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Die 12 Prüfungen der Shina Fay

von

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Prolog

Prolog

Eteria, erster Sommer nach der großen Sonnenfinsternis

Es war still in den Wäldern Eterias. Den ganzen Tag über hatte die Sonne heiß vom wolkenlosen, blauen Himmel geschienen und den Bewohnern des Landes Hitze und Leid beschert. Auch die Elfen, die in den Wäldern lebten, schwitzten um die Wette. Nun aber wurde es Abend, und die Sonne begann hinter den weit entfernten Bergen unterzugehen. Stunde um Stunde färbte sich der Himmel über dem Land mehr und mehr rot. Die Elfenprinzessin White Angel sehnte die Nacht herbei, denn dann würde sie auf der magischen Lichtung im Wald den Mann treffen, der ihr so oft im Traum erschienen war. Ator war sein Name. Auch wie er aussah wusste sie genau. Lange, braune Haare, ein muskulöser Körper, ein hübsches, ovales Gesicht und wunderschöne braune Augen.

Glücklicherweise war heute das große Fest, mit dem das Ende der großen Sonnenfinsternis gefeiert wurde. Und das hieß, dass sich ihr Vater König Etgo sich wieder bis zum Stehkragen besaufen würde. White Angel konnte dies nur Recht sein. Denn so konnte sie sich ungesehen von den Wachen und den anderen Bewohnern des Dorfes unbemerkt von der Feier entfernen und zu ihrem Rendezvous aufbrechen. Doch White Angel musste vorsichtig sein, denn da war noch ihr Sohn Prinz Leto, den sie von einem unbekannten Dunkelelfen empfangen hatte, der sie auf der Durchreise durch Eteria verführt und geschwängert hatte.

Nach der Geburt ihres Kindes hatte ihr Vater seine Tochter verstoßen und wollte erst dann einer Rückkehr zustimmen, wenn White Angel in seinen Augen geläutert wäre. Dies war letzten Sommer geschehen. Leto war zu dem Zeitpunkt schon zu einem jungen Mann herangereift. Doch die Schamanen im Dorf hatten schnell seine dunklen Wesenszüge erkannt und beobachteten ihn mit Argusaugen.

Als die Nacht hereinbrach schlich sich White Angel in die Speisekammer und packte ein paar Stücke kalten Fasanbraten, etwas Brot und Käse und eine Flasche Wein in einen kleinen Stoffbeutel. Sie machte gerade einen Knoten, als sie hinter sich die Stimme ihres Vaters hörte. „So, so. Meine Tochter gedenkt, sich vor der Teilnahme am Fest zu drücken. Wer ist denn der Glückliche?“ „Ator.“ „Der Sohn von Ladril?“ „Eben jener.“ „Jetzt hör mir mal gut zu. Ator ist der Sohn eines Feindes. Wenn Du dich mit ihm einlässt, entehrst du uns.“ „Etgo, alter Freund. Zürne deiner Tochter nicht. Lass sie tun, was ihr von den Göttern auferlegt wurde.“ 01

Diese Stimme erkannte White Angel. Sie gehörte Halgrim, dem ältesten und weisesten aller Schamanen. „Du sprichst in Rätseln Halgrim. Wer hat meine Tochter auserkoren? Und wofür?“ „Du weißt alter Freund, dass ich vor dir schon deinem Vater gedient habe. Und davor deinem Urgroßvater. Ich habe die Zeichen gedeutet Etgo. White Angel wird noch ein Kind zur Welt bringen, das die Elfenvölker Eterias im Kampf gegen die Dunkelelfen einen und führen wird. Ganz so, wie es in der alten Prophezeiung steht.“ König Etgo schlug sich an die Stirn. „Die alte Prophezeiung!“, rief er aus, fasste sich aber wieder. „Und Ator soll der Vater dieses Kindes sein?“ „So haben es die Götter bestimmt.“

Nur widerwillig ließ Etgo seine Tochter gehen, doch Halgrim ließ nicht locker. „Die Dunkelelfen haben deine Tochter nur deshalb ausgewählt, um unseren Clan zu schwächen. Wenn wir uns untereinander nicht vertrauen können und uneins sind, werden wir uns ganz schnell in Scharmützel mit den anderen Völkern verzetteln. Leto soll zusätzlich für Zwietracht sorgen und die Kluft zwischen den Stämmen noch tiefer werden lassen. Nur so können die Dunkelelfen unser Land einnehmen.“, hatte Halgrim erklärt. „Nun gut. Dann soll es so sein. Geh meine Tochter und lass die alte Prophezeiung sich erfüllen.“ So hatte sich White Angel voller Freude auf den Weg gemacht und dabei den schwarzen Falken übersehen, der ihr folgte. Leto, ihr Sohn, hatte ihn hinter ihr her geschickt, um herauszufinden, was seine Mutter vorhatte. Der Falke, ein Geschenk seines Vaters, war sein Spion, eine Verlängerung seiner Augen und Ohren.

Der Falke folgte White Angel unauffällig, doch weit vor der magischen Lichtung, war seine Reise beendet. Ein Schutzwall aus magischer Energie umgab die Lichtung und machte es dem Tier unmöglich der Mutter seines Herren weiter zu folgen.

Auf der Lichtung entledigte sich White Angel ihrer Kleidung und wartete auf Ator. Und lange musste sie nicht warten, denn kurz nach ihr erschien der Sohn von Ladril. Auf seinem Handgelenk saß eine Schleiereule. „Die ist für dich.“, sagte er. „Ist die hübsch. Wie heißt sie?“ „Estrelle.“ „Hübscher Name. Aber jetzt sollten wir uns dem zuwenden, weswegen wir uns verabredet haben.“, sagte White Angel und erhob sich. „Du meinst die Prophezeiung?“ „Das hast Du sehr richtig erkannt Ator.“

Nun stand sie im Mondschein vor ihm. Kein Kleidungsstück verhüllte ihren schönen Elfenkörper. Ihre Haut war weiß, wie Alabaster. Ihre blonden Haare fielen offen über die Schultern und bedeckten einen kleinen Teil ihrer wohlgeformten Brüste. In ihren grünen Augen konnte Ator pure Lust erkennen. Bei den Göttern! Er begehrte diese Frau, ebenso wie sie ihn begehrte. 02

Später lag White Angel mit dem Rücken auf dem warmen, weichen Erdboden. Ator lag auf ihr und war völlig außer Atem. Sie hatten sich wild im Schein des Mondes geliebt. Die Schreie von Etgos Tochter hatten Ator noch mehr angespornt und er hatte sie noch härter genommen, bis beide in einem gemeinsamen Orgasmus explodierten. Wellen der Lust rasten durch die Körper der beiden. Dann spürte White Angel, wie sich Ator in sie ergoss. Der Falke, Letos Spion, hatte davon nichts mitbekommen, denn der magische Schutzwall hatte kein Geräusch nach außen dringen lassen. Und so trug es sich zu, dass Leto nie etwas von der Erfüllung der Prophezeiung erfuhr.

Eteria, erster Herbst nach der großen Sonnenfinsternis

Der Frühling war dem Sommer gewichen, und White Angels Bauch hatte sich zu einer Kugel ausgebildet. Nun war jedem im Dorf klar, dass Etgos Tochter ein Kind erwartete. Auch Leto hatte inzwischen begriffen, dass seine Mutter von einem anderen Mann ein Kind erwartete. Also hatte sich die Prophezeiung erfüllt. Verdammt! Und er hatte nichts davon mitbekommen.

Es war ein kühler Herbstabend, als bei White Angel die Wehen einsetzten und sie unter heiligen Dorfeiche zusammenbrach. Ator war sofort bei ihr und fing sie auf. Zahlreiche Heiler und andere Helfer eilten herbei um Etgos Tochter in dieser leidensvollen Stunde beizustehen. Eine Hebamme brachte eine Schüssel mit warmem Wasser und jede Menge Stoffhandtücher mit.

Die Geburt von White Angels Kind war nicht nur schmerzhaft, sie zehrte auch sehr an ihren Kräften. Etgos Tochter gebar eine gesunde Tochter, die den Namen Shina Fay erhielt, was in der Sprache der Menschen „Prinzessin der Eiche“ bedeutet. Nach der Geburt zogen Ator und White Angel in den Wald und lebten dort in einer selbst gebauten Blockhütte, damit ihre Tochter wohl behütet und beschützt von den Geistern des Waldes aufwachsen konnte.

Eteria, erster Winter nach der großen Sonnenfinsternis

Der Winter war ins Land gekommen und Shina Fay hatte gerade laufen gelernt. Zu allem Überfluss hatte sie vor nichts Angst und ging keiner Konfrontation aus dem Weg. Und so kam es, dass an einem kalten Wintertag sich die junge Elfe mit einem Bären anlegte. Shina Fay hatte gerade ein paar Forellen aus dem Fluss gefangen, als der Bär sich ihren Fang holen wollte. Doch die Elfe ließ nicht verjagen. Als sich der Bär zu seiner vollen Größe aufrichtete, brachte sich Shina Fay mit einem Hechtsprung zur Seite in Sicherheit. Nur so konnte sie dem Hieb mit der Pranke entkommen. Sie kletterte auf einen Baum und sprang dem Tier von dort aus auf den Rücken und schlang ihre Arme um 03

seinen mächtigen Hals. Fast den ganzen Tag kämpfte White Angels und Ators Tochter mit dem Bären. Doch schließlich schaffte sie es das mächtige Tier niederzuringen und anschließend mit einem Dolchstoß zu töten. Der Triumphschrei, den sie anschließend ausstieß war sogar noch bis in das Dorf ihrer Mutter zu hören. Ihr Großvater König Etgo fiel von dem Gebrülle schlaftrunken aus dem Bett.

„Wer brüllt denn hier so laut? Noch dazu am späten Abend.“ „Ich befürchte, dass war deine Enkelin, Etgo alter Freund.“ „Shina Fay? Bei den Göttern, was hat diese kleine Göre jetzt schon wieder angestellt?“ „Sie hat sich mit einem Bären gemessen und ihn besiegt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Shina Fay das Kind aus der Prophezeiung ist. Wer sonst könnte im zarten Kindesalter schon einen ausgewachsenen Bären bezwingen und töten?“ „Wohl wahr. Dann wird meine Enkelin wohl bald ihre Kriegerausbildung beginnen.“

Shina Fay sah noch einmal auf das mächtige Tier, dass sie mit eigenen Händen erlegt hatte. Sie konnte es immer noch nicht glauben, dass sie dies getan hatte. Doch inzwischen war die Nacht hereingebrochen und Etgos Enkelin war nicht mehr in der Lage, den Weg nach Hause zu finden. So furchtlos Shina Fay auch war, doch in diesem Augenblick hatte sie Angst. Sie schalt sich in Gedanken für ihre eigene Dummheit, sich mit dem Bären zu messen. „Warum konnte ich meinen Stolz nicht unter Kontrolle halten? Warum habe ich ihn von mir Besitz ergreifen lassen?“, fragte sie sich immer wieder.

Doch plötzlich wurde ihr gewahr, dass sie noch nicht einmal in der Lage war ein Feuer zu machen und diese Erkenntnis traf sie wie ein Fausthieb in den Bauch. Sie ließ sich auf den Boden sinken und fing hemmungslos an zu weinen. Noch nie hatte sich Shina Fay so einsam und traurig gefühlt, wie in diesem Augenblick. In ihrer Verzweiflung faltete sie die Hände zum Gebet und flehte um Hilfe. Doch nichts geschah! Hatten sich die Götter von ihr abgewandt und entschieden, sie ihrem Schicksal allein zu überlassen?

Sie legte sich wieder auf den Boden und weinte. Wie hatte sie es nur soweit kommen lassen können? Doch nun war es zu spät. Sie würde hier und heute sterben. Shina Fay schloss die Augen. Und so bemerkte sie den riesigen Wolf nicht, der den Wald auf der Suche nach Beute durchstreifend aus dem Dickicht auf sie zuging. Der Wolf wollte sich gerade auf die Elfe stürzen, brach seinen Angriff aber abrupt ab. Er hielt die Nase in die Luft und nahm Witterung auf. Etwas näherte sich. Und ehe er es sich versah, tauchte aus dem Nichts ein weißer Säbelzahntiger auf. Auf seinem Rücken: WHITE ANGEL. „Du wirst meiner Tochter nichts antun, du Scheusal.“, rief sie und schleuderte dem 04

Wolf einen Blitz aus magischer Energie hinterher. Mit einem lauten Jaulen floh der Wolf wieder ins Dickicht. Denn mit White Angel konnte er es nicht aufnehmen.

Etgos Tochter stieg von ihrem Reittier und legte ihrer Tochter eine Hand auf die Schulter. Sofort beruhigte sich die junge Elfe etwas und sie hörte auf zu weinen. Zumindest vorübergehend. Denn als White Angel ihre Tochter in die Arme nahm fing Shina Fay wieder an zu weinen. „Shina Fay. Mein kleiner Liebling. Es gibt keinen Grund zu weinen.“ „Doch. Ich habe versagt, Mutter. Wegen ein paar lausigen Fischen, habe ich den Weg nach Hause nicht mehr gefunden. Und das nur, weil ich einem Bären zeigen musste, wer hier das Sagen hat.“ „Shina Fay. Du hast den Bären getötet. Weißt du was das bedeutet?“, fragte White Angel. Ihre Tochter schüttelte den Kopf, so dass ihre braunen Haare hin und her flogen. „Es ist dein Schicksal. Die Götter haben dir Mut, Geschicklichkeit und Entschlossenheit mit gegeben. Du wirst die Elfenstämme Eterias einen und im Kampf gegen die Dunkelelfen anführen. Das ist deine Bestimmung.“

Shina Fay sah ihre Mutter fragend an. „Jeder von uns hat seine Bestimmung, die ihm von den Göttern zugedacht wurde. Mir war es bestimmt, dich zur Welt zu bringen. Ator, dein Vater, war dazu auserwählt, dich zu zeugen. Und so, wie dein Vater und ich unsere Aufgaben hatten und haben, so hast auch du deine Aufgabe, die du zu erfüllen hast. Du wirst eines Tages auf dem Schlachtfeld deinem Halbbruder Leto gegenüberstehen. Denn die Zeichen deuten darauf hin, dass er unseren Stamm eines Tages verraten wird. Wenn er sich den Dunkelelfen anschließt, wirst du ihn töten. Dann heißt es du oder Leto.“

„Ziemlich düstere Aussichten.“, sagte Shina Fay. „Du kannst deinem Schicksal nicht davon laufen Shina Fay. Früher oder später musst du dich deinem Halbbruder stellen.“ Shina Fay verstand. White Angel hob ihre Tochter auf ihr Reittier und stieg hinter ihr auf. Dann verließen sie die Lichtung. Shina Fay sah sich noch einmal um und sah den Wolf auf der Lichtung stehen. In seinen Augen loderten Wut und Hass. Am liebsten hätte er Mutter und Tochter verfolgt, doch das Brüllen des Tigers war ihm eine eindeutige Warnung. So blieb er stehen und sah seiner sicher geglaubten Beute nach. „So leicht kommst du mir nicht davon Shina Fay. Eines Tages werden wir wieder aufeinander treffen und dann wird es kein Entrinnen für dich geben.“, dachte der Wolf.

Eteria im Jahr des Bussards

Die Jahre waren ins Land gegangen und aus Shina Fay war eine wunderschöne Elfe geworden. Doch ebenso bemerkenswert wie ihre Schönheit, waren 05

ihre Fähigkeiten im Kampf. So war sie zum Beispiel in der Lage, einen Gegner mit dem Dolch auf 10 Schritte Entfernung zu töten. Sie zog die Waffe blitzschnell aus einem Schaft an ihrem Stiefel und warf den Dolch aus der Drehung des Oberkörpers heraus, ohne dass der Gegner etwas dagegen unternehmen konnte. Auch mit dem Schwert konnte Shina Fay perfekt umgehen. Ihre Schnelligkeit und Wendigkeit gaben ihr die Fähigkeit, mit zwei Schwertern gleichzeitig zu kämpfen, was selbst für die erfahrensten Soldaten verheerend sein konnte. Unübertroffen waren ihre Fähigkeiten mit dem Bogen. Shina Fay konnte ein Ziel noch 150 Schritte Entfernung treffen. All diese Eigenschaften und Fähigkeiten machten Letos Halbschwester zu einer ernst zu nehmenden Gegnerin.

Wie in jedem Jahr mussten sich die besten Kämpfer ihres Jahrgangs in einem Turnier miteinander messen. Der Sieger durfte sich einen Bogen aus dem Holz eines Baumes seiner Wahl anfertigen. Entsprechend groß war der Ehrgeiz. Besonders bei Shina Fay. Sie wusste genau, was sie wollte. Ihren Bogen sollte es kein zweites Mal geben.

Die erste Disziplin wurde mit dem Dolch ausgetragen. Dabei galt es, ein bewegliches Ziel in Form einer Strohpuppe zu treffen, die mittels spezieller Mechanismen in der Lage war, zurückzuschießen, wenn man daneben warf. Shina Fay durfte es als erste versuchen. Blitzschnell zog sie ihren Dolch und drehte sich um die eigene Achse und warf den Dolch. Dieser verfehlte sein Ziel nicht. Er traf die Puppe mitten in die Kehle. Für ihren ärgsten Widersacher Vader lief es nicht so gut. Er wurde von einem Armbrustbolzen an der rechten Schulter gestreift, nachdem sein Dolch das Ziel verfehlt hatte. Richtig übel wurde es für Meandor. Er wurde durch einen Pfeil ins Herz getötet. Diesen Wettbewerb entschied Shina Fay für sich.

In Runde 2 mussten die Teilnehmer im Schwertkampf gegeneinander antreten. Shina Fay musste sich zuerst mit Seetha messen. Diese hatte rote, kinnlange Haare grüne Augen und war für eine Elfe erstaunlich kräftig gebaut. Auch ihr Gesicht wies wenig von einer Elfe auf, denn es war rundlicher, als das von Shina Fay. Wie ihr Gegenüber hatte auch sie grüne Augen. Doch sie war schlanker und damit graziler im Körperbau. Ihre braunen Haare waren oberarmlang und normalerweise trug sie diese auch offen. Aber für den Schwertkampf hatte Shina Fay die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.

Da Shina Fay nicht den Eröffnungskampf bestreiten musste, hatte sie Zeit ihre Gegnerin zu beobachten. Seetha führte einen Bi-Händer mit langer Klinge. Damit hatte sie einen leichten Vorteil bei der Reichweite. Diesen konnte Shina Fay durch ihre Schnelligkeit und Wendigkeit ausgleichen. Außerdem 06

hatte sie aufgrund ihrer zwei Damaszener-Schwerter einen Vorteil bei der Verteidigung. Diese Schwerter waren ein Geschenk ihres Großvaters väterlicherseits. Als nächstes sah sich White Angels Tochter die Rüstung ihrer Gegnerin und deren Zubehör an. Seetha setzte auf einen massiven und schweren Brustpanzer aus Zwergenstahl. Dazu kamen zwei Armschienen. Shina Fay hingegen trug eine Rüstung aus dem wesentlich leichteren, aber robusteren Elfenstahl. Dazu trug sie von der Farbe zum Grün ihrer Rüstung passend, Arm- und Beinschienen.

Als Shina Fay sah, wie ihre Gegnerin die Schienen testete, war sie alarmiert. Denn als Seetha eine Hand zu einer Faust zusammenzog, wurden durch einen geheimen Mechanismus zwei Stahlspitzen freigesetzt. Auch die Stahlspitzen wurden getestet, denn als Shina Fays Vater Ator an Seetha vorbeiging, stieß diese ihm die Waffe in die Wade. Das Gift, das auf diese Weise injiziert wurde, wirkte schnell. Shina Fay konnte nichts tun und musste hilflos zusehen, wie ihr Vater starb. An ihre Mutter gewandt sagt Seetha: „Ich habe dir deinen Mann genommen White Angel. Und als nächstes nehme ich dir deine Tochter!“ Shina Fay war gewarnt.

Nach fünf vorangegangenen Kämpfen traf sie dann auf Seetha. In Shina Fay brodelte es vor Wut. Sie wollte Rache für ihren Vater. Doch durch die Stunden, die sie mit Halgrim und ihrem Großvater Etgo verbracht hatte, wusste White Angels Tochter, dass Rache die Seele vergiften und einen selbst unvorsichtig werden lassen konnte. Soweit wollte sie es aber nicht kommen lassen. „Du fragst dich sicher, warum ich dich töten will.“, sagte Seetha. „Nein. Du hast meinen Vater getötet. Mich kriegst du nicht.“ „Abwarten.“ Seetha hob ihr Schwert und ging in die Verteidigungsstellung. Dabei hatte sie ein Knie leicht gebeugt und ihren Oberkörper leicht zur Seite gedreht. Ihre Gegnerin zog ihre Damaszener-Schwerter und kreuzte die Arme.

Zuerst umkreisten sich Seetha und Shina Fay. Sie belauerten sich, wie zwei Raubtiere, die sich um Beute stritten. Jede versuchte die Stärken und Schwächen der anderen ausfindig zu machen. Doch durch ihre Beobachtungen war die Enkelin von Ladril klar im Vorteil, denn sie wusste um Seethas geheime Waffen. „Worauf wartest Du Shina Fay? Mach schon! Greif an!“ „Komm du doch, Hitzkopf.“, sagte White Angels Tochter süffisant. Und mit diesen Worten hatte Shina Fay ihr Ziel erreicht. Sie hatte Seetha aus der Reserve gelockt. Denn als die Elfe der Halbelfe den Rücken zukehrte, stürzte sich Seetha mit einem lauten Schrei auf ihre Gegnerin, ihren Bi-Händer über den Kopf erhoben. Shina Fay riss die Arme hoch und kreuzte die Klingen. 07

Mit einem lauten Klirren traf die Klinge des Bi-Händers auf die Klingen der Damaszener-Schwerter. Durch diese Aktion raubte die Elfe der Halbelfe den Angriffsschwung. Seetha trat ein paar Schritte zurück um sich zu sammeln. Wie konnte es sein, dass Ladrils Enkelin diese Attacke vorausgesehen hatte? Viel Zeit zum Nachdenken hatte die Halbelfe nicht. Denn nun ging Shina Fay zum Gegenangriff über. Mit einer blitzschnellen Bewegung durchbrach sie Seethas Abwehr und kreuzte die Klingen am Hals ihrer Gegnerin. „Das ist für meinen Vater, Miststück.“, zischte Shina Fay, bevor sie Seetha die Kehle durchschnitt. Auch den Wettbewerb im Schwertkampf konnte Etgos und Ladrils Enkelin für sich entscheiden. Doch noch war das Turnier nicht gewonnen. Denn es wartete noch das Bogenschießen.

Und dort trennte sich die Spreu vom Weizen. Rondolf, der Sohn Ghodi, war im Bogenschießen ein absoluter Versager. Denn er traf keinen seiner drei Versuche und schied in der ersten Runde aus. Auch Nila, Shina Fays einstige beste Freundin aus Kindertagen schaffte es nicht in Runde 2. Neben Rondolf und Nila waren noch vier weitere Kandidaten in Runde 1 ausgeschieden. In dieser Runde schied überraschend Aalgrim, Halgrims Sohn aus. Ihn hatten viele in der Endrunde gesehen. Auch Nalia, Shina Fays Cousine schied aus. Auch sie war als heiße Kandidatin im Finale gehandelt worden. Nach Aalgrim und Nalia erwischte es noch zehn weitere Teilnehmer.

Dann kam das Finale. Vier Teilnehmer waren noch übrig. Darunter Vader und Shina Fay. Und gleich im ersten Wettbewerb kam es zum Aufeinandertreffen der Titanen. Shina Fay musste gegen Vader ran. „Ich muss zugeben, dass du mit Dolch und dem Schwert hervorragend umgehen kannst. Vielleicht mache ich dich zu meiner Leibwächterin.“ „Hau du mal nicht so auf den Putz Vader! Du tust ja grad so, als ob du schon gewonnen hättest.“ „Ich hab schon gewonnen, du weißt es nur nicht. Jetzt pass mal gut auf Shina Fay, bei mir kannst du noch was lernen.“

Shina Fay hatte Vader das ganze Turnier über sehr genau beobachtet. Er war ein ernst zu nehmender Gegner. Also durfte sie ihn zu keinem Zeitpunkt unterschätzen. Ator, ihr Vater, hatte es ihr am Morgen des Turniers eingeschärft. „Du musst Vader im Auge behalten. Der Bursche ist mit allen Wassern gewaschen.“, hatte Vater gesagt. Und wie Recht er hatte, zeigte sich jetzt beim Bogenschießen. Sein erster Schuss auf 35 Schritte Entfernung traf mitten ins Schwarze. Nun war White Angels Tochter an der Reihe. Sie legte einen Pfeil in den Bogen, hob diesen an und spannte die Sehne. Dann schoss sie. Ihr Pfeil traf ebenfalls ins Schwarze. Nur mit dem Unterschied, dass sie Vaders Pfeil in der Mitte spaltete. 08

Beim nächsten Versuch wurden die Scheiben um 25 Schritte nach hinten auf 60 Schritte versetzt. Vader durfte wieder als erster ran. Sein Pfeil traf nur den äußeren Ring der Scheibe. Shina Fay hingegen traf mitten ins Schwarze. „Da geht doch was nicht mit rechten Dingen zu Shina Fay! Du betrügst!“ „Wird Zeit, dass dich mal jemand von deinem hohen Ross holt.“ „Wir werden sehen. Wir werden sehen.“ Im letzten Durchgang wurden die Scheiben auf 150 Schritte versetzt. Vader durfte als erster. Doch bei 100 Schritten fiel sein Pfeil auf den Boden. Shina Fay hingegen traf ins Schwarze. Auch Vaders zweiter und dritter Pfeil trafen die Scheibe nicht, während Shina Fays Pfeile die Scheibe in der Mitte trafen.

Damit war Vader draußen. Wütend zerbrach er seinen Bogen. „Wie war das, von dir kann ich noch was lernen?“ „Halts Maul Shina Fay. Deinetwegen wird mich mein Vater ins Exil schicken.“ „Dann wirst du meiner Mutter sicher bald nachfühlen können Vader. Denn mein Großvater Etgo hat meine Mutter verstoßen, nachdem sie meinen Halbbruder zur Welt gebracht hatte.“ „Leto?“ Shina Fay nickte. „Ganz ehrlich. Dem trau ich weniger als einer halben Tüte Knoblauch. Der ist mir nicht ganz koscher.“ Vaders Vater kam dazu, mit dessen Pfeilen in der Hand. „Mit deinen Pfeilen stimmt was nicht. Irgendwer hat da nachgeholfen.“ „Shina Fay war es bestimmt nicht.“ „In diesem Punkt hast du Recht mein Sohn. Shina Fay hat damit nichts zu tun.“ „Ich würde auf Seetha tippen.“ „Die Halbelfe, die du getötet hast?“ „Ja. Wer schon mit Tricks arbeiten muss, dem trau ich alles zu.“ „Mit Tricks?“ „Ja. In ihren Armschienen sind Stahlspitzen versteckt, die ein schnell wirkendes Gift beinhalten. Ich hab es gesehen, als Seetha meinen Vater getötet hat.“

Als am Abend die Sonne unterging war das Turnier entschieden. Shina Fay hatte gewonnen. Das Holz für ihren Bogen sollte aus dem alten Mammutbaum stammen, an dem der Ältestenrat immer zur Versammlung rief. Ihre Mutter war natürlich strikt dagegen, doch der Rat der Ältesten erhob keine Einwände. Aus einem der unteren Äste, wählte Shina Fay einen 4 Ellen langen Ast aus. Danach fertigte sie eine Zeichnung an, damit sie wusste, wie ihr Bogen aussehen sollte. Ihre neue Waffe sollte an den Enden gebogen sein, damit die Sehne leichter eingehängt werden konnte. Außerdem sollte der Bogen in der Mitte eine Griffmulde bekommen, damit Shina Fay besser zielen konnte. Den Köcher für ihre Pfeile fertigte sie aus Hirschleder. Bei den Pfeilen setzte Shina Fay sowohl auf die konventionellen, als auch auf die Giftpfeile. Die Federn stammten von einem Bussard, den sie erlegt hatte. Die Schäfte für die Pfeile gewann White Angels Tochter aus Schilfrohren. Die Spitzen wurden von einem Schmied aus Elfenstahl geschmiedet. Aus dem selben Leder wie der Köcher wurden die Schutzkappen für die Giftpfeile fertig gestellt mit deren Hilfe 09

die Spitzen abgedeckt werden sollten.

Schließlich war der Bogen fertig und Shina Fay nahm ihn Augenschein. Und was sie sah, erfreute sie. Der Bogen war nicht rund, wie ein Bogen der Menschen, sondern sah zerklüftet aus und war rundherum mit vielen schönen Schnitzereien verziert. Auch die Griffmulde fehlte nicht. Shina Fay wollte ihn gerade in die Hand nehmen, als Halgrim vor sie trat. „Nicht so stürmisch junge Lady. Du bist noch nicht bereit für diesen Bogen.“ Die Prinzessin starrte den alten Schamanen entgeistert an. „Was redest du da für einen Unsinn Halgrim? Ich habe das Turnier gewonnen.“ „Das ist richtig Shina Fay. Doch der Sieg macht dich nicht automatisch zum Stammesführer. Nur wenn du das Zeichen deines Clans, den roten Habicht, auf dem linken Schulterblatt trägst, dann wird dir der Bogen vielleicht gehören. Es sei denn, die Hohepriesterin der Elfen, die zur alljährlichen Feier nach dem Turnier anreist, verweigert ihre Zustimmung.“

Als der Abend hereinbrach erreichte der Tross von Netanya, der Hohepriesterin der Elfen das Dorf von Shina Fay. Diese trug mittlerweile das Clanabzeichen, von dem Halgrim gesprochen hatte auf dem linken Schulterblatt. Denn sowohl ihr Großvater König Etgo und der Ältestenrat hatten der Ernennung zugestimmt.

Die Leibgarde Netanyas hatte sich im Halbkreis um den Festplatz postiert und wartete auf weitere Befehle. „Bildet die Gasse!“, befahl der Hauptmann. Sofort scherten zwei Soldaten aus der Formation aus und reihten sich hinter ihren Kameraden wieder ein. Und dann kam Netanya auf einem Schimmel durch das Spalier geritten. Wie immer barfuß und mit einem Baumwollkleid bekleidet. Ihre blonden Haare reichten bis zu den Hüften und ihre braunen Augen strahlten Güte aus.

Shina Fay kannte Netanya schon von früheren Besuchen. Sie freute sich natürlich, die Hohepriesterin zu sehen. Allerdings fürchtete sie, den Bogen, den sie sich so sehr wünschte und für den sie so hart gekämpft hatte, am Ende doch nicht in den Händen zu halten. Netanya bemerkte den Kummer der jungen Elfe. „Shina Fay. Es ist lange her, dass wir miteinander gesprochen haben. Damals warst du noch ein Kind. Ich erinnere mich, wie ich dich und deine Eltern damals besuchte und du mir voller Stolz erzählt hast, dass du ganz allein einen Bären getötet hast.“ „Habt Ihr Zweifel an der Geschichte?“ „Nicht im geringsten. Ich bin bereit dir meine Zustimmung zu geben. Aber zuerst muss ich in deine Seele sehen.“

Shina Fay verstand. „Du musst tun, was ich von dir verlange. Ohne wenn und aber.“ „Wie Ihr wünscht.“ „Schließe deine Augen.“ White Angels Tochter schloss die Augen. Dann legte Netanya ihre rechte Hand an Shina Fays Stirn 10

und schloss ebenfalls die Augen. „Öffne deinen Geist Shina Fay.“ Die Elfe tat, was die Hohepriesterin von ihr verlangte. Vor ihrem geistigen Auge sah Netanya Shina Fays Vergangenheit. Den Tag, als sie mit dem Bären gekämpft hatte. Doch sie sah auch den Wolf, der es auf Shina Fay abgesehen hatte. Sie sah, wie er sie all die Jahre verfolgt hatte.

„Du hast meine Zustimmung Shina Fay. Doch vorher musst du noch den Wolf töten, vor dem dich deine Mutter damals beschützt hat. Er hat dich die ganzen Jahre über verfolgt. Nur wenn du dich ihm stellst und ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüber trittst, bist du dieses Bogens würdig.“ Shina Fay nickte. Sie starrte in den Wald, der sich zur linken des Dorfes erstreckte. Denn von dort hatte sie das Heulen des Wolfes gehört. Zuerst war es weit entfernt zu hören gewesen. Jetzt war es schon viel näher. Shina Fay wusste sehr gut, was das zu bedeuten hatte. Der Wolf war auf dem Weg zu ihrem Dorf.

Es war bereits Nacht, als Shina Fay im Dickicht zwei rote Augen diabolisch aufleuchten sah. Dann trat der Wolf aus dem Wald in das Dorf. Er war groß und grau und Furcht einflößend. „Hallo Shina Fay. Lange nicht gesehen und doch wieder erkannt.“, sagte der Wolf. „Was willst du hier?“ „Ahnst du es nicht? Wäre deine Mutter damals nicht gewesen, hätte ich dich schon damals getötet. Leider hat deine Mutter mich um eine leckere Mahlzeit betrogen. Deshalb muss sie sterben. Denn niemand betrügt Fenrir um seine Beute und kommt ungestraft davon.“

Mit diesen Worten machte Fenrir einen Satz und griff White Angel an. Ehe diese sich wehren konnte, war er schon über ihr und biss ihr die Kehle durch. „Und jetzt zu dir. Du stehst nach wie vor auf meinem Speisezettel ganz oben. Aber ich will dir die Chance geben, dich zu verteidigen.“ „Dann lass es uns hinter uns bringen. Warten ist mir nämlich zu wieder.“ „Gut. Sehr gut. Mach dich bereit Shina Fay!“

Shina Fay zog ihre Schwerter und kreuzte wie schon im Kampf gegen Seetha die Arme. Elfe und Wolf umkreisten einander, belauerten sich, um den besten Zeitpunkt für den Angriff zu ergattern. Fenrir machte einen Satz nach vorn, doch Shina Fay duckte sich und rollte sich auf die Seite. Aus der Bewegung heraus verpasste sie dem Wolf eine Schnittwunde im rechten Bein. Fenrir heulte vor Schmerz auf. „Das wirst du noch bereuen Shina Fay.“ „Bereuen tu ich, dass ich nicht schon damals mit dir gekämpft habe.“

Wieder griff der Wolf an, doch die Elfe war wieder schneller und schlitzte ihm die Flanke auf der linken Seite auf. „Na gut. Ganz wie du willst. Bis jetzt habe ich nur mit dir gespielt Shina Fay. Aber gleich ist es aus mit dir.“ 11

„Du stinkst ja geradezu vor Überheblichkeit, Du Pappnase!“ Fenrir kochte innerlich vor Zorn. Erst die beiden Wunden, die ihm Shina Fay beigebracht hatte, dann verhöhnte sie ihn auch noch. Was für eine Schmach für ihn. Er versuchte einen letzten Angriff. Er drehte Shina Fay den Rücken zu und ging in den Wald zurück. Doch einen Augenblick kehrte er zurück und rannte auf Shina Fay zu, so gut sein verletztes Bein es zuließ. Genau darauf hatte die Elfe gewartet. Sie machte nun selbst einen Satz, tauchte unter Fenrir weg, kreuzte ihre Klingen am Hals des Wolfes und schnitt ihm die Kehle durch. Dann rollte sie sich nach rechts weg, bevor der Wolf auf dem Boden aufschlug und regungslos liegenblieb.

Netanya klatschte in die Hände. „Wahrlich, Shina Fay, du bist nicht nur eine würdige Stammesführerin, sondern auch eine würdige Anführerin. Ich bin sehr stolz auf dich. Nimm den Bogen, für den Du so hart gekämpft hast. Du hast ihn dir mehr als verdient.“ Die Einwohner des Dorfes wollten gerade mit der Feier anfangen, als Halgrim, der Schamane in den Kreis trat. In der einen Hand trug er Ators Bogen „Traumfänger“, in der anderen hielt er ein Pergament, das den letzten Willen von Shina Fays Vater enthielt. Den Bogen gab er seinem Adepten, was man bei den Menschen als Lehrling bezeichnen kann, und entrollte anschließend die Schriftrolle. „Ich verlese nun, Kraft meines Amtes, den letzten Willen von Ator, Sohn des Ladril.“, sagte er. „Hiermit verfüge ich, Ator, Sohn von Ladril, dass mein Bogen „Traumfänger“ an meine Tochter Shina Fay weitergegeben werden soll. Er ist ihr an ihrem 25. Geburtstag zu überreichen.“, las der alte Schamane vor. „Ich werde „Traumfänger bis zu diesem Tag aufbewahren.“

Leto kochte innerlich vor Wut. Wie konnte man ihn nur so bevormunden? Zuerst hatte man ihn um sein Recht betrogen, den Clan zu führen, das ihm als Älteren von Rechts wegen zugestanden hätte und ihm seine jüngere Halbschwester vor die Nase gesetzt. Jetzt sollte er noch nicht einmal den Bogen bekommen. „Einspruch!“, sagte er. „So und warum?“ „Ich beanspruche den Bogen für mich. Als Wiedergutmachung.“ „Für was forderst du Wiedergutmachung Leto?“, fragte sein Großvater Etgo. „Die Führung des Clans sollte eigentlich dem Ältesten zustehen. Und das bin ich! Stattdessen wird das Gesetz gebrochen und man setzt mir meine wesentlich jüngere Halbschwester als neue Clanführerin vor die Nase. Und jetzt soll sie auch noch „Traumfänger“ bekommen. Auch wenn Ator nicht mein Vater ist, verlange ich, dass der Bogen an mich geht. Das ist nur gerecht.“ „Du bist zur Hälfte ein Dunkelelf. So gesehen, hast du keinerlei Ansprüche. Weder auf die Führerschaft des Clans, noch auf Ators Bogen.“ „Schluss jetzt!“ Netanya hatte das Wort ergriffen. Alle wandten sich ihr zu. „Das Orakel muss entscheiden.“, sagte sie. 12

Plötzlich wurde der Festplatz des Dorfes in weißes Licht getaucht. Eine in weiß gekleidete Frau stand in dem Lichtkreis. „So hört nun durch mich die Entscheidung der Götter. Wir sind der Meinung, dass Leto kein Anrecht auf den Bogen und die Führerschaft des Clans hat.“, sagte das Orakel. Leto war verärgert, während Shina Fay neue Hoffnung schöpfte. „Doch wir sind auch zu der Einsicht gelangt, dass du, Shina Fay noch nicht bereit für diese Bürde bist, die dir dein Vater durch das Vererben seines Bogens an dich aufgeladen hat. Du bist noch nicht reif genug dafür. An deinem 25. Geburtstag wirst du mit der ersten von zwölf Prüfungen beginnen. Bestehst du sie, werden dir die Götter „Traumfänger“ zusprechen. Solltest du jedoch scheitern, wird der Bogen von den Göttern einbehalten, damit sichergestellt bleibt, dass der Bogen nicht in die falschen Hände fällt.“

Eteria im Jahr der Kobra

Der Winter war dem Frühling gewichen. Der Frühling dem Sommer, der Sommer den Herbst und der Herbst wieder dem Winter. Shina Fay war in all den Jahren weiter gereift und hatte an Erfahrungen gesammelt. In dieser Zeit hatte es sich auch zugetragen, dass Leto angefangen hatte, die Elfen Eterias zu verraten. Denn immer öfter hatte Shina Fay Spione oder Kuriere abgefangen und deren geheime Botschaften an Netanya weitergeleitet.

Es war die Nacht, vor Shina Fays 25. Geburtstag, als Leto sich davon schleichen wollte. Doch seine Halbschwester konnte ihn noch rechtzeitig stellen. „Du kannst nicht entkommen, Leto. Sämtliche Posten sind alarmiert. Du würdest es noch nicht einmal bis zur Grenze schaffen.“ „Und wie willst du mich aufhalten? Etwa mit deinem Bogen, oder deinem Dolch? Du bist weder mir, noch den Kräften der Dunkelelfen gewachsen.“ Damit löste sich Leto vor den Augen seiner Halbschwester in Luft auf und verschwand.

An ihrem 25. Geburtstag empfand Shina Fay keine Freude. Die erfolgreiche Flucht ihres Halbbruders ließ ihr keine Ruhe. Sie hatte das Fest schon vor Stunden verlassen. „Immer diese Sauferei.“, hatte sie gedacht. Es klopfte an der Tür ihres Zimmers. „Herein.“ Netanya betrat den Raum. „Feierst du nicht mit den anderen deinen Geburtstag?“ „Nein. Leto konnte fliehen. Hat sich einfach vor meinen Augen in Luft aufgelöst.“ „Verstehe. Und du nimmst das jetzt persönlich.“ „Netanya, wir reden hier nicht über irgendeinen Verräter. Und das weißt du genau.“

„Ja ich weiß. Ich bin eigentlich nur hier, um dir zu sagen, was dich auf deiner ersten Prüfung erwartet Shina Fay.“ 13
 

„Soll ich Leto wieder einfangen?“ „Nein. Weit im Süden, an der Grenze zum Reich der Oger treibt ein Berserker sein Unwesen. Sein Name ist Gnorm. Er überfällt die Karawanen und sorgt dafür, dass unsere Truppen keinen Nachschub mehr bekommen. Du musst ihn unschädlich machen, Shina Fay. Ich setze mein vollstes Vertrauen in dich.“ „Ich werde dich nicht enttäuschen Netanya. Ich werde diesen Berserker ausschalten.“

Am nächsten Morgen wollte Shina Fay aufbrechen. Doch Netanya wollte sie nicht gehen lassen, ohne ihr noch den Säbelzahntiger ihrer Mutter White Angel, Tarzon, und Estrelle die Schleiereule als Begleiter mitzugeben. „Einst gehörten Tarzon und Estrelle deiner Mutter. Jetzt sollen sie immer an deiner Seite stehen.“ Und an dieser Stelle beginnen die zwölf Prüfungen von Shina Fay.

01. Prüfung - Gnorm der Berserker

01. Pruefung - Gnorm der Berserker

„Auf meinen Rücken, Shina Fay. Der Tag ist noch lang und wir haben noch einen weiten Weg vor uns.“, sagte Tarzon. Estrelle, die zuvor noch auf einem Baumstumpf gesessen hatte, kam herangeflogen, und setzte sich auf Shina Fays Schulter. „Nun Tarzon, reisen wir nach Süden.“ „Pass auf dich auf, Shina Fay.“ „Leb wohl Netanya.“ Mit einem kräftigen Satz setzte sich die Raubkatze in Bewegung. Netanya und die Bewohner des Dorfes sahen dem Trio nach, das immer kleiner wurde.

Schließlich hatten sie den Wald hinter sich gelassen. Shina Fay nahm den Duft ihrer Umgebung wahr. Es roch nach frisch geerntetem Weizen, nach Holunder und nach Gras. Es war Mittag, als Shina Fay einen kleinen Bach entdeckte. Dort rastete auch ein Kaufmann aus Dateria, dem Reich der Echsenmenschen. „Guten Tag Fremder.“, sagte Shina Fay. „Mein Name ist Ebros. Und wer bist du?“ „Ich bin Shina Fay. Stammesführerin vom Clan des roten Habichts.“ „Soso. Und was willst du so weit weg von Zuhause?“ „Ich suche Gnorm.“ „Gnorm den Berserker?“ „Eben jenen. Ich will ihn töten.“ „Du bist total verrückt Shina Fay. Gnorm ist ein paar Nummern zu groß für dich.“ „Dies wurde mir als Prüfung auferlegt. Und ich habe nicht vor zu scheitern Ebros. Wo finde ich Gnorm?“ „Er hat sein Lager unweit des großen Treibsandmeeres aufgeschlagen. Doch sei vorsichtig. Gnorm kommt schnell wie der Blitz, metzelt jeden nieder, der sich ihm in den Weg stellt, und verschwindet genauso schnell wie er gekommen ist.“

„Dann weiß ich, was ich tun muss.“ Ebros sah sie fragend an. Shina Fay Zog einen Pfeil aus ihrem Köcher und entfernte die lederne Schutzkappe. „Die Spitze dieses Pfeils ist mit dem Gift des Inlandtaipans bestrichen. Und dieses Gift wirkt sehr schnell. Ich habe noch mehr solcher Giftpfeile. Und alle mit den unterschiedlichsten Giften versehen.“ „Du bist wirklich clever Shina Fay, das muss man dir lassen.“ „Ich kann mit dem Bogen besser umgehen, als irgendjemand in Eteria.“ „Ich hab davon gehört. Ich denke, du bist die einzige, der es gelingen kann Gnorm zu töten. Ich wünsche dir viel Glück. Und bevor du weiter deiner Wege ziehst, will ich dir noch etwas mitgeben.“

Ebros kramte in einer seiner vielen Kisten, auf den Rücken seiner Echsen festgezurrt waren, und holte eine Goldkette mit einem riesigen Diamantanhänger heraus. „Diese Kette wird dich gegen jede Art von Zauber immun machen. Ich schenke sie dir.“ Damit hängte der Echsenmensch Shina Fay die Kette der Immunität um den Hals. „Danke für die Kette Ebros. Aber riskierst du nicht, von deinem Kunden eins aufs Dach zu bekommen?“ „Nein. Eure Hohepriesterin, Netanya, für die diese Kette eigentlich bestimmt 15

Gewesen wäre, ist mir als Lichtgestalt erschienen und hat mir aufgetragen, sie dir zu überlassen, denn Du würdest sie dringender brauchen.“ „Nochmals vielen Dank. Und mögen die Götter auf deinem weiteren Weg über dich wachen.“ „Und dir gutes Gelingen. Mach Gnorm fertig. Besser noch, schick ihn in die Hölle.“

Shina Fay machte sich wieder auf die Reise, während Ebros mit seiner Karawane weiter in Richtung des Elfenreiches zog. Die Landschaft änderte sich erneut. Statt einer weiten Grasfläche war das Gelände felsiger geworden, denn Shina Fay hatte die Ausläufer des Teufelsgebirges erreicht. Tarzon, der weiße Säbelzahntiger hielt seine Nase in die Luft und nahm Witterung auf. Auch Shina Fay und Estrelle merkten, dass etwas nicht stimmte. Der Schrei eines Adlers zerriss die Stille. Doch durch die Bergwände wurde das Echo um ein vielfaches reflektiert. Ein Weißkopfseeadler landete auf einem der vielen Findlinge, die den Weg säumten. „Gnorm hat eine weitere Karawane überfallen.“, sagte er. „Und wer bringt mir diese schlechten Nachrichten?“ „Ich bin Argon. Und die bist sicher Shina Fay.“ „Die bin ich. Wann und wo hat Gnorm die Karawane überfallen?“ „Vor einer Elfenstunde.“ „Ist noch gar nicht so lange her Argon. Aber hat dieser Berserker die Karawane überfallen?“ „In der Nähe der Höllenschlucht. Es war ein regelrechtes Massaker.“ „Wie lange brauche ich dorthin?“ „Vielleicht eine halbe Elfenstunde. Wenn du dich beeilst.“ „Weißt du zufälligerweise, wer der Unglücksrabe war, der das Pech hatte, Gnorms nächstes Opfer zu werden?“, fragte Estrelle. „Den Namen weiß ich nicht. Das Einzige, was ich mit Sicherheit sagen kann, ist, dass er aus Istria stammt.“ „Das ist das Reich der Minotauren.“

Auf dem Weg zur Höllenschlucht schwiegen die drei eine Weile. Shina Fay dachte nach. „Also wenn die Minotauren spitz kriegen, dass eine ihrer Karawanen überfallen wurde, dann gute Nacht.“, sagte sie schließlich. „Wie darf ich das verstehen Shina Fay?“ „Die Antwort liegt doch auf der Hand, Tarzon. Die Minotauren sind für ihre Rachsucht bekannt.“ „Heißt im Klartext?“ „Wir müssen Gnorm finden und töten, bevor die Nachricht vom Überfall zu Minaton, dem König der Minotauren durchdringt.“ „Darf ich einen Vorschlag machen Shina Fay?“, fragte Tarzon. „Nur zu.“ „Wenn du Gnorm getötet hast, solltest du ihm den Kopf abschlagen und per Bote nach Taurin schicken.“ „Keine schlechte Idee.“

Am Ort des Geschehens angekommen, stieg Shina Fay von Tarzons Rücken und schaute sich um. Und was sie sah, wühlte die Elfe innerlich auf. Überall lagen Leichen und lagen Leute im Sterben. Sie fand einen Minotauren, der in eine seidene Robe gekleidet am Boden lag. „Shina Fay.“, sagte der Händler. „Midas? Seid Ihr das?“ „Ja. Gnorm hat uns überfallen.“ „Ich habe davon gehört. Was ist passiert?“ „Er hat uns den Weg versperrt und einen 16

Esel mit Waffen und ein Pferd mit Nahrung als Wegzoll verlangt.“ „Habt Ihr bezahlt?“ „Wo denkst du hin?“ Ich bin doch nicht verrückt. Ich habe abgelehnt und daraufhin hat Gnorm meine Eskorte nieder gemetzelt und mich lebensgefährlich verletzt. Bevor ich meine letzte Reise in die Endwelt antrete, will ich dir diese Schriftrolle mitgeben.“, sagte Midas. „Was ist das?“ „Eine Anweisung für ein neues Gift. Ich habe einen Kessel, den du noch mitnehmen solltest. Dann musst du die schwarze Spinne finden…“ Weiter kam Midas nicht, denn mit ihm war es zu Ende gegangen.

Shina Fay schichtete etwas Holz zu einem Scheiterhaufen auf und lud den Leichnam des Minotaurenhändlers darauf ab. Mit einer Fackel, die sie aus dem Holz einer Kiste entzündet hatte, setzte die Elfe den Scheiterhaufen in Brand. Sie nahm den Kessel und die Schriftrolle, verstaute alle in einer der Satteltaschen und machte sich wieder auf den Weg. Doch weit kam sie nicht mehr. Bei Anbruch der Dunkelheit erreichte Shina Fay die Ruine eines alten Elfenpalastes. Das Haupthaus war zum Teil eingestürzt oder vom Efeu überwuchert. Lediglich die Ställe und ein einziger Turm waren noch intakt. Die Elfe bemerkte, dass in einem der Räume Licht brannte. Sie beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Doch vorher brachte sie Tarzon und Estrelle in einem der Ställe unter.

Als sie den Turm betrat, zog sie ihre Schwerter, denn sie war misstrauisch. Ganz langsam stieg sie die Treppenstufen nach oben. Schließlich hatte sie das Stockwerk erreicht, auf dem das Zimmer mit dem Licht lag. Doch bevor sie das Zimmer betreten konnte, wurde sie von einem Wesen angegriffen, das sie noch nie zuvor gesehen hatte. Es sah aus wie ein Hund, lief aber auf zwei Beinen. In der linken Pfote trug es einen Morgenstern. Das Hundewesen wollte sich auf die Elfe stürzen, doch Shina Fay wich aus. Und bevor ihr Gegner wusste, wie ihm geschah, hatte Shina Fay ihn an die Wand gedrückt und hielt ihm ihre Schwerter an den Hals. „Bei mir musst Du früher aufstehen, wenn du mich töten willst.“, sagte sie und wollte die Schwerter schon zurückziehen, um das Hundewesen zu töten, als eine Stimme ertönte. „Haltet ein!“ Die Elfe wusste,, wem diese Stimme gehörte. Und tatsächlich, im Türrahmen stand Halgrim. „Komm herein, Shina Fay.“

White Angels Tochter steckte ihre Schwerter weg und folgte dem Schamanen. Im Zimmer folgte die nächste Überraschung. Denn dort stand Netanya, die Hohepriesterin der Elfen und neben ihr Minaton, der König der Minotauren. „Ich habe gehört was passiert ist. Und ich möchte dir danken, dass du bei Midas geblieben bist, bis er starb, Shina Fay.“, sagte der König. „Das war das Mindeste, was ich tun konnte. Aber Midas sprach von einer schwarzen Spinne, die ich finden müsste.“ „Dann hat er dir die Schriftrolle gegeben.“ 17
 

„Ja. Hier ist sie.“ Mit diesen Worten holte die Elfe das Pergament mit dem Rezept hervor. „Dann ist es wohl besser, wenn du noch etwas über sie erfährst, damit du weißt, was auf dich zukommt.“ „Wo lebt die schwarze Spinne?“ „Im Todesmoor. Vor allem jetzt dürfte sie wieder sehr aktiv sein. Denn es hat vor kurzem im Moor geregnet. Ein falscher Schritt kann dort jetzt den sicheren Tod bedeuten.“, sagte Halgrim. „Aber es gibt doch Pfade die markiert sind.“ „Die gibt es, Shina Fay. Allerdings achtet keiner auf die Markierungen, wenn er die schwarze Spinne hinter sich sieht. Und ehe man sich’s versieht, steckt man in einem Moorloch fest. Du kannst dir vorstellen, was passiert, wenn man in einer solchen Situation panisch wird.“ „Man wird in die Tiefe gezogen?“ „Gut aufgepasst Shina Fay.“

Minaton hatte inzwischen die Schriftrolle studiert. Oha! Was für eine Mischung. Das Blut der schwarzen Spinne und auch ihr Gift sollen in einem Kessel mit einander vermischt und dann gekocht werden.“ „Midas hat mir einen Kessel mitgegeben bevor er starb.“ „Gut. Das Blut und das Gift der schwarzen Spinne sind an sich für Minotauren und zumindest Elfen nicht gefährlich. Aber kombiniert sind sie tödlich.“, sagte Minaton. „Wie kann ich sie töten?“ „Die schwarze Spinne ist von einem Schild aus schwarzer Magie geschützt. Nur an ihrer Unterseite ist sie verletzlich.“ „Also ein Wurf mit dem Dolch oder ein Pfeil.“ „Kein Pfeil kann die Spinne töten. Der Dolch ist deine Waffe.“ „Es gibt aber nur einen Dolch, der für diese Mission geeignet ist.“, sagte Halgrim. „Welchen?“ „Den Gidbin.“ Netanya kramte in einer Truhe mit Waffen herum, bis sie einen Dolch mit einer 5 cm langen Diamantklinge und einem Griff aus Kupfer in der Hand hielt. „Das ist er.“ Sie gab den Dolch Shina Fay. „Mögen die Götter dich beschützen.“, sagte Minaton und legte der Elfe die Hand auf die Schulter.

Am nächsten Morgen brach Shina Fay auf. Sie entschied sich, dies noch vor Tagesanbruch zu tun, da das Todesmoor eine ordentliche Strecke entfernt vom alten Palast lag. Netanya hatte die junge Elfe noch ein Stück des Weges begleitet. Es war Mittag, als die junge Elfe das Moor erreicht hatte. Sie suchte nach einem Platz, an dem sie Tarzon unterstellen konnte. Sie glaubte, etwas gefunden zu haben, aber der vermeintliche Unterstand entpuppte sich schnell als die schwarze Spinne. Shina Fay merkte es, als zwei rotglühende diabolische Augen aufglühten. Als sich die Spinne bewegte hatte die Elfe endgültig Gewissheit. Allein schon die Größe des Tieres flößte Shina Fay gehörigen Respekt ein. Diese Spinne war ein Monster, denn sie war 55 Ellen lang und 27 Ellen breit. Das Insekt verschwand im Moor, denn es jagte ganz offensichtlich jemanden. 18

Shina Fay betrat das Moor über einen anderen Pfad. Da zerriss ein spitzer Angstschrei die Stille. Die junge Elfe und Estrelle, die Schleiereule, wussten, dass jemand in eines der vielen Moorlöcher geraten war. "Hilfe!" Shina Fay verharrte in ihrer Bewegung. Estrelle, die Schleiereule wollte etwas sagen, doch Shina Fay legte den Finger an die Lippen. Und dann hörte es auch die Eule. Die schwarze Spinne lief um das Moorloch herum, damit niemand der in Not geratenen Elfe zu Hilfe eilen konnte. Shina Fay und Estrelle tauschten einen Blick, denn beide dachten dasselbe. „Wie soll ich mit dieser Bestie fertig werden?“ „Ich lenke sie ab. Dann kannst du diesem Monster den Garaus machen.“, sagte Estrelle.

Estrelle flog los und über den Kopf der Spinne hinweg. Diese Aktion lenkte das riesige Insekt ab, sodass Shina Fay ein Seil an einem der Bäume befestigen konnte. Doch die schwarze Spinne hatte die Elfe bemerkt. Denn nun machte sie Jagd auf White Angels Tochter. Doch die junge Elfe war derart gerissen, dass sie der Monsterspinne ein ums andere Mal entwischte. Und dazu die Nerv tötenden Attacken der Schleiereule. Irgendwann hatte die schwarze Spinne aber die Schnauze gestrichen voll und sie richtete sich auf um zum Sprung anzusetzen. Auf diesen Augenblick hatte Shina Fay gewartet. Blitzschnell zog sie den Gidbin aus dem Schaft an ihrem Stiefel und warf ihn aus der Drehung des Oberkörpers heraus. Die Waffe traf die schwarze Spinne an ihrer verwundbarsten Stelle. Mit einem markerschütternden Todesschrei hauchte die Spinne ihr Leben aus.

Als diese Aufgabe erledigt war, zog Shina Fay ihre Artgenossin aus dem Moorloch. „Das war aber knapp. Danke für eure Hilfe.“ „Ich kann leider nicht zaubern. Außerdem musste ich die Spinne beschäftigen, damit ihr nach dem Seil greifen konntet.“ „Ich bin Raya.“ „Shina Fay. Freut mich euch kennenzulernen.“ „Warum so förmlich? Wir sind beides Waldelfen. Also können wir auch ebenso gut Freundinnen sein.“, sagte Raya. „Na schön. Warum nicht? Das bedeutet aber auch, dass wir einander vertrauen müssen. Und zwar ohne Vorbehalte. Du bist nicht aus Eteria, wie ich sehe.“ „Nein. Ich komme aus Erathia.“

Später am Tag hatte Shina Fay ein Feuer entfacht. Der Kessel, den Midas ihr überlassen hatte, hing bereits darüber. Gemeinsam mit Raya hatte White Angels Tochter den Kadaver der schwarzen Spinne ausgenommen und das Blut und das Gift aufgefangen. Die Waldelfe aus Erathia fertigte ein paar neue Schutzkappen, während Shina Fay ein Bündel Pfeile aus einer von Tarzons Satteltaschen geholt hatte. Netanya hatte sie ihr mitgegeben. Statt Bussardfedern waren diese Pfeile mit den Federn eines Kondors versehen. Schließlich kochte das Gift im Kessel. Raya zog die Nase kraus. „Das stinkt vielleicht.“, sagte sie. „Lässt sich nicht ändern. 19

Aber mit diesen Pfeilen schickt Du einen ganzen Stamm Berserker in die ewigen Jagdgründe.“

Schließlich war das Gift fertig und Shina Fay präparierte die Pfeile. Fünf dieser Pfeile gab sie Raya, die anderen fünf steckte sie in ihren eigenen Köcher. „Ich will nicht neugierig sein, Shina Fay. Aber was macht eine junge Elfe wie du soweit von zu Hause entfernt?“ „Mein Vater hat mir an meinem 25. Geburtstag per Testament seinen Bogen überlassen. „Traumfänger“ ist sein Name.“ „Sagtest du „Traumfänger“?“ „Du hast dich nicht verhört. Der Bogen meines Vaters heißt „Traumfänger“ Er ist aus reinstem Elfenbein gefertigt.“ „Weißt Du, dass dieser Bogen über magische Kräfte verfügt?“ „Vater sprach oft davon, dass „Traumfänger“ ein Zauberbogen ist.“ „Du führst ihn nicht. Warum?“ „Mein Halbbruder Leto war dagegen. Er wollte den Bogen für sich. Weil er ihm von den Göttern aber nicht zugesprochen wurde, hat mein Halbbruder meinen Clan verraten.“ „Er hat sich den Dunkelelfen angeschlossen.“, stellte Raya fest. „Ja. Aber das Orakel hat auch gesagt, dass ich noch nicht reif genug bin, um „Traumfänger“ zu führen. Ich muss zwölf Prüfungen bestehen, damit man mich seiner als würdig ansieht.“, sagte Shina Fay.

„Ich wüsste niemanden, der „Traumfängers“ würdiger wäre, als du Shina Fay.“ „Das Orakel sieht das aber anders.“ „Was ist deine Aufgabe für die erste Prüfung?“, wollte Raya wissen. „Ich soll Gnorm den Berserker töten.“ „Wage dich nicht zu nah an ihn heran. Er hat die Kraft von drei Bären. Seine beiden Äxte wiegen so viel wie zwei Wildschweine. Seine Arme sind drei Ellen lang.“ „Ich kann gut mit dem Bogen umgehen. Ich treffe ein Ziel noch auf 150 Schritte Entfernung.“ „Das ist beeindruckend. Aber Gnorms Oberschenkel sind vier Ellen dick,“ „Das Gift, mit dem ich die Pfeile präpariert habe, dringt durch das Gewebe nach innen. So steht es in der Schriftrolle.“

Die Nacht war hereingebrochen. Shina Fay und Raya hatten das Feuer neu angefacht, damit man sie in der Dunkelheit nicht überraschen konnte. Die junge Elfe hatte freiwillig die erste Wache übernommen. In der Dunkelheit gewahrte sie einen Lichtschimmer im Dickicht auf der gegenüberliegenden Seite des Waldes, in dem die beiden die Nacht verbrachten. Rasch weckte Shina Fay Raya. Die Elfe aus Erathia spähte in die Richtung, in der ihre neue Freundin das Licht gesehen hatte. „Das ist Gnorm. Darauf wette ich.“ „Was macht dich da so sicher Raya?“ „Wenn ein Berserker immer noch im Blutrausch ist, dann ist er von einem Flammenschild umhüllt. Das erklärt auch den Lichtschimmer im gegenüber liegenden Dickicht, den Du gesehen hast.“ Da zerriss ein lauter und tiefer Männerstimme erzeugter Schrei die Nacht. „Gnorms Blutrausch lässt nach 20
 

Shina Fay. Wir sollten noch vor Tagesanbruch aufbrechen.“ Da bin ich ganz deiner Meinung Raya.“

Gesagt, getan. Noch bevor die Sonne aufging, brachen die beiden Freundinnen auf. Am frühen Vormittag erreichten sie die Unglücksstelle. Shina Fay wusste sofort, was passiert war. Gnorm hatte eine Gruppe Reisender überfallen. „Diese Ausgeburt eines Bastards.“, fluchte die junge Elfe. „Auch dieses steht im Buch der Buchen, Du sollst, verflucht noch mal, nicht fluchen.“ „Saulustig. Ich lach mich kaputt.“

Ein Schluchzen erregte die Aufmerksamkeit der beiden Elfen. Sie liefen in diese Richtung und fanden ein Elfenkind. In seinen Armen hielt es den schlaffen Körper einer toten Elfe, die der Größe nach zu urteilen, die Mutter des Mädchens war. „Was jetzt?“, fragte Raya. „Zuerst müssen wir die Toten bestatten. Danach muss das Mädchen in mein Heimatdorf gebracht werden, denn hier ist es alles andere als sicher.“ „In beiden Punkt hast du Recht Shina Fay. Stellt sich nur die Frage, wie wir die Kleine von hier wegbringen.“ „Ich wünschte, Netanya wäre hier.“ Raya sah ihre neue Freundin fragend an. „Netanya ist die Hohepriesterin von Eterias Elfenstämmen.“ Das Klappern von Pferdehufen erklang. Aus dem Nebel, der sich nach Sonnenaufgang gebildet hatte, erschien ein Schimmel. Und auf ihm saß Netanya. Auch sie erfasste schnell, was sich schreckliches abgespielt haben mochte. „Du hast gut daran getan, mich zu rufen Shina Fay. Lasst uns die Scheiterhaufen aufschichten.“ Während Shina Fay und Raya das Holz für die Begräbniszeremonie zusammen suchten, kümmerte sich die Hohepriesterin um das Elfenmädchen. So erfuhr Netanya den Namen des Elfenkindes. Ayla.

Schließlich waren die Scheiterhaufen errichtet und die toten Mitglieder der Reisegruppe aufgebahrt. An jedem dieser Holzhaufen war eine Fackel in den weichen Erdboden gerammt, die nun eine nach der anderen angezündet wurden. Auf ein Zeichen von Netanya nahm Shina Fay eine Fackel auf und warf sie auf den entsprechenden Scheiterhaufen. Als auch der letzte Holzstapel brannte, stimmte die Hohepriesterin von Eterias Elfenstämmen das traditionelle Totenlied an. „Du, die unsterblich vom Geschlecht der grünen Drachen ich geglaubt, O holde Freundin meiner Nächte, so hat der Tod dich mir geraubt.“ Shina Fay stimmte mit in den Gesang ein, während Raya mit geschlossenen Augen daneben stand, die Hände zum Gebet gefaltet, und das Totengebet für die Helden Erathias sprach. „Dort treffe ich dann meinen Vater, dort treffe ich meine Mutter. Dort treffe ich dann meine Schwestern und Brüder. 21

Dort treffe ich all jene meiner Ahnenreihe von Beginn an. Sie rufen schon nach mir. Sie wollen, dass ich meinen Platz einnehme unter ihnen. Hinter den Toren von Arandil, wo die tapferen Krieger für immer leben!“ Netanya und Shina Fay sahen Raya fragend an.

„So gedenkt man in Erathia, meiner Heimat, der in Schlachten gefallenen Krieger.“, sagte Raya. „Ich finde, es ist erst mal wichtiger, Ayla in Sicherheit zu bringen.“ „Ich werde sie unter meine Fittiche nehmen und sie zur Hohepriesterin ausbilden.“, sagte Netanya. In Shina Fays Gesicht trat der Ausdruck blanken Entensetzens. „Was bedeutet das?“ „Das bedeutet, dass meine Zeit zu Ende geht. Ich wandele schon sehr lange auf dieser Welt. Wenn Ayla ihre Ausbildung beendet hat, werde ich meine letzte Reise nach Arandil antreten.“ „Ich dachte Arandil ist nur ein Mythos.“ „Für die Ungläubigen, wie deinen Halbbruder Leto, vielleicht. Aber noch ist es für mich nicht soweit. Aber auch deine Zeit wird irgendwann zu Ende gehen. Es kommt der Tag, an dem dein Körper keine Kraft mehr hat und nur noch ruhen will. Wenn du zum letzten Mal die Augen schließt, wird deine Seele deinen Körper verlassen und Arandil kommen, wo ich auf dich und Raya warten werde.“ Die beiden Freundinnen sahen die Hohepriesterin fragend an. „Ihr braucht nicht denken, dass ich nichts von eurer Freundschaft wüsste. Vergiss nicht, dass Raya dir ihr Leben verdankt. Eure Freundschaft ist etwas Besonderes.“

Netanya setzte Ayla auf ihr Pferd und stieg hinter ihr auf. „Ihr müsst euch beeilen. Gnorm weiß noch nichts, aber eine Karawane aus Kaitain ist auf dem Weg hierher.“ „Keine Sorge. Wir werden zur Stelle sein, wenn Gnorm auftaucht.“ „Ich verlass mich auf euch. Ihr müsst nach Norden.“ Shina Fay und Raya setzten sich auf Tarzons Rücken und der weiße Säbelzahntiger machte einen Satz vorwärts. „Kaitain. Ist das nicht die Heimat der Schakalmenschen?“ „Du meinst die Anubis-Krieger?“ „Wieso Anubis-Krieger?“ „Weil die Einwohner von Kaitain den Gott Anubis verehren, dessen Kopf wie der eines Schakals aussieht.“ Am späten Nachmittag trafen Shina Fay und Raya auf die Karawane aus Kaitain.

Ihr Anführer stellte sich Hafez vor. Shina Fay berichtete kurz, was sie und Raya in den Norden Eterias geführt hatte. „Wir haben von Gnorm gehört. Aber zu Gesicht bekommen haben wir ihn nicht.“ Ein Knacken im Dickicht durchbrach die Stille. Die beiden Elfen wussten, was dieses Geräusch zu bedeuten hatte. Ein Zweig war gebrochen, weil jemand mit vollem Gewicht darauf getreten war. Shina Fay zog einen der Giftpfeile aus dem Köcher, die sie vor kurzem präpariert hatte und legte ihn in die Sehne. Dann ging sie in die Hocke. Mit einem lauten Brüllen stürmte Gnorm aus dem Dickicht auf die Karawane zu. 22

Der Berserker entsprach genau Rayas Beschreibung. Allein schon seine schiere Größe von sieben Ellen flößte jedem Krieger Furcht ein. Der massige muskelbepackte Körper ruhte auf Beinen, die man für Säulen hätte halten können.

„Habt ihr tatsächlich geglaubt, dass ihr mir entkommt, wenn Ihr eine andere Route nehmt und später aufbrecht? Jede Karawane, die Eteria durchquert hat mir Wegzoll zu zahlen. Wer sich weigert, den töte ich.“, sagte der Berserker mit einer tiefen, donnernden Stimme, die zu der furchteinflößenden Gestalt passte. Auf Gnorms massigen Schultern saß ein massiger Kopf, dessen obere Gesichtshälfte von einem Wikingerhelm verdeckt wurde. Nur die Augenschlitze waren offen und gaben den Blick auf zwei gelbe Augen frei, in denen pure Mordlust loderte. In Gnorms Gesicht, dessen untere Hälfte von einem dichten, blonden Vollbart dominiert wurde trat nun ein diabolisches Grinsen. „Ihr denkt wohl, meine Drohungen sind nur leere Luft. Dann seht her!“ Mit einem einzigen Hieb seiner Axt spaltete der Berserker einem Anubis-Krieger den Schädel.

„Und jetzt her mit meinem Wegzoll!“ „Wir wissen ja gar nicht, was ihr als Wegzoll wollt.“, sagte Hafez gelassen. „Dasselbe, das ich von jeder Karawane verlange. Ein Pferd mit Nahrung.“ „So, jetzt hab ich mir den Schwachsinn ja wohl lange genug angehört.“, sagte Shina Fay. Der Berserker fuhr herum. „Du hast genug Leute umgebracht, du ausgekotzter Spargel und deshalb werde ich mit dir hier schon abrechnen, denn für dich wär ja schon eine Karawane zu schade.“ „Du bist doch schon jetzt eine tote Frau, junge Elfe.“, sagte Gnorm. Shina Fay konnte unbändige Wut in den Augen des Berserkers erkennen. Ihre Taktik ging also auf. Sie entschloss sich, ihren Gegner noch weiter zu provozieren. „Du stinkst ja geradezu vor Überheblichkeit, du Pappnase!“ Das war zu viel für Gnorm. Er hob seine Äxte um zuzuschlagen und ließ dabei den Ober- und Unterleib ungeschützt.

Shina Fay spannte den Bogen und schoss. Ein brennender Schmerz durchzuckte Gnorms rechtes Bein, als der Pfeil traf. Der Berserker versuchte, den Pfeil heraus zu ziehen, doch das Gift wirkte bereits. Das letzte, was Gnorm noch mitbekam waren Shina Fays letzte Worte. „Sag der Welt „Auf Wiedersehen“.“ Dann wurde dem Berserker schwarz vor Augen und er stürzte der Länge nach auf sein Gesicht.

„Die erste Prüfung hast du geschafft.“, sagte Raya. „Ja. Und da bin ich ganz froh drum. Erst die schwarze Spinne, dann dieser Berserker. Ich habe echt genug für heute.“ „Ihr habt mich und meine Karawane vor der sicheren Vernichtung bewahrt. Nehmt als Zeichen meines Dankes, diesen magischen Saphir. In euren Bogen eingesetzt können eure 23

Pfeile zu Eispfeilen werden.“ Shina Fay nahm den Edelstein dankend entgegen. „Wohin führt eure Reise?“, fragte sie Hafez. „Wir ziehen weiter nach Istria zu König Minaton.“ Da erinnerte sich die junge Elfe an Tarzons Vorschlag. Sie wollte eine von Gnorms Äxten anheben, doch sie war zu schwach. „habt Ihr was besonderes vor?“, fragte Hafez. „Ich will Gnorm den Kopf abschlagen und ihn an König Minaton senden.“ Der Karawanenführer mit dem Schakalskopf gab zweien seiner Krieger ein Zeichen. Diese schlugen den Kopf des Berserkers ab und packten ihn in eine mit Schutzzaubern versehene Kiste.

Dann trennten sich die Wege von Hafez und den beiden Freundinnen. Während die Karawane zu den Minotauren weiterzog, brachen Shina Fay und Raya zu Shina Fays Dorf auf. Tarzon rannte so schnell er konnte, um seine Herrin nach Hause zu bringen. Nach 5 Tagen und 5 Nächten kam Shina Fay nach Hause. Die Einwohner des Dorfes waren erfreut, sie wieder in die Arme schließen zu können. Auch Raya hieß man im Dorf willkommen. Zuerst herrschte Neugier, da noch keiner eine Elfe aus Erathia gesehen hatte. Raya besaß einen schlanken Körper, etwas kräftiger, als der ihrer Freundin, aber immer noch als Körper einer Elfe erkennbar. Auch ihr ovales Gesicht wies die typischen Gesichtszüge einer Elfe auf. Ihr rotblondes Haar fiel bis zu ihren wohlgeformten Brüsten. Auch ihre verführerischen grünen Augen schlugen die männlichen Bewohner des Dorfes in ihren Bann. Bekleidet war Raya mit einem braunen Kleid aus Elfenleder und braunen Stiefeln, die aus demselben Material gefertigt waren.

Aus der jubelnden Menge lösten sich Netanya und Ayla. „Ich gratuliere dir Shina Fay. Du hast die Prüfung bestanden.“, sagte die Hohepriesterin. Ayla sah die ältere Elfe aus ihren violetten Augen an. „Ich hätte dir auch etwas zu sagen.“ Shina Fay ging auf die Knie. „Es wäre klug von dir, wenn du nicht immer eine dicke Lippe riskieren würdest. In manchen Situationen mag es dir von Nutzen sein, den Gegner mit fiesen Sprüchen zu reizen. Wie du es mit Fenrir und Gnorm getan hast. Aber nicht jeder Gegner lässt sich leicht provozieren. Manche sind sogar hinterhältig und verschlagen.“ Shina Fay nahm sich Aylas Mahnung zu Herzen. 24

02. Prüfung - Tyrion der Echsenkrieger

02. Pruefung – Tyrion der Echsenkrieger

Eteria im Jahr des Einhorns

Der Tag begann mit Nebel. Vom nahegelegenen Lotosblütensee waberte eine dicke Nebelbank auf das Ufer zu, an dem Tyrion auf Beute lauerte. Der Nebel kam ihm sehr gelegen, denn so konnte er sich verstecken und hatte zudem das Überraschungsmoment auf seiner Seite. Denn wer rechnete schon mit einem Angriff eines Mitglieds der Ving-Dynastie, einer Sippe, die dafür bekannt war, die besten und schnellsten Krieger hervor zu bringen? Tyrion hielt seine geschuppte Nase in den Wind und nahm Witterung auf. Und der Geruch, den er witterte, war abscheulich. Es stank nach Elfen. Tyrion konnte Elfen nicht ausstehen. Für ihn waren sie überhebliche, engstirnige Besserwisser. Ein diabolisches Grinsen trat in sein Gesicht. Diese Elfen waren so gut wie tot.

Tyrion preschte aus der Nebelbank hervor, das Schwert zum tödlichen Schlag erhoben und seinen Schild zur Verteidigung nach vorn gereckt. Mit Leichtigkeit überraschte er die schlafenden Elfen. Er metzelte erst die Elfenfrau und deren Kinder nieder, bevor er sich das Oberhaupt der Familie vornahm, Der Elf schaffte es gerade noch, Tyrion mit dem Dolch an der linken Wange zu verletzen. Bei dem Hieb mit dem Dolch wurde eine tiefe Wunde gerissen, von der später eine Narbe zurückbleiben würde, die vom Kiefer bis zur Schädelrückseite reichte. Er konnte noch einen leichten Schnitt auf Tyrions Nasenspitze setzen, ehe der Echsenkrieger ihm in einem Anfall von Raserei den Schädel spaltete.

Tyrion durchsuchte die Taschen seiner Opfer nach Wertgegenständen. Bei der Frau fand er einen Beutel Goldstücke. „Na immerhin etwas.“, dachte er. Doch dann fiel dem Echsenkrieger auf, dass der Elfenmann, der ihn verletzt hatte eine Rüstung trug. Den Brustpanzer konnte er nicht gebrauchen. Wohl aber die Unterarmschiene des Elfen mit dem Handschuh und dessen Armschiene die bis zur Schulter reichte. Auch mit den Beinschienen konnte Tyrion wenig anfangen.

Nachdem der Echsenkrieger der Ving-Dynastie alles Wertvolle und brauchbare zusammen gesammelt hatte, machte er sich aus dem Staub. Schlau wie Tyrion war, vergaß er nicht seine Spuren zu verwischen. Als der Nebel ihn verschluckt hatte, ging der Krieger, der 6 Ellen groß war einen Teil seines Weges im Wasser, damit man seiner Spur nicht folgen konnte. Schließlich fand Tyrion ein kleines Ruderboot, das an einem Steg vertäut war. Damit kehrte er in seine Heimat Vetera zurück. Dort suchte er sein Versteck auf, eine Burg, unter der Erde. Der Zugang war nur über eine Treppe zu erreichen, die von einem Wacholderbusch verborgen wurde. Es dauerte nicht lange, bis 25

Tyrion seine Beute versteckt hatte.

Später am Tag fand eine kleine Gruppe die Leichen der ermordeten Elfenfamilie. Es waren Netanya, die Hohepriesterin der Elfenstämme Eterias, und ihre Schülerin Ayla. Begleitet wurden die beiden von den beiden Freundinnen Shina Fay und Raya. Die junge Elfe sah sich um während Raya sich die Leichen der ermordeten Elfen genauer ansah. „Shina Fay, hast du kurz Zeit, ich will dir was zeigen.“ Shina Fay eilte zu ihrer Freundin. „Was hast du?“ „Sieh dir die Wunden genau an. Was schließt du aus ihnen?“ „Das der Mörder mit äußerster Brutalität vorgegangen ist. Und das er ein Schwert benutzt hat.“, sagte Shina Fay. „Ist das alles?“ „Sollte mir irgendwas entgangen sein?“ „Das Wichtigste. Unser Gegner führt mit Sicherheit ein Schwert. Aber keines das von Elfenhand geschmiedet wurde.“ „Woraus schließt du das?“ „Ganz einfach. Jede Klinge hinterlässt einen Abdruck. Die Klinge unseres Mörders ist gerade und nicht übermäßig lang. Sondern besitzt die Länge, die es unserem Gegner ermöglicht, noch einen Schild mit sich zu führen.“

„Und was kannst du noch alles aus diesen Wunden herauslesen?“, wollte Shina Fay wissen. „Der Mörder dieser Unglücklichen wurde vom Elfenmann verwundet. Siehst du? Am Dolch des Elfen ist noch Blut.“ „Wieso ist das Blut grün?“ „Weil es das Blut eines Echsenkriegers ist.“ „Weißt du, wie viele Echsenvölker es in Eteria gibt?“ „Wer auch immer das getan hat, er ist nicht aus Eteria.“ „Hast du einen Verdacht?“ „Das war ein Krieger der Ving-Dynastie aus Vetera.“ „Ving-Dynastie?“ „Das sind ganz raffinierte Kampfmaschinen. Nimm dich vor ihnen in Acht Shina Fay. Sie sind hinterhältig und schnell. Vor allem greifen sie dann an, wenn man am wenigsten damit rechnet.“ „Gibt es sonst noch etwas, was ich über die Krieger der Ving-Dynastie wissen müsste?“ „Ja. So schnell wie sie angreifen, sind sie auch schon wieder verschwunden. Das Dumme ist nur, dass man diese Kerle nur sehr schwer aufstöbern kann.“ „Wieso?“ „Aus zweierlei Gründen. Erstens: Sie hinterlassen keine Spur der man folgen könnte. Zweitens: Ihre Verstecke sind unterirdisch angelegt und hervorragend getarnt.“ „Und all diese Informationen gewinnst du aus den Verletzungen von Toten?“ „Nicht nur. Sogar ein Fußabdruck kann wertvolle Hinweise liefern.“ „Ich werde dir beibringen, worauf du achten musst.“

Am Abend, als die Sonne am Horizont versank, machte sich Tyrion wieder auf den Weg nach Eteria. Er hatte ein neues Ziel im Sinn. Auf seinem Weg zurück nach Vetera hatte einen Gutshof entdeckt, der zweifelsohne einem vermögenden Mann gehörte. „Hoffentlich keine Elfen.“, sagte Tyrion zu sich. Als die Dunkelheit hereinbrach hatte der Echsenkrieger der Ving-Dynastie den Gutshof erreicht. 26

Er vertäute das Boot und schlich zum Haus. In einem der Zimmer brannte noch Licht. Vorsichtig spähte Tyrion hinein. „Sehr gut.“, dachte er. Denn was er gesehen hatte, machte ihn froh. In dem Zimmer saß ein alter Barde. Der Echsenkrieger duckte sich, als der alte Mann in seine Richtung schaute. „Gerade noch rechtzeitig.“, dachte er. Tyrion beschloss, das Haus zuerst etwas näher in Augenschein zu nehmen, ehe er den Angriff wagen würde. Bei seiner Erkundung stieß der Echsenkrieger auf eine nicht verschlossene Hintertür. „Dieser alte Dummkopf. Damit hat er sein Todesurteil unterschrieben.“, dachte Tyrion.

Der alte Mann ahnte nichts von dem bevorstehenden Überfall. Dementsprechend überrascht war er, als Tyrion im Türrahmen stand. Mit zwei schnellen Schritten hatte der Echsenkrieger den Barden erreicht und ihm mit seinem Schwert die Kehle durchgeschnitten. Danach durchsuchte er das Haus nach Wertgegenständen und was er sonst brauchen konnte. Doch dieser Beutezug lohnte sich nicht. Außer ein paar losen Goldmünzen hatte Tyrion nichts gefunden. Da fiel ihm ein, dass er noch nicht auf dem Dachboden nachgeschaut hatte. Also ging er nach oben. Und auf dort, unter dem Dach wurde Tyrion dann doch noch fündig. Eine kleine Schatulle bestückt mit Edelsteinen und Perlen fiel dem Krieger aus Vetera in die Hände.

Nachdem er seine Beute in dem erbeuteten Ruderboot verstaut hatte, wickelte Tyrion einen mit Öl getränkten Lappen um einen Ast, den er an einem Baum abgebrochen hatte und ging ins Haus zurück. Am Kamin im Zimmer, in dem er die Leiche des Barden zurückgelassen hatte, zündete er die Fackel an und entzündete damit den Teppich und die Vorhänge. Rasch flüchtete er ins Freie und stieg in das Boot und kehrte nach Vetera zurück. Vom Lotosblütensee aus sah er, wie der Gutshof lichterloh brannte.

Mit Freude beobachtete Tyrion, wie der Dachstuhl des Gutshofes einstürzte. „Wieder ein erfolgreicher Raubzug.“, dachte er. Dann ruderte er so schnell wie möglich zurück nach Vetera. Am nächsten Morgen erreichten Soldaten vom Clan des silbernen Löwen den Ort des Geschehens. Nur kurze Zeit später erreichten Netanya und Ayla, begleitet von Shina Fay und Raya den Tatort. Die beiden Freundinnen sahen sich um. „Also durch den Vordereingang hat unser Freund aus Vetera das Haus nicht betreten. Die Fußspuren führen davon weg.“ „Gut aufgepasst Shina Fay. Demnach hat unser „Freund“ das Haus angezündet, nachdem er gefunden hatte, was er wollte.“ „Und weil er in Eile war, hat er vergessen, seine Spuren zu verwischen.“, sagte Shina Fay und wies auf die Fußabdrücke, die Tyrion hinterlassen hatte. „Wie unvorsichtig von ihm.“ Raya sah sich die Fußspuren genau an. „Eine Kralle an der Ferse und drei vorne. 27

Es besteht kein Zweifel mehr Shina Fay. Wir haben es mit einem Ving-Krieger aus Vetera zu tun.“ „Stellt sich nur die Frage, wann und wo er das nächste Mal zuschlägt.“ „Und genau das macht mir Angst.“, sagte Raya.

Die nächsten drei Tage hielt sich Tyrion in seinem Versteck auf. Er musste vorsichtig sein, denn in Eteria war man alarmiert. Gerade die Elfen waren überall im Land präsent. Außerdem hatte das Feuer die Aufmerksamkeit der Hohepriesterin der Elfen, Netanya, auf den Lotosblütensee gelenkt. Also musste sich Tyrion einen anderen Ort für sein nächstes Verbrechen aussuchen. Am Abend kam sein alter Freund Cyrius vorbei. Nach einem kurzen Händedruck kam der alte Echsenkrieger zur Sache. „Den Lotosblütensee solltest du ab sofort meiden. Dort sind zurzeit permanent Elfensoldaten.“ „Keine Sorge. Ich habe schon ein neues Ziel in Aussicht.“, sagte Tyrion. „Und wo willst du das nächste Mal zuschlagen?“ Tyrion holte eine Karte und breitete sie auf dem Tisch in der Mitte der Höhle aus. „Hier.“, sagte er und deutete auf einen Fleck auf der Karte, der mit „Goyoma-Wüste“ markiert war. „Die Goyoma-Wüste? Tyrion, du bist total wahnsinnig.“ „Ich habe läuten gehört, dass eine Karawane aus Coluacan diesen Weg nimmt. Die Tiere sind mit Gold, Silber und anderen Wertsachen beladen. Ich wäre schön blöd, wenn ich diese Gelegenheit verstreichen ließe.“

„Zugegeben Tyrion, für diese Fracht würde ich auch mein Leben aufs Spiel setzen. Wann soll die Karawane durch die Goyoma-Wüste kommen?“ „In vier Tagen. Ich habe herausgefunden, dass ein Flussarm einen See speist, der in einer Oase liegt. Da die Lasttiere Wasser brauchen, muss die Karawane dort rasten. Und eine bessere Gelegenheit gibt’s nicht.“ „Das heißt, du willst die Karawane in der Oase überfallen.“ „Genau.“ „Dann viel Glück.“

Die nächsten zwei Tage verbrachte Tyrion damit, die Oase in der Goyoma-Wüste genau zu erkunden. Er brauchte gute Sicht, aber auch gleichzeitig eine gute Deckung. Ein Palmenhain mit dichtem Buschwerk war der ideale Ort, um sich auf die Lauer zu legen. Tyrion beschloss, seine Vorräte aus dem Boot in sein Versteck in der Oase zu bringen und nicht in seine Höhle in Vetera zurückzukehren. Und seine Geduld wurde belohnt. Am vierten Tag kam dann endlich die Karawane. Die Eskorte war bis auf zwei Naga-Königinnen leicht zu überwältigen. Ein Großteil bestand aus Hundewesen, die auf zwei Beinen liefen. Bekleidet waren sie mit einer Lederweste. In der linken Hand hielten sie einen dreifachen Morgenstern. „Gnollkrieger“, schoss es Tyrion durch den Kopf. Diese Geschöpfe waren dumm wie Bohnenstroh, deshalb würde er ein leichtes Spiel mit ihnen haben. Die einzige Gefahr ging von den beiden Naga-Königinnen aus.

Sie hatten den Unterleib einer Schlange und 28

konnten sich deswegen nicht schnell fortbewegen. Doch die eigentliche Gefahr ging von ihren menschlichen Oberkörpern aus, die mit ihren 6 Schwertarmen jede Verteidigung durchbrechen konnten. Tyrion wusste, dass er mindestens eine der beiden Naga-Königinnen ausschalten musste. Doch noch war der Zeitpunkt zum Angriff nicht gekommen. Denn die Aufmerksamkeit der Eskorte und auch der Händler hatte noch nicht nachgelassen. Also nahm sich Tyrion erst mal Zeit um ein paar Beobachtungen anzustellen. Die Naga-Königinnen blieben am äußeren Rand, während die Gnollkrieger umher liefen. Die Händler hatten sich unter die Bäume gelegt und schliefen, während die Lasttiere in Ruhe das Gras und die Blätter der Büsche fraßen.

Tyrion schlich um eine Palme herum und griff gleich die erste Naga-Königin an. Mit einem einzigen Hieb seines Schwertes durchtrennte der Echsenkrieger die Halsschlagader seiner Gegnerin. Danach wütete er unter den Gnollen und den Händlern. Die Gnollkrieger waren überrascht und nicht in der Lage sich zu wehren, so schnell fiel Tyrion über sie her. Auch den Händlern erging es nicht besser. Der Ving-Krieger verschonte niemanden. Jedem Händler, der es wagte den Versuch zu unternehmen, seine Ware in Sicherheit zu bringen, schnitt Tyrion die Kehle durch. Blieb nur noch die zweite Naga-Königin. Sie musste er auch unschädlich machen. Der Echsenkrieger stürmte auf seine Gegnerin los, doch diese schaffte es noch, sich wegzudrehen und ihm eine Schnittwunde an seinem Schwanz beizubringen. Gerade als sie zu einem neuen Schlag ausholen wollte, wurde der Naga-Königin schwarz vor Augen.

Tyrion lud sie sich auf seine Schultern und brachte sie in die Goyoma-Wüste hinaus. Als die Oase außer Sicht war, legte er die bewusstlose Naga-Königin in den Sand und machte kehrt. Dabei verwischte er wieder seine Spuren, damit seine bewusstlose Gegnerin seine Spur nicht finden konnte. Denn wenn die Naga-Königin erwachte, wollte Tyrion schon wieder die Grenze zu Vetera überschritten haben. Seelenruhig lud er alles was das Boot fassen konnte und machte sich auf den Rückweg. Dieser Raubzug hatte sich gelohnt. Die ganze Fracht der Karawane hatte ins Boot gepasst und würde nun in seinem Versteck für immer verschwinden.

Die Dunkelheit war hereingebrochen, als Tyrion mit seiner kostbaren Beute zu Hause ankam. Cyrius, sein alter Freund, hatte auf ihn gewartet. „Gratuliere Tyrion. Da ist dir ja wahrlich ein Vermögen in die Hände gefallen.“, sagte er. „Du weißt doch, das Glück bevorzugt denjenigen, der am besten vorbereitet ist.“ „Und was planst du als nächstes?“ „Ich habe gehört, dass ein Stoßtrupp Dunkelelfen, nach Eteria unterwegs ist. Wenn meine Information stimmt, 29

ist ein weibliches Mitglied eine richtige Schönheit. Ich werde ihr mal zeigen, was eine Harke ist, indem ich sie nehme und mich mal sexuell austobe.“ „Auch eine gute Idee. Wann willst du sie nageln?“ „Das hat noch Zeit. Der Stoßtrupp ist erstens noch nicht einsatzbereit. Und zweitens, muss ich mich jetzt erst mal wieder verstecken. Irgendwann wird man nach der Karawane suchen.“

Die Sonne brannte heiß vom Himmel. Desdemona, die Naga-Königin, die überlebt hatte, blinzelte. Zuerst sah sie alles verschwommen, doch schon bald klärte sich ihr Blick. Überall sah sie nichts anderes als Sanddünen. Und damit war ihr klar wo sie war. In der Goyoma-Wüste. Normalerweise fürchtete sich Desdemona vor nichts, doch hier in der Wüste wurde sie von nackter Panik ergriffen. Die Naga-Königin traute sich nicht, sich zu bewegen. Denn sie hatte vollkommen die Orientierung verloren.

Doch lange musste Desdemona nicht warten. Denn aus dem Nichts tauchten plötzlich zwei Säbelzahntiger auf. Der eine war weiß, der andere braun. Zwei weibliche Elfen saßen auf den Tieren. Erleichterung machte sich bei Desdemona breit. Bei Shina Fay und Raya herrschte Skepsis vor, denn noch nie in ihrem Leben hatten sie eine Naga-Königin gesehen. Die jüngere der beiden Elfen wollte schon zu ihren Schwertern greifen, doch die ältere hielt sie davon ab. „Lass es bleiben Shina Fay. So bemerkenswert deine Fähigkeiten auch sind, diesem Wesen bist du nicht gewachsen. Sieh dir doch ihre Arme an. Sie hat sechs davon und somit dreimal so viel Schwerter wie du.“, sagte Raya. Shina Fay sah sich Desdemona noch mal genauer an. Sie besaß den Unterleib einer Schlange, doch ihr Oberkörper war der eines Menschen. Das Gesicht war oval, mit grünen, dicht beieinander stehenden Augen. Das schwarze Haar der Naga-Königin fiel offen, bis zu ihren Brüsten, die von einer schwarzen Rüstung verdeckt wurden. Auch der Rest von Desdemonas Gesicht war hübsch anzusehen. Die Nase war schmal und schön, ihre roten Lippen strahlten Sinnlichkeit aus. Auf ihrem Kopf trug Desdemona eine goldene Krone in Form einer aufgehenden Sonne.

Als Bewaffnung führte sie zwei Katanas, zwei Krummschwerter und zwei herkömmliche Schwerter mit sich. Shina Fay musterte Desdemona. „Du hast wohl noch nie eine Naga-Königin gesehen. Habe ich recht, junge Elfe?“ „Nein. Aber ich habe auch einen Namen, mit dem Ihr mich anreden könnt.“ „Und wie lautet er?“ „Ich bin Shina Fay. Tochter des Ator. Und das ist meine Freundin Raya.“ „Ich heiße Desdemona.“, sagte die Naga-Königin und verneigte sich vor der Elfen-Prinzessin. „Was ist passiert?“ „Ich habe zusammen mit meiner Schwester Ajor eine Karawane aus Coluacan eskortiert. In einer Oase wurden wir jedoch überfallen.“ „Von wem Desdemona?“, wollte Raya wissen. 30

„Unser Angreifer sah aus wie eine Echse. In seiner rechten Hand trug er einen Schild mit einem stilisierten Totenkopf darauf. Auf seinem Brustpanzer war dasselbe Wappen zu erkennen. Außerdem trug er Beinschienen, die aus einem Metall gefertigt wurden, dessen Erz man nur unter der Erde findet.“ „Ein Ving-Krieger. Wer war es?“ „Das weiß ich nicht, Shina Fay. Würdet Ihr mich zur Oase zurückbringen? Ich möchte die anderen bestatten.“

An der Oase angekommen, sahen die beiden Freundinnen das ganze Ausmaß des Überfalls. „Ist dir sonst noch etwas aufgefallen, Desdemona?“, fragte Shina Fay. „Ja. Der Arm, mit dem der Echsenkrieger den Schild geführt, war mit einer Armschiene geschützt, die bis zur Schulter hoch reichte.“ „War sie aus demselben Material gefertigt, wie der Schild und die Rüstung?“ „Ich habe nicht so genau darauf geachtet. Aber meines Wissens war das Elfenstahl.“ „Denkst du, was ich denke Raya?“ „Oh ja. Wer auch immer dieses Massaker hier begangen hat, auf dessen Konto gehen auch der Überfall auf den Gutshof am Lotosblütensee und der Mord an der Elfenfamilie.“ „Schade, dass Netanya nicht hier ist.“, sagte Shina Fay.

Shina Fay und Raya waren gerade dabei, die Scheiterhaufen aufzuschichten, als Desdemona den Schimmel mit der Hohepriesterin und ihrer Schülerin entdeckte. Netanya stieg ab, und hob dann Ayla herunter. „Ihr seid schon dabei die Scheiterhaufen aufzuschichten. Gut, gut.“ „Wer tut denn sowas?“ „Es besteht kein Zweifel mehr Netanya. Unser Gegner ist ein Ving-Krieger.“, sagte Raya. „Aber welcher von ihnen trägt einen Schild und einen Brustpanzer mit einem stilisierten Totenkopf?“ „Ich wüsste auf Anhieb keinen.“, sagte Ayla. „Ich schon. Tyrion. Und wenn ich mir den Tatort hier so ansehe, dann weiß ich, dass dies genau seine Handschrift ist.“

Als die Scheiterhaufen brannten, sagte Netanya: „Wir müssen den Ältestenrat der Elfen zusammenrufen.“ „Meines Erachtens hat der Rat noch nie in meinem Dorf getagt. Wäre doch eine gute Gelegenheit.“, schlug Shina Fay vor. „Du hast Recht. Und da die Zeit drängt, haben wir wohl keine andere Wahl.“ „Würde es der Rat mir gestatten zu sprechen?“, fragte Desdemona. „Du bist die einzige Überlebende. Es geht gar nicht anders. Nur du kannst uns schildern, was sich zugetragen hat.“ Später am Abend hatten Netanya und Ayla zusammen mit Shina Fay, Raya und Desdemona das Dorf der jungen Elfe erreicht. Dessen Bewohner musterten die Naga-Königin sehr aufmerksam, denn wie Shina Fay und Raya hatten sie ein solches Geschöpf noch nie zuvor gesehen. Auch die Ältesten waren bereits anwesend. Halgrim, der an diesem Abend den Vorsitz übernehmen durfte, eröffnete die Ratssitzung. 31

„Berichtet, was sich zugetragen hat.“, sagte er. Shina Fay ergriff das Wort. „Wir haben dieses Wesen, eine Naga-Königin, Desdemona ist ihr Name, in der Goyoma-Wüste gefunden. Nach allem was wir in Erfahrung bringen konnten, hat sie zusammen mit ihrer Schwester eine Karawane eskortiert. In einer Oase wurden sie von einem Echsenkrieger überfallen. Desdemona ist die einzige Überlebende dieses Massakers.“ „Nun denn, Desdemona, dann berichte uns genau, was passiert ist.“ „Wie Ihr wünscht.“ Und so schilderte die Naga-Königin, wie sich der Überfall abgespielt hatte. „Das letzte woran ich mich erinnern kann ist, dass ich einen Schlag an die Schläfe bekam und das Bewusstsein verloren habe. Ich kam erst in der Wüste wieder zu mir.“

„Der Ältestenrat wird sich nun zu seiner Beratung zurückziehen.“, sagte Halgrim, ehe sich die alten Elfen vom Sitzungsplatz zurückzogen. In der Zwischenzeit fragten die Elfen Desdemona über ihre Herkunft aus. So erfuhren sie, dass die Naga-Königin bereits 147 Jahre alt war und aus Risia stammte. Und wie man auch erfuhr, war dieser Eskort-Auftrag eine Bewährungsprobe für Desdemona und ihre Schwester Ajor gewesen. „Was wird jetzt passieren?“, fragte Shina Fay die Naga-Königin. „Man wird mich aus meiner Heimat verbannen. Obwohl keine Schuld bei mir liegt.“ „Das ist ungerecht Desdemona. Wer gibt den Regenten deines Landes das Recht eine Unschuldige ins Exil zu schicken?“

Der elfische Ältestenrat kehrte zurück. „Wir, der Ältestenrat der Elfen haben entschieden, dass Shina Fay Tyrion töten muss. Dies soll nun ihre zweite Prüfung sein.“ Einige der Elfen waren fassungslos. „Shina Fay soll gegen Tyrion antreten? Jeder hier weiß, dass Etgos Enkelin noch nicht über genügend Erfahrung verfügt, um es mit einem Ving-Krieger aufzunehmen.“, sagte einer. „Er hat Recht. Lasst Raya gegen Tyrion antreten.“ Entschlossen trat Shina Fay vor und hob ihre Arme, um der aufgebrachten Menge Ruhe zu signalisieren. „Schluss jetzt!“, sagte sie laut. Schlagartig hörten die Umstehenden auf, wild durcheinander zu reden. „Ich werde gegen Tyrion antreten. Ich weiß, dass ich ihn besiegen kann. Und ich werde ihn vernichten. Darauf habt Ihr mein Wort.“

Bevor der Ältestenrat der Elfen sich auflöste richtete Desdemona noch eine Bitte an ihn. „Sprich, Desdemona aus Risia.“, sagte Colon, der Ladrils Clan, den Clan des silbernen Bären im Rat repräsentierte. „Ich bitte euch, mich in Eteria leben zu lassen. In Risia, meiner Heimat, werden Krieger, die ihre Bewährungsprobe nicht bestehen verbannt. Mich wird dieses Schicksal wohl ereilen, denn ich habe versagt.“ Die Ratsmitglieder sahen einander an, dann nickten sie. „Deiner Bitte wird hiermit entsprochen. Willkommen in Eteria, Desdemona.“

In Darkwood, dem Reich der Dunkelelfen, hatte 32

Königin Azura den Stoßtrupp aufgestellt, der in Eteria für Zwist und Streit unter den dortigen Elfenstämmen sorgen sollte. Ihm gehörte auch ihre Tochter Kaitlyn an. Die junge Dunkelelfe brannte schon darauf, in Eteria einzufallen und für Unruhe zu sorgen. Doch noch ahnte niemand, dass dieses Unternehmen in einem Fiasko enden würde. Noch vor Tagesanbruch brach der Stoßtrupp nach Eteria auf. Angeführt wurde er von Shina Fays Halbbruder Leto, der es nicht erwarten konnte, seiner Halbschwester einen Denkzettel zu verpassen.

Diese hatte sich mittlerweile mit Desdemona angefreundet, und von der Naga-Königin ein besonderes Geschenk als Zeichen ewiger Freundschaft erhalten. Einen Armreif, der auch unterhalb des Schulterblatts passte, und der die junge Elfe vor jeglicher Art von Voodoo-Zauber schützen sollte. „Du bist zwar gegen jede Art von Zauber geschützt, und damit meine ich die irdischen Zauber. Aber Voodoo-Zauber sind was ganz anderes. Ein Voodoo-Priester ist nicht an die Gesetze der schwarzen Magie gebunden. Er folgt seinen eigenen. Und genau das macht die Priester und Priesterinnen des Voodoo-Kultes so gefährlich.“, hatte Desdemona erklärt. „Und du bist sicher, dass du nicht wieder nach Risia zurück willst?“ „Nein. Die Nachricht von heute Morgen war eindeutig. Ich bin auf Lebenszeit aus meiner Heimat verbannt. Ich will ehrlich sein, ich wollte immer aus Risia weggehen. Schon als kleines Kind hat man versucht, mich den Traditionen gemäß zu erziehen. Aber ich wollte mich keinen Zwängen unterwerfen, ich wollte frei sein.“

Tyrion hatte sich zum Grenzübergang zu Darkwood begeben und auf den Stoßtrupp von Königin Azura gewartet. Als der Trupp kam, ließ er den Anführer und Azuras Tochter passieren, ehe er sich die anderen Krieger vornahm. Gleich drei von ihnen streckte er sofort nieder. Leto versuchte immer wieder, in seine Nähe zu kommen, doch der Krieger der Ving-Dynastie war einfach zu schnell. Lediglich Kaitlyn konnte den Echsenkrieger aus Vetera ein bisschen ärgern, indem sie ihn mit einem Strahl aus purem Eis beschoss. Doch der Eisstrahl verfehlte sein Ziel ganz knapp. Tyrion metzelte noch zwei weitere Dunkelelfen nieder, bevor er seine Aufmerksamkeit auf Kaitlyn richtete. „Dich heb ich mir bis zum Schluss auf. Denn mit dir habe ich noch was besonderes vor.“, zischte Tyrion.

Die restlichen Krieger des Stoßtrupps waren wieder über die Grenze geflohen und Leto war ihnen gefolgt. Nun war Azuras Tochter ganz allein mit diesem Monster. Doch bevor der Ving-Krieger sich auf sein Opfer stürzte sah er sich die Prinzessin der Dunkelelfen noch einmal genau an. Kaitlyn hatte lange blonde Haare, die bis zu ihren wohl geformten Brüsten fielen. Ein schlanker Elfenkörper, verstärkte den ersten Eindruck, den Tyrion von seinem Opfer gewonnen hatte. 33

Bekleidet war die Elfenprinzessin mit einer Rüstung aus Elfenstahl, die in Rot, Gold und Lila gehalten war. Dazu trug sie einen nachtblauen Umhang, der magisch aufleuchtete. Stiefel trug sie keine, sondern war barfuß. Auch ihre blauen Augen fand Tyrion bemerkenswert. Der Krieger aus Vetera wusste, dass er Kaitlyn nicht so einfach überrumpeln konnte. Also entschied er sich zu einer List zu greifen. Er drehte sich um und tat so, als würde er sich entfernen. Aus dem Augenwinkel jedoch beobachtete er die Dunkelelfe.

Als Kaitlyn Tyrion den Rücken zukehrte nutzte dieser den Augenblick und schlug zu. „Jetzt bin ich mit dir fertig, kleine Dunkelelfe. Sei bloß froh, dass ich dir dein Leben lasse. Ich könnte dich auch ebenso töten.“ Mit diesen Worten ließ er Kaitlyn auf dem kalten Steinboden liegen und entfernte sich. Die Prinzessin der Dunkelelfen weinte vor Schmerzen. Leto kehrte zurück. Und mit ihm Azura, die Königin der Dunkelelfen. „Meine Tochter, hiermit verstoße ich dich aus unserer Mitte.“ „Aber Mutter, dieser Echsenkrieger hat mich sexuell missbraucht. Sieh mich doch an.“ „Ich bin nicht mehr deine Mutter und du ebenso wenig meine Tochter. Auch wenn du unschuldig bist, darfst du nicht unter den Dunkelelfen weilen, wenn du den Samen eines anderen Wesens in dir trägst. So lautet das Gesetz.“ „Ich hasse dich Mutter! Ich hasse dich! Ich hasse dich!“ 34

„Dann hasse mich. Es ist mir gleich. Genauso wie du mir gleichgültig bist.“ Mit diesen Worten machte Azura kehrt und forderte Leto auf ihr zu folgen. „Leb wohl Kaitlyn. Und grüß Shina Fay von mir, wenn du sie sehen solltest.“, sagte Shina Fays Halbbruder mit einem süffisanten Lächeln. „Ich verfluche dich Leto. Und ich verfluche dich Azura. Am Tag der großen Schlacht sollst du, Azura von innen heraus verfaulen und dein Körper vor den Augen deiner Krieger zerplatzen. Du Leto, sollst vor den Augen der Dunkelelfen von innen verbrennen.“ Ein Donnern ertönte, als Kaitlyns Fluch ihre Mutter und den Halbbruder von Shina Fay traf. „Weißt du was Kaitlyn? Ich lache über deinen Fluch.“, verhöhnte Leto die verbannte Dunkelelfe. Dann verschwand er.

Später am Tag fanden Netanya und Ayla die Dunkelelfe. „Was ist passiert?“, fragte Netanyas Schülerin. „Wir wurden von Tyrion überfallen. Fünf von uns hat er getötet. Der Rest ist mit Leto unserem Anführer geflohen. Mich hat Tyrion sexuell missbraucht. Und obwohl ich unschuldig bin, hat meine Mutter mich verstoßen. Ich habe sie und Leto verflucht.“ „Wenn du willst, kannst du bei uns in Eteria bleiben.“, sagte Netanya. „Ist das nicht ein bisschen riskant? Immerhin ist sie eine Dunkelelfe.“ „In erster Linie ist sie Opfer. Sie ist das Opfer eines Ving-Kriegers, der noch mehr Schaden anrichten wird, wenn Shina Fay ihn nicht vernichtet.“

In seinem Versteck rieb sich Tyrion vergnügt die Hände. Erst der geglückte Überfall auf die Karawane, der ihm zu unermesslichen Reichtum verholfen hatte, und heute die geglückte Vergewaltigung der Dunkelelfenprinzessin. Am Abend kam dann wieder sein alter Freund Cyrius vorbei. „Und, hast du Azuras Tochter so richtig durch genagelt?“ „Na klar, was denkst du denn? Ich hab es richtig genossen, die Kleine schreien und flehen zu hören.“ „Wäre zu gern dabei gewesen Tyrion. Hast du schon eine Idee, wo du als nächstes zuschlagen wirst?“ „Na aber sowas von glaub mir.“ „Und wo geht es dieses Mal hin?“ „Ins Teufelsgebirge. Dort soll eine alte Elfenfestung sein, die bis unter das Dach vollgestopft ist mit Schätzen.“ „Also wenn das stimmt, dann bist du bald der reichste Ving-Krieger in ganz Vetera.“, sagte Cyrius. „Und der berühmteste.“

In den nächsten vier Tagen, die Tyrion zum Teufelsgebirge brauchte, hatte sich Kaitlyn mit Shina Fay angefreundet. Sie hatte ihrem Volk, den Dunkelelfen, ewige Rache geschworen. Kein Dunkelelf sollte ihr entkommen. Doch das war erst mal zweitrangig. Denn jetzt galt es, Tyrion ein für allemal unschädlich zu machen. Gemeinsam mit Raya und Kaitlyn machte sich Shina Fay auf zum Teufelsgebirge, wo ein alter Einsiedler Tyrion gesehen haben wollte. Dort angekommen, machten sich die drei an den Aufstieg zum Gipfel des höchsten Berges, 35

denn dort lag einsam die alte Elfenfestung Masca. „Irgendetwas muss dort oben sein, wenn Tyrion ein solches Wagnis eingeht.“, sagte Shina Fay. „Das werden wir ja sehen. Achtet vor allem auf Fußabdrücke.“ Die drei kamen schnell vorwärts und hatten schon bald das erste Felsplateau erreicht. Shina Fay bedeutete ihren Freundinnen zurückzubleiben und erkundete einen Teil des Weges. Dann holte sie sie nach. „Der Weg führt noch zu einem weiteren Felsplateau. Aber ab da wird es gefährlich, weil dort permanent dichter Nebel herrscht. Der Weg ist schmal und rutschig. Also passt auf.“

Shina Fay, Raya und Kaitlyn setzten den Weg fort. Doch schon bald zeigte sich, wie sehr Shina Fay mit ihren Warnungen Recht hatte. Zusätzlich erschwerte der Nebel die Sicht, sodass die drei Freundinnen auf ihr Gehör angewiesen waren. Ein lautes Brüllen ertönte aus dem Nebel. „Das war Tyrion. So hat er gebrüllt, als er mich vergewaltigt hat.“, sagte Kaitlyn. Ganz langsam tasteten sich die drei weiter durch den Nebel. Schließlich verbreiterte sich der Weg etwas und gab den Blick auf einen Felsvorsprung frei. Und auf diesem Vorsprung stand Tyrion.

Aus dem Augenwinkel nahm der Ving-Krieger eine Bewegung wahr. Außerdem roch es mal wieder bestialisch nach Elfen. Ganz langsam drehte sich der Echsenkrieger um, um nicht über die Klippe zu fallen. Tyrion staunte nicht schlecht, als er sich gleich drei Elfen gegenüber sah. Eine erkannte er sofort wieder. Es war das Dunkelelfenmädchen, das er sexuell missbraucht hatte. Die anderen beiden hatte er noch nie gesehen.

Tyrion sah genauso aus, wie Kaitlyn ihn Shina Fay beschrieben hatte. Seine Haut war ockerfarben mit einem leichten Stich ins Grüne. Rote Streifen zeichneten sich überall ab und wiesen ihn als Krieger der Ving-Dynastie aus. Doch nun sah Shina Fay ganz deutlich die linke Gesichtshälfte Tyrions. Diese war durch eine Narbe, die vom Mundwinkel bis zum Kopfende reichte verunstaltet. „Bist du gekommen, um mich aufzuhalten, junge Elfe?“, fragte Tyrion Shina Fay. „Das werden wir sehen. Aber eines ist sicher. Bis zum Gipfel kommst du nicht.“ „Glaubst du das? Weißt Du, ich lach mich tot. Ja ich lach mich tot.“ „Dir wird das Lachen noch vergehen, du Armleuchter.“ „Na na, gleich werde ich böse.“ „Das bist du doch schon. Deinetwegen haben Desdemona und Kaitlyn ihre Heimat verloren. Ich kann nicht zulassen, dass du es bis zur Festung schaffst.“

Tyrion warf einen Stein nach Shina Fay, doch diese konnte sich ducken. Dann zog er sein Schwert und machte sich bereit, sich auf die Elfe zu stürzen. Doch Shina Fay war schneller. Mit einer blitzschnellen Bewegung hatte sie einen Dolch aus dem Schaft ihres Stiefels gezogen und diesen aus einer Drehung des Oberkörpers heraus geworfen. Der Dolch traf sein Ziel mit voller Wucht. 36

Tyrion starrte Shina Fay an, dann taumelte er rückwärts und stürzte in die Tiefe. „Gut gemacht, Shina Fay. Wollen wir jetzt noch auf den Gipfel und sehen, was sich dort oben befindet?“ „Mit euch immer.“, sagte Shina Fay.

Als am Abend die Sonne am Horizont versank, standen die drei Freundinnen auf dem Gipfel des Berges und vor den Toren der Elfenfestung Masca. „Was sich wohl hinter diesen Toren verbergen mag.“, fragte sich Shina Fay. „Was hältst du davon, mal anzuklopfen?“ „Einfach so?“ „Wer nichts wagt, gewinnt auch nichts.“, sagte Raya. Schließlich fasste sich Shina Fay ein Herz und klopfte an einem der großen Tore. Dieses öffnete sich und ein alter Mönch trat ins Freie. „Willkommen Shina Fay. Ich habe dich schon viel früher erwartet.“ „Tut mir leid. Tyrion hat mich leider aufgehalten.“ „Das macht nichts. Nichts desto trotz hast du deine zweite Prüfung bestanden. Als Belohnung bin ich bereit, dir meine Bibliothek zur Verfügung zu stellen. Lerne, was du lernen kannst.“

Die junge Elfe nahm das Angebot an und suchte aus den vielen Folianten zwei Bücher über Angriffs- und Verteidigungstaktiken aus. Ganze vier Tage blieb sie mit Raya und Kaitlyn in Masca und trainierte ihre Fertigkeiten weiter. Die neuen Taktiken würden ihr später noch mal sehr nützlich sein.

Am siebten Tag, dieser Woche, kamen Shina Fay, Raya und Kaitlyn in Shina Fays Dorf zurück. Die Bewohner hatten bereits ein großes Fest zu Ehren von Etgos Enkelin vorbereitet und mit dem Feiern bis zu Shina Fays Rückkehr gewartet. Später am Abend, die Speisen waren bereits wieder abgetragen, sprach Shina Fay mit Netanya. „Ich bin sehr stolz auf dich, Shina Fay. Du hast einen überlegenen Gegner durch Mut und Schnelligkeit besiegt.“ „Ja. Aber ich habe mit Desdemona und Kaitlyn zwei neue Freundinnen gewonnen.“ „Das ist richtig. Gerade Kaitlyn wird uns in unserem Kampf gegen die Dunkelelfen sehr helfen. Vergiss nicht, dass sie Königin Azura ewige Rache geschworen hat.“, sagte Netanya. „Das kann ich ihr aber auch nicht verdenken Netanya. Ich hätte ähnlich gehandelt.“ „Ich kenn dich nur zu gut Shina Fay. Doch Ayla will dich noch einmal sprechen.“

Bevor Ayla mit Shina Fay ins Gespräch ging, prüfte Netanyas Schülerin, ob White Angels Tochter magische Kräfte besaß. Und was sie fand war erstaunlich. „Ich denke, dass du anfangen solltest zu lernen, deine magischen Kräfte zu nutzen. Gehe mit Kaitlyn und Raya nach Masca und lies die Folianten, die sich mit dem Thema Magie und deren Beherrschung befassen. Lerne alle Angriffs- und Verteidigungszauber, die du finden kannst.“ 37

03. Prüfung - Nekane die Blutelfe

03. Pruefung – Nekane die Blutelfe

Eteria im Jahr des Arapaimas

Der Wind pfiff um den Turm, der alten Festung auf dem Teufelsberg. Remigius, der alte Mönch, den Shina Fay bei ihrem ersten Besuch in der Festung Masca kennen gelernt hatte, stand dort und blickte in die Ferne. Die junge Elfe stand neben ihm. Der Wind wehte ihr eine Haarsträhne ins Gesicht, die sie sofort wegwischte. „Ich habe dir viel beibringen können, Shina Fay. Ich habe dir ein umfangreiches Wissen zur Verfügung gestellt. Du warst die beste Schülerin, die ich jemals in meinen ganzen Jahren, die ich nun hier oben auf dem Teufelsberg verbracht habe, unterrichten durfte.“ „Ich danke dir Remigius. Es war mir immer eine Freude hierher zu kommen.“ „Du hast erst zwei Prüfungen bestanden, doch zehn liegen noch vor dir. Ich habe die Sterne gedeutet Shina Fay. In dieser Prüfung wird dir viel abverlangt werden. Denn du wirst gegen einen Gegner antreten müssen, der dir im Schwertkampf ebenbürtig ist.“ „Vader?“ „Der aufgeplusterte Gockel? Nein. Dein Gegner stammt von den Blutbergen im Osten. „Blutberge? Noch nie gehört. Gehören die zu Eteria?“ „Nein, Shina Fay. Die Blutberge sind ein Gebirge weit im Osten von hier. Zwischen ihnen und Eteria liegen noch Königreiche wie Istria, Coluacan, Risia und Berkshire. Die Blutberge sind das Reich der Blutelfen. Einst waren sie angesehen. Doch nun hasst man sie.“

„Warum denn dieses?“, fragte Shina Fay. „Nekane.“ „Wer oder was ist denn Nekane?“ „Nekane ist eine der besten Kriegerinnen der Blutelfen. Aber für ihre Brutalität und Grausamkeit berüchtigt.“ „Lass mich raten Remigius. Ich muss sie töten.“ „Das haben mir die Sterne leider nicht verraten. Aber ganz ausschließen will ich es nicht.“ Shina Fay blickte in die Ferne, wo die Sonne anfing unterzugehen und den Himmel blutrot färbte. „Die Sonne geht unter.“, sagte sie. „Ja. Und jetzt dürfte Nekane irgendwo auf einem der Gipfel in den Blutbergen stehen und wie wir den Sonnenuntergang betrachten.“

Und genauso war es auch. Nekane, die Assassine der Blutelfen, stand auf dem höchsten Berg der Blutberge und sah wie Shina Fay und Bruder Remigius dem Sonnenuntergang zu. Wie in Trance breitete die Assassine ihre Arme aus und schloss die Augen. „So höre mich nun Nekane. Ich habe eine neue Aufgabe für dich. Sie führt dich nach Eteria.“ „Was muss ich tun, o allwissendes Orakel?“ „Du musst eine junge Elfe eliminieren. Sie heißt Shina Fay und ist die Stammesführerin des Clans des roten Habichts. Sie ist zwar erst 30 Jahre alt, doch sollte man sie nie unterschätzen. Gnorm und Tyrion haben diesen Fehler begangen und haben dafür mit ihrem Leben bezahlt.“ „Warum soll ich sie töten Orakel?“ „Weil Shina Fay eines 38

Tages eine Gefahr für uns werden könnte. Wir stehen seit jeher auf der Seite der Dunkelelfen. Shina Fay ist von den Göttern dazu auserkoren worden, die Elfenstämme Eterias zu einen und im Kampf gegen die Dunkelelfen zu führen. So wie es in der alten Prophezeiung steht. Wir Blutelfen dürfen niemals zulassen, dass sich diese Prophezeiung erfüllt.“ „Ich verstehe Orakel.“ „Shina Fay ist ein Feind der Dunkelelfen. Also ist sie auch unser Feind. Und deine Aufgabe ist es, unsere Feinde zu vernichten. So geh nun, Nekane. Geh nach Westen. Nach Eteria. Finde Shina Fay und töte sie.“ „Ich werde dich nicht enttäuschen, Orakel. Shina Fay wird sterben.“

In Eteria stand das alljährliche Frühlingsfest statt. Die Stammesführer aller Elfenstämme fanden sich mit ihren Untertanen auf dem großen Festplatz in Eterias Hauptstadt Endor zusammen. So auch Shina Fay mit ihrem Clan. Begleitet wurde sie wie immer von ihren Freundinnen Raya, der Waldelfe aus Erathia, Kaitlyn, der Dunkelelfe und Desdemona der Naga-Königin. Gleich nach der Ankunft Shina Fays wurde die junge Elfe in den Tempel des Hohepriesters gerufen. Raya, Kaitlyn und Desdemona begleiteten ihre Freundin. Netanya erwartete Shina Fay im großen Besprechungssaal.

„Du hast mich rufen lassen?“, fragte die junge Elfe gerade heraus. „Ja. Ich wollte dich sprechen, bevor das Fest beginnt. Die Blutelfen haben dir eine ihrer Assassinen auf den Hals gehetzt. Es ist Nekane, die beste von allen.“ „Bruder Remigius sprach von ihr. Ihretwegen sind die Blutelfen in Verruf geraten.“ „Das ist nur die halbe Wahrheit. Nekane hat den Gegnern, die sie getötet hat, den Kopf abgeschlagen und ihn auf einem Spieß an der Stadtmauer aufgestellt. Ihr Treiben war dem Regenten des Landes ein Dorn im Auge, weshalb er befohlen hat, die Blutelfen in die Blutberge zu verbannen.“ „Wenn Nekane eine Assassine ist, dann muss sie doch von jemandem ihre Aufträge erhalten.“, sagte Desdemona. „Das Orakel der Blutelfen teilt ihr die Aufträge zu.“ „Meinst du ich kann mir die königliche Bibliothek mal ansehen?“ „Warum willst du dorthin?“ „Ich hoffe, dass ich dort noch ein paar Informationen über Nekane finde. Ich muss mehr wissen, Netanya.“

Nach dem Gespräch mit der Hohepriesterin ging Shina Fay zum königlichen Palast. Der Wachposten am Haupteingang ließ die junge Elfe ohne Probleme passieren, doch der Posten am Eingang zum Thronsaal machte ihr Schwierigkeiten. „Das Fest beginnt bald und die Königin hat keine Zeit für Audienzen. Auch wenn ihr Bruder selbst vorsprechen würde.“ Diese Worte hatte der Gardist wohl etwas zu laut ausgesprochen, denn plötzlich öffneten sich die Türen zum Thronsaal und die Königin höchstpersönlich stand im Türrahmen. 39

Königin Ignissa sah genauso aus, wie Shina Fay sie sich immer vorgestellt hatte. Sie trug ein dreifarbiges Kleid, das in den Farben des Feuers, orange, rot und gelb gehalten war. Ihr feuerrotes Haar fiel offen bis zu den Hüften. Dazu kam ein hübsches ovales Gesicht, dessen braune Augen Güte ausstrahlten. An ihrem Hals trug die Königin eine Kette mit einem großen Rubin als Anhänger. „Lass die Stammesführerin vom Clan des roten Habichts ruhig eintreten Gordon. Netanya, unsere Hohepriesterin hat mir Shina Fays Kommen bereits angekündigt.“

Nur widerwillig ließ der Wächter des Thronsaals die junge Elfe eintreten. „Netanya hat mir berichtet, dass du gerne in die Bibliothek möchtest, in der Hoffnung mehr über Nekane zu erfahren.“ „Ja Hoheit. Die Blutelfen haben sie mir auf den Hals gehetzt.“ „Dann wird Nekane, wohl deine dritte Prüfung werden. Denn jetzt werden deine Fähigkeiten mit dem Schwert geprüft. Weißt Du, in einem Turnier gibt es Regeln, die klar und deutlich fest gelegt sind. Dort hast du Zeit deine Gegner zu beobachten und zu studieren. Aber in einem direkten Zweikampf musst du schnell handeln. Ich weiß viel über Nekane.“ „Netanya meinte, dass sie sehr gefährlich ist meine Königin.“ „Und das stimmt auch Shina Fay. Nekane ist gefährlicher, als du es im Moment glauben magst.“ „Warum werden die Blutelfen wegen ihr so gehasst? Das verstehe ich bis heute nicht.“ „Nekane verkörpert das Böse. Sie hat in ihrer Jugend sehr oft wahllos Menschen, Orks und andere Lebewesen ohne Grund im Namen der Blutelfen getötet. Ihr Eifer war durch nichts zu bremsen.“ „Und deswegen hat man die Blutelfen in die Blutberge verbannt?“ „Ja. Doch der Grund dafür, warum die Blutelfen dir ausgerechnet Nekane auf den Hals hetzen, ist der, dass sie Angst vor dir haben.“

„Angst? Vor mir? Warum?“ „Denkst du, dass nur wir in Eteria die alte Prophezeiung kennen? Nein Shina Fay. Auch die Dunkelelfen in Darkwood und die Blutelfen in den Blutbergen kennen sie. Und beide Elfenvölker stehen einander immer zur Seite. „Das heißt…“ „Dass Königin Azura und Königin Larissa befürchten, dass du die Elfenstämme Eterias einen und im Kampf gegen die Dunkelelfen führen wirst. Du bist Eterias Zukunft. Wenn die Schlacht geschlagen ist, werde ich meinen Platz auf Eterias Thron für dich freimachen. Du sollst dann Königin sein. Aber genug geredet. Lass uns die Bibliothek aufsuchen.“, sagte Ignissa.

Die Königin ging voraus und Shina Fay folgte ihr. Im Westflügel des Palastes lag die Bibliothek. „Sieh dich ruhig um. Vielleicht findest du noch andere interessante Bücher.“ Shina Fay sah sich die vielen Buchrücken an und entschied sich für zwei Bücher, die sich mit 40

Helden und deren Gegenspielern beschäftigten. So las sie zum Beispiel, dass Nekane unmittelbar vor der Verbannung von einer Magierin namens Luna besiegt worden war. Dies war auch bisher die einzige Niederlage gewesen. Luna war daraufhin aus Eteria verschwunden und hatte sich seitdem nie wieder blicken lassen. „Ob sie Angst vor Nekanes Rache gehabt hat?“, fragte sich Shina Fay. „Wenn du mit „Sie“ Luna meinst, dann glaube ich nicht, dass Luna nicht aus Angst vor Nekanes Rache Eteria verlassen hat, sondern weil sie woanders dringender gebraucht wurde. Luna ist eine Söldnerin, die ihre Dienste an den meistbietenden verkauft. Wir hatten damals ziemliche Probleme mit Nekane, deswegen hat der damalige König Luna angeheuert, damit sie die Assassine verjagt. Mit Erfolg.“

Shina Fay las weiter. Und so erfuhr sie, dass Nekane zwei Schwerter benutzte, die im Blut jungfräulicher Elfenfrauen gehärtet worden waren. „Dieses Miststück!“, dachte sie. Doch das war noch nicht alles. Shina Fay erfuhr auch sehr viel über die Angriffstaktik der Assassine. Nekane benutzte gerne den Wirbelangriff, bei dem sie sich um die eigene Achse drehte und mit ihren Schwertern auf beiden Seiten zuschlug. Ihre Schwerter konnte sie auch zur Verteidigung nutzen. Doch die Führerin vom Clan des roten Habichts fand heraus, dass Nekane ein Problem damit hatte, wenn der Gegner schnell und behände war, so wie sie selbst.

