben stattfand. Eine kleine Feuerstelle, ein niedriger Tisch und ein Regal auf dem das nötigste Geschirr stand. Mehr befand sich nicht in diesem Raum, doch so wie sich die Beiden benahmen, musste das ihr Zuhause sein. Keiji hatte schon Unterkünfte für Soldaten begutachtet und weitaus Schlimmere gesehen. Die beiden mussten es, trotz ihrer Wächter-Position in der kaiserlichen Armee, ganz gut getroffen haben. Kaum hatten sie die Hütte betreten, bereitete Reiji einen Tee zu, während sich Tetsuo zu Keiji an den Tisch setzte. Keiji wartete, bis auch Reiji zu ihnen gestoßen war, bevor er seine Fragen stellte. Die Zeit, bis dahin kam ihm wie eine Ewigkeit vor und das Gefühl, dass die Zeit drängte, ließ ihn einfach nicht los. „Also, was müsst ihr mir sagen?“, fragte Keiji schließlich. Reiji war Tetsuo einen Blick zu, woraufhin dieser leicht nickte und anschließend tief Luft holte. „Wir waren es, die die Prinzessin auf der Wiese gefangen nahmen und seitdem mit der Bewachung ihrer Zelle beauftragt waren.“ Allein diese Eröffnung ließ Keijis Hand zum Heft seines Katanas zucken. Diese Beiden hier waren tatsächlich dafür verantwortlich, dass sich Kasumi jetzt in den Händen seines Onkels befand? Am liebsten hätte er sie auf der Stelle gevierteilt, doch Reiji hob beschwichtigend eine Hand. „Versteht uns nicht Falsch, wir sind große Bewunderer der Prinzessin. Die Art und Weise, wie sie diese Gefangenschaft erträgt… Noch nie haben wir eine Frau erlebt, die weder eine Träne über ihre Situation vergossen, noch verzweifelt um Gnade gefleht hatte…“ „Aber genau das bereitet uns die größte Sorge.“, erklärte Tetsuo und verschränkte die Arme vor der Brust. Reiji nickte und starrte einen Moment in seinen Tee. „Der Taishō hatte sie kürzlich während Tetsuos Wache zu sich bringen lassen und sie kam erst kurz vor dem Ende seiner Schicht in ihre Zelle zurück…“ Reijis Stimmlage und die Tatsache, dass er seinen Blick nicht mehr aus seiner Teetasse hob, sagten Keiji genug. Genauso wie die Tatsache, dass sich beide so stark an ihrer Tasse festhielten, dass ihre Knöchel weiß hervor traten. Noch bevor er seine dunkelsten Vermutungen aussprechen konnte, schlug Tetsuo mit der Faust auf den niedrigen Tisch, so dass das Geschirr darauf klirrte. „Dieser verdammte Bastard!“ Tetsuo zitterte am ganzen Körper und spie die Worte aus, als wollte er seinen General persönlich für seine Vergehen hinrichten. Dieser Ausbruch ließ Keiji mit einem Gefühl zurück, als wäre er gerade in eiskaltes Wasser eingetaucht. „Was haben sie ihr angetan?“, fragte er fast lautlos. „Die Prinzessin hat kein Wort gesprochen, seit sie vom Taishō zurückgekehrt ist, doch wir haben die blauen Flecken gesehen, das getrocknete Blut und… und ihren zerrissenen Kimono…“ „Seit sie zurück ist, lässt sie sich nicht berühren oder helfen. Sie rührt ihr Essen nicht an und am aller Schlimmsten: Sie leidet Schmerzen. Zwar versucht sie es sich nicht anmerken zu lassen, doch hin und wieder kann man das Wimmern in ihrer Zelle hören. Und wir wissen mittlerweile sehr gut, dass die Prinzessin sich niemals beklagen würde, würde sie nicht unerträgliche Schmerzen erleiden. Wir haben beim Taishō und seinen Männern nach Antworten gesucht, doch das Einzige, das wir erhalten hatten, war die Freistellung von unserem Amt. Seitdem ist es uns untersagt den Kerkerbereich auch nur nah zu kommen. Deshalb bitten wir euch, Taii Maeda. Befreit sie aus dieser Qual.“ Irgendwann, zwischen den Erklärungen von Reiji und Tetsuo hatte Keiji nichts mehr gehört. Das Blut, das durch seine Adern rauschte, war das Einzige, das er noch vernahm. Seine Sicht war verschwommen und mit einem roten Film zurück geblieben und sein ganzer, angespannter Körper hatte begonnen zu zittern. Dass er sein Katana ein Stück aus seiner Scheide gezogen hatte und seinen Daumen gerade in dessen Schneide presste, spürte er nicht. Er spürte gar nichts mehr. Sein ganzer Körper fühlte sich wie in Watte gehüllt und nur seine Gedanken schrien laut in seinem Kopf. Wie hatte er das nur zulassen können? Wieso war er ihr nicht zu Hilfe geeilt? Wieso hatte er auch nur für eine Sekunde geglaubt, dass Kasumi seinen Onkel zu einer Vereinbarung überreden konnte? Sein Onkel war ein Monster, das nur nach seinen Gelüsten handelte. Er war kein Mensch und konnte nicht als solcher in einer Planung berücksichtigt werden. Wieso hatte er Kasumi nicht aufgehalten? Wieso war er nicht an ihrer Stelle? Keiji schloss seine Faust um die Schneide seines Katanas und Blut strömte über die Klinge und tropfte auf den Holzboden. Auch diesen Schmerz spürte er nicht, denn er war zu gering im Vergleich zu seinem Herzen, das gerade in tausende Teile zersprang. Er hatte Kasumi verraten und seinem wahnsinnigen Onkel ausgeliefert. Hätte er damals nur besser mit diesem Bogen umgehen können, dann wäre das alles niemals geschehen. Dann wäre Kasumi niemals in Gefahr geraten. Dann wäre nicht einmal ihr Palast zerstört worden. Sie hätte für immer glücklich mit ihrem Ehemann leben können. Hätte ihr Kind in Ruhe und Frieden zur Welt bringen können und wäre Glücklich gewesen. All dieses Leid hätte sie niemals erfahren dürfen. Denn es war nur Keijis Schuld, dass sie das jetzt durchmachte. Zitternd kam Keiji auf die Füße und schwor dabei Vergeltung. Bei dem Blut, das er hier vergoss, schwor er, seinen Onkel ein für alle Mal zur Strecke zu bringen. „Taii Maeda?“ Keiji konnte nicht sagen, wer von den Beiden ihn angesprochen hatte. Er registrierte ihre Anwesenheit auch nur am Rande. Alles worum seine Gedanken jetzt noch kreisten, war der Tod seines Onkels und die Befreiung seiner geliebten Schwester. „Wir werden Kasumi da raus holen. Dafür werde ich sorgen.“, erklärte Keiji mit einem wütenden Knurren in der Stimme, das er selbst nicht wiedererkannte. Kapitel 29: Widerstand ---------------------- „Kazuma, mein lieber Bruder. Ich erinnere mich noch genau, wie du an meinem ersten Tag als deine Schwester in diesem Lichtstrahl gestanden hast, der durch die Zeltdecke herein fiel. Dein Haar leuchtete, als würde es in Flammen stehen, während deine grünen Augen so beruhigend wie ein tiefer See auf mich wirkten. Du hattest deine Hand ausgestreckt. Eine Einladung. In die Familie, in das Leben, in euren Schutz. Ich denke, als ich deine Hand ergriff, hast du gesehen wo diese Reise hingehen wird. Wie es enden wird. Also lass mich dir sagen: Ich habe keine Angst. Ich tue das für meinen Ehemann. Für mein Leben und auch für euch. Schließlich kann ich mich nicht für immer hinter euch verstecken. Zu wissen, wohin das alles führen wird, muss eine schreckliche Bürde gewesen sein. Ich hätte dich damals fragen können, doch ich hatte ein bisschen Angst. Ich hoffe du kannst mir diese Feigheit verzeihen. Wobei ich mir sicher bin, dass du mir nie etwas Beunruhigendes erzählt hättest. Ich glaube sogar, dass deine fröhliche Art meine Zeit bei euch so süß wie irgendwie möglich machen sollte. Damit ich zu keiner Zeit Angst verspüren musste. Und soll ich dir etwas sagen? Es hat funktioniert. Dafür danke ich dir von ganzem Herzen. Ich kann mir kaum ein größeres Opfer vorstellen, als das, was du für eine völlig Fremde auf dich genommen hast. Es erfüllt mich mit unendlicher Dankbarkeit und ich möchte dir sagen, dass es mir eine Ehre war, dass ich dir begegnen durfte. Trotzdem möchte ich dir noch sagen, dass man nicht immer alles glauben kann, was man sieht…“     „Noch mal!“, wies Kazuma die Reihen der trainierenden Yōkai an. Die Hände zu Fäusten geballt und die Zähne zusammengebissen schritt er mit prüfendem Blick durch die Kämpfenden und korrigierte Fehler in der Haltung oder der Ausführung eines Angriffs. Sie trainierten jetzt bereits seit Sonnenaufgang ohne Pause, doch Kazuma würde erst zufrieden sein, wenn alles reibungslos lief. „Du solltest ihnen eine Pause gönnen, sonst werden sie dieses Training nicht durchhalten, geschweige denn für eine Schlacht bereit sein. Viele von ihnen sind noch verletzt und nicht auf der Höhe ihrer eigentlichen Leistung.“ Kazuma wand seinen Blick vom Trainingsplatz ab und begegnete den weißen Augen einer Frau. Sie war groß. Größer als Kazuma aber so zierlich, dass er manchmal das Gefühl hatte, er könnte sie wie einen Zweig in zwei brechen, wenn er wollte. Ihr langes kirschrotes Haar hatte sie in einer komplizierten Frisur hochgesteckt und ihre Lippen, die in der gleichen Farbe bemalt waren, verzogen sich vor Besorgnis. Mit dem teuren Kimono, dem roten Lackschirm und der schneeweißen Haut wirkte sie wie eine luxuriöse Geisha, die sich gerade bei ihrem Spaziergang verirrt hatte. Keine ihrer Bewegungen war zufällig. Alles was sie tat führte sie mit Bedacht aus und dem Wissen, wie alles auf ihre Umgebung wirkte. Sie war absolut im Reinen mit ihrem Körper und beherrschte ihn, wie ein alter Musiker sein liebstes Instrument. Ein Diamant unter all den heruntergekommenen Kreaturen, die hier draußen im Wald hinter einem verlassenen Temple vor sich hin vegetierten. „Wir können uns keine Pause leisten, Sakura.“, erwiderte Kazuma verbissen und wand sich wieder dem Trainingsgelände zu. Wenn er Sakura ansah, schossen ihm bei all dem Rot wieder die Bilder in den Kopf, die er vor so vielen Wochen gesehen hatte. Blut und Zerstörung und Tod. So viel Tod, dass seine Hände zu zittern begannen, wenn er daran dachte. Er biss seine Zähne fester aufeinander. Diese Bilder musste er unbedingt verhindern. Denn er könnte nicht damit leben, zu versagen. Auch wenn er tief in seinem Inneren wusste, dass man das Schicksal selten besiegen konnte. Er hatte es schon oft vergeblich versucht. Doch dieses eine Mal wäre ein bloßer Versuch keine Option. Sakuras zierliche Hand, die sich auf seinen Arm legte, ließ Kazuma wieder zu ihr auf sehen. „Wenn du die Yōkai jetzt schon an ihre Grenzen bringst, wirst du niemanden haben, der mit dir in die Schlacht zieht. Und wenn du nicht besser auf dich achtest, wirst nicht einmal du zu dieser Schlacht erscheinen. Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen, Kazuma? Seit du vor einer Woche hier aufgetaucht bist, habe ich dich noch kein einziges Mal essen sehen. Oder schlafen.“ Die Sorge in ihrer Stimme war nicht zu überhören und trotzdem stand Kazuma kurz davor ihre Hand abzuschütteln. Zeit für Essen und Schlafen war ein Luxus, den er sich nicht leisten konnte. Er brauchte die Yōkai aus dieser Zufluchtsstätte um das Schicksal seiner Schwester zu verändern. Doch es war eine weitere weibliche Stimme, die ihn innehalten ließ. „Sie hat Recht Kazuma. Auch wenn ich nicht so viel Zeit mit Kasumi verbracht habe wie ihr, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie gewollt hätte, dass du dich hier bis aufs Blut verausgabst. Sicher wollte sie, dass du Glücklich bist.“ „Fuyu…“ Ihr Name war über Kazumas Lippen geschlüpft, noch bevor er sich zu ihr umgedreht hatte. Fuyu stand auf der obersten Stufe der Treppe, die zum Trainingsplatz führte. Vor sich hielt sie eine Bentobox, die in ein Tuch eingeschlagen war. Als er das sah, sah er kurz von ihr zu Sakura. „Du hast sie hierher bestellt oder?“ Als Sakura nur stumm nickte, wand sich Kazuma wieder an Fuyu. „Erklär mir, wie ich Glücklich sein soll, solange meine Schwester in irgendeiner finsteren Kerkerzelle sitzt und ich keine Chance habe, sie von dort zu befreien?“ Kazuma wollte nicht schreien, doch jedes einzelne Wort kam lauter über seine Lippen, als beabsichtigt. Das die Yōkai aufgehört hatten zu trainieren um die Szene vor sich zu beobachteten, konnte auch damit zusammen hängen, dass Kazumas Worte lauter erschienen, als sie eigentlich waren. Davon unbeeindruckt kam Fuyu die Treppe herunter und direkt auf ihn zu. Wäre es jemand anderes gewesen, hätte Kazuma die Flucht ergriffen. Hätte die Yōkai angewiesen weiter zu machen und alles andere ignoriert. Doch nicht bei Fuyu. Keijis Cousine, die so viel vom Charakter seines Bruders in sich trug, dass es Kazuma oft so vorkam, als stünde er vor eben diesem. Sie konnte er einfach nicht ignorieren. Erst als Fuyu vor ihm stand, bemerkte er, dass Sakura irgendwann von seiner Seite verschwunden war. Ebenso wie die Yōkai hinter ihm. Auch bei ihnen war Fuyu eine einzige Respektsperson. Allein deshalb schon, weil sie immer hier her kam und ihre Wunden behandelte. Fuyu war ein Mensch, der versuchte seine schützende Hand über diesen Wald zu legen. Wofür sie auch Kazumas vollsten Respekt hatte. „Mir ist klar, dass du jetzt nicht Glücklich sein kannst, aber du bist nicht allein. Keiji und Benjiro leiden mit dir und werden Kasumis Verhaftung sicher ebenso wenig schweigend mit ansehen. Auch sie werden tun, was in ihrer Macht steht um sie zu retten. So wie du es tust mithilfe der Yōkai hier. Doch um Kasumi retten zu können, musst du in Bestform sein. Das geht aber nur, wenn du isst und schläfst und dir einen Moment Zeit nimmst, um dir einen Plan auszudenken. Andernfalls wirst du noch getötet, bevor du überhaupt etwas ausrichten konntest.“ Kazuma sah Fuyu nicht an, als sie sich erklärte. Allein deshalb schon, weil sie die Wahrheit sagte. Er wusste es ja. Irgendwo tief in seinem Inneren wusste er schon lange, dass er nicht vorankommen würde, wenn er sich bereits heute so auszehrte, dass er kaum stehen konnte. Dass er so schon lange vor der Schlacht verloren hätte. Der Gedanke schwach zu sein, brachte ihn jedoch um den Verstand. Und obwohl er das Kämpfen verachtete, war er bereit alles für diesen einen Kampf zu geben. „Teile sie mit mir, Kazuma. Diese Finsternis, die dich zu verschlingen droht. Ich helfe dir, sie zu tragen und lasse dich nicht allein. Das verspreche ich dir!“ Fuyus Hand lag auf seinem Unterarm und brannte sich durch den Stoff seines Ärmels wie Feuer. Brannte sich durch seine Haut in seine Muskeln, in sein Blut und von dort durch seinen gesamten Körper. Bis das Feuer schließlich an diesem Klumpen Eis in seinem Inneren leckte, der seit Kasumis Gefangennahme immer größer geworden war. Kazuma hörte es förmlich, als das Eis einen ersten Riss bekam und atmete scharf ein. Immer weiter öffnete sich der Riss, verzweigte sich und sorgte dafür, dass Stücke des Eises herausbrachen. Es schmerzte. So sehr, dass Kazuma am liebsten geschrien hätte, doch stattdessen zog er Fuyu in seine Arme und hielt sie fest. Er umarmte ihr Feuer, bis sein Eis in heißen Tränen über sein Gesicht strömte.     „Noch mal!“, wies Kazuma die Reihen der trainierenden Yōkai an. Mit einem scharfen Auge beobachtete er die Fortschritte der Yōkai. Kleine und große. Starke und schwache. Jeder, der nicht ans Krankenbett gefesselt war, war bereit ihm zu helfen. Also würde er sie nicht enttäuschen. „Kazuma!“ Fuyus Stimme ließ Kazuma zum Tisch sehen, den sie unter einem großen Schirm aufgestellt hatte. Dort breitete sie gerade das Mittagessen aus. Als sie seinen Blick bemerkte winkte sie ihm auffordernd zu. Unwillkürlich schlich sich ein kleines Lächeln auf Kazumas Gesicht. „In Ordnung, wir machen eine Stunde Pause, danach geht es weiter.“, entließ er die Yōkai, bevor er zu Fuyu ging. „Tut mir Leid, aber es hat heute etwas länger gedauert. Bitte lass es dir schmecken.“, sagte Fuyu, während sie Kazuma eine Schüssel mit Reis füllte. Kazuma setzte sich an den Tisch auf dem normalerweise seine strategischen Unterlagen ausgebreitet lagen. Für das Essen hatte Fuyu diese zur Seite geräumt. Sie hatte sich einen zweiten Stuhl mitgebracht und setzte sich ebenfalls, um mit Kazuma zu essen. „Lecker!“ War alles, was Kazuma zwischen zwei Happen hervor brachte. Woraufhin Fuyu ein Kichern nicht unterdrücken konnte. „Es freut mich, dass es dir schmeckt.“ Seit sie zu ihm gekommen war, hatte sie den Wald nicht mehr verlassen. Sie kümmerte sich darum, dass er mindestens zweimal am Tag eine vernünftige Mahlzeit zu sich nahm und nicht die ganze Nacht durcharbeitete. Und wenn es nötig war, hörte sie sich seine Sorgen auch zum zehnten Mal an und versuchte ihn auf andere Gedanken zu bringen. „Es sind nur noch ein paar Tage, oder?“ Ihre Frage veranlasste Kazuma dazu von seinem Essen aufzusehen und Fuyus Blick zu begegnen. Ihre Hand, die ihm am nächsten war, hatte sie mit der Handfläche nach oben entspannt auf den Tisch gelegt. Einen Augenblick zögerte er, bevor er seinen Handschuh auszog und sie mit seinen Fingerspitzen berührte. Die Bilder, die er in diesem Moment vor seinem inneren Auge sah, hatten sich in den letzten Tagen kaum verändert. Sie waren immer noch geprägt von Zerstörung und unzähligen Opfern. Doch einen Ausgang dieses Kampfes konnte Kazuma nicht mehr sehen. Was bedeutete, dass dieses Ende von vielen verschiedenen Faktoren abhing, die noch nicht endgültig entschieden waren. Das hieß auch, dass eine Chance bestand, dass es nicht mehr die schreckliche Katastrophe werden würde, die Kazuma einst bei Kasumi gesehen hatte. Zuerst hatte es Kazuma erschreckt, dass er ausgerechnet bei Fuyu diese Schlacht vorhergesehen hatte. Denn das bedeutete, dass sie auch dort sein würde. Keiji würde ihn dafür später noch einiges vorwerfen. Doch er hatte schnell gesehen, dass ihr nichts passieren würde. Egal wie er seine Pläne in den letzten Tagen geändert hatte, ihr würde nichts geschehen und so stand er kurz davor eine gute Strategie für diesen Kampf parat zu haben. „Ich vermute, noch zwei oder drei Tage.“, erklärte sich Kazuma, als er seine Hand zurück und seinen Handschuh wieder überzog. In den seltensten Fällen konnte Kazuma genau sagen, wann ein Ereignis stattfand, welches er durch seine Gabe sah, doch in diesem Fall wusste er, dass dieser Kampf in kürzester Zeit stattfinden würde. Dem Stand der Kirschblüten nach zu urteilen, dauerte es nicht mehr lange bis dahin. „Die Yōkai des Waldes werden bis dahin bereit sein. Ihre Fortschritte in den letzten Tagen waren enorm und das haben sie nur dir zu verdanken.“ Kazuma nickte zustimmend bei ihren Worten und ließ dabei seinen Blick über das Trainingsgelände wandern. Er hatte versucht ihnen alles Mögliche beizubringen. Zweikämpfe, Hinterhalte, Wurftechniken und Verteidigung. Sie würden Kämpfen und ihren Grund eine Weile halten können. Vielleicht reichte das schon aus, um Keiji oder Benjiro genügend Zeit zu verschaffen um Kasumi zu retten. „Das werden sie. Genau wie du, aber ich will, dass du dich zurückhältst. Keine waghalsigen Aktionen oder Alleingänge. Bleib einfach im Hintergrund und kümmere dich um die Verletzten. Sollte dir etwas passieren, wird Keiji mir nämlich den Kopf abreißen.“, erklärte sich Kazuma. Noch am ersten Abend hatte Fuyu ihm eröffnet, dass sie ebenfalls mitkommen wollte. Sie wollte etwas für Kasumi tun und für die Yōkai da sein, um die sie sich bisher gekümmert hatte. Natürlich hatte Kazuma diesen Vorschlag sofort abgelehnt. Doch in den letzten Tagen hatte sie damit nicht locker gelassen. Bis er ihr schließlich gestattet hatte, im Hintergrund die Wunden ihrer Freunde zu versorgen. „Das sagst du mir immer, wenn wir darauf zu sprechen kommen und wie ich dir jedes Mal antworte: Ich werde aufpassen und mich im Hintergrund halten. Versprochen!“, versicherte sie ihm ernst. Ihre Worte sorgten dafür, dass Kazuma erleichtert aufatmete. Denn er war nicht bereit schon wieder eine Frau zu verlieren, die er unter seinen persönlichen Schutz gestellt hatte. Diesen Fehler hatte er einmal begangen und er würde sich den Rest seines Lebens dafür hassen. Egal wie diese Schlacht ausgehen würde. Ein zweites Mal, würde ihm das nicht noch einmal passieren. Noch während er daran dachte, kamen ihm wieder Kasumis letzte Worte aus ihrem Brief in den Sinn und zum ersten Mal glaubte er daran, dass diese Worte tatsächlich wahr werden könnten.   „…Wir können unser Schicksal immer noch ändern! In Liebe, Kasumi“ Kapitel 30: Eine neue Chance ---------------------------- „Bist du noch am Leben?“   „Bist du noch bei mir?“   „Ich- kann dich spüren…Also bitte, halt noch ein klein wenig länger durch…“   Der zaghafte Tritt gegen ihre Hand, ließ Kasumis Augen flattern. Es war noch hier. Ihr Kind war immer noch am Leben. Das ließ sie erleichtert aufseufzen und eine einzelne Freudenträne stahl sich ihren Weg über ihre Wange. Es war ein Kämpfer und genau das, wollte Kasumi auch sein. Genau das war sie. Mit jedem Schlag, jedem Tritt, war ein Stück ihrer Vergangenheit zu ihr zurückgekehrt. Sie erinnerte sich an alles, bis zu dem Moment, in dem sie von Wölfen getötet worden war. An ihr Leben. Das kurze Leben als Mensch in einer menschlichen Welt. Alles danach lag im Nebel. Abgesehen von den Bruchstücken, die sie bereits entdeckt hatte. Ihr zweites Leben. Das unter Yōkai, das neben dem der Menschen funktionierte. Sie war ein Mensch, daran bestand kein Zweifel, doch die Gesetze dieser menschenfeindlichen Welt der Yōkai waren für sie gebeugt worden. Sie war dort aufgenommen worden und besaß ihren Platz darin. Auch wenn sie an diesen vielleicht nicht mehr zurückkehren könnte. Mühsam hob sie ihre Hand und legte sie zu ihrer anderen auf ihren Bauch. Sie spürte ihr Kind, dass aus ihr unbekannten Gründen, vom Angriff des Taishō verschont geblieben war. Sie lebten. Beide. Und sie würde alles daran setzen um an die Seite ihres Ehemanns zurückkehren zu können.     „Kasumi?! Was um alles in der Welt ist mit dir geschehen?“ Sie kannte diese Stimme. Irgendwo in ihrem Hinterkopf wusste sie, wer mit ihr sprach. Ihr kamen die Hände bekannt vor, die ihre hielten. Die Wärme, die von ihrem Gegenüber ausging und der Geruch. Wer war er nur? Kasumi wollte fragen, doch sie fand ihre Stimme nicht und nahm auch kaum ihren Körper war. Geschweige denn, dass sie dieses in Watte gepackte Etwas nach ihrem Willen bewegen konnte. Alles was sie außer ihrem Gegenüber spürte, war Schmerz. Allein der Gedanke einen Teil ihres Körpers bewegen zu wollen, ließ sie qualvoll zusammenzucken. „Wachen! Ich verlange, hierfür eine Erklärung und dass ihr sie auf der Stelle freilasst!“, sprach die Stimme in einem herrischen Ton. So kannte sie diese Stimme nicht. Diese kalte Autorität. Sie passte irgendwie nicht zu dem verschwommenen Bild, das in Kasumis Kopf herumgeisterte. Wer war er nur, dass er glaubte sie retten zu können? Wo es doch Kasumis eigener Fehler war, hier gelandet zu sein. Sie hatte unterschätzt, wie stark der Hass eines einzelnen Menschen sein konnte. Hatte vergessen, dass dieser Hass einen Mann sogar in einen Yōkai verwandeln konnte. Nur ihre eigene Dummheit hatte sie in diese Lage gebracht. Wie hatte sie auch annehmen können, mit einem Yōkai-verachtenden Mann über Frieden mit eben diesen verhandeln zu können? Sie hatte vergessen, wie aussichtslos ein solcher Kampf sein konnte und das es möglicherweise nur einen Weg gab, diese Angelegenheit für immer zu klären. „Es tut uns Leid ehrwürdiger Tennō, aber auf Befehl des Taishō ist es uns verboten die Gefangene zu Befreien.“ „Was soll das bedeuten? Ich bin der Tennō! Mein Wort-“ „Kann hier nicht berücksichtig werden. Wir unterstehen dem direkten Befehl des Taishō. Vergebt uns, aber es wäre das Beste, wenn ihr euch in eure Räumlichkeiten zurückzieht…“ „Danke, dass du für mich kämpfst. Aber es ist schon gut.“, wollte Kasumi sagen, doch ihre Lippen gehorchten ihr nicht. Sie hörte Schritte, die sich entfernten und heftigen Widerspruch dabei, dann war es wieder still. Vielleicht hatte sie ein Stück tannengrünen Kimono aufblitzen sehen, aber vielleicht war das auch nur Einbildung gewesen, bevor der Schmerz sie zurück in dieses schwarze Nichts zog.     „Hey, Menschenkind? Was liegst du hier so nutzlos in der Gegend herum? Du willst doch nicht etwa sagen, dass dich eine Tracht Prügel in die Knie zwingt! Da hatte ich ein bisschen mehr erwartet.“ Eine weibliche Stimme riss Kasumi aus dem Nebel ihrer Schmerzen. Sie konnte sie nicht zuordnen, doch sie klang verärgert oder enttäuscht oder beides. „Tomoko, sie ist trotz allem nur ein Mensch. Menschen sterben, wenn sie zu viel aushalten mussten. Ich finde es erstaunlich, dass sie überhaupt noch atmet.“, entgegnete eine weitere, weibliche Stimme der Ersten. Tomoko… irgendwo hatte sie diesen Namen schon einmal gehört. Nur wo? Kasumi konnte den Gedanken nicht genau greifen. Es war immer noch der Schmerz, der ihren Körper gefangen hielt und ihren Verstand vernebelte. „Tsk. Dann erklär mir, wieso wir hier sind? Sehen wir ihr beim Sterben zu, um uns dann endlich den Lord zu schnappen?“, fragte eine dritte Stimme abfällig. Kasumi wollte protestieren. Wollte sich erheben und dieser Frau gehörig die Meinung sagen, doch außer einem schmerzvollen Laut drang nichts über ihre Lippen. Wie erbärmlich. Sie hasste sich in diesem Moment selbst so sehr, dass Zornestränen in ihr aufstiegen. Wäre sie ein Yōkai, wäre sie den Grenzen ihres schwachen Körpers nicht ausgesetzt. Dann wären ihre Wunden längst verheilt und sie könnte ihren Ehemann finden. „Aiko!