Follow your Heart von Linchen-86 ================================================================================ Kapitel 28: Die Trauerfeier --------------------------- 14.12.2010 Die Beisetzung stand kurz bevor. Taichi und Mimi reisten bereits am Vortag nach Aoshima an, um dort auf Yuuko, Hikari und Takeru zu treffen. Abends taten sie nicht mehr viel. Sie gingen essen, aber alle, einschließlich Taichi, bekam nicht besonders viel herunter, also gingen sie früh auf ihr Hotelzimmer zurück. Die Trauerfeier sollte im kleinsten Kreis stattfinden. Nur die Familie plus Anhang. Mimi dachte gleich an ihren letzten Aufenthalt in Aoshima zurück und konnte gar nicht glauben, dass sie jetzt wieder hier war. So schnell und dann noch aus so einem Grund heraus. Sie hätte nicht erwartet, dass sie ihn hier begraben würden. Sie dachte wirklich, dass das Begräbnis in Tokio stattfinden würde und die Familie so die Möglichkeit hätte, ihn zu besuchen, wenn ihnen danach wäre, sie wollten jedoch den Wunsch respektieren, den Susumo hatte. Abgesehen davon war es auch der ganzen Bürokratie nicht möglich, dies umzusetzen. Die Familie Yagami hatte sich soweit auf alles geeinigt. Der Leichnahm würde, wie es im Testament gewünscht war, verbrannt werden. An sich wollte Susumo ein anonymes Grab, jedoch wollten das weder Yuuko noch Hikari. Man sollte sich an ihren Ehemann und Vater erinnern. Viel Wirbel machten sie jedoch nicht um die Beerdigung und es gab auch keine große Zeremonie, da dies gegen den Wunsch von Susumo war. Da Susumo zuletzt ein bekennender Mönch war wurde er traditionell in seinem kleinen Häuschen aufgebahrt. Drei Tage und drei Nächte lang, ehe er verbrannt und beigesetzt wurde. Mimi war unsicher wegen Taichi, er war schon den ganzen Vortag schon wahnsinnig still und in sich gekehrt. Die Versuche mit ihm ein Gespräch anzufangen scheiterten und ihn auf andere Gedanken zu bringen erst recht. Mimi war hilflos und wusste nicht, wie sie ihrem Freund helfen sollte. Sie wollte ihm doch so gerne helfen. Taichi stand gerade unter der Dusche, nachher würden sie zu seinem Haus gehen um ihn die letzte Ehre zu erweisen. Mimi war nervös, das letzte Mal als sie dort gewesen waren, hatten sie noch einen Tee zusammen mit Susumo getrunken und jetzt...? Was würde sie erwarten? Taichi kam aus dem kleinen Badezimmer und wuschelte mit einem Handtuch durch seine Mähne, um sie zu trocknen. Er sah Mimi kurz an, drehte sich herum und begann sich weiter anzuziehen. Mimi unterdrückte ein Seufzen. Sie verstand ihn ja, zumindest gab sie sich alle Mühe ihn zu verstehen. Mimi trug ein schwarzes Strickkleid und eine schwarze Strumpfhose, während Taichi einen dunklen Anzug an hatte und gerade dabei war seine Krawatte zu binden. Er blieb einen Moment reglos auf dem Bett sitzen und erschrak, als Mimi ihn kurz an der Schulter berührte. Er drehte seinen Kopf und sah die Brünette direkt an. „Ich bin fertig“, murmelte der Ältere und stand auf. „Tai?“ bemühte Mimi sich erneut. Sie wollte ihm irgendetwas sagen, etwas das ihn Trost spendete, aber sie wusste nicht wirklich wie und was sie sagen sollte. „Wir kommen zu spät“, murmelte der Brünette und lächelte Mimi kurz an. Die Jüngere nickte, zog sich ihre Stiefel an und folgte Taichi auf den Flur. Wie es wohl sein würde Susumo zu sehen, wenn das Leben nicht mehr da war? Sie hatte auch etwas Angst vor diesem Moment. Dachte daran, wie ihr eigener Großvater die letzten Stunden seines Lebens aussah. So lange war das noch gar nicht her und jetzt musste sie wieder Abschied nehmen. Noch nie musste sie in einem Jahr so oft von Menschen auf unterschiedliche Art und Weise Abschied nehmen. Es zerrte auch an ihren Kräften, aber heute ging es nicht um sie. Heute würde sie sich zusammenreißen, heute wollte sie eine Stütze sein. Eine Stütze für den Mann den