Schließlich klappte Shina Fay das letzte Buch zu. „Ich danke euch Hoheit, dass ihr mir erlaubt hat, eure Bücher einzusehen. Ich habe gefunden was ich wissen muss, um mit Nekane fertig zu werden.“ „Es war mir eine Freude dir zu helfen. Mögen die Götter dir in diesem Kampf gewogen sein Shina Fay.“, sagte die Königin.

Als die junge Elfe aus dem Palast trat war der Festplatz schon ordentlich gefüllt. Shina Fay konnte ihre beiden Großväter sehen. Und natürlich auch Taron, den Anführer vom Clan des silbernen Löwen. Auch Ariel, die Führerin vom Clan des schwarzen Pegasus war gekommen. Später am Abend war das Fest in vollem Gange. Einige hochrangige Clanmitglieder hatten sich auf diverse Wettbewerbe eingelassen. So hatte sich Isignus, der Anführer vom Clan des grauen Wolfes auf ein Wetttrinken mit Toran, dem Sohn von König Feodor vom Clan des Falken, eingelassen und diesen unter den Tisch getrunken. Nun war er auf der Suche nach einem neuen Gegner. „Shina Fay! Komm und trink mit mir. Wollen doch mal sehen, wie viel du verträgst!“, grölte er. „Damit ich dann morgen früh mit einem Kater aufwache? Danke, ich lehne ab.“ „Du hast doch nur Angst zu verlieren!“ Diese Worte kamen von Prinz Jabon, dem Sohn von Meteron, seines Zeichens Führer vom Clan der schwarzen Witwe. „Ich habe noch nie viel von Saufgelagen gehalten Jabon. Das war so, das ist so und das bleibt so.“ „Aber einer Runde Armdrücken bist du nicht abgeneigt.“ 41

„Gegen dich Jabon?“ „Na klar, gegen wen denn sonst.“ „Hätte ja sein, können, dass du jemand anderen meinst.“ „Also wie sieht’s aus Shina Fay? Nimmst Du meine Herausforderung an?“ „Ich bin dabei.“ „Dann setz dich mir gegenüber.“ Shina Fay nahm Platz. „Hey Leute, Shina Fay misst sich mit Jabon im Armdrücken.“, sagte ein Elf. Schnell waren Raya, Kaitlyn und Desdemona bei ihrer Freundin. Auch die anderen Teilnehmer des Festes hatten den Tisch umringt. „Bevor wir anfangen Jabon, sollten wir noch einen Wetteinsatz festlegen. Findest du nicht auch?“ „Okay. Der Sieger darf mit dem Verlierer die Nacht verbringen. Was hältst du davon?“ „Ein origineller Wetteinsatz. Aber danach ist mir nicht. Was ist mit dem Ring, den du um deinen Hals trägst?“ „Abgemacht. Er ist eine Hinterlassenschaft meiner Stiefmutter. Ich habe ihn nie gewollt.“

Jabon und Shina Fay machten sich bereit. Der Sohn von Meteron stützte den linken Arm auf. Seine Gegnerin, die Stammesführerin vom Clan des roten Habichts, den rechten. Mit einem lauten Klatschen wurden die Hände ineinander geschlagen. Kaitlyn fungierte als Schiedsrichter. „Jabon, bist du bereit?“, fragte sie. „Bereit.“ „Shina Fay, bist du bereit?“ „Ich bin bereit.“ „Okay. Ich zähle von drei runter. Wenn ich meine Hand wegnehme, dann dürft ihr loslegen.“ Jabon und Shina Fay sahen sich in die Augen. „Drei. Zwei. Eins. Und los.“, sagte Kaitlyn und nahm ihre Hand weg.

Meterons Sohn drückte mit aller Kraft, doch Etgos Enkelin hielt dagegen. Die ersten Minuten waren beide ebenbürtig. Doch dann, so hatte es den Anschein, gewann Jabon die Oberhand. Denn Shina Fays Arm neigte sich nach links in Richtung Tisch. „Komm schon! Los mach die Kleine fertig!“ „Ja! Zeig ihr, wer der Herr im Haus ist!“ „Komm schon Shina Fay! Mach bloß nicht schlapp! Diesen aufgeblasenen Großkotz steckst du doch locker in die Tasche!“ Shina Fay berappelte sich wieder und drückte nun ihrerseits Jabons Arm in Richtung Tisch. „Du bis am Ende, Scheißer!“, sagte Shina Fay. Im nächsten Moment hämmerte sie die Faust von Jabon mit einem lauten Krachen auf den Tisch.

Jabon nahm die Kette mit seinem Ring vom Hals und reichte sie Shina Fay. „Du hast dich wacker geschlagen. Gratuliere.“, sagte er und reichte seiner Gegnerin die Hand. Shina Fay schlug ein und drückte Jabon dann noch mal kurz. „Ich will nicht unhöflich sein, Jabon. Aber du musst mich entschuldigen. Ich will heute etwas früher ins Bett. Ich will morgen frisch und ausgeruht sein, wenn es wieder losgehen sollte.“ „Was heißt „Wieder“ Shina Fay?“ „Die Blutelfen haben mir Nekane auf den Hals gehetzt. Sie soll mich töten.“ „Warum denn das?“ „Die alte Prophezeiung ist der Grund.“ „Du meinst, die Blutelfen haben Angst, dass du die Elfenstämme Eterias unter deinem 42

Banner versammelst und sie in den Krieg gegen die Dunkelelfen führen wirst?“ „So hat es mir Königin Ignissa erklärt.“ „Du hast die Königin gesprochen?“ „Nicht nur das Jabon. Ich war sogar in der königlichen Bibliothek.“ „Du Glückliche. Aber was wolltest du in der Bibliothek?“ „Ich habe nach Informationen über Nekane gesucht. Und um deine Frage zu beantworten, ja ich bin fündig geworden. Ich weiß, was ich wissen muss, um sie zu besiegen.“ „Viel Glück. Und komm heil nach Hause. Mein Bruder wäre sehr traurig, wenn er erfahren müsste, dass die Elfe seiner Träume schon bei der dritten Prüfung den Tod gefunden hat.“ „Du hast mir nie erzählt, dass du einen Bruder hast, Jabon.“ „Wir sehen uns ja auch so gut wie nie. Du wohnst in den Wäldern, während ich in der Stadt lebe.“ „Und wie heißt mein heimlicher Verehrer?“ „Er heißt Galen.“

Am nächsten Morgen, die Sonne war gerade aufgegangen, erwachte Shina Fay. Sie weckte ihre Freundinnen und gemeinsam machte man sich auf den Weg. Am Westtor von Endor begegneten den vier Freundinnen Jabon und Galen. „Guten Morgen Shina Fay.“, grüßte Jabon. „Guten Morgen.“ „Darf ich dir meinen Bruder Galen vorstellen?“ „Ich freue mich dich kennenzulernen Galen.“ „Ich freue mich auch, dass ich dich noch kennenlernen darf. Wann wirst du dich Nekane stellen?“ „Das wissen nur die Götter Galen. Aber ich komme wieder. Das verspreche ich dir.“ „Bevor sich unsere Wege trennen, Shina Fay, möchte ich dir als Zeichen meiner Liebe diesen Umhang schenken. Er wird dir einen unsichtbaren Schutzschild bescheren, der für jeden Pfeil und jede Klinge undurchdringbar ist.“ „Danke Galen. Aber so ein kostbares Geschenk kann ich nicht annehmen.“ „Nimm es Shina Fay. Vielleicht brauchst du den Umhang, wenn du auf Nekane triffst.“, sagte Jabon. „Würdest du ihn mir umhängen, Galen?“ „Mit dem größten Vergnügen.“

Nekane hatte auf ihrer Suche nach Etgos Enkelin die Königreiche Risia und Istria durchquert. Nun kam sie nach Coluacan. Die Assassine der Blutelfen war seit ihrem Aufbruch von den Blutbergen Tag und Nacht gelaufen. Doch nun war sie müde und vor allem hungrig. In einem Gasthaus in Slashkalla, der Hauptstadt Coluacans, mietete sie sich ein Zimmer. Um nicht aufzufallen, verband Nekane ihre Ohren mit einem Tuch. Zurück im Schankraum setzte sie sich in eine Ecke und wartete ab. Ein Kellner kam zu Nekane an den Tisch. „Darf ich Ihnen was zu trinken bringen?“ „Ein Glas von ihrem Besten bitte.“ „Kommt sofort.“ Nach ein paar Minuten kam der Kellner mit einem Glas Portwein zurück. „Kann ich sonst noch was für Sie tun, Madame?“ „Mit einer Auskunft wäre mir schon geholfen.“ „Was wollen Sie denn wissen?“ „Ich bin auf der Suche nach einer Waldelfe namens Shina Fay. Sie wissen nicht zufälligerweise, wo sie sich derzeit aufhält?“

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„Nein. Aber vielleicht fragen Sie den alten Gladius. Der weiß so ziemlich alles.“ Und wo finde ich ihn?“ „Er sitzt dort drüben. Der Mann mit der Augenklappe.“ Der Kellner nickte mit dem Kopf auf einen alten Mann am Tresen. „Danke. Hier habt Ihr 10 Goldstücke.“ Danach ging Nekane mit ihrem Wein an den Tresen. „Habt Ihr was dagegen, wenn ich euch Gesellschaft leiste Gladius?“ „Nicht im geringsten. Aber es muss schon einen guten Grund haben, dass Ihr mich ansprecht.“ „Mir wurde gesagt, dass Sie über vieles Bescheid wissen. Im Moment interessiert mich nur eins.“ „Und was wäre das?“ „Ich will den Aufenthaltsort von Shina Fay in Erfahrung bringen.“ „Das letzte, was ich weiß, ist das sie beim Frühlingsfest in Endor, Eterias Hauptstadt war. Kann sein, dass sie schon wieder abgereist ist.“

Am nächsten Morgen machte sich Nekane auf den Weg nach Endor. Doch auch die junge Waldelfe hatte sich auf den Weg nach Vortavor gemacht. Sie hatte beschlossen, Jabon und Galen zu begleiten. Drei Tage nach dem Frühlingsfest kam Shina Fay nach Vortavor, jener Stadt, in der Jabon und sein Bruder Galen lebten. Die beiden Brüder wollten es sich nicht nehmen lassen, die junge Elfe ihrem Vater, König Meteron vorzustellen. Der Regent war aufgrund einer fiebrigen Erkältung verhindert und hatte am Frühlingsfest in Endor nicht teilnehmen können. Meteron staunte nicht schlecht, als er Shina Fay und ihre Freundinnen sah. „Willkommen in meinem Haus Shina Fay und auch ein herzliches Willkommen deinen Freundinnen.“, sagte König Meteron. Shina Fay wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, da fiel dem Regenten von Vortavor auf, dass sein ältester Sohn den Ring seiner Stiefmutter nicht um den Hals trug.

Die junge Waldelfe bemerkte den zornigen Blick des Königs von Vortavor. Sie trat vor und gab ihm die Kette mit dem Ring zurück. „Wie bist du in den Besitz von Jabons Ring gelangt, Shina Fay?“ „Ich habe ihn beim Armdrücken gewonnen.“ „Jetzt sag bloß, mein Sohn hat dich raus gefordert. „Das hat er in der Tat, mein König. Und ich habe angenommen.“ „Und du hast Jabon fair geschlagen. Der Ring gehört dir Shina Fay. Du hast ihn dir redlich verdient. Er wird dir noch große Dienste leisten. Denn durch ihn verbessert sich deine Wahrnehmung. Du hörst und siehst Dinge, die andere nicht sehen.“ „Dann hätte ich Nekane gegenüber einen weiteren Vorteil.“ „Du meinst die Assassine der Blutelfen?“ „Ja. Die Blutelfen haben sie mir auf den Hals gehetzt. Mit dem Auftrag, mich zu töten.“ „Dann ist es gut, dass du den Ring gewonnen hast.“

Nicht lange nach Shina Fays Ankunft in Vortavor kam auch die Assassine in die Stadt. Damit ihre Ankunft nicht sofort bemerkt wurde, zog Nekane es vor, in einer Herberge am östlichen Ortsrand abzusteigen. 44

Die Assassine war vorsichtig, denn Shina Fay durfte nicht merken, dass ihr Jäger schon in der Stadt weilte. Und deshalb wartete Nekane ein paar Tage, ehe sie sich entschloss, die Stadt zu erkunden, um einen geeigneten Platz für einen Hinterhalt zu finden. In der sogenannten Speicherstadt wurde sie dann fündig.

Tagelang wartete Nekane in ihrem Versteck, doch Shina Fay ließ sich einfach nicht blicken. Die Assassine hasste es, wenn ihr Opfer anfing, Psychospielchen mit ihr zu spielen. „Dann ist Shina Fay also gewarnt. Na schön, kleine Waldelfe. Spielen wir das Spiel eine Weile, wie du es willst. Aber im entscheidenden Moment spielen wir es nach meinen Regeln.“, dachte Nekane.

An einem schönen Frühlingstag erkundete Shina Fay zusammen mit Galen ein bisschen die Stadt. In einer Seitenstraße packte die Stammesführerin vom Clan des roten Habichts Jabons kleinen Bruder am Handgelenk und zog ihn in einen Hauseingang. Galen drückte die junge Elfe an die Hauswand und fing an sie zu küssen. Shina Fay erwiderte den Kuss mit aller Leidenschaft. Doch aus dem Augenwinkel sah sie Nekane die Straße betreten. „Also im Küssen scheinst du ja richtig gut zu sein, Shina Fay. Aber kannst du auch genauso gut mit dem Schwert umgehen?“ „Verschwinde im Haus Galen.“ „Aber…“ „Kein Aber. Mach, dass du rein kommst. Aber dalli!“

Als Galen im Haus verschwunden war zog Shina Fay ihre Schwerter. „Ich weiß, weshalb du hier bist, Nekane. Wollen doch mal sehen, ob du wirklich so gut bist, wie man behauptet.“ Nekane stieß einen lauten Schrei aus und stürmte auf Shina Fay los. Doch die junge Elfe duckte sich und setzte einen Hieb auf den Oberschenkel ihrer Gegnerin. Nekane sah, wie sich an ihrem linken Bein eine Wunde bildete. Ein brennender Schmerz durchzuckte ihr Bein. Damit konnte sie ihre Wirbelattacke nicht einsetzen, mit der sie Ators Tochter hätte überrumpeln können. Stattdessen musste es die Assassine auf die klassische Art versuchen. Wieder stürmte sie vorwärts. Doch es gelang ihr nicht, ihre Gegnerin erneut zu überraschen. Die Waldelfe und die Blutelfe teilten Hiebe aus, dass man das Klirren der Klingen in ganz Vortavor hören konnte. Nekane versuchte ihre Gegnerin in die Enge zu treiben, doch Shina Fay wehrte sich nach Leibeskräften und gab nicht eine Elle nach.

„Das Spiel ist noch nicht vorbei Shina Fay. Wir sehen uns wieder. Das schwöre ich.“ Shina Fay betrachtete Nekane sehr genau und prägte sich jede Einzelheit ein. Die Blutelfe hatte lange schwarze Haare, die ihr bis zu den Hüften reichten. Außerdem hatte sie die typischen Merkmale einer Elfe. Das ovale Gesicht, den grazilen Körperbau und die spitzen Ohren. Auf ihrem Kopf trug sie ein Diadem. Ihre Brüste waren mit einem schmalen Metallband bedeckt. 45

Auch im Schambereich hatte Nekane bekleidungstechnisch wenig vorzuweisen. Sie trug lediglich einen Lendenschurz aus Seide. Dazu trug sie braune langschäftige Lederstiefel. In ihren braunen Augen loderte Hass. „Du hast Recht Nekane. Das Spiel ist erst dann vorbei, wenn einer von uns beiden nicht mehr atmet.“ „Schön, dass du das einsiehst.“

Galen hatte den Zweikampf zwischen seiner großen Liebe und der Assassine aus einem Fenster beobachtet. Und er wusste nur zu gut, dass Shina Fay bei einem erneuten Aufeinandertreffen mit Nekane den kürzeren ziehen würde, wenn er ihr nicht half. Nun beobachtete er, wie sich die Blutelfe zurückzog. Erst als er sie in Richtung Osthafen verschwinden sah, verließ er sein Versteck. „Du hast Nekane erfolgreich die Stirn geboten. Aber das wird sie noch mehr anstacheln, dich zu töten. Wenn du willst, trainiere ich mit dir, und helfe dir, noch besser zu werden.“, sagte Galen. „Danke Galen. Ich werde mich irgendwann dafür erkenntlich zeigen.“

In ihrem Zimmer in der Herberge studierte Nekane eine Karte von Eteria, um einen Ort zu finden, an dem sie Shina Fay in einen Hinterhalt locken konnte. Der Lotosblütensee war bestens geeignet, um einen Hinterhalt zu legen. Shina Fay indessen verbrachte die meiste Zeit ihrer Tage in Vortavor mit Galen beim Training. Galens Vater Meteron und Jabon, Galens großer Bruder, sahen dies mit Wohlwollen. Und während Ators Tochter trainierte, behielten ihre Freundinnen Raya, Desdemona und Kaitlyn Nekane im Auge. Es war die Naga-Königin, die den Aufbruch der Assassine beobachtet hatte. Eines Abends, Shina Fay hielt sich gerade in der Speicherstadt auf, suchte Desdemona ihre Freundin auf. „Nekane ist fort. Sie hat Vortavor verlassen.“ „In welche Richtung Desdemona?“ „In Richtung des Lotosblütensees. Anscheinend will sie dich dort stellen.“ „Nekane hat aber eines nicht bedacht. Ich kenne die Gegend um den See wie meine Westentasche. Immerhin bin ich dort aufgewachsen.“ „Wann brechen wir auf?“ „In zwei Tagen.“ „Einverstanden Shina Fay.“

Als Galen von Shina Fays Abreiseplänen erfuhr, war er ganz traurig. Er hätte zu gerne noch mehr Zeit mit der Elfe, die er über alles liebte, verbracht. Doch er wusste genau, dass Shina Fay ihrem Schicksal, das in Gestalt von Nekane am Lotosblütensee auf sie wartete, nicht davonlaufen konnte. „Wenn alles vorbei ist, dann komm mich besuchen. Ich würde mich freuen.“ „Nur zu gern, Shina Fay. Ich wünsche dir viel Glück. Mögen dir die Götter gnädig sein.“

Nekane hatte unterdessen ihr Lager an den Ufern des Lotosblütensees aufgeschlagen. Tag und Nacht wartete die Assassine, dass Shina Fay endlich kam. Doch die Stammesführerin vom Clan des roten Habichts hatte vorerst 46

andere Dinge im Kopf. Dass es Shina Fay nicht eilig hatte, sich der Blutelfe zu stellen, trieb diese fast in den Wahnsinn. Kurz bevor Ators und White Angels Tochter endgültig die Heimreise antrat, machte sie noch einen Abstecher bei ihrer Cousine Aradil. Diese lebte auf Schloss Edendale, dem sich Edendale Forrest anschloss. Es war Abend geworden, als Shina Fay mit ihren Freundinnen auf Edendale Castle eintraf. Die Waldelfe aus den Wäldern von Aboleni klopfte, an das Tor des Schlosses. Auf dem Wachturm der Zugbrücke erschien ein Wächter. „Wer da?“, fragte er mit einer tiefen Bassstimme. „Ich bin Shina Fay. Stammesführerin vom Clan des roten Habichts und Cousine deiner Herrin.“ „Einen Moment. Ich komme runter.“ Es dauerte nicht lange, bis die Zugbrücke heruntergelassen wurde und ein Mann mit einem schwarzen Bart und einem markanten Elfengesicht erschien. Er war zwar nicht sehr groß, aber kräftig gebaut. Seine blauen Augen strahlten Güte aus.

Der Soldat sah Shina Fay prüfend an. Dann trat ein Lächeln in sein Gesicht als er sagte: „Shina Fay! Ich freue mich dich zu sehen. Lass dich ansehen.“ Nachdem er Aradils Cousine gemustert hatte meinte er: „Ich muss schon sagen, dass du zu einer richtigen Schönheit herangewachsen bist.“ „Ich danke dir Gurney. Wie geht es Aradil?“ „Sie wird sich freuen, dich zu sehen.“ Dann sah Gurney Shina Fays Freundinnen. „Und wen hast du noch mitgebracht?“ „Das sind meine Freundinnen Gurney. Raya aus Erathia. Desdemona, eine Naga-Königin aus Risia und Kaitlyn.“ „Ich kenne Kaitlyn. Sie ist Königin Azuras Tochter.“ „Ich fürchte, ich muss dich korrigieren Gurney. Sie WAR Königin Azuras Tochter. Azura hat ihr eigenes Kind verstoßen und das nur, weil Kaitlyn von Tyrion sexuell missbraucht worden ist.“ „Tyrion? Der Echsenkrieger?“ „Eben jener. Auf sein Konto geht auch der Überfall auf die Karawane aus Coluacan und der Überfall auf den Gutshof am Lotosblütensee.“ „Du hast ihn getötet?“ „Hab ich. Gegen meinen Dolch gab es kein Entrinnen.“ „Und mit wem hast du es jetzt zu tun Shina Fay?“ „Nekane.“

„Ach du dickes Ei. Nekane, die Assassine der Blutelfen.“ „Die Blutelfen haben sie mir auf den Hals gehetzt, mit dem Auftrag mich zu töten.“ Raya machte sich bemerkbar. „Entschuldigt bitte. Aber ich friere. Können wir reingehen?“ „An mir soll es nicht scheitern.“ Kurze Zeit später standen die Freundinnen zumindest im Innenhof. Shina Fay klopfte an die Tür des Haupthauses. Ein schlurfendes Geräusch wurde hörbar. Dann wurde die Tür einen Spalt breit geöffnet. Die Waldelfe sah ein runzliges Gesicht mit einer Hakennase. Sie identifizierte den alten Mann als den langjährigen Hausdiener Marsdoke. „Wer wagt es, zu so später Stunde die Nachtruhe zu stören?“, fragte der Diener. „Shina Fay.“

Marsdoke öffnete die Tür ganz, 47

um sicher zu gehen, dass auch wirklich die Cousine seiner Herrin vor ihm stand. „Du bist es. Wahrlich und wahrhaftig Shina Fay. Du bist hier.“ „Können meine Freundinnen und ich ein paar Tage hierbleiben? Ich würde gerne mit Aradil sprechen.“ „Das wird kein Problem darstellen. Kommt rein Ladies.“ Als Marsdoke die Tür wieder geschlossen hatte, fröstelte es Raya nicht mehr ganz so sehr. „Endlich im warmen.“, sagte sie. Auf der Balustrade über den Freundinnnen waren Schritte zu hören.

Shina Fay ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Es hatte sich nichts verändert, seit sie das letzte Mal hier gewesen war. Sie sah zur Balustrade hinauf, die um den ganzen Raum herum verlief. Aradil, ihre Cousine stand dort und sah sie an. „Du hättest deinen Besuch ankündigen sollen, Cousinchen.“, sagte sie. „Und ich dachte, du freust dich, mich zu sehen.“ „Ich freu mich ja auch, Shina Fay. Aber im Moment ist hier im wahrsten Sinne des Wortes die Hölle los.“ „Komm doch erst mal runter. Und dann erzähl mir, was passiert ist.“ Aradil kam von der Balustrade herab und umarmte ihre Cousine erst mal. „Also Aradil, was bedrückt dich?“ „Es begann vor wenigen Tagen. Ein Fremder ist in den Wäldern aufgetaucht. Er scheint so eine Art Jäger zu sein. Zumindest sieht er so aus.“ „Was macht er denn schlimmes?“ „Du kennst doch die Furbolgs oder?“ „Ja natürlich.“ „Seit er hier ist, werden es immer weniger.“ „Ich habe vor einige Tage zu bleiben. Ich werde mich der Sache annehmen.“ „Du würdest mir damit eine große Last von den Schultern nehmen, Shina Fay.“

Doch dann bemerkte Aradil Raya, Desdemona und Kaitlyn. „Wieso hast du nicht gesagt, dass du nicht alleine hier bist?“ „Du hast nicht gefragt, Aradil.“ „Würdest du mir deine Begleiterinnen vorstellen?“ „Begleiterinnen, ist doch sehr untertrieben Aradil. Freundinnen trifft es besser.“ „Haben deine Freundinnen auch Namen. „Ich bin Raya.“ „Ich Desdemona.“ „Und ich bin Kaitlyn.“ „Es freut mich, die Freundinnen meiner Cousine Shina Fay kennenzulernen. Seid willkommen in meinem Haus.“

Nach dem Abendessen, dass Marsdoke mit einigen Schwierigkeiten serviert hatte, saßen Shina Fay und Aradil mit Shina Fays Freundinnen am Kamin. „Darf ich eine Frage stellen?“, fragte Raya. „Was immer du willst.“ „Was sind Furbolgs?“ „Sie sehen aus wie Bären. Aber im Gegensatz zu ihren wilden Verwandten verstehen Furbolgs unsere Sprache. Sie denken wie wir.“ „Du hast ihre Schamanen vergessen Aradil. Die Furbolg-Schamanen sind mindestens genauso gefürchtet wie die Furbolgs. Der Einzige Unterschied zwischen Furbolgs und Furbolg-Schamanen liegt in den magischen Kräften. Bei den Schamanen sind sie stärker ausgeprägt. 48

Außerdem haben die Schamanen Stammesabzeichen.“, ergänzte Shina Fay die Erklärungen Aradils. „Kann man mit ihnen Geld verdienen?“ „Eigentlich nicht. Zumindest nicht als Attraktion auf dem Jahrmarkt. Höchstens das Fell bringt Geld, da behauptet wird, die magischen Kräfte eines Furbolgs gingen auf den Träger seines Fells über.“, sagte Aradil. „Ich denke, wir sollten uns schlafen legen. Denn morgen müssen wir früh raus, wenn wir mehr erfahren wollen. Furbolgs kann man nur im Morgengrauen beobachten.“

Noch bevor die Sonne am nächsten Tag aufging, waren Shina Fay und ihre Freundinnen zusammen mit Aradil in Edendale Forrest unterwegs. „Die Furbolgs sind seit dem Auftauchen des Jägers sehr misstrauisch. Gerade Fremden gegenüber.“, sagte Aradil. Sie hatte den Satz gerade zu Ende gesprochen, da wurden die Zweige eines Busches wild beiseitegeschoben, dass sie abbrachen. Raya blieb fast der Atem stehen, als sie das Ungeheuer sah, das aus den Büschen hervorbrach. Doch Shina Fay entging nicht der gehetzte Ausdruck in den Augen des Furbolgs. Der Bär wandte sich nach links und rannte davon. „War das ein…?“ „Furbolg? Nein. Das war ein Furbolg-Schamane. Hast du nicht die Stammesabzeichen gesehen, die auf seinem gesamten Kopf zu sehen waren?“ „Ich hab vor lauter Angst nicht so richtig drauf geachtet.“

Nur kurze Zeit später kam eine Meute Jagdhunde vorbei, wie die Menschen sie hielten. Kurz darauf erschien auch der fremde Jäger. „Keinen Schritt weiter Fremdling!“ Der Jäger drehte sich langsam um und sah Shina Fay vor sich stehen. Sie hatte den Bogen auf ihn gerichtet und die Spitze des Pfeiles zeigte direkt die Stirn des Fremden. Der Jäger drehte den Kopf leicht nach links und sah, dass auch Raya mit ihrem Bogen auf ihn zielte. Dem Fremden rutschte das Herz in die Hose, denn Shina Fays Gesichtsausdruck verriet ihm, dass die Waldelfe nicht lang fackeln und ihren Pfeil auf seine todbringende Reise schicken würde. „Wenn du auch nur einmal zuckst Fremder, dann schicke ich dich in die ewigen Jagdgründe.“, zischte Shina Fay.

Ganz in der Nähe hörten die Freundinnen, wie eine Falle zuschnappte. Auch die Gesichtszüge des Jägers veränderten sich schlagartig. Hatte er eben noch Angst, so war in seinem Gesicht nur noch blanker Hass zu erkennen. „Verflucht seist du, du dumme Elfe. Deinetwegen geht mir der dieser Furbolg-Schamane durch die Lappen. Ich könnte ihn schon längst häuten, wenn du mir nicht alles versaut hättest.“ „Du quatschst mir zu viel Fremder.“ Im nächsten Augenblick ließ Shina Fay den Pfeil los. Rayas Pfeil folgte den Bruchteil einer Sekunde später.

Als der Jäger tot am Boden lag, folgten Shina Fay und ihre Freundinnen den Spuren des Schamanen. Diese führten zu einem riesigen Käfig, 49

in dem der Furbolg-Schamane gefangen war. Die Jagdhunde waren nirgends zu sehen, doch Shina Fay ahnte, dass sie in der Nähe waren und nur darauf warteten, dass jemand so unvorsichtig sein würde, und den Versuch unternehmen würde, die Falltür in die Höhe zu stemmen. Deshalb entschied sich Shina Fay, das Gegenteil zu tun. Mit zwei Schwerthieben durchtrennte sie die Hanfseile, die die Tür an Ort und Stelle hielten.

Der Schamane warf sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür und diese fiel der Länge nach auf den Boden. Der Aufprall alarmierte die Hundemeute und diese kamen in Windeseile heran gestürmt. Doch der Furbolg-Schamane war schon aus seinem Gefängnis entflohen und stellte sich den Hunden in den Weg. Dabei flüsterte er eine Beschwörungsformel, die mit jeder Silbe immer lauter wurde. Mit den Worten „WURM, ERDE UND FEUER, HÖRT MEINEN RUF!!!“, versetzte sich der Schamane in einen wahren Blutrausch. Ehe die Hunde wussten, wie ihnen geschah, hatte der Schamane in seinem Rausch, alle mit einem Biss in die Kehle getötet. Als auch der letzte der Bluthunde tot am Boden lag, hörte auch der Rausch auf.

„Danke Shina Fay, dass du den Jäger aufgehalten hast.“ „Woher weißt du, wer ich bin?“ „Vergiss nicht, dass ich schon länger lebe, als Du. Ich habe dich heranwachsen sehen. Und ich weiß, was dich seit deinem 25. Geburtstag erwartet.“ „Dann weißt du sicher auch, mit wem ich es jetzt zu tun habe. Aber ich würde gerne noch deinen Namen wissen.“ „Ich bin Korax, der älteste aller Furbolg-Schamanen. Und deine Gegnerin ist Nekane, die Assassine der Blutelfen. Sie wartet schon auf dich. Am Lotosblütensee. Und sie ist schon ganz ungeduldig. Mit jedem Tag, den du vergehen lässt, richtet sie mehr und mehr Schaden an. Du solltest also bald aufbrechen, Shina Fay. „Also so eilig hab ich es nun auch wieder nicht Korax.“

„Ich dachte mir, dass du sowas sagen würdest. Du und Raya habt den Jäger getötet. Daher gebührt euch beiden mein Dank. Ich habe hier ein paar Edelsteine. Jeder Stein besitzt magische Kräfte. Wählt einen aus.“ Korax nahm einen Lederbeutel von seinem Lendenschurz und öffnete ihn. Dann ließ er zuerst Shina Fay hineingreifen. Ators Tochter zog einen Rubin von der Größe eines Taubeneis aus dem Beutel. Raya wählte einen Amethyst, der ebenso groß war. „Shina Fay, der Rubin, den du dir gewählt hast, hat die Fähigkeit, aus deinen Pfeilen Feuerpfeile zu machen, wenn du den entsprechenden Zauber dazu benutzt.“ „Raya, dein Amethyst ist in der Lage, sämtliche Wunden zu heilen, egal wie tief sie auch sein mögen. Außerdem macht er sämtliche Gifte sofort unschädlich.“ 50

Später am Abend saßen die Freundinnen mit Shina Fays Cousine Aradil wieder am Kamin. „Du hast mir heute eine große Last von der Seele genommen. Ich danke dir von ganzem Herzen Shina Fay.“, sagte Aradil. Zum ersten Mal hatte Kaitlyn die Möglichkeit Shina Fays Cousine genauer zu betrachten. Aradils Körper war genauso schlank wie der Shina Fays. Allerdings war ihr Gesicht nicht ganz so schmal geschnitten, sondern etwas runder. Auch Aradil hatte wie Shina Fay grüne Augen. Ihre braunen Haare allerdings waren etwas heller, als die ihrer Cousine. Bekleidet war Aradil mit einem roten Kleid aus Seide, das eng anlag und ihren schönen Körper betonte. Dazu trug sie weiße Sandaletten.

Shina Fay blieb noch drei weitere Tage bei ihrer Cousine. „Pass auf dich auf Shina Fay. Und ich hoffe, dass du und deine Freundinnen mich noch mal besuchen kommt.“ „Ganz bestimmt. Aber es gibt noch etwas, das ich dir schon die ganze Zeit sagen wollte, Aradil. Leider kam ich bisher nicht dazu.“ „Was?“ „Ich hab mich verliebt. Sein Name ist Galen. Er lebt in Vortavor und ist der jüngste Sohn von König Meteron.“ „Mein Glückwunsch Shina Fay. Aber jetzt konzentriere dich auf die Aufgabe, die vor dir liegt. Töte Nekane.“

Kurz bevor die Freundinnen Edendale Forrest verließen, trafen sie noch einmal auf Korax, der sie bis zum Rand des Waldes begleitete. Als Shina Fay, Raya, Desdemona und Kaitlyn den Wald verlassen hatten, drehte sich Shina Fay noch einmal um und winkte zum Abschied. Korax stand einfach nur da. Und so sah ihn die junge Elfe zum letzten Mal. Korax sah aus wie ein Bär, nur dass er auf zwei Beinen ging. In der linken Hand hielt er einen magischen Speer. Seine Genitalien wurden durch einen Lendenschurz aus Leder verdeckt.

Nekanes Ungeduld war fast grenzenlos geworden, als sie dann endlich den weißen Säbelzahntiger mit Shina Fay auf dem Rücken erkannte. „Du hast aber lange gebraucht, um dich zu stellen.“, sagte die Assassine, als Shina Fay abgestiegen war. „Ich hatte es nicht eilig. Außerdem hat meine Cousine meine Hilfe gebraucht. Du kannst das natürlich nicht verstehen. Denn du hast keine Familie.“ „Genug geredet Shina Fay. Lass uns zu Ende bringen, was wir in Vortavor begonnen haben.“ „Wie du meinst.“

Shina Fay zog ihre Schwerter. Nekane tat das gleiche. Die Blutelfe versuchte mit ihrem Angriffswirbel einen Treffer an Shina Fays Kehle zu setzen, doch die Waldelfe hatte dies vorausgesehen und sich im rechten Augenblick geduckt. Aus der Bewegung heraus setzte sie einen Schnitt auf Nekanes rechten Oberschenkel, der bis zum Ansatz des Beckens reichte. Die Assassine schrie auf. Sie drehte sich um und wollte zu einem erneuten Hieb ansetzen, doch Shina Fay machte einen Sprung über ihre Gegnerin hinweg. 51

Noch im Fall schaffte sie es, Nekane mit einem Hieb ihrer gekreuzten Klingen am Rücken zu verletzen. Dieser Hieb war es, der die Assassine zu Boden warf. Schnell wie der Blitz war Shina Fay über ihr, riss ihren Kopf an den Haaren zurück und schnitt Nekane die Kehle durch.

Es war Abend geworden, als Shina Fay in ihr Dorf zurückgekehrt war. Ihre Freundinnen und die Einwohner des Dorfes hatten gerade das große Feuer entzündet. Shina Fay sprach gerade mit Halgrim, als ein Fanfarensignal ertönte. Ein Herold kam angeritten. „Es ist eingetroffen: König Meteron, Herrscher von Vortavor.“ Die Freundinnen glaubten sich verhört zu haben, doch dann konnte Raya den König entdecken. Doch er war nicht allein, wie sie feststellen konnte. Seine beiden Söhne waren ebenfalls dabei. „Galen ist gekommen, Shina Fay.“ „Bist du dir sicher Raya?“ „So sicher, wie man sich nur sein kann.“ Doch die Ankunft von Galen sollte nicht die einzige Überraschung an diesem Abend sein. Auch Shina Fays Cousine Aradil kam zu der Feier.

Später am Abend, es war bereits dunkel geworden, kam dann auch Netanya mit ihrer Schülerin Ayla. Nach einer innigen Umarmung sagte die Hohepriesterin: „Ich wusste, dass du Nekane besiegen kannst.“ „Danke, dass du an mich geglaubt hast.“ „Ich glaube immer noch an dich. Du kannst die Prüfungen bestehen. Doch je näher du deinem Ziel kommst, umso schwieriger wird es werden.“ „Ich will den Bogen meines Vaters. Ich habe nicht vor zu versagen.“ Ayla meldete sich zu Wort. „Deine Einstellung gefällt mir. Aber hast du dich schon im Umgang mit deinen magischen Fähigkeiten versucht? Hast du gelernt sie zu kontrollieren?“ „Ja, ich habe den Umgang mit Magie erlernt. Ich werde es dir beweisen.“

Shina Fay holte einen Apfel aus ihrer Ledertasche und warf ihn die Luft. Für einen kurzen Augenblick wurde die Frucht von Licht eingehüllt, ehe sie sich in Luft auflöste und eine weiße Taube zum Vorschein kam. „Reicht dir das als Beweis Ayla?“ „Das war nicht schlecht. Aber ob das auch reicht, wenn du deinen nächste Prüfung antrittst, wage ich zu bezweifeln.“ „Wann soll es denn losgehen?“ „Das wissen nur die Götter, Shina Fay.“, sagte Netanya. 52

04. Prüfung - Sorais die Voodoo-Priesterin

04. Pruefung – Sorais die Voodoo-Priesterin

Eteria im Jahr der Ratte

Dichter Schnee fiel auf die Gipfel des Drachenzahns, dem zweithöchsten Berg im Teufelsgebirge. Doch tief in einer Höhle, die sich im inneren des Berges befand, brannte ein Feuer. Eine Frau saß dort. An beiden Wänden der Höhle hingen riesige Gerüste, auf denen die Frau die Schädel ihrer Opfer beeindruckend zur Schau stellte. Auf der linken Seite der Höhle stand eine Pike, mit einem Totenkopf darauf. Dieses Artefakt wies die Frau als Voodoo-Priesterin aus. Aus einem kleinen Tongefäß entnahm die Voodoo-Priesterin eine kleine Menge eines roten Pulvers, die sie dann ins Feuer warf. Sofort wuchs das Feuer bis zur Höhlendecke heran. Die Voodoo-Priesterin sprach einen Beschwörungszauber und ließ so ihren Blick über Eteria schweifen, um nach neuen Opfern zu suchen. Zuerst sah sie sich in Endor um. Doch dort wurde sie nicht fündig. Als nächstes ließ sie ihr geistiges Auge nach Vortavor, Galens Heimat wandern, aber auch dort lebte niemand, der ein würdiges Opfer für die Voodoo-Priesterin darstellte.

Daraufhin suchte sie weiter. Auch in der Goyoma-Wüste wurde die Priesterin nicht fündig. Auch im Grenzgebiet zu Darkwood, dem Reich der Dunkelelfen war niemand, den Sorais, so hieß die Voodoo-Priesterin, hätte opfern können. Also ließ sie ihr geistiges Auge noch einmal auf Wanderschaft gehen. Doch auch in der nördlichen Region, im Massanella-Gebirge hatte sie keinen Erfolg. Sorais musste sich eingestehen, dass ihre Suche nur halbherzig war. Denn das Massanella-Gebirge war das Reich von Darmona, der bösen Naga-Königin. Auch die Gegend von Edendale Castle und dem dazugehörigen Edendale Forrest bot wenige Aussichten auf Erfolg. Das Todesmoor kam auch nicht infrage. Dort bestand das Risiko, selbst den Tod zu finden. Dann kam Sorais in die Wälder von Aboleni.

Das geistige Auge der Voodoo-Priesterin fand Shina Fay und ihre Freundinnen. „Ja, die junge Waldelfe ist genau richtig. Aber noch soll sie leben dürfen. Genieße dein Leben, solange du noch Zeit dazu hast, junge Elfe. Denn wenn ich dich hole, ist es vorbei.“ Schließlich wurde sie doch noch fündig. An der Grenze zu Coluacan lag ein kleines Dorf. In diesem Dorf lebten zwei Blutelfen. Eine junge, und eine ältere. Und beide waren perfekte Opfer. Sorais sprach einen weiteren Zauber, der den Flammenspiegel in ein Tor verwandelte. Sie durchschritt das Tor und kam in das Dorf. Die Voodoo-Priesterin überrumpelte die beiden Blutelfen und nahm sie mit sich in ihr Versteck auf dem Drachenzahn.

In ihrem Versteck sah sich Sorais ihre beiden Opfer genau an. Die ältere Elfe 53

hatte braune Haare, die bis zu ihren Brüsten reichten, braune Augen und die für Elfen typischen spitzen Ohren. Auch ihr Körper und ihr Gesicht, waren ebenso klar als elfisch zu erkennen. Bekleidet war die Elfe mit einem lila Kleid und braunen Sandalen. „Nenn mir deinen Namen.“ „Alina.“ „Was habt ihr mit uns vor?“, fragte die junge Blutelfe voller Angst. „Schweig! Du redest erst, wenn ich es dir gestatte. HAST DU VERSTANDEN?“ So herrschte Sorais das Blutelfenmädchen an. Dann nahm sie das Mädchen genauer in Augenschein. Die Elfe hatte lilane Haare, die bis zu ihren kleinen Brüsten reichten. Dazu kamen der schlanke Körper und das ovale Gesicht, sowie die spitzen Ohren, die eine Elfe kennzeichneten. Bekleidet war die junge Blutelfe mit einem lila Roch, einem Top in derselben Farbe und einen Mantel, der vom selben Lila-Ton war, wie Rock und Oberteil. Dazu kamen braune Lederstiefel. Sorais sah diesem jungen Geschöpf ins Gesicht und sah Furcht in seinen violetten Augen. „Wie ist dein Name?“ „J-Jenna.“, sagte die junge Elfe. „Stottere nicht, wenn du mit mir redest!“, schrie die Voodoo-Priesterin das Mädchen an.

„Du wolltest wissen, was ich mit euch vorhabe. Pass gut auf.“ Mit diesen Worten packte Sorais Alina am Handgelenk und zerrte sie nach oben. Die Voodoo-Priesterin fesselte die ältere Blutelfe an ein Gestell aus Metall. Dabei achtete sie darauf, dass Alina ihr das Gesicht zugewandt hatte. Danach steckte sie einen langen Kunstfinger auf ihren rechten Zeigefinger und tauchte ihn in eine schwarze Flüssigkeit. „So und jetzt sieh genau hin.“, sagte Sorais. Sie trat hinter Alina und hob ihre rechte Hand. Dann rief die Voodoo-Priesterin mit voller Stimme: „Mein Gott Baal! Nimm dieses Opfer an, das ich, Sorais, deine ergebene Dienerin, in voller Demut darbringe!“ Dann stieß sie den Kunstfinger tief in Alinas Hals und sprach laut eine Voodoo-Formel.

Alina stieß noch einmal einen lauten Schrei aus, ehe alle Farbe aus Farbe aus ihrem Gesicht wich und ihr Kopf nach links zur Seite fiel. Sorais ließ ein diabolisches Lachen erklingen. „Mit dir werde ich genau dasselbe tun. Doch vorher sollst du miterleben, wie ich Ators Tochter, Shina Fay, meinem Gott als Opfer darbringe.“ „Was hat Shina Fay euch getan, dass ihr ihren Tod beschlossen habt?“ „Sie hat meine Schwester Seetha getötet. Ihr Tod wird mir die Genugtuung verschaffen, mich an der Mörderin meiner Schwester gerächt zu haben.“ „Davon wird Seetha auch nicht wieder lebendig.“, sagte Jenna. „Spar dir deine moralischen Belehrungen.“

Shina Fay weilte unterdessen in Masca, der alten Festung auf dem Teufelsberg und studierte sämtliche Folianten, die sich mit Elementezaubern befassten. Sie war gerade dabei, sämtliche 54

Feuerzauber zu studieren, als Bruder Remigius das Studierzimmer betrat. „Ich störe deine Studien nur ungern, Shina Fay, aber da ist jemand, der dich sprechen möchte.“ „Wer ist es?“ „Er kommt aus Sedenia, wo immer das auch sein mag.“ „Das ist der Sitz der Götter der Elfen!“, entfuhr es Kaitlyn. „Führ ihn herein, Remigius.“ Der alte Mönch neigte den Kopf. „Wer mag dich sprechen wollen, Shina Fay?“ „Ganz ehrlich Raya, ich weiß genauso viel wie ihr.“ Remigius kehrte in Begleitung eines alten Elfen zurück. Sein Kopf- und sein Barthaar waren schneeweiß. Sein Bart reichte fast bis auf den Boden. Bekleidet war der alte Elf mit einer blauen Tunika und braunen Sandalen. Auf dem Kopf trug er einen goldenen Lorbeerkranz. In der rechten Hand hielt er einen Stock aus Akazienholz. Shina Fay erkannte, dass sie den obersten aller Elfengötter vor sich hatte. Rasch ging sie auf die Knie und verbeugte sich. Kaitlyn und Raya taten es ihr nach. Der alte Elf sah die Freundinnen aus seinen violetten Augen an. Dann sagte er mit einer tiefen, beruhigenden Stimme: „Erhebt euch, ihr drei.“ „Was führt euch zu mir Oswin, Göttervater der Elfen?“, fragte Shina Fay. „Ich bin gekommen, um dich wissen zu lassen, dass du schon sehr bald zu deiner vierten Prüfung aufbrechen musst. Sie wird dich auf den Drachenzahn führen. Zu Sorais, der Voodoo-Priesterin. Sie hat zwei Blutelfen in ihrer Gewalt. Alina, die ältere hat sie schon ihrem Gott geopfert. Jenna, das Mädchen soll sehr bald folgen.“

„Gebt mir noch zwei Tage für meine Studien, Oswin.“ „Die zwei Tage seien dir gewährt, Shina Fay.“ Oswin zog sich zurück. Auch Bruder Remigius ließ die drei Freundinnen allein. „Es würde mich nicht wundern, wenn Sorais deine Unterhaltung mit Oswin durch einen Zauber belauscht haben sollte.“ „Traust du ihr das zu Kaitlyn?“ „Einer Voodoo-Priesterin, die so böse ist, wie Sorais, trau ich alles zu.“ Und das Kaitlyn recht hatte, zeigte sich an der Reaktion der Voodoo-Priesterin. Sie sprühte Gift und Galle. „Beim Blute meiner Mutter! Wie kann dieser alte Elfengreis es wagen, Shina Fay zu warnen?“ „Oswins Wege sind unergründlich.“, sagte Jenna. „Du bist ruhig! Wenn du noch einmal ohne meine Erlaubnis den Mund aufmachst, schneide ich dir die Zunge heraus.“

Jenna schloss ihre Augen und murmelte eine Beschwörungsformel. Als die junge Blutelfe diese beendet hatte und die Augen öffnete, glühten ihre Augen rot. „Höre Sorais! Höre meine Worte!“ „Schweig Jenna!“ Ein raues Lachen ertönte. „Ich bin nicht Jenna. Ich bin Serena, das Orakel der Blutelfen. Deine Zeit ist abgelaufen. Shina Fay wird dich töten.“ „Das glaube ich kaum! Eher wird das Gegenteil eintreten. Ators Tochter soll für das büßen, was sie meiner Familie angetan hat!“, schrie Sorais das Orakel an.

„Deine Rache wirst du nicht bekommen, Sorais. 55

Stattdessen wirst du bei lebendigem Leib von innen verbrennen. DIES WIRD DEIN SCHICKSAL SEIN!!!“ „Du wagst es, mich um meine Rache zu betrügen? Fahr zur Hölle!“ Sorais wollte einen Zauber wirken, doch das Orakel blockte ihn ab. Stattdessen wurde due Voodoo-Priesterin an die Wand geschleudert. Ein helles, aber dennoch diabolisches Lachen erklang und hallte von den Wänden der Höhle wieder.

Shina Fay nutzte die verbliebene Zeit um weiter zu lernen. Vor allem den Feuerpfeil lernte sie in- und auswendig. „Glaubst du wirklich, dass es dir was bringt, wenn du diesen einen Zauber immer wieder runter leierst?“, fragte Raya ihre Freundin. „Vielleicht habe ich nur eine Chance, Sorais beim ersten Mal auszuschalten. Wenn ich es nicht schaffe, könnte die Voodoo-Priesterin das Blatt wenden. Und zwar zu ihren Gunsten.“ „So hab ich das noch gar nicht gesehen. Aber egal, wie man die Sache sieht, die Fakten sprechen für sich. Deine zwei Tage sind rum und du musst zum Drachenzahn aufbrechen Shina Fay.“

„Kommt Ihr mit Ladies?“ „Na aber sowas von glaub mir.“ „Wenn wir dich allein ziehen lassen, welcher Ruhm bleibt dann noch für uns?“ „Also dann. Auf zum Drachenzahn.“ „Allzu weit werdet ihr drei es nicht haben.“ Unbemerkt hatte Bruder Remigius das Studierzimmer betreten. Shina Fay fuhr herum. „Und wie kommst du darauf, Remigius?“ „Weil der Drachenzahn der zweithöchste Berg im Teufelsgebirge ist.“ Gemeinsam mit dem alten Mönch stiegen die drei Elfen auf die Aussichtsbrüstung und sahen sich das Teufelsgebirge näher an. Shina Fay entdeckte den Drachenzahn sofort, da er wie der Zahn eines Drachens aussah. „Von hier oben sieht alles so nah und einfach aus.“, sagte Kaitlyn. „Es sieht einfach aus. Aber erst mal müssen wir vom Teufelsberg runter. Und das ist nicht einfach, wie ihr ja selbst wisst.“ „Runter müssen wir so oder so, wenn wir auf den Drachenzahn wollen.“ „Wie weit ist es bis dorthin Remigius?“, fragte Shina Fay den alten Mönch. „Zwei Tagesreisen von hier entfernt liegt der Drachenzahn. Wende dich gen Osten, Shina Fay.“

Am nächsten Morgen brach Shina Fay zusammen mit Kaitlyn und Raya auf. Desdemona, die Naga-Königin, verabschiedete sich von ihnen. „Komm heil nach Hause. Ich musste schon um meine Schwester trauern, Ich will dich nicht auch noch beweinen.“, sagte sie. „Ich werde auf mich aufpassen, Desdemona.“ „Viel Glück. Du wirst es brauchen.“ „Du hast mir doch damals diesen Armreif geschenkt, der mich gegen Voodoo-Zauber schützt. Damit kann Sorais mir nichts anhaben.“ „Ich wünschte, ich könnte dich begleiten, aber der Aufstieg ist mit meinem Schlangenleib nicht zu schaffen.“, sagte Desdemona. „Warum begleitest du uns nicht bis zum Fuß des Berges?“ 56

„Viel zu riskant. Ich werde in deinem Dorf auf euch warten, Shina Fay.“ Die junge Elfe umarmte die Naga-Königin noch einmal. Dann ging es los. Tarzon, der Shina Fay und Kaitlyn trug, marschierte vorne weg. Dahinter folgte Raya mit ihrem Säbelzahntiger.

Die drei Freundinnen ritten bis zum Mittag, ehe sie an einem Bach eine Rast einlegten, der von einem See gespeist wurde. Kaitlyn fing mit einem handgemachten Speer ein paar Fische. Als diese über dem Feuer brieten meinte Raya: „Und du glaubst wirklich, dass du nur einen Versuch hast?“ „Wahrscheinlich. Wenn das, was in Remigius Büchern steht wahr ist, dann wird eine Voodoo-Priesterin gefährlicher, je mehr sie wütend wird. Ich muss Sorais töten, solange ihre Wut nicht in Hass umschlägt.“ „Wenn es dafür nicht schon zu spät ist.“ Shina Fay stand auf und fuhr herum um den Sprecher in Augenschein zu nehmen. Vor ihr stand ein unbekannter Elf. Sein Gesicht hatte er unter einer Kapuze verborgen, die zu einem schwarzen Umhang gehörte. „Wer seid ihr?“, fragte Shina Fay. „Ich bin Ataron. Ich komme von weit her. Aus Keros, dem Reich der Nachtelfen.“ Dann schlug der Fremde die Kapuze seines Umhangs zurück und Shina Fay konnte sein Gesicht sehen.

Ataron hatte ein ovales Gesicht, nur etwas breiter. Seine gelben Augen strahlten Güte aus. Auffällig waren allerdings sein kräftiger Körperbau, sein dichter schwarzer Vollbart und seine Frisur. Ein Großteil des Haupthaares fehlte. Nur in der Mitte war ein Haarstreifen übrig geblieben. „Ihr seid nie und nimmer ein Nachtelf.“, sagte Raya. „Ich bin ein Nachtelfirokese. Einst waren wir in unserer Heimat die zahlenmäßig stärkste Gruppe. Aber seid Duras an der Macht ist, sind die Nachtelfirokesen nahezu ausgerottet.“ „Ist Duras krank im Kopf oder was hat der?“ „Wer weiß. Aber du musst noch viel lernen, bevor du gegen Sorais antreten kannst, Shina Fay. Und viel Zeit haben wir nicht. Also fangen wir gleich mit dem Unterricht an.“, sagte Ataron. „Erst wird gegessen. Die Fische sind fertig.“ Der resolute Unterton in Kaitlyns Stimme ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Dunkelelfe es ernst meinte. Nur widerwillig gab der Nachtelfirokese klein bei, obwohl er sich eingestehen musste, dass ihm der Magen bis zu den Kniekehlen hing.

Nach dem Essen brachte Ataron Ators Tochter noch ein paar neue Zauber bei. Bei einem Ausweichmanöver der jungen Elfe entdeckte der Nachtelfirokese Desdemonas Armreif. „Dieser Armreif, den du an deiner Schulter trägst, wofür ist der?“ „Er soll mich vor Voodoo-Zaubern schützen.“ „Wer immer dir diesen Armreif überlassen hat, hat in weiser Voraussicht gehandelt.“ „Desdemona hat ihn mir geschenkt.“ „Wer ist Desdemona?“ „Eine Naga-Königin.“ 57

„Naga-Königinnen schließen selten Freundschaften, „Mir und Raya verdankt sie ihr Leben. Die Karawane, die sie und ihre Schwester eskortiert haben, wurde von Tyrion überfallen.“ „Tyrion? Der Echsenkrieger aus Vetera?“ „Genau der.“ „Ich hab gehört, dass du diejenige warst, die Tyrion zur Strecke gebracht hat.“ „Nicht nur ihn. Gnorm und Nekane hab ich auch erledigt.“ „Und jetzt Sorais. Wieso ausgerechnet du, Shina Fay?“ „Es ist eine Prüfung. Die vierte von 12.“ „Haben die Götter dir etwa zwölf Prüfungen auferlegt?“ „Ja. Erst wenn ich die letzte Prüfung bestanden habe, bekomme ich den Bogen meines Vaters Ator, „Traumfänger“.“ „Wen du „Traumfänger führst, werden die Nachtelfirokesen an deiner Seite kämpfen.“ „Die alte Prophezeiung.“ „Genau so ist es. Jeder Elf und jede Elfe kennt sie. Egal, ob man aus Eteria stammt, aus Keros oder Darkwood.“

Bis zum frühen Nachmittag übte Shina Fay noch mit Ataron. Dann entschied, dass es Zeit war, wieder aufzubrechen. „Wie weit werden wir kommen, bis es dunkel wird?“, fragte Ataron. „Wir reiten soweit, wie wir noch kommen. Je näher ich an Sorais ran komme, umso schneller kann ich meine Aufgabe erledigen.“ „Aber stell dir das nicht zu leicht vor. Sorais Zorn ist grenzenlos.“ Und wie recht Ataron hatte, bekam Jenna am eigenen Leib zu spüren. Die Voodoo-Priesterin demütigte das Blutelfenmädchen, indem sie auf dessen Körper urinierte. Sie drohte Jenna weitere Qualen an, sollte Shina Fay sie noch länger warten lassen.

Als die Dunkelheit anbrach, hatten die Elfen eine Höhle unweit des Drachenzahns erreicht. Ataron entfachte ein Feuer, über dem später ein Wildschwein gebraten wurde. Während sie aßen erschien Sorais. „Wie lange soll ich noch auf dich warten, Shina Fay?“, schrie sie. „Hast du es wirklich so eilig zu sterben?“ „DU stirbst. Oder glaubst du wirklich allen Ernstes, dass ich den Mord an meiner Schwester Seetha ungesühnt lasse?“ „Deine Schwester hat MEINEN VATER getötet.“ „Ich weiß. Eigentlich sollte Seetha das Turnier gewinnen. Aber du musstest ja unbedingt gegen unsere Spielregeln verstoßen. Deshalb hat Seetha deinen Vater vergiftet.“ „Wenn ich eins nicht leiden kann, Sorais, dann sind das Leute, die mit gezinkten Karten spielen. Du und Seetha gehört dazu. Ich habe deine Schwester getötet, dich werde ich auch töten. Vor allem hasse ich es, wenn man mich beim Essen stört.“ „Spar dir deine dummen Sprüche, Shina Fay. Oder soll ich die junge Blutelfe, die ich in meiner Gewalt habe, noch weiter quälen?“ Mit diesen Worten verschwand Sorais.

„Mann, dieses Miststück scheint ja einen richtigen Hass auf dich zu haben, Shina Fay.“ „Hat man ja gemerkt. Aber spätestens morgen ist alles vorbei.“ „Sei trotzdem vorsichtig.“ „Ich bin bestimmt nicht leichtsinnig Kaitlyn. Ich nehme so was nie auf die leichte Schulter.“ „Eins verstehe ich aber nicht. 58

Wie kann es sein, dass Seetha eine Halbelfe ist, Sorais aber ein Mensch. Und trotzdem sind beide Geschwister. Wie kann das sein?“ „Ich kann es mir nur so erklären Raya. Bei Seetha haben sich das menschliche und das elfische Erbgut gleichermaßen durchgesetzt. Während bei Sorais das menschliche Erbgut das dominante war.“, erklärte Shina Fay.

Am nächsten Morgen brachen Shina Fay und die anderen auf. Stille. Kein Laut war zu hören. Zuerst war es neblig und Shina Fay fröstelte ein wenig. Als die kleine Gruppe den Fuß des Drachenzahns erreicht hatte, wurde der Nebel von einem heftigen Regenschauer abgelöst. Shina Fay widerstrebte es, bei solch einem Wetter auf einen Berg zu steigen, doch ihr war durchaus bewusst, dass Sorais ihre Drohung, Jenna noch weitere Qualen anzutun durchaus ernst meinte, und die junge Blutelfe entsprechend schlecht behandeln würde. Das konnte sie unmöglich zulassen. „Lass es lieber Shina Fay. Es ist zu gefährlich.“, sagte Raya. „Deine Freundin hat Recht. Warte ein bisschen, bis sich das Wetter bessert.

Die Stammesführerin vom Clan des roten Habichts sah ein, dass das Risiko zu groß war. Stattdessen suchten die Elfen Schutz in einer Höhle. Ataron, der Nachtelfirokese untersuchte ihren Unterschlupf. Und er wurde fündig, denn er fand Alinas Geist. „Ich muss Shina Fay warnen.“, sagte der Geist. „Warum?“ „Sorais hat in ihrer Höhle mehrere Zombies als Wächter an den unterschiedlichsten stellen postiert. Außerdem hat sie die Reichweite ihrer Voodoo-Zauber verbessert. Shina Fay kann die Höhle nicht betreten und somit ihren Bogen nicht einsetzen.“ „Und woher weißt du das alles?“ „Ich bin ein Geist, schon vergessen? Ich kann überall hin, ohne wahrgenommen zu werden. So höre und sehe ich alles.“ Shina Fay hatte die Unterhaltung mit angehört. „Danke für die Warnung. Aber ich habe mir schon was einfallen lassen. Sorais wird sich wundern.“

Als es Mittag war, hatte es aufgehört zu regnen. Shina Fay probierte den Aufstieg. Als Zeichen, so hatten die vier es verabredet, sollte die junge Elfe mit einem Stein erst zweimal, dann einmal und dann wieder zweimal an den nackten Fels schlagen, wenn der Aufstieg machbar war. Raya befand sich gerade außerhalb der Höhle und sah sich um, als sie das Zeichen vernahm. „Es geht los. Shina Fay hat das Zeichen gegeben.“ Raya ging als erste. Dann kam Kaitlyn, während Ataron die Nachhut bildete. Als die drei Shina Fay erreicht hatten ging es gemeinsam weiter. Ataron übernahm die Führung, weil er der erfahrenste in Sachen Bergsteigen war.

„Darf ich dich mal was fragen, Shina Fay?“, sagte der Nachtelfirokese bei einer kleinen Rast. 59

„Was willst du wissen?“ „Was hast du dir für Sorais einfallen lassen?“ Die junge Elfe öffnete ein kleinen Lederbeutel an ihrer Hüfte und holte ein paar kleine Kugeln heraus. „Was bitte schön ist das denn?“, fragte Ataron. „Lass die Kugel mal in diese Spalte hinter uns fallen.“ Der Nachtelfirokese ließ die Kugel in die besagte Spalte fallen. Als die Kugel am Boden aufschlug ertönte ein dumpfer Knall und eine Rauchwolke stieg auf. „Ein paar von diesen Kugeln und Sorais ist ihres Vorteils beraubt. Denn um ihre Voodoo-Zauber wirkungsvoll einzusetzen, muss sie mich sehen. Außerdem sind ihre Wächter sind dann wirkungslos. Denn die kann ich mit meinen Schwertern ungesehen ausschalten.“ „Cleveres Mädchen.“, sagte Ataron.

Die vier setzten den Aufstieg fort. Am Gipfel angekommen bemerkte Shina Fay zwei von Sorais Wächtern, die den Eingang zum Versteck der Voodoo-Priesterin bewachten. Raya und Kaitlyn sollten die beiden ausschalten. Während Kaitlyn den Zombie auf der linken Seite mit ihrer Todeswolke zur Strecke brachte, bedachte die Waldelfe aus Erathia ihren Gegner mit einem Pfeil direkt ins Herz. Damit war der Weg bis zum ersten größeren Raum. Dort hatte die Voodoo-Priesterin drei weitere Wächter postiert, während der Hauptraum von untoten Kreaturen nur so wimmelte.

Ehe die drei Untoten wussten, wie ihnen geschah, hatte Shina Fay ihnen mit ihren Damaszener-Schwertern die Kehlen durchgeschnitten. Ataron, der Nachtelfirokese sandte seinen Geist aus, um den Raum hinter der ersten Kammer zu erkunden. „Im Raum hinter diesem hier befindet sich der Hauptraum. Jenna ist dort angekettet.“ „Und wo ist Sorais?“ „Sie steht in der Mitte des Raumes. Ihre Wächter konnte ich nicht entdecken.“ Aus dem Nichts ertönte Alinas Stimme. „Ich habe sie ausgeschaltet.“ „Danke Alina.“, sagte Shina Fay. „Keine Ursache. Würdest du mir einen Gefallen tun?“ „Sicher. Du hast mich gewarnt und mir auch die restlichen Zombie-Wächter vom Hals geschafft. Da ist es nur rechtens, wenn ich mich entsprechend bei dir revanchiere.“ „Dann bitte ich dich, nimm du dich an meiner Stelle meines Proteges an.“ „Heißt das, du warst Jennas Mentorin?“ „Ja. Kümmere du dich jetzt um sie.“ „Ich kann Jenna leider nichts beibringen, ich bin selbst noch am Lernen.“

Shina Fay beschloss aufs Ganze zu gehen. Sie stellte sich in den Übergang zum Hauptraum, stemmte die Hände in die Hüften und sagte: „Dein Verhalten ist wirklich erbärmlich, Sorais. Dass du dich nicht schämst, eine junge Blutelfe als Faustpfand zu missbrauchen, um mich herzulocken.“ „Dir werden deine dummen Sprüche noch vergehen, Shina Fay.“ Danach wirkte Sorais einen ihrer gefürchteten Voodoo-Zauber. 60

Eigentlich hätte Shina Fay von innen her von Maden und Würmern aufgefressen werden sollen, doch nichts geschah. Die junge Elfe lächelte süffisant und betrachtete ihre Gegnerin genauer. Sorais war fünf Ellen groß, hatte stechende braune Augen und hüftlange schwarze Haare. Dazu kam ein für menschliche Verhältnisse schlanker Körper. Das Gesicht war ebenfalls oval, allerdings wies keine elfischen, sondern menschliche Züge auf. Der hübsche Mund war zu einem diabolischen Grinsen verzogen. Auf dem Kopf trug Sorais ein Diadem mit roten Federn an dessen Spitze. Die Mitte zierte ein Totenkopf. Ihre schwarzen Haare waren ab dem Hals zu Zöpfen geflochten. Bekleidet war die Voodoo-Priesterin mit einem roten Kleid mit schwarz-weißen Ärmeln und einem schwarz-weißen Muster im Brustbereich. Dazu kamen schwarze Netzstrümpfe und schwarze Schuhe mit Absätzen. In ihrer linken Hand hielt Sorais ihren Dreispitz mit dem Totenschädel in der Mitte.

„Na gut. Der erste Voodoo-Zauber hat nicht funktioniert. Künstlerpech halt. Aber jetzt mach ich dich fertig. Diesen Zauber wirst du nie überstehen.“, zischte Sorais. Sie sprach den nächsten Zauberspruch und schleuderte ihn Shina Fay entgegen. Eigentlich hätten aus dem Inneren der jungen Elfe dutzende giftiger Spinnen hervorbrechen sollen. Doch wieder blieb der Zauber wirkungslos. „Da geht doch was nicht mit rechten Dingen zu. Wie kann es sein, dass du gleich zwei starke Voodoo-Zauber unbeschadet überstehst?“ „Siehst du den Armreif an meiner rechten Schulter? Was glaubst du, was hat er für Fähigkeiten?“ „Du willst doch nicht etwa andeuten, dass du durch diesen Armreif vor MEINEN VOODOO-Zaubern geschützt wirst?“ „Genau das ist der Fall. Du hattest zwei Versuche. Aber jetzt bin ich dran.“

Shina Fay legte einen Pfeil in die Sehne ihres Bogen und zielte auf Sorais Bauch, wo sich die lebenswichtigen Organe befanden. Bevor sie den Pfeil auf die Reise schickte schrie sie laut das Wort „BRISINGIR“. Blitzschnell wurde der Pfeil von orangeroten Flammen eingehüllt. Sorais wirkte schnell einen Verteidigungszauber, der den Feuerpfeil durch sie hindurch fliegen ließ. Der Pfeil schlug in die Wand hinter Sorais ein und öffnete einen dahinterliegenden Raum. Die Voodoo-Priesterin stieß ein diabolisches Lachen aus, dachte sie doch, dass der Pfeil keinerlei Schaden bei ihr angerichtet hatte. „Du kannst aufgeben Shina Fay. Du bist verloren.“ „Bist du dir da so sicher Sorais?“ „Und ob. Wenn ich dich schon nicht mit meinen Voodoo-Formeln besiegen kann, dann töte ich dich eben so.“ Shina Fay sprach in der alten Sprache einen weiteren Feuerzauber, der einen kleinen Funken in Sorais entzündete.

Mit Entsetzen sah Sorais, wie Rauchschwaden aus ihrem Körper drangen. 61

„WAS HAST DU GETAN?“„Ich lasse dich von innen verbrennen Sorais. Stirb recht schön.“ Die Voodoo-Priesterin sah Shina Fay zuerst entgeistert an, dann erinnerte sie sich an Serenas Prophezeiung. Das Orakel der Blutelfen hatte ihr doch gesagt, dass sie von innen verbrennen würde. Während sie mit White Angels Tochter gekämpft hatte, hatten Kaitlyn und Raya Jenna befreit. Zusammen mit Shina Fay und Ataron rannten sie aus der Höhle. Als sie den ersten Raum wieder erreicht hatten, hörten sie hinter sich ein tiefes, dunkles Grollen. Als Shina Fay sich umdrehte um sehen, wer sie und die anderen verfolgte, sah sie zwei rote diabolische Augen in der Dunkelheit aufleuchten.

Nur kurze Zeit später zwängte sich ein riesige Ungetüm durch den Pass zwischen den Kammern. Die Kreatur war 12 Ellen groß und mit dichtem weißen Fell bedeckt. An beiden Händen hatte das Biest drei lange Krallen und einen mit langen messerscharfen Zähnen bestückten Mund. Am Unterkiefer befanden sich noch zwei lange Stoßzähne. „Was bei Oswins Blut ist das?“ fragte die junge Elfe. „Ein Behemoth. Entscheide schnell, denn ich habe das Gefühl, dass wir bei diesem Burschen ganz oben auf der Speisekarte stehen.“ Ohne lange zu überlegen zog Shina Fay einen Pfeil mit einer Kondor-Feder aus dem Köcher und legte an. Viel Zeit hatte sie nicht und so ließ sie die Sehne los und schickte einen weiteren Giftpfeil auf seine todbringende Reise.

Der Pfeil traf den Behemoth im linken Oberschenkel. Da das Gift jedoch schnell wirkte, hatte das Ungeheuer keine Gelegenheit mehr, den Pfeil herauszuziehen. Schließlich atmete das Monster zum letzten Mal aus. „Ich denke, hier sind wir fertig.“, sagte Raya. „Das denke ich auch.“ „Was wirst du jetzt machen, Shina Fay?“, wollte Ataron wissen. „Zuerst werde ich in mein Dorf zurückkehren. Und irgendwann will ich wieder hierher ins Teufelsgebirge. Ich will auf den Teufelsberg und in der alten Bergfestung meine Studien weiterführen.“ „Ein weiser Entschluss.“

Vier Wochen, nach Shina Fays Triumph kehrte Shina Fay in ihr Dorf zurück. Ataron wollte sich schon vorher in Richtung seiner Heimat verabschieden, doch Shina Fay überredete ihn, sie zu begleiten, weil sie wusste, dass es wieder ein großes Fest geben würde. „Ich bin dabei, wenn’s ums Essen geht.“, hatte der Nachtelfirokese gesagt. Später am Abend saß Shina Fay mit ihrem Großvater zusammen. „Ein Behemoth sagst du?“, fragte Etgo. „Ja. Ich frage mich, woher sie kommen, und was sie so gefährlich macht.“ „Warum fragst du nicht deinen Kumpel Bruder Remigius? Der weiß doch alles.“ „Das mache ich garantiert. Wenn ich wieder in Masca bin, werde ich die Bücher wieder wälzen.“ „Ganz ehrlich. Ich

finde es schön, dass du so viel lernst. 62

Aber es ist so, dass du manchmal sehr lange von zu Hause weg bist. Wir vermissen dich.“ „Das tut Galen auch, Großvater.“ „Wer ist Galen?“ „Er ist der jüngere Sohn von König Meteron.“ Etgo klappte der Unterkiefer runter. 63

05. Prüfung - Duras der Nachtelf

05. Pruefung – Duras der Nachtelf

Eteria im Jahr des Kattas

Die Nacht war in den Wäldern von Keros hereingebrochen. Der Wind spielte mit den Blättern der Bäume. Ein beruhigendes Rauschen war zu hören, als sich die Blätter im Wind bewegten. Die alles hätte einen Augenblick voller Harmonie beschreiben können, wäre da nicht ein Spion. Im Dickicht hatte sich ein Nachtelf versteckt. Sein Name war Colwin. Er hatte den Großteil des Tages damit verbracht, die Tiere des Waldes zu beobachten, damit die Nachtelfirokesen keinen Alarm schlugen. Jetzt in der Nacht waren die Irokesen nicht so wachsam und so konnte Colwin das Dorf in Ruhe auskundschaften. Als er in sein Versteck zurückkehrte, holte er eine Karte von Keros aus der Satteltasche seines Pferdes und faltete sie auseinander. Dann nahm er seine Umgebung noch einmal in Augenschein und suchte seinen Standort auf der Karte. Das Dorf war nicht auf der Karte verzeichnet. Colwin zog einen Federkiel und ein Tintenfass aus seinem Umhang und machte ein Kreuz. Danach sah er sich die Karte noch einmal an. Seit drei Monaten war er nun unterwegs. Und in dieser Zeit hatte er sechs neue Siedlungen der Nachtelfirokesen entdeckt. Mit dieser waren es sieben.

Colwin beschloss seine Sachen zusammenzupacken und weiterzuziehen. Er stieg auf sein Pferd und wandte sich nach Süden, denn dort hatte er sich noch nicht umgesehen. Drei Tage und drei Nächte ritt Colwin durch, ehe er einen Nadelwald erreichte. Aus der Ferne konnte er die hohen Wipfel der Tannen, Kiefern, Lerchen und Douglasien erkennen. Auch Fichten und Pinien konnte der Nachtelf erkennen. Colwin beschloss sein Lager dieses Mal am Waldrand aufzuschlagen. Denn er hatte die bittere Erfahrung machen müssen, dass ihm die Nachtelfirokesen jedes Mal eine schmerzhafte Abreibung verpasst hatten, sobald einer ihrer Späher ihn entdeckt hatte.

Dieses Risiko wollte er nicht eingehen. Bei Nacht schlich sich Colwin in den Wald. Ganz lautlos schlich er zwischen den Bäumen hindurch, bis er zu einer Lichtung kam. Der Nachtelf versteckte sich hinter dem Stamm einer Tanne und wartete ein paar Atemzüge, ehe er um den Stamm herum spitzte. Beim Anblick der Siedlung, war Colwin nicht sonderlich überrascht. Auch dass die Bewohner Nachtelfirokesen waren, überraschte ihn wenig. Damit war für den Nachtelf klar, was die neuen Siedlungen zu bedeuten hatten. Die Nachtelfirokesen kehrten zurück.

Er kehrte zu seinem Lager zurück, und blieb dort bis zum nächsten Morgen. 64

Noch bevor die Sonne aufging machte sich Colwin auf den Weg nach Tansibor, der Hauptstadt von Keros. Nach einer Woche kehrte er dorthin zurück. Am Herrscherpalast zeigte er seinen Dienstausweis und wurde von einem Wächter in den Thronsaal geführt. Als Colwin den Saal betrat, sah er König Duras auf dem Thron sitzen. Am Thron selbst lehnte ein riesiges doppelschneidiges Messer. „Du bist schon zurück Colwin? Ich habe dich erst in einem Monat von deiner Mission zurück erwartet.“, sagte der König der Nachtelfen mit einer tiefen wohlklingenden Stimme.

„Die Sache wird zu heikel mein König.“ „Inwiefern heikel?“ „Ich muss immer öfter schnell aufbrechen und kann auch nicht länger an einem Ort bleiben.“ „Verstehe. Hast du wenigstens etwas in Erfahrung bringen können?“ „Ja mein König.“ „Dann berichte Colwin.“ „Die Nachtelfirokesen sind zahlenmäßig wieder mehr geworden.“ „Und woraus schließt du das?“, fragte Duras, der Dunkelelfen. „Ich habe acht neue Siedlungen von ihnen entdeckt. Ich habe sie auf einer Karte eingezeichnet, die aus meinem Privatarchiv stammt. „Du weißt aber nicht, wie viel Einwohner in die Siedlungen haben?“ „Nein mein König. Sehen Sie, ich komme nicht einfach nah genug an die Siedlungen ran ohne entdeckt zu werden. Komme ich zu nah, bügeln mir die Nachtelfirokesen eins über.“ „Zeig mir bitte mal die Karte, Colwin.“ Der Adjutant der Königs reichte seinem Herrn die Karte. Duras studierte sie sehr genau. Er wandte sich zu Colwin um und sagte: „Setz die Soldaten der fünften Legion in Marsch. Sie sollen dieses Dorf ausradieren.“ Er zeigte mit seinem rechten Zeigefinger auf eines der drei neuen Dörfer im Osten von Keros, „Wie ihr befehlt mein Gebieter.“

Colwin brauchte zwei Tage bis er die Kaserne erreichte, in der die fünfte Legion stationiert war. Der Lagerkommandant, ein übergewichtiger Zenturio mit grünen Augen und blonden kurzen Haaren, kam dem Adjutanten des Königs eilig entgegen. „Lord Colwin, euer Besuch ehrt uns, welch unerwartetes Vergnügen. Colwin sah ihn genervt an. „Sparen Sie sich ihre Floskeln Zenturio. Ich bin hergekommen, weil ich Befehle für den Hauptmann der fünften Legion habe.“ „Soll ich Hauptmann Tartyron holen lassen?“ „Ich bitte darum Zenturio.“ Nur kurze Zeit später erschien ein schlaksiger junger Elf. Unter seinem linken Arm trug er seinen Helm.

„Ihr habt mich rufen lassen, Mylord?“ „Ja, Hauptmann. König Duras schickt mich. Er hat eine Aufgabe für dich und deine Männer.“ „Und was sollen wir für ihn tun?“ „Ihr sollt eines der umliegenden Dörfer der Nachtelfirokesen ausradieren. Ich habe es hier auf der Karte eingezeichnet, da es neu ist. Es ist dieses hier.“ Colwin 65

zeigte auf das Dorf, das der König ausgewählt hatte. Tartyron nickte. „Den Befehl bekommen, heißt ihn ausführen.“

Noch am selben Abend hatte Tartyron seine Krieger zusammen gerufen. „Männer! Wir haben eine neue Aufgabe bekommen. Duras unser König wünscht, dass wir ein Dorf auslöschen, dass die Nachtelfirokesen neu gebaut haben. Es liegt nicht weit von hier. Eine Tagesreise entfernt. Legt euch schlafen Männer Denn morgen früh, vor Sonnenaufgang geht es los.“

Am darauf folgenden Tag verließen die Krieger vor dem Morgengrauen die Kaserne und machten sich auf den Weg in Richtung des Dorfes, dass sie von der Landkarte tilgen sollten. Sie bewegten sich rasch vorwärts, da sie ihre Aufgabe so schnell wie möglich erledigen wollten. Noch ahnten Tartyron und seine Legionäre nicht, dass dieser Einsatz in einem Fiasko enden sollte. Als die Truppe das Dorf erreichte, schwärmten die Soldaten des Königs aus und entzündeten mehrere Fackeln. Auf ein Zeichen ihres Hauptmanns stürmten die Soldaten vorwärts und steckten die Hütten in Brand. Die heranstürmenden Nachtelfirokesen hätten die Legionäre noch locker abwehren können, nicht jedoch Shina Fay und ihre Freundinnen, die unvermittelt durch ein magisches Portal kamen, dass Halgrim, der alte Schamane aus Shina Fays Dorf geöffnet hatte.

Shina Fay überraschte Tartyron, ehe dieser überhaupt begriff was los war, hatte sie ihm mit ihren Schwertern den linken Unterarm abgetrennt. Zahlreiche Krieger der fünften Legion starben, wo sie auf die Erde fielen, entweder erwischten sie die Nachtelfirokesen, oder Jenna und Kaitlyn machten den Soldaten den Garaus. Der Rest kehrte total demoralisiert in die Kaserne zurück. Als der Kommandant des Lagers die Krieger sah, wusste er sofort, dass die fünfte Legion nahezu aufgerieben worden war. Hauptmann Tartyron wurde sofort ins Lazarett gebracht.

Nach drei Tagen hatte sich sein Zustand soweit verbessert, dass man ihn nach Tansibor bringen konnte. Dort eingetroffen, dauerte es noch einmal eine ganze Woche, bis der Hauptmann vor König Duras treten konnte, um zu berichten. „Berichtet mir was sich zugtragen hat, Hauptmann Tartyron.“, sagte der König der Nachtelfen. „Wir haben das Dorf in Brand gesetzt, wie ihr befohlen habt. Wir waren gerade dabei, die dort lebenden Nachtelfirokesen zu massakrieren, als sich ein magisches Portal geöffnet hat, durch drei fremde Elfen kamen.“ „Männlich oder weiblich?“, fragte Colwin. „Es waren Frauen. Eine war eine Dunkelelfe, die zweite eine Blutelfe. 66

Die Anführerin war eine Waldelfe.“ „Und diese drei kamen durch ein magisches Portal?“ „Das ist richtig mein König.“, sagte Tartyron. „Könnt Ihr mir die Anführerin näher beschreiben?“ „Lange, hellbraune Haare, grüne Augen, schlank und schön anzusehen. Sie trug eine grüne Rüstung aus Elfenstahl. Bewaffnet war sie mit einem Bogen, einem Dolch und zwei Damaszenerschwertern.“ Bei der Beschreibung wurde Colwin hellhörig. „Könnte es sein, dass die drei weiblichen Elfen Shina Fay, Kaitlyn und Jenna waren?“ „Ich weiß nur den Namen der Waldelfe. Und er lautete tatsächlich Shina Fay.“

Duras wurde rot vor Zorn. Doch er hielt sich zurück. „Nun gut. Wenn diese kleine Waldelfe meine Feindschaft will bitte! Ich werde dieses junge Gemüse unter meinem Fuß zertrampeln.“, sagte er hart. „Shina Fay ist noch jung. Sie ist gerade mal 37 Jahre alt. Ihr aber seid schon 380 Jahre, also solltet ihr keine nennenswerten Schwierigkeiten mit ihr haben, mein Gebieter.“ „Wer schon eine Voodoo-Priesterin und eine Assassine besiegen kann, ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.“, sagte Tartyron. „Ihr müsst es ja wissen Hauptmann. Immerhin wart Ihr es, der mit ihr gekämpft hat. Wie schwer wird sie zu besiegen sein?“ „Sie ist sehr flink und wendig. Und ihr junges Alter merkt man Shina Fay nicht an, denn sie kämpft, als wäre sie schon 325 oder so alt wie Ihr Hoheit.“ „Hauptmann Tartyron, da Ihr nicht mehr in der Lage seid, euren aktiven Militärdienst weiter zu leisten, biete ich euch neben einer satten Beförderung, den Posten des Verteidigungsministers an.“ „Ich nehme dankend an, Sire.“

In Eterias Hauptstadt Endor traf eine Nachricht aus Keros ein, die Duras, der König der Nachtelfen seiner Kollegin Königin Ignissa durch einen Boten geschickt hatte. „Hiermit fordere ich, Duras, König der Nachtelfen, Shina Fay, die Stammesführerin vom Clan des roten Habichts, zum Zweikampf auf Leben und Tod heraus. Der Kampf soll am vierten Tag im Monat des Hasen im Grenzgebiet zwischen Eteria und Keros ausgetragen werden.“ Ignissa ließ ihren Stallmeister kommen und befahl ihm, ihr Pferd, einen Fuchshengst namens Loki, zu satteln. Bevor sie sich auf den Weg in die Provinz Aboleni machte, in der Shina Fay lebte, begab sich die Königin von Eteria noch einmal zu Netanya, der Hohepriesterin der Elfen Eterias. Sie traf die Priesterin und ihre Schülerin Ayla im Lehrzimmer.

„Was führt euch zu mir, meine Königin?“, fragte die Hohepriesterin nach einer tiefen Verbeugung. „Dieses Dokument. Es kam heute per Bote aus Keros.“ Netanya las das Schreiben des Königs der Dunkelelfen, bevor sie es der Königin zurück gab. „Was hältst du davon Netanya?“ „Das sieht nicht gut aus. Ich habe Shina Fay noch nicht zu den Ereignissen in Keros befragen können.“ „Das wollte ich eigentlich machen. Aber wieso legt sich Shina Fay 67

gleich mit Duras an?“ „Ich kenne Shina Fay seit sie ein Kind ist. Sie würde nie so unüberlegt handeln. Wir sollten in das Dorf reiten, in dem sie lebt. Nur dort werden wir die Antworten finden.“, sagte Netanya. „Das hatte ich auch vor. Werdet Du und Ayla mich begleiten?“ „Ja. Ich glaube, dass es Ayla ganz gut tun würde, ein paar vertraute Gesichter wieder zu sehen.“

Im Dorf, in dem die junge Elfe lebte, herrschte helle Aufregung. Shina Fay sprach gerade mit Halgrim dem Schamanen. „Sag mal, Halgrim, was hast du dir eigentlich dabei gedacht, als du das magische Portal geöffnet hast?“ „Ich wollte Duras eins auswischen.“ „Ich hoffe nur, dass du dir im Klaren darüber bist, dass du mit deiner Tat einen eventuellen Krieg mit den Nachtelfen heraufbeschworen hast.“ „Duras hat sein eigenes Volk verraten, als er angefangen hat, die Nachtelfirokesen zu verfolgen und auszurotten.“ „Damit kannst du dich nicht rechtfertigen Halgrim. Zumindest nicht vor Duras.“

Die Stammesführerin war noch im Gespräch mit dem Schamanen, als Netanya und Königin Ignissa im Dorf ankamen. Die Königin und die Hohepriesterin wollten gerade das Ratsgebäude betreten, als Raya ihnen entgegen kam. „Netanya, ein Glück dass du kommst, Halgrim hat ohne Shina Fays Wissen ein magisches Portal nach Keros geöffnet und sie, Kaitlyn und Jenna hindurch geschickt.“ „Wir haben davon gehört, als mich diese Nachricht erreicht hat. Sie stammt von Duras, dem König der Nachtelfen. Wenn ich dich richtig verstanden habe, hat Halgrim eigenmächtig gehandelt.“, sagte Ignissa. „Zumindest hat Shina Fay keine Anweisung erteilt, ein Portal nach Keros zu öffnen. Sie spricht gerade mit Halgrim.“ „Auch wenn in diesem Punkt keine Schuld bei deiner Freundin liegt, ändert es nichts daran, dass König Duras ihr mehr oder minder ewige Rache geschworen hat. Seine Nachricht lässt keine andere Interpretation zu.“

Raya begleitete Ignissa und Netanya in das Ratsgebäude, in dem Shina Fay mit Halgrim sprach. Als die junge Elfe die Königin und die Hohepriesterin sah, sagte sie: „Meine Königin, Netanya, was führt euch hierher?“ „Dieses Dokument. Duras hat es per Bote an mich geschickt. Lies selbst.“ Shina Fay las die kurze Nachricht des Königs der Nachtelfen. Dann wandte sie sich an Halgrim. „Na? Bist du jetzt zufrieden? Duras fordert mit dieser Herausforderung meinen Kopf. Und das nur, weil du ihm unbedingt die Leviten lesen musstest.“ „Shina Fay, bitte beruhige dich. Es hätte schlimmer kommen können. Ich habe vor kurzem die Sterne gedeutet. Duras soll dein Gegner bei der fünften Prüfung werden. Wappne dich gut gegen diesen Tyrann.“, sagte Netanya. „Soll ich ihm persönlich antworten?“ „Das kannst du gerne machen.“

Noch am selben Abend setzte Shina Fay 68

eine Antwort an den König der Nachtelfen auf. „Mein König. Ich, Shina Fay, Stammesführerin vom Clan des roten Habichts, teile euch auf diesem Wege mit, dass ich eure Herausforderung annehme.“ Sie packte ihre Antwort in eine Tonröhre und versiegelte diese. Dann rief sie den Adjutanten ihres Großvaters und gab ihm die Röhre. „Geh zu König Duras und gib ihm das von mir.“

Danach reiste die junge Elfe mit ihren Freundinnen nach Masca und suchte ihren alten Freund den Mönch Remigius auf. Der alte Mann freute sich, Shina Fay wieder zu sehen. „Shina Fay. Es freut mich, dich zu sehen.“ „Ich freue mich auch, wieder hier zu sein.“ „Wie kann ich dir dieses Mal helfen?“ „Kannst du mir sämtliche Aufzeichnungen über Duras, den König der Nachtelfen, zur Verfügung stellen? Ich muss mich noch vorbereiten. Denn er wird mein Gegner in der nächsten Prüfung.“

Die nächsten Tage und Wochen verbrachte Shina Fay damit, sämtliche Folianten zu studieren, die sich mit Duras und seinen Kampftaktiken befassten. So erfuhr sie unter anderem, dass der König der Nachtelfen den Thron durch Verrat errungen hatte. Seitdem hatte er die Nachtelfirokesen systematisch verfolgen und ausrotten lassen. Doch das war noch nicht alles, was sie erfuhr. Duras hatte sogar sämtliche innenpolitische Gegner ausgeschaltet. Das erklärte zwar Halgrims Aktion, aber als Rechtfertigung konnte und wollte sie ihm dies nicht durchgehen lassen. Durch ihre Studien erfuhr die junge Elfe, dass der König der Nachtelfen es bevorzugte, seine Gegner mit seinem zweischneidigen Messer zur Strecke zu bringen, nachdem er dessen Klingen vergiftet hatte. „Gut zu wissen.“, dachte Shina Fay.

In Keros traf unterdessen der Bote Shina Fays ein. Er verbeugte sich vor dem König der Nachtelfen. „Erhebt euch, junger Mann. Wie ich sehe, habt ihr etwas mitgebracht.“ „Das ist richtig Hoheit. Ich überbringe euch die Antwort meiner Herrin, Shina Fay.“ „Sagtest du Shina Fay?“ „Ja Hoheit.“ „Wieso antwortet mir die Stammesführerin vom Clan des roten Habichts selbst, und nicht Königin Ignissa? Denn meine Botschaft war an sie gerichtet.“ „Das weiß ich leider nicht. Ich bin nur ein kleiner Befehlsempfänger. Und mein Befehl lautete, euch die Botschaft meiner Herrin zu überbringen. Sie befindet sich in dieser Tonröhre.“ „Dann gib her.“, sagte Duras und nahm dem Boten die Röhre ab. Diese zerbrach er und las die Botschaft Shina Fays. Ein diabolisches Grinsen trat in Duras Gesicht. „Also nimmt deine Herrin meine Herausforderung an. Du kannst gehen. Kehre nach Eteria zurück und sage Shina Fay, dass es mir ein Vergnügen sein wird sie zu töten.“

In Masca hatte Jenna in ihrem Lederbeutel 69

nach gesehen und einen Smaragdring gefunden. Diesen Ring wollte sie ihrer neuen Freundin Shina Fay zum Geschenk machen, als Zeichen des Dankes, weil die junge Elfe sie aus der Gewalt Sorais befreit hatte. Sie fand die junge Elfe in ihrem Zimmer im Westflügel der alten Festung. „Hast du einen Augenblick Zeit für mich, Shina Fay?“ „Was hast du auf dem Herzen, Jenna?“ „Ich wollte dir diesen Ring schenken. Er hat einst Alina gehört. Er macht dich gegen jede Art von Gift immun. Egal, welche Art, sei es nun pflanzlich oder tierisch, Duras gegen dich einzusetzen gedenkt, er kann dir nichts anhaben, solange du diesen Ring an deinem Finger trägst.“ Shina Fay nahm den Ring und steckte ihn an ihren linken Ringfinger. „Ich danke dir Jenna. Darf ich ehrlich zu dir sein?“ „Nur zu.“ „Ich habe Angst. Ich meine, eine wütende Voodoo-Priesterin zu töten, ist eine Sache, aber einen im Kampf erfahrenen Regenten der Nachtelfen zu töten, ist doch etwas anderes.“ „So darfst du nicht denken, Shina Fay. Duras mag zwar erfahrener sein, als du. Doch du hast seine Kampftaktiken studiert. Du kannst ihn einschätzen. Glaubst du allen Ernstes, dass er das weiß?“ „Keine Ahnung.“ „Er kann es nicht wissen. Wie soll er das denn in Erfahrung bringen? Dazu bräuchte er einen Spion.“

Wie recht Jenna haben sollte, zeigte sich dann am Tag des Duells. Zuerst nahm Shina Fay den König der Nachtelfen genauer in Augenschein. Auffällig war sein riesengroßes zweischneidiges Messer, das Duras in der Hand hielt. Im Gegensatz zu seiner Kontrahentin zog es der Nachtelf vor, barfuß anzutreten. Seine langen schwarzen Haare flatterten offen im Wind, und gaben einen Blick auf das Gesicht des Königs frei. Sein ansonsten ovales Gesicht, hatte ein kantiges Kinn und seine violetten Augen blickten hart und unerbittlich drein. Bekleidet war Duras mit einem weiten Kilt, der aus schwarzen Kondorfedern bestand. Darüber trug der König der Nachtelfen ein Wams, das aus grünem Leder und lila gefärbten Leinen bestand. Ein Nackenschutz aus Elfenstahl, der auch über die Schultern reichte rundete dieses furchteinflößende Äußere ab. In seiner linken Hand hielt Duras ein magisches Licht.

„So, so. Du bist also Shina Fay. Hoffentlich hat dir jemand gesagt, dass ich es hasse, wenn man sich als Außenstehender in die inneren Angelegenheiten meines Landes einmischt.“ „Das war nicht meine Idee. Sondern die unseres Schamanen Halgrim.“ „Es ist mir egal, auf wessen Mist die Sache gewachsen ist. Du hast dich in die inneren Angelegenheiten von Keros eingemischt. Normalerweise hätten wir dich vor ein Gericht stellen und zum Tode verurteilen müssen. Da du aber eine Stammesführerin bist, habe ich mich entschlossen, dir die Chance zu gewähren, dich im direkten Zweikampf mit mir zu messen. Damit du wenigstens einen ehrenhaften Tod findest.“ 70

„Saulustig. Ich lach mich kaputt.“ „Willst du Seifenopern quatschen oder wie? Wir sind nicht zum reden hier, sondern zum kämpfen.“ „Du hast es aber verdammt eilig Duras.“, sagte Shina Fay schnippisch.

Duras verdrehte entnervt die Augen. Nun wusste Shina Fay, dass sie den König der Nachtelfen fast da hatte, wo sie ihn haben wollte. Sie musste ihn nur noch ein bisschen reizen. „So und jetzt lass uns Aufstellung nehmen. Denn gleich ist es aus mit dir.“ „Du stinkst ja geradezu vor Überheblichkeit, du Pappnase!“ Duras stürmte los, sein Messer über seinem Kopf schwingend. Die junge Elfe wich mit einer geschickten Drehung aus und verletzte den Tyrannen am linken Arm. Doch auch Duras hatte Shina Fay einen Kratzer beigebracht. Im Gegensatz zu seiner Kontrahentin, deren Schwerter nicht mit Gift bestrichen waren, war diese Seite seines Messers mit dem Gift des blauen Pfeilgiftfrosches präpariert. Dessen Gift wirkte sogar beim bloßen Kontakt mit der Haut tödlich. Da die junge Elfe jedoch Alinas Schutzring trug, blieb das Gift wirkungslos.

Duras bemerkte dies sofort. „Bei den Göttern! Hier geht was nicht mit rechten Dingen zu.“ „Wie kommst du denn darauf, Duras?“ „Meine Klinge ist mit den Gift des blauen Pfeilgiftfrosches bestrichen. Dieses Gift wirkt sofort tödlich. Du müsstest normalerweise schon im Sterben liegen. Stattdessen hast du nichts weiter, als den Kratzer, den ich dir beigebracht habe.“ „Offenbar sind die Götter mir heute Abend wohl gesonnen, Duras.“ „Das glaubst aber auch nur du. Denn jetzt werde ich dir den Todesstoß versetzen.“

Duras stürmte erneut auf Shina Fay los. Allerdings schwang er sein Messer dieses Mal nicht über seinem Kopf, sonder eher zur Seite, um zum einen eine ordentliche Deckung zu haben, zum anderen, um von seiner wesentlich jüngeren Gegnerin nicht noch einmal so überrumpelt zu werden. Doch Shina Fay schaffte es erneut, den Regenten aus Keros zu übertölpeln. Sie tauchte unter ihm weg und schlitzte Duras den Rücken auf. Dieser konnte den brennenden Schmerz in seinem Rücken spüren. Also hatte Shina Fay ihn wieder erwischt. „Du Miststück! Verflucht seist du!“ „Auch dieses steht im Buch der Buchen, du sollst verflucht mal nicht fluchen!“

Duras verlor nun endgültig die Beherrschung. Er stürmte los, achtete aber nicht auf seine Gegnerin. Diese hatte sich zum Sprung bereit gemacht. Als der Nachtelf die Hälfte der Distanz zwischen sich und der jungen Elfe zurückgelegt hatte, machte Shina Fay einen Satz und sprang über ihn hinweg. Im Fallen packte sie den Nachtelfenkönig an seinen langen schwarzen Haaren und zog daran. Dadurch brachte sie den Tyrannen aus dem Gleichgewicht und Duras geriet ins Straucheln. Als er der Länge nach auf den Boden stürzte, verlor er sein Messer. 71

Da diese Waffe für Shina Fay zu schwer war, nahm sie kurzerhand ihren Dolch und stieß ihn tief in Duras Hals. Damit hatte sie einen weiteren Gegner besiegt und war ihrem Ziel, den Zauberbogen ihres Vaters „Traumfänger“ zu erringen, ein Stück näher gekommen.

Doch nun galt es zu verhindern, dass nach dem Tod von Duras in Keros die Anarchie ausbrach. Daher hielt es Shina Fay für angebracht, nach Tansibor zu reisen und dabei zu helfen Recht und Ordnung wiederherzustellen. Um nun dafür zu sorgen, dass kein Stammesfürst benachteiligt wurde, schlug die junge Elfe vor, die Monarchie in Keros abzuschaffen, und stattdessen alle Clans an der Regierung zu beteiligen. Diese Idee fand großen Anklang und schon bald konnten die ersten freien Wahlen in Keros durchgeführt werden. Jeder Stamm sollte einen Kandidaten für das neue Parlament stellen. In einer geheimen Abstimmung sollten die Mitglieder der Stämme dann die neue Regierung von Keros wählen.

Am zwölften Tag im Monat des Hasen stand die neue Regierung. Der erste frei gewählte Regent von Keros war eine Frau. Es war Leila, die Stammesführerin vom Clan der Nachtwölfe. Sie galt als weise, was innerpolitische Angelegenheiten anbelangte, allerdings hatte Leila auch den Ruf eines Hasenfußes weg, da sie bewaffnete Konflikte scheute, wie der Teufel das Weihwasser.

Nach getaner Arbeit kehrte Shina Fay zurück in ihr kleines beschauliches Dorf in Aboleni, wo sie von ihren Freunden mit dem üblichen Begrüßungsfest empfangen wurde. Auch Vader, der Sohn aus dem Nachbardorf hatte sein Kommen angekündigt. Es war bereits dunkel, und die Bewohner hatten das Essen beendet, als Vader zu Shina Fay kam. „Ist schon eine Weile her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben.“, sagte er. „Seit dem Turnier nicht mehr. Wie ist es dir so ergangen?“ „Ich bin jetzt bei uns im Dorf der Jarl. Mein Vater ist vergangenen Sommer verstorben.“ „Mein Beileid.“, sagte Shina und drückte Vader die Hand. „Danke sehr. Und was machst du so?“ „Ich muss zwölf Prüfungen bestehen, damit ich den Zauberbogen meines Vaters bekomme. Mein Halbbruder, Leto, dieser gemeine Verräter, wollte den Bogen für sich.“ „Hat der Kerl einen Sockenschuss?“ „Ich weiß es nicht Vader. Aber eines weiß ich. Ich habe Angst, vor dem Tag, an dem ich Leto auf dem Schlachtfeld gegenüber treten muss. Auch wenn wir unterschiedliche Väter haben, so ist er doch irgendwie mein Bruder. Ich will ihn nicht töten, aber ich muss. Und davor graut mir.“ Vader legte seine Hand auf Shina Fays Schulter. „Du hast Stärke bewiesen. Du hast die Wahrheit gesagt. Es ist das schwerste das zu tun.“ „Es nützt doch nichts, wenn man versucht alles schön zu reden.“ „Das stimmt. Wenn es dir nichts 72

ausmacht, würde ich gerne eine Einladung an dich aussprechen.“ „Ich danke dir. Was willst du denn feiern?“ „Meine Hochzeit. Ich habe mich im Frühjahr verlobt.“ „Mein Glückwunsch. Und wer ist die Glückliche?“ „Sie heißt Jekaterina.“ „Hübscher Name. Wenn deine zukünftige Ehefrau auch so hübsch ist wie ihr Name, dann hast du das ganz große Los gezogen.“ Vader nickte. „Und wie steht’s bei dir in Sachen Liebe, Shina Fay?“ „Ich habe mich auch verliebt. In Galen, den jüngeren Sohn von König Meteron.“ „Eine gute Wahl.“ 73

06. Prüfung - Lestrade der Vampir

06. Pruefung – Lestrade der Vampir

Eteria im Jahr des Schwertwals

Die Nacht war hereingebrochen. Auf einem Gras bewachsenen Hügel in Enstone standen die Ruinen einer alten Abtei. Die Mönche, die einst dort gelebt hatten, waren längst fort gegangen. Doch in den unteren Gewölben, den Katakomben, hatte eine alte Macht die Jahre überdauert. Einst hatten die Kreaturen in Massen Angst und Schrecken verbreitet. Doch dann hatten die Elfen die Vampire besiegt und verdrängt. Im Laufe der Jahrhunderte waren diese Kreaturen der Nacht in Vergessenheit geraten. Doch es gab sie noch.

Mit einem lauten Knarren öffnete sich der Deckel eines Sarges aus Mahagoniholz. Sein Bewohner hatte seine Augen noch geschlossen. Nachdem er ein bisschen Zeit hatte verstreichen lassen, öffnete der Vampir seine Augen und richtete sich langsam auf. Dann schwang er seine Beine über den Rand des Sarges und zog seinen restlichen Körper nach, indem er sich mit den Händen am Sargrand abstützte. Als er seine Ruhestädte verlassen hatte, reckte und streckte sich der Blutsauger. Dies war nach so langer Zeit, die Lestrade in seinem Sarg verbracht hatte auch notwendig.

Als er seine müden Glieder in Schwung gebracht hatte, stieg er die Treppenstufen hinauf, die ins Hauptschiff der Abtei führten. Von dort aus trat Lestrade ins freie und ließ die kalte Nachtluft unter seinen fledermausartigen Umhang strömen. Die Nacht war friedlich. Für Lestrades Geschmack etwas zu friedlich. „Es ist an der Zeit, dass die Welt sich erinnert, dass es uns Vampire noch gibt. In Eteria soll es beginnen.“, dachte er.

Doch Lestrade wollte nichts überstürzen. Denn er hatte schon von Shina Fay gehört. Wenn es sich zutragen sollte, dass er gegen sie antreten musste, dann wollte er entsprechend gewappnet sein. Ein alter Eremit kam von den nahegelegenen Hügeln zu der Kapelle in der Nähe der Ruine. Lestrade beschloss den Mann anzusprechen. Doch dieser hatte ihn bemerkt. „Ich bin Bruder Barnabas vom Orden des heiligen Franziskus. Ich führe ein Eremitenleben dort oben in den Hügeln. Und in dieser Kapelle hier, da pflege ich zu beten. Aber es wundert mich, dass ein Vampir an einem so ärmlichen Ort Halt macht, um hier Gott zu suchen.“ „Ich suche keineswegs Gott, Bruder Barnabas. Ich suche eine Waldelfe namens Shina Fay.“ „Ich bedaure, aber der Name sagt mir nichts.“ „Ich kann nicht mehr als fragen, und ihr könnt nicht mehr als „Nein“ sagen. Es waren die Elfen aus Eteria, die uns Vampire vor hunderten von Jahren in einer Schlacht besiegt und fast ausgerottet haben. Ich bin einer der letzten von uns.“ 74

Bruder Barnabas ging seines Weges und ließ die Kreatur der Nacht stehen. Lestrade hatte von der Niederlage Duras erfahren. Sein alter Freund Randalejev hatte ihm davon erzählt. „Hüte dich vor Shina Fay.“, hatte er gesagt. „Sie ist zwar erst 44 Jahre alt, aber sie ist eine sehr gute Kämpferin. Unterschätze sie zu keiner Zeit, sonst bist du schneller tot, als du es für möglich hältst.“, hatte Randalejev Lestrade zum Schluss noch gewarnt. Der Vampir suchte die alte Bibliothek in der Ruine auf. Dort suchte er nach Büchern, die sich mit berühmten Bösewichten befassten. Lestrade stieß auf ein dickes in Leder eingebundenes Buch. Er beschloss es mit in die Gruft zu nehmen. Zum einen war er dort ungestört, zum anderen konnte ihn die Sonne dort nicht überraschen.

Lestrade schlug das Buch auf und landete bei Gnorm, dem Berserker. „Sieh an, sieh an.“, dachte der Vampir, als er las, wer für den Tod des Berserkers verantwortlich war. Er blätterte ein paar Seiten weiter und fand die Chronik von Tyrion, dem Echsenkrieger. Er zog die Augenbrauen hoch, als er las, wer auch für den Tod dieses Bösewichts verantwortlich zeichnete. Das nächste Kapitel, das Lestrade las, befasste sich mit Nekane, der Blutelfe. Als Lestrade gerade weiter blättern wollte, bemerkte er, dass ein Sonnenstrahl in die Gruft fiel. Rasch schloss er den Deckel seines Sarges. Nun hieß es bis nach Sonnenuntergang zu warten, ehe der Vampir in dem Buch weiterlesen konnte.

In Eteria war Shina Fay auf dem Weg ins Massanella-Gebirge. Sie wollte den unprovozierten Überfällen durch Darmona ein Ende setzen. Zuletzt hatte die böse Naga-Königin zuerst eine Windmühle niedergebrannt und ihren Besitzer ermordet. Und noch am selben Tag hatte sie den Betreiber einer Wassermühle bei lebendigem Leib verbrannt, als sie die Mühle in Brand gesteckt hatte. Die Kinder der beiden Müller hatten sich in Shina Fays Dorf retten können, während ihre Mütter den Häschern Darmonas in die Hände fielen und in das Versteck der Naga-Königin gebracht wurden. Shina Fay hatte sich mit dem Entschluss aufgemacht, Darmona zu finden und zu töten. Ihre Freundinnen begleiteten sie. Auch Desdemona war wieder dabei.

Auf dem Weg ins Massanella-Gebirge trafen die Freundinnen auf einen alten Köhler, der vor den verkohlten Trümmern seiner Köhlerhütte stand. „Gott sei Dank, dass ihr kommt! Darmona hat uns überfallen.“ „Wo ist sie jetzt?“ „Sie ist gen Norden geflohen. Meine Tochter hat sie mitgenommen. Meine Frau hat Darmona getötet und meinen Sohn hat sie versklavt.“ „Macht euch keine Sorgen mein Freund. Darmona wird den Tag verfluchen, als sie euch überfallen und eure Existenz zerstört hat.“, sagte Shina Fay.

Am Abend hatten die Freundinnen ein 75

kleines Wäldchen eine Tagesreise vom Massanella-Gebirge erreicht. Dort schlugen sie ihr Lager auf. Darmona hatte jedoch vorsorglich Späher ausgesandt, denn es stand zu befürchten, dass Königin Ignissa einen Befreiungsversuch unternehmen würde. Einer dieser Späher, ein Ghul hatte das Lager der fünf Freundinnen entdeckt. Er hätte die drei Elfen und Desdemona am liebsten überfallen, doch Darmona hatte ihm befohlen, nur den Standort möglicher Feinde ausfindig zu machen. Mürrisch machte sich der Späher wieder auf den Weg. Allerdings beging der Ghul den Fehler und machte bei seiner Flucht einen derartigen Lärm, dass die Freundinnen auf ihn aufmerksam wurden. Shina Fay zog einen Pfeil aus ihrem Köcher und legte an. Dabei berührte sie den Saphir, den sie seinerzeit von Hafez geschenkt bekommen hatte. Doch die junge Elfe war zu aufgeregt und streifte den Ghul nur. Doch der Pfeil war ein Eispfeil geworden und würde aus der untoten Kreatur eine Eisfigur machen.

Bei Anbruch des nächsten Tages erreichte der Spion das Versteck der Naga-Königin. Darmona sah sofort, dass etwas nicht stimmte, denn der Ghul war zur Hälfte schon aus Eis. „Wer hat dir das angetan?“, fragte sie. „Das war Shina Fay. Sie hat einen Eispfeil auf mich abgeschossen. Aber sie hat nicht richtig gezielt, und hat mich nur gestreift.“ „Anscheinend entfaltet der Zauber auch seine Wirkung, selbst wenn der Pfeil sein Ziel nur streift. Also ist Shina Fay mir auf den Fersen. Gut das zu wissen. Ist sie allein?“ „Nein Herrin. Es sind noch eine Blutelfe, eine Dunkelelfe, eine weitere Waldelfe und eine Naga-Königin bei ihr. Sie hat sechs Arme.“ „Desdemona. Nun gut. Wenn Shina Fay mir auf den Fersen ist, dann haben es die Kinder der beiden Müller in Shina Fays Dorf geschafft.“ „Es sieht wohl so aus Herrin.“, sagte der Ghul, ehe er ganz zu Eis gefror.

Am späten Nachmittag erreichten die fünf Freundinnen das Massanella-Gebirge. Doch nun stellte sich die Frage, wo sich Darmonas Versteck befand. Nur ein ortskundiger Guide konnte den Freundinnen helfen. Ein Gnom kam vorbei. „Ihr aussehen, als ob ihr nicht weiter kommt.“, sagte er mit einer rauen, brüchigen Stimme. Shina Fay sah sich den Fremden genauer an. Er besaß lange, spitze Ohren, doch er war viel kleiner als sie und die anderen. Seine grüne Haut wies schon viele Runzeln auf, was darauf hindeutete, dass er schon recht betagt war. Sein Kopfhaar war bis auf ein paar Haare restlos verschwunden. Der alte Gnom trug nichts weiter als eine alte Lederhose, ein braun gefärbtes Hemd und einen Mantel aus weißer Baumwolle.

„Wer bist du?“, fragte Shina Fay den alten Gnom. „Mein Name nicht wichtig. Aber ich mich gut auskennen im Massanella-Gebirge.“ „Dann kannst du uns den Weg zu Darmonas Versteck zeigen?“ „Ich euch direkt hinbringen werde. 76

Darmona dein Gegner nicht ist, Shina Fay. Dein Gegner in deiner sechsten Prüfung eine Kreatur der Nacht ist.“ „Was meint ihr?“ „Er von Blut sich ernähren. Und er warten. Schon Jahrhunderte er warten auf den Augenblick, an dem es ist an der Zeit, dass Vampire wieder kehren zurück nach Eteria.“ Kaitlyn erschrak. EIN VAMPIR!!! Doch Shina Fay ließ sich nicht einschüchtern. „Dieser Vampir wird sich gedulden müssen, Fremder. Ich habe geschworen, Darmona zu vernichten. Und ich werde tun, was ich geschworen habe.“ „Lestrade es nicht eilig haben. Aber er wissen, wen du bereits alles hast erfolgreich besiegt.“ „Ich will nicht unhöflich erscheinen Fremder, aber ich bin ein bisschen in Eile. Ich will Darmona noch vor Einbruch der Dunkelheit stellen.“ „Zu gefährlich das jetzt ist. Denn die Dämmerung einsetzt. Bald wir nicht mehr werden sehen die Hand vor Augen. Wir besser schlagen unser Lager auf und warten bis morgen. Dann ich werde euch führen zu Darmona.“

Am nächsten Morgen löste der alte Gnom sein Versprechen ein, und führte Shina Fay und ihre Freundinnen zu Darmonas Versteck. Sie hatten es nicht weit. Denn gleich auf dem ersten Felsplateau entdeckte Shina Fay eine Höhle. Jenna, Raya und Kaitlyn sahen den alten erwartungsvoll an. Er nickte. „Hier es ist. Aber weiter ich kann euch nicht begleiten.“ „Es wird nicht lange dauern. Würdet ihr freundlicherweise auf uns warten?“ Wieder nickte der Alte. Shina Fay hatte vorsichtshalber ein paar Fackeln eingepackt, die sie nun an die anderen verteilte. Dann betraten die fünf Freundinnen die Höhle. Kaitlyn, die die Nachhut bildete, brachte überall an den Wänden magische Markierungen an, wenn sich die Wege gabelten. Schließlich erreichten die Freundinnen einen großen Raum. Aus diesem schien ein gedämpftes, blaues Licht. Shina Fay lunzte um die Ecke um besser sehen zu können. Das Licht kam von zwei Tonfiguren, die wie zwei große Frösche aussahen. Zwischen ihnen stand ein gewaltiger Thron, der von zwei Amphoren flankiert wurde, die zu Lampen umfunktioniert worden waren. Auf diesem Thron saß Darmona.

Ihr Unterleib glich dem einer gewaltigen Anakonda. Ihre Haut glich dem weißen Alabaster. Um ihren Hals trug die Naga-Königin einen Schulterschmuck aus purem Gold. Auf dem Kopf, der gänzlich ohne Haar auskommen musste, trug Darmona ihre Krone, die fünf Kobraköpfe darstellte. Ansonsten war an der bösen Naga-Königin nur noch ihr Gesicht auffällig. Sie hatte spitze Ohren, aber man merkte schnell, dass sie keine elfischen Verwandten hatte. Ihre Gesichtszüge waren elegant und ihre sinnlichen Lippen hätte so mancher Mann gerne geküsst. Doch ihre diabolisch leuchtenden roten Augen verrieten sofort das Böse in Darmona. Vor dem Thron konnte Shina Fay die Tochter des Köhlers sehen, die mit einer Kette an einer der Armstützen 77

des Throns gefesselt war, die sie an einem eisernen Ring um den Hals trug. Das Mädchen trug keinerlei Kleidung. Shina Fay wurde bewusst, was dies zu bedeuten hatte. Die Tochter des Köhlers war Darmonas Sex-Sklavin, während der Sohn sich wahrscheinlich irgendwo zu Tode schuften musste.

„Komm ruhig näher, Shina Fay. Ich habe dich bereits erwartet.“, sagte Darmona mit einer weichen, sympathischen Stimme. Die junge Elfe trat in den Eingang des Raumes, mit gezückten Schwertern. „So jung und schon so ungestüm. Aber wenn du den Wunsch verspürst, schon jetzt zu sterben, dann will ich ihn dir gerne erfüllen.“, sagte Darmona und nahm ihre beiden Schwerter. Shina Fay ging in die Hocke und kreuzte ihre Schwerter. Dabei spreizte sie das linke Bein leicht ab. Darmona hatte sich zu ihrer vollen Größe aufgerichtet. Mit einem lauten Schrei griff die böse Naga-Königin die junge Elfe an. Shina Fay konnte den Hieb gerade so abwehren. Dann ging sie zum Gegenangriff über, indem sie einen Angriff auf der rechten Seite antäuschte. Darmona reagierte zwar blitzschnell, doch sie hatte Shina Fays wahre Absicht zu spät bemerkt und bekam von der jungen Elfe eine Wunde auf der linken Flanke verpasst. „Du kleines Miststück! Dafür wirst du bezahlen!“

„Hau du mal nicht so auf den Putz, Darmona. Du gehst mir echt auf die Nerven, mit deinem dummen Geschwätz.“ Darmona wurde rot vor Zorn. „Jetzt reichts mir aber endgültig! Ich werde dich töten!“ „Du stinkst ja geradezu vor Überheblichkeit, du Pappnase!“ Darmonas Zorn wurde immer größer, da wagte es diese kleine Elfe doch tatsächlich, ihr gegenüber frech zu werden. Wieder griff sie an, doch Shina Fay konnte sich durch einen Hechtsprung nach rechts retten, sodass der Hieb mit dem Säbel lediglich ihre Beinschiene traf. Jetzt war die Elfe wieder auf dem Vormarsch. Doch sie wusste, dass sie die böse Naga-Königin nicht noch einmal so leicht würde überrumpeln können. Vor allem, und das wusste Shina Fay, musste sie Darmona so lange beschäftigen, bis entweder Raya oder eine andere, dem Mädchen zu Hilfe kommen konnte.

Shina Fay wich einem weiteren Hieb Darmonas gekonnt aus und setzte nun ihrerseits zu einem Hieb an. Sie traf die Naga-Königin an ihrem rechten Schwertarm und riss ihn auf. Darmona schrie vor Scherzen laut auf, als die Klinge des Damaszenerschwertes die Haut zerriss. „Du bist eine Närrin, Shina Fay. Mit deinem armseligen Können bis du weder mir, noch der dunklen Seite der Macht gewachsen.“ „Du nimmst den Mund ganz schön voll findest du nicht? Dafür, dass ich dir schon zwei Wunden zugefügt habe und du mir noch nicht mal einen Kratzer, riskierst du eine ganz schön dicke Lippe.“

Darmona wollte einen Zauber wirken, doch 78

Kaitlyn belegte sie mit einem Bannzauber. Die Naga-Königin wandte ihre Aufmerksamkeit nun der Dunkelelfe zu. Diesen Augenblick nutzte Desdemona um die Köhlerstochter zu befreien. Shina Fay war unterdessen auf Darmonas Thron geklettert und setzte zum Sprung an. Sie hatte eines ihrer beiden Schwerter wieder in seine Schutzhülle zurückgesteckt. Mit einem lauten Schrei sprang die junge Elfe Darmona an, das verbliebene Schwert mit beiden Händen gepackt. Die Naga-Königin drehte sich zu ihrer Gegnerin um, doch da war es zu spät. Shina Fay traf ihre Kontrahentin am Solarplexus und setzte sie so außer Gefecht. Darmona konnte nur noch hilflos zusehen, wie die Stammesführerin vom Clan des roten Habichts ihr das zweite Schwert mit aller Kraft ins Herz stieß.

In der alten Abteiruine hatte Lestrade das Buch fertig gelesen und wieder in die Bibliothek zurückgebracht. Er hatte es gerade auf dem Schreibpult abgelegt, als Bruder Barnabas die Bibliothek betrat. „Wie ich sehe, habt Ihr das Buch gründlich studiert.“ „Das habe ich in der Tat, Bruder Barnabas. Erlaubt mir eine Frage. Seid ihr auch als Chronist tätig?“ „Es ist meine Aufgabe, über die Schicksale aller Bösewichte Buch zu führen. Und erst jetzt hat es wieder jemanden erwischt.“ „Wer ist der Unglückliche?“ „Die Unglückliche ist Darmona, die Naga-Königin. Shina Fay hat sie getötet. Sie hat sie erst auf dem Solarplexus getroffen und ihr dann eines ihrer Schwerter ins Herz gerammt.“

„Wisst ihr Bruder Barnabas, eine Naga-Königin wie Darmona zu töten ist eine Sache. Aber es mit einem Vampir aufzunehmen, ist immer noch was anderes.“ „Da mögt ihr Recht haben. Aber Shina Fay ist ein ganz besonderes Mädchen.“ „Was meint ihr?“ „Es gibt eine alte Prophezeiung, nach der sie die Elfenstämme Eterias einen, und im Kampf gegen die Dunkelelfen anführen wird.“ „Interessant. Außerordentlich interessant.“ „Ihr scheint über etwas nachzudenken.“ „Nicht wirklich. Aber es wäre eine Herausforderung, gegen Shina Fay zu kämpfen.“ „Wäre ich an eurer Stelle, würde ich es mir zweimal überlegen, ob ich gegen die Stammesführerin vom Clan des roten Habichts antrete.“ „Die Elfen haben uns Vampire im Laufe der Zeit vergessen. Und das darf nicht noch einmal passieren.“

In Shina Fays Dorf hatten sich alle versammelt, um ihre Heldin mit dem üblichen Fest zu begrüßen. Es war schon Abend geworden, als Netanya die Hohepriesterin im Dorf eintraf. „Du hast Eteria einmal mehr vor dem Bösen bewahrt. Doch in dieser Prüfung sollst du nicht töten. Vielmehr sollst du deine Menschlichkeit unter Beweis stellen.“ „Tut mir leid Netanya, aber da komm ich nicht ganz mit.“, sagte Shina Fay. „Ich will es dir erklären. Die Vampire haben Eteria und die umliegenden Königreiche einst in Angst und Schrecken versetzt. Ihnen ging es damals um die Alleinherrschaft. 79

Doch im Laufe der Jahrhunderte regte sich mehr und mehr Widerstand unter ihnen. Deshalb war es für uns Elfen ein leichtes, sie zu besiegen und zurückzudrängen. Ich habe die Karten gelegt, Shina Fay. Du bist von den Göttern auserkoren, einen dauerhaften Frieden mir den Vampiren herzustellen. Du hast in Keros dein diplomatisches Geschick unter Beweis gestellt. Nun musst du den Vampiren vergeben.“ Shina Fay schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht Netanya. Das ist zu viel verlangt.“

Halgrim trat dazu. „Merke dir eines Shina Fay. Ein guter Stammesführer zieht einen Kreis um sich und kümmert sich um die, die darin sind. Andere Stammesfürsten ziehen einen größeren Kreis um sich herum, und kümmern sich um ihre Brüder und Schwestern. Manche Häuptlinge müssen einen Kreis um sich ziehen, der viele, viele mehr einschließt. König Etgo, dein Großvater, war einer von diesen Männern. Nun musst du selbst entscheiden, ob du auch so ein Stammesoberhaupt bist.“, sagte der alte Schamane. Später am Abend suchte Shina Fay den Tempel des Orakels auf. Gemäß der alten Tradition hatte sie als Opfergabe das Blut eines von ihr erlegten Hirsches in die Opferschale gegossen. Nun kniete sie vor dem Bildnis der Erdenmutter und sprach ein Gebet. „Erdenmutter! Erhöre die Bitte deiner Tochter. Ich soll ein Friedensbündnis mit den Kreaturen der Nacht, den Vampiren schließen, die seit Generationen unsere Feinde sind. Weise mir den Weg, Erdenmutter. Ich bitte dich!“

„Das Leben besteht nicht nur aus Kampf, Shina Fay. Außerdem versucht ein guter Feldherr einen Krieg zu vermeiden. Aber er ist immer auf ihn vorbereitet.“, sagte eine freundliche Frauenstimme. „Was willst du mir damit sagen, Erdenmutter?“ „Scheue dich nicht davor, neue Wege zu gehen. Wisse, die Dunkelelfen haben sich zusätzlich zu den Blutelfen auch mit den Orks verbündet. Du brauchst noch weitere Verbündete. Wende dich zuerst an die Vampire. Reise nach Enstone und suche einen Vampir namens Lestrade. Geh hinein in die Nacht. Du wirst ihn nicht finden, er findet dich.“

In der alten Abtei stand Lestrade auf dem Hügel und dachte nach. Randalejev, sein alter Freund stand neben ihm. „Woran denkst du, Briderchen?“ „Ich wollte in Eteria Angst und Schrecken verbreiten, um den dortigen Bewohnern zu zeigen, dass es uns noch gibt. Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher, ob ich das wirklich noch will.“ „Die Zeiten ändern sich, Lestrade. Ich habe läuten gehört, dass die Dunkelelfen, zusätzlich zu ihren langjährigen Verbündeten, den Blutelfen, noch ein Bündnis mit den Orks geschlossen haben. Und du weißt, dass die Orks auch unsere Feinde sind.“ „Du meinst, wir sollen mit den Elfen Eterias Frieden schließen Randalejev?“ 80

„Haben wir eine andere Wahl?“ „Hoffentlich sieht Shina Fay das genauso.“ „Selbst wenn sie mit mir nicht einer Meinung ist Lestrade, sage ich, wir müssen uns mit den Elfen in Eteria verbünden. Du weißt doch, dass es viele Völker gibt, die uns Vampiren wohl gesonnen sind. Die Walküren zum Beispiel. Wenn wir mit den Elfen Eterias Frieden schließen würden, könnten die Walküren auf unserer Seite in einen Krieg eintreten.“ „Meinst du wirklich, dass es Krieg gibt, Randalejev?“ „Was die Zukunft bringt, weiß niemand so genau, Lestrade. Aber du solltest es wenigstens mal versuchen.“ „Du lässt wohl nicht locker was Randalejev? Ich denk drüber nach. Mal sehen, was unser alter Eremit, Bruder Barnabas zu deinem Vorschlag sagt.“

Den Mönch traf Lestrade in der darauf folgenden Nacht in der Bibliothek, der Abtei. Bruder Barnabas hörte dem Vampir zu und ließ ihn zu Ende sprechen, bevor er sagte: „Es wird ein Krieg aufziehen Lestrade. Ihr tut gut daran, auf euren Freund Randalejev zu hören.“ „Also ein Bündnis mit den Elfen Eterias.“ „Nicht nur ein Bündnis. Ein dauerhafter Frieden wäre die bessere Lösung.“ „Meint Ihr wirklich, dass Shina Fay sich darauf einlässt?“ „Es geht für beide Völker um viel. Die Orks haben sich nicht umsonst mit den Dunkelelfen verbündet. Die Orks sind nämlich auch die Feinde der eterianischen Elfen. Wenn Ihr es wünscht, dann bin ich gerne bereit, als Unterhändler zu fungieren.“

In Masca, der alten Bergfestung auf dem Teufelsberg, hatte Shina Fay ihren alten Mentor Bruder Remigius besucht und ihm von ihrem Besuch im Tempel des Orakels berichtet. Sie hatte dem alten Mönch von dem Rat des Orakels erzählt, und auch, was Halgrim, der alte Schamane ihr erzählt hatte. „Das, was dein alter Schamane dir über die Stammesführer gesagt hat, entspricht durchaus der Wahrheit. Aber auch das Orakel hat Recht, wenn es dir rät, Verbündete zu suchen. Die Orks sind seit jeher Feinde sowohl der Vampire, als auch deiner Rasse. Wenn du willst, dann begleite ich dich als dein Unterhändler.“ „Ich danke dir von ganzem Herzen Remigius.“

Am dritten Tag nach dem Fest für Shina Fay trafen sich beide Parteien. Shina Fay nahm gerade die Ruine der alten Abtei in Augenschein, als es hinter ihr raschelte. Die junge Elfe fuhr herum. Lestrade war gerade vor ihr gelandet. Er trug eine schwarze Hose, die in langen, schwarzen Stiefeln steckte. Dazu ein weißes Hemd mit Spitze, darüber einen schwarzen Überrock. Zusätzlich trug der Vampir einen schwarzen Umhang, der den Flügeln einer Fledermaus ähnelte. Sein langes schwarzes Haar wehte im Wind. Seine gelben Augen blickten skeptisch drein. Auffällig waren jedoch seine oberen Eckzähne, die am unteren Ende spitz zuliefen. 81

„Sei willkommen. Du bist sicher Shina Fay.“ „Und du bist dann wohl Lestrade.“ „Der bin ich.“ „Du kannst dir denken, warum ich gekommen bin?“ „Natürlich. Wir beide wissen, dass der Krieg seine Schatten bereits voraus wirft und dass unser beider Feind, die Orks, sich den Dunkelelfen angeschlossen haben.“, sagte Lestrade mit einer maskulinen, warmen Stimme. „Ich war am Abend meiner Heimkehr aus dem Massanella-Gebirge noch im Tempel der Erdenmutter. Das dortige Orakel hat mir geraten, einen dauerhaften Frieden zwischen unseren Rassen auszuhandeln, obwohl zwischen Elfen und Vampiren seit Generationen Feindschaft herrscht.“ „Manchmal muss man neue Wege gehen und vergessen, was gewesen ist, Shina Fay. Wir Vampire sind bereit mit dir über ein dauerhaftes Friedensbündnis zu verhandeln.“

„Ich hoffe, dass ich auf die Hilfe deiner Rasse zählen kann, solange ich meine Prüfungen absolviere. In dieser Prüfung soll ich meine „Menschlichkeit“ unter Beweis stellen. Ich bin eine Elfe und kein Mensch.“ „Ich weiß, was du meinst. Wer wird an deiner Seite kämpfen, wenn der Tag der großen Schlacht kommt?“ „Zuerst alle Elfenstämme Eterias. Und die Nachtelfirokesen.“ „Was ist mit den restlichen Clans der Nachtelfen, Shina Fay?“ „Die wollen sich raushalten. Weicheier.“ „Das dürfte daran liegen, das Keros sich damals isoliert hat. Die Nachtelfen blieben lieber unter sich, weshalb sie mit niemandem Ärger hatten.“, sagte Lestrade. „Bis auf die Nachtelfirokesen.“ „Es ist aber Fakt, dass die Elfenstämme Eterias und die Nachtelfirokesen der Allianz aus Dunkelelfen, Blutelfen und Orks nicht gewachsen sind. Ich denke, dein Orakel hat Recht, es ist an der Zeit neue Wege zu gehen, und das Kriegsbeil zwischen den Elfen Eterias und den Vampiren für immer zu begraben.“ Mit diesen Worten streckte der Vampir seine Hand aus und hielt sie Shina Fay hin. Die Waldelfe schlug ein und drückte Lestrades Hand.