“, fauchte die Zweite. „Gar keine schlechte Idee, Aiko. Vielleicht sollten wir ihr den Abschied etwas erleichtern. Es bräuchte nur eine kleine Bewegung meiner Hand…“ „Schluss jetzt damit! Habt ihr beide etwa vergessen weshalb wir hier sind?“ Kasumi spürte plötzlich Wärme in ihrer Nähe und hörte das Flackern von Feuer. Was ging hier nur vor sich? Wollten die drei Yōkai sie etwa in die Hölle verschleppen? Das würde sie auf gar keinen Fall zulassen. Nicht solange sie hier noch so viel zu erledigen hatte. „N-Noch nicht…“ All ihre Kräfte zusammennehmend zwang Kasumi ihre Lippen dazu, sich zu bewegen. Ob ein Laut über sie gedrungen war, konnte sie nicht sagen, doch im nächsten Moment spürte sie eine zierliche Hand auf ihrer Wange. Die Berührung schmerzte und sie zuckte unwillkürlich zusammen. „Keine Sorge. Wir sind hier um dir zu helfen. Es könnte allerdings etwas wehtun. Aber wenn du dich nicht wehrst, wird das schnell vergehen.“, sagte die Zweite, bevor sie Kasumis Lippen verschloss. Panisch wollte sich Kasumi wehren, doch ihr Körper reagierte nicht auf sie. Er zuckte nur zusammen, als etwas ihren Mund füllte und schließlich ihre Kehle hinunter ran. In ihrem Mund noch kühl wurde – was auch immer es war – immer wärme, je tiefer es in ihren Körper eindrang. Als es ihren Magen erreichte, brannte es und es fühlte sich an, als würde es sich durch ihren Magen brennen. Und dann wurde ihr Mund erneut verschlossen und zum zweiten Mal gefüllt. Es fühlte sich wie ein großes rundes Stück Gelee an. Mit einem festen Kern in dessen Innern. Je weiter dieses Gelee jedoch verschwand, umso heißer wurde der Kern und setzte diesmal jede einzelne ihrer Blutbahnen in Flammen. Noch mit der Wirkung der ersten und zweiten Kugel kämpfend, wurde eine weitere in ihren Mund gelegt. Diese nahm von ihren Knochen besitz und tobte wie ein flammender Orkan in ihrem Körper, bis es sich anfühlte, als würde selbst ihre Haut in Flammen stehen. Kasumi wollte das nicht. Sie wollte lieber sterben, als diesen Schmerz zu ertragen. Sie wollte diesem Feuer entgehen, das scheinbar ihren Körper von ihren Knochen schmolz. Sie wollte schreien, sich wehren, diesem Grauen ein Ende setzen. Doch ihr Körper gehorchte ihr immer noch nicht. Und dann sah sie eine kleine blaue Flamme vor sich. Wie sie unbehelligt in diesem roten Feuersturm vor sich hin brannte. Unscheinbar und ungestört. Sie wirkte fast unbeteiligt. Als würde sie das Inferno um sie herum überhaupt nicht betreffen. Eine ruhige konstante, die sich nicht beirren ließ. Kasumi wollte sie ergreifen. Wollte diese Ruhe für sich, die ihr vielleicht endlich Frieden versprach. Frieden mit sich und dieser Welt und ihrem Schicksal. Mit aller Kraft streckte sie ihre Hand nach dieser Flamme aus. Den Schmerz ignorierend, kämpfte sie sich voran und erreichte die Flamme schließlich mit den Fingerspitzen. Sofort erlosch das Feuer um sie herum und übrig blieb nur diese kleine blaue Flamme, die in ihren Händen tanzte, wie eine kleine Seele, die ihren Platz in der Welt noch suchte. Vorsichtig drückte Kasumi die Flamme an sich und in diesem Moment drang sie in ihren Körper ein und brachte den Schmerz zum Erlöschen. Zum ersten Mal, seit einer langen Zeit, spürte Kasumi Frieden. Und mit diesem, erwuchs ein Wunsch in ihr, der ihre Lebensgeister wachrüttelte.     Überrascht nahm Kasumi einen tiefen Atemzug und schlug die Augen auf. Über ihr zogen weiße Wolken über den blauen Himmel. Um sie herum erkannte sie Gebäude des Kaiserpalastes und unter ihr, den edlen Steinboden den man in der gesamten Anlage fand. Ein Pflock in ihrem Rücken hielt sie in ihrer sitzenden Position aufrecht. Genauso wie ein Eisenring um ihren Hals, dessen Kette mit dem Pflock verbunden war. Kasumi hob ihre Finger an den Ring und fand diesen geöffnet. Sie ließ ihren Blick einmal über ihre nähere Umgebung gleiten und öffnete den Ring, als sie keine Wachen ausfindig machen konnte. Es war seltsam ruhig, dafür dass sie als Gefangene des Taishō sicherlich bewacht werden müsste. Oder nahmen sie an, dass sie sich in ihrem Zustand nicht würde befreien können? Diesen Gedanken verwarf Kasumi sofort wieder. Sie befand sich unter freiem Himmel. Das bedeutete, dass sie als Köder dienen sollte. Sonst wäre sie nach dem Besuch beim Taishō zurück in ihre Zelle gebracht worden. Nein, sie war hier um ihren Ehemann anzulocken. Das konnte sie sich nur zu gut vorstellen. Nur wurde sie hier auch von zahlreichen anderen gesehen. Wie den Fuchsschwestern, die ihr dieses Feuer gebracht hatten. Ein Feuer, das sie jetzt völlig frei atmen ließ. Ungläubig tastete Kasumi ihre Rippen ab. Nach dem Besuch beim Taishō waren einige ihrer Rippen gebrochen und hatten sich unangenehm in ihre Lunge gebohrt. So, dass jeder Atemzug eine Qual wurde. Doch nun spürte sie nichts mehr davon. Nicht eine kleine Erhebung oder einen Bruch. Ihre Knochen waren vollständig wiederhergestellt. Sie ließ ihre Hände zu ihrem Gesicht wandern. Nur um dort ebenfalls nichts Ungewöhnliches vorzufinden. Keine aufgeplatzte Lippe, eingeschwollene Augen oder Platzwunden. Alles an ihr fühlte sich normal an. Als wäre nie etwas geschehen. Das war unmöglich und doch saß sie hier, als hätte sie sich nur nach einem kleinen Spaziergang ausgeruht. Als wäre nie etwas vorgefallen und die Zeit im Kerker ohne eine Spur an ihr vorüber gegangen. Kasumi wusste nur zu gut, wem sie für diese Chance danken musste, als sie ihren O-Mamori-Stab heraufbeschwor und sich mit dessen Hilfe erhob. Sie würde diese Chance nutzen und sie nicht noch einmal ungenutzt verstreichen lassen. Mit diesem Gedanken machte sie sich auf den Weg zum Hauteingang der Palastanlage. Kapitel 31: Ein Band fügt sich zusammen --------------------------------------- Hecktische Rufe und das Geräusch von Stahl, der auf Stahl traf, sorgten dafür das Kasumi ihre Schritte verlangsamte. Sie war nicht mehr weit vom Hauptgebäude entfernt, als eine Patrouille, bestehend aus einer Handvoll Männer, um die Ecke eines der Nebengebäude kam. Sobald diese Kasumi entdeckten rief der Erste einen Befehl und Kasumi sah sich umzingelt von den Soldaten. Ihren Stab in beiden Händen haltend war sie bereit sich zu verteidigen, sollte das nötig werden. Doch die Männer, die sie umzingelten wirkten nervös und immer wieder ging ihr Blick zu dem Mann, der den Befehl gegeben hatte, sie festzusetzen. Bei dem ein und anderen zitterte sogar die Waffe, die sie auf Kasumi gerichtet hatten. Irgendetwas ging hier vor sich und sie würde herausfinden was das war. Ihre eigene Anspannung beruhigend, atmete Kasumi tief durch und versuchte eine entspannte Haltung einzunehmen. „Ich will mit dem Taishō sprechen!“, rief sie hinüber zu dem Mann, der die kleine Truppe anführte. Bei ihren Worten breitete sich ein verächtliches Lächeln auf den Lippen des Mannes aus. „Als würde er jemandem wie euch Gehör schenken, Prinzessin!“, zischte der Mann. Das hier würde also so ein Gespräch werden… Unwillkürlich seufzte Kasumi auf und griff ihren Stab wieder fester. „Dann lasst mich den Tennō sehen.“ Einer Eingebung folgend, verlangte Kasumi das Unmögliche von den Soldaten. Sie erinnerte sich an Nichts aus der Zeit zwischen dem Besuch beim Taishō und ihrem kürzlichen erwachen. Und doch hatte sie ein seltsam beklemmendes Gefühl in ihrer Brust, als würde die Zeit drängen. Der Mann lachte sie jedoch nur für ihre Bitte aus, während einige der Soldaten unsichere Blicke miteinander tauschten. „Der Tennō hat hier nichts mehr zu melden. Er befindet sich unter Hausarrest und wird diesen nicht mehr so schnell verlassen. Genau wie Ihr. Ergreift sie!“ Kasumi machte sich bereit zu kämpfen, doch im nächsten Augenblick erschütterte ein wütendes Knurren die Erde. Dieses Knurren sorgte dafür, dass die näherkommenden Soldaten innehielten. Lange genug, um es einem großen, weißen Schatten zu ermöglichen, an Kasumis Seite zu eilen und mit einem einzigen Rundumschlag seiner Giftpeitsche sämtliche Soldaten niedergemäht. Sie musste nicht hinsehen, um zu wissen, wer ihr zu Hilfe geeilt war. Die große Hand, die sich an ihre Taille legte und sie an eine breite Brust zog, war ihr so vertraut wie das Atmen selbst. Sie musste sich nicht daran erinnern um zu wissen, dass ihr Ehemann sie aus dieser Situation errettete. „Rin…“ Dieser Name, geflüstert wie ein Gebet, sorgte dafür, dass Kasumis Knie weich wurden und sie fast zu Boden sank. Zum ersten Mal hörte sie seine Stimme. Normalerweise ruhig und beherrscht, mit dem Wissen, dass sein Wort Gesetz war. War sie jetzt leise und voll Hoffnung, die Kasumi die Tränen in die Augen steigen ließ. Ohne zu zögern sah sie auf und versank in einem Pool aus Gold, der sie in Wärme und Liebe hüllte und vom dem sie wusste, dass sie Zuhause angekommen war. Unbeschreibliches Glück erfüllte sie in diesem Moment, denn es fühlte sich an, als würde sich ein Band zusammenfügen, dass kurz vor dem zerreißen gestanden hatte. „Sesshōmaru!“ Mit all der Erleichterung, die sie empfand, sprach sie seinen Namen aus und schmiege sich näher an ihn. Krallte eine Hand in den Kragen seines Kimonos und schloss einen Moment die Augen. Ließ sich einhüllen von dem Geruch nach Wind, kurz vor einem Gewittersturm und einem schweren Aroma von Gewürzen. Sesshōmaru zog sie fester an sich, bevor er eine Hand an ihren Hinterkopf wandern ließ. Als Antwort darauf sah Kasumi auf und ermöglichte es Sesshōmaru so, seine Stirn an ihre zu drücken. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als er ihr so nah kam und für einen Moment wünschte sich Kasumi, dass sie einfach nur noch nach Hause gehen konnten. Sie wollte nicht kämpfen oder mit Menschen diskutieren, die ihre Welt nicht so akzeptierten, wie sie war. Sie wollte einfach nur Ruhe und Frieden. Zusammen mit ihrem geliebten Ehemann. Doch ihr war bewusst, dass sie dieses Ziel niemals kampflos erreichen konnten. Und als sich Sesshōmaru von ihr löste, war sie bereit. „Es gibt noch etwas, dass erledigt werden muss.“, erklärte er fest entschlossen. „Ich weiß. Geh. Ich komme schon zurecht.“, erwiderte Kasumi mit einem Nicken und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. Sie würden diesen Tag hier überstehen und dann würden sie von hier verschwinden und noch einmal ihr Leben aufbauen. Das schwor sie sich, als sie dabei zusah wie Sesshōmaru sich in die Lüfte erhob und Richtung Hauptplatz verschwand. Den Ort, den Kasumi selbstverständlich auch ansteuerte. Voller Elan, diesen Tag so schnell wie möglich zu einem Ende zu bringen, lief sie los. Sie hatte jedoch nicht mit den gerechnet, was sie auf dem Hauptplatz der Palastanlage erwartete. Der Platz vor dem Hauptgebäude des Palastes erstreckte sich über drei Terrassenebenen. Gegenüber des Hauptgebäudes befand sich die erste Außenmauer. Rechts und links des Platzes, lagen weitere, lange Nebengebäude. Und als hätte der Taishō sämtliche Soldaten des Kaiserreichs unter seine Kontrolle gebracht, war der Vorplatz überfüllt von Männern in schwarzer Rüstung, die versuchten einen bunt gemischten Haufen zurückzudrängen. Sesshōmaru hatte sich in Mitten der Massen aus schwarzen Soldaten gestürzt und wütete dort wie ein Berserker. Keiji führte die übrigen Palastwachen, die nicht zu den Kokuryū gehörten, sowie seine eigenen Soldaten und einige zivile junge Männer an und versuchte mit ihnen eine Schneise zum Palast zu schlagen. Während Kazuma die verletzten Yōkai aus ihrem Versteck im Wald mobilisiert hatte, die damit beschäftigt waren, die Schwächeren zu unterstützen. Erleichterung durchströmte Kasumi, beim Anblick ihrer Freunde, die versuchten die zahlenmäßig überlegenen Kokuryū aufzuhalten. Doch auch Angst, denn die schwarzen Drachen waren die Einzigen, die mit Schusswaffen kämpften, was ihnen einen klaren Vorteil verschaffte. Immer wieder gingen Männer und Yōkai zu Boden und jeder Einzelne von ihnen traf Kasumi schwer. Weshalb sie an die oberste Stufe des großen Vorplatzes trat und dort ganz instinktiv ihren Stab in die Steinplatten stieß. Bisher hatte ihr O-Mamori-Stab immer nur mit Licht reagiert. Doch in diesem Moment schoss ein gleißend weißer Blitz hervor und schlug mit einem Donnergrollen in die Reihen der schwarzen Soldaten ein. So als hätte der Stab ihren Wunsch verstanden, ihre Freunde und Verbündete beschützen zu wollen. Mehrere Soldaten gingen zu Boden, aber damit war Kasumis Überraschungsmoment und ihre bisher unbemerkte Position verraten. Denn die hinteren Reihen der Kokuryū wandten sich augenblicklich zu ihr um und kamen auf sie zu gestürmt. In diesem Moment traf sich ihr Blick mit dem von Keiji, der immer noch verbissen versuchte durch die Reihen der Kokuryū zu brechen. Er wollte zu ihr. An ihre Seite und sie beschützen. Oder ihr zumindest den Rücken freihalten. Davon trennten ihn aber noch zu viele Soldaten. Kasumis Mundwinkel zuckten für den Bruchteil einer Sekunde nach oben. Es war ein kleines, entschuldigendes Lächeln, welches sie mit einer leichten Verbeugung ihres Kopfes noch unterstrich. Keiji war gekommen. Mehr hatte sie sich für diesen Tag nicht gewünscht. Er musste sie nicht retten kommen. Das hatte sie nie von ihm verlangt. Denn sie hatte vor sich selbst zu retten. Erneut stieß sie ihren Stab auf den Boden und wieder schoss ein Blitz hervor, traf einen der näherkommenden Soldaten und sprang von dort in mehrere Richtungen auf die umstehenden Soldaten über. Jeder Einzelne, der getroffen wurde, ging mit einem gequälten Laut zu Boden und stand nicht mehr auf. Diesen Vorgang wiederholte sie. Wieder und wieder. Doch der Strom an Soldaten ließ nicht nach und dann hörte Kasumi auch hinter sich Stimmen. Kasumi fuhr herum und sah, wie weitere, unzählige Soldaten aus der Richtung auf den Platz strömten, aus der sie gekommen war. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass der Taishō so viele Soldaten unter sich befehligte und vielleicht waren einige sogar gegen ihren Willen hier. Doch egal wie viele Männer wirklich hinter ihm standen, sie würde nicht aufgeben. Kasumi biss die Zähne zusammen. Während sich die neue Welle an Soldaten bereit machte ihre Schusswaffen zu gebrauchen, ließ sie erneut weiße Blitze los und machte damit die ersten Waffen unschädlich. Im nächsten Moment flog etwas unmittelbar an ihrem Ohr vorbei und sie wirbelte herum. Gerade noch rechtzeitig um zu sehen, wie ein Soldat direkt hinter ihr zu Boden ging. Ein Pfeil hatte seine Rüstung direkt am Ansatz seines Halses durchbohrt. „Wenn du schon allein kämpfen musst, dann solltest du deinen Rücken besser schützen.“ Kasumi erkannte die Stimme, die über den Lärm des Kampfes hinweg an ihr Ohr drang. Noch einmal entließ sie Blitze aus ihrem Stab, um sich die Soldaten weiter vom Hals zu halten, bevor sie sich nach Isami umsah. Die Herrin von Yamaguchi hatte bereits einen neuen Pfeil in ihren Bogen eingelegt und ließ ihn fliegen, während sie an Kasumis Seite eilte. „Isami! Du hast meinen Brief also erhalten?!“ Freude durchströmte Kasumi, als Isami sie erreichte. Gefolgt von unzähligen Yōkai und Männern aus ihrem Reich, die sich augenblicklich um die Verstärkung der Kokuryū kümmerten. „Nicht nur ich… Entschuldige die Verspätung, aber wir mussten dein Hündchen noch einsammeln.“, erklärte sie sich mit einem kleinen Lächeln, bevor sie den nächsten Pfeil los ließ. Als Kasumi das hörte, sah sie sich um und entdeckte Terumoto und seine Männer und zwischen all den neuen Verbündeten, fand sie Benjiro. „Ihr kennt den Plan! Drängt die Kokuryū zurück und schützt alle anderen. Wenn heute jemand stirbt, dann sind es diese elenden schwarzen Drachen!“, rief Isami ihren Leuten zu. Diese hoben ihre Waffen und stimmten einen markerschütternden Kriegsschrei an, bevor sie sich links und rechts in den Kampf stürzten. Jeder hatte auf Kasumis Ruf geantwortet und das erfüllte sie mit Stolz. Stolz, auf die Freunde, die sie in den letzten Monaten gefunden hatte und auf die sie sich verlassen konnte. Mit diesem Wissen stürzte sie sich ebenfalls wieder in den Kampf und mähte Reihe für Reihe der Kokuryū mit ihren Blitzen nieder.     Kasumi wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Als ihr am Rand des Getümmels ein großer Wagen auffiel, an dem sich ein einzelner Mann zu schaffen machte. Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihr aus, als sie das sah und sie versuchte durch das Gedränge hindurch zu diesem Wagen zu gelangen. Nur noch wenige Meter entfernt, konnte Kasumi jedoch nur untätig zusehen, wie der Mann etwas Kleines in die Menge warf. Sie versuchte ihn noch mit einem ihrer Blitze aufzuhalten, doch dieser reichte nicht weit genug und traf ins Leere. Als der kleine Gegenstand den Boden berührte, explodierte dieser in einer Rauchwolke und blaugrüner Nebel breitete sich zwischen den Kämpfenden aus. Panik ergriff sie, als sie erkannte, was dieser Rauch sein musste. Ein Betäubungsmittel, wie es sicher auch beim Angriff auf ihr Zuhause benutzt worden war. Oder das gleiche Gas, das ihr Gedächtnis ausgelöscht hatte. Sie wollte nicht zulassen, dass noch einmal jemand sein Leben vergaß oder in die Gefangenschaft des Taishō geriet. Weshalb sie sich verzweifelt weiter voran kämpfte und dem Chemiker, der für all das verantwortlich war, schließlich gegenüber stand. „Schluss damit!“, rief sie, als sie ihren Staub auf die Hand des Chemikers schlug, der erneut nach einer seiner kleinen Bomben greifen wollte. Überrascht fuhr dieser herum und griff nach einem kleinen Messer, dass er in seinem Obi trug. Noch während er sich umdrehte versuchte er sie mit der Klinge zu treffen, doch Kasumi sprang gerade noch rechtzeitig zurück. „Ganz schön mutig für eine Frau, mich bei der Arbeit zu stören.“, zischte der Mann abfällig. Kasumi griff ihren Stab fester und versuchte das Messer aus der Hand des Mannes zu schlagen, nur zog dieser seine Hand schnell genug zurück um dem Angriff auszuweichen. „Ich kann nicht erlauben, dass ihr weitere Leben zerstört. Deshalb werde ich euch aufhalten.“, antwortete Kasumi entschlossen. Ihre Worte ließen den Mann auflachen. „Macht euch nicht Lächerlich. Niemals wird mich eine Frau aufhalten können!“ Der Mann duckte sich unter einer weiteren Attacke des Stabs hindurch und hob seine Klinge. Bereit sie in Kasumis Herz zu stoßen. Es war ihr Fehler gewesen, ihn zu nah an sich heran gelassen zu haben und einen Angriff auszuführen, bei dem es zu lange dauern würde den Stab wieder in eine verteidigende Position zu bringen. So als hätte sie keine einzige Lektion ihres Mannes jemals verstanden, war Kasumi wie ein Amateur auf ihn losgestürmt. Hatte sich von ihrem Emotionen verführen lassen und unbedacht gehandelt. Kasumi riss ihren Stab herum. Auch wenn sie bereits sehen konnte, wie die Klinge sie treffen würde. Doch sie würde alles versuchen um das zu verhindern, also schickte sie Energie in ihren Stab und hoffte auf ein Wunder. In dem Moment, in dem das Messer durch den Stoff ihres Kimonos drang, wurde Kasumi von weißem Licht umhüllt und im nächsten Augenblick explodierte die Energie an der Stelle, an der sie mit der Klinge in Berührung kam. Von der Druckwelle zurückgeschleudert, prallte der Mann gegen seinen Chemiewagen und auch Kasumi wurde von der Wucht dieser Energie erfasst und zurückgestoßen. Völlig überrascht verlor sie das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Als sie aufkam schoss unsagbarer Schmerz von ihrem unteren Rücken durch ihren Körper und ihr wurde schwarz vor Augen. Sie biss die Zähne zusammen und ließ keinen Laut über ihre Lippen dringen. Nur der Griff um ihren Stab wurde so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Doch das musste warten. Jetzt musste sie erst einmal diesen Mann erledigen. „Kasumi!“ Noch bevor sie überhaupt versuchen konnte wieder auf die Beine zu kommen, eilte Benjiro an ihre Seite und stellte sich schützend vor sie. „Benjiro…“, hauchte Kasumi atemlos. Der Schmerz machte es ihr unmöglich noch mehr zu sagen und sie ließ eine Hand auf ihren Bauch gleiten um zu prüfen, dass es ihrem Kind noch gut ging. Tief in ihrem Hinterkopf wusste sie, dass ein Sturz in ihrem fortgeschrittenen Zustand tödlich enden konnte, doch sie wollte diesen Gedanken nicht zu viel Raum lassen. Sie würden das hier überleben und dann würden sie in Frieden glücklich leben können. „Wie kannst du es nur wagen meine Imōto-san anzurühren, du Bastard?!“, fauchte Benjiro. Er nahm eine Angriffsposition ein und noch bevor der Chemiker wusste was ihm geschah, stürmte Benjiro los. Kasumi konzentrierte sich darauf wieder auf die Beine zu kommen. Was alles andere als leicht war. Ihre Knie zitterten und ihr gesamter Körper sträubte sich dagegen weiter beansprucht zu werden. Doch darauf konnte sie keine Rücksicht nehmen. Auf ihren Stab gestützt, richtete sie sich schließlich auf. Gerade als Benjiro wieder vor sie trat. Als sich ihre Blicke trafen, schien die Welt einen Moment stillzustehen. Alle möglichen Gefühle leuchteten in Benjiros Augen auf und Kasumi konnte in ihnen lesen wie in einem offenen Buch. Ohne etwas zu sagen breitete er alles vor ihr aus, bis sich ein sanftes Lächeln auf ihre Lippen legte. Beim Anblick dieses Lächelns weiteten sich Benjiros Augen und im nächsten Moment verneigte er sich tief vor ihr. „Es tut mir Leid, Kasumi! Ich… ich war schwach und habe gezweifelt… Ich weiß, das ist unverzeihlich und-“ Bei seinen gebrochenen Worten wurde Kasumis Lächeln noch etwas breiter und sie legte ihm eine Hand auf die Schulter um ihn zu unterbrechen. „Du musst dich nicht rechtfertigen, Nii-san. Alles ist gut… Ich habe immer an dich geglaubt. Und ich bin froh, dass du wieder hier bist.“ Kasumi spürte unter ihrer Handfläche den Schauder, der Benjiro überlief. Und als er sich überrascht erhob, glaubte sie den Schimmer von Tränen in seinen Augen zu erkennen. Ungläubig starrte er sie an, doch Kasumis aufmunterndes Lächeln ließ nicht nach. „Lass uns zusammen diesen Alptraum beenden, Ja?“ Benjiro starrte sie immer noch an. Scheinbar unfähig etwas zu sagen, nickte er schließlich und legte eine Hand an das Heft seines Katanas. „Ja.“, antwortete er schließlich und stürzte sich nach einem letzten Nicken zurück in den Kampf. Kasumi sah ihm hinterher, bis er sich in der Menge verlor. Ihre Worte schienen ihm neue Kraft verliehen zu haben, denn ihr Bruder kämpfte jetzt wie der Wolf der er war und mähte alles nieder, was ihm die Quere kam. Kasumi wollte sich ein Beispiel an ihm nehmen und den Kampf ebenfalls wieder aufnehmen. Da drang das wütende Knurren ihres Ehemannes an ihr Ohr und sie fuhr herum. Der Anblick der sich ihr dabei bot sorgte dafür, dass unzählige Bilder, Gesprächsfetzen und Gefühle auf sie einstürmten. Wie ein Sturzbach nach einem heftigen Gewitter sprudelten die Erinnerungen in Kasumi hoch. Erinnerungen an ein Leben, das sie an der Seite ihres Ehemannes geführt hatte. Kapitel 32: Ein Licht in der Finsternis --------------------------------------- Es war wie ein Déjà-vu, als Rin den Blick über den Vorhof des Palastes gleiten ließ, bis sie schließlich ihren Ehemann ausfindig gemacht hatte. Sesshōmaru war gefangen im Nebel des Betäubungsmittels und umzingelt von unzähligen Soldaten, die ihre Feuerwaffen auf ihn gerichtet hatten. Blut aus mehreren Schusswunden tränkte seine Kleidung und den Boden zu seinen Füßen. Es kam ihr so vor, als würden ihn diese Wunden stärker zusetzen als es gewöhnliche Wunden taten. Was jedoch nicht verwunderlich war, sollte ihre Vermutung stimmen. Seit Rin die alte Kugel in Fuyus Laden gefunden hatte, dachte sie darüber nach. Die Kokuryū benutzten mit Sicherheit Kugeln, die mit einer dünnen Schicht Midori Yakubarai überzogen waren. Den Steinen, die auch in Sesshōmarus Gefängnis angebracht gewesen waren und eine unsagbare Gefahr für jeden Yōkai darstellten. Sesshōmarus aktueller Zustand schien das zu bestätigen. Die Soldaten setzten zu einem neuen Schuss an und Rin stand viel zu weit entfernt, um ihrem Ehemann helfen zu können. Ihren Stab in Händen lief sie bis ans Ende er obersten Terrassenebene und schlug dort ihren Stab auf den Boden. Sie war sich nicht sicher, ob sie die Distanz überbrücken konnte, doch sie würde nicht hilflos zusehen, wie diese Soldaten ihren Ehemann verletzten. Noch unentdeckt, konzentrierte sie all ihre Macht in den Stab und schickte einen Blitz los, der die Männer, die Sesshōmaru am nächsten standen, ausschalteten. Über die Kämpfenden hinweg suchte Sesshōmaru ihren Blick und ihr Herz setzte einen Schlag aus. „Sesshōmaru…“, hauchte sie ehrfürchtig und endlich erkennend. So als hätte er dieses Flüstern über die Menge hinweg vernommen, knurrte Sesshōmaru entschlossen auf und griff das Heft seines Katanas fester. Er gab sein Bestes, um das hier zu beenden und zurück an Rins Seite zu gelangen. Das wusste sie und sie würde genau das Gleiche tun. Auch wenn sich die Ereignisse zu wiederholen schienen, diesmal würden Rin kämpfen. Diesmal würde sie nicht fliehen. Die Soldaten, die zwischen ihnen standen, wandten ihre Aufmerksamkeit jetzt ebenfalls auf Rin. Einige lösten sich aus der Gruppe und stürmten auf sie zu. Doch das war ihr gleich. Sie wollte Sesshōmaru um jeden Preis beschützen. Erneut schlug sie ihren Stab auf den Boden und traf damit weitere Männer des Taishō. Doch es reichte nicht aus um sie soweit zu reduzieren, dass Sesshōmaru sie allein besiegen könnte. Deshalb griff sie immer und immer wieder an, bis ihr Atem flach ging und sie sich auf ihren Stab stützen musste um nicht in die Knie zu gehen. Lieber würde sie sterben, als Sesshōmaru noch einmal zu verlieren. Also kämpfte sie weiter. Wehrte Reihen um Reihen von Soldaten ab und versuchte irgendwie genügend Raum für ihren Ehemann zu schaffen, damit dieser den Rest erledigen konnte. Den Rücken gedeckt von Benjiro und Isami und ihren Leuten gelang ihr das eine Zeit lang recht gut, doch plötzlich schoss dieser unbeschreiblicher Schmerz erneut durch ihren Körper. So heftig, dass sie einen Schrei nicht unterdrücken konnte. Es fühlte sich an, als wäre sie von einem glühenden Katana aufgespießt worden. Von ihrem unteren Rücken schoss der Schmerz in ihren Unterleib und sie klammerte sich an ihren Stab, um nicht zu fallen. „Imōto-san!