sie liebte. Im Foyer trafen sie auf Yuuko, Hikari und Takeru. Alle dunkel gekleidet, alle mit diesem Blick und den traurigen Augen. Der Blick der zeigte, dass sie nicht wegen Urlaub hier waren, sondern aus einem ganz anderen Grund. Einen Grund, den alle am liebsten gar nicht wahrhaben wollten. Gemeinsam nahmen sie den Bus und gingen die letzten paar Meter bis sie der bestimmten Adresse immer näher kamen. Mimi bemerkte wie Taichi nach ihrer Hand suchte und ließ ihre Finger zwischen seine gleiten. Er sagte nichts, aber Mimi spürte wie der Griff um ihre Hand stärker wurde. So ähnlich war es schonmal, damals, als sie vor diesem Haus standen. Und doch war dieses Mal alles anders. Dieses Mal gab es kein Gespräch, keine Fragen die beantwortet wurden, dieses Mal gab es höchstens eine Rede. Die Türe war offen, sie schritten in den kleinen Flur und schon standen sie im Wohnzimmer, wo vorher schon nicht viele Möbel gestanden waren, stand kaum noch etwas bis auf den Sarg. „Oh Gott“, hörte Mimi die leise Stimme ihres Freundes, sah wie er zusammenzuckte und am Eingang stehen blieb, dann ein paar Schritte zurückging und sich mit dem Kopf an die Wand des Flures lehnte. Mimi hielt ebenfalls an und sah ihren Freund besorgt an. Sie folgte mit ihrem Blick Hikari und Takeru. „Sollen wir zuerst gehen?“, fragte Takeru bei seiner Freundin ruhig nach. Die Jüngere drehte sich kurz zu ihrer Mutter um. „Geh ruhig“, lächelte diese sanft. Zu zweit gingen die beiden Jüngeren als erstes zu Susumo. Berührungen waren verboten, dies würde Unglück bedeuten, hatte man ihnen deutlich gesagt. Hikari kämpfte bereits mit ihren Tränen, während der Blonde neben ihr eine Hand an ihrem Rücken ablegte, sanft rauf und runter fuhr und versuchte Kari eine Stütze zu sein. Doch auch für Takeru war es schwer, kannte er Susumo doch jetzt auch schon fast sein ganzes Leben. Für ihn waren sie früher immer die perfekte Familie gewesen, etwas, das er sich für sich selber gewünscht hatte. Umso geschockter war auch er gewesen, als er erfahren hatte, dass Susumo plötzlich verschwunden war und jetzt so etwas. Nein, für ihn war das alles auch nicht einfach, aber er versuchte stark zu sein, für Kari. Es lag genug Trauer in der Luft. Kari holte aus ihrer Jackentasche einen Brief, sie hielt den Umschlag nah an ihre Brust, schniefte, drückte dem verschlossenen Umschlag einen Kuss auf und legte den Brief neben dem Gesicht ihres Vaters. Sie achtete darauf ihn nicht zu berühren, lächelte traurig, während die Tränen über ihre Wangen rollten. „Dieses Mal habe ich einen Brief für dich. Alles was ich nicht sagen kann, habe ich aufgeschrieben, damit du ihn immer bei dir hast und ihn lesen kannst, wenn dir danach ist. Ich habe dich lieb, ich hoffe es geht dir gut, da wo du jetzt bist“, flüsterte sie traurig. Hikari schmiegte sich an die Brust ihres Freundes, auch Takeru sah zwischen seiner Freundin und dem Verstorbenen hin und her, schließlich murmelte er ein „Ruhe in Frieden“ und zog die Braunhaarige dann mit sich. Er ging mit ihr nach draußen. Sie brauchten jetzt einen Moment für sich. Zu viele dieser Tage lagen hinter ihnen. Zu viele dieser Tage, an denen sie traurig und erschöpft waren. Anschließend trat Yuuko den Weg alleine an. Sie blieb am Sarg stehen, reglos, angespannt, traurig, aber es lag auch etwas anderes in ihrem Gesicht. Güte? Sanft lächelte sie, widerstand dem Wunsch, ihre Hand an seine Wange zu legen. „Alles ist gut, alles ist bestens. All deine Fehler, all unsere Streits, all das spielt keine Rolle mehr. All unsere, all deine Sünden seien dir vergeben. Dein Weg ist jetzt frei. Du kannst loslassen und du musst dir keine Sorgen machen, denn wir werden hier unten zurecht kommen.