In den nächsten zwei Tagen tauschten sich die beiden Mönche, Bruder Barnabas und Bruder Remigius, die als Unterhändler fungierten, über die Wünsche und Vorstellungen der Elfen und Vampire aus. Es war jedoch abzusehen, dass beide Seiten Abstriche bei ihren Forderungen machen mussten. Doch am Ende stand ein Vertrag, mit dem beide Parteien leben konnten. Am fünften Tag im Monat des Welses trafen sich die Führer aller Elfenstämme in Eteria mit den Vampiren. In einer feierlichen Zeremonie wurde der Vertrag dann ratifiziert. Lestrade und Shina Fay machten den Anfang. Danach kam König Meteron. Als auch der letzte Stammesführer aus Eteria seine Unterschrift unter den Vertrag gesetzt hatte, war die Erleichterung bei Shina Fay riesig. Ihre Freundinnen umarmten sie. Lestrade lehnte an einem Baum und sah die fünf Freundinnen feiern. Irgendwann kam er dazu. 82

„Ihr fünf seid eine interessante Gemeinschaft. Zwei Waldelfen, eine Dunkelelfe, eine Naga-Königin und eine Blutelfe.“, sagte er. „Raya und ich haben uns auf meiner ersten Prüfung kennengelernt. Ich hab sie aus einem Moorloch gezogen, nachdem ich die schwarze Spinne getötet hatte.“ „Mit diesem achtbeinigen Monster hätte ich auch noch eine Rechnung zu begleichen gehabt.“ Kaitlyn sah den Vampir fragend an. „Die Spinne hat meine Frau getötet. Unsere gemeinsame Tochter ist geflohen wurde nie wieder gesehen. Ich hoffe, dass sie noch lebt. Wenn sie tot ist, werde ich mir das nie verzeihen.“

Kaum hatte Lestrade seinen Satz zu Ende gesprochen, da ertönte ein lautes, diabolisches Frauenlachen. „Höre Lestrade. Ich habe deine Tochter auf meinem Schloss. Es geht ihr gut. Wenn du deine Tochter wieder haben willst, dann hol sie dir. Allerdings kann ich nicht garantieren, dass sie dann noch lebt.“ „Wer ist das?“ „Das ist Oonagh, die Schattenhexe.“ „Ich werde deine Tochter retten. Oonagh, hör mich an, du saudummes Miststück. Ich werde Lestrades Tochter befreien. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue.“ 83

07. Prüfung - Oonagh die Schattenhexe

07. Pruefung – Oonagh die Schattenhexe

Eteria im Jahr der Giraffe

Es war dunkel und kalt. Ab und zu konnte man einen Wassertropfen fallen hören. In einer Ecke des Verlieses kauerte ein Vampirmädchen auf dem kalten Steinboden. Es war Lestrades Tochter Ilva, die von Oonagh, der Schattenhexe gefangen gehalten wurde, seit sie ein kleines Kind war. Sie hörte das Klirren von Schlüsseln und danach, wie ein Riegel zurückgezogen wurde. Ilva hörte, wie die Tür geöffnet wurde und jemand den Raum betrat. Am Geräusch der Schritte erkannte das Vampirmädchen, dass es sich um Oonagh handelte. „Du hast Sehnsucht nach deinem Vater, nicht wahr Ilva?“, fragte die Schattenhexe mit einer sanften Stimme. Das Mädchen nickte. „Er hat auch Sehnsucht nach dir, weißt du. Aber leider wirst du ihn nie, niemals wiedersehen.“ „Warum lasst ihr mich nicht frei?“ Als Antwort erhielt Ilva einen Schlag mit der flachen Hand auf ihre linke Wange. Auch der Tonfall der Schattenhexe hatte sich verändert. Der Ton war hart und gnadenlos. „Weil du mir gehörst! Du kommst erst frei, wenn ich sterbe.“ Oonagh verließ die Zelle. In der Tür drehte sie sich noch mal um und sagte: „Hoffe nicht darauf, dass dich jemand rettet. Denn jeder Versuch würde deinen Tod bedeuten.“ Damit ließ Oonagh Lestrades Tochter in ihrer Verzweiflung zurück.

In Eteria weilte Shina Fay in Vortavor. Sie besuchte Galen. Die beiden gingen gerade in der Stadt spazieren, als Ataron auftauchte. Nach einer kurzen Begrüßung sagte der Nachtelfirokese: „Die Nachricht von deinem Friedenspakt, den du mit den Vampiren ausgehandelt hast, ist inzwischen bis nach Keros gelangt. Reife Leistung, Shina Fay. Aber dich beschäftigt etwas.“ „Es geht um Lestrades Tochter. Die Schattenhexe Oonagh hält sie gefangen. Ich habe geschworen, sie zu befreien. Selbst wenn es mich das Leben kosten sollte.“ „Na, na. Du musst ja nicht gleich dein Leben riskieren. Es wird andere Wege geben, um auf Oonaghs Schloss zu gelangen. Es liegt übrigens in Keros. Die Schattenhexe tyrannisiert die Nachtelfen seit dem Tag, an dem sie aufgetaucht ist. Wenn du sie besiegst, wirst du die ganzen Clans der Nachtelfen hinter dir wissen.“

„Lass mich zuerst meine Freundinnen treffen. Vielleicht wollen sie mich begleiten.“ „Ihr trennt euch wohl nie.“ „Allein ist es unmöglich Lestrades Tochter zu befreien.“ „Ich werde mit dir kommen.“ „Danke Ataron.“ „Vielleicht solltest du noch einen Abstecher ins Todesmoor machen. Dort passieren in letzter Zeit ziemlich merkwürdige Dinge.“ „Würdest du mich dorthin begleiten Galen?“ „Keine schlechte Idee, Schatz.“ Ataron verdrehte entnervt die Augen. 84

„Muss das sein, Shina Fay?“ „Ja muss es. Wenn in meinem Land Dinge passieren, die nicht ganz koscher sind, dann muss ich der Sache auf den Grund gehen.“ „Tu was du nicht lassen kannst. Ich seh dich in vier Tagen im Grenzgebiet zu Keros.“ „Bis in vier Tagen.“

Vor den Toren Vortavors trafen Shina Fay und Galen überraschenderweise Shina Fays Freundinnen. „Ein Bote aus Endor war vor zwei Tagen in deinem Dorf. Die Götter haben entschieden, dass du gegen Oonagh antreten sollst. Du hast nach Keros zu reisen. Unverzüglich.“, sagte Desdemona. „Vorher sollten wir die Vorfälle im Todesmoor genauer unter die Lupe nehmen, von denen Galen mir berichtet hat.“ „Was erhoffst du dir davon?“ „Vielleicht gewinnen wir so noch Verbündete für diese Mission.“ „Keine schlechte Idee. Ich möchte allerdings eines zu bedenken geben. Je mehr Leute wir sind, desto eher werden wir entdeckt.“ „Das Risiko müssen wir eingehen.“

Da Vortavor nur eine Tagesreise vom Todesmoor entfernt war, erreichten die Freundinnen und Galen schon am nächsten Tag den Ort des Geschehens. Sie fanden ein Lager. „Wem mag das wohl gehören?“ „“Wenn ich das wüsste. Aber wir sollten vorsichtig sein und den Einbruch der Nacht abwarten.“ „Warum denn dieses Schatz?“, fragte Galen im Flüsterton. „Siehst du die Wachen Galen? Jede Wette, dass die im ganzen Lager patrouillieren.“ „Das leuchtet ein.“

Als es Nacht war, schlich sich Shina Fay ins Lager. Die Zelte standen etwas weiter auseinander, so dass sie sich frei bewegen konnte. Die junge Elfe bemerkte drei Zelte, die etwas abseits standen und schwer bewacht waren. „Da müssen Gefangene drin sein.“, dachte sie. Shina Fay beschloss, sich das Zelt in der Mitte vorzunehmen. Lautlos wie eine Katze schlich sie dorthin. Die Wachen bemerkten nichts, bis die Elfe neben ihnen auftauchte und sie mit gezielten Dolchstößen in die ewigen Jagdgründe schickte.

Als sie das Zelt betrat, blieb Shina Fay vor Entsetzen stehen. Eine Frau kauerte am Boden. Sie hatte blonde Haare, die zu Zöpfen gebunden waren und bis zu ihren wohlgeformten Brüsten reichten. Sie hatte einen kräftigen Körper. Ihre Gesichtszüge verrieten der jungen Elfe, dass sie eine Frau des Nordens vor sich hatte. Die unbekannte Frau trug eine schwarze Rüstung und einen schwarzen Umhang. Dazu trug sie dunkelbraune, mit Edelsteinen verzierte Lederstiefel. Ihre Waffen, eine Lanze und ein mächtiger Bi-Händer waren in einer Ecke des Zeltes aufbewahrt. „Eine Walküre.“, sagte sie ehrfürchtig. Der Mann, der über ihr stand, drehte sich zu Shina Fay um. „Sieh an, wir haben Besuch. Wer bist du denn, kleine Elfe?“ „Ich bin Shina Fay, Tochter des Ator. 85

Stammesführerin vom Clan des roten Habichts.“ „Du bist nicht nur töricht Elfe, du bist auch gleich tot.“, sagte der Mann. „Das seh ich anders.“ Mit diesen Worten hatte Shina Fay einen Dolch gezogen und warf ihn dem Mann entgegen. Die Waffe verfehlte ihr Ziel nicht. Sie traf den Gegner in der Kehle, sodass der verblüffte Folterknecht, denn um diesen handelte es sich, mit einem Röcheln zusammenbrach. Sie zerschnitt die Fesseln der Walküre. Diese nahm sofort ihre Waffen und wollte zum Hauptausgang hinaus treten. Doch Shina Fay hielt sie zurück. „Das ist zu riskant. Wir sollten heimlich, still und leise von hier verschwinden.“ Die Walküre sah die Elfe wutentbrannt an, besann sich aber eines besseren. „Du magst vielleicht Recht haben, junge Elfe. Aber ich kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, die anderen Gefangenen zurück zu lassen.“ „Du bekommst bald Gelegenheit sie zu befreien. Aber jetzt ist es zu gefährlich. Die anderen Wachen werden bald merken, dass etwas nicht stimmt. Spätestens, wenn der Hauptmann der Wache von jedem Posten Meldung verlangt.“

Und wie Recht Shina Fay hatte zeigte sich, als sie und die Walküre zu den anderen, die im nahe gelegenen Wäldchen warteten, zurückkamen. „ALARM!!! DIE WALKÜRE IST GEFLOHEN!!!“ „Siehst du, was hab ich dir gesagt?“ „Ich mache mir Sorgen um die anderen beiden Gefangenen.“ „Wem gehört dieses Lager überhaupt?“, stellte Kaitlyn eine nicht ganz unerhebliche Frage. „Das Lager gehört einer Amazone. Und die anderen beiden Gefangenen sind eine zweite Amazone und eine elfische Schattenhexe.“ „Hat die Amazone auch einen Namen?“ „Den Namen weiß niemand. Zumindest wir Gefangenen nicht.“ „Du hast uns noch nicht deinen Namen gesagt.“ „Ich bin Tyra. Aber was führt euch hierher?“ „Eigentlich müsste ich schon längst auf dem Weg nach Keros sein, um Oonagh, die Schattenhexe herauszufordern. Aber als ich hörte, dass hier seltsame Dinge vor sich gehen, habe ich mich entschieden, der Sache auf den Grund zu gehen.“

Eine Fackel nährte sich dem Versteck der Freunde. Shina Fay zog einen Dolch aus ihrem Stiefel und warf ihn auf den Wächter. Dieser hatte keine Chance zu reagieren, als ihn die Waffe in den Hals traf. „Wir sollten unser Lager aufschlagen. Aber nicht hier. Es gibt eine Lichtung, etwas tiefer im Wäldchen. Dort sind wir sicher.“, sagte Shina Fay. Rasch zog sich die kleine Gruppe vom Lager der Amazone zurück. Auf der Lichtung bauten sie dann ihr eigenes Lager auf.

Nach dem Abendessen übernahm Shina Fay die erste Wache. Die Nacht blieb ruhig. Denn als Tyra zur Wachablösung kam, sagte die junge Elfe: „Die Wachen sind uns nicht gefolgt. Anscheinend haben sie 86

Angst sich zu verirren.“ „Das war schon so, als ich noch eine Gefangene dieser Amazone war. Die Wachen sind immer in Sichtweite des Lagers geblieben. Es wird dich interessieren, dass Oonagh, deine Gegnerin, die Schwester von diesem Miststück ist. Wahrscheinlich ist sie deswegen so grausam.“ „Wer weiß. Wenn ich diese Amazone ausschalten kann, dann kann sie ihre Schwester nicht warnen.“

Am nächsten Morgen machten sich die Freundinnen zusammen mit der Walküre auf den Weg ins Todesmoor. Argon war in der Nacht erschienen, und hatte Shina Fay verraten, dass die Schattenhexe im Todesmoor ihr Ende finden sollte. Außerdem hatte er der jungen Elfe den Namen der Amazone verraten. Sie hieß Jamila. Im Todesmoor wählte die junge Elfe einen Nebenpfad, den sie seinerzeit zusammen mit Raya und Kaitlyn markiert hatte. Sie wies jedem einen Platz an den Ufern des Moorlochs zu, von dem aus sie sehen konnten, wenn sich jemand näherte, ohne selbst gesehen zu werden. Shina Fay selbst kletterte auf einen Baum und hielt von dort aus Ausschau.

Schon bald erschien eine kleine Prozession, mit Jamila an der Spitze. Diese war sofort an ihrem feuerroten Haar zu erkennen. Sie war groß, besaß einen athletischen Körperbau. Ihre braunen Augen blickten wachsam. Offenbar rechnete sie mit einem Angriff oder einem Befreiungsversuch der Schattenhexe. Ihr rotes Haar fiel hinten weit über Jamilas Schultern, während es vorne etwas kürzer war. Das Gesicht war oval, war jedoch nicht grazil geschnitten, wie das einer Elfe, woran Shina Fay erkannte, dass die Amazone ein Mensch war. Bekleidet war die Amazone eher spärlich. Ein lederner Lendenschurz, der von einem Gürtel aus großen Goldplatten gehalten wurde, verdeckte den Schambereich, während die Brüste von einem Oberteil aus Stoff geschützt wurden. In beiden Händen trug Jamila zwei Bögen und einen Köcher mit Pfeilen über der Schulter. An den Füßen trug die Amazone leichte Sandalen, die bis zu den Knien geschnürt waren.

Am Rand des Moorlochs wurde die Schattenhexe so in Position gebracht, sodass sie mit dem Rücken zum Loch stand und Jamila ins Gesicht sehen musste. „Die Walküre ist entkommen. Sicherlich hast du ihr geholfen. Aber wie dem auch sei, durch ihre geglückte Flucht hast du jetzt die Ehre im Moor zu versinken. Das ist doch nun wirklich humaner, als dich bei lebendigem Leib zu verbrennen.“ „Wenn du dich da mal nur nicht täuschst Amazone. Ich werde dich überleben, während du bald dein Ende finden wirst.“ „Du redest mir entschieden zu viel, Schattenhexe. WACHEN! Stoßt sie ins Loch.“

Die Soldaten führten den Befehl aus und stießen die Schattenhexe in das Moorloch. 87

Da es erst vor kurzem geregnet hatte, sank sie rasch tiefer. Jamila sah dies mit Genugtuung. „Tja, wenn du jetzt deine Peitsche hättest, könntest du dich jetzt selbst retten. Aber ich habe deine Peitsche im Lager in meinem Zelt aufbewahrt. Damit du eben das nicht kannst. Ich werde jetzt mit meiner Wache ins Lager zurückkehren. Heute Nachmittag kehre ich zurück. Wenn ich feststellen muss, dass dich jemand aus dem Moorloch gezogen hat, hat das nicht deinen sondern auch den Tod deines Retters zur Folge.“

Nachdem die böse Amazone außer Sichtweite war, ließ Shina Fay eine Liane von dem Mangrovenbaum herab. „Halt dich daran fest. Ich zieh dich raus.“ „Hast du nicht gehört, was dieses Miststück gerade gesagt hat? Sie wird uns beide umbringen, wenn sie merkt, dass du mir geholfen hast.“ „Du bist eine Elfe, genau wie ich. Und ich lasse keine Artgenossen im Stich.“, sagte Shina Fay entschieden. Die Schattenhexe griff nach der Liane und die junge Elfe zog sie aus dem Moorloch. Dann kletterte sie von dem Mangrovenbaum herunter und gab den anderen ein Zeichen, dass sie ihre Deckung verlassen konnten. Gemeinsam verließen sie das Todesmoor.

Im Lager, das die Freunde aufgeschlagen hatten, erzählte die Schattenhexe, wie sie, Tyra und die zweite Amazone in die Gefangenschaft Jamilas geraten waren. „Jamila herrscht über Eteria. Jeder, der durch das Land reist, muss ihr Tribut zollen. Wir haben ihr den Tribut verweigert. Ihr müsst wissen, dass jeder, der sich Jamila widersetzt, zu ihrer Schwester Oonagh gebracht wird. Sie entscheidet dann über dessen Schicksal.“ „Damit wir uns klar verstehen, hier in Eteria, herrscht Königin Ignissa. Jamila mag sich zwar einbilden, dass sie hier das Sagen hat, aber ich gehorche nur Königin Ignissa.“ „Was glaubst du, wie viele Leute diesen Satz Jamila an den Kopf geknallt haben? Mehr als du dir vorzustellen vermagst. Weißt du, was Jamila dann getan hat? Ich sag es dir. Sie hat ihnen bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust gerissen. Ich muss es wissen, denn sie hat auf diese Weise meine Schwester Imai getötet.“

In derselben Nacht schlich sich Shina Fay zusammen mit Raya erneut zu Jamilas Lager. Es galt die Amazone zu befreien. Kaitlyn und Jenna hatten für ein Ablenkungsmanöver gesorgt, damit Desdemona unauffällig in Jamilas Zelt gelangen und die Peitsche der Schattenhexe holen konnte. Als die beiden Waldelfen das letzte Zelt erreicht hatten, schalteten sie blitzschnell und leise die Wachen aus. Während Raya die Amazone befreite, blieb Shina Fay außen und passte auf. Sollte sich jemand nähern, würde sie dreimal wie eine Eule rufen.

Die Freundinnen machten sich gerade auf den Rückweg, als Jamila hinter ihnen auftauchte. „Stehenbleiben!“, rief sie. 88

„Raya. Nimm Kaitlyn und Desdemona und dann verschwindet mit der Amazone in unser Lager. Jenna und ich werden versuchen, Jamila aufzuhalten.“ „Ich lass dich nicht allein, Shina Fay.“, sagte Raya. „Geh! Oder muss ich dir Beine machen?“ Schweren Herzens gehorchte Shina Fays beste Freundin und floh mit den anderen in Richtung Lager. Shina Fay ging in Kampfposition und zog ihre Schwerter. Dann stürmte sie los und schwang ihre Schwerter wild hin und her. Auf diese Weise machte sie es Jamila unmöglich Fernkampfwaffen einzusetzen. Die Amazone konnte einen Dolch ziehen und versuchte Shina Fay am Hals zu treffen. Doch die Elfe war zu schnell und stieß eins ihrer Schwerter tief in Jamilas Brust. Sie hatte eine lebenswichtige Ader durchtrennt.

Doch Jamila war noch nicht geschlagen. Mit letzter Kraft bäumte sich die Amazone noch einmal auf und stieß ihren Dolch Shina Fay zwischen die Rippen, bevor sie starb. Jenna hob sich die Waldelfe auf die Schultern und packte sie auf Tarzons Rücken. Im Lager wurde Shina Fay sofort weich gebettet und abgeschirmt. Sie hatte bereits das Bewusstsein verloren und auch ihr Atem war flach. „Ein Arzt. Wir brauchen dringend einen Arzt!“, sagte Kaitlyn. „Hat jemand den Arzt gerufen?“ „Bitte helfen Sie, wenn sie können. Unsere Freundin ist schwer verletzt.“, sagte Raya. Der Unbekannte ging zu Shina Fays Lager und sah sich die junge Elfe genau an. „Eure Freundin hat Glück gehabt. Nur ein paar Zentimeter tiefer und der Stoß wäre tödlich gewesen.“ Desdemona verdrehte entnervt die Augen. „Wenn Ihr nicht bald was tut, stirbt sie womöglich doch noch.“ „Wir Troll-Medizinmänner sind nun mal gründlich. Wir pfuschen nicht.“ Dann sprach der Medizinmann eine magische Heilformel und ließ die tödlichen Verletzungen heilen.

„Wie lange wird sie ruhen müssen?“, fragte Jenna. „Das hängt davon ab, wie schnell sich eure Freundin erholt. Übrigens, ich bin Hagir. Wenn Ihr mich wieder braucht, zögert nicht mich zu rufen.“ So brach die Gruppe in Richtung von Shina Fays Dorf auf. Dort angekommen, wurde die junge Elfe sofort in die Privatgemächer ihres Großvaters gebracht. Ihre Freundinnen und auch die drei befreiten Gefangenen wachten ununterbrochen an ihrem Lager. Nach zwei Tagen kam Ataron, der Nachtelfirokese vorbei. Als er den Raum betrat, sah er in Kaitlyns banges Gesicht. „Wie geht es ihr?“, fragte er. „Na ja. Den Umständen entsprechend. Wann sie wieder ganz gesund ist, kann niemand sagen. Die Heiler hier im Dorf tun ihr Bestes.“ „Daran zweifle ich nicht. Ich hatte es kommen sehen, und ich habe Shina Fay noch gewarnt. Aber sie wollte ja nicht auf mich hören.“ Die Schattenhexe wandte Ataron ihr Gesicht zu. „Wenn Shina Fay nicht gewesen wäre, würden weder ich, noch Tyra oder Arteya hier stehen.“

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Shina Fay kam langsam zu sich. Zuerst öffnete sie ihr rechtes Auge, dann ihr linkes. Ganz langsam richtete sie sich auf. Zuerst sah sie alles verschwommen. „Wo bin ich?“, fragte Shina Fay. „Du bist in deinem Dorf. Wenn du es genauer wissen willst, du bist in den Privatgemächern deines Großvaters.“ „Und Jamila?“ „Du hast sie getötet. Aber es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte dich mit in den Tod gerissen.“ „Kann mir bitte jemand beim Aufstehen helfen?“ „Das müssen die Heiler hier entscheiden. Oder Hagir.“, sagte Raya. „Wer ist Hagir?“ „Der Troll-Medizinmann, der dir das Leben gerettet hat.“

„Hat jemand den Arzt gerufen?“ Zum ersten Mal sah Shina Fay, den Mann, dem sie ihr Leben verdankte. Hagir war groß, kräftig gebaut und trug einen langen roten Bart. Seine Haut war blau und er trug, wie schon zuvor der Gnom keine Schuhe. Er trug schwarze Hosen und über seinem nackten Oberkörper einen schwarz-roten Umhang. Auf dem Rücken trug der Troll-Medizinmann ein Gestell an dem drei Totenschädel hingen. In der linken Hand hielt Hagir einen Eibenstock, der am oberen Ende gekrümmt war. Am oberen Ende hing, wie auf dem Gestell, ein Totenschädel. Am Schaft hingen mehrere rote und weiße Federn. An seiner Nase waren noch zwei starre Barthaare zu erkennen, die wie Fahnenmasten, steil nach oben ragten. Seine gelben Augen strahlten Freundlichkeit und Güte aus. In der rechten Hand hielt Hagir ein rot-weißes Seil. Über seinen Augen war ein kleiner weißer Strich erkennbar, der ihn zweifelsohne als Heiler auswies.

„Was meint Ihr, Hagir? Kann Shina Fay das Krankenlager verlassen?“, fragte Jenna. Der Troll-Medizinmann sah sich die junge Elfe noch einmal an. Fühlte Puls und Herzschlag und prüfte die Reflexe Shina Fays. „Eure Freundin kann das Krankenbett verlassen. Sie hat sich soweit erholt. Allerdings rate ich dringend zur Schonung.“, sagte Hagir. Shina Fay verzog angewidert das Gesicht. „Muss das sein? Ich habe Lestrade dem Vampir das Versprechen gegeben, seine Tochter zu befreien.“ Tyra legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Du kannst dein Versprechen immer noch einlösen, wenn du wieder gesund bist.“

Am späten Nachmittag kam Galen zu Besuch. „Du machst vielleicht Sachen, Schatz.“, sagte er. „Ich schätze morgen Abend haben wir frei, dann lach ich darüber.“ „Jedenfalls hast du eine neue Freundin gewonnen.“ „So? Wen denn?“ „Es ist Tyra, die Walküre.“ Tyra kam dazu. Galen verabschiedete sich. „Ich kehre nach Vortavor zurück. Ich werde dort für dich beten.“, sagte er und gab Shina Fay einen Kuss. „Du scheinst diesen gutaussehenden Elfen ja richtig zu beeindrucken, Shina Fay.“ „Wir sind ein Paar, seit ich gegen Nekane kämpfen musste.“ Diese Neuigkeit traf Tyra wie ein Vorschlaghammer. 90

„Du hast also die gefährlichste aller Assassinen getötet.“ „Ja. Und jetzt muss ich gegen Oonagh ran.“ „Sie wird sich an dir rächen wollen. Immerhin hast du ihre Schwester umgebracht. Was immer auch geschieht, ich werde dich nicht im Stich lassen.“ Mit diesen Worten reichte die Walküre der Elfe die Hand. Shina Fay ergriff sie und die beiden umarmten sich lang und innig. Eine neue Freundschaft war geboren.

In ihrem Schloss nahm Oonagh gerade ein Bad, als ihr Diener erschien. „Feodor, mein treuer Diener. Bringst du Neuigkeiten?“ „Ja Herrin. Ich habe die traurige Pflicht, euch vom Tod eurer Schwester Jamila in Kenntnis zu setzen. Eine junge Waldelfe aus Eteria, Shina Fay hat sie getötet und die Gefangenen befreit.“ Die Schattenhexe war geschockt. „Jamila… tot?“ „Ja Herrin. Mein Beileid.“ „Und die Gefangenen wurden befreit, sagst du?“ „Ja Herrin. Eine Walküre, eine elfische Schattenhexe und eine Amazone.“ „Hat Jamila nicht zwei elfische Schattenhexen gefangen genommen?“ „Ja Herrin. Zwei Schwestern. Mara und Imai. Letztere hat Jamila getötet, weil sie ihr nicht nur den Tribut sondern auch den Gehorsam verweigert hat. In Eteria hat man die Herrschaftsansprüche eurer Schwester nämlich zu keinem Zeitpunkt anerkannt. Königin Ignissa sitzt nach wie vor auf dem Thron Eterias.“ Oonagh warf ihren Badeschwamm mit einem ordentlichen Wutanfall an die Wand. „So eine Unverfrorenheit!!! Wie leicht hätten Jamila und ich Eteria beherrschen können, wenn man Jamila statt Ignissa den Thron gegeben hätte.“

Im Dorf, in dem Shina Fay lebte, ging das Tagesgeschäft seinen gewohnten Gang. Die junge Elfe war gerade auf dem Weg zum Tempel der Erdenmutter, als sie der Schattenhexe begegnete, die sie aus dem Moorloch gezogen und auch aus Jamilas Gefangenschaft befreit hatte. Nun bekam Shina Fay endlich Gelegenheit, dieses Geschöpf aus dem Reich der Schatten einmal genauer anzusehen. Die Hexe war drei Ellen groß und besaß einen schlanken und grazilen Körper. Außerdem besaß sie die typischen spitzen Ohren, die sie als Elfe kenntlich machten. Das Gesicht war oval, jedoch am Kinn etwas kräftiger ausgeprägt, als das von Shina Fay. Ihre braunen Haare trug die Schattenhexe offen, so dass sie bis zu ihrem Gesäß reichten. In ihren braunen Augen sah Shina Fay Dankbarkeit, Güte und Freundschaft. Bekleidet war die Kreatur der Schatten mit einem Lendenschurz aus Stoff, der an der Vorderseite fast bis zum Boden reichte und einem Oberteil aus Stoff, das ihre üppigen Brüste gerade so verdeckte. Der Schurz war in blutrot gefärbt, während das Oberteil in einem hellen violett gehalten war. Dazu trug die Hexe lange, bis zu den Knien reichende, rote Lederstiefel, die an der Vorderseite durch Beinschienen aus Elfenstahl verstärkt wurden. 91

An ihren Armen trug sie Armschienen aus demselben Material, nur mit dem Unterschied, dass diese mit drei unterschiedlich langen Klingen versehen waren. „Kannst du einen Augenblick für mich erübrigen, Shina Fay?“ „Ich wollte gerade zum Tempel der Erdenmutter. Hast du Lust mich zu begleiten?“ „Gern.“

„Wie kommt es, dass du meinen Namen weißt, aber ich deinen nicht kenne?“, fragte Shina Fay die Schattenhexe, während sie zum Tempel gingen. „Als du noch nicht bei Bewusstsein warst, haben die anderen über dich gesprochen. Die Bewohner deines Dorfes haben sich große Sorgen um dich gemacht. Sie verehren dich.“ Shina Fay lächelte. „Du hast mir immer noch nicht deinen Namen verraten. Also wie lautet er? Oder soll ich dich weiter Schattenhexe nennen?“ „Ich heiße Mara.“ „Hübscher Name. Klingt, als hätte er etwas mit dem Ozean zu tun.“ „Ich bin in Serefos geboren und aufgewachsen. Dort bedeutet mein Name „Die dem Meer entsprungene“. Hat dein Name auch eine Bedeutung?“ „Shina Fay bedeutet „Prinzessin der Eiche“. Ich bin unter unserer heiligen Dorfeiche geboren worden.“ „Du bist ein großes Wagnis eingegangen, als du Tyra, Arteya und mich aus Jamilas Gefangenschaft befreit hast. Du hast dein Leben für uns aufs Spiel gesetzt. Das waren wir nicht wert.“ „Doch. Eure Freiheit war mir diesen Einsatz wert. Tyra hat einen Boten nach Arakeen, dem Reich der Walküren, geschickt. Vielleicht werden die Walküren sich mir anschließen, wenn der Tag der großen Schlacht kommt.“

Mara verstand, worauf Shina Fay hinaus wollte. „Die alte Prophezeiung.“, sagte sie schließlich. „Eben jene. Ich kann es langsam echt nicht mehr hören.“ „Seit wann weißt du es?“ „Seit meiner Kindheit. Zu allem Überfluss, werde ich auf dem Schlachtfeld meinem Halbbruder Leto gegenüberstehen. Gott wie ich diesen Verräter hasse.“ Mara sah Shina Fay in die Augen. „Lass dich nicht von dieser Finsternis ersticken. Ich sehe eine großartige Königin hinter deinen Augen.“ „Wie meinst du das?“, fragte Shina Fay, als sie und Mara den Tempel erreicht hatten. „Hat Königin Ignissa dich nicht zu ihrer Nachfolgerin auserkoren?“ „Sie hat es mir angeboten, ihren Platz einzunehmen.“ „Ich wüsste niemanden, der besser für Ignissas Nachfolge geeignet ist, als du.“, sagte Mara und hielt Shina Fay die Hand hin. Die junge Elfe nahm Maras Hand und beide umarmten sich. „Jeder Zeit, an jedem Ort, wann immer du mich brauchst, ich werde für dich da sein.“ „Und ich für dich Mara.“

Dann betrat Shina Fay gefolgt von Mara den Tempel der Erdenmutter. Die junge Elfe vollzog wie immer das Opferritual, ehe sie vor dem Abbild der Erdenmutter niederkniete und ihr Gebet sprach. „Erdenmutter, erhöre die Bitte deiner Tochter.“ „Was ist dein Begehr, Shina Fay?“ „Ich habe einen dauerhaften Frieden 92

zwischen den Elfen Eterias und den Vampiren hergestellt. Jetzt soll ich Oonagh die Schattenhexe bezwingen. Doch mir ist zu Ohren gekommen, dass die Schattenhexe, die die Schwester Jamilas ist, damit gedroht hat ihre Geisel umzubringen, sobald ein Befreiungsversuch unternommen wird.“ „Du meinst Jamila die Amazone?“ „Ja, Erdenmutter.“ „Dann war es klug von dir, dir das Wohlwollen von Tyra, Mara und Arteya zu sichern. Du wirst ihre Hilfe und die Unterstützung ihrer Völker noch dringend brauchen. Die Dunkelelfen haben ein Bündnis mit den Zentauren geschlossen.“ „Wieso wundert mich das nicht. Die Zentauren waren schon immer eine wankelmütige Bande.“, sagte Shina Fay.

Am späten Nachmittag, Shina Fay besuchte gerade das Grab ihrer Eltern, kam die Amazone zu ihr. „Man sagte mir, dass ich dich hier finden würde.“ Shina erhob sich und drehte sich um. Vor ihr stand eine Menschenfrau mit kristallblauen Augen und schwarzen Haaren, die bis zu ihren Brüsten reichten. Ihr Körper entsprach bei den Menschen dem Normalmaß. Die Amazone war nicht zu dick und nicht zu dünn. Ein ovales Gesicht mit einer hübschen Nase und sinnlichen Lippen verstärkte den ersten positiven Eindruck. Bekleidet war die Amazone mit einem schwarzen Lendenschurz, der an ihrem Gesäß etwas länger ausfiel und schwarzen Stiefeln. Ein schwarzes Oberteil aus Leder, das über mehrere Haltebänder verfügte kam noch dazu. An der Stirn trug die Frau noch einen Reif, der mit einem Kreuz und einem Anhänger mit einem Rubin in der Mitte der Stirn endete. Unterhalb der Brüste trug die Amazone noch eine Kette mit dem Abzeichen ihres Stammes als Anhänger. Um die Hüfte trug die Amazone einen Bi-Händer.

„Du bist dann wohl Arteya.“, sagte Shina Fay. „Ja, die bin ich.“ „Wer hat dir gesagt, dass ich am Grab meiner Eltern sein würde?“ „Das war euer Schamane, Halgrim.“ „Ich habe meine Eltern an ein und demselben Tag verloren. Ich war gerade 18 geworden und habe an unserem Turnier teilgenommen. Ator, mein Vater, wurde von meiner Gegnerin im Schwertkampf, einer Halbelfe namens Seetha vergiftet. Meine Mutter, White Angel, wurde von einem Wolf namens Fenrir mit einem Biss in die Kehle getötet. Seit diesem Tag bin ich Vollwaise.“ „Hattest du eine glückliche Kindheit?“ „Ja. Die glücklichste, die man sich wünschen kann.“ „Ich bin bei meiner Tante aufgewachsen. Meine Eltern wurden bei einem Überfall von Horden wilder Barbaren getötet. Auch meinen Bruder haben sie auch ermordet. Meine Schwester hat mich zu meiner Tante gebracht. Leider haben die Barbaren sie auch noch erwischt.“ „Dann haben wir beide keine Eltern mehr. Ich habe nur einen Halbbruder. Aber dieser hat unseren Clan verraten, als er sich den Dunkelelfen angeschlossen hat.“ „Und dafür hasst du ihn.“ „Natürlich. 93

Würdest du ihn nicht hassen?“ „Doch. Wir sind uns beide sehr ähnlich, stelle ich fest. Wir könnten Freundinnen sein, wenn du willst.“, sagte Arteya und hielt Shina Fay die Hand hin. Die junge Elfe nahm die Hand, dann umarmten sich beide. Ein weiteres Mal war eine neue Freundschaft geboren.

Später am Abend, die Dunkelheit war gerade hereingebrochen, kam Lestrade der Vampir in Shina Fays Dorf. Irgendwie war er in den Besitz eines Plans von Oonaghs Schloss gekommen. Shina Fay und ihre Freundinnen setzten sich im Halbkreis um den Vampir und lauschten seinen Ausführungen. „Also Ladies, die Verliese sind hier in den unteren Geschossen. Oonaghs Gemächer sind hier, unter dem Dach.“ „Wir müssen ungesehen ins Schloss reinkommen. Der Haupteingang wird entsprechend bewacht sein.“, sagte Shina Fay und deutete auf das Haupttor. „Es gibt noch zwei Nebentore hier an den Seiten, aber auch da dürften Wachen stehen.“ Mara wies auf die entsprechenden Stellen auf dem Plan. „Also bleibt uns nur eine Möglichkeit. Wir müssen von unten ins Schloss gelangen.“, warf Arteya ein. „Ataron wird euch helfen. Er kennt die Gegend um das Schloss wie seine Westentasche. Es gibt einen geheimen Tunnel, der direkt unter das Verlies führt.“ „Wann und wo sollen wir Ataron treffen?“ „Ihr sollt in drei Tagen im Grenzgebiet zu Keros auf ihn treffen. Ataron erwartet euch am alten Grenzturm.“, sagte Lestrade. „Okay Ladies. Dann würde ich vorschlagen, wir gehen Schlafen. Denn morgen früh brechen wir auf.“, sagte Shina Fay.

Am nächsten Morgen, kurz vor Sonnenaufgang brachen die Freundinnen auf. Tarzon und seine neue Freundin Shira, Rayas Reittier, führten die Gruppe an. Als es Mittag wurde, erreichten die Freundinnen einen verlassenen Bauernhof. Das Haupthaus war verfallen und die Ställe befanden sich ebenfalls in einem erbärmlichen Zustand. Auf dem nahegelegenen Acker entdeckte Arteya ein paar wilde Kaninchen. Shina Fay und Raya nahmen ihre Bögen von den Schultern und legten jeweils einen Pfeil ein. Dann legten die beiden Elfen an und ließen die Sehne los. Die Pfeile trafen ihr Ziel.

Nach dem Mittagessen ging die Reise weiter. Den Rest der gebratenen Kaninchen hatte man gut verpackt in den Satteltaschen verstaut. Als am Abend die Sonne hinter den Bergen unterging und den Himmel blutrot färbte hatten die Freundinnen den Redwood Forrest erreicht. Da sie jedoch nicht wussten, was sie im Wald erwartete entschlossen sie, die Nacht außerhalb des Waldes zu verbringen. Die Nacht verlief ruhig. Doch vorsichtshalber wurde in verschiedenen Schichten Wache geschoben. Am nächsten Morgen ging die Reise nach einem kräftigen Frühstück weiter. Shina Fay und ihre Freundinnen wollten den Redwood Forrest so schnell wie möglich durchqueren. 94

Als die Freundinnen den Wald hinter sich gelassen hatten, änderte sich die Landschaft. Anstelle der zerklüfteten Berge und den Bäumen des Waldes trat nun eine weite Graslandschaft. Hier und da standen vereinzelt Bäume. Shina Fay konnte mehrere Herden von Tieren ausmachen, die sie noch nie in ihrem Leben gesehen hatte. Eine Tierart fiel ihr ganz besonders auf. Die Tiere waren weiß mit schwarzen Streifen. „Wenn jemand ein Reittier braucht, jetzt haben wir die Gelegenheit.“, sagte Shina Fay. „Lass gut sein. Zebras sind keine Reittiere.“ „Zebras?“ „Mir scheint du brauchst noch ein bisschen Nachhilfe in Sachen Fauna.“, sagte Raya. „Immer dieses Fachchinesisch.“ Raya überhörte den Einwand ihrer Freundin. Stattdessen zeigte sie Shina Fay die einzelnen Tiere und brachte ihr die Namen bei. Als Etgos Enkelin auf ein Tier mit einem kräftigen Körper und mit einem wuchtigen Kopf und ebenso wuchtigen Hörnern zeigte, sagte Raya: „Das ist ein Wasserbüffel, Shina Fay.“

Als es Mittag wurde, erreichten Shina Fay und die anderen eine Oase, durch die ein Fluss führte. Die Stammesführerin vom Clan des roten Habichts erkannte sofort einige Antilopenarten und blaue Gnus. Ein junger Gnubulle stand etwas abseits der Herde. Er war so sehr mit trinken beschäftigt, dass er die Gefahr nicht bemerkte, in der er schwebte. Denn Raya hatte ihren Bogen von den Schultern genommen und einen Pfeil eingespannt. Jetzt zielte sie auf das ahnungslose Tier. Doch ehe sie schießen konnte, teilten sich die Fluten und ein 20 Ellen großes Leistenkrokodil den Gnubullen packte und unter Wasser zog. „Gott, was für Monster!“, entfuhr es Mara. „Was war das für ein Ungeheuer?“ „Ein Leistenkrokodil, Shina Fay.“ „Scheint so, als ob dieses Monsterkrokodil schneller war als du.“ „Und das ärgert mich. Unsere Vorräte von gestern sind aufgebraucht.“ „Eines steht auf alle Fälle fest.“ „Und was?“ „An die Tiere am anderen Ufer des Flusses kommen wir nicht ran. Das Krokodil dort im Fluss würde uns die Beute buchstäblich vor der Nase wegschnappen. Außerdem wäre es für uns eine Gefahr, wenn wir ein erlegtes Tier auf unsere Seite bringen müssen. Nein, wir müssen uns auf die Tiere auf unserer Seite konzentrieren.“

Während sich Raya mit den anderen unterhalten hatte, war Shina Fay auf einen Baum geklettert und hatte eine Thomsongazelle ins Visier genommen. Sie zog ihren Dolch und machte sich zum Sprung bereit. Dann sprang die junge Elfe auf den Rücken der Gazelle und stieß ihr den Dolch in den Hals. Als sie das Tier erlegt hatte, fing Shina Fay an, die Gazelle zu häuten und deren Fleisch in mehrere Stücke zu schneiden. „Also wenn das nicht reicht, dann weiß ich auch nicht.“, sagte sie schließlich. „Das reicht nie im Leben für uns alle.“ „Kaitlyn hat Recht. Aber du bringst mich auf eine Idee, Shina Fay.“, sagte Raya und legte erneut ihren Bogen an. 95

Dieses Mal zielte die Waldelfe aus Erathia auf ein Tiefland-Nyala. Und bei diesem zweiten Versuch traf Raya ihr Ziel, da sich die Antilope weit genug weg vom Wasser war. Als auch dieses Tier gehäutet und dessen Fleisch portioniert worden war, entzündete Jenna ein Feuer. Vorher hob sie jedoch eine kleine Grube aus, deren Rand sie mit Steinen beschwerte. Shina Fay hatte unterdessen Feuerholz organisiert, das Jenna mit einem Paar Feuersteinen anzündete.

Als das Feuer brannte und das Fleisch der beiden Antilopen darüber gebraten wurde, studierte Shina Fay die Karte, die ihr Halgrim mitgegeben hatte. Leider hatte sich diese als unvollständig erwiesen, sodass die junge Elfe gezwungen war, das Gebiet von Redwood Forrest und die Steppe hinzuzufügen. „Ich glaube, wir haben seit gestern einen anderen Teil Eterias entdeckt, den bisher niemand gesehen hat.“ „Wie jetzt?“ „Halgrim hat mir diese Karte mitgegeben. Allerdings war sie nur bis zu den schwarzen Bergen komplett, Redwood Forrest und die Steppe hier waren gar nicht kartographiert.“

Nach dem Essen ging die Reise weiter. Die Freundinnen zogen ein Stück mit den Herden mit, die sie rasch zu einem weiteren geeigneten Rastplatz für die Nacht führten. Denn als die Dunkelheit hereinbrach, hatten die Freundinnen die Steppe hinter sich gelassen und ein weiteres Waldgebiet erreicht. Doch auch bei diesem Wald waren sie vorsichtig. Dieses Mal war es Mara, die die erste Wache übernahm. Und genau in dieser Wache ereignete sich etwas. Die Schattenhexe hörte, wie sich zwischen den Bäumen etwas bewegte. So leise wie es eben ging, weckte sie die anderen. Shina Fay bemerkte die gelben Augen, die sich aus dem Wald näherten, als erste. Schon bald wusste sie, dass es die Augen eines Drachen waren.

„Wer von euch ist Shina Fay?“, fragte der Drache mit einer tiefen, wohl klingenden Stimme. Ators Tochter trat vor. „Ich bin Shina Fay.“ „Dann bitte ich dich mir zu folgen. Ich brauche deine Hilfe.“ „Ich hätte gerne meine Freundin Raya als Verstärkung mitgenommen.“ „Wenn es denn unbedingt sein muss.“ „Ich will nur auf Nummer sicher gehen. Ist das zu viel verlangt?“ „Shina Fay hat Recht. Wir wissen nicht, was uns erwartet. Vielleicht ist meine Hilfe ja doch von Nöten.“, sagte Raya.

Und wie sehr Shina Fay mit ihrer Einschätzung Recht haben sollte, zeigte sich sehr bald. Nachdem der schwarze Drache die beiden Waldelfen zu der besagten Stelle geführt hatte, wurde das Ausmaß der Katastrophe klar. Ein Purpurdrachenweibchen war in einem Käfig gefangen worden. Die junge Elfe zögerte nicht lange. Sie zog die beiden Dolche aus ihren Stiefeln und reichte einen der beiden Raya. Dann fingen die beiden Freundinnen an, die 96

die Stricke, an der Vorderseite des Käfigs durchzuschneiden. Als die Stricke durchtrennt waren, fiel das Käfigstück nach vorne um und das Drachenweibchen war frei.

Es war am nächsten Morgen. Shina Fay und die anderen waren gerade aufgewacht, als sich zwischen den Bäumen etwas bewegte. Mara sah den schwarzen Drachen als erste. Direkt dahinter erschien der Kopf des weiblichen Purpurdrachen. Die junge Elfe erkannte den schwarzen Drachen sofort. Es war Shen, der Schicksalsdrache. „Ich danke dir, Shina Fay. Du hast das Kostbarste, das es für mich auf Erden gibt, vor einem schlimmeren Schicksal bewahrt.“, sagte Shen. „Auch ich habe dir zu danken, Shina Fay. Wenn du nicht gewesen wärst, hätte man mich wahrscheinlich an einen Zirkus verkauft oder auf einem Jahrmarkt als Attraktion zur Schau gestellt.“

Nun konnte die junge Elfe das Drachenweibchen genauer in Augenschein nehmen. Abgesehen von der purpurnen Hautfarbe des Drachen besaß dieser einen ovalen Kopf, an dessen Seiten Hörner hervorragten. Außerdem begann im Zentrum des Kopfes ein Dornenkamm, der sich über den gesamten Körper bis hin zum Ende des langen Drachenschwanzes erstreckte. Der majestätische Körper ruhte auf kräftigen Beinen. Der weibliche Drache entfaltete seine majestätischen Flügel und stieß einen markerschütternden Schrei aus, in den der Schicksalsdrache mit einstimmte. „Hat deine Holde auch einen Namen, Shen?“, fragte Shina Fay gerade heraus. „Ich heiße Li An Kai. Von heute an hast du in deinem Kampf gegen die Dunkelelfen und ihre Verbündeten zwei weitere Verbündete gewonnen und zwei Freunde obendrein.“

Nach einem ordentlichen Frühstück brachen die Freundinnen wieder auf. Shen und Li An Kai begleiteten sie. Die beiden Drachen sahen von oben mehr als Shina Fay und ihre Gefährtinnen unten am Boden wahrnehmen konnten. Als es Mittag wurde, erreichten die Gefährtinnen dann endlich den vereinbarten Treffpunkt am alten Grenzturm, der die Grenze zu Keros markierte. Ataron, der Nachtelfirokese erwartete sie bereits. „Da seid ihr ja endlich. Ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben, dass ihr es überhaupt bis hierher schafft.“ „Super Gag. Ich lach mich kaputt. Wir haben es für besser gehalten einen anderen Weg zu nehmen. Oonagh hat den direkten Weg sicher genau beobachtet.“ „Dann habt ihr gut daran getan, einen anderen Weg einzuschlagen. Eure geflügelten Freunde könnt ihr leider nicht mitnehmen. Sie würden ziemlich viel Aufmerksamkeit erregen und dann wäre Oonagh mit Sicherheit alarmiert.“ Shina Fay sprach kurz mit den beiden Drachen und erklärte ihnen die Lage. „Mach dir keine Sorgen. Wir bleiben hier und sichern euren Rückzug.“, sagte Shen. „Danke Shen.“ Shina Fay gab dem Schicksalsdrachen noch einen Kuss auf seine 97

geschuppte Nase. Dann folgte sie zusammen mit ihren Freundinnen Ataron, der sie zu dem geheimen Tunnel brachte. Dort angekommen, übernahm der Irokese die Führung. Schnell und unauffällig brachte er die kleine Gruppe ins Schloss der Schattenhexe. Im Verlies angekommen, öffnete Ataron eine Klappe und führte die Gruppe ins Schloss. „So weit so gut. Aber jetzt haben wir ein Problem. Lestrades Tochter kann in jeder der Zellen sitzen. Der Teufel weiß in welcher.“ „Also heißt es ausschwärmen und jede Zelle durchsuchen.“, sagte Tyra. „Ich glaube, die Mühe können wir uns sparen. Diese Zelle wurde erst vor kurzem geöffnet.“

Während die anderen sich in der Zelle umsahen, suchte Shina Fay den Boden nach eventuellen Fußspuren ab. Und sie wurde fündig. „Ich glaub ich habe eine Spur gefunden, der wir folgen können!“, rief sie den anderen zu. Mara war die erste, die bei ihr war. „Wo?“ „Genau vor deiner Nase Mara.“, sagte Shina Fay und deutete auf die Spur zu ihren Füßen. „Wohin mag sie wohl führen?“ „Es gibt nur eine Möglichkeit. Die Folterkammer.“ „Na dann nichts wie hin.“, sagte Raya und folgte der Spur. Die anderen rannten ihr hinterher. Schließlich erreichten die Freundinnen eine Weggabelung. Hier teilte sich die Spur. „Verfluchter Mist!“ „Was hast du Shina Fay?“ „Die Spur teilt sich. Welche führt in die richtige Richtung?“ „Könnt ihr zwei Hübschen vielleicht mal leise sein?“ Und dann hörten es alle. Aus dem linken Gang hörten sie ängstliche Schreie. „Dann nehmen wir den linken Gang.“, sagte Shina Fay und eilte voraus. Die anderen folgten ihr.

Der Raum, in den der Gang mündete, war vollgestopft mit den verschiedensten Folterinstrumenten. Shina Fay erkannte eine Presse, mit der der Folterknecht seinem Opfer die Hand zerquetschen konnte, bis sie brach. Ebenso erkannte sie eine Esse, in der Eisenstäbe erhitzt wurden, die dem Opfer dann auf die nackte Brust gedrückt wurden. Am auffälligsten war jedoch eine kreisrunde Öffnung im Boden, über der ein großes Metallgitter hing. Und an diesem Gitter hing Lestrades Tochter. Oonagh stand direkt vor ihr und grinste sie diabolisch an. „Glaube nicht, dass dich jemand hier raus holt. Sämtliche Eingänge sind nämlich streng bewacht.“ „Bist du dir da so sicher, Oonagh? Sind wirklich SÄMTLICHE Eingänge bewacht?“, fragte Shina Fay süffisant.

Jamilas Schwester fuhr herum. Nun konnte die junge Elfe die Schattenhexe genauer in Augenschein nehmen. Oonagh hatte ein ovales Gesicht und trug eine schwarze Maske um ihre grünen Augen. Ihre feuerroten Haare reichten bis zu ihren Schultern. Die Lippen der Schattenhexe hätte man durchaus als sinnlich bezeichnen könne, wenn Oonaghs Gesicht nicht durch blanken Hass zu einer hässlichen Fratze verzogen worden wäre. Am rechten Oberschenkel trug Oonagh zwei Messingbänder. Eines davon besaß als Zierde einen nach oben 98

gedrehten Halbmond, während das andere zwei handflächengroße Medaillen, auf denen zwei goldene Pentagramme zu sehen waren, als Zierde aufwies. Das nächste, was Shina Fay auffiel, waren die beiden schwarzen Handschuhe, die bis zu Oonaghs Ellenbogen reichten. Um die Schultern trug die Schattenhexe einen schwarzen Umhang mit steifem Kragen, dessen Ende zwei wuchtige Hörner bildeten. Ansonsten war Oonagh eher spärlich bekleidet. Ihr Schambereich wurde von einem ziemlich kurzen Höschen verdeckt. Ihre prallen Brüste wurden von einem metallenen BH verdeckt. Dazu trug Oonagh langschäftige, schwarze Lederstiefel. Doch auch sonst war die Schattenhexe ein Hingucker. Der Körper war schlank und an den entsprechenden Stellen wohl proportioniert. In der linken Hand hielt Oonagh einen Zauberstab aus schwarzem Kristall.

„Wie bist du hier bloß reingekommen?“ „Glaubst du wirklich, dass ich dir das verrate, du taube Nuss?“ „Bist du allein?“ „Was denkst du, Oonagh?“ „Bestimmt nicht. Also wo sind deine Krieger?“ Shina Fay trat zur Seite und schon stürmte Raya in den Raum, gefolgt von Tyra und Arteya. Dann kam Desdemona. Nach ihr Kaitlyn und Jenna. Mara bildete das Schlusslicht. Oonagh sah ihre Gegnerin genau an. „So, so. Du bist also Shina Fay, die Mörderin meiner Schwester. Für deine Tat, wirst du bezahlen. Und Ilva gleich mit dir. DENN ICH WERDE EUCH TÖTEN!!!!!“ „Ich habe gehört, dass deine Schwester den Thron Eterias für sich beansprucht hat. Ich bin eine treue Untertanin von Königin Ignissa. Wie kann ich da zulassen, das eine böse Amazone ihr den Thron raubt?“

Als Antwort schleuderte ihr Oonagh einen schwarzen Energieblitz entgegen, doch die junge Elfe konnte mit einem Sprung zur Seite ausweichen. Aus dem Augenwinkel konnte Shina Fay erkennen, wie der Zauberstab der Schattenhexe aufleuchtete. Raya schoss einen Pfeil auf die böse Hexe, den diese mit schwarzer Magie abfing. Wieder glühte der Zauberstab auf. Doch dieses Mal dauerte es länger, bis das Glühen wieder erlosch. Nun war sich Shina Fay sicher. Oonaghs Zauberkräfte wurden durch den Kristallstab erneuert. Das brachte sie auf eine Idee. Kaitlyn wirkte nun selbst einen Zauber, doch Oonagh blockte auch diesen Zauber ab. „Mara! Nimm deine Peitsche und zerstöre den Zauberstab.“, sandte Shina Fay der elfischen Schattenhexe eine mentale Botschaft. Mara nickte. Dann schwang sie ihre Peitsche und ließ das Ende um den schwarzen Kristallstab wickeln. Mit einem kräftigen Ruck riss Mara Oonagh den Stab aus den Händen und ließ ihn an der Wand in tausende Splitter bersten.

Genau darauf hatte Shina Fay gewartet. Sie spannte einen Pfeil in ihren Bogen und legte an. Als sie ihn abschoss sprach sie noch einen Zauber. „BRISINGIR!!!!“, rief sie und der Pfeil wurde zu einem Feuerpfeil. Oonagh, die noch nicht ganz begriffen hatte, was gerade passiert war, bemerkte den heran nahenden 99

Pfeil zu spät. Sie wollte einen Schutzzauber wirken, doch zu ihrem Entsetzen musste sie feststellen, dass ihre magischen Kräfte für diesen Zauber nicht mehr ausreichten. Oonagh ging in Flammen auf, als Shina Fays Pfeil sein Ziel traf. Kaitlyn hatte in der Zwischenzeit Lestrades Tochter Ilva von ihren Fesseln befreit und half ihr aus der Gefahrenzone heraus. So schnell, wie es Ilvas Kräfte zuließen, machten sich die Freundinnen auf den Weg zurück.

Oben im Verlies wartete Ataron auf die kleine Gruppe. „Ich hoffe, du hast diesem Miststück das Licht ausgeblasen.“, sagte er, als er sah, in welch erbärmlichen Zustand sich Ilva befand. „Hab ich. Mein Feuerpfeil hat Oonagh den Garaus gemacht.“ „Bitte, bringt mich so schnell wie möglich hier weg. Ich halte es in diesem Schloss einfach nicht mehr aus.“, sagte Ilva. „Dann folgt mir. Ataron, kannst du die Nachhut bilden?“, fragte Shina Fay. „Wenn du mich schon so lieb darum bittest.“ Die Gruppe hatte den Gefängnistrakt gerade verlassen, als zwei Wachtposten auftauchten. Der erste zog seinen Säbel und bekam von Ataron einen Schlag ins Gesicht. Der zweite Wächter holte zum Schlag aus, doch der Nachtelfirokese wich aus. „Komm her, dir werd ich auch einen vorn Ständer kleistern!“ Danach wurde auch dieser Wächter ins Reich der Träume geschickt.

Bis zum Innenhof verlief die Flucht reibungslos. Doch genau dort wartete das nächste Problem. Ein Gitter versperrte den Weg nach draußen. Ataron nahm eine Eisenstange und hebelte das Gitter aus. „Werden wir doch mal rauskriegen, diesen Fliegenfänger!“, sagte er und warf das Gitter nach draußen. Shina Fay und die anderen blieben außer Sichtweite. „Ist die Luft rein hier?“ „Kommt Ladies. Schnell weg.“ Sieben Wächter waren unerwartet aufgetaucht, die nun alle ihre Säbel zogen. „Ach herrje.“, sagte Ataron. „Wer sind denn diese Menschen?“ „Was weiß ich. Na? War ja toll, dass die zum Beten kommen, oder so was.“

Ataron schnappte sich einen Holzbalken, der in der Ecke lehnte, die den Ausgang markierte und ging auf die Wachen zu. Als zwei von ihnen zum Hieb ansetzten, riss er den Balken nach oben und die beiden Wächter blieben mit den Säbeln im Holz stecken. Dann versetzte der Nachtelfirokese dem Balken einen Stoß nach vorne und die Wächter fielen um. Dem nächsten Wachmann verpasste Ataron einen Schlag ins Gesicht, ehe er den nächsten mit einem Schlag auf den Hinterkopf niederstreckte. Der nächste Soldat bekam wieder einen Schlag ins Gesicht. Auch der Soldat danach wurde mit einem Schlag auf den Kopf niedergestreckt, verlor dabei aber seinen Säbel. „Los Mädels haut ab! Verschwindet irgendwo hin!“, sagte Ataron, als er den Säbel aufhob. Ein weiterer Soldat griff an, doch der Nachtelfirokese parierte den Hieb, nur um dann seinem Gegner eine Backpfeife auf der rechten Seite zu verpassen. Auch den nächsten Hieb wehrte er ab und verpasste dem 100

Wächter einen Schlag mit der Rückhand auf die linke Seite.

Als nächstes bekam der Wachmann einen Schlag ins Gesicht. Ein anderer Gardist sprang wieder auf die Füße. Ataron warf ihm den Säbel zu und sagte „Halt mal! Komm her!“, ehe er ihm mit der Faust ins Gesicht schlug. Ein anderer Soldat kam mit erhobenem Säbel angerannt, doch der Nachtelfirokese riss ihm die Waffe aus den Händen. Dem nächsten Wächter warf Ataron den Säbel seines Kollegen auf den Fuß und sagte dabei „HÜHNERAUGE!“ Der Soldat hüpfte auf einem Bein herum wie ein Känguru, bekam dann noch einen Schlag ins Gesicht. Den Hieben der nächsten beiden Soldaten wich der Nachtelfirokese aus und schlug sie nacheinander nieder. Ein anderer Wachmann stand wieder auf und griff den Irokesen mit seinem Dolch an. Doch dieser wehrte den Hieb ab, indem er seinen Gegner am Handgelenk packte, ihm in die Magengrube schlug, sodass der Soldat einem anderen der sieben Wächter unfreiwillig einen Tritt ans Kinn verpasste, und schlug ihm dann ins Gesicht.

Ein weiterer Soldat schnappte sich den Holzbalken, den Ataron am Anfang der Schlägerei aufgenommen hatte, und ging damit auf ihn los. Ein weiterer Wächter kam dazu und wollte mit dem Säbel auf den Irokesen losgehen, doch dieser hatte den Holzbalken bereits fest im Griff, sodass der Säbel im Holz stecken blieb. Ataron versetzte den Balken ein bisschen in Bewegung, sodass der Säbel freikam, aber dann schlug der Nachtelfirokese den beiden Wächtern den Balken vor die Brust und warf diesen einem dritten Wachmann ins Gesicht. Als er sich die ersten beiden Gardisten schnappte, bemerkte Ataron, dass einer der beiden eine Frau war. „Komm her! Ab mit euch, gemischtes Doppel!“, sagte der Irokese ehe er den Mann und die Frau durch ein hölzernes Ziergestell beförderte. Der nächste Soldat bekam einen Schlag ins Gesicht und sein Kamerad einen Schlag auf den Kopf. Zwei andere Gardisten hatten ihre Dolche gezückt und gingen auf Ataron los. Doch der Irokese packte die beiden an den Handgelenken, verdrehte sie und beförderte die beiden Soldaten mit einem „Hinab mit euch!“ zu Boden.

Doch am Ende standen alle sieben wieder auf und umzingelten Ataron mit gezückten Säbeln. Dieser nahm ein Holztischchen, das auf dem Boden lag und hielt es zur Verteidigung vor sich. Er beobachtete seine Gegner und wartete auf den richtigen Zeitpunkt. Als die Wächter die Säbel zum tödlichen Schlag hoben hielt der Irokese das Tischchen so, dass die Platte nach oben zeigte. „Komm Her!“, sagte Ataron und duckte sich dabei. Dann riss er das Tischchen hoch, sodass die Wächter aus dem Gleichgewicht gebracht wurden und schlug ihnen Das Möbelstück der Reihe nach ins Gesicht. Danach stand keiner mehr.

Ataron wollte Shina Fay und den anderen folgen, 101

als zehn weitere Wächter auftauchten und ihre Dolche zückten. Diese sprangen dann von der umlaufenden Brüstung im ersten Stock in den Innenhof und kreisten den Irokesen mit gezogenen Waffen immer weiter ein. Ein Brunnen schien sich als Sackgasse zu erweisen, doch Ataron ließ sich hineinfallen. Die neuen Wächter sprangen hinterher und sollten es bitter bereuen. Einer nach dem anderen kam zusammengeschlagen wieder herausgeflogen.

Später am Abend traf Ataron, dann die kleine Gruppe am alten Grenzturm wieder. Shina Fay hatte nun endlich die Gelegenheit, Ilva mal genauer in Augenschein zu nehmen. Lestrades Tochter hatte braune Augen, ein leicht ovales Gesicht und eine bleiche Haut. Die dunkelbraunen Haare reichten bis zu ihren kleinen Brüsten. Ilva war einem roten Kleid bekleidet und trug keine Schuhe und auch sonst nichts unter dem Kleid. Sie zog es vor, barfuß zu gehen. Ihre Lippen waren sinnlich und verführten jeden Mann dazu, Lestrades Tochter zu küssen. So verführerisch Ilva auch war, so gefährlich war sie auch. Denn ehe ein Unvorsichtiger es sich versah, hatte das Vampirmädchen ihn auch schon gebissen.

„Wie geht es jetzt weiter?“, fragte Ataron. „Ich weiß es nicht. Außerdem kann ich nicht einfach über Ilvas Kopf hinweg eine Entscheidung treffen.“ „Würde es dir was ausmachen, wenn ich bei dir bleibe? Wer weiß, vielleicht brauchst du meinen Rat schneller als dir lieb ist.“ Shina Fay musste sich eingestehen, dass Ilva gar nicht so unrecht hatte.

Die kleine Gruppe kehrte erst nach 5 Tagen in das Dorf zurück. Es ging nicht anders, da Ilva tagsüber ruhen musste und das Sonnenlicht für sie eine Gefahr darstellte. So blieb nur die Möglichkeit nachts weiter zu reisen. Die Rückkehr Shina Fays in ihr Dorf wurde mit dem üblichen Begrüßungsfest gefeiert. Da die junge Elfe ihre neue Freundin jedoch unbedingt dabei haben wollte, entschieden sich die Dorfbewohner erst nach Einbruch der Dunkelheit mit dem Fest anzufangen. Es war später am Abend, und Shina Fay saß unter der heiligen Dorfeiche, unter der sie vor 48 Jahren geboren worden war. Ilva kam zu ihr. „Darf ich mich zu dir setzen und dir ein wenig Gesellschaft leisten?“, fragte sie. „Warum nicht? Es ist schon eine Weile her, dass zuletzt hier gewesen bin. 43 Jahre ist das her.“ „Hast du einen besonderen Bezug zu diesem Baum?“ „Unter dieser Eiche wurde ich geboren, Ilva. Shina Fay bedeutet „Prinzessin der Eiche.“ „Ich wollte mich bei dir bedanken Shina Fay. Dafür, dass du mich aus Oonaghs Klauen befreit hast. Dank dir habe ich die Möglichkeit, meinen Vater wiederzusehen.“ „Ich habe es deinem Vater versprochen. Und ich stehe zu meinem Wort.“

Das Vampirmädchen hielt Shina Fay die Hand hin. „Ich wäre so gern deine Freundin, Shina Fay.“ „Das bist du längst, Ilva.“ 102

Schließlich umarmten sich Ilva und Shina Fay und besiegelten ihre Freundschaft. „Eines möchte ich dir noch sagen, Shina Fay.“ „Was?“ „Du hattest bei deinen Prüfungen bisher das Glück, dass Fortuna dir hold war. Doch das Glück kann sich bald gegen dich wenden.“ „Hör auf meine Tochter, Shina Fay.“ Die junge Elfe erkannte die Stimme sofort wieder und wusste, wem sie gehörte. „Du hättest dich vorher ankündigen sollen, Lestrade.“, sagte Shina Fay mit gespielter Entrüstung. „Das war mir leider nicht möglich.“ Shina Fay bemerkte einen zweiten Vampir, der links von Lestrade stand. Sein Haar war weiß und reichte bis zu den Schultern. Auffällig waren das markante Kinn, die braunen Augen und der Bart des Vampirs, der aus einem Schnurrbart und einem Kinnbart bestand. Er war genauso groß wie Ilvas Vater, jedoch anders bekleidet. Der fremde Vampir trug schwarze Stoffhosen, die im Gegensatz zu Lestrades Leinenhosen wesentlich robuster waren. Dazu kam ein weißes Seidenhemd mit Spitze. Als nächstes fielen der jungen Elfe die Stiefel des Vampirs ins Auge. Es waren keine Aristokratenstiefel, wie Lestrade sie trug, sondern schwere klobige Stiefel, die aus Rinderleder gefertigt worden waren. Genau wie Lestrade, trug auch der Fremde einen schwarzen Umhang. Jedoch war dieser auf der Innenseite mit roten und goldenen Verzierungen bestickt. Shina Fay bemerkte noch ein Paar spitzer Ohren, die denen der Elfen nicht unähnlich waren.

„Darf ich dir meinen alten Freund Randalejev vorstellen?“, fragte Lestrade. „Es ist mir eine Ehre, die Stammesführerin vom Clan des roten Habichts kennenzulernen.“, sagte Randalejev und gab Shina Fay einen Handkuss. „Die Freude ist ganz auf meiner Seite.“ „Ich würde vorschlagen, wir lassen Lestrade und Ilva alleine. Die beiden haben sich seit dem Tod von Ilvas Mutter nicht mehr gesehen.“ „Wie Ihr meint.“

Die beiden entfernten sich etwas bis sie außer Sicht- und Hörweite waren. „Ich will dir etwas sagen, Shina Fay. Du hattest in dieser Prüfung verdammt großen Dusel gehabt. Du hättest auch sterben können. Was aber nicht heißen soll, dass deine Entscheidung, die Walküre, die Schattenhexe und die Amazone zu befreien falsch war. Du hast dir das Wohlwollen ihrer Völker gesichert. Speziell die Walküren, werden dich nie im Stich lassen.“ 103

08. Prüfung - Castor der Eistroll

08. Pruefung – Castor der Eistroll
 

Eteria im Jahr des Koalabären
 

Der Winter hatte in Eteria Einzug gehalten. Das Dorf in dem Shina Fay lebte, war gänzlich eingeschneit. Doch die Dorfbewohner waren solche harten Winter gewohnt. Hunger musste trotzdem niemand leiden. Denn Shina Fay hatte auf Maras Rat hin ein Räucherhaus und einen Nahrungsspeicher bauen lassen um die Jagdbeute, seien es jetzt Fische oder Wildtiere lange haltbar zu machen. Fasten jeden Tag war sie entweder mit Raya, Kaitlyn und Jenna unterwegs. Mal waren die vier am Lotosblütensee, mal in der Savanne, die sie vor zwei Jahren entdeckt hatten. Ein anderes Mal waren die Freundinnen an den Nyoto-Fällen gewesen und hatten im Bach unterhalb der Fälle Fische gefangen. Dabei hatte Shina Fay von Jenna das Speerfischen gelernt.
 

Doch der Winter war auch eine Zeit voller Grauen, bedeutete er doch die unprovozierten und meist brutalen Angriffe der Eistrolle. Die Trolle lebten als Clans in den Bergen und zogen sich im Sommer meistens in die unterirdischen Höhlen zurück, da sie die Hitze nicht vertrugen. Doch im Winter kamen sie aus ihren unterirdischen Behausungen und stahlen alles essbare, was nicht niet - und nagelfest war. Shina Fays Dorf hatte zwar nicht mit solchen Problemen zu kämpfen, wohl aber die Bewohner der Ländereien über die Aradil, die Cousine der jungen Elfe gebot. Und so geschah es, dass Aradil Shina Fay eines Tages ihre Aufwartung machen musste.
 

„Ich brauche deine Hilfe, Shina Fay.“, sagte sie nach einer innigen Begrüßung. Die beiden Cousinen hatten sich seit Shina Fays Kampf gegen Nekane, der schon 19 Jahre zurücklag nicht mehr gesehen. „Was kann ich für dich tun, Aradil?“ „Die Eistrolle sind wieder da. Sie stehlen die Vorräte meiner Untertanen. Es ist furchtbar. Erst letzte Woche gab es in einem der Dörfer einen Todesfall. Eine Sippe hat eines ihrer Kinder verloren, weil es nichts mehr zu Essen gab. Das arme Mädchen ist vor Hunger und Kälte gestorben. Ich war dabei, als es starb. Ich habe es noch in meinen Armen gehalten, konnte aber nichts mehr tun.“ „Wie heißt der Anführer des Trollclans?“, fragte Shina Fay Aradil. „Es ist Castor.“ „Ich lasse dich nicht im Stich Cousinchen.“ „Danke, Shina Fay. Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann.“
 

Bevor die Herrin von Edendale die Wälder von Aboleni verließ, gab ihr Shina Fay noch ein paar Vorräte mit. „Gib sie deinen Untertanen. Und bestell ihnen ganz liebe Grüße von mir.“, sagte sie. „Die Leute werden dir ewig dankbar sein, Shina Fay.“ „Wenn wieder was passiert, lass es mich wissen, Aradil.“ „Ganz bestimmt.“ Nachdem Shina Fays Cousine aufgebrochen war, kam Ayla in das Dorf geritten. Die Stammesführerin vom Clan des roten Habichts begrüßte Netanyas Schülerin herzlich. „Ich bringe Neuigkeiten aus Endor.“, sagte Ayla. „Was hast du zu berichten?“ „Netanya war heute im Tempel des Orakels um es zu befragen, was deine Zukunft angeht.“ „Und was hat das Orakel gesagt?“ „Es hat Netanya geantwortet, dass deine achte Prüfung bevorsteht. Du sollst Castor, den Eistroll vernichten.“ „Das trifft sich gut. Denn so schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe. Weißt du, Castor und sein Clan 104

machen meiner Cousine Aradil das Leben schwer.“ „Verstehe. Aber das Orakel hat auch gesagt, dass du dieses Mal keine Zeit für irgendwelche Rettungsaktionen hast. Du musst noch heute aufbrechen und dich nach Edendale begeben.“ „Ich bin schon so gut wie fertig.“, sagte Shina Fay. „Sehr gut. Ich nehme an, dass deine Freundinnen dich begleiten werden.“ „Ja. Bis auf Ilva. Sie wird hier im Dorf bleiben.“ „Warum nimmst du sie nicht mit?“ „Weil wir dann nachts reisen müssten. Und das ist viel zu riskant. Außerdem ist dies ihr eigener Wunsch.“
 

Nachdem sich Shina Fay von Ilva verabschiedet hatte, brach sie zusammen mit dem Rest ihrer Clique auf. Tarzon und Shira stürmten wie immer vorne weg. Dahinter kamen die anderen. Mara hatte sich im Sommer bei einem der Jagdausflüge mit Shina Fay eines der vielen Wildpferde, einen Mustang, eingefangen. Sie hatte ihm den Namen Blizzard gegeben, weil das Tier ein Hengst war. Blizzard war ein Rappe und deshalb ganz schwarz. Auch Arteya hatte bei einem fahrenden Händler ein Reittier in Gestalt eines Araber-Rappen-Hengstes erstanden. Dieses Tier hatte sie Stormcloud genannt.
 

Die Freundinnen ritten bis die Dunkelheit anbrach, ehe sie auf einer Lichtung in einem Kiefernwald ihr Lager aufschlugen. Weit waren sie nicht gekommen, denn sie konnten das Dorf noch am Horizont erkennen. „Wenn das so bleibt, kommen wir morgen auch nicht viel weiter als heute.“, sagte Tyra. „Es ist Winter. Da wird es nun mal früher dunkel.“ Um sicher zu gehen, dass die Nacht ruhig verlief, hatte Kaitlyn ihre magischen Kräfte dazu eingesetzt, um einen magischen Schutzwall um das Lager zu ziehen. Am nächsten Morgen setzte die kleine Gruppe ihre Reise nach Edendale fort. Tarzon und Shira hatten wieder die Führung übernommen. Blizzard und Stormcloud folgten dahinter, doch beide waren etwas langsamer, hatten sie doch ein Gestell zu ziehen, auf dem man Desdemona gebettet hatte, für die der kalte Boden Gift war.
 

Als es Mittag war hatte die Gruppe wieder einen Wald erreicht. Shina Fay entschied, eine Pause einzulegen. Die Freundinnen waren gerade am Essen, als sie durch ein lautes Krachen aufgeschreckt wurden. „Was war das?“, fragte Jenna. „Keine Ahnung. Aber ich werde es mir mal näher ansehen. Wer von euch hält hier Wache?“ Arteya und Desdemona meldeten sich. Der Rest eilte in die Richtung aus der das Geräusch gekommen war. Am Ort des Geschehens erwartete Shina Fay und ihre Gefährtinnen ein entsetzlicher Anblick. Ein Wesen, halb Pferd halb Menschenfrau befand sich in Lebensgefahr, da sie in ein Moorloch geraten war. „Eine von uns muss da rein.“, sagte Raya. „Ich übernehme das.“ „Draufgängerisch wie immer.“ „Bindet mir ein Seil um die Hüfte und befestigt es an dieser Sumpfeiche. Danach befestigt ihr das zweite Seil von Tyra an der Eiche und werft es dieser Unglückseligen zu.“
 

Gesagt, getan. Shina Fays Freundinnen befestigten die beiden Seile am Stamm einer massiven Sumpfeiche. Das erste warfen sie dem Wesen zu, das sofort danach griff. Das zweite banden sie Shina Fay um die Hüfte und diese ging auf das völlig verängstigte Geschöpf zu. Als der feste Boden unter ihren Füßen in Morast überging sackten der jungen Elfe die Füße weg und sie sank bis zu den Hüften in das Sumpfloch. Doch irgendwie schaffte sie es, ein drittes Seil um den Bauch des 105

Wesens zu schlingen und festzuzurren. Das Ende warf sie ihren Freundinnen zu. „Okay! Und jetzt zieht!“ Gemeinsam schafften sie es, die Kreatur aus dem Sumpfloch zu ziehen. „Was hat Ayla gesagt, bevor du aufgebrochen bist? Du hast keine Zeit für leichtsinnige Rettungsaktionen.“ „Ja ich weiß. Aber wie hätte ich sie dem sicheren Tod überlassen können?“ „Wieso sie, Shina Fay?“, fragte Mara. „Sieh dir das Gesicht an, und du weißt es.“ Mara nahm das Wesen genauer in Augenschein. Der Unterleib war der eines Pferdes und goldbraun, wo der Morast sich nicht abgelagert hatte. Dort wo der Pferdekörper in den Menschenkörper überging konnte die Schattenhexe einen schlanken Oberkörper mit üppigen Brüsten erkennen. Das Frauengesicht war oval geschnitten. Braune Augen, in denen Dankbarkeit und Güte zu erkennen war, blickten in die Runde. Lange, blonde Haare, die bis zu den Hüften des Menschenkörpers reichten, wehten im Wind.
 

„Wer bist du?“, fragte Shina Fay gerade heraus. „Ich bin Biljana. Die Tochter der Königin der Kentauren.“ Erst jetzt bemerkte Shina Fay den goldenen Reif, den die Kentaurin an ihrer Stirn trug. Ebenso die bunten Flechtarbeiten im Haar, die mit den kostbarsten Edelsteinen verziert waren. Auch den goldenen Armreif mit dem Herrschersymbol, das in Form einer übergroßen Fliege gehalten war, konnte Shina Fay unmöglich übersehen. „Du hast mir das Leben gerettet, Shina Fay. Dafür gebührt dir der Dank des Kentaurenvolkes. Ich werde mich jetzt auf den Weg nach Sedenia, meiner Heimat machen und meiner Mutter von unserer Begegnung berichten.“ „Willst du dich nicht noch etwas stärken und ausruhen, bevor du deine Reise fortsetzt? Du könntest etwas Ruhe gebrauchen.“
 

Die Kentaurin musste sich eingestehen, dass Raya recht hatte. Denn der Kampf im Moorloch hatte an ihren Kräften gezehrt. Im Lager bekam Biljana erst einmal etwas Kaninchenfleisch und dazu einen Tee, der aus den Kräutern der Umgebung gebraut worden war. Und nach dem Essen deckte Shina Fay die Kentaurenprinzessin mit Fellen zu. Raya kam zu ihr, als sich Shina Fay für ein paar Augenblicke zurückgezogen hatte. „Es hat keinen Sinn noch einmal aufzubrechen, die Sonne geht bereits unter.“ „Ja ich weiß. Ein Bote von Aradil kam heute morgen zu mir, bevor wir aufgebrochen sind.“ „Und was lässt dir deine Cousine ausrichten?“ „Das es noch keine Trollangriffe gegeben hat. Wir haben also noch etwas Zeit.“ „Das kann sich aber sehr schnell ändern. Das weißt du genau so gut wie ich, Shina Fay.“
 

Am nächsten Morgen war Shina Fay als erste wach. Kurz darauf erwachte Biljana. „Ich muss dich jetzt verlassen, Shina Fay. Ich danke dir noch einmal für deine Gastfreundschaft und deine Hilfe. Ich wünsche dir noch viel Glück bei deiner Aufgabe. Nimm diesen magischen Stirnreif als Zeichen unserer Freundschaft. Er soll dich und deine Gefährtinnen in Augenblicken der Gefahr schützen. So leb denn wohl, bis wir uns im Frühling wieder sehen.“ Mit diesen Worten ließ die Kentaurin Shina Fay zurück, die in ihren Händen den Stirnreif hielt, den Biljana ihr geschenkt hatte. Die junge Elfe sah ihn sich genauer an. In der Mitte prangte ein Diamant, so groß wie Shina Fays Daumen in Form eines Tropfens oder einer Träne. Links und rechts war der Reif zu einem Teil geflochten, ehe zwei elliptische Verzierungen die vordere Seite des Reifes abschlossen. Danach verlief der Reif als schmaler, metallener 106

Streifen weiter, bis er einen Kreis bildete. Shina Fay drehte den Stirnreif eine Weile in ihren Händen, ehe sie ihn aufsetzte.
 

Zurück im Lager wurde Shina Fay von ihren Gefährtinnen erwartet. „Wo ist Biljana?“, fragte Mara. „Sie ist in ihre Heimat zurückgekehrt um ihrer Mutter, der Königin der Kentauren von unserer Begegnung zu berichten. Und so wie es scheint, ist zumindest Biljana mir wohlgesonnen, denn sonst hätte sie mir nicht diesen Stirnreif geschenkt, der uns alle in Gefahrensituationen schützen soll.“ Erst jetzt bemerkten die anderen den Reif an Shina Fays Kopf. „Ein wahrhaft edles Geschenk.“ „Im Frühling kehrt Biljana nach Eteria zurück, um mir von der Entscheidung ihrer Mutter zu berichten.“ „Ich denke, du hast die Kentauren auf deiner Seite. Immerhin hast du ihre Thronfolgerin vor dem Tod bewahrt. Die Kentauren vergessen so etwas nicht.“
 

Nach dem Frühstück brachen die Freundinnen wieder auf, denn sie wollten noch vor Einbruch der Dunkelheit zumindest mal den Rand von Edendale Forrest erreicht haben. An einem Bach machten sie kurz Rast und füllten ihre Wasservorräte auf. Danach ging es bis zum Mittag weiter, bevor die Gefährtinnen einen alten Bauernhof erreichten, der schon halb verfallen war. Shina Fay und Mara sahen sich um. In den Ställen entdeckte die Schattenhexe eine einzige Kuh, die zwar noch körperlich gut beisammen war, aber seelisch total am Ende. Mara zog einen Dolch aus ihrem Stiefel und erlöste das Tier von seinen Qualen. Anschließend brieten die Fleischstücke über dem Feuer, das Arteya entzündet hatte. „War die Kuh das einzige Tier, das hier auf dem Bauernhof noch gelebt hat?“ „Ja. Die anderen Tiere waren verendet. Das Tier wäre so oder so zugrunde gegangen. Es war wirklich eine Erlösung für diese Kuh.“, sagte Mara. „Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen. Du hast getan, was deiner Meinung nach das Richtige war. Außerdem haben wir dadurch frische Vorräte.“
 

Die Sonne ging gerade am Horizont unter und färbte den Himmel blutrot, als Shina Fay und ihre Freundinnen Edendale Forrest erreichten. Aradil, Shina Fays Cousine erwartete sie bereits. Nach einer innigen Begrüßung sagte sie: „Ein Glück, dass ihr da seid. Heute Morgen wurden die ersten Späher der Eistrolle gesichtet. Es wird also bald losgehen.“ Als die Dunkelheit hereingebrochen war, erreichte die kleine Gruppe Edendale Castle. Doch die Ankunft war nicht unbemerkt geblieben. Ein Späher Castors hatte die Ankunft von Aradils Cousine beobachtet. Heimlich still und leise machte er sich auf den Weg zurück in Castors Quartier um seinem Herren Bericht zu erstatten.
 

In Byrnak, der Hauptstadt Sedenias, dem Reich der Kentauren, war auch Biljana, die Tochter von Königin Athene eingetroffen und hatte sofort ihre Mutter aufgesucht. „Ich habe gehört was die passiert ist. Und ich weiß auch, wem du dein Leben verdankst.“, sagte die Königin. „Was wirst du jetzt tun Mutter?“ „Wir werden unseren Verwandten, den Zentauren in den Rücken fallen und uns mit den Elfen Eterias verbünden. Denn wir stehen in ihrer Schuld.“
 

Nach dem sich die Königstochter zurückgezogen hatte erschien ein Bote der Zentauren bei der Königin. „Eure Hoheit, das Volk der Zentauren, hat sich auf die Seite der Dunkelelfen geschlagen. Mein König Hector, lässt euch durch 107

mich ausrichten, dass Ihr nicht vergessen sollt, wem Ihr verpflichtet seid.“ „Ich kenne meine Verpflichtungen. Aber in diesem Fall bin ich an unsere Gesetze gebunden.“ „Wie darf ich das verstehen, meine Königin?“ „Die Kentauren werden an der Seite der Elfen Eterias kämpfen. Shina Fay, die Stammesführerin vom Clan des roten Habichts hat meiner Tochter Biljana das Leben gerettet. Das Gesetz besagt, dass wir Shina Fay unsere Loyalität schulden.“ „Das ist Verrat! Wir Zentauren sind eure nächsten Verwandten. Blut ist dicker als Wasser. Eure Loyalität gehört den Zentauren und niemandem sonst!“ „Ich werde unsere Gesetze nicht missachten. Damit ist gesagt, was zu sagen ist. Kehrt zu eurem König zurück und richtet ihm aus, dass er nicht auf die Hilfe der Kentauren hoffen kann.“
 

In Eteria hatte Castors Späher seinen Herrn aufgesucht. „Was gibt es?“ „Dieses Jahr werden wir bei den Überfällen Probleme haben. Lady Aradil hat Verstärkung bekommen.“ „Verstärkung? Wer wäre dumm genug, Aradil von Edendale zu unterstützen?“ „Es gibt nur eine Elfe in ganz Eteria, die genug Cojones besitzt, euch in die Suppe zu spucken, Herr.“ „Wer ist es?“ „Es ist Shina Fay, die Stammesführerin vom Clan des roten Habichts. Wie ich in Erfahrung bringen konnte, ist sie Lady Aradils Cousine.“ „Zugegeben, das erschwert die Sache natürlich. Aber will nicht mehr Castor heißen, wenn ich nicht auch für diese unerwartete Überraschung eine Antwort wüsste.“, sagte Castor. „Es gibt offenbar noch eine weitere Wendung. So wie es aussieht, werden sich die Kentauren gegen ihre Verwandten die Zentauren stellen und auf Shina Fays Seite kämpfen.“ „Das kümmert mich wenig. Meine Loyalität gilt nur meinem Clan. Weder Königin Ignissa, noch Königin Azura oder Königin Larissa. Auch nicht Shina Fay.“
 

In Edendale Castle hatten sich die Freundinnen und die Herrin des Hauses zu einem leichten Abendessen im Speisesaal eingefunden. „Du hast aber lange gebraucht. Sonst bist du viel schneller.“, sagte Aradil. „Es ging nicht schneller. Vergiss nicht, dass Desdemona eine Naga-Königin ist. Und für sie ist der kalte Boden Gift. Wir mussten sie auf einem Gestell transportieren. Und dann war da noch Biljana.“ „Wer ist Biljana?“ „Sie ist Königin Athenes Tochter.“ „Athene? Die Königin der Kentauren?“ „Eben jene. Ich habe ihr das Leben gerettet.“ „Dann stehen die Kentauren auf deiner Seite. Den Zentauren wird das gar nicht schmecken. Du weißt, dass Zentauren und Kentauren miteinander verwandt sind?“ Shina Fay sah ihre Cousine überrascht an. „Wie jetzt?“, fragte sie. „Du hast mich verstanden, Shina Fay. Die Kentauren sind die direkten Verwandten der Zentauren. Sie entstammen derselben Linie. Allerdings legen sie großen Wert auf die Einhaltung ihrer Gesetze. Die Zentauren nehmen es da nicht so genau. Du hast Prinzessin Biljana das Leben gerettet. Jetzt ist es an Königin Athene ihre Schuld bei dir zu begleichen. Das heißt im Umkehrschluss, dass sie König Hector, den Herrscher der Zentauren verraten muss.“
 

In Olbia, der Hauptstadt Maduros, des Zentaurenreiches, überbrachte der Bote Hector, dem König der Zentauren die Antwort von Königin Athene, der Herrscherin der Kentauren. „Mylord, ich komme gerade aus Sedenia, der Heimat der Kentauren.“ „Was sagt meine Cousine Pieter?“ „Sie wird nicht an eurer Seite kämpfen. Die Kentauren werden sich den Elfen Eterias anschließen.“ 108

„Das glaub ich jetzt nicht. Meine eigene Cousine verrät mich?“ „Ich habe versucht sie umzustimmen, mein König. Aber Königin Athene ist stur. Sie hält sich an den Gesetzeskodex der Kentauren. Und dieser besagt, dass wenn ein Kentaure unerwartet Hilfe erhält, er seinem Helfer seine Loyalität schuldig ist. Shina Fay, die Stammesführerin vom Clan des roten Habichts, hat Prinzessin Biljana das Leben gerettet. Damit stehen die Kentauren zumindest in Shina Fays Schuld.“ „Shina Fay sagst du Pieter?“ „Ja mein Lehnsherr, so lautet der Name.“ „Dumme, kleine Shina Fay. Du verstehst nichts von staatsmännischen Dingen. Überlass das lieber den Profis.“, sagte König Hector zu sich selbst.
 

In Eteria hatten die Bewohner in den Dörfern von Edendale begonnen, diese mit Palisaden zu umzäunen, um so einen Angriff für die Eistrolle zu erschweren. Es war Shina Fays Idee gewesen, die Palisaden zu errichten. Außerdem hatte sie angeregt, Bogenschützen auf begehbaren Brüstungen innerhalb der Palisaden zu postieren, damit diese die Eistrolle mit einem Pfeilhagel unter Beschuss nehmen konnten. Königin Ignissa hatte für jedes Dorf eine Kompanie Bogenschützen abgestellt. In Castors Hauptquartier sorgte diese Entwicklung für ein heilloses Chaos. Der Clanführer hatte Schwierigkeiten, seine Krieger und Offiziere zur Ordnung zu rufen. Als er merkte, dass alle seine Versuche Ordnung zu schaffen nicht fruchteten, schlug Castor vor Wut mit der Faust auf seinen Tisch. Schlagartig wurde es still im Raum. „SEID IHR NOCH GANZ DICHT, IHR HOHLKÖPFE? NUR WEIL DIE BEWOHNER DER DÖRFER IN EDENDALE PALISADEN BAUEN UND SCHUTZMAßNAHMEN ERGREIFEN, MÜSST IHR EUCH BENEHMEN WIE EINE HORDE WILD GEWORDERNER PAVIANE?“, brüllte er in die Runde. „Vergebung Herr. Aber es sind nicht die Palisaden, die uns beunruhigen.“ „Was ist es dann?“ „Es sind die königlichen Bogenschützen Herr. Königin Ignissa hat pro Dorf eine Kompanie abgestellt.“
 

Castor sah finster drein. Dann fragte er: „Aus wie vielen Soldaten besteht eine Kompanie?“ „500 bis 600 Mann.“ „Wie viele Dörfer gehören zur Grafschaft Edendale?“ „Acht Herr.“ „Das wären zwischen 4.000 und 4.800 Bogenschützen.“, sagte einer von Castors Generälen. „Ich kann auch rechnen, stell dir vor. Nun gut. Wie stark ist unsere Troll-Armee?“ „Insgesamt 3.900 Mann. 2.400 für die Dörfer und 1.500 als Reserve.“ „Das reicht nie und nimmer. Die Bogen der königlichen Bogenschützen haben extrem große Reichweiten. Das bedeutet, dass unsere Krieger es unter Umständen gar nicht bis über die Palisaden schaffen.“ „Wir müssen es trotzdem versuchen. Soll unser Volk hungern?“ Die Generäle mussten sich eingestehen, dass ihr Oberbefehlshaber Recht hatte.
 

Nach Einbruch der Dunkelheit sammelten sich die Legionen der Troll-Armee für ihren Angriff. „Meine Krieger! Unser Feind hat um seine Dörfer Palisaden gezogen, auf denen eine ganze Kompanie königlicher Bogenschützen postiert. Der Feind ist uns zahlenmäßig überlegen, aber wir können es schaffen, ihn zu überraschen.“ Ein zustimmendes Gebrüll ertönte aus der Menge. „So geht denn meine Krieger und macht unserem Clan alle Ehre!“ Die Eistrolle stürmten los und schon bald ergoss sich eine Flut von Trollen über die Berghänge ins Tal und auf die Dörfer zu. Die Bewohner wussten, dass sie sich auf die Bogenschützen verlassen konnten. 109

Bis auf ein kleines Dorf, dass zu abgelegen war, so dass es in den Chroniken von Edendale keine Erwähnung fand, waren alle Dörfer gesichert. Nur dieses eine Dorf hatte keine Palisaden und auch keine Bogenschützen bekommen. Die Bewohner des Dorfes waren überwiegend alte Leute.
 

Dieses Dorf wurde auch als erstes überfallen und niedergebrannt. Die Trolle töteten die Bewohner und raubten die Vorräte. Nur ein kleines Mädchen hatten sie nicht beachtet. Dieses floh in den Schutz der Wälder und wandte sich dann in Richtung Edendale Castle. Doch die wilden Tiere in den Wäldern waren im Winter auch sehr aktiv. Und so geschah es, dass sich ein Rudel Wölfe an die Fersen des Mädchens heftete.
 

Das Mädchen hatte den Waldrand beinahe erreicht, als der Leitwolf plötzlich vor ihr auftauchte und ihm den Weg versperrte. Auch links und rechts tauchten weitere Wölfe auf und hinderten sie an der Flucht. Vor lauter Angst war das Mädchen nicht in der Lage sich zu bewegen. Doch lange musste die einzige Überlebende des Massakers der Eistrolle nicht auf Rettung warten. Denn mit einem riesigen Satz sprang Tarzon in die Mitte des Wolfsrudels und packte sich den Leitwolf, den er mit einem gezielten Biss in die Halsschlagader ausschaltete. Einen anderen Wolf packte der Säbelzahntiger am Genick und schleuderte ihn durch die Luft. Die restlichen Wölfe ergriffen panisch die Flucht. Denn sie hatten erkannt, dass sie es mit Tarzon nicht aufnehmen konnten.
 

Shina Fay stieg von Tarzons Rücken und ging auf das kleine Mädchen zu. „Was machst du alleine im Wald? Weißt du nicht, dass jederzeit Gefahren auf dich lauern können? Wäre ich nicht in der Nähe gewesen, wärst du ein fetter Happen für die Wölfe gewesen.“ „Ich weiß. Meine Großmutter hat mich immer davor gewarnt in den Wald zu gehen. Aber ich hatte keine Wahl. Die Eistrolle haben unser Dorf überfallen und alle getötet. Ich bin nur am Leben, weil mich die Trolle übersehen haben.“ „Ich habe das Feuer gesehen. Komm mit mir. Ich werde dich erst mal zu meiner Cousine bringen. Dann kannst du uns allen berichten, was sich zugetragen hat.“
 

Auf Schloss Edendale angekommen brachte Shina Fay das kleine Mädchen schnell in den großen Saal, damit es sich aufwärmen konnte. Nachdem der Koch es mit warmen Wildschweinbraten, Rotkraut und Klößen versorgt und das Mädchen sich gestärkt hatte, berichtete die Überlebende Elfe über den brutalen Überfall von Castors Stoßtrupp. Nach dem das Elfenmädchen seinen Bericht beendet hatte, sagte Shina Fay: „Also gut, dann werden wir den Eistrollen bei ihrem nächsten Besuch eins vor den Koffer ballern, dass ihnen Hören und sehen vergeht. Allerdings wäre noch eine Frage zu klären.“ „Welche?“ „Wo das Mädchen unterkommt. Wenn wir sie wieder raus in die Wälder schicken, wird sie nicht lange überleben.“ Aradil richtete das Wort an das Mädchen. „Amy, möchtest du bei mir bleiben?“ Amy nickte stumm.
 

Die Dunkelheit war hereingebrochen und Shina Fay war nach draußen an die frische Luft gegangen. Da es kalt war, hatte sich Aradils Cousine entschieden, sich einen warmen Mantel über zu ziehen. Aus den Augenwinkeln konnte die junge Elfe 110

eine Bewegung wahrnehmen. So war sie auch nicht sonderlich überrascht, als Lestrade neben sie trat. „Guten Abend Lestrade.“, begrüßte die Elfe den Vampir. „Hallo Shina Fay. Warum bist du soweit weg von zu Hause?“ „Meine Cousine braucht meine Hilfe. Die Eistrolle machen ihr wie jeden Winter das Leben schwer. Sie überfallen die Dörfer und rauben die Vorräte und töten die Bewohner. Deshalb ist Edendale auch nicht die ertragreichste Grafschaft in Eteria.“ „Und was ist mit den anderen Provinzen? Haben die keine Probleme?“, wollte Lestrade wissen. „Nicht alle. Nur die, die in der Nähe von Gebirgszügen liegen, in denen ein Eistroll-Clan sein Zuhause hat.“ „Und welcher Clan der Eistrolle lebt hier?“ „Es ist Castors Clan.“ „Du sollst ihn töten. Habe ich Recht, Shina Fay?“ „Ja. Erst vor kurzem hat ein Trupp ein Dorf überfallen, das nicht gesichert war. Es war zu klein und zu abgelegen um in den Genuss königlichen Schutzes zu kommen. Die anderen Dörfer sind größer und liegen viel näher an Aradils Schloss.“
 

In Castors Versteck war inzwischen der Kommandotrupp eingetroffen. „Ist ja nicht viel, was ihr erbeuten konntet. Aber besser als gar nichts. Habt ihr unterwegs die anderen gesehen?“ „Nein Herr.“ Schließlich kehrten auch die anderen Trupps zurück. „Was habt ihr zu berichten?“ „Es wird schwierig werden, die Dörfer zu plündern. Die Palisaden sind mindestens 7 Ellen hoch. Darüber kommen wir nur mit Leitern. Und die aufzustellen wird nicht leicht. Wir müssen auf die Bogenschützen aufpassen, denn die können von den Palisaden aus unsere Reihen lichten.“ „Ich weiß. Gibt es sonst noch etwas, das ich wissen sollte?“ „Ja Herr. Wir haben herausgefunden, dass ein Vampir in der Gegend weilt. Sein Name ist Lestrade. Offenbar ist er ein Freund von Shina Fay.“ „Wenn das stimmt, dann könnte er eine Gefahr für uns darstellen.“, sagte Castor.
 

In der darauf folgenden Nacht schickte Castor seine Legionen los, um die Dörfer anzugreifen. Das diese Aktion einem Himmelfahrtskommando gleichkam, wusste der Clanchef, denn seine Generäle hatten es ihm oft genug unter die Nase gerieben. Die Heerführer marschierten mit ihren Soldaten los und teilten sich am Fuß des Gebirgszugs. Als die Trolle ihre Angriffsziele erreicht hatten, bildeten sie ein Dreieck. Ganz vorne an der Spitze stand der jeweilige Oberbefehlshaber. Die Generäle hoben ein Schwert und richteten dessen Spitze auf die Eingänge zu den Dörfern. „ZUM ANGRIFF!!!!!!“ Auf dieses Kommando stürmten die Krieger auf die Dörfer zu. Doch Ignissas Bogenschützen standen schon bereit um den Angriff abzuwehren. Als Castors Krieger in Reichweite waren, schossen die Bogenschützen ihr Bögen ab und ein Pfeilhagel regnete auf die Eistrolle herab. Viele Kämpfer starben dabei und die anderen mussten sich zurückziehen.
 

Lestrade war es, der den Rückzug der restlichen Troll-Kämpfer verfolgt hatte und sich an die Trolle geheftet hatte. So fand er Castors Schlupfwinkel. In der darauf folgenden Nacht erstattete der Vampir Shina Fay Bericht. „Die Höhle ist gut versteckt. Von einem Vorsprung etwas oberhalb einer Schlucht hat man einen guten Blick darauf. Eine Brücke verbindet die Höhle mit der Ebene.“, sagte Lestrade. „Ist die Brücke bewacht?“ „Na aber so was von glaub mir. Vor dem Eingang zur Höhle stehen zwei Wachen und noch einmal zwei Wächter am Anfang der Brücke.“ „Wird ein Kinderspiel.“, sagte Shina Fay. „Stell dir das nicht so leicht vor, Shina Fay.“ „Und warum?“, wollte die junge Elfe wissen. „Denk doch mal nach. Wenn du die 111

Wachen am Brückenkopf zur Ebene ausschaltest, kannst du wetten, dass die beiden anderen Alarm schlagen. Und dann wird Castor sich tief in seine Höhle zurückziehen, wo er dir gegenüber im Vorteil ist, weil er und seine verbliebenen Krieger jeden Winkel dort kennen.“
 

Shina Fay hatte eine Idee, wie sie dieses Problem lösen konnte. Li An Kai, das Purpurdrachenweibchen konnte helfen. Doch Li An Kai war gerade beschäftigt. Sie hatte vor kurzem Nachwuchs bekommen und saß nun den ganzen Tag auf dem Nest und brütete das Ei aus. Ihr Lebensgefährte, Shen, der gefürchtete schwarze Drache, bot Shina Fay seine Hilfe an. Und so kam es, dass die junge Elfe die Bekanntschaft des Schicksalsdrachen machte. Schweigend hörte sich Shen an, was Shina Fay zu erzählen hatte. Dann nickte er. „Die beiden Wachen am Höhleneingang werde ich heute Nacht ausschalten. Da ich schwarz bin, werden die Wächter mich erst bemerken, wenn es bereits zu spät ist.“, sagte der Schicksalsdrache. „Dann viel Glück.“
 

Und Shen hielt sein Wort. Noch in derselben Nacht näherte er lautlos dem Eingang der Höhle und spie noch im Sturzflug einen breit gefächerten Feuerstrahl, der die beiden Wächter am Eingang zu Castors Versteck bei lebendigem Leib verbrannte. Am nächsten Tag im Morgengrauen hatte Shina Fay zusammen mit ihren Freundinnen die Brücke erreicht. Sie und Raya schalteten mit ihren Bögen die Wachen am Übergang der Brücke zur Ebene aus. Die Freundinnen überquerten die Brücke und betraten die Höhle. Mara, die Schattenhexe, entfachte mit Hilfe ihrer magischen Kräfte ein kleines Irrlicht, das vor der kleinen Gruppe herflog und ihnen den Weg wies.
 

Einer der vielen verwinkelten Gänge, die Shina Fay und ihre Freundinnen genommen hatte, endete in einem riesigen Raum, der von unzähligen Irrlichtern erhellt wurde. An den Wänden, die aus reinsten Eiskristallen bestanden, standen Castors verbliebene Krieger. Jeder der Trolle war nach menschlichen Größenverhältnissen 1,70 m groß. Doch Castor, der Clanchef, war 7 Ellen, also 2,10 m groß. Shina Fay fiel vor allem der dichte, weiße Pelz der Eistrolle auf. Bei Castor selbst fiel seine Kriegsbemalung im Gesicht auf. Die Zeichnung bestand aus einer weißen Grundfarbe, die etwas heller war, als der Pelz des Eistrolls. Von den Augen verliefen dünne, schwarze Linien, die am Mundwinkel in einem Halbkreis endeten. Ober- und Unterkiefer waren ebenfalls mit schwarzer Farbe bemalt worden und bildeten das Gebiss von Castor nach. Doch in Wahrheit verfügte der Clanführer in seinem Mund über drei Reihen messerscharfer Zähne. Die Konturen der Stirn waren ebenfalls mit schwarzen Strichen nachgezogen, ebenso wie Castors Augenbrauen. Aus den Schultern des Trolls ragten starke mit Gift versehene Dornen.
 

„Willkommen in meinem Reich, Shina Fay.“, sagte Castor. „Dein Reich wird untergehen, genau wie du und deine Krieger.“ „Das sehe ich anders. Ich weiß, dass du geprüft wirst, weil die Götter dich für nicht reif genug erachtet haben. Aber soll ich ehrlich sein? Es war ein Fehler deines Großvaters Etgo, dich zur Clanführerin zu ernennen, anstatt deinen Halbbruder Leto. Da die Götter Leto aber für unwürdig erachtet haben, kann es nicht angehen, dass du auch noch den Zauberbogen deines Vaters führst.“ „Heißt im Klartext?“ „Dass ich dich töten muss. Nur so kann 112

ich meine Macht aufrechterhalten. Die Macht des großen Castor.“ „So, jetzt hab ich mir den Schwachsinn ja wohl lange genug angehört. Kenn viele, die was im Kopf haben. Aber was du hier treibst, mit deiner lausigen Kriegsbemalung im Gesicht, übertrifft alles was ich kenne.“ „Wie meinst du das, Shina Fay?“ „Du hast zig Leute umlegen lassen durch deine ausgekotzten Spargel da. Und eins dieser seltenen Exemplare nehme ich auch mit in unser Dorf. Aber mit dir werde ich hier schon abrechnen, denn für dich wär ja schon die Luftfracht zu schade.“ „Du bist doch jetzt schon eine tote Frau, törichte Elfe.“
 

„Du stinkst ja geradezu vor Überheblichkeit, du Pappnase.“, sagte Shina Fay und zog ihre beiden Schwerter. „Du wirst schon sehr bald in deinem Grab liegen. Verlass dich drauf.“ „Erst mal musst du mich töten du taube Nuss.“ Castor wurde wütend. „Noch so eine Beleidigung Shina Fay und ich dreh dir die Gurgel um.“ „Du kannst mich gern haben Castor.“, sagte Shina Fay schnippisch. „Freu dich nicht zu früh, kleine Elfe. Oder hast du meine Krieger schon vergessen? Ehe du mir auch nur einen Kratzer beigebracht hast, haben sie dich in Stücke gerissen.“ „Mir scheint, dass DU nicht bedacht hast, dass meine Freundinnen mit mir gegangen sind. Und deine Kavallerie muss an ihnen erst mal vorbei.“
 

Castor sah sich zu seinen Kriegern um. Dann deutete er auf Shina Fay und ihre Freundinnen und sagte: „Schnappt euch das elende Gesindel!“ Genau darauf hatte die junge Elfe gewartet. Unauffällig gab sie Mara und Kaitlyn ein Zeichen. Die Dunkelelfe ließ einen Ball aus violetten Energieblitzen aufsteigen. Dieser traf nacheinander gleich vier von Castors verbliebenen Kriegern und tötete sie auf der Stelle. Mara erschuf einen Kettenblitz, der bläulich schimmerte und ließ diesen auf Castors Krieger los. Wieder fielen fünf weitere Eistrolle. Raya hatte inzwischen einen Pfeil in ihren Bogen gelegt und ließ die Sehne los. Das Geschoss traf den Eistroll direkt hinter Castor zwischen den Augen. Arteya hatte mit ihrem Schwert zwei weitere Eistrolle getötet. Tyra hatte ebenfalls drei weitere Troll-Krieger mit ihrem Schwert getötet. Jenna hatte mit ihrem Messer zwei weiteren Trollen die Kehle durchgeschnitten. Die letzten verbliebenen Krieger schalteten Mara und Kaitlyn gemeinsam aus.
 

Nun waren nur noch Shina Fay und Castor übrig. Der Clanführer war außer sich vor Zorn, denn die Stacheln an seinen Schultern waren nun ganz ausgefahren. „Das wirst du mir büßen, Shina Fay.“ „Büßen wird nur einer. Und das bist Du, Castor, für all die Leiden, die du und deine Krieger den Untertanen meiner Cousine zugefügt haben. An deinen Händen klebt das Blut eines Mädchens, das vor Hunger und Kälte sterben musste.“ „Das war mir klar. DU denkst nur an das Wohlergehen von deinesgleichen. Aber das Wohlergehen anderer ist dir scheißegal. Wir Eistrolle müssen auch von irgendwas leben.“ „Das mag sein. Aber es kann nicht sein, dass ihr anderen ihre Vorräte stehlt.“ „Sollen wir vor den Elfen auf den Knien rum rutschen und betteln?“ „Das muss ein anderer Troll entscheiden. Du und dein Clan seid ab sofort Geschichte.“
 

Castor stieß einen lauten Kampfschrei aus und stürmte auf Shina Fay zu. Doch seine Konkurrentin duckte sich und tauchte unter ihm weg. Es gelang ihr, dem Eistroll mit dem Schwert ihrer linken Hand einen Kratzer auf der linken 113

Wange zu verpassen. Castor stieß einen lauten Schmerzensschrei aus, als die Klinge seine Haut aufriss. Dann stapfte er wutentbrannt zur Wand an der gegenüberliegenden Seite des Raumes und nahm ein riesiges Schwert von der Wand. Shina Fay sah sich diese Waffe genauer an.
 

Die Klinge war aus Titanenstahl gefertigt und an den Außenseiten wellenförmig geschliffen. Der Griff war aus Silber hergestellt worden und mit roten Vogelfedern verziert. Dazwischen befanden sich Ringe aus purem Gold. Ein wenig unterhalb des Griffes besaß das Schwert zwei kleine Zierstäbe aus Messing und Kupfer. Darüber war als Zierde ein großer Ball aus Vogelfedern und ein größerer goldener Ring eingearbeitet. Shina Fay erkannte diese Waffe. Es war der Rondrakamm ihres Onkels Torin. „Du hast da etwas, was eigentlich meiner Familie gehört.“ „Aha. Du kennst also dieses Schwert.“ „Es gehörte meinem Onkel Torin.“ „Das hast du sehr richtig erkannt. Es GEHÖRTE ihm. Nachdem ich ihn getötet hatte, habe ich das Schwert als Trophäe behalten. Dein Onkel war ein tapferer Kämpfer, weißt du. Aber wie so viele vor ihm, war er mir nicht gewachsen. Vielleicht ist es eine Fügung des Schicksals. Torins Nichte stirbt durch sein Schwert.“
 

Castor stürmte auf Shina Fay zu, das Schwert über seinen Kopf erhoben, um ihr den Schädel zu spalten. Im letzten Moment riss die junge Elfe ihre Schwerter hoch und kreuzte die Klingen. Castor taumelte zurück, als eine Vibration durch die Klinge des Rondrakamms lief. Shina Fay hatte genau darauf gewartet. Mit einem lauten „BRISINGIR“ verwandelte sie ihre Damaszenerschwerter in Feuerschwerter. Dann ging sie zum Gegenangriff über. Sie wirbelte um die eigene Achse und hatte dabei ihre Schwerter von sich gestreckt. Mit einem Hieb des rechten Schwertes erwischte die junge Elfe den Eistroll.
 

Sofort brannte Castor lichterloh. Er wälzte sich auf dem Boden um das Feuer zu löschen, doch es half nichts. Da dieses Feuer durch Magie erzeugt wurde, konnte es nicht gelöscht werden. Die kleine Gruppe floh aus der Höhle, doch vorher hatte Shina Fay das Schwert ihres Onkels an sich genommen, um es ihrer Cousine Aradil zurückzugeben.
 

In Edendale Castle wurde die kleine Gruppe von Aradil und Desdemona bereits erwartet. „Scheinst ja nicht allzu viele Schwierigkeiten mit Castor gehabt zu haben.“, sagte Desdemona. „Selbst schuld, wenn er sich provozieren lässt.“ „Ich danke dir Cousinchen. Jetzt müssen die Bewohner der Dörfer keine Angst mehr haben, dass ihnen die Eistrolle das Leben schwer machen.“ „War nicht der Rede wert. Und ich habe noch was für dich Aradil.“ Shina Fays Cousine sah sie fragend an. Ohne große Worte zu verlieren nahm Shina Fay den Rondrakamm ihres Onkels von Tarzons Sattel und hielt ihn Aradil vor die Augen. „Vaters Schwert.“, hauchte Aradil ehrfürchtig. „Castor hat es Onkel Torin gestohlen. Ich habe nur zurückgeholt, was rechtmäßig dir gehört.“ „Ich danke dir, Shina Fay. Aber ich brauche Vaters Schwert nicht. Behalte es ruhig, wenn du willst. Es steht dir zu.“
 

Als Shina Fay zurück in ihr Dorf kam, waren die Feuer bereits entzündet und die 114

Wildschweine brieten schon darüber. Aber es spielten keine Musiker und es wurde auch nicht gegrölt und gelacht, wie sonst, wenn die Feier im Gange war. Sie hatten also wieder auf sie gewartet.
 

Später am Abend erzählte Shina Fay von ihrer Reise und dem Kampf mit Castor. „Es war klug von dir, dir das Wohlwollen von Königin Athene zu sichern. Doch die Zentauren werden es dir verübeln, dass du ihre nächsten Verwandten auf deine Seite gezogen hast.“, sagte Halgrim. „Hätte ich Biljana sterben lassen sollen Halgrim?“ „Du hast getan, was du für richtig gehalten hast. Königin Ignissa hat dich zu Recht als ihre Nachfolgerin erwählt. Keine andere Frau in Eteria hat das Zeug dazu eine gute und gerechte Königin zu werden, als Du Shina Fay.“ 115

Die Rettung der heiligen Stadt Opah

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

09. Prüfung - Valkona die Orkkriegerin

09. Pruefung – Valkona die Orkkriegerin

Eteria im Jahr der Schleiereule

Das Tosen der Karmafälle dröhnte in den Ohren des Kaufmanns. Und so hörte er nicht, wie sich jemand an ihn heranschlich. Er hatte gerade das Gesicht mit etwas Wasser gekühlt, als der Kaufmann außer seinem eigenen ein weiteres Spiegelbild im Wasser erblickte. Viel sah er nicht. Er sah nur ein markantes Gesicht, aus dessen Unterkiefer zwei mächtige Hauer nach oben ragten. Die grüne Haut verriet dem Mann, dass ein Ork hinter ihm stand. Doch mehr bekam er nicht mehr mit, denn im nächsten Moment trennte ein Schwert mit großer Klinge den Kopf vom Körper.

Die Orkfrau drehte ihren Kopf in Richtung Dickicht und stieß ein paar Grunzlaute aus. Ein Kommando an ihre Krieger, alles mitzunehmen, was nicht niet- und nagelfest war. Die Orks führten riesiger Panzerechsen zum Lager des Toten und luden Ballen aus Seide, goldene Teller, säckeweise Edelsteine und silberne Pokale auf deren Rücken. Ein älterer Ork trat zu der Anführerin der Bande. „Wir sollten den Leichnam verschwinden lassen, Valkona.“, sagte er. „Okay. Werfen wir den Torso in den Fluss.“ „Das ist zu riskant. Der Torso könnte gefunden werden. Außerdem befinden wir uns im Machtbereich der Motundu. Man sagt, dass ihr Häuptling Kayan eine Blutsbrüderschaft mit einer Elfe eingegangen ist.“ „Dann meinst du Shina Fay. In Ordnung. Wirf den Leichnam in die Felsspalte dort. Und dann nichts wie weg hier.“, sagte Valkona. „Möglich, dass uns die Motundu doch beobachtet haben.“, sagte der alte Ork. „Wirf den Leichnam in die Felsspalte, Dorgrim.“

Der Ork lud den enthaupteten Körper des Kaufmanns auf seine Schultern und warf ihn in die Felsspalte am Fuß der Karmafälle. Als der Torso am Boden der Spalte aufschlug, konnten Valkona und ihre Mannen ein lautes Brüllen hören, dass vom Boden der Felsspalte kam. „Was war das?“, fragte einer der Ork-Krieger. „Keine Ahnung. Aber es klang unheimlich.“ Ein schabendes Geräusch wurde hörbar, als ob jemand die Felswände hochkletterte. Valkona, wusste dass etwas übles auf sie und ihre Bande zukam, wenn sie nicht schleunigst das weite suchten. „Wir verschwinden. Auf der Stelle! Los, los! Bewegung!“

Die Ork-Bande setzte sich in Bewegung. Als sie den nahe gelegenen Wald erreicht hatten, erschien ein Wendigo am oberen Rand der Felsspalte. Die Kreatur stieß wieder ihr lautes Brüllen aus und sprang am Ufer des Flusses herum. Doch plötzlich hielt der Wendigo inne und hielt seine Nase in die Luft. Dann drehte er seinen Kopf in Richtung der Orks 137

und Valkona konnte zwei rote, diabolische Augen sehen, die sie und ihre Gruppe anstarrten. Der Wendigo entblößte ein Gebiss, dass mit messerscharfen Fangzähnen bestückt war, eher er sich der Gruppe mit zwei kräftigen Sprüngen näherte. Auf einem vom Mond beschienen Felsen blieb die Kreatur dann sitzen. So konnte Valkona den Wendigo dann genauer betrachten. Der Wendigo besaß ein dichtes, struppiges schwarzes Fell und lange mit Krallen bewehrte Arme. Auch die Beine waren ebenso lang wie die Arme und besaßen dieselben Krallen. Kein Wunder also, warum diese diabolische Kreatur so schnell die Felswand hinaufklettern konnte. „Verlasst auf der Stelle mein Reich.“, sprach der Wendigo mit einer rasselnden Stimme. „Und wenn wir uns weigern, willst du uns töten?“ „Das hast du sehr richtig erfasst.“

„Keine Bange. Wir werden garantiert nicht wieder zu den Karmafällen zurückkehren.“, sagte Valkona. „Umso besser für dich und deine Bande. Denn ich dulde keine Störenfriede in meinem Reich.“ „Inwiefern haben wir dich gestört?“ „Denkst du wirklich Orkfrau, dass ich nicht mitbekommen habe, wie ihr den Händler ausgeraubt habt? Spätestens seitdem der Torso vor meiner Höhle liegt, ist das ja wohl offensichtlich. Aber ich habe es schon vorher gewusst.“, schnarrte der Wendigo.

Valkona hatte nichts mehr zu sagen. Sie wollte gerade den Befehl zum Aufbruch geben, als der Wendigo noch einmal seine Stimme erhob. „Deine Zeit auf dieser Welt ist fast abgelaufen, Valkona.“ „Das seh ich anders. Unser nächstes Ziel sind die Wälder von Aboleni. Und ganz speziell haben wir uns das Dorf ausgesucht, in dem Shina Fay lebt.“ „Wenn du dieses Dorf überfällst, unterschreibst du dein eigenes Todesurteil. Shina Fay wird nicht eher ruhen, bis sie dich vernichtet hat. Außerdem hat sie die Motundu auf ihrer Seite.“ „Wir werden es trotzdem überfallen. Und wenn wir das Dorf nur niederbrennen.“

In Shina Fays Dorf herrschte geschäftiges Treiben. Denn die junge Königin hatte vom bevorstehenden Überfall der Ork-Bande Valkonas gehört. Ein Bote der Motundu hatte die Nachricht überbracht. Die Dorfbewohner packten alle ihre Habseligkeiten zusammen und machten sich auf den Weg nach Silverstone, der neuen Festung der Elfen in Aboleni. Normalerweise hasste es Shina Fay, die Totenruhe zu stören, doch die Vorstellung, dass marodierende Orks die Gräber ihrer Familie schänden und somit die Totenruhe stören könnten, ließ ihr keine andere Wahl.

Als es Abend war, brach Shina Fay zusammen mit ihren Freundinnen und den Bewohnern des Dorfes zur Festung auf. Die Sonne ging gerade unter, als die Bewohner des Dorfes eine Schlucht erreichten. 138

Diese wurde von einer Hängebrücke überspannt. Die Brücke war alt, aber noch gut in Schuss. Nachdem die Kolonne die Brücke überquert hatte, ließ Shina Fay eine Pause einlegen. Dabei nutzte die junge Elfe die Gelegenheit, um mit Halgrim über die Brücke zu sprechen. „Wir sollten eine neue, stabilere Brücke bauen, und die alte Hängebrücke abreißen.“, sagte sie. „Du vergisst, dass dadurch jeder Feind Silverstone belagern kann.“ „Keine Bange. Ich hab mir schon was ausgedacht. Eine kleine, aber miese Überraschung.“ Halgrim wurde hellhörig. „An was hast du gedacht?“, fragte der alte Schamane. „Eine Falle.“ Shina Fay nahm einen ihrer Dolche und fing an, eine Skizze zu zeichnen. „Ich habe mir das ganze so vorgestellt. Wir bauen in die Brücke einen beweglichen Teil.“, sagte Shina Fay. „Gute Idee. Aber wie willst du die Brücke zur Falle machen?“ „Hiermit.“, sagte Shina Fay und zeigte mit der Dolchspitze auf eine Vorrichtung. „Was bitte schön soll das denn darstellen?“ „Einen Schalter. Sowie jemand darauf tritt, geht die Platte nach unten und zieht den beweglichen Teil zurück. Wer dann noch darauf steht, hat Pech und gewinnt einen Freiflug in die Tiefe.“ „Du bist ja ganz schön gerissen, Shina Fay. Hätte ich dir gar nicht zugetraut.“ „Man sollte mich eben nie unterschätzen.“

Nach Einbruch der Dunkelheit erreichten die Bewohner des Dorfes unter der Führung ihre Königin die Festung. Doch der Weg dorthin war kein leichter. Ein Moor lag zwischen der Brücke und der Festung. Shina Fay und Kaitlyn hatten es bei ihrer Suche nach einem geeigneten Standort entdeckt. Den Weg hindurch hatten sie mit Symbolen in elfischer Sprache markiert. Nun führte Shina Fay den Treck über die Zugbrücke, in die Burg.

Dort bekam jede Familie einen festen Platz zugewiesen, wo die Sippen auch bei künftigen Notfällen dann wohnen würden. Als dies erledigt war und sich die Bewohner eingerichtet hatten, war es Mitternacht. Ein alter Bekannter kam zu Besuch. Es war Lestrade, der Vampir. „Was machst du so weit weg von zu Hause, Shina Fay?“ „Ich muss mein Volk in Sicherheit bringen. Eine Bande marodierender Orks hat vor unser Dorf zu überfallen. Der Name der Anführerin ist Valkona.“ „Dann hast du gut daran getan, hierher zu fliehen. Auch wenn diese Festung für euch neu ist, so ist sie dennoch viele tausend Jahre alt. Einst haben in diesen Mauern die Priester vom Orden der Horadrim gelebt. Lady Jessica von Brenwyn ist die letzte Magierin der Horadrim.“ „Ich habe von den Horadrim gehört. Zu dumm, dass Lady Jessica die letzte von ihnen ist. Wie gerne hätte ich die Horadrim für meinen Kampf gegen die Dunkelelfen als Verbündete gewonnen.“ „Wenn du willst, dann werden Randalejev und ich Lady Jessica besuchen und ihr von deinen Abenteuern berichten.“ „Danke Lestrade.“ „Keine Ursache.“ „Wann könnt ihr aufbrechen?“ „Sofort, wenn du willst.“ „Ich bitte dich darum.“ 139

Der Vampir machte sich auf den Weg.