“, schrie Benjiro. Er konnte jedoch nicht an ihre Seite eilen, da er eine neue Welle an Soldaten auf Abstand halten musste. „Schon… okay.“, erwiderte Rin atemlos. Für einen Moment musste sie die Augen schließen und sich ganz auf ihre Atmung konzentrieren, um nicht das Bewusstsein zu verlieren. Dieser Schmerz verhieß nichts Gutes. Genau so wenig, wie das Gefühl von warmer Flüssigkeit, die ihre Beine hinunter floss. Unwillkürlich legte sie eine Hand auf ihren gewölbten Leib und betete zu jedem, der ihr zuhören würde um Kraft und noch etwas Zeit. Sie konnte noch nicht aufgeben. „Benjiro. Ich will das ihr alle von hier verschwindet… sollte es nicht gut enden.“, wies Rin ihren Bruder an. „Was redest du denn da?“, fauchte dieser sofort zurück. Aufgeben. Fliehen. Das waren Dinge, die er niemals in Betracht ziehen würde. Keiner ihrer Brüder. Nicht noch einmal. Trotzdem musste Rin das von ihnen Verlangen. Erneut. Sie ließ ihren Blick über die drei Terrassenebenen des Palastes wandern und über all die Freunde, die hier für sie standen und kämpften. Isami mit ihrer Yōkai Armee. Terumoto mit seinen Reitern. Die Yōkai aus dem Waldversteck. Tetsuo und Reiji, mit den übrigen Soldaten des Palastes. Jiyū und alle kampffähigen Bewohner ihres Palastes. Und natürlich ihre Brüder. Wenn sie sah, wer hier alles an ihrer Seite kämpfte, dann konnte sie es immer noch nicht glauben. Es war ihr ein Rätsel, wie sie es geschafft hatte, all diese Leute für sich zu gewinnen, doch es war ihr eine Ehre, dass sie auf ihren Ruf geantwortet hatten. Wie also konnte Rin sie da im Stich lassen? „Isami, Terumoto und die Anderen brauchen jemanden, der sie führen und beschützen kann. Keiner ist dafür besser geeignet als meine drei Brüder. Also bitte! Versprich mir, dass ihr sie rettet, falls es mir nicht möglich ist.“, erklärte sie ruhig. Benjiro streckte gerade den letzten Soldaten nieder, bevor er zu Rin herum wirbelte. „Verlang das nicht von uns!“ Die Tränen in seinen Augen schnürten Rin die Kehle zu. Am ganzen Leib zitternd trat sie auf Benjiro zu und legte ihm eine Hand an die Wange. Seine Augen wurden groß, als sein Blick auf etwas direkt hinter ihr auf dem Boden fiel. „Imōto-san?“ Seine Stimme bebte und Rin wusste nur zu genau, was er sah. Der Strom an Blut, welcher unaufhörlich über die Innenseite ihrer Beine floss, hatte nicht nachgelassen und ihr Kind war so furchtbar still geworden. Sie spürte es nur zu deutlich. Die Finger des Todes, die nach ihnen beiden Griffen. „Ich liebe euch, wie meine echten Brüder, Nii-san.“, sagte Rin, bevor sie Benjiros Kopf zu sich zog und einen Kuss auf seine Stirn hauchte. Danach wand sie sich ab und trat zurück an den Rand der obersten Terrasse. Die Soldaten setzten Sesshōmaru wieder mehr zu und hatten den Kreis um ihn herum drastisch verkleinert. Die Kombination aus dem Gas und den Kugeln, die er bereits abbekommen hatte, taten ihm nicht gut. Schlimmstenfalls würde er hier, zusammen mit ihr, sein Ende finden. Doch Rin wollte dass er lebte. Sie alle sollten Leben. Noch einmal griff sie ihren Stab mit beiden Händen und atmete tief ein. Sie hob ihn weit über ihren Kopf und das Sonnenlicht, das sich darin brach, musste Sesshōmarus Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben, denn sein Blick schoss augenblicklich zu ihr. Mit Tränen in die Augen, aber einem breiten Lächeln, sah sie ihren geliebten Ehemann an und für den Bruchteil einer Sekunde war es, als bestünde keine Distanz zwischen ihnen. Zum ersten Mal, seit sie sich beim Angriff auf ihren Palast getrennt hatten, standen sie sich wieder gegenüber. So wie es sein sollte. Sesshōmaru in seiner menschenähnlichen Gestalt und Rin mit ihrer vollen Erinnerung. In einem vollständig friedlichen Moment. Das machte sie so Glücklich, dass ihr die Tränen überliefen. „Ich liebe dich.“, hauchte sie, bevor sie ihren Stab mit aller Gewalt auf den Boden schlug. Sesshōmaru streckte ihr eine Hand entgegen und rief etwas, doch sie hörte ihn schon nicht mehr.   ‘Dem menschlichen Körper sind Grenzen gesetzt. Vor allem was den Gebrauch von Magie angeht. Wir können diese Grenzen zwar ein kleines Stück weit dehnen und strecken. Langsam können wir so dass uns mögliche erweitern. Doch es gibt einen Punkt, über den wir nicht hinaus kommen. Einen Punkt, an dem uns die Magie verschlingt, wenn wir ihn erreichen.‘ Kaede hatte das sehr früh in ihrer Ausbildung zu ihr gesagt und die Ernsthaftigkeit und der Nachdruck in ihrer Stimme hatten dafür gesorgt, dass Rin diese Worte niemals vergessen hatte. Ihr O-Mamori hatte ihre Grenzen um einiges erweitert, doch was sie jetzt vor hatte, würde selbst diese Grenzen sprengen. Alle Magie, die ihr noch zur Verfügung stand. Alles, was sie aus ihrer Umgebung bündeln konnte. Selbst die Magie ihrer Freunde. Alles saugte sie in sich auf und kanalisierte sie in ihrem Stab. Und all diese Kraft entließ sie auf einmal, zusammen mit einem Schrei, der deutlich machte, dass sie nicht kampflos aufgeben würde. Schmerz schoss durch ihren Körper. Zerriss sie förmlich in zwei Teile, doch sie hielt sich an ihrem O-Mamori-Stab fest und ließ nicht los. Sie schrie und schrie und schickte gleißendes Licht aus ihrem Stab, der den Platz überflutete. So hell, dass selbst die Unmengen an Blut zu ihren Füßen wie flüssiges Silber wirkten. Glühende Finger rissen an ihrem Kind, an ihrer Wirbelsäule, an jeder Faser ihres Körpers. Sie verbrannte und erfror gleichzeitig und als das Licht ihres O-Mamoris langsam verblasste spürte sie noch, wie ihr der Stab aus den Händen glitt. Vor dem Aufprall auf den Boden wurde bereits alles schwarz. Kapitel 33: Verlöschendes Licht ------------------------------- Babum, Babum… Babum…   Sesshōmaru hatte den Lärm des Kampfes vollständig ausgeschaltet. Für ihn gab es kein einziges Geräusch, außer das leise Schlagen dieses einen Herzens. Ein Schlagen, das immer schwächer wurde und Sesshōmaru dazu brachte, wütend zu knurren. Sein Blick ging durch die Massen der schwarzen Soldaten zu ihr. Rin. Die in ihrem eigenen Blut zusammengebrochen war. Er konnte es riechen. Über die Distanz und den ätzenden Nebel hinweg. Es war zu viel Blut und zu viel Magie, die aus dem winzigen Körper seiner Frau geströmt waren. Ihr Leben, das sie bereit war für ihn hinzugeben. Wie töricht von ihr. Von einer Sekunde zur anderen war der Schleier des Betäubungsmittels verfolgen und glühendes Rot senke sich auf sein gesamtes Blickfeld. Sein innerer Yōkai riss an seinen Ketten. Er tobte und brülle und entfesselte seine ganze Macht. Eine Macht, die all seine Verletzungen heilte und ihm seine Kraft zurück gab. Er gab sich dem Gefühl hin und war geneigt seinen Yōkai gewähren zu lassen. Er würde sich nicht in seine Dämonenform verwandeln, doch er war auch nicht mehr bereit seine Menschengestalt komplett beizubehalten. Seine Augen färbten sich Rot und seine Dämonenzeichnung veränderte sich in gezackte Linien. Seine Fänge und Klauen wurden länger und er griff Bakusaiga fester. Mit einem ohrenbetäubenden Brüllen griff er anschließend die Männer an, die ihn umzingelt hatten. Normalerweise konnte ihn nichts auf der Welt um seine Kontrolle bringen. Zumindest war das immer so gewesen. Doch dieses eine zerbrechliche Wesen hatte es geschafft. Irgendwie war sie unter seinen Panzer aus Eis gelangt und hatte sein Herz geschmolzen. Hatte es zum Schlagen und die Bestien in ihm zu ihrem Untertan gemacht. Weshalb er jeden töten würde, der versuchte ihm diesen Herzschlag wegzunehmen. Er würde nicht zulassen, dass jemand diesen Rhythmus zum Verstummen brachte. Außer sich vor Wut schwang er Bakusaiga und vernichtete alles, was er mit der Klinge erreichen konnte und darüber hinaus. Er wütete durch die Reihen der Soldaten. Spürte keinen Schmerz und keine Auswirkung des Nebels. Er ließ alles an sich abperlen um immer weiter zu kommen. Unaufhaltsam auf Rin zu. Es trennte ihn nur noch eine Terrassenebene von seiner Frau, als ein Reiter in schwarzer Rüstung seine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Der braune Hengst und das Yari in der rechten Hand des Kriegers ließen keinen Zweifel offen. Dieser Mann war der Anführer der Kokuryū und derjenige, der den Angriff auf seinen Palast angeführt hatte. Der Mann, der ihn über die letzten Monate hinweg in diesem Kellerverlies festgehalten und sein ganzes glückliches Leben zerstört hatte. Sesshōmaru fletschte seine Fänge. Hin und her gerissen, zwischen dem Drang seiner Frau zu helfen und seinem Instinkt diesen Bastard von seinem Pferd zu zerren und in kleine Teile zu zerstückeln, zögerte Sesshōmaru kurz. Die Entscheidung wurde ihm jedoch abgenommen. Denn dem Reiter näherte sich ein junger Mann, dessen lange, braune Haare vom Wind zurückgepeitscht wurden. Die eisblauen Augen zu schlitzen verzogen und das Katana hoch erhoben stürmte er mit seinem Schimmel auf den schwarzen Reiter zu. So schnell, dass die rote Kleidung des Mannes mit dem Silbergrau des Pferdes verschwamm und sie wie ein einziges, gigantisches Biest wirkten. „Onkel!“, schrie der Mann, den Sesshōmaru schon einmal gesehen hatte. Normalerweise gab er nichts auf Menschen und vergas deren bloße Existenz sobald sie sein Sichtfeld verlassen hatten, doch dieser Mann war einer von den Dreien gewesen, der sich beim Lichtbringerfest an Rins Seite befunden hatte. Eine Tatsache, der er noch auf den Grund gehen musste. Doch das musste warten. Der Braunhaarige erreichte den Anführer der Kokuryū und kreuzte die Klinge mit seinem Yari. Er war stark. Das sah Sesshōmaru sofort, doch der schwarze Drache hatte einiges mehr an Erfahrung zu bieten, weshalb er kein einfacher Gegner werden würde. Doch er konnte die zwei vorerst sich selbst überlassen. Der Kokuryū würde ihm nicht weglaufen, solange er beschäftigt war, weshalb sich Sesshōmaru zuerst um Rin kümmern konnte. Mit wenigen hieben von Bakusaiga war er zu Rin vorgedrungen und fand erneut einen der Männer, der sie auf dem Fest begleitet hatte. Der silberhaarige Ōkami-Yōkai kniete auf dem Boden und hielt Rins Kopf in seinem Schoß. Sein Katana gezogen, um jeden möglichen Angreifer sofort zur Strecke zu bringen, kauerte er über ihr und fauchte Sesshōmaru warnend an, als dieser sich näherte. Überrascht von diesem Anblick blieb Sesshōmaru stehen und musterte den Mann. Es war mutig von ihm, seine Frau so zu halten. Aber vielleicht war es auch nur seine jugendliche Unerfahrenheit. Doch egal was es war, Sesshōmaru würde nicht erlauben, dass jemand seine Frau so berührte. Die scharfe Spitze von Bakusaiga auf die Kehle des Yōkai gerichtet knurrte Sesshōmaru: „Nimm auf der Stelle deine dreckigen Finger von ihr!“ Langsam hob der Wolf den Kopf und begegnete Sesshōmarus Blick. Sein eigenes Katana hob er an Bakusaigas Klinge und schob diese einige Millimeter zur Seite. Das kostete ihn jedoch all seine Kraft und bald begann die Hand, die sein Katana führte, zu zittern. „Du hast mir gar nichts zu befehlen! Hättest du sie von Anfang an vernünftig beschützt, hätte meine Imōto-san niemals ihr eigenes Leben riskieren müssen!“, knurrte er wütend. Schwester. Er hatte Rin seine Schwester genannt. Diese Erkenntnis besänftigte etwas tief in Sesshōmaru. Doch gleichzeitig fachten die Worte des Ōkami-Yōkai ein neues Feuer in ihm an. Sein griff um Bakusaiga wurde fester und er schob die Klinge wieder näher an den Hals des Wolfs. Die Wahrheit in den Worten des Wolfes war Sesshōmaru nur zu deutlich bewusst. Wie so oft waren es seine Fehler gewesen, die Rin in Gefahr gebracht hatten. Und wieder hatte Rin alles gegeben, um an seine Seite zurückzukehren. Nur ein Narr würde das nicht erkennen. Doch selbstgefällig wie er war, hatte er erwartet alles allein regeln zu können. Vielleicht war es genau diese Eigenschaft, die ihn zum schwächeren Part in dieser Beziehung machte. Doch das würde er nur vor Rin allein zugeben. Niemals vor diesem halbwüchsigen Wölfchen. Sein Schweigen traf offensichtlich einen Nerv bei dem Ōkami-Yōkai, denn dieser legte Kasumis Kopf vorsichtig auf den Boden und sprang anschließend auf. „Hast du nichts dazu zu sagen? Zu dem Leid, dass du ihr beigebracht hast? Dem Schmerz und der Einsamkeit? Weil du Schwach warst und dich hast gefangen nehmen lassen, während sie ganz allein war. Eine schwangere Frau zurückgelassen in den Wäldern. Wie Arrogant kann man eigentlich sein? Was hast du dir nur dabei gedacht!“, schrie er aufgebracht. Sesshōmaru blinzelte irritiert. Dieser Ōkami-Yōkai liebte Rin. Das war kaum zu leugnen und eigentlich sollte es ihn nicht wundern. Jeder, der seiner Frau ergeben war, liebte sie auf eine gewisse Art und Weise. Das war ihrem Charakter geschuldet. Diesem Herz aus Gold, dem jeder verfiel, der einen kurzen Blick darauf erhaschen konnte. Und doch ging das Gefühl dieses Yōkai über die übliche Bewunderung hinaus. Er liebte sie wirklich und wahrhaftig und würde sie wohl nur herausgeben, wenn er ihn als würdig ansah. Was gerade ganz offensichtlich nicht der Fall war. Sesshōmaru war jedoch bereit die Herausforderung anzunehmen. Er veränderte den Griff um Bakusaiga und parierte einen Angriff des Wolfes. Und den nächsten und den nächsten. Dabei ließ er sich immer weiter zurückdrängen. Absichtlich, denn für einen Gegenangriff mit Bakusaiga braucht er etwas Raum zwischen sich und Rin. Nur noch ein bisschen und er könnte diesem Yōkai eine Lektion erteilen. Sesshōmaru trat einen weiteren Schritt zurück und wollte diese Energie umwandeln und in seinen Angriff fließen lassen, als das stetige Geräusch, auf das er die ganze Zeit über gelauscht hatte, verstummte. Der Wolf gefror im selben Moment wie Sesshōmaru mitten in der Bewegung und beide fuhren sie zu Rin herum. „Was macht ihr denn?“ Die entsetzte Stimme eines weiteren Mannes drang an ihre Ohren und holte beide aus ihrer Schreckstarre. Es war der rothaarige Mann, der Rin auf diesem Fest festgehalten hatte. Um sie zu beschützen und notfalls mit ihr zu fliehen. So wie die beiden anderen Männer auch. Sie waren eine Art Familie geworden. Das begriff Sesshōmaru in diesem Moment, als der Dritte auf sie zu gerannt kam. Denn den Ausdruck in seinen Augen kannte er nur zu gut von sich selbst. Er sah so aus, wie er sich gefühlt hatte, als ihr Palast überfallen worden war. Überrumpelt und völlig machtlos die wertvollste Person in seiner kleinen Welt zu beschützen. Sesshōmaru war der Erste, der sich bewegte und an Rins Seite eilte. Er zog sie in seine Arme und presste seine Stirn an ihre. „Rin…“, hauchte er und strich ihr übers Haar. Sie fühlte sich so kalt in seinen Armen an, dass er sie noch fester an sich presste. Seine Augen brannten und am liebsten hätte er aufgeheult vor Schmerz, doch er wollte nicht zu laut sein. Seine ganze Konzentration lag auf diesem kleinen Geräusch, das nicht kam. „Bitte, gib jetzt noch nicht auf. Kämpfe! Auch wenn ich der Letzte bin, der das von dir verlangen darf.“ Er flehte. Er würde sogar beten, wenn das etwas helfen würde. Er würde alles tun. Alles um Rins Leben zu retten. Denn so durfte das hier einfach nicht enden. „Bitte…“   „Kazuma!“ Nur am Rande hörte Sesshōmaru die Menschen um sich herum. Die zwei Männer, zu denen jetzt noch eine junge Frau gestoßen war. „Ka- Kannst du noch etwas tun, Fuyu?“ Der Rothaarige weinte. Sesshōmaru hörte das heraus und bewunderte ihn ein klein wenig dafür. Er selbst war nie für Tränen gemacht worden. Weshalb auch jetzt keine über seine Wangen ran. „Ich weiß es nicht. Ich müsste sie erst einmal sehen.“ Sie konnten es nicht hören. Die Wahrheit, die sich langsam und eiskalt in Sesshōmaru ausbreitete. Die Wahrheit über diese Stille, die sich so unendlich lange hinzog und anscheinend niemals wieder ein Ende finden würde. Der Rothaarige näherte sich langsam, doch das konnte Sesshōmaru nicht zulassen. Niemals würde irgendjemand in Rins Nähe kommen. Wütend fauchte er auf und fletschte die Fänge gegen den Eindringling. Dieser wich auf der Stelle zurück und eine Frau mit langen türkisblauen Haaren eilte an seine Seite und legte ihre Hände auf seinen Arm, wie um ihn zurückzuhalten. Fuyu. „Lass mich mal versuchen.“, sagte sie und löste sich von dem Rothaarigen. Langsam, in klitzekleinen Schritten kam sie auf Sesshōmaru zu. Zu keiner Sekunde ließ er sie aus den Augen, doch er erlaubte ihr, einen Schritt näher zu kommen als dem Mann. Erst dann fauchte er erneut und zog Rin näher an sich. Doch Fuyu wich nicht zurück. Stattdessen ging sie in die Hocke und streckte langsam ihren Arm aus. „Ich weiß dass sie schwer verletzt ist. Aber lass sie mich einmal ansehen. Du kennst mich. Vielleicht kann ich ihr noch helfen.“ Ihre Stimme war sanft. So leise wie das flüstern des Windes, der durch einen Laubbaum streicht. Ja, er kannte sie. Sie war es gewesen, die ihn nach seiner Flucht aus diesem Kerker gefunden und geheilt hatte. Wenn er sie näher betrachtete fiel es ihm wieder ein. Sie war eine Frau, die genau so sehr der Heilung anderer verfallen war wie seine Frau. Ganz langsam lockerte Sesshōmaru den Griff um Rin und erlaubte Fuyu näher zu kommen. Irgendwo im Hintergrund hörte er wie ein Katana halb aus seiner Scheide gezogen wurde. Sicher der Wolf, der viel zu nervös war. Doch Sesshōmaru ignorierte ihn einfach. Seine Aufmerksamkeit lag auf Fuyu, die neben ihn trat und vorsichtig begann Rins Körper abzutasten. Ihre Suche nach einem Puls blieb jedoch ergebnislos und ihre Augen weiteten sich leicht vor Entsetzen. Sie hatte es versucht. Aber diesmal gab es keine Hintertür. Kein wiederbelebendes Schwert und keine magische Kette. Rins Leben war zweimal unnatürlich verlängert worden. Vielleicht war es jetzt an der Zeit damit abzuschließen. Wenn es nur nicht so schrecklich schmerzen würde!   „Lord Sesshōmaru!“ Die atemlose Stimme eines Mannes drang an Sesshōmarus Ohr. Zuerst konnte er sie nicht einordnen. Es war ihm auch ziemlich egal, wer jetzt etwas von ihm wollte. Doch als der Mann neben ihm stehen blieb sah Sesshōmaru mit einem warnenden Zähne fletschen auf. Als er den Mann erkannte, entspannten sich seine Gesichtszüge etwas. „Ich bin so schnell gekommen wie ich nur konnte. Bitte verzeiht mir, aber ich würde Lady Rin gerne helfen!“ Es dauerte einen Moment, bis Sesshōmaru die Bedeutung dieser Worte begriff. Die Welt hatte ihm seine geliebte Frau entrissen, doch der Himmel selbst war erschienen, um sein Bestes zu geben sie zurück zu holen. Aber als Yōkai wusste er nicht, ob er diesem zu guten Angebot trauen konnte. „Bitte. Es zählt wirklich jeder Augenblick! Gebt sie mir, Lord Sesshōmaru.“ Als würde er sich selbst von außen betrachten, sah Sesshōmaru dabei zu, wie der Kami seine Frau aus seinen Armen nahm. Er ließ einen prüfenden Blick über ihren geschundenen Körper wandern, bevor er die Frau an seiner Seite ansah. „Ihr kennt euch mit der Heilung aus?“ Fuyu nickte sofort. „Das tue ich.“, erwiderte sie ohne zu zögern. „Gut. Ich kann jede Hilfe gebrauchen, die ich bekommen kann. Wir brauchen einen geeigneten Raum und dann retten wir das Leben von Lady Rin!“ Wieder nickte Fuyu, bevor sie sich an die zwei Männer hinter sich wand. Auch diese nickten und machten sich sofort daran einen Weg durch die Soldaten für die Zwei zu schlagen.   Sesshōmaru, der als Einziger zurückgeblieben war, kniete immer noch vor der Blutlache seiner Frau. In dem Moment, als Rins Herz stehen geblieben war, war etwas in seinem Inneren zersprungen. Er war hier her gekommen um sie zu retten, nicht um sie an diesem Ort zu verlieren! Heißer Zorn entflammte in ihm, beim Gedanken an die Männer, die ihm das Wertvollste auf der Welt zu nehmen versuchten. Er würde Rin hier rausholen, auch wenn er ihn sein eigenes Leben kosten würde. Das war alles, woran er denken konnte, als er sich erhob. Rin. Wie sie immer lächelte, wie sie ihm immer wieder ihre Hand reichte um ihn zu einem bessern Mann zu machen. Und wie sie immer um ihn kämpfte und ihn nicht gehen ließ. Sie war so viel besser als er. Hatte so viel für ihn getan. Alles was er jetzt für sie tun konnte, war nicht aufzugeben. Und in diesem Moment begann sein Gift aus seinem Körper auszuströmen und wie Nebel um ihn herum zu wabern. Einen Moment bestaunte Sesshōmaru dieses Phänomen. Er hatte nicht gewusst, dass er so etwas konnte, doch damit würde er noch mehr dieser wertlosen Menschen vernichten können und das würde er nur zu gerne tun. Mit einem gebrüllten Schrei stürzte er sich wieder in den Kampf. Er würde erst zufrieden sein, wenn niemand mehr auf diesem Vorhof stand. Kapitel 34: Ein göttlicher Zauber --------------------------------- Von seiner Position, an einer der Außenmauern, aus hatte Kazuma gesehen, wie Kasumi zusammengebrochen war. In diesem Moment war seine Welt kurz stehen geblieben. Die Magie, die aus ihr herausgeströmt war, hatte er bis zu sich gespürt. Sie war so stark gewesen. Nichts im Vergleich zu dem, was sie bisher hatte bewirken können. Und als die Welt um ihn herum wieder begonnen hatte sich zu bewegen, hatte er gewusst, dass Kasumi ihre Erinnerungen wiedererlangt hatte. Noch ein Grund, weshalb er seiner Schwester unbedingt zu Hilfe eilen musste. Sie konnte unmöglich gehen, bevor sie nicht wieder an der Seite ihres Ehemannes war. Kazuma sah sich in den Reihen der Verletzten nach Fuyu um. Sie war gerade dabei einen von Isamis Yōkai Kriegern die Schulter zu verbinden. Der menschenähnliche Mann mit seinen Hörnern auf dem Kopf musste ein Oni oder etwas in die Richtung sein. Sie hatte ihre Arbeit gerade beendet, als Kazuma sie erreichte. „Fuyu! Du musst mit mir kommen. Kasumi braucht uns.“, erklärte er sich, während er schon ihre Hand ergriff. Sie zögerte keine Sekunde. Sie drückte seine Hand und folgte ihm. Der direkte Weg zu Kasumi führte mitten durch das Schlachtfeld. Doch Fuyu wusste nicht wie man kämpfte und Kazuma würde sie mit seinen Wurfmessern und seinem kurzen Wakizashi allein nicht schützen können. Deshalb musste er eine Route entlang der Außenmauer wählen, bis er die Reihen ihrer Verbündeten erreichte um von dort an Kasumis Seite zu gelangen. Das dauerte jedoch um einiges Länger und als er Kasumi erreichte, standen sich gerade Benjiro und ein Yōkai im Kampf gegenüber. Direkt neben Kasumi kreuzten sie ihre Klingen und Kazuma brauchte einen Moment um zu begreifen. Er hatte den Yōkai noch nie gesehen, doch er erkannte den blauvioletten Halbmond auf seiner Stirn. Diesen hatte er bereits bei dem großen Inu-Daiyōkai gesehen, dem sie auf dem Lichtbringerfest begegnet waren. Benjiro kämpfte hier mit Kasumis Ehemann, während sie hilflos zusammengebrochen war. „Was macht ihr denn?“, schrie er entsetzt, als er die Drei erreichte. Bei seinen Worten schienen beide aus einer Art Schreckstarre gerissen zu werden. Doch anstatt auf ihn zu reagieren stürzte Kasumis Ehemann an ihre Seite und zog sie an sich. Während Benjiros Katana aus seiner Hand glitt und mit einem Klirren zu Boden fiel. Fassungslos starrte er auf Kasumi und Kazuma eilte an seine Seite. Er hörte, wie Kasumis Ehemann Worte vor sich hin murmelte, konnte sie aber nicht verstehen. Doch was er verstand, war das Entsetzen, auf dem Gesicht seines Bruders. Und als Benjiro ihn ansah, wusste er es. „Kazuma!