“ Mimi war tiefberührt von dem Worten von Yuuko. Sie blickte zu Taichi, dem das Ganze ziemlich zusetzte. Mimi spürte förmlich wie er mit sich kämpfte zurück zu gehen oder hier zu bleiben. Yuuko blieb noch einen Moment stehen, schweifte in Erinnerungen, an ihre gemeinsame Zeit, an ihre Vergangenheit, dann lächelte sie leicht, legte die Händen auf den Sarg ab, fuhr an der Seite entlang, ehe sie ihre Händen als Gebet zusammenlegte und den Weg frei machte. Auch sie ging nach draußen, wirklich lange hielt es hier drinnen niemand aus. Als Yuuko gerade durch die Türe ging, legte sie eine Hand auf Taichis Brust ab und lächelte ihn aufmunternd an. „Habe keine Angst.“ Taichi sah sie tief und eindringlich an, dann schritt Yuuko an ihm vorbei nach draußen und nahm ihre Tochter in den Arm. Mimi sah zu Taichi, drückte seine Hand und wollte ihn mit sich ziehen, doch er blieb stehen. „Ich brauche noch einen Moment“, murmelte er. „Geh ruhig schon“, lächelte er leicht. „Bist du sicher? Ich kann auch auf dich warten und wir machen das zusammen“, erwiderte Mimi mitfühlend. „Ich glaube ich muss das alleine machen, aber Danke“, murmelte er. Die Brünette nickte, drehte sich herum und ging langsam los. Sie blieb stehen, sah hinab und war entsetzt. Wenn das Leben nicht mehr da war, lag nichts als eine leere Hülle vor einem. So kam es Mimi auch jetzt vor. Susumo war fort, an einem anderen Ort. Sie wünschte sich so, er hätte sich damit noch ein wenig Zeit gelassen, eine Woche, ein Tag hätte schon gereicht, aber es kam anders. Sie hoffte, dass er jetzt an einem Ort war, wo er keine Schmerzen mehr hatte. Vielleicht saß er dort oben in den Wolken zusammen mit ihrem Großvater und gemeinsam sahen sie hinab auf die Menschen, die sie zurückgelassen hatten und liebten. Sie lächelte leicht über diesen Gedanken, irgendwie beruhigte es sie ein wenig, dass er dort oben nicht alleine war. Mimi sah kurz zurück zu Taichi, der angespannt zu ihr sah. Sie drehte ihren Kopf, hielt ihre Tränen zurück, machte den Weg für ihren Freund frei und hoffte, dass er es schaffen würde. Sie ging zur Haustüre, aber noch nicht heraus. Irgendwie wollte sie Taichi nicht alleine lassen. Sie sah zu ihm zurück, sah wie er sich dem Sarg allmähnlich näherte. Sie war stolz auf ihn, sie wusste wie schwer ihm dieser Schritt fallen musste, aber er stellte sich dieser Angst und sie war froh, dass Taichi seine Chance nutzte um sich von seinem Vater zu verabschieden. Taichi war nicht nur angespannt, er war nervös. Er hatte das Gefühl, als hätte er kein Recht dazu hier zu sein, als hätte er die Chance selber verbaut, aber wäre er nicht mit nachgereist hätte er es sich noch weniger verzeihen können. Außerdem wollte er auch seine Familie nicht im Stich lassen, die schon genug Leid durchgemacht hatte. Minutenlang stand Taichi da, sagte nichts, tat nichts. Stumm sah er hinunter – zu seinem Vater, den er kaum mehr erkannte aber dennoch irgendwie da war. Es war soviel in den letzten Monaten passiert. Soviel, seit sie im Sommer hier gewesen waren. Was er nicht alles aus seiner Vergangenheit erfahren hatte. Seine Wut, die er jetzt gar nicht mehr als so stark empfand und ihn doch daran erinnerte, warum er so reagiert hatte. Ja, er war immer noch enttäuscht wie alles gelaufen war, aber dass er nicht mehr die Möglichkeit hatte sich mit seinem Vater auszusprechen, setzte ihm ziemlich zu. Eigentlich hatte er ihm noch eine ganze Menge zu sagen, aber es jetzt auszusprechen machte keinen Sinn mehr, er würde ihn ja doch nicht hören. Es war ja niemand mehr da, der ihn hören konnte und er würde auch niemals wiederkommen um mit ihm zu reden oder ihn anzuhören. Damit musste er jetzt leben und so genau wusste er nicht, wie er das machen sollte. Tränen sammelte sich in seinen Augen. Hastig schloss er sie und wischte die Tränen schnell weg. Dann sah er zurück zu seinem Vater. „Es tut mir leid, das wir nicht mehr Zeit hatten. Ich hätte noch etwas mehr Zeit gebraucht. Nur etwas mehr“, murmelte er nachdenklich und verließ den Sarg. „Ich hoffe du hast deinen Frieden gefunden.