Am nächsten Morgen kam Ayla, die neue Hohepriesterin auf Silverstone an. Shina Fay empfing sie im großen Ratssaal. „Es war eine kluge Entscheidung von dir, das Dorf zu evakuieren. Aber wäre es nicht besser gewesen, wenn du die Häuser mit einem Schutzzauber versehen hättest?“ „Dazu war keine Zeit. Außerdem beherrsche ich nur Schutzzauber, die im Kampf zur Verteidigung dienen.“ „Dann solltest du das schnellstmöglich nachholen, Shina Fay. Aber keine Angst, ich habe alle Gebäude in deinem Dorf mit einem solchen Schutzzauber gesegnet. Wenn Valkona und ihre Orks das Dorf in Brand setzen, werden die Häuser und die Bäume durch meinen Zauber geschützt.“

In ihrem Schloss in Brenwyn war Lady Jessica gerade in der Bibliothek und stöberte in den vielen Folianten, die sich mit der Geschichte der Horadrim befassten. Sie so in ihre Studien vertieft, dass sie nicht bemerkte, wie ihr Diener Alfons den Raum betrat. Erst als er sich räusperte, sah die Magierin von ihren Büchern auf. „Was gibt es Alfons?“ „Mylady, es sind zwei Herren eingetroffen. Sie heißen Lestrade und Randalejev.“ „Ich lasse bitten, Alfons.“ „Tres Oui, Mylady.“ Kurze Zeit später traten die beiden Vampire ein. Lady Jessica musterte die beiden sehr aufmerksam. „Fassen Sie sich bitte kurz, meine Herren. Denn ich dulde keine Vampire unter meinem Dach.“ „Wie Sie wünschen Mylady.“ „Zunächst einmal müssen wir mit Bedauern feststellen, dass Sie uns nicht viel Zeit widmen möchten. Denn wir sind extra angereist, um euch von Shina Fay zu erzählen.“

Jessica wurde hellhörig. „Ihr meint jetzt nicht die Elfe Shina Fay.“, sagte sie. „Eben jene. Meine Tochter Ilva zählt zu ihren Freundinnen.“ „Dann bitte. Falls es länger dauern sollte, setzen sie sich.“ Bis tief in die Nacht erzählten die beiden Vampire Lady Jessica von den Abenteuern, die Shina Fay seit ihrem 25. Geburtstag erlebt hatte. Die Horadrim-Magierin war beeindruckt. „Ich möchte Shina Fay gerne kennenlernen. Wissen Sie wo sie sich zurzeit aufhält?“ „In Silverstone, Mylady. Es wird euch vielleicht interessieren, aber diese Festung haben Mitglieder eures Ordens erbaut.“ „Eine Festung der Horadrim in Eteria? Das ist eine Überraschung.“, sagte Lady Jessica. Lestrade deutete auf die aufgeschlagenen Bücher. „Was hofft ihr in den Büchern zu finden?“ „Ich versuche herauszufinden, ob ich wirklich die letzte Magierin der Horadrim bin.“ „Vielleicht findet Ihr in der Bibliothek in Silverstone die Antwort auf eure Fragen.“, warf Randalejev ein. Ein Argument, dem sich die Magierin nicht entziehen konnte. „Ein Grund mehr, nach Eteria zu reisen.“ In den Wäldern von Aboleni hatte die Ork-Bande, die von Valkona angeführt wurde, Shina Fays Dorf erreicht. 140

„In Ordnung, Männer. Brennt jede Hütte und jedes Haus nieder. Sollte noch jemand darin sein, zündet die Hütten trotzdem an.“, befahl Valkona. Als die Hütten brannten, legte die Orkkriegerin den Kopf in den Nacken und rief: „Höre, Shina Fay, ich, Valkona verurteile dich zur Heimatlosigkeit. Nirgends sollst du ein Dach über dem Kopf finden. Denn ich will deinen Kopf.“ Dorgrim kam zu ihr. „Das haben wir an einer der Hütten gefunden.“, sagte er und gab seiner Anführerin einen Zettel. „Hier gibt es nichts für dich zu holen, Valkona. Ich lache über dich und deine Bande.“, stand dort. „Bringt mir sofort Marozia!“ Zwei Orks brachten ein junges Mädchen, das in Ketten gelegt war. Valkona wandte einem der beiden Krieger den Kopf zu, streckte die Hand aus und sagte: „Gib mir deine Peitsche.“

Das Orkmädchen wusste, was nun kommen würde. Valkona würde sie wieder auspeitschen. „Du mieses Stück Dreck! Du hast die Elfen gewarnt. Na warte! Dafür wirst du büßen!“, sagte Valkona und schlug mit der Peitsche zu. Der erste Hieb traf den Rücken. Marozia stieß einen Schmerzensschrei aus. Weitere Schläge trafen das Mädchen, während es von der Anführerin der Ork-Bande weiter beschimpft und beleidigt wurde. Irgendwann hatte Valkona genug und ließ von Marozia ab. „Du bist zu nichts aber auch zu gar nichts zu gebrauchen Marozia. Ich fange langsam an mich zu fragen, warum ich dich überhaupt noch mitnehme.“ „Vielleicht, weil Ihr keine andere Wahl habt. Immerhin bin ich die Einzige, die in der Lage ist, euch vor Gefahren zu warnen, die ihr nicht seht.“ „Ich wüsste nicht, was mir gefährlich werden könnte. Ich brauche deine Dienste nicht mehr. Wir werden heute Nacht hierbleiben. Im Morgengrauen sollst du dann hingerichtet werden.“

Nach Einbruch der Dunkelheit machte sich Marozia an den Ketten zu schaffen. Mit einer kleinen Nadel öffnete sie die Schlösser. Auch den eisernen Kragen, der sie als Leibeigene kennzeichnete, öffnete das Mädchen auf diese Weise. Nachdem sie sich von den Ketten befreit hatte, schlich sich Marozia davon. Doch vorher stahl sie einem der Orks eines der beiden Schwerter. Heimlich, still und leise stahl sich das Mädchen davon. Leider hatte einer der Wachposten, die das Lager bewachten, Marozias Flucht bemerkt. Er weckte seinen Kameraden, dem Marozia das Schwert entwendet hatte, und hetzte ihn auf ihre Spur.

Marozia hatte die Hängebrücke gerade zur Hälfte überquert, als ihr Verfolger sie eingeholt hatte. „Du entkommst mir nicht. Ich werde dich zu Valkona zurückbringen, dann werde ich befördert.“ „NUR ÜBER MEINE LEICHE!“ „Ganz wie du willst. Es ist egal, ob ich dich lebend zurückbringe oder nur deinen Kopf. Sterben wirst du so oder so.“ Marozia hielt das Schwert zur Verteidigung vor sich, 141

während ihr Kontrahent mit erhobenem Schwert auf sie zustürmte. Als die beiden Klingen aufeinandertrafen, hallte ein lautes Klirren durch die Nacht.

Stundenlang kämpfte Marozia mit dem Ork. Dabei bemerkte keiner der beiden, dass sie in das Moor geraten waren, das die Brücke vom Schloss trennte. Marozia bemerkte wie der Boden unter ihr nachgab, als sie in ein Moorloch trat. In ihrer Verzweiflung packte sie ihren Widersacher an seinem Gürtel und zog ihn mit sich. Dadurch verlor der Ork sein Gleichgewicht und geriet ins Straucheln, sodass er direkt neben dem Mädchen im Morast landete. Panik ergriff ihn und er versuchte sich zu befreien. Doch mit jedem Versuch sank der Ork-Krieger tiefer. Marozia hingegen hielt sich an einem Schilfrohr fest. Auch sie spürte Panik in sich aufsteigen, doch als sie den Kopf ihres Gegners im Morast versinken sah, wusste sie, das ihr dasselbe Schicksal blühte, wie dem Ork, mit dem sie gekämpft hatte.

Plötzlich hörte Marozia Stimmen über sich. „Wo sind die Störenfriede?“ „Der Lärm kam von hier drüben!“ Im Licht des Mondes konnte das Orkmädchen die Silhouette einer Elfenfrau erkennen. Das es Kaitlyn, die Dunkelelfenprinzessin war, wusste sie nicht. Erst als diese auf die Knie ging und im Mondschein ihr Gesicht erkennbar wurde, wusste Marozia, wen sie vor sich hatte. „Hilf mir Kaitlyn.“, flüsterte sie. „Allein schaff ich das nicht.“ „Beeil dich bitte. Ich hab kaum noch Kraft um mich zu halten.“ Die Dunkelelfe stand auf und rief die anderen. „Leute kommt mal hier rüber! Hier ist jemand, der Hilfe braucht!“

Nur kurze Zeit später kamen Shina Fay und Raya. Die Soldaten, die ausgeschwärmt waren, durchkämmten das Moor auf der gegenüberliegenden Seite. Shina Fay band ein Seil an den Stamm einer Sumpfzypresse und warf das andere Ende Marozia zu. Gemeinsam mit Kaitlyn und Raya zog die junge Elfe das Orkmädchen aus dem Moorloch. „Was machen wir mit ihr?“, fragte Raya. „Wir nehmen sie mit. Vielleicht kann sie uns helfen, mit dieser Ork-Bande fertig zu werden. „Nur zu gern. Lieber liefere ich Valkona ans Messer, als wieder zu ihr zurückzugehen.“, sagte Marozia kraftlos.

Am nächsten Morgen war Shina Fay als erste aufgestanden. Gerade noch rechtzeitig, denn ein Bote aus Brenwyn hatte die Ankunft von Lady Jessica für den Abend angekündigt. Nach dem Frühstück suchte Shina Fay Marozia auf. Dieses Mal trug die junge Königin statt des grünen Seidenkleides eines aus rotem Samt. Dazu trug sie schwarze Sandaletten mit silbernen Streifen. Shina Fay und Marozia sahen sich gegenseitig an. Zum allerersten Mal stand die junge Regentin einem Ork gegenüber. Marozias Haut war grün. Sie besaß einen athletischen Körper und braune Haare die bis zu ihren Schultern reichten. Dazu kamen braune Augen, die Dankbarkeit ausstrahlten. 142

Bekleidet war Marozia mit einem ledernen Schurz und einem Oberteil aus demselben Material. Dazu kamen Stiefel aus Leder, die bis an die Knie reichten. In ihrer linken Hand trug sie ein Ork-Schwert. Auffällig waren auch die beiden nach oben gerichteten Eckzähne am Unterkiefer, die für Orks typisch waren. Shina Fay ergriff als erste das Wort. „Sei willkommen in Silverstone.“, sagte sie. „Ich danke euch, Hoheit.“ Die Elfe verdrehte genervt die Augen. „Lass das alberne Hoheit weg. Nenn mich einfach Shina Fay.“ „Wie Ihr wünscht. Aber wie wird es nun mit mir weitergehen? Was werdet Ihr mit mir machen?“ „Wenn du willst, kannst du unter uns Elfen ein Leben in Freiheit führen.“, sagte Shina Fay.

„Ein Leben in Freiheit. Wie lange habe ich mich danach gesehnt.“ Shina Fay sah Marozia fragend an. „Meine Familie war unter den Ork-Clans einmal hoch angesehen. Doch der Führer eines rivalisierenden Clans hat durch eine Intrige dafür gesorgt, dass meine Sippe in Ungnade gefallen ist. Von Generation zu Generation wurde diese Bürde an das erste Kind weitergereicht. Den Kindern, die danach kamen blieb dieses Schicksal erspart.“ Marozia weinte. Shina Fay legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Du wirst nie mehr leiden müssen. Nie wieder Angst haben. Ich bin für dich da, was auch immer kommen mag.“ Shina Fay hielt dem Orkmädchen die Hand hin. Marozia zögerte, doch dann nahm sie doch die Hand der Elfe. Die beiden hielten einander lange in den Armen und Marozia erkannte, dass sie mit Shina Fay eine Freundin gewonnen hatte, die immer an ihrer Seite stehen würde. „Ich danke dir, Shina Fay. Ich werde auch immer für dich da sein. Ich bin froh, dass du mich hier in Eteria aufnimmst. In meiner Heimat, ist für mich kein Platz mehr. Denn durch meine Flucht habe ich Valkona verraten. Und dafür wird ein Ork mit dem Tod bestraft.“

Am Abend traf dann Lady Jessica ein. Shina Fay empfing die Magierin der Horadrim im großen Ballsaal. Die junge Elfe nahm ihren Gast genau in Augenschein. Jessica hatte schulterlange, blonde Haare und blaue Augen. Ihr schlanker Körper zog jeden Mann in seinen Bann. Ebenso das hübsche Gesicht, mit den sinnlichen Lippen und der hübschen Nase. Gekleidet war die Magierin mit einem Kleid aus feinstem Satin. Über das ganze Kleid waren goldene Sterne verteilt. „Ich heiße euch willkommen, Lady Jessica.“ „Eure Abenteuer sind inzwischen bis zu mir vorgedrungen. Eure Vampir-Freunde Lestrade und Randalejev haben mir alles erzählt. Es ist mir eine Ehre und eine Freude zugleich, die große Shina Fay persönlich kennenzulernen.“

Nach dem Abendessen führte Shina Fay ihren Gast in die Bibliothek der Festung. Denn Lady Jessica hatte durchblicken, dass sie diese Reise unter anderem auch deshalb unternommen hatte, um in den Büchern 143

mehr über die Horadrim zu erfahren. Die ganze Nacht brüteten die beiden über den Büchern. Jessica hatte die Hoffnung schon aufgegeben, etwas über das Schicksal der Horadrim zu erfahren als Shina Fay den entscheidenden Hinweis fand. „Ich glaub ich habe gefunden, wonach Ihr sucht, Lady Jessica.“, sagte sie. „Nenn mich Jessy, Shina Fay. Du und ich, wir haben etwas gemeinsam. Wir haben denselben Feind.“ „Azura?“ „Ja. Lass uns Freundschaft schließen.“, sagte Jessy und hielt der jungen Elfe die Hand hin. Shina Fay ergriff sie und beide hielten sich lange in den Armen. Nachdem auch diese Freundschaft geschlossen worden war, zeigte die Elfe der Magierin, was sie gefunden hatte. „Ich danke dir, Shina Fay. Wenn der Tag der großen Schlacht kommt, werden die Horadrim an deiner Seite kämpfen.“

Am nächsten Morgen trafen die beiden Freundinnen im Rosengarten der Festung aufeinander. „Wer ist euer schnellster Läufer?“, fragte Jessy. „Warum so kompliziert?“ Shina Fay klatschte in die Hände. Das Schlagen von Flügeln wurde hörbar und bald darauf landete eine gefiederte Kreatur im Garten, die Lady Jessica schnell als einen Königsgreif identifizierte. „Was hast du vor?“, fragte Shina Fay gerade heraus. „Ich will eine Nachricht an die anderen Horadrim-Magier senden. Jahrelang haben wir auf diesen Tag gewartet. Nun ist es soweit. Ich muss die anderen bald in Brenwyn treffen. Aber keine Sorge. Mein nächster Besuch wird länger dauern, als nur eine Nacht. Ich werde aufbrechen, sobald der Bote aufgebrochen ist. Wen schlägst du vor?“ „Marozia. Sie ist ein Ork, aber sie trägt das Herz am rechten Fleck. Immerhin hat sie Valkona verraten.“

Die Ork-Bande war inzwischen weitergezogen. Als einer der Krieger in den Himmel blickte, sah er den Königsgreif mit Marozia auf dem Rücken. Er nahm seinen Bogen vom Rücken, doch ehe er einen Pfeil eingelegt hatte, war der Greif auch schon wieder verschwunden. Als die Orks rasteten erstattete der Ork Valkona Bericht. „Ich habe vorhin einen Königsgreif nach Osten fliegen sehen.“ „Und Morgreg? Was ist an einem Greif schon besonderes?“ „Es ist insofern etwas Besonderes, weil Marozia auf seinem Rücken saß.“ Valkona packte Morgreg am Arm. „Bist du dir sicher?“ „So sicher, wie man sich nur sein kann, Valkona. Es war Marozia. Ich befürchte, ihr ist die Flucht geglückt.“ „Das würde erklären, warum Razik nicht zurückgekehrt ist.“ „Wir sind den Spuren gefolgt. Razik und Marozia müssen miteinander gekämpft haben und dabei in ein Moorloch geraten sein.“ „Und Razik ist im Moor versunken.“ „Der Schluss ist naheliegend, Valkona. Dass Marozia noch am Leben ist, kann nur eines bedeuten. Jemand hat sie aus dem Loch gezogen. Würde mich nicht wundern, wenn das Shina Fays Werk war.“ „Wenn dem so ist, dann wird Shina Fay meine Klinge kosten.“ 144

„Kannst gleich mit anfangen, Valkona. Denn hier steh ich!“ Valkona fuhr herum. Vor ihr stand Shina Fay mit gezogenen Schwertern in ihren Händen. Sie trug wieder ihre Rüstung. Die Orkkriegerin stand auf und nahm ihre Schwerter in die Hand. Die beiden umkreisten einander und Shina Fay konnte Valkona genau in Augenschein nehmen. Ihre Gegnerin war kräftig gebaut und besaß die für Orks typische grüne Haut und die nach oben gerichteten Eckzähne am Unterkiefer. Doch im Gegensatz zu männlichen Orks war Valkonas Gesicht etwas schmaler. Hasserfüllte grüne Augen starrten die Elfe an. Bekleidet war Valkona mit einem ledernen Brustpanzer und einer schwarzen Hose aus Yak-Haar. An der rechten Schulter trug die Orkfrau einen Schulterpanzer aus Zwergenstahl. Ihre schwarzen Haare fielen bis zur Taille und waren auf Stirnhöhe zu zwei Zöpfen geflochten, an denen zwei kupferne Ohrringe hingen. Valkonas Hände steckten in zwei Lederhandschuhen aus dem Fell des Moschusochsen.

„Du hast Marozia beschützt. Damit hat nicht nur sie Verrat an mir begangen, sondern auch du. Und für Verrat steht bei uns Orks der Tod.“ „Wenn ich eins nicht leiden kann, dann sind das Holzköpfe mit großen Klappen.“ „Spar dir deine Psychospielchen, Shina Fay. Die ziehen bei mir leider nicht.“, sagte Valkona. Dann stürmte sie auf Shina Fay zu, ihre Schwerter wild über dem Kopf schwingend. Doch Shina Fay, die durch ihre zahlreichen Prüfungen Erfahrung gesammelt hatte, ahnte was Valkona vorhatte. Dementsprechend legte sie sich ihre Verteidigungsstrategie zurecht. Shina Fay ging in die Knie und kreuzte ihre Damaszener-Schwerter über dem Kopf. Als Valkona zum Schlag ausholte riss die Elfe die Schwerter nah oben. Damit nahm sie der Orkfrau den Angriffsschwung. Nun ging die Führerin vom Clan des roten Habichts zum Gegenangriff über. Sie durchbrach die Deckung ihrer verblüfften Gegnerin und setzte einen Treffer auf dem Bauch. Mit der Klinge fügte sie Valkona eine Schnittwunde zu, die quer über den Bauch verlief.

„Warum willst du das unvermeidliche verzögern? Ich werde dich töten!“, schrie Valkona. „Du stinkst ja geradezu vor Überheblichkeit, du Pappnase!“ Eine Elfenstunde wogte der Kampf zwischen Shina Fay und Valkona hin und her, bis plötzlich ein magisches Tor aufging und ein alter Ork-Schamane hindurch trat. Er nahm Valkona und ihre Krieger mit sich. „Lass es gut sein, Valkona. Shina Fay läuft dir nicht weg. Außerdem besteht doch noch die Möglichkeit sie in die Knie zu zwingen. Du und deine Krieger braucht nur die Festung zu belagern. Irgendwann gehen den Elfen die Vorräte aus und dann wird Shina Fay um Gnade nachsuchen müssen. Dann kannst du sie töten.“, sagte der Schamane.

In Silverstone, der alten Horadrim-Festung, war Shina Fay ebenfalls durch ein 145

magisches Portal dorthin zurückgekehrt. Dass sie sauer war, konnte jeder sehen. Aus diesem Grund ließ man die junge Königin erst mal in Ruhe. Erst am Abend bekamen die Bewohner des Dorfes ihre Regentin wieder zu Gesicht. Sie war zwar immer noch angesäuert, hatte sich aber wieder im Griff. „Alles in Ordnung, Shina Fay?“, fragte Kaitlyn. „Soweit ja. Bin nur sauer.“ „Du konntest Valkona also nicht töten.“ „Leider. Dieser dumme Ork-Schamane hat mir alles vermasselt.“ „Konntest du wenigstens ein paar Treffer landen?“ „Zwei. Einen auf den Bauch und den zweiten in der linken Gesichtshälfte. „Na immerhin.“ Shina Fay hielt den Daumen und Zeigefinger ihrer linken Hand weniger als eine halbe Elle auseinander. „So nah war ich dran, Valkona zu erledigen. Bis dieser Schamane aufgetaucht ist.“

In Brenwyn wartete Lady Jessica ungeduldig auf die Antworten der anderen Horadrim-Magier. Ihr Diener Alfons meldete bald darauf den ersten Besucher. „Mylady, Sir Benjamin Merryweather ist soeben eingetroffen.“ Ein hochgewachsener Mann mit kurzen, lockigen dunkelbraunen Haaren und braunen Augen betrat den Raum. Seine schlanke Gestalt passte zum restlichen Erscheinungsbild des Besuchers. Sir Benjamin hatte ein ovales Gesicht mit einem markanten Kinn und einer gut aussehenden Nase. Bekleidet war der Magier mit einer grauen Hose, einem schwarzen Hemd und einer weißen Weste. Dazu kamen lange, schwarze Reitstiefel. „Hallo Jessy. Ist schon eine Weile her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.“, sagte Sir Benjamin. „Eine gefühlte Ewigkeit.“ „Die Nachricht, die du uns durch das Orkmädchen übermittelt hast, klingt sehr beunruhigend.“ „Der Tag der großen Schlacht rückt immer näher, Benjamin.“ „Verstehe. Gibt es nicht eine Prophezeiung, dass eine Elfe namens Shina Fay die Elfen Eterias im Kampf gegen die Dunkelelfen anführen wird?“ „Doch die gibt es. Ich habe Shina Fay kennengelernt.“ „Und wie ist sie so?“ „Sie ist einmalig. Obwohl sie gerade mal 66 Elfenjahre alt ist, ist sie schon so erfahren, als wäre sie 330 Jahre alt. Und sie ist weise. Deswegen ist sie bei den Bewohnern ihres Dorfes so beliebt.“

Alfons, Lady Jessicas Diener, betrat den großen Ratssaal und kündigte den nächsten Besucher an. „Lady Stephanie McMahon“, sagte er. Eine zierliche Frau mit schulterlangen blonden Haaren, die am unteren Ende eine Dauerwelle bildeten betrat den Raum. Bekleidet war die Magierin mit einem schwarzen, eng anliegenden Kleid, das bis zu den Knien reichte und einen Teil der halterlosen schwarzen Strümpfe verdeckte, und schwarzen Schuhen mit hohen Absätzen. Lady Stephanies Gesicht hatte ovale Züge. Dazu kamen ein hübsche Nase und sinnliche Lippen. Ihre braunen Augen strahlten Güte aus. „Wenn man deiner Nachricht glauben schenken darf, dann haben sich unsere Erzfeinde, 146

die Orks, auf die Seite der Dunkelelfen gestellt.“ „Shina Fay hat es mir berichtet.“ „Shina Fay? Die Elfe aus der Prophezeiung?“ „Eben jene. Eine richtige Schönheit.“ „Du redest, als wärst du ihr schon persönlich begegnet, Jessy.“ „Ich durfte ihr Gast sein. Sie hält sich zurzeit in einer alten Festung unseres Ordens in Eteria auf.“ „Silverstone?“, fragte Sir Benjamin. „Ja. Sie ist mit den Bewohnern ihres Dorfes dorthin geflohen.“ „Was ist passiert?“ „Eine Bande marodierender Orks hat Shina Fays Dorf angegriffen. Zum Glück war keiner mehr im Dorf, als Valkona und ihre Bande kamen.“ „Sagtest du Valkona, Jessy?“, fragte Lady Stephanie. „Ja. Sag bloß, du hast noch eine Rechnung mit ihr offen.“ „Ich nicht. Aber mein Bruder. Du weißt doch, dass Valkona ihn zum Invaliden gemacht hat, als sie ihm den Schwertarm abgetrennt hat.“

Alfons kündigte den nächsten Besucher an. „Sir Brian de Bois Gilbert!“ Ein großer, kräftig gebauter Mann mit dunkelbraunen, dauergewellten Haaren und braunen Augen betrat den Raum. Der braune Bart in seinem ovalen Gesicht war adrett zurückgeschnitten. Bekleidet war der Mann mit einer schwarzen Hose, einem weißen Hemd und einer schwarzen Jacke. Dazu kam ein Paar schwarzer Schuhe. „Ich gekommen, so schnell ich konnte. Ich habe unterwegs noch ein paar Reisende getroffen. Es gab bereits ein Aufeinandertreffen zwischen Valkona und Shina Fay. Die Elfe hat Valkona zweimal erfolgreich verwundet. Aber ein Ork-Schamane hat der Orkfrau geholfen.“ „Mistkerl! Na der kann was erleben!“, sagte Jessy. „Ich bin noch nicht ganz fertig. Ich habe nämlich auch gehört, dass Valkona und ihre Orks vorhaben, Silverstone zu belagern.“ „Silverstone ist autark. Die Orks können die Festung belagern, bis zum Sankt Nimmerleinstag. Shina Fay und den Dorfbewohnern werden die Nahrungsmittel nie ausgehen.“ „Wir sollten nach Eteria aufbrechen, und Shina Fay unterstützen.“, schlug Lady Stephanie vor. „Keine schlechte Idee.“

In diesem Moment betrat Alfons, der Diener den Raum, um den nächsten Besucher anzukündigen. „Vicomte Gabriel Marbray.“ Ein hochgewachsener und schlanker Mann betrat den Raum. Seine dunkelbraunen Haare hatte er unter einer weißen Perücke verborgen. Sein ovales Gesicht mit der Hakennase und den braunen Augen wies schon ein paar Falten auf. Bekleidet war der Vicomte mit einer weißen Hose, einem weißen Hemd, einer roten Schärpe und einem roten Uniformrock. Dazu trug er schwarze Lederstiefel.

Nach einer kurzen Begrüßung sagte er: „Deine Nachricht vom Bündnis der Orks mit den Dunkelelfen liest sich wie der reinste Schauerroman, Jessy.“ „Es ist aber so. Außerdem haben sich die Zentauren auf die Seite der Dunkelelfen geschlagen. „Woher hast du deine Information?“ „Von Shina Fay. Ich habe sie vor 147

kurzem in Silverstone besucht.“ „Ich wusste gar nicht, dass unser Orden auch in Eteria präsent war.“, sagte der Vicomte. „Es gab einige Horadrim-Magier in Eteria. Meine Studien der Folianten in Silverstone beweisen das.“

Alfons betrat wieder den Saal und kündigte einen weiteren Besucher an. „Comtesse Tania di Romano.“ Eine hochgewachsene, schlanke Frau trat in den Saal. Die Comtesse trug ihre dunkelbraunen Haare offen, so dass sie bis zur Oberkante ihre wohlgeformten Brüste reichten. Ihre braunen Augen strahlten Freundlichkeit und Güte aus. Das ovale Gesicht mit der hübschen Nase und den sinnlichen Lippen war hübsch anzusehen. Bekleidet war die Gräfin mit einem schwarzen Trägerkleid, das auf der einen Seite etwas kürzer war, als auf der anderen und einen großzügigen Blick auf ihre wohlgeformten Beine freigab. Dazu trug sie schwarze Schuhe mit hohen Absätzen.

„Als ich deine Nachricht vom Bündnis der Orks mit den Dunkelelfen gelesen habe, ist mir fast der Draht aus der Mütze geflogen.“, meinte Tania. „Ich denke, da geht es dir so wie uns allen, die schon anwesend sind.“ Diese Worte stammten von Sir Benjamin. Gabriel de Marbray schaltete sich in die Diskussion ein. „Mich hat es überrascht, dass deine Nachricht gerade von einem Ork überbracht wurde.“ „Das war Marozia. Sie wurde von Valkona ziemlich schlecht behandelt. Sie konnte fliehen, ist aber in das Moor geraten, dass die Hängebrücke von der Festung trennt. Shina Fay hat ihr das Leben gerettet und ihr ein Leben in Freiheit geboten.“ „Und woher weißt du das?“, wollte die Comtesse wissen. „Ich habe Shina Fay in Silverstone besucht. Dorthin ist sie geflohen, als Valkona ihr Dorf angegriffen hat. Aber als die Bande im Dorf angekommen war, waren alle weg. Ein Bote der Motundu hat Shina Fay und ihre Untertanen gewarnt.“ „Lass mich raten. Valkona hat Marozia dafür die Schuld in die Schuhe geschoben.“, sagte Sir Benjamin. „Genauso ist es.“ „Wie gemein.“

Alfons kam zurück um den nächsten Besucher anzukündigen. „Lady Katharina Romanova.“, sagte er. Auch die nächste Magierin war eine Augenweide. Sie hatte schulterlange, dunkelbraune Haare und einen sexy Körper. Das ovale Gesicht mit den sinnlichen Lippen und der hübschen Nase hatte noch hübsche braune Augen, die Freundlichkeit und Güte ausstrahlten. Bekleidet war Katharina Romanova mit einem schwarzen Minikleid, das unterhalb des Schambereichs endete und einen Blick auf ihre wohlgeformten, sexy Beine freigab, deren Füße in Schuhen mit hohen Absätzen steckten. „Als dein Bote mir die Nachricht vom Bündnis der Orks überbracht hat, hab ich gedacht, dass soll wohl ein verfrühter April-Scherz sein.“ „Durchaus nicht. Aber du lebst doch näher an Eteria. Leben dort eigentlich noch Zauberer unseres Ordens?“, fragte Jessy. „Ja. Obwohl das bis vor 36 Jahren noch 148

nicht der Fall war.“ „Wer lebt in Eteria?“ „Xena Gabrielle de la Croix.“ „Sagt mal Ladies fehlt noch jemand?“, fragte Sir Benjamin. „Nur Cicero.“ Kaum hatte Jessy diese Worte ausgesprochen, da betrat Alfons den großen Saal. „Cicero ist soeben eingetroffen, Mylady.“, sagte er. Ein großgewachsener Mann, mit langen schwarzen Haaren und dichtem schwarzen Bart, ovalem Gesicht, einer hübschen Nase und grün-braunen Augen betrat den Raum. Bekleidet war der Neuankömmling mit einer schwarzen Lederhose, schwarzen Stiefeln, einem schwarzen Hemd und einer lila Weste. Dazu kamen ein schwarzer Umhang und ein schwarzer Hut mit einer schwarzen Feder. Bewaffnet war Cicero mit einem Degen und einer Pistole.

„Also haben sich die Orks mit den Dunkelelfen verbündet. Na ja, das war ja nicht anders zu erwarten.“, sagte Cicero nach einer kurzen Begrüßung. „Was werden wir tun?“ Die Frage hatte die Comtesse di Romano in die Runde geworfen. „Ich für meinen Teil werde nach Eteria gehen, und Shina Fay unterstützen. Ob ihr mit mir geht, steht euch frei“ „Ich komme mit Jessy.“, sagte Katharina. „Ich bin auch dabei.“ Cicero stellte sich an Jessys und Katharinas Seite. „Na schön. Warum nicht?“ Denn ich kann euch drei doch nicht ins Abenteuer ziehen lassen, ohne dass ein Merryweather dabei ist.“, sagte Sir Benjamin.

In Eteria hatten die Orks Xena Gabrielle de la Croix gestellt und sie über die Hängebrücke ins Moor gejagt. An einem der vielen Moorlöcher hatten die Krieger Valkonas Xena Gabrielle in die Enge getrieben und sie umzingelt. Mit gezückten Schwertern und Äxten gingen sie auf die Horadrim-Magierin zu und zwangen sie zurückzuweichen. Als sie in ein Moorloch geriet und der Boden unter ihr nachgab fingen die Orks an zu lachen. „Viel Spaß beim Sterben kleine Magierin.“, höhnte einer. „Hoffe nicht auf Hilfe, denn wir werden es zu verhindern wissen, dass dir jemand zu Hilfe eilen kann.“, sagte ein anderer.

Ein lautes Brüllen wurde hörbar. Die Orks sahen sich erschrocken um. Wieder wurde das Brüllen hörbar und kurze Zeit später konnten alle das Schlagen mächtiger Drachenschwingen hören. Den Orks blieb keine Zeit mehr zur Flucht, denn ein riesiger Schatten wurde am Boden sichtbar. Mit einem markerschütternden Schrei stürzte Shen aus den Wolken, auf seinem Rücken Shina Fay, die einen Pfeil auf einen der Orks abschoss. Der schwarze Drache packte einen Ork mit seinen Drachenklauen und flog davon. Als er außer Sichtweite der Orks war flog er eine Wende und kehrte zum Moor zurück. Mit einem breit gefächerten Feuerstrahl vernichtete der Schicksalsdrache die restlichen Orks. Shina Fay hängte ihren Oberkörper seitlich über Shens Rücken und hielt ihre linke Hand nach unten. 149

Xena Gabrielle griff danach und die Elfe zog sie nach oben. Erneut stieg der schwarze Drache in den Himmel. Der Ork, den Shen gepackt hatte schlug wie wild gegen das mächtige Bein des Drachen. „Lass mich runter! Lass mich sofort runter du beschupptes Monster!“ Shen verdrehte entnervt seine gelben Drachenaugen. „Du gehst mir auf die Nüsse!“, sagte er schließlich und biss dem Ork die Kehle durch. „Lassen wir den Ork lieber verschwinden. Ehe Valkona mitkriegt, dass ihre Aktion ein Fehlschlag war.“, sagte Shina Fay. „Das kriegt sie so oder so mit. Spätestens wenn ihr Stoßtrupp nicht zurückkommt.“ Shen ging etwas tiefer und öffnete über dem Moorloch, aus dem Shina Fay die Horadrim-Magierin gezogen hatte, seine Krallen. Der tote Ork schlug auf der Oberfläche auf und war schnell im Moor versunken.

Gegen Abend, die Sonne ging gerade unter, hatte sich Shina Fay nach draußen auf den Wehrgang begeben, um ein bisschen frische Luft zu schnappen. Als sie auf die Ostseite des Gangs kam, sah sie zahlreiche Orkfeuer. Die Elfe wusste nur zu gut, was das bedeutete. Silverstone wurde von Valkona und ihren Kriegern belagert. Normalerweise hatte Shina Fay vor nichts Angst, hatte sie doch in ihrer Kindheit einen ausgewachsenen Grizzlybären niedergerungen und getötet. Doch beim Anblick der zahlreichen Feuer bekam sie es doch mit der Angst zu tun. „Hab keine Angst Shina Fay. Silverstone ist autark. Du und die Bewohner deines Dorfes werdet nie Hunger leiden müssen.“

Shina Fay fuhr herum. Vor ihr stand ihre Freundin Lady Jessica. Die Elfe machte kehrt und ging auf Jessy zu. Gerade noch rechtzeitig, denn im nächsten Moment zischte ein Orkpfeil an ihr vorbei. Doch Shina Fay achtete nicht darauf. Schließlich lagen sich die beiden Freundinnen in den Armen. „Es ist schön, dich wiederzusehen Jessy.“, sagte Shina Fay. „Ich freue mich, wieder hier zu sein. Und dieses Mal bleibe ich länger.“ „Hattest du Erfolg, die anderen Magier deines Ordens zu treffen?“ „Sie sind alle hier. Du wirst sie später noch kennenlernen.“

Nach Einbruch der Dunkelheit betrat Shina Fay in Begleitung ihrer Freundinnen den großen Ratssaal. Bekleidet war die Elfe wieder mit ihrem grünen Seidenkleid. Nachdem sie die Magier Willkommen geheißen hatte stellte Jessy der jungen Königin ihre Begleiter vor. „Sir Benjamin Merryweather.“, sagte sie. Sir Benjamin neigte kurz das Haupt. „Lady Stephanie McMahon.“, stellte Jessy die nächste Magierin vor. Stephanie und Shina Fay umarmten sich und gaben sich jeweils ein Küsschen auf die linke Wange und eins auf die rechte. Jessy fuhr mit der Vorstellung ihrer Begleiter fort. „Sir Brian de Bois Gilbert.“ Sir Brian und die junge Elfe gaben sich mit einem festen Händedruck die Hände. „Vicomte Gabriel de Marbray.“, sagte Jessy. Shina Fay verneigte sich. 150

„Comtesse Tania di Romano.“ Auch hier gab es wieder zwei Küsschen. „Lady Katharina Romanova.“, stellte Jessy ihre nächste Begleiterin vor. Auch hier wurde sich wieder mit Küsschen auf die linke und rechte Wange begrüßt. „Und zu guter Letzt Cicero.“ Der Horadrim-Magier ging vor Shina Fay auf die Knie. „Seid willkommen auf Silverstone.“, sagte Shina Fay.

Nach dem Abendessen war Shina Fay wieder draußen auf dem Wehrgang. Zielstrebig war sie zur Ostseite gegangen. Die Orkfeuer brannten immer noch. Xena Gabrielle trat neben die Elfe. „Ich möchte dir danken. Du hast mir das Leben gerettet.“, sagte die Horadrim Magierin. Shina Fay sah die Magierin an. Xena Gabrielle de la Croix besaß einen schlanken, sexy Körper und hatte dunkelbraune Haare, die bis zur Armbeuge reichten. Nach dem Maß der Menschen war Xena Gabrielle 1,57 m groß. Das Gesicht der Magierin war oval geschnitten. Die hübsche Nase und die sinnlichen Lippen rundeten den ersten Eindruck ab. Xena Gabrielles braune Augen erinnerten ein bisschen an Mandeln. Bekleidet war sie mit einem schwarzen, etwas enger anliegenden Kleid, das oberhalb der Knie endete und schwarzen Schuhen mit hohen Absätzen. Um den Hals trug Xena Gabrielle eine dreigliedrige Kette aus schwarzen Perlen, die in der Mitte durch ein Kreuz aus schwarzem Obsidian zusammengehalten wurden. Außerdem verfügte die Kette über ein Herz, als Anhänger, das aus demselben Material gefertigt war wie das Kreuz.

Shina Fay deutete auf die Feuer der Orks. „Sag mal Xena, hast du mit den Orks da unten nicht eine Rechnung zu begleichen?“, fragte sie. Xena Gabrielle dachte nach. „Eigentlich hasse ich Gewalt. Aber irgendwo hast du schon Recht. Diese Orks dürfen nicht ungestraft davon kommen.“, sagte sie schließlich. „Na jetzt übertreib mal nicht. Ein kleiner Denkzettel reicht schon denke ich.“ „Wie du meinst.“ Xena Gabrielle wirkte einen Zauber und ließ ein Unwetter über dem Lager der Orks losbrechen. Diese rannten wild durcheinander. Valkona hatte alle Hände voll zu tun, um dafür zu sorgen, dass das Chaos, das ausgebrochen war nicht noch größer wurde.

Auf dem Wehrgang der Festung brachen Shina Fay und Xena Gabrielle in lautes Gelächter aus. „Das ist die gerechte Strafe für diese grünhäutigen Bastarde.“ „Na aber so was von glaub mir.“, sagte Xena Gabrielle. Sir Benjamin kam auf den Wehrgang. Begleitet wurde er von Lady Jessica. Als er sah, was Xena Gabrielle de la Croix getan hatte, schüttelte er fassungslos den Kopf. „Was hast du nur getan?“, fragte er. „Ich habe diesen Orks eine kleine Abreibung verpasst.“ „Sei vorsichtig. Deine kleine Abreibung könnte nämlich ganz schnell zum Boomerang werden.“ „Wie meint ihr das, Sir Benjamin?“, fragte Shina Fay. „Wenn die Orks 151

raus finden, wem sie diesen Orkan zu verdanken haben, dann werden sie Xena Gabrielle langsam und qualvoll sterben lassen.“ „Erst mal müssen sie sie in die Finger kriegen. Und um das zu schaffen, müssen diese grünhäutigen Dummköpfe erst mal an mir vorbei.“ Der bestimmte Unterton in Shina Fays ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Elfe nicht gewillt war, Xena Gabrielle den Orks zu überlassen.“ „Die Orks werden von dir die Auslieferung von Xena Gabrielle verlangen.“, sagte Jessy. „NIEMALS! EHER FRIERT DIE HÖLLE ZU!!!“

Am nächsten Morgen kam Valkona mit einer weißen Fahne zur Burg. Shina Fay stand auf dem Wehrgang und sah sie an. „Was willst du?“, fragte sie knallhart. „Die Horadrim-Magierin. Ich weiß ganz genau, dass sie den Sturm gestern Nacht entfesselt hat. Also sei vernünftig und gib sie heraus.“ „Da kannst du warten, bis du schwarz wirst. Xena Gabrielle de la Croix steht unter meinem persönlichen Schutz.“ „Mach mich nicht wütend, Shina Fay. Entweder du gibst die Magierin heraus, oder DU musst dich mir stellen.“ „Lieber kämpfe ich gegen dich, als zuzulassen, dass du und deine Schwachmaten von Kriegern Xena Gabrielle zu Tode quält.“ „Na schön. Ganz wie du willst. Sag mir wann und wo.“ „Hier und jetzt.“

Nur kurze Zeit später, die Sonne war gerade aufgegangen, trafen sich Shina Fay und Valkona zu ihrem tödlichen Duell. Die Horadrim-Magier hatten vorsichtshalber eine magische Barriere um die beiden Kontrahentinnen errichtet, damit die Krieger von Valkonas Bande nicht zu Gunsten von Valkona in den Kampf eingreifen konnten. Die die beiden standen sich mit gezückten Waffen gegenüber. „Du hast Marozia Obdach gewährt. Und dann hast du dieser Horadrim-Magierin das Leben gerettet. Dafür wirst du sterben.“, sagte Valkona. „Du bist wirklich dämlicher als es jedes Wildschwein erlaubt.“ Valkona schnaubte verächtlich. „Du bist nur eine dumme kleine Elfe.“ „Und du ein schwachsinniger Ork.“, konterte Shina Fay trocken.

Der letzte Spruch von Shina Fay hatte Valkona aus der Fassung gebracht. In blinder Wut stürmte die Orkkriegerin aus die Elfe zu und schwang ihre Schwerter über dem Kopf. Genau darauf hatte Shina Fay gewartet. Im entscheidenden Moment tauchte sie unter Valkona weg und landete einen vernichtenden Treffer. Mit ihren beiden Schwertern durchtrennte die Elfe die Muskeln und Sehnen in Valkonas linkem Knie. Mit einem lauten Schmerzensschrei stürzte Valkona der Länge nach hin. „Jetzt hab ich dich da, wo ich dich haben will.“, sagte Shina Fay und packte ihre Gegnerin an den Haaren. Dann drückte sie Valkona ihr linkes Knie in den Rücken und zog diese an den Haaren zurück. Valkona schrie vor Schmerzen laut auf. „Bring es zu Ende, Shina Fay.“, stöhnte sie. 152

„Nichts lieber als das.“ Mit einem ihrer Damaszener-Schwerter durchschnitt Shina Fay die Kehle ihrer Gegnerin.

Später am Tag berief Shina Fay eine Versammlung der Dorfbewohner ein. Denn es gab einige wichtige Entscheidungen zu treffen. Auch die Magier der Horadrim hatten sich im großen Ratssaal eingefunden. „Liebe Freunde. Dieses Mal mussten wir unsere Heimat verlassen und hier Zuflucht suchen. Ich weiß, das viele gerne wieder in unser Dorf zurückkehren möchten. Mir geht es ebenso. Oder gibt es jemanden, der gerne hier in der Festung bleiben möchte?“, fragte Shina Fay. „Shina Fay, du hast uns hierher geführt, als die Orks kamen. Hier haben wir alles was wir zum Leben brauchen. Warum also wieder in unser Dorf zurückkehren?“ „Weil wir seit Jahrhunderten dort gelebt haben. Es ist ein Teil von uns.“ „Da hat Shina Fay nicht ganz Unrecht. Vergesst nicht, dass ich schon eurem verstorbenen König Etgo und vor ihm seinem Großvater gedient habe. Heute diene ich Shina Fay. Ich habe sie seit ihrer Geburt auf ihrem Lebensweg begleitet. Ich habe gesehen, wie die Freundschaften, die unsere Königin geschlossen hat gewachsen sind. Ich habe Shina Fay reifen sehen. Fast unser ganzes Leben haben wir in unserem Dorf gewohnt. Wir sollten dorthin zurückkehren.“, sagte Halgrim.

Die Bewohner nickten stumm. Shina Fay richtete nun das Wort an Xena Gabrielle de la Croix. „Xena Gabrielle. Ich würde mich freuen, wenn du bei uns im Dorf leben würdest. Du bist mir eine gute Freundin geworden und ich möchte deine Gesellschaft nicht missen.“ „Es wär mir … eine große Ehre.“ Dann richtete die junge Dorfregentin das Wort an Marozia. „Marozia. Mein Angebot hier in Eteria einen Leben in Freiheit unter uns Elfen zu führen steht nach wie vor. Ich wäre glücklich, wenn du bleiben würdest. Doch solltest du dich dagegen entscheiden, werde ich dich nicht aufhalten.“ „Shina Fay. Du hast mir das Leben gerettet und du bist mir eine enge Freundin geworden. Wie könnte ich da fortgehen?“

Nach drei Tagen erreichten die Dorfbewohner wieder ihr altes Dorf. Ayla erwartete sie bereits. Nach einer innigen Umarmung sagte die Hohepriesterin: „Ich gratuliere dir, Shina Fay. Du hast deine Prüfung bestanden.“ „Also war Valkona der Gegner meiner neunten Prüfung.“ „Sehr richtig. Aber du hast einmal mehr deinen guten Charakter unter Beweis gestellt. Du hast dem Orkmädchen nicht nur das Leben gerettet und dir seine Freundschaft gesichert. Du hast mit Marozia eine treue und wertvolle Verbündete im Kamp gegen die Dunkelelfen gewonnen.“ „Wohl wahr. Doch wenn der Tag der großen Schlacht kommt, dann werden auch die Horadrim an unserer Seite stehen.“

Später am Abend, als das Abendessen beendet war, wurden die großen Feuer entzündet. 153

Shina Fay nutzte die Gelegenheit und führte ein Gespräch mit Cicero. „Woher hast du die Information vom Bündnis der Orks mit den Dunkelelfen?“, fragte der Magier. „Es gibt Tage, da pflege ich im Tempel der Erdenmutter zu beten. Bei einem früheren Gebet hat die Erdenmutter mir verraten, dass die Orks sich mit den Dunkelelfen verbündet haben. Ebenso die Zentauren.“ „Und was ist mit den Kentauren?“ „Die stehen auf meiner Seite. Ich Biljana, die Tochter von Königin Athene aus einem Moorloch befreit.“ Cicero war beeindruckt. „Du hast dir also das Wohlwollen der Kentauren gesichert.“ „Nicht nur dieses. Sondern auch das der Nachtelfen, der Walküren, der Vampire und der Amazonen.“ „Und nun auch das Wohlwollen der Horadrim.“ 154

10. Prüfung - Die Midgardschlange

10. Pruefung – Die Midgardschlange

Eteria im Jahr der Libelle

Es war ein sonniger Tag. Das Meer war spiegelglatt. Eine leichte, aber dennoch stetige Brise wehte über dem Ozean im Westen Eterias. Ein schnittiger Dreimaster war an diesem herrlichen Tag auf dem Meer unterwegs. Während die Mannschaft an Deck ihrer Arbeit nachging, standen auf dem Achterdeck des Schiffes der Kapitän und sein Passagier. „Warum habt ihr es so eilig nach Faros zu kommen, Don Fernando?“ „Ihr kennt doch die Geschichte von der Midgardschlange?“ „Ja natürlich. Aber glauben Sie mir, Don Fernando, die Vanguard ist in der Lage, dieser Schlange davon zu segeln.“ „Ihr Wort in Gottes Ohr, Capitano.“

Am folgenden Tag hatte die Vanguard das Gebiet, in dem die Midgardschlange ihr Unwesen trieb, erreicht. Es war am späten Vormittag, als Steuerbord eine Inselgruppe in Sicht kam. Don Fernando Jimenez stand wieder auf dem Achterdeck der Vanguard. Er hatte die letzte Nacht schlecht geschlafen. Und diesen Umstand hatte ihm der erste Offizier Robert Harris angesehen, denn die dunklen Ringe unter den Augen des Spaniers waren nicht zu übersehen gewesen. Der Steuermann des Schiffes, Asmus Rasmussen, ein groß gewachsener und kräftig gebauter Däne, mit feuerroten Haaren und einem feuerroten Bart, hatte unterdessen einen erneuten Fall des Barometers festgestellt. Nur kurze Zeit später erschien der Kapitän der Vanguard, Edward Masterman auf dem Achterdeck. Auch ihm war der Stand des Barometers aufgefallen. Doch was ihm auch aufgefallen war, war dass auf der Backbordseite das Wasser eine andere Farbe angenommen hatte. Statt des üblichen Blaus schimmerte das Meer jetzt neongrün.

Es war Mittag, als die Vanguard die Inselgruppe passiert hatte. Kapitän Masterman hatte Vollzeug setzen lassen, um sein Schiff schnell durch die Untiefen zu bringen. Noch während der Durchfahrt stieß Don Fernando Jimenez einen Angstschrei aus, der den Matrosen durch Mark und Bein ging. Edward Masterman bemerkte, dass das Gesicht seines Passagiers kreidebleich geworden war. Er nahm sein Fernrohr und schaute in die Richtung, in die der Spanier wies. Und was er durch die Linse erkennen konnte, ließ sogar einem gestandenen Seebären, wie Edward Masterman, das Blut in den Adern gefrieren.

Aus dem Wasser lugte die obere Kopfhälfte der Midgardschlange. Der Kapitän konnte klar und deutlich die stechenden grün-blauen Augen des Ungeheuers erkennen. Ebenso den geschuppten Kopf mit den großen Nasenlöchern, 155

der sich nun ganz aus dem Wasser gehoben hatte. Die Schlange hatte ihr Maul geöffnet und entblößte Furcht einflößendes Gebiss, das mehrere Reihen messerscharfer Zähne aufwies. Die rote Zunge zuckte mit hektischen Bewegungen hin und her. Unverkennbar war die Midgardschlange durch ihre beiden Dornen am Kopf , wobei der zweite der Knochenansatz eines Hautsegels war, über den gesamten Rücken des Reptils verlief.

Die Schlange stieß ein lautes, tiefes und langgezogenes Brüllen, ehe sie wieder im Wasser verschwand. Damit war das Schicksal der Vanguard besiegelt. Denn die Midgardschlange erreichte unter Wasser Geschwindigkeiten, die die eines Segelschiffes locker übertrafen.

Und wie schnell die Schlange war, zeigte sich bei ihrem Angriff auf den Segler. Denn als die Vanguard die Untiefen passierte und in tiefe Gewässer kam, schoss das Ungeheuer aus den Tiefen Ozeans empor. Die Besatzung des Schiffes war vor Schreck wie gelähmt, als die Midgardschlange aus den Fluten auftauchte. Mit Schwung warf das Reptil seinen wuchtigen Körper herum und zerschmetterte mit einem einzigen Schlag den Kreuzmast der Vanguard. Dabei kamen Don Fernando Jimenez, sowie Kapitän Masterman ums Leben. Bei der nächsten Attacke schnappte sich die Midgardschlange den dänischen Steuermann des Schiffes und fraß ihn bei lebendigem Leib. Als das Seeungeheuer erneut die Vanguard angriff, zerstörte es den Bugspriet und das Vorgeschirr des Dreimasters.

Die Vanguard war verloren. Denn bei der nächsten Attacke fällte die Schlange den Fock- und den Großmast des Schiffes. Zu guter Letzt sprang die Midgardschlange aus dem Wasser und stürzte durch eine offene Ladeluke in den Laderaum der Vanguard und durchbohrte mit dem Kopf den Rumpf. Danach verschwand die Schlange wieder in den weiten Tiefen des Meeres. Von der Vanguard war bis auf ein Rettungsboot nichts übrig geblieben. In eben diesem Rettungsboot befand sich eine Menschenfrau.

Zwei Tage nach dem verheerenden Angriff der Midgardschlange auf die Vanguard traf ein Bote aus Faros in Endor, der Hauptstadt Eterias ein. Königin Ignissa empfing ihn. „Ich sehe, dass Ihr bedrückt seid.“, sagte sie. „Nicht nur ich, meine Königin. Unser ganzes Volk. Sehen Sie, vor zwei Tagen ist eines unserer Schiffe, die Vanguard, in den Hoheitsgewässern Eterias von einem Seeungeheuer angegriffen und versenkt worden.“ „Ich habe davon gehört. Ich bedaure den Vorfall sehr.“ „Gibt es niemanden, der mit der Schlange fertig werden könnte?“ „Es gibt eine Elfe. Ihr Name ist Shina Fay. Der Kampf gegen dieses Untier wäre eine gute Gelegenheit, ihre Fähigkeiten mit dem Speer zu prüfen.“ „Soweit ich weiß, hatte Shina Fay noch nie einen Speer in der Hand, Hoheit.“ 156

„Guter Zeitpunkt um es zu lernen. Findet Ihr nicht auch?“ „Sicherlich.“ „Eine Frage noch. Was macht euch so sicher, Monsieur Le Comte, dass man der Midgardschlange nur mit dem Speer beikommen kann?“ „Tausende tapfere Männer haben es versucht. Mit den Waffen, mit denen Shina Fay normalerweise zu kämpfen pflegt. Keiner hat es geschafft, die Schlange zu töten. Sie ist gegen alle Gifte immun.“

„Gestattet mir eine Frage, Königin Ignissa.“ „Die da wäre?“ „Wie alt ist Shina Fay?“ „Sie ist 70 Jahre. Ja ich weiß, für eine Elfe ist das nicht gerade viel, aber Shina Fay ist schon so erfahren, als wäre sie 370 Jahre alt.“ Der Abgesandte aus Faros stutzte. „Ich will nicht unhöflich erscheinen, Hoheit. Aber ich würde gerne erfahren, wie dies sein kann. Ihr sagtet Jahr selbst, dass 70 Jahre kein Alter für eine Elfe ist.“ „Shina Fay muss seit ihrem 25. Geburtstag 12 Prüfungen bestehen. Neun hat sie bereits hinter sich. Man kann sagen, dass Shina Fay noch im Babyalter sprichwörtlich ins kalte Wasser geworfen wurde. Sie musste früh Dinge lernen, die erst später hätte lernen sollen.“ „Die arme kann einem leid tun. Wer ist so herzlos und tut einer jungen Elfe so etwas gemeines an?“

„Da solltet ihr euch bei Shina Fays Halbbruder Leto beschweren. Er hat den Zauberbogen von Shina Fays Vater Ator für sich beansprucht. Weil er aber zur Hälfte ein Dunkelelf ist, haben die Götter seine Ansprüche zurückgewiesen. Aber auch Shina Fay wurde für unwürdig befunden. Unsere Götter waren es, die ihr die 12 Prüfungen auferlegt haben. Und nur sie allein wissen, welch schreckliche Hindernisse Shina Fay noch wird überwinden müssen.“

„Dieser Leto muss ja eine richtige Mistsau sein.“ „Shina Fays Halbbruder hat noch mehr Leichen im Keller. Er hat den Clan des roten Habichts verraten, als er sich den Dunkelelfen angeschlossen hat.“ „Der soll mir bloß unter die Augen treten.“ In diesem Moment kam ein Lakai in den Thronsaal. „Meine Königin, Prinz Leto bittet um eine Audienz.“ „Er soll eintreten.“ Nur kurze Zeit später betrat Prinz Leto den Thronsaal. Er verneigte sich leicht, bevor er sich wieder erhob. „Was ist dein Begehr?“ „Meine Königin, Königin Azura, die Herrin der Dunkelelfen, beschuldigt meine Halbschwester Shina Fay des vorsätzlichen Massenmordes an der Besatzung der Vanguard.“

Der Abgesandte aus Faros glaubte sich verhört zu haben. „Willst du etwa damit andeuten, dass Shina Fay die Seeschlange geschickt hat, Bürschchen?“ „Ich deute gar nichts an. Für uns Dunkelelfen ist Shina Fay die Hauptschuldige an diesem Massaker, das die Midgardschlange angerichtet hat.“ Der Botschafter aus Faros baute sich vor Leto auf. „Ich möchte dir nur sagen, dass du ein ganz mieser Drecksack bist. Das ist meine private Meinung.“ 157

„Shina Fay ist schuldig und muss dafür mit dem Tod bestraft werden. So wie es das Gesetz der Dunkelelfen vorsieht.“ „Das ist eine gemeine Lüge. Ersticken sollst du dran du mieser Scheißkerl!“, sagte der Botschafter. „Vorsicht euer Exzellenz. Überspannen Sie den Bogen nicht. Noch so eine Beleidigung und ich stelle sie vor das Strafgericht.“ „Wenn das dein Ernst ist, dann mach es lieber gleich. Sonst bist du dran, das schwöre ich dir. Dann werde ich dich umlegen, wie n reudigen Hund.“ „Zum letzten Mal, Botschafter. Es steht Ihnen nicht zu, die Anklage von Königin Azura in Frage zu stellen.“ „Wenn´s um Mord geht auch nicht? Mann Leto, du und deine verkalkte Königin lügt beide wie gedruckt. Richte deiner Herrin aus, dass das Volk von Faros sie beobachten wird.“

In Darkwood war Königin Azura zu einer Unterredung mit ihrem Ratgeber zusammen getroffen. „Meine Königin. Ich habe wichtige Neuigkeiten. Sie betreffen eure verstoßene Tochter.“ „Ist sie endlich tot?“ „Nein Hoheit. Sie lebt. Und sie hat sich mit Shina Fay angefreundet. Bedenkt bitte Hoheit, solange Kaitlyn lebt und solange Shina Fay lebt, wird es zur großen Schlacht kommen und Kaitlyns Fluch wird sich erfüllen.“ „Leto ist in diesem Augenblick bei Königin Ignissa und versucht, sie dazu zu bringen, zumindest Shina Fay an mich auszuliefern, damit ich sie zum Tode verurteilen kann, um eben dieses Schreckensszenario, das Ihr gerade beschrieben habt, abzuwenden.“

Ein Diener der Herrin der Dunkelelfen betrat den Sitzungssaal. „Königin Azura, Leto ist zurück.“ „Bringe ihn sofort zu mir.“ Nur kurze Zeit später betrat Shina Fays Halbbruder Leto den Saal. Die Königin der Dunkelelfen sah ihn erwartungsvoll an. „Hat mein Plan funktioniert?“ „Nein Azura. Wir hätten bedenken sollen, dass der Botschafter aus Faros anwesend sein würde. Die Vanguard ist unter der Flagge von Faros gesegelt. Wir hätten den Besuch des Botschafters mit ein kalkulieren sollen.“ „Was ist passiert Leto?“ „Der Botschafter hat mich vor Königin Ignissa regelrecht zur Sau gemacht. Der Bastard hat kein Blatt vor den Mund genommen.“ „Also liefert Königin Ignissa Shina Fay nicht an uns aus.“ „Vergiss es. Sie glaubt eher dem Botschafter aus Faros, als mir.“ Azura wusste nichts mehr zu sagen.

In Eteria hatten Shina Fay und Kaitlyn einen Ausflug an die Küste gemacht. Bei einem der vielen Spaziergänge am Strand fanden die beiden die Trümmer des Rettungsbootes der Vanguard. Kaitlyn sah sich um, während Shina Fay die Überreste untersuchte. Dabei stieß die junge Dorfregentin auf das Namensschild, das anzeigte, dass dies ein Rettungsboot des gesunkenen Segelschiffes war. „Kaitlyn! Komm doch mal kurz! Ich habe etwas gefunden!“, rief sie ihrer Freundin zu. Die Dunkelelfe kam rasch herbei und sah sich Shina Fays Fund an. 158

„Das ist ein Namensschild. Es zeigt uns, zu welchem Schiff, dieses Boot gehört hat.“ „Da steht „Vanguard“.“, sagte Shina Fay. Kaitlyn wurde hellhörig. „Ist vor kurzem nicht ein Schiff mit diesem Namen gesunken?“ „Stimmt, da war doch was.“

Am späten Nachmittag entdeckten Kaitlyn und Shina Fay Fußspuren, die von den Trümmern des Bootes weg- und ins Landesinnere führten. An einer Quelle fanden sie die einzige Überlebende der Vanguard-Katastrophe. Die Frau war unter einem der vielen Bäume entkräftet zusammengebrochen. Shina Fay hielt Wache, während ihre Freundin Kaitlyn, die verstoßene Prinzessin der Dunkelelfen, sich die Fremde genauer ansah. „Sie lebt! Shina Fay, die Frau lebt!“, sagte sie nach einer Weile. „Ist das gut oder schlecht?“ „Im Großen und Ganzen ist ein gutes Omen. Aber ihr Zustand ist kritisch. Wenn sie nicht bald Flüssigkeit zu sich nimmt, wird sie an Dehydrierung sterben.“ Shina Fay kletterte auf eine der vielen Palmen und kam mit einer Kokosnuss wieder herunter.

Sie stach die Frucht mit einem Dolch an einem der beiden Enden an, und ließ die Flüssigkeit in einen silbernen Becher laufen, den sie in den Trümmern des Rettungsbootes gefunden hatte. Den Becher reichte Shina Fay dann Kaitlyn, die ihn vorsichtig an die Lippen der überlebenden Frau hielt. Ihre Freundin stützte derweil den Kopf der Menschenfrau, damit die Dunkelelfenprinzessin keine kostbare Flüssigkeit verschüttete. Schlückchen weise gab Kaitlyn der Unbekannten die Kokosmilch zu trinken.

Ganz langsam erholte sich die Fremde. Am Abend, die Sonne ging gerade am Horizont unter, erwachte sie. Shina Fay sah in zwei wunderschöne blau-graue Augen. Das runde Gesicht, mit der hübschen Nase und den sinnlichen Lippen wirkte erschöpft und mitgenommen. Der Körper war nicht so schmal und grazil wie bei Shina Fay oder Lady Jessica, aber er wies an den entsprechenden Stellen auch kein Gramm Fett zu viel auf. Die dunkelbraunen Haare trug die fremde Frau offen und so reichten sie bis zu ihren hübschen, wohlgeformten Brüsten. Bekleidet war die Fremde mit weißen Sandaletten und einem türkis farbenen Kleid mit aufgestickten Pfauen. An beiden Unterarmen trug sie goldene Armreife.
 

„Geht es ihnen gut?“, fragte Shina Fay die Fremde. „So weit ja. Aber ich fühle mich immer noch schwach.“ Die Elfe nahm ein paar Stücke Kokosfleisch und hielt sie der fremden Frau hin. Nach und nach kam die Fremde wieder zu Kräften. Später löste Kaitlyn Shina Fay ab, 159

damit diese etwas zu Essen besorgen konnte. Nach Einbruch der Dunkelheit kehrte Shina Fay mit zwei Enten zurück. „Weiß zwar nicht, was das für Vögel sind, aber sie scheinen essbar zu sein.“, meinte sie. „Das sind Mandarinenten. Und ja man kann sie essen.“

In Christchurch, der wichtigsten Hafenstadt im Königreich Erimanteles, wurde seit Tagen eine Viermastbark ausgerüstet. Das Schiff war 115 Meter lang und 14,4 Meter breit. Die Bark, die den Namen „Passat“ trug hatte eine Verdrängung von 6.280 Tonnen und einen maximalen Tiefgang von 7,24 m. An ihren vier Masten konnte die „Passat“ 34 Segel mit einer Gesamtfläche von 4.100 m² tragen. Damit war das Schiff in der Lage, eine Höchstgeschwindigkeit von 17,4 Knoten erreichen. Alle vier Masten ragten über Wasser 56 m in die Höhe. Die Stammbesatzung bestand aus 35 Mann und 86 Auszubildenden, auch Kadetten genannt. Unterhalb der Wasserlinie war der Kiel in einem dunklen rot lackiert. Darüber zuerst weiß, dann schwarz. Der Name „Passat“ bestand aus Messingbuchstaben.

In Eteria war ein neuer Tag angebrochen. Shina Fay und Kaitlyn waren bei der fremden Frau geblieben. „Wie heißt du eigentlich?“, fragte Shina Fay die Fremde. „Dina.“ „Ich würde gerne wissen, was passiert ist. Ich meine, die Vanguard ist ja nicht einfach so untergegangen.“ „Wir wurden angegriffen. Einer der Offiziere hat mich an Deck gebracht und in das Rettungsboot gesetzt.“ „Konntest du den Angreifer erkennen, Dina?“, wollte Kaitlyn wissen. „Bis ins kleinste Detail. Ich würde dieses Ungeheuer jederzeit und überall wieder erkennen.“ „Kannst du ihn uns beschreiben?“ „Ich werde ihn malen.“ Und so malte Dina aus dem Gedächtnis ein exaktes Abbild der Schlange. Shina Fay lief es eiskalt den Rücken runter, als sie sah, wer die Vanguard versenkt hatte. „Die Midgardschlange!“, entfuhr es ihr. „Die Midgardschlange? Hab ich noch nie was von gehört.“ „Sie ist ein Monster. Sie hat unzählige Schiffe sämtlicher seefahrenden Nationen zerstört und tausende und abertausende tapferer Seeleute in den Tod gerissen.“ „Und nicht bloß das. Wegen der Midgardschlange haben unzählige Seekriege angefangen.“, warf Dina ein. „Und keiner weiß, wann sie das nächste Mal zuschlagen wird.“ „Könnte es vielleicht sein, dass die Midgardschlange wieder einen Krieg heraufbeschwören will?“ „Allein schon der Gedanke daran jagt mir Angst ein, Kaitlyn. Wir Elfen sind zwar hervorragende Seefahrer, aber Eteria verfügt über kein Militär. Von einer schlagkräftigen Marine ganz zu schweigen.“ „Das ist gar nicht gut. Aber verfügt Eteria über die notwendigen finanziellen und materiellen Ressourcen, um eine Armee beziehungsweise eine Marine zu unterhalten?“ „Eteria ist eine reiche Nation.“ „Jetzt verstehe ich. Deswegen will meine Mutter den Krieg mit 160

den Elfen Eterias. Ob sie hinter den Angriffen der Midgardschlange steckt?“ „Das wage ich zu bezweifeln Kaitlyn. Dann wäre Azura demnach auch indirekt für die anderen Kriege verantwortlich.“ „Mutter war schon immer eine Kriegstreiberin. Sie hat lieber mit ihren Generälen zusammengesessen, als mit mir was zu unternehmen. Ich habe sie schon früh gehasst.“ „Dann müsstest du doch über die Verbannung nach Tyrions Vergewaltigung doch froh sein.“ „Die Verbannung macht mir nichts aus. Ich bin froh, dass ich jetzt hier leben kann. Ihr Elfen seid gar nicht so grausam, wie meine Mutter immer behauptet hat.“

In Christchurch brach gerade ein neuer Tag an. Die Viermastbark Passat war bereit ihre Reise nach Eteria anzutreten. Der Kapitän, ein kräftig gebauter Maori, gab den Befehl, die Leinen loszuwerfen. „Leinen los!“ Die Hafenarbeiter an Land warfen die Leinen los und die Matrosen auf dem Schiff zogen sie an Bord. „Aufentern und Segel setzen!“ Die Matrosen stürmten in die Takelage enterten auf die Rahen und warfen die Segel los. Diese füllten sich rasch mit Wind und die Passat nahm Fahrt auf. Der nächste Befehl von Kapitän Wilson ging an den Steuermann. „Backbord 10 Mr. Thompson.“ „Aye Captain.“ Der hünenhafte Australier warf das Steuerrad herum, bis der Bug der Bark auf das offene Fahrwasser zeigte. „Ruder mittschiffs, Mr. Thompson.“ „Aye, Aye Sir.“

Nach drei Tagen Fahrt erreichte die Passat die Hoheitsgewässer Eterias. Kapitän Nigel Wilson hatte vom Schicksal der Vanguard gehört und beschlossen, einen Umweg zu fahren. Doch das machte ein Ergänzen der Vorräte nötig. Daher entschied der Maori, den Hafen von Livara, einer neugegründeten Küstensiedlung auf der Insel Menorca, anzulaufen. Der Hafenmeister kam an Bord. „Captain Wilson, Sie sollten die Meerenge von Cruzeiro meiden.“, sagte er. „Weil dort die Midgardschlange ihr Unwesen treibt?“ „Woher wissen Sie das?“ „Der Angriff auf die Vanguard war bei uns in Erimanteles in den letzten Wochen das große Thema. Aber keine Sorge, ich habe gar nicht vor, die Meerenge anzusteuern.“ Der Hafenmeister seufzte erleichtert. „Das ist eine sehr weise Entscheidung.“ „Es kann aber durchaus sein, dass ich die Meerenge doch anlaufen muss. Denn die Küstengewässer Eterias gelten wettertechnisch als unberechenbar.“ „Dann hoffe ich, dass es nicht soweit kommt.“

Als die Flut einsetzte lief die Passat wieder aus. „Mr. Thompson, Kurs Südwest.“, befahl Kapitän Wilson. „Ja Sir.“ Die Reise verlief ohne weitere Zwischenfälle und die Passat glitt eines schönen Morgens in den Hafen von Catania, an der Westküste Eterias. Die Ladung wurde gelöscht und für die Rückreise Ballast an Bord genommen. Mit der Abendflut lief die Passat aus Catania aus und nahm Kurs auf ihre Heimat Erimanteles. 161

Doch kaum hatte sie den Hafen von Eterias wichtigster Hafenstadt verlassen, zog ein Unwetter auf. Dieser Sturm war es, der Captain Wilson dazu veranlasste, die Meerenge von Cruzeiro anzusteuern.

Als die Passat die Meerenge erreichte, schoss die Midgardschlange aus den Tiefen des Meeres empor und griff das Schiff an. Mit dem Gewicht ihres Körpers zerbrach das Ungeheuer die Bark in zwei Teile. Bis auf den ersten Offizier Graham Hill überlebte niemand.

Als die Passat nach zwei Tagen nicht nach Christchurch zurückgekehrt war, wussten alle in Erimanteles, dass dieses Schiff der Midgardschlange zum Opfer gefallen war. König Gundolf sandte seinen Botschafter zu Königin Ignissa, der Regentin von Eteria, in deren Hoheitsgewässern, sich das Unglück ereignet hatte. Eine Kurierbrigg brachte den Botschafter von Erimanteles nach Eteria, wo er von einer Kutsche weiter nach Endor gefahren wurde. Als er den Thronsaal betrat, bemerkte er, dass Königin Ignissa im Gespräch mit einem Dorfvorsteher eines Küstendorfes war. „Und dieser Tsunami ist aus heiterem Himmel entstanden?“ „Ja meine Königin. Unser Dorfpriester hat die Zeichen gedeutet und gemeint, dass die Midgardschlange erzürnt sei, weil die Passat keine wertvolle Fracht an Bord hatte.“

„Also wenn ich das richtig verstanden habe, ist die Midgardschlange nur dann zufrieden, wenn sie ein Schiff auf der Hinfahrt erwischt, statt wie im vorliegenden Fall, ein Schiff das meinem König gehört , auf der Rückfahrt.“, sagte der Botschafter. „So in etwa. Ich bedaure den Verlust Ihr Männer sehr.“, sagte der Dorfälteste. „Ihr Bedauern können Sie sich ans Revers kleben Herr Abgesandter. Merken Sie sich eines Königin Ignissa, es wird keinen Frieden geben, solange die Midgardschlange lebt.“ Damit machte der Botschafter von Erimanteles auf dem Absatz kehrt und verließ den Thronsaal.

In den nächsten Tagen wurde die Küste Eterias immer wieder von Tsunamis und heftigen Erdbeben heimgesucht, denn die Midgardschlange tobte vor Wut, weil der Kapitän der Passat sie um ihre rechtmäßige Beute betrogen hatte. Doch nicht nur damit hatte Königin Ignissa zu kämpfen. Die Kriegsdrohung des Botschafters aus Erimanteles machte ihr ebenfalls zu schaffen.

An einem Tag, es war gerade Sommer geworden, traf Shina Fay zusammen mit ihren Freundinnen Kaitlyn und Raya in Endor ein. Die Wachposten am Tor des königlichen Palastes ließen sie passieren. Auch der Posten an der Tür zum Thronsaal machte keinerlei Schwierigkeiten, kannte er die junge Dorfregentin doch von zahlreichen Besuchen. 162

Als die Elfe den Thronsaal betrat erhob sich die Königin und ging auf sie zu. „Shina Fay. Dich schickt der Himmel. Ich nehme an, du hast gehört was passiert ist.“ „Ja meine Königin. Es sind schwere Zeiten für uns Elfen.“ „Und hat man dir auch erzählt, dass der Botschafter aus Erimanteles damit gedroht hat, Eteria dem Schwert zu überantworten, wenn die Midgardschlange nicht getötet wird?“ „Ja Hoheit. Ich werde diese Bestie zur Strecke bringen.“ „Eine neue Prüfung?“ Shina Fay nickte. „Dann sollen unsere Waffenschmiede dir ein paar Speere schmieden. Denn mit deinen üblichen Waffen, wirst du gegen die Midgardschlange keinen Erfolg haben.“ „Dann muss ich mir das Wissen aneignen, wie man mit dem Speer umgeht.“ „Gordon, der Wächter an der Tür zum Thronsaal ist ein Meister mit dem Speer. Er soll dir alles beibringen, was er weiß.“

Am nächsten Morgen war Shina Fay schon früh aufgestanden und hatte sich in Begleitung von Raya und Kaitlyn zum königlichen Übungsplatz begeben. Gordon erwartete seine Schülerin bereits. „Bevor wir anfangen, solltest du besser nicht allzuschnell allzu große Fortschritte erwarten.“ „Natürlich nicht. Ihr habt Erfahrung mit dem Speer, während ich noch nie einen Speer geführt habe. Ihr werdet viel Geduld mit mir haben müssen.“ „Gut das du das einsiehst, Shina Fay. Also dann. Deine erste Lektion besteht darin, die richtige Balance zu finden. Wenn du den Speer werfen willst, dann muss er richtig ausbalanciert sein, sonst fällt er wie ein nasser Sack auf den Boden.“

Dann demonstrierte Gordon wie man den Speer warf. Shina Fay war beeindruckt. „Jetzt versuch du es mal.“, sagte Gordon und reichte Shina Fay einen Speer. Shina Fay versuchte es dem Torwächter nachzumachen, aber ihr Speer fiel bereits nach dem Wurf zu Boden. Verärgert warf die junge Dorfregentin den Speer auf den Boden. Gordon schmunzelte. „Genauso ist mir bei meinem ersten Versuch auch ergangen. Du hast den Speer zu weit hinten angefasst. Dadurch hattest du beim Wurf nicht genügend Kraft aufgebaut, die den Speer hätte fliegen lassen.“

Gordon wies Shina Fay an, sich neben ihn zu stellen. „Du musst den Speer weiter vorne anfassen. Besser noch in der Mitte.“, sagte er und hob den Speer. Shina Fay merkte sich, die Stelle an der der Saalwächter den Speer aufgenommen hatte. Sie machte es ihm nach. „Sehr gut, Shina Fay. Merkst du, wie sich das Gewicht besser verteilt?“ „Ja.“ „Gut. Jetzt versuche den Speer zu werfen.“ Die Stammesführerin vom Clan des roten Habichts warf erneut. Dieses Mal flog der Speer eine kleine Strecke, bevor wieder auf den Boden fiel. „Das war schon besser. Wenn du jetzt noch mehr Kraft in deinen Wurf legst, dann triffst du dein Ziel auch. Versuch es mal.“ Shina Fay warf ein drittes Mal. Dieses mal warf sie so kräftig, wie sie nur konnte. 163

Und siehe da. Der Speer flog und traf auch gleich das Ziel, das in Form eines Sandsacks an einem Baum hing. Gordon staunte nicht schlecht. „Du lernst schnell Shina Fay.“ Shina Fays nächste Lektion bestand darin, den Speer aus der Bewegung heraus zu werfen. Auch diese meisterte die Elfe mit Bravour. „Ich sehe, du bist ein Naturtalent, was den Speerwurf angeht. Aber für heute machen wir besser Schluss. Ich muss wieder auf meinen Posten.“ „Ich danke dir Gordon.“

In Mahon, einer kleinen Hafenstadt auf der Insel Tarsonis, ließ der dortige Regent, ein König namens Tilian, eins seiner besten Kriegsschiffe, die Soleil Royal, ausrüsten, um der Midgardschlange den Garaus zu machen. Dieses Schiff war ein Linienschiff erster Klasse mit 104 Kanonen an Bord. Das Schiff war 61 Meter lang, 15,64 Meter breit und hatte einen Tiefgang von 7,64 Metern. Dazu kam eine Besatzung von 950 Mann. Das stolze Linienschiff verdrängte stattliche 1.630 Tonnen. Im unteren Batteriedeck waren sowohl auf der Backbordseite als auch auf der Steuerbordseite jeweils 14 Geschütze aufgestellt, die Kugeln mit einem Gewicht von 32 Pfund verschießen konnten. Im Mitteldeck waren ebenfalls 28 Geschütze aufgestellt, die jedoch nur 24 Pfund schwere Kugeln verfeuerten. Auf dem Oberdeck standen die 28 12-Pfünder-Kanonen.

Da das Schiff erst vor kurzem auf einer Werft generalüberholt worden war, erstrahlte auch der Außenanstrich der Soleil Royal in neuem Glanz. Der Heckspiegel des Linienschiffes und der oberste Rumpfteil waren in königsblau gehalten. Der Rest war bestem Teakholz gefertigt worden. Unter der Wasserlinie hatte man den Kiel des Schiffes mit Kupfer beschlagen, damit der Holzwurm den Rumpf der Soleil Royal nicht durchlöchern konnte. Sämtliche Verzierungen, sogar die Galionsfigur, die in Form eines Seepferdes mit einer geflügelten Meerjungfrau ausgeführt worden war, hatte man vergoldet.

In Eteria übte Shina Fay mit Gordon den Speer als Nahkampfwaffe einzusetzen. Auf diese Weise lernte sie auch noch ein paar neue Nahkampftechniken. Es war Abend, als die Elfe ihre letzte Lektion absolvierte. „So, Shina Fay. Du hast alles gelernt, was ich dir beibringen konnte. Viel Glück bei deiner Mission.“ „Danke Gordon.“ Bevor sich Shina Fay auf den Weg nach Hause machte, kam der königliche Waffenschmied und brachte ihr fünf Speere. „Für euren Kampf gegen die Midgardschlange.“ „Ich danke euch.“

Und während Shina Fay mit ihren neuen Speeren auf dem Weg in ihr Dorf war, hatte die Soleil Royal Mahon verlassen. Der Auftrag war ganz einfach: Die Midgardschlange zu stellen und zur Strecke zu bringen. Kapitän Cyril Abidi war nicht ganz wohl bei der Sache. Wusste er doch, dass er die territoriale Souveränität Eterias verletzen würde. 164

Doch Befehl war nun einmal Befehl. Und es stand ihm nicht zu, Befehle zu hinterfragen noch zu kritisieren. Er musste sie ausführen.

Kapitän Abidi stand auf dem Achterdeck, als der erste Offizier, Henri Foche zu ihm kam. „Mon Capitaine?“ „Was gibt es Monsieur Foche?“ „Seit Tagen stehen sie ohne Unterbrechung hier oben auf dem Achterdeck. Wann schlafen Sie eigentlich?“ „Ich kann nicht schlafen. Haben Sie unsere Befehle eigentlich gelesen?“ „Mais Oui, mon Capitaine. Und ich würde sagen, die Befehle sind eindeutig.“ „Fällt Ihnen nichts merkwürdiges daran auf, Monsieur Foche?“ „Non, mon Capitaine.“ „Auf den ersten Blick ist an den Befehlen nichts auszusetzen. Was mir Sorgen bereitet, ist die mögliche Reaktion von Königin Ignissa. Der Regentin Eterias.“ „Und warum ausgerechnet von ihr, mon Capitaine?“ „Monsieur Foche. Die Midgardschlange treibt in den Hoheitsgewässern von Eteria ihr Unwesen. Und wir segeln unter der Flagge von Tarsonis. Fällt bei Ihnen jetzt der Groschen, Monsieur Foche?“ „Ehrlich gesagt verstehe ich immer noch nicht ganz, worauf sie hinaus wollen.“ „Haben Sie schon mal was von territorialer Souveränität gehört, Monsieur Foche?“ „Sie meinen...“ „Ja genau. Wenn wir in den Hoheitsgewässern Eterias das Feuer auf die Midgardschlange eröffnen, dann könnte Königin Ignissa dies unter Umständen als kriegerischen Akt auffassen.“

Am Grund des Ozeans lauerte unterdessen die Midgardschlange auf neue Beute. Seit dem Untergang der Passat und dem damit einhergegangen Betrug hatte dieses Monster die Küsten Eterias mit Monsterwellen und Erdbeben heimgesucht. Und mit jedem weiteren Tag der verging, ohne das ein Schiff vorbeikam, wuchs der Zorn dieses Untiers noch weiter. Den ganzen Tag lauerte die Schlange in ihrem Versteck. Doch als am Abend die Sonne am Horizont unterging, wusste die Midgardschlange, dass wieder kein Schiff kommen würde. Mit einem lauten und markerschütternden Brüllen schoss das Ungeheuer aus den Fluten des Meeres und krachte mit dem gesamten Gewicht seines gewaltigen Körpers auf die Wasseroberfläche. Ein neuer Tsunami war entstanden, der sich nun unaufhaltsam auf die Küste Eterias zubewegte. Doch dabei wollte es die Midgardschlange nicht belassen. Solange die Schlange nicht bekam, was sie wollte, mussten die Küstenbewohner die Zeche zahlen. Dieses Mal jedoch, ließ sie dem Tsunami noch einen Vulkanausbruch folgen. Eine kleine Ortschaft wurde von den glühenden Lavamassen verschlungen. Die Bewohner hatten keine Chance zu entkommen.

In Endor, Eterias Hauptstadt wusste man noch nichts von den Ereignissen des Vorabends. Königin Ignissa war hatte gerade ihr morgendliches Bad beendet und war in ihren seidenen Morgenmantel gekleidet, als Gordon ihr Saalwächter die Gemächer betrat. „Du weißt, dass ich es hasse, wenn man mich beim Ankleiden 165

stört, Gordon.“ „Ich bitte um Vergebung, meine Königin. Aber von der Küste sind soeben Neuigkeiten eingetroffen.“ „Gute oder schlechte?“ „Ich sage das nicht gern, Hoheit. Aber ich befürchte, dass ich keine guten Nachrichten bringe.“ Ignissa verdrehte entnervt die Augen. „Spann mich nicht auf die Folter Gordon. Was genau ist passiert?“ „Die Midgardschlange hat die Küste Eterias wieder terrorisiert. Sie hat einen Tsunami erzeugt, der eine unserer wichtigsten Hafenstädte, Kenley, zerstört hat.“ Die Königin wurde kreidebleich. „Welche Schiffe legen für gewöhnlich in Kenley an, Gordon?“ „Schiffe aus Blackweir und Angkor Wat, meine Königin.“ „Welche Hafenstadt liegt Kenley am nächsten und hat noch genug Kapazitäten um diese Schiffe abzufertigen?“ „Nur Portimao, fürchte ich.“ „Gut. Schicke Boten nach Blackweir und Angkor Wat. Ihre Schiffe sollen bis auf weiteres Portimao ansteuern.“ „Das ist leider noch nicht alles.“ „Was noch?“ „Die Midgardschlange hat dem Tsunami, der Kenley zerstört hat, noch einen Vulkanausbruch folgen lassen, der die Ortschaft Santa Catarina vollends zerstört hat. Wir haben 60 Todesopfer zu beklagen.“ „Das ist bitter. Aber nun tu was ich dir befohlen habe und schick die Boten los.“, sagte Ignissa. „Ja, Herrin.“

In Shina Fays Dorf ging unterdessen alles seinen Gang. Dina, die Menschenfrau hatte sich inzwischen mit der Elfe angefreundet. Die beiden schlenderten gerade durch den Garten hinter dem Regierungspalast. „Du wirkst so bedrückt, Shina Fay.“, sagte Dina. „Ich mache mir Sorgen, Dina. Seit dem Untergang der Passat und dem damit einhergehenden Terror der Midgardschlange sind so viele Leute gestorben. Menschen wie Elfen.“ „Es gibt nur eine Möglichkeit, dem Terror dieses Ungeheuers ein Ende zu bereiten. Die Midgardschlange muss sterben.“ „Und es ist meine Aufgabe, sie zu töten. Ich habe fünf Speere, die alle mit Elfenmagie verzaubert sind. Sie sind vielleicht die einzige Waffe, mit der ich diesem Untier bei kommen kann.“ „Ich wünsche dir viel Glück bei deiner Mission. Ich wünschte, ich könnte dich begleiten. Aber meine Angst, das die Midgardschlange mich doch noch in den Tod reißt ist größer.“

Am nächsten Morgen brach Shina Fay nach Catania auf. Diese Stadt war die einzige der vielen Hafenstädte Eterias, die noch nicht den Terror der Midgardschlange abbekommen hatte. Als sie dort ankam sah sie ein Schiff in den Hafen einlaufen. Es war ein schönes Schiff, dessen Rumpf weiß war. Vom Bug bis zum Heck verlief ein blauer Streifen, der in regelmäßigen Abständen eine gewisse Ähnlichkeit mit den Stückpforten einer Fregatte hatte. Auffällig waren jedoch die fünf Masten mit ihren 42 Segeln, die eine Gesamtfläche von 5.050 m² aufwiesen. Das Schiff war 133,74 Meter lang und 16,28 Meter breit. Der Tiefgang des Schiffes das auf den Namen Northern Flyer hörte, 166

betrug 5,6 Meter. Das Schiff segelte unter der Flagge von Medina.

Shina Fay ging an Bord des riesigen Schiffes. Der Kapitän, ein hochgewachsener, schlanker Mann mit schwarzen Haaren und blauen Augen trat auf sie zu. „Ihnen ist hoffentlich klar, das Unbefugte keinen Zutritt haben.“, sagte er barsch. „Ich werde auch gleich wieder gehen. Ich bin nur gekommen um Sie zu warnen. Die Midgardschlange ist im Moment sehr aktiv. Wenn Sie nicht nur ihr Leben, sondern auch ihr Schiff und ihre Besatzung nicht verlieren wollen, würde ich Ihnen dringend empfehlen, im Hafen zu bleiben, oder eine andere Route für ihre Rückreise zu wählen. Meiden Sie unter allen Umständen die Meerenge von Cruzeiro.“

Aus der Ferne erklang der Donner von Kanonen. „Das klingt gar nicht gut.“, sagte der Kapitän. „Wer ist denn so krank im Kopf, sich mit der Midgardschlange anzulegen?“ In den Gewässern um die Meerenge von Cruzeiro war die Soleil Royal auf die Midgardschlange getroffen. Als Kapitän Abidi den Kopf des Ungeheuers aus dem Wasser hatte ragen sehen, hatte er umgehend den Befehl „Klar Schiff zum Gefecht!“ ausgegeben. Die Kanoniere hatten die Stückpforten des Dreideckers geöffnet, die Kanonen geladen und ausgerannt. Als auch der Schusswinkel stimmte gab der Kapitän den Feuerbefehl. „Geschütz weise feuern!“ Eine Kanone nach der anderen spie der Midgardschlange ihre tödliche Ladung entgegen.

Doch statt dieses Monster zu töten, erzielten die Breitseiten der Soleil Royal die entgegengesetzte Wirkung. Die Schlange tauchte ab, und rammte das stolze Linienschiff unter der Wasserlinie. Der Aufprall ließ die Masten zusammenbrechen und jeden an Deck den raschen Tod finden. Die Kanoniere feuerten noch eine Zeitlang weiter, doch die Schlange durchbrach die Bordwände und verschlang einen nach dem anderen. In Catania bemerkte der Kapitän der Northern Flyer, dass das Bombardement aufgehört hatte. „Es ist vorbei.“, sagte er. „Ja. Und wieder hat eine tapfere Besatzung den Tod gefunden.“ „Ich muss mich bei Ihnen für meine rüde Behandlung entschuldigen. Sie haben gut daran getan mich zu warnen. Ich werde die besagte Meerenge meiden, wie der Teufel das Weihwasser.“ „Ein weiser Entschluss Kapitän. Doch jetzt muss ich gehen. Ich muss dieses Mistvieh zur Strecke bringen, ehe es noch mehr Unheil anrichtet.“ „Passt auf euch auf.“ „Das werde ich.“

Am nächsten Morgen wurde im Hafen von Catania die Flagge der Soleil Royal angeschwemmt. Shina Fay erkannte den Kopf eines Wolfes, der sein Maul aufgerissen hatte und seine tödlichen Zähne zeigte. Die eine Hälfte des Kopfes war hellgrau, die andere schwarz. 167

Die gelben Augen dieses Wolfes blickten diabolisch drein. Links und rechts des Wolfskopfes erkannte Shina Fay jeweils drei Tannen. Kurzerhand fischte sie die Fahne aus dem Wasser und suchte den Kapitän der Northern Flyer auf. Dieser staunte nicht schlecht, als er die Elfe wieder sah. „Kann ich euch behilflich sein, Mylady?“ „Diese Fahne wurde gerade angeschwemmt. Leider weiß ich nicht, zu welchem Königreich, sie gehört.“ „Kann ich die Flagge mal sehen?“ „Natürlich.“ Mit diesen Worten breitete Shina Fay die Flagge der Soleil Royal auf dem Hauptdeck der Northern Flyer aus. „Ich kenne dieses Wappen. Ohne Zweifel. Das Schiff, dessen Artillerie wir gestern gehört haben, war ein Kriegsschiff der Marine von Tarsonis. Und nur die ganz großen Schiffe, als die Linienschiffe, führen diese Flagge.“ „Was meinen Sie Kapitän, welches dieser Schiffe dürfte es erwischt haben?“ „Wenn meine Informationen stimmen, dann dürfte es den Stolz der tarsonischen Marine, die Soleil Royal erwischt haben. Denn sie hatte den Befehl erhalten, die Midgardschlange zu vernichten.“ „Danke für eure Hilfe.“ „Keine Ursache.“

Kurz darauf wurde Shina Fay beim Hafenadmiral von Catania vorstellig und bat ihn einen Boten mit einer Nachricht und der Fahne als Beweis zu Königin Ignissa zu schicken. Danach suchte sie einen Fischer, der sie zur Meerenge bringen sollte, wo die Midgardschlange auf Beute lauerte. Bis auf den alten Fischer Cepi wollte keiner die Elfe unterstützen. Shina Fay hatte gerade die Speere ins Boot gebracht, als ihre Freundin Raya auftauchte. „Nimmst du mich mit?“, fragte sie. „Ein bisschen Schützenhilfe kann nicht schaden. Aber beeil dich, wir haben nicht viel Zeit. Ich hab vielleicht nur diese eine Chance, dieses Mistvieh kalt zu erwischen.“

Am frühen Vormittag stach Cepi mit den beiden Elfen in See. Die anderen Fischer bedauerten ihn. „Der arme Cepi. Die Midgardschlange wird auch ihn in den nassen Tod reizen.“ „Ja. Und die beiden Elfen gleich mit.“ „War eine der beiden nicht Shina Fay, die zukünftige Königin Eterias?“ „Wieso zukünftige Königin?“ „Na ja. Es kursiert das Gerücht, dass Shina Fay Königin Ignissa nachfolgen soll. Sie selbst soll White Angels Tochter auserwählt haben.“ „Hoffen wir nur, dass Shina Fay uns dieses Biest vom Hals schafft.“

In Endor war der Bote aus Catania eingetroffen. Königin Ignissa empfing ihn im Thronsaal. „Meine Königin. Shina Fay, die Stammesführerin vom Clan des roten Habichts, hat eine Nachricht für euch. Und als Beweis für deren Echtheit hat sie mir diese Flagge mitgegeben.“ Der Bote breitete die Flagge der Soleil Royal auf dem Boden des Saales aus. „Das ist die Flagge von Tarsonis. Wie kommt Shina Fay in ihren Besitz?“ „Sie wurde im Hafen von Catania angeschwemmt. 168

Shina Fay hat sie gefunden. Sie und der Kapitän der Northern Flyer haben gestern Kanonendonner gehört.“ „Von wo kam der Lärm?“ „Er kam von der Meerenge. Offenbar hat Tarsonis eines seiner Kriegsschiffe entsandt, um die Schlange zu vernichten. Shina Fay vermutet, dass es die Soleil Royal gewesen sein könnte.“ „Vermutungen sind nichts halbes und nichts ganzes. Aber wenn König Tilian einem seiner Kapitäne den Befehl erteilt hat, in unseren Hoheitsgewässern das Feuer auf ein Seeungeheuer zu eröffnen, dann hat er wissentlich in Kauf genommen, dass der Kommandant dieses Schiffes unsere territoriale Souveränität verletzt. Was auch passiert ist.“ „Was werdet Ihr jetzt unternehmen, meine Königin?“ „Zunächst einmal werde ich den Botschafter von Tarsonis einbestellen. Er wird mir einiges erklären müssen.“ „Und danach?“ „Danach werde ich beten und hoffen, dass Shina Fay heil von dieser Mission zurückkehrt.“

Und während der Bote Eterias nach Fontainebleau, der Hauptstadt von Tarsonis unterwegs war, hatte Shina Fay die Meerenge von Cruzeiro erreicht. Es war neblig. Ein perfektes Wetter für einen Hinterhalt der Midgardschlange. Und wie aus dem Nichts erschien das Ungeheuer und griff das kleine Boot an. Die Elfe griff einen ihrer Speere und warf ihn mit all ihrer Kraft. Und gleich der erste Wurf traf das Untier an der Unterseite und durchbohrte den Unterkiefer. Die Midgardschlange stieß ein markerschütterndes Brüllen aus. Diesen Moment der Unachtsamkeit nutzte Cepi und steuerte sein Boot an die Klippen heran. Shina Fay kletterte schnell auf die Felsen und Raya reichte ihr die Speere. Dann folgte sie ihrer Freundin.

Wieder griff die Schlange an. Raya reichte Shina Fay einen weiteren Speer. Und wieder konnte die Elfe einen Treffer landen. Wieder brüllte die Kreatur auf, als die Waffe traf und die Magie der Elfen begann zu wirken. Ein dritter Angriff des Seeungeheuers, der aber ebenfalls in Leere ging und ihm einen dritten Speer bescherte. Shina Fay wartete gar nicht erst auf die vierte Attacke der Midgardschlange, sondern warf gleich den vierten Speer hinterher. Auch dieser Wurf war ein Treffer. Das Monster war bereits so geschwächt, dass es nicht mehr die Kraft für einen fünften Angriff aufbrachte.

Genau auf diesen Augenblick hatte Shina Fay gewartet. Sie sprang der Bestie in den Nacken und stieß mit ihrem fünften und letzten Speer zu. Die Schlange bäumte sich auf und tauchte dann ab. Dann tauchte sie wieder auf, auf ihrem Rücken Shina Fay, die immer wieder mit ihrem Speer auf ihren Gegner einstach. Wieder tauchte die Midgardschlange und nahm die Elfe mit sich. Raya und Cepi sorgten sich um Shina Fay. Doch diese kämpfte tapfer mit der Schlange, bis diese ihren letzten Atemzug tat um dann für immer in den Tiefen des Ozeans zu 169

verschwinden. Raya befürchtete das Schlimmste, als ihre Freundin nicht an die Oberfläche zurückkehrte. „Leb wohl, Shina Fay. Du warst die Hoffnung Eterias. Nun ist alles verloren. Für immer.“ „Was redest du da für einen Stuss Raya?“ Die Elfe aus Erathia fuhr herum. Shina Fay klammerte sich an einen Felsen. „Shina Fay!“ „Würdest du bitte so freundlich sein und mir aus dem Wasser helfen? Ist nicht gerade angenehm. Und vor allem verdammt noch mal kalt!“ Raya packte ihre Freundin am Handgelenk und zog sie auf die Klippen. „Ich hab schon gedacht, dass du für immer von uns gegangen bist.“ „Wie lange kennen wir beide uns schon?“ „45 Jahre.“ „Na also. Du solltest mich besser kennen, als jeder andere. Es braucht schon einiges, um mich zu besiegen.“

„Wenn du nicht bald was warmes zu dir nimmst, Shina Fay, wirst du dir noch eine fette Erkältung einfangen.“, machte sich Cepi bemerkbar. „Cepi!“ „Los an Bord mit euch. Und dann ab zurück nach Catania.“ Auf dem Weg zurück wickelte Cepi Shina Fay in mehrere warme Decken und gab ihr heißen Tee zu trinken. „Ist die Midgardschlange …?“ „Tot? Ja. Aber das ganze wird für Tarsonis wohl noch ein böses Nachspiel haben.“ „Wie kommst du denn auf dieses schmale Brett?“, fragte Raya. „Wie würde eure Königin Catherine reagieren, wenn ein Kriegsschiff einer fremden Nation in den Hoheitsgewässern Erathias ohne Vorwarnung das Feuer auf ein Piratenschiff eröffnen würde?“ „Catherine würde mobil machen und sich auf einen Krieg mit dem Agressor vorbereiten.“ „Ignissa hat bisher immer besonnen gehandelt. Hoffen wir, dass sie sich zusammenreißt.“

In Endor war inzwischen der tarsonische Botschafter eingetroffen. Königin Ignissa saß auf ihrem Thron und sah ihn böse an. Dem Botschafter wurde ganz unwohl in seiner Magengrube. „Ihr ahnt, warum ich euch kommen ließ?“, fragte die Königin Eterias. „Ich denke schon.“ „Was fällt eurem König ein, in den Hoheitsgewässern MEINES Königreichs ohne meine ausdrückliche Bitte um Beistand ein Seeungeheuer anzugreifen?“ „Bitte verzeiht Hoheit. Aber König Tilian ist zuweilen nicht mehr ganz Herr seiner Sinne. Oft trifft er Entscheidungen, wie eben diese die Midgardschlange zu jagen, ohne vorher groß darüber nachzudenken. Und das Resultat sieht man ja. Durch seine Unbedachtheit haben wir unser bestes Kriegsschiff verloren und 950 tapfere Seeleute.“ „Nun gut. Dieses Mal lasse ich noch mal Gnade walten. Aber euer König soll gewarnt sein. Wenn so ein Vorfall wie dieser noch einmal vorkommt, dann wird Tarsonis den Preis dafür bezahlen.“

Der Botschafter ging. Er hatte gerade den Palast verlassen, als Shina Fay an ihm vorbei ging. Im Gegensatz zu ihrem Besuch in Catania trug die Elfe bei diesem Besuch ein dunkelblaues Kleid und blau-silberne Sandaletten. 170

Auf ihrem Kopf trug sie das Diadem ihrer Ur-Großmutter. Als die Königin White Angels Tochter sah, eilte sie ihr entgegen und umarmte sie und hielt für eine Weile fest. „Shina Fay. Du bist wohlbehalten zurückgekehrt. Konntest du die Midgardschlange zur Strecke bringen?“ „Ja. Sie wird uns nie wieder mit ihrem Terror heimsuchen. Unsere Küsten sind wieder sicher.“ „Ich bin sehr stolz auf dich. Morgen werde ich meine Entscheidung bekannt geben, wer meinen Platz einnehmen wird.“ „Und wer soll das sein, meine Königin?“ „Du, Shina Fay. Du wirst Eteria regieren, wenn ich nicht mehr bin.“ „Haaaaatschi! Danke, Hoheit.“ „Scheint so als hättest du dir eine Erkältung eingehandelt.“ „Aber nicht zu knapp. „Haaaaatschi!“ „Du solltest nicht länger hier bleiben, Shina Fay. Reise nach Hause, nach Aboleni und kurier dich aus.“ Shina Fay verbeugte sich und verließ den Thronsaal.

Nach Shina Fays Rückkehr in ihr Dorf durfte die Dorfregentin erst mal das Bett hüten. Erst nach fünf Tagen war sie wieder vollständig genesen. Am Tag nach ihrer Genesung fand das traditionelle Willkommensfest statt. Viele Gäste waren wieder anwesend. Darunter Lestrade und Randalejev die beiden Vampire. Galadrielle die Königin der Walküren, Athene die Königin der Kentauren und ihre Tochter Biljana. Maryse die Königin der Amazonen war ebenfalls gekommen. Auch Kayan und seine Motundu waren angereist. Die Nacht war hereingebrochen, als Ayla die Hohepriesterin der Elfen Eterias eintraf.

„Königin Ignissa wird später noch eintreffen. Ich bin ihr voraus geeilt, um dich zu unterrichten. Sie wünscht deinen Rat, weil sie einige schwere Entscheidungen treffen muss.“ „Das habe ich mir fast gedacht. Zugegeben, die Zeiten sind für uns Elfen nicht gerade leicht.“ „Königin Ignissa ist sehr besorgt, weil die anderen Königreiche uns gegenüber technisch ein oder zwei Schritte voraus sind.“ „Verstehe.“

Nur kurze Zeit später ertönten die königlichen Fanfaren. Königin Ignissa war eingetroffen. Nach einer kurzen aber innigen Begrüßung wandte sich die Königin Eterias an die Gäste. „Liebe Bürger Eterias, liebe Gäste. Ich bin heute hierher gekommen, um euch allen meine Entscheidung mitzuteilen, wer künftig die Geschicke Eterias lenken wird. Ich habe entschieden, dass Shina Fay die Stammesführerin vom Clan des roten Habichts mir auf dem Thron Eterias nachfolgen soll.“ Diese Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Doch sie wurde von den Anwesenden mit Wohlwollen aufgenommen.

Später saßen die Regentin Eterias und ihre Nachfolgerin in Spe allein im Besprechungszimmer. „Du wolltest einen Rat von mir, Ignissa. Wie kann ich dir helfen?“ „Du weißt, dass uns die anderen Königreiche 171

technologisch teilweise überlegen sind?“ „Ja. Ayla hat es mir erzählt.“ „Was können wir tun?“ „Also. Zuerst sollten wir eine Berufsarmee aufbauen. Die Waffen sollten uns einige befreundete Königreiche liefern. Und wir brauchen eine schlagkräftige Marine.“ „König Tilian hat uns ein Linienschiff gebaut. Als Wiedergutmachung für seine Ungerechtigkeit.“ „Das alleine wird nicht reichen. Wir brauchen mehr Schiffe. Das bedeutet aber auch, dass wir die Häfen ausbauen müssen. Überall im Land müssen wir Kasernen errichten.“ „Ich danke dir, Shina Fay. Ich denke, dass ist die richtige Vorgehensweise. Mit dem Kasernenbau werde ich beginnen. Führe meine Rüstungsvorhaben weiter, sollte ich vorzeitig meine letzte Reise antreten.“ Damit sah Eteria einer düsteren Zukunft entgegen, denn Krieg und Zerstörung warfen bereits ihre Schatten voraus. 172

Eteria rüstet auf

Eteria rüstet auf

Eteria im Jahr des Kojoten

Es war ein sonniger Tag. In Shina Fays Dorf hatte man die Vorbereitungen für die Hochzeit der zukünftigen Königin Eterias mit ihrem Verlobten Galen, Fürst Meterons jüngstem Sohn, getroffen. Shina Fay befand sich in ihrem Ankleidezimmer, als ihre Freundin Kaitlyn den Raum betrat. „Soll ich dir helfen, Shina Fay?“ „Das wäre nett. Ich danke dir.“ Rasch half die Dunkelelfe ihrer Freundin ins ihr Brautkleid. Dieses Kleid bestand aus weißer Seide und war mit goldenen Stickereien verziert. An ihren Füßen trug Shina Fay weiße Sandaletten mit goldenen Ornamenten verziert, die farblich zu ihrem Kleid passten. Während die zukünftige Königin Eterias ihren Brautschmuck anlegte, frisierte Kaitlyn ihre Haare. Als Shina Fay ihre Halskette anlegen wollte, verpasste ihr die Dunkelelfe einen leichten Klaps auf die Finger. „Lässt du deine Hände bei dir?“, fragte Kaitlyn mit gespielter Strenge. „Lass mich nur schnell meine Kette anlegen. Dann kannst du mit meinen Haaren weitermachen.“ „In Ordnung.“

Als Shina Fay ihre Halskette angelegt hatte machte Kaitlyn mit den Haaren weiter. „Ich sag dir was, Shina Fay. Heute wirst du die schönste Frau im ganzen Dorf sein.“ „Findest du?“ „Ich glaub, ich hab etwas untertrieben, meine Liebe. Heute bist du die schönste Frau von ganz Eteria.“ „Meinst du das wirklich?“ „Natürlich. Ich geb dir Brief und Siegel, dass einige männliche Bewohner heute mit einem steifen Genick und einem Brett in ihrer Hose nach Hause gehen werden.“ Shina Fay musste lachen und Kaitlyn stimmte ein. „Und ich dachte immer, dass nur ich solche flapsigen Sprüche raus hau.“ „Wie du siehst, steh ich dir da in nichts nach du Nasenbär.“ „Nasenbär. Ich hab doch keine Knubbelnase, Karnickel.“ „Seit wann hab ich Hasenzähnchen?“, fragte Kaitlyn und stemmte eine Hand in die linke Hüfte. „War ein Witz.“ „Weiß ich doch. So, deine Haare sind fertig. Sieh dich mal im Spiegel an.“

Als Shina Fay in den Spiegel sah, staunte sie nicht schlecht. Kaitlyn hatte in ihre strähnige Frisur in eine Dauerwelle verwandelt. „Und was sagst du?“ „Ich bin sprachlos.“ „Bis jetzt bin ich mit dem Ergebnis zufrieden. Aber es fehlt noch ein bisschen Make Up.“ „Muss das sein, Kaitlyn?“ „Ja muss es. Wenn du schon heiratest, dann solltest du auch entsprechend aussehen. Und zu einem perfekten Aussehen gehört auch Make Up.“ „Also schön. Tu was du nicht lassen kannst.“ „Lehn dich zurück und lass mich machen.“, sagte Kaitlyn. Zuerst nahm die Dunkelelfe etwas Wimperntusche und hob so Shina Fays Wimpern etwas hervor. Danach trug sie mit einem Pinsel ein rosanes Puder 173

auf den Wangen ihrer Freundin auf. „Fast fertig.“, sagte sie. „Was fehlt denn noch?“ „Lidschatten und Kajal. Danach bin ich fertig.“ Zuerst schnappte sich Kaitlyn den Kajalstift und hob so die Unterseite der Augenlider der Braut hervor. Als nächstes nahm sie zwei Wattetücher und trug ein bisschen blau und gelb auf Shina Fays Augenlidern auf und verlieh ihrer Freundin so ein mystisches Aussehen. „Bist du jetzt fertig?“, fragte Shina Fay etwas gereizt. „Deine Lippen könnte man noch etwas hervorheben.“, sagte Kaitlyn und nahm einen Lippenstift mit einem dunklen Rot-Ton und fuhr ganz sachte über die Lippen ihrer Freundin. „Fertig. Willst du dich mal im Spiegel ansehen?“ Als Shina Fay in den Spiegel sah, war sie überwältigt. „Ich werd verrückt. Ich erkenn mich selbst nicht wieder.“

Galen stand schon am Traualtar und wartete ungeduldig auf seine zukünftige Ehefrau. Als Shina Fay dann endlich erschien, blieb ihm fast das Herz stehen. Wie schön sie war! Schließlich stand die zukünftige Königin Eterias neben ihrem Bräutigam. Vor ihnen stand Halgrim, der Schamane des Dorfes. Dieser begann mit seiner alten und brüchigen Stimme die Trauzeremonie. „Liebes Brautpaar, liebe Gäste. Wir sind heute hier in Gegenwart unserer Götter zusammengekommen, um die Ehe zwischen Galen, dem Sohn von Fürst Meteron und Shina Fay der Regentin unseres Dorfes zu schließen.“, sagte er. Alle klatschten. „Galen vom Clan der schwarzen Witwe, Shina Fay. Eure Liebe zueinander musste viele Hindernisse überwinden. Euer gemeinsamer Lebensweg war lang und steinig. Immer musstest du, Galen, Angst haben, dass Shina Fay auf einer ihrer Prüfungen den Tod findet. Doch sie kam jedes Mal zu dir zurück. Shina Fay, dein unerschütterlicher Glaube an die Liebe hat dir in den dunklen Stunden oft den Weg gewiesen. Hier und heute soll nun vereint werden, was zusammen gehört.“ Erneut gab es Beifall.

„Galen vom Clan der schwarzen Witwe, willst du Shina Fay zu deiner rechtmäßig angetrauten Frau nehmen? Willst du sie lieben, sie ehren und behüten? Wirst du allen anderen Frauen entsagen und nur ihr gehören, solange ihr beiden leben werdet?“ „Ja, das will ich.“ „Willst du, Shina Fay, Galen vom Clan der schwarzen Witwe zu deinem rechtmäßig angetrauten Ehemann nehmen?“ „Ja. Ich will.“ „Dann erkläre ich euch hiermit zu Mann und Frau.“

Zur selben Zeit wurde bei König Falkon, dem König von Faros ein Mann vorstellig. Der persönliche Sekretär des Monarchen kündigte ihn an. „Mein König, ein Mann wünscht euch zu sprechen. Er sagt, sein Name ist Catweazle.“ „Was ist er für ein Mensch?“ „Ein ganz merkwürdiger Kauz, Hoheit. Er sagt er wäre Erfinder.“ „Na dann sehen wir uns diesen Kerl mal an.“ Ein älterer Mann mit weißen und wirren Haaren betrat den Thronsaal. Seine stechend 174

blauen Augen blickten aufmerksam umher. „So, so. Du bist also Catweazle. Und wie ich höre, bist du auch ein Erfinder.“, sagte der König. „So ist es Sire. Ich bin der größte Erfinder aller Zeiten.“ „Und was erfindest du so?“ „Schiffe aus Stahl, die ganz ohne Segel auskommen können.“ „Und du kommst extra nach Faros, um mir deine Erfindung zu verkaufen?“ „Wenn dem nicht so wäre, hätte mir die Mühe und auch den weiten Weg hierher sparen können.“ „Du hast die Strapazen der Reise ohnehin umsonst auf dich genommen, Catweazle. Ich habe nämlich keinerlei Interesse an deinen Erfindungen.“ „Tschä! Tschä! Tschä! Noch so ein Banause, der meine Erfindungen und somit auch mein Genie nicht zu schätzen weiß.“, sagte Catweazle abschätzig. „Ich gebe dir die Erlaubnis zu gehen. Aber beeile dich bitte, sonst muss ich dich verhaften lassen.“ Der alte Mann verließ den Thronsaal. Aber in der Tür drehte er sich noch einmal um und sagte: „Ihr werdet den heutigen Tag noch einmal verfluchen, König Falkon. Ihr solltet besser beten, dass euer Königreich niemals gegen eine Nation Krieg führen muss, die MEINE Erfindungen in ihrem Waffenarsenal hat.“ „RAUS!!!!“

In der Hauptstadt Eterias, Endor, bahnte sich unterdessen ein Machtwechsel an. Königin Ignissa war nur noch bedingt in der Lage, ihren Pflichten als Königin nachzukommen. Shina Fay und ihr Ehemann Galen waren auf Geheiß der Königin nach Endor gereist. „Shina Fay. Es tut mir so leid, dass du früher als eigentlich von mir beabsichtigt, mir auf Eterias Thron nachfolgen musst. Aber ich spüre, dass es mit mir zu Ende geht. Noch heute Abend sollst du die neue Königin werden.“ Shina Fay nickte.

Die Kunde, dass Shina Fay die Königin Eterias werden würde, verbreitete sich rasend schnell. Und so machten sich die Gäste, die noch vor wenigen Tagen Shina Fays Hochzeit beigewohnt hatten auf den Weg nach Endor. Gerade noch rechtzeitig trafen alle Bewohner Eterias und der befreundeten Königreiche in Eterias Hauptstadt Endor ein, um das große Ereignis nicht zu verpassen. Als die Sonne unterging und den Himmel blutrot färbte hatten sich alle auf dem großen Platz vor dem Regierungspalast versammelt. Ayla, die Hohepriesterin der Elfen Eterias, stand auf einem Podest und wartete auf Königin Ignissa und Shina Fay. Auf einem Kissen aus rotem Samt ruhte das goldene Königsdiadem.

Zuerst kam die amtierende Königin. Die Bewohner Eterias konnten ganz deutlich sehen, wie schlecht es um ihre Regentin bestellt war. Dann kam Shina Fay auf das Podest. Im Gegensatz zu Königin Ignissa, die bereits gesundheitlich schwer angeschlagen war, steckte die Elfe noch voller Lebensenergie. Bevor Ayla mit der Krönungszeremonie begann, richtete Ignissa noch einige letzte Worte an die Bewohner des Landes. „Liebe Freunde, liebe Bewohner Eterias, 175

liebe Gäste. Heute übergebe ich die Krone Eterias an meine Nachfolgerin Shina Fay. Sie wird unser Land in eine neue Zukunft führen, wie immer diese auch aussehen mag. Dient ihr so, wie ihr mir gedient habt.“ Ein lauter Beifall wurde laut.

Danach ging Königin Ignissa vor Ayla auf die Knie und diese nahm ihr die Krone ab. Sie nahm das Diadem der Königin und sah nun Shina Fay an. Diese ging auf die Knie und die Hohepriesterin setzte ihr das Königsdiadem auf den Kopf. „Kraft meines Amtes als Hohepriesterin, ernenne ich dich, Shina Fay, Regentin des Dorfes Aboleni und Stammesführerin vom Clan des roten Habichts, zur rechtmäßigen Königin Eterias.“ Shina Fay erhob sich. Nun nahm Ayla die Krone Ignissas und setzte sie Galen auf den Kopf. „Und dich Galen, vom Clan der schwarzen Witwe, ernenne ich hiermit zum König von Eteria.“

Später am Abend wurde Ignissa in die königlichen Gemächer gebracht. Shina Fay hatte es erlaubt. Nun saß sie an Ignissas Seite an ihrem Bett. „Shina Fay?“ „Ja?“ „Du siehst umwerfend aus. Zoll für Zoll strahlst du das aus, was du jetzt bist. Eine Königin.“ „Ich hatte keine Zeit mich umzuziehen und Kaitlyn zu bitten, mich umzustylen.“ „Gut, dass keine Zeit mehr blieb. Denn so kann ich dich noch einmal in deiner ganzen Schönheit sehen. Lebe frei und mögen die Götter mit dir sein.“ Shina Fay spreizte die Finger ihrer linken Hand auseinander, wobei sie den Zeige- und den Mittelfinger sowie den Ringfinger und den kleinen Finger zusammen ließ. Den Daumen spreizte sie leicht ab. Ignissa hob ihre rechte Hand und hielt sie an Shina Fays Hand. Wobei sie die Finger ebenso gespreizt hatte, wie ihre Nachfolgerin. „Langes Leben und Frieden, Ignissa.“ „Langes Leben und Frieden, Shina Fay.“

Um Mitternacht verstarb Königin Ignissa. Shina Fay war bestürzt. Doch es half alles nichts. Sie musste ihr Volk vom Tod der einstigen Königin unterrichten. Sie ging in den Thronsaal, wo Galen auf sie wartete. „Ist sie...?“ „Tot? Ja. Sie ist friedlich eingeschlafen. Aber jetzt muss ich das Volk Eterias von ihrem Tod in Kenntnis setzen. Es hat ein Recht darauf.“ Nur kurze Zeit später betrat Shina Fay den Balkon des Palastes und blickte auf die gewaltige Menschenmenge auf dem Platz. „Die Königin!“, rief einer. Von da an wusste Shina Fay, dass sie die ungeteilte Aufmerksamkeit ihres Volkes hatte. „Volk von Eteria!“, sagte sie mit lauter kräftiger Stimme. Alle wandten sich ihr zu. „Unsere geliebte Königin Ignissa ist vor wenigen Augenblicken nach Arandil eingezogen. Lasst uns ihrer als die Frau gedenken, als die wir sie kannten. Als eine weise und gerechte Königin, der das Wohl ihres Landes, UNSER Wohl immer wichtiger war, als das eigene. 176

Möge Ignissa in Frieden ruhen.“ „DIE KÖNIGIN IST TOT! LANG LEBE DIE KÖNIGIN!“

Am Tag von Ignissas Beisetzung hingen in allen Städten und Dörfern Eterias die Fahnen auf Halbmast. Shina Fay hatte Staatstrauer angeordnet. Sie saß gerade auf ihrem Thron, als ihr Diener ihren Halbbruder ankündigte. „Meine Königin, euer Halbruder Leto bittet um die Gnade einer Audienz.“ „Er soll eintreten.“ Nur kurze Zeit später betrat Königin Azuras rechte Hand den Saal. „Mein Kompliment, Shina Fay. Von der Stammesführerin, über die Dorfregentin zur Königin. Ein rasanter Aufstieg. Azura wird das gar nicht gefallen, wenn sie das erfährt.“ „Ach wirklich?“ „Ja. Königin Azura hat vor dich zu töten. Das hat sie bei ihrer Ehre geschworen.“ „Bei ihrer Ehre? Na dann hab ich ja nichts zu befürchten.“ „Du würdest die Sache bestimmt nicht so leicht nehmen, wenn du wüsstest, wie ernst es Azura ist. Sie verlangt nach wie vor deinen Kopf.“ „Den zu bekommen dürfte etwas schwierig werden, Leto. Ich bin jetzt die Königin Eterias. Und als solche kann ich mich ja wohl schlecht selbst ausliefern.“, sagte Shina Fay süffisant und zog eine Augenbraue nach oben. „Da hast du leider Recht, Shina Fay. Aber freu dich nicht zu früh. Noch liegen zwei Prüfungen vor dir.“ „Erzähl mir mal etwas, das ich nicht weiß, Leto.“

Shina Fays Halbbruder verließ den Thronsaal und kehrte durch ein magisches Portal nach Darkwood zurück. Königin Azura erwartete ihn bereits. „Nun Leto, was hat Königin Ignissa zu meiner erneuten Forderung, Shina Fay auszuliefern gesagt?“, fragte sie. „Ignissa ist nicht mehr Königin.“ „Wer ist es dann?“ „Es ist... Shina Fay.“ Diese Nachricht traf die Königin der Dunkelelfen wie ein Vorschlaghammer. „Könntest … Du das noch mal wiederholen?“ „Du hast mich schon verstanden. Shina Fay ist die Königin Eterias.“ „Das fehlte gerade noch.“ „Das ist noch nicht alles. Ignissa hat meine Halbschwester vor Jahren zu ihrer Nachfolgerin auserkoren. Sie hatte gehofft, dass sie die große Schlacht noch miterleben darf. Aber das sollte wohl nicht sein. Und bevor du mutmaßt, dass Shina Fay etwas mit Ignissas Tod zu tun haben könnte, dann muss ich dich enttäuschen Azura. Ignissa ist eines natürlichen Todes gestorben.“

In Endor hatten die Regenten der Städte und Dörfer ihre besten Krieger abgestellt, denn die neue Königin brauchte Schutz. Jabon, der neue Fürst von Vortavor, und Shina Fays Schwager, hatte die 15 besten Krieger ausgewählt. Um sie von den anderen Soldaten abzuheben, wurden die Schulterstücke ihrer Uniformen rot eingefärbt. Als seine Schwägerin die Truppe inspizierte färbte Jabon gerade dem Letzten Soldaten das Schulterstück auf der rechten Seite rot. „Shina Fay, das sind 15 unserer tapfersten Krieger. Sie sollen dir als Garde 177 dienen.“ Dann streckte er den Arm aus und hielt Shina Fay die rot gefärbte Hand vor die Nase. „Die Fedeikin.“, sagte er dann.

„Ich danke dir, Schwager.“ Zurück im Thronsaal nahm Shina Fay auf dem Thron rechts Platz. Ihr Sekretär erschien. „Meine Königin, soeben ist ein Fremder eingetroffen. Er scheint … ein Krieger zu sein, oder so was ähnliches.“ „Er soll eintreten.“ „Sehr wohl, meine Königin.“ Nur kurze Zeit später betrat ein groß gewachsener, und kräftig gebauter Mann den Saal. Er besaß zwar schon einen kleinen Bauch, aber nicht so ausgeprägt, dass man ihn als dick hätte bezeichnen können. Der Unbekannte trug einen schwarzen, kurzgeschnittenen Vollbart und hatte kurze schwarze Haare. Auffällig war auch die schwarze Hautfarbe. Die braunen Augen blickten ernst drein und Mordlust strahlte aus ihnen. Das runde Gesicht mit dem markanten Kinn und der breiten Nase war das eines Kriegers. Bekleidet war der Mann mit einem Lendenschurz aus Löwenfell und einem Oberteil mit langen Ärmeln aus schwarzem Stoff, das am Bauch frei war. Darüber trug der Fremde einen Fetzen auf dem Fell eines Leoparden. Um den Hals trug er eine Kette mit den Hauern von Warzenschweinen. An den Füßen trug er schwarze Schuhe aus Leder. Die Unterschenkel hatte er mit Stofflagen umwickelt. Auffällig war jedoch die zweischneidige Axt aus Edelstahl, die an einem Holzgriff mit einem Knauf aus demselben Material wie die Axtblätter, befestigt war.

„Seid mir willkommen Fremder.“, sagte Shina Fay freundlich. „Ich danke, euch, dass ihr mir einen Augenblick eurer sicherlich kurzen Zeit widmet, Majestät.“ „Ich fürchte, dass wir uns noch nie begegnet sind. Würdet Ihr mir freundlicherweise euren Namen verraten?“ „Ich bin Umslopogas.“ Bei diesem Namen wurde Shina Fay hellhörig. „Euer Name ist mir nicht ganz unbekannt. Ihr wart nicht zufällig der Oberbefehlshaber der Armee von König Dimetrios von Arden?“ „Ganz Recht. Aber als der König starb, erbte sein älterer Sohn Ikarus den Thron. Seine erste Amtshandlung war, mich zu entlassen. Ich hätte als Ausbilder weiter dienen können. Aber als es hieß, dass ich auf der Warteliste stehe, habe ich mich entschieden, Arden zu verlassen. Ich wäre stolz unter euch dienen zu dürfen, Königin Shina Fay.“ „Unter meiner Vorgängerin, Königin Ignissa, hat Eteria angefangen eine Armee aufzubauen. Überall im ganzen Königreich wurden Kasernen errichtet. In den größeren Städten haben wir auch Zitadellen. Unsere Armee ist zurzeit 36.000 Mann stark.“ „Da war eure Vorgängerin aber schon ziemlich fleißig.“, sagte Umslopogas. „Das ist richtig. Aber es bleibt die unverrückbare Tatsache, dass ich noch keinen Kommandeur für meine Armee habe. Ich könnte euch den Generalsposten anbieten, den ihr unter König Dimetrios innehattet.“ „Ich nehme euer Angebot in größter 178

Demut an, Hoheit.“ Damit hatte Shina Fay eines der Probleme gelöst, das ihre Vorgängerin nicht mehr hatte lösen können.

Die nächsten Tage verbrachte General Umslopogas damit, sich einen Überblick zu verschaffen. Er besuchte die Kasernen und ließ die Soldaten in Reih und Glied antreten. Dann schritt er die Reihe ab und sah jedem einzelnen ins Gesicht. Und während der Oberbefehlshaber der Landstreitkräfte seine Inspektionsrunde machte, ließ Shina Fay in den großen Hafenstädten die Vorbereitungen für den Bau von Werften treffen.

Schließlich kehrte Umslopogas von seiner Reise zurück. Shina Fay empfing ihn im Besprechungszimmer des Palastes. „General Umslopogas. Setzt euch doch.“, sagte sie freundlich. „Ich danke euch, meine Königin.“ „Was könnt Ihr mir berichten?“ „Ich muss sagen, dass ich begeistert bin. Ich habe in meiner Militärlaufbahn schon so manche Armee kommandiert. Aber keine war so hervorragend gedrillt, wie die eure.“ „Freut mich, das zu hören General. Gibt es eurer Meinung nach, irgendetwas, was mein Ehemann und ich verbessern könnten?“ „Ich habe gesehen, dass Eteria hauptsächlich über Infanterie und Kavallerie verfügt. Das ist schon ein Schritt in die richtige Richtung, Hoheit. Aber ohne eine solide Artillerie als Rückgrat, sind unsere Streitkräfte keinen Pfifferling wert.“ „Ich verstehe nicht allzu viel von Waffen, General. Erklärt mir bitte, was Ihr meint.“ „Ich rede von Kanonen. Sie sind Waffen für die Distanz. Dass bedeutet, dass wir mit Kanonen und Karronaden in der Lage wären, uns anstürmende Infanterie – und Kavallerie-Einheiten solange vom Leib zu halten, bis sie soweit dezimiert sind, dass wir sie mit unserer Kavallerie locker aufreiben können.“ „Tut mir Leid, General Umslopogas. Aber ich kann euch immer noch nicht ganz folgen.“

Doch bevor der General antworten konnte, betrat Shina Fays Ehemann Galen den Raum. „Ich störe dich nur ungern, Schatz, aber draußen wartet ein Mann. Ein ziemlich verschrobener Kauz, wenn ich das mal so sagen darf.“ „Hat er gesagt, wer er ist oder woher er kommt?“ „Weder noch. Aber er meinte, dass er Erfinder wäre und das seine Erfindungen für uns von unschätzbarem Wert seien.“ „Was meint Ihr General, soll ich mit diesem „Erfinder“ sprechen, oder soll ich ihn wegschicken?“ „Ich würde mit ihm reden, Majestät. Vielleicht verschaffen uns die Erfindungen dieses Mannes einen entscheidenden Vorteil unseren Feinden gegenüber.“

Nur wenig später betrat die Königin von Eteria den Thronsaal. Der Erfinder Catweazle, der eigentlich Königin Ignissa erwartet hatte, wurde unsicher. Shina Fay musterte den fremden Neuankömmling. Er war etwas kleiner und 179 schmächtiger gebaut, als Umslopogas. Seine kalten blauen Augen, die sonst immer sehr wachsam waren, blickten dieses Mal ängstlich drein. Die grauen Haare standen wirr vom Kopf und der graue Bart ebenfalls. Die Hakennase des Fremden sah aus wie ein Geierschnabel. Bekleidet war der Fremde mit einem braunen Lederhemd und braunen kurzen Lederhosen, die bis über die Knie reichten. Seine nackten Füße steckten in braunen Lederschuhen. Um den Hals trug der Fremde eine Goldkette mit einem keltischen Kreuz.