“ Kazuma spürte Fuyus Hand in seiner. Wie sie ihn fester drückte und auch ihre zweite Hand dazu nahm. Er spürte diese kalte Gewissheit, die von seinem Nacken in seinen Körper kroch und ihn zum Zittern brachte. Eine Gewissheit, die Kazuma nicht wahr haben wollte. „Ka- Kannst du noch etwas tun, Fuyu?“ Seine Stimme zitterte und Tränen, derer er sich nicht bewusst war, erstickten seine Stimme. Er durfte einfach nicht zu spät sein. Das durfte einfach nicht passieren. Wofür hatten sie denn all diese Menschen und Yōkai her gerufen, wenn Kasumi nicht mehr sehen konnte, wie das alles ausging? „Ich weiß es nicht. Ich müsste sie erst einmal sehen.“, sagte Fuyu leise und löste sich dann von Kazuma. Das wollte er auch. Sie sehen. Aus der Nähe. Weshalb er einen Schritt auf Kasumi zu machte. Doch fast sofort riss ihr Ehemann seinen Kopf hoch und fletschte seine unnatürlich langen Fänge in einem Fauchen. Seine Augen rubinrot, die Streifen auf seinen Wangen in gezackten Linien verzogen. Kazuma trat augenblicklich zurück und Fuyu war wieder an seiner Seite und gab ihm mit einer Geste zu verstehen, dass sie es allein tun würde. „Lass mich mal versuchen.“ Kazuma wollte sie aufhalten. Wenn sie nicht aufpasste, würd der Yōkai sie zerfleischen. Doch sie war bereits auf dem Weg. In winzigen Schritten näherte sie sich Kasumi und ihrem Ehemann und wich nicht zurück, als der Yōkai erneut begann zu fauchen. Im Gegenteil. Sie ging in die Hocke und streckte eine Hand nach den Beiden aus. „Ich weiß dass sie schwer verletzt ist. Aber lass sie mich einmal ansehen. Du kennst mich. Vielleicht kann ich ihr noch helfen.“ Sie sprach leise, ruhig, sanft. Es war Balsam für die Seele und anscheinend beruhigte sie auch den Yōkai vor sich damit. Denn er lockerte seinen Griff um Kasumi und bot Fuyu somit die Chance sie untersuchen zu können. Kazuma wusste, wie Fuyu arbeitete und als sie nach wenigen Sekunden wieder aufsah musste sie nichts mehr sagen. Er wusste es. Diese kalte Gewissheit wurde zur Wahrheit, die Kazuma nicht akzeptieren konnte. Nicht akzeptieren wollte. Alles, was er vorhergesehen hatte, hatte sich bewahrheitet. Wie sehr er auch versucht hatte das Schicksal zu verändern. Es war ihm nicht gelungen. Keine seiner Entscheidungen hatte das Ergebnis beeinflusst. Wie damals, als er alle verloren hatte, die er geliebt hatte. Unbändiges Zittern ergriff von Kazuma besitz, als ihm klar wurde, dass er absolut nichts hatte ausrichten können. Wofür war seine Gabe gut, wenn er nichts ausrichten konnte? Wenn er diejenigen nicht schützen konnte, die ihm wichtig waren. Wollte sie ihn nur quälen, bis er es nicht mehr aushielt? Wäre er damals nur mitsamt seinem Dorf ausgelöscht worden. Dann hätte er nicht erneut diesen Verlust erleiden müssen! Kazumas Hand umschloss das Heft seines Wakizashi fest. Bereit es zu ziehen, nur um dieser dumpfen Verzweiflung Luft zu machen. Als eine weitere Person erschien. „Lord Sesshōmaru!“ Ein junger Mann in Mönchskleidung eilte an Kasumis Seite. Die langen, schwarzen Haare zu einem hohen Zopf zusammengebunden. Seine dunklen Augen glitten über Kasumis Körper und goldene Sprenkel leuchten dabei auf, wie ein Feuerwerk am Nachthimmel. Es ging eine seltsame Aura von dem Mann aus, doch Kasumis Ehemann machte keine Anstalten den Mann zu verjagen. Er gehörte also irgendwie zu ihrer Familie. „Ich bin so schnell gekommen wie ich nur konnte. Bitte verzeiht mir, aber ich würde Lady Rin gerne helfen!“ Kazuma wechselte einen Blick mit Fuyu. Sie hatte die Grenzen des ihr möglichen erreicht. Und doch glaubte dieser Mann Kasumi helfen zu können. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Doch etwas Ähnliches musste auch der Yōkai denken, denn er rührte sich keinen Millimeter. „Bitte. Es zählt wirklich jeder Augenblick! Gebt sie mir, Lord Sesshōmaru.“ Nur langsam wich der Yōkai jetzt zurück und ließ zu, dass der Neuankömmling sie an sich nahm. „Ihr kennt euch mit der Heilung aus?“, wand er sich anschließend an Fuyu. Diese nickte sofort. „Das tue ich.“ „Gut. Ich kann jede Hilfe gebrauchen, die ich bekommen kann. Wir brauchen einen geeigneten Raum und dann retten wir das Leben von Lady Rin!“ Erneut nickte Fuyu, bevor sie sich noch einmal zu ihm umdrehte. Wie als wäre er aus einem schrecklichen Traum erwacht, stürmte neuer Kampfgeist auf Kazuma ein. Wenn sich dieser Mann sicher war, dass er Kasumi retten könnte, dann würde er verdammt sein, wenn er nicht alles tun würde, was er konnte um das Wirklichkeit werden zu lassen. Er zog sein Wakizashi und zusammen mit Benjiro schlugen sie sich einen Weg durch die Kämpfenden. Zurück zum Hauptgebäude des Palastes und daran vorbei, bis sie das Schlachtfeld hinter sich gelassen und in einem abgelegene Nebengebäude Unterschlupf gefunden hatten. „Wir brauchen saubere Tücher und Wasser.“, wies der Mann sie an, während er Kasumi auf eine Strohmatte legte. „Und zeigt mir alles aus eurer Tasche. Vielleicht kann ich davon etwas benutzen.“, fügte er zu Fuyu gewandt hinzu. Benjiro rannte aus dem Raum, auf der Suche nach Wasser, während Kazuma die Schränke öffnete und ein paar Stoffbahnen fand. Fuyu leerte in der Zeit die Tasche mit ihren Heilpflanzen und Salben auf den Boden und der Mönch, der offenbar keiner war, fischte sich einige Tiegel aus der Auswahl heraus. „Ihr müsst zurücktreten. Was als nächstes folgt darf unter gar keinen Umständen gestört werden. Verhaltet euch ruhig und bewegt euch nicht, dann könnt ihr bleiben.“, erklärte der Mann, gerade als Benjiro mit einer Karaffe voll Wasser zurückkehrte. Die Drei warfen sich einen Blick zu, bevor sie so weit wie möglich zurück traten und den Mann seine Arbeit machen ließen. Er goss das Wasser in eine Schüssel und streute einige von Fuyus Heilpflanzen hinein. Sowie einige Zutaten, die er aus seiner eigenen Tasche zog. Seine Gebetskette um seine rechte Hand gewickelt, sprach er einige Worte und berührte die Schüssel anschließend mit der Kette. Sofort breitete sich ein süßer Duft im Raum aus, der Kazumas Sinne zu vernebeln schien. Die Ränder seines Sichtfelds begannen zu verschwimmen und immer wieder musste er blinzeln, weil sich seine Sicht trübte, oder weil er glaubte den Mann leuchten zu sehen. Fuyu ergriff seine Hand. Sie zitterte, weshalb er ihre Hand mit seinen umschloss. Sie taten das sehr langsam, um den Mann nicht zu stören, doch er warf ihnen sofort einen scharfen Blick zu. „Jetzt kommt der schwierigste Teil. Ich empfehle euch die Augen zu schließen.“, flüsterte er, während er seine Ärmel zurückband. Kazuma sah, wie Benjiro und Fuyu den Anweisungen des Manns folgten. Er wollte es auch tun, doch er fürchtete, dass dann etwas schreckliches Geschehen würde. Der Mann musste sein Zögern gespürt haben, denn er sah noch einmal auf und die Sprenkel in seinen Augen gaben ihm ein Aussehen, als wäre er nicht von dieser Welt. Unbeschreibliche Ruhe überflutete Kazuma und spülte alle anderen Gefühle davon. Weshalb er letztlich doch seine Augen schließen konnte. Er würde vertrauen, dass alles wieder in Ordnung kommen konnte. Dass sie ihr Schicksal doch ändern konnten. Ein seltsam reißendes Geräusch veranlasste Kazuma dazu seine Augen wieder öffnen zu wollen. Doch er schaffte es nicht. Egal wie sehr er es versuchte, seine Augenlieder wollten ihm nicht mehr gehorchen. Genau so wenig wie der Rest seines Körpers. Er konnte nur still hier sitzen und sich nicht rühren, während dieses schreckliche Geräusch eine Gänsehaut über seinen Rücken jagte. Es klang, als würde er Kasumis Körper in zwei reißen und immer neue Stücke aus ihr heraus brechen. Als würde er sie teilen, um sie wieder neu zusammenzusetzen. Ein schrecklicher Gedanke, der nicht wahr sein konnte. Kein Wesen, das Kazuma kannte wäre zu so etwas im Stande. Zumindest nicht so, dass Kasumi am Ende wieder sie selbst sein würde. Es sein denn… Kapitel 35: Ein alter Freund und ein längst überfälliges Wiedersehen -------------------------------------------------------------------- Der Klang einer einzelnen, hellen Glocke drang durch das schwarze Nichts. Wie ein Lichtstrahl in der Finsternis wies sie einen Weg. Einen Weg aus dieser Kälte und Einsamkeit.   Das Erste, das Rin spürte war eine Hand, die ihre hielt. Sie war groß. Eine Männerhand. Aber es war nicht Sesshōmarus. Vorsichtig, da sie ihrem neugewonnenen Körpergefühl noch nicht traute, legte sie ihre Finger um die Hand. Fast sofort wurde der Griff fester und sie hörte ein erleichtertes Ausatmen. Hatte der Mann, der ihre Hand hielt etwas die ganze Zeit den Atem angehalten? War es so eine große Erleichterung, dass sie seine Hand drückte? Rin war sich nicht sicher. Mühsam zwang sie ihre Augenlieder dazu, sich zu öffnen. Sie wollte wissen, wer an ihrer Seite war. Wer diese Ruhe ausstrahlen konnte und selbst doch so beunruhigt schien. Es kostete sie einiges an Willen, doch schließlich flatterten ihre Lieder auf und sie erblickte ein bekanntes Gesicht. Fein gezeichnet, mit diesen strahlenden, unverwechselbaren Augen. „Yahata…“ Rin war sich nicht sicher, ob wirklich ein Laut über ihre Lippen gekommen war, doch so erleichtert wie Yahata aussah, hatte er sie gehört. Er umschloss ihre Hand auch mit seiner Zweiten und zog sie an seine Stirn. Mit einem glücklichen Lächeln schloss er seine Augen und drückte sich an ihre Finger. „Willkommen zurück, Rin.“, hauchte er hörbar beruhigter. Es war dieser Moment, in dem sich Rin wieder daran erinnert, was geschehen war. Wie sie auch den letzten Funken ihrer Magie aus ihrem Körper gezwungen hatte und damit auch den letzten Funken ihres Lebens. Sie erinnerte sich, wie sie gefallen war. Wie die Dunkelheit von ihr Besitz ergriffen hatte. Sie verschlungen hatte, wie der Höllenhund der Unterwelt. Sie hatte nicht damit gerechnet, noch einmal eine Chance zu bekommen. Und doch war sie jetzt hier. Am Leben. „Ich danke dir.“, flüsterte sie. Von sich aus hätte Rin niemals solch einen Gefallen gefordert. Hätte ihn nicht einmal danach gefragt. Sie hatte es nicht erwartet. Doch offenbar waren die Personen um sie herum nicht bereit sie so einfach gehen zu lassen. Sie konnte ihre Liebe spüren und diese Erkenntnis, ließ sie Lächeln. Doch mit diesem Gefühl fühlte sie noch etwas. Oder eher gesagt, nichts. Ihr Griff um Yahatas Hand wurde fester. „Mein Kind?“ Sie traute sich nicht weiter zu fragen, doch Yahata verstand auch so. Er löste seine Hände von ihr und schlug die dünne Decke zurück, die Rin bis zum Kinn ging. Und dort, an ihrer Seite, lag ein kleines Bündel. Ordentlich in ein Stück weichen Stoff gewickelt, lag ihr Kind. Rin wollte sich aufsetzen, wollte es in ihre Arme schließen, doch Yahata hielt sie zurück. „Du solltest noch nicht aufstehen. Dein Körper muss noch verarbeiten, was geschehen ist.“, erklärte er ihr und sie konnte die Warnung in seiner Stimme heraushören. Wenn sie es übertrieb, konnte es Folgen haben. Folgen, aus denen sie vielleicht nicht noch einmal gerettet werden konnte. Das war auch der Grund, weshalb Yahata ihr Kind nahm und es Rin in die Arme legte. „Es ist so winzig.“, stellte sie fasziniert fest. Sie strich das Tuch zur Seite um das Gesicht ihres Kindes sehen zu können. Wie ein kleiner Engel schlief es ruhig in ihren Armen. Als hätte es niemals etwas anderes getan. „Er ist zu früh zur Welt gekommen, doch er ist ein Kämpfer. Er wird es schaffen.“, erklärte Yahata mit einem stolzen Lächeln. „Ein Junge?“, fragte Rin ungläubig. Der Kleine sah so zerbrechlich aus, dass sie sich kaum vorstellen konnte, dass aus ihm einmal ein Mann werden würde. Ein wahrer Nachfolger für Sesshōmaru. Überglücklich drückte sie den Kleinen an sich und atmete seinen zauberhaften Geruch ein. „Tut mir Leid, mein kleiner Liebling. Ich habe viel von dir verlangt. Aber du hast das alles ganz großartig gemacht. Dein Vater wird sicher genau so stolz auf dich sein, wie ich es bin.“, flüsterte sie dem Kleinen zu und strich ihm über das Köpfchen. Dabei fiel ihr jedoch noch etwas anderes auf. „Er hat gar keine Hundeohren!“ Fragend sah sie zu Yahata auf. Rin hatte angenommen, dass ihre Kinder einmal wie Inu Yasha aussehen würden. Hanyos, die einmal im Monat ihre menschliche Seite zeigen und ansonsten in ihrer halben Yōkai Form verbleiben würden. Aber außer einem purpurroten Halbmond auf der Stirn, deutete nichts auf seine wahre Natur hin. „Die braucht er auch nicht.“, erklärte Yahata und schob das Tuch so weit zurück, dass Rin die Ohren des Jungen sehen konnte. Normale, kleine Ohren, die nach oben hin spitz zu liefen. Wie bei seinem Vater. Ungläubig fuhr Rin die Form des Ohrs nach und musste unwillkürlich Lächeln. „Dann kommst du wohl ein bisschen mehr nach deinem Vater als nach mir. Mein kleiner dreiviertel Yōkai.“ Rin war so glücklich, dass sie es kaum beschreiben konnte. Jetzt fehlte nur noch Sesshōmaru an ihrer Seite, um alles perfekt zu machen. Auf der Suche nach ihm, ließ sie ihren Blick durch den Raum wandern, nur um Kazuma, Benjiro und Fuyu an der Wand, die am weitesten von ihr entfernt war vorzufinden. Die Drei regten sich keinen Millimeter und saßen da, als würden sie schlafen. „Yahata? Was ist mit ihnen los?“, fragte Rin irritiert. Als Yahata ihrem Blick folgte, fuhr er sich nervös übers Haar. „Ah, bitte verzieh mir… Ich habe dich so lange nicht gesehen, da… wollte ich dich einen Moment für mich haben.“ Yahatas Erklärung kam zögerlich und Rin sah ihm an, dass er mit sich kämpfte um die Wahrheit zu sagen. „Es geht ihnen gut, ich habe für sie nur die Zeit angehalten. Aber das kann ich wieder Rückgängig machen.“, fuhr er fort und zog eine kleine, gläserne Glocke aus seinem Ärmel. Er berührte die Glocke mit seiner Gebetskette und ein einzelner, heller Klang ertönte. Der gleiche, der Rin wieder zurück ins Leben geholt hatte. Das war ihr sofort klar. „Du bist viel stärker geworden.“, stellte sie bewundernd fest, was Yahata mit einem schüchternen Lächeln quittierte. Es dauerte einen Moment, bevor die Drei begannen sich zu bewegen und schließlich ihre Augen öffneten. „Kasumi!“ Benjiro war der Erste, der sich aus seiner Erstarrung vollständig lösen konnte und an ihre Seite eilte. Es tat so gut die Stimme ihres Bruders zu hören. So sehr, dass sie mit den Tränen kämpfen musste. Bevor sie zusammengebrochen war, hatte sie schon fast damit gerechnet sie nie wieder sehen zu können. Weshalb es jetzt umso schöner war, wieder bei ihnen zu sein. Sie streckte Benjiro eine Hand entgegen und er ergriff sie, als er neben ihr auf die Knie ging. „Tu das nie wieder! Versuch nie wieder dein Leben für ein anderes zu opfern. Was glaubst du wohl, wofür wir gut sind? Wir werden jedes Risiko für dich auf uns nehmen. Egal wie verrückt es auch ist. Deshalb, verlass uns nicht.“ Benjiro hatte seine Stirn an Rins Handrücken gedrückt. So, dass sie sein Gesicht nicht sehen konnte. Doch sie wusste, dass er weinte. Die Erleichterung in seiner Stimme und das Zittern seiner Schultern verrieten es ihr. Rin warf Yahata einen kurzen Blick zu und dieser verstand sofort. Vorsichtig nahm er ihr ihren Sohn aus den Armen, damit Rin auch ihre zweite Hand frei hatte. Diese streckte sie nun ebenfalls aus und streichelte damit über Benjiros Kopf. „Bitte Entschuldige. Ich wollte euch nicht ängstigen. Ich wollte nie, dass ihr leidet und ich verspreche, so etwas nicht noch einmal zu versuchen. Nächstes Mal werde ich mich noch mehr auf euch verlassen. Versprochen.“, versuchte sie ihren Bruder zu besänftigen. Dieser drückte ihre Hand nur noch fester an sich. Sagte aber nichts mehr. „Kasumi?“ Das zögernd ausgesprochene Wort von Kazumas Lippen ließ Rin auf sehen. Kazuma stand neben Benjiro und starrte ungläubig auf sie herab. Zögernd. Und Rin konnte in seinen Augen erkennen, dass er es wusste. Oder besser gesagt ahnte. „Es ist wahr, Kazuma. Ich kann mich wieder erinnern. An alles. Mein ganzes Leben. Jeder einzelne Moment darin. An mich. Als Lady Rin. Herrin über den Palast in den Wolken und Ehefrau des Lord des Westens.“, begann sie und streckte ihre zweite Hand nach ihm aus. Die, die Benjiro sanft gestreichelt hatte. „Es freut mich, dich noch einmal kennenzulernen, Onii-chan… Habe ich es dir nicht gesagt? Wir können das Schicksal ändern. Deine Vision zu einem besseren Ende bringen, als dass, was du gesehen hast.“ Rin liefen die Tränen über, als sie zu Kazuma sprach. Das exakte Spiegelbild zu ihm. Und als er seinen Handschuh auszog und ihre Hand ergriff, konnte sie nicht anders, als ihre Brüder an sich zu ziehen und fest zu halten. Sie waren hier. Am Leben und würden es wohl noch eine ganze Weile sein. „Ja das hast du gesagt, Imōto-chan. Das hast du…“, weinte Kazuma an ihrer Schulter. Sie war so froh, dass ihnen nichts geschehen war. Das sie alle hier zusammen waren… „Wo ist Keiji?“, fragte Rin, als ihr klar wurde, dass sie doch nicht vollständig waren. Benjiro und Kazuma lösten sich aus ihrer Umarmung. „Ich habe ihn nicht gesehen.“, gab Benjiro zu. Kazuma, der sich mit einem Ärmel ungestüm übers Gesicht wischte, schüttelte den Kopf. „Ich ebenso wenig.“ „Dann ist er noch da draußen auf dem Schlachtfeld!“ Es war Fuyus entsetzte Stimme, die die schlimmste Befürchtung aussprach. Wenn Keiji nicht hier war, dann entweder, weil er nicht wusste wo er suchen sollte, oder weil etwas weitaus schlimmeres geschehen war. „Ich werde ihn suchen.“, erklärte Benjiro und sprang auf. Ein ungutes Gefühl beschlich Rin, als Benjiro zur Tür eilte. Als er die Tür aufschob, blockierte eine große Gestalt den Weg. Überrascht sprang Benjiro einen Schritt zurück und Rin wusste sofort, wer dort in der Tür stand. „Sesshōmaru!“, atemlos hauchte sie seinen Namen und sofort leuchteten diese goldenen Augen auf und fanden ihre. Er musterte sie einen Augenblick, bevor er noch einmal zurück zu Benjiro sah. „Der Krieger mit dem Umayōkai hat gegen den Kopf der Kokuryū gekämpft.“, erklärte Sesshōmaru kühl und machte den Weg durch die Tür frei. Benjiro zögerte keine Sekunde. Er rannte los, um seinen Bruder zurück zur Familie zu holen. Rin sah ihm noch einen Moment nach, bevor ihr Blick wieder auf Sesshōmaru fiel. „Würdet ihr uns kurz allein lassen?“, fragte sie Kazuma, Fuyu und Yahata, ohne den Blick von ihrem Ehemann zu nehmen. Ihre Freunde. Nein, ihre Familie, rührte sich zunächst keinen Millimeter, weshalb Sesshōmaru den Raum betrat. Die Spannung in der Luft stieg dadurch an. Es wirkte fast so, als wollte ihre neue Familie nicht, dass ihre Alte sie davonstahl. Es war Yahata, als fast neutrale Person, der zuerst reagierte. Er legte ihren Sohn zurück an Rins Seite, bevor er aufstand und nach einem Nicken in Sesshōmarus Richtung den Raum verließ. Kazuma sah noch einmal zu Rin, bevor auch dieser aufstand, Fuyu bei der Hand nahm und ebenfalls nach draußen ging. An der Tür sah er ein letztes Mal zurück zu Rin. Woraufhin sie ihm ein beruhigendes Lächeln schenkte. Ihr Bruder erwiderte langsam dieses Lächeln und neigte dabei kurz den Kopf. „Wir warten draußen.“, erklärte er sich, bevor er die Tür hinter sich schloss. In all der Zeit hatte sich Sesshōmaru keinen Millimeter von seinem Platz neben der Tür bewegt. Nur diese totbringende Aura, die von ihm ausging, hatte den Raum überflutete. Jetzt, da die Tür vollständig geschlossen war, wand sich Rin mit einem erleichterten Lächeln Sesshōmaru zu und streckte eine Hand nach ihm aus. „Sesshōmaru.“, flüsterte sie erneut. Keine Sekunde später kniete er neben ihr und nahm ihre Hand in seine. Im Vergleich war ihre Hand klein, zierlich und ziemlich kühl. Sicher musst sich ihr Mann furchtbare Sorgen um sie gemacht haben. „Mir geht es wieder gut.“, erklärte sie sich deshalb. Er sollte wissen, dass jetzt alles wieder in Ordnung kommen würde. Sesshōmarus Blick glitt von ihren vereinten Händen über ihren Körper und zu ihrem Gesicht. Seine Augen leuchteten wie flüssiges Gold, das hin und wieder von einem Funken rubinrot durchbrochen wurde. „Das ist gut.“ Seine Stimme war tief und rau. Als hätte er sich stundenlang die Seele aus dem Leib geschrien. Doch Rin wusste, woher das kam. Dieser Zustand, in dem er mit sich und seinem inneren Yōkai kämpfte. Sie war der Grund dafür. Die Ursache, weshalb Sesshōmaru immer öfter seine wohl trainierte Selbstbeherrschung verlor. Ihn in diesem Moment so zu sehen rührte Rin zu Tränen. „Sesshōmaru!“ Yahata hatte ihr gesagt, sie solle liegen bleiben und sich schonen. Doch wie konnte sie still liegen bleiben, wenn ihr Mann an ihrer Seite litt? All ihren Willen zusammennehmend zwang sich Rin dazu sich aufzusetzen. Überrascht riss Sesshōmaru die Augen auf, doch sie ließ ihm keine Zeit zu protestieren. Sie überwand die kurze Distanz zwischen ihnen, krabbelte auf seinen Schoß und schlang ihre Arme um seinen Nacken. Sie hielt ihn so fest sie konnte und drückte ihr Gesicht an seine Brust. Atmete seinen Geruch tief in sich ein und lauschte auf das Geräusch seines gleichmäßigen Herzschlages. Er war am Leben und sie war es auch. Alles andere spielte für sie keine Rolle mehr. „Danke.“, hauchte Rin an seiner Brust, als Tränen des Glücks ihre Wangen benetzten und sie dieses eine Wort in Gedanken fortsetzte: „Danke, dass du gekommen bist um mich zu holen. Danke, dass du mich gerettet hast. Danke, dass ich wieder an deiner Seite sein darf. Ich liebe dich!“ Sesshōmaru war zuerst wie erstarrt, doch dieses eine Wort schien all seine Bedenken beiseite zu wischen, denn jetzt schlang er seine Arme um Rin und zog sie fest an sich. „Rin!“ Ihr Name kam atemlos über seine Lippen, was sie aufsehen ließ. Die Erleichterung, die sie in seinem Gesicht fand, ließ Rin glücklich Lächeln. Sie waren wieder vereint und Rin hatte vor, sich nicht mehr so schnell von Sesshōmaru zu trennen. Sie wollte dieses Leben an seiner Seite und so viele glückliche Erinnerungen schaffen, dass kein Platz mehr war, für all die Schrecklichen. Sanft wischte Sesshōmaru mit seinem Daumen die Tränen von Rins Gesicht und als sie seiner Berührung entgegen kam, legten sich seine Lippen auf ihre. Ein glückliches Seufzen entrang sich Rins Kehle, als sie seinem Kuss nachkam und ihn erwiderte. Ihre Hände in seinen Kimono gekrallt wollte sie ihm so nah sein, wie sie nur konnte und Sesshōmaru schien es ähnlich zu gehen, denn er zog sie noch fester an sich und eroberte ihren Mund mit seiner Zunge. Begierig hieß sie seine geschickte Zunge willkommen und wie als weitere Antwort auf Sesshōmarus tun, begann Rins Magie kleine Funken zu schlagen. Sie knisterte durch ihren Körper und erzeugte dieses wohlige Gefühl in ihr, an dass sie sich schon lange gewöhnt und dass sie lange vermisst hatte. Sie hatte sie also nicht verloren, ihre Magie. Noch war sie nicht ausgebrannt. Das ließ sie glücklich in den Kuss hineinlächeln. Erst als ihr Atem flach ging, löste sich Sesshōmaru von ihr. Sein Blick brannte sich tief in Rins Inneres und sie wusste, dass er das Selbe fühlte wie sie. Dieses Versprechen, dass sie sich nie wieder trennen würden. „Keiner dieser Kokuryū wird uns jemals wieder zu nahe kommen.“, erklärte Sesshōmaru schließlich. Aber das war Rin bereits klar gewesen. Sesshōmaru wäre niemals zu ihr gekommen, wenn auch nur der Hauch einer Chance bestanden hätte, dass dort draußen noch irgendwo einer der schwarzen Drachen ungehindert leben konnte. Sie wollte eigentlich erwidern wie froh sie darüber war, als ein Geräusch sie davon abhielt. Leises Brabbeln ließ sie zurück zu ihrem provisorischen Bett sehen und dem gut eingepackten Bündel, dass neben ihr gelegen hatte. „Richtig, da gibt es noch jemanden, den ich dir vorstellen muss.“ Über all ihre Wiedersehensfreude hätte Rin fast das Wichtigste vergessen. Sie löste sich von Sesshōmaru und stieg zurück in ihr Bett. Vorsichtig hob sie das kleine Bündel in ihre Arme, um es Sesshōmaru zu zeigen. Sie lockerte das weiche Tuch etwas, um ihm einen besseren Blick zu gewähren und präsentierte ihm ihr Kind. „Das ist dein Sohn!“ Große braune Augen sahen zu Sesshōmaru auf, als dieser sich über seinen Sohn beugte. Diese Augen und der schwarze Flaum, der sich bereits auf seinem Kopf zeigte, machten deutlich nach wem der kleine Junge kam. Doch der kleine, blutrote Halbmond auf seiner Stirn zeigte nur zu deutlich wer sein Vater war. „Sag Hallo zu deinem Vater, mein Liebling.