“ Mimi stand noch immer an der Türe, sie ging auf ihn zu und schloss ihre Arme um ihren Freund. Er erwiderte die Umarmung und die Jüngere spürte, wie Nässe sich an ihrem Nacken breitmachte. „Danke, dass du hergekommen bist, dass du früher gekommen bist und mir die ganze Zeit beistehst. Danke, für alles, das werde ich dir nie vergessen“, sprach er mit brüchiger Stimme. Mimi klammerte sich fest an ihn. „Natürlich“, murmelte sie und auch sie ließ ihren Tränen freien Lauf. Ein paar Minuten standen sie so da, lagen sich in den Armen und weinten gemeinsam. Taichi löste die Umarmung, hob Mimis Kopf und lächelte schwach. Er senkte seinen Kopf und küsste sanft ihre Nasenspitze. „Nicht weinen, das ruiniert nur dein Make-Up“, grinste der Yagami und wischte ihre Tränen mit seinen Daumen weg. Mimi winkte ab. „Du glaubst gar nicht wie egal mir mein Make-Up gerade ist“, schmunzelte die Brünette, doch Taichi lächelte nur. Zu zweit gingen sie wieder nach draußen, stellten sich zu der übrigen Familie, die schweigsam da stand und nicht wussten was sie machen sollte. Alle waren traurig, weinten und wollten nicht glauben, dass das hier wirklich passierte. Mimi wollte irgendetwas unternehmen. Ihnen etwas Kraft und Hoffnung wiedergeben. „Was haltet ihr davon, wenn wir zum Strand gehen oder wollt ihr noch hier bleiben?“, fragte sie vorsichtig nach. „Nicht unbedingt, aber es ist ganz schön kalt“, murmelte Kari, während sie sich bei Takeru etwas Wärme erhoffte, der auf ihre Worte hin sofort versuchte, die Jüngere zu wärmen. „Es muss ja auch nicht lange sein“, erwiderte Mimi. „Warum nicht? Besser als hier rumzustehen“, erwiderte ihr Freund. Alle waren einverstanden so gingen sie die paar Kilometer zum Strand. Das Wetter war windig und durch das Meer wirkte es noch viel kälter, als es eigentlich war. Aber irgendwie hatte das Meer auch etwas beruhigendes ansich. Zu fünft standen sie am Strand, blickten auf die tobenden Wellen. Sie alle sagten nichts, hingen ihren eigenen Gedanken nach. „Wisst ihr, was ich immer sehr an Susumo gemocht habe?“, unterbrach Takeru die Stille. Abwartend und neugierig sahen alle zu dem Blonden. „Dass er immer alle Witze mitgemacht hatte, ob es ums Essen ging, das nicht wirklich gut gelang oder darum Taichi aufzuziehen“, lachte der Blonde leicht über diese Erinnerung. „Hey!“, protestierte Taichi gleich. „Stimmt doch!“, ärgerte Kari ihren Bruder. „Was meint ihr mit Essen? Wir haben doch immer gut gegessen“, fragte Yuuko irritiert nach. „Ach nur so... ganz allgemein“, lächelte Takeru und sah zu seiner Freundin. Kari kicherte, wusste sie schließlich genau was ihr Freund damit sagen wollte. „Ich fand es schön, dass er immer zu all unseren Auftritten und Spielen gekommen ist, egal wie viel er immer zu tun hatte. Er hatte es sich nie nehmen lassen uns zu unterstützen“, lächelte Kari bei der Erinnerung schwach. Taichi nickte. Es stimmte, ihr Vater war wirklich zu fast jedem Spiel gekommen. „Und auch wenn nicht alles ehrlich war, er wollte immer nur unser bestes und war bereit dafür alles zu tun, sogar ein Stück zuviel“, murmelte Yuuko nachdenklich. „Aber dennoch, die meiste Zeit seines Lebens hat er vieles richtig gemacht, aber welcher Mensch ist schon fehlerfrei.“ Taichi sah von seiner Mutter auf das Meer auf denen die Wellen brachen. „Ich danke dir für alles, was du mir beigebracht hast“, flüsterte er und sah vom Meer zum Himmel. Ja, sein Vater hatte nun sein Frieden gefunden und was war mit ihm? Hatte er ihn auch gefunden? Wer wusste, wann er diese Frage mit Ja beantworten konnte, aber eines war klar, seinen Frieden hatte er mit dieser Sache noch lange nicht gefunden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)