„Ihr wolltet mich sprechen, Fremder?“, fragte Shina Fay. „Ich dachte Königin Ignissa ist die Königin von Eteria.“ „Ich muss euch leider mitteilen, dass Königin Ignissa verstorben ist. Ihr könnt euch mit eurem Begehr auch an mich wenden. Ich bin Shina Fay. „Mein Name ist Catweazle, Mylady.“ „Seid mir willkommen, Catweazle. Was kann ich für euch tun?“ „Besser gesagt, was kann meine Wenigkeit für euch tun? Als ich in Kenley eintraf sah ich, dass einige Arbeiter das Fundament für eine Werft ausgehoben haben. Ich ging also davon aus, dass Ihr vorhabt, nicht nur Schiffe für den Handel zu bauen, sondern auch Kriegsschiffe.“ „Was die Kriegsschiffe angeht, liegt Ihr absolut richtig.“ „Dann kann ich euch vielleicht helfen. Was haben denn eure Nachbarn für Schiffe?“, fragte Catweazle. „Segelschiffe. Linienschiffe und Fregatten, soweit ich weiß.“ „HA! Und diese Narren haben mich abgewiesen. Ich verrate euch was, Königin Shina Fay. Diese Schiffe sind zwar auf den ersten Blick unbesiegbar, doch was ist, wenn der Wind nicht mehr weht?“ „Sagt ihr es mir.“ „Ganz einfach! Wenn Flaute ist, ist auch das stärkste Linienschiff zu nichts zu gebrauchen. Wenn es gestellt wird, muss es versuchen zu entkommen! Und wie soll das gehen, ohne Wind? Gar nicht. Es bleibt an Ort und Stelle.“ „Worauf wollt ihr hinaus, Catweazle?“ „Tschä! Tschä! Tschä! Ahnt ihr es denn nicht? Stellt euch vor, welchen Vorteil euer Königreich hätte, wenn es über eine Flotte verfügt, deren Rumpf nicht nur aus Stahl besteht, sondern die auch unabhängig vom Wind ist. Ich kann euch helfen, eure Kriegsschiffe mit den besten Waffen auszurüsten, die mir einfallen. Den Vorteil, den Eteria damit erringt, werden eure Nachbarn in Jahrzehnten nicht wettmachen können.“

„Euer Genie in Ehren. Aber ich kaufe nicht die Katze im Sack. Ich wünsche einen Beweis eurer Fähigkeiten. Danach werde ich entscheiden.“, sagte Shina Fay. „Wie Ihr wünscht, Hoheit. Würdet Ihr so freundlich sein, und mich nach Kenley begleiten?“ Shina Fay nickte. Zwei Tage später erreichte die Königin mit ihrem Gefolge die wieder aufgebaute Hafenstadt Kenley. „Seht dort hin.“, sagte Catweazle und wies in Richtung offenes Meer. Dort lag ein Schiff, wie es Shina Fay noch nie gesehen hatte. Das Schiff verfügte über einen Stahlrumpf 180

und war 200,6 m lang. Die Breite betrug 19,20 m. Die Verdrängung dieses Stahlschiffes betrug 14.795 Tonnen.

Die Königin suchte nach Masten für die Segel, doch es gab keine. Nur ein Schornstein, aus dem schwarzer Rauch quoll war zu sehen. Vor dem Schornstein befand sich ein turmförmiger Aufbau. „Wo sind die Segel?“ „Es gibt keine. Dieses Schiff stellt alles in den Schatten, was Ihr bis dahin gesehen habt.“ „Und wie treibt Ihr es an?“ „Mit Dampf. Dieses Schiff verfügt über 10 Kessel, die Dampf erzeugen. Diese werden mit einem Material befeuert, das man in meiner Heimat Öl nennt. Das Ganze funktioniert wie folgt. Die 10 Kessel erzeugen Dampf, der wiederum vier Turbinen antreibt. Diese übertragen die Kraft über die angeschlossenen Getriebe an die Antriebswellen, die die vier Propeller antreiben. Die ganze Maschinerie leistet 152.000 PS. Oh Verzeihung. Ich vergaß, dass Ihr mit manchen Begriffen nichts anfangen könnt. Dieses Schiff hat die Kraft wie 152.000 eurer ausdauerndsten Pferde. Die Geschwindigkeit liegt bei 34,25 Knoten.“ „Knoten? Ich verstehe nicht ganz, was Ihr meint.“ „Die Geschwindigkeit bei Schiffen wird in Knoten gemessen.“ „Verstehe.“ „Nun aber weiter. Seht Ihr die fünf Zwillingstürme? Drei am Bug, zwei achtern am Heck. Diese Geschütze verfeuern Granaten mit einem Kaliber von 20,3 cm. Mittschiffs seht Ihr vier Zwillingstürme mit insgesamt 12,7 cm. Außerdem sind noch acht 25 mm-Geschütze montiert.“

„Catweazle, ich muss zugeben, dieses Schiff ist beeindruckend. Doch ich würde es gerne in Aktion sehen, und mich von seinen Fähigkeiten überzeugen.“ „Nichts lieber als das.“ Mit einem Beiboot des merkwürdigen Schiffes wurde Shina Fay an Bord gebracht. Als das Boot längsseits ging, wurde eine Treppe ausgebracht und die Königin Eterias folgte Catweazle an Bord. Die beiden gingen einen Teil des Decks entlang, ehe sie durch eine Tür in den Turm kamen. Eine schmiedeeiserne Treppe führte Shina Fay und ihren Begleiter nach oben in einen Raum mit einer großzügigen Fensterfront mit Blick über den Bug auf die offene See. „Wo sind wir?“, fragte Shina Fay den Erfinder. „Auf der Brücke. Seht Ihr den Mann mit den Epauletten auf der Schulter und den drei goldenen Litzen an den Ärmeln seiner Jacke?“ Shina Fay nickte. „Das ist der Kapitän. Er hat hier das Sagen.“

Der Kapitän drehte sich zu Shina Fay um. Shina Fay sah in das runde Gesicht eines etwas älteren Mannes mit weißen kurz geschorenen Haaren und braunen Mandelaugen, die Güte ausstrahlten. Der Kapitän des Stahlschiffes war groß und kräftig gebaut. Bekleidet war der Mann außerdem mit einer schwarzen Hose, schwarzen Strümpfen und schwarzen Lackschuhen. An den Händen trug er weiße Stoffhandschuhe. 181

„Darf ich euch Kapitän Isoroku Yamamoto vorstellen, Hoheit?“, fragte Catweazle. „Willkommen in Eteria, Kapitän Yamamoto.“ „Es ist mir eine Ehre euch kennenzulernen, Königin Shina Fay.“ Die Elfe bemerkte einen Mann, der am Fenster stand und auf die offene See hinausblickte. Er war von mittlerer Größer und war eher schmaler vom Körperbau. Das ovale Gesicht mit den blauen Augen und der schmalen Nase hätte der selbst der beste Bildhauer nicht besser treffen können. Gekleidet war er wie Kapitän Yamamoto, nur das an den Ärmeln seiner Uniform eine Litze fehlte. „Mein erster Offizier Aichi Sarzai.“

Plötzlich riss der erste Offizier ein merkwürdiges Objekt vor sein Gesicht und sah angestrengt an den Horizont. „Was hat er?“ „Anscheinend hat er irgendwas entdeckt, meine Königin.“, sagte der Kapitän. „Ich sehe ein Schiff, Kapitän. Drei Masten. Vermutlich eine Fregatte.“ „Welche Flagge führt es?“, fragte Shina Fays Ehemann Galen. „Ein goldenes Kreuz auf weißem Untergrund.“ „Darf ich mal?“, fragte Shina Fay. „Bitte. Ihr müsst hier durch sehen.“, sagte der erste Offizier und zeigte Eterias Königin, wie man das Gerät bediente. „Ein keltisches Kreuz in Gold auf weißem Untergrund. Das ist ein Schiff der iberianischen Marine. Habt Ihr Königin Vivian etwa verärgert?“

„Sie wollte meine Erfindungen erwerben. Wogegen ja nichts spricht. Aber ich verkaufe sie nicht an Regenten, die sie zu eurem Unwohl einsetzen, Hoheit. Eure Feindin Königin Azura hat nämlich nicht nur Königin Vivian auf ihre Seite gezogen, sondern auch König Gundolf von Erimanteles.“ „Das fehlte noch. Na gut. Lasst die Fregatte ein wenig näher kommen und dann das Feuer eröffnen. Die Iberer sollen sich wundern.“, sagte Galen.

An Bord der Monte Christo, der neuesten Fregatte Iberias hatte der erste Offizier den Kreuzer entdeckt. „Holt den Kapitän.“, sagte er. Nur kurze Zeit später kam der Kommandant, ein groß gewachsener, kräftiger Mann mit grünen Augen und roten Haaren das Achterdeck. „Was gibt es, Mr. Allison?“ „Dort drüben ist die Suzuya. Aber sie wartet offenbar schon auf uns.“ „Woraus schließen Sie das?“ „Sie hat ihre Geschütztürme auf uns gerichtet.“ „Gehen Sie näher ran und dann eröffnen sie das Feuer.“ „Ja Sir.“

Als die Monte Christo etwas näher gekommen war, ließ Hernan Cortez das Feuer eröffnen. Doch die Kanoniere hatten zu kurz gezielt und so klatschte eine Kugel nach der anderen ins Wasser. „Darauf hab ich gewartet. Feuer frei!“, befahl Shina Fay. Die Suzuya antwortete mit einer Breitseite ihre Hauptartillerie. Die Granaten durchschlugen das Deck und rissen viele Menschen in den Tod. Doch eine Granate schlug im Hauptmagazin der Monte Christo ein und brachte das Kanonenpulver zur Detonation. Mit einem ohrenbetäubenden Knall 182

und einem riesigen Feuerball flog die Fregatte in die Luft. „Da hast du aber ein hübsches Feuerchen gelegt, Schatz.“, sagte Galen. „Das war eine Fregatte mit 48 Kanonen.“, sagte Umslopogas.

Shina Fay zog die Stirn in Falten. „Wieso 48? Ich hab nur 24 gesehen.“ „Auf der Steuerbordseite waren auch noch mal 24 Kanonen, Königin Shina Fay.“, sagte Kapitän Yamamoto. „Ich hoffe, dass war euch Demonstration genug.“ „Es war … beeindruckend. Nun gut. Ich habe gesehen, was ich sehen wollte. Ich werde mich mit meinen Beratern besprechen. Danach werde ich entscheiden.“

Am nächsten Morgen setzte sich Shina Fay mit ihren Freundinnen und ihrem Ehemann zusammen. „Ihr alle habt gestern selbst gesehen, was dieses Stahlschiff zu leisten im Stande ist.“, sagte die Königin. „Zugegeben, Shina Fay, die Suzuya hat eine beeindruckende Feuerkraft.“ „Aber? Ich habe das Gefühl, da müsste noch was kommen, Arteya.“ „Wir haben das Schiff noch nicht in Bewegung gesehen.“ „Stimmt. Aber wir sollten uns diese Möglichkeit nicht entgehen lassen, unseren Feinden gegenüber aufzuholen. Im Moment sind sie uns technologisch gesehen ein oder zwei Schritte voraus.“, warf Kaitlyn ein. „Mit diesen Schiffen können wir gegenüber unseren Rivalen einen Vorteil erringen, der noch Jahrhunderte anhält.“ „So eine Gelegenheit kriegen wir nicht noch mal auf dem Silbertablett serviert.“, sagte Shina Fay. „Du bist die Königin, Shina Fay. Letzten Endes entscheidest du.“ „Und mein Herz sagt mir, dass es richtig ist, die Erfindungen dieses alten Mannes zu erwerben.“

Um die Mittagsstunde begab sich Shina Fay zum Hafen hinunter um mit Catweazle zu sprechen. Der Erfinder erwartete sie bereits. „Ich hätte nicht gedacht, euch so schnell wiederzusehen.“ „Ich habe mich mit meinen engsten Vertrauten beraten. Uns allen ist die Bedeutung eures Angebots sehr wohl bewusst und auch eure Demonstration von gestern hat bei uns einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Wenn ich euer Schiff noch in Bewegung sehen könnte, würde ich diese Technologie gerne erwerben.“ „Na so was hör ich gern. Ich bin gerne bereit, euch eine weitere Demonstration meiner Fähigkeiten zu liefern.“

Shina Fay sah, wie aus dem Schornstein des Schiffes schwarzer Qualm aufstieg. Dann setzte sich der Kreuzer in Bewegung. Zuerst nur ganz langsam. Dann wurde das Schiff langsam schneller und der Bug drehte in Richtung offene See. Majestätisch glitt die Suzuya an der Mole Kenleys vorbei. Als das Schiff die offene See erreicht hatte drehte es auf Ostkurs und beschleunigte erneut. Eine Bugwelle baute sich auf, die größer wurde, je schneller das Schiff fuhr.

Als das Schiff wieder im Hafen lag wandte sich Shina Fay an Catweazle. 183

„Ihr habt mich vollends von euren Fähigkeiten überzeugt. Nennt mir euren Preis.“ „Tschä! Tschä! Tschä! Von jedem anderen Regenten hätte ich Geld genommen, aber doch nicht von euch! Ihr bekommt mein Wissen geschenkt, wenn ich hier in Eteria meine letzte Ruhe finden darf.“ „Einverstanden. Willkommen in Eteria.“, sagte Shina Fay und hielt dem alten Mann die Hand hin. „Ich danke euch. Aber jetzt sollten wir uns an die Arbeit machen. Ihr braucht Stützpunkte für eure Flotte und Werften in allen Hafenstädten.“ „Um die Koordination könnt ihr euch kümmern, Catweazle.“

In den nächsten Tagen wurden in allen Hafenstädten Eterias Werften gebaut. Die Regenten der anderen Königreiche sahen mit Besorgnis, wie Eteria technologisch immer weiter aufholte. König Gundolf von Erimanteles sandte seinen Kanzler nach Eteria, um sich dort ein bisschen umzusehen. Als Kanzler Sheamus O´ Byrne in Trondheim eintraf, sah er zu seinem größten Entsetzen, dass der Hafen erweitert worden war. Zum einen hatte man das Fahrwasser für die Schiffe auf eine größere Tiefe verändert, zum anderen war nicht nur eine Werft, sondern auch ein Flottenstützpunkt dazu gekommen. Schiffe gab es noch keine, doch auf der Werft war ein Schiff im Bau. Der Rumpf war 270,43 m lang und 32,98 m breit. Das Schiff würde einen Tiefgang von 11,6 m haben. Voll beladen würde dieser Stahlgigant 57.500 Tonnen verdrängen.

Die Aufbauten waren schon vorhanden, denn auch die Maschinen waren schon eingebaut. Vorne am Bug, der schmal gebaut worden war, waren zwei Drillingstürme mit einem Kaliber von 40,6 cm montiert. Ein dritter wurde gerade an Bord gehievt. Backbord und Steuerbord hatte man 10 Zwillingstürme mit einem Kaliber von 12,7 cm montiert. Auch mehrere Schnellfeuergeschütze mit Kalibern im Millimeter-Bereich waren montiert. Auffällig waren auch die vier Schiffsschrauben. Als der Kanzler auf dem Landweg nach Kenley kam war auch dort die Werft fertig und der Hafen durch einen Flottenstützpunkt erweitert worden. Wie auch in Trondheim lag auf der Werft ein im Bau befindliches Schiff. Auf dem Stützpunkt lag der schwere Kreuzer Suzuya.

Der Rumpf des im Bau befindlichen Schiffes war 237,00 m lang und 33 m breit. Der Tiefgang dieses Schiffes würde 10,5 m betragen und das Schiff würde bei voller Ladung 45.752 Tonnen verdrängen. Die Aufbauten mit den zwei Schornsteinen waren schon fertig und der vorderste Geschützturm, ein Drillingsturm mit 38,1 cm Kaliber, war gerade montiert worden. Der zweite Turm wurde gerade an Bord gehievt, während der dritte Geschützturm noch an Land gelagert wurde. Dazu kamen Backbord und Steuerbord jeweils zwei Drillingstürme mit einer Kaliber von 15,2 cm. 184

Dazu kamen noch vier Geschütze mit einem Kaliber von 12 cm und zwölf Schnellfeuergeschütze mit einem Kaliber von 9 cm. Auch in der Hafenstadt Altamira das gleiche Bild. Eine Werft, ein Flottenstützpunkt und auf der Werft ein im Bau befindliches Kriegsschiff. Der Rumpf war 263 m lang und 38,9 m breit. Der Tiefgang betrug 10,40 m. Dieser Gigant aus Stahl verdrängte stattliche 72.200 Tonnen. Die beiden vordersten Drillingstürme, mit einem Kaliber von 46 cm waren schon an Ort und Stelle. Gerade wurden der Brückenturm und der charakteristische Schornstein montiert. An Land lag noch ein dritter Drillingsturm mit 46 cm Kaliber. Dazu kamen acht Drillingstürme mit 15,5 cm Kaliber.

Dem Besucher aus Erimanteles gefiel gar nicht, was er sah. Er würde wohl ein paar mahnende Worte an die Königin Eterias richten müssen. Nach drei Tagen Reise traf Sheamus O´ Byrne im Morgengrauen in Endor, Eterias Hauptstadt ein. Als er in den Thronsaal geführt wurde, ging der Gast aus Erimanteles im Kopf noch einmal durch, was er Königin Ignissa sagen wollte. Umso überraschter war er, als er Shina Fay auf dem Thron Eterias sitzen sah. Die Elfe trug ein dunkelblaues Kleid, mit goldenen Stickereien. Dazu trug sie ihre blau-silbernen Sandaletten. „Was verschafft mir die Ehre eures Besuches, Kanzler?“ „Mein Herr, König Gundolf, hat mich beauftragt, nach Eteria zu reisen, um Gerüchten auf den Grund zu gehen, die besagen, dass Eteria dabei ist, militärisch aufzurüsten.“ „Und was habt Ihr für einen Eindruck gewonnen, Kanzler O´ Byrne?“, fragte Shina Fay. „Sie stimmen. Leider muss man sagen.“ „Wieso „Leider“?“ „Was bezweckt Ihr mit diesem militärischen Aufrüsten? Eteria hatte es in der Vergangenheit doch auch nicht nötig.“ „Damals war die Situation auch eine ganz andere. Heute aber, ist Eteria eine aufstrebende Nation, die für sich beansprucht, ihren Nachbarn politisch auf Augenhöhe zu begegnen. Euer König soll sich schnell daran gewöhnen, dass Eteria ein gewichtiges Wörtchen mitredet, wenn Politik gemacht wird. Kein Königreich wird länger herablassend auf Eteria herabblicken. Diese Zeiten sind vorbei.“

„Königin Shina Fay, mein König hat Verständnis dafür, dass ihr eure Landesgrenzen mit starken Landstreitkräften schützen müsst. Aber dieses maritime Wettrüsten hält er für falsch.“ „Das heißt, ich soll meine Schiffsbauaktivitäten einstellen?“ „Es wäre das vernünftigste, denke ich.“ „Kanzler O´Byrne. Ihr seid gut damit beraten, mir genau zuzuhören. Denn ich sage das nur einmal. Euer König soll nicht auf die Idee kommen und meine Pläne zum Aufbau einer schlagkräftigen Marine durchkreuzen. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen. Ihr könnt gehen.“ „Aber...“ „Habt Ihr nicht gehört, was ich gesagt habe? IHR KÖNNT GEHEN!!!“, sagte Shina Fay streng. 185

Zurück in Syrakus, der Hauptstadt von Erimanteles, erstattete der Kanzler König Gundolf Bericht. „Mein König, ich habe mich in Eteria umgesehen, wie Ihr befohlen habt. In den Hafenstädten Trondheim, Kenley und Altamira habe ich jeweils eine Werft und einen Flottenstützpunkt vorgefunden.“ „Hast du sonst noch was gesehen?“ „Auf den Werften konnte ich drei im Bau befindliche Schiffe sehen, die kurz vor ihrer Fertigstellung stehen. In Kenley liegt im Flottenstützpunkt die Suzuya, der schwere Kreuzer, den Catweazle mitgebracht hatte, als er uns besucht hat.“ „Also hat er sein Wissen an Königin Ignissa verkauft.“, sagte der König. „Ich fürchte, ich muss euch korrigieren. Ignissa ist nicht mehr Königin von Eteria. Die neue Königin ist Shina Fay.“ „Etgos Enkelin. Ich hoffe, dass sie keine Dummheit begangen hat.“ „Ignissa ist an Altersschwäche gestorben. Aber Shina Fay hat mir eine Warnung für euch mitgegeben. Und ihr tätet gut daran sie ernst zu nehmen. Shina Fay scheint es zu hassen, wenn jemand ihre Pläne zum Aufbau einer schlagkräftigen Marine durchkreuzt. Und wir beide kennen White Angels Tochter.“ „Ja. Hat Shina Fay mit Konsequenzen gedroht?“ „Noch nicht. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie uns per Bote welche androht.“

Noch am selben Tag war in Trondheim, das erste der neuen Kriegsschiffe fertig geworden. Shina Fay hatte sich mit ihrem Gefolge auf der Werft eingefunden um dem Stapellauf des neuen Schiffes beizuwohnen. Auf Shina Fays Geheiß hin hatte man den Stahlgiganten auf den Namen „Netanya“ getauft. Die Nichte der verstorbenen Hohepriesterin sollte als Taufpatin fungieren. „Ich taufe dich auf den Namen „Netanya“.“, sagte Evolet, Netanyas Nichte und ließ eine Flasche mit einer perlenden Flüssigkeit am Bug zerschellen. Unter den Klängen der Nationalhymne Eterias glitt der mächtige Stahlkoloss ins Wasser. Und während in Trondheim das erste neue Kriegsschiff vom Stapel gelaufen war, wurde in Catania am nächsten Schiff gebaut.

Das neue Kriegsschiff war 186 m lang, 21,65 m breit und hatte einen Tiefgang von 7,34 m. Der vierte Schiffsneubau verdrängte 16.020 Tonnen. Die Höchstgeschwindigkeit sollte bei 28,5 Knoten liegen. Auch hier waren schon die Aufbauten, sowie der Schornstein auf dem Schiff angebracht worden. Auch die beiden Drillingstürme am Bug und achtern am Heck waren schon verbaut. Was noch fehlte, waren die acht 15-cm-Schnellfeuer-Geschütze.

Einer der nächsten Schritte von Shina Fay war, den durch den Vulkanausbruch zerstörten Ort Santa Catarina wieder aufzubauen. Da dieser am Meer gelegen hatte, war es naheliegend, dort ebenfalls einen Hafen sowie eine Werft und einen Flottenstützpunkt zu errichten. Doch dafür brauchte Shina Fay Leute, 186

die mithalfen, Santa Catarina wieder aufzubauen. Aber woher sollte die Königin die Leute nehmen? Zumal sie auch noch mit sozialen Problemen zu kämpfen hatte. Es gab Eterianer, die in den größeren Städten lebten, aber keine Arbeit und auch kein Dach über dem Kopf hatten.

Dieses Problem galt es dringend zu lösen, bevor der Winter kam. Shina Fay war in der Bibliothek, als Desdemona zu ihr kam. „Kannst du einen Augenblick für mich erübrigen, Shina Fay?“, fragte sie. Die Königin erschrak. „Sag mal, hast du noch alle Ziegel auf dem Dach, Desdemona?“ „Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken, aber du wirst dringend erwartet.“ Shina Fay stöhnte schwer. „Ich hätte nie gedacht, dass es so schwer ist, Königin zu sein.“ „Kann ich dir irgendwie helfen?“ „Ich habe vor Santa Catarina, den Küstenort der durch den Vulkanausbruch zerstört wurde, wieder aufzubauen. Aber ich weiß nicht, woher ich die Leute nehmen soll. Und dann sind da noch die Eterianer, die keine Arbeit und kein Dach über dem Kopf haben.“ „Da hast du doch des Rätsels Lösung.“, sagte Desdemona. Eterias Königin sah die Naga-Königin fragend an. „Du willst Santa Catarina wieder aufbauen. Und die Untertanen, die keine Arbeit und kein Obdach haben, würden sich freuen, wenn du ihnen Arbeit gibst. Sie sollen dann auch in der neuen Stadt leben dürfen.“

Shina Fay fiel eine tonnenschwere Last von der Seele. „Ich danke dir, Desdemona. Schicke Boten in die Städte und lass alle Eterianer ohne Arbeit und Obdach zu mir kommen. Aber wer erwartet mich so dringend?“ „Deine Cousine. Sie hat ein Problem und bräuchte deinen Beistand.“ Nur kurze Zeit später erschien Shina Fay im Thronsaal. Nach einer innigen Umarmung kam Aradil gleich zur Sache. „Ich brauche deine Hilfe, Shina Fay.“, sagte sie. „Was hast du für ein Problem?“ „Eine Gruppe Elfen aus Atlantis sucht ein neues Zuhause. Alle Dörfer in Edendale können sie nicht aufnehmen. Ich habe sie mitgebracht, in der Hoffnung, dass du mir helfen kannst.“ „Gut gemacht. Ich habe nämlich eine Aufgabe für deine heimatlosen Elfen. Sie können mit den Eterianern, die weder Arbeit noch Obdach haben, Santa Catarina wieder aufbauen.“ „Du machst Witze, Cousinchen.“ „Nein, Aradil. Es ist mein Ernst. Santa Catarina war eine aufstrebende Stadt, bis die Midgardschlange sie zerstört hat.“ „Ich danke dir. Wann soll mit dem Bau begonnen werden?“ „So bald wie möglich.“

Nach zwei Tagen brach ein Treck von Endor aus nach Westen auf. Da Shina Fay den Unglücksort zur Gedenkstätte erklärt hatte, musste Santa Catarina an einem anderen Küstenabschnitt errichtet werden. Eine Bucht, 35 Meilen südlich von der alten Stadt Santa Catarina, war bestens geeignet. Shina Fay, die mitgereist war, wies jeder Familie einen festen Platz zu, an der sie ihre Häuser bauen konnten. 187

Nach nur drei Tagen, war eine hübsche kleine Siedlung entstanden. Als nächstes wurde der Hafen errichtet, dem dann die Werft und der Flottenstützpunkt folgten. Damit hatte Eteria neben den bisherigen Hafenstädten, Catania, Altamira, Kenley, Portimao und Trondheim mit Santa Catarina einen weiteren Warenumschlagplatz bekommen und auch die Kapazitäten für die Abfertigung von Handelsschiffen erhöht. Doch auch die Marine Eterias hatte mit dem Flottenstützpunkt neue Kapazitäten.

Nach und nach fing Santa Catarina an zu wachsen. Denn nun wurden Leute für den Schiffbau benötigt. Aus allen benachbarten Königreichen kamen die Leute. So mancher gute Mann nutzte diese Gelegenheit und floh vor der Tyrannei in seiner Heimat. An einem schönen Spätsommertag kam die Königin nach Santa Catarina. Sie hatte von Catweazle Pläne für ein neues Kriegsschiff bekommen und war in die neue Hafenstadt gereist um dem Bürgermeister der Stadt den Bau für dieses neue Schiff zu erteilen.

Das Schiff sollte 227 m lang und 31 m breit werden. Der Tiefgang wurde mit 19,9 m bemessen und die Verdrängung sollte bei 44.460 Tonnen liegen. Dieses Schiff sollte einen turmartigen Aufbau und zwei Schornsteine erhalten. Die Bewaffnung sollte aus 10 36-cm-Geschützen bestehen, die auf drei Geschütztürme verteilt waren. Ein Vierlings-Turm sollte vorne am Bug, der andere achtern am Heck positioniert werden. Am Bug war noch ein Zwillingsturm vorgesehen, der über dem Vierlings-Turm seinen Platz haben sollte. Backbord und Steuerbord sollten jeweils vier Schnellfeuer-Geschütze vom Kaliber 13,3 cm in Zwillingstürmen angeordnet sein.

Shina Fay wohnte noch der Kiellegung des neuen Kriegsschiffes bei, ehe sie nach Altamira weiterreiste. Denn in Kenley war ihr Ehemann Galen eingetroffen, um bei der Taufe des zweiten Schiffsneubaus das eterianische Königshaus zu vertreten. Das Schiff, dessen Stapellauf an diesem Tag an diesem Tag im Spätsommer stattfand, hatte auf Shina Fays Befehl hin den Namen „Endor“ erhalten. Galen hielt eine Rede, die er mit den Worten „Fahre glücklich stolzes Schiff und verkörpere eterianische Seemannsart. Ich taufe dich auf den Namen „Endor“.“, enden ließ.

Unter den Klängen der Nationalhymne glitt das neue Kriegsschiff ins Wasser. Damit verfügte Eteria nun über drei einsatzbereite Kriegsschiffe. Schiff Nummer drei trug den Namen „Altamira“. Wie schon Netanyas Nichte Nadeshda hasste es Shina Fay eine Rede zu halten. „Ich taufe dich auf den Namen „Altamira“.“, sagte sie und warf danach die Flasche, die am Bug des Schiffes zerbrach. Unter den 188

Klängen von Eterias Nationalhymne glitt der Koloss aus Stahl ins Wasser. Und während die beiden neuen Schiffe an den Kaianlagen in den Häfen noch fertig ausgerüstet wurden, war in Catania der vierte Neubau fertig gestellt worden. Bei dieser Zeremonie repräsentierte Kaitlyn das eterianische Königshaus. Das vierte Schiff trug den Namen „Kaitlyn“, so wie es von Shina Fay vorgesehen worden war. Auch Königin Azuras Tochter hielt nicht viel vom Reden halten. Und so sagte sie nur „Ich taufe dich auf den Namen „Kaitlyn“.“, ehe sie die Flasche warf. Und wieder wurde die Nationalhymne Eterias gespielt, unter deren Klängen das neue Schiff von seinem Stapel ins Wasser glitt.

In Endor hatte Catweazle bereits die Pläne für ein neues Schiff fertig gezeichnet. Shina Fay besuchte ihn nach ihrer Rückkehr aus Altamira. „Ich sehe, Ihr wart wieder fleißig, Catweazle.“, sagte sie. „Ihr habt mir einen klaren Auftrag erteilt und werde alles Menschenmögliche tun, um ihn zu eurer vollsten Zufriedenheit auszuführen.“ „Nichts anderes erwarte ich auch von euch. Ich habe im Moment vier Werften, deren Arbeiter nichts zu tun haben. Wir sollten ihnen so schnell wie möglich was zu tun geben.“ „Ich habe die Pläne für einen neuen Schiffstyp fertig. Aber ich bin leider nur ein Mensch. Erwartet bitte keine Wunder von mir.“ „Ihr tut euer bestes, Catweazle. Dessen bin ich mir durchaus bewusst. Ihr solltet euch einen Schüler nehmen, und ihn ausbilden. Was denkt Ihr?“ „Keine schlechte Idee. Aber gibt es jemanden in Eteria, der alt genug ist, um bei mir in die Lehre zu gehen?“ „Ja. Lothar, der Sohn von Fürst Jabon, meinem Schwager.“

„Einverstanden. Wie viele einsatzbereite Schiffe haben wir schon?“ „Mit der Suzuya und den vier Neubauten, insgesamt fünf. Euer letzter Entwurf wird gerade auf der Werft von Santa Catarina gebaut.“ Catweazle sah Shina Fay fragend an. „Vor drei Jahren, als die Midgardschlange hier aktiv war, hat sie durch einen Vulkanausbruch den Küstenort Santa Catarina dem Erdboden gleich gemacht. Ich habe die Stadt an einer anderen Stelle wieder aufgebaut.“ Catweazle nickte anerkennend. „Eine weise Entscheidung. So habt Ihr mehr Kapazitäten für den Handel und für eure Rüstungsvorhaben. Aber jetzt habe ich eine Frage an euch.“ „Ich höre.“ „Wie ist denn hier der Bildungsstand?“ „Zugegeben, die Bildung hatte bei meiner Vorgängerin keinen hohen Stellenwert.“ „Das ist nicht gut. Ihr solltet euch auch um dieses Problem kümmern. Ohne einen guten Abschluss hat selbst der intelligenteste Elf oder Mensch keine Perspektive. Eine solide Bildung ist das A und O einer florierenden Nation. Ihr seid eine der wenigen, die Lesen, Schreiben und Rechnen können. Wenn Ihr in Zukunft vermeiden wollt, das eure Untertanen ihr Dach über dem Kopf verlieren, dann solltet Ihr ihnen den Zugang zu einer guten Bildung nicht verwehren.“, sagte Catweazle. Shina Fay erwiderte nichts. Sie wusste nur zu gut, dass der alte Mann Recht hatte. 189

Zwei Tage nach dem Gespräch mit Catweazle ordnete Shina Fay per Dekret an, dass jedem Einwohner Eterias der Zugang zu Schulen und Universitäten zu gewähren war. Denn sie wollte nicht noch einmal riskieren, dass Leute ihr Dach über dem Kopf verloren. Außerdem hatte sie per Bote die Pläne für das neue Schiff nach Portimao geschickt, damit die dortige Werft ebenfalls vom maritimen Rüstungsprogramm Shina Fays profitierte.

In Santa Catarina war der Rumpf des neuen Schiffes bereits fertig und die Maschinen eingebaut. Nun wurde das Deck fertig gestellt. In Portimao hatte man mit der Kiellegung des nächsten neuen Schiffes begonnen. Das Schiff würde 234,9 m lang und 30,0 m breit sein. Der Tiefgang würde 9,9 m betragen und die Verdrängung bei 38.709 Tonnen liegen. Angetrieben werden sollte das neue Kriegsschiff von 12 Dampfkesseln, die ihre Kraft auf drei Getriebeturbinen übertrugen und somit eine Höchstgeschwindigkeit von 31,5 Knoten ermöglichten. Die Aufbauten bestanden aus einer massiven Stahlkonstruktion, auf der man die Brücke aufgesetzt hatte. Dahinter ragte ein Turm auf, der mit allerlei technischen Instrumenten ausgerüstet war und dem sich der Schornstein anschloss.

Die Bewaffnung sollte aus drei Drillingstürmen mit einem Kaliber von 28 cm bestehen. Zwei der Türme sollten am Bug ihren Platz haben, der dritte achtern am Heck. Backbord und Steuerbord waren jeweils sechs Schnellfeuer-Kanonen mit einem Kaliber von 15 cm. Dazu kamen noch Geschütze mit 10,5 cm Kaliber. 14 Stück waren vorgesehen. Außerdem sollten noch 16 Geschütze mit einem Kaliber von 3,7 cm und 38 2-cm-Geschütze verbaut werden.

Der Sommer war dem Herbst gewichen und die Blätter der Bäume färbten sich bunt. Eteria verfügte nun über sechs einsatzbereite Kriegsschiffe. Denn mit dem Stapellauf der „Santa Catarina“ war das neueste Schiff dazu gekommen. Für König Gundolf ein Grund nach Eteria zu reisen. Als er in Portimao ankam, sah der König von Erimanteles, wie unter den Klängen der Nationalhymne Eterias das sechste neugebaute Schiff vom Stapel lief. Damit verfügte Eteria über sieben einsatzbereite Kriegsschiffe. König Gundolf musste sich eingestehen, dass Eterias Marine zahlenmäßig zwar unterlegen war, jedoch in der Lage war, bei den Schiffen seiner Feinde für hohe Verluste zu sorgen.

Als er an Land ging traf er Shina Fay, die gerade die Werft verlassen hatte. „Königin Shina Fay, kann ich euch unter vier Augen sprechen?“, fragte König Gundolf. „Nur zu.“ Im Sitzungssaal des Rathauses kam der König dann zur Sache. „Shina Fay, du weißt, dass ich dich gern hab.“ „Spar dir deine langweiligen Phrasen Gundolf. 190

Du hast dich mit Azura verbündet. Und das verzeihe ich dir nie. Ich habe mal viel von dir gehalten Gundolf. Doch jetzt habe ich nur Verachtung für dich übrig.“ „Shina Fay. Bitte. Nimm Vernunft an, und beende dieses unsinnige Rüstungsprogramm.“ „Nenn mir einen vernünftigen Grund, warum ich das tun sollte.“ „Du gefährdest den Frieden, den Ignissa die ganze Zeit aufrechterhalten hat. Wenn du so weiter machst, wird alles nur noch viel schlimmer.“ „Damit die anderen Königreiche Eteria weiterhin demütigen und verlachen können? Niemals. Ich werde nicht zulassen, dass mein Königreich weiterhin klein gehalten wird.“ „Dann wird es Krieg geben. Ich bin enttäuscht von dir, Shina Fay. Ich hatte gehofft, dass du auf mich hören und dieses Aufrüsten stoppen würdest. Aber du bist stur und uneinsichtig. Willst du wirklich das Blut unschuldiger vergießen?“

Shina Fay drehte dem König von Erimanteles den Rücken zu. Eine Weile sagte keiner ein Wort. Dann fuhr Shina Fay herum und sah dem König ins Gesicht. „Ich habe keine andere Wahl. Ich habe Königin Ignissa etwas geschworen. Und ich werde meinen Schwur nicht brechen.“ „Verstehe. Aber eines solltest du wissen.“ „Was?“ „Die Landstreitkräfte wurden Eteria zugestanden. Aber die Marine wirst du nicht behalten dürfen.“ „So und warum nicht?“ „Viele Regenten fürchten um ihre Vormachtstellung auf den Weltmeeren. Wenn du noch mehr Schiffe bauen und in Dienst stellen lässt, wird Eteria die Meere beherrschen. Königin Vivian ist es ein Dorn im Auge, dass man Eteria überhaupt eine Armee zugestanden hat.“ „Nur weil sich ein paar Staatsoberhäupter vor Angst in die Hosen machen, soll ich aufhören, meinem Königreich zu einer nie dagewesenen Größe zu verhelfen? Ich bin nicht Königin von Eteria geworden, um vor den anderen zu kuschen.“

König Gundolf kehrte auf sein Schiff zurück. „Leb wohl Shina Fay. Und hoffentlich wirst du doch noch vernünftig. Denn ich will dir nicht auf dem Schlachtfeld gegenüberstehen.“ „Dann hättest du dich nicht mit Königin Azura einlassen dürfen. Vielleicht ist es noch nicht zu spät dafür. Du kannst das Bündnis noch aufkündigen.“ „Nicht ich habe das Bündnis besiegelt. Es war mein jüngerer Sohn. Was soll ich tun, Shina Fay?“ „Schicke ihn ins Exil. Wenn es ihn unbedingt zu Königin Azura zieht, dann soll er dort hingehen. Gib ihm eine Botschaft für die Königin der Dunkelelfen mit, in der du sie wissen lässt, dass euer Bündnis nicht mehr gilt und dass du dich neutral verhältst.“

Am Abend kehrte Shina Fay nach Endor zurück. Sie suchte Catweazle auf. Sie fand ihn in seinem Haus in den Vororten des Hauptstadt. Als sie durch die Tür trat, war der alte Mann gerade mit seinem Schüler Lothar am Zeichenbrett. Erst als Shina Fay sich räusperte, drehte sich Catweazle zu ihr um. „Willkommen zu Hause königliche Hoheit.“, sagte er. „Ich danke euch. 191

Wie macht sich Lothar?“ „Der Junge ist gut. Er lernt sehr schnell. Er ist sogar schon so weit, dass er schon selbst Schiffe entwerfen kann.“ „Es freut mich, das zu hören.“, sagte Shina Fay. „Wollt Ihr euch seinen ersten richtigen Entwurf mal ansehen?“ „Wenn ich darf.“ „Natürlich darfst du, Tante Shina Fay.“ Die Königin sah sich den Entwurf von Jabons Sohn genau an. Und was sie sah, gefiel ihr. Der Entwurf zeigte ein Schiff, das 179 m lang, 18 m breit und einen Tiefgang von 5,9 m haben sollte. Die Verdrängung sollte bei voller Beladung 9.950 Tonnen betragen. Am Bug hatte Lothar zwei Drillingstürme mit einem Kaliber von 20,3 cm vorgesehen. Achtern am Heck einen dritten. Dazu kamen noch acht 12,7-cm-Kanonen, von denen vier als Zwillingstürme auf der Backbordseite und die anderen vier Zwillingstürme auf der Steuerbordseite aufgestellt werden sollten.

Die Brücke sollte sich in einem kleinen turmartigen Aufbau befinden und ein wenig überstehen. Dahinter sollten sich zwei Schornsteine befinden. Vor dem dritten Geschützturm am Heck war noch ein kleiner Mast eingezeichnet. „Gute Arbeit Lothar.“, sagte Shina Fay. „Dann wird dieses Schiff also gebaut?“ „Ja. Und zwar genau so.“, sagte Shina Fay. „Dein Vertrauen ehrt mich Tante.“, sagte Lothar. Shina Fay bat Lothar ihr die Pläne auszuhändigen. „Dieser Auftrag geht an die Werft in Santa Catarina. Ich frage nicht, wann ihr den nächsten Entwurf fertig habt, denn das würde nur unnötig Druck aufbauen. Wenn ihr was habt, meldet euch.“ Catweazle nickte kurz.

In Santa Catarina traf ein Bote Shina Fays mit den Plänen für das neue Schiff ein. Diese übergab er dem Leiter der Werft. „Königin Shina Fay wünscht, dass Ihr dieses Schiff baut.“, sagte der Bote. „Den Befehl bekommen, heißt ihn ausführen.“ In Endor jedoch sah Catweazle seinem Ende entgegen. Lothar saß am Zeichenbrett und fertigte einen neuen Entwurf an. Er war fast fertig, als Catweazle ihn zu sich rief. „Was gibt es Meister?“ „Ich fürchte, es geht zu Ende mit mir. Lass die Königin kommen.“

Shina Fay kam auch. Doch als sie sah, wie schlecht es um Catweazle stand, war sie den Tränen nahe. Denn sie hatte den alten, verschrobenen Kauz in ihr Herz geschlossen. „Erinnert Ihr euch noch, an den Tag, an dem wir uns kennenlernten?“ „Ja, ich erinnere mich. Ihr habt mir die Chance geboten, Eteria zu neuer Größe zu verhelfen.“ „Bereut Ihr es, dass Ihr mein Angebot angenommen habt?“ „Nein. Ihr wart eine Bereicherung für uns. Ganz Eteria steht für immer in eurer Schuld.“ „Ihr und eure Untertanen schuldet mir nichts. Ich habe nur meine Aufgabe erfüllt.“ „Eure Aufgabe?“ „Ja. Ich sollte euch aufsuchen und euch mit meinem Wissen unterstützen. Nun kann ich mit dem Wissen von dieser Welt gehen, dass ich nicht versagt habe. 192

Ihr müsst euch künftig auf Lothar verlassen. Er wird mein Wissen eines Tages selbst weitergeben.“ Wie schon beim Abschied von Ignissa spreizte Shina Fay die Finger ihrer linken Hand auseinander, wobei sie den Zeige- und den Mittelfinger sowie den Ringfinger und den kleinen Finger zusammen ließ. Catweazle streckte ihr seine rechte Hand entgegen. Die Finger genauso gespreizt wie bei Shina Fay. „Langes Leben und Frieden, Catweazle.“, sagte die Königin. „Langes Leben und Frieden, Shina Fay.“ „Gestattet Ihr mir noch eine Frage, Catweazle?“ „Nur zu.“ „General Umslopogas meinte ich bräuchte für meine Landstreitkräfte noch Artillerie-Einheiten. Was meint er mit Artillerie?“ „Hast du nicht die großen Geschütze auf den Decks deiner Schiffe gesehen?“ „Doch.“ „Das ist Artillerie. Du kannst sie an Land einsetzen in Form von Kanonen, Mörsern und Haubitzen, aber auch auf See in Form von schweren Geschützen, wie deine Schiffe sie tragen.“ Shina Fay verstand. „Catweazle, ich verspreche dir, dass du nie vergessen werden wirst. Eine Statue aus Gold soll in Santa Catarina an dich erinnern.“ „Tschä! Tschä! Tschä! Ein Denkmal. Muss das sein?“, empörte sich Catweazle. „Ein Denkmal, das eines Genies würdig ist.“

„Ich brauch so etwas nicht, Shina Fay. Du bist eine gute Königin. Regiere weise. Versprich mir das.“, waren Catweazles letzte Worte, ehe er seine Augen für immer schloss. „Ich verspreche es, Catweazle.“ „Ist er...?“ „Tot? Ja Lothar. Dein Mentor ist gerade nach Arandil gegangen. „Ich habe einen neuen Entwurf fertig, Tante Shina Fay. Willst du ihn dir ansehen?“ „Später. Jetzt hab ich nicht den Nerv dafür. Ich muss den Tod von Catweazle erst mal verarbeiten.“ „Darf ich einen Vorschlag machen, Tante?“ „Ich höre.“, sagte Shina Fay geistesabwesend. „Wenn du meinen Entwurf abgenickt hast, würde ich den Auftrag für den Bau dieses Schiffes an die Werft in Trondheim geben.“ „Ich werde deinen Vorschlag im Hinterkopf behalten, Lothar. Mehr kann ich dir nicht versprechen.“

In Santa Catarina war das neue Schiff fast fertig. Die Arbeiter sprachen mit dem Werftleiter, wie das neue Kriegsschiff heißen sollte. „Unsere Königin kommt aus den Wäldern von Aboleni. Vielleicht könnten wir das neue Schiff nach der Heimat von Shina Fay benennen.“ „Hat irgendjemand Gegenvorschläge?“, fragte der Werftleiter in die Runde. Keiner sagte ein Wort. Stattdessen nickten alle zustimmend. „Ich denke, dass Ihre Kollegen dem Namensvorschlag zugestimmt haben. Das neue Schiff soll „Aboleni“ heißen.“

Später am Abend suchte Lothar seine Patentante auf. Den Entwurf für das nächste Kriegsschiff hatte er in einer Aktenmappe verstaut. Als er den Palast betrat, ging er zielstrebig zum Besprechungszimmer. Lothar klopfte. Auf Shina Fays „Herein“, öffnete Jabons Sohn zaghaft die Tür. 193

Als er den Kopf durch die Tür steckte, bemerkte Lothar, dass die Cousine seiner Patentante anwesend war. „Komm ruhig rein, Lothar. Aradil kennst du ja.“ Zögerlich betrat Shina Fays Patenkind das Zimmer. „Ich habe meinen neuen Entwurf mitgebracht. Aber ich will nicht stören.“ „Du störst nicht. Aradil und ich sind uns wegen der Nachfolge bezüglich der Clanführung einig. Aradils ältester Sohn wird ab sofort den Clan und das Dorf führen.“ Lothar seufzte erleichtert. „Aber jetzt lass mich mal deinen Entwurf sehen.“, sagte Shina Fay.

Shina Fay sah sich die Pläne durch und nickte anerkennend. Denn was sie sah, gefiel ihr. Die Pläne zeigten ein Schiff mit einer Länge von 262,2 m und 31,7 m Breite. Der Tiefgang betrug 8,9 m. Die maximale Verdrängung lag bei 48.360 Tonnen. Die Bewaffnung bestand aus vier Zwillingstürmen mit einem Kaliber von 38,1 cm und auf der Backbordseite sowie der Steuerbordseite jeweils sechs Schnellfeuer-Kanonen mit einem Kaliber von 14 cm. Die Kommandobrücke des Schiffes befand sich in einem Turm, der hinter einem halbrunden Vorbau angeordnet war, in dem sich sämtliche Gerätschaften zur Zielerfassung befanden. Dahinter kamen die beiden Schornsteine. Achtern kam noch ein Mast und ein kleiner Aufbau. Dazwischen waren die Davits für die Rettungsboote vorgesehen, an denen jeweils eines hängen sollte. Hinter der Brücke ragte ein zweiter Mast empor. Die Höchstgeschwindigkeit dieses Schiffes sollte bei 31,07 Knoten liegen. „Gute Arbeit, Lothar. Ich bin einverstanden. In Trondheim wolltest du das Schiff bauen lassen. Habe ich das so richtig verstanden?“ „Ja, Tante Shina Fay.“ „Einverstanden. Morgen früh reisen wir erst nach Trondheim und übergeben dem Werftleiter die Pläne. Dann reisen wir nach Santa Catarina. Das neue Schiff ist fertig.“

Am nächsten Morgen ging die Reise los. Shina Fay reiste, wie es sich für die Regentin eines Königreiches gehörte, in der königlichen Kutsche. Am späten Vormittag erreichten die Königin und ihr Gefolge die Hafenstadt Trondheim. Dem Leiter der dortigen Werft wurden die Pläne für das neue Kriegsschiff übergeben, dessen Kiellegung Shina Fay noch mit verfolgte, ehe sie nach Santa Catarina weiterreiste. Als sie dort eintraf, hatte gerade die Flut eingesetzt. Perfekte Bedingungen für einen Stapellauf.

Noch wusste Shina Fay nicht, was sie erwartete. Der Werftleiter hatte sie lediglich wissen lassen, er hätte eine Überraschung für sie. Als die Königin jedoch sah, welchen Namen das Schiff trug, war sie den Tränen nah. Mit den Worten „Ich taufe dich auf den Namen „Aboleni“.“, ließ die Königin wieder eine Flasche Sekt, denn um diesen handelte es sich, am Bug des Kreuzers zerbersten. Unter den Klängen der Nationalhymne glitt das Schiff ins Wasser. 194

Zur selben Zeit trafen sich an einem neutralen Ort die Regenten der Königreiche, die mit Eteria verfeindet waren. Königin Vivian von Iberia ergriff als erste das Wort. „Eteria hat soeben sein achtes Schiff in Dienst gestellt. Es ist die Aboleni. Unsere Flotten sind zwar immer noch zahlenmäßig überlegen, aber mit jedem Schiff, dass Königin Shina Fay in Dienst stellt, wächst die Bedrohung weiter. Wir müssen handeln. Und zwar jetzt.“ „Vorsicht, Vivian. Shina Fay ist fest entschlossen, Eteria groß zu machen. Sie wird nicht klein beigeben.“, sagte König Gundolf. „Du hast doch als letztes mit ihr gesprochen.“ „Ja habe ich. Und ich hatte den Eindruck, dass Shina Fay sich von uns gedemütigt fühlt. Denn wenn man es richtig betrachtet, muss Eteria nach unserer Pfeife tanzen. Und Shina Fay wird weitere Demütigungen nicht mehr hinnehmen.“ „Und ich werde nicht dulden, dass Shina Fay Eteria in eine glorreiche Zukunft führt. Ich werde ihr ein Ultimatum stellen. Sollte bis zum Ablauf dieser Frist, die Flotte auch nur um ein einziges Schiff gewachsen sein, so werde ich Eteria dem Erdboden gleich machen.“ „Sei vorsichtig. Shina Fay hat bereits ein neues Schiff auf Kiel legen lassen.“ „Na schön. Da dieses Schiff noch vor dem Ultimatum in Produktion gegangen ist, werde ich ihr dieses Schiff wohl noch zugestehen müssen.“

In Santa Catarina hatte sich Lothar in der dortigen Herberge auf sein Zimmer zurückgezogen, und fertigte eine erste Skizze für ein neues Schiff an. Im Gegensatz zu den Entwürfen aus der Vergangenheit befand sich die Hauptartillerie vorne am Bug, während achtern am Heck die kleineren Geschütze vorgesehen waren. Auf der Konferenz jedoch hatte die Königin der Dunkelelfen, Azura, das Wort ergriffen. „Mal ehrlich ihr zwei. Jeder von euch weiß, dass Shina Fay sich unseren Forderungen niemals beugen wird. Vivian, dein Plan mit dem Ultimatum ist eine Verzweiflungstat. Du weißt so gut wie ich, dass Shina Fay ein ganz anderes Kaliber ist. Sie strotzt geradezu vor Selbstbewusstsein. Was dich angeht Gundolf, so möchte ich von dir wissen, ob das Wort deines jüngsten Sohnes noch was gilt.“ „Unser Bündnis besteht nicht länger. Darius hat ohne meine Erlaubnis und ohne mein Wissen gehandelt. Ich habe ihn zu dir ins Exil geschickt. Auf Lebenszeit.“ „Du fällst deinem eigenen Fleisch und Blut in den Rücken?“ „Ja.“

In Endor, Eterias Hauptstadt, hatte Lothar, Shina Fays Patenkind, mit dem Entwurf für das nächste Kriegsschiff begonnen. Bei diesem Entwurf griff er auf die Skizze zurück, die er in Santa Catarina angefertigt hatte. Vorne am Bug sollten die beiden Vierlings-Türme mit einem Kaliber von 33cm platziert werden. Achtern am Heck sollten drei Zwillingstürme mit einem Kaliber von 13 cm postiert werden. Das Schiff sollte 215,14 m lang werden, die Breite sollte 31,1 m 195 betragen. Die maximale Verdrängung sollte bei 35.500 Tonnen liegen, der Tiefgang sollte 9,71 m betragen. Die Höchstgeschwindigkeit sollte bei 29,5 Knoten liegen. Hinter Geschützturm B sollte dann die Brückeneinheit in Form eines Turmes stehen. Dahinter dann der Schornstein und ein kleinerer Mast.

Mit diesem Entwurf ging Jabons Sohn zu seiner Patentante. Diese war gerade im Thronsaal. „Was gibt es Lothar?“ „Ich habe einen neuen Entwurf fertig, Tante Shina Fay.“ „Darf ich ihn sehen?“ „Deswegen bin ich ja auch hier.“ „Dann gib mal her.“ Shina Fay sah sich die Pläne an und nickte. „Sehr gut. Wo sollen wir das Schiff bauen?“ „In Altamira. Aber du musst die Pläne per Luftpost schicken. Ich habe gerade gehört, dass der iberianische Botschafter auf dem Weg zu dir ist. Er hat eine Nachricht von Königin Vivian in der Tasche.“ „Keine schlechte Idee. Aber wer könnte die Botschaft nach Altamira bringen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen?“ „Es bleibt nur Shen oder Li An Kai übrig.“ „Da irrst du dich. Es gibt jemanden, der das für mich erledigen kann.“ „Wer, Tante?“ „Lestrade. Die Vampire haben eine Möglichkeit gefunden, wie sie auch tagsüber agieren können.“ „Genial!“

Der königliche Haushofmeister betrat den Thronsaal. „Mylady, der Vampir Randalejev ist soeben eingetroffen. Er bittet um die Gnade einer Audienz.“ „Er soll eintreten.“ Nur kurze Zeit später trat der Vampir in den Thronsaal. „Was kann ich für dich tun, Randalejev?“, fragte Shina Fay nach einer innigen Begrüßung. „Ich habe wichtige Neuigkeiten für dich. Deine Feinde haben in Enstone eine Konferenz abgehalten. Sie haben entschieden, dir die Marine zu lassen. Allerdings nur die Einheiten, die schon im aktiven Dienst stehen, beziehungsweise die noch im Bau sind. Man hat vor, dir den Bau weiterer Schiffe zu untersagen.“ „Wer bringt mir die Nachricht?“ „Der iberianische Botschafter. Königin Vivian war die treibende Kraft.“ „Wann wird der Botschafter hier sein?“, wollte Shina Fay wissen. „In zwei Tagen.“ „Dann brauche ich deine Hilfe.“ „Wie kann ich dir helfen?“ „Kannst du diese Pläne noch heute nach Altamira in die Werft bringen und dem Leiter in meinem Namen mit dem Bau beauftragen?“ „Wenn es weiter nichts ist.“ „Danke, Randalejev. Lothar, kannst du noch einen Entwurf anfertigen, bevor der Botschafter Iberias hier eintrifft?“ Lothar schüttelte den Kopf. „Einen komplett neuen schaff ich nicht. Aber ich hab noch einen vollendet, den Catweazle begonnen hat.“ „Hast du ihn dabei?“ „Du kennst mich gut genug Tante.“ „Dann darf ich bitten?“, fragte Shina Fay und hielt Lothar die Hand hin.

Als sie sich die Pläne ansah, staunte sie nicht schlecht. Der Rumpf war am Bug oberhalb der Wasserlinie leicht gebogen. Die Kommandobrücke war als Turm konzipiert worden, dem sich die Schornsteine anschlossen. Dahinter ragte 196

der Hauptmast auf. Auffällig war auch die Hauptartillerie, die aus vier Zwillingstürmen mit einem Kaliber von 35,56 cm bestand. Backbord und Steuerbord waren jeweils drei Zwillingstürme mit einem Kaliber von 12,7 cm vorgesehen. Die Länge des nächsten Schiffes sollte bei 222,65 m liegen und die Breite bei 31,02 m. Die Verdrängung sollte 32.670 Tonnen betragen und der Tiefgang bei 9,72 m liegen. Das Schiff sollte eine Höchstgeschwindigkeit von 30,3 Knoten erreichen.

„Gut gemacht. Randalejev kannst du diese Pläne noch nach Catania bringen. Ich habe sie mit einem „C“ markiert. Die ersten Pläne mit einem „A“. Nicht, dass du was durcheinander bringst.“ „Bin schon auf dem Weg.“, sagte Randalejev und verschwand. „Das wird den iberianischen Botschafter aber ganz schön fuchsen, wenn du ihm sagst, dass du noch zwei weitere Schiffe in Auftrag gegeben hast.“ „Bald ist Winter, Lothar. Das bedeutet, dass wir den Schiffbau erst mal einstellen müssen. Aber wenigstens haben wir mit dem Flottenbau begonnen. Wir sind weiter, als ich eigentlich erwartet hatte.“ „Was hast du denn erwartet?“ „Nicht mehr wie vier fünf Schiffe. Das wir vor dem Winter acht einsatzbereite Schiffe haben würden, hätte ich nie zu träumen gewagt.“ „Du vergisst, das Schiff, dass zurzeit in Santa Catarina gebaut wird.“ „Es ist aber noch nicht fertig.“ „Aber bis zum Wintereinbruch ist auch dieses Schiff einsatzfähig.“

In Altamira hatte Randalejev die Werft aufgesucht und dem Leiter die Pläne übergeben, die mit „A“ gekennzeichnet waren. „Königin Shina Fay wünscht, dass Ihr sofort mit dem Bau beginnt.“, hatte er gesagt. Danach war der Vampir nach Catania weitergereist. In der dortigen Werft hatte er dem Leiter die Pläne mit dem „C“ übergeben und Königin Shina Fays Befehl zum sofortigen Baubeginn an den Leiter weitergegeben.

Nach zwei Tagen traf der Botschafter Iberias, Don Manuel Robeles, in Endor ein. Wie es sich für einen hohen Besucher gehörte, wurde Don Manuel mit den ihm zustehenden Ehren empfangen. Als er den Thronsaal betrat, sah der Botschafter Iberias Shina Fay vor dem Thron Eterias stehen. Die Königin beeindruckte Don Manuel über alle Maßen. Shina Fay trug ein schwarzes Satinkleid mit goldenen und silbernen Stickereien und schwarze Schuhe mit flachen Absätzen, die ebenfalls silberne und goldene Verzierungen aufwiesen. Don Manuel machte vor der Königin Eterias den Kniefall. „Erhebt euch, Don Manuel.“, sagte Shina Fay. „Ich danke euch, Hoheit.“ „Ich nehme an, das Ihr mir etwas Wichtiges mitzuteilen habt. Bitte, ich höre.“ „Es ist in der Tat wichtig, Mylady.“ „Dann fahrt fort, Don Manuel.“ „Königin Shina Fay, es ist euch mit sofortiger Wirkung strengstens untersagt, den Ausbau eurer Flotte voranzutreiben. Da ihr aber nun 197

noch ein Schiff habt, das sich im Bau befindet, ist es euch gestattet, dieses Schiff noch fertigzustellen.“ „Don Manuel. Ich fürchte, ich muss euch wohl auf den aktuellsten Stand der Dinge bringen. Vor zwei Tagen, als ihr noch auf dem Weg hierher wart, wurden in Altamira und Catania zwei weitere Schiffe auf Kiel gelegt.“ „Das war jetzt nicht euer Ernst.“ „Doch war es. Und ich bin noch lange nicht fertig.“ „Königin Shina Fay, jeder von uns ist sich durchaus bewusst, dass euer Zorn auf die anderen Regenten entsprechend groß sein muss, dafür, dass man versucht hat, euer Heimatland klein zu halten. Aber dennoch sehen einige Königreiche durch eure Rüstungspläne ihre territoriale Souveränität bedroht.“ „Ach. Aber eure Königin und die anderen Feinde Eterias dürfen seelenruhig unsere territoriale Souveränität bedrohen? Merken Sie sich das, Don Manuel. Ich werde die Grenzen Eterias mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen. Egal ob zu Lande oder zur See.“ „Ich persönlich habe vollstes Verständnis für eure Entscheidungen. Aber mir als Botschafter sind die Hände gebunden.“ „Daran zweifle ich nicht, Don Manuel. Ihr habt nur eure Pflicht getan. Und so wie Ihr eurer Königin verpflichtet seid, so bin ich es meinem Volk gegenüber. Der Winter steht bald vor der Tür. Für diese Zeitspanne werde ich mein Schiffsbauprogramm ruhen lassen. Doch sobald der Frühling wieder einsetzt, werde ich wieder Schiffe bauen lassen. Und damit ist unser Gespräch beendet.“

In Santa Catarina hatten die Bürger beschlossen, einen Leuchtturm zu bauen, damit die Schiffe, die den Hafen ansteuerten, die Fahrrinne nicht verfehlen konnten. In den anderen Hafenstädten standen schon Leuchttürme. In Iberia war der Botschafter von seiner Reise zurückgekehrt und war sofort in den Palast geeilt, um seiner Königin vom Gespräch mit Shina Fay, der Königin Eterias zu berichten. „Hast du Shina Fay den Beschluss übermittelt?“ „Ja, habe ich. Aber Shina Fay hat uns ein Schnippchen geschlagen. Das Verbot ist erst durch die Übermittlung an die Königin Eterias wirksam geworden. Ich habe für den Weg von Enstone nach Eteria zwei Tage gebraucht. In dieser Zeit hat Shina Fay zwei weitere Kriegsschiffe auf Kiel legen lassen.“ „Das ist jetzt nicht dein Ernst.“ „Genau dieselbe Frage habe ich Königin Shina Fay auch gestellt.“ „Und was hat sie geantwortet?“ „Das es kein Scherz ist. Sie hat mich auch wissen lassen, dass sie ihr maritimes Rüstungsprogramm lediglich über den Winter pausieren wird.“ „Aber sowie der Frühling einsetzt, wird die Produktion wieder aufgenommen. Versteh ich das so richtig?“ „Ja. Und ich befürchte, dass Shina Fay damit durchkommen wird. Sie sieht, so wie Ihr, die territoriale Souveränität Eterias durch eure, und die Flotten der anderen massiv bedroht.“ „Jahrelang haben wir die Regeln bestimmt und Eteria klein gehalten. Das darf sich nicht ändern. 198

Ich finde wir hätten Eteria keinerlei Zugeständnisse machen dürfen.“ „Wovor habt Ihr Angst?“ „Von Eteria geht Gefahr aus. Wenn Shina Fay eine schlagkräftige Marine besitzt, können wir einpacken. Dann bestimmt Eteria allein die Regeln. Ich will vor Shina Fay nicht katzbuckeln müssen.“

In Santa Catarina war das neue Kriegsschiff fertig gestellt. Auf Shina Fays Geheiß hin hatte man das Schiff „Edendale“ getauft. Shina Fays Cousine Aradil war die Taufpatin des Schiffes. „Ich taufe dich auf den Namen „Edendale“.“, sagte die Gräfin von Edendale und ließ die Sektflasche am Bug des Stahlgiganten zerbersten. Unter den Klängen von Eterias Nationalhymne glitt der Stahlkoloss ins Wasser. Damit verfügte Eteria über neun Schiffe, die fertig waren. Acht davon standen bereits im aktiven Dienst. In Altamira hatten die Arbeiter den Rumpf fertig gestellt und das Deck beplankt. Die Kommandobrücke war bereits im Bau und Turm A der beiden 33-cm-Vierlingstürme war bereits an seinem Platz.

In Catania hatten die Arbeiter den Rumpf des nächsten Schiffes fertig gestellt und bauten gerade die Maschinen und die Wellen ein, die später die Schrauben bewegen sollten. Als diese beiden Arbeitsschritte erledigt waren, wurden die vier Schrauben montiert. Danach wurde das Panzerdeck aufgesetzt und mit dem Rumpf verbunden. Der nächste Arbeitsschritt bestand darin, über dem Panzerdeck noch das Holzdeck anzubringen. Als auch diese Aufgabe erledigt war, wurde mit dem Bau der Brückeneinheit begonnen. Die Arbeiten am Turm liefen noch, als ein Bote aus Endor eintraf und dem Werftleiter einen versiegelten Umschlag überreichte.

Der Leiter der Werft von Catania brach das Siegel und öffnete den Umschlag. Die darin enthaltene Nachricht ließ ihn wissen, dass das neue Kriegsschiff den Namen „Cruzeiro“ tragen sollte, benannt nach der Meerenge, in deren Gegend einst die Midgardschlange ihr Unwesen getrieben hatte.

In Altamira hatten die Stadtverordneten entschieden, dass ihr Neubau nach der verstorbenen Königin Ignissa benannt werden sollte. Zur gleichen Zeit war einer der vielen Verwaltungsbeamten im gesamten Königreich unterwegs. Er hatte in eigener Verantwortung beschlossen, sämtliche Teilstreitkräfte Eterias zu erfassen. Die Landstreitkräfte waren bereits erfasst, als er in die Hafenstädte kam. Überall sah er, dass die Städte mindestens zwei Kriegsschiffe in den Stützpunkten liegen hatten, bis auf Altamira und Catania. Empört rümpfte er die Nase, als er feststellen musste, dass nicht ein einziges dieser Schiffe in einem Register schriftlich registriert war.

Zurück in Endor suchte der Beamte wutentbrannt die Königin auf. 199

„Hoheit, ich muss euch dringend sprechen. SOFORT!!“ „Was fällt euch ein, mich beim Baden zu stören? Macht dass Ihr raus kommt! Aber dalli!“ Widerwillig verließ der Beamte die Privatgemächer der Königin. Da es der Beamte gewagt hatte, Shina Fay beim Baden zu stören, beschloss diese ihn warten zu lassen. Erst nach der täglichen Audienz nahm sie sich die Zeit. „Sie wollten mich sprechen. Was war denn so wichtig, dass Sie mich beim Baden gestört haben?“ „Wieso sind unsere Kriegsschiffe nicht registriert?“, fragte der Beamte gerade heraus. „Ich bin kein Freund von Papierkram. Außerdem will ich vermeiden, dass unsere Feinde die Stärken und Schwächen unserer Flotte kennen. Reicht Ihnen das als Erklärung?“ „Als Erklärung ja. Aber nichts desto trotz ist ein Flottenregister DRINGEND erforderlich.“, warf der Beamte ein. Shina Fay verdrehte entnervt die Augen. „Ich rate Ihnen eines: Wenn Sie ihren Posten behalten wollen, dann halten Sie in Zukunft gefälligst die Dienstwege ein.“, sagte Shina Fay. Der drohende Unterton in ihrer Stimme ließ keinen Zweifel daran aufkommen, wie ernst sie es meinte. „Sehr wohl, meine Königin.“ „Sie wollten ein Flottenregister führen. Also schön. Tun Sie das.“

Der Beamte atmete erleichtert auf. „Aber nur unter einer Bedingung.“, sagte Shina Fay. „Die da wäre, Hoheit?“ „Das Register darf keinerlei technische Daten enthalten. Nur der Name, der Schiffstyp, die Schiffsklasse, die Tonnage und der Standort dürfen angegeben werden. Keine Angaben über Bewaffnung oder anderes.“ „Wie Ihr wünscht, königliche Hoheit.“ Zurück in seinem Büro fluchte der Beamte. Shina Fay hatte es ihm nahezu unmöglich gemacht, für Königin Vivian die Stärken und Schwächen der Flotte auszuspionieren.

In Altamira war die Ignissa fertiggestellt. Taufpatin war keine geringere, als Eterias Königin höchstpersönlich. „Ich taufe dich auf den Namen „Ignissa“.“, sagte Shina Fay und ließ die Sektflasche am Bug des Schiffes zerbersten. Während Eterias Nationalhymne gespielt wurde, glitt der Stahlkoloss ins Wasser. Damit besaß Eteria bereits zehn einsatzbereite Kriegsschiffe. In Catania hatten die Arbeiter den Namen Cruzeiro auf den Bug geschrieben.

In Santa Catarina hatte der Leuchtturmwärter bemerkt, dass das Meer begann zuzufrieren. Denn am Horizont waren Eisschollen aufgetaucht. Auch in Kenley, Altamira, Portimao und Catania waren Eisschollen gesichtet worden. Das bedeutete für die Arbeiter auf der Werft in Catania, dass sie sich ran halten mussten, wenn der Stapellauf ihres Schiffsneubaus noch vor dem Wintereinbruch stattfinden sollte. Der frühe Wintereinbruch sorgte zum einen für eine vorzeitige Unterbrechung des Schiffsbauprogramms, zum anderen hatte Shina Fays Patenkind Zeit um ein paar neue Konstruktionspläne zu zeichnen. 200

Dies hatte den Vorteil, dass im Frühjahr jede Werft einen Auftrag zum Bau eines neuen Kriegsschiffes erhalten würde.

Schließlich war auch die „Cruzeiro“ fertiggestellt und konnte ihrem Element übergeben werden. Taufpatin war Shina Fays langjährige Freundin Raya. Mit den Worten „Ich taufe dich auf den Namen „Cruzeiro“.“, warf die Elfe aus Erathia die Sektflasche, die am Bug zerbarst und der Stahlgigant glitt unter den Klängen der eterianischen Nationalhymne ins Wasser. Damit verfügte Eteria über elf einsatzbereite Kriegsschiffe.

Als die Cruzeiro ihre Testfahrten absolviert hatte, war das Meer zugefroren. Eine riesige Packeisfläche umschloss die Häfen an der Westküste Eterias. Auch in Iberia war es nicht anders. Die Häfen waren von Eis umschlossen und die Schiffe lagen in ihren Stützpunkten. Doch während die Flotte von Königin Vivian im Freien lag, hatte Shina Fay für ihre Schiffe riesige überdachte Docks bauen lassen, die man mit Toren verschließen konnte, um die Schiffe zum einen vor den Blicken von Spionen zu verbergen und zum anderen um zu verhindern, dass die Schiffe durch Eisbildung toplastig wurden und kenterten.

Lothar, Shina Fays Patenkind. Arbeitete unterdessen fieberhaft an einem neuen Entwurf. Das Schiff sollte eine Länge von 186,0 m haben und 20,69 m breit sein. Die Verdrängung sollte bei voller Beladung bei 14.290 Tonnen liegen und der Tiefgang sollte 7,25 m betragen. Die Hauptartillerie des neuen Schiffes sollten zwei Drillingstürme mit einem Kaliber von 28 cm bilden, von denen der eine am Bug, der andere achtern am Heck montiert werden sollte. Dazu kamen Backbord und Steuerbord noch acht 15-cm-Schnellfeuer-Geschütze. Die Brücke war als halbes Oval mit großen Fenstern ausgeführt worden. Dahinter folgte ein Mast mit sämtlichen technischen Einrichtungen. Dann kam der Schornstein, dem noch ein weitere, wesentlich kleinerer Mast folgte. Diese Pläne wurden mit einem roten „K“ gekennzeichnet, da Lothar diesen Auftrag für die Werft in Kenley vorgesehen hatte.

Die nächsten Pläne die Lothar in Angriff nehmen wollte, markierte er mit einem „S“, da dieses Schiff in Santa Catarina gebaut werden sollte. Doch bevor er sich an die Arbeit machte, suchte er seine Patentante auf. Er traf sie gerade noch an. „Kannst du einen kurzen Augenblick für mich erübrigen, Tante Shina Fay?“ „Fass dich bitte kurz. Ich bin verabredet.“ „Ich habe hier die nächsten Pläne für ein neues Kriegsschiff.“ Shina Fay sah sich die Pläne an und nickte. „In Ordnung. Halte die Pläne bis zum Frühjahr unter Verschluss. Genau wie die anderen, die du noch anfertigst.“ „Mach ich Tante. Soll ich schon mit einem neuen Plan anfangen?“ „Ich denke, die Frage erübrigt sich von selbst, Lothar.“ 201

Nach der Abreise seiner Patentante ging Lothar nach Hause und setzte sich ans Zeichenbrett. Sein nächster Entwurf sollte ein Schiff mit 187,0 m Länge und 19,3 m Breite werden. Der Tiefgang sollte bei 6,02 m liegen und die maximale Verdrängung sollte 13.175 betragen. Die Hauptartillerie sollte aus vier Drillingstürmen mit einem Kaliber von 15,2 cm bestehen, von denen zwei am Bug und zwei achtern am Heck vorgesehen waren. Backbord und steuerbord sollten jeweils sechs Zwillingstürme mit 10,2-cm-Geschützen montiert werden. Das Schiff sollte eine Höchstgeschwindigkeit von 32 Knoten erreichen. Die Brücke sollte zwei Stockwerke umfassen und mit großen Fenstern bestückt sein. Hinter der Brücke sollte ein Gittermast aus Stahlrohren stehen, dem sich die beiden Schornsteine anschlossen. Dazwischen sollte ein zweiter Gittermast stehen, der dem ersten bis ins Detail glich.

Die nächste Rolle markierte Lothar mit einem „P“. Das bedeutete, dass das nächste Schiff in Portimao gebaut werden sollte. Unterdessen war Shina Fay auf dem Weg zur alten Bergfestung Masca, dem Zuhause von Bruder Remigius, ihres alten Freundes. Dort angekommen betätigte die Königin von Eteria den Klopfer am Tor, wie es sich für einen Besucher gehörte. Der Diener des alten Mönchs öffnete. Umso überraschter war er, als er die langjährige Freundin seines Herrn erkannte. „Shina Fay! Na das ist aber eine Überraschung.“ „Wie geht es Remigius, Horatio?“ „Es geht ihm gut. Er wird erfreut sein, wenn er hört, dass du mal wieder bei ihm vorbeischaust.“ Als Shina Fay das Haupthaus betreten hatte, kam ihr alter Freund Bruder Remigius aus dem Studierzimmer. Als er die Elfe sah, strahlte er über das ganze Gesicht.

„Shina Fay. Ich freue mich, dich zu sehen. Es ist schon eine halbe Ewigkeit her, seitdem du das letzte Mal da warst. Trinkst du ein Glas Portwein mit mir?“ „Nur zu gern.“ Später im Kaminzimmer hatten es sich Remigius und seine Besucherin bequem gemacht. „Wie ist es dir in der letzten Zeit so ergangen, Shina Fay?“ „Ich hatte eine Menge um die Ohren. Regierungsgeschäfte eben.“ „Tut mir leid, aber ich hab vergessen, dass du jetzt Dorfregentin bist.“ „Mehr als das Remigius.“, korrigierte Shina Fay. Der alte Mönch sah sie fragend an. „Was meinst du damit?“ „Du redest mit Eterias Königin.“ „Und was ist mit Ignissa?“ Shina Fay drehte das Weinglas in ihren Händen. „Sie ist tot. Sie hat kurz bevor sie starb die Krone Eterias an mich übergeben.“ „Ich erinnere mich. Ignissa hat dich als ihre Nachfolgerin auserwählt. Und eine bessere Wahl hätte sie nicht treffen können. Stimmt es eigentlich, dass du eine Marine aufbauen lässt?“ „Ja. Ich habe Ignissa mein Wort gegeben, nach ihrem Tod mit dem Rüstungsprogramm fortzufahren.“ „Warum das alles?“ „Das ist eine lange Geschichte. Ich bin mir nicht sicher, ob du sie hören willst.“ „Versuch es ruhig.“, sagte Bruder Remigius. 202

„Weit vor meiner Geburt gebot König Corben über Eteria. Unter seiner Führung erlebte das Land eine Blütezeit. Es ging den Leuten gut. Egal ob Mensch oder Elf. Alle wurden gleich behandelt. Doch einige Regenten sahen in Eteria einen aufstrebenden Rivalen, der ihnen gefährlich werden konnte. Also haben sie König Corben durch einen Meuchelmörder beseitigen lassen und stattdessen seinen Cousin Hector auf den Thron gesetzt. Unter König Hector ging es rapide bergab. Denn die anderen Regenten verlangten Tribute, die Eteria zu entrichten hatte. Die Steuerlast war erdrückend.“ „Verstehe. Und dann?“ „Die Politik, die König Hector betrieben hat, war vielen Eterianern ein Dorn im Auge. Es gab einen Aufstand, bei dem König Hector getötet wurde. Danach kam König Hardobrand auf den Thron Eterias. Er missachtete die Regeln der anderen Regenten und brachte für eine kurze Zeit den Wohlstand und das Glück zurück nach Eteria. Doch die anderen Könige sahen diese Entwicklung mit Unmut. Mehrere Sanktionen wurden verhängt, aber König Hardobrand hat sich auch darum einen Teufel geschert. Eterias Feinde haben auch ihn beseitigen lassen. Und wieder einen König auf den Thron gesetzt, der vor ihnen gekatzbuckelt ist.“ „Und dann kam Königin Ignissa.“, bemerkte der alte Mönch. „Richtig. Dann kam meine Vorgängerin. Sie hat es geschafft, dass Eteria keine Tribute mehr zahlen muss. Auch die Sanktionen wurden aufgehoben. Aber es war Eteria weiterhin versagt, sein Glück selbst zu bestimmen. Außerdem haben die Schiffe der Rivalen Eterias diesen Umstand ausgenutzt und haben in unseren eigenen Hoheitsgewässern von eterianischen Handelsschiffen Zölle auf unsere Waren erhoben.“ „Nicht gerade die feine englische Art, wenn du mich fragst.“ „Ja. Eteria wurde über Jahrhunderte klein gehalten und gedemütigt. Aber unter meiner Regentschaft wird es das nicht mehr geben.“ „Das verstehe ich.“

In seinem Haus in Endor, saß Lothar am Zeichenbrett und fertigte den nächsten Entwurf für ein neues Kriegsschiff. Das Schiff sollte 196,9 m lang und 20,6 m breit werden. Seine maximale Verdrängung sollte bei 13.500 Tonnen liegen und sein Tiefgang bei maximal 6,8 m liegen. Das Schiff sollte eine Leistung von 150.000 PS haben und vier Schrauben bekommen. Seine Höchstgeschwindigkeit sollte bei 35 Knoten liegen. Die Hauptartillerie sollte aus acht 20,3-cm-Geschützen bestehen, die in vier Doppeltürmen untergebracht waren. Zwei sollten vorne am Bug postiert sein, die beiden anderen achtern am Heck. Dazu kamen Backbord und Steuerbord jeweils acht 10-cm-Schnellfeuerkanonen. 723 Mann würden nötig sein, um das Schiff am Laufen zu halten. Unmittelbar hinter dem zweiten Geschützturm hatte Lothar die Kommandobrücke eingezeichnet. Diese bestand aus einer massiven Stahlkonstruktion, deren oberstes Ende mit einer umlaufenden Fensterfront versehen werden sollte. Auf dem Dach war ein Mast eingezeichnet, auf dem die ganzen technischen Anlagen 203

untergebracht waren. Danach kam der erste der beiden Schornsteine. Mit etwas Abstand folgte ein weiterer Mast, dem der zweite Schornstein angegliedert war. Dahinter kamen die beiden achteren Doppeltürme mit ihren 20,3-cm-Geschützen.

Shina Fay, Lothars Patentante, war gerade von ihrer Reise nach Masca zurückgekehrt, als Lothar bei ihr vorstellig wurde. Sie war gerade im Thronsaal, als Lothar ihn betrat. „Was ist denn so wichtig, dass du mir keine Zeit zum Ausruhen gönnst, Lothar?“, fragte die Königin leicht gereizt. „Ich war während deiner Abwesenheit nicht ganz untätig. Und ich habe Neuigkeiten für dich.“ „Ich sehe, dass du Pläne für ein neues Kriegsschiff fertig hast. Darf ich sie sehen?“ „Natürlich, Tante.“ Shina Fay sah sich die Pläne an und nickte. „Gute Arbeit. Aber was hast du für Neuigkeiten für mich?“ „Deine Feinde sind am überlegen, ob sie dich nicht durch einen Meuchelmörder beseitigen lassen. Königin Vivian ist die treibende Kraft.“ „War nicht anders zu erwarten. Was gibt es sonst noch neues?“ „Ich habe Nachforschungen angestellt.“ „Inwiefern?“ „Du wolltest doch wissen, wer für den Meuchelmord an König Corben verantwortlich zeichnet. Es war der Ur Ur Ur Ur-Großvater von Königin Vivian. Er hat die anderen Regenten auf seine Seite gezogen, weil er sich vor König Corben gefürchtet hat. Allein hätte Iberia es niemals mit Eteria aufnehmen können.“ „Na sieh mal einer an. Deshalb ist Vivian so erpicht darauf, mich loszuwerden.“ „Es kommt noch schlimmer.“ „Ich höre.“ „Königin Vivian hat per Bote mit Krieg gedroht, solltest du auch nur noch ein einziges Schiff bauen.“ „Darauf war ich gefasst. Na schön. Dann werde ich Königin Vivians Fehdehandschuh aufnehmen.“ „Heißt im Klartext Tante?“ „Ich werde diesem Miststück zeigen, wo der Hammer hängt. Soll sie mir mit Krieg drohen, so viel wie sie will. Ich krieche vor der iberianischen Königin nicht im Staub.“ „Also eines muss man dir lassen, Tante Shina Fay.“ „Was?“ „Du hast Cojones, dass du Königin Vivian die Stirn bietest.“ „Hab ich eine andere Wahl? Sie hat mir den Fehdehandschuh hingeworfen, und bei den Göttern, ich werde ihn aufnehmen.“

Am nächsten Morgen meldete Shina Fays Hofmeister den König von Sussex. „Mylady, König Cedric von Sussex wünscht euch zu sprechen.“ „Ich lasse bitten.“ Kurz darauf betrat ein älterer Mann mit grauen Haaren und einem grauen Vollbart den Thronsaal. Er hatte braune Augen und ein ovales Gesicht mit einer etwas breiteren Nase. Bekleidet war er mit einer schwarzen Hose, einem weißen Hemd und schwarzen Reiterstiefeln. Über dem Hemd trug der König von Sussex eine blaue Schärpe und einen schwarzen Umhang. „Ich danke euch, dass Ihr mir einen Augenblick eurer Zeit widmen könnt.“, sagte der König mit einer wohlklingenden Stimme. „Ich bin gerne bereit, mir anzuhören, 204

was Ihr mir zu sagen habt, König Cedric.“ „Mein Königreich hat beschlossen, dem Beispiel von König Gundolf zu folgen und sich aus einem eventuellen Krieg zwischen Eteria und Iberia herauszuhalten.“ „Eine weise Entscheidung. Allerdings ändert es nichts an der Tatsache, dass ich mich dem Willen der Königin von Iberia nicht beugen werde. Ich habe dieses maritime Rüstungsprogramm angefangen, also werde ich es auch zu Ende bringen. Ich stehe zu meinem Schwur, den ich meiner Vorgängerin, Königin Ignissa in der Stunde ihres Todes gab.“ „Königin Shina Fay, ich versichere euch, dass Ihr weder von meinem Königreich, noch den anderen Königreichen, die damals König Rondolf von Iberia gefolgt sind, als er seine Fehde gegen Eteria begonnen hat, etwas zu befürchten habt. Hier habt Ihr eine diplomatische Note, die unsere Absichten bestätigt.“

Shina Fay nahm die Schriftrolle und las den Text sehr genau durch. „Weiß Königin Vivian schon davon?“ „Ihr meint von unseren Absichten, sich im Falle eines Krieges mit eurem Königreich, neutral zu verhalten?“ „Genau das.“ „Sie weiß es bereits. Und Ihr könnt euch die Reaktion der Regentin Iberias sicherlich vorstellen.“ „Sie hat Gift und Galle gespuckt. Ist es nicht so?“ „Königin Vivian hat einen Tobsuchtsanfall gekriegt. Im Moment ist sie unberechenbar. Und in diesem Zustand ist Vivian sehr gefährlich.“ „Ich hab keine Angst vor dieser Furie.“

Der Winter war hereingebrochen und das Meer an der Westküste Eterias war zugefroren. Die Schiffe lagen in ihren Hallen und die Mannschaften waren in den Baracken auf den Stützpunkten untergebracht. Bei den niedrigen Temperaturen und den eisigen Winden waren die Werften verwaist. Lothar, Shina Fays Patenkind hatte einen dritten Entwurf fertig, der auf der Werft in Altamira gebaut werden sollte. Diese Rolle trug den Buchstaben „A“. Das neue Kriegsschiff sollte vom Bug bis zum Heck 186,3 m lang werden und eine Breite von 20,2 m haben. Seine maximale Verdrängung sollte bei 12.776 Tonnen liegen und der Tiefgang sollte 7,4 m betragen. Die Hauptartillerie sollte aus drei Drillingstürmen mit einem Kaliber von 20,3 cm bestehen. Zwei der Türme sollten vorne am Bug ihren Platz haben, der dritte achtern am Heck. Backbord und Steuerbord waren noch jeweils vier 12,7-cm-Schnellfeuergeschütze vorgesehen. Das neue Kriegsschiff sollte eine Maschinenleistung von 107.000 PS haben und eine Höchstgeschwindigkeit von 32,75 Knoten erreichen. Vier Propeller sollten die Kraft der Maschine im Wasser umsetzen. Für dieses Schiff war eine Besatzung von 1.196 Mann vorgesehen.

Hinter dem zweiten Geschützturm war die Kommandobrücke, die aus zwei Stockwerken bestand. In der zweiten Etage war eine große Fensterfläche vorgesehen, die den gesamten Aufbau umfasste. Dahinter kam der erste der 205

beiden Schornsteine. Zwischen dem Schornstein und dem Brückenaufbau war ein Mast vorgesehen. Mit etwas Abstand kam dann der zweite Schornstein. Dahinter war noch einmal ein Aufbau aus Stahl, ehe dann der dritte der 20,3-cm-Drillinge montiert werden sollte.

Mit diesen Plänen in der Tasche ging Lothar in den königlichen Palast zu seiner Patentante. Die Königin Eterias lag noch im Bett und schlief, als ihr Patenkind eintraf. Ihr Diener klopfte. Galen war sofort hellwach, während seine Gemahlin, die Königin, sich die Bettdecke über den Kopf zog. „Gott wie ich das hasse.“, sagte Shina Fay. „Was hasst du Schatz?“ „Wenn man mich aus dem Schlaf reißt. Aber wart´s nur ab, Galen. Derjenige hat mich zum ersten und zum letzten Mal aus dem Schlaf gerissen.“ Sie packte ihr Kissen und machte sich fertig um es zu werfen. „Herein.“, sagte die Königin. Doch als der Diener den Raum betrat warf Shina Fay ihm das Kissen an den Kopf. „Das soll Ihnen eine Lektion sein. Beim nächsten Mal bin ich nicht so zimperlich. Dann werfe ich eine Bratpfanne nach Ihnen.“ „Ich bitte um Verzeihung, Herrin, aber euer Patenkind wünscht euch zu sprechen.“ „Kann ich mein Kissen wieder haben? Denn ich habe wirklich Lust, es auch Lothar an den Kopf zu werfen.“ „Natürlich, meine Königin. Aber das mit dem Kissen würde ich mir doch lieber zweimal überlegen.“ „Bisher habe ich Lothar nicht bestraft, wenn er zu einem unpassenden Zeitpunkt hier im Palast war, aber dieses Mal ist er doch zu weit gegangen. Entweder er lernt, meine Privatsphäre zu respektieren, oder ich muss ihm Manieren einprügeln.“ „Findest du nicht, dass du mit meinem Neffen, zu hart ins Gericht gehst?“ „Wie du meinst. Ich werde es bei einer Verwarnung belassen. Aber beim nächsten Mal wird Lothar die Konsequenzen tragen müssen.“

Als Galens Neffe den Raum betrat, bekam er einen Kloß im Hals. Denn Shina Fay sah ihn bitterböse an. „Ich kann mir schon denken, warum du gekommen bist. Und ich werde mir deine Pläne auch ansehen. Aber jetzt hab ich ein Hühnchen mit dir zu rupfen, Lothar. Du hast, wie jeder andere auch, meine Privatsphäre zu respektieren. Und wenn ich eins nicht leiden kann, dann ist das, wenn man mich aus dem Schlaf reißt. Dieses Mal will ich noch gnädig mit dir sein und es bei einer Verwarnung belassen. Solltest du es jedoch erneut wagen, meine Privatsphäre zu missachten, dann wirst du eine Nacht im Kerker verbringen.“ Diese Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. „J- Jawohl, Tante.“, stammelte Lothar. „Da du ja schon hier bist, willst du mir nicht die Pläne zeigen?“ Lothar gab seiner Patentante die Pläne. Shina Fay sah sich die Pläne an und nickte. „In Ordnung, Lothar. Und ich hoffe, dass du dir meine Standpauke auch zu Herzen nimmst. Denn ich will dich nicht in den Kerker werfen müssen. Aber ich werde nicht davor zurückschrecken es zu tun.“ 206

Zurück in dem Haus, in dem Lothar so lange mit seinem verstorbenen Mentor Catweazle gelebt hatte, musste sich Lothar erst mal hinsetzen und die Schelte seiner Tante verdauen. Egal wie er es auch drehte und wendete, es blieb eine unverrückbare Tatsache, dass er die Privatsphäre seiner Tante aufs übelste missachtet hatte. Als Shina Fay damals zur Königin gekrönt worden war, hatte sie ihn damals auf die Seite genommen und gesagt: „Lothar, du kannst jederzeit zu mir kommen, wenn du was auf dem Herzen hast. Das soll aber nicht heißen, dass du keinerlei Rücksicht auf meine Privatsphäre zu nehmen brauchst. Die ist mir heilig. Versprichst du mir das?“ „Ich verspreche es, Tante Shina Fay.“, hatte Lothar damals geantwortet. Heute hatte er dieses Versprechen gebrochen. Lothar kannte seine Patentante nur zu gut, um zu wissen, dass sie ihren Worten stets Taten folgen ließ.

Dann setzte er sich wieder an sein Zeichenbrett und fertigte neue Pläne an, die nach Catania gehen sollten. Sein Entwurf sollte ein Stahlgigant mit einer Länge von 215,8 m und einer Breite von 33,83 m werden. Der Tiefgang sollte bei 9,45 m liegen. Das neue Kriegsschiff sollte maximal 40.169 Tonnen verdrängen. Die Leistung der Maschinen sollte bei 80.000 PS liegen, die Höchstgeschwindigkeit bei 25,3 Knoten. Auf dem neuen Schiff sollten 1.367 Mann Dienst tun. Die Hauptartillerie des neuen Großkampfschiffes sollte aus sechs Zwillingstürmen mit einem Kaliber von 35,56 cm bestehen. Die ersten beiden sollten am Bug montiert werden, mittschiffs sollten zwei weitere folgen und achtern am Heck noch einmal zwei dieser Geschütztürme. Backbord und Steuerbord sollten noch jeweils acht 12,7-cm-Schnellfeuerkanonen montiert werden.

Hinter dem zweiten der beiden vorderen 35,56-cm-Zwillingstürme sollte die Kommandobrücke entstehen. Diese war als Turm ausgeführt. Danach kam der Schornstein. Dahinter kamen die beiden Zwillingstürme, die mittschiffs montiert werden sollten. Dahinter kam ein Mast, der in eine massive Stahlkonstruktion eingegliedert war. Hinter diesem Bauteil sollten die beiden letzten 35,56-cm-Zwillingstürme ihren Platz haben.

Lothar hatte gerade den letzten Strich gemacht, als es an der Tür klopfte. „Herein, wenn´s kein Halsabschneider ist.“, sagte er. Shina Fay betrat das Haus. „Was kann ich für dich tun, Tante?“ „Ich war neulich ziemlich gemein zu dir. Und dafür möchte ich mich entschuldigen.“ „Wofür? Du hast vollkommen Recht. Ich hätte dich nicht aus dem Schlaf reißen dürfen. Du selbst hast mir noch am Tag deiner Krönung klar gemacht, dass ich gegenüber den anderen Bediensteten keine Sonderrechte habe. Ich hätte es besser wissen sollen.“ „Wenigstens hast du deine Lektion gelernt.“ 207

„Das habe ich.“ „Nun gut. Wie ich sehe, warst du wieder nicht untätig. Was hast du dieses Mal für mich?“ „Was hältst du davon, Tante?“ Shina Fay sah sich die Konstruktionspläne für das neue Kriegsschiff an. Dann nickte sie. „Lothar, du bist ein echtes Genie. Aber ich finde es sieht der „Cruzeiro“ etwas ähnlich.“ „Mit einem Unterschied, Tante.“ „Welchen?“ Lothar zeigte auf die beiden Geschütztürme mittschiffs. „Sind dasselbe Kaliber wie auf der „Cruzeiro“. Nur zwei mehr.“ „Verstehe. Na schön. Halte die Pläne unter Verschluss, bis du von mir hörst.“, sagte Shina Fay. „Keine Sorge. Ich werde die Pläne zu den anderen legen. Wo sie sich befinden, bleibt mein Geheimnis. Nur ich kenne den Lagerort.“

Eteria im Jahr des Fingertiers

Der Winter war vorüber und der Frühling war ins Land gekommen. Die Eisdecke, die die Westküste Eterias isoliert hatte, war geschmolzen und die Häfen waren wieder zugänglich. Shina Fay gab die Anweisung, wieder Kriegsschiffe zu bauen. Ihr Patenkind Lothar, schickte sogleich Boten in alle Hafenstädte und ließ den Leitern der Werften die neuen Pläne bringen. Noch am selben Tag wurden in den fünf Hafenstädten die neuen Schiffe auf Kiel gelegt. Die anderen Einheiten fuhren in den jeweiligen Abschnitten Patrouille. Und so musste es unweigerlich zu einem Aufeinandertreffen mit einer kleinen Flottille der iberianischen Marine kommen. Diese bestand aus zwei Linienschiffen erster Klasse und drei Fregatten. Deren Aufgabe war es, den Versuch zu unternehmen, auslaufende eterianische Handelsschiffe abzufangen und Zölle einzufordern.

Als der Oberbefehlshaber der iberianischen Flottille die gegnerischen Schiffe sah, gab er den Befehl, die Operation abzubrechen. Seinem eigenen Schiff der „Rondolf“ und einer Fregatte gelang die Flucht. Während die restlichen drei Schiffe von den eterianischen Schiffen gestellt wurden. Das derzeitige Flaggschiff der Marine Eterias die „Netanya“ setzte dem Linienschiff einen Warnschuss vor den Bug. Ein klares Zeichen, dass der Kommandant beidrehen sollte. Doch dieser ließ das Feuer eröffnen. Auf diese Gelegenheit hatte der Kommandant der „Netanya“ gewartet. Mit einem „Feuer frei!“ ließ er das Feuer erwidern. Die „Netanya“ feuerte eine Breitseite aus ihren mächtigen 40,6-cm-Geschützen auf ihren Gegner. Eine Granate durchschlug das Deck des Linienschiffes und detonierte in der Pulverkammer des Gegners. Eine gewaltige Explosion zerriss das Schiff. Als sich der Rauch hob regnete es Wrackteile vom Himmel. Eine weitere Fregatte wurde stark beschädigt, war aber noch seetüchtig. Ihr Schwesterschiff hatte nicht so viel Glück. In einem kurzen Gefecht wurde das Schiff zusammengeschossen und versenkt. Die beschädigte Fregatte konnte sich unbemerkt absetzen. Sie erreichte nach dreiwöchiger Fahrt den 208

Heimathafen in Astragard. Auch die „Rondolf“ und die Fregatte „Iberia“ lagen dort. Das Schiff wurde sofort in die Werft verholt und die Schäden untersucht. Der Kapitän sowie Commodore Johnston und der Kapitän der „Iberia“ waren umgehend nach Iberias Hauptstadt Karthago beordert worden. Im Palast mussten sie Königin Vivian berichten, was sich ereignet hatte. „Wir sind gemäß eurer Befehle nach Eteria gesegelt und haben in den eterianischen Hoheitsgewässern auf die Handelsschiffe Eterias gelauert.“ „Aber stattdessen gab es ein Aufeinandertreffen mit der neuen eterianischen Marine?“ „Leider, meine Königin. Es waren die Schlachtschiffe Netanya, Kaitlyn und der Schlachtkreuzer Santa Catarina.“ „Verstehe. Ihr habt entschieden die Operation abzubrechen, Commodore Johnston. Darf ich fragen wieso?“, wollte die Königin wissen. „Wir waren zwar zu fünft, aber die Schiffe Eterias waren uns überlegen was die Feuerkraft angeht. Ein eterianisches Kriegsschiff wiegt drei von unseren Schiffen auf. Wir hatten keine Chance.“ „Kapitän Coleman, euer Schiff wurde schwer beschädigt. Wer war euer Gegner?“ „Die Santa Catarina, Hoheit. Die Netanya hat unser Linienschiff „Obsidian“ durch einen Treffer in die Pulverkammer versenkt. Die „Meteor“ wurde von der Kaitlyn erst zusammengeschossen und dann versenkt.“ „Meine Herren, angesichts der Tatsache, dass die gegnerischen Schiffe über eine stärkere Feuerkraft verfügen, ergeht hiermit der Befehl, die Hoheitsgewässer zukünftig zu meiden.“

In Trondheim war Shina Fay zu Besuch auf dem Stützpunkt. Die Netanya lief gerade ein. Als das Schiff festgemacht hatte, ging die Königin Eterias an Bord. Der Kapitän begrüßte sie, als Shina Fay auf die Brücke kam. „Königin Shina Fay, willkommen an Bord.“ „Stehen Sie bequem, Kapitän McVay.“ „Danke, Hoheit.“ „Was habt Ihr mir zu berichten?“ „Wir sind auf eine kleine Flottille von fünf iberianischen Schiffen getroffen, die sich in unseren Hoheitsgewässern aufgehalten haben. Zwei der Schiffe sind sofort geflohen. Die anderen konnten wir stellen.“ „Was waren das für Schiffe?“ „Zwei Linienschiffe und drei Fregatten.“ „Ihr sagtet, zwei der fünf Schiffe konnten fliehen?“, „Ja, Hoheit. Das Flaggschiff, die „Rondolf“ und eine Fregatte die „Iberia“.“ „Und die anderen drei?“ „Das verbliebene Linienschiff haben wir durch einen direkten Treffer in die Pulverkammer versenkt. Die Fregatte „Meteor“ wurde von der Santa Catarina zusammengeschossen und anschließend versenkt.“ „Ihr sagtet, es waren drei Fregatten.“ „Die dritte wurde schwer beschädigt, konnte aber entkommen.“ „Schade. Aber eines ist sicher, Kapitän Wilson. Königin Vivian wird keine Schiffe mehr in unsere Hoheitsgewässer schicken. Ihr habt ihre Flotte erfolgreich vertrieben.“

In Endor war gerade König Gundolf eingetroffen. Mit Bestürzung 209

erfuhr der König von Erimanteles von der Konfrontation zwischen den beiden Flotten. Als er den Thronsaal betrat, fand er dort nur Galen, Shina Fays Gemahl und rechte Hand vor. „König Galen. Ich komme mit dringenden Nachrichten für eure Gattin. Wo ist sie?“ „Sie ist zurzeit in Trondheim. Ich nehme an, Ihr kommt wegen der Auseinandersetzung mit der Flottille Iberias.“ „Das stimmt. Diese Entwicklung nimmt bedenkliche Ausmaße an.“ „Dann hätte Königin Vivian ihre Schiffe nicht in unsere Hoheitsgewässer entsenden dürfen. Wir haben das Recht unsere territoriale Souveränität zu verteidigen, König Gundolf. Und wir werden dies mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln tun. Wie lange gedenkt Ihr eigentlich in Eteria zu bleiben? Ich frage, weil ich dann mit meiner Gattin sprechen würde, dass Ihr sie gerne sehen würdet.“ „Eine Woche.“

Nach drei Tagen in Trondheim kehrte Shina Fay nach Endor zurück. Ihr Ehemann Galen wusste, dass es besser war, ihr erst mal ein bisschen Zeit zu geben, bevor er mit seinem Anliegen an sie herantrat. Später am Abend sprach Galen Shina Fay auf den Besuch des Königs von Erimanteles an. „Schatz, König Gundolf weilt gerade in Endor. Er wünscht dich zu sehen. Kannst du es einrichten, dass du morgen mit ihm sprichst?“ „Es geht um den Vorfall mit zwischen unserer Marine und der Marine Iberias. Habe ich Recht Liebling?“ „Ja.“ „Ich werde ihn empfangen.“ Am nächsten Morgen traf sich Shina Fay mit König Gundolf. „Ich habe gehört, dass du mich wegen dem Vorfall mit der iberianischen Flottille sprechen wolltest, Gundolf.“ „Unter anderem auch das. Der Hauptgrund, warum ich gekommen bin, ist der, dass ich deinen Vorschlag, das Bündnis mit Azura aufzukündigen, umgesetzt habe.“ „Freut mich das zu hören. Was aber den Zwischenfall mit den iberianischen Schiffen angeht, finde ich, ist die Sache glasklar.“ „Was veranlasst dich zu dieser Meinung, Shina Fay?“ „Sehen wir uns die Fakten an. Königin Vivian hat ihre Schiffe in unsere Hoheitsgewässer entsandt, um von unseren Handelsschiffen Zölle auf unsere Waren zu kassieren. Du weißt genauso gut wie ich, dass das völkerrechtlich nicht zu rechtfertigen ist.“ „Was meinst du damit?“ „Im Prinzip hat Vivian uns bestohlen, indem sie widerrechtlich Zölle auf unsere Waren von unseren Schiffen erhoben hat. Jahrelang konnten wir nichts dagegen unternehmen. Aber jetzt sind die Karten neu gemischt. Es wird nie wieder passieren, dass eine verfeindete Nation Eteria bestiehlt.“

Nur zwei Tage nach dem Gespräch zwischen Shina Fay und König Gundolf kam es erneut zu einem Zwischenfall mit der iberianischen Marine. Dieser ereignete sich in neutralen Gewässern. Zwei Linienschiffe und eine Fregatte verfolgten eine eterianische Handelskogge um von ihr Zölle auf die geladenen Waren zu kassieren. Dabei trafen sie auf die Schiffe „Endor“, „Cruzeiro“ und „Altamira“. Als die iberianischen Schiffe in Schussweite waren, 210

eröffneten die Schiffe Eterias ohne Vorwarnung das Feuer. Die drei Schiffe der Marine Iberias hatten keine Chance gegen ihren Gegner. Einer nach dem anderen wurde durch einen Treffer in der Pulverkammer versenkt. Die Handelskogge setzte ihre Reise ungehindert fort und erreichte ihr Ziel.

In Karthago nahm Königin Vivian mit Bestürzung die Nachricht vom Verlust ihrer drei Schiffe zur Kenntnis. „In wessen Gewässern hat sich der Vorfall ereignet?“ „Es waren neutrale Gewässer. Also können wir Shina Fay nichts anhaben. Sie hat auch nicht die Neutralität eines anderen Staates verletzt, weil sich der Vorfall außerhalb der Sichtweite von Küsten ereignet hat.“ „Shina Fay fängt an, mir auf die Nerven zu gehen. Die Frau ist ja schlimmer als eine Horde gallischer Schwiegermütter.“

In Endor hingegen nahm Shina Fay die Nachricht vom erneuten Triumph ihrer Marine mit Genugtuung auf. „Also wenn Königin Vivian jetzt nicht kapiert, dass sie ihre Finger von unserem Geld lassen soll, dann ist sie so verblödet, dass sie die Wildschweine beim Himbeeren pflücken beißen.“ „Mann dieser erste Angriff auf die iberianische Flotte macht dich wohl größenwahnsinnig, wie?“, fragte ihre beste Freundin Raya. „Quatsch! Dieser scheiß Angriff könnte eher ein Boomerang werden.“ „Eines ist auf jeden Fall sicher.“, warf Kaitlyn ein. „Was?“ „Du treibst Königin Vivian im Moment ein ums andere Mal zur Weißglut.“

Unterdessen fertigte Shina Fays Patenkind Lothar einen neuen Entwurf für ein neues Schiff an. Es war wieder ein Schlachtschiff. Dieses Schiff sollte auf der Werft in Trondheim gebaut werden. Das Schiff sollte eine Länge von 247,0 m und eine Breite von 33,08 m besitzen. Seine maximale Verdrängung sollte bei 44.698 Tonnen liegen und der Tiefgang 9,9 m betragen. Das neue Kriegsschiff sollte eine Maschinenleistung von 175.000 PS erbringen und eine Höchstgeschwindigkeit von 32,63 Knoten erreichen Die Leistung sollte über vier Wellen auf vier Propeller übertragen werden.. Für diese neue Schiffsklasse hatte Lothar eine Besatzung von 1.569 Mann vorgesehen. Die Hauptartillerie sollte aus zwei Vierlings-Türmen mit einem Kaliber von 38,0 cm bestehen, die vorne am Bug montiert werden sollten. Achtern am Heck sollten drei kleinere Drillingstürme mit einem Kaliber von 15,2 cm stehen. Backbord und steuerbord sollten jeweils sechs Zwillingstürme mit einem Kaliber von 10,0 cm postiert werden.

Unmittelbar hinter dem zweiten der beiden 38-cm-Vierlinge sollte die Kommandobrücke stehen. Danach sollte der Schornstein kommen, der schräg nach hinten verlaufen sollte, statt wie bisher nach oben. Mit diesen Plänen ging Lothar zu seiner Patentante. Als er den Palast erreichte, eilte ihm der Haushofmeister entgegen. „Es ist gerade sehr ungünstig,211

junger Herr Lothar. Eure Patentante ist gerade in einer Besprechung.“, sagte der Haushofmeister. „Dann komme ich später wieder.“ Lothar wandte sich gerade zum Gehen, als die Tür zum Thronsaal aufging und Mara herauskam. „Deine Tante erwartet dich, Lothar. Sie hat mitbekommen, dass du da bist.“ Shina Fays Patenkind betrat den Thronsaal. „Du hast sicherlich neue Konstruktionspläne für mich.“, stellte die Königin fest. „Ja, Tante.“ „Was für ein Schiffstyp?“ „Wieder ein Schlachtschiff.“ „Dann lass mal sehen.“ Lothar überreichte seiner Patentante die Pläne. Shina Fay sah sie sich genau an und nickte dann. „Sehr gut. Und wenn ich das richtig sehe, willst du dieses Schiff in Trondheim bauen lassen.“ „Ja, Tante.“

Als Lothar den Thronsaal verlassen hatte, kam General Umslopogas herein. „Was kann ich für euch tun, General Umslopogas?“ „Majestät, ich komme gerade von meiner Inspektionsreise zurück. Die Kommandeure in den Kasernen bemängeln nach wie vor das Fehlen von Artillerie.“ „Ich habe mich bereits darum gekümmert. Aber es geht nicht von heute auf morgen. Wir bekommen von befreundeten Königreichen zwar Material geliefert, aber unsere Feinde bringen die Schiffe reihenweise auf. Und wenn sie es nicht selbst tun, dann heuern sie Piraten an. Und ich muss erst zusehen, dass sowohl unsere eigenen, als auch die Schiffe unserer Verbündeten, vor den Zugriffen unserer Feinde geschützt sind. Damit das Material für die Landartillerie auch hier ankommt.“ „Wer hätte ein Interesse daran, dass Eteria keine Artillerie besitzt?“, fragte Umslopogas. „Da fällt mir nur Königin Vivian von Iberia ein. Sie ist die einzige, die ein Interesse daran hat uns weiter klein zu halten.“

Nach dem Gespräch mit dem Oberbefehlshaber ihrer Landstreitkräfte meldete der Haushofmeister einen weiteren Besucher. „Meine Königin, ein Fremder wünscht euch zu sprechen. Er sagt, er ist auf der Suche nach seinem Vater.“ „Er soll eintreten.“ Kurze Zeit später betrat ein junger Mann den Thronsaal. Er war nach der Zeitrechnung der Menschen 28 Jahre alt und nach dem Größenmaß der Menschen 1,98 m groß. Der Fremde war kräftig gebaut. Er besaß ein ovales Gesicht mit einem dichten braunen Bart. Die etwas zu breit geratene Nase passte zu diesem Gesicht, ebenso die braunen Haare, die an ihrem Ende zu einem leichten Pferdeschwanz gebunden waren. Seine braunen Augen verrieten Shina Fay, dass er in Sorge um seinen Vater war. „Wie ich hörte, seid ihr auf der Suche nach eurem Vater. Würdet Ihr mir freundlicherweise seinen Namen verraten?“ „Der Name meines Vaters war Catweazle, Hoheit.“ Als Shina Fay den Namen hörte, wurde ihr ganz schwer ums Herz. Sie erhob sich von ihrem Thron und ging auf den jungen Mann zu, bis sie ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand. „Ich fürchte ich habe schlechte Nachrichten für euch. Euer Vater ist vergangenes Jahr an Altersschwäche verstorben. Er hat maßgeblich zum Aufbau 212

unserer Marine beigetragen. Mein Beileid.“ Der junge Mann setzte sich auf den Boden, vergrub das Gesicht in seinen Händen und fing an zu weinen. Shina Fay legte ihm tröstend eine Hand auf die Schulter. „Ich weiß, wie euch zumute ist. Denn ich weiß nur zu gut, wie es ist, wenn man einen Menschen verliert, der einem nahe steht. Ihr sprecht mit einer Frau, die an einem Tag beide Elternteile verloren hat.“ Catweazles Sohn sah Shina Fay fragend an. „Ihr habt richtig gehört. Ich wurde an einem Tag Vollwaise. Erst starb mein Vater durch einen heimtückischen Mord, dann wurde meine Mutter von einem riesigen Wolf durch einen Biss in die Kehle getötet.“

„Dann seid Ihr Shina Fay.“ „Ja, die bin ich.“ „Euer Ruf ist sogar bis zu uns vorgedrungen. Mein Vater wusste, dass Ihr eines Tages Königin von Eteria werden würdet. Deshalb zog er aus, um euch mit seinem Wissen zu unterstützen. Erlaubt nun auch dem Sohn, wie schon zuvor dem Vater euch mit seinem technischen Wissen zu unterstützen.“ „Warum nicht? Doch was könnt Ihr mir bieten?“ „Ich könnte euch dazu verhelfen, die Lufthoheit zu erringen.“ „Die Lufthoheit?“ „Wenn Ihr in einem bewaffneten Konflikt den Luftraum beherrscht kann euer Gegner einpacken.“ „Und wie wollt ihr das anstellen?“ „Gebt mir zwei Tage und ich werde euch überraschen.“ „Gut. Die zwei Tage seien euch gewährt. Wie ist eigentlich euer Name?“, sagte Shina Fay. „Marco, meine Königin.“ „Willkommen in Eteria, Marco.“

In Santa Catarina war das erste der neuen Schiffe fertig geworden. Es war der Kreuzer, den Lothar als erstes entworfen hatte. Auf den Befehl Shina Fays hatte man dieses Schiff auf den Namen „Desdemona“ getauft. Die Naga-Königin, die Shina Fay auf ihrer zweiten Prüfung gerettet hatte, war die Taufpatin des Schiffes. „Ich taufe dich auf den Namen „Desdemona“.“, sagte Desdemona und ließ die Sektflasche am Bug des Schiffes zerschellen. Unter dem Klang von Eterias Nationalhymne glitt das neueste Schiff der eterianischen Marine ins Wasser. Damit besaß Eteria nun 12 einsatzbereite Schiffe.

In Endor saß Lothar in seinem Haus, das er von Catweazle geerbt hatte und fertigte einen neuen Entwurf an. Das neue Schiff sollte 240,00 m lang und 30 m breit sein. Seine Maximalverdrängung sollte bei 36.800 Tonnen liegen und sein Tiefgang sollte 10,12 m betragen. Die Leistung der Maschinen sollte 112.000 PS betragen und das Schiff sollte eine Höchstgeschwindigkeit von 31,7 Knoten erreichen. Die Besatzungsstärke sollte bei 1.205 Mann liegen. Die Hauptartillerie sollte aus drei Zwillingstürmen mit einem Kaliber von 38,1 cm bestehen. Zwei dieser Türme sollten vorne am Bug, der dritte achtern am Heck platziert werden. Dazu kamen noch neun 10,2-cm-Schnellfeuerkanonen. 213

Hinter dem zweiten Geschützturm der Hauptartillerie kam wie bei der „Edendale“ der halbrunde Vorbau, dem die Kommandobrücke folgte. Dahinter kam ein Mast und diesem folgten die beiden Schornsteine. Danach kam noch ein Mast, ehe der achtere Geschützturm folgte.

In Kenley war das nächste Schiff fertig gestellt. Halgrim, der Schamane aus Shina Fays Dorf war der Taufpate des Schiffes. „Ich taufe dich auf den Namen „Halgrim“.“, sagte der Schamane. Kaitlyn, die mitgereist war, warf die Flasche Sekt, die am Bug des Schiffes zerbarst. Als die ersten Klänge der eterianischen Nationalhymne erklangen, glitt der Stahlkoloss ins Wasser. Damit hatte Shina Fay ihr dreizehntes Schiff in Dienst gestellt.

Zur gleichen Zeit, als die „Halgrim“ vom Stapel lief, war die Königin bei Marco zu Gast. Dieser hatte eine neue Erfindung fertiggestellt und wollte sie nun der Königin Eterias vorführen. Im Hinterhof seines Hauses hatte Catweazles Sohn ein Gestell aus Stahl aufgebaut, auf dem ein merkwürdiges Objekt ruhte. Es sah aus wie ein Zylinder, nur das es am Ende etwas spitz zulief. „Was ist das?“, fragte Shina Fay gerade heraus. „Das ist die Zukunft der Luftfahrt. Ich nenne es Jet-Antrieb.“ „Würden Sie mir die Funktion Ihres „Jet-Antriebs“ bitte genauer erläutern, Marco?“ „Nichts lieber als das. Sehen Sie, hier vorne wird Luft eingesogen, wird dann hier im mittleren Teil verdichtet und mit dem Treibstoff für den Antrieb vermischt und anschließend gezündet.“ „Sehr interessant. Und das funktioniert?“ „Das hoffe ich.“ „Würden Sie mir das, was Sie mir eben erläutert haben, in der Praxis vorführen?“ „Selbstverständlich, meine Königin. Ich darf Sie dann bitten, mir zu folgen, damit wir den Test aus sicherer Entfernung mitverfolgen können?“ Nachdem sich die Königin und Catweazles Sohn hinter einem Verschlag versteckt hatten, betätigte Marco einen Schalter, der mit einem Kabel verbunden war, das an das Triebwerk angeschlossen war. Zuerst passierte nichts. Doch dann hörte Shina Fay wie das Triebwerk ansprang. Zuerst war es ein leises Wimmern, dass mit immer weiter steigender Leistung zu einem Heulen heranwuchs. Als das Triebwerk seine Höchstleistung erreicht hatte, schoss eine orange-rote Flamme aus dem hinteren Teil und das Heulen wich einem lauten Brüllen. Nachdem das Triebwerk eine Weile gelaufen war, schaltete Marco es wieder ab, in dem er einen weiteren Schalter betätigte. Langsam schaltete sich das Aggregat wieder ab. „Das war eine beeindruckende Demonstration. Ihr seid ab sofort dafür verantwortlich, eine schlagkräftige Luftwaffe aufzubauen.“

In Altamira war inzwischen das nächste Schiff fertiggestellt. Auf Befehl der Königin hatte man das Schiff auf den Namen „Silverstone“ getauft. Marozia, das Orkmädchen war die Taufpatin. „Ich taufe dich auf den Namen 214

„Silverstone“.“, sagte Marozia und ließ die obligatorische Sektflasche am Bug des Schiffes zerbersten. Unter den Klängen von Eterias Nationalhymne glitt der Gigant aus Stahl ins Wasser. Damit verfügte Eteria über 14 einsatzbereite Schiffe. Das nächste Schiff wurde in Portimao fertiggestellt und hatte auf Wunsch des Königs den Namen Aradil erhalten. Taufpatin war erneut Shina Fays Cousine. „Ich taufe dich auf den Namen „Aradil“.“, sagte sie und warf die Sektflasche gegen den Bug des Schiffes, wo sie zerbrach. Unter den Klängen von Eterias Nationalhymne glitt das neue Schiff ins Wasser.

Damit war die eterianische Marine auf 15 Schiffe angewachsen. Und ein Ende war nicht in Sicht. Denn in Trondheim war nun auch das nächste Schiff fertiggestellt. Shina Fay hatte es auf Anraten von Jenna hin auf den Namen „Ilva“ taufen lassen. Nun stand Lestrades Tochter auf dem Podium in der Werft und sah zu dem Stahlgiganten hinauf, der ihren Namen tragen sollte. Dann nahm sie die Sektflasche in die Hand und sagte: „Ich taufe dich auf den Namen „Ilva“.“ Nachdem sie diese Worte ausgesprochen hatte, warf das Vampirmädchen die Flasche gegen den Bug des Schiffes, wo sie zerbrach. Als die ersten Klänge von Eterias Nationalhymne gespielt wurden, glitt der Stahlkoloss ins Wasser. Damit war die Marine Eterias um ein weiteres Schiff auf nun mehr 16 Schiffe angewachsen.

In seinem Haus in Endor hatte Lothar einen neuen Entwurf fertiggestellt. Das neue Schiff sollte wieder ein schwerer Kreuzer sein. Er sollte 212,5 m lang und 21,7 m breit werden. Der Tiefgang sollte bei 7,2 m liegen und der Kreuzer sollte maximal 18.750 Tonnen verdrängen. Die Maschine sollte 137.500 PS leisten und ihre Kraft über drei Wellen auf drei dreiblättrige Schrauben mit einem Durchmesser von 4,1 m übertragen. Die Höchstgeschwindigkeit sollte bei 32,2 Knoten liegen. Die Besatzungsstärke sollte bei 1.599 Mann liegen. Die Hauptartillerie sollte aus vier Zwillingstürmen mit einem Kaliber von 20,3 cm bestehen. Dazu kamen Backbord und Steuerbord sechs 10,5-cm-Schnellfeuerkanonen. Am Bug sollten zwei der vier Zwillingstürme platziert werden. Dahinter kam eine massive Stahlkonstruktion, auf die die Kommandobrücke aufgesetzt werden sollte. Über der Brücke war noch ein Aufbau, auf dem die technischen Anlagen montiert werden sollten. Danach kam der Schornstein und dann der achtere Mast. Achtern am Heck kamen die beiden anderen Zwillingstürme mit ihren 20,3-cm-Kanonen.

Mit diesen Plänen ging Lothar zu seiner Patentante. Die Königin Eterias war gerade im Garten, als Jabons Sohn im Palast eintraf. Shina Fays beste Freundin Raya fing ihn ab. „Gönne deiner Patentante etwas Ruhe. Sie fühlt 215

sich im Moment etwas unwohl.“ „Was hat Tante Shina Fay?“ Raya senkte die Stimme. „Shina Fay ist schwanger.“ „Du machst Witze.“ „Durchaus nicht. Wir haben es auch erst heute Morgen erfahren.“ „Wird es ein Junge oder ein Mädchen?“ „Ein Mädchen.“ „Hat meine Cousine auch schon einen Namen?“ „Noch nicht.“

Shina Fay saß auf ihrem Thron, als der Haushofmeister ihr Patenkind zu ihr vorließ. „Wie geht es dir Tante?“, fragte Lothar. „Es geht. Als die Nachricht kam, dass ich von Galen schwanger bin, hat es mich fast aus den Fundamenten gehauen.“ „Das glaub ich dir. Kannst du einen kurzen Augenblick für mich erübrigen?“ „Ich denke schon. Was hast du für mich?“ „Ein paar neue Pläne für einen neuen schweren Kreuzer.“ „Dann lass mal sehen.“ Shina Fay sah sich die Pläne an und nickte. „Gute Arbeit, so wie immer. Aber jetzt lass mich bitte allein.“ „Darf ich dir noch einen wohlgemeinten Rat geben, Tante?“ „Bitte.“ „Schon dich so gut es geht. Onkel Galen kann dir sicherlich einen Teil der Regierungsgeschäfte abnehmen.“ „Danke.“

Auf Shina Fays Befehl hin waren überall im Land neben den Kasernen auch noch Stützpunkte für die neue Luftwaffe entstanden. Auch die ersten Maschinen waren in Dienst gestellt worden. Diese Flugzeuge waren 19,43 m lang und besaßen eine Flügelspannweite von 13,05 m. Die Fläche der Tragflügel betrug 56,48 m². Die Streckung der Flügel betrug 3,02 m. Die Flugzeuge waren 5,63 m hoch und hatten ein Startgewicht von 36.741 Kg. Die neuen Maschinen waren in der Lage eine Geschwindigkeit jenseits der Schallmauer zu erreichen. Mach 2,54 wurden gemessen. Die beiden Triebwerke erzeugten mit Nachbrenner eine Schubkraft von 129,45 Kn pro Triebwerk. Die maximale Waffenlast betrug 11.115 Kg. Der Flugzeugrumpf war nicht klobig, sondern eher windschnittig gestaltet. Am Ende befanden sich die beiden Triebwerke. Die Tragflächen der Maschinen sahen wie Dreiecke aus, nur mit dem Unterschied, das die Spitze fehlte. Auffällig waren auch die beiden Heckflügel und die beiden Lufteinlässe an der Rumpfseite. Die Piloten waren durch eine Haube aus Plexiglas vor der dünnen Luft geschützt.

In seinem Haus in Endor hatte Lothar den Entwurf für das nächste Schiff fertig erstellt. Das Schiff sollte 203,76 m lang und 20,42 m breit sein. Die maximale Verdrängung des neuen Kriegsschiffes sollte bei 15.875 Tonnen liegen und der Tiefgang bei 6,32 m liegen. 733 Mann würden nötig sein, um den neuen Kreuzer am Laufen zu halten. Die Maschine sollte 133.100 PS leisten und ihre Kraft über vier Wellen auf vier Propeller übertragen. So sollte eine Höchstgeschwindigkeit von 35 Knoten ermöglicht werden. Die Hauptartillerie sollte aus fünf Zwillingstürmen mit einem Kaliber von 20,3 cm bestehen. 216

Backbord und Steuerbord sollten noch jeweils zwei 12,7-cm-Schnellfeuerkanonen postiert werden. Vorne am Bug sollten drei der Zwillingstürme ihren Platz haben. Danach sollte die Brücke kommen. Diese sollte als ein Teil ausgeführt werden. An den Brückenaufbau sollte zuerst ein Mast, dann sollten die beiden Schornsteine aufgesetzt werden. Dann sollte ein kleiner Metallbau eingebaut werden. Diesem sollte ein weiterer Mast folgen. Danach sollten die beiden achteren 20,3-cm-Zwillingstürme eingebaut werden. Dieses Schiff sollte in Kenley gebaut werden. Das Schiff davor in Santa Catarina.

Mit diesen Plänen ging Lothar wieder in den Palast der Königin. Doch als er den Thronsaal betrat, traf er dort seinen Onkel an. „Na Lothar, was führt dich dieses Mal in den Palast?“ „Dasselbe wie immer. Ich hab neue Pläne für einen neuen schweren Kreuzer fertig und wollte sie Tante Shina Fay zeigen.“ „Ich befürchte, du mit musst mit mir Vorlieb nehmen, Neffe. Shina Fay geht es alles andere als gut. Sie hat mich damit beauftragt, deine Pläne anzusehen und wenn nötig Änderungswünsche zu äußern.“ „Dann soll es so sein. Hier sind die aktuellsten Pläne.“ Galen sah sich die Pläne durch und nickte dann. „Sehr gut. Wirklich sehr gut. Hier sind die Pläne. Verwahre sie, bis du von Shina Fay eine Nachricht erhältst.“

Auf den Stützpunkten der eterianischen Luftwaffe waren inzwischen neue Flugzeuge eingetroffen. Sie besaßen wie die vorherigen Jets zwei Triebwerke, unterschieden sich jedoch in der Konstruktion. Während die ersten Maschinen zwei Heckflügel besaßen, hatten die neuen Jets nur einen. Auch die Form der Flügel war anders. Im Gegensatz zu den anderen Jets hatten diese neuen Exemplare dreieckige Flügel. Die Lufteinlässe unter den Tragflächen waren leicht schräg angeordnet. Vorne an der Nase der Flugzeuge waren noch zwei weitere Zusatzflügel in Dreiecksform angebracht, die die Manövrierfähigkeit der Maschinen verbessern sollten. Eine Plexiglashaube sollte den Piloten vor der dünnen Luft schützen.

Die neuen Jets hatten eine Länge von 15,96 m und eine Höhe von 5,28 m. Ihre Flügelspannweite betrug 10,95 m und die Flügelfläche lag bei 50,00 m². Diese Jets konnten eine Waffenlast von 7.500 Kg tragen und erreichten am Start eine Schubkraft von 180 kN. Die Höchstgeschwindigkeit dieser Maschinen lag bei Mach 2,35.

In seinem Haus in Endor hatte Shina Fays Patenkind Lothar ein neues Kriegsschiff entworfen. Das neue Schiff sollte 210,00 m lang und 33m breit sein. Der Tiefgang sollte bei 11,10 m liegen und die Verdrängung bei 35.000 Tonnen. 2.364 Mann Besatzung würden notwendig sein, um das Schiff am Laufen 217

zu halten. Die Leistung der Maschinen sollte bei 130.000 PS liegen. Diese Kraft sollte über vier Wellen auf vier Propeller übertragen werden. Die Höchstgeschwindigkeit sollte bei 27,8 Knoten liegen. Die Hauptartillerie sollte aus drei Drillingstürmen mit einem Kaliber von 40,6 cm bestehen. Dazu kamen noch acht 12,7-cm-Schnellfeuergeschütze.

Vorne am Bug sollten zwei der schweren Geschütztürme ihren Platz haben. Danach kam eine massive Stahlkonstruktion, die zwei Brücken aufwies. Die erste war direkt in den Stahlblock integriert, die zweite befand sich am unteren Ende eines Mastes, auf dem die ganzen technischen Anlagen untergebracht waren. Backbord und Steuerbord befanden sich die Schnellfeuergeschütze, die in Zwillingstürmen steckten. Jeweils zwei befanden sich an beiden Seiten. Nach der Kommandoeinheit kam der Schornstein und ein weiterer Mast. Danach kam noch ein kleiner Anbau auf dem ein weiteres technisches Gerät stand. Als letztes kam der achtere 40,6-cm-Drillingsturm.