“, flüsterte Rin dem kleinen Jungen zu. Die beiden sahen sich lange an, bevor der Junge einen vergnügten Laut von sich gab und seine Hand nach seinem Vater ausstreckte. Sesshōmaru zögerte, streckte dann jedoch seine Hand aus und der Junge griff nach seinem kleinen Finger. Rin hätte vor Freude fast geweint beim Anblick dieser Geste. Die Hand des Jungen war so winzig, dass er seine Finger kaum um den seines Vaters schließen konnte. Doch er hielt ihn fest, als forderte auch er, dass sie sich nie wieder trennen sollten. Überrascht sah Sesshōmaru Rin an und die Liebe die aus seinen Augen sprach ließ sie Lächeln. Sesshōmaru schlang seinen freien Arm um Rin und drückte seine Stirn an ihre. „Danke.“, war alles was er sagte, doch wie vorhin, als Rin dieses Wort gesagt hatte, wusste sie, dass er damit noch so viel mehr sagte. Rin schmiegte sich an Sesshōmarus Brust und schloss die Augen. Völlig konzentriert auf das gleichmäßige schlagen seines Herzens, der Wärme, die er ausstrahlte und dem kleinen Gewicht in ihren Armen. So konnte sie all die Strapazen vergessen und wieder einer glücklichen Zukunft entgegensehen. Kapitel 36: Was lange währt wird endlich gut, oder so ----------------------------------------------------- „Onkel!“, schrie Keiji, während er Matsukaze antrieb noch schneller zu reiten. In dem Moment, in dem Kasumi zusammengebrochen war, war sein Pferd an seiner Seite erschienen und hatte aufgeregt mit den Hufen gescharrt. Keiji hatte keine Sekunde gezögert und sich sofort auf den Rücken des stolzen Tieres geschwungen. Er hatte auch keine Befehle geben müssen. Matsukaze wusste genau, was zu tun war. Unaufhaltsam hatte es sich durch die kämpfende Menge gedrängt. Immer voran, bis ihn nur noch weniger Meter von seinem Onkel trennten. Als ihn sein Onkel schließlich bemerkte, griff Keiji sein bevorzugtes Katana, Yūki, fester und ließ es mit all der Kraft die er besaß auf dessen Yari niedersausen. Er parierte den Schlag, doch davon ließ sich Keiji nicht irritieren. Immer weiter griff er an. Mit allen Mitteln und Techniken die er besaß. Er zog auch sein zweites Katana, Kyōki, welches er nur bei schweren Kämpfen benutzte. Oder wenn er es todernst meinte. Auf diesen Kampf traf definitiv letzteres zu. „Was soll das werden, Neffe?“ Toshiie sprach das Wort Neffe aus, als wäre das etwas abgrundtief Verachtungswürdiges. „Wenn du hier bist, um die Ehre dieser Hexe zu retten, bist du etwas zu spät dran.“ Das abfällige Lächeln, welches das Gesicht seines Onkels bei diesen Worten entstellte, erzeugte Übelkeit in Keijis Magen. Was hatte er nur getan? Und warum hatte er so etwas nicht verhindert? Wäre er bei den Palastsoldaten nur etwas härter gewesen. Hätte er nur stärker versucht Kasumi aus ihrem Gefängnis zu befreien. Er war so armselig. Er war es nicht einmal Wert ihr jemals wieder in die Augen zu sehen. Sollte sie diese jemals wieder öffnen. Bei diesem Gedanken legte sich ein Schalter in Keiji um und er schrie wütend auf. Sollte Kasumi hier sterben, würde ihr Blut an seinen Händen kleben und an denen seines Onkels. Und Keiji würde alles dafür tun, dass niemand überlebte, der für diesen Verlust verantwortlich war. Mit einem gewagten Ausfall nach vorne brachte er seinen Onkel ins Wanken und mit einem beherzten stoß von Matsukaze stürzte dieser von seinem braunen Hengst. Keiji war sofort hinter ihm. Er sprang von Matsukaze  und auf seinen Onkel zu. „Es ist endlich an der Zeit, dass ich beende, was ich vor so langer Zeit begonnen habe, Onkel!“, schrie Keiji. Dieser blockte jedoch Keijis nächsten Angriff und lachte nur hämisch. „Glaubst du wirklich, dass du noch einmal so viel Glück haben wirst, wie mit diesem Pfeil damals?“ Keijis Griff um seine Katanas wurde fester. Mit Glück hatte das damals nichts zu tun gehabt und das wussten sie beide. Der Einzige, der Glück gehabt hatte, war sein Onkel, dass er sich in letzter Sekunde noch hatte zur Seite drehen können. Ansonsten hätte dieser Pfeil nicht nur sein Auge, sondern auch sein Leben genommen. „Ob Glück oder nicht. Ich werde nicht zulassen, dass du noch mehr Leben zerstörst. Dafür hätte ich schon so viel früher sorgen müssen und ich muss jeden Tag damit leben, dass ich es nicht getan habe. Doch damit ist jetzt Schluss. Du wirst bekommen, was du verdienst hast und für deine Taten in der Hölle schmoren!“ Unaufhaltsam griff Keiji immer wieder an. Kein Block und kein Gegenangriff brachten ihn davon ab seinen Onkel immer weiter zurück zu drängen. Er würde das hier endlich entscheiden und auch wenn er seinen Cousinen anschließend nie wieder unter die Augen treten konnte war es doch das Richtige. Schließlich schlug Keiji die Spitze des Yaris ab und beförderte es in einem großen Bogen außer Reichweite. Aus dem Gleichgewicht gebracht, ging sein Onkel mit einem Knie zu Boden. „Wenn du das hier wirklich ernst meinst, wird es mir eine Freude sein, dich persönlich in der Hölle begrüßen zu dürfen.“, knurrte sein Onkel. Keiji atmete einmal tief ein. Wenn das sein Schicksal sein sollte, konnte er das akzeptieren. Er konnte alles akzeptieren, solange er die Welt nur von diesem einen Monster befreit hatte. Dem Einzige, das er kannte. Sein Katana hoch erhoben ließ Keiji es mit einem Schrei hernieder sausen. Doch anstelle eines Kopfes, fiel eine Hand zu Boden. Die Zeit schien still zu stehen, als Keiji auf sein Katana sah. Im Sonnenlicht schimmerte Yūkis Klinge wie flüssiges Silber, als sie zu Boden fiel. Um das sorgfältig in weiß eingekleidete Heft lag seine Hand. Bereit das Leben seines Onkels zu nehmen. Eine Aufgabe, die sie nicht mehr bewältigen würde. Langsam bewegte sich Keijis Blick von seiner Hand zu seinem Arm. Zu dem Blut, dass seinen roten Kimonoärmel noch dunkler färbte und sich zu seinen Füßen sammelte. Und dann sah er seinen Onkel an. So als würde er ihn gerade zum ersten Mal sehen. Er kniete immer noch auf einem Knie. Die Augen zu Schlitzen verengt. Die Lippen vor Wut verzogen. In seiner Hand sein Katana. Die jetzt purpurrote Klinge gezogen. Keiji spürte nicht, wie seine Beine weich wurden. Genau so wenig wie den Aufprall seiner Knie mit den Steinplatten. Kyōki glitt aus seiner linken Hand und fiel klirrend zu Boden. Doch alles was Keiji tun konnte, war seinen Onkel entgeistert anzustarren. Wie hatte er nur so überheblich sein und sein Katana vergessen können? Wie ein dummes Kind hatte er angenommen zu gewinnen. Zum ersten Mal hatte er nicht alle Möglichkeiten bedacht. Zu sehr gefangen in seinem Hass war er Leichtsinnig geworden. Und das war die Strafe dafür. „Ich habe es dir schon immer gesagt, Neffe. Gefühle werden dich eines Tages umbringen. Nur eine nüchterne Betrachtung der Welt wird dir Erfolg bringen.“ Sein Onkel ließ sich jedes Wort auf der Zunge zergehen, während er sich erhob und sein Katana an Keijis Kehle hob. „Jetzt sind wir Quitt.“, erklärte er, mit einem Blick auf Keijis Hand. „Und jetzt werde ICH zu Ende bringen, was ich damals begonnen habe!“ Keiji hörte kaum seine Worte. Das Rauschen in seinen Ohren war so laut, dass er kaum sagen konnte, ob die Schlacht um ihn herum noch tobte oder bereits ein Ende gefunden hatte. Sein Onkel hatte Recht. Es waren zu viele Gefühle, die ihn hier her gebracht hatten. Rache, Mitgefühl, Liebe. Sein ganzes Leben lang hatte er sich von diesen und noch so vielen anderen Gefühlen leiten lassen. Was, wenn sie ihn die ganze Zeit über in die falsche Richtung geschickt hatten? Würde er jetzt triumphierend über seinem Onkel stehen? Oder hätte er ihn schon vor fünfzehn Jahren mit diesem Pfeil erledigt? Egal was passiert wäre. Niemals wäre er so erbärmlich gewesen, wie in diesem Moment. „… du bist ganz und gar nicht schwach. Du bist ein großartiger Anführer…“ Irgendwo in der tiefen Finsternis, in die er fiel, erklang eine Stimme. „.. ich werde da sein um deinen Erfolg mit dir zu feiern…“ Die Stimme war glockenklar und brannte wie eine Kerze in der Dunkelheit. Doch er wand sich von dem Licht ab. „.. ich verspreche, dass alles ein gutes Ende nehmen wird…“ Er konnte die Gefühle nicht mehr zulassen, die ihn zu beherrschen versuchten. Er musste doch seinen Onkel erledigen. Wie sollte das funktionieren, wenn er fühlte? „… Ich liebe dich… Deshalb will ich nicht, dass dir etwas passiert…“ Eine einzelne Träne brannte sich ihren Weg über seine Wange. Wieso konnte er nicht einfach in Frieden in diesen Schatten verschwinden? Wieso musste dieses Licht so hell erstrahlen, dass es ihn blendete. So Hell, dass er es nicht ansehen konnte. Und egal wie sehr er sich davon entfernen wollte, es kam immer weiter auf ihn zu. Hüllte ihn ein und ließ ihn nicht los. Wieso? „…Wir können unser Schicksal immer noch ändern!“   Keijis Hand legte sich wie von selbst um Kyōkis rotes Heft. Den Kopf gesenkt, die Augen geschlossen, konnte Keiji immer noch Kasumis Hände spüren. Diese zierlichen, zerbrechlichen Finger, die sich ihm helfend entgegengestreckt hatten. Noch immer war es ihm ein Rätsel, wie diese kleine Person nur so viel Kraft in sich tragen konnte. Doch er hatte ihre Hände ergriffen und hatte ihre Stärke in sich aufgesogen. Sein Onkel lag falsch. Gefühle machten ihn nicht schwach. Sie machten sie alle Mächtiger. Sie waren es, die ihn immer auf den richtigen Pfad geführt hatten. Die ihn zu Kasumi geführt hatten. Und zu der finalen Entscheidung, dem Schauspiel ein Ende zu bereiten. Jetzt war er endlich bereit die Konsequenzen daraus zu tragen. Denn er würde es nicht mehr nur für sich tun, sondern auch für seine Schwester. Keiji hörte das Katana seines Onkels, wie es durch die Luft schnitt und hob seine eigene Klinge, um den Schlag abzuwehren. Mit einer geschmeidigen Bewegung erhob er sich. Seinen verletzten Arm an seine Brust gepresst, streckte er seinem Onkel sein Katana entgegen. „Netter Versuch. Fast hättest du mich damit gehabt. Doch so leicht mache ich es dir nicht.“, erklärte Keiji ruhig. Wenn er seinen Onkel zur Strecke bringen konnte, war der Verlust seiner Hand vielleicht nur ein fairer Preis dafür. Er würde ihr jedenfalls nicht hinterher weinen. Seine Entschlossenheit zurückgewonnen, nahm Keiji wieder eine Angriffshaltung ein. Und als er auf seinen Onkle losstürmte, spürte er Kasumis Hände, die seinem Rücken einen Schubs in die richtige Richtung gaben.   Toshiie Maeda war nicht umsonst Taishō der kaiserlichen Soldaten. Das wurde Keiji wieder einmal bewusst, als er schwer atmend vor seinem Onkel stand. Sein kämpferisches Können, sein eiserner Wille und sein unbändiger Ehrgeiz hatten ihn dorthin gebracht, wo er heute stand. Auch als Oberhaupt des Maeda Clans. Er würde niemals freiwillig aufgeben. Doch Keiji hatte das Licht in sich wieder gefunden. Das Licht, dass sich seit Kasumis Festnahme zusehends verdunkelt hatte. Jetzt brannte es heller denn je und genau wie sein Onkel, war er nicht bereit aufzugeben. „Bevor es gleich zu Ende geht, Onkel. Verrate mir noch eins: War es das alles wert? War dein Hass gegen die Yōkai all diese Menschenleben wert, die heute gefallen sind? Bist zu zufrieden mit deinem Tun?“ Keiji konnte nicht anders. Er musste diese eine Sache noch wissen, bevor er zum letzten Schlag ausholte. Sein Onkel ließ seine Schultern kreisen, um diese zu lockern. Der Blick aus seinem schwarzen Auge hätte eine schwächere Person in Angst und Schrecken versetzt. Doch Keiji hatte diesen Blick schon viel zu oft gesehen, um ihn noch zu fürchten. „Ich werde erst zufrieden sein, wenn der letzte Yōkai sein Leben ausgehaucht und diese Welt verlassen hat. All jene, die bis dahin ihr Leben für die Sache geben, werden im nächsten Leben sicher großzügig belohnt werden.“ „Und was ist mit deinen Töchtern? Nach deiner Logik werden sie ewig in der Hölle brennen? Ist das dein Wunsch?“ Auf seine überheblichen Worte hatte Keiji nur wütend erwidern können. Seine Hand zitterte leicht, als er an Fuyu und ihre Schwestern dachte. Sah sein Onkel nicht, dass er mit seiner Einstellung alle Menschen aus seinem Leben drängte? „Ich habe keine Töchter.“ Das selbstgefällige Lächeln, das sich auf seine Lippen legte, als er das sagte, brachte Keiji zur Weißglut. Noch bevor er nachdenken konnte setzten sich seine Füße in Bewegung. Mit aller Kraft die er noch besaß hieb er seine Klinge nach seinem Onkel. Dieser parierte jeden seiner Angriffe, wurde jedoch jedes Mal ein kleines Stück zurück gedrängt. Und dann, als hätte jemand eine unsichtbare Schnur gespannt, stolperte er über etwas, dass Keiji nur als einen grünen Lichtblitz beschreiben konnte. Ihm blieb keine Zeit darüber nachzudenken. Das war die eine Chance auf die er gewartet hatte. „Ich hoffe, du hast Recht, mit dem was du glaubst, Onkel. Leb wohl.“, sagte er ehrlich, bevor Kyōki sein Ziel traf.     Eine Hand, ein Kopf und ein Mann, der nach so vielen Jahren endlich hatte Rache nehmen können. Das war es, was Benjiro vorfand, als er im Chaos des Kampfes seinen Bruder erreichte. Keiji saß an der obersten Stufe der obersten Terrassenebene. Den Blick auf den Vorhof des Palastes gerichtet. Doch er sah nichts von dem Schlachtfeld, auf dem der Kampf inzwischen zum Erliegen gekommen war. Kyōki immer noch in seiner linken Hand, seinen rechten Arm immer noch an seine Brust gedrückt, saß er einfach nur da. Sein Kopf war leergefegt und hätte man ihn jetzt angesprochen, hätte er nicht einmal mehr gewusst, wer er war. „Keiji!“ Er hörte Benjiro und auch wieder nicht. Lange glaubte er, sich die vertraute Stimme nur eingebildet zu haben. Hier, auf diesem Feld aus Blut und Tod konnte es niemanden geben, der nach ihm rief. Dessen war sich Keiji absolut sicher. „Verflucht Keiji!“ Wieder diese Stimme, und dann Hände, die an seinem rechten Arm rissen. Erschreckt riss Keiji sein Katana hoch, doch Benjiro fing die stumpfe Seite der Klinge mit seiner Hand ab. „Ich bin es! Benjiro! Es ist vorbei, aber wenn ich mir nicht deinen Arm ansehe, wird es mit dir bald genauso sein.“, knurrte sein Bruder. Bruder. Das Wort klang in seinem Kopf wieder, wie eine Glocke. Richtig. Er hatte Familie. Freunde, die ihm so wertvoll waren, wie Blutsverwandte. Wertvoller als jedes Gold der Welt. Zwei Brüder und… „Kasumi?“ Keiji erkannte seine eigene Stimme nicht, als er ihren Namen aussprach. Kratzig und seltsam hohl. Benjiro sah ihn nicht an. Er untersuchte seinen Unterarm und band schließlich ein breites Lederband darum. So fest, dass Keiji vor Schmerz innerlich zusammenzuckte. Nur nach außen drang keine Regung. So als hätte er verlernt, seine Gefühle zu zeigen. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass sich sein ganzer Körper seltsam flauschig und weit weg anfühlte. „Komm mit mir, ich bringe dich zu ihr.“ Benjiro nahm Keiji Kyōki ab, schob es zurück in seine Scheide und zog Keiji auf die Füße. Er schob sich unter seinen linken Arm, eine Hand in seinem Rücken und hielt Keiji damit aufrecht. Keiji konnte seine Beine nicht spüren. Er war sich nicht einmal sicher, ob er noch wusste wie man ging. Doch Benjiro setzte sich in Bewegung und er stolperte ungeschickt hinterher. Seine Orientierung vollständig verloren, konnte Keiji nicht sagen, wohin Benjiro ihn brachte, doch schließlich blieb er vor einem kleinen Gebäude stehen. Keiji blinzelte, um seinen Blick zu fokussieren und fand Kazuma und Fuyu einige Meter vor sich. Sie standen sehr nah beieinander. Das war das Erste, was Keiji auffiel. Fuyu hielt mitfühlend die Hand seines Bruders und flüsterte ihm etwas zu, woraufhin dieser nickte. Als er aufsah, trafen sich ihre Blicke und er riss die Augen auf. Fuyu folgte seinem Blick und auch ihr Gesicht zeigte entsetzen. Die beiden kamen auf ihn zu gerannt und Fuyu war die Erste, die seinen Arm in ihre Hände nahm. „Keiji!“, begann Kazuma schockiert. „Was ist geschehen?“, fuhr Fuyu den Satz fort, während sie panisch die Wunde untersuchte. Benjiros provisorische Lösung hatte die Blutung etwas reduziert, doch sie war noch nicht gestillt. Weshalb Fuyu sofort ihre Tasche durchsuchte und begann Salben und frische Bandagen aufzutragen. „Toshiie…“, war alles, was Keiji über die Lippen brachte. Sein Kopf fühlte sich so leicht an, dass er kaum glaubte überhaupt etwas Verständliches von sich geben zu können. Er wünschte sich nur noch sich irgendwo hinlegen zu können. Seit wann war stehen so anstrengend geworden? Er wollte doch nur kurz die Augen schließen… „Keiji hat endlich seine Rache bekommen… Tut mir Leid, Fuyu.“ „Danke Benjiro. Wäre ich nicht so schrecklich müde, würde ich ihnen alles erklären.“, dachte Keiji und nickte leicht. Er fühlte das Zittern von Fuyus Händen. Einen einzigen Augenblick, dann hatte sie sich wieder unter Kontrolle. „Ich habe meinen Vater verloren, also wage es ja nicht auch noch zu sterben, Cousin! Ein Familienmitglied reicht für die nächste Zeit. Hast du gehört?“, fragte Fuyu und warf ihm einen drohenden Blick zu. Keiji konnte nichts anderes tun, als zu nicken. Leicht. Vielleicht nickte er auch gar nicht. Er konnte es nicht sagen, doch so wie sich Fuyu an seinen Arm klammerte, wusste sie, was er meinte. „K… Kasumi?“ Vielleicht konnte er schlafen, wenn er seine Schwester gesehen hatte. Vielleicht würde er sich mit ihr schlafen legen und sie in einem anderen Leben wieder umarmen. Vielleicht konnte er sie dort eine Zeit lang für sich haben, bevor seine Brüder ihm irgendwann folgen würden. Dieser Gedanke klang gar nicht mal schlecht. Doch wenn sich hier weiterhin alles so schnell drehte, würde er sie niemals erreichen. Wieso konnte dieser Boden auch nicht stillstehen? Er musste doch seine Schwester noch einmal sehen. Nur ein einziges, letztes Mal! Es kam ihm vor, als hörte er ihre Stimme, bevor die Welt aufhört sich zu drehen und er von Finsternis verschluckt wurde. Kapitel 37: Noch ein Gefallen ----------------------------- Es kam Rin so vor, als läge sie eine Ewigkeit in Sesshōmarus Armen und doch war es nicht genug. Sie konnte nicht aufhören sich nach seiner Wärme und Stärke zu sehnen und auch wenn ihr ihrer Anhänglichkeit selbst etwas peinlich war, konnte sie nicht loslassen. Sesshōmaru schien es ähnlich zu gehen, denn sein Arm um ihren Körper lockerte sich keine Sekunde und seine Wange, die er in ihr Haar schmiegte, bewegte sich kaum merklich und doch unaufhörlich auf und ab. Sie könnten jetzt einfach verschwinden. Sesshōmaru könnte sie auf seine Arme heben und einfach davon fliegen. Zurück zu ihrem Palast in den Wolken, den Rin am liebsten nie wieder verlassen würde. Sie wollte diese neue, unerwartete Chance nutzen und so viel Zeit wie möglich mit ihrem Ehemann und ihrem Sohn verbringen. Wäre sie jemand anderes gewesen, wäre das ihr einziger Wunsch gewesen. Doch Rin war, wer sie war. Der Kreis derer, die ihr am Herzen lagen, umfasst Sesshōmaru, ihren Sohn, Inu-Yasha und seine Familie, ihre Freunde und die Yōkai aus ihrem Palast. Und in den letzten Monaten hatte sie diesen Kreis unbeabsichtigt noch einmal erweitert. Um ihre Brüder und deren Familie. Wobei ihr ihre Brüder so sehr am Herzen lagen wie Sesshōmaru selbst. Auch wenn sie nicht durch Blut verbunden waren, waren sie es doch durch taten und Rin konnte erst Frieden finden, wenn sie wusste, dass es ihre Brüder auch tun konnten. Fest entschlossen sah Rin zu Sesshōmaru auf und fand ein kleines, unscheinbares Lächeln um seine Lippen spielen. „Ich würde dich jetzt gerne nach Hause holen, aber ich kenne Pläne aus deiner Hand. Du bist noch nicht fertig hier. Habe ich recht?“, fragte er, bevor Rin überhaut den Mund öffnen konnte. Er kannte sie einfach zu gut. Leicht beschämt nickte sie. „Sie sind meine Brüder. Die drei Männer, denen du beim Lichtbringerfest am Liebsten die Köpfe abgebissen hättest. Sie haben alles für mich riskiert. Ich liebe sie, wie mein Blut und ich muss sicher sein, dass es ihnen gut geht, bevor wir gehen.“, erklärte sie sich. Sesshōmaru musterte sie einen Moment, bevor er nickte. „Lass mich nur nicht mehr zu lange warten. Es ist höchste Zeit, dass ich dich wieder allein für mich habe.“ Während er sprach beugte sich Sesshōmaru herunter und presste seine Lippen auf die Stelle, an der Rins Hals in ihre Schulter überging. Sie spürte seine Fänge an der empfindlichen Stelle und seufzte auf, als seine Zunge über ihre Haut glitt. Überrascht von seinem Handeln krallte sie ihre Hand in den Stoff seines Kimonos und legte ihren Kopf zur Seite um ihm mehr Spielraum zu geben. „N- Nein… ich werde dich nicht warten lassen…“ Ihre Stimme war ein stockendes, verlangendes Wimmern, dass Rin die Röte in die Wangen trieb. Es war nur eine dünne Holztür, die sie von den anderen trennte und dennoch vergaß sie in diesem Moment alles um sich herum. Für sie gab es nur noch Sesshōmaru und das begierige Saugen seiner Lippen an ihrem Hals. „Gut“, war alles was er sagte, als er sich von ihr löste und sich langsam über die Lippen leckte. Das Leuchten seiner Augen jagte Rin einen Schauer über den Rücken und sie musste den Blick abwenden, um nicht vollständig verschlungen zu werden. Mit einem kaum wahrnehmbaren Lachen erhob sich Sesshōmaru und half Rin vorsichtig auf die Füße. Sie brauchte einen Moment, bis sie ihre Beine wieder spürte und genug Standfestigkeit gefunden hatte, um sich nur noch leicht auf Sesshōmaru ausstützen zu müssen. Der Kleine in ihren Armen war zwischenzeitlich eingeschlafen und Rin hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn, bevor sie zusammen mit ihrem Ehemann das kleine Nebengebäude verließ.   Jiyū wartete draußen neben der Tür und eilte sofort an Rins Seite, als diese ins Freie trat. „Lady Rin… Ich meine natürlich Kasumi-“ Voll Erleichterung hatte Jiyū ihren Satz begonnen, bevor ihr wieder einfiel, dass sie die falsche Anrede benutzt hatte. Sie wurde jedoch sofort von Rin unterbrochen, bevor sie weitersprechen konnte. „Ist schon gut Jiyū. Ich kann mich wieder erinnern. Rin ist also wieder in Ordnung.“, erklärte sie sich schnell. Das ließ Jiyū erleichtert aufatmen. „Das sind wundervolle Nachrichten!“ Noch während sie sprach fiel Jiyūs Aufmerksamkeit auf das kleine Wesen in Rins Armen. Interessiert trat sie näher und Rin ermöglichte ihr einen Blick auf ihren Sohn. „Darf ich dir meinen Sohn vorstellen, Jiyū? Es würde mich sehr glücklich machen, wenn du dich um ihn genauso kümmern würdest, wie du dich immer um mich kümmerst.“. sagte Rin mit einem Lächeln. Jiyūs Augen wurden groß und sie sah von dem Baby zu Rin auf, bevor sie auf ein Knie fiel, eine Faust über ihr Herz drückte und ihren Kopf senkte. „Es wäre mir eine Ehre!“ Ihre Worte ließen Rins Lächeln noch breiter werden und sie lehnte sich an die breite Brust ihres Mannes. Ihre kleine Familie war perfekt. Das hatte Rin natürlich schon von Anfang an gewusst, doch es jetzt zu sehen und zu sehen, dass sie akzeptiert wurde, war für Rin das größte Glück. Sesshōmaru ließ seinen Arm um Rins Taille gleiten, als sie so an ihm lehnte und zog sie damit noch ein Stück näher an sich. Dabei konnte sie das leise, zufriedene Knurren in seiner Brust vibrieren spüren. Er war noch besitzergreifender geworden, als er es ohnehin schon war. Eine interessante Wendung, derer Rin später noch genauer auf den Grund gehen würde. Als Fuyus panische Stimme erklang, waren die Gedanken an eine glückliche Zukunft jedoch fürs Erste wie weggewischt. Bei ihrem Schrei war Rin das Blut in den Adern gefroren und sie sah auf um die Ursache der Panik ausmachen zu können. Sie war so mit sich selbst beschäftigt gewesen, dass sie erst jetzt bemerkt, dass Benjiro, Kazuma und Fuyu um jemanden knieten. Und ihr reichte schon das Rot des Kimonos zu sehen, um zu wissen, wer dort zusammengebrochen war. „Keiji!“ Als erstickter Schrei drang sein Name über ihre Lippen und Rin musste sich an Sesshōmaru festhalten, als ein Zittern von ihr Besitz ergriff. Nein. Ihm durfte einfach nichts passiert sein. „Ich… Ich muss zu ihm.“, stammelte Rin, während sie sich von Sesshōmaru löste. Nur gehorchen ihre Beine nicht ihrem Kopf und sie wäre fast vornüber gefallen, wäre Jiyū nicht aufgesprungen und hätte sie gehalten. „Ich werde euch begleiten.“, erklärte sie sich und bot Rin ihren Arm, den sie nur zu gerne ergriff. Der Weg an Keijis Seite schien Rin unendlich lang. Doch schließlich erreichte sie ihn. Benjiro hielt Keijis Kopf still, während Kazuma seine Hand hielt. Fuyu klammerte sich verzweifelt an seinen Arm an dessen Ende eine Hand fehlte. Rins Knie wurden weich, als sie den bandagierten Stumpf sah und wie Rot der weiße Stoff war. Er musste schrecklich viel Blut verloren haben… Zu viel… „Jiyū…“ Tränen stiegen in Rin auf, als sie Jiyū ihren Sohn in die Arme legte und neben Keiji in die Knie ging. Sie hörte, wie er ihren Namen flüsterte und ihre Tränen liefen über. „Ich bin hier, Nii-san. Also wage es nicht mich zu verlassen!“, rief sie und legte eine Hand fest auf seinen rechten Arm. „So leicht kommst du mir nicht davon! Hörst du? Immerhin hast du mir versprochen mich nach Hause zu bringen… Ich verbiete dir, dein Versprechen zu brechen. Verstanden? Du musst leben. Wenn nicht für dich, dann für deine Brüder, für Fuyu und deine Cousinen und für mich!“ So durfte das einfach nicht enden. Sie hatte nicht ihr Leben riskiert, nur um Keiji zu verlieren. Sie hatte ihr Leben für das Leben aller aufs Spiel gesetzt, da konnte er einfach nicht sterben. Fest entschlossen etwas zu tun sah Rin auf und begegnete zuerst Kazumas Blick. Er hatte seinen Handschuh noch immer ausgezogen und hielt damit Keijis Hand. Er sah also ganz genau was passieren würde. Und als sich ihre Blicke trafen, weiteten sich seine Augen vor Überraschung. Mehr brauchte Rin nicht. Sie sah sich weiter um und fand schließlich was sie suchte. Yahata stand neben Sesshōmaru vor dem kleinen Nebengebäudes, in dem sie selbst gerettet worden war. Er war noch hier! „Yahata! Bitte. Ich weiß dass du heute bereits mehr getan hast, als dir erlaubt ist, aber du musst Keijis Leben retten. Ich fehle dich an! Er darf nicht sterben. Nicht jetzt und nicht hier. Bitte!“ Rins Stimme war erstickt von Tränen und der Angst, ihren Bruder zu verlieren. Es war gut möglich, dass Yahata in diesem Fall die Hände gebunden waren. Dass er seine Kompetenzen bereits zu weit überschritten hatte und eine harte Strafe dafür erwarten konnte. Oder schlimmer noch, dass er von den Kami verstoßen wurde. Aber Rin konnte daran nicht denken. Das Einzige woran sie denken konnte, war Keijis Leben. Nach einem kurzen Augenblick des Zögerns ging Yahata zurück in das kleine Nebengebäude und kehrte wenig später mit der Schüssel voll Wasser und Heilkräuter in Händen zurück. Langsam, um nichts zu verschütten, kam er auf sie zu. „Seinen Verlust kann ich nicht ersetzen, aber vielleicht kann ich ihm helfen am Leben festzuhalten.“, erklärte er sich, während er sich neben Rin kniete und die Schüssel vor sich abstellte. „Ich danke dir. Alles ist besser als nichts.“, sagte Rin, bevor sie Yahata Platz machte. Sie zog Fuyu ebenfalls zur Seite und hielt sie fest, um ihre Verzweiflung etwas zu lindern. „Es wird gut gehen, Fuyu. Du musst nur vertrauen haben.“, flüsterte sie ihr ins Haar und streichelte dabei über ihren Rücken. Ohne Unterlass lag ihre Aufmerksamkeit auf Keiji und Yahata. Sie beobachtete, wie dieser einige Worte in einer Sprache rezitierte, die sie noch nie gehört hatte, bevor er die Schale mit seiner Gebetskette berührte. „Werter Ōkami-Yōkai. Ihr müsstet einige Schritte zurück treten. Ich möchte nicht riskieren, dass die Magie von einem anderen Wesen abgelenkt wird.“, bat Yahata mit einer demütigen Haltung zu Benjiro. „Und auch hier müsstet euch etwas zurückziehen.“, fuhr er an Kazuma gewandt fort. Beide sahen Yahata zweifelnd an, traten dann jedoch zurück, wie es ihnen gesagt wurde. Gebannt verfolgte jeder von ihnen Yahatas tun. Wie er Keijis Arm anhob und den Stumpf aus den Bandagen befreite. Die Wunde war erschreckend glatt. Das Ergebnis eines perfekt geschliffenen Katanas. Beim Gedanken daran drehte sich Rin der Magen um. Fuyu klammerte sich fester an sie und vergrub ihren Kopf an ihrer Schulter. Sie konnte dem Ganzen keinen Augenblick zusehen. Yahata korrigierte noch einmal den Standort der Schüssel und als Rin jetzt auf diese sah, glaubte sie kein Wasser, sondern Blut darin zu sehen. Überrascht blinzelte sie, doch da hatte Yahata bereits Keijis Arm in die Schüssel getaucht und sie konnte deren Inhalt nicht mehr erkennen. Erneut murmelte Yahata Worte vor sich hin und hob seine rechte Hand zum Gebet. Die Augen geschlossen, die ganze Konzentration auf die Schüssel und Keijis Arm gerichtet, begann ein kleiner Punkt mitten auf seiner Stirn zu leuchten. So klein, dass es auch Einbildung hätte sein können, doch Rin kannte Magie und sie wusste, wenn sie welche sah. Ein unnatürlicher Wind fegte über den kleinen Platz und zerrte an Yahatas Kleidern. Doch er rührte sich keinen Millimeter. Die Augenbrauen angestrengt zusammengezogen, die Lippen unaufhörlich damit beschäftigt Gebete vor sich hin zu murmeln, gab er nicht nach. Bis schließlich die Schüssel selbst begann zu leuchten. Und dann. Von einem Wimpernschlag zum nächsten, hatte sich der Wind gelegt und das Leuchten war verloschen. So als wäre nie etwas geschehen. Yahata öffnete langsam seine Augen und senkte seine Hand über die Schüssel. Er sprach noch ein letztes Wort, bevor er sich zurücklehnte und einen tiefen Atemzug nahm. Rin atmete erleichtert aus. Ihr war nicht bewusst gewesen, dass sie die Luft angehalten hatte, doch jetzt entspannte sie sich merklich. Während dieser Demonstration seiner Macht, hatten sich alle Haare auf Rins Körper aufgerichtet und eine Gänsehaut hatte sie überzogen. Yahata war um so vieles Stärker geworden. Weshalb sie ihn nur sprachlos mustern konnte. Vorsichtig hob dieser Keijis Arm aus der Schüssel und Rin konnte sehen, dass sich seine offene Wunde geschlossen hatte. Sie war verheilt, als wäre sie eine alte Kriegsverletzung, die schon nicht mehr der Rede wert war. Als sie das sah, stahl sich eine Freudenträne über ihre Wange. Und als ein gequältes Stöhnen über Keijis Lippen drang, breitete sich ein glückliches Lächeln auf ihren Lippen aus. „Fuyu… Sieh doch.“ Nur zaghaft hob Fuyu den Kopf und sah zu ihrem Cousin. Dieser hatte sich zwischenzeitlich auf seinen gesunden Arm aufgestützt und betrachtete seinen verletzten Arm. „Keiji!“, schrie Fuyu voll Freude. Sie löste sich von Rin, stürzte auf Keiji zu und fiel ihm um den Hals. So stürmisch, dass sie ihn fast wieder zu Boden stieß. Das zu sehen lies Rins Herz vor Glück überlaufen. Keiji lebte. Mehr konnte sie sich wirklich nicht wünschen. Unbemerkt von den anderen zog sich Yahata von Keiji zurück und trat neben Rin. Dabei bemerkte sie, dass die Schüssel bis auf den letzten Tropfen geleert war. Überrascht sah sie zu Yahata auf. „Ich habe ersetzt, was ihn verlassen hatte. Das Ergebnis seines eigenen Handelns konnte ich jedoch nicht ungeschehen machen. Ich gehe aber davon aus, dass er über diesen Verlust hinwegkommen wird.“, erklärte er sich. Rin legte eine Hand auf seinen Arm und drückte ihn. „Ich danke dir. Ich wüsste nicht, was ich ohne dich getan hätte. Du hast heute so viel mir mich getan und für Sesshōmaru. Wir werden für immer in deiner Schuld stehen.“ „Ich habe mich nur dafür revanchiert, was du bereits für mich getan hast, Rin. Es besteht also kein Grund, dass du in meiner Schuld stehst. Ich würde jederzeit immer wieder kommen um dir zu helfen. Ich bin nur froh, dass ich diesmal etwas tun konnte.“, widersprach er ihr sofort. „Das konntest du. Ich habe es doch immer gesagt. Eines Tages wirst du ein großartiger Kami sein, den nichts aufhalten kann. Und heute hast du einen Teil deines Potentials gezeigt, dass ich schon immer in dir vermutet habe.“ Auf Yahatas Wangen legte sich ein Hauch von Rot und er entzog sich Rins Hand. „Du übertreibst! Außerdem solltest du jetzt zu deinem Bruder gehen. Er muss sich sicher davon überzeugen, dass du unversehrt bist.“, erklärte er sich verlegen. Rin sah von Yahata zu Keiji. Fuyu lag immer noch in seinen Armen, während Benjiro und Kazuma an seiner Seite waren. Die Erleichterung sprach nur zu deutlich aus ihren Gesichtern. Die gleiche Erleichterung, die auch Rin verspürte. Sie wand sich noch einmal an Yahata, doch der Kami hatte sich wie in Luft aufgelöst. „Danke.“, hauchte sie in den Wind, bevor sie ebenfalls an Keijis Seite eilte.   „Kasumi!“ Keiji streckte seine Hand nach ihr aus, als Rin vor ihn trat. Sie ergriff sie und fiel ihm um den Hals, als er sie an sich zog. „Es tut mir Leid um deine Hand, aber ich bin so froh, dass du lebst, Nii-san“, weinte Rin. „Das Gleiche gilt für mich. Es tut so gut, dich wieder zurück zu haben, Imōto-san.“ Eine kleine Unendlichkeit lagen sie sich alle in den Armen, bevor sich Rin von ihren Brüdern löste. „Ich danke euch allen von ganzen Herzen für das, was ihr für mich getan habt. Ich habe endlich meine Erinnerungen zurück und weiß jetzt wieder wer ich bin. Aus diesem Grund würde ich mich gerne noch einmal vorstellen. Mein Name ist Rin und vielleicht ist es euch möglich mich anstelle von Kasumi in die Familie aufzunehmen. Denn ich möchte euch nicht mehr missen, meine Brüder.“ Die Drei warfen sich einen Blick zu, bevor Kazuma mit einem breiten Grinsen auf Rin zu kam, sich an ihren Arm schmiegte und zu ihr aufsah wie eine liebestolle Katze. „Imōto-chan. Du wirst für immer und ewig meine süße kleine Schwester sein. Egal wie du heißt oder wer du bist.“, schnurrte er. Benjiro folgte Kazumas Beispiel und trat ebenfalls zu Rin. Er wuschelte mit seiner Hand durch ihr Haar, bevor er sie auf ihrem Kopf ruhen ließ. „Kazuma hat ausnahmsweise einmal Recht. Du gehörst zu uns, wie unser Blut. Glaub also nicht, dass wir dich jetzt in Frieden lassen, nur weil du wieder die Lady eines großen Palastes bist.“ „Das stimmt.“, fügte Keiji hinzu, der jetzt ebenfalls auf Rin zu trat. „In den seltensten Fällen kann man sich eine Familie aussuchen und wenn man mal eine hat, wird man sie nicht wieder los. Wir werden immer für dich da sein, Rin. Also verlass dich auf uns.“ Erneut standen Rin Tränen in den Augen, als Keiji sie alle mit einem breiten Lächeln in eine weitere, große Umarmung zog. Sein Lächeln zeigte keinen Schatten der Schlacht und war so ansteckend, dass alle Vier schnell ein ebenso breites Grinsen auf den Lippen trugen. „Ich danke euch. Für alles, meine Brüder.“, brachte Rin schließlich mit einer Mischung aus Tränen und Lachen hervor. Sie hatten alle überlebt. Hatten die Kokuryū besiegt und Rin war wieder an der Seite ihres Ehemannes. Damit konnten sie endlich alle in eine hoffentlich friedliche Zukunft sehen.   „Taishō… Prinzessin, wir haben den Tennō gefunden!“ Als Tetsuos Stimme sie erreicht, lösten sich die Vier voneinander und sahen zu, wie der Soldat auf sie zu rannte. Etwas hinter ihm folgte Reiji und ein weiterer Mann. Auf die Distanz konnte Rin ihn nicht genau erkennen, doch etwas an ihm kam ihr vertraut vor. Dieses Gefühl wurde jedoch schnell in den Hintergrund gedrängt, als Rin klar wurde, dass es den beiden Soldaten gut ging, die sich immer für sie eingesetzt hatten. Sie war froh, dass ihnen bei dieser Auseinandersetzung nichts passiert war. Mit einem erleichterten Lächeln trat sie auf sie zu, bis sie den dritten Mann erkannte. „Michihito!“, rief sie überrascht. Natürlich musste er hier irgendwo auf dem Gelände gewesen sein, doch mit seinem Auftauchen hatte sie am wenigsten gerechnet. Trotzdem trat sie mit einem glücklichen Lächeln auf ihn zu und reichte ihm ihre Hand. „Es ist so schön dich zu sehen und dass dir nichts geschehen ist.“, sagte sie, als er ihre Hand ergriff. „P- Prinzessin… Ihr kennt den Tennō?“, fragte Tetsuo verwirrt. „Aber nicht doch, das ist-“ Rin hatte seine Worte eigentlich abtun wollen, doch dann schoss ihr Blick von Tetsuo zurück zu Michihito. Diesem Gesicht, an das sie sich in den letzten Wochen so gewöhnt hatte. So sehr, dass es bis jetzt gebraucht hatte, dass Rin die Verbindung zu den Bildern zog, die sie schon vom Tennō gesehen hatte. Ihre Hand begann zu zittern und sie wollte sich Michihito entziehen, doch dieser hielt sie fest und beugte sich herunter um seine Stirn gegen ihren Handrücken zu drücken. „Es freut mich, dich wohlauf zu sehen, Kasumi.“, sagte er mit dieser sanften Stimme, die Rin so gut kannte. „Wenn ich mich noch einmal vorstellen darf? Mein Name ist Ōgimachi Michihito und ich bin der Tennō dieses Landes… Es war nie meine Absicht dich zu täuschen. Ich wollte nur für einen Augenblick deine Unwissenheit genießen.“, erklärte er sich. Ungläubig starrte Rin Michihito an. Er hob seinen Blick, lies ihre Hand jedoch nicht los. Schließlich legte Rin ihre andere Hand auf seine legte, nahm ihren Mut zusammen und senkte leicht ihren Kopf. „Auch ich wollte euch nicht täuschen. Ihr kennt mich als Kasumi und bis jetzt war das auch korrekt. Doch ich habe euch nie erzählt, dass ich meine Erinnerungen verloren hatte. Diese habe ich jetzt wiedergefunden. Weshalb auch ich mich noch einmal vorstellen muss. Mein Name ist Rin, ehrenwerter Tennō.“, erklärte sich Rin. „Du bist mir eine unersetzbare Freundin geworden, Rin. Ich würde dich also bitten mich weiterhin mit Michihito anzusprechen und auf die Förmlichkeiten zu verzichten.“ Das überraschte gemurmelt zwischen Tetsuo und Reiji, sowie zwischen ihren Brüdern spiegelte Rins eigene, stumme Überraschung wieder. Natürlich hatte sie als Kasumi einige Zeit mit Michihito, dem Schreiber, wie sie glaubte, verbracht. Doch mit dem Wissen, dass es sich bei ihm um den Tennō handelt, wusste sie nicht, ob sie noch einmal so unbedacht mit ihm umgehen konnte. Andererseits war sie nicht abgeneigt es zu versuchen. Immerhin hatte er versucht sie aus den Fängen des Daimyō zu befreien. Er war ein wirklicher Freund. „Es wäre mir eine Ehre… Michihito.“, antwortete sie schließlich, was ihr ein erleichtertes Lächeln von diesem einbrachte. „Sehr gut! Und ich würde auch ungern unsere kleinen Spaziergänge missen. Aber vorher…“ Michihito sah von Rin auf die übrigen Versammelten. Wobei sein Blick vor allem auf Keiji und Sesshōmaru ruhte. „… Es ist einiges an Unrecht geschehen, von dem ich bis vor ein paar Tagen absolut keine Ahnung hatte. Dieses ganze Chaos muss behoben werden und ich will mit euch allen über eine Zukunft sprechen. Eine Zukunft, in denen Menschen wie Maeda Toshiie kein so leichtes Spiel mehr haben!“ Kapitel 38: Ein kleines Stückchen Himmel ---------------------------------------- Mit Michihito hatten sie ein Treffen vereinbart, dass stattfinden würde, sobald das Chaos des Kampfes beseitigt und wieder Ruhe in die Stadt eingekehrt war. Nachdem sie sich von ihm verabschiedet hatte, hatte Rin auch mit Isami und Terumoto gesprochen. Hatte sich für die Hilfe bedankt und ihre eigene Hilfe angeboten, sollten sie diese jemals brauchen. Mit Sesshōmaru an ihrer Seite hatte sie zugesehen, wie die beiden ihre Truppen wieder zur Ordnung gerufen hatten und aus der Hauptstadt abgezogen waren. Danach hatte sie sich vorerst von ihren Brüdern verabschiedet. Es war ein tränenreicher Abschied, doch er würde nicht für immer sein. Sie wollte jetzt nur wieder nach Hause und dort all die schrecklichen Dinge vergessen, die ihnen wiederfahren waren. Kaum außer Sichtweite von ihren Brüdern, hatte Sesshōmaru Rin auf seine Arme gehoben und hatte sich mit ihr auf den Heimweg gemacht. Dicht gefolgt von Jiyū, die immer noch ihren kleinen, schlafenden Jungen in den Armen hielt. Sie hatten die Stadt kaum verlassen, da hatte die Erschöpfung von Rin Besitz ergriffen und sie hatte das Bewusstsein verloren.     Rin wusste sofort wo sie war. Sie spürte Sesshōmarus Hand, wie sie über ihre Seite nach vorne über ihren Bauch glitt. So, dass er sie nah bei sich halten und seine Nase an ihren Nacken drücken konnte. Sie spürte seinen Atem über ihre Haut kitzeln und lächelte unwillkürlich. Einen Augenblick lag sie noch genießerisch da und tat so als würde sie schlafen, bevor sie doch etwas sagen musste. „Das habe ich vermisst… Ich habe dich vermisst.“ Sesshōmaru küsste ihren Nacken, bevor er seinen Arm etwas lockerte, um es Rin zu ermöglichen, sich zu ihm umzudrehen. „Ich werde dich nicht noch einmal verlieren. Dessen kannst du dir sicher sein.“, entgegnete Sesshōmaru ernst. Das Funkeln seiner Augen sagte Rin genau, wie ernst er seine Worte meinte, weshalb sie eine Hand ausstreckte und seine Wange streichelte. Sie war wieder Zuhause. In ihrem Palast über den Wolken. Einem Bauwerk, das niemand so leicht angreifen oder einnehmen konnte. Eine Festung, die seine Einwohner vor allen Gefahren der Welt schützte. „Wie lange habe ich geschlafen?“, fragte Rin. Ein Schatten des Schmerzes huschte über Sesshōmarus Gesicht. Nur für den Bruchteil einer Sekunde sichtbar und hätte Rin geblinzelt, wäre er ihr entgangen. Doch sie hatte es ganz genau gesehen. „Eine Woche.“ So lange. Rin senkte kurz ihren Blick. Die Ereignisse im Schloss mussten ihren Körper noch mehr zugesetzt haben, als sie geahnt hatte. Und dann kam ihr noch etwas anderes in den Sinn und sie sah wieder zu Sesshōmaru auf. „Unser Kind?“ „Dort.“ Sesshōmaru lenkte ihren Blick zu einem kleinen Bettchen, das neben ihrem eigenen stand. Im sanften Mondlicht konnte Rin ihren Sohn darin schlafen sehen. Erleichterung durchströmte sie, als sie sah, dass ihrem Kleinen wirklich nichts passiert war und er hier bei ihnen war. Am Leben. „Er schläft so friedlich. Als könnte ihn nichts auf der Welt stören oder gefährlich werden. Als hätte er vor nichts Angst.“ Rin wand sich wieder Sesshōmaru zu und schmiegte sich an seine Brust. „Damit kommt er ganz nach seiner Mutter.“, antwortete dieser und Rin konnte den Stolz aus seiner Stimme heraushören. „Da er seine Yōkai-Kräfte von dir hat, bin ich froh, dass er wenigstens ein bisschen nach mir kommt.“, entgegnete Rin und konnte ein glückliches Lächeln nicht zurückhalten. Sesshōmarus Lippen lagen auf Rins, bevor sie überhaupt wusste was geschah. Völlig überraschend küsste er sie und es dauerte einen Moment, bevor sie reagieren konnte und ihre Lippen für ihn öffnete. Begierig ergriff er von ihrem Mund besitz und drängte sie zurück auf die Matratze. Ein genießerisches Seufzen entrang sich ihrer Kehle, als sie sein Gewicht auf sich spürte. Sie schlang ihre Arme um seinen Nacken und hielt ihn fest, während sie dem Drängen seiner Zunge entgegen kam. Ihr Atem ging flach, als sich Sesshōmaru von ihr löste und sie hielt ihn fest, damit er sich nicht allzu weit von ihr zurückzog. „Wofür war der?“, fragte sie immer noch etwas atemlos. Bedächtig strich Sesshōmaru eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht und schien sich dabei jeden noch so kleinen Millimeter von ihr ins Gedächtnis einzubrennen. „Ich hatte nicht erwartet dieses Lächeln noch einmal zu sehen. Dieses Leuchten in deinen Augen, dass mich in den letzten Monaten bei Verstand gehalten hat.“ Dieses ehrliche Geständnis jagte Rin einen Schauer über den Rücken. Sesshōmaru sprach selten offen über seine Gefühle. Oder im Allgemeinen über Dinge, die ihn beschäftigten. Wenn sie allein waren, noch mehr, als wenn sie beobachtet werden konnten, doch auch allein hielt er sich eher zurück. Dass er jetzt so frei sprach, machte Rin klar, wie viel ihm das wirklich bedeutete. Langsam ließ sie ihre Hand von seinem Nacken auf seine Wange wandern. Sie spürte seinen gleichmäßigen Puls unter ihrer Hand, seine warme Haut unter ihren Fingerspitzen und die etwas wärmere Yōkai-Zeichnung. „Ich habe die Zelle gesehen, in der sie dich gefangen gehalten hatten. Ich habe gespürt… was sie dir angetan haben… Auch wenn ich mich nicht erinnern konnte. Diesen Schmerz kann ich noch jetzt empfinden, wenn ich daran denke –“ Rin unterbrach sich, indem sie sich auf die Unterlippe biss. Sie wollte wissen, was Sesshōmaru zugestoßen war, doch vielleicht war es nicht klug so damit anzufangen. Jetzt damit anzufangen. Sie hatten doch wieder alle Zeit der Welt, deshalb holte sie kurz Luft und fing noch einmal an. „Als unser Winterpalast angegriffen wurde, dachte ich meine Welt würde zerbrechen. Als ich dich sah, umzingelt von schwarzen Soldaten. Verwundet. Damals bin ich geflohen, doch egal an wie wenig ich mich danach erinnern konnte… Ich habe immer gespürt, dass du noch irgendwo da draußen bist. Das du lebst und kämpfst. Und das wollte ich auch tun. Ich wollte leben und kämpfen, um an deine Seite zurückkehren zu können. Und ich habe nicht aufgegeben. Genauso wie du nicht aufgegeben hast. Beim Kampf vor dem Kaiserpalast. Als ich dich wieder in der gleichen Situation sah, wie beim Angriff auf unseren Palast, da wusste ich, dass ich mein Leben dafür geben könnte. Für diesen Mann, der alles getan hatte, um mich zu finden. Ich war und bin es immer noch. Bereit alles zu tun, um an deiner Seite zu sein. Du bist mein Leben. Ohne dich könnte ich nicht sein. Also bin ich bereit alles zu geben, um dich am Leben zu wissen.“ Sesshōmaru wand den Blick ab, als Rin sprach und doch konnte sie das Flackern seiner Augen sehen. Wie das Weiß immer wieder vom Rubinrot seines inneren Yōkais abgelöst wurde. „Wie vom ersten Tag an ist es mir immer noch ein Rätsel, was du in mir siehst, Rin. Was du glaubst, was ich bin… So viel Loyalität und Aufopferungsbereitschaft habe ich keine Sekunde lang verdient.“ „Doch, das hast du!“, unterbrach Rin ihn. Mit einer Hand zwang sie ihn dazu, sie wieder anzusehen, bevor sie weiter sprach: „Du bist liebevoll und stellst mich über alle anderen. Selbst wenn du ein anderes Ziel verfolgst, sorgst du stets dafür, dass er mir gut geht. Und mir geht es wirklich sehr gut. Du bist zärtlich und einfühlsamer, als du vielleicht glaubst. Nimmst immer Rücksicht auf meine zu vielen menschlichen Schwächen und förderst all meine Talente. Ich könnte mir niemand anderen an meiner Seite vorstellen als dich, Sesshōmaru.“ Ein Knurren entrang sich seiner Kehle, als das Rot in seinen Augen für einen Moment gewann und sein innerer Yōkai die Kontrolle übernahm. Er drückte seine Stirn an Rins und atmete tief ein. Rin schloss ihre Augen und neigte ihren Kopf zurück, so dass ihre Lippen seine streiften. „Ich liebe dich, Sesshōmaru.“, hauche sie an seinem Mund. Die Kontrolle wieder zurückerlangt, sah Sesshōmaru sie aus diesen Augen an, die wie flüssiges Gold leuchteten. Mit diesem brennen, dass in Rin ein Feuerwerk entzündete. Und dann verschlossen seine Lippen erneut die ihren. Diesmal zögerte Rin keine Sekunde. Sofort erwiderte sie den Kuss. Gab sich ihm hin und forderte gleichzeitig so viel mehr. Immer und immer wieder küsste er sie. Wie ein warmer Sommerregen prasselten sie auf sie hernieder. Von ihren Lippen über ihren Hals und tiefer. Sesshōmaru zog den Saum ihres Kimonos weiter auseinander und küsste sich bis an den Ansatz ihrer Brüste hinunter, bevor er aufhörte. Mit einem frustrierten Seufzen sah Rin zu ihm hinab. „Wieso hörst du auf?“ Das leise Geräusch, das über seine Lippen drang, als er sich wieder neben sie legte, konnte Rin nur als Kichern interpretieren. Was ihr sagte, dass sie wohl verzweifelter geklungen hatte, als sie das beabsichtigt hatte. „Dein Kami-Freund sagte mir, dass du Ruhe brauchst. Auch wenn es aussieht, als hätte er deine Verletzungen geheilt. Innerlich muss dein Körper immer noch verarbeiten, was ihm widerfahren ist. Deshalb muss das erst einmal reichen. Ich werde dir noch früh genug zeigen, wie sehr ich dich vermisst habe und wie sehr ich dich brauche…“ Sesshōmarus Worte trafen Rin wie ein Stich ins Herz. Sie ließ ihre Hand in seine gleiten und verschränkte ihre Finger mit seinen. „Danke… Dass du mich zurück an deine Seite geholt hast. Dass du nicht mehr glaubst, dass ich bei den Menschen besser aufgehoben wäre…“ „In all der Zeit habe ich gelernt, dass ich dich sowieso nicht loswerde. Egal was ich versuche… Also habe ich mich mit dem Gedanken angefreundet.“ Rin hielt sich eine Hand vor den Mund, um bei seinen teilnahmslos klingenden Worten nicht lachen zu müssen. Denn sie spürte ganz genau wie viel Liebe sich hinter seinen Worten versteckte. Es tat so gut, wieder bei Sesshōmaru zu sein. „Erzählst du mir irgendwann, was dir in den letzten Monaten passiert ist?“ Lange schwieg Sesshōmaru auf diese Frage und Rin dachte schon, er wäre eingeschlafen. Doch dann drang seine Stimme wieder durch die laue Nachtluft. „Wir werden sehen.“ Damit konnte sie leben. Immerhin war das kein nein. „Aber vorher musst du mir alles über diese Brüder von dir erzählen.“ Rin musste Lachen, als sie hörte wie Sesshōmaru das Wort Brüder aussprach. Als wären sie ein böser Fluch, den man schnellstmöglich loswerden musste. Eine Plage, die einen nur heimsuchte und nichts Gutes bedeutete. „Das werde ich.“, versprach Rin. Mit dieser Antwort scheinbar zufrieden wand sich Sesshōmaru wieder Rin zu und zog sie an seine Brust. „Morgen. Jetzt musst du erst noch etwas schlafen um wieder zu Kräften zu kommen.“, erklärte er sich und hauchte ihr einen Kuss in die Haare. So als hätte ihr Körper damit den Befehl erhalten wieder zu schlafen überkam Rin eine große Müdigkeit und schon kurz darauf war sie in den Armen ihres geliebten Ehemannes wieder eingeschlafen.     Den ganzen darauffolgenden Tag sorgte Sesshōmaru dafür, dass Rin ihr Zimmer nicht verließ. Er ließ ihr Frühstück bringen und verbrachte den ganzen Tag mit ihr und ihrem Kind im Bett. Sie redeten. Oder eher, Rin redete. Lange und ausführlich über alles, was ihr geschehen war. Sie sprach von ihren Brüdern, ihrer Mission im Westen, vom Leben in der Hauptstadt und der Suche nach Sesshōmaru. Sie ließ kein Detail aus und Sesshōmaru hörte ihr zu, bis sie damit endete, in seinen Armen aufgewacht zu sein. „Auch wenn all das erst passiert ist. Wenn ich hier bin, fühlt sich das alles an wie ein mehr oder weniger schlechter Traum.