Mit diesen Plänen ging Lothar flotten Schrittes zum Regierungspalast. Als er dort ankam traf er durch Zufall seine Patentante an. „Ich kann mir schon denken, weswegen du hier bist. Aber im Moment ist es ziemlich ungünstig.“ „Wenn ich dir irgendwie helfen kann, dann sag Bescheid.“ „Kannst du mir ein Glas Wasser bringen, Lothar?“ „Kommt sofort.“ Lothar schnappte sich ein Glas und füllte Wasser aus einem der vielen Brunnen hinein. „Hier Bitte.“ „Danke.“, sagte Shina Fay und nahm einen kräftigen Schluck. „Jetzt geht es mir besser. Also was hast du für mich?“ „Ein paar neue Pläne für ein neues Schlachtschiff. Ich hatte gedacht, dass wir die Pläne nach Catania schicken.“ „Dann lass mal sehen.“ Shina Fay sah sich die Pläne an, dann nickte sie. „In Ordnung. Schick die Pläne zu den Werften und sag den Leitern sie sollen mit dem Bau beginnen.“ „Mach ich Tante. Aber jetzt solltest du dich erst mal ausruhen.“

Als die Pläne in den Hafenstädten ankamen, wurden die Schiffe auf Kiel gelegt. Auch waren wieder neue Kampfjets angekommen. Die neuen Maschinen hatten wieder zwei Heckflügel. Auffällig war bei diesen Jägern, dass die beiden Triebwerke durch ein aerodynamisches Bauteil in Form eines Zapfens, voneinander getrennt waren. Die neuen Jets waren 23,34 m lang und 6,09 m hoch. Auffällig war auch, dass die Piloten nebeneinander saßen, statt hintereinander. Die Flügel sahen aus wie Dreiecke, denen die Spitze fehlte. Die Spannweite der Flügel betrug 14,70 m und deren Fläche 62,04 m². Die neuen Kampfjets konnten eine Waffenlast von 8.200 Kg mitführen und erreichten eine Höchstgeschwindigkeit von Mach 1,8. Jedes der beiden Triebwerke erzeugte einen Schub von 137,21 kN. 218

In Iberias Hauptstadt Karthago beobachtete Königin Vivian die neue Entwicklung mit wachsender Besorgnis. „Das gefällt mir nicht.“, sagte sie zu ihrem Kanzler. „Was gefällt euch nicht, Hoheit?“ „Königin Shina Fay, die Regentin Eterias, rüstet seit letztem Jahr massiv auf. Sie verfügt nicht nur über eine schlagkräftige Marine, sondern baut auch noch eine schlagkräftige Luftwaffe auf. Man könnte glatt meinen, dass sie vor hat ihre Feinde einzuschüchtern.“ „Vielleicht wird Shina Fay ja doch noch vernünftig.“ „Shina Fay und zur Vernunft kommen? Eher friert die Hölle zu. Das Dumme ist nur, dass wir in diesem Konflikt mit Eteria alleine stehen. Die anderen Königreiche haben beschlossen sich neutral zu verhalten.“ „Das sind keine guten Nachrichten, Hoheit.“ „Wahrlich, das sind keine guten Nachrichten. Und wir können dieses Aufrüsten nicht stoppen.“

In Eterias Hauptstadt Endor war unterdessen ein Fremder eingetroffen. Er hatte gerade den Königspalast betreten, als er Mara der Schattenhexe, begegnete. „Kann ich Ihnen weiterhelfen?“, fragte Mara. „Ich möchte zu Königin Shina Fay.“ „Ich will euch keine großen Hoffnungen machen, Fremder. Die Königsfamilie erwartet Nachwuchs. Das Baby muss jeden Augenblick kommen.“ „Woher wisst ihr das, so genau?“, fragte der Fremde. „Ich gehöre zu den engsten Vertrauten der Königin. Besser gesagt, ist sie meine Freundin. Wir kennen uns eine halbe Ewigkeit.“, sagte Mara. „Verstehe.“ Mara wollte gerade wieder das Wort ergreifen, als Kaitlyn aus den Privatgemächern gestürmt kam. „Mara! Bei Shina Fay haben die Wehen eingesetzt. Komm schnell!“ Mara warf der Dunkelelfe einen strengen Blick zu. „Shina Fay hat einen Besucher. Nämlich diesen Herren hier. Ich weiß nicht was er von ihr will, aber gerade das versuche ich herauszufinden.“ „Zuerst sollte ich mich wohl vorstellen, Madame. Mein Name ist Hirohito. Ich war Admiral im Königreich Belfort. Dort gab es vor kurzem einen Machtwechsel und man hat mich entlassen. Als ich hörte, dass in Eteria eine Marine aufgebaut wird, habe ich gedacht, biete ich der Königin meine Dienste als als Oberbefehlshaber der Flotte an.“ „Verstehe. Kommen Sie mit.“

Als Kaitlyn die privaten Gemächer der Königin wieder betrat, war gerade die Hebamme eingetroffen. Eine Gehilfin kam mit einer Schüssel warmen, klaren Wassers und Handtüchern. Die Königin selbst lag auf ihrem Bett und hatte ihr sonst so schönes Gesicht vor Schmerzen verzerrt. Ihre Haare klebten an ihrer Stirn. Sie bemerkte nicht, wie Mara und Admiral Hirohito den Raum betreten hatten. „Tief einatmen Hoheit.“, sagte die Hebamme. Shina Fay atmete ein. „Ja, sehr gut. Und jetzt pressen, Hoheit.“ Shina Fay kam auch dieser Aufforderung nach und stieß dabei einen lauten Schmerzensschrei aus. Das ganze Prozedere dauerte noch eine ganze Elfenstunde an, doch dann war es geschafft. Shina Fays Tochter war geboren. 219

Mit einer lauten und kräftigen Stimme machte sie auf sich aufmerksam. Die Hebamme wickelte das Elfenbaby in trockene Tücher, nachdem sie es abgewaschen hatte und reichte es der Königin. Shina Fay lächelte, als sie in das Gesicht ihrer Tochter sah. Dann gab sie ihrem Kind einen Kuss auf die Stirn. „Wie soll eure Tochter heißen, meine Königin?“, fragte die Hebamme. „Naytiri.“ „Was bedeutet eigentlich Naytiri?“, fragte Hirohito Mara. Erst jetzt bemerkte Shina Fay den Fremden.

„Seid mir willkommen, Fremder.“, sagte Shina Fay. „Ich danke euch, Hoheit.“ Die Königin Eterias sah sich den Fremden genauer an. Er war groß, schlank und hatte kurze schwarze Haare. Dazu kamen die mandelförmigen Augen, die Shina Fay von Kapitän Yamamoto kannte. Er besaß ein rundes Gesicht, leicht abstehende Ohren und trug eine Gold umrandete Brille. Bekleidet war er mit einer schwarzen Stoffhose, einem weißen Hemd und einem schwarzen Uniformrock. Dort waren viele Orden angeheftet und am linken Revers konnte Shina Fay eine goldene Epaulette und eine lila Schärpe erkennen. Auch rechts befand sich eine goldene Epaulette. Der Fremde trug schwarze Lackschuhe. „Wie ist euer Name Fremder?“ „Ich heiße Hirohito, meine Königin.“ „Eurer Uniform nach seid Ihr so was wie ein General.“ „Ich bin, besser gesagt ich WAR Admiral. Im Königreich Belfort, dem ich so lange treu gedient habe, gab es einen Machtwechsel, und man hat mich entlassen.“ „Verstehe. Und wieso kommt Ihr ausgerechnet nach Eteria?“ „Mir ist zu Ohren gekommen, dass Ihr eine schlagkräftige Marine aufbaut. Hab Ihr schon einen Offizier, der den Oberbefehl hat?“ „Nein. Aber wieso glaubt Ihr, dass Ihr der richtige Mann für den Posten seid?“ „Meine Erfahrung. Ich habe sehr lange unter König Guillaume in Belfort gedient. Er hat mir zu Lebzeiten dieses Schreiben mitgegeben.“

Mit diesen Worten gab Hirohito Shina Fay eine Schriftrolle aus Pergament. Die Königin Eterias brach das Siegel und las das Schreiben. „Tja wenn das so ist. Sie haben den Posten. Willkommen in Eteria Admiral Hirohito.“ „Ich danke euch für euer Vertrauen, meine Königin. Und meinen aufrichtigen Glückwunsch zur Geburt eurer Tochter.“ „Ich danke euch.“ „Gestattet Ihr mir eine Frage Herrin?“ „Was immer Ihr wissen wollt.“ „Welche Bedeutung hat der Name Naytiri?“ „In der Sprache der Menschen bedeutet Naytiri „Prinzessin des Mondes.“.“, sagte Shina Fay. „Ein hübscher Name.“

In Trondheim war das erste der neuen Kriegsschiffe fertig geworden. Taufpatin war Shina Fays Freundin Mara, die Schattenhexe, deren Namen das Schiff trug. „Ich taufe dich auf den Namen „Mara.“, sagte Mara und warf die Sektflasche, die am Bug des Schiffes zerbarst. Unter den Klängen von Eterias 220

Nationalhymne glitt das neue Schlachtschiff ins Wasser. Damit verfügte Eteria über siebzehn einsatzbereite Kriegsschiffe. Auch Admiral Hirohito und das Königspaar waren anwesend.

In Portimao war das nächste Schiff fertig geworden. Auf Shina Fays Befehl hin hatte man das neue Schlachtschiff auf den Namen „Arteya“ getauft. Taufpatin war keine geringere als die Tochter von Königin Maryse, Arteya. „Ich taufe dich auf den Namen Arteya.“, sagte die Amazone und ließ die Sektflasche am Bug des neuen Schiffes zerschellen. Unter den Klängen der Nationalhymne Eterias glitt dieser stählerne Gigant ins Wasser. Damit verfügte Eteria über achtzehn Schiff, die einsatzbereit waren. Auch waren neue Jets angekommen. Die neuen Jets trugen ihre Triebwerke unter den Flügeln. Die neuen Jäger waren 10,60 m lang und 3,84 m hoch. Die Spannweite ihrer Flügel betrug 12,65 m. Die Fläche der Flügel lag bei 21,70 m². Die Höchstgeschwindigkeit lag bei 870 Km/h. Die Maschinen besaßen einen Heckflügel an dem die beiden Seitenleitwerke angebracht waren und Flügel in Form von Dreiecken mit abgeschnittener Spitze.

In Santa Catarina war das nächste der neuen Kriegsschiffe fertig gestellt worden. Taufpatin war Shina Fays Menschenfreundin Dina. „Ich taufe dich auf den Namen „Dina“.“, sagte Dina und warf die Sektflasche gegen den Bug des Schiffes, wo sie auch zerbrach. Als eine Kapelle die ersten Klänge der eterianischen Nationalhymne spielte, glitt der Koloss aus Stahl ins Wasser. Damit verfügte die eterianische Marine über neunzehn einsatzbereite Schiffe. In Endor hatte Lothar die Entwürfe für ein neues Schiff fertig erstellt. Das neue Kriegsschiff sollte ein schwerer Kreuzer werden. Seine Länge sollte 201,6 m und die Breite 19,40 m betragen. Der Tiefgang war mit 6,48 m angegeben und die Verdrängung mit 15.201 Tonnen. 874 Mann würden notwendig sein um diesen Stahlgigant unter Kontrolle zu halten. 152.000 PS sollte die Maschine leisten und ihre Kraft über vier Wellen auf vier dreiflügelige Propeller übertragen, was eine Höchstgeschwindigkeit von 35 Knoten ermöglichte. Die Hauptartillerie bestand aus vier Zwillingstürmen mit einem Kaliber von 20,3 cm. Backbord und Steuerbord waren noch jeweils vier 12,7-cm-Schnellfeuergeschütze vorgesehen.

Die Zwillingstürme waren allesamt am Bug untergebracht. Danach kam die Kommandobrücke in Form eines Stahlaufbaus und einem Mast. Dahinter kam der Schornstein und dann noch ein Mast, der etwas höher war, als der erste. Achtern am Heck war nur das leere Deck. Und während Lothar auf dem Weg zu seiner Patentante war, hatten die Werftarbeiter auf der Werft in Kenley das nächste der neuen Kriegsschiffe fertiggestellt. Auf Shina Fays Anweisung hin, hatte man den Kreuzer „Remigius“ getauft, benannt nach dem alten Mönch in der alten 221

Bergfestung auf dem Teufelsberg. Galen fungierte als Taufpate, da der alte Mönch sich hartnäckig weigerte seine Festung zu verlassen. „Ich taufe dich auf den Namen Remigius.“, sagte der König Eterias und warf die Sektflasche, die wie vorgesehen am Bug des Schiffes zerbrach. Unter den Klängen von Eterias Nationalhymne glitt der Koloss aus Stahl ins Wasser. Damit besaß Eteria zwanzig einsatzbereite Schiffe und vier einsatzbereite Luftwaffengeschwader.

Mit den Plänen ging Lothar zu seiner Patentante. Er fand sie im Garten, wo sie gerade ihre Tochter stillte. Als sie die Rolle in Lothars Hand sah, wusste Shina Fay, dass sie Pläne für ein neues Kriegsschiff enthielt. „Ich befürchte, was die Pläne angeht, musst du dich an deinen Onkel wenden. Ich bin jetzt Mutter und die Erziehung meines Kindes hat Vorrang.“ „Das leuchtet ein, Tante. Hat meine Cousine auch einen Namen?“ „Sie heißt Naytiri.“ „“Prinzessin des Mondes“. Wieso eigentlich dieser Name?“, fragte Lothar. „Sie in ihre Augen und du weißt es.“ Galens Neffe sah seiner Cousine ins Gesicht, als sie die Augen öffnete. Shina Fays Tochter besaß die braunen Haare ihrer Mutter, doch die blauen Augen ihres Vaters. „So blau wie der kalte Schein des Mondes.“, sagte Lothar. „Nicht wahr? Deswegen auch der Name.“ „Irgendwie passend. Na schön, ich geh dann mal zu Onkel Galen. Mal sehen was er von meinen Plänen hält.“

Im Thronsaal traf Lothar dann seinen Onkel. „Ich schätze, du hast wieder ein paar neue Pläne.“ „So sieht’s mal aus. Ein schwerer Kreuzer.“ „Dann lass mal sehen.“ Lothar gab seinem Onkel die Pläne. „Hut ab. Das wird Iberia das Fürchten lehren.“ „Wart mal ab, was als nächstes kommt, Onkel.“ „Was hast du denn im Sinn, Lothar?“ „Ein Schlachtschiff. Ich würde es gerne nach Tante Shina Fay benennen.“ „Aber nur unter einer Bedingung, Lothar.“ „Die da wäre?“ „Dieses Schiff wird das Flaggschiff unserer Marine.“ „Einverstanden.“

Auf den Stützpunkten waren inzwischen neue Jets angekommen. Diese neuen Maschinen waren 19,10 m lang und 4,88 m hoch. Die Spannweite betrug 19,55 m. Allerdings konnte diese durch Einschwenken der Flügel auf 11,65 m verringert werden. Angetrieben wurden die neuen Jagdflugzeuge von zwei Triebwerken, die zusammen eine Schubkraft von 240,98 Kn und ermöglichten eine Höchstgeschwindigkeit von Mach 2,37. Die Fläche ihrer Flügel war mit 52,49 m² angegeben. Die maximale Waffenlast betrug 6577 Kg. Die neuen Jäger hatten zwei Heckflügel an den Seiten die Seitenleitwerke. Eine Plexiglashaube schützte die Piloten vor der dünnen Luft.

In Catania war das letzte der neuen Großkampfschiffe fertig geworden. Auf Shina Fays Wunsch hin hatte man das Schiff auf den Namen „Ataron“ getauft. Taufpate war natürlich Ataron, der Nachtelfirokese. 222

„Ich taufe dich auf den Namen „Ataron“.“, sagte der Krieger und warf die Sektflasche, die auch am Bug des neuen Schiffes zerbarst. Unter den Klängen von Eterias Nationalhymne glitt das neue Schiff ins Wasser.

In seinem Haus in Endor saß Shina Fays Patenkind an seinem Zeichenbrett und fertigte die Pläne für das nächste Kriegsschiff an. Und dieses Mal legte sich Lothar richtig ins Zeug, denn das Schiff sollte schon durch seine Erscheinung beeindrucken. So bildete der Bug unter Wasser einen Wulst, um einen optimaleren Wasserfluss zu ermöglichen. Das neue Schlachtschiff sollte 250,5 m lang werden und 36 m breit sein. Der Tiefgang sollte 9,9 m und die maximale Verdrängung 53.500 Tonnen betragen. Die Maschine sollte 150.170 PS leisten, und ihre Kraft über drei Wellen auf drei dreiflügelige Schrauben übertragen. Dies sollte eine Höchstgeschwindigkeit von 30,6 Knoten ermöglichen. Die Besatzung sollte 2.092 Mann betragen.

Da dieses Schiff jedoch das Flaggschiff von Eterias Marine werden sollte, waren noch einmal 128 Mann notwendig, die den Flottenstab bildeten. So sollten am Ende 2.220 Mann an Bord stationiert sein. Die Hauptartillerie bestand aus vier Zwillingstürmen mit einem Kaliber von 38 cm, die pro Minute 1.004 Schuss verfeuerten. Backbord und Steuerbord sollten jeweils sechs 15-cm-Schnellfeuer-Kanonen postiert werden. Diese Zwillingstürme verfeuerten pro Minute 1.288 Schuss. Auffällig war auch die Doppelruder-Anlage des Schiffes, die eine bessere Manövrierfähigkeit ermöglichen sollte. Zwei der Zwillingstürme sollten vorne am Bug postiert werden. Hinter dem zweiten der beiden Türme sollte das Kommandomodul kommen, das die Kommandobrücke beherbergte. Etwas versetzt sollte die Admiralsbrücke montiert werden. An der Längsseite des Schiffes sollten Lüfter stehen. Hinter dem Mast mit den ganzen technischen Anlagen sollte der Schornstein folgen. Dahinter noch ein Mast und weitere technische Anlagen. Achtern am Heck folgten die beiden letzten Zwillingstürme der Hauptartillerie.

Auf den Stützpunkten der eterianischen Luftwaffe waren unterdessen neue Jagdmaschinen in Dienst gestellt worden. Die neuen Jets hatten zwei Heckflügel und zwei Triebwerke die jeweils 177 Kn Schub erzeugten. Diese Maschinen waren 20 m lang und 5,60 m hoch. Die Fläche der Deltaflügel betrug 100 m². Die Höchstgeschwindigkeit dieser Jets lag bei Mach 2,6 und die maximale Waffenlast hatte man mit 12.000 Kg angegeben. Die Spannweite der Flügel lag bei 15 m. Auffällig waren auch die kleinen Dreiecksflügel, die etwas versetzt seitlich und unterhalb der Pilotenkanzel montiert werden sollten.

Mit den Plänen im Gepäck ging Lothar in den Regierungspalast 223

zu seinem Onkel. Er fand ihn im Besprechungszimmer. „Na Lothar, warst du wieder fleißig?“ „Und wie. Sieh dir mal diese Pläne an, und sag mir, was du davon hältst.“ Galen sah sich die Pläne an und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. „Was zum Henker hast du da aus dem Hut gezaubert?“, fragte er seinen Neffen. „Also gefällt dir der Entwurf?“ „Absolut. Das haut mich echt aus den Fundamenten. Lothar, du hast dich dieses Mal selbst übertroffen. Catweazle wäre stolz auf dich. Und das Schiff soll in Santa Catarina gebaut werden?“ „Ja. Der schwere Kreuzer soll in Kenley gebaut werden.“ „Ich kenne Shina Fays Kennzeichnungssystem.“ „Wie geht es meiner Patentante?“ „Du kannst sie ja mal besuchen.“ „Meinst du, ich kann sie auch nach ihrer Meinung zu meinen Plänen fragen?“ „Das kannst du gerne machen, aber lass nicht durchblicken, dass das Schiff ihren Namen tragen soll.“ „Du kennst mich.“ „Genau das meine ich.“

Lothar ging in die Bibliothek, wo Shina Fay sich aufhielt. „Hallo Tante.“, sagte er. Shina Fay sah von einem Buch auf, in dem sie gerade las. „Lothar. Kommst du mich mal besuchen. Komm lass dich drücken.“ Nach einer innigen Umarmung sagte Lothar: „Ich war gerade bei Onkel Galen, und hab ihm die Pläne für unser neues Flaggschiff gezeigt.“ „Und wie hat er reagiert?“ „Ihm ist fast der Draht aus der Mütze geflogen.“ „Obwohl ich momentan die Regierungsgeschäfte an Galen abgegeben habe, bin ich doch neugierig, was du dieses Mal erschaffen hast.“, sagte Shina Fay. Lothar gab ihr die Pläne. Shina Fay sah sie sich an und bekam vor Staunen den Mund nicht mehr zu. Lothar klappte ihr den Unterkiefer nach oben. „Mach den Mund zu, sonst gibt’s nen Kurzen.“, sagte er kess. „Frech bist du gar nicht, was?“ „Wie kommst du denn auf dieses schmale Brett, Tante?“ „Jetzt mal ernsthaft. Das ist bisher der beste Entwurf von dir, den ich je in den Händen hatte.“ „Eines Flaggschiffs würdig. Onkel Galen hat sein Okay gegeben.“ „Na dann. Aber jetzt ab mit dir nach Hause an dein Zeichenbrett. Auf dich kommt noch viel Arbeit zu, Lothar.“

Zurück in seinem Haus machte sich Lothar wieder an die Arbeit. Er wollte wieder ein Schlachtschiff entwerfen, das von der Bewaffnung her dem neuen Flaggschiff etwas überlegen war, doch es schien ratsam, sein Erscheinungsbild nicht ganz so einschüchternd wirken zu lassen, wie das neue Flaggschiff sein sollte. Deshalb zeichnete er den Kommandobereich etwas schmaler, aber dafür etwas höher, als bei seinem vorherigen Entwurf. Dahinter kam ein Mast, dann die beiden Schornsteine und ein weiterer Mast. Auf dem Kommandomodul sollten auch die ganzen technischen Anlagen montiert werden. Das neue Schiff sollte 248,3 m lang und 32,9 m breit werden. Der Tiefgang wurde mit 10,9 m angegeben und die Verdrängung bei sollte bei 51.420 Tonnen liegen. 2.000 Mann Besatzung waren notwendig, um das Schiff am Laufen zu halten. 224

Die Maschine sollte 130.000 PS leisten und ihre Kraft über vier Wellen auf vier Propeller übertragen, von denen zwei fünfflügelig und zwei dreiflügelig sein sollten. Dies sollte eine Höchstgeschwindigkeit von 29,5 Knoten ermöglichen. Die Hauptartillerie sollte aus vier Zwillingstürmen mit einem Kaliber von 38,1 cm bestehen. Backbord und Steuerbord sollten jeweils acht 13,3-cm-Schnellfeuer-Kanonen positioniert werden.

In Iberias Hauptstadt Karthago nahm man das stetige militärische Erstarken des großen Rivalen Eteria mit stetig wachsender Unmut zur Kenntnis. Königin Vivian hatte sich mit ihren militärischen Beratern getroffen. „Eteria wird militärisch immer stärker.“, klagte sie. „Die Landstreitkräfte dürften wir weitgehend unter Kontrolle haben.“ „Sie meinen wegen der fehlenden Artillerie?“ „Jawohl, Hoheit.“ „Das mag wohl stimmen, General Calrissian. Aber das Problem sind die Luftwaffe und die Marine. Vom technischen Stand her ist uns Eteria in diesem Punkt um Jahrhunderte voraus.“ „Dank der Hilfe von Catweazle und seinem Sohn.“ „Ach so ist das. Vater und Sohn haben an ihrem König Verrat begangen, indem sie einem Feind ihr technologisches Wissen zur Verfügung gestellt haben.“ „Ich glaube, Ihr verdreht da etwas. König Marley hat die beiden des Landes verwiesen. Aus welchen Gründen auch immer.“ „Das will ich nicht in Abrede stellen. Aber Catweazle und sein Sohn hätten Eteria ihr Wissen nicht zur Verfügung stellen dürfen. Sie haben ihrem Vaterland einen militärischen Nachteil beschert. In meinen Augen ist das Verrat.“ „Ich würde sagen, was Ihr als Verrat bezeichnet, würde ich eher Rache nennen.“, sagte der Oberbefehlshaber der Marine. „Wieso Rache?“ „Ganz einfach, Königin Vivian. Dass Catweazle und sein Sohn Marco Königin Shina Fay ihr technologisches Wissen zur Verfügung gestellt haben, dürfte die Retourkutsche für die Verbannung der beiden sein.“ „Catweazle kann nicht mehr belangt werden, da er bereits verstorben ist. Aber seinen Sohn können wir wegen Vaterlandsverrat dran kriegen.“

In Endor hatte sich Lothar wieder an die Arbeit gemacht und ein neues Kriegsschiff entworfen. Dieses Schiff hatte er als Panzerschiff klassifiziert und die Rolle mit einem „T“ für Trondheim gekennzeichnet. Das neue Schiff sollte 186,0 m lang werden und 21,34 m breit sein. Das Schiff sollte 15.422 Tonnen verdrängen und einen Tiefgang von 7,25 m aufweisen. Seine Maschine sollte 52.050 PS leisten und ihre Kraft über zwei Wellen auf zwei dreiblättrige Schrauben übertragen. Die Höchstgeschwindigkeit hatte man mit 28,3 Knoten angegeben. Seine Hauptartillerie bestand aus zwei Drillingstürmen mit einem Kaliber von 28 cm. Backbord und steuerbord wurden jeweils vier 15-cm-Schnellfeuer-Kanonen positioniert. 1.070 Mann Besatzung würden notwendig sein, um das Schiff am Laufen zu halten. 225

Vorne am Bug sollte der erste der beiden 28-cm-Drillinge stehen. Dahinter kam ein halbrunder Aufbau, dem der Kommandobereich folgte. Die Brücke befand sich im untersten Segment eines dreiteiligen Aufbaus. Danach kamen zwei Plattformen, auf denen die technischen Anlagen montiert werden sollten. Dahinter kam der Schornstein, mit einem Mast. Diesem Mast folgte ein etwas kleineres Exemplar, ehe dann der zweite Drillingsturm montiert werden sollte.

Mit diesen Plänen ging er zu seinem Onkel in den Regierungspalast und nachdem dieser sein Okay gegeben hatte, zu Admiral Hirohito. Auch dieser nickte sie ab. Nach diesem Gespräch besuchte Lothar seine Tante und seine Cousine Naytiri. Die kleine Elfenprinzessin schlief gerade. „Hallo Tante.“, begrüßte Lothar Shina Fay. „Na Lothar, wie geht’s dir?“ „Ich kann nicht klagen, Tante. Aber auf dem Weg hierher habe ich eine Abordnung aus Asgard gesehen. Wenn mich nicht alles täuscht regiert dort doch Königin Maryse, die Mutter deiner Freundin Arteya.“ „Ganz recht, Lothar.“ „Sie hat doch blonde Haare, die sie offen bis zu ihren Brüsten trägt und braune Augen, nicht wahr?“ „Ja. Und einen attraktiven Körper und ein hübsches Gesicht hat sie auch.“ „Dann war es Königin Maryse, die ich an der Spitze habe reiten sehen. Sie reitet doch einen Schimmel, wenn ich mich richtig erinnere.“ „Das stimmt.“, sagte Shina Fay. „Dann solltest du dich mal sehen lassen. Denn immerhin gilt ihr Besuch hier in Eteria dir, Tante.“

Nachdem Lothar wieder gegangen war, meldete Shina Fays Diener die Ankunft der Königin der Amazonen. „Mylady, Königin Maryse wünscht euch zu sprechen.“, sagte er. „Ich lasse bitten.“ Nur kurze Zeit später betrat Maryse die privaten Gemächer der Königin. „Hallo Maryse. Was führt dich zu mir?“ „Ich wollte mich selbst davon überzeugen, dass es dir gut geht. In Asgard kursieren Gerüchte, dass dich ein Meuchelmörder heimtückisch ermordet hat.“ „Wie du siehst, geht es mir gut. Aber die Regierungsgeschäfte führt momentan mein Ehemann, damit ich mich um die Erziehung unserer Tochter kümmern kann.“ In diesem Moment erwachte Naytiri aus ihrem Schlaf und fing an zu weinen. Shina Fay nahm ihr Kind aus seinem Bettchen und sprach ganz sanft mit ihm. „Na so was. Mein kleiner Engel ist aufgewacht.“ Nun konnte Maryse die kleine Elfenprinzessin genauer in Augenschein nehmen. Shina Fays Tochter hatte blaue Augen und einen leichten braunen Haaransatz. Ihre Haut war leicht gebräunt, ein klares Indiz dafür, das Shina Fay mit ihrem Baby recht oft draußen an der frischen Luft war, wenn das Wetter es zuließ. Die Königin der Amazonen trat etwas näher heran und hielt dem Elfenbaby ihren linken kleinen Finger hin und lächelte Naytiri an. Shina Fays Tochter quietschte vergnügt und griff sich den kleinen Finger. „Sie mag dich.“ „Sie ist auch ein süßes Baby. Hat deine Tochter auch einen Namen?“ „Naytiri. In deiner 226

Sprache bedeutet der Name „Prinzessin des Mondes“.“, sagte Shina Fay. „Und was bedeutet deiner?“ „Prinzessin der Eiche. Weil ich unter der heiligen Dorfeiche in meinem Heimatdorf geboren wurde.“

In Karthago, Iberias Hauptstadt, sprach die Königin immer noch mit ihren militärischen Beratern. „Meine Herren, unsere Lage war noch nie so hoffnungslos wie in diesem Augenblick.“, sagte Königin Vivian. „Noch ist nicht alles verloren. Wir müssen nur herausfinden, woher die Materialien für den Bau der Kriegsschiffe und Kampfjets kommen. Dann sind wir in der Lage, ein Wirtschaftsembargo gegen Eteria zu verhängen. So können wir Eteria vom Nachschub abschneiden.“ „Keine schlechte Idee. Aber wie wollen Sie das bewerkstelligen Admiral Maldine?“ „Ich habe ein gut funktionierendes Netzwerk aus Informanten und Spionen. Ich kann einige in den eterianischen Hafenstädten einschleusen und dort für uns spionieren lassen.“ „Dann tun Sie das.“

In Santa Catarina waren unterdessen mehrere Handelsschiffe aus Asgard eingetroffen, die Materialien für die Produktion der nächsten Marineeinheiten mitgebracht hatten. Auch aus Blackweir und Angkor Wat waren Schiffe nach Kenley gekommen. Sie hatten Materialien für die Produktion der nächsten Kampfjets dabei. In Portimao hatten Schiffe aus Erimanteles und Faros angelegt, die kriegswichtige Rohstoffe dabei hatten. In Catania hatten Handelsschiffe aus Tarsonis und Devon ihre Fracht entladen. Ebenso in Trondheim, das von Handelsschiffen aus Nottingham und Stromboli angelaufen wurde.

In Endor hatte Shina Fays Patenkind Lothar einen neuen Entwurf für einen neuen schweren Kreuzer fertig gestellt. Der neue Kreuzer sollte 183,0 m lang und 20,1 m breit sein. Sein Tiefgang sollte 5,9 m betragen und seine maximale Verdrängung 11.603 Tonnen. Seine Maschine sollte 107.000 PS leisten und ihre Kraft über vier Wellen auf vier Propeller übertragen. Die Höchstgeschwindigkeit sollte bei 32,5 Knoten liegen. 617 Mann Besatzung würden notwendig sein, um das Schiff einsatzbereit zu halten. Seine Hauptartillerie sollte aus drei Drillingstürmen mit einem Kaliber von 20,3 cm bestehen. Backbord und Steuerbord waren jeweils zwei 12,7-cm-Schnellfeuer-Geschütze postiert.

Zwei der Drillingstürme sollten vorne am Bug stehen. Dahinter kam die Kommandobrücke mit einer großzügigen Fensterfront und einem Mast mit allen technischen Anlagen. Diesem folgte der erste Schornstein. Dazwischen lag ein kleiner Abstand, ehe dann der zweite Schornstein folgte. Danach folgte noch einmal ein Zwischenraum, ehe dann ein zweiter Mast, mit technischen Anlagen bestückt folgte, dem sich dann achtern am Heck der dritte Drillingsturm anschloss. 227

Als Lothar seine neuen Pläne für den neuen Kreuzer Admiral Hirohito und seinem Onkel vorgelegt hatte, erging vom König der Befehl an die Werften mit dem Bau zu beginnen. Auch in den Flugzeugwerken wurde die Produktion wieder aufgenommen. Denn Marco hatte neue Pläne für einen neuen Jäger mitgebracht. Das neue Flugzeug sollte 14,78 m lang sein und eine Höhe von 4,22m haben. Die Streckung der Flügel sollte 4,99 m betragen und deren Spannweite 13,10 m. Die Fläche der Tragflächen sollte 34,40 m² betragen. Die beiden Triebwerke, die mittig unter den Tragflächen montiert werden sollten, leisteten jeweils 16,09 kN Schubkraft. Die neuen Jets waren in der Lage eine Höchstgeschwindigkeit von 931 Km/h zu erreichen. Zwei Mann waren für den laufenden Betrieb notwendig. Die Bewaffnung bestand aus vier 20-mm-Bordkanonen und ungelenkten Raketen.

Bei diesen Jägern sollten die Seitenflügel mit den Höhenrudern direkt am Heckleitwerk mit dem Querruder befestigt werden. Doch nicht am Rumpf selbst, sondern am Leitwerk selbst. Auch die Plexiglashaube, die die Piloten vor der dünnen Luft schützen sollte, durfte nicht fehlen.

In Santa Catarina hatten sich die Werftarbeiter so richtig ins Zeug gelegt, denn ihr Schiff war als erstes fertig. Das Schiff hatte man auf Wunsch von König Galen auf den Namen seiner Frau „Shina Fay“ getauft. Die Königin Eterias war auch die Taufpatin des Schiffes. Als sie das Rednerpult betrat schaute Shina Fay nach oben und sah über sich den mächtigen Bug des neuen Schlachtschiffes aufragen. Auf ein Zeichen ihres Gemahls zogen einige Arbeiter zwei Stoffstücke weg, die den Namen des neuen Schlachtschiffes verborgen hatten. Als Shina Fay sah, dass der neue Stolz der eterianischen Marine ihren Namen trug, bildete sich ein Kloß in ihrem Hals und die Tränen stiegen ihr in die Augen. „Wessen Idee war das?“, fragte sie mit tränen erstickter Stimme. „Das war meine, Liebling. Lothar wollte, dass dieses Schiff deinen Namen trägt. Ich habe nur unter der Bedingung zugestimmt, dass dieses Schlachtschiff die „Netanya“ als Flaggschiff ablöst.“ „Du bist verrückt, weißt du das?“ „Schon möglich. Aber jetzt solltest du das neue Flaggschiff seinem Element übergeben.“ Shina Fay griff sich die Sektflasche und schloss für einen Moment die Augen. Dann atmete sie tief durch. „Ich taufe dich auf den Namen „Shina Fay“.“, sagte sie und warf die Flasche. Als diese am Bug des Schiffes zerschellte begann die Musikkapelle der Stadt, die Nationalhymne Eterias zu spielen. Und dann kam der große Augenblick. Das neue Schlachtschiff setzte sich in Bewegung. Zuerst ganz langsam, dann immer schneller.

Damit verfügte Eteria über zweiundzwanzig einsatzbereite Kriegsschiffe und fünf einsatzbereite Luftwaffengeschwader. Doch einen Tag nach 228

der Indienststellung des neuen Flaggschiffs wurde auch ein neues Jagdgeschwader in Dienst gestellt, sodass die Zahl der einsatzbereiten Luftwaffengeschwader auf nunmehr sechs angewachsen war.

Nach ihrer Rückkehr aus Santa Catarina wurde für Shina Fay ein Kindermädchen organisiert, damit sie ihr Amt als Königin wieder aufnehmen konnte. Und so trug es sich zu, dass Shina Fay im Thronsaal auf dem Thron saß, als der Haushofmeister mit einem vor Entsetzen verzerrten Gesicht einen unheimlichen Besucher meldete. „Mylady... ein Fremder... bittet um … die Gnade... einer Audienz.“, stammelte er. „Wer ist es?“ „Er ist... ein Nekromant.“ Shina Fay fuhr der Schreck in die Glieder. Denn das Auftauchen eines Nekromanten konnte nur bedeuten, dass entweder sie oder ihre Tochter Naytiri in Lebensgefahr schwebte. „Ich lasse bitten.“, sagte die Königin schließlich. Mit langsamen Schritten betrat der Nekromant den Thronsaal. Shina Fay fielen die knochigen Hände auf, in denen ein Stab mit einem Smaragd so groß wie ein Hühnerei ruhte. Auf seinem Skelettkopf trug der Nekromant ein Diadem, das dem von Shina Fay sehr ähnlich sah. In seinen Augenhöhlen glühten zwei diabolische rote Augen auf. Bekleidet war der Nekromant mit einem dunkelgrauen zerfetzten Gewand aus Stoff und einem ebenso grauen Brustpanzer darüber. Seine Füße steckten in schweren dunkelgrauen Lederstiefeln.

Shina Fay wusste sofort, wen sie da vor sich hatte. Es war Sandro, der Nekromantenkönig. Die Königin Eterias wusste nur zu gut, dass sie jetzt dem Nekromanten gegenüber keinerlei Furcht zeigen durfte. Doch Sandro hatte dies bereits bemerkt. Denn er sagte: „Es tut mir leid, wenn ich euch durch meinen unangemeldeten Besuch Angst eingejagt habe, Königin Shina Fay. Doch ich gebe euch mein Ehrenwort, dass weder Ihr noch eure Liebsten um ihr Leben fürchten müssen.“ „Nun Sandro, was führt euch dann nach Eteria?“ „Ich habe wichtige Neuigkeiten für euch.“ „Bitte, ich höre.“ „Eure Rivalin, Königin Vivian von Iberia hat einen von uns auf ihre Seite gezogen. Dadurch ist er abtrünnig geworden und wurde aus unserer Mitte ausgestoßen.“ „Das sieht der Königin von Iberia ähnlich. Gibt es sonst noch etwas, das ich wissen müsste?“ „Wir haben jetzt einen gemeinsamen Feind. Ein paar von Königin Azuras Kriegern sind in unser Land eingedrungen, und haben einen unserer besten Krieger hinterhältig ermordet.“ „Das ist eindeutig Azuras Handschrift. Würde mich nicht wundern, wenn sie versucht hätte, die Schuld mir in die Schuhe zu schieben.“ „Wir Nekromanten gehen normalerweise keine Bündnisse mit Sterblichen ein. Aber in diesem Fall haben wir keine Alternative. Am Tag der großen Schlacht, könnt ihr, Königin Shina Fay auf die Hilfe der Nekromanten zählen.“ 229
 

Nach dem Gespräch Shina Fays mit dem Nekromantenkönig meldete der Haushofmeister den Botschafter Iberias. „Mylady, der iberianische Botschafter wünscht euch zu sprechen.“, sagte er. „Er soll eintreten.“ Mit stürmischen Schritten trat der iberianische Botschafter in den Thronsaal. Nachdem er sich vor der Königin Eterias verneigt hatte, ließ Shina Fay ihn sprechen. „Königin Shina Fay, meine Herrin fordert euch durch mich zur unverzüglichen Auslieferung von Catweazles Sohn Marco auf. Ich würde euch dringend raten, der Forderung nachzukommen.“ „So und warum, wenn ich fragen darf Don Miguel?“ „Widersetzt Ihr euch der Forderung meiner Königin, sieht sie sich gezwungen, Eteria anzugreifen.“ „Nehmen wir mal an, ich würde mich der Forderung von Königin Vivian beugen. Was würde Marco in Iberia erwarten?“ „Er würde in sein Heimatland zurückgebracht, wo man ihm den Prozess machen wird.“ „Welches Vergehen wird ihm vorgeworfen?“ „Vaterlandsverrat, meine Königin.“ „Don Miguel, überbringt eurer Herrin, der Königin von Iberia folgende Botschaft von mir. Sagt ihr, dass ich Catweazles Sohn in Eteria politisches Asyl gewähre. Solange er Eteria nicht verlässt, genießt er meinen Schutz.“ „Ihr wollt euch jetzt nicht allen Ernstes den Zorn von Königin Vivian aufladen. Seid ihr euch über die Konsequenzen im Klaren?“

„Ich will es mal so ausdrücken, Don Miguel. Gebe ich der Forderung eurer Herrin nach, zeige ich ihr gegenüber Schwäche. Und genau das habe ich nicht vor. Außerdem könnt Ihr eurer Königin sagen, dass ich mich vor ihr nicht beuge.“ Der iberianische Botschafter verdrehte entnervt die Augen. „Mylady, ich kann beim besten Willen nicht nachvollziehen, wieso Ihr gegenüber meiner Herrin so unnachgiebig seid. Reicht es nicht, dass Ihr Königin Vivian dauernd provoziert, indem Ihr eure Flotte und Luftwaffe weiter vergrößert?“ „Ich muss die territoriale Souveränität meines Landes schützen, die gerade von eurer Marine immer wieder massivst missachtet wurde. Das bin ich meinem Volk schuldig. Ihr könnt gehen.“, sagte Shina Fay mit Nachdruck.

Die Reaktion auf Shina Fays Entscheidung, sich ihrer Rivalin Königin Vivian zu widersetzen, ließ nicht lange auf sich warten. Nur zwei Tage nach dem Gespräch von Don Miguel Calderon mit Shina Fay drangen iberianische Agenten in Marcos Haus in Endor ein. Sie wollten Marco gerade festnehmen, als sie überrascht feststellen mussten, dass Catweazles Sohn einen Besucher hatte. „Mach die Flatter.“, sagte einer der Agenten zu dem Fremden. Der Fremde sah Marco fragend an. „Wer sind denn diese Mülleimer?“, sagte er an seinen Gastgeber gewandt. „Halt dich da raus Kumpel, das ist nicht deine Angelegenheit.“ „Seit wann sind wir Kumpel, du Pappnase?“ Dann packte der Fremde die beiden Agenten an der Kehle und hob sie hoch. 230

Mit voller Wucht hämmerte der Fremde die beiden durch den Tisch, der vor der Couch gestanden hatte.

In Kenley war der neue schwere Kreuzer fertig geworden. Das Schiff hatte man auf Geheiß von König Galen auf den Namen „Vortavor“ getauft. Taufpate war der Bürgermeister der Stadt, Rabanus Uranus. „Ich taufe dich auf den Namen „Vortavor.“, sagte er. Danach warf er die Sektflasche, die auch wie vorgesehen am Bug des Schiffes zerbrach. Und als die Nationalhymne Eterias gespielt wurde, glitt der Stahlgigant ins Wasser.

Damit verfügte Eteria über dreiundzwanzig einsatzbereite Schiffe und sieben Luftwaffengeschwader. Denn vor dem Zwischenfall mit den iberianischen Agenten waren neue Jagdflugzeuge angeliefert worden. Die neuen Jets waren 14,52 m lang und 5,09 m hoch. Die Fläche der Flügel betrug 27,87 m². Die Spannweite der Tragflächen betrug 9,45 m. Die Streckung der Flügel lag bei 3,20 m. Die maximale Schubkraft des Triebwerks betrug mit eingeschaltetem Nachbrenner 128,90 kN. Die Höchstgeschwindigkeit der neuen Kampfjets betrug Mach 2,02. Die maximale Waffenlast lag bei 9.276 Kg. Auffällig an diesen Jets war der riesige Lufteinlass unter dem Flugzeugrumpf. Auf Höhe des Triebwerks waren die Seitenleitwerke angebracht. Wie immer schützte eine Plexiglaskuppel den Piloten vor der dünnen Luft.

In Trondheim war inzwischen das neue Panzerschiff fertig geworden, das man auf Bitte von Ayla, der Hohepriesterin auf den Namen „Jenna“ getauft hatte. Taufpatin war Shina Fays Freundin Jenna, die Blutelfe, die etwas neidisch war, dass es kein Schiff in der eterianischen Flotte gab, das ihren Namen trug. „Ich taufe dich auf den Namen „Jenna“.“, sagte die Blutelfe und warf die Sektflasche gegen den Bug des Schiffes, wo sie zerbrach. Unter den Klängen von Eterias Nationalhymne glitt die „Jenna“ ins Wasser. Damit besaß Eteria sein vierundzwanzigstes einsatzbereites Schiff.

In Catania war das zweite der neuen Schlachtschiffe fertig geworden. Remigius hatte den Wunsch geäußert, es nach seinem Wohnsitz, der Bergfestung Masca, zu benennen. Shina Fay hatte dieser Bitte entsprochen und eine Order erlassen. Taufpate war Shina Fays Schwager Jabon. „Ich taufe dich auf den Namen „Masca“.“, sagte er und warf die Sektflasche, die wie vorgesehen am Bug des Schiffes zerschellte. Unter den Klängen der eterianischen Nationalhymne glitt der Stahlkoloss ins Wasser. Damit verfügte Shina Fays Königreich über fünfundzwanzig einsatzbereite Kriegsschiffe.

Auch Lothar war nicht untätig geblieben. Er hatte in den 231

vergangenen Tagen einen neuen Entwurf für einen neuen schweren Kreuzer angefertigt. Das Schiff sollte 205,3 m lang und 21,6 m breit werden. Sein Tiefgang sollte bei 7,3 m liegen und seine Verdrängung wurde mit 17.031 Tonnen angegeben. Die Maschine sollte 120.000 PS leisten und ihre Kraft über vier Wellen auf vier Propeller übertragen. Die Höchstgeschwindigkeit sollte bei 33 Knoten liegen. 1.500 Mann Besatzung und 80 Offiziere sollten das Schiff im aktiven Dienst am Laufen halten. Die Hauptartillerie bestand aus drei Drillingstürmen mit einem Kaliber von 20,3 cm. Dazu kamen drei Zwillingstürme mit einem Kaliber von 12,7 cm.

Die beiden ersten Drillingstürme sollten vorne am Bug stehen. Dahinter kam der erste der drei 12,7-cm-Türme. Die beiden anderen waren seitlich des Kommandomoduls an Backbord und Steuerbord vorgesehen. Das Kommandomodul war eine massive Stahlkonstruktion mit aufgesetzter Brücke. Auf deren Dach kamen ein paar technische Einrichtungen. Dahinter kam ein Mast mit weiteren technischen Anlagen. Diesem folgten die beiden Schornsteine. Mittschiffs, wo die Schornsteine standen kamen noch ein paar kleinere Geschütze. Hinter dem zweiten Schornstein folgte noch ein Mast, auf dem ebenfalls wichtige technische Anlagen montiert werden sollten. Achtern sollte dann der letzte der drei 20,3-cm-Drillingstürme montiert werden.
 

Mit diesen Plänen ging Lothar zu seiner Tante, der Königin, um ihr die Pläne zu zeigen. Er traf sie im Besprechungszimmer. „Guten Morgen Tante.“, sagte er. „Guten Morgen. Mach es heute bitte kurz, ich habe noch ein unschönes Gespräch vor mir.“ „Mit wem?“ „Königin Vivian von Iberia. Ich habe sie einbestellt.“ „Wegen der Sache mit den iberianischen Agenten?“ „Weswegen denn sonst?“ Es wird Zeit, dass ich dieser Giftnatter zeige, woran sie bei mir ist.“ „Das weiß sie längst. Du wolltest doch meine Pläne sehen. Nicht wahr?“ „Richtig, da war was.“ „Lothar gab seiner Tante die Pläne. Die Königin sah sich die Konstruktionspläne an, dann nickte sie. „In Ordnung. Aber jetzt wieder an die Arbeit.“

Nach dem Gespräch mit ihrem Patenkind ging Shina Fay in den Thronsaal. Sie hatte gerade auf ihrem Thron, als der Haushofmeister die Königin Iberias meldete. „Meine Königin, Königin Vivian von Iberia ist eingetroffen.“ „Lass sie eintreten.“, sagte Shina Fay. „Wie Ihr wünscht.“

Königin Vivian betrat den Thronsaal. Sie war nach menschlichen Maßstäben nicht gerade groß. Gerade mal 1,68 m war sie groß. Ihre Rivalin Shina Fay war 1,88 m groß. Die Königin Iberias hatte einen schlanken Körper und ein hübsches rundes Gesicht. Die schwarzen Haare trug sie offen, sodass sie bis zu ihren 232

wohl geformten Brüsten reichten. In ihren braunen Augen loderte offen der Hass auf Shina Fay. Bekleidet war Königin Vivian mit einem roten Kleid aus Satin, dessen rechte Seite von den schönen, schlanken Beinen mehr zeigte. Auf dem Kopf trug sie die Königskrone Iberias. „Endlich lernen wir uns kennen. Und ich kann mir ein Bild von der Frau machen, die sich hartnäckig weigert, nach meinen Spielregeln zu spielen.“ „Hüte deine Zunge, Vivian. Glaubt du wirklich allen Ernstes, dass ich Angst vor dir habe?“ „Wenn schon keine Angst, dann wenigstens Respekt.“ „Den noch weniger. Du weißt, weshalb ich dich einbestellt habe.“ „Ja. Ich will meine Agenten zurück.“ „Das geht leider nicht. Aber du kommst gerade noch rechtzeitig um die Vollstreckung des Urteils mitzuerleben.“ Königin Vivian wurde vor Schreck kreidebleich. „Was… ist… passiert?“ „Deine Agenten wurden wegen Einmischung in die inneren Angelegenheiten Eterias vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt.“

Auf dem Richtplatz hatten Shina Fays Gardisten die beiden iberianischen Agenten bereits für die Exekution vorbereitet. Der Richter verlas noch einmal die Urteile. „Der Angeklagte Charles Desmoulins wurde der Spionage und der Einmischung in die inneren Angelegenheiten Eterias zum Tode durch das Beil verurteilt. Sein Mitangeklagter Cesare Foscarelli zum Tode durch Vierteilen. Beide Urteile wurden in der Öffentlichkeit ordnungsgemäß verkündet und sind somit rechtskräftig. Henker, walte er seines Amtes.“ Zuerst wurde der Hauptangeklagte hingerichtet. Der Henker trennte ihm mit einem gezielten Schlag den Kopf ab. Königin Vivian zuckte zusammen. Danach war der Mitangeklagte an der Reihe. Er wurde an Händen und Füßen gefesselt mit vier Pferden verbunden, die auf ein Zeichen des Henkers in alle vier Richtungen davonliefen und den Verurteilten in Stücke rissen. Der Königin Iberias stand das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben. „Was bezweckst du damit, Shina Fay?“ „Ich habe an diesen beiden ein Exempel statuiert. Es ist meine letzte Warnung an dich. Halte deine Nase aus unseren inneren Angelegenheiten. Und lass vor allem Leute in Ruhe, denen ich politisches Asyl gewährt habe. Es sei denn, du willst einen Krieg vom Zaun brechen.“ „Den wird es geben, verlass dich drauf.“

Nach ihrer Rückkehr aus Eteria traf sich Königin Vivian mit ihren Oberbefehlshabern. „Ich habe schlechte Nachrichten. Unsere beiden Agenten, die den Auftrag hatten, herauszufinden, woher Shina Fay das Material für ihre Marine- und Luftwaffeneinheiten bekommt, sind aufgeflogen.“ Admiral Maldine und General Calrissian waren geschockt. „Wie konnte das passieren?“, fragte der Oberbefehlshaber der Seestreitkräfte. „Der Fischer, den unsere Agenten geschmiert hatten, wurde von der eterianischen Spionageabwehr erwischt und hat umfassend ausgesagt. Dadurch war es ein Leichtes, unseren Leuten 233

eine Falle zu stellen.“ „Das ist nicht gut. Denn jetzt hat Shina Fay die Möglichkeit unsere Seeblockade zu umgehen. Bis wir, wenn überhaupt, an diese Informationen kommen, dauert es noch Monate, um entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, mit denen wir Eteria vom Materialnachschub abschneiden können.“, sagte General Calrissian.

Zur gleichen Zeit war in Trondheim der letzte neu in Auftrag gegebene Schwere Kreuzer fertiggestellt worden. Auf Maras Bitte hin hatte man das Schiff auf den Namen ihrer Cousine Imai getauft. „Ich taufe dich auf den Namen „Imai“.“, sagte die Blutjungfer und warf die Sektflasche, die am Bug des Schiffes zerbarst. Unter den Klängen der eterianischen Nationalhymne, glitt das neue Schiff ins Wasser. Damit verfügte Eteria über sechsundzwanzig einsatzbereite Kriegsschiffe.

Auch Lothar war nicht untätig gewesen. Er hatte einen neuen Entwurf für ein neues Kriegsschiff fertig gemacht. Dieses Schiff war anders als alle anderen. Denn von ihm konnten Flugzeuge starten und landen. Das Schiff sollte eine Grundlänge von 317 m haben, mit dem darauf angebrachten Flugdeck jedoch eine Länge von 332,85 m haben. Die Breite des Rumpfes sollte 40,84 m betragen, mit dem Flugdeck sollte das Schiff 76,80 m breit sein. Sein Tiefgang sollte bei 12,50 m liegen und die Verdrängung 97.000 Tonnen betragen. Die Kraft des Schiffes sollte über vier Wellen auf vier dreiflügelige Propeller übertragen und eine Höchstgeschwindigkeit jenseits der 30-Knoten-Marke ermöglichen. 3.200 Mann Besatzung waren nötig, um dieses Schiff im aktiven Einsatz am Laufen zu halten. Doch für den Flugbetrieb waren noch einmal 2.480 Mann notwendig. 85 Flugzeuge sollte dieses Schiff mitführen können. Auffällig war der kleine turmartige Aufbau seitlich auf dem Flugdeck, den Lothar als „Insel“ bezeichnet hatte.

Mit diesen Plänen ging Lothar zuerst zu Admiral Hirohito. „Gut Lothar. Ein Schiff, dass sogar Kampfjets mitführen kann. Dir ist aber klar, dass so ein Schiff über eine starke Eskorte verfügen sollte.“ „Wie darf ich das verstehen?“ „Ganz einfach, ein solches Schiff, du bezeichnest es passenderweise als Flugzeugträger, verschafft uns einen strategischen Vorteil. Du kannst dir sicher vorstellen, dass gerade Iberia alles daransetzen wird, um genau das zu verhindern. Und so ein Flugzeugträger, zumal noch ohne Schutz dürfte ein gefundenes Fressen für unsere Feinde sein.“ „Aber im großen und ganzen seid Ihr einverstanden?“ „Ja, das bin ich. Wenn auch noch die Königin zustimmt, dann hast du grünes Licht.“

Lothar ging weiter in den Regierungspalast. Er hoffte seine Tante anzutreffen. Umso enttäuschter war er, als er nur seinen Onkel vorfand. „Deine Tante ist zu Besuch bei ihrer Cousine.“ „Weißt du, wann sie wiederkommt?“ 234

„In drei Tagen.“ „Wie schade. Ich hätte ihr gerne die Pläne für mein neuestes Schiff gezeigt.“ „Was hast du dir dieses Mal einfallen lassen?“ Lothar gab seinem Onkel die Pläne. „Was meint Admiral Hirohito?“, fragte Galen nachdem er die Pläne gesehen hatte. „Er meint das solch ein Schiff über eine starke Eskorte verfügen sollte. „Womit er nicht ganz Unrecht hat.“ „Sonst hat er gegen den Entwurf nichts einzuwenden.“

In Edendale war Shina Fay mit ihrer Cousine Aradil unterwegs. Die Königin Eterias genoss es sichtlich, mal ein paar Tage weg von Endor zu sein. Fern von den Sorgen der Macht. „Es tut gut, mal von zu Hause weg zu sein.“, sagte Shina Fay. „Dich bedrückt doch irgendetwas, Cousinchen.“ „Ich brauch mal ein bisschen Ruhe. Das ist alles.“ „Shina Fay. Du kannst mir nichts vormachen. Wenn ich sage, dass dich etwas bedrückt, dann ist es auch so. Also was ist es?“ „Eteria steuert unaufhaltsam auf einen Krieg mit Iberia zu. Und dann ist da ja noch die große Schlacht.“ „Die große Schlacht ist noch weit in entfernt in der Zukunft. Was den Krieg mit Iberia angeht, da bist du nicht ganz unschuldig. Du rüstest gewaltig auf, ohne den Grund dafür zu kennen. Du schiebst alles auf die territoriale Souveränität unserer Nation. Aber ich denke, das ist auch eine Frage von Stolz. Du willst nicht vor Königin Vivian den ewigen Bückling spielen.“

Am späten Nachmittag hatten die beiden Cousinen das Todesmoor erreicht. Es hatte geregnet. Sowohl Shina Fay als auch Aradil wussten, dass zu diesem Zeitpunkt jeder unbedachte Schritt den sicheren Tod bedeuten konnte. Die Herrin von Edendale entdeckte Fußspuren. „Sehen wir sie uns mal genauer an.“, sagte Shina Fay. „Ich weiß zwar nicht, was uns das nützen soll, aber bitte.“ Shina Fay stieg von ihrem Pferd und sah sich die Fußabdrücke genauer an. „Irgendwer jagt irgendwen.“, sagte sie schließlich. Aradil kam dazu. „Und das kannst du aus den Fußspuren herauslesen?“ „Raya hat es mir beigebracht. Und wenn meine Vermutung stimmt habe ich zumindest den Jäger identifiziert.“ „Wer oder was ist es?“ „Es ist ein Echsenkrieger aus Vetera.“ „So einer wie Tyrion?“ „Ganz genau. Hoffentlich sind wir nicht zu spät.“ „Könntest du mich bitte aufklären?“ „Unser Echsenkrieger hat sein Opfer ins Todesmoor getrieben. Wahrscheinlich will er es in ein Moorloch treiben. Nur so kann er alle Spuren seines Verbrechens verwischen, weil die Leiche nie gefunden wird.“ „Jetzt verstehe ich. Lass uns die Seile mitnehmen. Und vergiss deinen Bogen nicht.“ „Den vergesse ich nie. Los komm mit.“

Aradil folgte ihrer Cousine ins Moor. Shina Fay bewegte sich so sicher und lautlos wie es nur ging. An einem der Moorlöcher blieb die Königin stehen und lauschte. „Gerade noch rechtzeitig. Aber ich kann den Bastard riechen. 235

Mach dich bereit Aradil.“ „Was soll ich tun?“ „Binde die Seile an diese Sumpfeiche dort. Die mit dem dicken Stamm. Und dann warte auf mein Zeichen.“ Aradil befestige die Seile am Stamm der Eiche und wartete.

Dann sah Shina Fay den Echsenkrieger. Er sah aus wie Tyrion. Doch er trug keine Verletzung an seiner linken Wange. Vor ihm rannte eine Waldelfe her. Die Königin Eterias sah, wie ihre Artgenossin in die Moorfalle tappte. Schon nach kurzer Zeit war die Elfe bis zum Bauch im Morast versunken. „Jetzt Aradil! Wirf die Seile!“ Shina Fays Cousine warf die Seile, die die Elfe auch fing. Der Echsenkrieger war alles andere als begeistert. Vom gegenüberliegenden Ufer starrte er Aradil wutentbrannt an. „Du dumme kleine Elfe. Du wirst den Tag bereuen, an dem du mir begegnet bist.“ „Ich bin vielleicht nicht die größte. Aber ich hab mehr Hirn in meinem Kopf als du, du taube Nuss.“ „Na warte, dir werde ich...“ Weiter kam der Echsenkrieger nicht, denn Shina Fay hatte ihm von hinten einen Pfeil in den Rücken gejagt. Aradil sah, wie sich der Blick des Reptils brach und der Krieger mit dem Gesicht voran ins Moorloch fiel. Seine Leiche war schnell verschwunden.

Nur kurze Zeit später kam Shina Fay zurück. Sie streckte der fremden Waldelfe die Hand hin. Diese ergriff sie und die Königin zog ihre Artgenossin aus dem Moorloch. „Ich schlage vor, wir bringen sie erst mal auf mein Schloss. Ich will nicht länger als unbedingt nötig hier bleiben.“, sagte Aradil. „Okay.“ Als die Dunkelheit hereinbrach erreichten die beiden Cousinen Aradils Schloss, wo man der fremden Elfe ein Zimmer zuwies. Shina Fay begleitete sie dorthin. Nun hatte sie Gelegenheit die fremde Elfe genauer zu betrachten. Auffällig war der schlanke und grazile Elfenkörper. Dazu kamen die spitzen Ohren, die für Elfen typisch waren. Die Fremde hatte gelbe Augen und lange schwarze Haare, die bis zu ihrer Taille reichten. Auch das für Elfen typische ovale Gesicht fehlte nicht. Bis auf ein leichtes netzartiges Etwas aus Stoff trug die Elfe nichts. Shina Fay bewunderte die hübschen Brüste und die schlanken Beine.

Shina Fay wies einen der Diener an, der fremden Elfe Kleider zu bringen. Pünktlich zum Abendessen kehrte die Königin Eterias wieder zurück. Die fremde Elfe trug nun ein schwarzes Kleid aus Seide mit goldenen und silbernen Stickereien und schwarze Schuhe mit flachen Absätzen. Als Shina Fay eintrat verneigte sich die Fremde. „Erhebe dich. Vor mir brauchst du nicht auf die Knie zu gehen.“ „Danke.“ „In diesem Haus und in diesem Land bist du frei.“ „Vielen Dank Herrin.“ Shina Fay verdrehte entnervt die Augen. „Du bist nicht meine Dienerin. Ich wäre gerne deine Freundin.“, sagte Shina Fay und hielt der fremden Elfe die Hand hin. Diese ergriff sie und dann umarmten sich die beiden 236

Elfen und hielten einander fest. „Du hast mir noch nicht deinen Namen gesagt.“, sagte Shina Fay. „Ich heiße Liasanya.“ „Und woher kommst du?“ „Meine Heimat sind die Wälder von Coluacan. Aber wer bist du?“ „Ich bin Shina Fay.“ „Du bist nicht so was wie eine Prinzessin oder?“ „Du meinst wegen dem Diadem auf meinem Kopf? Ich bin nur die Königin Eterias. Aber noch einmal: Du brauchst vor mir nicht zu knicksen oder sonst irgendwelche unterwürfigen Gesten zu machen. Du bist die Freundin der Königin. Und das können nicht viele von sich behaupten.“ Die Elfe nahm Shina Fay noch einmal in die Arme und beiden hielten einander noch einmal innig fest.

Am nächsten Morgen brach Shina Fay, begleitet von Liasanya wieder nach Endor auf. Die Elfe aus Coluacan erzählte der Königin Eterias ihre Geschichte. „Ich habe mein ganzes Leben in den Wäldern von Coluacan verbracht. Ich habe nie den Wunsch verspürt, von dort wegzugehen. Ich war zufrieden mit meinem Leben. Bis Skyron mich gefangen und aus meiner Heimat entführt hat.“ „Skyron war der Namen des Echsenkriegers nehme ich an.“, sagte Shina Fay. „Ja. Er wollte mich als seine Sex-Sklavin haben.“ „Bis er nach Eteria gelangt ist.“ „Richtig. Ich habe mich heimlich fort geschlichen. Aber Skyron hat es gemerkt. Er hat mich am Handgelenk gepackt und gesagt: „Da du mir nicht gehorchen willst, musst du sterben. Aber gnädig wie ich bin, lasse ich dir einen kleinen Vorsprung.“ „Daraus wurde aber bekanntlich nichts.“ „Dank dir. Hast du Kinder, Shina Fay?“ „Eine Tochter. Sie heißt Naytiri. Der Name bedeutet „Prinzessin des Mondes“, meiner „Prinzessin der Eiche“. Hat dein Name auch eine Bedeutung?“ „Liasanya bedeutet „Bezwingerin des Wolfes“.“ „Sag bloß, du hast ganz allein einen Wolf zur Strecke gebracht.“ „Genauso war es. Es war ein warmer Sommertag, ich war mit meiner Mutter, meinem Vater, meinem Bruder und meiner Schwester im Wald jagen. Meine Schwester, mein Bruder und ich sollten eine Prüfung ablegen, mit deren Bestehen man seinen Namen erhält.“ „Das heißt, dass in Coluacan Elfen ohne Namen geboren werden?“ „Ja, so ist es. Du musst dir deinen Namen sozusagen verdienen.“, sagte Liasanya. „Und wie ist das mit den Prüfungen, werden die einem auferlegt, oder kann man sie sich selbst aussuchen?“ „Das ist mehr oder minder Zufall. Der Wolf den ich getötet habe, wollte meine Schwester angreifen. Also hab ich mich ihm in den Weg gestellt und mit einem schnellen Schnitt die Kehle durchgeschnitten.“ „Und deine Schwester? Wie hat sie darauf reagiert?“ „Sie war mir dankbar. Und so kam ich zu meinem Namen.“

Während Shina Fays Abwesenheit waren neue Kampfjets auf den Stützpunkten eingetroffen. Die Maschinen waren 14,66 m lang und 5,40 m hoch. Die Spannweite lag bei 9,13 m und die Flügelfläche bei 41 m². Die Streckung der Flügel betrug 2,03 m. 237

Die Schubkraft des Triebwerks betrug mit eingeschaltetem Nachbrenner 95,23 kN. Die Höchstgeschwindigkeit der neuen Jagdmaschinen betrug Mach 2,25. Die Flügel der neuen Flugzeuge waren sogenannte Deltaflügel. Die beiden halbrunden Lufteinlässe waren in den Rumpf der neuen Jäger integriert. Wie bei allen eterianischen Jagdflugzeugen schützte auch bei den neuen Kampfjets eine Plexiglashaube die Piloten vor der dünnen Luft. Die seitlichen Flügel mit den Querrudern waren unmittelbar neben dem Triebwerk angebracht.

Auch Lothar war nicht untätig gewesen, denn er hatte ein neues Schlachtschiff entworfen. Sein Entwurf sollte später einmal eine Länge von 222,1 m und eine Breite von 33 m haben. Das neue Schlachtschiff sollte 36.600 Tonnen verdrängen und einen Tiefgang von 8,1 m haben. Seine Maschine sollte 121.000 PS leisten und ihre Kraft über vier Wellen auf vier Propeller übertragen. Die Höchstgeschwindigkeit dieses Stahlgiganten sollte 27,3 Knoten betragen. 2.339 Mann waren als Besatzung vorgesehen. Seine Hauptartillerie sollte drei Drillingstürme mit einem Kaliber von 40,6 cm beinhalten. Backbord und Steuerbord waren jeweils 10 12,7-cm-Schnellfeuer-Kanonen vorgesehen. Vorne am Bug sollten zwei der drei Drillingstürme ihren Platz haben. Dahinter schloss sich ein massiver Stahlaufbau an, der die Kommandobrücke beinhaltete. Ein kleiner Turm auf dem Dach des Aufbaus sollte einige technische Anlagen beherbergen. Dem Stahlaufbau folgten die beiden Schornsteine, denen noch ein Mast mit weiteren technischen Anlagen und ein weiterer Turm mit dem Rest der technischen Einrichtungen folgten. Achtern am Heck sollte der letzte der drei Drillingstürme eingebaut werden.

Mit diesen Plänen ging Lothar in den Regierungspalast. Er hoffte endlich mal seine Patentante anzutreffen. Und dieses Mal hatte er Glück. Als er Thronsaal betrat, hörte er aus dem Besprechungszimmer Frauenlachen. „Also ist meine Tante wieder zurück.“, dachte er. Ganz zaghaft klopfte er an die Tür des Zimmers. „Herein.“, hörte Lothar die Stimme seiner Tante. Ganz vorsichtig öffnete er die Tür. „Komm ruhig rein, Lothar.“ Nur zögerlich betrat Shina Fays Patenkind den Besprechungssaal. „Ich sehe, du warst wieder fleißig.“ „Im wahrsten Sinne des Wortes Tante. Ich habe die aktuellsten Pläne mitgebracht, sowie die Pläne vom letzten Schiff.“ „Warst du schon bei Admiral Hirohito wegen der Pläne?“ „Ja. Ich komme gerade aus seinem Hauptquartier. Er und Onkel Galen haben meinen letzten Entwurf abgenickt. Ich wollte aber noch mal deine Meinung hören, Tante.“ „Dann lass mal sehen.“ Lothar gab seiner Patentante die Zeichnungen. Shina Fay sah sich die beiden Pläne durch, dann nickte sie. „Ein Flugzeugträger also. Keine schlechte Idee. Aber ohne Eskorte ein leichtes Ziel. Und das zweite wird wieder ein Schlachtschiff.“238

„Genau Tante.“ „Um noch mal auf Admiral Hirohito zurück zu kommen, warst du auch wegen dem Schlachtschiff bei ihm?“ „Ich sagte doch, dass ich aus seinem Hauptquartier komme.“ „Na gut. Es gibt noch viel zu tun, Lothar. Am besten, du vertrödelst keine Zeit.“, sagte Shina Fay. „Nun ja, mein Besuch bei dir ist auch... privater Natur.“ „Sag das doch gleich.“ „Wie geht es eigentlich meiner Cousine?“ „Es geht ihr gut. Aber sie fängt an zu Zahnen. Ich muss ihr die Milch aus der Flasche geben.“ „Und dein Besuch bei Tante Aradil?“ „Es war mal notwendig, den Kopf freizubekommen. Mich plagen im Moment viele Sorgen. Vergiss nicht, dass Eteria unaufhaltsam auf einen Krieg mit Iberia zusteuert.“ „Den Krieg gewinnen wir.“ „Deine Zuversicht ist aber auch durch gar nichts zu erschüttern, was Lothar?“, fragte Kaitlyn. „Im Vergleich zu unseren Schiffen, sind die Einheiten der iberianischen Marine im wahrsten Sinne des Wortes die reinsten Nussschalen. Eines unserer Schiffe kann es locker mit drei Schiffen der Iberianer aufnehmen.“ „Das leuchtet ein.“ „Außerdem haben wir ja noch unsere Luftwaffe. Meine Frage an dich Tante. Was kann Iberia einer solchen militärischen Übermacht entgegensetzen?“ „Wenn man es so betrachtet, gar nichts.“ „Eben drum. Iberia wird diesen Krieg verlieren.“

Auf den Stützpunkten waren inzwischen neue Jagdflugzeuge eingetroffen. Die neuen Maschinen waren 10,49 m lang und 3,43 m hoch. Ihre Flügelspannweite lag bei 11,81 m und die Fläche der Flügel wurde mit 22,07 m² angegeben. Das Triebwerk leistete eine Schubkraft von 24,1 kN. Damit konnten die neuen Jets eine Höchstgeschwindigkeit von 966 km/h erreichen. Die Bewaffnung bestand aus 6 12,7-mm-MGs und 16 127-mm-Raketen. Auffällig waren die beiden Zusatztanks an den Enden der Tragflächen. Die Nase war schmal und lang gezogen. Die Pilotenkanzel war auf Höhe der vorderen Kanten der Tragflächen angeordnet. Die Maschinengewehre waren oberhalb der Lufteinlässe angebracht. Die hinteren Seitenflügel waren auf Höhe des Triebwerks montiert worden. Eine Plexiglashaube schützte den Piloten vor der dünnen Luft. Damit verfügte Eteria über 10 einsatzbereite Luftwaffengeschwader und sechsundzwanzig einsatzbereite Kriegsschiffe.

Auch Lothar war nicht untätig geblieben. Er hatte einen neuen Entwurf für einen neuen Schlachtkreuzer fertig gestellt. Das Schiff sollte eine Länge von 242 m haben und 31,3 m breit sein. Sein Tiefgang sollte bei 9,38 m betragen und die Verdrängung sollte bei 37.411 Tonnen liegen. Die Maschine sollte 130.000 PS leisten und ihre Kraft über vier Wellen auf vier dreiflügelige Schrauben übertragen. Das neue Kriegsschiff sollte eine Höchstgeschwindigkeit von 30,75 Knoten erreichen. 1.181 Mann Besatzung sollten das Schiff später im aktiven Dienst am Laufen halten. 239

Die Hauptartillerie sollte aus drei Zwillingstürmen mit einem Kaliber von 38,1 cm bestehen. Backbord und Steuerbord sollten jeweils 10 Zwillingstürme mit einem Kaliber von 11,4 cm postiert werden. Vorne am Bug, unmittelbar vor der Kommandobrücke, die in einem massiven Stahlaufbau untergebracht war, sollten die ersten beiden 38,1-cm-Geschütze montiert werden. Hinter der Brücke sollte ein Mast mit einigen technischen Anlagen stehen. Danach sollten die beiden Schornsteine ihren Platz haben. Dahinter kam ein weiterer Mast mit weiteren technischen Anlagen. Diesem folgte ein kleinerer Metallaufbau und achtern am Heck kam dann der letzte der drei 38,1-cm-Türme.

Mit den Plänen im Gepäck ging Lothar wieder zu seiner Tante, der Königin Eterias. Er fand sie im Thronsaal. „Na Lothar, warst du wieder fleißig?“ „Wie du siehst, Tante.“ „Was ist es dieses Mal?“ „Ein Schlachtkreuzer, Tante.“ „Das wäre dann schon die Nummer drei.“ „Aller guten Dinge sind drei. Denn wir haben ja auch drei Panzerschiffe.“ „Gib mir doch bitte mal die Pläne.“, sagte Shina Fay. Lothar gab seiner Tante die Pläne. „Und um deine Frage zu beantworten, ja ich war bei Admiral Hirohito. Er hat sein Ok gegeben.“ Shina Fay sah sich die Pläne für den neuen Schlachtkreuzer an, dann nickte sie. „In Ordnung. Dann wollen wir mit dem Bau beginnen.“ Lothar verbeugte sich. „Dein Wunsch ist mein Befehl, Tante.“

Als die Pläne in den Städten eintrafen wurden in den Werften die Schiffe auf Kiel gelegt. Königin Vivian missfiel die fortschreitende Aufrüstung ihrer Rivalin. „Wache! Bringt mir sofort unseren neuen Verbündeten!“ Der Wächter wollte gerade aus dem Zimmer stürmen, als sich am Boden dichter Nebel bildete. Dieser hatte bald den Thronsaal eingehüllt. Und aus diesem Nebel trat Kingsor, der abtrünnige Nekromant. „Ihr habt nach mir geschickt, meine Königin?“, fragte er mit einer schnarrenden Stimme. „Ja. Du bist meine letzte Hoffnung, Kingsor. Der Krieg mit Eteria unserem ärgsten Rivalen wird immer unausweichlicher. Es besteht kein Zweifel mehr, dass Shina Fay uns herausfordern will. Sollten wir den Krieg verlieren, und danach sieht es leider aus, dann wird es deine Aufgabe sein, sie zu töten. Aber nicht nur sie wirst du töten müssen. Sondern auch ihre Tochter Naytiri.“ „Ich werde tun, was Ihr von mir verlangt.“, sagte Kingsor.

In den Hafenstädten waren unterdessen neue Flugzeuge eingetroffen. Im Gegensatz zu den Jagdflugzeugen waren sie mit Propellern bestückt und dienten nicht als Jäger oder Bomber, sondern als Aufklärer, wie man an der großen Scheibe erkennen konnte, die sich auf einem Gestell frei drehen konnte. Am Heck befanden sich vier Flügel direkt nebeneinander. Die beiden an den Außenkanten waren leicht angeschrägt. 240

Vor dem Hauptflügel befand sich ein riesiger Lufteinlass. Die neuen Flugzeuge hatten eine Länge von 17,6 m und eine Höhe von 5,58 m. Die Spannweite betrug 24,56 m und bei eingeklappten Flügeln 8,94 m. Die Flügelfläche der neuen Flugzeuge betrug 65,03 m². Die Höchstgeschwindigkeit der neuen Aufklärer betrug 626 Km/h. Die Piloten waren bei diesen Flugzeugen nicht durch eine Plexiglashaube geschützt, sondern das Cockpit war mit vier Scheiben abgedichtet. Auf dem Dach waren noch einmal zwei Glasscheiben angebracht.

Auch neue Bomber waren geliefert worden. Die neuen Maschinen waren wie die Aufklärer für die Flugzeugträger vorgesehen, genau wie die Jagdmaschinen, die die Bezeichnung F14 trugen. Die Aufklärer hatten die Bezeichnung E2 erhalten, die Bomber die Bezeichnung A7. Die Maschinen waren 14,06 m lang und 4,90 m hoch. Die Spannweite betrug 11,81 m und die Fläche 34,84 m². Die Höchstgeschwindigkeit betrug Mach 1. Die Schubkraft betrug 66,75 kN, ohne Nachbrenner. Das einzig Auffällige an diesen Bombern war der Lufteinlass an der Unterseite. Im Gegensatz zu den F16-Jägern war dieser aber viel kleiner. Die Seitenflügel waren direkt auf Höhe des Triebwerks seitlich am Flugzeugrumpf angebracht. Wie bei allen Jägern war auch bei den A7-Bombern der Pilot durch eine Plexiglashaube vor der dünnen Luft geschützt. Alle Maschinen, sowohl die Jäger, als auch die Bomber verfügten über einen Schleudersitz.

Nach den A7-Bombern wurden neue Jagdflugzeuge mit der Kennzeichnung F/A18 angeliefert. Die neuen Jäger hatten eine Länge von 17,07 m und waren 4,66 m hoch. Die Spannweite der neuen Jagdmaschinen betrug 11,43 m und die Flügelfläche 37,16 m². Die Schubkraft der beiden Triebwerke lag bei 158 kN, wenn die Nachbrenner eingeschaltet waren. Die neuen Jäger konnten eine Höchstgeschwindigkeit von Mach 1,8 erreichen und 7.711 Kg Waffenlast mitführen. Die F18-Jäger verfügten wie die F14 und die F15 über zwei Heckflügel mit jeweils einem Querruder. Diese waren zwischen den Seitenflügeln und den Hauptflügeln angebracht. Die Seitenflügel hatte man auf Höhe der Triebwerke seitlich am Rumpf angebracht. Die Hauptflügel waren etwas schmaler und über eine Metallkonstruktion mit dem Rumpf verbunden. Der Pilot wurde wie bei den anderen Maschinen durch eine Plexiglashaube vor der dünnen Luft geschützt. Die Lufteinlässe waren unter den Tragflächen am Rumpf montiert worden. Ein Detail unterschied die Trägermaschinen von den Maschinen, die an Land stationiert waren. Die Maschinen, die später auf den Flugzeugträgern stationiert werden sollten, trugen noch einen Fanghaken.

In Trondheim war der neue schwere Kreuzer fertig geworden. Auf Shina Fays Wunsch hin, hatte man das Schiff nach ihrer Freundin Tyra, 241

der Walküre benannt. „Ich taufe dich auf den Namen Tyra.“, sagte die Walküre und warf die Sektflasche, die wie vorgesehen, am Bug des Kreuzers zerbrach. Unter den Klängen der eterianischen Nationalhymne glitt der Stahlkoloss ins Wasser. Damit verfügte Eteria über siebenundzwanzig einsatzbereite Kriegsschiffe, sowie über dreizehn Luftwaffengeschwader.

Das nächste Schiff lief in Altamira vom Stapel und war das Schlachtschiff, das Lothar entworfen hatte. Auf einen Rat von Halgrim, dem alten Dorfschamanen hatte Shina Fay das Schiff auf den Namen ihres Vaters, „Ator“ taufen lassen. Seine Tochter, die Königin Eterias, fungierte als Taufpatin. „Ich taufe dich auf den Namen „Ator“.“, sagte Shina Fay und warf, wie bei vielen Schiffstaufen zuvor die Sektflasche, die am Bug des Schiffes zerbrach. Als die ersten Klänge von Eterias Nationalhymne gespielt wurden, glitt der monströse Schiffsrumpf ins Wasser. Damit war das achtundzwanzigste Kriegsschiff in Dienst gestellt. Dem Stapellauf des Schlachtschiffes folgte der Stapellauf des ersten Flugzeugträgers. Ihn hatte Shina Fay auf den Namen „Liasanya“ taufen lassen, um ihrer neuen Freundin die selbe Ehre zuteil werden zu lassen, die jeder ihrer Freundinnen gebührte.

Die Elfe aus Coluacan durfte bei dieser Zeremonie auch als Taufpatin fungieren. Als sie in Begleitung von Shina Fay und den anderen die Werft betrat, stockte Liasanya der Atem. Aus der Ferne konnte sie ein großes graues monströses Etwas erkennen. „Was... ist... das?“, fragte sie ehrfürchtig. „Das ist unser neuestes Kriegsschiff. Mein Patenkind hat es entworfen. Du bist doch seit dem du hier bist, viel mit mir herum gereist und hast mich bei meinen Besuchen in den Stützpunkten begleitet. Sind dir nicht die ganzen Jagdflugzeuge und Bomber aufgefallen?“ „Doch. Eine gewaltige Streitmacht, die du da aufgebaut hast. Aber was haben deine Luftstreitkräfte mit diesem Schiff zu tun?“ „Auf ihm können Flugzeuge starten und landen. Lothar, mein Patenkind, nennt diesen Schiffstyp „Flugzeugträger“.“

Später, als Liasanya auf dem Podest stand sah sie zu diesem riesigen Berg aus Stahl auf, der über ihr in den Himmel ragte. Der Anblick dieses stählernen Giganten raubte der Elfe aus Coluacan den Atem. Als dann einige Werftarbeiter die Stoffbahnen wegzogen, die den Namen des Schiffes verdeckt hatten, griff sich Liasanya an die Brust und schluckte scher, als sie ihren Namen am Bug des Schiffes las. Sie nahm die Sektflasche in die Hand und schloss die Augen. Dann atmete die Elfe noch einmal tief durch und sagte mit kräftiger Stimme: „Ich taufe dich auf den Namen „Liasanya“.“ Anschließend warf sie die Sektflasche gegen den Bug des Trägers, wo sie zerbrach. Als die Werftkapelle der Werft von Santa Catarina die ersten Klänge der Nationalhymne spielte glitt die „Liasanya“242

ins Wasser. Mit diesem Schiff hatte Eteria neunundzwanzig Kriegsschiffe. Als nächstes kam der Schlachtkreuzer an die Reihe. Ihn hatte Shina Fay auf den Namen ihrer Mutter „White Angel“ taufen lassen. In Portimao war dieses Schiff gebaut worden. Auch hier fungierte die Königin höchstpersönlich als Taufpatin. „Ich taufe dich auf den Namen „White Angel“.“, sagte Shina Fay und warf die Sektflasche gegen den Bug des Schiffes. Als die Sektflasche zerbrach begann die Musikkapelle der Werft die Nationalhymne Eterias zu spielen. Unter den Klängen der Hymne glitt die „White Angel“ ins Wasser. Damit hatte Eteria eine Flotte von dreißig einsatzbereiten Kriegsschiffen.

Und es würden noch mehr werden. Denn Lothar war nicht untätig gewesen und hatte einen zweiten Flugzeugträger entworfen. Dieser Träger sollte 261,5 m lang und inklusive Flugdeck 64 m breit werden. Sein Tiefgang betrug 11,9 m. Das Schiff verdrängte stolze 40.500 Tonnen. Die Maschine leistete 82.937 PS und sollte ihre Kraft über zwei Wellen auf zwei vierblättrige Schrauben übertragen. Damit sollte das Schiff eine Höchstgeschwindigkeit von 27 Knoten erreichen. 40 Flugzeuge konnte der neue Träger mit sich führen und eine Besatzung von 1.750 Mann beherbergen. Der einzige Unterschied zum ersten Flugzeugträger bestand in der Insel. Bei diesem Schiff war sie breiter und besaß großzügigere Fensterflächen. Auf dem Dach kam zuerst ein Mast mit einigen technischen Anlagen und drei Radarkuppeln.

Mit den Plänen ging Lothar in den Regierungspalast. Er traf seine Tante gerade noch an. „Mach bitte schnell. Ich muss nach Erimanteles.“ „Sag König Gundolf liebe Grüße.“ „Mach ich Lothar. Aber jetzt zeig mir schnell deine Pläne.“, sagte Shina Fay. Lothar gab seiner Patentante die Pläne. Die Königin Eterias sah sich die Pläne an, dann nickte sie. „Ein neuer Flugzeugträger also. Nun gut. Aber jetzt muss ich los. Bis in vier Tagen.“ „Pass auf dich auf Tante.“ „Keine Panik.“

In Santa Catarina war das Flaggschiff der Marine, das Schlachtschiff „Shina Fay“ bereit zum Auslaufen. Die Maschinen liefen bereits, als Shina Fay eintraf. Nachdem die Königin an Bord war, gab Kapitän Hansen den Befehl zum Ablegen. „Festmacher, vorn und achtern los.“, befahl er. Die Arbeiter im Hafen machten die Leinen los, die das mächtige Kriegsschiff am Pier gehalten hatten ins Wasser und die Matrosen holten die Leinen ein. „Steuerbord 10, Maschinen halbe Kraft.“ „Steuerbord 10, Maschinen halbe Kraft, zu Befehl, Herr Kapitän.“ Ganz langsam setzte sich das Flaggschiff von Eterias Marine in Bewegung. Als der Bug des mächtigen Schlachtschiffes in Richtung offene See zeigte, kam der nächste Befehl. „Kurs 170.“, befahl Kapitän Hansen. Der Rudergänger drehte das Ruder, bis das Schiff auf dem richtigen Kurs war. 243

Die „Shina Fay“ passierte die Mole von Santa Catarina. Als das Schiff den Hafen hinter sich gelassen hatte, gab Kapitän Hansen den Befehl „Volle Kraft voraus!“ Der Stolz der eterianischen Marine beschleunigte. „Auf Nord-Ost, Kurs 190.“ „Kurs 190 liegt an.“

Am Abend, die Sonne ging gerade unter, lief die „Shina Fay“ in den Hafen von Christchurch ein. Die Bewohner der Stadt staunten nicht schlecht, als das mächtige Schlachtschiff in den Hafen glitt. „Seit wann verfügt Eteria über solche Schiffe?“, fragte ein Hafenarbeiter. „Seit letztem Jahr. Und wenn die Gerüchte stimmen, hat Eteria als einzige Nation eine Luftwaffe.“ „Respekt.“ „Nicht wahr? Shina Fay tut in meinen Augen das Richtige. Und hoffentlich tritt sie dieser arroganten und egoistischen Zimtzicke, die sich Königin Pavian nennt, in den Hintern.“ Als das Flaggschiff Eterias am Kai vertäut war, ging Shina Fay, in Begleitung ihrer Fedeikin, von Bord. Zum Glück weilte König Gundolf gerade in der Stadt. Dies hatte den Vorteil, dass Shina Fay nicht den langen Weg in die Hauptstadt von Erimanteles auf sich nehmen musste. Doch Shina Fay war zu müde von der langen Überfahrt.

In Eteria hatte die Luftwaffe neue Einheiten erhalten. Es waren Bomber, die die Bezeichnung B2 trugen. Die Maschinen waren 21,03 m lang und besaßen eine Höhe von 5,18 m. Die Spannweite der Flügel betrug 52,43 m und deren Fläche lag bei ca. 490 m². Die Schubkraft der beiden Triebwerke betrug pro Triebwerk 84,6 kN. Die neuen Bomber konnten 18.144 Kg Waffen mitnehmen und erreichten eine Höchstgeschwindigkeit von 1.010 Km/h. Bei diesen Maschinen suchte man Heckleitwerk und Seitenleitwerke vergebens, denn die B2-Bomber besaßen keine. Die Hauptflügel waren an der Hinterseite, stark eingeschnitten. Außerdem hatte man die Maschinen aus einem Material gefertigt, dass die B2 für feindliches Radar, sofern der Gegner darüber verfügte, unsichtbar machte. Links und Rechts der Pilotenkanzel befanden sich zwei Lufteinlässe, die die Luft einsogen und am Ende aus den Triebwerken oberhalb der Flügel wieder ausstießen. Das Cockpit wurde von vier Fenstern abgedichtet.

In Christchurch hatte man Shina Fay ein Gästezimmer zugewiesen und die Königin Eterias hatte sich gleich zu Bett begeben. Liasanya und Kaitlyn, die ihre Freundin auf dieser Reise begleiteten hielten im Wechsel Wache. Auch die Fedeikin waren in erhöhter Alarmbereitschaft. Um Mitternacht, Kaitlyn hatte gerade Wache, schien es, als ob jemand draußen vor Shina Fays Zimmer herumschlich. Die Prinzessin der Dunkelelfen war alarmiert. Rasch weckte sie Liasanya. „Was ist?“, fragte sie halb verschlafen. „Es ist jemand vor der Tür. Ich habe ein Geräusch gehört. Komm jetzt, aber sei leise.“ 244

Die Elfe aus Coluacan hielt ein Ohr an die Tür und lauschte angestrengt. „Du hast Recht, Kaitlyn. Da ist jemand. Ich würde vorschlagen, demjenigen verpassen wir eine kleine Abreibung.“

Die beiden Elfen sahen sich an, dann nickte Liasanya. Leise öffnete sie die Tür und Kaitlyn schlüpfte hindurch. Blitzschnell griff sie den Unbekannten von hinten an und warf ihn zu Boden. Liasanya hatte sich mit seiner Komplizin beschäftigt und ihr mit ihrem Dolch eine kleine Schnittwunde am linken Oberschenkel zugefügt. Die Fremde suchte das Weite, doch ihr Kumpan befand sich fest im Griff der Dunkelelfenprinzessin. „Also spuck aus, Freundchen. Was hattet du und deine Komplizin vor dem Gemach der Königin Eterias zu suchen? Antworte sonst mach ich nen Wandteppich aus dir!“, sagte Kaitlyn und warf den Unbekannten auf einen Haufen Decken, die zur Reinigung gesammelt in einer Ecke lagen. Als sie sich auf ihn stürzen wollte, sagte der Unbekannte: „Nicht drauflegen!“

Kaitlyn war sofort zur Stelle und packte den Krieger am Kragen. „Na sieh mal, du kannst ja auch sprechen! Wetten, dass du mir gleich antwortest, sonst pflüg ich dich in die Botanik, dass man dich für ne abgeknickte Tulpe hält.“ Von dem Krach war Shina Fay aufgewacht und stand nun im Türrahmen. „Was macht Ihr beiden denn bloß für einen Krach?“, fragte sie. „Dieser Krieger hat sich zusammen mit einem weiblichen Pendant vor deinem Zimmer herumgetrieben.“ Die Königin Eterias war mit einem Mal hellwach. „Bringt ihn ins Zimmer und dann verhören wir ihn.“ „Da mach dir mal keine Sorgen, Shina Fay. Wenn unser Unbekannter das Maul nicht aufmacht, dann polier ich ihm sein Krankenkassengebiss mit dem Presslufthammer!“ „Bist du wieder liebenswürzig, Kaitlyn.“, sagte Shina Fay. „Bin ich das nicht immer?“

Fast die ganze Nacht hatte Kaitlyn den Unbekannten in der Mangel. Doch er wollte und wollte nicht sprechen. „Also was ist, quatschst du nun? Kleiner ich verbieg dir die Knochen bis du lachst.“, sagte Kaitlyn und verdrehte dem Krieger den rechten Arm noch mehr. „Also erzählst du mir freiwillig was?“ „Nein.“ „Oh doch. Wollen wir wetten?“ „Lass mich mal Kaitlyn.“, sagte Shina Fay. Dann zog sie ihre Damaszener-Schwerter und war mit zwei schnellen Schritten zur Stelle und kreuzte die Klingen am Hals des Gefangenen. „Na, wie ist das, wenn man gleich zwei Schwerter an seiner Kehle sitzen hat?“ „Nicht gerade angenehm.“ „Ich werde nicht zögern, dir die Kehle mit meinen Schwertern durchzuschneiden, wenn du nicht redest.“ Der Krieger schluckte. Obwohl Shina Fay in ihre königlichen Gewänder gekleidet war, merkte er sofort, dass die Königin Eterias auch mit dem Schwert umgehen konnte. Auch der Blick ihrer Augen verriet ihm, dass Shina Fay nicht nur Königin sondern auch Kriegerin war. 245

„Also gut, ich werde alles sagen. Fragt mich was Ihr wissen wollt.“ „Wie wäre es zuerst mal mit deinem Namen und dem deiner Komplizin.“ „Ich bin Danilo. Und die Frau, die ihr als meine Komplizin haltet, ist meine Schwester Katja. Sie ist eine Drachenkriegerin.“ „Stimmt. Ich habe, als ich mit ihr gekämpft habe, einen kleinen roten Drachen auf ihrer Schulter sitzen sehen.“ „Das ist Hinoki. Er ist ihr Schützling.“ „Na schön. Also weiter im Text. Du hast gesagt, deine Schwester ist eine Drachenkriegerin. Gibt es da eine Art Ritual, dem man sich unterziehen muss?“ Danilo nickte. „Ja. Man wird nur zum Drachenkrieger, wenn man das Blut des Drachen in sich aufnimmt.“ „Du meinst, indem man es trinkt?“, hakte Liasanya nach. „Oh nein. Nicht indem man es trinkt. Zum Drachenkrieger wird nur, wer mutig genug ist, dem Drachen zu erlauben, seine Brut einzupflanzen. Erst wenn der Jungdrache schlüpft, geht das Blut des Muttertiers auf den Krieger über. Katja hatte den Mut, dies zuzulassen.“

„Was zeichnet einen Drachenkrieger aus?“ „Seine Kräfte. Niemand hat bisher mit Katja aufnehmen können.“ Shina Fay beugte sich über ihren Gefangenen und sah ihn aus ihren grünen Augen an. „Na schön. Ich werde dich am Leben lassen. Aber sag deiner Schwester, dass Hochmut stets vor dem Fall kommt.“ Später am am Tag ließ König Gundolf ein Buffet auffahren. Shina Fay hatte sich noch einmal hingelegt, um etwas Schlaf nachzuholen.

Sie war gerade aufgewacht und fertig mit Anziehen, als es an der Tür klopfte. „Herein.“, sagte Shina Fay. König Gundolf trat ein. „Alles in Ordnung, Shina Fay?“, fragte er. „Soweit ja. Wieso fragst du?“ „Na ja, die dunklen Ringe unter deinen Augen sind halt nicht zu übersehen.“ „Vor meinem Zimmer haben zwei zwielichtige Gestalten herumgelungert. Den Mann haben wir geschnappt. Seine Schwester ist uns leider entwischt.“ „Ach das waren also die Geräusche, die meine Palastwache gemeldet hat.“

In seinem Haus in Endor hatte Shina Fays Patenkind einen neuen schweren Kreuzer entworfen. Der neue Kreuzer war 218,5 m lang und 22,86 m breit. Sein Tiefgang betrug 6,71 m und die Verdrängung lag bei 20934 Tonnen. Die Maschine leistete 120.000 PS und sollte ihre Kraft über vier Wellen auf vier Schrauben übertragen. Die Höchstgeschwindigkeit des neuen Kreuzers sollte bei 33 Knoten liegen. Die Besatzung sollte bei 1.799 Mann liegen, die das Schiff im aktiven Einsatz am Laufen halten sollten. Die Hauptartillerie sollte aus drei Drillingstürmen mit einem Kaliber von 20,3 cm bestehen. Backbord und Steuerbord sollten noch jeweils drei Zwillingstürme montiert werden, die 12,7-cm-Granaten verfeuerten. Ebenfalls Backbord und Steuerbord sollten noch jeweils sechs 7,62-cm-Schnellfeuer-Kanonen ihren Platz haben. 246

Vorne am Bug sollten die ersten beiden Drillinge stehen. Dahinter sollte die Kommandobrücke gebaut werden, der der einzige Schornstein folgen sollte. Auf dem Dach des Brückenaufbaus sollten ein paar technische Anlagen montiert werden. Zwischen Schornstein und Brücke hatte Lothar einen Mast mit ein paar weiteren technischen Anlagen eingezeichnet. Und hinter dem Schornstein folgte ein zweiter Mast mit technischer Ausrüstung. Hinter diesem Mast kam noch ein kleiner Aufbau mit dem Rest der technischen Anlagen und dann der achtere Drillingsturm.

Und während Lothar auf dem Weg zu Admiral Hirohito war, war seine Patentante auf dem Festbankett von König Gundolf. Dort traf die Königin Eterias auf Katja, die Drachenkriegerin. Nun hatte Shina Fay die Möglichkeit, die nächtliche Ruhestörerin genauer in Augenschein zu nehmen. Katja war nach Menschenmaß 1,90 m groß und besaß einen schlanken Körper. Die Drachenkriegerin hatte ein schmales Gesicht und braune Augen. Ihre braunen Haare reichten bis zur Armbeuge. Bewaffnet war sie mit einem Schwert, wie es die Samurai zu benutzen pflegten. Auf ihrer Schulter saß der kleine rote Drache Hinoki. Bekleidet war Katja mit einem dunkelgrünen Kleid, das einen großzügigen Blick auf ihre sexy Beine gewährte. Dazu kamen Stiefel aus grünem Drachenleder. Ihre prallen Brüste wurden von einem Oberteil aus demselben dunkelgrünen Stoff verdeckt. Am rechten Unterarm trug Katja eine Unterarmschiene. Der linke Oberarm und die linke Schulter waren ebenfalls von einer Metallschiene verdeckt, die bis zur Hand reichte. Auffällig waren auch die vielen Male auf ihrem Körper.

Die Drachenkriegerin hatte Shina Fay längst bemerkt, denn sie ging mit zielstrebigen und energischen Schritten auf die Königin Eterias zu. Eine Zeit lang sahen sich beide einfach nur an. Doch dann zeigte Katja mit dem Zeigefinger auf den Boden. „Los! Runter auf die Knie mit dir, Elfe!“, befahl sie. „Halt dein vorlautes Mundwerk du miese kleine Kröte.“ Shina Fays Widerworte verfehlten ihre Wirkung nicht. Denn die Drachenkriegerin wurde rot vor Zorn. „Wer bist du überhaupt, dass du es wagst, mir den gebührenden Respekt zu verweigern?“ „Ich bin Shina Fay, die Königin Eterias. Aber bevor ICH DIR Respekt entgegenbringe, gehst DU mit gutem Beispiel voran, und erweist mir den Respekt, der einer Königin zusteht.“ „Wie wagst du es so mit mir zu reden?“ „SEI STILL!!!!!“, sagte Shina Fay. Doch mit dem was folgte, hatte selbst die Königin Eterias nicht gerechnet. Die Scheiben der Fenster und auch die Wände fingen an zu wackeln. Katja selbst verlor ihr Gleichgewicht und stürzte der Länge nach auf den Boden. Denn Shina Fays Stimme hatte sie tief in ihrem Inneren getroffen. Liasanya nahm Shina Fay auf die Seite. „Großer Gott, was hast du getan?“ 247

„Ich weiß ja noch nicht mal selbst, was gerade passiert ist.“ Später am Abend, das Bankett war vorüber, hatte sich die Königin Eterias in den Garten des Palastes zurückgezogen, um in Ruhe über das Geschehene nachzudenken. Kaitlyn kam zu ihr. „Was hast du, Shina Fay?“, fragte sie. „Ich versuche herauszufinden, was passiert ist. Aber so sehr ich auch nachdenke, ich finde keine Antwort auf diese Frage.“ „Wäre es möglich, dass du eine Fähigkeit besitzt, von der du nichts weißt?“ „Meinst du?“ „Es wäre zumindest eine Erklärung. Ach übrigens: Katja geht es gut. Aber sie will mit dir sprechen. Sieht so aus, als ob sie sich bei dir für ihr unverschämtes Verhalten entschuldigen will.“ „Ich denke, ein solches Verhalten einer Königin gegenüber, ist unentschuldbar.“ „1:0 für dich, Shina Fay. Aber sprich zumindest mit Katja.“ „Okay. Ich warte hier auf sie.“

Doch die Drachenkriegerin ließ Shina Fay ein wenig warten, denn zuerst suchte ihr Bruder Danilo die Königin Eterias auf. „Ich denke, bevor du mit meiner Schwester sprichst, solltest du noch einiges über die Mentalität unseres Volkes wissen.“ „Dann bitte.“ „Du weißt ja schon, dass nur diejenigen Drachenkrieger oder Drachenkriegerin werden, die den Mut haben, den geschlüpften Jungdrachen in ihrem Körper heranwachsen zu lassen. Aber nicht jedem wird diese Ehre zuteil.“ „Du musst wissen, dass unser Volk aus einer Vielzahl von Stämmen besteht. Jedes Jahr müssen die Stammesführer ihre tapfersten Krieger und Kriegerinnen entsenden.“ Katja war unbemerkt dazu gekommen und stand nun neben ihrem Bruder. „Und die müssen dann alle einen Jungdrachen ernähren?“ „Oh nein. Jeder muss vorher eine Prüfung ablegen. Und nicht jeder überlebt.“ „Was kann denn so passieren?“ „Alles Mögliche. In dem Jahr, in dem ich dran war, waren unter den Mitbewerbern zwei Zwillinge. Ihre Aufgaben bestanden darin ein goldenes Horn und eine silberne Axt zu finden. Ich sollte einen Kristall suchen. Den größten den es in ganz Tikal zu finden gab.“, sagte Katja.

„Und du hast deine bestanden.“ „Sonst wäre ich nicht hier. Aber leicht war es nicht, das kannst du mir glauben. Ich habe den Kristall gefunden, aber der Weg zurück war echt die Hölle.“ „Wie meinst du das?“ „Ich musste ein Moor durchqueren, in dem die Geister der Unglückseligen, die dort den Tod fanden, umher wandern und jeden in den Tod ziehen, der es zu durchqueren versucht. Manchmal jagen sie einen, so wie in meinem Fall. Und entweder du entkommst ihnen, oder du hast Pech. Aber in den meisten Fällen gewinnen die Moorgeister. Mich haben sie in ein Moorloch getrieben. Aber ein Drache hat mir das Leben gerettet. Wie sich später herausgestellt hat, war es Hinokis Mutter.“ „Und was war mit den Zwillingen?“ „Die hat es beide erwischt. Der erste wurde von Gnorm, dem Berserker geköpft.“ „Sagtest du Gnorm?“, fragte Shina Fay. 248

„Ja. Kennst du ihn?“ „Er war mein Gegner bei meiner ersten Prüfung.“ Die Geschwister sahen die Königin Eterias fragend an. „Ich muss seit meinem 25. Geburtstag 12 Prüfungen bestehen. 10 habe ich, zwei liegen noch vor mir. Gnorm war der erste Gegner. Ihm folgten Tyrion der Echsenkrieger, Valkona die Orkkriegerin, die Dämonin Andariel, Castor der Eistroll.“ „Wir haben von Andariel gehört. Aber wir wussten nicht, dass du sie getötet hast.“ „Es war auch ein hartes Stück Arbeit. Ich wäre fast dabei drauf gegangen. Was ist eigentlich aus dem zweiten Zwilling geworden, der die Axt finden sollte?“ „Ein Zyklop hat ihn mit einem Steinwurf getötet.“, sagte Danilo. „Shina Fay, ich weiß, dass das, was ich getan habe, unverzeihlich ist. Dennoch bitte ich dich um Vergebung. Es tut mir unendlich leid.“ „Du konntest ja nicht ahnen, dass du der Königin Eterias gegenüberstehst.“ Katjas Bruder Danilo meldete sich zu Wort. „Ich dachte, in Eteria regiert Königin Ignissa.“ „Ignissa ist letztes Jahr von uns gegangen. Aber sie hat mich schon sehr früh zu ihrer Nachfolgerin auserkoren. Nun ist es an mir, die Geschicke Eterias zu lenken.“

Katja legte Shina Fay die Hand auf die Schulter. „Was auch immer passieren mag, ich werde dich nie im Stich lassen.“, sagte sie. „Auf mich kannst du auch zählen.“ „Ich danke euch beiden. Werdet Ihr am Tag der großen Schlacht mit mir sein?“ „Ganz sicher.“ „Wir reisen morgen ab. Wir werden den Anführern der Stämme von deinen Taten berichten.“ „Eine Frage, Shina Fay.“ „Ich höre Katja. „Kennst du das Phänomen, dass man in unserer Heimat „Die Stimme“ nennt?“ „Noch nie davon gehört.“ „Es gibt nicht viele, die sie beherrschen. Du bist eine davon.“ „Was meint Ihr?“ „Manche Gedanken haben einen eigenen Ton, der vergleichbar ist mit einer Form. Durch Ton und Gebärde bist du in der Lage Nerven zu lähmen, Knochen zu brechen, Feuer zu legen, einen Feind zu ersticken oder seine Organe zu sprengen.“ „Gut das zu wissen.“ „Wie gesagt, wir werden morgen abreisen. Aber sobald wir können, kommen wir dich in Eteria besuchen.“ „Ihr seid mir immer willkommen.“ „Es tut uns beiden sehr leid, dass wir uns unter solch schwierigen Umständen kennengelernt haben, aber ich hoffe, dass du uns dennoch in guter Erinnerung behältst.“, sagte Katja.

Nach vier Tagen kehrte Shina Fay nach Eteria zurück. Es war am frühen Morgen, als das Flaggschiff der Marine Eterias, das Schlachtschiff „Shina Fay“ in den Hafen von Santa Catarina einlief. Eine dicke Nebelwand war aufgezogen und verdeckte die Hafeneinfahrt. Aaron Smith, der Hafenadmiral war aus seinem Büro an die frische Luft gegangen, als er den Bug der „Shina Fay“ aus dem Nebel auftauchen sah. Dann folgten die beiden mächtigen 38-cm-Zwillingstürme und danach die Brücke. Als das Flaggschiff angedockt hatte, ging die Königin, in Begleitung ihrer beiden Freundinnen und ihrer Garde von Bord. 249

Die königliche Kutsche wartete bereits am Kai.

Shina Fay traf am frühen Abend wieder in Endor ein. Ihr Ehemann Galen empfing sie in den privaten Gemächern. „Hallo Schatz.“, sagte er und umarmte seine Frau. „Was gibt es denn neues?“ „Es hat sich einiges getan. Wir haben ein paar neue Jäger bekommen. Die F22.“ „Was kann dieser Vogel denn so?“ „Die F22 ist ein hübsches Spielzeug. Aber vom technischen her sehr kompliziert. Fast so ähnlich wie die Typhoon.“ „Die Jäger werde ich mir bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit selbst ansehen. Was gibt es sonst neues?“ „Lothar wollte heute noch vorbei kommen und seinen neuesten Entwurf für ein neues Schlachtschiff mitbringen.“ „Verstehe. Der wievielte wäre das?“ „Der dritte. Die beiden anderen habe ich bereits nach Altamira und Portimao gegeben. Die Schiffe sind schon im Bau.“ „Also der Flugzeugträger.“ „Und der schwere Kreuzer.“

Als Shina Fay wieder im Thronsaal weilte, kam ihr Patenkind auch schon zur Tür herein. „Willkommen zu Hause Tante.“, sagte er. „Danke für die freundliche Begrüßung. Wie ich sehe, hast du die neuen Pläne für das neue Schlachtschiff mitgebracht. Zeig her.“ Lothar gab seiner Patentante die Pläne. Shina Fay sah sich die Pläne an. Und was sie sah gefiel ihr. Die Pläne zeigten ein Schiff mit einer Länge von 178 m und einer Breite von 26 m. Der Tiefgang war mit 8,7 m bemessen und die Verdrängung lag bei 34.000 Tonnen. Die Maschine sollte 26.500 PS leisten und ihre Kraft über zwei Wellen auf zwei dreiflügelige Schrauben übertragen. Damit sollte das neue Kriegsschiff eine Höchstgeschwindigkeit von 20,5 Knoten erreichen. Seine Besatzung sollte aus 864 Männern und Frauen bestehen. Die Hauptartillerie sollte aus zwei Drillings- und zwei Zwillingstürmen mit einem Kaliber von 35,56 cm bestehen. Backbord und Steuerbord hatte Lothar noch einmal jeweils vier Zwillingstürme mit einem Kaliber von 12,7 cm vorgesehen. Vorne am Bug sollte der erste der beiden großen Drillingstürme seinen Platz haben, ebenso wie der erste der beiden großen Zwillingstürme. Dahinter kam die Brücke, deren vorderster Teil einen Turm bildete. Auch sämtliche technischen Anlagen waren in dem massiven Stahlaufbau integriert. Ebenso der Schornstein. Richtung Heck war noch ein kleinerer Stahlaufbau vorgesehen, der die restlichen technischen Anlagen beinhaltete. Achtern kamen dann die beiden anderen großen Geschütze. Etwas erhöht der Zwillingsturm, direkt über dem Deck der Drillingsturm.

„Wo willst du das Schiff bauen lassen?“, fragte Shina Fay ihr Patenkind. „Ich hatte an Catania gedacht.“ „In Ordnung. Schick die Pläne gleich los. Je eher das Schiff auf Kiel gelegt wird, umso besser.“ Lothar nickte. „Dein Wunsch ist mein Befehl, Tante.“, sagte er. „Wie geht es eigentlich Naytiri?“ „Es geht ihr gut, Schatz.“ 250

Die nächsten Tage verbrachte Shina Fay damit, die Luftwaffenstützpunkte zu inspizieren. Als sie die Basis in Edendale besuchte, wurde gerade einer der neuen F22-Jäger aus dem Hangar geholt. Die Königin Eterias war beeindruckt. Die F22 war 18,87 m lang und 5,08 m hoch. Ihre Spannweite lag bei 13,56 m. Die Streckung der Flügel lag bei 2,35 m. Die Fläche der Tragflächen betrug 78,04 m², die der Höhenruder 12,63 m². Die Fläche der Seitenleitwerke betrug 16,54 m², die der restlichen Kontrollflächen 16,93 m². Die Höchstgeschwindigkeit der F22 betrug mit Nachbrenner Mach 2,25. Die Schubkraft der beiden Triebwerke betrug 311,38 kN. Die Flügel waren dreieckig ausgeführt, ebenso die Seitenleitwerke. Der gesamte Rumpf war durch Kanten so zerklüftet, dass er feindlichen Radaranlagen kein Echo bot. Auffällig waren auch die beiden riesigen Lufteinlässe unter dem Tragflächenansatz. Ebenso die geköpften Dreiecksflügel am Heck. Eine Plexiglaskuppel schützte den Piloten vor der dünnen Luft.

Auch Lothar war wieder nicht untätig gewesen. Er hatte einen neuen Flugzeugträger entworfen. Das Schiff sollte 337,1 m lang und inklusive Flugdeck 78 m breit sein. Der Tiefgang sollte 11,9 m betragen und die Verdrängung 100.000 Tonnen. Die Maschine sollte ihre Kraft über vier Wellen auf vier Propeller übertragen und eine Höchstgeschwindigkeit jenseits der 30-Knoten-Marke ermöglichen. Eine Besatzung von über 4.600 Mann würde nötig sein, um diese schwimmende Stadt im aktiven Einsatz am Laufen zu halten. Der neue Träger sollte 90 Maschinen mitführen können.

Bei diesem Träger gab es jedoch im Vergleich zum ersten Flugzeugträger, der „Liasanya“ eine Veränderung. Die „Insel“, wie man die Kommandobrücke nannte, hatte man nach vorne hin etwas verlängert. Auf dieser Verlängerung befanden sich die Abwehrsysteme des Schiffes. Auch der Mast mit den ganzen technischen Einrichtungen durfte nicht fehlen. Mit den Plänen ging Lothar zu seiner Tante, der Königin, die gerade von ihrer Inspektionsreise zurückgekehrt war. Er traf Shina Fay in deren privaten Gemächern. Sie gab ihrer Tochter Naytiri gerade die Flasche. „Hallo Tante. Hast du kurz Zeit für mich?“ „Hast du wieder ein neues Schiff entworfen?“ „Ja habe ich. Einen neuen Flugzeugträger. Wenn er fertig ist, wird er das größte Schiff unserer Flotte sein.“ „Lass mal sehen.“ Lothar gab seiner Tante die Pläne. Shina Fay sah sich die Pläne an, dann nickte sie. „Was sagt Admiral Hirohito?“ „Wie immer das gleiche. Er wünscht sich eine Eskorte für den Träger. Und bis zu einem gewissen Grad hat er ja auch recht. Aber die Sache ist doch die: Keiner unserer Feinde hat eine vergleichbare Flotte im Einsatz, die für unsere drei Träger eine ernsthafte Bedrohung darstellen könnte.“ „Hast du schon mal daran gedacht, dass ein anderes Königreich sich vielleicht technologisch weiterentwickeln könnte?“ 251

„Tante, wir haben einen technischen Vorsprung von mehreren Jahrhunderten. Selbst wenn es Iberia gelingen sollte, Schiffe aus Stahl und mit einer Dampfmaschine zu bauen, werden sie in Sachen Geschwindigkeit und Artillerie weiterhin hinterher hinken.“ „Du meinst...“ „Ja, Tante. Im Moment sind wir auf See unschlagbar. Das Einzige, was mir Sorgen bereitet, ist die fehlende Artillerie für die Landstreitkräfte.“ „Zerbrich dir darüber nicht den Kopf. Hast du noch eine Idee für ein neues Schiff?“ „Vielleicht noch einen leichten Kreuzer.“ „Dann mach dich an die Arbeit.“

In Altamira war der neue Flugzeugträger fertig gebaut worden. Auf Wunsch der Königin wurde er auf den Namen ihres Großvaters „Etgo“ getauft. Die Regentin Eterias fungierte höchstpersönlich als Taufpatin. „Ich taufe dich auf den Namen „Etgo“.“, sagte Shina Fay und warf die Sektflasche, die auch wie vorgesehen, am Bug des Schiffes zerschellte. Unter den Klängen der Nationalhymne Eterias glitt der Stahlkoloss ins Wasser. Damit verfügte Eteria über einunddreißig einsatzbereite Kriegsschiffe. Außerdem verfügte Eteria über vierzehn einsatzbereite Luftwaffengeschwader. In Portimao war der schwere Kreuzer fertig geworden. Ihn hatte man auf Wunsch der Königin auf den Namen „Li An Kai“ getauft, jenem Drachenweibchen, dem sie seinerzeit das Leben gerettet hatte. Als Taufpatin fungierte Shina Fays beste Freundin Raya. „Ich taufe dich auf den Namen „Li An Kai“.“, sagte Raya und warf die Sektflasche, die am Bug des Schiffes zerbrach. Unter den Klängen der eterianischen Nationalhymne glitt das neue Schiff ins Wasser. Damit verfügte Eteria über zweiunddreißig einsatzbereite Schiffe.

Auch die Luftwaffe konnte sich über neue Maschinen freuen. Auf den Stützpunkten waren jeweils 15 Maschinen vom Typ F117 angekommen. Die neuen Bomber, die ebenfalls mit Tarnkappentechnik ausgerüstet waren, besaßen eine Länge von 20,08 m und waren 3,78 m hoch. Die Spannweite der Flügel betrug 13,20 m. Die Fläche der Tragflächen lag bei 105,9 m². Jeder Bomber konnte eine Waffenlast von 2.000 Kg in seinen Bombenschächten mitführen. Die Höchstgeschwindigkeit der F117 lag bei 1.040 Km/h. Die beiden Triebwerke leisteten eine Schubkraft von 96,12 kN. Auffällig bei den neuen Tarnkappenbombern war, dass die beiden Lufteinlässe am Flügelansatz nicht unterhalb des Flugzeugrumpfes angebracht waren, sondern oberhalb unterhalb der Pilotenkanzel. Jeder dieser Bomber war durch scharfe Kanten so zerklüftet gebaut worden, dass er für feindliches Radar unsichtbar war. Die beiden schräg zu einem V angeordneten Heckflügel waren direkt oberhalb der Triebwerke montiert worden. Diese waren unterhalb einer hitzebeständigen Abdeckung verborgen. 252

Ein Teil der Rumpfunterseite stand jedoch über, damit die Techniker bei der Wartung der Flugzeuge einen sicheren Stand hatten.

In Catania war das neue Schlachtschiff fertig gebaut worden. Auf Anweisung von König Galen hatte man dem Schiff den Namen der zukünftigen Königin Eterias „Naytiri“ gegeben. Taufpatin war niemand geringeres als die Königin selbst. „Ich taufe dich auf den Namen „Naytiri“.“, sagte Shina Fay und warf die Sektflasche gegen den Bug des Schiffes, wo sie zerbrach. Unter den Klängen der Nationalhymne Eterias glitt der Berg aus Stahl ins Wasser. Damit verfügte Eteria über sein dreiunddreißigstes einsatzbereites Kriegsschiff.

Auch Lothar hatte sich seine Gedanken gemacht, wie man zumindest die Flugzeugträger schützen konnte. Als seine Tante von ihrer Reise aus Catania zurückkehrte, war er bei Admiral Hirohito. „Also Lothar, was hast du für Ideen, wie wir die Flugzeugträger schützen können?“ „Ich habe mir meine Gedanken gemacht und bin auf eine komplett neue Idee gekommen.“ „Bitte, ich höre.“ „Ich habe eine Skizze mitgebracht Admiral. Sehen Sie selbst.“ Der Oberbefehlshaber der Seestreitkräfte sah sich die Skizze an und dann Lothar. „Was soll das sein?“ „Ich nennen diese Erfindung Unterseeboot.“ „Raffiniert. Der Feind würde mit einer Bedrohung durch getauchte U-Boote gar nicht rechnen.“ „Nicht wahr?“ „Lothar, du hast meinen Segen. Hoffentlich stimmt deine Patentante auch zu.“ „Ich spreche mit ihr, wenn sie aus Catania zurückkommt. Sie tauft dort unser neues Schlachtschiff.“ „Verstehe. Nun gut. Lothar, du weißt, was du zu tun hast.“

Als Shina Fay den Palast betreten hatte, kam ihr ihre Freundin Liasanya entgegen. Auf dem Arm hatte sie Shina Fays Tochter Naytiri. Die kleine Elfe freute sich, ihre Mutter wiederzusehen, denn sie strahlte über das ganze Gesicht. „Komm mal her, meine Kleine.“ Shina Fay nahm Liasanya das Elfenbaby ab. „Hab ich was verpasst?“, fragte sie. „Eigentlich nicht. Der neue Flugzeugträger wird in Santa Catarina gebaut, wie Lothar es vorgesehen hat. Er fragt, wie das Schiff heißen soll?“ „Katja. Das Schiff soll nach Katja, der Drachenkriegerin benannt werden.“ „Shina Fay. Du kennst Katja doch nur von einem Mal sehen. Und da willst du ihr gleich so eine Ehre zu Teil werden lassen?“ „Habe ich dasselbe nicht auch bei dir getan? Obwohl wir uns kaum kannten, trägt ein Schiff deinen Namen, Liasanya.“ „Da hast du Recht. Aber wenn dies dein Wille ist, dann soll es so sein.“

Später am Abend, Shina Fay saß im Thronsaal auf ihrem Thron, als der Haushofmeister eintrat. „Meine Königin, Zwei Fremde aus Tikal bitten um die Gnade einer Audienz.“, sagte er. „Lass die beiden eintreten.“ „Sehr wohl meine Königin.“ 253

Nur kurze Zeit später betraten Katja und Danilo den Thronsaal. Als Shina Fay die beiden sah, strahlte sie voller Freude. Die Stufen vom Thron herab ging sie noch langsam. Aber dann rannte die Königin Eterias auf die beiden zu und umarmte die Geschwister. „Ich freue mich so, euch zu sehen.“, sagte sie. „Frag uns mal.“ „Es ist schon etwas her, seit wir uns in Erimanteles kennengelernt haben.“ „Das ist wohl wahr, Shina Fay. Aber wir bringen gute Neuigkeiten. Am Tag der großen Schlacht, werden die Stämme Tikals an deiner Seite kämpfen.“, sagte Katja. „Das ist aber noch nicht alles. Meine Schwester und ich wurden als Botschafter nach Eteria entsandt.“ „Das heißt...“ „Wir bleiben hier.“ „Gott, ich freu mich so.“, sagte Shina Fay und drückte erst Katja, dann ihren Bruder Danilo.

„Ihr müsst hungrig und müde sein. Wenn Ihr wollt, lasse ich gleich das Abendessen servieren.“ „Also ich bin dabei, wenns ums Essen geht.“, sagte Danilo. „Alte Fressmaschine.“ Diese Worte hatte Hinoki, der kleine, rote Drache auf Katjas Schulter gesagt. Shina Fay stemmte eine Hand in ihre Hüfte. „Du bist ja ganz schön vorlaut, Hinoki. Aber eines lass dir gesagt sein: Wenn ich Gäste empfange, hältst du gefälligst dein vorlautes Mundwerk. Sonst werde ich nicht zögern und dir deinen Feuerzahn ziehen.“ „Bitte tu ihm nichts. Hinoki ist noch jung. Manchmal schießt er über das Ziel hinaus, ohne es zu merken.“

Nachdem sich die beiden Geschwister frisch gemacht hatten, saßen sie mit Shina Fay und den anderen beim Abendessen. Katja bemerkte, dass die Königin ein Baby auf dem Arm trug. „Ist das dein Kind?“, fragte sie Shina Fay. „Ja. Das ist meine Tochter Naytiri. Sie wird die nächste Königin Eterias sein.“ „Du hast da ja eine ziemlich illustre Runde beisammen. Eine Blutjungfer, eine Schattenhexe, eine Blutelfe, drei Waldelfen, eine Menschenfrau, eine Amazone, eine Walküre und die Prinzessin der Dunkelelfen.“, sagte Danilo. „Du hast die Naga-Königin vergessen, Bruderherz.“, mahnte Katja. „Katja, auf dich wartet eine Überraschung. Und keine Angst, ich hege keine bösen Absichten. Ich habe erfahren, dass in drei Tagen unser neuestes Kriegsschiff vom Stapel laufen wird. Ich würde mich freuen, wenn du die Taufpatin wärest.“ „Um was für ein Schiff handelt es sich?“, fragte Danilo. „Um einen Flugzeugträger. Der größte, den wir haben.“ „Was bitte schön ist denn ein Flugzeugträger?“, fragte Katja.

Am nächsten Morgen traf sich Shina Fay mit ihrem Patenkind Lothar. Der Sohn ihres Schwagers kam gerade, als seine Patentante mit den anderen beim Frühstück saß. „Guten Morgen Tante.“, sagte er. „Dir auch einen guten Morgen. Hast du Hunger?“ „Ehrlich gesagt, hängt mir der Magen bis zu den Kniekehlen.“ „Dann setz dich, und iss erst mal, Lothar.“ Als Lothar sich setzte, wählte er einen Platz, gegenüber von Katja. 254

„Also Lothar. Ich nehme an, du hast wieder ein neues Kriegsschiff entworfen.“ „Nicht nur das, Tante. Ich habe mir sogar überlegt, wie wir unsere Flugzeugträger schützen können.“ „Sach an.“, sagte Danilo. „Na, na, na. So geht das aber nicht du kleiner Drecksack.“ „Danilo, Lothar. Ich finde es reicht jetzt. Ihr seid Menschen beziehungsweise Elfen. Also hört gefälligst auf euch zu benehmen wie die Paviane, die Football spielen wollen.“ „Toller Vergleich Tante.“ „Katja, Danilo. Ich glaube, ich war so nachlässig und habe euch mein Patenkind Lothar noch nicht vorgestellt.“ „Ich gehe davon aus, dass es Lothars Aufgabe ist, die Schiffe für deine Marine zu bauen.“, sagte Katja. „Besser gesagt, ich entwerfe sie. Gebaut werden die Schiffe auf unseren Werften.“ „Mal eine Frage, Lothar. Du sagst, dass du eure Flugzeugträger schützen kannst. Was hast du dir da ausgeknobelt?“ „Was sagst du dazu?“, fragte Lothar und hielt Danilo die Skizze unter die Nase. „Was ist das denn?“ „Ein U-Boot.“ „Darf ich mal sehen?“ Danilo reichte Shina Fay die Skizze. Diese zeigte ein Wasserfahrzeug, das einen zigarrenförmigen Rumpf besaß, auf dem mittschiffs ein Turm aufgebaut war. Vorne am Bug waren sechs, hinten am Heck vier Rohre eingezeichnet.

„Was sind denn das für Rohre?“, wollte Shina Fay wissen. „Sie sind für eine komplett neue Waffe, Tante. Hier ist eine Skizze.“ Lothar reichte seiner Tante ein Blatt Papier, auf dem ein längliches Etwas zu sehen war. „Ich nenne diese Erfindung Torpedo.“, sagte er. „Und wie soll das Ganze funktionieren?“ Kaitlyn hatte diese Frage gestellt. „Ganz einfach, die Torpedos werden in die Rohre geladen, nach deren Sinn du gerade gefragt hast, Tante. Dann werden diese verschlossen und geflutet. Bei dieser Gelegenheit möchte ich eure Aufmerksamkeit auf diese Klappen hier lenken. Die sogenannten Mündungsklappen. Bevor der Torpedo abgefeuert werden kann, ist es ratsam, zuerst die Mündungsklappen zu öffnen. Es sei denn, man hat die Absicht, sein Boot mit Mann und Maus zu versenken.“ „Wofür steht das U in U-Boot?“, fragte Desdemona. „Untersee. Das bedeutet, dass dieses Boot nicht nur über, sondern auch unter Wasser fahren kann.“ „Raffiniert. Der Feind kann nur die Marineeinheiten bekämpfen die er sieht. Wie soll er aber ein Boot angreifen, das getaucht ist?“ „Genau das ist der springende Punkt. Ein getauchtes Boot, kann ein Feind ohne entsprechende Geräte gar nicht orten. Das bedeutet, dass wir in der Lage wären, feindliche Schiffe, die sich unseren Flugzeugträgern mit der Absicht nähern sie zu zerstören, heimlich still und leise versenken können. Die Kommandanten werden keine Ahnung haben, was auf sie zukommt, bis es zu spät ist.“

„Wenn du nichts dagegen hast Lothar, würde ich mir gerne deine neuen Pläne ansehen.“, sagte Shina Fay. „Aber natürlich, Tante.“ 255

Shina Fay sah sich die Pläne an, und was sie sah gefiel ihr. Die Pläne zeigten einen Kreuzer mit 180,6 m Länge und 18,9 m Breite. Der Tiefgang betrug 5,2 m und die Verdrängung des Schiffes lag bei 11.350 Tonnen. Die Leistung der Maschine lag bei 75.000 PS, die über vier Wellen auf vier Propeller übertragen werden sollte. Der neue Kreuzer sollte eine Höchstgeschwindigkeit von 32 Knoten erreichen. 748 Mann Besatzung sollten auf dem neuen Kreuzer dienen. Die Hauptartillerie bestand aus vier Drillingstürmen mit einem Kaliber von 15,2 cm. Backbord und Steuerbord waren jeweils zwei 10,2-cm-Schnellfeuer-Geschütze vorgesehen, die als Zwillingstürme ausgeführt werden sollten.