“, erklärte sich Rin und ergriff Sesshōmarus Hand. Dieser verschränkte wie selbstverständlich seine Finger mit ihren und sah von ihren Händen in ihre Augen. Das Gold seiner Augen befand sich gerade an der Grenze zu diesem flüssigen Schimmer, der Rin gerne einen Schauer über den Rücken jagte. Ihr Mund wurde trocken, als Sesshōmaru seinen Blick nicht abwand und es war letztlich Rin, die ihre Stirn an seine Brust drückte, um seinem Blick zu entfliehen. „Hat dir Yahata gesagt… wie lange… sich mein Körper schonen muss?“, fragte sie peinlich berührt und sie spürte wie Hitze in ihre Wangen stieg. Sesshōmaru stieß seinem Atem aus, was Rin nur als amüsiertes Lachen interpretieren konnte. Mit seiner freien Hand strich er über ihr Haar, bevor er einen Kuss darauf hauchte. „Länger als mir lieb ist.“, war seine einfache Erklärung und Rin sah überrascht zu ihm auf. Als sich ihre Blicke erneut trafen, verflüssigte sich das Gold in seinen Augen. „Vielleicht sollte ich gehen, bis es dir besser geht.“, begann Sesshōmaru und machte Anstalten tatsächlich das Bett zu verlassen. „Auf keinen Fall!“, widersprach Rin sofort und hielt Sesshōmarus Hand fest. „Ich werde brav sein, aber geh nicht weg.“ Ihre Bitte klang mehr wie ein Flehen, doch es war ihr egal wie beschämend das auch war. Wenn Sesshōmaru nicht an ihrer Seite war, fühlte sich Rin, als würde ein Stück ihrer selbst fehlen. Dann schlug ihr Herz unregelmäßig und sie wurde furchtbar unruhig. So, dass sie keinen Frieden finden konnte, bis er nicht zurück an ihrer Seite war. Sesshōmaru zögerte einen Moment, bevor er zurück an ihre Seite kam. „Keine Angst. Ich werde dich nicht verlassen. Nie wieder. Das schwöre ich dir.“, hauchte er dabei. So beruhigt schmiegte sich Rin an ihn und genoss das beruhigende Gefühl Vollständig zu sein. Kapitel 39: Licht und Schatten ------------------------------ Der verlassene Tempel, der als Unterschlupf für schwache und verletzte Yōkai diente und den Fuyu als ihre geheime Wirkungsstätte betrachtete, lag eine halbe Stunde zu Fuß nordöstlich von Heian-kyōs Stadtrand entfernt. Nicht weit vom Fluss entfernt lag die Anlage, versteckt vor menschlichen Augen, in einem dichten Mischwald. Die Yōkai die hier her kamen kannten den Ort vom Geflüster ihres gleichen. Und so mancher Mönch, der sich auf den Exorzismus des Bösen spezialisiert hatte, oder Yōkai-Jäger hatte diesen Ort bereits vergeblich gesucht. Auch Rin hätte den Standort dieser Anlage übersehen, wären ihre Kräfte nicht so ausgeprägt und Sesshōmaru nicht an ihrer Seite gewesen. Es fühlte sich an wie ein Lufthauch, in der drückenden Schwüle der dichten Bäume. Eine willkommene Briese, die angenehm über die Haut strich. Sesshōmaru blieb stehen, als er es spürte und sah tiefer in den Wald hinein. Rin folgte seinem Blick, konnte jedoch nichts erkennen. Dafür spürte sie die Barriere aber umso deutlicher. „Wir haben es gefunden!“ Rin konnte ihre Freude darüber nicht zurückhalten und sprang aufgeregt von einem Bein aufs andere. Als sie Sesshōmarus kritischen Blick bemerkte, blieb sie jedoch stehen um ihn besser ansehen zu können. „Was ist los?“, fragte sie besorgt. „Wir können immer noch nach Hause zurückkehren.“ Seine Worte überraschten Rin und dass er sie dabei nicht ansah, sagte ihr noch viel mehr. Ihre Hand glitt wie selbstverständlich in seine und ihre Finger verschränkten sich mit seinen. Sie schmiegte sich an seinen Arm und sah zuversichtlich zu ihm auf. „Das können wir jederzeit. Aber gibt dem Ganzen eine Chance. Das Treffen mit Michihito haben wir schon so lange geplant. Und es sind nur drei Tage, in denen wir umringt von Freunden sein werden. Es wird also nichts passieren.“, versicherte sie ihm. Langsam ließ Sesshōmaru seinen Blick vom Wald zu Rin gleiten. Er drückte ihre Hand, um sich zu vergewissern, dass sie wirklich da war, bevor er seine freie Hand an ihre Wange legte und seine Lippen auf ihre. Rin erwiderte den Kuss sofort, der sie atemlos zurück ließ. Sie würde alles tun, um Sesshōmaru Frieden zu bringen. In den letzten Monaten war er oft rastlos und angespannt. Immer wieder hatte er nachts nicht schlafen können und verschwand Stundenlang irgendwo hin. So dass Rin ihn nicht finden konnte. Manchmal ging er ihr auch Tagelang aus dem Weg, nur um dann panisch zu ihr zurückzukehren. Mit der Angst, dass ihr etwas passiert sein könnte. Sie hatte versucht mit ihm zu reden, doch was die Zeit ihrer Trennung anging, sprach er kein Wort mit ihr. Es war schwierig, doch Rin würde nicht aufgeben. Sie hatte beschlossen einfach da zu sein und wenn Sesshōmaru bereit war, dann würde er mit ihr sprechen. Dessen war sie sich sicher. „Diese schwache Barriere wird niemanden, der es wirklich will, daran hindern diese Anlage zu finden.“, stellte Sesshōmaru fest, als er sich widerstrebend von Rin löste. „Daran lässt sich sicher noch etwas ändern. Ich kann sie mir später noch ansehen. Aber jetzt sollten wir erst einmal Hallo sagen, bevor wir hier alles umändern.“ Sesshōmarus Schweigen zu diesem Thema zählte Rin als Zustimmung, weshalb sie ihn mit ihrer verschränkten Hand mit sich zog. Durch die Barriere hindurch und auf einen großen Platz, unterhalb der Tempelanlage. Wie zu erwarten war, verbarg die Barriere sowohl die Individuen in seinem Inneren, also auch die baulichen Gegebenheiten. Sie täuschte Passanten den perfekten, leeren Wald vor, obwohl sich vielleicht nur Zentimeter von ihnen entfernt ein Yōkai befinden konnte. Eine ähnliche Barriere hatten sie auch um ihren ehemaligen Winterpalast errichtet, doch ebenso wie diese hier, war ihre am Ende nicht stark genug gewesen. Dennoch konnte man die Barriere ohne Gewalt nur mit der Erlaubnis der Errichter betreten. In diesem Fall stellte ihre Eintrittskarte ein Brief dar, den Rin in einer Tasche ihres Kimonos trug. Versehen mit einem Siegel, welches von der Barriere erkannt wurde und ihnen erlaubt die Barriere zu durchschreiten. Der Platz hinter der Barriere war leer. Er war groß genug um vernünftig trainieren zu können und Rin konnte sich nur zu gut vorstellen, wie Kazuma hier die Yōkai für ihre Rettungsmission trainiert hatte. Aber er war auch groß genug, um Feste abhalten zu können. Eine Funktion, wofür er wohl ursprünglich einmal gedacht war und wohl noch hauptsächlich benutzt wurde. „Rin! Du bist endlich da!“ Kazumas Stimme ließ Rin auf sehen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes, am Kopf einer großen Treppe stand Kazuma und winkte aufgeregt. Als sich ihre Blicke trafen breitete sich automatisch ein breites Lächeln auf Rins Gesicht aus und sie winkte sofort zurück. „Kazuma!“, rief Rin fröhlich. Kazuma eilte die Treppen herunter und auch Rin machte einen Schritt auf ihn zu. Doch dann fiel ihr wieder ihre Hand ein, die immer noch Sesshōmarus hielt. Sie machte sich sorgen, ihn einfach hier zurück zu lassen, doch er löste seine Finger von ihren und nickte ihr leicht zu. „Geh ruhig. Es ist alles in Ordnung.“, erklärte er sich und als Rin immer noch zögerte, gab er ihr einen kleinen Schubs. „Ich vertraue diesen Brüdern von dir, dass sie auf dich aufpassen können.“ Sesshōmaru hatte immer noch nicht damit aufgehört, das Wort Brüder auszusprechen, als wären sie eine lästige Plage. Doch mittlerweile ließ dass Rin nur noch Lächeln. Insgemein war er etwas eifersüchtig auf ihre Brüder. Das wusste sie ganz genau und es war der Beweis, wie sehr Sesshōmaru an ihr hing, wenn er so etwas fühlte. So von ihrer Sorge befreit lief Rin Kazuma entgegen und sie fielen sich auf halber Strecke in die Arme. „Imōto-chan! Es ist sooo lange her.“, beklagte sich Kazuma und rieb seine Wange über ihr Haar. Für einen Moment fragte sich Rin, ob er vor lauter Freude weinte, doch dann drang eine weitere Stimme an ihr Ohr und sie konnte Kazuma nicht mehr fragen. „Kazuma! Willst du sie etwa erdrücken? Lass ihr doch bitte etwas Raum zum Atmen!“ Über Kazumas Schulter hinweg sah Rin, wie Benjiro auf die Treppe trat. Die Hände in die Seiten gestemmt wirkte er eher wie ein Bär, als ein graziler Wolf. „Damit du sie mir wegnehmen kannst? Ich kenne deine Tricks, Wolf! Lass mich also in Frieden damit. Meine kleine Schwester gebe ich nicht her.“, fauchte Kazuma zurück und versuchte Rin vor seinen Blicken zu verstecken. Bevor Rin komplett hinter Kazumas breiter Brust verschwand, sah sie noch, wie Benjiros Ader am Hals zu pulsieren begann. Das war kein gutes Zeichen und Rin versuchte die Wogen etwas zu glätten. „Onii-chan, ich werde nicht sofort wieder verschwinden. Und ich verspreche dir, dass ich dir alles erzählen werde, was seit unserem letzten Treffen passiert ist und ich dir nicht schon geschrieben habe. Aber dafür musst dich mich auch die anderen begrüßen lassen.“ Kazumas Griff um sie wurde nach ihren Worten jedoch nur noch fester. „Das ist so unfair. Warum müssen die anderen auch hier sein? Sonst interessiert es sie auch kaum, was hier vor sich geht. Aber wenn du zu Besuch kommst, springen sie plötzlich alle hier herum. Das ist einfach nur gemein. Gemein und ungerecht. Ich wollte dich ganz für mich allein haben!“, jammerte Kazuma wie ein kleines Kind, was Rin nur losprusten ließ vor Lachen. „Schluss jetzt mit dem Theater. Immerhin bist du kein Einzelkind!“ Benjiros Handkante traf mit voller Wucht auf Kazumas Schulter. Genau auf die Stelle, in der der Hals in die Schulter überging. Rin hatte nicht gesehen, wann er zu ihnen getreten war, doch seine Worte und seine Taten trafen Kazuma so hart, dass er in die Knie ging und seinen Griff um Rin lösen musste. Noch bevor Kazuma vollständig zu Boden gegangen war, hatte Benjiro Rins Handgelenk ergriffen und sie an seine Seite gezogen. Bevor er sie ganz in eine Umarmung zog, ließ er seinen Blick einmal prüfend über sie gleiten. „Es tut gut dich wieder hier zu haben, Imōto-san.“ „Es freut mich auch. Auch wenn du ruhig etwas behutsamer mit Kazuma umgehen könntest.“ „Ich weiß nicht was du meinst. Der Kleine hat es gar nicht anders verdient.“, entgegnete Benjiro trocken. Sie beide sahen hinab zu Kazuma, der sich mit einer Hand die getroffene Stelle rieb und dabei Benjiro mit seinen Blicken tötete. „Es ist doch immer das Gleiche mit euch: Kaum seht ihr unsere geliebte Schwester, vergesst ihr jegliche gute Erziehung. Es würde mich nicht wundern, wenn sie euch deswegen irgendwann nicht mehr sehen will.“ Beim Klang dieser Stimme sah Rin erneut auf und ein Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus. „Keiji!“ Es tat so gut ihn zu sehen. Mit einer gesunden Gesichtsfarbe und neuem Lebensmut in den Augen. Keiji war wieder auf dem richtigen Weg ein großartiger Hauptmann und ein Lebensbejahender Mensch zu werden. Auch wenn es noch dauern würde, aber Rin konnte spüren, dass es in die richtige Richtung ging. Sie löste sich von Benjiro und trat zu Keiji. „Nii-san…“ Jetzt war es Rin, die die Tränen nicht unterdrücken konnte. „Es ist so schön dich zu sehen.“, sagte sie und breitete die Arme aus. Mit einer schnellen Bewegung seiner Hand zog Keiji sie an sich und sie umarmten sich herzlich. Es tat so gut wieder bei ihren Brüdern zu sein. Ihr Herz fühlte sich gleich viel leichter an und sie konnte nicht aufhören zu Lächeln. Genau so wenig, wie sie jetzt noch die Tränen am überlaufen hindern konnte.     Ihre Begrüßung war lang und tränenreich. Auch als sie Fuyu und ihre Schwestern wieder sah. Sie alle waren gekommen um Rin willkommen zu heißen. Und der Trubel um ihre Person stieg noch einmal, als der Rest ihrer kleinen Reisegesellschaft eintraf. Inklusive ihres kleinen Sohnes Akatsuki. Rin war mit Sesshōmaru nur voraus gegangen, um einen Moment mit ihren Brüdern zu haben, doch jetzt wollten sie alle ihren Sohn sehen und halten und alles über ihn erfahren. Und so redeten sie bis spät in die Nacht über alles, was sie voneinander verpasst hatten. Bis sie sich schließlich alle zum Schlafen zurückzogen. Für die Zeit ihres Aufenthaltes würden Rin und ihre Familie hier im Tempel bleiben, denn sie hatte es niemandem zumuten wollen, in dem kleinen Haus ihrer Brüder zu wohnen. Außerdem war es Sesshōmaru lieber, etwas abseits der Menschen zu bleiben. Da Rin hier blieb, hatten sich auch ihre Brüder kurzentschlossen dafür entschieden hier zu bleiben. Es war also fast wieder wie in den Tagen, in denen sie mit ihren Brüdern durchs Land gezogen war. Alle waren sie vereint an einem Ort.     Der Mond kletterte gerade über den Horizont, als sich Sesshōmaru neben Rin auf die Engawa vor ihrem kleinen Zimmer setzte. Ihr Sohn schlief friedlich in ihren Armen und Rin genoss, eingepackt in einer warmen Decke, die kühle Nachtluft und die Stille. „In unserem Palast ist es nie so vollkommen still wie hier… Ich konnte Stille noch nie leiden, weil ich dann zu viel Zeit hatte um nachzudenken. Aber hier finde ich sie irgendwie tröstlich. Hier könnte ich sicher irgendwann vergessen, was alles geschehen ist.“ „Und deine Brüder wären nie weit weg.“ Seine Worte ließen Rin leise Lachen. „Es gibt absolut keinen Grund eifersüchtig zu sein. Du und unser Sohn werdet für mich immer an erster Stelle stehen. Aber du hast Recht. Es würde mich freuen, wenn ich meine Brüder öfter sehen könnte. Sie liegen mir wirklich sehr am Herzen.“ Einen langen Moment herrschte Schweigen zwischen ihnen, bevor Sesshōmaru einen Arm um Rin legte und sie an seine Brust zog. „Ich habe bereits über einen neuen Winterpalast nachgedacht… Du brauchst die Möglichkeit mit Deinesgleichen normal leben zu können. Ich kann dich nicht für immer über den Wolken einsperren-“ „Wag es nicht von unserem Sommerpalast als ein Gefängnis zu sprechen. Es gibt keinen Ort an dem ich jemals Glücklicher war. Der Palast über den Wolken ist mein geliebtes Heim. Unser Zuhause. Ich habe es nie als Gefängnis angesehen und werde damit auch nicht anfangen!“ Den Blick, den Sesshōmaru ihr auf ihre Worte hin zuwarf, konnte Rin nicht lesen. Doch sein folgendes, resigniertes Seufzen kannte sie nur zu gut. Sie hatte gewonnen und er würde einlenken. Etwas, dass er in den Jahren ihres Zusammenlebens gelernt hatte. „Wie dem auch sei. Wenn ich den richtigen Ort gefunden habe, will ich noch einmal einen Palast errichten. Stärker als der vorherige, damit du tun kannst, was eine normale Frau tun würde.“ Als wäre sie eine normale Frau! Fast hätte Rin das laut gesagt, doch sie war schon froh, dass Sesshōmaru seine Ängste so weit in den Griff bekommen hatte, dass er über die Möglichkeit eines neuen Palastes auf der Erde nachdachte. Da wollte sie ihn nicht zu sehr mit ihren Worten überfordern. Also antwortet sie nur: „Das klingt nach einer wundervollen Idee.“     Das Splittern von Holz riss Rin aus dem Schlaf. Verschlafen rieb sie sich die Augen und blinzelte mehrmals, bis sie klar sehen konnte. Das Licht des hoch stehenden Vollmonds ermöglichte es ihr auch ohne Lampe etwas zu sehen und so fiel ihr sofort auf, dass Sesshōmaru verschwunden war. Die Tür nach Draußen stand offen und sie konnte über ein Stück Rasen bis in den nahen Wald sehen. Einige Äste waren gebrochen und hingen in seltsamen Winkeln von den Stämmen der Bäume. Als hätte etwas ziemlich großes eine Schneise durch sie hindurch geschlagen. Rin ahnte sofort, was los war, stand auf und warf sich einen leichten Kimono über. „Lady Rin.“ Lautlos landete Jiyū neben Rin, als diese hinaus auf die Engawa trat. Sicher hatte Sesshōmarus Flucht sie geweckt und sie hatte ein Auge auf die Geschehnisse geworfen. Nur um sicher zu gehen, dass Rin nichts geschehen war. „Könntest du bitte auf Akatsuki aufpassen? Ich werde nach Sesshōmaru sehen.“, erklärte sich Rin. „Selbstverständlich.“, entgegnete Jiyū sofort und neigte respektvoll den Kopf. Manchmal wusste Rin nicht, was sie ohne Jiyū tun würde. Erleichtert darüber, dass sie auf ihren Sohn achten würde, macht sich Rin auf den Weg in den Wald. Es war nicht schwer Sesshōmarus Spur zu folgen. Die abgebrochenen Äste gaben seine Richtung nur zu deutlich preis. Bis sie nach einiger Zeit auf eine weitläufige Wiese stieß. Sie konnte Sesshōmaru nicht sehen, ging aber noch einige Meter weiter. Wenn er sich von hier aus zu weit weg bewegt hatte, würde sie ihn nicht mehr aufspüren können. Dann hätte sie ihn wieder verloren, so wie all die Male zuvor, wenn er mitten in der Nacht verschwand. Doch auch wenn sie ihn nicht sehen konnte, hatte sie das Gefühl, dass er nicht weit weg war. Weshalb sie sich auf einen nahen Stein setzte und ihren Blick über den Horizont gleiten ließ. Es war eine angenehm laue Herbstnacht und der Vollmond tauchte die Welt in schimmerndes Silber. Ein wunderschöner Anblick. Der noch schöner wurde, als der Mond auf Sesshōmarus silberweißes Fell fiel. „Es ist alles in Ordnung, Sesshōmaru. Niemand wird uns hier etwas tun.“, sagte Rin leise in die Nacht. Der Schweif seiner Yōkai-Form zuckte einmal, bevor sie seine große Schnauze an ihrem Arm spüren. Sie hob ihre Hand und streichelte über seinen großen Kopf. „Von hier aus kann man bis zum Horizont sehen. Keine Mauern und Grenzen, die einen Einsperren könnten. Keine Menschen, die böse Absichten verfolgen. Es ist einfach nur friedlich hier. Das finde ich sehr schön.“ Seine Gestalt veränderte sich unter ihrer Hand und dann saß er als Mann direkt hinter ihr und verschränkte die Finger seiner Hand mit ihren. „Manche Nacht kann ich geschlossene Räume nicht ertragen. Wenn die Wände immer näher kommen und du so still neben mir schläfst. So still als… Ich ertrage das einfach nicht… Sie- Sie hatten einen deiner Kimonos in diesem Kerker. Voller Blut. Im Rausch der Steine haben sie mir gesagt, dass sie dich gefangen und getötet hätten. Sie haben mir sehr deutlich beschrieben was sie vor deinem Tod mit dir getan hatten und mit meinen benebelten Sinnen, habe ich es nur zu deutlich vor mir gesehen. Ich habe es ihnen geglaubt und ich habe sie dafür gehasst. Doch ich konnte nichts tun…“ Rin wand sich zu Sesshōmaru um. Noch nie hatte er darüber gesprochen was seit dem Vorfall in ihm vorging. Was er erlebt hatte. Und die Qual in seiner Stimme schnürte ihr die Brust zu. Was sie Sesshōmaru angetan hatten war grausam und unmenschlich gewesen. Das er entkommen und trotzdem so normal sein konnte, war Rin immer wie ein Wunder vorgekommen und jetzt konnte sie erahnen wie sehr er für diese Normalität jeden Tag kämpfte. Wie sehr er sich täglich anstrenge, um vor Rin stark zu erscheinen. Damit sie sich nicht sorgte. Sie wussten genau, dass das sein Beweggrund war und hasste sich dafür, dass er es ihretwegen für Notwendig erachtete. Deshalb wollte sie ihm wenigsten so weit helfen, wie sie konnte. Sie hob seine Hand an ihren Hals und führte seine Finger an die Stelle, an der er ihren Puls spüren konnte. „Spürst du das? Mein Puls schlägt kräftig. Wenn du Angst hast, dass mir etwas passiert sein könnte, dann fühl ihn einfach. Das ist mein Leben, das durch meine Adern fließt. Solange du das spüren kannst, ist alles in Ordnung. Solange bin ich hier bei dir.“ Sesshōmarus Finger glitten vorsichtig ihren Puls entlang und verharrten dann an der Stelle unterhalb ihres Kieferknochens. „Und wenn du willst, können wir immer ein Fenster oder die Tür offen lassen. Dann kannst du sehen, dass dich nichts hält. Nichts auf dieser Welt könnte dich halten. Das hast du bereits bewiesen. Aber ich kann es dir gerne immer wieder sagen.“, fuhr Rin fort. „Ich weiß nicht, was ich getan hätte, hätten ihre Worte der Wahrheit entsprochen…“ Noch nie hatte Rin so viel Liebe und so viel Schmerz auf einmal gespürt. Und sie wusste sich nicht anders zu helfen, als Sesshōmaru an sich zu ziehen und einen Kuss auf seine Lippen zu hauchen. „Ich bin am Leben und du bist es auch, Sesshōmaru. Alles was dir diese verabscheuungswürdigen Menschen gesagt haben, waren Lügen. Das darfst du niemals vergessen. Du bist der Einzige, der mich besser kennt als ich mich selbst. Und du bist auch der Einzige, der weiß wie Stur ich wirklich sein kann. Also weißt du ganz genau, dass ich zu keiner Zeit einfach so den Platz an deiner Seite aufgeben würde. Weder Freiwillig noch unfreiwillig.“, erklärte sie an seinen Lippen. Eine Hand an seine Wange gelegt, sah sie Sesshōmaru tief in die Augen, während sie sprach und aus dem Funken Verzweiflung, wurde ein kleiner Funken der Hoffnung. „Ja, das weiß ich.“, bestätigte er ihr. „Sehr gut. Und solltest du das jemals vergessen, werde ich dich mit Freuden wieder daran erinnern, dass du der mächtigste Yōkai bist, den ich kenne und dass dich nichts aufhalten kann!“ Mit einem Lächeln hauchte sie Sesshōmaru einen weiteren Kuss auf die Lippen und diesmal schlang er seine Arme um ihre Taille und zog sie fest an sich. Kapitel 40: Der Kaiser und der Kirschbaum ----------------------------------------- „Ich bitte vielmals um Verzeihung!“ Aufgeregt sprang Rin auf, als Michihito vor ihr niederkniete und sein Haupt in den Staub drückte. „Michihito! Nicht doch… Bitte, erhebt euch wieder.“, stammelte Rin verlegen. „Es gibt absolut nichts zu verzeihen. Wirklich. Es war nicht eure Schuld.“ Michihito hob langsam den Kopf und seine graugrünen Augen begegneten ihren. „Es gibt sehr wohl etwas zu verzeihen: Meine Unwissenheit und mein Unvermögen zu sehen, was in meinem eigenen Palast vor sich ging. Ein solcher Fehler wird nicht noch einmal vorkommen. Das schwöre ich dir.“ Die Ernsthaftigkeit in seiner Stimme ließ Rin wieder auf ihren Platz unter dem Kirschbaum zurückkehren. In den letzten Monaten hatten sie alle hart daran gearbeitet zurück in ihre altes Leben zu finden. Michihito hatte seine Soldaten überprüft und alle entlassen, die in Verbindung mit dem Daimyō gestanden hatten. Tetsuo und Reiji hatten beide Posten als Hauptmänner erhalten und waren mit der Aufgabe betraut worden neue Soldaten für den Palast auszubilden. Alle Spuren der Kokuryū waren beseitigt und die Midori Yakubarai aus dem Kaierreich verband worden. Mit dem Kampf auf dem Vorhof hatten die Übergriffe auf Yōkai aufgehört und es war Frieden im Land eingezogen. In dieser Ruhe war es Keiji möglich gewesen, seine Verletzung vollständig auszuheilen und zu alter Stärke zurückzukehren. Genauso wie Rin selbst. Weshalb sie sich auch jetzt erst trafen. Hier an diesem Ort, wo für Rin alles mit Michihito begonnen hatte. Unter Konoes Kirschbaum. Mit den goldgelben Blättern des Spätherbstes. „Ich weiß, dass ihr sehr hart daran arbeitet, jedes Unrecht ungeschehen zu machen. Allein dieses Wissen genügt mir um die Schrecken des Taishōs zu vergessen.“, erklärte sich Rin. Bei ihren Worten ging ihr Blick unwillkürlich zu Sesshōmaru, der einige Schritte hinter ihr stand und die ganze Runde im Blick behielt. Denn Michihito hatte nicht nur sie beide heute hier her geladen, sondern auch ihre Brüder. Es waren genau diese Männer, die es Rin ermöglichten, in die Zukunft zu sehen und vor allem Sesshōmaru ließ sie all die Qualen vergessen, die sie durchgestanden hatten. So wie sie versuchte ihn seine Qualen vergessen zu lassen. Als er ihrem Blick begegnete, schenkte sie ihm ein kleines Lächeln. Das Zucken seines Mundwinkels sagte ihr, dass er die Geste erwiderte. Was ein warmes Gefühl in ihrem Inneren entfachte. „Und genau deshalb habe ich euch heute hier her gebeten. Ich weiß, dass ihr aktuell im Osten in eurem Sommerpalast lebt und bisher noch keine Anstalten gemacht habt, euren Palast hier wieder aufzubauen. Aus diesem Grund würde ich euch gerne etwas anbieten.“, begann Michihito. Er zog eine Karte der Stadt hervor und breitet diese zwischen ihnen aus. „Lord Sesshōmaru. Den Standort eures letzten Palastes hattet ihr aufgrund diverser Umweltgegebenheiten gewählt. Ich habe das Land besucht und konnte das genau erkennen. Ihr wähltet einen Ort, abseits großer Menschenmassen und so, dass man die Stellung schwer angreifen aber dennoch gut verlassen konnte. Ihr traft diese Entscheidung mit Sicherheit Aufgrund diverser Umstände und dennoch bot euer Palast nicht so viel Schutz, wie Ihr gehofft hatte. Ich kann mir nur vorstellen, wie schwer es euch fallen muss, an gleicher Stelle ein neues Heim zu errichten… Aus diesem Grund möchte ich euch ein Angebot unterbreiten: Ich wünsche mir einen Pakt zwischen Menschen und Yōkai. Frieden, zwischen den Geistern der Welt und den Menschen, die oft allzu vorschnell urteilen. Ich möchte gerne mit euch den Grundstein legen und das Versprechen von Generation zu Generation weitervererben. So dass es hier für immer einen Ort der Zuflucht und des Schutzes für die Yōkai geben wird.“ Michihito wies auf einen noch unbebauten Teil der Stadt. In unmittelbarer Nähe zu dem Tempel, bei dem sich Fuyu um die verletzte Yōkai kümmerte und sie gerade residierten. „Errichtet hier euren neuen Palast. Belegt mit Zaubern, die die Yōkai vor den Menschen schützen. Zieht in den Schutzkreis der Stadt und seht uns als neue Verbündete, nicht mehr als Feinde. Wir werden euch vor menschlichen Bedrohungen bewahren und ihr uns vielleicht vor den Übernatürlichen?!“ Bei diesem Vorschlag begann Rins Herz zu rasen. Alles was sie sich je gewünscht hatte, Frieden, zwischen den Menschen und den Yōkai, konnte mit diesem Angebot vielleicht wahr werden. Sie könnten ein Refugium aufbauen. Einen Ort, an den man sich in der Not wenden konnte und der die Seinen beschützte. Ein Zuhause, für diejenigen, die keines mehr hatten. Sie sah zu Sesshōmaru auf, der inzwischen neben sie getreten war und die Karte vor sich betrachtete. Er schwieg lange. So lange, dass sich Michihito genötigt sah, noch hinzuzufügen: „Das Ganze ist natürlich nur ein Vorschlag. Ich kann verstehen, wenn ihr keinen Kontakt mehr mit uns wünscht…“ Michihito fuhr nicht fort. Weil er es ungern aussprechen wollte. Er wollte diesen Frieden und er wollte seine neu gewonnene Freundin in seiner Nähe wissen. Wenn sie sich gegen dieses Angebot entschieden, wäre das eine wirkliche Schande… Sesshōmaru sah von der Karte zu Rin und hielt einen Augenblick ihren Blick, bevor er Michihito ansah. „Ich stelle einige Bedingungen, an dieses Angebot.“ Bei diesen Worten begannen Michihitos Augen vor Freude zu leuchten. Auch wenn er noch nicht wusste, was diese Bedingungen waren, schien er die ganze Angelegenheit bereits als besiegelt anzusehen. Rin sah Sesshōmaru mit gerunzelter Stirn an. Sie konnte sich nicht vorstellen, was für Bedingungen er stellen könnte. Doch sie war froh, dass er dieses Angebot nicht einfach so ablehnte. „Die Details können wir gerne noch ausarbeiten. Ich bin nur froh, dass wir gemeinsam in eine friedlichere Zukunft sehen können.“, erklärte sich Michihito und neigte respektvoll seinen Kopf vor Sesshōmaru. Dieser erwiderte die Geste und Rin kam es so vor, als könnten die Beiden irgendwann vielleicht so etwas wie Freunde werden. Auch wenn Sesshōmaru Menschen, aufgrund ihrer Schwäche, eher ignorierte wie lästige Insekten, begann er doch langsam sie wie lebende Wesen zu begreifen. Das freute Rin ungemein und sie lächelte unwillkürlich. „Ich habe auch noch etwas für dich, Rin.“ Zufrieden, dass sein größtes Vorhaben geklappt hatte, griff Michihito voller Elan in die Innentasche seines Kimonos. Er zog etwas hervor, das in ein rotes Tuch eingeschlagen war und reichte es Rin. Diese nahm das handgroße Paket neugierig entgegen. Es war schwerer als erwartet und sie begann es vorsichtig auszupacken. Zum Vorschein kam eine goldene Scheibe. „Michihito!“ Überrascht sah Rin auf. Sie wusste nicht was sie sagen sollte. In ihren Händen hielt sie ein Kaiserliches Siegel. Etwas, was nur dem Kaiser selbst und seiner engsten Familie vorbehalten war. „Es gehört dir. Nimm es und solltest du jemals wieder Probleme mit einem Menschen haben, kann dir das hoffentlich von Nutzen sein.“, erklärte sich Michihito. „Außerdem soll das auch ein kleiner Anreiz für mich sein. Denn ich will, dass mein Name und mein Titel wieder etwas bedeutet und nicht von machthungrigen Menschen in die Bedeutungslosigkeit gedrängt wird.“ Rin hatte das Siegel nicht annehmen wollen. Das wäre viel zu viel der Ehre gewesen. Dafür, dass sie gar nichts getan hatte… Doch nachdem sie seine Erklärung gehört hatte, zögerte sie. Wenn Michihito mit dieser Geste auch an sich selbst arbeiten wollte. Wenn dieses Siegel eigentlich eine Art Arbeit für ihn bedeutete, konnte sie es unmöglich ablehnen. Denn dann würde sie seine Mühen nicht wertschätzen. Mit einem resignierenden Seufzen nickte Rin. Wahrscheinlich war das genau Michihitos Absicht gewesen. „Wenn das so ist, kann ich es natürlich nicht ablehnen. Ich danke dir, Michihito.“ Offenbar zufrieden mit ihrer Antwort schenkte er ihr ein breites Lächeln. „Ausgezeichnet. Dann habe ich jetzt nur noch einen weiteren Punkt, der zu klären ist. Taii Maeda, Gunsō Benjiro und Berater Kazuma bitte tretet vor.“ Keiji, Benjiro und Kazuma hatten ihre Plätze schräg hinter Rin zugewiesen bekommen. Nun sahen sich alle drei kurz an, bevor sie sich erhoben, vor traten und sich vor Michihito knieten. „Soweit ich korrekt informiert bin, habt ihr drei einen großen Teil zum Sieg über Maeda Toshiie beigetragen. Aus diesem Grund möchte ich euch gebührend danken. Taii Maeda, da die Position des Taishōs seit einiger Zeit unbesetzt ist, will ich euch diese Aufgabe anvertrauen. Ich denke, dass ihr dem durchaus gerecht werdet.“ Keiji zuckte merklich zusammen, als er das hörte. Er drückte seinen rechten Arm fester an seine Brust und neigte seinen Kopf bis zum Boden. „Es ist mir eine Ehre, mein Tennō… Aber seid ihr euch damit wirklich sicher?“ Normalerweise widersprach man seinem Kaiser niemals. Doch sie waren hier in einer privateren Umgebung und selbst vor ganz Japan hätte Keiji diese Frage gestellt. Als Rin das hörte zog sich ihr Herz schmerzhaft zusammen. Sie hatte mit Kazuma und Benjiro gesprochen. Über Keiji und wie er den Verlust seiner Hand verkraftete. Und auch wenn er versuchte alles mit einem Lächeln zu überspielen, hatte dieser Verlust doch ein Stück seiner selbst zerstört. Sein Selbstvertrauen war erheblich angeschlagen, weshalb er sich offenbar nicht mehr allzu viel zutraute. „Das bin ich durchaus und darüber gibt es nichts mehr zu diskutieren. Es ist bereits entschieden und die Siegel sind bereits in Arbeit. Schon heute Abend werdet ihr eure neue Position antreten, Taishō Maeda.“ Michihito sprach wie der Kaiser, der er war und Keiji konnte nur noch nicken und sein Haupt noch etwas tiefer senken. „Dann danke ich euch, für diese Chance…“ „Sehr gut. Da die Stelle des Taii somit gerade frei geworden ist, werdet ihr diese Position übernehmen, Benjiro. Wenn wir mehr von eurer Sorte in der kaiserlichen Armee begrüßen können, kann das sicher nicht schaden. Deshalb betraue ich euch zusätzlich mit einem Sonderposten. Stellt mir eine Truppe zusammen, in der auch Yōkai einen Platz finden. Vielleicht gelingt uns das in Zusammenarbeit mit dem Mōri-Clan und der Herrin von Yamaguchi.“ „Wie ihr Wünscht, mein Tennō.“, war Benjiros demütige Antwort und auch er neigte seinen Kopf auf den Boden. „Gut. Berater Kazuma, ich denke es ist die klügste Lösung, wenn ihr den neuen Taishō und den neuen Taii weiterhin als Berater zur Seite steht… Um den Ärger auf ein Minimum zu reduzieren.“ Michihito konnte sich ein Lächeln bei seinen Worten nicht verkneifen und auch Rin konnte nicht um hin zu Lächeln. Sie verbarg ihres jedoch hinter ihrer Hand und sah schnell weg, als Keiji ihr einen schockierten Blick zuwarf. Es war durchaus möglich, dass Rin Michihito die eine oder andere Geschichte über ihre Brüder erzählt hatte. Dass er sich diese tatsächlich zu Herzen nehmen würde, war unerwartet aber wohl kein Fehler. „Das werde ich mit Freuden tun, mein Tennō.“, antwortete Kazuma mit einem Grinsen. Nachdem sich alle Drei verbeugt hatten, erhoben sie sich wieder um sich zurückzuziehen, doch da hielt Michihito Keiji noch einmal zurück. „Taishō Maeda. Da ist noch eine Sache, mit der ich euch beauftragen will.“ Keiji wand sich wieder Michihito zu und kniete sich erneut vor diesen. „Dem Maeda-Clan fehlt im Moment ein Clan-Oberhaupt. Ich habe kürzlich erfahren, dass Maeda Toshiie sich diesen Titel widerrechtlich angeeignet hat… Aus diesem Grund ernenne ich euch hiermit zum rechtmäßigen Oberhaupt des Maeda-Clans. Mit der Bedingung, dass dieser Titel nur an eins eurer Kinder vererbt werden kann. Ob leiblich oder angenommen steht euch dabei frei.“ Rin konnte den Schock in Keijis Gesicht sehen, als sich Michihito, zufrieden mit sich selbst, zurücklehnte und einen Schluck Tee genehmigte. So lange hatte Keiji dafür gekämpft seinen Onkel zu besiegen und die Kontrolle über seinen Clan zurückzuerlangen. Dass er es jetzt geschafft hatte, musste ihm die Welt bedeuten. Weshalb Rin aufstand und Keiji um den Hals fiel. Alle Etikette ignorieren umarmte sie ihren Bruder und drückte ihn fest an sich. „Herzlichen Glückwunsch, Nii-san. Das hast du wirklich verdient.“ Vor lauter Freude stiegen Rin die Tränen in die Augen. Doch das war ihr egal. Sie freute sich für Keiji und an seiner statt. Da ihn der Schock offensichtlich sprachlos gemacht hatte. Auch Benjiro und Kazuma kamen zu ihm und klopften ihm brüderlich auf die Schulter. Bis sich Keiji langsam wieder erholte und zu Michihito sah. „Ich danke euch, mein Tennō. Ich werde euch nicht enttäuschen.“ „Davon gehe ich aus.“, war Michihitos einfache Antwort. „Und jetzt lasst uns feiern!“, fügte er mit einem Lächeln hinzu. „Für eine bessere, friedlichere Zukunft. In der jeder akzeptiert werden kann, wie er ist.“ Daraufhin wurden Tabletts mit Essen und Trinken gebracht und sie alle saßen in ungezwungener Atmosphäre unter Konoes Kirschbaum und genossen den Frieden und die neuen Chancen, die ihr eingeschlagener Weg bringen konnte. Epilog: Ein Blick in die Zukunft -------------------------------- Rin trat hinaus auf die Engawa, die in den Vorhof führte. Eigentlich hatte sie Sesshōmaru zum Essen rufen wollen, doch sie blieb am Geländer stehen, als sie sah, wie er mit Jiyū sprach. Sie konnte nicht hören, worüber sie sprachen, doch nach wenigen Augenblicken nickte Jiyū, verneigte sich knapp und erhob sich dann in die Lüfte. Sobald Jiyū verschwunden war, wand sich Sesshōmaru um und als er Rin sah, huschte ein Lächeln über seine Lippen. Dieses Lächeln, dass sie so sehr an ihm liebte und das nur sie allein kannte. Sie erwiderte das Lächeln und streckte ihm eine Hand entgegen. Der Einladung folgend trat Sesshōmaru zu ihr und legte seine Hand in ihre. „Ich wusste nicht, dass du Jiyū mit zusätzlichen Aufträgen betraust. Wohin ist sie jetzt unterwegs?“, fragte Rin interessiert, als Sesshōmaru sie erreichte. Sesshōmaru betrat über einen großen Stein die Engawa. Vor Rin blieb er stehen und ließ seinen Blick über sie wandern, bevor er eine Hand auf ihren runden Bauch legte. „Sie soll sich noch einmal umsehen. Ich will keine unerwarteten Gäste hier haben!“ Auf seine Erklärung hin, lehnte sich Rin an ihren Mann und legte ihre Hand auf seine. Es war bereits Ende Oktober. Normalerweise hätten sie mittlerweile alle Vorkehrungen getroffen um zu ihrem neuen Winterpalast nicht weit außerhalb der Hauptstadt zu reisen. Sie hätten gepackt und wären in den nächsten Tagen aufgebrochen. Doch dieses Jahr hatten sie ihre Abreise nach hinten verlegt. Eher gesagt hatte Sesshōmaru das so entschieden. Sie würden warten, bis ihr zweites Kind in ein paar Tagen geboren wurde, denn nichts ließ sich so gut verteidigen, wie ihr Palast in den Wolken. Zudem hatte Sesshōmaru alles getan, um die Sicherheit im Sommerpalast zu erhöhen und Rin hatte ihm zuliebe sogar ihre Besuche auf der Erde eingeschränkt. Zwar hatte Rin immer wieder betont, dass sie sich bei Sesshōmaru jederzeit sicher fühlte, egal wo sie sich befanden, doch sie hatte seinen Bedenken nachgegeben. Immerhin hatten die drei monatige Trennung vor vier Jahren und die damit verbundenen Strapazen, alle verändert. Vor allem Sesshōmaru. Er war viel besitzergreifender und territorialer geworden. Manchmal sogar etwas überfürsorglich, aber das Ganze hatte sich mittlerweile auf ein gesundes Maß reduziert. „Beanspruche sie bitte nicht zu sehr. Immerhin muss sie mich auch noch ertragen.“, entgegnete Rin mit einem Lächeln, fügte dann allerdings noch hinzu: „Und mach dir keine Gedanken. Uns geht es gut!“ Dabei führte sie seine Hand über ihren üppigen Leib an eine höhere Stelle. So, dass er die Tritte ihres Kindes spüren konnte. Sesshōmaru verharrte ganz still in dieser Position, bis die Tritte wieder nachließen und man sie nicht mehr spüren konnte. „Wenn sie groß ist, wird sie sicher einmal stark werden.“, sagte Sesshōmaru geistesabwesend, während er sich widerstrebend von Rin löste. „Was lässt dich glauben, dass es ein Mädchen wird?“ Sesshōmaru hob seinen Blick von ihrem Bauch um ihrem zu begegnen. „Du hast deinen Willen bereits bekommen, da wäre es nur fair, wenn es ein Mädchen wird.“, sagte Sesshōmaru so ernst, als würde er einem Todfeind im Kampf gegenüber stehen. Diese Kombination seiner Worte und seiner Ausstrahlung ließ Rin lachen. „Ich glaube nicht, dass das so funktioniert. Aber da ich weiß wie glücklich dich das machen würde, werde ich nicht widersprechen.“, lächelte Rin. Sesshōmaru wollte schon etwas erwidern, als ihn das Getrippel kleiner Füße aufsehen ließ. „Mama!“ Rin drehte sich um und sah die Engawa entlang, von wo aus ihr Sohn angelaufen kam. In einigem Abstand verfolgte Jaken den kleinen Lord. Seitdem sie zu ihrem Palast zurückgekehrt waren, hatte Sesshōmaru seinem einzigen Diener befohlen von nun an auf seine Kinder zu achten. Das hatte dem kleinen Kappa alles andere als zugesagt, doch nach einem ernsten Blick von Sesshōmaru hatte er diese Ehre, wie er es nannte, angenommen. Jetzt war er die meiste Zeit des Tages damit beschäftigt Akatsuki zu unterhalten und ihm hinterher zu laufen. Ein bisschen tat Rin die ganze Sache leid, doch sie wusste, dass niemand diese Aufgabe so verantwortungsvoll ausführen würde, wie Jaken. Als ihr Sohn sie fast erreicht hatte, ging Rin in die Hocke und breitete die Arme aus. „Da ist ja mein großer Junge.“, begrüßte sie ihn mit einem strahlenden Lächeln. Mit einem glücklichen quicken fiel Akatsuki in die Arme seiner Mutter und drückte sie fest. „Mama. Jaja ist wieder vom Dach gefallen!“ Bei diesen Worten sah Rin von ihrem Sohn zu Jaken. Dieser sah tatsächlich etwas ramponiert aus, als er sie schließlich erreichte. Seine Kleidung war am Saum teilweise eingerissen und sein Hut saß leicht schief auf seinem Kopf. „Mylord. Dieser Junge… Noch nie im Leben habe ich jemand so ungehorsames –“, begann sich Jaken aufzuregen, doch ein Blick von Sesshōmaru ließ den Kappa schlagartig verstummen und er verneigte sich tief. „Ich… Ich meine natürlich. Er ist das anständigste Kind, dass ich kenne.“, korrigierte er sich dabei schnell. Jedes Mal, wenn etwas passierte, beschwerte sich Jaken über seine neuen Aufgaben. Doch Sesshōmaru duldete keine Ausreden von ihm. Weshalb Jaken immer klein bei gab. Und nachdem das wieder einmal geklärt war, sah Rin ihren Sohn wieder an. „Aber was hat Jaja denn auf dem Dach gemacht?“ Mit Jaja meinte Akatsuki Jaken, denn obwohl er sonst sehr überlegt und gewählt sprach, hatte er Jaken noch nie bei seinem Namen genannt. Zuerst, hatte er ihn nur Jaja genannt, weil er seinen Namen nicht hatte aussprechen können, doch mittlerweile glaubte Rin, dass Akatsuki ihn mit Absicht so nannte. Vielleicht, weil er sich immer anstellte, als hätte er keine passendere Bezeichnung verdient. „Er hat mir Onkels Ball herunter geholt.“, erklärte Akatsuki mit einem Lächeln und zog den Ball aus seinem Ärmel. Rin nahm ihm den handgroßen Ball ab und betrachtete ihn einen Moment. Während sie ihn langsam drehte klang ein kleines Glöckchen, das sich im Inneren des Balls befand. Es war ein wirklich hübsches Geschenk. „Und wie ist der Ball auf das Dach gekommen? Du sollst Geschenke doch gut behandeln. Wenn sie gleich kaputt gehen bringen dir deine Onkel vielleicht nichts mehr mit.“, erklärte Rin, bevor sie Akatsuki den Ball zurück gab. „Das war meine Schuld, Imōto-san!“ Beim Klang von Keijis Stimme sah Rin auf. Ihr ältester Bruder kam nun ebenfalls auf sie zugelaufen, gefolgt von Benjiro und Kazuma. Die Drei waren vor einer Woche angekommen und würden bleiben, bis sie in den Winterpalast umzogen. „Wir haben es beim Spielen möglicherweise etwas übertrieben.“, fügte Benjiro mit einem tadelnden Blick auf Keiji hinzu. Als sie das hörte, musste Rin lachen. „In Ordnung ihr Raufbolde. Das Essen ist fertig und ich verlange, dass ihr dort alle erscheint. Nachdem ihr euch die Hände und das Gesicht gewaschen habt.“ Während Rin sprach streckte sie ihre Hand nach Sesshōmaru aus, der ihr half sich wieder aufzurichten. An seiner Seite, ganz die Herrin des Palasts über den Wolken strahlte sie eine Aura aus, die ihre Brüder etwas blass um die Nase werden ließ. „Hast du gehört Akatsuki? Deine Mutter schickt uns ohne Abendessen ins Bett, wenn wir uns nicht beeilen.“ Kazuma war neben Akatsuki getreten und flüsterte ihm die Worte ins Ohr. Gerade so laut, dass Rin sie noch hören konnte. Mit einem amüsierten Grinsen in ihre Richtung nahm er Akatsukis Hand und lief mit ihm davon. Gefolgt von Keiji und Benjiro und einem atemlosen Jaken, der lautstark wegen des Tempos protestierte. Bei diesem Anblick konnte sich Rin ein Kichern nicht verkneifen. „Manchmal denke ich, dass du Recht hast. Ich habe wirklich ein Talent dafür, die verrücktesten Menschen anzuziehen.“, sagte sie und lehnte sich an Sesshōmarus Arm. „Wäre es anders, wäre es dir hier sicherlich schon längst zu langweilig geworden.“ „Niemals!“ Sie widersprach sofort, als Sesshōmaru das sagte und sah zu ihm auf, um ihre Meinung noch zu bekräftigen. Doch bevor sie etwas sagen konnte, stahl sich Sesshōmaru einen Kuss von ihren Lippen. Dieser Kuss überraschte sie so sehr, dass sie nicht reagieren konnte, bevor sich Sesshōmaru wieder von ihr zurückzog. Das war etwas, was er nur tat, wenn sie wirklich allein waren und Rin konnte nicht verhindern, dass ihr Röte in die Wangen stieg. Selbst nach all den Jahren erzeugte er diese Reaktion bei ihr, wenn er etwas Unerwartetes tat. „Gut… Vielleicht habe ich trotzdem noch die ein oder andere Überraschung für dich parat...“ Sesshōmaru sprach nicht weiter, sondern machte Anstalten den Palast zu betreten. Rin eilte an seine Seite und sah ihn neugierig an. „Was meinst du damit?“, fragte sie, doch Sesshōmaru antwortete nicht mehr.     Nachdem das Essen abgeräumt worden war holte Rin ihrer Kokyū heraus und spielte ein paar Lieder drauf. Keiji hatte sie darin unterrichtet, nachdem sie ihn unzählige Male darum angefleht hatte. Da er das Instrument nicht mehr spielen konnte, hatte Rin ihm dieses Geschenk machen wollen, dass ihn so sehr an seine Mutter erinnerte. Und es hatte sich als äußerst beruhigend herausgestellt. Sie alle lauschten auf ihre kleine Vorführung, bevor sie sich bei Tee und Sake zusammensetzten. Sesshōmaru betrachtete das Geschehen etwas Abseits. Er ließ seine Familie nicht aus den Augen, doch diese Abende mit ihren Brüdern waren vor allem für Rin und er wollte, dass sie sich voll auf die Drei konzentrieren konnte. Rin hielt eine Tasse Tee in Händen und beobachtete ihre Brüder, wie sie Akatsuki beibrachten seinen neuen Ball mit dem Fuß durch Benjiros Beine hindurch zu schießen. Diese Lücke sollte als Tor dienen und derjenige, der die Lücke traf hätte gewonnen. Die ganze Halle war erfüllt von Lachen und Rin schloss einen Moment die Augen und genoss das Gefühl ihre Familie um sich herum zu haben. Unwillkürlich glitt eine Hand auf ihren Bauch und ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Bald würde ihre Familie noch einmal Zuwachs bekommen. Sie konnte es kaum erwarten, wenn sie daran dachte. „Ich danke dir, Imōto-san.“ Keijis Stimme ließ sie ihre Augen wieder öffnen. Er hatte sich neben sie gesetzt und eine Tasse Tee genommen. Als er sie jetzt ansah, fiel Rins Blick auf das rote Band, dass eine Strähne seiner Haare im Zaum hielt. Diesem Band verdankte er es, dass er sie jetzt ohne Einschränkung ansehen konnte. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, als sie ihm die Haare zum ersten Mal geflochten hatte und jedes Jahr zu seinem Geburtstag band sie ihm ein neues Stück Stoff ans Ende dieses Zopfes. Etwas anderes wollte er von ihr nicht akzeptieren. „Wofür?“, fragte Rin, als sie sich wieder an seine Worte erinnerte. „Für deinen Dickschädel. Hättest du mich nach der Schlacht aufgegeben, wäre ich heute nicht mehr hier. Und für dein Herz. Denn ohne dieses riesige, uneingeschränkt liebende, schlagende Ding in deiner Brust, wären wir nicht eine solche Familie geworden.“ Keijis ehrliche Worte ließen Tränen in Rins Augen steigen und sie stieß ihn undamenhaft gegen die Schulter um ihn weg zu schieben. „Bring mich hier nicht vor allen zum Weinen, Nii-san!“, warnte sie ihn, bevor sie mehrfach blinzelte. „Ich meine das ernst! Außerdem muss ich dir für dein Spiel danken.“ Keijis Blick ging an das Ende seines rechten Arms. Ein sehr talentierter Holzschnitzer hatte ihm eine Prothese aus Holz angefertigt, mit der er einiges tun konnte. Doch seine Hand konnte das natürlich nicht ersetzen. „Bei all dem Wahnsinn mit meinem Onkel hätte ich nie erwartet, dass ich noch einmal den Klang der Kokyū hören würde. Aber wenn du spielst, kommt es mir so vor, als hätte ich meine Mutter vor mir. Du bist wirklich begabt und das ist das größte Geschenk für mich.“ „Du beschämst mich. So gut bin ich noch lange nicht. Ich muss noch viel üben… Und ich erwarte deine Hilfe dabei.“ Keiji schenkte ihr ein Lächeln, bei diesen Worten. „Die wirst du bekommen. Wann immer du etwas brauchst. Ich bin da um dir zu helfen, Imōto-san.“ Er hob seine Tasse, wie zum Prost, trank aus und stellte die Tasse zurück auf das Tablett. „Ich muss noch einmal nach meinem Neffen sehen. Ich habe die böse Vorahnung, dass Kazuma ihm sonst nur Dummheiten beibringt.“, erklärte er sich, bevor er sich erhob und zu den anderen zurückkehrte. Wäre Rin nicht so kurz davor ihr Kind zu bekommen, hätte sie mit ihren Brüdern und ihrem Sohn gespielt. Doch so blieb sie, wie die Herrin dieses Palastes, brav auf ihrem Platz sitzen und genoss es, wie alle anderen Spaß hatten. Kaum hatte Keiji Akatsuki erreicht hob er den Kleinen auf seine Schultern und sprang mit ihm durch die Halle, als wäre er ein stolzes Streitross. Diesen Moment nutzte Kazuma, um jetzt ebenfalls an Rins Seite zu kommen. Rin streckte ihm eine Hand entgegen, als er sie erreichte und er ergriff sie mit einem Lächeln. „Ich wünschte ihr würdet das ganze Jahr über in Heian-kyō bleiben. Dann könnten wir euch viel öfter besuchen und Akatsuki könnte immer zum Spielen kommen.“ Rin hörte den leicht traurigen Unterton in Kazumas Stimme und lehnte sich an die Schulter ihres jüngsten Bruders. „Damit er nur Dummheiten und Streiche von euch lernt? Ich glaube es tut ihm ganz Gut, ab und an auch etwas anderes zu sehen.“, scherzte sie. Gespielt beleidigt verschränkte Kazuma seine Arme vor der Brust und blies seine Backen auf. „Lügen! Das sind wilde Spekulationen. Wir würden ihm natürlich auch ein paar nützliche Dinge beibringen. Ab und zu, wenn es die Zeit erlaubt.“ Bei seinem heftigen Protest musste Rin lachen. „Lass mich das beurteilen, wenn wir wieder im Winterpalast eingezogen sind.“ „Wer hätte gedacht, dass dich die Mutterrolle zu einer kleinen Spielverderberin macht…“ „Das bin ich überhaupt nicht! Ich denke nur, dass ihr bloß Unfug im Sinn habt, wenn ihr Zeit mit meinem Sohn verbringt… Möglicherweise ist aber auch mein Sohn der schlechte Einfluss und ich will euch nur vor ihm schützen?!“ „Möglicherweise.“, lachte Kazuma und sah zurück zu Akatsuki. Dieser hatte sein Streitross inzwischen gewechselt und ritt nun auf Benjiros Schultern durch den Raum. Sie jagten Keiji hinterher, der offenbar einen wilden Piraten auf der Flucht spielte. Rin musste bei diesem Anblick lächeln. Wenn sie jemals einen Moment des puren Glücks beschreiben sollte, dann wäre es einer wie dieser. Ihr Ehemann, ihr Kind, bald Kinder, und ihre Brüder. Vereint mit einem Lachen und dem wohligen Gefühl von Liebe in der Magengegend. „Onii-chan, sag mir eins. Als ich nach der Schlacht zurück ins Leben kam und du meine Hand berührt hast. War es das hier, was du gesehen hast?“ Normalerweise würde Rin nichts von der Zukunft wissen wollen, die Kazuma sah. Weshalb sie ihn auch niemals nach seinen Visionen fragte. Solange er nicht von sich aus begann davon zu erzählen. Doch dieser Moment fühlte sich so an, als konnte dass das glückliche Ende sein, dass sie sich immer gewünscht hatte. Kazuma sah Rin an, als er ihr seine handschuhlose Hand anbot. Die Handfläche nach oben gestreckt, lud er sie ein, ihre Hand hinein zu legen und sie folgte der Einladung. Ihr Bruder hielt den Atem an, als die Vision vor seinem inneren Auge ablief. Er atmete erst wieder aus, als er seine Hand zurückzog. Einen Moment lang überlegte er, was er sagen konnte, bevor er mit einem Lächeln antwortete: „Ja, ich habe das hier gesehen… und noch so viel mehr.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)