Zwei der schweren Geschütztürme sollten vorne am Bug montiert werden. Dahinter sollte die Kommandobrücke aufgesetzt werden. Diese war in einen massiven Stahlaufbau integriert. Nach der Brücke kam ein kleiner Aufbau mit ein paar technischen Anlagen. Dahinter ein Mast, der ebenfalls technische Komponenten enthielt. Nach diesem Mast kamen die beiden Schornsteine. Danach kam noch ein Geschützstand mit ein paar kleineren Geschützen, ehe dann ein weiterer Mast mit technischen Anlagen kam. Achtern wurden die beiden letzten Drillingstürme aufgesetzt. „Lothar, du hast dich mal wieder selbst übertroffen. Schick die Pläne noch heute nach Trondheim. Und was die U-Boote angeht, hast du von meiner Seite grünes Licht.“ „Na so was hör ich gern, Tante.“

In Karthago, Iberias Hauptstadt nahm Königin Pavian die diplomatischen Wendungen mit Beunruhigung zur Kenntnis. Sie hatte so auf die Hilfe der Drachenkrieger aus Tikal gehofft, doch diese hatten sich letzten Endes für ein Bündnis mit Shina Fay, Vivians Erzrivalin entschieden. Ihr Kanzler kam ins Besprechungszimmer. „Ist euch nicht wohl meine Königin?“ „Ich bin genervt. Es passiert in letzter Zeit ziemlich negatives. Zumindest aus unserer Sicht. Eteria wird militärisch immer stärker. Ich habe deshalb bei den Drachenkriegern von Tikal um Hilfe nachgesucht. Vor zwei Tagen kam deren Antwort.“ „Und was sagen die Krieger aus Tikal?“ „Sie lassen mich wissen, dass sie Shina Fay unterstützen. Und Sie begründen dies damit, dass sie Nationen, die von Verrätern wie mir regiert werden, als unwürdig betrachten.“

In Santa Catarina war inzwischen der neue Flugzeugträger fertig gestellt worden. Katja, die Drachenkriegerin und neue Freundin von Shina Fay, fungierte als Taufpatin. Danilo und seine Schwester staunten nicht schlecht, als sie zu dem riesigen Bug hinaufschauten, der über ihnen in den Himmel ragte. „Herrje, ist das ein Brocken.“, sagte Danilo. „Und wie riesig.“ „Danilo, Katja, wollt Ihr Wurzeln schlagen, oder was?“ Shina Fays Stimme holte die Geschwister zurück in die Gegenwart. „Wir kommen schon!“ 256

Auf dem Rednerpult sah Katja, dass der Name des Schiffes von Stoff verdeckt wurde. Auf ein Zeichen der Königin von Eteria wurden die Stofftücher entfernt und der Name des neuen Trägers wurde sichtbar. Der Drachenkriegerin traten die Tränen in die Augen, als sie ihren Namen las. Mit einer Hand bedeckte sie ihre Augen, damit niemand sehen konnte, wie Katja Freudentränen vergoss. Shina Fay trat neben sie. „Ich weiß, wie dir zumute ist. Siehst du das Schlachtschiff dort?“ „Welches?“ „Folge meinem Finger. Siehst du das Schiff, das mit der roten Lotusblume auf schwarzem Untergrund? Das ist der Stolz unserer Marine. Es ist unser Flaggschiff. Nun rate mal, wessen Namen es trägt.“ „Doch nicht etwa deinen?“ „Doch. Das Schlachtschiff, das du dort am Kai liegen siehst, ist die „Shina Fay“.“ „Ich habe es schon in Christchurch bewundert. Wie kommst du an dieses Wissen?“ „Catweazle hat mir sein Wissen zur Verfügung gestellt. Lothar mein Patenkind war sein Schüler. Er führt fort, was Catweazle damals begonnen hat. Dessen Sohn Marco hat unsere Luftwaffe aufgebaut.“

Später stand Katja dann am Rednerpult und hielt die Sektflasche in der Hand. Hinoki, ihr Drache schnupperte an der Flasche. „Ich taufe dich auf den Namen „Katja“.“, sagte Katja und warf die Flasche, die am Bug des Trägers zerbrach. Unter den Klängen der eterianischen Nationalhymne glitt der neue Flugzeugträger ins Wasser. Damit verfügte Eteria über vierunddreißig einsatzbereite Kriegsschiffe. Hinoki schüttelte den Kopf „Was für eine Verschwendung.“, sagte er. „Verschwendung von was?“ „Von dieser gut riechenden Flüssigkeit.“ „Ach du meinst den Sekt. Sag das doch gleich.“, sagte Shina Fay. „Trotzdem. Sekt ist zum Trinken da und nicht um ihn am Bug eines Schiffes zu vergießen.“ „Das gehört nun mal zur Taufzeremonie dazu. Es bringt dem Schiff Glück.“

Ein lautes Donnern war zu hören, Und nur einen Augenblick später flogen sieben F15-Jäger in V-Formation über den Hafen hinweg. „Heiliger Bimbam! Was war das? „Das, mein lieber Danilo, waren sieben unserer F15-Jäger.“ „Du rüstet ja mächtig auf, Shina Fay. Schlachtschiffe, Flugzeugträger, Jagdflugzeuge. Willst du einen Krieg anfangen?“, fragte Katja. „Nein. Aber ich bereite mich auf einen Krieg vor. Mit Iberia.“ „Da fällt mir was ein. Bevor wir aus Tikal abgereist sind, kam ein Bote aus Iberia. Die dortige Königin hat unsere Stammesführer um militärische Unterstützung ersucht. Die Stammesführer haben aber abgelehnt.“

Auf dem Luftwaffenstützpunkt, den Shina Fay zusammen mit Katja und Danilo besuchte waren neuen Kampfjets eingetroffen. Die Maschinen waren 17,32 m lang und 5,18 m hoch. Die Spannweite der Flügel betrug 11,99 m. Die Flügelfläche stolze 43 m². 257

Die Streckung der Flügel lag bei 3,34 m. Die beiden Triebwerke leisteten mit eingeschaltetem Nachbrenner eine Schubkraft von 172,60 kN. Die neuen Jets konnten eine Höchstgeschwindigkeit von Mach 2,1 erreichen. Außerdem konnten sie eine Waffenlast von 5.500 Kg mitführen.

Die neuen Jagdflugzeuge besaßen wie viele andere Maschinen zwei Heckflügel. Die Seitenflügel waren auf Höhe der Triebwerke angebracht. Die Flügel waren dreieckig und an den den Ecken abgerundet. Die beiden Lufteinlässe waren unten am Rumpf unter dem Anfang der Flügel montiert worden. Eine Plexiglashaube schützte den Piloten vor der dünnen Luft. Auf Höhe der Cockpithaube ging der Flugzeugrumpf etwas in die Breite. An der Nase der neuen Maschinen befand sich eine Art Antenne. „Was sind denn das für Flugzeuge?“ „Ich sehe diese Jäger auch zum ersten Mal.“ „Das sind unsere neuen Mehrzweckjäger. Wir nennen Sie MiG29.“

In Trondheim hatte man mit der Kiellegung des neuen leichten Kreuzers begonnen. Und während am neuen Kreuzer gearbeitet wurde, saß Lothar an seinem Zeichenbrett. Er hatte noch eine Idee für einen neuen schweren Kreuzer. Das neue Schiff sollte eine Länge von 250,1 m und eine Breite von 28,5 m bekommen. Sein Tiefgang sollte 10,3 m betragen und die Verdrängung bei 28.860 Tonnen liegen. Die beiden Maschinen des neuen Kreuzers sollten zusammen 140.000 PS leisten und ihre Kraft über zwei Wellen auf zwei fünfblättrige Schrauben übertragen. Damit sollte der neue schwere Kreuzer eine Höchstgeschwindigkeit von 32 Knoten erreichen. 655 Mann Besatzung würden nötig sein um das Schiff im Einsatz am Laufen zu halten. Die Hauptartillerie sollte aus vier Zwillingstürmen mit einem Kaliber von 20,3 cm bestehen. Backbord und Steuerbord sollten jeweils vier Zwillingstürme mit einem Kaliber von 15,7 cm montiert werden, die pro Minuten 1.800 Schuss Munition verfeuern konnten.

Der 28,5 Meter breite Rumpf besaß eine elegante Linienführung. Die Aufbauten waren nicht so klotzig wie bei den anderen Schiffen, sondern wesentlich windschnittiger konzipiert. Vorne am Bug sollten zwei Türme der Hauptartillerie montiert werden. Dahinter kam die Kommandobrücke mit ihrer großzügigen Fensterfront. Hinter der Brücke kam der Schornstein, mit dem Integrierten Mast, auf dem einige der technischen Anlagen montiert waren. Danach kam ein kleiner Zwischenraum ehe wieder ein Stahlaufbau kam, auf dem die restlichen Anlagen, wie das Radar montiert werden sollten. Achtern am Heck sollten die beiden anderen Zwillingstürme der Hauptartillerie ihren Platz haben. Eine Besonderheit bei diesem Kreuzer jedoch, war die kleine Sicke an der Rückwand des Schiffsrumpfes. 258

Mit den Plänen in der Tasche ging Lothar zuerst zu Admiral Hirohito. „Na Lothar, was hast du dir dieses Mal einfallen lassen?“, „Was halten Sie davon Admiral? Es ist ein neuer schwerer Kreuzer. „Heureka. Das ist ja echt ein Hingucker. Ästhetisch aber gefährlich. Du hast meinen Segen.“ Nach dem Gespräch ging Lothar in den Regierungspalast. Er traf seine Patentante in ihren privaten Gemächern. „Na Lothar, hast wieder neue Pläne? „Ja, habe ich, Tante.“ „Was ist es? Ein Kreuzer, ein U-Boot?“ „Ein neuer schwerer Kreuzer. Admiral Hirohito war begeistert.“ „Mal sehen, ob du mich auch begeistern kannst.“ Shina Fay sah sich die Pläne an, dann pfiff sie anerkennend durch die Zähne. „Wahnsinn. Elegant, aber auch Respekt einflößend.“ „So soll es ja auch sein.“ „Na schön. Die Pläne gehen nach Santa Catarina.“ „Wie du meinst, Tante.“

In Trondheim war dann auch der neue leichte Kreuzer fertig geworden. Auf Anraten von Katja und Liasanya, hatte Shina Fay das Schiff auf den Namen „Marozia“ taufen lassen. Marozia, das Orkmädchen war die Taufpatin des Schiffes. „Ich taufe dich auf den Namen „Marozia“.“, sagte das Orkmädchen und warf die Sektflasche gegen den Bug des Schiffes, wo sie zerbrach. Hinoki, der kleine rote Drache, rümpfte wieder einmal seine Nase. „So etwas hirnloses. Sekt für eine Schiffstaufe zu verschwenden.“ nörgelte er. „Alter Suffkopp!“ „Halt den Schnabel!“ „Das war die Retourkutsche für deinen vorlauten Kommentar.“

Unterdessen spielte die werfteigene Musikkapelle die Nationalhymne Eterias. Unter deren Klängen glitt der Stahlgigant ins Wasser. Damit verfügte Eteria über fünfunddreißig einsatzbereite Kriegsschiffe. Außerdem verfügte das Königreich über sechzehn einsatzbereite Luftwaffengeschwader. In Santa Catarina hatte man auf der Werft mit dem Bau des neuen schweren Kreuzers begonnen. Auch Lothar war nicht untätig, denn er arbeitete an den Plänen für sein erstes U-Boot.

Das Boot sollte 64,5 m lang und 5,85 m breit werden. Der Tiefgang wurde mit 4,4 m angegeben. Jedes Boot sollte eine Höhe von 9,5 m haben Die Verdrängung von Eterias neuer Wunderwaffe sollte bei 626 Tonnen über – 745 Tonnen unter Wasser liegen. Die beiden Maschinen sollten über Wasser 2.310 PS und unter Wasser 750 PS leisten und ihre Kraft über zwei Wellen auf zwei dreiblättrige Schrauben übertragen. Im aufgetauchten Zustand konnten die U-Boote eine Höchstgeschwindigkeit von 17 Knoten erreichen. Waren sie getaucht, betrug die Höchstgeschwindigkeit 8 Knoten. Die Besonderheit bei diesen Booten war ein Bordgeschütz mit einem Kaliber von 8,8 cm und 220 Schuss Munition, das vor dem Turm montiert werden sollte. Die U-Boote sollten vorne am Bug vier und am Heck ein Torpedorohr besitzen. 11 Torpedos sollten die U-Boote mitführen können. 259

Bei den neuen U-Booten, die die Bezeichnung Typ VII trugen, hatte man den Turm in der Mitte des Rumpfes platziert. Seitlich am Rumpf waren mehrere Lufteinlässe vorgesehen, um die Batterien für die Elektromotoren aufladen zu können. Über dem Stahlrumpf hatte man noch einmal ein hölzernes Deck verlegt.

Mit diesen Plänen ging Lothar zu seiner Patentante, der Königin Eterias. Er traf sie im Garten des Palastes. „Hallo Tante.“, begrüßte Lothar Shina Fay. „Ich nehme an, in dieser Rolle befinden sich neue Pläne.“ „Richtig Tante. Für unseren ersten U-Boot-Typ.“ „Kann ich die Pläne mal sehen?“ „Sicher. Hier sind sie.“ Shina Fay sah sich die Pläne an, dann nickte sie. „Also schön. Bauen wir diesen Typ. Wir sollten aber auch eine Erweiterung der Marinestützpunkte in Erwägung ziehen.“ „Und wozu, Tante?“ „Es könnte doch sein, dass jemand Waffen besitzt, die den U-Booten gefährlich werden könnten.“ „Das leuchtet ein. Aber wäre es nicht klüger, die Boote bei den anderen Schiffen unterzubringen? Das spart Platz.“ „Ich hätte die U-Boote gerne in eigenen Bunkern untergebracht.“ „Wie du meinst.“ „Mach Kopien von den Plänen und schicke sie an alle Werften. Danach machst du mit dem nächsten Entwurf weiter.“

In Santa Catarina war inzwischen der neue schwere Kreuzer fertig geworden. Auf Befehl der Königin hatte man das Schiff auf den Namen „Raya“ getauft. Shina Fays beste Freundin fungierte als Taufpatin. „Ich taufe dich auf den Namen „Raya.“, sagte die Elfe aus Erathia und warf die Sektflasche gegen den Bug des Schiffes, wo sie wie vorgesehen zerbrach. Sehr zum Missfallen von Hinoki. Unter den Klängen der Nationalhymne Eterias glitt der Stahlkoloss ins Wasser. Damit verfügte Eteria über sechsunddreißig einsatzbereite Kriegsschiffe.

Mittlerweile war es Sommer geworden und Shina Fays Tochter hatte an Größe und Gewicht ordentlich zugelegt. Auch der Krieg mit Iberia ließ noch auf sich warten, obwohl jedem klar war, dass er kommen würde. Shina Fay trieb ihr Rüstungsprogramm aber gnadenlos voran. Und der Grund war so ziemlich jedem klar, der die Königin Eterias kannte. Diese massive Aufrüstung sollte eine Warnung an jeden Feind sein, es noch einmal zu wagen Eteria zu unterdrücken. Auch Marco hatte eine neue Erfindung gemacht. Er hatte das Raketentriebwerk erfunden. Damit hatte Eteria die Möglichkeit, weitere neue Waffen zu bauen.

Auch die Marinestützpunkte waren um neue Bunker für die U-Boote erweitert worden. Jeweils fünf Boote vom Typ VII waren den Stützpunkten zugewiesen worden. Lothar hatte auch einen neuen U-Boot-Typ entworfen. Dieses Boot besaß einen zigarrenförmigen Rumpf bei dem der Turm etwas weiter vorne saß, als beim Typ VII. 260

Seitlich am Turm waren die beiden Tiefenruder angebracht. Das Boot besaß eine fünfblättrige Schraube, die eine Geschwindigkeit jenseits der 30-Knoten-Marke ermöglichen sollte. Das neue Boot sollte 110 m lang und 10 m breit sein. Sein Tiefgang sollte bei 9,5 m liegen. Im aufgetauchten Zustand sollte die neue U-Boot-Klasse 6.300 Tonnen, unter Wasser jedoch 7.100 Tonnen verdrängen. Das neue U-Boot sollte eine Tauchtiefe von maximal 300 m erreichen. Als Bewaffnung sollte das neue U-Boot vier 533 mm-Torpedorohre erhalten. 132 Mann Besatzung wurden für diese Bootsklasse benötigt. Auffällig war auch der Wulst an der Oberseite des Rumpfes. Dort war das Schleppsonar untergebracht. Oben auf dem Turm waren das Periskop und die Funkantenne montiert.

Auch diese Boote wurden in Produktion gegeben. Lothar war jedoch weiterhin nicht untätig. Er fertigte einen weiteren Entwurf für ein neues U-Boot. Das neue U-Boot sollte 172,8 m lang und 23,3 m breit sein. Die neuen Boote sollten einen Tiefgang von 11,0 m haben und aufgetaucht 23.200 Tonnen verdrängen. Waren diese Boote allerdings auf Tauchstation, so verdrängten sie stolze 48.000 Tonnen. 160 Mann Besatzung waren für den Betrieb dieser U-Boot-Riesen nötig. Aufgetaucht erreichten diese U-Boote eine Höchstgeschwindigkeit von 12 Knoten. Unter Wasser waren diese Giganten 25 Knoten schnell. Die beiden Wellen übertrugen ihre Kraft auf zwei siebenflügelige Impeller. Die neuen Boote konnten 121 Tage unter Wasser bleiben. Bewaffnet waren die U-Boote mit sechs 533-mm-Torpedorohren und 20 Startbehältern vom Typ R39. Die erste Auffälligkeit bei diesen Booten war, dass der Turm weit hinten am Rumpf montiert worden war, um Platz für die Raketensilos zu haben. Eine weitere Auffälligkeit waren zwei Luken, die an der Längsachse des U-Bootes verliefen.

Zuerst suchte Lothar den Oberbefehlshaber der Marine Eterias, Admiral Hirohito auf. „Hast du wieder ein neues U-Boot entworfen?“ „Richtig. Damit dürfte unseren Feinden der Arsch auf Grundeis gehen.“ „Dann lass mal sehen.“ Lothar breitete die Konstruktionszeichnungen auf dem Schreibtisch des Admirals aus. Dieser sah sich die Pläne an, doch als der die beiden Luken entlang der Längsachse entdeckte, stutzte er. Er deutete mit dem Stiel seiner Pfeife drauf. „Was sind denn das für Luken?“ „Ein kleiner, aber überraschender Gimmick. Diese Luken sorgen dafür, dass sich die Boote lautlos fortbewegen können. Und sollte man was hören, könnte man es für eine Walpaarung oder ein unterseeisches Beben halten, aber nicht für ein getauchtes U-Boot.“ „Genial. Hast du auch einen Namen für deine neue Erfindung?“ „Ich nenne diese Antriebsart „Raupe“.“

Nach dem Gespräch mit dem Flottenchef suchte 261

Lothar seine Patentante auf. Auch ihr fielen die Luken sofort auf. „Was hat es damit auf sich?“ „Was meinst du, Tante?“ „Diese Luken, oder was immer das auch sein soll, die entlang der Längsachse des Bootes verlaufen.“ „Ach so die. Sag das doch gleich.“ „Also Lothar, was hat es mit diesen Luken auf sich?“ „Was würdest du sagen, Tante, wenn ich dir sage, dass unsere Boote damit vollkommen lautlos fahren. Mit so einem Boot kannst du ein paar Hundert Sprengköpfe vor Iberias Küste parken und keiner würde was merken, ehe es zu spät ist.“ Shina Fay sah Lothar fragend an. „Worauf willst du hinaus, Lothar?“ „Marco hat eine neue Erfindung gemacht. Das Raketentriebwerk. Damit sind wir in der Lage, eine neue Waffe zu bauen. Siehst du die Klappen hier? Darunter befinden sich die Startrampen für die Raketen. Wir können sie mit Mehrfachsprengköpfen ausrüsten. Königin Vivian wird sich vor Angst in die Hosen machen, wenn sie das erfährt.“

In Karthago, Iberias Hauptstadt, sah man die wachsende militärische Stärke des großen Rivalen Eteria mit Besorgnis. Königin Vivian hatte sich mit ihrem Cousin, dem König von Veracruz getroffen. „Du machst ein besorgtes Gesicht, Cousine.“, sagte er. „Hab auch allen Grund dazu. Eteria wird militärisch immer stärker. Sie haben eine schlagkräftige Marine.“ „Wie viele Schiffe?“ „36.“ „Vivian, deine Flotte besteht aus 350 Schiffen. Deine Marine ist der Eterias zahlenmäßig haushoch überlegen.“ „Mein lieber Jorge. Die eterianischen Schiffe sind unseren technisch und an Feuerkraft weit überlegen. Ich habe nur Segelschiffe. Shina Fays Kriegsschiffe kommen ganz ohne Wind aus. Außerdem hat Eteria noch eine gut aufgestellte Luftwaffe. 16 Geschwader zu jeweils 15 Maschinen.“ „Das sind keine guten Nachrichten. Hast du schon was dagegen unternommen?“ „Ich habe versucht, Shina Fay einzuschüchtern, indem ich ihr gedroht habe. Aber sie ist felsenfest entschlossen, sich mir zu widersetzen. Ich frage mich langsam warum.“ „Vielleicht liegt die Antwort auf deine Frage in der Vergangenheit beider Königreiche.“ „Was meinst du Jorge?“ „War es nicht dein Ur Ur Ur Ur-Großvater, König Rondolf, der Eterias Herrscher hat ermorden lassen und stattdessen dessen Cousin auf den Thron gesetzt hat?“ „Doch so war es.“ „Weißt du noch, was der Grund war?“ „Ehrlich gesagt, nein.“ „Eteria ist reich, Iberia leider nicht so. Es ist jetzt nicht so, dass dein Land bei seinen Nachbarn hoch verschuldet ist, aber Iberia hat so gut wie keine Handelspartner. Denn seit dem König Rondolf Eteria unterdrückt hat, haben sich die seinerzeit wichtigsten Handelspartner von deinem Reich ab- und Eteria zugewandt, damit das Land nicht ganz den Bach runter geht. Das was dein Ur Ur Ur Ur-Großvater getan hat, war völkerrechtlich in keinster Weise zu rechtfertigen. Deswegen haben die anderen Regenten entschieden, Iberia zu isolieren. Bis auf die, die damals 262

König Rondolf gefolgt sind. Und das waren wie viel? Vier, Fünf?“ „Es waren fünf, Jorge. Aber die haben sich inzwischen auch von mir abgewandt. Auch die Drachenkrieger aus Tikal verweigern mir die Unterstützung. Sie werfen mir vor, eine Verräterin zu sein.“ „Dazu äußere ich mich nicht. Fakt ist aber, dass die übrigen Königreiche, dich nicht unterstützen, sondern vielmehr Eteria bevorzugen.“ „Es wird zum Krieg mit Shina Fay kommen, das steht unumstößlich fest. Wann weiß ich nicht. Aber der Krieg kommt. Und sollte ich verlieren, dann werde ich Shina Fay meinen Freund Kingsor, den Nekromanten, auf den Hals hetzen. Er wird sowohl sie, als auch ihre Tochter Naytiri vernichten.“ „Na wenn das mal gut geht.“

In Eteria waren auch die neuen Jagd-U-Boote fertig geworden, während auf den Werften die Produktion der „Boomer“, wie man die Raketen-U-Boote nannte, angelaufen war. Lothar war wieder nicht untätig geblieben und hatte einen neuen U-Boot-Typ entworfen, den er als Typ IX bezeichnete. Die neuen Boote sollten 76,5 m lang und 6,51 m breit werden. Der Tiefgang dieser Boote sollte 4,7 m betragen und die Höhe dieser Bootsklasse sollte bei 9,4 m liegen. Über Wasser sollten die neuen U-Boote 1.032 Tonnen verdrängen, in getauchtem Zustand sollten es 1.153 Tonnen sein. Die Höchstgeschwindigkeit dieser U-Boote sollte an der Wasseroberfläche bei 18,2 Knoten, unter Wasser bei 7,7 Knoten liegen. Die Bewaffnung dieser neuen U-Boot-Klasse sollte aus einer 10,5-cm-Kanone bestehen, die vor dem Turm angebracht war.Außerdem besaßen diese Boote vorne im Bug vier, achtern am Heck zwei Torpedorohre mit einem Durchmesser von 53,3 cm. 22 Torpedos konnten die Typ-IX-Boote mitführen. Eine Besatzung von 48 Mann war für den laufenden Betrieb notwendig. Auffällig bei diesen Booten waren die größeren Lüfter an den Seiten, sowie der Metalldorn vorne am Bug des Bootes. Auch ein Sonargerät, das vorne am Bug montiert war, fehlte nicht.

Zuerst ging Lothar zu Admiral Hirohito. Dieser sah sich die Pläne für den neuen U-Boot-Typ an, dann nickte er. „Gute Arbeit. Was meinst du, wie viele U-Boot-Typen werden wir noch brauchen?“ „Schwer zu sagen. Was ich mit definitiver Sicherheit sagen kann, ist, dass wir noch mindestens ein Raketen-U-Boot brauchen. Besser wären zwei.“ „Wären nicht drei dieser „Boomer“ besser?“ „Wäre nicht verkehrt.“ „Na schön. Dann wäre das ja geklärt. Meinen Segen für den Typ IX hast du. Jetzt muss nur noch deine Tante ihr OK geben.“ „Hat sie doch auch beim ersten „Boomer“ gemacht.“ „Und beim Typ VII?“ „Da auch. Meine Tante hat bisher jedes Schiff von mir abgenickt.“

Nach dem Gespräch mit dem Admiral ging Lothar zu seiner Tante. 263

Shina Fay war gerade zusammen mit ihrem Mann im Thronsaal, als Lothar eintrat. „Na Neffe, warst du wieder fleißig?“, fragte Galen. „Genau. Ich hab ein neues U-Boot entworfen. Den Typ IX. Admiral Hirohito hat bereits seine Zustimmung erteilt. Ich war gerade bei ihm.“ „Lass mich mal die Pläne sehen, Lothar.“, sagte Shina Fay und hielt die Hand auf. Die Königin Eterias sah sich die Pläne an, dann nickte sie. „In Ordnung. Von meiner Seite gibt’s auch keine Einwände. Aber eine Frage noch.“ „Bitte Tante.“ „Was hast du mit Admiral Hirohito sonst noch besprochen?“ „Wir sind beide der Meinung, dass wir noch mindestens zwei, maximal drei Raketen-U-Boote brauchen.“ „Dann weißt du ja, was du zu tun hast.“

Als die Pläne für den neuen U-Boot-Typ auf den Werften eintrafen, hatte man gerade das letzte Typhoon-Boot fertig gestellt. Lothar saß wie immer am Zeichenbrett und entwarf bereits ein neues U-Boot. Diese Boote sollten 66,08 m lang und 7,19 m breit sein. Der Tiefgang sollte bei 3,4 m liegen. In aufgetauchtem Zustand sollten die neuen U-Boote 872, getaucht 990 Tonnen verdrängen. Die Tauchtiefe sollte bei 110 m liegen. 48 Mann Besatzung sollten die neuen U-Boote am Laufen halten. Die Höchstgeschwindigkeit dieses neuen U-Bootes sollte im aufgetauchten Zustand 15 Knoten, in getauchtem Zustand 10 Knoten betragen. Die Bewaffnung sollte aus einem 76-mm-Deckgeschütz und sechs Torpedorohren mit einem Durchmesser von 533 mm im Bug und einem externen Torpedorohr mit einem Durchmesser von 53,34 cm. 13 Torpedos konnte das neue U-Boot mitführen.

Das besondere bei dieser neuen Klasse war, dass die Tiefenruder seitlich hochgeklappt werden konnten. Das Echolot war achtern am Heck angebracht. Bei diesen Booten waren weniger Lüfter, als bei den Booten des Typs VII und IX. An der Vorderseite des Turms waren drei Bullaugen vorgesehen. Mit den Plänen für den neuen U-Boot-Typ ging Lothar zu Admiral Hirohito, wo er seine Tante traf. „Wieder neue Pläne? Mein Gott Lothar, wann schläfst du eigentlich?“ „Wieso fragst du, Tante?“ „Die dunklen Ringe unter deinen Augen sind kaum zu übersehen. Also wann hast du das letzte Mal richtig geschlafen?“ „Tja, wenn du mich so fragst. Welcher Tag ist den heute?“ „Hör zu. Jetzt schläfst du dich erst mal richtig aus. Und wenn ich sage, richtig ausschlafen, dann heißt das nicht vier oder fünf Stunden sondern länger. Vielleicht sogar einen ganzen Tag.“ „Und was ist mit meiner Arbeit?“ „Die kann warten Lothar. Deine Gesundheit ist wichtiger. Oder willst du am Ende einen Burn Out erleiden?“ „Deine Tante hat Recht, Lothar. Du hast großartiges geleistet. Jetzt kannst du dich mal ausruhen und einfach mal nichts tun.“ „Kommen wir nun zu deinem Entwurf zurück. Du hast wieder einen hervorragenden Job gemacht.“ 264

„Dann gefällt er dir?“ „Du übertriffst dich jedes Mal selbst. Oder was meinen Sie, Admiral Hirohito?“ „Ich kann dem nur zustimmen.“ „So Lothar, und jetzt ab nach Hause und ab mit dir in die Koje.“ „Ja, Tante.“

In seinem Haus fiel Lothar ins Bett und schlief sofort ein. Und schon bald kamen die Träume. Lothar konnte einen Wald erkennen. Doch er merkte bald, dass es keiner der Wälder in Eteria war. Die Wälder Eterias waren Mischwälder, doch dieser bestand nur aus Nadelbäumen. Wo war er? Das Lachen einer Frau riss Shina Fays Patenkind aus seinen Gedanken. Lothar zog seinen Degen und machte sich zum Kampf bereit. Vielleicht war dies ja eine Falle. Wieder ertönte das Frauenlachen. Ganz langsam wandte Galens Neffe den Kopf nach rechts um ins Unterholz zu spähen. Ein Tannenzapfen traf ihn am Kopf. Lothar wirbelte herum. Vor ihm standen zwei weibliche Elfen. Eine brünette und eine Blondine. Die Brünette wollte gerade einen weiteren Tannenzapfen aufheben. „Das lässt du mal schön bleiben!“ Die Elfe lachte. „Und wie willst du mich daran hindern?“ „Warts ab.“

Mit einem schnellen Schritt packte Lothar die Elfe am Hals und drückte sie gegen eine der Tannen. Mit einer blitzschnellen Bewegung zückte er seinen Dolch und hielt ihn der Elfe an die Kehle. „Sei froh, dass ich heute gut gelaunt bin. Das nächste Mal kommst du mir nicht so leicht davon.“, zischte Lothar. Der Angstschrei der zweiten Elfe zerriss die Stille. Lothar und die Elfe sahen nach oben. Ein mächtiger Greifvogel hatte die Blondine mit seinen Krallen gepackt und flog mit ihr davon. „Du verdammter Idiot! Deinetwegen konnte Roc die Tochter unseres Stammesältesten entführen!“ „Deine Schuld. Du hättest mich ja nicht provozieren brauchen.“ „Wenn Dalila etwas passiert, dann werde ich dich in Stücke reißen, verlass dich drauf.“

Lothar erwachte aus seinem Schlaf. Wie lange er geschlafen hatte wusste er nicht. Doch was er wusste war, dass er nicht alleine in seinem Haus war. Ganz leise stand er auf und versuchte keinerlei Geräusche zu machen. Aus dem ersten Stock kamen Geräusche. Lothar wollte gerade nachsehen, als es an der Tür klopfte. Widerwillig öffnete er. Im Türrahmen stand seine Patentante. „Stimmt irgendwas nicht?“, fragte er. „Ich war gerade bei Marco, um mir seine neueste Erfindung anzusehen. Ich bin gerade auf dem Weg nach Hause. In einer der Seitenstraßen ist mir ein Schatten aufgefallen, der sich durch die Hintertür in dein Haus geschlichen hat.“ „So so. Zufällig hab ich aus dem ersten Stock Geräusche gehört. Ich wollte der Sache gerade auf den Grund gehen.“ „Ich helfe dir.“, sagte Shina Fay. „Wie du meinst. Aber sei leise.“ „Ich hab schon gejagt, da hast du noch Windeln getragen.“ 265

Lothar ging voran, Shina Fay folgte ihm. Sofort bemerkte die Königin, das aus einem der Zimmer Licht drang. Ihr Patenkind wollte etwas sagen, doch Shina Fay gebot ihm leise zu sein, indem sie den Finger an die Lippen legte. „Los komm!“, flüsterte sie. Die beiden postierten sich zu beiden Seiten der Tür. Eterias Königin öffnete sie leise und spähte hinein. „Was siehst du, Tante?“, fragte Lothar so leise wie es nur ging. „Eine weibliche Elfe. Vielleicht nicht größer als du. Brünettes Haar, offen getragen, bis zu den Brüsten reichend. Mehr sehe ich nicht, weil die Elfe mir den Rücken zugekehrt hat.“ „Lass mich mal sehen.“ Shina Fay trat zur Seite und ließ ihr Patenkind einen Blick ins Zimmer werfen. „Na sieh mal einer an. Diese Elfe habe ich im Traum gesehen, Tante.“ „Im Traum?“ „Ja. Soll ich ihn dir erzählen?“ „Am besten morgen früh. Aber jetzt kümmern wir uns erst mal um deinen ungebetenen Besucher.“, sagte Shina Fay.

Dann zog die Königin Eterias einen Dolch aus ihrem Stiefel, denn sie trug ihr Krieger-Outfit, und warf ihn nach der Elfe. Sie warf aber absichtlich daneben, um die Elfe nicht zu verletzen. Als der Dolch in der Wand einschlug, bekam die Elfe einen Schreck und wollte fliehen. Doch weit kam sie nicht, denn an der Tür lief sie direkt in Shina Fays Arme. „Du bleibst mal schön hier! So und jetzt raus mit der Sprache. Was hast du im Haus meines Patenkindes zu suchen?“ „Ich muss Lothar sprechen. Allein.“ „Mir scheint, du weißt nicht, wen du hier vor dir hast.“, sagte Lothar. „Warum?“ „Weil du meiner Patentante gegenüber ein ziemlich respektloses Verhalten an den Tag legst. Und Shina Fay ist die Königin Eterias.“ „So leid es mir tut, dass ich euch gekränkt habe, Hoheit, muss ich leider darauf bestehen, euer Patenkind unter vier Augen zu sprechen.“ „Ich habe vor meiner Tante keine Geheimnisse. Was immer du mir zu sagen hast, ihre Anwesenheit braucht sich nicht zu stören.“

„Bevor wir anfangen, uns zu unterhalten, hätte ich gerne deinen Namen gewusst.“ „Sabia. Ich bin gekommen, um Lothar nach Sedenia zu bringen.“ „Was hat er verbrochen?“ „Nichts. Aber laut einer alten Prophezeiung, ist Lothar der einzige, der Dalila retten kann. Der Vogel Roc hat sie entführt.“ „Der Vogel Roc? Wie sieht er aus?“ „Ich glaube ich weiß es. Hat er vielleicht einen roten Schnabel, einen roten Schwanz und rote Krallen?“ „Ja.“ „Und hat er um die Augen nicht ein Federkleid, mit demselben Rot-Ton, wie der Schnabel?“ „Ja.“ „Seine Bauchunterseite ist nicht zufällig weiß und der Kopf blau?“ „Doch, so ist es.“ „Dann besteht kein Zweifel. Denn ich habe ihn in meinem Traum gesehen.“ „Was hat es eigentlich mit dem Roc auf sich?“ „Der Vogel Roc ist das Gott-Tier des Roc-Ordens.“ „Gibt es viele Tier-Orden in Sedenia?“ „Ja. Aber der Orden des Vogel Roc ist der größte und mächtigste.“, sagte Sabia. Shina Fay ahnte etwas. „Dann wäre es also denkbar, dass Ordensmitglieder hohe Ämter 266

in der Regierung bekleiden.“ „Das ist in der Tat so.“ „Und deshalb hat noch nie jemand gewagt, gegen den Orden vorzugehen.“ „Oh doch, es gab etliche, die versucht haben, den Orden unschädlich zu machen. Aber sie sind unter mysteriösen Umständen spurlos verschwunden.“ „Sieht so aus, als ob jemand kein Interesse daran hat, dass man dem Orden irgendwelche Verbrechen nachweisen kann.“ „So ist es auch. Die Praktiken des Roc-Ordens sind grauenvoll. Ihr müsst wissen, dass jedes Jahr eine Elfe am Tag des Roc in einer Opfer-Zeremonie bei lebendigem Leib verbrannt wird. Roc selbst sucht sie aus.“ „Und nun hat er sich Dalila auserkoren.“ „Richtig. Und die Prophezeiung sagt, dass nur ein Elf aus Eteria in der Lage sein wird, sie zu retten.“ „Und dieser Elf, ist mein Patenkind?“ „So sagt es die Prophezeiung. Deswegen bin ich gekommen.“ „Und warum schleichst du dann durch die Hintertür in mein Haus, wie ein gemeiner Dieb?“ „Kurz nach meiner Abreise aus Sedenia habe ich drei Greifenreiter bemerkt, die mir gefolgt sind. Es sind die Späher des Ordens. Wenn sie mich hier finden, bedeutet das unser aller Ende.“ „Abwarten. Hier in Eteria habe ich das Sagen. Und ich lasse nicht zu, dass Außenstehende jemandem ein Leid zufügen, der meine Gastfreundschaft genießt.“

Es war mitten in der Nacht, als die drei Greifenreiter Lothars Haus erreichten. Ganz leise öffneten sie die Tür. Als der erste seinen Kopf hereinsteckte, um zu sehen, ob die Luft rein war, bekam er einen Schlag auf den Hinterkopf. Auch den beiden anderen erging es nicht besser. Auch sie wurden mit einem Schlag auf den Hinterkopf außer Gefecht gesetzt. Als die drei wieder aufwachten, waren sie im Kerker des Palastes an die Wand gekettet. Vor ihnen stand Shina Fay und neben ihr Lothar, ihr Patenkind. „So und jetzt raus mit dem Namen.“ „Salvatore...“ „Na doch nicht deinen Namen, Mensch, du kriegst gleich was vor die Birne. Von wem habt ihr den Auftrag bekommen, Sabia zu folgen? Den Namen. Na muss ich nachhelfen?“, sagte Shina Fay und trat einem der beiden vor das Schienbein. „AUUUUUUU!!“ „Hast du jetzt Hühneraugen? Und du hast auch keine Ahnung.“ „Nein, aber bitte nicht mehr treten.“

In Sedenias Hauptstadt Escoriasa hatten sich die ranghöchsten Mitglieder des Roc-Ordens an einem geheimen Ort versammelt. Der Vorsitzende ergriff das Wort. „Gibt es Neuigkeiten von unseren Agenten?“, fragte er. „Leider nein. Sie haben sich zuletzt aus Eteria gemeldet. Und eben dort verliert sich ihre Spur.“ „Wer regiert zurzeit in Eteria?“ „Shina Fay ist Königin, Mylord.“ „Sie wird unsere Agenten doch nicht etwa festgesetzt haben.“ „Rechnen wir lieber damit. Denn Shina Fay hat ein massives Rüstungsprogramm gestartet, dass sowohl eine schlagkräftige Marine, als auch eine schlagkräftige Luftwaffe umfasst.“ „Und wieso glauben Sie, dass Shina Fay unsere Agenten in den Kerker 267

hat werfen lassen?“ „Shina Fay ist eine Regentin, die nicht lange fackelt, wenn feindliche Agenten versuchen, Personen zu verhaften, die entweder die Gastfreundschaft der Königin genießen, oder die von ihr politisches Asyl gewährt bekamen.“ „Und was bedeutet das nun für uns?“ „Das bedeutet, das unser Botschafter nach Eteria reisen muss. Es ist seine Aufgabe, die Königin Eterias dazu zu überreden, unsere drei Agenten bedingungslos wieder auf freien Fuß zu setzen.“ „Das wird nicht passieren. Shina Fay hat zwei iberianische Agenten verhaften und in aller Öffentlichkeit hinrichten lassen.“ „Wir versuchen es trotzdem.“

In Endor hatte Shina Fay ihr Verhör fortgesetzt. „Also was ist Kerlchen?, sagte sie und verpasste einem der Greifenreiter einen Schlag in die Magengrube. „Kuck die Tante an, wenn du mit ihr sprichst, sonst zieh ich dir das Fell über die Ohren. Na was hör ich jetzt, also fang an zu singen.“ „Wir hatten den Befehl, Sabia abzufangen, bevor sie Sedenias Landesgrenze überschreitet. Sollte sie uns entwischen, so lautete der Befehl sie zu beschatten und herauszufinden, wohin sie sich wendet. An ihrem Zielort sollten wir ihr auflauern und sie unschädlich machen.Dann sollten wir sie nach Sedenia zurückbringen.“ „Euer Fehler, dass Ihr Pfeifen ins Haus des königlichen Flottendesigners eingedrungen seid.“, sagte Shina Fay kalt. Einer der Greifenreiter spuckte vor ihr auf den Boden. Als Antwort schlug ihm die Königin Eterias mit dem Handrücken ins Gesicht. „Mach das noch mal, und ich jag dich über die Planke.“

In Escoriasa war der Botschafter Sedenias zu seiner Reise nach Eteria aufgebrochen. Nach einer Woche traf er in Endor ein. Shina Fay empfing ihn. Als der Botschafter die Königin erblickte, bildete sich ein Kloß in seinem Hals. Denn Shina Fay trug ihr dunkelblaues Kleid mit den goldenen Stickereien und dazu ihre weißen Sandaletten mit den goldenen Ornamenten. Auf ihrem Kopf trug sie das goldene Herrscherdiadem. „Was ist euer Begehr, Herr Botschafter?“ „Ich wollte...“ „Sprecht. Oder hat es euch die Sprache verschlagen?“ „Bitte verzeiht, meine Königin, aber eure Schönheit hat mir den Atem geraubt.“ „Kommen Sie zur Sache, Herr Botschafter. Ich habe noch andere Dinge zu erledigen.“ „Sehr wohl, königliche Hoheit. Ich wurde beauftragt, euch aufzusuchen, und euch darum zu ersuchen, unsere drei Greifenreiter, die sich in eurer Gewalt befinden, wieder freizulassen.“ „Das geht leider nicht.“ „Warum nicht, meine Königin?“ „Weil eure drei Agenten zurzeit als Angeklagte vor Gericht stehen. Der Vorwurf lautet sowohl auf Land- als auch auf Hausfriedensbruch. Da einer der drei jedoch gestanden hat, könnte sich das für ihn noch strafmildernd auswirken. Für die beiden anderen sehe ich schwarz.“ „Warum denn dieses?“ „Sie haben geschwiegen. Einer war so gar so respektlos und hat es gewagt, 268

vor mir auf den Boden zu spucken.“ „Wann werden die Urteile verkündet?“ „Heute Nachmittag werden die Schlussplädoyers gehalten. Wenn Sie wollen, können Sie gerne dabei sein.“ „Danke, Hoheit.“

Später am Nachmittag hatten sich alle Parteien im Gerichtsgebäude eingefunden. Auch die Königin selbst war anwesend, ebenso der sedenianische Botschafter. Der Richter, ein etwas dicklicher Mann Ende 60, trat an seinen Platz. „Erheben Sie sich!“ Alle im Saal standen auf. Der Richter nahm Platz. „Ihre Plädoyers bitte.“, sagte er. Der Vertreter der Anklage begann. „Hohes Gericht, die drei angeklagten Greifenreiter Salvatore, Gerard und Jean-Paul haben sich des Land- und des Hausfriedensbruchs schuldig gemacht. Sie haben wissentlich einen in Kauf genommen, dass es zwischen Eteria und Sedenia zu einem Krieg kommen könnte, als sie einen Gast unserer geliebten Königin auf eterianischem Boden verhaften wollten. Da einer der drei, Salvatore, jedoch ein umfassendes Geständnis abgelegt hat, bitten wir das Gericht, es in seinem Fall es bei 15 Peitschenhieben und einem Landesverweis mit einhergehendem Einreiseverbot zu belassen. Was nun aber den Anführer Gerard angeht, so hat es dieser gewagt, vor unserer Königin auf den Boden zu spucken. Ein solches respektloses Verhalten ist mit dem Tod durch die eiserne Jungfrau zu bestrafen. Was nun aber Jean-Paul, den dritten im Bunde angeht, so hat auch er den Tod verdient. Er ist zur Meerenge von Cruzeiro zu bringen, wo man ihn in einem Boot aussetzen und seinem Schicksal überlassen soll.“

Dann hielt der Verteidiger sein Plädoyer. „Hohes Gericht. Diese drei Greifenreiter haben zwar zwei schwerwiegende Vergehen begangen, aber sie haben es sicher nicht freiwillig getan. Sie handelten auf Befehl der sedenianischen Regierung. Ich finde, dass es rechtens ist, wenn die drei des Landes verwiesen und mit einem Einreiseverbot belegt werden. Sollte man die drei Greifenreiter je wieder hier antreffen, so sind sie mit dem Tode zu bestrafen, wie es das Gesetz vorsieht.“ „Danke meine Herren. Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück.“ Nur kurze Zeit später erschienen der Richter und seine Kollegen. „Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil. Die Angeklagten Greifenreiter aus Sedenia werden des Landfriedensbruchs und des Hausfriedensbruchs für schuldig befunden. Da einer von ihnen umfassend gestanden hat, so ist er mit der von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafe von 15 Peitschenhieben und einem Landesverweis und damit einhergehenden Einreiseverbot zu bestrafen. Was nun aber die zusätzliche Respektlosigkeit des Anführers gegenüber unserer Königin angeht, so ist er, wie von der Staatsanwaltschaft gefordert zum Tod durch die eiserne Jungfrau zu verurteilen. Was nun aber den dritten Greifenreiter angeht, 269

so hat er sich zwar ebenso der erwähnten Verbrechen schuldig gemacht. Was die Sache komplizierter macht, ist die Weigerung des Reiters auszusagen. Das Gericht sieht darin jedoch keine ausreichende Handhabe für ein Todesurteil. Der Angeklagte Jean-Paul wird zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Die Verhandlung ist geschlossen.“, sagte der Richter und schlug mit einem kleinen Holzhammer auf das Richterpult.

Der Botschafter Sedenias sah sich im Saal um, in der Hoffnung, Sabia zu finden. Doch er sah sie nicht. Auch Shina Fays Patenkind konnte er nicht entdecken. Darum nahm der Botschafter die Königin Eterias auf die Seite. „Ich bitte um Verzeihung, Hoheit, aber ich kann Sabia und euer Patenkind nicht in der Menge finden.“ „Wie auch? Die beiden sind schon lang auf dem Weg nach Sedenia. Sie müssten sogar schon angekommen sein.“ „Wie kann das möglich sein? Die Reise von Sedenia hierher hat eine Woche gedauert.“ „Ihr seid mit einem Segelschiff angereist, nicht wahr?“ „Ja, meine Königin.“ „Nun, hier in Eteria sind wir technisch viel weiter. Unsere Schiffe brauchen keine Segel mehr. Und da wir nicht auf Wind warten müssen, dauert eine Reise nach Sedenia allerhöchstens drei bis vier Tage.“ „Darf ich fragen, mit welchem eurer Schiffe Sabia und euer Patenkind die Reise nach Sedenia angetreten haben?“ „Mit dem Schlachtkreuzer „Santa Catarina“.“

Auf dem großen vor dem Regierungspalast wurden dann Urteile vollstreckt. Zuerst kam der Anführer der Greifenreiter an die Reihe. Er musste sich in einen hohlen Metallkörper stellen, der auf der Innenseite mit Nägeln und Dornen beschlagen war. Als Gerard soweit war sah der Richter Shina Fay an. Diese senkte ihren Arm und die beiden Helfer des Henkers schlugen die Tür der eisernen Jungfrau zu. Der Todesschrei des Greifenreiters hallte über den Platz. „In Ordnung. Jetzt den Geständigen.“, sagte Shina Fay. Salvatore wurde an den Handgelenken an einer Grating festgebunden und sein Hemd wurde ausgezogen. Dann trat ein Major der eterianischen Landstreitkräfte hinter ihn, die gefürchtete neunschwänzige Katze in der Hand haltend. Er sah zu Shina Fay herüber. Die Königin nickte. Der Armee-Offizier hob den Arm mit der Peitsche, um diese dann auf den Rücken des Verurteilten niedergehen zu lassen. Ein lautes Klatschen wurde hörbar, dem unmittelbar der Schmerzensschrei des Greifenreiters folgte. „EINS!“, schrien die Umstehenden. Ein weiterer Hieb. „ZWEI!“ Ein dritter und ein vierter, bis die 15 Peitschenhiebe ausgeteilt waren. Danach nahm man den verurteilten Reiter ab und geleitete ihn ins Lazarett, wo seine Wunden versorgt wurden. „Und nun zu Urteil Nummer drei. Werft den Verurteilten in den finstersten und ausbruchsichersten Kerker. Rund um die Uhr zwei Wachposten.“, sagte Shina Fay. 270

In Sedenia waren unterdessen Sabia und Lothar unbemerkt an Land gegangen. Der Kapitän des Schlachtkreuzers Santa Catarina hatte eine abgelegene Bucht angesteuert und dort geankert. Sabia und Lothar waren unbemerkt an Land gegangen, und schon bald im angrenzenden Wald verschwunden. Der Kapitän der „Santa Catarina“ hatte daraufhin die Anker gelichtet, und das Schiff machte sich auf die Heimreise nach Eteria. Sabia hatte unterdessen zwei Echsenreiter getroffen, die sich bereit erklärten, ihr und Lothar die beiden mitgeführten Tiere zu überlassen.

„Was ist euer Ziel?“, fragte einer. „Wir sind auf der Suche nach der Opferstätte des Roc-Ordens.“ „Wir kennen den Weg. Aber begleiten können wir euch nur bis zur Stadt Okart.“ Lothar wurde misstrauisch. „Warum denn dieses?“, fragte er. „Weil dort unser Distrikt, für den wir zuständig sind, endet. Du bist nicht von hier. Sonst hätte ich dich öfter zu Gesicht bekommen.“ „Nein, ich komme aus Eteria. Königin Shina Fay, Eterias Regentin, ist meine Patentante.“ „Von deiner Patentante habe ich schon gehört. Übrigens ich heiße Jinx und das ist mein Freund Corey.“ „Wir sollten keine Zeit vergeuden, sondern aufbrechen. Die Häscher des Roc-Ordens sind wieder unterwegs. Sie suchen nach Aufständischen.“, sagte Corey.

Sabia und Lothar folgten den beiden Echsenreitern. „Was meint Corey, wenn er sagt, dass die Häscher nach Aufständischen suchen?“, fragte Lothar. „Ich dachte, das wäre vollkommen klar. In Sedenia formiert sich immer stärkerer Widerstand gegen die Herrschaft des Roc-Ordens. Dalila und Sabia sind zwei der wichtigsten Führerinnen des Widerstands. Den Anführern des Ordens ist klar, dass Sabia alles tun wird, um Dalila zu retten, wenn diese in Gefahr ist. Sabias Protegé ist nur ein Köder.“ „Was wir jetzt bräuchten, wäre ein „Boomer“.“, sagte Lothar. „Entschuldige meine Unwissenheit, Lothar. Aber was bitte schön ist denn ein „Boomer“?“ „Ihr wisst, dass ich aus Eteria komme. Und dort sind wir vom technischen Fortschritt her viel weiter, als unser Erzfeind, Iberia. Ein „Boomer“ ist ein Unterseeboot mit ballistischen Raketen an Bord.“ „Klingt nach einer Menge Ärger für den Gegner.“ „Ja, unsere Boomer sind schon was Feines. Vor allem, weil sie vollkommen lautlos sind. Mit einem eterianischen Boomer kannst du ein paar hundert Sprengköpfe vor Sedenias Küste parken, und keiner würde etwas merken, ehe es zu spät ist und die erste Rakete einschlägt.“

„Meinst du, deine Patentante würde den Widerstandskämpfern militärisch unter die Arme greifen?“ „Es wäre durchaus möglich. Aber ich werde keine Zusagen machen, die ich später nicht einhalten kann. Meine Patentante rüstet zum Krieg gegen Iberia. Wäre also möglich, dass sie sich darauf konzentriert.“ 271

„Und selbst wenn. Wichtig ist, dass Dalila und Sabia am Leben bleiben. Und ich werde alles in meiner Macht stehende tun, dass es auch so geschieht. Und wenn es mich mein eigenes Leben kosten sollte.“, sagte Corey.

Lothar und Sabia folgten den beiden Echsenreitern weiter. Als sie eine Lichtung erreichten, brach die Dunkelheit herein. Jinx und Corey holten etwas Holz für das Feuer während Sabia ein Rebhühner einfing. Als diese über dem Feuer brieten, zeichnete Lothar einen neuen Entwurf für ein neues Raketen-U-Boot. Das neue Boot sollte 170,69 m lang und 12,8 m breit werden. Sein Tiefgang sollte 11,1 m betragen. In aufgetauchtem Zustand sollte der neue „Boomer“ 16.764 Tonnen und getaucht 18.750 Tonnen verdrängen. Seine Maschine sollte 60.000 PS leisten und ihre Kraft über eine Welle auf eine Schraube übertragen. Getaucht sollte das neue Boot eine Höchstgeschwindigkeit von 25 Knoten erreichen. Seine Besatzung sollte 155 Mann betragen, 15 davon sollten im Rang eines Offiziers stehen. Die Tauchtiefe des neuen Bootes sollte bei 250 m und mehr liegen. Die Bewaffnung sollte aus vier Torpedorohren vorne im Bug und 24 ballistischen Raketen bestehen.

Da bei diesem Boot die Raketen-Silos achtern angeordnet werden sollten, musste der Turm nach vorne an den Bug wandern. Seitlich am Turm waren die beiden Tiefenruder angebracht. Auch das Periskop und die Antenne für den Nachrichtenempfang waren vorhanden. „Sieht so ein „Boomer“ aus?“, fragte Sabia. „So soll unser neuestes Modell aussehen. Bei meinem ersten Raketen-U-Boot hab ich die Silos vorne am Bug und den Turm eher Richtung Heck verlagert.“

In der Nacht, Lothar hatte gerade Wache, näherte sich ein Vampir dem Lager. Shina Fays Patenkind erkannte ihn sofort. Es war Randalejev, einer der engsten Vertrauten seiner Patentante. „Randalejev, was um alles in der Welt machst du denn hier?“, fragte Lothar leise. „Ich soll dir Grüße von Shina Fay ausrichten. Sie will wissen, ob es dir gut geht.“ „Ja es geht mir gut. Kannst du ihr diese Pläne von mir bringen? Und wenn du schon bei ihr bist, dann gib ihr auch diese Nachricht von mir.“ „Bin schon auf dem Weg. Ach und Lothar, bau bloß keinen Scheiß.“ „Du kennst mich, Randalejev.“ „Genau das meine ich. Pass auf dich auf, klar?“ „Tu ich das nicht immer?“

In Endor, Eterias Hauptstadt, machte Shina Fay kein Auge zu. Sie machte sich schwere Vorwürfe, weil sie Lothar hatte gehen lassen. Sie ging auf den Balkon des Schlafzimmers, um einen klaren Kopf zu bekommen. Sie setzte sich auf die Brüstung und knetete die Hände. Umso überraschter war die Königin, als Randalejev vor ihr stand. 272

Der Vampir verneigte sich. „Hast du Neuigkeiten von meinem Patenkind?“ „Lothar geht es gut, Shina Fay. Er hat mich gebeten, dir diese Pläne und diese Nachricht zu überbringen.“, sagte Randalejev. Shina Fay nahm den Umschlag und öffnete ihn. Sie faltete den Zettel auseinander und las ihn. „Hallo Tante, ich weiß du bist im Moment sehr beschäftigt, weil uns der Krieg mit Iberia bevor steht. Aber es wäre vielleicht ratsam, wenn du der Widerstandsbewegung hier in Sedenia in ihrem Kampf gegen den Roc-Orden ein bisschen zur Seite stehst. Einer unserer Boomer und ein Flugzeugträger sollten ausreichen, um den Orden so entscheidend zu schwächen, dass die Rebellen keine allzu großen Schwierigkeiten haben dürften.“

Am nächsten Morgen saß Shina Fay am Frühstückstisch und grübelte nach. Raya, ihrer besten Freundin entging der nachdenkliche Blick nicht. „Was hast du?“, fragte sie. Wortlos reichte ihr Shina Fay Lothars Nachricht. „Wie soll ich mich verhalten?“, fragte die Königin, nachdem Raya die Nachricht gelesen hatte. „Das musst du selbst entscheiden. Aber wäre ich an deiner Stelle, ich würde nicht lange zögern und die Rebellen unterstützen.“ „Das ist leichter gesagt, als getan. Vergiss nicht, dass uns ein Krieg mit Iberia bevorsteht.“, warf Shina Fay ein. „Überleg doch mal. Wenn du den Aufständischen in Sedenia hilfst, dann wirst du einen neuen Verbündeten gewinnen, der dich in der großen Schlacht unterstützt.“ „Ich finde Raya hat Recht, Schatz. Der Krieg mit Iberia kommt zwar, aber es dauert noch. Unsere Flotte ist noch im Aufbau und Königin Vivian hat es bisher nur bei Drohungen belassen, aber ihren Worten keine Taten folgen lassen. Was sagt uns das?“ „Das sie Angst vor einer Niederlage hat.“

In Sedenia waren Lothar und Sabia zusammen mit Jinx und Corey weitergereist. „Mit wem hast du gestern Nacht gesprochen?“, fragte Corey Shina Fays Patenkind. „Das war Randalejev. Ein enger Vertrauter meiner Patentante. Ich habe ihm die Pläne für das nächste U-Boot und eine persönliche Nachricht an meine Patentante mitgegeben.“ „Und was hast du deiner Patentante geschrieben?“ „Das sich hier in Sedenia Widerstand gegen den Roc-Orden gebildet hat und es ratsam wäre, wenn sie auf Seiten der Rebellen in diesen Konflikt eingreift.“ „Wenn Königin Shina Fay uns hilft, wird die neue sedenianische Regierung ihr auf ewig dankbar sein.“ „Ich habe alles in meiner Macht stehende getan. Jetzt liegt es an Shina Fay, zu entscheiden.“

In Eteria ging alles seinen gewohnten Gang. Auf den Werften wurde an den neuen U-Booten gebaut. Shina Fay hatte gerade eine Nachricht für ihr Patenkind fertig geschrieben, als ihre Freundin, Ilva das Vampirmädchen, das Besprechungszimmer betrat. „Hast du etwas für mich zu tun? Ich fange an, 273

mich zu langweilen.“, sagte sie. „Ich habe eine Nachricht für Lothar, mein Patenkind. Ich würde mich freuen, wenn du sie ihm überbringst. Nach allem was ich gehört habe, ist er auf dem Weg nach Okart. Das ist eine Stadt unweit der Küste Sedenias. Versuche ihn dort zu treffen.“ „Wird erledigt.“

Mit Hilfe eines magischen Umhangs, der ihrer Mutter gehört hatte, war Ilva noch vor Lothar in Okart. Auf dem Hauptplatz der Stadt wartete sie auf das Patenkind ihrer Freundin. Schließlich kam auch die kleine Reisegruppe. Lestrades Tochter erkannte Lothar sofort. Er war nach menschlichen Verhältnissen 1,80 m groß und besaß den für männliche Elfen typischen athletischen Körper. Lothar besaß die für Elfen typischen spitzen Ohren. Sein schwarzes Haar trug er offen, sodass es bis zu den Schultern reichte. Das Kinn seines markanten Gesichtes wies einen leichten Bartwuchs auf. Auch die hübsche Nase und die sinnlichen Lippen fielen dem Vampirmädchen sofort auf, ebenso wie die leuchtend grünen Augen. Bekleidet war Lothar mit einem Wams aus grünem Leder. Darin waren goldene Stickereien und auch rote Lederapplikationen eingearbeitet. Dazu trug Shina Fays Patenkind eine Hose aus schwarzem Leder und Reitstiefel aus rotem Leder.

Auch Lothar hatte Ilva längst bemerkt. Er hatte sie an einem Fußkettchen aus purem Gold erkannt, dass das Vampirmädchen an seinem rechten Fußgelenk trug. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. „Hast du jemanden entdeckt, den du kennst?“, fragte Jinx. „Ja. Eine Freundin meiner Patentante. Seht Ihr die Frau mit den schwarzen Haaren und dem roten Kleid? Ich meine, die mit dem Fußkettchen am rechten Fußgelenk?“ „Du meinst, die barfüßige, mit der etwas blassen Haut?“ „Genau. Das ist Ilva. Der Vampir Lestrade, der neben Randalejev zu den engsten Vertrauten von Shina Fay zählt, ist ihr Vater.“ „Sieht so aus, als ob sie auf dich wartet.“ „Dann will ich Ilva nicht länger warten lassen. Ich bin gleich zurück.“

Als Lothar vor Ilva stand, gab diese ihm Shina Fays Nachricht. „Schönen Gruß von deiner Patentante. Sie ist froh, das du wohlauf bist.“ „Hat sie meine Nachricht erhalten?“ „Ja hat sie. Aber sie ist noch ziemlich unentschlossen. Was sie tun soll.“ „Kann ich ihr nicht verdenken. Solche Entscheidungen trifft man nicht so leicht.“ „Sei vorsichtig, okay? Shina Fay wird erst wieder ruhig schlafen, wenn du wieder heil und wohlauf nach Hause zurückkehrst.“ „Ich komme zurück, aber nicht allein. Sabia und Dalila werden mich begleiten. Sag meiner Patentante, dass sie noch eine Nachricht von mir erhält, wie sie unseren Rückzug sichern soll.“ „In Ordnung. Viel Glück. Du wirst es brauchen.“, sagte Ilva. „Danke Ilva.“

Nachdem Lestrades Tochter mit dem Umhang wieder abgereist war, las Lothar Shina Fays Nachricht. 274

„Lieber Lothar, es freut mich, das du wohlauf bist. Was nun aber deinen Vorschlag, die Rebellion gegen den Roc-Orden in Sedenia zu unterstützen, angeht, so will ich ganz ehrlich zu dir sein. Ich bin noch ziemlich unentschlossen, was ich tun soll. Raya und Galen befürworten ein militärisches Eingreifen in diesem Konflikt. Allerdings könnten sich daraus diplomatische Verwicklungen ergeben, die sich für uns negativ auswirken könnten. Es kann also sein, dass ich erst in allerletzter Sekunde den Boomer und den Flugzeugträger losschicke.“

„Was schreibt deine Patentante, Lothar?“, fragte Corey. „Das sie unentschlossen ist. Und das es bis zur allerletzten Sekunde dauern kann, bis sie eingreift.“ „Dann könnte es allerdings schon zu spät sein, und Dalila tot.“ „Das werden wir sehen. Wie geht es von hier aus weiter Jinx?“, fragte Lothar. „Ihr müsst nach Osten. Unterwegs werdet ihr an einer Köhlerhütte vorbeikommen. Dort wohnt Jeremias mit seiner Tochter Barbara. Sie wird euch bis nach Elwood bringen. Fragt in der dortigen Taverne nach einem Mann namens Aaron. Er wird euch den restlichen Weg begleiten.“ „Viel Glück Lothar. Aber sei auf der Hut. Die Ordens-Häscher lauern überall.“

Lothar und Sabia machten sich auf den Weg. Die beiden Echsen mussten sie zurücklassen. „Schade, dass wir die Echsen nicht behalten durften. Sie hätten uns noch gute Dienste geleistet.“ „Das schon. Aber dann wären wir aufgefallen. Denn diese Echsen kommen nur in diesem Distrikt vor. Du musst wissen, dass jeder Distrikt seine eigene Flora und Fauna hat.“ „Und wie sieht es mit der Tierwelt dieses Distrikts aus? Gibt es Tiere, die wir als Transportmittel benutzen können?“ „Leider nein.“ Schließlich hatten Lothar und Sabia die Köhlerhütte erreicht. Die Elfe klopfte. „Wer ist da?“, hörte man eine brüchige Männerstimme. „Sabia. Dalilas Beschützerin.“ „Komm rein.“ Sabia und Lothar betraten die Hütte. Jeremias der Köhler saß am Tisch. Seine Tochter Barbara saß auf einer Bank am Fenster. „Was willst du?“, fragte der Köhler. „Mein Begleiter Lothar will zur Opferstätte des Roc-Ordens.“ „Du bist nicht von hier.“ „Das stimmt. Ich komme aus Eteria. Shina Fay, die Königin Eterias ist meine Patentante. Ich habe ihr eine Nachricht zukommen lassen, mit der Bitte, die Rebellen im Kampf gegen den Orden zu unterstützen.“ „Wäre sie dazu bereit?“ „Grundsätzlich ja. Aber es kann sein, dass ihre Hilfe erst im allerletzten Augenblick kommt.“ „Nun gut. Barbara, du wirst Sabia und ihren Begleiter nach Elwood bringen. Wann habt Ihr euch eigentlich das letzte Mal ausgeruht?“ „Ist schon ne Weile her.“ „Dann esst erst mal was, und dann leistet mal schön den MHD ab.“ „MHD?“ „Matratzen Horch Dienst.“, sagte Barbara. Lothar nutzte die Gelegenheit, um die Köhlerstochter genauer in Augenschein zu nehmen. Barbara hatte lange, blonde Haare, die bis zu ihren wohlgeformten Brüsten reichten. Auffällig war auch der 275

hübsche, schlanke Körper. Aus dem runden Gesicht mit der hübschen Nase und den sinnlichen Lippen blickten grüne Augen, die Freundlichkeit und Güte ausstrahlten. Bekleidet war Barbara mit einem grünen Kleid, das mit goldenen Stickereien verziert war. Wie Ilva das Vampirmädchen, zog es auch die Tochter des Köhlers vor, auf Schuhe und Strümpfe zu verzichten und lieber barfuß zu bleiben.

Es war Abend geworden, als Barbara Lothar und Sabia weckte. „Es ist soweit. Wir müssen los.“, sagte sie leise. Jeremias der Köhler gab ihnen noch etwas Proviant mit und geleitete sie zum Fluss, wo ein Kanu am Ufer lag. „Es ist besser, wenn ihr den Wasserweg nach Elwood nehmt. Denn die Straße dorthin wird von Ordenssoldaten streng bewacht. Nur über den Fluss kommt ihr ungesehen in die Stadt.“ Lothar und Sabia verabschiedeten sich von Jeremias. „Viel Glück, Lothar und mögen die Götter dich beschützen. Rette Dalila.“ „Da mach dir keinen Kopf. Den Brüdern wird noch hören und sehen vergehen.“ Sabia und Barbara kletterten ins Kanu, während Jeremias und Lothar das Boot mit vereinten Kräften ins Wasser schoben. Lothar kletterte noch an Bord, ehe Barbara das Boot mit einem Paddel vom Ufer abstieß. Lothar hatte sich das andere Paddel geschnappt und unterstützte die Köhlerstochter beim Paddeln.

Bei Einbruch der Dunkelheit steuerte Barbara eine versteckte Bucht an. „Hier werden wir die Nacht verbringen. Am Ufer steht eine kleine Hütte. Mein Vater und ich nutzen sie immer als Versteck für entflohene Rebellen.“, sagte die Köhlerstochter. „Keine schlechte Idee. Aber habt ihr schon mal daran gedacht, dass die Soldaten des Ordens die Hütte finden könnten?“ „Damit müssen wir natürlich rechnen, aber die Hütte ist so gut versteckt, dass sie von der Straße aus gar nicht zu entdecken ist. Nur vom Wasser aus ist sie leicht zu finden.“ Nachdem Barbara das Kanu am Steg vertäut hatte, holte sie ein paar Fische aus dem Räucherhaus, das an die Hütte angebaut war.

Sabia half ihr bei der Zubereitung des Abendessens. Lothar war unterdessen nicht untätig und zeichnete Pläne für einen neuen Boomer. Dieses U-Boot sollte 149,9 m lang und 12,8 m breit werden. Sein Tiefgang sollte bei 12,0 m liegen während die Verdrängung im getauchten Zustand 15.900 Tonnen betragen sollte. Die Maschine sollte 27.500 PS leisten und ihre Kraft über eine Welle auf eine Schraube übertragen. Der neue U-Boot-Typ sollte getaucht eine Höchstgeschwindigkeit von 25 Knoten erreichen. 135 Mann Besatzung würden nötig sein, um dieses Boot einsatzbereit zu halten. Die Bewaffnung sollte aus vier Torpedorohren vorne im Bug und 16 ballistischen Raketen bestehen. Wie schon bei dem Entwurf für den zweiten Boomer war auch bei diesem Boot 276

der Turm vorne am Bug angebracht, während die Silos achtern in Zweierreihen angeordnet werden sollten. Die Tiefenruder waren anders als beim zweiten Boomer-Typ an beiden Seiten vorne am Rumpf vorgesehen.

„Was soll das denn denn werden?“, fragte Barbara Lothar. „Das sind Pläne für ein neues Raketen-U-Boot. Wir in Eteria sind technisch viel weiter, als ihr hier in Sedenia. Habt ihr eigentlich eine seetüchtige Flotte?“ „Nein. Sedenia ist keine Seefahrernation.“ „Welche Rolle spielst du eigentlich in der Widerstandsbewegung?“ „Meine Aufgabe ist das Beschaffen von Informationen.“ „Also eine Spionin.“ „Nenn es wie du willst.“

Am nächsten Morgen ging die Reise nach Elwood weiter. Barbara führte ein Paddel, Sabia, die Lothar abgelöst hatte, das zweite. Vorsichtshalber hatte sich Lothar einen Umhang über das Gesicht gezogen und sich auf dem Boden das Kanus flach hingelegt. Einmal lugte er kurz über den Bootsrand um die Straße in Augenschein zu nehmen. Und was er sah, ließ ihn schaudern. Überall sah er die Soldaten des Roc-Ordens. Zum Glück zog Nebel auf, der das Kanu vor den Blicken der Ordens-Soldaten verbarg. Schließlich erreichten die drei die Stadt Elwood. Barbara vertäute das Kanu, dann machten sie sich auf den Weg in die Stadt. Die Tochter des Köhlers zog einen schwarzen Umhang über den Kopf, um nicht erkannt zu werden. „Die Taverne ist das Gebäude hier links von uns. Geht dorthin und wartet dort auf mich. Ich treffe mich mit einem Informanten. Er wird mir hoffentlich verraten, wie viel Zeit uns noch bis zum Tag des Rocs bleibt.“

In der Taverne nahmen Lothar und Sabia an einem Tisch in einer Ecke Platz, von dem aus sie das Geschehen beobachten konnten, ohne selbst Aufmerksamkeit zu erregen. „Wer von denen ist Aaron, was meinst du?“ „Aaron ist noch nicht hier. Ich sag dir Bescheid, wenn er kommt.“ Später kam Barbara in die Taverne. Kaum hatte sie Sabia und Lothar entdeckt, ging sie zielstrebig zu dem Tisch, an dem die beiden saßen. „Was hast du in Erfahrung bringen können?“ „Der Tag des Roc ist schon nächste Woche. Bis zur Opferstätte braucht ihr, wenn ihr ein schnelles Fortbewegungsmittel habt, vier Tage.“ „Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir hier in Elwood ein solches Fortbewegungsmittel finden?“ „Nicht sehr hoch. Sämtliche Tiere werden von den Ordens-Soldaten konfisziert.“ „Dann müssen wir eben schneller sein.“ „Vielleicht habt ihr Glück. Denn gerade ist ein Pferdehändler eingetroffen. Aber der Orden wird versuchen, alle Pferde zu bekommen. Also beeilt euch.“ Sabia hatte einen Mann mit einer Augenklappe bemerkt, der die Taverne betreten hatte. „Aaron ist gerade gekommen.“, sagte sie leise. „In Ordnung. Dann mache ich mich wohl besser auf den Rückweg. Viel Glück, weiterhin. Rette Dalila, Lothar.“, sagte Barbara. 277

Die Köhlerstochter stand auf und ging. Als sie Aaron passierte sagte sie im Vorbeigehen: „Sabia sitzt an dem Tisch in der Ecke. Der Elf, der bei ihr ist, ist ein Fremder. Er kommt aus Eteria und heißt Lothar.“ „Danke Barbara. Dann werde ich mir diesen Elf mal genauer ansehen.“ Aaron setzte sich Lothar gegenüber. Dieser nahm den Neuankömmling genau in Augenschein. Aaron war nach menschlichen Verhältnissen 1,80 m groß. Er hatte schulterlange braune Haare und blaue Augen. Lothar konnte dies feststellen, als sein Guide die schwarze Augenklappe anhob, mit der er sein rechtes Auge verdeckte. Sein markantes Kinn war mit unzähligen Bartstoppeln bedeckt. Lothar fiel auch der kräftige und athletische Körper des Mannes auf. Ebenso wie der schwere, schwarze Ledermantel, die schwarze Lederhose, das schwarze Hemd und die schweren, schwarzen Lederstiefel, die Aaron trug. „Also hattest du den Traum.“ „Ja.“ „Dann hat Dalila ich um Hilfe gebeten. Sabia hat dir wohl die Nachricht überbracht.“ „Das hat sie.“ „Noch eine Frage.“ „Ich höre.“ „Stimmt es, dass deine Patentante die Königin Eterias ist?“ „Ja, das ist wahr. Aber ich befürchte, meine Mission ist zum Scheitern verurteilt, wenn Shina Fay meinen Rückzug nicht deckt.“

„Dann sollten wir uns beeilen, ehe sich der Orden wieder sämtliche Pferde des Händlers krallt.“ „Keine Sorge. Ich hab mich schon darum gekümmert. Ich habe die drei besten Pferde bekommen. Sie sind schnell und haben eine hervorragende Kondition. Die machen garantiert nicht so schnell schlapp.“ „Dann nichts wie weg.“ Gemeinsam verließen die drei die Taverne. Vor den Stadttoren wartete der Händler. „Gilt unser Handel noch, Aaron?“, fragte er. „Nach wie vor. Hier hast du die Diamanten.“ „Ich danke euch, Efendi.“ Aaron stieg auf einen Schimmel, während Lothar auf einem Rappen aufsaß. Sabia bekam einen Fuchs.

„Wo lang jetzt?“, fragte Lothar. „Nach Norden.“ Sabia und Lothar folgten dem Mann mit der Augenklappe. „Na hoffentlich kriegt der Händler wegen uns nicht von den Ordens-Brüdern eins über gebügelt.“, sagte Lothar. „Er kann Geschäfte machen, mit wem er will.“ „Das mag sein. Aber die Vertreter des Ordens wird ziemlich angepisst sein, wenn er hört, dass die drei besten Pferde schon den Besitzer gewechselt haben.“ Und wie Recht Lothar haben sollte, zeigte sich schon recht bald. Denn der Handel mit Aaron war nicht unbemerkt geblieben. Der Bürgermeister der Stadt, ein Mitglied des Roc-Ordens und erkennbar an seinem schwarzen Wams mit dem Vogel Roc darauf, kam direkt auf den Händler zu. „Ahmed, mein teurer Ahmed. Wie ich hörte, hast du deine drei besten Pferde bereits verkauft. Und wie mir auch zu Ohren gekommen ist, hast du sie an die Rebellen verkauft.“ „Ich kann Geschäfte machen, mit wem ich will, Efendi. Ich bin ein freier Händler.“ „Ahmed. Normalerweise müsste ich dich jetzt einsperren lassen. Aber großzügig wie ich bin, und weil ich heute meinen 278

guten Tag habe, will ich es bei einer Verwarnung belassen. Was nun aber deine Pferde angeht, so kann ich dir nicht den vollen Betrag bezahlen, wie sonst, weil du ja bereits drei Tiere verkauft hast, und deine Herde nicht mehr vollständig ist. Ich biete dir 8.500 Pfund Sterling.“ „Ohne mich Efendi. 25.000 nicht weniger.“ „Ahmed. Du bist ein Dummkopf. 25.000 wäre ich bereit zu zahlen, wenn die Herde vollzählig wäre. Was sie aber nicht ist. Das schmälert natürlich den Preis. Und allein schon der Umstand, dass du an die Rebellen verkauft hast, obwohl das strengstens verboten ist, macht dich regresspflichtig. 18.500 hätte ich gerne bezahlt. Aber 10.000 Pfund muss ich leider, leider als Entschädigung einbehalten.“ „Ich komme euch ein bisschen entgegen, Efendi. Sagen wir 19.000 Pfund.“ „Schlag dir das aus dem Kopf Ahmed. Aber weil wir uns schon so lange kennen, will auch ich dir etwas entgegenkommen. 11.500 Pfund Sterling. Das ist mein letztes Wort.“ „Einverstanden, Efendi.“

Mittlerweile war es Mittag und Lothar, Sabia und Aaron machten an einem Bach Rast. Shina Fays Patenkind hatte gerade eine Nachricht an die Königin Eterias verfasst. „Hallo Tante, dieses Mal bitte ich nicht für die Rebellen. Dieses Mal bitte ich für mich. Nur mit deiner Hilfe kann die Befreiung Dalilas glücken. Ich stelle mir das Ganze wie folgt vor: Einer unserer Boomer, ein Typhoon soll eine R39-Rakete abfeuern und diese soll auf dem Platz vor dem Opferaltar detonieren. Danach sollen die Kampfflugzeuge unseres Flugzeugträgers „Katja“ einen Angriff aus der Luft fliegen. In dem heillosen Durcheinander, dass dann ausbrechen wird, kann ich Dalila unbemerkt befreien und hoffentlich unentdeckt entkommen. Sollte man meine Flucht doch bemerken, so möchte ich dich bitten, meinen Rückzug zu sichern.“

Lothar packte die Nachricht an Shina Fay zu den Plänen für den neuen Boomer. Zum Glück kam Kaitlyn, die sich Ilvas Umhang geliehen hatte. „Alles in Ordnung Lothar?“, fragte die Dunkelelfenprinzessin. „Ich wünschte dem wäre so. Ohne Tante Shina Fays Hilfe wird es unmöglich für mich unbemerkt zu Dalila vorzudringen.“ „Deine Patentante wartet schon auf deine Nachricht.“, sagte Kaitlyn. „Ich hab sie hier bei meinen neuen Plänen. Der Flugzeugträger soll in der Bucht vor Anker gehen, in der uns der Kapitän der „Santa Catarina“ abgesetzt hat. Der Sea King der „Katja“ soll am Strand auf uns warten.“ „Das, was du mir gerade aufgetragen hast, steht aber nicht in der Nachricht, oder?“ „Nein.“ „Kannst vom Glück sagen, dass ich so ein hervorragendes Gedächtnis hab. Wie heißt diese Bucht?“ „Es ist die Krabbenbucht.“, sagte Sabia.

Zurück in Endor, überbrachte Kaitlyn ihrer Freundin Shina Fay Lothars Pläne und dessen Nachricht. „Das ist natürlich etwas anderes. Gehe an Bord der 279

„Katja“ und warte meine Befehle ab. Die U1 soll sich ebenfalls zum Auslaufen vorbereiten. Euer Angriffssignal lautet: „Tora! Tora! Tora!“ Kaitlyn nickte.

In Sedenia war die kleine Reisegruppe wieder aufgebrochen. „Wer war eigentlich die fremde Elfe?“, fragte Aaron Lothar. „Das war Kaitlyn. Sie ist eine enge Vertraute meiner Patentante.“ „Heißt die Tochter von Azura, der Königin der Dunkelelfen, nicht auch Kaitlyn?“ „Das war sie sogar. Azura hat ihre Tochter verstoßen.“ „Verstehe.“ Bei Einbruch der Dunkelheit hatte die kleine Gruppe einen Gutshof erreicht, dessen Besitzer aus seiner Abneigung gegen den Roc-Orden keinen Hehl machte. Beim Abendessen sah der Gutsherr Lothar an. „Und was macht euch so sicher, junger Mann, dass euch die Königin Eterias helfen wird?“ „Weil sie meine Patentante ist. Meinen Vorschlag eure Rebellion zu unterstützen hat Shina Fay abgelehnt. Aber ihr eigenes Patenkind im Stich zu lassen, kann sie sich innenpolitisch nicht leisten. Das Volk Eterias würde Shina Fay nicht verzeihen, wenn ich hier in Sedenia den Tod finden würde, wenn sie mich im Stich ließe.“

„Das leuchtet ein. Hat eure Patentante denn schon einen Plan?“ „Ich habe einen ausgearbeitet und ihn zusammen mit neuen Bauplänen an meine Patentante geschickt.“ „Ganz schön gerissen. Aber gestattet mir dennoch eine Frage.“ „Nur zu, Mylord.“ „Wie habt ihr die Pläne außer Landes gebracht? Ich frage, weil die Soldaten des Roc-Ordens sämtliche Post kontrollieren, die Sedenia verlässt. Auch Briefe die per Bote verschickt werden. „Nicht, wenn der Bote einen magischen Umhang benutzt.“ „Ich sehe, ihr habt bereits Vorkehrungen getroffen. Es scheint, als hätte ich euch unterschätzt.“

Zur selben Zeit traf der Botschafter Sedenias wieder in Escoriasa ein. Den Greifenreiter hatte er mitgebracht, als er vor den Rat des Ordens trat. „Meine Herren, ich habe die traurige Pflicht, ihnen mitzuteilen, dass unsere Greifenreiter Sabia nicht habhaft werden konnten.“ „Also hat man die drei gefasst.“ „Ja. Man hat uns gefangen genommen.“ „Bist du der einzige, der zurückgekehrt ist?“ „Jawohl, Mylord.“ „Dann berichte uns, was sich zugetragen hat.“ „Wir sind Sabia gefolgt, wie Ihr befohlen habt. Doch leider hat sie uns kurzzeitig abschütteln können und unbemerkt die Landesgrenze überschritten. Wir haben sie erst wieder entdeckt, als sie mit einem kleinen Segelboot raus auf das offene Meer gefahren ist. Dort ist sie dann auf ein Handelsschiff aus Erimanteles umgestiegen. Wir sind diesem Schiff bis zu seinem Ziel, der Hafenstadt Santa Catarina in Eteria gefolgt. Dort ist Sabia von Bord gegangen. Wir sind gelandet und sind ihr zu Fuß weiter gefolgt. Dalilas Beschützerin hat sich auf einem Eselskarren versteckt, der nach Endor gefahren ist. Und dort wurden wir von Königin Shina Fay 280

erwischt. Sie und ihr Patenkind haben uns jeweils einen Schlag auf den Hinterkopf verpasst.“ „Und dann?“ „Wir sind erst wieder im Kerker zu uns gekommen. Shina Fay selbst hat mir einen Tritt vor das Schienbein verpasst und mich so zum Reden gezwungen. Deshalb kam ich mit 15 Peitschenhieben und einem Landesverweis davon. Jean-Paul ist zwar noch am Leben, aber er wurde zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Gerard wurde zum Tode durch die eiserne Jungfrau verurteilt.“ „WAS?? Was hat er getan?“ „Er hat es gewagt, vor Königin Shina Fay auf den Boden zu spucken.“

„Was meinen Sie, Lord Keldorn?“ „Ich muss zugeben, wäre ich Richter gewesen, hätte ich ein milderes Urteil gefällt. Aber in Eteria ist die Rechts- und Gesetzeslage eine ganz andere. Und wir sind ja auch nicht gerade zimperlich, wenn ein Fremder unserem König den Respekt verweigert.“ „Botschafter Aelric, was meint ihr?“ „Nun, Mylord, so wie bei uns der Spruch „Gesetz ist Gesetz“ seine Gültigkeit hat, so trifft dies auch für Eteria zu. Und Gerard wurde nach eterianischem Recht für eine unangemessene Respektlosigkeit gegenüber der Königin rechtmäßig verurteilt.“ „So viel dazu. Gibt es Neuigkeiten, was den Fremden angeht, der zusammen mit Sabia in der Krabbenbucht sedenianischen Boden betreten hat?“ „Sein Name ist Lothar. Aber ihn zu fassen, wird ein Ding der Unmöglichkeit.“ „Warum?“ „Königin Shina Fay ist seine Patentante.“ „Was wissen wir sonst noch über ihn?“ „Er hat den Großteil der eterianischen Flotte entworfen.“ „Wäre es denkbar, dass er uns sein Wissen zur Verfügung stellen will?“ „Das glaube ich eher nicht. Denn er hatte mehrfach Kontakt mit den Rebellen.“

Am nächsten Morgen verließen Lothar und die anderen den Gutshof. Der Gutsherr hatte ihnen noch ein wenig Proviant mitgegeben. Noch vor dem Sonnenaufgang waren die drei Gefährten aufgebrochen, denn eine Nachricht, die an einem Pfeil hing, warnte vor einer Patrouille des Ordens. Aaron hatte vorsorglich sämtliche Spuren verwischt, aus denen die Soldaten des Roc-Ordens hätten schließen können, das der Gutsherr den Rebellen ein Nachtlager gewährt hatte. Außerdem hatten die drei Gefährten die Hufe der Pferde mit Stoff umwickelt, damit diese keine Abdrücke auf dem Boden hinterließen.

Als es Mittag war rasteten die drei an einem See. „Wie weit ist es noch?“ „Noch zwei Tage. Wenn nichts dazwischen kommt, versteht sich.“ „Was sollte denn dazwischen kommen?“, wollte Lothar wissen. „Gefahren lauern überall. Genauso wie die Häscher des Ordens.“ „Was wäre es mit dem Wald dort drüben. Da könnten wir uns doch verstecken.“, schlug Lothar vor. „Sag mal, Lothar. Hast du noch alle Bananen an der Staude? In diesem Wald lauern mehr 281

Gefahren, als du dir in deinen schlimmsten Träumen vorstellen kannst.“ „Sabia hat Recht. Der Falun Gong-Wald wird von einer riesigen schwarze Witwe. Niemand, der je den Wald betreten hat, hat ihn wieder lebend verlassen.“ „Sind ja düstere Aussichten.“ „Wir werden ohnehin nicht durchreiten können. Nicht weit von hier liegt eine kleine Siedlung. Dort gibt es eine Taverne, deren Wirt den Rebellen wohl gesonnen ist. Da werden wir übernachten.“

In Santa Catarina war Eterias Flugzeugträger „Katja“ fertig zum Auslaufen. Auch das U-Boot der Typhoon-Klasse, die U1 war bereit um in See zu stechen. Alles wartete nur noch auf Shina Fays Befehl zum Einsatz. Als die Königin an Bord kam, nahmen alle Haltung an. „Wir sind bereit zum Ablegen, meine Königin.“ „Lassen Sie die Leinen loswerfen.“ „Jawohl. Meine Königin. LEINEN LOS!“ Die Arbeiter im Hafen warfen die Leinen ins Wasser, die von den Besatzungsmitgliedern des Trägers an Bord geholt wurden. Auch die U1 hatte die Leinen losgeworfen. „Maschinen halbe Kraft, Backbord 10.“ Der Träger drehte vom Kai weg und in Richtung Hafenausfahrt. „Ruder Mittschiffs.“

Als erstes passierte die U1 die Hafenausfahrt, dicht gefolgt vom Flugzeugträger. Als beide Schiffe die offene See erreicht hatten, ließ Shina Fay den Befehl „Volle Kraft voraus!“ ausgeben. Zur selben Zeit hatte eine Horde Piraten, ein eterianisches Handelsschiff überfallen. Doch der schwere Kreuzer „Raya“ hatte Ramirez und seinen Mannen gehörig dazwischen gefunkt. Mit gut gezielten Salven aus den 20,3-cm-Geschützen hatte das Schiff binnen kurzer Zeit zwei der drei Piratenschiffe auf den Meeresboden geschickt. Als der Kapitän der „Raya“ nach draußen auf die Brückennock kam, rief ihm der Pirat Ramirez etwas entgegen. „SCHWEINEHUND! DAFÜR HOL ICH MIR EINS DEINER SCHIFFE!!“

Als die Dunkelheit hereinbrach, hatten Lothar und seine Begleiter die Siedlung erreicht. In der Taverne „Zum lachenden Hirsch“ kam der Wirt zielstrebig auf sie zu. „Hallo Aaron. Willst du etwa zur Opferstätte des Ordens?“ „Nicht ich, Hootie, sondern er.“, sagte Aaron und wies mit dem Kopf auf Shina Fays Patenkind. „Willkommen Fremder.“ „Der Fremde dankt.“ „Erlaubt mir eine Frage, Fremder. Warum wollt Ihr zu dieser Opferstätte?“ „Ich will Dalila retten. Übrigens: Mein Name ist Lothar.“ „Sehr erfreut, euch kennenzulernen. Ihr geht ein kühnes Wagnis ein, Lothar. Ich hoffe, Ihr seid euch über die Konsequenzen im Klaren, wenn man euch erwischt.“ „Dazu wird es nicht kommen, Hootie. Meine Patentante, Shina Fay die Königin Eterias wird mich nicht im Stich lassen.“ „Wenn das wirklich wahr ist, dann hast du die Rebellion auf deiner Seite.“

Später nach dem Abendessen zeichnete Lothar einen neuen Entwurf für ein neues Kriegsschiff. Es sollte wieder ein Flugzeugträger werden. 282

Das neue Schiff sollte eine Länge von 306,45 m und eine Breite von 71,96 m erhalten. Sein Tiefgang sollte bei 9,76 m und die Verdrängung bei 61.390 Tonnen liegen. Die Leistung der Maschine sollte bei 200.000 PS liegen und die Kraft über vier Wellen auf vier Propeller übertragen werden. Die Höchstgeschwindigkeit sollte bei 29 Knoten liegen. 1.980 Mann Besatzung würden nötig sein, um den Träger im aktiven Dienst am Laufen zu halten. 34 Maschinen sollte der neue Träger mitführen können. Auffällig war die Wölbung des Flugdecks, die als Startrampe für die Jets ausgelegt war.

Die Insel war etwas breiter ausgeführt, als beim jüngsten Träger. Das Heck des Trägers war etwas zerklüftet. Die Brücke ragte etwas über den äußeren Rand der Insel hinaus. Hinter den ganzen technischen Anlagen kam dann der Schornstein. Als Lothar fertig war, steckte er die Pläne in eine Pappröhre. Zur selben Zeit erreichte der Flugzeugträger „Katja“ zusammen mit dem Boomer U1 die Krabbenbucht erreicht. Shina Fay lieh sich Ilvas Umhang und suchte Lothar in dessen Quartier in der Taverne auf. Dieser war überrascht, als er seine Patentante sah. „Hallo Tante. Das ist ja eine Überraschung.“ „Dein Plan ist soweit ganz gut. Aber dennoch hat er einen Haken.“ „Der da wäre?“ „Wie sollen wir wissen, wann ich den Befehl zum Angriff geben soll?“ Lothar kramte eine Pistole aus seinem Rucksack. „Siehst du die hier? Wenn ich eine Leuchtkugel abfeuere, dann gibst du den Befehl zum Angriff.“ „Einverstanden. Was ist eigentlich in dieser Röhre versteckt?“

„Ein paar neue Pläne. Dieses Mal wieder für ein Überwasserschiff. Noch ein Flugzeugträger.“ „Gib sie mir mit. Ich sehe sie mir dann auf dem Schiff genauer an.“, sagte Shina Fay. Es klopfte an der Tür. „Herein!“, sagte Lothar. Aaron und Sabia betraten das Zimmer. Die Elfe war sehr überrascht, als sie der Königin Eterias erneut gegenüber stand. Doch dann lächelte sie und nahm Shina Fay in die Arme. „Ich freue mich sehr, euch wieder zu sehen.“ „Das mag ich dir glauben. Aber jetzt sollten wir uns um das naheliegende kümmern.“ „Du meinst den Angriff bei der Opferzeremonie, Tante?“ „Richtig.Hast du auch die entsprechenden Leuchtkugeln?“ „Ja. Sowohl für Tag als auch für die Nacht. Da fällt mir ein: Wann findet die Opferzeremonie eigentlich statt?“ „Nach Einbruch der Dunkelheit. Aber ist das nicht zu gefährlich?“ „Nicht wenn ich mich von der Szenerie wegdrehe. Bei dieser Gelegenheit Aaron, möchte ich euch meine Patentante Shina Fay, die Königin Eterias vorstellen.“ „Hoheit. Ich kann euch gar nicht genug danken, dass Ihr die Rebellion unterstützt.“ „Ich habe lange mit mir gerungen, bis mich Lothars Bitte um Unterstützung erreicht hat. Da habe ich entschieden, auf Seiten der Rebellen in diesen Konflikt einzugreifen.“ „Eine weise Entscheidung. Dessen könnt Ihr sicher sein.“ 283

„Wie geht es denn nun weiter Tante?“ „Aaron, wie sieht es mit der Gesinnung des Wirtes dieser Taverne aus?“ „Er ist den Rebellen wohl gesonnen Hoheit.“ „Sehr gut. Ich werde gleich ein Schreiben aufsetzen, in dem ich eure Freunde wissen lasse, dass ich sie unterstütze. Sie sollen sich bewaffnen und am Tag des Rocs an der Opferstätte sein.“ „Vielen Dank, meine Königin.“

Nachdem Shina Fay die Nachricht niedergeschrieben hatte, ließ sie den Wirt kommen. „Ihr habt mich rufen lassen, königliche Hoheit?“ „Ja. Ich habe eine Aufgabe für dich. Siehst du diese Nachricht? Sie muss alle Hochburgen der Rebellen noch vor dem Ende dieser Woche erreichen. Hat mein Patenkind euch in seinen Plan eingeweiht?“ „Nein. Um ehrlich zu sein, ich habe auch nicht gefragt. Aber eines solltet Ihr wissen. Dalila wird wahrscheinlich betäubt sein. Das machen die Priester immer, wenn eine Elfe verbrannt wird.“ „Aber nicht mehr lange. Ich werde diesem Treiben, ein Ende bereiten. Und jetzt schicke die Nachricht los.“ „Sehr wohl, meine Königin.“

Nachdem Shina Fay mit dem Umhang auf den Flugzeugträger zurückgekehrt war, schickte der Wirt einen Pfeil mit der Nachricht los. Die Kunde, dass sich die Königin Eterias dazu entschlossen hatte, auf Seiten der Rebellen in diesen Konflikt einzugreifen, sorgte bei den Aufständischen für eine noch nie dagewesene Kampfbereitschaft. Überall im Land wurde zu den Waffen gerufen.

Am nächsten Morgen brach Lothar mit Aaron und Sabia zur Opferstätte des Roc-Ordens auf. Unterwegs trafen die drei Reisenden auf eine Prozession, die von Ordens-Soldaten geschützt wurde. Lothar witterte seine Chance. „Wenn wir den Brüdern in dem Abstand folgen, dass wir sie gerade noch sehen können, dann werden sie uns nicht bemerken.“ „Zwei Hirne, ein Gedanke.“, sagte Aaron. „Ich bin dafür, dass wir ab sofort den Schnabel halten. Womöglich können uns diese Brüder hören.“ Es war Sabia, die diese Mahnung ausgesprochen hatte.

Um die Mittagszeit erreichte die Prozession eine Burg. Am Fahnenmast wehte die Fahne des Roc-Ordens, der Vogel Roc auf schwarzem Untergrund, stolz im Wind. „What to Hell!“, entfuhr es Lothar. „Das hat uns gerade noch gefehlt.“ Sabia hatte den fragenden Blick von Shina Fays Patenkind bemerkt. „Das ist die Burg Torkesstone. Von allen Ordensburgen ist sie die größte.“ „Und die bedeutendste.“, ergänzte Aaron. „Dann dürfte sie auch am schwersten bewacht sein.“ „Worauf du deinen sexy Arsch verwetten kannst.“ „Danke, aber den brauch ich noch.“ „Könnt ihr zwei Streithähne euch mal zusammenreißen? Fakt ist, wir müssen versuchen, unbemerkt an der Burg vorbeizukommen.“ „Warten wir die Dunkelheit ab.“, sagte Lothar. „Gut. Ruht euch aus. Ich werde die Burschen beobachten.“ 284

Nach Einbruch der Dunkelheit führten die drei Reisenden ihre Pferde abseits der befestigten Straße an der Burg vorbei. Überall konnten sie die patrouillierenden Wachposten erkennen. Da Neumond herrschte und der Himmel bewölkt war, bemerkten die Wachen sie nicht. Erst als die Burg nicht mehr zu sehen war, wagten es Lothar, Sabia und Aaron wieder zu reiten. Doch zu sprechen wagte niemand. Erst als sie einen Wald erreicht hatten, brach Sabia das Schweigen. „Nicht weit von hier ist eine Schlucht, die von einer Brücke überspannt wird. Leider wird diese von Ordens-Soldaten bewacht.“, sagte sie. „Dann müssen wir die Wachen eben ausschalten.“ „Auf gar keinen Fall. Es würde auffallen, wenn die Wachen nicht auf ihrem Posten sind. Wir müssen es im Morgengrauen versuchen, wenn gerade der Wachwechsel vollzogen wird. Denn dann ist die Brücke unbewacht.“ „Dann sollten wir unser Lager in der Nähe der Brücke aufschlagen. Und zwar an einem Platz, an dem wir alles überblicken können, ohne von den Wächtern gesehen zu werden.“, sagte Lothar. „Einverstanden.“

Der Lagerplatz war schnell gefunden. Eine Lichtung, die auf einer Anhöhe lag, war am besten geeignet. „Versucht, so viel Schlaf wie möglich zu kriegen. Ich werde die erste Wache übernehmen.“, sagte Lothar. „Gut. Ich löse dich in zwei Stunden ab.“ „Okay, Sabia.“ Während Lothars Wache rührte sich nichts. Alles blieb still. Als Sabia zur Wachablösung kam, rührte sich etwas. Die beiden Wachposten sprachen miteinander. „Hoffentlich ist bald Wachablösung. Meine Glieder werden langsam steif.“, sagte einer. „Na frag mich mal, Durotar.“ „Hast du mitgekriegt?“ „Ja, ich bin ja nicht taub. Aber leg dich schlafen. Ich wecke euch, wenn der Wachwechsel stattfindet.“ „Alles klar.“

Während Sabias Wache begann der Mond unter- und die Sonne aufzugehen. Darauf hatte Sabia gewartet. Die Wachposten verließen ihren Posten. Rasch weckte Dalilas Beschützerin die anderen. „Es ist soweit. Wir haben nur diese eine Chance.“, sagte sie. „Okay. Gehen wir, solange wir noch Zeit haben.“ Die drei Reisenden hatten wieder einmal Fortuna auf ihrer Seite, und schafften es, die Brücke unbemerkt zu überqueren. „Jetzt sind wir mitten in feindlichem Gebiet. Hier wimmelt es von Ordenskriegern.“ „Jetzt sind wir auf fremde Hilfe angewiesen.“, sagte Lothar. „Sehr scharfsinnig.“

Aaron sah sich um. „Zieht die Kapuzen eurer Umhänge über den Kopf. Und möglichst tief ins Gesicht, wenn ich bitten darf. Da vorn kommt nämlich eine Patrouille.“ Lothar und Sabia machten es Aaron nach. „Wir sollten uns aufteilen. Wenn wir hier zusammen rumstehen, fallen wir auf.“, warf Sabia ein. „Gute Idee. Gibt es Geschäftsleute, die den Rebellen wohlgesonnen sind?“ „Im Prinzip der ganze Ort. Wir sind nämlich in Roswell. Der Orden unterdrückt die ganze Stadt.“ 285

„Dann kann ich es den Einwohnern nicht verdenken, dass sie dem Orden übel gesonnen sind. Ich werde mich in der Taverne umsehen.“, sagte Lothar. „Ich übernehme den Markt.“ „In Ordnung. Dann bleibt mir nur die Lagerstadt im Osten der Stadt.“, sagte Aaron.

In der Taverne suchte sich Lothar einen Ecktisch, von dem aus er alles überblicken konnte, ohne dass man gleich auf ihn aufmerksam wurde. Ein Ordens-Priester trat ein und ließ seinen Blick durch den Saal schweifen. Als er Lothar entdeckt hatte, kam er zielstrebig an dessen Tisch. „Verdammter Mist! Jetzt bin ich geliefert.“, dachte er. Der Priester setzte sich. „Ich nehme an, du bist Lothar.“ „Der bin ich. Und wer seid Ihr?“ „Mein Name ist Durmasuran.“ „Und was wollt Ihr von mir?“ „Dazu komme ich gleich. Ich hab läuten gehört, dass du meine Cousine retten willst. Stimmt das?“ „Ja das ist wahr. Denn ich hatte den Traum.“ „Dann solltest du mir jetzt genau zuhören. Am Tag des Rocs ist der gesamte Orden bei der Zeremonie versammelt. Dementsprechend werden die Wachen auch verstärkt sein. Du wirst Schwierigkeiten haben, unbemerkt reinzukommen.“ „Also eine Verkleidung.“

„Genau. Ich habe dir dieses Novizengewand mitgebracht. So kann ich dich als meinen Schüler ausgeben. Und wie sieht dein Plan aus?“ „Ich werde eine Leuchtkugel aus meiner Signalpistole abfeuern.“ „Wieso das denn?“ „Es ist ein Signal. Damit weiß meine Patentante, dass sie den Befehl zum Angriff geben soll. Sowie Shina Fay, den Befehl erteilt hat, wird ein Boomer, der in der Krabbenbucht getaucht wartet, eine Rakete abfeuern. Sowie diese auf dem Platz einschlägt, werden vom Flugzeugträger „Katja“ aus ein Geschwader F14- und ein Geschwader F18-Jäger starten und ein hübsches Bombardement veranstalten.“ „Der Name Shina Fay sagt mir was.“, sagte Durmasuran. „Sie ist nicht zufälligerweise die Königin von Eteria?“ „Doch. Sie wird die Rebellen im Kampf gegen den Orden unterstützen.“ „Das sind doch mal gute Nachrichten.“

Gegen Abend traf sich Lothar mit Sabia und Aaron. „Ich habe einen Elf namens Durmasuran getroffen. Er hat mir dieses Novizengewand mitgegeben.“ „Ich kenne Durmasuran. Er ist Dalilas Cousin. Und als solcher ist er absolut vertrauenswürdig. Aaron und ich werden uns den Kämpfern der Rebellion anschließen. Jetzt hängt alles von dir und Durmasuran ab. Viel Glück.“, sagte Sabia und drückte Aaron ganz fest. „Pass auf dich auf mein Junge.“ „Mach ich, Aaron.“

Am nächsten Morgen holte Durmasuran Lothar ab. „Du wirst deinen Namen ändern müssen. Der Orden lässt dich überall suchen. Sie wissen, dass du hier bist. Aber sie wissen nicht, was du vorhast.“ 286

„Wenigstens das. Aber ich schätze, es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis der Orden auch das weiß. Spione lauern doch überall.“ „So sieht’s mal aus. Also: Dein neuer Name ist Shamon. Hast du das kapiert?“ „Na sicher.“ „Gut. Dann lass uns aufbrechen. Hast du deine Signalpistole dabei?“ „Was denkst du?“ „Du hast sie.“ „Genau. Ohne die geh ich nicht einen Schritt. Wie soll ich Tante Shina Fay sonst das Signal geben?“ „Gehen wir. Wir müssen auf dem Gelände sein, ehe die Wachen kommen. Waffen sind während der Opferzeremonie strengstens verboten.“

Als Lothar und Durmasuran die heilige Stätte erreichten, wartete der Hohepriester des Ordens am Eingang. „Durmasuran. Ich freue mich, dass du doch gekommen bist. Ich hatte schon Sorge, dass du dich weigern würdest. Und wen bringst du mit?“ „Ich bin Shamon. Durmasurans Schüler.“ „Ich freue mich sehr , einen neuen Ordens-Bruder in unseren Reihen willkommen heißen zu dürfen.“ „Freu dich bloß nicht zu früh, Freundchen.“, dachte Lothar. „Die Opferzeremonie ist zwar erst nächste Woche Samstag, aber schon heute werden wir unserem Gott, dem Vogel Roc huldigen. Denn wir haben eine Diebin gefasst, die in einem Lebensmittelgeschäft sämtliche Vorräte geraubt hat.“ „Verstehe. Und darauf steht die Todesstrafe.“ „Hach, du bist ja sehr scharfsinnig, Shamon.“ „Sag mal Durmasuran, ist der Hohepriester etwa ein warmer Bruder?“, raunte Lothar seinem Begleiter zu. „Vom allerfeinsten.“

Schließlich war der Tag des Vogel Roc gekommen. Überall auf dem weitläufigen Gelände patrouillierten Soldaten. Auch an den Eingängen waren Wachen postiert. Sämtliche Anhänger und Geistliche hatten sich auf dem Gelände versammelt. Ein Fanfarensignal ertönte und kündigte das Eintreffen der Prozession an, die Lothar, Sabia und Aaron in der vorigen Woche begegnet war. Der Elf aus Eteria war nun besonders aufmerksam. Als er die Prozession sah, knuffte er Durmasuran in die Seite. „Da sind diese erbärmlichen Rotzlutscher. Aber warte bis heute Nacht, dann wird den Brüdern das Lachen schon noch vergehen.“ „Daran zweifle ich keine Sekunde.“

Lothar fiel ein Wagen auf, auf dem man eine Elfe angekettet hatte. Shina Fays Patenkind erkannte sie sofort. Es war Dalila. Sie hatte blondes, bis zu ihren üppigen Brüsten reichendes Haar. Ihre schönen braunen Augen zogen den königlichen Flottendesigner Eterias in ihren Bann. Auch der schlanke Elfenkörper, sowie das hübsche ovale Gesicht mit den sinnlichen Lippen und der hübschen Nase hatten durchaus ihre Reize. Auch die für eine Elfe typischen spitzen Ohren fehlten nicht. Bekleidet war Dalila mit einem Oberteil aus braunem Leder. An ihrem Unterarmen trug sie zwei Armschienen aus Messing, 287

die auf zwei Armstulpen aus Leder aufgeklebt waren. An ihrer rechten Schulter trug sie einen Schulterreif aus Messing. Ihre Scham war durch einen Rock aus demselben Leder bedeckt, aus dem auch das Oberteil bestand. Ihre Füße steckten in Stiefeln, die ebenfalls aus demselben Leder wie Rock und Oberteil gefertigt waren. Ihre Waffen, ein Kompositbogen aus Akazienholz und und ein Köcher aus schwarzen Leder, sowie ein Speer lagen schon auf dem Scheiterhaufen, auf dem Dalila verbrannt werden sollte.

„Was passiert jetzt?“, fragte Lothar Durmasuran. „Meine Cousine wird in das Haus zu unserer Rechten gebracht. Dort bleibt sie bis zum Einbruch der Dunkelheit.“ „Am liebsten würde ich jetzt schon die Leuchtkugel abfeuern.“ „Wir müssen bis zur Dunkelheit warten. Denn jetzt sind die Wachen und die Ordens-Leute sehr aufmerksam.“

Als die Dunkelheit hereinbrach, wurde Dalila von zwei Ordens-Priestern zum Opferaltar geführt, auf dem der Scheiterhaufen stand. Lothar holte seine Signalpistole aus seinem Gewandsärmel. Die beiden Priester banden Sabias Protegé an einen Pfahl, der auf dem Scheiterhaufen fixiert war. Ansgar, der Hohepriester trat nun, mit einer Fackel in der Hand, vor den Scheiterhaufen und wandte sein Gesicht der Menge zu. Dann breitete er seine Arme aus. „Vogel Roc! Gott aller Götter! Nimm dieses Opfer an, dass wir dir in aller Demut darbringen. Hilf uns, unsere Herrschaft...“ Weiter kam der Hohepriester nicht, denn Lothar riss den Arm mit der Signalpistole in die Höhe und feuerte die Leuchtkugel ab.

An Bord der „Katja“ hatte Kaitlyn die Leuchtkugel entdeckt. „Es ist soweit Shina Fay. Lothar hat die Leuchtkugel abgeschossen.“ Eterias Königin gab der U1 den Befehl zum Angriff. „TORA! TORA! TORA!“, sagte sie. An Bord der U1 hatte der Funker Shina Fays Befehl erhalten. Er eilte auf die Brücke und übergab dem Kommandanten die Nachricht der Königin Eterias. „Raketensilo Nummer 6 zum Unterwasserabschuss vorbereiten.“ Als die Rakete aufgetankt war, erhielt die U1 die Zielkoordinaten. Als diese eingegeben waren erteilte der Kommandant den Feuerbefehl. „Rakete Nummer 6 Feuer frei!“ Das Boot erzitterte als die Rakete ihren Silo verließ. Sie durchbrach die Wasseroberfläche und begann ihren tödlichen Flug.

Bei der Zeremonie starrten die Anhänger gebannt in den Himmel. Auch Ansgar klappte vor Erstaunen der Unterkiefer runter. Ein lautes Heulen wurde hörbar, als die Rakete im Anflug war. „Duck dich, Durmasuran. Die Rakete schlägt gleich ein.“ Die beiden Elfen warfen sich der Länge nach auf den Boden. Im nächsten Augenblick gab es eine laute Detonation. Die Rakete war in die dickste Traube von Menschen eingeschlagen. 288

Ein magisches Portal öffnete sich und Shina Fay erschien mit ihren Freundinnen auf der Bildfläche. Dieses Mal trug sie ihre Krieger-Kleidung. „Störenfriede! ERGREIFT SIE!!!!!!!!“ Ein Wachsoldat stürmte auf Eterias Königin zu, das Schwert zum Schlag über den Kopf erhoben. Doch damit hatte die Elfe gerechnet. Shina Fay trat dem Soldaten direkt in die Familienplanung. Mit einem Wimmern sank der Wächter auf den Boden. Lothars Patentante war rasch bei ihm und schnitt ihm mit ihrem Dolch die Kehle durch.

In Durcheinander, das nun herrschte, achtete niemand auf das neue Geräusch am Himmel. Es war ein Donnern, das von Shina Fays Jägern erzeugt wurde. Nur kurze Zeit später näherte sich von Osten die Staffel F14 und von Westen näherten sich die F18-Jäger. Als sie über der Opferstätte waren klinkten die Maschinen ihre Bomben aus. Eine Bombe traf das Haus, in dem Dalila untergebracht war. Die Wucht der Explosion ließ von dem Gebäude nur noch die Grundmauern übrig. Eine weitere Bombe, von einer F18 abgeworfen, traf das allerheiligste des Ordens. Der Tempel des Vogel Roc wurde durch die Explosion vollends zerstört.

Ansgar, der Hohepriester, glaubte nicht, was sich vor seinen Augen abspielte. Doch er sah Lothar mit schnellen, zielstrebigen Schritten zum Opferaltar eilen. Der Priester wusste, was das zu bedeuten hatte. Shina Fays Patenkind wollte Dalila retten. Doch das würde er, Ansgar, nicht zulassen. Als Lothar die Stufen emporgestiegen war, trat ihm der Hohepriester in den Weg. „Du wirst Dalila nicht retten, Shamon, oder wer immer du auch sein magst. Siehst du diese Fackel? Mit ihr werde ich das Opferritual vollziehen und Dalila dem Vogel Roc opfern.“ „Du wirst nichts dergleichen tun, du Blödmann.“

Ansgar und Lothar kämpften verbissen um die Fackel, bis Shina Fays Patenkind dem Hohepriester auf sein Hühnerauge am linken großen Fußzeh trat. Dieser ließ vor Schreck die Fackel fallen und der Saum seines Umhangs fing Feuer. Lothar nutzte die Gelegenheit und schnitt Dalilas Fesseln durch. Er hob die Elfe auf seine Arme und eilte mit ihr die Rückwärtige Treppe hinunter. „Du wirst nicht entkommen, Lothar, das schwöre ich“, hörte Lothar den Hohepriester noch sagen. „Mann, leck mich am Arsch! Schlappeduddel!“

Als Sabia sah, dass Lothar es geschafft hatte, Dalila zu retten, gab sie den ihr unterstellten Kriegern den Befehl zum Angriff. Wie eine Horde wild gewordener Berserker stürmten die Rebellen auf das Gelände und schickten jeden Ordenskrieger in die ewigen Jagdgründe, der es wagte sich ihnen in den Weg zu stellen. Ein paar wenigen Kriegern des Roc-Ordens gelang die Flucht. Sabia und Aaron ordneten den Rückzug an. In Roswell trafen sich Lothar, Sabia und Aaron wieder. 289

„Mann, du hast ja ein hübsches Feuerwerk veranstaltet, Lothar.“, sagte Aaron anerkennend. „Wie sieht es aus?“ „Ein Großteil der Ordens-Anhänger ist tot. Aber ein paar wenigen ist die Flucht geglückt.“ „Dann sollten wir von hier verschwinden. Gibt es einen kürzeren Weg zur Krabbenbucht?“ „Es gibt einen. Aber der ist sehr gefährlich.“ „Und wieso?“ „Weil er durch die Sümpfe des Todes führt.“ „Vielleicht können wir dort einige der Ordenskrieger in die Falle locken. Gibt es jemanden, der den Weg kennt?“ „Ich.“ Lothar fuhr herum. Vor ihm stand Dalila, die wieder zu sich gekommen war.

„Alles in Ordnung?“ „Ja alles Okay. Ich hab leider nicht allzu viel mitbekommen. War ja betäubt. War aber ein hübsches Feuerwerk. Das dumme ist nur, dass unser König auch der Vorsitzende des Ordens ist. Wenn er erfährt, was passiert ist, wird er dich für vogelfrei erklären. Dann darf jeder Sedenianer, der dich hier antrifft, töten.“ „Keine Bange. Ich setze so schnell keinen Fuß mehr auf sedenianischen Boden.“ „Anstatt hier Seifenopern zu quatschen, sollten wir lieber verschwinden. Da vorne kommen Ordens-Soldaten.“, sagte Sabia. „Da sind sie! Ergreift sie!“, schrie der Anführer. „Nichts wie weg.“

Die drei holten die Pferde und ritten davon. Lothar hatte Dalila vor sich in den Sattel gesetzt. Sie schafften es über die Brücke. „Wir müssen nach rechts.“, sagte Dalila und wies mit ihrem Finger in die entsprechende Richtung. Sabia riss ihr Pferd herum ritt los. Lothar folgte ihr, während Aaron die Nachhut bildete. Schon bald veränderte sich die Landschaft. Wo vorher noch Grasland zu sehen gewesen war, kamen nun Mangrovenbäume in Sicht. „Wir müssen absitzen und die Pferde führen. Ich gehe voran.“ Dalila bewegte sich leichtfüßig und war bald im Nebel verschwunden. Schon nach kurzer Zeit kam sie zurück. „Ich habe den Weg gefunden. Kommt!“

Lothar folgte als erster, dahinter Sabia, dann Aaron. Schließlich kamen sie an eine Weggabelung. „Wohin jetzt?“ „Nach rechts. Der linke Weg ist eine Sackgasse. Am Ende ist nur ein großes Sumpfloch.“ Dalila ging wieder voran und führte ihre Gefährten tiefer in den Sumpf hinein. An einer weiteren Weggabelung blieb Dalila stehen. „Wohin dieses Mal?“, fragte Lothar. „Nach links. Rechts geht es zur großen Banshee.“ Dalila ging voran. Die anderen folgten. Schließlich gelangten sie an eine dritte Weggabelung. „Und wohin müssen wir jetzt?“, fragte Lothar. „Geradeaus. Es sei denn, du bist erpicht darauf, von einem Sumpfbasilisken gefressen zu werden, oder von Medusa der Gorgone in Stein verwandelt zu werden.“ „Danke, kein Bedarf.“

Dalila erwies sich als sehr geschickt, denn sie hatte die anderen noch vor Einbruch der Dunkelheit durch den Sumpf geführt. 290

„Hoffentlich haben wir diese Brüder abgehängt.“, sagte Lothar. „Einen Teil vielleicht. Die Kavalleristen werden um den Sumpf herumreiten müssen. Pferde sind Fluchttiere. Aber die Fußsoldaten werden durch den Sumpf marschieren wollen.“ „Was hat es eigentlich mit dieser großen Banshee auf sich, von der du vorhin gesprochen hast, Dalila?“ „Die große Banshee ist sehr gefährlich. Keiner, der je ihr Reich betreten hat, ist je zurückgekehrt. Und wer ihr entkommen konnte, war für den Rest seines Lebens ein gebrochener Mann.“ „Wie sieht sie denn aus?“

„Ich habe sie bisher nur einmal gesehen.“, sagte Dalila. Ein Blitz schlug in den Boden ein. Lothar der den Kopf weggedreht hatte, sah nun etwas genauer hin. Vor ihm stand eine Frau. Sie hatte weiße, bis zu ihren Hüften reichende Haare und braune Augen. Ihre Haut glich der Farbe des Mondes. Ein schlanker Körper, sowie das hübsche ovale Gesicht mit den sinnlichen Lippen und der hübschen Nase rundeten den ersten Eindruck ab. Auch ihre üppigen Brüste waren nicht zu verachten. Nackt, so wie sie erschaffen worden war, stand die große Banshee vor den Gefährten. „Bist du die große Banshee?“, fragte Lothar gerade heraus. „Ja. Ich bin die große Banshee. Und ich bin gekommen, um dich zu warnen, Lothar.“ „Warnen? Wovor?“ „Sagen wir besser, vor wem. Ganondorff, der Hauptmann der königlichen Garde hat deine nette Überraschung überlebt. Er hat dir ewige Rache geschworen. Er wird nichts unversucht lassen, um dich zu töten.“, sagte die große Banshee mit einer wunderschönen, süßen Stimme. „Lass mich raten, du bist in der Lage mir Ganondorff vom Hals zu halten.“ „Du sagst es.“ „Nenn mir deinen Preis.“ „Wer hat etwas von einem Preis gesagt?“ „Wer gibt etwas ohne Preis?“

„Große Banshee. Lass ab von ihm. Ich bitte dich.“ „Dalila. Ich weiß längst, dass Lothars Herz dir gehört. Du brauchst keine Angst zu haben, dass ich ihn mit in mein Reich nehme. Aber Lothar hat Recht. Umsonst ist meine Hilfe nicht.“ „Hab ichs doch gewusst. Also was forderst du als Gegenleistung?“ „Nur, dass ich mit dir hier und jetzt Sex haben darf. Du sollst mir deinen Samen schenken.“ „An der Sache ist doch was faul.“ „Du bist nicht auf den Kopf gefallen Lothar. So höre mich. Eure Flucht ist nicht unbemerkt geblieben. Eine Kavallerie-Einheit und eine Einheit Infanterie ist euch gefolgt. Die Kavallerie reitet um den Sumpf herum, während die Infanteristen so töricht waren, den Sumpf zu durchqueren. Sie haben sich allesamt verlaufen. Drei sind im Sumpfloch versunken. Vier hat sich der Sumpfbasilisk geholt und noch einmal drei sind Medusa zum Opfer gefallen.“ „Und wie viel haben dein Reich betreten?“ „Fünf von ihnen, sind zu mir vorgedrungen. Ich habe sie alle in den Sumpf gezogen und für immer verschwinden lassen. Ich habe dir und den anderen geholfen. Weil ich den Orden hasse. Einem der Priester habe ich es zu verdanken, dass ich als Geist 291

in diesem stinkigen Sumpf ausharren muss. Nur ein Elf mit reinem Herzen, kann mich erlösen, indem er mir seinen Samen schenkt.“ „Wer garantiert mir, dass du mir nicht was aufs Ohr erzählt hast?“ „Ich bürge für sie. Die große Banshee ist nämlich meine Mutter.“, sagte Sabia. Lothar glaubte sich verhört zu haben. „Kannst... du das... nochmal wiederholen?“ „Die große Banshee ist meine Mutter. Und ihr Name ist Jekaterina. Du hast fast den ganzen Roc-Orden ausgelöscht. Und durch diese Tat hast du dir das Wohlwollen der großen Banshee gesichert.“ „Du hast meine Tochter gehört. Glaubst du mir nun?“ „Glauben ja. Aber ich bin immer noch skeptisch. Wer garantiert mir, dass du mich nicht unfruchtbar machst?“ „Ich könnte es tun. Das würde ich aber nur, wäre ich dir übel gesonnen. Aber du hast den Priester getötet, der mich verflucht hat. Deshalb werde ich dir Fruchtbarkeit bis ins hohe Alter schenken.“ „Na wenn das so ist.“

Während Aaron Wache hielt zogen Sabia und Dalila Lothar die Hose aus und bearbeiteten sein bestes Stück nach allen Regeln der Kunst. Danach setzte sich die große Banshee auf seinen Schoß und führte das Glied des Elfen in ihre Scheide ein. Ganz langsam ließ sich die Banshee an Lothars bestem Stück heruntergleiten. Als er bis zum Anschlag in ihr drinsteckte, sprach Sabias Mutter einen Fruchtbarkeitszauber, der bis in Lothars Knochen drang. Danach fing die große Banshee an, auf Lothar zu reiten. Zuerst ganz langsam, doch mit jedem Stoß steigerte sich ihre Lust und sie intensivierte das Tempo. Und schließlich explodierten Banshee und Elf in einem gemeinsamen Orgasmus, der Sabias Mutter von ihrem schrecklichen Fluch befreite. Ein Wesen, hässlicher, als alles was Lothar bisher gesehen hatte, fuhr aus dem Körper der Erlösten und flog in Richtung Sumpf davon.

Am nächsten Morgen ging die Reise weiter. Sabias Mutter Jekaterina hatte sich der Gruppe angeschlossen. Am Mittag hatten sie die Stadt Okart erreicht. Corey und Jinx, die beiden Echsenreiter, warteten am Stadttor. „Mein lieber Scholli, das war aber ein hübsches Feuerwerk, dass du da veranstaltet hast.“, sagte Jinx. „Das war schon recht brauchbar, aber Eteria steht noch der Krieg mit Iberia bevor.“ „Sollte wohl die Generalprobe dafür sein.“ „Wer weiß.“ „Hier in Sedenia wird jetzt ein politischer Umbruch stattfinden.“, sagte Sabia. „Und was macht dich da so sicher?“ „Überleg doch mal. Unser König hat durch deine nette, kleine Überraschung den Rückhalt seines Ordens verloren. Du hast fast die gesamte Regierung geplättet. Die Rebellen sind jetzt in der Oberhand und können den König stürzen.“ „Da wäre ich gerne noch mit dabei. Und wie ich meine Patentante kenne, wird sie auch gerne dabei sein wollen.“ Jekaterina sah Lothar fragend an. „Shina Fay, die Königin Eterias, ist meine Patentante.“ „Ich würde sie gerne kennenlernen, Schatz.“, sagte Dalila. 292

„Würde mich nicht wundern, wenn sie gleich hier auftaucht.“ Und wie um Lothars Worte zu unterstreichen stand Shina Fay vor ihrem Patenkind und denn anderen. Dieses Mal trug sie ein dunkelrotes Kleid mit goldenen und silbernen Stickereien und ihre weißen Sandaletten mit den goldenen Ornamenten. „Wie ist denn der Stand der Dinge, Lothar?“ „Wir haben fast die gesamte sedenianische Regierung ausradiert. Ein paar Militäreinheiten existieren noch. Aber die Rebellen dürften nicht allzu große Probleme haben.“ „Ich denke, es ist Zeit für das große Finale.“, sagte Jinx. „Du meinst den Sturz eures Königs?“ „Allerdings. Es ist Zeit, dass meine Tochter Sabia das bekommt, was ihr rechtmäßig zusteht.“ „Moment, heißt das, dass Sabia eine Prinzessin ist?“ „So ist es. Bis zu dem Tag, an dem ich von Ansgar verflucht wurde, war ich die Königin Sedenias. Nur mit Hilfe dieser Kröte von Hohepriester gelang es König Gerolf den Thron erst zu erringen.“ „Tante?“ „Wir haben etwas begonnen, also bringen wir es zu Ende.“

In Sedenias Hauptstadt Escoriasa stand der König auf dem Balkon, von dem aus er zu seinem Volk gesprochen hatte. Sein Kanzler kam zu ihm. „Hoheit, ich bringe schlechte Nachrichten. Unser Plan, Sabia bei der Opferzeremonie zu töten ist leider fehl geschlagen.“ „Wie konnte das passieren?“ „Lothar. Der Angriff während der Opferzeremonie war sein Werk. Er hat damit seiner Patentante, der Königin Eterias ein Zeichen gesandt. Sie hat den Angriff mit der Rakete und den Bombern befohlen.“ „Das heißt, Shina Fay hat die Rebellen unterstützt.“ „Ja, mein König.“ „Und jetzt?“ „Das Volk hat sich erhoben. Ihr müsst fliehen, solange Ihr noch Zeit dazu habt.“ „Und Sabia den Thron kampflos überlassen? Auf gar keinen Fall.“ „Hoheit, wenn Ihr bleibt, wird man euch lynchen.“ „Ich habe Sabias Mutter den Thron gestohlen, ich werde nicht zulassen, dass ihre Tochter darauf Platz nimmt.“ „Ganz wie Ihr wollt, mein König. Aber ich werde nicht eine Sekunde länger an eurer Seite weilen.“, sagte der Kanzler. „DU BLEIBST! Du bist mir durch deinen Eid verpflichtet, vergiss das nicht Gisdol.“ „Der Eid hatte nur solange Gültigkeit, solange eure Macht nie in Gefahr war. Jetzt, da der Roc-Orden nicht mehr existiert, habt Ihr den Rückhalt verloren. Ich werde Sedenia verlassen. Gehabt euch wohl, König Gerolf.“

Als der König in den Thronsaal zurückkehrte, sah er Jekaterina auf dem Thron sitzen. Die einstige Königin trug ein smaragdgrünes Kleid mit aufgeklebten Diamanten, die einen Fächer bildeten. „RUNTER VON MEINEM THRON!!!!!!“, schrie König Gerolf Sabias Mutter an. „Dein Thron? Deine Zeit ist abgelaufen, du mieser kleiner Kröterich.“ „DER THRON GEHÖRT MIR!!!!!“ „Oh nein. Wenn einem der Königsthron Sedenias gebührt, dann meiner Tochter. Du wolltest sie töten. Doch dein Plan ist misslungen. Armer Gerolf. Das menschlichste wäre, dich sofort zu töten und dich von deinem seelischen Leiden 293

zu erlösen. Ich könnte dir mit gleicher Münze heimzahlen, was du mir angetan hast. Doch ich bin nicht länger die Königin. Meine Tochter soll entscheiden, wie mit dir verfahren werden soll.“ „SABIA IST NICHT KÖNIGIN! ICH BIN DER RECHTMÄßIGE KÖNIG!!!!!“ „Willst du dich ernsthaft mit mir darüber streiten, wer Ansprüche auf die Regentschaft über Sedenia geltend machen darf? Das Rad der Geschichte hat sich gegen dich gedreht.“

König Gerolf wollte zu einer Erwiderung ansetzen, als Sabia neben ihre Mutter trat. Im Gegensatz zu ihrer Mutter trug sie ein nachtblaues Kleid mit goldenen und silbernen Sternen darauf. Dazu trug sie weiße Sandaletten mit goldenen Ornamenten. Auf ihrem Kopf trug sie die Königskrone Sedenias. „Wie kannst du es wagen MEINE Krone zu tragen?“ Sabia wollte etwas erwidern, doch Shina Fay kam ihr zuvor. „Ein König, der seinen Thron nur durch Raub errungen hat, ist kein rechtschaffener König.“, sagte sie. „Ich bin rechtschaffener als Ihr alle zusammen.“ „So, jetzt hab ich mir den Schwachsinn ja wohl lange genug angehört. Kenn viele, die was im Kopf haben. Aber was du hier treibst, mit deiner scharfen Blume am Hütchen, übertrifft alles, was ich kenne.“, sagte Lothar. „Wie meinst du das?“ „Du hast zig Leute umlegen lassen, durch deinen ausgekotzten Spargel da. Und das seltene Exemplar nehme ich auch mit nach Endor. Aber mit dir werde ich hier schon abrechnen, denn für dich wär ja schon die Luftfracht zu schade.“ „Du, du. Du bist doch jetzt schon ein toter Mann. Ekelhafter Elf.“ „Warum legen wir den Elf aus Eteria nicht gleich hier um?“, fragte Ganondorff, der den Raum betreten hatte. „Ja eben, genauso wie du Jeremias umgebracht hast, weil er wusste, was du für ein Schwein bist.“

Gerade, als die Situation zu eskalieren drohte, erschien Kaitlyn auf der Bildfläche. Die Dunkelelfenprinzessin sagte einen Moment lang nichts, sondern sah in die Runde, um sich zu vergewissern, dass sie die ungeteilte Aufmerksamkeit der versammelten Menge besaß. „Gerolf, Sabia. Bevor ihr zwei Dickschädel euch jetzt gegenseitig die Köpfe einschlagt, wer denn nun auf dem Thron von Sedenia sitzt, finde ich, dass es nur rechtens wäre, wenn die Bevölkerung diese Entscheidung träfe.“, sagte sie. „Das soll wohl ein schlechter Scherz sein.“ „Das ist kein Scherz.“ „Ihr habt keine Ahnung, was passiert, wenn das Volk bestimmen darf, wer es regiert.“ „Sagt Ihr es mir Gerolf.“, sagte Kaitlyn. „Wenn das Volk von Sedenia darüber entscheiden darf, wer auf dem Thron sitzt, dann wird es sich für Sabia entscheiden. Aber so wie seinerzeit ihre Mutter Jekaterina, wird auch die Tochter das Volk zu sehr verhätscheln. Oh nein. Das Volk braucht einen Herrscher mit einer starken Hand. Und der bin ich.“ „Erzähl mir nichts aufs Ohr, du Schwachkopf.“ Kaitlyn verschaffte sich mit einer energischen Geste Gehör. 294

„Ist jetzt bald mal Schluss?“, fragte sie scharf. „Mach doch nicht so einen Wind.“ „Hüte deine Zunge, Gerolf. Du bist nicht in der Position mir zu drohen.“ „Du machst mir keine Angst.“, sagte Gerolf, in der Hoffnung Kaitlyn zu beeindrucken. Doch es gelang ihm nicht. „Du kannst mich nicht einschüchtern, Kröterich.“ „Hast du eine Ahnung, was ich alles tun kann.“

In der Zwischenzeit hatte einer der Gardisten seinen Säbel gezogen und wollte diesen Kaitlyn in den Rücken stoßen. Doch Lothar hatte dies bemerkt und sich eine scharfe Brennschere geschnappt. „Na nu Klick. Und Klack. Ja ha, die Nagelschere macht auch Tortensäbel kürzer.“, sagte er und schnitt zwei Mal einen Teil der Klinge ab. Der Soldat schaute etwas dumm aus der Wäsche, nur um sich im nächsten Augenblick einen Schlag ins Gesicht einzufangen. Ein weiterer Soldat wollte sich auf die Dunkelelfenprinzessin stürzen, doch Lothar fing auch ihn ab. Er verpasste dem Gardisten einen Schlag in die Magengrube und anschließend einen Kinnhaken, der ihn auf eine Dekofigur beförderte. Dann schnappte sich Shina Fays Patenkind die Figur und kippte sie nach vorne weg, sodass der Soldat durch die Luft flog und auf einem erkalteten Fackelträger landete. „Komm her aus dir Armleuchter mach ich nen Wandleuchter!“, sagte er.

Als nächstes nahm sich Lothar Ganondorff, den Hauptmann der Garde vor. Er verpasste ihm eine Ohrschelle, die ihn von den Beinen holte. „Na, Schnauze voll?“, fragte Lothar süffisant. Kaitlyn war unterdessen auf den Balkon des Palastes getreten und sah nun auf die gewaltige Menschenmenge, die sich auf dem großen Platz versammelt hatte. Sie breitete ihre Arme aus und verschaffte sich so die Aufmerksamkeit des Leute. „Volk von Sedenia. Heute ist es an euch eine Wahl zu treffen. Ihr sollt entscheiden, wer das Land regieren soll. Wer von euch wünscht sich weiterhin König Gerolf?“ Ein lautes Buhen ertönte aus der Menge. „Und wer von euch will, dass Sabia, Jekaterinas Tochter die Krone Sedenias trägt?“ Lauter Jubel brandete auf. „Dann soll es so sein. Ihr habt entschieden.“, sagte Kaitlyn.

„Da hörst du es Gerolf. Das Volk will statt dir meine Tochter auf dem Thron sehen.“ „Deshalb war ich ja auch dagegen, dass die Bevölkerung darüber bestimmen darf, wer auf dem Thron sitzt.“ „Zu dumm, dass meine Freundin Kaitlyn euren Einwand ignoriert hat.“, sagte Shina Fay. „Wenn Ihr euch nicht eingemischt und euch auf die Seite der Rebellen geschlagen hättet, dann würde ich Sedenia immer noch regieren.“ „Hätte, wäre, wenn. Fakt ist, Ihr seid als König abgesetzt.“ „Noch gebe ich den Thron von Sedenia nicht auf. Ich werde bis zum bitteren Ende darum kämpfen.“, sagte Gerolf. Jinx und Corey nahmen ihn in die Mitte und sahen ihn grimmig an. Der einstige König sah mit angst erfülltem Blick 295

von einem zum anderen. „Ihr denkt doch wohl nicht, dass die Sache damit erledigt ist?“ „Oh Nein.“, sagte Corey. Jinx sagte ebenfalls „Nein.“ Dann schlugen beide zugleich zu und verpassten Gerolf eine doppelte Kieferquetsche.

„Was machen wir mit ihm?“, fragte Sabia. „Wir sollten ihn hinrichten.“ „Dann wäre ich nicht besser, als er. Und das will ich nicht.“ „Vertreibung kommt aber auch nicht in Frage. Denn sonst kommt er zurück und nimmt blutige Rache.“, sagte Lothar. „Also doch den Tod.“ „Man darf dich aber nicht mit dem Tod von diesem Scheusal in Verbindung bringen, mein Kind.“ „Deine Mutter hat Recht, Sabia. Man darf Gerolfs Leiche nicht finden.“ „Dann bleibt nur noch eines übrig. Die Insel im Krokodilfluss.“ „Und da muss er erst mal hinkommen.“, sagte Jinx. „So machen wir es.“, entschied Sabia. „Dein erster Staatsbesuch als Königin sollte dich aber nach Eteria führen. Denn dort wartet eine Überraschung auf dich, die dich staunen lässt.“

Nach zwei Tagen brachte man den abgesetzten König an den Krokodilfluss, an dessen Ufer ein Kanu lag. „Wenn du es schaffst, lebend auf der Insel anzukommen, dann erlaube ich dir, dich in ein kleines Häuschen zurückzuziehen. Fern von den Sorgen der Macht. Wenn du es nicht schaffst, dann ist es aus mit dir.“, sagte Sabia. „Miststück!“ Shina Fay war blitzschnell zur Stelle und hielt Gerolf einen Dolch an die Kehle. „Wenn du nicht sofort in das Kanu steigst und los paddelst, lasse ich dich wie einen Hasen ausbluten.“

Widerwillig stieg der einstige Herrscher Sedenias in das Kanu. Corey und Jinx schoben es ins Wasser. Gerolf fing an zu paddeln. Er paddelte so schnell wie möglich, um es rasch zur Insel zu schaffen. Doch der Ex-König machte den Fehler, nicht auf die Geräusche zu achten, die er dabei verursachte. Um so verblüffter war er, als sich unter ihm die Fluten teilten und der gewaltige Kopf eines 6,20 m langen Leistenkrokodils auftauchte. Das Reptil schnappte an der Stelle zu, an der der König saß und riss diesen mit in die Tiefe. „Damit endet die Ära König Gerolf.“, sagte Lothar. „So ist es.“

Jinx und Corey begleiteten Lothar, Dalila und Sabia noch bis zum Strand der Krabbenbucht. Dort hieß es dann Abschied nehmen. Am Strand wartete wie von Lothar gewünscht der Sea King. Shina Fay stand am Waldrand und wartete auf die Freunde. „Ich danke dir für alles, was du getan hast. Ohne deine Hilfe, wären wir den Roc-Orden und König Gerolf nie los geworden.“, sagte Sabia. „Ist nicht der Rede wert. Sag deiner Mutter ganz liebe Grüße von mir.“ „Das mach ich. Lebe frei.“ „Herrsche gut. Und wenn du mal wieder meine Hilfe brauchst, dann lass es mich wissen.“ Shina Fay und Sabia umarmten sich und hielten einander fest. „Du bist die beste Freundin, die sich eine Königin wünschen kann.“, 296

sagte Sabia zu Shina Fay. Corey wollte gerade etwas sagen, doch plötzlich brach sich sein Blick und der Echsenreiter fiel der Länge nach mit dem Gesicht zuerst auf den Boden. In seinem Rücken steckte ein Pfeil, dessen Federn vom Vogel Roc stammten. Ganondorff trat aus dem Dickicht. „Jetzt seid Ihr dran. Ihr glaubt doch wohl nicht, dass ich zulasse, dass Sabia auf dem Thron sitzt, der eigentlich König Gerolf gebührt hat.“, sagte er und legte einen weiteren Pfeil in seinen Bogen. Damit zielte er nun auf Shina Fay. „Ihr seid die nächste. Denn durch euer Eingreifen hat unser Orden die Macht in Sedenia verloren.“

„Du stinkst ja geradezu vor Überheblichkeit, Du Pappnase!“, sagte Shina Fay mit einem süffisanten Lächeln. Ganondorff kochte vor Zorn. Doch plötzlich wich alle Farbe aus seinem Gesicht und sein Blick brach sich. In seinem Brustkorb steckte auf Höhe des Herzens ein Dolch. Es war Dalila, die die Waffe geworfen hatte. „Der Kerl ging mir mit seinem dummen Geschwätz ganz schön auf die Nerven.“ „Glaubst Du mir nicht? Aber ich frage mich, warum nur Elfen dem Vogel Roc geopfert wurden.“ „Weil wir die zahlenmäßig stärkste Rasse in Sedenia sind.“,sagte Sabia. „Also eine systematische Vernichtung.“ „Im wahrsten Sinne des Wortes.“

Schließlich war es Zeit aufzubrechen. „Leb wohl, Dalila. Ich werde dich vermissen.“, sagte Lothar. „Was heißt „Leb wohl“? Ich werde mit dir nach Eteria gehen.“ „Wollt Ihr zwei Turteltauben hier Wurzeln ziehen oder was? Zeit nach Hause zu fahren.“, sagte Shina Fay, die schon am Hubschrauber stand. Lothar und Dalila stiegen in den Sea King und Shina Fay schloss die Tür. Der Hubschrauber hob ab und drehte dann in Richtung offener See, wo der Flugzeugträger vor Anker lag und wartete.

Während der Heimfahrt zeichnete Lothar einen neuen Entwurf für ein neues U-Boot. Das Boot sollte 108,65 m lang und 5,18 m breit werden. Seine Verdrängung sollte über Wasser bei 2.607 Tonnen, getaucht bei 3.688 Tonnen liegen. Die Höhe des neuen U-Boot-Typs sollte 9,3 m betragen. Der Antrieb sollte aus zwei Dieselmotoren mit einer Leistung von 4.700 PS und einem Elektromotor mit einer Leistung von 1.700 PS bestehen. Die Höchstgeschwindigkeit sollte aufgetaucht bei 17,75 Knoten, getaucht bei 6,5 Knoten liegen. Die Reichweite sollte bei 21.000 sm liegen, wenn das Boot 16 Knoten lief. Die maximale Tauchtiefe des neuen U-Bootes lag bei 100 m. 101 Mann Besatzung waren für diesen U-Boot-Riesen vorgesehen. Vorne am Bug waren sechs Torpedorohre vorgesehen, ebenso wie 19 Torpedos, die das Boot mitführen konnte. Dazu kamen noch eine Bordkanone mit einem Kaliber von 14 cm und ein kleines Seeflugzeug. Der Kommandoturm sollte wieder in der Mitte des Rumpfes angebracht werden. In 297

den Turm sollte noch ein kleiner Hangar integriert werden, in dem das Bordflugzeug untergebracht werden sollte, und den man verschließen konnte, sobald das Boot tauchte. Die Bordkanone sollte auf dem Kommandoturm postiert werden.

Zurück in Eteria ging Lothar in Begleitung seiner Freundin Dalila zu Admiral Hirohito und zeigte ihm die Pläne für das neue U-Boot. Dieser sah sie sich an und nickte anschließend. „Hat deine Patentante die Pläne schon gesehen?“, fragte er dann. „Auf der Rückfahrt von Sedenia.“ „Und was sagt sie?“ „Sie ist begeistert. Ich denke, dass wir eigentlich stark genug sind. Einen Boomer werde ich noch entwerfen, dann habe ich meinen Teil erfüllt.“ „Du denkst jetzt schon ans Aufhören?“ „Warum nicht? Ich hab jetzt eine Freundin. Und da kann ich nicht nur an die Arbeit denken.“ „Wohl wahr. Deine bessere Hälfte ist sehr hübsch. Du hast wirklich Geschmack, was Frauen angeht.“

Im Regierungspalast grübelte Shina Fay darüber nach, wie sie sich auf Dauer, das Wohlwollen Sabias, der neuen Königin Sedenias sichern konnte. Arteya, die Amazone kam zu ihr. „Du siehst aus, als ob du über etwas nachdenkst.“ „Seit ich aus Sedenia zurück bin, tu ich nichts anderes.“ „Und worüber denkst du nach?“ „Ich habe in Sedenia für einen politischen Umbruch gesorgt, als ich den Angriff während der Opferzeremonie des Roc-Ordens befohlen habe. Dank meiner Unterstützung sitzt nun Sabia, eine Waldelfe aus den Wäldern Sedenias, auf eben diesem Thron. Ich will mir ihr Wohlwollen auf Dauer sichern und Sedenia als Verbündeten gewinnen.“ „Darf ich dir einen Rat geben?“ „Ich bin für jeden Vorschlag dankbar.“ „Bau ein Kriegsschiff für Sedenia. Am besten eines mit starker Feuerkraft und hoher Geschwindigkeit.“ „Du meinst so ein Schiff, wie unser Flaggschiff?“ „Genau. Und dann soll Sabia jemanden auswählen, der dann bei Lothar in die Lehre geht, damit er dann in Sedenia am Aufbau einer schlagkräftigen Marine mitwirken kann.“ „Gute Idee.“

In Altamira war unterdessen der neue Flugzeugträger fertig geworden. Auf Shina Fays Wunsch hin hatte man das Schiff auf den Namen „Sabia“ getauft. Nun musste es nur noch von seiner Taufpatin, der Königin Sedenias, in einer feierlichen Zeremonie, seinem Element übergeben werden. Zur gleichen Zeit wurde auf der Werft in Trondheim mit dem Bau des ersten neuen Schlachtschiffes für die sedenianische Marine begonnen.

In Endor wollte Shina Fay gerade zu ihrer Reise nach Altamira aufbrechen, als der Haushofmeister einen Gast meldete. „Meine Königin, Königin Sabia von Sedenia bittet um die Gnade einer Audienz.“, sagte er. „Lass sie eintreten.“ „Sehr wohl, Mylady.“ 298

Nur kurze Zeit später betrat Sabia den Thronsaal. Die Königin Sedenias trug ein rotes Kleid aus Satin mit vielen Diamanten darauf und schwarze Sandaletten mit silbernen Ornamenten. Die beiden Königinnen fielen einander in die Arme und hielten einander ganz lange fest. „Ich freu mich so, dass du hier bist.“ „Ich bin gerne her gekommen. Ich platze schon ganz vor Neugier, was deine Überraschung für mich ist.“ „Dann komm mit mir nach Altamira.“, sagte Shina Fay. „Tut mir leid, aber ich kann dir nicht ganz folgen.“ „Ich kann dir nur soviel verraten: Du hast die Ehre die Taufpatin unseres neuesten Flugzeugträgers zu sein.“

In Altamira war alles soweit vorbereitet. Einer der Werftarbeiter entdeckte die königliche Kutsche, die gerade die Werfteinfahrt passiert hatte und nun auf die Helling zufuhr, auf der der gigantische Flugzeugträger ruhte. „DIE KÖNIGIN KOMMT!!!!!“ Als die Kutsche stand, öffnete der Hauptmann der Fedeikin die Tür und Shina Fay stieg aus. Ihr folgte unmittelbar die Königin von Sedenia. Sabia sah sich um und staunte. Eine solche Armada an Kriegsschiffen hatte sie noch nie zuvor in ihrem Leben gesehen. „Gefällt dir, was du siehst?“ Sabia musste sich kurz schütteln um wieder in der Gegenwart anzukommen. „Du lieber Himmel. Ist das die so gefürchtete eterianische Marine?“ „Ein Teil davon. In unseren anderen Hafenstädten liegt der Rest der Flotte.“ Sabia folgte ihrer Freundin zu dem Schiff, das sie taufen sollte. Dort angekommen sah die Königin Sedenias, dass der Name mit Stoff verhüllt war. Auf einen Wink von Shina Fay wurden die Stoffbahnen entfernt und der Name des Trägers wurde lesbar. Sabia stockte der Atem, als sie ihren Namen auf dem Bug des Schiffes las. Schließlich fasste sie sich ein Herz und nahm die Sektflasche. „Ich taufe dich auf den Namen „Sabia“.“, sagte die Königin Sedenias und warf die Sektflasche gegen den Bug, wo sie wie vorgesehen zerbrach.

Unter den Klängen der eterianischen Nationalhymne glitt der neue Flugzeugträger ins Wasser. „Ich danke dir.“, sagte Sabia. „Das ist noch nicht alles. In unserer Hafenstadt Trondheim wartet ein Geschenk auf dich.“ „Ein Geschenk?“ Shina Fay nickte. „Du wirst staunen.“ Und während Shina Fay und Sabia auf dem Weg nach Trondheim waren, saß Lothar am Zeichenbrett und zeichnete die versprochenen Pläne für den letzten Boomer. Das Boot sollte eine Länge von 128,7 m und eine Breite von 10,6 m haben. Sein Tiefgang sollte 10,0 m betragen. Im aufgetauchten Zustand sollte der neue Boomer 8.080 Tonnen, getaucht 8.920 Tonnen verdrängen. Die Höchstgeschwindigkeit sollte bei 20 Knoten über, und bei 25 Knoten unter Wasser liegen. Die Tauchtiefe sollte bei 350 m liegen. 465 m waren maximal zugelassen. Zur Ausrüstung gehörten vier Torpedorohre mit einem Kaliber von 533 mm. 299

Das Boot konnte 18 Torpedos und 18 Flugkörper, sowie 16 ballistische Raketen mitführen.

Wie bei den beiden anderen Boomern war der Kommandoturm vorne am Bug angebracht und die Raketensilos hinten am Heck. Die Tiefenruder waren seitlich am Turm montiert. Das Seitenruder sollte hinten am Heck seinen Platz haben und auch als Schutz für die Schraube dienen. Auffällig war jedoch der Aufbau, auf dem der Turm und die Silos montiert waren.

In Trondheim war Shina Fay in Sabias Begleitung auf der Werft eingetroffen. Auf der Werft war ein Schiff im Bau. „Siehst du das Schiff dort? Noch ist es im Bau. Doch wenn es fertig ist, soll es deinem Land gehören.“ „Ist das dein Geschenk?“ „Du hast es erfasst. Und noch etwas. Ich möchte dich bitten, einen deiner talentiertesten Einwohner hierher nach Eteria zu entsenden, damit er bei meinem Patenkind alles über den Schiffbau lernt, damit du in der Lage bist, eine ebenso schlagkräftige Marine zu bauen, wie ich.“

Zurück in Endor traf sich Shina Fay mit ihrem Ehemann. Bei dieser Gelegenheit lernte Sabia Shina Fays Tochter Naytiri kennen. „Gott, deine Tochter ist ein Prachtstück.“, sagte Sabia. „Eifersüchtig?“ „Ein bisschen.“ Der Haushofmeister erschien. „Königliche Hoheit, der iberianische Botschafter, bittet um die Gnade einer Audienz.“ „HEREIN MIT IHM!!“ Der Botschafter Iberias betrat den Thronsaal. „Meine Königin, ich sage das nicht gern, aber ich muss darauf bestehen, dass die Königin Sedenias den Saal verlässt.“ „SIE BLEIBT!!“ „Wie Ihr wünscht.“ „Kommt zur Sache Botschafter, ich habe noch andere Termine.“ „Sehr wohl. Uns ist zu Ohren gekommen, dass Ihr an dem politischen Umsturz, der in Sedenia stattgefunden hat, beteiligt wart. Stimmen diese Gerüchte?“ „Und wenn schon, das geht euch nichts an.“ „Weitere Gerüchte besagen, dass Ihr Sedenia euer technisches Wissen zur Verfügung gestellt habt.“ „Das stimmt. Das bin ich meiner Freundin Königin Sabia schuldig.“ „Das war keine kluge Entscheidung von Euch, Königin Shina Fay. Sedenia ist neben Eteria Iberias ärgster Feind. Dass Ihr euch mit Königin Sabia angefreundet habt, ist aus menschlicher Sicht selbstverständlich euer gutes Recht. Politisch gesehen, ist dieses Bündnis, dass aus dieser Freundschaft hervorgegangen ist, in keinster Weise zu dulden.“ Sabia meldete sich zu Wort. „Ob deine Herrin, Königin Vivian unsere Freundschaft und damit auch unser Bündnis duldet oder nicht, kümmert mich ehrlich gesagt einen Dreck. Und es stimmt, dass es Shina Fay war, die den Rebellen im Kampf gegen meinen missratenen Vorgänger König Gerolf, zur Seite gestanden hat. Sag deiner Herrin, dass ihre Tage gezählt sind.“

„Ich würde dir gerne in dem bevorstehenden Krieg gegen Iberia helfen. 300

Aber ich muss meine Armee erst komplett neu aufbauen. Und das braucht seine Zeit. Es tut mir wirklich sehr leid. Aber in dieser Sache bist du auf dich allein gestellt. Hoffentlich bist du mir nicht böse, deswegen.“ Shina Fay lachte. „Wie könnte ich dir böse sein? Ich weiß, dass du bei null anfängst. Und hab keine Angst. Ich schaff das schon.“ „Dein Optimismus ist aber auch durch gar nichts zu erschüttern, Shina Fay.“ „Sabia, im Vergleich zu meiner Marine sind die Schiffe Iberias die reinsten Nussschalen. Zumindest ist mein Patenkind dieser Meinung. Er hält unsere Schiffe für unbesiegbar.“ „Wenn ich mir deine Flotte so ansehe, dann könnte Lothar durchaus Recht behalten.“

Schließlich waren auch die neuen U-Boote und auch die neuen Boomer fertig. Lothar konnte stolz auf seine Leistung sein. In Karthago, Iberias Hauptstadt, nahm man die Nachricht, dass Shina Fays Rüstungsprogramm ein vorläufiges Ende erreicht hatte, zwar mit Erleichterung zur Kenntnis, doch Königin Vivian wollte eine Entscheidung erzwingen. Kurzerhand ließ sie ein Dokument aufsetzen, in dem ihr Königreich dem großen Rivalen Eteria den Krieg erklärte. Ein Bote wurde nach Endor geschickt.

Dieser kam nach drei Tagen in Endor an. Der Haushofmeister meldete ihn. „Hoheit, ein Bote aus Iberia ist eingetroffen. Er hat eine Nachricht der Königin von Iberia für euch mitgebracht.“ „Lass ihn eintreten.“ „Sehr wohl, Mylady.“ Der Bote betrat den Thronsaal. Nach dem obligatorischen Hofknicks, der zum Protokoll gehörte, ließ ihn Shina Fay sein Anliegen vortragen. „Meine Königin, ich habe die traurige Pflicht, euch darüber zu informieren, dass unsere Königin sich dazu entschieden hat, euch den Krieg zu erklären. Sie hat bereits damit begonnen, eure Häfen zu blockieren.“ „Dann werde ich diese Blockade durchbrechen.“ „Wenn Ihr das tut, dann werden die Konsequenzen fürchterlich sein.“ „Na und? Königin Vivian will Krieg. Sie wird ihn auch bekommen!“

Nur kurze Zeit später kam es zum Eklat, der die Kriegshandlungen auslöste. Eine iberianische Fregatte brachte eine eterianische Brigg auf, beschlagnahmte die Ladung und setzte die Mannschaft fest. Shina Fays Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Sie befahl die Mannschaft und die Ladung zurückzuholen und ein weiteres Schiff auf die Reise zu schicken, das von einer bewaffneten Eskorte geschützt werden sollte.

Die Eskorte der Kogge bestand aus dem Schlachtkreuzer „Santa Catarina“, sowie Eterias Flaggschiff, dem Schlachtschiff „Shina Fay“. Der Kapitän der „Santa Catarina“ hatte den Befehl, die Kogge durch die eterianischen Hoheitsgewässer zu geleiten und eventuelle Angriffe der iberianischen Flotte abzuwehren. Sein Kollege an Bord der „Shina Fay“ hatte den Befehl erhalten, 301

Das Blockadegeschwader vor Santa Catarina ohne Warnung zu versenken. Als die iberianischen Schiffe in Schussweite waren, schwenkten die mächtigen 38-cm-Geschütze herum, und das 50.000 Tonnen schwere Schlachtschiff eröffnete das Feuer. Gleich die erste Salve erwischte drei Linienschiffe, darunter das Flaggschiff „Vivian“. Eine 38-cm-Granate hatte das Pulvermagazin getroffen. Der Schlachtkreuzer „Santa Catarina“ konnte sich zusammen mit der Kogge unbemerkt absetzen.

Auch in Altamira das gleiche Bild. Die iberianischen Schiffe waren den Kriegsschiffen Eterias hoffnungslos unterlegen. Genauso erging des den iberianischen Geschwadern, die die Häfen von Trondheim, Portimao und Catania blockierten. Nach nur einem Tag waren von 350 iberianischen Kriegsschiffen nur noch 45 übrig.

Am Morgen des zweiten Tages stellte Eterias schwerer Kreuzer „Dina“ eine iberianische Korvette, die eine eterianische Kogge verfolgte, die aus Sedenia kommend, ihren Heimathafen in Altamira anlief. Eine Salve aus den 20,3-cm-Geschützen des Kreuzers reichte aus, die Korvette zu versenken. Auch die „Raya“, Eterias zuletzt gebauter schwerer Kreuzer, konnte eine Versenkung aufweisen. Sie versenkte mit einer Salve die „Yggdrasil“, ein Linienschiff mit 74 Kanonen, und beschädigte Iberias neuestes Linienschiff, die „Astragard“ schwer. Der iberianische Vierdecker musste ganz schön was einstecken, ehe Admiral Collingwood den Befehl zum Rückzug gab. Nach zwei Tagen war der Krieg mit Iberia vorbei.

In Karthago, Iberias Hauptstadt schlug die Nachricht von der Niederlage gegen Eteria ein, wie eine Bombe. Das Volk hatte schon lange vor, die Regentin zu stürzen. Diese hatte ihren Untertanen mit dem Krieg gegen Eteria und der damit verbundenen Niederlage den entscheidenden Grund gegeben, eine Rebellion anzuzetteln. Ein wütender Mob sammelte sich in den Straßen und marschierte auf den Königspalast zu. Die Wachen waren bereits übergelaufen und würden nichts tun, um die Königin vor den Rebellen zu schützen. Nach Einbruch der Dunkelheit erreichte der Mob die Residenz der Königin.

Königin Vivian ahnte noch nichts von der Rebellion, bis sie Stimmen hörte, die auf den Thronsaal zukamen. Als der wütende Mob den Saal stürmte ahnte die Königin was los war. „WACHEN! SOFORT DIESE LEUTE FESTNEHMEN!!“, befahl sie. Doch keiner machte auch nur einen Finger krumm. „HÖRT IHR NICHT, WAS ICH BEFOHLEN HABE? IHR SOLLT DIESEN PÖBEL FESTNEHMEN!!!“ „Ihr befehlt uns nichts mehr. Eure Zeit ist abgelaufen. Ihr habt in einem sinnlosen Krieg tausende junge Männer, die noch ihr ganzes Leben vor sich hatten, 302

ohne mit der Wimper zu zucken, gnadenlos verheizt. Ihr seid zu weit gegangen. Wir dienen nur noch Herrschern, die die Spielregeln beachten, und die sich nicht auf Kosten anderer Königreiche bereichern.“ „Das ist Insubordination. Dafür werdet Ihr mir büßen!“ „Büßen wird nur eine. Und das seid Ihr!“ Vivian wusste, dass sie ihren Kopf nicht mehr würde retten können. Doch sie hatte noch ein Ass im Ärmel. „KINGSOR!“, rief sie.

Der Nekromant erschien auf der Bildfläche. „Was wünscht Ihr?“ „Töte Shina Fay und ihre Tochter. Heute noch!“ „Ich bedaure. Aber die Götter dieser Welt haben entschieden, dass Shina Fay in ihrer elften Prüfung gegen mich antreten muss. Sie weiß es noch nicht, aber ich werde mich unverzüglich nach Endor begeben und ihr diese Nachricht überbringen.“

In Eteria gab es in allen Städten und Dörfern riesige Feste und Siegesfeiern. So auch in Endor. Alle feierten den glücklichen Ausgang dieses Krieges. Bei einem Festessen im Palast nahm auch Königin Sabia zusammen mit ihre Mutter teil. Doch es war Dalila die den ersten Toast ausbrachte. In ihrer Hand hielt sie ein Glas mit erstklassigem Rotwein. „Trinken wir nicht nur auf den glücklichen Ausgang dieses Krieges und den damit einhergehenden heroischen Sieg von Eterias Marine. Trinken wir auf Shina Fay, Eterias Königin, die ihrer ärgsten Rivalin, Königin Vivian von Iberia stets furchtlos die Stirn geboten hat. Meine Freunde: Auf Königin Shina Fay!“ „AUF KÖNIGIN SHINA FAY!“

Später am Abend trat Shina Fay hinaus auf den Balkon. Sie wollte alleine sein. „Guten Abend Shina Fay!“, sagte eine ihr unbekannte Stimme. Die Königin Eterias fuhr herum. Vor ihr stand ein Nekromant. Doch es war nicht Sandro. Dieser Nekromant trug zwar dieselbe Kleidung, doch er trug im Gegensatz zum Nekromantenkönig keine goldene Krone auf dem Kopf, sondern nur eine aus grauem Stahl. „Wer seid Ihr, und was wollt Ihr?“ „Ich bin Kingsor. Ihr habt meinen einstigen König, Sandro als Verbündeten für die große Schlacht gewinnen können. Doch ob ihr diesen Tag noch erleben dürft, steht in den Sternen.“ „So und warum?“ „Königin Vivian, hat mir befohlen, euch und auch eure Tochter zu töten. Aber die Götter haben andere Pläne mit uns beiden. Ihr sollt gegen mich in eurer elften Prüfung antreten.“ „So sei es. Wir sehen uns bei der elften Prüfung. Wann immer das auch sein mag.“303

11. Prüfung - Kingsor der Nekromant

11. Prüfung - Kingsor der Nekromant

Eteria im Jahr des Igels

Ein Sturm tobte und die Wellen brachen sich an den schroffen Felsen. Kingsor, der Nekromant, stand, von seinen Dienern umringt, am Grab von Königin Vivian, der einstigen Herrscherin von Iberia. Hier, am Dead Mans Point, ihrem Lieblingsplatz, hatte er sie zu Grabe getragen, nachdem das Volk von Iberia, die einstige Regentin durch Gift, eine Mischung aus Schierling und Fingerhut, hatte hinrichten lassen. 17 Jahre war das jetzt her. Und nun war es an der Zeit, der Frau gegenüberzutreten, der die einstige Königin von Iberia ihren Untergang zu verdanken hatte. Shina Fay, Königin von Eteria.

In Endor, der Hauptstadt von Shina Fays Königreich fand das traditionelle Frühlingsfest statt. Ihre Tochter, Prinzessin Naytiri war zu einer richtigen Schönheit herangewachsen. Ihre Mutter Shina Fay, inzwischen 98 Elfenjahre alt, hatte alle Mühe, ihre Tochter zu bändigen. Denn diese erwies sich als regelrechter Wildfang, den man nur schwer unter Kontrolle halten konnte. „So war ich auch mal.“, dachte die Königin und musste dabei lächeln. Ihre Freundin Liasanya, die Waldelfe aus Coluacan, kam zu ihr in den Garten. „Bedrückt dich etwas?“ „Ich mache mir ernsthafte Sorgen um Naytiri. Sie ist so draufgängerisch in der letzten Zeit.“ „Das waren wir alle, als wir noch jung waren. Aber ich habe eine Idee, was du tun kannst. Du kennst ihre Fähigkeiten. Du weißt wo ihre Stärken und Schwächen liegen. Fördere sie. Lass sie lernen. Und lass sie vor allem an ihre Grenzen gehen.“ „Was meinst du?“ „Lass Naytiri doch das Jahrgangsturnier in deinem Dorf bestreiten.“, sagte Liasanya. „Keine schlechte Idee. Dann hat sie ein Erfolgserlebnis und kann davon lange berichten. Mit dem Bogen und dem Schwert kann Naytiri ja gut umgehen. Nur der Dolch ist ihr Manko.“ „Lass mich nur machen. Ich werde deiner Tochter Nachhilfe geben.“

In den Vororten der Stadt trieb sich ein Sklavenhändler herum, auf der Suche nach Frischfleisch. Als er Shina Fays Tochter gesehen hatte, hatte er das große Geschäft gewittert und seine Häscher hinterher geschickt. Doch Naytiri erwies sich harte Nuss. Den ersten packte sie an beiden Ohren und bewegte dessen Kopf hin und her und brach ihm das Genick. Bei den anderen beiden war die Königstochter auf die Hilfe eines Soldaten angewiesen, der sie in einem Hauseingang versteckte. Diesen wollten die Häscher ebenfalls festsetzen, doch auch der Fedeikin war ein harter Brocken. Er verpasste den beiden einen Schlag ins Gesicht und die beiden Häscher machten Bekanntschaft mit der Hauswand. „UND JETZT DIE TÜR AUF!“ Naytiri öffnete den oberen Teil und schlug sie den beiden Häschern des Sklavenhändlers ins Gesicht. 304

Die Prinzessin konnte entkommen. Doch nun hefteten sich der Sklavenhändler und sein letzter Häscher an ihre Fersen. In einem Hauseingang konnte sich Naytiri eine Weile ausruhen. Als sie die Tür vorsichtig wieder öffnete, sah Shina Fays Tochter den Häscher und seinen Herrn. Der Handlanger wollte gerade einen Fuß in die Tür stellen als die Prinzessin ihm diese mitten ins Gesicht schlug. Als sie die Tür wieder öffnete, wollte nun der Händler diese blockieren. Doch die Königstochter schlug ihm wieder ein Schnippchen. Sie schlug ihm die Tür vor der Nase zu, aber etwas zu fest, denn der Sklavenhändler ging mit dem Kopf durch das Holz. „Manieren sind hier! Das nächste Mal klopfst Du an!“, sagte Naytiri und schlug dem Händler ins Gesicht. Dieser fiel nach hinten um. „Der Typ scheint ja die Fallsucht zu haben.“

Später am Abend suchte Naytiri ihre Mutter auf. „Wusstest du, dass ein Sklavenhändler in unserer Stadt sein Unwesen treibt, Mutter?“, fragte sie. „Ein Sklavenhändler? Bist du dir da absolut sicher?“ „Ja das bin ich. Und wie.“ „Und was macht dich da so sicher?“ „Wenn mir jemand seine Häscher auf den Hals hetzt, dann ist es doch naheliegend, dass er mich als Sklavin verkaufen will.“ „Und wie sah er aus?“, wollte Shina Fay wissen. „Die Fresse vergess ich nie, Mutter.“ „Das ist mir schon klar Naytiri. Du sollst ihn mir beschreiben. Ich will ihn festnehmen lassen.“ „Verstehe. Also: Der Typ hat einen schwarzen Vollbart, eine Nase wie ein Geierschnabel. Dann hat er braune Augen und einen gebräunten Teint. Kommen wir zur Kleidung. Der Händler hat eine rot-goldene Dschellaba und einen schwarzen Turban getragen. Die Schuhe waren auch auffällig. Der Händler hatte schwarze Lederstiefel mit goldenen Verzierungen getragen, die vorne nach oben gebogen waren.“ „War sonst noch etwas auffällig an dem Kerl?“ „Oh ja, Mutter. Der Typ hat eine Narbe, die sich die gesamte rechte Backe entlangzieht.“ „Ahmed.“ „Du kennst ihn?“ „Nur den Namen. Aber soll für das Verschwinden vieler junger und schöner Frauen verantwortlich sein.“ „Wenn das stimmt, dann ist es kein Zufall, dass er ausgerechnet jetzt hier in Eteria aufkreuzt und sich ausgerechnet deine Tochter krallen will.“

Am nächsten Morgen suchte Ahmed ganz Endor nach Naytiri ab. Er wollte Shina Fays Tochter um jeden Preis. Denn sein Auftraggeber wollte eine Elfenprinzessin und war bereit, dafür eine ordentliche Summe Geld auf den Tisch zu blättern. Noch ahnte der Sklavenhändler aus Kartai nicht, dass sich dieser Auftrag für ihn zu einem Boomerang entwickeln würde.

Sein Häscher hatte gerade Prinzessin Naytiri entdeckt. „Da ist sie, mein Gebieter.“, sagte er. „Dann hinterher. Aber dieses Mal unauffällig.“ Doch Shina Fays Tochter war nicht auf den Kopf gefallen. Bei der erstbesten Gelegenheit 305

konnte sie ihre Verfolger abschütteln. An einem Haus, dessen Wand gerade neu gestrichen wurde, stand eine Leiter. Naytiri bemerkte eine beschädigte Sprosse. Doch das hielt die Prinzessin nicht davon ab, diesen Fluchtweg zu nehmen. „Hassan, Du tolpatschiger Eierrührer, willst du zusehen, wie uns Shina Fays Tochter entwischt? Los hinterher!“

Ahmeds Handlanger kletterte Naytiri nach. Doch im Gegensatz zu Shina Fays Tochter trat er auf die beschädigte Sprosse, sodass diese brach. Dadurch verlor Hassan das Gleichgewicht und fiel mit der Leiter um. Ahmed schlug eine Hand vor sein Gesicht. „Wie kann man nur so blöd sein?“, fragte er sich und verließ den Platz. Wenn sein Handlanger Naytiri nicht zu fassen bekam, dann musste er es eben selbst machen. Doch auch er sollte kein Glück haben. Denn die Prinzessin schlug auch ihm ein Schnippchen. Als er sie schon fast hatte, schlug sie ihm eine Glastür vor der Nase zu und Ahmed ging zu Boden. Er verdrehte die Augen und musste sich schütteln um nicht bewusstlos zu werden. Doch plötzlich packte ihn jemand am Ohr. „Lümmel dich hier nicht so auf dem Fußboden rum!“, sagte eine Frauenstimme. Ganz langsam drehte der Sklavenhändler den Kopf und sah in Liasanyas Gesicht. Ein Schlag ins Gesicht beförderte ihn ins Reich der Träume.

Als Ahmed wieder zu sich kam sah er, dass er sich im Kerker befand. In der linken Ecke des Raumes stand Naytiri, Shina Fays Tochter. Diese trug ein blaues Kleid mit langen Ärmeln, das bis auf den Boden reichte mit goldenen Ornamenten am Dekolleté und den Schulterstücken. An den Füßen trug sie dunkelblaue Sandaletten mit goldenen Ornamenten. Ihre blauen Augen, die sonst gütig und freundlich dreinblickten waren nun voller Zorn und Hass. Das runde hübsche Gesicht, mit den sinnlichen Lippen und der hübschen Nase passte irgendwie gar nicht zu dem Ausdruck in Naytiris Augen. Ihre sonst dunkelbraunen Haare wiesen an einigen Stellen blonde Strähnen auf. Shina Fays Tochter trug ihr Haar offen, sodass es bis zu ihren Schultern reichte.

Ahmed drehte den Kopf in Naytiris Richtung, denn er hörte, wie man die Kerkertür öffnete. Eine Frau trat ein. Der Sklavenhändler wusste sofort, wen er vor sich hatte. Es war Shina Fay, Eterias Königin. Ahmed bekam es mit der Angst zu tun. Denn Shina Fay war dafür berüchtigt, mit ihren Gefangenen nicht gerade zimperlich umzugehen. „Also Ahmed. Ich nehme an, du weißt, wonach ich dich befragen will.“ „Nein. Aber es wird etwas wichtiges sein, wenn du dich persönlich bemühst.“ „Du sagst es. Für mich ist es von größter Wichtigkeit.“ „Lass mich mal Mutter.“ Naytiri rammte dem Sklavenhändler mit voller Wucht ihren Ellbogen in die Magengrube. „Nu hör mal, mit deinem schwarzen Turban auf der Knolle siehst du zwar aus, wie ne bildschöne Marktfrau, aber: Ich behandele dich anders! 306

Na was hör was ich jetzt? Also fang an zu singen!“

Wieder wurde die Tür des Kerkers geöffnet. Dieses Mal traten Katja und Danilo ein. „Und habt Ihr diese Käsemilbe schon weichgeklopft?“ „Noch nicht. Aber das wird noch.“, sagte Naytiri. „Lass meine Schwester mal ran. Diesen krummen Vogel kriegen wir schon zum Singen.“ Katja hatte inzwischen ein Etui geöffnet und eine Nagelzange herausgeholt. „Was willst du denn damit?“, fragte Shina Fay. „Pass gut auf.“ Dann nahm Katja Ahmeds rechte Hand und setzte die Zange am Daumen an. Mit einem Ruck riss die Drachenkriegerin dem Sklavenhändler den Nagel aus. Ahmed schrie vor Schmerzen laut auf. „Also: Wer ist dein Auftraggeber?“, fragte Shina Fay. „Von mir erfahrt Ihr nichts.“ „Katja, wärest du so liebenswürzig und waltest deines Amtes?“ „Mit dem größten Vergnügen.“ Dieses Mal riss Katja Ahmed den Nagel des rechten Zeigefingers aus. „Okay! Okay! Ich packe aus!“, sagte der Händler. „Das will ich hoffen. Sonst sage ich Katja, dass sie dir auch noch den Nagel an deinem Mittelfinger ausreißen soll.“ „Nein! Bitte!“

Schließlich wusste Shina Fay, was sie wissen wollte. Der Auftraggeber Ahmeds war ein Scheich namens Abdullah Khan. „Was machen wir mit ihm?“ „Töten wir ihn. Das wäre das menschlichste.“ „Warum denn töten? Schicken wir ihn mit leeren Händen zu Abdullah Khan zurück.“ „Dann bringt der ihn um. Egal, wie du es drehst und wendest Naytiri. Ahmed ist so oder so ein toter Mann.“, sagte Katja. „Warum schlagen wir nicht zwei Fliegen mit einer Klappe? Wir stellen Ahmed hier vor Gericht, vollstrecken das Urteil und schicken ihn dann zum Scheich.“ Dieser Vorschlag kam von Danilo. „Keine schlechte Idee.“ An Ahmed gewandt, sagte Shina Fay: „Bete zu deinem Gott Allah, dass unser Lord Oberrichter gnädig mit dir ist.“

Am nächsten Tag war dann die Gerichtsverhandlung. Den Vorsitz in dieser Verhandlung führte Sir James Barnet, der Lord Oberrichter. Als er und seine beiden Assistenten den Saal betraten, rief der Gerichtsdiener: „ERHEBEN SIE SICH!!!!“ Mit einer knappen Geste wies der Richter die Anwesenden an, sich wieder zu setzen. Ahmed, der neben seinem Verteidiger auf der Anklagebank Platz genommen hatte, sah sich den Lord Oberrichter genau an. Sir James Barnet hatte stechende blaue Augen. Außerdem besaß er einen schlanken und athletischen Körper. Seine blonden Haare waren unter einer weißen Perücke verborgen. Bekleidet war Sir James mit einer schwarzen Hose und schwarzen Schuhen. Dazu trug er ein weißes Hemd und eine grüne Weste. Darüber trug er noch eine goldbraune Jacke, über die er noch den Mantel des Richters gelegt hatte. 307

„Ahmed Beytullah, Händler aus Kartai. Ihr werdet beschuldigt, einen Angriff auf das eterianische Königshaus unternommen zu haben, indem Ihr versucht habt, Prinzessin Naytiri zu entführen. Wie bekennt Ihr euch?“ „Nicht schuldig.“ „Dann würde ich gerne den ersten Zeugen hören.“ „Das Gericht ruft Prinzessin Naytiri in den Zeugenstand.“ Die große Doppeltür aus Eichenholz öffnete sich und Shina Fays Tochter betrat den Gerichtssaal. Wie schon am Vortag trug sie ihr pfauenblaues Kleid. Als die Prinzessin Platz genommen hatte, begann der Staatsanwalt sein Verhör. „Prinzessin Naytiri. Wäret Ihr so freundlich, uns die Vorgänge vom 16. und 17. dieses Monats zu schildern?“ „Sehr wohl.“

Dann schilderte Naytiri, was sich vor zwei Tagen ereignet hatte. „Würden Sie sagen, dass der Angeklagte die Absicht hatte, eurem Haus zu schaden?“, fragte der Staatsanwalt. „EINSPRUCH! Es ist absolut unerheblich, ob der Angeklagte dem eterianischen Königshaus schaden wollte oder nicht.“ „Einspruch abgelehnt. Beantworten Sie bitte die Frage.“ „Ja, der Angeklagte hatte die Absicht meiner Familie zu schaden.“ 11 weitere Zeugen wurden gehört, darunter Shina Fay selbst. „Ihr Zeuge.“, sagte der Staatsanwalt, als er die Befragung der Königin beendet hatte. „Königin Shina Fay. Würden Sie die Aussagen ihrer Tochter als glaubwürdig oder eher als unglaubwürdig einstufen?“ In Shina Fays Kopf schrillten sämtliche Alarmglocken. Das der Verteidiger es wagte, die Glaubwürdigkeit ihrer Tochter in Frage zu stellen, konnte nur bedeuten, dass er vorhatte, auch sie selbst in Misskredit zu bringen. „Als glaubwürdig. Und noch etwas: Für diese Unverschämtheit werden sie bezahlen.“

Nach Einbruch der Dunkelheit schloss Sir James Barnet die Beweisaufnahme ab. „Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück.“, sagte er. Die ganze Nacht hindurch beriet sich Sir James mit seinen Assistenten. „Welches Urteil scheint Ihnen angemessen?“ fragte er. „Ein Angriff auf das eterianische Königshaus stellt auch einen Angriff auf die Verfassung dar. Denn die Königin ist das Gesetz.“ „Und ein Angriff auf die Verfassung kann nur mit dem Tod geahndet werden.“ „Nun gut. Dann werden wir dieses Urteil fällen.“

Am nächsten Morgen trat das Gericht erneut zusammen. „ERHEBEN SIE SICH!“ Nachdem der Richter zusammen mit seinen Assistenten das Podium betreten hatte rief der Gerichtsdiener: „SETZEN SIE SICH!“ Schließlich sagte Sir James Barnet: „Meine Herren, Ihre Plädoyers bitte.“ Der Staatsanwalt begann. „Hohes Gericht! Der Angeklagte Ahmed Beytullah hat versucht, die Tochter unserer Königin zu entführen und als Sklavin an einen Scheich zu verkaufen. Damit hat er nicht nur einen Angriff auf das eterianische Königshaus begangen, sondern auch auf die Verfassung unserer stolzen Nation. Die Anklage fordert die Todesstrafe.“ 308

Dann war der Verteidiger an der Reihe. „Hohes Gericht! Die Verteidigung sieht es nicht als erwiesen an, dass der Angeklagte wirklich vorgehabt hat, einen Angriff sowohl auf das eterianische Königshaus als auch auf unsere Verfassung zu begehen. Er ist damit aus Mangel an Beweisen freizusprechen.“ „Meine Herren, ich danke Ihnen.“

Nach kurzer Beratung verkündete Sir James Barnet dann das Urteil. „Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil. Der Angeklagte Ahmed Beytullah wurde für schuldig befunden, einen Angriff auf das eterianische Königshaus unternommen zu haben, indem er versucht hat, die Tochter unserer geliebten Königin zu entführen und als Sklavin an einen Scheich zu verkaufen. Der Angeklagte wird zum Tode durch Hinterherschleifen verurteilt. Ein solches Vergehen ist in keinster Weise entschuldbar und kann durch nichts aber auch gar nichts gerechtfertigt werden. In all den Jahren, die ich nun als Lord Oberrichter tätig bin, habe noch nie soviel Niedertracht in einer Person vereint gesehen, wie in Ahmed Beytullah. Die Verhandlung ist geschlossen.“

Am frühen Nachmittag wurde das Urteil vollstreckt. Ahmed Beytullah, der Sklavenhändler, wurde an den Füßen gefesselt und an ein Pferd gebunden. Auf ein Zeichen von Prinzessin Naytiri ließ der königliche Stallmeister die Peitsche knallen und das Pferd fing an loszulaufen. Der Händler, der hinterher geschleift wurde, schrie wie am Spieß,wenn er an einem Dornengestrüpp hängen blieb oder über eine Wurzel gezogen wurde, die aus dem Boden ragte. Am Abend, als die Sonne unterging, kam das Pferd zum Stehen. Der Verurteilte selbst war tot. Ein riesiger Findling, der etwas in den Weg hineingeragt hatte, war ihm zum Verhängnis geworden.

Auf Shina Fays Anweisung hin, wurde der Leichnam von Ahmed Beytullah nach Samarkand gebracht und vor den Toren des Palastes abgelegt. Eine Nachricht war noch beigefügt worden, die die Königin Eterias höchstpersönlich verfasst hatte. Als Scheich Abdullah Khan von einem Jagdausflug zurückkehrte sah er die Leiche des von ihm beauftragten Händlers vor den Stufen zum Palast liegen. An einem der Ärmel der Dschellaba hing die Nachricht Shina Fays.

„An Scheich Abdullah Khan. Vor euch liegt die Leiche von Ahmed Beytullah, den Ihr beauftragt habt, meine Tochter zu entführen und an euch zu verkaufen. Als Königin Eterias kann ich diese Tat nicht ungesühnt lassen. Als Mutter will ich euch mit diesem Schreiben und mit der Leiche eine unmissverständliche Warnung übermitteln. Lasst die Finger von meiner Tochter, oder es wird Krieg zwischen Eteria und Samarkand geben. Gezeichnet Shina Fay, Königin von Eteria.“ 309

Voller Wut zerknüllte der Scheich die Nachricht der eterianischen Königin in seinen Händen. „SHINA FAY!!!!! ICH HASSE DICH!!!!!!“, schrie er in den wolkenlosen Himmel. „Mein Gebieter...“ „Was willst du, Mustafa?“ „Was gedenkt Ihr jetzt zu tun, mein Herr und Meister?“ „Geh in den Palast und sag meinem persönlichen Sekretär, dass ich ihn in fünf Minuten in meinem Arbeitszimmer sehen will. Er muss eine Nachricht für mich aufsetzen.“

In seinem Arbeitszimmer saß Scheich Abdullah Khan hinter seinem Schreibtisch aus kostbarem Mahagoni. Sein persönlicher Sekretär, ein Chinese saß auf der anderen Seite. „Ich möchte dass du eine Nachricht an Shina Fay, die Königin von Eteria verfasst.“ „Ich höre.“ „Königin Shina Fay, in Anbetracht der Tatsache, dass Ihr einen meiner engsten Freunde und auch engsten Vertrauten, auf brutale Art und Weise ermordet habt, müsste ich euch eigentlich den Krieg erklären. Da ich jedoch kein Unmensch bin, bin ich bereit von diesem Schritt abzusehen. Dies setzt allerdings voraus, dass Ihr mir innerhalb von drei Monden eure Tochter Naytiri bedingungslos an mich ausliefert. Solltet Ihr euch jedoch weigern, diese Forderung zu erfüllen, so müsst Ihr die Konsequenzen tragen.“ „Ist das alles?“ „Ja, das ist alles.“ Wortlos gab der Sekretär des Scheichs diesem das Schriftstück. Scheich Abdullah erhitzte etwas Siegelwachs und ließ es auf das Pergament tropfen. Danach zog er seinen Siegelring vom linken Ringfinger und drückte sein Wappen in das noch flüssige Wachs. Als nächstes wurde die Nachricht einen Umschlag aus schwerem weißen Papier gelegt und dieser ebenfalls mit dem Siegel des Scheichs verschlossen.

Nach zwei Wochen traf die Nachricht aus Samarkand in Endor ein. Shina Fay saß gerade in ihrem Besprechungszimmer, als ihr persönlicher Sekretär erschien. „Mylady, eine Nachricht aus Samarkand ist gerade eingetroffen, sie trägt das Siegel des Scheichs. Ich dachte, Ihr hättet sie gern sofort.“, sagte er. „Danke.“ Shina Fay erbrach das Siegel und las die Nachricht. „Das hast du dir so gedacht, du miese kleine Ratte. Aber nicht mit der Königin Eterias.“ „Soll ich eine Antwort für den Scheich aufnehmen, Mylady?“ „Ja. Schreib folgendes: „Scheich Abdullah Khan, da Ihr die Unverschämtheit besitzt, von mir zu verlangen, euch meine Tochter, die zukünftige Königin Eterias, auszuliefern, erkläre ich euch hiermit den Krieg. Möge euch euer Gott Allah gnädig sein. Denn ich kenne Leuten wie euch gegenüber keine.“

Als Scheich Abdullah Khan die Antwort Shina Fays las, lief sein Gesicht rot an. Die Königin Eterias weigerte sich hartnäckig, ihm ihre Tochter auszuhändigen. Stattdessen hatte sie ihm den Krieg erklärt. Er rief seinen Sekretär, der auch sofort erschien. „Ja,mein Herr und Gebieter?“ „Ich habe eine Antwort für 310

Shina Fay. „Diktiert.“ „Königin Shina Fay, ich nehme eure Kriegserklärung schweren Herzens zur Kenntnis. Erwartet das Eintreffen meiner Kriegsflotte vor Eterias Küste in zwei Monden.“

In Endor traf die Antwort von Scheich Abdullah Khan nach zwei Wochen ein. Shina Fay hatte sie gerade gelesen, als Kingsor auftauchte. „Es ist Zeit deine Prüfung gegen mich anzutreten, Shina Fay.“, sagte er. „Die muss warten. Ich habe Scheich Abdullah Khan von Samarkand den Krieg erklärt.“ „Du bist eine Närrin. Weshalb legst du dich mit dem Scheich von Samarkand an?“ „Er will meine Tochter als Sklavin. Und da spiele ich nicht mit. Würdest du nicht genauso handeln?“ „Hätte ich ein Kind, dann würde ich wahrscheinlich genauso handeln wie du. Aber ich hatte zu Lebzeiten keine Kinder. Aber eines solltest du wissen. Scheich Abdullah Khan hat eine Kriegsflotte mit einer Stärke von 1.400 Einheiten. Allesamt Galeeren.“ „Ich verfüge zwar nur über 38 Schiffe, aber ich habe noch eine gut aufgestellte Luftwaffe, als zusätzlichen Trumpf im Ärmel.“ „Ich weiß. Nun gut. Führe den Krieg gegen den Scheich von Samarkand. Und gewinne ihn. Denn ich will dir in deiner elften Prüfung gegenübertreten.“

An einem schönen Frühlingsmorgen meldeten sämtliche Leuchtturmwärter an Eterias Küste das Eintreffen von Scheich Abdullahs Kriegsflotte. Der Angriffsbefehl aus Endor kam postwendend. Shina Fay persönlich war an Bord des Flaggschiffs der eterianischen Marine, dem Schlachtschiff „Shina Fay“. Scheich Abdullah Khan stand auf dem Achterdeck seines Flaggschiffs der „Fire Dschinn“, einer dreimastigen Galeere mit einer Länge von 104,5 m und einer Breite von 10,6 m. Bewaffnet war die Galeere mit 18 9-Pund-Kanonen. Der Scheich war siegessicher, bis er das gewaltige Kriegsschiff sah, das sich von Osten mit hoher Geschwindigkeit näherte.

„Was... ist... das?“, stammelte er beim Anblick des Stahlkolosses. Doch es war zu spät. Als die Galeere in Reichweite der schweren Artillerie des eterianischen Flaggschiffs war, schwangen die mächtigen Geschütze herum und die „Shina Fay“ eröffnete das Feuer. Eine 38-cm-Granate traf gleich den Mast in der Mitte und richtete erheblichen Schaden im Rumpf an. Auch die anderen Schiffe Eterias konnten jeweils eine Versenkung melden. Von den vier Flugzeugträgern aus starteten mehrere Jagdgeschwader und Bomberstaffeln und versenkten weitere Schiffe des Scheichs. Auch die U-Boote leisteten ihren Beitrag und schickten weitere 28 Galeeren auf den Meeresboden. Als am Ende des Tages die Sonne am Horizont versank, waren von den 1.400 Galeeren des Scheichs, bis auf das Flaggschiff „Fire Dschinn“, alle restlichen Einheiten zerstört. Das Flaggschiff des Scheichs war schwer beschädigt und nahm Wasser. „Mein Gebieter. Wir müssen 311

die Flagge streichen. Das Schiff kann sich nicht mehr lange über Wasser halten.“ Schweren Herzens nickte Scheich Abdullah Khan. „Streichen Sie die Flagge.“, sagte er.

An Bord der „Shina Fay“ brach die Mannschaft in Jubel aus. „Sie haben die Flagge gestrichen!“, rief ein Matrose. „Was ist denn das für ein Tumult an Deck?“ „Die „Fire Dschinn“ hat sich ergeben, Hoheit.“ „Also deswegen haben sie die Flagge eingeholt. Na schön. Bringt den Scheich an Bord und dann schafft ihn auf dem schnellsten Weg nach Endor. Ich will ihm den Prozess machen.“ Als Scheich Abdullah Khan an Bord des mächtigen Schlachtschiffes kam, staunte er nicht schlecht, als er an den achteren 38-cm-Geschützen entlang ging. Zwei bewaffnete Matrosen begleiteten ihn auf die Brücke, wo ihn die Königin bereits erwartete. Gemäß der Marinetradition ging der Scheich vor Shina Fay auf die Knie und präsentierte ihr seinen Säbel. Die Königin nahm die Waffe entgegen und sagte: „Erhebt euch!“

„Was wird mit mir geschehen?“, fragte Abdullah Khan. „Ihr werdet, wenn wir in Santa Catarina anlegen, sofort nach Endor gebracht. Ich will euch so schnell wie möglich den Prozess machen.“ „Ihr fackelt wohl nie lange.“ „Nein. Ich muss ein Exempel statuieren, dass andere Scheichs und Emire abschreckt es euch gleich zu tun.“ „Mir scheint, Ihr kennt keine Gnade, wenn es um eure Tochter geht.“ „Sie ist mein einziges Kind. Und ich habe kein Verständnis dafür, wenn jemand wie Ihr sie um ihr rechtmäßiges Erbe betrügt.“ „Wie meint Ihr das?“ „Naytiri soll mir eines Tages auf den Thron von Eteria nachfolgen. Hätte ich eure Forderung erfüllt, wäre mein Königreich ohne Thronfolger. Das kann ich leider nicht zulassen.“

Wenige Tage später in Endor wurde Scheich Abdullah Khan der Prozess gemacht. Da er ein Staatsoberhaupt war, konnte man ihn nicht einfach zum Tode verurteilen. Stattdessen verurteilte Sir James Barnet ihn zu einer saftigen Geldstrafe und verhängte ein lebenslanges Einreiseverbot gegen den Scheich. Shina Fay hätte am liebsten gleich das ganze Vermögen von Abdullah Khan eingefordert, musste sich aber eingestehen, dass sie ihm das nicht antun konnte. So einigte man sich auf eine Summe von 55.000.000 eterianischen Goldkronen.

Der Krieg war vorbei, doch nun musste sich Shina Fay auf ihre Begegnung mit Kingsor vorbereiten. „Ziehst du in den Kampf, Mutter?“ „Ja. Ich muss gegen den Nekromanten Kingsor kämpfen. Es ist eine Prüfung. Die elfte von zwölf. Erst wenn ich auch die zwölfte und letzte Prüfung bestanden habe, wird mir der Zauberbogen deines Großvaters ausgehändigt.“ „Ich gehe mit dir.“ „Naytiri! Auf gar keinen Fall! Wenn ich sterbe, musst du meinen Platz auf Eterias Thron einnehmen.“ 312

„Ich lasse dich nicht alleine gegen Kingsor antreten. Vielleicht wird dein Leben von mir abhängen.“ „Ich kann das nicht zulassen, Naytiri. Du darfst mich nicht begleiten. Versprich mir das.“ „Wenn ich mir was in den Kopf setze, dann wird mich nichts und niemand davon abhalten. Ich komme mit dir. Ob es dir gefällt oder nicht!“ „Du bist wirklich ein störrischer Esel, weißt du das?“ „Von wem ich das wohl habe.“, sagte Naytiri. „Von mir.“ „Eben drum. Du bist genauso ein Sturkopf.“ „Wie du meinst. Wo wollen wir uns Kingsor stellen?“ Naytiri suchte eine Karte Eterias heraus. „Hier!“, sagte Naytiri und wies auf eine Insel im Kristallsee. „Die Insel des Hades?“ „Besser als auf der Insel der Toten, wenn du mich fragst.“

Kingsor erschien mit einem Mal auf der Bildfläche. „Ich gratuliere. Du hast den Scheich von Samarkand schon nach einem Tag besiegt.“, sagte er. „Danke. Du hättest deinen Besuch vorher ankündigen sollen, Kingsor.“ „Dazu blieb leider keine Zeit. Wollen wir es hinter uns bringen?“ „Moment! Ort und Zeit unserer schicksalhaften Begegnung bestimme ich.“ „Wie du meinst.“ „Dann hör mir jetzt gut zu, denn ich sage das nur einmal. Wir treffen uns in vier Tagen bei Sonnenaufgang auf der Insel des Hades im Kristallsee.“ „Auf der Insel des Hades in vier Tagen bei Sonnenaufgang. Soll mir Recht sein.“

„Wie willst du diesen Bastard zur Strecke bringen, Mutter?“ „Ich werde die Stimme anwenden.“ „Die Stimme?“ „Ja. Wenn das, was ich in Remigius Büchern über dieses Phänomen herausgefunden habe, stimmt, dann hast auch du diese Fähigkeit. Oder was glaubst du, weshalb ich täglich mit dir geübt habe?“ „Wenn das wirklich wahr ist, dann haben wir beide eine Chance, wenn wir unsere Fähigkeiten zusammen einsetzen.“ „So hab ich das noch gar nicht betrachtet. Du wirst einmal eine gute Königin sein.“

Am Tag der Entscheidung befanden sich Shina Fay und ihre Tochter bereits auf der Insel. Sie waren bereits am selben Tag, nach dem Gespräch mit dem Nekromanten dorthin gereist um noch ein bisschen Zeit zur Vorbereitung zu haben. Katja und Danilo, sowie der kleine rote Drache Hinoki waren ebenfalls mitgekommen. Die Drachenkriegerin hatte Naytiri auf die Probe gestellt, um zu prüfen, ob auch die Prinzessin „Die Stimme“ besaß. Shina Fays Tochter hatte mit einem lauten Schrei zum Vollmond beschienen Himmel einen der vielen Findlinge zum Bersten gebracht. Hinoki, der sonst immer eine große Klappe besaß, duckte sich vor Angst hinter einen großen Felsen. Shina Fay hatte dies mitbekommen und fing lauthals an zu lachen. „Sieh an, sieh an! Unserem kleinen Drachen geht der Arsch auf Grundeis.“

Shina Fay hatte eine alte Tempelruine entdeckt. 313

Als sie das Abbild der Erdenmutter erblickt hatte, hatte sie spontan beschlossen zu beten. „Erdenmutter! Erhöre das Flehen deiner Tochter. Gib mir und meinem Kind die Kraft um diesem Nekromanten den Garaus zu machen.“ „Ich hatte schon lange die Befürchtung, dass eine deiner Prüfungen den Kampf gegen einen Nekromanten zur Aufgabe haben würde. Oder was glaubst du, weshalb ich dir „Die Stimme“ mit in die Wiege gelegt habe?“ „Diese Fähigkeit hast Du mir mitgegeben? Warum?“ „Weil jedes neugeborene Elfenkind von mir eine spezielle Fähigkeit als Geschenk erhält. Manche sind vererbbar und manche nicht. „Die Stimme“ ist vererbbar, denn deine Tochter besitzt sie auch.“

Nach dem Gebet kam Naytiri in den alten Tempel. „Hier bist du. Da kann ich dich ja lange suchen, Mutter.“, sagte sie. „Ich habe noch mal zur Erdenmutter gebetet und sie um Beistand für uns beide gebeten.“ „Hast du Angst?“ „Ja, ich habe Angst. Du etwa nicht?“ „Doch, Mutter. Ich habe auch Angst.“ „Wir haben vielleicht nur diese eine Chance.“ „Ich hab schon eine Idee. Nekromanten umgeben sich doch gern mit einer Armee aus Skeletten.“ „Richtig. Und wenn jemand ein Goldstück dazwischen wirft, dann bekämpfen sie sich gegenseitig.“ „Das kann ich doch übernehmen. Dann könnt Ihr beide euch auf Kingsor konzentrieren.“ Shina Fay fuhr herum. Im Eingang des Tempels stand Katja. „Hast du Neuigkeiten?“ „Kingsor ist auf der Insel eingetroffen. Da du ihm aber nicht gesagt hast, wo genau du und Naytiri auf ihn wartet, sucht er wie verrückt die ganze Insel nach euch ab.“

Bei Einbruch der Dunkelheit erreichte Kingsor dann endlich Shina Fays Lagerplatz. „Eine gute Wahl, das muss man dir lassen. Der Platz ist abgeschieden und schwer zu entdecken. Ein wahrlich guter Platz zum sterben. Eteria wird schon sehr bald eine neue Königin brauchen. Denn ich werde dich und deine Tochter VERNICHTEN!!!!“ „Wenn du dich da mal nur nicht täuschst, Kingsor. Denn für dich ist hier ENDSTATION!!!“, konterte Shina Fay. Katja hatte sich unterdessen unbemerkt an die Skelettarmee des Nekromanten herangeschlichen und hatte eine eterianische Goldkrone aus einem Lederbeutel geholt. Diese warf sie in den dicksten Haufen der Skelette, woraufhin sich diese nun gegenseitig bekämpften.

Kingsor hatte mitbekommen was Katja getan hatte und wollte einen Tötungszauber wirken. Doch mitten in der Beschwörung traf ihn eine unsichtbare Kraft und schleuderte den Nekromanten nach hinten. Naytiri hatte mit Hilfe ihrer neuen Fähigkeit eine Rippe auf der linken Seite bersten lassen. Nur mühsam rappelte sich der Nekromant auf. Seine Aufmerksamkeit galt nun der Königstochter und so beachtete er Shina Fay gar nicht. Diese setzte ebenfalls „Die Stimme“ ein. Doch im Gegensatz zu ihrer Tochter ließ sie die 314

Leber Kingsors platzen. Der Nekromant keuchte. „Verdammt noch mal! Was soll das? Was ist das für eine Kraft, die ihr da einsetzt?“ „Wüsstest du wohl gern, du taube Nuss.“, sagte Naytiri. Die Prinzessin hatte ihr Ziel erreicht. Denn jetzt war der Nekromant richtig sauer. „Vorsicht Naytiri!“, rief Hinoki. Shina Fays Tochter sah den Todeszauber in den Händen Kingsors aufleuchten. Mit einem Hechtsprung auf die Seite konnte Naytiri dem Tod gerade noch entkommen.

Kingsor gab jedoch nicht auf. Er wollte Naytiri töten, um ihre Mutter zu demoralisieren. Doch er kam nicht mehr dazu. Denn gerade als er einen weiteren Todeszauber wirken wollte, zerriss eine unbekannte Kraft das Herz des Nekromanten. In seinen Ohren hallte noch das Echo von Shina Fays Schrei nach. Kingsor wurde schwarz vor Augen und er sank zu Boden. Mit dem Tod des Nekromanten starben auch die Skelette, die eben noch untereinander gewütet hatten.

„Das wäre geschafft.“, sagte Naytiri zu ihrer Mutter. „Ja. Ich finde, jetzt haben wir beide uns eine wohlverdiente Ruhepause verdient, findest du nicht?“ „Auf jeden Fall. Ich würde gerne nach Edendale, und Großcousine Aradil besuchen.“ „Keine schlechte Idee.“ Am nächsten Morgen lief ein Schiff die Insel an. Nachdem der Kapitän Shina Fay und die andren an Bord genommen hatte, ließ er Segel setzen und nahm Kurs auf das Südufer des Kristallsees. Dort angekommen, wurden Shina Fay und Naytiri zusammen mit Katja und Danilo von Shen und Li An Kai nach Edendale geflogen. Hinoki folgte, wenn auch mit großer Mühe. Es war Abend geworden, als Shina Fay in Edendale eintraf. Ihre Cousine Aradil war gerade von Dorffeier zurückgekehrt. Zum Einen gab es eine Hochzeit zu feiern. Zum Anderen hatte ein junges Elfenehepaar eine kleine Tochter auf die Welt gebracht. Als sie ihre Cousine, die Königin Eterias erblickte, eilte Aradil auf Shina Fay zu und umarmte sie lang und innig. „Shina Fay, ich freue mich so dich zu sehen. Wie geht geht es dir?“ „Soweit alles in Ordnung.“ „Komm schon, du siehst aus, als wärst unter eine Büffelherde geraten.“

„Du musstest ja auch keinen Nekromanten plätten, Großcousine.“ „Naytiri?“ „Überrascht?“ „Ich dachte, du wärest zu Hause in Endor.“ „Falsch gedacht, Aradil. Ich habe Mutter unterstützt.“ „Du hättest dabei drauf gehen können!“ „Ja ich weiß, Großcousine. Aber sieh es mal so, jetzt hat unsere Welt einen Bösewicht weniger.“ „Das will ich nicht in Abrede stellen, Naytiri. Aber eine Sache ist nun mal unumstößliche Realität. Du bist die nächste Königin Eterias. Da beißt die Maus keinen Faden ab.“

„Könnt Ihr mal aufhören, euch gegenseitig an die Kehle zu gehen? Ihr benehmt euch wie zwei alte Waschweiber.“, sagte Katja. 315

Aradil wollte aufbrausen, doch ihre Cousine ließ sie nicht zu Wort kommen. „Du solltest dir zwei Mal überlegen, ob du mit Katja einen Streit vom Zaun brichst.“, sagte Shina Fay mit scharfer Stimme. Aradil schwankte, als Shina Fays Worte sie trafen. „Was zum Henker...?“ „Ups! Entschuldige bitte! Das war jetzt keine Absicht.“ „Mutter besitzt eine Fähigkeit, die man „Die Stimme“ nennt. Ich habe diese Fähigkeit bei meiner Geburt geerbt.“, klärte Naytiri Aradil auf.

Später am Abend saßen die beiden Cousinen allein im Kaminzimmer. „Wer sind eigentlich der Mann und die Frau, die heute mitgekommen sind?“, fragte Aradil. „Das sind Katja und Danilo. Katja ist eine Drachenkriegerin. Ich habe die beiden bei meinem Staatsbesuch in Erimanteles kennengelernt. Damals hab ich durch Zufall meine spezielle Fähigkeit entdeckt.“ „Du meinst das, was mir heute widerfahren ist?“ „Genau. Katja habe ich damals komplett aus dem Gleichgewicht gebracht. Sie ist gestürzt.“ „Wusstest du, dass ich auch eine spezielle Fähigkeit besitze, die vererbbar ist?“ „Welche ist das?“ „Ich bin in der Lage, mit meinen Augen ein lebendes Wesen zu Eis erstarren zu lassen. Ich werde es dir morgen mal demonstrieren.“ „Hoffentlich nicht an deiner Dienerschaft.“ Aradil hob abwehrend die Hände. „Um Gottes Willen Nein! So was würde mir noch nicht mal im Traum einfallen. Aber vor kurzem hat ein fremder Jäger ein Elfenmädchen sexuell missbraucht. Du weißt ja, wie das Gesetz hier lautet.“ „Ja, ich weiß. Todesstrafe.“

Am nächsten Tag wurde der Fremde dann Shina Fay vorgeführt, die auf einem Gerichtsverfahren bestanden hatte. Es waren Zeugen gehört worden und das Tribunal hatte sich zur Beratung zurückgezogen. Da der Jäger gestanden hatte, sich an der jungen Elfe vergangen zu haben, blieb der Königin Eterias nichts anderes übrig, als dem Todesurteil zuzustimmen. Nach dem das Urteil verkündet worden war, folgte auch gleich die Vollstreckung. Aradil selbst übernahm diese Aufgabe. Es begann damit, dass sich ihre sonst grünen Augen mit einem Mal in ein eisiges Blau verwandelten. Als Shina Fays Cousine dem Jäger direkt in die Augen sah, begann dieser sich vor den Augen der Königin in eine Statue aus Eis zu verwandeln. Erst als wirklich alles Leben aus dem Körper des Verurteilten gewichen war, wurden Aradils Augen wieder grün. „Das war... beeindruckend.“, sagte Shina Fay. 316

12.Prüfung - Die Hydra des Chaos

12. Prüfung – Die Hydra des Chaos

Eteria im Jahr des Rotluchses

Es war ein warmer Frühlingstag. Und für Shina Fay war dieser Tag ein besonderer. Denn es war ihr 115. Geburtstag. Ihre Familie und ihre Freundinnen hatten sich mächtig ins Zeug gelegt um eine Feier auf die Beine zu stellen, die der Königin Eterias würdig war. Überall in Eteria hatten alle Untertanen frei bekommen, damit sie an der Feier teilnehmen konnten. Shina Fay ahnte nichts von alledem. Der erste Gratulant war ihre Tochter Naytiri. „Alles gute zum Geburtstag, Mutter.“, sagte sie und umarmte die Königin. „Danke. Du siehst gut aus.“ Und wie recht Shina Fay hatte, konnte Naytiri im Spiegel sehen. Sie trug ein schwarzes Kleid, das bis zum Boden reichte, und goldene Schuhe mit flachen Absätzen. Das Kleid war am Kragen und an den langen Ärmeln in Rot gehalten. Auch die goldenen aufgestickten Verzierungen durften nicht fehlen.

Als nächstes kam Galen zu seiner Ehefrau. „Alles gute zum Geburtstag Schatz.“ „Danke Liebling.“ Als nächste kam Raya. „Alles liebe zu deinem Geburtstag, Schnecke.“ „Schnecke, wie sich das anhört. Ich gehör noch nicht zum alten Eisen, Raya.“, sagte Shina Fay mit gespielter Entrüstung. Danach kam Liasanya zum Gratulieren vorbei. „Alles gute zum Geburtstag, Shina Fay.“ „Danke.“ „Du siehst umwerfend aus.“ Shina Fay trug wie ihre Tochter ein langes Kleid mit langen Ärmeln. Allerdings war ihres pfauenblau. Dazu trug sie ihre weißen Sandaletten mit den goldenen Verzierungen. Nach Liasanya kam dann Ilva. „Alles Gute zum Geburtstag, Shina Fay.“ „Danke Ilva.“

Später am Tag kam Lady Jessica zu Besuch. Denn auch sie wollte ihrer langjährigen Freundin zum Geburtstag gratulieren. Als Shina Fay die Horadrim-Magierin sah, eilte sie auf sie zu und warf sich in ihre Arme. „Jessy! Mein Gott, dass ist aber eine Überraschung! Wir haben uns ja ewig nicht gesehen.“ „Das stimmt. Aber erst mal alles gute zu deinem Geburtstag, meine Süße.“ „Danke dir.“ „Wie ist es dir ergangen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben?“ „Du sprichst mit der Königin Eterias.“ „No Way! Du bist jetzt Königin?“ „Ja. Und ich habe meinem Land zu einer nie dagewesenen Größe verholfen. Du bist mit dem Schiff angereist nicht wahr?“ „Ja. Wir haben in Santa Catarina angelegt. Ich habe ein Schiff gesehen, dass deinen Namen trägt.“ „Es ist unser Flaggschiff. Seine Hauptartillerie besteht aus vier Zwillingstürmen mit einem Kaliber von 38 cm.“ „Autschn!“ „Ist nicht gesund, wenn eine 38-cm-Granate in der Pulverkammer einschlägt.“ „Das glaub ich. Ach übrigens: Die anderen Magier, die du damals kennengelernt hast, kommen auch noch.“ „Wie lange bleibt Ihr?“ „Eine Woche mindestens.“ 317

„Ich freu mich. Und ich würde euch gerne meine neuen Freunde und meine Tochter vorstellen.“ „WTF! Du bist Mutter geworden?“ „Allerdings. Naytiri ist jetzt 34 Jahre alt.“

Naytiri kam zu ihrer Mutter. „Kaitlyn sucht dich schon überall.“, sagte sie. „Ich ahne schon, was sie will.“ Shina Fay war genervt. „Und was wäre das?“ „Sie will mich wieder stylen.“ „Ist doch eine nette Geste. Und vor allem kann nicht jede Königin von sich behaupten, dass Azuras Tochter ihre persönliche Stylistin ist.“, sagte Jessy. „Wie unhöflich von mir Jessy. Ich habe es total versäumt dir meine Tochter Naytiri vorzustellen.“ „Halb so wild. Ich freue mich sehr, die Tochter einer Freundin kennenzulernen.“ „Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Lady...“ „Jessica. Aber sag ruhig Jessy zu mir. Und noch etwas: Lass das alberne Gesieze.“ „Ich geh mal in mein Besprechungszimmer. Ich brauch etwas Ruhe.“ „Okay, bis später.“

In ihrem Besprechungszimmer traf Shina Fay auf Mara. „Alles gute zum Geburtstag, Shina Fay.“ „Danke dir.“ „Du machst so ein mürrisches Gesicht. Was ist los?“ „Ich mag es nicht, so im Mittelpunkt zu stehen. Es nervt. Ich hätte meinen Geburtstag lieber im kleinen Kreis mit meiner Familie und meinen Freunden gefeiert. Aber nicht mit soviel Glamour.“ „Du bist die Königin. Und der Geburtstag einer Regentin wird immer groß gefeiert. Das war sogar bei uns im Dorf Brauch. Aber das ist doch nicht der wahre Grund.“ Shina Fay hatte sich inzwischen auf die Schreibtischplatte gesetzt. „Du hast Recht, Mara. Ich habe keine Lust auf Kaitlyns Stylingsession. Mir geht das tierisch auf den Zeiger. Bin ich denn nicht schön genug?“ „Doch das bist du. Aber als Königin musst du aus der Masse hervorstechen.“

Shina Fay wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, als ihr jemand von hinten die Augen zuhielt. White Angels Tochter wusste nur zu gut, wer das war, denn es gab nur eine Person in ihrem engsten Kreis, die sich diese Dreistigkeit herausnehmen konnte, ohne dafür Ärger zu bekommen. „Kaitlyn!“, sagte Shina Fay mit schwerer Stimme. „Hier bin ich. Alles gute zum Geburtstag, Shina Fay.“, sagte Kaitlyn und umarmte die Königin. „Danke.“ „So, jetzt aber ab zum Styling.“ „Muss das sein?“ „Ja muss es. Ich will, dass du schön aussiehst.“ „Bin ich denn nicht schon schön genug?“ „Wie es Mara schon gesagt hat, du bist eine der schönsten Elfen, die zumindest mir begegnet sind. Aber als Königin musst du schon etwas aus der Masse hervorstechen. Deine Untertanen wollen dich bewundern.“ „Bitte nicht, Kaitlyn.“ „Shina Fay, keine Widerrede!“ „Ich hasse es, dass man um meinen Geburtstag so einen Tamtam macht.“ „Das kann ich verstehen. Ich weiß, wie du dich fühlst. 318

Als ich noch in Darkwood gelebt habe, hat man um meinen Geburtstag auch einen Riesen Hype gemacht.“ „Und das hat dich genervt?“ „Na aber so was von glaub mir.“

Später saß Shina Fay vor dem Spiegel. Kaitlyn stand hinter ihr und kümmerte sich um ihre Haare. Und wie schon am Tag der Hochzeit machte die Dunkelelfenprinzessin aus Shina Fays strähnigem Haar eine sexy Dauerwelle. „So. Deine Haare sind fertig. Jetzt noch ein bisschen Make Up und dann siehst du perfekt aus.“ „Mach aber nicht zu lange.“ „Ich brauch so lange, wie es nötig ist. BASTA!“, sagte Kaitlyn. Shina Fay seufzte schwer. „Mir bleibt aber auch nichts erspart.“, stöhnte sie. „Hör auf zu mosern. Du klingst wie ein Kleinkind, dem man den Lutscher geklaut hat.“ „Und das an meinem Geburtstag.“ „Das ist halt nun mal der Preis, den zu zahlen hat, wenn man als Königin Geburtstag feiert.“

Schließlich war Kaitlyn fertig. „So, fertig.“, sagte sie. „Na endlich.“ „Und jetzt zeig dich mal deinem Volk. Die Leute sollen sehen, wie schön ihre Königin ist.“ Als Shina Fay den Balkon des Palastes betrat, der auf den großen Platz ausgerichtet war, wartete eine gewaltige Menschenmenge auf sie. „DIE KÖNIGIN!“, rief einer. „Alles Gute zum Geburtstag, Majestät!“, schallte es zu Shina Fay herauf. Ihre Tochter Naytiri trat neben sie. Und wie so oft bei großen Festen jubelte das Volk von Eteria seiner Königin und deren Thronfolgerin zu.

Später, es war gerade früher Nachmittag, kamen die anderen Horadrim-Magier. Der erste, der eintraf war Cicero. Wie immer erschien er als Korsar. „Shina Fay, ich wünsche dir alles gute zum Geburtstag. Ich muss sagen, du siehst umwerfend aus.“ „Ich danke dir, mein Freund. Bei dieser Gelegenheit möchte ich dich mit meiner Tochter Naytiri bekannt machen.“ „Mylady.“, sagte Cicero und zog seinen Hut. „Freut mich sehr. Ich hoffe, dass Ihr anwesend sein werdet, wenn mein großer Tag kommt, an dem ich meiner Mutter auf den Thron Eterias nachfolge.“ „Hab ich etwa etwas verpasst, von dem ich wissen sollte, Shina Fay?“ „Ich bin die Königin Eterias.“ „Ich gratuliere. Als ich in Altamira an Land ging habe ich einen schweren Kreuzer bemerkt. Seit wann hast du eine Marine?“ „Seit 34 Jahren. Und genauso lange habe ich eine schlagkräftige Luftwaffe.“ „Du hast ja ganz schön aufgerüstet.“ „Es soll eine Warnung an andere Königreiche sein. Eteria wurde zu lang von seinen Nachbarn klein gehalten und ausgebeutet. Das kann ich leider nicht zulassen.“

Als nächstes kam Xena Gabrielle de la Croix. Nach einer innigen Begrüßung wünschte auch sie der Königin Eterias alles Gute. „Alles gute zum Geburtstag, Shina Fay.“ „Danke. Darf ich dir meine Tochter Naytiri vorstellen?“ „Freut mich sehr.“ „Die Freude ist ganz auf meiner Seite.“, antwortete die 319

Tochter der Königin. Der nächste Gast war Sir Benjamin Merryweather. Ganz Gentleman hauchte er einen Handkuss auf Shina Fays Hand. „Alles Gute zum Geburtstag, Shina Fay.“ „Ich danke dir. Ist schon ein bisschen her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.“ „Das war in dem Jahr, als du deine neunte Prüfung absolviert hast. Wer war damals noch mal dein Gegner?“ „Valkona, die Orkkriegerin.“ „Ich werd alt.“ „Bleibt halt nicht aus. Aber du merkst ja selbst, dass ich langsam selbst zur Kalkleiste werde. Ich habe dir meine Tochter Naytiri noch gar nicht vorgestellt.“ „Mylady.“ „Sir Benjamin.“ Jessy kam dazu. „Du hast mir und Cicero noch gar nicht gesagt, was Naytiri bedeutet. „Naytiri heißt in der Sprache der Menschen „Prinzessin des Mondes“. Weil Naytiri bei Vollmond auf die Welt kam.“ „Verstehe. Und wer ist diese gutaussehende Elfe dort?“, fragte Sir Benjamin und wies mit dem Kopf auf Liasanya. „Das ist Liasanya. Ihr Name bedeutet „Bezwingerin des Wolfes“. Du bist sehr interessiert an ihr.“ „Nur fasziniert.“ „Woher kommt Liasanya eigentlich? Aus Eteria?“, fragte Xena. „Nein, sie kommt aus Coluacan.“ Cicero hatte unterdessen Katja entdeckt, auf deren Schulter Hinoki saß. „Wer ist denn das, Shina Fay?“, fragte er. „Das ist Katja. Sie ist eine Drachenkriegerin. Der Mann neben ihr ist ihr Bruder Danilo.“ „Ich sehe schon, wir haben uns viel zu erzählen.“, sagte Sir Benjamin.

Als es Abend wurde kam dann noch Königin Sabia von Sedenia. „Es ist eingetroffen: Königin Sabia von Sedenia.“, sagte der Haushofmeister. Shina Fay freute sich, ihre Freundin aus Sedenia wiederzusehen. Als die Königin von Sedenia den Thronsaal betrat, eilte Shina Fay auf sie zu und wäre beinahe gestürzt. Doch dann lagen sich die beiden Königinnen in den Armen und hielten einander ganz fest. „Alles gute zum Geburtstag, Shina Fay.“, sagte Sabia. „Danke, Sabia. Wie geht es deiner Mutter?“ „Soweit ganz gut. Sie vertritt mich, damit ich an deiner Feier teilnehmen kann. Ich soll dir ganz liebe Grüße ausrichten.“ „Danke. Sag ihr auch ganz liebe Grüße von mir. Aber jetzt komm. Ich will dich den anderen Gästen vorstellen.“

Nach Einbruch der Dunkelheit hatte es sich Shina Fay mit ihren Gästen auf der großen Terrasse über den Gärten bequem gemacht. „Sag mal, stimmen die Gerüchte, dass du an dem politischen Umsturz in Sedenia beteiligt warst?“, wollte Sir Brian de Bois Gilbert wissen. „Ja, das stimmt. Es war eine R39-Rakete von einem unserer Boomer, die einen Großteil des Roc-Ordens ausradiert hat.“ „Und was ist aus König Gerolf geworden?“ Diese Frage hatte Vicomte Gabriel de Marbray gestellt. „Ein 6,20 m langes Leistenkrokodil hat ihn ertränkt.“ „Verdient hat er es, wenn Ihr mich fragt.“, sagte Lady Stephanie. Sabia drehte ihr Weinglas zwischen ihren Fingern und blickte beschämt zu Boden. „Stimmt etwas nicht?“, fragte Shina Fay. 320

„Ich brauche deine Hilfe, Shina Fay.“ „Was ist passiert?“ „Es begann vor sechs Tagen. Ein Fischer ist spurlos verschwunden. Vor zwei Tagen hat man die Überreste seines Bootes entdeckt. Am Ufer der Bucht wurden Fußabdrücke gesichtet, die ins Landesinnere führten.“ „Von welchem Lebewesen stammen diese Spuren?“ „Unsere Fährtenleser sind den Spuren gefolgt und was sie gesehen haben, hat ihnen für einen kurzen Moment einen tüchtigen Schrecken eingejagt. Sie haben eine Kreatur mit einem riesigen Leib so hoch wie drei Häuser und vier Köpfen, jeder mit messerscharfen Zähnen bewaffnet gesehen. Einer der Soldaten hat dem Wesen zwei Köpfe abgeschlagen. Aber es sind gleich vier Stück nachgewachsen.“ „Das riecht mir sehr stark nach einer Hydra.“ „Wie sah sie aus?“ „Der Leib war zart rosa, doch die Köpfe waren orange.“ „Die Hydra des Chaos.“, sagte Comtesse Tania di Romano. „Und was ist mit den anderen beiden Köpfen passiert?“ „Die hat der Soldat auch abgeschlagen. Aber es sind wieder zwei nachgewachsen. Jetzt hat dieses Monster acht Köpfe.“ In diesem Moment erschien wieder die weiße Frau, das Orakel der Götter. „Shina Fay, die Götter haben beschlossen, dass die Hydra des Chaos der Gegner in deiner letzten Prüfung sein soll.“

„Ich werde mich der Herausforderung stellen. Sobald du wieder nach Hause fährst, komme ich mit.“ „Ich komme mit dir Mutter.“ „Naytiri. Im Kampf gegen Kingsor war deine Unterstützung hilfreich. Aber eine Hydra ist ein ganz anderes Kaliber. Ihre Köpfe haben eine große Reichweite und können schnell bewegt werden. Sie würde dich töten, bevor du soweit bist. Es fällt mir schwer, dass zu sagen, aber dieses Mal musst du hier bleiben und statt meiner Eteria regieren.“ „Mutter, bitte.“ Lady Jessica meldete sich zu Wort. „Was deine Mutter sagt, hat Hand und Fuß. Hydras können sich sehr schnell fortbewegen. Sei nicht dumm und hör auf deine Mutter. Eteria braucht eine handlungsfähige Regierung. Außerdem ist die Hydra des Chaos gegen „Die Stimme“ immun.“ „Also gut. Ich bleibe zu Hause.“, sagte Naytiri. Die Enttäuschung in ihrer Stimme war nicht zu überhören. „Deine Mutter braucht nicht alleine zu gehen. Ich werde sie begleiten.“, sagte eine Frauenstimme, die Shina Fay als die Stimme ihrer Cousine Aradil identifizierte.

„Ich danke dir, dass du mitkommst.“, sagte Shina Fay. „Denkst du vielleicht, ich lass dich allein?“ „Pass auf Mutter auf, Aradil.“ „Da mach dir mal keinen Kopf. Aber meine spezielle Fähigkeit, sollte ausreichen, um die Hydra so stark zu schwächen, dass deine Mutter, am Ende keine nennenswerten Schwierigkeiten mehr hat.“

Am nächsten Morgen reisten Shina Fay und Aradil zusammen mit Sabia 321

auf dem Flaggschiff der eterianischen Marine, dem Schlachtschiff „Shina Fay“, nach Sedenia. In Saragossa, der wichtigsten Hafenstadt Sedenias legte das Schiff an. Von dort aus ging es weiter nach Escoriasa, Sedenias Hauptstadt. Im Palast trafen Shina Fay und Aradil dann Jekaterina, Sabias Mutter. „Willkommen in Sedenia, Shina Fay. Es ist lange her, seit du uns mit deinem Besuch beehrt hast. Und wen hast du mitgebracht?“ „Meine Cousine Aradil. Sie wird mir bei meiner Prüfung zur Seite stehen.“ „Eine Prüfung?“ „Du hast mich schon verstanden. Es ist meine letzte. Danach wird mir der Zauberbogen meines Vaters übergeben. Zumindest sollte es so sein.“ „Das erklär uns bitte mal genauer.“, sagte Sabia. „Das werde ich tun. Aber nicht jetzt. Ich muss die Hydra zur Strecke bringen. Danach werde ich euch gerne alles erzählen.“ „Das leuchtet ein.“ „Ich habe auch schon einen Plan, wie wir dieses Monster zur Strecke bringen. Gibt es einen Ort, der in einer Sackgasse endet?“ „Die Walbunga-Schlucht. Warum fragst du, Shina Fay?“, wollte Sabia wissen. „Ihr müsst sie dorthin locken, oder dorthin treiben. Mir egal, wie Ihr das macht. Aber die Hydra muss in diese Schlucht rein. Sowie sie dort ist, werden wir den Eingang durch einen Steinschlag versperren.“ „Gar nicht mal schlecht.“

Am nächsten Morgen wurde Shina Fays Plan umgesetzt. Sedenianische Soldaten hatten im Kessel am Ende der Schlucht mehrere frisch erlegte Wildschweine aufgeschichtet. Zusätzlich waren noch mehrere Treiber in Position gegangen um die Hydra des Chaos in die Schlucht zu treiben, sollte der Trick mit den Wildschweinen nicht funktionieren. Doch die Hydra tat Shina Fay den Gefallen und fiel auf den Wildschweinduft herein. Zielstrebig folgte das Ungeheuer der Duftspur bis es den Eingang zur Walbunga-Schlucht erreicht hatte. Doch dort wurde die Hydra des Chaos misstrauisch. Irgendetwas stimmte nicht. Doch schließlich siegte der Hunger über den Verstand und das Monster folgte der Duftspur in die Schlucht.

Als die Hydra tief in der Schlucht war, wurde auf ein Zeichen Shina Fays der Eingang versperrt. Mit Hilfe einer Sprengladung wurde der Steinschlag ausgelöst, der den Eingang blockierte und so eine Flucht der Hydra unmöglich machte. Shina Fay und Aradil standen auf einem Hügel unweit der Schlucht, aber noch nah genug für die Königin Eterias, um ihren Bogen einsetzen zu können. Von weitem konnte Aradil die acht Köpfe der Hydra ausmachen. „Da kommt sie, Cousinchen. Bist du bereit?“ „Bereit, wenn du es bist.“ „Ich bin bereit.“ „Dann mal los. Wir müssen mindestens zwei Köpfe ausschalten, ohne dass gleich zwei neue nachwachsen.“ „Deshalb bin ich auch mitgekommen.“, sagte Aradil.

Die Hydra näherte sich rasend schnell, denn sie hatte die beiden Elfen 322

gewittert. Als sie jedoch näher kam, bemerkte das Untier, dass die verlockende Beute außerhalb der Reichweite war. Einen Angriff versuchte die Hydra dennoch. Doch diese Attacke wurde ein voller Misserfolg. Denn statt der beiden Elfen erwischte das Monster nur blanken Felsen. Die Hydra stieß einen lauten, markerschütternden Schrei aus, der durch ihre acht Köpfe noch zusätzlich verstärkt wurde. In der Zwischenzeit hatten sich Aradils Augen von grün auf eisblau umgewandelt. Als sie auf den ersten der beiden mittleren Köpfe sah, begann dieser sich blau zu verfärben, bis er in seiner Bewegung erstarrte. Shina Fay zog einen Pfeil aus dem Köcher und schoss ihn auf den zu Eis gefrorenen Kopf der Hydra ab. Dieser zersplitterte in tausend Stücke, als der Pfeil sein Ziel traf. Der Stumpf blieb jedoch gefroren, sodass kein neuer Kopf nachwachsen konnte.

Dann sah Aradil auf den zweiten Kopf in der Mitte. Auch dieser fing an sich blau zu verfärben, bis er in seiner Bewegung erstarrte. Wieder schoss Shina Fay einen Pfeil auf den gefrorenen Kopf und auch dieser zersplitterte. Die Hydra hatte zwei Köpfe verloren und war nun nicht mehr in der Lage, diese nachwachsen zu lassen. Dadurch wurde sie geschwächt. „Ich ziehe lieber noch zwei Hydraköpfe aus dem Verkehr. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.“, sagte Aradil. „Meinetwegen. Aber übernimm dich nicht. Ich will dich lebend nach Eteria zurückbringen, und nicht als Leiche.“

Aradil nahm sich nun den Kopf links außen vor. Und wie Recht ihre Cousine mit ihrer Warnung hatte, spürte sie, nachdem sie den dritten Kopf der Hydra zu Eis hatte erstarren lassen. Shina Fay hatte gerade den Pfeil abgeschossen, als sie sah, wie Aradil zu schwanken begann. Rasch eilte sie an die Seite ihrer Cousine und stützte sie. „Ich hab dich noch gewarnt, Aradil.“ „Ja, ich weiß. Töte die Hydra.“, sagte Aradil, ehe sie das Bewusstsein verlor. Shina Fay legte einen Pfeil in den Bogen und zielte auf das Herz der Hydra. Der Schuss traf genau ins Schwarze. Ein letzter Schrei, ehe die Hydra des Chaos auf den Boden stürzte und dort ihren letzten Atemzug tat.

Nachdem Shina Fay ihre letzte Prüfung bestanden hatte, zogen am Himmel dunkle Wolken auf und hüllten alles in Dunkelheit. Aus dieser Wolkendecke brach ein Sonnenstrahl und eine Shina Fay wohlbekannte Stimme erklang. „Du hast die zwölf Prüfungen bestanden, die man dir aufgetragen hat. Nimm nun aus meiner Hand den Zauberbogen, der einst deinem Vater gehörte.“ Dann stand Netanya vor ihr. „Netanya. Ich bin so froh, dich zu sehen. Wie schade, dass ich die schönsten Momente meines Lebens nicht mit dir teilen konnte.“ „Ich habe aber alles gesehen. Hier ist „Traumfänger“, deines Vaters Bogen. Jetzt soll er dir gehören. So wie es Ators letzter Wille war.“323

Netanya überreichte Shina Fay den Bogen und nahm die Königin Eterias noch einmal in die Arme. „Ich bin sehr stolz auf dich, Shina Fay.“ „Ich weiß. Ich vermisse dich so sehr. Es gibt Momente, da wünsche ich mir, dass du noch unter uns weilst.“ „Ich weiß. Aber meine Zeit war abgelaufen. Ich werde immer über dich und deine Tochter wachen.“ „Versprochen?“ „Versprochen. Sei eine gute Königin. Das musst du mir versprechen.“, sagte Netanya. „Ich verspreche es.“

Zurück in Escoriasa wurde Shina Fay von Sabia und ihrer Mutter sehnsüchtig erwartet. Beim Abendessen fragte Sabia: „Wolltest du uns nicht erzählen, was es mit den Prüfungen auf sich hat?“ „Nur zu gern. Seit meinem 25. Lebensjahr musste ich 12 Prüfungen bestehen, um den Zauberbogen meines Vaters zu bekommen. Mein Halbruder Leto hat mir das Ganze eingebrockt.“ „Sehr freundlich von ihm. Achtung Sarkasmus.“ „Mit Gnorm dem Berserker hat es angefangen.“ „Und wer war Nummer zwei?“ „Tyrion der Echsenkrieger. Er hat auch Kaitlyn vergewaltigt.“ „Was für ein mieser Drecksack.“, sagte Jekaterina. „Er hat bekommen, was er verdiente. Meinem Dolch war er nicht gewachsen.“ „Wer war eigentlich dein dritter Gegner?“ „Nekane, die Assassine der Blutelfen. Danach kam Sorais die Voodoo-Priesterin. Und nach ihr hatte ich es mit dem König der Nachtelfen, Duras zu tun.“ „Und wem hast du in Prüfung sechs das Licht ausgeknipst?“ „Eigentlich sollte ich gegen Lestrade den Vampir antreten. Doch dann kam alles anders. Heute sind die Vampire mit den Elfen Eterias verbündet.“ „Und das ist gut so. Du hast weise entschieden, als du den Frieden mit den Vampiren ausgehandelt hast.“

Nach drei Tagen, die Shina Fay und Aradil noch in Sedenia blieben, war es dann doch an der Zeit nach Hause zurückzukehren. Es war früher Morgen und wie schon nach Shina Fays Staatsbesuch in Erimanteles herrschte wieder Nebel. Es war ein gespenstischer Anblick, als das Flaggschiff der eterianischen Marine aus der Nebelbank auftauchte. Zuerst der Bug, dann die beiden vorderen Zwillingstürme mit ihren gefürchteten 38-cm-Geschützen.

In Eterias Hauptstadt Endor wurde dann gleich eine große Feier veranstaltet, um die Rückkehr von Shina Fay zu feiern. Naytiri stand auf der großen Treppe des Palastes und wartete auf ihre Mutter. Als die Prinzessin Shina Fay entdeckte, eilte sie die Stufen hinab und rannte auf ihre Mutter zu und warf sich in ihre Arme. „Du bist wieder zu Hause.“, sagte sie. „Ja. Und diesen Bogen kann mir nun keiner mehr wegnehmen. Eines Tages wird er dir gehören, wenn ich nicht mehr bin.“ „Mutter, so etwas darfst du nicht sagen.“ „So ist nun mal der Lauf der Dinge. Niemand lebt ewig Naytiri. Auch meine Zeit wird eines Tages kommen. Genau wie die deine.“ 324

Die große Schlacht

Die große Schlacht

Eteria im Jahr des Königstigers

Nach Shina Fays Sieg bei ihrer letzten Prüfung waren noch einmal 8 Jahre ins Land gezogen. Doch nun musste sich Shina Fay auf die alles entscheidende Schlacht vorbereiten. Sie ließ per Bote eine Nachricht an alle Stämme Eterias schicken und rief ihre Verbündeten zu den Waffen. Schon unmittelbar nach ihrem Triumph war sie mit Königin Azura zusammengetroffen und hatte Ort und Zeit des Aufeinandertreffens vereinbart. Beide Armeen und deren Verbündete wollten sich in der Ebene vor den Feuerbergen treffen. Dieses Land gehörte weder zu Darkwood noch zu Eteria.

Noch vor Sonnenaufgang hatte Shina Fays Armee ihre Positionen bezogen. Die Königin Eterias war die Reihen ihrer Soldaten abgeschritten und hatte danach noch einmal eine flammende Rede gehalten „Heute ist der Tag der Entscheidung!“, hatte sie gesagt. „Heute wird entschieden, wer als Sieger und wer als Besiegter das Schlachtfeld verlässt! Ich weiß, dass Ihr Angst habt. Glaubt mir, ich habe auch welche. Aber ohne Angst, kann es keinen Mut geben. Lasst uns heute unsere Ängste besiegen und mit stolz erhobenem Haupt in die Schlacht ziehen! SEID IHR MIT MIR?“ Ein frenetischer Jubel war die Antwort auf Shina Fays Frage.

Als die Sonne ihre ersten Strahlen über die kahle Landschaft sandte, erreichte Azuras Armee dann den Kriegsschauplatz. Genau wie Shina Fay schritt nun auch die Königin der Dunkelelfen die Reihen ihrer Soldaten ab, um dann eine ebenso flammende Rede zu halten. „Männer! Seit nunmehr 152 Jahren warten wir auf diesen Augenblick! Heute haben wir die Chance die Elfen Eterias für immer auszulöschen! Seid Ihr bereit, hier und heute Geschichte zu schreiben und als Helden heimzukehren?“, hatte Azura gesagt. Ein frenetischer Jubel brandete auf. Beide Seiten waren bereit.

Doch als sich die Königin der Dunkelelfen die Reihen von Shina Fays Armee ansah, erblickte sie Kaitlyn unter ihnen. Ihre Tochter lebte also noch. Dalila, Lothars Ehefrau hob ein Horn an die Lippen und blies hinein. Das Signal zum Angriff. Die beiden Armeen stürmten aufeinander zu und schon bald war der Kampf im vollen Gange. Shina Fay tötete den Anführer der Orks, Maskull mit einem ihrer gefürchteten Giftpfeile. Azura und Leto jedoch hielten sich aus dem Kampfgeschehen heraus. „So nicht, Leto. Wenn du schon nicht kämpfst, dann sollst du trotzdem sterben. Als Feigling!“, dachte Shina Fay und legte den Bogen ihres Vaters auf ihren Halbbruder an. 325

Ein herkömmlicher Pfeil war eingespannt. „BRISINGIR!“, rief Shina Fay und ließ die Sehne los. Durch den roten Edelstein in „Traumfänger“ wurde noch zusätzliche Energie freigesetzt und der Feuerpfeil kam, eingehüllt in einen Feuerschweif auf ihren Halbbruder zu. Dieser konnte zwar gerade noch ausweichen, doch das Geschoss streifte ihn. Ein lauter Donnerschlag ertönte. Und Kaitlyns Fluch erfüllte sich. Aus Letos Körper stieg Rauch auf, und schon bald brannte seine Hand. Mit einem lauten Schrei wurde der Abtrünnige zu einer lebenden Fackel.

Als nächstes erwischte es Hector, den König der Zentauren. Seine Cousine, Athene, die Königin der Kentauren hatte ihn mit ihrem Speer aufgespießt. Azura sah mit Entsetzen, wie Shina Fays Krieger ihre Streitmacht immer mehr zurückdrängten und aufrieben. Es war Abend geworden und die Krieger zogen sich zurück. Auf beiden Seiten hatte es Verluste gegeben. Doch den wohl schwersten Verlust hatte Königin Azura zu beklagen. Sie hatte mit Shina Fays Halbbruder Leto ihren wichtigsten Heerführer verloren.

In der Nacht saß die Königin der Dunkelelfen in ihrem Zelt vor dem Feuer und ließ den Tag Revue passieren. Ihr oberster Heerführer General Huff kam zu ihr. „Was bedrückt euch, meine Königin?“ „Die Schlacht ist nur einen Tag alt. Und schon haben wir mehr Tote zu beklagen, als Shina Fay. Und wir haben drei unserer besten Heerführer verloren. Maskull von den Orks, Hector von den Zentauren und Leto, Shina Fays Halbbruder. Er ist von innen heraus verbrannt.“ „Kaitlyns Fluch hat sich also bei ihm bereits erfüllt.“ „Sieht wohl so aus.“ „Hat eure Tochter euch nicht auch mit einem Fluch belegt?“ „Kaitlyn, ist nicht meine Tochter. Sie war es mal. Aber ja es ist wahr, sie hat auch mich mit einem Fluch belegt.“

Am nächsten Morgen flammten die Kämpfe wieder auf. Auf Shina Fays Seite fiel Königin Athene von einem Assassinen der Blutelfen hinterrücks erdolcht. Auf Azuras Seite starben nicht nur ein paar Soldaten der Orks und der Zentauren. Es erwischte auch den Anführer der Blutelfen Vigo. Ein von Raya abgeschossener Pfeil hatte ihn ins Herz getroffen. Liasanya und Dina hatten, von Katja und ihrem Drachen Hinoki unterstützt drei weitere Krieger der Dunkelelfen ausgeschaltet, als ein Unwetter losbrach, wie es in Eteria noch keines gegeben hatte. Lady Jessica hatte diesen Sturm heraufbeschworen, der einen Großteil der feindlichen Streifkräfte in den Tod riss.

Die übrigen Einheiten ergriffen Hals über Kopf die Flucht und ließen Königin Azura und ihre Dunkelelfen zurück. „Feige Bande!“ 326

Königin Azura war zutiefst enttäuscht von ihren Verbündeten. Doch dann stand sie ihrer eigenen Tochter gegenüber. „Du Verräterin, ich verabscheue dich zutiefst. Du wirst für diesen Verrat bezahlen. Mit deinem Blut!“ „Stolz und uneinsichtig. Aber das warst du schon immer. Du hast mich nie geliebt. Ich war nur ein lästiges Anhängsel. Nicht ich habe Verrat begangen. Sondern du. Als du mich vor 152 Jahren verstoßen hast, hast du mich verraten. Und noch etwas unterscheidet mich von dir, Mutter. Ich habe ein Herz. Du hast keines. Es wird Zeit, dass mein Fluch auch dich trifft.“

Kaum hatte Kaitlyn diese Worte ausgesprochen, ertönte wieder ein lauter Donnerschlag. Ein übler Gestank trat in die Nasen der anwesenden Krieger. Königin Azura versuchte zu schreien, doch sie brachte keinen Ton mehr heraus. Denn aus ihrem Mund kroch eine riesige Kakerlake. Dann stürzte die Königin der Dunkelelfen zu Boden und ihr Körper platzte auf. Überall aus dem Torso krochen Schaben und Kakerlaken und sonstiges Ungeziefer. Die Dunkelelfen, die noch am Leben waren ergriffen die Flucht, denn sie wussten, dass Kaitlyn ihnen ewige Feindschaft geschworen hatte.

Die Prinzessin der Dunkelelfen wollte ihnen folgen, doch ihre Freundin Shina Fay hielt sie zurück. „Lass sie. Diese Männer werden für den Rest ihres Lebens gebrochen sein. Sie werden nie wieder die Waffe gegen irgendjemanden führen. Der grausame Tod, den deine Mutter durch deinen Fluch sterben musste, wird ihnen für immer im Gedächtnis haften bleiben. Jede Nacht werden sie davon träumen. Du hast deine Rache bekommen, finde ich.“ „Ich kann sie töten, wenn ich will. Aber du lässt mich ja nicht.“, sagte Kaitlyn. Die Verbitterung in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

„Aus gutem Grund. Das menschlichste wäre es gewesen, sie wären auf dem Schlachtfeld im Kampf gestorben. Du hast ihnen das schlimmste angetan, was es auf unserer Welt geben kann. Du hast die restlichen Dunkelelfen seelisch zugrunde gerichtet. Sie werden einsam sterben und keiner wird sich an sie erinnern. Sie werden in Vergessenheit geraten.“, sagte Shina Fay.

Als am Abend die Sonne über der Ebene unterging trug Shina Fay die Toten zu Grabe. Dabei machte es keinen Unterschied ob der Tote ein Freund war oder ein Feind. Der Königin Eterias ging es primär darum, die Toten mit den ihnen zustehenden Ehren, gemäß ihrer Traditionen zu beerdigen. Für die gefallenen Orks wurde extra ein Priester gerufen. Dieser ließ mehrere Gruben ausheben und die toten Ork-Krieger dort ablegen. Danach wurden die Gruben zugeschüttet und ein paar Steine als Grabstein aufgestellt. Für jedes Grab sprach der Priester eine eigene Formel. 327

Auf jedem Stein erschien dann das Clansymbol des Toten, sowie dessen Name und dessen Rang innerhalb des Clans.

Die gefallenen Elfen wurden gemäß des Totenkults in Eteria auf Scheiterhaufen verbrannt und das Totenlied der Elfen angestimmt. Nach der Beerdigung verließ Shina Fay die Gruppe, denn sie wollte allein sein. Die Königin Eterias war traurig. Vor den anderen hatte sie ihre Tränen verborgen. Doch nun weinte sie um die Toten, die in den beiden Tagen, die die große Schlacht gedauert hatte, gefallen waren. Auch um ihren Halbbruder Leto weinte sie, denn in gewisser Weise war er ein Teil von ihr. Shina Fay spürte, wie jemand seine Hand auf ihre Schulter legte. Es war Kaitlyn. „Du brauchst dich deiner Tränen nicht zu schämen, Shina Fay. Wir alle sind traurig. Aber das Leben muss weitergehen.“ „Ja, ich weiß.“, sagte Shina Fay mit tränen erstickter Stimme und weinte erneut.

Die Dunkelelfenprinzessin nahm die Königin Eterias in die Arme und versuchte ihre Freundin zu trösten. „Weine ruhig. Lass deiner Trauer freien Lauf.“, sagte sie. Die ganze Nacht hindurch konnte man Shina Fay weinen hören. „Was sie wohl hat?“, fragte Imai. „Sie trauert. Bei der Beerdigung hat Shina Fay ihre Trauer verborgen. Vielleicht war sie gar nicht dazu fähig , Trauer zu empfinden. Erst jetzt, da alles vorbei ist, hat Shina Fay Zeit zu begreifen, was in den letzten beiden Tagen passiert ist. Wir hören das Weinen einer Frau, einer Frau deren Kummer und Schmerz jetzt aus ihr hervorbrechen. Shina Fay war immer stark, doch jetzt ist sie einfach nur sie selbst.“

Erst am nächsten Morgen hatte Shina Fay aufgehört zu weinen. „Geht dir besser?“, fragte Kaitlyn. Shina Fay nickte stumm. „Wir beide haben jemanden verloren, dem wir einst sehr nahe gestanden haben, der ein Teil von uns war. Doch jetzt gilt es, nach vorne zu schauen. In die Zukunft. Deine Zukunft. Dein Leben beginnt jetzt erst richtig. Du hast uns, deine Freundinnen damals mit offenen Armen in deinem Dorf aufgenommen. Deswegen hat Ignissa dich zu ihrer Nachfolgerin auserkoren. Du bist die beste Freundin, Ehefrau und Mutter, die man sich wünschen kann. Ich bin sehr glücklich, deine Freundin sein zu dürfen. Lass dich drücken, Süße.“, sagte Kaitlyn und nahm Shina Fay noch einmal in die Arme. 328

Epilog

Epilog

Eteria im Jahr des Mantarochens

Die Jahre waren ins Land gegangen und Shina Fay und ihr Ehemann Galen hatten das Königreich Eteria weise und gerecht regiert. Doch dann war Galen eines Tages an einer seltenen Krankheit gestorben. Shina Fay trauerte einmal mehr um einen Menschen, den sie sehr geliebt hatte. Auch Naytiri hatte um ihren Vater getrauert. Doch auch Shina Fay wusste, dass es auch mit ihr zu Ende gehen würde. Sie war nun 3.850 Jahre alt und hatte ein glückliches Leben geführt, trotz einiger Höhen und Tiefen, die es gab. Sie hatte eine Tochter geboren, auf die sie stolz war. Naytiri hatte inzwischen selbst geheiratet. Ihre Ehemann war Katjas Bruder Danilo.

Shina Fay saß im Rosengarten, als Kaitlyn zu ihr kam. „Woran denkst du?“ „Ich versuche mich auf meinen Abschied vorzubereiten. Ich bin alt, Kaitlyn. Ich habe all mein Wissen an meine Tochter weitergegeben. Ich denke, dass ich jetzt mit ruhigem Gewissen von dieser Welt gehen kann, um einzuziehen, nach Arandil. Dort, wo Raya und Jenna jetzt sind.“ „Hast du Angst zu sterben?“ „Nein. Ich wäre sogar froh, wenn es endlich soweit wäre. Aber noch habe ich eine Pflicht zu erfüllen.“ „Welche?“ „Ich werde als Königin abtreten und meiner Tochter Naytiri die Krone geben.“ „Wenn du stirbst, will ich auch nicht mehr leben. Ich werde mit dir nach Arandil gehen. Wir sind Freundinnen über den Tod hinaus.“

Nach zwei Tagen ließ Shina Fay verkünden, dass sie bald als Königin Eterias abtreten würde. „Meinst du meine Tochter wird eine würdige Nachfolgerin auf dem Thron Eterias?“, fragte Shina Fay Kaitlyn. „Naytiri wird eine ebenso gute Königin sein, wie du es einst gewesen bist, Shina Fay.“ „Daran habe ich keinerlei Zweifel Kaitlyn. Aber ich habe Angst, dass ich die Geburt meiner Enkelin nicht mehr miterleben kann.“ „Also wird Naytiris Kind ein Mädchen.“ „Ja. Und es soll Nausikara heißen.“ „Ein hübscher Name. Was bedeutet er?“ „Er bedeutet „Prinzessin der Sonne“.“ „Ich denke schon, dass die Götter dir diese Gnade noch gewähren. Vielleicht werden wir sogar länger leben.“, sagte Kaitlyn. Shina Fay sah ihre Dunkelelfenfreundin fragend an. „Deiner Linie ist es bestimmt, sehr alt zu werden. Die Götter haben uns beide, Liasanya und deine Tochter mit einer langen Lebensdauer gesegnet. Aber auch Raya und Jenna durften sehr alt werden.“ „Stimmt schon irgendwo. Aber wir Alten haben doch unser Leben gehabt. Es ist Zeit der jüngeren Generation Platz zu machen.“ „Das stimmt wohl. Meine Tochter Jelena wird Naytiris Ratgeberin. Deine Tochter hat es so gewollt.“ „So einfach geht das aber nicht. Erst wenn Naytiri Königin ist, kann sie ihren Ratgeber bestimmen.“ 329

Schließlich war es dann soweit. Der Tag von Shina Fays Abdankung und Naytiris Krönung war gekommen. Die amtierende Königin trat auf den Balkon, von dem aus sie zu ihren Untertanen gesprochen hatte. Als sie auf den großen Platz hinunter sah, stand dort eine gewaltige Menschenmenge. Shina Fay breitete die Arme aus, um sich Gehör zu verschaffen. Als sie sicher sein konnte, dass alle ihr zuhörten sprach sie mit lauter und kräftiger Stimme. „Volk von Eteria! Viele Jahre habe ich dieses Land regiert. Nun ist es für mich Zeit, als Königin abzutreten und die Krone an meine Tochter Naytiri weiterzugeben.“

Später am Tag wurde dann in einer feierlichen Zeremonie Naytiri zur neuen Königin Eterias gekrönt. Kalinka, Eterias neue Hohepriesterin, nahm diese Zeremonie vor. Die Priesterin war 1,79 m groß und hatte einen wunderschönen, schlanken Körper. Aylas Nachfolgerin hatte dunkelbraune Haare, die bis zu ihren Schultern reichten. Aus dem runden Gesicht blickten gütige, blaue Augen in die Menschenmenge. Bekleidet war Kalinka mit einem langen, fliederfarbenen Kleid, das bis zu den Fußknöcheln reichte und ihre üppigen Brüste zur Geltung brachte, sowie schwarzen Schuhen mit flachen Absätzen Am Ausschnitt und an den Ärmeln waren silberne Stickereien eingearbeitet. Naytiri, Shina Fays Tochter und zukünftige Königin Eterias, trug ein nachtblaues Kleid, das bis auf den Boden reichte, mit langen weißen Ärmeln und ihre goldenen Schuhe. Am Halsausschnitt waren ebenfalls silberne Verzierungen aufgestickt, wie auch am Ansatz der Ärmel. Im Schulterbereich war Naytiris Kleid mit zwei aufgestickten Schmetterlingen verziert.

Die Prinzessin stand wie seinerzeit ihre Mutter auf der rechten Seite auf dem Podest. Die einzige, die noch fehlte, war Shina Fay. Schließlich kam die Königin. Mit zielstrebigen und eleganten Schritten näherte sie sich dem Podest. Dort angekommen, sah Shina Fay noch einmal in die Menschenmenge. „Volk von Eteria! Jahrelang habt ihr mir die Treue gehalten. In guten, wie in schweren Zeiten. Nun bitte ich euch um ein letztes. Dient meiner Tochter, so wie ihr mir gedient habt.“ Danach nahm die Königin das goldene Königsdiadem vom Kopf und gab es Kalinka. Diese nahm das Diadem und rief nun Naytiri zu sich. „Prinzessin Naytiri, würdet Ihr bitte vortreten?“, fragte die Hohepriesterin. Shina Fays Tochter trat vor und ging vor Aylas Nachfolgerin auf die Knie.

„Kraft meines Amtes als Hohepriesterin, ernenne ich euch, Prinzessin Naytiri zur rechtmäßigen Königin Eterias. Schwört Ihr bei allem, was euch heilig ist, stets dafür Sorge zu tragen, dass euer Volk sich sicher fühlen kann und nie Hunger leiden muss? Schwört ihr, euren Untertanen stets Gerechtigkeit widerfahren zu lassen?“ , sagte Kalinka. 330

„Ich schwöre es bei meinem Leben und dem Leben meiner ungeborenen Tochter Nausikara.“

Eine Woche nach der Krönung kam dann Naytiris Tochter Nausikara zur Welt. Damit die Königin Zeit hatte, das Land zu regieren, kümmerte sich Shina Fay zusammen mit Kaitlyn um die zukünftige Thronfolgerin. Eines Abends, Shina Fay saß im Rosengarten, kam Naytiri mit ihrem Kind zu ihr. „Ich danke dir, dass du mich bei der Erziehung meines Kindes unterstützt, Mutter.“, sagte sie. „Das ist doch das mindeste, was ich für dich tun kann.“ „Ich wollte dich um einen Gefallen bitten.“ „Welchen?“ „Nimm du das Königsdiadem zurück. Ich fühle mich noch nicht bereit für diese Bürde.“ „Wenn ich der Meinung gewesen wäre, dass du noch nicht bereit für die Krone Eterias wärst, dann hätte ich sie dir auch nicht gegeben. Du bist bereit, Königin zu sein. Solange ich noch lebe, kannst du immer zu mir kommen und mich um Hilfe bitten, wenn auch dein Ratgeber dir nicht weiterzuhelfen vermag.“ „Danke für dein Vertrauen in mich, Mutter.“ Shina Fay lächelte. „Ich hatte schon immer Vertrauen in dich, Naytiri.“

Eteria im Jahr des Dingos

Die Jahre waren ins Land gezogen und Nausikara, Shina Fays Enkelin, war zu einer wunderschönen Frau herangewachsen. Ihrer Großmutter und auch ihrer Beraterin Kaitlyn ging es jedoch zusehends schlechter. Obwohl die einstige Königin immer noch eine Schönheit war, an der die Jahre spurlos vorübergegangen waren, so merkte man doch, dass für Shina Fay die Zeit gekommen war, ihre letzte Reise anzutreten. Eines Abends, Shina Fay lag in ihrem Bett, trat Nausikara in ihr Zimmer. Naytiri, ihre Mutter, hatte sie begleitet und stand nun in der Tür. Eterias Thronfolgerin setzte sich ans Bett ihrer Großmutter. Shina Fay lächelte. „Danke, dass du gekommen bist.“ „Hab ich doch gern gemacht, Oma.“ „Oma, wie sich das anhört. Ich hab zu deinem Ur Ur Ur-Großvater ja auch nicht Opa gesagt, sondern Großvater“ Nausikara lächelte sanft. „Es fällt mir schwer, von dir Abschied nehmen zu müssen.“ „Das versteh ich. Aber ich habe mein Leben gehabt. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Lass mich dich noch einmal in deiner vollen Schönheit sehen.“, sagte Shina Fay und sah ihre Enkelin noch einmal an.

Nausikara hatte die blauen Augen ihrer Mutter geerbt, aber die dunkelbraunen Haare ihres Vaters. Diese reichten bis zu ihren Schultern. Ihr Körper war genauso schlank, wie der ihrer Mutter, nur ihre Brüste waren etwas üppiger ausgefallen. Bekleidet war Naytiris Tochter mit einem schwarzen Kleid, mit dunkelroten Ärmeln und goldenen Stickereien am Ausschnitt und an den Ärmeln. Nun kam auch Naytiri dazu. „Lebe wohl, Mutter. Vergiss uns nicht.“ „Wie könnte ich euch beide vergessen? Ich bin sehr stolz auf dich Naytiri. 331

Und auch auf dich, Nausikara. Ich weiß, dass auch du eine gute Königin sein wirst. Nimm diesen Schulterreif, Nausikara. Ich kann jetzt drauf verzichten. Wenn du ihn trägst, werde ich immer bei dir sein.“ „Danke, Großmutter.“ „Gern geschehen. Naytiri. Für dich habe ich den Stirnreif aufbewahrt, der mir seinerzeit von Biljana der letzten Königin der Kentauren geschenkt wurde. Er soll jetzt dir gehören.“, sagte Shina Fay. Naytiri und Nausikara nahmen Shina Fays Hand in die ihren. „Lebe frei.“ „Herrsche gut, mein Kind.“, waren Shina Fays letzte Worte, ehe sie die Augen schloss und für immer einschlief.

Shina Fay war aus dem Leben geschieden, doch ihre Linie herrschte bis in die sechste Generation über Eteria. Und noch heute erzählen sich die Wanderer an den Lagerfeuern die Geschichte der großen Königin und Kriegerin Shina Fay, deren Mut die Zeit überdauern wird. 332



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  patchi
2017-06-26T19:40:09+00:00 26.06.2017 21:40
Guten Tag ! Es passiert selten, dass ich allein durch den ersten Satz aus dem Konzept komme. Shina Fay hat was wie von Tuatha de Danann und der alte Mönch klingt so bissel wie Remigio (Remigio de Varagine - Umberto Eco). Bin etwas verwirrt, daher frage ich garnicht erst nach Inspirationsquellen. thanks R.
Antwort von:  BlueGenie1974
01.07.2017 18:20
Hallo patchie. Ich hoffe, dass dir auch die anderen Kapitel gefallen haben. Was nun aber Bruder Remigius angeht, so habe ich keinerlei Ähnlichkeit mit der Figur aus "Der Name der Rose" im Sinn. Der Leser soll sich ruhig selber vorstellen, wie welche Figur aussehen könnte, die nicht von mir beschrieben wurde.


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